Skip to main content

Full text of "Aristoteles und Athen"

See other formats


n 


3H0      Xf 


I 


ARISTOTELES  UND  ATHEN 


VON 


TJLEICH  VON  WILAMOWITZ-MOELLEIDOEEF 


ZWEITER  BAND 


BERLIN 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG 
1893 


TC 


Inlialt  des  zweiten  bandes. 


ZWEITES  BUCH. 
TJutersucliuiigen  auf  grrund  der  aristotelischen  Politie. 

Seite 

1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte 3 

2.  Die  athenische  politie  von  Kekrops  bis  Solen 34 

3.  Die  athenische  politie  von  Peisistratos  bis  Ephialtes 68 

4.  JlärQios  TtoXireia 103 

5.  Die  könige  von  Athen 126 

6.  Trittyen  und  Demen 145 

7.  Der  athenische  name 169 

8.  Der  Areopag  vor  Ephialtes 186 

3000  hopliten  von  Acharnai 201 

Diobelie 212 

Ttfirifiara  naQs^öfievoi  .          217 

Aöyos  und  evd'vva 231 

ÜQox^iQOTOvia 252 

DRITTES  BUCH. 

Beilagen. 

1.  Die  phratrie  der  Demotioniden 259 

2.  Der  erste  krieg  mit  Aegina 280 

3.  Die  Chronologie  der  pentekontaelie 289 

4.  Solons  gedichte 304 

5.  Die  attische  skoliensammlung 316 

6.  Pindaros  siebentes  pythisches  gedieht 323 

7.  Der  procefs  der  Eumeniden 329 

8.  Die  zeit  der  Thesmophorlazusen 343 

9.  Die  rede  für  Polystratos 356 

10.  Die  paragraphe  und  Lysias  wider  Pankleon 368 

11.  Lysias  wider  die  kornhändler 374 

12.  Isokrates  Panegyrikos  100—114 380 


IV  Inhalt  des  zweiten  bandes. 

Seite 

13.  Die  briefe  des  Isokrates 891 

14.  Demosthenes  piooemium  55 400 

15.  Die  gedichte  des  Aristoteles , 403 


Sachregister 417 

'^rriy.ä  Tiolirixa  ovöfiara •    .     .     .     423 

Stellenregister 425 


ZWEITES  BUCH. 

Untersuchungen  auf  grund  der 
aristotelischen  Politie. 


V.  Wilamowitz,  Aristoteles.  II. 


1. 
DIE  QUELLEN  DEE  GEIECHISCHEN  GESCHICHTE. 


Die  quellenkunde  der  griechischen  geschichte  ist  eine  discipUn,  die 
etwa  vor  einem  menschenalter  erfunden  ist  und  am  bequemsten  in  dem 
verbreiteten  abrisse  von  A.  Schaefer  studirt  wird,  da  stehn  mehr  oder 
weniger  kümmerhche  biographische  und  litterarische  notizen  über  die 
griechischen  historilvcr  bis  ans  ende  des  zweiten  Jahrhunderts  v,  Chr.,  also 
Diodor  und  Plutarch  fehlen,  um  dafür  in  der  römischen  quellenkunde  zu 
figuriren.  wenn  sie  für  die  eine  quellen  sind,  wieso  sind  sie's  für  die 
andere  nicht?  das  buch  trägt  überhaupt  sehr  viel  von  der  schuld,  dafs 
die  Studenten  meinen,  man  lernte  die  griechische  geschichte  wesentlich 
aus  den  historikern. 

Gleichzeitig  ist  mit  einem  sehr  starken  aufwände  von  arbeit,  zumeist 
allerdings  anfängerarbeit,  der  versuch  gemacht,  die  späteren  berichte  aut 
ihre  quellen  zurückzuführen,  dabei  ist  einiges  wertvolle  ermittelt;  es 
hat  sich  aber  nachgerade  herausgestellt,  dafs  dieses  quellensuchen  ein 
recht  schwieriges  geschäft  der  litterarischen  analysis  ist.  die  historische 
analyse  hat  zwar  für  die  zeit  nach  Polybios  viele  und  gute  ausbeute  ge- 
liefert; vorher  verschwindend  wenig,  als  das  wichtigste  methodisch  wie 
praktisch  gleich  bedeutsame  ergebnis  darf  man  verzeichnen,  dafs  die  be- 
deutung  der  antiken  sammler  und  forscher  immer  klarer  hervortritt,  leute 
wie  Tiraaios  Tstros  Hermippos  Apollodoros  Alexandres  von  Milet  sind 
ungleich  kenntlicher  geworden  als  Ephoros  Theopompos  Aristobulos. 
ihre  reste  aber  finden  sich  vornehmlich  bei  grammatikern  und  Philo- 
sophen, in  schoben  und  lexicis,  also  in  Schriften,  die  unter  den  ge- 
schichtsquellen  nicht  zu  paradiren  pflegen. 

Die  quellenkunde  spottet  ihrer  selbst  schon  durch  ihren  namen. 
was  ist  eine  quelle?  Schaefers  abrifs  antwortet:  ein  geschichthches  buch 
aus  der  zeit  vor  Polybios.  der  quellensucher  antwortet:  die  vorlagen 
meines  autors,  einerlei    wer   er  ist.     es   gibt  quellen   des   Suidas   und 

1* 


4  II.    1.  Die  quellen  der  giiechisclien  geschichle. 

quellen  der  Odyssee,  o  wenn  sie  doch  griechisch  dächten!  ycr^yr]  oder 
y.Qrjvr^l  wenn  ytQrjV)],  dann  ist  auch  Tzelzes  eine  quelle,  wenn  7ci]yii], 
dann  ist  auch  Ephoros  keine,  die  Htterarische  forschung  darf  nicht  so 
vornehm  sein  wie  Kallimachos  der  dichter  (als  forscher  war  er  auch  he- 
schei(hier),  sie  niufs  d^co  zQi]ri]S  yciveiv,  mufs  sich  um  alle  hrunnen  und 
canäle  und  reservoirs  kümmern,  die  historie  dagegen  prüft  was  sie 
trinkt  darauf,  oh  es  7Ci]yalov  vöiog  ist,  avd-iyevig  oder  verschlammt, 
durch  den  filier  geschmacklos  geworden,  von  der  sonne  halhverdunstel. 
auch  die  ollyt]  lißäg  isl  ihr  genehm,  wenn  sie  nur  a-/.QOv  atozov 
ist,  und  was  nach  der  (luelle  schmeckt,  das  nimmt  sie,  einerlei  wie  ver- 
mittelt. 
Begiiff  dci  Ein  jeder  historiker  ist  schon  vermittler,  auch  wenn  er  Thukydides 

(iugHg 

heifst.  als  quelle  kann  sein  hericht  nur  gellen,  so  weit  er  zeuge  ist; 
sonst  geht  die  geschichthche  forschung  über  ihn  weg,  auf  seine  zeugen, 
die  Urkunden  und  die  aussagen  von  zeugen,  das  sind  erst  quellen,  oh 
sie  aber  ihre  aussagen  mit  der  absieht  gemacht  haben,  geschichtliche 
künde  zu  übermitteln,  d.  h.  geschichte  geschrieben,  ist  nehensache.  was 
unserer  tagespresse  entspricht,  reden  flugschriften  komoedien,  alle  pri- 
vaten documente  vom  pindarischen  siegesliede  bis  zum  schlichten  grab- 
slein  haben  auf  die  geltung  als  quellen  viel  mehr  anspruch  als  die  com- 
pendien  später  zeit,  die  der  allgemeinen  bildung  oder,  was  dasselbe  ist, 
der  allgemeinen  Ignoranz  dienen,  eine  quellenkunde,  die  von  dem 
richtigen  begriffe  der  quelle  ausgeht,  tut  der  griechischen  geschichte 
allerdings  not.  erst  durch  sie  erfährt  sie,  was  sie  überhaupt  wissen 
kann,  sie  erfährt  sofort,  dafs  sie  von  vielen  Jahrhunderten  aus  den 
quellen  keine  geschichte  schreiben  kann,  wenn  diese  forderung  gestellt 
wird,  dann  sind  die  bekannten  striche  bei  der  Heraklidenwanderung 
oder  der  ersten  Olympiade  oder  dem  jähre  des  Solon  noch  viel  zu  früh: 
dann  müssen  wir  uns  eingestehn,  dafs  erst  das  jähr  des  Pythodoros,  432, 
das  anfangsjahr  der  griechischen  geschichte  ist.  denn  vater  Ilerodotos 
hat  auch  das  mit  valer  Homer  gemein,  dafs  seine  geschichte  absurd 
wird,  wenn  man  sie  pragmatisirt.  die  Hellenen  sind  ein  eigenes  volk. 
ihre  geschichle  scheint,  je  besser  sie  erkannt  wird,  desto  später  an- 
zufangen, während  im  Orient  die  Babylonier,  von  den  Assyrern  ganz  zu 
schweigen,  und  die  Aegypler  mit  ihren  künigslisten  und  den  denksteinen 
ihrer  siege  in  fabelhafte  fernen  reichen,  die  konige  der  Ramessiden- 
dynastie  sind  sogar  leibhaft  in  ihren  mumien  vorhanden,  so  dafs  man 
ihre  hohlen  zahne  zählen  und  ihre  leibeslänge  messen  kann,  aber  der 
korper  ist  tot,  und  die  zahlen  sind  tot.    leben  hat  allein  die  seele,  und 


Begriff  der  quelle,     sage.  5 

die  seele  der  hellenischen  geschichte  redet  zu  uns  von  den  lagen  Homers 
und  der  homerischen  helden  an.  individuelle  menschenseelen  sind  für  uns 
erst  dann  kenntlich,  wenn  sie  selbst  noch  zu  uns  von  ihrem  Seelenleben 
erzählen:  die  gibt  es  auf  erden  nicht  vor  Arnos  und  Jesaja,  Archilochos 
und  Solon.  aber  typische  menschen ,  durch  dichterkraft  zur  individua- 
lität  erhoben,  sind  schon  Jakob  und  Moses,  Agamemnon  und  Odysseus, 
und  die  historie,  die  mit  ihnen  nichts  anfangen  kann,  weil  sie  Ufiythisch 
sind  oder  geworden  sind,  ist  die  rechte  Schwester  der  encheiresis  na- 
turae,  die  ihrer  selber  spottet  —  mögen  sie  sich  auch  alle  beide  ein- 
bilden, heut  zu  tage  zu  regieren. 

Wenn  die  meihode,  aus  den  Urkunden  die  Wahrheit  pragmatisch  zu 
ermitteln,  für  die  alte  zeit  versagt  und  überhaupt  nur  so  weit  hinauf 
berechtigt  ist,  als  die  Zeiten  selbst  für  eine  pragmatische  auffassung  und 
bewahrung  des  geschehenden  reif  waren ,  so  mufs  eine  andere  methode 
gefunden  werden,  um  in  die  ähere  zeit  vorzudringen,  deren  gedächtnis 
in  anderer  weise  erhalten  ist.  auch  hier  gilt  es  die  quellen  zu  finden ; 
die  ([uellen  sind  nur  anderer  art.  zwar  die  steine,  die  der  bürgen  und 
tcmpel  und  vollends  die  beschriebenen,  und  die  gräber  sind  in  gleicher 
weise  unmittelbare  zeugen ,  und  es  fehlt  auch  nicht  an  einzelnen  men- 
schen, die  noch  zu  uns  unmittelbar  reden:  die  hauptquellen  der  alten 
zeit  sind  die  dichter,  nur  seine  poesie  hat  den  menschen  Solon  im 
gedächtnis  erhalten,  und  dafs  dieser  kennthch  ist,  gibt  auch  die  möglich- 
keit,  über  sein  politisches  wirken  zu  urteilen:  das  hat  Aristoteles  be- 
griffen, aber  die  Überlieferung  im  ganzen  ist  anderer  art,  und  ihr  mufs 
sich  notgedrungen  die  historische  methode  anpassen,  nur  so  erfahren 
wir,  was  wir  wissen  können,  nur  so  vermeiden  wir  die  Charybdis,  an 
jedem  wissen  zu  verzweifeln ,  weil  wir  der  Skylla ,  pragmatische  fabeln 
weiter  zu  pragmatisiren,  entgehn  wollen,  die  quellenkunde  für  die  ältere 
zeit  ist  in  Wahrheit  die  einsieht  in  das  werden  und  die  geschichte  der 
historischen  tradilion. 

Vieler  Jahrhunderte  Überlieferung  ist  nur  in  der  sage  niedergelegt  sage 
und  als  solche  überliefert ,  sehr  verschieden ,  je  nachdem  sie  sich  nur 
local  von  mund  zu  mund  fortpflanzte  oder  durch  die  gestaltungskraft 
des  dichters  feste  form  und  weitere  Verbreitung,  dann  aber  auch  ledig- 
lich poetischen  zwecken  dienende  Umbildung  erhielt,  an  realen  persön- 
lichkeiten fehlt  es  fast  ganz,  und  so  weit  sie  zu  gründe  Hegen,  verflüch- 
tigt sich  ihre  leiblichkeit,  dafür  wird  die  summe  einer  geschichtlichen 
enlwickelung  gezogen  und  in  idealer  umdichtung  stilisirt.  wenn  auch 
in  der  form  einer  erzählung  erfahren  wir  mit  Zuverlässigkeit  meist  nur 


6  H.    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

das  ergebnis  der  ereignisse.  dafür  ist  aber  der  sinn  für  das  ganze  und 
grofse  vorhanden,  das  epos  ordnet  die  fülle  der  erscheinungen  und  er- 
innerungen  rückwärts  schauend  von  dem  was  als  resultat  der  geschicht( 
vorhanden  ist  unter  grofse  gedanken  und  stellt  einen  Zusammenhang 
her,  der  für  die  logik  der  zeit  ein  causalnexus  und  für  die  moral  der 
zeit  die  theodicee  ist.  das  stemma,  mit  dem  die  Kataloge  fles  Hesiodos 
begannen,  ist  ein  bedeutendes  product  von  historisch  weit  und  scharf 
bhckendem  ordnendem  urteil:  für  uns  unmittelbar  verständlich  und  un- 
schätzbar als  eine  darstellung  der  vülkerverhältnisse  und  des  bewufstseins 
von  stammesverwandlschaft  und  Verschiedenheit  im  siebenten  Jahrhundert, 
die  von  der  poesie  wenig  umgestalteten  sagen  von  den  attischen  königen 
und  die  eponyme  der  yivy]  cfgarglat  q)vXal  lehren  schlechthin  nichts 
für  personen  und  ereignisse;  aber  die  institutionen  und  die  geschicht- 
lichen resultate  reden  in  ihnen  zu  uns,  und  so  sind  sie  eine  ergiebigere 
quelle  als  die  urkundliche,  in  anderer  art  unschätzbare  namenreihe  der 
Chronik,  es  wird  der  moderne  immer  erst  nach  langer  Vertrautheit  und 
durch  liebevolle  hingäbe  erreichen,  jenen  geschlechtern  nachzuempfinden, 
die  selbst  ihre  eigensten  erlebnisse  nur  in  dem  reflcxe  schauen  mochten, 
den  sie  auf  die  heilige  geschichte  der  lieben  vorfahren  warfen,  lebendig 
aber  ist  diese  art  zu  empfinden  in  dem  mutterlande  von  Hellas  vieler 
orten  noch  bis  an  das  ende  des  fünften  Jahrhunderts  gebheben,  und  in 
den  immer  mehr  schemalischen  und  ausgeklügelten  eponymen  und  Wande- 
rungen hat  auch  noch  die  späteste  zeit  sich  ein  Surrogat  der  sage  zu 
schaffen  versucht,  wenn  die  herren  der  pindarischen  gesellschaft  es  ver- 
langen, dafs  der  sieg  im  faustkampfe,  den  einer  der  ihren  erringt,  mit 
der  geschichte  der  Stammesheroen  in  unmittelbare  beziehung  oder  doch 
in  parallele  gesetzt  werde,  so  ist  ihnen  und  dem  Pindaros  das  keine 
leere  fiction.  dem  Euripides  war  es  schwerlich  mehr,  als  er  am  Schlüsse 
des  Ion  die  hesiodische  Stammesgenealogie  so  umformte,  dafs  sie  sich 
den  machtverhällnissen  des  altischen  Reiches  anpafste:  aber  die  Athener 
waren  nicht  aufgeklärte  Sophisten  wie  er.  es  folgt  hieraus,  dafs  die  ge- 
schichtliche ausnutzung  der  sagen  vorab  feststellen  muf's,  wie  alt  sie  in 
der  form  sind,  die  wir  übermittelt  erhalten,  und  dafs  sie  dann  zunächst 
nur  für  die  zeit  etwas  lehren ,  der  diese  form  angehört,  alles  weitere 
ist  ein  rückschlufs,  aufgebaut  auf  der  kritik  der  aussagen,  die  jene  be- 
stimmte zeit  durch  die  sage  über  ihre  Vergangenheit  macht. 
Lovelle  Der  sage  folgt  ihre  jüngere  Schwester,  die  novelle;  beide  aber  re- 

gieren eine  weile  nebeneinander,  so  dafs  sich  die  grenzen  ihrer  reiche 
häufiof  verwischen,    die  sa^e  ist  heilig  und  wahr  oder  will  es  doch  sein. 


Novelle,     das  erwachen  der  subjectivität  in  lonien.  7 

ihre  göttin  ist  die  himmlische  Muse,  die  tochter  des  Zeus,  die  später  den 
Philosophen,  Parmenides  und  Piaton,  die  Wahrheit  verkündet,  dagegen 
die  Muse  der  novelle  %oy.Ev  xpsvöea  tioKIo.  /Jysiv  Itu^wioiv  of-ioia. 
irdisch  wie  sie  ist  richtet  sie  ihren  sinn  auf  das  menschliche  und  zwar 
auf  die  gegenwart,  aber  da  sie  die  sage  ablost,  zieht  sie  zunächst  die 
götter  oder  doch  die  lieben  vorfahren  in  ihre  kreise,  aber  sie  hat  später 
sogar  die  historischen  namen  für  ihre  träger  abgeworfen  ohne  an  reiz 
zu  verheren.  sie  verhält  sich  dann  zur  sage  wie  das  menandrische  lust- 
spiel  zu  der  athenischen  tragoedie.  auf  dafs  sie  erstünde,  mufste  der 
glaube  der  väter  erschüttert  und  die  freiheit  der  väter  verloren  sein, 
so  ist  sie  denn  ein  kind  loniens  aus  der  zeit  der  lydischen  und  per- 
sischen fremdherrschaft,  aber  einmal  aufgekommen  wandert  sie  mit  der 
ionischen  cultur  hinüber  in  das  mutterland.  nun  spiegeln  sich  die 
Wikingerzüge  und  handelsfahrten  der  Milesier  und  Phokaeer  nicht  mehr 
in  den  leiden  der  heimfahrenden  Achaeer  und  dem  zuge  der  Argo ;  man 
erzählt  vielmehr  von  Bias  und  Thaies,  Kroisos  und  Periandros,  Solon 
und  Themistokles  schöne  geschichten:  aber  keineswegs  um  ihrer  grofsen 
taten  willen  und  des  erfolges,  den  di"ese  für  das  Vaterland  hatten,  sondern 
um  ihrer  merkwürdigen  Schicksale  und  ihrer  persönlichen  tüchtigkeit 
willen,  der  aQSTTj,  die  bis  auf'Sokrates  keinen  morahschen  Inhalt  hat. 
geschichtlich  lernen  wir  von  der  novelle  direct  kaum  etwas,  denn  ihr 
ist  nie  zu  trauen ;  aber  wenn  wir  ihre  träger  kennen,  so  wird  der  reflex 
in  der  novelle  auch  ihr  geschichtliches  bild  erhellen,  wo  das  nicht  der 
fall  ist,  können  wir  kaum  etwas  besseres  tun  als  uns  vor  dem  trüge 
der  Zauberin  hüten,  zum  entgelte  gibt  sie  uns  ein  farbiges  bild  von  dem 
denken  und  empfinden,  leben  und  treiben,  wünschen  und  träumen  einer 
reichen  zeit. 

Sage  und  novelle  sind  autorlos.  das  heifst  nicht,  dafs  auf  den  Das  er- 
dichter oder  erzähler  nichts  ankäme,  aber  sie  mischen  ihre  person  nicht  subjectivität 
ein  und  beanspruchen  nicht  als  personen  autorität.  das  ändert  sich,  als 
in  lonien  mit  dem  Staate  auch  die  andern  autoritäten  fielen,  die  der 
menschen  Wildheit  und  trotz  gebändigt  hatten,  in  der  tat,  so  wie  die 
alte  gesellschaft  gewesen  war,  im  mutterlande  um  500  noch  zumeist  war, 
hiengen  glaube  und  sitte,  religion  und  Staat,  das  materielle  und  das 
geistige  leben  so  unlösbar  mit  einander  zusammen ,  dafs  der  einzelne 
seinen  festen  halt  hatte,  aber  auch  festgehalten  ward,  das  änderte  sich 
für  den  lonier,  als  der  Staat  zertrümmert  war,  und  auf  dem  colonialen 
boden  war  die  gesammte  cultur  immer  mehr  als  eine  gemachte  denn  als 
eine  gewachsene  empfunden  worden,    nun  versagte  die  macht  der  auto- 


8  II.    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

ritäten,  und  der  mensch  kam  gar  bald  dahin,  sich  ohne  bände,  aber 
auch  ohne  stütze  zu  fühlen,  er  war  frei;  aber  er  mufste  sich  nun  die 
grundlagen  seines  lebens  selbst  zimmern,  daher  sehen  wir  sie  alle  ihren 
selbstgesetzten  zielen  rücksichtslos  zustreben,  der  tyrann  und  der  phi- 
losoph,  der  fahrende  spielmann  und  die  heläre  treiben  es  ein  jeder  in 
seiner  weise,  und  die  gesellschaft  gestattet  es  ihnen  allen,  'jeder  wird 
jeden  rücksichtslos  zur  seile  stofsen,  um  sich  selbst  den  weg  zu  bahnen, 
aber  wer  zum  ziele  kommt,  den  werden  alle  bewundern,  damals  ist  es 
denn  geschehn,  so  viel  wir  wissen,  zum  ersten  male,  dals  ein  mensch 
sein  individuelles  meinen  über  die  geschichte  seines  volkes  rücksichtslos 
ausspricht,  Ilekataios  von  Miletos,  ein  mann  der  die  weit  gesehen  und 
dann  am  staatsieben  tätigen  anteil  genommen  hatte,  uns  erscheint  seine 
Umformung  der  heldensage  als  altkluger  rationalismus:  in  Wahrheit  ist 
es  der  Überschwang  jugendlichster  kritik')  und  verdient  als  solcher  wol 
einen  platz  neben  dem  eifern  des  Xenophanes  wider  die  mytben  Homers, 
wie  er  die  Zeitgeschichte  behandelt  hat,  ob  er  es  überhaupt  ausführlicher 
getan  hat,  ist  unermittelt.  eine  wirkliche  geschichtsschreibung  konnte 
bei  den  loniern  nicht  entstehen,  weil  sie  keine  geschichte  erlebten.^) 
Die  befrei-  Die  erlebten  die  Athener  seit  510  und  alle  Hellenen,  auf  die  etwas 

ungskriege 

ankommt,  seit  480.  die  gewaltige  erschütterung  des  kampfes  um  die 
existenz  und  dann  die  errichtung  des  Reiches  hat  in  Wahrheit  die  geister 
noch  vielmehr  als  die  leiber  befreit,  allein  so  unmittelbar  konnte  die 
Wirkung  nicht  sein,  dals  die  Überlieferung  dieser  Jahrzehnte  eine  wirk- 
lich geschichtliche  hätte  werden  können,  sie  trägt  noch  durchweg  den 
Stempel  von  sage  und  novelle.  dafs  die  erste  noch  lebendig  war,  wird 
der  glücklichen  Verbindung  verdankt,  dafs  ein  ernstes  und  frommes 
Volk  ungeheure   aufgaben   zu   losen  erhielt  und  zu  losen  vermochte;  es 


1)  Er  erfährt  sie  jetzt  selbst  an  sich,  da  ihm  seine  Genealogien  abgestritten 
werden,  sei  es  weil  sie  absurd  wären,  sei  es  weil  in  ihnen  widerspräche  steckten : 
ganz  so  hatte  er  die  heldensage  geschulmeistert. 

2)  Dionysios  von  Milet  hat  vielleicht  sein  geschichtliches  buch  damals  ge- 
schrieben, das  die  gelehrten  t«  xarä  Ja^slov  benannt  haben,  so  gut  wie  der 
Karer  Skylax  für  Dareios  eine  entdeckungsfahrt  macht  und  in  griechischer  spräche 
darüber  berichtet,  konnte  ein  persischer  Untertan  die  persische  geschichte  auf  grie- 
chisch schreiben,  dafs  die  ionische  cultur  und  Wissenschaft  in  sehr  vielem  den 
ersten  platz  unter  den  Völkern  ihres  reiches  einnahm,  haben  die  Perser  nicht  ver- 
kannt und  der  hellenisirende  einflufs  ist  vermutlich  gerade  damals,  ehe  es  einen 
nationalen  gegensatz  gab,  sehr  stark  gewesen,  die  knnstgeschichte  beginnt  bereits 
damit  zu  rechnen  und  wird,  wie  auf  so  vielen  gebieten,  auch  hier  die  rechten  pfade 
der  allgemeinen  geschichte  finden  und  erleuchten. 


Die  befreiuDgskriege.    Herodotos.  9 

liegt  aber  zum  teil  auch  an  der  naivetät  des  Volkes,  die  grofsväter  der 
Marathonsieger  hatten  noch  die  falsche  Alhena  auf  dem  wagen  des 
Peisistratos  angebetet,  und  das  wunder  oder  vielmehr  der  glaube  hat  an 
dem  siege  über  die  ungezählten  barbaren  einen  starken  anteil.  die 
Perser  des  Aischylos  haben  es  vermocht,  die  geschichte  der  gegenwart 
unmittelbar  hinaufzuheben  in  die  reine  höhe  der  sage:  das  rehgiöse 
festspiel  erzählt  uns  die  geschichte  in  seiner  spräche,  es  ist  für  den 
historiker  der  die  seele  der  ereignisse  sucht  die  beste  quelle  für  die 
Schlacht  von  Salamis,  man  denke  sich  aber  nur  die  Ogur  des  listen- 
reichen mannes,  der  bei  Aischylos  im  hintergrunde  bleibt,  in  den  mittel- 
punkt  gerückt,  so  wird  die  sage  vom  siege  des  freien  Pallasvolkes  zu 
der  novelle  von  Themistokles.  dem  entspricht  die  gesammte  Überlieferung 
von  der  älteren  geschichte  Athens,  der  bericht  über  Marathon  und  über 
den  ersten  aeginetischen  krieg  ist  von  der  sage  in  das  erhaben  typische 
stihsirt.  auch  in  dem  stürze  der  tyrannen  spürt  man  das  walten  der 
göttlichen  gerechtigkeit  wie  in  der  tragoedie.  weder  Kleisthenes  noch 
Miltiades  tragen  individuelle  züge.  Solon  und  Peisistratos  waren  als 
personen  ganz  verblafst;  erst  die  spätere  forschung  hat  jenen  auf  grund 
seiner  gedichte,  diesen  durch  die  sorgfältige  Verfolgung  bestimmter  in- 
dizien  zu  einer  persou  gemacht,  dagegen  Themistokles  ist  der  rechte 
held  für  die  novelle,  die  nicht  müde  wird,  mit  immer  neuen  Stückchen 
seine  ctQsrrj  zu  illustriren.  das  hat  oben  eingehende  erörterung  ge- 
funden (I  s.  150),  und  ich  habe  gezeigt,  wie  verkehrt  es  ist,  die  Themistokles- 
legende  deshalb  für  historisch  zu  halten,  weil  Thukydides  sie  erzählt,  die 
Athener  erzeugten  in  den  zwei  menscheualtern  vor  dem  peloponnesischen 
kriege  tragoedie  und  komoedie :  darin  liegt,  dafs  sie  für  die  pragmatische 
historie  noch  nicht  reif  waren,  die  Athener  machten  in  derselben  zeit 
aus  ihrem  ländchen,  das  kaum  eine  precäre  Selbständigkeit  errungen 
hatte,  die  herrin  des  aegeischen  nieeres  und  griffen  nach  der  herrscher- 
krone  von  Hellas:  darin  liegt,  dafs  sie  noch  keine  zeit  hatten,  geschichte 
zu  schreiben,  sie  dachten  an  das  morgen,  erfreuten  sich  des  heute:  da 
vergafsen  sie  des  gestern,  blickten  sie  zurück  in  einem  momente  der 
Sammlung,  so  dankten  sie  gott  für  seine  hilfe,  oder  erzählten  sich  ihre 
oder  ihrer  führer  heldentaten,  wie  es  alte  Soldaten  tun.  die  aristo- 
phanischen beiden  und  aristophanischen  chorlieder  geben  die  belege  für 
beides. 

Aber  Athen  zog  lonien  in  seine  kreise,  dort  waren  die  geistigen 
Vorbedingungen  für  die  historie  gegeben;  es  fehlte  nur  die  geschichte. 
die  lieferte  Athen:   und  so  erstand  das  werk  des  Herodotos,   so  unver-  iierodotos 


10  11.    1.  Die  quellen  der  griecliischen  gescliichte. 

gleichlich  aber  auch  so  widerspruchsvoll  wie  die  geschichtliche  tradition 
war  und  die  Weltanschauung  des  loniers  sein  mufste,  der  in  Athen  das 
Vaterland  gefunden  hatte,  er  selbst  stammte  aus  einer  Stadt,  die  auf 
karischem  gründe  von  Dorern  erbaut  längst  die  überlegene  ionische 
cultur  angenommen  hatte;  so  war  er  losgelöst  von  dem  was  ihm  als  das 
Vorurteil  und  die  beschränktheit  eines  an  der  schölle  klebenden  autoch- 
thonentumes  erscheinen  mochte,  er  hatte  die  weite  weit  gesehen,  durch- 
aus frei  von  dem  bornirten  hochmut,  der  alles  barbarisch  findet  was 
nicht  wie  bei  ihm  zu  hause  ist,  gleicherniafsen  fähig  die  voa  keiner  cultur 
gebrochene  elementare  naturkraft  bei  den  freien  Skythen  anzuerkennen, 
wie  im  Perserreiche  die  Überlegenheit  einer  älteren  und  reicheren 
materiellen  cultur.  ihm  imponirten  die  aegyptischen  priester  mächtig, 
wenn  sie  ihm  ihr  "E^.hjveg  a el  nalö sg  enigegenviefen.^)  aber  die  weite 
seines  umblickes  hatte  ihn  den  Vorzug  seines  Vaterlandes  nur  richtig 
schätzen  gelehrt,    dies  Vaterland  war  das  attische  Reich,  und  sein  Vorzug 


3)  Herodotos  hat,  weil  er  die  Orientalen  kannte,  von  denen  dem  reisenden 
zumal  nur  recht  Meltläufige  und  vorurteilslose  begegneten,  das  urteil  mit  gröfster 
Offenheit  abgegeben,  dafs  man  selbst  bei  den  Athenern  sehr  viel  mehr  naivetäl  fände 
als  bei  den  barbaren.  1,  60  erzählt  er  die  list  des  Peisistratos  mit  Phye,  die  ihm 
ganz  unbegreiflich  ist,  "da  ersinnen  sie  etwas,  worin  ich  nur  die  kolofsalste  naivelät 
finden  kann,  die  ich  kenne,  in  der  tat,  die  barbaren  müssen  sich  schon  früher  von 
den  Hellenen  darin  unterschieden  haben,  dafs  sie  gewitzigter  und  freier  von  kin- 
discher einfalt  waren,  wenn  damals  die  Peisistratiden  unter  den  Athenern,  die  doch 
für  die  gescheidtesten  der  Hellenen  gelten,  folgendes  ersinnen  durften",  der  brave 
mann  erzählt  die  geschichte,  wie  er  sie  gehört  hat  und  wir  sie  glauben  dürfen,  aber 
wie  er  sie  den  Athenern,  die  er  kennt,  und  die  erst  durch  das  letzte  Jahrhundert 
in  den  ruf  der  aofia  (der  Schlauheit  und  geschcidtheit)  gelangt  sind,  nicht  zutrauen 
kann,  so  etwas  war  in  Memphis  und  Sardes  nicht  möglich,  das  weifs  er;  dazu  gehört 
eine  evT^d-eia,  wie  sie  der  sophist  dem  zuschreibt,  der  an  vogelzeichen  glaubt  (Eur. 
Hei.  747),  oder  dem  der  auf  ein  orakel  hin  seine  tochter  opfert  (Andr.  625),  oder 
der  wider  die  logik  7;  xd^Sonos  für  ^  xaQSonrj  sagt  (Ar.  Wölk.  125S):  ihr  gegen- 
satz  ist  die  Se^wt7]S,  die  alles  gleich  am  rechten  ende  anpackt.  Se^tov  nennt  der 
athenische  Komiker  sein  publicum,  weil  es  seine  anspielungen  versteht  (Ritt.  233), 
Se^ios  ist  der  Jtj/lios  zu  hause  (dkcoTiey.os  'i^vtai  ßaivEi  sagt  schon  Solon),  auf  der 
Pnyx  sperrt  er  das  maul  auf  (Ritt.  753),  und  der  demagoge  ist  Se^ios  (719),  und 
der  dichter  (Fr.  1009).  unter  diesen  aocpol  ''Ad-qvaioi  lebte  Herodotos,  darum  frap- 
pirte  ihn  mit  recht  die  Veränderung  seit  der  tyrannenzeit.  aber  er  fand  slrid'eia 
genug  unter  den  Hellenen  sonst,  auch  wol  bei  den  Athenern  alten  Schlages,  und  den 
racendünkel,  den  ihm  jetzt  der  aberwitz  der  kritiker  aufzwingt,  kannte  er  nicht; 
es  machte  ihm  vielmehr  ersichtlich  vergnügen,  den  Athenern  die  Überlegenheit  der 
barbaren  vorzurücken,  ganz  dieselbe  Stimmung  zeigt  das  zweite  buch  oft;  der  vater- 
ländische stolz  auf  freiheit  und  demokratie  ist  mit  ihr  ganz  gut  verträglich. 


Herodotos,    Thukydides.  11 

war  die  geistige  und  politische  freiheit,  laovofxirj,  ioriyoqit].  so  hatte 
die  Aveltgeschichte  einen  inhalt,  die  entwickelung  ein  ziel:  er  überschaute 
sie  mit  dem  äuge  des  tragischen  dichters.  der  lonier,  der  den  glauben 
der  Väter  verloren  hatte,  hatte  einen  reineren  glauben  sich  selbst  er- 
worben und  den  gott  in  der  geschichte  wiedergefunden,  aber  das  war 
sein  gott.  in  seinem  eigenen  geiste  liefs  er  die  Zeiten  sich  bespiegeln 
(was  überhaupt  erst  den  historiker  macht),  in  sofern  steht  er  dem 
Hekataios  und  seinen  sophistischen  Zeitgenossen  ganz  gleich,  es  ist 
seine  subjectiye  erkundung,  von  der  er  rechenschaft  ablegt,  es  ist  laTogirj 
im  ionischen  sinne  noch  viel  mehr  als  historie  in  unserm.  er  ist  kein 
regestenfabrikant  und  kein  chronikschreiber;  er  hält  von  der  acten- 
forschung  nichts  und  traut  den  äugen  lieber  als  den  obren,  die  kritik, 
deren  er  bei  der  Verarbeitung  von  unzähligen  erkundungen  nicht  ent- 
raten  kann,  ist  schlechterdings  nichts  als  sein  subjectives  für  wahr  oder 
wahrscheinlich  halten.  navTtov  fiergov  (xv&qwtcoq ,  d.  h.  'HQoöorog, 
gilt  für  ihn  praktisch  genau  so  wie  theoretisch  für  Protagoras.  dieser 
Herodotos  aber  überkam  hier  eine  anzahl  sagen,  dort  novellen,  hier  ein 
genealogisch-chronologisches  gebäude,  dort  schaute  er  wunderbare  deuk- 
male,  zu  denen  man  ihm  die  alria  berichtete,  wie  sollte  er  sich  helfen? 
was  er  erkundete,  war  eine  unübersehbare  menge  von  einzelnen  ge- 
schichten  ohne  Ordnung,  sich  viel  häuflger  widersprechend  als  ergänzend, 
wie  sollte  er  sie  bewältigen?  was  ihm  das  ordnende  prinzip  war,  war 
der  gedanke,  den  er  in  der  Weltgeschichte  fand:  sein  eigener  r'0(;g  voll- 
zog die  diax6o/.irjOig;  ein  anderer  würde  in  einem  chronologischen  ge- 
rüste  oder  einer  logischen  disposition  ein  objectives  prinzip  gesucht  haben, 
das  einzelne  aber  beurteilt  und  verteilt  er  auch  nach  seinem  subjectiven 
ermessen,  wo  ihm  denn  bald  die  Skepsis  des  rationellen  loniers,  bald 
der  Zwillingsbruder  des  rationalismus ,  der  aberglaube,  in  den  nacken 
schlägt,  so  ist  sein  buch,  so  bezaubernd  es  auf  uns  durch  die  naivetät 
wirkt,  die  wir  in  ihm  finden ,  im  gründe  durchaus  nicht  naiv  gemeint, 
sondern  wird  in  allem  durch  seine  Individualität  bedingt,  er  steht  zu 
der  geschichte  wie  die  grofsen  physiker  loniens  zu  der  natur.  auch  sie 
geben  eine  doppelte  Iotoqii],  die  objective  darlegung  des  unendHch  vielen 
das  sie  erkundet  haben,  und  die  subjective  antwort,  die  sie  aus  sich  auf 
die  rätsei  des  lebens  gefunden  haben,  vielleicht  wagt  jemand  zu  sagen, 
das  wäre  eine  sehr  kindliche  Vorstufe  zu  der  erhabenheit  wahrer  wissen- 
schaftlichkeit, die  heute  zu  tage  regiere,  seit  die  methode  gefunden  sei. 
ich  aber  meine,  mit  aller  methode  haben  wir  es  nicht  weiter  gebracht, 
die    Wissenschaft    als    idee    ist    freihch   weder   in    Hippokrates    noch   in 


12  II.    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

Demokrit  noch  in  Herodot  incarniit ;  aber  auch  in  Aristoteles  nicht,  ge- 
schweige denn  in  unser  einem:  wer  aber  nicht  blofs  in  dem  stände  des 
famuli  Wagner  beharren  will,  der  muls  sein  subject  in  die  schanze  schlagen, 
nicht  blofs  auf  die  gefahr  hin,  sondern  mit  der  sicheren  Zuversicht,  im 
drang  nach  wahrheil  jämmerlich  zu  irren. 
Tiiiiiiy.iides  Noch  ehe  das  buch  des  Herodotos  erschien  und  doch  (huxh  dieses 

angeregt  fafste  der  junge  Thukydides  den  plan,  den  entscheidungskampf 
um  die  hcrrschaft  in  Hellas,  der  eben  begann,  darzustellen,  der  grofse 
Vorgänger  hatte  ihn  gereizt,  nicht  es  ihm  nachzumachen,  sondern  es 
anders  zn  machen,  ihm  schien  die  Weltgeschichte  erst  recht  anzufangen ; 
die  herodoteische  tragoedie  erschien  ihm  als  eine  dichtung,  gut  genug  für 
die  erweckung  erbaulicher  hochgefühle  an  einem  festläge,  aber  nicht  als 
nahrung  für  den  geist  des  handelnden  mannes.  über  dem  werke  Hero- 
dots  lag  der  verklärende  Schimmer  der  poesic:  Thukydides  wollte  das  licht 
und  den  schatten  des  tages  festhalten,  er  vernieinte,  dafs  des  grofsen 
nicht  eben  sehr  viel  übrig  bliebe,  wenn  man  jenen  Schimmer  durch 
ruhige  krilik  der  Vergangenheit  beseitigte:  grofsartig  dagegen  erschien 
ihm  die  cultur,  die  Athen  besafs  und  für  die  es  stritt,  deren  sieg  er 
erwartete,  er  selbst  war  ein  nachkomme  von  barbaren  zugleich  und  von 
Philaiden.  weder  der  stolz  des  autochlhonen  noch  der  gegensatz  gegen 
die  Alkmeoniden  noch  die  furcht  vor  tyrannen  und  Medern  hat  ihm 
irgendwie  den  blick  getrübt,  er  fühlte  sich  als  der  moderne  mensch 
einer  neuen  grofsen  weit,  weder  die  novelle  noch  die  sage  wollte  er 
gelten  lassen,  weder  die  götter  noch  die  individuen,  sondern  die  poli- 
tischen mächte  sah  er  auf  erden  regieren,  und  ihre  kämpfe  wollte  er 
beobachten  und  erzählen,  minder  um  ihrer  absoluten  bedeutung  willen, 
als  zu  nutz  und  frommen  der  künftigen  politiker.  das  attische  Reich  war 
auch  notwendig  gewesen,  damit  Herodotos  schriebe;  aber  er  sah  in 
ihm  den  abschlufs  der  geschichte.  für  Thukydides  war  seine  existenz  die 
Voraussetzung,  denn  politische  geschichtsschreibung  setzt  einen  wirk- 
lichen Staat  mit  grofsem  politischem  leben  voraus.  Thukydides  fafste 
den  plan  zu  seinem  geschichtswerke,  während  er  sich  anschickte  in  die 
politische  laufbabn  einzutreten.  Herodotos  gehorte  zu  den  anhängern 
des  d^ £10 Qy^r iY.bg  ßiog.  dafs  ein  junger  reicher  Athener  der  herrschenden 
gesellschaft  432  die  Zeitgeschichte  hat  schreiben  wollen,  verdient  in 
Avahrheit  sehr  viel  gröfsere  bewunderung  als  die  ausführung  dieses  planes, 
die  der  durch  sein  politisches  geschick  in  den  d-ecoQrjtiycdg  ßiog  hinab- 
gestofsene  nach  404  einigermafsen  geleistet  hat.  erst  die  unfreiwillige 
niufse  hat  ihn  dazu  getrieben,    mit  den  mittein  der  neuen  rhetorik  ein 


Thukydides.     Stimmung  nach  dem  falle  des  Reiches.  13 

Stilistisches  kimstwerk  lieTern  zu  wollen,  und  so  ist  er  in  die  gesellschaft 
der  kunstprosaiker  geraten :  nicht  hlofs  der  historiker  Avürde  ungleich 
reineren  genufs  von  dem  werke  haben,  wenn  es  fertig  geworden  wäre, 
wie  es  begonnen  war,  in  der  ächten  attischen  rede  des  politischen  lebens. 
nur  so  weit  es  das  programm  von  432  erfüüt,  ist  es  dem  werke  des 
Herodotos  ebenbürtig,  denn  nur  so  weit  steht  es  wie  dieses  einzig  da; 
stilistisch  war  es  eigenthch  schon  veraltet,  als  es  erschien,  einzig  aber 
musste  es  bleiben ,  weil  die  Voraussetzung  des  politischen  geschichts- 
werkes,  der  grofse  Staat,  nicht  mehr  vorhanden  war.  eben  deshalb 
hat  kein  griechischer  Staatsmann  mehr  gescliichte  geschrieben,  mehr 
als  ein  Jahrhundert  lang,  erst  Hieronymos  mag  allenfalls  verglichen 
werden.") 

Das  menschenalter  der  kämpfe,  deren  ergcbnis  die  Zertrümmerung  stimmuug 
des  nationalen  Staates  war,  hatte  in  dem  ringen  der  parteien  auch  die  laiie  des 
historische  schriftstellerei  zu  einer  waffe  geschmiedet;  es  konnte  auch 
nicht  ausbleiben,  dafs  die  schäm  und  der  zorn  über  den  stürz  des  reiches 
und  andererseits  die  Sehnsucht  und  die  klage  um  das  verlorene  die 
schriftstellerisch  so  unglaublich  regsame  zeit  auf  die  geschichte  des 
grofsen  Jahrhunderts  hinführte,  diese  litteratur  mit  ihren  flugschriften 
über  die  beiden  der  guten  allen  zeit  und  die  bösen  demagogen,  die  das 
Unheil  gebracht,  mit  ihren  epitaphien  und  panegyriken  ist  in  anderem 
zusammenhange  (I  cap.  6)  besprochen. 

Man  hatte  das  gefühl,  unter  trümmern  zu  wohnen,  und  niemand 
eigentlich  war  davon  befriedigt,  dafs  die  Staaten  in  den  alten  formen  weiter 
wirtschafteten,  dennoch  gelang  eine  reform  oder  revolution  in  Sparta  und 
Korinth  so  wenig  wie  in  Athen,  alle  besseren  stimmten  in  der  negation 
des  bestehenden  überein,  nur  fand  sich  nirgend  auch  nur  ein  realisirbares 
Programm  für  einen  neubau.  weithin  durch  das  volk  gieng  das  gefühl, 
0  dafs  doch  ein  könig  käme;  aber  dieses  gefühl  war  von  einer  messia- 
nischen  Unbestimmtheit,  mochten  auch  die  litteraten  bald  nach  Persien, 
bald  nach  Syrakus  lugen.  Persiens  schwäche  war  durch  den  zug  der 
Kyreer  an  den  tag  gekommen,  und  der  diplomatische  erfolg  des  königs- 
friedens  konnte  diesen  eindruck  nicht  verwischen,  deshalb  borgte  man 
von  dort  nur  die  romanfigur  des  alten  Kyros.    historische  einkleidungen 


4)  Nur  in  Sicilien  gab  es  dank  der  eneigie  des  Dionysios  einen  gröfseren 
Staat,  und  dort  schreibt  auch  der  Staatsmann  Philistos  geschichte  in  der  art  des 
Thukydides.  aber  wir  wissen  davon  nur  das  factum  von  hörensagen,  da  wir  weder 
von  der  geschichte  Siciliens  noch  von  dem  werke  des  Philistos  eine  wirkliche  kenntnis 
gewinnen  können. 


14  II.    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

für  die  gebikle  der  speculation  wurden  übeihaupt  mode.^)  gar  nicht 
unwitzig  zeichnete  Isokrates  einen  solchen  utopischen  künig  in  dem  stil- 
gemäls  umgebildeten  Buseiris,  der  immer  ein  mehr  scurriler  als  schreck- 
licher Oger  gewesen  war.  aber  derselbe  Isokrates  hatte  noch  mehr  er- 
folg, als  er  mit  patriotisch  ernster  miene  ein  hild  des  demokraten- 
konigs  Theseus  entwarf,  das  complement  der  Sehnsucht  -nach  einem 
Weltenherrscher  ist  die  Verleugnung  von  Staat  und  gesellschaft,  die  beide 
dem  Hellenen  auf  die  würde  des  freien  zum  gehorchen  und  gebieten  gleich 
geschickten  mannes  gegründet  schienen,  das  neue  evangelium,  dafs  der 
mensch  erst  frei  und  glücklich  W'ürde,  wenn  er  wie  der  hund  lebte, 
ward  mit  litterarisch  nicht  geringem  erfolge  verkündet;  wenn  die  menge 
von  den  extremsten  ausschreitungen  am  meisten  gepackt  ward,  so  ge- 
wann der  egoistische  oder  auch  der  philanthropische  individualismus  bei 
den  gebildeten  sehr  viel  terrain.  aber  diese  negation  des  Staates  kann 
sich  der  einzelne  in  Wahrheit  nur  erlauben,  so  lange  trotz  ihm  die  ge- 
sellschaft und  der  Staat  weiter  existiren  und  ihm  die  ruhige  existenz 
sichern,  auf  dafs  er  sie  negiere.  Piaton,  gleich  erhaben  über  die  kümmer- 
lichen Staatswesen  der  gegen  wart  wie  über  den  schweine-")  und  den 
hundestaat,  auch  den  herden-  oder  militärstaat  der  speculation,,  scheute 
sich  doch  nicht  vor  den  äufsersten  consequenzen,  als  er  von  einem  be- 
griffe aus,  dem  der  gerechtigkeit,  den  menschen  als  politisches  wesen 
und  den  Staat  construirte.  er  scheute  auch  vor  dem  gedanken  nicht 
zurück,  selbst  mit  dem  gewaltmittel  der  tyrannis  die  weit  zu  der  besten  oder 
bestmöglichen  gesellschaftsordnung,  zu  tugend  und  glück  zu  zwingen,  er 
wagte  sich  auch  an  den  litterarischen  versuch,  die  summe  der  Weltgeschichte 


5)  Bisher  sehr  wenig  erforscht  sind  die  Umarbeitungen  der  alten  heroensage, 
und  die  novellen  dieser  zeit,  werke  wie  das  des  Herodoros  über  Herakles,  der 
Dreifufs  des  Andron,  die  Nosten  des  Antikleides,  der  Abaris  des  Herakleides,  es  ist 
sehr  wenig  damit  erzielt,  wenn  man  das  eine  zu  der  historie,  das  andere  zur  Phi- 
losophie wirft,  die  pragmatisirung  der  Heraklessage  kann  sehr  gut  eine  politische 
tendenz  wie  die  Kyropaedie  oder  eine  philosophische  wie  der  Herakles  des  Anti- 
sthenes  gehabt  haben,  die  absieht  zu  unterhalten  braucht  den  philosophen  auch  nicht 
fern  gelegen  zu  haben,  der  sokratische  dialog  und  die  isokrateische  rede  sind  nicht 
geniefsbar  ohne  eine  stärkere  Vorbildung:  was  hat  damals  das  breite  publicum  an 
lesestoff  erhalten?     diese  frage  fordert  auch  eine  antwort. 

6)  Der  schweinestaat,  den  er  Pol.  2,  312'^  construirt,  ist  mit  nichten  der  hunde- 
staat des  Antisthenes:  sonst  würde  er  so  heifsen.  es  ist  ein  Staat  auf  der  grundlage 
des  gemeinen  materiellen  bedürfnisses  errichtet;  was  Piaton  beweist,  ist  dafs  selbst 
ein  solcher  die  herrschenden  bilden  mufs,  und  wenn  sie  bildung  besitzen,  verschiebt 
sich  von  selbst  die  grundlage  des  Staates,  der  schweinestaat  ist  der  staat  des 
Manchester-liberalismus. 


Stimmung  nach  dem  falle  des  Reiches,    die  Isokrateer.  15 

in  einem  epos  von  dem  kämpfe  der  kinder  gottes  mit  den  sühnen  des 
fürslen  dieser  weit  zu  ziehen,  der  troische  nnd  der  medische  krieg,  an 
denen  er  seine  phantasie  genährt  hatte,  sollte  in  diesem  potenzirten 
idealbilde  zugleich  mit  den  heiligen  sagen  seiner  heimat  verschmolzen 
werden,  das  war  ein  unterfangen,  dem  selbst  dieser  dichter  nicht  ge- 
wachsen war,  der  doch  das  epos  der  weltschüpfung  als  ersatz  einer  be- 
schreibung  des  kosmos  vollendet  hat. 

Eine  solche  zeit  der  speculation  über  die  Voraussetzungen  des  Staat-  Die 
heben  lebens,  die  sich  ganz  und  gar  in  das  utopische  verlor,  war  der 
politischen  geschichtsschreibung  ihrer  nalur  nach  abgewandt,  es  ist 
auch  kein  auch  nur  leidliches  geschichtswerk  über  die  Zeitgeschichte  in 
den  beiden  nächsten  menschenaltern  nach  dem  falle  des  Reiches  ge- 
schrieben.^) aber  die  dichtung  mag  wol  die  historie  übertretfen :  ersetzen 
kann  sie  sie  nimmermehr,  und  die  phrasen  der  sophislik  befrie- 
digten auf  die  dauer  selbst  die  bedürfnisse  des  immer  stoffhungrigen 
publicums  nicht,  so  werden  die  führer  der  Sokratik  eben  so  gut  wie 
die  Sophisten  von  selbst  auf  die  geschichte  und  die  geschichtsschreibung 
hingewiesen.  Piaton  und  Isokrates  lassen  beide  zumal  in  ihren  späteren 
werken  erkennen,  dafs  sie  über  unverächtliche  geschichtliche  kenntnisse 
verfügen,  der  sophist  hat  seinen  bedeutendsten  schülern  die  historio- 
graphie,  Weltgeschichte  und  Zeitgeschichte,  zur  aufgäbe  gestellt;  aus 
Piatons  schule  ist  der  Verfasser  der  Politien  hervorgegangen,  das  sind 
leistungen,  die  mit  nichten  von  einander  abhängen,  sondern  den  gegen- 
satz  der  lehrer  fortsetzen. 

Theopompos  von  Ciiios  hat  von  seinem  rhetorischen  lehrer  nur  die 
form  entlehnt,  mit  der  er  sich  getraute  sowol  Herodotos  wie  Thukydides 
wie  Piaton  zu  überwinden,  er  war  sophist  geworden,  weil  er  sein  Vater- 
land verloren  hatte  und  benutzte  seine  kunst  mit  erfolg  dazu  eine  ein- 


7)  Xenophons  schriftstellerei  hat,  so  wenig  originale  kraft  der  mensch  besitzt, 
doch  den  grofsen  vorzug,  dafs  sie  ganz  auf  seinen  individuellen  erlebnissen  und  be- 
strebungen  beruht,  da  er  Wissenschaft  in  keiner  form  je  wirklich  begriffen  hat,  ist 
er  auch  kein  historischer  forscher,  und  wenn  er  geschichte  schreibt,  so  versteht  man 
diese  erst,  wenn  man  seine  persönlichen  antriebe  und  zwecke  kennt,  die  Anabasis 
ist  klärlich  eine  Selbstrechtfertigung,  was  die  Hellenika  anlangt,  so  dürften  auch 
sie  zur  rechtferligung  der  politik  verfafst  sein,  der  es  gedient  hatte,  und  weil  das 
zu  verschiedenen  zelten  eine  verschiedene  war,  sind  sie  unmöglich  ein  einheitliches 
werk,  möchte  doch  jemand  sich  die  aufgäbe  stellen,  nicht  Hellenika  oder  Memo- 
rabilien  oder  Agesilaos  einzeln  zu  tractiren,  sondern  den  menschen  als  menschen 
ganz  zu  erfassen:  erst  dann  können  die  vielen  unbehaglichen  probleme  der  lösung 
wirklich  entgegengeführt  werden. 


16  II.    l.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

nulsreiclie  rolle  zu  spielen,  um  heimzukehren  und  jjolilisch  tälig  zu  werden, 
darum  suchte  und  pllegte  er  den  verkehr  mit  den  konigen  und  gewann 
ein  entschiedenes  politisches  urteil,  es  hat  sich  gezeigt,  dafs  er  die  po- 
litischen parteischriften  Athens  genau  wie  Aristoteles  auszunutzen  ver- 
stand (oben  1  s.  135).  mit  den  philosophischen  richlungen  seiner  zeit 
hatte  er  so  viel  fiihlung,  dals  er  das  persönlich  moralische  iu  der 
Schilderung  und  heurteilung  der  personen  in  den  Vordergrund  rückte, 
bei  allerhand  merkwürdigen  erscheinungen  auch  der  natur  gern  ver- 
weilte und  seine  allgemeinen  speculationen  in  der  form  von  phantasti- 
schen märchen  vortrug,  aber  eine  entschiedene  politische  tendenz  und 
eine  energische  individuahlät  lassen  ihn  als  einen  stern  von  eigenem 
lichte  erscheinen.'*)  er  ist  ein  mann,  der  ganz  seiner  eigenen  zeit  gehört 
und  uns  deshalb  schon  fast  hellenistisch  erscheint. 

Ephoros  von  Kyme  dagegen  ist  nichts  als  litterat  und  hat  das 
zweifelhafte  verdienst  die  Weltgeschichte  als  das  würdigste  object  epideik- 
lischer  beredsamkeit  behandelt  zu  haben,  also  der  vater  jener  auf- 
fassung  zu  sein,  die  uns  von  Cicero  und  Livius  her  geläutig  ist  und  den 
begriff  der  geschichte  eigentlich  denaturirt.  denn  es  gehört  dazu  der 
Patriotismus  der  panegyriken,  der  Pragmatismus  der  allgemeinen  bil- 
dung  und  die  moral  des  zu  beiden  gehörigen  bildungsphilisters.  wie 
verschieden  der  Inhalt  jenes  Patriotismus  auch  scheinen  mag,  wie  stark 
sich  der  ballasl  des  loten  wissens  vermebrt  und  die  moraHsche 
lerminologie  geändert  hat:  der  bildungsphilister  ist  ganz  derselbe  ge- 
blieben, und  deshalb  grassirt  die  ephorische  historiograpbie.  es  ist  die 
zur  zeit  in  Deutschland  approbirle  geistlötende  und  seelenvergifteude 
"^geschichle'  mit  zugehöriger  'geographie',  die  in  naiver  Schamlosigkeit 
ihre  tendenz  eingesteht,  gesinnungslüchtigkeit  und  bildung  zu  züchten, 
und  Streber  oder  socialdemokraten  erzieht,  die  personUchkeit  des  Ephoros 
ist  gleichgiltig ;   auf  sein  urteil  kommt  nichts  an:   aber  der  stoff,   den 


8)  Es  ist  gar  nicht  schwer,  auf  grund  von  einigen  berührungen,  wie  sie  die 
lebendige  regsamkeit  und  der  austausch  der  gedanken  in  dem  Athen  des  vierten 
Jahrhunderts  geben  niufsle,  Theopompos  an  eine  philosophenschule  anzugliedern:  aber 
das  ist  trügerisch;  man  blicke  nur  die  ganze  person  und  das  ganze  werk  an.  man 
könnte  das  nämliche  mit  Ephoros  versuchen,  z.  b.  auf  grund  seiner  erzählung  vom 
gaslniale  der  Sieben  weisen,  denen  er  den  unverdorbenen  nalurmenschen  Anacharsis 
und  den  spötter  Aesop  gesellt,  auch  ihn  in  das  gefolge  des  modephilosophen  Anli- 
sthenes  einrücken.  —  seitdem  dieses  geschrieben  war,  hat  Rohde  ausführlicher  die 
aufstellungen  Hirzels  (Rh.  M.  47)  über  Theopompos  bestritten,  auf  die  ich  zielte, 
aber  leider  hat  auch  Schwarlz  (Ind.  Rostock.  93)  in  Ephoros  den  Kyniker  wirklich 
gefunden. 


Die  Isokrateer.    die  locale  tradition.  17 

wir  ihm  danken,  ist  recht  beträchtUch,  und  mühe  hat  er  sich  wirklich 
gegeben,  diese  anerkennung  müssen  wir  ihm  zollen,  sein  dickleibiges 
buch  ist  ein  reservoir  für  die  wertvollste  ältere  Überlieferung  geworden; 
eben  darin  ist  die  analogie  zu  den  peripatetischen  Sammelarbeiten  un- 
verkennbar, sie  verhalten  sich  in  ihrem  werte  zu  einander  wie  Piaton 
und  Isokrates,  Wissenschaft  und  sophistik;  der  geist  in  ihnen  ist  also 
ein  sehr  verschiedener,  aber  darin  stehen  sie  einander  gleich,  dafs  keine 
forschung  im  eigenthchen  sinne  darin  ist,  folglich  setzt  ihre  zusammen- 
fassende tätigkeit  mit  zwingender  notwendigkeit  eine  bedeutende  litteratur 
voraus,  die  ihnen  den  stoff  zur  Verfügung  stellte. 

Auf  diese  litteratur  kommt  es  mir  an,  die  hinter  Ephoros  und  Ari-  Die  locaie 
stoteles  steht,  ganz  in  demselben  Verhältnis,  wie  es  an  der  Atthis  für 
den  grüfsten  teil  der  athenischen  Politie  nachgewiesen  ist.  diese  litte- 
ratur kann  aber  meistens  nur  durch  die  qualität  der  berichte  erkannt 
werden,  und  es  kommt  auch  viel  mehr  auf  die  anerkennung  vieler  lo- 
caler  Überlieferungen  an  als  auf  die  restitution  bestimmter  Schriftwerke 
oder  Schriftsteller,  gewifs  IVeuen  wir  uns,  wenn  auch  dieses  einmal  ge- 
lingt, aber  die  aussieht  ist  gering,  es  stehen  zwar  eine  anzahl  schrift- 
stellernamen  zur  Verfügung,  mehr  fast  aus  dem  fünften  Jahrhundert  als  aus 
dem  vierten,  aber  die  zeit  von  nicht  wenigen  ist  unsicher,  und  die 
tradition  selbst  darf  keinesweges  nach  der  person  oder  zeit  des  zufaUig 
benannten  gewährsmannes  abgeschätzt  werden,  die  quellenkunde,  die 
von  den  namen  der  Schriftsteller  ausgeht,  ist  genau  so  unfruchtbar  wie 
die  forschung  nach  dem  alten  epos,  die  bis  vor  wenig  jähren  die  trockenen 
knochen  Lesches  und  Arktinos  benagte  statt  die  heldensagen  zu  ver- 
folgen, es  gilt  also  die  locale  überheferung  aufzusuchen  und  vorab 
anzuerkennen,  dafs  diese  vieler  orten  vor  Ephoros  und  Aristoteles  bereits 
einen  litterarischen  niederschlag  gefunden  hat.  und  wahrhch,  wie  hätte 
es  anders  sein  sollen,  als  dafs  eine  litterarisch  so  regsame  zeit  das  vor- 
handene material  an  geschichtlicher  tradition  ausgenutzt  hätte?  in  weiten 
kreisen  mochte  das  minder  interessiren ;  zu  hause  freute  sich  doch  das 
Volk  an  der  aufzeichnung  seiner  eigenen  geschichte.  wer  bezweifelt, 
dafs  jedes  hellenische  gemeinwesen  ein  reiches  beet  von  sagen  und 
novellen  war?  Jahrhunderte  lang  hatten  ihrer  nur  die  einwohner  selbst 
gewartet,  ab  und  an  ein  dichter  eine  blute  gebrochen  oder  einige 
Stauden  in  den  grofsen  garten  des  epos,  später  auch  des  dramas  ver- 
pflanzt: jetzt  war  die  zeit  der  prosaischen  litteratur  gekommen,  und 
gerade  weil  die  hohe  poesie  verstummte,  mufste  die  bequeme  form  der 
localgeschichte  sich  des  bunten  Stoffes  bemächtigen,    gewifs  werden  viele 

V,  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  2 


18  I.    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte.  b 

werke  geringe  litlerarisclie  Verdienste  besessen  haben ;  aber  wenn  wir 
z.  b.  die  milesischen  geschichten  des  Maiandrios  oder  die  naxischen  des 
Aglaosthenes  lesen  könnten,  so  würden  wir  schwerlich  den  aesthetischen 
genufs  vermissen,  notwendiger  weise  hatten  diese  localen  erzeugnisse 
eine  sehr  geringe  lebenskrai't  als  einzelnes  litterarisches  prodnct:  das 
epos  hatte  sich  ja  auch  lange  zeit  fortwährend  umgestaltet,  so  ver- 
drängte auch  hier  die  spätere  bearbeitung  bald  ihre  eigene  vorläge,  und 
als  die  Sammelwerke  erschienen,  taten  sie  ihnen  wieder  abbruch.  der 
procefs  der  aufzeichnung  und  Sammlung  ist  auch  an  verschiedenen  orten 
zu  verschiedener  zeit  geschehen;  die  stilisirten  geschiclitswerke  machen 
dieser  litteratur  so  wenig  ein  ende,  wie  Aristoteles  und  Ephoros  die 
Atthiden  beseitigen,  gar  manches  ortes  Überlieferungen  mögen  zuerst 
oder  mafsgebend  erst  im  dritten  Jahrhundert  aufgezeichnet  sein :  das 
ändert  nicht  viel  an  dem  allgemeinen  bilde  und  an  dem  Charakter  dieser 
gattung  von  nachrichten. 

Sie  selbst  sind  so  verschiedener  art,  wie  ihre  natur  mit  sich  bringt, 
was  wir  vernehmen,  ist  die  locallradition,  wie  sie  in  den  einzelnen  orten 
im  vierten  Jahrhundert  vorhanden  war;  setzen  wir  einmal  diese  zeit, 
obwol  wir  an  manchen  orten  hoch  hinauf  darüber  emporsteigen,  manch- 
mal bis  in  das  dritte  sinken ;  ich  möchte  selbst  späteres  nicht  überall 
aiisschliefsen,  in  dieser  localtradition  steckt  sehr  viel  sage,  steckt  novelle; 
das  also  ist  in  dem  sinne  auszunutzen,  wie  oben  kurz  ausgeführt, 
daneben  aber  ist  eine  grofse  menge  antiquarischer  tatsachen  vorhanden, 
culte  und  riten,  staatliche  Organisationen,  Überlieferung  von  geschlechtern 
und  örtlichkeiten,  orakel,  Volksgebräuche,  sprüchwörter  und  lieder. ^) 
diese  führen  zu  den  Urkunden  über,  deren  es  in  Wahrheit  (unsere 
eigenen  funde  lehren  es)  sehr  viel  mehr  gab  als  ausgenutzt  worden 
sind,  und  endlich,  was  das  wichtigste  ist,  es  fehlte  an  vielen  orten  keines- 
weges    an    Chroniken    oder   chronikartigen   aufzeichnungen.     hartnäckig 


9)  In  den  resfen  der  aristotelischen  Politien  sind  diese  spuren  noch  vielfach 
kenntlich,  ich  will  proben  gehen,  die  fragmenfe  nach  Rose,  nach  demselben  die 
capitel  des  Herakleides,  durch  H.  unterschieden,  verschen,  die  man  sei  es  als  Volks- 
lieder, sei  es  als  sprüchwörter  auffassen  kann  485,496,545,553,557,571,574,576, 
H.  71,  orakel  544,561,565,596,  H.  25.  citirt  werden  Homer  (H.  14.  15,  beziehungen 
auf  ihn  viel  öfter),  Hesiodos  (H.  38),  Archilochos  (H.  14.  50),  Simonides  (H.  55),  volks- 
tümliche lieder  eines  später  verschollenen  Theodoros  (515).  das  persönliche  Inter- 
esse für  die  litterarischen  berühmtheiten,  Homer  Hesiod  Archilochos  Pherekydes 
Aesop,  ist  auch  nicht  erst  aristotelisch,  wie  Herodotos  lehrt,  ganz  dasselbe  bild 
bieten  die  reste  des  Ephoros,  mögen  wir  sie  bei  Diodor  lesen  oder  in  den  fras- 
menten,  namentlich  bei  Strabon. 


Die  locale  tiadition.     Hellanikos.  19 

sträuben  sich  die  historiker  dagegen,  obwol  die  titel  wqoi  in  vielen  ioni- 
schen und  aeohschen  orten,  l€Q€iai'^'HQag/0?^vf.iTtiovlxai,  KaQveoivuai 
j^anz  unzweideutig  sind,  dafür  gefällt  sich  die  quellenkunde  darin,  den 
durch  ein  längst  durchschautes  misverständnis  aufgebrachten  namen 
iogographen  gedankenlos  weiter  zu  geben,  oder  mit  dem  hintergedanken, 
(ial's  es  mit  der  Überlieferung  durch  diese  leute  nicht  viel  mehr  auf  sich 
hätte  als  mit  den  fabeln  des  loyonoiSg  Aesop.  die  dumme  fabel  von 
den  Iogographen  ist  so  entstanden,  dal's  die  ungerechte  und  unfreund- 
liche Wendung  des  Thukydides  gegen  Herodotos  zum  glaubensartikel 
i^emacht  und  der  name  logograph  auf  die  Schriftsteller  übertragen  ward, 
die  Dionysios  von  Halikarnass,  ohne  sie  zu  kennen,  vor  Herodotos  rückt. 
/.oyoTVoiog  oder  loyoyqäcpog  heifst  erzähler  in  prosa,  und  Hekataios 
Herodot  und  Thukydides  sind  loyoyQacpot  so  gut  wie  wir.  die  ionische 
schriftstellerei  ist  den  litteraten  der  späteren  hellenistischen  zeit  fast 
durchweg  vorattisch  erschienen,  weil  sie  einen  archaischeren  eindruck 
machte  als  die  attische  kunstprosa.  dafür  liefert  die  hippokratische 
Sammlung  den  beweis  noch  jetzt,  es  ist  also  auf  jene  zeitansätze  wenig 
verlafs:  gerade  Hellanikos  lehrt  das,  den  die  modernen  meistens  als  Iogo- 
graphen mit  an  erster  stelle  führen,  und  der  in  Wahrheit  seine  hohe 
bedeufung  gerade  darin  hat,  dafs  er  viel  eher  mit  Ephoros  und  Ari- 
stoteles verglichen  werden  mufs  als  mit  den  epichorischen  autoren  oder 
den  beiden  grofsen  XoyoyqarpoL  Herodotos  und  Thukydides. 

Hellanikos  ist  von  diesen  schon  dadurch  verschieden,  dafs  er  viele  Hellanikos 
bücher  über  viele  gegenstände  verfertigt,  ferner  dafs  er  als  der  rechte 
antipode  Herodots  an  dem  fremden  materiale  klebt,  das  er  verarbeitet, 
den  Chroniken  seiner  heimat,  von  Argos,  von  Athen,  der  siegerliste  der 
lakonischen  Karneen.  obwol  er  kein  festes  chronologisches  System  überall 
durchgeführt  hat,  hat  er  doch  nach  Synchronismen  gestrebt  und  wirklich 
die  grundlage  der  Zeitrechnung  gegeben :  wir  sind  nun  wol  ziemlich  alle 
der  ansieht,  dafs  Thukydides  ihm  die  ausätze  der  boeotischen  und  hera- 
klidiscben  Wanderung  entlehnt  hat.  mit  ihm  hat  sich  Ephoros  denn 
auch  ganz  besonders  auseinander  gesetzt,  natürlich  hat  er  auch  volks- 
tümliche novellistische  erzählungen  mitgeteilt,  mufste  sehr  viel  die  für 
ihn  bedeutendste  geschichte,  die  wir  heroensage  nennen,  wiedergeben 
und  dabei  zur  ausgleichung  am  gewaltsamsten  verfahren ,  aber  er  war 
mehr  ein  compilator  als  ein  loyortoiög^  wie  er  denn  auch  den  Hero- 
dotos  beträchthch  ausgenutzt  hat.  ^"j     Thukydides  däuchte  sich   schrift- 

10)  Er   verdankt  ihm  nanieiUlicli  Hxvd'i'/.ä,  denn  da  sein  fragment  173  Müll. 
(Et.  M.  Said.  Zöfiol^n)  aus  Herod.  IV  93  ist,  so  ist  damit  auch  das  urteil  über  die 

1* 


20  I.    1-  Die  quellen  der  griechischen  geschichle. 

stelleiisch  mit  fug  und  recht  weit  über  ilin  erhaben ;  aber  er  hat  ihn 
doch  benutzt,  er  ist  allerdings  ein  eckstein  l'iir  die  geschichle  der 
tradition.  denn  wenn  in  dem  letzten  viertel  des  l'ünften  Jahrhunderts 
ein  solcher  compilator  auftreten  konnte,  der  chroniken  des  festlandes 
herausgibt  oder  schreibt,  so  bezeugt  er  einmal  direct  die  existenz  dieser 
Chroniken,  indirect  aber,  dafs  die  ihm  viel  näher  liegendtm  ionischen 
WQOL  bereits  edirt  waren,  wie  ja  auch  überliefert  ist.  es  versteht  sich 
ganz  von  selbst,  dafs  genau  wie  wir  die  prosaische  erzählung  an  die 
stelle  des  epos  überall  treten  sehen,  so  auch  die  grüiidungssageu  der 
ionischen  Städte  in  prosaischen  büchern  umlaufen  mufsten ''),  und  es  ist 
sehr  bezeichnend,  dafs  selbst  die  autornamen  zum  teil  von  den  epen 
auf  die  prosaischen  Kilasig  und  wqol  übergehn. '-) 

Die  Weisheitslehrer  des  fünften  Jahrhunderts  zogen  herum,  traten 
auf  und  erklärten  sich  bereit  auf  alles  rede  zu  stehn.,  wie  sollte  es 
ausbleiben,  dafs  ihnen  historische  fragen,  über  die  herkunft  und  das 
alter  der  Städte  und  geschlechter,  die  bedeutung  von  namen  und  monu- 
menten  gestellt  wurden?  mochten  sie  sich  oft  mit  autoschediasmen 
helfen  oder  die  kenntnis  Homers  und  anderer  anerkannter  dichter  ge- 
iiippias  schickt  benutzen :  sie  brauchten  doch  eine  gewisse  geschichtliche  kennt- 
nis. so  sehen  wir  denn  einen  von  ihnen,  Ilippias  von  EUs,  auch  in 
der  altertumskunde  erfahren  (Hipp.  1  285*^),  der  name  uqy^aLoloyia  fällt 
hier  zuerst,  und  derselbe  Hippias  hat  die  olympische  chronik  zuerst  ver- 
öffentlicht, so  fühlt  und  befriedigt  selbst  die  modernste  bildung  das  be- 
dürfnis  geschichtlicher  Studien. 


geographischen  coincidenzen  gesprochen,  athetiren  wird  die  bruckstücke  oder  das 
buch  aus  dem  sie  stammen,  die  vo/xi^ia  ßa^ßa^md,  niemand,  der  nicht  im  banne 
der  falschen  Überlieferung  über  die  lebenszeit  des  Hellanikos  steht. 

11)  Epische  nxiasn  werden  in  den  schriftenkatalogen  z.  b.  des  Xenophanes 
genannt,  sie  sind  an  sich  sehr  glaublich,  nur  wimmeln  diese  kataloge  von  fäl- 
schungen  und  irrtümern. 

12)  Die  milesische  chronik  trägt  den  namen  des  Kadmos,  des  erfinders  der 
buchstaben,  die  ephesische  den  des  epikers  Kreophylos.  das  sind  weder  homonyme 
menschen  von  fleisch  und  blut  noch  ihre  angeblichen  bücher  fälschungen.  es  sind 
nur  recht  bezeichnende  beispiele  für  dieselbe  erscheinung,  die  den  nachlafs  der 
ITomeros  Hesiodos  Hippokrates  ins  unendliche  vermehrt  hat.  Amelesagoras  oder  Me- 
lesagoras  von  Athen  und  Eumelos  von  Korinth  sind  gleichen  Schlages,  über  das 
alter  der  bücher,  die  in  Alexandreia  oder  sonst  wo  diese  autornamen  trugen,  \^\ 
nicht  mehr  ausgesagt,  als  dafs  sie  selir  alt  zu  sein  beanspruchten.  Delphika  des 
Melisseus  (Tzetzes  in  der  vorrede  zu  den  Erga  29  Gaisf.,  aus  seiner  allegoriscln  n 
quelle)  sind  wol  ganz  apokryph.     Melisseus  ist  der  vater  der  i^iähaaiu,  Amalthoi;i 


Hippias.     Nordgriechenland.  21 

Doch  die  forschung  nach  büchern  und  autoren  ist  endlos  und  ziem- 
hch  unergiebig:  nützHch  aber  wird  ein  umbhck  über  Hellas  sein,  zu 
zeigen,  wo  eine  solche  ctoyaioloyia  nachweisbar  scheint,  wo  die  historie 
constatiren  oder  vermuten  kann,  dafs  eine  quelle  auch  für  uns  noch 
Wasser  gespendet  hat.  dabei  wird  mein  äuge  immer  auch  auf  die  aristo- 
telischen Politien  gerichtet  sein ,  deren  kümmerliche  reste  durch  das 
Hebt,  das  von  dem  nunmehr  vorliegenden  ersten  buche  auf  sie  fällt, 
beträchtlich  verständlicher  geworden  sind. 

Die  Atthis  ist  oben  (I  8)  eingehender  behandelt,  litterarische  dar- 
stellung  hat  sie  erst  erhalten,  als  die  attische  spräche  vollkommen  aus- 
gebildet war.  nicht  viel  später  hat  Megara  in  Dieuchidas,  dann  in  Ilereas  »legara 
eine  sehr  bedeutende  leistung  der  art  auf  den  markt  gebracht,  reich  an  wirk- 
Hch  geschichtlicher  Überlieferung,  kostbarer  antiquarischer  belehrung 
aus  localsagen  und  legenden,  und  getragen  von  einer  kräftigen  politischen 
tendenz. 

Für  die  allgemeine  geschichte  ist  Euboia  ganz  besonders  wichtig;  Euboia 
eine  grüfsere  anzahl  von  schriftstellernamen  sind  bekannt,  und  ent- 
sprechend der  colonisalorischen  bedeutung  von  Chalkis  wächst  sich  die 
localgeschichte  zu  büchern  aus,  die  man  -^rioiig  oder  TtsQi  tvoXsojv 
nennt.  ^^)  die  pflanzstädte  der  Chalkidike  gehören  naturgemäfs  mit  der 
mutterstadt  zusammen;  aber  auch  das  benachbarte  Keos  dürfte  hinzu- 
gerechnet werden  können,  da  Aristoteles  recht  viel  über  die  insel  weifs, 
und  mir  wenigstens  kein  keischer  localschriftsteller  bekannt  ist.  ob  es 
eine  chronik  gegeben  hat,  die  feste  Zeitangaben  in  alte  zeit  hinauf  ge- 
stattete, mag  fraghch  sein,  aber  artige  verschen ''')  und  alte  documente'^) 
sind  sogar  für  uns  noch  nachweisbar. 

Dagegen  ist  in  Boeotien  Phokis  Lokris,  in  Thessalien  und  selbstver-     Nord- 
ständlich   bei   den   wilden   stammen   der  berge  und  des  westens'®),   so   °  land 


und  ihrer  Schwestern.    Delphi  aber  hat  keine  alte  chronik  gehabt,    die  Pylhioniken 
sind  erst  vom  heiligen  kriege  ab  glaubwürdig. 

t3)  Die  titel  dieser  ganzen  gattung  von  büchern  sind  natürlich  nicht  authen- 
tischer als  die  der  werke  von  Xenophon  und  Kleidemos,  co^ot  ^ifviav,  lizd-is, 
Idtriy-r,  ^vy/oatpri,  Mi?.Tjaiaxd ,  'Iiofias,  Xlov  xTiais  sind  nicht  falsch,  aber  darum 
durchaus  nicht  von  den  Verfassern  gegeben,  jünger  scheint  nur  die  form  tzs^I  Osa- 
aa?.oviy.r;s  u.  dgl.  ZU  sein. 

14)  Plutarch  Erot.  17. 

15)  Urkunde  aus  dem  heiligtum  der  Artemis  in  Amarynthos  bei  ApoUodor 
(Strab.  448). 

16)  Uncivilisirt  ist  auch  die  südküste  des  korinthischen  busens,  Achaia.  und 
hier  hat  nicht  einmal  die  zeit  der  politischen  bedeutung  den  versuch  einer  Stammes- 


22  I-    1-  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

reich  die  mythen  sind,  nirgend  auch  nur  eine  spur  einer  älteren  ge- 
schichüichen  überheferung.  auch  die  specialschriften ,  wie  Kineas  und 
Suidas  über  Thessahen,  Aristophanes  und  Krates  die  Boeoter,  sind 
schwerlich  älter  als  das  dritte  Jahrhundert,  und  Delphi,  das  dem  Ilerodotos 
so  reiches  nialerial  geliefert  hatte,  dessen  Pythioniken  Aristoteles  selbst 
bearbeitete,  ist  bis  in  die  spätere  hellenistische  zeit  illitterat  geblieben. 
Argos  Im  Peloponnes  erweist  sich  Argos  durch  die  Herapriesterinnen  und 

eine  grofse  zahl  von  Chroniken  in  versen  und  prosa  als  die  alle  capi- 
tale;  die  übrigen  orte  der  Argolis  dürften  von  ihm  abhängen,  nur 
Trozen  hat  eine  reichere  antiquarische  und  genealogische  tradition.  dafs 
die  bedeutung  des  Asklepios  von  Epidauros  verhältnismäfsig  jung  ist, 
haben  die  ausgrahungen  gelehrt,  immerhin  besafs  selbst  ein  minder 
bedeutendes  heiligtum  wie  das  des  Poseidon  von  Kalaureia  eine  so 
wichtige  Urkunde  wie  die  von  Ephoros  (Strab.  374)  benutzte,  die  unsere 
geschichte  zur  zeit  noch  ganz  unvermögend  ist  zeitlich  einzuordnen. 
Arkadien  Arkadien    ist  ganz   barbarisch  bis   auf  die   hochebene    des    ostens. 

doch  hier  hütete  Tegea  in  seinem  reichen  tempel  einen  schätz  von  Ur- 
kunden und  tradiliouen;  das  früh  demokratisirte  Mautineia  kam  vielleicht 
mehr  noch  für  vöf-iot  als  für  die  7ioliTtia  in  betracht.  Aristoteles 
konnte  tegeatische  Urkunden  bereits  benutzen  (Plut.  q\i.  Gr.  5)''),  auch 
machen  die  reste  der  tegeatischen  schriftsteiler  Ariaithos  (oder  Araithos) 
und  Aristippos  oder  wenigstens  der  erste  den  eindruck  des  alters.'®) 
Eiis  Elis  besafs,   seit   es  Olympias  herr   und  durch  seine  bauerndemo- 

kratie  zu  macht  gelangt  war,  eine  grofse  bedeutung  und  auffallend 
starke  geistige  regsamkeit.  seit  Hippias  die  festchronik,  die  höher  als 
jede  andere  hinaufreichte,  zuerst  bearbeitet  hat,  gibt  es  eine  so  grofse 
zahl  von   Schriftstellern  wie  kaum  über  eine  andere  landschatf )     und 


geschichte  erzeugt.  Pausanias  sah  sich  genötigt,  die  lücke  zu  verdecken,  indem  er 
die  ionische  Wanderung  erzählte,  ein  par  Schriftsteller  ■ne^l  'Ayaias  sind  obscur  und 
sicherlich  nicht  alt. 

17)  Epigramm  eines  Sodamos  aus  Tegea.     schol.  Eurip.  Hipp.  264. 

18)  Teutiaplos,   Komarchos,  Ekephylidas,  Apellas,  lollas,  Agaklytos,  Istros, 
Aristodemos,  Polemon. 

19)  Die  Arkadika  des  Pausanias  geben  eine  geschlossene,  aber  besonders  junge 
und  geringhaltige  genealogie.  wie  früh  dagegen  von  Tegea  aus  eine  auf  ganz  Ar- 
kadien berechnete  aufgebracht  war,  lehrt  das  epigramm  in  Delphi,  Pausan.  X  9, 
Pomtow  Bcitr.  zur  Topogr.  von  Delphi  t.  XIV  39.  Aristoteles  stellte  neben  die 
einzelpolitien  die  neue  Organisation  des  Epaminondas,  die  xaivi,  nohreia,  die  gar  T 
keine  historische  einleitung  halte  (Harpokr.  fivQioi).  von  der  Mavxiväcav  ist  zu- 
fällig nichts  erhallen,  aber  die  Politik  (Z  4)  bezeugt  sie. 


Elis.     Korinth.  23 

durch  die  Urkunden  des  lempels  mulste  Olympia  lur  alle  Helleneu, 
insbesondere  die  Peloponnesier,  eine  Schatzkammer  der  wertvollsten  tiber- 
heferung  sein,  aus  der  nur  leider  zu  wenig  auf  uns  gerettet  ist.  die 
Chronik  der  Olympioniken,  die  Timaios  mit  recht  zur  controlle  der 
städtischen  Jahrzählungen  heranzog,  empfahl  sich,  weil  sie  überhaupt  eine 
Zählung  statt  einer  benennung  der  jähre  ermoghchte,  und  darum  hat 
sie  Eratosthenes  befolgt,  im  übrigen  hat  diese  einführung  einer  rech- 
nung,  die  strenggenommen  statt  des  Jahres  das  quadriennium  als  einheit 
einführt,  die  Chronologie  mehr  verwirrt  als  vereinfacht.-") 

Eine  ähnhche  festchronik,  des  dortigen  Pythions  und  dem  entsprechend  sikyon 
wesentlich  musischen  inhaltes,  besafs  Sikyon,  und  sie  ist  schon  vor  Ari- 
stoteles publicirt.  die  wenn  auch  erst  bei  späteren  erhaltene  konigsliste 
zeigt,  dal's  eine  wirkliche  chronik  mit  ihr  verbunden  war.  aber  von  der 
reichen  novellistischen  überheferung ,  die  Herodotos  wiedergibt,  scheint 
nichts  weiter  aufgezeichnet  worden  zu  sein. 

Auch  für  Korinth  bezeugen  die  hsten  der  konige,  die  stemmata  der  Koihuii 
Bakchiaden,  treffhche  daten  von  koloniegründungen,  herrschaftszahlen 
der  Kypsehden,  eine  reiche  alte  tradition,  und  an  Periandros  und  seine 
famihe  hat  sich  eine  fülle  von  novellen  ganz  den  ionischen  vergleichbar 
angesetzt,  nachdrückhch  hat  Aristoteles  (im  auszuge  des  Herakleides) 
das  andenken  des  Periandros  wider  die  fabeln  von  dem  tyrannen,  die 
Herodotos  gibt,  in  schütz  genommen,  und  wir  werden  ihm  zu  glauben 
verpflichtet  sein.-')  aber  dieser  fülle,  die  der  bedeutung  Korinths,  wie 
sie  die  kunstwerke  des  sechsten  Jahrhunderts  lehren,  entspricht,  steht 
das  fehlen  jeder  korinthischen  schrift  aus  den  Jahrhunderten  5 — 3  schroff 
gegenüber.^)    es  war  eine  reiche  grofse  Stadt  der  krämer  und  der  huren. 


20)  Als  Timaios  ein  greis  war,  ist  in  Athen  ein  auszug  aus  der  olympischen 
chronik  auf  stein  publicirt  (CIA  11  978),  erst  eine  Übersicht  der  kampfspiele,  nach 
der  zeit  ihrer  einführung  geordnet,  dann  die  attischen  sieger.  es  sind  nur  die  Olym- 
piaden genannt,  keine  Synchronismen  gegeben,  also  hat  hierauf  Timaios  noch  nicht 
gewirkt. 

21)  Sprüchwörter  wie  /tios  Kö^ivd'os,  MeyaQicov  SäxQva,  di'/ßxai,  v.al  ßälov 
IdlriTTii  sind  in  aller  munde,  zum  teil  schon  in  sehr  früher  zeit,  und  stammen  wirk- 
lich aus  korinthischer  tradiüon. 

22)  Den  namen  Eumelos,  den  das  korinthische  epos  trug,  hat  man  auch  einer 
prosaischen  schrift  gegeben,  die  zum  teil  paraphrase  des  epos  war,  wie  Pherekydes 
oft  den  Hesiodos  paraphrasirt.  ein  hellenistisches  epos  KoQivd'i.ay.d  von  Diodoros  und 
Schriften  der  dichter  Euphorion  und  Musaios  über  die  Isthmien  gehören  nicht  hierher, 
ein  weifser  rabe  ist  der  skeptische  philosoph  Xeniades  von  Korinth,  dessen  ge- 
däciitnis  ausschliefslich  durch  Demokritos  (Sextus  201  Bekk.  u.  ö.)  erhalten  ist. 


24  !•    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

ov  TtavTog  ävÖQog  eig  KoQivd-ov  tod-'  b  7i?.ovg:  Aristippos  geht  dahin 
zu  Lais,  und  Diogenes,  natürhch:  der  Kapuziner  gehurt  in  die  Stadt  der 
Sünde.  Byzantion  und  Tarent,  auch  dorische  handelsstädte,  zeigen  das- 
selbe abstofsende  gesicht.  wir  wissen  denn  auch  so  gut  wie  nichts  über 
die  spätere  korinthische  geschichte. 
spana  Über   Sparta   würde  sich   um   400   ein   sehr  schönes-  buch  haben 

schreiben  lassen ;  die  hstc  der  ephoren  war  seit  der  mitte  des  achten 
Jahrhunderts  aufgezeichnet,  und  dafs  sie  blofs  aus  den  nakten  namen 
bestanden  hätte,  wird  nicht  leicht  jemand  probabel  machen,  alte  Ur- 
kunden fehlten  nicht,  wie  die  rhetra  beweist^),  eine  reiche  epichorische 
poesie  war  erhalten,  der  cultus  und  die  sitten  selbst  zeugten  von  der 
ältesten  zeit,  aber,  wie  Thukydides  klagt,  wollten  die  herren  des  ver- 
knöcherten adelsstaates  das  spartanische  prestige  durch  das  tiefste  ge- 
heimnis  erhalten.  Herodotos  hat  nur  wenig  in  Pitane  erfahren;  dem 
Hellanikos  überHefs  man  die  liste  der  Karneensieger'-^),  sonst  ist  auch  er 
kärghch  abgespeist,  man  spürt  es  in  den  lücken  der  spartiatischen 
geschichte  nur  zu  deutlich,  dafs  der  adel  das  licht,  das  er  selbst  zu 
scheuen  grund  hatte,  auch  seinen  würdigeren  ahnen  entzogen  hat.  dafür 
trat  seit  400  die  polemische  litteratur  der  pamphlete  ein,  die  für  und 
wider  die  Oligarchie  geschrieben  wurden:  das  ist  die  quelle  für  unsere 
kenntnis  der  spartiatischen  Verfassung,  und  sie  war  es  schon  für  Ephoros 


23)  Unsere  jetzige  kenntnis  zwingt  uns,  bei  einem  von  diesen  pamphletisten 
die  rhetra  und  die  Inschrift  des  diskos  zuerst  aufgezeichnet  zu  glauben,  dem  sie 
dann  Aristoteles  verdankt,  jene  pamphlete  waren,  nachdem  Aristoteles  und  Ephoros 
sie  benutzt  hatten,  genau  so  verschollen  wie  der  avfißovlsvTixcs  des  Theramenes. 
wer  das  excerpl  des  Herakleides  genau  interpretirt,  sieht,  dafs  Aristoteles  damit  anhob, 
die  Streitfrage  zu  erörtern,  in  wie  weit  die  Verfassung  lykurgisch  wäre;  dabei  mufs 
gelegentlich  Alkman  erwälmt  sein,  vermutlich  bei  einem  citate.  dann  ward  das  per- 
sönliche des  Lyknrgos  behandelt,  wobei  seine  zeit  durch  den  diskos  bestimmt  ward, 
und  vorsichtig  abgehandelt,  was  man  ihm  von  speciellen  bestimmungen  zuschrieb, 
die  ephoren  waren  nicht  mehr  darunter,  endlich  folgte  eine  Schilderung  des  ßios 
Aaxcovixös.    an  welcher  stelle  die  rhetra  stand,  kann  ich  nicht  mehr  erkennen. 

24)  Trotz  E.  Meyer  kann  ich  nicht  umhin  diese  für  ein  sehr  altes  actenstück 
zu  hallen,  die  Voraussetzung  der  elegischen  metaphrase,  und  Babyka  und  Knakion 
sollten  das  zu  beweisen  genug  sein,  erfand  die  verschollenen  locale  ein  delphischer 
Schwindler?  mit  dem  dialekte  zu  operiren  vermag  ich  nicht;  dafs  er  nichts  spe- 
cifisch  lakonisches  oder  delphisches  hat,  liegt  auf  der  hand.  eben  so  steht  es  mit 
den  elegien,  für  die  schon  ihre  variirende  fassung  die  herkunft  aus  dem  volksmunde 
garantirt.  wenn  vollends  'junge'  Wörter  wie  SovXeia  (Solon)  i?,svd'sgia  (Pindar, 
Simonides)  bjnoroia  (Antiphon  der  sophist)  orakel  discreditiren  sollen,  so  hört  der 
spafs  auf.  ' 

i 


Sparta.    Kreta.  25 

und  Aristoteles. -^)  es  ist  bezeichnender  weise  hier  wirkUch  fast  nur  die 
/coÄiTsla,  um  die  sich  alles  dreht,  von  der  geschichte  erfahren  wir  kaum 
etwas:  denn  Lykurgos  und  Theopompos  kommen  eben  für  die  Verfassung 
in  betracht.  erst  im  dritten  Jahrhundert  hat  Sosibios^*^)  seines  Vater- 
landes altertümer  in  sehr  dankenswerter  weise  erläutert  und  auch  die 
geschichte  zu  ordnen  versucht,  aber  die  fehlende  geschichthche  Über- 
lieferung vermochte  der  gelehrte  sammler  nicht  mehr  zu  ergänzen,  ich 
wenigstens  betrachte  selbst  die  königshste  als  ein  unzuverläfsiges  ge- 
machte auf  gruud  der  herodoteischen  genealogien. 

Noch  sehr  viel  mehr  als  Sparta  hatte  Kreta  die  fühlung  mit  der  Kreta 
hellenischen  cultur  verloren,  die  insel,  welche  weder  das  attische  Reich 
noch  die  lakonische  Vorherrschaft  in  ihre  kreise  gezogen  hatten,  war  von 
der  tyrannis  und  der  demokratie,  von  der  ionischen  und  sicilischen  auf- 
klärung  verschont  gebheben ;  Platou  wufste,  dafs  die  Kreter  noch  um  360 
den  Homer  kaum  kannten,  sie  hatten  aber  auch  keine  eigene  poesie, 
wenigstens  keine,  die  den  Hellenen  bekannt  oder  verständlich  war. -^)   man 


25)  Hellanikos  hatte  als  Lesbier  an  seinem  landsnianne  Terpandros  ein  beson- 
deres interesse  und  hat  wol  die  Verantwortung  der  hohen  Schätzung  desselben  zu 
tragen ,  in  der  ihn  die  neueren  noch  weit  übertreffen,  diese  haben  sich  nicht  klar 
■gemacht,  dafs  so  ziemlich  alles  was  sie  von  ihm  hören  auf  combinalion  beruht, 
seine  verse  sind  schon  im  altertum  athetirt,  über  seine  musikalischen  compositionen, 
die  allein  der  berufene  vSfios  angeht,  können  wir  nicht  urteilen,  weder  was  seine  Ur- 
heberschaft noch  was  seine  Verdienste  angeht,  die  SiaSoxy  der  musiker  kann  gar 
keinen  höheren  wert  beanspruchen  als  die  der  dichter  oder  philosophen.  seine  poli- 
tische tätigkeit  ist  erweislich  fabel.     was  bleibt? 

26)  Ich  kann  noch  eben  den  irrtum  berichtigen,  dafs  der  Lakone  Sosibios  mit 
dem  lytiker  identisch  gewesen  wäre,  dank  Wachsmuth  {de  Erat.  Apoll.  Sosibio 
Leipzig  93).  aber  ihn  für  jünger  als  Eratosthenes  zu  halten,  ist  mir  unmöglich, 
nach  der  losreifsung  der  Eleutherolakonen,  in  dem  verfallenen  Sparta  nach  Nabis 
scheint  er  mir  undenkbar,  und  ich  vermag  auch  keinen  zwang  in  Wachsmuths  wahr- 
scheinlichkeitsbeweisen  zu  sehen.  Sosibios  pafst  vielmehr  vortrefflich  in  die  zeit 
des  Kleomenes.  dagegen  stimme  ich  in  der  beurteilung  des  sosibischen  gutes  bei 
Pausanias  mit  Wachsmuth  überein,  denke  eher  noch  etwas  skeptischer,  namentlich 
über  die  ersten  capitel  des  dritten  buches.  directe  benutzung  wird  er  selbst  nicht 
annehmen. 

27)  Dieser  mangel  an  contact  mit  der  hellenischen  cultur  genügt  allein  dazu,  dafs 
man  in  dem  Verfasser  der  Theogonie  des  Epimenides  nicht  einen  wirklichen  Kreter  suche, 
den  kretischen  Zeus,  den  sie  verherrlichte,  hatte  doch  Hesiodos  auf  dem  Helikon 
schon  gekannt,  und  die  figur  des  propheten  sammt  der  fiction,  die  das  gedieht  zu- 
sammenhielt, ist  nach  Kreta  versetzt  eben  um  des  Zeus  willen;  übrigens  stellen 
barbarische  gegenden,  wie  Akarnanien  und  Epeiros  gerne  die  seher.  Karnos  (dessen 
name  nichts  als  der  eponymos  der  Akarnanen  ist)  war  ja  auch  ein  seher. 


26  ••    1.  iJie  quellen  der  griechischen  geschichte. 

möchte  wol  den  iorschuDgsreisenden  kenneu,  der  einmal  dorthin  gezogen 
ist  und  von  den  halbharbaren  gasthch  aufgenommen^)  in  den  silten  und 
der  gesellschaftsordnung  zustände  fand,  die  er  sich  berechtigt  hielt  für 
das  originale  Dorertum  zu  hallen,  mit  acht  hellenischer  heobachtungs- 
gabe  hat  er  geschildert  ^vas  er  mit  eben  so  ächter  auffafsungsgabe 
beobachtet  hatte,  und  sein  werk  hat  dem  greisen  Plalon  die  anregung 
zu  der  fiction  seiner  Gesetze  gegeben  und  dann  dem  Ephbros  und  Ari- 
stoteles das  material  zu  ihren  Schilderungen  gehefert.  ich  rede  von  einem 
beiichterstatter,  da  die  nachrichten,  so  weit  sie  die  kretischen  zustände 
angehn,  einen  einheilhchen  eindruck  machen,  mag  es  auch  mehrere 
darstellungen  gegeben  haben,  den  Althiden  analog.^)  kretische  ge- 
schichte konnte  jener  mann  freilich  nicht  geben ^"^j,  und  als  die  Ptole- 
maeer  Kreta  mit  gewalt  aus  seiner  Vereinzelung  aufrüttelten,  sahen  sich 
die  nun  erstehenden  kretischen  localhistoriker ,  Dosiadas  und  andere, 
genötigt  die  lücke  mit  mythischen  fabeleien  zu  füllen,  denn  selbst  helden- 
sage  wufsten  sie  nicht  zu  linden,  die  insel  aber  gieng  von  der  archaischen 
naiven  barbarei  unheimlich  schnell  in  die  abscheulichste  culturbarbarei 
über,  ihre  wirkliche  bedeutung  liegt  nur  in  der  zeit  des  Minos. 
Die  Die    kleinen    dorischen    iuscln    Kvthera    Melos^')  Thera   Anapiie^^) 

dorischen 


iiiscln 


28)  Die  gastfreiheit  hebt  Aristoteles  in  der  kretischen  Politie  hervor  (Herakl. 
am  ende);  in  der  Politik  {B  12T'2'')  gibt  er  mit  feiner  vvendung  die  begründung, 
^evt^/.aacas  i6  tiÖqqco  Tisnoir/xtv. 

29)  Ephoros  verweist  auf  mehrere  entgegenstehende  meinungen,  operirt  mit 
arjuela,  mit  Sprüchwörtern  {6  K^r^s  -lijv  d'd/.aaaav),  Homerexegese  u.  dgl,,  ganz  wie 
die  Atthis  des  Aristoteles,  da  für  ihn  die  vergleichung  der  kretischen  Verfassung 
mit  der  lakonischen  ein  hauptgeslchtspunkt  war,  und  er  beide  ziemlich  gleich  dar- 
stellte (Polybios  VI  45),  so  liegt  nahe  zu  glauben,  dafs  das  Interesse  für  Spartas 
Verfassung,  das  in  der  ersten  hälfte  des  vierten  Jahrhunderts  so  rege  war,  auch 
jenen  forschungsreisenden  nach  Kreta  getrieben  hat.     aber  wer  war  es? 

30)  Aristoteles  und  Ephoros  operiren  mit  den  epischen  traditionen,  Rliada- 
manthys  Minos  Idomeneus.  Althaimenes  stammt  aus  argeiischer  sage,  Thaletas  aus 
lakonischer,  die  fragmente  518.  519  hat  Rose  ohne  grund  in  die  kretische  Politie 
gerückt,  das  erste  geht  dem  chalkidisch  thebanischen  Rhadamanthys  an,  der  den 
Herakles  erzogen  hat,  das  andere  erklärt  eine  angeblich  heroische  sitte  (die  pyr- 
rhiche)  aus  einer  kretischen,  wie  die  Poetik  (25)  eine  epische  vocabel  durch  ihre 
kretische  epichorische  bedeutung  erläutern  will,  die  evQtzai  Kovqtjs  und  IIvQQiyos 
(Strab.  480)  wird  Ephoros  selbst  erfunden  haben. 

31)  Die  angäbe  über  das  alter  der  kolonie  Melos  kann  Thukydides  (5,  84)  sehr 
wol  aus  der  pcloponnesischen  tradiüon,  also  der  von  Argos,  haben. 

32)  Die  Argonautensage  von  Anaphe  (Isyll.  92  Knaack  Callimachea  Stettin  87) 
stammt  nicht  aus  epichorischer  aufzeichnung,  sonst  würde  der  gott  wie  in  Anaphe 


Die  dorischen  inseln.     Grofsgriechenland.  27 

Astypalaia  haben  weder  eine  originale  noch  eine  nachge^vachsene  chronik 
und  stellen  sich  so  von  selbst  unter  die  kleinsten  ionischen  eilande, 
Ikos  Leros  Sikinos.  Aigina  war  zu  Pindars  zeit  die  blühendste  statte 
der  archaischen  cullur;  damals  war  für  prosaische  schrifistellerei  noch 
iiidit  die  zeit,  dann  aber  zerstörte  Athen  die  gefährhche  rivahn,  und 
die  herstellung  des  Staates  403  ist  nicht  im  stände  gewesen,  ihn  lebens- 
fähig zu  machen,  die  geschlechter,  auf  denen  er  beruhte,  waren  zer- 
sclilagen  und  zerstreut,  ^^j  die  grofsen  dorischen  Inseln  an  der  karischen 
und  lykischen  küste  sind  geistig  ionisirt ;  aber  wie  für  ihre  politische 
so  auch  für  ihre  geistige  bedeutung  war  die  centraMsation  die  not- 
wendige Vorbedingung,  die  411  die  sladt  Rhodos,  366  die  Stadt  Kos  schuf. 
erst  beträchtlich  später  hat  die  gelehrsamkeit  den  reichtum  von  antiqua- 
rischen alterlümern,  der  in  den  älteren  orten  erhalten  war,  erschlossen: 
tiiie  höher  hinauf  reichende  geschichthche  Überlieferung  hat  es  nicht 
L;ei,^cben.^'') 

Auch    das  dorische   Kyrene  hätte   wol   eine   localgeschichte  haben     Kyreue 
können,  hat  sie  aber  nicht  erzeugt. ^^) 

Sicilien  und  Italien  nehmen  wie  in  allem  auch  in  der  historischen     Giofs- 
tradition  eine  Sonderstellung  ein.    so  kurz  nach  dem  tode  des  Herodotos,      land 
dafs   er  ihn   nicht  mehr   benutzt   haben   kann,   schreibt  Autiochos  von 
Syrakus  nicht  etwa  blofs  die  chronik  seiner  heimat,  sondern  die  archaeo- 


Äsgelatas  heifsen.     das   hat   ein  ionischer  forschungsreisender  aufgebracht,   ebenso 
wie  Herodotos  die  theräischen  traditionen  über  Kyrenes  gründung  überliefert. 

33)  Die  Pindarscholiasten  haben  über  die  aeginetischen  faaiilien  und  heilig- 
lümer  die  ersichtlich  spätgrammatischen  Schriften  von  Theagenes  und  Pythainetos 
7t£^l  Aiyivr^s  mit  wenig  nutzen  consuitirt.  wenn  ein  Römer  Bassus  sich  als  nach- 
ikomme  der  alten  BaaaiSai,  aufspielt  (Kaibel  epigr.  892),  so  kannte  er  sie  aus  dem 
Pindar. 

34)  Aristoteles  (Herakleides)  kennt  das  auftauchen  der  insel  Rhodos,  das  bei 
Pindar  steht,  und  einen  nicht  epichorischen  namen  "Ocpiovaaa.  diese  fabelhaften  ur- 
namen,  die  es  für  die  meisten  inseln  und  manche  Städte  gibt,  und  die  bei  den  geo- 
giaphen  ein  zähes  leben  führen,  müssen  einmal  mit  einem  schlage  aufgebracht  sein, 
keinesfalls  sind  sie  ein  jeder  an  seinem  orte  gewachsen,  fgm.  569  hat  Rose  ohne 
igrund  in  die  Politie  der  Rhodier  gesetzt;  da  es  Diagoras  angeht  (wenn  auch  das 
nähere  nicht  mehr  kenntlich  ist),  so  gehört  es  vielmehr  in  die  olympische  tradition, 
was  die  Politik  über  Kos  und  Rhodos  bringt  {E  1302  und  1304)  ist  bisher  un- 
;genügend  erklärt,  seheint  aber  das  vierte  jahihundert  anzugehn.  die  bedeutung  der 
synoikismen  hat  Aristoteles  nicht  politisch  gewürdigt. 

35)  Aristoteles  hat  in  dieser  Politie  vorwiegend  den  Herodotos  benutzt,  wie 
der  auszug  lehrt,  die  Schriften  ueqI  Kv^^ir]s  haben  geschichtlich  kaum  etwas 
L'iauchbares  hinterlassen. 


28  !•    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

logie  des  neuen  Hellas,  er  stammt  aus  der  Stadt,  die  von  allen  dorischen 
allein  die  heimische  mundart  in  poesie  und  prosa  ausgebildet  hat,  und 
doch  schreibt  er  ionisch,  in  Wosthellas  sind  eben  die  träger  der  geistigen 
cultur  die  chalkidischen  Städte,  und  wer  die  fülle  der  Überlieferung  über- 
schaut, wird  nicht  bezweifeln,  dafs  chalkidische  Chronisten  dem  Anlioclios 
die  anregung  gegeben  haben,  mögen  sie  auch  für  uns  verschollen  sein.^^j 
die  ionischen  Städte  sind  im  westen  gerade  während  des  fünften  Jahr- 
hunderts erdrückt  worden,  aber  sie  haben  von  ihrem  geiste  den  Achaeern 
und  Dorern ,  ja  auch  den  Italikern  mitgeteilt.  Sybaris,  acliaeisch  der 
race  nach ,  aber  mit  Milet  eng  durch  freundschaft  verbunden ,  ist 
schon  im  sechsten  Jahrhundert  zerstört,  und  doch  kennt  schon  das 
fünfte  sybaritische  geschichten  als  litteraturgattung.  im  westen,  woliin 
das  epos  nicht  mehr  gedrungen  ist,  hat  sich  die  prosaerzählung  früher 
und  stärker  ausgebildet,  und  welche  fülle  von  novellenfiguren  tritt 
uns  hier  entgegen,  Euthymos  und  Milon,  Smindyrides  und  Amyris, 
Pylhagoras  und  Empedokles,  Phalaris  und  Malakos.  deutlicher  als 
irgend  wo  sonst  sehen  wir  die  mythischen  gründungssagen,  voll  von 
geschichtlicher  erinnerung,  und  die  urkundlichen  daten  neben  einander 
liegen,  das  ist  direct  freilich  zumeist  timaeisclies  gut,  aber  der  gelehrte 
Sammler  fufst  auf  älterer  litteratur  und  beweist  am  besten,  dafs  die  zeit 
der  aufzeichnuug  für  das  alter  der  Überlieferung  ein  unzureichendes 
kriterium  ist.  Aristoteles  hat  über  den  westen  begreiflicher  weise  nicht 
viel  gegeben ^^),  und  wir  hören  davon  wesentlich  durch  die  erbitterte 
kritik  des  Timaios.  dagegen  mufs  er  über  die  Städte  des  ionischen 
meeres  Epidamnos  Apollonia  Korkyra  Itbaka  Kophallenia  ganz  besonders 
ergiebige  von  niemand  sonst  benutzte  Überlieferung  zur  Verfügung  ge- 
habt haben;  sowol  die  Politik  wie  die  Politien  lehren  es,  und  selbst 
Timaios  ist  ihm  hier  in  manchem  gefolgt,  die  euboeischen  historiker 
dürften  die  Vermittler  gewesen  sein,  da  Euboeer  die  Vorläufer  der  Korin- 
ther im  ionischen  meere  gewesen  waren,  während  die  achaeischen  und 
dorischen  orte  selbst  fast  culturlos  waren.  ^*) 

36)  Ein  solcher  name  ist  Hippys.  das  buch,  das  um  250  unter  seinem  iianien 
gieng,  war  aber  nicht  mehr  original,  was  gegen  meine  kiitik  (Herm.  19)  eingewandt 
ist,  scheint  mir  einer  ernsthaften  Widerlegung  nicht  zu  bedürfen. 

37)  Was  wir  von  seinen  Politien  der  Geloer  und  Akragantiner  hören,  geht 
vorwiegend  die  grofsen  tyrannen  an,  stammt  also  aus  der  politischen  geschichte. 
über  Rhegion  weifs  er  ausgezeichnetes;  natürlich  gab  es  in  der  ionischen  Stadt  eine 
Chronik. 

3S)  Der  Chalkidier  Dionysios  (Plut.  de  malign.  Herod.  22)  kennt  eine  korky- 
reische  Urkunde,     auch   bei   dem  Epiroten  Proxenos,   der  zu  Pyrrhos  zeit  schreibt, 


Massalia.    lonien.  29 

Aber  Massalia  im  äufsersten  westen  ist  eine  loniersladt  und  hat  Massalia 
sich  seiner  herkunft  würdig  bewiesen,  am  besten  beweisen  es  seine 
grofstaten  auf  wissenschafthch  geographischem  gebiete,  der  alte  peri- 
plus,  Eulhymenes  und  Pytheas.  die  altionischen  gesetze  waren  auch 
schriftheb  fixirt  und  standen  bis  in  späte  zeit  auf  dem  markte  (Strab. 
179),  und  es  gab  auch  eine  niassaliotische  geschichte.  die  reizende 
griindungsnovelle  hat  Aristoteles  (bei  Athen.  XIII  576)  nicht  aus  dem 
volksmunde,  und  er  ist  auch  in  der  Pohtik  in  der  läge,  über  die  ver- 
liilsungsgeschichte  melireres  beizubringen.^^) 

Nun  endlich  das  östliche  eigentliche  lonien ,  das  lonien  Homers,  lonien 
die  heimat  des  epos,  der  novelle,  der  philosophie.  da  braucht  man  nicht 
zu  suchen,  da  wird  es  vielmehr  überflüssig  auf  einzelnes  hinzudeuten. 
!die  namenthch  und  wenigstens  zum  teile  zeitlich  bekannten  schrift- 
>ieller  reichen  bis  in  das  sechste  Jahrhundert  und  einzelne  wenigstens 
haben  sich  in  einer  mehr  als  epichorischen  geltung  behauptet,  wie 
Charon  und  Maiandrios.     wir  sehen  auch  die  berühmtesten  und  höchst 


weist  manches  nach  Euboia.  der  localliistoiiker  Atlianadas  von  Ambrakia  (Anton. 
Liber.  4)  schmeckt  nach  der  art  des  Nikandros;  älter  als  die  Zerstörung  durch 
Acilius  Glabrio  wird  er  freilich  sein,  dafs  Korkyra  so  ganz  für  die  cultur  ausfällt, 
gleich  seiner  mutterstadt  Korinth,  ist  sehr  beherzigenswert,  ein  weifser  rabe,  der 
tragiker  Philiskos,  beweist  so  wenig  für  seine  cultur  wie  Alexandros  für  die  von 
iPleuron,  und  die  gelehrte  Agallis  ist  auch  nicht  zu  hause  ein  blaustrumpf  geworden, 
hätte  Korkyra  seine  Schuldigkeit  getan,  so  gäbe  es  heute  keine  albanesische  frage. 
aber  die  entsetzlichen  greuel,  die  Thukydides  erzählt,  stehen  in  grellem  contraste 
zu  der  berückenden  weichen  Schönheit  der  Phaeakeninsel.  ohne  AlSo'ts  und  Ji-z-ri 
wachst  eben  selbst  im  paradiese  nichts  als  obst. 

39)  In  der  Poetik  21,  wo  Aristoteles  von  einfachen  und  zusammengesetzten 
nomina  handelt,  sagt  er,  es  gäbe  auch  viele  zusammengesetzte  namen  sicut  viulta 
de  Massaliotis ,  Hermocaicoxanlhiis  qui  siipplicabatur  domirmm  caelorum  (so  die 
arabische  Übersetzung  zur  ergänzung  unseres  lückenhaften  textes,  Diels  Ber.  ßerl. 
Akad.  19  jan.  1S88):  darin  kann  ich  nichts  finden  als  eine  weihinschrift  'Eguoxai- 
y.i.htrd'oi  ei^äfisvos  Jii,  und  weifs  nicht,  wie  Diels  zu  enavxeod'at,  und  Ju  naroi 
kömmt,  ich  kann  also  nur  glauben,  dafs  bei  den  Massalioten  verdrehte  dreifach 
componirte  namen  bestanden,  und  Aristoteles  wird  diese  Inschrift  irgendwo  in  Hellas 
gesehen  und  belacht  haben,  oder  seine  Schüler  haben  davon  erzählt,  der  name  ist 
veidrehl,  aber  EvSä/umTios,  Ev^sviTtnoe,  'innuQuöScoQos  sind  es  nicht  minder  und 
geben  auch  drei  glleder;  wir  sind  nur  an  diesen  lächerlichen  stolz  auf  das  ritter- 
pferd,  die  fiction  des  adels,  gewöhnt.  KricpiaoSrjuos  AvaiSrifios  0ovSrj/uos  sind 
auch  an  sich  sinnlos,  aber  der  athenische  bürger  hatte  den  demos  gern  in  dem 
namen  seines  kindes,  weiter  fragte  er  nicht  dem  namen  nach,  die  massaliotische 
ononiatologie  ist  uns  unbekannt,  und  wir  können  unmöglich  a  priori  sagen,  wie  sie 
nicht  war. 


30  I.    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

gestellten  die  geschichte  der  eigenen  heiniat  zur  aufgäbe  wählen,  luu,  \ 
von  Chios  und  noch  den  peripatetiker  Duris  von  Sanios.  die  Aeoleri  ( 
von  Lesbos  und  Kyme '")  stehen  den  loniern  gleich,  und  diese  zeigen 
dieselbe  regsanikeit  auf  den  Kykladen,  am  Ilellespont  und  im  Pontes  ") 
wie  in  den  zwölfstadten  der  küste;  am  Pontos  nimmt  aber  auch  (iic 
megarische  pflanzstadt  Herakleia  einen  ehrenplatz  auf  allen  gebieten  de.- 
geistigen  lebens  ein."-)  dafs  wirklich  zeitgenofsische  chronikartige  aui- 
zeichnungen  und  viele  alle  Urkunden  vorhanden  waren ,  versieht  sich 
eigentlich  von  selbst,  zufällig  erhaltene  stücke,  wie  über  die  grüudung 
von  Ephesos  aus  der  dortigen  und  der  siphnischen  tradilion"^)  oder 
die  Schiedssprüche  im  Athenatempel  zu  Priene,  liefern  auch  greifbare 
belege,  für  manchen  ist  vielleicht  bezeichnender,  dafs  Aristoteles  in  (1(  i 
samischen  Politie  das  erscheinen  einer  weifsen  schwalbe,  so  grofs  wie 
ein  rebhuhn,  notirt.''^)  aber  die  lust  zu  fabuliren,  die  freude  an  dem 
spiele  der  phantasie  und  dem  bunten  leben,  die  lonien  als  erbe  Homers  i 
besafs,  ist  für  die  rein  geschicblliche  Überlieferung  verhängnisvoll  ge- 
worden, die  schriftstellerei  stand  im  zeichen  der  novelle,  als  sie  die 
geschichtliche  Überlieferung  zu  behandeln  begann,  der  subjectivismus  und 
ralionalismus  trat  hinzu,  und  so  sind  gerade  die  ionischen  traditionen: 
für  den  historiker  mindestens  viel  schwerer  verwendbar  geworden  alsi 
die  nakten  namen  und  dalen  aus  anderen  orten,  schon  wenn  wir  die; 
lydische  geschichte  und  die  ionische,  so  weit  sie  herangezogen  wird,  bei 
Ilerodotos  lesen,  werden  wir  oft  bedenklich  (obw^ol  die  schlacht  bei  Lade 


40)  Noch  Menekrates  von  Elaia,  ein  schüler  des  Xenokrates,  schreibt  y.tiaeis 
seiner  aeolischen  heimat  (Strab.  572  u.  ö.,  immer  aus  Demetrios  von  Skepsis). 

41)  Schriftsteller  aus  älterer  zeit  (wie  später  namentlich  Demetrios  von  Kal- 
lalis)  kenne  ich  nicht,  aber  die  gründungsdaten  sind  zum  teil  erhalten,  und  Aristo- 
teles verfügt  über  historisches  material  selbst  aus  Phasis  und  Istros. 

42)  Hier  steht  im  dritten  Jahrhundert  selbst  die  chronik  des  dichters  Phere- 
timos  neben  der  des  Staatsmannes  Nymphis.  da  die  Stadt  erst  in  der  mitte  des 
sechsten  Jahrhunderts  entstanden  ist  und  dauernde  nahe  beziehnung  zu  Athen  unter- 
halten hatte,  ist  es  nicht  wunderbar,  dafs  sich  gute  Überlieferung  in  geschichtlicher 
form  erhalten  hatte,  bis  sie  aufgezeichnet  ward,  und  schon  vorher  Aristoteles  und 
andere  über  die  herakleotischen  Verhältnisse  orientirt  waren,  wie  wichtig  die  Stadt 
diesem  erschienen  ist,  vgl.  I  10. 

43)  (bQoi  'Efsaicov  Athen.  VII  361,  ojqoi,  ^ifvicov  VI  267. 

44)  Herakl.  31  ecpävr]  Xevy.rj  x^Pudfov  oix  iXaTtcov  Tis^Sixoi.  der  iambische 
trimeter  ist  durch  zufall  entstanden;  es  ist  keiner  für  allionische  metrik.  dieselbe 
tatsache  aus  den  anonymen  öjuoi  Uafnanoi  bei  Antig.  Karystr.  Parad.  120.  das  er- 
scheinen der  ersten  weifsen  tauben  berichtete  Charon  in  seiner  lampsakenische» 
Chronik,  Athen.  IX  394. 


lonien.    fortleben  der  novelle.  31 

(ien  eitidriick  einer  weit  grüfseren  glaubhaftigkeit  macht  als  die  bei  den 
Thermopylen).  wie  viel  ängstlicher  miifs  uns  nicht  zu  mute  sein,  wenn 
wir  etwa  von  Pindaros  und  Pythagoras  von  Ephesos  oder  den  Gergithes 
von  Milet  bei  Aelian  lesen?  in  der  tat  ist  die  altionische  geschichte 
für  den  historiker  fast  verloren,  und  noch  scheint  es  nicht,  als  wollte 
sie  der  boden  uns  zurückschenken,  dafür  ist  sie  in  das  reich  der  poesie 
übergegangen  und  hat  dort  eine  lebenskraft  bewiesen,  vergleichbar  nur 
der  heldensage. 

lonien  hat  gleich  nach  der  befreiung  durch  Alexandros  einen  neuen  Fortleben 
anfschwung  genommen,  in  einem  bewufsten  und  berechtigten  gegensatze  nadiiion 
zu  der  bevormundung  durch  Athen  und  seine  litteratur.  die  schönste 
blute  dieser  bewegung  ist  die  erneuerung  der  elegie  und  des  iambos. 
die  elegie  aber  griff  auf  die  novellistisch  gewordene  geschichte,  auf  die 
archaeologie  zurück,  diese  romantische  htteratur  ist  den  Ttolirelai  der 
peripaletiker  genau  so  analog,  wie  die  wissenschaftlich  philologische  arbeit 
des  KaUimachos  und  Eratosthenes  der  wissenschafthch  aesthetischen  des 
Aristoteles  und  seiner  schüler.  so  sind  denn  auch  ihre  quellen  oft  geradezu 
dieselben.'^)  es  gehn  auch  versuche  nebenher  das  epos  zu  erneuern, 
und  die  archaeologie  ganzer  landschaften  oder  einzelner  städte  so  zu 
verarbeiten.  Mv^9^v^ivi]g  ^Podov  y.rlOEig,  QetTali'/.a ,  3l€oa7]viaxä: 
das  verhält  sich  zu  den  ahia  des  KaUimachos  wie  Ephoros  zu  Aristo- 
teles, das  zweite  Jahrhundert  bringt  noch  viele  nachzügler  auf  allen 
gebieten,  Bt^vviaxd  des  Demosthenes,  die  schriftstellerei  des  Nikandros 
iiher  Aetoler  Oetaeer  u.  dgl.,  ausgeartete  Ttolirelai,  wie  seine  verse  aus- 
geartetes epos  sind,  im  ersten  Jahrhundert  gibt  Alexandros  von  Milet 
in  höchst  anerkennenswerter  weise  grofse  compilationen  über  die  ar- 
(liaeologie  von  Karern  Lydern  Juden  und  andern  hellenischen  und  halb- 
hoUenisirten  stammen,  aber  weder  die  poesie  noch  die  wissenschaftliche 
scliriftstellerei  der  gelehrten  ist  volkstümlich  geworden,  dagegen  wuchert  Fortleben 
die  novelle  fort,  mit  dem  aus  einer  ionischen  wurzel  erwachsenen  Helle- 
nismus bis  nach  Seleukeia  am  Tigris  und  Ptolemais  am  IVil  verbreitet. 
mitten  in  der  schlimmsten  zeit  des  ausgearteten  barokslils  begegnen  uns 
wieder  die  yLv6ia-/.ä  des  Skytobrachion.  eine  zeitgemäfse  bearbeitung  des 
allen  Xanthos  wollten  sie  sein:  es  ist  der  historische  roman,  berechnet 
lediglich  auf  das  ergetzen  des  publicums.  auch  Müjr^aiaxa  treten  wieder 
auf,  von  Aristeides,  nicht  mehr  als  geschichtsbuch ,  sondern  als  roman, 

45)  Die  erhaltene  erzählung-  aus  dem  Apollon  des  Alexandros  von  Pleuren  ist 
sreradezu  ein  capitel  der  Milrjaiaxa  so  wol  im  sinne  der  alten  königsgeschichte  wie 
in  dem  der  erotischen  novelle. 


32  I<    1.  Die  quellen  der  griechischen  geschichte. 

mit  einer  erotik,  die  für  einen  derberen  gaumen  berechnet  war  als  die 
romantische  elegie,  und  keinesweges  deren  lochten  sie  stammt  vielmehr 
genau  so  dircct  und  so  rein  von  der  alten  novellistischen  geschichte  ab 
wie  die  Ephesier,  die  sich  dem  Mithradates  ergaben,  von  dem  volke,  das 
unter  den  Basiliden  gestanden  hatte,  ob  sie  schon  durch  Aristeides  den 
entscheidenden  schritt  getan  hat,  die  mythischen  namen  ganz  abzustreifen, 
verstattet  unsere  kümmerliche  Überlieferung  nicht  zu  erkennen:  bald  ist 
es  jedenfalls  geschehen,  sonst  würde  Petrons  matrone  von  Ephesos  den:, 
namen  einer  fürstin  des  siebenten  oder  sechsten  Jahrhunderts  tragen.'") 
aller  die  herkunft  der  griechischen  romane  aus  der  alten  erzählungs- 
litteratur  ist  deutlich  genug,  wo  die  alten  träger  geblieben  sind,  wie^ 
r*ythagoras  Aesop  die  Sieben  weisen,  liegt  es  auf  der  band,  bei  den 
erotischen  erzählungen  verkennt  man  es  leicht,  die  sophistik  der  kaiser- 
zeit  hatte  sich  eingebildet,  eine  neue  veredelnde  form  gefunden  zu  haben, 
und  wie  sie  die  motive  der  komoedie  zu  mehr  oder  minder  albernen 
briefen  von  hetären  parasiten  bauern  und  fischern  verbrauchte,  wobei 
die  locale  attische  färbe  gar  oft  verloren  geht,  so  bewahren  ihre  ero- 
tischen erzählungen,  berechnet  für  den  öden  salon  einer  vorkommenden 
gesellschaft ,  nur  hie  und  da  ein  par  locale  züge.''')  so  gerät  man  in 
regiouen,  die  von  aller  historie  ganz  fern  hegen,  wenn  man  einen  zweig 
der  geschichtlichen  Überlieferung  durch  die  Jahrhunderte  lilterarisch  ver-^ 
folgt,  um  so  weniger  wollen  wir  hier  auf  die  metamorphosen  einen 
blick  werfen,  die  die  hellenistische  novelle  aufserhalb  von  Hellas  erlebt  hat. 
zu  Aristoteles  Zeiten  waren  die  BIih]aicr/.c'c  noch  durchaus  historie,  /.oyo-\ 
yQacpia,  so  gut  wie  das  werk  des  Herodotos,  vermutlich  annalen,  so  guti 
wie  die  Atthis, 

Ergebnis  Gelehrt  hat  dieser  überblick  der  tradition  vielleicht  nur  die  etwas, 

welche    in    der   läge   waren,    sich   bei   der   einzelnen    Stadt    oder    land- 
schaft  die   hauptsachen   von    der  über   sie  erhaltenen  Überlieferung  ins 


46)  Nachdem  dieses  geschrieben  war,  ist  in  den  resten  von  "AaavQiay.ü,  oder 
Baßvloiviaxä,  wie  immer  der  litel  hiefs,  die  Wilcken  veröffentlicht  hat  (Hermes  28), 
ein  erwünschter  beleg  hinzugetreten,  da  sind  die  träger  der  erotischen  fabel,  die  den 
späteren  recht  ähnlich  ist,  noch  Ninos,  Semiramis  und  ihre  Umgebung,  der  roman 
steht  innerlich  wie  zeitlich  zwischen  der  älteren  historie  und  den  sophistischen 
i^(OTixai  SiT;yi]asie.  ich  wüfste  ihm  nichts  besser  zu  vergleichen  als  die  reste  der 
ersten  bücher  des  Nikolaos,  die  ihm  auch  zeitlich  am  nächsten  stehn  dürften. 

47)  Chariten  fingirt  die  zeit  des  peloponnesischen  krieges,  der  lateinische  roman . 
von  Apollonius  führt  sogar  die  personen  der  diadochen  ein:  den  Spätlingen  waren i 
jene  Zeiten  so  ferne  vorzeit  wie  Ninos  und  Kroisos  der  zeit  des  Nikolaos.  das  local 
ist  meistens  die  hellenische  oslküsle  des  Mittelmeeres. 


Ergebnis.  33 

gedächtnis  zurückzurufen,  in  diesen  fall  aber  möge  sich  jeder  setzen, 
der  mit  der  hellenischen  geschichte  mehr  als  sophistisches  spiel  treiben 
will,  so  weit  die  historie  erzählung  der  ereiguisse  ist,  krankt  unsere 
überheferung  bis  432  wirkhch  an  einem  unersetzhchen  mangel  an  ma- 
terial.  so  weit  es  aber  die  darstellung  des  zuständhchen  und  die  er- 
klärung  gilt,  wie  dieses  geworden  sei,  ist  der  mangel  an  material  ein 
mangel  der  methode.  da  mufs  die  Wissenschaft  besser  suchen  lernen 
und  mufs  die  scheidekünste  gegenüber  dem  gestein,  das  in  unsern 
schachten  bricht,  vervollkommnen,  statt  es  als  taub  auf  die  halden  zu 
werfen,  lernen  wir  die  sagen,  die  novellen,  die  tendenzschriften  besser 
verstehn  als  Aristoteles,  vor  allen  dingen  aber  begreifen  wir  und  be- 
herzigen wir  die  notwendigkeit  den  Zugang  zu  den  besten,  den  wahr- 
haften quellen  zu  eröffnen,  der  localen  überheferung.  Aristoteles  ist 
keine  quelle  mehr,  er  hat  sich  nur  als  ein  canal  herausgestellt;  aber 
was  er  bietet  ist  zum  besten  teile  quellwasser,  und  heute  wie  Vorjahren 
gebe  ich  die  parole  für  die  griechische  geschichtsforschung  aus:  nicht 
die  Weltgeschichte  des  Ephoros,  sondern  die  Politien  des  Aristoteles  sind 
das  Vorbild  für  unsere  eigene  arbeit. 


V.  VVilamowitz,  Aristoteles.    II. 


2. 

DIE  POLITIE  DER  ATHENER  VON  KEKROPS  BIS  SOLON.^ 


Die  buig  Die  Steine  der  bürg  von  Athen  erzählen  uns  von  einer  zeit,  deren 

der 

Kekroper.  selbst  die  sagc  vergessen  hat.  hinter  der  gewaltigen  ringmauer  wohnten 
die  Kekroper  in  kleinen  bauschen,  und  der  palast  ihres  königs  stand 
etwa  da,  wo  die  zeit  Rleophons  das  Erechtheion  gebaut  hat.  die  bürg 
hatte  keineswegs  nur  den  zugang  von  westen,  sondern  es  führte  von 
nordosten  ein  steiler  aber  breiter  weg  zum  schlösse,  und  eine  schmale 
treppe  stieg  zur  späteren  Pansgrotte  hinab  (Euripides  nennt  diesen  weg 
liia/.Qai)  und  weiter  zur  Klepsydra.  am  nordfufse  des  burgfelsens  rann 
der  flufs,  an  dem  dieses  Athen  lag,  der  Eridanos,  und  sein  "^reines  nafs 
schöpften^  die  mädchen.  an  der  ecke,  wo  das  Erechtheion  mit  dem 
Athenatempel  zusammenstöfst,  den  Peisistratos  erbaut  hat,  zeigt  die  wand 
selbst,  dafs  der  baumeister  auf  einen  räum  darunter  rücksicht  nahm,  das 
grab  des  Kekrops.  kein  zweifei,  dafs  dieses  grab  die  gebeine  eines  alten 
herren  des  Schlosses  barg  oder  birgt,  noch  heute  kann  der  andächtige 
blick  die  male  schauen,  die  der  dreizack  I'oseidons  in  dem  burgfelsen 
zurückgelassen  hat,  und  ist  auch  Athenas  Ölbaum  verschwunden,  so  ist 
doch  die  umfriedigung  des  gärtchens  unverkennbar,  in  dem  der  tau  der 
Agrauliden  seiner  wartete,  äuge  und  band  kann  fühlung  nehmen  mit 
einer  zeit,  die  eine  verschollene  urzeit  war,  als  Peisistratos  den  alten 
tempel  baute,  damals  sprofs  noch  der  beihge  (ilbaum  und  stand  noch 
der  hausaltar  der  alten  könige  des  Schlosses,  die  continuität  ist  in 
Athen  niemals  abgerissen,  obwol  die  erinnerung  nichts  fest  gehalten 
hatte  als  die  tatsache  der  continuität. 


1)  Es   war  undurchführbar,  in  den  darstellenden  capiteln  2—4  im  einzelnen 
auf  die  begründenden  Untersuchungen  zu  verweisen,   die  im  drucke  auf  sie  folgen.  ■ 
den  ersatz  liefern  die  register. 


Die  bürg  der  Kekroper.     das  volk  Athenas.  35 

Die  bürg  von  Athen  ist  ihrer  anläge  und  bauart  nach  ein  erzeugnis 
derselben  periode  wie  die  von  Tiryns,  Orchomenos,  Arne  und  viele 
andere,  in  Attika  namenthch  Eleusis  und  Thorikos.  ihre  herren  haben 
die  kekropische  ebene  beherrscht;  das  ist  nicht  wenig  für  jene  zeit  der 
vielen  kleinen  burgherren.  aber  wirkliche  Staaten  oder  städle  kannte 
jene  zeit  noch  nicht,  jenseits  der  niederung  im  Südwesten,  die  damals 
entweder  meer  oder  lagune  war  (das  aXLrcedov)^  erhob  sich  schon  eine 
andere  solche  bürg,  Munichia,  und  an  den  abhängen  des  Parnes  und 
Brilettos  werden  sie  nicht  gefehlt  haben,  es  hat  der  zeit  und  der  arbeit 
und  der  kämpfe  vieler  generationen  bedurft,  bis  sich  über  den  trümmern 
difeser  bürgen  die  Stadt  Athen ,  und  über  den  kleinen  pohtischen  ein- 
heiten  der  staat  der  Athener  erhob,  auch  diese  Zeiten  und  kämpfe  sind 
verschollen,  und  auch  von  ihnen  ist  nur  im  gedächtnisse  geblieben,  dafs  die 
continuität  nie  abgerissen  ist,  während  überall  ringsumher,  in  Boeotien 
und  Eiiboia,  Megara  und  Aigina,  und  im  ganzen  Peloponnes  fremde 
eroberer  den  geschichtlichen  fortschritt  bringen,  in  langem  ruhigem 
stillem  Wachstum  ist  das  edelste  reis  des  hellenischen  gartens  auf  dem 
felsen  Athenas  gediehen. 

In    diesen   zeiten   des   werdens  ist  das  konigtum  oder  vielmehr  die    Das  voik 

1  •  1  11-  .  •     1     ,  r~  Athenas. 

monarchie  zu  griinde  gegangen  und  die  souveränetät  der  gememde  {drj(.iog) 
entstanden,  in  die  gemeinde  aber  sind  die  herrschaften  alle  aufgegangen, 
die  vorher  neben  einander  in  Atlika  bestanden,  auch  die  der  bürg,  und 
sie  am  entschiedensten,  denn  sie  hat  sogar  ihren  namen  eingebüfst.  sie 
heifst  nun  wie  die  gemeinde;  die  gemeinde  aber  ist  die  der  "^Alhena- 
j  befohlenen \  und  Stadt  und  bürg  heifst  nur  nach  der  hohen  himmels- 
göttin,  die  ganz  eigentlich  in  das  alte  fürstenschlofs  eingezogen  ist,  die 
wirkliche  nachfolgerin  der  alten  konige.  ^Ad-iqvalog  ist  nicht  anders 
gebildet  als  "^EKazalog  Jiovvoiog,  und  nur  die  gewohnheit,  darin  eine 
ortshezeichnung  zu  hören ,  läfst  die  eminente  bedeutung  der  tatsache 
übersehen,  dafs  die  "^Zugehörigkeit  zu  Athena'  zugleich  die  herkunft  aus 
Athen  bezeichnet,  nur  Piaton  mit  seinem  gefühle  für  die  religion  seiner 
Väter  empfindet '^.^■/^i'ßtog  wegen  des  göttlichen  namens  als  eine  ehrende 
liezeichnung.^)     dem    namen   der  bürgerschaft  entspricht  der  der  Stadt, 


2)  Ges.  I  626'',  wo  er  den  anonymen  'A&r^ralos  einführt,  der  eben  dadurch  als 
typus  charakterisirt  werden  soll,  dafs  er  "verdient  ^Ad-rjvaXos  zu  heifsen',  dafs 
Athenas  geist  auf  ihm  ruht,  sehr  hübsch  ist  es,  wie  hundert  jähre  später  daraus 
gemacht  ist,  es  gäbe  in  Athen  zwei  Sorten  einwohner,  die  "Ad^rivaloi,  die  dem  rühme 
des  alten  namens  entsprächen,  und  die  l4Trixoi,  die  alle  Übeln  eigenschaften  hätten, 
die  man   den  Athenern   nachsagte  (Herakleides  der  Kritiker  4).     das  land  hiefs  bei 

3* 


36  n.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

^^d-rjvaL^),  der  statt  einer  ableitung  wie  'HquIu,  ^ArcoD-iovia  nur  den 
plural  des  gottesnamens  verwendet,  und  zwar  in  einer  form,  die  in  Athen 
/AI  gunsten  der  ableitung  fallen  gelassen  ist,  so  dafs  die  göttin  von  den 
Athenern  nur 'göttin'  oder  " Athenerin'  genannt  wird,  keine  andere  Stadt 
in  Hellas  hat  es  vermocht,  in  dieser  weise  eine  der  grofsen  gottheiten 
zu  ihrer  Vertreterin  zu  machen,  heroen  wie  Korinthos  und  Miletos, 
Theba  und  Aigina,  haben  kaum  etwas  korperlichkeit  erlangt;  die  Hera 
von  Argos,  die  Kora  von  Syrakus,  die  gotter  der  verschiedenen  ApoUonia 
haben  nie  das  wesen  der  allgemeinen  gotter  beeinflufst,  die  vielmehr 
alle  nur  nebenher  diese  und  jene  Stadt  besonders  vertreten.  Athena 
ist  die  jungfräuliche  und  streitbare  stadtgüttin  vieler  orten  rings  um 
Athen,  in  Aigina,  Korinth,  ja  selbst  bei  den  eingewanderten  Boeotern,'') 
wenn  sie  zu  Athen  ein  so  viel  näheres  Verhältnis  gewonnen  hat,  so 
vermag  man  sich  der  Vermutung  nicht  zu  erwehren,  dafs  dabei  ein  be- 
wufster  wille  tätig  gewesen  sei.  die  einigung  der  landschaft  Altika  ist  die 
Voraussetzung  der  athenischen  geschichte,  und  sie  ist  erzielt,  ehe  unsere 


den  Umwohnern  'Axt/j  (darüber  mehr  zu  cap.  5),  davon  ist  l/izrixös  gebildet,  und 
die  die  gesinnung  oder  spräche  Athens  draufsen  teilen  cnrixi^ovaiv ,  und  wie 
die  Weiterbildungen  sonst  sind,  weil  das  tt  aus  y.r  entstanden  ist,  tritt  nirgend 
(Tff  dafür  ein  aufser  bei  solchen,  die  der  spräche  gewalt  antun  wie  Euphorion  2". 
der  lautwandel  fordert  eine  erläuterung,  denn  er  ist  anomal,  ganz  ebenso  steht 
iQtTTvs  iQitröa  für  rgiy.Tvs,  fos  rer^rtxTvs,  dies  unter  dem  einflusse  von  tqittos 
r^iaaSs,  «TTtxos  unter  dem  von  './^ti?-!»,  einem  ganz  correcten  hypokoristikon  von 
'Ad'Tjvais,  das  sehr  alt  sein  mufs,  da  der  letzte  radical  noch  verdoppelt  ist,  als 
mädchenname  bei  Sappho  belegt,  für  athenisch,  wie  es  scheint,  erst  bei  Euripides. 
Thukydides  nennt  die  'Attixt]  avyy^ncpi^  des  Hellanikos  so,  nicht  l4r&is.  bei 
Hesych  steht  ^Arris  l4d-T]vat:  das  hat  wol  ein  künstelnder  poet  gesagt. 

3)  Die  pluralbildung  ist  dieselbe  wie  in  0i-ßai  TlXaraiai,  aber  nur  grammatisch 
dieselbe,  denn  neben  diesen  stehn  auch  die  singulare  in  localer  bedeutung,  und  die 
ortsnymphen  sind  gegenüber  den  Städten  secundär,  während  A&iivai.  von  ^A&r^vr] 
gebildet  ist,  dem  namen,  den  die  nicht-ionischen  Hellenen  als  A&ava  festhalten  und 
auch  die  attischen  dichter  in  gehobener  rede  anwenden,  die  brechung  des  a  ist 
Jünger  als  sein  ersatz  AnxchA&rjvaLa,  in  dem,  wenn  es  nicht  wirklich  darin  steckt, 
der  Athener  wenigstens  nur  das  ethnikon  finden  konnte,  einerlei  ob  d^eös  oder  nuQ- 
&evos  dabei  zu  ergänzen  ist. 

4)  Sie  haben  ihr  bundesheiligtum  am  Athenatempel  zu  KoQcöveia,  das  am 
KcoQuXios  liegt,  das  ist  Stadt  und  flufs  der  xo^r],  xoodvt].  denn  icn  meine  sowol 
xoQCLVT]  wie  KoQcovis  richtiger  als  früher  zu  fassen,  wenn  ich  es  nur  als  Weiter- 
bildung betrachte.  naQ&tvos  heifst  Athena  oft,  und  TtaXläs  bedeutet  auch  nur  das 
mädchen  und  ist  wol  bei  Homer  noch  nicht  toter  eigenname.  es  gehört  zu  nälXa^ 
7iü),).ri^  naXXaxri  naXXaxlvos.  die  Athenabilder  heifsen  naXXäSia,  weil  sie  xö^ai, 
sind,  und  auch  andere  weibliche  idole  können  passend  so  heifsen.  es  ist  wie  xöqtj 
auch  nur  ein  fcmininum  zu  drSpiäs. 


Das  Volk  Athenas.  37 

geschichtliche  iiberlieferuDg  beginnt,  es  erscheint  trotz  allen  regionalen 
gegensätzen  und  kämpfen  undenkbar,  dafs  sich  der  Aphidnaer  oder 
Brauronier  anders  denn  als  Athener  fühlte,  sie  wollen  wol  alle  herrschen, 
aber  über  Athen  und  Attika.  diesen  ungeheuren  fortschritt  der  pohti- 
schen  empfindung,  den  in  Boeotien  und  lonien  höchstens  einzelne  be- 
deutende männer  wie  Epaminondas  oder  Hekataios  für  sich  machen, 
hat  das  attische  volk  so  früh  erreicht,  das  festjahr,  das  von  den  Kgövia, 
dem  gedächtnis  der  staatlosen  zeit,  zu  den  avvoixLa  und  Ilavad^^vaia 
fortgeht,  legt  von  ihm  zeugnis  ab,  und  das  heiligtum  der  bürg  ist  wirk- 
lich das  gemeinsame  für  das  ganze  volk.  sie  glauben  alle,  dafs  Athena 
die  guttin  dieses  Volkes  und  dieses  volk  ihr  auservvähltes  ist,  was  die 
so  zu  sagen  universale  potenz  der  himmhschen  Jungfrau  und  tochter  des 
Zeus  noch  nicht  beeinträchtigt,  diesem  höheren  einigenden  glauben,  der 
AthenareHgion,  hat  sich  die  gesonderte  Verehrung  sowol  der  einzelnen 
ortsgottheiten  Avie  der  noch  so  bedeutenden  'andern  götter^  selbst  der 
Nemesis  von  Rhamnus,  der  Athena  von  Pallene,  der  Artemis  von  Brauron 
untergeordnet,  wenn  Athena  von  alters  her  die  stadtgöttin  der  bürg 
über  dem  Eridanos  war,  so  hat  ein  localcult  über  alle  andern  triumphirt. 
sie  wohnt  dort  so  lange,  bis  ihr  Peisistratos  ein  eigenes  haus  baut,  in 
dem  alten  königspalast;  sie  hat  um  das  land  streiten  müssen,  und  ihr 
priestertum  wird  von  dem  geschlechte  versehen,  das  in  erster  linie  dem 
Poseidon  Erechtheus,  ihrem  gegner,  dient,  das  alles  und  nicht  zum 
wenigsten,  dafs  die  sage  geflissentlich  die  berechtigung  ihrer  herrschaft 
nachweist,  führt  zu  der  annähme,  dafs  sie  von  der  bürg  wirkHch  erst 
besitz  ergriffen  hat,  als  herrin  des  landes,  als  Vertreterin  des  gesammt- 
staates,  als  die  trägerin  der  neuen  empfindung,  der  dann  der  alte  local- 
cult der  bürg  und  ihr  alter  name  weichen  mufste.®) 


5)  Ein  spiel,  auch  mit  sehr  scheinbaren  einfallen,  will  ich  nicht  spielen,  will 
weder  Koavaal  aus  Aristophanes  als  alten  namen  hervorholen  noch  der  Verlockung 
laum  geben,  dafs  die  Athena  von  Pallene,  also  auch  die  herren  von  Pallene 
ihren  cult  auf  die  bürg  verpflanzt  haben  und  demnach  die  einiger  Attikas  sind, 
aber  dafs  Athena  von  der  bürg  und  von  Attika  erst  als  landesgöttin  besitz  er- 
griffen hat,  scheint  mir  nachweisbar,  die  sage  vom  streite  mit  Poseidon  setzt 
ihre  besitzergreifung  und  die  pflanzung  der  olive  in  das  achte  jähr  des  Kekrops, 
den  streit  mit  Poseidon  in  das  sechsundzwanzigste  (so  bei  Eusebius,  dessen  vorläge  in 
der  attischen  mythologie  ganz  mit  der  apollodorischen  bibliothek  geht,  beiläufig: 
dies  Zeugnis  entscheidet  unzweideutig  für  die  auffassung  Roberts  von  der  pflanzung  der 
olive  wider  Petersen),  aber  wir  werden  nicht  bestreiten,  dafs  der  felsspalt  eher  da 
war  als  die  fremde  olive.  Erechtheus  ist  eine  person  von  ganz  anderer  consistenz 
als  Erichthonios,  der  pflegling  Athenas,  und  die  legende  von  dem  kästchen,  das  die 


38  II.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

Die  er-  Diese  Athena  herrschte  schon  bis  an  das  euboeische  meer,  als  Eleusis 

von  Eieusis.  mit  seinem  gebiete,  der  ebene  jenseits  des  Aigaleos,  noch  selbständig 
war.  und  die  erinnerung  ist  nicht  vergessen,  dafs  es  schon  polemarchen 
gab,  als  es  überwunden  ward,  so  ist  denn  auch  Eleusis  nicht  so  fest 
wie  alles  übrige  mit  dem  gesammtstaate  verwachsen,  und  in  den  schwer-  ■ 
sten  krisen  setzt  der  regionalismus  sich  dort  fest,  die  bevorzugungen,  i 
die  der  annexionsvertrag  den  herrschenden  geschlechtern  von  Eleusis 
zugestanden  hatte,  sind  ihnen  geblieben,  nicht  blofs  die  priestertümer  in 
Eleusis,  sondern  auch  ein  platz  an  der  ülTentHchen  lafel  Athens,  d.  h. 
eine  pension  für  die  abgelösten  königlichen  ehrengeschenke,  und  die 
teilnähme  an  der  ausrichtung  der  feste,  der  mysterien,  denen  der  könig 
von  Athen  mit  zwei  Athenern  (die  in  der  uns  kenntlichen  zeit  frei  vom 
Volke  gewählt  werden)  und  zwei  angehörigen  der  alten  eleusinischen 
geschlechter  vorsteht.®)  die  Vermögensverwaltung  der  beiden  göttinnen 
ist  auch  in  Eleusis  geblieben,  und  wir  hören  nicht,  dafs  sie  je  für  all- 
gemeine slaatszwecke  etwas  gezahlt  oder  geborgt  hätten,  dagegen  hat 
ihnen  ganz  Attika  von  seinen  kornerträgen  gezehnlet.  das  ist  die  pension, 
die  ihnen  Athena  für  die  verlorene  souveränelät  zahlt,  diese  rudimente 
früherer  Ordnung  mitten  in  dem  demokratischen  Athen  sind  äufserst 
wertvoll,  weil  sie  beweisen,  dafs  der  anschlufs  von  Eleusis  statt- 
gefunden hat,  als  die  geschlechterherrschaft  bestand,  nicht  mehr  das 
königtum,  als  man  noch  in  naturalien,  nicht  in  geld  zahlte,  aber  schon 
so  complicirte  vertrage  schlofs,  dafs  die  schrift  nicht  wol  entbehrt  werden 


^y^yQnvXiSee  xö^at  öffnen,  ist,  schon  weil  sie  so  ganz  falsch  das  Aglaurion  unter  der 
bürg  motivirt,  jung.  Athenas  Verbindung  mit  Hephaistos,  die  zu  der  schmutzigen 
erzeugung  des  Erichthonios  führt,  kann  erst  aus  der  zeit  stammen,  wo  die  industrie 
der  töpfer  von  bedeutung  war.  Apoilon  patroos  als  beider  söhn  ist  vollends  absurd 
erfunden;  immerhin  liegt  das  richtige  darin,  dafs  Athenas  Verbindung  mit  Hephaistos, 
die  nur  die  Stadt  angeht,  älter  ist  als  die  reception  des  ApoUon,  der  die  sammt- 
gemeinde  der  Athener  angeht,  neben  der  Athena  der  bürg  stehn  unten  mehrere 
Palladia  und  die  aoxr^yern  ist  sogar  die  'Hcpaiaxia.  Athena  ist  nicht  in  Athen  geboren 
wie  Apoilon  in  Delos,  Artemis  in  Ephesos,  Hermes  in  Tanagra;  ihr  fest  gilt  durchaus 
dem  Staat,  ihr  schätz  ist  der  Staatsschatz,  so  hat  Athena  wirklich  erst  einen  an- 
sprach auf  Athen,  seit  sie  landesgöttin  ist,  seit  sie  die  olive  schenkt,  das  liegt 
weit  vor  der  geschichtlichen  zeit,  aber  schwerlich  weiter  als  die  einigung  des  landes. 
dafs  die  alte  bürg  dann  auch  nicht  von  anfang  lä&r^vai  geheifsen  hat,  folgt  mit  not- 
wendigkeit. 

6)  Die  geistlichen  traditionen,  deren  hüter  das  Eumolpidenhaus  ist,  sind  so 
sehr  anerkannt,  dafs  der  i^jjyrjXTjS  ei  Ev^olniBüv  noch  für  Periklcs  autorilät  war; 
der  exeget  aus  dem  städtischen  hause  der  Eupatriden  steht  ihm  in  der  Schätzung 
nach,  weil  die  Demeterreligion  früh  in  den  ruf  besonderer  geheimnisse  gekommen  ist. 


Die  erwerbung  von  Eleusis.  39 

konnte,  da  Eleusis  entweder  zu  Megara  gehört  hatte  oder  doch  auch 
von  dort  begehrt  ward,  auch  seine  grenzen  sowol  nach  westen  wie  nach 
norden^)  unsicher  und  umstritten  waren,  endhch  die  erwerbung  von 
Salamis  nunmehr  für  Athen  eine  lebensfrage  ward,  so  ist  auf  den  grofsen 
erfolg  der  erwerbung  von  Eleusis  eine  lange  zeit  wechselvoller  kämpfe 
gefolgt,  die  das  ganze  siebente  Jahrhundert  und  weiter  bis  auf  Peisistratos 
dauerten  und  erst  durch  ein  lakonisches  Schiedsgericht,  das  den  Athenern 
Salamis  zusprach,  Nisaia  aber  nahm  (etwa  570 — 562),  ein  vorläufiges 
ende  fanden. 

Von  der  erwerbung  von  Eleusis  hat  die  sage  wenigstens  noch 
einige  erinnerung  bewahrt,  die  entsprechenden  kämpfe  früherer  zeit 
reflectiren  kaum  noch  aus  einzelnen  Institutionen  und  erzählungen. 
dafs  die  schweren  Völkerverschiebungen,  die  der  einbruch  nordischer 
Stämme,  Thessaler  Boeoter  Dorer  Eleer,  im  gefolge  hatte,  eine  an- 
zahl  vertriebener  geschlechter,  namenthch  aus  dem  Peloponnes  (des 
Stammes,  aus  dem  in  Asien  die  lonier  geworden  sind),  nach  Attika 
warfen,  andererseits  auch  bewohner  von  Attika  an  den  colonistenzügen 
in  das  östliche  und  westliche  meer  teilnahmen*),  ist  eine  durchaus  glaub- 
hafte überHeferung,  erhalten  in  der  tradition  der  einzelnen  geschlechter, 
die  bevölkerung  Attikas  ist  gewifs  von  vorn  herein  nicht  eines  Stammes 
gewesen  (die  Zersplitterung,  aus  der  der  volkskörper  erwächst,  kann  sich 
der  historiker  im  gegensatze  zur  Sprachvergleichung  nicht  stark  genug 
vorstellen);  sie  hat  von  den  nördhchen  nachbarn,  der  von  den  Boeotern 
fast  ganz  zerriebenen  alten  bevölkerung  dieses  landes,  von  den  Euboeern 
und  den  vordorischen  bewohnern  der  argohschen  nordküste  eine  sehr 
starke  beeinflussuns  erfahren,    und  doch  ist  die  Verschmelzung  zu  einer 


7)  Die  kleistiienische  kreisordnnng,  die  ganz  Eleusis  zur  küstenprovinz  rechnet, 
zieht  Phyle  zu  diesem  gebiete,  das  in  der  tat  bedrohlich  über  der  attischen  ebene 
liegt,  um  den  besitz  von  Panakton  und  den  eigentlichen  Kithaironpafs  ist  dann 
noch  weiter  gestritten  worden,  der  zug  des  Theseus  von  Trozen  nach  Athen  ist 
gedichtet,  als  Athens  gebiet  noch  nicht  Eleusis  umfafste,  denn  er  mufs  dort  den 
riesen  Kerkyon  bezwingen,  das  grenzland  nach  Megara  zu  gehörte  den  göttinnen 
und  hiefs  Soyns,  ein  wort,  das  nichts  mit  ae^yos  zu  tun  hat,  sondern  die  l^ycäaa 
yi]  bezeichnet:  wenn  die  ogyäs  gleichwol  wüst  lag,  so  hat  man  es  als  grenzland  der 
bebauung  entzogen. 

8)  Eine  solche  Verbindung  geht  von  Athen  nach  Neapel;  den  Euboeern  folgten 
colonisten  etwa  aus  der  Tetrapolis  so  gut  wie  Eunostiden  aus  dem  Graerlande.  eine 
andere  hat  den  könig  Kephalos  von  Thorikos  nach  Kephallenia  gebracht,  die  Euboeer 
haben  einmal  jene  inseln  des  westmeeres  besessen;  auf  Kephallenia  und  Ithaka 
sind  sie  durch  Peloponnesier,  die  vor  den  Eleern  flüchteten,  verdrängt  worden,  die 
^vir  Achaeer  nennen.    Dulichion  gehört  dann  dem  Phyleus,  dem  söhne  des  Augeias. 


1 


40  II.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 


race,   einem   wirklich   einheitlichen   und   seiner   einheit  sich   bewufsten 
Volke  mit  ganz  bestimmter  spräche  und  Sinnesart  vollzogen,   bevor  der 
nebel  der  sage  sich  lichtet;  auch  Eleusis  macht  keine  ausnähme,    es  ist 
die  einheit  des  'Athenervolkes',  des  örjinog  ^^^rjvaiiov. 
Die  alte  Dem   entspricht   die  Verfassung,    wer  sich  an  das  wort  hält,   mufs 

behaupten,  dal's  die  demokralie  Athens  einzige  Verfassung  ist,  mufs  dann 
aber  dasselbe  von  Sparta  sagen"),  die  Verfassungskämpfe  drehen  sich 
darum,  wer  zum  demos  gehören  soll,  und  in  wie  weit  der  demos  seine 
souveränetät  selbst  in  der  executive  betätigen  will  oder  auf  die  männer 
seiner  wähl,  einzelbeamte  oder  collegien,  übertragen,  die  entwickelung 
geht  dahin,  den  begriff  des  demos  möglichst  weit,  seine  regierung  immer 
unmittelbarer  zu  machen,  die  beamten  aber,  ursprünglich  einzelne,  be- 
fugt sich  ihre  subalternen  selbst  zu  ernennen^"),  werden  immer  melir 
gebunden  und  beschränkt  durch  die  collegialität,  durch  die  annuität, 
durch  die  prüfung  vor  dem  antritte  auf  ihre  qualification ,  die  prüfung 
nach  dem  abtritte  vor  dem  übergange  in  den  Areopagitenrat,  durch  die 
aufzeichnung  ihrer  instruction,  der  gesetze,  endlich  durch  die  bindung 
ihrer  richterlichen  entscheidung  an  den  wahrspruch  eines  beirates.  diese 
entwickelung  hat  schon  manchen  schritt  zurückgelegt,  aber  um  dem 
wesen  gerecht  zu  werden,  müssen  wir  die  Verfassung  alles  andere  eher 
als  demokratisch  nennen,  denn  der  demos,  der  träger  der  souveränetät, 
ist  ein  stand,  der  adel,  und  zwar  bereits  ein  denaturirter  adel,  nicht 
auf  dem  blute,  sondern  auf  dem  grundbesitze  begründet,  die  formen 
des  Staates  sind  jedoch  immer  noch  die  des  reinen  geschlechterstaates. 
der  Zeitpunkt,  wo  Staat  und  gesellschaft  leidlich  klar  vor  uns  liegen, 
kann  zur  zeit  noch   nicht    wol  früher  angesetzt  werden  als  auf  683/2, 


9)  Isokrales  (9,  61)  hat  es  fertig  gebracht,  den  rühm  Spartas  darin  zu  finden, 
ort  fiäXiaxa  Sr]fioi(QaT:ovfievoi  rvyxävovaiv.  im  Menexenos  wird  Athen  als  miisler 
der  ä^iaTox^aria  hingestellt,  mit  Worten  geht  alles,  in  der  tat  ist  die  souveiii- 
netät  auch  in  Sparta  bei  dem  Sä/uos.  aber  dieser  Säjuos  ist  der  stand,  beschränkt 
durch  die  forderung  sowol  des  blutes  wie  der  standesgemäfsen  lebensführung,  womit 
auch  ein  gewisser  besitz  gefordert  war.  der  däfios  übt  seine  souveränetät  fast 
nur  durch  die  wählen  einiger  behörden;  könige  und  rat  sind  lebenslängliche  amts- 
stellen.  die  gesetze  sind  nicht  aufgeschrieben,  die  beamten  an  keinen  beirat  ge- 
bunden, die  Wurzel  ist  also  sehr  ähnlich  wie  in  Athen,  aber  das  gewächs  ist  ein 
anderes,  und  dem  entsprechen  die  fruchte. 

10)  Das  hat  gedauert  für  die  beisitzer  der  drei  oberbeamten  und  für  die  sub- 
alternofficiere,  die  der  oberst  ernennt,  die  ersteren  aber  haben  beamtenqualität 
sie  zeugen  also  für  das  alte  recht  der  oberbeamten.  die  vom  Areopag  ernannten 
beamten  waren  mindestens  zumeist  auch  wirklich  seine  Organe,  später  die  des  rates 
der  500. 


Die  alte  Verfassung,    der  könig.  41 

das  jähr  der  entscheidenden  revolution.  von  da  ab  sind  die  drei  ober- 
ämter  jährig  und  dürfen  nur  einmal  bekleidet  werden,  es  tritt  zu  ihnen 
ein  collegium  von  6  'rechtssetzern'  für  die  civiljudicatur.  der  rat  wird 
durch  die  abtretenden  neun  beamten  ergänzt,  also  mittelbar  von  der 
gemeinde  besetzt,  die  die  beamten  wählt,  hat  aber  das  recht  jeden  ein- 
zelnen vor  dem  eintritte  einer  prüfung  zu  unterziehen,  dafs  diese 
neuerungen  alle  auf  einmal  eingeführt  seien,  wird  man  billig  bezweifeln; 
sie  bestehen  nur  sicherlich  seit  683,  dem  jähre  der  ersten  jährigen  ober- 
beamten.  aus  der  älteren  zeit  sind  eine  reihe  wichtiger  angaben  er- 
halten, aber  zu  wenig,  um  diese  periode  gesondert  darzustellen  oder 
gar  eine  geschichtliche  erzählung  zu  versuchen,  wir  können  heute  zu- 
frieden sein ,  Avenn  wir  die  vorsolonischen  Institutionen  einigermafsen 
verstehn;  hatte  es  doch  weder  die  Atthis  noch  Aristoteles  auch  nur  so 
weit  gebracht. 

Obwol  der  archon  vornehmer  ist,  hat  doch  der  künig  anspruch  Der  könis 
auf  den  ersten  platz,  denn  er  ist  der  träger  der  continuität  von  der 
nrzeit  her:  mit  recht  dürfen  sich  die  Athener  rühmen,  niemals  königs- 
los gewesen  zu  sein.")  noch  bis  gegen  ende  des  achten  Jahrhunderts 
war  das  königtum  dem  angestammten  *^fürstengeschlechte\  den  Medon- 
tiden,  erbhch  verbheben,  in  der  weise  wie  auch  später  noch  die  ge- 
schlechterpriestertümer.  aber  schon  damals  war  der  könig  nur  ein  be- 
amter,  der  sein  amtshaus  unterhalb  der  bürg  neben  denen  der  anderen 
gewählten  beamten  hatte,  die  zeit,  da  könig  Akastos  das  regiment  an 
den  "^regenten'  abgab,  und  feierlichste  eide  diese  Constitution  befestigten, 
lag  in  unbestimmter  ferne,  nur  den  verkehr  mit  den  göttern  des  Staates, 
die  von  alters  her  öffenthchen  cult  erfuhren,  hat  der  könig  behalten, 
ilenn  die  menschen  konnten  an  diesem  rechte  nichts  ändern,  das  war 
immer  noch  sehr  viel  auch  von  dem  was  uns  profan  erscheint,  da  die 
abgaben  zum  teil  an  die  götter  gezahlt  wurden  und  das  heihge  recht 
sehr  weit  griff,  aber  längst  nicht  mehr  entschied  der  könig  nach 
eigenem  ermessen,  sondern  es  stand  ihm  der  rat  zur  seite,  die  Ver- 
tretung der  gemeinde,  und  der  wahrspruch  des  rates  unter  Vorsitz  des 
künigs  richtete  den  mörder,  den  brandstifter,  den  gottesfrevler,  um  des 
Verkehrs  mit  den  göttern  willen  kommt  auch  die  königin  für  den  Staat 
in  betracht,  und  daraus  folgt  die  forderung  rechtmäfsiger  ehe  für  den 
künig.     eine  anzahl   adhcher  matronen  steht  als  ysQaiQal^^)  neben  der 

1 1)  ßaai?.TJs  ael  j]tüv  eiaiv  sagt  der  platonische  Menexenos  23S*'  in  einer  vor- 
züglichen Schilderung  der  Tiäroioi  -jiohxsiu. 

12)  Wir  sollten  eigentlich  ysoaioat  schreiben  ws  fiöy.nioai.  denn  wie  die  form 


42  II-    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

künigin,  wie  der  rat  neben  dem  künige.  sie  greift,  so  viel  wir  wissen, 
nur  in  den  Dionysoscultus  ein,  des  gottes  'stier ,  den  die  "^rinderhirten' 
ino  Bovv.olelov  üben.'^)  dieser  cultus  ist  also  nicht  mehr  familienciilt, 
sondern,  wie  früh  auch  immer,  von  der  gemeinde  aufgenommen; 
Dionysos  kommt  zu  schiffe  oder  zu  wagen,  in  beidem  hegt  nur,  dafs  er 
überhaupt  gekommen  ist.  sein  fest  ist  im  Vorfrühling,  das 'Blumenfest', 
und  es  ist  für  uns  uralt,  da  es  auch  in  lonien  begangen  wird,  aber 
auch  das  fest  am  'Kelterplatze',  im  winter  begangen,  steht  unter  dem 
könige  und  kann  nicht  für  jünger  gelten.''')  staatsfest  sind  auch  die 
f^ivaTTjQia,  sowol  in  Athen  wie  in  Eleusis  gefeiert:  es  hat  eben  der  Staat 
Athen  seinen  beamten  mit  der  Oberaufsicht  des  eleusinischen  festes 
betraut,  als  er  die  Stadt  annectirte.  aber  eine  rehgiöse  bedeutung  hat 
die  mitwirkung  des  königs  hier  nicht;  sie  ist  den  eleusinischen  ge- 
schlechtern  geblieben,  die  Athenareligion  ist  in  den  bänden  der  priestei- 
schaft.  an  Plynteria  und  Skira  ist  die  beamtenschaft  nicht  beteiligt ; 
das  staatsfest  der  Panathenaeen  ist  von  der  tyrannis  und  demokratie  so 
sehr  geändert,  dafs  seine  alte  form  unkennthch  ist.  auch  die  athenische 
Verehrung  des  gütterpares,  Mutter  und  Tochter,  vollzieht  sich  so,  dals 
keine  künigin  über  dem  drj/iiog  yvvai7.u)v  mehr  steht,  aber  die  geist- 
liche machtvoUkommenheit  des  königs  ist  mit  dem  was  er  später  be- 
halten hat  mit  nichten  erschöpft,  wenn  wir  hören,  dass  er  in  Pallene 
nach  dem  dortigen  gebrauche  an  der  spitze  einer  geistlichen  körper- 
schaft,   zu  der  auch  frauen  gehörten,  amtirt,   wenn  er  die  Apollonopter 


yeQUQai  secundär  ist,  ist  es  die  anknüpfung  an  ysoagös.  ein  ye^a^  oder  ytQnoi 
liegt  zu  gründe,  die  yeoa  sind  die  praecipua  des  königs  oder  des  adeis,  ehrenreclite, 
elirengeschenke.  davon  heifsen  diese  frauen,  niclit  etwa  'die  verehrenden',  denn 
ysQaiQBiv  gilt  nicht  einem  gotte. 

13)  &E6e  TavQos  ist  in  Thespiai  geradezu  bezeugt,  Bull.  Corr.  Hell.  15,  629, 
wie  in  dem  liede  aus  Elis,  dessen  Diouysoscult  dem  atüschen  sehr  ähnlich  ist.  der 
Dionysoscult  stammt  auch  in  dieser  älteren  form  aus  Boeoüen  wie  der  jüngere 
Eleuthereus.  in  Theben  war  der  Thalamos  der  Semele  das  ßovyohJov,  ein  holz, 
das  man  später  mit  erz  bekleidete,  war  das  symbol  des  gottes.  Pausan.  9,  12,  4. 
Clemens  Strom.  418,  der  aus  Euripides  Antiope  203  citirt  spSov  [elSov'i)  Si  &aXä- 
ftois  ßovxüXcav  v-v-  Hiaatö  xo^cövTa  atiXov  eviov  d'eoi.  denn  dafs  ich  ßovtcöXov 
richtig  verbessere,  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  der  redende  berichtet  die  epiphanie 
des  gottes,  die  den  zug  der  Dirke  in  das  gebirge,  vielleicht  schon  die  flucht  der 
Antiope  motivirt. 

14)  Der  monatsname  Ar,vaicüv  ist  in  Athen  durch  den  'hochzeitsmond'  ver- 
drängt, aber  er  besteht  bei  den  vettern  in  Asien  fort,  dafs  der  Dionysoscult  reci- 
pirt  ist,  ehe  Anika  geeinigt  war,  zeigen  die  demensagen  von  seiner  einkehr  in  der 
Epakria. 


Der  könig.     der  kriegsherr.  43 

der  Acharnischen  parasiten  überwacht,  und  diese  einen  h.rsvg  gerste 
nach  der  ernte  (als  Thargelia)  zu  zinsen  haben,  auch  in  Verbindung  mit 
der  ßovüoUa  stehn^*),  so  ahnen  wir,  wie  vielerlei  in  der  Instruction 
des  königs  über  alte  cultverhältnisse  zu  lernen  war,  weil  die  Athener  die 
früh  angeschlossenen  landesteile  noch  unter  die  Oberaufsicht  des  königs 
gestellt  hatten,  wir  sehen  einen  Schimmer  von  den  mafsnahmen,  die 
die  einheit  des  örj(.iog  \4d-rivauov  durch  die  religion  bewirkt  haben, 
wenn  wir  nur  wüfsten,  ob  die  culte  der  Tetrapolis,  der  Epakria,  von 
Brauron  ohne  königliche  controUe  geblieben  sind,  so  könnten  wir  die 
sichersten  und  wichtigsten  Schlüsse  ziehen,  aber  aus  dem  schweigen 
der  tradition  darf  nichts  gefolgert  werden. 

Der  kriegsherr,  der  die  dritte  stelle  unter  den  oberbeamten  hat,  kann  .  Der 
unmöglich  jemals  lebenslänglich  ernannt  worden  sein,  da  er  doch  die 
führung  im  kriege  hatte,  aus  der  beute  hat  einst  einer  das  amtshaus 
neu  gebaut  und  nach  sich  "^  Epilykoshaus'  benannt,  wie  in  Rom  die 
curia  Eostilia  und  viele  ähnhch  erbaute  und  benannte  häuser  standen. 
der  name  war  wol  durch  die  weihinschrift  erhalten,  schwerhch  ist  das  amt 
älter  als  die  mitte  des  achten  Jahrhunderts,  der  name  7to)JjiiaQxog  begegnet 
in  Boeotien  und  aufEuboia;  er  bezeichnet  dort  die  oberbeamten,  und  es 
gibt  in  den  boeotischen  Städten  drei,  in  Erelria  zwei,  in  jenen,  die 
niemals  könige  gehabt  haben  '®j,  ist  für  den  sacralen  und  eponymen  aber 
unpolitischen  beamten  der  name  qq^iov  verwandt;  die  polemarchen 
scheinen  die  executivbeamten  überhaupt  in  älterer  zeit  gewesen  zu  sein. 
e>  dürften  sich  dort,  in  Athen  und  in  Eretria  die  Verhältnisse  sehr  ver- 
schieden aus  sehr  ähnlichen  anfangen  entwickelt  haben,  die  bedeutung 
des  athenischen  polemarchen  ist  durch  die  demokratie  ganz  besonders 
i;f  schmälert,  die  aufsieht  über  die  landfremde  eingesessene  bevölkerung, 
die  ihm  blieb,  konnte  ihn  ehedem  nicht  viel  beschäftigen ;  aber  vielleicht 
hatte  er  die  judicatur  über  alle  (.iri  f.iST€xovT£g  Trjg  rcolLreiag.  im  kriege 
stand  er  an  der  spitze  des  ganzen  heeres;  aber  die  bürgerschaft  war  so 


15)  Atlien.  VI  234.  235  aus  den  Urkunden,  die  leider  schwer  entstellt  sind,  in 
den  fassungen,  die  den  grammatikern  allein  zugänglich  waren,  sind  sie  nicht  älter 
als  die  demokratie,  aber  sie  zeugen  selbst  für  das  höhere  alter  der  Institutionen, 
wie  recht  ich  habe,  ^äofiiov  ev  IlaXXriviSos  für  Oefiiatov  iv  TlaXlr^vi^i  zu  schreiben, 
hat  Aristoteles  gelehrt  16,  10  d'iafiia  räSe  'Ad^rivalois  (so  richtig  von  Kontos  er- 
gänzt) y.aTa  ra  nuTQia:  so  richtig  wir,  denn  d'iafiia  y.al  närgia  ist  falsch  und 
widersinnig,  einerlei  ob  es  überliefert  ist. 

16)  Die  könige  der  einzelnen  orte  gehen  immer  die  vorboeotische  bevölkerung 
an,  deshalb  finden  wir  sie  in  verhältnismäfsig  junge  zeit  nur  in  Plataiai  herab- 
geführt, wo  diese  am  längsten  widerstand  geleistet  hat. 


44  II.   2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

grofs,  dafs  ihr  heer  sich  gliedern  mufste,  und  die  Führer  der  OTQaroi 
waren  immer  schon  sehr  ansehnliche  beamte,  die  reiterführer  ebenso, 
denn  das  ritterpferd  machte  zwar  nicht  den  adlichen  geradezu,  wie  auf 
Euboia,  aber  es  war  der  sehnlichste  wünsch  jedes  bauern,  eins  zu  halten 
und  den  ritler  zu  spielen,  die  reiterobersten  waren  sicherlich  immer 
ständige  beamte,  da  die  cavallerie  ihrer  nalur  nach  eine  stehende  truppe 
ist.  namentlich  mit  rücksicht  auf  die  aushebung  werden  es  auch  die 
Strategen  gewesen  sein,  dafs  diese  stellen  durch  wähl  besetzt  wurden, 
des  Volkes  oder  des  heeres,  ist  nach  hellenischer  anschauung  nicht  zu 
bezweifeln.  Peisistratos  hat  IVisaia  als  Stratege  erobert,  und  schon  im 
ersten  heiligen  kriege  führt  nicht  der  polemarch  das  athenische  coii- 
tingent. 
Der  regem.  Der  eigentlich  politische  beamte,  der  "^regent',  mag  einst  ein  walil- 

könig  gewesen  sein ;  jetzt  waren  ihm  neben  den  hohenpriesterlichen  auiii 
die  kriegsherrlichen  functionen  des  monarchen  entzogen,  für  die  Chrono- 
logie der  culte  ist  es  vom  höchsten  werte,  dafs  eine  anzahl  gemeindefeste 
dem  archon  unterstehen  und  somit,  auch  nach  der  tradition,  relativ  jung 
sind,  von  den  grofsen  Dionysien  können  wir  absehen,  da  sie  erst 
Peisistratos,  als  er  Athens  herrschaft  sicher  besafs,  537  gestiftet  hat. 
sonst  stehen  unter  dem  archon  die  Apollonfeste ,  und  dieser  gott  ist  in 
Athen  zwar  der  "^väterliche'  geworden,  aber  dafs  er  durch  einen  be- 
stimmten act  dazu  gemacht  ist,  hat  man  dadurch  immer  eingestanden, 
dafs  sein  athenischer  cult  als  eine  filiale  von  Delphi  und  von  Delos  gilt. '") 


17)  Apollon  ist  ein  gott,  den  die  alte  bevölkeiung  von  Mittelgriecbenland  ver- 
ehrte, von  der  'küsfe'  oder  besser  dem  'vorgebirge'  ("A^riov,  ylavy-üsf  Akarnaniens 
bis  zur  Jiofve  'Delph'  Euboias,  von  den  bergen  um  die  Tempe  bis  zum  Ploion. 
er  ist  ein  gott  des  bochgebirges;  grotten  sind  seine  alten  heiligtümer.  JeXfoC,  ein 
stammname,  und  Jiqtpvs  gehen  zusammen,  ztsltpivios  ist  eine  bereits  misdeutende 
forlbildung;  als  seine  Verehrer  über  die  see  fahren,  geleitet  er  sie  als  delphin.  das 
tut  er  aber  auch  in  der  delphischen  tradition,  die  gern  diesen  fremden  zug  aufnahm, 
die  Wanderung  der  alten  bevölkerung  jener  gegenden  hat  den  gott  in  den  osten 
getragen  und  in  Delos,  auf  einem  armseligen  inselchen,  weil  es  in  der  mitte  lag 
und  an  sich  armselig  war,  das  wichtigste  heiligtum  gegründet,  an  der  küste,  in 
Klaros,  bei  den  Branchiden  (einem  geschlechte,  das  aus  Delphi  stammen  will),  am 
Triopion,  in  Lykien,  auf  Kypros  haben  wol  ältere  barbarische  götter  sich  in  den 
zuwandernden  verwandelt,  dasselbe  gilt  sicherlich  vom  Peloponnes,  dessen  eigene 
götter  zum  teil  noch  vor  unsern  äugen  die  grofsen  nanien  annehmen,  wie  die  'blinde 
göttin'  L^le«  von  Tegea  und  Mantineia  Athena  wird,  der  Pan  des  Lykaion  Zeus, 
Maleatas  Apollon.  der  gott  der  grotte  an  der  Kyllene  hat  sich  ApoUons  erwehrt, 
ist  aber  Hermes  geworden,  aufserdem  ist  von  den  einwanderern,  weil  sie  in  apol- 
linischer gegend   längere   zeit  gewohnt  hatten,   der  akarnanische  gott  der  Kä^veia 


Der  regent.  45 


es  tritt   also  Athen  durch   seine   receplion   zugleich   in   die   wichtigsten 
internationalen   beziehungen  der  alten  zeit,     das  älteste  dürfte  die  feier 
I  der  Thargelien   sein,   das   grofse   siihnfest  der  gemeinde,   dem  in  folge 
I  dessen  der  archon  als  gemeindehaupt  vorsteht,    zum  sühnfeste  ist  es  ge- 
.  worden ,    als  der   dienst   des  Oolßog  sich   nach  der  katharüschen  seite 
entwickelte ;  da  ^agyr^lia  die  ersten  ährenbüschel  bedeutet,  die  der  gott 
erhält,    ist   ein    ursprünglich   rein   agrarisches   fest   zu  tieferer  ethischer 
bedeutung   erhoben.     Thargelien   feiern   die  lonier   im  weitesten  sinne; 
I  da  sie  über  Kyme  auch  nach  Rom  gekommen  sind,  dürfen  wir  sie  auch 
'  den  Euboeern  zutrauen,    dem  kreise  von  Delphi  sind  sie  fremd,    gleich- 
wol  sind  sie  in  Athen  mit  dem  pythischen  Apollon  verbunden  worden, 
'  der  in  dem  volksbewufstsein  der  sühnung  heischende  und  lehrende  gott 
!  ist'*);   er   ist   der   TtarQioog  der  Athener  geworden,    der  vater  der  vier 
:  phylenheroen,  als  solcher  in  den  phratrien  verehrt.*^)    ich  zweifele  nicht, 
i  dafs  die  grotte  in  den  Maxgal  am  burgfelsen  schon  früher  dem  grofsen 
'  fremden  gotte  zugewiesen  war:  aber  erst  durch  die  einführung  des  py- 
j  thischen  gottes,  dessen  blitze  man  von  dort  beobachtete,  als  des  väter- 
I  liehen  ist  Apollon  ein  staatsgott  geworden,    wir  finden  die  archonten  an 
dem  culte  in  der  grotte  beteihgt:  die  Vertreter  des  volkes.^")    mit  seiner 
reception   trat  Athen   in  die  delphische  Amphiktionie,   für  die  es  einen 
eigenen  hohen  beamten  schuf,  den  hQOi.ivrif.io)v,  und  für  die  delphische 
religion,  die  dem  Staate  immer  die  wichtigste  künderin  der  zukunft  ge- 
blieben ist,  trat  nun  ein  besonderer  exeget  ein,  vergleichbar  den  JIv^ioi 
I  Spartas,     auch   die  beschickung  des  delischen  festes,    durch  die  Athen 
mit  dem  meere  und  den  loniern  in  Verbindung  tritt,  besorgt  der  archon. 
da  mit  Delos   das   älteste  stück  der  städtischen  Theseussage  zusammen- 
liängt,  die  feste  der  ooxocpöqia  und  nvav6\pia,  so  wird  dieser  wichtige 


und  der  Ilvd-aevs,  Uvd'ios,  mitgebracht  worden;  so  steht  es  noch  in  Kreta,  um 
aufschlufs  über  das  wesen  des  gottes  und  seine  wurzel  zu  erhalten,  mufs  man  also 
in  seiner  heimat  nachfragen,  die  delphische  tradition,  die  ihn  dem  Dionysos  sehr 
nahe  rückt,  hat  hohe  bedeutung.  die  korykische  grotte  hat  Dionysos  von  ihm  geerbt, 
als  Apollon  in  die  kastalische  Schlucht  hinabzog. 

18)  Dafs  der  Thargeliengott  den  Athenern  später  der  pythische  war,  ist  da- 
durch sicher,  dafs  die  dreifüfse  der  sieger  in  das  Pythion  kommen,  die  modernen 
waren  geneigt,  den  delischen  vorzuziehn,  was  mit  der  falschen  datirung  des  delischen 
festes  im  Thargelion  ohne  weiteres  forträllt. 

19)  Damit  dürfte  die  Stiftung  so  vieler  Pythien  in  Attika  zusammenhängen, 
wenn  die  Ikarier  in  ihrem  abgelegenen  talkessel  ein  IIv&iov  'ixaou'cov  haben,  so 
ist  die  annähme  unhaltbar,  dafs  die  ni&ia  mit  den  landstrafsen  gegründet  wären. 

20)  Köhler  Mitteil.  III  144. 


46  11-    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

religiöse  und  politische  fortschrilt  sehr  früh  getan  sein,  eher  als  die 
Wendung  nach  Delphi,  denn  es  sind  die  delischen  bezichungen  der  ost- 
küste  von  der  hauplstadt  übernommen.'")  Athena  ist  die  vermittlerio 
zwischen  den  cultstätten  ihres  bruders  in  Delphi  und  Delos:  das  war  etwas 
grofses,  was  der  adelsstaat  schon  im  siebenten  Jahrhundert  erreicht  hat. 
im  heihgen  kriege  hat  Solon  die  delphischen,  später  Peisistratos  die 
delischen  Verbindungen  ausgenutzt. ^'^) 

Die  politischen  Obliegenheiten  des  archons  sind  die  eines  schirm- 
herrn  und  Vertreters  des  herrschenden  Standes:  er  ist  der  TiQoaTccTrjg 
Tov  öri/iiov  im  sinne  des  damaligen  demos.  seine  erste  amtshandlung 
ist  die  proclamation,  dafs  er  jeden  einzelnen  in  seinem  besitze  lassen 
und  erhalten  werde  (66,  3).  die  fürsorge  für  die  herrschenden  familien 
und  ihren  besitz  ist  der  inhalt  seiner  aufsieht  und  judicatur.  er  ist  der 
Vormund  der  erbtüchter  und  der  waisen  von  amls  wegen,  er  entscheidet 
in  allen  erbschaftssachen ,  und  das  familienrecht  im  weitesten  umfange 
steht  unter  ihm.  in  Athen  aber  hat  der  slaat  in  diese  Verhältnisse  über- 
aus tief  eingegriffen,  wenn  er  die  entmündigung  eines  greises,  der 
nicht  mehr  im  stände  ist,  sein  vermögen  zu  verwalten,  aussprechen  darf, 
den  einzelnen  zur  Verantwortung  zieht,  so  er  sein  vermögen  durch 
Untätigkeit  (ccgyla)  verkommen  läfst,  auf  die  anklage  eines  beliebigen 
bürgers  die  '  schlechte  behandlung'  (■/.dyiooig)  von  eitern  oder  gattin 
ahndet,  so  hat  selbst  in  unserer  zeit  der  sich  unfehlbar  und  allmächtig 
dünkende  Staat  es  noch  nicht  so  weit  gebracht,  und  die  spätere  attische 
demokratie  macht  von  diesen  bestimmungen,  obwol  sie  gelten,  nicht 
leicht  gebrauch,  in  der  tat  mufs  es  eine  sehr  eigentümliche  gesellschaffs- 
ordnung  sein,  die  sich  diesen  beamten  gesetzt  hat.  ihr  liegt  an  der 
individuellen  freiheit  ungleich  weniger  als  an  der  erhaltung  des  Standes, 
und  die  fürsorge  des  archons  gilt  weit  weniger  dem  vater  oder  söhne 
als  dem  -/.IrJQog,  der  frau  und  erbtochter  als  der  mitgift,  der  7tQoi^. 
auch  noch  in  der  aristotelischen  zeit  läfst  sich  das  volk  regelmäfsig  über 
die  erledigten  y.lrJQOL  meidung  machen,  und  heifst  die  hürgerrolle  nach 
den    lriB,EiQ,   den  '  erbanfällen\     im    attischen    dient  dasselbe  wort  für 


21)  Töpffer  Herrn.  23  über  Pythaislen  und  Deliasten.  die  Verfolgung  der  local- 
culte  gehört  nicht  hierher,  störend  würde  es  sein,  wenn  Hypereides,  wie  Töpffer 
behauptet,  den  Delier  als  nar^^os  bezeichnet  hätte,  aber  das  durfte  Töpffer  dem 
rhetor  Aristides  nicht  glauben:  der  allein  sagt  es. 

22)  An  den  Isthmien  besitzt  Athen  die  proedrie,  und  seine  beziehungen  zu 
Korinth  sind  im  sechsten  Jahrhundert  sehr  gut.  aber  in  höhere  zeit  hinauf  als  die 
restitution  der  Islhmien  kann  man  das  schwerlich  verfolgen. 


Der  regent.    der  herrschende  stand.  47 

'erbe',  Mandgul'  und  Mos',  und  wenn  der  älteste  söhn  des  vaters  erbe 

i  antritt,  so  bezeichnet  dasselbe  vvort  layxaveiv  diese  natürlichste  art  der 

j  besitzergreifung,   wie   wenn   er  bei  einer  Verteilung  eroberter  bauern- 

'  stellen    ein   los  gezogen  hätte,     die  gutsbesilzer  zu  Drakons  Zeiten  sind 

yJ.riQoixoL  wie  die  colonisten  in  Mytilene  427. 

Wir  haben  keinerlei  überheferung  über  die  entstehung  des  privat-  Der  herr- 
besilzes  an  grund  und  boden  in  Attika,  und  es  wird  kaum  danach  ge-  ^stan"d!^ 
fragt,  und  doch  deutet  alles  darauf  hin,  dafs  dieser  erst  spät  entstanden 
ist,  und  dafs  der  herrschende  stand  der  grundbesitzer  und  adhchen  sich 
eben  dadurch  von  der  stammverwandten  niederen  bevölkerung  abgelöst 
hat,  dafs  er  einen  teil  des  bodens  zu  seinem  Privatbesitze  machte,  wäh- 
rend vorher  das  land  gemeindebesitz  war.  in  sehr  ausgedehntem  mafse 
ist  das  land  in  Athen  immer  noch  in  dem  besitze  ideeller  personen,  der 
■  götter,  phylen,  phratrien,  geschlechter,  nicht  zum  mindesten  der  politischen 
gemeinden  und  der  gesammtgemeinde,  des  Staates,  gebheben,  was  nicht 
nachweislich  einem  einzelnen  gehört,  ist  des  Staates. ^^)  die  schätze  in 
i  der  erde  gehören  diesem.")  auf  vielen  privaten  grundstücken  hat  der  Staat 
noch  fruchtbäume  stehen ,  und  er  greift  überhaupt  stark  in  die  freiheit 
der  bewirtschaftung  ein.  Privatbesitz  gibt  es  strenggenommen  nur  durch 
eine  rechtsgillige  Zuweisung  von  selten  des  Staates,  und  der  besitz  bleibt 
gewissermafsen  prekär,  da  etwaige  bessere  ansprüche  immer  vom  Staate 
berücksichtigt  werden  können.-^)  das  bewufstsein,  dafs  der  Privatbesitz 
an  grund  und  boden  durch  occupation  von  ager  publicus  entstanden  ist, 
herrscht  unter  den  demokraten,  die  von  Solon  eine  neue  landverteilung, 
yi]g  avadao(.ioi,  verlangen,  im  gegensatze  dazu  verlangen  die  besitzenden, 
deren  vorfahren  einst  ein  gutes  oder  überhaupt  ein  los  erhalten  haben, 


23)  Die  ödländereien,  z.  b.  die  kaum  als  ziegentrift  nutzbare  kuppe  des  Bri- 
lettos,  waren  sicherlich  res  nullius;  wer  wollte,  mochte  sie  nutzen,  aber  als  man 
den  marmor  zu  brechen  anfieng,  wurden  die  brüche  Staatsgut. 

24)  Er  ist  durchaus  besitzer  der  bergwerke,  und  Privatbesitz  hat  sich  an  ihnen 
nicht  herausgebildet,  dafs  aber  die  ganze  superficies  in  den  laureotischen  bergen 
dem  Staate  gehört  hätte,  ist  schwer  zu  glauben,  es  hat  vielmehr  dem  eigentümer 
des  bodens  nur  die  superficies  gehört. 

25)  Die  interessante  abhandlung  von  G.  Leist  über  den  attischen  Eigentums- 
streit (Jena  86)  verdient  eine  grammatische  ergänzung.  es  reicht  nicht  aus  zu  sagen, 
die  Athener  haben  kein  wort  für  eigen  tum,  man  mufs  fragen,  wie  sie  den  gedanken 
ausdrücken,  und  die  bedeutungen  von  vifisiv,  oixeiovv,  xTr^fia,  Zeis  xrrjaioe,  y.vQios, 
KUQxs^ös,  xoarelv  erwägen,  das  zweite  ist  eine  historische  ergänzung,  aber  in 
agrargeschichtlicher  richtung:  denn  erst  das  immobiliarvermögen  schafft  ein  wirk- 
liches eigentumsrecht. 


I 


48  11.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

(lafs  der  archon  ihnen  gleich  am  ersten  tage  den  gegenwärtigen  besitz-     ' 
stand  garantire. 

Die  sorge  für  den  besitz  hat  in  der  edleren  für  den  stand  ihre 
ergänzung.  der  adel  des  blutes  ist  ein  würdigerer  als  der  des  gutes, 
die  Vorstellungen  von  der  heiligkeit  des  blutadels  haben  den  Athener 
eigentlich  immer  beherrscht,  und  sie  begleiten  jeden  einzelnen  von  dtr 
wiege  bis  zur  bahre,  nicht  als  eine  gottliche  Ordnung  um  der  mensch- 
lichen gesittung  willen  (wie  Kekrops  sie  nach  Philochoros  gestiftet  hat) 
ist  die  ehe  heilig,  sondern  um  des  rechtes  der  familie  und  des  erbes 
willen,  und  nur  weil  das  alte  recht  eine  form  der  religion  ist,  hat  sie 
eine  religiöse  weihe,  die  bruderschaft  erkennt  den  knaben  als  geschlechts- 
genossen, die  Jungfrau  als  tochter  eines  solchen  an,  fähig  ebenbürtig;».' 
zu  gebären,  nicht  leicht  verletzt  ein  Athener  die  sorge  für  die  erhaltung 
des  'hauses'  {ot/.og,  so  genannt,  statt  yivog,  seit  auch  die  nicht  adlichen 
sich  als  adlich  gebärden,  weil  sie  gleich  empfinden),  die  form  der  freien^ll 
Vererbung  ist  die  adoption,  bei  der  die  bruderschaft  mitwirkt,  in  dem 
culte  der  verstorbenen  hausgenossen  sieht  der  einzelne  die  garantie,  dafs 
auch  er  des  grabcultes  nicht  entbehren  werde,  die  garantie  der  eigenen 
grabesruhe.  das  hegt  allen  am  herzen,  und  der  Privatbesitz  an  grund 
und  boden  mufs  die  zahllosen  grabhügel  und  brandslätlen  {;ciQ/Miai) 
schonen,  noch  zu  Aristoteles  zeit  mufs  jeder  archon  zwar  kein  ver- 
mögen, geschweige  denn  grundbesitz,  aber  wol  ein  erbbegräbnis  nach- 
weisen, das  Institut  der  erbtochter,  im  rechte  von  Gortyn  denaturirt 
zur  emancipirung  der  vveiber  (wie  es  in  dorischen  Staaten  zu  gehn 
])tlegte),  ist  von  dem  athenischen  gesetze  ängstlich  geschützt;  sie  wird 
als  die  kostbare  blume  behandelt,  aus  der  dem  hause  neuer  same  er- 
weckt werden  soll,  wir  müssen  aber  auch  anerkennen,  dafs  der  stand 
das  geistige  und  sittliche  wolergehn  und  wolverhalten  seiner  genossen 
ins  äuge  gefafst  hat,  und  auch  nach  dieser  seite  den  Staat  und  seine 
Organe,  archonten  und  rat,  zum  einschreiten  autorisirt  und  verpflichtet 
hat.  der  Standesgenosse  hat  als  kind  anspruch  auf  eine  anständige  er- 
ziehung,   als   greis   auf  die  pflege  bei  seinen  nachkommen.-'')     man  hat 


26)  Kürzlich  ist  ein  sehr  merkwürdiges  document  für  dieses  seltsame  familien- 
recht in  Mykene  ans  licht  getreten  ('£9?.  a^x-  92,  67).  es  steht  um  eine  runde  basis, 
auf  der  wol  kein  anderer  stein,  sondern  ein  anathem  stand,  st  fis  SaüiOQyia  eis, 
tos  iaoofivdfiovas  tos  es  TleQOs  roli  (verschrieben  in  roai)  yoveiJat  xotrl^as  luev 
y.a(T)xa  ßErQsuiva.  "falls  kein  ortsvorstand  da  ist,  sollen  die  hieromnemonen  die  zum 
Perseus  gehn  den  eitern  richter  sein  gemäfs  dem  was  verordnet  ist",  also  die 
eitern  sind  in  der  läge  wider  ihre  kinder  (nur  im  Verhältnis  zu  denen  sind  sie  eitern) 


Der  herrschende  stand,     der  rat.  49 

wol  den  müfsiggaug  nicht  blofs,  weil  er  den  yJ.rJQog  verfallen  liefs,  ge- 
ahndet, sondern  auch  weil  er  den  stand  entehrte,  ganz  wie  ehebruch 
und  Vergewaltigung  in  jeder  form,  mag  auch  erst  die  tyrannis  und  die 
demokratie  die  staatlichen  turnplätze,  badstuben,  chöre  u.  a.  eingerichtet 
haben :  ein  analogen  zu  der  Jugenderziehung  der  Spartiaten  hat  schwer- 
lich in  Altathen  gefehlt,  wie  denn  trotz  der  Stammesverschiedenheit  der 
adelsstaat  bei  beiden  volkern  ähnhches  hervorbringen  mufste. 

Jederzeit  und   erst  recht,   wenn    er  seine  Vorrechte  bedroht  sieht.    Der  rat. 
wird    ein   stand   sich    nicht   gern    durch    einzelbeamte   vertreten   lassen, 
deren  persönliche  Vorzüge  er  fürchten  mufs.    ein  coUegium,  womögHch 
eine  Vertretung  der  geschlechter,  ist  die  aristokratische  form  der  magi- 
stratur,    die  geronten  stehn  neben  Agamemnon,  die  gerusia  neben  den 
königen  Spartas,    so  hatte  auch  der  athenische  adel  dem  könige,  schon 
als  dieser   noch   ein    wirklicher  könig   war,   den   rat  zur  seite  gestellt, 
der  von   dem  amtshause  auf  dem  Areshügel,   wo  er  über  mord  zu  ge- 
richte  safs,  später  benannt  wird,    dieser  rat  war  der  wahre  herr  Athens 
gewesen,  da  seine  mitgheder  lebenslänglich  blieben,  sein  recht  der  coer- 
cition   und   multirung   sich  über  bürger  und  beamte  erstreckte,   er  die 
niedern  beamten  selbst  anstellte  und  controllirte  und  die  finanzen  ganz 
iü   seiner  band    hatte,     aber   die   macht  dieses  rates  ist  zwar  nicht  ge- 
setzlich,  aber  factiscb  im  siebenten  Jahrhundert  bereits  so  geschwächt, 
dass  er  bei  keiner  gelegenheit  eine  rolle  in  unserer  Überlieferung  spielt; 
das  Kylonische   attentat,   die  gesetzgebungen  Drakons   und  Solons,   die 
I  tyrannis   des  Peisislratos   nimmt   er   scheinbar  teilnahmlos   hin.     schon 
I  die  einsetzung  der  thesmotheten ,   die  der  epheten,  und  noch  mehr  die 
j  schriftliche    fixirung    des    geltenden    rechtes    durch  Drakon    und  Solon 
I  mufste   die   lediglich   auf  dem   herkommen   beruhende  gewalt  des  rates 
j  beeinträchtigen ,   und   man  wird  nicht  bezweifeln ,   dafs  die  neuerungen 
!  auch  diesem  zwecke  gedient  haben,    nichts  desto  weniger  lehrt  die  ver- 
I  fassung  selbst,  dafs  der  rat  eine  bedeutende  rolle  in  der  laufenden  ver- 
I  waltung   gespielt  hat:   denn  die  sphaeren  der  9  beamten  sind  fest  um- 


zu  klagen,  und  es  gibt  dafür  eine  mündliche  instruction.  recht  spricht  die  politische 
behörde:  der  name  SauioQyoi  gilt  in  Argos,  Achaia  und  häufig,  hier  wird  nun  für 
die  politische  behörde  im  notfalle  eine  religiöse  deputation  substituirt,  die  zu  dem 
heros  von  Mykene  geht,  ersichtlich  ist  die  Inschrift  gesetzt,  als  Mykene  rechtlich 
nicht  mehr  existirte,  die  alten  bürger  argivische  nsSäfoixoi  geworden  waren,  aber 
ihre  familienrechte  weiter  pflegten,  der  örtliche  cult  war  mit  dem  orte  zerstört: 
es  giengen  nur  noch  iuQOfiväfiovss  zum  Perseus,  und  diese  durften  die  alten  siQT]- 
fieva  zu  gunsten  der  klagenden  eitern  anwenden,  man  gedenkt  auch  dessen,  dafs 
die  attischen  EvnarQiSai,  an  Orestes  den  Mykenaeer  angeknüpft  wurden,  den  evnärcoQ. 
V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  4 


50  H.    2.  Von  Kckrops  bis  Solon. 

grenzt,  das  volk  und  später  dessen  rat  treten  erst  recht  nicht  hervor, 
und  die  niederen  beamten  bleiben  durch  die  dokimasie  und  nomophylakie 
des  Areopages  bis  auf  Ephialtes  in  dessen  bänden,  somit  vermochte  er 
noch  in  der  demokratie  der  groJseu  zeit  wieder  eine  ausschlaggebende 
rolle  zu  spielen,  dafs  er  das  im  siebenten  und  sechsten  Jahrhundert 
nicht  tat,  ist  eine  folge  seiner  crgänzung  aus  den  archonten.  denn  so 
lange  diese  je  nach  der  gerade  überwiegenden  parteiriclltung  gewählt 
wurden,  trugen  sie  die  parteiungen  des  volkes  in  den  rat  hinein,  zog 
also  eine  katastrophe  wie  die  der  Alkmeoniden  den  rat  in  mitleiden- 
schaft,  machte  ihn  die  tyrannis,  die  die  wählen  beherrschte,  zu  ihrem 
gefügigen  Werkzeuge,  andererseits  brachten  die  archontenwahlen  508 — 487 
alle  bedeutenden  männer  hinein,  aber  die  schwäche  des  Areopages  in 
der  zeit  683 — 594  ist  allerdings  die  beste  legitimalion  der  bestrebungen, 
die  auf  eine  reform  an  haupt  und  ghedern  hinzielten. 
bie  phyieii  Es   war  der  souverän   selbst,   der  dfjf.iog,   dessen  Organismus  sich 

überlebt  hatte,  der  adel  hat  nur  sinn,  solange  er  acht  ist  und  auf 
götterblut  beruht,  die  adhchen  sind  ^ewv  Ttalöeg  (Eur.  Med.  825). 
r/.raQ  r]f.i€voi  Jiog  (A.  Eum.  977  vgl.  Niob.  162),  dioysvüQ.  ich  habe 
stellen  attischer  dichter  des  fünften  Jahrhunderts  angeführt,  die  allen 
Athenern  gelten,  dieselbe  zeit  ist  stolz  auf  ihr  autocbtbonentum:  alle 
Athener  sind  kinder  der  Erde,  die  für  sie  allein  im  eigenthchen  sinne 
mutter  ist,  wie  der  platonische  Menexenos  rühmt,  in  der  demokratie 
sind  alle  Athener  gleich,  alle  erdgeboren  und  alle  gottgeboren,  aber 
das  soll  uns  nicht  darüber  täuschen,  dafs  einst  die  göttersöhne  stolz  auf 
die  terrae  filii  herabsahen,  wie  es  die  Römer  immer  getan  haben,  die 
autochthonie  ist  durchaus  nicht  als  adel  erdacht,  aber  wir  erreichen 
die  zeit  nur  in  fernster  ferne,  wo  wirkhch  götterblut  die  Zugehörigkeit 
zum  örif-iog  bedingte,  der  staat  aus  ächten  patriciern  bestand,  abgesehen 
von  den  Zuwanderungen  fremder,  vielleicht  wirklich  adlicher  geschlechter 
mufste  die  einigung  Athens,  der  Staatsbegriff,  die  legitimation  ausschliefs- 
lich  durch  das  blut  untergraben,  so  weit  wir  die  attischen  bruderscbaften 
kennen,  ist  ihnen  sogar  der  begriff  des  namens  bruderschaft  fast  ver- 
loren ,  ihre  namen  sind  nicht  mehr  alle  gentilicisch ,  und  cultverbände 
{oQyEiövEg)  stehn  neben  den  geschlechtern.  die  cultgenossenschaft,  eine 
form  der  Vereinigung  die  ebensowol  eine  gilde  wie  ein  geschlecht  um- 
schUefsen  kann,  ist  ein  ersatz  des  adels,  wie  der  religiöse  begriff  der 
l4^i]valot  ein  ersatz  des  Stammbegriffes  der  Kekroper.  entsprechend 
der  ausdehnung  des  Staates  hat  man  einmal  den  künstlichen  Schema- 
tismus der  vier  adelsphylen  und  ihrer  drittelungen  {rqLTZvsg)  eingeführt, 


Die  phylen,     die  steuerclassen.  51 

(It'i-  bis  auf  Kleisthenes  gilt,  aber  seltsam  wenig  bervortritt,  eben  weil  er 
-inz  künstlich  war,  während  die  alten  geschlechter  ihre  lebendige  macht 
liewahrten.  man  hatte  an  die  spitze  der  vier  phylen  könige  gestellt,  die 
neben  dem  könige  von  Athen  an  mehreren  blutgerichtshöfen  sassen,  ur- 
sprünglich sein  beirat  sein  sollten,  im  prytaneion  vielleicht  nicht  blols  für 
sein  geriebt,  sondern  überhaupt  für  seine  regierung.  aber  diese  künige 
haben  in  der  tradition,  über  die  wir  verfügen,  ihre  rolle  schon  ausgespielt. 
die  vier  phylen,  die  keinen  rangunterschied  haben,  waren  wol  schon 
dazu  bestimmt,  innerhalb  des  adels  die  unterschiede  der  Vornehmheit 
uiszugleichen.  wir  hören  aufserdem  von  drei  ständen,  adhchen,  grund- 
>itzern  und  handwerkern,  eiTtargidai,  yeiof.wQOL  oder  ayQoly.oi, 
oi^HLOVQyoL,  und  der  zweite  stand  mufs  wul  die  besitzer  eines  landloses 
Ifzeichnen.  alle  diese  drei  stände  stellen  5S0  arclionten''"j,  besitzen 
ilso  vier  ahnen,  grundbesitz  und  adel.  mit  andern  Worten,  die  namen 
allein  schieden  noch  die  gentes  minores:  ^Jö^nciY  sind  sie  alle,  dem  Staate 
gegenüber  gleichen  rechtes,  wenn  wir  mit  lug  und  recht  sagen,  dafs 
Kleisthenes  die  demokratie  dadurch  vollendet  hat,  dafs  er  durch  eine 
Itgalfiction  alle  Athener  adlich  machte,  so  hat  dieser  procefs  früher  be- 
gonnen als  die  uns  kenntliche  geschichte  Athens,  die  gentilicische 
liction  aber  ist  auch  nach  Kleisthenes  niemals  aufgegeben  worden, 
si indem  hat  für  den  bürgerbegriff  immer  gegolten. 

Wenn  der  adel  eigentlich  schon  durch  die  einfuhrung  der  phylen-  nie  steuer- 
teilung  eine  sehr  wirksame,  aber  doch  eine  fiction  ward,  hinter  der 
sich  der  bürgerbegriff  zunächst  in  der  form  der  gemeinsamen  her- 
l'itung  von  dem  Säterlichen^  patricischen  ApoUon  barg,  so  ward  der 
liesitz,  der  census,  allmählich  das  kriterium,  das  statt  des  blutes  den 
tictiven  adel  bestimmte,  der  besitz  aber  war  grundbesitz:  die  quali- 
tication  des  vollbürgers  ward  an  den  'gott  des  eignen  herdes\  den 
/jus  eQ'/.elog,  neben  dem  Apollon  Tiurgioog  gebunden,  diese  Ordnung 
zt  den  privaten  grundbesitz  voraus,  damit  stiefs  die  sammtgemeinde 
M.'  besitzlosen  ohne  ansehn  ihres  blutes  in  die  rechllosigkeit  der  erden- 


27)  unsere  Überlieferung  von  den  drei  ständen  ist  so  ärmlich,  dafs  man  fast  auf 

len  verdacht  kommt,  die  chroniknotiz  über  die  archonten  von  590  wäre  ihre  einzige 

'I  wähnung  auch  im  altertum  gewesen,    dem  ist  schwerlich  so,  da  die  namen  yeat/xÖQoi, 

I  tid  ayodly.oi  neben  einander  stehn,  aber  wir  empfinden  die  lücken  unserer  kenntnis 

leiht,  wenn  wir  die  drei  stände,  die  5S0  noch  so  viel  bedeuteten,  gar  nicht  weiter 

liandelnd  antreffen,     da   sie   weder   eponyme  noch   sagen  aufweisen  können,   noch 

^fiätere   genossenschaften  im   anschlusse   an  sie  bestehn,    mögen  sie  allerdings  5S0 

zum  letzten  male  aufgetreten  sein. 

4* 


52  11-    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

süline  hinab,  wer  ein  landlos  hatte,  konnte  den  heerdienst  leisten:  so- 
fort aber  erhob  sich  als  ein  stand  im  stände  der  ritter  empor,  der  zu 
plerde  zu  dienen  begütert  genug  war.  und  wenn  gegenüber  dem  ge- 
burtsadel  der  mihtärische,  gegenüber  dem  grundbesitz  der  Privatbesitz 
ein  unvermeidlicher  culturfortschritt  sein  mag,  so  sah  es  vielleicht  wie 
eine  art  von  gerechligkeit  aus,  dass  die  hochstbegülerten  zu  den  ge- 
meindclasten  stärker  herangezogen  wurden,  dann  blieb  aber  die  im  laufe 
der  Zeiten  unvermeidliche  compensation  von  rechten  und  ])nichten  nicht 
aus:  die  höchstbesteuerte  classe,  eine  ehte  der  ritter,  qualificirte  sich  für 
die  gemeindeiimter  in  erster  linie.  als  alle  die  welche  500  sthefTel  ernteten 
aus  den  rittern  ausgesondert  wurden,  die  über  den  spannfähigen  bauern 
und  den  Proletariern  sich  vorher  erhoben  hatten,  war  der  Staat  auf  den 
adel  des  gutes  gegründet,  es  war  nur  noch  eine  frage  der  zeit,  dafs  die 
beiden  mittleren  stände  auch  an  einen  festen  census  gebunden  wurden, 
wann  das  geschehen  ist,  in  welcher  reihenfolge  diese  verschiedenen  fort- 
schritte  der  phylen-,  stände-,  classenteilung  gemacht  sind,  entzieht  sich 
unserer  kenntnis:  um  650  war  alles  längst  vollzogen. 

Wir  sehen  im  siebenten  Jahrhundert  in  Athen  die  rücksichtslose 
herrschaft  des  adels  am  rüder,  und  dieser  adel  ist  auf  den  besitz,  schon 
nicht  mehr  den  grundbesitz,  sondern  ganz  einfach  auf  das  geld  be- 
gründet, diese  herrschaft  besteht  zu  recht,  aber  sie  ist  faul  im  kerne 
und  vermag  nur  geringen  widerstand  zu  leisten,  zwei  mächte  streben 
darnach,  sie  zu  stürzen,  die  demokratie  und  die  tyrannis.  diese  beiden 
sind  einander  feindhch,  aber  welche  auch  immer  einen  schritt  vorwärts 
tut,  immer  geschieht  es  auf  kosten  des  bestehenden  Vorrechtes  der  be- 
sitzenden, der  alte  Staat  ist  dem  Solon  und  dem  Peisistratos  ruhm- 
los erlegen. 
Die  icfoim  Einen   sieg  des   demokratischen    prinzipes   stellt  schon   die  reform 

von  683  dar,  indem  die  gemeinde,  wenn  auch  irgendwie  in  der  aus- 
wahl  gebunden^*},   neun  jährige  beamte  erwählte  und  vermittelst  dieser 


2§)  Da  die  archonten  der  demokratie  die  phylen  vertreten  und  aus  einer  Vor- 
schlagsliste derselben  ausgewählt  oder  gelost  werden,  mufs  ein  analogon  für  die 
ältere  zeit  bestanden  haben,  aber  wir  wissen  nichts  als  die  Verteilung  auf  die 
stände  im  Jahre  580.  selbst  das  los  ist  keineswegs  undenkbar.  Piaton  sagt  von 
dem  alten  Sparta,  dafs  das  doppelkönigtum,  das  ihren  Staat  begründet  hat  (wie  er 
im  einklange  mit  Hellanikos  angibt,  686),  durch  eine  gnädige  fügung  die  monar- 
chische härte  ausgeschlossen  hätte,  dann  als  gegengewicht  der  erblichen  herrschaft 
die  gerusia  zugetreten  wäre  (durch  Lykurg,  dessen  namen  er  meidet,  den  er  aber 
durch  (pvais  rts  av&^conivrj  (lefisiyftsvT]  d'eiq  tlvI  Svvdfisi  deutlich  bezeicluiet), 
endlich  ein  r^iros  acaxr^Q   den   zügel  der  ephoren  dem  Staate  angelegt  hätte,  eyyvi 


Die  reform  von  683.    die  naukrarien.  53 

sogar  die  ratsstellen  besetzte,  für  den  hieromnemon -''),  der  nach  Del- 
phi gieng,  eine  repraesentation  Athens  im  auslande,  und  für  die  militä- 
rischen Chargen  ist  die  directe  volkswahl  wol  schon  früher  geübt  worden, 
das  neugeschaffene  amt  der  6  "^rechtssetzer  war  vielleicht  ursprünglich 
als  ein  collegiuni  gedacht,  das  unter  Vorsitz  eines  der  drei  oberbeamten 
das  recht  fände:  selbst  collegialisch  zu  richten  sind  sie  nicht  geschaffen, 
sonst  würde  ihre  zahl  ungerade  sein,  die  forderung,  dafs  der  einzelne 
magistrat  nur  unter  Zuziehung  eines  beirates  das  urteil  fällte,  also  die 
perhorrescirung  des  einzelrichters  und  die  bindung  des  einzelnen  Ver- 
waltungsbeamten, war  sehr  alt  und  schon  vielfach  in  verschiedener  weise 
befriedigt,  das  coUegium  der  elf  für  die  aburteilung  manifester  todes- 
würdiger verbrechen ,  die  blutgerichtsbarkeit  des  rates  und  der  phylen- 
konige  unter  Vorsitz  des  königs,  wol  schon  die  beiden  'beisitzer  der 
drei  oberbeamten  dienen  dieser  tendenz.  ein  sehr  grofser  schritt  vor- 
Avärts  war  die  berufung  der  51  epheten  an  die  blutgerichtshüfe  Palladion 
und  Delphinion,  von  denen  der  eine  auch  für  jeden  mord  eines  nicht- 
bürgers  competent  war,  also  vielleicht  jedes  nicht  zum  stände  gehörigen, 
die  zahl  ist  ungerade:  der  Vorsitzende  könig  stimmte  also  nicht  mehr 
mit.  es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dafs  auch  die  civile  judicatur 
der  neun  beamten  schon  im  siebenten  Jahrhundert  an  die  Zuziehung 
von  geschvvornen  teils  wirklich  gebunden  ward,  teils  nach  der  ansieht 
der  vorwärts  drängenden  partei  gebunden  werden  sollte,  der  ausbildung 
tiner  mächtigen  magistratur  war  das  Standesinteresse  der  aristokratie 
gleich  wenig  geneigt  wie  das  demokratische  streben  nach  einer  möglichst 
starken  beteiligung  aller. 

Den   eigentlichen   anstofs  zur  Sprengung  der  ständischen  Vorrechte  oje  nau- 
gab  die   örtliche  Verwaltung  Attikas,  das   für  das  blofse  hinterland  der    '''■^"^"* 
liauptstadt   zu   grofs  war.     die  sladt  mufste  wol  der  sitz  der  regierung 
sein,  und  wer  beamter  ward,  also  in  den  rat  auf  lebenszeit  trat,  konnte 


Ttjs  y.lriQwxriS  ayaydiv  Svvä/uEcos  (692).  SO  selbstverständlich  ist  für  ihn  das  los 
im  besten  Staate,  er  weifs,  dafs  die  ephoren  nicht  erlost  sind,  aber  sie  entsprechen 
den  losbeamten  Athens,  unter  denen  er  nur  an  die  archonten  denken  kann. 

29)  Die  delphischen  Urkunden  kennen  nur  Isoofirr^ftovss;  dagegen  Herodot 
(S,  213)  Plutarch  (Them.  20)  Strabon  (IX  420)  nur  pylagoren.  in  demosthenischer 
zeit  wird  in  Athen  ein  hieromnemon  erlost,  auf  den  nichts  ankommt,  die  drei  pyla- 
goren aber  werden  direct  vom  volke  erwählt,  erlöst  ist  schon  Hyperbolos  zum  hiero- 
mnemon (Ar.  Wölk.  623),  aber  damals  erstrebte  ein  demagoge  das  amt:  es  war 
also  nicht  bedeutungslos,  und  er  erreichte  es:  das  los  war  also  irgendwie  durch  eine 
n:o6xQiais  corrigirt.  das  ursprüngliche  wird  demnach  ein  erwählter  hieromnemon  ge- 
wesen sein,  der  an  der  pylaia  das  wort  selbst  führte. 


54:  II     2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

kaum  vermeiden,  in  die  Stadt  zu  ziehen,  um  seines  amtes  zu  walten.'") 
aber  die  landwirtschaft  war  doch  die  grundlage  der  gesammten  Wirt- 
schaft, den  reichtum  bildete  wesentlich  der  grundbesitz,  auch  die  vor- 
nehmen wohnten  gern  auf  dem  lande,  somit  bedurfte  man  einer  Orga- 
nisation localer  art,  zunächst  für  die  aushebung,  dann  für  die  frohndeu. 
die  steuern  und  den  dienst  mindestens  der  flotte,  die  gentilicische 
Ordnung  der  phylen  und  trittyen  reichte  dazu  nicht  hin,  und  so  hat 
man  sehr  früh,  wol  noch  im  achten  Jahrhundert,  die  48  kreise  geschafl'en 
und  an  die  spitze  eines  jeden  bereits  eine  coUegialische  behörde  gestellt, 
die  gesammtheit  der  kreise  aber  nicht  mehr  unter  die  vier  phylenkönige, 
sondern  unter  die  kreishauptleute,  die  vavxQaQwv  fCQVTccveig.  der  name 
vavy.QaQoi  sammt  seinen  ableitungen  lehrt,  dafs  die  flotte  den  anstofs  zu 
dieser  gründung  gegeben  hat:  so  hat  die  see  schon  von  anbeginn  Athen  zur 
demokratie  getrieben,  wir  boren  nicht  viel  von  den  leistungen  jener  flotte, 
aber  die  Dipylonvasen  zeigen  uns  ihre  schiffe,  sogar  dieren,  im  kämpfe, 
und  der  aufschwung  des  attischen  handeis  und  die  Verbindung  mit  Delos 
sind  nicht  ohne  sie  denkbar,  auch  von  den  prytanen  der  naukraren 
und  von  diesen  selbst  wissen  wir  allzuwenig:  aber  ihre  existenz  genügt 
um  zu  zeigen,  dafs  sich  neben  den  patricischen  hehörden  hier  eine  ganz 
anderer  art  erhob,  der  Vorläufer  der  gemeindeordnung  und  gemeinde- 
vertretung  des  kleisthenischen  Staates,  die  drakontische  Verfassung  führt 
auch  bereits  einen  rat  ein,  gesondert  von  dem  adelsrate  des  Areshügels, 
den  beirat  der  prytanen.  mag  nun  Drakon  diese  locale  Vertretung  erst 
geschafl'en  haben,  mag  sie  älter  sein:  in  diesem  rate  lag  die  gefahr,  dafs 
eine  völlige  sociale  Umwälzung,  wie  sie  in  Megara  vor  Theognis,  in 
lonien  an  manchen  orten  vorgekommen  ist,  den  herrschenden  stand  zu 
boden  würfe,  denn  sobald  der  flottendienst  eingeführt  war,  liefs  sich 
die  wehrhaftigkeit  in  Drakons  sinne,  das  orcXa  TtaQSx^od^ai,  als  erfor- 
dernis  der  politischen  rechte  nicht  mehr  auf  die  dauer  halten,  in  den 
48  naukrarien  liefs  sich  die  hcrrschaft  der  wenigen  reichsten  nicht  so 
zur  geltung   bringen    wie   in   der  Wahlversammlung   des  ganzen  demos. 


30)  Der  bürger  heifst  in  der  älteren  spräche  daroi,  in  der  jüngeren  tzoXittjs, 
und  der  spätere  Hellene  hört  in  ersterem  die  Stadt,  in  diesem  den  Staat,  aber  es 
wäre  ein  arger  Irrtum,  wollte  man  das  auf  die  alte  zeit  übertragen,  denn  noXirr^s 
ist  der  'bürger'  freilich,  aber  von  der  'bürg'  benannt,  höchstens  ein  engerer  lo- 
caler begriff  liegt  ihm  zu  gründe.  Polites  ist  ein  alter  eigenname;  es  führt  ihn  der 
Priamossohn,  der  den  wachtdienst  übt,  im  B  als  späher  auf  einem  hügel.  im  i?  späht 
Kassandra  von  einem  türme,  es  leuchtet  ein,  dafs  der  eigenname  nur  den  'burgwart', 
nicht  den  'Staatsbürger'  angehen  kann. 


Die  naukiarien.    Drakon.  55 

wenn  Drakon  den  rat  in  der  weise  zu  bilden  versucht,  dals  jeder  be- 
rechtigte in  bestimmtem  turnus  hineinkommen  mufs,  und  die  active  be- 
teihgung  aller  durch  schwere  Ordnungsstrafen  erzwungen  wird,  so  hat  er 
die  aufstrebende  demagogie  der  einzelnen  wol  eher  schon  erfahren  als 
vorausgesehen. 

Die    tyrannis  war   die  Skylla,    der   der  Staat  unentrinnbar  zutrieb,    versuche 

der  ty- 

wenn  er  nicht  von  der  demokratischen  Charybdis  verschlungen  werden  ramüs. 
sollte,  aller  voraussieht  nach  konnte  Athen  dem  geschicke  von  Sikyon 
Korinth  und  Megara  nicht  eutgehn.  die  grofsen  geschlechter  innerhalb 
des  adels  hatten  das  prestige  des  grofsen  grundbesitzers,  auch  wol 
das  früherer  selbständiger  herrschaft,  und  die  moderne  gesellschafts- 
ordnung  sicherte  und  mehrte  ihre  macht,  als  die  Wirtschaft  capitalistisch 
ward,  in  der  chronik  steht,  dals  schon  vor  der  mitte  des  achten  Jahr- 
hunderts ein  Alkmeon  zwei  jähre  archon  war,  der  dann  verschwindet, 
während  gleichzeitig  das  amt  zehnjährig  ward,  darin  mag  die  erinne- 
rung  an  einen  tyrannischen  versuch  bewahrt  sein,  ein  Alkmeonide 
Megakles  war  archon,  als  Kylon,  ein  junger  schöner  mann,  der  640  in 
Olympia  im  dauerlaufe  gesiegt  hatte,  sich  durch  einen  gewaltstreich  der 
bürg  bemächtigte,  es  gelang  dem  archon  den  aufstand  niederzuschlagen. 
er  scheute  sich  nicht  die  fiihrer  umbringen  zu  lassen ,  obwol  sie  sich 
gegen  Zusicherung  des  lebens  ergeben  hatten,  und  er  hatte  die  macht, 
so  lange  er  lebte,  die  rechenschaft  ,für  diesen  gottesfrevel  zu  hinter- 
treiben, schliefslich  erzwang  die  gemeinde  doch  eine  abrechnung;  aber 
sie  geschah  bereits  durch  ein  grofses  ausnahmegericht  von  300  standes- 
genossen: der  rat  auf  dem  Areshügel  hat  sich  um  die  blutschuld  nicht 
gekümmert,  nun  ward  das  ganze  geschlecht  der  Alkmeoniden  verjagt 
und  bildete  im  auslande  eine  gefahr  für  die  herrschende  partei.  ledig- 
lich weil  die  bedeutung  der  Alkmeoniden  und  ihre  anfeindung  als  'ver- 
lluchte'  noch  bis  in  das  fünfte  Jahrhundert  dauerte,  sind  diese  ereignisse 
im  gedächtnisse  gebüeben,  so  dals  Kylons  attentat  das  einzige  scheint. 
\\\r  können  aber  unmöglich  bezweifeln,  dafs  das  siebente  Jahrhundert 
viele  der  art  gesehn  hat,  da  im  sechsten  trotz  der  solonischen  Verfassung 
die  macht  und  begehrlichkeit  der  grofsen  geschlechter  um  nichts  ge- 
mindert erscheint,  Damasias  kurze  zeit,  Peisistratos  dauernd  die  tyrannis 
erreicht,  und  die  kämpfe,  die  Athen  befreien,  noch  sehr  stark  den 
Charakter  des  ringens  der  geschlechter  um  die  herrschaft  tragen,  erst 
nach  Marathon  bat  sich  das  volk  wirklich  von  ihnen  frei  gemacht. 

Ein  versuch  aus  den  kreisen  der  regierung,  durch  eine  reform  des    Drakon. 
Staates  sich  vor  diesen  gefahren  zu  retten,  ist  die  gesetzgebung  Drakons, 


56  n.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

die  dieser  vielleicht  als  tliesmothet  vornahm,  schon  die  aufzeichnuiiy 
des  rechtes  war  eine  bedeutende  concession,  und  durch  die  auslosuni; 
des  rates  und  der  niederen  btamten  aus  der  bürgerschaft  ward  der  riit 
des  Areshügels  weiter  beschränkt,  mochte  er  auch  noch  die  controlle 
der  beamten  behalten,  also,  wenn  er  einen  einigen  und  festen  willen 
besafs,  die  eigentliche  herrschaft  behaupten  können,  durch  künstliche 
mittel  sollte  der  rat  der  401  und  sein  vorstand,  die  prytanen,  gebunden 
werden,  und  vor  allem  wurden  die  wahlbeamten  auf  die  höchsten  classen 
in  der  art  beschränkt,  dafs  das  schuldenfreie  vermögen  statt  des  einkommens 
den  mafsstab  des  census  abgab,  dadurch  trug  diese  reform  lediglich  zu 
der  Verschärfung  der  socialen  gegensätze  bei  und  trieb  die  verschuldeten 
grundbesitzer,  denen  sie  die  höchsten  stellen  entzog,  notwendig  in  das 
lager  der  Umstürzler,  erst  in  dieser  Umbildung  ward  die  einteilung  der 
classen  nach  dem  census  eine  plutokratische.  es  dauerte  nicht  lange, 
da  ward  Solon  zum  arclion  gewählt,  nicht  sowol  um  Verfassungsgesetze 
zu  geben,  als  um  die  unerträghche  sociale  not  zu  beseitigen ;  die  meisten 
erwarteten  eine  confiscalion  und  neuaufteilung  des  landes. 
Dur  Wirt-  Es  ist  nicht  leicht,  die  Ursachen  dieser  wirtschaftlichen  not  anzu- 

"^notstanii.  geben,  die  vornehmlich  in  der  Verschuldung  oder  Vertreibung  der  kleineren 
grundbesitzer  bestanden  hat.  die  erscheinung  wiederholt  sich  in  vielen 
Staaten  des  altertums,  aber  nirgend  in  einer  zeit,  die  wir  durch  hin- 
reichende directe  Zeugnisse  mit  eignen  äugen  kennen  lernen  könnten, 
die  erste  Voraussetzung  ist  in  der  verwandelung  des  gemeinbesitzes  in 
den  privaten  gegeben,  dann  führt  schon  die  natürliche  Vermehrung  der 
bevölkerung  zu  schweren  krisen,  sobald  eine  Verteilung  von  neuen  landlosen 
niciit  mehr  möglich  ist.  in  Athen  war  dieser  zustand  erreicht,  nachdem 
Eleusis  erworben  war.  die  par  bergschluchten,  die  man  den  nördlichen 
nachbarn  abnehmen  konnte,  machten  wenig  aus;  Salamis  begehrte  man 
vergeblich;  man  mufsle  auch  noch  oft  den  eleusinischen  besitz  verteidigen; 
Tellos  ist  in  einem  solchen  kämpfe  gefallen,  ein  anderes  hilfsmittel  ist 
die  colonisation,  und  sie  hatte  früher  geholfen,  auch  jetzt  noch  ist  ge- 
wifs  ein  teil  der  überschüssigen  bevölkerung  hinausgezogen,  aber  fast 
immer  unter  fremder  führung,  so  dafs  sie  die  machtslellung  des  Vater- 
landes nicht  stärkte,  eigene  athenische  colonien  von  bedeutung  sind 
im  siebenten  Jahrhundert  nicht  gegründet  worden;  selbst  Sigeion  war 
von  den  Mytilenaeern  so  stark  umstritten,  dafs  es  nicht  gedieh,  die 
planmäfsige  Verbesserung  des  landbaus,  um  die  renlabilität  der  guter  zu 
steigern,  wird  der  moderne  der  vorsolonischen  zeit  nicht  leicht  zutrauen; 
und   doch   ist  gerade   diese  merkwürdige  tatsache  sicher,     der  adel  hat 


Der  wirtschaftliche  notstand.  57 

in  dieser  richtung  sehr  viel  mehr  geleistet  als  die  ganze  zeit  der  demo- 
kratie.  die  einfiihrung  und  Überwachung  des  ölbaus  durch  den  Areo- 
pagitenrat  ist  eine  tat,  deren  folgen  bis  auf  den  heutigen  tag  währen, 
und  wir  vermögen  uns  Attika  ohne  dieses  geschenk  seiner  göttin  gar 
nicht  zu  denken,  das  wasserrecht  in  hinsieht  auf  brunnen  cisternen  und 
vorflut  ist  von  "" Solen  geordnet:  wer  wollte  bezweifeln,  dafs  er  nur  das 
geltende  recht  aufzeichnete?  mit  den  schufspraemien  für  die  erlegung 
der  raubtiere  steht  es  ebenso;  schaf  und  Ziegenzucht  mufs  in  den 
attischen  bergen  den  landbau  ergänzen,  daneben  gehen  die  versuche 
durch  ausfuhrverbote  dem  eigenen  volke  die  erzeugnisse  des  heimischen 
teld-  und  gartenbaues  zu  erhalten,  doch  wol  eine  im  interesse  der  con- 
sumenten  getroffene  mafsregel;  der  name  der  sykophanten  deutet  freilich 
mehr  auf  ein  verbot  der  einfuhr  fremder  fruchte,  und  prohibitiv- 
nialsregeln  dieser  art  pflegen  zum  schütze  der  heimischen  production 
ersonnen  zu  werden,  doch  vermögen  wir  nicht  abzuschätzen,  welche 
versuche  die  verschiedenen  parteien  in  Athen  gemacht  haben:  das  wich- 
tige ist,  dafs  der  alte  Staat  auch  auf  wirtschaftlichem  gebiete  so  vielerlei 
unternommen  hat. 

Wichtiger  als  alles  andere  war  der  Übergang  von  der  naturalwirt- 
scliaft  zu  der  herrschaft  des  geldes.  die  hypothek  sagt  noch  heute  durch 
ihren  namen ,  dafs  sie  eine  erfindung  der  athenischen  capitalisten  oder 
auch  des  attischen  adels  ist:  das  ist  dasselbe,  das  gemünzte  geld  der 
nachbarn,  in  Chalkis  oder  Aigina  geschlagen,  cursirte  in  Attika;  das  metall 
war  aber  wol  schon  lange  vorher  das  gesetzUche  tauschmittel  geworden, 
und  der  Staat  hatte  das  aeginetische  gewicht  angenommen,  während  zu 
der  zeit,  da  die  steuerclassen  eingeführt  wurden,  die  steuern  von  dem 
liruttoeinkommen  gewifs  eben  so  in  natura  abgeliefert  wurden,  wie  der 
künig  noch  im  fünften  Jahrhundert  die  gefalle  der  'rinderhirtenschaft' 
von  den  parasiten  der  Acharner  eintrieb,  ward  nun  die  Zahlung  in  silber 
vorgeschrieben,  auf  dem  markte  drängte  sich  das  metall  als  vermittler 
zwischen  die  producte  des  landnianns  und  des  handwerkers.  der  bauer 
j  braucht  das  bare  geld  an  jedem  markttage;  die  einnahmen  fliefsen  ihm  im 
I  jähre  nur  an  ein  par  terminen  zu.  sehr  rasch  kommt  er  in  den  fall  zu 
i  borgen ,  und  sehr  bequem  erscheint  es  ihm ,  sein  gut  zum  pfände  zu 
i  setzen,  ein  beschriebener  stein  auf  dem  acker,  das  ist  zuerst  nichts 
gefährhches.  aber  der  zinsfufs  steht  im  belieben  des  gläubigers,  und 
wenn  der  handel,  der  zuerst  das  '^gebären'  des  geldes  gelehrt  hat,  mit 
ungeheurem  risico  und  entsprechendem  gewinne  rechnen  mufs  und  daher 
einen  sehr  hohen  zinsfufs  verträgt,  so  erliegt  die  landwirtschaft  nur  zu 


58  H.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

rasch  einer  solchen  helaslung.  der  Staat  aber  erkennt  eine  jede  hypo 
thekarisclie  schuld  an  und  bietet  seine  organe  zur  beitreibung,  und  das 
recht  erstreckt  die  haftpflicht  des  gläubigers  auf  sein  landlos  und  weiter 
auf  seinen  leib  und  den  der  seinen,  die  capitalislen  im  lande  sind  in  erster 
linie  die  gotter,  die  bruderschaften  und  sonstigen  ideellen  personen 
aber  über  diese  cassen  verfügen  die  herrschenden  ki'eise,  das  sind  eben 
die  capitalisten,  die  gläubiger,  die  vornehmen  nützen  nun  ihren  gol 
denen  und  silbernen  hausrat  besser  aus  als  ihre  ahnen,  die  ihn  zu  toten- 
niasken  und  allerlei  zierrat  verbrauchten,  sie  ziehen  ein  landlos  nach 
dem  anderen  an  sich,  wie  rasch  ist  bei  einer  Verzinsung  von  20  procent 
der  bauer  gelegt;  er  muls  zufrieden  sein,  wenn  er  nicht  als  sclave  übers 
meer  verkauft  wird,  sondern  auf  dem  erbe  seiner  väter  weiter  arbeiten 
darl',  fünf  garben  für  den  herrn ,  die  sechste  für  sich,  der  herr  aber 
erhält  so  eine  ganze  schar  von  hörigen,  trabanten  für  die  gewaltherr- 
schaft,  die  er  hofft,  die  Verteilung  des  grundbesitzes  scheint  wieder  zu 
schwinden,  sehr  bedeutende  teile  müssen  auch  wieder  gerueiubesitz  in 
irgend  welcher  form  geworden  sein;  aber  die  gemeinde,  die  jetzt  davon 
nutzen  zieht,  ist  auf  die  reichen  beschränkt,  der  druck  wäre  kaum  zu 
ertragen,  wenn  das  harte  recht  allein  bestünde,  aber  Solon  spricht  un- 
umwunden von  den  veruntr-euungen  und  der  habgier  der  her-rschenden. 
die  gr'ausamkeit,  die  dem  capitale  von  natur  inne  wohnt,  pflegt  von  der 
unredhchkeit  begleitet  zu  sein,  zur  cpilagyvQta  gehurt  die  v7CEQi](pavia. 
tUtel  yccQ  ^oQog  vßgig,  eTtrjv  no'/.vg  olßog  e/irjTai.  diese  erfahrungen 
sind  in  dieser  zeit  gemacht,  wenn  dann  vollends  eine  Verfassung  ge- 
geben wird,  die  die  höchsten  stellen  der  regierung  den  besitzern  schulden- 
freier guter  vorbehält,  so  kann  das  geschrei  nach  einer  neuen  aufteilung 
des  ackers  kauru  für  unber'echtigt  erklärt  werden. 

Wenn  die  landwirtschaft  wenigstens  inr  kleinbetriebe  sich  nicht  mehr 
halten  kann,  so  soUte  handwerk  und  handel  und  jeder  städtische  beruf 
um  so  besser  seinen  mann  nähren,  so  sollte  man  meinen,  wir'klich 
ist  Athen  durxh  den  peloponnesischen  ki'ieg,  der  die  attische  landwirt- 
schaft zerstörte,  zu  einer  industr-iestadt  geworden,  aber  der  handel  er*- 
forderte  in  folge  des  risicos  damals  noch  mehr  als  heute  ein  starkes  an- 
lagccapital.  ihn  trieben  die  besitzenden  herren  selbst,  wie  Solons  beispicl 
zeigt,  das  bandwerk  in  dem  weiten  sinne,  den  das  wort  ör^f.noiQyög 
urnfafst,  war  in  Attika  so  lange  schon  heimisch,  dafs  die  ör](^LOVQyot  im 
geschlechter'slaate  es  zu  der  aner'kennung  als  adliche  gebr'acht  hatten, 
und  alte  gilden  wie  /daiöaliöai  Ald-aliöai  zu  geschlechtern  gewor'deu 
waren.    Ilephaistos  hatte  sich  zu  Athena  gesellt,    der  kostliche  ton  war 


Der  wirtschaftliche  notstand.     Solon.  59 

lie  erste  gäbe  des  attischen  bodens,  die  entdeckt  ward:  wir  bewundern 
lie  riesengefässe,  die  auf  den  gräbern  des  siebenten  Jahrhunderts  standen. 
üiid  erkennen  die  echt  attische  typische  auffassung  des  wirkhchen  lebens 
in  den  schildereien  des  Dipylonstiles.  der  treffhche  Ergolimos  trägt  die 
ehre  der  attischen  arbeil  im  uamen;  aber  Klitias,  der  für  ihn  malte,  war 
kein  Athener,  wie  wieder  der  name  lehrt^*),  und  zu  Kleislhenes  Zeiten 
-lehen  neben  wolhabenden  attischen  sehr  viele  fremde  leute  dieses  hand- 
werkes.  es  kann  in  der  industrie  der  capitalist  durch  billige  sclaven- 
arbeit  nur  zu  leicht  den  freien  handwerker  niederhalten,  die  hoffart  der 
ilorischen  Weltanschauung  kam  dazu,  die  den  hesiodischen  spruch  egyoi' 
oldev  oveidog  in  sein  gegenteil  verkehrt  hatte.  Drakon  hat  den  töpfer 
und  den  gerber  ohne  zweifei  für  einen  banausen  gehalten;  Aristoteles 
tut  es  ja  auch,  also  schied  der  bauer,  wenn  er  in  die  Stadt  zog  um 
als  handwerker  seine  familie  vor  der  sclaverei  zu  schützen,  aus  der  ge- 
^^ellschaft  aus.  an  dieser  anschauung  hat  selbst  die  demokratie  wenig 
geändert. 

So  war  der  Staat  und  die  gesellschaft  Athens  um  600,  schwach 
nach  aufsen,  schwach  nach  innen,  die  Verfassung  durch  vielfache  Ver- 
änderungen erschüttert,  das  erwerbslebeu  schwer  krank,  die  gesellschaft 
durch  die  gegensätze  der  ehrgeizigen  Parteiführer  unter  sich,  des  adels 
und  des  volkes,  der  armen  uud  der  reichen  zerklüftet,  die  gotter  schienen 
Athen  verlassen  zu  haben;  auch  wer  noch  für  sich  hoffte,  rechnete  mit 
dem  untergange  mindestens  des  Staates  Athen. 

Da  erweckte  ihnen  gott  einen  propheten:  so  würde  es  von  Israel  soion. 
lieifsen.  da  erstand  ihnen  ein  dichter,  heifst  es  in  der  Stadt  Athenas. 
Solon,  des  Exekestides  söhn  aus  dem  blute  des  alten  königshauses,  war 
ein  wolhabender  mann^^),  der  die  erziehung  seiner  standesgenossen  er- 
halten und  anteil  an  ihren  Vergnügungen  genommen  hatte,  dafs  der 
handel    ihn    über    das    meer    führte,    hob    ihn    auch   noch   nicht   über 


31)  Man  kann  nur  y.Uris  vergleichen,  das  ein  fremdwort  der  attischen  dichter- 
sprache  ist. 

32)  Er  ist  unter  der  geltung  von  Drakons  Verfassung  archon  geworden,  gehörte 
also  zur  classe  der  höchstbesteuerten,  wenn  Aristoteles  ihn  einen  us<xos  auch  nach 
dem  vermögen  nennt,  so  ist  das  seiner  eigenen  angäbe  nach  aus  den  gedichten  ge- 
nommen, in  denen  Solon  wirklich  übertriebenen  reichtum  nicht  wünscht,  er  war 
freilich  kein  mann  von  tyrannischem  vermögen  wie  Kallias  oder  Hippokieides,  er 
hatte  kein  haus  von  überwältigender  macht  hinter  sich  wie  Kleisthenes,  aber  nach 
den  anschauungen  der  späteren  demokratie  war  er  gewifs  ein  reicher  und  vor- 
nehmer, und  ein  anderer  hätte  auch  den  Staatsstreich  nicht  in  den  gesetzlichen 
formen  durchführen  können. 


60  II.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 


ihre    Vorurteile,      aber    er    hat    allerdings    das    ihnen    zumeist    fremd 
ionische  wesen  in  sich  aufgenommen,    wie  er  die  aeginetische  Währung 
mit  der  chalkidischen  vertauscht  hat,  so  wendet  er  den  attischen  sinn  vo 
den    dorischen    zu    den    ionischen  vof.iiC6ft€va  überhaupt,     er  wird  ei 
dichter  in  der  ionischen  form  der  elegie  und  des  iambus;   er  bemäch' 
tigt  sich  dieses  neuen  organs,   mit  dem  der  lonier  seine  gedanken  un 
urteile   und    seinen    willen    dem  publicum  zu  übermitteln  gelernt  hatte.] 
damit  gewinnt  er   über    die  massen    die    herrschaft,   zwingt  sie  wie  e; 
zu  empfinden  und  ihm  zu  folgen,     die  mundart  der  Athener   stand  dei 
homerischen    kunstsprache,   die    der   lonier   in   den    neuen   mafsen  der] 
rede   seines  mundes   anpafste,    gewifs   damals  nicht  näher  als  ein  Jahr- 
hundert später:  die  leistung  des  dichters  Solon  ist  also  eine  bedeutende, 
beginnt  er  doch  die  attische  htteratur.     aber  ganz  abgesehen  von   dem 
formalen  Studium,  das  seine  gedichte  zur  Voraussetzung  haben,  hat  er  sein 
ganzes  denken  und  empfinden  ionisch  machen  müssen,  menschlich,  modern^ 
für  seine  zeit,  halten  wir  doch  die  attischen  werke  etwa  der  gleichen  periodel 
neben    ihn :   wie  grofs  ist  der  abstand,    die  küstliche  darstellungsfreude, 
mit  der  der  bildner  des  Typhongiebels  seine  Scheusale  in  aller  derbheit 
aus  seinem  weichen  stein  schnitzt,  das  ist  das  alte  Athen,  dasselbe,  das 
ein   par  generationen   früher   leichenzüge  und  Seeschlachten   mit  kind- 
lichen mittein  auf  die  tonkrüge  pinselte,  ungeschlacht  autochthonisch,  aber 
mit    acht    attischer    IvägyeLCc.      wir   werden    diese   in    den    solonischen 
Schilderungen    des   lebens   nicht  verkennen;   der  Athener  ist  dem  trotz 
aller   caricatur  schematischen  Semonides   weit  überlegen,     aber  er  hat 
einen  gebildeten  stil,  seine  spräche   ist  überhaupt  nicht  archaisch,     die 
Franfoisvase  entzückt  uns  durch  die  epische  erzählungskunst  ihrer  bilder; 
der  abglanz  der  ganzen  grossen  sagenherrlichkeit  ruht  auf  ihr,   die   im 
mutterlande    noch    alle   herzen    beherrschte,     in   lonien    war   sie  schon 
verblafst;    die  demokratie  hatte  die  nachkommen    der   heroen  zurückge- 
drängt, und  Mimnermos  konnte  die  sage  bereits,  ein  Vorläufer  der  Alexan- 
driner, zu  spielendem   schmucke   verwenden,     bei  Solon  tritt  sie  ganz 
und    gar   zurück,     dem    pompösen   wesen    des   rittertumes  ist  sein  ein- 
facher   sinn    vollends    abgeneigt:    er   hat   es   in    der    beschänkung    des 
gräberluxus  bewiesen,    und  in  denselben  gesetzen  dem  aberglauben  ge- 
steuert, über  den  er  durchaus  erhaben  ist.     aber  die    einfache  attische 
frömmigkeit  hat  er  sich  bewahrt,  trotz  allem  menschlichen  denken  und 
aller  modernen  Weisheit:    auch    für   ihn    hält  die  gottin  schirmend  ihre 
band    über    ihrem    Athen ,    so  dafs   der   himmlische    vater    es  gar  nicht 
untergehen   lassen   kann,     und   das   vertrauen  auf  die  gerechtigkeit  des 


Solon.  61 

Weltenregiments  ist  ihm  vollkommen  unerschüttert,  "gott  hält  sein  äuge 
!über  dem  ausgange  aller  dinge;  er  ist  nicht  rasch  mit  seinem  zorne, 
aber  seine  strafe  suchet  den  schuldigen  heim,  sei  es  auch  erst  in  seinen 
Ikindern  oder  kindeskindern."  so  denkt  er,  wie  hundert  jähre  später 
Aischylos,  und  dieses  denken  gibt  ihm  die  kraft  und  den  mut  zu  seinem 
^rofsen  werke,  der  rechte  nachfolger  Homers  und  der  rechte  Athener 
ist  er  vollends  in  dem  was  ihn  von  dem  lonier  Archilochos  scheidet, 
iilem  unvergleichlich  grüfseren  aber  an  dem  persönlichsten  irdischen 
klebenden  dichter:  der  sinn  für  die  durcharbeitung  der  zufälligen 
Wirklichkeit  zur  typischen  Wahrheit,  wer  in  das  Akropolismuseum  tritt, 
iler  sieht  in  der  gewaltigen  bunten  gruppe  des  stieres  das  schönste 
werk  altathenischer  plaslik  und  ruft  "das  ist  das  verkörperte  home- 
irische  gleichnis."  da  kündet  sich  die  kunst  an,  die  im  Parthenonfriese 
ilas  attische  volk,  das  ideal  ihrer  zeit,  zu  der  für  alle  zeit  typischen 
(larstellung  eines  sich  seiner  gottheit  am  festlichen  tage  nahenden  volkes 
;vergeistigen  konnte,  als  V.  Hehn  die  darst eilung  der  naturformen  des 
menschenlebens  bei  Goethe  veranschaulichen  will ,  greift  er  nach  ihrer 
>childerung  in  Solons  grosser  elegie.^^) 

So  war  der  dichter  und  der  weise,  der  seinen  Athenern  zu  predi- 
gen wagte:  "haltet  inne,  kehret  um  auf  eurem  wege,  sonst  stürzt  ihr 
iwider  gottes  willen  euer  Vaterland  in  den  abgrund."  was  er  geifselte 
war  die  begehrlichkeit,  sowol  der  von  unten  drängenden  masse  wie  die 
der  auf  ihren  besitz  pochenden  standesgenossen,  diesen,  die  mit  dem 
jgute  des  Staates  und  der  gotter  unredlich  umgehn ,  die  macht  zu  der 
'Vergewaltigung  der  rechtlosen  misbrauchen,  gilt  sein  zorn  überwiegend, 
gerechtigkeit  in  der  Verteilung  des  besitzes,  menschlichkeit  und  gleichheit 
fordert  er,  frieden,  eintracht  und  gesetzlichkeit  (ftyOjtu'jy ,  worin  sowol 
die  befolgung  der  gesetze,  wie  die  herrschaft  guter  gesetze  liegt)  verheifst  er. 
von  bestimmten  praktischen  vorschlagen  hören  wir  nichts;  das  gehört 
nicht  in  die  poesie.  aber  der  so  redete,  war  kein  dr^uiovQyog  der  dicht- 
kunst,  sondern  ein  angesehener  und   lebenserfahrener   angehöriger  des 


33)  Gedanken  über  Goethe  213.  Hehn  vergreift  sich  aber,  wenn  er  Solon 
einen  vielerfahrenen  und  darum  düsteren  menschenkenner  nennt,  die  erfahrung,  dafs 
des  menschen  kraft  und  kunst  kein  sicheres  glück  zimmern  kann,  sondern  gott  allein 
das  gedeihen  gibt,  hat  seinen  sinn  nicht  verdüstert,  denn  gott  gibt  das  gedeihen, 
wenn  der  mensch  gerecht  bleibt.  Solon  genofs  das  leben  gern ,  aber  der  schönste 
lebensgenufs  war  ihm  das  lernen,  und  darum  bat  er  den  Mimnermos,  der  nur  den 
isinnengenufs  kannte  und  mit  60  jähren  sterben  wollte,  flugs  80  zu  schreiben,  der 
verachtete  wahrlich  die  menschen  nicht,  der  betrauert  sterben  wollte,  er  hat  selbst 
die  politische  enttäuschung  durch  seine  poesie  und  sein  reines  gewissen  überwunden. 


62  II.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

herrschenden  Standes,  der  kein  lielil  daraus  machte,  dafs  er  seine  ge- 
danken  praktisch  verwirkhchen  wollte,  sein  volk  vertraute  ihm,  wählte 
ihn  zum  archon  und  gab  ihm  die  vollmacht  die  Verfassung  neu  zu 
machen  und  das  volk  zu  versöhnen.^') 

Was  er  dem  volke  brachte,  entschied  sich  schon  am  tage  seines 
amtsantrittes.^^)  er  hatte  als  archon  die  proclamation  zu  erlassen,  dafs 
er  jedermann  in  seinem  besitze  schützen  und  erhalten  wolle,  statt 
dessen  erklärte  er  alle  bestehenden  hypothekenschulden  für  hinfällig 
und  die  Verpfändung  eines  athenischen  leibes  überhaupt  für  ungesetz- 
lich, dies  letztere  mit  rückwirkender  kraft,  er  verfügte  auch  über 
mittel,  obwol  wir  nicht  wissen  woher,  die  er  zu  dem  rückkaufe  der  in 
das  ausländ  verkauften  Athener  verwandte.^®)  so  wurden  denn  die 
hypothekensteine,  die  sie  belasteten,  auf  allen  attischen  ackern  zer- 
schlagen, und  in  allgemeinem  jubel  eine  festfeier  "der  abgeschüttelten 
bürde"  begangen.^')  es  war  ein  sehr  gewaltsamer  eingriff  in  wolerwoi- 
bene  privatrechte,  aber  es  ist  kein  versuch  gemacht  ihn  zu  hindern  oder 
zu  redressiren ;  die  besitzenden  mochten  auf  diese  concession  gefafst  ge- 
wesen sein  und  sich  zu  ihr  verstehen  um  der  drohenden  confiscation  ihres 


34)  Den  titel  ^ta^AaxTjys  gibt  die  Atthis  ausdrücklich,  bei  Ar.  5,  2  und  Plut. 
Sol.  14,  2.  er  kehrt  403  für  die  spartiatische  versöhnungcommission  wieder,  die 
unumschränkte  macht  bezeichnet  Aristoteles  6,  1  mit  xigioi  xcov  TtQay/närcov. 

35)  Sowol  bei  Aristoteles  wie  bei  Plutarch  sind  die  beiden  acte,  seisachthie 
und  gesetzgebung,  deutlich  gesondert,  das  wird  durch  das  edictuvi  praetoris  56, 2 
ganz  A'erständlich. 

36)  Da  Solon  selbst  sich  dieser  befreiung  der  längst  verkauften  sclaven  rühmt 
(Ar.  12,4),  so  ist  nur  die  modalität  fraglich,  öffentliche  mittel  können  nicht  gefehlt 
haben,  sowol  in  Staatsdomänen  wie  im  schätze  Athenas.  aber  die  auslösung  von 
bürgern,  die  in  der  Sklaverei  waren,  galt  auch  für  eine  menschenpflicht,  die  viele 
übten.  yivaavSQOs  und  yivai&sos  sind  leute,  die  für  einen  menschen  und  einen! 
gott  (dessen  bild  oder  gut  oder  schätz  Ivr^a  brauchte)  die  Xvtqu  gezahlt  haben,  und 
AvaiKQätris  ytvaixXTJs  AvatTtitoe  Avaifäiv  sind  gedankenlos  gebildete  composita, 
in  denen  doch  dieses  Ivsiv  stecken  mufs.  Avaifiaxos  Avaavias  AvaloTgaTos  sind 
anderer  art;  das  letztere  nicht  einmal  notwendig. 

37)  Ar.  6,  1  ist  überliefert  «  asiaäxd'eia  xa?.ovaiv  cos  onoasiaüfisvoi  ro  ß<xQoe. 
bei  den  änderungen,  mit  denen  der  corrector  angefangen  hat,  und  denen  wir  auch 
gefolgt  sind,  ist  mir  nie  sehr  zuversichtlich  zu  sinn  gewesen,    ich  möchte  nicht  fürfl; 
unmöglich  erklären,  dafs  die  Athener  der  gegenwart  den  namen  brauchten,  weil  sie 
die  befreiung  von  der  last  als  eine  ihnen  selbst,  dem  unsterblichen  Sijfios,   zu  teilv 
gewordene  erleichterung  empfanden,    und  die  form  t«  asiaäxd'eia  kann  ich  nicht  be-  ' 
anstanden,  freilich  nicht  für  den  act  der  legislative,  aber  wol  für  das  dafür  gebrachte 
dankopfer,  das  Plutarch  Sol.  16  erwähnt,    dieses  opfer  könnte  ich  mir  als  eine  dau- 
ernde Institution  denken,  so  dafs  das  praesens  ganz  eigenüich  richtig  wäre. 


Solon.  63 

I  grundbesitzes  zu  entriDnen.  immer  noch  konnten  sie  hoffen,  dafs  Solon, 
ihr  Standesgenosse  und  ein  mafsvoller  mann,  die  Standesherrschaft  eher 
j  befestigen  als  schmälern  würde,  aber  die  gesetzgebung,  die  er  natür- 
I  Heb  erst  am  ende  seines  amtsjahres  vor  den  souveränen  demos  bringen 
}  konnte,  beseitigte  nicht  blofs  die  Verfassung  Drakons,  sondern  begriiu- 
i  dete  die  demokratie. 

I  Alle  Athener  (jÄ&iqvaloL   cLTiavteg,   wie   der   ausdruck  wol  schon 

i  jetzt  lautete)  erhielten  an  der  Staatsverwaltung  anteil.    für  die  volksver- 
I  Sammlungen,   den    rat    und   die   geschwornenstellen    ward   hinfort  kein 
'  census    gefordert,    für    die    beiden   letzteren   nur  die  zurücklegung  des 
I  dreifsigsten  lebensjahres;  für  den  rat  gieng  aufserdem  noch  eine  person- 
I  liehe  prüfung  der  Würdigkeit  dem  eintritte  vorher,    eine  ausnähme  bil- 
i  deten   die   geschwornenstellen   in  den   mordgerichten ,    wo   die    adligen 
I  epheten  Drakons  blieben,    weil  der  sacrale  Charakter  dieser  richtstätten 
j  die  älteren  formen   sicherte,     die  teilnähme   des  ganzen  Volkes  an  den 
I  Volksversammlungen   verheb  diesem   das   active  Wahlrecht  für  die  wahl- 
j  ämter,  aber  auch  die  wirksamste  controlle  selbst  der  archonten.     denn 
(He  prytanen  des  rates,  (über  deren  bestellung  wir  weiter  nichts  wissen) 
\varen    gehalten ,   in    bestimmten    (uns   unbekannten)   fristen  eine  Volks- 
versammlung   zu    berufen,   in  der  alle  selbständig,  nicht  unter  aufsieht 
eines   der  rate,   fungirenden   magistrate  neu  bestätigt  werden  mufsten; 
im  falle  ihrer  Suspension  kamen  sie  vor  die  thesmolheten ,   die  ein  ge- 
richt    von    geschwornen   zu  berufen    hatten,      dasselbe  hatte   unbedingt 
mit   der  rechenschaftsablage   der  feldherren   zu   geschehen,     gegen   die 
anderen  beamten   konnte  jeder  bürger  nach  ablauf  ihres  amtsjahres  an 
eine   commission    des  rates,  die  euthynen,  eine   beschwerde  einreichen, 
die  erforderhchen  falles  von  den    thesmotheten   in  der  nämlichen  weise 
vor    ein    volksgericht    gebracht  ward,     die   competenzen   aller  beamten 
wurden  in  bestimmter  weise  abgegrenzt,  so  dafs  sie  höhere  strafen,  ins- 
besondere leibesstrafen,  nur  unter  Zuziehung  eines  gerichtes  zuerkennen 
konnten,     die  bestellung  der  beamten,  so  weit  sie  nicht  direct  gewählt 
wurden,   geschah  durch  das  los  aufgrund   einer  Vorschlagsliste,   über 
deren  aufstellung  genaueres  nicht  bekannt  ist,   als  dafs  sie  durch  wähl 
in   Unterabteilungen   des  volkes,    phylen   oder  (für  den  rat)  naukrarien 
zu  Stande  kam.     als  qualification  ward   ein  census,    abgestuft  nach  den 
alten  drei  classen,  gefordert,  die  nun  wieder  ihre  vordrakontische  bedeu- 
lung  nach  dem  einkommen  erhielten,    ob  an  der  competenz  der  einzelnen 
beamten   oder   des  oberen  rates  geändert  worden  ist,  wissen  wir  nicht; 
der  Überlieferung  nach  ist  da  ziemUch  alles  beim  alten  geblieben. 


64  II.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

Solons  augenmerk  war  offenbar  zunächst  nur  auf  die  Schulden- 
tilgung gerichtet  gewesen,  und  im  übrigen  auf  die  beseitigung  der  dra- 
koDtischen  schranken,  die  durch  die  forderung  der  selbstequipirung 
die  Proletarier  principiell  ausschlössen,  das  schien  ihm  ein  Widerspruch 
mit  der  herrschaft  des  demos,  und  er  spricht  es  selbst  aus,  dafs  er  diesem 
seine  rechte  weder  geschmälert  noch  vermehrt  hätte:  er  hielt  Drakons 
Ordnung  also  für  eine  ungerechte  neuerung.  wirklich  können  wir  wol 
nicht  anders  urleilen,  als  dafs  Solon  in  der  Verfassung  aufser  diesem 
demokratischen  prinzipe  kaum  etwas  bedeutendes  erfunden  hat,  da  ja  die 
ausdebnung  des  loses  auf  die  archonten  kein  neues  princip  war,  und 
dessen  bedeutung  kann  man  nicht  umhin ,  gerade  für  die  wichtigsten 
ämter  gering  anzuschlagen.  Solon  selbst  und  sein  nachfolger  Dropiths 
sind  trotz  dem  lose  so  gut  wie  gewählt:  es  hat  sich  die  macht  des 
Volkswillens  so  stark  fühlbar  gemacht,  dafs  andere  candidaten  gar  nicht 
zur  losung  präsentirt  wurden,  wenn  in  den  folgenden  jähren  so  häuiig 
gar  keine  archonten  vorhanden  sind,  so  mufs  die  losung  aus  der  Vor- 
schlagsliste durch  den  terrorismus  der  parteien  verhindert  sein,  oder 
aber  es  hat  sich  die  majorität  der  lyrannei  des  Zufalls  nicht  unter- 
worfen, wir  haben  schlechthin  keine  mittel  uns  vorzustellen,  wie  es  in 
Athen  in  solchen  jähren  der  anarchie  aussah ^^);  aber  die  kritik  mufs 
sich  Solon  schon  gefallen  lassen ,  dafs  er  zwar  das  princip  der  demo 
kratie  zum  siege  geführt  hat,  aber  gerade  dadurch,  dafs  er  die  macht 
der  beamten  möglichst  vinculirte,  zunächst  seinem  vaterlande  den 
kräftigen  arm  gelähmt  hat,  der  es  allein  vor  der  tyrannis  schützen 
konnte,  die  der  Vertrauensmann  des  volkes,  der  in  directer  wähl  von 
allen  erhobene  Stratege,  und  der  nsid^iov  tov  OTQaxöv,  der  demagoge 
der  zum  ganzen  volke  sprechen  konnte,  errungen  hat. 

Das  denkwürdige  amtsjahr  lief  ab.  Solon  stellte  das  geltende  at- 
tische recht  auf  vielen  riesigen  holztafeln  verzeichnet  aus,  hefs  es  vom 
demos  nicht  nur  annehmen ,  sondern  in  feierlicher  weise  beschwören, 
brachte  am  Jahresschlüsse  das  opfer  au  Zeus  den  erretter  (die  letzte 
regelmäfsige  amtshandlung  des  beamten^")  und  trat  in  das  privatleben 
zurück  oder   vielmehr  in  den  Areopag  hinüber,     seine  Athener  werden 


38)  Selbst  das  ist  nicht  bekannt,  ob  in  jähren  der  anarchie  gar  keine  beamte 
waren,  oder  etwa  nur  kein  archon,  oder  ungesetzliche  und  cassirte  archonten.  der 
fall,  dafs  ein  archon  fehlte  und  der  könig  für  ihn  eintrat,  ist  später  vorgekommen. 

39)  Der  cult  des  Zeus  gehört  zum  markte  als  '/o^alos,  dem  wesen  des  markt- 
rechtes entsprechend,  aber  auch  als  acory'jQ  darf  er  Für  alt  gelten ;  nur  eXsv&s^ios 
heifst  er  erst  seit  4S0. 


Solon.  65 

zuerst  die  bewunderung  seiner  leistung,  zu  der  die  aufzeichnung  der 
gesetze,  der  kalender  und  die  Ordnung  von  mafs  und  gewicht  auch 
gehörte,  und  die  höhere  bewunderung  seiner  Selbstlosigkeit  und  gesetz- 
lichkeit  haben  vorwalten  lassen,  in  der  tat  hat  ihn  niemand  persönHch 
angegriffen,  aber  wenn  der  dichter  und  der  patriot  geglaubt  hatte,  er 
brauchte  nur  dem  demos  in  den  satte!  zu  helfen ,  reiten  würde  er  von 
selbst  können,  so  folgte  schhrame  enttäuschung.  dafs  der  bisher  herr- 
schende stand  über  die  beseitigung  der  drakontischen  Verfassung  grollte, 
mehr  noch  als  über  die  capitalverluste  der  einzelnen,  ist  ebenso  natür- 
lich, wie  dafs  die  theten,  denen  er  zwar  die  freiheit  und  damit  poli- 
tische rechte,  aber  keinen  materiellen  gewinn  und  mit  den  rechten 
pflichten  gegeben  hatte,  nach  dem  ersten  freudenrausche  stark  ver- 
stimmt waren,  weil  sie  arbeiten  sollten  wie  immer,  die  neue  maschine 
liinctionirte  mit  einer  allzuslarken  reibung  und  stockte  hier  und  da. 
so  rief  man  den  Werkmeister  sie  wieder  in  gang  zu  bringen,  er 
vertraute  seinem  werke  und  der  zeit,  Idealist  wie  er  war;  aber  eben 
weil  er  es  war,  konnte  ihm  keine  herbere  krilik  werden,  als  dafs  von 
lechts  und  links  ihm  zu  verstehen  gegeben  ward,  er  hätte  die  tyrannis 
selbst  übernehmen  sollen ,  wie  es  in  der  tat  Pittakos  von  Mytilene  in 
ähnlicher  Stellung  getan  hatte,  das  verekelte  ihm  seine  Vaterstadt,  und 
nachdem  er  mit  seiner  einzigen  waffe,  der  poesie,  sich  lebhaft  aber  ver- 
geblich verteidigt  hatte,  zog  er  auf  lange  jähre  hinaus  in  die  fremde, 
in  Athen  aber  brachen  die  politischen  kämpfe  mit  erneuter  heftigkeit 
los.  die  vorwählen  für  die  losung  zu  den  höchsten  ämtern  trugen  die 
poUtischen  kämpfe  auf  das  land;  die  Präsentation  der  candidaten  für 
den  neuen  rat  fielen  ohne  zweifei  den  orthchen  kreisen  zu.  so  bil- 
deten sich  innerhalb  des  Volkes  parteien,  die  sich  nach  den  landesteilen 
nannten,  nicht  etwa  alten  vortheseischen  Städten,  sondern  den  wirtschaft- 
lichen Interessen  der  gegenwart  entsprechend,  die  solonische  demo- 
kratie  fand  anklang  in  der  küstenbevölkerung,  die  immer  demokratischer 
gesonnen  war,  und  ihre  führung  ergriff  Megakles,  das  haupt  der  Alkme- 
oniden,  die  dem  Solon  die  heimkehr  dankten,  in  der  ebene  Athens 
safsen  die  ältesten  herrengeschlechter  und  war  die  vom  Areopage  be- 
schützte landwirtschaft  mafsgebend:  sie  wollte  von  der  solonischen  Wirt- 
schaftspolitik nichts  wissen,  die  Athen  zu  lonien  hinwies,  und  das  haupt 
der  Butaden  stritt  für  die  reaction.  das  bergige  land,  im  nordosten  und 
Osten ,  sehr  stark  bevölkert  von  einem  wehrhaften  bauernstande  und 
stolz  auf  seine  eigenart,  drängte  weiter  auf  der  bahn  der  decentralisation, 
durch  die  allein  das  land  der  Stadt  gebieten  konnte;  es  stellte  den  besten 

T.  Wilamowitz,  Aristoteles.   II.  5 


66  II.    2.  Von  Kekrops  bis  Solon. 

truppen  einen  geschickten  fiihrer:  hier  war  mau  für  einen  krieg,  der 
neue  landlose  den  hauernsuhnen  schaffte,  und  die  l'iihrer,  Peisistratos 
von  Brauron  und  Miltiades  der  IMiilaide,  hahen  sie  ihnen  auch  verschafft, 
wir  wissen  im  einzelnen  last  nichts  über  das  menschenalter  nach  Solons 
gesetzgebung,  aber  gerade  soviel,  um  zu  sagen,  dafs  es  um  den  Innern 
frieden  traurig  stand,  und  um  den  wolstand  nicht  besser  als  zuvor,  bis 
Peisistratos  erst  Salamis  eroberte  und  dann  sich  zum  herrn  machte,  und 
das  zweite  wissen  wir,  dafs  Solon  heimgekehrt  ist  und  in  Athen  un- 
behelligt und  verehrt  aber  einflufslos  bis  560/59  gelebt  hat.  er  hat 
noch  gedichtet,  sein  volk  gemahnt  um  Salamis  zu  kämpfen  und  vor 
Peisistratos  sich  zu  hüten;  sie  horten  wol  seine  verse,  aber  es  waren 
ihnen  nur  die  verse  eines  dichters:  politisch  war  Solon  ein  totermann, 
seit  er  dem  Zeus  oioti]q  am  letzten  skirophorion  593  das  dankopfer 
gebracht  hatte. 

Die  götter  verwöhnen  ihre  lieblinge  nicht;  der  frühe  tod  ist  der 
preis,  um  den  die  schönste  kröne  des  heldentumes  feil  ist,  für  Rleobis 
und  Biton,  für  Achilleus  und  Alexandros.  dje  kröne  der  Weisheit  aber 
erhält  der  greis  für  ein  leben  voller  enttäuschung,  und  entsagung  lehren 
auch  die  weisesten,  die  das  vollste  meuschenleben  gelebt  haben,  Piaton 
und  Goethe,  als  Solon  zu  sterben  kam,  war  sein  Athen  in  der  band 
des  tyrannen,  und  der  Stifter  der  demokratie  hatte  eingesehen,  dafs 
seine  Athener  jeder  einzeln  ein  schlauer  fuchs,  aber  auf  der  pnyx  eine 
herde  schafe  wären,  nach  den  wölken  des  demagogischen  Weihrauchs, 
die  ihm  im  vierten  Jahrhundert  von  denen  gespendet  wurden,  die  be- 
sagte herde  hüteten  und  schoren,  wird  den  weisen  wenig  gelüstet  haben ; 
dafs  er  ein  grofser  Staatsmann  gewesen  wäre,  wird  sein  gewissen  ver- 
neint haben,  so  gut  wie  wir  es  verneinen  müssen,  und  doch  hat  Ari- 
stoteles ihn  einen  einzigen  unter  allen  Staatsmännern  genannt,  der  allein 
das  wol  des  ganzen  zur  richtschnur  sich  genommen,  und  doch  hat  er 
in  der  tat  die  demokratie  Athens,  wenn  auch  nur  als  Vorläufer  des 
Kleisthenes,  und  die  athenische  poesie,  wenn  auch  nur  als  Vorläufer  des 
Aischylos  begründet,  dafs  er  beides  vermochte,  dafs  seine  person  sowol 
den  Drakon  wie  den  Peisistratos,  ja  noch  den  Kleisthenes  in  den  schat- 
ten gestellt  hat,  das  dankt  er  der  Muse,  ihn  allein  von  ihnen  horte 
die  nachweit  und  boren  auch  wir  noch,  ein  grofser  dichter  war  er 
nicht,  aber  ein  weiser  und  frommer  und  guter  mensch,  was  denn  doch 
mehr  ist. 

Verblafst  ist  sein  bild  gar  bald  in  den  büchern  der  geschichte;  aber  die 
poesie  ist  ihm  gerecht  geworden,    nicht  daheim,  aber. in  lonien  hat  sie 


I 


Solon.  67 

die  schönste  novelle  gedichtet,  in  der  er  dem  Hellenen  seine  Giüq)QOOvvrj 
repräsentirt.  auf  dem  güldenen  throne  sitzt  der  barhar  in  seiner  ma- 
teriellen herrlichkeit  mit  all  dem  dunkel  abergläubischer  gottwolgefällig- 
keit  und  ruft  "sehet  mich  an,  ich  bin  glücklich  und  goltgesegnet" 
(o/.ßiog  und  €vSc(i/.uov).  der  weise  im  schhchten  bürgerkleide  belehrt 
ihn,  dafs  das  höchste  menschenglück  das  des  schlichten  bürgers  ist, 
wie  es  die  natur  dem  menschen  gewähret,  mit  weih  und  kind,  acker 
und  vieh,  gesundheit  und  gedeihen,  und  zur  krönung  dem  seligsten  tode, 
dem  tode  des  kriegers  fürs  Vaterland,  vergebens  belehrt  er  den  bar- 
baren,  vergebens  mahnt  er  ihn,  dafs  den  tag  vor  dem  abend  niemand  loben 
dürfe.  Kroisos  verlacht  die  mahnung,  das  Schicksal  ereilt  ihn,  und  das 
gedächtnis  an  des  weisen  wort  ist  das  einzige  was  ihn  errettet. 

So  steht  Solon  da,  der  typus  des  Hellenentums,  des  Athener- 
tumes,  sich  bewufst  der  menschenschwäche  und  des  menschenadels,  de- 
mütig vor  der  natur,  demütig  vor  gott,  aber  nur  vor  dem  ewigen 
demütig,  so  lernen  unsere  kinder  den  weisen  Solon  kennen:  nicht  den 
vater  der  demokratie,  aber  den  hellenischen  propheten,  den  dichter  und 
den  weisen,  die  unsterbliche  seele  Solons  und  seines  Volkes  ruft  uns 
alle  noch  heute  auf  zu  der  seisachthie  des  götzendienstes  dieser  weit. 

Doch  ich  vergesse,  unsere  kinder  sollen  den  weisen  Solon  nicht 
mehr  kennen  lernen,  die  moderne  selbstgerechtigkeit  und  hoffart  sitzt 
als  ein  protziger  barhar  auf  ihrem  throne,  opfert  götzendienerisch  ihrer 
eigenen  herrhchkeit  und  ihren  lüsten  und  weist  den  hellenischen  mahner 
an  Selbstbescheidung  und  demut  unwillig  von  sich,  soll  sie  auch  erst 
auf  den  Scheiterhaufen  steigen,  um  sich  auf  die  hellenische  Weisheit  zu 
besinnen?  vielleicht,  aber  schwerlich  wird  ihr  Zerstörer  ein  Kyros  sein, 
der  sie  um  des  Verzweiflungsrufes  "Solon,  Solon"  begnadige. 


3. 

DIE  POLITIE  DER  ATHENER  YON  PEISISTEATOS 
BIS  EPHIALTES. 


Athen  in  der  \\  er    elzl  auf  der  bürg  von  Athen  wandelt,  dem  stellt  sich  als  eine 

tyrannen-        ,  ,      ,  ,.     i         ,  ,         .   .  ,  ... 

zeit.  schone  lösbare  autgabe  dar,  das  Athen  der  tyrannenzeit  in  seiner  zu- 
ständlichkeit  zu  schildern,  leibhalt  sieht  man  die  menschen  jener  gesell- 
schafl  vor  sich,  und,  was  mehr  bedeutet,  man  kann  empfinden,  wofür 
sie  leben,  wo  sie  ihren  schätz  und  ihr  herz  haben,  es  geht  ihnen  gut 
und  sie  geniei'sen  ihr  leben,  sie  haben  an  ihrer  eignen  existenz  l'reude 
und  suchen  die  evdaifiovia  im  okßog.  es  ist  eine  zeit,  geschlagen  in 
enge  fesseln  der  Convention  und  der  mode;  vielleicht  merkt  man  nur 
ex  eventu,  dafs  vieles  überlebte  da  ist,  und  ein  neues  leben  sich  zu  regen 
beginnt,  das  diese  fesseln  sprengen  wird,  den  ungeheuren  Umschwung 
der  Perserkriege  und  der  demokratischen  agerrj  schätzt  man  nirgend 
so  richtig,  wie  wenn  man  im  sechsten  Jahrhundert  wandelt,  schon  die 
heroische  naktheit  des  Harmodios  erscheint  wie  ein  protest  gegen  die 
ceremoniose  toilette  eines  Aristion.  dafs  die  Jünglinge  und  mädchen 
des  Parthenonfrieses  grofsmütter  und  väter  gehabt  haben  sollen,  die  sich 
anzogen  wie  die  xogai,  die  unsere  archaeologische  Jugend  so  hübsch 
als  tanten  bezeichnet  hat,  sich  einen  lockenkranz  um  die  schlafen  frisiren 
liefsen  und  die  arme  mit  ekelhafter  grazie  weit  vom  leibe  hielten,  damit 
die  geknifften  fältchen  der  mantillenkanlen  nicht  zerknautscht  würden, 
mufs  man  sich  mühsam  klar  machen,  es  riecht  alles  nach  TQvq)ri 
IwvLKri^    nach    (ivqa    und    aßqbg  ßiog.^)     und    doch    wie   sauber   und 

1)  Das  zwölfte  buch  des  Alhenaeus  handelt  über  die  r^vfi];  historiker  schon 
des  vierten  Jahrhunderts,  peripatetiker  und  andere  philosophen  sind  die  hauptquellen, 
wer  genauer  zusieht,  wird  in  sehr  vielem  lediglich  den  niederschlag  der  Sinnesart 
finden,  die  mit  den  Perserkriegen  aufkommt  und  der  ganz  besonders  die  tracht,  aber 
überhaupt  die  lebensführung  der  archaischen  zeit  als  TQVfrj  erscheint,  in  der  traclit 
gewisser  stände,  wie  der  priester  und  der  musiker,  im  costume  der  tragoedie,  dann 


Athen  in  der  tyrannenzeit.  69 

solide  baute  jene  zeit,  wie  gewaltig  sind  die  fortschrilte  der  bildenden 
künste,  und  wie  tief  im  volke  geht  jene  anspruchsvolle  lebensführung, 
da  tüpfer  walker  und  schuster  an  ihr  teil  nahmen,  man  sieht,  wie  viel 
da  war,  das  die  Perser  zerschlagen  und  rauben  konnten :  die  opfer  von 
480  lernt  man  schätzen,  und  es  wächst  sowol  die  achtung  vor  Peisistratos 
wie  die  bewunderung  der  freien  bürgerschaft. 

Doch  das  ist  eine  aufgäbe,  die  wirklich  nur  ein  archaeologe  lösen 
kann,  einer  dem  die  funde  auch  in  allen  einzelheiten  rede  stehn,  und  weil 
die  aufgäbe  gestellt  ist,  wird  sich  auch  die  archaeologische  Jugend  über 
die  unfruchtbaren  stilriechereien  und  die  wirkhch  antiquirte  suche  nach 
künstlernamen  erheben,  in  um  so  mislicherer  läge  ist  jeder  der  die 
ereignisse  jener  zeit  zu  schildern  unternimmt  und  nicht  den  Herodot 
paraphrasiren  will,  sie  sind  verschollen,  und  was  man  einzelnes  hört, 
belehrt  wenig,  eben  weil  es  nichts  als  nakte  facta  bringt,  wir  wissen 
es  nicht,  wie  sich  die  Situation  Athens  um  520  v.  Chr.  gebildet  hat: 
aber  von  dieser  Situation  kann  man  sich  einigermafsen  ein  bild  machen. 

Als  nach  der  gesetzgebung  Solons  statt  des  gehofften  friedens  der 
parteihader  nur  gehässiger  enthrann,  war  es  das  gröfste  glück,  dafs  sich 
der  zum  herrn  machte,  der  seine  tüchtigkeit  durch  die  erwerbung  von 


bei  einzelnen  personen  oder  in  abgelegenen  gegenden  hat  sich  die  mode  des  sechsten 
Jahrhunderts  noch  mehrere  generationen  oder  auch  dauernd  erhalten ,  nicht  ohne 
dafs  misverständnisse  in  derselben  richtung  vorkamen,  Asien  hat  sich  den  neuen 
athenischen  mustern  immer  erst  in  einigem  abstände  gefügt,  und  deshalb  den  vor- 
warf der  xQvcpri  schon  von  den  Athenern  des  fünften  Jahrhunderts  erfahren,  inner- 
lich hat  es  den  Umschwung  des  empfindens  nie  mitgemacht,  so  haben  sich  falsche 
Werturteile  über  die  archaische  zeit  gebildet,  nun  trieb  aber  der  gegensatz  zu  den 
barbaren  dazu  die  einfachheit  von  haar  und  barttracht,  des  kurzen  hemdes  und  des 
simplen  Überwurfes  für  echthellenisch  auszugeben,  also  für  uralt,  und  dann  für  do- 
risch, ein  wort,  das  den  accent  ins  tüchtige,  derbe,  altangestammte  zuerst  in  der 
musik  erhalten  hatte  (schon  vor  500):  das  hat  dann  auch  falsche  geschichtliche  ur- 
teile erzeugt,  die  besten  zeugen  für  die  volksslimmung  sind  immer  die  dichter, 
um  so  besser,  je  gröfser  sie  sind,  in  dem  bilde,  das  das  sechste  Jahrhundert  schon 
von  Dionysos  geschaffen  hatte,  und  das  die  tragoedie,  sein  spiel,  fest  hielt,  war 
jene  alte  tracht  an  haar  und  hart  und  kleidung  festgehalten,  und  die  art,  wie  der 
gott  sich  offenbarte  und  seine  Verehrer  sich  benehmen  hiefs,  schien  die  XQvcprj  nur 
noch  mehr  zu  bestätigen,  diesen  conflict  mit  den  modernen,  kräftigen,  dorischen 
anschauungen  empfand  Aischylos  innerlich,  und  doch  war  er  dionysischer  dichter, 
so  verkörperte  er  diese  gegensätze  in  seiner  Lykurgie ;  die  alte  fabel  hatte  eine  neue 
bedeutung  gewonnen,  da  zuerst  nimmt  der  götterfeind  an  der  weibischen  tracht 
des  gottes  nnstofs,  zieht  freche  folgerungen  und  mufs  es  büfsen.  Euripides  hat 
das  schon  als  etwas  fertiges  überkommen;  für  ihn  hat  es  keine  innerliche  bedeu- 
tung mehr. 


70  II.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

Salamis  bewiesen  hatte,  und  der  nicht  den  durch  Solon  gestürzten  grofs- 

grundbesitz,   sondern   die  kleinen  leute  und  die  wehrhafte  bauernschaft  j 

der  Diakria  hinler  sich  hatte.    Peisistratos  ward  zwar  alt  und  grau,  ehe 

er  aus  zehnjähriger  Verbannung  heimkehrend  auf  dem  throne  fest  ward  | 

(541).     dafür    brachte    er    die    anerkennung    durch    die    bedeutendsten  i 

nachbarstaaten,  Boeolion  und  Euboia,  ein  bündnis  mit  Argos  und  eignen  i 

besitz  an  der  thrakischen  küste  mit.    so  konnte  er  frieden  und  wolstand,  j 

Ordnung   und   fortschritt  auf  sein  panier  schreiben,   und  mit  ausnähme  ■ 

der  überwundenen   adelsgeschlechter   hatte    er  bald   die   Sympathie    des  { 

Volkes   gewonnen,    so    dafs   sich    bei   seinem    tode   528   nichts   änderte,  i 

sondern    seine   beiden    ehelichen  sühne  die  nicht  festumschriebene  oder 

beschworene    aber    tatsächlich    anerkannte    herrschergewalt   fortführten,  i 

Hippias,  schon  ein  reifer  mann,  war  längst  ein  mitarbeiter  an  der  polilik  ' 

des  vaters  gewesen ;  Ilipparchos,  auch  kein  Jüngling  mehr,  ergänzte  ihn  i 

für  das  prestige  der  tyrannis  auf  das  glückhchsle.   denn  seine  beziehungen  i 

zu  den  dichtem  der  zeit  hatten  eine  sehr  reale  bedeutung.    diese  leisteten,  i 

was  heute  die  presse  besorgt,  die  beherrschung  der  ölfentlichen  meinung.  j 

Orakelsprüche,  wie  sie  damals  besonders  beliebt  waren,  haben  mindestens  I 

I 

eben  so  oft  die   ereignisse  vorbereitet   und   bewirkt,   wie  sie  später  ex  j 

eventu  verfertigt  und  umgeformt  sind,   wellkundige  und  allerorten  wol-  j 

gelittene  litteraten,   wie  Lasos  und  Simonides,   formulirlen  dem  durch-  | 

Schnittshellenen,  was  er  schön  und  gut  finden  sollte,  und  lebten  davon,  ; 

sich  von  den  mächtigen  die  parole  dazu  geben  zu  lassen,   was  sie  also  i 

den  leuten  darstellen  sollten,    sie  sind  die  Vorläufer  der  Sophisten,    die  I 

breite  masse  aber  bewunderte  den  herren  von  Athen,   dessen  lieblinge  j 

die   Heder   eines  Anakreon   verherrlichten    wie   die  des  Polykrates.     das  i 

ist   der  lauf  der   weit;   sie   beugt  sich  dem  glücklichen    und  nimmt  an  j 

seinem  'glücke'  anteil.    es  mufsle  die  sillliche  erhebung  einer  grofsen  zeit  ' 

kommen,  damit  das  glück  des  Polykrates  im  sinne  des  Herodotos,  nicht  ' 

in  dem  des  Anakreon  sprUchvvörtlich  werden  konnte. 

Der    attische    bauer    safs    leidlich    zufrieden    unter   seinem   feigen- 

baum   und   weinslock  und  schaute  mit  andacht  auf  das  geschenk  seiner 

göttin,    die    olive,    deren    anbau    der    Staat   jetzt    wie    von    alters    her  ; 

beförderte,    so    dafs   dies   wichtigste    product   der   heimischen    landwirt- 

schafl   immer   mehr   eintrug,      dazu    tat   der    friede   das   beste:    es   hieb 

eben    kein    feind   die   Ölbäume   um.     Ordnung   war   auch  im  lande   und  , 

die   rechlsprechung  nahe   und    rasch   zu   haben,     eine   Steuer  von    fünf 

procent    lag    allerdings    auf    dem    ertrage,    und    das    war    eine    mah- 

nung,  dafs  ein  herr  da  war.     aber  der  bauer  durfte  doch  alljährlich  zu 


Athen  in  der  tyrannenzeit.     Äufsere  politik  der  tyrannen.  71 

den  wählen  gehn,  wol  auch  alhnonatlich  zur  Volksversammlung;  die 
formen  der  Selbstverwaltung  in  der  naukrarie,  auch  der  rat  in  der  Stadt, 
waren  gewahrt,  und  so  stimmte  man  gern  für  die  candidaten  der  regie- 
ruDg.  es  verdient  alle  anerkennung,  dafs  die  Peisistratiden  für  den 
ackerbau  sorgten ;  dennoch  ist  die  Schilderung  des  Aristoteles  schief,  die 
diese  seite  ausschlicfslich  hervorhebt,  um  keine  agrarier  zu  sein,  dazu 
besafsen  sie  schon  genug  wirtschaftliche  einsieht:  der  mächtige  auf- 
schwung  von  Industrie  und  handel,  der  unter  ihnen  statt  fand,  ist  für 
uns  selbst  noch  in  seinen  erzeugnissen  kenntlich,  und  das  friedliche 
menschenalter  540 — 10  hat  erst  die  ionische  höhere  cultur,  zum  teil 
auch  die  von  Argos  und  Aigina  nach  Athen  geführt  und  das  attische 
w'esen  erzeugt,  das  allen  andern  eben  deshalb  überlegen  ward,  weil  es 
alle  anregungen  aufgenommen  und  innerlich  sich  zu  eigen  gemacht  hatte, 
handel  und  Industrie  setzen  eine  starke  nicht  angesessene,  zum  teil  nicht 
einmal  eingeborene  bevolkerung  voraus,  die  wir  denn  auch  antreffen, 
und  sie  haben  die  städtische  centralisation  im  gefolge.  das  prestige  der 
tyrannis  erforderte  neue  tempel  und  neue  feste,  die  Peisistratiden  haben 
ein  neues  Athen  geschaffen,  und  nur  dafs  die  Perser  es  verbrannten 
und  dann  neue  gebäude  sich  erhoben,  hat  bewirkt,  dafs  Athen  nicht 
dauernd  die  züge  der  tyrannenzeit  getragen  hat. 

Dafs  die  tyrannen  Athen  diese  friedliche  zeit  und  dieses  gedeihen  Äutsere  po- 
verschaffen  konnten,  lag  wesenthch  darin  begründet,  dafs  sie  selbst  nach  tyrannen. 
keiner  seite  übergreifen  konnten  noch  wollten  und  durch  persönliche 
und  familienverbindungen  ein  gutes  einvernehmen  mit  den  meisten 
Staaten  erhielten,  mit  der  hilfe  von  Theben  Eretria  und  Argos  war 
Peisistratos  heimgekehrt;  an  der  thrakischen  küste  besafs  er  eigenen 
besitz;  ein  vertriebener  adlicher  von  Naxos,  dem  er  zum  danke  die 
herrschaft  in  seiner  heimat  verschaffte,  hatte  sich  an  seiner  seite  be- 
funden; auch  die  beziehungen  zu  dem  thessahschen  adel  werden  so  alt 
sein,  diese  Verbindungen  sind  zum  teil  noch  über  den  stürz  des  Hippias 
hinaus  erhalten  geblieben,  es  hegt  freilich  in  dieser  gruppirung  der 
mächte,  dafs  es  eine  gruppe  ihnen  gegenüber  gab.  wer  nahe  zu  Argos 
stand,  Avar  den  Spartiaten  und  ihrem  bunde  verdächtig,  wer  Eretria 
unterstützte,  dem  war  Chalkis  feind,  und  Korinlh,  mit  Chalkis  und  Sparta 
zumeist  verbunden,  hat  später  seine  feindliche  gesinnung  wider  die 
Peisistratiden  bewiesen,  es  ist  augenfäUig,  dafs  die  herren  Athens  sich 
von  diesen  hauptmächten  des  festlandes  nicht  nur  fern  halten,  sondern 
sich  zu  emanzipiren  trachten,  sie  lassen  keine  pferde  in  Olympia  und 
Delphi  rennen  und  stiften  dort  keine  weihgeschenke,  sie  gründen  viel- 


72  !!•    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

mehr  in  Athen  lihalen  der  dortigen  culte,  schmücken  diese  reichlich 
und  erweisen  so  zwar  den  hochgeehrten  gOltern  ihre  ehrfurcht,  aber 
entziehen  sich  dem  einflusse  ihrer  priesler.  Delphi  hat  es  ihnen  nicht 
vergessen,  aber  offiziell  sind  (He  beziehungen  zu  dem  peloponnesischeo 
Staatenbunde  durchaus  freundUch.  die  tyrannen  sind  gaslfreunde  Spartas: 
die  proxenie  war  aucb  zwischen  Athen  und  Dionysios,  Athen  und  Phi- 
hppos  die  form  der  offlciellen  anerkennung,  nicht  mehr  bedeutend,  als 
wenn  die  herrscher  der  alten  monarchien  einen  Napoleon  als  bruder 
angeredet  haben. 

Gestützt  auf  diese  besonnene  politik  des  friedens,  glaubten  die  herreo 
Athens  weder  eines  stehenden  heeres  (aufser  einer  leibwache)  noch  einer 
kriegsflotte  zu  bedürfen,  die  Sicherung  der  see,  deren  handel  und  Industrie 
um  so  mehr  bedurfte,  als  die  front  Athens  jetzt  nach  osten  gerichtet 
war,  ward  auf  anderem  wege  erreicht.  Athen,  das  doch  Naxos  und 
Rheneia  erobert  hatte,  behielt  keine  insel  in  besitz,  sondern  versicherte 
sich  des  wolwollens  des  delischen  Apollon  und  der  seemächtigen  Staaten, 
nur  auf  den  wichtigsten  punkt,  den  Hellespont,  legten  die  tyrannen  ihre 
feste  band,  auch  das  nicht  unmittelbar,  aber  durch  befreundete  oder 
verwandte  herrscher.  in  Sigeion,  dem  vielumstrittenen,  safs  ein  halb- 
bruder  des  Hippias;  ein  Schwiegersohn  von  ihm  in  Larapsakos,  das  sich 
vorher  lange  mit  allen  mittein  der  attischen  colonisation  der  gegenüber- 
liegenden halbinsel  widersetzt  hatte,  der  Chersones  mit  den  nächsten  thra- 
kischen  inseln  gehörte  dem  Philaiden  Miltiades,  der  Athener  geblieben 
war,  mindestens  in  einvernehmen  mit  den  tyrannen. 
Die  grofsen  Die  FMiilaiden  waren  eines  der  uralten  geschlechter  Attikas,   selbst 

iiäusei.  dazu  zu  vornehm,  sich  wie  das  alte  königshaus  und  die  Alkmeo- 
niden  auf  die  Pyhschen  heroen  zurückzuführen,  geschweige  wie  jeder 
schusler  auf  die  phylenheroen.  mit  dem  adel  des  Peisistratos  ist 
es  schwerhch  weit  her  gewesen;  wir  kennen  den  namen  des  ge- 
schlechtes nicht,  denn  die  Überlieferung  des  dialoges  Hipparchos,  die 
es  zu  Philaiden  macht,  ist  mit  Herodot  nicht  vereinbar,  ein  Peisi- 
stratos erscheint  als  archon  von  669/68  in  der  chronik'):  älter  dürfte 
der  name  nicht  sein,  da  er  aus  dem  späten  epos  stammt.^)    jener  Pei- 

2)  Pausan.  II  24,  7  sicher  ergänzt,  da  die  Olympiade  durch  ihren  Sieger 
fixirt  ist. 

3)  Es  folgt  daraus,  dafs  vor  700  die  Telemachie  in  Athen  bekannt  war.  denn 
ihr  dichter  hat  diesen  Nestorsohn  erfunden  und  ihm  den  namen  gegeben,  weil  der 
vater  ineiae  otquiCv.  namen  von  Neleuskindern  wie  neiaiSiy.j]  IleiarivcoQ  sind 
erst  nachbildungen  dieses  redenden  namens ;  dessen  erfinder  schuf  ein  analogen  zu 
ThrjXifiaxos. 


Die  grofsen  adelshäuser.  73 

sistratos,    wol   der  grofsvater   des  tyrannen,   legte   also  wert  auf  seine 
pylische   herkunft,    und   anders   als   Peisistratiden    heifst   das   tyrannen- 
geschlecht   später   nie.     sie   wohnten   dicht  nehen  den  Philaiden  in  der 
1   gegend  von  Brauron  und  beide  gehörten  also  von  haus  aus  zu  derselben 
j  partei   der  Diakrier.     fünf  jähre  nur  vor  der  ersten  tyrannis  des  Peisi- 
!   Stratos   war  ein    Philaide  Hippokieides   archon    gewesen   und    hatte   den 
j   agon   der  Panathenaeen    gestiftet,     aber    er    war   kein  gefährlicher  con- 
!  current,    weil    es   ihm   an    ernst   und   stätigkeit   fehlte,    "darum   keine 
I   sorgen,  sagt  Hippokieides"  blieb  ein  geflügeltes  wort,    ein  bedeutenderer 
■  herr  aus   demselben   hause   hatte,   wie   es  heifst  unter  mitwirkung  des 
delphischen  orakeis,  die  besetzung  des  Chersones  unternommen  und  dort 
die  wichtige  herrschaft  gegründet,  im  wesentlichen  auf  kosten  von  bar- 
baren,   denen  er  auch  Lemnos  und  Imbros  abnahm,  unter  allgemeiner 
Sympathie  der  öffentlichen  meinung  von  Hellas,  weil  es  eben  barbaren- 
land    war.'*)     es  ist  zwar  zwischen  den  Philaiden  und  Peisislratos  nicht 


4)  Diese  erwerbung  richtig  datirt  und  liciitig  beurteilet  zu  haben,  ist  das  ver- 
dienst von  E.  Meyers  aufsatz  über   die  Pelasger  (Philol.  N.  F.  2).     im  übrigen  ge- 
hört seine  hypolhese   nicht  zu  denen,  die  mich  "so   weit  blenden,   dafs  ich  aller 
Überlieferung  ins  gesicht  schlage",    falsche  conjecturen  gemacht  zu  haben  kann  icii 
nicht  leugnen  und  suche  mich  zu  bessern,    gern  bereit  sie  zurückzunehmen,     aber 
das  conjiciren  werde  ich  nie  lassen,  weil  es  nötig  ist:  und  jede  conjectur  ist  ihrer 
natur  nach  eine  ab  weichung  von  der  Überlieferung,   ob  man  einen  text  oder  einen 
geschichtlichen   Zusammenhang  von  einem    glossem   befreit,  ist  für  diese  procedur 
einerlei,    die  hypolhese  IIsXaoyiKov  =  storchnest  ist  ein  einfall,  der  nicht  längeres 
leben  hat  als  eine  Seifenblase,     c^yös  weiß,  aayXa,  atyla  (ein  episches,  in  keiner 
lebenden  spräche  nachgewiesenes  wort)  gehören  alle  zusammen.   IleXnayoi  s\nA  an  sehr 
vielen  orten  die  "urbewohner"  genannt  (vgl.  Schwartz  quaest.  Herod.  Rostock  1890), 
so  auch  in  Athen,     ihnen   hat  man  den  bau  der  burgmauer  zugeschrieben,   die  in 
die  unvordenkliche  zeit  gehörte,  wie  anderwärts  den  riesen  oder  hundertarmen,    die 
gegner  im   osten,  die   den  stadtathenern   auch  sonst  als  wilde   riesen   erscheinen, 
führen  in   einer   geschichte  den  Pelasgernamen.     diese  geschichte  ist  dazu  da,   die 
j  Pelasger   aus  Athen  zu  vertreiben,   d.  h.   den   zustand  der  gegenwart  zu  erklären, 
welche  keine   mehr  in  Attika  kennt;   um  so  sicherer  waren  sie  in  der  älteren  vor- 
I  Stellung  gegeben,     schon  Hekataios  hat  das  erzählt;   aber  von  der  ansiedelung  der 
!  vertriebenen  Pelasger  auf  Lemnos  hat  er  nichts  gewufst.    diese  ist  (wer  hätte  das  je 
I  verständigermafsen  anders  ansehn  dürfen)  nicht  älter  als  die  eroberung  von  Lemnos 
I  durch  den   attischen   herrn   der  Chersones.     und  so   haben  in  der  tat  nach  Lemnos 
j  erst  die  Athener  den  Pelasgernamen  gebracht,    die  dortigen  barbaren  wurden  von  den 
loniern  Tyrsener  genannt,  auch  mit  einem  namen,  der  keine  ethnologische  bedeutung 
hatte,   wie  denn   der  italische  lonier   in  den  burgbauenden  Rasenern  die  Tvoarjvoi 
i  sah  und  ihnen,  selbst  für  die  Italiker  mafsgehend,  diesen  namen  gab;  dafs  sie  damit 
I  gleich  hiefsen  wie  die  feinde  seiner  alten  heimat,  die  Lyder  oder  Meoner,  war  ihm 
'  höchstens  erfreulich,  nuifste  dann  aber  genau  so  sicher  eine  wandersage  erzeugen,  wie 


74  n.   3.  Vott  Peisistralos  bis  Ephialtes. 

immer  freuiulschaft  gewesen  (Herod.  6,  103),  aber  das  ende  war  gegen- 
seitige aoerkennung.  und  selbst  als  das  haupt  der  athenischen  Phi- 
laiden  auf  der  slralse  ermordet  ward,  und  das  gerücht  die  tyrannen  ver- 
antwortlich machen  wollte,  ist  es  nicht  zum  bruche  gekommen. 

Von  den  Vertretern  des  städtischen  adels  hört  man  kaum  etwas; 
die  Buladen,  welche  an  der  spitze  der  schroffen  aristokraten  560  ge- 
standen hatten,  verschwinden,  in  der  schlacht  von  Pallene  ist  Leogoras 
Stratege,  aus  einem  unbekannten,  aber  auf  Odysseus  und  Hermes  zurück- 
geführten, zweifellos  hochvornehmen  hause  ^),  und  er  kehrt  erst  mit  den 

dafs  die  Himeraeer  ihre  nachbarn,  die  Elymer,  um  des  epos  willen  zu  Troern  machten, 
die  bewohnen  von  Lemnos  waren,  wie  ihre  schrift  lehrt  und  wie  im  Homer  steht,  Thra- 
ker, Sintier,  verwandle  der  Saier  von  Samos  nebenan,  mit  recht  fand  man  ihre 
spracliverwandten  in  manchem  thrakischem  winkel.  weil  sie  nun  aber  von  den 
Athenern  mit  den  Pelasgern  ihrer  sage,  von  den  loniern  mit  den  Tyrsenern  identi- 
ficirt  waren,  so  gab  es  das  knäuel  von  hypothesen,  indem  sie  mit  andern  auto- 
chthonen,  die  den  Pelasgernamen,  mit  andern  'turmvölkern',  die  den  Tyrsenernamen 
führten,  identificirt  wurden,  analog  steht  es  mit  diesen  und  andern  namen  an  den 
meisten  orten,  denn  meine  bezeichnung,  die  Pelasger  sind  ein  relativer  volksbegriff, 
ist  klar  und  richtig:  deshalb  bleibt  jedes  einzelne  volk,  das  so  genannt  wird,  für 
sich  ein  concretum,  und  ich  bezweifle  auch  nicht,  dafs  die  'schwarzweifsen'  irgend 
wo  einmal  ein  concreter  volksbegriff  gewesen  sind,  vielleicht  in  Thessalien,  wie  o^ 
die  Tyrsener  auch  gewesen  sein  werden,  meinethalben  die  Turuscha. 

5)  Die  vita  des  s.  g.  Plularch  führt  Andokides  auf  die  Keryken  zurück,  und 
diese  ansieht  wird  von  Dittenberger  und  Töpffer  (Ath.  geneal.  85)  vertreten,  während 
Blafs  und  Lipsius  sie  verwerfen,  für  mich  ist  entscheidend,  dafs  Andokides  über 
Odysseus  und  Autolykos  auf  Hermes  zurückgeführt  wird,  schon  von  Hellanikos, 
während  die  genealogie  der  Keryken  über  Keryx  auf  Herse  und  Hermes  zurückgeht, 
das  ist  doch  zweierlei,  nur  der  göttliche  ahnherr  ist  derselbe,  und  daher  war  ein 
irrtum  leicht  möglich,  dafs  i.ivo)v  Andok.  1,  132  auch  lediglich  dasselbe  bedeuten 
kann  wie  bei  ApoUodor  gegen  Neaira  21  wird  man  nicht  leugnen  können,  wenn 
es  auch  nicht  durchschlägt,  und  dafs  weder  der  ankiäger  des  Andokides  (Lys.  6, 
wie  ich  glaube  und  einmal  zu  zeigen  hoffe,  Meletos),  so  viel  er,  der  Eumolpide,  sich 
auch  in  hieratischen  dingen  bewegt,  noch  Andokides  in  der  Verteidigung  dieses  bedeut- 
same moment  erwähnt  haben  sollte,  wird  mir  auch  schwer  zu  denken,  er  würde 
eben  nicht  blofs  oly.ia  naaäv  aQxonoxärri  sagen  (1,147),  wenn  er  zum  eleusinischen 
adel  gehörte,  sein  gegner  sagt  nicht  nur,  dafs  er  Eumolpide  ist  (wo  wüfsten  wir's 
sonst  her?),  sondern  er  trieft  von  prieslerlicher  Salbung,  und  sollte  wol  ein  Keryke 
gesagt  haben  ixprjfiaavxo  KviQvy.es  y.axa  xov  vofiov  os  eariv  avroTs  (1,  127,  sicher 
von  Bekker  aus  o  ianv  airos  hergestellt)?  der  Eumolpide  redet  (10)  nicht  selbst 
in  dritter  person  von  den  Eumolpiden,  sondern  citirt  worte  des  Perikles.  (beiläufig, 
schon  um  dieses  citates  willen  ist  die  rede  keine  späte  rhetorenfälschung).  der 
nBime^^vSoxiST]s  zeigt  sein  alter  schon  in  der  grammatischen  form;  er  dürfte  eigent- 
lich der  gesclilechtsname  gewesen  sein,  denn  dvSoxiSai  kann  wol  nur  'die  es  auf 
sich  genommen  haben'  bedeuten;  die  tempelbaucnden  Alkmeoniden  sind  avSoxiSai. 


Die  giofsen  adelshäuser.     stürz  der  tyrannis.  75 

Alkmeoniden  heim,  auch  iler  Keryke  KalUas  steht  feintUich  zu  Peisi- 
stratos.  aber  man  spürt  nachher  nichts  von  dieser  Opposition;  einzelne 
mögen  geflohen  sein,  die  meisten  duckten  sich  und  frondirten  höchstens 
im  stillen. 

Nur  die  Alkmeoniden  bheben  auch  in  der  Verbannung  tätig  und 
gefährhch.  sie  waren  an  besitz  macht  und  ansehn  den  Philaiden  gleich, 
hatten  sich  jene  den  korinthischen  tyrannen  verschwägert,  so  war  Megakles, 
der  rival  des  Peisistratos,  der  eidam  des  fürsten  von  Sikyon,  dessen  namen 
sein  söhn  führte,  obwol  am  nordrande  der  attischen  ebne  angesessen, 
führte  Megakles  die  partei  der  Paraler  und  trat  für  die  solonische  Ver- 
fassung ein,  hatte  auch  versucht  mit  Peisistratos  sich  zu  vertragen,  aber 
eine  schwere  persönliche  kränkung  hatte  den  zwist  unversönHch  gemacht, 
ein  attisches  lied,  nicht  von  einem  der  höfischen  poeten,  sondern  ein 
schlichtes  Volkslied,  wie  man  sie  beim  weine  improvisirte,  hat  die  er- 
innerung  an  einen  versuch  der  Alkmeoniden  erhalten ,  mit  gewafPneter 
band  Attika  den  tyrannen  zu  entreifsen.  aber  der  versuch  mislang,  da 
das  Volk  sich  nicht  erhob,  für  eine  adelsfaction  erwärmten  sich  nur 
ihresgleichen,  und  wie  man  damals  über  die  Alkmeoniden  dachte,  lehrt 
eben  das  hed: 

Weh  Leipsydrion,  verräterfeste, 
hast  verraten  unsre  kameraden, 
wackre  Streiter,  adlich  blut: 
fochten,  fielen  würdig  ihrer  ahnen. 
So  lange  sie  ihre  popularität  behielt,  war  die  tyrannis  sicher,   die  stmz  der 
ja  alles  andere  als  eine  gewaltherrsch aft  war.    sie  verscherzte  sie  durch 
eine   an  sich  gleichgillige  reiberei,   die  der  bastardbruder  der  tyrannen 
mit  ein   par  adüchen   aus  Aphidna    angefangen  hatte.     Harmodios  und 
Aristogeiton  waren  Diakrier  wie  die  herrscher  und  verkehrten  mit  ihnen: 
demokratische  ideale  lagen  ihnen  sehr  fern,   aber  als  sie  beleidigt  waren, 
zettelten  sie  eine  Verschwörung  an,  die  zwar  den  tod  der  herrscher  und 
die  revolution  plante,  aber  schwerhch  zu  gunsten  der  demokratie.     sie 
kostete,  obwol  sie  mislang,  dem  beliebten  Hipparchos  das  leben  und  ver- 
i  bitterte  den  Hippias,  der  sein  leben  bedroht  sah  und  zu  scharfen  mafs- 
{ regeln  schritt,    das  wandte  die  bevölkerung  von  ihm  ab,  vollends  als  er 


tyrannis. 


I  der  vater  des  feldherrn  von  Pallene  Leogoras  steht  als  Schatzmeister  Athenas  CIA 
'IV  p.  199:  er  hat  die  an  sich  lächerliche  behauptung  ad  absurdum  geführt,  dafs  das 
{  geschlecht  erst  durch  seinen  letzten  sprofs,  der  es  vielmehr  in  schände  brachte,  no- 
I  bilitirt  wäre,  der  töpfer  Andokides  ist  natürlich  ein  dient  des  vornehmen  hauses. 
I  sonst  kenne  ich  den  namen  nur  aus  Thessalien  Bull.  Corr.  Hell.  XIV  243. 


76  II.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 


mieiie  machte,  sich  aufserhalb  der  Stadt  in  Munichia  ein  schlofs  zu  hauen, 
immerhin  erwehrte  er  sich  ohne  müiie  einer  pek)ponnesischen  expedition, 
die  ihn  zu  stürzen  kam,  und  wenn  er  nicht  seihst  die  sache  verloren 
gegeben  hätte  und  sich  Heber  auf  seine  sichere  herrschaft  Sigeion  zu- 
rückziehen mochte,  würde  er  wol  auch  der  zweiten  invasion  lange  haben 
widerstehn  können. 
Kieisthtiies.  Es  war  die  energie  und  rücksichtslosigkeil  des  RleistHenes  gewesen, 

die  die  autorität  Delphis  und  die  waffen  Sparlas  gegen  Hippias  aufge- 
boten hatte,  den  gott  hatte  er  durch  eine  geschickte  Finanzoperation 
auf  seine  seile  gebracht,  dals  er  Sparta  den  eintritt  in  dessen  bund 
versprochen  hatte  und  gewähren  mufste,  wenn  der  Peloponnes  ihm  helfen 
und  ihn  halten  sollte,  ist  selbstverständlich,  es  scheint  aber  durchaus 
nicht,  dafs  die  Athener  mit  Kleislhenes  stark  sympalhisirten.  die  wirren 
nach  dem  abzuge  des  Hippias,  der  friedhch  von  statten  gieng,  endeten 
nach  Jahresfrist  damit,  dafs  ein  mann  der  reactionären  adelspartei  zum 
archon  gewählt  ward®),  der  ein  regiment  ganz  in  Spartas  sinne  einzu- 
richten sich  anschickte,  die  Alkmeoniden  wieder  vertrieb,  und  eine  grofse 
masse  von  familien,  die  unter  den  tyrannen  zum  bürgerrechte  gelangt 
waren,  in  den  metokenstand  zurückstiefs.  Kleomenes  von  Sparta  karnj, 
seinem  freunde  Isagoras  zu  hülfe:  Sparta  schien  gewonnen  spiel  zu 
haben,  jetzt  erst  erhob  sich  das  volk,  denn  jetzt  erst  handelte  es  sich 
um  mehr  als  den  hader  der  geschlechter,  alles  gute  was  Solon  und 
Peisistratos  gebracht  hatten  stand  auf  dem  spiele,  da  rief  der  rat  der 
400  die  bauern  und  die  handwerker  auf,  die  schmierigen  Peloponnesicr 
aus  der   bürg   der  Jungfrau   hinauszuwerfen')  und  nun  tat  Kleisthenes 


I 


6)  Isagoras  liatte  unter  Hippias  in  Athen  gelebt,  und  schon  weil  er  gegen 
Kleisthenes  war,  mufsten  die  anhänger  der  Peisislraliden  zu  ihm  stehn.  es  ist  also 
begreiflich,  dafs  er  von  Aristoteles  ein  freund  der  tyrannen  genannt  wird  (20  1). 
aber  eine  besondere  Überlieferung  wird  das  nicht  sein:  die  parteigegensätze,  die 
Herodot  gab,  führten  von  selbst  auf  diesen  schlufs.  sein  geschlecht  ist  unbekannt; 
da  sein  familiencult  der  Zeve  Kä^ios  war,  der  boeotisch  ist,  möchte  man  an  dia- 
krische  heimat  denken;  am  liebsten  möchte  ich  ihn  den  tyrannenmördern  verwandt 
glauben,  sein  vater  hiefs  TeiaavSoos,  ein  vornehmer  aber  viel  verbreiteter  name; 
einen  aus  Aphidna  nennt  Piaton  Gorg.  487«:.  von  den  Parteigängern  der  tyrannen 
kennen  wir  den  Rhamnusier  Antiphon,  des  redners  grofsvater,  auch  einen  Diakrier 
(Antiph.  fgm.  1). 

7)  Wundervoll  gibt  Aristophanes  die  Stimmung  wieder,  Lysistr.  275,  unbeschadet 
seiner  eignen  tendenz,  die  auf  Versöhnung  mit  Sparta  hinarbeitet,  man  denke  sich 
die  hemdlosen  zotlelbärte  Spartas  zwischen  den  geschniegelten  loniern:  die  färbe 
hat  nicht  der  dichter  ein  Jahrhundert  später  erst  aufgetragen. 


Kleisthenes.    Athen  nach  507.  77 

den  entscheideuden  schritt  und  erhob  die  fahne  der  demokralie.^)  Kleo- 
inienes  mufste  die  hurg  räumen;  Isagoras  ward  vertrieben:  der  adel  hieU 
sich  noch  eine  weile  in  Eleusis,  das  Kleomenes  auf  dem  rüclimarsch 
besetzt  hatte,  aber  das  volli  war  unwiderstehhch.  Athen  ward  frei,  die 
igeschlechterphylen  fielen  und  mit  hilfe  Apollons,  dessen  er  sicher  war, 
begründete  Kleisthenes  das  Staatswesen,  das  für  alle  zukunft  mit  dem 
begriffe  Athens  verwachsen  sollte,  dieser  aristokrat  erst  ist  der  vater 
der  demokratie. 

Frei  war  Athen;  aber  seine  läge  kann  wol  die  vergleichung  mit  Athen  nach 
der  Tiberstadt  herausfordern,  die  ziemlich  zur  gleichen  zeit  ihre  etrus- 
kischen  herren  verjagte,  aber  damit  zunächst  auch  ihre  politische  Stellung 
verlor,  die  auswärtigen  hesitzungen  waren  in  den  bänden  von  Philaiden 
und  Peisistratiden.  die  nachbarn  aber,  jeder  alten  rücksicht  quitt,  fielen 
iiber  Altika  her,  Theben  und  Chalkis  von  der  einen  seite,  Aigina  von 
der  andern,  und  Sparta  führte  die  Peloponnesier  in  die  eleusinische 
ebene,  deren  hauptstadt  vielleicht  noch  in  den  bänden  der  adhchen  emi- 
i grauten  war.  es  war  nur  die  hälfte  der  gefahr  abgewendet,  als  dieses  beer 
ohne  geschlagen  zu  haben  wieder  abzog:  in  der  damaligen  hellenischen 
Schätzung  mufsten  Theben  und  Chalkis  einzeln  den  Athenern  weit  über- 
legen dastehn.  aber  diese  bewährten  sich  als  der  freiheil  würdig,  sie  zogen 
gegen  die  Boeoter  und  Chaikidier  zu  feld,  schlugen  sie  am  Euripos  und 
erwarben  sich  mit  Oropos  und  Chalkis  selbst  einen  ersatz  für  die  verlornen 
gebiete  in  der  ferne.  Aiginas  konnte  man  sich  freilich  nicht  erwehren, 
so  lange  man  keine  flotte  hatte,  doch  vergieng  den  nachbarn  zunächst 
die  lust  mit  Athen  anzubinden;  Sparta  verfiel  sogar  darauf,  nun  die 
tyrannen  zurück  zu  führen,  was  an  dem  Widerspruche  Korinths  gescheitert 
sein  soU.^)    die  Korinther  hatten  allen  grund  trotz  der  alten  freundschaft 


8)  Die  Zeitrechnung  und  die  Verknüpfung  der  ereignisse  gestatten  beide  nicht, 
Kleisthenes  vor  dem  jähre  des  Isagoras  die  demokratische  phylenreform  durchführen 
zu  lassen,  vielmehr  ist  er  zunächst  bei  dem  versuche  unterlegen,  wie  die  wähl  des 
Isagoras  beweist.  Herodots  darstellung  ist,  wie  immer,  läfslich  im  chronologischen 
detail  und  ohne  Würdigung  des  politischen  Zusammenhanges,  bei  Aristoteles  steht 
es  richtig;  man  müfste  es  aber  auch  ohne  ihn  finden. 

9)  Herod.  5,  72.  73.  90.  Krateros  im  schol.  Ar.  Lysistr.  273.  die  Vertreibung 
des  Kleomenes  von  der  bürg,  die  in  das  jähr  des  Isagoras  notwendig  fällt,  wird 
man  507  ansetzen:  denn  erst  mufs  Isagoras  eine  weile  geherrscht  haben,  dann  fällt 
in  das  nächste   frühjahr  der  zug  der  Peloponnesier  in  die  eleusinische  ebene ,  der 

I resultatlos  verläuft,  also  506,  in  denselben  sommer  die  schlacht  am  Euripos.  im 
nächsten  frühjahr  setzt  Sparta  überhaupt  keinen  zug  gegen  Athen  mehr  durch; 
das  ist  also  505.    drei  frühjahrsfeldzüge  der  Spartaner,  das  pafst  zu  ihrer  bekannten 


78  II.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

die  beseitigung  von  Chalkis  als  selbständige  macht  im  Interesse  ihres  see- 
handels  zu  begrülsen  und  günnlen  den  Aegineten  den  hader  mit  Athen, 
das  ihnen  in  seiner  schwäche  zur  see  vorläufig  noch  gleichsam  als  eignes 
hinterland  erschien,  dessen  erzeugnisse  sie  zu  verfrachten  hätten,  es 
kann  keinem  zweifei  unterliegen,  dafs  Athen  aus  dieser  neuen  und  viel 
schwereren  gefahr  nur  so  hat  gerettet  werden  können,  dafs  es  in  den 
peloponuesischen  bund  eintrat.*")  erst  so  wird  verständlich,  dafs  die  ge- 
schädigten nachbarn  ihm  ruhe  liefsen.  wie  viele  jähre  diese  consolidirung 
der  neuen  demokratie  nach  aulsen  gedauert  hat,  ist  unbekannt,  für  die 
innere  ist  das  jähr  des  Hermokreon  (wahrscheinlich  501/0)  der  abschlufs, 
in  dem  die  formel  des  ratseides  festgestellt  ward,  die  ohne  zweifei  die  aus- 
drückliche Verpflichtung  auf  die  demokratie  und  die  Verfluchung  der 
tyrannis,  wahrscheinlich  auch  des  anschlusses  an  Persicn  enthielt,  gleich- 
zeitig beschloi's  man  auch  in  dem  collegium  der  Strategen  die  Volksver- 
tretung nach  den  neuen  phylen  durchzuführen;  da  die  feldherrn  immer 
noch  regimentscommandeure  unter  dem  commando  des  polemarchen 
blieben,  die  aushebung  immer  besorgt  haben,  so  heilst  das,  dafs  die,, 
bildung  des  heerbannes  nach  der  neuen  gliederung  des  Volkes  erst 
jetzt  eingeführt  ward,  es  war  das  eine  sehr  bedeutende  Stärkung  der 
demokratie.  nun  gab  es  keine  kriegsgenossenschaft  der  Paraler  mehr, 
wie  sie  in  richtiger  wiedergäbe  der  alten  zeit  Euripides  einführt,  son- 
dern der  Eleusinier  diente  mit  dem  Dekeleer  zusammen,  der  Aphidnaeer 
mit  dem  Phalereer.  das  gemeingefühl  der  neuen  regimenter  ist  rasch 
erwachsen;  es  lebt  in  den  leichensteinen  des  Kerameikos  und  in  mat- 
terem abglanze  in  den  leichenreden :  aber  schon  unsere  berichte  über 
die  Schlacht  von  Marathon  unterscheiden  die  regimenter  und  Kleidemos  ^ 
der  atthidograph  hat  die  besonderen  Verdienste  der  Aiantis  bei  Marathon 
und  Plataiai  so  stark  hervorgehoben,   dafs  man  annehmen  mufs,  er  hat 


kriegführung.  daran  schliefst  Herodot  die  Übersiedelung  des  Hippias  nach  Sigeion 
und  die  definitive  abwendung  Athens  von  den  Persern  und  lenkt  in  seine  erzählungj 
von  der  reise  des  Aristagoras  durch  Hellas  wieder  ein,  die  etwa  502  1  war. 

10)  Ich  habe  das  früher  aus  den  latsachen  geschlossen  (Kyd.  115)  und  lege  ihnen 
auch  jetzt  allein  das  entscheidende  gewicht  bei.    aber  manchem  imponirt  ein  zeugnis 
mehr.     Thukydides  läfst  den  Euphemos  in  Kamarina  sagen  (6,  82)  rjfteie  .  .  .  üelo- 
novvrjaiois  .  .  .  say.exjjäfied'a  ox(o  roönco  r^xiara  vnaxovaofied'a.    xal  fiEza  ra  Mr/-  . 
Sixa  vavS  xrrjaafisvoi  rrjS  fiev  y/axedaifiovieov  uqx^jS  nal  i^ysfiovias   anrjXXäyTj^iBV,' 
und  er  setzt  dies   Verhältnis   dem   gleich,   in  das  die  lonier  zu  Athen  traten,     bei-' 
läufig,  ein  Euphemos  stellt  453  ein  amendement  zu  gunsten  der  Egestaeer  CIA  IV  139:; 
deshalb   ist  dieser  zum   Sprecher   in  Sicilien   ausersehn,     übrigens  ist  er  von  Anti-i 
sthenes  (Athen  220^)  unter  die  üblen  genossen  der  Periklessöhne  eingerückt. 


Athen  nach  5U7.     Verwickelung  mit  Persien.  79 

in  ihr  gedient,  geschätzt  hat  man  diese  empfindungen  schon  früher 
richtig;  das  aher  haben  wir  erst  durch  Aristoteles  erfahren,  dafs  die 
schönen  siege  über  die  Boeoter  und  Chalkidier  noch  von  den  aUen,  uns 
unbekannten,  heerverbänden  geschlagen  sind. 

Die  demokratie  hat  vielleicht  schon  501  sich  verschworen,  mit  den  verwicke- 
Persern  keinen  vertrag  zu  schhefsen ,  und  es  mag  sein ,  dafs  sie  durch  Persien, 
das  ansinnen,  das  ihr  von  jener  seite  gestellt  war,  den  Hippias  wieder 
aufzunehmen,  gereizt  war.  man  vergafs  es  gern,  dafs  man  im  dränge 
der  not  von  507  selbst  zuerst  dort  hilfe  gesucht  und  die  gesandten 
sogar  die  Unterwerfung  Athens  augeboten  hatten,  jenes  vorgehn  war 
ganz  begreiflich  gewesen,  als  Athen  von  allen  selten  bedrängt,  von  Sparta 
sogar  mit  der  rückführung  des  Hippias  bedroht  war.  eben  so  begreif- 
lich war  es,  dafs  man  die  gesandten  desavouirte,  sobald  man  zu  Sparta 
wieder  leidlich  stand,  die  politik  des  Staates  Athen  hatte  eben  binnen 
wenig  Jahren  eine  volle  axendrehung  gemacht,  erst  mit  Sparta  und  den 
Alkmeoniden  gegen  Hippias,  dann  mit  Sparta  gegen  die  Alkmeoniden, 
dann  mit  den  Alkmeoniden  gegen  Sparta  und  Hippias.  jetzt  war  man 
wieder  auf  dem  Standpunkte  von  510,  Hippias  aber  hatte  seinen  rück- 
lialt  an  seinem  lehnsherrn  dem  Perserkönig,  das  wies  den  Athenern 
für  ihr  verhalten  gegen  Persien  die  wege.  es  kam  hinzu,  und  das 
war  ungleich  wirksamer,  dafs  die  demokratie  sich  gegen  den  beschützer 
aller  zwingherren ,  das  hohe  nationalgefühl  der  ältesten  lonierstadt  sich 
i!en  bedrückten  stammesgenossen  drüben  zuwandte,  und  Persien  drohte 
wirklich,  das  begriff  man  im  nördhchen  Hellas  eher  als  im  Peloponnes,  wo 
Sparta  und  Argos  ihre  alten  händel  ausfuchten ,  ohne  viel  in  die  ferne 
zu  sehen,  die  parteien  begannen  sich  zu  scheiden,  wenn  Euboia  und 
Athen  durch  die  Sympathie  und  auch  durch  ihr  handelsinteresse  zu  den 
jtädten  Thrakiens  und  Asiens  gewiesen  waren ,  so  mufsten  Thessaler 
und  Boeoter  mit  den  Persern  gehn,  und  dann  wieder  die  Phoker  auf 
die  Seite,  wo  die  bedrücker  nicht  waren,  zwischen  denen  eingeklemmt 
sie  kaum  leben  konnten. 

Erst  könig  Dareios  hat  die  Perserherrschaft  den  Hellenen  drückend 
gemacht,  weil  er  ihnen  mit  kraftvoller  machtentfaltung  eine  wirkhche 
Reichsgewalt  vor  äugen  stellte,  und  bald  gieng  er  planmäfsig  zu  der 
Unterwerfung  Europas  vor.  der  zug  gegen  die  Skythen  mislang  zwar, 
aher  das  machte  nicht  viel  aus;  Aischylos  bat  ihn  ganz  und  gar  ver- 
gessen können,  um  515  dachte  man  noch  wenig  an  Persien,  und  was 
die  ionischen  Stadtherren  an  der  brücke  geredet  haben  mochten,  kam  nicht 
ins  pubUcum,  das  in  der  tat  auch  nicht  viel  Interesse  daran  hatte,  ob  dieser 


80  II.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

oder  jener  tyrann  aufstieg  oder  fiel,  aber  das  gieng  alle  an,  dafs  die 
llellespontische  gegend  ganz  und  gar  persisch  ward,  eine  insel  nach  der 
anderen  unterworfen  ward,  feste  Zwingburgen  in  der  salrapie  Thrakien 
sich  erhoben,  am  Strymon,  wo  die  Hellenen  nie  vermocht  hatten,  handels- 
städte  zu  gründen,  die  erzeugnisse  des  I'onlos  erhielt  Hellas  fortan  nur 
durch  die  gnade  der  Perser"):  zumal  Athen  mufste  diese  verhinderte  Sach- 
lage bitter  empfinden,  der  Philaide  Miltiades  war  vasall  des  grofsherrn  so 
gut  wie  llippias.  diese  tyranncn  empfanden  das  straffere  regiinent  des 
Dareios  am  peinlichsten,  die  tributzahlung  auf  grund  einer  landvermes- 
sung  durch  königliche  bcamte,  die  ständige  conlrolle  durch  die  Satrapen, 
die  nicht  selten  einzelne  personen  scharf  treffende  königliche  allgewalt. 
so  machten  sie  den  versuch,  sich  des  steigenden  nationalen  bewufstseiiis 
zu  bedienen,  das  sie  selbst  nur  heuchelten,  und  Aristagoras  von  Milet 
kam  selbst  nach  Europa  um  hilfe.  Sparta,  der  vorort  des  hundes,  wies 
ihn  ab.  es  verdient  weder  lob  noch  tadel,  noch  soll  man  nach  andern 
motiven  suchen:  Asien  lag  ganz  aufserhalb  seines  gesichtskreises'^j:  das 
hat  es  noch  nach  Salamis  bewiesen,  aber  die  ionischen  städte ,  Athen 
und  Eretria'^),  liefsen  sich  verführen,  und  eine  kleine  schar  ihrer  bürger 
beteiligte  sich  an  der  Verbrennung  von  Sardes  (wahrscheinlich  499).  nach 
der  niederlage  bei  Ephesos  gab  Athen  die  sache  loniens  verloren  und 
glaubte  wol,  dafs  das  unüberlegte  vorgehen  keine  folgen  haben  würde, 
die  einsichtigen  aber  wufsten  nun,  dafs  die  existenz  des  Staates  auf  des 
messers  schneide  stand. 

Die  demokratische  zeit  leitet  sich  in  der  besten  und  vornehmsten 
weise  damit  ein,  dafs  die  personen  der  führer  hinter  dem  volke  ver- 
schwinden, die  ersten  glänzenden  siege  sind  an  keines  feldherrn  namen 
geknüpft;  von  leitenden  Staatsmännern  hört  man  nichts,  für  die  ein- 
sieht in  die  Zeitgeschichte  ist  das  bedauerlich,  denn  so  wenig  wie  auch 


11)  Die  anekdote  (Heiod.  7,  147)  spricht  das  gut  so  aus,  dafs  sie  Xerxes  die 
getreideschifTe  den  Hellespont  passiren  läfst,  weil  sie  in  'seine  provinz'  Hellas  führen,  i 

12)  Vollends  eine  Unmöglichkeit  ist,   dafs  die  Skythen  sich  um  seine  beihilfe 
bemüht  haben  sollen,  Herod.  6,  84.    die  entstehung  dieser  fabel  hat  Nöldeke  richtige 
beurteilt  (Gesch.  Irans  36).    sie  richtet  sich  schon  dadurch,  daTs  sie  in  der  erzählung  ; 
des  Skythenkrieges  selbst  nicht  berücksichtigt  wird. 

13)  Eretria  hat  mindestens  einen  teil  von  Euboia  beherrscht,  die  Perser 
nehmen  ja  auch  490  zunächst  Karystos,  das  durch  den  fall  Eretrias  frei  wird  und 
sich  gegen  das  attische  Reich  sträubt,  aber  auch  die  nächstliegenden  Kykladen 
werden  unter  Eretrias  hoheit  gestanden  haben;  Simonides  hat  zuerst  für  Eretrier 
gedichtet,  dafs  es  mit  Athen  gegen  Chalkis  gestanden  hat  und  einen  teil  von  der 
beute  erhalten,  ist  eine  ganz  sichere  folgerung. 


Verwickelung  mit  Persien.  81 

die  demokratie  der  führer  entraten  kann,  so  wenig  verschwand  die 
macht  der  geschlechter  damit,  dafs  sie  im  aufbau  des  Staates  durch  die 
gemeinde  ersetzt  wurden,  und  ein  staat  mag  in  ein  par  jähren  die 
verschiedenste  poHtische  richtung  versuchen :  der  einzelne  wechselt  nicht 
so  rasch  seine  Stimmung  und  seine  ansieht.  Kleisthenes  zumal  mufste 
immer  ein  todfeind  Spartas  bleiben,  seit  dieses  darüber  aufgeklärt  war, 
von  ihm  glänzend  dupirt  zu  sein,  es  hat  das,  wenigstens  im  hasse  con- 
sequent,  den  Alkmeoniden  nie  vergessen,  er  wird  auch  die  annäherung 
an  Persien,  deren  man  sich  nachher  so  sehr  schämte,  zu  verantworten 
haben,  was  weiter  aus  ihm  geworden  ist,  ist  gänzlich  unbekannt,  die 
fiihrung  des  geschlechtes  gieng  vielleicht  zunächst  auf  seinen  bruder 
Hippokrates  über,  der  geboren  sein  mufs,  als  der  ältere  Megakles  mit 
Peisistratos  freundliche  beziehungen  suchte,  denn  er  ist  nach  dem  vater 
des  Peisistratos  benannt,  als  er  auch  starb,  übernahm  sein  junger 
söhn  Megakles  die  führung  der  partei,  und  dieser  trat  den  ahen  freun- 
den des  Hippias  wirklich  nahe,  das  war  begreiflich,  ohgarchische  ten- 
denzen  hatten  beide  parleien  nicht,  und  das  gefühl,  hoch  über  dem 
demos  zu  slehu,  obwol  sie  ihn  beschützten,  hatten  sie  beide,  und 
wenn  die  tyrannenfreunde  vielleicht  am  ehesten  mit  Persien  sympathi- 
sirten,  so  gieng  das  mit  der  alkmeonidischen  verfeindung  mit  Sparta 
gut  zusammen,  wenn  wir  die  archontenliste  wenigstens  noch  vollstän- 
dig besäfsen,  so  hefse  sich  hoffen,  aus  den  namen  etwas  zu  lernen, 
denn  seit  dem  stürze  der  tyrannen  waren  die  wählen  directe,  und  noch 
immer  galt  der  beamte,  der  das  jähr  benannte,  für  den  einflufsreichsten. 
Isagoras  hat  seine  revolution  als  archon  gemacht;  dafs  sich  Kleisthenes 
an  seinen  platz  gestellt  hat,  ist  eine  kaum  abweisbare  Vermutung,  und 
das  nächste  jähr  scheint  einem  Alkmeon  zu  gehören,  dem  vater  jenes 
Leobotes,  der  den  Themistokles  beim  Areopage  denunzirt  hat.  aber  dann 
fehlen  viele  namen  und  die  bekannten  sind  für   uns  leer.'^)     auch  den 


14)  504/3  'Ay.eaTOQiSr,i.  der  name  kehrt  474/3  wieder,  das  war  also  ein  vor- 
nehmes haus  damals,  der  name  ^AxearcaQ  steht  in  dem  pherekydeischen  stemma  der 
Philaiden;  zu  Aristophanes  zeit  heifst  ein  tragiker  so,  der  in  vornehmen  clubs  ver- 
kehrt, aber  für  einen  Skythen  gilt  (Wesp.  1221  mit  schol.).  es  ist  ein  name  von 
zweifelhafter  Vornehmheit,  denn  er  bedeutet  'flickschneider';  aber  die  gentilicische 
endung  macht  ihn  vornehm.  501/0  'EQiionQtcov  klingt  sehr  ionisch.  500/499  in' 
uQxövroä  MvQov  oder  Hfivqov  ist  corrupt  (Dionys  5,  50.  anoXoyCa  vtisq  Mvqqov  ist 
titel  einer  antiphontischen  rede,  aber  auch  diese  form  ist  seltsam),  vielleicht  gehört 
in  diese  zeit  der  erste  Phainippos,  denn  der  archon  der  Marathonschlacht  führt  das 
distinctiv  ro  SsixeQov.  der  name  erinnert  an  den  vater  des  daduchen  Kallias 
(Herod.  6,  121).  ferner  Lakrateides  (schol.  Ar.  Ach.  220),  aus  dem  geschlechte  der 
V.  Wilamowhz,  Aristoteles.    II.  6 


82  II.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

lührer  der  asiatischen  expedition  Melanthios  kennen  wir  nicht  weiter.**) 
erst  496  wird  es  licht,  da  wählte  das  volk  den  Ilipparchos  zum  archon 
und  sprach  damit  entschieden  aus,  dafs  es  mit  dem  ionischen  aufstände 
nichts  zu  thun  hahen  wollte,  der  von  Aristagoras  verloren  gegeben  war, 
aber  von  den  Städten,  nam(!nllich  Byzantion,  Chios,  Miletos,  um  so 
energischer  geführt  ward,  die  Stimmung  des  volkes  schlug  erst  um, 
als  Milet  gefallen  und  zerstört  war.  im  frühjahr  493  war  die  regierung 
(der  rat)  freilich  noch  stark  genug,  den  tragiker  Phrynichos  in  geld- 
bufse  zu  nehmen,  weil  er  mit  seiner  kunst  für  das  gefallene  Milet  ge- 
wirkt hatte.'")  als  aber  der  tyrann  Miltiades  um  aufnähme  in  seinen 
alten  bürgerverband  nachsuchte,  ward  ihm  das  trotz  lebhaften  Wider- 
spruchs bewilligt ,  und  zum  archon  ward  Themistokles  aus  Phrear  ge- 
wählt, der  mann  der  aclion. 
Miltiades.  Miltiades  hatte  die  thrakischen  inseln  verloren,   aber  im  Chersones 

sich  behauptet,  wenn  auch  mühsam"),  und  an  dem  aufstände  kaum  anteil 
genommen,  dennoch  wufste  er,  dafs  die  Perser  mit  den  compromittirten 
sladtherren  aufräumten,  und  zog  es  vor,  seine  ungeheuren  schätze**)  in 
Sicherheit  zu  bringen,  gewillt,  wenn  die  Perser  ihn  verfolgten,  in  Athen 
.  widerstand  zu  leisten,  auch  in  Athen  konnte  man  sich  nicht  verhehlen, 
dafs  seine   aufnähme  consequenzen   hatte,     aber   der  reiche   tatkräftige 


Eumolpiden  (Isaios  7,  9,  wo  trotz  der  rasur  der  liandschrift  die  falsche  form  AaxQu- 
riSrjs  edirt  wird,  'JSy.  aQx.,  86  niv.  3.  beiläufig:  das  geschlecht  bewahrt  also  eine 
voratlische  namenforra,  wie  Aä^a'/fti  und  Aa^ä^rfi).  endlich  Kißon,  unter  dem 
der  ^Equi]s  dyoQaXos  geweiht  ward  (vgl.  Herrn.  21,  600). 

15)  Man  denkt  an  den  afthidographen  (vgl.  oben  I  S),  und  den  tragiker,  aber 
es  ist  überhaupt  ein  gut  attischer  name  und  sicher  ein  alter,  denn  es  ist  ein  ad- 
jektiv,  von  Milav&os  gebildet  wie  JioviawG  Ano'/.Xcüvios  Jios  JT]ur^r^i,os  von  den 
götternamen.  MäÄav&os  aber  ist  der  vater  des  Kodros  in  der  attische  legende,  in 
Wahrheit  der  Dionysos  von  Melaiuai. 

16)  Vgl.  über  die  juristische  und  politische  berechtigung  dieser  mafsregel 
Herakl.  I  91. 

17)  495  hatte  ihn  eine  Invasion  der  Skythen  auf  kurze  zeit  vertrieben.  Herod. 
6,  40.     die  faselei  des  Nepos  3  kann  nichts  gegen  Herodot  ausmachen. 

18)  Sie   ertrugen   ohne   sich  zu   erschöpfen   eine   geldstrafe   von  50  talenten,    ^ 
Herod.  6,  136.  [Demosth.]  26,  6.    auch  hier  darf  die  spätere  fabel  nicht  beirren,    das  •  I 
eingreifen  des  reichen  Kallias  ist  in  dieser  geschichte  eben  so  fabelhaft  wie  in  der 
des  Aristeides;   erfunden   hat  es  vermutlich  der  Sokratiker  Aischines.     Ephoros  hat 
den  Kimon  das  geld  durch  eine  andere  heirat  gewinnen  lassen,  ixrlaai  avrov  t« 

v'  rdXavra  yi^fiavra  inixXr^oov  nXovaiov  ßiov  habe  ich  in  der  einleitung  zum 
Kimon  des  Aristides  für  ;'.  yvvalxa  TtXovainv  aus  einer  römischen  handschrifl 
notirt.  die  worte  befriedigen  noch  nicht;  die  geschichte  ist  zweifelhaft,  obwol  weder 
die  eben  noch  die  descendenz  Kimons  meines  erachtens  zuverlässig  bekannt  sind. 


Miltiades.    Themistokles.  83 

manu  imponirte  dem  volke,  mit  der  parle!  der  alten  tyrannenfreunde 
verbanden  ihn  die  traditionen  seines  hauses,  der  actionspartei  war  der 
]*erserfeind  lieb,  so  trat  er  in  den  bürgerverband  ein,  in  den  demos  der 
Lakiaden,  in  dessen  gemarkung  sein  vorstädtisches  gut  gelegen  haben 
wird :  bezeichnend,  dafs  man  ihn  dem  diakrischen  demos,  der  nach  dem 
Philaidengeschlechte  biefs,  nicht  zuschreiben  mochte,  die  furcht  vor  dem 
tyrannen  war  gewifs  nicht  unberechtigt;  aber  dafs  Miltiades  die  führung 
der  antidemokratischen  partei  sofort  übernommen  hätte,  ist  gewifs  nichts 
als  schematische  geschichtsconstruction. 

Der  neue  archon  Themistokles  hatte  nur  sein  politisches  genie  ihemi- 
einzusetzen ,  aber  das  war  der  höchste  einsatz.  gewifs  hatte  er  die  ®'°^*- 
torderung  längst  aufgestellt  und  wufsten  seine  Wähler,  was  seine  wähl 
liedeutete:  die  gründung  einer  flotte  und  eines  hafens.  als  archon 
hat  er  den  hafen  gebaut,  der  als  kriegshafen  von  vorn  herein  ge- 
^edacht  war,  also  die  gründung  der  flotte  prinzipiell  einschlofs.  in  der 
tat  war  Athen  von  der  seeseite  ganz  offen :  mit  dem  täglichen  Seewinde 
konnten  die  Aegineten  in  ein  par  stunden  auf  der  rhede  von  Phaleron 
sein;  man  hatte  es  noch  jüngst  erfahren,  und  da  die  stadt  Athen  längst 
den  allen  mauerring  gesprengt  hatte,  auch  die  befestigungen  der  bürg 
nach  507  nicht  wieder  hergestellt  waren  ***),  so  mufste  viel  geschehen. 
Themistokles  fieng  mit  dem  hafen  an.  die  schiffe  gehörten  dazu,  denn 
die  Sollstärke  der  kriegsmarine  belief  sich  nur  auf  die  alten  50  offenen 
kähne,  von  einer  construction,  die  schon  in  gebrauch  war,  als  Theseus 
nach  Delos  segelte  oder,  wie  wir  moderner  sagen 'können ,  als  man  die 
Dipylonvasen  bemalte,  die  seestaaten  waren  aber  längst  zum  bau  von 
trieren  fortgeschritten  oder  hatten  doch  wenigstens  gedeckte  schiffe,  auf 
denen  schützen  und  lanzenkämpfer  über  den  köpfen  der  rüderer  fechten 
konnten,  diese  galeeren  verlangten  eine  grofse  zahl  von  menschen,  ihr 
bau  also  eine  sehr  bedeutende  Steigerung  der  Wehrpflicht  und  damit 
eine  ungeahnte  belastung  der  finanzen.  und  wenn  die  menschen  auch 
ülierreichhch  zur  Verfügung  standen,  weil  ja  die  hopliten  nur  aus  den 
drei  oberen  steuerclassen  genommen  wurden,  so  bedingte  die  einstellung 
der  theten  auf  der  flotte  doch  zweierlei:  eine  belastung  der  besitzen- 
den; denn  man  darf  annehmen,  dafs  die  trierarchie  als  öffentHche  last 
mit  dem  trierenbau  von  vorn  herein  verbunden  war;  und  eine  Steige- 
rung des  Selbstgefühles,  also  auch  der  politischen  aspirationen  der  theten. 


19)  480   mufslen  die    Verteidiger  sich  mit  türflügeln  und  balken  die  berufene 
hölzerne  mauer  herstellen  (Herod.  8,  51):  also  war  die  steinerne  nicht  im  stände. 

6* 


84  n.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

in  der  Volksversammlung  hatten  diese  das  Stimmrecht ;  hei  den  wählen 
wirkten  sie  mit:  sohald  sie  sich  zu  gemeinsamem  wollen  vereinten, 
konnten  sie  hier  ihren  willen  durchsetzen,  wurden  dann  aber  auch  ihrer 
macht  sich  bewufst.  so  ward  der  slaat  durch  die  sorge  für  seine  existenz 
gezwungen,  sich  dem  nieere  zuzuwenden,  damit  war  die  demokralie 
notwendig  verbunden,  sie  allein  konnte  Athen  retten  und  hat  es  ge- 
rettet, aber  die  rücksichten  auf  die  staatsünanzen  und  auf  die  forde- 
rungen  der  unbemittelten  hürger  mufste  sie  früher  oder  später  auf  die 
bahn  einer  expansiven  politik  treiben,  denn  so  lagen  die  Verhältnisse 
immer  noch,  dafs  das  ideal,  dem  der  unbemittelte  zustrebte,  ein  eigner 
bauernhof  war.  wie  der  demos  sofort,  als  er  Chalkis  besetzte,  4000  land- 
lose gemacht  hat,  so  ist  schon  476  die  colonisation  der  Strymontales  ver- 
sucht worden,  es  gehörte  keine  Sehergabe  dazu,  diese  consequenzen  der 
maritimen  politik  Athens  zu  ziehen ;  aber  gerade  darum  scheuten  sich 
viele  davor,  und  dem  klar  erkannten  ziele  festen  Schrittes  zuzustreben 
ist  kein  kleiner  rühm,  der  moderne  betrachter  mufs  in  Themistokles 
den  fortsetzer  des  kleisthenischen  Werkes  bewundern  und  wird  ihm  den 
nächsten  platz  unter  den  attischen  Staatsmännern  zugestehn,  den  er  in 
der  Schätzung  seines  Volkes  durch  habsucht,  eigenliebe  und  verrat  ver- 
scherzt hat.  dafs  er  seine  plane  nicht  ohne  heftige  parteikämpfe  durch- 
gesetzt hat,  sagt  uns  mehr  die  natur  der  sache  und  die  langsamkeit  des 
fortschritts  als  die  Überlieferung,  aus  seinem  amtsjahre  wissen  wir  nichts 
als  den  hafenbau.  Miltiades,  der  sein  gegner  genannt  wird,  war  es 
hierin  schwerhch -°) :  denn  ohne  flotte  war  ein  widerstand  gegen  Persieii 
undenkbar. 
Die  Schlacht  Im  sommcr  490  kam  der  Perser.    Miltiades,  den  man  wol  in  der  vor- 

"^^'thon'.^    aussieht  zum  Strategen  für  die  Oineis  gewählt  hatte ^'),  erzwang  den  aus- 
marsch  und  erzwang  die  schlacht,  als  offensivschlacht,  weil  die  Perser  den 


20)  Das  erzählt  Stesimbrotos  (Plut.  Th.  4),  weiter  nichts,  deno  Plutarch  fügt 
diesen  wie  den  Piaton  aus  eigner  lecture  in  eine  eigne  betrachtung  über  den  nutzen 
oder  schaden  der  flottengründung.  diese  aber  ist,  wie  das  detail  lehrt,  die  von  483, 
kann  also  mit  Miltiades  nichts  zu  tun  haben,  dafs  Stesimbrotos  den  n^oarärTis  > 
T(öv  yvwQCfiojv  Atiu  TiQoataxijS  lov  Srjfiov  in  diesem  cardinalen  punkte  widerstreben  i 
läfst,  ist  natürlich,  und  Marathon  war  ja  auch  eine  landschlacht.  aber  die  tiqo- 
araoia  icöv  yvcogi/xcov  ist  von  Kirnen  auf  seinen  vater  übertragen,  der  kaum  drei 
jähre  in  Athen  gelebt  hat. 

21)  Dafs  Aristeides   und  Themistokles  Strategen   ihrer  phylen  Antiochis  und    , 
Leonlis  gewesen  wären,   wie  die  spätere  Überlieferung  behauptet,   ist  unverbürgt, 
glaubhafter    noch    von    dem    ersteren.     die  Jugendgeschichte   von   beiden  ist  völlig!  ■ 
werllos.  ( 


Die  Schlacht  bei  Marathon.  85 

angriff  auf  die  in  den  defilöes  vorteilhaft  postirten  Athener  nicht  wagten. 
es  ist  der  Unverstand  und  die  misgunst  allein,  die  diesem  tage  abstrei- 
ten, dafs  das  schlichte  vertrauen  auf  gott  und  die  eigene  tüchtigkeit 
wider  alle  voraussieht  menschlicher  kleingläubigkeit  den  tapfern  den 
sieg  gegeben  hat.^^)  das  ist  die  hauptsache;  ob  die  feinde  alle  in 
schlachtreihe  standen,  wo  die  (fabelhafte)  reiterei  blieb,  ob  die  Athener 
im  Sturmschritt  oder  im  laufschritt  vorgiengen -^),  und  wann  das  signal 
"marsch!  marsch!'^  gegeben  ward,  das  sind  schliefslich  bagatellen.  die 
Perser  fuhren  ab ,  geschlagen ,  aber  natürlich  materiell  im  stände  an 
einem  andern  punkte  Attikas  mit  überlegnen  Streitkräften  zu  landen, 
aber  es  ist  mit  dem  moralischen  eindruck  etwas  eigentümliches,  sie 
verspürten  nach  dieser  erfahrung  keine  lust,  wieder  gegen  Athener  zu 
fechten,  noch  479  war  es  so.  die  Athener  aber  konnten  die  tragweite 
ihres  erfolges  so  bald  nicht  ermessen,  als  das  lakonische  beer,  das  aus 
jener  bequemen  reHgiosität,  die  immer  einen  starken  beigeschmack 
von  furcht  und  von  bösem  willen  hat,  zu  spät  eintraf  und  sich  die  ge- 
fürchteten herren  Asiens  in  pumphosen  mit  krummen  säbeln  und  silbernen 
felilbetten  betrachtete,  da  entschuldigten  sich  die  attischen  bürgertruppen 
l)ei  den  hochedlen  Spartiaten,  die  nach  dem  glauben  der  zeit  den  waffen- 
nihm  allein  acht  und  unverfälscht  zu  führen  berechtigt  waren,  beinahe 
wie  klein  Roland  "  ach  edler  vater,  zürnt  mir  nicht,  dafs  ich  erschlug  den 
groben  wicht,  die  weil  ihr  eben  schliefet."  479  aber  meinten  dieselben 
Spartaner  "kämpft  ihr  lieber  mit  den  Persern;  ihr  kennt  sie  ja."  vor 
den  Persern  hatte  man  verlernt  sich  zu  fürchten,  aber  vor  verrat  fürch- 
tete man  sich  vielleicht  schon  auf  dem  schlachtfelde^),   und  schwerhch 


22)  T]igiaxov  xaTatpvyrjv  airols  eis  aviois  fiovovS  elvai  y.nl  rois  d'eovs  sagt 
Platon  Ges.  699'*  von  den  Athenern  von  480.    zehn  jähre  früher  pafst  es  noch  besser. 

23)  Der  fabelhafte  lauf  sollte  niemanden  quälen :  Artemis  hat  ihnen  die  kraft 
zu  den  ßoriSgo/uia  gegeben  und  erhält  zum  danke  das  ziegenopfer,  vermutlich  auch 
einen  festlichen  S^ojuos  in  waffen.     vgl.  I  7,  anm.  132. 

24)  Die  famose  geschichte,  dafs  ein  schild  von  Verrätern  aufgesteckt  wäre, 
um  die  abfahrenden  Perser  nach  der  wehrlosen  Stadt  zu  locken  (Herod.  VI  115,  127), 
lichtet  sich  selbst,  welche  Verabredung  sollte  denn  vorhergegangen  sein,  welche 
Voraussetzungen  gemacht,  dafs  die  Schilderhebung  den  Persern  verständlich  geworden 
wäre?    und  wohin  ist  der  Verräter  geklettert?    etwa  auf  den  Brilettos?    die  Perser 

I  fuhren  nach  Süden  ab,  die  stadt  war  wehrlos:  da  war  der  rückmarsch  für  die  Sieger 
!  ein  gebot  der  klugheit  und  der  not.  es  war  ein  hartes  gebot,  und  es  ist  ein  schönes 
1  zeichen  für  die  disciplin,  dafs  es  erfüllt  ward,  wenn  sich  dann  die  sorge  um  die 
i  heimat  und  der  Unwillen  über  den  gewaltmarsch  (einerlei,  wie  lange  er  dauerte)  und 
!  die  Wut  wider  die  Verräter,  deren  treiben  sie  fürchteten,  zu  dem  glauben  verdichtet 
liat,  den  Persern  hätte  ein  abscheulicher  mensch  die  fahrt  eingegeben,  und  der  oder 


86  H.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

ohne    griind ;    war    doch   ehen    Eretria   durch   verrat   gefallen,     da   der 

kämpf  mil  Maralhon  unmöglich  zu  ende  sein  konnte,  war  allerdings  eine 

consequentere   politik  notwendig,  als  man  sie  499 — 94  getrieben  hatte. 

Die  besei-  in   der   ersten   freude   war  Miltiades  herr   der  läge   und   er  nutzte  sie 

ligunj^  der 

grofsen  iu  tyrannenart  aus.  sich  selbst  liefs  er  eme  flotte  mitgeben;  was  er 
iKuisei.  mit  ihr  machte,  war  seine  saclie.  das  ist  der  weg  zur  tyrannis,  man 
kann's  nicht  anders  nennen,  sein  zug  gegen  Faros,  an  sich  wider  das 
Interesse  Athens,  scheiterte ;  geschlagen  und  schwer  verwundet  kehrte  er 
heim,  aber  die  Athener  waren  keine  thrakischen  Dolonker,  die  ihren 
herrn  freudig  wieder  aufgenommen  hatten,  als  er  von  der  flucht  zurück- 
kehrte. Xanlhippos,  Ariphrons  söhn,  aus  einem  -vornehmen  paraUschen 
geschlechte ■■^),  der  schwager  des  Megakles,  belangte  ihn  vor  dem  volke 
als  e^aTtar^aag  rov  öijiiiov  in  der  nächsten  regelmäfsigen  Versamm- 
lung, das  Volk  war  so  erbittert,  dafs  es  wie  später  an  den  feldherren 
im  Argin usenprocesse  selbst  richter  spielte,  und  nur  das  eingreifen  des 
Vorsitzenden  bewahrte  ihn  vor  der  hinrichlung.  die  bufse  von  50  ta- 
leuten  konnte  das  vermögen  des  tyranncn  tragen;  sein  söhn  ist  ein 
reicher  mann  geblieben.     Miltiades   selbst  starb  an  der  wunde.**^)     zum 

der  hätte  da  oder  da  einen  erliobnen  scliild  gesehn ,  gewifs  hätte  das  was  zu  be- 
deuten, u.  s.  w.,  so  ist  das  ganz  der  Situation  gemäfs.  natürlich  haben  sie  auch 
gleich  bestimmte  personen  bezichtigt,  lediglich  weil  sie  auf  diese  verdacht  hatten, 
aber  damit  ist  die  geschichte  zu  ende,  eine  sehr  verkehrte  kritik,  aber  ganz  ia 
seinem  sinne,  ist  die  des  Herodotos,  der  das  factum  zugibt  und  die  Alkmeoniden 
von  der  schände  reinwäscht,  lediglich  auf  die  probabilität  hin,  dafs  die  befreier  un- 
möglich mit  den  tyrannen  conspiriren  konnten,  jetzt  werden  wir  wol  erleben,  dafs 
die  Alkmeoniden  bezichtigt  werden,  aber  der  schild  preisgegeben  wird:  denn  wer 
selbst  von  Sunion  heraufgefahren  ist,  selbst  auf  Brilettos  und  Lykabettos  gestanden 
und  die  äugen  aufgemacht  hat,  mufs  diese  fabel  durchschauen. 

25)  Der  name  ^AgifQcov  war  den  Athenern  unverständlich;  die  ostraka  haben 
'AoQifQcov  (wie  der  Athener  für  'AqaifQcav  cos  'AQaCvoosAQaiTtnr)  gesprochen  hat), 
in  der  tat  ist  diese  vorsylbe  nicht  mehr  attisch,  es  ist  also  einer  der  altererbten 
namen.  er  steht  auch  unter  den  ältesten  archonten  oder  königen.  Perikles  nannte  seinen 
zweiten  söhn  Paralos,  daher  habe  ich  seine  heimat  immer  in  der  Paralia  gesucht; 
TlaQÜlios  erscheint  wirklich  als  name  eines  Anagyrasiers  CIA  II  660.  sicherlich  mit 
unrecht  hat  TöpfTer  das  geschlecht  in  den  Buzygen  gesucht,  was  städtischen  adel 
ergeben  würde,  sein  einziger  beweis  ist  schol.  Aristid.  pi'o  IFviris  472,  73  Ddf. 
der  scholiast  aber  hat  einen  offenbaren  Irrtum  begangen,  da  erden  vers  des  Eupolis 
ö  Bov^vyrje  aQiaros  ahztj^ios  auf  Perikles  deutet,  während  er  den  Buzygen  Demo- 
stratos angeht,  der  vers  ist  zudem  eine  antwort  auf  eine  frage  des  Perikles,  für 
die  eine  bezeichnung  herzlich  schlecht  passen  würde,  die  auf  Perikles  selbst  zuträfe. 

26)  Wir  sind  gehalten,  nur  auf  Herodot  und  Piaton  zu  hören,  datirt  wird  der 
tod  des  Miltiades  auf  zwei  jähre  nach  der  schlacht  in  der  einleitung  der  rede  des 
Aristides  auf  ihn.     das  ist  trug,  gemacht  um  des  Schuldgefängnisses  willen. 


i 


Die  beseitigung  der  grofsen  adelhäuser.    die  reform  der  archontenwahl.       87 

archon  für  489/8  ward  Aristeides  gewählt,  auch  er  aus  städtischem 
adel-'),  ein  entschiedener  demokrat,  der  mit  Philaideu  und  Alkmeoniden 
gleich  wenig  zu  tun  hatte,  welche  Stellung  er  sonst  in  dieser  zeit 
einnahm ,  ist  nicht  ersichtlich,  es  müssen  aber  jähre  lebhaftester  er- 
regung  gewesen  sein,  denn  das  volk  griff  zu  der  äufsersten  waffe,  zum 
Scherbengericht,  um  einen  festen  curs  zu  bekommen,  es  war  noch 
Kleisthenes  gewesen,  der  diese  institutipn  geschaffen  hatte,  die  er  ohne 
zweifei  fremdem  vorbild,  vielleicht  den  Argivern,  entnahm,  und  die 
solche  wirren,  wie  sie  510 — 507  Athen  fast  um  seine  existenz  gebracht 
hatten ,  beseitigen  sollte.^*)  aber  bislang  war  man  so  ausgekommen : 
jetzt  bejahte  das  volk  die  Vorfrage,  und  gleich  mehrere  jähre  hinter  ein- 
ander. Hipparchos  war  der  erste,  der  aus  dem  lande  verwiesen  wurde, 
dann  ein  oder  der  andere  seiner  anhänger,  dann  Megakles,  den  die 
Chronik  zu  den  tyrannenfreunden  rechnet,  dann  dessen  schwager  Xan- 
thippos.  so  wurden  nach  einander  die  alten  grofsen  geschlechter  besei- 
tigt, Philaiden,  Peisistratiden,  Alkmeoniden.  die  welche  blieben  müssen 
als  die  treibenden  kräfte  bei  diesem  vorgehn  angesehn  werden,  die  beiden 
demokratischen  führer,  Aristeides  und  Themistokles.  als  sie  das  feld  für 
sich  frei  hatten,  wurden  sie  natürhch  rivalen,  und  Aristeides  mufste 
weichen. 

Aber  man  stritt  nicht  nur  um  personen  und  dachte  nicht  nur  an  Die  reform 
Dareios.    die  demokratie  machte  in  demselben  jähre,  wo  der  erste  ostra-    tenwahi. 
kismos  statt  fand,  einen  grofsen  schritt  vorwärts,    der  archon  und  seine 


27)  Das  folgt  nicht  aus  dem  demos  Alopeke,  in  dem  er  ja  nur  507  gewohnt 
zu  haben  braucht,  aber  avoI  daraus,  dafs  er  sein  landgut  und  sein  familiengrab  in 
Phaleron  hatte  (Demetrios  bei  Plut.  1),  den  namen  seines  vaters  Lysimachos  führt 
ein  College  des  Schatzmeisters  Andokides  um  600  (CIA  IV  p.  199).  dafs  Aristeides 
sich  dem  Kleisthenes  angeschlossen  hätte,  ist  erstens  ein  zug  der  Jugendgeschichte, 
die  bei  diesen  männern  allen  nichts  anderes  als  freie  fiction  sein  kann,  zweitens  soll 
er  damit  im  gegensatze  zu  Themistokles  als  conservativer  Staatsmann  bezeichnet 
werden,  wie  diese  grundfalsche  Charakteristik  in  alter  und  neuer  zeit  mode  ist.  in 
Wahrheit  ist  er  TtQOtTrdTrjs  rov  S^uov,  das  zeigt  seine  politik. 

28)  Dafs  Kleisthenes  den  ostiakismos  mit  einer  spitze  gegen  die  Peisistratiden 
und  speciell  gegen  Hipparchos  eingeführt  hätte,  wie  Aristoteles  erzählt  (22,  3), 
ist  falsch  geschlossen,  weder  war  diese  gefahr  507  dringend,  noch  hätte  Kleisthenes 
dann  sich  gescheut,  die  gefährliche  person  so  oder  so  anzugreifen,  der  ostrakismos 
ist  eine  rohe  aber  praktische  entscheidung  des  Volkes,  ob  es  eine  bestimmte  person 
noch  haben  will;  er  entspricht  den  'mistrauensvota'  parlamentarisch  regierter  länder. 
deshalb  ist  immer,  wo  wir  es  controUiren  können,  einer  da,  für  den  der  ostrakismos 
die  unbestrittene  macht  bedeutet,  und  die  erfahrung  mit  Isagoras  konnte  dem 
Kleisthenes  allerdings  dieses  mittel  empfehlen. 


88  !!•    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialles. 

collegen  hatten,  seit  sie  durch  directe  wähl  hestelll  wurden,  eine  über- 
wiegende macht  besessen;  die  wählen  selbst  müssen  den  zwist  der  parteien 
alljährlich  brennend  gemacht  haben,  nun  grifl'  man  auf  den  solonischen 
wahlmodus  zurück,  die  erlosung  aus  einer  durch  wähl  festgesetzten  can- 
didatenliste.  diese  wähl  der  candidaten  ward  den  gemeinden  überwiesen, 
ähnlich  wie  es  beim  rate  geschah;  man  fragt  vergeblich,  wie  denn  die  50 
candidaten,  die  auf  eine  phyle  kamen,  auf  die  gemeinden  verteilt  wurden ; 
vermutlich  ist  die  Präsentation  durch  phylenwahl  bald  eingetreten,  die  der 
später  üblichen  erlosung  von  10  präsentanden  in  der  phyle  vorher- 
gegangen sein  mufs.  der  erfolg  der  neuerung  ist  sofort  ersichtlich,  der 
einflufs  eines  mannes,  der  sonst  das  volk  bestimmt  haben  mochte, 
konnte  nun  nicht  einmal  die  phyle  beherrschen,  das  amt,  das  so  hoch 
gehalten  worden  war,  behielt  den  nimbus  der  höchsten  Stellung  noch 
lange,  hatte  damals  natürlich  noch  viele  wichtige  geschäfte,  vor  allem 
eröffnete  es  die  dauernde  teilnähme  an  der  regierung  allein,  weil  es  die 
stufe  zum  Areopage  war;  aber  die  führenden  männer  verschwinden  mit 
einem  schlage  aus  der  archonlenliste,  und  wenn  der  polemarch  Kalli- 
machos  bei  Marathon  noch  eine  wichtige  person  ist,  so  hört  man  schon 
480  und  479  nichts  mehr  von  dem  polemarchen.  der  tag  der  Strategen 
Aenderung  Und  rheloreu  ist  angebrochen,     die  Strategen  mochten  damals  noch  die 

der  ^irn.— 

tegie.  führung  der  zehn  regimenter  haben ,  obwol  ihre  Verwendung  als 
floltenführer  und  als  deputirte  Athens  im  Hellenenrate  schlecht  damit 
vereinbar  ist.  dann  hat  es  doch  nicht  lange  gewährt,  bis  man  den  fol- 
genreichen schritt  tat,  die  führung  der  regimenter  der  neugeschaffenen 
Charge  der  taxiarchen  zu  übertragen ,  die  Strategen  aber  zu  den  exe- 
cutivbeamten  des  volkes  zu  machen,-^}  damit  war  eine  magistratur  ge- 
schaffen ,  vergleichbar  den  consuln  der  römischen  republik  im  zweiten 
Jahrhundert  v.  Chr.,  und  die  vornehmen  männer,  die  sich  nicht  gern 
mit  den  handwerkern  in  den  rat  der  500  setzen  mochten,  fanden  eine 
legitime  art  dem  volke  zu  dienen  und  doch  ihr  Standesgefühl  zu  be- 
haupten. 

483  stand  Themistokles  ohne  rivalen  da.  er  vollendete  jetzt  seine 
plane  für  die  gründung  einer  flotte;  es  mufs  aber  in  dem  Jahrzehnt 
seit  seinem  archontenjahre  mancher  schritt  vorwärts  getan  sein,  die 
notwendigkeit  hatte  sich  auch  sehr  bitter  fühlbar  gemacht,  in  einem  un- 
glücklichen kriege,  den  Athen  mit  Aegina  geführt  hatte,    dals  dieser  den 


29)  Die  reform  ist  immer  noch  nach  unten  nur  durch  die  anführung  der  taxi- 
archen bei  Aischylos  frgm.  186  begrenzt. 


Aenderung  der  Strategie,     der  aeginetische  krieg.  89 

liaiiptanlafs  zu  der  flotteDgründung  gegeben  hat,  wird  allgemein  berichtet. 
wir  können  den  krieg  aber  nur  ungefähr  datiren  und  hören  wenig, 
weil  Athen  ungern  von  ihm  sprach.^") 

Seit  Athen  an  eine  Seemacht  dachte,  war  ihm  die  damals  als  eine  per  aegine- 
hochburg  des  Dorertums  blühende  Stadt,  die  dem  Pindaros  die  hebste 
gewesen  ist,  ein  dorn  im  äuge,  und  491  hatte  es  eine  günstige  gelegenheit 
gefunden,  Aegina  im  Hellenenbunde  zu  discreditiren,  weil  seine  herren, 
an  deren  hellenischem  Patriotismus  seit  Aiakos  und  Telamons  Zeiten 
kein  zweifei  war,  dem  könig  Dareios  gehuldigt  hatten  oder  gehuldigt 
haben  sollten,  die  herren  hatten  auch  an  ihren  handel  zu  denken,  und 
der  Perser  war  weit;  sie  mochten  die  sache  als  eine  leere  höfhchkeit 
ansehen,  und  es  war  vielleicht  nicht  mehr,  aber  der  vorwand  war  vor- 
züglich, und  man  meint  das  diplomatische  geschick  des  Themistokles  zu 
spüren,  wenn  man  hört,  wie  Sparta  auf  die  attische  anzeige  bin  ein- 
schreitet und  nach  einigen  Weiterungen  durchsetzt,  dafs  eine  anzahl  der 
angesehensten  Aeginelen  nach  Athen  als  geisein  für  das  wolverhalten 
der  Stadt,  die  ja  zum  peloponnesischen  bunde  gehörte,  ausgeliefert  wur- 
den, Athen  behielt  dieses  wertvolle  pfand  auch ,  als  Kleomenes  starb, 
und  in  Sparta  der  wind  umschlug,  und  es  versuchte  nun  einen  ent- 
scheidenden schlag  zu  tun.  auch  in  Aegina  gab  es,  wie  überall,  eine 
dem  herrschenden  adel  abgeneigte  partei,  die  unter  der  flagge  der  de- 
mokratie  zur  herrschaft  zu  kommen  strebte,  mit  dieser  knüpfte  Athen 
an;  es  ward  eine  combinirte  action  verabredet,  aufstand  in  der  Stadt 
Aegina  und  landung  eines  athenischen  heeres.  Athen  verschaffte  sich  zu 
dem  behufe  20  schiffe  von  Korinth,  da  sein  bestand  für  den  transport  der 
hopliten  nicht  reichte,  aber  der  plan  mislang,  weil  der  aufstand  zu 
früh  losbrach,  gleichwol  konnten  die  Aegineten  in  der  Verwirrung 
die  landung  der  Athener  nicht  hindern,  die  sich  zu  der  belagerung  der 
Stadt  von  der  landseite  anschickten,  und  die  sache  wäre  vielleicht  doch 
noch  gelungen,  wenn  nicht  ein  freiwilligencorps  von  Argos  gekommen 
wäre,  da  die  Korinther  von  dem  zuge  wufsten,  konnte  er  auch  in  Argos 
leicht  bekannt  werden,  und  der  todfeind  Spartas  stand  diesmal  auch 
wider  Athen,  die  Argiver  schnitten  die  Athener  von  ihren  schiffen  ab; 
die  Aegineten  benutzten  deren  Verwirrung  zu  einem  Seegefecht,  und 
wenn  auch  die  meisten  attischen  schiffe  heil  nach  hause  kamen,  so 
konnten  sich  doch  von  dem  beere  nur  ganz  wenige  retten,  es  war 
ein    starker    schlag,  den   man    namentlich    im    ehrgefühle    noch  lange 


30)  Ygl.  die  beilage  'der  erste  krieg  mit  Aegina'. 


90  !'•    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

nicht  verwand,  dafs  man  nun  die  gefangenen  losgeben  raufste,  zumal 
die  Aegineten  schon  vorher  eine  attische  festgesandtschaft  aufgegriffen 
hatten,  und  sich  mit  den  übermütigen  nachbarn  einigermafsen  vertragen, 
war  nicht  zu  vermeiden,  man  dachte  aber,  aufgeschoben  ist  nicht  auf- 
gehoben, siedelte  die  aeginetischen  demokraten,  so  viel  ihrer  hatten 
Hieben  können,  in  Sunion  an  und  liefs  sie  auf  eigene  faust  ihre  lands- 
U^ute  durch  seeraub  belästigen,  vor  allem  aber  ward  man  nicht  etwa 
an  den  demokratischen  führern  irre,  die  zweifelsohne  die  sache  ange- 
stiftet hatten,  sondern  sah  nur  ihre  alte  forderung  durch  die  tat  ge- 
rechtfertigt: Athen  mufste  eine  flotte  haben. 
Die  grün-  Die  zclt  der  niederlage  von  Aegina  begränzt  sich  von  selbst  durch 

Xnte.^'  489  und  484;  dafs  sie  30  jähre  vor  dem  fall  Aeginas,  457,  stattgefunden 
hat,  ist  überhefert  und  stimmt  hierzu,  aber  die  zahl  ist  rund,  da  auch 
die  zahl  der  attischen  schiffe,  50,  die  normale  der  naukrarien  ist,  so 
hilft  auch  das  nicht,  doch  wird  man  nicht  unter  487  hinabgehen,  da 
man  doch  für  den  flottenbau  eine  längere  zeit  braucht,  und  die  hef- 
tigkeit  des  parteikampfes  in  Athen  sich  gut  erklärt,  wenn  die  gemüter 
durch  eine  solche  niederlage  erbittert  waren.  Themistokles  hatte  eben 
manchen  harten  straufs  zu  fechten,  aber  483  war  er  herr  der  Situation : 
dafs  er  es  war,  verdankte  er  nicht  zum  mindesten  der  mahnung, 
welche  den  Athenern  der  anblick  des  Zeusberges  von  Aegina  täglich  vor 
äugen  hielt. 

Es  wird  in  der  neunten  prytanie,  mai  482,  gewesen  sein,  dafs  dem 
Staate  aus  den  Pachtgeldern  einer  neu  erschlossenen  silbermine  ein 
grofses  capital  zur  Verfügung  staud.  da  setzte  er  durch,  dafs  man  dies 
geld  in  dem  bau  von  100  trieren  anlegte:  sie  sind  es  gewesen,  die  bei 
Salamis  die  freiheit  gerettet  haben,  die  chronik,  der  Aristoteles  folgt,  hat 
die  merkwürdige,  auch  von  Herodot  (7,  144)  nicht  übergangene  tatsache 
in  der  form  einer  anekdote  überliefert,  von  der  die  geschichte  absehen 
mufs.  aber  der  beschlufs  des  trierenbaues  auf  antrag  des  Themistokles 
ist  ihre  notwendige  Voraussetzung,  wir  werden  allerdings  der  voraus- 
sieht und  der  energie  des  Themistokles  unsere  bewunderung  nicht  ver- 
sagen: er  benutzte  die  erbitterung  Athens  gegen  Aegina  um  waffen 
wider  Xerxes  zu  schmieden,  dessen  rüstungen  482  längst  begonnen 
hatten,  es  war  die  höchste  zeit  gewesen.  481  schon  gruben  hunderte 
an  dem  Athoscanal,  schleppten  die  lastschiffe  den  proviant  für  tausende 
in  die  festungen  an  der  thrakischen  etappenstrafse.  im  frühjahr  480 
kamen  die  schifte  und  die  zimmerleute,  um  den  Hellespont  zu  über- 
brücken; der  grofskonig  an  der  spitze  des  ungeheuren  heeres  durchzog 


Die  gi'iindung  der  flotte,     die  Vorherrschaft  des  Areopages.  91 

Asien :  unaufhaltsam,  unentrinnbar  wälzte  sich  die  barharenmasse  gegen 
das  kleine  Hellas,  und  Apollon  verkündete   den   Untergang  der  freiheit. 

In    der  stunde   der   not  (frühsommer  480)   riefen    die  Athener  die  Themisto- 

.  ,  •    I       1  ■  l^lßs  und 

landesverwieseneu  zurück:  wer  nicht  kam,  war  em  Verräter,  und  dazu  Aristeides. 
ward  nun  der  anhang  der  Peisistratiden.  Aristeides,  Xanlhippos,  Megakles 
kehrten  heim  und  ordneten  sich  dem  Themistokles  unter,  der  die  seele 
der  Verteidigung  war.  seine  autorität  entschied  im  kriegsrate  des  Hellenen- 
bundes ebenso  wie  im  rate  des  Areopages,  und  wo  sie  es  nicht  tat,  fand 
er  meist  mittel  und  wege,  dennoch  seinen  willen  durchzusetzen:  er  hat 
sowol  den  Xerxes  wie  die  Hellenen  zur  schlacht  bei  Salamis  gezwungen. 
im  herbst  480  konnte  er  wirkhch  das  gefiihl  haben,  das  ihm  die  anek- 
dole  leiht:  "weifst  du,  dafs  du  über  die  Hellenen  herrschest,^'  sagte  er 
zu  seinem  buhen;  "was  du  willst,  tut  die  mutter,  was  die  mutier  will, 
ich,  und  was  ich  will,  Hellas."  aber  schon  im  frühjahre  479  konnte 
er  es  nicht  mehr  sagen,  seine  rivalen  waren  wieder  da,  und  seine  aller- 
dings ungeheure  eigenwilUgkeit  und  rücksichtslosigkeit  mufs  das  volk 
kopfscheu  gemacht  haben,  sie  wählten  Aristeides  und  Xanthippos  zu 
feldherrn,  Myronides  und  Kimon  zu  gesandten  nach  Sparta.  Themisto- 
kles tritt  479  gar  nicht  auf,  und  dafs  ohne  ihn  nicht  minder  glänzende 
siege  gelangen,  in  Aristeides  aber  das  volk  einen  führer  gewann,  der  bei 
den  Hellenen  allerorten  die  vollste  Sympathie  erweckte  und  frei  von 
der  av-d-ädetcc  des  Themistokles  war,  mufste  trotz  Salamis  diesen  noch 
mehr  in  den  schatten  stellen,  nur  als  es  gilt,  seinen  alten  plan  der 
halenbefestigung  zu  vollenden  und  die  Stadt  hineinzuziehen,  ist  er  neben 
Aristeides  berater  und  ausführer;  vielleicht  reizte  ihn  noch  mehr  die 
aufgäbe,  die  Spartaner,  seine  wärmsten  Verehrer,  zu  dupiren.  sonst 
zehrte  er  von  seinem  rühme  und  verbrauchte  ihn.  vielleicht  war  er 
gar  nicht  mehr  so  gefährlich,  wie  er  sich  stellte,  aber  er  spielte  min- 
destens den  gefährlichen  und  den  Verräter,  männer  dieses  Schlages 
lassen  sich  nicht  kalt  stellen,  er  war  allen  unheimhch  und  auf  seinen 
ostrakismos  folgte  bald  die  acht. 

Die  aufgaben  der  auswärtigen  politik,  die  erfolge,  welche  bald  be- Dievorhen-- 
wirklen ,   dafs   die   beziehungen   zu  den  ehemals  dejm  Perser  dienenden  Areopages. 
Hellenen  innerpolitische  wurden,  die  einrichtung  in  dem  eigenen  neuen 
hause  und  in  dem  weiten  reiche,  das  Aristeides  478/7  gegründet  hatte, 
liefseu  dem  demos  lange  zeit  keine  mufse,  über  die  Verfassung  nachzu- 

31)  Xanthippos  verschwindet  mit  dem  jähre  479;  lange  hat  er  wol  nicht  mehr 
gelebt,  sein  söhn  leistet  mitte  der  sechziger  jähre  die  choregie,  weitere  anhalts- 
punkte  fehlen.     Megakles  führt  eine  dunkele  existenz. 


92  II.    3.  Von  Peisislratos  bis  Ephialtes.    . 

(lenken,  in  den  kriegen,  glücklichen  und  unglücklichen,  waren  Kimon 
und  andere  wesenthch  militärisch  begabte  oder  doch  tätige  männer,  wie 
Leagros,  Leokrates,  Myronides,  dauernd  die  führer;  in  den  bundesan- 
gelegenheiten  Aristeides.  wir  hören  von  keinerlei  parteiungen  oder 
Verfassungsänderungen,  die  leitenden  männer  gehören  meistens  den 
alten  familien  an,  aber  die  geschlechter-  und  clientelpolitik  ist  der  ge- 
nieindeordnung  fast  erlegen,  nur  die  Philaiden  mit  ihrem  reichtum 
bilden  noch  eine  partei  im  alten  sinne,  und  der  feldherr,  der  im  aus- 
lande über  das  geschick  von  vielen  gemeinden  und  unzähligen  indivi- 
duen  verfügen  kann,  gewinnt  dadurch  eine  neue  mächtige  position, 
schliefst  gastverlräge,  wird  proxenos,  vemittelt  die  entsprechenden  ehren 
in  Athen ,  schliefslich  zieht  er  fremde  nicht  blofs  als  metöken ,  sondern 
selbst  als  bürger  in  die  heimat.^^) 

Die  grüfse  des  horizontes,  den  jetzt  die  attische  Staatsleitung  um- 
spannen mufste,  forderte  mehr  einsieht,  als  der  bauer  sich  füglich  zu- 
traute, selbst  der  feldherr,  der  auf  einem  punkte  draufsen  tätig  war, 
konnte  nicht  wol  mehr  als  der  arm  Athens  sein,  die  archonten  safsen 
nun  zwar  zu  hause,  aber  sie  hatten  ihre  festen  Verwaltungsgeschäfte; 
die  grofse  politik  gieng  sie  nichts  mehr  an.  das  hirn  Athens  war  der 
Areopag,  der  zwar  nicht  die  Verhandlungen  mit  den  bündnern  führte, 
aber  die  controUe  der  beamten  hatte,  für  ihre  amtshandlungen  be- 
schwerdeinstanz  war,  in  die  meisten  gebiete  der  Verwaltung  eingriff, 
kurz  "wächter  und  bewahrer  der  Verfassung"  war.  aber  die  qualität 
dieses  hohen  rates  sank  in  folge  des  gesetzes  von  486  immer  tiefer, 
damals  safsen  alle  bedeutenden  männer  darin ,  die  das  vertrauen  des 
Volkes  einmal  zu  beamten  gewählt  hatte;  damals  entsprach  er  dem 
sullanischen  Senate,  oder  vielmehr  erst  ein  etwa  nur  aus  den  gewesenen? 
curulischen  beamten  bestehender  senat  würde  ihm  entsprechen,  das 
verschob  sich  notwendiger  weise  von  jähr  zu  jähr  mehr,  die  namhaften 
mitglieder  wurden  überständig  oder  starben,  die  neueintretenden  hatten 
weder  die  fähigkeit  noch  die  autorität,  die  gegenüber  der  steigenden 
schAvierigkeit  der  regierung  und  der  steigenden  bedeutung  der  Strategen 
allein  die  Stellung  dieses  rates  hätte  behaupten  können,    es  waren  zwar 


32)  Vgl.  die  0ovxvSiSai,  Kefa).os  Oovquvs.  beiläufig,  wenn  man  auf  die 
funde  schon  einen  negativen  schlufs  bauen  kann,  so  sind  bürger  abhängiger  Reichs- 
städte zu  der  würde  des  ji^S^svos  l^i)'T]vaio)v  nicht  mehr  zugelassen,  und  das  ist 
in  der  Ordnung,  da  sie  ja  ihren  gerichtsstand  in  Athen  so  wie  so  haben,  und  nicht 
der  Untertan  den  vorort  beschützen  kann,  für  Lesbos  Samos  Chios  gilt  das  natür- 
lich so  wenig  wie  für  Thessalien  oder  Akarnanien. 


Die  Vorherrschaft  des  Areopages.     Ephialtes.  93 

leiUe  der  beiden  obersten  steuerclassen,  und  die  erforderlichen  sechs 
alinen  schlössen  die  gesammten  neubürger  immer  noch  aus;  aber  es 
liefs  sich  doch  niemand  mehr  so  leicht  zum  archon  praesentiren,  der  die 
Strategen  oder  demagogencarriere  einschlagen  wollte,  kein  namhafter 
mann  begegnet  in  der  liste  mehr,  wol  aber  die  angehörigen  der  alten 
adelshäuser;  Praxiergos  (471/70)  und  Demotion  (470/69)  werden  den  ge- 
schlechtern  angehören,  deren  namen  sie  führen.  Konon  (462/61)  ist  doch 
wol  der  grofsvater  des  siegers  von  394  aus  Anaphlystos.  Habron  (458/7) 
führt  den  namen  von  verwandten  des  Butaden  Lykurgos.  über  andere 
mag  ich  nichts  vermuten,  es  war  also  natürlich  und  berechtigt,  dafs 
mijstände  fühlbar  wurden,  und  es  so  nicht  weitergieng :  die  reform  des 
Areopagitenrates  war  eine  notwendigkeit  geworden,  auf  der  andern  seite 
gewann  der  rat  der  500  an  Selbstgefühl  und  an  bedeutung.  mit  ihm 
verhandelten  die  gesandten  der  vielen  untertänigen  Städte,  er  sorgte  für 
die  flotte,  die  dem  volke  diese  macht  verschafft  hatte,  und  die  einnahmen 
aus  den  zollen  giengen  durch  seine  band,  er  empfand  die  concurrenz 
des  in  so  vielen  stücken  über  oder  nebengeordneten  rates  der  Areopagiten 
als  einen  unberechtigten  druck,  die  demokratie  konnte  nicht  wol  anders 
als  die  beseitigung  des  Areopages  anstreben,  es  ist  nicht  schwer  sich 
manche  modalitäten  auszudenken,  wie  man  dies  oberhaus  hätte  erhalten 
oder  erneuern  können,  was  für  die  Stetigkeit  und  besonnenheit  der  po- 
litik  dringend  erwünscht  gewesen  wäre,  aber  das  ist  Spielerei:  der  weg, 
der  der  entvvickelung  Athens  vorgezeichnet  war,  gieng  dahin,  den  oberen 
rat  durch  den  unteren  zu  ersetzen.  Athen  war  eine  demokratie:  der 
demos  wollte  selbst  den  herren  spielen. 

Die  herrschaft  des  Areopags,  oder  vielmehr  der  gesellschaftskreise, 
die  seit  den  Perserkriegen  die  regierung  in  den  bänden  hatten,  war  nicht 
so  leicht  zu  stürzen,  sie  hatten  den  erfolg  der  politik  für  sich,  deren 
Programm,  krieg  wider  die  barbaren  und  einvernehmen  mit  Sparta,  see- 
herrschaft  aber  verzieht  auf  die  herrschaft  in  Hellas,  einfach  und  ver- 
ständHch  war.  und  so  wol  die  kleinen  leute,  die  er  durch  seine  libera- 
lilät  an  sich  fesselte,  wie  die  alten  Soldaten,  die  er  stets  zum  siege  ge- 
führt hatte,  hiengen  an  dem  loyalen  feldherrn  der  herrschenden  partei, 
an  Kimon.  die  demokraten  eröffneten  den  kämpf  durch  eine  reihe  von 
rechenschaftsprocessen  gegen  mitglieder  des  Areopagitenrates,  und  es 
wird  nicht  bestritten,  dafs  diese  des  unterschleifes  schuldig  waren,  nocli 
auch  dafs  ihr  ankläger,  Ephialtes  dos  Sophonides  söhn,  ein  mann,  dessen  Ephialtes. 
herkunft  und  vorleben  uns  gänzHch  unbekannt  ist,  persönhch  flecken- 
los  war.     wir    empfinden    unsere   mangelhafte   kenntnis   des  geltenden 


94  II.    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

rechtes  sehr  deiithch,  denn  wir  müssen  uns  eingestehn,  dal's  weder  er- 
sichthch  ist,  wie  einzelne  Areopagiten  Staatsgelder  zu  verwaUen  hatten, 
noch  hei  welcher  gelegenheit  und  in  welcher  form  sie  von  Ephialtes  zur 
rechenschaft  gezogen  wurden,  wir  müssen  uns  mit  der  allgemeinen 
aufsieht  des  Areopages,  wie  sie  später  der  rat  ausübt,  über  den  schätz 
und  die  kolakretencasse  begnügen;  übrigens  konnten  die  schuldigen 
Areopagiten  selbst  noch  finanzämter  bekleiden,  da  der  eiritritt  in  diesen 
rat  nicht  zu  andern  iimtern  disqualificirte.  genug,  es  gelang  dem 
Ephialtes  das  ansehen  des  regierenden  rates  zu  erschüttern,  dann  machte 
man  sich  an  Kimon,  als  er  wegen  seines  thasischen  krieges  rechnung 
legte,  das  erneute  scheitern  der  colonisation  Thrakiens  mag  die  bürger 
schwer  verstimmt  haben,  und  es  mag  sein,  dafs  der  söhn  einer  thraki- 
schen  fürstentochter  mit  den  barbaren  des  Pangaiou  zu  sanft  verfahren 
war.  aber  die  beschuldigung,  dals  er  geld  genommen  hätte,  war  doch 
zu  absurd  bei  dem  manne,  der  geld  nicht  bedurfte  und  auch  in  bösen 
dingen  kein  Themistokles  war.  aber  vielleicht  hatten  auch  die  ankläger 
seine  freisprechung  vorausgesehen,  jedenfalls  erlitten  sie  dadurch  keinen 
rückschlag,  vielmehr  gieng  unmittelbar  darauf  das  gesetz  des  EphiaUes 
durch,  das  den  Areopag  prinzipiell  aller  Verwaltungsgeschäfte  entkleidete, 
und  in  dem  processe  seihst  hatte  sich  in  Perikles  nicht  ein  gehässiger 
ankläger  compromittirt,  sondern  in  durchaus  vornehmen  formen  ein  über- 
legner Staatsmann  eine  neue  und  klare  pohtik  entwickelt,  der  söhn  des 
Xanthippos  und  neffe  des  Megakles  war  der  geborne  gegner  der  Phila- 
iden :  der  aber  hier  auftrat,  wollte  sein,  was  seine  ahnen  aus  Überzeugung 
nie  gewesen  waren,  TtgoavaTv^g  rov  dri(.iov.  er  versprach  dem  volke 
der  jungen,  die  den  Mederkrieg  als  etwas  vergangenes,  das  Reich  als 
etwas  gegebenes  ansahen,  ihre  politischen  forderungen  zu  erfüllen :  ihm 
geborte  die  zukunft.  das  mochten  sich  viele  sagen,  dafs  aber  der  de- 
mokratie  schon  im  folgenden  jähre  die  gegenwart  zufallen  würde,  ge- 
schah seltsamer  weise  eben  dadurch,  dafs  für  einen  augenblick  Kimon 
das  übergewicht  erlangte  und  die  hilfe,  um  die  die  Spartaner  flehentlich 
baten,  nach  Ithome  führen  durfte.  Sparta  hat  gewifs  nichts  weniger 
gewünscht  als  die  Athener  zu  brüskiren,  aber  ihre  anwesenheit  im  Pelo- 
ponnes  war  für  sein  prestige  und  die  treue  seiner  bündner  ungleich  ge- 
fährhcher  als  der  aufstand  der  heloten.  wir  können  auch  glauben,  dafs 
nur  die  athenische  Überlieferung  die  heimsendung  Kimons  als  einen 
schimpf  darstellt,  und  Kimon  selbst  anders  gedacht  hat.  für  den  erfolg 
war  das  gleich,  die  spartanerfreundliche  politik  hatte  abgewirtschaftet, 
Kimon   selbst  verfiel  dem  Scherbengericht,   und  nun  nahmen  die  allzu- 


Ephialtes.     die  Vollendung  der  demokratie.  95 

lange  aufgestauten  demokratischen  wasser  einen  nur  zu  stürmischen  lauf. 
.s  sind  die  eigenthch  entscheidenden  jähre  für  Hellas,  in  denen  sowol  die 
(athenische  demokratie  ihre  Vollendung  erhalten  hat  wie  auch  das  attische 
Reich:  beides  ewig  denkwürdige  gebilde;  gleichzeitig  aber  hat  Athen  so  Die  voiien- 
viele   und   so   schwere  kämpfe  nach  aiifsen  geführt,   dafs  es  sowol  dem  demoUrafie. 


ruin  wie  dem  vollsten  triumphe  ganz  nahe  gekommen  ist.  es  sind  wie 
die  entscheidenden,  so  leider  auch  die  am  schwersten  kenntlichen  jähre; 
obwol  die  Zeitrechnung  der  kriegerischen  ereignisse  sich  mit  befriedigen- 
der Sicherheit  feststellen  läfst  und  eine  anzahl  politischer  reformen  nun- 
mehr auch  an  bestimmte  jähre  gebunden  werden  kann,  fehlt  es  nur  zu 
sehr  an  concreten  tatsachen  und  gänzlich  an  einem  zusammenhängenden 
l)erichte.     nur  die  grundlinien  der  entwickelung  lassen  sich  ziehen. 

An  die  stelle  des  Areopages  trat  als  centralinstanz  der  Verwaltung 
der  rat  der  500,  die  gemeindevertretung  Athens,  erst  jetzt  sind  für 
ihn  die  diaeten  eingeführt,  die  einfach  notwendig  waren,  wenn  die 
ratsherren  das  ganze  jähr  in  der  stadt  leben  ^^)  sollten,  im  rate  lag  die 
gesammte  finanzverwaltung;  nach  wenig  jähren  zog  man  auch  die 
reichscasse  nach  Athen,  dem  rate  fiel  die  controUe  der  beamten  zu, 
aller  mit  ausnähme  der  feldherren:  die  magistratur  war  zu  einem  organe 
des  rates  geworden,  die  archonten,  die  candidaten  zum  Areopag,  ver- 
loren auch  die  letzte  beschränkung  durch  den  census:  jeder  waffen- 
fähige, jeder  bauer,  der  ein  joch  ochsen  im  stalle  hatte,  konnte  sich  zur 
losung  melden,  diese  neuerung  hat  besonders  viel  erregung  verursacht, 
aber  sie  war  eine  ganz  gerechtfertigte  consequenz  der  degradation  der 
magistratur  und  des  Areopags.  auch  für  die  geschworenen  ward  ein 
bescheidener  sold  bewilligt:  das  war  die  notwendige  consequenz  davon, 
dafs  man  die  privatprocesse  der  bündner  nach  Athen  zog,  und  dafs  die 
grenze,  bei  welcher  der  magisirat  nicht  ohne  Zuziehung  von  geschwornen 
das  urteil  finden  durfte,  immer  tiefer  gesteckt  ward;  das  einzelne  ist  uns 
unbekannt,  aber  wol  sehen  wir,  dafs  ein  neues  gerichtshaus  nach  dem 
andern  gebaut  werden  mufs,  und  dafs  in  den  Statuten,  die  Athen  bei 
der   oder  jener   gelegenheit  den  einzelnen  Reichstädten  aufzwingt,   die 


33)  Wenn  man  dem  rate  diaeten  zugestand,  so  war  das  bediirfnis  dazu  hervor- 
getreten, d.  h.  es  hatten  die  ratsherren  in  folge  der  vermehrten  geschäftslast  zu 
häufig  gefehlt,  ^ie  prytanen,  die  doch  wol  schon  eher  in  permanenz  gewesen  sind, 
werden  naturalverpflegung  erhalten  haben,  es  folgt,  dafs  der  rat  in  älterer  zeit 
nicht  nur  nicht  täglich,  wie  später,  sondern  selten  Plenarsitzungen  hielt,  auch  das 
Volk  wird  erst  jetzt  regelmäfsig  in  jeder  der  drei  zehntägigen  wochen  eine  Sitzung 
gehalten  haben. 


96  II.    3.  Von  Peisislratos  bis  Ephialles. 

bestimmuDgen  über  die  rechlspflege  durch  attische  geschworne  ein  wich- 
tiges capitel  werden,  man  hat  damals  eine  besondere  behörde  für  die  ein- 
bringiing  bestimmter  befristeter  processe  geschaffen  (die  eiaaytoyfjg), 
eine  andere  für  die  processe  der  seeleute,  die  nicht  warten  konnten 
(die  vavroöUai),  denen  man  dann,  wol  für  die  zeit,  wo  die  schiffer 
nicht  processiren  konnten,  auch  andere  beschäftigungen  gab.  man  hat 
auf  die  demenrichter  des  Peisistratos  zurückgegriffen,  um  'auf  dem  lande 
eine  rasche  erledigung  der  rechtshändel  zu  gewähren  und  die  städtischen 
tribunale  zu  entlasten,  dafs  die  gemeinden  im  ganzen  6000  männer 
für  den  geschwornendienst  praesentirten,  aus  denen  in  jedem  falle  die 
notwendigen  ausgelost  wurden ^^),  ist  sicherUch  eine  ältere  einrichtung 
(mag  auch  die  zahl  erst  jetzt  so  hoch  gebracht  sein),  denn  die  auslosung 
ist  Sache  der  archonten,  die  bestimmung  der  gerichtstage  und  hofe  der 
thesmotheten.  aber  es  wird  erst  jetzt  der  schritt  getan  sein,  aus  dem 
richteralbum  für  eine  reihe  Obliegenheiten  beamte  zu  erlosen,  die  dann 
nur  eine  bestimmte  kürzere  zeit,  aber  mit  fester  besoldung  tätig  waren, 
noch  ganz  anders  als  durch  die  magistrate  führte  so  das  volk  selbst  sein 
geschälte,  die  städtische  centralisation  bezweckte  man  nicht,  so  wenig 
es  Peisistratos  getan  hatte,  aber  der  wirtschaftliche  aufschwung  brachte 
sie  mit  sich,  jetzt  wie  damals,  und  an  eines  gieng  man  mit  äufserster 
energie,  sobald  man  nach  aufsen  zu  activer  pohtik  sich  entschloss<'ii 
hatte,  man  vollendete  das  niemals  fallen  gelassene,  aber  von  der  frü- 
heren regierung  absichtlich  verschleppte  werk  des  Themistokles,  verband 
Athen  mit  dem  hafen  und  der  see  durch  schenkelmauern,  machte  es  zu 
einer  uneinnehmbaren  festung,  aber  auch  zu  einer  grofsstadt  und  zu 
einer  seestadt.  nicht  ohne  grund  sahen  gerade  hierin  die  "ansehnlichen 
leute"    den    Untergang   von  Altathen,     die   leidenschaft  in  dieser  durch 


34)  Die  leute  vom  lande  mufsten  in  die  Stadt  gehn,  auch  auf  die  gefahr  hin, 
dafs  die  thesmotheten  keine  gerichte  hielten,  und  dann  war  es  nichts  mit  dem 
solde:  so  schildert  es  beweglich  der  Wespenchor  304.  damals  hatte  das  keine 
gefahr.  wenn  kein  festlag  war,  oder  Volksversammlung,  konnten  die  ausgelosten 
auf  den  sold  rechnen,  und  mit  der  üblen  chance,  dafs  ihn  das  los  nicht  träfe, 
rechnet  auch  der  chor  nicht,  also  fanden  in  der  regel  die  erschienenen  alle  Ver- 
wendung, die  spätere  complicirte  procedur  der  losung  existirte  natürlich  nicht, 
nun  denke  man  sich  die  ältere  zeit,  ohne  diaeten,  mit  wenig  processen.  da  kann 
doch  nur  der  einzelne  heliast,  der  im  albuni  stand,  von  dem  archon  seiner  phyle 
citirt  sein,  oder  es  sind  feste  gerichtstage  gehalten,  dafs  wir  das  nicht  wissen,  ist 
ein  deutliches  zeichen,  wie  wenig  man  die  alten  Verhältnisse  später  sich  auch  nur 
denken  konnte;  dafs  man  jetzt  danach  so  wenig  fragt,  zeigt,  wie  wenig  man  sich 
die  dinge  lebendig  macht. 


Die  voUendun»  der  demokratie.  97 

Kimons  landesverweisung  geschlagenen  partei  scheute  nicht  vor  dem 
nieuchelmord  zurück,  der  den  Ephialtes  beseitigte,  noch  vor  der  con- 
spiration  mit  dem  landesfeinde,  den  sie  freilich  in  den  Spartiaten  nicht 
i  sehen  mochten  und  noch  nicht  zu  sehen  brauchten,  aber  die  Vater- 
landsliebe überwog  denn  doch  im  entscheidenden  momente.  als  bald 
nach  der  änderung  der  archontenwahl,  kurz  vor  der  Vollendung  der 
schenkelmauern  ein  peloponnesisches  beer  bei  Tanagra  an  der  grenze 
Attikas  erschien,  hat  die  attische  aristokratische  partei,  bei  der  Kimon 
:  selbst  in  ritterlicher  weise  seinen  einflufs  geltend  machte,  in  kämpf  und 
tod  den  flecken  von  ihrem  ehrenschilde  abgewaschen,  aber  auf  die 
isHieren  Verhältnisse  hat  sie  keinen  einflufs  gehabt,  ihre  söhne,  nicht 
mehr  aristokraten,  sondern  oligarchen,  sind  minder  zurückhaltend  ge- 
wesen; sie  führten  411  und  404  dieselben  schlagworter  im  munde,  aber 
es  waren  phrasen  geworden;  die  "^väterliche  Verfassung'  war  tot,  und 
die  sie  herzustellen  versprachen  haben  nur  die  geschichte  Athens  mit  dem 
blute  vieler  und  mit  dem  eigenen  befleckt. 

Leider,  so  mufs  man  sagen,  waren  die  kimonischen  traditionen 
nicht  eben  so  machtlos  in  der  äufseren  politik.  freilich  als  er  aus  Athen 
wich,  nahm  man  den  kämpf  mit  Sparta,  oder  da  dieses  zur  zeit  macht- 
los schien,  mit  seinen  verbündeten,  Korinth  an  der  spitze,  nicht  nur 
auf,  sondern  schuf  sich  durch  den  bund  mit  Argos  eine  operationsbasis 
l'iir  die  bezwingung  des  Peloponneses,  und  gelangte  auch  dazu,  Aegina 
eüdlich  ganz  in  eigne  band  zu  bringen  und  an  mehreren  ecken  des 
P'loponneses  fufs  zu  fassen,  gleichzeitig  gieng  man  gegen  die  delphische 
Aiiiphiktionie  vor,  die  ein  äufseres  band  um  die  nordgriechischen  stamme 
schlang,  und  hier  gelang  trotz  dem  für  die  peloponnesischen  waffen 
ruhmvollen  tage  von  Tanagra  die  Unterwerfung  fast  völlig,  die  eine 
hälfte  des  programms  der  jungen,  herrschaft  in  Hellas,  schien  sich  zu 
verwirklichen,  ja  sie  hätte  sich  verwirklicht,  so  gut  wie  sie  es  im  Reiche 
tat,  wenn  die  jungen  in  allem  die  majorilät  gehabt  hätten,  aber  das 
notwendige  complement,  friede  mit  Persien,  wagte  man  nicht  einmal 
laut  zu  fordern,  dazu  waren  die  erinnerungen  an  479  noch  zu  stark, 
und  wenn  auch  bürgerkrieg  kein  griechisches  wort  ist,  mit  dem  die 
modernen  rasch  bei  der  band  sind  um  die  athenische  politik  zu  stigma- 
tisiren,  so  hatte  der  kämpf  wider  die  barbaren  doch  einen  ganz  andern 
reiz  als  der  wider  die  Boeoter.  so  kam  es  zu  dem  unverantworthchen 
Wagnis,  mitten  in  dem  schwersten  hellenischen  kriege  den  abtrünnigen 
Vasallen  des  Grofskönigs  in  Kypros  und  Persien  zu  hilfe  zu  kommen, 
einmal  engagirt,  fand  man  nicht  den  entschlufs  zum  rückzuge,  und  so 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  7 


98  n.   3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

hat  man  die  entsetzlichen  Verluste  herbeigeführt,  die  Athen  zwangen 
mitten  im  siege  zu  hause  inne  zu  halten,  während  doch  schon  selbst  in 
Sicihen  sich  günstige  anknüpfungspunkte  für  fernere  Unternehmungen 
zu  bieten  schienen,  das  athenische  volk  mochte  sich  freilich  den  eigent- 
lichen grund  des  miserfolges  nicht  eingestehn ,  es  vertraute  sich  noch 
einmal  dem  Kimon  an,  als  dieser  nach  ablauf  des  zehnjährigen  bannes 
heimkehrte,  er  war  der  alte  geblieben,  er  sicherte  sfch  notdürftig 
den  rücken  durch  ein  abkommen  mit  Sparta,  das  neuerstarkt  nur  einen 
Waffenstillstand  mit  kurzer  frist  zugestand,  segelte  in  das  ferne  kyprische 
meer,  schlug  die  Perser  und  erreichte  doch  nichts  als  einen  nur  äufser 
lieh  militärisch  ruhmvollen  abschlufs  seines  lebens.  trotzdem,  dafs  mit 
ihm  die  perserfeindliche  politik  zu  grabe  gieng,  gelang  es  Athen  nur 
mit  äufserster  not  und  dank  dem  diplomatischen  geschick  des  Perikles, 
bei  dem  zusammenbrechen  seiner  festländischen  herrschaft  für  diesen 
verzieht  die  anerkennung  des  Reiches  und  der  seeherrschaft  zu  sichern. 
Perikles.  Perikles,  der  führer  der  demokratie,  hat  die  Verantwortung  für  die 

reformen  der  fünfziger  jähre  zu  tragen,  auch  die  für  das  programm, 
dem  er  vierzig  jähre  lang  treu  geblieben  ist.  an  den  Unternehmungen 
wider  Persien  hat  er  sich  nie  beteiligt,  vielmehr,  sobald  Kimons  tod  ihm 
freie  band  liefs,  ein  einvernehmen  mit  Artaxerxes  herbeigeführt,  das  bis 
zu  dessen  tode  angehalten  hat.  es  kann  ihm  nicht  nachgewiesen  werden, 
dafs  er  nach  westen  in  abenteuerlicher  weise  überzugreifen  jemals  ge- 
dacht hat,  nicht  einmal  nach  den  dorischen  inseln ,  Kreta  oder  Thera 
und  Melos,  hat  er  die  band  ausgestreckt,  er  hat  nur  das  Reich  mit  be- 
wufster  consequenz  als  ein  object  der  athenischen  herrschaft  behandelt, 
nicht  mit  tyrannischer  gewalt,  aber  mit  energie.  bedrückt  hat  er  die 
bundesgenossen  nicht,  aber  zu  Untertanen  hat  er  sie  gemacht,  es  ist 
ihm  nie  in  den  sinn  gekommen,  Athen  in  das  Reich  oder  in  Hellas  auf- 
gehn  zu  lassen,  gerade  nach  den  Verlusten  in  Aegypten  hat  er  das 
attische  bürgerrecht  beschränkt,  um  das  eindringen  der  halbschlächtigen 
zu  verhindern,  das  Peisistratos  und  Kleisthenes  befordert  hatten,  er  hat 
nachdrücklich  damit  ernst  gemacht,  auf  dem  boden  der  bundesstädte 
aufserhalb  Asiens  (wo  ihn  wol  die  rücksicht  auf  Persien  band)  athenische 
gemeinden  zu  gründen  und  so  dem  vordringen  des  bürgerlichen  Pro- 
letariats zu  steuern,  aber  er  hat  sein  volk,  das  über  Rhodos  und  3Ii- 
letos  gebot,  allerdings  zum  herrn  auch  über  Sparta  und  Korinth  machen 
wollen:  die  herrschaft  in  Hellas  war  sein  programm  462;  er  hat  es  trotz 
den  zwischenstreichen  der  kimonischen  politik  und  trotz  dem  schweren 
frieden  von  445  nicht  geändert,     ruhige  Überlegung,  aber  ohne  furcht 


Perikles.  99 

vor  den  klar  erfafsten  consequenzen,  zeichnet  seine  politik  ebenso  aus 
wie  die  vornehme,  etwas  hartnäckige  iinempfindhchkeit  gegen  hemmnisse 
und  Störungen,  er  ist  nicht  der  mann  der  genialen  experimente  wie  The- 
mistokles;  er  verschmäht  das  blendwerk  der  glänzenden  coups,  das  sonst 
die  Politiker  in  demokratischen  Staaten  meist  notig  haben;  er  rechnet 
mit  den  Ziffern  des  Schatzes,  den  beständen  der  arsenale  und  den  summen 
der  wehrpflichtigen  lieber  als  mit  den  imponderabilien  der  volksgunst 
und  Volksstimmung,  er  ist  nicht  officier  und  nicht  finanzmann,  nicht 
Volksredner  und  nicht  parteihaupt,  oder  auch  er  ist  dies  alles,  nämlich 
so  weit  es  der  politiker,  der  Vertrauensmann  des  attischen  Volkes  sein 
mufste.  er  ist  kein  liebenswürdiger  mann,  was  die  leute  so  nennen, 
zecht  nicht  mit  seinesgleichen  und  noch  viel  weniger  mit  den  Htteraten, 
singt  keine  verse  und  läfst  auch  keine  auf  sich  machen;  er  buhlt  nicht  um 
das  lob  der  dichter  und  kauft  es  auch  nicht,  aber  der  komoedie  hätte  er 
gern  den  mund  gestopft,  er  hat  genug  tüchtige  und  hingebende  männer 
um  sich  gehabt,  die  unter  ihm  an  seinen  werken  schafften,  und  von  denen 
keinem  der  gedanke  mit  ihm  zu  rivahsiren  kam,  aber  einen  freund  hat  er 
nicht  gehabt,    sein  leben  ist  einsam  gewesen.^^)    keine  spur  führt  darauf, 


35)  Das  'perikleische  Zeitalter'  mit  seinen  heiteren  dem  cultus  der  Schönheit 
hingegebenen  Griechen,  in  der  mitte  der  Maecen  oder  Mediceer  Perikles,  die  geistig 
ebenbürtige,  ihm  durch  eine  gewissensehe  verbundene  Aspasia  am  arme,  ist  eine  er- 
findung  des  deutschen  romantischen  philheilenismus,  bat  aber  so  viel  wert  wie  Kaul- 
bachs Blüte  Griechenlands,  und  Aspasia  ist  das  widerlichste  darin.  Perikles  hat 
in  standesmäfsiger  ehe  zwei  söhne  erzeugt,  sich  dann  von  seiner  frau  geschieden 
und  etwa  als  mann  von  fünfzig  jähren  in  sein  einsames  haus,  das  auch  keine  gaste 
sah,  eine  concubine  genommen,  ganz  wie  Aristoteles,  die  beiden  frauenzimmer 
zeigen  ihren  stand  genügend  durch  ihre  namen  ^äanaaia  und  ''EqtzvXXCs.  in  Athen 
heifst  keine  anständige  frau  Aspasia;  in  lonien  ist  man  mit  den  namen  nicht 
so  streng,  aber  ein  beliebter  hetaerenname  war  es  auch  da,  und  der  tradition, 
die  Aspasia  einen  vater  gibt  (Axiochos  von  Milet),  steht  gleichberechtigt  die 
andere  zur  seite,  dafs  sie  eine  kriegsgefangene  Karerin  war  (schol.  Aristid.  464). 
nun  haben  die  'armen  geschöpfe'  es  gut  genug  gehabt  bei  ihren  herren,  die 
auch  für  ihre  kinder  gesorgt  haben,  aber  natürlich  mufste  Aspasia  manchen 
unglimpf  leiden  um  des  platzes  willen,  den  Perikles  in  der  weit  einnahm,  noch 
mehr  als  dieser  den  unehelichen  söhn  nach  dem  tode  seiner  ehelichen  kinder 
legitimirte;  sie  mag  sich  auch  nach  des  herren  tode  anspruchsvoll  benommen  haben, 
zum  entgelte  verfiel  der  sokratiker  Aischines  darauf,  in  einem  dialoge  sie  als  eine 
Ninon  einen  salon  halten  zu  lassen,  ja  er  mochte  sie  so  weit  idealisiren,  dafs  er 
anständige  frauen  bei  ihr  einführen  konnte,  wie  Xenophon  und  gemalin,  der  leider 
zu  Aspasias  lebzeiten  weder  verheiratet  war  noch  es  sein  konnte,  trotzdem  gefiel 
ihm  das  compliment;  und  er  erwiderte  es  nach  der  sitte  der  zeit  in  den  zwei  er- 
wähnungen  Aspasias,  die   sein  nachlafs  bietet,    so  ist  die  geistreiche  hetaere,  die 

7* 


100  II-   3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

dafs  für  irgend  eine  kunst  eine  ader  in  ihm  geschlagen  hätte:  dafs  er  den 
Parthenon  und  die  Propylaeen  hat  hauen  lassen,  heweist  das  nur  dann, 
wenn  die  bauten  Schinkels  für  den  geschmack  Friedrich  Wilhelms  III. 
heweisen.^")  aber  an  den  politischen  und  juristischen  speculationen  des  Pro- 
tagoras  hat  er  antcil  genommen,  mit  dem  exegeten  des  väterlichen  rechtes 
Lampon  hat  er  verkehrt,  dem  sophistischen  städtegründer  Hippodamos  hat 
er  die  anläge  der  hafenstadt  anvertraut,  und  wenn  er  als  geborner 
ehrenmann  vielleicht  vor  dem  dienste  der  gützen  dieser  weh  gefeit  war, 
so  dafs  geld  ehre  und  genufs  ihn  nicht  verlockten:  dafs  er  über  aber- 
glauben  erhaben  war  und  von  den  schlagen  der  Tyche  niemals  gebeugt 
worden  ist,  dankte  er  dem  einflusse  der  physik  und  noch  mehr  der  selbst- 


Egeria  des  Peiikles  lancirt  worden,  die  denn  auch  der  Verfasser  des  Menexenos 
(oder  doch  der  rahmenerzählung  dieser  rede)  aufgriff,  diesen  Schriftsteller  nennen 
sie  jetzt  wieder  Piaton:  sie  bedenken  wol  nicht,  dafs  der  dichter  Diotimas  nicht 
der  mann  war,  sich  eine  hure  zur  heldin  zu  wählen.  nÖQvr]  hat  sie  Eupolis  ge- 
nannt, nicht  zum  höhn;  als  er  die  Demen  schrieb,  war  das  weib  verstorben  oder 
verdorben,  sondern  in  bittrem  ernste:  Myronides  braucht  das  auch  in  Athen  harte 
wort  gegenüber  dem  Perikles,  dem  er  sagen  mufs,  sein  söhn  würde  längst  eine 
politische  rolle  spielen,  wenn  er  nicht  den  makel  des  hurensohnes  trüge.  Eupolis 
hat  als  einziger  neben  Thukydides  und  noch  schöner,  weil  er  ein  dichter  war,  den 
Perikles  gewürdigt:  was  er  von  Aspasia  sagt,  hat  gewicht,  und  kein  zeuge  des  fünften 
Jahrhunderts  urteilt  anders,  ich  bin  nicht  so  albern ,  dem  toten  frauenzimmer  zu 
grollen,  aber  man  soll  es  lassen  wie  es  ist,  tot  und  ein  frauenzimmer.  leute,  di^ 
ohne  weibliches  parfum  keine  geschichte  riechen  mögen  und  ihre  beiden  nicht' 
menschlich  finden,  wenn  sie  nicht  unterweilen  girren  oder  meckern,  mögen  Hamer- 
ling  statt  Thukydides  lesen,  aber  es  ist  kein  kleines  zeichen  von  der  würde  der 
attischen  geschichte,  dafs  nur  ein  weib  in  ihr  vorkommt,  das  aber  beherrscht  sie; 
die  Jungfrau  von  der  bürg. 

36)    Naiv   ist  vollends  sich   Perikles  in   menschlichem  verkehr   mit   Pheidias 
zu  denken,  der  gesellschaftlich  und  nach  seiner  bildung  (einen  hexameter  konnte  er 
nicht  machen)  ein  ßävavaos  war  und  blieb,     vereinzelt  kommt  es  ja  vor,  dafs  eia 
mann  aus  besseren  kreisen  wie  Kepliisodotos  eine  bildhauerwerkstatt  hat,  aber  die 
regcl   ist,   dafs  solche  leute  zum  band  werk  gehören  und  in  ihren  kreisen  bleiben^ 
das   altertum  ist  von  der  Verkehrtheit,  die  bewunderung  ihrer  werke  auf  ihre  per- 
sonen  zu  übertragen,  völlig  frei,    meiner  meinung  nach  liegt  die  vortrefflichkeit  der 
antiken  kunst  zum   guten  teile  daran,    dafs  man   sich  um   die  künstler  so   wenigF 
kümmerte,   keine  kunstakademien  und   künstlcrheime  hatte,   und  von  keinem   ge-j 
sandten  forderte,  dafs  er  mit  seinen  einladungen  'bis  hinab  zum  künstler'  gienge.| 
diese  meinung  ist  gleichgiltig:    aber  wer  von  der  ideengemeinschaft  zwischen  Peri-^ 
lUes  und  Pheidias  redet,  beweise  erst,  dafs  Staatsmann  und  bildhauer  eine  gemein- 
schaft  und  Pheidias  ideen   hatten,     äugen  hatte  er  und  bände,  das  sieht  man,  und] 
das  ist  genug,  die  ideen  empfieng  er  wie  sein  volk  von  den  dichtem  und  wcisen^l 
er  gab  ihnen  gestalt:  darin  liegt  seine  gröfse. 


Perikles.  101 

losen  forschernatur  des  Anaxagoras,  der  einsam  lebte,  wie  er  selbst,  bei 
dem  lernte  er  die  weltauffassung,  die  den  zweck  des  lebens  in  die  anschau- 
ung  des  unendlichen  y,6af.iog,  der  Ordnung  und  der  Schönheit  des  alls,  ver- 
legt, und  dem  entsprechend  dem  Individuum  gebeut,  zugleich  sich  in  die 
eigene  Sterblichkeit  zu  schicken  und  die  ewigkeit  in  der  seele  zu  tragen 
(ad-avara  q)QOVElv).  weil  sie  aus  der  tiefe  einer  denkgewohnten  seele 
quoll,  rifs  seine  ernste  beredsamkeit  die  menge  fort,  auch  wo  sie  sie  nicht 
verstand,  und  die  fassung,  die  er  bei  seinem  trüben  einsamen  ende 
bewahrte,  hat  dem  Protagoras  worte  der  bewunderung  abgenötigt,  aber 
er  war  doch  weit  entfernt  von  diesen  männern  des  d-ecoqiiTLv.bg  ßiog, 
und  der  y^öof-iog,  dem  er  diente,  und  den  er  zu  verwirklichen  strebte, 
war  die  freiheit  und  die  herrschaft  seines  Volkes,  an  die  logik  der  de- 
iiiokratie  hat  er  geglaubt,  an  die  macht  der  iaovof.iir],  und  an  die  ma- 
xime  £v  reo  Ttolh^  svi  xa  nävxa  (Herod.  3,  80).  die  logische  ge- 
schlossenheit  des  demokratischen  majoritätssystemes  hat  seinen  dem  ab- 
slracten  zugewandten  sinn  eingenommen,  und  radical,  wie  die  mathe- 
matiker  sind,  hat  er  keine  consequenz  des  prinzipes  gescheut,  freilich 
nur  für  seine  Athener  galt  das  Xoov.  dafs  sie  zum  herrschen  über 
Hellas  berufen  seien,  weil  sie  tüchtiger  wären,  durch  ihre  freiheit  und 
gleichheit  tüchtiger,  hat  ihn  mit  fug  Thukydides  sagen  lassen,  dafs  sie 
die  machtinittel  hätten,  die  herrschaft  zu  erringen,  wenn  sie  sie  nur  an 
der  rechten  stelle  brauchen  wollten,  hatte  er  462  schon  begriffen;  daran 
ist  er  nicht  irre  geworden,  wie  an  nichts,  wer  sich  seine  Überzeugung 
zu  einem  exempel  gemacht  hat,  das  nun  einmal  richtig  ist,  kann  sie 
nimmermehr  aufgeben,  und  so  hat  er  432  dasselbe  ziel  zu  erreichen 
versucht,  das  er  sich  dreifsig  jähre  vorher  gesteckt  hatte,  man  wird  ihn 
von  der  Verantwortung  nicht  freisprechen  dürfen,  den  krieg  gewollt  zu 
haben,  denn  er  hätte  ihn  hinausschieben  können,  wie  es  sein  alters- 
genosse,  der  brave  könig  Archidamos  wollte,  vielleicht  ist  es  vor  dem 
richterstuhle  der  höchsten  moral  vßgig,  überhebung  und  sünde,  einen 
solchen  schritt  zu  tun:  die  arrj ,  die  jede  überhebung  demütigt,  ist 
ja  auch  nicht  ausgebheben,  indessen  Perikles,  der  rechner,  durfte  sich 
sagen,  dafs  aller  berechnung  nach  der  sieg  nicht  zweifelhaft  sein  könnte, 
dafs  niemand  so  wie  er  befähigt  wäre,  sein  volk  in  dem  kämpfe  zu 
führen,  und  dafs  es  hohe  zeit  wäre,  falls  er  diese  rolle  noch  spielen 
sollte,  aber  es  zeigte  sich,  dafs  rechnen  nicht  genügt  für  die  pohtik, 
weil  menschenseelen  ein  anderes  sind  als  trieren  hophten  und  talente, 
ganz  ungerechnet  die  tücke  des  Zufalles,  das  daL(.t6vL0v  cpd^oveqov  v.al 
zaQaxcüäeg,  das  die  pest  sandte,     und  weiter  zeigte  sich,  dafs  die  ab- 


102  II-    3.  Von  Peisistratos  bis  Ephialtes. 

straction,  das  demokratische  gleichheits-  und  majoritätsprincip,  wiederum 
die  menschenseele  mit  in  rechnung  zu  stellen  vergessen  hatte,  die  ge- 
neration,  die  430  jung  war,  verlangte  stürmisch  die  tyrannis  über  die 
bündner,  über  Hellas,  über  die  weit,  und  verlangte  für  jeden  Athener 
die  gleiche  summe  von  Vorrechten ,  auf  dafs  jeder  so  eine  art  tyrann 
würde,  evöaificov,  loöd-eog. 

Piaton  hat  schon  recht,  wenn  er  in  Perikles  den  gröfslen  diäyiovos 
des  Volkes  sieht,  den  grofsen  volksverführer :  aber  er  steht  auf  der  hohen 
warte  seines  Staates,  und  er  schreibt  unter  den  trümmern  von  403. 
Herodotos  hat  auch  recht,  wenn  er  den  hohepunkt  der  weltentwickelung 
in  dem  demokratischen  Athen  des  Perikles  sieht,  die  athenische  demo- 
kratie,  wie  Perikles  sie  vollendet  hat,  ist  ein  gebilde,  zu  fein  für  men- 
schen, und  darum  denen  selbst  verderblich,  die  sie  zur  herrschaft  beruft; 
an  der  politik  des  Perikles  ist  Hellas  zu  gründe  gegangen,  aber  was 
wäre  schon,  das  für  die  menschen  nicht  zu  fein  wäre?  Piatons  Staat 
ist  es  erst  recht,  und  der  Staatsmann,  der  in  der  grauenhaften  folge 
von  wüsten  und  blutigen  Jahrhunderten,  die  wir  Weltgeschichte  nennen, 
einen  augenblick  geschaffen  hat,  zu  dem  wir  sagen  mögen,  verweile  doch, 
du  bist  so  schön,  ist  trotz  allem  ein  grofser  zauberer  gewesen. 


4. 

nATPI02  nOAITEIA. 


Das  Volk  der  Athener,  das  seit  dem  frieden  mit  den  Peloponnesiern  Die  ver- 
445  ein  zwar  gegenüber  den  hoffnungen  von  460  beschränktes,  aber  hiütezeit. 
dafür  von  den  andern  mächten  anerkanntes  reich  beherrschte,  konnte 
mit  fug  und  recht  sagen,  dafs  die  souveränetät  bei  ihm  selbst  stünde, 
ro  -/.qocTog  oder  to  zvgog  ercl  t(o  S^f.i(p.  die  Vorstellung  herrschte,  dafs 
alle  Athener  gleichberechtigt  wären,  und  der  wille  der  majorität  der 
wille  der  gesammtheit.  sv  yag  rw  ytolXu)  %vi  ra  Tcävra,  wie  Herodot 
sagt,  so  wird  to  :rclrjS^og  to  ^Ad^iqvaUov  identisch  mit  o  drji^ios  o  ^Ad-t]- 
vcüiov.  jeder  Athener  galt  als  zu  allen  regelmäfsigen  ämtern  befähigt; 
er  sollte  es  verstehn  sowol  zu  gehorchen  wie  zu  befehlen,  und  die  gleich- 
berechtigung  aller  forderte  demnach  einen  turnus  für  die  bekleidung 
der  ämter,  drjiiiog  6  aväaasi  diadoxaloiv  ev  uegei  IviavalaiGiv,  wie 
Theseus  sagt,  die  classenbeschränkung  galt  zwar  noch  dem  buchstaben 
nach;  an  die  finanzämler  kamen  nur  leute  aus  der  ersten  classe,  die 
letzte  hatte  auf  gar  kein  wirkliches  amt  anspruch.  aber  trotz  den  ver- 
änderten besitzverhällnissen  war  der  census  der  alte  geblieben;  was 
wollten  500  scheffel  sagen?  die  kleruchien  machten  immer  mehr  theten 
zu  grundbesitzern ;  giengen  sie  dorthin ,  so  waren  sie  faktisch  von  der 
Staatsleitung  ausgeschlossen ;  blieben  sie  zu  hause,  so  machten  die  zinsen 
ihres  pächters  sie  wahlfähig,  aufserdem  verdienten  sie  bei  dem  dienste 
auf  der  so  gut  wie  stehenden  flotte,  als  schützen,  Wächter  und  in  ähn- 
lichen Stellungen,  und  zu  den  körperschaften,  die  gerade  besonders  ein- 
flufsreich  waren,  den  6000  geschworenen  und  dem  rate,  hatten  sie  recht- 


1)  Aus  der  notorischen  Zersplitterung  des  grundbesitzes  folgt  bewirtschaftung 
durch  unfreies  gesinde.  von  den  preisen  und  dem  ertrage  wissen  wir  zu  wenig, 
aber  lohnend  war  auch  dieses  gewerbe,  und  über  die  concurrenz  des  pontischen 
getreides  hört  man  keine  klage. 


104  n.    4.  nüroios  TioXixEia. 

lieh  zutritt,  und  seit  für  beide  ein  niäfsiger  sold  gezahlt  ward,  konnten 
sich  auch  unbemittelte  zur  losung  melden,  die  hauptsache  freilich  tat 
der  allgemeine  wolstand  dazu,  dafs  die  beteiligung  an  der  Staatsverwal- 
tung für  die  ungeheuren  anforderungen  leidlich  ausreichte,  und  der 
census  nicht  fühlbar  war.  steuern  wurden  nicht  gezahlt;  der  weg,  die 
bemittelten  für  das  allgemeine  zu  den  nötigen  opfern  zu  bewegen,  war 
in  der  ausbildung  der  persönlichen  leislungen  für  das  allgemeine  {h]- 
TOVQylai)  gefunden,  die  ursprünglich  ein  aualogon  zu  dem  persönlichen 
band-,  spann-  und  Kriegsdienst  gewesen  waren,  aber  seit  für  den  letzteren 
sold  gezalilt  ward,  band-  und  Spanndienst  vorwiegend  nur  noch  für  die 
einzelgemeiude  und  phyle  in  belracht  kam,  war  die  liturgie  das  mittel, 
den  reichtum  in  einer  weise  zur  Steuer  heranzuziehen,  die  in  einer 
Vermögenssteuer  erst  dann  ein  volles  analogon  finden  würde,  wenn 
diese  eine  hohe  erreichte,  die  uns  für  unerträglich  gilt,  zum  ent- 
geh für  sein  opfer  war  der  trierarch  officier,  und  zwar  ein  hoher  und  1 
im  Reiche  aller  orten  angesehener,  der  grundbesitzer,  der  die  last 
der  Pferdezucht  trug,  diente  auch  bei  der  cavallerie,  was  an  sich  schon 
für  eine  auszeichnung  galt,  die  vielen  liturgien,  die  der  belustigung  und 
annehmlichkeit,  zum  teil  auch  der  Unterstützung  des  demos  dienten, 
brachten  nur  ehre  und  höchstens  einflufs  auf  die  Stimmung  und  die  i 
stimmen  des  Volkes,  dafs  dies  System  nicht  versagte,  lag  erstens  und"  ■ 
vornehmlich  an  dem  wolstand,  den  die  machtslellung  des  Reiches  und 
Athens  im  Reiche  den  einzelnen  verlieh,  dem  kaufherrn  und  industri- 
ellen eben  so  gut  wie  dem  grundbesitzer.  zweitens  aber  war  diese  art  \\ 
munificenz  von  alters  her  in  den  herrschenden  familien  geübt  worden, 
und  wer  durch  jungen  reichtum  in  diese  reihe  aufstieg,  durfte  und 
mochte  mit  ihm  nicht  knausern,  der  Staat  aber  hatte  eine  gefahr  glück- 
lich beseitigt,  als  er  die  private  munificenz  in  ein  ziemlich  festes  steuer- 
wesen  verwandelt  hatte:  noch  Peisianax  und  Kiraou  hatten  den  markt 
mit  hallen  und  bäumen  als  private  geschmückt;  das  haus  des  polemarchen 
trug  den  namen  dessen,  der  es  erbaut  hatte,  am  giebel.  so  etwas  ist 
in  der  perikleischen  zeit  abgestellt;  weder  er  noch  PSikias  haben  den 
Staat  beschenkt,  das  volk  bat  den  Parthenon  gebaut,  und  es  wachte, 
wie  auch  in  an  sich  unverbürgten  anekdoten  durchklingt,  eifersüchtig 
darüber,  dafs  kein  einzelner  ihm  die  ehre  dieser  bauten  entzöge. 

Der  souverän  war  selbstverständlich  unverantwortlich  und  gebunden 
nur  an  die  gesetze,  die  er  selbst  festgestellt  hatte,  also  wol  zu  ändern 
die  macht  hatte,  aber  nicht  zu  übertreten,  der  souverän  besafs  aber 
schlechthin  keine  initiative,    er  stimmte  in  jedem  einzelnen  falle  nur  zu 


Die  Verfassung  der  bliitezeit.  105 

loder  lehnte  ab.  somit  war  immer  ein  individuum  da,  das  die  Verant- 
wortung für  den  souverän  rechtlich  und  factisch  trug,  wer  den  sou- 
verän zu  ungesetzlichem  verleiten  wollte,  konnte  deswegen  gerichtlich 
belangt  werden,  und  schon  ein  einzelner  in  der  Volksversammlung  konnte 
durch  seinen  einspruch,  in  der  form  einer  klaganmeldung,  einen  antrag 
oder  beschlufs  wenigstens  suspendiren.  falls  aber  das  ungesetzliche  oder 
auch  schädliche  schon  beschlossen  oder  geschehen  war,  so  konnte  der 
belangt  werden,  der  den  demos  "^betrogen'  hatte,  auch  konnte  jeder  den 
antragsteiler  verklagen,  weil  er  "^ein  unpassendes  gesetz  beantragt  hättet 
Da  es  factisch  undurchführbar  war,  dafs  jeder  einzelne  bürger  in 
jedem  falle  von  dem  teile  souveränetät,  der  auf  ihn  kam,  gebrauch 
machte,  so  war  das  volk  oder  auch  die  majorität  der  Athener  durch 
legalfiction  vorhanden,  wenn  eine  durch  gesetz  bestimmte  Vertretung  der 
gesammtheit  factisch  die  souveränetät  übte,  das  galt  in  Wahrheit  schon  von 
der  Volksversammlung,  für  deren  Sitzungen  es  keine  numerische  beschrän- 
kung  der  beschlufsfähigkeit  gab,  aufser  für  besondere  fälle,  wo  schrift- 
liche abstimmung  gefordert  ward  {v6(.iol  erc^  ccvÖql).  aber  davon  zieht  man 
vor  nicht  zu  reden,  dagegen  gilt  der  satz,  dafs  die  richterliche,  schlecht- 
hin infallible  und  inappellable  {avvnsvd-vvog\  übung  der  souveränetät, 
ganz  besondere  ausnahmen  abgerechnet,  immer  vom  volke  nur  ideell, 
factisch  aber  von  einer  Vertretung  desselben  ausgeübt  wird,  deren  stärke 
das  gesetz  vorsah,  das  gericht  ist  rechtlich  immer  identisch  mit  dem 
Volke,  sonst  hätte  sich  seine  unverantworthchkeit  gar  nicht  aufrecht  halten 
lassen,  auch  das  gericht  mufs  berufen  werden,  entbehrt  also  der  initia- 
tive, und  zwar  geschieht  dies,  w'eil  es  eine  sehr  alte,  spätestens  solonische 
einrichtung  ist,  durch  die  archonten,  an  die  sich  die  übrigen  beamten 
zu  wenden  haben,  wenn  sie  eine  sache  vor  das  volk  zur  richterlichen 
eotscheidung  zu  bringen  wünschen,  die  archonten  aber  sind  nicht  frei 
in  der  auswahl  der  Volksvertretung,  sondern  erlosen  die  gesetzliche  zahl 
von  Volksvertretern,  und  sie  tun  das  nicht  aus  der  ganzen  summe  der 
teilnehmer  an  der  souveränetät,  sondern  aus  einer  alljährlich  von  ihnen 
in  bestimmter  gesetzlicher  form  aufgestellten  summe  von  6000  unbe- 
ischoltenen  über  30  jähre  alten  bürgern,  diese  6000  im  ganzen  sind 
Inur»  so  viel  wie  zur  beschlufsfassung  in  sachen,  die  wie  die  processe 
leinen  einzelnen  bürger  angehn,  für  die  Volksversammlung  erfordert  sind, 
sie  vertreten  das  ganze  volk,  sind  aber  selbst  in  jedem  einzelnen  pro- 
cesse durch  einen  manchmal  sehr  geringen  bruchteil  (201)  vertreten, 
die  legalfiction  geht  also  sehr  weit,  die  gerichte  entscheiden  oft  nur 
die  schuldfrage,  so  dafs  damit  nach  mafsgabe  des  gesetzes  die  strafe  ge- 


106  II.    i    när^tos  Ttohreia. 

geben  ist.  öfter  noch  bestimmen  sie  mit  der  vollen  Freiheit  des  Sou- 
veräns auch  das  strafmafs.  aber  die  strafvoUstrecUung  steht  nicht  in 
ihrer  band,     auch  sie  entbehren  durchaus  der  execulive. 

Die  6000  richter  sind  eine  Vertretung  der  bilrgerschaft  wirklich, 
in  sofern  sie  nach  den  gemeinden  erlost  sind,  in  die  das  attische  land 
und  die  attische  bilrgerschaft  zerfüllt,  wahrscheinlich  aus  einer  candi- 
datenlisle,  welche  diese  aufstellten,  dieses  selbe  princip  der  repraesen- 
lalion  beherrscht  die  magistralur  und  den  rat.  aber  sobald  der  Vertreter 
einer  gemeinde  oder  phyle  richter  oder  beamter  wird,  bort  er  auf  seinen 
kleinen  teil  zu  vertreten:  er  ist  vielmehr  träger  der  souveränetät  der 
sammtgemeinde.  in  ekklesia  und  heliaea  gibt  es  in  folge  dessen  keinerlei 
berücksichtigung  der  Unterabteilungen  des  Volkes. 

Das  hauptorgan,  durch  welches  der  souverän  die  executive  übt, 
ist  der  rat.  rat  heifst  er  und  ist  er,  da  er  dem  souverän  alle  seine  be- 
schliisse  vorzubereiten  und  ihm  in  erster  linie  seine  vorschlage  zu  unter-j 
breiten  hat.  er  ist  aber  längst  eine  und  zwar  die  vornehmsle  handelnde 
behörde  geworden,  er  besteht  aus  500  Vertretern  der  gemeinden,  fiir 
welche  dieselbe  qualification  wie  fiir  die  richter  gilt,  nur  dafs  man  richter 
zeitlebens,  ratsherr  höchstens  zweimal  auf  ein  jähr  sein  kann,  durch  den 
rat  allein  verkehrt  das  volk  mit  dem  auslande,  mit  jeder  fremden  person 
und  sogar  mit  den  eigenen  beamten.  in  allen  fällen,  wo  eine  gesandt 
Schaft  oder  sonst  ein  ausländer  oder  auch  ein  beamter  als  solcher  mit 
der  Volksversammlung  direct  verkehren  will  oder  soll,  führt  ihn  der 
rat  bei  dem  volke  ein.  verantwortlich  ist  der  rat  natürlich  seinem 
souverän,  aber  der  einzelne  ratsherr  unterliegt  als  solcher  nicht  der 
rechenschaftspflicht.  der  rat  verfügt  über  die  höchsten  souveränetäts 
rechte,  denn  er  kann  selbst  einen  bürger  an  leib  und  leben  strafen, 
ohne  dafs  diesem  wie  gegenüber  allen  andern  beamten  die  ecpaoig  sig 
drAaorr^Qiov,  die  athenische  form  der  provocatio  ad  popnlum  zustünde, 
aber  er  ist  nicht  mit  dem  souverän  ideell  identisch  wie  die  gerichte: 
er  kann  vielmehr  selbst  an  diese  eine  sache  überweisen;  dagegen  kann 
er  kein  gericht  selbst  berufen,  sondern  bedarf  der  vermittelung  der  ar 
chonten:  die  gerichte  sind  eben  mindestens  nicht  jünger  als  der  rat. 

Die  civilbeamten  werden,  so  weit  sie  jährig  sind,  in  der  weise-  er- 
lost, dafs  sie  die  phylen  oder  auch  deren  Unterabteilungen,  die  trittyeD, 
vertreten;  daneben  kommen  für  einzelne  vorübergehende  amtliche  tätig- 
keiten  commissionen  in  betracht,  die  aus  den  6000  richtern  genommen 
werden,  die  beamten  werden  erst  auf  ihre  Würdigkeit  von  dem  gerichte 
geprüft:  so  corrigirt  der  souverän  die  willkür  des  loses,    sie  stehn  zumi 


Die  Verfassung  der  blütezeit.  107 

grüfsten  teile,  insbesondere  so  weit  sie  Staatsgeld  verwalten,  unter  der 
coutrolle  des  rates;  dieser  und  das  gericht  besorgen  ihre  rechenschafts- 
abnahme.  aufserdem  entscheidet  der  souverän  in  jeder  der  10  verwal- 
tungsperioden  des  Jahres,  ob  sie  sein  vertrauen  noch  besitzen,  sie  haben 
eine  durch  feste  instruction  eng  begrenzte  sphaere  der  tätigkeit  und  sind 
gehalten,  so  bald  sich  ein  bürger,  von  bagatellen  abgesehen,  ihrem  spruche 
nicht  unterwerfen  will,  die  entscheidung  des  Souveräns  anzurufen,  d.  h. 
sie  berufen  ein  gericht,  dem  sie  Vorsitzen:  nur  dieser  vorsitz  in  eigner 
s;ii  he  ist  noch  ein  rest  ihrer  ehemahgen  Selbständigkeit,  sonst  ist  die 
magistratur  der  civilbeamten  zu  einem  Werkzeuge  des  Souveräns,  in 
praxi  des  rates  herabgedrückt,  pohtische  bedeutuug  hat  von  ihnen  schlecht- 
hin keiner.-)  reste  alter  macht,  wie  sie  die  einzelnen  archonten  noch 
besitzen,  sind  für  den  ganzen  Charakter  der  Verfassung  und  Verwaltung 
so  wenig  bedeutend,  wie  die  gerichte  des  Areopages  und  der  epheten 
neben  den  heliasten. 

Die  religion  durchdringt  zwar  alles,  aber  es  gibt  keine  kirche,  oder 
vielmehr  sie  deckt  sich  mit  dem  Staate,  und  so  können  wir  sagen,  dafs 
die  weltliche  bürgerliche  demokratische  Verfassung  mit  vollkommener 
logik  und  consequenz  durchgeführt  ist. 

Das  mihtär  fügt  sich  dem  demokratischen  gleichheitsprincip  nie  und 
nirgend,  sintemal  gar  zu  deuthch  vor  äugen  liegt,  dafs  nicht  jeder  zum 
oflicier  pafst,  und  auch  die  eifersüchtigste  demokratie  läfst  sich  gern  dazu 
herbei,  zu  offleieren  nur  die  zu  machen,  die  fähigkeit  und  lust  haben. 
für  die  hauptmacht  Athens,  die  flotte,  war  zwar  zur  zeit  des  Reiches 
gut  gesorgt,  da  die  trierarchie  capitäne  zur  Verfügung  stellte,  die  erstens 
die  erfahrung  besafsen ,  zweitens  in  der  kriegsmarine  den  Steuerleuten 
und  matrosen  als  geborene  vorgesetzte  gegenüber  standen,  da  sie  meist 
der  handelsmarine  in  gleicher  eigenschaft  angehörten ,  drittens  die  die 
würde  mit  der  Steuer  bezahlten,  auch  in  der  reiterei  war  die  bevorzugte 
geltung  dieses  dienstes  durch  die  last  der  pferdehaltung  aufgewogen;  die 
truppe  entwickeile  aber  immerhin  ein  starkes  standesbewufstsein ,  ward 
von  radikalen  demokraten  wie  Kleon  scheel  angesehen  und  rechtfertigte 
4o4  dieses  mistrauen  durch  entschieden  aristokratische  tendenzen.  aber 
sie    war  zu  schwach,    als  dafs  die  zehn  schwadronchefs  und  die  beiden 


2)  Der  einzige  Schreiber  hätte  sie  bekommen  können,  weil  er  die  protokolle 
führte  und  die  Schriftstücke  des  rates  und  volkes  redigirte.  -svählen  mufste  man 
ihn  deshalb  schon,  denn  federgewandt  war  nicht  jeder,  und  mancher  hätte  leicht 
proxenien  erfinden  oder  peinliche  paragraphen  unterschlagen  können,  aber  damit 
er  nur  ja  nicht  einflufsreich  würde,  wählte  man  ihn  nur  auf  eine  prytanie. 


108  n.    4.  närocos  ■noliTELa. 

reiterführer,  die  das  volk  erwälilte,  eine  politische  rolle  hätten  spielen 
können,  dafs  für  diese  äufserlich  der  volle  rang  galt  wie  für  die  Stra- 
tegen ,  also  auch  das  scharfe  schwert  der  epicheirotonie  über  ihnen 
hieng,  war  wol  mehr  aus  der  allen  zeit  der  adelsherrschaft  gebheben, 
wo  die  reiterei,  die  ritterschaft,  sehr  viel  mehr  zu  bedeuten  gehabt  hatte, 
flotte  und  reiterei  waren  beide  unter  die  ständige  con trolle  des  rates 
gestellt:  der  souverän  also  behielt  sie  selbst  in  der  band.  ' 

Der  heerbann  mit  seinen  zehn  obersten,  die  das  volk  wählte  und 
die  ihre  subalternofficiere  selbst  bestellten,  gieng  gut  in  die  demo- 
kratische Organisation  auf.  es  war  das  volk  in  waffen ,  mit  allen  Vor- 
zügen und  mangeln  eines  volksheeres  und  einer  landwehr.  aber  die 
zehn  Strategen  waren,  seit  die  grolsen  Verhältnisse  des  Reiches  dazu  ge- 
zwungen hatten,  ihnen  das  commando  der  regimenter  zu  nehmen,  denen 
sie  einst  vorgestanden  hatten,  zu  einer  Stellung  gelangt,  welche  schlechter- 
dings nicht  in  den  engen  rahmen  der  attischen  magistratur  pafst,  wenn 
sie  zu  hause  gesessen  hätten,  die  aushebung  besorgt,  den  Sicherheits- 
dienst im  lande  und  an  den  grenzen  überwacht  und  nur  im  falle  des 
krieges  das  beer  geführt  hätten,  so  hätte  man  sie  unter  den  rat  stellen 
können;  aber  dann  wäre  die  Schaffung  der  taxiarchen  nicht  nötig  ge- 
wesen, die  Verwaltung  des  Reiches  aber  machte  nicht  nur  den  kriegs- 
zustand  so  gut  wie  ständig,  sondern  sie  erforderte  auch  höchstcomman- 
dirende  an  mehreren  orten,  die  selbst  träger  des  Imperiums  sein  mufsten, 
also  selbst  den  souverän  vertraten,  und  die  flotte  hatte  zwar  schifls- 
führer,  aber  sie  brauchte  flottenführer.  so  wurden  die  Strategen  nicht 
sowol  generale  als  tribuni  militares  consnlari  potestate.  es  waren  noch 
immer  10,  und  die  phylen  sollten  in  ihnen  vertreten  sein,  wenn  sie 
das  volk  auch  in  directer  wähl  bestellte,  aber  da  die  iteration  und 
sogar  die  continuation  für  die  militärischen  ämter  gestattet  war,  konnte 
es  gar  zu  leicht  unbillig  und  widersinnig  werden,  wenn  die  wähl  eines 
geeigneten  mannes  aus  einer  phyle  alle  andern  geeigneten  derselben 
dauernd  ausschlofs.  so  erlaubte  sich  das  volk  einzeln  von  dem  principe 
abzuweichen,  die  zehn  Avaren  rechlhch  gleichgestellt,  aber  das  volk  be- 
stimmte frei,  wen  es  für  jeden  einzelnen  auftrag  geeignet  hielt,  und  so 
rangirlen  sie  factisch  sehr  verschieden ;  es  bekamen  einige  die  ziemhchlJ 
ständigen,  den  römischen  provinzialpraetoren  vergleichbaren  stellungenl 
im  Reiche  und  an  dessen  grenzen  (die  flottenstationen  in  den  provinzen), 
andere  die  aushebungsgeschäfte;  die  bedeutendsten  aber  bheben  zur  Ver- 
fügung des  Volkes,  immer  in  contact  mit  ihm,  da  sie  in  der  Volks- 
versammlung  anwesend  sein  konnten,    und  diese   erschienen   als  seine 


Die  Verfassung  der  blütezeit.  109 

wahren  Vertrauensmänner,  die  Strategen  waren  wol  gehalten,  an  den 
rat  zu  herichten,  der  ja  die  auswärtige  politik  leitete,  aher  sie  mufsten 
doch  draufsen  sehr  oft  Verbindlichkeiten  eingehn,  die  zwar  der  ratifi- 
cirung  durch  den  souverän  bedurften,  aber  mindestens  so  viel  gewicht 
hatten,  wie  ein  ratsvorschlag.  ja  man  gieng  so  weit,  dafs  die  Strategen 
einen  antrag  beim  rate  einbringen  konnten,  auch  den  auf  berufung  einer 
Volksversammlung,  und  somit  wenigstens  den  directen  amtlichen  verkehr 
mit  dem  souverän  und  die  initiative  erhielten,  in  kriegszeiten  konnten 
sie  andererseits  durch  das  aufgebet  der  bürger  die  abhaltung  einer 
Volksversammlung  factisch  verhindern.^)  endlich  eludirten  sie  im  falle 
der  Wiederwahl  factisch  sehr  häufig  die  rechenschaftsablage,  obwol  für 
diese  unter  allen  umständen  unter  Übergebung  des  rates  gerichthche 
prüfung  vorgeschrieben  war.  gewifs  war  es  sehr  gut  möglich,  das  gleich- 
gewicht  der  gewalten  aufrecht  zu  erhalten,  und  der  souverän  war  durch 
diese  männer  seines  Vertrauens  in  seiner  gewalt  nicht  gefährdet,  aber 
es  waren  doch  einzelne  männer,  die  durch  ihre  dauernde  amtliche 
Stellung,  ihre  erfahrung  und  ihren  einflufs  aus  der  gleichberechtigten 
und  auf  gleiches  niveau  niedergedrückten  masse  des  volkes  hervorragten. 
die  Strategen  waren  die  eigentlich  einzigen  wirklichen  magistrate  Athens. 
wir  sehen  sie  einzeln  selbst  mit  dictatorischer  gewalt  bekleidet,  avxo- 
y.oäroQeg,  wie  den  rat,  natürlich  nur  aufserhalb  der  sladt.  w^äre  es  einer 
in  der  Stadt  geworden,  so  war  der  tyrann  da. 

Die  bürgerlichen  beamtenstellen  durften  nicht  iterirt  werden;  im 
rate  durfte  jeder  bürger  nur  zweimal  sitzen,  da  der  ganze  rat  alljähr- 
lich neu  erlost  ward,  so  konnte  trotz  dem  vorschlagsrechte  der  gemeinden 
für  die  ratsstellen  und  trotz  der  prüfung,  die  der  alle  rat  an  den  erlosten 
vornahm  und  keinesweges  auf  die  formale  gesetzhchkeit  der  wähl  be- 
scliränkte,  eine  stätige  politik  in  dieser  wichtigsten  körperschaft  nicht 
getrieben  werden,  eine  wirkliche  geschäftserfahrung  war  im  Staats- 
dienste überhaupt  nur  unvollkommen  zu  erlangen,  als  geschworne  lernten 
die  bürger  vielerlei  von  den  gesetzen  und  der  Verwaltung  kennen ;  aber 
doch  nur  gelegentlich,  und  direct  konnte  die  heliaea  auf  die  politik 
nicht  einwirken,  ein  advocatenstand  begann  sich  erst  allmählich  zu 
bilden,     dagegen  in  der  Volksversammlung  konnte  jeder  bürger,   wenn 


3)  Thukydides  II  22  sagt  ausdrücklich,  dafs  der  Stratege  Perikles  während  der 
anwesenheit  der  Peloponnesier  in  Attika  431  keine  Volksversammlung  hielt,  ver- 
fassungsmäfsig  mufs  in  eine  so  lange  zeit  mindestens  eine  gefallen  sein,  nur  unter 
dem  drucke  des  belagerungszuslandes  kann  er  sie  verhindert  haben,  der  Stratege 
Alkibiades  stellt  direct,  nicht  über  den  rat,  einen  antrag  vor  dem  volke,  CIA  IV  p.  19. 


110  n.    4.  näzoios  Ttohrsia. 

er  nur  wollte,  jahraus  jahrein  erscheinen,  zuhören  und  reden,  schon 
zehn  jähre  lang ,  ehe  er  beamter  ratsherr  und  richter  werden  konnte, 
das  Volk  wählte  auch  gar  nicht  selten  direct  commissionen ,  selbst  für 
so  wichtige  dinge  wie  die  ausarbeitung  von  gesetzen,  die  gesandten,  die 
Vertreter  des  fiscus  vor  gericht"):  da  kamen  also  leute  hinein  ohne  die 
beschränkungen  aller  art,  denen  die  beamten  unterlagen,  nicht  auf  Präsen- 
tation durch  die  phylen  oder  gemeinden,  sondern  als  vertrauetismänner  des 
Volkes,  der  ekklesia.  die  ekklesia  war  berechtigt,  sich  als  der  souve- 
rän zu  fühlen,  sie  sollte  im  gegensatze  zu  den  abteilungen  des  volkes  das 
ganze,  im  gegensatze  zu  den  wechselnden  beamten  die  dauer  und  Stetig- 
keit des  regiments  vertreten,  und  wirklich ,  es  fanden  sich  ständige 
besucher,  das  gros  der  abstimmenden,  und  es  bildeten  sich  berufsmäfsige 
Parlamentarier,  die  Qr^rogsg,  die  aus  der  Versammlung  das  wort  ergriffen, 
dafs  diese  leute  die  geschäftsordnung  und  die  regelmäfsigen  geschäfte 
und  die  künste  der  debatte  sehr  bald  besser  als  das  präsidium  begriffen, 
dafs  sie  auch  wirklich  sehr  oft  über  einsieht  und  erfahrung  verfügten, 
die  den  beamten  und  selbst  dem  rate  abgiengen ,  ist  natürlich,  w  er 
sich  als  ratsherr  oder  Schatzmeister  etwa  in  die  finanzen  oder  einen  teil 
derselben  hineingearbeitet  hatte,  konnte  seine  erfahrung  später  nur  als 
redner  geltend  machen;  aber  es  trat  in  diesen  unverantwortlichen^) 
rednern  ein  nicht  blofs  fremdes,  sondern  gefährliches  dement  in  den 
verfassungsmäfsigen  Organismus  des  Staates  ein.  die  redner  übten  kritik 
an  den  vorlagen  des  rates  und  der  Strategen,  ohne  doch  selbst  in  den  ge- 
schäften  zu  stehn,  gaben  ihnen  den  befehl  es  so  oder  so  zu  machen,  ohne 
doch  zu  der  ausführung  selbst  band  anzulegen,  sie  hatten  das  ohr  des  Sou- 
veräns, ohne  doch  für  das  einstehn  zu  müssen,  wozu  sie  ihn  bestimmten,  der 
souverän  selbst  aber  ward  tatsächlich  in  sehr  vielen  Sitzungen  durch  die 
habitues  der  ekklesia  repräsentirt,  die  leute,  die  zeit  und  lust  hatten,  auf  die 
pnyx  zu  gehn.  es  konnte  gar  nicht  anders  sein,  als  dafs  das  die  leute 
aus  der  Stadt  und  ihrer  nächsten  Umgebung  waren,  und  dafs  die  besten 
Vertreter  des  demos,  die  bauern,  die  kaufleute,  die  industriellen  unter- 


4)  Aristophanes  wird  nicht  müde  über  diese  bevorzugungen  zu  schelten;  dafs 
sie  zu  den  gesandtschaften  nicht  herankommen  wie  Pyrilampes,  Diotimos,  Morychos 
ärgert  die  Acharner  am  meisten;  auch  c\n  ivyyoa(psv£,  Antimachos,  wird  als  solcher 
angegrifTen,  und  die  noch  dazu  gut  bezahlten  awr.yoQOi  machen  den  Philokieon  an 
der  herrlichkeit  seines  heliastentumes  irre. 

5)  Von  den  auf  die  redner  besonders  gemünzten  gesetzlichen  bestimmungcn, 
die  in  der  demosthenischen  zeit  auch  mehr  beredet  als  beachtet  werden,  ist  im  fünften 
Jahrhundert  nicht  einmal  die  rede. 


Die  Verfassung  der  blütezeit.  111 

nehmer,  die  handwerker  nur  selten  die  zeit  daran  wandten,  so  ward 
die  Volksversammlung  statt  das  ganze  volk  zu  vertreten  geradezu  die 
einseitigste  Vertretung  und  die  ungerechteste,  sie  vertrat  die  Stadt,  die 
es  rechtlich  gar  nicht  gab,  trotz  dem  ganzen  lande,  und  die  dröhnen 
trotz  den  arbeitsbienen.  die  unerfahrene  Jugend  konnte  das  höchste 
suuveränetätsrecht  eher  üben,  als  sie  selbst  irgendwie  die  eigene  Ver- 
antwortlichkeit an  einem  teile  zu  kosten  bekommen  hatte,  die  besitz- 
lise  bürgerliche  bevolkeruug,  die  am  kriege  profitirte,  wenn  sie  auf  die 
schiffe  gieng,  sonst  gar  keinen  feind  zu  sehn  bekam  oder  höchstens 
waffenlos  zum  beutemachen  mitlief,  konnte  die  vorlagen  der  Strategen 
niederstimmen  und  gar  die  Strategen  selbst  wählen  und  absetzen. 

Wenn  eine  Verfassung  wirklich  wie  eine  maschine  functionirle,  so 
würde  es  wesentlich  auf  ihre  construction  ankommen,  aber  da  ihre 
triiger  beseelte  menschen  sind,  so  kommt  es  auf  diese  seelen  viel  mehr  an. 
die  demokratie  die  die  Athener  um  460  vollendeten  hat  ein  menschen- 
aller vorzüglich  functionirt,  weil  ihre  träger  den  geist  bewahrten,  dem 
sie  in  ihrer  Verfassung  ausdruck  gegeben  hatten,  die  autorität  der 
nuinner,  die  dem  volke  diese  freiheit  und  herrschaft  gewonnen  hatten, 
hielt  vor,  sie  blieben  die  Vertrauensmänner  des  Souveräns,  und  so  er- 
hielt sich  die  Stetigkeit  der  politik.  die  tradition  war  noch  so  mächtig, 
uals  der  demos  sich  eben  so  willig  unter  die  "^ansehnlichen  leute',  die 
niänner  "^aus  den  guten  familien\  stellte,  wie  die  matrosen  unter  die 
irierarchen.  die  grofsen  Verhältnisse  des  Reiches  (die  in  alles  factisch  viel 
mehr  bestimmend  eingreifen,  als  diese  betrachtung  der  dinge  von  dem 
gesichtspunkte  der  Verfassung  aus  erkennen  läfst)  führten  von  selbst 
dazu,  dafs  die  Strategen  das  starke  handelnde  organ  des  Staates  sein 
durften,  wirklich  ein  magistrat  im  römischen  sinne,  und  das  lebendige 
sonderleben  der  gemeinden,  die  sich  die  Stadt  noch  nicht  über  den 
köpf  wachsen  liefsen,  garantirle,  dafs  der  rat  eine  Vertretung  des  ganzen 
Volkes   war   und   demgemäfs  die   ihm    gebührende   autorität  besafs.®) 


6)  Die  modernen  haben  die  strategenwaliien  zu  einseitig  als  entscheidend  für 
die  politik  angesehen;  das  moderne  politische  leben  hat  sie  dabei  nicht  ganz  richtig 
yefülut.  gewifs  sind  sie  wichtig,  und  wir  kennen  die  Strategen  besser  als  die  rats- 
iieiren,  aber  die  entscheidende  politik  macht  doch  der  rat,  und  dafs  in  ihm  die 
fiiedensfreunde  422/21  und  schon  die  jähre  vorher  die  majorität  halten,  hat  dem 
Xikias  erst  den  friedensschlufs  ermöglicht,  andererseits  ist  es  der  rat,  den  Kleon 
bei  der  erhöhung  der  tribute  hinter  sich  hat.  die  entscheidenden  wählen  sind  also 
die  in  den  gemeinden  für  die  praesentalion  zum  lose  für  die  ratsherrenstellen.  dafs 
^ich  uns  das  einzelne  notwendigerweise  entzieht,  mindert  die  bedeutung  nicht,  so 
lange  die  gemeindemitglieder  wesentlich  noch  in  der  gemeinde  wohnten,  kam  dabei 


112  II.    4.   närgios  Ttohreia, 

Der  krieg  Aber  GS  kam  der  krieg,  der  die  landbevölkerung  zum  grofsen  teile 

und    SG!UG 

folgen,  beschäftigungslos  in  die  Stadt  trieb,  gleichzeitig  hörte  der  abflufs  der 
armen  bilrger  in  die  colonien  auf,  die  pest  beschleunigte  den  notwen- 
digen procefs,  dafs  eine  neue  generation  für  den  Staat  bestimmend  wer- 
den mufste.  die  sorge  für  das  Reich  und  den  krieg  lenkte  zwar  das 
interesse  von  kämpfen  um  die  Verfassung  selbst  zunächst  ab;  aber  die 
schweren  proben,  denen  sie  dadurch  unterworfen  ward,  hat  sie  nicht  be- 
standen. 

Wir  huren  noch  die  entrüstung  der  leute  vom  alten  schlage,  dafs 
in  der  Volksversammlung  "^jeder  elende  kerl  aufstehn  kann  und  eine  rede 
halten,  natürlich  nicht  im  interesse  der  Ordnung,  aber  im  wolverstan- 
denen  interesse  des  demos,  dem  an  der  Ordnung  nichts  liegen  kann,  aber 
wol  an  demokratischer  gesinnung'.  noch  Perikles  selbst  hatte  erleben 
müssen,  dafs  ein  reicher  industrieller  aus  Kydathenaion,  der  freilich  eine 
claque  von  gemcindegenossen  leicht  auf  die  pnyx  bringen  konnte,  als  redner 
in  der  Volksversammlung  ihm  sehr  unangenehm  ward.  Nikias  ward  es 
schliefslich  zu  arg,  dafs  dieser  parvenu,  der  vom  kriege  keine  erfahrung 
hatte,  unter  dem  jubel  des  volkes  ihm  immer  wieder  über  den  feldzugs- 
plan  Vorhaltungen  machte,  so  tat  er  den  unbedachten  ruf  "^so  sei  du  i 
feldherr  an  meiner  statt  und  mache  es  besser'.  Kleon  aber  nahm  ihn 
beim  worte  und  machte  es  besser,  das  wäre  sehr  schön  gewesen,  wenn 
es  mehr  als  eine  gelungene  Improvisation  gewesen  wäre,  denn  feldherr 
konnte  der  brave  bürgersmann  wirklich  nicht  sein ,  so  tüchtig  er  als 
ratslierr  gewesen  war.  als  er  es  zum  zweiten  male  versuchte,  kostete  es 
ihm  das  leben,  Nikias  bekam  das  übergewicht  zurück,  und  der  Staat 
schlofs  einen  faulen  frieden. 

Kleon  hatte  schon  als  ratsherr  Verschwörungen  gewittert,  vor  der 
tyrannis  gewarnt  und  ein  wachsames  äuge  über  die  jüngsten  politiker 
gehalten,  die  schüler  der  neuen  bildung.  damals  lachte  man  ihn  aus. 
aber  bald  nach  seinem  tode  offenbarte  sich,  wie  scharf  er  gesehen  hatte, 
der  Staat  stand  wirklich  in  einer  krisis,  und  die  entgegengesetzten  unter- 


das  land  zu  seinem  rechte,  nacli  431  safsen  nur  zu  viele  auch  aus  Thria  Kephisia 
und  Marathon  in  der  Stadt,  und  nur  zu  leicht  wird  man  diese  leute,  sowol  weil  sie 
wollten,  wie  weil  die  bauern  zu  hause  bleiben  wollten,  praesentirt  haben,  die  ge- 
nieindeordnung  ist  eben  denaturirt  dadurch,  dafs  die  freizügigkeit  mit  der  quasi- 
gentilicischen  gemeindeangehörigkeit  verbunden  ward,  die  Maralhonier,  die  in  die 
Stadt  oder  den  hafen  verzogen  waren,  hatten  an  Marathon  gar  kein  wirkliches  inter- 
esse mehr,  und  sie  werden  doch  überwiegend  Marathon  in  rat,  heliaea  und  beamten- 
schaft  vertreten  haben. 


Der  krieg  und  seine  folgen,     die  revoluüon  von  411.  113 

Strömungen  giengen  gegeneinander  an,  während  äufserlich  die  Verfassung 
und  das  Reich  in  vollster  blute  standen,  es  war  eigentlich  allen  un- 
heimlich und  unwohulich  gewoi'den  in  dem  stolzen  hause,  die  poeten 
des  tages  flüchteten  sich  nach  Wolkenkukuksheim  oder  prophezeiten  den 
Untergang,  wie  er  llios  und  seinen  hesieger  ereilt  hatte,  das  volk  wagte 
dennoch,  trotz  den  Hermokopiden'),  die  sicilische  fahrt,  machte  aus  den 
Strategen  dictatoren  und  gab  zugleich  aus  furcht  vor  der  tyrannis  dem 
rate  die  dictatur:  so  stürzte  es  hals  über  köpf  dem  abgrund  zu,  den  es 
doch  ahnte,  das  unheil  von  Syrakus  übte  sofort  auf  die  Verfassung  den 
rücksclilag,  dafs  der  rat,  das  wichtigste  demokratische  organ,  beschränkt 
ward,  zehn  bejahrte  erfahrene  männer  der  wähl  des  Volkes  sollten  die 
vorberatuug  und  zum  teil  wenigstens  auch  die  fiuanzverwaltung  über- 
nehmen.^) an  den  sitz  des  übels,  die  unberechenbare  und  unzulängliche 
Volksversammlung,  in  der  zumal  in  den  kriegszeiten  die  besten  kräfte 
der  bürgeischaft,  die  Soldaten,  fehlten,  wagte  niemand  zu  rühren,  der 
rat  des  Jahres  412/11  war  dem  entsprechend  eingeschüchtert  und  schwach 
und  zudem  schwerlich  sehr  demokratisch  gesonnen,  der  feldzug  des 
Jahres  412  und  der  folgende  winter  steigerten  die  entmutigung.  die 
richtige  erkenutnis,  dafs  Athen  mit  seinen  raitteln  nach  dem  abfalle  von 
Chios  Miletüs  Rhodos  das  Reich  nicht  mehr  behaupten  konnte,  führte 
nun  endlich  die  bisher  fast  verborgenen  männer  an  das  rüder,  die  mit 
einer  Verfassungsänderung  ernst  zu  machen  wagten. 

Es  war  eine  revolution,  obwol  zunächst  äufserlich  alles  in  den  formen  Die  levoiu- 
des  rechtes  blieb,     die    oligarchischen   führer  mochten  von  vorn  herein 
sehr  weit  gehende  tendeuzen  haben:   um  eine  majorität  zu  linden,  be- 


7)  Ich  glaube,  dafs  sich  ziemlich  sicher  zeigen  läfst,  was  es  mit  dem  hermen- 
frevel auf  sich  gehabt  hat.  es  war  eine  action,  berechnet  auf  den  religiösen  sinn 
der  Athener,  die  abfahrt  der  flotte  zu  hemmen,  und  die  anregung  stammte  von  den 
Korinthern,  die  sehr  verständig  damit  ihrer  tochterstadt  Syrakus  helfen  wollten: 
so  berichtet  Philochoros.  dazu  kam  die  feindschaft  der  adlichen  Jugend  gegen  den 
abtrünnigen  Aikibiades  und  die  nicht  unberechtigte  furcht  vor  diesem  zweiten  Peisi- 
stratos.  aber  auf  eine  Verschwörung  gegen  die  demokratie  war  es  durchaus  nicht 
abgesehn. 

8)  Das  folgt  aus  der  Lysistrate  des  Arrstophanes ;  wie  die  competenzen  der 
probulen  gegen  den  rat  abgegrenzt  waren,  ist  durcliaus  unbekannt,  dafs  dieser  die 
polizei  behielt,  zeigen  die  Thesmophoriazusen.  gemeint  waren  die  probulen  wol 
als  eine  ständige  commission  ähnlich  den  ^vyy^a<pr;s,  und  sicherlich  waren  sie  den 
oligarchen  als  instilution  gar  nicht  recht,  aber  die  alten  herren,  Hagnon  und  So- 
phokles, waren  natürlich  nicht  radikal,  sondern  der  TiäxQios  noXixeia  geneigt,  und 
waren  den  energischen  Verschwörern  so  wenig  gewachsen  wie  es  der  probulos  der 
Lysistrate  ist. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.  II.  8 


114  II-  4.    nüjQios  7io/.izeia. 

schränkten  sie  sich  zunächst  darauf,  zwei  hauptprincipien  durchzubringen, 
die  offenbar  in  sehr  weiten  kreisen  beifall  fanden,  die  ausschhefsung 
der  theten  von  den  politischen  rechten  ,  und  die  aufhel)ung  des  soldes. 
beides  konnte  mit  fug  und  recht  als  eine  rückkehr  zur  väterhchen  Ver- 
fassung bezeichnet  werden,  der  sold  war  erst  durch  Perikles  eingeführt, 
und  man  war  mafsvoll  genug,  iiin,  wenn  auch  in  der  geringen  höhe 
von  72  dr.,  für  den  ralsausschufs  und  die  archonten  bestehn  zu  lassen ; 
er  war  wol  sicher  in  beiden  fällen  ersatz  für  ältere  naturalverpflegung. 
die  beschränkung  der  politischen  rechte  auf  die  hopliten,  d.  h.  die  oVrZor 
TraQexöjiieroi,  gieng  allerdings  über  Selon  hinaus,  aber  die  formel  selbst 
war  genau  die  drakonlische ,  und  da  es  mindestens  5000  sein  sollten, 
und  die  auswahl  einer  starken  Vertretung  der  phylen  anheimgegeben 
ward,  so  mochte  der  demos  mit  grund  annehmen  dafs  diese  neue  bürger- 
schaft  nicht  für  die  ohgarchie  zu  haben  sein  würde,  übrigens  sollte  sie 
zunächst  nur  für  die  dauer  des  krieges  bestehn. 

Als  sie  ausgemustert  war  und  zusammentrat,  führten  die  oligarchet» 
den  zweiten  streich  und  setzten  eine  commission  für  den  entvvurf  einer 
Verfassung  durch,  sie  war  zwar  100  leute  slark,  aber  in  dem  entwürfe 
weht  so  sehr  ein  geist,  er  ist  so  woldurchdacht  und  verbindet  in  so 
eigentümlicher  weise  die  drakontische  Verfassung  mit  den  anforderungei 
der  gegenwart,  ist  auch  so  rasch  zur  annähme  in  der  commission  ge- 
langt, dafs  wir  wol  schlielsen  dürfen ,  er  habe  für  die  leiter  der  bewe- 
gung  vorher  festgestanden,  wer  ihn  gemacht  hat  erstrebte  keineswegs 
eine  oligarchische  tyrannei  {öwaoreia,  wie  schon  Piaton  sagt.) 

Die  neue  bürgerschaft  nahm  den  entwurf  an ;  aber  er  konnte  nicht 
unmittelbar  in  kraft  treten,  dazu  war  er  viel  zu  radikal,  die  not  des 
krieges  zu  dringend,  und  vor  allem  die  Verständigung  mit  dem  beere' 
in  Samos  notig.  also  mufste  man  zu  einem  provisorium  greifen, 
und  nun  wagte  sich  die  Oligarchie  schon  minder  verhüllt  an  das  licht, 
wenn  sie  auch  noch  immer  geflissentlich  den  anschlufs  an  die  Verfas- 
sung der  Väter,  die  jtäxQia,  zur  schau  trug,  um  die  5000  zur  Zustim- 
mung zu  bewegen,  es  ward  wirlich  eine  behörde  mit  dictatorischei 
gewall  geschaffen,  aber  dieser  Urkunde  merkt  man  deutlich  an,  dafs  sie 
auf  einem  compromifs  beruht. 

Als  dieser  rat  der  400  am  rüder  war,  gewannen  in  ihm  die  tyranni- 
schen gelüste  die  oberhand,  bis  die  gemäfsigte  minorität  selbst  den  ge- 
horsam kündigte  und  die  gewaltherrschaft  brach,  sie  wölken  dabei  we- 
nigstens die  principien  festhalten,  die  noch  die  alle  weite  ekklesia  beschlossen 
hatte,  und  zunächst  gelang  es  auch,     aber  da   das   sehr  bald   auch  im 


Die  revolution  von  411.     das  piovisorium  von  411.  115 

fclJe  erfolgreiche  beer  der  alten  demokratie  immer  treu  geblieben  war, 
kunute  nicbt  feblen,  dafs  diese  die  oberband  gewann,  trotzdem  \Yaren 
(li(  anbänger  der  bescbränkung  der  politiscben  recbte  sebr  zablreicb, 
diese  gedanken  waren  nicbt  vergessen  und  haben  mit  sebr  bemerkens- 
werter modiflcation  noch  403,  zum  schaden  Athens  wiederum  vergeblich, 
den  kämpf  mit  dem  allgemeinen  Stimmrecht  aufgenommen. 

Die  provisorische  Verfassung  (cap.  31)   bat   als  solche  ein  geringes  Das  provi- 

1  1     f       sorium  von 

Interesse,  obvvol  sie  geschichtlich  allein  bedeutung  hat,  während  lür  4ii. 
den  Verfassungsentwurf  (cap.  30}  das  umgekehrte  gilt,  träger  der  gc- 
walt  ist  ein  rat  von  400  mitgbedern;  in  dieser  zahl  und  in  der  art 
seiner  bestellung  durch  Vorwahl  der  phylen  (die  jedoch  nicht  inne  ge- 
halten ward)  sollte  der  schein  der  rückkebr  zu  den  formen  der  alten 
zeit  Hegen,  die  400  wurden  mit  der  vollsten  souveränetät  ausgestattet, 
selbst  dem  recbte  die  beamten  zu  ernennen  —  dabei  mochte  ein  redner 
an  das  alte  recht  des  Areopages  erinnern,  zur  beruhigimg  der  gemüter 
fügte  man  bei,  dafs  der  rat  an  den  Verfassungsgesetzen,  die  beschlossen 
würden,  nichts  ändern  dürfte,  darin  lag,  dafs  die  legislatur  bei  der  bürger- 
schaft  stünde;  nur  war  der  rat  weder  verpflichtet  noch  gewillt  diese 
bürgerschaft  zu  berufen,  und  mit  absoluter  gewalt  regiert  man  besser 
ohne  Verfassungsgesetze,  nun  bedurfte  der  rat  einer  militärischen  exe- 
cutivbehörde ;  da  ist  es  sehr  bezeichnend,  dafs  die  ernennung  derselben 
ihm  in  der  allgemeinen  berechtigung,  die  beamten  zu  ernennen,  noch 
nicht  zugesprochen  sein  sollte,  es  wird  vielmehr  gesagt,  'für  diesmal 
sollte  der  rat  die  10  Strategen  aus  der  gesammten  bürgerschaft  der 
5000  auswählen,  und  zwar  so,  dafs  er  dafür  eine  musterung  aller  in 
Waffen  veranstaltete  (das  ist  eine  controlle,  dafs  alle  bürger  wirklich  önka 
naqt.%01.ii.voi  sind),  in  zukunft  aber  soUte  nach  dem  vorher  beschlos- 
senen Verfassungsentwurfe  verfahren  werden.^  in  der  sache  ist  das  genau 
dasselbe,  wie  wenn  die  Strategen  mit  unter  die  andern  ämter  gerechnet 
wären;  aber  es  schien  den  5000  eine  beruhigung,  direct  auszusprechen, 
dafs  das  nur  einmal  passiren  soUte.  die  Strategen  erhielten  selbst  dicta- 
lorische  gewalt:  mit  andern  Worten,  die  400  konnten  wieder  aus  sich 
die  energischsten  männer  mit  vollem  imperium  ausrüsten  und  so  die 
Oligarchie  vollenden,  dafs  die  übrigen  militärischen  ämter  dann  auch 
durch  den  rat  bei  derselben  musterung  ernannt  wurden,  hatte  weiter 
nichts   auf  sich.^j     wie   wenig   die   5000   aber  ständisch  aristokratische 


9)  Hier,  31,2,  ist  noch  ein  textfehler  zu  beseitigen,  iUad-ai  Se  xai'innaQxov 
iva  (xal  ta^MQxovs  Sexa)  y.ai  (pvlaQ^ovi  Sa'xa.  die  taxiarchen  können  nicht  gefehlt 
haben,  und  es  wird  ein  taxiarch,  kein  geringerer  als  Aristokrates,  erwähnt  (Thuk.  8,92). 

8* 


116  !!■  4.    Ilaroios  nokneia. 

neigungen  hatten,  zeigt  sich  daiin,  dafs  sie  der  not  der  zeit  gemäfs  nur 
einen  hipparchen  wählen  liefsen,  obwol  der  Verfassungsentwurf  an 
mehreren  festgehalten  hatte,  auch  das  war  eine  beruhigung  der  dem 
Provisorium  wenig  geneigten  Stimmung,  dafs  die  von  den  40(-)  eingesetzten 
beamten  mit  ausnähme  der  ratsherren  und  Strategen  nicht  wieder 
wählbar  sein  sollten,  der  rat  war  auf  ein  jähr  eingesetzt  und  dem  folg- 
ten die  andern  ämter  selbstverständhch.  es  war  ganz  unsicher,  wann 
das  definilivum  eintreten  würde;  denn  das  hieng  von  der  Vereinigung 
mit  dem  beere  in  Samos  ab,  wie  der  scblufssatz  (der  erst  durch  die 
Verfassung,  auf  die  er  verweist,  verständlich  wird)  verblümt  andeutet 
man  hoffte  wol,  es  würde  bald  sein,  aber  man  mufste  doch  Vorsorge 
treffen,  so  mögen  die  braven  bürger  unter  den  5000  gedacht  haben : 
die  oligarchen  wie  Antiphon  und  die  eigennützigen  streber  wie  Phry- 
nichos  bewiUigten  ihnen  gern  die  wortc,  wenn  sie  nur  die  macht  zu 
handeln  endlich  erhielten. 

Der  Verfassungsentwurf  selbst  (cap.  30)  ist  ein  unschätzbares  docu 
ment;  der  ihn  verfafst  bat  war  ein  eben  so  von  den  traditionen  der 
Väter  wie  von  der  abstracten  speculation  der  Sophisten  genährter  geist. 
was  er  schuf,  war  trotz  allem  anschlusse  an  die  alten  Vorbilder  etwas 
ganz  neues,  und  trotz  seiner  klugen  berechnung  auf  die  schaden  der 
gegenwart  ein  schlechthin  lebensunfähiges  ding. 
Der  vcrfas-  Die  gcsammte  bürgerschaft  soll  durch  einen  einmal,  gleich  jetzt  von 
wuri  von  den  100  xaTaloyi]g,  die  sie  überhaupt  erst  contituirt  haben,  nach  bestem 
wissen  und  gewissen  in  vier  teile  (XrjBsig)  geteilt  werden.*")  die  männeri 
über  30  jähre  eines  vierteis  bilden  für  ein  jähr  den  rat,  und  zu  dem 
rate  gehören  die  wichtigen  namenthch  aufgeführten  beamten.  diesi 
werden  so  erwählt,  dafs  zunächst  aus  dem  ganzen  viertel  eine  vorwah 
von  mehrerern  candidaten,  (deren  zahl  der  entwnrf  offen  läfst),  und  aui 
dieser  liste  die  definitive  wähl  geschieht,")   die  niederen  beamten  werdei 


10)  Der  ausdruck  (30,  3)  ist  mehrdeutig,  vslfiat  xal  rovs  älXove  Tt^os  ttjv  Xij^iv 
sxäaxr}v.  die  andern  können  sowol  die  niitglieder  der  5000  zwischen  20  und  3( 
Jahren  sein,  die  noch  nicht  ratsfähig  sind,  wie  auch  alle  Athener,  da  jedoch  dii 
nicht  zu  den  5000  gehörigen  politisch  schlechthin  rechtlos  sind,  hat  ihre  verteilunj 
unter  die  viertel  gar  keine  bedeutung.  wie  es  werden  sollte,  wenn  ein  Athene 
den  census  erreichte,  also  vom  theten  in  die  classe  der  berechtigten  aufstieg,  is 
nicht  vorgesehen,  wir  müssen  immer  festhalten,  dafs  wir  nur  eine  skizze  vor  un 
haben,  grundzüge,  die  ein  theoretiker  aufgestellt  hat. 

11)  Wer  die  wähl  vollzieht,  wird  nicht  gesagt;  da  aber  die  gesammte  bürgei 
Schaft  niemals   zusammentritt,    so  kann   man   nur   an   einen  rat   denken,     ob   ab« 


Der  Verfassungsentwurf  von  411.  117 

aus  den  aüdero  drei  vierteln  erlost,  der  rat  ist  für  sein  aratsjahr  der 
träger  der  regierung  in  jeder  richtung,  insbesondere  in  der  finanzver- 
waltung.  die  beamten,  die  aus  ihm  genommen  sind,  nehmen  an  seinen 
Sitzungen  teil,  mit  ausnähme  der  gerade  amtirenden  hellenotamien.'-)  ein 
ratsausschufs ,  den  prytanen  entsprechend,  exislirt  nicht  mehr,  viel- 
mehr tritt  jeden  fünften  tag  das  plenum  zusammen,  wenn  die  geschäfte 
nicht  häufigere  Sitzungen  fordern,  in  permanenz  ist  der  rat  also  nicht, 
wie  er  es  durch  die  prytanen  gewesen  war.  folglich  mufs  eine  behörde 
da  sein,  die  ihn  berufen  kann  und  bis  zu  seiner  constituirung  den  vorsitz 
führt,  das  kann  nur  eine  der  ständig  auf  dem  markte  vorhandenen  sein : 
so  erhalten  die  archonten  den  auftrag,  wie  es  am  passendsten  war  und 
noch  dazu  recht  archaisch  aussah.'^)  für  den  vorsitz  in  der  sitzung 
selbst  werden  fünf  ralsherrn  ausgelost,  den  prytanen  oder  den  späteren 
proedren  entsprechend,  und  aus  ihnen  wieder  einer,  der  abstimmen  läfst, 
dem  epistaten  entsprechend,  eine  tagesordnung  kann  nun  nicht  vor- 
bereitet sein,  also  müssen  die  fünf  Vorsitzenden  des  tages  die  einge- 
gangenen oder  jetzt  angemeldeten  sachen  ordnen,  die  im  anschlufs  an 
die  tagesordnung  der  alten  ekklesia  in  der  reihenfolge  1)  heiliges, 
2)  herolde,  3)  gesandte,  4)  alles  andere,  zur  Verhandlung  kommen  sollen, 
so  dafs  innerhalb  einer  der  vier  abteilungen  die   reihenfolge  durch  das 


derselbe,  dem  die  gewählten  angehörten,  oder  sein  Vorgänger,  oder  der  eine  für  die 
jiQoxQiais,  der  zweite  für  die  definitive  wähl,  ist  nicht  bezeichnet. 

12)  Aus  dieser  beschränkung  rovs  ellrivoiafiias  ot  av  SiaxsiQiQtoaiv  ra  xQ'^r 
ftara  fiTj  avfißovXsveiv  folgt,  dafs  die  hellenotamien  in  einem  turnus  die  geschäfte 
führen  sollen,  über  sie  handelt  der  verdorbene  satz  vorher  eXXrjvorafiias  xal  rcöv 
äXXcov  oaicov  j^öj^^motw»'  ewoai  ot  Sia'/siQiovai,  darin  bezieht  sich  Siaxsioi^siv 
wegen  des  späteren  satzes  sicher  auf  die  hellenotamien.  also  ist  eXXi]vorafiias  xai 
iä)v  aXXcov  oaiaiv  ^qr^fiäxav  (in  bekanntem  gegensatze  zu  dem  vorher  erwähnten 
heiligen  gelde  fast  gleich  Stj/iooicov)  sprachlich  kräftig  und  gut  so  gesagt,  dafs  das 
in  eXXr^voTafii'as  empfundene  rafti'as  den  genetiv  regiert,  die  centralcasse  für  alles 
öffentliche  geld,  inclusive  des  Reichsgeldes,  wird  von  einer  behörde  verwaltet, 
die  den  namen  von  den  Hellenotamien  bewahrt,  aber  kolakreten  und  apodekten 
auch  ersetzt,  was  dann  von  dem  satze  übrig  ist,  ol  SiaxsiQiovai,  ist  an  sich  un- 
genügend, weil  es  gar  nichts  sagt,  und  die  spätere  stelle  lehrt,  dafs  eine  nähere 
bestimmung  des  turnus,  in  dem  diese  grofse  zahl  von  rendanten  die  casse  führen 
sollte,  ausgefallen  ist. 

13)  Wer  sich  die  Verfassung  einmal  wirklich  überlegt  hat,  kann  an  der  ände- 
rung  nXrjQOvv  rrjv  ßovXr,v  tovs  d"'  aQ^ovias  für  xXtjoovv  {§  4)  gar  nicht  zweifeln. 
zu  meiner  freude  hat  sie  auch  Weil  gefunden,  der  schriftfehler,  der  auch  sonst 
häufig  ist,  kehrt  in  unserer  handschrift  selbst  öfters  wieder,  vgl.  unsere  anmerkung 
zu  43,  1. 


118  11.   4.    näxQioe  no'/.ixeia. 

los  bestimmt  wird.")  nur  was  den  krieg  angeht,  hat  ohne  los  den  vor- 
tritt, und  die  Strategen  (die  dem  rate  ja  angeboren)  bringen  es  selbst 
zur  vorläge.'^)  für  besonders  wichtige  Sitzungen  kann  beschlossen  wer- 
den, dafs  jeder  ralsherr  einen  an  sich  ratsfähigen  bürger  aus  einem  an- 
dern viertel  des  volkes  mitbringen  darf,  in  diesen  fällen  ist  also  möglich, 
dafs  im  maximum  die  hälfte  der  gesamniton  bürger  über  30  jähre  zu- 
sammen ist.  die  ralsherrn  erhalten  nicht  nur  keinen  sold'*'),  sondern 
es  steht  eine  drachme  strafe  auf  der  unentschuldigten  Versäumnis  einer 
Sitzung.") 

Der  Verfasser  dieses  entwurfs  hatte  die  fehler  der  geltenden  Ver- 
fassung klar  erkannt,  das  Zweikammersystem,  so  zu  sagen,  das  durch 
rat  und  volk  selbst  in  den  psephismen  sich  ausspricht,  wollte  er  beseiti- 
gen, den  berufsparlamentariern,  den  rhetoren,  sollte  ihr  handwerk  ge- 
legt werden,  dazu  mufste  die  ekklesia  überhaupt  verschwinden,  aber 
der  rat  wie  er  gewesen  war,  ein  regiment  blofs  durch  eine  Vertretung, 
schien  doch  als  alleiniger  träger  der  souveränetät  nicht  autoritativ  genug. 
und  wenn  diese  repräsentation  gewählt  oder  auf  Vorschlag  erlost  ward, 
so  kamen  gerade  die  besten  elemente,  die  an:Q(xyf.iov€S  ■,  nicht  zur  gel- 
tung.  also  war  ein  mittelweg  zu  suchen ,  und  den  zeigte  Drakon ,  der 
turnus.  die  souveränetät  übt  jedesmal  ein  viertel  des  volkes  durch  seine 
reifen  männer.  jedes  vierte  jähr  nur  kam  der  bürger  zur  ausübung  seiner 
rechte,  aber  dann  kam  er  sicher  dazu,  ja  dann  ward  er  durch  geld- 
strafen  gezwungen,  sie  auszuüben  ;  auch  das  hatte  Drakon  bereits  verordnet, 
so  mufslen  alle  bürger  genau  die  gleiche  geschäftskenntnis  erhalten. 

Ein   zweiter  übelstand   war  die  trennung  der  magistrate  von  dem 


14)  Damit  sind  die  sämmtliclien  Privilegien,  slvai.  8e  avreö  nQÖaoSov  Tiooi 
TTjv  ßovXi)v  xal  Tov  Srjfiov  dann  und  dann,  beseitigt,  und  ebenso  kann  weder  eine 
Verschleppung  nocli  eine  bevorzugung  durch  die  willkür  der  prytanen  herbeigeführt 
werden,  dieser  oligarch  wollte  also  die  beschwerden  beseitigen,  die  sein  gesinnungs- 
genosse  in  der  IIoXiTsia  '4d'7]vai(ov  so  beweglich  erhebt. 

15)  Das  hatte  in  der  praxis  der  demokratie  zwar  seine  analogie,  aber  es  ist 
doch  ein  grofser  fortschritt,  dafs  die  Strategen  regelmäfsig  unmittelbar  mit  dem 
souverän  verhandeln. 

16)  Die  noch  eben  beschlossene  besoldung  der  prytanen  ist  mit  diesen  scilisl 
fortgefallen,     der  sold  der  archonten  wird  geblieben  sein;  das  war  ein  närQior. 

17)  Da  der  rat,  der  doch  über  das  Urlaubsgesuch  entscheiden  mufste,  nicht 
permanent  war,  konnte  der  ratsherr  der  verhindert  ward  nicht  anders  als  wegbleiben 
und  die  gefahr  laufen,  dafs  sein  gesuch,  das  er  gleichzeitig  einreichte,  verworfen 
ward,  so  dafs  er  zahlen  mufste.  wer  für  /</;  sioianöftevos  acpeaiv  anfj  unbedacht 
eiQo/ievos  schreibt,  zwingt  die  leute  fünf  tage  vorher  um  Urlaub  zu  bitten,  und  ge- 
rade in  den  dringendsten  fällen  plötzlicher  Verhinderung  zu  zahlen. 


'  Der  Verfassungsentwurf  von  411.  119 

rate,  die  in  der  tat  die  attische  Verwaltung  sehr  übel  von  der  römischen 
unterscheidet,  dadurch,  dafs  diese  selbst  aus  dem  viertel  der  bürger- 
schaft  gewählt  werden  und  mit  im  rate  sitzen  sollten,  war  nicht  nur 
dies,  sondern  zugleich  die  continuirung  selbst  der  mihtärischen  ämter, 
also  die  gefahr  einer  perikleischen  demagogie  vermieden,  es  mag  sein, 
dafs  in  anderen  Staaten  die  aqy^ai  oder  ovvuQxiaL  an  den  Sitzungen 
Iis  rates  teilnahmen:  jedenfalls  verdient  der  Verfasser  hohes  lob,  dafs 
er  diesesmal  eine  sehr  wenig  attische  neuerung  ins  äuge  gefafst  hat. 

Die  finanzen  lagen  ihm  offenbar  sehr  am  herzen,  und  er  er- 
strebte eine  sehr  nötige  Vereinfachung,  die  beiden  schätze,  die  im 
opisthodomos  der  Athena  verwaltet  wurden,  waren  schon  so  stark  zu- 
sammengeschmolzen, dafs  selbst  die  10  Schatzmeister,  die  er,  vorahnend 
der  späteren  zeit,  für  sie  schuf,  nicht  mehr  viel  zu  tun  gehabt  haben 
würden;  es  war  gewifs  überhaupt  praktisch,  das  dem  Staate  unterstellte 
kirchengut  centralisirt  zu  verwalten:  hat  es  doch  auch  die  lykurgische 
zeit  wieder  so  gemacht,  ganz  ebenso  sollten  die  reichscasse  und  die 
staatscassen  in  eine  verschmolzen  werden,  und  auf  deren  Verwalter  die 
gesammten  cassengeschäfte  ilbergehn.  dazu  bedurfte  man  vielleicht  nicht 
einmal  sehr  vieler  beamten ;  aber  hier  erschien  es  praktisch,  den  rat 
ohne  Zuziehung  der  rendanten  verhandeln  zu  lassen,  deren  anwesenheit 
zu  leicht  gerade  ihre  beaufsichtigung  hindern  konnte,  so  ward  der 
ausweg  ersonnen ,  dafs  die  hellenotamien  zwar  ratsherrn  sein  sollten, 
aller  nicht  alle  das  ganze  jähr  die  geschäfte  führen,  so  weit  sie  das  aber 
täten ,  den  Sitzungen  des  rates  fern  bleiben  sollten,  dem  entsprechend 
ward  ihre  gesammtzahl  auf  20  angesetzt. 

Die  beamten  werden  in  zwei  classen  gesondert,  je  nach  dem  sie 
dem  rate  angehören  sollen  oder  nicht,  ist  die  sonderung  selbst  schon 
interessant,  so  wird  sie  es  dadurch  doppelt,  dafs  eine  aufzählung  der 
ersten  classe  gegeben  wird,  so  dafs  wir  sehen  können,  welche  beamte 
in  so  hoher  Schätzung  standen,  das  sind  an  erster  stelle  die  Strategen, 
deren  wiederwal  zu  beseitigen  die  hauptsache  war,  erst  an  zweiter  die 
archonten:  das  ist  für  das  fünfte  Jahrhundert  äufserst  charakteristisch, 
ihnen  folgt  der  hieromnemon,  dessen  bedeutung  wir  hiernach  wesentlich 
höher  veranschlagen  müssen,  als  die  geschichte  und  Aristoteles  erkennen 
lassen,  und  die  übrigen  militärischen  Chargen,  unter  denen  die  comraan- 
danten  der  festen  platze  erscheinen  **),  eine  rücksicht  auf  die  Verhältnisse  des 


18j  Diese  mufsten  freilich  einen  dauernden  dispens  von  den  Sitzungen  erhalten. 
ülierhaupt  ist  nicht  geordnet,  in  wie  weit  die  beamten  verpflichtet  waren,  jeden 
fünften  tag  ihre  geschäfte  zu  versäumen. 


120  II.  4.    ndroioe  TcoXireia. 

(lekeleischen  krieges.  sodann  die  dreifsig  finanzbeamten,  10  hgoTtoioi^ 
10  eTtif^ielr^Tal;  beides  müssen  cultheamte  sein,  da  aber  keine  nähere  be- 
slimmung  dabei  steht,  so  kann  man  weder  unter  den  IsqotcoioL  blofs  die 
jährigen  (oben  I  228)  noch  unter  den  iTtif-ielr^rai  etwa  nur  die  der  Diony- 
sien  verstehn,  sondern  es  sollte  ein  collegium  alle  hqä^  ein  anderes  die 
kTTif-ieXeict  für  alle  feste,  die  der  stnat  besorgte,  übernehmen,  es  war  auch 
dies  eine  niafsregel,  die  die  Verwaltung  vereinfachen  und  verbilligen  sollte.  \\ 
die  gesammten  poHzeibeamten,  agoranomen,  astynomen,  elf,  hafenmeister 
u.  dgl.  gehören  zu  den  niederen,  poleten  sollte  es  vielleicht  gar  nicht 
mehr  geben,  obwol  sie  solonisch  waren,  denn  in  diesen  anordnungen 
waltet  nichts  von  reaction ,  sondern  ein  energischer  praktischer  sinn. 
aber  gänzlich  fehlen  die  richterlichen  behörden,  siaayioy^g,  vavTodUai. 
zQidAovra.  die  gerichte  kommen  überhaupt  nicht  vor.  es  war  viel- 
leicht nur  klugheit,  wenn  der  sicherlich  der  heliaea  abgeneigte  oligar»  li 
über  sie  schwieg;  für  uns  ist  der  mangel  sehr  bedauerlich,  zumal  wir 
so  nicht  erraten  können,  wie  er  sich  zu  der  srpsoig  sig  dixaoTrjg/di' 
und  dem  n^uoQnv  rbv  ßovXof^ievov  to)  aöiy-ov^evct)  stellte,  bezeiih- 
nend  für  den  geist  der  zeit  ist  es  immerhin,  dafs  man  eine  Verfassung 
Athens  entwerfen  und  annehmen  konnte,  die  von  dem  ideale  des  Philo- 
kleon  gar  nichts  enthält,  es  hat  sie  ein  a(prjXiaoTr]g  gemacht,  mit  dem 
l*eilhetairos  und  Euelpides  sympathisiren  konnten. 
Die  schiufs-  Überhaupt  trägt  der  entwurf  den  Charakter  einer  skizze  darin   zur 

'  schau,  dafs  manche  punkte  gar  nicht  behandelt  sind  (kommt  doch  auch  die 
flotte  nicht  vor),  anderes  wie  die  geschäftsordnung  des  rates  ausführlich, 
der  rat  mufste  eben  zunächst  in  kraft  treten  und  war  dann  in  der  läge 
alles  übrige  zu  ordnen,  aber  damit  er  es  könnte,  mufsten  die  bürger 
in  Samos  ihren  widerstand  aufgeben,  die  5000,  oder  die  sie  vertretende 
summe  der  07t?.a  TCaQex6f.i€voi  zu  hause,  waren  doch  nur  ein  teil  der 
wirklich  berechtigten,  zu  denen  mindestens  alle  hopliten,  schiffssoldaten, 
officieie,  trierarchen  draufsen  gehörten,  es  kam  den  braven  5000  ge- 
wifs  schwer  an,  die  Strategenwahl  für  das  nächste  jähr  auf  die  in  Athen 
anwesenden  zu  beschränken,  also  Thrasyllos,  Leon,  Thrasybulos  und 
überhaupt  die  tüchtigsten  officiere  auszuschliefsen.  die  mafsregel  war 
wirklich  mehr  als  ein  Vorspiel  des  bürgerkrieges.  so  wird  uns  die  oben 
berührte  beschränkung  verständlich,  obwol  sie  sehr  wenig  praktischen 
wert  besafs.  "für  die  zukunft  soll  der  rat  die  wähl  nach  den  aufgezeich- 
neten Vorschriften  vornehmen  (31,  3)",  d.  h.  nach  der  Verfassung  aus 
allen  bürgern  des  vierteis.  die  5000  fügten  sich  nur  widerstrebend  der 
allerdings   unabweisbaren   notwendiskeit  des   momentes:   daher  der  ab- 


Die  schlufsclausel  31,3.     die  kritik  des  verfassungsentwmfes.  121 

sichtlich  auf  schrauhen  gestellte  schlufspassus  (31,  3)  "für  die  Zukunft; 
damit  die  400  (der  provisorische  rat)  unter  die  vier  viertel  verteilt  wer- 
den, sobald  die  Städter  mit  den  anderen  den  rat  bilden  können,  sollen 
sie  die  hundert  yMTaloyrjg  verteilen",  der  sehnliche  wünsch  der  bürger- 
schaft  (der  5000)  ist,  dafs  die  Verfassung  in  kraft  trete,  also  ihr  rat,  ein 
viertel  der  bürgerschaft,  an  die  stelle  des  provisorischen  rates  der  400. 
dazu  ist  die  eigentliche  Vorbedingung  der  anschhifs  der  bürger  im  beere 
draufsen,  der  anschlufs  der  '^andern'  an  die  "^städter'  (ol  sv  ccgtsl  mukte 
jeder  diese  partei  nennen  und  nennt  sie  Thukydides),  damit  beide  par- 
teien  im  rate  sitzen  können.'^)  auf  diese  Vorbedingung  hat  die  hier  be- 
schliefsende  bürgerschaft  keinen  einflufs;  sie  wagt  auch  nicht  geradezu 
zu  verordnen  "^das  provisorium  hört  auf,  sobald  die  mitbürger  in  Samos 
zugetreten  sind\  darum  bestimmt  sie  etwas  äufserliches,  das  eine  di- 
rective  in  jener  richtung  gibt,  die  400  sollen  immer  schon  auf  die  vier 
viertel  (die  im  prinzipe  eingeführt,  tatsächlich  noch  gar  nicht  existiren) 
verteilt  werden,  damit  sie  später  in  dieselben  eintreten  können,  wenn 
die  Versöhnung  das  definitivum  ermöglicht,  darin  liegt  so  schüchtern, 
wie  eine  terrorisirte  Versammlung  redet,  ausgesprochen,  dafs  keine  zeit 
später  verloren  gehn  soll,  und  zugleich  wird  einem  viertel  des  jetzigen 
rates  die  Sicherheit  gewährt,  sofort  weiter  zu  fungiren.  darin  mochte 
mancher  ein  mittel  sehen,  den  Übergang  den  jetzigen  ratsherren  an- 
nehmbar zu  machen. 

Dieser  letzte  paragraph  der  provisorischen  Verordnung  konnte  erst  Kritik  des 
hier  erläutert  werden,  weil  er  das  Verständnis  der  Verfassung  voraus-  sungsent- 
setzt.  er  zeigt  auch  am  deutlichsten,  dafs  sie  ein  totgeborenes  kind 
war.  trotzdem  ist  ein  Werturteil  über  sie  nur  möglich,  wenn  wir  sie 
uns  in  tätigkeit  vorstellen,  ihr  Verfasser  halte  mit  klarer  logik  statt 
des  complicirten  mechanismus  der  vielen  behörden  Athens  ein  einziges 
organ  für  die  regierung  geschaffen,  das  rat  und  volk  zugleich  vorstellte, 
und  mit  dem  die  beamten  in  einen  festen  Zusammenhang  gebracht  waren, 
alles  hieng  davon  ab,  wie  dieses  organ  functionirte.  dafür  ist  das  wich- 
tigste, wie  stark  dieser  rat  werden  mufste,  und  das  mufs  der  gesetzgeber 
sich  überlegt  haben,  die  bürgerschaft  im  ganzen  hat  er  auf  mindestens 
5000  geschätzt,  sehr  obenhin,  denn  wir  hören  nicht,  dafs  zwischen  den 
5000  in  der  Stadt  und  der  notwendig  sehr  viel  höheren  zahl,  die  durch 


wurles. 


19)  Wenn  man  uns  zugetraut  hätte,  wir  wüfsten,  was  ßovleveiv  bedeutet, 
würde  man  unsere  ausnahmsweise  von  einem  worte  der  erklärung  begleitete  text- 
gesfaltung,  d.  h.  die  Überlieferung,  verstanden  haben,  und  dann  auch  die  vorher- 
gehende Verfassung. 


J22  JI    '^'    TJnTOLo;  Tiohrelu. 

den  anschliifs  des  lieeres  sich  ergeben  mufste,  unterschieden  wird,  iiiid 
es  kann  sich  Polystratos  von  Deirades,  einer  der  v.axaloyv^qt  darauf  Ix- 
rufen,  dafs  er  eine  Hste  von  9000  bürgern  aufgestellt  hätte,  je  zahl- 
reicher die  bürgerschaft  wird,  um  so  unbchilfiicher  wird  der  rat,  der 
ein  viertel  von  ihr  ist,  nach  abrechnung  der  Jahrgänge  20 — 30.  fiir 
die  intention  des  oligarchisch  gesonnenen  gesetzgebers  mufs  sein  ansai/. 
zu  gründe  gelegt  werden,  also  5000,  von  denen  ein  fünftel- für  die  zclm 
Jahrgänge  der  Jugend  in  abrechnung  kommt,  der  rat  würde  also  lOiHi 
köpfe  stark  gewesen  sein;  oberbeamte,  die  aus  dem  rate  genommen  siinl, 
ffibt  es  etwa  100.  das  zahlenvcrhältnis  wird  dem  abstrakt  denkenden 
theoretiker  wol  vorgeschwebt  haben,  es  ist  nicht  ungerecht,  weiiii 
trotz  diesem  niedrigsten  ansatze  die  kritik  einem  so  starken  rate  die 
fähigkeit  abspricht,  sachlich  und  ruhig  die  geschäfte  zu  führen,  das 
coUegialische  regiment  ist  an  sich  gar  nicht  verwerflich ,  und  eine  so 
wenig  geschäftserfahrene  beamtenschaft  wie  die  attische  würde  durch  die 
l)eratung  mit  einem  senale  ganz  wie  die  römische  erst  recht  leistungs- 
fähig geworden  sein,  aber  dann  mufs  die  beratung  wirklicli  zu  einem 
ruhigen  austausche  und  einer  ausgleichung  der  meinungen  führen  können, 
das  ist  unter  1000  leuten  unmöglich,  hier  trat  noch  das  'erschwerende 
hinzu,  dafs  der  regelmäfsige  besuch  der  Sitzungen  durch  alle  mitglieder 
erzwungen  werden  sollte,  wovon  man  für  den  römischen  senat  wei>e 
genug  abgesehen  iiatte.  dem  geselzgeber,  wie  oligarchisch  er  auch  ge- 
sonnen war,  lag  doch  das  hellenische  prinzip  allzusehr  im  blute,  dafs  der 
örif.iog,  das  plenum  der  politisch  berechtigten,  selbst  regieren  müfsle. 
das  repraesentativsystem,  wie  es  Kleisthenes  doch  eingeführt  halte,  wie 
es  in  den  6000  richtern  und  dem  rate  der  demokratie  ausgebildet  war, 
hätte  sich  sehr  wol  zur  grundlage  einer  auf  die  wirklich  für  die  poli- 
tische arbeit  fähigen  bürger  berechneten  Verfassung  machen  lassen:  die 
einzelgemeinde  hätte  ein  wirklich  schöpferischer  Staatsmann  zur  grund- 
lage der  Selbstverwaltung  nehmen  müssen,  aber  da  steht  der  geselz- 
geber wieder  nicht  nur  im  banne  seiner  demokratischen  gegenwart, 
sondern  noch  mehr  in  dem  der  politischen  theorie:  haben  doch  weder 
Piaton  noch  Aristoteles  von  der  centralisirung  des  Staatslebens  abzusehen 
vermocht,  dieser  oligarch  vollends  abstrahirt  von  den  phylen  und  demen 
ganz  und  gar,  ohne  sie  doch  zu  beseitigen,  er  hat  die  vier  alten  phylen 
im  köpfe:  aber  der  geschlechterstaat  existirt  doch  gar  nicht  mehr  für 
ihn.  ihn  hat  Drakon  mit  der  einführung  eines  turnus  in  der  ausübung 
der  souveränetätsrechte  und  mit  dem  prinzip,  dafs  jeder  bürger  ver- 
pflichtet  sein   solle  an   dem   regimente  mitzutun   und   nötigenfalls  dazu 


Die  kritik  des  Verfassungsentwurfes.  123 

■gezwungen  werden  müsse,  völlig  befangen;  Aristoteles  ist  solchen  schönen 
aber  nach  zvrei  Jahrtausenden  noch  eben  so  wenig  realisirten  ideen  auch 
sehr  zugänghch.  so  schafft  dieser  theoretiker  seine  viertel  und  seinen 
rat;  aber  den  Areopag,  die  stabile  und  nicht  zu  zahlreiche  und  geschäfts- 
erfahrene behorde,  die  bei  Drakon  wirklich  regierte,  hat  er  doch  ganz 
vergessen,  er  richtet  einen  staat  ein,  der  in  dem  ländchen  Attika  viel- 
leicht existiren  konnte,  aber  mit  dem  Reiche  schlechthin  unvereinbar  war. 
da  mag  man  sagen,  er  mochte  das  Reich  für  verloren  ansehen  und  den 
Verlust  für  einen  segen.  so  täuschte  er  sich  doch  über  die  gesellschaft, 
die  in  Athen  regieren  sollte,  grundbesitzer  oder  capitalisten,  die  um  den 
erwerb  nicht  zu  sorgen  brauchten,  mochten  jedes  vierte  jähr  so  ziemhch 
ganz  dem  politischen  leben  opfern  können:  die  Athener,  die  als  kauf- 
leute  den  sommer  abwesend  waren  oder  eine  fabrik  leiteten  oder  selbst 
ihr  landgut  bewirtschafteten,  hatten  unmöghch  dazu  die  zeit,  zwanzig 
bis  dreifsigmal  im  jähre  konnte  wol  der  bauer  aus  Kephale  oder  Tri- 
korythos  zur  stadt  gehn  und  hören,  was  im  Staate  vorkam,  und  stimmen : 
ein  ratsherr  der  neuen  Verfassung  hatte  ziemlich  so  viel  zu  tun  wie  ein 
1  atsherr  der  alten ;  dazu  waren  diese  (.iegol  nolltai,  der  kern  des  Volkes, 
aufser  Stande. 

So  müssen  wir  dem  Verfassungsentwürfe  nachsagen,  dafs  er  so  wenig 
zu  leben  verdiente,  wie  er  ins  leben  zu  treten  vermocht  hat.  er  ist 
die  arbeit  eines  theoretikers  und  trägt  davon  die  spuren  in  der  eigen- 
tümlichen mischung  von  reaction  und  radicahsmus,  die  ziemlich  allen 
Verfassungen  gemeinsam  ist,  die  nur  auf  papier  existirt  haben,  nicht  zum 
wenigsten,  wenn  sie  von  männern  herrühren,  die  geschichtliche  kenntnisse 
und  abstracte  speculation  mit  einem  scharfen  kritischen  blicke  für  die 
schaden  des  pohtischen  lebens  verbinden,  an  dem  sie  selbst  praktisch 
nicht  teil  nehmen,  als  kritik  der  perikleischen  demokratie  ist  das  Schrift- 
stück sehr  wertvoll,  es  könnte  sich  vielleicht  auch  noch  heute  mancher 
liir  den  gedanken  erwärmen,  die  berufsparlamentarier  auszurotten  und 
ilie  beschlufsfähigkeit  der  Versammlungen  durch  strafen  für  die  ver- 
Säumnis statt  durch  diaeten  herbeizuführen,  wertvoller  vielleicht  noch 
als  in  dem,  was  er  an  ihr  tadelt,  wird  die  Übereinstimmung  dieses  oli- 
garchen  mit  der  demokratie,  denn  auch  er  hat  den  adel,  die  solonischen 
classen  und  den  Areopagitenrat  zu  den  toten  geworfen,  für  die  zeit- 
ig eschicbte  ist  das  document  wesenthch  deshalb  von  wert,  weil  wir  im 
gegensatze  zu  Aristoteles  die  Unmöglichkeit  daraus  abnehmen,  Athen 
ohgarchisch  zu  reformiren,  im  gegensatze  zu  der  gemeinen  tradition 
des  altertumes  aber  anerkennen  müssen,  dafs  die  ohgarchen,  die  nur  so 


124  II.  4.    näjQtoi  no).iTsia. 

weit  giengen,  auf  den  namen  guter  patrioteu  anspruch  haben  ebenso 
gut  wie  ihre  demokratischen  gegner.  ein  weiterer  wert  liegt  darin, 
dafs  wir  einerscils  den  anschhifs  dieser  leute  an  die  solonische  0(1(  i- 
vorsolonische  Verfassung  deutlich  wahrnehmen,  also  auch  über  jene 
mancherlei  erschliefsen ,  was  die  demokratische  tradition  der  chroiiik 
nicht  bewahrt  hat.  andererseits  aber  entfernt  sich  diese  Verfassung  so  i 
weit  von  der  wirklich  aUen,  dafs  sie,  so  entrüstet  ihre  Urheber  auch  j 
über  diese  kritik  sein  würden,  der  demokratie  in  Wahrheit  immer  noch 
näher  steht,  sie  schliefst  sich  an  die  Verfassung  Drakons  an,  aber  nur 
so  weit,  dafs  sie  für  uns  deren  echtheil  beweist,  die  wir  bezweifeln 
würden,  wenn  der  anschhifs  enger  wäre,  die  Verfassung  der  väter,  das 
war  der  Schlachtruf  der  oligarchen  viel  mehr  um  das  brave  volk  zu  ge- 
winnen, als  weil  sie  reactionär  waren,  die  Verfassung  der  väter  war 
auch  für  die  demokralen  der  Schlachtruf  und  ist  es  gebheben.  dies«' 
fragten  nach  der  wirklichen  Verfassung  Solons  noch  viel  weniger,  alxT 
sie  rechtfertigten  doch  auch  ihre  ansprüche  durch  diesen  titel,  übcr- 
Irumpflen  wol  noch  gar  die  gegner,  weil  ihre  demokratie  schon  tlu- 
seisch  wäre,  in  Wahrheit  lag  in  dem  rufe  nach  der  TrdzQiog  TtoXiTsLa 
412 — 403,  den  alle  erhoben  und  bei  dem  sie  sich  so  verschiedenes 
dachten,  das  gemeinsame  gefühl,  dafs  die  gegenwart  nur  zu  traurig  ver- 
schieden sei  von  der  grofsen  zeit  der  väter. 

Ein  richtig  empfundener  gegensatz  zwischen  der  solonischen  und 
perikleischen  Verfassung  liegt  nur  in  dem  was  das  volk  als  prinzip  an- 
genommen hatte,  ehe  die  Oligarchie  eingeführt  ward,  das  konnte  niemand 
bestreiten,  dafs  die  besoldungen  des  rates  und  der  richter  eine  neuerung 
waren,  von  der  die  väter  nichts  gewufst  hatten,  und  dafs  die  politischen 
rechte  der  besitzlosen  bürgerschaft  zur  zeit  der  väter  nicht  bestanden 
hatten.  Solon  hatte  den  Iheten  zwar  die  Volksversammlung  geöffnet; 
die  halte  aber  eine  viel  geringere  bedeutung  gehabt,  er  hatte  sie  auch 
von  den  gcrichten  nicht  ausgeschlossen;  aber  einmal  hatten  diese  un- 
gleich weniger  bedeutet,  und  zum  andern  schlofs  sich  jeder  von  selbst 
aus,  der  seine  tage  dazu  bedurfte,  brot  für  sich  und  die  seinen  zu  schaffen. 
wenn  der  sold  fortfiel,  fiel  die  herrschaft,  die  das  städtische  Proletariat 
zu  üben  begann,  es  erschien  aber  mit  fug  und  recht,  gerade  wenn  der 
census  sonst  nichts  mehr  bedeutete,  die  beschränkung  des  bürgerrechtes, 
die  in  den  forderungen  für  den  hoplitendienst  lag,  vollends  zur  zeit  des 
krieges  durchaus  billig,  darum  versuchte  man  411  nach  dem  stürze 
der  400  diese  beschUisse  zu  halten,  diese  beschränkungen  sind  es 
um  derentwillen  Thukydides  und   im   anschlufse   an   ihn  Aristoteles  die 


Die  kritik  des  Verfassungsentwurfes.  125 

ephemere  Verfassung  von  411/10  so  hoch  schätzen,  mit  fug  und  recht 
konnte  sie  als  Verfassung  der  väter  in  einen  gegensatz  zu  der  demokratie 
des  Kleophon  gestellt  werden,  die  denn  auch  bis  zur  soldzahlung  an  das 
ganze  proletariat,  die  diobelie,  fortzuschreiten  consequent  und  radikal 
genug  war.^°)  als  die  Stadt  sich  schliefslich  den  Peloponnesiern  ergeben 
mufste,  war  es  wieder  die  Ttäzqiog  noliXEia,  für  deren  erhaltung  sich 
die  Patrioten  oligarchischer  färbung  wie  Theramenes  und  Phormisios  mit 
demokraten  wie  Archinos  und  Agyrrhios  zusammenfanden,  diesmal  waren 
es  die  oligarchischen  clubbisten,  die  mit  Lysandros  (wol  schon  damals 
im  gegensatze  zu  der  spartanischen  regierung)  in  einverständnis  waren, 
denen  ein  gewaltstreich  gelang,  so  kam  über  Athen  das  elend  eines 
dictatorischen  collegiums  von  30  männern,  die  eigentlich  eine  Verfassung 
ausarbeiten  sollten  und  einen  nur  zu  willfährigen  rat  unter  sich  hatten. 
als  sie  aber  mit  hilfe  der  spartanischen  regierung  von  diesem  joche  be- 
freit waren,  wiederholte  sich  der  kämpf  zwischen  der  jcdroiog  Ttokireia, 
der  demokratie  der  besitzenden,  für  die  Phormisios  eintrat,  und  der 
radikalen  demokratie,  die  natürlich  auch  anspruch  machte,  die  Verfassung 
der  Väter  zu  sein.^')  und  wiederum  war  diese  letztere  siegreich,  bewies 
auch  bald,  Avie  sie  die  tradilionen  der  väter  als  die  traditionen  Rleophons 
verstand,  indem  sie  durch  diaeten  das  Proletariat  in  die  Volksversamm- 
lung lockte,  aber  trotz  der  kritik,  die  nicht  nur  der  dichter  in  den 
Ekklesiazusen  Ueferte,  sondern  die  alle  einsichtigen  und  vaterlandslieben- 
den männer,  wenn  sie  nicht  durch  den  demos  herrschen  wollten,  aus- 
zusprechen nicht  müde  wurden,  hat  diese  loxarrj  dr^f.iov.QaTta.,  die  sich 
den  vater  Solon  nur  anlog,  fortbestanden  und  ist,  wie  nicht  fehlen  konnte, 
der  Ttärgiog  /toliTsia  immer  unähnlicher  geworden,  bis  Aristoteles  ihre 
kiitik  schrieb  und  Antipatros  auf  die  plane  des  Theramenes  und  Phor- 
misios zurückgriff,  auch  er  vergeblich,  so  hat  schliefslich  Kleophon  den 
sieg  davongetragen:  wer  von  der  athenischen  Verfassung  redet,  denkt 
\\irklich  dabei  zunächst  nur  an  die  eaxärr]  dr^f.ioY.QaxLa. 

20)  Vgl.  das  capitel  'JimßeXia^. 

21)  Vgl.  das  capitel  'Ttfir;fiara  naoexo/nevoi'. 


I 


0. 

DIE  KÖNIGE  YON  ATHEN. 


Die  myiiii-  Übcr  die  nivtliischeii  küuige  Athens  bedarf  es  nur  weniger   woi  ir 

sehen  Uö-  .  .  '  .  .  ,.  ,  i  •    i  ,>•   i  •    i 

nige.  aui  ihre  einordnung  in  eine  lisle  koniml  geschichüich  gar  nichts  ai  ; 
die  iiillfiguren  der  Chronographen  sind  überhaupt  nicht  der  rede  nylü. 
Ogygos  ist  ein  spälhng  aller  orten,  ei)onyiii  der  ogygischeu,  d.  h.  okiM- 
nischen  flut,  erwachsen  aus  dem  adjectiv  toyt-yiog.  Amphiktion  ist  aiK  li 
nicht,  von  attischem  Ursprünge,  setzt  die  Zugehörigkeit  Athens  zu  (h  i 
delpliischen  Amphiktionie  voraus  und  entstammt  der  abstraction,  wenn 
auch  nicht  sehr  junger.')  Kranaos  ist  aus  dem  adjectivum  y.Qavaog  ti- 
wachsen,  das  in  nachepischer  zeit  glossemalisch  war.  Aristophanes  nennt 
Athen  selbst  nicht  nur  zgavaa  7c6?.ig  (Ach.  75),  sondern  geradezu  Kga-  i 
raal  (Vög.  123).  aber  schon  Aischylos  sagt  für  iäd^r^valoL  Ttaldeg  Kga- 
vaov  (Eum,  1011),  Herodotos  Kgaraoi  (8,  44).  der  so  entstandene 
Kranaos  halte  ein  grab  in  Lamptra  (Paus.  1,  31,3),  und  ein  eponym, 
der  sonst  keine  genlihcische  Verbindung  halle,  erhielt  ihn  zum  vater, 
liQavaov  Ttalg  ^Pagog  bei  Ilesych.  Aktaios  oder  Aktaion  ist  seinerseits 
erst  von  der  ay.rij  abgeleitet,  und  da  die  Athener  mit  ccattj  nicht 
ihr  ganzes  land,  sondern  die  jetzt  sog.  Peiraieushalbinsel  benennen,  , 
Anika   überhaupt   als    das  Sorgebirge'    (das    ist    uy.ti])    nur    von    dem    I 


1)  Nach  445  hat  die  Amphiktionie  die  für  die  Schaffung  einer  solchen  figur 
nötige  bedeutung  nicht  mehr,  aber  zu  Solons  oder  Kieislhenes  zeiten  lag  der  an- 
schlufs  Athens  an  Delphi  vor.  Amphiktion  ist  mit  der  einführung  des  Dionysoscultes 
verbunden,  so  erzählt  Philochoros  (Athen.  3S'=179^J,  und  Pausanias  erwähnt  im 
Keranieikos  eine  terracottagruppe,  die  Amphiktions  d^to^ivia  darstellte,  eine  le- 
gende, gegen  die  Philochoros  stillschweigend  polemisirt,  setzt  in  der  tat  für  die 
einführung  des  Dionysoscultes  die  Intervention  von  Delphi  in  bewegung  (schol,  Ar. 
Ach.  242),  und  sie  ist  nicht  schlecht,  da  sie  Eleulherai  als  landfremd  fafst.  der 
cult  des  Eleuthereus  geht  die  grofsen  Dionysien  an,  eine  Stiftung  des  Peisistratos: 
daCs  diese  ihren  reflex  in  der  königszeit  fand  und  einen  könig  Amphiktion  schuf,  ist 
sehr  glaublich. 


Die  mythischen  könige.  127 

Standpunkte,  sei  es  des  Seefahrers  draufsen,  sei  es  des  hioterliegea- 
deu  continentes  bezeichnet  werden  kann,  so  ist  der  Ursprung  dieses 
namens  aufserhalb  Athens  zu  suchen ,  wie  denn  auch  Aktaios- 
Aktaion  in  Attika  keine  locale  oder  gentihcische  Verbindung  hat.-) 
dagegen  ist  Aklaion  söhn  des  Aristaios  in  der  kadmeischen  genealogie, 
Aristaios  ist  der  Vertreter  von  Keos,  wo  er  seinen  cult  hat:  dafs 
fein  söhn  der  'mann  der  Akte'  ist,  ein  vorwitziger  mensch,  der  die 
Artemis  oder  die  Semele  freien  will  und  zu  gründe  geht,  ist  vom 
Standpunkte  der  nachbarn  Athens  ganz  begreiflich.^) 

Es  bleiben  also  nur  die  vier  den  dichtem  des  fünften  Jahrhunderts 
geläufigen  könige  Kekrops,  Erechtheus,  Pandion,  Aigeus.  aber  auch  von 
ihnen  geht  Pandion  ab,  der  nur  als  vater  für  die  sage  in  betracht 
kommt,  von  den  Ilävdia  abgeleitet  ist  und  die  Sammlung  aller  Athener, 
dio  einen  Zeig  egyMog  haben,  zum  gemeinfeste  des  Zeus  bedeutet,  wie 
dieses  ist  sein  repräsentant  immerhin  recht  alt.")  die  beurteilung  des 
Aigeus  ist  von  uns  modernen  einseilig  und  falsch  ledigüch  darauf  ge- 
haut  worden,  dafs  er  den  Poseidon  als  vater  des  Theseus  ersetzt,  und 
(lals  in  seinem  namen  wie  in  dem  von  ^lyal  die  wogen  stecken  können. 
aber  er  hat  den  Poseidon  als  vater  des  Theseus  nicht  verdrängt,  wie  denn 
überhaupt  ein  sterbhcher  vater  neben  dem  göttlichen  zu  rechte  besteht, 
und  Tyndareos  oder  Amphilryon  sind  wahrlich  keine  hypostasen  des 
Zeus.  Aiyevg  ist  der  ahnherr  des  geschlechles  der  AiyeldaL,  und  dieses 
existirt  in  Theben  und  Sparta  sammt  ihren  pflanzstädten.  als  zugehöriger 
zu  diesem  geschlechte  ist  Theseus  ^iyei'drig,  wie  Herakles  uih/.eidrjg  ist, 
und  zwar  schon  in  der  Ilias,  also  ehe  Theseus  Athener  ist.^)    als  dieser 


2)  Vertreter  Athens  ist  Aktaios  in  der  genealogie  des  Aias  bei  Pherekydes 
(Homer.  Unters.  246).  das  ist  zwar  attisch,  aber  Salamis  gegenüber  liegt  aucli  die 
eigentliche  ay.zr^. 

3)  Der  Bakchiade  Aklaion,  den  die  liebhaber  zerreifsen  wie  die  hunde  den 
söhn  des  Aristaios,  iliuslrirt  den  Übergang  der  sagenmotive  in  die  novelle,  wie  z.  b. 
Ankaios  der  bruder  Althaias  zu  einem  könige  von  Samos  wird,  den  wieder  ein  Wild- 
schwein erschlägt. 

4)  Denn  er  hat  einem  begleiter  des  Teukros  in  einer  interpolalion  der  Ilias 
seinen  namen  gegeben,  M  372,  Homer,  ünlers.  245.  mit  einer  Homerkritik,  die  das 
liicht  begreift,  kann  ich  nicht  disputiren. 

5)  A  265,  denn  die  alhetese  des  verses  im  Heraklesschilde  184  ist  £.  Meyer 
(Herrn.  27,374)  nicht  geglückt,  wie  Robert  dazu  bemerkt  hat:  wo  sollen  wir  hin, 
wenn  ein  fast  gleichzeitiges  citat  nicht  mehr  sichert?  dafs  Theseus  Aegide  ist, 
discreditirt  den  vers  vollends  nur  unter  der  Voraussetzung,  dafs  die  sterblichen  väter 
jünger  als  die  himmlischen  wären,  der  vers  ist  das  älteste  Zeugnis  für  Theseus,  und 
hier  erscheint  er  als  Lapithe.     das  ist  sehr  beherzigenswert. 


128  n.  5.    Die  könige  von  Athen. 

Dach  Athen  kam,  zog  er  den  ahn  nach  sich,  den  man  als  vater  fafste 
von  einem  geschlechte  von  Aegiden  ist  gleichwol  keine  spur.  Aigeus 
als  söhn  Pandions  ist  erst  die  späteste  anknüpfung;  als  man  ihm  sei 
haus  in  der  Unterstadt  anwies,  kann  er  nicht  der  söhn  des  künigs  auf 
der  bürg  gewesen  sein,  in  der  tat  kennen  wir  noch  die  genealogie, 
die  ihn  zum  söhne  des  Aigikores  macht,  also  zum  enkel  des  Ion,  und 
eine  andere,  475  in  der  Theseuslegende  anerkannte"),  die  seinen  vater 
Skyrios  nennt,  wie  hei  jener  deutlich  ein  namensanklaug  gewirkt  hat, 
so  dürfte  der  erfinder  von  dieser  an  die  berühmten  alyeg  ^-/.vgiat  ge- 
dacht haben,  wertlos  ist  das  alles,  und  an  Aigeus  in  Athen  nur  wichlig,^^ 
dals  er  fremd  ist  und  fremdes  mitzubringen  allein  geeignet,  wie  den  ciiU 
der  Urania. 

Kiy.Qoip  ist  der  name  eines  volksstammes;  daher  gibt  nur  Key.fjo- 
.cia  einen  landesnamen,  wie  HeXonia  von  iTe'Aoi//,  der  genau  ebenso' 
zu  beurteilen  ist.  die  KqMuidaL  im  nordwestwinkel  der  ebene  gehören 
offenbar  zu  den  KizQOTteg.  so  ist  uns  der  slanmiesnamen  der  ältesten 
eingebornen  bevölkerung  erhalten,  der  attische  urmensch  ist  als  yr^yerr^gl 
ganz  oder  halb  schlänge  und  hat  keine  irdische  descendenz  aufser  den 
Key.QOTtLöaL  im  allgemeinen. 

'EQ€x^€vg  ^Egix^övLog  sind  wir  längst  gewohnt  zu  identiOciren,  die 
form  ^EQLxd-Evg  auf  der  parischen  chronik  schlägt  die  brücke,  man  kann 
den  kürzeren  nameu  als  hypokoristikon  des  längeren  fassen,  und  die 
^Egixd^ci)  der  \Yürzburger  Phineusschale  ist  schwerlich  etwas  anderes  als 
Egixd-ovlr],  die  Xd-ovirj  von  Mykonos  und  Syros.  dann  wäre  auch  ^Eqsx- 
^evg  nur  der  yriyevrig',  so  \s,i^EQiyßövLog  überall  gefafst,  in  Alben  Sikyon 
Uios.    aber  auf  der  bürg  verehrt  das  geschlecht  der  Butaden   vielmehr 


6)  Die  abstanimung  von  Aigikores,  erhalten  in  einem  scholion  zu  Demosthenes 
24,  18  hat  Maafs  (Gott.  Anz.  18S9,  806)  hervorgezogen,  das  ist  dankenswert;  ebenso 
seine  sonderung  der  tradilionen  über  den  Zweikampf  des  Melanthos  mit  Xanthos 
und  die  intervention  des  Dionysos,  aber  alle  seine  Folgerungen  halte  ich  für  Phan- 
tasmen, die  abstammung  von  Skyrios  (ApoUodor  bibl.  III  15,  5)  ist  durch  Aristo- 
teles fgni.  4  gesichert,  eine  dritte,  die  die  schollen  zu  Lykoph.  1324  geben,  indem 
sie  dessen  rätselwort  6  <Pt]fiiov  nale  =  Theseus  erklären,  nennt  den  vater  des  Aigeus 
Phemios,  was  Lykophron  nicht  notwendig  gemeint  haben  mufs.  sie  verstehe  ich 
nicht,  auch  die  Althis  (Plut.  Tlies.  13)  betrachtet  Aigeus  nur  als  adoptivsohn  des 
Pandion  Androlion  hat  ihn  an  die  Aigeiden  von  Tlieben  angeschlossen,  da  er  ihn 
einen  Sparten  nannte  (Tzetzes  zu  Lyk.  495,  aus  den  vollständigeren  schollen):  die  leule, 
die  an  deren  existenz  zweifeln,  sind  so  mit  einem  weiteren  Zeugnisse  geschlagen, 
damit  gab  er  eine  ältere  tradilion  wieder,  denn  sein  eigener  rationalismus  sah  in 
den  Sparten  keine  erdgebornen,  sondern  die  zusammengelaufene  gefolgschaft  des 
Kadmos. 


Die  mythischen  könige.     Kodros.  129 

den  nooeidwv  'Egex^svg,  und  für  diesen  pafst  egix&oviog  kaum,  hin- 
zutritt iQvoix&iov,  das  man  in  späterem  griechisch  mit  aioaiTrolig  wieder- 
geben kann,  in  anderen  und  zwar  triopischen  sagen  ist  Erysichthon  in 
der  tat  dem  Poseidon  verwandt;  aber  in  Attika  ist  er  nur  dürftig  an  Kekrops 
angeschlossen,  eigenthch  in  Prasiai  zu  hause  und  mit  Delos  verbunden, 
auf  der  bürg  dagegen  lebt  Erechtheus  als  schlänge  bei  Athena  fort,  ist 
also  der  heros,  der  geist  des  alten  königsgeschlechtes,  das  in  jenem 
hause  mit  Alhena  wohnte,  so  durchdringen  sich  die  eigentlich  nicht  ver- 
einbaren Vorstellungen  des  Tlooeiöcov  eQvöixd-iov  und  des  iqQiog  \qi- 
X^ovwg,  und  sie  lassen  sich  ohne  gewalt  nicht  mehr  scheiden,  eine 
descendenz  hat  auch  Erechtheus  nicht;  ^EgE^d^üdai  sind  nur  die  Athener, 
aber  es  gibt  doch  ein  geschlecht,  das  seinen  cult  pflegt  und  auf  Po- 
seidon zurückgeht,  die  Butaden ,  und  dieses  geschlecht,  das  den  cult 
des  Poseidon  mit  dem  Athenas  vereinigt,  erscheint  dadurch  mit  den 
alten  konigen  Athens  am  nächsten  verbunden. 

Die  Athener  kennen  keine  könige  aus  dem  geschlechte  der  Butaden. 
sie  kennen  nur  die  Urmenschen,  die  zugleich  den  anfang  der  weit  und 
Athens  bedeuten,  und  pflegen  dann  den  fremden  Theseus  einzuschieben, 
der  noch  ein  par  sühne  erhält,  die  an  sich,  aber  nicht  als  Theseussohne 
bedeutung  haben,  denn  Demophon  stammt  aus  Eleusis,  Thymoiles  ist 
der  eponymos  des  dorfes  der  Thymaitaden,  vom  thymian,  Apheidas  (der 
'milde',  der  nicht  knausert)  ist  der  ahn  eines  fortlebenden  geschlechts; 
Oxyntes  ist  bisher  nicht  nachgewiesen,  über  Akamas  mag  ich  noch 
nicht  aussprechen  was  ich  vermute;  der  uame  ist  im  epos  nicht  selten. 
in  allen  diesen  stecken  keine  alten  fürsten  Athens,  dagegen  Meuestheus 
sammt  seinem  vater,  die  den  homerischen  dichtem  Athen  vertraten  und 
möghcherweise  menschen  und  könige  gewesen  sein  könnten,  waren  zu 
hause  vergessen  und  wurden  erst  durch  Homer  wieder  bekannt. 

Nun  tritt  Kodros  ein,  der  söhn  des  Melanthos  des  sohnes  des  Andro-  Kodros. 
pompös  des  Neliden,  und  er  wird  der  ahnherr  des  könighchen  geschlechtes. 
Melanthos  als  eponymos  von  Melainai  scheidet  aus;  er  sammt  seiner 
hübschen  sage  setzt  die  erwerbung  des  jQvf.i6g  oberhalb  der  eleusini- 
schen  ebene  voraus.^)  von  den  andern  namen  ist  IdvögoTtof-iTtog  "^der 
die  männer  auf  die  fahrt  bringt\  am  durchsichtigsten:  diesen  grofsvater 
hat  Kodros  als  der  vater  der  ionischen  auswanderer.*)   Kodgidai  waren 

7)  Herrn.  21,112,  22,244.  wenn  das  local  nicht  bei  Oinoe,  sondern  bei  Pa- 
nakton  ist,  kann  die  legende  älter  als  504  sein. 

8)  Dafs  Pausanias  IX  5,  16  den  vater  statt  des  sohnes  als  den  beiden  der 
Apaturienlegende  nennt,  ist  nur  eine  seiner  gewöhnlichen  flüchtigkeiten. 

V.  Wilaraowitz,  Aristoteles.    II.  9 


130  M.  5.    Die  köiiige  von  Athen. 

die  kuüige  in  den  ionischen  städten,  und  so  nennt  Aristoteles  die  atti- 
schen auch,  jene  hiefsen  daneben  BaOLUÖai,  und  in  Athen  hat  Ro- 
dros  ein  kleines  stück  geweiiiten  landes,  das  ein  annex  eines  grofsen 
gartens  ist,  der  dem  ISeileus  und  der  Basile  gehört  (CIA  IV  p.  67). 
Neleus  aber  ist  der  ahn  sowol  der  ionischen  wie  der  altischen  Kodriden. 
es  bedeutet  also  Buodiöai  und  Koögiöat  dasselbe;  Baoilri  ist  der  gött- 
liche exponent  für  die  ßaoiXua,  die  ihre  enkel  auf  erden  üben,  Nt^Ievq 
ist  der  heroische  ahn,  Nestors  vater,  eine  wirkliche  sagengestalt.  das  führt 
darauf,  in  Küdqog^)  nicht  mehr  zu  suchen  als  in  BaGilr]^°):  er  ist  nichts 
als  der  personificirte  adel  der  herrschergeschlcchter.  was  in  Alheo 
von  Ivodros  erzählt  wird,  ist  einmal,  dafs  er  durch  eine  heldentat  sich 
die  herrschafl  erworben  hut"J:  das  soll  motiviren,  wie  der  Nelide  und 
sein  haus  über  Athen  haben  herrschen  können;  oder  dafs  er  fürs  Vater- 
land als  könig  stirbt:  das  hat  ursprünglich  nur  seinen  cult  motivirt;| 
Euripides  konnte  jedoch  den  lod  fürs  Vaterland  noch  von  Erechlheus 
erzählen,  die  wendung,  dafs  nach  Kodros  die  königswünle  abgeschallt 
wird,  ist  eine  Verschlechterung  und  kann  für  die  sage  nicht  in  betracht 
kommen,  erfordert  aber  eine  erklärung,  die  sie  bisher  nicht  gefunden 
hat.  das  grundslück  des  Kodros  ist  ein  annex  zu  dem  garten  seiner 
ahnen ;  die  attische  poesie  nennt  ihn  nicht,  die  bildliche  überheferung 
nicht  vor  der  schönen  schale,   die  wir   nach    ihm  nennen,     schon  des- 


9)  KöSqos  ist  nicht  anders  gebildet  als  SS^a  vSgos  i'ögis.  neben  y.öS^os  s(eht 
xödfios  xöaiios  i<exuSfidvo=  xaSfios  xaSfiilos,  andererseits  xiSoi  neben  xiSos  in 
KvSad-i,vai,ov  Kv§(>7]/.os,  Sohn  des  Kodros,  gründer  von  Myes  in  lonien,  auch  sonst 
in  Asien  mehrfach  begegnend,  KvScor  KvSwvia,  KvSqoxXjjs  Kcöoi  CIA  II  3124.  zum 
vocalwechsel  vgl.  ßä&oi  ßv&os  ßöd-gos.  y.ölos  xvXlös,  davon  Kvllcov,  in  welchen»; 
namen  nur  die  alte  haplographie  des  consonanten  getreulich  bewahrt  ist.  ot^ßsad'at 
QOfißoi  (>vfißos.  QÜfKpos  QOfKpaia  Qvyxos  öiyy.tad'ai  u.  dgl.  m.  Hesych  hat  die 
glossen  KöSQOvi'  ovS  Tjfisls  /.iyofisv  Koofiy.ois  Tivas,  xh  vg^alov  ainöv  iucpavi- 
L,ovz£S.  (KoSgosy  }i&?]valo£,  launoos  T<t>  ye'vei.  zu  dem  ersten  gehört  xgonxoi, 
xoovvXtjqos,  7iQsaßvT£()os  KöSgov  Pollux  2,  15,  wo  vor  Bekker  KqÖvov  für  KöSqov 
gelesen  ward,  das  ist  eine  Komikerglosse,  Mein.  IV  p.  6S0.  das  zweite  zeigt  eine 
halbadjectivische  Verwendung,  meint  aber  nicht  Lykophr.  13S9,  der  in  seiner  weise, 
unmittelbar  nachdem  er  die  ionische  Wanderung  erzählt  hat,  die  dorischen  besiedler 
der  hexapolis  Kvzivtoi.  KöSgot  nennt,  die  bedeutuiig  des  wertes  war  aber  damals 
noch  unvergessen. 

10)  CIA  II  1573  ist  ein  weihgeschenk  an  Zeuxippos  und  Basileia.  ZeuxipposI 
steht  am  köpfe  einer  genealogie  (Phot.  Mvq/itjxos  azQanoi  vgl.  Kydath.  147),  die 
hesiodisch  zu  sein  scheint.  Zeuxippe  ist  die  gattin  des  flufsgottes  Eridanos  (cnmment. 
gramm.  11  12j.  der  gatte  der  Basileia  mufs  ein  urkönig  sein;  der  'rosseanschirrer* 
deutet  auf  Erichthonios,  der  als  solcher  der  fuhrmann  am  himmel  ist,  auch  kehrt 
sowol  Erichthonios  wie  Zeuxippos  in  der  sikyonischen  königslisle  wieder. 


Kodros.     die  Medontiden.  131 

halb  mufs  man  geneigt  sein,  ihn  für  einen  eindringhng  zu  halten;  aber 
entscheidend  ist  erst,  dafs  sein  söhn  Medon  neben  ihm  steht.  Kodriden 
und  Medontiden  ist  dasselbe  geschlecht,  die  Medontiden  aber  bestehen 
wirklich  fort  und  haben  grundbesitz  in  oder  unfern  der  Stadt.'-)  Mi- 
ötov  ist  auch  ein  redender  name,  MeöovTidaL  auch  nichts  weiter  als 
das  "^fiirstengeschlecht.'  das  ergibt  die  verschiedenen  Stadien  der  ent- 
wickelung:  erst  wollen  die  athenischen  könige  Pylier  und  Neliden  sein, 
BaaiXidai  Medovriöai.  dann,  als  sie  mit  den  loniern  in  so  nahe  be- 
ziehung  treten,  dafs  sie  auf  den  Kodros  beschlag  legen  wollen,  schieben 
sie  Kodros  vor  Medon  ein  und  heifsen  auch  Kodriden. 

Der  nachfolger  des  Medon  ist  Akastos,  in  der  aristotelischen  wieDie  Medon- 
in  unsern  listen,  damit  betreten  wir  den  geschichtlichen  boden,  da  der 
archonteneid  die  Constitution  Athens  wie  sie  besteht  und  das  ritual  der 
Vereidigung  auf  ihn  zurückführt  (3,  3  vergl.  I  s.  46).  in  dieser  Con- 
stitution ist  der  archon  der  oberste  beamte,  daraus  folgt,  dafs  er  es  unter 
Akastos  geworden  ist.  so  schliefst  auch  die  Atthis  des  Aristoteles;  die 
differenz  ist  wirlich  irrelevant,  die  den  mythischen  Medon  an  seine  stelle 
setzt,  die  macht  haben  die  Medontiden-Kodriden  also  schon  unter  Aka- 
stos eingebüfst.  wer  sich  das  klar  machte,  mufste  ins  gedränge  kom- 
men, da  vor  Akastos  nur  die  namen  Medon  und  Kodros  standen,  eine 
lösung  der  Schwierigkeit  ist  die  angäbe,  dafs  das  königtum  mit  Kodros 
erloschen  sei.  eine  consequenz  ist,  daf^  die  namen  der  liste  als  namen 
von  archonten  angesehen  werden,  wir  würden  demnach  gar  keine 
wirklichen  Medontidenkönige  kennen,  in  Widerspruch  hiermit  scheint 
zu  stehn,  dafs  Aristotetes  selbst  an  einer  früheren  stelle  (Ilerakleides  3) 
den  Übergang  des  königtumes  von  den  Medontiden  -  Kodriden  auf  an- 
dere, also  den  ersatz  des  erblichen  durch  das  wahlkoniglum  berichtet  hat. 
der  anlafs   dazu  war,   dafs  die  Kodridenkönige  zu  schlaff  schienen,     da 


11)  Aristoteles  Politik  E  1310'',  aara  nöXsiiov  xtoXxaas  SovXsveiv  kommt  er 
und  sein  geschlecht  zur  herrschaft.  bei  dieser  tat  Mird  ihn  sich  Aristoteles  und 
seine  vorlagre,  die  chronik,  als  polemarchen  gedacht  haben,  denn  diese  würde  gibt 
es  nach  ihnen  seit  Ion.  auch  die  zeit,  ein  par  generationen  nach  der  dorischen 
Wanderung,  wie  sie  Herodotos  5,  76  kennt,  und  die  beseitigung  der  Thesiden  durch 
Kodros  kann  für  diese  tradition  unbedenklich  in  anspruch  genommen  werden. 

12)  CIA  I  497.  dazu  kommt  eine  verschollene  und,  so  viel  ich  sehe,  im  CIA  11 
vergessene  inschrift  aus  Kypseli  (dicht  bei  Athen  nördlich)  Töpffer  Att,  Geneal.  229. 
Selon  heifst  KoSoiSr;s,  Piaton  auch,  der  durch  seine  mutier  auf  Dropides  den  bruder 
iSolons  zurückgeführt  wird,  dafs  er  vom  vater  her  auch  Kodride  gewesen  sei,  wie 
iThrasyllos  behauptet  hat  (üiog.  Laert.  3,  1),  ist  nicht  genügend  bezeugt,  von  Me- 
dontiden wird  dabei  nicht  geredet;  auch  Aristoteles  kennt  nur  Kodriden. 

9* 


132  II.    5.  Die  könige  von  Athen. 

zeigte  Hippomenes,  einer  aus  dem  bause,  aber  ersichllich  kein  könig 
mehr,  dafs  auf  ihn  der  Vorwurf  nicht  zutraf,  durch  die  mafslos  strenge 
bestrafung  seiner  tochter  und  ihres  buhlen,  so  Aristoteles;  und  Aischines 
(1,  182),  dessen  überheferung  auch  liier  der  aristotehschen  nahe  steht, 
nennt  diesen  Hippomenes  einfach  einen  Athener,  aber  in  anderen  be- 
richten wird  er  als  der  letzte  Kodridenkiinig  bezeichnet"),  und  einen 
Medontiden  nennt  ihn  ausdrücklich  Pausanias  (IV  13.  7),'  wo  er  nach 
seinen  jähren  datirt;  er  steht  auch  in  unseren  chronographischen  listen 
als  zehnjähriger  archon.  sehen  wir  zunächst  von  dieser  differenz  ab, 
so  bleibt  für  Aristoteles  selbst  ein  Widerspruch,  wenn  wir  nicht 
scharf  unterscheiden  und  also  sagen:  unumschränkte  Kodridenkünige 
gibt  es  freilich  nicht,  denn  schon  unter  Akastos  ist  der  archon  über  sie 
getreten,  aber  könige  sind  sie  geblieben  bis  auf  die  zeit  kurz  vor  Hip- 
pomenes. sie  haben  also  die  gesammte  rechtsprechung  im  heiligen 
rechte  gehabt,  also  auch  im  blutrechte,  und  sind  erst  abgesetzt,  als 
sie  schlaff  wurden,  gerade  in  einer  sache,  wo  es  sich  um  cpövog  öUaiog 
handelte,  übt  Hippomenes  in  demonstrativer  weise  die  äufserte  strenge 
diese  construction  hat  in  der  tat  band  und  fufs;  künigtum  seit  Kekrops, 
dazu  tritt  die  polemarchie  seit  Ion,  das  archontenamt  seit  Akastos,  aber 
die  künige  bleiben  erbkünige  aus  diesem  alten  geschlechte,  während 
ihnen  wahlkünige  in  den  archonten  zur  seite  stehen,  auch  sie  auf  lebens 
zeit  gewählt,  endlich  wird  dem  geschlechte  das  Vorrecht  des  königtumes 
genommen,  und  bald  wird  die  zehnjährige  wähl  der  drei  oberbeamten 
durch  die  einjährige  ersetzt,  die  namenliste  kann  bei  dieser  annähme 
bis  auf  die  zeit  des  Hippomenes  noch  ganz  gut  Kodriden  und  könige 
enthalten,  denn  warum  ist  es  notwendig,  dafs  die  eponymie  bereits  untet 
Akastos  auf  die  archonten  übergegangen  wäre?  dicht  neben  Athen,  in 
Megara,  ist  trotz  allen  revolutionen  der  könig  bis  an  das  ende  des  vierten 
Jahrhunderts  eponym  geblieben,  aber  ein  in  einem  geschlechte  vererbtes 
königtum  schliefst  allerdings  die  zehnjährige  befristung  aus.  bei  einer 
Vererbung  in  der  descendenz  von  vater  auf  söhn  schon  wegen  der  zeit 
bei  einer  solchen  vom  ältesten  geschlechtsgenossen  auf  den  nächstäitesten^ 
weil  der  Vorsitzende  des  Areopagitenrates  vor  einem  jüngeren  weichen 
müfste,  übrigens  auch,  weil  so  dieses  geschlecht  in  dem  rate  unverhält 
nismäfsig   bevorzugt    würde,     aber    denkbar   ist    sehr   gut,    dafs   neben 


13)  Phot.  na^'  iTtTiov  xai  xÖqtjv  zurückgehend  auf  ein  scholion  zu  de« 
Aischinesstelie.  die  Atlhis  hat  die  deulung  des  monumentes  naQ^  innov  xal  xc£t}v 
ohne  zweifei  richtig  gegeben;  die  Umbildung,  dafs  die  dort  begrabenen  ein  sodo 
mitisches  liebespar  wären  (Dion  Chrys.  32,  78),  ist  nichts  wert. 


Die  Medontiden.  133 

bt'fiislelen  amtsperioden  der  beamten  ein  lebenslänglicher  könig  stünde. 
(lit-  parische  cbronik  bezeichnet  in  der  tat  die  sämmtHchen  namen 
iler  liste ,  die  sie  bis  auf  die  zeit  der  neun  einjährigen  archonten  an- 
(iihrt,  als  könige;  von  den  zehnjährigen  kommt  leider  keiner  vor.  die 
li^te  des  Pausanias  (I  3,  3)  enthielt  sogar  das  stemma  dieser  Medontiden- 
köiiige  bis  auf  den  Vorgänger  des  Hipporaenes,  und  er  gibt  gelegent- 
lich eine  probe  davon. *^)  die  auszöge  des  Kastor  bei  Eusebius  stimmen 
mit  ihm  in  allem  wesentlichen ,  und  dafs  sie  trotz  der  genlilicischen 
Verwandtschaft  ihrer  träger  die  namen  auf  uQ^ovrag  dia  ßlov  und 
dg  öeyiaaTaiav  beziehen,  ist  so  verkehrt  in  sich,  dafs  es  nicht  be- 
irren kann. 

Dürfen  wir  die  namen  liste  als  authentisch  anerkennen?  abgesehen 
von  Hippomenes'^j  sind  in  ihr  keine  Schwankungen  nachweisbar,  im 
gegenteil,  die  Übereinstimmung  der  parischen  cbronik  sichert  gerade  die 
äheren  namen  und  selbst  die  zahlen  für  die  letzten  zwei  lebensläng- 
lichen archonten  oder  vielmehr  konige.  dafs  die  archontenliste  von 
unten  bis  Kreon  683/2  =  ol.  24,  3  mit  einer  relativ  grofsen  Zuverlässig- 
keit lief,  kann  niemand  ernsthaft  leugnen,  damals  wurden  die  Ihesmo- 
theten  eingesetzt  und  schriftliche  Verordnungen  gab  es  bereits:  so  Ari- 
stoteles, und  es  ist  lächerhch,  daran  zu  zweifeln ,  da  unsere  inschriften 
wol  selbst  so  hoch  hinauf  reichen,  die  Eleer  und  Spartaner  schon  viele 
Jahrzehnte  früher  mit  der  fiihrung  von  officiellen  listen  begonnen  hatten. 


14)  IV  5,  10  heifst  Aisimides,  der  zweite  der  zehnjährigen  archonten,  söhn  des 
Aischylos,  von  dem  ihn  sein  Vorgänger  Charops  und  der  könig  Alkmeon  trennen, 
bei  Kastor  (Euseb.  I  187  Seh.)  folgen  sich  die  älteren  könige  alle  als  söhn  dem 
vater,  nur  Alkmeon  ist  nicht  söhn  des  Aischylos.  das  stimmt  also,  dafs  Pausanias 
im  vierten  buche  eine  andere  liste  als  im  ersten  habe,  glaube  ich  nicht;  Hippomenes 
stand  nur  in  keinem  kindlichem  verwandtschaftsverhältnis  zu  einem  seiner  Vorgänger, 
übrigens  hat  sich  Pausanias  IV  13,  7  u.  ö.  um  eine  Olympiade  versehen,  oder  seine  liste 
war  durch  einen  Schreibfehler  entstellt,  denn  an  eine  andere  tradition  kann  ich  nicht 
glauben  (so  Geizer  Hist.  Aufs,  für  Curtius  18.  19).  das  datum  für  Kreon  ist  durch 
Marmor  Parium,  Dionysios,  Africanus  völlig  gesichert,  seitdem  Gutschmid  auch  das 
erste  richtiger  als  Boeckh  behandelt  hat.  man  darf  nur  nicht  vergessen,  dafs  in 
der  rechnung  des  Pariers  ein  jähr  kein  jähr  ist. 

15)  Wenn  dieser  in  der  liste  fehlte,  aber  wirklich  Aisimides  und  Kleidikos 
noch  könige  aus  dem  Medontidenhause,  also  lebenslängliche  waren,  so  konnte  die 
rechnung  der  lebenszeiten  unmöglich  die  erforderliche  zahl  decennien  geben.  Hippo- 
menes war  durch  ein  monument,  das  grab  seiner  tochter,  und  dessen  aXriov  im  ge- 
dächtnis  erhalten:  sehr  leicht  also  konnte  ein  Atlhidograph  sich  seiner  bedienen, 
um  eine  lücke  zu  füllen,  dies  unter  der  Voraussetzung,  dafs  die  namenliste  zuver- 
lässig ist  und  Kodriden  gibt. 


134  II.    5.  Die  könige  von  Athen. 

minder  sicher  sind  die  sieben  zehnjährigen  archonten,  sowol  wegen  des 
llippomenes.  wie  auch  weil  die  zahl  70  ganz  rund  ist.  das  datum  753/2 
ist  also  nur  mit  einer  etwas  gröfseren  reserve  als  fest  zu  betrachten,  das 
beeinflufst  auch  die  Jahreszahlen  der  beiden  letzten  könige  Aischylos  und 
Alkmeon,  die  sonst  zuverlässiger  scheinen,  insbesondere  die  zweijährige 
herrschaft  des  Alkmeon,  die  den  anlafs  zu  der  Verfassungsänderung  offen 
bar  gegeben  hat,  sei  es  dafs  er  ohne  erben  so  früh  starb,,  sei  es  dafs 
man  ihn,  worauf  die  genealogie  seiner  nachfolger  (anm.  14)  deutet,  als 
Usurpator  stürzte,  damit  kommen  wir  bis  an  das  jähr  800,  und  mir  fehlt 
der  mut  zu  bestreiten,  dafs  noch  eine  ganze  reihe  namen  aus  älterer  zei; 
jiberliefert  sein  konnten,  die  zahlen  ihrer  regierungen  sind  selbstverständ- 
lich nicht  nur  an  sich  wertlos,  sondern  nicht  einmal  durch  eine  beson- 
dere athenische  rechnung  gefunden,  sie  sind  dazu  bestimmt,  die  brücke 
zu  der  zeit  der  ionischen  Wanderung,  oder,  da  diese  nur  ein  relatives 
datum  ist,  zu  dem  falle  von  Uios  zu  schlagen ;  diese  punkte  aber  waren 
den  Athenern  durch  andere  chronologische  Systeme  gegeben,  immerhin 
gelangen  wir,  wenn  wir  auch  nur  die  geschlechterfolge  rechnen,  mit 
Akastos,  der  als  geschichtlicher  könig  durch  den  eid  seiner  nachfolger 
gesichert  ist,  über  das  jähr  1000  hinauf. 

Ich  habe  diesen  weg  bis  zu  ende  verfolgt,  um  zu  zeigen,  dafs  er 
gangbar  ist.  aber  ich  halte  ihn  doch  für  irreführend,  denn  die  namen- 
liste ist  nicht  die  eines  griechischen  geschlechtes,  die  Miltiades  Alkmeon 
Damasias  Dropides,  die  wir  in  der  beglaubigten  archontenliste  bis  hoch 
in  das  siebente  Jahrhundert  finden,  zeigen,  dafs  damals  dieselbe  sitte 
herrschte  wie  später,  und  die  geschlechter  ihre  bestimmten  eigennamenj 
mit  Vorliebe  vererbten,  aber  in  dieser  angeblichen  liste  von  Medontiden 
kehrt  kein  einziger  name  wieder,  und  nur  zwei  (Archippos  und  Ther- 
sippos)  könnten  allenfalls  auf  gentilicische  Verbindung  führen,  wenn  das 
ritterpferd  nicht  allzuvulgär  in  den  namen  wäre,  dagegen  Megakles 
Alkmeon  Ariphron  weisen  auf  andere  später  bedeutende  geschlechter. 
Phorhas  hatte  in  der  Stadt  ein  heiligtuni  und  kommt  als  begleiter  des  The- 
seus  und  sonst  in  genealogien  und  sagen  vor.  ich  bezweifele  gar  uichtj 
dafs  es  in  alten  zeiten  einen  leibhaften  träger  dieses  namens  in  Athen 
gegeben  hat,  der  sich  durch  seine  taten  ein  heroisches  gedächtnis  erhalten 
hat:  aber  ein  könig  und  ein  Medontide  ist  der  heros  nicht  gewesen, 
die  liste  seihst  sagt  also,  dafs  sie  höchstens  die  namen  von  archonten  " 
enthalten  kann,  wenn  die  eponymie  schon  unter  Akastos  den  kiinigen 
genommen  ist,  das  königtum  aber  im  hause  der  Medontiden  bis  auf  den 
archon  Kleidikos  vorblieben,  so  ergibt  das  an  sich  keinen  Widerspruch ; 


Die  Medontiden.  135 

es  ist  dann  nur  der  Irrtum  der  Chronographen  anzuerkennen,  die  in  ihr 
könige  und  Medontiden  suchen. 

Aber  auch  dieser  gangbare  weg  führt  in  die  irre,  es  ist  nicht  wol 
zu  verlangen,  dafs  man  den  Akastos,  auf  den  sich  ein  alter  eid  um  600 
bezieht,  für  einen  könig  aus  dem  zweiten  Jahrtausend  halte,  der  Akastos 
des  eides  war  sei  es  könig,  sei  es  archon,  als  die  herrschaft  der  archonten 
eingesetzt  ward,  eine  solche  Verfassung  in  vorhomerischer  zeit  ist  nicht 
glaublich,  und  die  dauer  einer  Verfassung  durch  vier  Jahrhunderte  noch 
weniger,  dagegen  stellten  die  herren,  welche  im  archon  den  höchsten  be- 
amten  hatten,  ihre  Verfassung  naturgemäfs  als  eine  uralte  hin,  rückten  also 
den  könig,  unter  dem  sie  eingeführt  war,  an  den  anfang  der  reihe,  das  ist 
dieselbe  manipulation,  wie  wenn  die  demokratie  den  Theseus  als  Stifter 
verehrt  und  zuerst  den  ostrakismos  leiden  läfst.  dann  ist  die  liste  zwar 
nicht  authentisch,  aber  sie  ist  älter  als  die  demokratie  des  Kleisthenes, 
ein  erzeugnis  des  sechsten  Jahrhunderts,  dieses  hatte  das  gute  recht,  die 
Vorzeit  in  seinem  sinne  umzuformen,  und  ganz  von  selbst  suchte  es  in 
ihr  archonten ,  denn  die  waren  jetzt  in  Athen  die  entscheidenden  be- 
amten;  auf  die  könige  kam  wenig  mehr  an.  damals  verfügte  man  ohne 
zweifei  noch  über  viele  Überlieferung,  die  später  mit  dem  stürze  der 
gescblechterherrschaft  verschollen  ist,  und  von  der  die  liste  in  ihren 
namen  einen  niederschlag  enthält.'^)  sie  ist  nicht  gedankenlos  zusam- 
mengestoppelt oder  frischweg  erlogen;  aber  sie  ist  zurecht  gemacht,  ist 
keine  königsliste  und  ist  authentisch  erst  etwa  seit  800.  wir  aber  sind 
nur  ganz  ausnahmsweise  im  stände,  eine  einzelheit  in  ihr  mit  Sicherheit 
zu  glauben  oder  zu  verwerfen,  die  liste  ist  eben  ein  stück  Atthis  des 
sechsten  Jahrhunderts,  die  kritik  des  fünften  und  vierten,  die  nament- 
lich mit  recht  das  königliche  geschlecht  suchte,  hat  sie  umgedeutet  und 
hie  und  da  zurechtgestutzt;  die  namen  selber  aber,  das  hauptgerüst,  bat 
sie  stehn  lassen  müssen.")  wenn  man  sie  so  beurteilt,  so  kennen  wir 
gar  keine  Medontidenkönige;  das  stemma  bei  Pausanias  ist  ein  auto- 
schediasma,  aber  Hippomenes  kann  ganz  wol  zehnjähriger  archon  ge- 
wesen sein,  übrigens  verhehle  ich  mir  nicht,  dafs  das  urleil  schwanken 
kann,   und  dafs  jedes  glied,  je  nach  dem  es  beurteilt  wird,   die  ganze 


16)  Rätselhaft  sind  besonders  die  namen  Oeamevs  und  "AxpavBqos.  diesen 
wage  ich  nicht  zu  deuten;  ein  ethnikon  als  eigenname  in  so  alter  zeit  ist  erst  recht 
anstöfsig. 

17)  Der  athenische  könig  Epainetos  in  der  sechsunddreifsigsten  Olympiade  aus 
Hippon  von  Rliegion  (Antig.  Kar.  parad.  121)  ist  gänzlich  unverständlich  und  kann 
sicherlich  nicht  zugleich  könig  und  Athener  sein. 


136  U.    5.  Die  könige  von  Athen. 

rechnung   verschiebt,     ich  fürchte  nur,    clafs  dialektik  hier  nicht  weiter 
hilft:   aber   die    fixirung  irgend  einer  person  der  reihe  kann  das  ganze 
feststellen;  das  ist  mir  leider  nicht  gelungen. 
Ion  und  Einen    ganz   anderen  Charakter  als  die  einzelfiguren  der  alten  my- 

'  thischen  konige  und  die  künigsliste  der  chronik  hat  die  genealogie 
Apollon- Ion -Geleon**)  Hoples'^)  Argadeus  Aigikores,  die  ersten  vier 
phylenkünige.^")  die  vier  namen  sind  als  singulare  und  personen  so 
erbärmlich  erfunden  wie  etwa  aus  den  Ehaör^g,  die  an  der  eixag  ein 
festmal  halten,  der  heros  Ehaösvg.  und  wenn  einmal  Aigeus  söhn  des 
Aigikores  heifst,   um  des  anklanges  der  namen  willen,  und  eine  lochter 


I 


18)  Euripides  (Ion  1579)  und  Apollonios  der  Rhodier  (1,  95)  schreiben  TeXitov, 
und  wenigstens  bei  diesem  kann  es  kaum  ein  Schreibfehler  sein,  auch  bei  Pollux 
8,  109  steht  es.  so  ist  es  wol  eine  bereits  absichtlich  rois  ev  läXei  hineintragende 
änderung.  aber  dann  mufslen  die  Geleonten  sciion  recht  obscur  geworden  sein, 
sonst  ist  Geleon  als  vater  des  Butes,  zumal  seine  gattin  tochter  des  Eridanos  ist 
(Comment.  grammat.  l\  12),  immer  noch  die  beste  dieser  figuren.  die  ßutaden  sind 
Geleonten  gewesen  und  sind  städtischer  adel;  weiter  liegt  nichts  darin. 

19)  onXr^TES  (bs  yv/ivr^rse.  es  ist  das  gegenteil  aller  methode,  von  dem  namen 
des  herrn  "OttAt^s  auszugehn,  dies  angebliche  hypokorislikon  zu  einem  voUnamen  nach 
belieben  zu  machen  und  dann  aus  diesem  weitere  Schlüsse  zn  ziehn. 

20)  Herodot  setzt  die  genetive  lAoyaStos  und  ^tyixÖQsco  neben  einander  und 
diese  form  gibt  auch  das  Demosthenesschoiion  24,  18.  die  biidung  auf  -svs  greift 
in  der  alten  zeit  sehr  weit;  nur  damals  ist  sie  auch  hypokoristisch.  Ter^onoXriS 
ToiroTtar^TjS  EixaSfis,  die  phratrien  Jvakrjs  <PihTJs,  die  ephesischen  phylen  Bcjoeli, 
'EcpeaeXi  sind  am  ehesten  vergleichbar,  die  Weiterbildung  von  gentilicia,  dr/SoviSeis, 
XvKiSsvs  u.  s.  w.  (Aristoph.  Byz.  114  N.),  und  spielend  danach  gebildete  ßlaiaSsvs, 
(der  kleine  Hermes),  Xat^iSTJs  ßofißavhoi  bei  Aristophanes,  Atay.iSeis  (gewifs  auch 
Singular,  Philoxenos  im  EM.  s.  v.),  können  hier  nichts  helfen.  l4o'/aösvs  mit  Argos  zu 
verbinden  verwehrt  die  grammatik:  wo  käme  denn  das  a  her?  ich  konnte  mehr  geben, 
aber  dies  dürfte  genügen,  um  die  versuche,  aus  diesen  namen  capital  zu  schlagen,  so 
lange  auf  sich  beruhen  zu  lassen,  wie  sie  mit  nichts  weiterem  als  den  namen  ope- 
riren.  dafür  will  ich  das  so  viel  besprochene  ßaailsvs  in  diese  reihe  stellen,  in  ihm 
ist  der  singular  offenbar  abusiv,  die  ßaailrjss  sind  so  gut  wie  die  <PiXitjs  und  ^IxaQir,? 
das  ursprüngliche,  angestammte  könige,  wie  die  der  Spartiaten,  sind  keine  ßuaihls 
sondern  agxayärai,  erst  aus  der  ionischen  panhellenischen  spräche  nehmen  sie  den 
fremden  titel  an.  abgeleitet  ist  das  wort  von  ßaaiXrj,  und  ßaaü.iSai  steht  daneben 
(so  auch  wider  den  Regius  A  bei  Piaton  Kritias  116c  zu  schreiben);  dieses  wort 
steht  vereinzelt  in  der  griechischen  spräche,  genauer  der  ionischen,  stammend  aus 
einer  der  mundarten,  die  in  sie  aufgegangen  sind,  es  kann  also  aus  dem  grie- 
chischen nicht  erklärt  werden,  und  eine  gleichsetzung  mit  irgend  einem  ganz  fremden 
wird  niemals  seine  wirkliche  bedeutung  erklären,  das  dagegen  lehrt  das  griechische, 
dafs  die  ßaatlrjee  keine  monarchen  mehr  waren,  und  der  einzelne  ßaaiXsvs  nur 
primus  inter  pares,  wie  Odysseus  in  Ithaka.  es  ist  sehr  bezeichnend,  dafs  Zeiis 
ßaailevs  sowol  als  anrufung  wie  als  cultnan.e  nicht  alt  ist. 


Ion  und  seine  söhne.  137 

des  Hoples  heiratet,  ohne  nachkommeDschaft,  so  ist  das  so  kümmerlich, 
(lafs  man  ruhig  behaupten  kann:  die  vier  personen  sind  weder  etwas  ge- 
wesen noch  geworden  als  die  singulare  der  4  phylennamen,  nicht  einmal 
(leren  rechte  eponyme.  Ion  ist  ihr  vater,  wieil  die  phylen  die  der  lonier 
sind;  aber  er  hat  mit  Athen  nichts  zu  tun.  Euripides  hat  ihm  zwar 
die  tochter  des  Erechtheus  zur  mutter  gegeben,  aber  das  erst  im  Ion: 
im  Erechtheus  hat  sicherhch  keine  tochter  desselben  den  vater  über- 
lebt, und  im  Ion  selbst  war  dem  pubhcum  der  name  Kreusa  so  wenig 
vertraut,  dafs  er  ihn  besonders  einschärfen  mufs.^')  Rleidemos  aber  kennt 
zwar  eine  Kreusa  als  frau  des  Xuthos,  also  vermutlich  auch  mutter  des 
Ion,  aber  sie  ist  die  tochter  des  Kreon  von  Korinth  (schol.Eur.  Med.  19).^-) 
Xuthos  ist  dem  Herodotos  der  vater  Ions  (8,  44),  wie  er  es  jedem  sein 
mufste,  der  der  mafsgebenden  hesiodischen  genealogie  folgte,  auch  nach 
dem  beschlusse  des  ApoUon  bei  Euripides  soll  er  es  vor  der  weit  bleiben, 
mit  andern  worten :  Euripides  hat  die  hesiodische  genealogie  mit  der 
attischen  verbunden  und  den  Ion  durch  Kreusa  gewaltsam  zu  einem 
Erechthiden  gemacht.  Ion  der  söhn  ApoUons  und  vater  der  vier  heroen 
inufs  ja  wol  eine  mutter  gehabt  haben ,  und  es  wird  eine  Athenerin 
gewesen  sein ,  aber  einen  namen  scheint  sie  nicht  besessen  zu  haben ; 
die  mutter  der  vier  ist  überhaupt  unbekannt,  ein  weiterer  schlufs  ist, 
dafs  Xuthos  erst  durch  die  hesiodische  genealogie  importirt  ist,  so  dafs 
sich  die  Schwierigkeit  der  beiden  väter  ergab,  die  Euripides  lösen 
will.^^)    in  der  tat  hat  Xuthos  in  Athen  keine  statte^'),  und  in  der  he- 


21)  Der  prolog  nennt  den  namen  sechsmal  und  57  würde  er  gewifs  nicht 
stehn,  wenn  er  nicht  eingeschärft  werden  sollte,  auch  vieles  in  dem  gespräche 
zwischen  Ion  nnd  Kreusa  dient  der  belehrung  des  publicums  über  den  neuen  mythos. 
die  interpolationsjäger  sind  besonders  darauf  aus,  den  namen  Ions  zu  vertreiben, 
und  die  stellen  sind  zum  teil  anstöfsig,  d.  h.  nicht  die  abstracte  poesie,  sondern 
die  praktische  rücksicht  hat  den  dichter  bestimmt. 

22)  Schwerlich  mit  recht  folgt  Panzer  (de  mythographo  Homerico  Greifswald 
1892,  s.  26)  einer  Überlieferung,  die  KQsovaa  ^Eosxd'ecos  als  mutter  Agamemnons 
einführt,  und  sollte  er  mit  der  beurteilung  der  handschriften  recht  haben,  so  würde 
es  ein  wertloses  autoschediasma  sein,  wer  die  buhlerische  Aerope  nicht  duldete, 
holte  eine  beliebige  'prinzessin'  Kreusa  vor;  aber  mit  Athen  hatte  sie  nichts  zu  tun. 

23)  Mit  den  doppelten  vätern  wirklicher  heroen  hat  dieser  fall  keine  ähn- 
lichkeit;  an  denen  nimmt  niemand  anstofs.  denn  es  ist  ein  anderes,  wenn  der 
pater  quem  nuptiae  demonslrant  einen  himmlischen  neben  sich  hat,  als  wenn  über 
die  Vaterschaft  eines  unehelichen  kindes  disputirt  wird,  oder  besser  gesagt:  in 
Athen  ist  Ion  söhn  des  Apollon,  und  da  giebt  es  keinen  Xuthos;  in  lonien  ist  es 
umgekehrt. 

24)  Xuthos   in  der  tetrapolis  (Strab.  383,  mich  dünkt,  aus  Ephoros),  steht  in 


138  11-    5.  Die  könige  von  Athen. 

siodischen  genealogie  wieder  Iiat  Ion,  der  eponym  der  lonier,  keinen  gött- 
lichen vater. 

Zur  zeit  des  adelsstaates  ist  Athen  in  die  vier  ionischen  phylen 
geteilt,  betrachtet  es  sich  als  die  TtQEGßvtärr]  yala  ^laovbjg,  müssen 
die  beamten  den  besitz  des  ^AnöXliov  Ttargcöog  nachweisen,  eigentlich 
sollten  die  eponyme  der  zwölf  phratrien  und  weiter  die  der  geschlechter 
von  den  vier  söhnen  Ions  stammen,  aber  diese  consequenz  ist  nicht 
gezogen,  weder  stammen  die  eponyme  der  geschlechter  von  denen  der 
phratrien,  noch  diese  von  denen  der  phylen.  in  einer  anzahl  ionischer 
Städte  haben  dieselben  phylen  bestanden ;  erst  hier  ist  der  loniername, 
also  auch  der  eponymos  Ion,  und  zwar  zunächst  für  die  zwölf  städte, 
die  an  dem  Panionion  des  Poseidon  teil  nahmen,  aufgekommen,  hier 
heifsen  die  könige  Kodriden  Basiliden  Neleiden.  wie  sollen  wir  das 
verstehen?  die  alle  antwort  ist:  die  vier  phylen  bestanden  in  Athen, 
als  dieses  seine  colonisten  aussandte,  und  seine  könige  waren  Nelei- 
den und  Kodriden.  so  sagen  Ilerodotos  und  Euripides,  so  würde  Solon 
ohne  zweifei  auch  sagen,  wenn  wir  das  annehmen,  so  haben  sich 
die  phylen  in  Athen  gebildet,  und  zwar  vor  der  ionischen  Wanderung, 
diese  aber  ist  ein  von  Athen  geplanter  zug,  nicht  anders  als  die  gründung 
von  Amphipolis  oder  Brea.  das  ist  alles  undenkbar,  die  lonier  leiten 
sich  aus  Pylos  oder  Achaia  oder  von  Abanten  Kadmeern  u.  s.  w.  her, 
vor  Herodotos  führt  sich  keiner  von  ihnen  auf  Athen  zurück,  und  auch 
dieser  weifs  sie  über  Athen  in  ihre  wirkliche  heimat  zu  bringen,  auch 
nach  Herodotos  stammen  die  lonier  nicht  aus  Attika.  Kodros  ist  in 
Athen  ein  eindringling,  und  das  königliche  geschlecht  heifst  Medon- 
tiden.  ein  teil  des  attischen  adels  will  freihch  pyhsch  und  neleisch 
sein  wie  die  lonier,  aber  darin  liegt  nichts  für  die  abhängigkeit  der 
letzteren  von  Athen,  die  phylenheroen  sind  in  Athen  eine  so  künst- 
liche pflanze,  dafs  sie  wahrlich  nicht  vor  Homer  schon  eine  so  wich- 
tige rolle  in  der  ghederung  des  volkes  gespielt  haben  können,  wie 
soll  man  sich  ihre  genesis  überhaupt  vorstellen?  es  safsen  in  der  Ke- 
kropia  familien,  sagen  wir  einmal  300,  die  sich  in  vier  phylen  teilten. 


einer  sehr  schön  pragmalisirten  gescfiichte  der  Wanderungen,  die  die  lonier  erst  von 
Athen  nach  Achaia,  dann  von  da  über  Athen  nach  lonien  bringt,  aber  diese  ge- 
schichte  setzt  den  Ion  des  Euripides  voraus,  übrigens  mag  in  der  tetrapolis  wirk- 
lich eine  spur  des  ionischen  heros  gewesen  sein,  aus  Euboia  stammend;  haben  ihn 
die  Chaikidier  doch  auch  nach  Sicilien  gebracht,  er  ist  ein  wirklicher  heros  unter 
blofscn  eponymen  im  hesiodischen  kalaloge.  allerdings  könnte  der  'braune'  neben 
dem  'bunten'  Aiolos  mit  absieht  stehn. 


Ion  und  seine  söhne.  139 

nun  schlössen  sich  die  Diakrier  an,  etwa  200  famihen,  aber  nicht  auf 
eininal,  sondern  Stadt  für  Stadt,  die  wurden  in  die  vier  phylen  aufgeteilt, 
und  als  Attika  geeinigt  war  und  den  zug  nach  lonien  unternahm,  giengen 
die  heerhaufen  der  colonisten  nach  diesen  vier  phylen  geteilt  ab.  soll 
das  jemand  glauben?  wozu  überhaupt  in  dem  kleinen  kekropischen  Athen 
die  phyle  über  geschlechtern  und  brüderschafteu  ?  und  wenn  es  deren 
vier  gab,  fehlten  sie  denn  in  Aphidna  und  Pallene?  oder  wurden  die  dor- 
tigen mit  gewalt  bei  der  annexion  zerschlagen?  sobald  man  seh  die  mühe 
gibt,  die  dinge  sich  werdend  vorzustellen,  kommt  man  auf  absurditäten. 
man  ist  gewohnt  die  dorischen  phylen  zu  vergleichen,  aber  vergleiche 
man  nur,  auf  dafs  die  unterschiede  hervortreten,  die  Dorer  sind  ein 
staatloses  wandervolk,  wie  die  Germanen  in  der  Völkerwanderung,  sie 
ghedern  sich  in  stamme,  das  sind  ihre  einzigen  körperschaften.  Hylleer 
sind  ein  volk;  als  illyrischer  stamm  sind  sie  in  Epirus  sitzen  geblieben. 
Dymanes  zeigen  durch  ihren  namen,  dafs  sie  ein  stamm  sind,  und  Pam- 
phyloi  sind  alle,  die  keins  der  beiden  andern  sind,  diese  drei  siedeln 
sich  mancher  orten  an;  aber  sie  finden  sich  gar  nicht  überall  alle,  und 
vieler  orten  auch  andere  neben  ihnen. -^)  als  sie  dann  sefshafl  werden, 
bilden  sich  die  alten  volksstämme  freilich  zu  gliedern  der  neuen  Staaten 
um,  und  wenn  sie  dann  colonien  aussenden,  können  diese  die  alten 
Stämme  als  natürliche  oder  künstliche  glieder  mitnehmen  oder  übertragen. 
in  lonien  wird  durch  die  Wanderung,  deren  resullat  die  lonier  sind, 
eine  gliederung  in  phylen  ganz  analog  erfolgt  sein,  indem  sich  die  ein- 
zelnen bestandteile  der  einwanderer  zunächst  gesondert  hielten,  und  neue 
gruppen  hinzutraten.-^)  aber  wie  in  aller  weit  ist  das  auf  dem  boden 
von  Athen  denkbar,  oder  vielmehr  von  Attika,  denn  die  vier  phylen  vor 
der  einigung  dieses  landes  sind  monströs,    eine  andere  entstehunj(  wieder 


25)  'Tqvtj&o')  ist  z.  b.  offenkundig  erst  aus  dem  'T^vd&wi  gemacht,  nicht  um- 
gekehrt. 

26)  In  Ephesos  haben  wir  die  phylen  ^Efeasls  Be/ußivaloi  Evcovv/ioi  und  die 
zugewanderten  Ti^ioi  KaQTjvaloi.  unter  den  'Ecpsasls  erscheinen  als  j^tAtacrrtcs  drei 
in  andern  orten  für  phylen  begegnende  namen  'A^yaSsis  Bco^els  Oivwnes,  daneben 
yteßiSioi.  unter  den  Befißtraloi  finden  wir  ^Atycorevs  (geschrieben  Atycorsös  Inscr. 
Br.  Mus.  CGCCLV,  von  Hicks  verkannt  und  daher  DLXXXVIII  26  falsch  ergänzt)  und 
^eXaayr^o^  (ob  aus  TleXaayevs  entstanden?),  andere  heifsen  ersichtlich  nach  menschen, 
wie  die  &iaaoi,  'Hyrjro^sios,  oder  nach  orten  yiaßavSrjos  (IleXos  gehört  wol  auch 
zum  nicov).  so  wächst  eine  Stadt  auf  neuem  boden  zusammen,  hier  ein  splitter 
alten  Stammes,  dort  leute  aus  einem  anderen  orte,  dort  ein  trupp  unter  der  führung 
eines  häuptlings ,  endlich  die  ansiedier  oder  eingeborenen  eines  fleckens  der  occu- 
pirten  gemarkung.     an  den  phylen  von  Neapolis  kann  man  ähnliches  bemerken. 


140  II-    5.  Die  könige  von  Athen. 

zeigen  die  tegeatischen  phylen,  die  lediglich  vier  gesonderte  siedelungen 
sind;  das  halten  die  athenischen  sein  können,  aber  sie  sind  es  nun  einmal 
nicht  gewesen,  man  sieht  es  am  besten  an  den  windigen  constructionen 
der  Atthidographen.-^}  und  die  kastenteilung,  an  die  auch  schon  das 
altertum  gedacht  hat,  ist  vollends  ertiäumt.  für  lonien  passen  die  phylen, 
für  Athen  passen  sie  nicht,  für  lonien  pafst  Ion,  für  Athen  pafst 
er  nicht,  die  inscln  und  Euboia  sind  doch  auch  ionisch  in. demselben 
sinne  wie  Athen:  weshalb  fehlen  dort  beide?  da  mufs  man  sich  ein 
herz  fassen  und  die  geschichte  umkehren. 

507  hat  Khiisthenes  in  Athen  10  phylen  mit  hilfe  des  delphischen 
gottes  gemacht,  es  war  ein  act  der  vvillkür,  aber  es  gieng  sehr  bequem, 
die  alten  vier  mochten  als  cultverbände  weiter  existiren,  das  kümmerte 
ihn  nicht -^);  den  Ion  behielt  er  aber  natürlich  bei,  denn  lonier  wollten  die 
Athener  bleibeu.^^)  die  vier  phylen  sind  nicht  mehr  wert  als  die  zehn, 
also  schliefse  ich ,  dafs  sie  ebenso  künstlich  gemacht  sind,  wenn  jeder 
Athener  einen  ^AtcoHlov  ycaTQiöoq  haben  mufs,  trotz  seinem  geschlechte 
und  dessen  ahnherrn,  so  ist  der  ihnen  allen  einmal  verheben,  künstlich, 
durch  einen  act.  als  Attika  eine  einheit  geworden  war,  bedurfte  es 
allerdings  einer  gliederuug;  der  regionalismus  war  damals  ungleich  ge- 
fährlicher als  507,  die  bestehenden  geschlechterverbände  ungleich  macht- 
voller, die  ideelle  einheit  lag  im  dienste  Athenas,  aber  die  Jungfrau  bot 
keine  bequeme  gentilicische  anknüpfung.  da  hat  man  die  vier  phylen 
erfunden  und  die  phratrien  dazu,  oder  besser  die  trittyen;  denn  phra- 
trien,  d.  h.  gruppen  engverbundener  geschlechter,  haben  gewifs  vorher 
nicht  gefehlt,  die  geschlechler  aber  wurden  in  diese  facher  eingereiht; 
es  ist  ganz  gut  müghch,  dafs  man  für  sie  eine  schematische  zahl  we- 
nigstens prinzipiell  aufgestellt  hat,  wie  die  Atthis  360  zählt,  bewerk- 
stelligt konnte  eine  solche  mafsregel  noch  507  nur  durch  die  sanction 
eines  gottes  werden,  dafs  die  vier  phylen  von  demselben  pythischen 
ApoUon  gemacht  sind  wie  die  zehn,  folgt  aus  der  reception  seines  cultes 
als  TtatQowg,  den  die  lonier  doch  auch  haben  müssteu,  wenn  sie  die 
phylen  aus  Athen   mitgenommen  hätten.^")     es   wird    am   klarsten   sein, 


27)  PoUux  8,  108.    Apollodor  bei  Stiab.  397  gibt  alle  landesnamen,  die  nicht 
mehr  wert  haben. 

28)  Wenn  die  vier   aber  grundbesitz   gehabt   hatten,   so   haben    sie  den  den 
neuen  abgetreten,  denn  diese  besitzen  land,  die  alten  nicht. 

29)  Das  lehrt  der  grenzstein  eines  grundstückes,  das  er  sogar  auf  Samos  von 
den  Athenern  erhallen  hat,  Bull.  Gorr.  Hell.  8,  160. 

30)  Die  Apaturien  sind  ein  geschlechterfest,  kein  phylenfest.    sie  sind  wirklich 


Ion  und  seine  söhne.  141 

wenn  ich  erzählend  darlege,  wie  ich  mir  die  tatsachen  geworden  denke, 
das  geeinigte  Attika  braucht  eine  Organisation,  die  den  formen  des  ge- 
pchlechterstaates  gemäfs  in  (pvlag  cpvXä^ai  und  toßag  wßdBat  be- 
stehen mufs.  über  das  prinzip  hat  man  sich  geeinigt,  ganz  wie  durch 
die  rhetra  in  Sparta,  die  ausfilhrung  wird  gemacht  wie  507;.  man 
fragt  den  gott,  und  ein  Staatsmann,  der  ihm  soufflirt,  wird  auch  diesmal 
nicht  gefehlt  haben,  der  gott  sagt  "ihr  habt  vergessen  meines  lieben 
Sohnes  Ion  und  seiner  vier  söhne,  die  doch  zuerst  euer  volk  zusammen 
wohnen  gelehrt  haben  (avvorAiaav  sagt  auch  Aristoteles),  durch  sie  seid 
ihr  meine  kinder,  und  wenn  ihr  nach  ihnen  euch  gliedert,  wird  es  euch 
wol  ergehen."  und  so  führen  die  Athener  die  vierteilung  durch  und 
darunter  die  zwolfteilung;  es  ist  ein  ganz  äufserlicher  auf  die  Verwaltung 
berechneter  Schematismus,  das  leben  war  und  ist  nur  in  den  einzelnen 
gliedern,  den  geschlechtern  und  allenfalls  den  phratrien. 

Wenn  der  gott  auf  Ion  geriet,  so  war  daiün  ausgesprochen,  dafs 
die  Athener  den  loniern  verwandt  waren,  die  also  ein  deutlich  erkenn- 
barer Volksbegriff  sein  mufsten.  wenn  anders  der  gott  a  und  e  unter- 
scheiden konnte,  mufste  er  das  wissen ;  wer  weifs,  ob  es  so  sehr  viel  früher 
war  als  die  entslehung  der  hesiodischen  Kataloge,  auf  die  vier  phylen 
als  etwas  allgemein  ionisches  konnte  freilich  der  gott  nicht  verfallen,  da  sie 
das  nicht  sind^'),  sondern  er  mufste  sie  aus  einer  einzelnen  stadl  nehmen, 
und  nahm  sie  aus  Milet;  wenn  er  Ephesos  oder  Chios  gewählt  hätte,  würde 
ganz  etwas  anderes  heraus  gekommen  sein.  Milet  aber  war  nicht  nur 
die  erste  stadt  loniens  und  dem  Apollon  besonders  wert,  sondern  auch 
wirkHch  mit  Athen  in  einigen  beziehungen.  sobald  lonier  und  Athener 
sich  ihrer  Verwandtschaft  bewufsl  wurden,  mufste  das  sich  ihnen  so  dar- 
stellen, dafs  die  Stadt  der  autochthonen  den  Vorrang  des  alters  vor  den 
colonien  erhielt  und  mehr  oder  minder  ihre  mutterstadt  ward,  wenn  es 
trotzdem  nur  zu  der  erzählung  gekommen  ist,  dafs  die  lonier  über 
Athen  gezogen  wären,  aber  eigenthch  aus  dem  Peloponnese  stammten, 
so  kann  in  Wahrheit  an  der  attischen  colonisation  nur  herzlich  wenig 
sein,  es  ist  unvermeidlich,  dafs  auch  ein  par  Athener  unter  den  colo- 
nisten  gewesen  sind,  Rhamnusier  und  Thorikier  auch,  (den  Staat 
Attika   gab  es  noch  nicht),   aber  die  gentilicischen  Verbindungen  fehlen 


'ionisch',  d.  h.  hei  dem  volke  verbreitet,  zu  dem  die  Athener  und  die  lonier 
Asiens  gehören,  aber  der  gott  der  Apaturien  ist  keineswegs  immer  und  überall 
derselbe,  und  er  ist  nicht  einmal  in  Athen  der  pythische  Apollon. 

31)   Die  verbreitete  ansieht,  dafs  Hie  vierzahl  für  lonien  charakteristisch  sei, 
ist  gar  nichts  als  die  Verallgemeinerung  der  vier  attischen  phylen. 


142  n.    5.  Die  könige  von  Athen. 

gänzlich,  das  einzige  aufser  den  phylen  sind  die  Kodriden ,  und  diese 
sind  in  Athen  eben  so  secundär  wie  Ion  und  seine  söhne,  dafür,  dafs 
filrstengeschlechter  und  ganze  Städte  in  lonien  sich  aus  Pylos  und  von 
den  Neliden  herleiten,  und  in  Athen  manche  geschlechter,  darunter 
das  der  Medontiden ,  dasselbe  tun ,  mufs  allerdings  ein  geschichtlicher 
anlafs  gesucht  Averden.  wenn  es  gelingt  ihn  zu  finden  (und  ich  meine 
ihn  in  der  Vertreibung  der  älteren  bevülkerung  aus  dem  Südwesten  des 
Peloponneses  durch  Spartiatcn  und  Eleer  zu  sehen),  so  wird  dadurch  viel- 
leicht sogar  ein  relatives  dalum  für  die  einfiihrung  der  älteren  phylen- 
ordnung  in  Athen  ermittelt  werden,  hier  beschränke  ich  mich  darauf, 
die  hypothese  vorzulegen,  die  die  phylenordnung  und  die  ionische  ab- 
stammung  der  Athener  zugleich  mit  der  athenischen  abstammung  der 
lonier  erklärt. 

Ein  corollar  ist  die  antwort  auf  das  Verhältnis  des  geschlechtes  der 
'icovidai ,  das  aus  der  existenz  des  so  benannten  demos  am  Brilottos 
folgt,  denn  dessen  läge  wird  durch  die  erkenntnis  der  kleisthenischen 
kreisteilung  fixirt.  der  ahnherr  des  geschlechtes  war  söhn  des  Gargettos 
(Paus.  VI  22,  7),  und  wenn  ein  local  in  Elrs  mit  diesem  verbunden 
wird,  so  hat  der  urheber  dieser  Verbindung  mit  Überlegung  von  Ion  dem 
ahnherrn  aller  Athener  abgesehen,  auf  die  anklänge  von  namen  und 
traditionen  in  Elis  und  Atlika  hat  man  mit  recht  in  letzter  zeit  mehr 
geachtet^-);  es  ist  sehr  wol  möglich,  dafs  wirklich  loniden  aus  dem  Pe- 
loponnes  nach  Athen  ausgewandert  sind,  als  die  Eleer  ihnen  zu  mächtig 
wurden,  ich  glaube  selbst,  dafs  die  lonier  ihren  namen  am  letzten  ende 
einem  verschollenen  stamme  verdanken,  der  eben  in  jener  gegend  des 
Peloponneses  und  in  dem  namen  des  geschlechtes  der  loniden  seine  spuren 
hinterlassen  hat;  aber  das  liegt  jenseits  der  geschichte,  die  für  Athen  in 
betracht  kommt,  für  sie  sind  der  söhn  des  Xuthos  oder  des  Apollon 
und  der  söhn  des  Gargettos  zwei  personen,  die  einander  nichts  angehen, 
im  demos  Potamos  sollte  Ion,  natürlich  der  staalsgründer,  begraben 
liegen  (Paus.  I  31,  3,  von  ihm  wiederholt  VII  1):  die  blof?e  existenz  eines 
^'liovog  Ti'iußog  scheint  mir  aber  für  keinen  weiteren  schlufs  eine  zu- 
reichende basis.  eine  letzte  frage  gilt  dem  Ion ,  der  als  polemarch  im 
kriege  wider  Eleusis  hilft,  den  schon  Ilerodotos  kennt  und  wol  auch 
Euripides.")    er  kann  nur  unter  der  bedingung  der  Staatsgründer  sein, 


32)  Kirchner  Ättica  et  Peloponnesiaca  Greifswald  1S90. 

33)  Herodot  8,  44,  statt  seines  allgemeinen  ausdruckes  ar^arä^x^s  gibt  die 
Atthis  und  die  auf  sie  gebaute  niythographische  tradition  durchaus  den  attischen 
amtstitel.     Euiipides  formt  das  im  Ion  so  um,  dafs  Xuthos  den  hilfszug  macht,  und 


Ion  und  seine  söhne.  143 

d;ifs  die  sage  ersonnen  ist,  um  den  söhn  des  Xuthos  herbeizuholen,  mit 
anderen  Worten,  wenn  die  sage  nicht  mehr  rein  altisch  ist:  der  söhn 
des  Apollon  mufste  ja  Athener  sein,  befremdhch  ist  für  diesen  die 
Charge  des  polemarchen,  durch  die  selbst  Aristoteles  zu  der  ungeheuer- 
lichkeil gezwungen  wird,  die  polemarchie  neben  dem  künigtume  in  die 
urzeit  zu  rücken,  die  eroberung  von  Eleusis  fällt  so  spät,  dafs  die  er- 
iunerung  an  einen  polemarchen  sich  sehr  wol  erhalten  konnte,  und  ein 
lonide  oder  gar  ein  Ion  aus  diesem  geschlechte  könnte  also  als  con- 
current  des  heros  auftreten,  ich  wüfste  zwischen  den  vielen  möglich- 
keiteu  nicht  zu  entscheiden. 

Wie  aber  kommt  es,  dafs  die  Atlhis,  die  doch  die  reform  der  ver- 
lassung 683  geschichtlich  festgehalten  hat,  von  der  einführung  der  vier 
liliylen  gar  nichts  weifs?  sie  konnte  es  nicht;  für  ihre  anschauung 
waren  sie,  wie  der  gott  gesagt  hatte,  höchstens  wieder  eingeführt,  die 
sühne  Ions  hatten  ja  doch  in  der  urzeit  gelebt,  ganz  so,  wie  sie  nur 
einen  abfall  von  Eleusis  oder  den  einfall  eines  Thrakerheeres  erzählen 
k;!nn,  wie  Kekrops  bereits  könig  von  ganz  Attika  ist,  trotz  den  synoi- 
kismen  des  Ion  und  des  Theseus,  mufste  auch  hier  das  resultat  der  ent- 
wicklung  in  die  urzeit  projicirt  werden,  die  Atlhis  hat  aber  überhaupt 
S'j  ganz  auf  dem  boden  des  demokratischen  kleislhenischen  Athens  gestan- 
den, dafs  sie  für  die  alten  phylen,  ja  selbst  die  phratrien  und  geschlechter, 
dif  doch  fortbestanden,  fast  gar  kein  Interesse  hat.  in  ihrer  Urgeschichte 
wt'ht  derselbe  geist  wie  in  der  hohen  poesie  des  fünften  Jahrhunderts. 
man  schiert  sich  wenig  um  den  eben  überwundenen  adel,  freut  sich 
um  so  mehr  an  dem  stolzen  bau  der  jungen  demokralie.  so  schlägt  man 
kühn  von  ihr  die  brücke  unmittelbar  zu  der  urzeil.  könig  Theseus 
scliafft  Ordnung  in  der  anarchie  und  legt  den  grund  zu  der  freiheit  und 
Gleichheit,  für  die  Schilderung  der  anarchie  braucht  man  selbständige 
jrolEig,  und  sie  boten  sich  in  den  lebendigen  traditionen  der  Aphi- 
dnaeer  Epakrier  PaUeneer.  bequem  bot  sich  die  zwölfzahl  der  alten 
liiUyen,  die  man  durch  solche  namen  örthch  fixirte.  damit  ist  noch 
gar  nicht  gesagt,  dafs  man  wirklich  12  aufzählte  oder  mit  Überlegung 
wählte:  die  aufzählung  ist  erst  ein  act  der  forschung.^^)    eben  so  bequem 


läfst  ihn  wider  Euboia  zielin  (wo  Xuthos  doch  zu  hause  ist),  weil  seine  Chronologie 
dt  11  kämpf  mit  Eleusis,  in  dem  Kreusas  Schwestern  geopfert  sind,  nicht  verträgt,  wie 
er  im  Erechtheus  gedichtet  hatte,  ist  leider  nicht  sicher  zu  erkennen,  in  ihm  wird 
Eitchtheus  kinderlos  und  adoptirt,  wie  es  scheint,  am  ende  einen  söhn:  ich  kann 
liui  an  Ion  denken;  aber  ein  wirklicher  beweis  ist  mir  nicht  möglich. 

34)  Strab.  39"  gibt  die  liste  nach  Philochoros.    der  fehlende  name  dürfte  hinter 


144  II.    5.  Die  könige  von  Athen. 

bot   sich   die  vierzahl,    und   so    entstand  die  auch  von  Aristoteles  ruhig 
neben    den   vier  phylen   gegebene    tradition   von    den   vier  söhnen   des 
l*andion.      denn    wenn     auch    Nisos   schon   zu   der    zeit    annectirt    ist, 
wo  Nisaia  von  Peisistratos  occupirl  war,   so   konnte  doch  jene  zeit,   in 
der   factisch  die   Diakrier  über   Athen   geboten,   unmöglich   Lykos  und 
Pallas  als  abtrünnige  und  aufständige  schildern,  die  der  städter  Theseus 
zu   paaren    triebe,     auch   diese  sophokleische  erzählung  ist.  noch  poesie' 
der  grofsen  zeit,  aus  ihr  verständlich,    erst  die  Forschung,  verführt  durch 
das  bestreben,  die  vier  phylen  und  die  zwölf  trittyen  örtlich  zu  fixircn,   i 
baut  darauf  vergeblich  geschichtliche  conibinationen.    die  combinationcn    i 
helfen   uns  nicht:    nur  die  demente,   die  sie  combiniren,    nehmen  wir  < 
dankbar  an,  um  unsererseits  zu  versuchen,  ob  es  uns  besser    lücke  als 
unsern  Vorgängern,  Philochoros  und  Apollodoros. 


Kr]<piaia  als  Movvi%ia  zu  ergänzen  sein,  es  felilt  allerdings  auch  JJa'kXr^vri,  aber 
dessen  eponymos  ist  söhn  Pandions;  dagegen  hat  Munichia  einen  eigenen  könig  als 
eponymos,  und  man  sollte  meinen,  es  hätte  sich  als  nähe  dem  blicke  des  forschers 
aufdrängen  müssen. 


6. 
TKITTYEN  UND  DEMEN. 


Ohne  die  phylen  und  demen  des  Kleisthenes  kann  man  sich  Athen,  Die  reform 
oder  doch  ein  demokratisches  Athen,  gar  nicht  vorstellen,  deragemäfs  sthenes. 
sollte  der  gründer  der  gemeindeordnung  der  populärste  name  in  seinem 
Volke  sein.')  dem  stand  seine  hochadhche  abkunft  hindernd  entgegen, 
um]  der  name  des  volksmannes  Solon  hat  den  seinen  fast  verdrängt. 
als  man  bald  nach  den  Perserkriegen  den  staatst'riedhof  anlegte,  erhielt 
Kleisthenes  noch  ein  ehrengrab  ^):  damals  lebten  noch  die  zeugen  seiner 
rt't'orm.  411  wird  eine  berücksichtigung  seiner  gesetze  wenigstens  in 
t'iiiem  amendement  vorgesehn  (29,  3);  aber  schon  403  redet  man  nur 
von  Drakons  und  Solons  gesetzen,  und  im  vierten  Jahrhundert  pflegt 
Kleisthenes  höchstens  als  annex  Solons  aufzutreten.^)  die  chronik  hatte 
wenigstens  die  änderung  der  phylen  und  demen  sehr  eingehend  be- 
handelt, auf  grund  von  reichem  iirkundenmateriale;  aber  ihr  grundstock 
gehörte  doch  einer  zeit  an,  die  so  vollkommen  durchdrungen  war 
von   den  gewaltsamen  neuerungen  des  reformators,   dafs  sie  das  ältere. 


1)  Die  komoedie  hat  den  namen  Kleisthenes  für  den  xaranvycov  zu  einem 
typischen  gemacht,  gegeben  hat  es  den  menschen  (o  Hißvoxiov  Acharn.  US),  aber 
unmöglich  hat  er  von  425—405  sein  band  werk  so  treiben  können,  dafs  er  den 
frischen  spott  herausforderte;  er  ist  auch  in  der  Lysistrate  viel  mehr  typus  als  in- 
•dividuum;  mit  Kleonymos,  dem  dicken  feigen  demagogen  steht  es  ähnlich,  um  so 
klarer  ist,  dafs  der  name  des  grofsen  Alkmeoniden  dem  volke  kein  heiliger  war, 
ja  dafs  man  an  ihn  bei  diesem  namen  gar  nicht  dachte. 

2)  Pausan.  I  29,7.  nebenan  war  das  grab  der  Thessaler,  die  bei  dem  siege 
über  Anchimolos  511  gefallen  waren,  so  wird  dem  Kleisthenes  das  ehrengrab  wol 
■auch  wesentlich  zum  danke  für  die  Vertreibung  der  tyrannen  errichtet  sein. 

3)  Isokrates  rechnet  ihn  sowol  im  Areopagitikos  16  wie  im  Panathenaikos 
■232.  306  einfach  unter  die  Vertreter  der  guten  demokratie.  Piut.  Kim.  15  redet  gar 
von  der  etiI  KXeia&ävovs  aQiaroxoaxia.  sonst  kennen  ihn  weder  die  redner  noch 
.Piaton. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  *  10 


146  11-    6.  Tiillycn  und  demen. 

den  geschlechterstaat,  gar  nicht  mehr  verstand,    wir  können  die  beiden 
berichte,    über  die  wir  verfügen,  bei  Ilerodotos  und  Aristoteles,   leider 
durch  sonstige   reste   der  cbronik   nicht  sehr  stark  ergänzen.     Ilerodot 
hat  aufser  den  mündlichen  traditionen  des  Alkmeonidenhauses,   die  das 
persönliche  angehn,    das  ihn  vorwiegend  interessirt,    einen  der  cbronik 
analogen   mündlichen    oder  schriftlichen  beriebt  benutzt;  aber  er  hatte 
für   die  Verfassung,    abgesehen  von  dem  demokratischen  prinzipe,   kein 
inleresse.    so  ist  das  kurze  capitel  des  Aristoteles  (21)  eine  wahre  olTen- 
barung  für  uns  und  erfordert  eine  eingehende  erläuterung.    wir  erfahren 
lange  nicht  alles  was  wir  wünschten ,  über  den  rat  z.  b.  nichts  als  die 
gleichgiltige   Vermehrung    der  zahl,    über  die  beamlen  nichts,   wo  doch 
die  Atthis  des  Androlion  wenigstens  die  Schöpfung  der  apodekten  angab, 
über  die  demarchen  nur,  dafs  sie  die  naukraren  ersetzten,  wo  die  Atthis 
des  Kleidemos  sehr  viel   genaueres  gab.     dafs  die  archonten  im  gegen- 
satze  zu  Solon  gewählt  wurden,  kommt  später  gelegentlich  zur  spräche 
(22,  5);    dafs   die    Strategen    erst   einige  jähre  nach  507  auf  10  erhöht 
wurden,   ebenfalls  (22,  5),  woraus  Avir  schliefsen  dürfen,  dafs  wir  unter 
dem  namen  der  kleistbenischen   Verfassung   etwas   zusammenfassen   was 
nicht   ein   act,    sondern    das    ergebnis  einer  reform  war,   die  aus  einer 
Wurzel   allmäldich  mit  notwendigkeit  erwuchs,     diese  wurzel  ist  die  er- 
setzung  des  gescblecbterstaates  durch  die  gemeindeordnung.     und  über 
sie    wenigstens   teilt  uns  Aristoteles  einige  grundsätze  mit,   deren  trag- 
weite  sehr  viel  gröfser  ist,  wahrscheinlich  selbst  als  das  was  ich  daraus 
hier  entwickele,    schmerzlich  bedauert  man  wieder,  dafs  Aristoteles  selbst 
so  gar  kein  Interesse  für  das  leben  der  einzelgemeinden  gehabt  hat,  denn 
hier  müfste  stehen,  was  aus  anderer  Überlieferung  eiuigermafsen  zu  er- 
setzen  eine   bauplaufgabe   künftiger  forschung  ist,   welche    grenze    der 
einzelgemeinde   für  ihre  Selbstverwaltung  gezogen  war.     aber  seien  wir 
dankbar  auch  für  das  wenige  was  wir  erfahren:    es  ist  alles  eitel  gold. 
Das  erste  ist  die  Vermehrung  der  bürgerschaft  durch  die  aufnähme 
von    neuen    dementen ,   wozu    als  ergänzung  die  ungestörte  fortexistenz 
der  nun  für  den  Staat  bedeutungslosen  verbände  des  gescblecbterstaates 
gehört,     das  hat  namentlich  bedeutung,    weil  es  die  richtige  auffassung 
der   beiden  stellen  der  Politik  (F  1275'^  Z  1319*^)  sicher  stellt;    es   ist 
von  mir   an   anderen   stellen   behandelt,     wir  hören  dann  die  Verände- 
rung des  attischen  namenswesens  durch  die  einführung  des  demolikons; 
das  ist   nichts   neues,   hat  aber  bisher  seine  volle  Würdigung  nicht  er- 
halten,  und    ich  habe  ihm  das  nächste  capitel  gewidmet,     endlich  aber 
wird  uns  nun  erst  die  bildung  der  pbylen  und  der  gemeinden  klar:  das 


Die  reform  des  Kleisthenes,  147 

soll  hier  erörtert  werden/)  wenn  wir  Aristoteles  sagen,  so  gilt  das  natür- 
lich nur,  weil  wir  sein  buch  lesen :  dafs  er  auch  hier  lediglich  die  Atthis 
wiedergibt  ist  sowol  durch  directe  berührungen  wie  durch  den  Inhalt 
klar,  nur  einige  gelegentlich  angeschlossene  bemerkungen  dürften  allen- 
falls sein  eigen  sein,  über  ein  specifisch  attisches  wort  {q)vlo-AQivelv),  die 
dem  ausländer  auffälhge  Verbreitung  der  demotika  in  der  attischen  nomen- 
clatur,  endhch  der  versuch,  ein  motiv  dafür  zu  finden,  weshalb  Klei- 
sthenes nicht  zwölf  phylen  eingerichtet  habe,  dafs  Aristoteles  danach 
fragt,  kommt  aus  dem  sehr  richtigen  gefühle,  dafs  die  zwölfzahl  der  pry- 
tanien  für  die  Verwaltung  wirklich  viel  praktischer  gewesen  wäre,  das 
haben  die  Athener  durch  die  praxis  gelernt  und  deshalb  307  und  wieder 
200  die  zahl  eingeführt,  durch  die  das  geschäftsjahr  in  eben  so  viele 
Perioden  zerfiel  wie  das  kalenderjahr  in  monate  (nur  dafs  man  sich  vor 
dem  verständigen  schritte  gescheut  hat,  auch  das  sonnenjahr  einzuführen). 
Aristoteles  hat  aber  diese  beobachtung  doch  nicht  selbst  gemacht,  son- 
dern in  der  platonischen  schule  gehört:  denn  Piaton  selbst  hat  für  den 
Staat  seiner  Gesetze  zwölf  phylen  vorgesehn  (828).  übrigens  hatte  schon  die 
zahlenspeculation,  die  Aristoteles  im  eingange  seines  buches  reproducirte 
(frgm.  3),  den  alten  geschlechterstaat  mit  der  ghederung  des  Jahres  ver- 
glichen, eben  in  der  absieht,  sich  von  dem  geschlechterstaate  zu  ent- 
fernen, glaubt  Aristoteles  das  motiv  zu  finden,  das  den  Kleisthenes  dazu 
vermocht  habe,  die  zehnzahl  der  phylen  vorzuziehen,  er  meint,  sie 
wären  sonst  mit  den  alten  trittyen  zusammengefallen,  das  ist  nicht 
richtig;  die  alten  trittyen  waren  ja  drittelungen  der  adelsphylen,  hatten 
also  so  wenig  wie  diese  einen  localen  Charakter,  der  vielmehr  erst  in 
den  naukrarien  hervortrat;  wir  wissen  nur  nicht,  wie  diese  mit  dem  gen- 
tihcischen  prinzipe  ausgeglichen  waren.^)    es  zeigt  sich  wieder,  dafs  Ari- 

4)  Da  mir  dieser  gegenständ  in  folge  meiner  früheren  Studien  über  die  demen- 
ordnung  besonders  nahe  lag,  hatte  ich  dieses  capitel  schon  1891  fertig  gestellt, 
mittlerweile  hat  Milchhöfer  dasselbe  behandelt  (Untersuchung  über  die  Demenordnung 
des  Kleisthenes  1892).  ich  werde  dasjenige  in  anmerkungen  nachtragen,  was  er 
mich  gelehrt  hat,  auf  jede  polemik  verzichten  und  die  Übereinstimmung  nicht  no- 
tiren.  ich  will  auch  auf  eine  kritik  der  Miichhöferschen  arbeit  verzichten,  wir 
geben  beide  nur  provisorisches;  wenn  ich  das  attische  land  genauer  kennte,  würde 
ich  es  besser  machen,  wer  die  wichtige  aufgäbe  gut  lösen  will,  mufs  sowol  Orts- 
kenntnis wie  philologisches  und  historisches  urteil  besitzen,  als  diese  zweite  be- 
arbeitung  schon  in  der  druckerei  war,  ist  der  tief  eingreifende  aufsatz  von  R.  Loeper 
(Ath.  Mitteil.  17)  erschienen:  es  ist  mir  unmöglich,  mich  mit  ihm  auseinander- 
zusetzen,    so  mufs  ich  einiges  tatsächlich  überholte  notgedrungen  stehn  lassen. 

5)  Da  die  alten  trittyen  zugleich  die  phratrien  sind,  kann  man  auf  den  einfall 
kommen,  dafs  in   der  tat  die  drittel  der  adelsstämme  mit  einem  drittel  des  landes 

10* 


148  II.    6.  Trittyen  und  demen. 

stoteles  so  wenig  wie  die  Atthis  sich  den  geschlechterstaat  wirklich  klar 
gemacht  hat. 

Die  teiiung  Kieistheoes   machte   also  zehn    phylen   und  benannte  sie  nach  den 

zehn  eponymen,  die  die  Pythia  aus  der  liste  von  hundert  alten  fürsten 
(aQxt]yiTai)  auswählte,  unter  sie  verteilte  er  das  land  so,  dafs  jede  von 
ihnen  einen  strich  landes  in  der  nähe  der  Stadt,  einen  im  binnenlande, 
einen  an  der  küste  erhielt. 

Das  ist  das  neue.  Attika  zerfiel  fortan  in  drei  geschlossene  massen, 
Stadt-,  land-,  küstenprovinz,  um  bequeme  namen  zu  stiften;  jede  pro- 
vinz  zerfiel  in  zehn  kreise;  für  die  Verwaltung  gehört  aber  nicht  die 
provinz  zusammen ,  sondern  je  ein  kreis  jeder  provinz.  diese  einheit 
führt  den  dem  geschlechterstaat  entlehnten  namen  phyle,  stamm;  und 
die  kreise  heifsen  von  ihrem  Verhältnisse  zu  dem  stamme  drittel,  trittyen. 
die  absieht  des  gesetzgebers  mufste  sein,  für  die  phylen  eine  möglichst , 
gleiche  leistungsfähigkeit,  sowol  militärisch  wie  finanziell,  zu  erzielen; 
minder  nötig  war  das  schon  für  die  kreise,  auf  die  räumhche  aus- 
gleicliung  kam  nichts  an ,  und  in  Attikas  bergen  und  ödländereien  war 
sie  gar  nicht  einmal  anzustreben,  wie  viele  gemeinden  endlich  in  einem  i 
kreise  oder  einer  phyle  waren,  machte  für  die  Organisation  sehr  wenig 
aus.  es  konnten  dafür  die  praktischen  rücksichten  auf  die  ansiedelung 
und  bevölkerungsdichtigkeit  innerhalb  des  kreises  ganz  ausschliefshch 
mafsgebend  sein;  darum  sind  auch  auf  diesem  gebiete  Veränderungen 
vorgekommen,  ohne  dafs  sie  die  Verfassung  berührten,  so  dafs  wir  über 
so  etwas  wie  die  teiiung  einer  gemeinde  oder  auch  die  Verleihung  des 
gemeinderechtes  an  eine  neue  siedelung  niemals  etwas  hören,  es  sei  denn 
in  Verbindung  mit  der  phylenverfassung.  wichtig  ist  nach  dieser  seite 
nur  die  rechtliche  Zerstörung  der  hauptstadt,  an  deren  stelle  eine  pro- 
vinz tritt,  darüber  brauche  ich  meine  früheren  ausführungen  weder  zu 
ändern  noch  zu  wiederholen. 

Die  zaiii  der  Aber  sonst  ist   es  gut  zunächst  Irrtümer  einzugestehn  und  zu  be- 

richtigen,   es  hat  also  niemals  hundert  demen  gegeben,  überhaupt  keine 


ausgeglichen  wären,  was  dann  freilich  liefeinschneidende  umgestallungen  des  reinen 
geschlechterstaates  voraussetzen  würde,  dann  wären  bereits  in  jeder  adelsphyle 
die  drei  landesteile,  Stadt,  binnenland  und  küste,  vertreten  gewesen,  also  zwölf 
compacte  massen  als  grundlage  für  die  dreifsig  trittyen  der  neuen  Ordnung,  und 
mit  den  drei  landesteilen  könnte  man  die  drei  parteien,  von  denen  die  küstenbevöl- 
kerung  wirklich  eine  ist,  oder  die  drei  stände,  von  denen  die  eupatriden  slädüsch 
sein  könnten,  auszugleichen  versuchen,  allein  ich  scheue  mich  vor  solchen  ledig- 
lich auf  die  zahl  gebauten  combinationen. 


Die  zahl  der  deinen.  149 

runde  zahl,  da  auf  die  zahl  nichts  ankam,  es  war  schon  peinlich  em- 
pfunden worden,  dafs  wir  die  Vermehrung  der  demen  über  hundert  hinaus 
nicht  nur  nirgends  überliefert  hatten,  sondern  auch  so  sehr  bald  nach  Klei- 
sthenes,  noch  in  themistokleischer  zeit,  ansetzen  mufsten.  aber  wir  ver- 
harrten doch  auf  dem  wege,  weil  wir  die  trittyen  verkannten,  und  wir 
verliefseu  uns  auf  die  angäbe  über  die  hundert  eponyme,  die  wir  um 
des  Kephalos  und  Araphen  willen  für  die  der  demen  hielten,  wenn  wir 
jetzt  die  Überlieferung  ansehen,  müssen  wir  wol  zugestehn,  dafs  wir  den 
fehlschlufs  durch  schärfere  Interpretation  hätten  vermeiden  können'), 
und  dafs  ein  zeugnis  wie  TLävoip'  rJQcog  ^zTixög,  zal  tv  rolg  irtw- 
vv(.Loig^)  eigenthch  ausreichen  sollte,  jene  combination  zu  verbieten,  da 
Panops  ja  der  eponymos  eines  brunnens,  nicht  eines  demos  ist.  wenn 
die  Pythia  anders  gewählt  hätte,  würden  wir  etwa  statt  einer  Antiochis 
und  Oineis  eine  Panopis  und  Araphenis  haben,  dafs  einzelne  von  der 
Pythia  verworfene  namen  für  gemeindeheroen  verwandt  sind,  kann  nicht 
befremden;  stehen  doch  neben  einem  Oineus  als  phylenheros  noch  zwei 
demenheroen  gleichen  namens,  und  ob  das  schon  vor  507  drei  ver- 
schiedene personen  waren,  ist  sehr  fraglich,  beherzige  man  aber,  dafs  die 
Chronik  in  der  läge  war,  die  vorschlagHste  mitzuteilen,  die  Kleisthenes 
nach  Delphi  geschickt  hatte,  das  ist  sowol  für  die  gute  ihres  materiales 
ein  wichtiges  document  wie  für  die  bedeutung,  die  mau  diesen  personen 
beilegte,  die  uns  doch  zumeist  leere  namen  sind,  aufser  der  falschen 
auffassung  der  hundert  heroen  hat  die  corruptel  der  Herodotstelle  irre 
geführt,  und  es  trifft  sich  glücklich,  dafs  sie  gerade  jetzt  mit  hilfe  einer 
attischen  Urkunde  verbessert  ist,  ein  ziel,  nach  dem  viele  gute  schützen 
vergeblich  geschossen  hatten.  Herodotos  hat  von  Kleisthenes  erzählt 
(5,  69)  Tag  cpvXag  {.uxovvöfxaae  xai  £7tolr]aE  Tckevvag  «^  slaoaoviov, 
öiy.a  T€  dij  (pvXaQxovg  ccvti  reooiQwv  STtoir^os,  dey.a(^jia)  öl  Y.al  toig 
öri(.iovg  KaTsvsfAev  kg  tag  cpvXäg.^)    darin  hegt  nur,  dafs  er  die  demen 


8)  Das  Zeugnis  der  Atthis,  das  wir  zu  der  stelle  angeführt  haben  (vgl.  auch 
oben  I  225),  zählte  die  10  phylenheroen  auf:  lovrovs  yaq  e|  ovoftktoov  shutov  6 
d^scs  i^els^aro.  unmöglich  könnten  den  übrig  bleibenden  90  die  hundert  demen 
entsprechen. 

8)  Phot.  Hesych  s.  v.  haben  dies  nicht,  aber  sonst  mehr,  die  glosse  ist  be- 
stimmt für  den  anfang  von  Piatons  Lysis,  wo  die  nävonos  xqi^vt]  erwähnt  wird. 
nävoip  ist  nebenform  von  Uavonevs:  denn  die  Ilavom^is  A'iylrj,  die  geliebte  des 
Theseus,  werden  wir  lieber  in  Athen  als  in  Phokis,  in  Panopeus,  suchen. 

9)  Die  ergänzung  oder  besser  Wiederholung  von  zwei  buchstaben  hat  das 
schöne    psephisma    von    405  für  Samos  gelehrt  (z.  31,   JeXr.  uq^.   89,  26)   velfiai 


150  II.    6.  Trittyen  und  demen. 

in  zehn  teilen  den  phylen  zuwies;  die  demen  dachte  Herodot  als  vor 
Kleisthenes  bereits  vorhanden,  das  wufste  die  Atthis,  wie  natürlich, 
hesser;  aher  die  einfache  Wahrheit  zu  sagen  konnte  sie  sich  nicht  mehr 
entschhefsen.  wir  sehen,  dafs  Kleisthenes  teils  wirkliche  dörfer  mit  Orts- 
namen zu  demen  machte,  Aixone,  Rhamnus,  Acharnai,  teils  alte  geschlechter- 
namen  für  gemeinden  wählte,  gewifs  weil  dort  angehürige  der  geschlechter 
wohnten  oder  gewohnt  hatten ,  Kothokidai  Aithahdai  lonidai,  dies  sogar 
in  einzelnen  fällen  trotzdem,  dafs  die  geschlechter  einen  Ortsnamen  neben 
sich  hatten,  wie  Paionia  neben  Paionidai,  Kropeia  neben  Kropidai.'**)  in 
diesen  letzteren  fällen  war  eine  feste  siedelung  vielleicht  sehr  oft  nicht 
vorhanden;  die  gemeinde,  ör^f-wg,  verlangt  sie  so  Avenig  wie  die  y.wfn^. 
dafür  war  ein  eponymer  ahnherr  des  geschlechtes  im  namen  gegeben. 
wenn  auch  sehr  oft  ein  fictiver.  die  alten  dörfer  hatten  vielfach  einen 
längst  zu  einer  wirklichen  persou  ausgebildeten  eponymos,  wie  Kephale 
Melite  Gargettos,  andere  wie  Rhamnus  oder  flahmus  schwerlich,  *^Dorn ' 
und  "Stranddistel'  passen  dazu  recht  schlecht,  als  sie  zu  gemeinden 
wurden,  bedurften  sie  eines  gemeinsamen  cultes.  der  träger  des  re- 
ligiös gefal'sten  gefühles  der  Zusammengehörigkeit  war  der  i]QO}g  y,TlGT7]g, 
und  da  diese  gemeinschaft  so  sehr  bedeutend  ward,  ist  auch  der  heros 
an  bedeutung  gewachsen;  doch  war  es  zu  spät,  als  dafs  die  sage  noch 
kräftig  wucherte,  und  in  Rhamnus  z.  b.  hat  er  es  nicht  einmal  zu  einem 
wirkUchen  namen  gebracht.'')  so  sehen  wir  die  dinge  an.  aber  weder 
der  glaube  noch  der  rationalismus  konnte  das  tun.  für  sie  alle  beide  war 
der  heros  uralt,  hatte  längst  vor  Kleisthenes  gelebt  und  die  gemeinde 
gegründet;  wenn  Kleisthenes  notorisch  sie  nicht  mehr  als  existirend  vor- 
gefunden hatte,  so  hatte  er  sie  doch  nur  restituirt.  es  traf  sich  dafür 
gut,  dafs   die   neugründungen  meistens  gentihcische  namen  trugen,   so 


avroiie  .  .  eis  rovs  Sr^fiovs  xai  ras  ^vXas  Sexa^a.    LoUing,  der  nur  die  gramma- 
tische bildung  (a>s  xqi%a  tixqa%a)  verkannte,  gebührt  das  verdienst  der  eraendation. 

10)  Die  alten  römischen  tribus  können  uns  am  besten  lehren,  wie  ein  ge- 
schlecht und  ein  stück  der  flur  homonym  sein  können,  in  Attika  sind  selbst- 
verständlich gar  nicht  alle  solche  localgentilicischen  namen  zu  gemeinden  geworden, 
z.  b.  die  ^ExeUSai,  so  wenig  wie  alle  dörfer,  Movvix^a,  Bqavqmv,  oder  Auren, 
"AxaSrifieia,  die  einen  heros  besafsen.  bei  den  stattlicheren  dörfern,  wie  den  beiden 
genannten,  fragen  wir  natürlich  nach  dem  gründe  und  finden  ihn  auch,  da  die  er- 
klärung  in  der  kleisthenischen  zeit  selbst  gesucht  werden  mufs. 

11)  CIA  II  1191,  Inschrift  eines  sesselpares  Ieqevs  tj^co  aQyriyiiov.  so  war  in 
Daulis  ein  heiligtum  eines  r^qco'i  aQxrjysirjs ,  den  man  sich  bewaffnet  dachte  wie  alle 
heroen,  aber  unbenannt  gelassen  hatte,  dann  kamen  die  mythographen  und  suchten 
nach  einem  namen,  Pausan.  X  4,  10. 


Die  zahl  der  demen.     Pandionis.  151 

dafs  für  sie  der  heros  vorhanden  war;  dafs  er  eigentlich  der  ahnherr 
eines  geschlechles  war,  das  inöghcherweise  noch  bestand,  davon  mochte 
man  nichts  wissen.  Aristoteles,  der  ja  an  der  historischen  existenz  selbst 
von  Theseus  und  Herakles  nicht  gezweifelt  hat,  giebt  diese  erklärung 
getreuhch  wieder  "^"^er  benannte  die  demen  zum  teil  nach  den  örtlich- 
keiten (Rhamnus  Peiraieus  Eleusis),  zum  teil  nach  den  gründern  (den 
eponymen.  Titakos,  Paion,  Butes),  denn  local  bestanden  sie  nicht 
mehr  alle''. 

Der  zweite  hauptirrtum,   der  berichtigt  wird,  geht  mich  ganz  per-       Die 

sttidtisctiCQ 

sönhch  an.  auch  in  der  modification ,  die  ich  ihr  gegeben  habe,  ist  demen. 
Sauppes  lehre  von  den  zehn  städtischen  demen  nicht  richtig,  aber  es 
steckte  in  ihr  doch  etwas  richtiges,  es  sind  nur  nicht  zehn  städtische 
demen  gewesen,  sondern  zehn  städtische  trittyen;  ich  hatte  eine  davon 
auch  schon  ganz  richtig  bestimmt  (Herm.  22,  124),  und  hätte  wol  das 
wahre  gefunden,  wenn  ich  den  bericht  des  Psellos  (d.  h.  den  auszug  aus 
der  aristotelischen  stelle)  nicht  übersehen  hätte.  natürUch  ist  nun  aber 
nicht  mehr  nötig,  dafs  jeder  Stadtkreis  ein  stück  des  landes  umfasse,  das 
Themistokles  in  seinen  mauerring  gezogen  hat. 

Hinfort  stellt  sich  die  topographische  aufgäbe  so,  dals  eine  karte  Topogra- 
von  Attika  hergestellt  werde,  auf  der  die  drei  provinzen  und  die  je  zehn  ^  'gäbe. 
kreise  deutlich  hervortreten,  und  innerhalb  dieser  die  gemeinden,  die 
aussiebten  auf  deren  fixirung  sind  stark  gewachsen,  so  will  ich  denn 
den  versuch  wagen ,  den  ersten  anhieb  zu  diesem  werke  zu  tun,  sicher 
überzeugt,  manchen  fehlhieb  zu  tun,  wie  ich  es  bisher  getan,  es  kommt 
mir  aber  mehr  auf  das  grofsere,  die  kreise  an,  als  auf  die  gemeinden, 
wenn  Aristoteles  ganz  genau  geredet  hätte,  so  müfste  jede  gemeinde,  die 
wir  fixiren,  zugleich  auch  einen  kreis  an  einem  punkte  fest  legen;  es 
wird  sich  aber  sogleich  zeigen,  dafs  er  nur  die  regel  angegeben  bat, 
von  der  es  sehr  bedeutende  abweichungen  gab. 

Von  der  Pandionis  sind  die  trittyen  alle  drei  überliefert  durch  die  Pandionis. 
prytanenhste  H  871  und  den  grenzstein  des  hafens  IV  p.  120,  517\ 
Paiania  Myrrhinus  K(ydathenaion):  dafs  der  letzte  name  so  richtig  er- 
gänzt ist,  folgt  aus  der  forderung  eines  städtischen  demos.  Paiania  und 
Myrrhinus  hegen  beide  im  binnenlande;  aber  es  braucht  ja  nicht  der 
Vorort  eines  kreises  am  meere  zu  liegen,  wenn  es  nur  der  kreis  tut, 
und  neben^  Myrrhinus  liegen  Steiria  und  Prasiai.  zwei  prytanenlisten 
der  phyle,  H  865  und  Jekr.  89,  18  sind  nach  trittyen  geordnet,  denn 
865  wird  am  köpfe  der  ersten  coliimne  Mvqqlvovolol,  im  Jelr.  Kv- 
daS-rjvairjg   am   köpfe   der  letzten  sicher  ergänzt,     danach  können  wir 


152  II.    6.  Trittyen  und  deinen. 

Oa  und  Kontliyle  neben  Paiania,  Angele  neben  Myrrhinus  mit  Sicherheit 
ansetzen.'*)  aber  aus  der  umgegend  der  Stadt  gibt  es  keinen  zweiten 
demos  der  Pandionis,  und  zu  ihrer  trittys  gehört  Probalinthos  aus  der 
tetrapobs.'^)  damit  ist  sofort  eine  ausnähme  der  regel  festgestellt.") 
eine  andere  bilden  die  Graes  in  dem  stücke  der  rgat^rj,  das  Athen 
nicht  mit  Oropos  verloren  und  dann  zu  den  gemeinden  rQarjg  und  '*Pacpis 
gemacht  zu  haben  scheint,  von  denen  dieses  zu  dem  benachbm'ten  kiisten- 
kreise  der  Aiantis  kam,  jenes  zur  Pandionis.  diese  kleinen  demen  scheinen 
nämhch  nicht  kleisthenisch  zu  sein,  endlich  wird  Kytherros,  nach  Apollo- 
doros  bei  Strabon  eine  der  zwölf  Städte,  also  sicher  eine  alte  bürg,  so 
unbedeutend  die  gemeinde  auch  war,  in  dem  landkreisc  zu  suchen  sein ; 
da  nwls  die  ortsforschung  ansetzen. 
oineis.  Sicher   sind   auch   die   kreise   der  Oineis,   denn  Lakiadai   gibt  der 

grenzstein  1  500,  Thria  IV  51 7^  und  dafs  Acharnai  der  vorort  des  land- 
kreises  ist,  oder  vielmehr  ihn  so  gut  wie  ganz  darstellt,  folgt  aus  der 
ganz  einzigen  grüfse  dieser  gemeinde,  die  im  Jahre  360/59  mit  22  manu 
im  rate  sal's,  also  viel  mehr  als  einem  drittel  der  phyle  zukommt  (II  868, 
nicht  nach  trittyen  geordnet).'^)  Thria  repraesentirt  den  küstenkreis,  zu 
dem  sicher  Oie  und  Phyle  geboren ,  so  dafs  er  sehr  wenig  küste  und 
auch  nicht  einmal  einen  schlechten  hafen  hat,  aber  bis  in  das  hoch- 
gebirge  reicht,  zu  den  Lakiaden  geboren  noch  als  gemeinden  des  stadl- 
kreises  die  Butaden  Kothokiden'®)  Epikephisia'")  und  Lusia'^);  in  die 
thriasische  ebene  wol  noch  die  Perithoiden.''-") 


12)  Für  dessen  läge  felüten  auch  bisher  nicht  ganz  die  anhaltspunkte,  Milch- 
höfer,  text  zu  den  karten  III  10. 

13)  So  auf  der  liste  des  JsItiov  und  863  nach  einer  schönen  cmendation 
Köhlers. 

14)  Die  liste  873  hatte  mehr  als  drei  columnen.  sie  beginnt  mit  13  männern 
des  landkreises,  richtig  mit  Paiania  anfangend,  dann  folgen  13  des  küstenkreises, 
aber  Myrrhinus  folgt  erst  nach  Prasiai  und  Angele,  dann  4  Probalisier  (hergestellt 
von  Wilhelm  Herrn.  24,  173):  die  Ordnung  war  also  gestört. 

15)  Die  köhler  von  Acharnai  belehren  uns  darüber  mit  Sicherheit,  dafs  das 
gemeindeland  nördlich  bis  an  den  Parnes  hinauf  reicht,  denn  in  der  ebene  war 
kein  wald. 

16)  Da  diese  beiden  zu  derselben  phratrie  gehören,  die  phratrien  auch  einiger- 
mafsen  localen  Charakter  haben,  und  ein  grundstück  des  königs  Apheidas  in  Kotho- 
kidai  liegt  (CIA  II  785),  die  Butaden  selbstverständlich  städtisch  sind,  so  habe  ich 
diesen  ansatz  schon  früher  vertreten;  nur  local  können  wir  nunmehr  erst  diesen 
kreis  festlegen,  da  die  Lakiaden  an  der  Kephisosbrücke  sicher  gewohnt  haben. 

17)  Diese  läge  hatte  Diltenbcrger  zu  Syll.  298  bestimmt;  ich  habe  deshalb  den 
gedanken  an  den  Ihriasischen  Kephisos  aufgegeben. 


Hippothontis.  153 

Von  der  Hippothontis  gibt  der  grenzstein  des  hafens  I  517  die  trit-  Hippo- 
tyen  Eleusis  und  Peiraieus.  an  diesen  grenzen  Koile  Keiriadai  Thymai- 
tadai  Korydallos:  das  ist  der  Stadtkreis;  von  der  künftigen  bedeutung  des 
hafens  konnte  Kleisthenes  nichts  ahnen,  immerhin  war  Thymaitadai  ein 
alter  hafenplatz,  und  Munichia,  dessen  namen  er  durch  Peiraieus  ersetzte, 
eine  aUe  inselburg,  die  so  viel  maritime  bedeutung  gehabt  haben  mufs, 
wie  der  hauptort  des  küstenkreises  Eleusis,  der  sich  wie  der  thriasische 
neben  ihm,  bis  auf  den  kämm  des  gebirges  erstreckte,  denn  Oinoe  ge- 
hört dazu;  dazwischen  wird  noch  ein  oder  der  andere  geringe  demos 
liegen^"):  das  alteleusinische  reich  war  ungleich  stärker  centralisirt  als 
das  kekropische  Athen,  den  charakter  des  küstenkreises  hat  Kleisthenes 
in  dieser  phyle  durch  eine  sehr  starke  abweichung  von  der  localen  Zu- 
sammengehörigkeit bewirkt,  indem  er  Azenia,  nahe  bei  Sunion,  zu  Eleusis 
in  dieselbe  trittys  versetzte,  die  landtrittys  wird  durch  Dekeleia,  nach 
dem  wir  sie  benennen  können,  sammt  seinem  Oion  und  Sphendale  sicher 
bestimmt;  auch  hier  müssen  noch  ein  par  kleine  gemeinden  gelegen 
haben,  zu  denen  die  der  wilden  birnbäume,  Acherdus,  wol  sicher  gezählt 
werden  darf.^') 

Von  der  Akamantis  ist  die  städtische  trittys  der  Kerameer  bezeugt 
(I  500);  das  andere  ist  aber  so  schwer,  dafs  die  antwort  erst  nach  be- 
sprechung  aller  anderen  phylen  versucht  werden  kann. 


18)  II  834''  II  59  werden  für  einen  bau  im  städtischen  Eleusinion  3  traciUen 
yri  Z-mqäs  verrechnet,  a  V-\i  dr.  inclusive  transport,  und  40  trachten  yi]  ylovaiäs 
zu  demselben  preise,    also  war  Lusia  schwerlich  weiter  als  das  axiqov  in  Lakiadai. 

19)  Nach  einer  schönen  Vermutung  TöpfTers  (Att.  Geneal.  109)  war  ein  mann 
ÜEQid'oiSris  xcöv  Sri/xcov,  <PiXievs  tfjv  (pQaxQiav,  KoiqojvCStjs  t6  yevos  und  die  Ko'i- 
roniden  scheinen  an  die  ^etroi  zu  gehören,  sicher  ist  das  freilich  nicht;  man  möchte 
nur  lieber  auf  die  weite  strecke  im  westen  einen  demos  mehr  bringen  als  auf  das 
fleckchen  neben  der  stadt. 

20)  Von  diesen  weist  Milchhöfer  s.  33  die  AvQidai  auf  ländlichen  grabsteinen 
nach,  an  der  heiligen  strafse  gefunden,  ich  weifs  nicht,  ob  sie  demselben  demos 
angehören  können  wie  das  dorf  Magula,  nördlich  von  Eleusis:  dort  ist  ein  phylen- 
beschlufs  gefunden  (Mitteil.  Ath.  X  111),  natürlich  der  Hippothontis.  der  heros, 
Kerkyons  söhn,  gehört  in  diese  gegend.  weil  sein  heiligtum  hier  war,  haben  wir 
keine  prytanenlisten  und  phylenbeschlüsse  seiner  phyle  aus  der  stadt.  II  567''  ist 
ein  solcher,  im  Asklepieion  gefunden;  es  steht  aber  auch  darin,  dafs  er  dort  und 
in  dem  Hippothontion  anfgestellt  werden  sollte;  Pausanias  erwähnt  dieses  an  der 
heiligen  strafse  noch  vor  der  Kephisosbrücke  (1  38,  4).  der  stein  war  also  sicher 
nach  Magula  verschleppt. 

21)  Die  Vermutung  von  Dragumis  Anakaia  in  der  flur  Anakasa  nördlich  der 
Stadt  zu  finden  (Ad^riv.  X  50)  ist  beseitigt. 


154  II.    6.  Trittyen  und  demen. 

Aigeis.  Überliefert  ist  noch  ein  trittyen name,  ^E/taKQiig^^) ,  nicht  identisch 

mit  einem  demos,  sondern  mit  einem  alten  cultverbaode,  an  dem  drei 
spiilere  gemeinden  teil  nahmen,  von  denen  \\\r  Plotheia  aus  der  Aigeis 
und  Semachidai  aus  der  Antiochis  kennen.  Plotheias  läge  ist  bei  Palaeosla- 
mata  gesichert,  für  beide  demen  als  hauptcult  der  des  Dionysos,  und 
so  wird  man  als  dritten  demos  der  Epakria  das  unweit  Plotheia  gelegene 
Ikaria  anerkennen,  das  noch  heute  nach  Dionysos  heifst."''^)  Jkaria  gehört 
auch  zur  Aigeis,  und  so  werden  die  Epakres  den  landkreis  dieser  phyU; 
bezeichnen,  von  dem  cultvcrbandc  hat  Kleisthenes  eine  gemeinde  ab- 
gerissen ,  ganz  wie  er  es  mit  der  tetrapolis  von  Marathon  und  der  des 
Peiraieus  gethan  hat.  der  küstenkreis  der  Aigeis  ist  sehr  deuthch;  er 
setzt  südlich  an  die  tetrapolis  (Probalinthos)  an  und  reicht  bis  zu  der 
alten  Peisistratidenburg  Brauron,  die  als  gemeinde  zerschlagen  ward  wie 
die  hauptstadt.  Philaidai,  Araphen  mit  seinen  lagunen  {l4lal}  Phegai;), 
Myrrhinutle  stehn  hier  fest;  hinzutritt  Otryne,  von  dem  nur  die  läge  am 
meere  bekannt  war. -^)  es  wird  aber  schwer  diesen  küstenkreis  von  dem 
landkreise  zu  scheiden,  weil  sie  aneinauderstofsen.  denn  fest  localisirte 
demen  der  Aigeis  sind  noch  Herchia  (Spata)  und  Gargettos  mit  lonidai.''^) 
da  Gargettos  am  südabhange  des  Brilettos  liegt,  Plotheia  nordöstlich  von 
ihm,  Herchia  weit  südöstlich,  an  Araphen  etwa  stofsend,  so  ist  hier  ein 


22)  I  617''  hergestellt  von  Dittenberger  aus  dem  nur  all  zu  verstümmelten 
Pachtverträge  11  1053.  die  herstellung  von  rQiTrva^]xoi.  ist  unsicher,  z.  b.  S^- 
fiaQ]xot.  auch  möglich,  so  dafs  ich  im  folgenden  von  ihr  absehe. 

23)  Demenstatut  von  Plotheia  II  570.  die  z.  30  erYk-ähntcn  'EnaxQrjs  sind 
nicht  die  trittys,  sondern  die  tripolis,  denn  sie  haben  ts^ä.  von  z.  33  ist  zu  schreiben 
(ich  bezeichne  nur  weitere  ergänzungen)  xnl  es  rd  Is^a  io.  xoivä,  iv  oaoiaiv  iari- 
cövrai.  JlXcod'jie  olvov  Tia^äxev  rßm'  sy.  zö  yowd,  es  fisv  t«  äXXa  Iequ  fisxQi  [fjfiixo, 
SO  Wilhelm]  mäaTon,  zols  TcuQcai  UXcod'tcov,  [es  Jtovvaia  Se]  SiSaaxäXcoi  xä[Sov. 
es  handelt  sich  um  die  spiele,  die  wir  aus  den  demenurkunden  von  Ikaria  kennen, 
die  Zugehörigkeit  der  Semachiden  zur  Epakria  und  ihre  dionysische  legende  gibt 
Philochoros  bei  Sleph.  Byz.  s.  v.  dafs  die  Epakria  eine  dreisladt  war,  sagt  die 
sicher  aus  der  Atthis  stammende  glosse  Et.  M.  Suidas  (quelle  das  Photiusglossar) 
^EnavcQia.     Strabon  397  tritt  bestätigend  hinzu. 

24)  Durch  seine  hechte,  Antiphanes  im  Timon.  ich  mufs  mich  anschuldigen 
lediglich  im  vertrauen  auf  eine  alte  karte  Kieperts  Otryne  an  den  Korydallos  gesetzt 
zu  haben;  das  hat  keine  gewähr. 

25)  Man  wird  jetzt  nicht  zweifein,  dafs  der  eponymos  "Icov  6  ra^yj]rrov  war 
(Pausan.  VI  22,  7).  der  vater  der  vier  phyleneponyme  pafst  auch  so  wenig  zum 
demenheros  wie  der  phyleneponymos  Oincus  mit  den  demenheroen  gleichen  namens 
gleichgesetzt  wird,  wenn  Avy,cov  AvtoXvhov  ßo^ixios  im  schol.  Plat.  Apolog.  23"= 
^liov  yivos  heifst,  so  kann  ich  darin  nur  die  Insinuation  der  fremden  herkunft  sehn, 
nicht  das  geschlecht,  das  ^IcoviSiqs  lauten  müfste. 


Aigeis.    Kekropis.  155 

bedeutender  bezirk  für  die  phyle  festgelegt,  zum  teil  im  gebirgslande,  wo 
das  dorf  des  haidekrautes  ^EgUeia  sehr  gut  pafst,  zum  teil  in  frucht- 
barem lande  gelegen:  da  mag  man  sich  die  heimat  der  Teithrasier  und 
der  Kydantiden,  also  des  Nikias,  denken,  die  städtischen  demen  sind 
bekannt;  Kolonos  hippios  Bäte  Diomeia  Ankyle-"),  das  sich  bis  an  den 
Hy mettos  zog,  sehr  passend  das  wellige  unfruchtbare  land  bezeichnend, 
durch  das  man  jetzt  vom  Engelskloster  nach  Kaesariani  geht,  das  ist  ein 
strich,  von  der  Akademie  an  die  nordseite  und  nordostseite  der  themisto- 
kleischen  Stadt  umfassend,  hinzutritt  aber  der  innerhalb  der  mauern, 
wenigstens  zumeist,  gelegene  Kollytos. -^) 

Nun  ist  nur  noch  ein  zweifelhafter  trittyenname  überliefert,  'Pconlrig, 
der  nichts  lehrt. -^)  aber  die  sonderung  der  kreise  geht  gerade  in  einigen 
phylen,  von  denen  nichts  direct  überliefert  ist,  sehr  leicht,  so  hat  die 
Aiantis  nur  das  eine  Phaleron  als  städtische  gemeinde  und  städtischen  Aiantis. 
kreis,  alle  andern  gemeinden  liegen  im  nordosten,  Aphidna  mit  Titakidai 
Thyrgonidai  Perrhidai  mag  den  landkreis,  Rhamnus  mit  Psapbis,  Marathon 
mit  Oinoe  und  Trikorythos  den  küstenkreis  bilden ;  doch  ist  die  sonderung 
dieser  beiden,  die  aneinander  slofsen,  nicht  sicher. 

Die  Kekropis  hat  als  Stadtkreis  Melite  und  Xypete,  als  landkreis  Kekropis. 
den  fruchtbaren  strich  nördUch  und  östhch  von  Turkovuni  nach  dem 
südwestabhange  des  Brilettos  zu,  doch  so  hoch  hinauf,  dafs  die  quelle  des 
Kephisos  noch  dazugehört,  denn  sie  war  in  Trinemeia-^);  die  demen 
sind  Athmonon  Phlya  Pithos  Sypalettos  (CIA  IV'  p.  134),  vielleicht  auch 
Daidalidai.^")     den  küstenkreis  bildet  Aixone  mit  seinen  Halai.^') 


26)  Aus  Alkiphron  II  43  folgt  nur,  dafs  Ankyle  vorstädtisch  war,  nichts  für 
die  läge,    die  biiefe  des  albernen  rhetors  sind  pasticci  von  redner  und  komikerstellen. 

27)  Die  prytanenlisten  II  329.  870.  872  helfen  nicht  weiter,  ich  hatte  übersehen 
und  trage,  gemahnt  durch  Milchhöfer  s.  15  nach,  dafs  Rofs  durch  die  Verbesserung 
eines  Isaiosbruchstückes  (Harp.  Suid.  roixs'falos)  Hesliaia  neben  Ankyle  richtig 
angesetzt  hatte. 

28)  Hesych  ^aTÜriS'  rcöv  tqixtvcöv  ns  y.ai  naroicöv  o\x(o  xaleirai.  als  wirk- 
licher name  ist  es  der  form  nach  nicht  recht  glaublich,  als  Spitzname  könnte  es 
wol  bei  einem  komiker  stehn. 

29)  Strabon  400.  da  wir  nun  Trinemeia  (den  ort  wo  drei  Weideplätze  zu- 
sammenstofsen)  in  contact  mit  Athmonon  bringen  müssen,  folgt,  dafs  im  altertum 
nicht  der  längste  und  geradeste  bach  den  namen  des  Kephisos  trug,  denn  der  kommt 
vom  Parnes,  nicht  vom  Brilettos.  dasselbe  folgt  aus  dem  namen  Kephisia,  denn 
dieser  ort  liegt  jetzt  nicht  am  Kephisos. 

30)  Der  Steinmetz  Daidalos  konnte  sowol  am  Brilettos  wie  am  Turkovuni  ar- 
beit finden;  hier  möchte  ich  ihn  lieber  unterbringen,  weil  Sokrates  von  Alopeke 
irgendwelche  gentilicische  beziehungen  zu  ihm  hat  Plat.  Euthyphr.  11. 


156  n.    6.  Trittyen  und  demen. 

Krcchthcis.  Die  Erechtlicis  hat  als  Stadtkreis  Agryle  und  südlich  davon  Pergase  ^''), 

die   wie  das   nürdlich   daranstofsende  Ankyle  in  eine  obere  und  untere 
gemeinde   sich   sondern;    als  landkreis  Kephisia   mit  Euonymon");   als 
küstenkreis  Lamptra  und  Anagyrus.    an  eine  dieser  gruppen  müssen  sich 
die  wenig  bedeutenden  unbestimmten  gemeinden  angliedern. ^^) 
Leontis.  Von  der  Leontis  war  der  landkreis  als  ein  zusammenhängendes  stück, 

der  nordwesten  der  attischen  ebene  an  den  abhängen  des  Aigaleos,  be- 
kannt, da  Kropia  durch  Thukydides  (II,  19)  als  die  einsattelung  bestimmt 
war,  durch  die  jetzt  die  eisenbahn  geht,  woran  dann  östlich  Paionidiu 
(mit  Lcipsydrion  am  Parnes),  südlich  Aithalidai  Eupyridai  Pelekes  ansetzen  ; 
ob  hieher  noch  das  Oion  {oßiov  die  schalhürde,  die  xalvßia)  der  Keramot  r 
gebort  oder  schon  zur  Stadt,  mufs  unsicher  bleiben,  den  städtischm 
kreis  kennen  wir  durch  Skambonidai  und  Hahmus.  der  küstenkreis  setzt 
den  der  Pandionis  südlich  fort,  Potamos  mit  Deirades  bis  Sunion;  doch 
sitzt  Thorikos  von  der  Akamantis  eingesprengt,  notwendig  haben  hier 
noch  wichtige  demen  gelegen,  da  es  der  hauptdistrict  der  bergwerke  ist. 
es  stehen  auch  noch  namen  zur  Verfügung,  Phrear,  Cholleidai,  Leukonoe; 
aber  ich  finde  keine  Sicherheit;  die  hsten  (II  864  prytanen;  943  diaeteten. 
Mitt.  Ath.  X,  105;  11 1001, 1040, 1049)  sind  nicht  nach  trittyen  geordnet. 3') 


31)  Die  prytanenliste  II  866  kann  die  tiittyennamen  geben;  sie  beginnt  die 
columnen  mit  <PXvr}s  "^Akaiijs  Ms).{i,rfis\,  wie  sicher  ergänzt  werden  mufs. 

32)  TiQiv  yaq  eliai  UsQyaai/aiv  svbov  iv  Tals  sjußäaiv,  sagt  der  sclave  in  den 
Rittern  321.  der  ort  mufs  also  der  Stadt  ganz  nahe  sein;  das  ziel  des  sclaven  ist 
selbst  dem  dichter  unbekannt  gewesen. 

33)  Die  ephesische  pbyle  Eimwuoi  hat  mit  Athen  natürlich  nichts  zu  tun ; 
sie  sind  die  ''boni  nominis^;  die  gemeinde  heifst  nach  dem  linken  ufer.  die  win- 
dige combination  hat  Ephoros  blofs  auf  den  namen  hin  ersonnen  (bei  Steph.  Byz. 
Bivva ;  der  name  des  lemmas  ist  corruptel  von  BiXßiva,  wie  die  ephesischen  steine 
gelehrt  haben),  weder  für  Ephesos  noch  für  die  attische  gemeinde  hat  das  irgend 
welchen  vcert.  die  genealogien  bei  Steph.  Byz.  Evcovvfisia  hat  Geffcken  de  Steph. 
Byz.  51  geordnet. 

34)  Milchhöfer  s.  13  versucht  localisirungen,  von  denen  die  von  Kedoi  und 
Pambotadai  in  dem  küstenkreise  einige  Wahrscheinlichkeit  haben. 

35)  Milchhöfer  s.  21  hat  auf  grund  der  entdeckung  Töpflers,  dafs  die  Kephalos- 
sage  aul'ser  bei  Thorikos  auch  am  Aigaleos  localisirt  war  (Att.  Geneal.  258),  meine 
entdeckung,  dafs  die  eponymen  von  Leukonoe  und  Ptelea  in  diese  sage  verflochten 
sind,  die  ich  deshalb  in  die  nähe  von  Thorikos  brachte,  so  verwandt,  dafs  er  Leu- 
konoe auf  die  ostseite  des  Aigaleos  bringt,  Ptelea  auf  die  Westseite,  und  da  dieser 
demos  der  Oineis  gehört,  pafst  er  in  der  tat  in  das  thriasische  gefilde.  ich 
schliefse  mich  dieser  combination  an.  auch  seine  Vermutungen,  dafs  Cholleidai,  die 
heimat  des  Dikaiopolis,  in  den  landkreis,  Phrear,  die  heimat  des  Themistokles  (der 


Leontis.     Antiochis.  157 

eine  abweichung  von  dem  prinzipe  der  localen  kreise  ist  zudem  sicher: 
Hekale  gehört  zur  Leontis  und  lag,  wir  wissen  nicht  wo,  aber  so,  dafs 
Theseus  auf  dem  wege  von  der  Stadt  nach  Marathon  dort  nachtquartier 
machen  konnte,  also  sicherlich  aufser  contact  mit  den  übrigen  demen. 
den  Kleisthenes  hat  hier  wieder  die  tendenz  geleitet  die  alte  cultgenossen- 
schaft  des  Zeus,  deren  cenlrum  Hekale  war,  zu  sprengen.^®)  wir  wissen 
nur  noch  nicht,  welche  gemeinden  sonst  an  ihr  teil  hatten. 

Schwieriger  stellt  sich  die  Antiochis.  ^^)  zwar  für  den  Stadtkreis  Antiochi 
haben  wir  Alopeke  und  den  Kolonos  des  marktes,  und  der  küstenkreis 
ist  durch  Thorai^*)  Aigilia  Anaphlystos  gegeben,  mit  denen  man  bequem 
die  landeinwärts  anstofsenden  Besä  Atene  und  Amphitrope  verbindet, 
aber  wo  bleibt  der  landkreis?  Melainai  am  Kithairon,  vereiuzelt  an  dem 
küstenkreis  der  Hippothonlis  klebend,  betrachte  ich  als  eine  Schöpfung 
<ler  zeit  nach  Kleisthenes,  wie  Graes  und  Psaphis.  Semachidai  in  der 
Epakria  ist  mit  absieht  von  dieser  losgetrennt,  und  mufs  so  angesetzt 
werden,  dafs  es  Pentele,  die  Steinbrüche  des  Brilettos,  also  seine  kuppe, 
angliedern  kann,  beides  sind  kleine  gemeinden.^)  die  hauptfrage  ist 
hier  die  ansetzung  von  Pallene,  um  die  durch  Brückners  gedankenreichen 
aufsatz  (Mitteil.  Ath.  XVI)  ein  streit  entbrannt  ist,  den  leider  die  kreistei- 
lung  nicht  sicher  entscheidet,  immerhin  ist  der  platz  in  der  nähe  von 
Gargettos  durch  die  Aigeis  occupirt,  eine  läge  im  anschlufs  an  Pentele 
und  Semachidai  nicht  wol  angängig,  dagegen  gehngt  es  Brückners  ansatz 
von  Pallene  in  Koropi  mit  der  südlichen  demengruppe  der  Antiochis  zu 
vereinen,  da  ein  vorkleisthenischer  Eroiade  ein  denkmal  erhalten  hat, 
das   in   den  Kalyvia   von  Kuvaraes   gefunden  ist.^")     und  nach  dem  ge- 

also  die  bergwerke  von  der  Heimat  her  kannte)  in  den  küstenkreis  gehöre,  sind  mir 
sehr  ansprechend,  doch  nur  so  weit  als  ich  sie  hier  reproducire.    fester  anhält  fehlt. 

36)  Zu  Hekale  kann  der  Kolonos  der  Leontis  gehören,  denn  bei  Kallimachos 
sagte  jemand  ex  fis  Ko).coväcov  Tis  öfieanos  rjyays  Si]uov  rcüv  era^av,    fgm.  428. 

37)  Die  prytanenliste  II  869  ist  nicht  nach  trittyen  geordnet. 

38)  Strabon  398  setzt  zwischen  Thorai  und  Aigilia  in  seiner  aufzählung  der 
küstenplätze  Lamptra.  in  der  tat  öffnet  sich  die  küste  zwischen  Vari-Anagyrus  und 
Phinikia-Aigilia  zweimal,  zwischen  den  bergen  Keramoti  und  H.  Dimitrios  und  bei 
dem  kirchlein  des  heiligen  dieses  namens,  wo  eine  alte  ansiedelung  bemerkt  ist. 
nur  kann  man  diese  schlecht  für  das  untere  Lamptra  halten  und  Thorai  westlich 
von  ihr  unterbringen,  und  sicherlich  hatte  die  alte  phylenordnung  diese  durch- 
brechung  nicht  beabsichtigt,  wenn  nicht  gar  ein  irrtum  vorliegt. 

39)  Die  existenz  der  gemeinde  Pentele  für  das  vierte  Jahrhundert  beweist  der 
metöke  Menes  nevrelr^ai  oixcüv  II  834"=  37. 

40)  Auf  dem  rätselhaften  steine  I  492  =  IV  p.  118  ist  wenigstens  A<«oos- 
eifii  rö  heqoiaSo  sicher. 


158  II.    6.  Trittyen  und  demen. 

schlechte  der  Eroiaden  ist  ein  demos  der  Antiochis  henannt,  wodurch 
für  die  ansetzung  des  gleichnamigen  der  Ilippothontis  nichts  gesagt  ist; 
das  gcschlecht  mochte  in  jeder  beliehigen  andern  ecke  des  landes  ein 
anderes  landgut  haben,  so  nnerfreulich  es  ist,  dafs  die  wichtige  frage 
mit  Zuversicht  nicht  erledigt  werden  kann,  bleibt  es  doch  wahrscheinlich, 
dafs  die  zahlreichen  gemeinden ,  die  in  dieser  gegend  der  laureotischen 
halbinsel  zur  Antiochis  gehören,  teilweise  ihrem  landkrcise. zufallen. 
Akamantis.  Nun  endlich  zu  dem  schwersten  probleme,  der  Akamantis.     aufser 

dem  Kerameikos  müssen  wir  zu  dem  Stadtkreise  noch  Hermos  rechnen, 
bestimmt  an  der  heiligen  strafse  westlich  von  Lakiadai  um  den  jetzigen 
bach  von  Chaidari,  der  nach  Hermos  hiefs,  gelegen,  aufserdem  sind 
Eiresidai  und  Iphistiadai  für  den  landkreis  durch  Piatons  testament  ge- 
sichert, noch  auf  das  hnke  Kephisosufer  mindestens  übergreifend,  am 
wege  nach  Kephisia,  also  etwa  wo  jetzt  die  eisenbahn  (station  Arakli 
und  vorher)  läuft,  der  landkreis  der  Kekropis  engt  dieses  stück  durch 
Sypalettos  und  Athmonon  von  norden  und  osten  ein,  im  nordwestea 
drängt  sich  Acharnai  heran,  von  Süden  die  städtische  provinz ;  nach  westen 
allerdings  kann  noch  ein  kurzer  streifen  als  frei  gelten,  ein  anderes 
zusammenHegendes  stück  landes  gehört  im  osten  der  Akamantis,  Agnus '*') 
Prospalta  Kephale  Sphettos"**^),  und  stufst  mit  Thorikos  an  das  meer.  so 
scheint  es,  und  man  weifs  dann  wieder  nicht,  soll  man  diese  landschaft, 
die  zum  teil  ganz  binnenländischen  Charakter  trägt,  um  Thorikos'  willen 
zum  küstenkreise  machen ,  oder  so  entlegene  stücke  wie  Agnus  und 
Eiresidai  zum  landkreise  vereinen,  es  kommt  hinzu ,  dafs  der  küsten- 
kreis  der  Leontis  sowol  Potamos  wie  Sunion  umfafst,  also  entweder 
Thorikos  von  seinen  nachbarn  gleicher  phyle,  Prospalta  Kephale,  ab- 
drängt, doch  nur  durch  einen  schmalen  streifen,  wo  es  dann  eine  enclave 
wird,  wie  Azenia  im  küstenkreise  der  Antiochis,  oder  aber  dem  demos 
Thorikos  die  küstenqualität  nimmt,   indem  etwa  die  dem  burgberge  von 


41)  Dies  eröffnet  eine  columne  in  dem  verstümmelten  prytanenverzeichnis 
II  867. 

42)  Brückner  Mitt.  Alh,  XVI  200.  für  die  kreisteilung  kommt  nichts  wesent- 
liches darauf  an,  ob  Milchhöfer  mit  der  bestreitung  dieses  ansatzes  recht  hat;  er 
hat  einige  beachtenswerte  einwände  erhoben.  —  entweder  in  die  umgegend  von 
Agnus  oder  in  die  von  Eiresidai  gehört  Kikynna:  also  hat  es  mit  Kynnes  nichts 
zu  tun.  die  darauf  gerichtete  Vermutung  von  Kirchner  (Alt.  et  Peloponn.  52)  ist 
auch  an  sich  falsch,  erstens  weil  Kynnes  nach  '.4Xai  Ai^coviSss  gehört,  nicht  nach 
Kixvvva,  zweitens  weil  zwar  Kvvvtjs  und  Kixvvva  mit  xicov  verbunden  werden 
können,  aber  wenn  sie  mit  einander  zusammenhiengen,  würde  nicht  blofs  eines  von 
beiden  reduplicirt  sein. 


Akamantis.    ergebnis.  159 

Theriko  vorgelagerte  halbinsel  diesem  nicht  gehörte,  und  um  das  übel 
voll  zu  machen,  ist  die  wichtige  heimatgemeinde  des  Perikles  Cholargos 
ganz  unbestimmt,     so  mufs  ich  hier  die  aporie  leider  offen  lassen."^) 

So  viele  einzelheiten  auch  noch  fraglich  bleiben,  in  der  hauptsache  Ergebois. 
ist  die  Organisation  klar,  die  drei  landesteile  entsprechen  ihrem  namen 
nur  so  ungefähr,  die  stadtprovinz  ist  westhch  durch  den  Korydallos  bis 
ziemhch  an  den  pafs  des  Pythion  hinan,  östlich  durch  den  Hymettos 
begränzt;  doch  ist  Aixone  an  dessen  südfufse  schon  nicht  mehr  hinein- 
gezogen, nach  norden  ist  die  grenze,  weil  sie  keine  natürliche  mehr 
ist,  unsicherer,  doch  läuft  sie  noch  nördlich  vom  Kolonos  und  Lykabettos. 
da  diese  provinz  an  das  meer  reicht,  unterbricht  sie  die  küstenprovinz. 
dieser  gehört  das  ganze  eleusinische  gebiet  bis  an  den  Kithairon ,  auf- 
geteilt an  zwei  phylen ,  VIII  und  VI,  dann  läuft  sie  als  ein  ziemlich 
schmaler  streifen  rings  um  Attika  bis  an  die  oropische  grenze;  die  phylen 
folgen  sich  von  Aixone  an  in  der  folge  VII,  I,  X,  IV,  V,  III,  II,  IX. 
es  ist  ganz  klar,  dafs  diese  üaga/da  weder  mit  dem  cultverbande  gleichen 
namens,  zu  dem  gerade  Munichia  gehörte,  noch  mit  der  paralischen  partei 
der  tyrannenzeit  identificirt  werden  kann,  die  Diakria  gehört  ihr  ja  seihst 
zum  teile  an.  das  binnenland  hat  ebenso  wenig  mit  dem  cultverbande 
der  Mesogeer  zu  tun,  in  dem  leute  aus  der  städtischen  gemeinde  Bäte 
sind;  sie  umfafst  die  kekropische  ebene,  gehörig  den  phylen  (von  west 
nach  ost)  IV,  VI,  I,  südhch  von  diesen  ein  stück  von  V  und  dann  VII; 
das  bergland  des  Farnes  bis  an  die  küste  VIII  und  IX,  und  das  berg- 
land  des  östlichen  Brilettos  und  die  jetzt  so  genannte  ^lEoöyEia  bis  zum 
innern  der  laureotischen  spitze  II,  III,  das  andere  stück  von  V,  und  X. 
Auch  hier  ist,  schon  um  des  gegensatzes  der  öden  berge  und  des 
ackerlandes  willen,  dann  aber  auch  durch  den  willkürlichen  schnitt,  der 
die  Stadt  absondert  und  in  der  jetzigen  mesogia  die  häfen  von  dem  hinter- 


43)  Milclihöfer  s.  24  setzt  Cholargos  nordwestlich  von  der  stadt  auf  grund  der 
Inschrift  des  cultverbandes  der  Mesogeer  II  604,  die  im  Heraklesheiligtum  von  Cho- 
largos aufgestellt  war.  das  ist  unwidersprechlich,  so  weit  es  die  Zugehörigkeit  der 
gemeinde  zu  den  Mesogeern  angeht;  sie  kann  allerdings  noch  weiter  östlich,  nach 
Eiresidai  zu,  angesetzt  werden,  ich  hätte  das  wissen  sollen.  XoXa^yos  oder  X6~ 
Xaqyov  ist  'gallweifs',  also  gelblichweifs ;  der  Buzyge  Demostratos  wird  nach  der 
(lilaiva  xo^rj  XoXo^iyrjs  genannt  Ar.  Lysistr.  397 ;  aber  hier  wird  man  nur  an  die 
xXcooä  denken,  der  name  wird  die  färbe  des  gesteins  angeben,  auf  dem  das  dort 
lag  und  aus  dem  es  gebaut  war.  das  deminutivum  davon  mit  verdoppeltem  end- 
consonanten  dürfte  dem  ahnherrn  der  XollslSai  gegeben  sein;  der  demos  ist  nicht 
weiter  bestimmt  als  für  den  landkreis  der  Leontis,  kann  also  sogar  nachbar  von 
Cholargos  gewesen  sein. 


160  H.    6.  Tritlycn  und  demen. 

lande  trennt,  ein  provinzielles  sondergelühl  gar  nicht  denkbar,  wo  ein 
alter  cultverband  bedenklich  schien,  sind  einzelne  seiner  gheder  i^c- 
waltsam  selbst  auf  kosten  der  örtlichen  continuität  der  kreise  losgetrennt; 
so  sind  die  befremdlichen  enclaven  Xypete  in  der  stadtprovinz,  Proha- 
linthos  und  Azenia  (hier  ohne  nachweisbares  religiöses  centrum)  in  der 
kiistenprovinz,  Hekale  und  Scmachidai  mit  Pentcle  in  der  landproviiiz 
entstanden,  die  neuen  phylen  konnten  aber  dem  beschauer  der  karte 
einige  furcht  vor  localen  aspirationen  erwecken,  denn  die  ganze  Ointis 
liegt  zwischen  dem  eleusinischen  und  attischen  Repliisos,  die  ganze 
Kekropis  (aufser  Xypete)  zwischen  der  innern  Stadt  und  der  linie  Bri- 
lettos  Hymeltos.  fast  der  ganze  nordosten  gehört  der  Aiantis,  die  süd- 
spitze der  Antiochis,  von  denen  beiden  je  zwei  kreise  sich  berühren; 
dasselbe  geschieht,  wenn  auch  auf  schmalerem  striche,  von  der  Aigcis 
und  vielleicht  auch  der  Akamantis.  beabsichtigt  kann  Rleisthenes  dies 
schwerlich  haben;  es  wird  die  tücke  des  Zufalls,  des  loses  sein."^) 
Gieiciiheii  In  der  Stadt  Athen  hilft  die  neue  erkenntnis  nur  wenig  dazu,  (hv 

der  phvlen 

und  kreise,  schwebenden  fragen  zu  entscheiden,  einzelne  phylen,  wie  die  Pandionis 
mit  Kydathenaion ,  die  Kekropis  mit  Mehle,  die  Aiantis  mit  Phalemn 
sind  nur  mit  einem  demos  beteiligt,  machen  also  keine  Schwierigkeit, 
die  llippothontis  hat  in  der  südwestecke  eine  compacte  masse,  die  Oincis 
nördlich  von  ihr  (Xypete  wieder  nicht  gerechnet),  die  Erechtheis  im 
Osten,  die  Aigeis  zieht  sich  am  uordrande  der  provinz  in  einem  streifen 
vom  Kolonos  bis  zum  Ilymettos,  und  ich  kann  nicht  bestreiten,  dafs 
dies  dafür  spricht,  Kollytos  nördhch  und  nordösthch  vom  Eridanos  an- 
zusetzen, aber  sieht  man  dann,  dafs  Skambouidai  und  Ilalimus,  Rera- 
meikos  und  Hermos,  Alopeke  und  der  Marktkolonos  zusammengehören, 
die  wirklich  nicht  aneinanderstofsen,  so  verliert  man  das  zutrauen,  und 
trotz  allem  guten  willen  umzulernen ,  kann  ich  hier  die  fragen  nur 
stehen  lassen  wie  sie  standen.  ^^) 

Die  natürlichste  annähme  ist,  dafs  Kleistheues  beabsichtigt  hat,  die 


44)  Diesem  möchte  ich  auch  selbst  die  Zuteilung  von  Kydathenaion  an  die 
Pandionis  zutrauen,  hätte  man  für  die  bürg  einen  phylenheros  gewählt,  so  würde 
es  doch  nur  Kekrops  haben  sein  können,  die  Kekropiden  und  Erechtliiden  haben 
sich  nicht  abhalten  lassen,  ihre  eponyme  an  ihren  heimstätlen  auf  der  bürg  zu  ver- 
ehren; das  würde  nicht  anders  gewesen  sein,  wenn  Anlioclios  der  phylenheros  von 
Kydathenaion  geworden  wäre. 

45)  Halimus  Hermos  Alopeke  sitzen  allerdings  alle  am  rande  der  provinz;  man 
könnte  wol  glauben,  dafs  sie  bei  einer  schliefslichen  correctur  der  provinzialgrenzen 
oder  auch  zur  ausgleichung  der  phylen  innerhalb  der  Stadt,  sei  es  von  den  aufsen 
anstofsenden  provinzen,  sei  es  von  den  innen  anstofsenden  kreisen,  abgetrennt  wären. 


Gleichheit  der  phylen  und  kreise.  161 

drei  provinzen  an  steuercapital  und  bevolkerung  gleich  zu  machen; 
selbst  dann  würde  die  einteilung  für  die  wirtschaftliche  Übermacht  be- 
weisen, die  trotz  den  landfreundlicben  mafsnahmen  der  tyrannis  die 
haiiptstadt  gewonnen  hatte,  die  demokratie  hat  diesen  prozefs  mit  oder 
ohne  absieht  ungemein  beschleunigt,  denn  in  den  meisten  phylen  und 
so  überhaupt  in  der  bürgerschaft  überwiegen  die  angehörigen  der  stadt- 
provinz  relativ  ganz  bedeutend,  man  sollte  zwar  meinen,  das  Verhältnis 
der  demoten  könnte  sich  gar  nicht  verschieben,  weil  trotz  dem  Wechsel 
des  Wohnsitzes  die  gemeindezugehörigkeit  immer  weiter  vererbt  wird, 
aber  das  gilt  nur  in  abstracto,  wenn  ein  bauerndorf  im  gebirge  ver- 
ödet, so  mögen  sich  seine  bewohner  zunächst  in  die  stadt  ziehen  und 
sich  ein  brot  suchen;  eine  menge  von  ihnen  wird  schon  sogleich  aus- 
wandern, die  kleruchien  des  fünften  Jahrhunderts  haben  sehr  viele  bürger 
hin  ausgelockt,  die  gewifs  zum  teile  dem  vaterlande  verloren  gegangen 
sind;  im  vierten  sind  athenische  Söldner  in  fremdem  dienste  recht  zahl- 
reich, aber  die  demokratie  vermag  auch  mit  allen  largitionen  nicht  zu 
verhindern,  dafs  die  verarmte  bevolkerung  keinen  hausstand  gründet 
oder  keine  legitime  nachkommenschaft  erzeugt,  und  so  gehen  diese  ge- 
meinden an  bevolkerung  zurück,  andererseits  ist  die  Vermehrung  der 
bürgerschaft  durch  die  aufnähme  von  fremden  und  metöken  recht  stark 
gewesen  und  vorwiegend  den  städtischen  gemeinden  zu  gute  gekommen, 
da  erwiesen  ist,  dafs  die  metöken  auf  verhältnismäfsig  sehr  wenige  fast 
ausschliefslich  städtische  gemeinden  beschränkt  waren,  ist  der  schlufs  unab- 
weisbar, dafs  das  gleiche  für  die  neubürger  gilt,  denen  das  privileg  die 
wähl  des  demos  freistellte,  wer  auf  unrechtmäfsigem  wege  sich  in  die 
bürgerschaft  einschleichen  wollte,  mochte  sich  nach  Halimus  oder  zu 
den  Titakiden  wenden:  der  reiche  kaufmann  des  hafens,  dem  das  volk 
das  bürgerrecht  verheb ,  kaufte  sich  dort  ein  haus  und  trat  in  die  ge- 
meinde des  Peiraieus.  so  ist  die  Aiantis  tatsächlich  schwächer  als  die 
übrigen  phylen  geworden ,  weil  das  nordöstliche  bergland  verödete  und 
ihr  städtischer  demos  Phaleron  seit  Themistokles  verkam:  zu  Kleisthenes 
zeit  mufs  gerade  dort  das  regste  leben  geherrscht  haben. 

Die  Organisation  hätte  eine  dauernde  ausgleichende  kontrolle  des 
Staates  erfordert,  diese  ist  aber  nicht  eingetreten ,  es  sei  denn  durch 
die  für  das  ganze  unwesentliche  errichtung  neuer  gemeinden.  307  schritt 
man  freihch  zu  der  Schaffung  zweier  neuer  phylen,  aber  die  art,  wie 
man  diese  schuf,  lehrt  deutlich,  dafs  die  kleisthenische  Ordnung  nur 
noch  als  division  des  Volkes  durch  zehn  erschien,  die  mau  mit  der 
zwölftelung  vertauschte,   auf  die  kreise  und  die  provinzen  hat  man  weder 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  11 


162  II.    6.  Trillyen  und  demen. 

damals  noch  später  rücksicht  genommen.^")   das  Verzeichnis  der  demen. 
wol   aus  dem  jähre  200,    das  wir  besitzen  (II  991),   kennt  die  triltyen 
gar  nicht  mehr. 
Bedeutung  Mögen   sic   denn   auch   verfallen  sein ,  so  gehören  sie  zu  den  ein- 

der  kr6is~ 

Ordnung,  richtungcu,   die  in  der  grofsen  zeit  Athens  lebendig  waren,  und  selbst 
wenn    wir    zugeben  müfsten,    dafs  die  Organisation  sich  praktisch  nicht 
bewährt   hätte,   so   würde   sie   an  interesse  nicht  verlieren.,   der  grol>c 
Staatsmann  hätte  höchstens  zu  grofses  für  seine  zeit  geplant,    denn  mit 
nichten   ist  der   erfolg   allein   der  gradniesser  für  die   bedeutung  ein(  s 
staalsmännischen   gedankens.     die   einzelgemeinde  als  Selbstverwaltung >- 
körper   ist  das   eine   und  gröfste  was   Kleisthenes  geschaffen   hat.      sii 
hat   sich  lebenskräftig  bewiesen,    obwol  wir  zugeslehn  müssen,    dafs  in  ,i 
den    kleinsten    demen    die    Verwaltung    willkürlich    und    corrupt    ward,, 
wie   in  Ilalimus,   in  dem  grofsen  Peiraieus  aber  sogar  der  Staat  soweit  i 
gegangen    ist,    die    erneunung    des    bürgermeisters    für    sich    in    an- 
spruch  zu  nehmen,     der  slaat  hat  auch  das  repraesentative  princip  be-  ■ 
schnitten,  das  eingeführt  zu  haben  das  zweite  überraschend  grofse  ver- 
dienst des  Kleisthenes  ist.     Aristoteles  findet  das  in  der  Ordnung,    weil 
Ol   örii-iOL   Sfciülow,   wie   er  es   derb   ausdrückt,    und  die  begründung 
ist  triftig,     aber  mufste   es   dazu   kommen?     zwei  momente,   die  dazu 
drängten,  konnten  wir  schon  immer  schätzen,  einmal  die  demokratische 
centralisation,  die  übergriffe  des  plenums  der  Volksversammlung,  sodann 
die  künstlichen  gebilde  der  zehn  phylen,  die  den  formen  des  geschlechter- 
slaates  nachgebildet  waren  und  niemals  zu  leistungsfähigen  verwaltungs- 
körpern,  zu  provinzen,  werden  konnten,    nun  aber  lernen  wir  das  neue, 
dafs  Kleistheues   in    den    kreisen    ein    an    sich    sehr   wohl   lebensfähiges 
miltelglied    zwischen   der   einzelgemeinde   und   der  sammtgemeinde   ge- 
schafl'en   hat:    der  kreis   konnte   sehr  gut   seine  Vertretung  und  seinen 
beamten  haben,  also  die  misstände  der  Verwaltung  in  den  einzelgemeinden 
durch  seine  kontrolle  beseitigen,  denn  er  besass  dafür  die  Vorbedingung 
der  lokalen  geschlossenheit.  ja  man  träumt  gern  weiter;  wenn  der  kreis 
mit  staatlich  eingesetzten   trillyarchen  an  der  spitze  und  einem  aus  den 
Vertretern    seiner    gemeinden   gebildeten    rate    daneben   das   ausgebildet 
hätte,  wozu  der  keim  in  ihm  lag,  so  hätte  er  sehr  wol  dasselbe  leisten 
können    wie   ein  romisches  municipium,   ohne  doch  eine  eigene  nöXig 


46)  Ich  unterdrücke  einen  genaueren  nachweis,  weil  er  von  Kirchner  Rh.  M. 
47,  550  Aollständiger  geliefert  ist.  dieser  hat  freilich  auf  die  kreisteilung  selbst  gar 
nicht  geachtet,  aber  das  kann  der  leser  durch  vergleichung  der  obigen  ausführung 
mit  Kirchners  demenverzeichnis  leicht  sich  selbst  ergänzen. 


Bedeutung  der  kreisordnung.  163 

zu   werden,     dann   war   auch   ein    kreis  Karystos   oder  Naxos   möglich, 
und  wie  so  ganz  anders  würde  die  hellenische  geschichte  geworden  sein. 

Doch  auch  abgesehen  von  solchen  träumen  verlohnt  es  sich  wol, 
die  Stellung  der  trittyen  im  Organismus  des  Staates  auf  das  anzusehen, 
was  sie  wirklich  gewesen  sind,  das  erste  was  wir  da  zu  constatiren 
haben,  ist,  dafs  sie  für  das  bewufstsein  des  Volkes  gar  keine  wirklichen 
reahtäten  geworden  sind:  sie  haben  keinen  göttlichen  Vertreter,  trotz 
ihrer  realen  körperlichkeit  keine  ideelle,  das  unterscheidet  sie  von  phyle 
und  demos,  und  der  moderne  rationalismus  kann  recht  deutlich  daran 
lernen,  dafs  die  existenz  eines  eponymos  mehr  als  eine  ornamentale 
bedeutung  hat:  er  zeigt  an,  dafs  in  dem  was  er  benennt  eine  seele  ist, 
und  die  seele  gibt  das  leben,  nicht  die  materie.  das  fehlen  des  eponymos 
bringt  es  mit  sich,  dafs  der  trittys  das  eigene  vermögen  abgeht,  das 
phyle  und  phratrie,  gemeinde  und  geschlecht  besitzen. 

Im  finanzwesen  kann  die  trittys  für  die  directe  Steuer  keine  rolle 
spielen,  da  die  phylen  unter  einander  vielleicht,  die  trittyen  derselben 
phyle  unmöglich  das  gleiche  steuercapital  besitzen  konnten,  das  gleiche 
gilt  für  die  persönlichen  auf  das  vermögen  gelegten  munera,  die  XrjTovQyLai, 
die  zwar  phylenweise  (und  nicht  einmal  das  durchweg),  aber  nicht  trittyen- 
weise  verteilt  werden,  wol  aber  ist  das  noch  im  demosthenischen  Zeit- 
alter mit  den  frohnden  geschoben ,  die  das  volk  auf  die  phylen  über- 
trug."") das  gescliah  bei  bauten,  z.  b.  von  strafsen ,  mauern,  schiffen, 
in  der  regel  freilich  besorgte  auch  diese  Sachen  das  volk  selbst,  durch 
den  rat  (wie  gewöhnlich  den  Schiffsbau),  oder  durch  besondere  beamte 
(wie  die  wegecommissare)  oder  durch  specielle  commissionen  (wie  die 
TEixoTioiol),  die  dann  wieder  die  phylen  vertreten  konnten,  es  leuchtet 
aber  ein ,  dafs  es  z.  b.  für  den  wegebau  häufig  praktisch  sein  konnte, 
die  arbeit  kreisweise  zu  verteilen,  oder  auch  zum  festungsbau  die  phylen- 
genossen  kreisweise  heranzuziehen. 

Im  heerwesen  ist  der  dienst  zu  pferde  eine  persönliche  last  der 
besitzenden,  eine  XrjzovQyia.  wenn  demnach  auch  die  reiterei  in  die 
10  phylen  geghedert  ist,  so  ist  doch  die  archaische  einrichtung,  dafs  die 
naukrarie  so  und  so  viel  pferde  und  reiter  zu  stellen  hat,  wenn  nicht 
von  Kleisthenes''*),  so  doch  von  der  demokralie  bald  beseitigt,    das  volk 


47)  Aisch.  3,  30  ois  al  (pvXal  xal  ai  TQnrves  xai  oi  Sfj/uoi  e|  iavrcov  ai^ovvrat 
iä  Srjfioaia  x^Ji^ata  d ia%eiQit,t.iv .  es  handelt  sich  um  solche  frohnden,  wie  sie 
oben  genannt  sind. 

48)  Pollux  8,  108  in  der  ausgezeichneten  Schilderung  der  vorkleisthenischen 
Verhältnisse ,   vavxoaoia   sxäarrj   Ssxa    (Svo   codd.)    tTtnias   TtaQsl'/^e  xai  vavv  fiiav. 

11* 


164  II.    6.  Trittyen  und  demen. 

übt  die   recrutirung,  unlerhaltiiiig  und  controUe  dieser  stehenden  truppe 
selbst  durch  sein  ccntralorgan,  den  rat. 
Trittyen  im  Die  schwergcrüsteten  inl'anteristen  bilden  kein  siebendes  beer,  aber 

sie  sind,  wenn  wir  sie  mit  unsern  verbältnissen  vorgb'icben  wollen,  alle 
reserveofficiere.  sie  gehören  alle  den  drei  oberen  steuerclassen  an,  müssen 
sich  selbst  equipiren ,  ballen  als  nctgiTtoloi  militärische  ausbildung  er- 
halten, das  Volk  kann  jeden  von  ibnen  zum  taxiarchen  und  Strategen 
wählen,  wer  aber  nicht  zum  officier  gewählt  ist,  tritt  ruhig  in  das  glied, 
mag  er  auch  noch  so  oft  das  regiment  gefübrl  baben.  die  ausbebung 
und  mobilmacbuug  wird  auf  grund  der  musterroUe  besorgt,  die  wieder 
auf  den  bürgerlisten  beruht,  deren  führung  bei  den  gemeinden  ist.  bei 
der  einstellung  der  dienstpflichtigen  Jugend  wirkt  der  rat  mit;  die  aus- 
bebung ist  sacbe  der  Strategen ,  ihnen  aus  der  zeit  geblieben ,  wo  sie 
pbyienweise  gewählt  wurden,  hier  lag  es  nun  nahe,  für  die  aushebung 
sieb  der  kreise  zu  bedienen,  und  wenn  die  phyle  das  regiment  bildete, 
so  sollte  man  meinen,  dafs  die  triltys  sich  als  die  geeignete  grofse  für 
die  taktische  einheit  von  selbst  geboten  hätte,  liest  man  nun  bei  Piaton 
(Staat  475),  dafs  die  ehrgeizigen,  orav  (.lij  OTQaTrjyrjaai  övvojvrai,  tqit- 
TvaQxoi'Oi,  so  kann  man  kaum  umhin,  anzunehmen,  dafs  diese  gliede- 
rung  einmal  beabsicbtigt  war  und  trittyarchen  als  trihuni  militum  be- 
standen baben.  wir  wissen  fast  nichts  von  den  niederen  cbargen  des 
mihtäres,  aber  doch  so  viel,  dafs  wir  die  taktische  einheit  in  den  löxoi 
erkennen,  an  deren  spitze  koy^ayoi  stehn,  die  der  taxiarch  ernennt,  da 
das  bei  den  Dorern  auch  so  ist  und  der  name  Koyayöc,  dorisch  ist  {loxrj- 
ysTTjg  würde  er  attisch  heifsen) ,  so  hat  die  demokratische  gliederung 
sich  für  das  beer  weder  bewäbrt  noch  behauptet."^)  da  es  doch  aber 
trittyarchen  mit  militärischer  competenz  gegeben  haben  mufs,  wenn  Piaton 
sie  nennt,  so  mögen  sie  bei  der  ausbebung  beschäftigt  worden  sein. 


96  reiter  sind  eine  lächerliche  Ungereimtheit,  480  entsprechen  den  Verhältnissen. 
die  demokratie  verdoppelt  diese  zahl:  die  adlichen  legten  früher  zwar  den  höchsten 
wert  auf  den  dienst  zu  pferde,  aher  sie  mochten  nicht,  dafs  die  bauern  mit  ihnen 
ritten,  da  die  tO  Strategen  von  Kleisthenes  noch  nicht  eingesetzt  sind,  die  alte 
kümmerliche  flotte  auch  noch  bis  auf  Themistokles  bestanden  hat,  ist  wol  auch  die 
reform  der  cavallerie  erst  nach  507  eingerichtet;  doch  war  der  name  cpv)MQxos  für 
die  Schwadronsführer  verbraucht,  als  man  die  taxiarchen  an  die  stelle  der  Stra- 
tegen setzte,  also  ajQaxös  durch  rä^is  verdrängte,  wo  q-vlri  doch  näher  gelegen 
haben  würde  als  für  die  schwadron. 

49)  Wenn  die  trittys  der  Acharner  3000  hopliten  stellte,  wenn  auch  nur  auf 
dem  papier,  so  war  sie  in  der  tat  auch  nicht  mehr  geeignet  unserer  compagnie  zu 
entsprechen,  aber  immer  noch  einem  balaillone. 


Trittyen  bei  der  flotte.  165 

Ganz  anders  steht  das  alles  bei  der  flotte,     in  ihr  waren  die  leute  Tnttyen  bei 

der  flotte. 

ohne  steuercapital  grundbesitz  und  militärische  Vorbildung  dienst- 
pflichtig; eine  Stammrolle  gab  es  nicht,  man  fand  die  leute  vielmehr 
durch  subtraction  der  hopliten  von  der  bürgerliste ;  also  konnte  die  aus- 
hebung  der  leute  füglich  nur  in  den  gemeinden  stattfinden  und  ist  dem- 
gemäfs  aufgäbe  der  demarchen.  -ein  anderes  aber  war  die  einstellung 
der  leute,  die  man  möglichst  früh  unter  militärisches  commando  bringen 
mufste,  schon  damit  man  ihrer  habhaft  würde,  und  ihre  Zuweisung  an 
die  schiffe  und  trierarchen,  die  erst  im  hafen  erfolgen  konnte. ^'^)  mit 
dem  beginn  des  eigentlichen  dienstes  hörte  die  bedeutung  des  kreises 
notwendigerweise  auf,  aber  so  lange  war  in  der  tat  die  trittys  ganz  be- 
sonders geeignet  die  dienstpflichtigen  zusammen  zu  bringen  und  zu 
halten,  und  hier  mögen  die  trittyarchen  Piatons  auch  eingegriffen  haben, 
da  hören  wir  nun,  wie  Demosthenes  in  seiner  Symmorienrede  (22)  vor- 
schlägt, der  platz  hinter  den  schilTshäusern  sollte  von  den  Strategen  in 
zehntel  geteilt  und  unter  die  phylen  verlost,  die  anfeile  der  phylen  von 
den  taxiarchen  den  einzelnen  trittyen  zugewiesen  und  an  diese  wieder 
die  schiffe  und  symmorien  zugeteilt  werden,  die  funde  von  grenzsteinen 
der  trittyen  am  hafen ^0  haben  den  beweis  geliefert,  dafs  Demosthenes 
in  Wahrheit  auf  die  Ordnung  zurückgreifen  wollte,  die  Themistokles  wirk- 
lich eingeführt  hatte,  was  ihm,  obwol  er  sein  Vorbild  verschweigt,  zur 
ehre  gerechnet  werden  soll,  um  493  oder  483  war  die  trittys  noch 
ein  lebendiges  gUed  des  volkskörpers ,  und  Themistokles  bediente  sich 
ihrer,  als  er  die  flotte  gründete  und  die  alten  naukrarien  abschaffte, 
die  eben  auch,  wie  der  name  sagt  und  die  geschichte  bestätigt,  für  den 
flottenbau  zunächst  geschaffen  und  von  Kleisthenes,  trotzdem  er  sie  sonst 
durch  die  gemeinden  ersetzte,  für  diesen  zweck  belassen  waren. ^-)     da 


50)  Die  verwahrlosten  zustände,  die  sich  in  den  demosthenischen  und  apolio- 
dorischen  reden  zeigen,  zumal  in  denen  über  den  trierarchischen  kränz  und  wider  Po- 
lykles,  haben  für  das  fünfte  Jahrhundert  natürlich  keine  geltung.  um  360  gab  es 
in  Wahrheit  so  wenig  für  die  flotte  wie  für  das  landlieer  eine  effective  dienstpflicht. 
der  trierarch  mochte  sehen,  wo  er  seine  leute  auftrieb. 

51)  CIA  I  517.518  mit  den  nachtlägen  in  IV.  G.  Schaefer  Mitt.  Ath.  IV  85, 
Köhler  VJI  108. 

52)  Dafs  die  naukrarie  ein  schiff  stellte,  bezeugt  die  chronik  bei  Pollux  8, 108 
(oben  anm.  48);  auf  diese  darstellung  der  kleisthenischen  oder  vorkleisthenischen 
zeit  gehen  auch  die  anderen  grammatikerglossen  über  rQirrvs  und  xqiTxvaQ%oi 
zurück,  Phot.  Et.  M.  Bekk.  An.  300,  schol.  Aisch.  3,  30  u.  a.,  alle  wertlos,  zu  den 
48  schiffen  der  naukrarien  treten  die  zwei,  welche  der  gauverband  der  TlaQalia 
(Mitt.  Ath.  VII  taf.  XIV  vgl.  XIII  321)  und  die   kleruchen   von  Salamis   zu  stellen 


166  II-    6.  Trittyen  und  demen. 

die   Epakrier  von   der   Aigeis   mit   den   Thriasiero   von   der  Oineis  zu- 
sammenslofsen   (IV  517''),   sind   die  gesteliungsplätze    der  phylen  auch 
damals  verlost  worden,    aber  die  grenzsteine  sind  niemals  erneuert:  die 
einrichtung  hat  eine  weile  vorgehalten,  dann  ist  sie  verfallen. 
Trittven  Steine  mit  trittyennamen  sind  auch  auf  der  Pnyx  gefunden.^^)    der 

ekkiesic.  gedankc  liegt  nahe,  sie  auch  auf  Versammlungsplätze  der  kreisangehörigen 
zu  beziehen,  man  darf  aber  nicht  so  weit  gehen,  den  Athertern  comitia 
centttriata  oder  tributa  zuzuschreiben,  die  es  nie  gegeben  hat.  der 
demos  ist  eine  cinheit,  jeder  bürger  hat  seine  virilstimme,  die  ghederung 
des  Volkes  als  heerbann  oder  nach  seinen  kreisen  und  gemeinden  hat 
für  die  sammtgemeinde  und  deren  beschlufsfassung  keinerlei  bedeutung. 
es  reicht  hin,  an  die  scenen  des  Arislophanes  zu  erinnern,  die  eine 
Volksversammlung  darstellen,  aber  wol  war  eine  controlle  der  besucher 
auf  ihre  berechtigung  notwendig,  und  die  zeit,  die  noch  keinen  sold 
ausgab,  hatte  noch  nicht  die  controUmarken.  im  vierten  Jahrhundert 
controlliren  den  besuch  die  30  aus  dem  rate  genommenen  av?J.oy^g 
Tov  diQi.iov^'^)  unterstützt  von  den  kanzlisten,  die  die  bürgerlisten  führen 
{?.r]^LaQxoi)-  dreifsig,  das  ist  die  zahl  der  trittyen,  die,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  im  rate  fortbestanden,  in  ihnen  also  wird  man  die  Ver- 
treter der  kreise  sehen,  ein  rätsherr  aus  dem  kreise  controllirt  seine 
kreisgenossen,  und  ein  stein  auf  der  pnyx  bezeichnet  die  stelle,  wo 
er  zu  finden  ist  und  sie  sich  zu  melden  haben,  so  scheinen  mir  jene 
steine  eine  befriedigende  erklärung  zu  finden,    aber  gleichzeitig  mufs  ich 


gehalten  waren,  das  ergibt  50.  und  dafs  es  nach  Kleislhenes  so  viel  blieben, 
bezeugt  das  wertvolle  bruchstück  des  Kleidemos  bei  Phot,  vavxQUQia,  das  so  zu 
verbessern  ist  Kksiad'ävovs  Saxa  ipvlas  noir^aavxos  avxl  xäv  lerräQcov,  avvißrj 
xai  eis  TisvTTjy.ovra  fUQT]  Siarayrjvai  airoiiS,  a  (5'  cod.)  eKciXovv  vavK^a^ias  (vav- 
y.oaQia  cod,),  daneo  pvv  eis  rä  iy.arov  /^tQT]  Siaiosd'trrss  {-ra  cod.)  y.akovai  avfi- 
fioQias.  für  die  Verbesserung  ist  entscheidend,  dafs  man  sich  überlegt,  wer  verteilt 
wird,  unmöglich  etwas  anderes  als  die  bürgerschaft.  dann  heilt  sich  der  wichtigste 
satz  mit  geringster  änderung.  der  ausdruck  ist  in  dem  zweiten  nicht  schön,  aber 
verstündlich.  Kleisthenes  hat  also  50  naukrarien  gemacht,  d.  h.  fünf  auf  jede  neue 
phyle,  lediglich  decimal  und  duodecimalsystem  ausgleichend.  Themistokles  beseitigt 
diese  gänzlich  antiquirten  gebilde  zu  gunsten  der  trittyen  im  sinne  der  kleistheni- 
schen  Ordnung,  das  volk  aber,  das  im  dritten  Jahrhundert  auf  die  symmorien  zu- 
rückgriff,  hat  offenbar  von  der  kleisthenischen  Ordnung  kennlnis  gehabt. 

53)  CIA  I  500.  502;  auf  die  Standplätze  gedeutet  von  C.  Schaefer. 

54)  lieber  diese  commission  hat  Köhler  (Mitt.  Ath.  VII  103)  licht  verbreitet, 
wesentlich  mit  hiife  des  sfeines  II  872.  auch  er  hält  sie  für  älter  als  die  sold- 
zahlung  und  meint,  sie  hätten  im  fünften  Jahrhundert  oi  r^iänovra  geheifsen.  dies 
letzte  ist  nicht  glaublich,  da  die  demenrichter  und  logisten  auch  30  sind. 


Tritlyen  in  der  ekklesia.    trittyen  im  rate.  167 

xugeben,  dafs  die  inslitution  verkümmert  war.  denn  die  ovkXoyijg  der 
Aigeis  sind  auf  dem  steine  872  aus  Gargettos  Ikaria  Herchia,  also  alle 
drei  aus  dem  landkreise.  die  trittys  war  zum  drittel  geworden,  übrigens 
sind  auch  diese  steine  der  Pnyx  niemals  erneuert;  der  zweck,  dem  sie 
dienten,  war  fortgefallen. 

Gehalten  haben  sich  die  trittyen  im  rate,  da  noch  Aristoteles  (44,  1)  Trittyen 
angibt,  dafs  immer  eine  trittys  der  prytanen  im  rathause  anwesend  sein 
mufste.  diese  bestimmung  wird  sich  auch  gehalten  haben,  als  es  600 
ratsherren  gab,  denn  in  den  jähren  299 — 94  begegnen  uns,  zum  letzten 
male  in  den  Inschriften,  trittyarchen ,  die  mit  einem  sonst  unerhörten 
E^€TaaT7]g  zusammen  die  kleinen  ausgaben  besorgen,  die  sonst  der  ra^u/ag 
rrjg  ßovlrjg  yial  tov  ötj/liov  zu  leisten  hat.  ^^)  das  wird  also  ein  aus- 
schufs  des  täglich  amtirenden  teiles  der  prytanen  sein.-^®)  aber  damals 
bestanden  schon  Antigonis  und  Demetrias,  die  in  räumlich  geschlossene 
kreise  nicht  zerfallen  sind,  somit  sind  aus  ihren  demen  trittyen  wol 
schwerlich  formirt,  und  die  des  rates  sind  nichts  als  drittel,  dann  kann 
es  gut  und  gerne  auch  340  schon  ebenso  gewesen  sein,  aber  ehedem 
hat  man  den  trittyen  gröfsere  bedeutung  beigemessen,  die  prytanen- 
listen  konnten  oben  zur  Ortsbestimmung  der  trittyen  vielfach  benutzt 
werden,  weil  sie  zum  teil  nach  ihnen  geordnet  sind,  und  noch  viel  mehr 
haben  wenigstens  noch  drei  columnen,  wenn  auch  die  aufzählung  der 
demoten  nicht  mehr  der  trittys  folgt.")  so  wird  es  eine  zeit  gegeben  haben, 
wo  wirklich  die  trittys  ein  drittel  der  fünfzig  ratsherrn  präsentirte,  und  das 
war  nicht  unwesentlich,  sondern  ein  schütz  der  minoritäten.  die  Acharner 
mochten  eine  ganze  trittys  sein  und  an  zahl  sehr  viel  mehr  als  ein 
drittel  der  Oineis:  wenn  auf'die  trittys  ein  drittel  kam,  konnten  sie  nie- 
mals 22  ratssteilen  occupiren  wie  auf  der  liste  II  868. 

In  der  beamtenschaft  entsprechen  die  meisten  coUegien  den  phylen    Trittyen 
und   haben   deshalb   zehn  mitglieder.     aber  das  fünfte  Jahrhundert  zeigt  beamten- 
mehrere  von  30  männern,  die  also  den  trittyen  entsprechen  können,    die 
30  ovlloyrig  tov  d^f-iov  haben  wir  schon  kennen  gelernt,  und  für  sie 

55)  Zu  den  psephismen  ist  ein  neues  getreten  JsXr.  äo^.  88,  1 12,  wo  etwa 
so  zu  schreiben  ist  fisoiaai  ro  aväXcof^ia  e[ii  ravra  rov  e^era(TrTj]v  y.ai  rovs  roir- 
nvdQxovS. 

56)  C.  Schaefer  hat  diesen  ausschufs  mit  den  avlloyTis  rov  Srjuov  identificiren 
wollen;  dem  hat  Köhler  widersprochen,  und  in  der  tat  scheint  mir  die  obige  deu- 
tung  vorzuziehen. 

57)  Die  ratsherren  safsen  im  ratshause  seit  409  auf  festen  platzen  (Philochoros 
schol.  Ar.  PI.  972).  aber  wenn  dabei  auch  die  trittyenordnung  beobachtet  sein  kann, 
so  hatte  das  doch  keine  praktische  bedeutung. 


168  II.   6.  Trittyen  und  demen. 

war  die  bestellung  nach  den  kreisen  praktisch,  noch  viel  einleuchtender 
ist  dasselbe  von  den  30  demenrichtern ,  die  Perikles  453/2  einführte, 
denn  das  sollten  landrichter  sein,  also  war  ihre  bestellung  für  einen 
räumlich  geschlossenen  bezirk  durchaus  praktisch,  die  restaurirte  demo- 
kratie  hat  ihnen  diesen  ländhchen  Charakter  genommen  und  ihre  zahl 
auf  40  erhobt,  wie  es  heifst,  weil  die  nomotheten  von  404,  die  lyrannen, 
30  gewesen  waren,  bei  diesen  kann  von  einer  Vertretung  .der  trittyen 
kaum  die  rede  sein,  und  auch  bei  den  30  logisten,  die  unter  Eukleides 
auf  10  reducirt  wurden,  schwerlich,  aber  die  häufigkeit  der  zahl  30 
beweist  soviel,  dafs  das  fünfte  Jahrhundert  noch  bis  zu  ende  der  30 
kreise  lebhaft  gedachte. 

Es  ist  praktisch  wenig  mit  dem  gedanken  der  kreisteilung  Attikas 
erreicht  worden;  aber  würdig  ist  er  des  grofsen  geselzgebers,  und  die 
ansätze  zu  seiner  Verwertung  werden  bei  eindringender  forschung  gewifs 
noch  zahlreicher  ans  licht  eezogen  werden. 


7. 
DER  ATHENISCHE  MME. 


Aristoteles  (21,  4)  berichtet  aus  der  chronik,  dafs  die  bezeichniiog  iJ'eor''°"'^s 

"         des 

des  athenischen  bürgers  durch  den  demosnamen  von  Kleisthenes  einge- J^'eisiheues. 
führt  sei,  und  zwar  mit  der  absieht,  die  neubürger  vollkommen  gleich 
zu  stellen,  welche  die  bezeichnung  durch  den  Vatersnamen  kenntlich 
gemacht  haben  würde,  daher  käme  es  dafs  sich  die  Athener  selbst  mit 
dem  demotikon  nennten/)  die  uns  geläufige  attische  sitte  vereinigt  die 
bezeichnungen  nach  dem  vater  und  dem  demos,  die  hier  einander  gegen- 
über gestellt  werden,  und  das  ist  im  vierten  Jahrhundert  auch  die  offi- 
zielle bezeichnung,  z.  b.  auf  den  richtertäfelchen  (Ar.  63,  4).  aber  der 
aristotelische  bericht  hat  keinen  sinn,  wenn  nicht  Kleisthenes  den  Vaters- 
namen durch  den  demos  hat  ersetzen  wollen,  denn  wenn  die  bezeich- 
nung nach  dem  vater  die  neubürger  überhaupt  kennthcli  machen  konnte, 
so  tat  der  zusatz  ^hoy.sy.rjdsv  weder  etwas  davon  noch  dazu ,  solange 
der  Vatersname  in  offiziellem  gebrauche  war.  Kleisthenes  hat  also  den 
Vatersnamen  abschafTen  wollen. 

Wie  aber  konnte  der  vater  die  neubürger  kenntlich  machen?  ihre 
Väter  hiefsen  doch  nicht  alle  Manes  oder  Skythes,  und  barbarische  oder 
doch  fremde  namen  sind  auch  in  acht  bürgerlichen  familien  durchaus 
nicht  unerhört.-)  auch  hier  ist  nur  eine  antwort  möglich:  die  neubürger 
hatten  gar  keinen  vater. 


1)  Man  mufs  nur  scfiarf  die  officielle  bezeiclinung  avayooevtiv ,  die  anrede 
■jtqoaayoQEvsiv  und  die  selbslbezeiclinung  xaXelv  atpäs  avioii  untersciieiden,  dann 
ist  der  satz  weder  der  Zusätze,  aucli  nur  des  wörtchens  vZv^  das  wir  eingefügt 
haben,  noch  der  abstriche,  die  von  anderen  beliebt  sind,  bedürftig. 

2)  Z.  b.  Sibyrtios  ist  im  fünften  Jahrhundert  verbreitet  und  gar  nicht  niedrig, 
und  doch  gehört  er  ersichüicli  mit  dem  frauennamen  ZißvlXa  zusammen,  dessen 
berühmteste  Irägeiin,  die  ihn  erst  zu  einem  gattungsnamen  gemacht  hat,  aus  Erythrai 
war;  der  name  ist  also  mysisch.    CIA  iV  p.  86  nennt  ein  Kriton  seinen  vater  Skythes, 


170  II.    7.  Der  athenische  name. 

Das  klingt  befremdlich,  aber  die  logik  des  rechtes  ist  unerbittlich, 
der  sclave  kann  keine  ehe  eingehen,  also  entbehrt  der  im  hause  geborene 
des  vaters  und  der  aus  der  fremde  eingeführte  barbar  erst  recht,  der 
metoke  geniefst  in  Athen  des  Vorrechtes,  in  einem  quasigenlilicischen 
verbände  zu  stellen  und  nach  dem  attischen  familienrechte  behandelt  zu 
werden,  er  bat  also  einen  vater.  aber  das  gilt  eben  erst  seit  Kleisthenes, 
der  die  ))rivate  clienlel  durch  die  des  Staates  ersetzt  bat.  ich  habe  das 
früher  aufgeführt  und  gezeigt,  dafs  die  officielle  bezeichnung  /läoo,  er 
MeXiTi]  ol/xöv  ist.  das  ist  das  genaue  analogen  zu  Evd-vöo/Aog  MeXizevg, 
und  in  der  tat  führen  die  metoken  auch  später  officiell  keinen  Vaters- 
namen, bevor  der  attische  staat  die  metoken  in  seine  clientel  nahm, 
^var  für  sie  der  patron  was  der  herr  für  den  sclaven  und  freigelassenen, 
der  vater  für  den  bürger  war.  trat  aber  vollends  der  metOke  oder  auch 
der  peregrine,  der  noch  ein  anderes  Vaterland  gehabt  hatte,  in  die  ge- 
meinde der  Athener,  so  verlor  er  damit  notwendigerweise  seine  frühere 
familienverbindung,  er  konnte  also  ihre  bezeichnung  entweder  nicht  mehr 
führen ,  oder  aber  er  mufste  dem  vater  die  bezeichnung  seiner  heimat 
geben,  also  sein  neubürgerlum  eingestehn.  die  romische  analogie  macht 
das  sofort  deutlich,  der  freigelassene  führt  den  namen  des  patrons,  der 
neubürger  kann  gar  keinen  Vatersnamen  führen,  oder  aber  er  gesteht  seinen 
stand  ein,  indem  er  den  unrümischen  Vatersnamen  einsetzt,  was  in  der 
griechischen  weit  nicht  seilen  geschieht.  Aevv.loq  loXrcixiog  Avql- 
liäyfiv  viog  auf  Delos,  L.  Tarquinms  Demarati  f.  in  der  legende,  das  ist 
eine  bezeichnung,  die  Avirklich  l^eleyx^t  tohg  veoTto/Urag. 

Wie  radical  Kleisthenes  gegen  den  adel  eingeschritten  ist,  wird  durcli 
diese  mafsregel  ganz  besonders  sinnfällig,    aber  die  hellenische  Sinnesart 


schämt  sich  also  seiner  nicht;  Anakreons  vater  hieCs  auch  Skythinos.  in  den  spätem 
Zeiten  dringen  natürlich  fremdnamen  ein,  obwol  die  meisten  ausländer  sich  sehr 
rasch  der  attischen  ononiatologie  anschliefsen.  da  liest  man  z.  b.  2!r]Qaußos  11 197S, 
^Efiufvs,  was  ich  nicht  accentuiren  kann,  II 1844.  im  jähre  333  heifst  der  sophronist 
der  Kekropis  "ASbiutos  (Bull.  Corr.  Hell.  13,  255),  ein  name,  den  ich  vergeblich  zu 
verstehen  versuchte;  ein  anderer  träger  des  namens  ist  bürger  in  der  ersten  hälfte 
des  vierten  Jahrhunderts  II  945,  21.  aber  II  3440  ist  ein  "ASeiaros  fremder  oder 
sclave,  und  2781  steht  "ASiaros  ^AfifinoliTrfi,  den  für  einen '^(J^ffros  zu  halten  die 
mundart  von  Amphipolis  verhütet,  der  name  wird  also  makedonisch  sein,  und  zu 
ihm  der  makedonische  kurzname  ASaTos  mit  dem  femininum  'ASaia  gehören;  so 
hat  die  königin  Eurydike  wol  eher  geheifsen  als  ASäa,  wie  bei  Photius  bibl.  70''  6 
steht.  —  beiläufig,  kurz  vor  dem  Adeistos  verbessert  Köhler  3436  'Atco  AgxiSdfiov 
in  Aycö:  das  ist  nicht  nötig,  Atcö  ist  kurzname  zu  dem  paphlagonischen  'Arcoros, 
das  ich  auch  nicht  accentuiren  kann. 


Die  Ordnung  des  Kleisthenes.    der  gebrauch  des  lebens.  171 

war  so  durchaus  mit  den  alten  adelsvorstelluiigen  durchwachsen,  dafs 
der  Vatersname  nicht  nur,  sondern  die  ganze  terminologie  des  adels  von 
den  neubürgern  möghchst  rasch  und  vollständig  übernommen  worden  ist, 
die  ncubürger  ihre  oly^ot  bald  ganz  im  stile  der  allen  auszubilden  suchten, 
und  seit  403  der  Vatersname  überwiegend  gebräuchhch  und  vielfach 
sogar  obligatorisch  ward.  Jrjf.wöd-eviQQ  /Jrif.ioad'evovg  üaiavievg  ist 
eigentlich  einem  M.  M.  f.  Com.  gleich:  lauter  teilen  des  römischen  namens, 
die  als  nebensächUch  abgekürzt  werden,  dem  Demosthenes  aber  ent- 
sprach es  vielmehr  einem  M.  Tullius  M.  f.  der  demos  hatte  das  ge- 
schlecht ersetzt. 

Wer  die  steine  des  fünften  Jahrhunderts  kennt,  der  weifs,  dafs  die  Der  ge- 
offizielle bezeichnung  sich  an  das  kleisthenische  gesetz  gebunden  hat:  Tebens/^ 
sie  gibt  nur  den  eigennamen  und  den  demos.  in  den  rechnungen  werden 
die  obmänner  der  Schatzmeister,  die  hellenotamien,  die  Strategen  so  be- 
zeichnet, nicht  minder  die  handwerker  und  kaufleute.  auf  den  Verlust- 
listen fehlt  das  demotikon,  weil  das  militär  nur  mit  der  phyle  rechnet^), 
dafür  wird  hier  die  Charge  der  höheren  officiere  beigefügt,  dagegen  die 
privaten  nennen  den  vater  gerne,     so  verfahren  die  Schreiber,   die  die 


3)  Darum  finden  wir  die  Verherrlichung  der  phylcnheroen  ausschliefslich  in 
den  militärischen  leichenreden;  die  unter  Demosthenes  namen  erhaltene  hat  dadurch 
hren  wert,  es  ist  durchaus  ungewöhnlich  in  andern  als  militärischen  Verhältnissen 
die  phyle  zu  nennen.  CIA  II  2338  nennt  sich  ein  KaX?.i'fiaxos  KalhaTQÖrov  '<pvXrjS 
KsxQoniSos  MsXirsvs^,  aber  das  geschieht  im  verse,  den  es  bequem  füllt;  ich  weifs 
kein  zweites  beispiel.  dafs  ein  kleruche  auf  Melos  sich  "Enövrpes  ^A&svalos  Tlav- 
SiovlSos  fvXls  Kv&sQQioi  nennt  (IGA  9),  macht  für  den  heimischen  gebrauch  nichts 
aus,  sondern  ist  auf  die  Untertanen  berechnet,  denen  der  ausgewanderte  thete  durch 
alle  titel  imponiren  will,  niemand  redet  jemanden  als  Pandioniden  an,  aber  Xenophon 
Hell.  2,  4,  27  erzählt  von  einem  reitergefechte  "dabei  fiel  Kallistratos  aus  der  Leontis", 
und  die  Acharner  rufen  den  Lamachos  a>  fvlera,  weil  er  sie  als  taxiarch  oder  Stra- 
tege der  Oineis  zu  commandiren  pflegte,  sehr  seltsam  ist,  dafs  Nikias  bei  Thuky- 
dides  (7,  69)  in  der  letzten  Seeschlacht  bei  Syrakus  rajp  r^iTjQa^xeov  f!va  sxaarov 
avexäXsi,  TtaxQod'ev  re  STtovOfiä^cov  xal  avrovS  ovofiaari  xai  cpvXiqv,  a^icov  rö  rs 
xad'  eavrov  lo  vniJQXE  iMftnqÖTrjrös  ti  ftrj  nQoSiSovai  rivä,  xal  ras  narQixui 
aQsräs  cov  CTti^avels  rjoav  oi  TiQÖyovoi  firj  a<pavit,ei,v ,  TiaXQiSos  re  rijs  elsvd'ega}- 
rdrrie  vnofiifivriaxcov  xal  rrjS  iv  airrj  avsTTiräxrov  Tiaaiv  es  rr]v  Siairav  i^ovaias. 
die  dreigliederung  zeigt,  dafs  die  phyle  dem  demokratischen  vaterlande  entsprechen 
soll,  sie  hat  aber  mit  den  trierarchen  nichts  zu  tun :  Thukydides  hat  wol  die  sitte 
der  regimenter  des  landheeres  auf  die  flotte  übertragen,  der  scholiast  schreibt  aus 
der  Dolonie  (69)  dazu  narqod'ev  ex  yeveris  ovofiätcov  avSqa  i'xaarov,  wo  Aristarch 
u.  a.  bemerken,  das  wäre  also  in  der  heroenzeit  die  volle  anrede  gewesen '^to/£?'£S 
AasQxiäSrj  "OSvaaev'.  das  geschlecht  geht  dann  auf  Zeus  zurück,  richtig  ist  das 
letzte  nicht;  Scoyevr;s  ist  Standesbezeichnung. 


172  II.    7.  Der  athenische  name. 

offiziellen  Urkunden  redigiren,  mit  ihrem  eigenen  namen,  im  gegensalze 
zu  den  personen,  die  sie  in  den  prolokollen  anführen,  in  der  komoedic, 
die  wir  allerdings  erst  aus  dem  peloponnesischen  kriege  kennen,  als 
die  demenordnung  schon  länger  als  zwei  menschenaller  bestand,  stellen 
sich  die  leule  mit  dem  demotikon  vor'),  aber  in  der  anrede  erscheint  es 
beinahe  nie,  während  Piatons  dialoge  zeigen,  dafs  in  der  vornehmen 
gesellschaft  die  anrede  u)  7iul  L4y.ovi.ievov  gar  nicht  selten  %var.^)  nie  ht 
anders  ist  es  in  der  litteratur.  Thukydides  ignorirt  den  demos  in  der 
namengebung  ganz,  bei  Herodotos  sind  ein  par  demotika  vorhanden, 
einmal  sogar  ohne  Vatersnamen,  olTenbar  aus  ofilcieller  attischer  ülxi- 
lieferung.")  wie  sehr  sonst  bei  ihm  die  beriicksichtigung  des  geschlechles 
vorwiegt,  weifs  jeder  leser.  noch  wir  unterscheiden  die  beiden  Thuky- 
dides nach  ihren  vätern,  reden  von  den  KaUias  und  Hipponikos, 
kennen  Ephialtes  des  Sophonides,  Lamachos  des  Xenophanes'')  söhn,  ohne 
von  ihrem  demos  zu  wissen:  aber  die  beiden  Thrasybulos  unterscheiden 
wir  nach  Steiria  und  KoUytos,  reden  von  Kallistratos  von  Aphidna,  Ari- 
stophüu  von  Azenia,  Eubulos  von  Anaphlystüs,  und  in  der  späteren  ge- 
lehrten schriftstellerei  wird  ein  Ammonios  von  Lamptra  und   ein  Apol- 


4)  Z.  b.   Ar.  Ach.  406.  102S.   Wölk.  134.  Fried.  190.  Lys.  852.   Thesm.  898. 

5)  Mir  ist  aus  Aristophanes  nur  Wesp.  232  w  HxQvucScoQe  Kovd'vlev  bekannt, 
und  das  ist  sicher  ein  witz,  denn  der  ganz  obscure  demos  wird,  so  viel  ich  weifs, 
sonst  Kovd'v).rjd'ev  bezeichnet,  ein  witz  ist  auch  in  Piatons  Symposion  a  fPaXrjQEvs 
ovTos  'AjioXXödcaQos,  wenn  auch  die  erklärung  noch  nicht  gefunden  ist.  im  pelo- 
ponnesischen kriege  haben  schon  viele  demen,  Prospalta,  Aixone,  Titakidai,  ihr  be- 
sonderes renommee. 

6)  8,  93  erhalten  den  preis  für  tapferkeit  in  der  salaminischen  Schlacht  Ev- 
fievT]S  TS  [o,  wie  kann  man  den  artikel  dulden?]  ^AvayvQÜaios  xai  läftsivir^s  HaXlr]- 
vsie.  9,  73  erhält  dieselbe  auszeichnung  bei  Plataiai  ^^cofdvtjs  6  Evtv/JSsco  ic)v 
Srjfiov  Jey.eXerjd'ev ,  Jsy.sltcov  Se  rar  xoze  eoyaaaut'vcov  u.  s.  w.  weil  der  mann 
berühmt  war  und  Herodot  mehr  von  ihm  erzählen  will,  fügt  er  den  Vatersnamen 
bei,  den  demos  lieferte  die  officielle  angäbe,  und  an  ihn  knüpft  er  die  geschichte 
von  den  Dekeleern,  die  in  Sparta  atelie  und  proedrie  besitzen,  dafs  Sophanes  zu 
diesen  gehörte,  sagt  Herodot,  darin  kann  er  irren:  aber  dafs  in  Sparta  nicht  eine 
kleislhenische  gemeinde,  sondern  ein  älterer  gentilicischer  oder  quasigentilicischer 
verband,  die  nachkommen  des  Dekelos,  so  geehrt  worden  sind,  sollte  doch  von 
selbst  einleuchten,  sonst  wird  kein  Athener  anders  als  mit  dem  vater  bezeichnet, 
auch  die  beiden  brüder  Kwt'yetQos  und  Alax^Xos  Evcfooicovos,  von  denen  jener  sich 
bei  Marathon  auszeichnet  6,  114. 

7)  So  Tiuik.  6,  8;  Sevocpävxov  schol.  Ar.  Thesm.  840.  übrigens  war  er  wol 
aus  Oe,  denn  da  gibt  es  innerhalb  der  Oineis  einen  Lamachos  11  772'^,  der  sogar 
seinen  söhn  Tydeus  genannt  hat. 


Der  gebrauch  des  lebens.  173 

lonios  von  Acharnai  geführt,  obwol  doch  der  demos  eigenthch  allein  für 
das  innerattische  gilt. 

Man  wird  von  den  inschriften  unter  diesen  umständen  nicht  viel 
erwarten,  und  doch  liefern  sie  zu  der  aristotelischen  nachricht  im  ganzen 
die  erwünschte  illustration.  es  ist  zwar  für  mich  nicht  möglich,  die  der 
Peisistratidenzeit  von  denen  der  jähre  507 — 480  zu  scheiden,  die  als 
Übergangszeit  besonders  interessant  sein  müfsten,  allein  es  bleibt  die 
hauptsache,  dafs  so  ziemlich  die  ersten  drei  menschenalter  nach  einfüh- 
rung  des  demotikons  seine  Vereinigung  mit  dem  Vatersnamen  der  termi- 
nologie  fremd  ist.  die  menschen  nennen  sich  vielmehr  ganz  überwiegend, 
wie  sie  es  früher  getan  haben,  nach  dem  vater.  ich  finde  auf  privaten 
monumenten  nur  CIA  IV  p.  205  WalÖQog  IlQod^v-Kecpalri&sv  und  Jio- 
y€vt]g  aved-riy.ev  AloyivXo  hvvg  KecpaXsog^),  und  dieser  mann  ionisirt  be- 
denklich in  seiner  schrift,  macht  zudem  einen  vers.  den  grabschriften 
insbesondere  fehlt  die  später  normale  form  TtaTqöd-ev  y.al  rov  örjiov  gänz- 
lich, den  frauen  wird  der  demos  ihres  vaters  oder  gatten  ganz  selten  bei- 
gefügt ( —  Ev(.iri)ddov  yvvTj  ^cprjrTÖ^^sv  IV  p.  99,  —  ^laqvEtog  d^vyätr^Q 
p.  205).  auch  bei  männern  ist  er  ungleich  seltener,  ich  schätze,  im  Ver- 
hältnis 1  :  4,  als  der  Vatersname,  und  ein  MvQTilog  TlQaGiBvg  IV  p.  190 
oder  gar  ein  Xvaiddrjg  IIa)J.r]v6vg  IV  p.  102  werden  wol  neubürger 
sein,  vornehme  leute  verhalten  sich  gegen  den  demos  fast  ganz  ablehnend, 
deswegen  z.  b.  ein  Aristokrates  der  söhn  des  Skellias,  der  hipparch  Pytho- 
doros  des  Epizelos  söhn*),  ein  mann  wie  KaUias  Hipponikos^)  söhn  haben 
ihn  wirklich  nicht  nötig,  aber  auch  geringe  leute  nennen  sich  ^Ovrjaif.iog 
(ein  sclavenname)  ^/nr/.vS-ov,  KqLtiov  ^-/.vd-ov,  (Dilcov  ^qsoIov.  wenn 
ein  polemarch  in  einem  gedichte  sich  Aphidnaeer  nennt  (IV  p.  153),  so 


8)  I  398.  es  ist  kein  verfehlter  hexameter,  sondern  es  sind  zwei  regelrechte 
jglieder  archilochischer  gattung.  im  IV  p.  182  ra&i^vaiai  Ssxärrjv  %oqio^Ad'^ov6d'ev. 
iXai^sSs/xo,  fPiXea,  steht  selbstverständlich  kein  deinoükon.    die  beiden  besitzer  oder 

Pächter  stehn  im  genetiv  unter  dem  nur  von  dem  Schreiber  entstellten  pentameter, 

9)  IV  p.  186.  vgl.  Ar.  29,  1.  mir  scheint  die  lesung  des  facsimiles  immer 
noch  eher  auf  'E7tit,i^Xov  zu  führen  als  auf  l4vafXvariov,  wie  Blafs  jetzt  will,  die 
Urkunde  hat,  wie  jeder  wissen  soll,  weder  den  vater  noch  den  demos  bei  dem  an- 
tragsteller  angegeben;  Aristoteles  auch  nicht  von  sich  aus,  wie  sollte  er  einen  Pytho- 
doros  identificiren?  also  kommt  es  auf  seinen  berichterstatter  an,  und  bei  dem  ist 
der  Vatersname  ungleich  wahrscheinlicher,  übrigens  war  der  mann  seiner  zeit  recht 
bekannt,  wenn  meine  combination  über  ihn  zutrifft,  die  ist  nicht  einmal  für  das 
reiterdenkmal  zwingend,  aber  doch  wol  wahrscheinlich:  für  die  Aristotelesstelle  hängt 
alles  von  der  lesung  ab.  der  name  Pythodoros  ist  sehr  gewöhnlich.  411/10  fiel 
ein  mann  des  namens  als  phylarch  der  Hippothontis  CIA  I  448,  3,  59.  aus  dieser 
phyle  ist  JIvqqos  nv&oBoJQov  lä/spSovaios  ende  des  vierten  Jahrhunderts  II  948. 


174  II.    7.  Der  athenische  name. 

mochte  gerade  in  der  ersten  zeit  nach  der  Vertreibung  der  tyrannen 
oder  auch  nach  der  schlacht  von  Maralhon ,  wo  der  polemarch  KaUi- 
machos  von  Aphidna  commandirt  hatte  und  gefallen  war,  dieser  ortsname 
einen  besondern  klang  haben.'")  sehen  wir  dann  folgende  grabschriften 
IV  p.  117  ^oioxeag  'icfiOTiccöriQ,  Tif-iaQiori]  QsocfwvTog  ^afucTQicog, 
^Qtorojvvf.iog  ^Qiaralov  'icpiOTiädov,  ^giozof-iaxog  ^giarsov  'icpi- 
OTLctdr^g,  vater,  niutter  und  sühne,  aus  dem  ende  des  fünften  Jahrhun- 
derts, II 1 6S5  BtvoyJ.ii]g  ^yye'/Sj^ev,  IIo/.vxäQrjg  Btvov.Xiovg  l4yyeXi]d-ev, 
^QiaTOxXsrjg  S^voxXeovg  ^yyelfj-9-ev,  an  fang  des  vierten  Jahrhunderts. 
II  2002  u4lyuEag  E?.svGivLog,  EvcpQiov  ^iyjieov  'EXEvoLviog,  ^gylTrirr] 
^ri]0Liz7CL0v  (d.  i.  ^rr^oLytriov  oder  ^rr^OLTtTCidov)  IdyaQvscog.  II  2330 
^^'kxiTCTtog  Melireig,  JLOcpävr^g  ^iX/lmtov  M€hTs{vg)  und  vier  nur 
mit  dem  eigennamen  bezeichnete  tüchter.  in  diesen  vier  fällen  führt  der 
vater  nur  den  demos,  der  söhn  folgt  der  sitte  des  vierten  Jahrhunderts: 
entweder  also,  der  vater  war  neubürger,  oder  aber  die  sitte  hatte  mit  dieser 
generation  gewechselt;  so  viel  ich  sehe,  würden  wir  dann  bei  dem 
vater  eher  das  fehlen  des  demos  erwarten. 

Grabsteine  von   fremden   mit  vater  und  Vaterland  sind  im  fünften 
Metöken    Jahrhundert   nicht   selten,     die   metüken   verschmähen    die   officielle   be- 

und  fremde.  ,     ,  ,  .  ,,^        i-      •         i  •   i    n 

Zeichnung  nach  dem  demos  so  gut  wie  ganz''),    die  isotelen  nennen  sich  ! 
im  vierten  Jahrhundert  mit  stolz  so  auf  den  steinen ;  etwa  ein  drittel  fügt 
den  vater  zu:  darin  liegt,  dafs  der  vater  bereits  diesem  bevorzugten  stände 
angehört  hat.*-)    für  dieselbe  zeit  darf  man  als  eine  regel,  von  der  es  aus- 
nahmen geben  wird,  aber  doch  als  eine  regel,  an  die  wir  uns  zunächst 
halten,  aufstellen,  dafs  die  grabsteine,    die  nur  den  vater  nennen  ohne 
Vaterland    und   demos,    von    metoken  herrühren.      äufserst   merkwürdig    I 
sind   folgende   grabsteine  des   fünften  Jahrhunderts   IV  p.  115  Idgxlag 
NißQo  ^vÖqLo ;  EuffoavTidrig  ^lävdgojvog  läoTVTta'/.aieiog ;  Idd^r^vö-  ( 
doTog  ^largox/Jog  Oaor^lLro;  die  leute  haben  das  Vaterland  ihrer  väter 


10)  IV  p.  153.     es   ist  kaum   auszudenken,  wie  der  bei  Marathon   gefallene 
polemarch  Kallimachos  ein  weihgeschenk  darbringen  sollte,  das  der  Meder  erwähnte. 

11)  Herrn.  22,  251. 

12)  CI.\  II  2723  —  273-4.  die  anime  einer  Hippostrate  erhält  von  dieser  ihr  grab 
und  den  namen  in  der  ioxm 'A'no}.XoScÖQOv  iaoTslov  d'vyärTjo  MihTxarirdT,;  2729.  ' 
Gerys,  der  einen  sclavennamen  führt  wie  JqÖucov  und  närai/.os,  ist  zusammen  be- 
graben mit  Nixcü  seiner  frau,  die  er  als  solche  bezeichnet,  und  0s6(pilos  iaoxiXrjS, 
dem  söhne,  der  den  eitern  den  stein  setzt,  denn  beide  erhalten  einen  entsetzlichen 
vers.  die  mutter  geht  an  (was  Köhler  verkannt  hat)  y.al  iya  rovS  ovSqos  k'fw 
y.ai  Ttävxa  ouoia  y^ont  aal  foovriSi  elaeßias  t'rsy.a,  wo  das  letzte  Stammelnd  be- 
zeichnet, dafs  sie  aus  frömmigkeit  im  alter  den  alten  gut  gepflegt  hat. 


Metöken  und  fremde,    sclaven.  175 

verloren;  aber  sie  wollen  es  nicht  verläugnen,  da  sie  den  ersatz,  die 
attische  clientel,  nicht  in  der  officiellen  weise  bezeichnen  können,  ohne 
zugleich  den  vater  aufzugeben,  die  steine  bezeichnen  also  das  metöken- 
verhältnis  in  der  für  die  redenden  ehrenvollsten  weise  auf  das  schärfste ; 
später  wünschten  diese,  indem  sie  ganz  über  ihren  stand  schwiegen, 
fälschlich  für  bürger  gehalten  zu  werden,  ganz  neuerdings  ist  noch  ein 
verwandtes  beispiel  bekannt  geworden.  EvcpQcov  l4dia  2ixvi6viog  er- 
hielt im  december  323  das  attische  bürgerrecht.  es  war  nur  eine  deco- 
ration,  denn  er  war  fUhrer  der  nationalen  partei  in  seiner  heiniat  und 
erlitt  bald  dafür  den  tod.  seine  ehren  wurden  in  Athen  cassirt.  im 
Winter  318  war  dann  in  Athen  die  demokratie  wieder  am  rüder,  resti- 
tuirte  dem  toten  seine  ehren  und  beschlofs  sich  seines  verwaisten  kindes 
anzunehmen,  dessen  namen  man  noch  nicht  einmal  kannte:  damals  heifst  er 
Ev(pQ(jov  läöect  tov  2i-Kviovlov  {JeXr.  ccqx-  92,  58).  da  er  nie  von  seinem 
bürgerrechte  gebrauch  gemacht  hatte,  besafs  er  kein  demotikon,  aber  ein 
Sikycnier  war  er  für  die  Athener  rechtlich  auch  nicht  mehr,  es  erinnert  diese 
terminologie  an  lägyeiädag  HayeXaiöa  ragyelo  IGA  42,  den  ich  neben 
dem  paphlagonischen  (II  3260'')  sclaven  'J^Twrog,  der  sich  als  'Aoyelog 
bezeichnet,  weil  er  es  zum  bürgerrecht  gebracht  hatte,  für  einen  sclaven 
erklärt  habe  und  noch  erkläre,  wer  die  bekundung  des  Personenstandes 
nicht  als  die  gelegenheit  zur  fabrication  archaeologischer  märchen  be- 
trachtet, kann  nur  so  erklären  —  es  sei  denn,  er  meine,  Argeiadas  hätte 
das  bürgerrecht  seines  valers  verwirkt  gehabt;  das  ist  auch  möglich, 
allein  ^gyetädag  ist,  darin  hat  Röhl  recht  gesehn,  von  dem  stammnamen 
der  makedonischen  könige  nicht  zu  trennen:  griechisch  ist  ein  s.  g.  palro- 
nymikon  von  einem  adjectiv  überhaupt  nicht. '^)  man  kann  von  Q^ßi] 
Grjßadr^g  bilden  wie  von  nvkr]  TVvXddrjg,  aber  nicht  Qr]ßaiidrjg  oder  von 
^Hlüog  'Hksiäörjg  oder  Fehoädr^g  u.  s.  w.  der  könig  Alexandros  hat 
seinen  stammnamen  wol  oder  übel  gräcisirt  um  an  Argos  und  Herakles 
anzuknüpfen,  so  ist  Idqyeiädi^g  entstanden,  das  war  also  für  einen  sciaven. 
freien  menschen  überhaupt  kein  name.  aber  für  einen  makedonischen 
sclaven  war  es  so  gut  wie  für  einen  lydischen  /f^otffog "),  einen  persi- 


13)  Habron  nsQi  yevcöv  bei  Steph.  Byz.  "Aqyos  führt  zwar  unter  dem  'patro- 
nymischen'  namen  von  Argos  'AgysiäSai  xal  (PoQcovsiSat  an,  bezieht  es  also  auf 
"Aqyos  'PoQcoviois ,  aber  von  dem  könnte  es  nur  'AoyidSai,  lauten,  da  er  sich  auf 
die  dichter  beruft,  so  hat  ein  künstelnder  poet  den  makedonischen  namen  im  sinne 
der  Makedonen  verwandt,  wenn  die  lesart  überhaupt  verläfslich  ist. 

14)  Aufser  dem  viel  für  das  Erechtheion  tätigen  maurer  KooXaos  iv  Ilxafiß. 
otx.  (I  324.  IV  p.  75),  und  einem  metöken  3883  und  sclaven  3882  ist  der  name  noch 


176  II.    7.  Der  athenische  name. 

sehen  JaQElog  oiler  FcoßQvag,  einen  aogyplischen  !k/iiaoig,  einen  phry- 
gischen  Miöag,  einen  thrakischen  TrjQr^Q,  eine  karische  sclavin  lägre- 
fuola  (wie  die  hordellmutler  in  den  Thesmoj)horiazusen  heifst).  Das 
allerdings  bin  ich  gezwungen  zuzugeben,  dafs  ich  die  dem  lateinischen 
Quintipor  entsprechende  terminologie  nicht  belegen  kann,  die  altische 
Inimanität  hat  ihnen  gestattet  auf  den  grabsleinen  als  menschen  aufzu- 
treten ,  einerlei  ob  sie  noch  sclaven  oder  freigelassen  warea.  und  den 
sclavenstand  merken  wir  am  deutlichsten  durch  das  freundliche  Zeugnis 
des  herrn,  der  das  grab  bezahlt,  y^QriGTÖg:  es  ist  für  die  socialen  Ver- 
hältnisse wahrlich  ein  hübscher  zug,  dafs  in  Athen  'der  brave'  für  *^den 
sclaven'  auf  dem  friedhofe  die  bezeichnung  ist.  oft  tritt,  namenlHch  bei 
den  ammen  (ziT&rj  und  f.iaf.i(.ua) ,  aber  auch  bei  den  paedagogen  die 
Stellung  des  sclaven  hinzu,  die  in  diesen  fallen  ein  persönliches  Ver- 
hältnis herbeiführt;  die  tragoedie  mehr  als  die  komoedie  und  dann  die  epi- 
gramme  der  Anthologie  geben  weitere  illustrationen.  aber  das  rechtliche 
Verhältnis  ist  dadurch  wol  gelockert,  nicht  gelöst,  sclaven,  die  nicht] 
brav  waren,  sind  ohne  grab  und  gedächtnis  geblieben,  natürlich  ist  das 
sclavengrab  nicht  anders  zu  beurteilen  als  das  von  hunden  und  pferden. 
und  der  sclavenname  ist  auch  mit  nichten  mit  dem  menschennamen  ver- 
gleichbarer als  mit  denen  von  tieren ,  in  denen  ihr  herr  eine  gewisse 
individualität  sieht.  Savd^lag  Me'Aacj  2l/iiog  JqÖ(.icov  Tlagäf-iovog  ^E-rti- 
y.rrjTog^^)  niarog  QQaviiov  (hei  PhuXiis,  i\ev  ruderscVaye)  3Iai.if.iia  Ma/ii- 
(idgiov  Kglog  ylafiia  Blöoyog  sind  nicht  anders  gebildet  als  die  pferde- 
namen  Bärdog  BaXlog  Köga^  Qo-rtTtarLag  KvXXaqog  flahmfüfschen', 
eigentlich  kein  compliment  für  ein  pferd ,  das  Hera  schenkt),  oder  die 
hundenamen  auf  der  Francoisvase  und  bei  Xenophon.  dazu  treten  die 
bczeichnungen  der  herkunft  (Dqv^  Kilioaa  Fhrjg  Jaog  Kagltov  Avörj^'^), 
oder  ein  par  gewöhnliche  barbarische  fremdnamen  wie  Tlßeiog  Bldvrjg 


bei  Aristophanes  Wesp.  1221    für  Xqvos  herzustellen,  was   weder  überhaupt  noch 
für  einen  sclaven  ein  name  ist:  nai  TiaT,  ib  Selnvov  K^oXae  av(TxEvat,e  vcov. 

15)  Das  hindert  nicht,  dafs  eine  ^Enncri'jra  auf  Thera  in  einem  hochadlichen 
geschlechte  erscheint:  so  wenig  die  Sulpicii  sich  des  namens  Servius  geschämt  haben, 
und  doch  zeugen  beide  für  das  sclavenbUit  eines  vorfahren,  in  dem  geschlechte,  für 
das  Epikteta  ihr  testament  macht,  erscheint "7/f£(>Tos  'lfieQO(p(~)vros,  an  den  ich  erinnere, 
M'eil  der  in  Boeotien  und  in  Athen  (hier  bei  dem  bruder  des  Phalereers  Denietrios) 
vorkommende  name  'ifieQolos  auf  Himera  gedeutet  worden  ist.  es  ist  aber  ein  kurz- 
name  von  ^lueQO-yXi^s  etwa,  wie  Oealos  Jiaioe  EvcpQalos  u.  dgl. 

16)  Dahin  geiiört  auch  Mvs,  höchstens  im  scherze  vom  Myser  an  die  maus 
angeähnelt,  und  Bl&vs,  ganz  ebenso  den  Bithyner  bezeichnend. 


Sclaven.    Spitznamen.  177 

^TioTog  rfQvg  ßayioag"),  zu  denen  die  obenangeführten  königsnamen 
treten,  wenn  der  Athener  der  Peisistralidenzeit  seinen  aegyptischen 
knecht  Amasis  ruft,  so  verwendet  der  Römer  für  seine  sclaven  die  namen 
der  griechischen  sage  und  geschichte;  heute  heifsen  die  küter  Hektor 
und  Diana  und  die  gäule  Caesar  und  Vesta.'*)  das  gemeinsame  aller 
dieser  namen  ist,  dafs  sie  Spitznamen  sind,  nicht  von  der  für  die  Hellenen-  Spitznamen. 
namen  verbindUchen  hildung  aus  zwei  stammen,  der  mann  kann  ja  auch 
den  Spitznamen  '^\yidder,  Kalb,  Wolf'  führen,  und  die  verbeiteten  kurz- 
namen  werden  diesem  häufig  äufserhch  gleich,  wie  denn  jQoiioiv  auch 
Verkürzung  von  jQoi-ioiilsiör^g  sein  kann,  eine  ganze  menge  von  guten 
menschennamen,  die  auf  ort  und  zeit  und  art  der  geburt  gehen,  Not- 
l-nqviog  ^Evarliov  Eixädiog  Tgiriog  (in  Arkadien,  wo  diese  namen  nach 
dem  kalendertage  beliebt  sind)  'Eßdof.iiag,  ^nazovoiog  'EÖQriog  Qvlcov 
'^Ofxohöoiv,  "EvÖLog,  ^ge&ovOLog  EvQiTtidrjg  2'KafidvÖQiog  KaQvedör^g, 
sind  so  gebildet,  und  sie  führen  zu  den  adjectiven  über,  die  von  götter- 
namen  gebildet  sind,  '47tolXcüviog  z/iovvoiog  ^rif.irjTQiog  ^lajiiriviag 
KrjCpiaiag,  aber  auch  von  menschen  EvqiQÖviog  OiliXXiog  MeXav^tog. 
das  sind  die  griechischen  namen ,  die  den  römischen  vornamen  allein 
ähnlich  sind'^),  während  der  Spitzname  genau  dem  cognomen  entspricht 


IT)  Maavvrias  Ar.  Wesp.  433,  Maoixäs,  IJa^Soxas  ^xsßlias  k\:  Frosch.  608. 
endlich  "TXas  Rilt.  8.  es  mufs  dort  ein  beliebiger  sclavenntme  sein,  und  das  ist  der 
name  des  schönen  knaben,  den  Heiakles  liebte,  wol  für  Rom  aber  nicht  für  das 
alte  Athen,  wo  aber  hat  jener  Hylas  den  namen  her?  nicht  aus  dem  griechischen, 
denn  die  erste  silbe  ist  kurz,  und  wenn  er  den  Dryoper  Theiodamas  zum  vater 
erhielt,  so  braucht  man  nur  die  sage  etwas  genauer  anzusehen,  damit  man  diese 
Verknüpfung  löse.  Hylas  ist  ein  Mariandyner,  den  erst  die  Herakleoten  annectiit 
und  in  die  heimat  versetzt  haben:  nur  die  Mariandyner  klagen  um  ihn.  so  findet 
sich  denn  auch  der  sclavenname  'TXXas  CIA  11  4202.  ich  möchte  aber  ebenso  deuten 
den  bisher  rätselhaften  "OXas  avdo  I  274.  mariandynisch  dürfte  der  name  Fola  ge- 
lautet haben. 

18)  Rohe  menschen  haben  auch  in  unseren  tagen  ihre  hunde  Napoleon  und 
Bismarck  gerufen,  um  in  ihrer  weise  ihren  ohnmächtigen  hafs  auszulassen. 

19)  Tiberius  ist  ganz  wie  ^xa/uävS^ios  gebildet,  Marcus  Mamercus  nur  mit 
anderem  sufflxe  als  die  griechischen,  Lucius  ist  "EvStos;  Manius^Hoiyovr],  den  act 
der  geburt  wie  mit  Jgrippa  Kaeso  haben  die  Griechen  nicht  bezeichnet,  ob  die 
von  zahlen  genommenen  namen,  von  denen  nur  ein  paar  als  vornamen  in  gebrauch 
geblieben  sind,  aber  die  meisten  durch  abgeleitete  stammnamen,  Sepliynius  Octavius 
iSonius  bezeugt  sind,  auf  die  tage  der  zehntägigen  woche  gehen,  wie  die  grie- 
chischen ,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Titus  ist  von  der  griechischen  decenz 
verbannt:  aber  die  Boeoter  lassen  sich  JJä&cov  üa&lros  nennen,  sonst  führt  nur 
ein  kuppler  den  sclavennamen  BaXXimv  von  den  ßaXXia,  die  durch  Herodes  bekannt 
geworden   sind,     es  ist  ein  kosewort  im  ammenjargon  wie  nöad'wv,    Publius  und 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  12 


178  !!•    7.  Der  athenische  name. 

und  M.  M.  f.  Corn.  Cicero  einem  'Hy^oircTtog  'Hyr^aiov  ^ovvievg  6  xal 
KQCoßvlog  gleichgesetzt  werden  muls.  aber  unter  den  männern  sind 
solche  namen  immerhin  ausnahmen^");  die  frauen  dagegen  sind  sehr  viel 
mehr  wie  sclaven  behandelt,  und  TÜM^yoiv  (puppe),  Ma^inäqiov , 
Oü.ovuev)],  'Hoch]  Koqivvcc  D.i/.i]  FoQytö  MvQQivt]  "Hqlvvu  (was 
attisch  'EaQivi]  wäre)  heifsen  auch  matronen ;  nur  in  der  höheren  attischen 
gesellschafl  und  demgemäfs  im  fünlien  Jahrhundert  in  der  ganzen  gut- 
bürgerlichen si)haere  ist  man  daiauf  aus  männeru  und  frauen  volle  namen 
zu  geben,  doch  sind  die  kosenamen  natürlich  bei  den  frauen  verbrei- 
teter und   nicht    immer  von  den  eigentlichen  Spitznamen  zu    trennen.^') 


Trebins  kehren  als  iPvlevi  <PvXXii,  Aäios,  (Pv?M8as  yJäSas  wieder,  in  Athen  heifst 
ein  geschlecht  (pvU.iSai,  mit  dessen  abieilung  sich  Töpffer  309  unnötige  mühe  macht: 
die  Verdoppelung  des  A  ist  ganz  in  der  Ordnung,  aber  was  die  bedeutung  dieser 
namen  'zugehöriger  des  volkes,  Stammes'  sein  soll,  ist  mir  unklar. 

20)  Der  Spitzname  erhält  erst  im  dritten  Jahrhundert  nach  Christo  seine  feste 
bildung,  weil  die  spräche  mit  den  allen  formen  nicht  mehr  zufrieden  ist  und  nach 
bedeutsamen  wahlnamen  sucht,  die  namen  von  barbaren,  Aegyptern  z.  b.  und  Juden, 
arbeiten  dieser  sitte  vor,  auch  die  seltsame  adoption  des  vaternamens  im  nominativ 
C^Qsios  JiSvuos,'JIo(oSr]s'!^TTi.xos)  gehört  dahin,  die  bildungen  aber  auf -tos  (dessen 
Schreibung  einerlei  ist,  auch  in  Baai?.eios  ist  es  ein  unbetontes  i,  und  die  ausspräche 
Basilios  ist  ganz  unberechtigt)  sind  den  alten  Jiovvatos  Jr^/ir-roios  ganz  analog, 
der  Diogenes,  der  sich  nach  Jioyevis  ytasondSTj  den  Laertier  nannte,  oder  wer 
nach  Piaton  oder  Nestor  oder  Caesar  oder  dem  purpur  seiner  heimat  oder  nach 
irgend  welchen  vorhandenen  oder  gewünschten  eigenschaften  den  zunamen  erhielt, 
Evaeßeios  F^r^yö^ios  EvTey.vios,  Pulcheria  Prudentius  Cojistantius ,  sie  alle  sind 
wieder  bedeutungsvoll  und  individuell:  es  ist  ein  zeichen  davon,  dafs  die  alte  cultur 
und  spräche  tot  ist,  wenn  man  eine  neue  onomatologie  braucht,  aber  dafs  man  sie 
sich  schallen  konnte,  ist  ein  unverächtliches  zeugnis  für  die  leistungsfähigkeit  jener 
zeit,  natürlich  tritt  der  beiname,  so  lange  er  nur  das  ist,  an  das  ende  der  namen- 
reihe,    nur  die  modernen  wollen  das  nicht  gelten  lassen. 

21)  Ganz  den  weiblichen  menschenuamen  stehen  die  der  schiffe  gleich;  das 
sind  die  einzigen  unbelebten  wesen,  werke  von  menschenhand,  die  der  Hellene  in- 
dividualisirt;  er  tut  es,  weil  er  sie  wirklich  als  beseelt  empfindet,  wie  am  besten 
die  reizende  erfindung  des  Aristophanes  oder  vielmehr  Eupolis  Ritt.  1300  zeigt, 
der  Widersinn,  ein  stück  geschmiedetes  metall  zu  benamsen,  den  die  erfinder 
des  Schwertes  Durandarte  u.  dgl.  begangen  haben,  offenbar  im  gefühle  ihrer 
barbarischen  Unfähigkeit,  so  etwas  zu  machen,  liegt  den  Hellenen  selbst  in  der 
ritterzeit  fern,  von  wilden  bestien  der  sage  führen  ein  par  drachen  einen  namen, 
Ladon,  der  die  Hesperidenäpfel  bewacht,  aber  eigentlich  der  arkadische  flufs  ist, 
Porkis  und  Chariboia,  die  die  söhne  des  Laokoon  töten  {ovöfiara  ofscav  paraphrase 
zu  Lykophron  347),  Sthennis,  der  drache  von  Aulis  (Porphyr,  zu  B  308).  sonst 
empfindet  der  Hellene  das  individuelle  im  tiere  spärlich,  weil  er  das  typische  in 
ihm  erfafst,  hat  er  die  fabel  erfunden  und  den  fuchs  KeqSu),  den  äffen  Ka).Uas 
benannt,   nicht  einen  Reinhard  und  Isegrimm.     auch  die  vögel  pflegen  keinen  indi- 


Das  recht  am  namen.  179 

Allein  der  reizvolle  und  viel  zu  wenig  behandelte  gegenständ  lockt  Das  recht 
mich  vom  wege  ab.  die  onomatologie  selbst  darf  ich  hier  nicht  ver-  '^'^^"• 
lolgen;  nur  das  ist  rechthch  von  bedeutung,  dafs  der  sclave  von  des 
lierrn  gnade  und  duich  des  herrn  willkür  den  namen  hat,  auf  den  recht- 
lich nichts  ankommt;  ein  in  sclaverei  geratener  Hellene  kann  ihn  ebenso 
gut  fuhren  wie  verheren,  je  nach  dem  belieben  des  herrn.^^)  die  frau 
steht  rechtlich  ebenfalls  unter  dem  xvQiog,  und  ihr  bürgerrecht  beruht 
ausschliefslich  auf  dem  des  maunes,  in  dessen  band  sie  ist.  in  Athen 
ist  jedoch  der  geneliv  ohne  zusatz  von  yvvrj  bereits  dem  Vatersnamen 
v(»rbehalten.''^^)  die  hetaeren  führen  wahlnamen,  auch  wenn  sie  freie  sind, 
und  keineswegs  blofs  als  tüuli:  es  scheint  nicht,  dafs  der  frauenname 
im  schütze  des  gesetzes  steht,  während  der  mann  um  seinen  namen  klagen 
kann,  wie  der  rechtshandel  des  MavTi^eog  Mavriov  QoqUioq  wider 
MavxLd-eog  MavTiov  GoQr/.iog  beweist,  in  dem  der  erste  vergeblich 
dem  zweiten  die  führung  des  namens  bestreitet.*^^)    aber  der  eigenname 


vidualnamen  zu  erhalten,  sondern  Lesbia  sagte  passer  und  Corinna-  psittacus.  die 
italienischen  hunde  pflegen  noch  heute  auf  cane  zu  hören,  bei  uns  ist  jeder  schwan 
ein  Hans  und  jeder  kleine  vogel  ein  Matz:  darin  liegt  jetzt  keinerlei  individuali- 
sirung  mehr,  von  Ortsnamen  sind  ganz  individuell  die  der  flüsse:  das  sind  aber 
meist  auch  götter  und  ahnherren,  minder  schon  die  der  berge,  noch  weniger  die  der 
Städte,  die  sehr  vielfach  derivata  sind,  sie  bedürfen  einer  neuen  Untersuchung,  dafs 
es  keine  strafsennamen  uralter  zeit  gab,  habe  ich  Herakl.  II  199  ausgeführt. 

22)  Meaaevios  dveQ  steht  unter  dem  confiscirte  besitze  des  Hermokopiden 
Axioclios  CIA  I  274.  ebenda  KvSifiaxov  SöXov  ^ASeifiavTov;  jener  halte  zu  hause 
gewifs  einen  namen  gehabt,  der  nun  nicht  mehr  galt.  Kydimachos  war  ein  vor- 
nehmer menschenname,  deshalb  fügt  der  protokollirende  Schreiber  SoiXov  hinzu, 
ein  grund  das  wort  anders  zu  deuten  liegt  nicht  vor. 

23)  Das  folgt  mit  Sicherheit  aus  II  1708,  2056,  2166,  2216,  2547,  2648,  ich 
behaupte  natürlich  nicht,  dafs  keine  ausnahmen  vorkämen,  da  das  recht  notwendig 
ehedem  weiter  gieng.     aber  ich  kenne  keine. 

24)  Die  vergleichung  der  demosthenischen  rede  39  mit  der  eines  unbekannten 
40  ist  sehr  lehrreich.  Demoslhenes  führt  eine  schlechte  sache  und  verliert  sie,  aber 
die  rede  ist  sehr  geschickt,  der  andere  Sachwalter  hat  eine,  wie  es  scheint,  gute 
Sache;  den  erfolg  vermag  ich  nicht  zu  erkennen,  die  sache  war  wol  die.  der  Po- 
litiker Manilas  von  Thorikos  hatte  eine  ehefrau  Plangon,  die  er  liebte,  von  der  er 
kinder  hatte,  die  er  aber  doch  verstiefs,  als  ihr  vermögen  verloren  gieng.  nun 
nahm  er  sich  eine  reiche  wittwe  und  zeugte  mit  der  einen  andern  söhn,  aber  als 
diese  starb,  kehrte  er  zu  der  ersten  liebe  zurück,  wollte  nur  von  den  kindern  der 
Plangon  nichts  wissen,  doch  diese  war  geschickt  genug,  den  alten  in  den  letzten 
tagen  zur  gerechtigkeit  zu  bestimmen,  und  der  nunmehr  geprellte  angeblich  einzig 
echtbürtige  söhn  dang  sich  vergebens  den  besten  redner  für  seine  häfsliche  sache 
und  ist  mit  einem  schlechtem  redner  für  eine  anscheinend  begründete  geldforderung 
kaum  besser  gefahren. 

12* 


180  II.    7.  Der  athenische  name. 

ist  allerdings  nur  ein  Privatbesitz,  der  den  Staat  als  solchen  nicht  kümnieri. 
wollte  aber  jemand  sich  das  demotikon  beilegen,  ohne  den  nachweis  der 
berechtigung  führen  zu  können,  so  durfte  jeder  Athener  klagen,  denn 
darin  lag  die  anmafsung  des  bürgerrechts,  die  der  Staat  so  bestrafte,  dals 
er  den  schuldigen  als  sich  verfallen  betrachtete  und  als  sclaven  verkaufte. 
Der  name  Das   führt   ZU  der   unabweisbaren   frage,   wie  denn  der  volle  athe- 

im  SG- 
sciiieciitcr-  nische  name  vor  Kleisthenes  gelautet  habe.    Ttargod-ev  allein  reicht  un- 

Stil  8.16 

möglich  aus,  weil  dann  gerade  das  dislinclivum  des  bürgerrechtes  fehlt:  der 
vater  bezeichnet  nur  den  freien  mann,  wir  haben  bisher  alle  teile  des 
römischen  namens  angetroffen,  nur  den  wichtigsten  nicht,  den  gentil- 
namen,  dem  zu  hebe  die  Römer  den  eigennamen  völhg  haben  verkommen 
lassen,  wie  die  Athener  ihrerseits  den  gentilnamen.  was  entspricht  dem 
M.  Tnllms  M.  f.?^^)  der  demokratie  geht  der  adelsstaat  vorher,  dessen 
Ordnung  Rom  bewahrt  hat;  die  phyle,  das  kunstproduct,  erwarten  wir 
auch  in  ihm  nicht,  aber  wol  wie  in  Rom  das  geschlecht.  TcatQÖd^ev  Ix 
y£%'Erig  erwarten  wir  die  bezeichnung,  wie  es  in  der  Dolonie  heifst.  aber 
wir  finden  nicht  was  wir  suchen;  wenigstens  die  Inschriften  versagen- 
zunächst. 

Gesciiieciiis-  Es  mufs  erst  über  eines  klarheit  werden,  die  s.  g.  patronymika  auf 

-LÖriQ  -adr]g.  gewifs,  Tvdeidrjg  ^TQei'drjg  Ilr^?.s'idrjg  ylaegriädr^g  be- 
zeichnen im  epos  hundertmal  den  söhn  des  Tydeus  u.  s.  w.  gewifs  haben  i 
das  die  dichter  mit  dem  homerischen  stile  tausendfach  nachgebildet, 
und  doch  zeigt  der  gebrauch  schon  des  epos,  dafs  das  palronymikon 
eigentlich  nicht  mehr  gilt,  sondern  ein  gentilicium  wird,  die  Odyssee 
feiert  noch  den  ^a£QTiädr]g,  die  Telemachie  kennt  keinen  ^Oövao€tö)]g 
mehr,  wir  sind  an  den  Fehden  gewöhnt:  IIvQQog  y^xLlletdr^g  gieng 
schön  genug  in  den  vers;  aber  das  ist  nicht  formelhaft  geworden,  gött- 
liche väter  gibt  es  im  epos  genug,  aber  das  wird  niemals  mit  dieser  ab- 
leitung  bezeichnet,  weil  der  gott  kein  geschlecht  gründet.-®)    JjQiaf.iLdrig 


25)  Die  gleichung  des  genülnamens  mit  dem  demotikon  ist  unzulässig,  erstens 
weil  dieses  eine  junge  demokratische  neuerung  ist,  dann  aber  auch,  weil  der  gentii- 
name  unmöglich  eine  örtliche  bedeutung  haben  kann,  die  20  ältesten  tribus  haben 
nicht  den  geschlechtern ,  die  in  ihnen  safsen,  ihren  namen  gegeben,  sondern  um-' 
gekehrt  von  jenen  empfangen,  die  tribus  Fabia  verhält  sich  zu  der  gens  Fabia  wie 
der  demos  BoviaSai  zu  dem  geschlechte  BovräSai.  und  Quintius  kommt  von 
Ouinlus,  lulius  von  lullus,  Claudius  von  Claudus,  Valerius  von  Valerus,  ganz  wie 
die  boeolischen  patronymika  Avxioi  von  Aixos,  (pikhoi  von  <PiXXis,  MoXcovios 
von  Mölcov. 

26)  ovoaricovss  schliefst  zumeist  alle  götter  des  himmels  ein,   weil  sie  da  zu 
hause  sind,  ganz  wie  sie  später  oijjaviSat  heifsen.    nur  ^89S  wird  das  geschlecht 


Geschlechtsnamen.  181 

Telaf-ccüviog  II)]k€uov.^^)  Tska^aoviog  ist  das  einfache  adjectiv;  in  ihm 
spricht  sich  am  deuthchsten  das  rechtsverhältnis  aus,  dafs  der  söhn  des 
Vaters  ist  wie  das  rofs  und  die  waffe.  Nrjlr^Log  viög  {B  20),  N.  Xtctcoi 
^1  537.  diese  bildung  ist  von  den  Thessalern,  Boeotern  und  Aeolern  lange 
beibehalten,  bis  sie  dem  gemeingriechischen  genetive  wich,  zuerst  für  die 
niänner,  dann  für  die  frauen,  wie  man  auf  den  assischen  steinen  gut 
verfolgen  kann,  sie  entspricht  ganz  genau  dem  italischen  gentilnamen, 
aber  zu  einem  gentilicium  ist  sie  nicht  geworden,  die  lesbischen  ge- 
schlechter heifsen  Tlsyd^Uidai,  ^QXsavazTiöai.^^)  die  bildung  auf  -wv 
-itov  ist  im  leben  ausgestorben,  für  eigennamen  aber  sehr  viel  gebraucht, 
ebenso  wie  die  zugehörige  weibliche  auf  ovr^.^^)  die  eigennamen  ^d^iq- 
rcxdr]g  (Doißidag  'HQayJ.eldr.g  geben  nicht  anders  die  Zugehörigkeit  zu 
dem  bestimmten  gotte  an  als  '^Eorialog  ^d-i\vaiog  noo€LÖcüviog.^°)    TEv- 


der  oioaviojvss  den  söhnen  des  Zeus,  des  narr;o  d'eüv,  entgegengesetzt.  Zeus 
selbst  heifst  KqovIcov  KqovIStjS,  was  eben  deshalb  ein  rätsei  ist,  weil  sonst  auch 
kein  gott  nach  seinem  vater  heifst.  Pindar  nennt  die  götter  öfter  K^oviSai,  als 
wäre  das  ihr  gentilname,  auch  ßaailr^es  und  Koövov  nalSas  ßaaiXr,as  (P.  3,  94), 
wo  die  ßaailr^es  ganz  in  dem  sinne  gefafst  sind,  der  oben  s.  136  anm.  20  erläutert  ist. 
^laTtsrtoviSr^s  'TtieoiovCStjs  (insoicov  ist  nichts  als  der  'oben'  wie  oxqavLoiv  der  'im 
himmer)  Nri^r^ivr]  JTjeoivT]  bei  späteren  besagen  nicht  viel,  aber  sehr  merkwürdig 
ist  yiTjrdiSris  von  Apollon  und  Asklepios  (Hesiod  fgm.  109),  alt,  wenn  auch  nicht 
homerisch,  da  Leto  nichts  als  die  mutter  ihrer  kinder  ist,  aber  nicht  die  gattin  des 
himmelsgottes,  so  ist  sie  eben  so  rätselhaft  wie  der  zu  Kqoviwv  stehende  KqÖvos. 
vTj^rjiSes  ist  gebildet  wie  vamSes  BqvolSss,  und  hier  ist  deutlich,  dafs  es  vs^aiSes, 
vr]$TjiSss  vifitpai  'wassermädchen'  sind,  gehörig  zu  dem  aXios  yeqtov^  für  den 
vriqzvz  ein  auch  nur  die  herkunft  bezeichnender  name  ist,  noch  weniger  bezeichnend 
als  nÖQyos  (PÖQy.vs  'der  fisch',  zu  dem  als  frau  die  'auster'    Trj&vs  gehört. 

27)  Jcooiijs  EixaSr^s  (Pihf^i  weisen  zwar  auf  einen  eponymen  des  xoivöv 
zurück,  aber  sie  sind  in  Wahrheit  nicht  von  ihm  gebildet  oder  doch  nicht  wirklich 
gentilicisch.  ar^SoviSr^s  AiyixoQr/S  ßaai^s  sind  ebensolche  gattungsnamen ,  aber 
keine  geschlechtsnamen. 

28)  Dafs  dies  die  richtige  form  ist,  folgt  aus  dem  femininum  '^^x^ävaaaa, 
metrisch  gesichert  Diog.  Laert.  3,  31.  es  ist  freilich  so  sonderbar  gebildet  wie 
liva^a^xos,  aber  beide  sollen  den  regierenden  fürsten  bezeichnen. 

29)  ^/jcpicov  ^A^irfvöva  (diese  auf  Kreta),  Jrjcov  Jr^icvr, .  MoUcov  Mohovrj, 
'ÜTtiovr]'  'HaiovT]  die  mutter  des  Tevy.oos  und  die  frau  des  Prometheus  sind  beide 
'die  Asiatin',  zu  der  dem  vocalismus  nach  die  'Haiovr,ss  gehören;  der  !l^fftoä  'Tora- 
xiSfje  und  der  lAaiov  Xsificov  der  Ilias  haben  den  alten  vocalismus  bewahrt. 

30)  So  weit  wir  sehen,  bedeutet  ein  solcher  name  nur,  dafs  der  vater  das  kind 
unter  den  schütz  einer  gottheit  stellt  (Plut.  de  de  f.  orac.  21);  vielleicht  war  es 
ehedem  ein  ausdruck  der  hörigkeit.  übrigens  kommen  auch  die  anderen  ableitungen 
vor,  wenn  jene  unbequem  war,  zluUcov  heifst  nach  dem  Apollon  J/;/.ios,  Uroicov 
nach  dem  Uroloi. 


182  !!•    "•  Der  athenische  name. 

Xädrjg  Qrißctör^g  geht  höchstens  die  herkunft  an,  KaQveädrjg  ist  der  an 
dem  feste  des  KaQveiog  geborne.  sehr  seltsam  hat  Ibykos  'Eliva  Mere- 
laig  gesagt  für  'EXevr]  Msvskaov ,  als  ob  es  ganz  possessivisch  \vän>, 
und  vollends  ^X^aia  BW.saygig,  so  singulär,  aber  allerdings  so  ver- 
ständlich wie  Cornelia  Gracchomm.  aber  weiterhin  ist  die  ableitung  ganz 
und  gar  gentihcisch.  ^EgexO^Elöai  Ke/.QOTriöai  sind  die  Athener,  niclil 
die  kinder  des  Erechtheus,  ö/jaft?  ist  ^/y£/(5jjg  als  Aegide,^wie  wir  gi- 
sehen  haben.  'HQa/,Xeldai  heifsen  die  Herakleskinder  nie,  immer  seine 
ganze  descendenz.  Helena  kommt  nach  Troia  övoöf-tiXog  ovf.ieva  ÜQia- 
/.ilöaioi:  doch  wahrlich  nicht  blofs  für  ihre  schwäger,  sondern  für  das 
geschlecht  im  ganzen  (A.  Agam.  447).  ^ayiXr]7iic(öai  "^Of-ir^gldai  sind  viel- 
leicht schon  eher  gilden  als  geschlechter,  aber  sie  fingiren  den  geschlechts- 
verband.  IIsiaiOTQariöaL  sind  das  tyrannenhaus,  'EQ/LiOKOTildat  die  arge 
Sippschaft  der  Hermenfrevler,  wenn  ein  mann  KaXXiadr]g  oder  Sav- 
d-L7C7tLÖ)]g  heifst,  so  liegt  darin,  dafs  er  zu  einem  geschlechte  gehört,  in 
dem  der  name  KaXXiag  oder  BävS'LTTTtog  gewöhnlich  ist,  daher  wechselt 
der  einfache  name  mit  dem  geschlechtsnamen.  und  weil  der  name  genti- 
hcisch ist,  ist  er  vornehmer;  wol  im  anschlufs  an  eine  alte  vorläge 
läfst  Lucian  den  parvenu  sich  2i/iaüvidi]g  für  ^lf.uov  nennen  (gall.  14). 
damit  hätten  wir  also  eine  bezeichnung  für  den  gesuchten  gentilicischen 
begriff. 

Sehen  wir  nun  das  epos  an.  nQiaiiiid)]v  vo&ov  vi6v  A  490  ist 
noch  dasselbe  wie  v\ov  IlQiafioio  vo&ov  E  70,  y.ovqi]v  nQicc!.toLO  vödr^v 
N  173.  aber  EvQvoS^svg  ^d^eveXoio  Ttaig  IleQOi^iädao  T  123,  ^ficpi- 
vof.iog  Nloov  vlog  ^QrjTiadao^^)  Fäva-arog  J7  395,  üolv^eivog  viog 
AyaoS^eveog  Avyr^iäöao  ßdvaxrog  B  624,  ^xediog  y.al  ^E/CLOTQoq)og 
vUeg  ^IffiTov  f.ieya&v[.iov  JS'avßoXidao  518.  da  mag  noch  immer  der 
vater  allein  patronymisch  nach  dem  grofsvater  benannt  sein,  aber  wenn 
wir  ^514  LävxiXoxog  NrjXi]iog  lesen,  so  ist  der  gentilicische  begritT 
um  so  weniger  zu  verkennen,  als  der  heros  gerade  aus  dem  geschlechte 
ist,  das  für  die  meisten  ionischen  städte  das  könighche  war.  vollends 
Aiaxlörjg  als  name  des  Achilleus  in  der  Patroklie  mit  anhängen  ist  gar 


I 


31)  Ob  dies  von!^()^TOs  kommt,  ist  sehr  fraglich,  schon  weil  die  erste  sylbe 
kurz  ist.  denn  im  hesiodischen  Schilde  heifst  Kyknos  der  söhn  des  Ares  ^A^r^TiäSris, 
57,  und  die  pontische  Aresinsel  heifst  immer  'A^r^näg,  wenn  auch  die  grammaüker 
die  flexion  !^()j;s  "AQrjros  nur  aus  der  ableitung  kennen,  in  Ordnung  ist  es  damit 
nicht,  da  ein  patronymikon  von  einem  gotte,  wie  oben  bemerkt,  nicht  gebräuch- 
lich ist,  ''AQrjs''AQr]ros  ist  ein  hypokoristikon  wie  3Iayr;s  TäXrjs  Mvvtje.  erst  in  dem 
zugehörigen  vollnamen  könnte  der  gott  stecken. 


Geschlechtsnamen.  183 

nicht  anders  verständlich.  Hesiod  Ivatal.  37  ^f.iaQvyy-£tdr^g  'irtTtöörQa- 
Tog  oCog  ^gr^og  Wvy.riog  ayXaog  vtog:  da  ist  die  gentilicische  termi- 
nologie  vorhanden,  und  wie  die  an  die  patronymika  gewohnte  grammatik 
irre  geht,  lehrt  die  apollodorische  bibliothek,  die  es  mit  'ijtTtooTQdrov 
Tov  Idf.iaQvy-ASwg  wiedergibt,  es  konnte  gar  nicht  fehlen,  das  sich  in 
der  tradition  der  sage  gentiücische  bildungen  fanden,  die  in  der  genealogie 
gar  nicht  oder  nur  mit  gewalt  untergebracht  werden  konnten,  so  ist  es 
mit  ^ky.eidrjg  für  Herakles  den  söhn  der  Alkmene  gegangen ,  so  mit 
W.eiod^svLdaL  als  name  für  das  geschlecht  der  konige,  die  von  den  Dorern 
aus  irgend  einem  hauptorte  vertrieben  wurden  und  mit  den  heerkonigen 
der  Ilias  identificirt  wurden,  deren  ahnenreihe  doch  keinen  Pleisthenes 
cnthielt^^),  der  dann  kümmerlich  irgendwie  eiugeflickt  ward,  das  ergibt 
den  namen  ^Ogiorr^g  ^yaf.u/.ivovog  IUeiod^Evidr^g;  dem  entsprechend 
konnte  man  aus  den  pindarischen  gedichten  die  Aegineten  Ti[.iäoaQxog 
TL{.ioy.Qirov  Geavögidag  (Nem.  4)  Adf.i7tcov  KlEovLy.ov  WaXvyJdag  (N.  5) 
Jeivlag  Bleya  XaQiadag  (N.  7)  u.  a.  gewinnen,  ja  sogar  einen  Athener 
TLf-t6dri(.iog  Tl(.i6vov  Tiuoör^(.iidr^g  (N.  2),  der  neben  dem  geschlechte 
auch  seinen  demos  Acharnai  und  seinen  Wohnsitz  Salamis  verherrlichen 
läfst,  mit  dem  adel  des.  kleruchen  war  es  schwerlich  weit  her;  der 
Alkmeonide  Megakles  (Pyth.  7)  läfst  nur  sein  geschlecht  und  seinen  Staat 
verherrhchen.  von  dem  dichter  Simonides  aus  Keos  kennen  wir  sogar 
zuverlässig  den  vollen  namen  ^Li.uovLdr^g  AuoTcqiicEvg  'Y?.ixiö)]g^^)  und 
so  hegt  es  nahe,  sich  vorzustellen,  dafs  die  ältere  attische  nomenclatur 
der  spätem  ganz  ähnlich  gewesen  wäre,  nur  mit  dem  geschlechtsnamen 
statt  des  demotikons  hinter  dem  Vatersnamen,  Avy.ovQyog  ^QLGxoXfj- 
öov  BovT(xöi]g  würde  dann  sogar  507  den  namen  gar  nicht  gewechselt 
haben,  da  das  geschlecht  in  der  gemeinde  Wieb,  der  es  den  namen  gab. 
es  existiren  zwei  attische  steine,  die  in  der  tat  eine  solche  bezeichnung 
zeigen.  IV  p.  81  ein  bruchslück  zweier  zeilen -/.«i /(»am--  y.ollvxLd--, 
das  nur  lehrt,    dafs  neben  den  KoX?.VTrjg  auch  KoXXvTLÖai   gestanden 


32)  nXsiad'sviSai  ganz  gentilicisch  braucht  Aischylos  Ag.  1569,  iD.eiad'ivov 
yevos  entspricht  dem  1602.  dafs  er  nebenher  auch  die  Pelopiden  nennt  (1600),  ist 
eine  inconsequenz.  Stesichoros  (42)  sagt  von  Kiytaimestra  t«  ös  Soaxcov  eSöxTjasv 
fioXelv  xd^a  (ieß^orco/isvos  äxoov '  ix  8  aoa  tov  ßaaif.evS  nleiaü'sviSas  ecpavri,  was 
bedeutet  (wenn  man  die  fundstelle  bei  Plutaich  de  seva  num.  vind.  10  nachliest,  ist 
es  unzweifelhaft)  'sie  sah  ein  traumgesicht,  dafs  ein  blutiger  drache  käme,  und  in 
dessen  erfiillung  erschien  der  könig  aus  dem  Pleisthenidenhause',  d.  h.  der  legi- 
time erbe. 

33)  Vgl.  0.  Schneider  zu  Kallimachos  fgm.  77,  dessen  urteil  freilich  schief  ist. 


184  n.    7.  Der  athenische  name. 

haben,  und  IV  p.  102  yleoßtog  eftoieaev  üvQeTLäöeg,  aus  einem  ge- 
schlechte, dessen  ahn  IIvQr^g  geheifsen  hatte.^^)  Vorgekommen  ist 
also  eine  solche  bezeichnung;  aber  ob  Leobios  ein  Athener  war,  ist 
fraglich,  sitte  war  dort  die  nennung  des  geschlechtes  jedenfalls  nicht, 
und  da  viele  geschlechter  gar  keine  gentilicisch  geformten  namen 
hatten,  KriQv/.eg  Bovtvyat  z/ex€?.elg,  formen,  wie  Kr]Qv/,lör]g  in  Tliasos, 
nicht  bestanden ,  so  genügte  diese  bildung  nicht,  die  Schriftsteller 
führen  auch  auf  eine  andere  bezeichnung.  KalXirjg  twv  ^Iaf.iid€wv 
'liXelog  (Her.  5,  44),  Teioai-ievog  ^vriöxov  yiveog  zcov  ^laf-iiöecov 
KlvTLädi]g  (Her.  9,  33,  vgl.  Isyll  180),  t(Jöv  ^zoTtadiiov  JLay.TOQidi]g 
KQavvoJviog  (Her.  6,  127),  ^Qyjvog  6  ^/HTtqay.uüTrjg  tcov  Kvipe?uö(Jüv 
(Ar.  17,  4),  neiaiOTQaTov  viel  tov  «x  dh/.aiöcüv  'l/CTraQXV  (PI-  Hipparch. 
228'')  OaLOTLÖog  i]v  f.n]TQ6g  -Aal  Niy.ofiäxov  ysverrjQog  töjv  ^oy.lrj- 
7iLaö(Jüv  ölog  ^QiOToriXrjg  (vit.  Ar.  420  R.).  das  ist  eine  bezeichnung, 
die  zwar  nicht  in  Rom ,  aber  wol  in  dem  mittelalterlichen  Italien  ihre 
analogie  hat,  Lorenzo  di  Cosmo  dei  Medici,  und  die  pindarischen  namen 
können  wir  uns  ebenso  gut  in  diese  weise  umsetzen. 

Ueberhaupt  ist  die  gentilicische  bezeichnung  eigentlich  nur  eine  ver- 
kürzte angäbe  des  Stammbaumes,  der  vater  ist  nur  das  minimum  von  dem 
was  für  den  freien  mann  gefordert  wird,  wie  die  römische  nomenclatur 
in  den  Fasten  und  der  Kaisertitular,  wo  sie  nur  kann,  noch  mehr  ahnen 
nennt,  so  fordert  Athen  von  seinen  archonten  den  nachweis  des  grofs- 
vaters  und  selbst  der  grofsmulter,  vier  ahnen,  wie  noch  heute  manche 
adlichen  Stifter,  auch  die  Inschriften  nennen  zuweilen  den  grofsvater ^^), 
und  Herodotos  gibt  z.  b.  7,  204  die  ganze  ahnenreihe  von  Leonidas  bis 
Herakles,  5,  59  die  von  Laios  bis  Kadmos,  und  dieselbe  fand  Sophokles 
und  sein  volk  dem  stile  einer  feierlichen  proclamation  ganz  ange- 
messen (0.  T.  267) :  seine  kritiker  freilich  dulden  das  nicht,  die  euri- 
pideischen  prologe  sind  wegen  der  Stammbäume  uns  langweilig,  die 
Athener  lachen  allenfalls  darüber,  dafs  sich  die  redenden  so  ausführlich 


34)  IlvQrje  Uv^tjtos,  das  die  herausgeber  meistens  falsch  nvQr,s  accentuiren, 
kennen  wir  als  namen  für  den  söhn , des  Achilleus,  den  man  später  JJvqqos  nennt, 
in  einer  Variante  T  327,  die  starke  beachtung  verdient,  und  aus  der  Unterschrift 
eines  Werkes  von  Kresilas,  Kaibel  epigr.  751. 

35)  Z.  b.  IGA  483  nennen  sich  fünf  leute  "i^Qlcovos  nalSss  rö  ^Aqxqyo,  was  man 
fortfährt  für  einen  titel  zu  erklären:  man  hütet  sich  aber  wol,  zu  sagen,  was  er 
bedeute.  503  otr^.]«  ^ nl  ^id'eveiai  xa.  Nifciaicoi  xm  ravy.ioi.  wie  der  grofsvaler 
hiefs  ist  nicht  festzustellen;  weshalb  er  in  Kebrene  nicht  einen  barbarennamen  ge- 
habt haben  könne,  verstehe  ich  nicht.  ^Aqiaxa  'E^i.ioHXeiSaia  tJ,  2JavvaiäSa  Anth. 
Pal.  6,  269. 


Geschlechtsnamen.  185 

selbst  vorstellen,  wie  sich  Dikaiopolis  über  die  ahnen  des  Amphitheos 
ärgert,  aber  dieser  dingt  sich  doch  den  berufenen  friedensstifter,  und  die 
prologe  haben  sich  auch  behauptet,  der  Athener  hat  eben  die  gesin- 
nung  des  adelsslaates,  die  uns  kaum  noch  verständlich  ist,  nie  verloren, 
und  wenn  seine  demokratie  jenen  Staat  zertrümmert  hat,  so  hat  sie  ge- 
rade in  der  Ordnung  des  namenwesens  eine  eigentlich  gentilicische  form 
mit  viel  gröfserer  consequenz  durchgeführt,  als  es  die  zeit  je  erreicht 
hatte,  in  welcher  die  geschlechter  herrschten. 


DER  AEEOPAG  VOR  EPHIALTES. 


Aristoteles  schildert   uns   den  Areopag  vor  Solon  und   unter  Solon 
mehrfach  als  die  eigentlich  mafsgebende  behorde,    aber  in  ziemHch  all-  i 
gemeinen  Wendungen,  so  dafs  wir  zunächst  nicht  viel  weiter  zu  kommen , 
scheinen,     die  vormacht  des  Areopages,  die  er  für  die  jähre  480 — 462! 
angibt,  ist  eine  effective,  nicht  durch  eine  Verfassungsänderung  ihm  neuj 
verhehene.     Ephialtes  nimmt  ihm  diese  macht  durch  bestimmte  gesetze, 
irtC&Era  deren  stelen  die  dreifsig  umreifsen  (35,2):   damals   sind  also   ganz  be-j 
Tt^roia.   stimmte  competenzen  dem  Areopage  entzogen.    Aristoteles  bezeichnet  siej 
als  eTtid-exa  in  Übereinstimmung   mit  der  officiellen  terminologie*),    im 
gegensatze  zu  den  näxqia^  die  dem  rate  blieben,  d.  h.  dem  blutgerichte. 
daraus  ergibt   sich  zunächst   ein   vollkommener  Widerspruch,     entweder 
Ephialtes  hat  dem  Areopage  nur  eTti&ETa  genommen,  dann  gehörte  was 
er  ihm  nahm  nicht   zu   seinen   ursprünglichen   rechten,     er   nahm   ihm 
die  eigentlich  politische  macht:    also   kann  diese  nicht  ursprünghch  ge- 
wesen sein,   also   kann  der  Areopag   nicht   cpvXa^  vml  iTtiö'/.OTZog  Tr]g 
uolt-Tslag  gewesen  sein,  wie  doch  cap.  3  u.  s.  w.  steht,    oder  aber  diese 
nachricht  ist  richtig,  dann  hat  Ephialtes  dem  Areopag  naxqia  und  nicht 
eTti&era  genommen,    von  diesem  Widerspruche  können  wir  den  Aristo- 
teles nicht  befreien,    aber  wol  können  wir  ihn  als  einen  für  die  officielle 


1)  Harpokration  erklärt  das  wort  so:  bitöaa  fii}  näxqia.  ovxa  t]  e^  ^AqeIov 
Tiäyov  ßovXf]  sSiy.at,ev,  a,s  aacpes  tiouI  ylvaias  iv  reo  n^os  t^v  Msi^i§i]fiov 
yoatprjv.  in  diesem  rechlsfalle  handelle  es  sich,  wie  mit  recht  aus  Aristoteles  rhet. 
2,  23  geschlossen  wird,  darum,  dafs  Meixidemos  (oder  Meixidemides)  die  competenz 
des  Areopages  bestritt,  daher  spricht  der  erklärer  nur  von  dem  richten  des  Areo- 
pages. auszüge  aus  derselben  glosse  sind  Bekk.  An.  252,  wo  närgia  durch  ovx  Sk 
täiv  vöfiatv  TtQoaxsd'iv'ia  rf]  ßovXfj  f'l  aqxv^  ersetzt  ist,  und  Hesych  inid'era.  dies 
wort  bezeichnet  natürlich  denselben  gegensatz,  auch  wenn  es  sich  um  eine  andere 
behörde  handelt,  z.  b.  den  archon  Ar.  3,  3. 


snid'sra  und  närqia.  187 

geschichte  Athens  schlechthin  unvermeidUchen  erkennen,  die  partei  des 
Ephialtes  hat  gesiegt,  und  sie  hat  selbstverständhch  sich  nicht  selbst  als 
revolutionär  betrachtet,  mufste  also  was  sie  dem  Areopag  nahm  als  von 
rechtswegen  diesem  gar  nicht  zustehend  bezeichnen,  so  dafs  sie  nur 
einen  übergriff  beseitigt  hätte,  aber  die  consequenz  haben  sie  zunächst 
glücklicherweise  nicht  gehabt,  nun  auch  die  ganze  geschichtliche  tradition 
so  umzugestalten,  dafs  der  Areopag  nur  noch  als  blutgerichtshof  in  ihr 
erschiene,  so  stellt  es  zwar  458  der  dichter  in  den  Eumeniden  dar, 
der  die  Stiftung  selbst  berichtet  und  nur  von  dem  blutgerichtshof  handelt, 
und  später  mufs  diese  tendenz  noch  mächtiger  geworden  sein,  sonst 
hätte  die  von  Plutarch  bebandelte  Streitfrage  nicht  entstehen  können,  ob 
der  Areopag  wirklich  vorsolonisch  wäre.^)  aber  die  Atthis,  der  Aristoteles 
folgt,  ist  zum  glück  noch  unbefangen  genug,  die  ächte  tradition  über 
die  alte  zeit  festzuhalten,  trotzdem  sie  die  officielle  version  über  Ephialtes 
auch  gibt,  den  gedanken  fafst  aber  verwirft  man  bald,  dafs  etwa  der 
berichl  über  das  eigenthche  gesetz  des  Ephialtes  (25,  2)  mit  seiner 
Umgebung  aus  oligarchischer  tendenziöser  überheferung  stammte,  die 
oligarchen  hatten  ja  nicht  die  entfernteste  veranlassung,  den  Ephialtes 
so  zu  rechtfertigen,  wie  es  die  bezeichnung  Ircid-ETCt  tut;  ihre  absieht 
gieng  mindestens  dem  namen  nach  darauf,  die  alte  Verfassung  herzustellen 
und  die  demokratischen  neuerungen  zu  beseitigen,  folglich  ist  diese 
terminologie  ihrem  Inhalte  nach  demokratisch  und  palst  für  die  Atthis, 
nicht  für  Theramenes. 

Die  Verfassungsänderungen  von  462  haben  einen  so  starken  erfolg 
gehabt,  dafs  niemals,  selbst  nicht  von  den  Dreifsig,  die  diese  gesetze  selbst 
beseitigten,  ein  ernsthafter  versuch  praktisch  gemacht  ist,  den  alten  Areopag 
wieder  herzustellen,  wenigstens  nicht  vor  Demetrios  von  Phaleron.  so 
ist  es  denn  sehr  schwierig  zu  erkennen ,  was  denn  eigentlich  in  den 
gesetzen  des  Ephialtes  gestanden  hat,  und  die  directe  überheferung  ver- 
sagt vollkommen,  seit  Ephialtes  ist  der  Areopag  fast  nur  noch  ein  blut- 
gerichtshof; vorher  hatte  er  eine  in  der  ganzen  politik  ausschlaggebende 
Stellung,  aber  diese  beruhte  nicht  auf  bestimmten  gesetzlich  fixirten 
rechten ,  konnte  ihm  also  auch  nicht  durch  gesetze  direct  genommen 
werden,  genommen  müssen  ihm  die  rechte  sein,  die  er  von  alters  her 
geübt  hatte;  aber  eben  über  sie  hört  man  zumeist  nur  etwas  so  vages 
wie  ax^Sov  andvrcov  -/.vgiog,  oder  (pv'/M^  y.al  aTtioxoTiog  tijg  noXireiag. 


2)  Aufgeworfen  war  diese  schon  vor  Aristoteles  in  der  ersten  hälfte  des  vierten 
Jahrhunderts,     vgl.  oben  1  53  anm.  21. 


188  II.    8.  Der  Areopag  vor  Ephialtes. 

das  kann  Ephialtes  unmöglich  so  geändert  haben,  dafs  er  lediglich 
negativ  beantragte,  ztjv  ßov?.rjv  /icrj  elvuL  (pvlay.a,  wol  aber  kann  und 
wird  er  als  bleibende  dienstinstruction  beantragt  haben,  neq!  de  tcöv 
cporixcov  dr/,ccLsLv  xi]v  ßovktjv  rrjv  ev  ^geio)  Ttäydj  -/.axa  ra  TtäxQia. 
das  ist  auch  unvergessen  geblieben,  im  übrigen  konnte  die  neuerung 
nur  darin  bestehen,  dafs  eine  anzahl  von  Obliegenheiten,  die  bisher  der 
Areopag  gehabt  hatte,  anderen  organen  des  slaates  zugewiesen  ward,  sie 
fanden  also  ihren  platz  je  in  den  einzelnen  dienstinstructionen  dieser 
Organe,  und  so  ist  nach  der  art  unserer  überheferung  nicht  wunderbar, 
dafs  bald  das  gedächtnis  an  den  concreten  inhalt  der  gesetze  des  Ephialtes 
vüllig  verschwunden  war.  daneben  blieb  die  sehr  unbestimmte  angäbe 
der  Chronik,  dafs  der  Areopag  einst  Athen  beherrscht  hätte,  und  nicht 
viel  mehr,  kaum  irgend  etwas  concretes,  weifs  Isokrates  im  Areopagitikos 
zu  sagen,  es  ist  immer  noch  das  beste  was  Aristoteles  aus  der  Atthis  ge- 
rettet hat,  dafs  der  rat  der  500,  die  Volksversammlung  und  die  gerichte 
die  amtspflichten  übernommen  hätten,  die  Ephialtes  den  Areopage  entzog, 
damit  ist  wenigstens  eine  aussieht  gegeben,  einiges  zu  erschliefsen.  denn 
wenn  wir  einerseits  die  bekannten  competenzen  dieser  organe  betrachten, 
andererseits  was  wir  dank  Aristoteles  über  die  ältere  competenz  des 
Areopagcs  erfahren,  so  mufs  diese  vergleichung  einigermafsen  lehren, 
was  er  durch  Ephialtes  und  Archestratos  eingebUfst  hat. 
yoafni  Die  Volksgerichte  können  die  entscheidung  in  einer  anzahl  von  pro- 

aaeßstas.  gggggjj  geerbt  haben ,  die  früher  der  könig  vor  den  Areopag  brachte, 
namenthch  aoeßsiagj  da  die  Streitigkeiten  um  priestertümer  und  sportein 
der  priester  (Ar.  57,  2)  wol  der  könig  unmittelbar  {avxoxehdg)  entschieden 
haben  wird,  und  das  Volksgericht  lediglich  durch  das  prinzip  der  ecpeoig  elg 
öixaaxiJQiov,  die  provocatio  ad  iudidum  hinzugetreten  ist,  wenn  die 
eine  art  der  goltlosigkeit,  die  in  der  Zerstörung  eines  heiligen  Ölbaumes 
gefunden  ward,  dem  Areopage  immer  geblieben  ist,  so  darf  man  für 
ältere  zeit  ihm  diese  ganze  gatlung  zuschreiben,  die  eine  Singularität  bheb 
ihm,  weil  seine  aufsieht  über  die  Ölbäume  nicht  angetastet  ward,  der 
Areopag  besafs  aber  früher  auch  ein  coercitionsrecht  über  alle  axoG^iovv- 
xsg  (3,  4),  also  eine  unmittelbare  sittencontroUe.  diese  coUidirt  mit  den 
thesmolhetenprocessen  vßQecog  (.lOL^siag  u.dgl.,  deren  bedeutung  oben 
I  247  erörtert  ist.  indessen  möchte  ich  nicht  wagen ,  diese  sachen  vor 
den  Areopag  zu  ziehen,  da  ein  verkehr  irgend  eines  andern  beamten  als 
des  königs  mit  diesem  rate  nicht  bezeugt  ist. 

Soy.iuaaia.         Die  niederen  beamten,  d.  h.  alle  mit  ausnähme  der  par  excellence 
so    genannten   (und   wol  der  mihtärischen),   wurden   in    alter  zeit  vom 


Soxiaaaia.    eiaayyeUa.  189 

Areopage  bestellt,  seit  Solon  werden  sie  aus  einer  Vorschlagsliste  der 
phylen  erlost,  und  zur  correctur  des  loses  ist  die  prüfung  vor  gericht  ein- 
geführt, nur  die  archonten  und  die  ratsherren  werden  vom  rate  geprüft, 
und  für  die  ersteren  ist  noch  eine  prüfung  vor  dem  gerichte  hinzugefügt.^) 
das  wird  sowol  rechlhch  wie  geschichtlich  erst  verständhch,  wenn  man 
annimmt,  dafs  der  Areopag  die  prüfung  der  übrigen  von  Solon  bis  Ephialtes 
gehabt  hat.  dann  ist  Solons  Ordnung,  oder  vielmehr  Drakons  schon, 
nicht  ein  schwerer  eingriff  in  die  macht  des  Areopages,  sondern  be- 
seitigt nur  das  willkürprinzip  der  ernennung  durch  die  erlosung  auf 
Vorschlag  und  die  prüfung  durch  die  behörde,  die  früher  unmittelbar 
ernannte.^)  der  rat  unten  sollte  selbstverständhch  von  dem  oben  unab- 
hängig sein ,  besorgte  also  selbst  die  prüfung  seines  nachfolgers.  die 
archonten  aber,  die  künftigen  Areopagiten,  unterlagen  einer  prüfung  durch 
diesen  oberen  rat  nach  ablauf  ihres  amtes,  was  nie  geändert  worden  ist: 
der  Areopag  brauchte  also  verfassungsmäfsig  die  archonten,  die  das  volk 
sich  gesetzt  hatte,  nicht  aufzunehmen,  um  so  weniger  aber  konnte  er 
sie  schon  vor  dem  amtsantritt  prüfen,  diese  prüfung  war  das  recht  des 
Volkes,  und  seine  ausübung  fiel  passend  dem  organe  des  volkes,  dem  rate 
unten  zu.  so  war  das  weise  geordnet,  einmal  ist  dann  die  prüfung 
der  beamten  überhaupt  dem  Areopage  genommen  und  den  gerichten 
gegeben:  das  kann  füglich  nur  durch  Ephialtes  oder  im  anschlufs  an  seine 
reform  geschehen  sein,  die  prüfung  der  archonten  aber  liefs  man  daneben 
dem  rate:  man  verlangte  noch  immer  besondere  garantien  für  diese, 
und  es  ist  zu  bedenken ,  dafs  die  herabsetzung  des  census  für  dieses 
amt  mit  dem  stürze  des  Areopages  zeitlich  zusammenfällt:  da  mochte  man 
die  dokimasie  des  rates  als  garanlie  nicht  missen. 

Die  Volksversammlung   tut  kaum  etwas   ohne   die  vermittelung  des     staay- 
rates,  aber  sie  hat  das  recht,  denuntiationen  von  ganz  besonders  Staats-    Z^^'«- 
gefährhchen  verbrechen  anzunehmen  und  wenn  sie  auf  sie  eingeht,  an 
die   gerichte    abzugeben,    ja    in   ausnahmefällen   selbst  zu   gerichte   zu 


3)  Die  von  Aristoteles  als  späterer  zusatz  bezeichnete  freiheit,  von  dem  ab- 
weisenden entscheide  des  rates  an  das  gericht  zu  appelliren,  ist  eine  logische  con- 
sequenz  des  grundrechtes  der  syeais,  aber  sie  machte  die  prüfung  im  rate  tatsäch- 
lich überflüssig,     diese  ist  also  nur  als  rudiment  der  alten  Ordnung  erhalten. 

4)  Es  gibt  noch  ein  beispiel  für  diese  Ordnung.  343  hat  das  volk  einen  avv- 
Sixos  gewählt,  der  seine  sache  vor  den  Amphiktionen  führen  sollte,  aber  dem  Areo- 
page die  prüfung  des  gewählten  und  sogar  den  ersatz  desselben  durch  eigne  wähl 
übertragen,  so  erzählt  Demosthenes  18, 134.  das  geschah  damals  natürlich  nur  im 
specialfalle  und  auf  besonderes  gesetz  hin.  aber  über  die  heilige  sache  hat  man  wol 
auf  grund  von  praecedenzfällen  entschieden. 


190  II.    8.  Der  Areopag  vor  Ephialtes. 

sitzen,  das  gefährliche  inslitut  der  doayyeXia  elg  xbv  örji.iov  hat  in 
alter  zeit  die  sioayyeXla  eig  ^LdQBiov  itäyov  zum  gegenstücke,  die  sowol 
gegen  beamtenwillkür  galt,  wie  Drakon  es  vorgeschrieben  hatte  (4,4), 
wie  gegen  hochverrat:  gegen  diesen  schreitet  noch  in  der  anekdote  von 
Themistokles  der  Areopag  ein.  dies  ist  also  sicher  durch  Ephialtes  vom 
Areopage  auf  das  volk  übertragen,  dagegen  hat  das  volk  allerdings  die 
beamten  auch  schon  vorher  auf  seine  weise  controllirt,  durch'die  hiiy^Ei- 
QOTovia,  und  hat  die  macht  selbst  Urteilssprüche  abzugeben  besessen, 
in  den  formen,  welche  die  feste  tagesordnuug  der  Versammlungen  durch 
die  anklage  wegen  ccTtccrrj  rov  öiq^ov  und  av/.ocpavrla  bot.  so  ist 
Miltiades  490  gefallen,  da  haben  wir,  wie  so  oft  in  Athen  und  im  alten 
Rom,  neben  einander  stehend  dieselbe  competenz  verschiedener  staat- 
licher Organe. 

Der  eigentliche  erbe  des  alten  rates  ward  der  neue:  statt  des  aus 
der  magislratur  hervorgegangenen  Senates  sollte  die  Vertretung  der  einzel- 
gemeinden die  Verwaltung  führen,  klar  mit  einem  worte  bezeichnet 
würde  der  Inhalt  der  reform  gelautet  haben:  der  Areopag  hört  auf  eine 
Verwaltungsbehörde  zu  sein ;  die  geschäfte  übernimmt  der  rat  der  500. 
aber  wir  müssen  das  im  einzelnen  zu  erfassen  suchen,  entsprechend 
dem  wie  die  gesetze  nach  attischer  weise  wirklich  gelautet  haben. 
uiad-wais  Da  haben  wir  gleich  eine  einzelheit.    die  Verpachtung  des  heihgen 

tt^iEiojv.  g^^gg  jjesQi-ot  der  könig,  aber  er  übergibt  die  Pachtverträge  dem  rate 
und  dieser  besorgt  die  eiucassirung  und  Verrechnung  der  pachten  selbst 
oder  durch  seine  beamten,  die  apodekten  (Ar.  47,  4).  so  war  es  schon 
418.  es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  der  könig  früher  denjenigen  rat 
zugezogen  bat,  dem  er  vorsitzt;  sein  verkehr  mit  dem  rate  der  500  ist 
eine  anomalie,  die  lediglich  die  rücksicht  auf  die  heiligkeit  dieser  ein- 
nahmen geschaffen  hat. 
Casse  des  Die  bergwerke  waren  schon  483  unter  der  Verwaltung  des  Volkes, 

Areopages.  ^  ° 

was  die  des  rates,  der  ja  die  vorschlüge  für  das  volk  vorberät  und  formuhrt, 
in  sich  schhefst.  es  gab  ja  auch  seit  Kleisthenes  die  apodekten.  trotzdem 
hat  480  der  Areopag  über  sehr  bedeutende  geldmittel  verfügt,  da  er, 
aus  eigener  initiative  oder  auf  die  anregung  seines  mitgliedes  Themistokles 
hin,  in  der  läge  war,  den  auswanderern  ein  zehrgeld  zu  zahlen  (oben 
I  140).  also  hatte  der  Areopag  eine  casse  und  cassenbeamten.  er  hatte 
aber  auch  nach  Solon  (8, 4)  das  recht  geldstrafen  zu  verhängen  und 
einzuziehen  und  brachte  sie  selbst  auf  die  bürg,  d.  h.  in  die  casse  der  göttin. 
zu  den  uralten  behörden  gehören  die  Schatzmeister  der  göttin,  die  poleten 
und  die  kolakreten.     die   letzteren  verfügen  zwar   noch  in  der  zweiten 


Gasse  des  Areopages.     vo/xo^vlaxia.  191 

hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  über  so  viel  geld,  dafs  ihre  casse  die 
schwere  ausgäbe  für  den  richtersold  getragen  hat^),  sind  aber  im  Organis- 
mus des  Staates  nur  noch  so  wenig  berechtigt,  dafs  selbst  die  reform  der 
400  sie  beseitigen  wollte,  die  Schatzmeister  und  die  poleten  stehen 
si);iter  unter  der  controUe  des  rates  der  500.  daraus  erschliefsen  wir 
mit  Sicherheit,  dafs  diese  beiden  behorden  ursprünglich  dem  alten  rate 
untergeben  waren,  der  sie  ja  auch  ernannt  hatte:  die  kolakreten  aber 
waren  die  einnehmer  der  alten  ratscasse.  Kleisthenes  hat  in  den  apodekten 
10  einnehmer  neben  die  kolakreten,  deren  zahl  wir  nicht  kennen,  gestellt. 
die  zahl  der  Schatzmeister  und  poleten  ward  auch  auf  10  gebracht,  d.  h. 
auch  sie  vertraten  nunmehr  die  neuen  phylen.  schon  damals  also  ist 
eine  casse  unter  Verwaltung  des  rates  der  500  gestellt,  schon  damals  der 
Areopag,  der  notwendigerweise  aus  leuten,  die  mit  der  tyrannis  mindestens 
freundlich  gestanden  halten,  noch  lange  jähre  vorwiegend  bestehen  mufste, 
stark  beschränkt,  aber  noch  standen  beide  rate  nebeneinander:  Ephialtes 
tat  den  zweiten  wichtigsten  schritt  und  gab  die  finanzen  dem  rate  der  500; 
die  kolakreten  und  somit  die  vereinnahmung  und  Verrechnung  starker 
mittel  durch  den  Areopag  hat  er  noch  bestehen  lassen,  daran  liegt  es, 
dafs  wir  über  diese  behürde  so  wenig  klar  sehn,  aber  wenn  Perikles 
den  richtersold  einführte  und  seine  Zahlung  der  kolakretencasse  auferlegte, 
so  zeigt  sich  darin  eine  sehr  wirksame  beschränkung  des  Areopages 
durch  ihn. 

Drakon  hatte  dem  Areopage  das  recht  gegeben,  die  amtsführung  der  vo/io^v- 
beamten  auf  ihre  gesetzmäfsigkeit  hin  zu  controUiren,  und  ihn  auch  zur  ^«'<"«- 
inslanz  für  beschwerden  über  die  beamten  gemacht,  auch  Solon,  der 
doch  dem  volke  die  eigentliche  rechenschaftsabnahme,  wenn  auch  noch 
nicht  den  regelmäfsigen  logistenprocess,  sicherte  und  durch  die  epichei- 
rotonie  und  andere  mittel  die  directe  beschwerde  bei  dem  volke  er- 
möglichte, endlich  die  ecpeoig  eig  z6  ör/.aOT'qQtov  durchführte,  hat  den- 
noch dem  Areopage  die  sorge  für  die  beobachtung  der  gesetze  gelassen, 
die  vo(.iocpvlay.ia.  diese  liat  gar  keinen  sinn,  wenn  der  Areopag  nicht 
die  möglichkeit  hatte  einzuschreiten,  die  beamten  vor  sich  zu  fordern 
und  zu  richten,  ebenso  notwendig  folgt  aus  dieser  belügnis,  dafs  die 
bürger  beschwerden  wider  die  beamten  bei  dem  Areopage  einreichen 
konnten,    erst  hierdurch,  aber  hierdurch  sehr  energisch,  wird  der  Areopag 


5)  Daraus  folgt,  dafs  in  diese  casse  die  geiiclitssporteln  flössen,  denn  die  oli- 
gaichische  IIoX.  Ad'.  1,  16  nennt  als  ersten  vorteil,  den  der  demos  aus  dem  ge- 
i'iclitszwange  der  bündner  zieht,  dno  reif  TiovTaveicou  tvv  fiiad'bv  Si  iviavtov 
}.afiß<xveLV. 


192  II«    8.  Der  Areopag  vor  Ephialtes. 

zu  dem  eigentlichen  träger  der  inneren  politik.  es  liegt  so  viel  darin, 
dafs  ich  voraussehe,  die  modernen  werden  sich  dagegen  sträuhen,  es 
zu  glauben;  aber  die  analogie  zwingt,  der  rat  der  500  hat  ja  diesel 
selbe  controUe  über  alle  beamte  rechthch  besessen,  und  auch  bei  ihm' 
konnten  beschwerden  eingereicht  werden  (45,  2).  einen  beleg  liefert 
Lysias  wider  die  kornhändler.  natürlich  war  später  auch  von  der  ent- 
scheidung  des  rates  appellation  an  das  gericht  möglich,  ganz  wie  bei  der 
dokimasie  der  archonten.  aber  dafs  von  dem  urteil  von  500  an  das  von 
501,  von  ratsherrn  an  richter,  d.  h.  leute  die  genau  eben  so  qualificirt 
und  genau  eben  so  gewählt  sind,  appellirt  wird,  ist  eigenthch  in  sich 
verkehrt,  ist  prinzipienreiterei,  und  kann  nur  als  eine  ausartung  an- 
gesehen werden,  wenn  nun  der  rat  der  500  in  der  demokratie  diei 
nomophylakie  besitzt,  der  Areopag  sie  einst  besessen  hat,  so  kann  mam 
gar  nicht  zweifeln,  dafs  eben  diese  es  gewesen  ist,  die  Ephialtes  ihm 
genommen  hat. 
vofio-  Man   hat   bei  dieser  gelegenheit  an  eine  Veränderung  in  der  legis- 

lative gedacht,  hat  die  yQacprj  TtccQavöf-uov  herangezogen  und  noch 
anderes  vermutet,  hatte  allerdings  auch  die  auf  keinen  geringeren  als| 
Philochoros  gestellte  Überlieferung,  dafs  zum  ersatze  für  den  Areopag! 
eine  besondere  behörde  von  vof.iocpv)My.es  eingesetzt  wäre.*^)  dies  letztere! 
ist  durch  das  schweigen  des  Aristoteles,  so  wenig  das  im  ganzen  be-j 
deutet,  und  durch  die  in  einem  falle  (fgm.  G)  nunmehr  erwiesene  unzu-| 
verlässigkeit   des  lexicons,    das   uns  die  angeblich   philochoreische  notizi 


■d'eaiu. 


6)  Lex.  Canl.  vouocpvXaxes.  der  fehler  beschränkt  sich  darauf,  dafs  die  ein-l 
Setzung  mit  der  reform  des  Ephialtes  verbunden  wird;  sein  anlafs  ist  mir  auch  noch' 
jetzt  rätselhaft,  aber  ich  kann  ihn  nicht  mehr  leugnen,  die  Schilderung  des  amtes' 
stammt  in  diesem  lexicon  aus  derselben  quelle  wie  bei  Pholius  oi  vo/.iO(pvXaxes  tivei 
jjoav,  und  dieses  lemma  erweist  als  quelle  das  Onomastiken,  dessen  wertvollste  aus-: 
Züge  im  fünften  Bekkerschen  lexicon  stehn.  hinzu  tritt  Poll.  8,  94,  der  die  Schilde- 1 
rung  im  praesens  gibt,  während  sie  jenes  onomaslikon  im  praeteritum  gab.  wie  Philo- 
choros geredet  hat,  ist  also  nicht  sicher,  die  sieben  gesetzeswächter  sitzen  neben 
den  proedren  in  den  Versammlungen :  so  etwas  ist  zur  zeit  der  demokratie  unerhört, 
sie  sind  durch  ausgezeichnete  tracht  und  religiöse  funclionen  möglichst  würdig  ge- 
macht: das  pafst  für  die  zeit  der  reslauration.  sie  sind  bestimmt,  in  den  Areopag 
zu  treten:  der  vermehrte  sich  also  jährlich  um  16  statt  um  9  personen,  mufste 
binnen  kurzem  durch  diesen  nachschub  eine  andere  majorität  erhalten,  so  dafs  ich 
die  mafsregel  gut  mit  einem  pairsschub  in  modernen  ersten  kammern  verglichen; 
habe,  und  sollte  offenbar  frisches  blut  und  neue  würde  erhalten,  alles  pafst  aufl 
das  beste  für  die  Verwaltung  des  Phalereers.  da  wir  auf  den  steinen  durchaus  nichts' 
von  den  geselzeswächlern  finden,  sind  sie  wol  307  der  demokratischen  reaction  so 
gut  wie  die  yv^'ccixorö/uoi  u.  a.  erlegen. 


7'Ofiod'saCa.  193 

gerettet  hat,   beseitigt,     es  beruhte  aber  auch   alles  auf  uDgenügender 
einsieht  in  das  attische  Staatswesen. 

Formal  ist  zwischen  einem  volksbeschlusse  und  einem  gesetze  gar 
kein  unterschied,  was  das  volk  beschliefst,  ist  recht  und  ist  gesetz. 
ein  jeder  volksbeschlufs  schafft  neues  recht;  er  darf  nur  nicht  implicite 
altes  recht  unistofsen  und  mufs  selbst  auf  gesetzmäfsigem  wege  zu 
Stande  gekommen  sein,  darin  liegt,  dafs  der  rat  unter  allen  umständen 
über  den  gegenständ  verhandelt  haben  mufs,  mindestens  so  weit,  dafs 
er  ihn  auf  die  tagesordnung  gesetzt  hat.')  in  den  meisten  fällen  ist 
ein  einzelner  antragsteller  vorhanden,  sei  es  dafs  er  ratsherr  ist,  sei  es 
dafs  er,  dann  aber  im  anschlufs  an  eine  ratsvorlage,  im  volke  seinen 
antrag  durchgesetzt  hat.  daneben  erscheinen  im  fünften  Jahrhundert 
ad  hoc  eingesetzte  commissionen,  ovyyQaq-'rjg.  so  redet  man  denn  von 
gesetzen  des  Perikles,  Archestratos,  Kannonos,  und  besitzen  wir  in  dem 
s.  g.  eleusinischen  psephisma  ein  gesetz,  das  zur  gröfseren  hälfte  von 
einer  commission  ausgearbeitet  ist,  aber  einen  nachtrag  enthält,  den 
Lampon  vor  dem  volke  durchgebracht  hat.  das  volk,  das  selbst  all- 
jährlich die  gesetze  neu  beschwört,  die  es  sich  gegeben  hat,  sichert 
diese  vor  Verletzung  und  sich  selbst  dagegen,  dafs  es  sie  nicht  un- 
wissentlich verletzt,  durch  die  klage  Ttagavoj-icüv.  diese  gilt  wesenthch 
den  antragstellern  im  rate  und  volke,  ist  aber  auch  einer  commission 
gegenüber  denlibar,  die  einen  antrag  stellte,  sie  gehört  mit  ihrer 
Schwester,  der  klage  ein  schädhches  gesetz  gegeben  zu  haben,  und  den 
klagen  wegen  amlsmisbrauch  wider  die  Vorsitzenden  des  rates  und  Volkes 
vor  die  thesmotheten  (59,  2).  die  eidliche  Versicherung,  sie  erheben 
zu  wollen  {v7ctof.ioGLa),  mufste  in  der  Versammlung  geleistet  werden  und 
besafs  dann  suspensive  kraft,  jeder  bürgcr,  der  ja  jedes  unrecht  (7ra()a- 
vof.iov)  das  irgend  wem  geschah  zu  ahnden  berechtigt  war  {riuioQslv 
T(o  adiy.ovf.ievci)),  hatte  vollends  das  recht  den  geschädigten  gesetzen  bei- 
zustehen, er  tat  das  wie  immer  so  auch  hier  durch  die  anrufung  des 
gerichtes,  das  hiefs,  er  belangte  den  schuldigen  bei  den  thesmotheten. 
dies  tun  zu  wollen,  erklärte  er  vor  dem  volke.  das  ist  die  vrccoiioala, 
ein  analogon  zur  acfaiQsaig  slg  IXevd^EQtav.  es  ist  gar  nicht  anders 
denkbar,  als  dafs  dieses  recht,  sogar  schon  in  dieser  form,  bestanden 
haben  mufs,  seit  es  rat  und  volk  gab:  war  doch  ein  hauptanlafs  zu 
klagen  wegen  gesetzwidrigkeit  der,  dafs  der  vorbereitende  ratsbeschlufs 


7)  Die  nomothesie  rechnet  der  oligarch  der  IIo)..  Ad".  3,  2  zu  den  regelmäfsigen 
amtspflichten  des  rates. 

T.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  13 


194  II.    8.  Der  Areopag  vor  Ephialtes. 

fehlte  (45,  4).  das  war  in  anbetraclit  der  selir  ausgedehnten  Zulassung 
von  amendements  oft  gar  keine  einfache  frage,  solonisch  ist  die  klage 
also  mindestens,  aber  um  so  deutlicher  wird,  dafs  sie  mit  dem  Areopage 
trotz  seiner  gesetzescontrolle  nichts  zu  tun  hat.  sie  geht  eben  an  die 
'  rechtssetzer' ,  die  die  gesetze  aufzuzeichnen  und  zu  bewahren  haben, 
also  die  berufenen  richter  darüber  sind,  ob  ein  antrag  mit  diesen  in 
Widerspruch  stehe,  die  thesmotheten  haben  darüber  ehedem  selbst, 
später  unter  Zuziehung  eines  Volksgerichtes  entschieden :  das  entspricht 
der  allgemeinen  rechtsentwickelung.  eine  beteiligung  des  Areopages 
ist  schon  deshalb  nicht  denkbar,  weil  er,  um  einen  gesetzwidrigen  be- 
schlufs  zu  hindern ,  eine  controlle  der  Volksversammlung  hätte  ausüben 
müssen,  d.  h.  eine  controlle  des  souveränes. 

Damit  sind  die  gesetze  gegen  die  willkür  der  einzelnen  oder  auch 
des  Volkes  geschützt,  um  so  dringender  wird  die  frage,  wie  konnten 
sie  denn  überhaupt  geändert  werden,  wie  hat  Ephialtes  selbst  seine 
anfrage  durchgebracht,  die  die  ganze  Verfassung  umgestaltet  haben? 
das  ist  geschehen  durch  die  eTtixeiQorovia  vöiicov.  seit  Scholl  das 
document  gerechtfertigt  hat,  das  in  der  Timokratea  20 — 23  steht,  dürfen 
wir  nach  dieser  analogie  für  das  fünfte  Jahrhundert  annehmen,  dafs  in 
der  ersten  Volksversammlung  jedes  Jahres  die  gesetze  selbst  beraten 
wurden,  d.  h.  die  antrage  auf  abänderung  des  geltenden  rechtes  einge- 
bracht werden  mufsten.  wie  dann  das  volk  über  die  behandlung  ent- 
schied, ob  es  die  antrage  a  limine  abwies  oder  dem  rate  oder  einer 
commission  zur  beratung  übergab  (von  der  Überweisung  an  ein  gericht, 
was  die  vofioS^hca  der  Timokratea  tatsächlich  sind,  kenne  ich  kein 
heispiel  aus  dem  fünften  Jahrhundert),  das  stand  bei  dem  volke,  das 
nach  dieser  vorberatung  abstimmte,  genau  eben  so  wie  über  jeden  antrag. 
die  Sache  ist  einfach  und  verständig  geordnet,  aber  für  den  Areopag 
ist  kein  platz,  unsere  geschichtliche  Überlieferung  zeigt  ihn  auch  nie- 
mals mitwirkend  bei  Verfassungsänderungen. 

Also   die   dokimasie  der  beamten  hat  der  Areopag  an  die  gerichte, 
die  annähme  der  eisangelieen  an  das  volk,  die  nomophylakie  und  über- 
haupt die  Verwaltung  an  den  rat  der  500  verloren. 
Polizei-  Die   anekdote   von  Themistokles   und  Ephialtes   zeigt  ihn  uns  aber 

gewalt. 

auch  im  besitze  des  rechtes,  einen  bürger  zu  verhaften,  dies  gehurt  mit 
zu  dem  allgemeinen  aufsichts-  und  strafrecht,  das  der  Areopag  von  der 
Urzeit  her  besafs.  er  übt  es  in  der  anekdote  auf  den  antrag  eines 
mitgliedes,  das  ein  staatsgefährliches  complolt  entdeckt  haben  wollte, 
er  ist  aber  ohne  zweifei  auch  auf  grund  der   meidungen  von  executiv- 


Polizeigewalt,    macht  des  rates  der  500.  195 

btamten  eingeschritten,  deren  compelenz  über  die  verhängung  niedriger 
gehlstrafen  nicht  hinausgieng.  denn  wenn  wir  nach  dem  geselze  Lampons 
den  konig  eine  meidung  an  den  rat  erstatten  sehen,  damit  dieser  eine 
polizeiliche  contravention  stärker  ahnde,  als  der  könig  selbst  kann  (CIA  IV 
p.  61),  so  fordert  die  logik,  dafs  ehedem  in  solchen  fällen  der  könig  an 
den  Areopag  gegangen  ist.  diese  ganze  Strafgewalt  hat  der  Areopag 
durch  Ephialtes  bis  auf  rudimente,  wie  die  sorge  für  die  Ölbäume,  ver- 
loren, das  geschah  in  consequenz  seines  Verlustes  der  nomophylakie; 
es  brauchte  kaum  ausdrücklich  beseitigt  zu  werden. 

Der   rat   der   Oligarchie  hat  sowol  411  wie  404  die  volle  gerichts-  Macht  des 

r3tGs  (Igt 

hoheit  selbst  über  leben  und  tod  ausgeübt,  und  niemand  hat  ihm  daraus  500. 
den  Vorwurf  eines  Übergriffes  gemacht,  schon  daraus  folgt,  dafs  die 
Athener  des  fünften  Jahrhunderts  mit  dem  begriffe  des  rates  den  besitz 
dieser  vollen  gewalt  verbanden,  die  keiner  ihrer  beamten,  selbst  der 
feldherr  nicht,  besafs.  die  Thesmophoriazusen  zeigen  den  prytanen,  der 
den  rat  vertritt,  wie  er  einen  Athener  in  den  block  spannen  läfst;  es 
hat  eine  meidung  genügt,  um  die  polizei  zu  so  scharfer  mafsregel  zu 
bringen,  die  Verhaftung  erlaubt  sich  der  rat  auch  406,  sogar  gegen  die 
leldherrn  (Xen.  Hell.  I  7,  3).  vor  der  verhängung  der  todesstrafe  scheute 
er  bei  dieser  gelegenheit  zurück,  und  so  auch  der  rat  des  nächsten 
Jahres,  als  er  den  Kleophon  verhaftete  (Lys.  30,  11).^)  das  formelle 
reelit  aber  besafs  er  ohne  zweifei.  ^)  er  besafs  es  auch  nach  der  her- 
stellung  der  demokratie.  403  hat  er  auf  den  antrag  des  Archinos  ein 
todesurteil  sogar  ohne  gerichtsverhandlung  vollstrecken  lassen  (41,  2). 
damals  war  die  demokratie  noch  beschränkt,  aber  in  dem  ratseide  stand 
auch  später  ov  Ö€^of.iai  h'dsi^iv  ovdk  äftaycüyrjv  evexa  rcov  nqÖTSQOv 
yc/eviq(.ihiov   TtXrjv   rtov   cpvyovrcov  (Andok.  1,  91).     es  gab  also  noch 


8)  In  diesem  falle  brachte  ein  ratsherr  im  rate  das  gesetz  durch,  dafs  der  rat 
mit  zu  gerichte  sitzen  sollte,  so  erzählt  Lysias.  derselbe  sagt  jedoch,  dafs  dieses 
gesetz  an  dem  tage  des  gerichtes  selbst  erst  angenommen  ward,  und  beschwert  sich 
über  Ungesetzlichkeit,  freilich  konnte  ein  wirkliches  gesetz  nur  vom  volke  beschlossen 
werden,  also  war  dieses  keines,  also  hat  wol  vielmehr  der  rat  zwar  nicht  den  mut  ge- 
habt, selbst  das  todesurteil  zu  sprechen,  aber  auf  seinem  rechte  bestanden,  über  die 
\e'vSfA^is  Xinora^iov ,  die  bei  ihm  erfolgt  war,  zu  richten,  was  herauskam,  ein  ge- 
mischtes gericht,  war  etwas  anomales,  aber  schwerlich  wider  den  geist  oder  buch- 
staben  der  alten  Verfassung. 

9)  Das  gesetz  auf  dem  steine  CIA  I  57,  das  todesstrafe  erwähnt,  scheint  durch 
den  Zusatz  ärev  rov  S^/nov  nXrjd'vovros  die  instrucüon  des  rates  für  den  vorsitz  in 

.der  Volksversammlung  zu  enthalten;   spätere   zeilen  handeln  von  der  tagesordnung. 
übrigens  ist  es  allzu  verstümmelt. 

13* 


196  H.    8.  Der  Areopag  von  Ephialtes. 


eine  arcaycoyi]  Ttoog  ßovXr^v,  und  wenn  einer  der  verbannten  Dreifsig 
so  abgefiilirt  ward,  konnte  das  nur  geschehen,  damit  der  rat  ihn  seiner 
verwirkten  strafe  überantwortete,  ja  noch  386  wird  im  rate  der  antrag 
gesteht,  dafs  eine  gesellschaft  von  kornhändlern,  allerdings  metöken, 
ohne  gericht  den  elf  zur  hinrichtung  übergeben  werden  sollten  (Lys.  22,2). 
dagegen  352  kann  der  demokratische  stolz  schon  behaupten,  dafs  Solon 
dem  rate  nicht  erlaubt  habe  einen  Athener  zu  verhaften  (-Demosth.  24, 
144 — 147).  damals  stand  in  dem  eide,  dafs  der  rat  haft  nur  über  einen 
hochverriiter  (wider  das  Vaterland  oder  die  demokratie)  oder  einen  säu- 
migen Steuerpächter  verhängen  dürfte,  die  ersten  waren  dem  strengen 
rechte  nach  vogelfrei,  und  das  recht  die  steuerpächter  zu  verhaften  be- 
zeugt noch  Aristoteles  ausdrückhch  (48,  1,  vgl.  Andok.  1,  93).  damit p^ 
haben  wir  wenigstens  einigermafsen  die  zeit  der  reform  bestimmt,  die 
den  rat  in  seiner  selbsläudigkeit  beschränkt  hat,  so  dafs  er  aufser  der 
auferlegung  einer  geldstrafe  bis  zu  einer  bestimmten  höhe  (der  STtißoX^} 
nur  ein  Vorurteil  (y.aTayvcootg)  oder  einen  antrag  auf  höhere  geldstrafe, 
eine 'zusatzstrafe'  {l7iLCi]f.iuoGig  45,  1 ;  das  wort  ist  dafür  gebildet)  fassen 
konnte,  das  urteil  aber  natürlich  in  voller  freiheit  der  Schätzung  bei 
dem  gerichte  stand,  das  die  thesmotheten  auch  schon  früher  in  den 
fällen,  wo  der  rat  nicht  selbst  entscheiden  mochte,  zu  berufen  gehabt' 
hatten.  Aristoteles  würde  die  zeit  vielleicht  selbst  uns  noch  genauer 
angeben,  wenn  nicht  der  anfang  seiner  erzählung  verloren  wäre,  da 
berichtete  er  den  specialfall,  der  den  rat  um  seine  macht  gebracht 
hat.  als  ein  gewisser  Lysimachos,  dessen  vollen  namen  wir  in  folge 
der  textverderbnis  auch  nicht  mehr  kennen,  schon  da  safs  um  den'j' 
streich  des  henkers  zu  empfangen'"),  übte  Eumelides  von  Alopeke")  das  ' 

10)  y.ad-r^nEvos  t;St]  fn'U.cov  änod'ff^ay.eiv  sagt  Aristoteles  sehr  anschaulich, 
vorausgesetzt,  dafs  es  ein  solches  'armesünderstühlchen'  gab,  so  dafs  das  sitzen  ein! 
bild  für  die  phantasie  gibt,  die  fodesart  war  dnorvunaviauos.  Lysimachos  war 
sicherlich  ein  armer  Schacher,  sonst  würde  der  rat  nicht  so  kurzen  process  gemacht, 
und  der  gerettete  nicht  den  unerfreulichen  Spitznamen  6  dno  rov  Tvndvov  be- 
halten haben. 

11)  Auch  dieser  mann  ist  unbekannt,    der  name  ist  nicht  selten,  weil  Eumelosi 
häufig   ist;   mit  Philomelos  und  Phiiomelides  ist  es  ebenso,     dafs  ßlafs  den  ortho- 
graphischen  fehler  Ei'fir]XeiST]S  conserviren  mufs  um  der  responsion  der  Satzglieder 
willen,   ist  für  diesen   aberglauben  bezeichnend,     er  beruft  sich  auf  <Pilofirilei8ris,] 
wie  in  der  tat  der  dichter  der  Telemachie  S  343  (o  134  ist  eine  wertlose  entlehnung  des 
bearbeiters)  einen  lesbischen  heros  genannt  hat.   die  alten  grammatiker  haben  sich  über  ' 
die  form  gewundert,  haben  ein  nietronymikon  von  (I>ilofn]lr,  ersonnen,  das  andere  i 
mit  recht  verwarfen,   schliefslich  ihr  bedenken  mit  richtigen,    aber  von  ihnen  nicht  ; 
richtig   gedeuteten,   bildungen   wie   GaooekeiSr;?  (von  GaQaiXems)  Avaid-si8r,s  (von 


Macht  des  rates  der  500.    abschlufs,  197 

demokratische  recht  der  intercessio  nni]  provocatio  ad  iudkium,  und  das 
Volk  änderte  die  gesetze.  die  geschichte  hat  offenbar  jemand  aufge- 
zeichnet, dem  sie  noch  ganz  frisch  im  gedächtnisse  war;  Androtion, 
dem  Demosthenes  seine  grausamen  pohzeimafsregeln  so  schwer  zum 
verbrechen  macht,  kannte  das  landrecht  besser  als  der  advocat.  Ari- 
stoteles aber  erzählt  das  ganze  nach,  weil  es  ein  guter  beleg  für  seinen 
allgemeinen  satz  ist,  dafs  das  volk  sich  zu  Ungunsten  des  rates  immer 
'mehr  der  Verwaltung  bemächtigt  hat.  hier  geht  uns  die  folgerung  an, 
dafs  dieses  recht  des  rates  der  500  notwendigerweise  auch  dem  Areo- 
page  gehört  hat,  so  lange  er  mit  der  Verwaltung  zu  tun  halte. 

Es  ist  aber  gut  das  capitel  45  überhaupt  zu  betrachten,  in  dem  die 
rechte  des  rates  aufgezählt  werden,  die  er  nur  noch  verkümmert  besafs. 
das  ist  erstens  das  eben  besprochene,  an  geld  freiheit  und  leben  zu 
strafen ,  zweitens  die  controlle  und  aburteilung  der  beamten,  vornehm- 
lich der  finanzbeamten,  drittens  die  annähme  und  erledigung  von  be- 
schwerden  privater  über  die  beamten ,  viertens  die  dokimasie  der  rats- 
heirn  und  archonten. 

Übertragen  wir  das  auf  den  Areopag,  so  kam  ihm  bis  auf  Ephialtes 
1  —  3  ganz  zu,  4  für  alle  übrigen  losbeamteu.  was  der  rat  der  500  im 
vierten  Jahrhundert  verloren  hat,  hatte  er  im  fünften  zum  guten  teile 
dem  Areopage  abgewonnen. 

Wir  finden  in  der  zeit  des  Aristoteles  selbst  den  rat  der  500  schon  Abschlufs 
Ijischränkt,   allein    dessen   machlfülle   tritt    uns  doch    noch   in  so  vielen 
Iel)endigen  betätigungen  entgegen,  und  die  Überlieferung  gibt  auch  an- 


yJinid'eos)  '^oiaTBiSrjS  (in  Wahrheit  aoiar-tiSj]i)  beschwichtigt,  vgh  aufser  den  sclio- 
lif  II  zum  S  nnd  Eustathius  Et,  M.  p.  166,  wo  die  wichtige  notiz  ^EnacpQoSnos  iv  vno- 
iivr[(jEi  eis  -Kscfä/Miov  I  "OSvaasias  bei  Gaisford  unten  steht,  auch  an  (PiXo/irilevs  haben 
^i'  gedacht,  es  gibt  eine  anzahl  schwieriger  formen  der  art,  sowol  auf  -evs,  trotz 
z'ipi  Stämmen  im  namen,  wie  auf  -siSr^e,  selbst  mit  -iSrjs  wechselnd,  wie  Kr^SiSriq 
KrSsidrjS  ^Ey.E(pvXiSas  und  'Ey.etpvkXsiSr^s,  um  bei  solchen  zu  bleiben,  die  die  alten 
iRiinen.  der  art  ist  der  aus  der  sage  unbekannte  <PikouT]leiS7]S:  denn  was  Hella- 
nikos  in  den  schollen  angibt,  wird  lesbische  erzählung  seiner  zeit  schon  gewesen 
sein,  aber  es  ist  auf  grund  der  Homerstellen  erfunden,  ob  die  Überlieferung  zuver- 
l;i  sig  ist,  ob  der  dichter  sich  etwa  erlaubt  hat,  ein  unbequemes  <PiloixrilLSr,s  me- 
(li-ch  zu  vergewaltigen,  das  bleibt  zweifelhaft:  den  Athener  Eumelides  und  den 
Aristoteles  geht  es  nichts  an  —  es  sei  denn,  dieser  hätte  auch  Sprachfehler  gemacht, 
damit  seine  versfüfse  stimmten,  aber  amüsant  ist,  dafs  ein  <PiXo/if]XiST]S  aus  Kyda- 
llienaion,  der  95  94  v.  Chr.  herold  für  Delos  war,  mit  jener  ungrammatischen  sucht 
voinehm  zu  scheinen,  die  eigennamen  so  oft  schädlich  wird,  um  des  homerischen 
namensvetters  willen  sich  (Pdo^ir,).eCSas  geschrieben  hat  (CIA  II  985  E),  noch  mit. 
einer  dorischen  endung  dazu:  wie  heroisch  sah  das  aus! 


198  II-    8.  Der  Areopag  von  Ephialtes, 

halt  genug,  geine  alte  macht  zu  erkennen;  ist  er  doch  im  fünften  Jahr- 
hundert der  wirkhche  träger  des  regimentes,   und  das  volk  scheut  sich 
niclit,   ihm   in   der   angst  vor   der  tyrannis  416   die   dictatur  zu  über- 
tragen   (Andok.  1,  15),  was   dem   entsprechend  fünf  jähre   später   dem 
ohgarcliischen  rate  der  400  zugestanden  wird,    diese  zeit  hat  vom  Areo- 
page  viel  weniger  gehalten   als  die  von  338  und  318,   wie  sie  ja  aucl^ 
von  Solon  viel  weniger  hielt,    es  ist  bezeichnend,  dafs  der, Areopag  bei 
Thukydides  gar  nicht,   bei  Ilerodotos   nur  als  ortsname  vorkommt  und 
die  sagen  der  Atthis  schlechthin  nur  den  gerichtshof  angehn.    die  bedeu- 
tende macht  des  Areopagitenrates  und  die  kämpfe,  die  zu  seiner  besei- 
tigung  nötig  gewesen  waren,  mufsten  erst  vergessen  sein,  damit  er  mit 
der  aureole  der  guten  alten  zeit  umkleidet  würde,    worin  bis  auf  Ephialtes 
die  macht  gelegen  hatte,  war,  wie  sich  gezeigt  hat,  gar  nicht  so  schwer 
zu   finden,     welche   einzelnen    stücke  von  Ephialtes  462    beseitigt   sind, 
welche  von  seinem  demokratischen  nachfolger,  um  welche  von  ihnen  so 
leidenschaftlich  gestritten  ward,  das  ist  dagegen  die  entwickelung  des  rechtes 
aufser  stände  zu  ergänzen,    weit  schwieriger  als  zu  sagen,  was  vor  462 
der  Areopag  war,  ist  es,   zu  sagen,  was  der  rat  der  500  und  gar  der 
der  400   seit  Drakon  war.     der   der  500   hat  wenigstens  einen  teil  der 
linanzen  unter  sich  gehabt  und  seit  Themistokles  die  sorge  für  die  flotte; 
aufserdem  gehört  die  Vorbereitung  der  Volksbeschlüsse,  also  die  legislative 
im  weitesten  sinne,  und  die  Vertretung  des  souveränen  Volkes  nach  aufsen, 
mithin  die  äufsere  politik,  so  weit  sie  in  Athen  gemacht  wird,  dem  rate 
an.     das   ist  etwas  und   für  die   zeit  um  600   genug,     aber  es  ist  wol  j 
wahrscheinlich,  dafs  die  demokralie  seit  507,  die  den  ratseid  einführte,  I 
ihm  also  die  Währung  der  demokratie  ans  herz  legte,  einen  teil  der  poli-  i 
zeilichen  gewalt,  der  nomophylakie,  die  der  Areopag  besafs,  dem  volks-  ! 
rate  auch  verliehen  hat.    die  zwei  rate,  ein  patricischer  und  ein  plebe-  i 
jischer,  so  zu  sagen,  standen  doch  schon  nebeneinander;  die  geschieht-  j 
liehe  entwickelung  mufste  die  macht  des  letztern  immer  mehr  steigern;  i 
eine  weile  giengen  beide  neben  einander  her,  dann  kam  der  unvermeid-  i 
liehe  conflict,  dessen  ausgang  nicht  minder  unvermeidlich  war. 

So  verwegen  das  auch  sein  mag,  man  kann  doch  nicht  umhin,  auch  i 
über  die  zeit  nachzudenken,  wo  nur  ein  rat  in  Athen  bestand,  von  \ 
seiner  täligkeit  als  rat  erfahren  wir  nur  durch  die  wenigen  sätze  der 
Politie  etwas,  insbesondere  dafs  er  die  niederen  ämter  besetzte,  die 
cura  legum  et  morum  übte,  und  aus  den  geweseneu  beamtcn  bestand, 
dies  letzte  kann  erst  seit  6S3  gelten,  wo  jedes  jähr  neun  Areopagitea 
schuf,     über  die   ältere  zeit  hat  man  also  nichts  gewufst.     das  gericht 


Abschlufs.  199 

Avird  in  den  sagen  auf  die  urzeit  zurückgefülirt,  und  Aiscbylos  läfst  Alhena 
die  Areopagiten  auswählen,  es  geht  aber  nicht  an,  daraus  das  recht  der 
hctio  senatus  für  den  konig  abzuleiten,  denn  einmal  stand  der  dichter 
unter  dem  zwange  der  poetischen  erfindung,  und  dann  ist  es  ihm  viel- 
mehr um  die  einsetzung  des  geschvvornengerichtes  überhaupt  zu  tun  als 
um  die  Stiftung  der  ßovXTq.  der  streit  der  gölter  um  Athen  ist  in  der 
Atthis  auch  in  die  form  einer  öiadr/.aoia  ysQwv  vor  dem  konige  ge- 
kleidet, und  da  erfolgt  die  entscheidung  gar  durch  ein  plebi^scit  des  ganzen 
Volkes,  die  frage  spitzt  sich  nun  so  zu:  ist  die  richterliche  tätigkeit 
wirkhch  das  prius,  so  dafs  der  beirat  des  königs  in  den  schwersten 
mordsachen  allmähhch  die  macht  eines  rates  gewonnen  hat,  oder  ist  dem 
rate  schliefslich  nur  diese  richterliche  function  geblieben,  schon  die 
analogie  der  reform  von  462  spricht  für  dies  letztere,  aber  die  sagen 
von  Orestes  und  Halirrhothios  gehen  q)6vog  dUaiog  an,  die  von  Prokris 
qovog  ay.ovotog.  diese  sachen,  die  doch  in  der  sage  vom  Areopage  ent- 
schieden werden,  sind  seit  Drakon  dem  konige  unter  dem  beirate  von  51 
adlichen  richtern  überantwortet  und  werden  an  andern  heihgen  statten 
verhandelt,  darin  kann  weder  eine  neuerung  erst  des  Drakon  erblickt 
werden,  noch  ist  es  irgend  glaublich,  dafs  das  ausgehende  siebente  Jahr- 
hundert erst  die  richtstätten  des  Delphinion  und  Palladion  aufgebracht  hätte. 
in  diesen  sagen  kann  somit  der  Areopag  nicht  den  ort  bezeichnen,  wo 
gerichtet  ward,  sondern  nur  die  richter.  mit  andern  Worten,  die  sagen 
iiezeugen  einen  zustand,  wo  Areopagiten  überhaupt  die  blutsachen  neben 
dem  konige  entschieden,  einerlei  an  welchem  flecke,  dafs  51  epheten 
in  den  leichteren  fällen  für  die  Areopagiten  eintreten,  ist  dem  gegen- 
über eine  neuerung,  sei  es  dazu  bestimmt,  den  Areopagitenrat  zu  ent- 
lasten, sei  es  (was  w-ol  jeder  vorziehen  wird)  eine  beschränkuug  seiner 
allgewalt.  die  einsetzung  der  thesmotheten  und  die  aufzeicbnung  erst 
einzelner  -d^eGfiia,  dann  aller  &so(.lol,  dient  demselben  zwecke,  wir  er- 
reichen so  eine  zeit,  wo  der  Areopag  unter  vorsitz  des  königs  alle  blut- 
sachen entschied,  und  diese  zeit  ist  zugleich  die,  wo  er  unmöglich  aus 
den  gewesenen  beamten  bestehen  konnte,  das  local  des  Areshügels  ist 
wichtig  nur  als  distinctivum  für  die  mordsachen,  weil  sie  je  nach  ihrer 
(jualification  an  verschiedeneu  localen  zur  aburteilung  kamen,  und  nur 
bei  dieser  gelegenheit  und  in  diesem  sinne  ist  eine  erwähnung  des 
Areopages  in  Solons  gesetzen  (axon  13,  8)  nachgewiesen,  wenn  gleichwol 
der  rat  nach  dem  hügel  heifst,  und  eine  formel  wie  avaßaiveiv  eig 
]l4oeiov  Tiäyov  (z.  b.  Ar.  60,3)  für  den  eintritt  in  den  rat  besteht,  so  folgt 
daraus,  dafs  sein  amtslocal  auf  dem  hügel  des  Ares  in  connex  mit  dem 


200  II.    8.  Der  Areopag  von  Ephialtes. 

Arestempel  lag',  aber  unmöglich  kann  die  lerminologie  rj  ßovXrj  r  1^ 
IdQsLov  rcäyov  aufgekommen  sein,  ehe  eine  andere  ßovl.iq  die  Unter- 
scheidung nutig  machte;  die  anrede  w /Jot-A/;  an  den  Areopag  ist  gehlieben, 
vordrakontische  gesetze  können,  falls  sie  nicht  das  blulrecht  angiengen, 
unmöglich  anders  als  einfach  von  der  ßovXiq  geredet  haben,  es  ist  nicht 
Avundeibar,  dafs  man  sie  später  verkannte  und  den  Areopag  vermifste. 
die  bezeicbnung  nach  dem  hiigel  ist  in  Wahrheit  secundiir.,  da  stehn 
wir  wieder  vor  einer  alternative,  entweder  ist  ein  Arestempel  errichtet, 
wo  das  rathaus  war,  weil  der  rat  über  blut  richtete,  oder  der  rat  hat 
sich  sein  haus  da  gebaut,  wo  er  über  blut  richten  mufsle.  auch  hier 
ist  die  entscheidung  nicht  zweifelhaft,  die  religion,  die  )dd^OL  vßQ€wg 
'Aal  civaideiag,  sind  das  ältere,  das  scheint  dem  blutgerichtshofe  doch 
das  prius  zu  vindiciren.  allein  es  scheint  nur  so.  freilich  ist  der  er- 
salz  der  blutrache  durch  die  strafe  des  Staates  ein  ungemein  wichtiger 
schritt,  und  die  gesellschaft  hat  die  entscheidung  nicht  in  die  band  des 
einzelnen,  des  königs,  legen  wollen,  sondern  ein  gericht  von  standes- 
genossen gefordert,  die  religion  hat  dieses  gericht  an  bestimmte  hei- 
lige Stätten  gewiesen,  aber  zu  einem  ständigen  gerichtshofe ,  zu  einer 
behörde,  einer  ßovXrj  führt  das  nicht,  wenn  die  ßovXrj  in  Athen  dieses 
wichtige  gericht  übernommen  hat,  so  mag  sie  ihr  amtslocal  mit  rück- 
sicht  auf  eine  gerichtsstätte  gewählt  haben,  deren  läge  im  Verhältnis 
zu  den  andern  amtshäusern  bequem  war,  aber  sie  war  vorhanden  und 
angesehen,  ehe  die  blutrache  beseitigt  ward.  Agamemnon  und  Alkinoos 
haben  ihre  ßovliq  bei  Homer,  bei  dem  doch  von  einem  blutgerichte 
nichts  zu  finden  ist.  der  rat,  der  die  magistratur  durch  seine  euthyna 
gebändigt  hat,  ist  notwendiger  weise  eine  so  alte  Institution,  dafs  wir 
uns  Athen  ohne  ihn  gar  nicht  zu  denken  vermögen,  so  wenig  wie  Sparta 
ohne  die  geronten.  aber  über  seine  Zusammensetzung,  ob  durch  beiu- 
fung  des  königs  auf  lebenszeit  oder  durch  volkswahl  oder  durch  ge- 
schlechtervertretung,  können  wir  nichts  wissen,  wenn  er  einstmals  dem 
könige  zur  seite  getreten  ist,  wenn  er  die  willkür  der  einzelnen  bt'- 
amten  gebändigt  hat,  so  ist  er  einstmals  der  träger  des  fortschritts  zur 
demokratie  gewesen,  die  462  in  ihm  ihren  hemmschuh  sah.  er  ist  der 
Vorgänger  des  rates  der  400  und  500  gewesen,  seit  wann?  seit  Kekrops: 
wir  haben  keine  andere  antwort  als  die  Atthis.  was  ihm  nach  462 
geblieben  ist,  entspricht  dem  was  dem  könige  geblieben  ist:  wie  der 
könig  nicht  zuerst  ein  priester  w^ar,  ist  auch  der  rat  nicht  von  anfang 
ein  rehgiöses  tribunal  "ewesen. 


9. 
3000  HOPLITEN  VON  ACHAMAL 


Aus  seiner  oligarchischen  quelle  hat  Aristoteles  die  speciücirte  be-  20000  kost- 
1  echnung  herübergenommen,  dafs  in  Athen  20U00  bürger  ihren  unterhalt  Reiches.  "^ 
durch  den  Staat  fanden  (24,  3  vgl.  I  s.  153).  er  hat  dabei  vieles  einfach 
hingestellt  was  im  fünften  Jahrhundert  unmittelbar  versländlich  war, 
aber  zum  teil  uns  selbst  zweifelhaft  bleibt,  die  wir  doch  die  älteren  insti- 
tiitionen  besser  kennen  als  die  Athener  der  demosthenischen  zeit,  er- 
scliwert  wird  das  urteil  durch  die  Verderbnisse  und  liicken  des  textes; 
aljer  die  rechnung  ist  so  merkwürdig,  dafs  ein  versuch  gemacht  werden 
imifs.     bequemer  ist  es  freilich,   das  ganze  als  ungereimt  wegzuwerfen. 

Die  erste  reihe  von  zahlen  ist  heil  und  verständlich;  6000  richter, 
IGOO  schützen,  1200  reiter,  500  ratsherren,  500  werftwächter,  50  burg- 
A\.ichter.  die  posten  steigen  vom  höheren  zum  niederen  herab  und 
trgeben  9S50  mann,  die  schützen  und  die  reiter  beziffert  auch  Thuky- 
tlides  (2,  13)  so  hoch;  es  ist  die  etatsmäfsige  stärke  dieser  stehenden 
huppen.  1200  reiter  schliefst,  wie  Thukydides  genauer  angibt,  die 
(Selbstverständlich  bürgerlichen)  schützen  zu  pferde  ein;  später  hat  Athen 
iiumals  wieder  eine  so  starke  cavallerie  gehabt,  früher  aber,  als  es  drei 
hipparchen  gab  (CIA  IV  p.  184)  vielleicht  eine  noch  höhere,  die  schützen 
sind  von  uns  früher  mit  den  gekauften  Skythen  notwendig  verwechselt 
worden,  weil  das  vierte  Jahrhundert  diese  stehende  truppe  des  bürger- 
heeres  nicht  mehr  kennt;  aber  jetzt  sind  die  inschriftlichen  belege  nicht 
mehr  vereinzelt.')     die  theten  haben  also  zu  Perikles  zeit  ihre  den  vor- 


1)  CIA  I  54.  79.  IV  26^  wir  besafsen  auch  die  Überlieferung  von  1200  reitern 
und  eben  so  vielen  scliützen,  Andok.  3,  7 :  aber  weil  die  bürgerliclien  schützen  un- 
bekannt waren,  ward  ihr  der  glaube  versagt.  Andolddes  hat  vielmehr  die  stärke 
etwas  zu  niedrig  geschätzt. 


202  II.    9.  3000  hoplilen  von  Acharnai. 

nehmen  rittern  analoge  militärische  Vertretung  gefunden;  wir  werden 
nunmelu"  keine  veranlassung  hahen  bei  militärischen  Operationen  unter 
schützen  andere  als  die  bürgerlichen  zu  verstehen^);  geleistet  hat  die 
truppe  wenig,  neu  sind  für  uns  die  werftwäcliter,  die  mit  den  vecogoi, 
später  veiOQiiov  lTtif^ith]TaL  nicht  verwechselt  werden  dürfen.^)  da  über 
400  trieren  in  den  docks  lagen,  was  eine  entsprechende  ausdehnung 
der  arsenale  fordert,  so  war  eine  starke  wache  allerdings .  notig,  aber 
die  500  repraesentiren  eine  garnison  der  hafenstadt.  das  war  eine  sehr 
angemessene  einrichtung;  in  der  demosthenischen  zeit  commandiren  im 
hafen  zwei  Strategen  und  ist  die  caserne  der  epheben  dort,  in  der  wol 
vorher  (pqovQoL  gelegen  haben  werden  (oben  I  198).  die  burgwache  ist 
ebenfalls  neu;  wir  kennen  sie  sonst  erst  aus  viel  späterer  zeit.")  aber 
die  schätze  und  cassen  der  bürg  forderten  sie  eigentlich  notwendig.^) 

Die  zweite  kategorie  bilden  die    beamten ,    700  in  Attika;   die  zahl 
der  vTteQOQiOi,   wie    mit  dem  terminus  des  fünften  Jahrhunderts  gesagt 


2)  Nun  möchte  man  die  scliQtzen,  die  als  huissiers  in  der  Volksversammlung 
auftreten,  aucli  für  bürger  lialten,  Meil  fremde  dahin  wirklich  nicht  gehören,  dals 
die  grammatiker  (schol.  Ar.  Ach.  54)  nur  die  Skytlien  kennen,  tut  nichts  dagegen, 
aber  das  bürgerliche  schützencorps  müfste  dann  auch  noch  zur  zeit  der  Eliklesia- 
zusen  existirt  haben,     es  bleiben  noch  mehr  offene  detailfragen. 

3)  CIA  IV  p.  144,  Jelr.  agx-  &9,  26.  ihre  tätigkeit  ist  genau  die  aus  den  see- 
urkunden  des  vierten  Jahrhunderts  bekannte. 

4)  CIA  III  12S4  fTg.  3906. 

5)  Als  die  bauhütte  für  den  Parthenon  aufgeschlagen  ward,  also  etwa  447 
oder  wenig  später  (auch  an  den  Propylaeenbau  kann  man  denken),  hat  man  ein 
wachthaus  dabei  errichtet  und  drei  bürgerliche  schützen  aus  der  versitzenden  phyle 
zu  Wächtern  gesetzt;  der  rat,  also  die  prytanen,  behielt  die  Oberaufsicht,  das  lehrt 
der  seltsame  stein  CIA  IV  p.  140.  mit  der  ständigen  wache  hat  das  nichts  zu  tun; 
es  ist  eine  vorübergehende  mafsregel.  die  Inschrift  schliefst  qiilaxas  8e  svai  roes 
fiEv  rox^öras  ex  ris  (pvXli,  rei  novxavevoaes.  es  ist  eben  so  verkehrt,  hier  spi- 
nöse syntaktische  feinheiten  zu  suchen  wie  gewalt  zu  brauchen,  ein  psephisma 
kommt  in  der  regel  zu  stände,  indem  ein  ratsantrag  vor  das  volk  gebracht  und  mit 
mehr  oder  weniger  änderungen  angenommen  wird,  unsere  Steinschriften  sind  aus- 
züge  aus  dem  protokolle,  das  der  schreiber  führt,  ihre  ganze  gestalt  lehrt  das,  wenn 
es  auch  eine  gedankenlose  sammelei  wie  das  nur  durch  das  rohmaterial  brauchbare 
buch  von  Swoboda  verkennt,  der  ratsantrag  hatte  in  diesem  falle  aufser  den  3  schützen 
noch  eine  weitere  wache  gefordert;  aber  sein  zweiter  teil  ward  abgelehnt,  da  hat 
der  Protokollführer  den  letzten  absatz  gestrichen,  aber  das  fiiv  vergessen,  die  nieder- 
schrift  ist  nicht  officiell;  das  volk  hatte  sie  nicht  verordnet  (das  müfste  am  Schlüsse 
slehn),  und  für  eine  solche  verwaltungsmafsregel  hatte  sie  auch  keinen  zweck,  der 
stein  ist  auch  nicht  auf  der  bürg  gefunden,  es  hat  also  ein  unfindbarer  specialanlafs 
diese  aufzeichnung  herbeigeführt. 


20000  kostgänger  des  Reiches.  203 

wird®),  ist  verdorben:  denn  dafs  nicht  zwei  gleiche  zahlen  mit  f.i€v  und 
ÖS  einander  gegenübergestellt  werden  können,  sollte  sich  jeder  selbst 
sagen,  obwol  die  beamten  dem  namen  nach  für  unbesoldet  gelten, 
rechnet  dieser  Schriftsteller  ganz  unbefangen  mit  dem  grundsatze,  dafs 
das  amt  den  mann  nährt  (vgl.  1  s.  196).  die  zahl  scheint  ungeheuer, 
ich  lege  eine  berechnung  vör,  obwol  das  ergebnis  unbefriedigend  ist, 
weil  ich  von  mir  selbst  weifs,  dafs  man  gewöhnt  ist,  zu  niedrig  zu 
rechnen,  dreifsiger  collegien  gibt  es  für  demenrichter  und  logisten ;  als 
drittes  können  hellenotamien  mit  beisitzern  zutreten,  denn  nach  der  ana- 
logie  von  archonten  und  euthynen  dürfen  auf  einen  hellenotamias  zwei 
beisitzer  gerechnet  werden,  zehnercollegien  sind  es  mindestens  14  {otqu- 
Tt]yoL,  za^laQxoi,  cpvXaQ%oi,  ra(.üaL  Trjg  d-eov,  rai-ilai  rai?'  aXltov  ^£ÖJv, 
ayoQav6(.ioi,  aarwof-ioi,  aiTOcpvXaxeg ,  vscoqoi,  uqwv  kTCLOY.evaOTai, 
uTCoöey.TaL,  TtcoXrjTaL,  TCQaxTOQeg,  iegortoLol  elg  eviavTov),  9  archonten 
mit  1  Schreiber,  6  beisitzern,  1  herold  und  1  pfeifer,  11  svdsy.a,  1  (oder  2) 
Schreiber,  2  hipparchen ,  ■/.tolay.Qexcci,  eiaaycoyfjg,  vavTodiyMi  in  un- 
bestimmter zahl,  dazu  der  ganze  trofs  von  vjtr^Qirai  bürgerlichen  Stan- 
des, herolde,  Schreiber,  unterschreiber.  gerade  diese  besoldeten  sub- 
alternen beamten  durften  in  dieser  berechnung  nicht  fehlen,  und  welche 
behörde  wäre  ohne  ein  bureau  gewesen?  dafs  eine  Schätzung  der  bisher 
aufgezählten  auf  350  unter  dem  effectivbestande  bleibt,  ist  mir  nicht 
zweifelhaft,  gar  nicht  in  anschlag  gebracht  sind  bisher  die  Offiziere  der 
Hotte,  einstellen  müssen  wir  mindesten  30  trittyarchen ,  die  vielleicht 
]»esser  überhaupt  als  beamte  gezählt  würden,  den  befehl  auf  der  galeere 
lührt  der  trierarch.  es  ist  wahr,  die  trierarchie  ist  eine  last,  aber  sie 
ist  dennoch  ein  amt,  und  die  oligarchen  rechnen  den  trierarchen  unter 
(He  beamten,  die  von  den  bündnern  geehrt  werden  {TloX.  ^^.  1,  18): 
das  konnte  auch  mit  gescheuken  geschehen,  durch  ein  d^egarteveLV,  wie 
die  Lesbier  sagen  (Thuk.  3,  11)  und  wie  es  Alkibiades  an  den  Olym- 
l)ien  420  vor  allen  Hellenen  erfuhr,  wer  also  eine  möglichst  hohe  ziffer 
zu  erzielen  suchte,  konnte  die  trierarchen  unter  die  beamten,  die  von 
den  bündnern  lebten,  recht  gut  zählen,  es  waren  ihrer  400  ([Xen.] 
Hol.  A&.  3,  4),  von  denen  nur  ein  kleiner  teil  alljährlich  Verwen- 
dung fand,  aber  wir  dürfen  auch  nicht  alle  einrechnen,  sonst  wird  die 
zahl  700  überschritten,  ferner  sind  alle  cultusbeamten  bisher  unge- 
rechnet,    das  priesterlum  der  staathch  anerkannten   culte   nährt  seinen 


6)  Psephisma  für  Leonidas  von  Halikarnafs  CIA  IV  p.  165.    [Xen.]  IIol.  Ad-. 
1,  19:  Xen.  Symp.  4,  31.     gesetz  bei  Aischines  1,  21. 


204  II.    9,  3000  hopliten  von  Achainai. 

mann:  in  Asien  hat  man  vieler  orten  die  pfriinilen  an  den  meislbietenden 
vergeben,  aber  das  ist  allerdings  eine  betrachtungsweise,  die  dem  Athener 
fern  liegt,  dagegen  solche  commissionen  wie  die  Verwaltung  des  eleii- 
sinischen  tempels  können  gar  nicht  aufser  betracht  gelassen  sein,  etzl- 
(.lE/.rixai  f^ivOTi]Qicüv,  z/iowoiiov,  aO^Xod^etai^  auch  wol  ßocövac  7cqod-iv- 
rai  oiv67CTC(L  fungiren  nur  eine  beschränkte  zeit,  die  verschiedenen 
hooitoiol  sind  aus  den  richtern  genommen  (oben  I  201.233),  also  in  der 
zahl  6000  bereits  einbegriffen:  aber  wie  sollen  wir  den  grad  der  genauig- 
keit  und  ehrlichkeit  in  einer  solchen  rechnung  abschätzen?  endlich  sind 
die  gemeindebeamten  agyal;  rechnen  wir  auch  nur  den  demarchen  und 
einen  Schatzmeister  anf  den  demos,  so  sind  gleich  wieder  nah  an  300 
mann  da.  die  phylen  haben  auch  vermögen  im  inlande;  in  den  kleru- 
chien,  selbst  auf  Samos  besitzen  sie  grundstücke,  etwas  laufende  arbeit 
hat  auch  ihr  vorstand,  ob  dieser  schriftsteiler  ihn  unter  die  agyat  ge- 
rechnet hat,  ist  gänzhch  ungewifs:  aber  wie  immer  er  gerechnet  hat, 
700  beamle  konnte  er  ganz  ohne  Übertreibung  herausbekommen.  Selbst- 
verwaltung braucht  nun  einmal  sehr  viel  menschen,  weil  sie  nebenher 
alle  mehr  oder  weniger  Privatgeschäfte  zu  besorgen  haben,  wenn  wir 
den  jährlichen  menschenbedarf  für  die  Verwaltung  Athens  schätzen,  also 
den  rat  mitzählen,  die  Areopagiten  auch,  aber  die  richter  nicht,  so  sind 
1200  eher  zu  tief  als  zu  hoch  gegriffen. 

Die  üQ/cd  vTiEQÖQiOi  sind  die  vügte  in  den  kieruchien  und  ab- 
hängigen Städten,  cfQovQagxoi,  kTcioy.07toi,  iTCi/nElrjTal,  ixloyr^q,  'E?Jj- 
OTtovTOcpvXayieg,  die  delischen  amphiklionen,  aQywv  ig  2aXa(-ilva  u.  s.  w. 
die  können  wir  gar  nicht  schätzen,  aber  wenn  700  eine  viel  zu  hohe  zahl 
für  sie  ist,  so  sind  es  doch  wieder  ein  par  hunderte  gewesen. 

Darauf  wird  mit  einem  im  einzelnen  entstellten  satze  der  Übergang 
zu  der  zeit  gemacht,  wo  Athen  gegen  den  jährlichen  tribut  den  städlen 
das  militär  abnahm,  der  Übergang  war  nötig,  weil  der  Verfasser  die 
rechnung  an  den  namen  des  Aristeides  anknüpfte;  in  Wahrheit  ist  die 
beschönigung  schwach,  denn  auch  die  vorigen  posten  sind  auf  die  spätere 
zeit  berechnet,  etwa  445 — 432.  da  es  sich  nun  um  das  ordinarium 
handelt,  kann  von  kriegszeiten  nicht  die  rede  sein,  der  erste  posten 
2500  hopliten  mufs  also  alljährlich  Verwendung  finden  und  tut  das  auch: 
es  sind  die  garnisonen,  die  unter  den  cpQovQaQxot  stehen,  in  Thrakien, 
am  Hellespont,  in  manchen  Städten  Asiens,  in  JNaupaktos  u.  s.  w.  auch 
die  garnisonen  der  altischen  grenzfestungen  dürften  hier  eingerechnet 
sein,  dann  erscheinen  schiffe,  20  wachtschiffe,  von  denen  wir  zwei  der 
milesischen   Station   speciell   kennen  (CIA  IV  p.  6),    und  die  schiffe  für 


20000  Kostgänger  des  Reiches.  205 

die  abliolung  der  tribute.  wir  haben  bisher  den  fehler  gemacht,  an  den 
transport  dieser  hohen  summen  gar  nicht  zu  denken,  da  sie,  wie  sich 
gebührte,  von  gesandtschaften  der  Städte  in  Athen  an  die  hellenotamien 
gezahlt  wurden,  das  war  gedankenlos;  denn  mit  10  talenten  im  koffer 
reist  ein  gesandter  unsicher,  und  die  talente  mit  ihm  auch  nicht  immer 
sicher,  es  entspricht  der  tüchtigen  Reichsverwaltung,  dafs  sie,  wenn  im 
frühjahre  das  meer  aufgieng,  ein  par  kriegsschiffe  mobil  machte  und  in 
die  Provinzen  schickte  um  die  gesandtschaften  sammt  den  fälligen  tributen 
zu  holen,  das  erscheinen  des  schiffes  beförderte  ohne  frage  die  geneigt- 
heit  zu  zahlen,  Verspätungen  und  Unglücksfälle  des  transportes  wurden 
vermieden,  und  es  machte  sich  noch  dazu  sehr  vornehm,  wenn  die  ge- 
sandten auf  den  galeeren  des  vororts  befördert  wurden,  ihre  anwesen- 
heit  an  den  städtischen  Dionysien  und  die  procession,  bei  der  die  gelder 
selbst  als  ein  zwar  profanes  aber  sehr  eindrucksvolles  stück  paradirten, 
gehört  in  die  selbe  richtungslinie  der  politik.  was  trotzdem  an  tributen 
rückständig  bheb,  ward  im  laufe  des  sommers  durch  vrjsg  aqyvqoloyoi 
eingetrieben,  was  denn  schon  den  minder  freundlichen  Charakter  der 
execution  trug. 

Die  zahl  dieser  schiffe  ist  schon  von  einer  lücke  in  der  handschrift 
verschlungen,  und  es  folgte  ein  accusaliv,  der  schlechterdings  nicht  cou- 
struirt  werden  kann"'),  2000  ausgeloste  bürger.  die  erlosung  ist  für  mili- 
tärische Verwendung  seltsam;  andererseits  müfste  man  eine  sehr  beträcht- 
liche lücke  annehmen,  wenn  die  2000  nicht  mehr  unter  die  militärischen 
Institutionen  fallen  sollten,  und  man  möchte  auch  neben  2500  hopliten 
eine  entsprechende  beteiligung  von  theten  erwarten,  wenn  die  phyle  oder 
ihre  demen  für  200  stellen,  deren  Obliegenheiten  keine  besondere  mili- 
tärische ausbiklung  forderten,  candidaten  präsentirten,  aus  denen  dann  die 
losung  vorgenommen  ward,   wie  später  für  ralsherren  und  Wächter,  so 


7)  Ganz  verwerflich  ist  die  conjectur  vr^s  al  rots  foovoovs  (für  yS^ovs) 
äyovaai  rois  dno  rov  v.väuov  Sia/j/Jovi  ni§gn~.  denn  sie  renkt  den  salz  zwar  ein, 
aber  sinn  gibt  sie  schlechterdings  nicht,  da  die  ipoovQoi  an  den  ort  gehören,  den 
sie  bewachen,  so  könnten  dieses  nur  transportschiffe  sein,  von  denen  also  nur  die 
Schiffsmannschaft  gerechnet  werden  könnte,  die  yoov(»ot  sind  ja  in  den  2500  hopliten 
vorher  enthalten,  was  soll  also  ihre  zahl  hier,  und  wo  bleiben  die  Schiffsmannschaften 
in  der  berechnung?  zu  dem  transporte  der  cpoovooi,  z.  b.  nach  Byzantion,  eignen 
sich  trieren  schlecht,  da  die  Soldaten,  weil  sie  nicht  heimkehren,  nicht  selbst  rudern 
können,  wie  soll  aber  überhaupt  neben  den  wachtschifTen,  die  als  solche  in  rech- 
nung  gestellt  sind,  ein  posten  stehn,  der  zwar  schiffe  nennt,  aber  nicht  rechnet, 
und  dafür  leute  rechnet,  die  nur  gelegentlich,  als  auf  jenen  schiffen  überfahrend, 
erwähnt  werden? 


206  II.    9.  3000  hopliten  von  Acharnai. 

wäre  (las  wol  denkbar,  die  berechniing  ans  der  zahl  versagt,  denn  dafs 
20  wachlpcliin'e  4000  rüderer,  zu  denen  dann  nocli  die  Soldaten  kommen 
müfsten,  ergeben  sollten,  würde  voraussetzen,  dafs  wie  auf  der  Paralos  und 
Salaminia  nur  bürger  auf  ihnen  gerudert  hätten,  das  ist  weder  bezeugt 
noch  glaublich,  so  müssen  wir  uns  eingestehen,  dafs  wir  immer  noch 
nicht  genug  von  dem  Verhältnissen  des  fünften  Jahrhunderts  wissen,  um 
von  '2000  ausgelosten  männern'  zu  sagen  wer  sie  sind.*)  damit  ist  zu- 
gleich eingestanden,  dafs  die  aufstellung  der  20000  soidempfänger  nicht 
ganz  nachgerechnet  werden  kann,  immerhin  darf  dieser  posten,  die  all- 
jäbrlich  für  militärische  zwecke  in  friedenszeiten  tätigen,  auf  6000  mann 
veranschlagt  werden. 

Der  letzte  abschnitt  umfafst  die  Staatspensionäre,  die  ev  Trgvraveiq) 
anoifierot  und  die  waisen  der  im  kriege  gefallenen,  zu  denen  wir 
die  arbeitsunfähigen  fügen  können,  die  der  Verfasser  vergessen  hat  (oben 
I  213)^),  und  die  Wächter  der  kriegsgefangenen  oder  sonst  internirten '°). 
eine  zahl  ist  für  diese  classe  nicht  angegeben  und  ist  auch  für  uns 
unerreichbar,  das  hindert  nicht,  dafs  wir  dem  Verfasser  das  Zeugnis 
der  glaubwürdigkeit  für  seine  einzelnen  posten  zugestehn.  verwerflich 
ist  nur  seine  tendenz,  in  diesen  20  000  kostgänger  des  Reiches  zu  er- 
blicken ,  da  der  überwiegend  grofsere  teil  für  seinen  sold ,  so  er  den 
erhielt,  auch  etwas  leistete ;  ganz  abgesehen  davon  dafs  die  ganze  summe 
nicht  jahraus  jahrein  in  dem  genusse  ihrer  bezüge  war.  sie  sollen  sie 
auo  Tiüv  (fOQWv  -/Ml  Twv  T€?MV  Tial  Tiöv  ovf.i!.iäxcüv  erhalten  haben, 
davon  haben  wir  das  letzte  glied  getilgt,  weil  die  bündner  auch  den 
tribut  ganz  und  die  zolle  zum  grofsen  teile  zahlen,    aber  es  ist  richtig. 


8)  Nur  schüchtern  wage  ich  eine  Vermutung,  nach  Plutarch  Per.  11  fuhren 
alljährlich  60  trieren ,  sv  al^  noXXol  rcöv  7Co?.it(Öv  enXeov  ohto)  fifjvas  sfifiiad'oi; 
/neXercövTss  afia  xal  fiav&ävovTBS  Tf;v  ravzixrjv  ifMTtsiQiav.  das  pafst  vorzüglich, 
denn  zur  ausbildung  konnte  man  aus  der  von  den  demen  praesentirten  zahl  von 
bewerbern  gut  und  gerne  die  nötige  zahl  auslosen,  und  aufgeführt  wird  die  mafs- 
regel  von  Plutarch  unter  den  mafsregeln,  mit  denen  Perikles  dem  volke  durch  Zu- 
wendung von  sold  gefällig  war. 

9)  Oder  sollten  diese  Unterstützungen  dem  fünften  Jahrhundert  fremd  gewesen 
sein,  im  vierten  als  ein  überbleibsei  der  diobelie  eingerichtet?  ich  neige  mich  jetzt 
dieser  auffassung  zu.  das  ist  dann  für  die  zeit  wichtig,  in  der  diese  aufstellung 
der  2000  erfolgt  war. 

10)  Die  (pvXaxal  Seoficorcöp  rechnet  die  oligarchische  Politie  unter  die  stän- 
digen geschäfte  des  rates  dicht  neben  der  dokimasie  der  waisen,  3,  4.  es  werden 
immer  aufser  kriegsgefangenen  namentlich  geisein  aus  einer  oder  der  andern  Stadt 
auf  den  kleinen  inseln  internirt  gewesen  sein,  wie  die  Samier  440  auf  Lemnos, 
Thuk.  1,  115. 


20000  kostgänger  des  Reiches,     stärke  der  athenischen  bürgerschaft.      207 

die  garnisonen  Athens'  in  den  Städten  werden  ihren  sohl  ganz  gewifs 
nicht  aus  Athen  nachgeschiciit  noch  üherhaupt  aus  anderen  milteln 
erhalten  hahen  als  von  den  städten  selbst,  die  sie  bewachten.*')  und 
(las  geld  der  biindner,  das  in  die  bände  der  von  Athen  ausfahrenden 
iieamten  geht,  oder  das  die  rechtssiichenden  in  Athen  etwa  an  die 
herolde  zahlen  ([Xen.]  Uol.  Ad^.  1,  18),  macht  nicht  den  umweg  durch 
die  attische  Reichscasse.  alle  "  ehrenämter'  konnten  in  dieser  liste  nur 
stehn,  wenn  sie  *^  nebeneinnahmen     brachten. 

Wir   teilen  die  parteitendenz  des  Theramenes  nicht ,   seine  angäbe  stärke  der 

T  -111  T  (-11-  111  ?  ,      atlienisclien 

dient  uns  vielmehr  dazu,  die  grülse  der  leistungen  der  Athener  und  die    btirger- 

sclial't 

Stärke  ihrer  bürgerschaft  zu  schätzen.  1600  schützen,  1200  reiter*^), 
6000  hopliten  und  flottenmannschaften ,  500  ratsherren,  1000  weitere 
beamte  sind  jähr  für  jähr  zur  regelmäfsigen  Verwaltung  herangezogen : 
das  macht  10  300,  sagen  wir  10  000.  ricbter  sind  6000  ausgelost,  die 
auch  die  meisten  werkeltage  im  öffenthchen  dienste  stehn.  wie  sollen 
wir  das  Verhältnis  dieser  16000  zu  der  gesammtbürgerschaft  ansetzen? 
es  ist  noch  nicht  lange  her,  dafs  sie  im  ganzen  ziemlich  eben  so  hoch  ver- 
anschlagt worden  ist,  und  wer  hoch  greift,  gebtauch  jetzt  noch  nicht  leicht 
über  30 — 35  000  köpfe,  ich  halte  es  für  ganz  illusorisch  mit  statistischen 
wahrscheinhchkeitsrechnungen  zu  operiren.  die  zahlen,  die  wir  vor  uns 
haben,  gelten  der  körperlich  und  geistig  rüstigen  männlichen  bevölkerung; 
leute  über  60  jähre  sind  von  vielen  kategorien  ausgeschlossen,  von 
andern  die  Jahrgänge  20 — 30.  verhältniszahlen  für  die  greise,  für  die 
erwerbsunfähige  bevölkerung,  für  die  kinder,  endlich  für  die  weiber 
überhaupt  sind  mit  keinen  wissenschaftlichen  künsten  zu  erzielen,  aber 
das  sollte  sich  von  selbst  verstehen,  dafs  es  Athener  gab,  die  das  land 
bestellten ,  die  topfe  und  rocke  und  panzer  machten ,  das  brot  buken 
und  das  öl  prefsten,  handel  trieben  und  ins  ausländ  fuhren,  den  Par- 
thenon bauten,  die  Poikile  malten,  bei  Protagoras  hörten  und  für  Sopho- 
kles tanzten,  soldat  mufste  jeder  werden,  aber  als  mann  nur  in  kriegs- 
zeiten;  zu  allen  andern  stellen  kam  nicht  leicht  jemand,  der  es  nicht 
wollte,   und   die  ruhigen    leute  waren  noch  nicht  ausgestorben,     es  ist 


11)  Nachtragen  kann  ich  hier  einen  schönen  beleg:  hinter  dem  rescript  Ale- 
xanders an  Chios  steht  ein  nachtrag,  offenbar  eine  mitteilung  des  königlichen  be- 
vollmächtigten. fiixQi'  civ  diallaycoai  XXoi,  fvXay.rjv  slvai  Tictq'  avroTs  Tta^'  l^Xe- 
^AvSqov  tov  ßaaike'cos,  offt]  av  ixnvr^  rji,  rQecpeiv  Ss  raoTrjv  Xiove.    (Ad'r^vä  V  10). 

12)  Von  diesen  beiden  classen  können  angehörige  auch  unter  beamten  und 
richtern  sich  befinden,  weil  sie  stehende  truppen  bedeuten,  die  nicht  ständig  im 
dienste  sind. 


208  II.    9.  3000  hopliten  von  Acharnai. 

eine  hare  laoherlichkeit,  auch  nur  zu  meinen,  dafs  die  gesammte  bürger- 
schaft  jedes  vierte  jähr  wieder  im  turnus  herangekommen  wäre:  sn 
etwas  träumten  die  staatsverbessernden  ohgarchen.  lassen  wir  also  die 
6000  richter  fort,  die  mochten  alle  aus  Philokleonen  bestehen  und  zeit- 
lebens richten,  lassen  wir  schützen  und  reiter  als  ständig  fort,  so  bleiben 
noch  1500  beanite  und  6000  Soldaten,  wenn  wir  darauf  hin  die  ent- 
sprechende gesammtbevölkernng  auf  60000  schätzen,  so  ist  das  immer 
noch  zu  niedrig. 

Wir  haben  nur  eine  leidlich  verläfsliche  zahl,  21  000  bürger  (d.  b. 
epitime  Athener  über  30  jähre)  unter  Demetrios  von  Phaleron.*^)  dafs 
das  ein  drittel  der  entsprechenden  bevülkerung  unter  Perikles  ist,  pafst 
sehr  gut.  damals  forderte  seit  mehr  als  zwei  menschenaUern  ein  eng- 
herziges gesetz  die  bürgerliche  abkunft  beider  eitern  für  den  bürger, 
die  auswärtigen  besitzungen  und  mit  ihnen  ein  grofser  teil  der  colonisten 
(z.  b.  ganz  Salamis)  waren  verloren,  die  auswanderung  mufs  schon 
längst  den  iiberschufs  der  geburten  über  die  todesfälle  verschlungen 
haben,  und  die  eben  der  neuen  komoedie  sind  nicht  mehr  fruchtbar,  die 
katastrophen  von  322/20  hatten  zudem  erst  kürzlich  eine  menge  bürger  in 
die  fremde  getrieben,  dafs  auch  die  patriotischen  männer  sich  über  den 
abstand  von  der  grofsen  zeit  täuschten  und  gerne  täuschten,  ist  nicht  wun- 
derbar, aber  das  griechische  mit  seiner  runden  zahl  (.uoLol  und  ihren 
Steigerungen  ist  auch  genaueren  angaben  sehr  wenig  günstig.  tqlO{.ivqLol 
ist  etwas  ganz  ungeheures  dem  Hesiodos,  der  so  viel  Wächter  des  Zeus 
zählt  (Erg.  252),  und  als  eine  ungeheure  zahl  braucht  es  Herodot  (5,  97) 
von  den  Athenern  in  der  Volksversammlung  (wo  niemals  auch  nur  10  000 
waren),  Piaton  (Symp.  175)  von  den  Zuschauern  im  theater,  und  Aristo- 
phanes  von  den  bürgern  seines  Staates,  der  streng  genommen  die  weiber 
einschliefst  (Ekkles.  1132).  aber  öioi.ivQioL  tut  es  auch,  so  hoch  be- 
ziffert Piaton  die  waffenfähigen  seines  Urathens  (Kritias  112'=)  und  Philo- 
choros  (schob  Pind.  Ol.  9,  68)  die  Athener  zu  Kekrops  zeit,  bei  einer 
gelegenheit,  wo  er  eigentlich  auch  die  weiber  mitzählen  mülste.  die  an- 
schauung,  dafs  die  bürgerschaft  sich  so  hoch  beliefe,  scheint  im  vierten  Jahr- 
hundert verbreitet  gewesen  zu  sein,  aber  selbst  (.ivqloi  kommt  früher  vor. 
so  viele  Athener  sollen  bei  Maralhon  gefochten  haben,  wohin  sie  nav- 
dr^litsl  gezogen  waren,  daneben  1000  IMalaeer:  die  zweite  zahl  ist  viel 
zu  hoch,   die  erste  zu  niedrig,     ernsthaft  von  ihr  zu  reden  kann  nicht 


13)  Ktesikles  bei  Atlien.  Vi  272«=.    alle  beweisstellen  bei  Böckh  Stbli.  1  4S  ffg 
sie  sind  so  allbekannt,  dafs  icli  sie  nicht  alle  wiederholen  mag. 


Stärke  der  athenischen  börgerschaft.     stärke  des  heeres  432.  209 

verlangt  werden,  die  sehr  alle  Verordnung,  welche  6000  stimmen  für 
die  beschluMähigkeit  eines  vö/iiog  kjt  avögi  verlangt,  hat  damit  offen- 
bar die  beleiligung  der  majorität  vorschreiben  wollen.")  aber  dafs  das 
zu  wenig  war,  lehrte  die  Athener  sehr  bald  der  katalog  ihrer  wehr- 
fähigen, und  so  verschwindet  diese  Schätzung. 

Im  jähre  445/4  haben  14240  Athener  von  einer  getreidespende 
von  40  000  scheffeln  ihr  teil  bekommen ;  4760  sind  in  die  sclaverei  als 
TtaQeyygacpoL  verkauft,  so  hat  Philochoros  berichtet,  (schob  Ar.  Wesp.  718): 
erst  Plutarch  (Per.  37)  hat  die  empfänger  mit  der  gesammtbürgerschaft 
identificirt:  als  ob  Kleon  und  Sophokles  und  die  ratsherrn  und  Areopagiten 
mit  einem  scheffelsack  in  das  Odeion  zu  den  getreidemessern  gelaufen 
wären,  dafs  die  beiden  zahlen  die  runde  summe  19  000  ergeben,  ist 
allerdings  verdächtig,  und  die  höhere  dürfte  durch  rechnung  gefunden 
sein:  aber  bezeugt  wird  hier  nur  eine  zahl  vergleichbar  den  zahlen  der 
römischen  largitionenempfänger,  nicht  eine  censuszahl.  w'enn  19000 
oder  auch  14000  Athener  einen  sack  mehl  nahmen,  gehn  wir  fehl, 
wenn  wir  die  gesammtbürgerschaft  auf  das  vierfache  schätzen? 

Ein  besonderes  gewicht  hat  man  immer  auf  die  angaben  des  Thuky-  starke  des 
dides  gelegt;  es  läfst  sich  aber  sehr  leicht  zeigen,  dafs  sie  auf  einer 
ebenso  durchsichtigen  wie  unzuverlässigen  rechnung  beruhen,  er  sagt 
2,  31,  dafs  bei  dem  ersten  einfalle  in  Megara  wenigstens  10000  hopliten 
waren,  zu  denen  er  noch  3000  vor  Poteidaia  zählt,  aufserdem  3000 
hopliten  aus  dem  metökenstande  und  die  nicht  gezählten  Iheten.  ver- 
gessen hat  er  dabei  sämmtliche  hopliten  in  den  garnisonen,  die  wir  nun 
mit  2500  vermuthch  zu  niedrig,  da  es  krieg  war,  in  anschlag  bringen 
können,  das  hat  er  in  der  allgemeinen  übersieht  2,  13  richtiger  mit 
in  anschlag  gebracht,  wo  er  die  hopliten  eben  nach  der  zahl  von  cap.  31 
/auf  13000  avev  twv  bv  rolg  (pQOVQtoig  angiebt.  dazu  fügt  er  als 
Wächter  der  städtischen  befestiguug  16000  arto  ts  tcov  TiQeoßvrärcov 
xat  Tcöv  vscoTaTCüv  y.al  f.i8Toi/.iov  oooi  OTckltai  r^oav.  die  letzte  zahl 
kennen  wir  schon  als  3000.  es  bleiben  also  13  000  für  die  hophten 
unter  20  und  über  60  jähren;  eine  recht  oberflächliche  Schätzung,  denn 
sie  beruht  auf  der  gleichsetzung  mit  den  13000  zwischen  20  und  60. 
endlich  gibt  er  die  etatsmäfsigen  zahlen  für  schützen  und  reiter  ganz  wie 
der  oligarch  des  Aristoteles,  somit  bleibt  das  einzige  brauchbare,  dafs 
432  effectiv  15500  hopliten  zur  Verwendung  gekommen  sind,    so  viele 


14)  Das  gesetz  kann  sehr  gut  aus  einer  zeit  stanamen,  wo  die  noXixeia  ansSe- 
Soro  rois  onXa  naQS^Ofidvoie. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  14 


210  II.    9.  3000  hopliten  von  Achainai. 

waren  eine  zeit  lang  von  hause  abwesend,  die  theten  waren  es  aucli, 
reiler  und  schützen  auch,  über  100  trieren  auch:  soll  damals  Atlika  ver- 
ödet gewesen  sein,  oder  nur  von  den  sclaven  und  weibern,  greisen  und 
kindcrn  bewohnt?  wo  nicht,  kann  man  die  bevölkerung  unter  60  000 
schätzen? 
Bevöike-  Und  nuu  endlich  zu  der  angäbe,  die  ich  diesem  capitel  zur  über- 

Acharnai.  schrift  gegeben  habe,  den  berufenen  3000  hopliten  von  Acharnai  (Thuk. 
2,  20).  als  Müller-Strübing  vor  zwanzig  jähren  sie  als  absurd  darzutun 
versuchte,  hat  er  so  gut  wie  allgemeinen  beifall  gefunden,  jetzt  stürzt 
aucli  diese  letzte  säule  seines  baues  —  von  seinen  andern  positiven 
aufstellungen  ist  langst  nichts  mehr  übrig;  die  nützliche  Wirkung  seines 
buches  hat  nur  in  der  negation  gelegen,  dafs  es  mit  seiner  änderung, 
300  für  3000,  nichts  ist,  hat  man  schon  eingesehen,  aber  wenn  jemand 
1500  vorschlagt,  so  ist  das  Verzweiflung,  da  damit  jede  probabilität  der 
Verderbnis  aufgegeben  ist.  das  Verhältnis  der  Acharner  zu  den  Athenern 
ist  auf  grund  des  prytanenverzeichnisses  II  868  wol  zu  schätzen,  wenn 
sie  22  ratsherrn  der  Oineis  stellen,  so  sind  sie  rechtlich  eine  trittys, 
factisch  wol  die  hälfte  der  phyle,  also  ein  zwanzigstel  der  Athener, 
l-i^ya  f.i€Qog  ttjq  TtoXeiog,  wie  sie  bei  Thukydides  sagen.  300  würden 
also  6000  hopliten  ergeben,  eine  lächerlichkeit.  3000  aber  ergeben 
60  000,  das  ist  immer  noch  zu  viel,  ich  habe  vor  jähren  einmal 
die  oTtklrai  in  TtoliTai  zu  ändern  versucht,  wie  mittlerweile  jemand 
üfl'entlicb  vorgeschlagen  hat,  aber  der  Zusammenhang  verlangt  bei  Thu- 
kydides gebieterisch  die  Soldaten,  jetzt  gibt  sich  die  losung  einfach,  im 
kataloge  haben  keine  3000  gestanden;  da  standen  nur  die  40  Jahrgänge 
20 — 60,  und  die  haben  schwerlich  60000  Athener  enthalten,  aber 
gegen  Perikles  schrien  die  greise,  die  bei  Aristophanes  den  chor  bilden, 
herzhaft  mit.  die  zahl  beruht  also  auf  einer  Schätzung,  nicht  auf  Zählung. 
so  hoch  taxirte  sie  die  öffentliche  meinung  damals;  Thukydides  hat  es 
mit  erlebt,  sie  schrien  um  ihre  Weingärten  und  kohlenmeiler:  es  waren 
die  besitzenden,  die  geschädigt  wurden,  wenn  sie  zum  dienste  zu  pferde 
berechtigt  waren  oder  gar  trierarchisches  vermögen  hatten ,  so  wurden 
ihnen  nur  mehr  äcker  verwüstet,  sie  schrien  also  nicht  minder,  mit 
andern  Worten,  TQiayJlioi  onlUai  sind  es  schon,  aber  6vvai.i£i  OTtllzai, 
07cla  TtaQSxofievoi.  "wir  könnten  3000  hopliten  allein  stellen,  lafs 
uns  marschiren,  Perikles,  wir  jagen  die  Peloponnesier  weg.  wir  wollen 
marschiren,  keine  quantite  negligeable,  sondern  3000  hopliten."  das 
ergibt  60  000  d7T}M  nage^Sf^ievoL  für  das  ganze  volk.  an  sich  zu  viel, 
bringt  man  aber  in  anschlag,   dafs  die  zeit  die  des  höchsten  wolstandes 


Bevölkerung  von  Acharnai.  211 

ist,  Acharnai  besonders  wolhabend  (durch  den  krieg  dann  stark  verarmt) 
und  die  zahl  besonders  hoch  gegriffen,  so  wird  man  zwar  zugeben,  dafs 
sie  zum  fundamenle  genauerer  berechnung  sehr  wenig  taugt,  aber  dafs 
Thukydides  sie  geschrieben  liat,  mufs  man  auch  zugeben. 

Die  überheferung  ist  besser,  aber  Athen  ist  auch  gröfser  gewesen, 
als  vor  20  jähren  angenommen  ward,  o  TQojoag  Iccoerat;  aber  nur 
wer  verwunden  kann,  kann  heilen,  nicht  die  buchstabengläubige  im- 
potenz,  sondern  die  kritik  und  die  fortschreitende  geschichtUche  forschung 
restituirt  die  Überlieferung  und  die  gröfse  Athens. 


14* 


10. 
DIOBELIE. 


Die  inslitution  der  diobelie'),  die  diesen  festen  namen  führt,  ist 
durch  Kleophon  eingeführt;  das  sagt  Aristoteles  28,  3  und  damit  sind 
ihre  antiken  und  modernen  deutungen  auf  den  richtersold  oder  die  schau- 
gelder  beseitigt,  sintemal  diese  längst  bestanden:  es  ist  nur  ein  beweis 
für  die  macht  des  trägheitsgesetzes ,  dafs  sie  selbst  zur  erklärung  des 
Aristoteles  weiter  vorgebracht  werden. 

Für  die  diobelie  begegnen  uns  bedeutende  Zahlungen  in  der  schuld- 
urkunde  aus  dem  jähre  des  Glaukippos  410/9  und  einem  der  folgenden 
408/7  oder  407/6  (CIA  I  188,  189);  das  geld  ist  von  den  Schatzmeistern 
der  güttin  an  die  hellenotamien  gezahlt,  die  posten  sind  zum  teile  sehr 
niedrig,  dann  wird  aber  fast  täglich  der  schätz  in  anspruch  genommen.-) 


1)  Die  richtige  auffassung  der  diobelie  hat  mir  zuerst  vor  jähren  ein  schüIer, 
J.  Clirist,  derselbe  der  zuerst  die  tributlisten  richtig  auf  die  hellenotamien  bezogen 
hat,  als  thesis  mitgeteilt  und  die  Inschriften  richtig  verwertet. 

2)  189^  am  13,  17,  18,  19,  22,  23,  24,  26,  30,  36  tage  der  prytanie.  manchmal 
gibt  es  freilich  nur  12  drachmen.  es  wird  offenbar  jeder  tropfen,  der  in  den  schätz 
einströmt  (aus  weihungen,  opfergefällen  und  dmSa'xara)  sofort  ausgeschöpft:  wenn 
der  kleine  schätz  der  Athena  Nike  einmal  auch  etwas  hat  (am  13,  17,  30  und,  wie 
man  sicher  ergänzen  kann,  36  tage),  so  wird  aus  beiden  schätzen  entliehen,  der 
name  der  göttin  steht  hier  im  dativ,  wie  man  dem  Zeugnisse  Waddingtons  glauben 
mufs,  obwol  Fröhner  mehrfach  anderes  angibt  (CIA  IV  p.  35).  der  genetiv,  den  man 
erwartet,  steht  188.  der  dativ  dagegen  dürfte  auf  dem  bruchstück  190  gestanden 
haben,  und  zwar  in  einer  Überschrift,  wie  die  gröfseren  buchstaben  zeigen,  l^&e- 
raC\ai  no?u(i[8i  ist  gewifs  probabler  ah  Kirchhofs  ^^&r;vacas  Niy.T]S  x]ac  IlolinlSos. 
wie  dem  auch  sei:  dafs  das  geld  für  die  göttin  verausgabt  wäre,  ist  gar  nicht  aus- 
zudenken, und  wer  gab  es  denn?  etwa  die  Parthenos  der  Nike?  nicht  sachlich  son- 
dern nur  formell  können  sich  die  vermerke  unterscheiden;  die  grammatische  erklärung 
wird  nur  ein  stein  geben,  der  die  formel  vollständig  liefert,  inhaltlich  müssen  wir 
das  unklare  nach  dem  klaren  beurteilen,  so  mit  recht  Beloch  Rh.  M.  39,  242,  der 
im  übrigen  die  sache  nicht  gefördert  hat. 


IL   10.  Diobelie.  213 

für  die  Verteilung  des  geldes  gab  es  eine  behörde,  denn  Xenophon 
Hell.  I  7,  2  nennt  den  Archedemos  xov  öi]fxov  yrooeffTjjzwg  zai  zrjg  öico- 
ßsUag  k7tL(.ieX6(.ievog.  aber  der  ausdruck  führt  auf  ein  collegium  von 
STtifiskrjTai,  das  wir  der  weise  des  fünften  Jahrhunderts  entsprechend 
nicht  über  den  beamten  stehend  denken  dürfen  wie  im  vierten  die  krtl  t(^ 
■d^stüQixcp ,  sondern  unter  ihnen,  also  nicht  befugt,  selbst  das  geld  aus 
dem  schätze  zu  entleihen,  aber  der  erste  demagoge  (rcc  nQÜJxa  Ttjg  exsl 
(.tox^r^Qiag,  sagen  die  seligen  der  Frösche  von  Archedemos  418),  ein  mann, 
der  sich  von  Kriton  gegen  tantieme  zum  schütze  seines  Vermögens  vor 
den  sykophanten  anstellen  liefs  (Xen.  Memor,  II  3),  bekleidete  doch  dieses 
amt,  in  dem  wir  also  Kleophon  und  Kallikrates  auch  denken  müssen, 
als  eine  volkstümliche  einrichtung  hat  das  diobolon  Theseus  bereits  im 
schattenreiche  verbreitet,  so  scherzt  Aristophanes  405  (Frosch.  140).  mit 
dem  Sturze  der  demokratie  ist  die  diobehe  verschwunden. 

Sie  hat  anderen  für  eine  grofse  Vergeudung  gegolten.  Aischines  sagt 
von  Kleophon  2,  76,  wo  er  dieselbe  tradition  wiedergibt,  die  Aristoteles 
in  seinem  passus  über  die  diobelie  vor  äugen  hat,  öisipd^aQ'/Mg  vo/j.jj  xqtj- 
/.larcov  Tov  örj-iov,  und  Aristoteles  selbst  sagt  in  der  Politik  (B.  1267^) 
um  die  Unersättlichkeit  des  demos  zu  kennzeichnen,  zuerst  wäre  er  mit 
der  öicoßsXia  zufrieden,  wenn  die  aber  erst  herkömmlich  {Tcätqiov)  ge- 
worden wäre,  verlange  er  mehr;  was  keinesweges  im  hinblick  auf  die 
gegenwart  gesagt  sein  mufs,  ja  überhaupt  nicht  als  geschichtliches  exempel 
angeführt  wird,  wol  aber  steht  es  in  der  auseinandersetzung ,  dafs  die 
herbeiführung  der  gleichheit  des  Vermögens  kein  radicales  heilmittel 
wäre,  schliefst  also  jede  deulung  der  diobelie  auf  sold  für  wirkhche  oder 
angebliche  leistungen  aus. 

Was  die  diobelie  gewesen  ist,  sagt  Aischines  eigentlich  genugsam: 
bürgersold,  Verteilung  von  geld  an  den  demos,  geradezu  Staatspension. 
so  erklärt  auch  das  rhetorische  lexicon,  das  im  fünften  Bekkers  und  im 
Et.  M.  vorliegt:  duoßelia  '  oßeXol  ovo  ovg  6  örj^iog  xad^  fi(.iEQav  ef.iL- 
od-ocpoQSL.  gedruckt  wird  zwar  für  x«^'  i^fisgav  an  beiden  orten  xai^rj- 
(.levog,  aber  ich  freue  mich  die  emendation  nicht  als  solche  geben  zu 
müssen,  da  ich  bei  Gaisford  in  der  anmerkung  finde,  dafs  der  codex 
Marcianus  530  das  richtige  hat;  dem  ächten  Etymologicum  ist  die  glosse 
fremd,  es  ist  ganz  begreifhch,  dafs  diese  tägUche  ausgäbe  zu  einer  fast  täg- 
hchen  anleihe  bei  Athena  führte,  begreiflich  auch,  dafs  der  sold  dem  volke 
sehr  behagte  und  für  theseisch  ausgegeben  ward,  dafs  ein  solcher  sold 
gezahlt  ward,  hat  Xenophon  aus  seinen  Jugenderinnerungen  nicht  ver- 
gessen, wenn  er  es  auch  nur  durch  einen  starken  anachronismus  in  sein 


214  n.    10.  Diobelie. 

Symposion  hineingebracht  hat.  da  sagt  Charmides,  Piatons  onkel,  den 
er  nicht  ohne  bosheit  mit  der  rolle  ausgestattet  hat,  die  armut  tu  loben 
"als  ich  reich  war,  cpoQOv  ccTcecfSQOv  zo)  örj/no)  (wie  ein  dovlog  xcoQig 
oi'/,cöv,  nämlich  durch  die  liturgien,  wie  er  vorher  ausgeführt  hat),  vvv 
de  Tj  Ttölig  rslog  q)iQOvoa  tqicpet  (.le  (4,  32)".  die  sache  ist  vollkommen 
evident. 

Das  ist  der  rückschlag  gegen  die  aufhebung  des  soldes  von  411, 
und  schon  vom  jähre  des  Glaukippos  410/9  ab  hat  die  allgemeine  be- 
soldung  bestanden,  die  doch  noch  etwas  ganz  anderes  ist  als  das  ekkle- 
siastikon  des  Agyrrhios.  und  als  der  demos  eine  drittel  drachme  hatte, 
fand  sich  bald  ein  demagoge,  der  ihm  eine  halbe  versprach,  und  als 
er  das  nicht  halten  konnte,  mit  dem  köpfe  zahlte.^)  dafs  darnach  nicht 
etwa  die  diobelie  dauernd  beseitigt  ist,  wie  der  ungenaue  ausdruck  des 
Aristoteles  nahe  legt,  folgt  aus  den  Fröschen. 

So  sehr  man  das  princip  verdammen  mag:  die  billigkeit  fordert  für 
jene  schreckliche  zeit  den  demagogen  einige  berechtigung  zuzuerkennen, 
die  armen  Athener  safsen  in  einer  belagerten  Stadt;  ihre  äcker  konnten 
sie  nicht  bestellen,  handel  und  gewerbe  lagen  darnieder,  wer  die  waffen 
tragen  konnte,  mufste  dienen,  und  dann  hatte  er  wenigstens  anspruch 
auf  sold  und  Verpflegung,  aber  der  landsturm  auf  den  mauern  bekam 
schwerlich  sold  wie  die  hopliten,  und  die  greise  und  jünghnge,  und 
weiber  und  kinder?  die  menge  des  Volkes,  auch  der  Proletarier,  hat 
wahrhaftig  damals  nicht  geschlemmt  (das  imputirt  ihnen  die  haltlose  deu- 
tung  der  diobelie  auf  Spielgelder),  sondern  bitter  gedarbt,  und  hat  404 
bewiesen,  dafs  sie  für  die  freiheit  gern  hungerte,  die  politischen  rechte 
mochte  an  der  zeit  sein  ihnen  zu  nehmen:  dafs  sie  sich  nicht  nur 
nicht  das  bischen  brot,  das  sie  bisher  für  ihre  dienste  erhielten,  haben 
entziehen  lassen,  sondern  brot  von  dem  vaterlande  gefordert  haben,  soll 
ihnen  niemand  verdenken.    Kleophon  mag  nicht  gut  haben  attisch  reden 


3)  Das  gedächtnis  dieses  Unglücksmenschen,  Kalllkrates  aus  Paiania,  ist  aufser 
durch  Aristoteles  noch  in  zwei  spriich Wörtern  erhalten,  oßolov  tjvqb  JJaQvonis 
(Zenob.  II  91  des  Athous,  im  Parisinus  nicht  erhalten,  daher  im  Göttinger  Corpus 
Append.  4,  11;  ein  par  werllose  worte  bei  Hesych  na^vönt]  aus  Zenobius),  richtig 
behandelt  von  Meineke  Com.  IV  700,  dessen  emendalion  Ua^voTiis  durch  üa^voiTrjs 
des  Athous,  Ua^vöitri  des  Hesych  gesichert  ist,  und  ebenso  seine  herstellung  von 
KaXXixQartjS  für  KaXliarQuros  durch  Aristoteles,  er  stützte  sich  auf  das  sprüch- 
wort  vnsQ  t«  KaXhy.Qdtovs ,  Zenob.  Ath.  III  151,  Paris.  VI  29,  Phot.  Suid.,  das 
Klearchos  auf  einen  Karystier  des  namens  falsch,  irgend  jemand  anderes  nach  unserer 
Aristotelesstelle  richtig,  aber  indem  er  diese  falsch  deutete,  auf  den  Athener  be- 
zogen hat. 


II.    10.  Diobelie.  215 

können,  und  durch  seinen  terrorismus,  der  den  krieg  bis  aufs  äufserste 
fortführte,  hat  er  seinem  vaterlande  schwer  geschadet,  aber  wie  er  selbst 
sein  leben  für  die  demokratie  gelassen  hat,  so  verdient  er  für  die  ein- 
führung  der  diobelie  mehr  als  entschuldigung,  verdient  er  anerkennung: 
das  Erechtheion  haben  die  Athener  auch  in  der  schlimmen  zeit  gebaut, 
und  seine  pracht  scheint  auch  zunächst  mit  dem  slaallichen  elende  übel 
zu  contrastiren,  aber  es  ist  mit  recht  bemerkt  worden,  dafs  der  Staat 
den  bau  nur  fortführte  um  der  brotlosen  bevölkerung,  hier  zumeist  der 
nichtbürgerlichen,  arbeit  zu  schaffen,  die  schlecht  genug  bezahlt  ward, 
eine  mafsregel,  die  von  einem  wirtschaftlichen  notstande  aufgezwängt  wird, 
ist  kein  niuster  für  normale  zeiten,  sie  mufs  lediglich  aus  dem  zustande 
erklärt  und  beurteilt  werden,  der  sie  erzeugt  hat. 

Ganz  anders  mufs  der  Staatsmann  beurteilt  werden,  der  den  bürger 
als  bürger  in  ruhigen  zeiten  mit  staalsgeldern  füttern  will,  der  gedanken- 
gang  ist  auch  da,  wie  es  bei  den  radikalen  zu  sein  pflegt,  sehr  schon 
logisch,  der  staat  ist  eine  actiengesellschaft  und  verteilt  die  dividenden 
an  die  actionäre.  so  hatte  schon  483  eine  Verteilung  der  Überschüsse 
aus  den  Pachtgeldern  der  bergwerke  an  die  bürger  statt  finden  sollen, 
und  wenn  das  damals  von  Themistokles  verhindert  worden  ist,  so  wird 
es  doch  zu  andern  zeiten  sowol  in  der  sammtgemeinde  wie  in  den  demen 
vorgekommen  sein.^)  die  theorika  des  Eubulos  gehören  sachlich  in 
diese  kategorie,  und  Demosthenes  hat  diese  Vergeudung  der  Staatsmittel 
bitter  empfunden,  wenn  er  auch  demagoge  genug  war  sie  zu  zeiten  zu 
verteidigen.^)  wenn  er  die  rede  7t€Qi  ovvTccBstog  nicht  selbst  verfafst 
haben  sollte,  (was  ich  glaube,  wenn  ich's  auch  nicht  beweisen  kann),  so 
ist  diese  doch  keineswegs  von  dem  dummen  rhetor,   dem   man  sie  seit 


4)  Plaut.  Aulul.  107  noster  nostrae  qui  est  magister  curiae  dividere  argenli 
dixit  7iummos  in  viros.  da  das  original  aus  der  zeit  nach  279  stammt,  kann  man 
an  einen  phratriarchen  schwerlich  denken,  wird  also  annehmen,  dafs  der  demarch 
gemeint  ist. 

5)  In  der  vierten  Philippika  35  ffg.  die  ächtheit  dieser  rede  und  der  wider 
den  brief  des  Philippos  mache  ich  mich  anheischig  zu  erweisen;  nur  sind  es  aller- 
dings keine  reden,  sondern  politische  flugschriften,  die  letzte  ein  ebenso  geschickter 
wie  perfider  Zeitungsartikel,  bestimmt,  den  eindruck  zu  verwischen,  den  der  sachlich 
und  formell  meisleihafte  brief  des  Philippos  machen  mufste.  die  moderne  Verwer- 
fung ist  eine  ausgeburt  der  fanatischen  bewunderung,  die  dem  redner  Staatsmann 
und  menschen  Demosthenes  nur  oratorisch  und  moralisch  unsträfliche  meisterwerke 
zuzuschreiben  wagte.  Weil  hätte  die  reden  nur  energisch  als  geschichtliche  auf  den 
moment  berechnete  erzeugnisse  anfassen  sollen,  dann  würde  er  sie  zuversichtlich 
für  acht  erklärt  haben. 


216  II.    10.  Diobelie. 

F.  A.  Wolf  zuschreibt,  denn  weder  Inhalt  noch  form  verweist  sie  aus 
dem  demoslhenischen  Zeitalter.®)  dieser  redner  also  schlägt  für  die  wehr- 
fähigen hürger  einen  sohl  als  OTQcauoTiy.öv  vor,  für  die  greise  ein  1^6- 
raOTLY.öv  oder  wie  man  das  nennen  wolle  (4).  er  will  dafür  gegen- 
leistungeo  verlangen,  insbesondere  den  persönlichen  kriegsdienst,  und 
wenn  wir  jetzt  nur  ziemlich  vage  gedanken  lesen,  so  hat  er  das  früher 
ausführlicher  dargelegt  (9),  aber  die  ühele  erfahrung  gemacht,  dafs  das 
Volk  für  alles  taube  obren  hatte,  nur  nicht  für  die  zwei  obolen  (10). 
man  kann  das  nicht  wol  anders  verstehen,  als  dafs  er  die  diobelie  in 
etwas  anderer  form  vorgeschlagen  hatte,  schlimm  genug;  und  doch 
dürfte  fraglich  sein,  ob  sie  unter  gleichzeitiger  beseitigung  der  ungleich 
hidieren  diäten  für  die  Volkversammlung  und  unter  beschränkung  der  Spiel- 
gelder nicht  ein  Vorschlag  war,  der  wenn  auch  praktisch  kaum  discutir- 
bar,  theoretisch  sogar  einen  finanziellen  vorteil  für  die  Staatskasse  in  aus- 
sieht stellte,  ich  für  mein  teil  traue  ihn  dem  Demosthenes  in  der  zeit, 
wo  er  von  brennendem  ehrgeiz  verzehrt  in  der  Opposition  stand  und 
jede  innere  und  äufsere  frage  als  Sprungbrett  in  die  regierung  versuchte, 
ohne  bedenken  zu.  wie  dem  aber  auch  sei:  für  die  diobelie  des  Kleophou 
ist  der  Vorschlag  der  rede  aus  eubuhscher  zeit  eine  sehr  belehrende 
parallele. 


6)  Vgl.  Foucart  Bull,  de  Corr.  Hell.  XII  437. 


11. 
TIMHMATA  HAPEXOMENOI. 


In  dem  vertrage,  durch  den  die  Versöhnung  zwischen  Stadt  und 
hafen  403  herbeigeführt  ward,  sind  die  Dreifsig,  die  zehn  (d.  h.  die  ersten, 
zu  denen  Pheidon,  nicht  die  ÖLaXXaxxai,  zu  denen  Rhinon  gehörte'),  die 
elf  und  die  zehn  im  Peiraieus  von  der  amnestie  ausgenommen,  und  auch 
sie  nicht,  wenn  sie  rechenschaft  ablegen  und  decharge  erhalten,  rechen- 
schaft  wird  abgelegt  von  den  beamten  der  partei  des  hafens  vor  dieser, 
von  denen  der  städter  aber  nicht  vor  diesen,  sondern  vor  den  riiirmaxa 
TiaqEiö^iEvoi.  so  steht  es  in  dem  documente  39,  6.  die  demokraten 
des  hafens  sind  sieger,  hinter  ihnen  steht  die  macht  der  spartanischen 
regierung;  sie  sind  bevorzugt,  denn  sie  nehmen  ihren  beamten  seihst 
die  rechenschaft  ab.  die  gegenpartei  ist  nicht  so  günstig  gestellt;  da 
werden  die  richter  aus  einer  classe  genommen,  sind  also  sowol  Städter  aus-, 
wie  leute  des  hafens  eingeschlossen,  es  fragt»,  sich,  was  heifst  Ti(.iYji.iata 
TtaQiyisGd^ai.  oder  eigentlich  fragt  es  sich  nicht,  denn  nach  onXa  Ttage- 
Xead^ai,  das  Drakon  und  die  400  und  Thukydides  so  oft  gebrauchen, 
sind  es  die  w-elche  in  der  läge  sind,  die  Tif.irif.iaTa  zu  leisten,  zu  prae- 
stiren,  und  Tif.irjf.iaTa  sind  die  eingeschätzten  stufen  des  einkommens 
seit  Solon.  also  sind  die  TLfirjfiaTa  naQs^ofisvoi  die  steuerfähigen 
bürger,  die  bürger  der  drei  oberen  classen.  in  der  tendenz,  der  aus- 
sclüiefsung  des  Proletariates,  deckt  sich  diese  bezeichnung  mit  der  be- 
schränkung  der  politischen  rechte  auf  die  oft?.a  Ttagexofisvot;  aber  der 

1)  Lysias  wagt  bereits  403  auf  die  confusion  beider  zehnercollegien  zu  rechnen, 
er  sagt  von  Pheidon  12,  58  alosd'sis  v/uäs  SiaXXä^at  y.ai  xarayayEiv:  das  war  nur 
der  auf  trag  der  zweiten  zehn,  wenn  auch  bei  der  wähl  der  ersten  viele  gehofft 
haben  mochten,  dafs  es  zu  einer  Versöhnung  käme,  um  so  begreiflicher  ist  es,  dafs 
spätere  die  zehnercollegien  verwechseln. 


sthenes. 


218  II.    11.    Tifij'jiaxa  TtaQExöixepoi. 

ausdruck  ist  ein  anderer,  dafs  in  jener  schweren  zeit  die  directe  Steuer, 
die  eiocpoga,  oft  erhoben  worden  war,  also  die  grenzhnie  zwischen  dem 
der  das  eingeschätzte  leistete  oder  leisten  konnte  und  den  tlieten  eine 
elTective  bedeutung  hatte,  also  auch  die  berechtigung  constatirt  werden 
konnte,  ist  durchaus  glaublich,  dennoch  wundert  man  sich  über  die 
veränderte  terminologie,  die  unmüglich  blols  in  dem  werte  bestehen  kann, 
und  wundert  sich  über  ein  solches  tribunal. 

Aufklärung  verschaffen  uns   nicht  die  dürftigen  geschichtlichen  be- 
Lysias     richte*);  eine  Übergangszeit,  die  für  die  radicale  deniokratie  wenig  rühm- 

wider  i 

Erato-  lieh  War,  ward  sehr  rasch  und  gern  vergessen,  aber  zum  glücke  sind 
eine  anzahl  documente  erhalten,  eben  aus  jener  Übergangszeit,  die  durch 
den  hinzutritt  der  neuen  Urkunde  erst  vuUkommen  verständlich  werden. 

Das  erste  ist  die  zwollle  rede  des  Lysias,  die  wir  nach  der  hand- 
schrift  y.ar  EgaTOod-evovg  rov  yevofxivov  töjv  Tgiaxorza  nennen,  für 
die  aber  Pseudoplutarch  den  tilel  -/mtcc  rtov  TQtäy.ovxa  angibt,  es  ist 
über  die  zeit  der  rede  und  den  rechtsfall  sehr  viel  geschrieben  worden; 
die  Sache  liefs  sich  in  der  tat  bisher  nicht  erledigen,  nun  aber  brauchen 
wir  nur  noch  die  rede  selbst  zu  verhören. 

"Mir  wird  es  nicht  schwer  mit  meiner  anklage  anzufangen,  aber 
wol  aufzuboren:  so  schwer  und  so  zahlreich  sind  ihre  verbrechen",  wer 
so  anhebt,  richtet  sich  gegen  viele,  nicht  gegen  einen,  und  die  er  an- 
greift sind  nicht  zur  stelle,  sonst  würde  das  pronomen  ovtoq  stehn, 
nicht  avTolg.  der  paragraph  21  zählt  in  einer  durch  die  endreime  der 
glieder  gorgianisch  geschmückten  periode  die  Schandtaten  der  Dreifi^ig 
auf,  und  darauf  geht  es  weiter  y.al  dg  rooovröv  elot  töXf-ir^g  acpty- 
f-iivoi  cood-  r\v.ovOLV  aTtoXoyr^GÖf-UvoL  /.al  /Jyovaiv  wg  ovöev  y.av.bv  I 
ovö^    aiaxQov   elgyaof-ievoL   ugLv.     da   stimmt   die   mehrzahl,    aber   sie  ! 


2)  Diodor  14,  33  und  Nepos  im  Thrasybul  geben  nur  das  schliefsliche  resultat, 
obwol  ihre  worte  noch  den  anschlufs  an  das  versöhnungsdeciet  zeigen.  Xenophon 
Hell.  2,  4,  38 — 43  hat  auch  die  hauplbesliinmungen  der  amneslie  vor  äugen  (38  ist  zu 
schreiben  et  Se  tivbs  cpoßolvro  ra-v  f|  äazstog,  eSoaav  avtols  'Ekevalva  xaroi- 
xislv;  überliefert  ist  k'So^ev  für  tSoaav),  aber  er  hat  es  für  wirkungsvoll  gehalten, 
dem  Thrasybulos  eine  schöne  versöhnungsrede  zu  geben,  in  der  er  den  Städtern 
ihren  mangel  an  8iy.aioavvr]  avS^eia  und  yvcöur]  zu  gemüte  führt,  den  demos  mahnt 
die  eide  zu  halten,  das  ist  eine  sehr  wenig  versöhnliche  rede,  die  überhaupt  mehr 
für  Xenophons  Kyros  pafst.  dann  folgt  als  erzählung,  dafs  sie  die  allangestammlen 
gesetze  bewahrten,  beamte  wählten  und  also  verfassungsmäfsig  und  einträchtig  lebten, 
das  sind  redensarten.  er  hat  die  Dreifsig  gehalst  und  Thrasybulos  verehrt;  das  war 
ganz  brav,  aber  gewufst  hat  er  herzlich  wenig,  und  hier  beherrscht  selbst  ihn  die 
demokratische  phrase. 


Lysias  wider  Eratosthenes.  219 

scheinen  zur  stelle  zu  sein,   dafs  die  anklage  sich  gegen  die  Dreifsig  richtet, 
ist  allerorten  klar,    "bürger  und  fremde  sind  zusammengekommen,  um 
zu  erfahren    rLva  yvcoimp'  neql  tovtcov  s^ere  35,  und  in  dem  epiloge 
dieses  teiles  (37  —  40)  ovy.  olS'  6  zt  del  noXka  -/.ax^yoqüv  xoLOvxviv 
avÖQiiJv.    und  schhefslich  wird  es  ganz  ausdrücklich  ausgesprochen,  jetzt 
wäre  die  gelegenheit  Ttaqa.   EQaToad-evovg  -/.al  tcov'  rovrovl  ovvaQ%6v- 
Tiov  öUrjv  Xaßelv  (79),  und  yMrrjyoQrjvai  Egarood-evovg  v.ai  xmv  tovtov 
cpUiov  (81).    also  die  bezeichnung  xara  tcJv  zQiaxovra  ist  richtig,    die 
andere  /.ax'  ^EQaxood-evovq  ist  aber  auch   richtig,     denn    die   öirjyriOig 
(4 — 34)^),    in   der  ein   lebendiges  directes  verhör  mit  dem  angeklagten 
steht  (25),  der  auch  wiederholt  angeredet  wird,  geht  des  einen  mannes 
schuld,  eine  ganz  bestimmte  tat,  an.    und  der  beweis,  der  allein  durch 
Zeugenaussagen  geführt  wird  (41 — 61),   geht  lediglich  den  Eratosthenes 
und  sein  verhalten    an,   die  vüa  ante  acta  und  die  unter  den  Dreifsig. 
aber  wenn   dies  zwei  teile  sind,   von  denen  der  eine  die   einzelne  tat, 
die  tötung  des  Polemarchos,  deren  Eratosthenes  geständig  ist,  der  andere 
sein  politisches  verhalten  angeht,  so  ist  damit  genügend  gesichert,  dafs 
es  sich  um  beides  handeln  mufs.    wenn  wir  da  hören  xo  Öh  xeXevralov 
eis  xTjv  aqyjiv  y.axaoxdg  (48),  so  läfst  die  rede  im  ganzen  zwar  keinen 
zweifei,  dafs  es  sich  um  den  platz  unter  den  Dreifsig  handelt:  aber  der 
bestimmte  artikel  weist  genugsam  darauf  hin,  dafs  es  sich  eben  um  dieses 
amt  auch  vor  gericht  jetzt  handelt,    nimmt  man  dazu  das  i]xovoiv  arco- 
loyr]o6f.i€voi  22  und  jjzet  ctTtoXoyrio6i.iEvog  84,  so  ist  jeder  zweifei  aus- 
geschlossen ,   dafs   sich  Eratosthenes  dem  gerichte  freiwillig  gestellt  hat, 
mit   andern  Worten ,   dafs   er   von   der  clausel   der  Versöhnungsurkunde 
gebrauch  gemacht  hat,  die  den  Dreifsig  amnestie  verhiefs,  wenn  sie  sich 
der  rechenschaftsablage  unterzogen,     so  urteilten  denn  auch  die  verlei- 
diger desselben,  man  sollte  ihn  freilassen,  weil  er  am  wenigsten  übles  von 
den  Dreifsig  getan  hätte  (89),  was  Lysias  von  seinem  Standpunkte  nennt 
Ölcc  xo  vfiEXEQov  7tXy]d-og  ttöecog  xoig  xQKxxovxa  oiöteiv  (87).     es  ist 
also  in  der  tat  ein  rechenschaftsprocefs  eines  der  Dreifsig.    in  ihm  steht 
der  isotele  Lysias  auf  und  führt  die   klage,   wie  jeder  es  konnte.")     es 


3)  Es  ist  sehr  zu  beachten,  dafs  Lysias  bei  den  richtern  voraussetzen  darf,  sie 
■wüfsten  mit  seiner  familie,  seinem  hause  im  Peiraieus  und  dergleichen  schon  be- 
scheid.  er  war  schon  ein  bekannter  sophist,  das  haus  des  Kephalos  sehr  ansehnlich, 
die  familie  im  verkehre  mit  der  guten  gesellschaft,  ganz  wie  es  Piaton  schildert. 

4)  Die  juristische  Selbständigkeit  des  metöken  tritt  hier  allerdings  deshalb  so 
grell  hervor,  weil  er  sich  immer  als  bürger  benimmt,  und  er  rechnete  wol  sicher 
auf  den  erwerb  des  bürgenechles.     aber   dafs  der  metöke  vor  gericht  den  bürgern 


220  II.     11.    Tiurjfiaxa  na^exöfieroi. 

ist  nicht  ersichtlich,  in  welcher  iorm  die  Verhandlung  eingeleitet  ward, 
ob  durch  die  constituirung  eines  logistenprocesses  oder  durch  die  ein- 
reichung der  privaten  anklagen  vor  den  ratseuthynen.  da  ein  rat  sofort 
constituirt  ward,  ist  das  letztere  wahrscheinlich;  der  Vorsitz  ist  dann 
den  thesmotheten  zugefallen,  die  auch  gleich  mit  dem  archon  Eukleides 
eingesetzt  sein  müssen.  Lysias  konnte  eigentlich  nur  über  seine  eigene 
Sache  beschwerde  führen,  aber  da  es  sich  für  Eratoslhenes  um  die  ganze 
amtsführung  handelte,  so  verschob  sich  das  fast  notwendigerweise,  da- 
gegen ist  es  bare  sykophantie,  wenn  der  redner  fortwährend  die  rechen- 
schaft  des  einen,  der  eben  personlich  beurteilt  sein  wollte,  mit  der  der 
Dreifsig  überhaupt  zusammenwirft,  mit  grofsem  geschicke  sagt  er  gleich 
im  eingange  (2)  "ich  mufs  ja  zugestehn,  dafs  ich  durch  die  mir  persön- 
lich angetane  unbill  veranlafst  bin,  hier  zu  reden"  ■'^)  gleich  als  ob  es  in 
der  Ordnung  wäre,  dafs  er  über  das  allgemeine  in  erster  linie  spräche, 
und  sein  persönlicher  handel  höchstens  einen  schatten  auf  seine  ob- 
jeclivität  w^ürfe:  in  Wahrheit  gieng  ihn  die  amtsführung  des  Erato- 
sthenes  im  übrigen  gar  nichts  an;  ihren  Staat  mochten  die  Athener 
allein  gut  oder  schlecht  verwalten,  sie  waren  liberal  und  gerecht,  wenn 
sie  ihm  verstatteten  seine  private  beschwerde  über  ihren  beamten  vor- 
zubringen. 

Wenn  es  sich  denn  um  die  rechenschaft  handelt,  so  müssen  die  richter 
aus  den  Tii.irjf.iaTa  7raQ6xö(.i€voL  genommen  sein,  also  aus  beiden  Par- 
teien. Lysias  sagt  84  von  Eratosthenes,  dafs  er  vvvl  ot/  eTSQiov 
ovTtov  TWj'  diT-aOTiöv  akX  avTCov  twv  y.ay.iog  vcejcov^OTtov  rf/.ei  ano- 
Xoyrjo6f.ievog  tiqoq  avTOvg  Tovg  [.ictQTVQag  Trjg  tovtov  7tovr]Qiag.  darin 
liegt  nur,  dafs  leute  aus  der  Stadt  beteiligt  sind,  wenn  es  auch  besser 
pafst  bei  gemischten  richtern.  aber  der  schlufs  entscheidet,  denn  da 
wendet  er  sich  zunächst  an  die  Städter,  und  sagt  ihnen,  jetzt  als  besiegte 
hätten  sie  mit  den  siegern  das  gleiche  recht  (92)  und  wären  bürger 
mit  den  tapferen  demokraten,  hätten  die  souveränetät,  die  entscheidung 
über  krieg  und  frieden,  und  nähmen  an  den  politischen  beratungen  (94) 
teil,  alles  im  gegensatze  zu  der  zeit  der  Dreifsig^   wo  es  keine  ekklesie 


so  gut  wie  gleich  steht,  soll  man  eben  wissen  und  schätzen,  die  sykophanten  ia 
diesem  stände,  für  die  Lysias  unser  hauptexenipel  ist,  waren  so  zahlreich,  dafs  die 
geschäftsordnung  der  Volksversammlung  ihre  nQoßoXrj  ganz  in  gleicher  ausdehnung[i 
wie  die  der  bürger  vorsah  (43,  5). 

5)  Diese  stelle  schliefst  allerdings  besonders  entschieden  den  gedanken  aus, 
dafs  die  rede  wegen  niordes  gehalten  wäre,  denn  dann  zwang  ihn  allein  die  pflicht 
des  bluträchers  aufzutreten. 


Lysias  wider  Eratosthenes.  221 

gab,  die  souveränetät  von  jenen  geübt  ward,  der  kämpf  aber  gegen  die 
tapferen  demokraten  gieng.  über  die  art  der  jetzt  geltenden  Verfassung 
ist  nichts  gesagt  als  dafs  die  Städter  gleichberechtigt  sind,  dann  folgt 
der  appell  an  die  demokraten,  der  über  die  pohtische  läge  der  gegenwart 
nichts  lehrt  und  in  den  allgemeinen  epilog,  die  aufforderung  zur  Ver- 
urteilung der  Dreifsig,  übergeht,  aber  das  wesentliche  bleibt  bestehen, 
dafs  beide  parteien  im  gerichtshofe  vertreten  sind;  also  das  was  am  an- 
stüfsigsten  schien,  die  euthyna,  ist  ganz  sicher. 

Für  die  zeit  der  rede  ergibt  sich  direct  kaum  etwas,  und  es  reicht  hin 
zu  constatiren,  dafs  sie  für  die  notwendig  bald  nach  der  Versöhnung 
eingetretene  euthyna  eines  der  Dreifsig  in  jedem  zuge  pafst.  so  wild 
der  redner  gegen  die  Dreifsig  loszieht,  so  schweigsam  ist  er  über  Sparta, 
er  vermeidet  es  die  garnisonen  auf  der  bürg  als  solche  zu  bezeichnen, 
sondern  redet  von  eTtUovQoi  (94),  gleich  als  ob  es  gedungene  reisläufer 
gewesen  wären,  ebenso  wird  der  staat  Eleusis,  in  dem  die  ausgewan- 
derten Städter  zu  recht  herrschen,  dadurch  respectirt,  dafs  er  mit  still- 
schweigen übergangen  wird,  dafs  die  überlebenden  der  Dreifsig  und 
ihre  meist  compromittirten  helfer  alle  dort  untergekommen  wären,  ist 
weder  bezeugt  noch  wahrscheinhch,  da  gegen  die  Dreifsig  der  Widerwille 
schon  nach  dem  gefechte  auf  Munichia  so  stark  in  der  Stadt  gewesen 
war,  dafs  sie  abgesetzt  wurden,  so  brauchen  wir  uns  nicht  zu  wun- 
dern, wenn  Lysias  erzählt,  dafs  einzelne  Staaten  einzelne  flüchtlinge 
der  tyrannen  auswiesen  (35);  die  Verallgemeinerung  des  sykophanten 
streichen  wir  leicht  ab.  aber  die  wendung  anovai  \.Lkv  rolg  TgLaycovra 
k/tißovlsvsTS  (80)  mag  vielleicht  als  ein  unbeabsichtigtes  Zugeständnis 
aufgefafst  werden,  dafs  der  demos  gern  der  leule  habhaft  werden  wollte, 
gegen  die  ihm  allein  die  räche  erlaubt  war.  doch  wozu  die  einzelheiten 
durchsprechen,  die  doch  zumeist  so  oder  so  verstanden  werden  können : 
der  nachweis,  dafs  irgend  etwas  in  der  rede  verböte,  sie  auf  den  rechen- 
schaftsprocess  zu  beziehen,  dem  Eratosthenes  sich  freiwillig  unterwerfen 
wollte,  kann  getrost  abgewartet  werden. 

Es  war  dem  Lysias  gewifs  darum  zu  tun,  seinen  bruder  zu  rächen ; 
das  war  seine  pflicht,  und  es  war  ein  abscheuliches  verbrechen  an  ihm 
begangen,  er  nahm  die  gelegenheit  wahr,  die  sich  ihm  bot,  und  man 
wird  ihm  bei  seiner  politischen  richtung  nicht  verargen,  dafs  er  aus  dem 
hasse  gegen  die  Dreifsig  so  viel  wie  möglich  capital  für  seine  anklage 
herausschlug,  aber  die  rede  will  allerdings  mehr:  sie  greift  durchaus 
nicht  etwa  die  Dreifsig  um  des  Eratosthenes  willen  an ,  sondern  viel 
eher  umgekehrt,      die   bedeutung   der  rede  für   die   Zeitgeschichte  Hegt 


222  11-    11.    TifiT;/iiaxa  naQexöfievoi. 

darin,  dafs  es  ein  voivtofs  der  radikalen  demokratie  ist,  der  das  versöhniings- 
werk  durchaus  nicht  recht  war;  diesmal  galt  es  die  clausel  des  versohnungs- 
instrumentes  unwirksam  zu  machen,  die  den  Dreifsig  und  ihren  haupl- 
helfern  die  möglichkeit  der  amnestie  eröffnete.  Eratosthenes  scheint 
nicht  der  einzige  gewesen  zu  sein,  der  sich  der  rechenschalt  stellen 
wollte;  oh  es  auch  andere  getan  hahen  und  rait  welchem  erfolge  etwa, 
ist  unhekannt.  dem  sollte  seine  hinrichtung  einen  riegel  'vorschieben, 
und  der  demokratische  terrorismus  regt  sich  schon  recht  stark;  nicht 
nur  die  Verteidiger  des  Eratosthenes  werden  eingeschüchtert  (86),  sondern 
auch  die  zeugen,  deren  viele  gekommen  waren,  und  die  sich  durch  die 
Verteidigung  der  Dreifsig  compromittiren  sollen  (S8 — 89),  und  endhch 
die  richter,  denen  sogar  gedroht  wird,  sie  sollten  sich  nicht  auf  die  ge- 
heime abstimmung  verlassen  (91),  sie  sollen  vielmehr  beweisen,  dafs 
sie  oQyiLovrai  rolg  TreTigay/nevoig  (90).  eÄsog  und  ovyyviuuri  soll  aus 
der  seele  der  richter  verbannt  sein  (79):  so  fafst  der  radikale  die  Ver- 
söhnung auf.  er  gesteht  hier  ein,  dafs  die  öffentliche  meinung  in  Erato- 
sthenes den  harmlosesten  der  Dreifsig  sehe  (89),  und  vorher,  dafs  dieser 
als  freund  und  anhänger  des  Theramenes  auf  Sympathien  zu  rechnen 
hatte,  das  dient  dem  redner  aber  nur  zu  dem  vom  wildesten  hasse  ein- 
gegebenen und  gröbste  lüge  nicht  scheuenden^)  angriffe  auf  den  loten, 
von  eben  den  Dreifsig  getöteten  Theramenes  (62 — 79).  erst  hier  offen- 
bart sich,  wohin  das  ganze  zielt,  der  tod  hatte  dem  Theramenes  in  sehr 
weiten  kreisen  jene  Sympathie  geweckt,  die  selbst  Xenophon,  den  Ver- 
ehrer Thrasybuls,  zu  einer  wirklich  packenden  erzähluug  begeistert  hat. 
die  Dreifsig  selbst  halten  erst  verspielt,  als  die  kreise  sich  von  ihnen 
abwandlen,  die  mit  Theramenes  eine  ganz  entschiedene  antipathie  gegen 
die  radicale  demokratie  hatten,  und  andererseits  hatten  die  leute  ;ius 
dem  Peiraieus  erst  gewonnen,  als  eben  diese  kreise  mit  ihnen  giengen. 
Rhinon  war  gewifs  kein  demokrat,  und  mit  der  gesellschaft  die  Lysias 
vertritt  würde  Sparta  niemals  Iransigirt  hahen.  die  anhänger  der  TtärgLog 
noXiTEla  waren  von  beiden  seilen  angefeindet,  aber  sie  haben  in  wahr- 
heil  Athen  gerettet:  die  radicalen  fürchteten  sie  ungleich  mehr  als  die 
extremen  oligarchen.  daher  gehl  der  hauptslofs  des  Lysias  gegen  den 
loten  Theramenes.     die  radicale  demokratie  macht  die  kraftprobe,   hier 


6)  Es  genügt  dafür  zu  constatiren,  dafs  Theramenes  den  antrag  gestellt  haben 
soll,  die  Dreifsig  einzusetzen  und  die  Verfassung  des  Drakontides  anzunehmen  (73), 
während  Theramenes  wider  die  einsetzung  der  Dreifsig,  in  deren  beantragung  die 
angebliche  Verfassung  des  Drakontides  bestand,  gesprochen  hat. 


Lysias  wider  Eratosthenes.     die  provisorische  Verfassung  von  403.        223 

noch  auf  formell  gesetzlichem  boden,  und  so  hat  der  process  des  Erato- 
sthenes eine  erhöhte  bedeutung  erhalten,  der  gerichtshof  bestand  nur 
aus  den  besitzenden ;  sie  haben  freilich  den  Eratosthenes  nicht  verurteilt, 
aber  die  partei  des  Lysias  war  durchaus  nicht  entmutigt,  und  seine  rede 
war  ein  so  ausgezeichnetes  Schriftstück,  dafs  er  sie  als  pamphlet  ver- 
öffentlicht hat,  gewifs  nicht  ohne  erfolg  für  seine  sache. 

Ein  zweiter  vorstofs  war  der  antrag  des  Thrasybulos ,  alle  die,  die  Thrasybuios 
aus  dem  Peiraieus  gekommen  waren,  als  bürger  anzuerkennen.^  das  war  Aichinos. 
freilich  so  flagrant  ungesetzhch,  dafs  der  antrag  fiel,  da  die  v6/^ioi  l/r' 
ai'ÖQi  notwendigerweise  ganz  persönlich  behandelt  werden  mufsten. 
ein  kräftiger  rückschlag  von  der  gegenseite  war,  dafs  Archinos  den  rat 
dazu  vermochte,  einen  radikalen  heifssporn  wegen  einer  für  uns  nicht 
genau  erkennbaren  Verletzung  der  amnestie  ohne  weiteres  zum  tode  zu 
verurteilen,  und  später  gegen  die  anschuldigungen,  für  die  die  amnestie 
galt,  das  rechtsmittel  der  naqayqacfr]  zu  gestatten*),  offenbar  sind 
der  rat  und  das  volk  von  403/2  für  die  partei  des  Lysias  nicht  zu  haben 
gewesen. 

Aber  wer  war  403  das  volk   und    wie   war   der   rat   gebildet?   mit  Die  proviso- 

risch6  V6r - 

anderen  worten,   welche  Verfassung   ist  vom  könig  Tansanias  concedirt  fassung  vou 

4Ü3. 

und  zwischen  Stadt  und  hafen  vereinbart  worden?  es  bedarf  nur  geringer 
Überlegung,  um  zu  schliefsen,  dafs  es  die  demokratie  von  405  unmögUch 
gewesen  sein  kann,  obwol  wir  wissen,  dafs  diese  demokratie,  im  prinzip 
wenigstens,  noch  unter  Eukleides  eingeführt  worden  ist.  aber  wir  brauchen 
keinen  indicienbeweis,  denn  die  documente  liegen  vor. 

Andokides  (1,  81)  erzählt  im  jähre  399,  dafs  nach  der  Versöhnung 
zuerst  eine  provisorische  regierung  von  20  leuten,  vermuthch  Strategen^), 
je  10  von  jeder  partei   gewählt,   die  geschäfte   führte,   bis  ein  rat  ein- 


7)  Thrasybulos  zeigt  sich  sowol  durch  die  protection  des  Lysias  wie  durch 
seinen  gesetzwidrigen  antrag  viel  mehr  als  nQüaiätr^s  rov  Sr,uov  denn  als  Staats- 
mann, er  ist  gewifs  ein  patriot  gewesen,  das  hat  er  411,  403  und  390  bewiesen, 
aber  seine  innere  wie  seine  äufsere  politik  beweist  nicht  mehr,  als  dafs  er  die 
ideale  des  Reiches  und  seiner  demokratie  begriffen  hatte  und  zäh  an  ihnen  fest  hielt, 
seine  eigene  zeit  hat  er  dagegen  nicht  mehr  begriffen,  weil  die  demokratie  herrschte, 
hat  sie  ihm  den  höchsten  ruhmeskranz  gespendet;  nichts  ist  dafür  bezeichnender, 
als  dafs  der  panegyrikos,  den  Nepos  übersetzt,  geradezu  die  Verdienste  des  Archinos 
auf  Thrasybul  überträgt. 

8)  Vgl.  die  beilage  'die  paragraphe  und  Lysias  wider  Pankleon.' 

9)  Wenn  man  auf  die  lückenhafte  stelle  Xenophons  2,4,  39  so  viel  geben  darf, 
wo  die  Strategen,  zu  denen  Thrasybul  gehört,  die  Versammlung  des  Volkes  (eine 
contio,   keine  comitia,   denn  sie  hören  nur  eine  anspräche)  berufen   und  entlassen. 


224  II.     11.    Tturjfiara  Ttapsxofxevoi. 

gesetzt  war,  und  im  übrigen  vorläufig  die  solonischen  und  drakonlischen 
gcsetze  galten,  da  der  rat  auf  der  praeseutalion  durch  die  gemeinden  beruht, 
war  es  nicht  besonders  schwierig,  500  ratsherren  auszulosen;  die  demoten 
wufsten  ja  in  ihrer  gemeinde  bescheid.  auch  die  archonten,  deren  man 
sofort  bedurfte,  liefsen  sich  leicht  bestellen,  da  man  für  sie  immer  eine  Vor- 
schlagsliste der  phylen  zu  gründe  legte,  und  selbst  der  appell  an  die  gemein 
den  487  vorgekommen  war.  dann  ward,  nach  Andokides,  ein'weiterer  aus- 
schufs  von  500  gesetzgebern  von  den  gemeinden  gewählt,  und  diese  beiden 
körperschaften  haben  die  factisch  jetzt,  399,  geltenden  gesetze  gegeben,  d.  h. 
natürlich  dem  volke  vorgelegt,  das  selbst  allein  competent  war,  ihre  vor- 
schlage zu  gesetzen  zu  machen.  Andokides  hütet  sich  wol,  jenes  volk, 
das  die  gesetze  gegeben  hat,  von  dem  jetzt  herrschenden  zu  unterscheiden, 
allein  er  selbst  unterscheidet  sehr  wol  zwischen  den  gesetzen  Drakons 
und  Solons,  die  während  des  provisoriums  galten,  und  den  jetzigen,  die 
von  den  nomotheten  gegeben  waren,  sehr  viel  unzweideutiger  redet 
das  gesetz  des  Teisamenos,  durch  welches  jene  nomotheten  in  function 
getreten  sind,  es  beginnt  TtolLrevsodai  ^^d-rivaiovg  vMxa  za  7täTQia, 
v6/iioig  Ö£  xQrjoS^ai  rolg  ^öicovog  y.al  (.lexQoig  '/.al  OTad(.iolg.  darin 
ist  die  geltung  der  väterlichen  Verfassung  und  der  solonischen  gesetze 
ausgesprochen,  also  das  provisorium  dauert  fort,  bis  die  neuen  gesetze 
in  der  weise  constituirt  sind,  die  eben  durch  Teisamenos  verordnet  wird, 
welcher  geist  in  dem  volke  lebte,  das  dieses  gesetz  angenommen  hat, 
lehrt  der  schlufsparagraph ,  der  dem  Areopag  die  nomophylakie  für  die 
zukunfi  zuweist,  woran  doch  nicht  einmal  die  400  gedacht  hatten,  und 
was  denn  auch  von  den  gesetzgebern  alsbald  beseitigt  worden  ist.  der  rat  i 
und  die  gesetzgeber  standen  vor  der  aufgäbe,  eine  wirkliche  Verfassung 
praktisch  zu  entwerfen  und  bei  dem  volke,  wie  immer  es  auch  begrenzt 
war,  durchzubringen,  da  halfen  die  schönsten  theorien  nicht;  die  Ver- 
fassung von  593  war  403  wahrhaftig  unmöglich,  und  wenn  ein  so  anti- 
demokratischer köpf  wie  der  Verfasser  des  entwurfes  von  411  so  weit 
von  Solon  abgekommen  war,  trotzdem  er  ins  blaue  decretiren  konnte, 
wie  viel  mehr  mufste  sich  den  1000  Vertretern  der  gemeinden  die  demo- 
kratie,  die  ihnen  allen  allein  vertraut  war,  sich  aufnötigen,  sie  haben 
die  ^täxQLog  TtoXiteia  als  die  auf  die  gleichberechtigung  aller  Athe- 
ner gegründete  demokratie  definirt  und  darauf  hin  ihren  antrag  ge- 
stellt, dagegen  war  im  plenum,  über  dessen  Zusammensetzung  wir  erst 
etwas  zu  erfahren  streben,  die  Stimmung  keineswegs  überwunden,  die  im 
anschlusse  an  die  lendenzen  des  Theramenes  und  die  wünsche  Spartas 
für  absolut  richtig  und   politisch    geboten    hielt,    die   Proletarier   auszu- 


Die  provisorische  Verfassung  von  403.    Lysias  rede  34.  225 

schliefseil,  den  antiag  formulierte  für  diese  partei  Phormisios,  und  zwar 
wollte  er  die  politischen  rechte  an  den  grundbesitz  binden ;  die  demokratie 
bediente  sich  wieder  der  feder  des  Lysias.  sie  hat  gesiegt,  und  Sparta, 
in  dem  die  parteien  des  Pausanias  und  Lysandros  selbst  einen  geheimen 
krieg  führten,  hat  sich  dabei  beruhigt,  zumal  Athen  ihm  die  den  Dreifsig 
vorgeschosseneu  gelder  abzahlte  und  auch  sonst  botmäfsig  blieb. 

Das  document,  dem  wir  diese  talsachen  verdanken,  ist  die  rede  des  Lysias  rede 

34 

Lysias,  von  der  Dionysios  ein  grofses  bruchstück  gerettet  hat  (rede  34). 
dieser  läfst  es  unbestimmt,  ob  die  rede  wirklich  gehalten  sei,  und 
natürlich  hat  sie  als  pamphlet  mindestens  so  stark  gewirkt  wie  durch 
den  mund  des  Sprechers,  aber  da  sie  sicherlich  einer  bestimmten  person 
in  den  mund  gelegt  ist  (3),  so  haben  wir  keine  veranlassung  zu  be- 
zweifeln, dafs  es  wirklich  eine  volksrede  ist^°j:  als  Schriftsteller  konnte  doch 
nicht  wol  ein  athenischer  Staatsmann  mit  fremdem  kalbe  pflügen,  die  rede 
hat  durch  Usener  (Fleckeisens  Jahrb.  1873,  145),  als  er  ihren  urkund- 
lichen text  feststellte,  auch  eine  geschichtliche  erläuterung  erfahren,  die 
nur  noch  in  den  Zusammenhang  eingereiht  zu  werden  braucht,  die 
sophistik  des  redners  dürfte  freilich  noch  weiter  gehn,  als  Usener  an- 
genommen hat. 

Das  Volk,  vor  dem  der  redner  steht,  sind  mit  nichten  die  ^yid^rivaioi 
aTtavreg,  für  die  er  spricht,  "ihr  wifst  dafs  unter  den  früheren  oh- 
garchien  (d.  i.  411  und  404)  nicht  die  grundbesitzer  die  souveränetät 
besafsen  (für  die  sie  Phormisios  beantragt),  sondern  viele  von  ihnen 
getütet  oder  vertrieben  wurden,  diese  hat  der  demos  zurückgeführt 
und  hat  euch  eure  souveränetät  verliehen,  selbst  aber  auf  seinen  anteil 
an  ihr  verzichtet  '  (4).  er  erhebt  die  insinuation  gegen  die  "für  die 
Oligarchie  kämpfenden",  d.  i.  Phormisios,  dafs  sie  es  in  Wahrheit  auf 
den  besitz  der  leute,  die  er  anredet,  abgesehen  hätten,  das  heifst  so 
viel,  als  dafs  die  jetzt  berechtigten,  wenn  Phormisios  durchdränge,  sehr 
bald  den  besitz  und  mit  dem  natürlich  die  berechtigung  verlieren  würden, 
er  insinuirt,  dafs  der  antrag  des  Phormisios  in  Wahrheit  von  den  Lake- 


10)  E.  Schwartz  (Rli.  Mus.  44,  625)  verweist  die  rede  vor  die  nomotlieten,  aber 
die  ausfütirungen  Scliölls,  auf  die  er  sich  bezieht,  zeigen  gerade,  dafs  xsiQOTOvCa 
auch  von  der  abstimmung  des  volkes  über  antrag  und  gegenantrag  gebrauclit  wird, 
und  wie  sollte  es  anders  sein?  dagegen  konnte  die  anrede  <w  «v^^)«  ^^'/^valot  und 
die  durchgehende  identification  der  angeredeten  Versammlung  mit  dem  volke  einer 
commission  gegenüber  nicht  gebraucht  werden,  zumal  von  einem  mitgiiede  derselben, 
und  den  iSicürai  ist  durch  das  geselz  des  Teisamenos  nur  der  zutritt  zum  rate  aus- 
nahmsweise gestattet. 

V.  Wilamowilz,  Aristoteles.    II.  15 


226  II.    11.    Tiai]fiaxa  naQexöftevoi. 

claimoniern  käme  (6)  und  spielt  mit  dem  kleophontischen  gedaukea 
des  krieges  bis  aufs  äufserste  (6).  das  bedeutet  doch  wol  so  viel,  dafs 
Sparta,  die  vormacht  des  bundes,  jenen  antra»  gutheifsen  wird,  was  bei 
dem  des  redners  unwahrscheinlich  ist.  von  wert  sind  noch  zwei  einzelne 
behauptungen ,  einmal  dafs  die  annähme  des  antrages  des  Phormisios, 
also  die  beschränkung  der  politischen  rechte  auf  die  grundbesitzer,  dem 
Staate  viele  ritter  hopliten  und  schützen  entziehen  wird  (4),.  dabei  ist 
streng  genommen  notwendig,  dafs  diese  jetzt  noch  in  der  bUrgerschaft 
sind,  also  Phormisios  den  kreis  noch  enger  ziehen  will,  als  er  jetzt  ist; 
doch  kann  man  dem  rhetor  auch  zutrauen,  den  nach  ihm  normalen 
zustand  der  vollen  gleichberechtigung  aller  in  gegensatz  zu  dem  vor- 
schlage des  Phormisios  gesetzt  zu  haben,  aufserdem  hat  er  in  dem 
teile  seiner  rede,  den  Dionysios  nur  auszieht,  die  durch  Phormisios  aus- 
geschlossenen biirger  auf  5000  veranschlagt,  nun  hat  bereits  Usener") 
hervorgehoben,  dafs  die  bürgerschaft,  die  jetzt  zusammengetreten  ist, 
weder  aus  den  ^^d^r^valoL  ccTtavteg  noch  auch  aus  den  yr^v  x€/.Tr^/j.€voi 
bestellt,  obwol  letztere  darin  sind,  das  war  damals  sehr  scharfsinnig, 
konnte  aber  kein  positives  ergebnis  liefern,  jetzt  lost  sich  alles  ein- 
fach: die  bürgerschaft,  die  hier  berät,  sind  (\iü  Tif.irjf.iaTa  7taQex6f.ievoi, 
dieselben,  aus  denen  das  gericht  bestand,  vor  dem  Lysias  wider  die 
Dreifsig  geredet  hat.  diese  also  haben  während  des  provisoriums  das  volk 
gebildet. 
Antias  des  Die   Steuerzahler  umfassen   die  grundbesitzer,   das   mufs  im  allge- 

Phormisios.  "  '  ^ 

meinen  wenigstens  gelten ;  die  grundbesitzer  repraesentiren  aber  nicht 
alle  Steuerzahler,  wenigstens  theoretisch  kann  man  nicht  bestreiteu, 
dafs  selbst  in  den  höheren  classen  leute  von  grofsem  vermögen,  die 
sogar  unter  den  rittern  dienten,  sich  befinden  konnten  ohne  immobiliar- 
besitz.  und  mit  der  theorie  darf  der  gesetzgeber  füglich  rechnen,  tat- 
sächlich ist  es  eine  Übertreibung,  weder  decken  sich  die  begriffe  Tifii]- 
fiaTa   TcaQex6(.ievot   und   yf^v  y.sxTrjfisvoi,   noch  sind  es  concentrische 


11)  Was  üsener  weiter  ausführt,  über  eine  verfassut)ar  des  Drakontides,  eine 
umfängliche  bürgerliste,  die  von  den  30  erst  auf  3000  reducirl  und  von  dem  demos 
für  das   provisorium   wieder  acceplirt   wäre,  ist   durch   den  bericht  des  Aristoteles  '  1 
über  das  Zustandekommen  der  liste  der  3000  erledigt,    es  hat  403  eine  brauchbare     i 
bürgerliste   weder  bestanden   noch  bestehen  können,     die  mafsgebenden  listen  sind 
überhaupt  immer  in  den  einzelgemeinden  geführt  worden;  auf  sie  griff  man  deshalb 
auch  jetzt  zurück,   als  man  die  nomotheten   bestellen  wollte,     und  den  gemeinden  , 
fiel  ja  auch  (was  Usener  1S73  nicht  wissen  konnte)  die   ernennung  der  candidaten 
für  den  rat  zu. 


I 


Antrag  des  Phormisios.  227 

kreise,  zu  klarem  urleil  verhilft  am  besten  die  vergleichuog  der  zahlen, 
so  wenig  genau  sie  auch  sind,  durch  die  beschränkung  auf  die  grund- 
besitzer  sollen  5000  ausgeschlossen  werden;  durch  die  beschränkung 
auf  die  07t?.a  7taQ€x6f.i€vot  sollten  411  nur  5000  berechtigte  bleiben, 
das  führt  zu  dem  überraschenden  Schlüsse,  dafs  eine  grofse  anzahl  von 
grundbesitzern  sich  nicht  equipiren  konnten,  also  theten  waren,  und 
die  behauptung  des  Lysias,  dafs  die  ausschliefsung  der  capitalisten  vom 
bürgerrecht  den  Staat  um  viele  reiter  und  hopliten  bringen  müfste, 
erweist  sich  als  eine  theoretisch  richtige,  tatsächhch  nichtige  behaup- 
tung. '-)  um  das  befremdliche  zu  verstehn ,  müssen  wir  zunächst  die 
forme!  yfjv  7t€yiTr]inevoi  in  yrjv  yj  oixiav  y.€y^Tr]f^ievoL  erweitern,  die 
formelsprache  aller  Hellenen  unterscheidet  beides,  aber  dem  rhetor 
können  wir  die  abgekürzte,  seinen  zwecken  dienhche  ausdrucksweise 
verzeihen,  damit  verschwindet  der  grofste  teil  des  anstofses.  ein  haus 
ist  in  Athen  ein  sehr  wenig  wertvoller  besitz,  darum  haben  es  so  gut 
wie  alle  bürger,  wenn  sie  nicht  wirklich  Proletarier  sind  und  als  solche 
leben,  zur  miete  wohnen  wesentlich  nur  fremde  und  metöken,  weil 
sie  vom  erwerbe  von  grund  und  boden  ausgeschlossen  sind.^^)  wir 
kennen  ja  den  hausbesitzer  Sokrates  von  Alopeke,  der  doch  nur  ein 
vermögen  von  100  drachmen  hatte"),  also  wirklich  keine  rüstung  mehr 
halten  und  keine  steuern  zahlen  konnte,  selbst  der  besitz  eines  gärt- 
chens  oder  wingerts,  wie  wir  ihn  bei  der  ungemeinen  Zersplitterung 
des  grundbesitzes  allerdings  sehr  vielen  bürgern  zutrauen  dürfen,  mufs, 
zumal  in  der  kriegszeit,  wo  so  viele  äcker,  selbst  dicht  bei  der  Stadt, 
wüst  lagen,  sehr  oft  kein  steuerfahiges  einkommen  abgeworfen  haben, 
andererseits  konnte  es  nicht  fehlen,  dafs  durch  den  verlust  ihrer  kleru- 


12)  Useners  ausweg,  an  die  seit  412  aufgekommene  einstellung  der  theten  als 
hopliten  zu  denken,  denen  dann  der  Staat  die  waffen  lieferte,  ist  nicht  gangbar:  das 
konnte  der  Staat  auch,  wenn  die  theten  der  politischen  rechte  entbehrten,  er  hatte 
ja  selbst  sclaven  bewaffnet. 

13)  Die  besitzer  der  mietshäuser  (awoixiai)  profitiren  deshalb  von  dem  ge- 
richtszwange  der  bündner,  [Xen.]  IIoL  Ad-.  1,  17. 

14)  Plat.  Apol.  38*^.  dafs  Sokrates,  der  als  hoplit  gedient  hatte,  verarmt  ge- 
wesen sein  mufs,  habe  ich  schon  früher  bemerkt,  von  dem  ertrag  von  100  drachmen 
konnte  er  nicht  leben,  mit  weib  und  kindern  noch  dazu,  gleichwol  erwarb  er 
nichts,  also  hat  er  sich  nicht  gescheut,  dem  grundsatze  xoiva  z«  tcöv  (piXwv  als 
empfangender  zu  huldigen,  und  Kriton  wird  sich  der  braven  Xanthippe  angenommen 
haben,  aber  eine  bezahlung  für  den  Unterricht  war  das  nicht,  und  ich  bedauere, 
dafs  ein  Aristoxenos  wider  Piaton  ins  feld  geführt  wird,  um  den  Sokrates  wol  gar 
als  schulstifter  hinzustellen. 

15* 


228  n.     11,    Tifirifiaxa  7iaQEx,6fiEvoi. 

chien  eine  masse  gänzlich  verarmter  bürger  in  die  heimat  zurückstrümteu, 
die  auszuschliefsen  ein  hartes  gebot  der  not  schien,  und  die  durch  diese 
formuUrung  der  qualification  entweder  sicher  die  politischen  rechte 
verloren  oder  zur  ansiedelung,  an  der  dem  gesetzgeber  liegen  mufste, 
angetrieben  wurden.  Phormisios  konnte  sich  mit  fug  und  recht 
darauf  berufen,  dafs  er  dem  städtischen  demos  einen  starken  antrieb 
gäbe,  sich  dem  landbau  zu  widmen,  der  seit  431  heruntergekqmmen  war 
aber  einst  die  macht  des  demos  begründet  hatte. 

Eine  letzte  frage  ist  noch,  wie  die  verschiedenen  männer  auf  die 
verschiedenen  losungen  der  frage  gekommen  sind,  das  Proletariat  von 
der  Staatsverwaltung  auszuschliefsen,  und  doch  alle  den  anschlufs  an  die 
väterliche  Verfassung  und  die  gesetze  Solons  gesucht  und  vermeintlich 
gefunden  haben. 

Die  alten  classen  bestanden  nominell ,  hatten  aber  praktisch  ihre 
bedeutung  verloren,  die  rückkehr  zu  Solon  und  Drakon  war  die 
parole ;  aber  bei  jedem  versuche  erwies  sich  die  gegenwart  stärker  als 
das  ideal.  411  hatte  man  es  mit  Drakon  versucht  und  durch  die  forde- 
rung,  sich  selbst  zu  equipiren,  die  bürger  auszusondern  gehofft,  die  den 
Staat  sicher  leiten  konnten,  der  erfolg  hatte  gelehrt,  dafs  diese  forderung, 
obwol  sie  eigentlich  die  grenze  zog,  die  Solon  dem  passiven  Wahlrechte 
auch  gezogen  hatte,  viel  zu  stark  war.  als  die  Oligarchie  in  der  Stadt 
gebot,  aber  entmutigt  und  zur  Verständigung  geneigt,  im  hafen  eine 
revolutionäre  und  mit  bedenklichen  dementen  fremder  herkunft  ver- 
mischte demokratie  trotzig  ihr  gegenüber  stand,  sah  Pausanias  ein,  dafs 
die  Oligarchie  nur  durch  die  Unterhaltung  einer  garnison  in  Athen  ge- 
schützt werden  konnte,  and  die  demokratie,  gestützt  auf  die  Sympathie 
der  Hellenen  und  die  beihilfe  nicht  blofs  von  Argos,  sondern  auch  von 
Theben,  selbst  wenn  er  den  Peiraieus  nahm,  gefährlich  bleiben  mufste; 
die  herrschaft  des  scheinbar  allmächtigen  Sparta  stand  auf  allzuschwachen 
füfsen.  so  forderte  er  einsichtig  einen  compromifs  auf  der  basis,  die 
Theramenes  404  vereinbart  hatte  oder  doch  vereinbaren  wollte,  die 
amnestie,  die  Zuweisung  von  Eleusis  an  die  attischen  oligarchen ,  die 
Übernahme  der  Verpflichtungen  der  oligarchen  gegen  Sparta  durch  die 
neue  regierung  schienen  ihm  mit  recht  aussreichend,  um  das  neue  Athen 
untertänig  zu  halten,  aber  die  schrankenlose  demokratie  durfte  ci- 
nicht  einsetzen,  und  darauf  konnten  auch  die  Städter  nicht  eingeliii. 
da  stieg  also  wieder  die  TtaxQiog  TioXirsia  auf,  die  solonischen  gesetze. 
man  hätte  auf  die  forderungen  von  411  zurückgreifen  können  und  die 
selbstequipirung   als   quaUfication   für  das   volle   bürgerrecht  verlangen. 


i 


Antrag  des  Phormlsios.  229 

aber  schon  der  äufsere  umstand,  dafs  die  Dreifsig  den  Städtern  ihre 
Waffen  confiscirt  hatten  (37,  1),  liefs  das  nicht  angängig  erscheinen,  und 
so  verfiel  man  auf  den  ausweg,  die  Steuer  an  die  stelle  der  bewaffnung 
zu  setzen:  im  sinne  Solons,  das  mufs  man  zugeben,  kam  das  auf  das- 
selbe heraus,  so  schuf  man  ein  provisorium,  führte  die  gesetze  Solons 
für  dieses  ein,  und  es  gieng  gut,  dank  der  energie  des  Archinos 
trotz  dem  anstürme  der  radicalen.  aber  ein  definitivum  konnte  daraus 
nicht  werden,  die  Steuer  ward  weder  regelmäfsig  gezahlt,  noch  gab  es 
eine  staathche  controUe  der  einschätzung.  wenn  man  die  politischen 
rechte  mit  der  steuerdeclaration  für  die  dritte  classe  verband,  so  mufste 
der  erfolg  sein,  dafs  es  damit  gienge  wie  bei  der  meidung  zur  ämter- 
losung,  wo  sich  niemals  einer  als  thete  bekannte  (Ar.  7,  4).  da  geriet 
Phormisios  auf  den  ausweg,  den  grundbesitz  zu  verlangen,  die  solo- 
nischen  classen  selbst  waren  ihren  namen  nach  auf  diesen  berechnet, 
denn  man  hatte  sich  gewöhnt,  auch  ritter  und  zeugiten  durch  einen 
festen  satz  von  geernteten  scheffeln  bestimmt  zu  glauben,  diese  classen- 
einteilung  selbst  würde  nun  freihch  in  praktischer  anwendung  Attika 
nicht  auf  die  solouischen  Zeiten  zurückgeführt  haben,  sondern  auf  die 
weit  zurückliegende  urzeit,  der  diese  classen  entstammen,  als  es  noch 
ein  reiner  ackerbaustaat  war  und  dem  entsprechend  an  bedeutung  noch 
hinter  Megara  zurückstand,  diese  reaction  lag  dem  Phormisios  fern ; 
was  er  forderte,  war  nur  die  durchführung  der  forderung,  die  theoretisch 
für  alle  Athener  immer  noch  galt,  dafs  sie  eine  eigene  heimstätte,  einen 
Zsvg  i^yielog  hätten,  diese  forderung  war  nicht  schwer;  sie  liefs  solche 
leute  wie  Sokrates,  der  weder  waffen  noch  steuern  zu  praestiren  im 
Stande  war,  im  genusse  der  pohtischen  rechte,  schlofs  nach  der  sicher- 
lich übertreibenden  Schätzung  des  Lysias  nur  5000  Proletarier  aus,  und 
das  in  der  zeit  der  schwersten  calamität,  so  dafs  auf  eine  sehr  starke 
Verminderung  dieser  zahl  schon  für  die  nächste  Zukunft  zu  hoffen  war. 
wenn  das  volk,  d.  h.  damals  die  rif.ir^(.iaTa  naQ^iö^Evoc  trotzdem  sich 
für  die  volle  demokratie  entschieden  haben,  so  können  wir  nicht  umhin 
anzuerkennen,  dafs  sie  dem  wirkUchen  Solon  und  der  wirkhchen  näxQLog 
TioXiteLa  lieber  haben  folgen  wollen  als  den  noch  so  geschickt  ausge- 
dachten vorschlagen  der  gegenwart.  denn  in  den  gesetzea  Solons  waren 
die  Volksversammlung  und  das  active  Wahlrecht  und  die  geschwornen- 
stellen  den  theten  zugänglich  gemacht,  dafs  darin  tatsächlich  403  die 
radicale  demokratie,  593  eine  sehr  bescheidene  gewalt  lag,  verschlug 
für  das  prinzip  nichts,  aber  hier  am  deuthchsten  kommt  es  an  den  tag: 
der  keim  zu  der  radicalen  demokratie  war  durch  Solon  gelegt,     so  hat 


230  II.    11.    TifiTjuara  TtaQS/^ö/ievoi. 

man  damals  geurteilt,  so  hat  Aristoteles  geurteilt,  die  demokraten,  die  ihn 
als  den  dr]i.wTi/x6TaTog  für  sich  beanspruchten,  haben  nicht  nur  recht 
behalten,  sondern  auch  recht  gehabt,  wenn  Theramenes  in  ihm  den  vater 
alles  Übels  gesehen  hat,  so  war  das  auch  nicht  blofs  von  seinem  Stand- 
punkte aus  berechtigt,  es  war  das  Verhängnis  Athens,  dafs  es  von  der 
radikalen  demokratie  nicht  loskommen  konnte,  aber  die  geschichte  mufs 
gegen  alle  billig  sein  und  darf  weder  den  Solon  nach  den  Verhältnissen 
von  403  beurteilen,  noch  von  der  not  jener  revolutionszeit  eine  bilhge 
beurteilung  Solons  fordern. 


12. 

A0r02  UND  EY0YNA. 


Da  wir  jung  waren,  lernten  und  glaubten  wir,  dafs  die  Überlegen- 
heit der  Boeckhschen  altertumswissenschaft  über  die  Hermannsche  philo- 
logie  sich  nirgend  glänzender  offenbare  als  in  der  abhandlung  über 
euthynen  und  logisten,  die  zu  diesem  nachweise  geschrieben  ist.  da 
wir  älter  wurden,  sahen  wir  mit  Überraschung,  dafs  Hermanns  conjec- 
turen  zu  CIA  T  32  auf  dem  steine  standen  mit  ausnähme  von  einer 
minder  wichtigen  stelle,  wo  Boeckh  aber  auch  nicht  richtiger  geurteilt 
hatte,  und  nun  stellt  sich  heraus,  dafs  über  die  sache  beide  irr  ge- 
gangen sind,  dafs  auch  gerade  die  behandlung,  die  am  meisten  metho- 
disch vorgieng  und  allein  wirklich  vorwärts  kam  (Scholl  de  synegoris), 
irr  gehn  mufste,  weil  ihr  fundament  ein  gefälschtes  zeugnis  war.')  die 
Unzulänglichkeit  unseres  combinirens  ungenügender  daten  zeigt  sich 
handgreiflich,  ebenso  aber,  dafs  die  wirkhche  kenntnis  der  spräche  in 
ihrem  gebiete  mit  Sicherheit  vorgeht  und  dafs  ihr  die  logik  des 
rechthchen  gedankens  auch  wol  zu  hilfe  kommen  kann:  beide  vereint 
hätten  das  falsche  zeugnis  wol  entlarven  und  aus  dem  sprachgebrauche  und 
dem  rechte  der  Wahrheit  näher  kommen  können,  aber  diese  ist  uns 
jetzt  durch  Aristoteles  (48,  3 — 5.  54,  2)  gegeben:  wir  wollen  bei  der 
Sache  bleiben,  von  den  modernen  absehn  und  auch  die  angaben  der  lexico- 
graphen,  die  aus  Aristoteles  abgeleitet  oder  durch  misverständnis  seiner 
Worte  entstanden  sind,  sollen  fortfallen,  dagegen  mag  was  ihn  ergänzt  und 
ohne  weiteres  sich  einordnet,  gleich  mit  vorgeführt  werden :  wir  wissen 
ja,  dafs  er  nur  der  reinste  und  reichste  canal  derselben  Überlieferung 
vom  attischen  Staate  ist. 


1)  Fgm.  6  in  unserer  ausgäbe. 


232  11.    12.  Aöyoi  und  eid-vva. 

Uyos.  Jeder  abtretende   beamte,   einerlei  welcher  kategorie,   reicht  seine 

rechnungen  bei  den  logisten  ein^);  wo  nicht,  unterliegt  er  der  anklage 
"wegen  unterlassener  rechnungsablage,  a?.oylov" J)  die  logisten,  zehn 
erlöste  beamte,  haben  binnen  30  tagen'')  die  rechnungen  zu  revidiren, 
was  sie  natürlich  nicht  als  coUegium  tun,  sondern  in  arbeitsteilung: 
daher  gibt  es  mehrere  bureaus,  XoyiOTrjgia^),  vermutUch  10.  nach  der 
revision  lassen  sie  sich  von  den  archonten  die  nötige  anzahl  gerichtshöfe 
zulosen,  denen  sie  praesidiren"),  während  die  von  ihnen  erhobenen 
anstände  durch  die  ihnen  beigegebenen  10  "anv.älte",  Gvvi]yoQOi'), 
vertreten  werden,  nach  diesen  öffentlichen  klägern  kann  aber  jeder 
bürger  als  ankläger  auftreten,  w^ozu  der  herold  des  gerichtes  durch 
proclamalion  auffordert.*)  ohne  zweifei  stellt  schon  jeder  kläger  di( 
Strafanträge  nach  mafsgabe  des  geselzes,  welches  durchaus  nur  geld- 
strafe  kennt,  die  entsprechend  der  qualification  als  Unterschlagung  (x/o/r?;), 
bestechung  (dtugcüv),  amtsmisbrauch  {adtxLOv).,  in  den  beiden  ersten 
fällen  in  zehnfältigem,  im  letzten  in  einfachem  betrage  zu  entrichten 
ist.  übrigens  haben  die  gesetze  eine  sehr  grofse  anzahl  von  geldstrafen 
für  beamte,  die  dies  oder  jenes  unterlassen,  bereits  fixirt,  in  der  sammt- 
gemeinde  wie  in  den  einzelgemeinden  (Rede  gg.  Makart.  58),  phratrien 
und  überhaupt  allen  y.otvd.  wer  eine  solche  Unterlassung  nachweist, 
hat  damit  die  höhe  der  strafe  adiyilov  von  selbst  normirt.  wenn  die 
strafe  nicht  am  Verfalltage  (in  der  neunten  prytanie)  gezahlt  wird,  so 
treten   die   legalen   folgen  ein,   execution,    schuldhaft,   cooGscation  des 


2)  Wer  kein  öflentliches  geld  verwaltet  hat,  gibt  eine  dahin  gehende  erklärung 
ab,  Aisch.  3,  22. 

3)  Lex.  Gantabr.  aXoyiov. 

4)  Die  frist  gibt  Harp.  ^oyiarai.  über  die  quelle  seiner  nachrichten  und  ihren 
Irrtum  vgl.  I  7  anm.  82. 

5)  Den  plural  gibt  Harp.  Xoyiarai  mit  belegen,  von  denen  einer  das  erhaltene 
psephisma  des  Patrokleides  (Andok.  1,  78)  ist.  da  die  nur  je  für  eine  phyle  am- 
tirenden  euthynen  sich  dieser  'rechnungskammer'  bedienen,  und  da  in  der  einzel- 
gemeinde nur  ein  logist  ist  (CIA  II  578),  so  wird  jede  phyle  ihr  loyian'iQiov  ge- 
halten haben. 

6)  Nach  Phot.  ev&vvat  hätten  die  logisten  die  auslosung  der  richter  selbst  be- 
sorgt, dem  grammatiker  ist  nicht  bewufst  gewesen,  welchen  Widerspruch  gegen 
attische  praxis  er  damit  behauptete;  getäuscht  hat  ihn  der  vorsitz  der  logisten, 
während  andere  beamte  die  von  eben  diesen  logisten  erhobenen  anklagen  führten, 
beseitigt  wird  der  Irrtum  durch  Ar.  59,  1.  63,  1. 

7)  Die  beschränkung  ihrer  tätigkeit  auf  das  avvijyoQelv  liegt  im  namen  der 
avvt'jyoQoi.     dazu  stimmt  das  gemeindestatut  von  Myrrhinus  CIA  II  578. 

8)  Aisch.  3,  20. 


Uyoi.  233 

Vermögens,  verliist  der  bürgerlichen  rechte.')  der  amtsmisbrauch  (a(5/- 
■uov)  der  gelegenllich  der  rechnungsprüfung  zu  tage  tritt,  kann  nur 
in  unerlaubter  oder  gemeinschädlicher  Verwendung  des  öffentlichen  geldes 
bestehn;  er  ist  also  das  geringste  und  demnach  am  gelindesten  bestrafte 
vergehen,  die  richter  sind  an  den  Strafantrag  selbstverständlich  nicht 
gebunden ,  da  sie  zuerst  die  schuldfrage  absolut  entscheiden  und  dann 
selbst  abschätzen. '")  ihr  urteil  ist  wie  immer  entscheidend  und  inappellabel. 
Diebstahl,  der  in  der  griechischen  terminologie  von  Unterschlagung, 
auch  an  heihgem  und  öffentlichem  gute,  nicht  unterschieden  wird'**),  und 
bestechung  sind  vergehen,  die  keineswegs  blofs  von  beamten  begangen 
werden  können,  also  auch  nicht  blofs  in  den  rechenschaftsprocessen  ge- 
ahndet werden  dürfen,  insbesondere  volksredner  und  richter  sind  der 
bestechung  sehr  ausgesetzt,  daher  gibt  es  eine  besondere  ygacpfj  ötögcov, 
die  bei  den  thesmcrthelen  anhängig  gemacht  wird  und  bezeichnender 
weise  neben  der  ovy.ocpavrLag  steht  (Ar.  59,  3).  diebstahl  an  öffent- 
lichem oder  heiligem  gute  kann  in  der  groben  form  auftreten,  dafs  ana- 
■/(.oyiq  möglich  ist,  es  kann  die  arcoyQacpri  gewählt  werden;  es  hat  aber 
ohne  zweifei  auch  eine  ygacpr}  dafür  gegeben,  obwol  sie  bei  Aristoteles 
nicht  vorkommt.")  das  würde  die  logik  des  rechtes  fordern,  auch  wenn 
keine  concreten  fälle  bekannt  sein  sollten.'^)    aber  der  unterschied  zwi- 


9)  Im  gegensatze  zu  Aristoteles  gibt  Andokides  1,  74  an,  dafs  auf  einer  Ver- 
urteilung ScoQcov  oder  xXon^s  atimie  des  schuldigen  sammt  seiner  kinder  stand, 
aber  keine  geldstrafe.  y.Xo7zr/S  und  ScÖqcov  nebeneinander  führt  auf  den  logisten- 
procefs;  die  av&vvai  sind  indessen  in  dem  nächst  vorhergehenden  paragraphen  er- 
wähnt, an  eine  änderung  des  rechtes  nach  403  könnte  man  vielleicht  denken,  allein 
sie  wird  durch  den  process  des  Perikles  ausgeschlossen,  der  wegen  y.loTt^  zu  einer 
geldstrafe  verurteilt  worden  ist.  wir  werden  also  wol  gezwungen  sein,  an  die  yQacpal 
SwQcov  und  y.lonris  zu  denken,  die  sogleich  zur  besprechung  kommen,  aber  be- 
fremdlich ist  mir  die  sache  auch  so.  wie  soll  man  dem  diebe  seinen  raub  lassen? 
Deinarchos  (1,  60)  vermischt  die  strafe  im  rechenschaftsprocefs  mit  der  der  eisan- 
gelie,  wenn  er  behauptet,  dafs  auf  bestechung  zehnfacher  ersatz  der  bestechungs- 
summe  oder  der  tod  stünde. 

10)  Alislot.  pag.  38.  am  deutlichsten  wird  das  verfahren  durch  Piatons 
Apologie. 

11)  Sie  wird  zu  den  klagen  gehören,  die  cap.  59  fehlen,  nämlich  die  der  thes- 
niotheten,  für  die  kein  succumbenzgeld  eingezahlt  wird.     vgl.  oben  I  244. 

12)  Demosthenes  sagt  zu  Eubulos  (19,  293)  KrifiaofcZvxa  y^acpTjv  isocSv  xQrj- 
fiaxwv  iSicjy.es  si  rQiaiv  vare^ov  fjfiEQais  inl  Tr]v  rgdns^av  edtiy.ev  enra  fiväe. 
das  ist  eigentlich  nur  ein  amtsvergehn :  dem  schätze  sind  durch  schuld  des  Kephi- 
sophon  3  tage  zinsen  entgangen,  es  ist  also  keine  x?M7tij,  für  die  Lipsius  Att.  Fr. 
445  die  stelle  anführt,  die  sache  kann  auch  bei  der  ei&wa  anhängig  gemacht 
sein.     Antiph.  tetr.  1,  a,  6  fingirt   eine   anklage  xhnfjs  ieocöv  xor^fiärcov,  ohne  zu 


234  n.    12.  Aöyoi  und  sv&wa. 

sehen  heamten,  gewesenen  beamten  und  privaten  wird  dadurch  mindestens 
verdunkelt,  gerade  gegen  beamte  aber  hat  die  der  magistratur  gegen- 
über immer  argwöhnische  altische  Verfassung  andere  wege,  die  rascher 
und  wirksamer  zum  ziele  führen,  die  meisten  behürden  die  gelder  ver- 
walten stehen  unter  ratscontroUe,  so  dal's  aus  dem  rate  heraus  ein  straf- 
antrag  in  der  form  eines  Vorurteils  (ytaTayvcooig)  an  die  Ihesmotheten 
gehn  kann,  auch  kann  jeder  bilrger  eine  denuntiation  (eioayys/Ua)  beim 
rate  einreichen  und  so  eine  -/MTayviooig  desselben  provociren.'^)  die 
wichtigsten  behürden  unterliegen  in  der  hauptversammlung  jeder  pry- 
tanie  der  bestätigung  {etuxelqotovio)^  und  wenn  jemand  durch  erhebung 
einer  beschwerde  ihre  Suspension  erwirkt,  so  kommt  die  sache  vor  ge- 
richt.  endlich  liefsen  sich  alle  schwereren  fälle  von  unterschleif  und 
bestechung  durch  eisangelie  beim  volke  ahnden. 

Wenn  die  gerichtsverhandlung  vor  den   logisten  vorbei  ist,    ist  die 
rechnung  gelegt:  Xöyog  öedorai.    aber  die  rechenschaftsablage  ist  noch 
nicht  erledigt,    es  folgt  vielmehr  die  eigentliche  sv^vva.    diese  hat  mit 
dem  gelde  zunächst  nichts  zu  tun,    richtet   sich  vielmehr  auf  die  ganze 
ausübung  der  in  dem  amte  liegenden  macht,    deshalb  wird  die  rechnungs- 
legung  auch  von  solchen  gefordert,  die  keine  evd-vva  leisten,  z.  b.  dem 
rate  des  Areopages  und  dem  der  500  für  ihre  geringen  cassen,  von  den 
htL(.ieXriTai,  d.  h.  den  aufserordentlichen  commissionen,  den  trierarchen 
u.  dgl.    umgekehrt  kann  die  ev&vva  einem  beamten,  der  gar  kein  geld  I 
verwaltet  hat,  noch  sehr  peinlich  werden ,  z.  b.  den  polizeibeamten,  die  ( 
unter  dem   rate  stehen,     ganz   scharf  unterscheidet  Lysias  24,  26  ovre 
XQijjuaTa  öiaxsiQloag  Tijg  ftölecog  ölötof.ii  Xöyov  avrwv,    ovre  aQxrjv] 
ao^ag  ovöe/.iiav   evO-vvag  VTtixco    vvv    avTi'^g.     in    der    überwiegenden ! 
menge  von  fällen  fand  aber  beides  statt,  in  der  reihenfolge,   die  Lysias; 
auch  angibt,     wir  fragen  nun  nach  der  ev&vva  des  beamten.  i 

ev&vva.  Dfii'  rat  bat  aus  jeder  seiner  phylen  einen  sv-9-vvog  und  zwei  bci- 

sitzer  ausgelost''),  und  diese  müssen  während  der  nächsten  3  tage  nach 


bestimmen,  ob  der  verklagte  beamter  war  oder  bei  der  sv9vva  belangt  ward,  Piaton 
(Ges.  XII  anf.)  unterscheidet  xXoTtij  Srjuoaicov  ;^(>?;/t«T<wv  von  dem  gewöhnliclien 
diebstahl  und  setzt  für  bürger  unter  allen  umständen  den  tod  darauf,  aber  das  ist 
sein  gedanlce  und  zeigt  in  nichts  anscblufs  an  das  wirkliche  recht.  ' 

13)  Ar.  45,  2.  eine  solche  danyyslia  beim  rate  wegen  Unterschlagung  durch' 
beamte  hatte  der  Sprecher  von  Antiphons  sechster  rede  eingereicht,  35. 

14)  Dafs  es  ratsherren  waren,  konnte  man  bisher  gar  nicht  ahnen,  es  folgt! 
aus  dem  Zusammenhang  der  aristotelischen  darstellung.  dafs  man  da  nicht  an  ver-' 
wirrung  denke,  erwäge  man,  dafs  der  loyiarfjs  die  Tjysi.iovia  Stxaarrjgiov  hat,  der 
svd'vvos  niclU. 


svd'vva.  235 

der  gericlitsverhandluDg  über  den  Köyoq,  jedes  beamteu  in  den  stunden 
dt's  marktverkehrs '^)  neben  der  slatue  ibres  pbylenheros  sitzen  und  jede 
scbriftlich  von  einem  bürger  eingereichte  bescbwerde  gegen  den  beamten 
in  empfang  nehmen,  der  bescbwerdefUhrer  mufs  sich  nennen  und  selbst- 
verständHch,  wenn  es  zur  gerichtlichen  Verhandlung  kommt,  seine  sache 
führen;  er  hat  die  Verpflichtung  den  Strafantrag  zu  stellen ^^),  für  den 
keine  schranke  gesetzt  ist  (ort  y^qri  rcaS-elv  r.  aitoxEloaC).  aber  der 
euthynos  ist  nicht  verpflichtet,  jeder  solchen  bescbwerde  folge  zu  geben, 
er  hat  sie  vielmehr  zu  prüfen,  wozu  ihm  die  beisitzer  mitgegeben  sind, 
und  da  er  zu  dieser  prüfung  einsieht  mindestens  in  die  acten  der  logisten 
bedarf,  vor  denen  ja  sehr  vieles  schon  erledigt  sein  kann,  so  scheint  es, 
dafs  er  sich  mit  den  beisitzern  zu  dieser  prüfung  in  die  rechnungskammer 
der  phyle  begeben  hat.")  führt  diese  prüfung  zur  annähme  der  bescbwerde, 
so   vermerkt    er   seine   -/.atäyvioOLC,    und    gibt   die   Privatsachen    an    die 


15)  So  kann  man  rals  ayoQais  nur  verstehn,  einmal  wegen  der  kurzen  frist 
von  3  tagen  (30  könnte  man  die  ratsherrn  doch  wirklicl»  nicht  entbehren),  sodann 
weil  die  gewöhnliche  bedeutung  der  "phyletenekklesie"  nicht  möglich  ist,  da  die 
eiithynen  auf  dem  athenischen  markte  neben  den  eponymen  sitzen,  während  die 
pliylen  natürlich  bei  ihrem  phylenheros  zusammenkommen,  da  wo  ihr  archiv  ist. 
—  die  lesung  «[yo^Jals  mufs  ich  wie  Kenyon  als  fast  unzweifelhaft  bezeichnen; 
cid^ivaie  hat  nicht  da  gestanden  und  ist  sachlich  falsch;  avaSixiais  erst  recht. 

16)  48,  4  yQayjas  eis  Ttivdxiov  XsXevxco/isvov  rovvofia  zö  re  avTOv  xai  ro  rov 
ffsvyovros  aal  rb  dSixr^fi'  o  rt  dv  eyxaXfi  ^^''  Tt^jj^wa  E[7tiyQacp6]/usvos.  von  dem 
letzten  worte  ist  mir  jetzt  der  erste  buchstabe  leidlich  sicher  auf  dem  facsimile, 
wie  ihn  Wyse  nach  Aisch.  1,  16  gefordert  hatte,  die  formein  kehren  wieder  bei 
der  tpäais  Poll.  8,  47  eSiSoaav  iv  yoaufiaTeico  yoüipavTss  rrv  (päaiv  rn  &  savrcov 
xal  t6  tov  xoivofisvov  ovoua  TtQoayQäxpavxes  xai  rifirjfia  ETtiyQaxpafxevoi.  ob 
praesens  oder  aorist  vorzuziehen  sei,  kann  ich  nicht  sagen,  in  §  5  ist  mir  unfafs- 
bar,  wie  Blafs  idii  xard  Sijfi[ov£  rols]  ttjv  (p.,  in  der  folgenden  d'ea/j.od'dralis  ava- 
y]gdfei  lesen  will:  das  erste  haben  wir  als  zu  lang,  das  zweite  als  zu  kurz  mit 
Überlegung  verworfen,  dagegen  hatte  ich  die  notwendigkeit,  in  der  vorletzten  zeile 
des  capitels  mehr  zu  ergänzen,  auch  bemerkt  und  billige  seine  ergänzung  ndXiv 
siadyovai  [ravrr]v  rr^v  E]vd'vvav. 

17)  Psephisma  des  Patrokleides  78  oacov  evd'wai  rivds  siai.  xareyvojauivai, 
tr  rols  XoyiarrjQioiS  inb  iciv  eid'vvcov  xai  rdiv  naQtSQtov ,  rj  ii.r,Tico  siarjyfievat 
Eli  rb  SixaaTTjoiov  yQucpal  rivss  stai  tieoI  raJv  Eid'vvcov.  die  ersten  sind  solche, 
gegen  die  beschwerden  zwar  von  den  euthynen  angenommen  sind,  aber  noch  nicht 
weiter  gegeben,  die  zweiten  solche,  gegen  die  heschwerden  von  den  euthynen  an 
die  thesmotheten  weiter  gegeben  sind,  auch  von  diesen  schon  arfgenommen,  aber 
noch  nicht  zur  Verhandlung  gebracht,  die  vor  den  logisten  verurteilten  befinden 
sich  vielleicht  unter  den  drifioi  vgl.  anm.  9.  die  stelle  stimmt  also  zu  Aristoteles 
und  wird  erst  jetzt  ganz  klar:  so  mufs  man  die  erwähnung  der  XoyiOTrjQta  im  ein- 
klange  mit  ihm  erläutern. 


236  11.    12.  yiöyoa  und  eid'wa. 

seiner  phyle  angchürigen  mitgliedcr  der  demenrichter,  die  sie  dann  den 
ordnungsmälsigen  weg  gehen  lassen,  so  dafs  also  die  bagatellsachen  von 
ihnen  kurzer  hand  entschieden  werden,  sonst  zunächst  ein  Schiedsrichter 
gesetzt  wird,  die  üITenllichen  saclien  kommen  den  thesmotheten  zu'^), 
diese  aber  haben  wieder  das  recht  ungeeignete  beschwerden  ohne  wei- 
teres unter  den*tisch  fallen  zu  lassen,  der  so  möglicherweise  geschädigte 
beschwerdefiihrer  konnte  dann  nur  noch  den  weg  der  beschwerde  gegen 
die  thesmotheten  beschreiten  oder  als  billflehender  in  der  dafür  be- 
stimmten Volksversammlung  vor  dem  volke  auftreten,  nehmen  die  thes- 
molheten  aber  die  beschwerde  an,  so  instriiiren  sie  den  procefs,  und 
erst  mit  dem  erkenntnisse  dieses  gerichtes  hat  die  sache  ein  ende,  und 
ist  der  vitsvS-vvog  frei  von  den  beschränkungen  seiner  Wartezeit'^): 
löyov  -/.al  evd-vvag  didcoy.ev. 

In  diesen  formein  hat  sich  der  unterschied  der  rechnunglegung  vor 
dem  gerichte  und  den  *^rechnern^  einerseits,  der  "^correctur'  von  amtsver- 
fehlungen  auf  grund  der  beschwerde  beim  "^corrector'  immer  erhalten.^'') 
die  spräche  läfst  auch  an  sich  keinen  zw'eifel.  Äoyog  loyiorr^g  loyiteo^ai, 
löyov  iyyqäqeod^ai,  vnoor^ixaiviod^ai ,  das  geht  alles  die  schriftliche 
rechnung  an.  evd-vvog  ist  der,  der  die  ov.o'LioX  ^6f.iiOT6g  gerade  macht, 
ev^vva  ist  zunächst  die  procedur  dieses  gerademachens,  doch  nicht  von 
seilen  des  "^correctors^  aus,  sondern  dessen,  der  sich  der  prüfung  auf 
die  geradheit  unterziehl,  evd-vvav  öidcooiv  oöer  v^tixei;  erst  weil  es  meist 
zur  ausgleichung  des  geldes  bedarf,  heifst  tid^vra  auch  geldstrafe. 

Aber  eben  so  sehr  war  es  unvermeidlich,  dafs  man  die  gesammte 
procedur,   der   ein   abtretender   beamter  sich   unterwerfen  mufste,   mit 


18)  Diese  stelle  ist  noch  nicht  erledigt,  da  Kenyon  und  Blafs  zu  wenig,  wir 
zu  viel  ergänzt  zu  haben  scheinen,    vgl.  anm.  16 

19)  Aisch.  3,  21.     M'ie  man   sich  denken  soll,  dafs  Aischines  drei  jähre  lang    I 
verhindert  gewesen  sein  soll  zu  verreisen,  zu  testiren,   eine  weihung  vorzunehmen 
und  geld  ins  ausländ  zu  bringen,  weil  sein  procefs  verschleppt  ward,  ist  mir  unver- 
ständlich. 

20)  Aisch.  3,  12  noiv  }.öyov,  ttqIv  si&vvas  Sovvai.     CI.\  II  444,  20  (vom  jalire 
164/3)  Tie^l  cLTtavTCOv  cov  qtxovofit^y.ev  aiisvr^vox^v  /.oyovs  eis  zo  /uTjTQqiov  xai  ttooi 
Tovs   ?.oyiazc^   xal   ras   ev&vvas   SeScoxev.     Gorgias  Palam.  28   ev   vfüv   }.6yov  y.al 
eld'vvas  ini^oi  rov  TtaQoixofiivov  ßiov  ist  also  nicht  gut  gesagt,   denn  von  eine  in 
rechnunglegen  ist  bei  Palamedes  keine  rede,   wenn  diese  rede  von  Gorgias  ist  (was  icli    ,, 
nicht  wie  bei  der  Helene  mit  Zuversicht  leugnen  kann),  so  hat  der  ausländer  eine  attische   \ 
rechtliche   formel   nicht   ganz   correct   gebraucht.     Ivyov  int/eiv  'rede  stehen'  liir 
etwas,  z.  b.  für  eine  behauptung  die  man  hingeworfen  hat,  ist  freilich  gewöhnliili, 
aber  das  kann  es  neben  evd'vvas  vTtt/^etv  nicht  sein,    dafs  t.iyov  iniitiv  rov  ßiov    I 
bei  dem  falschen  Andokides  4,  37  steht,  sei  für  den  Palamedes  noch  bemerkt.  I 


I 


sv&vva.  237 

einem  kurzen  worte  bezeichnete,  und  dafs  sowol  loyov  wie  evS-vvag 
didovai  im  leben  gesagt  ward  ohne  das  complemenl  auszuschliefsen, 
vollends  aber  für  die  befristung  eTteidav  rag  evd-vvag  d(ö  stehend  ward  : 
das  war  ja  der  schlufsact.^')  wenn  er  in  der  formel  notwendig  vorwog, 
so  tat  es  in  der  praxis  eben  so  notwendig  die  erste  gerichtsverhandlung 
vor  den  logisten.  denn  das  war  gleich  die  erste  gelegenheit,  wo  der 
angriff  losgehen  konnte,  da  war  mündliches  verfahren,  da  safsen  die 
souveränen  richter  und  liefs  sich  schleunigst  ein  urteil  erstreiten,  wie 
sollte  dem  gegenüber  der  weitläuOge  instanzenzug  des  euthynenverfahrens 
reizen?  die  privaten  mochten  allerdings  von  ihm  notgedrungen  ge- 
brauch machen ;  davon  hören  wir  kaum  etwas,  für  die  haupt-  und  staats- 
processe  war  der  weg  der  eisangelie  beim  volke  wirksamer  und  beliebter; 
nur  selten  mag  jemand  den  vorteil,  auch  leibesstrafen  beantragen  zu 
können,  durch  die  Weiterungen  des  Verfahrens  bei  dem  euthynos  er- 
kauft haben,  man  kann  allerdings  auch  nicht  verbürgen,  dafs  die  Athener 
das  recht  sorgfältig  gewahrt  haben  und  nicht  etwa  auch  in  logistenver- 
handlungen  Strafanträge  auf  tod  zugelassen  oder  gar  zuerkannt  haben, 
seitdem  die  amtsführung,  nicht  blofs  die  rechnungsführung  hineingezogen 
ward,  wozu  die  bufsen  adiv.Lov  veranlassung  boten,  tatsache  ist,  dafs 
die  meisten  schweren  anklagen  im  vierten  Jahrhundert  durch  eisangelie 
erhoben  sind,  die  logisten  manchmal  erwähnt  werden,  die  euthynen  nur 
einmal,  in  einem  volksbeschlusse,  dessen  antragsteiler  die  alle  formel 
nicht  ohne  Unklarheit  verwendet.^^)  aber  die  gesandtschaftsreden  der 
beiden  grofsen  redner  sind  vielleicht  vor  den  thesmotheten  gehalten,  also 
auf  dem  wege  einer  von  Demosthenes  (und  vorher  auch  von  Timarchos) 
eingereichten  denuntiation  bei  dem  euthynos.-^) 

21)  Doch  findet  sich  natürlich  auch  ensiSav  Xöyov  ynl  ev&vvas  8m  Aisch.  3,  11. 

22)  CIA  II  809''  iav  Se  Tis  fxri  nor^aei  oh  k'xaaxa  TtQoardraxxat.  f,  a^-/,o}v  tj 
iSicÖTTjS  y.aTCc  röSs  ro  '^irj^tafia,  otpeiXtrco  o  firi  norjaas  jttvgias  S^a^fias  isoas  rrji 
^Ad'rjväi,  xni  6  ev&vvos  xai  ol  näosSooi  änavayxes  avTCÖv  xarayiyvcaffHovrwv  tj 
alroi  otpEiXövtmv.  vorgeschrieben  ist  also,  dafs  der  euthynos  jede  beschwerde  un- 
bedingt annehmen  mufs,  also  das  recht  der  Vorprüfung  verliert,  verständlich  ist 
das  auch  erst  durch  das  aristotelische  capitel.  wie  ein  privatmann  beim  euthynos 
denunzirt  werden  konnte,  ist  allerdings  unverständlich,  der  ganze  tenor  klingt  sehr 
archaisch,  und  die  ganze  coloniegründung,  zu  der  dieses  psephisma  gehört,  ist  ein 
ausflufs  der  lykurgischen  restaurationspolitik.  so  dürfte  auch  hier  die  formel  eben 
nur  formel  sein. 

23)  Die  landläufige  ansieht,  dafs  die  logisten  vorsafsen,  ist  mit  Dem.  19,  211 
nicht  bewiesen:  da  steht  nur,  dafs  Aischines  vor  den  logisten  das  loyov  SiSövac 
der  zweiten  gesandschaft  verhindern  wollte,  da  sie  ja  schon  evd'vvas  SeScoxörss 
wären,     die  formein  werden   so   unterschieden,     ob  Aischines   dann  /.oyov  SsScoy.e, 


238  II.    12.  yiöyos  und  ev&vva. 

Im  fünften  Jahrhundert  hestelien  beide  prüfungen  in  voller  kraft 
neben  einander^'),  insbesondere  sind  der  euthynos  und  seine  beisilzer 
in  lebhafter  tätigkeit.  aber  die  logisten  haben  daneben  eine  andere 
aufgäbe,  die  lediglich  rechnerische,  wenn  es  gilt  die  quoten  der  tribiite 
oder  die  zinsen  der  Staatsanleihen  u.  dgl.  zu  berechnen.")  dem  ent- 
sprechend ist  ihre  zahl  nicht  10  sondern  30.^")     es  liegt   in   der  n.iiiir 

läfst  Demoslhenes  eben  so  unentschieden,  wie  beide  über  den  Vorsitzenden  beamten 
scliweigen.  es  ist  kaum  auszudenken,  wie  die  logisten  Vorsitzen  sollten:  welche 
denn?  die  vom  jähre  des  Themistokles  oder  die  vom  jähre  des  Pythodotos?  da 
die  logisten  doch  eine  sachliche  prüfung  der  rechnungen  vornehmen  sollen,  ist 
bei  ihnen  die  Überweisung  einer  anhängigen  Sache  an  ihre  nachfolger  viel  we- 
niger glaultlich  als  bei  lediglich  formell  tätigen  gerichtsvorständen.  wo  bleiben 
aufserdem  die  synegoren?  und  da  es  sich  um  geld  wirklich  nicht  handelte,  konnte 
der  Äoyos  des  Aischines  immer  schon  abgemacht  sein,  ohne  dafs  die  hauptsache 
damit  erledigt  war.  Demoslhenes  redet  aber  immer  von  tod  und  atimie  als  strafe, 
beide  immer  von  svd'vvai,  und  man  kann  nur  eine  schriftlich  formulirte  an 
klageschrift  annehmen,  wie  man  auch  immer  getan  hat.  im  logistenprocefs  fordert 
der  herold  zum  reden  auf,  fällt  die  yqctfpri  also  fort,  alles  patst  also  zu  dem 
verfahren  vor  den  thesmotheten  auf  grund  einer  beschwerdeschrift  beim  euthynos. 
aber  immerhin  wird  der  euthynos  auch  nirgend  erwähnt,  und  man  mufs  überhaupt 
die  reden  ein  par  mal  durchlesen  und  neun  zehntel  als  ungehörig  absondern,  um  sich 
den  rechtsfall  klar  zu  machen,  und  dann  tut  man  etwas  was  weder  richter  noch 
redner  gewollt  noch  getan  haben,  hier  wie  bei  dem  processe  des  Demoslhenes  330 
ist  die  Verschleppung  unverständlich,  ist  der  rechtshandel  ganz  nebensache  geworden, 
das  politische  duell  geht  um  den  einflufs  bei  dem  souverän,  wie  zwischen  dem 
Paphlagonier  und  dem  Wursthändler;  und  das  oralorische  duell  um  die  gunst  des 
publicums  überwiegt  alles  andere,  der  rechtliche  mafsslab  (nach  dem  Demoslhenes 
in  beiden  fällen  unterliegen  müfsle)  und  der  moralische  (nach  dem  der  lugendstolz 
des  Aischines  noch  unerträglicher  ist  als  die  gehässigkeit  des  Demoslhenes)  sind 
beide  unberechtigt,    da    sie  den  rednern  und  den  richlern  ganz  fern  gelegen  haben 

24)  Deutlich  insbesondere  das  gesetz  über  die  Schatzmeister  der  andern  götter 
CIA  I  32  y.al  Xöypv  SiSövrcov  ti^os  rovs  Xoyiards,  xai  evd'vvas  öiSuvrcav,  xal  ix 
JJava&rjvaicov  eis  ITavaO'r^raia  rov  Xöyov  SiSovzcov.  die  elatsperiode  ist  vier- 
jährig:  die  Bv&vva   natürlich  jährig.     CIA  IV   p.  63   (n.  34)   ist   von  Scholl   sicher 

hergestellt  Jiöans  S^  äv  ).a toiv]  aväxoiv  £  TCQÖteoov  s syyQ]u<püv- 

rov  aviov  hoi  lu[eQ07ioioi ,    roT]v  aväxoiv  t  £vd'vv6a[d'ov]  fi[vqiaat  Sqa/f/eat 

hsxaaios  •  ho  Se  sv&vvos  xai  ho]i  TtäokeSqoi  xaT[ayi]yvo[axovzov  avTO  enävayxsS 
t  avrol  ofXövrcjv.  die  opfercommission  ist  bei  strafe  verpflichtet  gegen  einen  zur 
zeit  uns  noch  unbekannten  beamten  eine  beschwerdeschrift  bei  dem  euthynos  ein- 
zureichen, und  dieser  darf  sie  nicht  unberücksichtigt  lassen. 

25)  CIA  I  32.  226  ffg.  273;  ISQ"^  ist  unverständlich. 

26)  CIA  I  32,  die  berufenen  ol  /.oyiarul  oi  xqiäxovTa  o'ltieq  vvv  u.  ö.  die  ver- 
suche zwischen  den  30  und  den  späteren  lü  zu  vermitteln  sind  alle  gescheitert;  es 
liegt  auch  gar  keine  veranlassung  vor  mehr  zu  wollen  als  die  Verminderung  der 
zahl  zu  conslatiren. 


Ev&vru.     alter  der  beiden  formen  der  rechenschaft.  239 

der  ganzen  finanzverwaltung,  dafs  sie  diese  arbeiten  im  auftrage  des 
rates  vornehmen ^^):  wie  sollten  sie  auch  anders  zu  den  acten  kommen, 
an  wen  anders  die  rechnungen  abgeben?  die  gesammten  finanzbehörden 
handeln  ja  nur  im  einverständnis  und  auf  grund  einer  ermächtigung  des 
rates,  der  allein  initiative  hat.  dafs  man  403  die  zahl  der  logisten  ver- 
ringerte, geschah  in  der  richtigen  einsieht,  dafs  sie  auch  nicht  von  fern 
Sil  viel  wie  früher  zu  berechnen  hatten;  so  giengen  ja  auch  die  schatz- 
liicisterstellen  der  anderen  gotter  ein.^*)  von  den  Veränderungen  der 
spateren  zeit  ist  noch  bemerkenswert,  dafs  die  rechnungen  in  duplo  aus- 
zufertigen waren,  und  ein  exemplar  in  das  archiv  kam.^*') 

Logisten  und  Eulhynen  gehören  beide  der  grofsen  zeit  des  attischen    Alter  der 

,  ,         ■  •       ,  .  .   ,       „         .  1       ••      1  1    •     1        •      1      beiden  for- 

oemokratie  an :   wir   können  sie  nicht  tür  jünger  als  die  kleisthenische    men  der 

rGchßn— 

Organisation  ansehen,  kehren  sie  doch  auch  beide  in  der  einzelgemeinde     schaft. 
wieder.^")    und  doch  kommen  sie  dem  modernen  wie  dubletten  vor.    es 


27)  CIA  I  32  avvaycoyijs  rcov  Xoyigt(ov  rj  ßovXi)   avxoy.QnrcoQ  earco. 

28)  Über  die  zahl  der  avvrjyoooi  im  fünften  Jahrhundert  wissen  wir  nichts; 
sicher  ist  nur,  dafs  ihre  Stellung  ebenfalls  eine  andere  war  als  im  vierten. 

29)  Aisch.  3,  15  löyov  xal  sv&vvas  eyyQä<psi,v  jt^os  ibv  yQafifiaxea  xai  Toi= 
XoyiaTÜs.  CIA  II  444  Xöyou  StScoxsv  eis  id  firiTQcZov  xai  ngos  zois  Xoytaxäs.  der 
Schreiber  hat  eben  die  aufsieht  im  metroon.  so  kann  denn  der  eulhynos  die  acten 
im  metroon  eben  so  gut  wie  im  logisterion  einsehen,  und  selbst  die  Verhandlung 
gegen  Lykurg  ist  dort  geführt.  Ps.  Plutarch  vita  Lyc.  842«.  da  sieht  man  die 
centralisation  der  archivverwaltung,  sieht  auch,  dafs  wirklich  das  metroon  ratsarchiv 
gewesen  und  geblieben  ist,  nur  ist  zwischen  rat  und  volk,  also  auch  Staat,  kein 
unterschied,  die  archive  der  einzelnen  beamten  bestanden  daneben  und  blieben  be- 
stehn;  nur  kamen  immer  mehr  documente,  teils  im  origmal,  teils  in  copien  in  das 
metroon.  dafs  die  anklageschriften  aufgehoben  wurden  und  sich  600  jähre  erhielten, 
glaube  ich  freilich  einem  Favorinus  nicht. 

30)  Wichtig   würde  CIA  II  571    sein,    wenn    es  sich  ergänzen  lieCse;    es  wird 

nach  Aixone  oder  'AXai  gehören.  —  rovs  tufiius  tbv  /.iy\ov tatv  X-r^ufiäxiov] 

xai  TCüv  avaXiofidTCOv  s eis]  xißaixbv  xara  rbv  firjva  [Uxaaxov'l]  und  später 

zas  Si  ev&vvas ev  reo  vaxeQco  erei  tiqo  [ttJs  —  tov  — ]  wvos  fiTjvös.    und  später 

e^oQxovxto  {8e  o  SrifiaQ^os  —  lov  ev]d'vvov  xai  rovs  7za[osS^ovs.  da  sind  jeden- 
falls zwei  acte,  Xöyoe  noch  im  anUsjahr;  es  scheint,  dafs  die  rechnungen  in  eine 
kiste  geworfen  werden  sollen,  im  neuen  jähre  die  sv&wa  stattfindet.  II  578  schwört 
der  euthynos  zu  Myrrhinus  gerecht  zu  schätzen:  er  hat  also  dazu  wie  der  staatliche 
das  recht,  ihm  ist  verwehrt  e^s).elv  rr^v  Sixrjv,  wenn  nicht  die  majorität  der  zehn  von 
der  gemeinde  gewählten  männer  in  geheimer  abstimmung  sich  dahin  entschieden  hat. 
das  mufs  also  das  verwerfen  der  beschwerde  sein,  die  er  aus  dem  kästen  nimmt 
und  damit  cassirt.  in  Myrrhinus  gibt  es  keine  beisitzer;  für  sie  tritt  ein  zehner- 
coUegium  ein;  sie  schwören  yjT](pie1ad'ai  a  äv  /x,ot  Soxrji  Sixaiorara  elvai:  sie  stehn 
also  auch  dem  euthynos  zur  seile.  —  beiläufig  z.  25  scheint  mir  die  corruptel  eher 
so  zu  heilen  n^lv  uv  §<ä[t,  ras  £\(yy)'Las  als  e\v(&i!v)as.    in  der  constituirenden  ver- 


240  II.    12.  A6yoi  und  si&vva. 

ist  darum  nötig,   sich    ihre   stelluog   in  dem  Organismus   der  Verfassung    I 
klar  zu  machen.  I 

Die  finanzen  der  demokratie  besorgt  der  rat;  so  weit  beanite  daran 
beteihgt  sind,  stehn  sie  unter  ihm.  die  einnahmen  des  Staates  kommen 
in  der  gestall  von  pachtgelderu  ein ,  sind  also  fest  und  auf  bestimmte 
termine  fällig,  der  besitz  des  Staates,  die  grundstücke,  häuser,  berg- 
werke  u.  s.  w.  sind  verpachtet,  ebenso  die  zülle  und  die  steuern  (wenig- 
stens alle  beträchtlichen^'),  und  diese  Verpachtungen  besorgt  zwar  eine 
eigene  behürde,  die  danach  lieifst  (/rwA/yrat),  aber  es  geschieht  im  ral- 
haus,  unter  assistenz,  zuweilen  sogar  auf  bcschlufs  des  rates,  und  die  con- 
Iracte  sind  in  der  Verwahrung  des  rates.  die  Verpachtung  des  vom  Staate 
verwalteten  kirchengules  wird  zwar  von  dem  konige  selbständig  besorgt; 
aber  er  übergibt  dem  rate  den  contract  und  hat  weiter  nichts  damit  zu 
schaffen;  auch  diese  einnähme  ist  eine  feste  staatseiunahme.^-)  ein  Über- 
schlag der  sichern  einnahmen  ist  also  sehr  gut  möglich,  ganz  ebenso 
einer  der  laufenden  ausgaben  :  also  ein  budget,  und  in  gewissem  sinne 
hat  es  in  lykurgischer  zeit  wenigstens  bestanden.^^)  aber  die  geldver- 
waltung  ist  auch  so  organisirt,  dafs  sie  sich  einfach  und  sicher  leisten 
liefs.  die  Zahlungen  an  den  Staat  finden  im  rathause  an  wenigen  be- 
stimmten terminen  statt,  die  meisten  in  der  neunten  prytanie,  mitte  mai.^"*) 


Sammlung,  wo  der  neue  demarch  die  geschäfte  übernimmt  und  die  recbenscliafts- 
beamten  vereidigt,  kann  nicht  wol  die  euthyna  des  alten  demarchen  schon  perfect 
werden:  aber  bürgen  kann  er  steilen,  als  vnevd'vvos,  wie  in  der  Verfassung  Drakons. 
CIA  I  2  von  Skambonidai  lehrt  nichts  besonderes ;  ein  gemeindebeamler,  der  öffent- 
liches gut  verwaltet,  soll  in  bestimmter  frist  das  angemessene  an  den  eulhynos  abgeben. 

31)  Ob  nicht  z.  b.  das  ayo^aanxöv  direct  von  den  steuerpflichtigen  an  die 
behörde  gezahlt  ward,  stehe  dabin. 

32)  Es  folgt,  dafs  dieses  kirchengut  einmal  saecularisirt  ist,  indem  der  slaat 
mit  den  einkünften  die  Verpflichtung  für  die  Unterhaltung  des  cultes  und  seiner  ge- 
bäude  übernahm:  CIA  IV  p.  66  fliefst  allerdings  das  pachtgeld  des  Neleus  u.  s.  w. 
auf  dem  umweg  über  die  apodekten  ungeschmälert  in  den  schätz  der  andern  götter; 
die  Unterhaltungskosten  werden  vorweg  von  der  tempelcasse  bestritten,  die  ohne 
zweifei  auch  andere  einnahmen  hatte  (die  Umzäunung  soll  ex  rov  refie'vovs  besorgt 
werden),    mit  aufhebung  jenes  Schatzes  mufste  das  geld  natürlich  slaatsgeld  werden. 

33)  Das   folgt  aus  den  festen  posten  der  ausgäbe,  wie  den  xarä  yjt]fiafiara 
avaXiaxö/xEva  z^  Sfifico,  oder  den  fünf  talenten  für  die  Is^cSv  eniaxevaarai,  denen  ! 
der  einnähme,   wie  den  Se'xa  Talavra  rcäv  ^äfcov,  und  aus  dem  TTQoavouod'err^aac' 
als  ausdruck  für  die  creirung  eines  neuen  postens  unter  den  laufenden  ausgaben 

34)  Das  ist  also  die  zeit,  wo  die  neue  ernte  beginnt;  es  entspricht  dem  land-  | 
wirtschaftlichen  rechnungsjahre  bei  uns,  das  mit  johanni  schliefst:  die  grundlage  für, 
diese  Verhältnisse  hat  eben  die  Wirtschaft  der  domänenpächter  gebildet,  und  zwar! 
als  der  landbau  wesentlich  in  cerealien  bestand.  ' 


Alter  der  beiden  formen  der  rechenschaft.  241 

die  vereinahmuDg  besorgen  die  10  eionehmer,  ano^t/xaL,  aufgrund  der 
contracte,  die  vorher  im  rate  festgestellt  sind,  nun  ist  die  casse  voll; 
schon  am  folgenden  tage  wird  sie  geleert,  denn  da  haben  die  einnehmer 
einen  anschlag  für  die  Verteilung  der  gelder  unter  die  beamten  im  rate 
vorzulegen  und  genehmigen  zu  lassen,  wobei  alle  einzelnen  monita  berück- 
sichtigt werden  können,  nötigenfalls  durch  eine  xarayywatg  Tr^q  ßovX^g. 
sie  würden  hierzu  nicht  im  stände  sein,  wenn  nicht  die  forderungen  der 
beamten  vorlägen,  aber  diesen  steht  ein  ratsausschufs  von  10  calcula- 
toren,  koyiOTai^'%  zur  seile,  welche  für  sie  die  rechnungen  führen,  so 
dafs  die  bedürfnisse  längst  bekannt  sind,  übrigens  zum  teil  durch  ge- 
setze  oder  specielle  Zahlungsanweisungen  vom  volke  vorab  fixirt.  so  ist 
um  den  20  Thargelion  der  grofse  cassenumschlag  in  Athen,  da  kommen 
die  Steuerpächter  und  die  bergwerkbesitzer,  die  domänenpächter  und  die 
staatsschuldner:  sie  alle  müssen  bar  geld  aufgetrieben  haben,  und  ein 
gewaltiger  schätz  liegt  an  dem  abend  des  zahlungstages  der  neunten 
prytanie  im  rathause,  aber  nur  eine  kurze  nacht,  schon  am  folgenden 
tage  fliefst  der  ström  wieder  ab  und  verteilt  sich  unter  das  volk.  jetzt 
bekommen  die  bauern,  die  das  opfervieh  gestellt  haben,  die  Steinmetzen, 
die  die  inschriftsteine  geliefert  haben,  ihre  bezahlung,  handwerker  und 
kaufleute,  die  für  die  einzelnen  behörden  tätig  gewesen  sind,  werden 
befriedigt;  man  mag  sich  das  weiter  ausmalen,  in  kleineren  Verhält- 
nissen ist  dasselbe  an  dem  zahlungstage  jeder  prytanie  der  fall,  wo  auch 
viele  gehäiter  und  pensionen  abgehoben  sein  müssen.^^j     in   sehr  sinn- 


35)  Ar.  48,  3.  Lys.  30,  5  ol  ftav  aXXot  rrjs  avTCJv  u^j^rjs  xarä  Ttovraveiav 
Xoyov  avafSQOvai  (früher  falsch  auf  die  epicheirotonie  gedeutet).  Poll.  8,  99.  wenn 
derselbe  100  sagt  oi  Si  si&woi  CLaneo  ol  na^eS^oi  roii  evvia  a^^ovai  TCQoaai- 
QovvTut,  so  sieht  man  noch  die  Verwirrung,  da  ursprünglich  gesagt  war,  dafs  die 
euthynen  SaneQ  ol  d"'  äoxovres  ß'  jtaoe§Qois  Ttooaaigovvrai.  was  folgt  oizoi  S' 
eian^daaovai  xai  tovs  e'xovras  ist  bis  zur  Sinnlosigkeit  entstellt,  schol.  Plat.  Ges. 
12,  945  stammt  aus  dem  vollständigeren  PoUux  oder  aus  seiner  vorläge,  ist  aber  um 
nichts  besser  ev&vvoi  etaiv  ooxovtss  nvss  ol  t«s  evd'vvas  Xaußdvovrss  naoa  rcöv 
aqyfivT(ov  löaiieq  xai  ol  Xoyiaxai'  yai  näosSgoi  i<p  exäarrj  cioxfl  (xal  ycQ  T(j5  «(>- 
%ovTi.  evü'vvos  Tjv  xai  nägeS^os  xal  tw  ßaatkei  Ofioicos  xal  reo  noXefiaQy^o}  xai  zols 
ü'sofiod'erais.)  exngaaaei  Ss  o  svd'vvos  oaa  t^s  agxv^  j]  nooatexaxrai  lorpl-ov  tivss 
sii  xb  Srifioaiov.  dafs  die  TtäQsSgoi,  der  3  archonlen  die  snißoXai  und  was  sonst 
die  archonten  rechtskräftig  an  bufsen  verhängen  konnten,  beizutreiben  halten,  ist 
an   sich   möglich;  aber  ein  so  verwirrtes  Zeugnis  kann  überhaupt  nichts  beweisen. 

36)  Die  invaliden  und  die  Staatspensionäre  wie  Peisitheides  (CIA  II  115''),  von 
dem  es  ausdrücklich  gesagt  wird,  haben  so  ihr  auf  den  tag  berechnetes  geld  er- 
halten, vermutlich  doch  auch  die  ratsherren  und  die  bezahlten  beamten,  so  weit 
sie  ortsanwesend    waren,    insbesondere    die    subalternen,    freie    und    sclaven.      für 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  16 


242  11.    12.  ylöyos  und  eid-wa. 

falliger  weise  hat  sich  dahei  herausgestellt,  oh  der  ordentliche  etat  des 
Staates^')  balancirte.  ein  Staatsschatz  wie  im  fünften  Jahrhundert  bestand 
nicht  mehr,  wenn  auch  die  Staatsgelder  bei  der  güttin  deponirt  vvaren.^^) 
an  seiner  statt  mufstcn  die  cassen  der  Spielgelder  und  der  kriegsgelder 
die  Überschüsse  aufnehmen  oder  das  deficit  decken. 

Wer  sich  diesen  geschäflsgang  klar  macht,  mufs  einsehen,  dafs  die 
behorden,  die  mit  den  Staatsgeldern  zu  tun  haben,  allesammt  sehr  wenig 
zu  besagen  haben ^'')  und  der  initiative  ermangeln,  der  rat  ganz  aus- 
schliefslich  ist  für  die  finanzverwaltung  verantwortlich,  es  ist  also  durch- 
aus berechtigt,  dafs  die  beamten  unter  ihm  stehn  und  beschwerden  über 
sie  während  des  Jahres  an  ihn  gehn  (46,  2).  es  ist  aber  eben  so  not- 
wendig, dafs  neben  ihm  eine  unabhängige  rechenkammer  besteht,  welche 
nach  ahlauf  des  jahres  die  ganze  Verwaltung  prüft,  aber  iiatürhch  über 
den  ausschufs  des  Volkes  nicht  selbst  entscheiden  kann,  dazu  ist  nur 
sein  auftraggeber  das  volk  competent,  und  es  entscheidet  in  der  ideellen 
Vertretung  seiner  gesammtheit,  die  ein  heliastisches  gericht  bildet,  somit 
sind  die  logisten  ein  ganz  unentbehrliches  ghed  in  dem  Organismus  der 
ausgebildeten  demokratie,  die  wir  nach  Kleislhenes  nennen  dürfen,  einerlei 
ob  sie  507  oder  ein  par  jähr  später  ins  leben  gerufen  sind.^")    sie  setzen 


die  selir  starken  bedürfnisse  an  heliasten  und  ekklesiastensold  mufste  freilicli  Vor- 
sorge getroffen  sein,  dafs  er  täglich  zur  Verfügung  stand,  das  fünfte  jatirhundert 
liatte  für  den  ersteren,  den  es  allein  kannte,  die  aus  unbekannten  quellen  gespeiste 
kolakretencasse,  die  selbst  für  bauten  noch  Überschüsse  abwarf,  das  vierte  hat  sie  ;, 
zu  gunsten  der  allgemeinen  staatscasse  aufgehoben;  woher  und  wie  der  richtersold  (1 
gezahlt  ward,  wird  aufklären,  wer  die  reste  des  vierten  röftos  ergänzen  liann.  wie 
die  diobelie  gezatilt  ward,  darüber  vgl.  das  betreffende  capitel. 

37)  iyy.vxLos  Sioi'yrjais  Ar.  43,  1.  richtig  ergänzt  von  Dittenberger  in  CIA  II 
117,9. 

38)  Ar.  44,  1.  47,  1.  da  der  obmann  des  rates  den  Schlüssel  hat,  so  ist  das 
anderes  geld  als  die  cassen  für  ü'etoQixä  und  aigaTtcoTixä.  denn  die  reformen  des  , 
Eubulos  und  Lykurgos  haben  diese  vom  rate  emanzipirt.  da  die  casse  des  zweiten 
Seehundes  keine  besonderen  Verwalter  hat,  ist  die  Scheidung  von  Reichs-  und  Staats- 
casse aufgegeben,  die  das  fünfte  Jahrhundert  in  der  guten  zeit  eingeführt,  aber 
schon  vor  411  der  not  weichend  nicht  mehr  behauptet  hatte. 

39)  Die  raf/iai  und  illriVOTafiiai  des  fünften  Jahrhunderts  hatten  so  grol'se 
schätze  unter  sich,  dafs  dadurch  ihre  bedeutung  und  insbesondere  ihre  Verantwortung 
gröfser  war.  aber  selbständiger  sind  sie  gewifs  nicht  gewesen;  denn  die  demokraten 
vertrauten  damals  ihrem  ausschusse,  dem  rate,  vollkommen. 

40)  Dafs  sie  seit  454  die  procente  der  wirklich  eingegangenen  tribute  be- 
rechnet haben,  kann  man  nicht  bezweifeln.  462/1  erst  ist  der  Areopag  in  seiner 
Verwaltungstätigkeit  beschränkt:  nicht  leicht  würde  man  glauben,  dafs  die  logisten 
in  der  Zwischenzeit  geschaffen  wären. 


i 


Alter  der  beiden  formen  der  rechenschaft.    sv&vva  aiQuiriywv.  243 

die  ausgebildete  Volksherrschaft  durch  rat  und  gerichte  voraus,  setzen 
auch  eine  vollkommen  schriftliche  Staatsverwaltung  voraus:  das  wird 
man  der  themistokleischen  zeit  gern ,  schwerlich  der  solonischen  zu- 
trauen. 

Einen  total  verschiedenen  Charakter  trägt  die  Evd-vva  der  bearaten. 
dafs  der  beamte  vntvd^vvog  ist,  mandatar  des  souveränen  volkswillens, 
darin  liegt  die  herrschaft  des  volkes.  dadurch  hat  Solon  die  demokratie 
begründet,  und  Aristoteles,  der  dies  nachdrückhchst  hervorhebt,  erklärt 
die  euthyna  schlechthin  für  unerläfslich.  aber  er  sagt  nicht,  wie  sie  von 
Solon  angeordnet  war.  da  tritt  nun  die  Schilderung  der  Verhandlung 
vor  dem  euthynos  ein.  dieser  mit  seinen  zwei  beisitzern  ist  ein  analogon 
des  archons,  der  vor  Solon  das  recht  des  svd-vvsiv ,  des  strafens  hat. 
aber  er  ist  ein  mitglied  des  aus  der  sammtgemeinde  durch  das  los  auf 
praesentation  der  Unterabteilungen  ausgewählten  rates.  dafs  wir  bisher 
weder  sicher  wissen,  in  welcher  weise  vor  Kleisthenes  der  rat  aus  den 
Unterabteilungen  der  phylen  besetzt  ward,  noch  das  Zahlenverhältnis 
seiner  ausschüsse  und  der  phylenweise  besetzten  coUegien  kennen,  beein- 
trächtigt die  hauptsache  nicht,  dafs  ein  "Volksvertreter"  die  prüfung  der 
beschwerden  über  die  abtretenden  beamten  für  seine  phyle  vornimmt, 
und  wenn  wir  auch  nicht  wissen,  wie  die  civilklagen  vor  der  einsetzung 
der  demenrichter  entschieden  sind,  so  bleibt  doch  das  für  die  solonische 
Ordnung,  dafs  der  euthynos  die  ihm  billig  scheinenden  öffentlichen  be- 
schwerden dem  thesmotheten  zur  gerichtlichen  Verhandlung  überweisen 
kann,  mag  auch  der  thesmothet  noch  das  recht  der  abwerfung  haben : 
bei  einem  starken  druck  des  volkswillens  konnte  er  dies  recht  nicht 
leicht  ausüben,  und  damit  war  die  sache  vor  dem  Volksgericht,  gerade 
in  den  mannigfachen  cautelen,  welche  noch  die  appellation  an  das  gericht 
beschränken,  erkennt  man,  dafs  hier  eine  Institution  vorliegt,  die  so  alt 
ist  wie  die  demokratie;  wie  ja  auch  die  procedur  selbst  höchst  alter- 
tümlich ist.  sehr  begreiflich  also,  dafs  das  vierte  Jahrhundert  den  umweg 
scheute  und  die  euthyna  zu  gunsten  der  anklage  vor  dem  logistengerichte 
verkümmern  liefs.  beschwerdeinstanz  gegen  die  beamten  ist  in  der  Ver- 
fassung Drakons  der  Areopag,  und  das  ist  er  bis  462  geblieben ;  es  liegt 
in  seiner  competenz  der  nomophylakie.  das  ergibt  zwar  für  die  zeit  der 
zwei  rate  auch  zwei  beschwerdeinstanzen  nebeneinander,  aber  deshalb 
ist  es  nicht  unglaublich,  im  gegenteil,  es  ist  eine  notwendige  folge  davon, 
dafs  neben  den  senat  eine  Volksvertretung  gesetzt  war. 

Ganz  scharf  hebt  sich  von  diesem  regelmäfsigen  gange  die  rechen- 
schaft der  Strategen  ab,  die  von  den  thesmotheten  vor  gericht  gebracht     yäv. 

16* 


e{& 


vva 


244  H.    12.  ylöyos  und  evd'vva. 

wird  (59,  2)."')  was  das  bedeutet  ist  jetzt  ganz  klar,  für  dieses  verant- 
wortungsvollste amt  ist  der  umweg  über  den  culhynos  vermieden  und 
generell  verordnet,  was  in  andern  fällen  durch  die  specielle  bestimmung 
bewirkt  wird,  dafs  der  eulhynos  jede  bescliwerde  annehmen  und  durch 
seine  y.aTäyvioOLg  vor  die  thesmotheten  bringen  mufste.  es  ist  auch  der 
Willkür  der  thesmotheten  die  niederschlagung  einer  beschwerde  entrückt, 
das  Volk  selbst  evd-vveL,  d.  ii.  die  heliasten  die  es  vertreten,  ob  nun  wie 
vor  dem  sv&vvog  eine  schriftliche  beschwerde  einzureichen  war,  ob  münd- 
liche Verhandlung  auf  heroldsruf  wie  vor  den  logisten,  macht  nichts  aus; 
so  viel  ist  sofort  klar,  dafs  in  diesem  falle  ^oyog  und  evd-vva  einander 
so  nahe  berühren,  dafs  es  eine  doppelte  Verhandlung  gegeben  halte,  und 
wenn  die  Athener  praktisch  gewesen  sind,  so  haben  sie  die  logisten  in 
diesem  falle  nicht  bemüht,  oder  höchstens  zum  nachrechnen,  aber  dann 
würde  man  das  eingreifen  eines  avvrjyoQog  in  solchen  processen  er- 
warten. 
Der  hunde-  Wir  kennen  nur  ein  komisches  bild  einer   oxQazrjöJv  evd^vva  in 

^WeVen-  '^  tlem  hundeprocess  der  Wespen,  dafs  Laches  von  Kleon  wegen  erpressung 
belangt  werden  soll,  sagt  der  chor  240,  und  der  dichter  hat  so  den 
process,  den  Philokieon  in  Wahrheit  versäumt,  im  spiele  entscheidet,  selbst 
angegeben,  der  process  wird  von  Kleon  geführt,  den  vorsitz  hat  der 
thesmothet  (935),  es  handelt  sich  um  y,lo7trj  zu  Ungunsten  des  Staates 
und  besonders  der  flottensoldaten  (917,  909),  das  vergehen  ist  schätzbar, 
und  der  unwillige  richter  ruft  "ich  wollte,  nicht  mal  schreiben  hätte  er 
gelernt,  damit  er  nicht  seine  rechnungen  gefälscht  hätte,  'iva  (.lij  xav.ovq- 
yiüv  IviyQacp'  rj/xlv  zov  Xoyov,  961."")  das  ist  also  ein  rechenschafts- 
process,  aber  mit  einer  anklageschrift  und  unter  vorsitz  des  thesmo- 
theten. 

Laches  war  feldherr  427/26,  ist  aber  erst  im  frühjahr  425  heim- 
gekehrt, denn  erst  eine  gesandschaft  von  dem  sicilischen  kriegsschauplatze, 
im  winter  426/5,  bewog  die  Athener  Verstärkungen  dorthin  abgehen  zu 
lassen,  und  trotz  der  Jahreszeit  mufste  Pythodoros  wenigstens  den  Laches 


41)  Ich  ersetze  mit  dieser  behandlung  meine  frühere,  Kydath.  60;  mein  haupt- 
fehler  war,  die  imx^iQorovia  für  jung  zu  halten. 

42)  Cobet  decretirt  freilich  (Var.  Lect.  104)  corrige  sodes  k'yQacpev  pro  ivi- 
y^atp^,  nisi  quid  sit  Xöyov  iyyQci^siv  in  tali  re  expedire  poies.  und  Meineke  ist 
dem  befehl  gehorsam  gewesen,  andere  werden  sich  wundern,  dafs  der  hund  ein 
logograph  gewesen  sein  soll,  was  köyov  eyyQcicpeiv  bedeute,  konnte  Cobet  z.  b.  aus 
Demosth.  24,  199  lernen,  verstanden  hat  es  allerdings  auch  der  scholiast  nicht,  und 
dem  ist  sogar  Droysen  gefolgt. 


J 


Der  hundeprocefs  der  Wespen,     der  procefs  des  Perikles.  245 

sofort  ablösen  (Tliuk.  3,  115).  Laches  verschwindet  darauf  für  ein  par 
jähre  von  der  pohtischen  bühne.  man  würde  auch  ohne  Aristophanes 
annehmen,  dafs  er  auf  jene  gesandtschaft  hin  in  ungnade  abberufen  ist, 
und  da  diese  nicht  vor  dem  Spätherbst  426  in  Athen  eingetroffen  ist,  so 
wird  man  schHefsen,  dafs  Laches  426/5  zum  Strategen  wiedergewählt, 
aber  abgesetzt  ward.'^)  die  apocheirotonie  ergibt  genau  dasselbe  ge- 
richtliche verfahren  wie  die  euthyna  der  Strategen,  und  jeder  andere 
weg  auch,  der  ein  Vorurteil  des  volkes  herbeiführt,  der  TtQoaraTrjg  rov 
örj(.iov,  der  die  sache  im  volke  angeregt  hatte,  ist  von  diesem  zum  an- 
kläger  ernannt,  wie  Perikles  in  dem  analogen  falle  bei  der  Evd-vva  des 
Kimon.  nun  dürfen  wir  mit  Zuversicht  sagen,  dafs  Aristophanes,  als  er 
423  die  Wespen  dichtete,  den  process  von  425,  der  mit  der  freisprechung 
des  Laches  endete,  vor  äugen  hatto.'*^)  für  die  rechenschaft  der  Strategen 
ist  übrigens  die  ficlion  des  zeitgenossischen  dichters  genau  so  beweisend 
wie  der  einzelne  reale  fall. 

Noch  ein  zweiter  vielbehandelter  procefs  kann  nun  völlig  klar  ge-  ner  procefs 
stellt  werden.^^)  Perikles  ist  15  jähre  hinter  einander  Stratege  gewesen. 
aber  im  sommer  430  brach  unter  dem  eindrucke  des  zweiten  einfalls  der 
l'eloponnesier  und  der  pest  sein  einflufs  zusammen,  er  ward  abgesetzt 
und  das  volk  beriet  über  die  behandlung  seines  processes.  man  zog  ihn 
'zur  rechenschaft',  evd-vvag  Idlöov.  in  der  Aersammlung  stellte  Jga- 
■/.ovrlör^g  Aeoiyöqov  QoQaievg''^)  den  antrag,  seine  rechnungen  sollten 


43)  Beloch  (Att.  Polit.  337),  der  sonst  richtig  urteilt,  nur  über  die  parteien, 
wie  meistens,  zu  viel  weifs,  läfst  Laches  über  sein  amtsjahr  hinaus  fungiren.  ge- 
wifs  ist  das  möglich;  aber  dann  würde  man  seine  ablösung  früher  erwarten  als  im 
december. 

44)  Das  führt  weiter;  die  parodie  des  processes  zwischen  Kleon  und  Laches 
als  hundeprocefs  vor  dem  <Pi,).o-xXi(ov,  der  von  BSeXv-aXdcov  überlistet  wird  und  so 
die  gestrenge  heliaea  und  den  Kleon  zugleich  blamirt,  ist  die  keimzelle  der  komoedie. 
Aristophanes  hat  sie  425  concipirt,  in  der  zeit  des  lebhaften  hasses  wider  Kleon, 
der  in  den  namen  noch  durchbricht,  im  stücke  sonst  nicht  mehr  wirkt,  damals 
hatte  er  keine  zeit,  die  idee  auszuführen,  und  als  er  es  tat,  in  stark  veränderter 
Stimmung  nach  dem  miserfolge  der  Wolken,  ist  alles  vortrefflich  ausgefallen  was  aus 
diesem  keime  gewachsen  ist;  alles  andere  ist  ziemlich  eilfertig  angeflickt,  für  die 
analyse  des  gedichtes  und  die  beurteilung  der  art,  wie  dieser  dichter  schuf,  ist  das 
exempel  sehr  belehrend,  der  gedanke  soll  bei  anderer  gelegenheit  auch  für  andere 
seiner  werke  verwertet  werden. 

45)  Über  den  process  des  Perikles  haben  erst  Beloch  (Att.  Polit.  330)  und 
Krech  {de  Cralero  86)  mit  richtiger  beurteilung  der  Überlieferung  gehandelt,  aber 
das  juristische  erheischt  noch  einige  worte. 

46)  Stratege  433,  2.  Stahl  Rh.  M.  40,  439. 


I 


246  '!•    12.  ylöyoi  und  eid-wn. 

dem  rate  überwiesen  werden  ;  für  den  fall,  dafs  dieser  eine  yMzäyvtooig 
ausspräche,  sollte  das  gericht  in  besonders  feierlicher  weise  auf  der  bürg 
abstimmen/')  dieser  teil  des  antrages  fiel  zu  gunsten  eines  amendemcnts 
von  Hagnon,  der  431/0  mit  Pcrikles  Stratege  gewesen  war^»)  und  jel/.l 
durchsetzte,  dafs  die  sacbe  des  Perildes  einem  besonders  starken  gericlilt! 
tiberwiesen  wurde,  vor  dem  die  antrage  auf  y.loTt}] ,  öwqcov,  aör/.lov 
zu  erheben  wären:  noch  also  lagen  formulirte  Strafanträge  nicht  vor. 
so  geschah  es.  es  erfolgte  die  Verurteilung  wegen  ■/loTti].'''^)  das  unter- 
schlagene gut  mufste  also  zehnfältig  ersetzt  werden,    das  ist  geschehen^"), 

47)  Krateros  bei  Plnf.  Per.  32  y'i[(piafia  y.voovrai  Jo.  yoäipavros,  oncos  ol  \ 
Xöyoi  icüv  ;^(>7;^aTft>v  vno  IlsgtxXtovS  eis  rovS  TtQvrnvsiS  anored'elev ,  ol  Se  Sixa- 
axal  T>]v  yjj^y>ov  and  lov  ßojfiov  (pt^ovree  iv  rf;  Ttol.ei  ■aqivouv.  die  spräche  hat 
Plutarch  abscheulich  verdorben,  dafs  die  prytanen  mit  den  aclen  doch  etwas  tun  \ 
müssen,  also  ein  mittelglied  zwischen  den  beiden  handlungen  weggelassen  ist,  ist 
eben  so  klar,  wie  dafs  man  jetzt  die  Kicke  ergänzen  kann,  den  versitz  würden 
wieder  die  thesmolheten  gehabt  haben. 

48)  "AyvMv  Se  rovro  fiev  atpelXe  rov  xprirpiGfiaros,  nQivead'ai  Se  frjv  Siy.i.r 
i'yoaxpev  iv  Sixaarais  ;^tAtotS  yal  nevraxoaiois,  ei're  xf-OTrijs  rj  Soiocov  e'ir  aSixiov 
ßovkoiTi)  TIS  6voftäC,eiv  rr,v  Sico^iv.  das  hat  doch  wol  gelautet  t«  ^lev  aÜ.a  y.a- 
ü'äneQ  JoaxovziSrii,  xQivead'ai  Se  ir,v  SCxrjV  xre.,  so  dafs  nur  der  gerichtshof 
anders  constituirt  ward,  die  xaräyvcoais  des  rates  blieb  (die  ja  vom  volke  vorab 
verordnet  werden  konnte),  es  ist  ganz  müfsig  zu  ventiliren,  was  für  Perikles  gün- 
stiger oder  ungünstiger  war.  das  zweite  war  in  der  Ordnung,  hielt  sich  an  den 
normalen  geschäftsgang,  und  war  dem  Perikles  günstig,  weil  er  nicht  gestohlen 
hatte.  Drakontides  mag  durch  sein  ausnahmegericht  auch  nichts  anderes  beabsichtigt 
haben  als  einen  möglichst  wahrhaften  spruch  der  geschwornen;  ob  der  für  den  an- 
geklagten günstig  oder  ungünstig  ausfiel,  hieng  von  dessen  schuld  ab,  was  Drakon- 
tides wünschte,  nicht  blofs  von  seiner  parteistellung,  sondern  auch  von  seiner  beur- 
teilung  der  schuldfrage,  dafs  Hagnon  1500  (oder  vielmehr  1501)  richter  beantragte, 
nicht  blofs  501,  wie  gewöhnlich  war  und  hier  durch  eine  blofs  von  fern  leicht 
scheinende  conjectur  hineingetragen  werden  soll,  ist  darin  begründet,  dafs  ein  beson- 
ders wichtiger  fall  vorliegt  und  ein  noch  viel  weiter  gehender  antrag  ersetzt  wird. 

49)  Plat.  Gorg.  515'^  xXonriv  avrov  xarerft^^iaarTO ,  oXiyov  Se  xai  d'avaxov 
exCfii^aavy  nämlich  wenn  sie  strengere  mafsregeln  ergriffen  hätten  als  den  von 
Hagnon  beantragten  rechenschaftsprocefs. 

50)  Wenn  Thukydides  sagt  yor^fiaaiv  it,T}fiicoaav ,  so  sind  wir  verpflichtet  zu 
glauben,  dafs  die  strafe  bezahlt  worden  ist:  eine  niederschlagung,  wie  sie  bei  Phormion 
ein  par  jähre  später  stattfand,  hätte  als  deutliches  zeichen  der  wetterwendischen  volks- 
stimmung  erwähnung  gefunden,  zu  zahlen  brauchte  Perikles  allerdings  erst  in  der 
nennten  prytanie,  frühsommer  429.  aber  den  anstand  können  wir  ihm  und  seinen 
freunden  schon  zutrauen,  dafs  er  den  befiel  sofort  bezahlte,  er  selbst  hatte  freilich 
keine  50  latente,  aber  wie  viele  reichsstädte  werden  sich  nicht  beeifert  haben,  wie 
viele  zahlungsfähige  dienten  wie  Kephalos  konnte  er  nicht  aufbieten,  es  ist  auch 
im  gedächtnisse  geblieben,  dafs  er  gezahlt  hat,  denn  der  gar  nicht  verächtliche,  bei 


Der  proceCs  des  Perikles.  247 

also  war  die  strafe  erschwinglich,  die  angaben  schwanken ,  50  talenle 
ist  das  höchste  bezeugte^'),  also  war  die  unterschlagene  summe  höchstens 
auf  5  talente  geschätzt,  eine  wahre  lappalie  für  den  leitenden  Staats- 
mann, der  mit  lausenden  von  talenten  gewirtschaftet  hatte,  also  war 
es  ein  moralischer  sieg  des  Perikles,  und  wir  begreifen,  dafs  er  gleich 
darauf  wieder  zum  Strategen  gewählt  ward. 

Den  ruf  der  notorisch  reinen  bände  hat  Perikles  behalten:  wir 
verstehn  jetzt,  dafs  es  geschehen  ist,  gerade  weil  er  diese  bufse  bezahlt 
hat.  natürlich  insinuirt  Strepsiades  mit  €ig  %o  ösov  UTtioXeoa  die 
yilonrj,  aber  den  heliasten  hat  elg  ro  öeov  avr^Xtooa  bei  dieser  Ver- 
handlung, wo  es  gesprochen  ist,  doch  imponirt."*)  die  erinnerung, 
dafs  es  die  rechenschaftsablage  war,  um  die  der  Jahrzehnte  lang  unge- 
prüfte Stratege  vor  die  richter  treten  mufste,  ist  nicht  vergessen  worden.^*) 

Für  die  rechtliche  beurteilung  des  processes  ist  es  wichtig  die 
Chronologie  festzustellen,  das  jähr  des  Euthydemos  lief  vom  3  august 
431  bis  zum  22/23  juli  430.  die  Strategenwahlen  für  430/29  mufsten 
in  einer  der  vier  letzten  prytanien  stattfinden,  die  Peloponnesier  fielen 
sogleich  mit  sommers  anfang  ein  und  blieben  40  tage,  während  dieser 
zeit  brach  die  pest  aus,  zog  Perikles  mit  der  flotte  gegen  den  Peloponnes, 
kehrte  heim,  als  jene  wieder  aus  Attika  fort  waren,  und  sofort  gieng 
mit  dieser  selben  flotte  Hagnon  nach  Poteidaia,  trug  in  das  belagerungs- 
heer  die  ansteckung  und  kehrte  dann  unverrichteter  sache  heim,  diese 
expedition  hatte  wieder  40  tage  gedauert,  das  war  also  90  tage  etwa 
nach   sommers   anfang:   man    wird   doch  nicht  anders  rechnen  können 


Isokrates  gebildete  Verfasser  der  zweiten  rede  gegen  Aristogeiton  (die  icli  im  gegen- 
satze  zu  der  ersten  als  wirklich  gehalten  anerkenne)  bezeugt  die  Zahlung  (7);  er 
nennt  50  talente. 

51)  Plut.  32  gibt  als  minimum  15,  als  maximum  50  an,  also  ist  80  bei  Diodor 
12,45  Schreibfehler,  TT  für  N;  denn  das  rechnen  mit  attischen  Ziffern,  das  Krech 
(p.  86)  versucht,  hat  für  diese  handschriften  und  Schriftsteller  keine  berechtigung. 
natürlich  ist  die  höchste  zahl  mit  nichten  die  glaubwürdigste. 

52)  Das  apoplithegma  ist  acht,  Aristophanes  bezeugt  es  ja.  aber  wofür  die 
10  talente,  über  die  Perikles  keine  nachweisungen  halte  und  die  aussage  verweigerte, 
wirklich  verwandt  waren,  das  getraut  sich  heute  nur  zu  wissen,  wer  so  kritiklos  ist 
wie  die  athenischen  philister,  die  an  Unterschlagung  glaubten,  oder  zu  der  sorte  histo- 
riker  gehört,  die  alles  wissen,  wie  Ephoros  oder  Duncker.  gesprochen  hat  Perikles 
das  Wort  natürlich  in  dem  rechenschaftsprocefs,  den  er  allein  ausgehalten  hat.  so 
viel  sah  Theophrast  wenigstens  ein  und  erzählte  daher  von  einer  jährlichen  Sub- 
vention an  die  friedenspartei  in  Sparta  weil  die  beslechung  des  Pleistoanax  445, 
von  der  man  gewöhnlich  erzählte,  zu  lange  her  war. 

54)  Plut.  Alkib.  7,  2  u.  ö. 


248  II.    12.  Aöyoi  und  eld-vva. 

als  am  ende  des  attischen  Jahres,  mitte  juh,  ja  der  Jahreswechsel  wird 
die  rückkehr  des  Hagnon  bestimmt  haben,  er  ist  in  der  Versammlung 
gegenwärtig,  die  über  Perikles  berät,  während  dieser  letzten  drei  monate 
des  Jahres  kann  die  Strategenwahl  nicht  wol  stattgefunden  haben,  weder 
während  der  feind  im  lande  stand ,  noch  während  die  elite  der  mili- 
tärisch interessirten  bürgerschaft  im  auslande  war.  verständigermafseu 
mufsle  in  kriegszeiten  die  wähl  vor  dem  beginn  der  expeditionen  ab- 
gehalten werden,  zumal  wenn  ein  feiudUcher  einfall  in  aussieht  stand, 
dann  ist  sie  aber  430  gehalten  worden,  ehe  die  pest  ausbrach,  ehe  die 
landbevolkerung  der  laureotischen  halbinsel  durch  die  Verwüstung  ihrer 
leider  erbittert  war,  in  der  Stimmung  des  ersten  kriegsjahres,  und  es 
ist  ganz  undenkbar,  dafs  Perikles  nicht  wiedergewählt  wäre,  der  groll 
gegen  ihn  brnch  los,  während  Ilagnon  in  Thrakien  war.  Thukydides 
erzählt  das  nachher,  aber  mit  tzt,  d^  loroaTrjyei  II  59  deutet  er,  dem 
ja  doch  die  reihenfolge  der  ereignisse  lebendig  vor  der  seele  steht,  sein 
zurückgreifen  an.  nun  erzählt  er  den  versuch  des  Perikles,  die  volksstim- 
mung  zu  bändigen,  wie  sie  ihm  darauf  in  der  grofsen  politik  folgten,  aber 
doch  nicht  umhin  konnten,  ihn  in  geldbufse  zu  nehmen,  und  ov  nolhi) 
voxiQov  zum  Strategen  wieder  wählten,  es  kann  das  nicht  im  frühjahr 
429  geschehen  sein:  das  wäre  in  einem  leben,  das  nur  nach  monaten 
noch  zählte  (er  starb  um  den  1  September  429),  nicht  ov  7to/Mp 
vOTBQOv.  die  Zwischenzeit  seiner  Ungnade  und  amtlosigkeit  beläuft 
sich  nur  auf  ein  par  monate.  wenn  er  also  für  430/29  gewählt  war 
und  für  eben  dasselbe  jähr  nachher  wieder  gewählt  ward,  so  ist  er  ab- 
gesetzt oder  besser  suspendirt  worden,  und  wie  sollte  auch  sonst  eine 
Wiederwahl  im  jähre  möglich  sein,  da  doch  keine  stelle  frei  war  noch 
frei  gemacht  werden  konnte,  wir  werden  also  lediglich  durch  die  Zeit- 
rechnung zu  demselben  geführt  wie  durch  die  vorzüglichen  nachrichten 
über  die  formen  des  processes:  Perikles  ist  abgesetzt  worden,  aTteyuqo- 
Tovtj&r^ ,  in  der  letzten  prytanie  des  Euthydemos  oder  in  der  ersten 
des  Apollodoros.  es  kann  auch  bei  dem  Jahreswechsel  geschehen  sein,: 
wo  doch  irgend  welche  formen  der  erneuten  übernähme  auch  für  den 
continuirlen  magistrat  bestanden  haben  müssen. 

Der  procefs  ist  nicht  die  einfache  rechnungslegung  gewesen,  denn 
das  Volk  selbst  hat  seine  form  festgestellt,  er  ist  auch  keine  eisangelie 
beim  volke  gewesen ,  denn  dann  hätte  ein  kläger  und  eine  formulirte 
anklage  da  sein  müssen ^^),  während  das  volk  die  verschiedenen  anklagen^ 

55)  Den  kläger,  der  nachher  vor  den  heliasten  auftrat,  konnte  Plutarch  bei 
Krateros  (cap.  32)  nicht  finden,    er  nennt  cap.  35  Kleon,  nach  Idomenens:  der  kommt 


Der  procefs  des  Perikles.     ev&wa  ar^arrjycöv.  249 

des  logistenprocesses  frei  läfst.  so  bleibt  nur  das  eingreifen  des  Souveräns 
gegen  seinen  Vertrauensmann,  wenn  das  volk  den  Perikles  nicht  mehr 
zum  Strategen  haben  wollte,  ihn  für  seine  leiden  verantwortlich  machte, 
ihn  sie  büfsen  lassen  wollte,  so  war  das  ein  unwiderstehlicher  drang: 
der  minister  mufste  fallen,  aber  dieser  minister  war  ein  ordnungsmäfsig 
für  ein  weiteres  jähr  gewählter  beamter;  der  liefs  sich  nicht  so  leicht 
wie  ein  minister  beseitigen,  da  half  nur  amtsentsetzung,  eine  ausnahme- 
malsregel,  und  das  genügte  weder  der  volkswut  noch  dem  Selbstgefühle 
des  Perikles  noch  der  gerechtigkeit  besonnener  verfassungsfreunde, 
das  gericht  mufste  sprechen,  aber  worüber?  wo  kein  kläger  ist,  ist 
kein  richter.  nach  svd-vva  rief  man,  ev&vva  erhielt  man,  sogar  Xoyog 
und  €vd-vva  zugleich,  aber  die  Evd^vva  des  Strategen  ist  eine  hoch- 
pohtische  action,  und  der  hochpolitische  angriff  gegen  den  Strategen 
wird  in  die  formen  der  euthyna  gekleidet. ^^) 

Es  mufs  jetzt,  wo  man  bei  Aristoteles  gelernt  hat,  dafs  für  alle  sv&wa 
magistrate  mit  ausnähme  der  officierstellen  die  Iteration  verboten  war,  °^^^l^' 
noch  viel  bedeutsamer  erscheinen,  als  es  zuvor  für  jeden  der  fähigkeit 
und  guten  willen  zum  denken  hatte  schon  war,  dafs  die  Strategie  wie 
alle  militärischen  ämter  continuirt  werden  kann,  damit  ist  die  rechen- 
scbaftsablage  tatsächlich  hinausgeschoben,  so  lange  die  volksgunst  dem 
Strategen  bleibt,  denn  es  ist  weder  rechtlich  noch  praktisch  möglich, 
dafs   der  Stratege,   dessen   anit  vom  skirophorion  in  den  hekatombaion 


nicht  in  betracht,  denn  er  ist  aus  den  versen  des  Hermippos  (cap.  33)  vorschnell 
erschlossen ;  Simmias,  nacii  Theophrast,  Lakrateides,  (den  Eumolpidan,  oben  s.  82) 
nach  dem  Pontiker  Herakleides,  es  können  ganz  gut  mehrere,  z.  b.  als  awrjyoQOt 
beteiligt  gewesen  sein,  aber  bezeichnend  ist,  dafs  kein  namhafter  politiker  es  ge- 
wagt hat,  den  Perikles  des  diebstahls  zu  zeihen,  was  Ephoros  und  die  neueren 
von  den  parteien  erzählen,  ist  zum  gröfsten  teile  falsch  oder  ganz  ungewifs.  ins- 
besondere die  angebliche  pfalTenpartei,  die  über  die  Propylaeen  entrüstet  gewesen 
sein  soll,  verträgt  eine  ruhige  prüfung  kaum,  mit  den  Eumolpiden  hat  Perikles 
schwerlich  feindlich  gestanden;  wir  kennen  unter  den  wenigen  authentischen  Worten 
von  ihm  eins  voll  ehrfurcht  über  die  ayQutpa  ElfiolniScüv,  Ps.  Lysias  (Meletos) 
gegen  Andok.  10. 

56)  hl  folge  der  späteren  redeweise  ist  nicht  immer  gut  zu  unterscheiden,  was 
wirklich  euthyna  war.  doch  nennt  so  Aristoteles  27,  1  die  anklage  des  Kimon  durch 
Perikles,  Plutarch  (Per.  10.  Kim.  14)  redet  von  nqoßoXi]  und  bezeichnet  Perikles 
als  einen  der  drei  vom  volke  bestimmten  awr^yoqoi.  das  ist  sehr  glaublich  und 
stammt  wahrscheinlich  von  Stesimbrotos,  da  eine  hämische  anekdote  anklebt,  der 
verlauf  ist  dem  processe  des  Perikles, ganz  analog  zu  denken.  —  natürlich  existiren 
daneben  capitalprocesse  (wol  slaayye^iai)  ngoSoaias  wie  gegen  Thukydides,  Pytho- 
doros  der  Isolochos  söhn,  und  gar  der  der  Arginusen. 


250  II.    12.  ytoyos  und  ev&wa. 

übergeht,  statt  vor  den  feind  vor  die  heliasten  zöge,  darum  hat  man 
die  Strategen  von  der  gewöhnhchen  Verpflichtung,  koyog  und  evd-vva 
zu  praestiren,  ein  für  aUe  mal  befreit,  mit  dem  rate  stehen  sie  so  wie 
so  nicht  in  Verbindung;  sie  erhalten  ihre  Zahlungen  direct  aus  den 
cassen ,  verausgaben  sie  aufser  landes,  unter  Verhältnissen,  die  jede 
specificirte  recbnungsfiihrnng  ausschliefsen.  und  für  die  militärische 
disciplin  ist  das  alte  Athen  auch  nicht  unempfindlich  gewesen ;  zumal 
da  phyle  und  regiment  zwei  concentrische  kreise  sind,  wäre  es  anstüfsig 
gewesen,  dafs  drei  ratsmitglicdcr  einen  ausschufs  bildeten  und  über  die 
beschwerden  jedes  trainknechts  gegen  den  general  ein  Vorurteil  abgäben, 
also  weder  logisten  noch  euthynen  für  die  Strategen,  um  so  weniger 
dürfen  sie  lyrannen,  avvTtevd^vvoi,  werden,  daher  die  eud^vva  vor  den 
thesmotheten ,  aber  auch  diese  erst,  wenn  der  rechenschaftspflichtige 
nicht  mehr  im  amte  ist.  das  gibt  Verzögerungen;  aber  die  wichtigen 
cassenbeamlcn,  TaiiUai  rrjg  -O^eov  und  tiov  aV.cov  d^swv  geben  ja  auch 
ihre  rcchnungen  nur  in  vierjährigen  perioden  ab,  obwol  die  collegien 
jährlich  ohne  iteration  wechseln,  es  ist  auch  unvermeidlich,  dafs  der 
käyog  zurücktritt :  die  thesmotheten  haben  keine  ovviqyoQoi.  und  leicht 
vermutet  man,  dafs  diese  Ordnung  ihre  wurzeln  in  der  zeit  hat,  wo 
die  Strategen  noch  nicht  die  politischen  executivbeamten  waren,  dafür 
aber  die  logisten  noch  nicht  bestanden.")  damals  mögen  die  archonten 
wirklich  die  controlle  über  die  Strategen  gehabt  haben ,  deren  rechen- 
schaft  so  bedeutungslos  war  wie  später  die  der  taxiarchen.^*)  aber  diese 
zeit  liegt  für  uns  im  nebel.  um  so  deutlicher  ist  der  praktische  erfolg: 
die  euthyna  der  Strategen  ist  ohne  bedeutung,  wenn  die  leufe  keine 
führenden  politiker  sind;  sind  sie  es  aber,  so  wird  sie  jedesmal  zu  einem 
grofsen  procefs.  sie  ist  nicht  die  Ursache  der  politischen  Systemwechsel, 
aber  sie  bietet  die  gelegenheit  zum  austrage  von  politischen  kämpfen, 
ähnlich  wie  der  ostrakismos.  das  was  in  parlamentarisch  regierten  ländern 
jetzt  die  Vertrauensfrage  ist,  ist  die  epicheirotonie  noch  mehr  als  die  wählen, 
aber  in  der  entscheidung  des  souveränen  gerichtes  liegt  eine  möglichkeit, 
sowol  die  Übereilungen  der  abstimmung  des  plenums  gut  zu  machen, 
wie  den  gestürzten  politiker  durch  atimie  auf  immer  zu  beseitigen. 

Das  vierte  Jahrhundert  ändert  rechtlich  nichts,  aber  die  demagogen. 


57)  Wir  erreichen  zwar  die  zeit,  wo  die  Strategen  niclit  den  oberbefelil  liaben, 
aber  nicht  die,  wo  die  aushebung  ilinen  fehlt. 

58)  Von  den  hipparchen  möchte  man  annehmen,  dafs  sie  in  allem  den  Stra- 
tegen gleichgestellt  waren,  auch  in  der  rechenschaftsablegung.  weil  sie  wenig  für 
das  ganze  bedeuteten,  wissen  wir  darüber  nichts. 


Evd'vva  ar^axTjYÖJv.  251 

die  trotz  allen  gesetzlicheu  cautelen  (ovxocfavrlag,  artärrjgrov  di](.iov, 
£Tai,Qi]0€cog,  TtaQavöi-Uovi  siaayyslia  qyitÖqiov)  ziemlich  unverantwortlich 
bleiben,  reifsen  das  regiment  an  sich,  ein  teil  der  Strategen  sind  con- 
dottieri,  ein  anderer  friedliche  Verwaltungsbeamte,  die  sehr  gut  unter 
ratscontrolle  gestellt  werden  könnten  und  Xoyog  und  evd-wa  liefern 
wie  die  andern  beamten.  da  auch  bei  diesen  allen  die  ev&vva  vor  dem 
Xöyog  zurücktrat,  so  wird  der  unwesentliche  unterschied  allein  geblieben 
sein,  dafs  für  die  Strategen  der  vorsitz  des  rechenschaftsgerichts  bei  den 
thesmotheten  statt  bei  den  logisten  stand:  das  schwert,  das  die  Timotheos 
und  Iphikrates  schliefslich  fällte,  war  jetzt  die  eisangelie.  aber  die  be- 
zeichnung  als  evd-vva  OTQaT)]ytüv  ist  misbräuchlich  auch  diesen  processen 
beigelegt ^^):  sachlich  war  diese  richterliche  entscheidung  unter  vorsitz 
der  thesmotheten  von  der  verfassungsmäfsigen  svd-vva  atQarriycüv,  die 
dieselben  ausübten,  wirklich  kaum  verschieden. 


59)  So  nennt  Isokrales  15,  129   den  berühmten   procefs  des  Timotheos   und 
genossen  vom  jähre  355  ev&wai,  während  es  notorisch  ein  eisangelieprocefs  war. 


13. 
nPOXEIPOTüNIA. 


Die  verlcilimg  der  geschäfte  auf  die  vier  Volksversammlungen,  die 
es  zu  Aristoteles  zeit  gab,  läfst  deutlich  erkennen,  dafs  die  solonische 
Ordnung  nur  eine  regelmäfsige ,  die  /.lqlcc,  gekannt  hat.  wie  viel  es 
damals  im  jähre  waren,  ist  unbekannt,  weil  wir  das  analogon  der  prytanien 
nicht  kennen,  seit  Kleisthenes  waren  es  zehn,  zehnmal  also  kam  die 
souveräne  biirgerschaft  zusammen,  bestätigte  ihre  beamten,  wenn  sie 
mit  ihnen  zufrieden  war,  beriet  die  für  die  Verpflegung  und  die  Sicher- 
heit des  landes  zu  trefl'enden  mafsregeln,  nahm  die  denuntiationen  über  « 
hochverrat  und  sonstige  majestätsverbrechen  entgegen,  liefs  sich  über 
die  Veränderungen  im  besitzstande  ihrer  mitglieder  unterrichten,  welche 
grundstücke  durch  confiscation  dem  souverän  zugefallen  waren,  welche 
durch  todesfälle  vacant  geworden  des  rechtmäfsigen  erben  harrten  und 
entschied  schliefslich  über  denuntiationen  gegen  bürger,  die  das  ver- 
trauen des  Souveräns  verwirkt  oder  getäuscht  hatten  (43,  4 — 5).  daniii 
ist  erschöpft,  was  der  souverän  regelmäfsig  zu  erledigen  hat.  hinzu- 
kommt die  Versammlung  für  die  wählen,  für  die  dem  rate  ein  terminiis 
ante  quem  non  in  der  siebenten  prytanie  gesetzt  ist;  das  nähere  steht 
bei  diesem,  weil  ein  günstiger  tag  für  dieses  w-ichtige  geschäft  gewühlt 
werden  mufs  (44,  4).  es  hat  ferner  jeder  bürger  das  recht,  vor  die 
gesammtheit  zu  bringen,  was  er  auf  dem  herzen  hat;  doch  ist  dafür 
die  form  beliebt,  dafs  er  als  bittflehender  das  gesuch  stellt,  diesem 
mufs  innerhalb  jeder  prytanie  einmal  folge  gegeben  und  dafür  eine 
besondere  Versammlung  berufen  werden,  natürlich  vom  rate,  der  die 
gesuche  also  gesammelt  haben  mufs.  darin  liegt,  dafs  diese  Versammlung 
keine  regelmäfsige  ist,  sondern  nach  bedürfnis  ausgeschrieben  wird, 
das  geschieht  auch  im  übrigen,  so  oft  Stoff  zu  Verhandlungen  vorhanden 
ist,  insbesondere  mitteilungen  fremder  Staaten  durch  herolde  oder  gi- 
sandte  vom  rate  vor  das  volk  gebracht  werden  müssen,  das  ist  alles 
nicht  mit  Sicherheit  im  voraus  zu  übersehen. 


II.    13.  IlQoxEiQorovia,  253 

Die  geschäftsordniiDg,  wie  sie  Aristoteles  gibt  (43,  4 — 6),  läfst  diese 
solonische  oder  besser  kleislhenische  Ordnung  noch  ganz  klar  er- 
kennen; selbst  die  längst  obsolet  gewordene  Vorfrage  nach  dem  Scherben- 
gerichte war  auf  dem  papiere  erhalten,  geändert  ist  nur,  dafs  in  anbe- 
tracht  der  regelmäfsigen  geschäftslast  aufser  der  y.vQLa  Ixytlrjala  noch 
drei  Versammlungen  für  die  prytanie  gesetzlich  vorgeschrieben  sind,  von 
denen  für  eine  die  Verhandlung  über  die  bittgesuche  allein  als  not- 
wendiger gegenständ  der  Verhandlung  auf  der  tagesordnung  steht,  für 
die  beiden  andern  ist  die  ganze  tagesordnung  dem  belieben  des  Vor- 
sitzenden frei  gegeben,  da  "^heiliges  und  profanes  und  Verhandlung 
mit  herolden  und  gesandten '  alles  mögliche  umfafst,  in  Wahrheit  sind 
auch  bittgesuche  kaum  noch  vorgekommen ;  der  rat  hatte  also  auch  die 
zweite  Versammlung  frei  zu  seiner  Verfügung,  denn  die  geschäftsordnung 
schrieb  nur  vor,  was  behandelt  werden  sollte,  schlofs  aber  damit  nichts 
aus.  die  steine  lehren  bekannthch,  dafs  man  die  drei  Versammlungen 
zweiter  Ordnung  gar  nicht  in  der  terminologie  unterschieden  hat,  da- 
gegen in  der  y.vQta  auch  alles  mögHche  verhandelt,  was  nicht  unter 
die  rubriken  ihrer  geschäftsordnung  fällt,  selbstverstäudUch  nachdem 
deren  gegenstände  erledigt  waren,  die  durch  religiöse  rücksichten  ge- 
forderten Sitzungen  nach  den  grofsen  festen,  Dionysien,  Mysterien,  doch 
wol  auch  Panathenaeen ,  die  sicherlich  zunächst  über  diese  bestimmten 
gegenstände  zu  verhandeln  hatten,  sind  von  Aristoteles  seiner  gewohnheit 
gemäfs  übergangen,  weil  nur  das  religiöse  an  ihnen  etwas  besonderes 
war.  die  steine  haben  aufserdem  gelehrt,  dafs  der  rat  völlig  frei  war, 
in  welcher  Ordnung  er  die  Versammlungen  einer  prytanie  anberaumen 
wollte ,  dagegen  bestimmte  tage  der  prytanie  fast  regelmäfsig  versamm- 
lungstage  des  Volkes  waren,  während  bestimmte  monatstage  aus  religiösen 
rücksichten  frei  zu  bleiben  pflegten.') 

Die  aufstellung  der  tagesordnung  ist  ausschliefshch  sache  des  rates, 
soweit  nicht  das  volk  ihm  vorher  gesetzliche  Weisung  erteilt  hat.  das 
sehen  wir  in  verschiedenster  weise  geschehen,  bald  wird  er  angewiesen, 
eine  sache  in  der  nächsten  sitzung  vorzubringen,  bald  wird  einem 
künftigen  prytanencoUegium  diese  Weisung  gegeben,  bald  wird  ein  gegen- 
ständ oder  der  noch  unbekannte  antrag  einer  person  einmal  oder  für 
alle  zeit  unter  die  bevorzugten  der  geschäftsordnung  eingereiht,  so  dafs 
darüber  verhandelt  wird  Iv  rolg  hgolg,  evd-vg  justcc  ta  uqü,  oder  er 


1)  Die   vortreffliche   arbeit  von  Reuscli   {de  dieb.  contion.  ordinär.)  verdient 
bereits  einen  nachtrag  aus  dem  zugewachsenen  materiale. 


254  II.    13.  IIooxsiooToria. 

wird  auf  die  Verhandlung  der  v.vQia  gleich  zu  anfang  der  silzung  ge- 
öchohen,  Tavra  de  tivccL  elg  (fv?Mxr^v  rrg  yiiögag,  u.  dgl.  m.  lilr 
diese  ziemhch  allbekannten  dinge  lehrt  Aristoteles  nichts  neues,  wol 
aber  erfahren  wir  hier ,  wie  man  dem  misstande  vorbeugte,  dafs  durch 
diese  bevorzugungen  und  durch  die  sonstige  freiheit  des  rates  in  der 
aufstellung  der  tagesordnuug  einzelne  gegenstände  zwar  regelmäfsig 
hinten  auf  dem  programme  figurirten,  aber  niemals  zur  erledigung  kamen, 
es  war  nämlich  vorgesehen ,  dafs  in  den  Versammlungen  3  und  4  von 
den  drei  kategorien  der  heihgen,  auswärtigen  und  profanen  gegen- 
stände je  drei  nummern-)  in  dieser  reihenfolge  erledigt  werden  sollten, 
wenn  danach  noch  zeit  war,  mochten  die  Vorsitzenden  und  das  volk 
weiter  sehen.^)  nun  fragte  es  sich,  welche  nummern  aus  dem  programme, 
das  gleichzeitig  mit  der  berufung  der  sitzung  veröfl'entlicht  ward,  zur  Ver- 
handlung ausgewählt  werden  sollten,  wenn  das  nach  der  reihenfolge 
gieng,  die  ihnen  der  rat  auf  dem  programme  gegeben  liatte,  so  stand 
jede  bevorzugung  oder  Verschleppung  ganz  in  dessen  band,  dem  steuerte 
die  eiuführung  einer 'debatte  über  die  geschäftsordnung.^  das  volk  wählte 
die  nummern  selbst  durch  einen  vorbeschlufs  aus.  Aristoteles,  der  sehr 
kurz,  aber  für  die  erfahrenen  leser  verständlich  redet,  erwähnt  diese 
Vorabstimmung  nur  in  der  sarkastischen  bemerkung  "sie  verhandeln  aber 
auch  manchmal  ohne  Vorabstimmung",  ihm  hegt  daran,  die  gesetzesver- 
lelzung  zu  notiren;  wir  entnehmen  aus  der  ausnähme  die  regel,  die  er  in 
seiner  compilation  unterdrückt  hat. 

Die  jcQoyietQOTOvia  erwähnt  Aischines  1,  23  in  einer  Schilderung 
des  gesetzlicheu  Verlaufes  der  Volksversammlung  "wenn  das  volk  durch 
die  herumtragung   des   opfers   entsühnt   ist   und    der   herold    fluch    und 


2)  Es  ist  möglich,  dafs  die  schematische  dreizahl  für  alle  kategorien  beliebt 
ward,  aber  dann  war  man  gegen  die  eigentlichen  laufenden  geschäfte  der  Verwal- 
tung, die  cfft«,  sehr  unbillig,  nun  steht  über  xQia  S""  oaicov  in  der  handschrift 
avQaKoaitov;  ich  kann  das  nicht  für  eine  entstellung  dieser  einfachen  worte  an- 
sehen ,  komme  also  immer  auf  die  veimutung  zurück,  dafs  vielmehr  die  Variante 
TtaaaQa  S^  taiwv  zu  gründe  liege, 

3)  Das  volk  wird  aber  wol  meistens  nach  dem  Schlüsse  gerufen  haben:  sie 
hatten  sich  ihren  tagessold  abverdient,  die  bestimmung,  dafs  neun  gegenstände 
erledigt  werden  sollten,  hatte  auch  als  minimum  wert:  so  viel  wenigstens  sollte 
der  demos  für  seine  diaeten  leisten. 

4)  TiEqi  xüiv  uqöjv  hat  der  Coislinianus;  der  artikel  ist  falsch,  da  es  sich  nicht 
um  bestimmte  leqü.  handelt,  bestimmt  ist  nur,  dafs  sie  näxQia  sind,  ein  antrag  im 
Interesse  der  Isis  oder  der  kitischen  Urania  geniefst  nicht  die  bevorzugung.  die  ge- 
ringeren handschriften  haben  in  diesem  falle  recht. 


i 


II.    13.   Hoo/fiiooxovia.  255 

Segen  gesprochen  hat,  dann  müssen  die  Vorsitzenden  die  voiabslini- 
niiing  vornehmen  iieqX  isqwv  ztöv  narQiujv^)  y.al  yj'^Qv^t  y.al  TCQeoßsiaig 
■/.cd  colcov  und  dann  wird  die  debatte  eröffnet",  die  stelle  ist  unmittelbar 
verständlich,  erst  feststellung  der  tagesordnung,  dann  debatte.  die  drei 
kategorien  der  gegenstände  und  ihre  reihenfolge  stimmen  genau  zu 
Aristoteles. 

In  ähnlicher  weise,  um  die  ganz  gesetzmäfsige  behandlung  einer  be- 
jiimmten  sache  darzulegen,  erwähnt  Demoslhenes  24, 11  die  procheirotonie. 
es  ist  durch  volksbeschlufs  eine  aufserordentliche  commission  eingesetzt,  bei 
d<r  denuntiationen  eingereicht  werden  sollen  gegen  solche,  die  dem  Staate 
geld  hinterzogen  haben.  Euktemon  macht  eine  solche  meidung,  es  kommt 
vor  den  rat^),  der  rat  setzt  seine  meidung  auf  die  tagesordnung,  eine 
Versammlung  wird  berufen,  das  volk  beschliefst  durch  vorabstimmung 
den  gegenständ  zu  behandeln  (7CQolxsn)OTÖvrioev  6  örjf.iog),  Euktemon 
bringt  seine  anzeige  vor  u.  s,  w.  die  absieht  des  redners  ist  ausschliefs- 
lich  darauf  gerichtet,  den  eindruck  der  peinlichsten  genauigkeit  zu  er- 
wecken, daher  verweilt  er  bei  jeder  Station,  die  ein  antrag  zu  passiren 
hat,  nicht  weil  auf  sie  in  diesem  falle  etwas  besonderes  ankäme,  sondern 
zum  beweise,  dafs  keine  überschlagen  ist. 

Die  dritte  stelle  besitzen  wir  nicht  mehr  selbst,  sondern  lesen  nur 
bei  Harpokralion  TCQoxetQorovia'  ioL/.tv^^äS-r^vriöL  toiovto  tl  yiveod^at' 
iTtöxav  TVig  ßovXr^g  7iooßov/.evoäor^g  elo(feQt]rai  €ig  zov  dfi/nov 
rj  yvco/iir^,  TcqöxEqov  ylvexui  yßiqoxovia  iv  TJ]  ky:/.Xr^oicc  rcöxeqov 
doxel  7V€qI  zcüv  ßovkevd-ivxcov  G/.tipaod-ai  xov  diif-iov  r]  ccq/.sI  xb  nqo- 
ßovkev!.ia.  xuvxa  (5'  v7iooi]/.iaivexaL  ev  xuj  ylvoiov  7iqbg  xr^v  3l€i^i- 
örif-iov  yqafprjv.  die  erklärung  ist  unsinnig,  denn  darum  dreht  sich  die 
debatte  jedesmal,  ob  man  es  bei  dem  ratsantrage  bewenden  lassen  will 
oder  nicht,  aber  die  debatte  dreht  sich  darum,  nicht  eine  blofse  yeiqoxovla 
oder  gar  Tiqoyeiqoxovla.  der  grammatiker  hat  seine  mit  aller  reserve 
vorgetragene  deutung  darauf  aufgebaut,  dafs  Lysias  den  antrag  des  Meixi- 
demides  für  ungesetzhch  erklärte,  weil  ihn  die  prytauen  ohne  nqoxeL- 
qoxovia  zur  abstimmung  gebracht  hatten,  man  kann  sich  sehr  gut 
denken,  wie  dann  ein  solches  misverständnis  entstehen  konnte. 


5)  Die  ^rj-iiirai  sind  also  niclit  in  der  läge  selbst  mit  dem  volke  zu  verkehren 
(das  versieht  sich  von  selbst),  aber  sie  können  auch  nicht  einmal  selbst  eine  Unter- 
suchung führen:  der  rat  hat  sowol  als  finanz-  wie  als  Polizeibehörde  mitzuwirken, 
nur  verlangt  das  volk,  selbst  zu  entscheiden,  es  verletzt  die  verfassungsmäfsige 
mitwirkung  des  rates  nicht,  aber  es  eludirt  sie.  der  ratsantrag  hat  gelautet: 
TCQoaayuyelv  Evy.Ti;uova  tiqoS  tbv  S7]fiov  eis  irjv  eniovaav  sxxÄr^aiav,  tov  §e  Srifiov 
axovaavTa  Eunxrjfiovoi  ßov/.evaaod'ai  ort  av  avxu    Soxrj  doiaxov  eivac. 


256  JI-     13.   Uoo/^eiQorotia. 

Das  sind  die  erwähnungen  der  procheirotonie.  sie  erledigen  sich 
nun  leicht,  in  das  fünfte  Jahrhundert  fiiliren  sie  nicht  hinein,  in  dem 
Verfassungsentwurfe  der  400  wird  die  geschäftsordnung  für  die  Versamm- 
lung heslimmt,  die  Kategorien  sind  dieselben,  ihre  Ordnung  auch,  aber 
innerhalb  derselben  entscheidet  das  los  über  die  reihenfolge  der  gegen- 
stände, deren  zahl  nicht  beschränkt  ist  (30,5).  für  die  demokratie  ist 
anzunehmen,  zumal  in  hinblick  auf  die  klagen  des  oligarchen  der  7to/.i- 
reia  A&rivauov,  dafs  der  rat  die  reihenfolge  und  zahl  der  gegenstände  \ 
feststellte,  die  procheirotonie  ist  also  eine  Institution  der  restaurirten 
demokratie;  die  Lysiasrede  ist  frühestens  ende  der  neunziger  jähre  ge- 
halten. 

Aber  ein  praecedens  gab  es  allerdings,  die  vorabstimmung  der  sechsten 
prytanie,  ob  ein  ostrakismos  stattfinden  sollte  oder  nicht,  das  hat 
M.  H.  E.  Meier  verführt,  den  passendsten  namen  TtQoxeiQorovLa  durch 
conjectur  im  lexicon  von  Cambridge  einzusetzen,  wo  die  Aristotelesstelle 
43,  5  citiert  war,  und  wir  haben  durch  meine  nachläfsigkeit  diese  con- 
jectur als  Überlieferung  angesehen  und  danach  geändert.  obvvol  es 
rechtlich  eine  procheirotonie  war,  dürfen  wir  doch  nicht  die  spätere 
terminologie  für  die  zeit  des  Kleisthenes  fordern,  können  das  überlieferte  | 
htixi'.LQOToviav  "^abstimmung' ,  ohne  frage  in  dem  sinne  'debattenlose  ! 
abslimmung'  gelten  lassen,  sehen  dann  aber  um  so  deutlicher,  dafs  die 
procheirotonie  eine  spätere  Institution  ist. 


DRITTES  BUCH. 

Beilagen. 


T.  Wilamowitz,  Aristoteles.   II.  17 


1. 
DIE  PHßATEIE  DER  DEMOTIONDEK 


Ich  möchte  nicht  die  ganze  Urkunde  zum  abdruck  bringen,  die  uns 
allein  einen  einbhck  in  das  leben  einer  phratrie  gewährt,  bin  aber  über- 
zeugt, dafs  die  erklärer  deshalb  nicht  richtige  folgerungen  gezogen  haben, 
weil  sie  die  Urkunde  aus  den  meinungen  über  die  phratrien  erklärt  haben, 
die  doch  alle  ungewifs  sind,  statt  dies  wie  jedes  Schriftstück  erst  aus  sich 
zu  erklären,  ich  bitte  also  den  leser,  meine  paraphrase  selbst  zu  con- 
troUiren,  indem  er  den  text  zur  band  nimmt. ^) 

Der  stein  stand  in  Dekeleia  vor  dem  altar  des  Zeus  phratrios  (65.  1).  Paraphrase 
er  enthält  zuerst  den  tarif  für  die  beiden  opfer,  die  für  die  anmeldung  künde. 
und  einführung  eines  mitgHedes  in  die  bruderschaft  zu  leisten  sind,  d.  h. 
den  anteil,  den  der  priester  erhält,  darauf  die  überschritt  "beschlufs 
der  brüder  unter  dem  archon  Phormion ,  bruderschaftsvorsteher  Panta- 
kles".^)  genaure  praescripta  fehlen,  es  mufs  also  dahin  stehn,  ob  der 
beschlufs  in  der  einmaligen  ordentHchen  Versammlung  {ayoQa)  der  bruder- 
schaft an  den  Apaturien  stattgefunden  hat,  oder  aufserordenthch.  auch 
ist  nicht  bezeichnet,  wie  weit  das  folgende  zu  demselben  beschlufse  von 
396  gehört;  das  letzte  gesetz  (von  113  ab)  ist  der  schrift  und  Ortho- 
graphie nach  mehrere  Jahrzehnte  jünger,  es  ist  auch  durch  alinea  ge- 
trennt, da  das  alles  für  die  beiden  andern  nicht  gilt,  auch  die  Identität 
des  Steinmetzen  von  Lolling  angemerkt  wird,  so  mufs  ich  alles  für  gleich- 


1)  Majuskelpublication  des  zweiten  teiles  von  Pantazidis  'Ecp.  uq%.  88,  1.  an 
ein  par  stellen  (67.  79)  berichtigt  von  Lolling  JeXr.  88,  161,  der  das  letzte  pse- 
phisma  vollständiger  gibt,  der  früher  schon  bekannte  erste  teil  steht  schon  CIA 
n  841''. 

2)  Man  erwarte  nicht  den  namen  der  bruderschaft:  eSo^sv  roTs  fvlitais,  Srj- 
fiorais  ist  die  regel.  so  sagt  auch  die  demokratie  eSo^sv  reo  Sr^fKo  -.  die  alte  weise 
war  gewesen  O'eafiia  räSe  ^A&r^vaiois. 

17* 


260  III-    1-  ß'<^  phratrie  der  Demotioniden. 

zeitig  hallen,  unter  dieser  Voraussetzung  werde  ich  interpreliren;  es 
verschlägt  wenig,  wenn  es  doch  ein  späterer  beschlufs  sein  sollte,  da  er 
nur  ganz  kurze  zeit  später  fallen  konnte. 

"Ilierokles  beantragt  1)  sofort  soll  eine  abstimmung  der  briuler  in 
feierlicher  form  über  alle  statt  finden,  deren  bruderrecht  noch  nicht  nach 
dem  gesetze  der  Demotioniden  festgestellt  ist,  und  die  sich  doch  als 
brüder  gerirt  haben,  wer  verurteilt  wird,  scheidet  aus,  sein  jname  wird 
im  album  geloscht,  sowol  im  originale  wie  in  der  controllabschrift^), 
und  der  bruder  der  ihn  eingeführt  hat,  wird  mit  100  dr.  in  strafe 
genommen,  für  deren  beitreibung  der  priester  und  der  brudermeister 
haften  (12 — 26)."'  diese  energische  mafsregel  ist  sofort  vollzogen  worden, 
die  abstimmung  geschieht  durch  die  ganze  bruderschaft  endgiltig,  wo- 
bei dahingestellt  bleiben  mufs,  wie  viele  Vorverhandlungen  gespielt  haben; 
sicherHch  nicht  wenige,  jede  moderne  erklärung  ist  ohne  weiteres  hin- 
fällig, die  diese  ausnahmemafsregel  mit  den  folgenden  dauernden  in- 
stitutionen  vermischt.  2)  "für  die  zukunft  vom  jähre  Phormions  ab 
(45)  soll  die  prüfung  jedesmal  im  nächsten  jähre  nach  der  einführung 
eines  bruders  statt  finden  (die  durch  das  opfer  xovqsiov  geschieht),  die 
abstimmung  soll  so  erfolgen,  dafs  die  stimmsteiue  vom  altar  genommen 
werden  (26 — 29)."  daraus  ergibt  sich,  dafs  die  abstimmung  in  Dekeleia 
stattfinden  wird,  und  dafs  für  sie  als  novum  diejenige  feierliche  form 
eingeführt  wird,  die  diesesmal  ausnahmsweise  verordnet  war.  aber  die 
abstimmung  selbst  war  kein  novum  und  sie  wird  durch  den  zusatz 
einer  neuen  ceremonie  nicht  beeinträchtigt,  nur  hat  es  der  antrag- 
steiler nicht  nötig  sie  zu  beschreiben,  läfst  vielmehr  zu  (feQsiv  (29)  das 
subject  fort,  so  dafs  ungesagt  bleibt,  wer  in  diesem  falle  abstimmt:  der 
vorige  ausnahmefall  kann  dafür  nichts  lehren,  der  antragsteller  setzt  eben 
hier  denselben  v6f.iog  Jrjf.wruovidwv  voraus,  den  er  14  citirt  hat. 
"welchen  sie  verurteilen  (sie,  die  ungenannten,  die  die  stimmsteine  vom 
altare  nahmen),  der  darf  an  die  Demotioniden  appelliren.  in  diesem 
falle  hat  das  haus  der  Dekeleer  fünf  anwälte  zu  wählen  in  der  und  der 
form  und  so  und  so  verpflichtet  (das  detail  ist  unwesenthch;  diese  anwälte 
verfechten  also  die  sache  derer,  die  den  appellanten  verurteilt  haben, 
vor  den  Demotioniden).  unterliegt  der  appellant,  so  hat  er  1000  dr.  zu 
zahlen,-  für  welche  der  priester  des  hauses  der  Dekeleer  haftet;  doch  darf 


3)  Wer  die  copie  hat  und  wo  sie  liegt,  wufsten  die  brüder;  wir  können  es  nicht 
erraten,  natürlich  war  sie  zur  controlle  des  beamten  da,  wie  so  oft  ein  Schreiber 
avrty^äfsrai,  testamente  cv/ußöXaia  u.  dgl.  in  duplo  ausgefertigt  werden. 


Paraphrase  der  Urkunde.     Verfassung  der  Demotioniden.  261 

sie  auch  jeder  bruder  für  die  genossenscliaft  eintreiben.'')  diese  prüfiing 
(d.  h.  die  obligatorische,  nicht  die  der  appellanten)  alljährlich  vornehmen 
zu  lassen,  wird  der  brudermeister  durch  Ordnungsstrafen  angehalten,  die 
jeder  bruder  zu  gunsten  der  gemeinschaft  eintreiben  kann,  in  Zukunft 
sollen  die  einführungsopfer  nur  in  Dekeleia  stattfinden,  wofür  der  priester 
haftbar  ist,  der  in  ausnahmefällen  ein  anderes  local  bestimmen  darf, 
dann  aber  die  aukündigung  fünf  tage  vor  dem  anfange  der  Apaturien 
in  der  Stadt  am  rendezvousplatz  der  Dekeleer  (d.  h.  der  angehörigen  des 
demos  Dekeleia)  anzuschlagen  hat.  endhch  wird  die  errichtung  des  er- 
haltenen inschriftsteines  verordnet  (30 — 67)." 

Resumiren  wir  hier  was  sich  mit  Sicherheit  erschhefsen  läfst.  die  Verfassung 
bruderschaft  sind  die  Demotioniden:  niemand  anders  als  das  plenum  tioniden. 
kann  über  die  appellation  richten,  und  die  liste  der  bruder  Iv  z/r^iio- 
Ticovidtüv  kann  nur  im  hause  der  bruderschaft  liegen,  jede  andere  auf- 
fassung  ist  in  sich  verkehrt,  eine  Unterabteilung  der  bruderschaft  ist 
das  "haus  der  Dekeleer",  denn  von  ihm  wird  an  die  Demotioniden 
appeUirt.  aber  es  ist  so  wichtig,  dafs  es  die  prüfung  der  neu  einge- 
schriebenen bruder  hat.  das  steht  nicht  da,  aber  es  mufs  sie  haben, 
da  es  die  anwälte  wählt,  die  das  urteil  im  falle  der  appellation  vor  der 
bruderschaft  vertreten,  und  es  mufs  sie  schon  früher  nach  dem  "ge- 
setze  der  Demotioniden"  gehabt  haben,  denn  darin  hat  sich  durch  dieses 
psephisma  nichts  geändert,  und  nur  weil  alles  beim  alten  gebheben  ist, 
steht  an  der  entscheidenden  stelle  kein  subject.  dasselbe  folgt  daraus, 
dafs  der  priester  des  hauses  der  Dekeleer  die  geldstrafen  für  eine  ab- 
gewiesene appellation  einzieht,  die  doch  dem  Zeus  der  bruderschaft 
zufallen  (42).  nur  hier  steht  der  volle  titel  des  priesters;  wo  sonst 
ein  priester  erwähnt  wird,  hat  er  kein  distinctiv.  aber  da  der  name 
des  Zeus  der  bruderschaft  an  der  spitze  dieser  inschrift  steht,  die  neben 
seinem  altare  in  Dekeleia  stand,  und  da  der  priester  des  Dekeleerhauses 
Zeuspriester  ist,  so  kommt  man  mit  notwendigkeit  zu  der  ansieht,  dafs 
das  haus  der  Dekeleer  das  Vorrecht  in  der  bruderschaft  hatte,  den  priester 
zu  stellen,  so  dafs  also  überall  derselbe  priester  zu  verstehen  ist.^)    was 


4)  Die  buTse  verfällt  dem  Zeus  der  bruderschaft,  was  identisch  ist  mit  der 
casse  der  genossenschaft  (to  otoivöv),  z.  40.  44.  50.  52.  wenn  der  priester  des  hauses 
der  Dekeleer  nicht  das  recht  des  Zeus  der  bruderschaft  wahrt,  mufs  er  die  bufse 
zahlen;  damit  ist  aber  der  Schuldner  nicht  frei,  sondern  jeder  bruder  kann  ihn  be- 
langen. Zeus  bekommt  also  das  doppelte,  in  dem  gegenwärtigen  ausnahmefalle  (25) 
ist  dem  priester  sogleich  der  phralriarch  beigeordnet. 

5)  Es  kommt  also  nichts  darauf  an,  ob  57,  wie  üblich,  ergänzt  wird  eanoax- 


262  HI-    !•  Die  phratiie  der  Demotioniden. 

das  haus  der  Dekeleer  war,  mögen  wir  wissen  oder  nicht  wissen:  nur  bei 
dieser  construction  seiner  rechte  hat  der  beschUifs  sinn,  die  bruder- 
schaft  der  Demotioniden  hat  ihr  heihgtum  in  Dekeleia,  sie  besteht  aus 
dem  bevorrechteten  hause  der  Dekeleer  und  einer  unbestimmten  hier  nicht 
weiter  geghederten  menge  von  andern  briidern.  die  gemeinde  Dekeleia 
mufs  tatsächlich  in  einer  nahen  beziehung  zu  der  bruderschaft  stehn, 
da  der  rendezvousplatz  ihrer  bürger  in  der  Stadt  für  eine  proclamation 
der  bruderschai't  benutzt  wird. 

Auch  auf  die  anordnungen,  die  zu  dem  neuen  beschlufse  veranlassung 
gegeben  haben ,  ist  ein  rückschlufs  möglich,  die  opfer  und  somit  die 
einführungen  neuer  bürger  haben  an  beliebigen  andern  orten  aufser  Deke- 
leia stattgefunden,  man  mistraut  dem  brudermeister,  ob  er  auch  die 
jahrlichen  prüfungen  vornehmen  wolle,  die  durch  das  Dekeleerhaus  gehn. 
man  mistraut  noch  mehr  dem  Dekeleerhause,  denn  die  feierlichkeit  seiner 
abstimmung  wird  erhöht,  und  vor  allem,  es  wird  von  seiner  prüfung,  wenn 
sie  eine  verwerfende  ist,  eine  appellation  an  die  bruderschaft  gestattet: 
das  ist  ein  novum  gegen  das  alte  gesetz.  aber  die  Zulassung  steht  alln- 
dings  noch  ganz  bei  dem  Dekeleerhause.  und  der  antragsteller  ist  diesem 
in  sofern  nicht  feindlich,  als  er  seinem  priester  die  opfer  und  die  opfer- 
gefälle  sichert. 

Ein  ganz  anderes  bild  gibt  das  unmittelbar  folgende  psephisma  des 
Nikodemos.  "im  übrigen  soll  es  mit  der  einführung  und  prüfung  bleiben, 
wie  früher  beschlossen  ist.  aber  1)  soll  ein  jeder  die  zeugen,  drei  an 
der  zahl,  die  schon  früher  bei  der  einführung  gefordert  worden  sind, 
aus  seinem  thiasos  stellen,  sie  sollen  die  (offenbar  solennen,  früher  ver- 
ordneten) fragen  beantworten,  so  wahr  ihnen  Zeus  phratrios  helfe,  die  band 
auf  dem  altare  (67 — 75);  eine  neue  eidesformel  für  sie  wird  am  schlufse 
nachgetragen  (107 — 112);  nur  für  den  fall,  dafs  der  thiasos  keine  drei 
leutc  enthält,  dürfen  die  zeugen  aus  der  übrigen  bruderschaft  genommen 
werden.  2)  bei  der  prüfung  soll  der  brudermeister  das  plenum  der 
brüder  nicht  eher  abstimmen  lassen,  als  bis  die  Ihiasoten  des  eini^c- 
führten  geheim  in  feierlicher  weise  über  diesen  abgestimmt  haben,  die 
Zählung  der  stimmen  und  Verkündigung  des  resnltates  hat  der  bruder- 
meister in  der  Versammlung  vor  dem  plenum  der  bruderschaft  vorzu- 
nehmen (76 — 8)."  3)  hier  hat  Nikodemos  seine  im  einzelnen  klaren 
Verordnungen  ziemlich  durch  einander  gewürfelt;  er  mufs  sich  also  die 


liroj  Ss  6  le^[svs  rö  Jsxskeuöv  o'ixo  rj]  airoG  oipsiXärco,  oder  wie  ein  schüler  von 
mir,  Tli.  Teuscli,  vorsclilägt  o  Ieq{svs  io  uQyvQiov  tovzo  rj],  aber  dies  ist  riclilig, 
wie  die  parallelen  lehren,  deren  keine  ein  object  zu  slaTT^ürrEiv  wegläfst. 


Verfassung  der  Demotioniden.  263 

redactionellen  änderungen  gefallen  lassen,  die  ich  mit  ihnen  vornehme 
(87 — 105).  "unmittelbar  nach  dieser  abstimmung  des  thiasos  stimmt  das 
plenum  der  bruderschaft  ab ;  doch  dürfen  sich  die  thiasoten  wol  an  der 
debatte,  aber  nicht  an  der  abstimmung  des  plenums  über  diejenigen  be- 
teihgen,  über  die  sie  als  thiasoten  abgestimmt  haben,  es  ergeben  sich 
Dun  folgende  möglichkeiten,  a)  die  thiasoten  für  Zulassung,  plenum  auch: 
zuzulassen  (dies  als  selbstverständlich  nicht  gesagt),  b)  die  thiasoten  für, 
das  plenum  gegen,  dann  ist  er  natürhch  abgewiesen,  aber  die  thiasoten 
zahlen  eine  bufse,  es  sei  denn  dafs  einzelne  in  der  debatte  (ev  xf]  öia- 
öfKaola)  als  redner  oder  sonst  offenbar  gemacht  haben,  dafs  sie  gegen 
die  aufnähme  waren.^)  c)  die  thiasoten  gegen ;  dann  kann  es  bei  deren 
Vorurteil  sein  bewenden  haben,  und  der  ausschlufs  ist  giltig.  aber  d) 
wenn  derjenige,  der  den  candidaten  angemeldet  hat,  von  den  thiasoten 
an  das  plenum  appellirt,  so  erfolgt  durch  dessen  Zustimmung  aufnähme, 
durch  dessen  ablehnung  aber  nicht  blofs  ausschlufs,  sondern  eine  geld- 
strafe  für  den  appellanten.  4)  diesen  beschlufs  soll  der  priester  hinzu- 
schreiben, natürhch  zu  dem,  der  jetzt  davor  steht,  dem  des  Hierokles." 

Der  nachtrag,  ein  antrag  eines  Menexenos,  der  sich  ebenso  wie  das 
psephisma  des  Nikodemos  als  solchen  bezeichnet,  hat  für  die  Organisation 
der  phratrie  kein  Interesse,  er  verordnet  nur  den  anschlag  der  namen 
der  candidaten  für  jede  Versammlung  in  der  Stadt  durch  den  bruder- 
meister  an  demselben  orte  wie  oben,  aufserdem  durch  den  priester  im 
heiligtume  der  Leto,  ungewifs  wo. 

Aber  welches  bild  gibt  Nikodemos  von  der  bruderschaft?  sie  zer- 
fällt ganz  offenbar  in  thiasoi,  so  dafs  jeder  bruder  auch  thiasot  ist.  von 
einer  andern  einleilung  weifs  Nikodemos  nichts  oder  will  er  nichts  wissen : 
neben  den  thiasoi,  diese  ausschliefsend,  kann  es  gar  nichts  gegeben  haben, 
aber  diese  thiasoi  sind  zum  teil  so  verkümmert,  dafs  man  ihnen  keine 
vier  köpfe  zutrauen  kann,  dagegen  ist  sicher,  dafs  ihre  mitglieder  ein- 
ander gut  kennen,  darum  wird  der  einführende  verpflichtet  aus  ihnen 
die  zeugen  zu  w^ählen  und  wird  ihnen  das  im  ordnungsmäfsigen  wege 
entscheidende  Vorurteil  zugeschoben,  das  sie  freihch  vor  den  äugen  und 
unter  der  superrevision  der  bruderschaft  fällen  müssen,  ganz  offenbar 
hat  es  zwar  die  thiasoi  längst  gegeben ,  aber  sie  haben  als  organe  der 
bruderschaft  in  diesen  dingen  bisher  nicht  fungirt. 

Stellen  wir  nun  die  Ordnungen  nach  Hierokles  und  Nikodemos  neben 


6)  So  ist  das  notwendig  zu  verstehn.  vor  der  abstimmung  der  thiasoten  findet 
keine  debatte  statt,  auch  ist  die  abstimmung  geheim,  die  minorität  mufste  nachher 
im  plenum  ihren  Standpunkt  verfechten. 


264:  111.    1.  Die  phralrie  der  Demolioniden. 

einander,  so  sollte  ich  meinen,  dafs  es  evident  sei,  wie  sie  sich  verhaheu, 
nicht  als  ergänzungen,  sondern  als  duhletten.  nach  heiden  findet  eine 
Vorprüfung  statt,  aber  Ilierokles  läfst  sie  in  Übereinstimmung  mit  der 
älteren  praxis  dem  Dekeleerhause:  IVikodemos  kennt  das  nicht,  sondern 
weist  jeden  vor  seinen  thiasos.  das  plenum,  das  der  eine  Jri(.ioTuovidai, 
der  andere  ocTtavreg  (fgÜTegeg  nennt,  was  nur  ein  anderer  name  ist, 
hat  die  entscheidung  nach  Ilierokles  nur  in  dem  falle,  daf<5  ein  abge- 
wiesener von  dem  urteile  des  Dekeleerhauses  appellirt;  Mkodemos  macht 
seine  befragung  obligatorisch,  er  hat  eine  strafe  für  den  thiasos,  wenn 
er  nach  ansieht  des  plenums  unrechtmäfsig  auf  Zulassung  erkannt  hat: 
dafs  Hierokles  dem  Dekeleerhause  die  Zulassung  völlig  frei  gibt,  ist  aller- 
dings ein  seltsamer  mifsbrauch.  dagegen  ist  Nikodemos  in  der  strafe 
für  eine  abgewiesene  appellation  milder,  die  er  auf  100,  Ilierokles  auf 
1000  drachmen  bemifst.  letzteres  ist  so  hoch,  dafs  nicht  leicht  jemaml 
riskirt  haben  würde,  von  der  entscheidung  des  Dekeleerhauses  zu  appel- 
liren.  darin  stimmen  endlich  beide  überein,  dafs  den  ausgeschlossenen, 
der  sich  dabei  beruhigt,  keine  strafe  trifft. 

Wie  stehen  nun  beide  beschlüsse  zu  einander?  wenn  sie  gleich- 
zeilig  aufgezeichnet  sind,  so  ist  der  zweite  ein  amendement  zu  dem  ersten, 
das  er  zum  guten  teile  aufhebt,  wenn  Nikodemos  etwas  später  erst  auf- 
getreten ist,  so  ist  es  ein  Verbesserungsantrag:  denn  mit  za  /idv  a/j.a 
y.arä  ra  TtQoreQa  ipr^cfiöiiata  fängt  Nikodemos  an.  allerdings  trai;i'ii 
beide  den  vermerk,  dafs  sie  aufgeschrieben  werden  sollen;  am  Schlüsse, 
der  zweite,  dafs  er  daneben  aufgeschrieben  werden  solle,  so  dafs  die 
formen  des  attischen  amendements  nicht  ganz  gewahrt  sind;  doch  be- 
denke man,  dafs  Nikodemos  wirklich  nicht  sagen  konnte  ra  /idv  a)j.a 
■/.a^aneQ  'leQO'^liig,  da  ja  jener  selbst  das  alt€  gesetz  voraussetzte,  und 
er  dasselbe  sofort  mit  dg  ei^ritai  citirte.  es  wird  also  wol  so  zu- 
gegangen sein. 

Als  nach  dem  kriege,  in  dem  Dekeleia  das  feindliche  hauptquartier  ge- 
wesen war,  nach  den  revolutionen  und  der  einführung  strenger  gesetze  über 
das  bürgerrecht  die  phratrie  der  Demotionideu  sich  wieder  zusammen- 
fand, ihr  heiligtum  herstellte  und  die  acten,  so  weit  sie  noch  da  waren, 
wieder  hinauf  brachte,  zeigten  sich  sehr  grofse  Schwierigkeiten,  da  es 
genug  brüder  gab,  die  entweder  selbst  zweifelhafter  herkunft  waren  oder 
doch  geneigt,  solche  elemente  zu  dulden,  so  zog  es  sich  bis  396  hin: 
da  hatte  Hierokles  eine  neuordnung  vorbereitet,  die  dem  priester  seine 
von  alters  herkömmlichen  aber  nalürhch  seit  412  in  verfall  geratenen 
gefalle  und  seinem  heiligtume  das  cultvorrecht  wahrte,  die  vorherrschende 


Verfassung  der  Demotioniden.  265 

bedeutung  des  allen  dürflicheo  heiligtums  herstellen  wollte,  und  dem 
Dekeleerhause,  dem  von  alters  her  die  priifnng  der  neueintretenden  zufiel, 
zwar  dies  Vorrecht  erhalten,  aber  gröfsere  garantien  für  die  pünktliche 
ausübung  der  prüfung  schaffen  wollte,  darunter  befand  sich  für  einen  fall 
die  übrigens  dmch  die  gefahr  einer  sehr  hohen  strafe  stark  erschwerte 
appellation  an  das  plenum  der  bruderschaft.  für  den  augenbhck  Ordnung 
zu  schaffen,  war  eine  summarische  aburteilung  der  noch  restierenden  un- 
geprüft eingeführten  brüder  durch  das  plenum  nicht  zu  umgehn  gewesen, 
es  war  alles  fertig;  Hierokles  hatte  seinem  wolstilisirten  antrage  sogar 
schon  die  Verordnung  der  publication  angehängt,  aber  auf  der  Ver- 
sammlung gieng  es  nicht  so  glatt;  sie  mochte  durch  die  prüfung,  die  so- 
fort nach  Hierokles  antrage  erfolgte,  lust  bekommen  haben,  die  sache 
selbst  in  der  band  zu  behalten.  Nikodemos  stand  auf,  schlofs  sich  zwar 
in  allem  übrigen  dem  Vorredner  an,  aber  mit  dem  alten  rechte  des  Deke- 
leerhauses  räumte  er  auf,  obwol  er  selbst  aus  dem  demos  Dekeleia  war.') 
es  sollten  gar  keine  Vorrechte  mehr  besteh n,  am  wenigsten  für  die  leute, 
die  mit  Sparta  sich  gut  gestanden  hatten,  die  beste  garantie  war  schon 
in  der  alten  bestimmung  gegeben,  dafs  3  zeugen  bei  der  einführung  zu 
nennen  waren:  wenn  das  nicht  beliebige  leute,  sondern  die  nächsten 
bekannten  des  einzuführenden  waren,  mufsten  sie  unterrichtet  sein,  und 
die  Vorprüfung  fiel  wieder  diesen  wolunterrichteten,  an  die  man  sich  in 
fällen  sträflicher  nachsieht  halten  konnte,  weit  besser  zu  als  dem  Deke- 
leerhause. so  beseitigte  er  dieses  und  ersetzte  es  durch  die  thiasoi.  das 
fand  den  beifall  der  bruderschaft,  ward  mit  dem  beschlusse  des  Hierokles, 
von  dem  ja  noch  sehr  viel  gültig  blieb,  aufgezeichnet,  und  danach  haben 
die  Demotioniden  gewirtschaftet,  so  lange  die  phratrie  nicht  in  Vergessen- 
heit geriet. 

Die  Urkunden  sind  vollkommen  verständlich,  sollte  ich  meinen,  dafs 
wir  lediglich  durch  sie  eine  sichere  kenntnis  aller  bruderschaften  er- 
langen sollten,  ist  zu  viel  verlangt,  aber  einiges  ist  doch  sicher,  anderes 
läfst  sich  vermuten,  die  Demotioniden  zerfielen  schon  vor  396  in  cult- 
genossenschalten  unbestimmter  zahl  und  verschiedener  grofse.  ohne  jede 
spur  gentilicischer  Verbindung,  auch  nur  in  der  fiction,  wurden  sie  aus- 
schliefshch  durch  die  Verehrung  desselben  goltes  oder  heros  zusammen- 
gehalten, wie  sie  zu  diesen  überirdischen  mächten  in  beziehung  ge- 
treten waren,  wie  sie  sie  pflegten,  ist  vollkommen  dunkel:  wnr  können 
auch  eine    Urkunde    eines   solchen    ihiasos  von    irgend   einer   beliebigen 


7)  CIA  II  1982 — 84.  4213  stehn  träger  des  namens  aus  Dekeleia. 


266  III.    1.  Die  pliralrie  der  Demotioniden. 

solchen  Verbindung,  die  freie  und  unfreie  biirger  und  niclitbürger  jeder- 
zeit bilden  konnten,  sciilechlbin  nicht  unterscheiden,  wenigstens  zur  zeit 
nicht,  dafür  wäre  das  wichtigste,  wenn  man  wenigstens  die  verehrten 
gütter  kennte.^)  das  alte  gentilicische  wort  cfgargia  hatte  also  keine 
andere  bedeutung  mehr  als  in  dem  aristophanischen  cfQareQsg  tqico- 
ßölov  oder  in  den  aöeXcpoi  der  alten  kirche,  den  bruderschaften  Buddhas 
und  Benedicts,  seit  396  erkannten  die  Demotioniden  nur  nooh  diese  glie- 
derung  in  thiasoi  an.  aber  es  bestand  bis  dahin  eine  andere,  da  hatte  in 
ihr  die  vorstandschaft  ein  "^haus',  das  der  Dekeleer;  dies  steUte  den  priester 
und  controllirte  den  bestand  der  ganzen  brudcrschaft ,  die  somit  aus 
leuten  höheren  und  minderen  rechtes  bestand,  ob  dieses  haus  einen 
thiasos  bildete  oder  mehrere  umfafste,  ist  unbekannt,  haus,  olxog,  ist 
ein  gentilicischer  hegrifl"  und  kann  hier  nicht  anders  gefafst  werden, 
die  im  attischen  rechte  sonst  geltende  bedeutung,  dafs  er  den  einzelnen 
hausstand  innerhalb  eines  geschlechtsverbandes  bezeichnet  {oh.og  ctrcö'k- 
Ivrai,  eUor^fioiTai),  pafst  nicht,  wol  aber  redet  Pindar  (Ol.  13,  2)  von 
einem  TqiooXv(.i7ti.6vi-/.og  oly.og,  dem  des  Xenophon  von  Korinth,  und 
Phylakidas  Lampons  söhn  von  Aigina  erhebt  durch  seinen  sieg  die 
TtaxQa  WaXvxLÖav  und  den  oi-/.og  Osi-iiOTiov  (Isthm.  5,  63):  das  ist 
dieselbe  gliederung.  die  Vorstellung  ist  deutlich  in  der  rede  gegen  Makar- 
tatos,  die  verschiedene  oIkol  unterscheidet,  deren  jeder  auf  einen  söhn 
derBuselos  zurückgeht,  und  die  allesammt  demgemäfs  Bovoslidat  heifsen. 
so  müfste  der  ot/.og  zley.eXiiov  auf  einen  ahn  zurückgehn,  der  der  söhn 
des  Demotion  wäre,  und  auf  Demotion  müfsten  über  andere  söhne  die 
übrigen  genossen  der  brudcrschaft  auch  zurückgehn.  aber  für  die  andern 
ist  selbst  diese  ficlion  aufgegeben,  und  der  oi/.og  heifst  nicht  mehr  nach 
dem  ahn  Js-AeXiöai,  sondern  nach  dem  orte,  wo  das  heiligtum  der 
brudcrschaft  ist,  dem  attischen  dorfe  Dekeleia,  und  der  ort  in  der  Stadt, 
wo  sich  die  mitglieder  der  staatlichen  gemeinde  Dekeleia  zu  treffen  pflegen, 
wird  für  die  publicalionen  der  brudcrschaft  benutzt,  folglich  müssen 
die  gemeindemitglieder  und  die  angehörigen  jenes  'hauses'  in  der  phratrie 
im  grofsen  ganzen  wenigstens  identisch  sein,  und  damit  ist  gesagt,  dafs 
oly.og  zwar  noch  ein  gentilicischer  terminus  ist,  aber  schon  keine  genti-i 
licische  bedeutung  mehr  hat,  ja  nicht  mehr  fingirt.  \ 

Verfassung          In  der  sonstigen  Überlieferung  hüren  wir  von  orgeonen  und  gennelen 
piiratrien.  Und  houiogalakten  als  mitgliedern  der  phratrie.    diese  Ordnung  der  Demo-; 
. i 


8)  Nach  dem  letzten  beschlusse  der  inschrift  möchte  man  glauben,  dafs  Leto! 
irgendwie  für  diese  bruderschaft,  einen  oder  mehrere  thiasoi,  in  betracht  kam.         \ 


Verfassung  der  anderen  phratrien.  267 

tioniden  weifs  nichts  von  ihnen  allen,  und  es  ist  willkiir,  die  thiasoten 
mit  den  orgeonen,  die  Dekeleer  mit  den  genneten  gleichzusetzen,  ja  dies 
letztere  ist  sogar  falsch,  sollen  wir  nun  unserer  Urkunde  zu  liebe  den 
Philochoros  preisgeben,  oder  aber  dem  Philochoros  die  Urkunde,  da  es 
doch  mit  den  harmonistischen  kunststücken  nicht  geht?  keines  von  beiden, 
das  erste  ist,  dafs  wir  uns  selbst  kein  x  für  ein  u  machen,  sondern  die 
Wahrheit  eingestehn:  es  stimmt  nicht,  das  zweite  ist,  dafs  wir  folgern, 
was  unumgänglich  ist,  wenn  die  Zeugnisse  neben  einander  bestehen  sollen : 
es  war  in  den  phratrien  nicht  immer  und  gleichzeitig  nicht  in  allen 
dieselbe  Ordnung,  erst  das  dritte  ist  die  erklärung  dieser  Verschieden- 
heit, aber  auch  diese  läfst  sich  sofort  sicher  geben,  seit  Aristoteles  wieder 
da  ist.  er  belehrt  uns,  dafs  schon  zu  Drakons  zeit  nicht  mehr  der 
adel  für  das  bürgerrecht  bestimmend  war,  sondern  das  vermögen ;  Klei- 
sthenes  läfst  denn  auch  die  ganze  Ordnung  von  phratrien  und  priester- 
tümern  ruhig  fortbestehn,  obwol  er  den  Staat  nur  auf  die  gemeinden 
gründet,  und  er  knüpft  das  staatsbürgerrecht  an  das  gemeindebürger- 
recht  ausschliefsHch:  so  hat  der  slaat  an  den  phratrien  jedes  Interesse 
verloren,  sie  existiren  dagegen  ruhig  fort,  aber  sie  verändern  sich  doch, 
nach  bekanntem  attischem  rechte  sind  alle  vom  Staate  anerkannten  ge- 
nossenschaften  berechtigt  sich  selbst  ihre  gesetze  zu  geben ;  das  gilt  von 
den  phratrien  natürlich,  und  wie  sehr  es  tatsächlich  galt,  lehrt  die  rück- 
sichtslose neuerung  des  INikodemos  in  der  phratrie  der  Demotioniden. 
gerade  solche  gemeinschaften,  in  denen  die  form  den  inhalt  überdauert 
hat,  sind  der  willkiir  stark  ausgesetzt,  rudimente  ältester  Ordnung  con- 
secrirt  hier  der  fanatismus  der  altertümler,  während  dort  die  flache  gleich- 
macherei  alles  nach  dem  jeweiligen  Zeitgeschmäcke  modelt,  uns  sind  die 
phratrien,  wie  wir  sie  allein  kennen,  als  opfer-  und  schmausgenossen- 
schaften  wenig  interessant,  aber  nur  durch  sie  können  wir  eine  ahnung 
von  den  bruderschaften  des  adelsstaates  gewinnen,  um  396  schon  mögen 
die  zwölf  phratrien  zwölf  verschiedene  Statuten  gehabt  oder  erhallen 
haben,  hundert  jähre  später  waren  sie  zum  teil  vielleicht  schon  ganz 
verkümmert,  interessirten  jedenfalls  nur  noch  den  exegeten  Philochoros; 
aber  wenn  er  sich  über  eine  oder  zwei  informirte,  wufste  er  mit  nichten 
das  allgemein  giltige  noch  das  uralte  gemeinsame. 

Von  der  Verwaltung  der  phratrien  wissen  wir  nur  etwas  über  die 
Demotioniden  und  die  Dyaleer  (CIA  600),  und  sofort  ist  die  Verschieden- 
heit da:  jene  haben  einen,  diese  zwei  phratriarchen.  das  ist  ein  unter- 
schied, wie  er  zwischen  gemeinden  unerhört  ist.  greifbarer  noch  ist  die 
Verschiedenheit  im  cullus.     trotzdem,  dafs  Zsi-g  cpqäTQiog  und  Idd^rjvä 


268  lU.    1.  Die  phratrie  der  Dtmotioniden. 

(fQüTQia,  die  den  begriff  religiös  ausdrücken,  der  profan  (fQazQia  oder 
y.oLvöv  ist,  weiter  nichts,  notwendiger  weise  überall  verehrt  wurden,  war 
es  unvermeidlich,  dals  die  geschlechter  sowol  wie  die  cultverbände,  die 
wir  innerhalb  der  phralrien  finden,  je  nach  ihrer  bedeutung  und  der 
entwicklung  der  phratrie  ihre  goUer  zu  dem  ränge  von  gemeinsamen 
phralriegoUern  erhoben,  namentlich  ^tio'/Juov  :naTQ(i}og,  der  den  be- 
griff des  allischen  adels  bedeutet,  konnte  vorwaUen,  wenn  die  altadlichen 
die  überhand  hatten,  oder  durch  eine  andere  aulfassung  allgemeiner  potenz 
noch  weitern  kreisen  der  brüder  genehm  gemacht  werden,  so  finden  wir 
denn  den  J^/yro/Awy  itccTQfiiog  bei  den  Thersikleiden^),  den'Eßöof-Uiog, 
dem  der  siebente  als  geburlslag  heilig  ist,  bei  den  Achniaden'"),  die 
TQiTOTtaTQTJg  bei  den  Zakyaden"),  die  Leto  bei  den  Demotioniden,  den 

9)  CIA  II  1652.     von  dem  namen  ist  erhalten  Geqqix-cov,  und  es  fehlen  etwa 
vier   buchslaben.     also   war   der    name  ein  gentilicischer,   dessen  erster  beslandteil 
ohne  attischen  rhotacismus  Os^ai-  ist.     man   hat  auf  0eqaiy.äv  und  0e^ar^ias  ge- 
raten,    beides   ist   unglaublich,     Oegaiy-ias  ist  ein  falscher  kurzname,  der  Os^aias  , 
lauten   würde,    Oe^aixcöv  as  '^Hqav.wv  J^vXogmv  l^nsXhy.cüv  ist  wenigstens   nicht  j 
attisch,     also  OeoaiyJ.rs  oder  0sQai.y.Qärr,e,  und  für  ersleres  spricht  der  räum. 

10)  CIA  II  1653.  Apollodoros  des  Thrasyllos  söhn  führt  einen  söhn  an  den 
Thargelien,  also  am  siebenten,  dem  geburtstage  des  Apollon,  in  seine  bruderschaft 
ein  (Isaios  7,  15):  er  dürfte  ein  Achniade  gewesen  sein,  ein  grenzstein  von  dem 
grundslücke  dieser  phratrie  Mitt.  Alh.  Xll  1hl. 

11)  CIA  II  1062.  der  name  kann  eben  so  gut  auf  ein  geschlecht  bezogen, 
werden,  der  ahn  Zdxvs  führt  auf  eine  ungriechische  würzet  ^«x,  hat  aber  auch  keinej 
in  Athen  geläufige  endung.  ist  es  ein  pseudhypokoristikon,  so  dafs  x  anlaut  des' 
zweiten  gliedes  ist,  so  bietet  sich  z.  b.  ^dy.ooos  als  voUname.  das  ist  wieder  nicht 
attisch,  die  Zakyaden  für  eine  phratiie  zu  halten  bestimmt  mich  ihr  cult,  die  tqi- 
lonaTQTiS  (denn  r^ironar^evs  kann  allein  der  singular  sein),  diese  dunkelen  wesen 
sind  selbst  eine  sippe,  mögen  sie  so  heifsen,  wie  JiaXiß  Kt]<fiGir,s  Te-ioanolr^s, 
oder  T()tT07iäT0^ES ,  wie  die  grammatiker  sagen  (Harp.  epilome,  daraus  Phot).  es 
sind  solche,  'die  die  dritten  väter  haben',  die  grammaük  erlaubt  nicht  darin  'die 
dritten  väter'  zu  sehn,  was  r^iroi  naräQss  heifsen  würde,  so  gern  man  die  vor- 
fahren vom  grofsvater  aufwärts  verstünde,  und  obwol  so  Aristoteles  verstandtn 
haben  soll  (Pollux  3,  17).  es  bleibt  also  bei  der  deutung,  die  Lobeck  im  anschluls 
an  die  atiischen  exegelen  gegeben  hat  "die  dritten  vom  urwesen  abwärts",  am 
anfang  stelui  hininiel  und  erde,  dann  ein  attischer  autochthon,  einerlei  wie  er  heifst, 
dann  seine  kinder,  die  repraesentanten  der  teile  des  attischen  Volkes,  das  jener  als 
ganzes  repraesentirt.  anders  ausgedrückt,  weitester  kreis:  mensch  als  gattungs- 
wesen,  engerer:  Athener,  engster:  der  bezirk  der  TQiTOTtarQrjs.  das  führt  nicht 
auf  das  geschlecht,  sondern  die  söhne  jenes  autochthonen,  die  dritten  von  allvater 
sind  'brüder'.  aufserdem  heifst  der  cult  dieser  wesen  ein  athenischer,  und  der 
exeget  gab  über  ihn  Unterweisung,  also  war  es  kein  geschlechtscult.  und  das  gebet 
für  die  fruchtbarkeit  der  ehe,  das  an  die  T^iro7iäro^o£  gerichtet  wird,  weist  auf 
die  bruderschaft,  der  die  yajnri?.ia  zukam. 


Verfassung  der  anderen  phratrien.  269 

Ilooeidcüv  ^Ege^d-eüg  in  der  phratrie,  der  der  Kothokide  Aischines  an- 
gehört/^) von  den  Dyaleern  und  Philieern  kennen  Nvir  keine  ciilte'*); 
aber  der  Jtövvoog  JvaXoo,  (den  Hesych  aus  den  €7tixXi]aeig  als  den 
Paeonern  eigentümlich  anführt)  und  irgend  ein  als  (pLltog  verehrter  gott 
können  doch  ansprüche  erheben. 

Wenn  wir  uns  somit  hüten,  jede  einzelerscheinung  zu  generalisiren, 
so  erkennen  wir  über  die  gUederung  der  einzelnen  phratrien  folgendes: 
in  den  Demotioniden  gibt  es  weder  geschlechtsgenossen,  yEvvr^xai,  noch 
cultgenossen,  die  den  namen  ogyscöveg  führten,  sondern  lediglich  ^iaaoi. 
in  diese  wird  durch  das  gesetz  des  Nikodemos  der  früher  mafsgebende 
oUog  der  Dekeleer  aufgelöst,  in  welcher  weise,  ist  nicht  klar,  unmög- 
lich kann  auf  alle  phratrien  gehen  was  Philochoros  im  vierten  buche, 
also  über  dieselbe  zeit  berichtend,  der  der  Demotionidenbeschlufs  an- 
gehört, citirt:  rovg  de  (fgarsgag  STtdvayxeg  dexeo&ai  y.al  roig  oQyscövag 
y,al  Tovg  6f.ioyalaKTag,  ovg  yevvijrag  Kalovf.i€v.^'')    das  folgt  eigentlich 


12)  2,  147  (pQaroias  i]  rwv  avra.v  ßconcöv  iitTi^Bi,  ^ETeoßovräSais ,  od'ev  r] 
T^s  liäd'rjväs  urfi  IloXiäSos  eariv  iigeia.  das  ist  sehr  plump  renommirt,  denn  dafs 
seine  phratrie  vornehmer  als  andere  phratrien  war,  sagt  er  zwar  eigentlich,  aber  es 
ist  doch  eine  behauptung,  die  man  nicht  ernst  nehmen  soll,  wenn  die  plebejer 
überhaupt  in  den  phratrien  waren,  so  bewies  die  phratrie  eines  Atheners  für  den 
adel  gar  nichts,  und  die  nähere  Zugehörigkeit  seines  hauses  zu  den  Eteobutaden, 
etwa  in  demselben  thiasos,  wagt  er  nicht  zu  behaupten,  alle  mitglieder  jener 
phratrie  waren  zu  jenem  culte  zugelassen,  der  eigentlich  den  Eteobutaden  gehörte. 
das  war  also  deren  geschlechtscult,  den  wir  als  den  des  Erechtheus  kennen,  ehedem 
war  er  innerhalb  der  phratrie  eine  praerogative  jenes  geschlechtes  gewesen,  das 
immer  noch  den  priester  stellte,  und  einstmals  hat  es  sicherlich  noch  mehr  Vorrechte 
besessen,  aber  nun  war  der  geschlechtscult  phratriecult  geworden,  und  in  so  weit 
hatte  Aischines  an  ihm  teil,  der  cult  Athenas  dagegen  war  in  ganz  analoger  weise 
SrjfioreXrjS  geworden,  ohne  doch  das  geschlecht  um  seinen  anspruch  auf  die  stelle 
der  priesterin  zu  bringen. 

13)  Die  (PiheTs  (Harp.  KotocoviSai)  hat  TöpfTer  (Att.  geneal.  110)  mit  Wahr- 
scheinlichkeit für  eine  phratrie  erklärt,  über  die  'EXaaiSai  (Class.  Rev.  111  188), 
die  den  Apollon  Patroos  bei  Kephisia  verehren ,  will  ich  nicht  urteilen.  Töpffer 
(Rh.  M.  45,  383)  erklärt  sie  für  ein  geschlecht,  was  möglich  ist.  aber  der  Troer 
"Elaaos  beweist  nicht  mehr,  als  dafs  "Elaaos  ein  name  ist  (kurzname  von  'Ela- 
amnos),  den  ein  rhapsode  so  gut  erfinden  wie  ein  heros  tragen  konnte,  denn  sein 
homerischer  träger  (TT  696)  ist  eine  füllfigur,  die  der  dichter  (allerdings  der  der 
alten  Patroklie)  in  einem  rudel  anderer  mit  einem  wort  erfindet  und  erschlägt, 
und  aus  dem  U  hat  ihn  Polygnot  genommen,  auch  als  einen  beliebigen  namen. 
ich  verzichte  darauf,  noch  mehr  namen  zu  nennen,  die  möglicherweise  phratrien 
bedeuten  könnten. 

14)  Phot.  oQysöJvss.  die  buchzahl  gibt  aufser  dem  patmischen  lexikon  Harp. 
ooyEcövss,  der  auch  beweist,  dafs  ovs  yswrjras  xaXoZfiev  zu  dem  citate  gehört,    wie 


270  111.    1.  Die  pliiatrie  der  Demotioniden. 

schon  daraus,  dafs  er  selbst  den  ausdruck  bi.wyäka/.Tag  von  sich  aus 
erklärt:  in  seiner  terminologie,  wie  in  der  des  Aristoteles  (fgm.  3)  war 
der  name  yevvfjrai  eingeführt,  und  er  constatirte,  dafs  dafür  in  der 
Urkunde,  die  er  mitteilt,  ein  anderes  wort  gebraucht  war.  dann  war 
dies  kein  beschlufs  des  athenischen  volkes,  sondern  ein  analogen  zu  dem 
Deinolionidenbeschlusse,  den  wir  im  originale  besitzen,  in  jener  andern 
phratrie  hatte  man  nach  Eukleides  liberal  genug  die  beiden  kategorien, 
milchbrüder  und  orgiengenossen ,  ohne  weitere  prüfung  auf  den  nach- 
weis  hin,  dafs  sie  von  den  genossen  ihrer  körperschaft  aufgenommen 
waren,  als  brUder  anerkannt,  dem  würde  es  entsprechen,  wenn  in  den 
Demotioniden  der  oUog  JEY.elhov  über  seine  angehorigen,  die  d^iaooL 
über  die  übrigen  definitiv  abstimmten ;  aber  weder  Ilierokles  noch  Niko- 
demos  hat  es  so  gehalten,  aufser  milchbrüdern  und  orgiengenossen  mufs 
es  in  jener  phratrie  noch  andere  leute  gegeben  haben,  die  sich  als  brüder 
gerirten:  es  ist  aber  möglich,  dafs  man  das  für  ungesetzhch  hielt,  und 
demgemäfs  diejenigen,  die  sich  nicht  als  einer  von  beiden  kategorien 
angehörig  ausweisen  konnten,  ausschlofs,  worüber  in  streitigen  fällen  die 
gesamtphratrie  sehr  wol  abgestimmt  haben  kann,  das  würde  einige 
analogie  mit  dem  gesetze  des  Hierokles  bieten;  aber  wir  vermögen  das 
nicht  mehr  zu  entscheiden. 

In  der  phratrie,  der  Menekles  angehörte,  um  dessen  erbschaft  sich 
die  zweite  rede  des  Isaios  dreht,  gab  es  orgeonen.  welche  andere  kate 
gorie  neben  ihnen  stand,  ist  nicht  zu  sagen :  Menekles  war  eben  selbst 
orgeon.  aber  die  Verantwortung  für  die  aufnähme  eines  bruders  tragen 
sowol  orgeonen  wie  phrateren,  deren  zeugnis  verlesen  wird  (16):  die 
ausdrücke  eioäyeiv  elg  rovg  cfgari^ag,  eyyQÖcpeiv  €ic  roig  ogyetövag, 
neben  denen  die  demoten  erscheinen,  entsprechen  der  procedur,  wie 
sie  Ilierokles  voraussetzt;  die  einführung  geschieht  nach  ihm  erst  au  den 
Apaturien,  dem  phratrienfest,  die  einschreibung  bei  dem  ot'/.og  ^exEleiov, 
ein  jähr  nachher,  und  dies  erst  ist  das  entscheidende. 

In  der  phratrie,  der  Apollodoros  angehörte,  um  dessen  erbschaft 
sich  die  siebente  rede  des  Isaios  dreht,  werden  nur  genneten  erwähnt, 
weil  er  ein  geschlecht  hatte,  hier  war  die  procedur  so,  dafs  der  ein- 
führende das  kind  an  die  altäre  führte  und  seine  echtbürtigkeit  beschwor; 
darauf  fand  eine  abstimmung  der  anwesenden  statt,  und  auf  grund  deren 
ward  der   neue   bruder  in   die  register  eingetragen  (16).     diese  einfüh- 

sollte  auch  ein  später  grammatiker  die  erste  person  von  den  Athenern  gebrauchen? 
der  grammatiker  hat  den  commentar  des  Seleukos  zu  Solons  gesetzen  benutzt,  ge- 
hört also  der  kaiserzeit  an. 


Verfassung  der  anderen  phratrien.  271 

rung  geschah,  wie  es  scheint,  zugleich  zu  den  genneten  und  phrateren; 
aber  wer  abstimmte,  ist  nicht  ganz  deuthch. 

In  der  phratrie,  zu  der  Phrastor  von  AigiHa  aus  dem  geschlechte  der 
Brytiden  gehörte,  entschied  die  abweisung  der  genneten  eudgihig  über 
die  abweisung  eines  einzuführenden,  wenigstens  eines  adlichen.  Phrastor 
strengte  gegen  einen  solchen  beschlufs  einen  privatprocefs  an,  der  über 
den  Schiedsmann  nicht  hinauskam/^) 

In  der  phratrie  des  Makartatos  entschied  sofort,  wenigstens  über 
diesen,  ein  beschlufs  der  gesamten  bruderschaft;  eine  Unterabteilung 
wird  nicht  erwähnt  (Rede  gg.  Makart.  13). 

In  dem  adlichen  geschlechte  der  Keryken  entschied  der  eid  des  ein- 
führenden vaters  über  die  aufnähme  eines  kindes.  er  ward  am  altare 
unter  handauflegung  am  Apaturienfeste  geschworen,  ganz  wie  Hierokles 
es  fordert,  der  aber  die  handauflegung  erst  als  neuerung  einführt,  eine 
debatte  der  genneten  fand  statt,  aber  sie  war  zwecklos,  da  sie  durch  den 
v6f.iog  gebunden  waren,  den  eid  des  vaters  zu  respectiren  (Andok.  1,  126). 
die  phrateren  werden  gar  nicht  erwähnt,  sie  werden  den  durch  genneten- 
beschiufs  anerkannten  Keryken  ohne  weiteres  aufgenommen  haben. 

Die  rede  gegen  Leochares  (42.  44)  erzählt  als  zwar  ungehörig  aber 
möghch,  dafs  jemand  ohne  weiteres  durch  einen  einführenden  bruder 
in  das  register  der  phratrie  eingetragen  ward,  und  deutet  darauf  hin, 
dafs  in  der  regel  die  aufnähme  in  die  phratrie  der  aufnähme  in  die 
bürgerhche  gemeinde  vorhergehen  mufste:  was  allerdings  tatsächlich  sitte 
gewesen  sein  wird,  da  man  das  kind  möghchst  früh  zu  den  altären  der 
brüder  brachte'^),  während  die  gemeinde  sich  erst  für  die  heerespflich- 
tigen  knaben  interessirt.  aber  ein  gesetzhcher  Zusammenhang  zwischen 
beiden  eintragungen  existirt  nicht. 

Euxitheos  von  Halimus  beweist  sein  bürgerrecht  unter  anderm  durch 


15)  ApoUodor  gg.  Neaira  59.  die  als  zeugen  vernommenen  Brytiden  gehören 
alle  nicht  nur  verschiedenen  demen,  sondern  auch  phylen  an,  Hekale  (IV)  Eroiadai 
(Vin  oder  X)  Phaleron  (IX)  Lakiadai  (VI)  Aigilia  (X)  Kephale  (V).  also  erstreckte  sich 
diese  phratrie  über  die  mehrzahl  der  phylen  mindestens,  und  es  sind  demen  in  ihr, 
die  dem  asty  angehören  (Lakiad.  Phaler.),  der  Mesogeia  (Hekal.  Kephal.),  der  Paralia 
(Aigil.),  so  dafs  auch  mit  den  trittyen  keine  ausgleichung  denkbar  ist. 

16)  Ohne  die  ganze  rituelle  frage  nach  den  opfern  in  der  phratrie  zu  erörtern 
(ya/iTjXia  fieiov  xov^eiov),  stelle  ich  doch  als  das  natürliche  und  durchaus  probable 
hin,  dafs  eigentlich  das 'geringere'  opfer  bei  der  ersten  Vorstellung  des  neugeborenen, 
das  'harschuropfer'  bei  der  aufnähme  des  erwachsenen  knaben,  das  'heiratsopfer 
in  der  neuen  phratrie,  deren  göttern  die  junge  frau  nun  untertan  ward,  stattfinden 
sollte.    -iiovQeiov  kommt  notwendiger  weise  von  xEiqeiv,  nicht  von  xÖQoi. 


272  I'I.    1-  Die  phratrie  der  Demotioniden. 

das  Zeugnis  der  plirateren  und  genneteti,  daneben  durch  das  der  ver- 
wandten (ovyyevelg)  und  demolen  (rede  gg.  Eubulides  23),  das  sind  alle, 
die  einen  Athener  zu  prüfen  pflegen  (24).  es  führt  das  nicht  mit  not- 
%vendigkeit  darauf,  dafs  der  arme  teufel  selbst  einem  geschlechte  angehörte: 
aber  die  genneten  müssen  allerdings  seine  echtbürtigkeit  geprüft  haben, 
und  mit  berufung  auf  diese  stelle  gibt  der  kundige  grammatiker,  dem 
wir  auch  des  Philochoros  bruchstück  verdanken ,  ausdrücklicji  an ,  dafs 
die  genneten  zovg  lyygacfOj^iivovg  sig  rovg  cfoäroQag  dia/.Qivovxeg 
'/.eil  öoxif-iccLovTeg  ei  Tcollral  eioiv  r]  ^evoi  löexovro  7]  a7tißci)j.ov.^') 
das  ist  also  genau  das  Verhältnis,  wie  es  die  Demotionideninschrift  für 
die  thiasoten  zeigt;  appellation  ist  dabei  immer  noch  möglich. 
Rrüder  Das   sind  die  einzelfälle,   die  wir  nicht  ausgleichen  dürfen,   ohwol 

höheren  und  ... 

niederen   gich  eine  auzahl  gut  vertrajjen,  da  wir  ia  die  phralrien  nicht  bestimmen 

rechtes.  o  o      ?  J  i  _ 

können,  denen  die  leute  angehörten,  aber  allerdings  zeigt  sich  eme 
analoge  gliederung  überall,  in  brüder  erster  und  zweiter  classe,  und 
die  aufnähme  neuer  brüder  wird  nicht  immer  von  der  ganzen  bruder- 
schaft  vorgenommen,  die  einfachste  und  deshalb  von  Philochoros  als 
normal  angesehene  teilung  unterscheidet  adhche  geschlechtsgenossen  von 
plehejern ,  die  statt  des  cultes  eines  ahnherrn  eine  cultgenossenschaft 
um  irgend  einen  gott  oder  heros  gebildet  haben,  yewrjraL  und  oQyetöveg. 
statt  dessen  liefern  die  Demotioniden  thiasoten :  die  umfassen  später  beide, 
und  es  ist  auch  nichts  dagegen  zu  erinnern,  wenn  die  Keryken  z.  b.  als 
ein  thiasos  von  Keryx-  oder  aucli  Hermesverehrern  aufgefafst  werden, 
oh  dieser  name  vorher,  als  der  oiy.og  der  Dekeleer  bevorzugt  war,  die 
plcbejer  allein  bezeichnete,  also  mit  den  orgeonen  identisch  war,  möchte  ich 
nicht  entscheiden,  man  konnte  auch  ältere  ysvv^rai  und  oQyecuveg  unter 
einem  neuen  namen  S-iaodJvaL  zusammenfassen;  und  wer  kann  sagen, 
ob  das  haus  der  Dekeleer  nur  adliche  umfafste?  in  der  phratrie.  deren 
Statut  Philochoros  mitteilt,  gab  es  statt  der  genneten  6(.ioyci).a-Axeg;  er 
setzt  sie  ausdrücklich  gleich,  und  Aristoteles  leitet  von  der  familie  das 
dorf  ab,  ovg  y.a'/.ovolTLveg  oi-ioyä/.ay.rag,  Ttalöag  re  v.ai  rcaidcov  Ttaidag 
(Pol.  A  1252*^13).'^)  aber  wie  in  aller  well  kann  '^milchbruderschaft'  die 
descendenz  bedeuten  ?  da  müfste  man  ja  das  zur  zeit  moderne  *^malriarchat^ 
für  Altathen    construiren,   das   so    scheufslich  wie  sein  name  und,    seit 


17)  Bull.  Corr.  Hell.  I  152,  m'o  das  letzte  von  mir  ausgeschriebene  wort  ct«'- 
ßalXov  geschrieben  ist.  auf  diese  stelle  hat  mich  mein  schüler  Teusch  aufmerksam 
gemacht,  der  ihre  Verwendbarkeit  für  die  Demotionideninschrift  bemerkt  hat. 

18)  Die  grammatiker,  die  das  wort  haben,  hängen  von  Philochoros  ab  oder 
erklären  aSs}.(pos  ex  t^s  avxr]S  firjXQÖs.  Pollux  3,  23.  Hesych. 


Brüder  höheren  und  niederen  rechtes.  273 

Zeus  im  himmel  herrscht,  auf  erden  undenkbar  ist.^^)  es  kann  'milch- 
brüder'  unler  'brüdern'  nur  in  zwei  bedeutungen  geben,  entweder  be- 
zeichnet es  die  kinder  derselben  mutter  den  Stiefbrüdern  gegenüber: 
dann  könnte  man  wol  einen  gleichen  Vorzug  darin  finden,  wie  ihn  die 
y£vvi]Tat  haben,  z.  b.  unter  den  stammheroen  Israels  die  söhne  Leas  und 
die  Raheis  je  als  6fioya?MXTeg  zusammenfassen,  denen  dann  wieder  die 
bastarde  des  volksheros  als  brüder  minderen  rechtes  zur  seite  träten, 
oder  aber  die  milchbruderschaft  bedeutet  was  wir  darunter  verstehen, 
was  den  adlichen  herrn  mit  den  leiblichen  kindern  seiner  amme  ver- 
bindet.^") und  erst  diese  milchbruderschaft  macht  den  Übergang  von  dem 
hause  zum  dorfe,  das  mit  nichlen  blofs  aus  den  descendenten  eines 
hauses  besteht,  sondern  ihre  oiKrjQ  und  ouetai  einschliefst,  wenn  eine 
attische  phratrie  also  die  bj.ioyalay.Tsg  in  den  rang  der  yevvfitaL  ge- 
stellt hatte,  so  war  das  bei  dieser  bedeutung  nicht  eine  exclusive  mafs- 
regel,  die  unter  den  geschlechtern  nur  die  vom  ächtesten  edel  aussuchte, 
sondern  eine  liberale,  die  einen  kreis  von  plebejern  die  den  adlichen  am 
nächsten  standen  als  milchbrüder  zuzog,  ich  neige  mehr  hierher,  um 
der  analogie  willen,  die  in  Rom  die  ansehnlichen  plebejischen  häuser 
bieten,  die  mit  adlichen  den  namen  teilen,  noch  mehr  freilich  bestimmt 
mich  der  or/.os  Jev^eXiiov^  denn  dieser  steht  den  genneten  in  andern 
phratrien  völlig  analog,  aber  er  ist  kein  geschlecht,  ist  vielmehr  von 
einer  gemeinde  oder  besser  von  einem  dorfe  benannt,  den  demos 
Dekeleia  hat  es  freilich  erst  seit  507  gegeben,  aber  Dekeleia  sicher  und 
den  oiyiog  /iey.eXs(x)v  gut  und  gerne  auch  schon  vorher,  in  der  phratrie 
der  Demotioniden  war  kein  geschlecht  mehr  so  mächtig,  dafs  es  die  be- 
vorzugung  von  y£vvf]TaL  erzwang,  obvvol  ein  träger  des  phratriennamens 

19)  Es  ist  sclimachvoil,  dafs  historiker  dieses  vvort  brauchen,  das  wert  wäre 
in  der  chemischen  retorte  gemacht  zu  sein:  denn  wer  es  braucht  bekennt  damit 
erstens,  dafs  er  jedes  griechischen  Sprachgefühles  bar  ist,  zweitens  dafs  er  in  pa- 
triarchen  erzväter  statt  stamnihäupter  sieht:  TtaxQidoxai  cos  <pQar^iaoxoi,  cos  id'väQx^t- 
jiaxQia,  in  Elis  (IGA  112)  um  600  oder  früher  lebendig,  ist  gebildet  wie  fQaxQia, 
eine  jüngere  parallelbildung  zu  itärga  cos  fQTjTQT],  da  die  bedeutung  von  (pQarr]Q 
verscholl,  hat  sich  aus  beiden  das  hybride  cparoia  entwickelt,  das  um  400  aufser 
Athen  wol  ziemlich  überall  die  cpQaTQia  verdrängt  hatte. 

20)  Andromache,  die  frau  des  Rektor,  reicht  freilich  seinen  bastarden,  die 
ihm  die  haussclavinnen  geboren  haben,  die  brüst  (Eur.  Andr.  223):  das  ergibt  eine 
umgekehrte  milchbruderschaft,  welche  die  eheliche  und  uneheliche  descendenz  des 
hausherrn,  also  des  geschlechtseponymos,  bilden  würde,  aber  Homer  zeigt,  dafs  die 
bastarde  ohne  weiteres,  wie  im  mittelalter,  dem  stände  des  vaters  folgen;  die  un- 
ehelichen kinder  seiner  töchter  pflegt  der  vater  als  die  seinen  zu  erziehen,  oder  sie 
werden  ausgesetzt,     es  entscheidet  also  immer  der  selbstherrliche  wille  des  xvqios. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  18 


274  UI-    !•  Die  phiatiie  der  Demotioniden. 

nocli  470  archon  gewesen  ist.  aber  denjenigen  brüdern,  die  in  Dekelfia 
ansässig  waren,  hatte  man  die  Stellung  der  genneten  übertragen ;  sie  rech- 
neten sich  innerhalb  der  phralrie  als  einem  'hause'  angehorig.  natürlich 
liat  Kleisthenes  alle  die  507  dort  noch  ansässigen  in  die  gemeinde  auf- 
genommen, die  er  nach  dem  dorfc  benannte;  die  damals  schon  in  die  Stadt 
verzogenen  dagegen  nicht,  die  doch  auch  in  der  phratrie  blieben,  anderer- 
seits werden  manche  bürger  507  in  Dekeleia  gewohnt  hab.en,  die  zu 
anderen  phratrien  gehörten,  aber  nun  dort  demoten  wurden,  ganz  geht 
also  der  denios  in  die  phratrie  nicht  auf,  ganz  abgesehen  von  nachbar- 
demen ,  die  auch  erst  Kleisthenes  schuf,  wie  den  '^•/.a'/.vßLa  rr^g  Je/.e- 
).eLag  ,   Olov  /J e/.e).e.vmv . 

Die  brüder  erster  classe,  mögen  sie  geschlechtsgenossen  oder  milch- 
brüder  oder  das  haus  so  und  so  heifsen,  sind  der  alte  bestand  der  bruder- 
schaft  und  gehören    ihr  der  liction    nach  durch  ihre   abkunft  ipso  facto 
an.     es  ist  das  natürliche,    dafs   die  anerkennung  durch  den  vater  sein 
kind  in  das   geschlecht   und    damit   auch    in    die    phratrie  einführt:   die 
Apaturien  sind   ja  das  fest  der  6(.io/täTOQeg.     dagegen  die  cultgenossen  | 
sind  irgendwann  wie  auch  immer  hinzugetreten,  aufgenommen:  es  sind  | 
conscnpti  neben  den  patres   oder  patricii.     für   sie    ist   diese   aufnähme  j 
mindestens  formell  an  einen  beschlufs  der  alten  echten  brüder  gebunden  1 
gewesen.      so    geht   durch    die   verschiedenen   Ordnungen    dieselbe    er-  | 
scheinung   hindurch,    dafs   die    prüfung   und   Zulassung    zuerst   bei   den  ' 
brüdern  erster  classe   steht,  aber   die  fortschreitende  entwickelung  den 
unterschied  immer  mehr  aufhebt,   sei  es  dals  die   orgeonen   neben  den 
genneten    zwar    bestehen     bleiben,    aber     eine     prüfung    durch    jene 
eben  so  viel  gilt  wie  durch  diese,   sei   es   dafs   eine   andere   gruppe  an 
die  stelle   der  genneten   tritt,   sei   es   dafs  die  gesammtbrüderschaft  als 
höhere  Instanz  über  die  Vorprüfung  durch  jene  entscheidet,  sei  es  end- 
lich, dafs  die  gesammtbrüderschaft  in  gleichartige  und  gleichberechtigte 
kleinere  gruppen  geteilt  wird,  so  dafs  genneten  und  orgeonen  gleicher- 
mafsen    verschwinden,      diesen    letzten    schritt  haben    die   Demotioniden 
durch  das  gesetz  des  Nikodemos  getan. 

Die  bruderschaften  waren  genossenschaften  (y.oiva);  wie  diese  hatten 
sie  einen  vorstand ,  und  für  die  alte  zeit  werden  wir  die  monarchische 
spitze  erwarten,  die  in  den  meisten  genossenschaften  vorhanden  ge- 
wesen ist.  so  haben  auch  die  Demotioniden  einen  phratriarchen ;  aber 
die  Dyaleer  haben  zwei,  es  ist  unsicher  etwas  zu  vermuten,  aber  da 
in  der  gemeinschaft  der  brüder  zwei  classen  vorhanden  sind,  so  ist 
die  entwickelung  wol  denkbar,  dafs  die  niedrigere  einmal  auch  für  sich 


Die  bruderschaft  im  Verhältnis  zum  Staate.  275 

einen  Vertreter  als  collegen  des  adlichen  brudermeisters  durchgesetzt  hat. 
denn  so  lange  der  bestand  der  mitglieder  lediglich  durch  die  adhchen 
briider  controllirt  ward,  mnfs  der  Vorsteher  ihnen  allein  angehört  haben: 
so  war  es  schwerlich  zufällig  bei  den  Demotioniden  396.  viel  länger 
dürfte  sich  ein  vorrang  wie  der  des  oiv.og  Jey.elhov  im  passiven  Wahl- 
recht kaum  irgendwo  gebalten  haben.  Euxitheos  von  Hahmus,  ein  mann 
der  niedersten  lebensstellung,  ist  in  seiner  phratrie  phratriarch  gewesen ; 
ob  an  ihrer  spitze  einer  oder  mehrere  standen,  ist  nicht  deutlich,  mit 
der  phratriarchie  ist  die  Vermögensverwaltung  verbunden ;  indessen  kann 
auch  jeder  thiasos  seine  casse  haben,  und  wir  sahen  schon  in  dem  ge- 
setze  des  Hierokles,  wie  die  casse  der  gesamtheit  (des  y.oivöv)  sich  an 
die  stelle  der  casse  des  ol/.oq  setzt,  die  Dyaleer  verpachten  die  gründ- 
et iicke  ausschliefslich  für  das  y.olvÖv.  dafs  dieser  name  statt  der  cpoctToLa 
erscheint,  beweist  am  besten,  dafs  ehedem  eine  kleinere  Unterabteilung 
iil)er  das  vermögen  der  gesamten  phratrie  verfügte. 

Natürlich  sind  die  priestertümer  der  phratrie  erst  recht  ein  Vorrecht 
der  adlichen,  und  der  priester  der  Demotioniden  heifst  geradezu  der  des 
[lekeleerhauses,  dieser  cult  ist  nur  der  des  persönlich  gefafsten  rechts- 
begriffes  der  gemeinschaft :  als  sich  in  ihr  die  rangunterschiede  ver- 
wischten, mag  das  priestertum,  das  zudem  etwas  einbrachte,  allen  brüdern 
ziigängUch  geworden  sein,  im  übrigen  haben  die  von  der  phratrie  um- 
s(  hlossenen  gemeinschaften,  geschlechter  wie  thiasen,  ihre  sonderculte, 
iiiid  da  ist  es  schon  etwas,  wenn  die  teilnähme  an  den  sacra  den  brüdern 
insgesamt  verstattet  wird:  von  da  bis  zur  ausübung  derselben,  vom 
Uoa  dexeod^ai  zum  dgäv,  ist  ein  weiter  schritt,  der  vielfach  wol  gar 
nicht  getan  ist.  die  phratrie,  der  der  Kothokide  Aischines  angehörte, 
war  berechtigt  an  dem  geschlechtsculte  der  Eteobutaden  teil  zu  nehmen ; 
aiier  dieser  cult,  des  Poseidon  Erechtheus,  ist  immer  geschlechtscult  ge- 
liüeben,  und  Aischines  hätte  sich  nie  einfallen  lassen,  auf  das  priestertum 
ansprüche  zu  erheben,  es  hat  denn  auch  dieses  geschlecht  und  sein 
priesterlicher  vorrang  die  phratrie  lange  überdauert,  aber  auf  diesem 
gebiete  müfsten  wir  sehr  viele  einzelne  concrete  erscheinungen  kennen, 
um  allgemeine  Schlüsse  wagen  zu  dürfen. 

Nun  sehen  wir  klarer,  nun  wollen  wir  die  phratrien  im  Verhältnis  Die  bruder- 

,      Schaft  im 

zum  Staate   und  zur  bürgerschaft  betrachten,   rückwärtsschauend   aucn  Verhältnis 

1  •  .1  11-   1         1    p      •    1      ^^™  Staate. 

hier  von  der  helleren  zeit  aus.  Es  ist  selbstverständhch ,  dals  jeder 
Athener  de  iure  einer  phratrie  angehören  mufs,  deren  jede  also  ein 
zwölftel  der  bürgerschaft  unifafste:  ein  wie  unförmliches  ding  war  also 
das  cfoaTQiay.ov  yQu^if-iaxelov.     dafs  das  recht  wirklich  so   war,   zeigt 

18* 


276  III-    1-  Pie  pliratrie  der  Demotioniden. 

schon  allein  die  formel  der  biirgerhriefe  elvai  rov  öelva  cpv?S;g  v.a] 
drf.iov  y.ai  (fgargiag  wv  av  ßov?.rjTai.  in  dieser  liegt  aber  auch  sofort, 
dafs  zwischen  der  localen  gliederung  der  gemeinden  und  der  quasigenti- 
licischen  der  bruderschaften  ein  notwendiger  Zusammenhang  besteht, 
denn  der  neubürger  wählt  sich  nicht  dreierlei,  sondern  indem  er  si(  Ii 
eines  wählt,  die  gemeinde,  die  sein  biirgerrecbt  erst  effectiv  macht,  sind 
die  übergeordneten  gemeinschaften  gegeben,  andererseits  ,ist  mit  der 
aulnahme  in  die  gemeinde  der  eintritt  in  die  phyle  ipso  facto  gegebon. 
für  die  phratrie  gilt  das  nicht,  denn  da  bedarf  es  eines  einführenden 
bruders,  einer  aufnabmeceremonie  und  eines  aufnahmebeschbisses.  der 
noiibiirgfM'  mag  immerhin  ein  anrecht  auf  diese  aufnähme  von  dein 
Volke  erhalten  haben,  er  mufs  doch  erst  noch  schritte  tun,  um  anscbluis 
an  eine  cultgenossenschaft  und  einen  bruder,  der  ihn  einführt,  zu  finden, 
er  hat  aber  von  dieser  aufnähme  weiter  nichts,  als  dafs  er  gewisser  s.k  r.i 
teilhaftig  wird  und  die  Apaturien  mitfeiern  kann,  weder  rechtliche  nmh 
pecuniäre  vorteile  stehen  ihm  in  aussieht,  er  kann  von  der  gemeinde 
für  alle  ihre  ämter  gewählt,  für  die  ricbter-  und  ratstellen  präsent iil 
werden ,  ganz  ebenso  von  der  phyle  für  die  beamtenstellen  des  volkes. 
und  das  volk  nun  gar  hat  zu  den  wahlämtern  sogar  sehr  häufig  neu- 
bürger vorgezogen,  nirgend  ist  die  Zugehörigkeit  zu  einer  bruderschaft 
erfordert,  der  volksbeschlufs,  der  ihm  sein  bürgerrecht  verlieh,  war  dem 
neubürger  und  seinen  nachkommen  allerdings  ein  wichtiger  adelsliriet', 
den  liefs  er  meistens  auf  seine  kosten  in  stein  hauen  und  öffentlich  a\i?- 
stellen,  wenn  das  nicht  das  volk  schon  seinem  privileg  zugefügt  halte,  allein 
die  religiösen  motive,  die  einem  Athener  vielleicht  noch  um  350  die 
bruderschaft  oder  den  thiasos  wert  machen  mochten,  existirten  für  den 
neubürger  nicht;  für  viele  bürger  schwanden  sie  auch,  und  so  konnte  es 
gar  nicht  ausbleiben,  dafs  ein  immer  gröfserer  bruchteil  der  büriiei- 
schaft  factisch  ohne  bruderschaft  lebte,  wo  keine  greifbaren  vorteile 
und  kein  zwang  vorhanden  sind,  wird  der  mensch  einen  mit  kost<Mi 
und  mühen  verbundenen  freiwilligen  act  sehr  leicht  unterlassen,  so  sind 
die  bruderschaften  schon  zu  Pbilocboros  Zeiten  antiquirt  gewesen  und 
bald  ganz  in  Vergessenheit  geraten,  hätte  man  die  öiaiptjcpiaig  von  346 
ihnen  statt  den  gemeinden  anvertraut,  so  würde  die  bürgerschaft  ver- 
mutlich erheblich  eingeschwunden  sein:  das  (pQaroiaQxr/.dv  ygau^iarelor 
war  scbwerhch  so  unförmlich  wie  es  hätte  sein  sollen,  die  geschlechtcr 
aber  haben  sich  lebensfähiger  bewiesen  als  die  phratrien. 

Die    diaipr^rpioig    des    Isagoras   508    (oben    1.  31)    kann    nur   den 
phratrien  anvertraut  gewesen  sein:  damals  gab  es  noch  keine  gemeinden.' 


Die  bruderschaft  im  Verhältnis  zum  Staate.  277 

allein  schon  damals  gab  es  viele  leute,  die  sich  als  bürger  gerirt  hatten, 
ohne  den  phratrien  anzugehören,  das  war  möglich,  weil  schon  damals 
und  schon  zu  Drakons  zeit  die  staatliche  gliederung  nicht  mehr  genti- 
licisch  war:  die  naukrarien  waren  die  localen  Verwaltungsbehörden,  und 
sie  waren  im  rate  vertreten,  das  vermögen,  nicht  der  adel,  stufte  die  staat- 
lichen rechte  und  pflichten  ab;  rechtlich  dagegen  hatte  jeder  Athener 
noch  damals  eine  phratrie:  es  waren  nur  die  plebejer  als  orgeonen  den 
geschlechtern  beigeordnet,  das  Verhältnis  war  also  dem  späteren  ganz 
analog;  nur  hatten  die  geschlechter  eine  factisch  viel  höhere  macht,  und 
die  ogyia  waren  den  menschen  ungleich  wichtiger  als  100  oder  200  jähre 
nachher.  Kleisthenes  aber  konnte  gar  nicht  anders  als  seine  gemeinde- 
iirdnuug  irgendwie  mit  den  phratrien  ausgleichen,  gerade  weil  er  sie 
liefs  wie  sie  waren,  er  mufste  das  eine  feststellen,  dafs  die  neubürger, 
deren  er  viele  aufnahm,  in  ihnen  zutritt  fanden,  nicht  durch  privileg 
im  einzelnen  falle,  sondern  durch  ein  gesetz,  das  von  selbst  die  gemeinde 
mit  der  phratrie  in  ein  Verhältnis  setzte,  mit  anderen  Worten  die  und 
die  gemeinden  der  und  der  phratrie  zuwies,  so  weit  ihre  angehörigen  den 
adel  lediglich  in  folge  des  gemeindebürgerrechts  erhielten,  das  gibt  den 
phratrien  in  gewissem  sinne  locale  bedeutung,  die  durch  die  über  das 
ganze  land  verstreuten,  jetzt  den  verschiedensten  gemeinden  zugeteilten 
alten  phrateren  (genneten  und  orgeonen  älterer  Zugehörigkeit)  nicht 
aufgehoben  wird. 

Tief  in  das  siebente  Jahrhundert  hinein  müssen  wir  gehn,  vielleicht 
noch  höher  hinauf,  um  die  zeit  zu  finden,  wo  der  geschlechterstaat  wirk- 
lich noch  lebendig  war,  die  ämter  an  den  adel  gebunden  waren,  und 
lediglich  eine  anzahl  geschlechter  in  einer  phratrie  zusammengefafst 
waren,  damals  stand  die  plebs  völlig  aulserhalb,  und  der  adel  stritt  dem 
plebejer  mindestens  das  geschlecht,  vielleicht  auch  den  vater  ab.  dürfen 
wir  nun  annehmen,  dafs  damals  wirklich  das  blut  oder  doch  die  geglaubte 
Verwandtschaft  eine  anzahl  von  geschlechtern  als  Demotioniden  verband, 
so  dafs  ihre  ahnherrn  kinder  Demotions  gewesen  wären  ?  mit  andern 
Worten,  ist  die  phratrie  etwas  gewachsenes  oder  gemachtes?  schon  die 
zwölfzahl  gibt  die  antwort,  die  schematisch  aus  der  vierzahl  der  phylen 
entwickelt  ist.  die  phratrien  sind  mit  den  vier  phylen  zugleich  gemacht, 
von  jenen  lehren  es  die  blutlosen  eponyme,  auf  die  wirkhch  vornehme 
adelsgeschlechter  sich  zurückzuführen  verschmähen,  auch  die  eponyme 
der  phratrien  sind  blutlose  gestalten:  ja  die  namen  der  phratrien  z/valrjg 
Willig  sind  zwar  eines  Schlages  mit  'AQyadr^g  u4iyuoQrjg,  aber  eben 
wie  jene  keine  gentihcia.    brüder  die  sich  nach  Jiovvoog  Jvalog  nennen 


278  lU.    1.  Die  phratrie  der  Demotioniden. 

sind  selbst  eigentlich  nichts  als  orgeonen.  also  stellt  sich  die  adelsordnung 
bereits  als  eine  künstliche  Organisation  dar,  vergleichbar  der  späteren 
gemeindeordniing.  die  phylen  sind  freilich  sicherlich  nicht  local  ge- 
wesen, so  wenig  die  4  wie  die  10.  aber  die  phylendrittel,  die  xQLTxvg 
oder  q)QaTQlai  werden  es  freilich  nicht  durchweg  gewesen  sein,  weil  es 
die  geschlechter  nicht  sein  konnten,  aber  gewifsermafsen  waren  sie  es  doch 
auch  schon :  man  hat  die  neben  einander  wohnenden  geschlechler  zu 
einer  phratrie  verbunden,  und  durch  ihren  cultort  schon  erhält  die 
phratrie  einen  localen  mittelpunkt. 

Wir  würden  also  ein  gutes  teil  aller  geschichte  kennen,  wenn  wir 
die  centra  der  phratrien  bestimmen  konnten,  und  vielleicht  dürfen  wir 
das  von  der  zukunft  hofl'en.  Dekeleia  (Hippothontis)  ist  der  sitz  der 
Demotioniden,  Myrrhinus  (Pandionis)  der  Dyaleer,  Kephale  oder  Pro- 
spalta  (Akamantis)  der  Achniaden,  ein  beschlufs  einer  unbekannten  phra- 
trie ist  in  einer  kirche  zu  Charvati  gefunden  (CIA  II  599);  das  ist  kein 
sicherer  anhält  für  den  demos,  aber  die  phyle  Aigeis  ist  wahrscheinlich, 
die  Butaden  und  Kothokiden  weisen  auf  eine  phratrie,  die  mit  der  Oineis 
in  beziebung  stand,  über  Therrikleiden  und  Zakyaden,  deren  steine  in 
der  Stadt  nur  copirt  sind,  läfst  sich  nichts  sagen,  über  die  Fhilies,  von 
denen  wir  nur  das  geschlccht  der  Koironiden  kennen,  auch  nicht,  aber 
wir  sehen  einmal  wirklich  schon,  dass  Kleisthenes  die  Verteilung  der 
demen  auf  die  phylen  nicht  ohne  herücksichtigung  der  phratrien  voll- 
zogen hat,  wir  sehen  ferner,  dafs  eine  gleichsetzung  der  12  phratrien  mit 
den  12  alten  Städten  nicht  möglich  isl,^')  und  wenn  wir  jetzt  auch  unseres 
nichtwissens  uns  bewufst  werden,  so  gibt  der  furtschritt  der  letzten  zehn 
jähre  fröhlicher  hoffnung  auf  die  zukunft  räum. 
Demotion  Als  postiUe  will  ich  den  eponymus  der  Demotioniden  in  einem  wert- 

vollen namenregister  nachweisen,  dem  Verzeichnis  der  kinder,  die  Theseus 
vor  dem  Minotaurus  gerettet  bat,  erhalten  in  einem  schönen  mytho- 
graphischen  Vergilscholion  zu  Aen.  VI,  21,  das  durch  Haupt  und  Jahn 
zumeist  bereits  emeudirt  ist.  qnorum  haec  tiomina  ferunlur.  hi  pueri: 
forhas  (so  0.  Jahn ,  für  hippo  forbas.)  et  libi  idest  arcadis  antimachns 
euajidri  mnesteus  sumiani  phidocus  ramuntis  demolion  cydani  [puriesion  celei 
von  Haupt  getilgte  dittographie].     puellae  haec  perihea   akatim  medippe 


21)  Der  einfall,  dafs  die  rsr^aTtoXiis  oder  inay.QTjS  oder  fieacystoi  bruder- 
schaften  wären,  ist  mir  natürlich  gekommen,  die  ersten  beiden  stehn  in  der  liste 
der  alten  zwölf  Städte,  die  inax^Tis  waren  auch  später  eine  trittys.  aber  die  er- 
haltenen documente  dieser  genossenschaften  bestätigen  den  einfall  nicht,  obwol  sie 
ihn  schwerlich  verbieten. 


Demotion  der  heros.  279 

'pyrii  iesione  celei  andromache  euriniedontis  seupymedusa  polixeni  eiirope 
laodidt  milita  triaconi.  ich  will  die  emendationen  gleich  griechisch  geben. 
Wögßag,  dessen  Vatersname  sammt  dem  nächsten  knabennamen  noch 
unsicher  bleibt;  Aethlios  und  Elatos  und  Idas  gehören  nicht  nach  Athen 
und  sind  andererseits  zu  sehr  an  bestimmte  träger  gebunden.  Phorbas 
ist  natürlich  der  herr  des  OoQßavrelov  in  der  Stadt,  einst  ein  wolbe- 
kannter  geführte  des  Theseus,  meist  Poseidonsohn,  wenn  man  aus  lüdest 
mit  Leo  Butcs  macht,  was  sehr  erwünscht  wäre,  könnte  etli  wol  etali 
sein:  da  hätten  wir  die  eponymen  der  Aithaliden  und  Butaden.  der  vater 
des  zweiten  knaben  ist  ^^Q-yadevg,  der  eponyme  der  phyle,  wie  Jahn 
gesehen  hat.  ^AvTi[.iaYog  EuavÖQov,  für  mich  nicht  näher  bestimmbare 
gut  attische  namen.  Blsvso^evg  ^ovviov,  ^Af.icpiöo/.og  '^PaiivovvTog, 
/liqfxoriiov  Kvdavxog.  in  den  vätern  haben  wir  drei  demen,  zwei  sicher 
von  der  ostküste,  die  Kydantiden  wahrscheinhch  auch,  dazu  tritt  Demo- 
tion von  Dekeleia;  den  Kydas  hatte  schon  Stephani  erkannt,  den  mädchen 
fällt  der  westen  zu,  neqißoia  ^AXY.ad-oov,  die  tochter  des  megarischen 
königs,  mutier  des  Aias,  wie  manche  sagten  von  Theseus:  also  Megara 
trotz  seinem  peloponnesischen  herrscher  gilt  für  attisch.  MriöiTtTtr^ 
JIvQQOv  oder  Ilv/dov;  der  mädchenname  ist  um  der  Miqöa,  des  Mr^- 
öog,  D'lr\dEiog  willen  gewählt,  die  im  hause  des  Aigeus,  auch  dem  Bu- 
tadengeschlechte  vorkommen ;  es  gibt  auch  einen  Eteobutaden  Pyrrhos, 
aber  der  name  ist  nicht  sicher.  Ilillog  pafst  besser;  er  hat  den  Herakles 
in  die  Eleusinien  aufgenommen,  gehört  also  dorthin,  änderungen  die 
das  y  aufgeben,  sind  nicht  wahrscheinlich.  'Haiovr]  Keleov ,  das  ist 
Eleusis,  ^^vdQO/Liccyrj  EvQVf.iedovTog,  EvQviLieöovoa  Tlolv^h'ov,  EvQwnrj 
^aoduov  ohne  kenntliche  beziehung,  TMslLxi]  aus  der  Stadt,  deren 
vater  noch  fehlt;  Qgtayovog,  wie  Jahn  wollte,  ist  keine  brauchbare  bil- 
dung:  der  eponymos  würde  Oglog  oder  Qgiag  oder  OQidoiog  sein, 
ich  habe  keinen  plausibeln  Vorschlag,  das  ist  aber  wol  klar,  dals  der 
erfmder  der  liste  (ihr  überlieferer  wird  Istros  sein)  sehr  überlegt  ge- 
wählt hat,  und  dafs  es  sich  verlohnt,  die  namen  zu  deuten  oder  zu 
finden. 


2. 
DER  ERSTE  KRIEG  GEGEN  AEGINA. 


Wir  liaben  über  den  krieg  zwischen  Athen  und  Aegina  keine  über- 

Der  erste  liefcrung  aufser  bei  Herodotos.')     was  er  gibt,  kann  so  wie  es  ist  nicht 

^le"odotos!  gescbichte  sein,    es  geht  aber  niciit  an,  davon  zu  ignoriren,  was  auf  den 

ersten  bhck  sich  als    novelhstisch  kund  gibt,    und  das  andere  wol  oder 

übel  als  geschichte  zuzustutzen,  sondern  die  aualyse  des  ganzen  berichtes 

mufs  vorhergehen. 

Herodot  erzählt  (V  79 — 90)  gleich  nach  dem  siege  Athens  am  Euripos, 
dafs  Theben  sich  um  Iiilfe  nach  Aegina  wendet,  und  die  Aegineten  die 
attische  kiiste  verwüsten,  die  Athener  werden  an  der  aufnähme  des 
krieges  dadurch  verhindert,  dafs  Sparta  mit  einer  intervention  zu  gunsteri 
des  flippias  droht. 

Das  ist  das  bescheidene  tatsächliche,  was  er  über  diese  zeit  beibringt, 
es  schliefst  sich  seinem  berichte  über  die  altische  geschichte  jener  jähre 
sehr  gut  an,  und  man  hat  nicht  die  mindeste  veranlassung,  mehr  daran 
zu  zweifeln  als  an  jenem  berichte  überhaupt,     es  ist  wahr,  dafs  Athen 


1)  Weil  er  auf  Herodotos  zurückgeht,  mufs  selbst  der  bericht  des  Duris  in 
seiner  samischen  chronik  unberücksichtigt  bleiben,  der,  wie  ich  schon  früher  ge- 
legentlich verbessert  habe,  also  lautet  y.aTo.  8s  rovrov  tov  xoÖvov  vtiu  AiyivriTiov 
^AdTiValot  y.uxu  d'äJ.uTTav  (^ii')ox^.ui  uevoi,  niunovai  tis^ovs  eis  z>]v  vr;aov ,  -ltio- 
)Mfißüvovr8i,  UV  fd'äacoatv  UTioßüvTSs,  noXXu  av  ßJ-ätpai  r?;»'  A'iyivav.  oi  Se 
ins^ekd'övTsi  (eri'xoi'  yuo  airoXs  7tooay.aru7TE7rXevy.ores  növ  .SjiaoxiarcJv  rivss) 
rovs  'AdTivaiovs  aTiavras  a7tty.re1.vav  Ttkr^v  ivos  u.  s.  w,  es  folgt  breit  sein  tod 
und  dann  die  anderung  der  tracht:  diese  war  es,  welche  der  peripateliker  beleuch- 
tete, und  auf  ihn  geht  die  grammatikerüberlieferung,  einschliefslich  einer  bemerkung 
über  die  alten  gemälde  und  eines  Anakreonverses  zurück,  nur  ein  Kallimachosvers 
ist  grammalikerzusatz.    (schol.  Eur.  Hek.  03-lj. 


Der  erste  bericht  des  Herodotos.  281 

eigentlich  hätte  losschlagen  können,  sobald  die  von  Sparta  drohende  ge- 
fahr  verschwand.  Herodot  bedient  sich  derselben  auch  nur  als  eines 
stilistischen  mittels,  um  einen  Übergang  zu  jenen  planen  der  Spartaner 
zu  finden.^)  innerhch  motiviren  hat  er  die  Zurückhaltung  der  Athener 
mit  einem  orakel  wollen,  das  ihnen  30  jähre  zu  warten  gebot,  widrigen- 
falls sie  einen  sehr  langen  wechselvollen  krieg  führen  müfsten.  dies 
orakel  dient  ihm  auch  dazu,  seine  aeginetischen  abschnitte  zu  ver- 
knüpfen.^) es  gehört  freihch  zu  dem  was  er  überliefert  erhalten  hat,  aber 
dafs  es  hier  erscheint,  ist  auch  nur  Herodots  anordnung,  die  für  uns 
nicht  mafsgebend  ist.  und  wir  bedürfen  keiner  besonderen  motivirung 
dafür,  dafs  Athen  506  die  räubereien  der  Aegineten,  so  bitter  es  sie 
(mpfindet,  hinnehmen  mufs:  Athen  hat  ja  keine  flotte,  da  das  orakel 
die  Überwindung  Aeginas  nach  30  jähren  in  sichere  aussieht  steht,  kann 
mau  nicht  bezweifeln,  dafs  es  nach  seiner  erfüllung  entstanden  ist.  457 
ist  Aegina  wirkhch  nach  einem  heftigen  aber  kurzen  kämpfe  überwunden ; 
damals  mufste  man  sich  der  früheren  kriege,  um  so  mehr  falls  sie  nicht 
lilofs  resultatlos,  sondern  unglücklich  waren,  in  der  form  erinnern 
"das  hätten  wir  uns  sparen  sollen",  damals  kannte  man  aber  auch  die 
zeit  genau  genug,  um  mit  30  jähren,  mag  die  zahl  auch  rund  sein, 
nicht  50  zu  meinen.  Herodot  hätte  das  orakel  also  an  dieser  stelle 
noch  nicht  erwähnen  dürfen,  sondern  erst  an  der  späteren,  und,  wie 
wir  vorgreifend  nun  schon  ermittelt  haben:  der  krieg  mit  Aegina  fällt 
um  4S7. 


2)  Solche  Übergänge  macht  er  oft,  und  es  ist  ein  wichtiges  prinzip  für  seine 
exegese,  dafs  man  in  ihnen  nicht  mehr  als  das  stilistische  moliv  sucht,  da  gehört 
bei  dem  prosaischen  Homer  wirklich  die  bemerkung  hin,  die  im  epos  so  oft  nicht 
cieii  dichter,  den  sie  entschuldigen  soll,  sondern  den  redactor  trifft,  oty.ovo(icxcös 
loiTo  Xtysi. 

'S)    V  89    TjXd'e    fiavtf^ov    ex    Jelfpäyv   intay^övras   —  roirjy.ovra    ezea   reo    ivl 

y.al  rQiijXoarcö  Alaxcö  t£/ievos  anodi^avTas  äpyead'ai ravza  cos  aTtevety^- 

d'ivxa  rjxovaav  ol  yld'r,valoi,  leä  fi.Ev  Aiaxcö  ra'usros  änsSs^av  tovxo,  ro  vvv  knl 
T/~s  ayoQiqs  i'SQvzai,  r^irjxovra  Se  erea  ovx  uviayovro.  VI  S8  j4d'r^valoi  Se  na- 
d'üvxBS  ravia  ovxeri  avsßä}J.ovro  fif]  ov  to  näv  urjyavTiaaad'ai,  STt'  Aiyiviqrriaiv. 
das  heiligtum  wird  auch  erwähnt  in  einer  der  topographischen  glossenreihen  des 
fünften  Bekkerschen  lexicons,  212  (==  Hesych,  nicht  Diogenian),  die  auf  Athen  gehn, 
50  dafs  Aläxetov ,  rönos  ov  cpaaiv  zov  Aiaxov  otxjjaai  den  aeginetischen  heros 
allerdings  annectirt,  wie  seine  nachkommen  Aias  und  Eurysakes,  wie  Theseus  und 
Xeleus  annectirt  sind,  und  namentlich  Nisos,  der  eponymos  von  Nisaia.  auch  be- 
deutet diese  gründung  (die  natürlich  eine  restitution  sein  wollte)  den  plan,  Aegina 
zu  annectiren.  also  ist  es  eine  gründung  von  45S :  älter  kann  ein  solcher  gedanke 
nicht  sein,  wol  aber  jünger,  doch  nur  bis  404. 


282  ni.    2.  Der  erste  krieg  gegen  Aegina. 

Noch  ein  anderes  orakel  erwähnt  Ilerodot.  Thehen  soll  sich  an 
Aegina  gewendet  haben ,  weil  der  gott  ihm  befahl  sich  an  die  ay^iora 
zu  halten,  und  das  war  A'iyiva  als  tochter  des  Asopos  und  Schwester 
der  Qrißr].  das  entspricht  ganz  den  anschauungen  und  der  ausdrucks- 
forni,  die  man  bei  Pindaros  findet;  es  kann  also  sehr  wol  geschichtUch 
sein,  richtiger  freilich  wird  man  auch  hierin  nur  die  darstellung  eines 
zustandes  durch  eine  einzelne  geschichte  sehen. 

Aber  die  hauptgeschichle  Ilerodots  soll  den  alten  hafs  zwischen 
Athen  und  Aegina  motiviren,  der  angeblich  schon  vor  506  vorhanden 
gewesen  ist,  obwol  es  sonst  keinerlei  anzeichen  für  ihn  gibt,  weil  diese 
geschichte  ganz  voller  novellistischer  züge  steckt,  ist  es  zwar  unerlaubt, 
sie  in  die  Jahrbücher  der  geschichte  einzuordnen ,  wie  z.  b.  0.  Müller, 
Duncker,  Studniczka  getan  haben;  man  darf  sie  aber  auch  nicht  ohne 
weiteres  über  bord  werfen,  wie  es  zumeist  und  auch  von  Kühler  (Rhein. 
Mus.  46)  geschieht,  ich  erzähle  sie  nicht  im  ganzen  nach  und  schreibe 
sie  nicht  aus;  es  mufs  sie  jeder  doch  im  zusammenhange  nachlesen,  aber 
ihre  einzelnen  züge  mufs  ich  betrachten. 

In  dem  aeginetischen  dorfe  Oie  ist  ein  heiligtum  der  Damia  und 
Auxesia  mit  zwei  schnitzbildern  der  güttinnen  aus  olivenholz  in  knieen- 
der  Stellung,  wie  Welcker  uns  gelehrt  hat,  sind  es  geburtsgüttinnen  in 
der  haltung  der  kreifsenden,  wie  die  Avyri  syyovaOLv.  die  frauen  ver- 
ehren sie  in  ihren  nöten  wie  die  Alhenerinnen  die  Brauronia,  weihen 
ihr  wie  diese  ihren  schmuck,  darunter  um  ihres  metallwertes  willen 
natürhcherweise  besonders  viele  spangen,  die  nach  der  dorischen  mode 
den  mantel  auf  der  schulter  zusammenhalten,  nach  der  tempelordnung 
darf  nur  einheimisches  tongeschirr  gebraucht  werden;  insbesondere  ist 
die  attische  wäre  ausgeschlossen,  die  am  ehesten  mitgebracht  werden 
konnte:  das  ist  eigentlich  ganz  natürlich. 

Die  herodoleische  zeit  fragt  bei  den  religiösen  Satzungen  wie  bei 
allem  nach  dem  warum;  sie  findet  in  dem  verböte  der  attischen  wäre  den 
in  der  gegenwart  brennenden  hafs  der  Aegineten.  sie  wundert  sich  über 
die  hallung  der  gütterbilder  und  gibt  die  antwort,  dafs  sie  auf  die  kniee 
gesunken  wären,  als  feinde  sie  rauben  wollten,  diese  feinde  sind,  auch 
um  des  gegenwärtigen  hasses  willen,  Athener,  die  slaluen  sind  aus 
olivenholz;  die  Athener  sind  des  glaubens,  dafs  die  oUve  ihnen  gehöre. 
damit  sind  ihre  ansprüche  und  ihre  versuche  die  statuen  zu  rauben 
motivirt. 

Die  Athenerinnen  tragen  keine  schulterspangen  mehr  wie  die  Dore- 
rinnen;  aber  man  hat  seitdem  Umschwünge  der  mode  den  glauben,  das 


Der  erste  bericht  des  Herodotos.  283 

dorische  wäre  ächtliellenisch ,  und  wenn  die  frauen  gleichwol  nicht  zu 
i\rr  mode  der  unfürmhchen  spangen  zurückgekehrt  sind,  so  motivirt  man 
diis  mit  einem  verböte  wegen  der  gefähdichkeit  dieser  instrumente.  von 
der  erzähUe  man  viel.  Oidipus  hatte  sich  mit  der  spange  lokastes  ge- 
l)lendet  (Soph.  0.  T.  1269),  und  die  Troerinnen  hatten  es  mit  Polymestor 
elicnso  gemacht  (Eur.  Hek.  1170):  die  tragiker  lehren  uns,  zu  welcher 
zeit  diese  beurteilung  der  dorischen  spange  gegolten  hat;  die  Unanstän- 
digkeit des  dorischen  frauenkleides,  das  die  schenke!  den  blicken  darbot, 
weil  kein  hemde  darunter  safs,  berührt  schon  Anakreon..  was  war  nun  das 
ojder  der  altischen  frauen,  dessen  ermordung  das  verbot  der  dorischen  tracht 
mit  den  spangen  hervorrief?  das  läfst  sich  nicht  a  priori  bestimmen,  das 
konnte  so  oder  so  gedichtet  werden,  da  lernen  wir,  dafs  es  der  unheiisbote 
i;ewesen  ist,  der  von  Aegina  als  einzig  überlebender  die  künde  eines  grofsen 
Unheils  brachte,  wie  die  Athener  erzählen,  sagt  Herodot,  war  ein  schiff 
hinüber  gefahren  um  die  beiden  bilder  aus  attischem  ohvenholz  zu  holen. 
die  mannschaft  war  bei  dem  gotteslästerlichen  unterfangen  von  plötz- 
lichem Wahnsinn  befallen,  und  bis  auf  den  einen  hatten  sie  sich  alle  gegen- 
seitig umgebracht,  dem  stellt  er  den  aeginetischen  bericht  gegenüber 
und  zwar  so,  dafs  er  ihn  als  berichtigung  des  attischen  gegeben  annimmt, 
selbst  aber  wieder  das  wunderbare  aus  ihm  zu  streichen  bemüht  ist. 
nach  diesem  berichte  ist  eine  attische  flotte  mit  gewalt  nach  Aegina  ge- 
konmien,  gegen  die  haben  die  Aegineten  hilfe  von  Argos  gerufen,  diese 
i^t  unbemerkt  gelandet,  hat  die  Athener  von  ihren  schiffen  abgeschnitten 
und  hat  sie  niedergemacht  bis  auf  einen,  das  ist  ganz  offenbar  ein  durch- 
aus nicht  novellistischer  oder  aetiologischer  bericht,  sondern  ein  geschicht- 
licher, ich  habe  nur  das  novelhstisch  aetiologische  fortgelassen,  das 
Ix'steht  in  der  tempellegende,  dafs  die  bilder  sich  nicht  wegrücken  Hefsen, 
und  als  man  sie  mit  seilen  wegzuziehen  versuchte,  in  die  knie  fielen, 
und  darin  dafs  gewitter  und  erdbebeu  den  Untergang  der  Athener  be- 
gleiteten, diesen  bericht  hat  Herodot  offenbar  so  eingehoh,  dafs  er  den 
Aegineten  die  attische  erzählung  vorlegte,  wenn  die  Athener  selbst  sagten, 
sie  hätten  die  bilder  rauben  wollen  und  wären  alle  bis  auf  einen  um- 
gekommen, so  hatten  jene  keinen  grund  zu  widersprechen,  was  die 
bilder  anlangte,  so  verfügten  sie  über  eine  andere  aetiologische  geschichte, 
die  gar  nicht  damit  zusammenhieng,  aber  sich  gut  damit  vertrug,  dafs 
die  attische  die  erinnerung  an  eine  schwere  niederlage,  nicht  an  den 
Verlust  eines  Schiffes,  festhielt,  sagten  die  Aegineten ;  wir  konnten  es  uns 
auch  selbst  sagen,  da  die  genesis  der  ganzen  fehde  ohne  diese  Voraus- 
setzung unbegreiflich  ist.    es  ist  aber  schlechthin  nicht  abzusehen,  wes- 


284  III.    2.  Der  erste  krieg  gegen  Aegina. 

halb  wir  dem   bericlUe  der  Aegineten    in  betreff  des  Krieges  mit  Alben 
mistrauen  sollten. 

Die  analyse  der  ersten  herodoteischen  erzählung  hat  also  als  ge- 
schichtlich glaubhaftes  resultat  ergeben ,  dafs  irgend  wann  die  Athener 
eine  starke  truppenzahl  auf  Aegina  gelandet  hatten,  die  aufgerieben  ward, 
weil  hilfsVölker  von  Argos  unbemerkt  auf  der  insel  eintrafen  und  die 
Athener  von  ihrer  fiotte  abschnitten,  diese  geschichte  ist  zunächst  voll- 
kommen zeitlos,  denn  llerodots  anordnung  ist  dessen  eigenes  werk  und 
hat  für  uns  nicht  die  mindeste  Verbindlichkeit. 
Der  zweite  Das   andere    stück   der    kriegsgeschichte    schiebt    Ilerodot  zwischen 

Herodotos.  die  gesandtschaften,  durch  die  Dareios  von  den  hellenischen  Staaten  die 
Unterwerfung  fordert,  und  die  schlacht  bei  Marathon,  wer  seiner  er- 
zählung folgt,  mufs  alles  491  bis  sommer  490  unterbringen;  es  ist  nicht 
mehr  nötig  die  Unmöglichkeit  zu  beweisen,  die  hanptpunkte  sind  fol- 
gende. Aegina  huldigt  dem  Dareios,  wird  deshalb  von  Athen  in  Sparta 
denunzirt,  weigert  dem  könig  Kleomenes  die  genugtuung  (VI  48 — 50). 
als  dieser  seinen  collegen  Demaratos  durch  Leotycliides  ersetzt  hat,  er- 
zwingen beide  die  auslieferung  vornehmer  Aegineten  und  geben  diese  den 
Athenern  in  Verwahrung  (VI  73).  nach  dem  lüde  des  Kleomenes  fordern 
die  Spartaner  die  auslieferung  dieser  männer  vergeblich  von  Athen  (VI  85). 
hier  ist  es  erst,  wo  in  Wahrheit  die  fortsetzung  seiner  früheren  erzäh- 
lung von  Herodot  notirt  wird  (VI  87.  88);  der  aeginetischen  geifeln, 
der  Perser  und  der  Spartaner  geschieht  keine  erwähuung  mehr,  die  ge- 
schichte wird  völlig  zeitlos,  umfafst  ersichtlich  eine  längere,  wenn  auch 
unbestimmte  frist,  der  Übergang  zu  anderem  wird  mit  'Ad^hvcdoiat  /luv 
dij  7iökef.iog  ovvrjTtzo  ycgdg  yUyivrjTag  (VI  99)  gemacht,  ohne  dafs  doch 
ein  abschlufs  da  ist.  wir  brauchen  also  nur  die  beiden  gesonderten  stücke 
des  herodoteischen  berichtes  gesondert  zu  behandeln,  so  sind  wir  die  Ver- 
wirrung der  zeit  los.  dafs  Aegina  Persien  gehuldigt  hat  wie  die  andern 
inseln ,  ist  ganz  glaublich;  sie  mochten  den  zunächst  bedeutungslosen 
act  für  politisch  halten:  480  haben  sie  sich  den  ehrenpreis  der  tapfer- 
keitverdient, und  die  anekdote  ist  wol  authentisch,  dafs  der  söhn  eines 
der  damals  in  Athen  verhafteten  männer,  des  wegen  seines  namens  auch 
von  Simonides  bespöttelten   Krios^),   bei  Salamis   dem  Themistokles   ein 


4)  Es  ist  wol  ein  Athener  gewesen,  der  in  Nemea  den  Krios  im  ringkampf 
überwand  und  sich  von  Simonides  das  siegeslied  machen  liefs,  in  dem  darüber  ge- 
scherzt ward  "wie  der  bock  im  haine  des  Zeus  so  weidlich  geschoren  ward",  denn 
das  lied  blieb  in  Athen  volkstümlich  (Ar.  Wölk.  135()  mit  schol.),  und  es  bedurfte 
eines  besonderen  hasses,  um  die  abweichung  von  der  etikette  zu  moüviren:  wie  Pindar 


« 


Der  zweite  bericht  des  Herodotos.     der  dritte  bericiit  des  Herodotos,      285 

bitteres  wort  über  den  aeginetischen  medismus  zugerufen  babe,  als  er 
gerade  ein  sidoniscbes  scbifT  geentert  batte  (Her.  VIII,  92):  aucb  die  andern 
facta,  die  klage  Atbens  und  die  Verhaftung  der  angeblicb  oder  wirklich 
perserfreundlichen  führer  wird  so  bestätigt,  endlich  ist  die  datiriing  des 
Herodotos  ganz  unanstofsig,  zumal  die  spartanische  konigsliste  als  Leo- 
tychides'  erstes  jähr  491  gerechnet  hat.  nur  mufs  jedermann,  der  dies 
für  sich  betrachtet,  annehmen,  dafs  490  die  aeginetischen  gefangenen  in 
attischem  gewahrsam  safsen. 

Gesondert  davon,  zusammenhängend   mit  der  erzählung  im  fünften  Der  dritte 

L8richt  cIgs 

buche,  steht  der  ausführliche  bericht  (VI  87 — 93),  den  Herodot  nur  hier-  iieiodotos. 
hergerückt  hat,  weil  er  in  sich  gar  keine  datirung  trug,  die  Aegineten 
rauben  ein  attisches  schiff,  das  zur  regatta  am  Poseidonfest  nach  Sunion 
fährt,  die  Athener  schlagen  jetzt  die  warnung  des  orakeis  in  den  wind, 
das,  wie  wir  schon  gesehen  haben,  die  zeit  um  487  voraussetzt,  und 
versuchen  durch  einverständnis  mit  einem  demokratisch  gesonnenen 
Aegineten  sich  der  insel  zu  bemächtigen,  dazu  müssen  sie  sich  20  schifl'e 
von  den  Korinthern  schenken  lassen,  aber  sie  kommen  einen  tag  zu 
spät,  als  der  demokratische  aufstand  schon  niedergeschlagen  ist;  nur  der 
rädelsfübrer  mit  wenigen  rettet  sich  nach  Alben ,  wird  in  Sunion  an- 
gesiedelt und  treibt  piraterei  gegen  Aegina.^)  die  athenische  flotte  er- 
zwingt sich  doch  die  landung  durch  einen  seesieg;  da  kommt  zwar 
nicht  officieller,  aber  doch  starker  zuzug  von  Argos.  die  meisten  Argeier, 
und  so  ihr  führer  Eurybates,  werden  freihcli  von  den  Athenern  er- 
schlagen, Eurybates  im  Zweikampfe;  aber  die  Aegineten  überfallen  doch 
die  Athener,  als  sie  einmal  in  Unordnung  sind,  und  nehmen  vier  schiffe. 
So  schliefst  die  geschicble  oder  vielmehr  so  bricht  sie  ab.  die  dar- 
slellung  ist  offenbar  athenisch,  also  ist  von  den  attischen  erfolgen  einiges 
abzuziehen,  noch  viel  sicherer  aber  ist,  dafs  das  ende  fehlt:  das  athe- 
nische beer  kann  doch  nicht  in  Aegina  sitzen  bleiben,  und  dafs  die 
Argeier  beinahe  alle  erschlagen  werden,  sieht  sehr  nach  einer  Verall- 
gemeinerung des  einen  abenteuers   aus,   das  Herodot   hier  aus  anderer 


zeigt,  macht  man  sich  nicht  über  die  personen  der  überwundenen  gegner  lustig. 
der  name  K^iös  klang  den  Hellenen  komisch,  das  grabepigramm  eines  Atheners 
Krios  (Kaib.  63  =  CIA  II  3SS0  saec.  IV)  hebt  dem  namen  gegenüber  die  xf'vxr/  ycozos 
Sutaiorärov  hervor:  das  geht  auf  die  sprüch Wörter  y.oios  rqoyeV  a7tiSa)XEv,  xoiov 
Siaxovia. 

5)  Das  ist  ein  schöner  beleg  für  die  geslattung  der  caperei  von  privaten,  die 
gesetzlich  daraus  folgt,  dafs  das  bekannte  'solonische'  gesetz  den  ettI  /.siav  oi/^()(^is%oi 
den  schütz  ihrer  genossenschaftlichen  Statuten  gewährt. 


286  III-    2.  Der  erste  krieg  gegen  Aegina. 

tradilion  eingefügt  hat:  der  attische  hekl  Sophanes  zeichnet  sich  auch  bei 
IMataiai  aus  und  ist  464  hei  Drabresi<os  gefallen  (IX  73).  man  verlangt 
eigentlich  als  abschlufs  eine  niedeiiage  der  Athener,  man  verlangt  sie 
doppelt,  wenn  man  sich  des  orakels  erinnert,  wie  kommt  aber  der  ehr- 
liche Ilerodot  dazu,  sie  zu  unterdrücken  und  seine  geschichte  im  sande 
verlaufen  zu  lassen?  dafür  ergibt  sich  die  antwort,  sobald  man  das  feh- 
lende stück  dazu  nimmt:  es  steht  ja  vorher,  er  verweist  auch  seihst  dar- 
auf, aber  er  kann  es  nicht  mehr  an  der  rechten  stelle  anführen,  weil 
er  es  an  der  falschen  verbraucht  hat.  nicht  "wie  früher",  sondern  eben 
jetzt  erst  riefen  die  Aegineten  den  schütz  von  Argos  an.  man  halte 
doch  die  obige  erzählung  der  Aegineten  zusammen  mit  den  bruchslücken 
dieser,  landung  einer  attischen  flotte,  ausschiffung  eines  heeres,  un- 
erwartetes eingreifen  eines  corps  von  Argeiern,  niederlage  der  Athener, 
das  ist  doch  ein  und  dieselbe  geschichte.  der  Vorgang,  so  weit  er  den 
Herodot  angeht,  ist  also  der.  die  entscheidende  niederlage  Athens  ist 
erstens  in  einem  gewissen  geschichtlichen  zusammenhange  erzählt  worden, 
und  andere  traditionen  und  anekdoten  nahmen  auf  den  merkwürdigen 
ausgang  vielfach  bezug.  daneben  aber  hat  sich  der  glaube  gebildet,  dafs 
Athen  den  zug  wider  ein  orakel  unternahm;  dieser  freihch  erst  in  der 
zeit,  wo  man  Aegina  von  neuem,  diesmal  erfolgreich,  zu  leibe  gieng.  daran 
wieder  hat  sich  die  sage  von  dem  unglücklichen  kriege  geknüpft,  die  sage 
von  Damia  und  Auxesia;  ich  zweifle  nicht,  dafs  die  Athener  sich  wirk- 
lich in  Oie  bei  jenem  tempel  festgesetzt  hatten,  ferner  hat  sich  die  sage 
von  der  ablegung  der  spangen,  da  sie  einer  grofsen  niederlage  bedurfte, 
auch  an  die  auf  Aegina  geschlossen,  den  Aegineten  konnte  es  schon 
recht  sein,  wenn  die  Athener  nur  einen  einzigen  der  ihren  gerettet 
werden  liefsen.  nun  horte  Herodot  diese  geschichten;  er  hörte  in  Athen 
mancherlei,  erfragte  bei  den  Aegineten  anderes  über  die  gescJiichte  von  den 
gütterbildern,  die  ihm  besonders  merkwürdig  war,  und  machte  sich  seinen 
vers  daraus,  so  gut  er  konnte,  das  konnte  er  aber  unmöglich  gut  machen, 
denn  wie  sollte  er  die  niederlage  der  Athener,  von  der  die  Aegineten 
erzählten,  zugleich  mit  der  von  487  und  mit  der,  welche  zur  abschaf- 
fung  der  spangen  geführt  hatte,  identiticiren?  der  aufgeklärte  lonier  war 
an  sich  geneigt,  eine  solche  wundergeschichte  eben  so  wie  die  änderung 
der  tracht  möglichst  weil  hinaufzuschieben,  der  vorsehungsgläubige  er- 
zahler  suchte  den  hafs  der  beiden  Städte,  das  unrecht  Aeginas  und  den 
grund  des  miserfolges  der  Athener  möghchst  weit  zurückzuführen,  und 
vielleicht  schlug  fiu"  seine  kritik  am  meisten  durch,  dafs  487  mindestens 
Sophanes  leben  geblieben  war.     aber  überhaupt  hatte  natürlich  die  ge- 


Der  dritte  beiicht  des  Herodotos.     die  halle  der  Athener  in  Delphi.       287 

schichtliche  Überlieferung  der  Athener  den  miserfolg  möglichst  gering 
dargestellt,  während  die  sage,  die  ja  nur  ganz  im  allgemeinen  eine  nieder- 
lage  als  hintergrund  brauchte,  das  sagenmotiv  des  einen  unglücksboten 
forderte,  so  schob  Herodot  die  kämpfe  um  Damia  und  Auxesia  in  un- 
bestimmte ferne,  half  sich  aber  über  die  Wiederholung  so  gut  es  gieng 
weg,  indem  er  den  ausgang  des  kampfes  unterdrückte,  sein  leser  mag 
sich  denken,  es  geht  nun  der  kleine  krieg  weiter:  der  ausgang  ist 
durch  das  orakel  vorgezeichnet,  v.'ird  auch  erwähnt,  ist  übrigens  in  den 
tatsächhchen  Verhältnissen,  unter  denen  Herodot  schreibt,  von  selbst  ge- 
geben, da  er  keine  Jahrbücher  schreibt,  läfst  er  den  Themistokles  die 
ilotte  ruhig  für  denselben  aeginetischen  krieg  gründen,  den  er,  streng 
interpretirt,  491/0  angesetzt  hat:  seine  erzühlung  des  themistokleischen 
stralegems  (7,  144)  ist  eben  ein  ganz  anderer  selbständiger  bericht,  der 
zu  der  wirkhchen  zeit,  483,  vortrefflich  pafst  (vgl.  oben  I  275). 

Wie  sich  nach  dieser  analyse  das  was  an  gescbichte   bleibt  in   die 
übrigen  ereignisse  einordnen  läfst,  ist  oben  s.  89  durch  die  tat  gezeigt. 

Danach  haben  ihre  erfolge  gegen  Aegina  den  Athenern  keine  ver-  Die  haiie 
anlassung  gegeben,  dem  ApoUon  in  Delphi  eine  halle  zu  bauen,  in  der  in  Delphi. 
sie  Waffen  und  Schiffsschnäbel  aufstellten  und  daran  schrieben  ^^s- 
valOL  ave^saav  trjv  oroav  '/.al  xa.  hörcXa  Y.a.1  raY.QorsQLa  helovzeg 
Tov  ytolsf-iLOv  (IGA  3^).  die  schrift  zeigt,  dafs  die  weihung  älter  als 
die  Perserkriege  ist;  die  dedicationsform,  dafs  die  Athener  frei  sind: 
ganz  abgesehen  davon ,  dafs  die  Peisistratiden  zu  Delphi  wahrlich  kein 
pietätsverhältnis  hatten,  ich  habe  die  halle  sofort,  als  sie  gefunden  ward, 
auf  den  sieg  am  Euripos  504  bezogen,  und  da  alle  andern  deutungen  schifl- 
bruch  gelitten  haben,  bin  ich  darin  nur  sicherer  geworden,  von  einer 
Seeschlacht  steht  nichts  geschrieben :  erbeutet  müssen  in  Chalkis  schiffe 
i,^enug  sein,  die  Athener  hätten  vielleicht  besser  getan,  sie  zu  einer 
tlottengründung  zu  verwenden  als  sie  zu  verbrennen  und  die  ehernen 
Vorderteile  dem  gotte  zu  weihen,  aber  eben  deshalb  wird  die  weihung 
in  eine  zeit  fallen,  wo  der  gedanke  an  eine  eigene  flotte  ihnen  noch 
gänzHch  fern  lag.  für  Delphi  aber  kann  die  dankbarkeit  nie  lebhafter 
gewesen  sein,  als  nachdem  der  gott  Athen  erst  zur  freiheit,  dann  zur 
geineindeordnung  verhelfen  hatte,  da  die  übrigens  wirkhch  recht  dürf- 
itige  halle  sich  an  das  polygonale  Stylobat  lehnt,  mufs  dieses  damals 
schon  fertig  gewesen  sein:  der  tempel  nicht,  und  er  ist  es  506 
nicht  gewesen  (vgl.  oben  I  35).  aber  man  würde  dann  ja  auch 
nicht  nötig  gehabt  haben,  dies  kleine  ding  anzukleben :  wenn  der  tempel 
fertig  war,   kamen   die  weihgeschenke  eben    in  ihn  hinein,     seit  es  die 


288  in.    2.  Der  erste  krieg  gegen  Aegina, 

grofsen  tempel  gibt,  sind  weder  in  Delphi  noch  in  Olympia  thesauren  j 
mehr  gebaut  worden,  es  ist  unverkennbar,  dafs  die  fülle  der  weih- 
geschenke  die  erbauung  der  riesentempel  im  6.  und  5.  Jahrhundert  her- 
vorgerufen hat.  doch  auf  diese  probleme  der  baugeschichte,  die  zugleich 
solche  der  gescliichte  des  cultus  sind,  will  ich  hier  nicht  eingehn.  es 
ist  aber  für  die  bestimmung  der  stoa  von  wert,  dafs  sie  am  besten  fürj 
die  zeit  vor  der  Vollendung  des  tempels  pafst,  also  auch  vor  dem  aegi-' 
netischen  kriege. 


3. 
CHRONOLOGHE  DEE  PENTEKONTAETIE. 


Die  Politie  hat  für  die  chronologisch  dunkele  periode  479 — 45  Begrenzung 
einige  feste  punkte  gegeben,  durch  die  Themistoklesanekdote  aber  ge-  gäbe!" 
(höht,  alles  zu  verwirren,  bei  der  nachprüfung  stellte  sich  mir  zur 
eigenen  Überraschung  heraus,  dafs  das  mistrauen  gegen  die  ergebnisse 
der  Zeitrechnung  für  diese  periode,  das  ich  bisher  gehegt  hatte,  nur  so 
weit  berechtigt  war,  als  es  den  modernen  gebäuden  galt,  die  ohne  aus- 
nähme starke  gewaltmittel  gegenüber  den  Zeugnissen  brauchen,  läfst 
man  dagegen  die  zuverläfsige  Überlieferung  stehn,  so  ergibt  sich  ein 
rcsultat  von  sehr  erfreulicher  einfachheit  und  Sicherheit,  obwol  also 
neues  gerade  gar  nichts  von  mir  aufgestellt  wird,  halte  ich  für  gut,  eine 
Zeittafel  vorzulegen,  die  methode,  dünkt  mich,  spricht  für  sich  selbst, 
die  genauen  und  absolut,  nicht  blofs  relativ,  gegebenen  datirungen  an 
einander  zu  reihen,  wenn  sie  stimmen,  so  ist  es  gut;  die  relativen  an- 
gaben müssen  sich  dann  fügen,  und  es  hat  historisch  sogar  nur  ein 
yiM'inges  Interesse,  wie  das  bewerkstelhgt  wird. 

Es  kommt  freilich  darauf  an ,  welche  Voraussetzungen  man  macht, 
und  wie  weit  man  exacte  genauigkeit  überhaupt  für  erreichbar  hält,  ich 
schicke  deshalb  die  grundsätze  voraus,  auf  deren  boden  ich  allein  de- 
battiren  kann. 

1)  die  Zeitrechnung  ist  die  attische,  alle  angaben  der  späteren  gehen 
auf  attische  jähre  zurück,  abgesehen  von  dem  persischen  kanon  der 
konige.')  also  sind  die  einzig  absolut  verläfslichen  daten  die  auf  den 
attischen  archon  gestellten,  zumal  sie  entweder  direct  in  Urkunden  er- 
halten  sind   oder  aus  der  chronik  stammen,     die  angaben  der  späteren 


I  1)  Die  gedichte  des  Pindaros  sind  durch  die  siege  datirt,  auf  die  sie  sich  be- 

I  ziehen,   also   auf  Olympien  und  Pythien;   damit  ist  ein  Spielraum  von  ein  par  mo- 
naten  gegeben. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  19 


290  III.    3,  Chronologie  der  Pentekoiitaelie. 

aber  müssen  auf  diese  recliiiung,  aus  der  sie  stammen,  reducirt  werden, 
um  so  mehr  als  der  atlisclie  Jahreswechsel  in  die  ereignisse  selbst  auf 
das  stärkste  eingreift,  die  olympiadenjahre  haben  gar  keine  andere  be- 
deutung,  als  dafs  spätere  rechnungsmäfsig  ein  attisches  amtsjahr  mit  dem 
viertel  einer  olympiade  geglichen  haben,  es  ist  eine  gänzlich  unwissen- 
schaftliche Spielerei,  wenn  man  sich  eine  berechligung  zu  eigener  willkür 
dadurch  zu  schaffen  versucht,  dafs  man  den  späteren  schriftstelkrn  künst- 
liche Umrechnungen  aus  einer  in  die  andere  aera  zuschreibt,  es  ist 
einfach  Schwindel,  wenn  jemand  von  der  attischen  Zeitrechnung  dieser 
Periode  mehr  wissen  will,  als  dafs  es  eine  unvollkommene  oktaeteris  mit 
Schaltungen  war,  von  denen  er  weder  das  System  kennt,  noch  die  über- 
haupt ein  System  fest  befolgten,  praktisch  sind  wir  gezwungen,  aus- 
schliefslich  mit  attischen  jähren  zu  rechnen  und  ein  solches  jähr  mit 
dem  ersten  neumond  nach  der  Sommersonnenwende  zu  beginnen,  für 
unsere  an  das  julianische  gewöhnte  Vorstellung  also  etwa  von  juli  bis 
juli  zu  rechnen,  mit  anderen  worlen  es  so  zu  machen  wie  Aristo- 
teles (oben  I  5). 

2)  Absolut  bindend  ist  für  uns  die  relative  Chronologie  des  Thuky- 
dides,  aber  nur  so  weit,  wie  er  die  ereignisse  ausdrücklich  in  relation 
setzt,  wo  er  das  nicht  tut,  hat  er  keine  genauere  bestimmung  geben 
wollen  als  in  der  anordnung  seiner  erzählung  liegt,  ein  jähr  ist  für 
ihn  ein  kriegsjahr,  d.  h.  im  allgemeinen  eins  wie  er  sie  später  rechnet, 
von  frühling  zu  frühling,  was  praktisch  ziemlich  dasselbe  ist  wie  ein 
juHanisches,  da  die  letzten  wintermonate  für  die  kriegerischen  ereignisse 
selten  in  belracht  kommen,  aber  er  selbst  hat  die  überheferung  in  einer 
rechnung  nach  attischem  kalender  überkommen. 

3)  Die  vorläge  des  Diodoros  war  nicht  annalistisch  in  ihrer  er- 
zählung. ob  sie  trotzdem  attische  archonten  gab,  oder  er  nur  für  ein- 
zelne ereignisse  solche  dalirungen  sonst  vor  sich  hatte  und  danach  selbst 
den  Stoff  verteilte,  macht  für  die  sache  kaum  etwas  aus.  er  selbst  ist 
ein  mensch,  der  durch  seineu  eigenen  Unverstand  verschuldet  hat,  dafs 
seine  angaben  an  sich  sehr  geringes  gewicht  haben,  also  immer  nur 
subsidiär  zugezogen  werden  können,  aber  es  ergibt  sich,  dafs  namentlich 
in  dem  späteren  teile  dieser  periode  seine  daten  gut  sind. 

4)  Plutarch  ist  ein  stilistisch  hervorrageoder,  historisch  urteilsloser, 
chronologisch  unbekümmerter  mann,  also  erfordern  seine  angaben  eine 
sehr  umsichtige  exegese,  deren  aufgäbe  es  ist,  seine  eigene  Verarbeitung 
zu  beseitigen,  um  dann  die  ihm  vorliegenden  berichte  zu  verwerten, 
diese  waren  ^anz  ausgezeichnet. 


466  —  55. 


Begrenzung  der  aufgäbe,     die  jähre  466  —  55.  291 

5)  liistinus  und  Nepos  sind  ganz  unbrauchbar. 

6)  Eusebius  liegt  uns  entstellt  vor  und  hat  die  ereignisse  schon  so 
vielfach  umgerechnet  und  verschoben  überkommen,  dafs  er  nur  subsidiär 
herangezogen  werden  kann,  zu  gründe  hegen  aber  die  genauen  attischen 
archontenjahre. 

Die  ereignisse  des  ersten  Jahrzehntes  sind  oben  (I  142 — 47)  geordnet  Die  jähre 
für  die  folgenden  bildet  den  absolut  zuverläfsigen  ausgangspunkt  die 
niederlage  bei  Drabeskos  im  neunundzwanzigsten  jähre  vor  Euthymenes 
437/6,  also  unter  Lysitheos  465/4.-}  Thukydides  läfst  darüber  keinen 
zweifei,  dafs  dieses  jähr  zugleich  das  erste  des  thasischen  aufstandes  ist, 
der  im  dritten  jähre  beendigt  ward,  also  unter  Tlepoleraos  463/2.  als 
Kimon  heimkehrt,  hat  er  einen  schweren  rechenschaftsprocess  zu  be- 
stehen; freigesprochen  sticht  er  wieder  in  see,  und  in  seiner  abwesen- 
lieit  wird  der  Areopag  gestürzt,  also  unter  Ivonon  462/1.  so  ergibt  die 
rechnung  nach  Plutarch.  die  rechnung  ist  richtig,  denn  der  stürz  des 
Areopages  ist  auf  das  jähr  des  Konon  durch  Aristoteles  absolut  flxirt. 
nun  gleicht  sich  aber  ein  Ihukydideisches  kriegsjahr  mit  zwei  attischen 
jähren;  wir  bedürfen  also  noch  einer  näheren  bestimmung,  ob  der  tha- 
sische  krieg  465 — 63  oder  464 — 62  reicht,  das  entscheidet  sich  durch 
den  fortgang  der  geschichte  Kimons.  als  er  von  jenem  unbestimmten 
zuge  heimkehrt  und  den  Areopag  gestürzt  findet,  setzt  er  die  hilfleistung 
für  Sparta  durch,  wird  dort  abgewiesen  und  verfällt  zu  hause  dem  ostra- 
kismos.  die  Vorfrage  nach  dem  ostrakismos  wird  in  der  sechsten  pry- 
tanie  gestellt,  also  in  dem  anfange  eines  julianischen  Jahres,  in  dessen 
Vorjahr,  aber  in  dasselbe  attische,  fällt  der  zug  nach  Messene,  davor  der 
Sturz  des  Areopages,  unter  Konon  fixirt.  also  ist  Kimon  frühjahr  460 
verbannt^),   der  thasische   krieg  465 — 63.'')     wer  den    versuch  machen 


2)  Tliuk.  I  100,  IV  102.     scliol.  Aischin.  2,  31  von  Clinton  verbessert. 

3)  Der  bericlit  Plutarchs  ist  wichtig  und  wird  sehr  vielfach  misbraucht.  eine 
Interpretation,  die  den  Schriftsteller  zunächst  selbst  interpretirt,  ergibt  aber  ein 
gutes  und  verläfsliches  resultat.  nach  dem  rechenschaftsprocesse  (14)  geht  Kimon 
wieder  Avie  gewöhnlich  als  feldherr  in  see  [cos  Ss  nahv  i^sTilevaev  sni  aiQarsiav 
15,  1),  während  seiner  abwesenheit  wird  der  Areopag  gestürzt,  Kimon  kehrt  heim 
[üs  ETiavr^Xd-ev  15,  2)  und  tritt  in  den  parteikampf,  der  sich  nun  wider  seine  person 
richtet,  bei  der  gelegenheit  legt  Plutarch  eine  anzahl  belege  für  die  lakonischen 
Sympathien  Kimons  ein  (Eupolis,  Stesimbrolos  u.  a.  15,3—16,3).  nun  kommt  er 
auf  das  spartanische  erdbeben  und  die  bittgesandtschaft,  an  die  er  wieder  eine  menge 
von  schönen  citaten  anschliefst  (Aristophanes,  Kritias,  Ion),  nun  mufs  er  wieder  in 
das  historische  fahrwasser  einlenken  (17,  2),  d.  h.  in  walirheit  an  15,  2  anschliefsen. 
denn  die  Schilderung  des  erdbebens  selbst  (16,5  —  7)  stammt  in  ihrer  anschaulichen 

19* 


292  III.   3.  Chronologie  der  Pentekontaetie. 

will,   die  ereignisse  ein  jähr  tiefer  zu  rücken,   wird   sicli   bald  von  der 
undurcliführbarkeit  überzeugen/) 

Eine  consequenz   ist,    dafs   die  Eurymedonscblacht  nicht  lange  vor 
465,  spätestens  466  fällt.®)    denselben  terminus  ante  quem  gibt  die  revo- 


ausführlichkeit  nicht  aus  seiner  knappen  historischen  hauptquelie,  und  die  bitt- 
gesandlschaft  war  sogar  nach  Aristophanes  erzählt;  Ion  aber  hatte  ihn  gar  über  den 
hilfszug  hinabgeführt,  da  weifs  sich  Plutarch  nur  so  zu  helfen,  dafs  eV  sagt  ol  Se 
yiaxeSntfiövioi  tovs  yid'r;vaiovs  av&is  exäkovv,  gleich  als  ob  nicht  er  die  erzäiilung 
verdoppelte,  sondern  es  zwei  hilfsgesandlschaflen  und  Sendungen  gegeben  hätte, 
den  ausgang  der  politischen  kämpfe  gibt  er  aber  nur  ganz  kurz,  und  in  seiner  mo- 
tivirung  sieht  man  deutlich  die  rückkehr  zu  der  Situation  und  der  quelle  von  15,  2 
(dort  ).ni<(oviafi6v  imxnXovvres,  hier  rols  Xaxcovi^ovai  (parsQcHs  i%als7t(xivov).  den 
irrweg  also  meide  man,  auf  den  er  uns  wirklich  lockt,  zwei  hilfszüge  anzunehmen, 
den  schlimmeren  irrweg,  den  ersten  derselben  mit  dem  etiI  ax^axECav  ixnXevaat 
15,  1  zu  identificiren,  sind  die  modernen  aus  eigenem  antriebe  gegangen. 

4)  Köhler  (Herm.  24)  hat  die  Verlustliste  I  432  richtig  bezogen  und  datirt. 
sie  enthält  die  gefallenen  vom  Hellespont  und  Thasos,  und  Köhler  hat  die  ersteren 
aus  Plut.  Kim.  14  vorzüglich  erläutert,  das  totenfest  der  Epitaphien  fällt  auf  den 
6./7.  pyanopsion,  und  die  jähre  dieser  listen  laufen  selbstverständlich  von  fest  zu 
fest,  sind  also  eben  so  wenig  attische  kalenderjahre  wie  die  von  den  Panalhenaeen 
laufenden  der  Schatzmeister,  deshalb  steht  auch  niemals  ein  archon  auf  den  Ver- 
lustlisten, unmöglich  konnte  man  die  gebeine  der  in  den  ersten  drei  monaten  eines 
Jahres  gefallenen  über  jähr  und  tag  der  grabesruhe  entziehen,  damit  sie  nach  dem 
kalenderjahre  sortirt  auf  dem  friedhofe  lägen,  also  ist  es  ganz  in  der  Ordnung,  dafs 
auf  dieser  liste  die  toten  der  hellespontischen  gefechte  stehen,  obwol  sie  sicher 
unter  Lysanias,  frühjahr  465,  möglicherweise  schon  winter  466/65  gefallen  sind,  da- 
gegen die  toten  von  Drabeskos  nicht,  obwol  sie  unter  Lysitheos  gefallen  sind,  denn 
diese  Schlacht  hat  nicht  nur  nach  dem  pyanopsion  465,  sondern  erst  464  statt- 
gefunden, die  leute  wollten  eine  colonie  gründen,  deren  Voraussetzung  die  erfolge 
Kimons  waren,  die  er  durch  jene  gefechte  errungen  hatte,  und  das  trieb  andererseits 
die  Thasier  zum  abfall,  weil  sie  die  nachbarschaft  einer  athenischen  colonie  nicht 
wünschten,  also  liegt  zwischen  jenen  gefechlen  und  dem  untergange  der  colonisten 
eine  längere  zeit,  ein  winter.  es  ist  ebenfalls  ganz  in  der  Ordnung,  dafs  die  toten 
von  Drabeskos  ihre  besondere  liste  hatten,  aufgestellt  im  pyanopsion  des  Arche- 
demides  464:  aber  das  älteste  grab  im  Kerameikos  war  dieses  freilich  nicht.  Pau- 
sanias  irrt  (I  29,4);  sein  irrlum  wird  jedoch  dadurch  erzeugt  sein,  dafs  er  auf  das 
wirklich  älteste  grab  die  Herodotstelle  (IX  75)  bezog,  weil  seine  inschrift  eine 
niederlage  in  Thrakien  erwähnte,  während  das  grab  den  toten  von  475  galt,  dafs 
damals  im  anschlusse  an  die  gründung  des  Theseusgrabes  auch  der  Staatsfriedhof 
eingerichtet  ist,  erscheint  mir  durchaus  wahrscheinlich. 

5)  Bestätigt  wird  dieser  ansatz  des  ostrakismos  auf  460  durch  die  heimkehr 
Kimons  450. 

6)  So  hat  Köhler  mit  recht  geurteilt,  die  Athener  weihten  zum  danke  für  den 
sieg  in  Delphi  eine  Athena,  die  statt  auf  einer  säule,  Mie  gewöhnlich,  auf  einer 
palme  stand;   es  war  ein  erzbild,   und  der  bäum  hat  nur  künstlerische  bedeutung. 


Die  jähre  466—55.  293 

lution  am  persischen  hofe;  Xerxes  stirbt  nach  dem  Königskanon  465  im 
frühjahre.  einen  ganz  zuverlälsigen  terminus  post  quem  oder  gar  eine 
lixirung  für  die  schlacht  gibt  es  nicht. 

Nach  Theopompos  ist  Kimon  gleich  nach  der  schlacht  bei  Tanagra 
zurückgerufen,  ehe  er  noch  volle  fünf  jähre  verbannt  gewesen  war.  die 
nachricht  beruht  aller  wahrscheinhchkeit  nach  auf  einem  misverständnis'), 
aber  das  nimmt  ihr  nicht  die  chronologische  Verwendbarkeit,  da  sie  die 


an  der  palme  waren  auch  fruchte  angebracht,  die  das  palmobst  nachahmten,  d.  h. 
datteltrauben.    selbstverständlich  hat  auch  das  nur  künstlerische  bedeutung.    Pausan. 

X  15,  4-6. 

7)  Theopomp   bei  dem  Aristidesscholiasten   528  Ddf.     Aristides  selbst  II  212. 
Plutarch  Per.  10,    Kimon  17.    Nepos  Cim.  3.     das  misverständnis  geht   bei   Diodor 

XI  55  so  weit,  dafs  gar  der  ostrakismos  auf  5  jähre  befristet  erscheint.  Stesim- 
brotos  (Plut.  Per.  10,  4)  berichtet  zwar  die  vermittelung  Elpinikes  zwischen  Perikles 
und  Kimon,  allein  daraus  folgt  mit  nichten,  dafs  dieser  letztere  schon  457  dauernd 
lieimkehrte;  die  Staatsmänner  konnten  eine  Vereinbarung  auch  auf  die  zukunft 
schliefsen.  die  worte  Theopomps  selbst  bezeugen  übrigens  auch  nur,  dafs  Kimon 
lieimgerufen  ward,  um  den  frieden  zu  schliefsen,  keinesweges,  dafs  er  dann  weiter 
in  Athen  blieb;  bei  Tanagra  vor  der  schlacht  ist  er  nachdem  plularchischen,  ver- 
mutlich theopompischen,  berichte  bereits  zugegen,  als  verbannter  aufserhalb  der 
landesgrenzen,  wie  es  ihm  zustand,  nur  in  dieser  beschränkung  kann  ich  die  sache 
für  glaublich  halten,  und  auch  in  der  angäbe  des  Andokides  (3,  3)  liegt  nicht  mehr, 
denn  erstens  gibt  es  keine  spur  von  Kimons  anwesenheit  oder  tätigkeit  in  Athen 
457—51,  dagegen  läfst  Plutarch  (Kim.  18)  sofort  auf  die  rückberufung  den  zug  von 
450  folgen,  damals  ist  auch  nach  Thukydides  (I  112)  ein  fünfjähriger  friede 
geschlossen,  den  Diodor  Xi  86  für  ein  werk  Kimons  ausgibt,  ihn  freilich  auf  die 
zeit  verrückend,  wo  die  feindseligkeiten  auch  nach  Thukydides  tatsächlich  aufhörten, 
453.  Andokides  aber  rückt  diesen  fünfjährigen  frieden  an  die  angebliche  rück- 
berufung Kimons.  nach  Tanagra  ist  kein  friede  geschlossen,  auch  mit  Sparta  nicht, 
denn  455  hat  Tolmides  Gythion  verbrannt,  wol  aber  spricht  Diodor  XI  80  von 
tinem  Waffenstillstand  gleich  nach  Tanagra  von  viermonatlicher  dauer.  wenn  dieser 
historisch  ist,  so  kann  ihn  Kimon  vermittelt  haben,  ad  hoc  in  die  Stadt  hinein- 
gelassen, der  Waffenstillstand  kann  dann  aber  weder  Aegina  noch  Boeotien  ein- 
geschlossen haben,  die  weiter  angegriffen  und  überwunden  wurden,  ihnen  half 
niemand;  das  macht  die  sache  glaublich,  dann  war  aber  wirklich  Tanagra  nur  ein 
taktischer  erfolg  der  Peloponnesier,  so  sehr  ihn  das  korinthische  weihgeschenk  in 
Olympia  verherrlicht,  ganz  wie  die  schlacht  von  Koroneia  394.  in  Wahrheit  sind 
die  Peloponnesier  schleunigst  nach  hause  gegangen  und  haben  den  norden  den 
Athenern  geopfert,  damit  ist  die  ruhmredigkeit  der  attischen  epitaphien  ziemlich 
gerechtfertigt,  die  Tanagra  für  eine  unentschiedene  schlacht  erklären,  für  ein  Stim- 
mungsbild aus  dem  jähre  nach  Oinophyta  halte  ich  Pindars  sechste  isthmische  ode. 
Boeckhs  auseinandersetzung  (p.  530  der  grofsen  ausgäbe)  erscheint  mir,  gerade  wenn 
ich  die  andern  deutungen  vergleiche,  geradezu  meisterhaft.  Dissens  schlechte  einzel- 
erklärung  mufs  man  nur  ganz  aufserm  spiele  lassen. 


294  III.   3.  Chronologie  der  Pentekontaetie. 

zeitliche  dilTereiiz  zweier  für  ihren  Urheber  fester  punkte  nicht  falsch 
augeben  kann,  danach  fallt  die  riickberufung  Kimons  unter  den  fünften 
archon  von  Euthippos  ab  gerechnet,  Mnesilheides  457/56.  darauf  folgten 
ohne  Unterbrechung,  wie  Thukydides  I  108  sicher  stellt,  die  schlacht  bei 
Oinophyta,  die  niederwerfung  von  Boeotien  und  Phokis,  die  capitulation 
von  Aegina  und  der  zug  des  Tolmides  um  den  Peloponnes,  der  danach 
unter  Kallias  456/5  zu  stehen  kommt,  die  rechnung  ist  richtig:  den 
archon  Kallias  für  den  zug  des  Tolmides  gibt  schol.  Aischin.  2,  75. 

Genaueres  zu  bestimmen  gibt  den  ersten  anhält  das  Verhältnis  der 
schlachten  bei  Tanagra  und  Oinophyta.  zwischen  beiden  schlachten 
lagen  nach  Thukydides  62  tage;  bei  Tanagra  commandirle  der  sieger  von 
Oinophyta  Myronides  nicht,  die  Peloponnesier  waren  in  demselben  kriegs- 
jahre  erst  nach  Phokis  gezogen;  sie  machten  die  diversion  nach  dem 
nordosten  Atlikas  erst,  weil  die  Athener  ihnen  den  heimweg  über  die 
megarischen  berge  und  den  korinthischen  golf  sperrten,  marschirten  aber 
nach  dem  siege  schleunigst  ab  und  fanden  in  Megara  keine  ernte  mehr 
zu  verwüsten,  sondern  hieben  nur  die  oliven  um.  alles  das  gibt  Thuky- 
dides an,  und  nach  Plutarch  (Kim.  17,  6)  fürchteten  die  Athener  ihren 
einfall  erst  für  die  nächste  erntezeit  {elg  ojQav  £Tovg),  die  also  dieses 
mal  vorbei  war.  weiter  liegt  darin  nichts,  wenn  man  nach  der  art 
der  kriegführung  Spartas  im  archidamischen  kriege  rechnet,  so  führt  das 
zu  der  annähme,  dafs  die  schlacht  bei  Tanagra  etwa  im  juni  geschlagen 
ist,  also  am  ende  des  attischen  Jahres,  so  dafs  Oinophyta  und  schon 
der  Waffenstillstand,  der  mit  vier  monaten  den  rest  des  kriegsjahres  um- 
fafste®),  in  ein  anderes  fällt,  das  pafst  vortrefflich,  und  dafs  Diodor 
Tanagra  unter  Habron,  Oinophyta  unter  Mnesitheides,  den  zug  des 
Tolmides  unter  Kallias  alles  richtig  ansetzt,  ist  kein  beweis,  aber  ein  recht 
erwünschtes  bestätigendes  crgebnis.^) 


8)  Sparta  zielit  entweder  vor  oder  nach  der  ernte  seine  bündner  zusammen, 
im  ersten  falle  drängen  sie  in  der  erntezeit  nach  hause,  so  war  es  diesmal,  ein 
zweites  mal  sind  sie  in  demselben  jähre  schlecht  mobil  zu  machen,  während  die 
Athener  gerade  im  juü  august  sehr  oft  in  see  gehn.  so  war  es  für  Sparta  ein  erfolg, 
wenn  sie  für  den  rest  des  kriegsjahres  durch  4  monate  ruhe  bekamen,  freilich  nur, 
wenn  sie  eine  ganz  egoistische  politik  trieben,  diese  war  für  den  noch  so  ge- 
schwächten Staat  ohne  frage  mindestens  entschuldbar. 

9)  Die  verwirrte  erzählung  XI  81 — 83  ist  gerade  dadurch  verwirrt,  dafs  die 
richtigen  jahrangaben  den  geschichtlichen  Zusammenhang  zerreifsen.  nicht  bei  Diodor 
mehr  wird  es  klar,  dafs  Theben  sich  nach  dem  waffensüUstande  seiner  haut  allein 
wehren  mufs,  da  Sparta  ihm  die  boeotische  Suprematie  wieder  verschafft  hat, 
aber  man  spürt  es  noch  deutlich  durch,  dafs  sein  gewährsmann  über  die  boeotischen 


Die  Jahre  466-55.  295 

Diesen  festen  boden  unter  den  füfsen  können  ^vir  weiteres  terrain 
oewinnen.  die  Thasier  wagten  465/4  den  abfall  in  der  hoffniing  auf 
spartanische  hilfe.  aber  Sparta  ward  dnrch  das  erdbeben,  das  es  be- 
troffen hatte,  verhindert,  bei  welcher  gelegenheit  die  Heloten  abfielen 
lind  sich  in  Ithome  festsetzten,  so  TImkydides  (100),  und  man  raufs 
zunächst  das  erdbeben  mit  dem  thasischen  aufstände  gleichzeitig  ansetzen. 
das  geschieht  auch  von  Plutarch  (Kim.  16,  4),  wo  es  auf  das  vierte  jähr 
des  Archidamos  gesetzt  wird,  der  unter  Apsephion  469/8  zur  regierung 
kam:  in  königslisten  aber  gehört  das  jähr  des  regierungsantrittes  meist 
dem  Vorgänger,  wenn  Pausanias  (IV  24)  den  abfall  der  Messenier  ol.  79,  1 
(464/3)  unter  den  archon  setzt,  den  er  Archimedes,  Diodor  Archidemides 
nennt,  so  correspondirt  das  mit  dem  diodorischen  ansatze  des  thasischen 
krieges  auf  denselben:  es  ist  nur  eine  unwesentliche  Verschiebung  um 
ein  jähr,  aber  Thukydides  erzählt  auch,  dafs  Ithome  im  zehnten  jähre 
der  belagerung  gefallen  ist  (102),  und  diese  zahl  ist  durch  Diodor  XI  64 
vor  jeder  änderung  geschützt,  zumal  dort  Thukydides  nicht  zu  gründe 
liegt,  wenn  die  zehn  jähre  von  465/4  laufen,  so  ist  Ithome  456/5  unter 
Kallias  gefallen :  wirklich  steht  es  so  bei  Diodor  XI  84.  aber  Thukydides 
selbst  straft  diese  auch  im  zusammenhange  der  ereignisse  sinnlose  berech- 
nung  lügen,  da  er  den  fall  Ithomes  hinter  dem  Systemwechsel  der  attischen 
politik  erzählt,  den  der  ostrakismos  Kimons  zur  folge  halte,  und  vor 
dem  anschlufse  Megaras  an  Athen  und  der  aegyptischen  expedition. 
danach  kommt  der  fall  Ithomes  460  oder  459  zu  stehen,  das  erdbeben 
also  469  oder  468.  und  das  ist  nun  wieder  ein  mit  der  allerschärfsten 
praecision  von  Philochoros  auf  den  archon  Theagenides  468/7  bestimmtes 
datum  (schol.  Ar.  Lysistr.  1144),  und  Diodor,  unbekümmert  um  den  Wider- 
spruch mit  seiner  späteren  auf  falscher  auslegung  des  Thukydides  beruhenden 
angäbe,  dafs  die  zehn  jähre  456  zu  ende  gegangen  wären,  gibt  für  das 
erdbeben  469/8,  Apsephion,  als  datum.     es  ist  sehr  wol  denkbar,  dafs 


Verhältnisse  so  gut  infoimirt  war,  wie  Ephoros  zu  sein  pflegt,  die  Verdoppelung 
der  kämpfe  im  tanagraeischen  gebiete  ist  einmal  durch  die  Verteilung  auf  die  jähre, 
zum  andern  durch  den  eigenen  kitzel  Diodors  hervorgerufen,  aus  Oinophyta  eine 
ganz  besondere  heldentat  zu  machen,  dafs  er  daran  sofort  alle  weiteren  taten 
des  Myronides  scliliefst,  selbst  den  viel  späteren  thessalischen  zug,  ist  vollends  ganz 
in  seiner  weise,  vorher  hat  er  78  den  krieg  mit  Epidauros  Korinth  und  Aegina  auch 
ganz  trefi'end  unter  Phrasikleides  eingereiht,  wo  er  wirklich  begann,  und  man  würde 
nichts  dabei  finden,  wenn  er  nun  bis  zu  ende  erzählt  würde,  unbeschadet  seiner 
dauer.  allein  es  wird  ausdrücklich  eine  neunmonatliche  frist  gezählt:  das  ist  mit 
Thukydides  schlechthin  unvereinbar  und  mufs  verworfen  werden,  richtig  hat  Fabricius 
(Theben  12)  geurteilt. 


296  in.    3.  Chronologie  der  Pentekontaelie. 

die  läge  für  Sparta  sich  465  besonders  bedrohlich  gestaltet  hat,  so  dafs 
die  Thasier  noch  kurz  vorher  Zusicherungen  erhallen  hatten;  es  ist  aber 
auch  dem  Thukydides  zuzutrauen,  dafs  ihn  eine  falsche  nachricht  ge- 
täuscht hat,  die  Sparta  einen  bruch  des  bundes  aufhalsen  wollte:  wir 
wissen  von  dem  verlaufe  des  messenischen  krieges  ja  so  gut  wie  nichts'"), 
auf  jeden  fall  hat  Thukydides  sich,  ganz  wie  wir  es  in  der  Themistokles- 
geschichte  gefunden  haben,  misverständlich  ausgedrückt,  und  dieses  mis- 
verständnis  bat  weiter  unheil  gestiftet,  mit  der  beseitigung  dieses  mis- 
verständnisses  ist  wieder  ein  fester  punkt  gewonnen,  der  fall  von  Itbome 
und  die  ansiedelung  der  Messenier  in  Naupaktos,  also  auch  die  vertrags- 
urkunde  CIA  IV  p.  9  fallen  in  das  jähr  des  Philokles  459,  in  dasselbe, 
den  Winter,  der  anschhifs  von  Megara"),  unter  Euthippos  aber,  460,  in 
dessen  ersten  monaten  Kimons  pohtik  vom  volke  verworfen  ward,  die 
bündnisse  mit  Argos  und  Thessalien  und  die  besitzergreifung  von  Nau- 
paktos. 

Damit  sind  die  ereignisse,  die  Thukydides  104 — 7  erzählt,  von  beiden 
Seiten  so  fest  eingeengt,  dafs  ihnen  nur  noch  ein  platz  bleibt.  Megara 
kann  sich  erst  ende  459  an  Athen  angeschlossen  haben;  der  zug  der 
Peloponnesier  nach  Phokis  und  Boeotien  fällt  in  das  frühjahr  457.  folg- 
hch  bleibt  das  kriegsjahr  458  für  die  schlachten  bei  Halieis  Kekryphaleia 
Aegina  Megara.     das  ist  viel,  und  man  würde  sich  davor  scheuen,  aber 


lu)  Durch  Herodot  IX  35  kennen  wir  das  nackle  factum,  dafs  die  Spartaner 
'am  Islhmos'  nach  den  Sehersprüchen  des  Teisamenes  über  die  Messenier  siegten, 
denn  überliefert  ist  inl  Ss  6  {dycöy  nämlich)  Meaa7]vicov  6  tiqos  t^  (R:  om.  A) 
'lad-/uä>,  und  das  hat  Pausaiiias  gelesen  (III  11,8)  und,  ratlos  wie  wir,  irgend  wie  j 
mit  den  Worten  des  Thukydides  in  einklang  zu  brinofen  versucht,  was  ist  das  für 
eine  kritik,  die  erst  bei  Herodot  tt^os  'Id'ojf/j]  conjicirt,  und  dann  womöglich  noch 
bei  Pausanias  den  Isthmos  vertreibt?  von  den  andern  schlachten  sagt  Herodot 
7IO0S  Tsyerjxas,  tzqos  ^AQy.äSas,  tcqos  lt4d'i]vaiovs:  was  soll  der  genetiv  6  Msaar]- 
vicov'!  offenbar  hat  er  b  Meaarivicov  nobs  reo  'lad'/ueö  geschrieben,  weil  auch  für 
ihn  das  wort  Isthmos  ohne  zusatz  keine  deutliche  Ortsbestimmung  war.  aber  die 
Schlacht  "an  der  Messenier  Isthmos"  war  deutlich,  ist  es  nur  nicht  für  uns:  wir 
müssen  den  ort  suchen,  dessen  name  einen  gewissen  anhält  gibt,  doch  bedenke 
man,  dafs  der  westliche  demos  von  Kos  so  heifst,  blofs  weil  die  insel  eine  schmale 
halsähnliche  stelle  hat. 

11)  Aus  einem  apophthegma  Kimons,  das  Plutarch  (17,1,  es  gehört  eng  mit 
dem  vorigen  zusammen)  aus  Ion  gibt,  ersieht  man,  dafs  der  krieg  mit  Korinth,  der 
Megara  den  Athenern  in  die  arme  trieb,  schon  zu  der  zeit  im  gange  war,  wo  Kimon 
von  Messene  heimzog,  also  herbst  461.  sobald  Athen  ihnen  die  passage  im  korin- 
thischen meerbusen  sicherte,  durch  die  besetzung  von  N'aupaktos,  fielen  ihm  die 
Megarer  zu. 


Die  jähre  466—55.  297 

gerade  da  tritt  als  urkundliche  bestätigung  die  Verlustliste  der  Erechtheis 
I  433  ein.  diese  vier  schlachten  sind  tatsächlich  in  demselben  kriegsjahr, 
458  bis  zum  Pyanopsion,  unter  Philokles  und  in  den  ersten  drei  monaten 
des  Habron  geschlagen. 

Derselbe  stein  führt  eine  anzahl  krieger  auf,  die  in  Kypros  und 
Aegypten  gefallen  sind,  das  harmonirt  mit  Thukydides,  der  den  beginn 
der  aegyptischen  expedition  zwischen  den  anschlufs  von  Megara  und 
die  Schlacht  bei  Halieis  stellt,  ohne  eine  nähere  zeitliche  relalion  zu 
geben,  da  jedoch  die  attische  flotte  schon  auf  Kypros  war,  als  Athen 
sich  für  das  bündnis  mit  Inaros  entschied,  so  wird  man  den  anfang  der 
expedition  noch  in  das  jähr  459  rücken,  das  gestattet  der  stein  sehr 
gut:  denn  dafs  die  gebeine  der  auf  Kypros  im  sommer  459  gefallenen 
alle  schon  459  anfang  october  zum  lotenfeste  heimgeführt  gewesen 
wären,  ist  wirklich  nicht  zu  verlangen,  der  krieg  dauerte  sechs  jähre, 
das  sind  nach  Thukydides  sechs  sommer;  da  der  erste  459  fest  steht, 
so  ist  der  letzte  454.  der  bericht  über  die  letzten  ereignisse  auf  dem 
aegyptischen  kriegsschauplatze  steht  zwischen  dem  zuge  des  Tolmides 
um  den  Peloponnes,  unter  Kalhas  456/5  fixirt,  und  dem  zuge  der  Athener 
nach  Thessalien  '^)  unter  hilfleistung  der  Amphiktionen ;  eine  folge  davon, 
ein  bündnis  mit  den  Phokern,  ist  urkundlich  (IV  p.  8)  für  das  jähr  des 
Ariston  454/3  gesichert,  es  bleibt  einiger  Spielraum  noch,  aber  da  die 
neuordnung  der  mittelgriechischen  Verhältnisse  nach  Oinophyta,  das  in 
den  Spätsommer  457  fällt,  ein  jähr  reichlich  ausfüllen  dürfte,  so  scheint 
es  geratener  den  zug  des  Tolmides  in  die  erste  hälfte  455  zu  rücken, 
im  nächsten  frübjahr,  454,  gieng  dann  die  entsatzflottc  nach  Memphis, 
die  zu  spät  kam  und  in  den  Untergang  hineingezogen  ward,  gleichzeitig 
ward  zu  lande  der  zug  nach  Thessalien  unternommen.  454  folgen  passend 
die  Züge  des  Perikles  gegen  Sikyon  und  Akarnanien  und  dann,  in  dem 
nächsten  attischen  jähre,  nach  der  Chersones.  dafs  die  jähre  452.  451. 
450  die  drei  von  Thukydides  als  ereignislos  bezeichneten  sind,  ist  sicher, 
wenn  das  letzte  von  ihm  vorher  erwähnte  ereignis  453  fiel,  das  ist  der 


12)  Myronides  wird  als  feldherr  von  Diodor  XI  83  genannt,  wol  glaublich. 
XI  85  unter  Sosistratos,  also  in  dem  jähre,  wo  der  zug  wirklich  stattfand,  com- 
mandirt  Tolmides  in  ßoeotien.  allein  das  hängt  wol  damit  zusammen ,  dafs  dieser 
nachher  in  EuLoia  auftritt  und  landlose  verteilt,  88.  allerdings  ist  mittlerweile  der 
archon  Lysikrates  geworden,  453/2,  aber  Diodor  hat  hier  den  zug  des  Perikles,  zu 
dem  der  des  Tolmides  eine  parallele  action  ist,  auf  drei  seiner  jähre  verteilt,  im  ein- 
zelnen ist  also  sehr  wenig  verlafs  auf  diese  daten.  übrigens  scheint  es  fast,  als 
hätte  Perikles  erst  durch  das  scheitern  der  aegyptischen  expedition  die  zügel  wieder 
fest  in  die  bände  bekommen. 


298  III.   3.  Chronologie  der  Pentekontaetie. 

zug  des  Perikles,  und  das  nächste  nachher,  der  7A\g  Kimons  nach  Kypros, 
den  er  ausdrücklich  unmittelbar  auf  den  abschhifs  des  fünfjährigen  Friedens 
folgen  läfst,  449  statt  fand,  so  datirl  ihn  Diodor,  und  da  er  mit  ihm 
ein  buch  beginnt,  so  darf  man  ihm  zutrauen,  dafs  er  sich  über  dieses 
datum  vergewissert  hat.  dafs  er  dem  zuge  zwei  jähre  gibt,  ist  für  die 
attischen  zutreffend,  nur  fiir  seine  Chronologie  verwirrend,  das  ganze 
renkt  sich  gut  ein,  und  so  darf  man  auch  über  die  nächsten  ereignisse  bis  zu 
dem  festen  punkte  des  dreifsigjährigen  friedens  unter  Rallimachos,  winter 
446/5'^),  urteilen,  hinter  dem  dann  wieder  der  samische  krieg  vom  herl)st 
441  bis  zum  sommer  440  auf  die  archonten  Timokles  und  Morychides 
durch  die  chronik  (schol.  Wesp.  283)  in  Übereinstimmung  mit  der  jahr- 
zählung  des  Thukydides  (115)  fixirt  ist.") 
Tabelle.  Ich  lasse  nun  eine  tahelle  folgen,  die  zwar  nichts  neues  mehr  liefert, 

aber  durch  die  anordnung  nach  den  attischen  heamten  das  Verständnis 
stark  erleichtern  wird;  wer  in  attischer  geschichte  arbeiten  will,  miifs 
mit  attischer  zeit  rechnen,  so  verkehrt  der  gänzlich  unberechtigte  pedan- 
tismus  der  olympiadenzählung  ist,  die  den  attischen  quellen  fremd  ist, 
so  abscheulich  ist  die  beliebte  fiction ,  die  ein  archontenjahr  mit  einem 
unserer  Zeitrechnung  gleich  setzt:  der  forscher  mufs  die  chronik  recon- 
struiren.  ich  habe  alle  archontennamon  mit  griechischen  lettern  ge- 
schrieben,  die  urkundlich   oder   sonst   durch   genügende   Zeugnisse   ge- 


13)  Vgl.  Herrn.  20,  481.  den  namen  des  archons  Kallimaclios  nennt  Diodor 
noch  innerhalb  seines  wertvollen  berichtes  über  die  gründung  von  Thurii  XII  10. 
das  war  eigentlich  für  ihn  überflüssig,  aber  es  ist  sehr  verkehrt,  den  namen  zu 
streichen,  denn  seine  vorläge  für  diese  dinge  des  westens  rechnete  natürlich  nicht 
nach  allischen  jähren,  handelte  aber  sehr  recht  und  in  einkiang  mit  der  weise  selbst 
des  Thukydides,  wenn  sie  bei  wichtigen  ereignissen  auch  eine  fremde  datirung 
beifügte. 

14)  Die  bekannte  liste  der  zehn  feldherren,  die  Androtion  erhalten  hat,  gilt 
den  zehn,  die  nach  Thukydides  116  alle  gegen  Samos  aufgebrochen  sind,  da  die 
drei  117  genannten  zu  ihnen  nicht  gehören,  ist  dazwischen  Jahreswechsel,  beginnt 
also  das  jähr  des  Morychides.  folglich  waren  jene  10  und  unter  ihnen  Sophokles 
unter  Timokles  Strategen,  folglich  müfste  Sophokles  unter  Diphilos,  frühjahr  441 
mit  der  Antigone  gesiegt  haben,  wenn  sie  unmittelbar  den  anlafs  ?.u  seiner  wähl 
gab.  das  hat  er  nicht:  für  jenes  jähr  steht  durch  die  parische  chronik  der  sieg  des 
Euripides  fest,  die  Zahlenangaben  in  der  Sophoklesvita  sind  verdorben  oder  ver- 
wirrt, im  jähre  vor  Diphilos,  unter  Lysanias  443/2,  war  Sophokles  'EXlrjvora/uias 
und  halte  viel  zu  tun,  da  eine  neue  Schätzung  stattfand,  so  mufs  man  leider  zu- 
geben, dafs  ein  festes  datum  für  die  Antigone  nicht  vorhanden  ist  —  wenn  er  über- 
haupt mit  ihr  gesiegt  hat.  aber  dafs  Mir  das  post  hoc  als  die  veranlassung  zu  dem 
■jn'optei'  hoc  der  biographen  festhalten  dürfen,  scheint  mir  immer  noch  richtig. 


Tabelle.  299 

sichert  sind:  man  sieht  dann  gleich,  wo  etwa  noch  fehler  stecken  können, 
ferner  habe  ich  die  tatsachen  gesperrt  drucken  lassen,  die  durch  zuver- 
lässige datirung  auf  den  archon  als  absolut  sicher  gelten  müssen,  in 
petit  sind  ein  par  wichtige  zwischengestellt,  die  nicht  fehlen  sollten, 
obwohl  sie  auf  ein  jähr  nicht  bestimmbar  schienen,  es  versteht  sich  von 
selbst,  dafs  ich  sehr  viel  mehr  relativ  bestimmtes  hätte  eintragen  können, 
z.  b.  pindarische  gedichte.  allein  meine  tendenz  war  wesentlich,  die 
harmonie  zwischen  Thukydides  und  den  chroniknotizen  zu  veranschau- 
lichen; das  andere  ist,  so  weit  es  nicht  zur  stütze  für  dieses  gebäude 
dient,  ein  beiwerk,  das  schwerhch  etwas  schadet,  ich  würde  für  überaus 
verdienstlich  halten,  wenn  jemand  wirklich  vollständige  fasti  Hellenici  oder 
Attici  in  dieser  art  anlegen  wollte;  bis  an  das  ende  des  vierten  Jahr- 
hunderts müssen  die  archontenjahre  das  gerüst  bilden. 
ZANGinniAHZ  Ol.  75,  2 
479  schlachten  bei  Plataiai  und  Mykale;  Sestos  erobert 

winter,  mauerbau  in  Athen 
478  Tansanias  in  Kypros 
Pindar  Isthm.  7'^) 

TIMOZOENHZ 
478  Pausanias  in  Byzantion 

winter,  Pausanias  abberufen 
477  Aristeides  gründet  das  Reich;  Dorkis  zurückgewiesen 

AAEIMANTOZ 
477  Pausanias  wieder  in  Byzantion 
476  Leotychides  in  Thessahen 

Themistokles  chorege  für  Phrynichos 
Simonides  siegt  mit  dem  dithyrambos  (fgm.  147) 
errichtung    der    statuen    für    die    tyrannenmörder 
4>AIAflN  Ol.  76 
476  Leotychides  abgesetzt.  Kimon  vertreibt  den  Pausanias  aus  Sestos 

und  Byzantion,  zieht  gegen  Eiou 
475   Kimon    nimmt    Eion    und    Skyros.      niederlage    am 
Strymon 

DROMOKLEIDES 
475  pyanopsion:  gründung  des  Theseusgrabes 
errichtung  der  hermen  für  Eion 


15)  Von  Pindar  notire  ich  mit  absieht  nur  gedichte  die  für  die  allgemeine  ge- 
schichte  von  bedeutung  und  durch  die  urkundliche  Überlieferung  oder  sonst  ganz 
unzweifelhaft  dalirt  sind,  so  dafs  alles  auf  Siciiien  bezügliche  oder  durch  combina- 
tion  gefundene  fortbleibt,     sonst  hätte  ich  ein  eigenes  buch  schreiben  müssen. 


)00  in.   3.  Chronologie  der  Pentekontaetie. 

474  Pindar  siegt  mit  dem  dithyrambos 

AKESTORIDES 
474  Pindar  Pyth.  9.  11 
473 

MENON 
473 
472  Ais chy los  Perser 

474—72  Themistokles  durch  ostrakismos  verbannt 
XAPHZ  Ol.  77 

.-.  f  tod  des  Pausanias 
471J 

474  —  71  Unterwerfung  von  Karystos.     kämpfe  Spartas  in  Arkadien. 
PRAXI  ERG  OS 
4711   äclitiing  des  Themistokles.    Timokreon  fgm.  2.  3 
470J  synoikismos  von  Elis'") 

Theben  holt  eine  statue  von  Delos  nach  Delion") 
DEMOTION 
470  Unterwerfung  von  Naxos 
469 

AtE4>ION 

469 

468  Sophokles  sicj 

471 — 69  Schlacht  bei  Dipaia 

OEArENlAHZ  Ol.  68 
468  erdbeben  in  Sparta 

Pindar  ol.  6 
467  Aischylos  Thebai 

LYSISTRATOS 
467 
466 

470—67  vertrage  mit  Erylhrai  und  Kolophon  CIA  I  9.10.11 
LYSANIAS 
466  Schlacht  am  Eurymedon  (oder  im  Vorjahr) 


>  Leotvchides  stirbt;  Archidamos  könig 
gti  ^ 


.   >  meteorstein  am  Ziegenflusse 
isj 


16)  Diodor  XI  54,  aus  einer  Zeittafel,  also  glaubwürdig.  Pausanias  V  9,  5  gibtj 
nach  probabler  conjectur  an,  dafs  die  zahl  der  Hellanodiken  schon  im  Vorjahre  ver- 
mehrt ward,  das  hieng  mit  dem  synoikismos  zusammen,  aber  die  kleine  differenÄ 
ist  nicht  undenkbar,  natürlich  ebensowenig,  dafs  in  der  datirung  hier  oder  dort  eine 
Verschiebung  stattgefunden  hat. 

17)  Herodot  VI  118,  zwanzig  jähre  nach  Marathon,  also  wol  nur  approximativ 
fixirt.  die  Sache  ist  wichtig,  weil  sie  die  erste  spur  einer  kräftigung  Thebens  und 
des  anschlusses  mindestens  von  Tanagra  ist. 


Tabelle.  301 


465  Kimon  am  Hellespont 
Xerxes  stirbt 

LYSITHEOS 
465  abfall  von  Thasos.     die  Messenier  mächtig 

Verlustliste  432 
464  Schlacht  bei  Drabeskos 
Artaxerxes  wird  könig 

ARCHEDEMIDES  Ol.  79 
464  Pin  dar  ol.  13 
463  30  april  Sonnenfinsternis'*) 

TLEPOLEMOS 
463  Thasos  fällt 
462  Kimons  procefs 

KONQN 
462  Sturz  des  Areopages 
461 

EYoinnoz 
461  Kimon  vor  Messene 
460  Kimons  ostrakismos.     bündnis  mit  Argos 

PHRASIKLEIÜES  >9)  Ol.  80 
460  Pindar  ol.  81 
459 

4'IAOKAHI 
459  Ithome  fällt;  die  Messenier  in  Naupaktos 
anschlufs  von  Megara 
die  flotte  in  Kypros  und  Memphis 
458  Aischylos  Orestie 

schlachten  in  der  Hahke  und  bei  Kekryphaleia 
ABPQN20) 
458  schlachten  bei  Aigina  und  in  der  Megaris 
verlustHste  433 


j-  erobern ng  von  Naupaktos 


18)  Erwähnt  von  Eusebius,  aber  wie  alle  ereignisse  dieser  jähre  etwas  zu 
tief  gestellt. 

19)  Oder  Phrasikles.  die  längere  form  bezeugt  Diodor  XI  77,  (<P^a(rtxXsi8ov 
oder  fPiXonleiSov  codd.),  die  kürzere  Dlonysios  Arch.  10,  1  und  Ps.  Plut.  Lys.  241 
West.,  wo  aber  inl  (PiXoyJJovs  rov  fiera  (P^aaixlTJv  (oder  xXJ])  wenig  gewähr  hat. 

20)  Der  name  festgestellt  durch  die  didaskalie  'Ecprifi.  aQx-  86,269:  trotzdem 
druckt  Vogel  bei  Diodor  XI  79  noch  Bicov.  in  der  vita  Pindars  nennt  Eustathius 
den  archon,  unter  dem  er  geboren  sei,  ''Aßioiv  (p.  90  Westerm.),  Thomas  aber  den, 
unter  dem  er  gestorben  sei  (p.  101  West.),  verwirrt  ist  alles;  aber  der  archon 
von  458/7  gehört  in  keine  rechnung.     denn  zu  gründe  liegt  die  axfii]  zur  zeit  der 


302  111.    3.  Chronologie  der  Pentekontaetie. 

gesetz   über  die  Zulassung  der  zeugiten  zu  der  ar- 
chontenwahl 
457  die  Peloponnesier  in  Phokis;  schlecht  bei  Tanagra 

MNHIIOEIAHS 
457  Schlacht  bei  Oinophyta;  Unterwerfung  von  Nordhellas 

Winter,  Aigina  fällt 
456 

KAAAIAI  Ol.  81 

456 

455  Euripides  Peliaden 

Tolmides  verbrennt  Gythion 
SOSISTRATOS 
455  die  Athener  in  Memphis  eingeschlossen 
454  thessahsche  expedition 

APIZTHN 
454  beginn    der   seh  atz  Verwaltung   durch   die    H  eilen  o- 
tamien  in  Athen 
1  Untergang  des  heeres  in  Aegypten 

J  vertrag  mit  Phokis  CIA  IV  p.  8;  mit  Egesta  IV  p.  58.  139 
Perikles  in  Sikyon  und  Akarnanien 
AYZIKPATHZ 
4531  Perikles  im  Chersones.  Kleruchien  dort,  auf  Euboia  und  IS'axos^*) 
452J  gesetz  über  die  demenrichter 
CHAIREPHANES22)  Ol.  82 
452  Pind.  Ol.  4 
451 

•160 — 452  einsetzung  der  staayioyrß  und  vavToSixai, 


Ileoatxa,  die  aber  nur  oberflächliche  leute  auf  480  ol.  75,  '  =  Ät(»|ov  ar^aieia  setzen 
durften  (so  Suid.),  da  Pindar  selbst  bezeugt  hatte,  dafs  er  an  den  Pythien  geboren 
war,  also  rechnete  man  genauer  ol.  75,3.  das  ergibt  die  geburt  65,3;  der  tod 
rückt  bei  normaler  lebensdauer  von  80  jähren  auf  ol.  85,3,  wird  wol  durch  frühe 
corruptel  auf  86  angesetzt,  bei  Suidas  steht  sxmv  vi  ohne  datum,  corrupt  aus  ixäv 
<7r'  ol.)  Tii,  nnn  war  aber  das  letzte  olympische  gedieht  von  ol.  82,1,  wo  er  also 
66  jähre  alt  war:  das  ist  die  zweite  angäbe  über  die  lebensdauer  (Eust.  Thom.). 
das  lehrt  sachlich  alles  gar  nichts  für  Pindar.  aber  der  archon  'AßCcov  kann  nur  mit 
der  geburt  verbunden  sein,  wir  dürfen  ihn  auf  65,3,  518/7  ansetzen;  der  name  aber 
W\x(\."AßQoiv  sein,  wie  bei  dem  von  458/7.  in  Kaibels  berechnung  (Herni.  25,599) 
sind  versehen  untergelaufen,  mit  dem  datum,  Pyth.  8  aus  der  35  Pythiade,  das  sie 
doch  überlieferten,  haben  die  alten  nicht  gerechnet,  erst  seit  ich  auch  dieses  datum 
respectire,  verstehe  ich  auch  das  schöne  gedieht  vollkommen, 

21)  Dies  beruht  nur  auf  Diodor  XI  88,  läfst  also  einigen  Spielraum. 

22)  Name  nur  bei  Dionys  Arch.  X  53;  bei  Diodor  ist  das  jähr  ausgefallen. 


Tabelle.  303 

ANTIAOTOS 
4511   gesetz  über  die  beschränkung  des   b  iirgerrechtes 
450  J   dreifsigjähriger  friede  zwischen  Sparta  und  Argos 

EYOYNOZ") 

450  Ta^ig  cpoQOV 

fünfjähriger  Waffenstillstand  mit  Sparta 

kleriichie  auf  Andros^*) 
449  Kimon  zieht  gegen  Rypros 
450/49  vertrag  mit  Milet  IV  p.  6 

PEDIEUS 
449  Kimon  stirbt 
448  die  Spartaner  in  Delphi 

PHILISKOS  OL.  83 
448  die  Athener  in  Delphi;  vertrag  IV  p.  8 

447 

TIMARCHIDES 
447  beginn  des  Parthenonbaues 

Schlacht  bei  Koroneia 
446  abfall  von  Megara  und  Euboia 

448—46  veitrag  mit  Persien 

KAAAIMAXOZ 
446  einfall  des  Pleistoanax 

Pindar  Pyth.  8 

Winter:  dreifsigjähriger  friede 
445  gründung  von  Thurioi. 


23)  Name  CIA  IV  p,  7,  bei  Diodor  XII  3   Ev&iSrifios.     übrigens  ist  auch 
Eld'ivovs  als  name  denkbar, 

24)  Kirchhoff  tributpflichtigkeit  der  kleruchen  29. 


4. 
DIE  SOLONISCHEN  GEDICHTE. 


Die  eiegie  Aristoteles   hat  uns  gelehrt,   dafs  Solon    in  einer  elegie  die  griind- 

yncoanco  g^j^e  dargelegt  hatte,  zu  deren  durchführiing  ihm  seine  wähl  zum  archon 
die  macht  gab.  das  gedieht  gieng  von  einer  selbstbetrachtung  aus  "^ich 
erkenne  mit  schmerzen,  dafs  die  älteste  loniersladt  —  dem  abgrunde 
zutreibt',  nicht  anders  können  wir  den  schwerverständlichen  gedanken  des 
ersten  distichons  ergänzen.')  wir  erfahren  weiter,  dafs  im  eingange  des 
gedichtes  Solon  *^habsucht  und  Übermut'  der  herrschenden  classe  geifselte 
und  später  diese  direct  anredete:  "^bescheidet  euch;  denn  wir  dulden  das 
nicht  mehr,  und  nicht  alles  wird  euch  gefüge  sein',  da  in  der  allge- 
meinen Charakteristik  gesagt  wird,  dafs  Solon  "^für  beide  wider  beide 
stritt',  erschliefsen  wir,  dafs  er  in  entsprechender  weise  auch  die  besitz- 
losen und  ihre  begehrlichkeit  in  directer  anspräche  gegeifselt  hat.  das 
ganze  war  also  eine  volksrede  in  versen.  wer  elegie  und  iambos  sich 
genauer  ansieht,  wird  allerorten  die  directe  anspräche  vorlinden  und 
dem  entsprechend  bemerken ,  dafs  die  führer  des  Volkes  oder  kleinerer 
kreise  in  lonien  die  dichter  sind,  in  Sparta  redet  der  repraesentant 
des  Standes  zu  dem  beere:  das  ist  der  Charakter  der  tyrtaeischen  verse, 
auf  deren  Verfasser  also  nichts  ankommt,  für  das  Verständnis  der  ionischen 
poesie  ist  die  anerkennung  der  persönlichen  anspräche  durch  die  als 
solche  bedeutende  person  die  wichtigste  Vorbedingung. 


1)  Der  eingang  wird  nur  citirt,  gewissermafsen  als  Überschrift  des  gedichtes, 
damit  man  es  identificiren  könne,  also  ist  es  unberechtigt,  einen  vollständigen  ge- 
danken zu  fordern,  mich  dünkt  der  dahin  zielende  versuch  von  Blafs  auch  sehr 
unglücklich,  und  was  ich  auf  dem  facsimile  sehen  kann  stimmt  schlecht  zu  seiner 
Icsung.  insbesondere  mufs  damit  gerechnet  werden,  dafs  hinter  den  solonischen 
Worten  sicherlich  ein  freier  räum  war. 


Die  elegie  yivcoaxoj  xai  not.     die  elegie  ijfieTSQa  Sa  nöXis.  305 

Es  liegt  nahe,  resle  derselben  wichtigen  elegie  unter  Solons  Frag- 
menten zu  suchen,  und  vier  verse  (fgm.  15  Bergk)  hat  ihr  Br.  Keil  mit 
grofser  wahrscheinhchkeit  zugewiesen,  sie  sind  auch  in  die  Theognidea 
(315)  geraten  und  werden  als  solonisch  von  Hermippos  angeführt  (Plut. 
Sol.  3),  um  zu  belegen,  dafs  Solon  sich  selbst  zur  partei  der  armen  ge- 
rechnet hätte,  nicht  anders  können  wir  nach  Aristoteles  über  die  Stim- 
mung .euer  ersten  elegie  urleilen,  und  dafs  er  eine  mehrheit,  zu  der  er 
sich  rechnet,  zu  den  reichen  in  gegensatz  stellt,  ist  selbst  in  den  Wen- 
dungen ähnlich,  ganz  versländhch  aber  wird  der  politisch  bedeutende 
Inhalt  dieser  verse  erst  jetzt,  seit  wir  wissen,  dafs  die  geltende  drakon- 
tische  Verfassung  den  adel,  das  prinzip  aQiOTivdr]v,  durch  den  reicbtum, 
TtXovTivdrjv,  ersetzt  und  die  classen  auf  das  vermögen  statt  auf  das  ein- 
kommen  gestellt  hatte,  "^reicbtum  findet  sich  oft  bei  schlechten,  lüchtig- 
keit  bei  armen,  wir  werden  ihnen  nicht  gestatten  beide  zu  vertauschen, 
denn  er  ist  ein  wechselndes,  sie  ein  dauerndes  gut.'  so  perhorrescirt 
er  die  plutokratie:  wie  kurzsichtig  war  es,  ihm  die  classeneinleilung,  die 
sog.  timokratie  als  neue  erfindung  zuzuschreiben,  aber  die  agsTtj  ist 
bereits  die  der  seele,  nicht  die  des  blutes  für  ihn.  die  moralische  be- 
deutung  der  begriffe  ayad-og  und  Kay.6s  gilt  bereits  für  Solon ;  deshalb 
stehen  die  verse  unter  denen  des  Theognis,  die  der  Veranstalter  unserer 
Sammlung  auch  im  menschhch  aristokratischen  sinne  gedeutet  hat, 
während  der  Megarer  sie  im  bornirten  adelssinne  gemeint  hatte. 

Sehr  nahe  mit  dieser  elegie  berührt  sich  im  inhalte  eine  andere,  die  Die  elegie 
wir  zum  gröfseren  teile  und  am  Schlüsse  vollständig  in  die  gesandschaftsrede  s'','"^'^ff" 

'^  f  o  de  noMS. 

des  Demosthenes  hinter  255  eingelegt  lesen  (4  Bgk.).  dafs  sie  in  mehreren 
der  besten  handschriften  fehlt,  beweist  nichts  dagegen,  dafs  Demosthenes 
sie  selbst  eingelegt  hätte,  denn  in  ^  sind  auch  Urkunden  ausgelassen, 
die  erweislich  acht,  also  auch  mit  den  reden  sofort  edirt  worden  sind, 
wol  aber  lehrt  schon  der  lückenhafte  text  dieses  gedichtes^),  dafs  es  nicht 


2)  Aufser  den  zwei  hexametern  liinter  10  und  11  fehlt  mindestens  ein  penta- 
meter,  den  unbegreiflicher  weise  Bergk  und,  wenn  auch  in  klammern  (bezeichnend 
für  die  halbheit  seiner  kriük),  Hiller  als  26  führen,  obwol  er  notorisch  eine  den 
guten  handschriften  durchaus  fremde  byzantinische  ergänzung  ist,  an  der  die  mo- 
dernen je  nach  laune  herumändern,  sie  verfehlt  aber,  von  der  prosodie  ganz  ab- 
gesehen, auch  den  sinn.  Solon  sagt  'von  den  armen  kommen  viele  verkauft  in  das 
ausländ';  dem  entspricht  bei  Plutarch  13  o2  S'  inl  rr,t>  ^bvt]v  mnQaaxofievoi.  aufser- 
dem  steht  noch  bei  Solon  Ssa/^olai  t'  asixelCoiai  Ssd'sviss,  und  bei  Plutarch  geht 
vorher  ol  fiev  aviov  Sovhiovres.  danach  ist  also  zu  ergänzen,  wie  sollte  Solon 
die  schuldsclaven  weglassen?  vermutlich  folgte  noch  in  einem  distichon  der  zwang, 
V.  Wilamonitz,  Aristoteles.    II.  20 


306  III-    4.  Die  solonischen  gedichte. 

immer  die  sorgfältige  behandlung  erfahren  hat,  die  es  in  dem  demosthe- 
nischen  texte  finden  mufstc.  es  hat  also  einmal  ein  granimatiker  die 
von  Demosthenes  deutlich  bezeichnete  solonische  stelle  nachgeschlagen 
und  von  dem  verse,  den  er  so  fand,  ausgehend  den  rest  der  elegie  ein- 
getragen, wir  haben  grund  dem  manne  zu  danken,  gerade  weil  er  nicht 
sehr  überlegt  verfahren  ist,  denn  er  hat  viel  mehr  ausgeschrieben,  als 
der  redner  verlesen  liefs.  dieser  leitet  sein  citat  also  ein  "«verlies  mir 
hier  diese  elegie,  damit  ihr  seht,  wie  sehr  Solon  solche  menschen  wie 
diesen  Aischines  gehafst  hat",  und  nach  der  Verlesung  sagt  er  "hört  ihr, 
was  Solon  von  solchen  menschen  sagt,  und  von  den  göltern,  die  die 
Stadt  beschützen",  solche  menschen,  das  sind  menschen,  die  für  geld 
alles  tun,  insbesondere  den  ruin  ihrer  Vaterstadt  herbeiführen,  oder  viel- 
mehr herbeiführen  würden,  wenn  die  götter  nicht  über  Athen  wachten, 
somit  ist  deutlich  genug  bezeichnet,  dafs  Demosthenes  den  ersten  teil 
der  einlage  verlesen  liefs,  die  wir  jetzt  vor  uns  haben  "nach  gotles  willen 
wird  Athen  nicht  zu  gründe  gehen;  dafür  sorgt  Athena;  aber  die  bürger 
wollen  in  ihrem  Unverstände  den  Staat  zu  gründe  richten^),  und  nament- 
lich die  führer  des  Volkes,  die  in  ihrem  jagen  nach  unredlichem  gewinne 
keine  schranke  kennen,  aber  einmal  kommt  allerdings  auch  für  sie  die 
strafende  Vergeltung  (1  —  16)".  gerade  diese  letzte  prophezeiung  mufste 
dem  ankläger  sehr  zu  pafs  kommen,  aber  es  kann  davon  keine  rede 
sein,  dafs  er  auch  nur  einen  vers  weiter  citirt  hätte,  am  wenigsten  den 
schlufs,  der  die  Segnungen  eines  wolgeordneten  Verfassungsstaates  breit 
ausmalt. 

Wenn  wir   nun   den   gedanken   dieser   elegie  weiter   nachgehn,   so  | 
folgt  auf  den  ersten  abschnitt,   worin  die  strafe  für  die  frevel  der  hab- 
gierigen Volksführer  bestehn  wird,     "das  ist  eine  unvermeidliche  krank- 
heit  für  jede  Stadt,   dafs  sie   in   knechtschaft  gerät,   so  sie   bürgerzwist: 
und  bürgerkrieg  aufrührt,    in  dem  die  blute  der  Jugend  erliegt,     denn 
die  feinde  (d.  h.  die  inneren  feinde  des  Staatswesens   und  der  Ordnung) : 
zerstören   sie  gar   bald    in    ihren   verderbhchen   Zusammenrottungen."'') 

weib  und  kind  zu  verkaufen,   denn  das  steht  bei  Plutarch  unmittelbar  danach  und; 
bei  Aristoteles  2.  , 

3)  Wenn  es  jetzt  heifst,  dafs  die  bürger  in  ihrem  Unverstände  den  Staat  zer-' 
stören  %qriiiaai  neid'öfisvoi,  so   ist  dieser  pentameterschlufs  ein  übles  füllsel:  die 
bürger   sind   nicht   bestochen,    und   sie  haben  auch  davon  keinen  vorteil,   dafs  das. 
gemeinwesen  zu  gründe  geht,   im  gegenteil,  Solon  sagt  ja,  dafs  sie  es  aus  Unver- 
stand  tun;  vorteil   babe  allein  die  Stjiov  rjys/i6ves.     ergänzen  kann  man  die  lücke 
um  so  weniger,  als  man  nicht  weifs,  ob  sie  auf  den  pentameterschlufs  beschränkt  war.; 

4)  Dafs  dies  der  sinn  der  verse  ist,  deren  gedanken  in  der  für  die  alte  elegie  be-i 


Die  elegie  r/usreoa  Si  nöXis.  307 

er  meint  nicht  gerade  die  einzelherrschaft,  sondern  eben  so  gut  die  herr- 
schaft  einer  partei,  die  jetzt  die  oberhand  hat,  auf  die  bald  eine  andere 
eben  so  gewalttätige  folgt;  man  denke  an  die  Alkmeoniden  und  ihre  gegner, 
oder  an  die  Donati  u,  s.  w.  in  Florenz,  an  öwaorelai^  mit  den  Sokra- 
tikern  zu  reden,  denkt  er,  wie  sie  factisch  bestanden,  "das  ist  das  übel, 
das  jetzt  schon  im  demos,  in  der  drakontischen  gemeinde,  im  schwunge 
geht,  die  besitzlosen  aber,  die  ortla  fir  Ttagexo^ievoi,  geraten  durch 
das  schuldrecht  in  sclaverei.  so  kommt  von  dem  übel  der  gemeinde 
(örji-woiov  y.ay.ov)  auf  einen  jeden  sein  teil  unweigerlich,  diese  Vorhal- 
tung wollte  ich  den  Athenern  machen:  das  kommt  bei  der  dvGvof.iia 
h£raus.  dagegen  die  evvofiia  führt  zu  eitel  segen  und  wolstand." 
mit  diesem  erfreulichen  bilde  schHefst  er  und  malt  es  mit  leuchtenden 
färben,  natürlich  hegt  darin  der  rat,  für  gute  gesetze  zu  sorgen,  und 
wenn  sie  ihn  beim  worte  nahmen  und  sagten  "^wolan,  schaffe  uns  die 
guten  gesetze',  so  war  ihm  das  recht,  auch  dieses  gedieht  ist  ein  pro- 
gramm  des  reformators.  die  art,  wie  er  seine  Schilderung  der  beiden 
classen  des  Staates  und  ihrer  Verhältnisse  abschliefst  und  zu  der  evvojiiia 
übergeht,  insbesondere,  dafs  erst  hier  von  dem  adressaten  seines  ge- 
dichtes  die  rede  ist,  zeigt  deuthch,  was  wir  vor  dem  jetzigen  abgerissenen 
anfange  zu  ergänzen  haben,  "rings  um  mich  sehe  ich  gesetzlosig- 
keit  in  Athen,  und  das  volk  weifs  sich  nicht  rat;  da  will  ich  ihm  die 
zeichen  der  zeit  künden,  zwar  nicht  nach  der  götter  willen,  aber  durch 
eigne  schuld  treibt  die  Stadt  dem  untergange  zu."  breit  oder  knapp:  die 
dem  übergange  31. 32  entsprechende  einleitung  und  die  bezeichnung 
des  Volkes  als  des  adressaten,  auf  die  auch  noch  rif.iET€Qa  Ttöhg  deutet, 
konnte  nicht  fehlen. 

Ich  habe  das  ausgeführt,  weil  der  gedanke  nahe  lag,  dafs  die  von 


zeichnenden  altertümlichen  verschiänkung  nicht  sofort  scharf  erfafst  werden,  lehrt  sorg- 
fältige Überlegung,     unsicher  ist  die  Verbesserung  der  letzten  worte  äarv  -iqiyETai, 
ev  avvoSois  roTs  aSixovai  (piXois.     gemeint   sind  die  Vereinigungen,  in  denen  sie 
avvlaravrai  rvoavvelv,  die  Vorläufer   der  späteren  clubbs.     also   ist  zu  awoSois 
ein  epitheton  notwendig,  und  mir  genügt  Ahrens  mit  dem  kühnen  rala"  dSixTjatfi- 
Xois.    denn  solche  kühnen  Zusammensetzungen  wie  TtQoScoaeraioov,  aalafiivafsxTjSf 
\  älovr^laxelv  hat  das  alte  attisch  gern;  darum  leben  sie  in  der  komoedie  fort.  —  eine 
i  curiosität  ist,  dafs  Bergk  die  praeposition  lieber  £t=  als  es  schreibt,  obwol  letzteres 
i  sogar  noch  handschriften  für   sich  hat,  und  dazu  bemerkt,   er  wolle  is  nicht  her- 
i  stellen,    weil  nimis  incei'ta  est  paradvsis-    Hiller  copirt  ihn  getreulich,     wie  hat 
I  denn  Solon  geschrieben?     wendet  er  es  nicht  auch  als  kürze  an?    und   wie  lautet 
I  die  naQaSoacs  über  das  epos  und  die  alte  atthis?     auf  die  lesart  der  handschriften 
'  kommt  in  solchen  dingen  nicht  das  mindeste  an. 

20* 


593—91. 


308  in.    4.  Die  solonischen  gedichte. 

Aristoteles  citirte  elegie  mit  dieser  identisch  wäre,  niemand  kann  ja 
leugnen,  dafs  es  nur  eines  kleinen  bindegliedes  bedürfte,  um  von  dem 
ersten  distichon  jener  zu  dem  anfange  der  hier  vorliegenden  versreihe 
zu  gelangen,  aber  die  identification  ist  dennoch  ganz  ausgeschlossen, 
den  vers,  der  in  dem  anfange  jener  stand  rr^v  re  cpilaQyvQiav  rrjv  ^' 
v7t£Qrjq)aviav  müfsten  wir  in  dem  falle  hier  finden,  aufserdem  wer- 
den dort  die  gewinnsüchtigen  machthaber  direct  angeredet,  vermut- 
lich also  auch  das  arme  volk ;  denn  wir  hören  ausdrücklich,  dafs  Solon 
"beider  sache  wider  beide  führte",  von  all  dem  ist  hier  keine  rede, 
und  wenn  die  anrede,  der  adressat  also,  in  den  beiden  gedichten  ver- 
schieden ist,  so  ist  damit  schon  vollkommen  bewiesen,  dafs  es  zwei  waren, 
es  ist  auch  gar  nicht  wunderbar,  dafs  Solon  vor  594  mehrere  gedichte 
ähnlichen  iuhaltes  verfafst  hat,  ganz  wie  er  es  in  den  bitteren  jähren 
gleich  nach  593  getan  hat,  zu  denen  wir  uns  nun  wenden.*) 
Eine  eiegie  Eines  davon  war   eine  elegie,   aus  der  Aristoteles   und  andere  die 

jähren  schüncn  verse  drj/n(o  {.uv  yctq  fdwza  (5)  anführen ;  Ilerodot  und  Aristo- 
teles haben  derselben  die  erklärung  Solons,  auf  zehn  jähre  nach  Aegypten 
zu  verreisen,  entnommen;  Plutarch  das  resignirte  wort  %Qyi.iaOLv  ly  ;(aA£- 
Ttolg  TiäoLv  aöslv  xaXeTtov  (7).  das  schhefst  sich  alles  gut  zusam- 
men, und  dafs  dieses  abschiedswort  an  das  ganze  volk  der  Athener 
gerichtet  war,  ist  das  natürliche,  "ich  habe  den  Athenern  die  gesetze 
gegeben;  nach  denen  mögen  sie  leben  und  ein  jeder  das  seine  tun.  ich 
bin  es  müde,  von  allen  angegangen  zu  werden,  und  gehe,  die  herrlich- 
keiten  und  wunder  Aegyplens  zu  schauen,  zehn  jähre  bleibe  ich  fort: 
lebt  wol  und  versucht  wie  ihr  auskommt,  es  allen  recht  zu  machen, 
habe  ich  weder  angestrebt  noch  vermocht;  mein  prinzip  ist  nur  gewesen, 
gegen  die  übergrifle  von  beiden  selten  front  zu  machen."  es  kann  sein, 
dafs  ratschlage  folgten,  und  man  ist  versucht  das  bei  Aristoteles  unmittel- 
bar auf  driliiq)  liihv  yag  edw/M  folgende  bruchstiick  hierher  zu  ziehen 
"das  volk  ist  dann  am  fügsamsten,  wenn  man  ihm  weder  die  zügel 
schiefsen  läfst  noch  es  bedrückt,  denn  wer  nicht  gesetzten  sinnes  ist,  läfst 
sich  durch  die  Übersättigung  an  grofsem  wolstande  zu  übergriffen  ver- 
leiten" (fgm.  6.  8,  Theogn.  153).  aber  es  ist  klar,  dafs  diese  mahnung 
selbst  vor  der  gesetzgebung  möglich  war:  sie  gilt  den  d)]i.iov  rjy€f.i6v€g, 
die  doch  auch  nach  593  das  regiment  führten. 


5)  Es  liegt  naiie,  nach  resten  der  elegie  yiva>ay.ro  bei  Tiieognis  zu  suchen, 
aber  ich  habe  nichts  gefunden,  denn  müssiges  spiel  will  ich  nicht  treiben,  nach- 
bildungen  der  elegie  r^fiartQa  8s  nöhs  fehlen  nicht,  Th.  758,  wol  auch  43,  und  zu 
fgm.  7  stellt  sich  aufser  dem  verglichenen  799  auch  26  u.  a. 


Die  trochaeen  an  Phokos.  309 

Das  war  also  sein  letztes  wort  vor  dem  scheiden,  ungleich  erregter  Die  tro- 
liatte  sich  seine  enttäuschung  und  sein  stolz  in  dem  ersten  affecte  ge-  Phoifos! 
äiifsert,  und  er  wählte  deshalb  das  lebhafteste  mafs,  über  das  diese  dicht- 
gattiing  verfügte,  die  trochaeen,  die  er  wol  kein  zweites  mal  verwandt 
hat.  das  gedieht  war  an  einen  freund  oder  gewesenen  freund  Phokos 
gerichtet,  vielleicht  einen  vorfahren  des  Oioxliov  Ocoxov,  dessen  lebens- 
beschreibuug  allerdings  von  seinem  adel  nichts  weifs.  Aristoteles  hat 
ein  neues  schönes  stück  hinzugebracht,  Plutarch  aber  das  gedieht,  von 
dem  er  eine  probe  citirt  fand,  nachgeschlagen,  den  adressaten  am  an- 
fange seiner  auszüge  namhaft  gemacht  und  sich  selbst  gedanken  und 
Wendungen,  auch  wo  er  nicht  direct  citirt,  angeeignet  (14,5 — 15,1). 
danach  kann  man  den  aufbau  sehr  wol  erkennen.  Solon  wird  zuerst 
den  Phokos  angeredet  haben ,  sei  es  dafs  er  auf  dessen  billigung  oder 
misbiUigung  rechnete,  dann  führte  er  die  öffentliche  meinung,  die  ftollol 
y.al  cpavloi,  wie  Plutarch  sagt,  redend  ein  "Solon  hat  also  den  ruf  der 
Weisheit  nicht  verdient,  denn  er  hat  den  köpf  verloren,  als  der  fang  im 
netze  war,  und  es  herauszuziehen  weder  mut  noch  verstand  genug  ge- 
liabt.  unser  einer  würde  sich  für  die  wonne,  auch  nur  einen  tag  herr 
von  Athen  zu  sein,  gern  hernach  mit  sammt  seinem  ganzen  hause  haben 
schinden  lassen  (33)"."]  dem  gegenüber  erklärt  Solon  "mag  ich  auf 
meinen  ruf  als  weiser  einen  Schandfleck  damit  gebracht  haben'),  dafs  ich 
die  tyrannis  verschmähte:  ich  schäme  mich  dessen  nicht,  glaube  vielmehr 
gerade  dadurch  allen  menschen  gegenüber  den  vorrang  zu  erhalten  (32). 
durch  den  verzieht  auf  den  eigenen  vorteil  ist  es  mir  möglich  geworden, 
ohne  rücksichl  auf  die  begehrlichkeit  von  beiden  selten  den  staat  zu 
befestigen,  hätte  ich  seine  fundamente  zerstört,  so  würde  mir  die  kraft 
gefehlt  haben,  ihn  ganz  neu  zubauen  (Plut.  15,1).  nun  sind  die  be- 
gehrhchen  Umstürzler  freihch  enttäuscht,  die  auf  grofse  beute  hofften  und 
meine  reden  von   evrof-iia   für  schöne  phrasen  hielten,    und  sie  sehen 


6)  Eine  derbe  umsclireibung  der  flucliformel  e^colris  sirjv  avrds  xai  yevos  ro 
iuavTOv. 

7)  Durcli  die  bezieiiung  von  /uiävas  xal  yaraiaxvvas  aläos  auf  die  kritik  ovx 
sfv  HlXojv  ßa&vcpocov  wird  die  anordnung  der  versreihen  sicher  gestellt;  Plutarch 
führt  erst  die  verse  an,  die  er  citirt  gefunden  hatte,  und  benutzt  dann  dasselbe  ge- 
dieht weiter,  erst  die  vorhergehenden  verse,  die  er  ausschreibt,  dann  die  nächsten 
gedanken,  die  er  in  seine  werte  kleidet,  von  sich  das  beliebte  gleichnis  des  arztes 
einfügend :  ?;  /hev  agearov  (a^tarov  vulgo)  fjv,  ovx  inr^yaysv  laroeiav  ovSs  yaivo- 
TOjuiav  (poßr^d'eis  fii}  "'avy/^ias  TiaviÜTtaoi  xal  rnQu^as  ir^v  nökiv  aa&sviaxeQOi 
yivriiai  rov  xaTaaTTjoai  ndXiv^'  xal  awaquöaaad'ai  nQus  ro  aQiatov.  wie  mat» 
die  durchklingenden  trochaeen  verkennen  kann,  ist  mir  unverständlich. 


310  III.    4.  Die  solonischen  gedichte. 

mich  schel  an,  ganz  mit  unrecht,  denn  ich  habe  ihnen  gegeben  was 
ich  ihnen  versprochen  hatte;  sonst  aber  habe  ich  nicht  unbesonnen  ge- 
handelt: so  wenig  wie  die  tyrannis,  ist  mir  in  den  sinn  gekommen, 
durch  yr^g  avadaüf.i6g  eine  gleichheit  des  besitzes  für  alle  durchzu- 
führen. (34.  35  mit  den  ergänzungen  bei  Ar.)" 
Der  groCse  Waren  die  trochaeen  in  erster  linie  bestimmt,  seine  ablehnung  der 

iambos.  .  ...  ■   i      -.    i  •        i  /.  i 

tyrannis  zu  verteidigen,  so  setzte  sich  bolon  mit  den  vor\vürlen  der 
armen  in  dem  iambos  auseinander,  von  dem  das  längste  bruchstück  er- 
halten ist.  weil  der  iambos  (.lähaza  lE/.xmöv  ist,  glaubt  man  hier  am 
meisten  den  ersten  attischen  redner  zu  hOren.  ergänzen  mufs  man  die 
vorwürfe  der  volkspartei,  dafs  er  nicht  mehr  für  sie  getan  hätte  und  die 
äcker  der  reichen  confiscirt,  was  ihnen  nicht  nur  freiheit,  sondern  auch 
brot  verschafft  haben  würde,  "weswegen  ich,  als  ich  den  wagen  des 
Staates  lenkte  ^) ,  aufgehört  habe ,  ehe  der  demos  etwas  hiervon  bekam, 
das  soll  mir  vor  dem  richterstuhle  der  ewigkeit  die  mutter  Erde  bezeugen, 
aus  der  ich  die  schuldsleine  entfernt  habe;  und  die  schuldsclaven  habe 
ich  befreit  und  das  daveiQeo^ai  InX  xolc,  oiöiiaoiy  abgeschafft,  das 
habe  ich  getan  und  damit  mein  versprechen  erfüllt,  aber  mit  der  ge- 
setzgebung  habe  ich  gleiches  recht  geschaffen,  und  nur  weil  ich  un- 
eigennützig war,  ist  es  mir  gelungen,  den  demos  zurückzuhalten;  ich 
brauchte  ja  nur  einer  von  beiden  parteien  zu  folgen ,  dann  wäre  der 
bürgerkrieg  sicher  gewesen,  daher  habe  ich  mich  zwischen  beiden 
hindurchgedrückt." 
Ein  zweiter  Eiu  ganz  älinhches  iambisches  gedieht  zieht  Aristoteles  gleich  danach 

aus  "der  demos  sollte  mir  danken,  denn  ohne  mich  hätte  er  nicht  im 
träume  so  viel  bekommen  wie  er  hat,  und  die  reichen  sollten  es  nicht 
minder,  denn  ohne  mich  hätten  sie  alles  verloren,  keinem  anderen  würde 
es  an  meiner  stelle  gelungen  sein,  den  demos  zurückzuhalten,  ich  aber  trat 
zwischen  beide",  das  ist  so  ähnlich,  dafs  man  allen  und  neuen  be- 
nutzern  nicht  verdenken  kann,  dafs  sie  es  vermischt  haben,  der  halb- 
vers  ovv.  av  xa%to%E  dfn-iov  ist  identisch,  der  bedingungssatz  vorher,  der 
nur  in  der  paraphrase  erhalten  ist,  mufste  es  dem  sinne  nach  auch  sein : 
man  könnte  fast  an  eine  doppelte  fassung  des  Schlusses  denken ,  wenn 
nicht  Aristoteles  offenbar  zwei  vollständige  gedichte  vor  sich  hätte,  so 
lernen  wir  nur,  dafs  elegie  und  iambos  wie  das  spätere  epos  die  wieder- 


8)  Der  aufbau  der  gedanken  wird  diircli  die  paraphrase  deutlich;  a^ov7]XaTslv 
wird  nicht  bezweifeln,  wer  xbvtqov  Xaßcov  am  Schlüsse  dieser  gedankenreihe  20  be- 
achtet, den  unsinn,  der  über  diese  verse  geredet  und  in  conjecluren  niedergelegt 
ist,  mag  icht  nicht  verfolgen. 


Ein  zweiter  iambos.     gedichte  wider  die  tyrannis.  311 

holungen  sich  gestaltet  hat:  namenthch  für  die  beurteiluug  der  tyrtaei- 

schen  elegien  ist  das   beherzigenswert,     die   spätere  demegorie  in  prosa 

hat  es  nicht  anders  gehalten. 

Sechs  pohtische  gedichte  kennen  wir  nun.    dafs  Solon  auch  andere  Reste  an- 
derer ge- 
dichtungen verfafst  haben  mufste,  wenn  er  den  ruf  der  Weisheit  besafs,     dichte. 

um  dessentwillen  sein  volk  auch  auf  seine  poHtischen  mahnungen  hörte, 
ist  klar;  aber  auch  nicht  einen  vers  wüfste  ich  mit  einigem  scheine  auf 
seine  Jugend  zu  beziehen,  auf  seiner  reise  ist  das  gedieht  an  Philoky- 
pros  von  Soloi  entstanden  (19).  ein  vers,  der  seinen  aufenthalt  an  der 
kanobischen  Nilmündung  erwähnt  (28),  kann  nicht  weiter  bestimmt  wer- 
den, als  dafs  er  nach  der  aegyptischen  reise  verfafst  ist,  wie  denn  auch 
Plutarch  sagt,  die  etwa  zwanzig  jähre,  die  Solon  sich  zu  hause  noch 
des  otium  cum  dignitate  erfreute,  haben  ohne  zweifei  die  meisten  seiner 
poetischen  fruchte  gebracht,  aber  es  kann  bei  der  art  unserer  Über- 
lieferung nicht  wunder  nehmen,  dafs  wir  auch  hier  am  meisten  von  der 
pohtischen  poesie  erfahren,  dazu  gehört  die  elegie  Salamis  von  100  versen, 
also  ein  umfänghches  stück  (1 — 3),  für  die  er  die  fiction  wählte,  vom 
lieroldsteine  auf  dem  markte  zu  seinem  volke  zu  reden ,  und  zwar  in 
directer  anspräche,  vielleicht  war  das  auch  gar  keine  fiction.  dann 
scheidet  unsere  überHel'erung,  die  in  drei  arme,  Diodor  Plutarch  Diogenes,  Gedichte 
gespalten  doch  aus  einer  quelle  stammt,  zwei  politische  gedichte,  von  tyrannis. 
denen  sie  das  eine  vor,  das  andere  in  die  tyrannis  des  Peisistratos  setzt. 
das  eine  soll  eine  warnung  sein  (9);  die  erhaltenen  verse  führen  aus, 
dafs,  wenn  es  übermächtige  männer  im  Staate  gibt,  die  tyrannis  so 
sicher  zu  erwarten  ist  wie  das  hagelwetter,  wenn  die  wölke  aufzieht, 
oder  der  donner,  wenn  es  blitzt,  aber  das  volk  lasse  die  einzelnen 
männer  erst  so  grofs  w-erden,  dafs  es  sie  nachher  nicht  mehr  zurück- 
halten könne,  das  zweite  soll  mit  der  vollendeten  tatsache  rechnen  "die 
gOtter  sind  nicht  an  eurer  knechlschaft  schuld,  sondern  ihr  selbst,  die 
ihr  diesen  lauten  rückhalt  und  stütze  (Qvf.iara)  gegeben  habt,  denn  ihr 
seid  trotz  aller  Schlauheit  der  einzelnen  ein  volk  von  gimpein  (11)".  so 
wie  die  3  und  4  dislicha  jetzt  da  stehn  ^j,  könnten  sie  sehr  gut  in  einem 
gedichte  platz  finden,  und  nur  wenn  der  vers  "bald  wird  die  Wahrheit 
an  den  tag  kommen  und  zeigen,   ob  ich  verrückt  bin,  wie  ihr  wähnet 


9)  Plutarch.  Sol.  30  hat  das  zweite  citat  zerpflückt  und  dabei  auch  die  Ord- 
nung der  verse  vertauscht,  wenn  Cienaens  Str.  I  3,  328  dieselbe  Ordnung  zeigt,  so 
heifst  das  nur,  dafs  er  von  Plutarch  abhängig  ist.  diese  entlehnungen  aus  einem 
erhaltenen  autor  festzustellen  und  auszusondern  ist  die  dringendste  aufgäbe  für  die 
analyse  des  Clemens. 


312  II'-    ■!•  Die  solonischen  gedieh  te. 

(10)"  in  das  erste  gedieht  notwendig  gehörte,  würde  sicher,  da(s  Solon 
zwei,  dann  notwendig  kurz  vor  und  nach  einer  katastrophe  fallende  ge- 
dichte  verfafst  hätte,  das  mag  man  glauben ;  Sicherheit  ist  nur  so  weit 
zu  erzielen,  dafs  die  beziehung  auf  die  leibwache  des  Peisistratos  (seine 
QVfLiara),  so  nahe  sie  den  alten  erklärern  lag,  irrig  ist.  denn  es  handelt 
sich  überhaupt  nicht  um  einen  einzelnen,  sondern  um  eine  mehrluil 
(rovtovg  r^l^oaTs),  die  /tieyälot  avögeg.  die  alten  sind  genötigt  ge- 
wesen von  den  Feisistraliden  zu  reden,  ja  es  wird  gar  bei  Diogenes  ein 
ganzer  rat  von  Peisistratiden  daraus,  aber  Ilippias  ist  doch  nicht  vor 
561  mitregent  gewesen,  und  das  geschlecht  spielt  vollends  keine  rolle, 
sondern  der  einzelne  Stratege  und  demagoge.  die  solonische  mahnung 
geht  auf  die  Verhältnisse,  von  denen  wir  nur  die  allgemeine  Schilderung 
der  drei  oräotig  und  ihrer  führer  kennen,  da  herrscht  in  Athen  weder 
das  gesefz  noch  der  demos,  sondern  die  gewalt  der  mächtigen  männer. 
diese  kritik  wird  auf  Damasias  und  schon  vor  ihm  und  nach  ihm  manches 
jähr  zugetroffen  haben,  wenn  wir  die  gedichte  Solons  vollständig 
besäfsen  uiul  die  beamtenliste  dazu,  so  würden  wir  die  geschichte  und 
die  beziehung  der  einzelnen  verse  zugleich  feststellen  können;  so 
müssen  wir  uns  bescheiden,  und  nur  froh  sein,  dafs  wir  nicht  genötigt 
sind,  diese  gedichte  fest  auf  561/60  zu  setzen,  wie  der  steinaUe  Solon 
damals  sich  verhielt,  erzählt  die  chronik  novellistisch:  sie  weifs  von  keinen 
Versen  (oben  I  261 — 65j. 
Unpolitische  Etwas  kenntlicher  wird  seine  unpolitische  dichtung.     er  hat  selbst 

des  äiterl  den  gegensatz  gefühlt  und  ausgesprochen,  "jetzt,  nämlich  wo  ich  die 
Politik  und  die  arbeit  des  erwerbslebens  los  bin,  kann  ich  mich  den  ge- 
nüssen  des  lebens,  Aphrodite,  Dionysos  und  den  Musen  hingeben  (26).'''°) 
nur  den  besten  bleiben  die  Musen  bis  ins  alter  treu,  aber  das  noch 
heute,  dafs  Dionysos  den  greisen  hold  sein  darf,  ist  uns  schon  nicht 
so  geläiiüg,  aber  dafür  genügt  es  an  Piatons  regeln  ^rceql  (.le^tjg  in  den 
Gesetzen  zu  erinnern,  noch  mehr  mag  Aphrodite  befremden,  und  an 
das  schwärmen  im  maimonde  des  lebens  denkt  freilich  kaum  jemand  in 
der  ächlhellenischen  zeit,  für  den  bürger,  der  einen  hausstand  gründet 
und  seine  kinder  erzieht  und  versorgt,  ist  die  regel  auch  nicht  gegeben : 
das  hat  Solon  nicht  getan,  von  dem  es  keine  descendenz  gegeben  hat. 
aber  die  eischeinung,  für  die  die  Aspasia  des  Perikles,  die  Herpyllis  des 
Aristoteles,  die  Theoris  des  Sophokles  benannte  Vertreterinnen  sind,  die 


lü)  Gomperz  (Wien.  stud.  II  7)  hat  den  vers  auch  bei  Philodem  aufgezeigt 
und  mit  Wahrscheinlichkeit  vermutet,  dafs  er  durch  den  Erotikos  des  Aristoteles  in 
die  philosophische  litleratur  und  zu  Plutarch,  der  ihn  liebt,  gelangt  ist. 


Unpolitische  gedieh te  des  alters.  313 

ixaüxiv.cä   gar  vieler  greise   in  Athen  unbenannte,   zu   denen   auch  die 
magd  gehört,  die  der  alte  Cato  heiratet,  ist  für  das  leben  der  alten  zeit 
buchst  charakteristisch,    "reizendes  hindernis  will  die  rasche  Jugend;  ich 
liebe  mich  des  versicherten  guts  lange  bequem   zu  erfreun."     die  stim- 
mun»  Goethes  in  den  neunziger  jähren  wird  dem  ernsthaften  und  ver- 
ständigen  die   beste  erläuterung  sein,     es  ist  ein  genufsleben,  aber  bei 
allen  den  männern,   die  hier  genannt  sind,    ein  complement  der  ange- 
strengten geistesarbeit.     wie  hoch  erhaben    über  den  gemeinen  sinneu- 
ffeniifs  es  ist,    kam  Solon   selbst   in  den  fall  auszuführen,   der  Athener 
gegenüber  dem  lonier,   in  dem  gedichte  an  Mimnermos  (20.  21).     der 
hatte  nichts   im  leben  getan  als  genossen,    und  da  sah  er  voraus,    dafs 
'  er  als  sechzigjähriger  mit  dem   geniefsen    und   dem  leben    fertig  sein 
würde;    auf  die  hefe   des  trankes   mochte   er  darum  verzichten.     Solon 
führte  ihm   gegenüber    die  sache   der   natur   zugleich    und   der  ächten 
Imenschenweisheit.     er  war  mit   sechzig  jähren  weder  zum   genusse  un- 
fähig noch  lebensmüde   und  plaidirt  deshalb   für  weitere   20  jähre,     er 
fürchtet  kein  grämliches  alter,   ist  egoist  genug,  zu  wünschen,  dafs  er 
isterbend  eine  lücke  lasse,  wozu  dann  freilich  gehört,   dafs  er  so  lange 
er  lebt  seinen  posten  ausfüllt,    und  er  weifs,  dafs  seine  existenz  niemals 
leer  werden  wird.     yr^Qaay.co   d'    edel  noü.u   öiöccGy.oiievog  (15),   der 
i  schönste  seiner  verse,   gehört  offenbar  hierher,     nehme   man    dazu  aus 
I einem  anderen  gedichte,   was  er  über  den   reichtum  sagt,   den  er  sich 
{wünscht  (24) '0'  ^o  h^^t  man  so  ziemlich  unsern  weisen  meister,  der  von 
}  den  göttern  verlangt,  was  der  dichter  bedarf,   "mäfsiges  braucht  er,  doch 
'viel,     ersthch  freundliche  wohnung,  dann  leidlich  zu  essen,  zu  trinken 
igut,  der  Deutsche  versteht  sich  auf  den  nektar  wie  ihr  (davon  sagt  der 
Grieche  nichts  besonderes),      dann  geziemende   kleidung,    und   freunde, 
jvertraulich  zu    schwatzen;   dann    ein  liebchen   des  nachts,   das  ihn  von 
iherzen   begehrt,     diese  fünf  natürhchen   dinge  verlang'   ich  vor   allem. 
I gebet  mir  ferner  dazu  sprachen,  die  alten  und  neu'n,  dafs  ich  der  Völker 
gewerb'  und  ihre  geschichten  vernehme,  gebt  mir  ein  reines  gefühl,  was 
sie  in  künsten  getan.^' 

Seine  Weisheit  richtete  Solon  auch  jetzt  noch  mehrfach  an  bestimmte 
personen ;  aiifser  dem  gedichte  an  Mimnermos  hören  wir  noch  von  einem 
an  einen  jungen  mann  aus  verwandtem  hause,  den  übermütigen  Kritias 


11)  yaarqi  ts  xal  ^?.svo^  y.cd  Tioaiv  ußqa  nc.d'elv,  naiSös  i  i]8s  yvvaixös, 
trci-f  y.cd  TaiT^  u(pixT^Tai,  Tjßr]'  aiv  S^  ß'^'7  yivSTai  aquoSia'  xavx  äcpevos  d'vj]- 
Tolai.  Goethen  ward  das  griechische  durch  Horaz  Ep.  I  12  vermittelt:  aber  wie 
viel  näher  steht  er  dem  griechischen  als  selbst  Horaz. 


314  III.    4.  Die  solonischen  gedichte. 

(22).  aber  an  das  publikum  im  ganzen  wandte  er  sich  verständiger- 
mafsen  nicht  mit  ihr.  die  steifleinene  theorie,  die  von  vTtodrjyMi  eig 
kavtbv  redet,  künnen  wir  auf  sich  beruhen  lassen:  wir  sind  nicht  im 
Stande  zu  wissen,  wie  die  Sammler  im  allertum  die  gedichte  geordnet 
haben,  und  brauchen  ihnen  die  Verkehrtheit  nicht  zuzutrauen,  die  Ord- 
nung nach  den  versmafsen  mit  einer  nach  sachlichen  kategorien  ver- 
mischt zu  haben,  wie  Bergk  beliebt  hat.  die  selbstansprache  ist  keine 
kunslform.  wie  es  Solen  gehalten  hat,  lehrt  die  berühmteste  und  schönste 
und  zum  glück  vollständig  erhaltene  elegie(13):  er  hat  die  einkleidung 
eines  gebetes  an  die  Muse  gewählt,  damit  ist  nichts  anderes  bezeichnet, 
als  dafs  er  seine  gedanken  in  einem  gedichte  ausspricht,  aber  die  helle- 
nische poesie  verlangt  nun  einmal  feste  form:  und  so  ist  hier  die  an- 
rede für  die  elegie  gewahrt,  jenes  wunderbare  gedieht,  in  dem  der 
fromme  des  lebens  und  des  slrebens  summe  zieht,  will  ich  hier  nicht 
erläutern,  das  würde  zu  viel  worte  fordern,  denn  es  ist  nicht  leicht, 
falls  man  mehr  als  einzelne  disticha  verstehen  will,  dem  modernen  aber 
wird  es  sauer,  von  allem  rhetorischen  disponiren  abzusehen,  auch  von 
allen  den  künsten  der  Kallimachos  und  Properz  und  Ovid,  und  sich 
zutrauhch  vor  die  knie  des  alten  zu  setzen  und  seiner  3Iuse  zu  lauschen, 
die  ihn  nach  greisenart  bald  hierhin,  bald  dahin  lockt,  aber  immer 
wieder  in  die  bahn  zurückführt,  die  ihm  die  alles  beherrschende  empfin- 
dung  weist,  "mensch,  lerne,  dafs  es  mit  unserer  macht  nicht  getan  ist, 
und  dafs  der  gott,  der  deine  geschicke  lenkt,  wie  es  ihn  behebt,  einmal 
abrechnung  hält:  mensch,  lerne  dich  bescheiden."  zum  Verständnis  des 
baues  hilft  Tibull,  der  an  der  ächten  elegie  gelernt  hat;  bequemer  noch 
hilft  Goethe. 
Unbestimni-         ]\iir    noch    einige    wenige    beziehungslose    verse    (12.  14.  16.  17. 

bare  o  o  o  \ 

trümmer.  23.  25)  und  die  reste  eines  iambischen  gedichtes  (38 — 41),  in  dem 
das  gelriebe  eines  marktes  mit  allerhand  erzeugnissen  auch  ferner  küsten 
geschildert  ward,  sind  übrig,  aufserdem  eine  sehr  hübsche,  bereits  dem 
Aristoteles  (Pol.  H  1335^)  bekannte  elegie,  eigentlich  nur  ein  merkvers, 
über  die  zehn  hebdomaden  des  menschenlebens,  den  hervorragende  ge- 
lehrte von  Porson  bis  Usener^-)  dem  Solon   absprechen,     er  hat  nichts 


12)  Altgr.  Versb.  52.  seine  schlufsfoigerung  ist  mir  ganzlich  unverständlich. 
die  Verbindung  näs  iis  findet  sich,  wenn  wir  eine  stelle  bei  Theognis  erst  geändert 
haben,  immer  noch  einmal  bei  Theognis,  wo  sie  Usener  wieder  beseitigen  will,  bei 
Aischylos  Pindar  und  Herodotos,  aufserdem  in  dieser  elegie.  die  aber  wäre  nicht 
solonisch.  ja,  was  soll  ich  aus  diesem  tatbestande  anders  folgern,  als  das  näs  ne 
seit  480  in   keinem  gebiete  der  poesie  anstöfsig  ist,  also  vorher  mindestens  in  der 


Unbestimmbare  trümmer.  315 

individuelles,  und  dafs  ein  solcher  spruch  einem  berühmten  namen  an- 
gehängt wird,  ist  sehr  natürlich,  woher  sie  aber  wissen,  dafs  Solon 
nicht  der  Verfasser  sein  könne,  verstehe  ich  nicht:  dafs  hier  70  jähre 
;ils  die  normale  grenze  des  lebens  bezeichnet  wird,  und  Solon  als  greis 
tili  ander  mal  gerne  80  werden  wollte,  kann  doch  nichts  ausmachen. 
Ilerodot  I  32  läfst  den  Solon  70  jähre  als  normales  lebensalter  angeben, 
Diogenes  I  55  auch:  das  erstere  mag  man  für  unsicher  halten,  das  zweite 
i lehrt  wenigstens,  dafs  das  gedieht  in  den  werken  Solons  sich  behauptete. 
es  kommt  weder  für  dieses  etwas  auf  den  Verfasser  an:  alt  ist  es  doch; 
noch  für  Solon  darauf,  ob  er  einmal  ein  nicht  individuelles  gedieht  ver- 
fertigt hat.  unter  den  versen  der  altattischen  poesie,  also  denen  Solons, 
steht  es  und  wird  es  stehn  bleiben. 


elegie  auch  vorkommen  konnte?  was  soll  ich  folgern,  als  dafs  die  conjecturen  im 
Tlieognis  und  die  athetese  des  solonischen  gedichtes  von  dieser  seile  her  schlecht- 
hin unberechtigt  sind? 


5. 
DIE  ATTISCHE  SKOLIENSAMMLUNG;) 


Athenaeus  hat  in  sein  fünfzehntes  buch  eine  Sammlung  attischer 
trinklieder  eingelegt,  die  nicht  nur  durch  die  einzelnen  gedichle,  un- 
schätzbare reste  der  wirklichen  volkspoesie  des  alten  Athen,  sondern  auch 
als  buch  von  bedeutung  ist.  das  buch  mufs  ich  analysiren,  um  deut- 
lich zu  machen,  dafs  die  beiden  von  Aristoteles  angeführten  liedchen  bei 
Athenaeus  einlagen  aus  Aristoteles  sind,  das  mag  ich  nicht  tun,  ohne 
über  die  gedichte  selbst  etwas  zu  sagen,  wir  können  sie  wirklich  etwas 
besser  verstehn  als  der  alte  Ilgen;  ich  bitte  sie  aber  im  Athenaeus 
nachzulesen,  nicht  bei  Bergk. 

Das  buch  ist  so  geordnet,  dafs  zuerst  die  gedichte  in  dem  gewöhn- 
lichen skolienlone  stehn,  einer  zwar  aeolischen,  aber  nicht  mehr  wirk- 
lich acht  aeolischen  strophe.  die  Stollen  werden  durch  je  einen  phalae- 
ceischen  elfsylbler  gebildet,  in  dem  jedoch  bereits  ein  dreisilbiger, 
anapaestiscber  anlaut  statt  des  aeolischen  zweisylbigen ,  hier  nie  mehr 
doppelkurzen,  vorkommt  (vyiai  I  vslv),  und,  allerdings  unter  dem  drucke 
von  unbequemen  eigennamen ,  eine  Verdoppelung  der  zweisylbigen 
Senkung  {l4Qf.i6öiog  '/.al  ^giGtoysittov).  beides  ist  in  der  sylben- 
zählenden  metrik  von  Lesbos  undenkbar,  der  abgesang  ist  in  den 
meisten  fällen  durch  synaphie  gebunden,  von  den  vier  gliedern  die 
ihn  bilden  ist  das  zweite  einmal  durch  hiat  abgesetzt,  oder  vielmehr 
durch  unerlaubten  hiat,  da  er  ein  proklitikon  abtrennt  (ayad-ovg  rs 
y.al  I  £V7caTQi6ag  24),  ebenso  auch  nur  einmal  das  dritte  {aX/jOavTa 
jcaliv  I  ccvÖQa  6) ,  so  dafs  man  die  vollen  dalivformen  in  der  elision 
herzustellen  berechtigt  ist  {hf-ialo^  /  evcpQooi  4,  S^volaia^  ävöga  12; 
ebenso   natürlich    im  verse  arscpavr^fpoQoio^   ev  3,   ßgo/^iiaia"  ovöe  5, 


1)  Das  schöne  buch  von  Reitzenslein,  Epigramm  und  Skolion,  habe  ich  nicht 
mehr  benutzen  können. 


III.    5.  Die  attische  skoliensammlung.  317 

i  öeüola^  ollyi]  14,  ayaS-olo  «v^^aat  23,  ßgorolo^  Iv  25;  die  vocali- 
sirung  der  dative  der  ersten  declination  ist  mir  zweifelhaft),  wortschlufs 
suchen  alle  dichter  hinter  dem  zweiten  gliede,  etwa  die  hälfte  hinter  dem 
ersten ,  niemand  zwischen  den  gliedern  drei  und  A-ier.  denn  der  ab- 
gesang  in  sich  ist  \vieder  eine  kleine  trias,  von  der  form  a  +  b  cc.  sein 
Stollen  ist  das  kleine  sechssylbige  glied,  das  die  eine  der  normalformen 
des  dochmius  geworden  ist,   uns  am   geläufigsten   aus   dem  stollen   der 

'  alkäischen  Strophe  Ix  d^  oqävto  f-ieyag,  stat  nive  candidem.  ein  dichter  (10) 
hat  sich  die  abwechselung  erlaubt,  statt  seiner  das  um  eine  sylbe  kürzere 
glied  zu  verdoppeln,  das  uns  aus  dem  abgesang  der  sapphiscben  Strophe 
am  geläufigsten  ist,  co  rov  ^ötoviv,  terruit  ui^bem.  schon  Sappho  hat 
es  in  pare  verbunden  stichisch  wiederholt,  f.iaipvXay.av  y?MOOav  jzscpv- 

.  läx^ai ;  Pindar  schUefst  damit  die  kleine  Strophe  des  liedes  auf  den 
Acharner  Timodemides  ev  7to?.vvf.ivi]Tq)  Jiog  aloei.  des  abgesanges 
abgesang  ist  ein  seltsames  ding;  zwar  sein  zweites  glied  ist  nur  wieder 

:  um  eine  sylbe  kürzer  als  der  adoneus,  sieht  also  einem  Choriamben 
gleich,  aber  davor  steht  das  glied  i/.  d'  oquvlo  f.ieyag  ohne  die  erste  sylbe, 
also  eine  jener  in  Lesbos  unerhörten,  auch  bei  Pindar  seltenen  und  in 

,  den  aeolischen  Strophen  der  tragoedie  wenigstens  nicht  häufigen  glieder 
mit  anlautender  obligatorischer  doppelkürze,  ich  fasse  sie  in  der  tat  als 
apokopirt,  wie  ich  die  ersten  glieder  in  dochmien,  daktyloepitriten ,  ja 
selbst  in  iouikern  vereinzelt,  ansehe. 

Die  Sprüche  dieses  tones  beginnen  mit  denen  eig  S^sovg.    ^d^ava 
(diese  form  hat  Bergk  hier  richtig  hergestellt)  hat  billig  den  vortritt:  das 

i  politische  lied;  wir  sind  nicht  in  Auerbachs  keller.  hier  weht  die  luft 
wie  in  den  segensliedern  der  Hiketiden  und  Eumeniden.  "erhalte  unsere 
Stadt  vor  nöten  {aXyrj^  die  uöte  einer  niederlage  sind  gemeint,  Ttäy- 
y.Lavxa  alyr^  Aisch.  Sieb.  367.  xaxa  t'  aXyrj  noli/iiovg  t^  alf.ia- 
xöevxtxg  Hik.  1044)  bürgerzwist  und  pestilenz  [d-avaroi  acoQoi  wie  Eum. 
936),  du  und  dein  vater."  —  der  zweite  spruch  gilt  der  Mutter  ev  ''dygaig 
und  ihrer  tochter;  um  die  zeit  der  kleinen  mysterien  ist  er  gesungen, 
im  Anthesterion  OTEcpavr^cpÖQoio^  ev  wQaig,  wenn  der  narkissos  blüht, 

:  mit  dem  die  göttinnen  sich  kränzen,  weil  es  diese  Mutter  ist,  heifst  sie 
'Olvf-inia,   denn  dem  Olympier  ist   jene  flur  am  Ilisos  heilig,     die  ri] 

j  Ohf-iTtla   ist   eigentlich   dieselbe   gottheit.     gebetet  aber  wird   um  ge- 

i  deihen  {/t/.oiTog)  für  all  das,  was  jetzt  im  frühling  keimt  und  sprofst. 
die  Mutter  heifst  rcKovxov  ^nfirriQ'.  so  wenig  ist  dieses  abstractum  noch  zu 

!  einer  person  geworden,  geschweige  dafs  man  nach  dem  vater  des  kindes 

i  fragte;   noch   weniger  ist  der  höllische  gott  gemeint,   den  man  um  der 


318  III.    5.  Die  attische  skoliensammlung. 

schätze  des  erdinnern  willen  euphemistisch  TiXovrwv  nennt. —  dann  kommt 
Apollon,  der  Delier,  auf  dessen  insel  Artemis  eigentlich  nicht  geboren  ist, 
so  dafs  sTiKTS  Ttalda  Aartä  (E)  besser  ist  als  rey.va  ud.  (^;  an  den 
bruder  schliefst  sich  Artemis,  wie  sie  die  Athener  verehren,  als  jägerin, 
und  noch  mehr  als  heirin  des  weiblichen  geschlechtes  (Aisch.  Ilik.  676). 
das  lied  taugt  nicht  viel,  da  es  erzählend  anhebt  und  so  seine  herkunft 
aus  der  elegie,  die  weiter  ausholen  kann  (Theogn.  1 — 14),  verrät.  —  der 
vierte  ist  Pan,  noch  kein  Athener,  sondern  mit  den  dionysischen  nymphen 
im  arkadischen  gebirge  schwärmend,  er  soll  sich  nur  am  Hede  freuen, 
das  so  lustig  ist  wie  er,  der  den  himmlischen  komos  führt,  die  fremden 
formen  ({.leöcov  '/.Isswag)  und  die  merkwürdige  tatsache,  dafs  die  ver- 
dorbene Überlieferung  durch  ein  cultlied  geheilt  werden  konnte,  das 
600  jähre  später  in  Oheraegypten  aufgezeichnet  ist,  beweisen  die  ab- 
leitung  dieses  Spruches  aus  den  chorischen  gesängen  des  eigentlichen 
gottesdienstes;  für  den  war  das  chorlied  Pindars  (fgm.  95.  96)  bestimmt, 
das  vielleicht  selbst  dieses  Vorbild  war.  —  der  fünfte  spruch  ist  verstümmelt 
und  verdorben,  er  bildet  bereits  den  Übergang  zu  profanen  gegenständen. 
"^wir  haben  gesiegt  und  die  götter  haben  uns  den  sieg  von  der  Pandrosos 
her  übergeben.'  was  sie  von  der  hüterin  des  heiligen  Ölbaumes  nahmen 
ist  entweder  der  Ölzweig  oder  wol  noch  richtiger  das  Ol:  der  trinkende 
gedenkt  des  sieges,  den  er  oder  die  seinen  an  den  Panathenaeen  er- 
rungen haben. 

Nun  folgt  eine  reihe  moralischer  sprüche;  an  zwei  hochberühmte 
in  demselben  tone  ist  ein  aus  aeolischer  poesie  entlehnter  in  alkäischer 
Strophe  und  ein  anderer  auch  aeolischer  angereiht,  diese  vereinzelten 
töne  hat  der  ordner  so  lieber  untergesteckt,  weil  sie  doch  nirgend  pas- 
sender standen,  dafs  Athenaeus  ein  par  citate  über  vyiaLvsiv  aus  eigner 
lectüre  beifügte,  wird  keinen  seiner  leser  beirren,  der  wünsch,  dem 
menschen  ins  herz  zu  sehen,  um  zu  erfahren,  ob  seine  freundschaft 
acht  sei,  schickt  sich  für  das  lied  im  freundeskreise;  Euripides  citirt  diesen 
Spruch  Med.  516,  Hipp.  926.  —  das  allbekannte  tyiaiveiv  hat  schon  Epi- 
charm  citirt,  und  es  war  dem  Simonides  wegen  fgm.  78  gegeben,  was  der 
dichter  damit  meinte,  darf  man  nicht  aus  den  erläuterungen  der  Philo- 
sophen holen,  sondern  aus  der  Situation,  für  die  er  es  gemacht  hat:  er 
will  nur  sagen  "wir  sind  gesunde  hübsche  jungen  und  haben's  dazu:  lafst 
uns  drum  lustig  sein",  der  deutsche  Student  pflegt  beim  weine  (d.  h.  biere)  ; 
seinen  verkehr  mit  dem  leihhause  und  dem  Wucherer  zu  besingen;  auch  j 
wenn  er  in  ehrlicher  armut  ehrenvoll  sich  durchschlägt,  fingirt  er  die  ' 
verlumptheit.    eine  wirkliche  lebensregel  gibt  die  alkäische  Strophe,  nicht 


111.    5.  Die  attische  skoliensammlung.  319 

umvürdig  des  Alkaios.     man  mufs  nur  das   erhaltene   nicht  weiter  zer- 
stören, sondern  sich  üherlegen,  dann  findet  man  die  uol^Yendig  geforderte 
ergänzung  der  vorn  verlornen  drei  sylben  "(den  graden)  oder  (den  besten) 
,  curs  soll  man  sich  vom  lande  aus   aussuchen,   wenn  man   dazu  in   der 
i  läge  ist  und  sich  genug  darauf  versteht:    ist  man  aber  erst   in    see,   so 
lieifst  es  den  curs  halten''^    inter  nitentes  Cyclades  wird  einem  das  klar. 
,  wer  von  Troia  nach  Hellas  will,  der  mag  sich  überlegen,  ob  es  besser  ist 
1  zwischen  Euboia  und  Andros  oder  zwischen  Andros  und  Tenos  oder  Tenos 
und  Mykonos  durchzufahren,  oder  gar  erst  an  der  asiatischen  küste  längs; 
aber  auf  der  fahrt  den  curs  wechseln  ist  verwerflich,     so  die  metapher. 
'  was  der  dichter  für  das  leben  lehrt,  heifst  "es  ist  sehr  schön,  "erst  wägen 
dann  wagen';  nur  kann  man's  nicht  immer,  und  nicht  jeder  verstehts; 
1  aber  für  alle  gilt  "was  du  einmal  begonnen  hast,  das  tue  ganz\"     der 
I  Spruch   klingt  weder   sympotisch  noch  attisch.  —  das  ist  auch  der  fol- 
gende nicht,    "ein  freund  soll  gerade  sein  und  keine  krummen  gedanken 
j  haben,  sagte  der  krebs  und  nahm  die  schlänge  zwischen  die  scheeren." 
!  es  sagt  sich  jeder,  dafs  die  lebendige  schlänge  sich  ringelt,  die  tote  in  starrer 
I  geradheit  liegt;  man  bedarf  also  der  aesopischen  fabel  81  zum  Verständnis 
nicht,  die  aber  mit  recht  citirt  wird,  weil  ja  Aesop  ein  Schulbuch  war,  und 
der  dichter  an  sie  erinnert,  indem  er  die  freunde  an  aufrichtigkeit  mahnt. 
die  Stollen  der  kleinen  Strophe  sind  von  einer  auch  in  Athen  geläufigen 
vdlkstümlichen  form,  vf.a]v  v^-ihai    vf.ir^v.    überliefert  ist  im  ersten  zwei- 
sylbiger   anlaut   6    öh   y.aQy.ivoq.      dann    konnte    das   gedieht  nicht  acht 
.('i)lisch  sein,  wofür  doch  £/</<6j'  spricht;   aber  die  partikel  am  anfange 
i  des   liedes   ist   ohne   analogie  in   diesen   Sprüchen ,   und  ihre  einfügung 
'  im  Athenaeustext,  wo  die  gedichte  ohne  intervall  stehn,  ungleich  wahr- 
scheinlicher,   den  abgesang  bilden  zwei  durch  synaphie  gebundene  gly- 
koneen. 

Nun  kommen  vier  Strophen  auf  die  tyrannenmörder.    eigentlich  sind 

es  nur  zwei,    denn  die  dritte  gibt  nur  zur  ersten  einen  eben  so  guten 

!  abgesang  (10  und  12).    die  demokraten  mochten  an  der  tat  der  befreier 

I  die   herstellung   der   iGovo(.iiCi   hervorheben,    während   den   leuten   wie 

j  Isagoras  nur  die  beseitigung  des  Hipparchos  von  wert  war.    beide  sprüche 

I  sind   schwerlich  viel  jünger  als  die   tat;   das   zeigt  an   dem   einen   die 

I  ioovoi-iia,   wofür  schon  Aristophanes  ör^f-iozocala  gesagt  haben  würde, 

an  dem  andern  die  form  ^S-npäa,   die  das  versmafs  fordert,    aber  die 

vornehme  dichtersprache  nicht  beliebt  hat.     der  vierte  (13)  ist  schlecht 

zusammengestoppelt;  den  abgesang  borgt  es  vom  ersten,  das  erste  wort 

vom  zweiten,  und  verdirbt  im  fortgang  den  vers;  seine  erste  zeile  aiei 


320  JH-    5.  Die  attische  skoliensammlung. 

ocptüv  y.Uog  fOOSTat  v.ut'  alav  ist  eine  epische  banale  reminiscenz, 
weder  loaerai  noch  ala  sind  altisch,  wie  viel  schöner  hatte  der  dichter 
des  zweiten,  der  im  ahgesaog  ein  etwas  anderes  melrum  anwendet,  die 
tyrannenniorder  auf  den  seligen  inseln  mit  Achilleus  und  Diomedes 
(Pind.  10)  vereint. 

Es  folgt  ein  neuer  ton,  die  alkäischen  grofsen  asklepiadeen,  distichisch, 
wie  Alkaios  sie  auch  gebaut  haben  soll,  aber  hinter  dem  ersten  distichoo 
sind  vier  im  *^Telamonton'  eingesprengt:  wol  sicher  durch  irrtum  der 
Schreiber,  der  Telamonton  ist  nicht  so  einfach;  das  distichon  besteht 
nicht  mehr  aus  zwei  ganz  gleichen  versen,  sondern  der  zweite  ist  um 
einen  daktylus  länger:  ich  wüfste  das  nicht  besser  als  mit  der  schlufs- 
zeile  der  Nibelungenstrophe  zu  vergleichen,  von  der  ionischen  art,  den 
'/MTct  7t6öa  oder  /.utqov  gebauten  versen,  mufs  man  natürlich  absehenj 
und  doch  hat  ein  dichter  das  erste  gleiche  glied  beider  zeilcn,  einen  s.  g. 
ersten  glykoneus,  einmal  wie  zwei  iambische  oder  ionische  metra  gebaut, 
d.  h.  die  fünfte  sylbe  als  indifferent  behandelt  (17).  das  zweite  ghed  ist  «c 
ö'  oQccvov  /iisyag  im  ersten  verse,  dem  dann  im  zweiten  der  daktylus 
vortritt.  —  das  lob  der  Aiakiden  liegt  in  zwei  gleich  berechtigten  fassungeo 
vor;  sie  sind  entstanden  durch  ein  lied  des  Alkaios  (48),  das  auch  Pindari 
(Sem.  7,  27)  berücksichtigt :  aber  wie  viel  mehr  spricht  uns  die  Schlicht- 
heit an  leyovol  aa  Ig  Tgoiav  agiarov  D.d^elv  /.ler^  IdyXkXia  als  den 
prunk  ov  -/.oäxiGrov  !dyjleoq  areo  iiäya  Bard-cj}  Mevkla  öüf-iagra 
v.o{.iioaL  ■d^oalg  av  vccvoi  Ttögevoav  evd^vrcvöov  ZscpvQOio  nof.i7tal 
TtQog  "llov  TiöUv.  gewachsen  ist  diese  Verherrlichung  der  Aiakiden  auf 
ihrer  insel  Aigina  (vgl.  Herakl.  1281);  wer  das  attische  lied  sang,  gehörte 
wol  zur  Aiautis.  —  nun  kommt  die  liebe  zu  worte  "o  wäre  ich  die  laute, 
die  die  knaben  bei  den  kyküschen  chören  tragen",  "o  wäre  ich  ein  ge- 
schmeide  von  lauterem  gokle,  dafs  mich  eine  schöne  frau  trüge  mit 
eben  so  lauterem  herzen",  auch  sie  natürlich  am  festläge,  im  Panalhe- 
naeenzuge;  die  liebe  ist  keine  hetärenliebe,  diese  beiden  gedichte  führt 
Dion  in  der  zweiten  rede  an  und  verbessert  im  ersten  rpoQoUv  für 
q^iQoiev:  die  knaben  tragen  die  laute  wie  die  frau  das  halsband  an  sich 
{ffOQGlt]  steht  da),  sie  tragen  sie  nicht  in  den  agon  und  geben  sie  ab. 
aul'serdem  ergeben  sich ,  wie  auch  in  der  überUeferung  des  Athenaeus, 
dialektische  Schwankungen  zwischen  e  und  a,  die  die  unwissenden  fort- 
fahren für  dorismen  zu  halten;  wie  weit  die  poesie  im  sechsten  Jahr- 
hundert den  archaischen  vocalismus  noch  festhielt,  kann  niemand  sagen; 
die  epigramme  des  sechsten  Jahrhunderts  schwanken  ja  auch,  zum  aus- 
druck  vgl.  auch  Theognis  89.    diese  erotischen  verschen  stehen  der  elegie 


III.    5.  Die  attische  skoliensammlung,  321 

sehr  nah,  und  sie  dürfen  wol  in  den  distichen  der  Anthologie  V  83,  84 
briider  anerkennen. 

Von  den  Askiepiadeen  ist  das  erste,  jetzt  verschlagene  (16),  an  die 
spitze  gestellt,  weil  es  auch  einen  heros  erwähnt  "freund  merke  dir  den 
Spruch  des  Admetos   und  halte   dich   nur  an  gute  freunde".     Admetos 
in  seinem  Verhältnis  zu  Apollon  ist  gemeint,  ooiov  yag  avöqog  ooiog  lov 
hvyxavov  sagt  der  gott  selbst,    man  darf  wol  auch  an  Herakles  denken, 
den    aya^og,   der  ungeladen  zum  feste  der  ayaS^oL  kommt,     in  anbe- 
tracht  dieser  beziehung  ist  von  den  Varianten  xovg  aya^ovg  cplkEL  und 
Gsßov,  die  die  handschrift  des  Athenaeus  zur  auswahl  stellt,  wol  oeßov 
vorzuziehen,  obwol  Aristophanes  Wesp.  1237  (pilst  bietet:   das  mochte 
für  das  profane  leben  passender  scheinen,    der  schoUast  hat  das  gedieht 
in  einer  anderen  Sammlung  nachgeschlagen,  die  den  namen  der  Praxilla 
trug   und  auch  den  spruch    über   den    skorpion  (20)   in  wenig   anderer 
fassung  enthielt,    dafs  sie  ihn  gemacht  hätte,  glaube  ich  gar  nicht,    aber 
skulien  sind  nun  einmal  weinHeder  und  keine  Jungfrauenlieder,  also  be- 
steht die  Überlieferung  zu  recht,  die  der  Praxilla  jtaQolvia  gibt,   und  dann 
bleibt  diese  ein  mädchen,   das  am  Symposion  teil  hat,  wie  ich  sie  Her. 
I  71  bezeichnet  habe.  —  das  nächste  (18),  von  Euripides  Iph.  Aul.  407 
ciiirt,  gibt  die  moral,  die  ehedem  das  geschlecht,  jetzt  die  hetaerie  fordert 
"der  rechte  freund  mufs  in  allem  mittun,  im  trinken,  lieben,  schwärmen, 
toll  sein,  auch  im  vernünftig  sein",    "ich  bin  ein  mann  vom  geschlechte 
(üiazijja;  wenn  Ghazijja  verrückt  ist,  bin  ich  mit  verrückt,  wenn  Ghazijja 
(l.is  richtige  tut,  tue  ich  auch  das  richtige"  so  ein  Araber  bei  Wellhausen 
(lieste  arab.  heidentums  194).  —  dann  der  bekannte  spruch  vom  skorpion: 
wieder  warnung  vor   hinterlistigen   menschen,     die   ehrlichkeit  war  von 
jeher  der  Hellenen  schwache  seite,  darum  schilt  schon  Achilleus  auf  die 
iinaufrichtigkeit;  treue  ohne  egiog  ist  nur  zu  selten  unter  ihnen.  —  auch 
(las  letzte  der  reihe  (25)  gesteht  bedauernd  die  regel  ein,  wenn  der  redner 
als  seine  meinung  hinstellt,  dafs  götter  und  menschen  den  hoch  ehren, 
('er  den  freund  nicht  verrät:  dies  also  ist  ausnähme,    dazwischen  steht  21, 
(er  spruch  von  sau  und  eichel,  eine  lustige  parodie  eines  unattischen 
Spruches,  erklärt  Isyll  123,  und  eine  warnung  vor  der  hebe,  die  für  jeden 
zu  haben  ist,   der  das  entree   bezahlt  (22);   etwas  unhöflich  gegen   die 
für  eine   drachme  gedungene  flötenspielerin,   die   den   takt   dazu   blies, 
so  tief  sind  wir  von  Athena  herabgestiegen,   und  doch  gehört  alles  mit 
i  fug  und  recht  auf  das  Symposion   und   erhebt  sich   hoch  über  die  ver- 
soffene Sentimentalität,  die  unsere  commersbücher  füllt,  also  doch  wol 
Sänger  findet. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.   II.  21 


I 


322  III.    ö.  Die  allische  skoUensamtnlung. 

Dafs  wir  eine  Sammlung  vor  uns  haben,  planmäfsig  angelegt,  so  dafs 
sogar  verschiedene  Fassungen  vorkommen,  ist  klar,  solcher  Sammlungen 
gab  es  mehr,  wie  die  auf  I'raxilla  getauCte  lehrt,  wir  kennen  ja  auch  aus 
der  komoedie  noch  eine  anzahl  anderer  skolien,  und  Äristophanes  läfst  in 
den  Ekklesiazusen  neue  improvisiren.  die  gedichto  geboren  dem  sechsten 
und  fünften  Jahrhundert  an;  nicht  viel  länger  hat  die  mode  die  skolien 
festgehalten,  aber  kein  späterer  gelehrter  hat  die  Sammlung  gemacht;  wo 
sollte  er  denn  die  lieder  finden?  das  bediJrfnis  hat  sie  erzeugt:  es  ist 
wirklich  ein  attisches  commersbuch,  bestimmt  für  solche  teilnehmer,  die 
sich's  nicht  zutrauten  einen  vers  zu  machen,  so  ist  ja  auch  die  home- 
rische hymnensammlung  (und  die  orphische  nicht  minder)  ein  bilfsbuch 
für  einen  rhapsoden;  die  grammatikcr  sind  daran  ganz  unschuldig,  die 
bücher  sind  nur  in  späterer  zeit  nicht  mehr  zu  praktischem  gebrauche, 
sondern  zur  lecture  vervielfältigt,  und  erst  in  diesem  Stadium  sind  die 
beiden  uummern  aus  der  Politie  des  Aristoteles  hineingekommen,  jetzt  als 
23  und  24  vor  dem  letzten  asklepiadeischen  distichon  eingelegt,  wer  die 
Ordnung  überschaut,  die  sonst  herrscht,  wird  daran  nicht  zweifeln,  zumal 
so  das  pohtiscbe  gedieht  von  den  politischen,  dieser  einzige  spruch  im 
gewöhnUchen  skohenmafse  von  der  ganzen  reihe  desselben  tones  ge- 
trennt ist. 


6. 
DAS  SIEBENTE  PYTHISCHE  GEDICHT  DES  PINDAEOS. 


Pindaros  selbst  sagt,  dafs  er  für  den  Alkmeoniden  Megakles  dichtet. 
die  schollen  haben  den  Vatersnamen  nicht  mitgeteilt  und  dadurch  ver- 
schuldet, dafs  Boeckli,  von  dem  die  folgenden  abhängen,  einen  sinn- 
reichen ausweg  versuchen  konnte,  um  die  übrigen  Zeugnisse  alle  ver- 
werten zu  können,  jetzt  steht  durch  Aristoteles  22  und  das  ostrakon 
CIA  IV  p.  192  fest,  dafs  3l€ya/.lrjg  'l7C7T0y.QäT0VQ\4li0Jiey.rid^Ev  im  früh- 
jalu"  486  durch  den  ostrakismos  ausgewiesen  ist.  nimmt  man  dazu  nur 
die  bekannten  stellen  Herodot  VI  125 — 131,  Lysias  14,  39,  Ps.  Ando- 
kides  4,  34,  so  erhält  man  mit  Sicherheit  das  stemma  Megakles  der 
niOrder  Kylons  —  Alkmeon  und  Agariste  —  Kleisthenes  und  Hippo- 
kiiites,  ersterer  kinderlos,  letzterer  vater  von  Megakles  ans  Alopeke  und 
Agariste  der  frau  des  Perikles  —  Megakles  wieder  vater  eines  Megakles, 
Schreibers  der  Schatzmeister  Athenas  428/7  und  der  Deinomache,  die  vor 
452  den  Eupatriden  Kleinias  aus  Skambonidai  geheiratet  hat,  dem  sie 
Alkibiades  und  Kleinias  gebar.  allerdings  hätte  man  diese  Ordnung 
w()l  fordern  sollen ,  da  sie  allein  Perikles  und  Alkibiades  so  nahe  mit 
einander  verbindet,  wie  sie  gestanden  haben  müssen,  damit  die  Vormund- 
schaft möglich  war.  das  richtige  hat  Kirchhoff  zu  dem  ostrakon  gesagt, 
aber  verschwiegen ,  dafs  ein  eben  so  unzweideutiges  Zeugnis  nunmehr 
für  einfache  schwindelei  erklärt  werden  mufs:  Isokrates  16,  27  nennt 
den  geselzgeber  Kleisthenes  ausdrückhch  unter  den  vorfahren  des  Alkibiades. 
eben  darum  hatte  Boeckh  neben  Msya^iX'^g  '^iTiTtoy.Qäxovg,  den  schwieger- 
vfiter  des  Perikles,  einen  MsyaTilrig  KlsLod-ivovg  als  vater  der  Deino- 
mache gestellt.  Megakles  der  söhn  des  Hippokrates  hat  sich  erst  nach 
seiner  heimkehr  480  verheiratet:  das  zeigt  das  alter  seiner  kinder.  sein 
vater  war  tot,  als  der  söhn  als  haupt  der  familie  landes  verwiesen  ward, 
natürlich   auch    als    er   einen   wagen   rennen    liefs.     auf  seinen  tod  hat 

21  * 


324  III.    6.  Das  siebente  pytliische  gedieht  des  Pindaros. 

Pindaros  bereits  einen  threnos  gemacht,  den  die  scholien  zu  Pytli.  7 
erwähnen;  das  war  nach  498,  wo  Piudar  zu  dichten  anfieng.  genauere 
grenzen  vermag  ich  nicht  zu  ziehn.  Agariste  hat  den  Xanlhippos  etwa 
um  die  mitte  der  neunziger  jähre  geheiratet,  denn  ihr  söhn  Periklcs. 
462  zuerst  pohtisch  tätig,  steht  dreifsig  jähre  später  Iv  tfj  yM^eon^- 
xvlg  TjXiyiia,  d,  h,  er  hat  das  sechzigste  lehensjahr  überschritten;  sehr 
viel  älter  aber  tann  er  nicht  gewesen  sein. 

Wann  ist  nun  das  pythische  gedieht  verfafst?  in  anbelracht  seiner 
kürze  sicherhch  bald  nach  dem  siege,  wann  fiel  der  sieg?  der  Vati- 
canus  gibt  die  achtundachtzigste  Pylhiade,  führt  dann  aus,  dafs  der  olym- 
pische Sieger  der  47  Olympiade  ein  vorfahr  von  diesem  Megakles  wäre, 
o  de  TTjv  Ttri'  Jlv^iäöa  irtQog  öl  av  eü]  6/.ia)vvf.iog  TOUTto.  das  ist 
unsinnig,  aber  Tzetzes  hat  es  allerdings  gelesen.  Boeckh  hat  aus  dem 
Gottingcnsis  die  fünfuiulzwanzigste  Pythiade  aufgenommen,  der  jedoch 
an  der  zweiten  stelle  Tic  hat;  andere  haben  anderes  gemeint,  die 
fünfundzwanzigste  Pythiade  fällt  nach  Boeckh  in  das  jähr  der  Marathon- 
schlacht,  oder  vielmehr,  da  die  Pythien  auf  den  siebenten  Bukatios- 
Metageitnion  fallen,  die  schlacht  bei  Marathon  auf  den  dreizehnten'), 
so  sind  die  ereignisse  beinahe  gleichzeitig:  nun,  damals  hatte  der  AlkmcK- 
nide  zu  hause  zu  tun.  Boeckh  selbst  würde  das  nicht  behauptet  haben, 
■wenn  er  die  zeit  der  Pythien  richtig  bestimmt  hätte,  die  zahl  25  und 
Boeckhs  Pythienrechnung  vertragen  sich  nicht  mit  einander. 

Das  einzig  mögliche  heil  konnte  in  den  scholien  des  Florentinus  D 
gesucht  werden.  Dr.  H.  Graeven  hat  mir  auf  meine  bitte  eine  ver- 
gleichung  geschickt:  sie  löst  die  aporie  wirkhch  yiyQamat  f]  i^örj 
Msyazlel  ^d^r^vauo  viycrjOavTi  Ti]v  xe'  Ttvd-iäöa  TS-d-Qi/CTtfo,  eOTi 
de  ovTog  olx  o  xa.  oXvfxnLci  vevr/.r]y.wg,  aAA'  eteqog  (dann  weiter 
gleichlautend)  irjv  yag  T€OOaQay,oOTr]v  eßödfxriv  sytelvog  ^OlvfiTtiäda 
avayQäcperaL  vevr/.r^ywg ,  6  de  ttjV  v.g  eregog  de  av  euj  3Ieya/JS]g 
zovTw  oi.i(jüvv(xog.  hinzu  nehmen  mufs  man  das  in  BD  wesenlUch 
gleich  lautende  scholion  zu  11  ovy.  €vU)]Oev  ovxog  ^OXvixma  alla 
a'/.XoL  bf.i(x)vv}.iOi  TOVTO) ,  und  die  durch  Herodot  feststehende  tatsache, 
dafs  in  Olympia  vielmehr  Alkmeon  gesiegt  hat,  der  ol.  47,  592  auch 
allein  siegen  konnte.^)     dann  erkennt  man,  dafs  zwar  der  scholiast,  cier 


1)  Töpffer  quaest.  Pisistr.  137.  ganz  fest  möchte  ich  auf  den  tag  nicht 
bauen,  und  die  Pythien  waren  aucii  mehrtägig,     aber  das  macht  hierfür  nichts  aus. 

2)  Boeckhs  künstliche  construction  ist  öfter  gut,  z.  b.  von  Rutgers  lul.  Afiic. 
145  vi'iderlegt,  der  auch  im  schok  Ar.  Wölk.  64  die  Verwechselung  von  Alkmeo- 
niden  und  Philaiden  eikannt  hat. 


III.    6.  Das  siebente  pythische  gedieht  des  Pindaros.  325 

zu  uns  spricht,  in  dem  Olympiasieger  einen  Megakles  fälschlich  gesucht 
liat,  ^vährencl  nur  ein  Alkmeonide  nötig  war,  aber  der  gelehrte,  der 
<liese  frage  wirldich  untersuchte,  vielmehr  in  Verlegenheit  war,  weil  er 
sowol  den  sieg  des  Alkmeon  rechnen  mufste,  wie  auch  einen  Meyaxlrjg 
'Ad^rjvalog  als  sieger  in  der  sechsundzwanzigsten  Olympiade  fand :  Pindar 
aber  weifs  nur  von  einem  siege  der  Alkmeoniden  in  Olympia,  so  hat 
jener  gelehrte  sich,  vermutlich  richtig,  mit  einer  homonymie  geholfen; 
wir  müssen  nur  das  den  satz  zerreifsende  öe  beseitigen,  dafs  die  zweite 
zahl,  26  in  D,  eine  Olympiade  ist,  keine  Pythiade,  ist  das  eine  wichtige: 
aber  Kallierges  im  ersten  drucke  der  schoben ,  der  auf  B  zurückgeht, 
bat  diesen  zusatz  auch  nicht,  so  dafs  er  vielleicht  unserer  guten  Über- 
lieferung überhaupt  fehlt^);  dafs  an  dieser  stelle  B  dieselbe  zahl  nrj  hat 
wie  oben,  zeigt  freilich,  dafs  der  Schreiber  annahm,  es  müfste  hier  der 
sieger  dieses  hedes  gemeint  sein,  wichtiger  noch  ist  die  zahl  25  für  88. 
den  Schreibfehler  tzj]  für  xe  kann  ich  nicht  erklären ,  aber  D  ist  ein 
zeuge  kaum  schlechter  als  B,  und  wir  sind  meines  erachteus  gehalten 
ihm  zu  folgen,  dann  ist  das  gedieht  486  nach  dem  august  verfafst, 
\  orausgesetzt,  dafs  wir  die  Pythiaden  zählen  wie  die  schollen  und  Bergk, 
nicht  wie  Boeckh.  4S6  in  den  monaten  februar  märz  ist  Megakles  von 
dem  ostrakismos  betroffen,  das  nahm  ihm  weder  die  bürgerliche  ehre 
noch  schädigte  es  sein  vermögen  noch  hinderte  es  ihn,  in  Delphi  zu  sein 
und  ein  Viergespann  rennen  zu  lassen,  man  war  ein  parteihaupt,  wenn 
einem  so  etwas  zustiefs,  und  konnte  hoffen  wieder  an  die  spitze  des 
Volkes  zu  treten;  aber  es  war  doch  zunächst  ein  rückschlag,  und  wenn 
ein  dichter,  diesmal  noch  kein  hochberühmter,  aber  doch  ein  standes- 
L;enosse,  der  für  die  famihe  schon  einmal  tätig  gewesen  war,  sechs 
monate  oder  weniger  nach  dem  Volksgerichte  ein  festlied  für  Megakles 
macht,  so  wird  das  nicht  jeder  beziehung  auf  die  Situation  entbehren. 
Pindar  nun  spricht  also  durch  den  mund  des  chores  zu  Megakles. 
"Athen,  die  erhabene  Stadt,  ist  für  das  mächtige  Alkmeonidengeschlecht 
der  schönste  anfang  eines  hedes  auf  einen  wagensieg,  denn  kein  Vater- 
land und  kein  haus  kann  ich  nennen"),  dessen  name  in  Hellas  so  stralend 


3)  Meine  Vermutung  hat  sich  bestätigt.  Graeven  bezeugt  mir  das  fehlen  von 
Ttvd'iäSa  im  Vaticanus. 

4)  'Enei  riva  itäroav  Tiva  r  oly.ov  NAJQN  ovvjua^Ofiai  enifaväareooi' 
'EXXdSi  nv&äa&ai.  die  scholien  lehren,  dafs  so  wie  ich  geschrieben  habe  die  Über- 
lieferung war,  die  in  alter  und  neuer  zeit  vergeblich  angefaCst  worden  ist,  weil  für 
den  sinn  nichts  fehlt,  ein  genetivus  partitivus  schadet  nur,  da  er  nicht  auf  ytdxioa 
TiaTQis,    nicht  TtarQiä ,  sonst  ist  es  tautologisch)   mit   bezogen    werden  kann,     den 


32G  111.    6.  Das  siebente  pythische  gedieht  des  Pindaros. 

wäre,  denn  in  allen  Städten  erzählt  man  sich  von  den  Athenern,  die 
Apollons  haus  in  Pylho  zu  einem  Wunderwerk  gemacht  haben.*)  und 
von  dir  und  deinem  geschlechte,  Megaklcs,  weifs  ich  fünf  isthmische, 
einen  olympischen,  zwei  pythische  siege,  über  den  neuen  erfolg  freue 
ich  mich  etwas,  aber  das  ist  mir  schmerzlich,  dafs  neid  die  edlen  taten 
vergilt,  indessen  das  Sprichwort  sagt,  dafs  der  segen,  der  dem  manne 
beständig  blühen  soll,  das  eine  wie  das  andere  (leid  und  freude)  mit  sich 
bringt." 

Das  ist  einfach,  und  wenn  er  einfach  redet,  denkt  sich  Pindaros 
immer  am  meisten,  die  Alkmeoniden  haben  eine  i)^a)Xovaa  eldaifxovla, 
und  dafs  sie  für  grofse  taten  neid  ernten,  beeinträchtigt  diese  nicht, 
sondern  macht  sie  nur  beständig,  weil  r/xTret  v.6Qog  vßgiv.  ihnen  bringt 
ihr  glück  ra  xal  rä,  wie  Pindar  gerne  sagt  (Ol.  2,  53.  Isthm,  5,  46), 
aber  auch  Theognis  398.  die  wechselvollen  geschicke  des  geschlechtes 
seit  120  Jahren,  in  denen  es  doch  immer  €vdaii.aov  geblieben  ist,  passen 
wol  zu  dem  Spruche,  das  letzte  ist  der  erfreuliche  sieg,  aber  der 
dichter  hat  keine  rechte  freude,  xaLgo)  ri  sagt  er.  er  sieht  mit  be- 
kümmernis  cpd^ovov  afi€iß6/.i€vov  tot  xa/.a  ßegya.  gewifs  sagt  er  ähn- 
liches oft,  aber  meist  warnend,  hier  dagegen  tröstet  er.  was  den  rühm 
des  pythischen  sieges  überwiegt,  muls  mehr  sein  als  übles  gerede, 
unpopularität:  nur  wegen  eines  wirklichen  Schlages  tröstet  man.  die 
schoben  haben  das  gefühlt  und  darum  an  den  tod  des  Hippokrates 
erinnert:  aber  in  dem  ist  kein  cpdSvog.  wer  möchte  leugnen,  dafs  der 
ostrakismos ,  an  den  ältere  erklärer  auch  gedacht  haben ,  auf  das  treff- 
lichste pafst,  zumal  er  die  tyrannenvertreiber  als  tyrannenfreunde  traf, 
wie  wir  jetzt  aus  der  chronik  wissen? 

Das  ist  die  epode.  die  Strophen  führen  aus:  Athens  riduii  ist  der 
Alkmeoniden  rühm,  beide  fallen  zusammen,  zum  preise  des  Megakles 
schickt  sich  nichts  so  gut  wie  der  rühm  i\(iY  f.ityalo7tT6lLeg'^d-ccvai'^')\ 

consonantisclien  anlaut  fordeil  das  versmafs:  es  sind  zwei  durch  synaphie  gebundene 
glykoneen  verschiedener  form, 

5)  Apollon  wird  angeredel:  das  ist  nicht  die  müssige  apostrophe  späterer  rhe- 
torischer poesie,  sondern  das  siegesfest  gilt  dem  gölte,  der  den  sieg  gegeben  hal. 
aber  in  Delphi,  das  daneben  erwähnt  wird,  ist  es  nicht  gesungen,  die  Überlieferung 
dl  reöv  xs  Sönoi' . .  .  d-arftov  k'rev^av  ist  unerträglich;  die  parlikel  te  mufs  fort.  Bergks 
reov  TEftevos  ist  hübsch,  aber  mclhode  hal  es  nicht  gefunden,  denn  mit  So/uor, 
einem  poetischen  worte,  glossirt  kein  Grieche,  die  voralexandrinischen  corruptelen 
nicht  zu  heilen  müssen  wir  uns  gerade  in  den  gut  erhaltenen  dichtem  leider  nur 
zu  oft  bescheiden. 

6)  Das  bedeutet  nichts  als  'Athen  die  grofse  Stadt'  vgl.  Herakl.  II  1S2. 


ni.    6.  Das  siebente  pythische  gedieht  des  Pindaros.  327 

Athen  ist  als  Staat  so  berühmt  wie  die  Alkmeoniden  als  geschlecht,  und 
das  wird  begründet  damit,  dafs  die^Egex^sog  aoroi,  die  den  delphischen 
tempel  gebaut  haben,  in  aller  weit  bekannt  sind,  und  dafs  die  statt- 
Hche  zahl  von  siegen  der  Alkmeoniden  den  Pindar  zum  dichten  antreibt, 
es  geht  nicht  an,  in  ^Eqeyßiog  aorojv  ot  die  Alkmeoniden  zu  verstehn 
und  den  genetiv  partitiv  zu  fassen:  sonst  begründet  dieser  satz  die  be- 
haiiptung  nicht,  die  eine  doppelte  war,  Stadt  und  geschlecht  wären 
berühmt,  für  das  geschlecht  folgen  die  siege  als  beweis:  was  vorher 
steht,  geht  notwendig  die  Vaterstadt  an.  Athen  also  hat  den  rühm  des 
tempelbaus.  aber  den  haben  ja,  wie  wir  wissen,  die  Alkmeoniden  gebaut, 
ohne  zweifei;  aber  die  geschichtliche  Wahrheit  darf  uns  nicht  die  poetische 
erfindung  zerstören,  der  dichter  sagt  es  von  Athen:  wenn  die  hörer 
sagen,  "^das  ist  ja  aber  das  werk  der  Alkmeoniden',  um  so  besser,  so 
ist  Alkmeonidenruhm  und  Athenerruhm  identisch,  und  der  neid,  der 
yca?M  ßsQya  af^ieißstai  ist  um  so  ärger,  in  Delphi  stand  zudem  die 
Athenerhalle,  stand  das  stolze  weihgeschenk  für  die  Marathonschlacht  als 
gaben  des  Volkes,  und  gewifs  war  der  tempel  voll  von  privaten  geschenken, 
da  der  gott  seit  510  sich  der  demokratie  angenommen  hatte.  Pindaros 
sagt  nicht  *^sie  bauten  den  tempel',  sondern  d^ar^rov  tzsvBav.  aber 
freihch,  was  könnte  gegen  die  marmorfacade  aufkommen,  die  die  Alkmeo- 
niden errichtet  hatten ;  marmortempel  waren  auf  dem  festlande  noch 
selten  genug,  also  beabsichtigt  ist  allerdings  die  Wirkung,  dafs  der 
hörer  sich  sage  "das  weshalb  man  von  Athen  in  allen  Städten  redet, 
ist  ein  werk  der  Alkmeoniden".  sie  haben  Athen  grofs  gemacht,  das 
will  er  den  Hellenen  einschärfen;  Herodotos  hat  das  ja  50  jähre  später 
ähnhch  ausgeführt,  der  redet  allerdings  von  der  demokratie,  die  Kleisthenes 
gebracht  hat,  und  er  hält  es  deshalb  für  undenkbar,  dafs  die  Alkmeo- 
niden 490  Athen  hätten  verraten  wollen,  davon  darf  man  bei  Pindar 
nichts  erwarten,  weder  um  seiner  selbst  willen,  denn  er  hat  die  demo- 
kratie zeitlebens  gehafst,  noch  um  des  Megakles  willen,  der  als  tyrannen- 
freund von  den  demokraten,  Aristeides  und  Themistokles,  beseitigt  war. 
die  Situation  erschien  486  nicht  viel  anders,  als  sie  für  die  Alkmeoniden 
vor  510  gelegen  hatte:  das  geschlecht  repraesentirt  eine  partei,  die  zur  zeit 
unterlegen  ist,  aber  gleich  mächtig  in  der  fremde  lebt,  des  Umschlages 
harrend,  allein  auch  als  landflüchtiger  verläugnet  der  Alkmeonide  sein 
Vaterland  nicht:  sie  gehören  zu  einander,  mochte  der  Philaide  in  der 
Chersones,  der  Peisistratide  in  Sigeion  eine  herrschaft  suchen :  er  hält  zu 
Athen,  auch  wenn  er  seinen  boden  meiden  mufs.  ihm  ist  der  rühm 
Athens  das  hebste  lob  für  seinen  sieg,     das  ist  wahr  von  den  Alkmeo- 


328  III.    6.  Das  siebente  pythische  gedieht  des  Pindaros. 

niden,  und  schön  ist  es  auch,  das  habe  ich  immer  mit  herzensfrciuh^ 
gelesen ,  da  ich  gern  wie  Herodotos  und  Pindaros  empfinde,  aber  es 
hat  doch  einen  ganz  anderen  klang,  wenn  Megakles  so  sich  loben  lalst, 
eben  als  er  von  dem  q)^ovsQdg  di]i.iog  schlecht  behandelt  ist.  right  or 
xorong,  my  comitry ,  ist  nicht  vielen  Hellenen  aufgegangen:  der  enk<l 
des  Älegakles  wird  in  Sparta  ganz  anders  reden,  es  Hegt  hier  aiu  h 
der  ganze  adelsstolz  darin,  dals  Athen  mindestens  eben  so  viel  von  dein 
rühme  der  Alkmeoniden  hat  als  umgekehrt,  und  Megakles*  obwol  v\\ 
wie  sich  gehörte,  480  unter  die  Verteidiger  seiner  heimat  getreten  isi. 
war  ein  politisch  wenig  bedeutender  herr;  seine  Schwester  Agariste  hat 
mehr  von  dem  ächten  Alkmeonidensinne  geerbt  oder  doch  vererbt  ,ils 
er.  aber  der  dichter,  der  hier  zu  uns  spricht,  allerdings  in  einem  werke 
seiner  unreifen  Jugend  (erst  die  schweren  seelenkämpfe  von  481^7!) 
haben  ihn  zum  manne  und  zum  dichter  gereift),  war  ein  mann  mit  den 
Vorurteilen  des  adels,  aber  auch  mit  seinen  Vorzügen,  jeder  zoll  ein 
ehrenmann  und  ein  edelmann,  der,  so  schwer  es  ihm  gefallen  ist,  riglit 
or  wrong  my  country  seinem  Theben  gegenüber  hoch  gebalten  hat,  und 
über  dem  herben  stolze  auf  die  ovyysvrjg  cfva  das  noblesse  oblige  nie 
vergessen,  er  fand  in  sich  die  Stimmung,  wie  ein  patriot  und  ein  wahr- 
haft vornehmer  mann,  stolz  aber  ohne  groll,  den  ostrakismos  ertragen 
soll,  erst  seit  zeit  und  veranlassung  des  gedichtes  feststeht,  kommt  dem 
leser  voll  zu  bewufstsein,  was  es  will  und  was  es  taugt. 

Aber  Pindaros  geht  uns  hier  nichts  an  :  nur  das  historische  document 
wollten  wir  einreiben,  und  wir  brauchten  das  datum.  mögen  die  an- 
hänger  der  Pausaniaschronologie  der  Pythiaden  sehen ,  wie  sie  diese 
neue  instanz  beseitigen. 


7. 
DER  PROCESS  DER  EUMENIDEK 


Die  kämpfe  um  den  Areopag  haben  dem  gröfsten  dichter  des  fünften 
Jahrhunderts  sein  letztes  werk  eingegeben;  so  wenig  es  unmittelbar  für 
die  politische  geschichte  ergibt,  können  wir  doch  die  Stimmung  der 
zeit  nur  aus  ihm  unmittelbar  auf  uns  wirken  lassen,  und  es  ist  früher 
SO  viel  auch  politisches  in  ihm  gesucht  worden,  dafs  ich  nicht  umhin 
kann,  die  scene  des  processes  der  Eumeniden  zu  erläutern,  zumal  es 
kurz  geschehen  kann,  ein  par  wichtige  stellen  kann  ich  verbessern, 
i  andere  bleiben  noch  im  einzelnen  rätselhaft;  die  heut  zu  tage  beliebten 
athetesen  und  Umstellungen  fallen  von  selbst  weg,  sobald  der  Zusammen- 
hang erkannt  ist. 

Als  der  götlin  Athena  sowol  von  Orestes  wie  von  den  Erinyen  die  ent-  Uebersicht 

,     .  ,  .,  .  ,  •/!«.,  •  n       \     1   1        '^^^  ganzen 

Scheidung  ihres  zwistes  übertragen  ist  (als  otaLTa  gewissermaisen),  lehnt  scene. 
sie  ab  in  einer  mordsache  aus  sich,  aitoreXcog,  zu  entscheiden  und 
erklärt  einen  beirat  aus  den  edelsten  ihres  Volkes  (ccQLOTlvör^v)  zuziehen 
zu  wollen,  die  als  geschworne  den  spruch  fällen  sollen,  und  sie  stellt 
schon  hier  in  aussieht,  dafs  sie  damit  eine  dauernde  Institution  schaffen 
wolle,  470 — S9.  die  verse  sind  zum  teil  schwer  verdorben,  aber  die 
gedanken  sind  unzweifelhaft,  mittlerweile  sollen  die  parteien  ihre  be- 
weismittel  und  ihre  zeugen  herbeischaffen,  es  entsteht  also  eine  pause, 
die  durch  ein  grofses  chorlied  ausgefüllt  wird. 

Dann  erscheint  Athena  mit  dem  herold  (der  als  y.rJQv^  rrjg  Iv  ^^qeuü 
Ttdycp  ßov?<.rjg  später  eine  so  grofse  rolle  gespielt  hat,  jetzt  nur  ein 
subalterner  ist)  und  den  richtern.  sein  trompelenstofs  soll  dem  volke, 
das  zu  dem  feierlichen  acte  herzustromt,  das  sigual  geben,  platz  zu  machen 
und  zu  schweigen,  denn  wenn  auch  das  volksgericht  (und  als  solches 
i'iwird  dieses  hier  behandelt)  die  zuhörer  nicht  ausschliefst,  so  fordert  das 
Iblutgericht  doch  feierlichen  ernst.  Athena  motivirt  das,  nicht  blofs  für 
dieses  mal:   die  Verhandlung  ist  ja  typisch,   und  die  Verordnungen   der 


330  ni-    '•  Der  procefs  der  Eumeniden. 

göttin  werden  die  einzelnen  acte  auch  weiterhin  niotiviren  und  damit 
für  immer  einsetzen,  sie  sagt  "während  der  Areopagitenrat  zusammen- 
tritt, geziemt  es  sich  zu  schweigen  und  zu  lernen,  sowol  für  die  richter 
wie  für  das  ganze  volk,  diesmal  und  immerdar,  auf  dafs  der  Urteils- 
spruch gerecht  gefällt  werden  könne".')  der  dichter  hat  hei  dieser 
bemerkung  noch  den  nebenzweck,  das  schweigen  seiner  Statisten,  der 
Areopagiten,  zu  entschuldigen,  die  sich  nun,  während  der  herold  trom- 
petet, einOnden  und  setzen,  das  füllt  die  in  der  rede  merkliche  pause 
nach  574.  über  die  zahl  der  richter  wissen  wir  nichts,  als  dafs  sie  un-  J 
gerade  war,  da  die  stimmenzahl  durch  Athenas  zutritt  gerade  wird,  die  l 
Areopagiten  haben  ja  niemals  eine  feste  zahl  gehabt:  um  so  weniger 
können  wir  über  die  zahl  der  Statisten  etwas  sagen,  das  volk  aber,  an 
das  sich  der  trompetenschall  und  später  die  anspräche  der  göttin  richtet, 
ist  vorhanden,  nur  nicht  auf  der  bühne,  sondern  als  S-iargov. 

Nun  bemerkt  Athena  auf  der  seite  des  angeklagten  Apollon,  der 
mittlerweile  erschienen  ist,  und  fragt  ihn  sehr  höflich,  was  er  hier  wolle, 
wo  er  nichts  zu  suchen  hat,  wenn  er  nicht  zu  einer  partei  gehört.-) 
der  gott  motivirt  sein  erscheinen  und  die  rolle,  die  er  ferner  spielen 
wird,    indem  er  sich   sowol   als  zeugen   wie  als  mitverklagten ^)  zu  er- 


1)  II).T]QOVuivov  yoQ  rovSs  ßovlevrr^Qi'ov  aiyäv  c/ni'-yei  y.al  uad'slv  ■d'eauovs 
(t')  t MO jS  7t6?.iv  re  Tiäaav  es  ror  atavrj  y^oovov,  ey.  rcüvS  oneos  av  ev  xara- 
yvwa&i]  Sixtj.  im  letzten  verse  ist  xai  ncävSs  durcii  den  arciietypus  der  geringeren 
liandschriften  und  das  scholion,  das  richtig  die  ratsherrn  versteht,  gesichert  {xai  rcvS' 
M,  ohne  jede  mögliche  heziehung:  parteien  sind  zwei  da),  das  hat  G.  Hermann 
zu  dem  einfalle  ix  rcovSe  geführt,  vorher  kann  nun  d-safiovs  iuovs  niclit  objeet 
sein,  denn  weder  folgen  ihre  gesetze,  noch  gilt  das  ganze  der  gegenwart  allein,  es 
kommt  vor  allen  dingen  auf  das  schweigen  der  richter  an,  schon  weil  diese  tat- 
sächlich schweigen,  nun  ist  grammatisch  das  xe  beziehungslos:  folglich  mufs 
d'ea/.ioi  subject  sein  und  die  Areopagiten  meinen,  folglich  mufs  ein  re  zugesetzt 
werden.  Apollon  sagt  614  Xe^co  ttqos  rfiäs,  rörd^  ^Ad'r^vaias  fiiyav  d'safiov,  Si- 
xaicos,  wo  wieder  von  gar  keinem  gesetze  Athenas  die  rede  ist,  sondern  einfach  der 
gerichtshof  durch  den  collectiven  singular  d'sa^ös  bezeichnet  wird,  der  gebrauch 
ist  ungewöhnlich,  hat  aber  an  xöauo?  und  xoa^ioi  sogar  in  der  amtlichen  spräche 
seine  analogie,  und  wenn  Eros  tcov  fisyälcav  na^eSoos  iv  uqxcüs  ^eofiöjv  ist  (Soph. 
Ant.  797),  so  ist  auch  dort  das  einfachste  die  d'sajuoi  persönlich  zu  fassen.  —  über 
xarayvcoad'fi  zu  Eur.  Hipp.  1361. 

2)  Dafs  die  verse  574.75  Alhena  gehören,  haben  Wieseler  und  Sauppe  ti- 
schen, die  Parteien  haben  zu  schweigen  und  können  niemand  wegweisen,  übrigens 
würde  Apollon  den  Ttavrofiia^  xvcü8a)M  ganz  anders  dienen,  wenn  Athena  zwisclien 
die  anrede  und  die  frage  die  worte  schiebt  mv  e'xsts  airos  x^ärsi,  so  ist  das  in 
höflicher  rede  dasselbe  wie  'hier  ist  mein  reich'  oder  gar  /ur,  rbv  eubv  o'ixei  oly.oi>. 

3)  Kai  fiaQxvQ)]atov  xai  ovvSiy.7]a(or  airös  sagt  er.     der  GvrSixoa  ist  immer 


Uebersicht  der  ganzen  scene.  331 

keanen  gibt,  da  somit  seine  gegenwart  berechtigt  ist,  eröffnet  Athena 
als  '^ysf.iaiv  dLyMOtiqqLov  die  Verhandlung  (sie  sagt  es  ausdrücklich)  und 
gibt  dem  kläger  das  wort,  indem  sie  wieder  diese  geschäftsordnung 
einsetzt  und  begründet. 

Es  folgt  die  Verhandlung  der  parteien.  der  kläger  wendet  statt 
dei-  rede  das  lebhafte  verhör  an ,  dem  der  verklagte  rede  stehen  mufs. 
Piatons  Apologie  und  die  rede  des  Lysias  wider  Eratosthenes  beweisen, 
dafs  dies  vor  dem  attischen  gerichte  angängig  war.  selbstverständlich 
aber  hat  der  tragiker,  der  noch  nicht  wie  Euripides  die  schulmäfsige 
rlietorik  kannte  oder  gar  liebte,  die  form  gewählt,  die  für  das  drama 
und  den  Charakter  der  Erinyen  pafste.")  dagegen  Apollon  hält  eine 
wirkliche  rede;  er  spricht  zu  den  richtern  und  zu  der  Vorsitzenden 
güttin  (629),  wird  zwar  von  den  Erinyen  unterbrochen  und  mufs  ihnen 
lebhaft  erwidern,  lenkt  aber  immer  wieder  in  die  bahnen  wol  gemessener 
rede  ein  und  schUefst  mit  einem  epiloge,  der  allerdings  etwas  e^oj  rov 
7ro(xyf.iaroQ  ist  (667 — 73),  was  für  den  Areopag  nicht  pafst,  um  so  mehr 
aber  für  das  attische  gericht;  und  es  dürfte  im  epiloge  zumal  auch  auf 
dem  hügel  so  gar  genau  nicht  genommen  worden  sein,  der  dichter  aber 
bedurfte  dieser  nur  gerade  für  seine  gegenwart  bedeutsamen  verse. 
sie  bereiten  den  schwur  des  Orestes  vor,  der  nach  seiner  freisprechung 
ein  ewiges  bündnis  zwischen  Athen  und  Argos  in  aussieht  stellt,  und 
geben  diesem  bündnisse  die  göttliche  garantie.  es  war  ja  458  der  eck- 
st ein  der  athenischen  politik.^) 


jemand  der  an  dem  rechtshandel  teil  hat,  so  sind  es  die  Erinyen  für  Klytaimestra 
761,  denn  ihnen  gehört  das  blut  des  niuUermörders,  und  ist  es  Zeus  als  schwurgott, 
den  lasons  eidbruch  verletzt  hat,  für  Medeia  158.  daher  wird  das  wort  gebraucht 
für  die  Vertreter  einer  gemeinde  oder  einer  anderen  genossenschaft  vor  gericht,  die 
ihre  eigene  sache  mit  der  gemeinsamen  führen. 

4)  Die  narretei  der  modernen  geht  so  weit,  statt  der  einen  partei  der  Erinyen 
zwölf  choreuten  reden  zu  lassen,  war  das  etwa  rechtens?  natürlich  wird  dabei 
die  gewohnte  abgeschmacktheit  erzielt,  dafs  der  schritt  vor  schritt  fortgehende  Zu- 
sammenhang der  fragen,  der  vorhanden  ist,  zerfetzt  wird;  denn  zwölf  köpfe  denken 
nicht  in  derselben  linie.  und  der  beweis?  es  sind  elf  chorpartien:  wer  sieht  da 
nicht  dafs  zwölfe  reden?  die  chorführerin  aber  sagt  'obwol  wir  viele  sind,  werden 
M  ir  uns  kurz  fassen,  antworte  du  wort  für  wort  (A^ers  für  vers)'.  daraus  soll  folgen 
'jede  von  uns  wird  einen  vers  sprechen'  —  was  sie  dann  doch  nicht  tun;  die  chor- 
führerin scheint  auf  das  wort  verzichtet  zu  haben  I  und  dabei  ist  endlich  vergessen, 
dafs  15  choreuten  für  den  Agamemnon  überliefert  sind,  überliefert,  nicht  erschlossen. 
5)  Der  dichter  weifs  davon  noch  nichts,  dafs  die  bündnisurkunde  zwischen 
Alhen  und  Argos  bei  Apollon  in  Delphi  wäre,  also  Apollon  so  zu  sagen  seh  wur- 
zelige,   dreifsig  jähre  später  war  das  aufgebracht,  und  als  Euripides  421  dieses  selbe 


332  lU-    '•  Dtir  pi'ocefs  der  Eumeniden. 

Die  paiteien  haben  gesproclieu.  Atliena  fragt  zunächst  im  allge- 
gemeinen,  ob  sie  fertig  wären,  die  abstinimung  also  beginnen  könne, 
(he  Erinyen  bejahen,  dann  richtet  sie  diese  frage  an  die  andere  partei, 
Orestes  und  ApoUon;  der  letztere  erklärt  ebenfalls,  dafs  das  urteil  nun 
gesprochen  werden  möge.") 

Die  göttiu  beginnt  denn  auch  'hört  die  Verordnung,  volk  von  Athen, 
die  ihr  zum  ersten  male  über  mord  richtet.'  aber  es  folgt  .keine  Ver- 
ordnung, sondern  lose  durch  ein  de  angeknüpft  'auch  für  die  zukunft 
wird  es  in  Athen  diese  ratsversammlung  von  richtern'')  geben."  und 
nun  folgt  eine  lange  rede  über  den  Areopag,  die  vielen  unpassend  er- 
schienen ist.  Aischylos  hat  sie  aber  für  diese  stelle  gedichtet,  denn, 
wie  das  seine  art  ist,  schliefst  er  so  zu  sagen  die  parenthese  durch  die 
aufnähme  derselben  worte.  eorai  de  y.al  xo  '/.oinöv,  hebt  Athena  an, 
xavTijy  /.dv  l^heiv'  e/.iolg  jcaoaiveotv  uotoIglv  lg  %o  Xoucöv  hört 
sie  auf  (7()7j.  und  nun  folgt  erst  der  befehl,  den  sie  gleich  hätte  geben 
können  'steht  auf^j  und  erhebt  die  stimmsteine',  das  geschieht  dann, 
während  Apollon  und  die  Erinyen  erst  die  richter  mahnen,  dann  heftig 
zanken,  23  verse  lang,  dann  haben  die  richter  abgestimmt  und  Athena 
tut  dasselbe,  indem  sie  ihre  Stimmabgabe  motivirt.  das  widerspricht  dem 
prinzipe  der  geheimen  Stimmabgabe;  aber  der  dichter  mufste  einen  ausweg 
wählen,  der  das  urteil  sowol  motivierte  wie  als  götterwillen  hinstellte: 
der  gedanke  durfte  nicht  aufkommen,  dafs  Athena  überstimmt  wäre,  da 
sie  erklärt,  die  ihre  zu  den  stimmen  für  Orestes  legen  zu  wollen,  folgt,] 
dafs  die  richter  nur  einen  stimmstein  haben,  also  zwei  urneu  da  stehen, 
eine  freisprechende  und  eine  verurteilende,  und  die  richter  so  zu  jeder 
von  ihnen  treten,  dafs  sie  einmal  den  stein  hineinwerfen,  das  andere  mal 
nur  so  tun,  ganz  wie  es  in  den  Wespen  gehalten  wird  und  das  gleichnis 
des  Agamemnon  815   voraussetzt,     wo   die   urnen   standen,   wird   nicht 


bündnis  empfahl,  konnte  er  daran  erinnern,  dafs  das  bündnis  anf  einem  dreifufse  in 
Delphi  zum  Zeugnisse  für  Hellas  aufgezeichnet  stünde,  Hik.  1202.  da  war  also  eine 
fromme  inschriflfälschung  vorgenommen,  wie  Herodotos  von  einer  erzählt  (I  61). 

6)  Die  richtige  personenverteilung  und  interpunction  von  674—80  hat  Kirchhoflf 
gegeben. 

7)  Jixaatcöv  für  S"  iaüarcov  M,  S'  sHaarco  der  geringeren,  Ganter,  dafs  die 
geschichte  nur  diese  einfachste  änderung  erträgt,  wird  unten  klar  werden. 

8)  üo&ovad-ai  heifst  'sich  aulrichten',  das  kann  ein  liegender,  indem  er  sich 
setzt,  ein  schlaft"  gehender  indem  er  'sich  richtet',  ein  sitzender  auch,  wenn  er  zu- 
sammengefallen safs,  indem  er  straffe  haltung  annimmt,  aber  das  einfache  ist  ia 
diesem  falle,  dafs  er  sich  ganz  'gerade  macht',  also  aufsteht,  man  bedürfte  wahrlich 
nicht  der  belege,  die  das  lexikon  bietet,  um  den  wortgebrauch  zu  verstehen. 


Uebersicht  der  ganzen  scene.     die  rolle  Athenas.  333 

klar,  da  sie  sowol  vor  der  göttin  stehend  gedacht  werden  können,  wie 
auch  die  gottin  während  ihrer  rede  sich  an  den  tisch  begeben  konnte, 
auf  jeden  fall  waren  ziemlich  viel  requisiten  in  die  orchestra  gebracht, 
nachdem  sie  gestimmt  hat,  proclamirt  Athena  noch  ganz  kurz  das  gesetz, 
dafs  Stimmengleichheit  freisprechung  bedeuten  solle  und  ruft  die  richter, 
denen  das  aufgetragen  ist,  herbei,  den  inhalt  der  urnen  auszuschütten. 
die  vorletzte  seite  des  Aristotelespapyrus  führt  uns  diese  commissare  auch 
vor,  nur  dafs  458  weder  die  ungeschlachten  stimmkreisel  noch  der 
durchlöcherte  tisch  existirte,  in  den  sie  gesteckt  wurden  um  gezählt  zu 
werden,  während  die  steine  ausgeschüttet  werden,  rufen  die  parteien 
ein  par  worte  der  erwartung;  Apollon  fordert  die  commissare  auf, 
richtig  zu  zählen,  rasch  ist's  getan ,  denn  sie  überreichen  Athena  die 
geordneten  stimmsteine  (so  weit  dürfen  wir  der  späteren  analogie 
folgen ;  es  wäre  zu  töricht,  wenn  ein  Statist  der  göttin  das  ergebnis  leise 
niitteiUe),  die  wol  auch  das  publikum  sieht:  sie  proclamirt  das  ergebnis. 
(]i'V  process  ist  beendet. 

Athena  ist  der  könig  von  Athen ;  als  solcher  handelt  sie  überhaupt  Die  rolle 
und  als  solcher  übt  sie  den  vorsitz  des  Areopages.  der  dichter  hat  durch 
weises  schweigen  dieses  drama  aus  aller  Chronologie  herausgerückt. 
Athena  kommt  zwar  vom  Skamandros,  wo  sie  das  land  vermessen  hat, 
das  die  Theseussöhne  von  Agamemnon  als  ehrensold  erhalten  haben  (402), 
(1.  h.  von  Sigeion;  aber  diese  Theseussöhne  existiren  für  den  dichter 
nicht.  Athena  ist,  wie  sie  es  wirklich  im  fünften  Jahrhundert  geworden 
war,  die  göttin  zugleich  und  die  personification  des  athenischen  Staates. 
als  Vorsitzender  des  gerichts  aber  übt  sie  die  functionen  des  jahrkönigs. 
sehen  wir  jedoch  genauer  zu,  so  ist  nur  die  beteiligung  an  der  abstim- 
niung,  gewifs  etwas  wichtiges  und  hier  ganz  unerläfsliches ,  was  nicht 
ganz  ebenso  von  jedem  }je(.i(hv  öiKaarrjQlov  gelten  würde,  und  so 
steht  es  mit  dem  ganzen  processe.  alles  was  wir  als  besonders  areopagitisch 
kennen,  ist  fern  gehalten,  das  absetzen  des  kranzes,  das  richten  im 
freien,  im  heiligtume,  die  steine  des  Verbrechens  und  der  räche,  die 
feierlichen  eidschwüre  der  parteien,  die  doppelte  Verhandlung  —  nichts 
Von  all  dem  kommt  vor,  und  gewifs  würde  manches  dichterischer  be- 
liandlung  sich  eben  so  gut  angepafst  haben  wie  das  abstimmen,  stimmen 
auswerfen  und  zählen,  die  religionen  die  den  Areopag  heilig  und  schauer- 
lich machen  hat  Aischylos  in  den  hedern  der  Eumeniden  unseren  herzen 
nahe  gebracht:  aber  die  erhabenheit  und  den  an  die  heilige  vehme 
erinnernden  schauder  des  gerichtes  nachzuempfinden  mufs  man  Antiphon 
lesen,     wer   für  stilunterschiede   empfänglich  ist,   dem   mufs   der   abfall 


331  111.    7.  Der  procefs  der  Eumeniden. 

tler  sehr  mensclilicli  athenisch  gehaltenen  procefsscene  von  dem  epiloge 
in  seiner  strengen  schünheit  und  dem  noch  herb  archaischen  prologe 
saramt  parodos  zum  bewufstsein  kommen,  es  ist  ein  stück  in  polygne  - 
tischen!  Stile,  während  ringsum  der  stil  der  strengen  schalenmalerei 
herrscht,  diese  Athena  und  dieser  Areopag  sind  458  für  die  modern 
empfindenden  gedichtet,  für  die  Verehrer  des  Volksgerichtes,  und  der 
ganze  procefs  ist  so  gehalten,  dafs  er  die  formen  allein  hervorhebt,  die 
diesem  gerichte  mit  jedem  gerichte  gemeinsam  sind,  der  Areopag  ist 
nicht  mehr  als  ein  gerichtshof,  und  Athena  erscheint  viel  eher  als  slifterin 
des  geschwornengerichles  denn  des  Areopages. 
Die  ein-  Wenden   wir   uns   denn   zu   der  rede,   mit  der  sie  das  gericht  für 

SG  tzun  "^s— 

redef  die  zukunft  einsetzt,  der  rat  hiefs  rat,  aber  er  war  keiner  mehr, 
sondern  nur  noch  ein  gericht.  um  diese  Stellung  hatten  die  kämpfe 
der  jüngsten  Vergangenheit  getobt  und  dies  war  schliefsUch  gesetz  ge- 
worden, der  dichter  konnte  den  unterschied  weder  übersehen  noch 
verschweigen,  seine  Athena  hat  sich  ein  consüium  berufen,  aus  freier 
wähl,  weil  sie  sich  nicht  selbst  getraute  das  urteil  zu  finden,  sie  macht 
aus  diesem  consüium  eine  dauernde  Institution,  aber  nur  für  die  analogen 
fälle,  zur  urteilsßndung  in  blutsachen.  mit  dem  worte  ßov/.i]  und 
ßovkevxriQiov  verbindet  der  Hellene  aber  etwas  ganz  anderes,  die  Ver- 
waltung, folglich  kann  der  dichter  den  namen  ßovA^  nur  mit  einem 
distinctivum  gebraucht  haben  und  hat  geschrieben 

eoTcci  Ö€  y.al  xo  Xoltzov  ^iyecog  atgaTU) 

alel  dr/xiGtiov  tovto  ßovXevTrQiov. 
Der  Schauplatz  des  dramas  und  des  gerichtes  ist  bei  Athena,  auf 
der  bürg,  die  gottin  läfst  am  Schlüsse  ihre  dienerinnen,  die  alten  und 
die  jungen,  aus  ihrem  hause  hervortreten,  die  priesterin  sammt  den 
■Aoa/Luö  TQajteCto,  sgyaorlvai  ccQQrjcpoQOi  und  wie  der  hofstaat  (Irr 
gottin  sonst  heifst.  diese  geleiten  die  Eumeniden  hinunter  in  ihre  woli- 
nung,  zum  Areopage.  die  theatralische  rücksicht  hatte  so  den  dichter  ver- 
anlafst,  den  Schauplatz  des  ersten  areopagitischen  processes  von  dem  Arcs- 
hügel  selbst  auf  die  bürg  zu  verlegen,  das  war  ihm  auch  erwünscht  gewesen, 
weil  dadurch  von  selbst  die  züge  des  processes  sich  verallgemeinerten, 
aber  in  der  stiftungsrede  mufste  er  doch  den  Areopag  als  sitz  des  richtcr- 
rates  bezeichnen:  hier  liegt  auf  dem  orte  und  seinem  namen  das  haupt- 
gewicht.  da  lesen  wir  nun  rtäyov  d^  "Aqelov  tovÖ'  ^A/.iaL6v(ov  edgav 
o-/.rjvccg  T6^),  und  dann  folgt  ein  langer  temporalsatz,  der  berichtet,  wann 

9)  Auf  dem  Areopage  haben  die  Skythen  der  polizeiwache  ihre  zelte  gehabt, 
nachdem   sie  vorher   auf  dem    freien  platze  des  marktes  campirt  hatten  (schol.  Ar. 


I 


Die  einsetzungsrede.  335 

der  hügel  sitz  und  lager  der  Amazonen  gewesen  war,  und  darauf  aus- 
geht, dafs  der  name  Areshügel  damals  aufgekommen  sei.  dann  erst  geht 
es  fort  £v  de  r([)  aeßag  ccgtiuv  cpoßog  re  ovyysvrjg  xb  f^irj  äöizelv 
Gxr^OEL.  also  einfach  ausgesprochen  würde  der  gedanke  sein  "^und  auf 
dem  Areshügel  wird  der  richterrat  als  hört  von  scheu  und  ehrfurcht 
seinen  sitz  haben\  das  dazwischen  stehende  gilt  nur  der  hervorhebung 
des  ortes,  und  dadurch  dafs  der  name  selbst  am  anfange  und  am  ende 
dieser  digression  steht,  ist  in  der  einfachen  weise  des  dichters  die 
ghederung  des  gedankens  wie  der  rede  vollkommen  deutlich  gemacht. 
nun  könnte  man  geneigt  sein,  die  constructionslosigkeit  der  ersten  eben 
ausgeschriebenen  worte  so  zu  entschuldigen,  dafs  der  dichter  erst  eine 
form  des  satzes  im  sinne  gehabt  hätte,  die  den  accusativ  rechtfertigte, 
und  als  er  darauf  zurückkommt,  die  construction  gewechselt  hätte  und 
ev  de  T(ö  gesagt,  allein  das  ist  falsch,  denn  es  correspondiren  not- 
wendigerweise die  Satzteile,  in  denen  derselbe  name  Ttdyog  "Ageiog  steht, 
was  so  grammatisch  sich  erschliefsen  läfst,  wird  noch  viel  sinnfälliger, 
wenn  man  sich  die  örtlichkeiten  überlegt,  das  pronomen  jtäyov  ^'^qelov 
Tovöe  widerspricht  der  läge,  man  sieht  den  hügel  nicht  vor  der  front 
des  Athenatempels;  man  sieht  ihn  auch  vom  theater  nicht,  also  ist  die 
corruptel  und  der  sitz  der  corruptel  erkannt,  in  rovöe  mufs  etwas 
stecken  das  einen  satz  aus  den  Worten  macht,  also  subject  und  praedicat. 
damit  ist  so  viel  von  einer  sylbe  gefordert,  dafs  eine  möglichkeit  zu 
zeigen  ziemhch  dasselbe  ist  wie  das  wahre  gefunden  zu  haben. 
685  Ttäyov  6^  'Lägeiov  olö^  '^/.la^Svcov  eÖQav 

ay.rjvag  d-' ,  oV  rjld^ov  QrjaecDg  xara  cpd-övov 

GToaTr^larovoat  zal  nöXiv  veÖtctoXlv 

T7;(5''")  vipbivQyov  avr€7tvQyo)Gav  rore 

^'äqel  r'   %dvov,  evdsv  Igt'  IrtiowLiog 
690  TtixQa  Ttdyog  %^  ^.Ageiog'  kv  de  rio  Geßag 

ccGTiüv  (pößog  %e  Gvyyevrjg  to  (.tri  adiY.elv 

GxrjGeL  Tod  ")  r/iiaQ  '/.cd  "/«t    ev(pQ6vrjv  oi-aog, 

Acharn.  54).  da  die  vasenbilder  lehren,  dafs  diese  Skythen  schon  zur  zeit  der 
tyrannis  bestanden  haben,  ist  sehr  zu  bedenken,  ob  das  lager  der  Skythinnen  auf 
dem  Areopage  nicht  ein  reflex  dieser  Verhältnisse  ist.  die  vielbehandelte  schlacht- 
beschreibung  des  Kleidemos  nimmt  darauf  keine  rücksicht. 

10)  T^^'  Kirchhoff  für  r^j^^e;  dafs  ein  dativ  fehlt,  war  längst  gesehn,  das 
ddktische  pronomen  kann  nur  auf  das  bezogen  werden  was  man  sieht. 

11)  röS'  läfst  sich  nur  halten,  wenn  man  wagt  es  trotz  dem  zwischengescho- 
benen fößos  Tfi  avyysvrjS  auf  aißas  zu  beziehen,  und  an  sich  wäre  sehr  erwünscht, 
dafs  deutlich  gesagt  würde,   das  aißas  läge  in  dem  Areopagitengerichte.    aber  die 


33G  III.    7.  Der  procefs  der  Eumeniden. 

avTcüv  tcoIltiöv  /.trj    Ttiy.aivovvTiov  r6f.iovg 

YM/Mlg  kyciQQoalOL'^^)  ßogßÖQdj  d'  vÖcoq 
695  lai-iTCQOv  (.iLuiviov  ovnod'^   evQrjOeig  tiotov. 

rb  (.iiQT    avaQxov  (.irjre  öeG7toTOV(.i€vov 

aarolg  TteQLorelXovai  ßovXsvo)  aeßeiv 

y.al  (.iTj  To  dsivov  näv  jtölEOjg  e^co  ßaXelv. 

Tig  yciQ  deöoLxcog  (.irjöev  evdr/.og  ßgortov; 
700  tolovÖe  tol  ragßovvTeg  evdiy.cog  oeßag 

%Qif.ia^^)  xwqag  /mI  jcokeiDg  acoTrjQLOv 

eyßir    av  olov  ovrig  avd'QCOTttov  exsi 

OUT    iv  ^xidTjUiv  ovTS  TlsXojtog  kv  xönoig. 

xegdöjv  a^i/.zov  tovto  ßovlsvn'iQiov 
705  aiöoiov  o^vd-vf-wv  evÖÖvzojv  vtieq 

€yQi]yoQog  cpgovQTjua  yrjg  /.a&loTafiai. 

TaVTTjV    (.dv    e§8T€LV      l/ilOlg    ^CaQCilVEÖLV 

aOTolOLv  kg  %6  Komöv. 
die  gedanken  werden  auch  weiter  noch  so  fortgesponnen ,  dafs  immer 
die  hauplwürter  aufgenommen  werden;  man  kann  gar  nicht  fehl  gehn, 
wenn  man  dem  dichter  nur  folgen  will,  das  oeßag,  worin  sowol  die 
aulorität  wie  der  respect  vor  ihr  hegt,  hält  vor  dem  aÖLyelv  zurück; 
damit  ist  ein  gefühl  von  furcht  nalurgemäfs  verhunden,  avyyevrjg  cpößog, 
wenn  dieses  gefühl  freilich  erlösche,  so  würde  auch  seine  consequenz, 
der  respect  vor  der  autorilät  und  damit  die  gesetzhchkeit,  öiYMioGiivri, 
schwinden,  wenn  dagegen  diese  autorität  in  gesetzlicher  weise  respectirt 
wird  {xaqßovvTag  hvdiy.cog  oeßag,  die  drei  hauptbegriffe  kehren  wieder, 
nur  einer  ist  mit  einem  synonymon ,  die  andern  mit  demselben  worte 
bezeichnet),  so  hat  Athen  einen  bort  seines  Staates,  wie  ihn  weder  die 


härte  ist  wol  zu  grofs.     rjuao   wird  mao  immer  am  liebsten  ano  y.oivov  von  tcard 
abhängen  lassen;  den  artikel  davor  zu  setzen,  ist  kaum  angängig. 

12)  Ueber  die  schreibuug  dieser  zeile  und  die  erhaltnng  der  überlieferten  inter- 
punction  handelt  Hermann  vollkommen  ausreichend,  will  man  denn  nicht  einsehen, 
dafs  das  sprüchwort  nachgeschoben  wird  als  begründung  für  den  speciellen  satz,  in 
diesem  also  das  bild  bereits  begonnen  sein  mufs?  ^ 

13)  Ueberliefert  ist  eov/xa  re  ;i;«^«s;  die  partikel  ist  eben  so  unerträglich  wi^ 
scheinbar  für  das  versmafs  unentbehrlich,  denn  eQVfia  kann  correct  nur  ein  tribra- 
chys  sein,  aber  bei  Euripides  Phoen.  9S3  ist  ri  dijr^  sQVfid  fioi  ysvT^aerai,  über- 
liefert mit  der  erklärung  (pvlayua,  noia  fie  nöXis  aooaei,  also  genau  in  derselben 
bedeutung.  wer  bei  W.  Schulze  quaest.  ep.  317.  325  ffg.  die  menge  richtiger  und 
falscher  formen  von  den  im  griechischen  gleichlautenden  stammen  j^eqv-  und  as^- 
übersieht,  wird  sich  nicht  wundern  soifia  QVfia  eolfta  neben  einander  zu  finden. 


Die  einsetzungsrede.  337 

liarbaren  noch  die  Hellenen  sonst  besitzen  (für  die  Hellenen  setzt  er 
um  des  krieges  willen  die  Peloponnesier,  wie  Sophokles  OK  695,  die 
svvof^ioif-isvoi  ^TtaQTiccTai  sind  gedacht,  und  für  die  barbaren  nicht 
die  verachteten  knechte  Asiens,  bei  denen  nur  reichtum  ist,  keine  tilgend, 
sondern  die  ykay-Torpcr/oi  aßiot  örKaiozaroi  avd-QuiTicov).  bis  hierher 
die  Vorbereitung:  hier  aufhören  hiefse  die  säule  ohne  capitell  lassen, 
denn  was  wir  gehört  haben,  war  nur  "^ein  solcher  richterrat  wird  in 
Athen  immer  bestehn,  auf  dem  Areopage,  und  so  lange  er  besteht,  wird 
Athen  einen  unvergleichlichen  hört  besitzen^  was  aber  der  richterrat 
leisten  wird,  worin  er  sich  als  bort  beweisen  wird,  das  fehlt,  und  es 
fehlt  das  schöpferwort  der  konigin  göttin,  die  einsetzung  selbst,  beides 
liefern  die  verse  die  hier  stehen,  sie  stehen  asyndetisch;  die  göttin  macht 
eine  pause;  sie  holt  tief  atem  zu  dem  feierlichsten  schwerwiegendsten 
Worte,  sie  kann  sich  nicht  genugtun  mit  attributiven  beiwörtern:  das 
eine  kurze  entscheidende  '/.ad^iGra/nca  macht  den  schlufs.  simpel  pro- 
saisch ist  was  sie  sagt  ^und  so  creire  ich  hiermit  den  Areopag\  poetisch 
bedeutend  sagt  sie,  für  den  gedanken  durch  das  pronomen  genügend 
verbindend  'diesen  rat,  den  eigennutz  nicht  berührt,")  den  träger  der 
aidcog,  des  grimm  scharf  ist,  der  wachsam  die  sorge  für  die  schlum- 
mernden in  Athen  übt,  den  stifte  ich',  aber  was  stiftet  sie  damit?  den 
Verwaltungsrat,  der  bis  462  Athen  beherrscht  hat,  oder  den  blutgerichts- 
hof,  der  seit  Ephialtes  nur  noch  besteht?  bei  den  modernen  kann  man 
erfahren,  dafs  sie.  den  Areopag  zum  nachtwächter  einsetze,  was  aller- 
dings eine  neuerung  gewesen  wäre,  da  es  erstens  keine  nachtwächter 
gab,  und  zweitens  der  Areopag  mit  der  sicherheitspohzei  niemals  etwas 
zu  tun  gehabt  hatte,  gegen  solche  IwTtodvTat  der  poesie  sollte  wahr- 
lich die  aTtaycoyi]  noch  gelten,  die  Unbestechlichkeit  ist  eine  tugend, 
die  der  richter  so  gut  wie  der  Verwaltungsbeamte  besitzen  soll;  in  der 
finanzverwaltung  hatten  die  Areopagiten  sie  noch  jüngst  nicht  gerade 
gezeigt,  dies  praedicat  beweist  nach  keiner  seite.  wol  aber  ist  die 
aldwg  zu  hause  bei  dem  gerichte,  das  wo  sie  möghch  ist  die  aldsaig 
zuläfst,  und  nur  wo  die  avaiösia  klagt  und  rächen  will,  seinen 
6§vg  d-v(.i6g  beweist,  strafend  und  tötend:  das  äuge  der  staatlichen 
rechtspflege  wacht  für  die  schlafenden,  die  toten,  wie  die  antike  erklärung 
einfach  und  richtig  lautet,  die  schlafenden,  sagt  der  dichter  dafür,  wie 
er    sie    die   blinden   (322)   und  die   blödsichtigen   (388)   nennt,    immer 

14)  xsqSoJv  ä&ixTos  sagt  der  dichter,  xQtjfiäzcov  y.osiaacov  Thukydides:  aaw- 
Ssxaaros  würde  dieser  als  niedrig  verschmäht  haben,  Aischylos  hat  die  Aixov  Ssxäs 
schwerlich  überhaupt  kennen  können. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  22 


338  m.    7.  Der  procefs  der  Eumeniden. 

durch  den  gegeiisatz  verdeutlicht,  was  Athena  eingesetzt  hat  ist  nichts 
als  der  richterrat,  als  der  Areopag,  der  458  zu  rechte  bestand  und  immer 
bestanden  hat. 

Athena  warnt  sehr  nachdrücklich  davor,  durch  neue  schlechte  ge- 
setze  das  gefühl  der  scheu  im  volke  zu  vertilgen,  die  achtung  vor  dem 
Areopage  zu  zerstören  und  die  rechte  mittelstrafse  zwischen  anarchie 
und  knechtschaft  zu  verlassen,  ob  458  eine  Strömung  bestand,  dem 
Areopag  auch  noch  seine  letzten  richterlichen  aufgaben  zu  entziehen, 
wissen  wir  nicht,  aber  dafs  anarchie  oder  zuchtlosigkeit  an  diesem 
gerichte  gehangen  hätte,  kann  man  schwerlich  behaupten,  worauf 
zielt  also  der  dichter  mit  seinen  Worten,  die  ihm  heiliger  ernst  sind? 
gegen  die  reform  des  Ephialtes  hat  er  nichts;  ob  er  sie  empfohlen  haben 
würde,  stehe  dahin,  aber  er  stellt  sich  durchaus  auf  den  boden  des 
gesetzes.  die  antwort  ist  nicht  auf  dem  gebiete  des  Staatsrechtes  zu 
Die  rolle  suchen ,  soudem  auf  dem  der  rehgion.  Aischylos  ist  kein  politikor, 
""■^"'sondern  ein  dichter,  ein  religiöser  lehrer  seines  volkes,  darum  hegt  ihm 
an  den  Obliegenheiten  des  Areopagitenrates  nichts,  an  den  Eumeniden 
alles,  sie  sollen  trotz  allen  reformen  und  trotz  aller  demokratie  die 
furchtbaren  zugleich  und  die  gnädigen  bleiben,  wo  er  das  aus  sich 
direct  aussprechen  kann,  ist  die  Wirkung  eine  reine;  hier  aber  dürfen 
wir  ein  gewifses  misverhältnis  nicht  beschönigen,  daraus  entstanden, 
dafs  der  Areopag  als  gerichtshof  weder  jenes  für  das  sittliche  gedeihen 
des  Volkes  notwendige  öslvÖv  mehr  ist,  noch  ein  egifia  awrrJQiov  Athens, 
die  kritik  ist  berechtigt,  allein  sie  wird  uns  das  grofsartige  document 
athenischer  und  aischyleischer  religiosität  nicht  trüben,  und  vor  allen 
dingen  dürfen  wir  nicht  das  gedieht  misdeuteu,  um  mehr  in  ihm  zu 
finden. 

Dafür  hat  der  dichter  selbst  gesorgt,  was  Athena  696 — 702  ihren 
bürgern  ans  herz  legt  ist  genau  dasselbe  was  die  Erinyen  516  ffg.  ge- 
fordert haben,  ta^'  onov  rb  öetvov  ev  —  i,irir^  avagy.Tov  ßiov  (.nqre 
de07tOTOVf.i€vov  aiveor^g'  Ttavrl  (.liooj  t6  yigärog  dsog  wTtaGev.  das 
singen  die  göttinnen  vor  dem  processe,  im  anschlusse  an  ihre  forderung, 
dafs  der  muttermörder  strafe  leide,  es  ist  schlechterdings  nichts  anderes 
als  dieser  eine  rechtshandel  in  frage,  an  dessen  entscheidung  die  ganze 
sittliche  weltordnung  hängen  soll,  wenn  das  hier  möglich  ist,  ist  es 
das  auch  in  Athenas  rede,  und  darf  man  die  Verfassungsänderung  des 
Ephialtes  nicht  hineinziehen,  das  sichert  die  erklärung  von  Athenas 
rede,  aber  es  verschiebt  zunächst  nur  die  eigentliche  lösung  der  Schwierig- 
keit,    also  noch  einen  schritt  weiter. 


Die  rolle  der  Erinyen.  339 

Die  ErinyeQ  sind  im  ersten  teile  des  dramas  Scheusale,  harpyien- 
artig,  schweifshundartig,  blutdürstig,  gottverhafst ,  teuflisch,  sie  haben 
die  aufgäbe,  die  Verbrecher  die  sich  mit  verwandtenblut  befleckt  haben 
zu  hetzen,  ihnen  das  blut  auszusaugen  und  selbst  in  der  unterweit  sie 
zu  peinigen,  sie  sind  unentbehrliche  organe  der  göttlichen  gerechtig- 
keit,  aber  sie  verhalten  sich  zu  den  gultern  wie  der  henker  zum  richter. 
der  dichter  hat  sich  nicht  gescheut,  die  fratzen  der  rohen  volksphantasie 
und  der  rohen  kunst,  die  eigentlich  schon  überwunden  waren,  aufzu- 
nehmen ,  und  so  grafs  ist  die  erscheinung ,  dafs  er  um  sie  zu  mildern, 
den  prolog  vorgeschoben  hat,  damit  die  Schilderung  dem  anblicke  vor- 
aufgehend die  gefühle  des  entsetzeus  und  abscheus  mildere,  noch  der 
deof-iiog  v(.ivog  gibt,  wenn  auch  in  jener  grafsheit,  die  das  abscheuliche 
poetisch  erträglich  macht,  nur  diese  hollischen  Erinyen.  das  zweite 
grofse  hed,  dem  jene  mahnungen  entstammen,  greift  schon  tief  in  das 
eigentlich  ethische  über,  "wer  die  gerechtigkeit  aus  freiem  willen  übt, 
kann  nie  unglückUch  werden,  und  wird  nimmer  ganz  zu  gründe  gehn", 
»las  ist  eigenthch  zu  hoch  für  die  blutgierigen  rachegeister.  dann  folgt 
der  procefs  und  die  freisprechung  des  Orestes,  gegen  diese  bäumt  sich  die 
liüllische  wut  der  Erinyen  auf;  sie  äufsert  sich  ganz  in  der  weise  die 
ihrer  erscheinung  entspricht,  worüber  sie  sich  beschweren,  ist,  dafs 
geschehen  sei ,  wovor  sie  gewarnt  hatten ,  also  der  thron  des  rechtes 
umgestürzt,  das  öslvov  aus  der  weltordnung  beseitigt,  der  Zuschauer 
weifs  das  besser,  vorausgesetzt  dafs  er  an  Athena  glaubt,  das  volks- 
yericht  ist  eingesetzt,  als  träger  jenes  öelvÖv,  jenes  asßag  für  alle  zeit, 
der  conflict  ist  für  ihn  innerlich  bereits  gelöst,  die  räche  ist  von  den 
liüUendämonen  auf  den  Staat  übergegangen,  und  die  gesellschaftsordnung 
Ideibt  gesichert,  es  ist  aber  vom  höchsten  werte  dafür,  dafs  Athena  dem 
Areopage  dieselben  sitthchen  guter  zu  wahren  ans  herz  legt  wie  die  Eri- 
nyen, dafs  das  Ued  und  die  rede  so  genau  einander  entsprechen,  und 
nicht  minder  wertvoll  ist  es,  dafs  diese  rede  dem  Urteilsspruche  unmittel- 
bar vorhergeht,  in  dem  die  stimmen  gleich  sind  und  nur  deshalb  die 
mildere  auffassung  siegt,  jene  rede  ist  der  schlufsstein  des  dramas:  sie 
zu  verschieben,  zerstört  seinen  aufbau,  sie  zu  beseitigen  ist  die  Zerstörung 
des  ganzen,  aber  für  die  handlung  ist  mit  der  Überwindung  der  rache- 
daemonen  das  ende  noch  nicht  erreicht,  dazu  müssen  sie  versöhnt 
werden  und  am  Areopage  ihre  ruhestätte  finden  als  die  göttlichen  träge- 
rinnen  des  oeßag  und  des  Ö€i,v6v,  das  ihn  hinfort  umschweben  soll. 
sie  waren  bluträcherinnen,  er  wird  blutrichter:  aber  das  oeßag  ist  nun 
viel  höher  und  heihger.     die  segenssprüche   der  Eumeniden   gelten  der 

22* 


340  III-    "•  Der  proceTs  der  Eumeniden. 

menschlichen  gesitteten  gesellschal't ,  gelten  dem  Staate,  der  Stadt,  die 
der  allmächtige  Zeus  und  Ares  (der  herr  des  luigels)  ehren  als  die  be- 
schirmerin der  Hellenischen  gottesdienste*'^),  erflehen  sie  zunächst  den 
segen  der  natur,  das  was  aus  dem  schofse  der  erde  kommt,  in  der  sie 
selbst  wohnen,  erntesegen,  reiche  herbste,  gedeihen  des  viehes  und 
finderglück  in  den  laureotischen  bergwerken.  dann  geht  es  weiter  zu 
dem  gedeihen  des  menschlichen  jungen  nachwuchses  und  zO  den  be- 
deutenden politischen  wünschen,  bewahrung  vor  hürgerzwist  und  bürger- 
krieg:  so  sollen  die  Athener  leben  sv  aiotf.iiaiai  Jtlovrov.  um  sieg 
wider  äufsere  feinde  liatte  Pallas  nicht  erst  gebeten:  den  kann  und  wird 
sie  selber  schafl'en  (913).  wenn  sie  dieses  alles  verheifsen  können,  so 
sind  die  Eumeniden  selbst  andere  geworden ;  sie  garantiren  nicht  mehr 
blofs  die  strafe  des  mordes,  sondern  die  äufserbche  und  innerliche  ge- 
sundheit  des  Staatslebens,  und  in  diesem  sinne  entspricht  ihnen  freiUch 
nicht  mehr  der  blutgerichtshof  auf  den  Areopag,  sondern  nur  die  rechts- 
ordnung  die  Athena  selbst  repraesentirt,  der  attische  staat.  also  was  uns 
in  der  bedeutung  des  Areopages  und  in  dem  Charakter  der  Eumeniden 
gleichermafsen  zunächst  befremden  mag,  das  lost  sich  so,  dafs  Aischylos 
zwar  in  der  fabel  die  er  dramatisirt  nur  den  gerichtshof  und  nur  die 
rachegottinnen  vorlindet,  dafs  er  aber  das  nur  als  exempel  für  die  höhere 
Sittlichkeit  des  staatlich  geordneten  lebens  gegenüber  der  blutrache  ver- 
wendet, und  wie  er  es  immer  tut,  seinem  volke  sagt:  die  götter,  an  die 
wir  glauben,  sind  andere  als  die  der  sage  und  sind  doch  diesell)en;  sie 
haben  sich  mit  der  reineren  frömmigkeit  in  unserem  herzen  selbst  ge- 
reinigt, nur  so  können  wir  sie  verehren,  aber  so  müssen  und  dürfen 
wir  es  tun.  er  setzt  die  Erinyen  freilich  gevvissermalsen  zur  ruhe;  aber 
erst  dadurch  dafs  sie  Eumeniden  werden,  werden  sie  wirkHch  zu  göttin- 
nen.'^)     die   weltordnung,   in   der  wir  leben,  ist  die  des  Zeus  und  der 


15)  Qvaißcofiov  'EXXdvcov  ayaXfia  Saifiövcov  920.    dies  an  Athen  hervorgehoben, 
an  so  bedeutsamer  stelle,  gemahnt  an  den  perikleischen  antrag  auf  eine  gemeinsame     | 
herstellung  der  von  den  Persern  zerstörten  heiligtümer.     die  zeit  desselben  ist  auf 
lauter  unsichere  anhaltspunkte  hin  verschieden  bestimmt  worden,    ich  möchte  nichts 
versichern,  aber  in  dieser  zeit,  wo  Athen  in  der  amphiktionie  einen  anhält  zur  na-     i 
tionalen  einigung  sucht,  würde  ein  solcher  versuch  auch  sehr  gut  denkbar  sein.  I 

16)  Dafs  in  Wahrheit  die  2ey.vai  d'eaL,  die  EvfitviSes  ihrem  wesen  nach  viel- 
mehr so  umfassende  chthonische  mächte  waren,  wie  sie  der  schlufs  zeigt,  und  als 
Iloival  'Aoai  'Eoivrse  nur  ausgeartet  durch  die  einseilige  ausbildung  einer  seile  ihres 
Wesens,  ist  zwar  nicht  schwer  zu  zeigen,  führt  hier  aber  zu  weit  ab.  der  diclilcr 
hat  selbst  schwerlich  geahnt,  dafs  er  die  göttinnen  auch  historisch  richtig  verstelioii 
lehren  könnte.  ' 


i 


Die  tendenz  des  dichteis.  341 

Atliena :  was  das  erste  lied  des  Agamemnon  verhiefs,  ist  erfüllt,  die  x^^Qt^a 
daif-iöviov  hat  sich  manifestirt. 

Wenn  die  Athener  aus  dem  theater  kamen,  konnten  die  anhänger  Die  ten- 
des  Ephialtes  sagen  "der  alle  meister  ist  für  uns.  er  ist  mit  unsern  dichters. 
gesetzen  ganz  zufrieden,  sein  Areopag  ist  auch  nur  eine  heliaea."  und 
die  anhänger  des  alten  konnten  sagen  "er  ist  wider  die  bürger,  die  mit 
üblem  zugufs  die  gesetze  neu  machen  wollen  und  durch  ihren  schmutz 
die  reine  quelle  verderben,  er  ist  wider  die  zügellosigkeit  des  demos." 
beide  hatten  nicht  unrecht  und  beide  hatten  doch  nicht  recht,  der  hehre 
meister  stand  über  ihnen;  er  sah,  wie  sich  die  silten  und  meinungen 
und  gesetze  und  gütter  ewig  wandeln,  das  eine  aber  ewig  darunter  das- 
selbe bleibt,  recht  und  Wahrheit,  menschenadel  und  gottesreinheit:  ek 
d    vyisiag  (pqevwv  6  Ttäoiv  cpilog  y.al  rcolvEv/.Tog  o?.ßog. 

So  stand  er,  obwol  in  jeder  über  seines  wesens  ein  Athener  und 
ein  ächter  söhn  seiner  zeit,  doch  als  dichter  hoch  über  den  parteiungen 
des  tages.  das  gedieht  im  ganzen  ist  nicht  vom  momente  eingegeben 
noch  für  den  moment  berechnet;  aber  wol  ist  in  ein  par  nebendingen 
eine  solche  berücksichtigung  der  gegen  wart  vorhanden,  das  eine  ist 
allbekannt,  die  einführung  des  argivischeu  bündnisses,  das  er  gewifs 
nicht  erst  selbst  in  die  urzeit  verlegt  hat;  es  hatte  unter  Peisistratos 
bestanden  und  manches  deutet  auf  ältere  bedeutsame  beziehungen,  zu 
denen  vielleicht  selbst  der  Eumenidencult  gehört,  das  andere  ist  die 
aussieht  auf  gewaltige  äufsere  kämpfe  und  die  Siegeszuversicht  (864. 
914),  die  gerade  458  sich  erfüllt  hat.  aber  die  furcht  vor  bürgerzwist 
war  vor  der  schlacht  bei  Tanagra  auch  gerechtfertigt,  nach  dieser 
richtung  stehen  zwei  sehr  bedeutende  äufserungen  hier,  die  ein  wort 
der  erläuterung  heischen.  909  bittet  Athena  die  Eumeniden,  die  men- 
schen gedeihen  zu  lassen  rtov  dvooeßovvriov  ö^  excpoQCüTega  Ttekoig' 
oregyco  yaQ  avÖQog  (piTvicoii-ievog  öizr^v  ro  rcov  diKaUov  rtovd 
a7cev^)]Tov  ytvog.  die  unfrommen  möge  sie  lieber  entfernen,  da  Athena 
es  macht  wie  der  —  gärtner  oder  hirt?  die  ausleger  sagen  gärtner. 
ich  weifs  nicht  warum,  denn  cplTv  ist  nicht  pflanze  sondern  cpvT£v/.ia, 
und  steht  von  der  pflanze  (Soph.  fgm.  803)  so  gut  wie  vom  vieh  (Eupol. 
Autol.  8).  cpLTV7toii.iriv  ist  der  hirt,  der  Viehzucht  treibt,  nicht  blofs 
vieh  weidet,  und  worin  beruht  die  vergleichung  ?  beim  gärtner  kann  man 
sich  gar  nichts  denken,  und  beim  hirten  auch  nicht  viel,  wenn  er  blofs 
gern  hat,  dafs  seine  gute  herde  nicht  geschädigt  wird,  das  hat  mit  dem 
satze,  den  es  begründen  soll,  twv  dvaasßovvTcov  ezcpooioTSQa  itiloig 
nichts  zu  tun.    aufserdem  aber  ist  das  deiktische  pronomen  Tiövbe.  ganz 


342  IH-    '.  Der  procefs  der  Eumeniden. 

verkehlt,  da  Alhena  hüchstens  auf  das  publikum  zeigen  konnte,  hier 
niul's  geändert  werden;  der  genetiv  ist  durcii  angleichung  an  die  vor- 
liergehenden  worte  entstanden,  aus  dem  dativ.  "die  gottlosen  kannst 
du  ruhig  vertreiben,  denn  ich  liebe  es  wie  der  Viehzüchter,  dafs  die 
herde  der  gerechten  nicht  durch  jene  geschädigt  werde."  Athena  wünscht 
die  räudigen  schafe  ausgerottet,  damit  die  herde  nicht  angesteckt  werde, 
das  ist  gewifs  nicht  bedeulungslos. 

Die  andere  stelle  ist  heil,  950.  die  Eumeniden  singen  (.irjöe  Tiiovoa 
7t6?ug  f-ikXav  ai/iia  fco'Uräv  di  OQyav  Tioiväg  avTicpovovg  arag  ccq- 
7taXloai  uöleiog '  '/^^ÜQf.iara  6  avTiöidolEv  y.OLvo(piXel  diavoia  y.al 
arvyelv  {.ncc  cpQtvi.  "die  erde,  die  bürgerblut  getrunken  hat,  möge  nicht 
im  streben  nach  räche  sich  für  die  Stadt  unheilvolle  Vergeltung  durch  blut 
nehmen,  sondern  sie  mögen  handlungen  über  die  man  sich  freuen  kann 
ixägi-iaxa,  nur  etwas  stärker  für  y^aQLxag)  zum  entgeh  geben  in  der 
gesinnung  allgemeiner  freundschaft  und  ebenso  Übereinstimmung  im  hafs." 
also  blut  ist  vergossen  und  nicht  gesühnt,  aber  die  Eumeniden  raten, 
statt  es  durch  neues  blut  zu  rächen ,  die  beleidigten  durch  guttaten  zu 
versöhnen,  so  dafs  die  gemeinsamen  gefühle  in  hafs  und  liebe  regieren 
kininen.  das  ist  keine  allgemeine  wendung,  denn  es  setzt  den  con- 
crelen  fall  voraus,  dafs  eine  ungesühnte  blulschuld  da  ist.  setzt  man 
in  rechnung,  dafs  Ephialtes  nicht  lange  vorher,  wol  erst  460/59,  von 
unbekannter  morderhand  erschlagen  war,  dafs  die  erbitterung  seiner 
anhänger  wider  die  gegenpartei  heftig  entbrannt  sein  mufste  und  diese 
gegenpartei  mit  Sparta  conspirirte,  so  wird  mau  schwerhch  ablehnen 
können,  dafs  der  dichter  seinem  volke  die  mahnung  gibt  "^hadert  nicht 
um  den  toten,  sondern  steht  zusammen  wider  die  gemeinsamen  feinde, 
und  beschwichtigt  die  erregung  über  den  mord  des  Ephialtes  durch  Zu- 
geständnisse', wieder  konnten  beide  parteien  ihn  zu  den  ihren  rech- 
nen; die  leute  Kimons  mochten  Ephialtes  für  das  räudige  schaf  ansehen, 
die  demokraten  seine  mörder.  es  ist  des  propheten  recht,  doppel- 
sinnig zu  reden,  ganz  verständlich  ist  nur  das  göttliche  urteil  über  das 
geschehene  und  die  allgemeine  mahnung  für  die  zukunft.  diese  haben 
die  Athener  beherzigt:  sie  haben  der  demokratie  Meiler  nachgegeben 
und  in  eintracht  wider  die  äufseren  feinde  zusammengestanden,  bei  Ta- 
nagra  und  Oinophyta. 


DIE  ZEIT  DEß  THESMOPHORIAZUSEN. 


Wir  verdanken  die  Thesmophoriazusen  allein  dem  Ravennas,  und 
in  dem  feblt  die  hypothesis.  aber  die  scholiasten  haben  die  hypothesis 
gehabt,  und  die  hypothesis  gab  die  aufführungszeit  des  Stückes  auf  grund 
der  urkundlichen  didaskalie.  wenn  sich  also  zeigen  läfst,  wie  die  schollen 
das  Stück  datirL  haben,  so  ist  damit  eine  urkundliche  Überlieferung  er- 
reicht. 

Die  scholieu  setzen  die  aufführung  in  das  jähr  des  Kalhas  aus  Das  über- 
Skambonidai  412/11,  also,  da  die  Lysistrate  die  Lenaeen  occupirt,  auf  die  datum! 
Dionysien,  mitte  elaphebohon  411.  drei  stellen  beweisen  jede  an  sich 
dasselbe,  schol.  190,  Euripides  war  ein  greis,  f/r«  yovv  etel  vozegov 
T£/.evTc<.  er  starb  unter  Antigenes,  winter  407/6.  schol.  804  XaQi.ilvog 
TtSQi  2cii.iov  ovveOTQaTr]y)]06  YMTa  xov  v.ulqov  tovtov  rolg  tceqI  QiQvvi- 
yov})  beide  waren  unter  Kallias  Strategen;  Phrynichos  ward  im  juli  411 
ermordet,  schol.  841  enaLvel  tov  ^ccf.iaxov  vvV  rjörj  yag  STsd-vrjA€i 
ev  ^r/.eUa  retaQxo)  exti  TtQÖtsQov.  er  fiel  unter  Charias  winter  415/14. 
verdorben  ist  auf  alle  fälle  schol.  52,  von  Agathon,  ov  7tcc?Mi  rjQ^aro 
diöäoy.Eiv ,  a/JM  rgial  tiqo  tovtov  etboi,  da  Agathons  sieg  unter 
Euphemos,  Januar  416,  fällt:  aber  ob  man  aus  der  3  eine  6  oder  7 
macheu  will,  ist  in  griechischer  schritt  gleich  leicht. 


1)  Es  folgt  ein  wertloses  scholion  avrsfiu/^r^ae  ya-Q  (pqvvi%co  ev  0Qqy.r,  6  Xuq- 
füvos  y.ai  i'acos  oiSiv  aswy.oyov  ETzoa^ev.  dafs  dieselbe  handsclu'ift  dasselbe  scholion 
der  alten  ausgäbe,  die  sie  repraesentirt,  in  zwei  fassungen  gibt,  nämlich  durch  ein- 
tragung  aus  verschiedenen  exemplaren,  ist  ganz  gewöhnlich;  unsere  ausgaben  würden 
gut  tun,  das  zu  bezeichnen,  in  den  kärglichen  schollen  der  Thesmophoriazusen 
z.  b.  21,  339,  346,  389,  393,  423,  560.  61,  948.  die  quelle  der  richtigen  bemerkung 
kann  Thukydides  sein,  braucht  es  aber  nicht. 


344  III.    S.  Die  zeit  der  Thesmophoriazusen. 

Zu  demselben  resultale  führt  eine  andere  rechnung.  AristopliaiK  s 
sagt  selbst,  dafs  die  Andronieda  des  Euripides  voriges  jähr  {negvoir) 
gegeben  war  (1060);  schol.  Früscli.  53  setzt  sie  in  das  achte  jähr  \ur 
diese,  also  unter  Kleokritos,  frühjahr  412.  und  später  kann  sie  nirlit 
fallen,  wenn  wir  den  scholiasten  glauben,  wie  wir  müssen,  dafs  der  veis 
Lysistr.  963  einen  der  Andromeda  parodirt. 

Wir  sind  demnach  verbunden,  die  urkundliche  datirung_  zum  aiis- 
gangspunkte  zu  nehmen,  was  spricht  nun  dagegen?  in  Wahrheit  nur 
eines.  808  fragt  der  chor  cc)X  Evßovlrjg  rtov  jtkovöLv  rig  ßov).evxv)v 
eOTiv  af.i€ivcov  Ttagadoig  ttiQU)  Trjv  ßov?.siav;  ich  gebe  bereitwillig 
zu,  die  beste  beziehung  ist  vorhanden,  wenn  wir  an  den  rat  denken, 
der  am  14  thargelion  des  Kallias,  mal  411,  dem  neuen  rate  der  1<)(» 
platz  machte,  wenn  der  vers  acht  wochen  vorher  gesprochcü  ist,  so  li;ii 
er  sich  seltsam  an  dem  rate  bewahrheitet,  der  ihn  im  Iheater  vorsitzoinl 
anhörte,  aber  der  scholiast,  der  notirt  ro  olov  o  tl  ßovXeTai  oiy. 
ioxL  Gacfig,  hat  an  diesen  für  jeden,  der  den  Thukydides  kannte,  nahe- 
liegenden Vorgang  nicht  gedacht,  und  umstofsen  kann  diese  deutung 
eines  verses,  die  wir  machen,  unmöglich  eine;  urkundliche  datirung.  der 
rat  des  jahres  413/12  hatte  geduldet,  dafs  über  ihn  die  probulen  gesetzt 
wurden,  darauf  hat  0.  Müller  den  vers  bezogen,  und  selbst  R.  Scholl 
(Comm.  Momms.  454)  bestreitet  die  möglichkeit  dieser  beziehung  nicht, 
der  rat,  der  zur  zeit  der  Thesmophoriazusen  im  amte  war,  hatte  die 
probulen  über  sich,  er  hatte  also  auch  keine  autorilät  und  hat  sich  zwei 
monate  nachher  geduldig  aufgelöst,  auch  damals  schob  man,  wie  die 
bekannte  anekdote  von  Sophokles  zeigt,  den  probulen  die  hauptschuld 
zu.  es  pafst  also  wahrlich  der  Vorwurf  gegen  den  rat  von  412  "ihr 
habt  die  praerogative  eurer  körperschaft  an  eine  andere  behürde  tiber- 
gehen lassen",  auch  wenn  der  rat  noch  weiter  existirte.  wenn  sich  der 
nächste  rat  zu  gunsten  eines  anderen  rates  ein  par  wochen  vor  dem  ge- 
setzlichen ftagaöidövccL  rrjv  ßovAeiav  aufgelöst  hat,  würde  der  vers  mit 
veränderter  bedeutuug  darauf  noch  besser  passen?  ich  glaube  es  nicht, 
denn  jeder  rat  gibt  wie  dieser  die  ßovlsia  an  einen  naclifolger  ab, 
eriQO)  pafst  meines  erachtens  besser  auf  eine  andere  behörde.  aber 
besser  oder  schlechter:  das  stöfst  keine  didaskalie  um. 

Da  sagt  man  aber  weiter,  wenn  der  rat  zu  gunsten  der  probulen 
in  den  hintergrund  getreten  war,  so  sollte  in  den  Thesmophoriazusen 
ein  probule  auftreten  wie  in  der  Lysistrate,  kein  prytan.  das  ist  eine 
durchaus  ungehörige  anwendung  der  richtigen  beobachtung,  dafs  die 
beiden  repraesentanten  der  Staatsgewalt  dramatisch  dieselbe  rolle  spielen. 


Das  überlieferte  datuni.     persönliche  anspielungen.  345 

in  Athen  haben  tatsächhch  probulen  und  rat  neben  einander  fungirt; 
dafs  der  dichter  schon  um  zu  wechseln  in  zwei  fast  gleichzeitigen  stücken 
zwei  verschiedene  beanite  einführt,  würde  man  ihm  nicht  verargen  dürfen, 
auch  wenn  er  mit  einem  und  demselben  ausgekommen  wäre,  aber  so 
steht  es  nicht,  in  den  Thesmophoriazusen  hat  ein  mensch  groben  un- 
fug  getrieben ;  davon  wird  der  polizei ,  also  dem  permanenten  ratsaus- 
schusse,  anzeige  gemacht  (654).  dieprytanen  erwirken  einen  ratsbeschlufs, 
der  auf  die  Verhaftung  des  schuldigen  geht  (943),  und  diesen  führt  ein 
prytan  (einer,  aus  dramaturgischen  rücksichlen)  mit  einem  polizisten  aus. 
lediglich  aus  dramaturgischen  rücksichten  kommt  der  block  zum  arrestan- 
ten,  statt  der  arrestant  ins  gefängnis.  wie  in  aller  weit  könnte  man 
hier  die  probulen  bemühen?  war  das  eine  aufgäbe  für  Sophokles  den 
neunzigjährigen  oder  sonst  einen  der  höchstgestelUen  und  geachtetsten 
bürger?  dagegen  in  der  Lysistrate  wird  das  auftreten  des  probulen 
damit  motivirt,  dafs  er  sich  gerade  geld  von  der  bürg  holen  will  (421). 
in  der  streitscene  mit  Lysistrate  handelt  es  sich  um  krieg  und  frieden, 
um  die  acorrjQia  Tijg  ftokscog,  also  gerade  um  das,  wofür  das  volk  die 
probulen  eingesetzt  hatte,  deshalb  brauchte  Aristophanes  hier  diesen  be- 
amten,  und  dann  erheischte  wieder  die  dramaturgische  Überlegung,  dafs 
er  demselben  auch  das  commando  in  dem  treffen  mit  den  weibern  über- 
trug, das  an  sich  eben  so  gut  und  vielleicht  besser  der  rat  gehabt  haben 

i  würde,  auch  in  der  Verhandlung  mit  den  spartanischen  gesandten  war 
der  probule  allein  am  platze;  übrigens  bezeichnet  er  seine  competenz 
sehr  genau,  indem  er  erklärt,  einen  antrag  im  rate,  und  zwar  mit  aulo- 

j  ritativer  gewalt,  auf  die  erwählung  von  generalbevolimächtigten  gesandten 
einbringen  zu  wollen  (1011).")  der  rat  fungirt  also  genau  so  normal  und 
genau  so  machtlos  wie  es  die  geschichte  von  411  zeigt.  Aristophanes 
konnte  411  in  beiden  fällen  gar  keine  andere  behörde  einführen,  als  er 
eingeführt  hat.  die  Lysistrate  kann  um  des  probulen  willen  nur  411 
gespielt  sein;  der  prytan  der  Thesmophoriazusen  beweist  überhaupt  gar 
nichts  für  die  zeit  des  Stückes. 

Politische  personen  werden  sehr  wenige  erwähnt:  niemand  von  den    Person- 

.  liehe  an- 

411  so  schwer  compromittirten,  niemand  auch  von  den  tüchtigen  männern,  spielungen. 
die   durch   die   hellespontischen  erfolge  Athen    unerwartete  rettung  aus 


j  2)  Die   wähl  von  gesandten   steht   natürlich  beim  volke  allein,     das  volk  ist 

;  an  die  tagesordnung  des  rates  gebunden,  die  probulen  aber  sind  offenbar  com- 
jpetent,   den  rat  anzuweisen,  den   gegenständ   auf  die  tagesordnung  zu  setzen  und 

I  eine  Versammlung  des  volkes  zu  berufen,    so  behandelt  das  volk  selber  im  vierten 

ii  Jahrhundert  den  rat. 


346  III-   8-  I^ie  zeit  der  Thesmophoriazusen. 

der  verzweifelten  läge  des  sommers  411  brachten,  das  erzwingt  niclits, 
darf  aber  nicht  unbeachtet  bleiben,  dafs  Kleophon,  der  für  uns  410; 
zuerst  hervortritt,  dem  Aristophanes  schon  411  widerlich  sein  konnte  (805), 
wird  man  nicht  bezweifeln,  es  wäre  nicht  hübsch,  wenn  Aristophanes 
die  mutter  des  Hyperbolos  410  in  weifsera  festgewande  eingeführt  hätte 
(840),  da  der  söhn  im  sommer  411  klüglich  umgekommen  war  (Tb.  8,  42); 
aber  vielleicht  war  Aristophanes  so  unzart.  "Charminos  hat_  durch  die 
tat  bewiesen,  dafs  er  schlechter  als  Navöif-iäyri  ist  (804).^'  es  ist  kaum ; 
denkbar,  dafs  er,  der  für  uns  nach  seiner  Strategie  412/11  verschwindet, 
in  der  er  in  den  ersten  zwei  monaten  411  eine  schlappe  mit  einer 
tlottenabteihing  erlitt,  von  Aristophanes  410  gegeifselt  worden  wäre,  als 
nicht  blofs  Navoif.iäx^],  sondern  NaiOLvr/.i]  dank  Thrasyllos  und  Alki- 
biades  bei  den  attischen  schilfen  war.  eine  anspielung  auf  ein  bestimmtes 
factum  enthält  noch  811  "eine  frau  tut  so  etwas  nie,  dafs  sie  erst  sum- 
men von  50  talenten  aus  dem  Staatsschätze  stiehlt  und  dann  noch  mit 
einem  maultiergespanne  auf  die  bürg  fährt",  das  factum  kann  ich  nicht 
aufzeigen,  denn  das  erkennungszeichen  der  stolzen  fahrt,  das  für  das 
])ublikum  am  deutlichsten  gewesen  sein  wird,  hilft  uns  nichts,  aber 
vielleicht  kennen  wir  den  dieb. 

Unter  dem  archon  Glaukippos  und  zwar  schon  von  der  ersten  pry- 
tanie  an,  juli  410,  war  der  Staat  darauf  angewiesen,  seine  bedürfnisse 
durch  anleihen  bei  der  güttin  zu  befriedigen;  aber  auch  diese  besafs 
keinen  schätz  mehr,  sondern  mufste  ihre  laufenden  einnahmen  sofort 
zur  Verfügung  stellen  (CIA  I  188).  aus  dem  schätze  der  gottin  hatten 
die  400  rücksichtslos  ihre  bedürfnisse  befriedigt  und  ende  Hekatombaion 
411  auf  einen  streich  über  77  talente  entnommen  (CIA  IV  p.  162).  die 
Zeiten,  wo  jemand  posten  von  50  talenten  auch  nur  zu  gesiebte  bekam, 
waren  jetzt  vorüber,  es  ist  nicht  sehr  vertrauenerweckend,  dafs  die 
Verlegung  der  Thesmophoriazusen  auf  das  frühjahr  410  diebstähle  von 
solchen  summen  in  eine  zeit  rückt,  für  die  sie  eine  arge  Übertreibung 
sind,  weil  es  gar  nicht  mehr  so  viel  zu  stehlen  gab.  ein  jähr  früher 
ist  dagegen  die  gelegenheit  durch  eine  bedeutende  finanzoperation  ge- 
geben gewesen  und  benutzt  worden,  auf  die  nachricht,  dafs  Alkibiades 
Chios  zum  abfalle  bewogen  hätte  und  in  lonien  weiter  griff,  hatte  das 
Volk  im  frühjahr  412  beschlossen,  den  reservel'onds  von  1000  talenten 
anzugreifen  (Thuk.  8,  15).  Zahlungen  aus  demselben  begegnen  in  der 
rechnung  aus  der  ersten  prytanie  des  Kallias,  Hekatombaion  412  (CIA 
1  184),  und  Philochoros  mufs  durch  die  menge  von  solchen  Zahlungen 
in  diesem  jähre  dazu  verleitet  worden  sein,  im  Widerspruche  zu  Thuky- 


Persönliche  anspielungen.     die  Stimmung  in  den  chorliedern.  347 

*'  dides  und  erweislich  falsch  zu  berichten,  dafs  der  reservefonds  erst  unler 
Kallias  in  angriff  genommen  wäre  (schol.  Ar.  Lys.  173).  nun  hat  ein 
ratsherr,  ein  uns  unbekannter  aber  notabler  poliliker,  der  Sprecher  von 
Antiphons  sechster  rede,  im  frühjahre  412  eine  eisangelie  gegen  eine 
anzahl  leute,  unter  ihnen  einen  gewissen  Philinos  und  den  unterschreiber 
der  thesmothelen,  auf  Unterschlagung  beim  rate  eingebracht  und  trotz 
allen  versuchen  der  gegner,  die  Verhandlung  zu  verhindern,  ihre  Ver- 
urteilung erwirkt,  das  erzählt  Antiphon  sehr  lebhaft  6,  35.  50.  er  hatte 
auch  die  rede  gegen  Philinos  für  denselben  Sprecher  verfafst.^)    das  war 

■■lalso  eine  hauptactiou  im  sommer  412,  viele  processe  spielten  sich  neben 
und  hinter  einander  ab;  der  grofse  redner,  das  geistige  haupt  der  um- 
sturzpartei,  stellte  seine  kunst  in  den  dienst  der  demagogen,  welche  an- 
gebhch  oder  vielleicht  wirklich  die  unterschleife  der  beamten,  der  Ver- 
trauensmänner des  Volkes,  an  das  licht  zogen,  eine  berücksichtigung 
dieser  dinge  ist  im  elaphebolion  411  eben  so  natürlich  wie  410  un- 
begreiflich. 

Und  doch  sind  für  mein  gefühl  alle  diese  einzelheiten  nicht  ent-  Die  sUm- 
scheidend.  um  so  mehr  ist  es  die  ganze  hallung  und  Stimmung  des  den'dior- 
dramas.    Aristophanes  hält  sich  diesesmal  fast  ganz  fern  von  den  offent- 


3)  Die  genaue  datirung  ist  von  Scholl  in  dem  schönen  aufsatze  der  Comment. 
Momms.  gegeben.  Blafs  hat  von  ihm  keine  notiz  genommen  und  beurteilt  die  ganze 
rede  falsch,  aber  ihre  rhetorische  Würdigung  erfordert  eine  besondere  abhand- 
lung.  die  tendenz  des  redners  geht  viel  weiter  als  in  diesem  processe  zu  siegen; 
es  ist  ein  politischer  kämpf,  in  dem  der  handel  (pvvov  dxovaiov  nur  eine  episode 
ist.  der  Sprecher  aber,  eines  sinnes  mit  dem  redner,  stellt  sich  dar  als  der  Ver- 
fechter der  alten  ehrlichkeit  und  der  strengen  religiosität  der  väter,  übt  dagegen 
alle  künste  der  modernen  demagogie.  so  redet  einer,  wie  wir  uns  die  oligarchen 
von  411  zu  denken  haben,  leider  kann  ich  über  seinen  namen  nichts  vermuten. 
auf  seiner  seite  hatte  bei  den  klagen  wegen  Unterschlagung  ein  Lysistratos  ge- 
standen, den  ich  unter  den  trägem  des  namens  auch  nicht  zu  bestimmen  wage, 
36  tovr  ovy.  ctt'  auol  tcocotov  eiirjxavr^aavxo  <Pi?.lvos  y.al  ol  k'regoi  aXXa  xai  inl 
AvaiaTodrcp  oToäxEQov,  cos  avrov  {avroi  codd.)  vfisls  r-y.ovaare.  (die  Verbesserung 
ist  notwendig:  «vrot  würde  ja  dasselbe  gericht  voraussetzen;  aber  vor  dem  Palladion 
war  doch  nicht  die  andere  Sache  auch,  und  woher  hatten  die  richter  es  gehört?). 
dafs  die  rede  des  Antiphon  wider  Philinos  yJ.ojir,?  war,  bestätigt  sich  in  wünschens- 
werter weise  durch  ein  scholion  BT  zu  r  368,  wo  als  beleg  für  den  gebrauch  des 
genetivs  als  musterbeispiel  steht  ' iyoa\päfir,v  <Pillvov  y.lorcr^i  .  jenen  Philinos  hatte 
vielleicht  Eupolis  in  den  Stadien  entweder  auf  die  bühne  gebracht  oder  von  der 
bühne  herunter  im  publicum  angerufen  6  <Pi/.ivos  oiros,  ri  äqa  Ttoos  xavri}v  ßXd- 
TtsiSj  ovx  anolißä^Eis  sii  anoiy.iav  xivä;  (28  Mein.)  aber  der  in  Athen  nicht  (wie 
in  Kos)  verbreitete  name  ist  doch  nicht  selten  genug,  um  die  Identification  zu 
sichern,    er  deutet  in  Athen  nicht  auf  die  höheren  gesellschaftskreise. 


348  III.    S.  Die  zeit  der  Tliesmophoiiazusen. 

liehen  dingen,  spielt  mit  Euripiiles  und  den  weibern  und  bietet  eine 
kunst  auf,  die  ihm  sonst  fremd  ist:  er  schürzt  und  lost  eine  intrigue. 
das  mochte  er  immer  tun,  wo  es  ihm  die  Muse  eingab;  es  kann  nicht 
verlangt  werden,  dafs  er  ausschliel'slich  politisire.  indessen  ein  teil  seines 
lustigen  spieles  weicht  davon  ab  und  redet  zwar  nicht  direct  vom  Staate, 
aber  spiegelt  die  hauptaction  des  staatlichen  lebens  wieder,  die  Thesmo- 
phorien  werden  auf  der  pnyx  in  den  formen  der  Volksversammlung  ge- 
halten, in  wie  weit  der  wirkliche  cultus  dem  dichter  einen  anhält  für 
diese  fiction  bot,  ist  unbekannt;  er  hat  sie  aber  viel  weiter  ausgeführt 
als  für  die  fabel  seines  Stückes  notig  war.  hundert  verse  schildern  die 
erolfnung,  so  ausführlich,  dafs  die  modernen  einen  teil  davon  wog-  ^ 
geschnitten  haben,  weil  sie  nichts  als  Wiederholungen  darin  fanden,  die  1 
scene  beginnt  mit  einer  proclamalion  in  prosa,  einem  gebete,  das  sich 
zunächst  an  die  Thesmophoren  und  ihren  golterkreis  wendet,  aber  als 
inhalt  der  Verhandlungen  und  gebete  bereits  neben  das  wol  der  frauen 
auch  das  des  df^fiog  ^Ad-rivaiiov  stellt,  die  frau  die  diese  proclamation 
spricht  schliefst  mit  dem  apollinischen  rufe  iri  Jiauöv  und  dem  wünsche 
■^freude  sei  mit  uns\  der  chor,  der  sich  nun  gesammelt  hat,  nimmt  den 
wünsch  an  und  nimmt  das  gebet  auf,  richtet  es  aber  an  die  grofsen  i 
gotter  Zeus  Apollon  Athena  Artemis  Poseidon  und  die  nymphen  in  der  1 
see  und  auf  den  bergen  des  landes:  sie  alle,  das  ^elov  yivog,  wie  sie 
zusammenfassend  genannt  werden,  sollen  den  'adlichen  frauen  Athens'  j 
gewähren  eine  fruchtbare  Verhandlung  zu  führen,  nun  geht  die  auf-  i 
forderung  zum  gebete  weiter;  es  folgen  die  fluchformeln  der  ekklesie, 
durchsetzt  mit  höchst  belustigenden  weiblichen  Verwünschungen,  sonst 
aber  gerade  die  welche  uns  aus  dem  psephisma  des  Demophantos  (gütig 
vom  hekatombaion  des  Glaukippos,  juli  410)  und  sonst  geläufig  sind,  ver- 
Avünscht  werden,  wer  tyrannis  für  sich  oder  andere  erstrebt,  wer  mit  ' 
den  Medern  'verhandelt,  wer  das  volk  betrügt  {i^aTtarcc  tov  dr^j.iov) 
oder  die  Versprechungen,  die  er  gemacht  hat,  nicht  hält  {(.irj  öidiooiv 
av  v7i6oyrt]TaL  rcore,  vgl.  Ar.  43,  5  eäv  riQ  vn6Gxof.i€v6g  tl  f.ir]  ttou^oj] 
TM  örjf.i(i)),  wer  besticht  oder  sich  bestechen  läfst,  wer  mafs  und  gewicht 
fälscht,  wieder  respondirt  die  gemeinde  mit  einem  bekräftigenden  liede, 
das  wieder  ganz  und  gar  dem  Staate  gilt,  die  Verwünschungen  treflen 
jetzt  jeden,  der  "die  herkömmlichen  eide  übertritt,  aus  eigennütziger  ab- 
sieht in  gemeinschädlicher  weise  Volksbeschlüsse  und  geselze  ändern  will, 
den  feinden  die  geheimnisse  mitteilt  oder  die  Meder  in  das  land  führt', 
dann  beginnt  die  Verhandlung  mit  der  Verlesung  der  tagesordnung,  die 
höchst  eorrecl  in  einem  probuleuma  des  rates  besteht. 


Die  Stimmung  in  den  chorliedern.  349 

Was  wollte  der  dichter  mit  diesen  liedern  ?  gar  nichts,  nur  eine  Schil- 
derung der  Volksversammlung  zum  Zeitvertreib?  denn  die  Thesmophoren 
geht  nicht  das  mindeste  davon  an.  blicken  wir  erst  noch  auf  die  anderen 
lieder  des  dramas.  als  sich  gezeigt  hat,  dafs  ein  mann  eingedrungen  ist, 
suchen  sie  die  pnyx  mit  lebhaften  Sprüngen  ah  und  singen  dazu  gar  er- 
schreckliche Worte  von  den  heimsuchungen  der  götlhchen  gerechtigkeit, 
die  schhefslich  jeden  frevler  ereile,  das  ist  die  feierhche  grofsmäuligkeit 
fluchender  pfaffen,  wie  sie  der  eumolpidische  ankläger  des  Andokides  im 
munde  führt;  zu  den  Sprüngen  des  weiberchores  steht  sie  in  ergötz- 
lichster weise  im  contraste,  und  gleich  fängt  sich  Mnesilochos-Telephos 
einen  als  Säugling  drapirten  weinschlauch:  hier  ist  die  parodische  tendenz 
ofTenbar.  dagegen  steht  an  einem  ruhepunkte  des  dramas  ein  grofses 
tanzhed,  das  in  lauter  einzelanrufungen  vieler  gottheiten  und  dem  ent- 
sprechend in  viele  kleine  Strophen  zerfällt,  sehr  häufig  volkstümlich  in 
rhythmen  und  formein  (953 — 1000).  dafs  es  eine  parabase  ersetzt,  sagt 
der  dichter  selbst,  da  er  erklärt,  auf  die  spottreden  zu  verzichten,  weil  die 
frauen  im  heiligtume  seien  (965).  auch  eine  anrufung,  an  Pallas  und 
die  Thesmophoren,  bietet  das  letzte  Hed  (1136 — 59),  in  dem  bemerkens- 
wert ist,  dafs  Pallas  als  die  feindin  der  tyrannen,  Iogtieq  siy.og,  wie  sich 
gebührt  und  man  ihr  zutrauen  mufs,  bezeichnet  wird  und  frieden  bringen 
soll,  der  dichter  hat  also  gerade  im  zweiten  teile,  wo  die  Thermophorien, 
nach  denen  das  stück  heifst,  gar  keine  bedeutung  mehr  für  die  hand- 
lung  haben,  dem  feste  und  der  religiösen  ceremonie  räum  geschafft,  in- 
dem er  den  für  die  handlung  auch  überflüssigen  chor  beschäftigte,  zum 
entgelte  fehlt  der  parabase  die  ode  gänzlich,  in  der  sonst  so  oft  ernst- 
hafte gebete  an  die  götter  gerichtet  werden,  die  bedeutung,  die  etwa 
in  den  Rittern  die  stolzen  siegesfrohen  öden  der  parabase  haben,  sind 
wir  verpflichtet  hier  in  den  liedern  zu  suchen ,  die  ankUngend  an  die 
feierlichen  formein  der  Volksversammlung  den  chor  der  frauen,  der  ohne 
parodos  sich  versammelt,  als  Vertretung  des  dr^fiog  ^d^r^vauov  einführen, 
auf  diese  formein  legt  der  dichter  wert,  wurden  sie  nun  410  im  früh- 
jahre  gesprochen?  schwerlich,  da  sie  Demophantos  für  den  sommer  410 
erst  neu  einsetzt,  gewifs  restituirt  er  nur  das  seit  Solon  oder  vielmehr 
Kleisthenes  herkömmliche,  aber  er  restituirt  es,  weil  es  eine  weile 
geruht  hatte:  just  in  diese  pause  setzt  die  moderne  conjectur  die 
nachbildung  auf  der  komischen  btthne.  der  fluch  trifft  in  erster  linie 
jeden,  der  die  Verfassung  zu  stürzen  strebt,  oqy.ovg  Toig  vevo^iioi-ihovg, 
das  sind  die  gehenden  eide  der  beamten,  ratsherren  und  richter,  xpi^cpio- 
(lata  y.al  voj-iorg,   das  ist  die  volksherrschaft.     ein  solcher  versuch  ist 


350  III.    8.  Die  zeit  der  Thesmophoriazusen. 

zunächst   mit  erfolg  411    gemaclit  worden:  wagt  Aristophanes  in  dieser 
andeutenden  weise  auf  die  revolution  einen  stein  zu  werfen  ?  das  wäre  selt- 
sam,  denn  es  war   gänzlich   ungefährhch   und  sehr  im  sinne  des  herr- 
schenden Volkes,    das  mit  directem  tadel  und  nicht  durch  die  warnung 
für  die  zukunft  zu  tun.    doch  sei's  drum,  wenn  jemand  unter  dieser  Vor- 
aussetzung die  furcht  vor  der  tyrannis  deuten  kann ,   die  aufser  in  der 
fluchformel   noch    einmal   im    gehele  an  Athena  erscheint,     die  tyrannis 
war  415  von  den  Athenern  gefürclitet  worden;  sie  haben  sie  wol  auch 
407  gefürchtet,  als  sie  Alkibiades  von  neuem  fallen  liefsen,  aber  im  hin- 
blicke  anf  die  revolution  von  411  hat  die  erwähnung  der  tyrannis  keinen 
sinn,   verflucht  wird  ferner  wer  den  feinden  die  geheimnisse  des  Staates  ver- 
rät,   die  feinde  stebn  in  Dekeleia,  der  verrat  war  411  zu  erwarten,  410 
war  er  begangen;  das  verträgt  sich  mit  beiden  ausätzen,    aber  auch  die 
Verhandlung  mit  den  Medern  wird  verflucht,    das  war  von  alters  her  formel 
und  hat  auch  noch  nach  dem  königsfrieden  zum  höhn  auf  die  politik  der 
zeit  sich  behauptet  (Isokr.  Paneg.  157),  aber  im  psephisma  des  Demophantos 
fehlt  CS  mit  gutem  gründe.    Athen  hat  den  versuch,  Persien  zu  gewinnen, 
im  herbst  und  winter  411/10  gemacht;  gerade  diese  hilfe  brachte  Alkibia- 
des.   410  mochte  der  Staat  die  formel  gedankenlos  fortführen:  der  dichter 
Avar  frei  in  dem  was  er  aufnehmen  oder  weglassen  wollte,  und  er  handelte 
töricht,  wenn  er  410  verfluchte  was  seines  Volkes  stärkste  hoffnung  war. 
Auf  medische   hilfe   hofl'ten    im   stillen    die  Athener   schon  411  im 
frühjahre,   gerade    deshalb   gelang  der  stürz  der  angeblich  hinderlichea 
demokratie.    aber  darum  sind  nicht  etwa  die  verse  auch  411  unschick- 
lich,   wir  müssen  nur  die  Situation  so  nehmen,  wie  sie  dem  dichter  imi 
momente  erschien ,  nicht  ex  eventu  gedeutet,     die  furchtbare  Wahrheit 
dafs  nicht  um  die  herrschaft  Siciliens  sondern   um   die   eigene   existen 
gestritten    ward,   war  den  Athenern  412   aufgegangen,   als  Chios  abfiel 
eine  äufserste  anstrengung  ward  gemacht;  allein  die  flotte  konnte  zwa 
den  weiteren  abfall  loniens  verhindern  und  die  feinde  in  schach  halten 
aber  keinen  entscheidenden  schlag  führen,    und  nun  war  der  schätz  leei 
die  einnahmen  seit  der  besetzung  von  Dekeleia  verkümmert,  den  feindei 
dagegen   zahlte   der  Perser  und    half  das   preslige   des   Alkibiades.      d 
mochten  die  meisten  sich  die  gute  zeit  des  Nikiasfriedens  herbeisehnei 
und    die   wolmeinenden,    die    Sparta    und    Athen    als   gleich    berechtigt« 
mächte  aussöhnen  wollten,  haben  in  beiden  Völkern  nicht  gefehlt,    diese 
alten    tendenz   dient   mit   neuer    glücklichster   wendung    die   Lysistrate 
aber  im  stillen  waren  andere  kräfte  tätig.    Alkibiades  hatte  immer  nocl 
einen  grolsen  anhang,  weil  man  ihn  bewunderte  und  fürchtete:  er  drohte 


Die  Stimmung  in  den  chorliedern.  351 

als  tyrann,  lockte  als  der  Vertrauensmann  des  Persers  und  der  lonier. 
der  Avunsch,  das  persische  gold  für  die  eigene  Schiffsmannschaft  zu  er- 
halten, leuchtete  den  darbenden  Athenern  der  masse  aus  den  äugen,  so 
chimaerisch  er  war.  die  abfallige  beurteilung  der  demokratie  durch  die 
sophistische  kritik  war  allbekannt;  die  vornehme  Jugend  war  mit  der 
6f.ioXoyovf.isvr]  avoia,  wie  Alkibiades  bei  Thukydides  sagt,  längst  inner- 
lich fertig,  die  litteratur,  Antiphon  noch  mehr  als  Andokides  und  seines 
gleichen,  arbeitete  auf  einen  Umsturz  hin.  die  catilinarischen  existenzen, 
verschuldete  demagogen,  advocaten,  die  früher  bündner  und  metoeken  ge- 
schröpft hatten  und  jetzt  auf  dem  trocknen  safsen,  landleute,  die  durch  die 
occupalion  Attikas  verarmt  waren,  fehlten  auch  nicht  und  lauerten  auf 
die  gelegenheit,  woher  sie  auch  käme,  im  trüben  zu  fischen,  man  ahnte 
dunkel  allgemein,  dafs  ein  stürm  bevorstand,  mochte  man  auch  nicht 
wissen ,  woher  er  wehen ,  wohin  er  treiben  würde.  Aristophanes  war 
kein  politiker;  weder  eine  tiefe  sittliche  Wirkung  noch  einen  entschei- 
denden praktischen  anstofs  wollte  oder  konnte  sein  spiel  geben,  er  war 
ein  talent  und  kein  charakter,  und  sein  nachen  fuhr  dann  am  kecksten 
und  graziösesten,  wenn  er  den  wind  der  öffentlichen  meinung  in  dem 
s<gcl  spürte,  so  weit  er  eine  politische  meinung  besafs,  gehörte  sie  den 
gut  patriotischen,  aber  weder  wirklich  demokratischen  noch  geradezu 
reaclionären  kreisen  an,  die  etwa  Nikias  gegen  Kleon  und  Alkibiades 
vertreten  hatte,  seine  stücke  gefielen,  so  oft  er  diesen  ton  traf:  das 
war  also  die  öffentliche  meinung.  in  diesen  kreisen  wollte  man  weder 
viin  den  Persern  etwas  v/issen  noch  von  Alkibiades  noch  von  einer 
revolution;  es  sollte  so  gut  gehn,  wie  es  gegangen  war,  man  wollte  sich 
gern  mit  Sparta  vertragen,  aber  herrschen  wollte  man  natürhch,  davon 
lebte  man  ja.  wie  man  aus  der  not  herauskommen  sollte,  das  wufste 
man  freiUch  nicht,  aber  dafür  hatte  man  die  himmhsche  helferin  Athena, 
oder  minder  fromm  und  minder  resignirt  geredet,  man  vertraute  auf  das 
prestige,  die  grofsen  traditionen,  die  volkskraft,  die  demokratie.  und 
so  kann  in  einer  zeit  der  angst  und  der  sorge  vor  dem  kommenden  noch 
mehr  als  der  not  und  gefahr,  die  rings  von  aufsen  drohte,  der  dichter 
seine  mahnung  in  die  form  kleiden,  dafs  er  jeden  verflucht,  der  an  dem 
bestehenden  rechte  rüttelt,  indem  er  die  officielle  fluchformel  aufnimmt. 
'vor  der  revolution,  vor  dem  tyrannen  ,  vor  dem  verrate  an  die  feinde, 
vor  dem  transigiren  mit  dem  Perser  bewahre  uns  gott  in  gnaden.'  das 
ist  gesagt,  als  alles  dies  drohte,  kurz  ehe  alles  oder  fast  alles  dennoch 
hereinbrach;  die  lieder  der  Thesmophoriazusen  sind  ein  Stimmungsbild 
aus  dem  Athen  des  frühjahrs  411. 


352  III.    8.  Die  zeit  der  Thesmophoriazusen. 

Die  Lysislrate  führt  die  frauen  als  friedensstifterinnen  ein.  gleich 
genial  ist  die  erfindung,  wo  sie  in  derbster,  natürlicher,  nicht  schmutziger 
komik  spielt,  und  wo  sie  ihre  heldin  mit  den  Zügen  der  gottin  ausstattet, 
der  drji^iog  yvvar/.iov  betet  in  den  Thesmophoriazusen  für  den  Staat, 
und  seine  verhandhing  bildet  die  einkleidung  für  die  intrigue  des  stücke?, 
ist  es  nicht  psychologisch  ganz  einleuchtend,  dafs  Aristophanes,  als  er 
die  Lysistrate  fertig  und  den  gedanken  concipirt  hat,  Euripitles  von  den 
frauen  zur  Verantwortung  ziehen  zu  lassen,  das  motiv  der  frauenherr- 
schaft,  das  ihm  das  fertige  stück  bot,  noch  im  köpfe  eine  weile  fort- 
spinnt, (1.  h.  die  Tiiesmophoriazusen  so  wie  sie  sind  im  unmittelbaren 
anschlufse  an  die  Lysistrate  dichtet? 

Für  mein  subjectives  urteil  besitzt  eine  solche  beobachtung  ganz  be- 
sonderes gewicht;  aber  sie  gehört  zu  denen,  die  man  niemandem  auf- 
zwingen kann,  für  mein  empfinden  sind  die  Thesmophoriazusen  411 
allein  denkbar,  dieses  empfinden  will  ich  niemandem  aufdrängen ;  aber 
um  so  entschiedener  fordere  ich,  dafs  der  Status  causae  nicht  verrückt 
werde,  also  steht  es:  411  ist  das  überlieferte  datum  für  die  Thesmo- 
phoriazusen. die  aufgäbe  der  Wissenschaft  ist  sie  unter  dieser  Voraus- 
setzung zu  erklären,  oder  aber  jene  Überlieferung  zu  überwinden,  dies 
mag  ein  anderer  versuchen;  ich  habe  mich  auf  jenes  beschränkt.  — 
Das  lied  Als   postille   gebe  ich  die  beiden    wichtigsten   lieder  in  metrischer 

ableilung  und  kurz  erläutert;  sie  bedürfen  und  verdienen  das.  auf  die 
unsinnigen  personenverteilungen  lasseich  mich  nicht  ein;  es  ist  selbst- 
verständlich, dafs  die  chorverse  der  chor  singt,  die  gemeinde,  und  die 
stücke,  die  sie  einleiten,  eine  frau  spricht,  einen  namen  kann  ich  der 
nicht  geben,  denn  sie  vereinigt  in  sich,  was  in  der  Volksversammlung  der 
herold,  der  epistates  der  prytanen  und  der  Schreiber  zu  besorgen  hatten : 
hier  aber  ist  es  eine  person,  sintemal  der  dichter  nicht  mehr  unter- 
scheidet, wie  die  scene  gespielt  ward,  ist  im  allgemeinen  wenigstens 
vorstellbar,  seitdem  als  local  die  orchestra  feststeht,  in  der  alles  sich  ab- 
spielt, aber  von  dem  einzelnen  wissen  wir  schlechterdings  nichts  und 
können  wir  nichts  wissen. 

deyjjfieO^a  y.ai  d-etov  yävog  AiröfieO^a  ralod'   lu    ev^alg 
rpavevTag  ertixaQfjvai. 
315  Zev  /.i€yaXiuvv/ii£  yovoo'J.vQa  xe 
Jfj).ov  og  leQav  ty^ig, 

y.ai  ov  Tcayy.Qateg  yÖQa  yXavvMrtL  xQvöö/.oyxe  ttÖ'/.lv  oi- 
y.ovGa  n8Qij.iäyj]Tov,  ild^e  öevQO. 
320  y.ai  7to/.viörv/.i€  ■O-r^Qocfön]  ^arotg  yqvoiömöog  lovog 


Das  lied  313-30.  353 

ov  re  7tövrie  oeavh  Iloaeidoi' 

7tqoXiTtu)v  /.ivxov  IxO^vöevTa 

oiöTQodöviqrov 
325  NrjQeog  uvä/uat  t€  Y.öqai  Nv(.i(faL  t    oQsiir/.ayxroi. 

XQvoa  dh  (poQi-iiy^  ia^rjoeiev  tu'   svxcdg 

rj/LiSTegaig,  relecog  d     ey.xkrjOidoai/,i€v  ^dd^rivwv 

evyevelg  yvvaueg. 
Es  steht  zuerst  ein  katalektischer  iambischer  tetrameter  und  katalek- 
tischer  dimeter.  dieses  Stückchen  beginnt  aucii  das  folgende  chorhed,  beide 
sprechen  die  Zustimmung  zu  der  pruclamation  vorher  aus:  sie  respondiren, 
dafs  nur  der  anfang  eines  liedes  respondirt,  ist  eine  erscheinung,  die  in  der 
komoedie  öfter  vorkommt,  wichtig  für  die  kritik,  aber  zu  weitschichtig 
für  eine  gelegenthche  erledigung.  das  gebet  ist  in  daktyloepitriten  ge- 
halten, nicht  pindarischen  natürlich,  sondern  solchen,  wie  sie  die  wirk- 
hchen  cultlieder  boten,  gerade  ihre  dem  pindarischen  stile  fremden 
demente  sind  die  metrisch  interessantesten.  4  d,  2  e.  {isqccv  exeig  mufste 
statt  €X£ig  hgav  gesetzt  werden)  5  e-J-ithyphallicus,  4  d  -j-  2  d  (die  glosse 
■;ic(l  hinter  ^i]Qocp6vrj  von  G.  Hermann  beseitigt),  sehr  bemerkenswert, 
dafs  in  ;^ptffW7rf(5og  eine  zusammenziehung  zweier  kürzen  zugelassen 
ist.  das  von  mir  enhoplisch  genannte  glied,  e.  (so  braucht  man  aXi^iedov 
nicht  anomal  zu  messen),  enhoplisches  glied,  2d,  4d  +  2e,  das  erste 
e  mit  einer,  das  zweite  mit  zwei  unterdrückten  Senkungen,  wie  z.  b.  i/jis 
Wolßs  ool  de  TavT^  ccqeot'  eu]  bei  Sophokles  (0.  T.  1096)  u.  0.  2  iam- 
liLU,  mit  einer  unterdrückten  Senkung,  +  reizianum,  3d  -j-  3d,  ithyph. 
—  die  Verwendung  des  ithyphaUicus  ist  aus  der  tragoedie  geläufig, 
das  enhoplische  glied  habe  ich  schon  bei  Stesichoros  aufgezeigt,  mit  dem 
ithyphaUicus  vereint  bildet  es  ja  erst  den  eigentUchen  evörtXiog  bei 
Archilochos.  merkwürdig  aber  ist,  dafs  auch  hier  das  reizianum  ganz 
wie  in  der  komoedie  und  den  enhoplischen  dochmien  vorkommt,  es  ist 
liier  unverkennbar,  denn  yQvod  für  das  überlieferte  /^tfff'a  ist  keine 
auderung;  ein  ithyphaUicus  xQvoia  re  fpÖQj-iiyS,  pafst  nicht  für  den 
anfang  des  salzes,  iaxijoeiev  in  axrjoeiev  zu  ändern  ist  falsch,  da 
Aristophanes  rix^lv  gesagt  haben  müfste.  aufserdem  bedenke  man  das 
euripideische  ailivov  iisv  l/r'  evTvyXL  {.ioXtccc  Wolßog  iaxsl  Tav  /.idü- 
•  Qav  kXavvtov.  hier  habe  ich  die  einzige  für  den  sinn  belangreiche  ände- 
rung  vorgenommen,  nämlich  ds  für  xe  326.  wie  kann  an  die  anrufungen 
angereiht  werden  "^und  die  goldene  laute  klinge  zu  meinen  gebeten'? 
welche  laute?  es  wird  uns  wirklich  zugemutet,  nichts  hierin  zu  finden 
V.  Wilamowiu,  Arisioieles.    II.  23 


354  III.    8.  Die  zeit  des  Thesmophoriazusen. 

als  "^und  zu  meinem  liede  soll  der  musicanl  die  violine  spielend  das 
wird  der  hoUViitlicli  schon  längst  tun,  sonst  ist's  zu  spät,  aber  eine 
goldene  laute  wird  ihm  der  chorege  schwerlich  spendirt  haben ,  die 
gehört  nur  dem  xQioo/.vQag,  der  eben  angerufen  war,  nein,  dies  sätzchen 
ist  in  poetisch  persönlich  gewandter  rede  was  der  lierold  vorher  mit  t/} 
fcaiwv  itj  Ttaiutv  xfxiQcofiev  gesagt  hat.  'und  die  goldene  laute  stimme  ein'; 
wenn  sie  einslimmt,  so  gewährt  der  gott  die  bitte,  dafs  er  gerade  das 
tun  soll,  wo  doch  das  ganze  göttergoschlecht  gepriesen  wird,  liegt  daran, 
dafs  ein  lied  diesen  preis  enthält,  aber  es  würde  schwerlich  unmittelbar 
versländlich  sein,  wenn  nicht  eine  stalue  des  Apollon  auf  der  bühne 
(also  wohl  auch  auf  der  pnyx)  stünde:  fiicc  xov  ^AitöXUo  xovxovi  sagt 
der  alte  748,  wo  nur  die  philologie,  die  mit  parallelstellen  statt  mit  an- 
schauungen  wirtschaftet,  an  den  Apollon  Agyieus  denken  kann:  ein 
prellstein  steht  vor  jedem  hause,  aber  hier  gibt  es  kein  haus,  wir  sind 
ja  auf  der  pnyx.  von  den  avaxA?j(7£fg,  die  zumeist  formelhaft  sind,  sei 
nur  die  schöne  Schilderung  des  meeres  erläutert,  \.ivyoc,  lyd-voeig.  oIotqo- 
ö6vr]Tog  ist  die  meerestiefe,  die  von  den  fischen  in  der  brunst-  und 
laichzeit  (wenn  sie  der  olorgog  treibt)  gleichsam  erdröhnt,  weil  ihr  to- 
bendes gewimmel  die  stille  der  meerestiefe  stört,  an  die  zUge  der  tun- 
fische denkt  er. 
Das  licd  ^vvevx6f.ieGd^a  rilea  fiev  ycolsi,  relea  de  d^/.i(i) 

raö     €uy/.iaT    tAyeveoO^ai. 
355  Tor  6    uQiGT     ooaig  TCQoarj-/.€L 

vi'Äciv  Xeyovoag,   buÖGai  ö'   e^aTcariu- 
Giv  TcaQaßaLvovGL  xe  xovg 
OQ-Äovg  xovg  vevo(.iiG(.ievovg 
360       '/.sqÖwv  eive'/  ht\  ß^^ccßi] 
T]  ijjrjfplGfiaxa  -Aal  v6(.iovg 
C)]X0LG     avxt/iis&ioxävat 
XaJCOQQTjXa   xs  xolGiv   l- 
Xd^Qolg  xolg  r^f.i€X€Qoig  XtyovG^ 
365       ri  Blridoig  ejtäyovOL  xfj 

XLÖqu     —     —     ~     —     — 


353—71. 


aXk    w  7Vay/.Qaxeg  Zev, 
370  (^Gv)  xaCxa  -AVQCoGeiag,  tuGÜ-'  rjilv  ^eoig  .caQaGxcaelv 
y.ai7ceQ  yvvai^lv  ouGaig. 
den  anfang  machen    die    mit   dem   vorigen  respondirenden   iamben,    die 
Dindorf  durch  die  ergänzung  von  h  geheilt  hat.     ly.yeveG&ai   steht  so 


Das  lied  353—71.  355 

Fried.  346,  wo  V  die  praeposilion  weggelassen  hat.  ianiben  bilden  auch 
den  schlufs,  den  ich  durch  eine  ganz  leichte  ergänzung  in  schick  ge- 
bracht habe:  ein  dochmius,  vollends  am  anfange  der  letzten  periode,  hat 
keinen  platz.  355 — 58  sind  normale  ioniker,  359 — 65  normale  glykoneen, 
verbunden  durch  synaphie,  wenn  man  nicht  dem  komiker  zutraut,  wie 
im  trimeter  auch  hier  den  arlikel  vor  eine  pause  gesteht  zu  haben,  die 
glykoneen  sind  teils  sicher  verbunden,  teils  ist  die  Verbindung  möglich; 
al)er  einmal  ist  hiatus.  so  behandelt  sie  Sophokles  meistens,  wo  ich 
T,r  xcoQa  und  das  zeichen  einer  lücke  gesetzt  habe,  steht  rr^g  xcogag 
ovrey.' Ifcl  ß^-ccßf]  aoeßovoiv  aör/.ovoL  te  ti^v  no/.iv.  das  erste,  durch 
mechanischen  fehler  aus  360  wiederholt,  wird  man  leicht  los,  aber  die 
einer  glaubhchen  messung  widerstrebenden  worte  kann  ich  auch  nur 
als  interpolirt  betrachten,  sie  sollen  einen  nachsatz  zu  der  relativischen 
aufzäblung  der  frevler  geben;  aber  was  will  das  heifsen  'wer  das  und 
(las  tut,  begeht  einen  verstofs  gegen  fas  und  iiisV  diese  triviale  decla- 
ralion  soll  der  chor  abgeben,  "^das  und  das  ist  Sünde?'  und  dann  fährt 
er  fort  "^das  mache  wahr,  allmächtiger  gott\  was  denu  ?  dafs  das  sünde 
ist?  heller  unsinn.  wir  haben  ja  die  litagä  vor  uns;  der  nachsatz  mufs 
sein  l^tüleig  elev  avxol  y.al  ykvog  ro  h'/.eLviov.  das  war  der  sinn 
des  fehlenden;  ob  man  wie  ich  die  überheferten  worte  als  interpolation 
ausweist  oder  irgendwie  als  letztes  ghed  der  aufzäblung  'und  alle  sünder 
überhaupt'  einrenkt,  ist  ziemlich  gleichgillig.  hier  bin  ich  ganz  sicher; 
aber  dafs  ich  iprifpLof-iaTa  /.al  v6(.iovg  für  \p.  /..  v6f.iov  setzen  mufste, 
war  mir  unbehagüch.  ich  kann  den  singular  nicht  verstehn  und  würde 
t;ern  belehrt  werden. 


23^ 


9. 
DIE  REDE  FUß  POLYSTßATOS. 


Vergeblich  hat  man  sich  bisher  bemüht,  zwischen  Thukydides  und 
dem  einzigen  documente  Übereinstimmung  zu  schaffen,  das  aus  der  procefs- 
litleratur  des  revoUitiousjahres  411  erhalten  ist.  jetzt  kläien  das  die 
Urkunden  auf,  die  bei  Aristoteles  stehn,  und  die  ich  mit  den  I  101  ffg. 
ge\Yahlten  nummern  bezeichnen  will,  A  der  beschlufs  des  Pylhüdoros, 
B  der  der  avyygacprjg,  C  der  der  szazov. 

Der  redner  für  Polystratos  sagt  von  diesem,  dafs  er  von  den  phyleten 
zum  mitgliede  der  vierhundert  gewählt  war  (2),  dafs  er  yMzaloyevg  war 
(13)0,  und  besonders  14  omog  ovts  oixoaai.  rj^ekev  ovte  v.caaXiyeLV 
a).)J'  aiTOv  rjvayy.a^ov  Ircißolag  E:cißcx)J.ovteg  zal  trjiLOvvreg'  £iT£t 
d'  r^vay/.üO&i]  y.al  lotiiooe  rov  oqv.ov,  o/.xCo  r^f.ieQag  doeXd-wv  dg 
rb  ßov?.£VTr^Qiov  l^ivclsi  €ig  ^EqeTQLav  /.ai  Idöy.ei  e/.ei  tr^v  ipvx^v 
ov  TcovriQog  elvca  iv  ralg  vaif.iayjaig  y.al  T£rQCü/.ievog  ösvq'  t]?.O^s 
y.al  i]dr^  i.uTe7tE7tror/.ei  tu  ;cquyf.iaTa.  halt  mau  dazu  den  schlufs- 
passus  Bb,  wo  die  beslellung  der  y.araXoyr^g  durch  die  phyleten  vor- 
geschrieben wird,  welche  ihres  amles  walten  sollen  6f.i6ocepT€g  y.aif' 
leQÖjv  xü.Eiwv,  so  leuchtet  unmittelbar  ein,  dafs  der  erwähnte  dem  /.ara- 
XeysLv  vorhergehende  eid  eben  der  in  dem  volksbeschlusse  geforderte  ist, 
dafs  also  die  phyle  Leontis  den  Polystratos  von  Deirades  zum  yataLoyelg 

1)  Es  ist  natürlich  Übertreibung,  was  liier  steht,  dafs  der  einzelne  y.axaloytvs, 
um  keinem  der  Sr^fiörai  wehe  zu  tun  (d.  h.  der  leute  aus  dem  voike,  keineswegs 
seiner  gemeindebürger  aus  Deirades:  diese  bedeutung  von  Si^fiöxTjs,  in  poesie  und 
prosa  des  5  jhdts  nicht  selten,  wird  oft  verkannt,  auch  in  Sr^/uoTixöe,  demokrat, 
geändert),  9000  statt  5000  wählte,  er  stimmte  mit  ja'  oder  trug  so  viel  ein, 
dafs  es  9000  geworden  wären ,  wie  das  nun  auch  war.  ira  t6v  fiav  ßovXöfievov 
iyyqcKpov,  st  Se  rcp  fifj  olöv  t'  «'/;,  x^Q^^o^'^o.  d.  h.  er  liefs  nur  die  weg,  welchen 
die  lasten  des  bürgerrechtes  zu  schwer  waren:  es  sollten  ja  die  loli  ;^o7;^afft  y.ul 
Tols  awuaat  SvvaTajjazoi  sein. 


HI.    9,  Die  rede  für  Polystratos.  357 

erwählt  hat.  das  war  etwa  im  munichion  des  Kallias.  aber  mit  dem  eid- 
schwiir  läfst  der  redner  den  eintritt  in  den  rat  zusammenfallen,  denn 
8  tage  darauf  geht  Polystratos  nach  Eretria  ab.  es  ist  undenkbar  unter 
dem  hier  erwähnten  eide  einen  anderen  als  zwei  Zeilen  vorher  zu  ver- 
stehen :  also  ist  es  nicht  der  ratsherreneid.  undenkbar  ist  es  auch,  in  Poly- 
stratos einen  ersatzmann  für  irgend  einen  verstorbnen  der  400  (etwa 
seinen  nachbarn  Phrynichos  von  Deirades)  zu  sehen,  undenkbar  seine  ab- 
fahrt nach  Eretria  mit  der  des  Thymochares  und  seiner  flotte  gleich- 
zusetzen (Thuk.  8,93),  der  ja  erst  ende  metageitnion  des  Theopompos 
ausfuhr,  der  redner  spricht  vor  leuten,  die  alles  eben  selbst  erlebt 
hatten,  er  konnte  nicht  die  Stellung  als  '/.ajaXoysvQ  mit  der  als  ratsherr 
willkürhch  vermischen,  seine  worte  verlangen  vielmehr  die  auffassung, 
dafs  die  wähl  zum  y.aTaXoysvg  die  zum  ratsherrn  in  sich  schlofs.  nach 
dem  beschlusse  Bb  sollen  die  100  -/.ataXoyqg  aus  den  über  40  jähr 
alten  bürgern  durch  die  phyle  gewählt  werden ;  nach  dem  beschlusse  Cb 
die  400  ratsherren  aus  derselben  kategorie  auf  dieselbe  weise,  nur  sollen 
die  phylen  eine  grofsere  anzahl  als  400  praesentiren ;  über  den  modus 
der  auswahl  aus  den  ttqo-aqitoi  ist  nichts  vorgeschrieben,  in  wie  weit 
der  letztere  beschlufs  aber  wirklich  durchgeführt  sei,  sagt  Aristoteles 
nicht:  natürlich  ist  man  zunächst  verbunden  zu  glauben,  dafs  nach 
dem  beschlusse  verfahren  sei,  und  Aristoteles  mag  es  selbst  geglaubt 
haben,  die  Athener  hatten  aber  in  den  y.araloyr^g  bereits  100  genau 
ebenso  qualificirte  und  genau  eben  so  gewählte  männer,  wie  sie  sie  für 
den  rat  wünschten,  hineingekommen  würde  die  mehrzahl  von  diesen  wol 
sicher  sein,  auch  wenn  eine  neuwahl  stattgefunden  hätte,  hören  wir  also 
von  einem  zeitgenössischen  redner,  dafs  die  wähl  zum  y.ciTa).oy€vg  mit  der 
zum  ratsherrn  gleichgesetzt  wird,  so  scheint  mir  die  erklärung  geboten, 
dafs  das  volk,  sei  es  in  einem  amenderaent  zu  C,  das  Aristoteles  nicht 
gekannt  hat,  sei  es  in  einem  weiteren  beschlusse,  die  aufnähme  der  100 
in  den  rat  verfügt  hat."^)  der  Irrtum  des  Thukydides,  dafs  schon  in  der 
Versammlung  auf  dem  Kolonos,  wo  mit  Bb  in  Wahrheit  nur  die  -/.ara- 
loyr^g  eingesetzt  wurden,  die  400  gewählt  wären,  wird  nun  bedeutend 
leichter,  ich  wage  aber  noch  weiter  zu  gehen.  Thukydides  erzählt,  Pei- 
sandros  hätte  auf  dem  Kolonos  durchgesetzt,  dafs  das  volk  5  TtqöedqoL, 


2)  Ich  recline  mit  absieht  nicht  mit  dem  was  ich  doch  wahrscheinlich  gemacht 
zu  haben  glaube,  dafs  Aristoteles  die  Urkunden  in  einer  rede  des  Theramenes  ge- 
funden hat,  also  gar  nicht  mehr  über  die  geschichte  wufste,  als  sie  selbst  auch  uns 
bieten,  in  diesem  falle  ist  alles  selbstverständlich,  was  ich  erst  wahrscheinlich 
machen  will. 


358  in.    9.  Die  rede  für  Polystralos. 

diese  wiederum  100  ratsmännor,  jeder  von  diesen  drei  weitere  erwählte, 
die  cooptation  von  je  dreien  durch  die  100  y.aTce/.oyrjg  scheint  mir  für 
den  späteren  Zeitpunkt  sehr  glaubhch.^)  die  5  ^rcQoedgoi  sind  freihch 
rechthch  und  officiell  eben  so  wenig  vorhanden  gewesen  wie  die  5 
ecpOQOt,  404^):  tatsächhch  mag  ein  actionscomite  der  clubbisten  nicht 
nur  existirt,  sondern  die  wählen  geleitet  l)aben. 

In  Eretria  hat  Polystratos,  der  ratsherr  von  Athen,  so  lange  als  die 
Oligarchie  sich  hielt,  das  commando  geführt,  als  cfQovQaQxog.  die  cumu- 
lation  der  ämter,  die  sonst  unglaublich  wäre,  befremdet  nicht  unter  einem 
regimente,  das  für  normale  Verhältnisse  die  platzcomniandanten  wie  alle 
höheren  beamten  aus  dem  rate  besetzen  wollte  (actenstück  Ca)  und  für 
die  Übergangszeit  die  besetzung  dieser  stellen  eben  dem  rate  überlassen 
hatte  (Cb).  nach  der  tendenz  der  aristokraten ,  wie  sie  Peisandros  bei 
Thukydides  verfolgt,  nnifsten  sie  in  den  Heichstädten  schleunigst  einen 
dem  attischen  analogen  Umsturz  der  Verfassungen  bewirken^);  dazu  brauch- 
ten sie  einflursreiche  und  zuverlässige  leute,  die  sie  am  ehesten  unter 
sich  fanden.  Polystratos  empfahl  sich  militärisch,  da  er  im  selben  jähre 
in  Oropos  commaudirt  hatte:  er  mufs  aber,  obwol  der  redner  es  natür- 
Uch  verschleiert,  auch  politisch  den  leitenden  männern  garantien  für. 
seine  gesinnung  gegeben  haben,  in  Wahrheit  waren  wol  die  leute  von 
70  Jahren,  die  einen  durch  den  krieg  entwerteten  grundbesitz  hatten 
und  im  Staatsdienste  ergraut  waren,  alle  für  die  beschränkung  des  demos 
auf  die  5000:  das  schlofs  den  landesverrat  des  Antiphon  oder  die  ganz 
gemeine  gesinnungslosigkeit  der  Peisandros  und  Phrynichos  nicht  in  sich, 
die  rechenschaftsklage  hat  dann  Polystratos  für  seinen    commandanten- 


3)  Man  selie,  wie  viel  schlagender  §  2  nun  wird,  da  wird  Polystratos  damit 
entscliuldigt,  dafs  er  von  den  phyleten  gewälilt  ist.  das  zieht  nicht,  wenn  alle  400 
in  gleichem  falle  waren;  es  ist  ein  kräftiger  beweis,  wenn  es  nur  ein  viertel  war. 

4)  Lysias  12,43.     der   advocat  läfst  gar  keinen  zweifei  darüber,   dafs  dieser 
von  den  clubbisten  eingesetzte  wolfahrtsausschufs  mit  dem  Staate  nichts  zu  schaffen  i 
hatte,     wie    weit  er  von   dem  revolutionären   treiben  der  clubbs  unterrichtet  war,  ' 
können  wir  nicht  sagen;    aber  an  sich  ist  der  bericht  nicht  unglaubwürdig,     liöch- 
stens  möchte  man  bezweifeln,  ob  Eratoslhenes  von  der  parlie  war. 

5)  Thuk.  8,  69.     vgl.   die   leider  von   seinen  gesinnungsgenossen  nicht  beher- 
zigte maxime  des  Schriftstellers  der  l4&?]vai(ov  IloXireia  3, 10,  die  zu  Thukydides  [ 
stimmt,    wenn  Polystratos  eine  Oligarchie  in  Eretria  eingerichtet  hat,  so  kann  man  j 
ihn  von  der  mitschuld  an  dem  Verluste  von  Euboia  nicht   freisprechen ;   ich   würde  | 
ihn  auch  zu  der  geldbufse  verurteilt  haben,    von  den  kleruchen  auf  Euboia  ist  mit 
ausnähme   der  zu  einer  gemeinde   zusammengeschlossenen    in   Oreos-Hisliaia    nicht 
die  rede:  sie  werden  zum  kleinsten  teile  auf  ihren  landlosen  selbst  gewohnt  haben 
und  kamen  in  der  Vereinzelung  nicht  in  betracht. 


III.    9.  Die  rede  für  Polystratos.  359 

posten  über  sich  ergehen  lassen  müssen,  und  dafs  der  commandaut,  der 
eine  feslung  verloren  hat,  vor  gericht  dafür  büfst,  erscheint  in  Athen, 
und  nicht  blofs  da,  in  der  Ordnung,  die  angaben  der  rede,  so  weit  sie 
verständlich  sind,  stimmen  zu  dieser  auffassuug  von  dem  amte  des  Poly- 
stratos.") 

Seine  rechenschaft  legte  er  sofort,  nachdem  er,  in  der  schlacht  bei 
Eretria  verwundet,  nach  Athen  zurückgekehrt  war  und  die  Oligarchie 
schon  beseitigt  angetroffen  halte,  also  unter  der  vielbelobten  gemäfsigten 
Verfassung,  der  reiche  mann,  der  zwei  söhne  bei  den  reitern  dienen 
lassen  konnte,  ward  zu  einer  hohen  summe  verurteilt,  die  er  bezahlte 
oder  vielmehr  zur  rechten  zeit  zahlen  konnte  und  wollte.'')  er  hatte 
eine  Verteidigung  kaum  versucht,  denn  seine  söhne  waren  im  kriege, 
und  der  demot  des  Phrynichos,  der  phrurarch  von  Eretria  war  so  un- 
populär, dafs  er  keine  entlastuugszeugen  fand.®) 

Das  urleil  war  rechtskräftig  und  inappellabel,  trotzdem  ist  es  zu 
einer  zweiten  klage  gekommen ,  in  der  dieselben  ankläger  auftraten  ^), 
die  ebenfalls  nur  geldslrafe  beantragten,  aber  eine  so  hohe,   dafs  nicht 


6)  Entscheidend  ist  §  17,  dessen  Zeugnisse  sich  diejenigen  vergeblich  haben  ent- 
ziehen wollen,  die  in  der  aq/J]  des  Polystratos  lediglich  seine  Stellung  als  ratsherr 
sehen  und  seinen  auszug  nach  Eretria  erst  mit  der  flotte  des  Thymochares  ge- 
schehen lassen.  eCnoi  av  tiS  otc  xs^daiveiv  enid'vficLiv  i^inXevaev ,  coansQ  svioi 
r^onatov  xal  t'<f>EQOv'  ovSsis  roiwu  av  einoi.  oncos  zi  {ris  ottcoS  X)  rcäv  vjueTe'ocov 
e/Ei ,  a).Xa.  itävxa  fiakXov  xarr^yo^oZaiv  rj  eis  rijv  aQx^v,  es  ist  ebenso  einleuch- 
tend, dafs  die  a.Qx^  in  dem  ixulevaai  besteht,  also  nicht  in  der  ratsherrnstelle,  wie 
dafs  jemand,  der,  etwa  als  officier,  in  der  höchsten  not  ein  schiff  besteigt  um  den 
gegenwärtigen  feind  anzugreifen,  nicht  in  den  verdacht  kommen  kann,  erpressungen 
und  Unterschlagungen  zu  beabsichtigen,  beides  pafst  dagegen  auf  den  phrurarchen. 
§  6  ist  corrupt  und  wird  unten  besprochen. 

7)  Es  steht  nur  cüfle  da,  §  14. 18,  und  er  brauchte  die  strafe  (aSiy.i'ov  natür- 
lich) erst  im  mai  410,  vor  der  neunten  prytanie,  zu  bezahlen  (Ar.  54,  2).  sie  kann 
natürlich  mit  den  y^or^fiaxa,  um  die  es  sich  jetzt  in  der  rede  dreht,  32,  nichts  zu 
tun  haben,  denn  an  dem  ersten  urteil  ist  nichts  zu  ändern;  wenn  die  strafe  nicht 
bezahlt  wird,  ist  die  execulion  oder  die  atimie  nnvermeidlich.  ganz  unmöglich  ist 
es  wol  nicht,  dafs  der  redner  blofs  die  Verurteilung  in  die  bufse  angeben  konnte, 
auch  wenn  sie  mittlerweile  bezahlt  war.  aber  da  Polystratos  gesetzlich  ziemlich 
ein  halbes  jähr  ausstand  für  die  Zahlung  frei  hatte,  wird  die  einfachste  interpretation 
den  Vorzug  verdienen. 

8)  Dafs  Polystratos  in  contumaciam  verurteilt  wäre,  ist  ein  handgreifliches 
misverständnis  von  §  8.  wenn  i'^r^uos  eine  nähere  bestimmung  dessen,  der  fehlt, 
nötig  hat,  so  folgt  eben  ein  satz,  der  den  mangel  an  entlastungszeugen  näher  anführt. 

9)  Das  wird  nicht  ausdrücklich  gesagt,  aber  die  Unterscheidung  der  früheren 
und  der  jetzigen  gegner  würde  sonst  zweifellos  gemacht  werden. 


360  in.    9.  Die  rede  für  Polystialos. 

blofs  der  verklagt«,  sondern  aiicli  seine  erben  notwendig  der  bürger- 
lichen ehrenrechte  verlustig  gehen  mufsten,  wenn  die  Verurteilung  einJ 
trat  (§  32).  aus  diesem  processe  besitzen  wir  einen  teil  der  verteidi-^ 
gungsreden.  es  liegt  in  dieser  wiederaufnähme  der  anklage  eine  Schwie- 
rigkeit, auf  deren  beseitigung  viel  Scharfsinn  verwandt  ist.  ich  kann  die 
modernen  gedanken  nicht  für  glücklich  halten'");  dagegen  entspricht  die 
überliefeite  bezeichnung  dr^uov  /.arcc/Xasiog  ano'l.oyia'^^)  durchaus  der 
Wahrscheinlichkeit,  die  ganze  rolle,  die  Polystratos  in  der  Oligarchie  ge- 
spielt hatte,  gab  zu  einer  eisangclie  unter  mehr  als  einer  begründung  räum: 
luv  Tig  xbv  öfii-iov  xov  läd-r^vauov  -/.aTaLir,  i]  ovvlrj  tcol  etc)  '/.arcikvoeL 
TOv  örjfiov  T]  eTaiQr/.dv  ovrayayjj ,  /j  Idv  rig  7c6)uv  riva  7tQoö(i)  rj 
vavg  y.ri  heifst  es  in  dem  späteren  vouog  nGay/Elriy.ög,  und  nur  daS; 
ist  ungewifs,  welche  form  die  entsprechenden  gesetzlichen  bestimmungen 
und  der  processgang  im  fünften  Jahrhundert  hatten ;  schätzbar  können 
diese  vergehen  sehr  wol  gewesen  sein ,  da  es  die  evd^vvat  waren, 
dafs  in  Zeiten  der  reaction  der  politische  hafs  und  die  gemeine  syko- 
phantenberechnung  trotz  allen  gesetzlichen  cautelen,  ja  trotz  den  feier- 
lichsten aninestieschwüren  mittel  und  wege  gefunden  hat,  lediglich  recri- 
minatorische  anklagen  zu  erheben,  dafür  liefert  Lysias  nur  zu  viel  un- 
erfreuliche belege,  und  dafs  mitgheder  der  400  lediglich  auf  diesen 
namen  hin  bürgerlich  tot  gemacht  worden  sind,  lehrt  der  beschlufs 
des  Pythokleides  von  404.  bei  Polystratos  ward  die  sache  vollends 
durch   seine   doppelstellung   als   ratsherr   und  phrurarch  erleichtert,     in 


10)  Dafs  der  zweite  procefs  von  den  logisten  instruirt  ist,  folgt  mit  nichten 
aus  §  10  ot  i^ev  tov  Biov  anavra  novrjgol  ovres  ;^^j;ffTot  iv  rw  ^oyiarrjgic^  yeye- 
vrjVTcu,  ot  Ss  ael  v/üv  xor^aTol  r,aav ,  ovroi  7tovt]ooL  denn  wenn  man  auch  die 
bezeiclinung  des  locales  mit  in  den  zweiten  salz  tiineinbezielien  wird,  so  geht  es 
eben  nur  auf  den  ersten  procefs.  übrigens  Mürde  die  sache,  gesetzt  es  wäre  eine 
avd'vva,  doch  vor  den  ihesmoteten  verhandelt  sein  (Ar.  -IS,  5).  der  versuch  von  Pohl, 
neben  den  tv&vvat  auch  eine  yoafrj  tv&vrcLV  anzunehmen,  ist  rechtlich  nur  mit 
der  modificalion  Hildebrandts  [Commenf.  pliiiol.  Motiac.  179)  denkbar,  dafs  es  sich 
um  eine  private  ei&vva  (Ar.  48,  4)  gehandelt  hätte,  aber  dort  steht  auch,  dafs 
diese  binnen  drei  tagen  einzubringen  war.  das  geht  zn  schnell  für  unsern  procefs, 
bei  dem  die  drei  söhne  aus  dem  felde  zurück  sind,  durchschlagend  ist,  dafs  in  der 
ganzen  rede  von  einem  rechenschaftsprocefs  nicht  die  rede  ist,  im  gegenteil  §  22 
ovros  i/ulv  diy.r^v  Sidcoy.ev  oiSev  vfius  aSiacov  evd'is  uetol  t«  ngäyfiaTa  Steht, 
worin  beiläufig  bemerkt  eine  hübsche  anspieluiig  ist,  wenn  die  Verurteilung  aSixiov 
erfolgt  war. 

11)  Harpokrat.  UolvaToaros.  dafs  in  X  die  Überschriften  gänzlich  werllos 
sind,  weil  vcn  einem  unwissenden  menschen  aus  den  reden  selbst  abstrahirt,  kann 
die  von  guten  grammatikern  des  altertums  gelieferten  nicht  discreditiren. 


in.    9,  Die  rede  für  Polystratos.  361 

Wahrheit  verhielt  es  sich  wol  so,  dafs  die  ankläger  von  dem  zahlungs- 
fähigen alten  manne  noch  mehr  herauszuschlagen  hofften*^),  am  liebsten 
als  abfindungssumme.  aber  auch  bei  den  richtern  konnte  sich  die  rück- 
sicht  auf  die  leeren  staatscassen  sehr  leicht  mit  der  demokratischen  rach- 
sucht  vereinigen. 

Als  dieser  procefs  zur  Verhandlung  kam,  war  die  demokratische 
Strömung  schon  völlig  herrschend,  die  vielbelobte  herrschaft  der  5000 
wenigstens  im  prinzipe  überwunden.'^)  dafür  aber  waren  die  drei  söhne 
des  Polystratos  aus  dem  felde  in  die  Winterquartiere  heimgekehrt,  der 
älteste  aus  dem  Ilellespont,  also  nach  den  erfolgen  des  Thrasyllos.  es 
wird  also  im  frühling  410  gewesen  sein.")  die  söhne  liefen  gefahr,  statt 
eines  beträchtlichen  erbteils  die  bürgerliche  ehrlosigkeit  des  vaters  erben 
zu  müssen  und  vielleicht  ohne  jeden  persönlichen  grund  als  Volksfeinde 
für  immer  gebrandmarkt  zu  werden,  so  versuchten  sie  den  vater  zu 
retten,  und  der  mittelste  führte  das  wort,  da  er  als  einer  der  wenigen 


12)  Wenigstens  uird  diese  insinuation  ziemlich  unverblümt  vorgetragen,  7.  10. 17. 
und  als  einmal  ein  anständiger  mann  sich  bei  Lysias  eine  rede  bestellt  hat,  hat  der 
ladicale  advocat  selbst  das  treiben  seiner  Parteigenossen  gezeichnet  25,  25.  bei- 
läufig, es  sieht  nun  fesf,  dafs  diese  rede  aus  den  monafen  maijuni  400  ist,  ganz  wie 
Blafs  vermutet  hatte,  die  Jahreszeit  folgt  daraus,  dafs  es  sicli  um  eine  dokimasie 
handelt,  der  terminus  post  quem  ist  die  eroberung  von  Eleusis,  die  eben  unter 
Xenainetos  401/0  fällt  (Ar.  40,4).  an  das  folgende  jähr  kann  man  wol  nicht  denken: 
in  den  processen  des  Sokrates  und  Andokides  weht  ein  ganz  anderer  wind. 

13)  §  16  und  17  avros  avrtö  evvoiararös  iaziv  b  Sijftos,  mit  absieht  mehr- 
deutig gesagt,  so  dafs  man  nicht  erkennt,  ob  die  volle  demokratie  schon  in  kraft 
getreten  ist  oder  erst  beschlossen,  das  decret,  das  jeden  Umsturzversuch  verfehmt, 
ist  in  der  ersten  prytanie  des  neuen  Jahres  gefafst,  Andok.  I  96;  (wenn  der  rat 
diesmal  nicht  wie  im  Vorjahre  schon  vor  Jahresanfang  antrat:  das  wird  dadurch 
wahrscheinlich,  dafs  nicht  nach  dem  archon  dalirt  wird):  aber  die  demokratische 
hocliflut  mufste  schon  da  sein,  als  die  demen  und  pliylcn  diese  candidaten  für  die 
auslosung  praesenlirten. 

14)  Die  heldentat  des  jüngsten  sohnes,  28,  setzt  eine  bedrohung  der  Stadt 
voraus,  genau  wie  sie  Xenoph.  Hell.  I  1,  33  für  das  frühjahr  410  beschreibt,  die 
zeugen  für  die  haltung  des  ältesten  im  Hellespont  müssen  mit  Thrasyllos  nach  dem 
zweiten  treffen  bei  Kynossema  heimgekehrt  sein  (Xen.  Hell.  I  1,  9).  vielleicht  kann 
hier  die  conjectur  eine  geschichtliche  tatsache  entdecken,  es  ist  überliefert  oi  av- 
ar^aTEvaäfieroi  otrtres  iv&dSs  ovtss  rjre  iv  EllrjOTiövrco.  das  ist  unerträglich, 
denn  niemand  sagt  so  für  o'hives  iv  'E}.Xr,aTiüvrco  yeröuevot  sv&aSs  ears.  ich 
denke,  das  war  oItives  fiexa  Aeovxos  rjrs  iv  ED.r^aTtövxto.  der  Stratege  Leon  war 
in  Samos  während  des  sommers  (Thuk.  8,  73);  was  er  weiter  getan  hat,  ist  nicht 
überliefert.  —  dafs  man  den  bandet  des  Polystratos  noch  weiter  herunterrückt,  ist 
schon  deshalb  unwahrscheinlich,  weil  die  erfolge  des  Alkibiades  und  die  dadurch 
ganz  veränderte  stiirmung  nirgend  zu  spüren  sind. 


362  III.    9.  Die  rede  für  Polystralos. 

überlebenden  des  sicilischen  feldzuges  aul'  Sympathie  rcclinen  konnte,  die 
Verteidigungsrede  versucht  nun  in  Wahrheit  nicht  einen  beweis  für  die 
Unschuld  des  valers,  sondern  führt  nur  hilligkeits-  und  entschuldigungs- 
gründe  für  ihn  ins  feld.  dagegen  behandelt  mehr  als  ein  drittel  der 
rede  allein  die  Volksfreundlichkeit  der  sühne,  und  nur  hierfür  werden 
zeugen  aufgerufen,  nun  versteht  es  sich  ja  von  selbst,  dafs  Polystratos 
auch  gesprochen  hat,  und  da  uns  seine  rede  fehlt,  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern ,  dafs  wir  die  Verteidigung  wider  die  eigentliche  anklage  nur 
ungenügend  kennen  und  demgeniäfs  auch  über  die  anklage  nicht  klar 
sehen,  es  stimmt  dazu,  dafs  die  erhaltene  rede  eines  prooemiums  ent- 
])ehrt,  obwol  schon  die  nennung  des  namens  in  §  1  beweist,  dafs  der 
redner  so  w'ie  wir  lesen  angefangen  hat.  aber  diese  tatsache  selbst  will 
verstanden  sein,  dafs  sich  nicht  mehr  von  der  Verteidigung  erhalten  hat, 
also  (da  an  zufällige  Verstümmelung  nicht  zu  denken  ist)  nur  so  viel  in 
die  öfTentlichkeit  kam.  als  rhetorisches  muster  ist  dies  stück  nicht  er- 
halten ;  es  ist  das  werk  eines  wenig  geschulten  Atheners,  eben  deshalb 
für  die  litteraturgeschichte  kostbarer  als  manche  glatte  aber  leere  decla- 
mation.'^)  wenn  ein  solches  stück  veröffentlicht  ist,  so  hat  der  Inhalt 
dazu  bestimmt:  es  ist  das  persönliche  renommee  des  redenden  sohnes 
und  seiner  familie,  der  dies  plaidoyer  dienen  soll,  so  gut  wie  Andokides 
sich  bald  darauf  mit  seiner  zweiten  rede  rehabilitiren  wollte,  trotzdem 
sie  keinen  praktischen  erfolg  gehabt  hatte,  mag  auch  der  ausgang  des 
processes  gewesen  sein,  wie  er  wolle  (ich  glaube  aber,  dafs  er  für  den 
verklagten  günstig  war):  der  junge  mann,  der  für  seinen  vater  auf- 
getreten war,  wünschte  vor  dem  publikum  als  ein  unverdächtiger  und 
hochverdienter  demokrat  dazustehn  ^%  und  die  misgunst,  die  er  wirklich 
ohne  sie  zu  verdienen  von  den  vater  erbte,  wo  möglich  von  der  ganzen 
familie,  jedenfalls  von  sich  abzuwälzen,  darum  hatte  er  einen  '/.oyoTtoiog 
gedungen,  darum  verbreitete  er  die  rede,  mit  weglassung  des  seiner  sache 
schwerhch  besonders  günstigen,  jedenfalls  für  seinen  zweck  entbehrlichen, 
dafs  die  rede  sich  erhielt,  war  ein  glücklicher  zufall:  als  sie  aber  erst 
unter  den  schützenden  namen  des  Lysias  getreten  war,  teilte  sie  das 
Schicksal  von  dessen  reden,     und  dafs  sie  in  die  auswahl,  von  der  wir 


15)  Vielleicht  lag  dem  redner  Antiplions  Verteidigungsrede  vor.  auf  sie  lial 
Blafs  sein  fragment  79  bezogen  ra'cos  fiev  yao  6  no'/.is  xqövos  rov  o).iyov  ntaro- 
reoos  r;v.  denselben  gedanken  findet  man  liier  10.  er  lag  freilich  nahe  genug, 
vgl.  z.  b.  Gorg.  Palam.  34. 

16)  Tydeus  26,  und,  wenn  ich  recht  vermutet  habe,  Leon  29  werden  genannt; 
das  sind  namen  von  vollstem  demokratischem  klänge. 


III.    9.  Die  rede  für  Polystratos.  363 

eine  handschrift  haben,  aufnähme  fand,  ist  ein  weiterer  zufall,  für  den 
wir  der  kritiklosigkeit  des  auswählenden  dankbar  sein  müssen. 

V>ie  gut  oder  schlecht  der  redeschreiber  seine  sache  gemacht  hat, 
haben  wir  zu  lernen,  nicht  ihm  vorzuschreiben,  ich  beabsichtige  nicht 
mit  den  Umstellungen,  die  modernen  kritikern  gefallen,  mich  auseinander 
zusetzen,  von  der  auszugshypothese  ganz  zu  schweigen,  aber  ich  nehme 
allerdings  auch  daran  anstofs,  dafs  die  beteiligung  des  Polystratos  an 
dem  rate  der  400  und  seine  nichtbeteiligung  an  den  debatten  im  rat- 
hause zweimal  erzählt  wird,  und  kann  6 — 8  neben  16.  17  schlecht  ver- 
tragen,  besser  gesagt,  ich  verlange  eine  erklärung  dafür,  dafs  1 — 10 
schon  eingehend  erörtert  ist,  dafs  die  Zugehörigkeit  zu  den  400  den 
Polystratos  nicht  belastet,  und  doch  13 — 17  dieselbe  sache  von  neuem 
abgehandelt  wird,  mir  bat  sich  (keineswegs  erst  jetzt)  die  lösung  er- 
geben, dafs  1 — 10  ein  ganz  anderer  fürsprecher  das  wort  hat  als  der 
«ohn,  der  mit  11  anhebt,  es  hat  ja  gar  keinen  anstofs,  dafs  es  mehrere 
sind;  und  dafs  derselbe  redeschreiber  ihnen  die  reden  macht,  und  diese 
dann  zusammen  veröffentlicht  werden ,  ist  zugestandenermafsen  in  der 
rede  wider  Phormion  und  in  der  ApoUodors  wider  Neaira  geschehen 
(Dem.  34  und  59). 

Man  fange  nur  an  zu  lesen  und  merke  auf,  wo  man  erfährt,  dafs 
der  Sprecher  ein  söhn  des  Polystratos  ist:  das  ist  erst  in  §  11.  von  da 
ab  geht  es  durch,  und  konnte  denn  dieser  von  den  sühnen  des  Poly- 
stratos sagen  o  f.iEv  ev  '^.iv.eXLu.  r^v ,  ot  d'  ev  BotioTolgV)  der  in 
Sicilien  war  er  ja  selber,  der  söhn  sagt  Ttcog  nv  ovv.  av  ösiva  Ttäo- 
Xoif.iev  15,  Tj  dsLvä  rav^^)  rcäd^oii^iev  19,  öeiva  (5'  av  TcäS^oii^iev  36: 
hier  heifst  es  deivbv  öe  fioi  doy.el  €ivat,  10.  nirgend  wagt  jener  ein 
lyd.  d  ryovj.iai  a^iovg  eivai  rovrovg  /nrjösv  Ttäaxsiv  5:  was  liegt  den 
richtern  daran,  wie  der  angeklagte  über  die  billigkeit  denkt?  so  spricht 
ein  mann ,   dessen  wort  gewicht  hat.     und  sollte  wirklich  der  söhn  mit 


IT)  Seltsam,  dafs  im  frülijahr  411  die  beiden  söhne  in  Boeotien  sind,  von 
denen  der  ältere  im  herbst  bei  Kynossema  gefochten  hat,  der  jüngere  in  der 
attischen  reiterei  diente,  die  mit  dem  Sicherheitsdienst  gegen  die  festung  Dekeleia 
genug  zu  tun  hatte,  dafs  Athen  damals  einen  vorstofs  gegen  die  Boeoter  machen 
konnte,  ist  interessant  genug.  Thukydides  hat  über  diesen  kriegsschauplatz  kaum 
etwas  erfahren:  wir  kennen  die  niederlage  der  Boeoter  am  Kolonos,  an  die  das 
drama  des  Sophokles  anknüpft,  und  den  sieg  des  hipparchen  Pythodoros,  dessen 
denkmal  in  den  Athenischen  Mitteilungen  XIV  veröflentlicht  ist. 

18)  Tj  Ssiva  ayav  X.  roi  nicht  ye  hinter  j}  ist  der  Stil  des  fünften  Jahr- 
hunderts, wie  das  drama  lehrt;  auch  dort  ist  es  meist  entstellt,  wie  es  der  krasis 
zu  gehn  pflegt,  wo  sie  von  alters  her  bezeichnet  ward. 


364  III.    9.  Die  rede  für  Polystratos. 

dem  eingange  glück  zu  machen  geglaubt  haben  "meines  erachlens  solltet 
ihr  euch  durch  das  blofse  wort,  das  ist  einer  der  400,  nicht  gegen 
jemanden  einnehmen  lassen,  denn  es  hat  unter  ihnen  auch  gutgesinnte 
gegeben,  wie  diesen  Polystratos."  weder  redet  man  so  von  seinem  eignen 
vater,  noch  gibt  ein  junger  mann  den  herren  heliasten  solche  belehrung. 

Nun  wird  man  sagen,  dafs  die  erste  rede  und  die  zweite  nicht 
scharf  abgegränzt  sind,  ganz  gewifs.  aber  da  ist,  urteile  man  sonst  wie 
man  wolle,  der  text  nicht  in  ordnimg  "ich  halle  es  für  arg,  wenn  je- 
mand, der  nichts  wider  die  demokrafie  im  rate  beantragt  hat,  ebenso 
behandelt  werden  soll,  wie  die  welche  das  getan  haben,  und  wenn  der  in 
acht  tagen  ein  schurke  geworden  sein  soll,  der  70  jähre  ein  guter  bürger 
war,  und  die  ihr  leben  lang  nichts  taugten  vor  dem  rechnungshofe 
biedermanner  werden,  und  die  allzeit  biedermänner  waren  schurken.'^)! 
y.aiToi'^^)  in  der  vorigen  Verhandlung  hat  man  meinem  vater  unter  andern- 
falschen  beschuldigungen  auch  nachgesagt,  dafs  er  mit  Phrynichos  ver- 
wandt war.  dagegen  {-/mItoi)  erkläre  ich:  lege  wer  das  beweisen  kann 
in  der  für  meine  Verteidigung  mir  zugemessenen  frist  zeugnis  ab."  w-as 
soll  das  erste  -/.airoLl  auf  jenes  rhetorische  enthymem  öeivöv  ^uol  öoy.et 
elvc(L  kann  sehr  gut  ein  y.airoi  folgen,  aber  der  satz,  der  da  folgt, 
schliefst  sich  überhaupt  nicht  an,  und  am  wenigsten  mit  v.ulxoi.  und 
die  beiden  Sätze  hinter  einander  können  vollends  so  nicht  anfangen, 
ich  wage  darüber  nicht  zu  entscheiden,  ob  wir  jenes  y.aixoi  tilgen  sollen: 
in  dem  falle  ist  der  bruch  der  continuität  da,  wie  ja  wirklich  eine  ganz 
neue  gedankenreihe  einsetzt  und  ein  neuer  ton;  oder  ob  hinter  /.aixot 
der  schhifs  der  ersten  rede  ausgefallen  ist  und  dann  möglicherweise  auch 
ein  anfang  der  zweiten,  was  ich  nicht  glaube,  wer  eine  lücke  annimmt, 
kann  freilich  auch  eine  ergänzung  ersinnen,  die  die  beiden  paragraphen 
10  und  11  wirklich  verbinde:  die  dubletten  und  den  verschiedenen  ton 
beseitigt  er  doch  nicht. 

Besprochen  mufs  noch  ein  paragraph  der  ersten  rede  werden,  weil 


19)  Es  ist  ganz  falsch,  die  beiden  letzten  dieser  sätze  als  selbständige  fragen 
zu  fassen,  gedacht  sind  sie,  wie  der  gedanke  zeigt,  als  weitere  Ssivd,  slehn  also 
dem  El  nsiaerai  ganz  parallel,  nur  ist  Polystratos  wirklich  trotz  seinen  siebzig 
Jahren  im  rechnungshofe  verurteilt  wie  ein  schurke,  also  trifft  die  hypothetische 
Partikel  ei  niclit  zu,  wenn  sie,  wie  sie  uns  scheint,  rein  hypothetisch  ist.  das  ist 
sie  nicht:  Seivov  fioi  Soxei  slvat,  el  ol  novTj^ol  x^^f^^d  ysys'vTjvrai  ist  so  gut  grie- 
chisch wie  d'avfiä^co  —  si  —  yeyt'vrjvrai  oder  oft  eh'yxsiv  —  si.  die  spräche 
empfindet  etwas  anders  als  die  unsere. 

20)  Kaiiot  Ei>  [t£]  lais  Tioöreoov  xarr^yaoiai?.  natürlich  ist  die  dittographie 
mit  den  abschritten  zu  tilgen,  nicht  in  ein  müssiges  ye  zu  ändern. 


III.    9.  Die  rede  für  Polystratos.  365 

er  geschichtliche  angaben  macht,  "man  macht  ilim  zum  Vorwurf,  dafs 
er  viele  ämter  bekleidete;  das  ist  doch  nichts  schhmmes,  sondern  aul 
das  wie  kommt  es  au ,  6.  ovrog  de  jiqujxov  /.dv  ag^as  Iv  "^gurto) 
ovte  7CQoeöco/.€  y.al  kiioav  jColiTtiav  y.aveoTr^os,  tlov  a'/j.ojv  aiiav- 
TOJV  oooL  riQXOv  -/.aTuvcQodövtojv  xa  jCQdyuaza.  dl  ö'  ovi  v/Cff.uivav 
'/.arayvovzeg  ocpüJv  avtcop  döi/.elv,  o  öe  rjyov/iieyog  {.ir^ösv  rjöi7.r]y.€vaL 
öi'ATjv  ölöcüoi.  und  die  schuldigen  kommen  frei,  weil  sich  die  ankliiger 
bestechen  lassen;  wer  ihnen  kein  geld  gibt,  wird  zum  schuldigen  ge- 
stempelt^'), und  es  macht  keinen  unterschied,  ob  einer  im  rat  einen  antrag 
gestellt  hat  oder  nicht  u.  s.  w."  hierin  sind  zwei  schlimme  sprachliche 
anstüfse:  ocTS..yMl  ist  so  wie  es  hier  steht  kein  griechisch,  und  wo 
wäre  ein  zweites  ghed  zu  jcqütov  /.lev'^  gewifs  braucht  das  nicht  in 
der  grammalischen  form  streng  zu  entsprechen,  aber  wer  jCQcotov  uev 
sagt,  hat  ein  zweites  glied  im  gedanken,  und  der  gedanke  mufs  irgendwo 
zu  tage  kommen,  wo  ist  er  hier?  es  ist  nicht  im  mindesten  zweifelhalt, 
was  der  redner  gewollt  hat.  den  Vorwurf,  dafs  Polystratos  viele  ämter 
verwaltet  hat,  will  er  dadurch  entkräften,  dafs  er  nachweist,  er  habe  sie 
gut  verwaltet,  die  aQ^i]  iv  'QoioTtfö  ist  die  erste :  wo  sind  die  andern  ? 
die  Stellung  im  rate  ist  freilich  auch  eine,  und  in  sofern  pafst  die  fort- 
setzung  in  diese  gedankenreihe,  in  der  über  des  Polystratos  verhalten 
im  rate  gehandelt  wird,  aber  da  ist  die  form  der  disposition  fallen  ge- 
lassen, und  es  fehlt  ja  auch  gerade  das  wichtigste  amt,  das  in  Eretria. 
wegen  dieses  amtes  hat  sich  Polystratos  gerade  gestellt,  während  die 
andern  schuldigen  oder  verdächtigen  sich  fern  hielten,  was  er,  zumal 
als  verwundeter,  sehr  bequem  auch  hätte  tun  können,  der  söhn  führt 
das  auch  aus,  14.  21.^-)  22.  also  genau  da,  wo  die  grammatik  einen 
schaden  zeigt,  fehlt  für  den  sinn  etwas,  und  noch  mehr,  dg^ag  iv 
'£2Qiü7t(^  ovT€  7tQO£Öioy.€,  das  pafst:  denn  Oropos  gieng  ende  februar  411 
durch  verrat  verloren  (Thuk.  8,  60).  wenn  der  platzcommandant  bald 
darauf  gerade  nach  Eretria  geschickt  ward,  das  schon  damals  bedroht 
war,  so  mufs  er  allerdings  von  jedem  verdachte  frei  gewesen  sein,  dafs 
er  an  dem  Verluste  schuld  trug,     aber  das   folgende  y.al  krigav  jco/.l- 


21)  Sehr  gut  steht  aStxovvras  dnotpairovai.  denn  der  nachweis  ist  in  diesem 
falle  von  den  anklbgern  erbracht;  Polystratos  ist  dSiniov  verurteilt. 

22)  Mit  denen  die  sich  dadurch  dem  Strafgerichte  zu  hause  entziehen,  dafs  sie 
im  felde  bleiben,  wird  vornehmlich  der  unglückliche  Stratege  von  Eretria  Thymo- 
chares  gemeint  sein,  der  nach  dem  Hellespont  gieng,  Xen.  I  1,1,  allerdings,  wenn 
Xenophon  genau  ist,  von  Athen  aus.  dafs  einer  der  Sa'y.a  uvroy.^ärooes  der  Oligarchie 
sein  amt  fortgefütirt  hat,  ist  bemerkeusweit. 


366  III-    9.  Die  rede  für  Polystratos. 

Tsiav  ■/Mzearr^oe  pafst  unmöglich  auf  Oropos^),  das  ein  castell  im  unter- 
tanenlande  war,  wo  es  unter  athenischer  herrschalt  niemals  eine  ver- 
lassung gehen  konnte,  und  tlov  a'Ü.cov  a7tävriov  oGoi  riqyov  y.axa- 
TCQoöovTiov  Tcc  7CQäy(.iaTa:  das  pafst  auf  Oropos  auch  nicht,  wo  doch 
keine  mehrzahl  von  ccQxovzeg  gewesen  sein  kann,  da  doch  seihst  Imbros 
Skyros  Salamis  je  unter  einem  heamten  stehen,  und  der  cpQovQaQxog 
in  den  7c6Ä€ig  auch  ein  einzelposten  ist.  das  können  also  nur  die  ag- 
yovxeg  h  Evßoia  sein,  das  ergehnis  ist  unanfechtbar:  es  ist  eine  grofsere 
liicke  hinter  TtQoedio/.e,  in  der  mindestens  die  agyr]  kv  'Egergla  erwähnt 
war;  oh  das  y.al  mehr  als  eine  aus  der  Wiederholung  der  schlufssylbe 
von  TtQOidw/.e  schlecht  gefertigte  verkleisterung  dieser  liicke  ist,  mufs 
eben  so  wie  ihre  ergänzung  dahingestellt  bleiben. 

Auf  die  vielen  schweren  Verderbnisse,  unter  denen  die  auslassungen 
besonders  zahlreich  sind,  will  ich  nicht  näher  eingehn,  zumal  ich  be- 
deutendes nicht  bessern  kann^"},  nur  eine  stelle  fordert  noch  ein  wort, 
wie  soll  man  ertragen  "avögl  s^aiTGVfievo)  gebt  ihr  selbst  des  unter- 
schleifs  geständige  angeklagte  frei"  (19).  weder  steht  ccvi]q  jemals  in- 
definit, noch  kann  man  den  richtern  sagen,  dafs  sie  auf  die  fürbitte  eines 
beliebigen  mannes,  oder  auch  praegnant,  eines  mannes,  Verbrecher  frei 


23)  Blafs  liat  daran  gedaclit,  den  namen  Oropos  in  Oreos  zu  ändern,  aber 
wenn  es  aucli  in  der  attischen  kieruchie  vielleiclit  einen  von  Atlien  eingesetzten  phru- 
rarchen  gegeben  hat,  so  ist  Oreos  eben  nicht  verloren  gegangen,  und  eine  änderung 
der  nohreia  in  den  kleruchien  ist  schlecht  denkbar,  da  vollends  zufällig  bekannt 
ist,  dafs  Oropos  zwei  monate  vor  der  einsetzung  der  400  verloren  gieng,  wird  man 
seine  erwähnung  in  einer  rede  jener  zeit  nicht  leicht  für  einen  Schreibfehler  halten. 

24)  Sprachlich  interessant  ist  23  oaov  ovSe/mäs  aroareiai  anshifd'r] ,  denn 
dafs  oaiov  nur  orthographisch  zu  verbessern  ist,  liegt  auf  der  band,  selbst  Cobet 
hat  mit  vt'os  cov  durch  arge  gedankenlosigkeit  eine  Unwahrheit  und  eine  dummheit 
dem  redner  in  den  mund  gelegt,  Scheibe  gar  oaov  ovx  ovSe/itäs  wirklich  vorgeschlagen. 
oaov  ovTtca  naorjoav  heifst  freilich  'sie  waren  nur  so  viel  abwesend,  dafs  man  eben 
sagen  kann,  sie  waren  abwesend',  aber  oaov  oaov  ariXr^v  heifst  'nur  so  viel  wie  ein 
tropfen',  oaov  ß^az'^  so  viel  wie  eine  kleinigkeit'.  also  ist  oaov  olSsftia  aroareia 
'so  gut  wie  kein  feldzug'  t]  ris  i]  ovSsuia  würde  es  ionisch  heifsen.  —  5  all'  el 

TIS  ^y.al)  oliyas  r<p|«s  a()y/i?.  —  IG  ovros  Si  [ev]  nolldls  Sr,loi  v/ulv  ort ovx 

UV  Tiare  [ev]  oxrco  r^fis^as  (gats  X)  eiaeld'Mv.  —  24  ejieiS/]  §e  Sie(pd'äQr]  (das  beer) 
y.al  aveacö&riv  (mich  zurückrettele)  eis  Karavrjv,  elrj^öfir^v  o^firnjuevos  evievd'ev 
xal  Tove  7io?.ejuiovi  xaxcoi  enoiovv  wäre  rr]  d'ecö  re  TceS  Sexäras  e^ai^ed'rjvai 
Ttleiv  rj  TOidxovxu  fiväs  xal  roTs  axQaTioJxan  eis  acoTTjQiav ,  oaoi  ev  toTs  nols- 
juiois  f,aav,  <so  und  so  viel  zur  auslösung  geschickt  werden  konnte^,  xal  enetSt} 
Karmmlot,  7~väyxat,ov  [innsveii^],  innei'ov.  —  29  tov  Se  TVoeaßLzarov  oSelcpuv  ovxoi 
(avToi  X)  Ol  avargarevö/uevoi  't'aaaiv  oi'rives  —  rjTe  ev  Ellr^anövxco.  —  30  (rj)  cov 
fiev  6  TtaTTjQ all'  ei  Sia  tr^v  rovrov  Siaßolrjv  Sei  rjfiäq  (ri^  Ttaayjiv. 


III.    9.  Die  rede  für  Polystratos.  367 

iiefsen.  es  fehlt  die  nähere  beslimmung.  einflufsreiche  fürbitter  bewirkten 
die  milden  urteile,  Theramenes  Kleitophon  Demophantos.  man  kann 
eine  lücke  annehmen ;  aber  ungleich  wahrscheinlicher  dünkt  mich,  dafs 
der  redner  einen  eigennanien  gesetzt  und  mit  diesem  den  concreten  fall 
bezeichnet  halte;  dagegen  schien  es  ihm,  als  er  die  rede  verbreitete,  klug, 
das  persönliche  zu  verwischen,  und  so  ist  der  eigenname  durch  N.  N. 
erselzt.^^)  diese  beobachtung  hat  mich  zuerst  darauf  gebracht,  den  zweck 
der  verülfenllichung  dieser  rede  und  die  müglicbkeit  ihrer  erhaltung  zu 
erwägen,  seitdem  habe  ich  den  gesammteu  nachlafs  der  redner  darauf 
hin  durchzumustern  veranlassung  gehabt;  aber  ich  möchte  meine  ge- 
danken  erst  ausreifen  lassen,  das  ergebnis  ist  zu  hübsch,  als  dafs  ich 
es  durch  voreilige  besprechung  schädigen  möchte. 


25)  Dasselbe  scheint  26  geschehen,  die  attischen  flüchllinge  führen  kleinen 
krieg  gegen  Syrakus  in  Katanas  diensten.  da  kommt  'Syrakosios'  mit  einem  ver- 
trage, den  sie  beschwören  sollen:  offenbar  bietet  er  ihnen  durchlafs,  wenn  sie  die 
insel  verlassen  wollen,  oder  ähnliches,  der  Sprecher  und  zumal  der  bekannte  Tydeus 
verhindern  das.  der  nackte  HvQaHÖaios  ist  kaum  erträglich,  auch  hier  scheint  ein 
eigenname  unterdrückt. 


10. 
DIE  HAPArPA^H  UND  LYSIAS  GEGEN  PANKLEON, 


Die  rhetorische  terniinologie  unterscheidet  als  eine  grundform  der 
fragstellung,  die  für  die  gerichtsrede  das  erste  hauptstücii  ist,  die  (.lExä- 
Xr]ipig^),  die  form-  oder  competenzfrage,  ob  das  angezogene  gesetz  auf 
den  rechtsfali  pafst,  oder  der  procefs  aus  formellen  gründen  unzulässig 
ist.  in  dem  ausgebildeten  attischen  rechte,  wie  es  die  demosthenischen 
reden  zeigen,  ist  dies  auch  schon  fast  ganz  durchgeführt,  der  beklagte 
kann  den  competenzconflict  erheben;  dann  klagt  er  wider  die  klage- 
schrift,  die  im  falle  seines  sieges  beseitigt  ist.  es  mufs  aber  angenommen 
werden,  dafs  derselbe  gerichtshof,  bei  dem  die  erste  klage  erhoben  war, 
auch  über  die  competenzklage  zu  befinden  zuständig  ist.  uns  liegt  es  zwar 
nahe,  eine  besondere  gatlung  von  klagen,  die  7caQayQarpiy.al,  zu  sla- 
tuiren,  wie  denn  die  ordner  der  demosthenischen  reden  eine  gattung 
von  diesen  als  TiaQaygarfixol  ausgesondert  haben,  und  gewifs  wären 
die  thesmotheten  ihrer  ursprünghchen  bestiramung  nach  geeignet  ge- 
wesen, nach  den  bestehenden  gesetzen,  die  sie  doch  kennen  mufsten, 
jeden  competenzconllict  zu  entscheiden,  nüligenfalls  darüber  ein  beson- 
deres geiicht  zu  berufen,  es  ist  aber  zu  einem  besonderen  processe  der 
jcaoayqacfi]  und  einem  besonderen  gerichtshofe  nicht  gekommen,  weil 
diese  feinlieit  der  juristischen  distinction  erst  allmälich  vor  unsern  äugen 
durch  die  praxis  gefunden  wird. 

Wir   erfahren  durch  Isokrates  (18,  2),   dafs  Archinos*)   ein  hesou- 


1)  R.  Volkmann  Rheloiik  84. 

2)  Aiciiinos  gab  das  treffliche  gesetz  im  inteiesse  der  Versöhnung:  die  syko- 
plianten,  einmal  zu  woite  gelassen,  hätten  ihren  ganzen  geifer  spucken  können,  wie 
das  Lysias  in  der  rede  gegen  Philon  am  unerträglichsten  tut,  und  die  richter  hätten 
dann  dem  der  Oligarchie  bezichtigten  xaräßa  tcaiäßa  entgegengeschrieen,  so  ist  die 
praktische  politik  hier  die  anregende  Ursache;  aber  eine  logische  fortbildung  des 
rechtlichen  gedankens  liegt  darin,  und  diese  hat  weiter  gewirkt. 


III.    10.  Die  TtaQayoatf^  und  Lysias  gegen  Pankleon.  369 

(leres  gesetz  durchbrachle,  durch  welches  eine  naQctyqaif'i]  mit  beriifung 
auf  die  amnestie  in  jedem  falle  zugelassen  ward:  also  war  das  sonst 
nicht  nötig,  sondern  stand  im  belieben  des  gerichtsherru ;  und  ferner 
der  ursprünglich  angeklagte,  der  als  TtaQayQaipä/tievog  kläger  geworden 
war,  das  erste  wort  haben  sollte:  also  war  das,  trotzdem  es  die  logik 
fordert,  noch  nicht  allgemeiner  gebrauch. 

Einen  beleg  hierfür  liefert  die  rede  des  Lysias  wider  Pankleon.  sie 
ist  in  einer  naQayQacpi]  gehalten,  wenn  auch  nicht  einmal  dieser  ler- 
minus,  sondern  der  allgemeine  avTiygacpi]  gebraucht  wird,  und  es  fällt 
kein  wort  über  den  gegenständ  der  eigentlichen  klage,  trotzdem  hat 
der  ursprüngliche  kläger  das  erste  wort,  aber  vollständig  ist  die  rede: 
am  Schlüsse  sollen  die  richter  abstimmen,  natürlich,  ob  die  klage  selbst 
zulässig  sei.  wir  sehen  aber  auch  das  besondere,  dafs  der  redner  sorg- 
fallig  die  Wasseruhr  jedesmal  zumachen  läfst,  ehe  er  einen  zeugen  auf- 
ruft, was  sonst  bei  Lysias  nicht  vorkommt:  offenbar  hatte  er  wenig 
wasser,  weil  diese  Vorfrage  erst  von  der  eigentlichen  abgetrennt  wor- 
den war. 

Noch  ahertümlichere  Verhältnisse  zeigt  die  rede  Antiphons  über  die 
er  mordung  des  Herodes.  der  Sprecher,  Euxitheos^),  ist  als  y.ay.ovgyog  vor 
die  elf  geschleppt  und  bestreitet  auf  das  nachdrücklichste  die  Zuständig- 
keit dieser  procefsfurm;  er  hebt  hervor,  obwol  er  auf  die  sache  selbst 
tief  eingeht,  dafs  man  ihn  aus  diesem  formellen  gründe  freisprechen 
suUte,  er  konnte  dann  ja  immer  noch  vor  den  zuständigen  richter  ge- 
zogen werden,  damals  also  war  die  nagayQaffrj  als  besonderes  reclits- 
niiltel  noch  nicht  im  gebrauch,  wenn  auch  das  gericht  aus  formellen  grün- 
den freisprechen  konnte,  es  leuchtet  aber  ein,  dafs  eine  Verhandlung,  wie 
^ie  hier  vorliegt,  die  gefahr  brachte,  dafs  die  richter  trotz  allen  formellen 
bedenken  materiell  entschieden,  und  wenn  Euxitheos  hier  freikam,  ein 
so  starkes  praejudiz  vorlag,  dafs  der  kläger  es  schwerlich  von  neuem 
vor  dem  Palladion  versucht  haben  wird,  ein  fall,  wo  ein  die  TtaQayoaq)^ 
begründender  einspruch  nicht  als  besondere  klage,  sondern  ebenso  wie 


3)  Es  ist  eine  schöne  enldeckung  von  Bohlmann,  dafs  Sopater  dem  Sprecher 
diesen  namen  gibt  (Walz  Rhet.  IV  316),  eben  wo  er  diese  rede  als  probe  der  naqa- 
yQafri  benutzt,  und  dafs  dann  unsere  liypothesis  der  rede  jünger  als  Sopater  ist, 
macht  nichts  dagegen  aus.  dafs  die  Überschriften  der  reden  namen  erhalten  haben, 
selbst  die  so  wenig  zuverlässigen  des  Lysias  den  des  Mantilheos  16,  oder  doch  zu 
Libanius  zeit  erhalten  hatten,  ist  notorisch,  aber  etwas  ängstlich  macht  mich,  dafs 
Euxitheos  auch  als  name  des  Sprechers  wider  Eubulides  eben  nur  von  Libanius  ge- 
nannt wird,  und  sehr  mytilenaeisch  klingt  der  name  nicht. 

V.  Wilarao\vi;z,  Aristoteles.    II.  24 


370  III.    10.  Die  naoctygatfii  und  Lysias  gegen  Pankleon. 

in  der  Ilerodesrede  innerliall)  des  haiiptprocesses  als  ciü  verteidigungs- 
griind  nebenher  vorgebracht  und  widerlegt  wird,  kommt  in  der  rede  des 
Lysias  wider  Pankleon  gelogenllicli  vor. 

So  ergibt  sich  ein,  wie  mich  dünkt,  eben  so  sicherer  wie  inter- 
essanter einbhck  in  die  entwickehing  des  attischen  rechtes.  — 

Da  die  Lysiasrede  wenig  verstanden  und  sogar  athetirt  ist,  benutze 
icli  die  gelegenlieit,  sie  zu  erläutern,  das  kann  mit  einer  erzählung  des 
handeis  so  kurz  geleistet  werden,  wie  die  gute  rede  selbst  ist. 

Der  klüger  hatte,  wir  wissen  nicht  was  für  einen,  handel  mit  einem 
walker  I'ankleon,  der  in  Wahrheit  ein  weggelaufener  sklave  eines  Pla- 
taeers  war,  aber  ein  geriebener  kerl,  der  es  verstand  sich  in  Athen 
herumzudrücken,  bald  den  Plataeer,  also  bürger,  bald  den  metoeken 
spielend,  und  der  auch  einen  resoluten  anhang  von  gesinnungsgenossoa 
hatte,  der  kläger  kam  mit  den  vom  gesetz  geforderten  ladungszeugen 
{y.XrixilQeg)  und  verkündete  dem  Pankleon,  dafs  er  ihn  als  metoeken  voij 
den  ])olemarchen  cilire.  Pankleon  gebrauchte  die  ausflucht.  er  wäre 
Plataeer,  also  bürger,  dem  demos  Dekeleia  zugeschrieben,  darauf  repli- 
cirle  der  kläger  "^so  lade  ich  dich  auch  vor  die  demenrichter\  er  be- 
hielt sich  also  die  wähl  des  forums  vor;  die  formalität  der  ladung  war 
in  jedem  falle  erledigt,  sich  selbst  darüber  zu  entscheiden,  erkundigte 
er  sich  bei  den  Dekeleern.  sie  kannten  den  Pankleon  nicht  als  den 
ihrigen;  dagegen  fanden  sich  praecedenzfälle,  in  denen  Pankleon  vor 
dem  polcmarchen  verklagt  und  verurteilt  war.')  die  leute,  die  so  dessen 
metoekenstand  beweisen  konnten,  stellten  ihr  zeugnis  dem  kläger  zur 
Verfügung,  so  belangte  er  also  Pankleon  vor  dem  polemarchen;  jener 
hielt  jedoch  die  behauptung,  er  wäre  Plataeer,  aufrecht:  daher  diese  vor- 
verhandlung. 

Um  für  sie  material  zu  suchen,  gieng  der  kläger  die  in  Athen  ein- 
gebürgerter Plataeer  an  und  hörte  hier  die  überraschende  tatsache,  dafs 
Pankleon    ein    entlaufener    sclave    des   Plalaeers  Nikomedes    wäre,     es 
scheint,  dafs  dieser  von  seinem  verlornen  besitze  erst  jetzt  künde  erhielt;  . 
jedenfalls   benutzte   er   die   gelegenheit,    ohne  zweifei  im  einverständnis 


4)  Wer  da  glaubt,  dafs  die  metoeken  ohne  materielle  oder  formelle  Interven- 
tion eines  patrons  nicht  rechtsfähig  gewesen  wären,  möge  gefälligst  den  patron  des 
Pankleon  angeben  oder  erklären,  wieso  von  dessen  existenz  oder  nichtexistenz  kein 
wort  fällt,  dafs  er  mit  dem  schwinde!  durchkam  und  sich  oiy.iöv  iv  JsxeXeia  (oder 
wie  er  gerade  log)  vor  dem  polemarchen  nennen  konnte,  liegt  daran,  dafs  die  me- 
toekenprocesse  nicht  nach  phylen  verteilt  wurden  (oben  I  249).  der  polemarch  und 
die  kläger  hatten  die  behauptung  auf  treu  und  glauben  angenommen. 


III.    10.  Die  naoayqacpr]  und  Lysias  gegen  Pankleon,  371 

mit  dem  Idäger,  für  den  er  als  zeuge  auftritt^),  ein  par  tage  später  den 
i^ankleon  mit  berechtigter  Selbsthilfe  als  sclaven  zu  greifen,  der  kläger 
war,  schwerlich  zufällig,  zur  stelle,  aber  Pankleon  setzte  sich  mit  seinem 
anhange  zur  wehre,  es  kam  zu  einer  priigelei,  und  schliefslich  giengen 
die  leute  auseinander,  nachdem  sie  stipulirt  hatten,  am  folgenden  tage 
wolle  Pankleon  einen  bruder  mitbringen^),  der  ihn,  sei  es  dafs  Niko- 
medes  freiwillig  zurückträte,  sei  es  durch  anstrengung  eines  formellen 
vindicationsprocesses,  frei  machen  würde,  zu  dieser  Verhandlung  er- 
schien auch,  vorsorglich  mit  zeugen,  der  kläger.  da  er  keinen  hatte, 
konnte  Pankleon  keinen  bruder  mitbringen;  er  half  sich  damit,  dafs  er 
ein  weih  vorschob,  das  dem  JSikomedes  sein  herrenrecht  bestritt,  weil 
Pankleon  vielmehr  ihr  gehöre,  ein  weih  kann  zwar  eigenthch  nicht 
besitzerin  sein,  aber  durch  die  Verhältnisse  von  erbtochlern  und  mitgift 
war  sie  es  oft  genug  factisch,  und  dafs  ihr  xvQiog  zunächst  im  hinter- 
grunde  blieb,  war  für  Pankleon  höchstens  ein  schlauer  kniff,  natürlich 
verlief  die  Verhandlung  wieder  resultatlos,  die  rotte  Pankleons  brauchte 
schliefslich  gewalt  und  befreite  ihn.  damit  war  dies  inlermezzo  zu  ende. 
Es  kam  nun  zu  der  gerichtlichen  Verhandlung,  die  sich  auf  den 
einspruch  des  als  metoeken  verklagten  Pankleon  bezog,  dafs  er  Plataeer 
wäre,  der  kläger  berichtet  und  beweist  durch  Zeugenaussagen  was  ich 
ihm  nacherzählt  habe,  aber  er  folgert  nunmehr  nicht  was  er  eigent- 
hch zu  beweisen  übernommen  hatte,  dafs  Pankleon  metoeke  wäre,  son- 
dern was  sich  ihm  wider  erwarten  ergeben  hat,  dafs  er  sclave  ist:   das 


5)  in  den  paragraphen  7.  8  wird  er  nicht  genannt,  dann  werden  zeugen  auf- 
gerufen, und  es  folgt  9  vno  Nixofirßovs  os  ifiaQTVQriOev  avrov  SsanoTiqs  elvai:  das 
heifst  'der  eben  als  zeuge  aufgetreten  ist  und  beschworen  hat,  er  wäre  sein  herr'. 
es  ist  also  für  die  wirklich  vor  gericht  gesprochene  rede  berechnet,  die  worte,  die 
man  athetiert  hat,  halten  die  ganze  rede  zusammen,  und  weil  sie  nicht  das  leere 
lemma  fiä^Tv^ss,  sondern  die  wirkliche  Zeugenaussage  voraussetzen,  beweisen  sie  am 
besten,  dafs  es  eine  wirkliche  rede  ist. 

6)  Wo  diese  prügeleien  stattfanden,  ist  gleichgültig;  man  denkt  in  Athen 
natürlich  an  den  markt,  der  wird  jetzt  genannt  in  den  worten  eni  Toiroig  iyyvTj- 
aäftevoi  TtaQs^siv  (nämlich  den  bruder)  sts  ayoQav  co^ovio  dniövrss.  neben  dem 
verbum  der  bewegung  wird  man  ein  sts  nyogäv  nur  ungern  wo  anders  hin  beziehen, 
allein  das  ist  nötig:  die  leute  giengen  nicht  auf  den  markt,  es  tut  nichts  zur  Sache, 
wohin  sie  giengen,  sie  giengen  eben  weg,  discedebant.  also  die  unbequeme  Ver- 
bindung eis  ayoQuv  naQt^eiv.  dabei  tut  wieder  nichts  zur  sache,  wohin  der  bruder 
geliefert  wird,  zumal  sonst  keinerlei  bestimmung  da  steht,  es  geht  aber  weiter, 
ifi  S'  vaxEQaiq.  dies  moment,  dafs  die  Verabredung  für  den  nächsten  morgen  galt, 
ist  wesentlich  und  ist  nirgend  ausgesprochen,  also  halte  ich  für  evident,  dafs 
TtaQE^eiv  eis  avQiov  zu  schreiben  ist. 

24* 


372  Hl.    10.  Die  ■nctQnyQafi]  und  Lysias  gegen  Pankleon. 

folgert  der  einzige  niclil  erzälileiule  sondern  raisonnirende  paragrapli  (12) 
der  rede,    zienilicli  äufserlich  angenickt  iiomml  noch  ein  heweismoment 
nach,  das  auch  sachhch  nicht  viel  hesagt.    ein  gewisser  Aristodikos  und 
ein    par   andere   leute   hezeugen,   dafs  Pankleon  vor  8  jähren  in  einem 
processe,    den    er   mit  Aristodikos   hatte,   schon  dieselbe  einspräche  er- 
hoben hatte,  er  dürfte  nicht  als  mctoeke  belangt  werden,  da  er  Plataeer 
wäre,     es   war   damals  aber  zu  keiner  besondern  Verhandlung 'über  die 
,raQayqa(pr]  gekommen,  sondern  innerhalb  der  reden  über  den  eigent- 
hchen  gegenständ  der  klage  hatte  Pankleon  seine  behauptung  gemacht, 
Aristodikos   sie   durch    einen    zeugen    widerlegt,     um  nun  das  urteil  zu 
verhindern,  hatte  Pankleon  vor  der  abstimmung  die  klage  falschen  Zeug- 
nisses wider  jenen  zeugen  erhoben.'')    allein  das  war  nur  eine  finte  ge- 
wesen, um  zeit  zu  gewinnen,    er  liefs  die  frist  verstreichen,  die  für  die 
angemeldete   klage    gesetzt   war,    und    so    ward    er   rechtskräftig   in  der 
hauptsaclie  verurteilt,     statt  nun  dem  Aristodikos  zu  zahlen,  entwich  er 
auf  eine  weile  nach  Theben,  wo  er  natürlich  nicht  als  Plataeer  sondern  | 
unter  irgend  einer  andern  fingirten  herkunft  als  metoeke  lebte,    schliefs-  ' 
lieh  zog  er  doch  vor  sich  mit  Aristodikos  zu  vergleichen,  der  froh  sein 
mochte,    einen    teil    seiner    forderung    zu    erhalten,    und    kehrte   nach 
Athen  heim. 

Diese  ganze  geschichte,  die  büchstens  beweist,  dafs  Pankleon  kein 
Plataeer  ist,  hat  nicht  viel  auf  sich;  der  kläger  hatte  wol,  ehe  er  die 
stärkere  position  durch  Nikomedes  eihiolt,  schon  Aristodikos  als  zeugen 
gewonnen  und  mochte  ihn  nun  nichl  fallen  lassen,  der  redner  findet 
auch  nur  mit  einer  gequälten  Wendung  den  Übergang  zu  dem  handel 
des  Aristodikos*)  und  bricht  kurz  ab,  mit  einem  wirkungsvollen  "das 
wird  genügen;  wejin  ihr  es  im  gedächlnis  behaltet  (nicbt  durch  die  winkel- 
züge  des  nun  auftretenden  Pankleon  verwischen  lafst),  so  werdet  ihr 
nach   recht   und   Wahrheit  entscheiden;    nur  darum   bitte   ich".^)     was 


7)  Ueber  die  modalität  der  i7iiaxT]i^'ie  xi-^evSofmQTVQicöv  ist  jetzt  kiarheit  durch 
Aristoteles  col.  37.  das  urteil  wird  natürlich  trotzdem  sofort  gefällt,  aber  nur  in 
eventum.  rechtskräftig  wird  es  erst,  wenn  entweder  die  (uns  moI  unbekannte)  frist 
für  die  einreichung  der  klage  verstrichen  ist,  oder  der  enianTj-ipäfievoi  in  ihr  unter- 
legen, dann  mufs  auf  antrag  der  obsiegenden  paitei  formell  die  rochtsgiltigkeit  des 
Urteils   ausgesprochen    sein,     das   ist   hier   e'inas   y.araSixäaaad'ai.   avrov    rvv  I^qi- 

GToSlXOV. 

8)  13  'bewiesen  ist,  dafs  er  sich  nicht  von  fern  selbst  für  einen  Plataeer  hält; 
nun  sollt  ihr  erkennen,  dafs  er  sich  auch  nicht  einmal  getraut,  euch  zu  diesem 
glauben  bestimmen  zu  können'. 

9)  olS^  ori  T«  TB  Sixnia  xni  rnlrjd'T]  y/rjqyisiad'e'  a  y.ni  (xnl  a  X)  iyo)  vfiof 


III.    10.  Die  naQayQafT}  und  Lysias  gegen  Pankleon.  373 

werden  sie  entscheiden?  der  herold  wird  rufen  "die  iiohle  für  den 
ersten  redner,  die  volle  für  den  zweiten'',  das  bedeutet,  'Sver  urteilt, 
dafs  Pankleon  kein  Plataeer  ist,  gebe  die  hohle  ab".'°)  und  wenn  er 
kein  Plataeer  ist,  geht  dann  der  procefs  zu  der  eigentlichen  klage  weiter? 
bewahre,  dann  nimmt  Nikomedes  seinen  entlaufenen  sclaven  beim  kra- 
gen und  zieht  mit  ihm  ab:  hier  wird  keiner  sein,  der  die  vindicatio 
in  libertatem  wagt,  und  im  gerichte  ist  die  rotte  Pankleons  machtlos, 
der  vogel  ist  im  garn :  diese  Stimmung  erheitert  den  redner  im  voraus, 
der  sclave  kann  freilich  nicht  vor  dem  polemarchen  belangt  werden;  in 
sofern  hat  der  ganze  ursprüngliche  rechtshandel  keinen  zweck  mehr; 
daher  kein  wort  über  ihn.  aber  der  in  zukunft  für  seinen  sclaven  haft- 
bare Nikomedes  ist  im  einverständnis  mit  dem  kläger,  offenbar  schon 
im  einverständnis  mit  ihm  gewesen,  als  er  Pankleon  greifen  wollte, 
über  den  alten  handel  des  kliigers  mit  jenem  haben  sich  die  beiden 
längst  irgendwie  verständigt,  und  das  ist  ihre  sache.  Pankleon  der  schlaue 
war  diesmal  allzuschlau,  er  wollte  sich  mit  der  einspruchsklage  um  den 
procefs  drücken:  jetzt  führt  sie  dazu,  dafs  der  procefs  freilich  hinfäUig 
wird,  aber  Pankleon  seinen  personalstand  statt  zum  bürgerrecht  hinauf 
in  die  sclaverei  zurückschraubt,  ein  hübsches  bild  aus  dem  attischen 
eben  und  dem  attischen  gerichtswesen. 


Sio/iai.  die  Überlieferung  ist  falscli,  erstens  weil  das  drille  glied  kein  gleichstehendes 
noch  ein  drittes  sein  kann,  'was  ich  bitte'  neben  'wahr'  und  'gerecht';  zweitens 
weil  dann  die  rede  keinen  klangvollen  abschlufs  hat.  was  er  bittet,  ist  eben  nur 
die  Stimmabgabe  für  gerechtigkeit  und  Wahrheit,  mit  der  bitte,  direct  ausgesprochen, 
tritt  der  redner  von  der  bühne. 

10)  Arist.  pag.  37,14.  Aischines  1,79  darf  nicht  den  eindruck  erwecken,  als 
wäre  bei  dem  heroldruf  das  materielle  der  klage  namhaft  gemacht,  obwol  er  sagt, 
10  ix  rov  vöfiov  ariovyua  "rcöv  xpr/ipcoi'  fj  rerQvnrjuet'r] ,  otco  SoheI  Tcenoovevad'at 
Tinaq'iov,  ?]  ös  n).r,or,i,  oico  firj'\  denn  er  fingirt  eine  abstimmung  ohne  reden. 


11. 
LYSIAS  WIDER  DIE  GETEEIDEHÄNDLEE, 


Ich  habe  nichts  besonderes  zu  sagen,  aber  ich  kann  mich  nicht 
enthaUen,  diese  rede  zu  erläutern,  aus  der  ich  mehrfach  für  Aristoteles 
facta  ausheben  mufste.  die  reden  sind  wirklich  damit  nicht  erschöpft, 
dafs  man  an  ihnen  die  secundanergrammatik  ül>t  oder  die  sophistische 
rhetorik  erläutert. 

Die  rede  ist  gehalten  386  in  den  ersten  monaten,  während  über 
den  Antalkidasfrieden  in  Sparta  verhandelt  ward,  aber  die  entscheiduni; 
noch  nicht  gefallen  war.*)  der  rat,  der  in  ihr  als  kläger  auftritt,  ist 
der,  welcher  jene  schmach  auf  Athen  geladen  hat,  im  friihjahr  387  von 
den  demen  praesentirt,  und  der  wert,  den  die  rede  für  die  zeitgescbichte 
hat,  liegt  darin,  dafs  wir  sehen,  wie  die  teuerung,  die  dem  altischen 
Städter  viel  mehr  als  dem  bauern,  den  hohe  getreidepreise  nicht  drücken, 
empfindlich  war,  die  Widerstandskraft  gelähmt  hat,  obwol  nach  dem  stürze 
des  Thrasybulos  gerade  die  radicalen  oben  auf  waren,  einer  von  ihnen 
begegnet  uns  hier:  sie  haben  in  kürzester  frist  das  Staatsschiff  zum 
stranden  gebracht. 

Der  rechtshandel  ist  folgendermafsen  verlaufen,  es  gieng  beim  rate 
eine  denuntiation  (eyösiBig)  wider  eine  gilde  (ein  y.oivov)  von  getreide- 
händlern  ein,   dahin  gehend,  dafs  diese  grüfsere  bestände  von  körn  als 


1)  Die  zeit  folgt  aus  14  in  Verbindung  mit  der  nunmehr  ermittelten  Chrono- 
logie der  um  den  frieden  gruppirten  tatsachen,  Mie  sie  z.  b.  die  Zeittafel  in  ludeichs 
kleinasiatischen  Studien  richtig  angibt,  es  stimmt,  dafs  der  winler  des  letztver- 
gangenen attischen  Jahres  (Pyrgion:  es  ist  arg,  dafs  ein  historiker  Pyrrhon  schreibt) 
o  TtQüTBQOi  %Ei.fi(X)v  Ist,  8.  übrigcns  mufs  damit  von  den  historikern  gerechnet  werden, 
dafs  im  winter  388y7  die  teuerung  schon  da  war.  der  Plutos,  der  anfang  388  in 
Athen  seinen  einzug  gehalten  hatte,  ist  durch  Agyrrhios  und  seine  leute  rasch  Aer- 
trieben  worden. 


III.    11.  Lysias  wider  die  getreidehändler.  375 

die  vom  gesetze  erlaubten  50  trachten  [cpoQf.iol)'^)  auf  einmal  gekauft 
hätten,  als  die  prytanen  die  sache  vor  das  plenum  brachten,  fanden 
sich  einige  heifssporne,  die  das  todeswürdige  vergehn  für  manifest  hielten 
und  die  angeklagten  ohne  weiteres  den  elf  zur  hinrichtung  übergeben 
wollten,  es  drang  aber  der  antrag  eines  ratsherrn,  aus  einer  der  nicht 
Vorsitzenden  phylen,  durch,  dafs  der  rat  zunächst  eine  Voruntersuchung 
(■/.Qioig^))  vornehmen  sollte,  die  verklagten  wurden  also  citirt,  und  in  dieser 
Verhandlung  sind  die  aussagen  gefallen,  die  der  redeschreiber,  gleich  als  ob 
sie  in  der  hauptverhandlung  schon  gefallen  wären,  seiner  rede  einverleiben 
konnte  (5).  die  verklagten  waren  der  tat  geständig,  beriefen  sich  aber  auf 
die  autorisation  des  Auytos,  der  3S8/7  oirocfvÄa^  im  Peiraieus  gewesen 
war.  auch  dieser  sammt  seinen  collegen  ward  vernommen,  konnte  auch 
nicht  leugnen  (weshalb  der  redner  seine  künftige  aussage  vor  dem  ge- 
pichte kennt),  wollte  aber  mit  der  anweisung  ganz  etwas  anderes  gewollt 
haben,  der  rat  sprach  die  yiaTayvioaig  aus,  und  nun  gieng  die  svdet^ig 
als  ^laToyvioaig  des  rates  an  die  thesmotheten,  die  ein  gericht  beriefen; 
ankläger  ist  formell  der  rat"*),  tatsächlich  der  antragsteller,  dem  auch 
als  solchem  bei  der  vorverhandlung  das  wort  zugefallen  war.  der  denun- 
tianten  geschieht  keine  erwähnung  mehr. 

Die  kornhändler  hatten  gegen  das  gesetz  verstofsen,  also  waren  sie 
schuldig;  aber  sie  hatten  getan,  was  sie  ein  grofser  volksmann  und  iiir 


2)  Es  ist  nicht  Boeckhs  schuld,  wenn  ihm  gedankenlos  nachgeredet  wird,  dafs 
der  (poQ/ios  so  viel  wie  ein  fieSifiros  wäre,  er  gibt  (Sthh.  I  116)  seine  gründe  an,  die 
darauf  hinauslanfen,  dafs  Taylor  zu  Lysias  foouos  mit  cumera  vergleicht,  und  Acro 
(auch  ein  zeuge!)  diese  auf  5—6  modien  iierechnet.  beweist  das  etwas?  ferner 
meint  Boeckh,  ein  medimnos  könnte  wol  für  eine  tracht  gellen;  SO  — 90  pfund  sind 
aber  wirklich  für  einen  lastträger  herzlich  wenig,  vor  allem  aber  bedeutet  tpoo/uos 
eben  nicht  last,  sondern  ein  Instrument  zum  tragen,  speciell  einen  korb,  und  Taylors 
vergleichung  schwebt  in  der  luft.  damit  dafs  die  Aegypler  ein  getreidemafs  haben 
sollen,  das  ein  gewicht  von  110—120  pf.  repraesentirt  (Hultsch  Metrolog.  106),  ist 
der  Boeckhsche  foouös  doch  nicht  gewährleistet,  wir  kennen  das  gewicht  des 
fOQfios  nicht;  übrigens  war  es  zunächst  gar  kein  gewicht,  sondern  ein  mafs.  dafs 
es  nicht  gleich  fie'Si/uvos  war  ist  an  sich  klar,  wozu  denn  sonst  ein  neues  wort?  es 
folgt  zudem  aus  12,  wo  xara  fitSifivov  im  gegensalze  zu  xara  v'g^oojuovs  steht. 

3)  Kotats  selbst  steht  3,  also  ist  2  ov  SeTv  avTois  axgirovs  ajiolcoh'vat  ganz 
scharf  technisch  gesagt. 

4)  6  Tjftsls  ifilv  Tta^saxöfced'a  rov  vSfiov.  die  klageschrift  wies  also  auf 
1)  den  vom  rate  festgestellten  tatbestand,  2)  die  gesetze,  gegen  die  der  angeklagte 
verstofsen  hatte,  3)  das  verurteil  des  rates.  somit  hatte  der  Vertreter  des  rates  im 
wesentlichen  nur  deshalb  zu  reden,  weil  die  herren  richter  die  acten  nicht  gelesen 
hatten,  sachlich  konnte  die  Verhandlung  nichts  neues  bringen. 


376  in.    11.  Lysias  wider  die  getreidehändler. 

nächster  aulsichtsbeamter  geheil'scn  halle,     es  war  unrechl,   wenn  man 
sie  büfsen  liefs,   es  war  ein  skandal,  wenn  man  sie  allein  büfsen  liefs. 
der   redner   empfindel    das,   aber   er   scblüpfl   darüber   mit  der  schünen 
phrase  weg,  die  schuldigen  mülsten  unter  allen  umständen  bestraft  wer- 
den;   übrigens   würden   sie  sich  gar  nicht  mit  der  berufung  auf  Anytos 
weifsbrenncn  wollen,     das  ist  eine   offenbare  Unwahrheit;   das  von  ihm 
selbst  angeführte  verhör  zeigt  es.    die  entschuldigung  des  Anytßs  ist  dem 
redner  selbst  nicht  sehr  triftig  erschienen  (10),    aber  er  gibt  sie  doch 
des  breiteren  wieder,     sie  ist  allerdings   sehr  gewunden    und  wird   erst 
in  Verbindung  mit  einigen  späteren  aussagen  (17)  ganz  verständlich,    das 
gesetz,  welches  den  kornhändlern  ein  maximum  für  ihre  einkaufe  setzte, 
war  erlassen,  um  die  ansammlung  von  grofsen  massen  getreides  in  einer 
band  zu  verhindern,  um  die  concurrenz  zu  heben  und  die  weitaussehende 
speculation  zu  unterbinden,    sind  es  viele  kleine  händler,  so  leben  mehr 
davon,  und  sie  können  uns  nicht  die  preise  machen,  dachten  diese  national- 
oekonomen.     vielleicht  gieng  es   auch    gut   in  den  zeiten,    wo  überQufs 
von  znfulir  in  den  hafen  kam.    aber  wenn  nun  ein  laslschift'  langersehnt 
ankam   und  den  preis   fordern  konnte,    wie  ihm  die  not  gestaltete,    da 
trieben  sich  die  händler  in  die  höhe,  froh  zu  jedem  preise  ihre  50  körbe 
zu   erhandeln    und   sicher   dem  hungrigen  publikum    immer   noch  mehr 
abfordern  zu  können,    da  waren  die  Schwankungen  des  preises  vielleicht 
das  peinlichste,  und  so  sehr  man  fluchte:   der  liändler,  der  heute  seine 
50  körbe  gut  eingekauft  halte,    niul'ste  plötzlich   ungemein    aufschlagen, 
weil  ihm  der  Importeur,  dessen  schiff  im  kf.i7i6qLOv  lag,  die  nächsten  50 
um  so  viel  teurer  machen  konnte,     da  bekamen  die  nationaloekouomen 
zu  fühlen ,   dafs  nur  der  capilalkräflige    grofshandel   den    preisen  einige 
stätigkeit  geben  kann,     und  es  war  ganz  brav,  dafs  der  alte  volksführer 
Anytos  die  stelle  als  oirocfvla^  nicht  verschmähte,  obgleicii  die  volkswut 
in  den  schlechlen  zeiten  den  poslen  lebensgefährlich  gemacht  hatte,    es 
war  auch  sehr  verständig,   wenn  er  den   getreidehändlern   den   rat  gab 
"bildet   einen  ring   gegen    die   Importeure  {ovvtoraG&ciL  htl  rovg  if.i- 
TtoQovg  17);  treibt  euch  nicht  gegenseilig  hinauf;  wenn  sie  ankommen, 
und  ihnen  einhellig  nur  ein  und  derselbe  preis  für  ihren  weizen  geboten 
wird,  müssen  sie  schon  zuschlagen :  hinaus  aus  dem  hafen  darf  das  ge- 
Ireide  ja   nicht",     aber  das  gesetz   der   50  körbe?     die  sache  gieng  ja 
nur,   wenn  die  kornhändler  gröfsere  lager  halten  konnten;   sie  wollten 
doch  auch  einen  profil  und  einige  Sicherheit,    da  liefs  Anytos  das  gesetz 
schlafen,  und  eine  weile  ist  es  gut  gegangen :  es  hat  ihn  keiner  bei  der 
euthyna  belästigt,     das   erzählt  er  nun   allerdings   nicht  vor  dem   rate, 


III.    11.  Lysias  wider  die  getreidehändler.  377 

sondern  er  will  ihnen  nur  in  der  teuren  zeit  geraten  haben,  sich  nicht 
gegenseitig  zu  überbieten,  lediglich  um  den  consumenten  billigeres  körn 
zu  schaffen :  sie  hätten  ja  nur  einen  obolos  am  schefFel  profitiren  sollen^)  (8). 
damit  ist  die  frage  noch  nicht  beantwortet,  und  höchstens  seine  tendenz 
gerechtfertigt  "dafs  sie  grofse  getreidelager  aufspeicherten,  hätte  er  nicht 
beabsichtigt,  sondern  lediglich  billige  getreidepreise  (10)".  das  wäre  auch 
ihre  Intention  gewesen,  konnten  die  kläger  sagen  und  sagten  sie  auch  (11), 
aber  dazu  mufsten  sie  sich  zusammentun  und  konnten  nicht  heute  50  und 
morgen  wieder  50  korbe  kaufen,  die  sache  war  klar,  sollte  man  meinen,  und 
der  rat  mitsammt  seinem  Sprecher  handeln  wider  jede  gerechtigkeit,  wenn 
sie  den  thesmotheten  nur  eine  •/.axa-ieiqoxovla  wider  die  denuntiirten, 
nicht  wider  Anytos  übergeben  haben,  das  formelle  recht  machte  ihn 
vielleicht,  als  ).6yov  y.al  ev&uvag  öeötoztog,  straffrei;  doch  darauf  in- 
sistirl  der  redner  nicht,  sondern  er  wendet  auch  das  nur  wider  die  ver- 
klagten, als  er  Anytos  schon  aufgerufen  hat  (9),  bringt  er  noch  den 
gedanken  vor  "^er  hat  im  Vorjahre  mit  ihnen  verhandelt,  das  delict  ist  aber 
in  diesem  begangen\*') 

Wenn  denn  aber  die  mafsregel  wirklich   höchstens   den    preis   ge- 


5)  JsTv  yao  oßol.ih  nwl.tlv  riuicörs^ov.  d.  li.  er  sagte  ilinen  avvoJVEiad'e  /irj 
arrcovovjusvoi  ä/.Xr^f.oiS'  iniTotnco  v/iiv ,  uXXa  6ßü}.(ö  fiörof  ri^icorsooi'  7ico).tiie. 
das  kann  er  wirklich  gesagt  haben;  bei  gröfserem  umsatz  brauchten  sie  am  scheffel 
weniger  profit.  er  kann  es  auch  jetzt  blofs  vorgeben,  der  obolos  kann  ein  starker 
ausdruck  sein,  den  niemand  wörtlich  nehmen  darf,  ein  gesetz  aber  daraus  zu 
machen,  das  den  geschäftsgewinn  in  den  billigsten  Zeiten  auf  S^/o  setzt  und  mit 
dem  steigen  des  wertes  der  waare  immer  tiefer  sinken  läfst,  ist  an  sich  sinnlos  und 
hat  weder  an  diesem  texte  noch  sonst  irgend  welche  gewähr,  aber  nötig  ist  der 
Zusatz  (nav)  oßoXcö  meines  erachtens  nicht. 

6)  Hinter  '^wtov  /adorvQa  naoi^ofiai  erwarten  wir,  dafs  auf  einen  wink  der 
herold  den  zeugen  vorführe,  und  Fuhr  bemerkt,  Lysias  mache  hinter  solcher  Wen- 
dung keine  worte  mehr,  es  geht  auch  weiter  xai  ovtos  (läv,  also  Anytos  ist  jetzt 
da;  es  ist  eine  pause  davor,  deshalb  aber  sind  doch  die  folgenden  worte  wahr- 
haftig nicht  unecht,  wer  sollte  sie  denn  interpoliren?  eine  rede  ist  kein  schulaufsatz, 
sondern  auf  inönoiais  berechnet,  es  ist  ein  wirksamer  gedanke  in  ihnen,  er  steht  auch 
an  einem  wirksamen  platze,  aber  es  lag  nicht  im  interesse  des  reduers,  auf  ihm  zu 
verweilen,  so  bringt  er  ihn  geschickt,  als  fiele  er  ihm  jetzt  noch  ein,  in  einer 
kunstpause  nach,  fasse  ich  ihn  aber  so  richtig,  so  kann  der  salz  nicht  mit  aal  tos 
OVTOS  fisv  — eine  dem  vorhergehenden  fiüorvoa  Tiu^i^oftai  untergeordnet  werden; 
weder  soll  Anytos  bezeugen,  dafs  das  delict  erst  nach  seinem  amtsjahre  begangen 
sei,  noch  kann  in  dem  satze,  in  dem  er  ideelles  subject  ist,  ovros  von  ihm  gesagt 
werden,  also  ist  ws  zu  streichen.  —  ich  möchte  noch  ein  wort  beseitigen,  gleich  im 
anfang  7ZO?J.oi  uoi  rcQoaelr^ltd'uaiv  d'uvfiu^ovres  ors  —  y.arrjyooovv,  [xal]  ?.ayovrss 
OTt  y.xe.     die  copula  ist  falsch,  id'u{iiat,ov  yäo  i.eyovxes  Sri. 


378  III.    11.  Lysias  wider  die  gelreidehändler. 

drückt  hatte,  woher  der  iiigrimin  wider  die  gelreidehändler?  das  kommt 
hinterher  heraus,  den  importeuren  war  (he  sache  natiirhch  äufserst  un- 
erwünscht, denn  wenn  ihnen  eine  geschlossene  und  capitalkräftige  gilde 
atlienischer  (d.  li.  ortsanwesender)  getreidehändler  gegenühertrat,  der  Staat 
aber  ihre  Trachten  festhielt,  sobald  sie  im  Peiraieus  lagen,  so  machten 
sie  nicht  mehr  den  preis;  sie  waren  aber  eine  längst  bevorrechtete  gilde 
und  waren  gewohnt  zwar  mit  grofsem  risico,  aber  mit  ganz  upverhält- 
nismäfsigem  gewinne  zu  arbeiten.  Athens  gesetzgebung  zeigt,  wie  zart 
man  sie  behandelte;  die  zeit  der  tcuerung  330 — 27  zeigt,  welche  macht 
sie  hatten,  wenn  Athen  politisch  mächtig  war,  sicherte  es  sich  die  fnie 
Verbindung  mit  dem  Pontos  und,  so  gut  es  gieng,  mit  den  andern  korn- 
ländern.  dann  wohnten  genug  grofshändler  und  kleinhändler  im  Pei- 
raieus, und  die  preise  waren  entweder  nicht  hoch,  oder  das  volk  war 
doch  kaufkräftig  genug,  sie  zu  zahlen,  dann  sind  die  afircoQOi  keine 
macht,  aber  jetzt  war  die  zufuhr  bedroht,  und  der  frieden,  der  in  sieht 
war,  gab  die  eroberungen  des  Thrasybulos  preis,  da  galt  es  mit  den 
importeuren  gut  zu  stehn,  und  ihnen  opferte  man  zwar  nicht  den  Anytos, 
aber  wol  die  kleinen  getreidehändler,  (.liToi/.oi  avd-QwncoL  (was  jene  auch 
waren)  und  xa/rj^Aoi  (was  diese  nicht  waren,  wenn  man  sie  gewähren 
liefs,  wie  Anytos).  diesem  interesse  dient  der  Sprecher,  und  für  die 
grofshändler  hat  Lysias  diese  rede  geschrieben. 

Die  rede  wollen  wir  nun  betrachten,  das  sophistenwerk,  das  nicht 
als  ein  Schaustück  von  nä&og  und  rjd^og,  um  der  d€iv6r)]g  oder  xccQig 
willen  geschrieben  oder  publicirt  ist,  sondern  um  den  procels  zu  ge- 
winnen und  dann  um  politische  Stimmung  zu  machen,  der  Verfasser 
liefert  nur  für  gutes  geld  seine  feder;  die  ihn  bezahlten,  hatten  es:  er 
ist  ein  mensch  ohne  jede  persönliche  gesinnung.  darum  kann  er  hinter 
dem  Sprecher  verschwinden,  dieser  empfindet,  dafs  die  denuntiation,  zu 
deren  Wortführer  er  sich  gemacht  hat,  etwas  gehässiges  hat,  deshalb  tut 
er  so,  als  wäre  er  der  Vertreter  des  stricten  rechtes,  spieche  es  nun  für 
die  angeklagten  oder  gegen  sie.  das  hatte  er  bei  der  vorverhandluiig 
bewiesen,  als  er  wider  den  antrag  auf  kurzen  procefs  sprach,  und  bei 
der  -AQioig,  wo  man  ihn,  den  angeblich  für  die  angeschuldigten  intei- 
essirten,  allein  auftreten  sah.  hoffentlich  ist  das  erste  aufrichtiger  ge- 
meint als  das  zweite,  denn  wenn  er  den  antrag  auf  eine  y.Qtotg  gestellt 
hatte,  so  war  es  einfach  seine  sache,  sie  in  die  band  zu  nehmen,  wie 
er  sie  jetzt  führt,  dann  recapitulirt  er  die  beweisaufnahme,  brüsk  gegen 
den  metoeken;  aber  Anytos  wird  mit  sammtpfötchen  angefafst,  wie  wir  ge- 
sehen haben,    und  mit  srrofser  Schlauheit  wird  dann  die  rede  auf  das  volks- 


III.    11.  Lysias  wider  die  getieidehändler.  379 

treuntlliche  gebiet  hinübergespielt,  und  sogleich  werden  die  herren  richter 
an  die  teuerung  erinnert,  bei  der  der  preis  oft  an  einem  tage  um  mehr 
als  eine  drachme  wechselte:  als  ob  das  nicht  gerade  Anylos  hätte  ver- 
meiden wollen/)  und  nun  geht  es  in  dem  breiten  bette  der  gemeinen 
aufwiegelung  des  Volkes  wider  die  ""^kornwucherer",  von  denen  jeder  von 
selbst  schon  weifs,  dafs  sie  den  sträng  verdienen,  bis  zu  dem  gemeinen 
schhisse  "schlagt  sie  tot,  dann  wird  das  brot  billiger",  das  ist  häfslich : 
aller  ganz  ekelhaft  wird  es,  wenn  hinter  dieser  sorte  volksfreundhchkeit 
die  rücksicht  auf  die  grofskaufleute  hervortritt,  "was  werden  die  sagen, 
wenn  ihr  diese  hier  freilafst,  die  gegen  sie  sich  zusammengetan  haben. 
ihnen  tut  ihr  mit  der  Verurteilung  einen  gefallen." 

Ob  die  armen  teufel  haben  bluten  müssen,  wissen  wir  nicht,  aber 
den  Athenern  ist  es  eigangen,  wie  es  ein  volk  verdient,  das  solche  politik 
macht  und  solche  redner  unter  sich  aufkommen  läfst,  wie  diesen  Lysias. 
das  heifst,  gut  ist  die  rede;  sein  honorar  hat  der  advocat  verdient,  mehr 
wollte  er  nicht:  höher  dürfen  wir  ihn  aber  auch  nicht  taxiren. 


7)  Es  kann  keine  rede  davon  sein,  dafs  der  redner  für  die  Preisschwankungen 
wirklich  zeugen  vorgeführt  hätte:  dann  würde  er  auf  der  zeit,  wo  sie  vorkamen, 
haben  insistiren  müssen,  denn  davon  hieng  alles  ab.  überliefert  ist  aber  auch  nichts 
als  y.nl  roira>v  vfiäs  fic'iQTvqas  7tnoi-/,ofi(u,  was  Markland  nicht  wissen  konnte  und 
trotz  Bekker  bezweifelt  und  verworfen  ist.  Fuhr  vermisst  vfiäs  avrovs,  weil  es  so 
li.li  steht,  schwerlich  ist  das  genügend,  und  dann  wäre  der  zusatz  immer  noch 
besser  als  die  klärlich  auf  einem  Irrtum  beruhenden  conjecturen.  —  eine  sichere  athe- 
teso  hat  mir  Kaibel  mitgeteilt,  5  n).Eico  alrov  avfmQiäa&cn  [7ievTrjy.ovTa  cpoQficöv] 
ojv  ö  vöfioi  annyooevei,,  aus  6  eingesetzt.  —  18  ist  mit  Frohberger  zu  schreiben 
7Co}.X<Lv  rßrj  s^övrcav  ravTT]r  ttjv  alxiav  aXX'  aufiaßrjrovvrcov  xai  fia^rvoaS 
naoExofiivwv,  obwol  a/A'  aft<piGßr}xovx(ov  für  J.nftßävsLv  überkühn  scheint:  der  sinn 
ist  unzweifelhaft  und  von  vielen  anerkannt,  die  worte  liefert  das  gesetz  über  die 
evSsxa  (Ar.  52, 1),  das  der  redner  in  dieser  ganzen  partie  im  «inne  hat. 


12. 
ISOKRATES  PANEGIYRIKOS  100 -Ü4 


Zeit  der  Ein    panegyrikos    ist    für    eine    panegyris   bestimmt:    das   liegt   im 

namen.  Isokrates  wollte  den  seinen  freilich  nicht  selbst  halten,  aber  er 
tat  doch  so,  und  das  buch  sollte  zu  dem  feste  erscheinen,  und  der  Jahr- 
markt gab  die  beste  gelegenheit  es  unter  die  leute  zu  bringen,  also 
haben  wir,  wie  für  eine  tragoedie  ein  Dionysosfesf,  so  für  einen  pane- 
gyrikos eine  panegyris  zu  suchen,  wenn  wir  ihn  datiren  wollen,  mit 
einer  so  einfachen  Überlegung  ist  die  schönste  rede  des  Isokrates  auf 
die  hundertste  olympiade,  Spätsommer  3S0,  festgelegt,  denn  dafs  die 
olympische  panegyris  gemeint  ist,  folgt  daraus  notwendig,  dafs  diese  rede 
auf  die  olympischen  reden  des  Gorgias  und  Lysias  bezug  nimmt,  zu 
ihnen  in  concurrenz  tritt  und  sie  überwindet,  selbstverständlich  ist  ein 
buch,  das  im  august  erscheinen  soll,  etUche  monate  vorher  Mm  manu- 
script  abgeschlossen^  und  ein  mühsam  arbeitender  Schriftsteller  wird 
ganze  parlien  schon  viel  früher  angelegt  und  ausgeführt  haben,  wenn 
auch  bei  der  schlufsredaction  alles  eine  gemeinsame  politur  erhielt,  es 
ist  selbst  bei  den  rasch  gearbeiteten  komoedien  gut,  solche  notwendigen 
umstände  nicht  zu  vergessen,  wenn  man  die  einzelnen  anspielungen  mit 
dem  tage  der  aufführung  zusammenhält:  wie  viel  mehr  gilt  es  hier, 
die  beabsichtigte  Wirkung  ist  dabei  natürhch  doch  eine  einheitliche, 
und  380,  auf  der  hübe  seiner  kraft,  konnte  Isokrates  auch  die  Uneben- 
heiten ausgleichen,  die  er  als  greis  ruhig  stehn  hefs,  als  er  mit  der  rede 
nicht  fertig  wurde,  die  zu  den  panathenaeen  342  erscheinen  sollte; 
damals  haspelte  er  den  faden  immer  weiter;  338  mag  die  rede,  wie  sie 
ist,  auch  ausgegeben  sein,  aber  da  war  gerade  so  ungeheures  teils  ge- 
schehen, teils  im  werke,  dafs  sie  am  feste  post  festum  kam.*) 


1)  Der  Panathenaikos,  der  von  den  Verwickelungen  von  338  noch  gar  keine 
spur  zeigt,  ist  besonders  belelirend:  sollen  wir  etwa  glauben,  er  wäre  für  die  kleinen 
panathenaeen   339  bestimmt  gewesen?     der   steinalte   mann  schreibt  da  gewisser- 


Zeit  der  rede.  381 

Der  Panegyrikos  ist  publicistisch  ein  werk  allerersten  ranges.  so 
hat  ihn  seine  zeit  geschätzt,  und  wer  in  ihm  nichts  als  die  melodischen 
Perioden  hört,  verdient  den  Vorwurf  nichts  als  ein  rhetor  zu  sein  (und 
kaum  ein  so  melodischer)  viel  mehr  als  der  Verfasser,  ohne  diese 
hearbeitung  der  öffentlichen  meinung  wäre  die  Stiftung  des  zweiten 
Seehundes  schlechthin  undenkbar  gewesen,  darum  ist  das  an  sich  un- 
erfreuliche politische  leben  des  vierten  Jahrhunderts  so  überaus  belehrend, 
^auch  für  das  politische  urteil  über  moderne  dinge,  weil  sich  in  ächt- 
hollenischer  weise  die  ganze  zerfahrene  unschöne  vielgeschäftige  mache 
eines  grofsen  prefsmanövers  in  einer  rede,  in  einem  kunstwerke  con- 
densirt.  aher  weil  das  kunstwerk  in  seiner  geschlossenheit  und  seiner 
aiTaQKeia  vor  uns  steht,  läuft  man  so  leicht  gefahr  zu  vergessen,  dafs 
eist  die  einsieht  in  die  gesammte  pohtische  Situation  das  prefserzeugnis 
wirklich  verständlich  macht,  wozu  einige  kennliiisse,  einige  phantasie  und 
auch  einige  politische  einsieht  nötig  ist.  so  lange  uns  die  steine  noch 
nicht  ermöglicht  hatten,  die  plane  und  die  erfolge  des  Thrasybulos  in 
den  alten  reichsstädten  zu  erkennen ,  und  die  beziehungen  Athens  zu 
Chios  im  dunkel  lagen ^),  fehlten  die  nötigen  kenntnisse.  so  lange  der 
moderne  beurteiler  den  horizont  der  scluilstube  oder  des  hörsaals  oder 
eines  in  patriarchalischer  bevormundung  still  lebenden  gemeinwesens 
Von  sich  auf  den  redner  übertrug,  fehlte  die  möglichkeit  des  politischen 


iiüifsen  die  geschichte  seines  buches  mit  dem  buche  zugleich,  die  anstöfse,  die 
lüdeich  (kleinas.  stud.  137)  an  der  herkömmlichen  datirung  des  Panegyrikos  nimmt, 
piledigen  sich  so  von  selbst,  die  kyprischen  dinge  aber  sind  mir  noch  nicht  klar 
geworden. 

2)  Die  Urkunden  lassen  keinen  zweifei  daran,  dafs  Chios  gerade  wie  412  gegen, 
Sil  395  und  385  für  Athen  das  schwerste  gewicht  in  die  wagschale  gelegt  bat,  und 
440,  im  samischen  kriege,  ist  es  vermutlich  nicht  anders  gewesen,  so  wird  die 
jieurteilung  des  Isokrates  gerechtfertigt,  die  er  in  sehr  bedeutsamer  weise  139  ab- 
gibt "der  Perserkönig  hat  allerdings  durch  seinen  anschlufs  an  eine  der  beiden 
liellenischen  grofsmächte  dieser  das  übergewicht  gegeben;  aber  er  ist  deshalb  noch 
Innge  kein  an  sich  furchtbarer  gegner,  da  man  genau  dasselbe  auch  von  einem 
kleinstaat  (fiiKQo.  diva/uis)  wie  Chios  sagen  kann",  wie  darin  eine  Schmeichelei  für 
Chios  liegen  soll,  die  gar  ein  angeblich  zur  zeit  gespanntes  verbältnis  ins  gleiche 
biingen  sollte  (ludeich  265),  ist  unerfindlich,  viel  eher  kann  man  darin  die  Zurück- 
weisung von  ansprächen  auf  gleichberechtigung  sehen,  aber  es  ist  ja  nur  die  Wahr- 
heit; Isokrates  kannte  diese  Verhältnisse  gut,  da  er  in  Chios  selbst  gelebt  hatte,  was 
ich  nicht  bezweifele.  —  es  ist  dies  der  paragraph,  der  das  wort  emy.vSi's  mit 
Xenoph.  Hell.  V  2,  36  gemein  hat:  weiter  nichts,  und  das  kann  wirklich  nichts  be- 
Meisen, ich  bekenne,  dafs  ich  mich  früher  durch  die  autorität  Nitsches  habe  be- 
stimmen lassen,  auf  den  anklang  etwas  zu  ereben. 


382  III.    12.  Isokrates  Pancgyrikos  100—114. 

Urteils,  es  ist,  dieselbe  ehedem  notwendige  jetzt  nicht  mehr  exislenz- 
berechtigte  enge  des  horizonis,  die  für  Demosthenes  in  einer  abstracten 
morahschen  bewunderung  erstarb,  in  Isokrates  aber  nur  den  Schönredner 
sah.  der  advocal  und  Parlamentarier  wird  moralisch  verlieren,  der 
publicist  an  bedeutung  gewinnen:  dagegen  der  rednergrofse  beider  wird 
kein  abbruch  getan,  wenn  wir  die  menschen  menschlich,  die  Hellenen 
hellenisch  sehen. 

veran-  Tlirasybulos   von  Steiria    !)atte    es  390   versucht,    das  Reich  zu  er- 

lassung der  .  1        1-   ,  .      ,  1-1  II         1  II 

rede,  neuern ,  mit  unzulänglichen  mitteln  und  in  demselben  braven  aber  be- 
schränkten glauben,  dafs  in  der  demokratischen  reichspolilik  des  fünllen 
Jahrhunderts  das  alleinige  heil  läge,  in  dem  er  seiner  meinung  nach 
das  Vaterland  403  gerettet  halte,  und  wirklich  machte  es  einen  ge- 
waltigen eindruck,  als  endlich  einmal  wieder  eine  athenische  flotte  in 
den  gewässern  erschien ,  die  sie  einst  beherrscht  hatte,  aber  wenn 
Thrasybulos  an  die  zeiten  vor  412  anknüpfte,  so  beschwor  er  damit 
selbst  die  coalition  zwischen  Persien  und  Sparta  herauf,  und  ein  wirklicher 
Staatsmann  hätte  für  diesen  fall  gerüstet  sein  müssen;  sein  plulzlicher 
tod  vor  dem  feinde  war  für  Thrasybulos  ein  glück,  zu  hause  hatte  man 
sich  den  ausschweifendsten  hoffnungen  hingegeben,  und  388  führte 
Aristophanes,  der  alt  und  ehrbar  geworden  war^),  einen  alten  schwank 
wieder  auf,  der  die  Wiederkehr  des  Reichtums  sehr  verfrüht  feierte. 
wenn  der  gott  Plutos  gekommen  wäre  und  hätte  nur  dies  aristophanische 
gesindel  in  Athen  gefunden ,  das  an  den  eigenen  geldbeutel  und  nicht 
an  den  schätz  der  bürg  denkt,  so  würde  er  es  nicht  lange  auf  erden 
ausgehalten  haben,  aber  er  kam  nicht,  an  den  Olympien  desselben 
Jahres  erlaubte  sich  der  sophist  Lysias  die  türichte  demonstration,  den 
seit  Jahren  einander  bekriegenden  Hellenen  eine  gemeinsame  Intervention 
zu  gunsten  der  befreiung  Siciliens  von  dem  joche  des  Dionysios  vor- 
zuschlagen, des  mannes,  ohne  dessen  energie  Sicilien  längst  karthagisch 
gewesen  wäre.  Lysias  war  syrakusanischer  herkunft  und  seit  403,  so 
weit  die  advocatur  ihn  nicht  bestimmte  andere  tone  anzuschlagen,  mit 
der  radicalen  partei  in  Athen  eng  verl)unden,  ohne  doch  je  eine  per- 
sönliche geltung  zu  gewinnen,  in  wie  weit  er  mit  dieser  rede  be- 
stellte arbeit  lieferte,  mag  dahinstehn:  Dionysios  halte  jedenfalls  das 
recht,    die   leitende   radicale   partei    Athens    für   diese    tactlosigkeit   ver- 


3)  Er  hat  es  sogar  bis  zum  ratsheirn  gchraclit,  denn  icli  sehe  nicht  ab,  warum 
wir  einen  gleichnamigen  verwandten  in  dem  prytanen  'AQiaT0fä7'r,s  KvSct&rjvaisvs 
sehen  sollen,  CIA  II  8G5.  die  Überlieferung  des  Steines  läfst  allerdings  kein  sicheres 
urteil  über  sein  alter  zu. 


Veranlassung  der  rede.  383 

anhvortlich  zu  machen  und  sich  zu  den  feinden  Athens  freundhch 
zu  stellen,  damit  ward  der  Zusammenbruch  der  stolzen  hoffnungen 
vollends  unvermeidheh,  und  es  war  noch  das  gescheidteste ,  dafs  Athen 
gute  miene  machte  und  den  königsfrieden  freiwillig  annahm  (anfang 
386).  der  verlust  war  materiell  ohne  zweifei  durch  den  endlich  erreichten 
frieden  aufgewogen;  aber  moralisch  mufste  er  unersetzhch  erscheinen, 
denn  nur  Athen  bekam  die  schmach  aufsein  schuldconto,  dafs  Asien  dem 
könige  ausgeliefert  w^ard ,  die  Inseln  aber  geradezu  ins  leere  fielen : 
wenn  keine  flotte  im  aegeischen  meere  herrscht,  gehört  es  den  piraten.") 
Sparta  mochte  den  Persern  in  dem  verzichte  auf  Asien  eine  wertvolle 
concession  zu  machen  scheinen :  die  lonier  wufsten  es  besser,  dafs  die 
plane  des  Lysandros  und  Agesilaos  begraben  waren,  schon  als  dieser 
Asien  räumte,  und  sein  unfähiger  schwager  Peisandros  sich  von  Konon 
schlagen  hefs.^)  in  Hellas  selbst  aber  erhielt  Sparta  freie  band,  und  es 
scheute  sich  nicht,  von  dieser  freiheit  jeden  gebrauch  zu  machen,  da 
von  dem  alten  Spartiatenadel  nur  noch  eine  tyrannische  Oligarchie  übrig 
war,  und  Agesilaos  sich  jetzt  darein  gefunden  hatte,  mit  dieser  Oligarchie 
gemeinsam  scrupellos  jede  gebotene  chance  auszunutzen,  ohne  höhere 
ziele  zu  verfolgen,  so  trieb  man  das  spiel  der  persönlichen  willkür 
schamloser  und  ideenloser  als  je,  ohne  dafs  man  auf  mehr  als  localen 
widerstand  stiefs,  der  leicht  beseitigt  werden  konnte. 

In  Athen  war  unmittelbar  nach  dem  frieden  eine  völlige  Verwirrung, 
da  es  an  führenden  männern  völlig  gebrach,  niemand  den  frieden  als 
grundlage  der  zukunft  ehrlich  vertreten  mochte,  aber  noch  weniger 
jemand  ihn  zu  brechen  raten  durfte,  und  doch  war  eben  in  den 
Hellenen,  die  der  friede  preisgab,  eine  von  den  eigenen  lebensinteressen 

4)  Isokr.  4,  115  y-axanovriarui  rrjv  &äXaTxav  y.ara'xovat.  mit  dem  seeraub 
pflegen  die  historiker  zu  wenig  zu  rechnen,  er  verschwindet  von  selbst ,  sobald 
eine  vormacht  da  ist,  die  eine  flotte  hat.  das  prestige  von  Rhodos  im  2  Jahrhundert 
beruht  wesentlich  auf  diesem  schütze  des  meeres,  und  es  ist  die  schmach  der  rö- 
mischen Oligarchie,  dafs  sie  Rhodos  die  macht  nimmt  dem  seeraube  der  Kreter  und 
Kilikier  zu  steuern,  von  der  Verwüstung  durch  die  piraten  in  dem  Jahrhundert 
zwischen  L.  Paullus  und  Pompeius  haben  die  Kykladen  sich  bis  auf  den  heuligen 
tag  nicht  erholt. 

5)  Agesilaos  hat  sich  mit  viel  höherem  getragen,  als  sein  leben  gehalten  hat, 
natürlich  nicht  mit  nationalen,  aber  wol  mit  grofsen  planen  persönlichen  ehrgeizes. 
und  selbst  als  er  den  ephoren  folgsam  aus  Asien  umkehrte,  hat  er  nicht  auf  sie  ver- 
zichtet, das  beweist  das  aufgebot  der  lonier,  das  er  auf  dem  landmarsche  mitnahm, 
erst  der  schlag  von  Knidos  und  der  wertlose  waffenerfolg  von  Koroneia  bricht  ihn: 
er  entläfst  die  lonier  und  ist  seitdem  nichts  als  der  oberszlachlize  in  Sparta,  fast 
ist  es,  als  hätte  die  wunde  von  Koroneia  sein  rjysftovixöv  getrotfen. 


384  111.    12.  Isokrales  Panegyrikos  100  —  114. 

auf  Allif'ii  liingcwicseiu;  parlei  gegeben,  wo  anders  konnten  die  armen 
Nesioten  den  rücklialf  finden,  dessen  sie  bedinftcn?  wie  sollten  die 
lonier  oline  den  liandel  Athens  existiren,  zunoal  Korinlli,  von  dem  wir 
nur  zu  wenig  hören,  durch  den  krieg  vor  den  mauern  und  den  hürger- 
zwist  drinnen  Wirtschaft  lieh  am  meisten  gelitten  haben  mufste.  lediglich 
die  handelsinleressen  zwangen  die  städte,  die  sich  zum  teil  schon  an 
Konon,  zum  teil  an  Thrasyhiilos  angeschlossen  halten,  trotz  den>  königs- 
frieden  mit  Alhen  vertrüge  zu  schliefsen  oder  doch  die  mit  Thrasyhulos 
geschlossenen  nach  mafsgabe  des  königsfriedcns  neu  zu  redigiren.  es 
war  lür  Athen  in  der  tat  die  einzige  reltiing,  wenn  es,  zunächst  in  der 
form  den  königsirieden  wahrend,  die  faden  der  thrasybulisclien  politik 
vorsichtig  aufnahm  und  die  alten  Reichsstädte  möglichst  eng  sich  ver- 
band ,  gleichzeitig  aber  in  Hellas  vorsichtig  abwartend  Sparta  gewähren 
liefs,  damit  (hassen  übergriffe  negativ  für  eine  neue  conslellation  der 
mächte  Stimmung  machten,  dazu  war  zweierlei  notwendig,  erstens 
eine  reorganisation  der  eigenen  flotte,  die  ohne  eine  eröffnung  neuer 
steuerquellen  unmöglich  war;  zweitens  eine  rückeroberung  der  allge- 
meinen Sympathien,  die  der  königsfriede  verscherzt  hatte,  und  einen 
schätz  besafs  Athen  immer  noch,  der  in  Susa  und  Sparta  nicht  nur 
fehlte,  sondern  mit  keinen  milleln  beschafft  werden  konnte:  seine  litte- 
ratur.  nicht  umsonst  durfte  es  die  capilale  der  geistigen  bildung  sein: 
seine  litteratur  mufste  die  öffentliche  meinung  gewinnen,  diese  aufgäbe 
ist  dem  Isokrates  zugefallen,  ihr  dient  der  Panegyrikos,  und  er  bat  die 
aufgäbe  glänzend  gelöst:  zwei  jähre  später  kann  der  zweite  seebund  ge- 
stiftet werden,  wird  flotte  und  steuerwesen  reorganisirt.  das  wort  ist 
hier  der  tat  vorangeeill;  man  kann  auch  nicht  sagen,  dafs  Isokrates  die 
ideen  eines  beslimmten  Staatsmannes  verarbeite;  das  tut  er  auch  in  den 
reden  nicht,  die  er  in  den  krisen  nach  dem  bundesgenossenkriege  und 
dem  philokratischcn  frieden  schreibt:  er  hat  die  empfindung  des  publi- 
risten  für  den  kommenden  wind ,  mit  dem  das  staatsschiff  fahren  will, 
das  ist  viel  weniger,  als  er  sich  selbst  zutraute,  denn  er  wähnte,  dem 
schifle  den  curs  zu  gol)en.  aber  es  ist  doch  ungleich  mehr  als  ein 
blofser  schönschreiber  will  oder  kann. 

Ich  hätte  das  alles  nicht  gerade  nötig  gehabt  zu  sagen ;  aber  es  verdiente 
gesagt  zu  werden,  wir  haben  es  also  mit  einer  politischen  gelegenheits- 
schrift  zu  tun,  die  für  Athens  seeherischaff,  in  welcher  form  auch  immer, 
wirken  will,  die  breite  Schilderung  der  freiheitskriege  von  480  und  die 
entfessclung  des  veralteten  hasses  gegen  die  barbaren  ist  allerdings  zu 
gutem  teile  pbnise;   die  latsacben  der  geschichle  seil  412  stellen  damit 


Verteidigung  der  leichspolitik.  885 

im  grellsten  Widerspruch,  aber  die  plirase  maskirt  sehr  gut  die  gegner- 
schaft  zu  Sparta,  die  in  Olympia  nicht  ofl'en  hervortreten  durfte,  übrigens 
in  sehr  wirkungsvollen  partien  gleichsam  wider  willen  des  redners  hervor- 
leuchtet (122 — 32).  dann  aber  lockte  der  ungleich  berühmtere  Epitaphios 
des  Gorgias  den  redner  noch  mehr  zur  concurrenz  als  der  Olympiakos, 
nii  den  es  zunächst  anknüpfte,  und  für  die  Wirkung  der  rede  als  rhetorisches 
kunstwerk,  das  man  zum  genusse  lesen  könnte,  hat  der  "^panegyrische^  teil 
das  meiste  getan,  an  ihn  schliefst  sich  unmittelbar  die  partie,  die  ich 
erklären  will,  die  Verteidigung  der  athenischen  Reichspolitik,  denselben 
gegenständ  hat  Isokrates  im  Panathenaikos  (62 — 73)  behandelt,  zwar 
im  anschlufs  an  seine  berühmte  schrift,  aber  doch  so,  dafs  er  nicht  nur 
deren  Verständnis  sichert,  sondern  auch  einige  ergänzungen  gibt. 

Er  beginnt  mit  der  behauptung  gewisser  ankläger,  dafs  die  see-  vertei- 
lierrschaft  Athens  den  Hellenen  viel  leid  zugefügt  hätte,  wofür  zum  'fefcfis-^^ 
belege  die  Vernichtung  der  Melier  und  Skionaeer  angeführt  wird,  der  p"  '  "• 
Panathenaikos  fügt  diesen  noch  die  Toronaeer  zu  und  nennt  aufserdem 
den  gerichtszwang  und  die  Iribute.  die  Widerlegung  führt  zuerst  kurz 
ins  fehl ,  dafs  die  so  hart  behandelten  Staaten  im  kriege  mit  Athen  ge- 
standen hätten  (was  von  Melos  in  Wahrheit  nicht  gilt),  und  erklärt  dann, 
dafs  sich  eine  so  grofse  herrschaft  ohne  harte  mafsregeln  erfahrungs- 
iiuifsig  nicht  aufrechthalten  liefse.  er  stellt  als  kriterium  für  die  quahtät 
einer  herrschaft  das  befinden  der  Untertanen  auf,  dies  aber  in  einer 
weise,  die  eine  parallele  herausfordert;  und  in  der  tat  kann  nur  eine 
vergleichung  einen  solchen  beweis  wirksam  machen,  diese  folgt  jedoch 
nicht,  sondern  es  wird  die  wirtschaftliche  blute  der  städte  unter  Athen 
lebhaft  geschildert,  und  die  herrschaft  als  eine  durchaus  die  formen  des 
liundesstaates  wahrende  bezeichnet,  weil  der  vorort  jedem  einzelnen 
Staate  sein  selbständiges  leben  gelassen  und  nur  für  die  durchführung 
derselben  Verfassung  gesorgt  hätte,  eben  aus  der  volksfreundhchen  rück- 
sicht,  dafs  jeder  bürger  auch  seine  angeborenen  rechte  ausüben  sollte, 
statt  durch  die  gewaltherrschaft  einer  minderzahl  in  den  metökenstand 
hinabgestofsen  zu  werden.'')    ein  siebzigjähriger  friede  (rund  gerechnet, 


6)  Das  ist  mit  feinem  politischen  urteil  gesagt,  rovs  /liv  TVQawsiv ,  tovs  Se 
fisroixelv  xai  <piaei  noXiras  ovras  voficp  rjys  7to?.iTsias  ä.Ttoars^tlad'ai ,  denn  darin 
liegt  was  Aristoteles  im  eingange  des  dritten  bucties  der  Politik  behandelt,  wo  er 
den  begriff  bürger  zu  definiren  sucht:  e'art  yr'^  rts  Ss  iv  STjaoHoatia  ttoXittjs  c5*' 
sr  oXiyaQx^iq  noXXäycis  ovy.  eari  noXizTjs  (]2'ib^  2),  und  coansg  (iiroixos  o  rdv  rificöv 
fi'>i  ftsrsxcov  (1277''  38).  wenn  es  nur  gienge,  würden  wir  wol  zu  hören  bekommen, 
dyl's  Isokrates  aristotelische  gedanken  gestohlen  hätte;  vielleicht  findet  sich  ein  ver- 
V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  25 


386  in.    12.  Isokiatcs  Panegyiikos  100—114. 

eigentlich  478 — 412)  wäre  denn  auch  das  ergebnis  gewesen,  und  dem 
gegenüber  dürfte  man  nicht  auf  die  klernchien  schelten,  die  wären  viel 
eher  als  garnisonen  in  verödete  slädte  geschickt,  und  Skione  sogar  den 
Plataeern  abgegeben'):  denn  dafs  Athen  nicht  auf  annexionen  aus  ge- 
wesen wäre,  sähe  man  an  der  verschonung  Euboias;  andere  Hellenen 
dankten  vielmehr  ihren  rühm  und  ihr  bequemes  leben  der  Vernichtung 
ihrer  nachbarn.  wohin  dies  letzte  zielt,  würde  klar  sein,  auch  wenn 
nicht  der  Panatlienaikos  breit  und  offen  den  Vorwurf  der  annexiou 
Messeniens  wider  Sjiarta  erhöhe  (66).  der  Vorwurf  der  kleruchien  ist 
in  sehr  geschickter  weise  in  die  eigene  argumentation  verwoben,  so  dafs 
die  eintönige  Widerlegung  der  einzelnen  punkte  vermieden  ist.  aber 
wir  warten  noch  auf  die  vergleichung  einer  anderen  herrschaft.  sie 
kommt  formell  nicht,  sondern  der  angriff  richtet  sich  nun  persönhch 
gegen  die  ankläger  Athens,  "angesichts  dieser  talsacheu  haben  leute 
die  Stirn  uns  anzuklagen,  die  selbst  in  den  zehnerschaften  gewesen  sind 
und  ihre  eignen  Vaterstädte  schmählich  mishandelt  haben,  die  leute 
behaupten  lakonische  gesinnung  zu  haben,  aber  ihre  handlungen  stehn 
damit  in  Widerspruch."  und  nun  wird  ein  schwall  von  beschuldigungen 
diesen  ungenannten  anklägern  ins  gesiebt  geworfen,  die  allerdings  zumeist 
von  der  art  sind,  wie  sie  sich  tyrannen  und  ohgarchen  immer  gefallen 
lassen  müssen,  also  auch  die  Dreifsig  von  Athen,  individuell  sind  zwei 
Züge:  "sie  haben  einem  einzelnen  heloten  wie  sclaven  gehorcht,  damit 
er  ihr  eigenes  Vaterland  unterjoche"  und  "sie  haben  in  drei  monaten 
mehr  bürger  ohne  gericht  getötet,  als  Athen  während  der  ganzen  zeit 
seiner  herrschaft  vor  sein  gericht  gezogen  hat",  diese  letzte  antithese 
hat  dem  redner  so  gefallen,  dafs  er  sie  im  Panathenaikos  wiederholt 
(66) ,  doch  so,  dafs  die  Lakedaimonier  statt  der  unbestimmten  Übeltäter 
genannt  werden,  bei  wege  wird  übrigens  auch  hier  der  gerichtszwang 
der  bündner  als  anklagepunkt  gestreift,  der  in  der  jüngeren  rede  breiter 
behandelt  und  gleich  an  den  eingang  dieser  partie  gerückt  steht. 

Man  braucht  sich's  nur  zu  überlegen,  um  zu  sehen,  dafs  hier  in 
wahrheil  die  erwartete  parallele  steht,  eine  andere  herrschaft  über  die- 
selben  Städte,   die   allerdings  geeignet   war,   selbst  die  regierungsweise 


treter  der  umgekclirlen  meinung,  weil  sie  um  der  zeit  willen  möglich  ist.  in  wahr- 
heil  hat  das  politische  leben  und  die  gedankenarbeit  der  sophistenzeit  beiden  vor- 
gearbeitet, einen  urheber  des  gedankens  auch  nur  zu  suchen  ist  ein  müssiges  spiel. 
7)  Das  trifft  auf  die  genannten  orte  und  noch  ein  par,  wie  Histiaia  Poteidaia 
Aegina  zu,  aber  auf  die  mehrzahl  nicht,  Chersones  Naxos  Andros  Eretria  Lesbos: 
diese  haben  offenbar  nicht  so  viel  böses  blut  gemacht. 


Verteidigung  der  reichspolitik.  387 

Kleons  als  milde  und  menschlich  erscheinen  zu  lassen,  die  herrschaft 
der  reaction  unter  den  spartanischen  harmosten  und  den  oligarchischen 
uekarchien  von  405 — 395.  was  man  so  findet,  sagt  der  Panalhenaikos 
mit  klaren  worten.  aher  so  frei  durfte  die  panhellenische  rede  380 
nicht  mit  der  spräche  herausgehn,  deshalb  erfahren  bestimmt  gemeinte 
und  den  hörern  kenntliche  aber  ungenannte  ankläger  Athens  all  die 
(igentlich  den  Spartanern  zugedachten  angriffe,  und  es  wird  sogar  mit 
einer  feinen  Wendung  zwischen  den  guten  Lakonen  und  den  bösen 
lakonisten  unterschieden,  dafs  in  der  tat  die  zeit  vom  fall  des  Reiches 
bis  zum  königsfrieden  hier  geschildert  werden  soll,  bestätigt  sich  in  dem 
nächsten  abschnitt,  denn  §  115  setzt  unmittelbar  so  ein:  "auch  der 
kOnigsfriede  mit  seiner  auf  dem  papier  garantirten  autonomie  verdient 
vor  unserer  herrschaft  nicht  den  vorzug."  dazwischen  steht,  scheinbar 
als  ein  verlorner  gedanke  "was  jene  getan  haben,  sind  dinge  die  absolut 
nicht  wieder  gut  zu  machen  sind:  unsere  härten  hätte  ein  volks- 
beschlufs  auszugleichen  genügt".  Isokrates  schreibt  mit  einer  weithin 
reichenden  und  ins  einzelne  verfolgbaren  disposition ;  auch  hier  hält  und 
stützt  sich  alles  gegenseitig,  nur  dieser  gedanke,  den  er  selbst  als  einen 
allgemeinen  {xooovtov  eiTtelv  &xco  xa^'  aTtavriov),  einen  capitalsatz, 
ein  ■üEcpcO.aiov^)  bezeichnet  und  an  den  schlufs  stellt,  fällt  scheinbar 
heraus,  das  heifst,  er  mufs  eine  besondere  bedeutung  haben,  wahrhch 
nicht  als  geschichtliche  Wahrheit;  denn  die  erschlagnen  Melier  machte 
kein  psephisma  lebendig  noch  die  verkauften  frei:  so  angesehen  ist  es 
eine  törichte  phrase.  das  hört  sie  auf  zu  sein,  wenn  wir  sehen,  wie  ein 
psephisma,  das  des  Aristoteles,  wirklich  alle  die  beschwerden,  die  man 
gegen  die  Reichsverfassung  erhoben  hatte,  beseitigt:  die  autonomie  in 
Justiz  und  Verwaltung  wird  zugestanden,  die  kleruchien  und  besatzungen 
werden  verboten,  die  tribute,  die  nicht  hier,  aber  im  Panathenaikos  be- 
rührt werden ,  als  solche  auch  ausgeschlossen,  gerade  hier  sieht  man 
am  deuthchsten,  dafs  Isokrates  die  tendenzen  sehr  wol  kennt,  die  zwei 
jähre  später  den  neuen  bund  begründeten,  der  allen  befürchtungen  der 
alten  Untertanen  rechnung  trug,  auch  der  hafs  gegen  Sparta,  der  hier 
mehr  oder  minder  versteckt  ist,  steht  in  der  bundesurkunde  offen  aus- 
gesprochen: der  publicist  hatte  die  öffentliche  meinung  gut  bearbeitet. 


8)  Kad"^  oLTiävioJv  siTiEiv  sagt  er  hier,  114.  asfälaiov  rcov  eiQfjfis'vcov  stellt 
am  Schlüsse  des  Nikokles  62.  dort  ist  es  die  zur  gnome  condensirte  paraenese, 
hier  das  politische  Schlagwort,  das  mufste  sich  ein  volksredner  freilich  erst  noch 
etwas  ummodeln,  aber  sv  ^rfia/xa  Tiävia  xay/JJitiaxa  SiaXiaexac  war  doch  eine 
gute  antwort  auf  alle  bündnerischen  bedenklichkeiten. 

25* 


388  III-    12.  Isokrates  Panegyrikos  100-114. 

Der  gegner  Nuii  7,11  den  veiklcinerern  Alheus,  gegen  die  Isokrates  streitet,  es 
Isokrates.  Ist  eine  bestimmte  person,  oder  vielmehr  eine  schrift  eines  mannes,  den 
die  hörer  erraten  sollen,  wenn  sie  ihn  noch  nicht  kennen,  der  mann 
hat  den  Athenern  den  Vorwurf  gemacht,  dafs  ihr  Reich  den  bündnern 
zum  verderben  gereiclit  habe,  wegen  der  gewaltsamen  executionen  (Skione 
Torone  Melos),  der  kleruchien,  der  tribute,  des  gerichlszvvanges,  und 
(so  können  wir  aus  der  Verteidigung  schliefsen,  obwol  die  anklage  nicht 
geradezu  wiedergegeben  wird)  wegen  der  duichfübrung  der  demokratie 
in  den  Stadtverfassungen,  natürlich  war  die  läge  der  bündner  als  sclaverei 
bezeichnet:  so  redet  ja  Tbukydidcs  sogar  aus  eigener  person  (z.  b.  I  98). 
dem  gegenüber  pries  der  oligarch  die  Sparliaten  als  freiheitsbringer  und 
bekannte  sich  zu  ihrer  partei.  geschrieben  kann  das  vielleicht  schon 
wahrend  der  letzten  agonie  des  Reiches  sein;  nach  unten  begrenzt  es| 
die  Schlacht  bei  Knidos.  abiT  da  die  begeisterung  für  Sparta  noch  soi 
grofs  ist,  mufs  man  auf  eine  möglichst  geringe  bekanntschaft  mit  seinen, 
harmosten  scbhefsen.  für  den  mann,  der  dies  geschrieben  hatte,  sind 
die  anhaltspunkte:  er  nannte  sich  einen  lakonisten,  hatte  zu  den  deka- 
darchen  in  seiner  Vaterstadt  gehört,  unter  einem  lakonischen  harmosteD|i 

der   niederen    Standes   war,   so  dafs  ihn  Isokrates  einen  hebten  nennen; 

■ 

durfte,  und  war  in  dieser  Stellung  mitschuldig  an  einer  ungeheuren 
menge  von  freveln  geworden,  ja  selbst  die  frist  dieser  Untaten  wird  au; 
drei  monate  genau  angegeben,  dieser  letzte  zug  ist  indessen  nicht  gan2 
sicher,  denn  es  ist  eigentlich  absurd,  in  jener  einen  Stadt  mehr  blut^ 
urteile  gesprochen  zu  glauben  als  bündnerprocesse  in  Athen  währen( 
siebzig  jähren  geführt  sind,  diese  vergleichung  pafst  nur,  wenn  man 
wie  der  Panalhenaikos,  die  ganze  reactionszeit  der  lakonischen  herrschaft 
zehn  jähre  den  siebzig,  gegenüberstellt,  aber  die  drei  monate  zwingei 
uns  dazu,  dem  Isokrates  eine  solche  Vermischung  zuzutrauen,  die  dre 
monate  sind  den  "^wenigen  monaten'  sehr  ähnlich,  innerhalb  deren  nacl 
Aristoteles  (35,  4)  die  Dreifsig  1500  bürger  widerrechtlich  getötet  haben 
dieselbe  zahl  hat  auch  Isokrates  (20,  11.  7,  67);  es  war  offenbar  eil 
sofort  formulirter  Vorwurf.  °)  und  doch  ist  diese  zahl  für  die  anlithesi 
des  Panegyrikos  zu  niedrig,  und  die  zahl  der  monate  stimmt  nur,  weil 
sie  nicht  genau  genommen  zu  werden  braucht.  Isokrates  kann  alsc 
von  dem  vorwürfe  nicht  frei  gesprochen  werden,  dafs  er  die  person 
die  er  angreift,  von  der  ganzen  lakonislenpartei,  die  er  eigentlich  meint 


9)   Das  interessante   sctiolion  zu  Aisc'iin.  1,  29  über  die  Dreifsig  stellt  neben 
diese  zahl  2500  aus  Lysias,  der  natürlich  den  mund  voller  nahm. 


Der  gegner  des  Isokrates.  389 

nicht  scharf  gesondert  hat.  er  schhefst  sogar  in  einzelnen  Wendungen 
die  Athener  mit  ein,  indem  er  in  der  ersten  person  des  pluralis  redet. 
die  hatten  zwar  schwer  genug  unter  der  reaction,  eben  durch  die  Dreifsig, 
zu  leiden  gehabt,  aber  der  angegriffene  Schriftsteller  war  kein  Athener,  sinte- 
mal in  Athen  kein  helot,  sondern  der  Spartiate  KaUibios  harmost  gewesen 
ist,  übrigens  den  Dreifsig  gegenüber  alles  andere  eher  als  ihr  herr,  und 
die  tyranneu  dreifsig  und  nicht  zehn  gewesen  sind.'")  und  wenn  auch 
(las  alles  nicht  da  stünde:  diese  kritik  des  Reiches  ist  ausschliefslich 
vom  Standpunkte  der  Untertanen  aus  geschrieben ,  denen  ein  Athener, 
und  wenn  er  auch  noch  so  oligarchisch  war,  nie  nachempfinden  konnte. 
die  m,eisten  ohgarchen  von  411  gaben  das  reich  mit  nichten  auf,  die 
Dreifsig  fanden  es  schon  zertrümmert:  ihr  hafs  galt  dem  y.aTC(QaTog 
öijiog  zu  hause. 

Was  wir  also  ermittelt  haben,  ist  eine  politische  Schmähschrift  gegen 
Athen  für  Sparta,  etwa  um  404  verfafst  von  einem  oligarchischen  lonier 
lim  weiteren  sinne  des  namens)  aus  einer  ehemals  unterworfenen  Stadt 
(also  nicht  aus  Chios;  an  Samos  ist  so  wie  so  nicht  zu  denken),  der 
in  eben  dieser  unter  einem  lakonischen  harmosten  eine  blutige  herr- 
schaft  geübt  hat.  der  mann  und  die  schrift  waren  dem  publicum  sehr 
iiekannt,  für  das  Isokrates  380  schrieb,  und  die  Vorverhandlungen,  die 
zu  der  Stiftung  des  neuen  Seehundes  führten,  haben  sehr  bedeutende 
riicksicht  auf  ihn  genommen,  ich  kann  ihn  nicht  benennen  und  wufste 
nicht,  wie  ich  ihn  suchen  sollte,  halte  aber  nicht  für  ausgeschlossen, 
(lafs  jemand  ihn  finden  kann,  weil  der  anhaltspunkte  nicht  wenige  sind. 
(lafs  die  ionische  publicistik  in  den  zeiten  der  entscheidenden  kämpfe 
solche  flugschriften  hat  erzeugen  müssen,  ist  von  vorn  herein  nach  dem 
Stande  des  lilterarischen  lebens  glaubhch;  aber  diese  schrift  hat  doch 
die  hohe  bedeutung,  dafs  sie  die  anschuldigungen  der  bundesstädte  in 
erschöpfender  weise  zusammengestellt  und  mafsgebend  für  die  Zukunft 
lormulirt  hat.  im  Panegyrikos  und  Panathenaiiios  bekämpft  sie  Isokrates: 
in  der  friedensrede  sieht  er  selbst  in  der  seeherrschaft  das  unheil  (64), 
da  berührt  er  sich  mit  den  gedanken  des  reichsfeindes,  und  wir  würden 
wol  noch  manche  anklänge  finden,  wenn  wir  eine  vergleichung  anstellen 
konnten:  die  bittersten  vorwürfe  hat  er  nur  nicht  vorzubringen  gewagt 
(81).     Aristoteles,   der  sowol   die  demokratische  entwickelung  der  athe- 


10)  Nach  dem  stürze  der  Dreifsig,  als  Kritias  und  Charikles  tot  waren,  sind 
zwar  zwei  zehnercoUegien  eingesetzt,  aber  damals  war  das  schlimmste  schon  ge- 
schehen, und  es  hat  die  spätere  zeit  die  zehn  stets  über  die  dreifsig  vergessen,  nicht 
umgekehrt. 


390  III.    12.  Isokiates  Panegyrikos  100—114. 

nischen  Verfassung  wie  die  behandlung  der  bündner  als  conseqnenzen 
der  seeherrschaft  verwirft,  hat  seine  ungerechte  beurteilung  des  Reiches 
vielleicht  nur  mittelbar  von  jenem  ionischen  reactionär  überkommen. 
Theopompos  von  Chios,  Duris  von  Samos  haben  dasselbe  lied  gesungen, 
es  kann  niemand  mehr  einen  directen  litterarischen  Zusammenhang  auf- 
zeigen: aber  für  die  entslehung  dieser  beurteilung  des  Reiches  in  der 
folgezeit  ist  es  von  grofser  bedeutung,  dafs  sie  mitten  in  der -hitze  des 
kampfes  ein  praktischer  Staatsmann  loniens  bereits  in  einer  litterarisch 
wirksamen  schrift  formulirt  hat. 


13. 
DIE  BEIEFE  DES  ISOKRATES. 


Auf  die  Stimmung,  die  jeden  griechischen  brief  unbesehens  verwarf, 
ist  die  entgegengesetzte  gefolgt;  es  ist  das  jedoch  kein  fortschritt,  denn 
Stimmungen  geniigen  für  die  Wissenschaft  nicht,  ich  brauchte  für  den 
prinzenerzieher  Aristoteles  den  fünften  brief,  wenn  er  acht  war:  deshalb 
habe  ich  die  sache  untersucht,  und  gerade  weil  das  ergebnis  kein  ein- 
faches ja  oder  nein  ist,  halte  ich  es  für  richtig. 

Der  brief  an  Dionysios  (1)  ist  durch  die  rede  an  Philippos  (5,81)  Briefi. 
so  sicher  bezeugt,  dafs  man,  um  ihn  zu  verwerfen,  die  absieht  eines 
falschers  wahrscheinlich  machen  müfste,  der  auf  grund  jener  stelle  einen 
brief  verfertigt  hätte,  das  ist  nicht  möglich,  es  kommt  hinzu,  dafs  der 
brief  nur  ein  sehr  schon  geschriebenes  prooemium  enthält,  das  eine 
wichtige  politische  erörterung  verspricht,  diese  zu  unterdrücken  konnte 
Isokrates  alle  veranlassung  haben,  wenn  die  politischen  ereignisse  eine 
für  ihn  unerwünschte  wendung  genommen  hatten,  und  der  sicilische  fürst 
mit  der  entgegengesetzten  politik  erfolgreich  gewesen  war:  der  falscher 
hätte  bequem  ex  eventu  schreiben  können  was  ihm  pafste.  der  brief 
nimmt  auch  auf  den  Panegyrikos  in  durchaus  angemessener  weise  be- 
zug  (6),  etwa  wie  die  rede  an  Philippos,  und  wenn  die  nachfeile  des 
briefes  gegenüber  dem  gespräche  so  behandelt  werden  (3),  dafs  man  die 
nachwirkung  der  schönen  platonischen  kritik  (Phaidr.  275®j  spürt,  so 
spricht  das  vollends  für  den  Verfasser,  der  trotz  aller  späteren  entfrem- 
dung  den  Phaidros  zu  viel  und  zu  gerne  gelesen  hatte,  um  ihn  je  zu 
vergessen. 

Den  gleichen  Stempel  der  ächtheit  tragen  die  beiden  empfehlungsbriefe  Brief ".  s 
an  Timotheos  von  Herakleia  und  die  Mytilenaeer.    so  viel  detail,  das  wir 
als  geschichtlich  zutreffend  erkennen,    wo  wir  es   controUiren   können, 
und  in  sehr  viel  gröfserem  umfange  zu  beurteilen  gar  nicht  in  der  läge 


392  in.    13.  Die  biiefe  des  Isokiates. 

sind,  steht  nicht  in  falschviiigen,  es  sei  denn,  dals  sie  anderen  zwecken 
dienen  als  sie  zur  schau  tragen,  davon  ist  hier  keine  rede,  es  finden 
sich  in  diesen  hriefeu  ühnhche  Wendungen  (7,  11  ==8,  10):  aber  das  ist 
nicht  wunderbar,  wenn  er  (hese  geschrieben  hat,  müssen  wir  dem  Iso- 
krates  doch  zutrauen,  dals  er  solche  Schriftstücke  sehr  zahlreich  hat  aus- 
gehn  lassen,  sie  sind  viel  merkwürdiger  als  der  brief  an  Dionysios. 
denn  jener  war  nichts  anderes  als  der  Philippos  auch,  ein  Gv(.ißovXevxi'Mg 
J.öyoQ  in  der  form  einer  Zuschrift,  also  ohne  die  fiction  der  mündlichen  an- 
spräche, nur  in  sofern  ein  brief.  die  kunstform  ist  die  der  rede,  in  diesem 
sinne  ist  das  dritte  pythische  gedieht  des  Pindaros  auch  ein  brief,  in  der  form 
gleichwol  von  dem  ersten  und  allen  andern  chorischen  liederii  des  dichters 
nicht  verschieden,  dagegen  die  empfehlungsschreiben  sind  briefe,  hrcL- 
gto?mI  im  vollen  sinne  des  Wortes,  da  ist  es  nun  eine  für  die  griechische 
Stilistik  unschätzbare  tatsache,  dafs  Isokrates  seinen  rhetorischen  stil  auch 
für  den  brief  angewandt  hat.  er  hat  nicht  begriffen,  dafs  der  brief  als 
eine  vertrauliche  und  improvisirte  äiifserung  erst  dann  gut  geschrieben  ist, 
wenn  er  für  das  lesen  geschrieben  ist,  nicht  das  hören,  wenn  er  von 
der  stilisirten  rede  sich  ymt^  sldog  unterscheidet,  stilistisch  betrachtet 
sind  es  gar  keine  briefe.  trotzdem  dafs  Platon  sowol  in  der  theorie  wie 
in  der  praxis  gezeigt  hatte,  dafs  selbst  das  gespräch  als  kunstform  neben 
der  älteren  anspräche  gleich  oder  höher  berechtigt  stünde,  hat  der  sopbist 
nicht  begreifen  wollen,  dafs  seine  schönredekunst  kein  allerweltsorgan  wäre, 
nur  die  dürftigkeil  und  stillosigkeit  braucht  eigentlich  handwerkzeuge 
wie  den  *^bratspiefsleuchter'  und  "^das  delphische  messer''^):  so  pflegt  der 
deutsche  jetzt  dieselbe  stillose  rede  mit  mund  und  feder  zu  führen;  er 
sieht  darin  wo  möglich  objectivität  und  biederkeit,  dafs  er  überhaupt 
formlos  bleibt,  aber  besser  ist  das  allerdings,  als  der  bei  den  Hellenen 
von  Gorgias  bis  Rhangabis  immer  wieder  auftauchende  wahn,  dafs  eine 
bestimmte,  allerdings  bewunderungswerte,  kunstform  die  ganze  prosa  be- 
herrschen dürfte,  der  ohne  frage  vollkommenste  Vertreter  dieser  ansieht 
ist  Isokrates,  und  er  ist  sich  dessen  wol  bewufst  gewesen :  die  in  Platon 
verkörperte  höhere  auffassung,  der  es  gelang  die  gesprochene  rede  in 
allen  ihren  tönen  zu  treffen ,  immer  vollendet  und  immer  anders  stili- 
sirt,  hat  er  im  Panathenaikos  auch  zu  überbieten  versucht,  so  hat  er 
also  auch  briefe  geschrieben,  und  wir  sehen  ja,  dafs  kein  geringerer  als 
könig  Philippos  für  seine  diplomatische  correspoudenz  sich  an  diese  stil- 


1)   Aristoteles  Politik  J  1299'^  ^  1252''  ovSii'   r,    (pvais  jioiel  roiolrov  olou 
oi  ;^rt^./<OTt'rrot  xr^r   Jehfiy.T]v  ui'i/jtioav,  7i£i-i/^ocös,  «//.'   iV  7iao£  ty. 


Brief  7.  8.     brief  4.  393 

regeln  gebunden  hat:  sein  Ultimatum  an  Athen  ist  in  dem  stUe  colto 
des  Isokrates  gckalten.  natürlich  haben  die  Hellenen  trotz  Isokrates 
\or  und  neben  ihm  wirkliche  briefe  geschrieben:  aber  so  gern  ich  proben 
liiitte  —  da  ich  für  die  fälschungen  auf  ältere  naraen  nicht  empfänglich 
bin,  so  kenne  ich  keine.^)  wenn  Piaton  welche  schrieb,  des  bin  ich 
sicher,  hat  er  wie  ein  mensch,  nicht  wie  ein  rhetor  geredet,  freilich  wie 
der  mensch  Piaton,  als  greis  also  wie  der  greis  Goethe  briefe  schrieb.^) 
der  erste  künstler  des  ächten  briefstils  aber  ist  bekanntlich  Aristoteles 
geworden,  als  junger  mensch,  recht  sehr  empfänglich  für  den  zauber 
der  isokrateischen  perioden,  hat  er  sich  des  fictiven  briefes  für  seinen 
T'iotreptikos  bedient,  die  reste  seiner  privatcorrespondenz  aus  den  spä- 
teren Jahren  rechtfertigen  durchaus  das  lob  seiner  schule:  sie  tragen  alle 
Vorzüge  des  ächten  briefstils  an  sich,  dasselbe  tun  die  briefe  des  Ale- 
xandros  und  was  sonst  in  dessen  correspondenz  stand  ^),  natürlich  mit 
dem  unterschiede,  dafs  der  könig  der  mutter  vieles  zugleich  für  sein 
i^etreues  volk  mitteilt,  er  schreibt  nach  Issos  an  Olympias  wie  künig 
Wilhelm  an  die  künigin.  aber  er  schreibt  nach  den  regeln  des  Aristo- 
teles, nicht  nach  denen  des  Isokrates. 

Nun  wäre  es  ja  sehr  hübsch,  wenn  die  drei  sicher  ächten  briefe  Brief  4. 
die  ganze  Sammlung  retten  konnten,  aber  so  sicher  sie  acht  sind,  gibt  es 
auch  unächte.  der  empfehlungsbrief  an  Antipatros  (4)  ist  von  Bruno 
Keil  (Anal.  Isoer.  142)  durch  die  form  so  gut  wie  es  mit  solchen  mittein 
möglich  ist  geächtet  worden ,  und  Blafs  (Att.  Bereds.  IF  329)  hat  vor- 
gezogen ,  auf  diesen  beweis  mit  einer  redensart  zu  erwidern ,  die  nur 
dem  leser  imponiren  kann,  der  Keils  buch  nicht  kennt,  und  auch  dann 
nicht:  denn  in  den  briefen  die  rede  des  'gewöhnlichen  lebens'  zu 
finden,  ist  eine  Zumutung,  der  nicht  leicht  jemand  folge  leisten  kann; 
Isokrates  würde  über  sie  entrüstet  sein,  aber  sei's  drum :  ist  das  wort 
Givog,    gar  im    plural    alvr],    etwa   dem   gewöhnlichen   attischen  leben 


2)  Von  den  Staatsschriften  in  briefform,  die  von  der  persischen  monarchie  aus- 
gehn,  sehe  ich  ab,  vgl.  I  130. 

3)  Dafs  ich  den  sechsten  platonischen  brief  nicht  von  vornherein  verwerfe, 
habe  ich  I  334  gestanden,  aber  ich  weifs  nicht,  ob  er  acht  ist:  die  sehr  schwere 
Untersuchung  der  sehr  ungleichartigen  und  zumeist  offenbar  unächten  platonischen 
briefsammlung  habe  ich  nicht  geführt. 

4)  Vgl.  meine  bemerkung  in  Kaibels  Athenaeus  zu  XIV  659  f.  die  correspon- 
denz Alexanders  war  eine  kostbare  quelle:  es  ist  für  Arrian  ein  schwerer  Vorwurf, 
dafs  er  sie  nicht  aufgesucht  hat.  freilich  hat  er  auch  darin  unbedachte  nachtreter 
gefunden.  —  die  sehr  verdienstliche  Sammlung  von  Pridik  habe  ich  nicht  mehr  be- 
rücksichtigen können. 


394  III.    13.  Die  briefe  des  Isokrates. 

angehörig?  zieht  etwa  ein  xenophonlischer  beleg  für  den  atticismus 
eines  wortes?  und  wenn  ein  in  der  tat  gewühnhches  wort  wie  arta 
hier  allein  in  dem  ganzen  nachlasse  des  Isokrates  steht,  ist  das  keine 
Instanz?  der  brief  beansprucht  nun  von  Isokrates  geschrieben  zu  sein; 
die  Situation,  die  er  voraussetzt,  ist  einfach,  er  ist  ein  enipfehlungs- 
schreiben  für  einen  nicht  genannten  söhn  eines  gewissen  Diodotos,  der 
nach  anderen  Stellungen  bereits  bei  Antipatros  angekommen  ist  und  hier 
nur  weiter  empfohlen  wird;  der  söhn  reist  erst  jetzt  nach  Makedonien. 
um  des  Inhaltes  willen  würde  es  mir  sehr  fern  liegen,  den  brief  zu  be- 
anstanden, jetzt,  wo  die  form  mich  zur  Verwerfung  zwingt,  vermag  ich 
doch  nicht  zu  entscheiden,  ob  Diodotos  oder  sein  söhn  sich  dies  em- 
pfehlungsschreiben  des  berühmten  mannes  einmal,  vielleicht  als  jener 
längst  tot  war,  verfertigt  haben,  oder  ob  ein  rhetor  mitsammt  dem  briefe 
auch  die  d^eotg  erfunden  hat.  übrigens  entschuldigt  er  am  Schlüsse 
selbst  die  etwa  im  stile  vorhandenen  anstöfse.  das  würde  Isokrates  nur 
getan  haben,  wenn  er  sicher  war,  dafs  keine  darin  wären. 
Brief  9.  Eine  viel  plumpere  und  dümmere  fälschung  ist  der  brief  an  Archi- 

damos  (9),  obwol  ich  da  den  stil  nicht  tadeln  kann,  ob  man  dem  Iso- 
krates zutrauen  will,  ein  so  grofses  stück  (11  — 14),  eine  von  fünf  selten, 
aus  dem  Panegyrikos  abzuschreiben,  dessen  tendenz  noch  17  paraphrasirt, 
stehe  dahin,  aber  wenn  der  brief  acht  ist,  so  ist  er  nach  der  rede 
Archidamos  geschrieben,  und  er  versetzt  sich  selbst  in  die  zeit,  wo  Iso- 
krates 80  jähre  war  (356):  den  Archidamos  aber  kann  nur  die  voll- 
kommenste verkehrung  aller  geschichte  von  der  zeit  losreifsen,  in  die 
er  sich  selbst  setzt,  366,  und  für  die  diese  gut  geschriebene  politische 
brochure  bestimmt  ist.^)  übrigens  war  Isokrates  in  den  fünfziger  jähren 
alles  andere  als  TtavxaTtaoLV  a7ceiQr]y.wg:  er  stand  in  mitten  einer 
eben  so  starken  wie  fruchtbaren  tätigkeif,  dagegen  wäre  es  in  der  tat 
das  übermafs  von  abgeschmacklheit  gewesen,  Sparta,  das  sich  mit  mühe 
der  Arkader  erwehrte  und  Megalopolis  erst  bezwungen  haben  mufste,  um 
überhaupt  eine  politische  rolle  zu  spielen,  auf  den  kampfplatz  nach  Asien 
zu  rufen,  dies  ist  also  eine  in  jeder  beziehung  aufser  der  form  kümmer- 
liche nachahmung,  die  sicherlich  erst  verfafst  ist,  als  die  Zeitgeschichte 
genügend  in  Vergessenheit  geraten  war.  übrigens  ist  es  kein  wirklicher 
brief,  sondern  nur  in  dem  sinne,  wie  der  an  Dionysios;  der  Verfasser 
ist  auch  über  die  eiuleitung  nicht  hinausgekommen,  wozu  ihm  eben  jener 


5)   Ob  er  oder  Alkidamas,  der  die  gegenschrift  für  Messene  verfafste,  früher 
geschrieben  hat,  bin  ich  aufser  stände  zu  entscheiden. 


Brief  9.     brief  3.  395 

die  berechtiguDg  gegeben  haben  wird,  als  er  so  verstümmelt  vorlag,  wie 
wir  ihn  lesen. 

Über  den  sechsten  brief,  an  lasons  söhne,  kann  ich  mir  noch  kein    ßrief  6. 
festes  urteil   erlauben,    da   die   momente   für   und  wider  sich    die  wage 
halten,     ich  mag  diese  unbefriedigende  rechnung  nicht  auflegen. 

Um  so  sicherer  bin  ich,  dafs  der  dritte  brief,  der  neuerdings  Briefs. 
mehrfach  als  acht  behandelt  ist,  eine  tendenziöse  fälschung,  keine 
harmlose  rhetorenfiction ,  aber  noch  weniger  ein  werk  des  Isokrates 
ist.  der  brief  will  geschrieben  sein,  nachdem  Antipatros,  der  gesandte 
des  Philippos,  den  frieden  nach  der  schlacht  von  Chaironeia  in 
Athen  abgeschlossen  und  Philippos  bereits  die  absieht  kund  getan 
hat ,  sich  zum  feldherrn  der  Hellenen  gegen  Asien  wählen  zu  lassen, 
den  aywv  yey€vr]f.i€vog  (2),  der  die  Hellenen  alle  zur  raison  gebracht 
hat  und  die  intentionen  des  königs  als  richtschnur  ihrer  eigenen 
wünsche  zu  betrachten  zwingt,  kann  nur  eine  interpretatorische  gewall- 
tat auf  etwas  anderes  als  die  entscheidungsschlacht  beziehen,  die  am 
siebenten  metageitnion  338  bei  Chaironeia  wirklich  die  Hellenen  in  diese 
Zwangslage  versetzt  hatte,  es  ist  kein  weiteres  festes  datum  erhalten; 
zwei  monate  später,  am  totenfeste  des  pyanopsion ,  war  alles  vorüber, 
aber  da  in  Athen  zunächst  die  patrioten  sich  auf  den  äufserten  wider- 
stand rüsteten,  Philippos  auf  dem  schlachtfelde  halten  bheb  und  diplo- 
matische Verhandlung  durch  die  versag ung  der  leichen  zu  erzwingen 
suchte,  dann  Boeotien  unterwarf  und  neu  ordnete,  während  die  ge- 
sandtschaften  hin  und  her  giengen,  so  kann  Antipatros  wirklich  vor  an- 
fang  boedromion  Athen  nicht  verlassen  haben,  also  da  will  der  brief 
geschrieben  sein,  es  ist  mir  sehr  lieb,  dafs  man  darüber  nicht  zu  streiten 
braucht,  ob  Isokrates,  der  steinalte  mann,  vaterlandslos  genug  gewesen 
sei ,  sich  darüber  glücklich  zu  preisen ,  dafs  er  diesen  tag  erlebt  hätte 
(6):  mir  ist  die  rhetorik  wahrhaftig  zuwider  und  die  allgemeine  bil- 
dung  noch  mehr,  aber  ich  könnte  das  dem  Isokrates  nicht  zutrauen, 
doch  zum  glück  braucht  man  das  nicht  zu  bereden:  er  war  ja  damals 
schon  tot.  so  rede  man  doch  nicht  um  die  sache  herum,  sondern  be- 
kenne färbe,  entweder  oder,  entweder  der  brief  ist  gefälscht,  oder  die 
beiden  Zeitgenossen  haben  gelogen,  Aphareus,  der  Stiefsohn  des  Iso- 
krates, und  Demetrios  von  Phaleron,  der  schüler  seines  feindes  Aristo- 
teles,   denn  nach  jenem  ist  er  vier,  nach  diesem  neun  tage*^)  nach  der 

6)  Diese  zahlen  ausgeschrieben  in  der  plutarchischen  vita  p,  250  West,  die 
gewährsmänner  mit  denselben  zahlen  (nur  der  leichte  Schreibfehler  iS'  für  S'}  in 
der   vita  der  Isokrateshandschriften  258.     die  zahl   4   auch  noch  bei  dem  Plutarch 


396  in.    13.  Die  biiefe  des  Isokrates. 

Schlacht  freiwillig  gestorben:  aörilov  eri  ovzog  Tiiog  xQr^asraL  rf]  Tiyjj 
Oilutnog,  wie  Dionysios  sagt  (V  537  R.)-  wer  das  sagt,  hat  den  brief 
nicht  gekannt  oder  verworfen,  nun  mag  einer  kommen  und  ihm  zu 
liebe  jene  beiden  Zeitgenossen  der  lüge  zeihen,  der  söhn  mochte  fäl- 
schen, um  dem  vater  die  schände  dieses  briefes  zu  nehmen:  aber  der 
gegner?  es  existirt  ja  aber  gar  keine  andere  Überlieferung  über  die 
zeit,  wann  Isokrates  starb,  und  diese  ist  mit  dem  briofe  in  keinae  be- 
ziehung  gesetzt,  man  erzählt  nur  noch  von  den  drei  euripideischen  versen, 
die  der  alte  in  der  palaestra  des  Hippokrates  recilirte,  eh  er  sterben 
gieng,  von  den  drei  barbaren ,  die  nach  Hellas  kamen,  zu  denen  Phi- 
lippos nun  als  der  vierte  träte,  diese  anekdote  setzt  zwar  den  tod  gleich 
nach  der  schlacht  voraus,  aber  sie  ist  durch  keinen  gewährsmann  ge- 
schützt und  in  sich  äufserst  unwahrscheinlich:  weder  hielt  Isokrates  den 
Philippos  für  einen  barbaren,  noch  war  es  seine  art  tragische  verse  zu 
citiren.  das  ist  also  eine  fabel,  gemacht  um  den  feststehenden  tod  im 
antiphilippischen  sinne  zu  deuten. 

Wie  aber  war  die  Situation  wirklich  in  der  ersten  woche  nach  der 
Schlacht?  Athen  ohne  beer,  ein  grofser  teil  der  waffenfähigen  bürger 
gefangen;  der  sieger,  der  über  eine  vorzügliche  cavallerie  verfügte, 
konnte  jeden  tag  die  passe  des  Kithairon  überschreiten,  auf  die  helle- 
nischen bundesgenossen  war  kein  verlafs;  der  Perserkönig,  auf  den  die 
palriotenpartei  besondere  hoffnungen  gesetzt  hatte,  war  zu  weit,  und 
trotzdem  herrschten  die  unversöhnlichen  schreier,  und  Ilypereides  gieng 
ernstlich  daran,  die  sclavenschaft  zu  befreien  und  zu  bewaffnen,  es  hatte 
eben  alles  den  köpf  verloren ;  wenn  Philippos  nicht  kaUes  blut  behalten 
hätte  und  zugewartet,  bis  das  Strohfeuer  dieses  verspäteten  Opfermutes 
niedergebrannt  war,  so  wäre  Athen  verloren  gewesen,  wer  konnte  aber 
wissen,  wie  er  den  wunderbar  leichten  erfolg  ertragen  würde?  dafs  da 
ein  alter  kranker  mann,  der  seine  letzte  kraft  daran  gesetzt  hatte,  diesen 
konig  und  seine  Vaterstadt  in  ein  gedeihliches  Verhältnis  zu  bringen,  einer 
der  zudem  die  Zeiten  von  405/3  aus  eigner  erinnerung  kannte,  nicht 
mehr  leben  mag  und  die  speise  verweigert,  ist  menschlich  und  ist 
glaubhch.  er  demonstrirt  weder  für  noch  gegen  Phihppos,  er  will  nur 
den  jüngsten  tag  nicht  mehr  erleben,  so  hat  E.  Curtius  bereits  ganz 
richtig  die  tatsache  seines  todes  in  diesen  tagen  erläutert:  wenn  irgend 


249.  auch  sind  beide  zahlen  durch  den  durch  sie  erzeugten  irrtum  geschützt,  dafs 
es  die  tage  der  totenfeier  für  die  gefallenen  gewesen  wären:  die  rituellen  trauer- 
tage stehen  ja  fest,  dafs  die  asche  erst  viel  später  nach  Athen  gebracht  ist,  weifs 
Mer  sich  um  die  geschichte  gekümmert  hat. 


Brief  3.     brief  2.  397 

welche  Überlieferung  eine  saclie  feststellen  kann,    so  ist  der  tod  in  der 
ersten  woche  nach  Chaironeia  eine  feste  latsache. 

In  den  fürchterlichen  tagen  hat  schwerlich  jemand  viel  auf  den  tod 
des  alten  niannes  geachtet,  aber  als  in  Korinth  Philippos  die  Stellung  ein- 
nahm, die  ihm  die  publicistik  des  Isokrates  noch  in  dem  Panathenaikos,  der 
jetzt  gerade  erschien,  zugedacht  hatte,  die  Stellung  Agamemnons  (12, 
74 — 83),  da  wandte  sich  ihm  das  Interesse  zu,  und  es  war  natürlich, 
dafs  man  hin  und  her  redete,  wie  er  sich  zu  der  neuen  Situation  gestellt 
haben  würde,  er  war  an  der  schlacht  von  Chaironeia  gestorben,  doch 
so,  dafs  die  beiden  parteien  ihn  sich  zurechnen  konnten,  und  er  war 
immerhin  der  anerkannteste  redner  und  redelehrer  der  weit,  die  demo- 
kraten,  so  Avenig  er  ihnen  zuletzt  hold  gewesen  war,  halten  den  besseren 
schein  für  sich;  das  lag  an  dem  datum  des  todes.  ihre  fiction  ist  das 
apophthegma  der  drei  verse:  sterbend  hat  er  doch  den  Philippos  als 
barbaren  stigmatisirt.  das  prefserzeugnis  der  makedonischen  partei  ist 
der  falsche  brief.  falsch  ist  er:  aus  der  chronologischen  klemme  wird 
ihn  nur  die  gewalt  reifsen.  aber  er  ist  sehr  merkwürdig,  weil  er  falsch 
ist.  er  macht  propaganda  für  die  officielle  hellenische  politik  Philipps, 
später  ihn  zu  erfinden  hatte  keinen  zweck  mehr,  nachdem  der  söhn  un- 
endlich viel  mehr  erreicht  hatte  denn  der  vater  geplant.')  im  winter 
338/7  war  er  ein  guter  contrecoup  gegen  die  durch  demokratische  fabeln 
verstärkte  Wirkung  des  todes.  wer  zählte  auch  so  genau  die  tage? 
Aphareus  und  Demetrios  haben  es  getan;  ob  mit  derselben  absieht,  wie 
ich  hier,  mufs  dahingestellt  bleiben. 

Der  falsche  brief  tat  um  so  bessere  Wirkung,  wenn  bekannt  war,  Brief  2. 
dafs  Isokrates  an  den  könig  öfter  geschrieben  hatte,  seine  ächtung  zieht 
also  den  zweiten  brief  mit  nichten  mit  ins  verderben,  und  dafs  eine 
Wendung  aus  diesem  (11)  in  dem  falschen  (5)  wiederkehrt,  discreditirt 
nur  den  letzteren,  auch  der  falsche  brief  an  Archidamos  (6)  hat  den 
eingaug  des  zweiten  benutzt,  der  Inhalt  ist  überwiegend  wirklich  ein 
persönlicher,  der  redner  warnt,  wie  ihm  alter,  berühmtheit  und  die 
durch  die  grofse  rede  begründete  persönliche  beziehung  wol  verstatteten, 
den  könig  davor,  sein  leben  allzusehr  im  kämpfe  auszusetzen  und  nicht 
die  pflichten  des  königs  mit  denen  des  Soldaten  zu  verwechseln,    es  ist 


7)  Der  brief  sagt  dem  Philipp,  wenn  er  den  grofskönig  besiegt  hätte,  ovSiv 
e'axat  Xomov  exi  itXriv  &elv  yEviad'ai.  daraus  könnte  man  ableiten  wollen,  der 
brief  wäre  geschrieben,  als  Alexander  diesen  schritt  getan  hatte,  dem  kann  ich 
nicht  folgen:  das  ist  eben  eine  dem  Hellenen  ganz  natürliche  Steigerung,  vgl.  I  337. 
der  Verfasser  ist  höchstens,  wenn  man  will,  ein  prophet  gewesen. 


398  III.    13.  Die  briefe  des  Isokrates. 

bekannt,  wie  sehr  Philippos  diese  niahnung  verdiente,  die  empfehliing 
seiner  Vaterstadt  steht  dem  Isokrates  nol  an  ;  nirgends  schreibt  er  ab, 
nirgends  freilich  verrät  er  tiefere  einsieht  in  die  actuelle  poHtik,  so  dafs 
man  zwiscb.en  dem  frühjahr  341  und  dem  340  schwanken  kann:  denn 
vor  dem  aufbruche  aus  dem  Winterquartiere  mufs  der  brief  verfafst  sein, 
ich  wüfsle  kein  moment,  das  wider  ihn  spräche. 
3rier  5.  Damit  ist  über  die  heilagc  dieses  Schreibens,  den  l)rief  an  Alexan- 

dres, entschieden  (5),  wenn  anders  er  ist,  wofür  er  sich  ausgibt,  eine 
beilage.  dafs  der  könig  in  den  Winterquartieren  seinen  sehn  bei  sich 
hat,  ist  begreiflich,  dafs  Isokrates  veranlassung  nimmt,  sich  dem  hoff- 
nungsvollen erben  vorzustellen,  nicht  minder;  aber  wenn  er  das  damit 
molivirt,  er  müfste  doch  den  beweis  liefern,  dafs  er  noch  einen  rest 
seiner  alten  leislungsfähigkeit  bewahrte,  und  man  angesichts  dieses 
ihm  nicht  nachsagen  könnte,  er  wäre  kindisch  geworden,  so  reicht 
die  allgemeine  Situation,  wie  sie  die  bekannten  personen  geben,  nicht 
wol  hin.  der  alte  berühmte  professor  schreibt  an  den  prinzeu  ganz 
wie  sichs  gebort,  anerkennend  und  aufmunternd,  'wenn  du  so  fort- 
fährst, wirst  du  auch  im  späteren  alter  dich  vor  den  übrigen  an  ein- 
sieht so  hervortun ,  wie  es  jetzt  dein  vater  vor  allen  tut."*  das  com- 
pliment  zielt  auf  den  vater;  der  es  schrieb,  wollte  von  jenem  gelesen 
werden  und  hatte  keine  ahuung,  wie  ungeheuer  der  söhn  diesen  zu 
überflügeln  berufen  war.  beides  ist  eine  garantie  der  ächtheit;  aber 
was  Isokrates  von  Alexandros  gehört  haben  will,  befremdet  zunächst,  er 
treibe  philosophie;  nun  gut,  das  ist  im  munde  des  alten,  er  lernt,  wie 
sich  für  den  kaum  mannbaren  knabeu  schickt,  er  treibe  zwar  auch 
die  Philosophie,  die  wir  so  nennen,  Isokrates  eristik  schilt,  aber  seine 
neigimg  gelte  der  besseren  philosophie,  der  rhetorik.  das  ist  sehr  wenig 
glaublich :  von  der  rhetorik  hat  der  grofse  könig  nachmals  wenig  genug 
gehalten,  weder  selbst  die  isokrateische  kunst  geübt,  noch  neben  hof- 
poeten,  hofphilosophen  und  hofkünstlern  aller  art  hofrhetoren  ange- 
stellt, es  sei  denn  man  rechne  die  historiographen  Anaximenes  und 
Kallisthenes  mit,  die  Isokrates  nicht  anerkannt  haben  würde,  die  ein- 
fachen glockentöne  Homers,  nicht  die  künstlichen  fugen  und  passagen 
des  Panegyrikos  haben  seine  heldenseele  zum  zuge  wider  die  barbaren  be- 
geistert, also  mufs  Isokrates  schlecht  berichtet  gewesen  sein,  oder  viel- 
mehr, er  war  es  wol  gut,  und  gerade  deshalb  schrieb  er  so  wie  er  es 
getan  hat,  und  weil  er  sich  so  anstellt,  waren  die  ieser  in  der  läge  die 
feinheit  des  alten  zu  bewundern :  das  ist  weniger  auf  den  prinzen  als 
auf  den  hofmeister  Aristoteles  berechnet,    der  rhetor  stellt  was  er  wünscht 


Brief  5.  399 

mit  harmlosem  gesiebte  so  dar,  als  hätte  er  es  gehört,  und  belobt  den 
prinzen  für  das  was  er  gern  an  ihn  loben  würde,  an  einen  minder 
vornehmen  würde  er  die  form  der  mahnung  gerichtet  haben  'wozu  die 
Spintisierkünste  der  eristik  und  dialektik,  die  dir  Aristoteles  beibringt, 
Avozu  lernen  was  man  gar  nicht  braucht,  du  bist  für  das  praktische 
leben  bestimmt,  dazu  hilft  dir  nur  die  Schulung  fürs  leben,  die  allgemeine 
iiildung  und  die  rhetorik^  so  schwatzen  ja  auch  jetzt  die  Isokratesse, 
nur  dafs  sie  weder  reden  noch  schreiben  können,  könig  Phihppos  aber 
wufste,  wozu  er  beide  brauchen  konnte,  den  rhetor  um  die  gimpel  der 
öffentlichen  meinung  zu  fangen,  und  den  philosophen  um  dem  makedo- 
nischen throne  einen  herrn  von  acht  hellenischer  seele  zu  geben,  dieser 
brief  ist  wirklich  ein  hübsches  Stückchen  isokrateischer  finesse:  der  ist 
.icht,  weil  er  tiefer  ist  als  er  scheint  und  auf  notorisch  wahre  Verhält- 
nisse versteckt  bezug  nimmt. 

So  endet  meine  prüfung.  es  gibt  also  ächte  und  unächte  stücke 
in  der  Sammlung,  die  form  zeigt,  dafs  sie  alle,  wie  natürlich,  recht  alt 
sind,  weil  es  ächte  gab ,  liefsen  sich  unächte  schmieden ;  deren  jeder 
>eine  verschiedene  herkunft  hat.  die  Alexandriner  haben  sie  natürlich 
so  vereinzelt  überkommen ,  wie  wir  jetzt  den  dritten  demosthenischen 
iirief  lesen,  da  ist  also  von  vorn  herein  gar  kein  anderes  resultat  zu 
erwarten  als  ein  sehr  compHcirtes.  so  viel  stücke,  so  viel  einzelne  pro- 
bleme.  ich  würde  es  schon  für  einen  grofsen  fortschrilt  halten,  wenn 
man  aufhörte  die  schür  über  einen  kämm  für  methode  zu  haUen. 


14. 
DEMOSTHENES  PßOOEMIUM  55. 


"In  der  guten  allen  zeit  hielt  das  volk  darauf,  dafs  die  biedermänner 
auch  zu  den  änitern  herankamen,  das  war  sehr  schön,  denn  die  stän- 
digen inhaber  (oi  owsxelg  oWe)  nahmen  sich  vor  diesen  anständigen 
coUegen  zusammen,  und  es  wurden  die  braven  leute  nicht  von  der  krippe 
(dem  -AaQTiovo&ai  ra  y.oiva)  weggestofsen,  weil  sie  sich  nicht  zu  einer 
tätigkeit  drängen,  die  es  mit  sich  bringt,  dafs  man  commandirt  und  durch 
die  disciplin  misliebig  wird  {Ivo^Xelv  v.al  TtaQayyellsiv).  jetzt  besetzt 
ihr  die  ämter  wie  die  priostertümer  (das  heifsl  hier  nicht,  wie  bei  Iso- 
krates  2,  6,  dafs  jeder  befähigt  zu  ihnen  erscheint,  sondern  dafs  das  volk 
auf  die  person  keinen  wert  legt  und  jeden  der  sich  meldet  zuläfst),  und 
da  ist  es  natürlich,  dafs  ihr,  die  masse,  herumlauft')  und  zu  den  wenigen 
emporblickt,  die  durch  die  pfründen  reich  wurden,  die  sie  dauernd  ge- 
niefsen  (avveyßg  nolÄa  ?Mf.ißccvsiv).  ihr  seid  eben  so  inconsecpient, 
dafs  ihr  die  Iteration  der  astynomie  z.  b.  verbietet,  die  der  Strategie  ge- 
stattet, für  die  wirklich  militärischen  stellen  {rovg  eul  nov  JtQä^eiov, 
bei  Aristoteles  ähnlich  61,  1  /tQog  ra  vtagövra  c/cgäy/nara  l'/Cycsf-i/teiv, 
wenns  aber  keine  Ttgäyfiara  gab,  so  hatten  diese  vollends  sinecuren)  mags 
noch  hingehn,  aber  es  ist  eine  toJlheit  bei  denen  die  ohne  etwas  zu  tun 
zu  haben  einen  unbefristeten  posten  einnehmen,  obgleich  sie  für  einen 
befristeten  gewählt  sind,  (das  mag  das  frostige  Wortspiel  meinen,  yitogav 
azsXeoTOv  %yovoLv  avrol  rETeleofiivot  vgl.  Weil  zur  rede  Ttegl  ovvtcc- 
^etog  19.  natürlich  klingt  die  Telsri]  neben  dem  Te?.og  durch:  sie  sind 
geweiht,  haben  aber  einen  ungeweihten  platz),  ihr  müfst  auch  von  euch 
leute  in  diese  stellen  bringen." 


1)  ns^irize  in   correcter  orlliographie,   die  im  atiischen  allerorten  lieigestellt 
werden  mufs,  wo  ne^i  vor  einem  iola  stelU,  ist  überliefert. 


III.    14.  Demosthenes  prooemium  55.  401 

Was  ist  das?  erstens  ist  es  kein  prooemium,  denn  es  fängt  mit 
der  wirklichen  beliandlung  eines  wirklichen  Vorschlages  an.  es  ist  ein 
l.ruchstück,  denn  die  behandhing  geht  über  die  allgemeine  tendenz  des 
antragstellers  nicht  hinaus,  und  der  letzte  satz  ist  nicht  mehr  voll  ver- 
ständlich "wenn  ihr  gleichsam  eine  wage  aufstellt,  wird  schon  von  selbst 
hervortreten  {jtQoeioiv  sc.  1^  v(.iü)v)  wer  etwas  (eine  berücksichtigung) 
verdient"  dabei  kann  man  sich  nur  in  vager  allgemeinheit  etwas  denken : 
es  ist  der  Übergang  zu  der  speciellen  behandhing.  wir  haben  hier  somit 
eine  rede,  die  die  unbeschränkte  iteration  der  Strategie  beseitigen  will 
und  unverblümt  zu  verstehn  gibt,  zu  tun  hätten  die  meisten  Strategen  ja 
doch  nichts,  und  die  emolumente  dürften  nicht  blofs  wenigen  zuQiefsen. 
ich  mufs  eingestehn,  dafs  ich  nicht  weifs,  worin  diese  emolumente  be- 
standen und  wieweit  sie  nicht  blofs  'usancemäfsig'  waren  (vgl.  oben 
I  196). 

Ob  man  dem  Demosthenes  die  moralische  niedrigkeit  zutrauen  will, 
die  in  der  motivierung  dieses  antrages  liegt,  mag  ich  nicht  entscheiden: 
ilie  torheit,  die  darin  liegt,  traue  ich  ihm  nicht  zu.  aber  für  seine  zeit 
trifft  denn  doch  die  bedeutungslosigkeit  der  Strategie  nicht  zu.  freilich, 
I'hokion  bekleidete  sie  fast  ständig,  und  leute  wie  Chares  und  Chari- 
demos  haben  geld  mit  ihr  genug  gemacht,  aber  der  gedanke,  dafs  der 
Stratege  Athens  auf  das  niveau  des  archonten  hinabgedrückt  zu  werden 
verdiente,  konnte  wahrhch  erst  in  dem  kleinstaate  des  dritten  jahr- 
liunderts  aufkommen  oder  geäufsert  werden,  es  mufste  die  ki-iTtsigia 
des  wirklichen  militärs  nicht  mehr  notwendig  sein,  es  fehlt  mir  an 
jedem  näheren  zeitlichen  anhält,  denn  dafs  die  astynomen  in  der  ephe- 
meren Verfassung  des  Antipatros  unterdrückt  waren  (Dittenberger  zu  Syll. 
337)  macht  nichts  aus.  aber  für  evident  und  für  wichtig  halle  ich,  dafs 
wir  hier  ein  stück  haben,  das  nicht  ein  rhetor  zusammengestoppelt  hat, 
um  demosthenisch  zu  schreiben ,  sondern  dafs  wir  etwas  von  attischer 
beredsamkeit  aus  der  zeit  des  Demochares  oder  noch  späterer  besitzen, 
die  denn  allerdings  ihren  stil  demosthenisch  drechselte:  mit  hiaten  und 
vocabeln  und  prosamelrik  kommt  man  solchen  problemen  nicht  bei. 

Gleich  vorher  steht  ein  stück  ganz  derselben  art  (54).  das  ist  die 
formelhafte  meidung  eines  UgoTtoiSg,  der  im  namen  seiner  collegen  vor 
dem  Volke  über  den  ausfall  der  opfer  berichtet,  die  sie  an  Zeus  Soter, 
Athena  Soteira  und  INike  gebraucht  haben,  daneben  an  Peitho,  Götter- 
mutter und  Apollon  (der  ohne  beinamen  in  solcher  Verbindung  schwer 
denkbar  ist),  und  demgemäfs  beantragen,  das  volk  möge  die  bereitwillig- 
keit  aussprechen,  das  ergebnis  ihrer  opfer  auf  sich  zu  nehmen. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  26 


402  JIl,    14.  üemosthenes  prooemium  55. 

Aus  der   litteratur   wird  man  diese  worle,   die  für  ein  prooemium 
zu  halten  kindisch  wäre,  da  es  eine  vollkommene  rede  ist,  nicht  leicht 
verstehn.    aher  die  Inschriften  des  dritten  jahrluinderls  belegen  den  ge- 
brauch  und    die  formeln,   z.  b.  CIA  II  305.307.315.323.    'Ecp.  oqx. 
87,  172,  Dittenberger  Syll.  382.    auch  Zeus  Soter,  ApoUon,  dieser  wegen 
des  KeUensieges,  Athena  Nike  {Jelr.  89,  58)  wegen  späterer  siege  über 
Kelten    oder   Illyrier,    wenn    der    geehrte   der   archon    Ilerakleitos   von 
214/13   ist,    kommen    vor.     wer   die   steine    kennt,   wird    über  die  zeit 
nicht   im    zweifei   sein,    wann    dies  l'ormular  für  eine  anspräche  an  das 
Volk  oder,  mit  geringer  modification,  vor  dem  rate  aufgesetzt  ist.    es  ist 
viel   interessanter,   weil  es  nicht  von  Demosthenes  ist.     überhaupt  (wie 
ich    es  schon   vor  jähren    formulirt   habe)    ist   die   athetese   der   pseud- 
epigrapha    immer    nur    die    hülfte    von    dem,    was    die    Wissenschaft   zu 
leisten    fordert:    die    schriften   fallen    doch    damit    nicht   ins    bodenlose, 
dafs    sie    den    verfassernamen    einbüfsen.      und    die    auf    Demosthenes 
namen  verfertigten  stücke,   epitaphios,  erotikos,  vorreden,    ein  teil  der 
briefe,   die  erste  rede  gegen  Aristogeiton,    Demonikos  und  ein  teil  der 
isokrateischen  briefe,    die  leichenrede  des  Lysias,    ein    teil  der  pseudo- 
platonischen und  pseudaristotehschen  schriflen  sind  documente  für  eine 
zeit  der  attischen   litteratur,   die   uns   sonst   nur   philosophen   und   die 
späte  komüdie  in  bruchstücken  und  nachbildungen  repraesentiren :  in  Wahr- 
heit haben   wir  für  ihre  bestrebungen ,    gerade  die  stilistischen ,   belege 
genug;   man   mufs  sie  nur  an  ihrem  orte  benutzen,     erst  in  der  Über- 
treibung (der  rede  gegen  Aristogeiton)  hat  Demosthenes  vielen  die  Ösl- 
vozrjg  verkörpert;  erst  in  der  unkünstlerisclien  anähnlichung  an  die  gno- 
mische poesie  und  das  philosophische  apophthegma  hat  die  paraenese  des 
Isokrates  auf  die  masse  gewirkt;    nicht   der  ächte  Piaton,   sondern  der 
erste  Alkibiades  war  für  den  gaumen  des  Persius,  und  nicht  die  Pohtik, 
sondern  die  grobe  predigt  des  Kleilophon  n;oi  (fiQSO^e,  w  avd-Qioizoi 
ist  populär  in  der  kaiserzeit.    erst  so  wie  es  in  der  diadochenzeit  legirt 
wird,   hat   das  gold  der  attischen  cultur  durch  die  Jahrhunderte  cursirt. 


15. 
DIE  GEDICHTE  DES  ARISTOTELES. 


Die  eotrüslung  über  die  verräterei  Memnons  von  Rhodos,  der  sein 
freund  Hermias  zum  opfer  fiel,  hat  dem  Aristoteles  zwei  gedichte  ent- 
lockt, die  wir  der  biographie  des  Hermippos  verdanken,  denn  dafs  auf 
diesen  die  darstellung  des  Athenaeus  zurückgeht,  über  irgend  eine  musi- 
kalische Schrift,  die  z.  b.  den  Polemon  citirte,  wird  klar  durch  das  citat 
696  f.,  und  anders  wird  man  auch  den  bericht  des  Diogenes  (V  6) 
nicht  beurteilen ') ,  so  viele  mitlelglieder  auch  zwischen  dem  originale 
und  dem  letzten  ausschreiber  liegen,  für  die  kritik  ist  also  mafsgebend, 
dafs  alles  worin  Athenaeus  und  Diogenes  stimmen  ohne  weiteres  Her- 
mippos ist.  was  wir  gegen  beide  gewährsmänner  ändern ,  ändern  wir 
gegen  einen  zeugen  des  dritten  Jahrhunderts,  vor  Hermippos  hatten  die 
gedichte  berücksichtigung  gefunden  in  der  von  diesem  selbst  bezweifelten 
Verteidigungsrede  des  Aristoteles  (Ath.  697^),  bei  dem  falschen  Aristippos 
(Diog.  V  4)  und  vielleicht  dem  Pylhagoreer  Lykon  von  lasos  (Aristokles 
bei  Euseb.  pr.  ev.  XV  792),  denen  man  wol  so  viel  glauben  kann,  dafs 
der  Schurke,  der  den  Aristoteles  wegen  religionsfrevels  belangte,  nicht 
sowol  die  gedichte  als  die  tatsache  ihrer  existenz  misbraucht  hatte,  sie 
sind  denn  auch  dem  pedantismus  nicht  zum  opfer  gefallen,  der  dem 
Piaton  seine  zum  teil  eben  so  gut  bezeugten  epigramme  abstreitet. 

Das  epigramm  auf  Hermias  stand  unter  einer  statue  desselben  in 
Delphi;  eine  prosaische  Inschrift  mufs  die  namen  des  geweihten  und 
des  weihenden  getragen  haben,  andere  weihungen  von  statuen  verordnet 
das  testament  des  Aristoteles,     das  gedieht  lautet: 


1)  Diogenes  schiebt  seinerseits  eine  scheinbare  Variante  aus  Favorin  ein,  den 
namen  des  anklägers  Demophilos  statt  Eurymedon,  den  er  einem  capitel  über  die 
ankläger  berühmter  philosophen  enlaahm  {epist.  ad  Maass.  145):  er  hatte  eben  nicht 
mehr  den  ganzen  Hermippos,  bei  dem  er  gefunden  haben  würde,  dafs  Demophilos 
das  vorgeschobene  Werkzeug  des  Eurymedon  war;  so  Athenaeus. 

26* 


404  HI.    15.  Die  gedichte  des  Aristoteles. 

Das  epi-  Tovde  7töx     ovx  ooiiog  rcapäßag  ucr/Mpiov  d-euLV  ayvriv 

gramm  auf  „  '  ^    '       j.        ,  '-,•,' 

Hermias.  ey.T€iv6v  lleQOiüv  Togocpootov  paoiA-stg, 

ov  (faveQwg  t.oyyr^  (povioig  iv  ayioOi  /.oarr^Gag, 
a'tX  avÖQog  ytioxsL  xor^oä/^ievog  öo?Jov. 
Gewil's  ist  der  gedanke  und  die  form  edel,  aber  für  sehr  poetisch 
wird  man  xQP^aäf.ievog  nicht  hahen,  und  man  würde  heber  Ttiorig  dolia 
gleich  ciTiärri  lesen,  wenn  nicht  avt^g  ohne  epilheton  kahl  würde. ,  uav.ä- 
Qwv  ^i/iug  ayvri  ist  eine  conventionelle  floskel.  nicht  mehr  ist  der  gegen- 
satz  des  asiatischen  bogenschützen  zu  der  lanze  der  hellenischen  hopliten, 
deren  lanze  wieder  mit  dem  trüge  der  hinlerlist  in  gegensatz  gebracht 
ist.  480,  zu  Simonides  Zeiten,  waren  fern-  und  nahwaffe  freilich  für 
barbaren  und  Hellenen  bezeichnend;  jetzt,  wo  die  Perser  längst  mit 
griechischem  fufsvolk  ihre  schlachten  schlugen,  hier,  wo  eben  ein  griechi- 
scher lanzknecht  der  täter  war,  beweist  die  phrase  nur  auf  das  deut- 
lichste, dafs  Aristoteles  den  epigrammenstil  bei  dem  meister  der  gattung 
gelernt  hat.  im  ersten  verse  ist  das  wortende  in  der  hebung  des  dritten 
vierten  und  fünften  fufses  sehr  häfslich,  wenn  man  an  die  kunst  des 
dritten  Jahrhunderts  gewohnt  ist.  aber  Aristoteles  steht  natürlich  in 
seiner  zeit,  auch  Piaton  hat  metrisch  seine  verse  nur  zum  teil,  seinem 
obre  folgend,  schön  gebaut,  sonst  war  die  techiiik  schon  im  fünften 
Jahrhundert  verwildert.-)  vollendete  disticha  bauen  Archilochos  und 
Mimnermos;  dann  sinkt  die  kunst,  ganz  natürlich  bei  leuten  anderen 
Stammes,  die  den  hexameter  homerisch  zu  bauen  sich  erlauben,  und 
erst  die  erneuerer  der  elegie  in  Samos  und  Alexandreia,  (noch  nicht  ihre 
unmittelbaren  Vorgänger)  haben  an  die  begründer  und  meister  des  Stiles 
angeknüpft. 


2)  Besonders  salopp  ist  der  sophist  Buenos  von  Faros,  den  doch  Piaton  und 
Aristoteles  gut  gekannt  haben,  er  schliefst  einen  hexameter  mit  xal  St]  hinter 
interpunction  (9,  1),  sehr  häfslich  für  einen  Griechen  (Gerhard  lect.  ApoUon.  228), 
lind  hat  in  einer  elegie  den  hexameter  toi^s  ^weroie  S  äv  rts  nsiaeie  xn^KSTn. 
/.a'ytov  ev,  der  den  zweiten  preis  der  abscheulichkeit  in  der  wirklich  griechischen 
poesie  beansprucht:  der  erste  gehört  unbestritten  dem  Hesiodos  Theog.  319  rj  Ss 
XifiaiQav  eriy-re  nveovaav  afiav^a.y.ezov  nvQ.  mancher  der  verse  dieses  Buenos  ist 
nichts  als  zufällig  der  messung  nach  hexameter  bildende  prosa.  nichts  destoweniger 
war  dieser  poet  noch  um  300  vermutlich  durch  die  schule  wie  Theognis  bekannt, 
vereinzelte  verse  von  ihm  sind  durch  die  philosophischen  bücher  und  die  auf  phi- 
losophische anregung  hin  angelegten  floiilegien  fortgepflanzt,  in  der  anthologie  steht 
nichts  von  ihm;  er  hat  auch  schwerlich  epigramme  gemacht,  die  epigrammatiker 
desselben  namens  sondern  sich  schon  durch  die  form  scharf  und  sicher  von  ihm, 
schwerer  von  einander. 


Der  hymnus  auf  die  Tugend.  405 

Das  eedächtnisfest,  das  Aristoteles  dem  fretöteten  freunde  ausgerichtet  Der  hymnus 

^  °  ®  auf  die 

hat,  ist  von  dem  lyrischen  gedichte  verherrlicht  worden,  das  wir  gleichfalls  Tugend. 
dem  Hermippos  verdanken,  für  einen  paean  konnte  es  nur  die  verläumdung 
erklären,  die  von  Hermippos  mit  recht  durch  das  fehlen  des  charakteri- 
stischen ephymnions  li]  uaiäv  widerlegt  wird,  aber  ein  skolion,  wie  He- 
mippos  will,  oder  ein  ^qi^vog  ist  es  auch  nicht,  und  die  aufnähme  des 
verstorbenen  in  den  kreis  der  heroen  wird  allerdings  ausgesprochen ;  woran 
denn  die  klage  auf  gottlosigkeit  ansetzte,  so  sicher  es  ist,  dafs  es  dem 
dichter  eigentlich  auf  Hermias  ankommt,  gilt  formell  doch  das  hed  nicht 
ihm,  sondern  der  Tugend,  und  so  rückt  es  in  die  classe  der  rituellen 
religiösen  lieder.  von  der  art  der  aufführung  wissen  wir  nicht  mehr, 
als  dafs  es  ein  chor  vortrug;  so  viel  zeigt  das  versmafs  und  der  stil. 
aber  man  kann  sich's  sehr  gut  vorstellen,  dafs  Aristoteles,  etwa  in  My- 
tilene,  sich  die  musiker  und  Sänger  verschaffte  (die  composition  kann 
er  sehr  wol  selbst  gemacht  haben),  eine  gedächtnisrede  hielt ^)  und  mit 
den  feierlichen  klängen  seines  liedes  dem  ganzen  die  religiöse  weihe  gab. 
es  war  ein  ersatz  für  die  totenfeier,  die  dem  Hermias  entgangen  war; 
die  sitte  war  der  zeit  nicht  fremd,  denn  Philippos  hat  ein  solches  Itti,- 
Tif-iäv,  wie  der  bezeichnende  name  ist,  dem  Platou  angedeihen  lassen.'') 
Da  die  Areta  keine  wirkliche  gottheit  ist,  der  man  opfern,  zu  der 
man    beten   könnte,   so  ist  die  rituelle  form  wiederum  nichts  als  form. 


3)  Diese  existirt  nur  in  meiner  Vermutung,  weil  das  lied  selbst  so  wenig  von 
Hermias  sagt,  was  Himerius  in  seiner  sechsten  rede  den  Philippensern  erzählt,  ist 
seine  eigene  erfindung.  Aristoteles  wäre,  von  Alexander  nach  Persien  berufen,  in 
Atarneus  durchgereist  (wie  Himerius  jetzt  auf  der  durchreise  in  Philippi  eine  gast- 
vorstellung  gibt)  und  hätte  die  Stadt  und  den  Hermias  mit  einer  kleinen  schritt  be- 
grüfst.  wer  den  rhetor  gelesen  hat,  mufs  diese  seine  witze  kennen,  in  eben  dieser 
rede  erzählt  er  von  Gorgias  erst  das  allbekannte,  dafs  er  als  gesandter  der  Leontiner 
Athen  entzückte,  aber  das  reicht  ihm  nicht,  weil  es  seiner  eigenen  Situation  noch 
nicht  ähnlich  genug  ist:  er  erfindet  also  flugs,  Gorgias  hätte  auch  auf  der  durchreise 
Plataeae  angeredet,  von  Hermias  geht  das  was  er  wufste  auch  unmittelbar  vor 
seiner  erfindung  vorher,  nämlich  Aristoteles  hätte  ihn  erzogen  und  zur  fügend  gebildet 
xal  ilsysicp  rov  ■d'ävarov  /a.6vov  icöv  yvioqificov  eySafirjaev.  SO  hat  er  geschrieben, 
und  SO   kann  auch   in  dem   römischen  bekanntlich  verstümmelten  codex  gestanden 

haben,   aus  dem  Wernsdorf  nur  d^ak rä.v  bezeugt,     die  ergänzung  &äXafiov 

fiovoj  (itövov  verbessert  er  selbst)  dürfte  eben  nichts  als  ergänzung  sein.  Dübners 
ausgäbe  kann  man  nicht  entbehren,  aber  allein  benutzt  führt  sie  irre,  wenn  der 
tatbestand  der  Überlieferung  ihnen  bekannt  gewesen  wäre,  hätten  die  gelehrten  viel- 
leicht eher  das  simpele  und  wahre  gefunden,  das  notwendigerweise  auch  gegen  die 
Überlieferung  hergestellt  werden  niüfste. 

4)  Diog.  3, 40  aus  Theopomp.  Schaefer  Dem.  II  40. 


406  III,    15.  Die  gedichte  des  Aristoteles. 

man  erinnert  sich  zunächst  an  das  Ued  auf  die  Gesundheit  von  Ariphron, 
das  die  Hellenen  nach  dem  essen  sangen :  ihre  art  "^gesegnete  mahlzeit' 
zu  sagen ;  sie  waren  ehen  religiöser  gestimmt  als  wir.  aber  die  art,  von 
der  anrufung  an  eine  gotlheit  auszugehn,  ist  der  alten  lyrik  überhaupt 
eigen,  so  tut  es  Pindar  mit  Tyche,  Theia,  Eileilhyia,  die  wenig  mehr 
religiöse  persönlichkeit  haben  als  Ilygieia  und  Areta.  noch  stärker  ist 
die  ähnlichkeit  mit  den  liedern  an  das  Gold  und  die  Weisheit  bei  Diodor 
37,  30,  die  eben  aus  später  lyrik  stammen.  Aristoteles  bewegt  sich  auch 
hier  in  den  festen  formen  der  zeitgenössischen  poesie.  das  gilt  für  den 
ganzen  stil;  es  ist  der  des  dithyrambos,  mit  Aristoteles  zu  reden,  und 
die  probe  dieser  so  bedauerlich  wenig  kenntlichen  poesie  ist  für  uns  als 
solche  interessant. 

Das  versmafs  in  dem  ganzen  körper  des  gedichtes  ist  ein  sehr  ein- 
fach gehaltenes  daktyloepitritisches.  nur  das  erste  und  letzte  glied  sind 
aeolischer  herkunft;  es  schhefst,  durch  synaphie  gebunden,  der  alkäische 
zehnsylbler,  und  er  beginnt  auch,  aber  um  einen  Vorschlag  von  zwei  kürzen 
vermehrt,  wenn  man  will,  eine  aeolische  basis.  natürlich  bezeichne  ich 
so  nur  die  erscheinungsform  der  zeilen,  die  man  beliebig  benennen 
mag.  die  ganze  weise,  solche  glieder  anzustücken,  ist  nichts  befrem- 
dendes, sie  hat  in  dem  ithyphallikus  der  tragischen  Strophen  daktylo- 
epitritischen  mafses  ihr  analogen,  und  ich  könnte  leicht  noch  mehr  bei- 
bringen, selbst  der  strenge  Pindar  beginnt  die  daktyloepitriten  von  Nem.  8 
und  10  mit  einem  aeolischen  gliede.  abgesondert  bat  aber  auch  Ari- 
stoteles die  erste  zeile  als  fremdartig,  denn  die  zweite  allein  hat  eine 
vorschlagssylbe.  die  schlufssylben  der  glieder  sind  überwiegend  lang, 
katalexen  sind  sehr  selten,  und  wenn  Pindar  das  daktylische  ghed  als 
dimeter  trimeter  telrameter  gibt,  so  steht  hier  nur  einmal  ein  katalek- 
tischer  dimeter,  der  auch  als  anaklasis  des  epitriten  gelten  kann,  sonst 
immer  der  gewöhnliche  trimeter.  zweifelhaft  ist  nur  die  auffassung  eines 
gliedes  in  v.  12. 

^AqsTa  TCoXv^ox^e  yevei  ßgoTeUo 

^r^Qa/iia  y.a?.liOTOV  ßlo)/, 

oäg  /C6QL  7caQx^h'e  (.loqcpäg 

y.al  ifavelv  LtjkcoTog  Iv  '^EXXäöi  ;c6T/iiog 
5  y.al  '/tovotg  x/Spai  f^iaXsQOvg  a/.u/iiayTag' 

TOiov  hcl  (foha  ßäXXeig 

y.aqrcov  ioa^ävarov  yiQVGov  xe  xQeioGio  ] 

y.al  yovuov  fia?.ay.aiy^T0i6  ^     vtivov. 

oev  ö^  ivex^  ol  Jiög,  'Hqay'kir^g  yliqdag  zs  y.ovQoi, 


Der  hymnus  auf  die  Tugend.  407 

10   7t6}X  averlaGav,   eQyoig  oav  ayQSiovTsg  öiva/^uy. 
aolg  ök  Tco-^otg  ^Ay^il^lg  Alag  x  läiöa  ö6(.iov  i]ld-ov, 
oäg  d'  tvey.ev  (filLov  /noQcpäg  y.al  'Iraqviog  evxQOCpog 

aXiov  yJiQiooev  avydg. 
TOiyctQ  aoiöi(.iog  eoyoig,  ad^ävazöv  ze  f.iiv  avör^oovOL  Movaai 

15   Mvaf.ioovvag  d-vyarqeg,  /liog  ^eviov  aeßag  av^ov- 
oat  (pcXiag  ze  yigag  ßeßaiov. 

Mehr  noch  damit  das  di^iQaf.ißiüd€g  des  Stiles  deutlich  werde  als 
zur  Sicherung  des  textes  ist  eine  erklärung  notwendig,  gleich  der  an- 
fang  gibt  in  einer  sehr  kühnen  nominalconstruction  was  in  einfacher 
prosa  heifsen  würde  ok  yaq  wg  z6  ßuoipeleözazov  !xezsQy6fj.Evoi  TcolXa 
novovGLv  Ol  av^QiOTtoi.  die  beiden  vocative  stehen  für  den  gedanken 
einander  keineswegs  gleich ,  die  beiden  dative  daneben  stehen  auch  in 
verschiedener  bedeutung,  z6  avd-Qwmvov  yerog  i.ioyߣl,  aber  nicht  6  ßiog 
^rjqä,  sondern  ol  avS-QWTtoi  S-i^Qcuai  z6  /mXXloxov  xm  ßitp.  endlich 
7to):vf.ioyd-og  für  rteql  oii  noXla  (.loyßovoiv  ist  zwar  ganz  correct,  aber 
doch  recht  kühn.  v.  5  erwartet  man  die  unermüdlichkeit  von  denen 
ausgesagt  zu  sehen,  die  dulden;  es  heifsen  aber  ihre  mühen  /naXegol 
axä^iavxeg.  denn  nur  ein  elender  stihst  könnte  den  accusativ  ay,äuavxag 
von  dem  nachbarn  (.lalsQovg  trennen  und  zu  xXr^vuL  ziehen :  in  dem 
falle  würde  a/.diiiavxa  stehn.  vielmehr  sind  die  beiden  adjective  in 
mehr  oder  minder  glossematischer  bedeutung  gebraucht,  d/.üfiavxeg 
oder  cezöfiazoi  (eine  Variante,  die  sich  bei  Athenaeus  eingedrängt  hat) 
heifsen  die  elemente  seit  den  Zeiten  des  epos,  der  ^QyJavog,  das  meer, 
die  sonne,  der  aether,  die  erde,  die  zeit;  auch  der  einzelne  flufs  heifst 
so,  weil  er  rastlos  rinnt:  auch  der  ström  des  lebens  und  seiner  mühen 
rinnt  ewig,  rastlos,  unermüdet.  und  gegen  diesen  ström  anzuschwimmen 
ist  die  lebensaufgabe  der  heroen.  das  complement  ist  j.iaXEQoi.  man 
mufs  nur  wissen ,  dafs  die  glossographen  das  epitheton  des  feuers  (nur 
das  ist  es  im  epos)  als  f.iaQavzL/.6v  fafsten  (schol.  Apoll.  Rh.  1,  734, 
dazu  Et.  31.),  während  die  vuozeqol  darin  XaiLTtqöv  gesehen  haben 
sollen,  die  tragiker  lassen  nicht  erkennen,  wie  sie  das  wort  verstanden 
haben,  so  lange  wie  sie  es  nur  vom  feuer  brauchen,  obwol  rcvqog  (j.a- 
Xeqd  yv(x-9-og  schon  gegen  kaf-iTtgog  spricht,  und  wenn  Ares  als  pestgott 
(.laleQog  heifst,  so  ist  das  epitheton  des  feuers  um  der  TtvQszot  willen 
gesetzt,  aber  schon  dies  führt  auf  das  'verzehrende'  feuer.  stellen  vollends 
wie  (.laXeqol  Itovxsg  und  gar  fialegog  Ttod-og  (Aisch.  Pers.  62)  lassen 
keinen  zweifei.  im  gegensatze  steht  Pindar,  der  mit  fiaXeoal  doidal 
natürlich   Xa(.i7tQaL   meint  (Ol.  9,  22),   wie   auch  die  schoben  erklären, 


408  HI.    15.  Die  gedichte  des  Aristoteles. 

im  Widerspruche  zu  einer  perversen  deutung  des  Didynios.  Aristoteles 
folgt  den  Attikern,  növoi  {.laXegoi  ist  gesagt  wie  nöd-og  fxaXeqög.  was 
er  aber  von  den  mühen  aussagen  will,  das  gibt  erst  die  Verbindung  der 
beiden  adjective,  ov  xoTtiüivTsg  Iv  tm  (.lagaLveLV  würde  ein  antiker 
paraphrast  erklärt  haben,  des  lebens  müh'  und  arbeit  ist  ein  ström, 
der  selbst  nimmer  müde  wird,  der  ungeschwächt  in  ewigkeit  rinnt, 
aber  er  macht  müde,  er  verzehrt  die  kräfte  des  menschen;  wer-gegen 
ihn  anschwimmt,  dem  erlahmen  die  muskeln  und  versagt  der  atem.  und 
doch  stürzt  der  heros  sich  in  den  kämpf,  denn  die  tugend  zeigt  ihm  (legt 
in  seine  seele)  eine  frucht  (einen  lohn)  köstlicher  als  gold  {Ttlovzog)  vor- 
fahren (svy£v€ia,  wie  Rose  richtig  gesehen  hat)  und  schlaf  {rjdovr'i).  das 
ist  ein  einfacher  gedanke;  aber  dem  stile  gemäfs  sind  schon  die  einzelnen 
glieder  durch  zum  teile  kühn  gewählte  exempel  bezeichnet,  und  wahrhaft 
dithyrambische  epithela  stehn  dabei,  der  schlaf  heifst  f.iaXay.avyrirog. 
das  wollen  die  kritiker  schlechterdings  nicht  dulden,  über  die  bilduni; 
neben  f.iakaKauy>'g  brauche  ich  nichts  mehr  zu  sagen;  das  ist  nur  ein 
beispiel  der  galtung,  die  Ilerakl.  11  107  belegt  ist.  aber  der  schlaf  "^mit 
dem  weichen  glänze^  scheint  den  kritikern  unsinn.  nun  so  mögen  sie 
an  das  bett  eines  blühenden  kindes  treten  und  die  ^laXayj]  avyt]  auf 
seinen  vvangen  selber  sehen,  glänzen  die  wangen  nicht?  olov  vTtvtöovtog 
eQevd^erai  avd^sa  f.iriliov  sagt  ein  geringer  dichter  von  Pergamon  (Kaibel 
Ep.  243,  12).  und  ist  das  der  starre  glänz  des  erzes?  sind  die  glieder, 
die  der  kvoif.ieXrjg  in  seinen  weichen  banden  hall,  nicht  ^lal&aza  yvla'l 
civytj  wird  freilich  überwiegend  von  dem  lichte  und  dem  lichte  des  men- 
schen,  dem  äuge,  gesagt;  aber  der  dichter  liat  doch  sein  recht,  und 
Pindar  sagt  es  vom  gokle  (N.  4,  22),  Euripides  (Hipp.  745)  vom  bernstein. 
jede  mutter,  die  nachts  sich  über  das  beliehen  ihres  kleinsten  beugt,  wird 
den  Aristoteles  trotz  seiner  kühnheit  verstehn:  der  kritiker  sollte  noch 
mehr  tun,  und  einsehen,  dafs  mit  Überlegung  nur  der  physische  genufs  der 
ruhe,  der  erholung,  am  schlafe  hier  hervorgehoben  wird,  weil  der  phi- 
losoph  jeden  gedanken  an  die  evviq  {f.i£i'kiya  dcoga  xal  evvr  Mimnermos 
1,  3  wenn  man  stehn  läfst  und  versieht,  was  er  geschrieben  hat)  fern 
hallen  will.  —  das  epitheton  des  -/Mqnög,  den  die  tugend  verspricht,  ist 
bei  Athenaeus  zu  'i  ad^ävarov,  bei  Diogenes  zu  sig  ad-ävaxov  verdorben, 
denn  dafs  nur  ein  epitheton  hier  stehn  kann  ist  eben  so  klar,  wie  dafs 
■/.aqnög  richtig  ist.  wenn  man  das  streben  oder  sehnen  hineinbringen 
will,  wie  soll  ^isQog  denn  nXovxov  xal  evysveiag  xQsioawv  sein? 
y.ÜQTtog  a&ävarog  ist  es  was  man  erwartet,  es  ist  ja  doch  dasselbe 
was  die  sage  in  den  äpfeln  der  Unsterblichkeit  symbolisirt  hat.   aber  wenn 


Der  hymnus  auf  die  Tugend.  409 

die  abschreiber  ad^dvarog  abgetrennt  haben,  so  zeigen  sie  selbst,  dafs 
etwas  davor  stand,  und  das  versmafs  verlangt  eine  kürze  mehr,  zur 
emendation,  oder  vielmehr  zur  entscheidung  für  Diogenes,  dessen  Über- 
lieferung man  nur  zu  deuten  braucht,  hilft  das  di^vQai-ißcüdeg  des  Stiles. 
loa^dvarog  ist  freihch  neu  und  seltsam,  aber  doch  nur  ein  synonymon 
zu  ioöd-eog,  wie  die  TVQavvig  zu  heifsen  pflegt.  looöaliLiiüv  ßaaü.svGi, 
loööevdQov  ßiov  zey^/LiaQ  (so  langes  lebeu  wie  die  bäume)  sagt  Pindar. 
ioodaif-iiov  ßaoiXrjig  ctQ^ä  Ariphron,  looXviirtioi  iaäxTioi  dycövsg  sind 
die  im  ränge  den  Olympien  oder  Aktien  gleichstehenden,  gewifs  wäre  die 
Zusammensetzung  mit  einem  an  sich  negirten  worte  undenkbar,  wenn 
nicht  dieses  wort  längst  zu  einem  positiven  begriffe  geworden  wäre, 
dafs  Y.aQftog  %oog  rjj  d&avaoLq  bezeichnender  ist  für  den  lohn  eines 
strebens,  das  selbst  zum  tode  führt,  als  wenn  iaöd-eog  dastünde,  also 
Aristoteles  zu  dem  wagnis  berechtigt  war,  bedarf  keines  wertes.  — 
Herakles  und  die  Dioskuren  sind  das  erste  beispiel;  an  sich  so  vulgär 
wie  die  folgenden ,  Achilleus  und  Aias.  aber  pretiös  ist  die  bezeich- 
nung  der  Dioskuren  als  ^Iriöag  y.ovQOi,  weil  sie  neben  Herakles  unter 
den  begriff  ol  zliög  subsummirt  sind,  oi  Jiög  hat  Aristoteles  ohne 
zweifei  geschrieben;  6  JLog  hat  Athenaeus,  k-A/liog  Diogenes,  vor  der 
krasis  ot/,  die  Brunk  hineingebracht  hat,  wird  sich  das  lyrische  gedieht 
gescheut  haben,  dafs  Hermippos  "Aidao  ö6(.iovg  für  "Alda  öofiov  ge- 
schrieben hat,  obwol  so  das  versmafs  ganz  zu  gründe  geht,  ist  bemer- 
kenswert für  diese  art  von  Verderbnis,  die  vertauschung  an  sich  gleich- 
berechtigter poetischer  formein :  die  emendation  ist  simpel  und  sicher, 
das  gilt  auch  von  dd-ccvarov  f.iiv  avd^aovai  Movoai,  wofür  Hermippos 
aus  dem  nächsten  verse  av^r^oovOi  hat.  dafs  das  "gedächtnis  im  hede" 
{Moioat  Mviqi^ioovvag  d-vyccTQsg)  dem  todten  Hermias  die  Unsterblich- 
keit verleiht,  ist  auf  das  treffendste  so  bezeichnet,  dafs  die  Musen  ihn 
trotz  dem  tode  unsterblich  nennen,  zu  ihm  reden,  wie  sie's  zu  Harmodios 
getan  haben,  cpLXrad^  IdquödL  ov  ri  tcov  Te&vi]/Mg.  dabei  verherr- 
lichen sie  {av^ovaai)  seine  gastfreiheit  und  freundestreue;  ovrog  y.al 
JLa  ^eviov  loeßeTO  y.aL  cpikiav  ßißaiov  lyiqaiQev  (wie  vo^ovg  ysQai- 
QEtv)  sagen  sie:  das  ist  wieder  nominal  ausgedrückt  ae'/^ag  z/tog,  yigag 
(piliag.  schwierig  ist  nur  um  des  versmafses  willen  v.  12,  ich  habe 
so  abgeteilt,  dafs  es  ddee  ergibt;  dazu  war  dellov  in  d?dov  zu  ändern, 
was  belanglos  ist,  und  anzunehmen,  dafs  d,  der  daktylische  trimeter 
anomal  aus  drei  dactylen  bestehe,  die  anomahe  ist  bekanntlich  im  drama 
sehr  gewöhnlich;  aber  für  die  lyrik  fehlt  ein  beleg,  und  die  reste  vom 
gastmahl  des  Philoxenos  sind  für  mich  zu  verdorben,  als  dafs  ich  zweifei- 


410  in.    15.  Die  gedichle  des  Aristoteles. 

haften  stellen  durl  irgend  etwas  abgewinnen  müchte.  es  ist  aber  noch 
ein  anderer  weg  vielleicht  gangbar,  wenn  man  aeliov  stehn  läfst,  so 
gibt  der  schlufs  ein  tadelloses  de,  und  d  steht  am  anfang.  es  bleibt 
-ipäg  YML  ^AtaQvioQ.  darin  können  die  schlufssylben  zusammengezogen 
gesprochen  werden,  zwischen  eo  und  ev  ist  im  ionischen  der  unter- 
schied ganz  gering,  man  würde  also  einen  epitriten  eihalten,  wenn  y.aL 
elidirt  werden  könnte,  das  ist  weder  attisch  noch  in  der  älteren  lyrik 
oder  bei  guten  elegikern  möglich,  aber  wann  hat  es  begonnen?  mir 
ist  gerade  ein  beleg  aus  einem  lyrischen  gedichle  gegenwärtig,  das  in 
seinem  stile  stark  an  das  aristotelische  erinnert  (fragm.  adesp.  129  Nauck; 
de  trag.  fgm.  24).  die  Untersuchung  kann  ich  zur  zeit  nicht  führen; 
vielleicht  entscheidet  sie  rasch  einer  unserer  grammaliker.  dafs  /.al  in 
Jonien  schon  um  450  vor  diphthongen  seinen  eigenen  körper  ganz  verlor, 
zeigt  '/.'  OlvojcLör^q  IGA  381,  19:  das  ist  elision;  in  Athen  würde  es 
yj^voTtiör^g  lauten,  mit  krasis.  die  elision  von  ai  in  den  verbalformeu 
ist  alt  und  nimmt  immer  zu:  es  hegt  nahe,  dafs  sie  die  häufigste  par- 
tikel  ergriff,  aber  hier  fehlt  mir  die  gelehrsamkeit  die  sache  zu  ent- 
scheiden. 

Für  den  sinn  des  ganzen  gedichtes  ist  die  Vorstellung  wichtig,  die 
der  dichter  von  dem  Verhältnisse  gibt,  das  der  mensch  zu  der  göttin 
Areta  hat.  er  sehnt  sich  nach  ihr  (11),  jagt  ihr  nach  (2.  10),  und  zwar 
ihrer  /.lOQcpd  (3.  12).  man  sollte  danach  meinen,  er  liebte  sie.  allein 
das  erotische  ist  ganz  fern  gehalten,  die  Areta  ist  Jungfrau:  naQ^ive 
steht  bedeutsam  neben  /.lOQcpäg.  der  mensch  bemächtigt  sich  ihrer  nicht 
wie  Herakles  der  Hebe;  nur  ihrer  f.wQCfd  gilt  seine  jagd,  ihrer  Idia. 
das  ist  ja  ein  synonymes  wort,  wenn  wir  modernen  den  menschen 
der  idee  der  lugend  nachleben  lassen ,  von  seinem  idealen  streben 
reden,  so  ist  das  unsinnlich,  blafs,  philosophisch,  aber  es  klingt  darin 
doch  die  7C€Ql  rd  eidi]  fpiXooocfia  nach,  wie  der  platonische  brief  an 
Koriskos,  den  freund  des  Hermias,  die  lehre  Piatons  nennt,  so  viel  ist 
sicher,  dafs  diese  philosophie,  die  in  dem  rotwälsch  der  philosophischen 
compendien,  wie  es  die  candidaten  im  examen  reden,  mehr  absurd  als  tief 
klingt,  sofort  verständlich  wird,  sobald  man  griechisch  denkt  oder  redet, 
also  in  dem  siöog  die  form,  gerade  nach  ihrer  sinnlichen  erscheinung, 
zunächst  bezeichnet  hört,  umgekehrt  müssen  wir  hier,  wo  wir  zunächst 
nur  die  Schönheit  der  himmlischen  Jungfrau  hören,  daran  denken,  dafs 
die  form,  die  löea,  für  den  dichter  eine  ganz  übersinnliche  bedeutung 
hat,  weil  er  Platoniker  ist  und  einem  Platoniker  zu  ehren  dichtet,  es 
ist  das  sldog  des  höchsten  gutes,  nach  dem  die  menschen  streben,  durch 


Der  hymnus  auf  die  Tugend.  411 

dessen  besitz  (^ov  f-ied^eBei)  sie  evdaLi.ioveg  Averden ,  uud  dieses  höchste 
gut  ist  das  höchste  gute,  das  xaAov.  aber  dann  ist  es  nicht  die  Areta, 
nach  der  sie  streben ;  die  Areta  ist  überhaupt  nicht  aufser  ihnen ,  son- 
dern in  ihnen,  und  durch  sie  erstreben  und  erreichen  sie,  dafs  sie 
aya&oL  und  etdaif-iovEg  werden,  nicht  um  tugend  zu  erlangen,  haben 
die  heroen  ihr  leben  geopfert,  sondern  sie  haben  das  leben  das  sie 
lebten  und  den  tod  den  sie  starben  der  tugend  geopfert  die  sie  besafsen. 
das  gedieht  erscheint  also  in  seiner  ganzen  conception  widerspruchsvoll, 
es  heifst  an  einer  anderen  stelle,  dafs  die  heroen  viel  erduldeten,  mit  taten 
jagend  nach  der  övraf-tig  der  tugend  (10).  das  ist  ganz  aristotelisch. 
rag  yag  agerag  ).a}.ißävo(.iev  kvsQyTqoavreg  TcqÖTsqov  toOTteg  'Aal  ItcI 
Twv  aXXcov  Tsyvwv'  a  yag  öel  (.ladovrag  rcoielv ,  zauva  Tcoiovvteg 
l.iavd^ävof.iev  (Eth.  II  1103^).  die  tugend  ist  in  der  energie  eher  vor- 
handen als  in  der  dynamis.  so  weit  ist  es  gut.  aber  eben  da  lernen 
wir,  dafs  die  tugend  keine  divaf.iig  ist,  denn  für  die  blofse  potenz  gibt 
es  keine  moralische  Werturteile,  die  tugend  ist  eine  e^ig,  eine  e§ig 
TtQoaiQsrr/irj  Iv  (.leoörrirL  ovaa  rj]  Tigog  rjf.iccg.  das  ist  die  aristote- 
lische definition.  diese  seine  ccqsti]  hat  mit  der  des  gedichtes  nichts 
zu  tun;  an  sie  kann  man  kein  Hed  richten,  sie  ist  keine  göttin.  also 
auch  hier  zeigt  sich,  dafs  das  gedieht  keine  voll  befriedigende  erklärung 
zuläfst.  die  Areta,  die  wirklich  eine  göttin  ist,  für  die  die  heroen  das 
leben  gelassen  haben ,  weil  sie  nur  so  gewonnen  werden  kann ,  ist  die 
agerrj  der  Athener  des  fünften  Jahrhunderts:  ipvx^v  avxiQQOTca  -d^ivreg 
riXka^avt"  agezr^v.  erst  der  tod,  der  heldentod,  macht  den  uvt^q  aya&og. 
agrjifföiTovg  yao  d-&ol  tiuiuol  xaJ  avd-qcouoL,  sagt  selbst  Herakleitos. 
so  dachten  sie  damals,  und  diese  ccqsti']  ist  freilich  mehr  als  tugend;  sie 
läfst  sich  nicht  mit  einem  worte  übersetzen,  die  ehre  des  mannes  ist 
sie,  die  mit  den  ehren  und  dem  erfolge  nichts  zu  tun  hat;  die  men- 
schenwürde,  die  der  götterhöhe  nicht  weicht;  die  treue  bis  in  den  tod 
zugleich  mit  der  kröne  des  lebens.  die  Sokratik  hat  gewifs  eben  dadurch 
möghch  gemacht,  eine  religion  zu  sein,  nicht  blofs  ein  philosophisches 
System,  dafs  sie  die  sittlichen  ideale  des  volkes  nicht  verleugnete,  son- 
dern steigerte  verklärte  vollendete;  aber  weil  er  die  philosophie  erst 
wirklich  zur  wissenchaft  machte,  kam  Aristoteles  von  der  religion  weiter 
ab.  hier  nun  griff  er  nach  den  formen  der  attischen  poesie,  den  me- 
trischen und  den  sprachlichen,  er  griff  ebenso  nach  den  formen  und 
Vorstellungen ,  in  welche  die  dichter  seines  volkes  die  sittlichen  ideale 
gefafst  hatten,  die  conventionellen  figuren  der  heroensage  treten  auf 
wie   in   der  lyrik,   und  die  Areta   wird   zu   der,    für  welche  Achilleus 


412  111.    15.  Die  gedichte  des  Aristoteles. 

sein  leben  gelassen  hat.  Aristoteles  dachte  von  der  tilgend  anders; 
aber  er  versuchte  in  die  allen  formen  einen  neuen  Inhalt  zu  legen, 
seine  sittlichen  ideale,  seine  religion,  wir  zollen  dem  klugen  Stilisten 
unsere  anerkennung  gern,  wir  freuen  uns  an  der  geschicklichkeit  des 
durch  die  kritik  zum  dichter  gewordenen  gelehrten,  wir  beugen  uns 
vor  der  crhabenheit  des  im  edelsten  sinne  religiösen  mannes  und  vor 
dem  pietätvollen  schmerze  des  freundes:  aber  die  Widersprüche  und 
die  unVollkommenheiten  solcher  poesie,  die  aus  nachahmung  und  an- 
passung  entsteht,  dürfen  wir  niclit  verkennen,  wer  ein  wirklicher  dichter 
ist,  der  schallt  sich  selbst  seine  Symbolik,  das  konnte  Aristoteles  nicht. 
zu  einem  gölte,  wie  der  des  Piaton  und  Aristoteles  ist,  kann  man  nicht 
beten,  und  das  lied  ist  für  den  dienst  dieses  gotles  keine  angemessene 
form  mehr,  aber  das  gefühl,  das  einst  die  heroen  und  dann  den  So- 
krates  und  jetzt  den  Piaton  und  den  Aristoteles  so  leben  und  so  sterben 
lehrte  wie  sie  getan,  die  treibende  kraft  in  ihrem  busen ,  die  ihnen 
dazu  verholfen  hat,  gut  und  glücklich  zu  sein  und  die  agexri  zur  e^lq 
zu  haben,  sodafs  wir  sie  jetzt  wie  lausende  vor  und  nach  uns  als  heroen 
verehren  dürfen,  dieses  gefühl,  das  ihnen  vielmehr  die  tugend  gab  als 
sie  die  tugend  suchen  lehrte,  und  das  ihnen  doch  immer  wieder  tugend 
und  glück  als  unerreichtes  und  doch  erreichbares  ziel  zeigte,  dies  gefühl 
empfanden  sie  als  unmittelbar  wirkende  gottheit,  das  verdichtete  sich 
ihnen,  da  sie  doch  Hellenen  waren,  zu  einer  göttlichen  person,  und 
diesem  gotte  konnten  sie  auch  hymnen  dichten:  Eros  ist  der  rechte  gott 
oder  vielmehr  daemon  für  diese  religion,  der  mittler  zwischen  der  men- 
schenseele  und  der  seele  des  Universums,  dem  reinen  vovg,  der  iöia 
rov  y.aXov.  dem  hat  Piaton  seine  hymnen  gesungen,  echte  poesie,  in 
Inhalt  und  form  ganz  und  einig,  und  ganz  sein  eigen. 
Die  Es   kann    nicht   anders   sein    und   gerade  die  geschichte  der  helle- 

Eudemos.  uischeu  Philosophie  bestätigt  es,  dafs  das  bedürfnis  des  frommen  herzens, 
zu  verehren  und  anzubeten,  sich  den  menschen  zuwendet,  in  denen  das 
göttliche  leibhaft  wallet,  wenn  die  persönlichen  götter  (mögen  es  viele  oder 
einer  sein,  die  zahl  ist  überhaupt  ganz  gleichgiltig),  die  sich  der  mensch  nach 
seinem  bilde  erschafl'en  hat,  nicht  mehr  genügen,  und  der  unpersonhche 
gott  zu  hoch  rückt,  als  dafs  sich  der  sterbhche  auch  nur  der  holfnung 
eines  persönlichen  Verhältnisses  zu  ihm  unterfange,  unschätzbar  ist 
das  document  dafür,  dafs  Aristoteles  einmal  so  zu  Piaton  aufgeblickt  hat, 
die  elegie  au  Eudemos,  die  aus  dem  commeutare  des  Olympiodoros  zum 
Gorgias  zuerst  Menagius  veröll'entlicht  hat.  erhalten  dürfte  auch  dieses 
bruchstück  durch  die  biographen  sein. 


Die  elegie  an  Eudemos.  413 

ild^wv  6'  lg  y.ksLvdv  KsxQOTiii^g  öaTieöov 
ecoeßeiug  aef.iv^g  (filir^g  lögioaTo  ßwf.wv 

ävÖQog  ov  olÖ'   aivelv  roiot  y.cr/.olGi  ^€f.iig' 
og  jLiovog  rj  itgcürog  S'vrjTiuv  y.aTiöei^ev  ivagycog 

oiy.eüp  re  ßUo  yal  iied-ödoLöt  Xöyiov, 
wg  ayad-ög  re  y.ai  evdalf.ia)v  a/tia  ylverat  avrjQ 

ov  vvv  (5'  £0%L  Xaßelv  ovdevl  tavtä  jtoxe. 
leider  ist  der  gewährsmann  ein  ignorant,  und  so  weifs  man  nicht,  wie 
viel  man  auf  den  ausdruck  Tcqbg  Evdrif.iov  zu  geben  hat.  ist  er  genau, 
so  war  das  gedieht  an  Eudemos  gerichtet;  dann  ist  unsicher,  wer  darin 
als  der  genannt  war,  der  nach  Athen  kam.  der  adressat  kann  der 
Rhodier  Eudemos  sein:  dann  gehört  das  gedieht  der  späteren  zeit  an; 
oder  der  Kyprier:  dann  ist  es  vor  357  verfafst.  sehr  viel  ansprechender 
ist  dagegen,  dafs  der  unbenannte,  dem  das  gedieht  galt,  der  Kyprier 
Eudemos  war,  und  dafs  das  gedieht  durch  die  freundschaft  zu  diesem 
dem  Aristoteles  entlockt  ist,  ganz  wie  der  dialog  seines  namens,  dann 
war  es  aber  nicht  an  ihn  gerichtet,  da  er  in  dritter  person  erwähnt 
wird,  und  Olympiodor  hätte  elg  Evdr^^ov  sagen  sollen,  wenn  ich  nun 
auch  diese  zweite  auffassung  vorziehe,  so  mufs  ich  doch  gestehn,  dafs 
die  Sache  keinesweges  sicher  ist. 

Sicherhch  hat  dagegen  Olympiodor  mit  der  beziehung  des  gedichtes 
auf  Piaton  recht,  es  war  eine  verirrung,  diesen  durch  Sokrates  ver- 
drängen zu  wollen,  erstens  konnte  Aristoteles  für  Sokrates  kaum  eine 
lebendige  persönhche  Verehrung  haben ;  der  platonische,  nicht  der  wirk- 
liche Sokrates  würde  das  sein,  zweitens  hat  Sokrates  durch  seine  lehre 
gar  nichts  bewiesen,  da  er  überhaupt  nichts  bewiesen  haben  wollte, 
wer  aber  seine  person  allerdings  mit  recht  als  einen  beleg  für  den  hier 
ausgesprochenen  satz  verwenden  wollte,  dafs  glück  und  fügend  unlösbar 
verbunden  sind,  der  konnte  gar  nicht  anders  als  statt  des  otyeiog  ßlog 
vielmehr  den  tod  nennen:  sein  sterben  hat  dem  Phaidon  seine,  evöai- 
(.lovia  offenbart,  und  ohne  den  tod  würde  er  wirklich  nur  ein  sophist 
gebheben  sein,  mit  recht  hat  dagegen  Bernays  den  letzten  vers  für 
verdorben  erklärt,  die  Stellung  der  negation  und  der  adversativpartikel 
und  die  Unvereinbarkeit  von  yi-v  und  Ttoxe  zeigt  es  nicht  nur,  sondern 
läfst  auch  an  dem  sitze  der  Verderbnis  in  ov  vvv  keinen  zweifei.  auch 
dafs  der  sinn  verkehrt  ist,  wenn  darin  Hegen  soll,  jetzt  wäre  niemand 
mehr  im  stände  gut  und  glücklich  zu  werden,  ist  klar:  nur  als  erster 
hat  Piaton  das  durch  leben  und  lehre  bewiesen,  aber  das  ziel  ist  er- 
reichbar, ja  leichter  erreichbar  mufs  es  sein,  seit  der  beweis  der  möglich- 


414  III.   15.  Die  gedichte  des  Aristoteles. 

keil  erbracht  ist.  leider  ist  zur  heilung  des  felilers  kein  schritt  weiter 
geschehen,  sehr  hübsch  wäre  es,  wenn  da  gestanden  hätte,  was  Bernays 
will  "und  glück  und  tugend  können  gar  nicht  getrennt  besessen  werden", 
aber  wenn  er  (.lovvä^  für  ov  vvv  setzt,  ^o  ist  die  palaeographische 
unWahrscheinlichkeit  das  mindeste,  wo  immer  f.iovv(x^  steht,  ist  es  ge- 
rade von  einem  einzelnen  pare,  tänzer  oder  kämpfer,  gesagt,  nicht  von 
einem  von  zweien,  ov  dl^a  d^  ist  vollends  ein  Sprachfehler;  ölxcc  ö' 
ovx  eaxi  ordnet  das  ein  Grieche,  und  ferner  heifst  di^cc  Xaßelv  trennen, 
luid  dazu  pafst  ovdsvi  nicht,  der  gedanke  von  Bernays  wird  überhaupt 
schwerhch  der  wahre  sein,  denn  der  plural  xama  pafst  schlecht,  ovö^ 
eoTL  d^fXTEQOv  laßelv  x^^Qt^S  würde  es  einfach  heifsen,  und  dies  wie 
auch  immer  stilisirt  ergibt  keinen  plural.  so  ziehe  ich  vor  von  der 
letzten  zeile  ganz  abzusehen. 

Der  Stil  der  elegie  ist,  wie  zu  erwarten,  der  conventionelle.  da  ist 
die  periphrase  xletvov  KeKQ07clrjg  öävteöov  für  Athen ,  daneben  sehr 
viel  wenig  poetisches,  wie  /iiovog  r]  ngtoros,  wie  olxelog  als  possessiv 
der  dritten  person,  und  gar  das  philosophisch  technische  (.le^oöoL  Xöyiov. 
metrisch  ist  v.  6  ganz  ohne  wortende  im  dritten  fufse  bemerkenswert; 
aber  caesur  nach  der  hebung  des  zweiten  und  vierten  fufses  und  diaerese 
vor  dem  fünften  machen  den  vers  dennoch  leidlich  vvollautend.  gerade 
dafs  der  elcgiker  der  prosa  so  nahe  wie  kein  anderer  dichter  damals 
bleiben  konnte,  gestaltete  die  bedeutenden  gedanken  einfach  auszu- 
sprechen. 

Und  nun  die  hauptfrage:  evoeßetog  aefj.vrjg  cpillrjg  lÖQvaaro  ßcof.idv 
avÖQog  (IIläTcovog),  was  heifst  das?  ein  'altar  der  freundschaft'?  das 
ist  als  metapher  für  backfische,  aber  nicht  für  Hellenen  erträglich, 
gewifs  kann  Philia  einen  altar  erhalten,  aber  nicht  die  Philia  eines 
menschen,  da  zur  freundschaft  zwei  gehören,  und  wenn  man  selbst 
einer  derselben  ist,  so  kann  man  diese  i*hilia  nicht  verehren,  dies  ist 
überhaupt  falsch  construirt.  avögog  kann  gar  nicht  von  dem  genetive 
cpiliag  abhängen,  sondern  es  bleibt  die  wähl,  die  beiden  genetive  Ix 
TtaQallTqXov  durch  ox^ificc  'itovmov  gestellt  zu  denken,  dann  kommt 
prosaisch  etwas  wie  ßcof.idv  tov  OEf-ivorärov  cpLXov  nkänovog  heraus, 
oder,  was  ungleich  poetischer  ist,  der  genetiv  ist  der  des  grundes  (im 
griechischen  durch  den  Verlust  des  instrumentalen  ablativs  entstanden), 
zu  dem  die  alten  grammatiker  ein  leiTcei  r]  svexa  zu  bemerken  pflegen, 
und  wir  müssen  paraphrasiren  oeßo/nsvog  ttjv  aef.ivr]v  cpiliav  ßu)f.idv 
iÖQvoato  UlaTCüvog.  so,  glaube  ich,  hat  es  Aristoteles  gemeint,  und 
auf  alle  fälle  sagt  er,  dafs  der  mann  von  dem  er  erzählt,  also  Eudemos, 


Die  elegie  an  Eudeinos.  415 

um  seiner  freundscbaft  willen  dem  Piaton  einen  allar  gestiftet  hat.  er 
sagt  genau  das  was  die  biographen  herausgelesen  haben,  die  geradezu 
ßiofxbv  ^^QiOTOTilr^g  iÖQvoaxo  rovöe  IJ?.ciTcovog  überliefern,  auch  den 
anstofs  der  modernen  hat  einer  von  ihnen  genommen  und  orr/.ov  für 
ßioixov  eingesetzt,  damit  nicht  der  göttliche  cultus  des  Piaton  darin 
stünde,  aber  gerade  der  bleibt  bestehn.  weder  die  Interpolation  bringt 
ihn  fort  noch  die  kümmerliche  ausrede,  "^das  meint  er  nur  metaphorisch^ 
es  ist  ganz  gleichgiltig ,  ob  Eudemos  oder  Aristoteles  selbst  den  altar 
errichtet  hat,  das  heifst  steine  dazu  hauen  lassen  und  eine  inschrift  hin- 
einschneiden, oder  ob  wir  das  so  metaphorisch  fassen :  *^er  hat  in  Piaton 
einen  gott  verehrt\  gerade  dies  bleibt  bestehn,  ja  es  ist  die  pointe  des 
gedichtes,  sonst  hat  es  gar  keine,  so  hoch  steht  doch  wol  das  empfinden 
jedes  Platonikers,  dafs  er  dem  gotte  Piaton  nichts  direct  hat  zu  liebe 
tun  wollen,  wenn  er  einen  kränz  auf  den  altar  legte  oder  ein  weihrauch- 
kerzchen  ansteckte:  aber  legen  wir  etwa  keine  kränze  mehr  zu  den 
füfsen  einer  ehrenstatue  oder  um  eine  gedächtnistafel?  ein  gott,  den 
man  um  gutes  wetter  oder  gute  träume  oder  glückhche  fahrt  anflehte, 
war  Piaton  gewifs  nicht;  solche  götter  gab  es  für  Eudemos  und  Aristoteles 
überhaupt  nicht  mehr,  aber  ein  gott  war  er  doch:  sie  fühlten  seine 
macht,  die  befreiende  und  erhebende,  in  ihrer  seele.  darum  widmeten, 
sie  ihm  eine  Verehrung  in  der  form  des  cultus.  die  sitte  hatte  den 
cult  der  abgeschiedenen  seele  längst  geheiligt,  und  dieser  teil  der  religion 
hat  auch  dem  Wechsel  der  formen  am  zähesten  widerstanden,  und  es 
dürfte  den  zeloten  von  heute,  den  gottlosigkeitspfaffen,  schwer  werden 
totencult  und  totenspenden  zu  beseitigen,  aber  der  totencult  war  für 
den  Hellenen  der  gegensatz  zu  der  gottesverehrung;  ein  gewesener 
mensch  bUeb  für  den  cultus  mensch,  das  unreine  des  lodes  und  der  sterb- 
hchkeit  klebte  ihm  an.  der  tote  kann  keinen  altar  haben,  ßto/.i6g  und 
täcpog  sind  unvereinbar,  wenn  Simonides  den  räcpog  der  kämpfer  von 
Thermopylae  einen  ßio/.wg  nennt,  so  sagt  er,  dafs  sie  durch  den  tod 
die  ad-ävarog  agsri]  gewonnen  haben  und  götter  geworden  sind,  und 
wenn  seine  schüler  dem  Piaton  einen  allar  errichten,  so  erklären  sie  ihn 
damit  für  einen  gott.  ob  der  mensch  Piaton  den  slaubleib  noch  trägt, 
da  sie  es  tun,  oder  ob  staub  zu  staub  geworden  ist,  macht  gar  keinen 
unterschied,  gott  und  tod  sind  unvereinbare  begriffe,  die  bedeutung 
des  gottesbegriffes  und  dieser  Verehrung,  nicht  des  sterbhchen  Piaton, 
sondern  der  unvergänglichen  göttlichkeit  in  ihm,  ist  dem  nicht  von  fern 
aufgegangen,  der  wähnt,  es  täte  etwas  davon  oder  dazu,  ob  Piaton  der 
sterbhche  noch  am  leben  war.    wer  will,  mag  seiner  empflndung  nach 


416  III.    15.  Die  gedichle  des  Aristoteles. 

eine  vßgig  in  der  praediciriing  der  svöai/Liovia  eines  menschen  finden; 
so  Avürden  Ilerodotos  und  Aischylos  und  Sopliokles  geurteilt  haben,  und 
ich  selber  bin  dem  vielleicht  sehr  geneigt,  und  die  schüler  haben  nun 
einmal  so  geurteilt,  die  tatsache  darf  nicht  weggedeutell  werden,  und 
wahrhaftig,  wenn  er  vor  ihnen  stand,  und  sie  ihn  wirklich  für  ayad-ög 
und  svöaijiuov  hielten,  so  war  er  ein  gott,  und  es  war  eine  blasphemie, 
wenn  ein  schlechter  mensch  selbst  lobend  von  ihm  redete,  dies  sagt 
Aristoteles  von  ihm  aus:  aber  die  notwendige  folge  daraus,  dafs  er  ihn 
für  einen  gott  erklärt,  will  man  nicht  ertragen ?  des  menschen  aufgäbe 
ist  ecp'  ooov  ivöex^xai  ctd^avaxiLeLV ,  sagt  Aristoteles  (Eth.  X  1177''): 
wenn  es  einem  gelungen  war,  das  ganz  zu  tun,  was  war  er  dadurch 
geworden  ? 

Ob  der  altar  wirklich  errichtet  ist,  macht  für  die  empfindung,  für 
die  asebie,  wenn's  jemand  so  zu  nennen  wagt,  nichts  aus.  aber  was 
soll  uns  dazu  bringen,  die  worte  anders  zu  deuten  als  sie  dastehn? 
verhinderte  vielleicht  ein  gesetz  oder  die  polizei  eine  solche  private 
weihung?  schritt  der  slaat,  der  den  d-eog  Id^vtpaAlog  zuhefs,  gegen 
den  d^ebg  TlläxMV  ein?  tat  dieser  gott  dem  osßead-at  %ovg  TtaTQiovg 
d-eovQ  abbruch?  ob  der  könig  eine  denuntiation  aoeßeiag  gegen  die 
weihenden  angenommen  haben  würde,  wenn  jemand  geklagt  hätte,  ist 
müfsig  zu  fragen,  vielleicht;  vielleicht  haben  die  Jünglinge  es  auch 
darauf  ankommen  lassen,  an  Piaton  hat  sich  nicht  einmal  ein  sykophant 
gewagt;  so  mag  auch  selbst  der  pfaffe  Eurymedon  diesen  beweis  für  die 
asebie  des  Aristoteles  verschmäht  haben,  das  äufsere  zeichen  ist  doch 
immer  nebensache.  die  empfindung  aber  —  nun  ich  Avill  von  Epikuros 
und  Alexandros  und  Augustus  gar  nicht  reden,  aber  wie  haben  Betlina 
und  Rahel  und  recht  viele  andere  zum  alten  Goethe  aufgesehen?  wie 
Paris  zum  greisen  Voltaire?  wie  wir  Deutsche  zu  unserm  guten  aUen 
kaiser  Wilhelm  ?  sünde  oder  nicht  vor  den  pfaffen,  dummheit  oder  nicht 
vor  den  rationahsten :  ein  achtes  und  ein  frommes  gefühl  bleibt  es,  das 
den  menschen  in  dem  grofsen  und  guten  menschen  gott  finden  läfst 
gerade  so  gut  wie  in  der  elementaren  natur,  und  zwar  gerade  den 
menschen,  der  über  die  formen  der  conventioneilen  religionen  hinaus 
ist.  dieses  ächte  und  fromme,  aber  allerdings  schwärmerische  gefühl  hat 
auch  ein  Aristoteles  geteilt:  das  ist  tatsache,  finde  sich  jeder  mit  ihr  ab 
wie"  er  will ;  ich  habe  ihn  lieb  darum. 


REGISTER. 


1.    Sacliresister. 


Achaia,  chronik 2,  22 

Acharnai 2,  152 

—  bevölkerung 2,  210 

Ächerdus 2,  153 

Achniaden 2,  268 

"ASeiaros 2,  170 

Admetos 2,  321 

aedilis  =  raonoiös 66 

Aelian 177.  262 

Agesilaos 2,383 

Aiakeion 2,281 

Aigikores 2,128.  136 

Aigina 2,  89.  III  cap.  2 

—  chronik 2,  27 

Aischines  redner.     .     .     .    354.  2,  269 

—  gesandtschaftsprocefs  .     .     .2,  237 

—  Überlieferung  der  reden  ...  36 
.\ischines  Sokratiker  149. 160.  183.  2,  99 
Aischylos  Eumeniden    .     .     .111  cap.  7 

—  Lykurgie 2,  69 

—  Perser 143 

Akastos,  könig 2,  131 

Akestorides,  archon       .     .     .  24.  2,  81 

Aktaion,  könig 2,   126 

'AxTTj 2,  35.  127 

alexandrinische  poesie  ....  2.  31 
Alexandros 336.  370 

—  briefe 2,  393 

Alkibiades 62.   132 

.\lkidamas 2,  394 

-Alkmeon,  archon  ....  2,  81*) 
Alkmeoniden   .    17.  32-36.  2,  55.  325 

Amelesagoras 228.  2,  20 

Ammoncult 209 


.\mphiktion,  könig 2,  126 

Anakeion 269 

Anaphe,  chronik 2,  26 

Andokides 2,  74 

avSotäi 46 

.\ndrodamas 67 

Andropompos 2,  129 

Androtion    ....     42.  52.  123.  2S8 

Angele 2,  152 

Ankyle 2,  155 

Antiochos  v.  Syrakus  .     .      356.  2,  27 

Antipatros 339 

.Antiphon  v.  Rhamnus  ....     2,  76 

—  —  —  der  redner 170 

rede  5      ....  2,  369 

rede  6      ....  2,  347 

—    —    7t.    CQCOV 218 

Verteidigung     .     .  2,  362 

Antiphon  Sophist  rr.  ofiovoias    .     .  173 

Antislhenes 183 

Anytos 128,  2,  375 

.^paturienopfer 2,  271 

Apheidas,  könig 2,  129 

Apoilon 2,  44 

Apollodoros  V.  Kyzikos    ....  188 

Apollonia  in  Epirus 293 

apolheose 337.  2,  397 

l4ox£dva^ 2,  181 

Archedemos 2,  213 

Archestratos  v.  Phlya 68 

Archidamos  v.  Sparta,  regierungszeit  147 

Archinos 2,  368 

.Archytas  v.  .\mphissa 18 

Areta 2,  410 


*)  Ich  scheine  die  belegstelie  nirgend  angeführt  zu  haben.  Pollux  8,  110  datirt 
die  eiiiführung  der  10  phyien  auf  den  archon  Aikmeon,  quelle  ist  die  chronik.  es 
folgt  daraus,  dafs  dieses  das  erste  jähr  der  neuen  Ordnung  ist,  also  506/5;  und  dafs 
Kleisthenes  einen  geschlechtsgenossen  wählen  läfst,  wahrscheinlich  als  seinen  eigenen 
nachfolger  (s.  6),  ist  ganz  in  der  Ordnung. 

V.  Wilamowitz,  Aristoteles.    II.  27 


418 


Register. 


'A^TiriäSr^s 2,  182 

l^^yeiäSae 2,   175 

a^y CS  {alros,  raoocs) 219 

'AQi(pQcov 2,  86 

Aristeides 145.  152.  159 

—  s.  g.  gesetz 124 

Aristides,  rhefor 298 

Aristion 14.  261 

Aristokrales,  Skelias  s 100 

Aristophanes 2,  382 

—  Thesmophoriazusen     .     .  III  cap.  8 

—  Wespen 2,  244 

Aristoteles  leben  und  entwickelung 

I  cap.  10 

—  beurteilung  der  prosa      .     .     .169 

—  natiotialgefüiil 369 

—  Stellung  zu  Demosthenes      .     .   349 

—  —  zu  Eplioros 305 

—  —  zum  landleben 357 

zu  inilitär  und  flotte  .     .     .   209 

—  Zeitrechnung 1 

—  n.  ßnaiXsias 339 

—  briefe 2,  393 

—  Siy.aiü'.juara 305 

^  Eudenios 328 

—  gedichte III  cap,  15 

—  Poetik 321 

—  Polilien 2,  18.  22 

—  Politie  der  Athener 

—  —  abfassungszeit 211 

—  —  benutzung  d.  Androtion .     .     42 

— der  Atthis  I  cap.  1.  cap.  8;  117 

der  attischen  gesetze  238.  256 

—  —  —  des  Herodotos  .     .      I  cap.  2 
des  Theramenes  62.126.161. 

165. 

—  __  —  akademischer  traditionen  118. 

128. 
des  Thukydides     .      I  cap.  5 

—  —  Berliner  exemplar  ....   291 

—  —  Londoner  exemplar     .    291.  294 

—  —  inlerpolationen 294 

geltuug  in  späterer  zeit    .  I  cap.  9 

—  der  Lakedaimonier  ....     2,  24 

—  Politik 355 

idealstaat 356.  363 

Verurteilung  der  frauenarbeit    235 

—  Protreptikos 327 

—  Pythioniken 13 

—  Rhetorik 320.  349 

Arkadien,  chronik 2,  22 

Arrian 122 

Artemis 132.  2,  318 

Aspasia 263.  2,  99 

Athanadas  v.  Ambrakia     .     .     .     2,  29 
Athen  archontenliste  ...       7 

—  bcvölkerungszahl      ...    II  cap.  9 

—  königslisle 2,  131—35 


Athen  topographie  des  landes  II  cap.  6 
der  Stadt   ....   270.  2,  160 

—  geschichte:  bis  Solen  .     .   II  cap.  2 
reform  von  683  .     .       2,  40.  53 

—  Drakon  und  Selon  s.  d. 

—  erster  heiliger  krieg     .     .       10—20 

—  593—560 2,  308-12 

—  tyrannenzeit     ....      2,  68—70 
vgl.  Peisistratos,  Hippias  Klei- 
sthenes  u.  dgl. 

—  kämpf  um  Leipsydrion 

—  geschichte  507—480 


Schlacht  bei  Marathon 
aeginetischer  krieg  .     , 


...     34 

2,  77-91 

280-87 

112.  2,  84 

2,  88—90; 

III  cap.  2 

—  490—80 25.  2,  327 

—  480-62      .     .     154-58.  2,  91—95 

—  Eurymedonschlacht  ...       2,  292 

—  thasischer  krieg  ....       2,  295 

—  465—  41    .     .     .      2,  97.  291—298 

—  Schlacht  bei  Tanagra   .     .       2,  294 

—  bündnis  mit  Argos  ...        2,  331 

—  aegypiischer  krieg  .     .     158.  2,  297 

—  kimonischer  friede 289 

—  samischer  krieg   ....        2,  298 

—  hermenfrevel 2,  113 

—  revolution  von  411        97—105.  164. 

2,  113—125.  345-51.  356—61 

—  Arginusenprozefs 127 

—  restauration  403  ....  II  cap.  1 1 

—  390-80 2,  374.  382 

—  370—50 343 

—  338 2,  395 

—  338—22 194.  348 

Athena    2,  36.  233 

—  Alea 2,  44 

—  streit  mit  Poseidon  .     .      2,  37.  199 

—  alter  tempel 115 

'Ad'r}valos 2,  35 

Atthis  ^ 27.  98  I  cap.  8 

Arrixös 2,  36 

14tcü,  'AroiToe       ....    2,  170.  175 

Auriden 2,  153 

a^ovBS 45 

a^ovr^kaxelv 2,   310 

Ba)j.iü)v 2,   177 

Baailavs 181.  2,   136 

Basiliden 2,  130 

Bekkers  fünftes  lexikon     .     .    226.  294 
biographica  in  schol.  Plat.  und  Lu- 

kian 263 

Bld-vs 2,  176 

Boeckh 12.  375 

ßorjSoöfiia 132 

briefstii 130.  2,  392 

Bryliden 2,  271 


Register. 


419 


Bukoleion 2,  42 

ßovlri 91 

Buladen 2,  74.  128 

Buzygen 2,  86 

Chairemon  v.  Apollonia    ....  293 

Charminos 2,  346 

Gliarmos 265 

Charon  v.  Lampsalios 152 

Charondas 65 

Chios 2,  381 

Gholargos 2,  159 

%<oqia,  rhetor.  terminus     ....  180 

XQ£Coot07iiSai 63 

Chronologie      ...     I  cap.  1 ;  2,  289 

Clemens  Alex 2,  311 

E.  Cmtius 377 

Daidaliden 2,  155 

Damasias 10 

Damia  und  Auxesia  ....       2,  282 

Dämon,  Damonides 134 

Dekeleia 2,  266 

Dekeleer 2.  172 

Uelos 2,  44 

Demon 273.  280 

Delphi 2,  44 

—  geschichtliche  tradition     .     .       285. 

2,  20.  21 

—  tempelbau.     .     .     .   32-36.2,327 

—  Athenerhalle 2,  287 

Demades 129.  208 

Demetrios  v.  Phaleron 362 

Demosthenes 129.  329 

—  'onächte'  Staatsreden    .     .       2,  215 

—  gegen  Androtion 211 

Aristogeiton  I      .     .     .        2,   402 

Aristogeiton  II    .     .     .       2,  247 

Boiotos 2,  179 

IVlakartatos 259 

Eubulides 31 

—  prooeniien 2,  402 

SrjfioTTje 2,  356 

demotika  in  der  anrede  .  .  2,  192 
Demotion  archon 2,  93 

—  heros 2,  279 

Demolioniden III  cap.  1 

Sixaiaqjf^ixov  ye'vos  noXireias  .  .  74 
Diodorns,  perieget 263 

—  V.  Sicilien 2,  290 

IX  quellen 266 

—  —  XI  Stoffverteilung  ....  156 
Jwyevrjs  ylatQxios  ....  2,  178 
Diogenes  Laertius,  1,  quelle  .  .  .  266 
Dionysios  v.  Chalkis      ....    2.  28 

—  V.  Milet 2,  8 

Dionysos 2,  42.  69 

dithyrambos 2,  406  —  10 


Drakon    ....     I  cap.  4;  2,  55.  305 

—  zeit 9.  57.  97 

Dropides  archon 7 

I.  G.  Droysen 377 

M.  Duncker 379 

Dyaleer 2,  269 

Eion,  eroberung 146.  155 

'ElaaiSai 2,  269 

elegie 322.  2,  314.  414 

Eleusis 2,  38 

Elis,  Chronik 2,  22 

—  synoikismos 2,  300 

U.  Emmius 375 

evos 77 

Ephesos,  phylen 2,  139 

Ephialles 2,  93.  341 

—  zeit  des  todes 141 

Ephoros 2,  16.  295 

—  Stellung  zu  Aristoteles     .     .    .  305 

—  zur  Atthis 277 

Epikephisia 2,  152 

Epikrates,  gesetz  über  d.  ephebie      194 
Epilykos,  polemarch      .    56.  278.  2,  43 

Epimenides 2,  25 

Erechtheus 2,  128 

Erelria 2,  80 

Erikeia 2,  155 

Eroiaden 2,  157 

eovfia 2,  336 

E"uboia,  chronik 2,  21.  28 

Eubnios 345 

Eudoxos 333 

Euenos  v.  Faros 2.  404 

EVT]d'et.a 2,  10 

Eumelides  v.  Alopeke  ...       2,  196 
Eumelos  v.  Korinth  ....  2,  20.  23 

Eumeniden 2,  338 

Eumolpiden 2,  52.  249 

Euonymoi  v.  Ephesos    ...       2,  155 

Euphemos 2,  78 

Eupolis  Demen 179.  181 

Euripides  Ion 2,  137.  142 

—  —  scenerie 35 

—  Phoinix 181 

Euthydemos  archon 24 

Euxitheos  v.  Haiimus 32 

—  V.  Mytilene 2,  369 

Frauen  keine  rechtssubjecte     190.  247 
frauennamen 2,  178 

Greleon 2,  136 

gesetze  und  Verfassung      .     .     65.  238 

—  anordnung 257 

yvdüucov,  iniyvci (.Kov 241 

Gorgias 172.  2,  405 

—  Olympiakos 173 

27* 


420 


Register. 


Gorgias  Palamedes    ....       2,  236 

(iraes,  demos 2,  252 

Griechische    geschichte    der    modernen 

375-381 

Grote 378 

giundbesilz,  privater      .     .    2,  47.  227 

—  heiliger 215.  2,  240 

—  Verschuldung 2,  55 

grunderwerb  der  neubürger    .     .       364 

Habron  aichon     ....    2,  93.  301 

Harmodios 2,  75 

gesetz  des  Hegemon 228 

Hegesias  archon 24 

Hekale 2,  157 

Hekataios 2,  8 

Hellanikos    ....     282.  283.  2,  19 

Hephaistos 2,  38 

Herakleia  Pont 357 

Herakleides  v.  Klazomenai      .     .       188 

V.  Pontos 265 

epitomator  der  Polilieen  .       292 

Hermias 334.  2,  404 

'EQuoy.oniSai 63 

Hermokreon  archon 24 

Hermes 2,  158 

Herodotos     .     .     .      269.  2,  9.  281  fTg. 

—  abschlufs  d.  Werkes      ....    26 

—  quellen  u.  gewährsmänner     .       285 

—  Übergänge  u.  Verknüpfungen      .    33 

—  Stellung  zur  Atthis  .     .     .     30.  288 

—  zu  Solons  gedichten      .     .     15.  315 

'HaiovTj 2,  181 

Hestiaia 2,   155 

Hesychius 294 

hetaeien 216.  218 

—  namen 99 

''IfifQolos 2,   176 

Himerius 2,  405 

Hipparchos  Gharmos  s.     114.  2,  82.  87 

—  Peisislratos  s.       .      109.  273.  2,  70 
Hippias  V.  Elis 2,  20 

—  Peisislratos  s.       ...     112.  2,  70 

Hippokleidcs 2,  73 

llipponienes 2,  132 

Hippys 2,  28 

"TXas 2,  176 

'rlixC8r,s 2,    183 

llypeii)ol(.s  ....      129.  130.  2,  53 
Hypereides,  geburtsjahr      .     .     .       225 

Hypsicliides  archon 25 

Tovdd'toi 2,  139 

lambiich.  prolr.  sophistische  quelle  174 

Idomeneus  v.  Lampsakos   .     .     .  183 

Ion  u.  söhne     ....       2,  136.  154 

Ion  V.  Chios 145 

loniden 2,  142 


lonien,  Chroniken 2,  29 

lonier 2,  141 

lophon  Peisislratos  s Ui 

Iphikrates 347 

iaad'ävaros 2.  409 

Isagoras 2,  70 

Isokrates.     ...       72.  167.  318.  344 

—  lod 2,  395 

—  Buseiris 2,  14 

—  710CS  Toiis  aotpiaräs      .  .       320 

—  Panegyrikos     ....   2,  380—84 

—  Panalhenaikos       .    133.  2,  380.  392 

—  briefe HI  cap.  13 

iaou£T^7]ros 4S 

Islhmos  der  Messenier  ...  2,  206 
Istros 2,  279 

Kadmos  v.  Milet 2,  20 

Kallias  v.  Angele,  archon  ....     8 

—  Kalliades  s 135 

—  V.  Skambonidai,  archon     ...      7 

Kaiiibios 2,  389 

Kaliikrales  v.  Paiania    ...      2,  214 

xarcovaxai 272 

Kedon 38 

Kekrops 2,   128 

xsifälaiov  ihetor.  terminus     .      2,  387 

Kephallenia 2,  39 

Kephisos 2,   155 

Kerameikos,  friedhof      ...      2,  292 

Keiyken 2,  74 

Kikynna 2,   158 

Kimon     114.  135—38.  180.  2,  91.  97.  9>> 

—  ostiakismos  .  .  .  .  2,  291  — 93 
Kleidemos  ....  29.  30.  265.  286 
Kleisthenes  Megakles  s.    6.  32.  2,  76.  145 

—  Sibyrtios  s 2,  145 

—  V.  Sikyon 17.  272 

Kleilophon 102 

Kleokritos 180 

Kleon 129.  2,  24S 

Klennymos I8u 

Kleophon      ....   130.  2,  195.  213 

Klivias 2,  59 

Kodros,  Kodriden 2,  129 

Koiavoa 111 

Kolias,  naukrarie 279 

KolXvriSrjs 2,   183 

Komeas  archon 22 

alte  komoedie 182 

Kofcov,  Kövvos 62 

Konon  archon 2,  93 

Konlhyle 2,  152.  172 

yoQr] 46 

Korinlh,  chronik 2,  23 

Koriskos 334 

xoocövrj 2,  36 

Korybanten 46 


Register, 


421 


Kothokiden 2,  152 

Kranaos 2,  126 

Kreophylos  . .  2,  20 

Kreta,  chronik 2,  26 

Kreusa 2,  137 

Krios  V.  Aigina 2,  284 

Krisa 18 

Kritias 131.  165 

—  Schriften 1T4 

KooTaos 2,  175 

Kronos,  Kronia 119 

—  Kroniden 2,  181 

£711  Koövov  ßios 119 

Kydas,"  Kydantiden    .     .       2,  155.  279 

KtdlaQOS 2,  176 

KvXav 2,  130 

Kylon 2,  55 

yvQßeiS 45 

Kyrene,  chronik 2,  27 

Kytherros 2,  152 

Laches 2,  244 

Lakrateides,  archon 2,  81 

—  Eumolpide 2,  449 

Lamachos 2,  172 

Lampsakos 151,  2,  72 

Lemnos 196.  2,  73 

Leogoras 2,  74 

Leon,  Stratege 2,  268 

Leto 2,  181.  268 

localtraditionen      ....       II  cap.  1 

los 89 

Lusia    .     ■ 2,  153 

Lykon 128.  2,  154 

Lykurgos 209.  352 

yiioavS^os  u.  dgl 2,  62 

Lysias 177 

—  gegen  Eratosthenes  .     .   2,  218—22 

—  für  Polystratos     ...      III  cap.  9 

—  gegen  getreidehändler  .    III  cap.  11 

—  —  Pankleon    ....    III  cap.  10 

—  —  Euandros 204 

—  rede  25 2,  361 

—  Olympiakos 2,  382 

—  rede  34 2,  225 

Lysistratos 2,  347 

llaXaxaiyTjTOS  ......       2,  408 

fiaXsQOS 2,  407 

Massalia,  chronik 2,  29 

MrjSixd 26 

Medontiden 2,  41.  131 

Megakles,  archon 9.  57 

—  Alkmeons  s 23 

—  Hippokrates  s.      .     .     .    37.  2,  323 

—  Megakles  s 111 

Megara,  chronik 2,  21 

fitl^ts  noXneias 74.  133 


MeXäv&ios 2,  82 

Alelanthios  atthidograph     ....  287 
und  homonyme 

Melanthos 2,  129 

Meletos 128.  2,  74 

Melisseus 2,  20 

Menekrates  v.  Elaia      ....    2,  30 

Menon  v.  Pharsalos 116 

fiTixTjQ  ^OXvjunia 2,  317 

metrik     .     2,  317.  353.  355.  404.  406 

Meursius 375 

Miletos 2.  141 

IMilüades 2,  82 

Mimnermos 2,  313 

fivTjuoves 236 

Mnesiphilos 134 

I.  Moser 368 

niünzpräguug  .     , 80 

Myronides   ....      179.  2,  91.  297 

Myros  (?)  archon 2,  81 

Myrrhine 113 

Mvs 2,  176 

Hamen II  cap.  7;  2,  29 

—  recht  daran 2,  181 

naturalw'irtschaft 240 

vavycqaQOS 96 

Naxos  eroberung 150 

Neapel 2,  39 

Nepos,  Thrasybul     ....       2,  223 

vr^Qr^iSes 2,  181 

Niebuhr 376 

Nikodemos  v.  Dekeleia      .     .       2,  265 

nominalconstruction 214 

novelie 2,  6.  31 

Od 2,  152 

Olov 2,  156 

Ogygos 2,  126 

W.as 2,  176 

olivencultur 240 

OQyäs 2,  39 

Orestes 2,  49 

d Qoyoäcpoi 2,   21 

Oropos 2,  365 

oQÜ'oi.ad'ai 2,  332 

Ol  To.  ojxa  xaTsayores       .     .     .     .133 
Otryne    ........       2,  154 

UtaVASia 2,  36 

Pallene 2.  37.  157 

Pandion       2,  127 

Pandrosos 2,  318 

Panops 2,  149 

nas  Tts 2,  314 

patronymica 2,  180 

Pausanias  v.  Sparta 145 

—  perieget 19 


422 


Register. 


Peisislratos .     .     .     .       179.  2,  69.  311 

—  zeit 21  —  24 

Pelasger 2,  73 

Pellana 287 

Pentele 2,  157 

Perikles        .     68.  133.  2,  98-102.  297 

—  antrag  auf  tempellierstellung  2,  340 

—  beredsamkeit 170 

—  geschlecht 2,  86 

—  gesetz  über  bürgerrecht   .     .     .  125 

—  prozefs 2,  245 

Peiithoiden 2,  153 

Phainippos  archon 2,  81 

Phanodemos 287 

tpari^siv 48 

Plieidias 2,  100 

Philaiden 2,  72.  82 

4>iheTs 2,  269 

Pliilinos       2,  347 

Philippos  könig 340 

briefstil 2.  392 

Philistos 2,  13 

Philochoros 33.  288 

<PiXofir}XEiSr]S 2,   196 

Phoibias  v.  Samos 293 

Phokos 2.  309 

Phorbas,  heros     .     .     .     .   2,  134.  279 

Phorniisios 2,  225 

^OQfws 2,  375 

Phiasikleides  archon     ...       2,  301 

Phyle 2,  39 

phylen  bei  Dorern  u.  loniern        2,  139 

(PvXliSai, 2,  178 

Pindaros  lebenszeit  ....       2,  301 

—  Pyth.  7 III  cap.  6 

—  Pyth.  8 2,  301 

—  Isthm.  6 2,  293 

Piaton  74.  184.  237.  322—33.  2,  14.  415 

—  Gorgias 183 

—  Gesetze 330 

—  unechte  Schriften 342 

—  Hipparchos 118 

—  loa 188 

—  Menexenos 2,  100 

Plutarchos 299-303 

nöXis 51 

noXiTTjs 2,  54 

politische  literatur    .       169.  2,  13.  389 

Pollu.v 256.  257.  295 

Polyaenus 275 

Polykrates  sophist 183 

Poseidon 2,  37 

Praxiergos  archon 2,  93 

Praxilla 2,  321 

Probalinthos     ......        2,  152 

TtooazdrTjS  tov  Sijfiov 178 

Protagoras 174 

Proxenos  v.  Stagira 315 


pseudepigraphe  literatur 

ni'Qr^S 

Pytheas,  redner    .     . 
Pythiadenrechnung    . 

Pythion 

Pythodoros  Epizelos  s 


2,  402 
2,  183 

.  20b 
2,  328 

2,  45 
2,  173 


(Quellen  d.  gr.  geschichte  277  ffg.ll.  cap.  1 

reden,  zweck  der  publication  2,  362. 367 

—  eingelegte  Urkunden     ....  259 

Rhodos,  Chronik 2,  27 

ronian 2,  14.  31 

(xonlris 2,  155 

Sage 2,  5 

Salamis,  er  Werbung 267 

Samos 293 

seeraub 2,  285.  383 

seisachlhie 2,  62 

Semachiden 2,  157 

Sigonius 375 

Sikyon,  chronik  ....  272.  2,  23 
Skoliensammlung  ....  111.  cap.  5 
Skyros  erwerbung    ....    146.  157 

Sokrates 2,  227 

Solon      ....     261—69.  2,  59—67 

—  gedichte      ...    15.  303.  III  cap.  4 

—  gesetzestafeln 45 

—  hieromnemon 14 

—  legenden     ....     16.  39.  2,  67 

—  münzreform 41—44 

—  zeit 14 

Sophokles  Antigone      ...       2,  298 

Sosibios  Lakon 2,  25 

Sparta 2,  40.  52 

—  dya&oe^yoi,  araroi      ....  225 

—  Chronik       2,  24 

—  Säuos 2,  40 

—  erdbeben 2,  295 

—  rhetra 2,  24 

Spitznamen       2,  17S 

heilige  steine 47 

Stele  der  geächteten 115 

Stesimbrotos 178 

suffix  —  svs 2,  136 

Teilhras 2,  279 

Telamon 2,  320 

Telauges  pythagorist 272 

Telemachie 2,  72 

Tellos 269 

Teipandros 2,  25 

T,]d-vs 2.  ISl 

Thargelien 2,  45 

Thasos 150.  2,  295 

Themistokles  138—52. 275. 2. 83. 88—91 

—  angebl.  statue 263 

Theodorus  Metochita 293 


Register. 


423 


Tiieopompos      130.  135.  16S.  183.  2,  15 
Theramenes        .      .        165—68.  2,  222 

Thersikleiden 2,  268 

Theseioa 157.  269 

Theseus       270.  2,  127 

■d'eafiSs 2,  330 

Thessalos  Peisistratos  s 110 

Thrasvbulos 2,  223.  382 

Thukydides  I  cap.  5;  184.  2, 10.  290.  357 

—  heikunft 116 

—  Stellung  zur  Atthis       ....  289 

Thymoites 2,  129 

liernamen 2,  178 

Timokieon 138 

Tolmides 2,  297 

iracht 272.  2,  68.  282 

Trinemeia 2,  155 

Tritopatores 2,  268 


TQITTVS 2,    36 

tyrannenmörder 2,  319 

Tyrsener 2,  74 

Verkaufstempel 236 

Westhellenen,  chronik  .     .     .     .    2,  2S 

Xanthippos 2,  87.  91 

Xeniades  v.  Korinth      ....    2,  23 

Xenokrates 341 

Xenophon    ....       122.  2,  15.  218 

—  Symposion 182 

—  IloXir.  l4d'T]v 171 

Xutiios 2,  137 

Zakyaden 2,  268 

Zeuxippos 2,  130 


3.     ^AxriTil   szo'j.ixiY.c   ovofiara. 


liyoQai 2,  236 

ayooavouoi 218 

aSixiov  ...     2,  232.  246.  360.  365 

uSvvajoi, 213.   2,   206 

a&Xod'äzai 238 

alosiad'ai. 72 

Idfifjicovis 209 

avao%ia, 6.  2,  64 

dvS^anoScov 245 

dvTiyoa<psvs 228 

anoSaxzai 2,  241 

ogyiaS 255 

Uosios  Ttdyos    91.  251.  2,  49.  92.  333. 

II  cap.  8 
aQxni,  fiiad'ös,  xaonos  196.  2,  203.  400 

—  y.Xriqmat.'i,  xväfiEvais     .     .    200.  203 

—  xXT]ocorai  ex  Sixaaroäv     .     .     .  233 

—  cumulirung  und  Iteration       .     .  197 

VTtEQÖQlOl 2,  203 

—  XSiQorovT^rai 208 

dqyaiqea  iai, 210 

dqyT]yerT]S 2,   136.   150 

dqxovrss 243.  2,  87 

—  uiad'ös 195 

—  oQxos 46 

—  gemeinsame  pflichten    203.  204.  243 
doyoiv 254.  2,  44 

—  snatvvfios 4 

noycov  eis  ^aXauTva 230 


[jaai^.svs 

—  absetzen  des  kranzes 


251.  2,  41 
.     .     .  252 


ßaaiXevs,  Strafgewalt    ...        2,  195 

—  Vertreter  des  archons  ....  204 

vöfioi  ßaatkecog 215 

BoTjSqSfiia 250 

ßovXevais 252 

ßovk^  Ol  f'    53.  209—16.  2,  106.  111. 

195—98.  240—42.  344.  375 

—  —  ax  TiQOxolriov 73 

—  oi  (f  xai  a 53 

—  antrag  auf  eigene  bekränzung  .211 

—  Liiad-Ss 195  2,  95 

BoavQcivia 230 

yeqaiqai 2,  41 

yecofxÖQOi 2,  51 

yvcöuoves 241 

youfiuaxeis 227.  2,  107 

AflXta 230 

dtjuaoxot 217 

SriuaQxos  iv  Läfiyta^dov   ....  232 

—  'Elevalvt 232 

—  eis  JJeiQaiä. 230 

SriUiovqyoi 2,  51.  58 

Sr,fioi      ....        II  cap.  6;  2,  109 

Siairr^rai 224 

Siaxprj^iaig 31 

Sixaarai      .     .     .    90.  201.  2,  96.  105 
Sixaarai  xaxd  Srjfiovs       ,     .     .     .124 

SimßsUa II  cap.  10 

SoxLuaaia 2,  188 

8(i)Q(ov 2,  233 


424 


Register. 


^iaayyeXia  ....       53.  2,  1S9.  360 

tiffayojysls 222.  234 

U-/Kriaia      ....       90.  210.  2,  104 

—  flucliformeln 2,  348 

—  fiiad'ös ISS.  195 

—  tagesordnung       ....       2,  253 

'E).evaivia 230 

tunooixai  Sixai        221 

i'i'Sei^ts 222.  2,  375 

i'.Ssya 222 

i^r;yr]rai 280.  281 

tni^rjfiicoats 2,  196 

dniuelr^rfjS  xqtjvüv 20" 

—  BfinoQiov 220 

ejiioxavaaTCti  ie^av 215 

tniräfios  aycöv 249 

inixsioororia  voficov    ...        2,  194 

Ejtcövvfioi 225 

Ei^vva     II  cap.  12;  71.  2,  244.  250.  360 

tinaxQiSai, 94.  2,  50 

i'weais  eii  SixaaTtiQiov      ....     60 

ilfSTa, 251.  2,  199 

itrrßoi, 1S9.  353 

tfOQOl ■^j    ''"J^ 

Hfaiaria        230 

d-eGiiod-axai 244-48 

&caaoc 2,  269 

lEoofiVTiniov     ....   206.  2,  45.  53 

isooTioioi 228 

ixerroia 52 

innsls 212.  2,  107 

y.a&eorrjxvla  rifir,         220 

xaräyvcoais  ex  ßovXr^e       .     .        2,  375 

y.aialoyeTi 102.  2,  356 

y.r^ovxss 202 

y.oTiQoXöyoi 217 

y.oxoeiov 2,  2(1 

xcoXaxQtTai 52.   2,  190 

^.r^TOvgyiai 2,  105.  163 

/.oytart'^Qin 2,  232 

/.öyos II.  cap.   12 

(IsTalkixnl  Sixni 245 

fitroixoi      ....     249.  250.  2,  370 

uexQOvöf^iOL 219 

uiad-oi 194 

uoi^sias 247 

VavxoaQiai 279.   2,  53 

vuvxoaQOv 51.  93 

ravxoSiy.ut 223 

Nlxai  xQvaaX 212 

i'OfiO(fvXaxia 2,    190 

rovfirivia 210 


oSonoioi 226 

olxoi 2,  266 

ofioydXaxxes 2,  273 

oTtXa  nuoi'/ead'ai 7S 

oQyEtöpEi 2,  269 

i)Qi.axai 217 

oQfpavoi 250 

vaxQaxiauös 2,  87.  256 

Tlavad-ivaia 239 

nnonyoncfi} 2,  368 — 70 

TinocidEiyfta 213 

IIaQa)da '231 

näixdos 209 

Ttnoat  öficor 2,   105.    193 

oiÜqeSqoi 2;  40 

TlEVXr'iQEli 211 

■JlEQlTXokoi 199 

nolEttaQxof 249.  2,  43 

7io).ixr;s 205 

nonxxogss 196 

Ti^ößovloi        .     .     .     102.  2,  113,  344 

Tigoyoiveiv 72 

TTQÖ^eroi  nicht  von  Untertanen  .    2,  92 
7toox,siQoxuvia      ....      III  cap.  13 

TiovxaiElai  iß' 2,   147 

■jiovxnvEit  i'UvxQaQCOv        ....      92 
TccXayöoai 2,  53 

Q/xooES 2,   110 

jLda'/Mfitvia 209 

aixofiXaxEi 219.  2,  375 

i:y.i&ai       2,  334 

aTQuxi,yoi  .     .     86.  2,  44.  78.  88.  lOS 

—  Ei&vra 2,  243.  249 

avyyoafEis 104.  2,   110 

avXXoysis  xoü  Srjfiov     ...        2,  166 

oifSixos 2,  330 

avrrjyogoi 233.  2,  HO 

ovveSqoi 202 

aqayai 17 

■jiEol  acuxr^oias 102 

aw^Qjviaxai 192 

Xafiiat  xrfi  d'EOx 212 

—  xwv  aXXcoi'  d'Eiüv  .     .     .    212.  234 
xafiias  xt,s  ßoi'lr,S 214 

—  TOI    Srjjuov 210 

—  GZ  oaxicox  1X0)1' 198 

xa^iaoxot- 2,  8S 

TE^iVr 215.  2,  190.  240 

xifu'uaxa  44.  78.  2,  51.  102.  217.  228. 
xificoosly  xo)  aSixovfiivoJ       ...     60 

xo^özfti  uaxoi 2,  201 

xoavaa  ix  TiQOvoias 17 

xoi'OEiS  lEoai 209 


Register. 


425 


xqixxiao/oi 2,   164 

Tcnzies II  cap.  6 

—  iß' 2,  147 

zvQavviSo? 54 

VTCoy^ajuuarstS 197 

vTicofioaia 2,   193 

(fötoi  äSrj).o£ 253 

—  Sixaios 255 


(foaroiat 189;  III  cap.  1 

(foovooi 198.  234 

fvXai  S' 2,  50.   138-43 

(fi/.uQxoi 2,  163 

(pvXoßaaileis 94 

Yooriyia 254 

'^EvSo/j.ttoxvoicJv 240 

■ipr^qjCafiaxa  form 52 


3.    Stelleiiregister. 


Aelian  V.  H.  8,  16 262 

10,  15 177 

Aischines  1,  23 2,  254 

—  2,  47 2,  269 

—  3,  13 203 

—  3,  25 228 

—  3,  116 36 

—  3,  184  (hermenepigr.)  ....  155 
Aischylos  Eum.  568—708      2,  328—37 

909 2,  341 

980       2,  342 

—  Sieb.  592.  609 160 

Andokides  1,  74 2,  233 

—  1,  78 2,  235 

—  1,  97 54 

Bekk.  Anekd.  212    ....       2,  281 

—  236 128 

—  237 2,  213 

—  298 294 

—  299 231 

—  345 213 

—  449 56 

Antiphon  6,  36 2,  347 

—  6,  51 252 

—  Sophist  passim 173 

Aristides  pro  IV  vir.  276   ....  280 
Aristophanes  Frosch.  1432     .     .     .ISO 

—  Rilt.  8 2,  177 

—  Thesm.  313—30  ....       2,  352 

353—71 2,  354 

SOS 2,  344 

SU 2,  346 

—  Vög.   125 100 

—  Wesp.  232 2,  172 

961 2,  244 

1184 217 

1221 2,  176 

Aristoteles  Elegie  an  Eudemos     2,  413 

—  epigramm 2,  4U3 

—  Eth.  Mk.  1181» 359 


Aristoteles  hymnus  ....       2,  406 

—  Meteorol.  I  343'' 5 

—  Poet.  1456^ 2,  29 

—  Pol.  Athen.  1 290 

2,  l 294 

3,  3 47.  56 

4,   l 57 

4,  2—4 I  cap.  4 

5,  1 2,  304 

5,  2 8 


5,  3      . 

6,  1      . 

6,  2-3 

7,  1      . 

7,  2      . 


.  303 
2,  62 
.  62 
.  45 
48 


8,  1 49.  198 

8,  2-5 50 

•?.  3 53 

9 59 

10 41-44 

13,   I 6.  10 

13,  2 294 

14.   1 22 

14,  2 260 

14,  4 22 


15,  1    . 

—  —  15,  4    . 

16,  6    . 

16,  7    . 

16,  10. 

17,  1    . 

17,  2    . 

17,  3-4 

18,  2    . 

18,  4    . 

18,  5.  6 

19,  1.  2 

19,  3    . 

19,  4 


....  23 
....  269 
.  .  272.  292 
....  119 
54.  294.  2,  43 
....  21 


.  Hl 
.  274 
.  109 
.  274 
.  274 
34.  37 
33.  37 


-  19,  6 21 


426 


Register. 


Aristoteles  Pol.  Athen.  20,  2     .     .     37 
20,  5 6.  31.  294 

-  —  21,  1 32 

21,  3-6  ....     2,  146—51 

-  —  21,  4 2,  168 

-  —  21,  6 225 

22 123 

22,  2 24 

22,  7 275 

22,  8 25.  114 

23 139 

23,  2 294 

24 2,  201-7 

-  —  25 140 

25,  2 2,  186 

26,  1 136 

-  —  26,  2-4 124 

-  —  26,  2 294 

27,  3 139 

27,  4 133 

-  —  27,  5 128 

-  -  28,  4 125 

-  —  29-31 101 

29,  1 2.   173 

-  —  30 2,  116-120 

-  —  31 2,  115 

-  —  31,  3 2,   120 

-  —  32 100 

33 98 

-  —  34,  1 127 

-  —  34,  2 8 

-  —  34—40 121 

-  -  36,  2 165 

39,  6 2,  217 

41,  1 122.  294 

-  —  41,  2    .     .     •     .     .     .    186.  187 

-  —  41,  3 188 

-  —  42 189 

-  —  43,   t 207 

-  —  43,  2 4,  210 

43,  4—6 2,  252 

-  —  44,  4 210 

-  —  45 210.  2,  196 

-  —  46 211 

-  —  47,  2 243 

-  —  47,  4 251 

-  —  48,  3-5 2,  235 

-  —  49 213 

50 215 

51 218—20 

52,  1.  2 222 

-  —  52,  3 212 

-  —  53 224 

-  —  54 226—28 

-  —  55  3—5 256 

-  —  55,  5 46 

56,  1 256 

56,  2—7 254 


Aristoteles  Pol.  Athen.  56,  7     .     .  259 

57,  1 251 

58 249 

59 242—48 

60 238 

61,  1 207 

61,  7 209 

62,  1 198 

62,  2 195 

62,  3 197 

63 204 

fgm.  2 28 

fgm.    4 2,   128 

Politik  B  1267"^ 66 

—  B  cap.  12 64—71 

—  ^1275« 205 

—  r  1284» 372 

—  J  1296» 71 

—  En\h^ 21 

—  .Z'cap.  2 187 

—  ^Tcap.  8 234 

Rhetor.  2,  1397'' 349 

—  3,  1407S  1411" 351 

Athenacus  6,  235     ..     .      215.  2,  43 

—  6,  271 272 

—  15,  skolien     ...        37.  III  cap.  5 

Deinarchos  1,  60     ...     .       2,  233 

—  3,  15 193 

Demosthenes  18,  134   ..     .       2,  189 

—  19,  255  (Solon)  ....        2,  305 

—  19,  285 192 

—  19,  293 2,  233 

—  24,  11 2,  255 

—  24,  149  (heliasteneid)  ....  201 

—  43,  57 217 

—  43,  75 259 

—  prooem.  54 2,  401 

—  prooem.  55 2,  400 

Diodoros  9,  37 272 

—  11,  54 142 

—  11,  79 2,  301 

—  11,  81-83 2,  294 

—  12,  45 2,  247 

Diogenes  Laert.  1 49—52       .     .     .  266 
Dionysios  arch.  5,  50   .     .     .     .    2,  81 

Jbtym.  M.  iTia'.vvfioi 225 

Eupolis  Demen 179 

—  Städte  28  M 2,  347 

Euripides  Antiope  203       .     .     .    2,  42 

—  Iphie.  Aul.  935—47     ....     48 

—  Phoen.  983 2,  336 

Crelüiis  2,  10 298 

Gorgias  Palam.  28  ...     .       2,  236 

Harpokration  aSivaroi     ....  213 


Register. 


427 


Harpokration  dnoSt'xrai 

.     .     .     52 

— •  Evd'vvai     .... 

.     .     .227 

— -   iTtTzagxos  . 

.    115.  123 

—  ^.oyiazai    . 

.     .     .227 

—  ^svias   .     . 

.     .     .223 

7TQ0XS100T0VÜ 

.        2,  255 

Herodotos  1,  59 

.     .     .261 

—  1,  60     .     . 

.    2,  10 

—  5,  63.  65   . 

.     .     .     32 

—  5,  69      .     . 

.        2,  149 

—  8,  93     .     . 

.        2,  172 

—  9,  35      .     . 

2,  296 

-  9,  73      .     . 

.        2,  172 

Hesiodos  fgm.  37 

.        2,  183 

Hesvchius  KXa^Ofisvioi 

.     .  294 

—  KöSgovs     .     .     . 

.       2,  130 

llimerius  or.  6,  6 

.        2,  405 

Homer  ß  550—55    . 

.     .     .239 

—  K  69 

2,  171 

—  T  327    .     .     .     . 

2,  184 

—  ^  343    .     .     .     . 

.       2,  196 

lamblichus  protr.  95  Pist 

.    174.  180 

103       .... 

.     .  181 

Inschriften 

Bull.  Corr.  Hell.  XII  164 

.     .  188 

CIA  I  29     ....     . 

.     .  223 

—  —  57    .     . 

2,  195 

122.     . 

.     .     68 

189^  190 

2,  212 

274.     . 

'i 

,  177.  179 

398  .     . 

2,  173 

432  .     . 

2,  292 

433  .     . 

2,  297 

—  II  22      .     . 

.     .       S 

91    .     . 

.     .  157 

114.     .     . 

214.  227 

570  .     . 

2,  154 

571  .     . 

2,  239 

578  .     . 

2,  239 

809b      .     . 

2,  237 

865.     .     . 

2,  382 

866.     .     . 

2,  156 

871.     . 

2,  151 

941  .     .     . 

.     .  225 

962  .     .     . 

.     .  196 

985«      .     . 

2,  197 

1053     .     . 

2,  154 

1208     .     . 

.     .  20(1 

1652     .     . 

2,  26S 

2002     .     . 

2,  174 

2723     .     . 

2,  174 

3436     .     . 

2,  170 

3SS0     .     . 

2,  285 

--  IV  p.  6      .     . 

104  223 

p.  8      .     . 

2,  297 

P.  9      .     . 

2,  296 

p.  63    .     . 

2 

70.  2,  238 

CIA  IV  p.  64 228 

p.  66 2,  240 

p.  115 2,  174 

p.  118 2,  157 

p.  125 45 

—  -  p.  140 2,  202 

p.  182 2,  173 

p.  199 2,  75 

Jslriov  aoxaioX.  88,  112       .        2,  167 

89,  18 2,  151 

89,  47 193 

92,  36 7 

92,  58 2,  175 

^EfTjusQis  agx^wX.  83,  128    .     .     .  232 

88,  1 III  cap.  1 

89,  16 208 

90,  27 232 

90,  91 193 

92,  67 2,  48 

Inscript.  Brit.  Mus.  I  455.  588  2,  139 
Inscr.  Graec.  Antiquiss.  3^     .       2,  287 

43 2,  175 

483 2,  184 

504 2,  184 

Marnior  Parium  ....  10.  21.  113 
Mitteil.  Athen.  X  111  .  .  .  2.  153 
Isaios  7,  9 2,  82 

—  7,  15 2,  268 

Isokrates  4  100—114  .     .      III  cap.  12 

—  4,  139 2,  381 

—  briefe III  cap.  13 

lustinus  II  9,  1 113 

—  IX  1 145 

Liexicon  Cantab.  vofiofvXaxss  2,  192 
Lex.  Patm.  p.  152   .     .     .     .       2,  272 

Lykurgos  117 114 

Lysias  7,  22 240 

—  12,  58 2,  217 

—  20 III  cap.  9 

—  22 III  cap.  11 

—  23 III  cap.  10 

—  30,  U 2,  195 

Marcus  Tigos  eavTov  5,  3      ...  242 

Paroemiogr.  App.  4,  11  .  .  2,  215 
Pausanias  I,  29,  4    ...     .        2,  292 

—  IX  5,  16 2.  129 

—  X  7 10.  19 

—  X  19,  4 35 

Photius  bibl.  cod.  37 75 

—  lex.  Bv&vvai 2,  232 

—  —  vavygngia      ....        2,    166 

—  —  oQyscJöves 2,  269 

—  —  airofpv'J.ay.es 219 

Pindaros  Pyth.  7      ....  111  cap.  6 

—  Nem.  7,  27 2,  320 


428 


Register. 


Piaton  Staat  2,372      ....    2,  U 

—  Ges.  692 2,  53 

828 2,  147 

923 63 

—  brief  6 334 

Plaulus  .Aulul.  107  ...     .        2,  215 

Plutarch  Aiisteid.  3 160 

22 124 

25 144 

—  Kimon  5 136 

8 146 

14—17      ....    2,  291.  296 

—  Nik.  11 115 

—  Perikl.  24 263 

32 2,  246 

—  Solon  10 25 

U 14 

13 58 

14.  15 2,  309 

18,  4 61 

19 17.  95 

25 47 

26 16 

30 265.  2,  311 

31 264 

—  Themist.  20 143 

21 138 

25 150 

—  Theseus  23 270 

—  apophtli.  reg.  (Aristid.)     .     .     .  160 
Poliux  6,  195 176 

—  8,85-127 295 

—  8,  86 48 

—  8,  99 2,  241 

—  8,  107 230 

—  S,  108 2,  163 

—  8,  130 50 

—  9,  61 81 

Polyaen  1,  22.  2,  36 274 

Polybios  XII  11,  2 306 

Procop.  in  Anasfas.  II  40  Vill.  .     .  292 

Scholia  Aeschin.  1,  39      ....  177 

1,  104 297 

2,  167 199 

—  Aristid.  472  Ddf 2,  86 

517 2,  82 

536 263 


Scholia  Aristoph.  Lysistr.  273    .     .114 

Ritt.  43 210 

449 29 

Thesm.  804   ...     .       2,  343 

Vög.   1073 287 

1541 51 

Wesp.  598 190 

Wölk.  985 288 

—  Demosth.  Aristokr.  Palm.     113.  253 

—  Eurip.  liek,  934       ...       2,' 280 

—  Hesiod.  Erg.  888     ....    280*) 

—  Pind.  Pyth.  einleit 11 

Pyth.  3,  1 12 

7,  1 2,  324 

7,  9 33 

—  Plat.  Ges.  XII     ...     .       2,  241 
Menex 263 

—  Vergil.  Aen.  6,  21  .     .     .       2,  278 

Solon  gedichte III  cap.  4 

Slephanos  Byz,  Bewa      .     .     .     2,  33 

—  Xatocöveia 282 

Stesicho\os  fgm.  42      .     .     .       2,  183 
Strabon  397 2,   143 

—  398  .   ^ 2,  157 

Suidas  Sidy^auua 218 

—  OrjQafievr^S 167 

—  nivSaoos 2,  302 

Themistokles  brief  8 144 

20 152 

Theodorus  Metochita  668      ...  293 
Thukydides  1,  20 109 

—  2,  13 2,  209 

—  2,  20 2,  210 

—  6,  55 265 

—  7,  69 2,   171 

—  8,  97 99 

Valerius  Maximus  VII  2  ext.  7    .     ISO 

Xenophon  Hell.  I  2,  18    .     .     .     .128 

II  3,  19 166 

II  4,  38 2,  21S 

—  Kyrop.  III  1,  38-41    .     .     .     .182 

—  3Iemorab.  I  4,  5 241 

—  Symp.  2,  22 220 

4,  32 2,  214 

—  nohx.  Ad-.  1,3 197 


*)  Die  conjectur  AvS^oriwv  für  l-J^ufojeoos  wird  wol  falsch  sein,  ein  seher 
Amphoteros  ist  von  Herwerden  bei  Eupolis  in  den  Städten  15  M,  mit  Wahrschein- 
lichkeit aufgezeigt  worden. 


Druck  von  J.  B.  IlirschfelJ  in  Leipzig 


0 


te!i\IBIN5ÜLÜL     \mVAWb 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


JC 
71 

A7W5 
Bd. 2 


Wilamowitz-Moellendorff, 
Ulrich  von 

Aristoteles  und  Athen 


C\U