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Full text of "Prolegomena zur geschichte Israels"

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PROLEGOMENA 



ZUR 



GESCHICHTE ISRAELS. 



VON 



J. WELLHAUSEN. 



ZWEITE AUSGABE 

DER 

GESCHICHTE ISRAELS, BAND I. 



BERLIN. 

DRÜCK UND VERLAG VON G. REIMER. 

1883. 



PS 
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• W4-5" 

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Vorwort. 

Der erste Band der Geschichte Israels , - in sich ein abgeschlossenes 
und vollständiges Werk, erscheint, nun so auch auf dem Titel, weil es 
unsicher ist, wann der zweite hinzukommt. Dass meine Kritik die Sub- 
struction zu einem positiven Aufbau ist, glaube ich auch für die, welche 
es ihr selber nicht anmerken, durch eine in der Encyclopaedia Britannica 
veröffentlichte Skizze gezeigt zu haben; umgekehrt hat August Köhler, 
unbewusst aber gründlich, von neuem dargethan, dass sich von den Vor- 
aussetzungen der traditionellen Kritik zu einer geschichtlichen Anschauung 
und Darstellung nicht gelangen lässt. 

Einen Erfolg habe ich ohne Zweifel gehabt, den, dass die Graf sehe 
Hypothese — der Name befriedigt nicht, aber man lasse es dabei, denn 
die anderen Namen sind nicht besser, und Vatke- George -Reuss kann 
man doch nicht sagen — auch in Deutschland, wo sie bis dahin in den 
massgebenden Kreisen unbekannt geblieben und dementsprechend mit 
vornehmer Geringschätzung behandelt war, durch mein Buch auf die 
Tagesordnung gekommen ist. Die deutschen Fachgenossen sind durch 
mich aufgerüttelt worden; diese Thatsache wird dadurch nicht abge- 
schwächt, dass sie plötzlich Alles längst gewusst haben wollen, was sie 
von mir gelernt haben. Es gibt kaum einen schriftstellernden Hebräer 
oder Theologen, der nicht seit 1878 zu der neuen Zeit- und Streitfrage 
Stellung zu nehmen sich gedrungen gefühlt hätte. Steinschneider in 
Berlin erklärt, für ihn bleibe es , beim Alten, und citiert zur Begründung 
Ryssel; Kneucker in Ziegelhausen dagegen ist geneigt, nunmehr der 
Graf sehen Hypothese sich anzuschliessen. Als ob es sich um Sammlung 
von Voten für oder wider ein Dogma handle! Vorwiegend laut sind be- 
greiflicherweise die Gegner; sie selber glauben freilich übertäubt zu 
werden, aber in der Beziehung unterschätzen sie sich. Einer helfen sie 
dem anderen, ihre wankenden Idole zu halten und zu befestigen; einer 
berufen und stützen sie sich auf den anderen; sie trösten und stärken 
sich selber mit ihren Argumenten, denn für Übelwollende sind dieselben 



IV Vorwort. 

offenbar nicht bestimmt. Wenn aber ein gewisses Mistrauen auf den bis- 
herigen Erfolg ihrer vereinten Anstrengungen sie beschleichen will, so 
verweisen sie auf zukünftige Leistungen. „Ere long more than one effective 
reply will be forthcoming", lässt sich ein schottischer Interviewer von Zöckler 
und Delitzsch versichern. Leider können sie im schlimmsten Falle auf 
einen stillen Socius recurrieren, der noch dazu die grösste lebende Auto- 
rität auf dem Gebiete der semitischen Philologie und Geschichte ist, auf 
den ihnen sonst sehr wenig geistesverwandten Theodor Nöldeke. Er hat 
zwar die Graf sehe Hypothese mit Freuden begrüsst und selber geholfen 
ihr die Wege zu bahnen, andererseits aber doch versucht einen Ausweg 
. zu zeigen, durch den man ihren Consequenzen entgehen kann, und da- 
durch ihren Bestreitern den erheblichsten Dienst geleistet. 

Die Kunst der Gegner besteht im Ausweichen. So weit es geht, 
lehnen sie die Forderung ab", die Schichten des Pentateuchs — sämtlich 
und nicht bloss eine oder die andere — nach historischen Gründen anzu- 
setzen, indem sie sich* zurückziehen auf die Annahme sei es göttlicher 
sei es schriftstellerischer Velleitäten, die keine innere Beziehung zu einem 
bestimmten Zeitalter und keine geschichtliche Realität haben. Geht das 
aber nicht, so befriedigen sie jene Forderung in der Weise, dass sie 
selber die historischen Verhältnisse schaffen, die sie zu haben wünschen, 
statt sich an die gegebenen und bezeugten zu halten, die ihnen unbequem 
sind. Die jerusalemische Priesterschaft muss schon seit Salomo eine 
ähnliche Stellung gehabt haben wie nach dem Exil, die Hierokratie muss 
bis zu Mose hinaufreichen, der Hohepriester muss von jeher an der Spitze 
der Gemeinde- gestanden haben. Allerdings, wenn der Priestercodex so 
alt ist: es muss dann sogar der König im Cultus nichts zu sagen gehabt 
und überhaupt in der Gemeinde eine höchst überflüssige Figur gemacht 
haben, es »muss Israel schon damals eine Kirche und kein Staat gewesen 
sein. Bezeugt ist aber überall das Gegenteil, dass der König an der 
Spitze des Cultus stand, dass der Tempel ein Teil seiner Burg war, dass 
die Priester von ihm geschaffen wurden, in seinem Auftrage amtierten 
und nach seinen Befehlen handelten. Durch den Hinweis auf 2. Reg. 18, 
4.22 wird dieser Sachverhalt in keiner Weise widerlegt. Die Stelle 
könnte höchstens lehren, dass das Bestreben den Gottesdienst im Tempel 
von Jerusalem zu concentrieren schon zur Zeit Hizkia's sich regte: ein 
Centralisationsbestreben aber zeigt sich im Priestercodex nirgends, es 
wird vielmehr die Centralisation vorausgesetzt, als selbstverständliche 
Thatsache und in all ihre Consequenzen entwickelt. Höchstens das 
Deuteronomium könnte man nach 2. Reg. 18, 4. 22 ansetzen; freilich geht 
auch das nicht, weil man doch unmöglich mit dieser Notiz gegen den 
Bericht von 2. Reg. 22. 23 ankämpfen kann, wonach das Deuteronomium 
achtzig Jahre später aufgefunden und damals zuerst in Wirksamkeit ge- 



Vorwort. V 

setzt ist. Demgemäss habe ich, in der Anmerkung auf S. 49, die Ansicht 
ausgesprochen und begründet, es sei auf 2. Reg. 18, 4. 22 wenig zu 
geben. Da drehen nun aber die nicht hyperkritischen Kritiker den Spiess 
um und werfen mir vor, dass ich mir die Grundlage, von der ich aus- 
gehe, erst- selber zurecht mache, durch willkürliche Behandlung des 
Textes, durch beliebige Streichungen und Veränderungen. Ich entscheide 
a potiori und suche darnach das Gewicht der einzelnen Instanz abzu- 
schätzen, sie verfahren umgekehrt — das ist der Unterschied.. Im Übri- 
gen habe ich eben gezeigt, dass ihre Position durch 2. Reg. 18, 4. 22 
nicht befestigt und meine dadurch nicht erschüttert wird. Ich könnte 
so gut wie Graf auch ohne Textkritik und ohne Annahme einer durch- 
gehenden judaistischen Überarbeitung der Bibel auskommen und doch 
beweisen was ich wollte: wenn es mir darauf ankäme meinen Wider- 
sachern keine Blosse zu geben. Mein Zweck ist aber kein so ephemerer; 
es kommt mir gar nicht darauf an geschickt zu fechten, sondern die Wahr- 
heit zu finden und zu sagen, unbekümmert um den Schein des Willkür- 
lichen und Neuerungsüchtigen. Ob es mir helfen könnte das Niveau 
tiefer zu nehmen, mögen Unbefangene aus folgendem Beispiel abnehmen. 
Ich habe gezeigt, dass das Kapitel Jud. 1 in Wahrheit keine Fortsetzung 
des Buches Josua sei, sondern eine Parallele dazu, die sachlich an den 
Pentateuch anschliesse und wohl die Eroberung des ostjordanischen Lan- 
des voraussetze, aber nicht die des westjordanischen, diese vielmehr erst 
selber erzähle und zwar ganz anders als wie es im Buch Josua geschieht. 
Auf Grund dieses Nachweises habe ich dann weiter gesagt, also passe 
die Einleitungsformel „und es geschah nach dem Tode Josua's" (Jud. 1, 1) 
nicht zu dem Inhalte des Stücks, sie rühre wie die gleichlautende For- * 
mel Jos. 1, 1 erst von dem Deuteronomisten her und müsse sachgemässer 
heissen: es geschah nach dem Tode Moses. Das sieht der Königliche 
Professor des Hebräischen in Oxford, S. R. Driver, für eine Art Ge- 
schichtsfälschung an, indem er die Sache so vorstellt (Acad. 1882 XXI. 
p. 131), als ob ich zunächst in Jud. 1, 1 zum Vergnügen Mose für Josua 
setzte und dann die Aussagen des folgenden Zusammenhangs meinen 
Wünschen gemäss gestaltete. Natürlich denke ich in diesem Falle gar 
nicht einmal daran, die deuteronomistische Formel zu ändern. 

Die Säulen der schon nicht mehr ganz herrschenden Meinung sind 
Dillmann und Delitzsch. Unter Berufung auf alle gesunden Principien 
weist Oillmann die Aufstellungen, die er nicht annimmt, kurzer Hand 
ab, in erregter Weise, als hätte er Grund die Graf sehe Hypothese per- 
sönlich übel zu nehmen: da indessen sein Commentar zum Hexateuch 
übrigens recht brauchbar ist, so lässt man sich den strafenden Ton 
gefallen und bedauert nur die Gereiztheit nicht widerlegen zu können. De- 
litzsch geht in seinen pentateuchkritischen Studien (Luthardts Zeitschr, 



VI Vorwort. 

für kirchl. Wissenschaft 1880) tiefer in die Diskussion ein; vermutlich ut 
aliquid fecisse videatur. Mag "er immerhin durch das was er vorbringt 
seine Gläubigen einigermassen beruhigen, obwohl auch das bei seiner 
eigenen Unruhe und Haltlosigkeit zweifelhaft erscheint — für Mitarbeit 
an einem gemeinsamen Problem kann ich seine Gegnerschaft nicht gelten 
lassen. Unerträglich ist die Sprache, die er führt. Mit hamitischer 
Freude über die Blosse Noä soll ich den A r erfasser der Chronik, der 
allerdings Geschichte im Geiste seiner Zeit und seines Standes schreibe, 
schimpflichst heruntersetzen ; wo es gelte biblische Geschichtsschreiber 
zu kritisieren, sei mir die niedrigste Vorstellung, der gemeinste Aus- 
druck der liebste; aber es sei ja so bei den Fortschritten in Wissen- 
schaft und Kunst, dass sie in Sünden empfangen und geboren würden 
(a. 0. S. 116. 625. 224). Mir ekelt vor dieser Art; rein aus ästhetischen 
Gründen, denn die persönliche Kränkung ertrage ich mit Gelassenheit. 

Was ich mir aber selbst von Delitzsch nicht gefallen lasse, sind Vorr 
schlage zu Verbesserungen meiner Ausdrücke. Ich habe (Jahrbb. für 
deutsche Theol. 1877 S. 436) gesagt, dass der priesterliche Redaktor seine 
Erzählung Lev. 24, 10—14. 23 aus dem Gesetz 24, 15—22 entnehme um 
einen geschichtlichen Rahmen dazu nachzuliefern, so wie es Lukas mit 
den evangelischen Reden zu machen pflege; ich habe dabei bezeichnend 
gefunden, dass er aus den verschiedenartigen Geboten (24, 15 — 22) nur 
das eine, welches sich auf Cultus und Religion bezieht, herausgreife und 
dazu eine Geschichte mache. In der Hauptsache stimmt nun Delitzsch 
mir bei, aber daran, dass der Bearbeiter mit dem durchaus auf diese 
Stelle berechneten Zusatz auch die Geschichte gemacht habe, nimmt er 
schweren Anstoss und klagt mich an, ich lasse mich durch das Bewusst- 
sein der Verantwortlichkeit unserer Worte nicht stören. „Er könnte 
sagen: der priesterliche Bearbeiter gibt zu dem Gebote eine überlieferte 
Geschichte, aber nein: er hat dazu eine Geschichte gemacht." Soll ich 
denn das Gegenteil von dem sagen, was ich meine? Ich weiss was ich 
sage; mir bedeutet überlieferte und gemachte Geschichte nicht gleichviel; 
und gerade wegen des Bewusstseins der Verantwortlichkeit unserer Worte 
sage ich gemacht und nicht überliefert. Ebenso ernstlich verbitte ich 
mir authentische Interpretationen meiner Worte von unbefugter Seite. Ich 
habe in der 1. Ausg. S. 427 geschrieben, in Wahrheit sei Mose etwa in 
dem gleichen Sinne der Urheber der mosaischen Verfassung, wie unser 
Herr Jesus Christus der Stifter der Mederhessischen Kirchenordnung. 
Dazu bemerkt der Licentiat Bestmann (Geschichte der ehr. Sitte S. 234): 
„Der Witzgehalt dieser barocken Bemerkung ist beiläufig bemerkt ein 
ziemlich schwacher. Bekanntlich hat man vor einiger Zeit erst die Mar- 
burger Kirchenordnung von 1528 wieder entdeckt. Also schon die Pa- 
rallele zum Deuteronomium wäre unendlich gesucht. u Ich besitze nicht 



Vorwort. VII 

die bekanntliche Gelehrsamkeit des Licentiaten, ich bin aber etwas älter 
als er und kann mich noch der Zeit erinnern, wo die Hessischen Reni- 
tenten sich auf den unbeweglichen Rechtsbestand ihrer Kirchenordnung 
(wenn ich nicht irre von 1657) beriefen, welche sie mittelbar von unserem 
Herrn Jesus Christus selber ableiteten. Letzteres war mir frappant, weil 
es zeigte, dass noch in unserer Zeit, bona fide, geschehen kann, was vor 
drittehalb tausend Jahren bei den alten Juden vorgekommen ist Den 
Witz, dessen Gehalt Bestmann schwach findet, hat er selbst gemacht. 
So tief er auch in das innerste Wesen meines Geistes, durch reine In- 
tuition, eingedrungen ist, so bloss und entdeckt das ganze geheime Ge- 
triebe meiner Gedanken vor seinen Augen liegt — ich mag ihn doch 
nicht zu meinem Propheten haben. 

Die kirchliche Wissenschaft 1 ) scheint im Alten Testamente die Auf- 
gabe zu haben, fünfzig Jahre lang eine neue Entdeckung zu widerlegen, 
darnach aber einen mehr oder minder geistreichen Gesichtspunkt aufzu- 
finden, unter welchem dieselbe ins Credo aufgenommen werden kann. Aus 
diesem Grunde habe ich es nicht für nötig und nützlich gehalten, in der 
zweiten Ausgabe dieses Buches auf alle die Einwürfe einzugehen, die 
gegen die erste gemacht sind. Ich habe im Gegenteil noch allerlei Po- 
lemik gestrichen, weil ich glaube, dass es überhaupt am besten ist, ein- 
fach seine Meinung und die Gründe dafür vorzutragen, oder wie Ewald 
sich ausdrückte, immer gleich das Richtige zu sagen. Im ganzen ist 
diese zweite Ausgabe wenig verändert; nur das achte Kapitel habe ich 
völlig umarbeiten müssen, weil ich zu der künstlichen Confusion, in 
welcher es sich präsentierte, inzwischen selber den Schlüssel verloren 
hatte. 

] ) Gegen die Polemik, die vom Boden der kirchlichen Praxis aus gegen mich 
geführt wird, habe ich an sich nichts einzuwenden. In Bezug auf den 
Artikel der N. Ev. KZ. 1879 S. 84 möchte ich mir* jedoch drei Bemer- 
kungen erlauben. Erstens was die Worte betrifft : „Wie ist der liebe 
David noch in seinem hohen Alter so emsig gewesen, wie hat er sich so 
nahe zum Tempelbau hingemacht als es nur möglich war! Das ist so 
artig bei David: er hat sich so nahe zu den Leviten hingemacht als sich 
nur immer es thun Hess, als wäre er einer ihres gleichen, und hat doch 
keinen Eingriff gethan" (1. Ausg. S. 189), so stammen dieselben nicht 
von mir, sondern von J. A. Bengel (Beiträge zu J. A. Bengels Schrifter- 
klärung, mitgetheilt von Wächter 1865 S. 17). Zweitens was den ge- 
waltigen Unterschied betrifft, der zwischen meiner Bearbeitung von Bleek 
(N. Ev. KZ. 1878 S. 352) und zwischen der Geschichte Israels Band I ge- 
macht wird, so ist derselbe unbegründet. Drittens erkenne ich der N. 
Ev. KZ. nicht das Recht zu, zu sagen, es leuchte ein, dass mein Buch 
von unhistorischer Auffassung diktiert sei. Ich habe nichts dagegen, 
dass sie David sich lieber nach der. Chronik und nach den Psalmen vor- 
stellt als nach den Büchern Samuelis, ebenso wie sie Calvin lieber im 
Lichte der Legende sieht als in dem der Urkunden (1869 S. 526, Kamp- 
schulte S. 485 ff.), aber der kirchliche Standpunkt ist nicht der historische. 



VIII Vorwort. 

Dass man in dem Streben das Richtige zu sagen sich irrt, kommt 
vor. Ich habe auf S. 105 der Zusammenstellung des Passah mit dem 
Feste von Mekka das Wort geredet, aus Gründen, die man dort nach- 
sehen kann. Durch Professor Robertson Smith bin ich indessen jetzt 
anderer Meinung geworden. In einem Briefe an mich vom 21. März 1883 
tritt er für seine bereits früher geäusserte Meinung (Prophetsp. 383 sq.) 
ein, dass Ewald Recht habe, die im Scholion zu Hariths Muallaka 68 be- ^ 
zeugte Opferung der Erstgeburten im heiligen Monate Ragab dem Passah- 
feste gleich zu setzen. Er leugnet nicht, dass zur Zeit Muhammeds der 
Dhulhigga und nicht der Ragab mit dem Passah coincidiere. Aber er 
verweist einerseits darauf, dass das mekkanische Fest in der Gestalt, in 
welcher wir es kennen, nicht alt sei, wie sich aus Kalammas (== Kalendas, 
Kalendermacher) und anderen Spuren ergebe, andererseits darauf, dass 
die Namen der Monate verraten, dass sie einst ganz anders gelegen haben 
als zur Zeit Muhammeds. Der Ragab könne wohl ursprünglich in den 
Frühling gefallen sein. 

Ich muss meinem Freunde Smith Recht geben. Die alten Araber 
hatten keine Monatsnamen, sondern nur Namen für Jahreszeiten und zwar 
für ziemlich kurze Jahreszeiten. Wenn noch jetzt Rabi und Gumada 
jeder zwei Monate umfassen, so besagt das doch eben, dass sie ursprüng- 
lich keine Monatsnamen sind; denn ein Monatsname muss auch eben 
einen Monat decken. Vor Rabi und Gumada liegt der Safar: wir hören 
von Ihn Duraid (bei Gauhari), dass derselbe ursprünglich ebenfalls einen 
Zeitraum von zwei Monaten ausgefüllt hat und dass erst später, angeb- 
lich erst seit dem Islam, seine erste Hälfte Muharram benannt worden 
ist. Abu Dhuaib redet von den beiden Monaten des Safar '), und im alten 
Urkundenstil erscheint wohl noch der Safar und nicht der Muharram als 
Anfang des Jahres oder der einen Jahreshälfte. 2 ) 

Damit haben wir ein vollständiges Semester: Safar, Rabi, Gumada. 
Es handelt sich nun darum zu bestimmen, ob dies das Winter- oder das 
Sommersemester gewesen ist. Das gelingt sehr leicht; denn bei den alten 
Dichtern und überhaupt in der alten Sprache bedeuten die Namen noch 
immer lediglich Jahreszeiten. So z. B. der Safar bei Nabigha 11, 1 (ed. 
Ahlw.). Der Safar liegt zwischen Kaitz und Schitä, er deckt sich noch 

') Der auch in anderer Beziehung interessante Vers steht im Tag alArus III 
345,2; der Ausdruck die beiden Monate Safar stammt natürlich erst 
aus einer Zeit, wo die alten Jahreszeitnamen schon zur Monatsbezeich- 
nung wohl oder übel dienten. 

*) Als Semesteranfänge kommen Safar und Ragab noch vor in dem Vertrage 
Muhammeds mit den Christen von Nagran (Baladh. 64, 3 vgl. Vakidi a. 0. 
S. 20 S. 405 Anm. 2). Das Semester scheint bei den alten Arabern fast 
wie bei den deutschen Studenten eine ähnlich wichtige Einheit gewesen 
zu sein wie das Jahr, wie schon Ewald bemerkt hat. 



Vorwort. IX 

teilweise mit dem Charif, und fällt ungefähr um die Herbstnachtgleiche. l ) 
Der Gumada kommt sehr häufig in der ältesten Literatur vor und be- 
zeichnet immer die schlimmste Winterkälte, im Januar und Februar. Da 
nun Rabi in der Mitte steht, so muss er zwischen Oktober und Januar 
fallen. Das ist die Hauptregenzeit in Arabien, wo nach langer Dürre 
wieder mehr Gras und Kraut wächst. Für diese Hauptregen- und Weide- 
zeit wird auch Rabi immer im alten Arabisch gebraucht, daher das Deno- 
minativum Tarabbu = auf die Weide gehen. Man übersetzt Rabi gewöhn- 
lich mit Frühling, und das ist auch nicht gerade unrichtig; nur muss man 
bedenken, dass das Analogon unseres Frühlings in Arabien in das erste 
Winter Vierteljahr fällt. Freilich haben schon die Araber selbst, wenigstens 
in späterer Zeit, als sie ihr Hauptquartier nicht mehr in ihrer alten 
Heimat hatten, den Namen Rabi auch auf unseren Frühling übertragen, 
so dass dadurch ein Schwanken des Sprachgebrauchs eintritt. Das selbe 
Sehwanken findet sich auch bei den Syrern, wie Theodor Nöldeke, dessen 
milde Hand ich angesprochen habe, mir mitteilt und mit vielen Beispielen 
beweist (Herbst DMZ. 1861 S. 651,5, vgl. Opusc. Nest. ed. Hoffmann 
83, 3, Joel 2, 23, Hos. 3, 6 Hex.; Frühling als häufige Übersetzung von 
ü/)pbc> Regen schlechthin lob 37,6 wie es scheint}. Dadurch wird 
aber daran nichts geändert, dass dor richtige und ursprüngliche Rabi bei 
den Arabern in das erste Wintervierteljahr fällt und dass von diesem 
Rabi die Monatsbezeichnung im mekkanischen Kalender hergenommen ist 
Da nun also Safar Rabi Gumada das Winterhalbjahr ist, Septem- 
ber/Oktober bis Februar/März, so folgt, dass das Semester, welches mit Ra- 
gab beginnt, eigentlich das Sommerhalbjahr ist, und dass also der Ragab 
unserem Frühlingsanfang und dem Passahmonat entspricht. Damit wird 
die Frage, die uns beschäftigt, zu Gunsten von Ewald und Smith ent- 
schieden. Weiter zu untersuchen, wie und wann (jedenfalls nicht erst 
seit dem Islam) aus den altarabischen Jahreszeiten die mekkanischen 
Monate gemacht sind, ist nicht dieses Ortes. Der Verdacht späterer Ein- 
schiebung richtet sich naturgemäss auf die Schuhur alHagg; der Dhulhigga 
kommt bei den Himjariten vor, die seit alters nach zwölf Monaten ge- 
rechnet zu haben scheinen (DMZ. 1875 S. 603); andere Spuren weisen 
auf jüdischen oder nabatäischen Einfluss. Die Beobachtung Dozy's, dass 

Reiche Beispiele im Tag alArus III 345. 346; es werden Pflanzen, Tiere, 
Regenfälle nach dieser Jahreszeit benannt. Sehr genau in der Abgrenzung 
ihrer Jahreszeiten sind die alten Araber nicht, sie lassen sie in einander 
laufen und haben gewöhnlich auch mehrere Bezeichnungen dafür. Die 
Angabe, Safar reiche vom Suhail bis zum Simäk oder zum Dhira , sieht 
nach Gelehrsamkeit aus ; wertvoller scheint eine andere, es seien 40 Tag- 
nächte mit abwechselnder Hitze und Kälte, die (darum) die mu tadilät 
heissen, die sich das Gleichgewicht halten. Dieser Name könnte auch auf 
die Tag- und Nachtgleiche gehen. 

Wellhausen, Prolegomctm. * 



X Vorwort. 

die meisten technischen Ausdrücke des mekkanischen Fest- und Kalender- 
wesens sich nicht aus dem Arabischen erklären lassen, scheint sich von 
allen Seiten zu bestätigen. 

Noch in einem anderen Punkte wünsche ich mich hier zu corrigieren. 
Auf S. 327 habe ich geäussert, wenn der Jehovist sich mit der babylo- 
nischen Version der Sündflutgeschichte näher berühre als der Priester- 
codex, so sei dies ein Zeichen davon, dass sich bei ihm der internationale 
Charakter dieser Ursagen noch treuer erhalten habe. Es kann aber sein, 
dass im Exil und später directe Zuflüsse von Babylon eingedrungen sind. 
Der haggadische Zug, dass Noah beim Bau der Arche ausgelacht wird, 
rindet sich schon in dem keilschriftlichen Berichte. So scheint auch der 
Asphalt, der in Q beim Bau der Arche verwandt wird, direct aus Baby- 
lonien entlehnt zu sein, worauf E. Süss aufmerksam macht. Beim Jeho- 
visten findet sich indessen eine Spur, wonach er die babylonischen Stoffe 
nicht von Babylonien bezogen hat Nimrod ist, wegen der Form des 
Wortes, den Hebräern von den Syrern zugekommen; noch in späterer 
Zeit hatten die Harranier einen gleichbedeutenden, wenn auch nicht ganz 
gleichnamigen Gott Marri den Jägersmann. Vgl. Bibl. Or. I 327 : der Satan 
führte Harran irre. durch Sin und Beelsemin und Barnemre und Marri mit 
den Hunden, und durch die Göttinnen Atargate und Gadallät. 

Ich will nicht schliessen ohne ein Wort des Dankes an die Freunde, 
die mir das vorliegende Buch doch auch erworben oder neu verbunden 
hat. Besonders lebhaft haben mir klassische Philologen ihre Zustimmung 
geäussert; nach K. D. Ilgen und Ph. Buttmann zu schliessen prädisponiert 
die Kenntnis des griechischen Altertums einigermassen für die Auffassung 
des Alten Testaments, welche ich für die richtige halte. 

Halle am 17. Mai 1883. 

Wellhausen. 



Das Thema 

des vorliegenden Buches ist die geschichtliche Stellung des 
mosaischen Gesetzes, und zwar handelt es sich darum, ob 
dasselbe der Ausgangspunkt sei für die Geschichte des alten 
Israel oder für die Geschichte des Judentums, d.h. der re- 
ligiösen Gemeinde, welche das von Assyrern und Chaldäern ver- 
nichtete Volk überlebte. 

1. Es ist eine verbreitete Ansieht, dass die Bücher des Alten 
Testaments, im ganzen und grossen, sich nicht bloss auf die 
vorexilische Periode beziehen, sondern auch aus ihr stammen. 
Es sind die Reste, meint man, welche die Juden aus der Lite- 
ratur des alten Israel retteten, das Erbe der Vergangenheit, von 
dem sie in Ermangelung eigenen geistigen Lebens zehrten. Auch 
wenn man nicht grade mit der Dogmatik das Judentum einfach 
als ein Vacuum betrachtet, über welches hinweg das Alte Testa- 
ment ins Neue mündet, hält man doch insgemein daran fest, 
dass dasselbe an der Hervorbringung der Schriften, welche es 
in die heilige Sammlung aufnahm, nur ausnahmsweise einen 
Anteil gehabt habe. Aber die Ausnahmen, die man in der 
jüngsten und in der mittleren Schicht des Kanons zugibt, sind 
nicht so ganz geringfügig. Von den Hagiographen ist bei weitem 
der grösste Teil erweislich nach exilisch, erweislich vorexilisch 
dagegen nichts; der Daniel reicht hinunter bis zu den makka- 
bäischen Kriegen, Esther vielleicht noch tiefer. Auch die pro- 
phetischen Schriften fallen durchaus nicht alle noch in die 
Königszeit, sondern zu einem sehr beträchtlichen Teile über- 
schreiten sie diese Grenze; die im Kanon damit unter gleichem 
Namen zusammengefassten Historienbtieher sind, wie wir sie 

Well hausen, Prolegomena. 1 



2 Das Thema. 

haben, nach dem Tode des gefangenen Königs Jeehonia verfasst, 
der noch eine Weile über das Jahr 560 hinaus gelebt haben 
muss. Bringt man nun auch die älteren Quellen in Anschlag, 
welche in den Büchern der Richter Samuelis und der Könige 
vielfach benutzt und meist wörtlich aufgenommen sind, so be- 
läuft sich doch die vorexilische Literatur, die uns im Alten 
Testamente abzüglich des Pentateuchs erhalten ist, auf nicht viel 
mehr als die Hälfte vom Umfange des Ganzen. Das Uebrige 
gehört der späteren Periode an; darunter nicht bloss kümmer- 
licher Nachwuchs aus halb erstorbenen Trieben von ehemals, 
sondern auch so wertvolle und originelle Erzeugnisse wie Isa. 
40-66 oder Ps. 73. 

Wir kommen zum Gesetze. Ausdrückliche Angaben über 
den Verfasser und die Abfassungszeit fehlen, wie gewöhnlich; 
um uns ungefähr zu orientiren, sind .wir darajif angewiesen, aus 
der Analyse des Inhalts passende Daten zu gewinnen und sie 
zu dem, was wir anderweit vom Verlaufe der israelitischen Ge- 
schichte wissen, in Beziehung zu setzen. Hier aber pflegt man 
den zu vergleichenden historischen Zeitraum von vornherein so 
abzustecken, dass das babylonische Exil als eine ebenso untiber- 
schreitbare Grenze nach unten gilt wie der Auszug aus Ägypten 
nach oben. Verleiht etwa die Geschichte des Kanons ein Recht 
dazu? Es könnte so scheinen. Das Gesetz ist am frühesten 
kanonisch geworden, durch Ezra und Nehemia; die Propheten 
sind beträchtlich später hinzugekommen, am spätesten die Ha- 
giographen. Es liegt nun nahe, aus der Stufenfolge der Kano- 
nisirung dieser Schriften auf eine ungefähre Stufenfolge ihres 
Alters zu schliessen und demgemäss nicht nur die Propheten 
den Hagiographen, sondern auch die fünf Bücher Mosis den Pro- 
pheten voranzustellen: wenn schon diese zum grösseren . Teile 
der vorexilischen Zeit angehören, wie viel mehr jene! Aber so 
zulässig eine derartige Vergleichung zwischen der mittleren und 
der jüngsten Schicht des Kanons sein mag, so unzulässig ist sie 
zwischen der ersten Schicht und den beiden anderen. Nämlich 
der Begriff des Kanons haftet an der Thora und ist von da erst 
auf die Übrigen Bücher tibertragen; den letzteren wuchs allmäh- 
lich und unter der Hand ein gewisser Anteil an der Geltung 
zu, welche die Thora durch einen öffentlichen und ganz for- 
mellen Akt erlangt hatte, wodurch sie als die Magna Charta der 



Das Thema. 3 

jüdischen Gemeinde eingeführt wurde (Nehem. 8—10). Bei jenen 
gehört der kanonische d. h. gesetzliche Charakter nicht zur 
Sache, sondern ist erst nachträglich hinzugetreten; da muss ein 
längerer, kann ein sehr langer Zeitraum zwischen der Entstehung 
und der Sanktionierung gelegen haben. Dagegen der Thora ist 
der kanonische Charakter in der Tat viel wesentlicher; die An- 
nahme birgt Schwierigkeiten, dass das mosaische Gesetz im vor- 
exilischen Altertum entstanden sei und dann erst viele Jahr- 
hunderte später unter total veränderten Umständen Gesetzeskraft 
erlangt habe. Wenigstens kann daraus, dass es die öffentliche 
Geltung als Gemeindebuch, die es beansprucht, früher gewonnen 
hat als Schriften , die darauf in keinerlei Weise angelegt sind, 
gewiss nicht gefolgert werden, dass es älteren Ursprungs sei 
als jene. 

Somit lässt sich die Möglichkeit, dass das Gesetz des Juden- 
tums auch das Product des Judentums sei, nicht gleich vor der 
Thüre abweisen, und es gibt dringende Gründe, sie in nähere 
Erwägung zu ziehen. Vielleicht schickt es sich, hier persönliche 
Erfahrung reden zu lassen. Im Anfange meiner Studien ward 
ich angezogen von den Erzählungen von Saul und- David, über 
Elias und Ahab, und ergriffen von den Reden eines Arnos und 
Jesaia; ich las mich in die prophetischen und geschichtlichen 
Bücher des Alten Testaments hinein. An der Hand der mir zu- 
gänglichen Hülfsmittel glaubte ich sie zwar leidlich zu verstehen, 
hatte aber dabei ein schlechtes Gewissen, als ob ich beim Dache 
statt beim Fundamente anfinge; denn ich kannte das Gesetz 
nicht, von dem ich sagen hörte, es sei die Grundlage und Vor- 
aussetzung der Literatur. Endlich fasste ich mir Mut und ar- 
beitete mich hindurch durch Exodus Leviticus und Numeri und 
sogar durch Knobel's Commentar dazu. Aber vergebens wartete 
ich auf das Licht, welches von hieraus auf die geschichtlichen 
und prophetischen Bücher sich ergiessen sollte. Vielmehr ver- 
darb mir das Gesetz den Genuss jener Schriften; es brachte 
sie mir nicht näher, sondern drängte sich störend ein, wie ein 
Gespenst, das zwar rumort, aber nicht sichtbar, nicht wirksam 
wird. Wo sich Berührungen fanden, da waren Differenzen da- 
mit verbunden und ich konnte mich nicht entschliessen, auf 
Seiten des Gesetzes das Ursprüngliche zu sehen; dunkel empfand 
ich einen allgemeinen Abstand zweier verschiedenen Welten. 



4 Das Thema. 

Jedoch zu einer klaren Anschauung gelangte ich keineswegs, 
sondern nur zu einer unbehaglichen Confusion, die durch Ewald's 
Erörterungen im zweiten Bande seiner Geschichte des Volkes 
Israel nur vermehrt wurde. Da erfuhr ich bei einem gelegent- 
lichen Besuche in Göttingen im Sommer 1867 durch Ritschi, dass 
Karl Heinrich Graf dem Gesetze seine Stelle hinter den Pro- 
pheten anweise, und beinah ohne noch die Begründung seiner 
Hypothese zu kennen, war ich für sie gewonnen: ich durfte mir 
gestehen, dass das hebräische Altertum ohne das Buch der Thora 
verstanden werden könne. 

Die Hypothese, die man nach Graf zu benennen pflegt, 
stammt nicht von ihm, sondern von seinem Lehrer Eduard Reuss. 
Am richtigsten wäre sie aber zu benennen nach Leopold George 
und Wilhelm Vatke; denn sie haben dieselbe zuerst literarisch 
vertreten, unabhängig von Reuss und unabhängig von einander. 
Ihrerseits sind alle diese Männer von Martin Lebrecht de Wette 
ausgegangen, dem epochemachenden Eröffner der historischen 
Kritik auf diesem Gebiete 1 ). Zu einer festen Position ist frei- 

l ) W. M. L. de Wette, Beiträge zur Einleitung in das A. T., Bd. I: Kri- 
tischer Versuch über die Glaubwürdigkeit der Bücher der Chronik, Bd. II : 
Kritik der Mosaischen Geschichte; Halle 1806. 1807. J. F. L. George, 
die älteren Jüdischen Feste mit einer Kritik der Gesetzgebung des Pen- 
tateuch; Berlin 1835 (Vorrede vom 12. Oktob.). W. Vatke, die biblische 
Theologie wissenschaftlich dargestellt; Berlin 1835 (Vorrede v. 18. Oktob., 
nur der erste Teil des ersten Bandes ist erschienen). K. H. Graf, die 
geschichtlichen Bücher des Alten Testaments, Leipzig 1866. Dass Graf, 
ebenso wie J. Orth (Nouv. Revue de Theol. III. 384ff., IV. 350ff., Paris 
1859. 1860), die Anregung zu seiner Kritik von seinem Strassburger 
Lehrer empfangen habe, war nicht unbekannt; wie gross aber Reuss' 
Anteil an der Graf 'sehen Hypothese gewesen sein muss, hat sich erst 
im Jahre 1879 gezeigt durch die Veröffentlichung gewisser Thesen, die er 
schon 1833 formulirt, damals aber dem grossen theologischen Publicum ge- 
druckt vorzulegen Bedenken getragen hatte. Die Thesen, auf die es ankommt, 
lauten (L'Histoire Sainte et la Loi, Paris 1879 S. 23. 24): 1. L'element 
historique du Pentateuque peut et doit etre examine ä part et ne pas 
etre confondu avec l'element legal. 2. L'un et l'autre ont pu exister 
sans redaction ecrite. La mention, chez d'anciens ecrivains, de certaines 
traditions patriarcales ou mosaiques, ne prouve pas l'existence du Pen- 
tateuque, et une nation peut avoir un droit coutumier sans code ecrit. 
3. Les traditions nationales des Israelites remontent plus haut que 
les lois du Pentateuque et la redaction des premieres est anterieure ä 
celle des secondes. 4. L'interet prineipal de l'historien doit porter sur 
la date des lois, parce que sur ce terrain il a plus de chance d'arriver 

. ä des resultats certains. II faut en consequence proceder ä l'interroga- 
toire des temoins. 5. L'histoire racontee dans les livres des Juges et de 
Samuel , et meme en partie celle comprise dans les livres des Rois, est 
en contradiction avec des lois dites mosaiques; donc celles-ci etaient in- 



Das Thema. 5 

lieh de Wette nicht gelangt, aber er hat zuerst die Kluft deut- 
lich empfunden und nachgewiesen, welche sich zwischen dem 
angeblichen Ausgangspunkte der israelitischen Geschichte und 
ihr selber aufthut. Das in der Wüste auf so breiter Grundlage 
errichtete Gebäude der religiösen Gemeinde, mit ihrem heiligen 
Mittelpunkt und ihrer uniformen Organisation, verschwindet 
spurlos, seit Israel landsässig und ein eigentliches Volk gewor- 
den ist. Die Richterperiode stellt sich uns dar als ein buntes 
Chaos, aus dem allmählich eine zusammenfassende Ordnung her- 
vorgeht, unter dem Druck der äusseren Umstände, aber auf eine 
höchst natürliche Weise und ohne jegliche Reminiscenz an eine 
einheitliche heilige Verfassung, die einst zu Recht bestanden 
hätte. Hierokratische Neigungen hat das hebräische Altertum 
gar nicht; die Macht ist lediglich bei den Geschlechts- und Fa- 
milienhäuptern und bei den Königen, sie verfügen auch über 
den Gottesdienst und setzen die Priester ein und ab. Der Ein- 
fluss, den die letzteren besitzen, ist bloss ein moralischer; die 
Thora Gottes ist nicht ein ihre eigene Stellung garantirendes 
Dokument in ihren Händen, sondern eine Unterweisung für an- 
dere in ihrem Munde; sie hat wie das Wort der Propheten nur 
göttliche Autorität, gilt nur so weit als sie freiwillig anerkannt 
wird. Was endlich die Literatur betrifft, die uns aus der Königs- 
zeit überliefert ist, so wird es dem besten Willen schwer, ein 
paar zweideutige Anklänge an's Gesetz aufzustöbern, die gar 
nichts bedeuten, wenn man bedenkt, was Homer für die Griechen 
gewesen ist. 

Um das Befremden auf die Spitze zu treiben, kommt nun 
noch hinzu, dass im nachexilischen Judentum der bis dahin 

connues ä l'epoque de la redaetion de ces livres, ä plus forte raison elles 
n'ont pas existe dans les temps qui y sont decrits. 6. Les prophetes 
du 8e et du 7e siecle ne savent rien du code mosaique. 7. Jeremie est 
le premier prophete qui connaisse une loi ecrite et ses citations rappor- 
tent au Deuteronome. 8. Le Deuteronome (4,45—28,69) est le livre que 
les pretres pretendaient avoir trouve dans le temple, du temps du roi 
Josias. Ce code est la partie la plus ancienne de la legislation (redigee) 
comprise dans le Pentateuque. 9. L'histoire des Israelites, en tant qu'il 
s'agit du developpement national determine par des lois ecrites, se divi- 
sera en deux periodes, avant et apres Josias. 10. Ezechiel est anterieur 
ä la redaetion du code rituel et des lois qui ont definitivement organise 
la hierarchie. 11. Le livre de Josue n'est pas, tant s'en faut, la partie 
la plus recente de l'ouvrage entier. 12. Le redacteur du Pentateuque se 
distingue clairement de Fanden prophete Moyse. 



6 Das Thema. 

latente Mosaismus plötzlich überall zum Vorschein kommt. Da 
haben wir das Buch als Grundlage des geistigen Lebens, „die 
Leute der Schrift" wie der Koran sagt; da haben wir das Hei- 
ligtum, die Priester und Leviten im Mittelpunkt und das Volk 
als Gemeinde darum gelagert, da haben wir den Cultus, die 
Brand- und Stindopfer, die Beinigungen und Enthaltungen, die 
Feste und Sabbathe genau nach der Vorschrift des Gesetzes, als 
die Hauptsache des Daseins. Man nehme die Gemeinde des 
zweiten Tempels und vergleiche sie mit dem alten Volke Israel, 
so hat man auch den Abstand dieses letzteren vom sogenannten 
Mosaismus. Die Juden selbst haben diesen Abstand sehr wohl 
empfunden. Die gegen Ende des # babylonischen Exils unternom- 
mene Bearbeitung der Bücher der Richter Samuelis und der Könige, 
die weit stärker eingreift als man gewöhnlich annimmt, ver- 
dammt die ganze * Königszeit als häretisch. Später gestaltete 
man die mehr und mehr mit einem gewissen Nimbus umgebene 
Vergangenheit lieber einfach ins Legitime um, als dass man sie 
verurteilte: die Chronik zeigt, wie sich die Geschichte des 
Altertums ausnehmen müsste unter der Voraussetzung, dass die 
mosaische Hierokratie ihr Grundinstitut gewesen sei. 

2. Diese kurzen Bemerkungen haben nur den Zweck zu zei- 
gen, dass es kein eingebildetes, sondern ein wirkliches und unab- 
weisbares Problem ist, um das wir uns bemühen. Dasselbe soll 
damit 4iur eingeleitet werden, zu erledigen ist es nicht so leicht, 
im Gegenteil schwierig genug. So schlechthin lässt sich die 
Frage überhaupt gar nicht* aufwerfen, welche geschichtliche 
Stellung das Gesetz einnehme. Denn das Gesetz, wenn wir 
darunter den ganzen Pentateuch verstehen, ist keine literarische 
Einheit und keine einfache geschichtliche Grösse. Seit Peyre- 
rius und Spinoza hat die Kritik den complicirten Charakter 
dieses merkwürdigen Schriftwerkes erkannt und seit Jean Astruc 
sich mit Erfolg bemüht, die ursprünglichen Bestandteile aus 
ihrer Verschlingung zu lösen; sie ist gegenwärtig zu einer An- 
zahl von Ergebnissen gelangt, die als gesichert gelten können. 
Folgende sind darunter die vornehmsten. Die fünf Bücher Mosis 
gehören mit dem Buche Josua zusammen, indem nicht der Tod 
Mose's, sondern vielmehr die Eroberung des verheissenen Lan- 
des den wahren Abschluss zu der Erzvätergeschichte der Aus- 
führung aus Ägypten und der Wüsten Wanderung bildet: man 



Das Thema. 7 

redet also literarisch richtiger vom Hexateuch als vom Penta- 
teuch. Aus diesem Ganzen löst sich am einfachsten das Deute- 
ronomium ab, als ein von Haus aus selbständiges Gesetzbuch. 
Im Uebrigen tritt am markiertesten die s. g. Grundschrift hervor, 
ehedem auch, wegen der Anwendung des Gottesnamens Elohim 
bis auf Mose, als der Elohist, von Ewald, nach der regelmässi- 
gen Form der Kapitelüberschriften in der Genesis, als das Buch 
der Ursprünge bezeichnet. Sie zeichnet sich aus durch ihre 
Neigung zu Zahl und Mass, überhaupt zum Schema y durch ihre 
starre pedantische Sprache, durch die beständige Wiederholung 
gewisser Ausdrücke und Wendungen, die sich im älteren Hebrais- 
mus sonst nicht finden : sie hat die ausgesprochensten Charakter- 
ztige und ist daher am leichtesten und sichersten zu erkennen. 
Ihr Grundstock ist der Leviticus nebst den verwandten Teilen 
der angrenzenden Bücher, Exod. 25 — 40 mit Ausnahme von 
Kap. 32-34, und Num. 1—10. 15-19. 25-36 mit geringen 
Ausnahmen. Sie enthält demnach vorzugsweise Gesetzgebung, 
und zwar bezieht sich selbige wesentlich auf den Cultus der 
Stiftshütte und was damit zusammenhängt. Historisch ist nur 
die Form, sie dient dem gesetzlichen Stoff als Rahmen um ihn 
anzuordnen, oder als Maske um ihn zu verkleiden. Gewöhnlich 
ist der Faden der Erzählung sehr dünn und häufig nur dazu da, 
der Zeitrechnung als Vehikel zu dienen, die von Erschaffung 
der Welt an bis zum Auszug aus Ägypten lückenlos fortgeführt 
wird; nur wo die anderweitigen Interessen einspielen, schwillt 
sie an, wie in der Genesis bei den drei Vorstufen des mosaischen 
Bundes, die sich an die Namen Adam Noah und Abraham 
knüpfen. Scheidet man nun ausser dem Deuteronomium auch 
diese Gfundsehrift aus, so bleibt das jehovistische Geschichts- 
buch übrig, welches im Gegensatz zu jenen beiden wesentlich 
erzählender Natur ist und den Ueberlieferungsstöff recht mit 
Behagen ausbreitet. Die Patriarch engeschichte, die ihr beinah 
ganz angehört, charakterisiert diese Schrift am besten; dieselbe 
erscheint hier nicht als kurz abzumachende Einleitung für das 
Wichtigere, was kommen soll, sondern als eine ausführlichst 
zu behandelnde Hauptsache. Legislative Elemente finden sich 
nur an einer Stelle aufgenommen, wo sie in den historischen 
Zusammenhang hineingehören, nämlich bei der Gesetzgebung auf 
dem Sinai (Exod. 20-23. 34). 



3 Das Thema. 

Lange Zeit hat man sich mit dieser Zweiteilung des nicht- 
deuteronomischen Hexateuchs begnügt, bis Hupfeld in gewissen 
Stücken der Genesis, die man bis dahin teils der Grundschrift 
teils dem Jehovisten zugewiesen hatte, eine dritte zusammen- 
hängende Quelle aufwies, den s. g. jüngeren Elohisten. Der 
Name ist darum gewählt, weil auch hier Elohim die regel- 
mässige Bezeichnung der Gottheit ist, ebenso wie es in der Grund-, 
schrift bis Exod. 6 der Fall ist; doch bleibt der Zusatz der 
jüngere Elohist besser weg, da er ein unberechtigtes Präjudiz 
enthält und zur Unterscheidung von der Grundschrift nicht mehr 
nötig ist, seit für sie der in der That unpassende Name Elohist 
aufgegeben worden ist. Hupfeld nahm nun an, dass die drei 
Quellen neutral neben einander hergelaufen seien, bis ein Spä- 
terer sie allesammt zugleich zu einem Ganzen vereinigt habe. 
Aber dies ist eine unhaltbare Vorstellung, der Elohist ist nicht 
bloss im Stoffe und in der Anschauung dem Jehovisten nächst- 
verwandt, sondern er ist uns nur als ein Ingrediens der jeho- 
vistischen Schrift erhalten; was zuerst Nöldeke erkannt hat 1 ). 
Dann bleibt es also, trotz Hupfeld's Entdeckung, dennoch bei 
der alten Zweiteilung in zwei grosse Schichten; und man hat 
alle Ursache, diesen Hauptgegensatz als Grundlage der histori- 
schen Untersuchung festzuhalten, trotzdem sich mehr und mehr 
herausstellt, dass nicht bloss der Jehovist, sondern auch die 
Grundschrift complicierte Gebilde sind, und dass daneben noch 
zwitterhafte oder posthume Elemente vorkommen, die sich nicht 
einfach der einen oder der anderen Schicht zuweisen lassen 2 ). 

*) Hermann Hupfeld, die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusam- 
mensetzung; Berlin 1853. Theodor Nöldeke, die s. g. Grundschrift 
des Pentateuehs (in den Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, 
Kiel 1869). 

2 ) J. Wellhausen, die Oomposition des Hexateuchs, in den Jahrbüchern 
für Deutsche Theologie 1876 S. 392—450, S. 531—602. 1877 S. 407—479. 
Einzelheiten gebe ich preis; in der allgemeinen Betrachtungsweise des li- 
terarischen Processes, wodurch der Pentateuch entstanden ist, glaube ich 
der Forschung die richtige Bahn gewiesen zu haben. Wesentlich corri- 
girt bin ich bis jetzt nur durch Kuenen, in den seit 1877 in der Leidener 
Theologischen Tijdschrift von ihm veröffentlichten Bijdrägen tot de cri- 
tiek van Pentateuch en Jozua; aber diese Correctur ist von der ange- 
nehmen Art, dass sie meine eigene Grundanschauung befreit von hangen 
gebliebenen Resten des alten Sauerteiges der mechanischen Quellenschei- 
dung. Kuenen zeigt namentlich, dass gewisse Elemente, die ich dem 
Elohisten zugewiesen habe, nicht Fragmente eines einst selbständigen 
Zusammenhanges sind, sondern eingeschaltete Nachträge, die sich para- 
sitisch einem anderweitigen Zusammenhange angesetzt haben. Von wel- 



Das Thema. 9 

Das Gesetz nun, nach dessen geschichtlicher Stellung wir 
fragen, ist die s. g. Grundschrift, die nach ihrem Inhalt und 
Ursprung der Priestercodex zu heissen verdient und so auch hin- 
fort genannt werden soll. Der Priestercodex prävaliert nicht 
bloss in Umfang, sondern auch in Geltung über die anderwei- 
tige Gesetzgebung, er gibt in allen Hauptsachen Mass und Aus- 
schlag. Nach seinem Muster haben die Juden unter Ezra ihre 
heilige Gemeinde eingerichtet und stellen auch wir uns die mo- 
saische Theokratie vor: mit der Stiftshütte im Centrum, dem 
Hohenpriester als Haupt, den Priestern und Leviten als Or- 
ganen, dem legitimen Cultus als ihrer regelmässigen Funktion. 
Dies Gesetz im eminenten Sinne ist es nun auch grade, welches 
in jene Schwierigkeiten verwickelt, die unser Problem begrün- 
den. Und nur hier herrscht der grosse Zwiespalt über die Ent- 
stehungszeit. Bei der jehovistischen Schrift ist man in erfreu- 
licher Weise darüber einverstanden, dass sie, ihrem Hauptbe- 
stande nach, durch Sprache Gesichtskreis und übrige Voraus- 
setzungen, der goldenen Periode der hebräischen Literatur zuge- 
wiesen wird, aus der die schönsten Stücke der Bücher der Kichter 
Samuelis und der Könige und die ältesten der uns erhaltenen pro- 
phetischen Schriften herrühren, der Zeit der Könige und Pro- 
pheten, die der Auflösung der beiden israelitischen Reiche durch 
die Assyrer vorhergeht. Ueber den Ursprung des Deuterono- 
miums herrscht noch weniger Zweifel; in allen Kreisen, wo 
überhaupt auf Anerkennung wissenschaftlicher Resultate zu 
rechnen ist, wird anerkannt, dass es in der Zeit verfasst ist, 
in der es entdeckt und der Reformation des Königs Josia zu 
Grunde gelegt wurde: diese letztere ward etwa eine Generation 
vor der Zerstörung Jerusalems durch die Chaldäer durchgeführt. 
Nur beim Priestercodex gehen die Ansichten weit auseinander. 
Derselbe sucht nemlich mit Fleiss das Kostüm der mosaischen 
Zeit einzuhalten und seine eigene, so viel es immer geht, zu 



chem Einfluss dieser Nachweis auf die Beurteilung des Elohisten selber 
sein wird, lässt sich zur Zeit noch nicht absehen. — Ich bezeichne das 
jehovistische Geschichtsbuch tnit JE, die Elohimquelle desselben mit E, 
die Jahvequelle mit J; für den Kern der Grundschrift, der sich durch 
seine historische Systematik auszeichnet und in der Genesis rein hervor- 
tritt, wende ich die Sigle Q und die Bezeichnung Vierbundesbuch an, 
für die Grundschrift im Ganzen die Sigle RQ und die Bezeichnung 
Priestercodex. 



10 Das Thema. 

maskieren. Das Deuteronomium tut dies bei weitem nicht in dem 
Grade, lässt vielmehr die wirkliche Situation, die Periode, wo 
nach der Zerstörung Samariens nur das Reich Juda allein noch 
fortbestand, sehr deutlich durch die angenommene hindurch- 
scheinen (12,8. 19,8). Der Jehovist nun gar will kein mosaisches 
Gesetz, sondern ein simples Geschichtsbuch sein; der Abstand 
der Gegenwart von der Vergangenheit, über die gehandelt wird, 
wird nicht im mindesten verdeckt; hier finden sich alle jene 
Bemerkungen, die zuerst Abenezra's und später Spinoza's Auf- 
merksamkeit erregten, wie Gen. 12,6: damals wohnten nämlich 
die Kanaaniter im Lande; Gen. 36,31: das sind die Könige, 
welche in Edom herrschten, ehe die Kinder Israel einen König 
hatten; Num. 12,6.7. Deut. 34,10: es stand fürder kein Prophet 
in Israel auf, der Mose gleich gekommen wäre. Dahingegen 
der Priester codex hütet sich vor jeder Hinweisung auf die spätere 
Zeit, auf das ansässige Leben im Lande Kanaan, welches so- 
wohl im jehovistischen Bundesbuch (Exod. 21 — 23) wie im Deu- 
teronomium die ausgesprochene Basis der Gesetzgebung ist; er 
hält sich formell streng innerhalb der Situation der Wüsten- 
wanderung und will allen Ernstes eine Wüstengesetzgebung sein. 
Es ist ihm wirklich gelungen, mit dem beweglichen Tabernakel 
mit dem Wanderlager und dem übrigen archaistischen Schein 
seine wahre Abfassungszeit so zu verschleiern, dass die vielen 
materiellen Widersprüche gegen das uns anderweit bekannte 
vorexilische Altertum, die er enthält, nur als Zeichen davon 
aufgefaßt werden, wie er über alle historische Zeit weit hinaus- 
rage und vor lauter Unvordenklichkeit kaum noch in einer 
Berührung damit stehe. Der Priestercodex also gibt uns das 
Bätsei auf. 

3. Es war ein richtiger Instinct, dass die Kritik von dem 
zuerst in de Wette's Geist aufgestiegenen und bestimmter von 
George und Vatke erfassten geschichtlichen Probleme vorläufig 
Abstand nahm und zunächst mit der Composition des Penta- 
teuchs einigermassen ins Beine zu kommen suchte. Es war 
aber ein Irrtum, dass man mit dem Ausscheiden der Quellen — 
wobei man ganz sachgemäss die Hauptaufmerksamkeit auf die 
Genesis richtete — bei Wege zugleich jene grosse historische 
Frage erledigt zu haben glaubte. In Wahrheit hatte man sie 
nur in Schlaf gesungen: es ist Grafs Verdienst, nach einer lan- 



Das Thema. 11 

gen Zeit sie wiedererweckt zu haben. Seinerseits ignorierte er 
dabei freilieh, nicht zu seinem Vorteil, den Fortschritt der Secir- 
arbeit und verwickelte sich dadurch in eine Verlegenheitsau- 
nahme, die völlig unhaltbar war, indessen auch gar nicht mit 
der eigentlichen Hypothese zusammenhing und auf dem Stande, 
zu dem Hupfeld inzwischen die Quellenkritik gefördert hatte, 
von selbst wegfiel. Graf folgte nämlich anfangs der älteren, be- 
sonders durch Friedrich Tuch vertretenen Meinung, dass der 
Priestercodex in der Genesis, mit seinem so nackt hervortreten- 
den Skelett, die Grundschrift sei, der Jehovist aber der Ergänzer 
und als solcher natürlich jünger; da er nun die Cultusgesetz- 
gebung der mittleren Bücher umgekehrt für weit jünger hielt 
als den Jehovisten, so musste er dieselbe wohl oder übel von 
ihrer Einleitung in der Genesis losreissen und das eng Zusam- 
mengehörige durch einen Zeitraum von einem halben Jahrtau- 
send trennen. Aber längst hatte Hupfeld zur Anerkennung ge- 
bracht, dass der Jehovist kein Ergänzer sei, sondern Verfasser 
eines vollkommen selbständigen Schriftwerks, und dass die Stücke, 
die, wie Gen. 20 — 22, vorzugsweise als Beispiele jehovistischer 
Ueberarbeitung der Grundschrift vorgeführt wurden, in Wirklich- 
keit einer ganz anderen Quelle, dem Elohisten, angehörten. Da- 
durch war der Anstoss, über den Graf gestrauchelt war, bereits 
im Voraus beseitigt, eine unerwartete Bundesgenossin hatte ihm 
die Wege geebnet. Dem Winke A. Kuenens folgend, zögerte 
er nicht ihre Hand anzunehmen, er widerrief die gewaltsame 
Zersplitterung des Priestercodex und zog nun unbehindert aus 
den Ergebnissen, die er für den gesetzlichen Hauptteil gewonnen 
hatte, die Consequenz auch für den erzählenden Teil in. der 
Genesis '). 

J ) K. H. Graf, die s. g. , Grundschrift des Pentateuchs, in Merx' Archiv 

1869 S. 466—477. Schon in einem Schreiben an Kuenen vom 12. Nov. 
1866 hatte er geäussert: vous me faites pressentir une Solution de cette 

enigme c'est que les parties elohistiques de la Genese seraient 

posterieures aux parties jehovistiques. Vgl. Kuenen, Theol. Tijdschrift 

1870 S. 412. Graf war auch in dieser Hinsicht Reuss gefolgt, welcher 
letztere a. 0. S. 24 von sich sagt: Le cote faible de ma critique a ete 
que, ä l'egard de tout ce qui ne rentrait pas dans les points enumeres 
ci-dessus, je restais dans Forniere tracee par mes devanciers, admettant 
sans plus ample examen que le Pentateuque etait l'ouvrage de Phisto- 
rien elohiste, complete par l'historien jehoviste, et ne me rendant pas 
compte de la maniere dont Pelement legal, dont je m'etais occupe exclu- 
sivement, serait venu se joindre ä l'element historique. 



12 Das Thema. 

Damit war der Grund gelegt; zur weiteren Ausgestaltung 
der Hypothese hat hernach Kuenen das Meiste beigetragen 1 ). 
Die Inhaber der herrschenden Meinung nun wehrten sich, so gut 
sie vermochten, sie waren aber vom langen Besitze her ein 
wenig erstarrt auf ihren Hefen. Sie erhüben gegen den Grund- 
stürzer eine Reihe von Einwänden, die alle mehr oder weniger 
an dem Fehler litten, dass sie das erschütterte Fundament zur 
Basis hatten. Stellen aus Arnos und Hosea wurden vorgebracht, 
welche Bekanntschaft mit dem Priestercodex verraten sollten; 
wer aber diesen für jünger hielt als jene, auf den konnten sie 
keinen Eindruck machen. Fast ungeberdig stellte man sich 
darüber, dass die Cultusgesetzgebung nun unter das Deutero- 
nomium hinabgedrückt war: man berief sich darauf, dass letzte- 
res erstere ja benutze. Aber die Spuren erwiesen sich als 
äusserst problematisch, während umgekehrt die totale Abhän- 
gigkeit des Deuteronomiums vom Jehovisten mit der grössten 
Klarheit hervortrat. Man wies auf die letzte Redaktion des 
hexateuchischen Gesammtwerkes hin , die anerkanntermassen 
deuteronomistisch sei — es stellte sich aber heraus, dass die 
deuteronomistische Redaktion bei den zum Priestercodex ge- 
hörigen Stücken nirgend aufzuspüren war. Auch die Sprach- 
geschichte musste gegen Graf herhalten; sie war es leider ge- 
wohnt wie weiches Wachs behandelt zu werden. Kurz die Ar- 
gumente, die ins Feld geführt wurden, entlehnten insgemein ihre 
Kraft der moralischen Überzeugung, dass die Cultusgesetzgebung 
alt sein müsse und nicht erst in der Periode des Judentums 
niedergeschrieben sein könne: wenn sie vorher nicht wirksam, 
ja unter den vorexilischen Verhältnissen unausführbar gewesen 
sei, so könne sie ja darum doch vorher existiert haben. Diese 
Überzeugung war um so unerschütterlicher, je weniger sie auf 
Gründen beruhte. 

Von der Stelle, wo das Feuer angelegt war, hielt sich die 
Löschmannschaft fern. Ich meine das Gebiet der gottesdienst- 
lichen Antiquitäten und der herrschenden Religionsideen, in dem 
ganzen Umfange, wie Vatke es in seiner biblischen Theologie 

J ) A. Kuenen, de Godsdienst van Israel; Haarlem 1869. 1870. Derselbe, 
de priesterlijke Bestanddeelen van Pentateuch en Jozua, Theol. Tijd- 
schrift 1870 S. 391—426 (Bleek's Einl. in das Alte Testament 1878 
S. 153-169). 



Das Thema. 13 

behandelt hat. Nur hier aber, wo der Kampf eigentlich ent- 
brannt ist, kann er zum Austrage .gebracht werden. Indem ich 
dazu gegenwärtig den Versuch mache, gehe ich aus von der 
Vergleichung der drei Schichten des Hexateuchs, des Priester- 
codex des Deuteronomiums und des Jehovisten. Allerdings ent- 
halten die ersteren beiden, wie wir gesehen haben, Gesetzgebung, 
der letztere Erzählung; t aber wie der Dekalog (Exod. 20), das 
Zweitafelgesetz (Exod. 34), und das Bundesbuch (Exod. 21 — 23) 
zeigen, fehlt dem Jehovisten das legislative Element nicht ganz, 
und in noch weit stärkerem Masse ist das historische im Priester- 
codex und im Deuteronomium vertreten. Ausserdem spiegelt 
sich immer in der Darstellung der Geschichte der gesetzliche, 
in der Darstellung der Gesetze der geschichtliche Standpunkt 
ab: an directen und indirecten Vergleich ungspunkten mangelt es 
also in keiner Weise. Dass nun die drei Schichten erheblich 
von einander abstehen, ist anerkannt; es fragt sich, wie sie fol- 
gen. Das Deuteronomium steht sowol dem Jehovisten als dem 
Priestercodex näher, der Unterschied zwischen den beiden 
letzteren ist der weiteste, so weit, dass aus diesem Grunde 
Ewald es bereits im Jahre 1831 (Stud. und Krit. S. 604) für un- 
möglich erklärt hat, dass eins zur Ergänzung des anderen ge- 
schrieben sei. Nehmen wir hinzu, dass der Jehovist unbestritten 
dem Deuteronomium vorangeht, so würde sich ergeben, dass der 
Priestercodex ans Ende der Reihe gehöre. Aber diese Betrach- 
tung, wenngleich, so weit mir bewusst, von Zugestandenem aus- 
gehend, hat keinen Wert, so lange sie sich so im Allgemeinen 
hält. Es kommt darauf an, die Folge der drei Schichten im 
Einzelnen aufzuweisen und sie daneben mittelst eines unabhängigen 
Masses zugleich zu erproben und zu fixieren, nämlich mittelst des 
inneren Ganges der israelitischen Geschichte, sowie er uns aus 
anderweitigen unverdächtigen Zeugnissen bekannt ist. 

Es ist eine literargeschichtliche Untersuchung umfassender 
und schwieriger Art, die wir beginnen. Sie zerfällt in drei Teile. 
Im ersten, grundlegenden, werden die auf die sakralen Alter- 
tümer bezüglichen Data gesammelt und in der Weise disponiert, 
dass man sieht, wie im Pentateuch die Schichten ebenso auf 
und aus einander folgen, wie in der Geschichte nachweisbar die 
Entwicklungsstufen. Nicht gegen, aber ohne die anfängliche 
Absicht ist eine Art Geschichte des Cultus daraus geworden. 



14 Das Thema. 

Freilich durch Schuld des Materials eine farblose und grobe; 
denn es handelt sich immer bloss, ir* erster Linie, um den Ge- 
gensatz von vorexilisch und nachexilisch , in zweiter, um den 
von deuteronomisch und vordeuteronomisch. Ein Vorteil ist in- 
dessen bei den ausgedehnten Perioden: sie müssen sich greifbar 
unterscheiden, es muss bei geschichtlichen und gar bei gesetz- 
lichen Werken zu erkennen sein, ob sie vor oder nach dem Exil 
geschrieben sind. Der zweite Teil, in mancher Hinsicht ab- 
hängig vom ersten, weist den Einfluss der jeweils herrschenden 
Vorstellungen und Tendenzen auf die Gestaltung der historischen 
Tradition nach und verfolgt die verschiedenen Phasen in der 
Auffassung und Darstellung derselben; er enthält |o zu sagen 
eine Geschichte der Überlieferung. Der dritte Teil resumirt 
den kritischen Ertrag der beiden anderen, mit Hinzufügung 
einiger weiteren Entscheidungsgründe, und schliesst mit einer 
allgemeineren Ausschau. 

Die Voraussetzungen, die ich mache, werden im Laufe der 
Untersuchung immer wieder neu gerechtfertigt; die beiden vor- 
nehmsten sind, dass das jehovistische Werk, seinem Grund- 
stocke nach, vor die assyrische Periode fällt, das Deuteronomium 
an den Schluss derselben. Für so sicher ich übrigens die Da- 
tirung des letzteren nach 2. Reg. 22 auch halte, benutze ich 
diese Position doch nicht in dem Masse wie Graf, um meine 
Hebel anzusetzen. Das Deuteronomium ist der Ausgangspunkt 
nicht in dem Sinne, dass ohne es nichts zu machen wäre, son- 
dern nur in dem Sinne, dass seine Ansetzung nach historischen 
Gründen die notwendige Forderung nach sich zieht, auch den 
Priestercodex nach historischen Gründen anzusetzen. Meine 
Untersuchung ist breiter angelegt als die Grafs und nähert sich 
der Art Vatke's, von welchem letzteren ich auch das Meiste und 
das Beste gelernt zu haben bekenne. 



I. 

Geschichte des Cultus. 



Legem non habentes natura faciunt legis opera. 

Rom. 2. 



Erstes Kapitel. 



Der Ort des Gottesdienstes. 

Wie aus dem Evangelium bekannt ist, stritten sich zur Zeit 
Jesu Juden und Samariter über die richtige Stätte, wo man an- 
beten solle; dass es nur eine einzige geben könne, das war 
ihnen so ausgemacht, wie die Einheit Gottes selber. Die Juden 
sagten , es sei der Tempel zu Jerusalem , und seit er zerstört 
war, hörten sie auf zu opfern. Allein nicht von jeher hat diese 
Einheit des Heiligtums in Israel thatsächlich bestanden noch 
rechtlich gegolten, sie hat sich erst allmählich im Laufe der 
Zeit herausgebildet. Die Überlieferung des Alten Testaments 
gestattet noch ganz wohl zu verfolgen, auf welchem Wege. Meh- 
rere Stadien lassen sich dabei unterscheiden: es wird sich fra- 
gen, ob die drei Schichten des Pentateuchs eine Beziehung zu 
einem oder dem anderen Stadium aufweisen, ob und wie sie 
sich in den Verlauf des geschichtlichen Processes fügen, dem 
wir an der Hand der historischen und prophetischen Bücher 
seit der Riehteraeit nachgehen können. 

I. 

1. Für die älteste Periode der israelitischen Geschichte, vor 
dem Tempelbau, lässt sich von einem ausschliesslich berechtigten 
Heiligtume nicht die Spur auffinden. In den Büchern der Rich- 
ter und Samuelis wird kaum ein Ort erwähnt, an dem nicht 
auch, wie sich bei Wege ergibt, ein Altar steht und geopfert 
wird. Zum grossen Teil gehörte diese Vielheit der Heiligtümer 

Wellhau son, Prolegomena. 2 



18 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

schon zur kanaanitisehen Erbschaft der Hebräer; wie in die 
Städte und überhaupt in die Kultur der alten Bewohner, so 
wuchsen sie auch in ihre Cultusstätten hinein. Das Institut der 
Höhen (Bamoth) mit dem dazu gehörigen Apparat ist ohne 
Zweifel von Haus aus kanaanitisch (Deut. 12, 2. 30. Num. 33, 52. 
Exod. 34, 12 f.), hinterher findet es sich ganz allgemein bei den 
Hebräern. Bei Sichern und Gibeon vollzieht sich der Übergang 
beinah im vollen Licht der Geschichte ; einige andere alt-israeli- 
tische Cultusorte, die hinterdrein zum Teil zu Levitenstädten 
gemacht worden sind, verraten wenigstens durch ihre Namen 
ihren Ursprung, wi'e Bethsemes oder Ir-heres d. i. Sonnenstadt, 
Astharoth Karnaim d. i. die zweigehörnte Astarte. Auch in dem 
Volksgedächtnis ist die Erinnerung daran, dass man manche der 
später angesehensten Opferstätten schon bei der Einwanderung 
vorgefunden hatte, nicht ausgestorben. Sichern Bethel Beerseba 
gelten in der Genesis als Stiftungen der Patriarchen, andere 
gleich wichtige Heiligtümer nicht — - der Grund dafür kann nur 
in dem Bewusstsein ihres jüngeren Alters liegen; jene hatte man 
bei der Einwanderung vorgefunden, diese hatte man selbst ge- 
gründet. Denn natürlich, wenn sich die Hebräer nicht scheuten, 
die alten Landesheiligtümer sich anzueignen, so trugen sie auch 
kein Bedenken neue zu stiften. In Gilgal und Silo, in den 
festen Lagern, wo sie zuerst im eigentlichen Palästina festen 
Fuss gefasst haben, entstehen alsbald bedeutende Centra des 
Gottesdienstes, ebenso an anderen Orten von politischem Belang, 
auch an solchen, die nur zeitweilig in den Vordergrund rücken, 
wie Ophra, Rama, Nob bei Gibea. Und neben den grösseren 
fundirten Stätten, mit mehr oder weniger regelmässigem Dienste, 
ist es durchaus gestattet, überall wo ein Anlass sich bietet, ex 
tempore einen Altar zu errichten und Opfer zu bringen. Als 
nach der Schlacht von Michmas das Volk, müde und hungrig, 
über erbeutetes Vieh herstürzte und anfing das Fleisch im Blute 
zu verzehren (d. h. ohne das Blut am Altare zu vergiessen), 
Hess Saul einen grossen Stein herwälzen und befahl, jeder solle 
dort sein Rind oder Schaf schlachten. Das sei der erste Altar, 
den Saul dem Jahve gebaut habe, fügt der Berichterstatter hinzu, 
gewiss nicht um ihm einen Vorwurf zu machen oder auch nur 
um sein Handeln als etwas auffallendes und ausnahmsweises zu 
bezeichnen. Das Beispiel ist um so lehrreicher, weil es zeigt, 



Der Ort des Gottesdienstes. 19 

wie das Verbot, Fleisch zu essen ohne das Blut Gott zurückzu- 
erstatten, in einer Zeit wo das Volk nicht auf ganz engem 
Räume zusammengedrängt wohnte, notwendigerweise die Frei- 
heit voraussetzt, überall zu opfern — oder zu schlachten, denn 
beides ist ursprünglich ganz gleichbedeutend. 

Es versteht sich, die Opferstätten, auch abgesehen von den 
improvisierten, standen sich nicht gleich an Ansehen und Fre- 
quenz, neben rein lokalen gab es auch solche, zu denen man 
von weit und breit wallfahrtete. Gegen Ende der Richterzeit 
scheint Silo eine vielleicht über die Grenzen des Stammes Joseph 
hinausreichende Bedeutung gewonnen zu haben. Den Späteren 
galt der dortige Tempel sogar als der Vorgänger des salomo- 
nischen, d.h. als der einzig legitime Cultusort, dem Jahve alle 
Brandopfer der Kinder Israel verliehen habe (Jerem. 7, 12. 
1. Sam. 2,27 — 36). In Wahrheit aber, wenn ein wohlhabender 
Mann aus Ephraim oder Benjamin beim Jahreswechsel zum 
fröhlichen Feste nach Silo pilgerte, so that er das nicht, weil in 
seiner Heimat zu Rama oder Gibea keine Gelegenheit gewesen 
wäre, vor Jahve zu essen und zu trinken. Eine strenge Cen- 
tralisation ist für jene Zeit ein unmöglicher Gedanke, auf dem 
Gebiete des Gottesdienstes nicht minder, wie auf jedem andern. 
So zeigt sich denn auch, dass die Zerstörung des Hauses von 
Silo, dessen Priesterschaft wir später zu Nob wiederfinden, auf 
den dermaligen Charakter und Zustand des Cultus nicht den 
geringsten Einfluss ausübt; dasselbe verschwindet stillschweigend 
vom Schauplatz und taucht nicht wieder auf, bis wir von Jere- 
mia erfahren, dass es, mindestens seit der Gründung des salo- 
monischen Tempels, in Trümmern lag. 

Für die Periode, wo der Tempel von Jerusalem noch nicht 
stand, lässt auch die letzte Bearbeitung der historischen Bücher, 
die vielleicht nicht bei allen von der selben Hand, aber aus 
der selben Zeit (des babylonischen Exils) und aus dem selben 
Geiste stammt, die Vielheit der Altäre und heiligen Orte unbe- 
anstandet. Kein nachsalomonischer König kommt ohne Rüge 
davon, dass er die Höhen geduldet habe, aber Samuel darf in 
eigener Person einem Opferfeste auf der Bama seiner Vater- 
stadt vorstehen, Salomo im Anfange seiner Regierung ein sol- 
ches auf der grossen Bama zu Gibeon anrichten, ohne dass es 
getadelt wird. Der anstössige Name wird 1. Sam. 9. 10 mehr- 



20 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

fach in harmlosester Weise gebraucht und die Redaction lässt 
ihn ohne Anstand passieren. Der Grundsatz, von dem sie sich 
bei diesem wie es scheint ungleiehmässigen Verhalten leiten 
lässt, erhellt aus 1. Reg. 3,2: das Volk opferte auf den 
Höhen, denn bis dahin war noch kein Haus dem Namen 
Jahve's gebaut. Erst seit das Haus dem Namen Jahve's ge- 
baut war, das ist die Meinung, kam das Gebot in Kraft, keine 
anderen Anbetungsstätten zu haben neben ihm 1 ). Von dem sa- 
lomonischen Tempelbau, der ja auch als chronologische Haupt- 
epoche gilt, wird also ein neuer Abschnitt in der Cultusge- 
schichte datirt. In gewisser Weise mit Recht. Das Königtum 
in Israel verdankte seine Entstehung dem notgedrungenen Er- 
wachen des Bedürfnisses, die bis dahin nur sehr lose verbun- 
denen Stämme und Geschlechter der Hebräer zu der Einheit 
eines Volkes und Reiches zusammenzufassen; es hatte eine aus- 
gesprochene centralisirende Tendenz, die sich sehr natürlich 
auch des Cultus als eines geeigneten Mittels zu dem politischen 
Zwecke bemächtigte. Schon der erste, der beinah König ge- 
worden wäre, Gideon stiftete ein kostbares Heiligtum in seiner 
Stadt Ophra; David liess die Lade Jahve's in seine Burg auf 
dem Sion holen und legte Wert darauf, den Erben der alten 
Familie, welche ehedem zu Silo sie gehütet hatte, zum Priester 
zu haben; auch Salomo's Tempel sollte die Anziehungskraft 
seiner Residenz erhöhen helfen. Unzweifelhaft aber gab auf 
diese Weise die politische Centralisation den Antrieb zu einer 
grösseren Centralisation auch des Gottesdienstes, und dieser 
Antrieb wirkte * fort nach der Spaltung, in Israel ein wenig an- 
ders als in Juda. Die königlichen Priester, die grossen Reichs- 
tempel, die Festversammlungen des ganzen Volks und die unge- 
heuren Opfer — das waren die Züge, wodurch der früher wie 
es scheint sehr einfache Cultus jetzt die Signatur einer neuen 
Zeit erhielt. Noch eins ist bezeichnend: die häuslichen Dienste, 
die noch zu Davids Zeit allgemein gewesen sein müssen, kamen 
allmählich ab, versteckten sich und verloren ihre Bedeutung, 

Vgl. 1. Reg. 8, 16. Nach Deut. 12, 10 f. wird die lokale Einheit des Cultus 
Gesetz von der Zeit an, wo die Israeliten zur Ruhe (Menucha) gekommen 
sind. Vergleicht man damit 2. Sam. 7, 11. 1. Reg. 5, 18, so seheint die 
Menucha erst zur Zeit Davids und Salomo's eingetreten zu sein. Die 
Richterperiode müsste dann viel kürzer vorgestellt" sein, als es nach der 
jetzigen Chronologie den Anschein hat. 



Der Ort des Gottesdienstes. 21 

weil die Kreise der Gemeinschaft sich erweiterten und das Leben 
öffentlicher wurde. 

Aber diese Betrachtungsweise der Bedeutung des Königtums 
für die Geschichte des Cultus ist nicht die des Verfassers der 
♦Königsbücher. Er beurteilt den Tempel Salomo's als ein Werk; 
lediglich unternommen im Interesse des reinen Gottesdienstes 
und aus einer ganz anderen Wurzel entsprungen als die heiligen 
Bauten der israelitischen Könige, denen er darum nicht gleich, 
sondern entgegen steht wie das Echte dem Falschen. Er ist 
seiner Natur nach einzigartig und von vornherein in der Absicht, 
dass nun alle anderen Opferstätten aufhören sollten, angelegt 
worden: in einer religiösen Absicht, die von der Politik unab- 
hängig ist und nichts mit ihr zu schaffen hat. Diese Auffassung 
nun ist ungeschichtlich und überträgt die Bedeutung, die der 
Tempel kurz vor dem Exil in Juda erlangt hat, in die Zeit und 
in die Absicht seiner Gründung. In Wahrheit ist er nicht 
gleich anfangs gewesen, was er nachgehends geworden ist. Er 
wirkte durch seine eigene Schwere, aber nicht durch ein Mo- 
nopol Salomo's. Nirgends hören wir davon, dass dieser als ein 
Vorläufer Josia's seinem neuen Heiligtum zu lieb die übrigen 
habe abschaffen wollen; von einem so unvorbereiteten gewalt- 
samen Einschnitte in die bisherigen Verhältnisse des Gottes- 
dienstes findet sich nicht die geringste geschichtliche Spur. Nicht 
einmal die auf das kleine Juda beschränkten Nachfolger Salo- 
mo's machten den hier vielleicht durchführbaren und gewiss in 
ihrem Interesse gelegenen Versuch, den öffentlichen Cultus in 
ihrem Tempel zu vereinigen, so eigenmächtig sie sonst auf die- 
sem Gebiete schalteten. Die Höhen wurden nicht beseitigt — 
so wird regelmässig bei allen constatiert. Für das eigentliche 
Israel war Jerusalem erst recht nicht der Ort, den Jahve er- 
wählt hatte — vollends nach der Spaltung des Reichs. Scharen- 
weise pilgerten die Ephraimiten durch die ganze Länge des 
Stidreichs hindurch nach Beerseba und gemeinschaftlich mit den 
Judäern nach dem an der Grenze gelegenen Gilgal; nach Jeru- 
salem gingen sie nicht. Im eigenen Lande dienten sie dem 
Jahve zu Bethel und Dan, zu Sichern und Samarien, zu Penuel 
und Mispa und an vielen anderen Orten; jede Stadt hatte ihre 
Bama, in der alten Zeit meist frei auf dem Berge gelegen, auf 
dessen halber Höhe die Menschen wohnten. Der grosse Eiferer 



22 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

für den reinen Gottesdienst, Elias, nahm so wenig an den Höhen 
und an der Vielheit der Altäre Jahve's Anstoss, dass ihn ihre 
Zerstörung als die Spitze des Frevels erbitterte und er mit 
eigener Hand den verfallenen Altar auf dem Karmel wieder 
aufbaute. Und dass auch das improvisierte Opfer bei ausseror- 
dentlichen Gelegenheiten nicht ausser Brauch gekommen war, 
zeigt Elisa's Beispiel, der als er hinter dem Pfluge weg berufen 
wurde, seine Rinder auf der Stelle zerstückte und opferte. In 
dieser Hinsicht blieb also auch nach Salomo's Tempelbau Alles 
beim Alten. 

Wenn Volk und Richter oder Könige, Priester und Propheten, 
Männer wie Samuel und Elias ungescheut opferten, wo sie An- 
lass und Gelegenheit hatten, so hatte offenbar in jener ganzen 
Zeit Niemand arg davon, dass dies ketzerisch und verboten sei. 
Wenn eine Theophanie dem Josua die Heiligkeit Gilgals kund 
that, Gideon und Manoah veranlasste in ihrer Heimat Altäre zu 
gründen, David auf die Tenne Arauna's aufmerksam machte, so 
galt darnach Jahve selbst als der eigentliche Stifter aller dieser 
Heiligtümer, und zwar nicht bloss dem Zeitalter der Richter, son- 
dern viel gewisser noch dem Zeitalter des Erzählers dieser Le- 
genden. Durch eine gnädige Offenbarung belohnte er Salomo's' 
erstes Opfer auf der grossen Bama zu Gibeon, er konnte also 
kein Misfallen daran haben. Nach alle dem ist es absurd, von 
einer Illegitimität des faktischen Bestandes zu reden, in der 
ganzen älteren Zeit der israelitischen Geschichte ist die Be- 
schränkung des Cultus auf einen einzigen auserwählten Ort auch 
als fromme Forderung Keinem bewusst gewesen. Wohl glaubte 
man in Bethel oder in Jerusalem Gott näher zu sein als an 
einer beliebigen anderen Stätte, aber solcher Pforten des Himmels 
gab es mehrere und es überwog doch immer die Vorstellung, 
die sich am greifbarsten 2. Reg. 5,17 ausspricht, dass Palästina 
als Ganzes Jahve's Haus, sein Grund und Boden sei. Nicht 
ausserhalb Jerusalems, sondern ausserhalb Kanaans weilte man 
fern von seinem Angesicht, unter der Herrschaft und — cuius 
regio eius religio — im Dienste fremder Götter, die Heiligkeit 
des Landes floss nicht aus der Heiligkeit des Tempels, sondern 
eher umgekehrt 1 ). 

l ) Gen. 4, 13. 16: indem ]£am aus dein Lande (Kanaan) vertrieben wird, 
wird er .vom Angesichte Jahve's (Jon. 1, 3. 11) vertrieben. 46, 4: Jakob 



Der Ort des Gottesdienstes. 23 

2. Eine Änderung hierin bereitet sieh erst seit jener denk- 
würdigen Epoche der israelitischen Religionsgeschichte vor, welche 
durch den Sturz Samariens und das demselben entsprechende 
Auftreten der Propheten bezeichnet wird. Arnos und Hosea 
setzen den Zustand voraus wie er eben beschrieben worden: 
tiberall in den Städten, auf den Bergen, unter grünen Bäumen, 
eine Menge von Heiligtümern und Altären, wo dem Jahve ge- 
dient wird, in gutem Glauben, nicht um ihn zu ärgern, sondern 
um sein Wohlgefallen zu erwerben. Es war eine unerhörte Sprache, 
welche jene Männer führten, wenn sie verkündigten, Gilgal und 
Bethel und Beerseba, Jahve's Lieblingsstätten, seien ihm ein 
Greuel, die Opfer und Gaben, womit man ihn dort ehre, reizen 
seinen Zorn statt ihn zu beschwichtigen, unter den Trümmern 
seiner Tempel, wo es Schutz und Zuflucht suche, solle Israel 
begraben werden (Am. 9). Was wollten sie sagen? Man würde 
die Propheten falsch verstehen zu meinen, sie haben an den 
heiligen Stätten — die noch Arnos Bamoth nennt (7,9) und zwar 
ohne Spott, im höchsten Pathos — an und für sich Anstoss ge- 
nommen, wegen ihrer Pluralität und weil es nicht die richtigen 
seien. Sie eifern nicht gegen die Orte, sondern gegen den Cul- 
tus, der daselbst getrieben wird, und zwar nicht bloss gegen 
seine falsche Art, weil allerlei Missbräuche sich darin finden, 
sondern beinah mehr gegen ihn selber, gegen seine falsche Wert- 
soll sieh nicht scheuen nach Ägypten auszuwandern, denn Jahve will, in 
ausnahmsweiser Gnade, seinen Wohnsitz mit ihm wechseln. Exod. 15, 
17: du brachtest dein Volk zum Berge deines Erbes, zum 
Orte, den du dir zur Wohnung bereitet hattest; die folgende 
Erklärung zum Heiligtum, das deine Hände gegründet hatten, 
fällt aus der Situation, der Berg des Erbes kann nichts anders sein als 
das gebirgige Land Palästina. 1. Sam. 26, 19: David, durch Saul in die 
Fremde getrieben, wird dadurch aus der Familiengemeinschaft am Erbe 
Jahve's losgerissen und gezwungen, fremden Göttern zu dienen. Hos. 8, 1 : 
ein Adl er gl eicher s tos st auf Jahve's Haus, d. h. der Assyrer auf 
Jahve's Land; 9,15: aus meinem Hause will ich sie vertreiben, 
d. h. die Israeliten aus ihrem Lande. Am deutlichsten redet Hos. 9, 3 — 5 : 
Sie bleiben nicht wohnen in Jahve's Lande, Ephraim muss wieder 
nach Ägypten und in Assur müssen sie Unreines essen: sie spenden 
Jahve keinen Wein mehr und schichten ihm keine Opfer ; wie Trauerbrot 
ist ihr Brot, wer davon isst wird unrein, denn ihr Brot wird nur für den 
Hunger sein, kommt nicht in Jahve's Haus — was wollt ihr gar machen 
zur Zeit der Versammlung und am Tage des Festes Jahve's ! Vgl. Jer. 16, 
13. Ezech. 4, 13. Mal. 2, 11. 2. Reg. 17, 25 f. Möglich auch, dass der 
grosse Zorn 2. Reg. 3, 27 nicht sowohl als Zorn Jahve's , wie als Zorn 
Kamos' vorgestellt wird, in dessen Lande sich das israelitische Heer 
befindet. 



24 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

Schätzung. Die gemeine Meinung war: wie Moab sich als des 
Kamos Volk beweist, weil es dem Kamos seine Opfer und Gaben 
darbringt, so Israel als Jahve's Volk, weil es dem Jahve seinen 
Cultus widmet, und es ist seiner um so sicherer, je glänzender 
und eifriger es ihn verehrt: in Zeiten der Gefahr und Not, wo 
man seines Beistandes besonders bedurfte, verdoppelten und ver- 
dreifachten sich die Anstrengungen. Das ist es, wogegen die 
Propheten opponieren, indem sie ganz andere Leistungen fordern, 
worin sich das Verhältnis Israels zu Jahve lebendig erweisen 
müsse. Das ist der Grund, warum sie dem Cultus so feind 
waren ; von da stammte ihr Hass gegen die grossen Heiligtümer, 
wo der abergläubische Eifer sich selber überbot, ihr Zorn auf 
die Vielheit der Altäre, die auf dem Boden des falschen Ver- 
trauens tippig hervorwuchsen. Dass die Stätten abgeschafft wür- 
den, der Cultus selbst aber wie bisher die Hauptsache in der 
Frömmigkeit bliebe, nur zusammengedrängt an einen einzigen Ort, 
das war keineswegs, was sie wünschten. Aber mit durch ihre 
Predigt kam es in der Tat dahin, dass alle übrigen Bamoth der 
von Jerusalem das Feld räumten. Dazu wirkten freilich die 
äusseren Umstände auf das wesentlichste mit. 

So lange das nördliche Reich bestand, pulsirte dort der 
Hauptstrom israelitischen Lebens; man braucht bloss einen Blick 
in die Königsbücher oder in den Arnos zu werfen, um das zu 
erkennen. Zwar waren in Jerusalem die Tage Davids und Sa- 
lomo's unvergessen, sie wurden zurückgesehnt und grosse An- 
sprüche daraus hergeleitet, aber der Wirklichkeit entsprachen 
diese Ansprüche gar wenig. Da fiel Samarien, Israel schrumpfte 
auf Juda zusammen, Juda allein blieb als das Volk Jahve's übrig. 
Dadurch ward für Jerusalem das Feld frei. Die Residenz hatte 
immer ein erdrückendes Uebergewicht über das kleine Land ge- 
habt, in ihr selbst aber trat die Stadt zurück gegen den Tempel. 
Aus den wenigen von Juda handelnden Erzählungen gewinnt 
man fast den Eindruck, als gebe es dort keine andere Angelegen- 
heiten als die des Tempels, und namentlich die Könige scheinen 
dieser Ansicht gewesen zu sein und die Sorge um ihr Palast- 
heiligtum für ihre allerwichtigste Aufgabe gehalten zu haben 1 ). 

l ) Beinah alle judäischen Erzählungen im Buche der Könige drehen sich um 
den Tempel und um die Massnahmen der Regenten in diesem ihrem 
Heiligtume. 



Der Ort des Gottesdienstes. 25 

So kam die Bedeutung, welche dem Hause Juda durch den Fall 
Samariens zuwuchs, in erster Linie der Hauptstadt und ihrem 
Heiligtume zu gut, zumal überhaupt der Gewinn mehr ein geistiger 
als ein politischer war und mehr in der Steigerung des religiösen 
Selbstbewusstseins als in der der äusseren Macht bestand. Hatte 
schon immer das grosse Gotteshaus auf dem Sion die übrigen 
judäischen weit überragt, so stand es nun ohne gleichen in ganz 
Israel. Um aber dies Resultat des Verlaufs der Dinge recht zu 
würdigen, dazu gaben die Propheten die Anleitung. Sie hatten, 
der Zeit gemäss, bisher vorzugsweise das Nordreich, seinen 
drohenden Sturz und die Heillosigkeit seiner Bewohner im Auge 
gehabt, und so auch namentlich über die dortigen Cultusstätten 
ihren Zorn entladen: Juda beurteilten sie aus persönlichen und 
sachlichen Gründen günstiger, und hofften, dass es erhalten bleibe, 
für Jerusalem verleugneten sie ihre Sympathien nicht (Am. 1,2). 
Unter dem Eindruck ihrer Rede wurde nun der Untergang Sa- 
mariens aufgefasst als ein Gottesgericht gegen das sündige König- 
reich zu Gunsten der verfallenen Hütte Davids, und die Zerstö- 
rung der israelitischen Heiligtümer galt als eine unmissverständ- 
liche Kundgebung Jahve's gegen seine älteren Sitze zu Gunsten 
seiner Lieblingswohnung auf dem Sion. 

Vollends der Umstand, dass Jerusalem aus der Gefahr, der 
die stolze Nebenbuhlerin erlegen war, zwanzig Jahre später 
triumphierend hervorging, dass im kritischen Augenblicke die 
Assyrer unter Senaherib plötzlich abziehen mussten, steigerte die 
Verehrung des Tempels auf den höchsten Grad. Mit Recht pflegt 
man dabei die prophetische Wirksamkeit Jesaia's besonders in 
Anschlag zu bringen, dessen Vertrauen, dass der Fels Sions fest 
gegründet sei, unerschütterlich wurde, als derselbe unheimlich zu 
wanken anfing. Nur darf man nicht vergessen, dass für Jesaia 
die Bedeutung Jerusalems nicht am Tempel Salomo's hing, son- 
dern daran, dass es die Stadt Davids und der Inbegriff seines 
Reiches war, der Mittelpunkt nicht des Cultus, sondern der 
Herrschaft Jahve's über sein Volk. Der heilige Berg war ihm 
die ganze Stadt, als politisches Gemeinwesen mit ihren Bürgern, 
Räten und Richtern (11,9); sein Glaube an den festen Grundstein, 
auf dem Sion stehe, war weiter nichts als der Glaube an die 
lebendige Gegenwart Jahve's im Lager Israels. Aber anders ver- 
standen die Zeitgenossen den Sinn der Ereignisse und die Worte 



26 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

des Propheten. Für sie wohnte Jahve deshalb zu Sion, weil er 
dort sein Haus hatte, der Tempel war es, der durch die Ge- 
schichte als sein wahrhaftiger Sitz erprobt worden, und die Un- 
antastbarkeit des Tempels verbürgte nun die Unzerstörbarkeit 
des Volkes selber. Ganz allgemein verbreitet war dieser Glaube 
zur Zeit Jeremia's, wie die höchst lebendige Schilderung in 
Kap. 7 seines Buches zeigt, aber schon zur Zeit Mieha's, im 
ersten Drittel des siebenten Jahrhunderts, muss der Tempel als 
ein Gotteshaus ganz eigener Art gegolten haben, so dass es 
paradox war, ihn mit den Bamoth Juda's gleich zu stellen, und 
unerhört, an seine Verwüstung zu glauben. 

Indessen so überaus hoch und allgemein der Tempel ver- 
ehrt wurde, so blieben die anderen Heiligtümer vorerst doch 
neben ihm bestehen. Zwar soll der König Hizkia schon damals 
einen Versuch gemacht haben sie abzuschaffen, der aber ganz 
spurlos verlaufen und darum zweifelhafter Natur ist. Sicher ist, 
dass der Prophet Jesaia nicht auf die Beseitigung der Bamöth 
hingearbeitet hat. In einer seiner spätesten Reden erwartet er 
von der Zeit der Gerechtigkeit und der Gottesfurcht, die nach 
der assyrischen Krisis anbricht: „dann werdet ihr den Überzug 
eurer silbernen Schnitzwerke und den Beschlag eurer goldenen 
Gussbilder verunehren, verabscheuen wie Unflat; hinaus! werdet 
ihr dazu sagen 44 (30,22). Hofft er also auf eine Säuberung der 
Anbetungsstätten Jahve's von abergläubischem Wust, so ist klar, 
dass er sie nicht selber abgetan wissen will. Erst etwa ein Jahr- 
hundert nach der Zerstörung Samariens ward in Wirklichkeit 
der Schritt gewagt, aus dem Glauben an die Einzigartigkeit des 
jerusalemischen Tempels die praktische Consequenz zu ziehen. 
Natürlich geschah dies nicht der blossen Folgerichtigkeit wegen, 
sondern in einer anderweiten heilsamen Absicht. Mit der weg- 
werfenden Art, womit die früheren Propheten bisweilen im Eifer 
ihrer Opposition vom Cultus sprachen, war praktisch nichts aus- 
zurichten; es kam nicht darauf an ihn abzuschaffen, sondern ihn 
zu reformieren, und daz usollte seine Concentration in der Haupt- 
stadt als Mittel dienen. Propheten und Priester scheinen ge- 
meinschaftlich die Sache betrieben zu haben. Der Hohepriester 
Hilkia machte zuerst auf das gefundene Buch aufmerksam, wel- 
ches der Aktion zu Grunde gelegt werden solLte, die Prophetin 
Hulda bekräftigte dessen göttlichen Inhalt, die Priester und Pro- 



Der Ort des Grottesdienstes. 27 

pheten bildeten einen hervorragenden Bestandteil der Versamm- 
lung, worin das neue Gesetz veröffentlicht und beschworen wurde. 
Da nun ein enges Verhältnis der beiden leitenden Stände über- 
haupt im Wesen der geistigen Entwicklung in Juda begründet 
und für dieselbe characteristisch erscheint 1 ), so wird man an- 
nehmen dürfen, dass das bei dieser Gelegenheit hervortretende 
Einvernehmen nicht lediglich zu Zwecken der Inscenierung ge- 
stiftet war, sondern dass darauf schon der Gedanke einer der- 
artigen Umgestaltung des Cultus beruhte. In der Tat entsprach 
diese auch dem beiderseitigen Interesse, sowohl dem des Tempels, 
wie von selbst einleuchtet, als auch dem der prophetischen Re- 
formpartei. Für die letztere musste die Beschränkung des Opfer- 
dienstes an sich als ein Vorteil gelten ; dieselbe hat hernach am 
meisten zu seiner Beseitigung beigetragen, und etwas von dem 
späteren Erfolg hat ohne Zweifel in der ursprünglichen Absicht 
gelegen. Dazu kam, dass nur zu leicht der Jahve von Hebron 
als verschieden von dem zu Bethsemes oder zu Bethel angesehen 
wurde, und dass darum aus dem streng monarchischen Gottes- 
begriff die Folgerung floss, dass auch die Stätte seiner Wohnung 
und seiner Anbetung nur eine einzige sein könne; allenthalben 
bei den Schriftstellern der chaldäischen Periode fällt der enge 
Zusammenhang auf, in dem der Monotheismus mit der Einheit 
des Cultus gedacht wird (Jerem. 2,28. 11,13). Die Wahl des 
Ortes aber konnte natürlich nicht zweifelhaft sein, der Mittel- 
punkt des Reiches musste auch der Mittelpunkt des Gottes- 
dienstes werden. Mochte Jerusalem und das Haus Jahve's da- 
selbst auch selber der Reinigung nicht unbedürftig sein, den 
Vorzug vor den Winkelaltären verdiente es doch. Es war der 
Sitz der geistlichen Bildung, unter den Augen der Propheten 
belegen, dem Licht und der Luft, der Reform und der Controle viel 
leichter zugänglich. Ausserdem mochte der kanaanitische Ur- 
sprung der meisten Bamoth, der z. B. dem Deuteronomium nicht 

*) Während Hosea, der Nordisraelit, häufig die Pfaffen seiner Heimat an- 
greift und ihnen die Hauptschuld an der Versunkenheit und Verblendung 
des Volkes beimisst, sagt Jesaia auch in der zornigsten Standrede gegen 
den abergläubischen Gottesdienst* der Menge kein Wort gegen die Priester, 
mit deren Oberhaupte Uria er hingegen auf sehr vertrautem Fusse steht. 
Namentlich aber aus Jeremia's Buche, dem besten Spiegel der damaligen 
jüdischen Verhältnisse, lässt sich der enge Zusammenhang zwischen 
Priestern und Propheten erkennen. . Sie teilten sich gewissermassen beide 
in den Besitz des Heiligtums, vgl. Lament. 2, 20. 



28 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

unbekannt ist, zu ihrer Disereditierung beitragen, während die 
Gründung Jerusalems zu den stolzesten Erinnerungen der israeli- 
tischen Geschichte gehörte und die Lade, die dem dortigen Tem- 
pel den Ursprung gegeben hatte, mit einem gewissen Recht als 
das einzige echt mosaische Heiligtum gelten konnte 1 ). 

Im 18. Jahre Josia's, 621 v. Chr., fiel der erste schwere 
Schlag gegen die lokalen Opferstätten. Wie gewaltsam der 
König verfuhr, wie neu die Massregel war und wie tief sie in's 
Fleisch schnitt, lehrt der Bericht 2. Reg. 23. Welche Lebens- 
kraft hatten doch noch immer die grünen Bäume auf den hohen 
Bergen! Sie wurden auch jetzt nur gekappt und nicht ent- 
wurzelt. Nach Josia's Tode sehen wir die Bamoth allenthalben, 
nicht bloss in der Landschaft sondern auch in der Hauptstadt 
selber, wieder auftauchen; so viel Städte, so viel Altäre in Juda, 
muss Jeremia klagen. Was von der reformatorischen Partei er- 
reicht war, war einzig die feste Position eines geschriebenen 
und feierlich von allem Volk beschworenen Gesetzes, das noch 
immer von Gottes wegen zu Rechte bestand. Aber dasselbe 
wieder in Kraft zu setzen und durchzuführen war nicht leicht, 
und alleine den Anstrengungen der Propheten, eines Jeremia 
und Ezechiel, wäre es wohl nicht gelungen. 

3. Wären die Judäer ruhig in ihrem Lande geblieben, so 
wäre die josianische Reformation schwerlich im Volke durch- 
gedrungen, weil die Fäden zu stark waren, welche die Gegen- 
wart mit der Vergangenheit verbanden. Um die Bamoth, an die 
sich von den Vätern her die heiligsten Erinnerungen knüpften, 
die wie Hebron und Beerseba durch Abraham und Isaak selber 
gestiftet waren, in den Ruf abgöttischer und ketzerischer Greuel- 
stätten zu bringen, dazu bedurfte es eines vollständigen Durch- 
schneidens der natürlichen Tradition des Lebens, des Zusammen- 
hangs mit den ererbten Zuständen. Dies ward bewirkt durch 
das babylonische Exil, wodurch die Nation gewaltsam aus ihrem 
Mutterboden losgerissen wurde und für ein halbes Jahrhundert 
von demselben getrennt blieb — ein Einschnitt in die geschicht- 

! ) Luther an den deutschen Adel räth zum zwanzigsten: dass die wilden 
Capellen und Feldkirchen würden verstöret, als des Teufels Gespenst, das 
er treibet, den Geiz zu stärken, falsche erdichtete Glauben aufzurichten, 
Pfarrkirchen zu schwächen, Tabernen und Hurerei zu mehren, unnütz 
Geld und Arbeit zu verlieren und nur das arme Volk mit der Nasen 
umzuführen (Niemeyer's Neudruck S. 54). 



Der Ort des Gottesdienstes. 29 

liehe Continuität, wie er kaum grösser gedacht werden kann. 
Die neue Generation hatte kein natürliches, sondern nur noch 
ein künstliches Verhältnis zu der Vorzeit, die so fest eingewur- 
zelten Gewächse des alten Ackers, Dornen in den Augen der 
Frommen, waren ausgerissen, der Neubruch bereit für neuen 
Samen. Es ist allerdings nicht an dem, dass eine allgemeine 
Bekehrung im Sinne der Propheten damals das ganze Volk er- 
griffen hätte. Vielleicht die Mehrzahl gab die Vergangenheit 
überhaupt preis, verlor sich aber eben dadurch unter den Heiden 
und kam für die Zukunft nicht mehr in Betracht. Nur die 
Frommen, die zitternd Jahve's Worte folgten, blieben der Rest; 
sie allein hatten die Kraft, in dem Völkergewoge, in dem sie um- 
hertrieben, die jüdische Besonderheit zu bewahren. Aus dem 
Exil kehrte nicht die Nation zurück, sondern eine religiöse Sekte, 
diejenigen, welche sich mit Leib und Seele den reformatorischen 
Ideen ergeben hatten. Es ist kein Wunder, dass diesen Leuten, 
die sich noch dazu bei ihrer Heimkehr alle in der nächsten Um- 
gebung Jerusalems ansiedelten, nicht der Gedanke kam, die 
lokalen Culte herzustellen. Es kostete sie keine Kämpfe, die 
zerstörten Bamoth in Trümmern liegen zu lassen, ihnen war es 
völlig in Fleisch und Blut übergegangen, dass der eine Gott 
auch nur eine Anbetungsstätte habe, und seitdem galt das für 
alle Folgezeit als eine selbstverständliche Sache. 

IL 

Dies war der faktische Verlauf der Centralisation des Cultus, 
diese drei Stadien kann man unterscheiden. Lässt sich nun eine 
Correspondenz zwischen den Phasen des wirklichen Hergangs 
und denen der Gesetzgebung in diesem Punkte aufzeigen? Die 
drei Schichten der Gesetzgebung enthalten sämmtlich Bestim- 
mungen über den Opferdienst und die Opferstätten. Es ist an- 
zunehmen, dass dieselben irgendwie in der Geschichte wurzeln 
und nicht völlig ausser oder über dem Boden der Wirklichkeit 
in der Luft schweben. 

1. Das jehovistische Hauptgesetz, das sogenannte Bundes- 
buch, enthält Exod. 20,24—26 folgende Verordnung; „einen Altar 
von Erde sollst du mir machen und darauf deine Voll- und 
Schlachtopfer, deine Schafe und Rinder opfern; an jedem Orte, 
wo ich meinen Namen ehren lasse, will ich zu dir kommen und 



30 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

dich segnen. Oder wenn du mir einen Altar von Steinen machen 
willst, so sollst du nicht mit behauenen bauen; denn hast du 
dein Eisen darüber geschwungen, so hast du sie entweiht. Und 
nicht auf Stufen sollst du zu meinem Altar aufsteigen, damit 
nicht deine Scham vor ihm entblösst werde." Ohne Zweifel ist 
hier nicht der Altar der Stiftshütte, der aus Holz gezimmert und 
mit Erz überzogen war, oder der des salomonischen Tempels, 
der an seiner Ostseite eine Treppe *) und rings herum auf halber 
Höhe einen Umgang hatte, als der einzig wahre beschrieben. 
Dahingegen gilt augenscheinlich eine Vielheit von Altären nicht 
bloss als zulässig, sondern als selbstverständlich. Denn es wird 
gar kein Wert darauf gelegt, immer die gleiche sei es stehende 
oder gar überallhin mitzuschleppende Opferstätte zu haben; Erde 
und unbehauene Feldsteine 2 ) findet man allerwegen, und sie 
zerfallen ebenso leicht als sie zusammengeschichtet werden. 
Auch wird zweierlei Material zur Wahl gestellt, nach der ur- 
sprünglichen Meinung doch wohl zum Bau verschiedener Altäre; 
und nicht an dem Orte, sondern an jedem Orte, wo er seinen 
Namen ehren lässt, will Jahve zu seinen Anbetern kommen und 
sie segnen. Das in Rede stehende Gesetz steht also im Ein- 
klänge mit Sitte und Brauch der ersten geschichtlichen Periode, 
wurzelt darin und sanctioniert sie. Allerdings scheint die Freiheit 
überall zu opfern etwas beschränkt zu werden durch den Zusatz: 
überall, wo ich meinen Namen ehren lasse. Aber das hat weiter 
nichts zu bedeuten als dass man die Stätte, wo der Verkehr 
zwischen Himmel und Erde vor sich ging, nicht gerne als will- 



*) Der Altar des zweiten Tempels hatte keine Stufen, sondern einen schrä- 
gen Aufgang, ebenso nach der Meinung der Juden auch der der Stifts- 
hütte. Der Grund übrigens, weshalb Exod. 20, 26 die Stufen verboten 
werden, fällt hinweg, wenn die Priester Hosen hatten (Exod. 28, 42). 

2 ) Der Plural der Steine ist vielleicht bemerkenswert. Es gab auch Opfer- 
stätten aus einem grossen Steine 1. Sam. 14, 33. 6,14.15. 2. Sam. 20,8. 
Jud. 6, 20. 13, 19. 20. 1. Reg. 1, 9; dahin gehört wol ursprünglich auch die 
Tenne Arauna's 2. Sam. 24, 21, vgl. Esdr. 3, 3 mi^lDO bV- Da aber 
solche einzelne heilige Felsen leicht in eine mythologische Beziehung zur 
Gottheit traten, so nahm man Anstoss daran, wie aus dem Nachtrag 
Jud. 6,22—24 erhellt, worin der Felsaltar, der als Sitz der Theophanie 
gedachte Stein unter der Eiche, auf dem Gideon opfert und aus dem 
die Flamme schlägt (6, 19—21), in einen Altar auf dem Felsen verbessert 
wird. Die Masseboth werden Exod. 24, 4 vom Altar unterschieden, an- 
derswo jedoch offenbar damit gleichgesetzt Gen. 33, 20 und überall mehr 
oder weniger mit der Gottheit identificirt Gen. 28. 



Der Ort des Gottesdienstes. 31 

kürlich gewählt gelten Hess, sondern als irgendwie durch die 
Gottheit selbst zu ihrem Dienste ausersehen betrachtete. 

Mit dem jebovistischen Gesetze stimmt die jehovistische Er- 
zählung des Pentateuchs vollkommen tiberein, wie namentlich 
die Patriarchengeschichte in J und E sehr deutlich lehrt. Über- 
all, wo sie wohnen oder vorübergehend sich aufhalten, gründen 
hiernach die Erzväter Altäre, richten Malsteine auf, pflanzen 
Bäume, graben Brunnen. Das geschieht nicht an gleichgiltigen 
zufälligen Orten, sondern zu Sichern und Bethel in Ephraim, zu 
Hebron und Beerseba in Juda, zu Mispa Mahanaim Penuel in 
Gilead: an lauter berühmten altheiligen Cultusstätten. Daran 
hängt das Interesse solcher Angaben, es sind keine antiquarischen 
Notizen, sondern voll der lebendigsten Bedeutung für die Gegen- 
wart der Erzähler. Der Altar, den Abraham zu Sichern gebaut 
hat, ist eben der, auf dem noch immer geopfert wird, und trägt 
„bis auf den heutigen Tag" den Namen, den ihm der Patriarch 
gegeben; wo er zu Hebron den Jahve zum ersten Male bewirtet 
hat, da wird diesem seither beständig der Tisch bereitet; wie 
Isaak so schwören seine Söhne noch immer (Am. 7,14. Hos. 4,15) 
bei dem heiligen Brunnen von Beerseba, den er gegraben und 
opfern dort auf dem Altar, den er gebaut, unter der Tamariske, 
die er gepflanzt hat; den Ölstein Jakobs zu Bethel salbt noch 
das lebende Geschlecht und bezahlt den Zehnten, den jener 
einst dem dortigen Gotteshause gelobte. Darum sind auch die 
Stellen dieser Reliquien dem Berichterstatter so wohl bekannt 
und werden auf den Punkt genau angegeben, trotz der 400 Jahre 
des ägyptischen Aufenthalts, welche die Wiederauffindung sonst 
einigermassen erschwert haben würden. Der 41tar, den Abraham 
zu Bethel errichtete, liegt auf dem Berge östlich von der Stadt, 
zwischen Bethel im Westen und Ai im Osten; andere sind durch 
einen Baum oder eine Quelle fixirt, wie der von Sichern oder 
Beerseba 1 ). Natürlich aber war es nicht die Absicht, den 



] ) Das richtige Verständnis bei Ewald, Gesch. des V. 1. 1 3 S. 436 f. A.Bern- 
stein (Ursprang der Sagen -von Abraham u. s. w. ; Berlin 1871) bringt die 
Politik hinein, in garstiger Weise. „Er betritt zwar nicht Sichern und 
Bethel selber — dies sind Stätten, die Jehuda feindlich sind — aber in 
echt jehudäischer Demonstration erbaut er in ihrer Nähe Altäre und ruft 
an den Namen JehovaV (S. 22). Er baut vielmehr die Altäre genau an 
den Stellen, wo sie später nachweislich standen; sie standen nicht inner- 
halb der Städte! In Gen. 18 wird auch die Eiche Mamre nicht gebraucht, 



32 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

Cultus der Gegenwart dadurch zu verun ehren, dass man seine 
Einrichtung den Erzvätern zuschrieb. Diese Legenden glorificieren 
vielmehr den Ursprung der Stätten, an denen sie haften, und 
umgeben sie mit dem Nimbus altersgrauer Weihe. Um so mehr, 
als die Patriarchen ihre Altäre in der Kegel nicht nach eigenem 
Gutdünken errichten, wo es ihnen beliebt; sondern eine Theo- 
phanie macht sie aufmerksam auf die Heiligkeit des Ortes oder 
bestätigt dieselbe wenigstens nachträglich. Jahve erscheint dem 
Abraham bei Sichern, da erbaut jener den Altar „dem ihm er- 
schienenen Jahve"; er isst bei ihm unter der Eiche Mamre, das 
ist der Ursprung des Opferdieustes daselbst; er zeigt ihm den 
Ort, wo er seinen Sohn darbringen soll, da steht noch heute die 
Stätte. In der ersten Nacht, wo Isaak auf dem heiligen Boden 
von Beerseba schläft (26, 24), erhält er den Besuch des dort 
wohnenden Numen und baut in Folge davon den Altar; über- 
rascht von profanen Blicken wirkt Jahve vernichtend, aber frei- 
willig weist er selbst seinen Lieblingen die Orte, wo er sich 
schauen lassen will; und wo Menschen ihn gesehen haben und 
lebendig geblieben sind, da bezeichnet ein Heiligtum den offen 
stehenden Zugang zu ihm. Der Inhalt der Offenbarung ist dabei 
verhältnismässig gleichgiltig: ich bin die Gottheit; das Wichtige 
ist die Theophanie an sich, ihr Erfolgen an dem betreffenden 
Orte. Man darf sie nicht als ein vereinzeltes Factum ansehen, 
sondern vielmehr als den eklatanten Anfang eines an dieser 
Stelle fortzusetzenden Verkehrs (nirp ^D nfcO) zwischen Gott und 
Mensch, gleichsam als die erste und stärkste Äusserung der 
Heiligkeit des Bodens. In grösster Klarheit und mit unver- 
gleichlicher Anmut tritt uns diese Vorstellungsweise in dem Be- 
richte über die Himmelsleiter entgegen, welche Jakob zu Bethel 
sah. „Ihn träumte, da war eine Leiter, die stand auf der Erde 
und ihre Spitze rührte an den Himmel, und siehe die Engel 
Gottes stiegen daran auf und nieder. Und er fürchtete sich und 
sprach: wie schauerlich ist diese Stätte, dies ist nichts anderes 
als ein Haus Gottes und dies ist die Pforte des Himmels." 
Die Leiter steht an dieser Stätte nicht bloss in diesem Augen- 
blick, sondern immer und gleichsam von Natur; Bethel — das 

den Wohnsitz Abrahams, sondern den Ort der Erscheinung Jahve's zu 
fixieren. 



Der Ort des Gottesdienstes. 33 

erkennt Jakob daraus — ist ein Ort, wo Himmel und Erde sieh 
berühren, wo die Engel auf und niedersteigen, um den an diesem 
Thore von Gott gestifteten Verkehr zwischen Himmel und Erde 
zu vermitteln. 

Dies Alles ist nur zu verstehen als eine Verklärung der 
Verhältnisse und Einrichtungen des Cultus, wie wir sie etwa in 
den ersten Jahrhunderten des geteilten Reiches antreffen. Alles 
was einer späteren Zeit anstössig und heidnisch erscheint, wird 
hier durch Jahve selbst und seine Lieblinge geweiht und auto- 
risiert, die Höhen, die Malsteine (Masseboth), die Bäume, die 
Brunnen 1 ). Zwischen dem jehovistischen Gesetze, welches die 
bestehenden Cultusstätten sanctioniert , und der jehovistischen 
Erzählung herrscht wesentliche Übereinstimmung, die letztere 
ist ihrem Fundamente nach vielleicht noch etwas älter. Beide 
gehören augenscheinlich der vorprophetischen Periode an — 
eine spätere Bearbeitung der Erzählung in prophetischem Sinne 
hat das Wesen ihres Kernes nicht geändert. Es ist undenkbar, 
dass Arnos und Hosea oder ein ähnlich gesonnener Mann mit 
so teilnehmender Liebe und gläubiger Ehrfurcht sich in Ge- 
schichten versenken konnte, die nur dazu dienten, dem bestehen- 
den Gottesdienst, wie ihn das Volk auf den Höhen Isaaks als 
seine heiligste Angelegenheit trieb, noch mehr Nimbus und 
grösseres Ansehen zu verleihen. 

2. Das jehovistische Bundesbuch liegt zwar dem Deutero- 
nomium zu Grunde, aber in einem Punkte differieren sie beträcht- 
lich, und das ist grade der, der uns hier angeht. Wie dort, 
so eröffnet auch hier eine Verordnung über den Altardienst die 
eigentliche Gesetzgebung (Deut. 12), aber hier hält nun Moses 
seinen Israeliten folgende Rede: „Wenn ihr in das Land Kanaan 
kommt, so sollt ihr alle daselbst vorfindlichen Cultusstätten zer- 
stören und nicht in der Weise wie die Heiden ihre Götter ver- 
ehren, ebenso thun dem Jahve eurem Gotte. Vielmehr nur an 
dem Orte, den Jahve aus allen euren Stämmen sich zur Woh- 
nung erwählen wird, sollt ihr ihn suchen und dort eure Opfer 
und Gaben darbringen und dort vor ihm essen und euch freuen. 

Aber nur der öffentliche Cultus, namentlich an gewissen Hauptstätten, 
wird glorificiert ; dagegen der häusliche Penatencultus, an dem besonders 
die Weiber hängen, schon von Jakob (in E) gemisbilligt. Ascheren wer- 
den nicht erwähnt, Gussbilder verworfen, namentlich von E. Vielleicht hat 
hier schon in JE eine Correctur der alten Sage statt gefunden. 

Well hau sen, Prolegomena. . 3 



34 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

Gegenwärtig thun wir so wie es jedem gut dünkt, aber wenn ihr 
zu festen Sitzen und zur Ruhe vor den Feinden gelangt seid, 
so soll der Ort, den Jahve sich in einem eurer Stämme zur 
Wohnung erwählen wird, der einzige sein, wohin ihr eure Opfer 
und Gaben bringt. Hütet euch, an einem beliebigen Orte zu 
opfern, ihr dürft nicht in jeder Stadt eure heiligen Abgaben ver- 
zehren, sondern nur an der Stätte, die Jahve erwählen wird." 

Das Gesetz wird nicht müde, die Forderung der lokalen 
Einheit des Gottesdienstes immer und immer zu wiederholen. 
Es tritt damit dem „was wir gegenwärtig zu thun gewohnt sind 4 ' 
bewusst entgegen und bekämpft die bestehende Sitte, es hat 
durch und durch polemischen, reformatorischen Charakter. Mit 
Recht wird es darum von der geschichtlichen Kritik in die Zeit 
der Angriffe der jerusalemischen Reformpartei gegen die Bamoth 
gesetzt. Wie das Bundesbuch und überhaupt das ganze jeho- 
vistische Schriftwerk die erste vorprophetische Periode der Cultus- 
geschichte reflectiert, so ist das Deuteronomium der gesetzliche 
Ausdruck der zweiten Periode des Kampfes und des Überganges 
— dieses historische Nacheinander ist um so sicherer, da die 
literarische Abhängigkeit des Deuteronomiums von den jeho- 
vistischen Gesetzen und Erzählungen ohnedies erwiesen und an- 
erkannt ist. Nahe liegt es daher auch zu glauben, dass das 
Buch, dessen Auffindung dem König Josias den Antrieb zur Zer- 
störung der lokalen Heiligtümer gegeben hat, eben das Deute- 
ronomium gewesen sei, welches ursprünglich selbständig und in 
einer kürzeren Gestalt existiert haben muss. Wenigstens bringt 
von allen Büchern des Pentateuchs nur dieses die Beschränkung 
des Opferdienstes auf den einen erwählten Ort so gebieterisch 
zum Ausdruck, nur hier macht sich die Forderung in ihrer 
aggressiven Neuheit so fühlbar und beherrscht die ganze Ten- 
denz des Gesetzgebers. Das alte Material, welches er sonst, 
benutzt, gestaltet er überall nach dieser Rücksicht um, nach allen 
Seiten geht er den Consequenzen der Massregel nach; um ihre 
Durchführung zu ermöglichen ändert er frühere Einrichtungen, 
erlaubt was verboten, verbietet was erlaubt war; fast immer 
steht bei seinen übrigen Neuerungen diese im Hintergrunde. 
So, wenn er gestattet zu schlachten ohne zu opfern und zwar 
an jedem Orte, wenn er, um nicht mit den Altären zugleich die 
Asyle (Exod. 21, 13. 14. 1. Reg. 2,28) abzuschaffen, besondere 



Der Ort des Gottesdienstes. 35 

Zufluchtsstädte für unschuldig Verfolgte einrichtet, wenn er für 
die Priester der aufgehobenen Heiligtümer sorgt, den Provinzialen 
empfiehlt bei ihren Opferwallfahrten sie mitzunehmen, und ihnen 
das Recht gibt, im Tempel zu Jerusalem zu amtieren, so gut wie 
der dort erbgesessene Clerus. Auch übrigens dominiert der be- 
regte Gesichtspunkt, z. B. werden hauptsächlich ihm zu liebe 
die alten Verordnungen und Bräuche betreffend die Abgaben 
und die Feste dargestellt, wie sie sich nun ausnehmen müssen. 
Ein so lebendiges Gesetz, das sich überall an der Wirklichkeit 
reibt, gegen das Hergebrachte kämpft, durch Abrechnung mit 
den Bedürfnissen der Praxis sich Bahn bricht, ist keine Velleität, 
kein Hirngespinnst eines müssigen Kopfes, sondern ebenso ent- 
standen aus geschichtlichem Anlass, wie- in den Verlauf des ge- 
schichtlichen Processes wirksam einzugreifen bestimmt. Ein 
sachgemässes Urteil kann demselben dahetnur einen geschicht- 
lichen Platz anweisen, in der Reformbewegung, die durch den 
König Josias zum Siege gebracht worden ist. 

3. Über den Priestercodex ist die Meinung verbreitet, dass 
er sich in dieser Sache ziemlich indifferent verhalte, weder die 
Vielheit der Opferstätten erlaube noch auf die Einheit Gewicht 
lege, und dass ihm dieser Haltung wegen die Priorität vor dem 
Deuteronomium zukomme J ). Diese Meinung ist, gelinde gesagt, 
oberflächlich in hohem Grade. Die Voraussetzung der Concen- 
trierung des Gottesdienstes auf einen einzigen Mittelpunkt durch- 
dringt den Priestercodex ganz und gar. Wer sich um sie zu 
erweisen auf Lev. 17 oder auf Jos. 22 beruft, der zeigt, dass er 
Exod. 25 bis Lev. 9 von Anfang bis zu Ende nicht verstanden 
hat. Ehe noch irgend eine die Materie des Cultus betreffende 
Verordnung gegeben werden kann — das ist der Sinn jenes 
grossen Abschnitts — - muss erst der rechte einige Ort desselben 

') De Wette, Habilitationsschrift über das Deuteronomium (Jena 1805) unter 
5) : de hoc unico . cultus sacri loco . . . priores libri nihil onmino habent. 
De sacrificiis tantum unice ante tabernaculum conventus offerendis lex 
quaedam exstat. Sed in legibus de diebus festis, de primitiis et decimis, 
tarn saepe repetitis, nihil omnino monitum est de loco unico, ubi cele- 
brari et offerri debeant (Opusc. theol. S. 163 -—165). Vgl. Jahrbb. für 
Deutsche Theologie 1877 S. 423: Es ist ein höchst verwunderlicher 
Irrtum, zu meinen, dass abgesehen von Lev. 17 im Priestercodex von 
Einheit des Cultusortes nichts zu finden sei; die Stiftshütte ist ja doch 
die Basis des Ganzen, ohne welche es zusammenbräche, und sie hat keine 
andere Bedeutung als eines Gesetzes der Cultuseinheit in historischer 
Form. 



36 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

vorhanden sein. Die Stiftshütte ist nicht bloss Historie, sondern 
wie alle Historien in jenem Buch ist sie zugleich Gesetz, sie 
drückt die gesetzliche Einheit des Cultus als geschichtliche That- 
sache aus, die von Anfang an, seit dem Auszuge aus Ägypten, 
in Israel bestanden habe. Ein Gott, ein Heiligtum — das ist 
ihre Meinung. Mit ihrer Einrichtung, die den Inhalt der gött- 
lichen Offenbarung auf den Sinai ausmacht, wurde die Theo- 
kratie begründet; wo si& ist, da ist jene. Ihre Beschreibung 
steht darum ebenso an der Spitze des Priestercodex, wie die des 
Tempels an der Spitze der Gesetzgebung Ezechiels. Sie ist die 
Grundlage und der unentbehrliche Boden, ohne den alles Andere 
in der Luft stünde; erst muss die Stätte der. göttlichen Gegen- 
wart auf Erden da sein, ehe die heilige Gemeinde ins Leben 
und der Cultus in Kraft treten kann. Glaubt man, die Stifts- 
hütte dulde noch andere Heiligtümer neben sich? Wozu dann 
aber das Lager der zwölf Stämme um sie herum, das keine 
kriegerische, sondern rein geistliche Bedeutung hat und seinen 
ganzen Sinn von dem heiligen Mittelpunkte aus empfängt? wo- 
her diese Concentration des ganzen Israels zu einer einzigen 
grossen Gemeinde (my> btlp), die nirgends im Alten Testamente 
ihres gleichen hat? Vielmehr es gibt nur diesen einen Ort, wo 
Gott wohnt und sich schauen lässt, nur diesen einen, wo der 
Mensch sich ihm nahen und mit Opfern und Gaben sein Antlitz 
suchen kann. Diese Anschauung durchzieht die ganze Ritual- 
gesetzgebung des mittleren Pentateuchs wie etwas das sich gar 
nicht anders denken lässt. Bezeichnend dafür ist besonders das 
überall beiläufig eingestreute iyiD bn$ ^zh (vor der Stiftshütte), 
namentlich in der Opferordnung. 

Was folgt nun hieraus für die geschichtliche Eingliederung 
des Priestercodex, wenn man eine solche überhaupt für nötig 
hält? Er kann nicht in die erste Periode verlegt werden, eonse- 
quenterweise so wenig wie das Deuteronomium, Aber in welchem 
Verhältnis steht er zu diesem? Im Deuteronomium wird die Ein- 
heit des Cultus gefordert, im Priestercodex wird sie voraus- 
gesetzt. Stillschweigend liegt sie ihm allenthalben zu Grunde, 
aber mit ausdrücklichem Anspruch macht sie sich nirgend gel- 
tend '), sie ist nichts Neues, sondern etwas ganz Selbstverständ- 

*) abgesehen von Lev. 17, aber das kleine Corpus Lev. 17 — 26 bildet auch 
erst den Übergang vom Deuteronomium zum Priestercodex. 



Der Ort des Gottesdienstes. 37 

liches. Was folgt daraus für unsere Frage? Mich dünkt: das, 
dass der Priestercodex auf dem Resultate fusst, welches das 
Deuteronomium anstrebt. Dieses steht mitten im Kampf und 
in der Bewegung, deutlich spricht es seine reformatorische Ab- 
sicht aus, seinen Gegensatz gegen das Hergebrachte „was wir 
gegenwärtig zu thun pflegen' 4 ; jener steht ausser und über dem 
Streit, das Ziel ist erreicht und sicherer Besitz geworden. Auf 
Grund des Priestercodex wäre nie eine Reformation erfolgt, kein 
Josias hätte daraus gemerkt, dass der dermalige Zustand ver-. 
kehrt sei und umgestaltet werden müsse; es wird ja gethan, als 
sei Alles seit je in bester Ordnung. Und auch nur im Deutero- 
nomium sieht man hinein in die Wurzel der Sache und erkennt 
ihi-jen Zusammenhang mit der . Sorge für einen strengen Mono- 
theismus und für die Entfernung volkstümlich-heidnischer Ele- 
mente aus dem Gottesdienste, also mit einem tieferen und wirk- 
lich wertvollen Zwecke; im Priestercodex beruht die Ratio der 
an sich doch keineswegs rationellen Einrichtung auf ihrer eigenen 
„Legitimität", wie alles Thatsächliche für die Gewohnheit natür- 
lich erscheint und unbedürftig der Motivierung. Nirgends tritt 
hier hervor, dass die Abschaffung der Bamoth mitsamt Ascheren 
und Malsteinen der eigentliche Zweck ist, diese Institute sind 
kaum noch bekannt, und was nur als negative und polemische 
Massregel sich begreifen lässt, wird als in sich sinnvoll ange- 
sehen. 

Die Idee als Idee ist älter wie die Idee als Geschichte. Im 
Deuteronomium trägt sie ihre angeborene Farbe, tritt fordernd 
und aggressiv der Wirklichkeit entgegen. Nur insofern aller- 
dings als sie dem Moses in den Mund gelegt wird, geschieht ein 
Schritt sie geschichtlich einzukleiden; aber dieser Anfang hält 
sich in bescheidenen Grenzen. Moses stellt nur das Gesetz auf; es 
auszuführen, macht er weder für seine eigene Zeit Anstalten 
noch verlangt er es von der nächsten Zukunft. Vielmehr soll 
dasselbe erst in Kraft treten, wenn das Volk mit der Eroberung 
des Landes fertig und zur Ruhe gelangt ist. Es ist oben ver- 
mutet, dass der letztere Termin die Giltigkeit des Gesetzes bis 
auf die Tage Davids und Salomos (1. Reg. 8, 16) hinausrücke. 
Dies ist um so wahrscheinlicher, da zu seiner Ausführung „der 
Ort, den Jahve erwählen wird" gehört, womit nur die judäische 
Hauptstadt gemeint sein kann. Davon also, dass das was sein 



38 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

soll, auch von jeher geschichtlich dagewesen sei, weiss das 
Deuteronomium gar nichts; bis auf den salomonischen Tempel 
hat die Cultuseinheit eigentlich nicht einmal zu Rechte bestanden, 
und dass sie von da ab auch mehr eine fromme, als "eine 
praktische Forderung gewesen sei, steht unverkennbar zwischen 
den Zeilen. Dahingegen der Priestercodex kann so wenig von 
ihr abstrahieren, dass er sich Israel ohne sie in keinem Augen- 
blicke vorstellen kann, dasg er ihr thatsächliches Vorhan- 
densein bis in den Anfang der Theokratie hinaufrückt und dem- 
gemäss die alte Geschichte völlig umgestaltet. Die Grundlage 
der Concentration des Gottesdienstes, der Tempel, der in Wirk- 
lichkeit erst von Salomo gebaut wurde, gilt hier auch für die 
unruhige Zeit der Wanderung, die der Sesshaftigkeit vorherging, 
als so unentbehrlich, dass er tragbar gemacht und als Stiftshütte 
in die Urzeit versetzt wird. Denn diese ist in Wahrheit nicht 
das Urbild, sondern die Copie des jerusalemischen Tempels. Die 
beiderseitige Ähnlichkeit ist bekannt 1 ), aber mit nichten wird 
1. Reg* 6 berichtet, dass Salomo das ältere Muster benutzt und 
seinen tyrischen Meistern befohlen habe, sich daran zu halten. 
Näher erhellt die Posteriorität des mosaischen Baues aus folgen- 
den zwei von Graf (S. 60 ff.) hervorgehobenen Punkten. Erstens 
ist bei der Beschreibung der Stiftshütte wiederholt von ihrer 
Süd- Nord- und Westseite die Rede, ohne vorhergehende An- 
ordnung einer bestimmten und stets gleichen Orientierung der- 
selben: diese wird stillschweigend vorausgesetzt, weil sie vom 
Tempel hergejiommen ist, der ein festes Gebäude war und 
seinen Platz nicht wechselte. Zweitens ist der eherne Altai- 
eigentlich als ein hölzerner beschrieben, der nur mit Erz über- 
zogen ist: für einen Herd grössten Umfangs, auf dem beständig 
ein gewaltiges Feuer brennt, eine völlig widersinnige Construction, 
die nur aus dem Bestreben erklärlich ist, den ehernen Altar, den 
Salomo gegossen hatte (2. Reg. 16, 4), dadurch transportabel zu 
machen, dass man seinen Kern in Zimmerwerk verwandelte. 
Die Hauptsache bleibt indessen, dass die Stiftshütte des Priester- 
codex ihrer Bedeutung nach nicht ein einfaches provisorisches 
Obdach "der Lade auf dem Marsche ist, sondern das einzige 

*) Sap. Sal. 9,8 heisst der Tempel ein fAifXTjfxa axYjvT); dtyi'a?. Josephus sagt 
Ant. III 6, 1 von der Hütte: V] 8' o6Sev (xeTacpepofjtevou xal au[A7rspivocfToüvTo; 
vaou St^cpeps. 



Der Ort des Gottesdienstes. . 39 

legitime Heiligtum der Gemeinde der zwölf Stämme vor Salomo 
und darum also eine Projection des späteren Tempels 1 ). Wie 
bescheiden und fast verlegen nimmt sich gegen diese dreiste 
Thatsaehe einer von Anfang an gegebenen Grundlage der Cen- 
tralisation der deuteronomische Hinweis auf den zukünftigen Ort 
aus, den Jahve erwählen werde! Hier ist gewissermassen nur 
die Idee in des Gesetzgebers Geiste vorhanden und beansprucht 
erst für eine weit spätere Zeit reale Wirksamkeit, dort hat sich 
die mosaische Idee auch einen mosaischen Körper nach- 
wachsen lassen, mit dem sie gleich von Anfang an leibhaftig in 
die Welt tritt 2 ). 

Auf demselben einfachen historischen Wege, wie der Priester- 
codex das Centralheiligtum in die vorsalomonische Zeit hinein- 
pflanzt, schafft er die anderweitigen Cultusstätten aus der Luft. 
Seine aehtundvierzig Levitenstädte sind zum grossen Teil nach- 
weislich eine zeitgemässe Metamorphose der alten Bamoth. Der 
Altar, den Jos, 22 die ostjordanischen Stämme bauen, soll bei 
Leibe nicht in der Absicht ihn zu gebrauchen errichtet sein, 
sondern nur so zum Andenken an jrgend etwas. Sogar die vor- 
mosaische Zeit wird in dieser Weise purificiert. Weil die Patri- 
archen keine Stiftshütte haben, so haben sie überhaupt keinen 
Cultus, sie bauen nach dem Priestercodex keine Altäre, bringen 
keine Opfer und halten sich sorgfältig von allem fern, wodurch 
sie dem Privileg des einzig wahren Heiligtums irgendwie vor- 
greifen könnten. Diese Gestaltung der Erzvätergeschichte ist 
nur die äusserste Consequenz des Strebens, gleichsam das Semper 
ubique et ab Omnibus der gesetzlichen Cultuseinheit geschicht- 
lich durchzuführen. 

Also im Deuteronomium liegt die Institution in den Geburts- 
wehen und hat im Kampf mit der Praxis der Gegenwart sich 
durchzuringen, im Priestercodex trägt sie Sorge für ihre uralte 

*) Als solche wird sie empfunden, wenn sie mehrfach in der Chronik unwill- 
kürlich mit dem Tempel confundiert wird; Graf S. 55. In m. Zebachim 
14,4 heisst es: antequam erectum esset tabernaeulum , fuerunt excelsa 
licita; postquam erectum est tabernaeulum, prohibita fuerunt excelsa. 
Nach dem deuteronomischen Verse 1. Reg". 3, 3 tritt erst mit der Erbauung 
des Tempels das Verbot der Bamoth in Kraft. 

2 ) Es entspricht dem genau, wenn der deuteronom. Bearbeiter de% Königs- 
buchs zwar seit dem Tempelbau das Gesetz als zu Recht bestehend an- 
sieht, aber das constante Abweichen der Praxis anerkennt, dagegen der 
Chronist die jüdische Geschichte der Regel nach ins Gesetz umdichtet. 



40 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

Legitimität und gestaltet die Vergangenheit nach sich um, offen- 
bar deshalb, weil dies für die Gegenwart nicht mehr nötig ist 
— die Zurücktragung des Neuen in die alte Zeit pflegt später 
zu geschehen als die Geburt des Neuen selber. Das Deutero- 
nomium steht in der geschichtlichen Krisis mitten drin und noch 
im engen Zusammenhang mit der älteren Cultusperiode, deren 
Zustände es bekämpfen, aber nicht ignorieren oder gar sie ab- 
leugnen kann. Kein Fortleben der früheren Sitte in der Gegen- 
wart verhindert dagegen den Priestercodex, sich ein Bild der 
alten Zeit wie sie sein muss zu entwerfen; unbeengt durch noch 
vorhandene Anschauung und wirkliche Tradition kann er sie 
nach Herzenslust idealisieren. Er hat demnach seine Stelle 
hinter dem Deuteronomium , und zwar in der dritten, naeh- 
exilischen Periode der Cultusgeschichte, wo einerseits die Einheit 
der Opferstätte eine vollendete von niemand und durch nichts 
angefochtene Thatsache war, und wo andrerseits das Exil das 
natürliche Band zwischen der Gegenwart und dem Altertum so 
durchschnitten hatte, dass einer künstlichen Repristination des 
letzteren, von der Idee aus, ^kein Hindernis im Wege stand. 

III. 

Das gewöhnliche Urteil ist umgekehrt. Im Deuteronomium, 
meint man, kommen deutliche Beziehungen zur Königszeit vor, 
der Priestercodex passe mit seinen geschichtlichen Voraussetzun- 
gen in keine Situation derselben und sei deshalb älter. Wenn, 
wie bei Ezechiel, der Cultus auf dem Fundamente des salomo- 
nischen Tempels ruht, so erkennt jedermann die spätere Zeit; 
wenn er aber auf die Stiftshütte gegründet ist, so ist das eine 
andere Sache. Man beweist das hohe Alter der priesterlichen 
Gesetzgebung damit, dass man sie in eine von ihr selbst aus 
ihren gesetzlichen Prämissen geschaffene historische Sphäre ver- 
setzt, die in der wirklichen Historie nirgend zu finden ist und 
darum ihr voraufgehen muss. So hält sie sich am eigenen Schopf 
über dem Boden in der Schwebe. 

1. Es mag jedoch scheinen, als sei bisher nur behauptet 
worden, dass die Stiftshütte auf einer historischen Fiktion be- 
ruhe. In Wahrheit ist es zwar bewiesen, indessen mag noch 
einiges hinzugefügt werden, was zwar längst gesagt, aber noch 
immer nicht recht beherzigt ist. Es handelt sich, wie ich voraus- 



Der Ort des Gottesdienstes. 41 

schicke, um die Stiftshütte des Priester codex. Denn irgend ein 
Zelt für die Lade mag es wohl gegeben haben, Zelte waren in 
der That in Palästina die ältesten Obdächer der Idole (Hos. 9, 6), 
woraus erst später feste Häuser wurden; und auch die jehovistische 
Überlieferung (jedoch nicht J) kennt ein heiliges Zelt 1 ) beim 
mosaischen Lager und zwar ausserhalb desselben, wie die älteren 
Höhen meist frei vor der Stadt lagen. Es handelt sich aber um 
das bestimmte Zelt, welches Exod. 25 ff. nach Gottes Anweisung 
als der Grundstein der Theokratie errichtet wird, das vorsalo- 
monische Centralheiligtum, welches auch äusserlich das Gegen- 
bild des Tempels ist. Schon dessen blosse Möglichkeit ist be- 
streitbar. Ganz wundersam contrastiert dieser Prachtbau, zu 
dem das kostbarste Material beigesteuert und in der kunstvollsten 
Weise des Morgenlandes verarbeitet wird, gegen den Boden, auf 
dem er sich erhebt, in der Wüste unter den urwüchsigen hebrä- 
ischen Wanderstämmen, die ihn doch ohne fremde Beihülfe in 
kurzer Frist hergestellt haben sollen. Der Gegensatz ist früh 
aufgefallen und hat zuerst Voltaire Anlass zu Zweifeln gegeben. 
Diese Zweifel mögen auf sich beruhen; es genüge, dass die 
hebräische Überlieferung, selbst für die Zeit der Richter und der 
ersten Könige, für welche doch die mosaische Stiftshütte eigens 
bestimmt ist, nichts von derselben weiss. 

Man sollte das freilich nicht denken, wenn man sieht, wie 
viel manch einer heute von ihr zu erzählen weiss, der das Buch 
der Chronik geschickt zu benutzen versteht. Nämlich 2. Chron. 
1, 3 ff. heisst es, Salomo habe seinen Regierungsantritt mit einem 
grossen Opferfeste zu Gibeon gefeiert, denn dort habe die Stifts- 
hütte und der eherne Altar Mose's gestanden. Dem entsprechend 
wird 1. Chron. 21,29- gesagt, David habe zwar auf der Tenne 
Arauna's ein Opfer gebracht, aber die Wohnung Jahve's und 
der rechtmässige Altar sei in jener Zeit zu Gibeon gewesen; 
und weiter 16, 39, dort in Gibeon habe der legitime Hohepriester 
Sadok fungiert. Hievon ausgehend haben schon die Rabbinen 
und neuerdings besonders Keil und Movers eine systematische 
Geschichte der Stiftshütte bis auf den Tempelbau ausgesponnen. 

*) Es wird aber nirgend zu gesetzgeberischen Zwecken benutzt, sondern ist 
einfaches Obdach für die Lade, steht ausserhalb des Lagers, wie die 
ältesten Heiligtümer ausserhalb der Städte, und wird von Josua als Aedi- 
tuus bewacht, der auch darin schläft; wie Samuel, der Aedituus Eli's. 



42 Geschichte des Oultus, Kap. 1. 

Unter David und Salomo, so lange die Lade auf dem Sion sich 
befand, war sie in Gibeon, wie auch daraus zu ersehen, dass 
dort (2. Sam. 21,6. 9) Opfer vor Jahve gebracht werden. Vorher 
zu Nob, wo Ephod und Schaubrode erwähnt werden (1. Sam. 2.1); 
ursprünglich ziu Silo, seitJosua. Aber dies waren nur ihre stän- 
digen Wohnorte, daneben hielt sie sich vorübergehend bald hier 
bald dort auf und rettete durch ihre allgegenwärtige Geschwindig- 
keit die Einheit des Cultus, trotz der verschiedenen und weit 
auseinander liegenden Stätten, an welchem derselbe ausgeübt 
wurde. Überall, wo von einem Erscheinen und Opfern vor Jahve 
die Rede ist, muss die Stiftshütte stillschweigend ergänzt werden *). 
Wie dogmatisch dies Verfahren ist und zu welch absurden Con- 
sequenzen es führt, braucht nicht noch gezeigt zu werden; die 
Hauptsache ist, dass der Ausgangspunkt nichts weniger als 
fest ist. Denn die Angabe der Chronik, Salomo habe sein An- 
trittsopfer auf dem Altar der Stiftshütte zu Gibeon dargebracht, 
steht in Widerspruch zu der älteren Parallele 1. Reg. 3,1—4. 
„Diese sagt nicht nur nichts von der mosaischen Stiftshütte, die 
zu Gibeon gestanden habe, sondern sie sagt ausdrücklich, dass 
Salomo auf einer Höhe (als solcher) geopfert, und entschuldigt 
ihn deswegen 44 damit, dass bis dahin noch kein Haus dem 
Namen Jahve's gebaut worden sei. Dass der Verfasser der 
Chronik von dieser Relation abhängig ist, ist aus allgemeinen 
Gründen gewiss und ergibt sich speciell daraus, dass er die 
Stiftshütte zu Gibeon mit dem Namen Bama bezeichnet, eine 
contradictio in adjecto, die nur aus dem Bestreben authentischer 
Interpretation „der grossen Bama zu Gibeon 44 1. Reg. 3 zu er- 
klären ist. Hier wie sonst conformiert er die Geschichte dem Ge- 
setze: der junge fromme Salomo kann sem Opfer doch nur an 
der gesetzlichen Stätte gebracht haben, welche also jener Höhe 
zu Gibeon untergelegt werden muss. Mit 2. Chron. l,3ff. fallen 
auch die zwei anderen Notizen 1. Chron. 16, 39 und 21, 29, die 
beide von jener Hauptstelle abhängig sind, wie der wieder- 
kehrende Ausdruck „die Bama von Gibeon 44 deutlich verrät. 
Sonst kommt die Stiftshütte in der Chronik nicht weiter vor, sie 

] ) LXX Jos. 24, 33 : nach Josua's und Eleazars Tode Xaßovxe? ol ulol Ispa?)), 
ty]v xtßtüTov xou $eoo itepie^ipoaav iv eauTOtc. Nach Jo. Buxtorf und Sal. 
van Til (Ugol. Bd. 8) ist dann diese Theorie besonders von Movers aus- 
gebildet worden. Dagegen de Wette, Beiträge S. 108 ff., Vatke a. 0. 
S. 316 Anm. 



Der Ort des Gottesdienstes. 43 

hat noch nicht ihre Consequenzen gezogen und die historische 
Anschauung des Verfassers noch nicht durchdrungen. Dieser 
würde gewiss durch die Frage, ob sie vorher in Nob gestanden 
habe, in einige Verlegenheit geraten sein, da er Gewicht legt 
auf die Verbindung des rechtmässigen Heiligtums mit dem recht- 
mässigen Priestergeschlecht Sadok-Eleazar, welche allenfalls für 
Silo, aber nicht für Nob anzunehmen möglich ist 1 ). 

Dass die Chronik die israelitische Geschichte dem Priester- 
codex gemäss darstellt, hat zwar gewöhnlich unwillkürlich dazu 
veranlasst, ihre principielle Auffassung derselben zu Grunde zu 
legen, dürfte aber doch wohl eher dazu bewegen, sie aus dem 
Spiel zu lassen, wenn es sich um Ermittlung der wirklichen und 
echten Tradition handelt. Die Bücher der Richter und Samuelis 
thun zwar vieler Heiligtümer Erwähnung, darunter aber nicht des 
allerwichtigsten, des Tabernakels. Denn die einzige Stelle, wo 
der Name Ohel Moed vorkommt, 1. Sam. 2, 22, ist schlecht be- 
zeugt und inhaltlich verdächtig 2 ). Von dem Vorhandensein der 
Lade Jahve's allerdings finden sich gegen Ende der Richter- 
zeit deutliche Spuren, (1. Sam. Kap. 4—6). Bürgt nun die Lade 
für das Tabernakel? Vielmehr ist ihre Geschichte bis zur Unter- 
bringung im Tempel Salomo's ein Beweis dafür, dass „sie ganz 
unabhängig von einem ihr besonders geweihten Zelte gedacht 
wurde". Das hebt aber den Begriff der mosaischen Stiftshütte 
auf, denn nach dem Gesetz gehören beide Stücke notwendig zu 
einander, eins darf nicht ohne das andere sein, eins ist so 
wichtig wie das andere. Das Tabernakel muss das Symbol 
seiner Gegenwart überall begleiten, das Dunkel des Allerhei- 
ligsten ist gleichsam das Lebenselement cler Bundeslade; nur 
notgedrungen und auch dann nur unter der Hülle der Vorhänge 
verlässt sie ihre Wohnung während des Marsches, um sie sofort 
wieder zu beziehen, wenn Station gemacht wird. Nun aber 
zieht 1. Sam. 4ff. lediglich die Lade zu Felde, sie allein fällt 
den Philistern in die Hände, vom Tabernakel und vollends von 
dem notwendig dazu gehörenden Altar ist auch in Kap. 5, wo 
das Symbol Jahve's im Tempel Dagons zu Asdod aufgestellt 

J ) Von der Priesterschaft zu Nob entrann nur Abiathar dem Blutbade 

1. Sam. 22; also war Sadok nicht dabei. 
2 ) Die Septuaginta liest die Stelle nicht, und überall sonst in k Sam. 1—3 
ist das Heiligtum von Silo ein Hekal, d. h. sicher kein Zelt. 



44 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

wird, keine Rede ; ebensowenig in Kap. 6, obwohl hier die Feinde 
deutlich ihren gesammten Raub am Heiligtume herausgeben. 
Man nimmt an, die Behausung der. Lade sei in Silo zurückge- 
blieben. Sehr glaublich, aber das war dann nicht die mosaische 
Stiftshütte, die unzertrennliche Begleiterin der Lade. In der That 
redet der Erzähler von einem festen Hause zu Silo, mit Pfosten 
und Thüren ; möglich, dass dies ein Anachronismus l ) — obgleich 
warum? — , aber so viel folgt jedenfalls, dass er von der Stifts- 
hütte keine Idee hat, die ja mit in den Krieg hätte* ziehen 
müssen. Wäre gerade diesmal eine illegale Ausnahme gemacht, 
warum ward denn die Lade nicht wenigstens nach ihrer Heraus- 
gabe wieder mit der Wohnung vereinigt, die sie ja eigentlich 
gar nicht hätte verlassen, dürfen ? Statt dessen kommt sie nach 
Bethsemes und bringt Unheil, weil — die Leute sie sich neu- 
gierig besehen. Dann nach Kiriathjearim, wo sie lange Jahre 
im Hause eines Privatmannes bleibt. Von da lässt sie David 
nach Jerusalem holen — natürlich, sollte man auf Grund der 
aus dem Pentateuch und der Chronik fliessenden Vorstellung 
denken, um sie der ebenfalls nach Jerusalem zu bringenden 
Hütte wiederzugeben. Aber daran kommt ihm nicht der Gedanke, 
so nahe er gelegen hätte. Zuerst will er die Lade zu sich auf 
die Burg nehmen, wird jedoch davon abgeschreckt, und aus 
Verlegenheit, sie anderswo unterzubringen, stellt er sie schliess- 
lich in das Haus eines seiner Hauptleute, des Obed Edom von 
Gath. Hätte er etwas von dem Tabernakel gewusst, hätte er 
geahnt, dass es leer in Gibeon stehe, ganz in der Nähe, es 
hätte ihm aus aller Not geholfen. Da nun die Lade dem Hause 
Obed Edoms Segen bringt — man denke: die Lade im Hause 
.eines Soldaten, eines Philisters, und trotzdem kein Zorn, son- 
dern Segen 2 ) — f so wird der König ermutigt, nun doch sein 
ursprüngliches Vorhaben auszuführen und sie in seiner Burg auf- 

1 ) Vgl. ähnlich Jos. 6, 19. 24. 9, 27, wo gerade der Anachronismus beweist, 
dass die Vorstellung der Stiftshütte dem Vf. unbekannt war. Dass übri- 
gens in Wirklichkeit zu Silo damals ein festes Haus stand, folgt daraus, 
dass Jeremias (7, 12) auf seine Trümmer verweist. Denn er kann nur ein 
vorsalomonisches Heiligtum als Vorgänger Jerusalems- betrachten; ausser- 
dem gibt es auch von einem bedeutenderen Tempel, zu Silo seit der 
Königszeit nicht die geringste Spur mehr. 

2 ) Die Chronik hat gute Gründe, Ihn zum Leviten zu machen. Aber Gath 
an sich, namentlich bei David, ist das pkilisthäische, und Obed Edom 

\q V gehört* zu der Leibwache? die vorwiegend aus Fremden und Philistern 
^^ ' besfan3rr~^ussefc[eiQ ist sein Name schwerlich israelitisch. 



Der Ort des Gottesdienstes. 45 

zustellen. Und zwar unter einem Zelte, welches er für sie hatte 
machen lassen (2. Sam. 6, 17); dies Zelt Davids auf dem Sion 
blieb ihr Aufenthalt bis zum Tempelbau. 

Unumgänglich war die Stiftshütte, falls es sie gab, zu er- 
wähnen als der Tempel an ihre Stätte trat. Dass sie ihm nicht 
als Vorbild diente, ist bereits gesagt. Wenigstens wäre es doch 
aber zu erwarten, dass in dem Bericht über den Bau des neuen 
Heiligtumes ein Wort über den Verbleib des alten einflösse. 
Das scheint nun auch 1. Reg. 8, 4 zu geschehen: nach Vollen- 
dung des Tempels brachte man ausser der Lade den Ohel 
Moed und alle darin befindlichen heiligen Geräte 
hinein. Die Ausleger schwanken, ob sie unter dem Ohel 
Moed das Zelt der Lade auf dem Sion verstehen sollen, von 
dem bisher allein die Rede gewesen (1. Reg. 1, 39. 2, 28—30), 
oder das mosaische Zelt, das nach der Chronik in Gibeon stand, 
von dem aber das Buch der Könige nichts berichtet und auch 
nichts weiss (3, 2 — 4). Dem Verfasser des Verses 8, 4 wird 
wahrscheinlich beides in einander geflossen sein, wir aber sind 
vor folgende Alternative gestellt. Entweder steht die Notiz im 
Zusammenhange der Erzählung des Buchs, dann kann der Ohel 
Moed nur das Zelt auf dem Sion sein — oder der Ohel Moed 
8,4 ist die mosaische Stiftshütte, die von Gibeon in den salo- 
monischen Tempel übergeführt wurde: dann steht die Angabe 
ausserhalb des Zusammenhangs und geht nicht von den Prä- 
missen aus, die dieser an die Hand gibt, dann ist sie mit an- 
dern Worten von einem Späteren eingeschoben. Die erstere 
Möglichkeit ist unwahrscheinlich, denn der Name Ohel Moed 
kommt abgesehen von der Interpolation 1. Sam. 2,22 b in den 
Büchern der Richter Samuelis und der Könige überhaupt nicht 
vor und insonderheit nicht für das Zelt Davids auf dem Sion; 
dasselbe war auch zu wenig durch das Alter geheiligt und nach 
2. Sam. 7 zu unansehnlich und provisorisch , um der Aufbewah- 
rung im Tempel gewürdigt zu werden. Wenn aber der Ohel 
Moed hier wie immer die Stiftshtitte ist, worauf auch die heili- 
gen Geräte führen, so ist der Vers eben auch Interpolation. 
Die Veranlassung einer solchen ist leicht zu begreifen; der selbe 
Anstoss, von dem wir oben ausgingen, musste es einem Juden, 
der von pentateuchischen Gedanken ausging, nahe legen, an 
dieser Stelle die Stiftshtitte zu suchen und wenn er sie nicht 



46 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

fand, zu ergänzen. Doch auch die Interpolation beseitigt die 
Schwierigkeiten nicht. Wo bleibt der mosaische Brandopfer- 
altar? er war ebenso wichtig und heilig als das Tabernakel 
selber, wird auch in der Chronik ausdrücklich stets daneben 
aufgeführt und verdiente nicht, dass man ihn in Gibeon ver- 
kommen Hess — was andrerseits auch der Einheit des Opfer- 
dienstes sehr gefährlich war. Ferner, wenn die heiligen Geräte 
aus der Hütte in den Tempel übertragen wurden, warum goss 
denn Salomo nach 1. Reg. 7 alles neu? *) Kostbar genug waren 
auch die alten Geräte, zum Teil noch kostbarer als die neuen, 
dazu durch ihren alten Gebrauch geheiligt. Es ist klar, dass 
zur Zeit Salomo's weder Stiftshütte noch heilige Geräte noch 
eherner Altar Mose's existierten. 

So wie es nun aber zur Zeit der letzten Richter und ersten 
Könige keine Stiftshütte gab, so war sie auch in der ganzen 
früheren Periode nicht vorhanden. Das folgt aus 2. Sam. 7, 
einem Abschnitt, auf dessen Geschichtlichkeit es nicht ankommt, 
der aber jedenfalls die Auffassung eines vor exilischen Schrift- 
stellers wiedergibt. Nachdem David, wird erzählt, vor seinen 
Feinden Ruhe hatte, gedachte er der Lade ein würdiges Obdach 
zu bauen und sprach seinen Entschluss gegen den Propheten 
Nathan mit den Worten aus: „ich wohne in einem Cederhause 
und die Lade Gottes unter einem Zelte". Er kann nach 6, 17 
nur das Zelt meinen, das er errichtet hatte, also nicht das mo- 
saische, das auch nach der Beschreibung Exod. 25 ff. nicht füg- 
lich einem Holzbau entgegengesetzt werden, noch weniger für 
eine ärmliche, am allerwenigsten für eine Gottes unwürdige Be- 
hausung gelten konnte und in Bezug auf Pracht mit Salomo's 
Tempel zum mindesten wetteiferte. Nathan billigt anfangs die 
Absicht des Königs, verwirft sie aber nachträglich, Gott wolle 
es jetzt nicht anders haben als wie er es sonst gehabt habe. 
„Ich habe in keinem Hause gewohnt, seit ich die Kinder Israel 
aus Ägypten geführt habe, vielmehr bin ich in Zelt und Obdach 
herumgewandert. 4 ' Natürlich hat auch Nathan nicht das mo- 

] ) Der eherne Altar, den Salomo goss (1. Reg. 8, 64. 2. Reg. 16, 14. 15), wird 
jetzt in der Aufzählung der Teinpelgeräte 1. Reg. 7 vermisst. Ursprüng- 
lich kann er nicht gefehlt haben, denn er ist ja grade das wichtigste Ge- 
rät. Er ist also gestrichen worden, ans Gründen, die man nach der obi- 
gen Erörterung leicht verstehen wird. Diese Streichung ist das negative 
Gegenstück zur Interpolation der Stiftshütte 1. Reg. 8, 4. 



Der Ort des Gottesdienstes. » 47 

saische *Zelt als gegenwärtige Wohnung der Lade vor Augen, 
sondern das Davids auf dem Sion. Er sagt nun nicht, die Lade 
sei früher immer in der Stiftshütte gewesen und ihr jetziges Not- 
dach sei darum höchst illegitim, sondern gerade der jetzige Zu- 
stand sei der rechte, in einem ähnlichen simplen und unansehn- 
lichen Obdach habe die Lade bisher stets gehaust. Da Davids 
Zelt nicht bis zum Auszug aus Ägypten «hinaufreicht, so redet 
Nathan notwendigerweise von wechselnden Zelten und Wohnun- 
gen, die Lesart der Parallelstelle in der Chronik (1 17, 5) beruht 
darum auf einem ganz richtigen Verständnis. Der Vorstellung 
des Pentateuchs kann nichts principieller entgegenlaufen als diese 
Worte: die Lade hat nicht ein bestimmtes einziges heiliges Pracht- 
zelt zum Correlat, sondern ist gegen ihr Obdach ganz gieichgiltig, 
hat damit häufig gewechselt, aber nie ein besonders schönes ge- 
habt. Und so ist es seit Moses gewesen 1 ). 

So steht es um die Stiftshütte: will man das Alter des 
Priestercodex an diesen Faden hängen, so habe ich nichts da- 
wider. Ihre Vorstellung ist erwachsen in Anlehnung an die 
früh bezeugte heilige Lade, die zur Zeit Davids und auch schon 
eher unter einem Zelte gestanden hat, aus der Wurzel des 
salomonischen Tempels. Von diesem hat sie sowohl ihr inneres 
Wesen, die centrale Bedeutung für den Cultus, als auch ihre 
äussere Form. 

2. Einen eigentümlichen Standpunkt nimmt Theodor Nöl- 
deke ein. Er gibt die Prämisse zu, dass die Stiftshütte eine 
Fiction sei mit dem Zwecke, den Tempel Und die Einheit des 
Cultus präexistent zu machen, leugnet aber die Folgerung, dass 
der Priestercodex in diesem Falle die Einheit des Cultus in seiner 
Gegenwart als schon bestehend voraussetze und darum später 
sei als das Deuteronomium. Er sagt in den Untersuchungen zur 

l ) 2. Sam. 7 war für die landläufige historisch-kritische Einleitungswissenschaft 
der locus probans classicus dafür, dass bis zum Tempel die mosaische 
Stiftshütte fungiert habe. Für die Stumpfheit ihres Blickes kann es kaum 
einen schlagenderen Beweis geben. Richtig ist nur, dass hier geleugnet 
wird, es habe vor dem Tempelbau die Lade je in einem Hause gewohnt. 
Aber diese allgemeine und bestimmt veranlasste Betrachtung verdient 
weniger Glauben als die .gelegentlichen Einzelangaben, woraus erhellt, 
dass die Lade lange Jahre im Hause Abinadabs stand und dass der 
Tempel von Silo ein Haus war. Unser Verfasser scheint besonders den 
Krieg im Auge zu haben, und die -Lade war allerdings ursprünglich ein 
kriegerisches Heiligtum, zunächst des Stammes Joseph (Josua's), sodann 
Davids (2. Sam. 11,11. 15,24). 



48 Geschichte des Oultus, Kap. 1. 

Kritik des Alten Testaments S. 127 f.: „Ein starker DrsPog nach 
Einheit des Cultus musste entstehen, sobald' Salomo's Tempel 
erbaut war. Gegen dies glänzende Heiligtum mit seinem bild- 
losen Cultus am Mittelpunkte des judäischen Reichs mussten 
die alten heiligen Stätten immer mehr zurücktreten, und zwar 
nicht bloss in den Augen des Volks , sondern ganz besonders 
auch in denen der -Besten und geistig am meisten Vorge- 
schrittenen (vgl. Arnos 4, 8. 8, 14). Wenn schon Hizkia die 
Einheit in Juda ziemlich durchführte, so muss das Streben da- 
nach doch recht alt sein; denn man wird sich nicht leicht ent- 
schlossen haben, alte heilige Gebräuche gewaltsam zu unter- 
drücken, wenn dies nicht die Theorie schon lange gefordert 
hatte. Die Priester in Jerusalem mussten ganz besonders früh 
auf den Gedanken kommen, dass ihr Tempel mit der heiligen 
Lade und dem grossen Altar der einzig wahre Ort der Gottes- 
verehrung wäre, und dieses für die Reinheit der Religion gewiss 
sehr förderliche Streben hat unser Verfasser in die Form eines 
freilich in seiner Strenge ganz unausführbaren Gesetzes gekleidet 
(Lev. 17, 4ff.), das daher auch später vom Deuteronomiker für 
die Praxis modificiert ward. 44 

Was geschehen musste, darauf kommt es weniger an als 
auf das was wirklich geschah. Nöldeke stützt sich einzig auf 
die Nachricht 2. Reg. 18, 4. 22, dass Hizkia die Bamoth und 
Altäre Jahve's beseitigt und zu Juda und Jerusalem gesagt 
habe: vor diesem Altar sollt ihr anbeten in Jerusalem. Gegen 
dieselbe sind bereits oben Zweifel erhoben worden. Welchen 
Eclat machte später die gleiche Massregel Josia's! und diese, 
obwohl die frühere, soll so ganz ruhig abgelaufen sein? und 
so spurlos, dass ihre Wiederaufnahme nach siebzig oder achtzig 
Jahren in Wirklichkeit nicht im mindesten an sie anknüpft, 
sondern sich in jeder Beziehung als ein neuer erster Schritt ge- 
berdet, auf einer bisher völlig unbetretenen Bahn? und so ganz 
beiläufig ist davon die Rede, während doch sonst der Gegen- 
stand das bevorzugte Hauptthema des Buchs der Könige ist? 
Dazu kommt nun noch das besondere gleichfalls oben schon 
geltend gemachte Bedenken, dass der Mann, von dem Hizkia 
nach Lage der Dinge die Anregung zu seinem Vorgehen er- 
halten haben muss, der Prophet Jesaia, in einer seiner spätesten 
Reden ausdrücklich nur eine Reinigung der Cultusstätten von 



Der Ort des Gottesdienstes. 49 

Schnitz- und Gussbildern in der messianischen Zeit fordert, also 
nicht ihre völlige Aufhebung wünscht. Das steht allewege fest, dass 
w^nn an der in Rede stehenden Angabe überhaupt etwas ist 1 ), 
Hizkia nur einen schwachen und gänzlich erfolglosen Versuch 
in dieser Richtung gemacht und auf keine Weise „die Einheit 
in Juda ziemlich durchgeführt 44 hat. Gleichwohl könnte man 
sogar dies letztere zugestehen , ohne dass daraus irgend etwas 
für die Annahme folgt, auf die Nöldeke hinaus will. 

Diese ist nämlich, dass das Streben nach der Einheit gerade 
in den jerusalemischen Priesterkreisen seinen alten und ursprüng- 
lichen Sitz gehabt habe. Wenn der Priestercodex älter ist als 
das Deuteronomium, so muss allerdings die prophetische Agi- 
tation für die Cultusreform, aus der das Deuteronomium hervor- 
gewachsen ist, nur das Nachspiel einer älteren priesterlichen sein. 
Von dieser erfahren wir aber lediglich nichts, während wir 
jene von ihren idealen Anfängen an bis zu ihrem praktischen 
Ausgange leidlich verfolgen können. Arnos Hosea Jesaia sind 
es, welche die Bewegung gegen den alten volkstümlichen Gottes- 
dienst auf den Höhen eingeleitet haben, sie gehen dabei durch- 

') Auf 2. Reg. 22 ist wenig zu geben; die Erzählung über die assyrische 
Belagerung Jerusalems ist nicht gleichzeitig, wie im allgemeinen aus der 
völligen Unbestimmtheit der Nachrichten über deii plötzlichen Abzug der 
Assyrer und seine Gründe, im besonderen aus 19, 7 (36. 37) erhellt. Denn 
die Meinung ist hier jedenfalls die, dass Senaherib bald nach dem ver- 
geblichen Feldzuge im Jahre 701 ermordet worden sei; in Wahrheit hat 
er aber bis 684 oder 681 regiert (Smith, Assyrian Eponym Canon S. 90. 
170). Der Erzähler hat also nicht bloss zwanzig Jahre nach den Ereig- 
nissen geschrieben, sondern noch um so viel später als erforderlich ist, 
damit sich jene zwanzig Jahre so stark verkürzen konnten; er steht 
wahrscheinlich schon unter dem Einflüsse des Deuteronomium s. Schwerer 
als 2. Reg. 18, 22 wiegt allerdings 2. Reg. 18, 4. Indessen so authentische 
Nachrichten uns auch in der Epitome des Buchs der Könige erhalten 
sind, so haben dieselben doch alle nicht bloss die Auswahl, sondern auch 
die Bearbeitung des deuterono mischen Redactors passiert, und es ist gar 
leicht möglich, dass dieser sich zu einer Generalisierung berechtigt 
glaubte, wodurch die von Jesaia . angeregte und durch Hizkia ausgeführte 
Reinigung (zunächst des Tempels zu Jerusalem) von Idolen in eine Be- 
seitigung der Bamoth samt Masseben und Ascheren verwandelt wurde. 
Wie wenig die späteren Schriftsteller Zeitunterschiede und Grade in der 
Ketzerei des ungesetzlichen Cultus anerkennen, ist bekannt; sie gehen 
immer gleich aufs Ganze. In Wirklichkeit aber hat sich die Reformation / 

ohne Zweifel stufenweise vollzogen. Zuerst rindet sich bei Hosea und l$*j> £/"*, 
Jesaia die Polemik gegen geschnitzte und gegossene Bilder, darauf bei \*p^r** 
Jeremia die Polemik gegen Holz und Stein, d. h. gegen Masseben und l<rvrjf~ 
* Ascheren: von den Propheten ist die Bewegung ausgegangen, auf ihr j *Ä— — 
authentisches Zeugnis ist das grösste, ja das einzige Gewicht zu legen.! Z1L' • 
Vgl. den Artikel Israel in der Encyclopaedia Brit. S. 413 Note 1. 

Wellhausen, Prolegomena. 4 



50 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

aus nicht von einer eingewurzelten Vorliebe für den Tempel von 
Jerusalem aus, sondern von sittlichen Motiven, die in ihnen zu- 
erst urwüchsig entstanden sind, ja vor .unsern Augen entstehen; 
ihre Äusserungen, wenn auch aus geschichtlichen Gründen durch 
die nordisraelitischen Heiligtümer veranlasst, lauten doch völlig 
allgemein und richten sich gegen den Cultus überhaupt. Von 
der Einwirkung eines. Gesichtspunktes, der mit einem priester- 
lichen auch nur verwandt wäre, dass nämlich der Gottesdienst 
an dem und dem besonderen Orte mehr wert sei als an allen 
anderen und darum allein fortzubestehen verdiene, findet sich 
bei ihnen nichts; ihre Polemik ist eine rein prophetische, d. h. 
individuelle, theopneuste in dem Sinn, dass sie von allen her- 
gebrachten und vorgefassten Menschenmeinungen unabhängig ist. 
Von diesem absolut originellen Anfange ist aber nun die fol- 
gende Entwicklung abhängig, und diese läuft nicht auf den 
Priestercodex aus, sondern auf das Deuteronomium, ein Buch, 
das bei aller billigen Rücksichtnahme für die Priester (freilich 
für die jerusalemischen nicht mehr als für die anderen) doch 
seinen prophetischen Ursprung nicht verleugnet und vor allen 
Dingen von all und jeder hierokratischen Neigung vollkommen 
frei ist. Und das Deuteronomium endlich ist es gewesen, wel- 
ches den geschichtlichen Erfolg der Reformation Josia's gehabt 
hat. Also die historische Bewegung auf diesem Gebiete, soweit 
sie wirksam und uns dadurch bekannt geworden ist, ist von 
Haus aus und wesentlich prophetisch, wenn auch zu Ende 
priesterliche Einflüsse secundiert haben mögen; und sie kann 
nicht bloss, sondern sie muss aus sich heraus verstanden 
werden. Eine ältere oder selbständig nebenhergehende 
priesterliche Bewegung in derselben Richtung ist wenigstens 
völlig resultatlos geblieben, darum auch gänzlich unbezeugt. 
Uns kommt es vielleicht so vor, als hätten die jerusalemischen 
Priester doch selbst zuerst das Ziel ins Auge fassen müssen, 
dessen Verwirklichung ihnen* später so viel Gewinn brachte, 
aber es scheint nicht, dass sie von vornherein so klug waren, 
wie wir es nachträglich sind. Wenigstens gibt es weiter keine 
Gründe für die Hypothese eines seit alter Zeit latent vorhandenen 
Centralisationsbestrebens der jerusalemischen Priesterschaft als 
die Präsumption, dass der Priestercodex nicht bloss dem Deute- 
ronomium , sondern auch den Propheten zeitlich vorangehen 



Der Ort des Gottesdienstes. 51 

müsse. Zu diesem Behuf wird eine ganz abstraete — und als 
solche unwiderlegliche — Möglichkeit eonstruiert, durch deren 
Pforte man der historischen Wahrscheinlichkeit entschlüpft, über 
die hinaus wir's ja nicht bringen können. 

Wie vollständig unbekannt der Priestercodex noch bis mitten 
ins Exil hinein gewesen ist, ersieht man aus den Büchern der 
Könige, welche ihre gegenwärtige Gestalt nicht vor Nebukad- 
nezar's Tode erhalten haben können. Der Redaktor, der das 
deuteronomisehe Gesetz citiert und beständig darnach urteilt, 
hält, wie wir aus 1. Reg. 3, 2 gelernt haben, die Bamoth vor 
dem Tempelbau Salomo's für erlaubt; die Stiftshütte hat also in 
seiner Vorstellung nicht existiert. Der etwa um eine Generation 
ältere Jeremias kennt sie gleichfalls nicht, sondern er betrachtet 
— der Lade wegen, jedoch nicht notwendig in Übereinstimmung 
mit hergebrachter Meinung — das Gotteshaus von Silo, dessen 
Ruinen damals wie es scheint noch zu sehen waren, als den 
Vorgänger des j'erusalemischen Tempels, und darin folgt ihm die 
anonyme Weissagung 1. Sam. 2,27—36, deren späteres Alter 
aus der Sprache (2, 33) und aus dem Umstände erhellt, dass sie 
der folgenden Drohung in Kap. 3 vorgreift. Bei allen diesen 
Schriftstellern, besonders auch beim Deuteronomiker selber, der 
in Kap. 12 die Einheit des Cultus faktisch erst von der Wahl 
Jerusalems abhängig macht, ist es doch höchst auffallend, wenn 
damals der Priestercodex längst vorhanden war, dass sie ein so 
bedeutendes einschlägiges Buch nicht gekannt haben; es zu über- 
sehen machte die alte hebräische Litteratur nicht ganz so leicht 
als in einem ähnlichen Fall unsere heutige. Und wie kommt 
es nun, dass in der aus dem dritten Jahrhundert stammenden 
Chronik der Priestercodex auf einmal nicht mehr scheintot ist, 
sondern seinen Einfluss auf die Betrachtungsweise überall nur 
zu lebendig und deutlich äussert? Für diese Schwierigkeiten ist 
Nöldeke unempfindlicher als billig ist. Er scheint der Ansicht 
zu sein, dass die nachexilische Zeit nicht gewagt haben würde, 
eine so durchgreifende Umbildung, ja Neugestaltung der Tradition 
vorzunehmen, wie die Prädatierung des salomonischen Tempels 
durch die Stiftshütte sie mit sich bringt *). Es ist jedoch gerade 

') Jahrbb. für prot. Theol. I. S. 352: Und nun möchte ich fragen, ob eine 
derartige Schrift, welche uns von Geschichte Landverteilung und Opfer- 
gebrauch des gesamten Israel ein so vielfach von der Wirklichkeit ab- 

4* 



52 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

umgekehrt das Kennzeichen der nachexilischen Schriftsteller, 
dass sie von ihren Ideen aus auf s freieste mit den Einrichtungen 
des israelitischen Altertums schalten, mit welchem ihre Zeit durch 
kein lebendiges Band mehr verbunden war. Wozu steht sonst 
die Chronik im Kanon, als um uns dies zu lehren? 

Wenn Nöldeke aber die Unbekanntheit der Stiftshütte damit 
entschuldigt, dass sie eben ein blosses Gedankending sei 1 ), so 
lässt er einstweilen ausser Acht, dass hinter ihr die sehr reale 
Idee der Cultuseinheit steckt, um deren willen sie z. B. dem 
Deuteronomiker, auch als blosse Vorstellung, sehr willkommen 
sein musste. Nur das Gerüst der Stiftshütte ist Phantasie, ihre 
Idee wurzelt in geschiehtlicliem Boden, und bei dieser lässt sie 
sich fassen. Und wenn Nöldeke schliesslich für die Priorität 
des Priestercodex in diesem Punkte das geltend macht, dass er 
trotz der Beschränkung des Opferns auf einen einzigen Ort 
dennoch die alte Bestimmung, dass jede Schlachtung Opfer sein 
müsse , aufrecht erhalte , während das Deuteronomium , einen 
Schritt weiter gehend, sie fallen lasse, so hält das ebenfalls ganz 
und gar nicht Stich. 

Es heisst nämlich Lev. 17: „Wer immer vom Hause Israel 
Kind oder Schaf oder Ziege schlachtet, im Lager oder ausser- 
halb des Lagers, und es nicht vor die Stiftshütte führt um Jahve 
eine Darbringung darzubringen vor der Wohnung Jahve's, dem 
soll es als Blutschuld gelten, Blut hat er vergossen und er soll 
ausgerottet werden aus seinen Verwandten. Auf dass die Kinder 
Israel ihre Opfer, die sie auf dem Felde opfern, dem Jahve 
bringen vor die Stiftshütte zum Priester und sie opfern als Dank- 
opfer dem Jahve . . . und nicht mehr den Feldteufeln, denen sie 
nachhuren, ihre Opfer opfern! 44 Das Absehen dieser Vorschrift 
ist einzig und allein darauf gerichtet, die Alleinberechtigung der 
einzig legitimen Opferstätte sicher zu stellen; nur um deswillen, 
wie man sieht, wird auch die profane Schlachtung ausserhalb 
Jerusalems verboten, welche das Deuteronomium gestattet hatte. 
Offenbar verstand der gemeine Mann nicht recht den Unterschied 

weichendes Bild darbietet, § in eine Zeit gehört, in der sich Israel in 
ängstlicher Scheu an das Überlieferte anklammerte. 
l ) Unters. S. 130: Man muss sich immer vor Augen halten, dass der Vf. 
in seinen Berichten wie in seinen Gesetzen nicht thatsächliche Verhält- 
nisse, sondern zunächst seine» Theorieen und Ideale schildert. Dahin ge- 
hört die Verherrlichung der Stiftshütte u. s. w. 



* Der Ort des Gottesdienstes. 53 

zwischen dem religiösen und profanen Acte, der ja neu gemacht 
und bisher ganz unbekannt war; und wenn er, was er ja durfte, 
zu Hause schlachtete, so beobachtete er dabei doch, halb un- 
willkürlich vielleicht, den alten heiligen Ritus des Opfers. Daraus 
erwuchs die Gefahr, dass sich unter der Hand eine Vielheit der 
Altäre wieder einschlich, und einer solchen Gefahr wird in 
Lev. 17 begegnet, freilich in völlig unpraktischer, unausführbarer 
Weise. Bemerkenswert ist dabei, wie sehr dieses im Übrigen 
auf dem Deuteronomium fussende Gesetz in der Beschränktheit 
legitimistischer Betrachtungsweise fortgeschritten ist. Das Deute- 
ronomium erkennt noch durchaus an, dass die Opfer ausserhalb 
Jerusalems doch auch dem Jahve dargebracht werden; für den 
Verfasser von Lev. 17 ist das eine unmögliche Vorstellung, er 
sieht diese Opfer schlechtweg an als Opfer für die Feldteufel 1 ). 
Ich lasse mir nicht einreden, dergleichen sei für jemand möglich 
gewesen, der noch vor der deuteronomischen Reformation, oder 
auch nur vor dem Exil in den alten Verhältnissen lebte. 

Übrigens gehört Lev. 17 bekanntlich zu einer eigenartigen 
kleinen Gesetzsammlung, die zwar in den Priestercodex aufge- 
nommen ist, aber mehrfach von ihm abweicht und so auch gerade 
hinsichtlich des Verbots der profanen Schlachtungen. Für den 
Priestercodex im Ganzen trifft die Behauptung Nöldeke's gar 
nicht zu. Derselbe erlaubt vielmehr die Schlachtung ohne Opfer 
schon in den Noachischen Geboten, die nicht bloss für alle Welt, 
sondern auch für die Juden Giltigkeit haben. Später wiederholt 
er diese Erlaubnis zwar nicht ausdrücklich, er sieht sie aber als 
selbstverständlich un. Nur darum kann er das Dankopfer so 
ganz als Nebensache ansehen und die Opfermahrzeit beinah 
ignorieren; auch gibt er in Lev. 7,22—27 geradezu Regeln über 
das Verfahren beim Schlachten solcher Tiere, die nicht geopfert 
werden 2 ). Also auch hier zeigt sich wieder das Verhältnis, dass 

') Vgl. zu diesen Feldteufeln meine Anmerkung zu Vakidi's Maghazi (Ber- 
lin 1882) S. 113. Etwas ähnliches, wenngleich nicht dasselbe ist es, wenn 
die Muslime sagen, die alten Araber hätten ihren Gottesdienst den Ginnen 
gewidmet — und was dergleichen mehr von Degradierung der Gottheiten 
zu Gespenstern vorkommt. 

2 ) Dass in Lev. 7, 22—27 nicht längst und ausführlich gegebene Bestim- 
mungen über das Dankopfer wiederholt, sondern neue über die Schlach- 
tung nachgetragen werden sollen, erhellt aus: das Vieh wovon man 
dem Jahve Opfer bringen kann v. 25 und aus: in allen euren 
Wohnsitzen v. 26, desgleichen aus der Praxis des Judentums. 



54 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

was im Deuteronomium als Neuerung auftritt, im Priestercodex 
als längst und schon seit Noah bestehende Sitte vorausgesetzt 
wird. Mithin ist dieser auf dem Boden erwachsen, welcher 
durch jenes präpariert ist. 



Zweites Kapitel. 

Die Opfer. 

Wie dem ganzen Altertum, so ist auch den Hebräern das 
Opfer die Hauptsache im Cultus. Es fragt sich, ob derselbe 
nicht auch in dieser wichtigsten Hinsicht eine Geschichte durch- 
gemacht hat, deren Stadien sich im Pentateuch widerspiegeln. 
* Nach den bereits gewonnenen Ergebnissen muss dies als von 
vornherein wahrscheinlich gelten, aber um nun wirklich den 
Process zu verfolgen oder auch nur seine beiden Pole festzu- 
stellen, dazu scheinen die uns erhaltenen Quellen nicht auszu- 
reichen. 

I. 

1. Geflissentlich beschäftigt sich mit dem Gegenstande nur 
der Priestercodex, der eine genaue Classificierung der verschie- 
denen Arten des Opfers und Beschreibung des Verfahrens bei 
ihnen enthält. Er liefert darum auch den neueren Darstellungen 
das massgebende Schema, worin sich die übrigen gelegentlichen 
Angaben des Alten Testaments wohl oder übel fügen müssen. 
Damit ist nun sogleich für die Charakteristik des Buches in 
diesem Punkte ein wichtiger Zug gewonnen. Das Opferritual 
ist hier ein Bestandteil der mosaischen Gesetzgebung und zwar 
ein sehr wesentlicher; es ist nicht als alter Brauch von Urväter 
Zeiten her durch die lebendige Praxis den Israeliten überliefert, 
sondern erst Mose hat ihnen die Theorie davon gegeben und 
zwar gleich eine sehr ausgebildete, und diesen hat Gott selber 
darin unterwiesen (Exod. 25 ff. Lev. lff.). Auf die der Theorie 



Die Opfer. 55 

entsprechende Technik des Opfers, sowohl auf das wann, wo 
und durch wen, als auch besonders auf das wie, wird darum 
ein ganz unverhältnismässiger Nachdruck gelegt. Dadurch erhält 
dasselbe seinen specifischen Wert; man könnte glauben, auch 
wenn es einem anderen Gotte dargebracht würde, würde es durch 
den legitimen Ritus an sich gleichsam jahvistisch von Natur sein. 
Durch seine Form wird der israelitische Cultus wesensverschieden 
von allen anderen, ein unterscheidendes und constituierendes Merk- 
mal der heiligen Gemeinde. Mit ihm fängt die Theokratie an 
und er mit der Theokratie, letztere ist weiter nichts als die An- 
stalt um ihn in der gottgewollten Weise zu betreiben. Darum 
gehört auch das Ritual, das nur die Priester anzugehen scheint, 
in ein Gesetzbuch, welches für die ganze Gemeinde bestimmt ist; 
sie müssen doch alle, um am Leben der Theokratie teilnehmen 
zu können, über ihr Wesen Bescheid wissen, und zu diesem ge- 
hört in erster Linie die Theorie des Opferdienstes. 

Auch die jehovistische Schicht des Pentateuchs kennt keine 
andere Art der Gottesverehrung als den Opferdienst und hält 
ihn nicht für weniger wichtig als der Priestercodex. Aber dass 
sich das israelitische Opfer durch eine besondere dem Mose ge- 
offenbarte Form, die es allein legitim macht, vor allen anderen 
auszeichnet, davon ist hier nicht viel zu merken. Opfer ist 
Opfer — wird es dem Baal dargebracht, so ist es heidnisch, 
wird es dem Jahve dargebracht, so ist es israelitisch. Im Bundes- 
buch und in den beiden Dekalogen wird geboten, vor allem, 
keinem anderen Gotte als Jahve zu dienen, ihm aber auch wirk- 
lich zur rechten Zeit Erstlinge und Gaben zu opfern. Negative 
Bestimmungen, die zumeist irgend eine heidnische Absonderlich- 
keit ausschliessen, kommen vor, aber positive Verordnungen über 
das Ritual finden sich nicht; wie man es machen muss zu opfern, 
wird als bekannt vorausgesetzt und erscheint nirgend als Gegen- 
stand der Gesetzgebung, die es vielmehr mit ganz anderen Dingen 
zu thun hat. Was Bundesbuch und Dekaloge vielleicht noch 
zweifelhaft lassen, wird aus der jehovistischen Erzählung voll- 
kommen klar. Hier ist weit mehr von Opfern die Rede als dort, 
und schon dies kann man bezeichnend finden: im Priestercodex 
ist das Verhältnis umgekehrt. Besonders wichtig jedoch ist es, 
dass nach der jehovistischen Geschichte die Praxis des Opfers, 
und zwar des rechtmässigen und gottgefälligen, weit über die 



56 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

mosaische Gesetzgebung hinausreicht und eigentlich so alt ist 
wie die Welt selber. Ein Opferfest, das sie in der Wüste feiern 
wollen, ist die Veranlassung des Auszugs der Israeliten, schon 
zu Eaphidim (Exod. 17) baut Mose einen Altar, und noch vor 
der Bundschliessung auf dem Sinai wird bei Gelegenheit von 
Jethro's Besuch (Exod. 18) ein feierliches Mahl vor Jahve ver- 
anstaltet. Aber der Brauch ist noch viel älter, Abraham Isaak 
und Jakob haben ihn gekannt und geübt, Noah, der Vater der 
gesamten Menschheit, hat nach der Flut den ersten Altar er- 
richtet, und lange vor ihm haben Kain und Abel in derselben 
Weise geopfert, wie es Jahrtausende später in Palästina zu ge- 
schehen pflegte. Der Aramäer Bileam versteht es so gut wie 
jeder Israelit, dem Jahve Opfer darzubringen, die ihre Wirkung 
auf ihn nicht verfehlen. Daraus ergibt sich mit aller nur 
wünschenswerten Deutlichkeit die Vorstellung, dass das Opfer 
eine aus grauer Vorzeit überkommene und ganz allgemeine 
Weise die Gottheit zu verehren ist, und dass das israelitische 
.Opfer nicht durch das Wie, sondern durch das Wem sich unter- 
scheidet, dadurch, dass es dem Gotte Israels dargebracht wird. 
Mose hat nach dieser Vorstellung das Verfahren beim Opfer- 
dienste ebenso der hergebrachten Praxis überlassen wie das Ver- 
fahren beim Gebet; wenn man überhaupt an bestimmte Urheber 
die des israelitischen Cultus denken kann, so sind es am ehesten 
die Patriarchen, aber auch sie haben das Ritual nicht erfunden, 
sondern nur die Stätten gegründet, wo die Israeliten den ge- 
meinen Gebrauch aller Welt dem Jahve widmeten. Der Gegen- 
satz gegen den Priestercodex ist höchst auffallend, denn es ist 
bekannt, dass dieser keinen Opferakt vor Mose erwähnt, weder 
in der Genesis noch im Exodus, obwohl seit Noah die Schlach- 
tung erlaubt ist. Das Fest der Darbringung von Schafen und 
Rindern als die Veranlassung des Auszugs aus Ägypten fällt 
hier weg, und aus dem Opfer der Erstgeburten wird das Passah- 
lamm, welches ohne Altar ohne Priester und nicht vor Jahve 
geschlachtet und gegessen wird 1 ). 

Zu meinen, dass der Cultus auf vormosaischen Gebrauch 
zurückgehe, ist ohne Frage naturgemässer als zu meinen, dass 
er das Hauptstück der sinaitischen Gesetzgebung sei; es ist ein 

] ) Das Deuteronomium steht in Bezug auf die Opfer noch ganz auf dem 
selben Standpunkt, wie JE. 



Die Opfer. 57 

wunderlicher Gedanke, dass Gott oder Mose plötzlich das richtige 
Opferritual sollte erfunden und eingeführt haben. Indessen daraus 
ergibt sich nicht der Schluss, dass der Priestercodex jüngerer 
Zeit angehöre. Ebenso folgt dies auch nicht aus der hier schon 
sehr entwickelten Technik des Verfahrens, denn die mag bei 
den grossen Heiligtümern schon recht früh vorhanden gewesen 
sein, ohne freilich darum gerade als echt mosaisch zu gelten. 
Dagegen fällt es allerdings schwer ins Gewicht, dass die aus- 
schliessliche Legitimität einer so bestimmten Opferordnung, wie 
sie im Priestercodex als die einzig mögliche in Israel gilt, eine 
Vorstellung ist, die sich nur in Folge der Centralisation des 
Cultus zu Jerusalem ausgebildet haben kann. Doch dadurch 
würde die Entscheidung über unsre Frage auf das im vorigen 
Kapitel gefundene Resultat zurückgeschoben, und wünschenswert 
wäre es jedenfalls, sie selbständig zu erledigen, damit nicht der 
Tragkraft eines einzigen Pfeilers zu viel anvertraut werde. 

2. Auch hier können die Gründe der Entscheidung nur 
den geschichtlichen Documenten aus der vorexilischen Zeit ent- 
nommen werden, den Büchern der Richter Samuelis und der 
Könige auf der einen, den Schriften der Propheten auf der an- 
deren Seite. Was die ersteren betrifft, so ^erscheint hier der 
Cultus und das Opfer bei allen Gelegenheiten als eine grosse 
Hauptsache im Leben des Volks und des Einzelnen. Aber wenn 
auch nicht anzunehmen ist, dass auf das rite gar nichts sollte 
gegeben sein, so liegt doch darauf keinesfalls der Nachdruck; 
der Gegensatz ist nicht: rite und nicht rite, sondern: dem 
Jahve und den fremden Göttern —. umgekehrt wie im 
Priestercodex. Neben glänzenden Opfern wie die königlichen, 
die vermutlich nach allen Regeln der Kunst dargebracht wer- 
den, kommen auch höchst einfache und primitive vor, z. B. das 
Sauls 1. Sam. 14, 35 und Elisa's 1. Reg. 19, 21 : richtig sind sie 
beide, wenn sie nur dem richtigen Gotte gewidmet sind. Ab- 
gesehen von der exilischen Bearbeitung des Buchs der Könige, 
welche den Cultus ausserhalb Jerusalems für ketzerisch hält, 
trifft man nirgend die Vorstellung an, dass ein Opfer dem Gotte 
Israels geweiht und doch illegitim sein könne. Naeman (2. Reg. 
5,17) wird seinen heimischen syrischen Ritus befolgt haben ; das 
thut der Wohlgefälligkeit seines Opfers keinen Eintrag. Zu 
einer Beschreibung des Ritus findet sich erklärlicher Weise selten 



58 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

Anlass; kommt aber einmal eine solche vor, so lässt sie sich 
nur mit Gewalt in das gesetzliche Schema hineinzwängen. Am 
meisten frappiert das Verfahren Gideons Judic. 6, 19—21, womit 
offenbar zugleich das zu Ophra noch zur Zeit des Erzählers 
übliche beschrieben wird. Gideon kocht einen Ziegenbock und 
bäckt ungesäuerte Aschenkuchen, thut darauf das Fleisch in 
einen Korb und die Brühe in einen Topf, und dann wird das 
so zubereitete Mahl der Flamme des Altars übergeben. Doch 
mag auch Übereinstimmung mit der Regel des Pentateuchs vor- 
gekommen sein, das Wichtige ist aber, dass der Begriff des Le- 
gitimen und des Ketzerischen ganz fehlt. Man vergleiche nur 
die Chronik, so merkt man den Unterschied. 

Den Eindruck, den man aus den geschichtlichen Büchern 
gewinnt, vervollständigen die Propheten. Es ist wahr, indem 
sie gegen die Verwechslung des Cultus mit der Religion kämpfen, 
lassen sie erkennen, dass derselbe zu ihrer Zeit auf das eifrigste 
und glänzendste betrieben wird und in der höchsten Wert- 
schätzung steht. Aber diese Wertschätzung gründet sich nicht 
auf die Meinung, dass der Cultus seiner Materie nach auf Mose 
oder Jahve selbst zurückgehe, der Theokratie den unterschei- 
denden Charakter gebe und eben das übernatürliche Priester- 
amt Israels unter den Völkern ausmache, sondern einfach auf 
den Glauben, dass Jahve von seinen Anhängern ebenso müsse 
geehrt werden wie die anderen Götter von ihren Unterthanen, 
durch Opfer und Gaben, als die natürlichen und, ebenso wie das 
Gebet, allgemein üblichen Äusserungen der religiösen Huldigung. 
Je mehr die Quantität und je schöner die Qualität, desto besser; 
dass das Verdienst bei der Darbringung von der genauen Beob- 
achtung der Etikette, als des Gesetzes Jahve's, abhänge, tritt 
nicht hervor. Daher können die Propheten fragen, ob denn 
Jahve befohlen habe, sich mit dergleichen Leistungen für ihn 
anzustrengen, in der Voraussetzung, dass ein solcher Befehl 
nicht existiere und dass niemand von einer Thora rituellen In- 
halts etwas wisse. Arnos, ihr Chorführer, sagt 4, 4f.: „Kommt 
nach Bethel zu sündigen, nach Gilgal noch mehr zu sündigen, 
und bringt alle Morgen eure Opfer,* alle drei Tage eure Zehnten 
— ■ so liebt ihr es ja, ihr Kinder Israel!" In dem wegwerfenden 
Urteil über den Wert des Cultus widerspricht er dem Glauben 
seiner Zeit, aber wäre die Meinung verbreitet gewesen, grade 



Die Opfer. 59 

der Cultus sei die Stiftung Jahve's in Israel, so könnte er nicht 
sagen: so liebt ihr es ja. Ihr, nicht Jahve; es ist eitel selbst 
gewählter Gottesdienst. Noch deutlicher spricht er sich 5, 21ff. 
aus: „Ich hasse, verschmähe eure Feste und rieche nicht an 
eure Feiertage; bringt ihr mir Vollopfer und eure Gaben dar, 
ich mag sie nicht, und euren Dank an Mastkälbern sehe ich 
nicht an. Fort von mir mit dem Lärm deiner Lieder, dein 
Harfenspiel will ich nicht hören ; es quille aber wie Wasser das 
Eecht hervor und Gerechtigkeit wie ein unversieglicher Bach. 
Habt ihr mir Opfer und Gaben in der Wüste dargebracht, die 
vierzig Jahre, Haus Israels?" Schwerlich fürchtet Arnos mit 
der Behauptung dieser letzten Frage auf irgend welchen Wider- 
spruch zu stossen, er folgt darin im Gegenteil der allgemeinen 
Annahme. Seine Polemik ist gegen die Praxis seiner Zeitge- 
nossen gerichtet, er basiert sie aber hier auf eine theoretische 
Grundlage, in der sie mit ihm übereinstimmen, nämlich darauf, 
dass der Opferdienst nicht mosaischen Ursprungs sei. Wenn 
endlich die Stelle 2, 4 echt wäre, so würde sie das selbe lehren. 
Unter der Thora Jahve's, welche die Judäer verachtet haben, 
kann Arnos nichts verstehen, was mit einer Ritualgesetzgebung 
die entfernteste Ähnlichkeit hat. Sollte er sich aber von der 
Thora seinen besonderen Privatbegriff gemacht haben? wie wäre 
er dann vom Volke verstanden worden, wie hätte er auf das 
Volk wirken können! Das jedenfalls kann man dem Hirten 
von Thekoa am wenigsten zutrauen, dass er unter dem Einfluss 
prophetischer Tradition — den er ja so weit von sich weist — 
die Thora für etwas ganz anderes angesehen hätte, als was sie 
wirklich war. 

An Arnos, schliessen sich Hosea Jesaia und Micha an. Der 
erster e führt 4, 6 ff. bittere Klage darüber, dass die Priester statt 
der Thora die Opfer cultivieren. Die Thora, die Jahve ihrem 
Stande anvertraut, giebt ihnen den Beruf, die Kenntnis Got- 
tes in Israel zu verbreiten, dass er Treue und Liebe Recht und 
Billigkeit fordert und keine Geschenke, aber aus niedriger 
Selbstsucht befördern sie den Hang des Volkes zum Cultus, in 
dessen Überschätzung sein Aberglaube seine Sünde und sein 
Verderben besteht. „Mein Volk geht unter aus Mangel der Er- 
kenntnis, denn ihr selbst (ihr Priester!) verachtet die Erkenntnis, 
so will auch ich euch verachten, dass ihr mir nicht Priester sein 



60 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

sollt; ihr habt die Thora eures Gottes vergessen, so will ich 
auch euer vergessen. So viel sie sind, so sündigen sie gegen 
'mich, ihre Ehre vertauschen sie gegen die Schande. Meines 
Volkes Sünde essen sie und nach seiner Verschuldung tragen 
sie Verlangen." Daraus sieht man, wie thöricht es ist zu glau- 
ben, die Propheten haben „das Gesetz 44 bekämpft; sie kämpfen 
für die Priesterthora, aber diese hat es nicht mit dem Cultus 
zu thun, sondern mit dem Recht und der Sitte. An einem an- 
deren Orte (8, llff.) heisst es: „Ephraim hat sich viele Altäre 
. gebaut, zu sündigen, die Altäre sind ihm da, zu sündigen. Mag 
ich ihm noch so viel meiner Weisungen (thorothai) vorschreiben, 
sie werden geachtet wie die eines Fremden. 44 Diese Stelle hat 
das unverdiente Missgeschick, als Beweis dafür dienen zu müssen, 
dass Hosea umfangreiche Aufzeichnungen ähnlichen Inhalts wie 
unser Pentateuch kenne. Das allein ergibt sich aus dem Gegen- 
satz statt meine Thoroth zu befolgen opfern sie — denn 
das ist der Sinn — , dass dem Propheten die Möglichkeit gar 
nicht in den Sinn kam, dass man auch den Cultus zum Gegen- 
stand der Weisungen Jahve's machen könnte. Aus Jesaia's 
Reden gehört hierher die bekannte Stelle des ersten Kapitels; 
„Wozu mir eure vielen Opfer, sagt *Jahve; ich bin der ver- 
brannten Widder und des Fettes der Mastkälber satt, und das 
Blut von Rindern und Schafen mag ich nicht. Wenn ihr kommt, 
mein Angesicht zu schauen, wer verlangt das von eurer Hand? 
— meine Vorhöfe zu zertreten! 44 Über diese Äusserung hat man 
sich von Alters her Sorge gemacht und allerdings hätte der 
Prophet sie nicht thun können, wenn der Opferdienst, nach 
irgend welcher Tradition, für specifisch mosaisch gegolten hätte. 
Das Wort Thora gebraucht Jesaia von der prophetischen und 
nicht von der priesterlichen Weisung (1, 10. 2, 3. 5, 24. 8, 16. 
20.30,9); da beide einer gemeinsamen Quelle entspringen 
und der eigentliche Weiser Jahve ist (30,20), so erklärt sich 
das leicht und ist andererseits für den Begriff sehr lehrreich: 
der Inhalt des Priestercodex passt schlecht in die Thora von 
1, 10. Von hervorragender Bedeutung ist endlich noch Micha's 
Antwort auf die Frage des Volkes, wie man sich die Gunst des 
zürnenden Gottes wieder erwerben könne 6, 6 ff. „Soll ich mit 
Brandopfern ihm entgegen kommen, mit jährigen Kälbern? hat 
er Gefallen an Tausenden von Widdern, an unendlichen Ölströ- 



Die Opfer. 61 

men? soll ich meinen Erstgeborenen für meine Sünde geben, 

meines Leibes Frucht als Sühne meiner Seele? Es ist dir 

gesagt, Mensch, was frommt und was Jahve von dir fordert: 
vielmehr Recht pflegen und Liebe üben und demütig wandeln 
vor deinem Gott." Obwohl die schroffe Entgegensetzung von 
Cultus und Religion gewiss eigentümlich prophetisch ist, so kann 
sich Micha doch darauf berufen:, es ist dir gesagt, Mensch, 
was Jahve fordert. Es ist nichts Neues, sondern eine bekannte 
Sache, dass die Opfer nicht der Inhalt der Thora Jahve's sind. 
Dass aus diesen Aussprüchen der älteren Propheten nicht 
zu viel geschlossen ist, erhellt aus ihrer Fortsetzung durch Jere- 
mia, der kurze Zeit vor dem babylonischen Exil lebte. Wie er 

6, 19 f. die Thora dem Cultus entgegensetzt, so lässt er sich 

7, 21 ff. also vernehmen: „Eure Brandopfer fügt zu euren Dank- 
opfern und esset Fleisch! Denn ich habe euren Vätern nichts 
gesagt und ihnen nichts befohlen, als ich sie aus Ägyptenland 
führte,* in Betreff von Brand- und Dankopfern. Sondern das 
habe ich ihnen befohlen: höret auf meine Stimme, so will ich 
euch Gott und ihr sollt mir Volk sein, und gehet auf dem Wege, 
den ich euch immer weisen werde, damit es euch wohl gehe. 44 
Es ist zwar keine uralte Anschauung, dass die Propheten — 
denn diese sind nach dem Zusammenhange die stets lebendige 
Stimme, auf welche Israel hören soll — die eigentliche Seele 
der Theokfatie seien, das Organ, wodurch Jahve in ihr wirkt 
und sie regiert. Aber an dem Positiven liegt nichts; genug, 
dass Jeremia jedenfalls die mosaische Gesetzgebung, wie sie im 
Priestercodex enthalten ist, nicht kennt. Geflissentlich ignoriert 
hat er sie nicht, denn von Hass gegen den Cultus war er fern 
(17, 26). Als Priester und Prophet, der beständig im Tempel 
zu Jerusalem sich aufhielt, häjte er sie aber kennen müssen, 
wenn sie vorhanden und gar codificiert war. Es wird schwer 
sein daran vorbeizukommen. 

Also geben die geschichtlichen Zeugen, insbesondere die 
Propheten den Ausschlag zu Gunsten der jehovistischen Tra- 
dition. Nach der allgemeinen Meinung der vorexilischen Zeit 
ist der Cultus zwar alter und dem Volke sehr heiliger Brauch, 
aber nicht mosaische Einrichtung, das Ritual ist nicht die Haupt- 
sache daran und auf keine Weise Gegenstand der Thora *). Mit 
*) Dass die Priester nicht eitel rechtliche und moralische, sondern auch 



62 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

anderen Worten, man findet keine Spur der Bekanntschaft mit 
dem Priestercodex, dagegen aber recht deutliche der Unbekannt- 
schaft mit seinen Vorstellungen. 

3. Den Übergang von der vorexilischen zur nachexilischen 
Zeit macht hier nicht der Deuteronomiker, sondern Ezechiel, der 
Priester im Prophetenmantel, welcher unter den ersten Verbannten 
sich befand. Er steht in einem merkwürdigen Gegensatze zu 
seinem älteren Zeitgenossen Jeremia. In dem von ihm im Jahre 
573 entworfenen Zukunftsbilde Israels Kap. 40 — 48, worin wohl 
auf Jahve phantastische Hoffnungen gesetzt, an die Menschen 
aber keine unerfüllbaren Ansprüche gemacht werden, nimmt der 
Tempel und der Cultus eine centrale Stellung ein. Woher kommt 
diese plötzliche Wendung? etwa weil jetzt auf einmal der Priester- 
codex nach langem Schlafe zum Leben aufwachte und den Ezechiel 
inspirierte? In einem solchen Zufall liegt die Erklärung wohl nicht, 
sondern einfach in den geschichtlichen TJmständen. So lange 
der Opferdienst als Praxis bestand, übte man ihn eifrig aus, be- 
schäftigte sich aber nicht theoretisch damit und hatte gar keinen 
Anlass ihn zu codificieren. Nun war der Tempel zerstört, der 
Cultus vorbei, das Personal ausser Dienst: es ist begreiflich, 
dass die heilige Praxis von ehemals nun zum Gegenstand der 
Theorie und der Schrift gemacht wurde, damit sie nicht verloren 
ging, und dass ein verbannter Priester den Anfang machte, das 
Rild von ihr, das er in seiner Erinnerung trug, aufzuzeichnen 
und es als Programm für die zukünftige Herstellung der Theo- 
kratie zu veröffentlichen. Begreifen lässt es sich auch, wenn 
Einrichtungen, die solange sie lebendig waren einfach als natür- 
lich galten, seit ihrer Abolition in einem verklärenden Lichte 
erschienen und durch das ihnen gewidmete Studium auf eine 
künstliche Weise noch mehr im Werte stiegen. Diese durch 
das Exil gegebenen Bedingungen reichen hin, den Übergang von 
Jeremia auf Ezechiel und die Genesis von Ezech. 40 — 48 zu 
verstehen. Die Mitwirkung des Priestercodex ist dabei nicht 
nur völlig tiberflüssig, sondern auch störend. Die Abweichungen 

rituelle Belehrung, z.B. über Reinheit und Unreinheit, erteilten, soll 
damit natürlich nicht geleugnet werden. Zu behaupten ist nur, dass im 
vorexilischen Altertum nie die eigene Praxis der Priester (am Altare) 
den Inhalt ihrer Thora bildete, sondern dass ihre Thora stets eine Unter- 
weisung für die Laien war. Wer den Unterschied verstehen will, ver- 
steht ihn. Gegen Dillmann, Exodus und Lev. S. 386, 19 ff. 



Die Opfer. 63 

Ezechiels vom Ritual des Pentateuehs lassen sich nicht als ab- 
sichtliche Änderungen des Originals verstehen, dazu sind sie zu 
zufällig und unbedeutend. Der Prophet hat ferner das Autor- 
recht für den Schluss seines Buchs so gut wie für die übrigen 
Teile, er hat es ebenso auf sein Zukunftsbild wie die früheren 
Propheten auf die ihrigen. Endlich erwäge man das Gewicht 
der einfachen Thatsache, dass ein exilierter Priester sich veran- 
lasst sieht, eine solche Skizze des Tempelcultus zu entwerfen. 
Wozu wäre sie nötig gewesen, wenn das ausgeführte Bild existiert 
hätte, welches durchaus seinen Absichten entsprach und die Ge- 
fahr gar nicht aufkommen Hess, dass der Cultus durch sein that- 
sächliches Pausieren erlöschen würde, da er im Buche stand? 

Der Ausweg einer leblosen Existenz des Gesetzes bis auf 
Ezra's Zeit steht auch hier wieder offen. Es ist aber unberech-, 
tigt, dieselbe dann nicht von Mose zu datieren, sondern von* 
irgend einem mittleren Punkte der israelitischen Geschichte. 
Ausserdem ist doch gerade beim Opferritual die Annahme einer 
Codification, die entweder vor aller Praxis oder unabhängig 
neben ihr hergeht, äusserst schwierig, da es auf der Hand liegt, 
dass dieselbe nur der endliche Niederschlag eines alten und reich 
entwickelten Usus und nicht Erfindung eines müssigen Kopfes 
sein kann. Aus diesem Grunde ist ebenso die Ausflucht einer 
gesetzwidrigen Praxis unmöglich und die Legitimität des faktisch 
Bestehenden nicht anzufechten. 

II. 

Zu allen Zeiten also hat der Opferdienst in Israel bestanden 
und grosse Bedeutung gehabt, aber in der älteren Zeit gründete 
er sich auf den ererbten Brauch der Väter, in der nachexilischen 
auf das Gesetz Jahve's durch Mose. Früher war er naiv : auf 
die Menge und Güte der Gaben kam es vorzugsweise an; später 
ward er legal: auf die scrupulose Ausführung des Gesetzes, d. i. 
des Ritus, ward vor allem gesehen. War denn nun, abgesehen 
davon, ein eigentlich materieller Unterschied nicht vorhanden? 
Um darauf zu antworten, muss etwas weiter ausgeholt und zuvor 
einiges Allgemeine zui: Orientierung bemerkt werden. 

1. Im Pentateuch wird wohl der Ritus der Opfer weitläufig 
beschrieben, nirgend aber im Alten Testament wird ihre Bedeu- 
tung förmlich auseinandergesetzt, sondern diese gilt im Ganzen 



64 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

als selbstverständlich und aller Welt bekannt. Der allgemeine 
Begriff des Opfers ist im Priestercodex Korban, im übrigen 
Alten Testament Minha 1 ), d. h. Gabe; die entsprechenden Verba 
sind hakrlb und hagglsch, d. h. nahe bringen. Beide Nomina 
und Verba stehen ursprünglich von dem Darbringen eines Ge- 
schenks an den König (oder die Grossen), um ihm zu huldigen, 
ihn gnädig zu stimmen, eine Bitte zu unterstützen (Jud. 3, 17f. 
1. Sam. 10,27. 1. Beg. 5, 1); von da also sind sie auf den höch- 
sten König übertragen (Mal. 1, 8). A&pa &eok rafftet, S&p atöofouc 
ßaatXTJas. Die Gabe darf nicht zur Unzeit und nicht täppisch 
aufgedrungen werden, nicht wenn der König im hellen Zorn ist, 
und nicht von einem, dessen Anblick ihm verhasst ist. 

Gegen den Inhalt ist der Begriff des Opfers an sich gleich- 
giltig, wenn es nur überhaupt einen Wert hat und Eigentum 
des Darbringers ist. Korban und Minha umfasst auch das, was 
die Griechen Anathema nennen. Die heiligen Abgaben, die 
hinterher an die Priester fallen, sind ohne Zweifel ursprünglich 
regelmässige Opfer gewesen, darunter befindet sich auch Wolle 
und Flachs (Deut. 18, 4. Hos. 2, 7. 11). Jedoch entspricht es der 
Naivetät des Altertums, dass sowie an die Menschen, so an Gott 
vorzugsweise Essbares geschenkt wird — wobei noch hinzukam, 
dass man auf diese Weise zurückgab, was er hatte wachsen lassen. 
Die regelmässige Form ist dabei die, dass man ein Mahl ihm zu 
Ehren veranstaltet, woran der Mensch als Gast Gottes teilnimmt. 
Das Opfer schlechthin ist stets ein Ess- oder Trinkopfer. Darum 
wird der Altar auch Tisch genannt, deshalb gehört zum Fleische 
Salz, zu Mehl und Brot Öl, zu beiden Wein; darum kommt das 
Fleisch regelrecht zerstückt und in alter Zeit gekocht auf den 
Altar, das Korn gemahlen oder gebacken. Daher auch der 
Name Brot Jahve's für das Opfer (Lev. 21. 22). Allerdings 
„hat der gebildete Hebräer im Opfer keine Speisung Jahve's 
gefunden 44 , aber der gebildete Protestant ist auch nicht mass- 
gebend für den ursprünglichen Charakter des Protestantismus. 

Die Art, wie die Gott zufallenden Stücke ihm appliciert 

') Gen. 4, 3—5. Num. 16, 15. 1. Sam. 2, 17. 29. 26, 19. Jes. 1, 13. Mal. 1, 10 
bis 13. 2, 12 f. 3, 3 f. Im Priestercodex ist Minha ausschliesslich termi- 
nus technicus für das Mehlopfer. Der allgemeine Name in der Sept. und 
im Neuen Testament ist Swpov (Matth. 5, 23 f. 8,4. 15,5. 23, 18f.). Vgl. 
Spencer III 2 de ratione et orig. sacrinciorum, bei weitem das Beste, was 
über den Gegenstand geschrieben ist. 



Die Opfer. 65 

werden, ist verschieden. Die primitivste ist das blosse Hin- 
stellen ("py struere) und Ausschütten ("]Dt^ fundere) bei den 
Schaubroden und Trankopfern — dem würde einfaches Essen 
und Trinken entsprechen. Die üblichste aber ist das Verbrennen 
oder, wie die Hebräer sich ausdrücken, das Räuchern (^fcDpn) 
— dem entspricht die feinere Genussform des Riechens. Ur- 
sprünglich jedoch verzehrt Gott selber, was die Flamme ver- 
zehrt. Jedenfalls ist das Verbrennen ein Applicieren, nicht 
etwa, wie man aus dem „süssen Duft u (DITO ITH Gen. 8, 21) 
schliessen könnte, ein Zubereiten. Denn in alter Zeit brieten 
die Hebräer das Fleisch nicht, sondern sie kochten es, in dem 
nachweislich ältesten Ritus (Jud. 6, 19) wird auch das Opfer 
gekocht der Altarflamme übergeben; ausserdem wird ja nicht 
bloss das Fleisch, sondern auch das Brot und das Mehl verbrannt. 

Was den Unterschied von nichtblutigen und blutigen Opfern 
betrifft, so werden bekanntlich die letzteren im Alten Testa- 
ment vorgezogen, eigentlich aber haben die ersteren den selben 
Wert und die selbe Wirkung. Das Weihrauchopfer erscheint 
als Sühnmittel (Lev. 16. Num. 17, 12) und ebenso die unend- 
lichen Olströme mitten zwischen den Tausenden von Widdern 
und dem Menschenopfer (Mich. 6). Dass das vegetabilische 
Opfer immer nur das tierische begleite, trifft nicht zu, weder bei 
den Schaubroten noch bei der täglichen Minha des Hohen- 
priesters (Lev. 6, 13. Neh. 10, 34). Nur das Trankopfer tritt 
nicht selbständig auf und hat überhaupt nicht die Bedeutung 
wie bei den Griechen. 

Bei der Schlachtung besteht das Opfer nicht im Blute, son- 
dern im Fleische, in den essbaren Teilen. Nur diese können 
als Brot Jahve's bezeichnet werden, auch werden nur die ess- 
baren Haustiere dargebracht. Aber allerdings hat sich bei den 
blutigen Opfern mit der ursprünglichen Idee der Gabe ein neues 
Motiv verbunden. Das Leben, als dessen Substanz das Blut 
angesehen wurde (2. Sam. 23, 17), hatte für die alten Semiten 
etwas Mysteriöses, Göttliches; es zu vernichten trugen sie eine 
religiöse Scheu. Fleisch essen war ihnen ein seltenes Fest und 
sie assen es mit anderen Empfindungen wie Früchte oder Milch. 
Eine so gleichgiltige bloss präparatorische Massregel wie etwa 
die Reinigung und Zubereitung des Kornes war das Schlachten 
also nicht, vielmehr wagte man nur so das Blut zu vergiessen, 

W e 1 1 h a u s e ii , Prolegomena. 5 



f>6 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

dass man es der Gottheit, der Quelle des Lebens, zurückgab. 
So ward zwar keineswegs jede Mahlzeit, wohl aber jede Schlach- 
tung ein Opfer. Zunächst handelte es sich dabei um eine blosse 
Zurückgabe ihres Eigentums an die Gottheit, jedoch ergab sich 
leicht eine Combination mit dem Opferbegriff, wodurch dieser 
selbst eigentümlich modificiert wurde. Die sühnende Wirkung 
der Gabe fing man an vorzugsweise dem Blute und der stellver- 
tretenden Kraft des getöteten Lebens zuzuschreiben. Das Blut- 
ausgiessen und -sprengen war bei allen Opfern ein Ritus von 
hervorragender Wichtigkeit und auch die Schlachtung selber bei 
einigen und gerade den geschätztesten ein heiliger Akt. 

2. In diesen Umriss fügen sich die Züge der verschiedenen 
Quellen. Der Priestercodex lässt nun einige Besonderheiten er- 
kennen, wodurch er sich in Hinsicht auf das Opferwesen von 
der vorexilischen Literatur unterscheidet. 

Zunächst zeichnet er sich bei den unblutigen Opfern durch 
eine gewisse Verfeinerung des Materials aus. So will er zu den 
Mehlopfern nicht HEp far angewandt wissen, sondern rhu si- 
mila. In der vorexilischen Literatur findet sich das letztere 
überhaupt nur an drei Stellen, nie aber beim Opfer, wo viel- 
mehr das gewöhnliche Mehl gebraucht wird (Jud. 6, 19. 1. Sam. 
1,24). Dass dies kein Zufall ist, folgt einerseits daraus, dass 
in der späteren Literatur seit Ezechiel HDp als Opfermehl ver- 
schwindet und statt dessen stets rhu erscheint, andererseits 
daraus, dass die Septuaginta oder ihre hebräische Vorlage an 
dem ungesetzlichen Material 1. Sam. 1,24 Anstoss nimmt und 
es in gesetzliches verbessert 1 ). 

Dahin gehört ferner, dass der Weihrauch in auffallender 
Weise bevorzugt wird. Mit jedem Mehlopfer gelangt Weihrauch 
auf den Altar; im inneren Heiligtum wird eine eigentümliche 
Mischung von Spezereien verwandt, deren genau angegebenes 
Receptjfttr den Privatgebrauch nicht nachgemacht werden darf. 
Das Räucheropfer ist das Vorrecht der höchsten Priester, in dem 
Ritus des grossen Versöhnungstages, dem einzigen bei dem 
Aharon in Person fungieren muss, nimmt es eine hervorragende 
Stellung ein. Es ist von einer ganz gefährlichen Heiligkeit, 

*) Ezech. 16, 13. 19. 46, 14. 1. Chron. 9, 29. 23, 29. Sirac. 35, 2. 38, 11. 39, 32. 
Sept. zu Isa. 1, 13. QG, 3. Im Priestercodex kommt n*?D über vierzig 
mal vor. 



Die Opfer. 67 

Aharons eigene Söhne starben, weil sie sieh nicht der richtigen 
Kohlen bedient hatten. Den nicht dazu berechtigten Leviten 
der Rotte Korah bringt es Tod und Verderben, während es als- 
bald darauf, in der Hand des legitimen Hohenpriesters, das 
Mittel ist den ausgebrochenen Zorn Jahve's zu beschwichtigen 
und der Plage Einhalt zu.thira. Von diesem Opfer nun, das 
mit einem solchen Glanz der Heiligkeit ausgestattet ist, weiss 
die ältere Literatur des jüdischen Kanons, bis auf die Propheten 
Jeremia und Sephania, lediglich nichts. Das Verbum ItSp heisst 
da immer nur das Fett oder Mehl verbrennen und es dadurch 
Gott zu einem wohlgefälligen Geruch machen, nicht aber 
Weihrauch opfern; das Substantivum rntöp als Opferterminus 
hat den ganz allgemeinen Sinn des auf dem Altar Ver- 
brannten 1 ). In Aufzählungen, wo die Propheten Alles erschöpfen, 
was an Gaben und liturgischen Leistungen existiert, wo sie in 
dem Bedürfnis die Reihe zu verlängern sich auch vor Wieder- 
holungen nicht scheuen, ist von Weihrauchopfer keine Rede, 
weder bei Arnos (4, 4f. 5, 21ff.), noch bei Jesaia (1,11 ff.), noch 
bei Micha (6, 6 f.). Sollten sie es durch Zufall allesammt ver- 
gessen oder auf Verabredung ignoriert haben? — denn wenn 

') Das Verbum wird von den alten Schriftstellern im Piel gebraucht, im 

Priestercodex (Chronik) im Hiphil, in der Übergangszeit vom Verfasser 

des Buchs der Könige promiscue. Wenigstens ist dies so, wo man die 

^^^ Formen sicher unterscheiden kann, im Perfectum Imperativ und Infinitiv; 

WwF der Unterschied zwischen ^ftpi und *V>tOp% *1t0pD und TtOpD beruht 

~-n bekanntlich nicht auf gesicherter Oberlieferung. Vgl. z.B. katter jak- 

1^ tirun 1. Sam. 2,16: die Abschreiber und die Punctatoren bevorzugen 

unter dem Einfluss des Pentateuchs das Hiphil. — Im Priestercodex 

(Chronik) hat *"^fcOpn beide Bedeutungen neben einander, doch steht es 

hier absolute meist vom Weihräuchern, vom Verbrennen gewöhnlich mit 

dem Zusatz nrDTJOn d. h« ai *f dem Altar, auf dem nämlich das eigent- 

r> ./ üche Räucheropfer nicht dargebracht wurde. — Das Substantivum 

j .'MM»* f^£p ist in der Bedeutung Weihranchopfer, in der es im Priester- 

^fi Tt^codex ausschliesslich und sehr häufig vorkommt, zuerst nachweisbar bei 

Ezechiel v& 11. 16, 18. 23,41), dann oft in der Chronik, im übrigen Alten 

Testamente nur Prov. 27, 9, aber im profanen Sinne. Sonst nie, nicht 

einmal in so späten Stellen wie 1. Sam. 2,28 Ps. 66,15. 141,2. Bei 

sicher vorexilischen Schriftstellern findet sich das Wort nur zwei mal, 

beide mal in ganz allgemeinem Sinne? Isa. 1,13: bringt mir nicht mehr 

vergebliche Opfergabe, greuliches Räucherwerk ist mir das. Deut. 33, 10 : 

die Leviten bringen Räucherwerk (== das Fett der Dankopfer) in deine 

Nase und Vollopfer auf deinen Altar. — Der Name T\Xzh thus kommt 

zuerst bei Jeremia vor 6,20. 17,26. 41,5; übrigens nur im Priestercodex 

(9 mal), Jes. 40—66 (3 mal), Nehemia und Chron. (3 mal), und Canticum 

(3 mal). Vgl. Sophon. 3, 10. 1. Reg. 9, 25. 

5* 



68 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

es vorhanden und von so grosser Wichtigkeit war, so hätte es 
doch wenigstens einer von ihnen erwähnen müssen. Ebenso 
wenig findet sich sonst eine Erwähnung desselben weder in der 
jehovistischen Schicht des Hexateuchs, noch in den geschicht- 
lichen Büchern, abgesehen von der Chronik, noch bei den Pro- 
pheten — bis auf Jeremia, welcher 6, 20 gerade das Weihrauch- 
opfer hervorhebt, als etwas Rares, Weithergeholtes: wozu mil- 
der Weihrauch von Saba her und das edle Rohr aus fernem 
Lande! Von da ab erwähnen es Ezechiel, Jesaia 40— 66, Nehe- 
mia, die Chronik; die Zeugnisse reissen nicht ab. Die Einfüh- 
rung hängt natürlich zusammen mit gesteigertem Luxus; man 
könnte geneigt sein zu vermuten, dass der Gebrauch erst von 
einem feiner entwickelten fremden Cultus aus in den Jahve- 
dienst eingedrungen wäre. Zu welcher Bedeutung derselbe aber 
in der Ritualgesetzgebung des Pentateuchs gelangt ist, geht vor 
Allem daraus hervor, dass er hier zu der Neubildung eines 
eigenen hochheiligen Gerätes geführt hat, nämlich des goldenen 
Altars im Inneren der Stiftshütte, den die Geschichte nicht 
kennt und der sogar dem Kerne des Priestercodex selbst 
fremd ist. 

Wir erwarten den Räucheraltar in Exod. 25 — 29, wir finden 
ihn statt dessen nachträglich zu Anfang von Exod. 30. Warum 
erst an dieser Stelle, warum getrennt von den übrigen Geräten 
des inneren Heiligtums, warum sogar nach der Verordnung über 
den Priesterornat und die Inauguration des Gottesdienstes? Der 
Grund, warum der Verfasser von Kap. 25 — 29 an der Stelle, 
wo er die innere Einrichtung der Hütte, bestehend in Lade 
Tisch und Leuchter, beschreibt, den goldenen Räucheraltar nicht 
mit aufführt, ist, dass er von letzterem nichts weiss. Vergessen 
kann er ihn nicht haben — so bleibt keine weitere Möglich- 
keit 1 ). Hinterher wiederholt sich die Erscheinung, dass der 

] ) Insbesondere ist es verkehrt, den Anstoss dadurch zu beseitigen, dass 
man ihn auf gleiche Stufe mit anderen angeblichen Wunderlichkeiten der 
Anordnung setzt, z. B. damit dass die Geräte des Tabernakels (Kap. 25) 
vor diesem selber (Kap. 26) angeordnet werden. Dies ist ganz sachge- 
mäss, im Befehl kommt erst der Zweck und dann das Mittel, in der Aus- 
führung umgekehrt erst das Mittel und dann der Zweck. Ebenso ist es 
durchaus nicht auffallend, wenn untergeordnete Apparate wie die Schlacht- 
bänke oder das Waschbecken, die keine Bedeutung für den eigentlichen 
Cultus haben, entweder überhatipt nicht aufgeführt oder nachgetragen 
werden. Das lässt sich damit gar nicht vergleichen, dass das wichtigste 



Die Opfer. . 69 

Räucheraltar mir in gewissen Stücken des Priestercodex vor- 
kommt, in anderen aber fehlt, wo er nicht fehlen könnte, wäre 
er bekannt gewesen. Der Ritus des feierlichsten Sttndopfers 
geht zwar in Lev. 4 am goldenen Altar vor sich, aber in Exod. 29. 
Lev. 8. 9 ohne denselben. Auffallender noch ist es, dass in 
Stellen, wo es sich um das heiligste Räucheropfer selber han- 
delt, von dem betreffenden Altar keine Spur zu entdecken ist. 
So namentlich in Lev. 16. Um im Heiligtume zu räuchern, 
nimmt Aharon eine Pfanne, füllt sie mit Kohlen vom Brand- 
opferaltar (v. 12. 18 — 20) und thut im Adyton den Weihrauch 
darauf. Ebenso wird Lev. 10 Num. 16. 17 auf Pfannen ge- 
räuchert, deren jeder Priester eine besitzt. Die Kohlen werden 
vom Brandopferaltar genommen (Num. 17, 11), der mit den 
Pfannen der korahitischen Leviten überzogen ist (17,3.4); wer 
das Feuer anderswoher nimmt, ist des Todes (Lev. 10, lflf.). Der 
Räucheraltar ist hier überall unbekannt, der Brandopferaltar ist 
der alleinige Altar und heisst auch immer schlechthin der 
Altar, z. B. sogar Exod. 27, wo es doch besonders nötig ge- 
wesen wäre die unterscheidende Bestimmung hinzuzusetzen. Nur 
in gewissen jüngeren Partieen des Priestercodex kommt der 
Name Brandopferaltar vor, eben in denen, die den Räucher- 
altar kennen. Charakteristisch in dieser Beziehung ist der Ver- 
gleich des Befehls Exod. 27 mit der Ausführung Exod. 38. 

Der goldene Altar im Heiligen ist ursprünglich nichts an- 
deres als der goldene Tisch, der Wechsel des Ausdrucks hat 
zur Verdoppelung der Sache geführt. Ezechiel unterscheidet 
nicht zwischen dem Tisch und dem Altar im Naos, sondern setzt 
beides gleich. Denn er sagt 41, 21 f.: „Vor dem Adyton stand 
etwas, aussehend wie ein hölzerner Altar, drei Ellen hoch, zwei 
Ellen lang und breit, und hatte vorstehende Ecken, und sein 
Gestell und seine Wände waren von Holz: das ist der Tisch, 
der vor Jahve steht. 44 Demgemäss bezeichnet er den Dienet der 
Priester im inneren Heiligtum al§ den Dienst am Tisch 44, 16 : 
Tisch ist der Name, Altar der Zweck 1 ). In 1. Reg. 7, 48 werden 
allerdings goldener Altar und goldener Tisch neben einander 
aufgeführt. Es fällt jedoch auf, dass die Schlussübersicht in 

Gerät des Heiligen an der Stelle, wo es notwendig hingehört, über- 
gangen wird. 
Umgekehrt nennt Maleachi den s. g. Brandopferaltar Tisch. 



70 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

diesem Falle ein Gerät — und zwar ein so wichtiges Gerät — 
mehr nennt, als die vorhergehende Einzelbeschreibung; denn in 
der letzteren ist nur von der Verfertigung des goldenen Altars 
die Rede, nicht von der des goldenen Tisches (6, 20—22). Wie 
die Umstände liegen, ist nichts wahrscheinlicher, als dass irgend 
ein späterer den goldenen Tisch 7, 48 eingeschoben hat, weil er 
ihn auf Grund des Pentateuchs für verschieden von dem goldenen 
Altare ansah und darum seine Erwähnung vermisste. Dass der 
Text des ganzen Capitels vielfach corrupt und interpoliert ist, 
steht auch aus anderen Gründen fest. 

Wenn es im nachexilischen Tempel einen goldenen Altar 
und einen goldenen Tisch nebeneinander gegeben hat, so ist 
das kein Wunder. Wir hören (1. Macc. 1,21 f. 4,49), dass der eine 
und der andere von Antiochus IV fortgeschleppt und beim Tempel- 
weihfest neugemacht sei. Aber es befremdet nicht wenig, dass 
die Römer bei der Zerstörung Jerusalems nur Tisch und Leuchter 
vorgefunden und erbeutet haben — wo sollte wohl inzwischen 
der goldene Räucheraltar geblieben sein, da Jeremia ihn ja auch 
nicht versteckt hatte (2. Macc. 2, 5)? Und bemerkenswert ist 
ferner, dass in der Septuaginta die Stelle Exod. 37, 25 — 29 fehlt, 
der Räucheraltar also zwar wohl befohlen, aber nicht ausgeführt 
wird. Unter diesen Umständen ist endlich auch die schwankende 
Ortsangabe Exod. 30, 6 und der vermeintliche Irrtum des Ver- 
fassers des Hebräerbriefes wichtig und begreiflich. 

Soviel über das Räucheropfer und den Räucheraltar. Eben- 
falls als eine Art Verfeinerung, die freilich mehr geistiger Natur 
ist, darf es betrachtet werden, dass das Opferfleisch im Priester- 
codex nicht gekocht, sondern roh der Altarflamme übergeben 
wird. Die alte Sitte ist dies nicht, wie nicht bloss aus dem be- 
reits angeführten Beispiele Gideons (Jud. 6), sondern auch aus 
dem 1. Sam. 2 beschriebenen Verfahren zu Silo erhellt, wo die 
Söhne» Eli's nicht warten wollen, bis das Opferfleisch gekocht 
und die Altarstücke „geräuchert 44 sind, sondern ihren Anteil roh 
zum Braten verlangen. Der Gottheit wird das Mahl, das sie mit 
den Menschen teilt, in derselben Weise wie den Menschen zu- 
bereitet. Diese Naivetät ist der fortgeschrittenen Bildung ge- 
wichen, und zwar wohl nicht erst in ganz später Zeit. Dabei 
mag noch eine andere Ursache mitgewirkt haben. Die alte und 
auch späterhin im Volk allgemein übliche Sitte, das Fleisch zu- 



Die Opfer. 71 

zubereiten, war das Kochen. Das Wort bt5>2 (im Wasser sieden) 
kommt äusserst häufig, dagegen r6ä (braten) nur noch Exod. 12, 8 
und Jes. 44, 16. 19 vor. Alles Opferfleisch (nhw2) ward gekocht 
und anderes gab es nicht ! ). Aber bei vornehmen Leuten muss 
schon früh das Braten daneben aufgekommen sein. „Gib dem 
Priester das Fleisch zum Braten, er will es nicht gesotten von/ -ktdTmm* 
dir haben, sondern roh" — sagt 1. Sani. 2, 15 der Diener der 1 *; 
Söhne Eli's. Es mag also auch das zum Wegfall des alten Ci*M*~> * 
Brauchs, die Stücke gekocht zu opfern, beigetragen haben, dass z £* /#* 
inzwischen das Kochen überhaupt mehr aus der Mode gekommen 
war. Jedenfalls erklärt es sich daraus, dass das Osteropfer, 
welches ebenso wie alle anderen ehedem gesotten wurde, nach 
der ausdrücklichen Verordnung des Priestercodex nur gebraten 
genossen werden sollte 2 ). 

In dieselbe Kategorie gehört es, dass das Mehl im Gesetze 
vorzugsweise roh, in früherer Zeit aber, selbst als Zuthat zum 
Brandopfer, gebacken dargebracht wird. Wenigstens ist dies 
Jud. 6, 19 der Fall, und darnach wird man auch die Angabe 
1. Sam. 1,24 aufzufassen haben: der Opfernde bringt Mehl mit, 
um es an Ort und Stelle zu Massa zu verbacken (Ezech. 46, 20). 
Er bringt aber etwa auch gewöhnliche, d. h. gesäuerte Brote 
mit (1. Sam. 10,3); diese scheinen keineswegs von jeher, so wie 
Lev. 2, 11, als nicht opferbar gegolten zu haben. Schon die 
Auflegung der Schaubrote würde sich unter dieser Bedingung 
nicht verstehen lassen, und sicher sind doch auch die Pfingst- 
brote ursprünglich richtige Opfer gewesen, nicht blosse Abgaben 
an die Priester. Nach Arnos 4, 5 wurde gerade bei einem be- 
sonders festlichen Opfer Gesäuertes verwandt, und eine Kemi- 
niscenz an diese Sitte ist sogar Lev. 7, 13 erhalten, ohne dass 
ihr freilich praktische Bedeutung gegeben wird 3 ). Übrigens be- 

1 ) Darnach wird man auch nt#JJ vom Kochen verstehen müssen Jud. 6, 19. 

Vgl. die Hochhäuser des Tempels noch . bei Ezechiel 46,20.24. In 1. Sam. y&k> ü %# 
1,9 sprich beschela statt beschilo und tilge das folgende iiriNI 

2 ) Vgl. die polemische Bestimmung Exod. 12, 9 mit Deut. 16, 7. 

3 ) Die Brote werden Lev. 7, 29 f. totgeschwiegen , trotzdem gerade hier die 
Darbringung von Seiten der Opfernden näher beschrieben wird. Und 
wenn es heisst: 7,12 wenn er das Opfer als Thoda bringt, so soll er 
dazu mit Öl angemachte Mazzenkuchen und mit Öl bestrichene Mazzen- 
blätter und mit Öl gemengtes Semmelmehl (LXX) darbringen; 7, 13 [auf] 
gesäuerte Brotkuchen soll er als Gabe darbringen zu dem Bankopfer der 



72 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

deutet auch Massa eigentlich nur das eilig und in primitivster 
Weise für den augenblicklichen Genuss bereitete Gebäck und 
enthält ursprünglich keinen Gegensatz zu der Säure, son- 
dern nur zu der künstlicheren und langsameren Herstellung 
der gewöhnlichen Brote 1 ). Im Priestercodex sind die Stoffe 
feiner, aber sie werden möglichst roh belassen: beides ist ein 
Fortschritt. 

3. Eine andere und weit bedeutendere Differenz besteht 
bei dem Tieropfer. Von diesem kennt die ältere Praxis nur 
zwei Arten, abgesehen von ausserordentlichen Varietäten, die 
nicht in Betracht kommen. Diese beiden Arten sind das Brand- 
opfer, Ola, und das Dankopfer, Schelem, Zebah, Zebah-sche- 
lamim. Bei dem ersteren kommt das ganze Tier auf den Altar, 
bei dem anderen bekommt Gott, ausser dem Blut, nur ein Ehren- 
teil, während übrigens das Fleisch von den Opfergästen verzehrt 
wird. Nun ist es bemerkenswert, wie selten das Brandopfer 
alleine vorkommt. Nur beim Menschenopfer versteht sich das 
von selbst (Gen. 22, 2 ff. Jud. 11, 31. 2. Reg. 3, 27. Jer. 19,5), 
sonst aber ist der Fall ungewöhnlich (Gen. 8, 20. Num. 23, 1 ff. 
Jud. 6, 20. 26. 13, 16. 23. 1. Sam. 7, 9 f. 1. Eeg. 3, 4. 18, 34. 38) 
— noch dazu sind alle diese Opfer ausserordentlich oder my- 
thisch, was für Bezeugung der Sitte an sich gl eich giltig sein mag, 
nicht aber für die Statistik ihrer Häufigkeit 2 ). In der Regel kommt 
die Ola nur in Verbindung mit Zebahim vor, die letzteren sind 
dabei in der Überzahl und stehen immer im Plural, während 
daneben das erstere mehrfach im Singular 3 ). Sie ergänzen sich 

Thoda — , so ist der -Verdacht äusserst nahe gelegt, dass v. 12 eine vor- 
aufgeschickte authentische Interpretation ist, die den Anstoss des v. 13 
zum voraus beseitigt, und dass ebenso das erste h]) in v. 13, das sich mit 
dem zweiten keineswegs gut verträgt, eine spätere Correctur ist. An v. 11 
schliesst sich v. 13 besser an als an v. 12. — Exod. 34, 25. 

') Vgl. Gen. 18,6 mit 19,3. 

s ) Vermutlich erwartete Jephthah Jud. 11,31, dass ihm ein Mensch aus sei- 
nem Hause entgegenkäme (Tabari I 10631). — Bei der obigen Aufzählung 
ist abgesehen von dem sacriflcium iuge 2. Reg. 16, 15. Die Angabe 
1. Reg. 3,4 gehört vielleicht mit 3, 15 zusammen: glaubwürdiger wird sie 
freilich auch dadurch nicht. Selbstverständlich sind hier überall nur die 
Stellen zu berücksichtigen, wo von wirklich dargebrachten Opfern erzählt 
wird, nicht allgemeine Aussagen über eine oder mehrere Opferarten. Die 
letzteren können natürlich die Ola alleine ins Auge fassen, ohne dass 
daraus für die Praxis irgend etwas erhellt. 

3 ) Exod. 10.25. 18,12. 24,5. 32,6. Jos. 8,31. Jud. 20,26. 21,4. 1. Sam. 6, 
14f. 10,8. 13,9—12. 2. Sam. 6, 17 f. 24,23—25. 1. Reg. 3, 15. 8, 63 f. 



Die Opfer. 73 

also wie zwei zusammenpassende Hälften; die 01a ist, wie ihr 
Name sagt, eigentlich weiter nichts als der auf den Altar ge- 
langende Teil eines grossen Opfers. Man könnte darum auch 
das, was von einem einzelnen Tiere der Gottheit geweiht wird, 
01a nennen; dies geschieht jedoch nicht, weder vom Blute 
noch vom Fette (ItOp) gebraucht man das Verbum rbytlj sondern 
bloss von den Fleischstücken, von denen bei dem kleinen Opfer 
nichts verbrannt wird. Aber ein principieller Unterschied 
existiert nicht, sondern nur ein gradueller: ein kleines Zebah, 
vergrössert und gesteigert, wird zu 01a und Zebahim; auf eine 
gewisse Anzahl geschlachteter Tiere, welche die Opfergesellschaft 
verzehrt, kommt eins, welches für Gott bestimmt und ganz der 
Flamme übergeben wird. Übrigens hat man zu bedenken, dass 
es in der Regel nur grosse Opferfeste sind, über welche die 
historischen Bücher Anlass nehmen zu berichten, und dass in 
Folge davon das Brandopfer doch noch mehr hervortritt, als es 
durchschnittlich im gewöhnlichen Leben der Fall gewesen sein 
wird. Für gewöhnlich kamen gewiss keine andeneu als Dank- 
opfer vor — notwendigerweise, wenn jede Schlachtung beim 
Altare zu geschehen hatte. Wo in den Büchern Samuelis und 
der Könige von einem simplen Opfer die Rede ist, versteht es 
sich von selbst, dass es ein Dankopfer ist. Namentlich die Stelle 
1. Sam. 2, 12ff. ist auch in dieser Beziehung lehrreich. 

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass nach der Praxis der 
älteren Zeit mit dem Opfer fast immer ein Mahl verbunden war. 
Es war die Regel, dass bloss Blut und Fett auf den Altar kam, 
die Menschen aber das Fleisch verzehrten ;„ nur bei sehr grossen 
Opferfesten bekam Jahve ein ganzes Tier oder mehrere. Wo 
geopfert ward, da ward auch gegessen und getrunken (Exod. 32, 6. 
Jud. 9, 27. 2. Sam. 15, llf. Arnos 2, 7); kein Opfer ohne Mahl 
und auch kein Mahl ohne Opfer (1. Reg. 1, 9), auf keiner bedeu- 
tenderen Bama fehlte wohl die Unterkunft, die Lesche, in wel- 

2. Reg. 5, 17. 10, 24. 25. — Das Zeugma Jud. 20, 26. 21, 4 verstösst gegen 
den älteren Sprachgebrauch. — Der eigentliche Name für das holocaustum 
scheint ^^ zu sein Deut. 33, 10. 1. Sam. 7,9, nicht rbV- ~ °*> die 
Opferabgabe von allen Arten des Zebah gleich gewesen ist, lässt sich 
nicht entscheiden; wahrscheinlich ist es nicht. Vermutlich sind die Sche- 
lamim feierlichere Opfer als das einfache Zebah. Das Wort Fett wird 
Gen. 4, 4. Exod. 23,18 in einem sehr allgemeinen Sinne gebraucht. Was 
unter dem Segnen des Zebah 1. Sam. 9, 13 gemeint ist, ist nicht ganz klar; 
vermutlich eine Art Gratias. 



74 Geschichte des Cailtus, Kap. 2. 

eher Samuel den Saul, Jeremia die Rekabiten traktierte (1. Sana. 
9,22. Jerem. 85,2). Sich freuen, essen und trinken vor Jahve, 
ist eine bis auf das Deuteronomium übliche Redeweise; noch 
Ezechiel nennt den Höhencultus ein Essen auf den Bergen 
(1. Sam. 9, 13. 19ff.) und bei Zacharia haben die Kochtöpfe im 
Tempel eine besondere Heiligkeit (14, 20). Durch das Mahl bei 
Jahve wird eine Bundesgemeinschaft einerseits zwischen ihm 
und den Gästen, andererseits zwischen den Gästen unter einander 
gestiftet, welche für die Opferidee wesentlich ist und von der die 
Schelamim ihren Namen haben. Vgl. Exod. 18, 12. 24, 11. Bei 
den gewöhnlichen Schlachtungen wird diese Vorstellung abge- 
schwächt sein, bei den feierlicheren Opfern war sie lebendig. 
Gott ladet ein, denn sein ist das Haus, sein ist auch die Gabe, 
die ihm von dem Darbringer ganz vor den Altar geführt werden 
muss und die er erst darauf zum grössten Teil seinen Gästen 
abtritt; diese essen also gewissermassen an Gottes Tisch und 
müssen sich dazu vorbereiten, heiligen 1 ). Auch bei uns höchst 
unpassend scheinenden Gelegenheiten fehlt doch das Mahl nicht 
(Jud. 20, 26. 21, 4. 1. Sam. 13, 9—12). Dass es nicht immer ganz 
säuberlich dabei herging, lässt sich von vornherein annehmen 
und wird durch Isa. 28, 8 sogar in Beziehung auf den Tempel 
von Jerusalem bezeugt: alle Tische sind voll unflätigen Gespeies, 
kaum Platz! Daher war auch Elfs Verdacht gegen Hanna nahe- 
liegend und nicht so entrüstend, wie er uns vorkommt. 

Wie verschieden von diesem Bilde ist die Vorstellung, welche 
der Priestercodex erweckt! Dass zu jedem Opfer ein Mahl ge- 
hört, merkt man hier nicht, das Essen vor Jahve, noch im Deu- 
teronomium schlechthin der Ausdruck für Opfern, kommt nirgend 
vor und ist jedenfalls kein Stück des Gottesdienstes. Schlach- 
tung und Opfer fällt nicht mehr zusammen, das Dankopfer, wo- 

l ) Um vor Jahve zu treten, putzt man sich mit Kleidern und Schmuck 
Exod. 3,22. 11, 2f. 12, 35 f. Hos. 2,15. Ezech. 16, 13 (vgl. Sur. 20, 61), 
heiligt sich 1. Sam. 16,5 (Num. 11, 18) und wird geheiligt 1. Sam. 16, 5. 
Exod. 19, 10.14. Das Opfermahl gilt als Kodesch, denn nicht bloss die 
Priester essen Kodesch, sondern alle Geheiligten 1. Sam. 21, 5f. Über 
den Sinn der Heiligung gibt 1. Sam. 21,5. 2. Sam. 11, 2 Aufschluss. Vgl. 

50^ Fpn Vföb N*? J° d - 13 , 16. Lev. 7,20 und Matth. 22, 11 — 13. — 
Jahve ladet die Heere der Völker zu seinem Opfer ein, zu welchem er 
irgend ein anderes Volk ihnen preisgibt, und nennt die Meder, denen er 
Babel darbietet, seine Geheiligten d. h. seine Gäste. Sophon. 1, 7 f. Jer. 
46,10. Ezech. 39, 17. Isa. 13,3. 



Die Opfer. 75 

von die Brust und die rechte Keule zu weihen sind, ist etwas 
anderes als das alte einfache Zebah. Aber gerade darum hat 
es seine frühere breite Bedeutung eingebtisst. Der Mizbäah, 
d. h. der Ort wo die Zebahim darzubringen sind, hat sich in 
einen Mizbah ha-ola verwandelt. Das Brandopfer ist ganz 
selbständig und unabhängig geworden und tritt durchaus in den 
Vordergrund; die nicht mit einem Mahl verbundenen Opfer über- 
haupt dominieren so sehr, dass bekanntlich Theophrast behaupten 
konnte, andere gäbe es gar nicht bei den Juden, die sich auf 
diese Weise von den übrigen Völkern unterschieden *). Wo ehe- 
dem ein Dankopfer, das man vor Jahve verzehrte, wir können 
deutlicher sagen ein Mahlopfer vorgeschrieben war, hat der 
Priestercodex, wie wir später sehen werden, einfache Abgaben 
an die Priester daraus gemacht, z. B. bei den Erstgeburten und 
Erstlingen. Nur darin gibt auch er noch der alten Sitte ein un- 
willkürliches Zeugnis, dass er die Namen Thoda Neder und 
Nedaba, von denen namentlich die beiden letzteren notwendig 
einen ganz allgemeinen Sinn haben müssen (Lev. 22, 18. Ezech. 
46, 12), ausschliesslich auf das Dankopfer bezieht, wie denn auch 
Milluim und Pas sah nur Abarten desselben sind. 

4. Was das Dankopfer verloren hat, ist dem Sund- und 
Schuldopfer zugewachsen; das freiwillige Privatopfer, welches 
der Darbringer in fröhlicher Gesellschaft an heiliger Stätte ver- 
zehrte, ist dem notwendigen gewichen, von dem er nichts be- 
kommt und das überhaupt den Charakter des heiligen Mahles 
ganz abgestreift hat. Das Brandopfer ist doch noch ein Mahl, 
wenn auch nur ein einseitiges für Gott; beim Sündopfer aber 
wird Alles fern gehalten, was an ein Mahl erinnern könnte, z. B. 
die Zuthaten Mehl und Wein, Öl und Salz; vom Fleisch gelangt 
nichts auf den Altar, sondern es fällt als Busse ganz an den 
Priester. Von dieser für den Priestercodex so überaus wichtigen 
Opferart findet sich nun vor Ezechiel im übrigen Alten Testament 
keine Spur, weder beim Jehovisten und Deuteronomiker, noch 
in den geschichtlichen und prophetischen Büchern 2 ). Ola und 
Zebah ist die Zusammenfassung der tierischen, Ola und Minha, 

') Porphyrius de abstin. 2, 26. Vgl. Joseph, contra Ap. IL 13: outot euxovxat 

2 ) Wie verschieden ist Deut. 21, 1—9, wie fem liegt hier überhaupt der 
Opfergedanke ! 



76 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

oder Zebah und Minha die Zusammenfassung aller Opfer, nir- 
gends kommt eine eigene Opferart für die Sühne vor (1. Sam. 
3,14). Allerdings sagt Hosea (4, 8): „die Sünde meines Volkes 
essen sie und nach seiner Verschuldung sind sie gierig" — aber 
das Verständnis, als ob hier den Priestern vorgeworfen werde, 
sie veranlassen das Volk zunächst selber zur Veruntreuung der 
heiligen Abgaben, um diese hinterher mit dem Zins der Sünd- 
und Schuldopfer wieder einzuheimsen, ist doch allzu fein wo 
nicht allzu plump 1 ). Mit grösserem Rechte wird man die fünf 
goldenen Mäuse und die fünf goldenen Pestbeulen, mit denen 
die Philister die geraubte Lade zurückerstatten und die 1. Sam. 
6,3. 4. 8 als Asch am bezeichnet werden, namentlich aber die 
Schuld- und Sündgelder, die nach 2. Reg. 14, 17 den jerusalemi- 
schen Priestern zufielen, mit dem gleichnamigen Schuld- und 
Sündopfer des Pentateuchs zusammenstellen. Nur sind eben, auch 
an der zweiten' Stelle, Ascham und Chattath keine Opfer, son- 
dern, dem ursprünglichen Wortsinn entsprechender, einfache 
Bussen und zwar Geldbussen. Umgekehrt hat dahingegen die 
Mich. 6, 7 gemeinte Chattath nichts mit einer Priesterabgabe zu 
schaffen, sondern bedeutet einfach die Schuld, die eventuell 
ein Anderer auf sich nimmt. Selbst Isa. 53, 10, in einer aller- 
dings späten Stelle, muss Ascham nicht in dem technischen Sinne 
der Cultusgesetzgebung genommen werden, sondern einfach wie 
bei Micha als Schuld, die von dem Unschuldigen für die Schul- 
digen getragen wird. Mit Fug und Recht ist Gramberg zur Er- 
klärung dieser Prophetenstelle auf die Erzählung 2. Sam. 21, 
1—14 zurückgegangen. „Auf Saul und seinem Hause liegt eine 
Blutschuld, weil er die Gibeoniten getötet hat u — wird dem 
David als Grund einer dreijährigen Hungersnot mitgeteilt. Von 
ihm befragt, womit er sühnen solle, antworten die Gibeoniten: 
„es handelt sich uns gegen Saul und sein Haus nicht um Silber 
und Gold; man gebe uns aber sieben Mann von seiner Familie, 
dass wir sie dem Jahve aufhängen in Gibea Sauls auf dem 

l ) Die Sünde und die Verschuldung ist der Opferdienst überhaupt wie er 
vom Volke getrieben wird (8,11. Arnos 4,4); in dem ganzen Abschnitt 
begründet der Prophet den hier scharf zugespitzten Vorwurf .gegen die 
Priester, dass sie die Thora vernachlässigen und dem Hange des Volkes 
zu abergläubischem und unzüchtigem Cultus Vorschub leisten. Was ent- 
hielte übrigens nach dem Pentateuch der erste Satz von 4, 8 für einen 
Vorwurf? und der zweite redet von DJIJ? im( l nicht von DE&'ft- 



Die Opfer. 77 

Berge Jahve's". Das geschah, und sie hingen sie auf vor Jahve 
alle sieben. 

Ascham und Chattath als Opfer finden sich zuerst bei Ezechiel 
und scheinen nicht lange Zeit vor ihm an die Stelle der früheren 
Geldbussen (2-. Reg. 12, 17), die vielleicht schon immer auch in 
gleichwertigen Naturalabgaben geleistet werden konnten, getreten 
zu sein; wohl im siebenten Jahrhundert, welches für das Mysterium 
der Sühne und des Blutvergiessens sehr empfänglich und in der 
Einführung neuer Cultusgebräuche recht fruchtbar gewesen zu 
sein scheint 1 ). Ihren Ursprung aus den Bussen und Wrogen 
sieht man auch den Sund- und Schuldopfern des Pentateuchs 
noch an ; es sind keine Gaben an Gott, nicht einmal symbolische, 
sondern Strafabgaben an 'die Priester, zum Teil von bestimmtem 
Taxwerte (Lev. 5, 15). Mit dem Opfer haben sie, abgesehen von 
dem mechanischen Verbrennen des Fettes, nur das Blutvergiessen 
gemein, ein ursprünglich secundäres Moment, welches hier dann 
zur Hauptsache geworden ist. Auch das beweist wiederum für 
unsere Behauptung. Der Ritus des einfachen Opfers hat drei Akte: 
4) die Vorführung des lebenden Tieres vor Jahve und die Hand- 
auflegung als Zeichen der manumissio von Seiten des Darbrin- 
gers, 2) die Schlachtung und die Ausschüttung des Blutes an 
den Altar, 3) die wirkliche oder scheinbare Uebergabe der Opfer- 
stticke an die Gottheit und das Mahl der Menschen. Beim 
Brandopfer fällt im dritten Akt das Mahl der Menschen fort, 
im zweiten tritt die Schlachtung als bedeutungsvoll und heilig 
hervor, da sie, wie stets ausdrücklich bemerkt wird, vor Jahve 
zu geschehen hat, an der Nordseite des Altars. Beim Stind- und 
Schuldopfer verschwindet der dritte Akt völlig und die ganze 
Bedeutung der Handlung fällt dadurch auf die Schlachtung, die 
natürlich ebenfalls vor dem Altare stattfindet, und auf die Blut- 
sprengung, die sich hier in besonderer Weise ausgebildet hat. 
Man sieht, wie die Veränderung der Gabe und des Mahles zur 
blutigen Sühne sich steigert und in dieser letzten Opferart gipfelt. 
Die Neuheit derselben scheint sich sogar innerhalb des Prie- 
stercodex selber durch ein gewisses Schwanken zu verraten. In 

x ) Man erwäge das Grassieren des Kinderopfers gerade in dieser Zeit, die 
Einführung des Weihrauchs, die neuen Moden, die der König Manasse 
aufbrachte und von denen gewiss manches haften blieb, was der Zeit- 
stimmung entsprach und mit dem Jahvedienst vereinbar war oder gar 
dessen Würde und Ernst zu erhöhen schien. 



78 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

dem darin recipierten Corpus Lev. 17 — 26 werden noch die Opfer 
insgesamt unter der Zwieteilung rat und nbv begriffen 17, 8. 
22, 18. 21; andere gibt es nicht. Zwar kommt 19, 21 f. das 
Ascham vor, aber anerkanntermassen in einem Zusatz der Be- 
arbeitung; dagegen wird dasselbe 22,14 nicht gefordert 1 ), wo es 
nach Lev. 5 und Num. 5 hätte geschehen müssen. Und auch 
abgesehen von Lev. 17—26 herrscht in diesem Punkt zwischen 
dem Kern des Priestercodex und den Novellen keine Überein- 
stimmung. Einmal besteht eine Differenz hinsichtlich des Ritus 
des feierlichsten Sündopfers zwischen Exod. 29. Lev. 9 auf der 
einen und Lev. 4 auf der anderen Seite; sodann aber, was wich- 
tiger ist, kommt das Schuldopfer nie in den primären, sondern 
nur in den secundären Stücken vor, Lev. 4 — 7. Kap. 14. Num. 
5, 7. 8. 6, 1. 18, 9. Auch in den letzteren ist übrigens der Unter- 
schied zwischen Ascham und Chattath nicht sehr deutlich und 
nur die Absicht klar, einen solchen zu machen — vielleicht weil 
er in der alten Praxis zwischen niNton v\02 und Dtt>N P]DD> und 
bei Ezechiel zwischen HKEn und DttfN wirklich vorhanden ge- 
wesen war 2 ). 

J ) Genauer muss man vielleicht sagen, dass hier das Ascham, bei Zurück- 
erstattimg widerrechtlichen Besitzes, einfach das Aufgeld von einem Fünf- 
teil des Wertes ist, und nicht das Widderopfer, welches Lev. 5 obendrein 
gefordert wird. Auch Num. 5 wird eben dies Fünfteil Ascham genannt. 

2 ) Die drei Stücke Lev. 4, 1—35 (Chattath),^ 5, 1—13 (Chattath-Aseham), 5, 14 
bis 26 (Ascham) sind von Haus aus nicht coordinirte Teile eines Ganzen, 
sondern selbständige Aufsätze aus der selben Schule. Denn 5, 1 — 13 ist 
keine Fortsetzung oder Nachtrag zu 4, 27—35, sondern eine völlig unab- 
hängige Darstellung "der selben Materie, mit erheblichen Unterschieden 
der Form. An die Stelle der allgemeinen Systematik des Kap. 4 tritt 
hier der einzelne bestimmte Fall und seine Analogie, der Ritus wird we- 
niger genau angegeben, die hierarchische Rangordnung kommt bei dem 
Vergehen nicht in Betracht. Auch wechseln in diesem Stück Ascham und 
Chattath mit einander in gleicher Bedeutung. In dem dritten Stück wird 
für den selben Fall ein Widder als Ascham gefordert 5, 17 — 19, für den 
im ersten ein Bock resp. eine Ziege als Chattath vorgeschrieben ist 4, 22. 
27. Mit dem mittleren hat das dritte Stück zwar formell grössere Ähn- 
lichkeit, aber als wahre Ergänzung desselben lässt es sich schon deshalb 
nicht ansehen, weil jenes nicht zwischen Chattath und Ascham unter- 
scheidet. — Wenn man sich nach Lev. 5, 13 — 16. 20 — 26 richtet und 
v. 17 — 19 nicht in Betracht zieht, so tritt das Ascham nur ein bei frei- 
williger Erstattung widerrechtlich zurückbehaltenen oder angeeigneten Be- 
sitzes, namentlich der heiligen Abgaben. Die Sachen müssen dem Eigen- 
tümer mit einem Aufgelde von einem Fünfteil ihres Wertes erstattet wer- 
den, als Ascham kommt ein Widder dazu, der ans Heiligtum fällt. In 
Num. 5, 5 — 10 ist die Sache zwar ebenso, aber der Sprachgebrauch anders, 
denn hier wird das zurückerstattete Eigentum Ascham genannt und der 
Widder heisst Q^gon bw- Vgl. ^ev. 22 > 14 - 



Die Opfer. ' 79 



III. 



Die Krisis in der Geschichte des Opferwesens ist die Refor- 
mation Josia's, ihre Consequenzen sind es, die im Priestercodex 
zur Reife gediehen sind. Gerade bei den charakteristischen Diffe- 
renzen des Opfergesetzes von der alten Opferpraxis lässt es sich 
verspüren, dass sie, wenn auch nicht alle geradezu durch die 
Centralisation des Cultus verursacht, doch beinah alle irgendwie 
damit zusammenhängen. 

In der alten Zeit erzeugte sich der Gottesdienst aus dem 
Leben und war aufs engste damit verwachsen. Das Opfer 
Jahve's war ein Mahl der Menschen, bezeichnend für das Fehlen 
des Gegensatzes von geistlichem Ernst und weltlicher Fröhlich- 
keit. Ein Mahl bedingt einen abgeschlossenen Kreis von Gästen: 
so verband das Opfer die Angehörigen der Familie, die Glieder 
der Corporation, die Genossen des Heeres und jedweder dauern- 
den oder vorübergehenden Vereinigung. Es sind irdische Be- 
ziehungen, denen dadurch die Weihe gegeben wird; ihnen ent- 
sprechen natürliche Anlässe der Feier, wie sie das bunte Leben 
bietet. Von Jahr zu Jahr kehrte. die Obstlese, die Kornernte, 
die Schafschur wieder und vereinigte die Hausgenossen, vor 
Jahve zu essen und zu trinken; daneben fehlte es nicht an we- 
niger regelmässigen Vorkommnissen, die in wechselnden Kreiseu 
gefeiert wurden. Kein Kriegszug, der nicht auf diese Weise 
eingeleitet, keine Verabredung, die nicht dadurch perfekt wurde, 
kein irgend wichtiges Unternehmen ohne Opfer 1 ). Wenn ein 
angesehener Gast kommt, so schlachtet man ihm ein Kalb — 
nicht ohne der Gottheit Blut und Fett darzubringen. Der dem 
Leben entnommene Anlass ist also von der heiligen Handlung 
unabtrennbar und gibt ihr erst Inhalt und Charakter, ein der 
Situation entsprechender Zweck steckt immer dahinter. Daher 
darf auch das Gebet nicht fehlen. Das Verbum Tnpn „räuchern" 
(Fett und Minha) bedeutet schlechthin flehen, umgekehrt 
mrv nN ttfpa „den Jahve suchen" faktisch nicht selten opfern. 
Zur Unterstützung der Bitte oder Frage, zur Bezeugung des 
Dankes dient die Gabe, das Gebet gehört als Interpretation dazu. 
Dies erhellt freilich mehr gelegentlich, als dass es ausdrücklich 
gesagt würde (Hos. 5, 6. Isa. 1, 15. Jerem. 14, 12. 1. Reg. 8, 27 ff. 

2 ) Vorwand ist das Opfer 1. Sam. 16, lff. 1. Reg. l,9ff.; vgl. Prov. 7,14. 



SO Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

Prov. 15, 8); nur für die Darbringung der Festgabe haben wir 
in Deut. 26, 3 ff. das Muster eines Gratias; bei der einfachen 
Schlachtung wird ein Segen gesprochen (1. Sam. 9, 13). Es ver- 
steht sich, dass das Gebet weiter nichts ist als der Ausdruck 
der Stimmung des Anlasses und dass es ebenso mannigfach 
variiert wie dieser. Hervorgegangen aus den Antrieben und ge- 
richtet auf die Zwecke des Lebens spiegeln somit die Opfer 
dessen bunte Mannigfaltigkeit in sich ab. Unsere Hochzeiten 
Taufen Leichenschmäuse auf der einen, alle Arten von Zweck- 
essen auf der anderen Seite würden sich noch am ersten zur 
Vergleichung herbeiziehen lassen, wenn nicht auch hier der 
Zwist zwischen Geistlich und Weltlich die Naivetät störte. Der 
Gottesdienst war im hebräischen Altertum Natur, er war die 
Blüte des Lebens und dessen Höhen und Tiefen zu verklären 
war sein Sinn. 

Durch das Gesetz, welches alle Opferstätten mit Einer Aus- 
nahme aufhob, wurde diese Verbindung durchschnitten. Das 
Deuteronomium beabsichtigt zwar eine solche Wirkung nicht. 
Im merkwürdigen Gegensatz zum Priestercodex ist hier noch das 
Essen und sich Freuen vor Jahve die stehende Bezeichnung des 
Opferns: die Meinung ist, es handle sich bei der Zusammen- 
legung des Cultus nach Jerusalem bloss um einen Ortswechsel, 
der das Wesen der Sache unverändert lasse. Aber das war ein 
Irrtum. Es war ein anderes Ding, ob man die Feier der. Wein- 
lese in den heimischen Bergen oder in Jerusalem beging, ob 
man einen sich zufällig darbietenden Anlass zu einem Opfermahl 
an Ort und Stelle benutzen konnte oder vorher erst eine Reise 
unternehmen musste. Und es war auch etwas anderes, ob man 
bei sich zu Hause vor Jahve erschien oder an der allgemeinen 
Stätte unter der grossen Gemeinde verschwand. Wie das Leben 
im Lokal wurzelt, so wurzelte auch der alte Cultus im Lokal; 
durch die Verpflanzung aus seinem ursprünglichen Boden ward 
er seiner natürlichen Nahrungssäfte beraubt. Es musste eine 
Scheidung zwischen ihm und dem Leben eintreten, eine Schei- 
dung, welche das Deuteronomium selber vorbereitet hatte' durch 
die Erlaubnis der profanen Schlachtung. Man lebte in Hebron, 
man opferte in Jerusalem, Leben und Gottesdienst fielen ausein- 
ander. Die Folgen, die im Gesetz des Deuteronomiums schlum- 
mern, haben sich im Priestercodex entwickelt. 



Die Opfer. 81 

Von daher rührt es, dass das Mahlopfer, ehedem bei weitem 
die Hauptsache, jetzt gänzlich zurücktrat. Fleisch essen konnte 
man zu Hause, in Jerusalem war das Geschäft der Gottesdienst. 
Man bevorzugte also solche Opfer, bei denen der gottesdienst- 
liche Charakter abstract, d. h. möglichst rein und ohne natür- 
liche Beimischung hervortrat, von denen Gott Alles und der 
Mensch nichts hatte: Brand- Sund- und Schuldopfer. 

War früher das Opfer gefärbt durch die Qualität seines An- 
lasses, so hatte es jetzt wesentlich einen und denselben Zweck: 
Mittel des Cultus zu sein. Der warme Pulsschlag des Lebens 
zitterte nicht mehr beseelend darin nach, es war nicht mehr die 
Blüte und Frucht von all dessen Trieben, es hatte seinen Sinn 
für sich selber. Es symbolisierte den Gottesdienst: damit gut. 
Die Seele war entwichen, die Schale geblieben, und auf deren 
Ausbildung ward nun alle Kraft verwandt. Die Mannigfaltigkeit 
der Riten trat an die Stelle der individualisierenden Anlässe; 
die Technik ward Hauptsache, die vorschriftsmässige Ausführung 
nach den Regeln der Kunst. 

Der Cultus war ehedem spontan, jetzt wird er Statut. Die 
Befriedigung, die er gewährt, liegt eigentlich ausser ihm, in dem 
moralischen Vergnügen der Gewissenhaftigkeit, mit der man die 
ritualen Gebote erfüllt, die Gott nun einmal seinem Volke be- 
fohlen hat. Es ist zwar das freiwillige Opfer nicht verboten, 
aber eigentlicher Wert wird nur den vorgeschriebenen beigelegt 
und diese überwiegen durchaus. Und auch beim freiwilligen 
Opfer muss sich Alles streng in die Grenzen der Satzung fügen: 
hätte jemand im Drang seines Herzens bei einem Zebah Schela- 
mim mehr Fleischstücke dargebracht als der Ritus forderte, — 
es wäre ihm übel bekommen. 

Sonst stiftete das Mahlopfer eine besondere Beziehung zwi- 
schen der Gottheit und einer geschlossenen Gesellschaft von 
Gästen; die natürliche Opfergesellschaft war die Familie oder 
das Geschlecht (1. Sam. 1, lff. 16, Iff. 20, 6). Jetzt verlieren sich 
die kleinen Sakralgemeinschaften, die bunten Kreise des Lebens 
verschwinden in dem Schatten der universalen Gemeinde 
(my, hilp). Der Begriff derselben ist dem hebräischen Altertum 
fremd, durchdringt aber den Priestercodex von vorn bis hinten. 
Wie der Gottesdienst selber, so wurde auch sein Subject abstract, 
eine geistliche Grösse, die durch nichts anderes als eben durch 

Wel l hause n, Prolegomena. 6 



82 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

den Gottesdienst zusammengehalten wurde. Da nun die Teil- 
nahme der Gemeinde „der Söhne Israels" am Opfer doch eigent- 
lich immer nur eine ideale war, so trug auch dies dazu bei, dass 
die heilige Handlung wesentlich durch sich selbst perfect ward, 
dadurch dass sie der Priester verrichtete, wenn auch niemand 
dabei war. Daher dann später die Notwendigkeit einer beson- 
deren Opferdeputation, der Ansehe Maamad. Wie endlich alles 
dies zusammenhängt mit der judaistischen Fernrückung Gottes 
vom Menschen, ist klar 1 ). 

Zwei Einzelheiten verdienen hier noch besonders hervor- 
gehoben zu werden. Das wichtigste Opfer ist im Priestercodex 
das Brandopfer, d. h. thatsächlich das Thamid, das holocaustum 
iuge, bestehend in zwei jährigen Lämmern, die täglich auf dem 
„Brandopferaltare" verbrannt werden, eins des Morgens und eins 
des Abends. Die Sitte, täglich zu bestimmter Zeit ein festes 
Opfer zu bringen, bestand zwar, in einfacherer Form 2 ), schon 

.*) Es soll nicht behauptet werden, dass der vorgesetzliche Cultus. (dessen 
Schattenseiten aus Arnos und Hosea bekannt sind) dem gesetzlichen vor- 
zuziehen, sondern nur, dass er ursprünglicher sei — der Maassstab ist nicht 
die Moral, sondern die Idee, der ursprüngliche Sinn des Cultus. Es 
soll ferner nicht bestritten werden, dass der Glaube, es hänge der ftrfolg 
des Opfers und der übrigen heiligen Handlungen ab von der peinlich 
genauen Befolgung der hergebrachten und vorgeschriebenen Riten, bei 
gewissen Völkern schon im höchsten Altertum vorkommt. Aber bei den 
Israeliten war das, nach dem Zeugnis der historischen und prophetischen 
Bücher, eben durchschnittlich nicht der Fall, so wenige wie bei den alten 
Griechen; es gab da keine Brahmanen und Magier. Übrigens muss man 
wohl beachten, dass im Priestercodex keineswegs noch die kindliche 
Wertschätzung des Cultus besteht wie etwa im Rigveda, und dass nicht 
etwa deshalb die genauen Vorschriften gemacht und eingehalten werden, 
weil nur damit der Geschmack der Gottheit getroffen wird — der Gottes- 
begriff ist hier sogar auffallend wenig anthropomorphisch und der ganze 
Cultus weiter nichts als eine Übung in der Gottseligkeit, die nun ein- 
mal so vorgeschrieben ist, ohne dass sie irgend einem zu Gute kommt. 
2 ) Kuenen, Godsdienst van Israel II, 271. Nach 2. Reg. 16, 15 ward zu 
Ahaz' Zeit im Tempel von Jerusalem täglich eine n^J? zu Morgen und 
eine HPüD zu Abend geopfert. Auch Ezechiel redet 46, 13—15 nur von 
der Morgenola. Vgl. noch Esdr. 9, 4. Neh. 10, 33. Im Priestercodex ist 
die Abendminha zu einer zweiten Ola gesteigert; daneben hat sie sich 
aber doch in der täglichen Minha des Hohenpriesters erhalten und auch 
auf den Morgen ausgedehnt Lev. 6,12 — 16. — Die tägliche Minha scheint 
älter zu sein als die tägliche Ola. Denn während es nahe lag, der Gott- 
heit regelmässig ein Mahl zu bereiten, waren die Kosten einer täglichen 
Ola für eine einfache Opferstätte zu gross, und es entsprach auch nicht 
der menschlichen Sitte, alle Tage Fleisch zu essen. Die Darbringung 
der täglichen Minha wird schon 1. Reg. 18, 29. 36 als Zeitbestimmung für 
den Nachmittag angewandt, und diese Bezeichnung pflanzt sich fort bis 
in die späteste Zeit, während nie das Thamid d. h. die Ola zu gleichem 



Die Opfer. 83 

im vorexilischen Altertum, aber daneben nahmen damals die 
freien Privatopfer doch eine viel wichtigere Stellung und einen 
weit grösseren Raum ein. Im Gesetz ist das Thamid faktisch 
das Grundelement des Gottesdienstes, denn auch die Sabbath- 
und Festopfer sind nur eine numerische Steigerung desselben 
(Num. 28. 29). Wenn es nachher im Buche Daniel heisst das 
Thamid ward abgeschafft, so ist damit gesagt, der Cujtus 
ward abgeschafft (8, 11 — 13. 11, 31. 12, 11). Nun aber bedeutet 
das Dominieren des täglichen, sabbathlichen, und festlichen Tha- 
mid, dass der Opferdienst eine ganz feste Form angenommen 
hatte, die von jedem besonderen Motiv und von jeder Spon- 
taneität unabhängig war, und ferner (was nahe damit zusammen- 
hängt), dass er von Gemeinde wegen geschah, Gemeinde in dem 
technischen Sinne des Gesetzes genommen. Daher die Notwen- 
digkeit der allgemeinen Tempelsteuer, deren Vorbild in dem 
halben Sekel als Kopfsteuer für den Gottesdienst der Stiftshütte 
Exod. 30, 11 ff. gegeben ist. Vor dem Exil bezahlten die jüdi- 
schen Könige das regelmässige Opfer, noch bei Ezechiel trägt 
der Monarch die Kosten nicht allein des Sabbath- und Festopfers 
45, 17 ff., sondern auch des Thamid 46, 13 — 15 1 ). Es ist auch 
ein Zeichen der Zeit, dass nach Exod. 30 die Kosten des Tempel- 
dienstes direct aus der Kopfsteuer der Gemeinden bestritten wer- 
den, und es erklärt sich nur daraus, dass es keinen König mehr 
gab. So sehr ward im Judentum das Opfer Sache der Gesamt- 
heit, dass das freiwillige Korban des Einzelnen sich in eine 
Geldabgabe verwandelte, als Beitrag zu den Kosten des allge- 
meinen Gottesdienstes (Marc. 7,11. 12, 42 f. Matth. 27,6). 

Der zweite Punkt betrifft Folgendes. In dem Masse wie 
die speziellen Anlässe und Zwecke der Opfer wegfallen, tritt 
ein gleicher allgemeiner Anlass hervor, die Sünde, und ein glei- 
cher allgemeiner Zweck, die Sühne. Im Priestercodex ist bei 
allen Tieropfern das eigentliche Mysterium die Sühne durch das 
Blut; am reinsten ausgebildet erscheint dieselbe bei den Sünd- 
und Schuldopfern, welche ebensowohl für den Einzelnen, als für 

Zweck benutzt wird. Die älteste Sitte war aber wohl auch die tägliche 
Minha nicht, sondern die Schaubrote, die dem selben Zwecke dienten, 
aber nicht alle Tage frisch aufgelegt wurden. 
') Vgl. die Sept. Der masorethische Text hat die auf den Fürsten bezüg- 
liche dritte Person in die zweite corrigiert, als Anrede an den Priester, 
die aber im Ezechiel gänzlich unmöglich ist. 

6* 



84 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

die Gemeinde und für ihr Haupt dargebracht werden. In dem 
grossen Versöhnungstage gipfelt in gewisser Hinsicht der ganze 
Gottes- und Opferdienst, dem bei aller Verschiedenheit der Riten 
eine obligate Beziehung auf die Sünde gemeinsam ist. Hievon 
lassen nun die alten Opfer wenig merken. Wohl suchte man 
ehedem durch reiche Gaben auf die zweifelhafte oder drohende 
Stimmung der Gottheit einzuwirken und ihr Angesicht zu glätten, 
aber die Gabe hatte dann naturgemäss den Charakter des tasten- 
den Versuchs (Mich. 6, 6). Der Gedanke lag fern, dass eine be- 
stimmte Schuld durch ein vorgeschriebenes Opfer gesühnt wer- 
den müsse und könne. Wenn im Gesetz zwischen solchen Sün- 
den, die durch ein Opfer gedeckt werden, und solchen, die un- 
nachsichtlich den Zorn nach sich ziehen, unterschieden wird, so 
ist diese Unterscheidung durchaus nicht antik ; für das hebräische 
Altertum war der Zorn Gottes etwas völlig Unberechenbares, 
man kannte nie seine Ursachen, geschweige dass man im voraus 
die Sünden hätte angeben können, die ihn erregen und nicht 
erregen 1 ). Im allgemeinen fand eine obligate Beziehung der 
Opfer zur Sünde durchaus nicht statt. Sie waren durchweg fröh- 
licher Natur, ein sich Freuen vor Jahve, bei Sang und Klang, 
unter Pauken Flöten und Saitenspiel (Hos. 9, 1 ff. Arnos 5, 23. 
8,3. Isa. 30,32). Kein grösserer Gegensatz hiezu, als der mo- 
notone Ernst des sogenannten mosaischen Cultus. Nojxo* itapst- 
arikftev fva TuXsovacrfl to 7rapairra)(xa. 

In dieser Weise zeigt sich im Priestercodex die mit der 
Centralisierung gleichlaufende Vergeistlichung des Gottesdienstes. 
Er erhält so zu sagen einen abstract gottesdienstlichen Cha- 
rakter, er scheidet sich zunächst vom Leben und absorbiert es 
sodann, indem er das eigentliche Geschäft desselben wird. Das 
ist für die Zukunft von folgenschwerer Bedeutung geworden. Die 
mosaische Gemeinde ist die Mutter der christlichen Kirche; 
die Juden sind es, die den Begriff geschaffen haben. 

In der alten Zeit ist der Cultus dem grünen Baume zu ver- 

l ) Wenn sich der Zorn nach den Regeln „des Bundes" richtet, so ist der 
ursprüngliche Begriff vollständig alteriert: der spottet der Abmachung. 
Gerade dass man sich auf keine Weise davor in Acht nehmen und nichts 
dagegen machen konnte , . gab der Sache ihr unheimliches Grauen. — 
Unter dem Druck des Zornes Jahve's unterliess man nicht nur das 
Opfern, sondern vermied es sogar seinen Namen zu nennen, um seine 
Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Hos. 3,4. 9,4. Arnos 6, 10. 



Die Feste. 85 

gleichen, der aus dem Boden wächst wie er will und kann, 
hinterher ist er zurecht gehauenes Holz, das mit Zirkel und 
Winkelmass immer künstlicher ausgestaltet wird. Ersichtlich 
hängt mit dem qualitativen Gegensatz, der soeben entwickelt 
worden, der formale von Brauch und Gesetz, von dem wir zu 
Anfang ausgegangen sind, enge zusammen. Zwischen dem na- 
turaliter ea quae legis sunt facere und dem secundum legem 
agere besteht doch ein mehr als äusserlicher Unterschied. Wenn 
wir am Ende des ersten Abschnittes das unabhängige Neben- 
einander der alten Praxis und des Gesetzes Mosis gerade auf 
diesem Gebiet unwahrscheinlich gefunden haben, so steigert sich 
die Unwahrscheinlichkeit dadurch, dass das letztere mit einem 
ganz anderen Geiste erfüllt ist, der nur als Zeitgeist aufgefasst 
werden kann. Es ist nicht die Luft des alten Reichs, sondern 
der Gemeinde des zweiten Tempels, in der der Priestercodex 
atmet. Damit stimmt, dass seine Opferordnung in ihrem posi- 
tiven Inhalt vom Altertum ebenso vollständig ignoriert, als von 
der nachexilischen Zeit genau befolgt wird. 



Drittes Kapitel. 

Die Feste. 

Die Feste gehören genau genommen noch in's vorige Ka- 
pitel, denn sie sind ursprünglich nichts als regelmässige Opfer- 
anlässe. Die Ergebnisse der vorhergehenden Untersuchung wie- 
derholen sich denn auch hier, aber mit einer so präcisen Deut- 
lichkeit, dass es sich lohnt, diesen Punkt für sich in's Auge zu 
fassen. Zunächst und hauptsächlich wird uns die Geschichte der 
solaren Feste in Anspruch nehmen, d. h. derjenigen, die sich 
nach den Jahreszeiten richten. 

I. 

1. In dem jehovistisch-deuteronomischen Teile des Penta- 
teuchs herrscht ein .Turnus von drei grossen Festen, die allein 



86 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

mit dem eigentlichen Namen Hag bezeichnet werden. „Dreimal 
sollst du mir Fest feiern im Jahr, dreimal im Jahr sollen alle 
deine Männer vor dem Herrn Jahve, dem Gotte Israels, er- 
scheinen" (Exod. 23, 14. 34, 23 = 23, 17. Deut. 16, 16). „Das Fest 
der ungesäuerten Brote (Massoth) sollst du feiern, sieben Tage 
Massoth essen, wie ich dir befohlen habe, zur Zeit des Monats 
Abib, denn da bist du ausgezogen aus Ägypten, und nicht er- 
scheint man vor mir mit leeren Händen; und das Fest des 
Schneidens (Kasir) der Erstlinge deiner Erzeugnisse, die du säest 
auf dem Felde; und das Fest der Lese (Asiph) am Ausgange 
des Jahres, beim Einherbsten deiner Erzeugnisse vom Felde. 4 ' 
So verordnet das Bundesbuch Exod. 23, 15. 16. Ähnlich das 
Zweitafelgesetz Exod. 34, 18 ff.: „Das Fest der ungesäuerten 
Brote sollst du feiern, sieben Tage Massoth essen, wie ich dir 
befohlen habe, zur Zeit des Monats Abib, denn im Monat Abib 
bist du ausgezogen aus Ägypten. Aller erste Wurf ist mein, 
alles männliche Vieh, der erste Wurf von Rind und Schaf; den 
ersten Wurf vom Esel sollst du lösen mit einem Schafe oder 
sonst ihm das Genick brechen, alle Erstgeburt deiner Söhne 
sollst du lösen, und nicht erscheint man vor mir mit leeren 
Händen. Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebenten Tage 
ruhen, auch in der Saat- und Erntezeit sollst du ruhen. Und 
das Wochenfest (Schabuoth) sollst du dir halten, der Erstlinge 
des Weizenschnittes, und das Fest der Lese (Asiph) beim Jahres- 
wechsel." Ausführlicher dagegen und von einer etwas anderen 
Art sind die Bestimmungen im 16. Kap. des Deuteronomiums. 
„Achte auf den Monat Abib und halte das Passah dem Jahve 
deinem Gott, denn im Monat Abib hat dich Jahve dein Gott 
aus Ägypten geführt bei der Nacht ; und opfere als Passah dem 
Jahve deinem Gott Kleinvieh und Rinder, an dem Orte, den 
Jahve erwählen wird zur Wohnung seines Namens. Du sollst 
nichts Gesäuertes dabei essen, sieben Tage sollst du dabei 
Massoth essen, Brot des Elends, denn in ängstlicher Eile bist 
du. aus Ägyptenland gezogen , damit du des Tages deines Aus- 
zugs aus Ägyptenland all dein Lebetag gedenkest. Es soll 
sieben Tage in deinem ganzen Lande kein Sauerteig zu sehen 
sein, und von dem Fleische, welches du am Abend am ersten 
Tage opferst, soll über Nacht kein Rest bleiben bis zum andern 
Morgen. Du darfst das Passah nicht in einem beliebigen deiner 



Die Feste. 87 

Thore, die Jahve dein Gott dir gibt, opfern, sondern an dem Orte, 
den Jahve dein Gott zum Wohnsitz seines Namens erwählen 
wird, sollst du das Passah opfern am Abend nach Sonnenunter- 
gang, zur Zeit deines Auszugs aus Ägypten, und sollst es kochen 
und essen an dem Orte, den Jahve dein Gott erwählen wird, 
und am andern Morgen wieder heimgehen. Sechs Tage sollst 
du Massoth essen und am siebenten Tage ist die Schlussfeier 
für Jahve deinen Gott, da sollst du keine Arbeit thun (v. 1 — 8). 
Sieben Wochen von da sollst du dir abzählen, von dem Anhieb 
der Sichel in die Saat sollst du anfangen sieben Wochen zu 
zählen und dann das Wochenfest (Schabuoth) dem Jahve deinem 
Gott halten, auf Grund freiwilliger Gaben deiner Hand, in dem 
Masse wie dich Jahve dein Gott segnet; und sollst dich freuen 
vor Jahve deinem Gott, du und dein Sohn und deine Tochter 
und dein Knecht und deine Magd und der Levit in deinen Thoren 
und der Fremdling und die Waise und die Witwe in deiner 
Mitte, an dem Orte, den Jahve dein Gott zur Wohnung seines 
Namens erwählen wird. Und denke daran, dass du Knecht ge- 
wesen bist in Ägypten, und halte und thue diese Gebote (v.9— 12). 
Das Laubhüttenfest (Sukkoth) sollst du dir halten sieben Tage 
lang, beim Einherbsten von deiner Tenne und von deiner Kelter, 
und sollst dich freuen an deinem Feste, du und dein Sohn und 
deine Tochter und dein Knecht und deine Magd und der Levit 
und der Fremdling und die Waise und die Witwe in deinen 
Thoren. Sieben Tage sollst du feiern dem. Jahve deinem Gott 
an dem Orte, den Jahve erwählen wird, dafür dass Jahve dein 
Gott dich segnet in allem Ertrage und in aller Arbeit deiner 
Hände, und sollst ganz Freude sein. Dreimal im Jahr sollen 
alle deine Männer vor Jahve deinem Gott erscheinen, an dem 
Orte, den er erwählt, am Fest der ungesäuerten Brote, der 
Wochen, und der Laubhütten (Hag ha-Massoth, -Schabuoth, -Suk- 
koth) ; und man soll nicht leer vor mir erscheinen, jeder so viel 
er geben kann, nach dem Masse des Segens, den Jahve dein 
Gott dir gegeben hat (v. 13—17)." 

Hinsichtlich des Wesens der beiden letzten Feste herrscht 
hier Übereinstimmung. Die Sukkoth des Deuteronomiums und 
das Asiph der jehovistischen Gesetzgebung fallen nicht bloss der 
Zeit nach zusammen , sondern sind in der That dasselbe Fest, 
das herbstliche Einheimsen des Weins und Öles von der Kelter, 



88 Geschiebte des Cultus, Kap. 3. 

aber auch des ausgedroschenen Korns von der Tenne. Der 
Name Asiph geht zunächst auf die Trauben- und Olivenlese, 
und auf diese scheint sich auch der Name Sukkoth zu beziehen, 
der sich am einfachsten aus der Sitte erklärt, mit Alt und Jung 
in die Weinberge zu ziehen und dort die Zeit des Herbstens 
über im Freien zu campieren, unter improvisiertem Zweigdach 
(Jes. 1, 8). Kasir und Schabuoth sind gleichfalls nur verschie- 
dene Namen für dieselbe Sache, nämlich für das Fest des Korn- 
oder genauer des Weizenschnittes, welcher in den Anfang des 
Sommers fällt. Diese beiden Feste haben also einen rein natür- 
lichen Anlass; dagegen wird das Frühlingsfest, welches immer 
die Reihe eröffnet, geschichtlich motiviert, und zwar wird ihm 
der Auszug aus Ägypten zur Grundlage gegeben, in der ausge- 
sprochensten Weise vom Deuteronomium. Aber der Cyklus 
scheint doch die ursprüngliche Gleichartigkeit seiner Glieder 
vorauszusetzen und zu fordern. Nun deutet der doppelte Ritus 
des Passah und der Massoth auf ein zwiespältiges Wesen dieses 
Festes. Das eigentliche Hag heisst nicht Hag ha-Pesah, 1 ) 
sondern Hag ha-Massoth, nur das letztere wird den beiden 
anderen Haggim coordiniert; der Name Pesah findet sich über- 
haupt erst im Deuteronomium, obwohl allerdings schon im 
Zweitafelgesetz das Erstgeburtsopfer mit dem Fest der unge- 
säuerten Brote zusammengelegt zu werden scheint. Es folgt, 
dass für die Vergleichung mit Kasir und Asiph nur die Massoth 
in Betracht kommen können. Über deren eigentliche Bedeutung 
die Zeitgenossen zu belehren findet die jehovistisehe Gesetz- 
gebung nicht nötig, dieselbe verrät sich aber im Deuteronomium. 
Hier ist das Schneidefest in eine bestimmte zeitliche Beziehung 
zum Massothfeste gesetzt: es soll sieben Wochen später gefeiert 
werden. Dies ist keine neue Verordnung, sondern auf alter 
Sitte beruhend, denn der Name Wochenfest findet sich schon 
Exod. 34 (vgl. Jerem. 5, 24). Sieben Wochen nach Ostern (Deut. 
16, 9) wird aber weiterhin genauer dahin erklärt: sieben Wochen 
nach dem Anhieb der Sichel in die Saat. Mithin ist das Massoth- 
fest der Anhieb der Sichel in die Saat, und es fällt dadurch 
Licht auf seine feste Beziehung zu Pfingsten. Pfingsten feiert 

l ) Die originale Form des Spruches Exod. 34, 25 ist Exod. 23, 18 (ijpj, nicht 
nDSn 3n) erhalten. Im Deuteronomium heisst es, obschon das HDD 
mehr hervortritt, dennoch HI^DH 3n 16, 1^. 



Die Feste. , 89 

das Ende der Mahd, die mit der Gerste beginnt und mit dem 
Weizen schliesst, Ostern den Anfang „im Ährenmonat", dazwischen 
liegt die auf sieben Wochen bemessene Dauer der Kornernte. 
Dieses ganze tempus clausum ist eine von den beiden Festen 
eingerahmte grosse Freudenzeit. Weitere Aufklärung gewinnen 
wir aus Lev. 23, 9—22 ] ). Der Ostertermin ist hier wie im Deu- 
terönomium der Anfang des Schneidens, er wird aber genauer 
bestimmt auf den Tag nach dem ersten Sabbath, der in die 
Erntezeit fällt, und darnach richtet sich dann auch die Rechnung 
der Pentekoste. Der eigentümliche Osterritus aber ist die Dar- 
bringung einer Gerstengarbe — vorher darf niemand vom neuen 
Getreide kosten; der entsprechende Pfingstritus ist die Darbrin- 
gung gewöhnlicher Weizenbrote. Mit der Gerste beginnt, mit dem 
Weizen schliesst die Kornernte; zu Anfang wird die Aparche 
roh als Garbe dargebracht, wie auch die Menschen das frische 
Gewächs als geröstete Ähren verspeisen (Lev. 23, 14. Jos. 5, 11), 
zu Ende zubereitet als ordentliches Brot. Nun werden auch die 
Massoth verständlich. Es sind dies, wie bereits gesagt, nicht 
eigentlich süsse, sondern in der Eile gebackene Notbrote (1. Sam. 
28, 24); sie werden insofern ganz richtig mit der Eile des Aus- 
zugs motiviert und als Elendbrot bezeichnet. Zuerst lässt man" 
sich nicht Zeit, das Neue vom Jahre noch lange zu säuern zu 
kneten und zu backen, sondern man macht daraus ge- 
schwindeine Art Aschenkuchen : das sind die richtigen Massoth. 
Sie stehen in dem selben Gegensatz zu den Pfingstlaiben, 
wie die Garbe und die gerösteten Ähren, welche letzteren 
nach Jos. 5, 11 an ihrer statt gegessen werden dürfen, sie 
sind ursprünglich gewiss nicht bloss die Osterspeise der Men- 
schen, sondern auch Gottes gewesen, so dass die Garbe in die 
Kategorie der geistigen Verfeinerungen des Opfermaterials ge- 
hören würde. 

Also ist Ostern die Anfangs- und Pfingsten die Schlussfeier 



l ) Man könnte dagegen freilich erinnern, dass dies Stück gegenwärtig dem 
Priestercodex angehört. Aber die Sammlung Lev. 17 — 26 ist bekanntlich 
von diesem nur überarbeitet und recipiert, ursprünglich aber ein selb- 
ständiges Corpus, welches auf dem Übergänge vom Deuteronomium zum 
Priestercodex steht, bald diesem bald jenem sich nähernd; und die volle 
Berechtigung Lev. 23, 9 — 22 in diesem Zusammenhange zu verwerten, 
folgt daraus, dass die dort beschriebenen Riten nur auf diese Weise Leben 
und Bedeutung gewinnen. 



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l\ ~s 



90 Geschichte des Culttis, Kap. 3. 

oder, was das selbe sagen will, die Asereth 1 ) der sieben- 
wöehentlichen „Freude des Schneidens"; und das Frühlingsfest 
hat nun keine befremdliche Stellung mehr in dem Cyklus der 
drei Jahresfeste. Aber wie steht es mit dem Passah? Was der 
Name bedeutet, ist nicht klar; wie wir gesehen haben, kommt 
er erst im Deuteronomium vor, und dort wird auch die Zeit der 
Feier bestimmt auf den Abend und die Nacht des ersten Massoth- 
tages, von Sonnenuntergang an bis an den folgenden Morgen. 
r Der Sache nach läuft das Passah hinaus auf das Erstgeburts- 
opfer (Exod. 34, 18 f. 13, 12ff. Deut 15, 19 ff. 16,1 ff.), und an 
diesem Punkte vornehmlich hängt der historische Charakter des 
ganzen Festes. Weil Jahve die ägyptische Erstgeburt geschlagen 
und die hebräische verschont hat, deswegen wird ihm seitdem 
die letztere geheiligt. So heisst es nicht bloss im Priestercodex, 
sondern auch Exod. 13, llff. Aber in ihren beiden Quellen 
kennt die jehovistische Tradition diese Vorstellung nicht. „Lass 
mein Volk, dass mir's ein Fest feiere in der Wüste, mit Opfern 
von Rindern und Schafen 44 — das ist von anfang an die For- 
derung an Pharao, und um sich zu diesem von vornherein in's 
Auge gefassten Zwecke wie sichs gehört zu putzen, borgen die 
Ausziehenden Feierkleider und Schmuck von den Ägyptern. 
Weil Pharao nicht zugeben will, dass die Hebräer ihrem Gott 
die ihm gebührenden Erstlinge des Viehs darbringen, deshalb 
nimmt Jahve sich selbst mit Gewalt von jenem die Erstgeburt 
der Menschen. • Also gilt nicht der Auszug als Veranlassung des 
Festes, sondern das Fest als Veranlassung, wenn auch nur als 
Vor wand, des Auszugs. Wenn nun in Exod. 13 das Verhältnis 
umgekehrt ist, so gehört das Stück eben nicht den Quellen der 
jehovis tischen Tradition an, sondern der Bearbeitung, und zwar, 
wie aus anderen Gründen für den ganzen Abschnitt 13, 1 — 16 
gewiss ist, einer deuteronomistischen Bearbeitung. Damit ge- 
langen wir zu dem Ergebnis, dass die geschichtliche Motivierung 
des Passah erst vom Deuteronomium vollzogen ist, wenn auch 
vielleicht schon vorher eine gewisse Neigung dazu sich con- 
statieren lässt, ebenso wie bei den Massoth (Exod. 12, 34). Sie 
ist augenscheinlich veranlasst, durch das schon von der älteren 
Überlieferung angenommene Zusammenfallen des Frühlingsfestes 

l ) Haneberg Altertümer 2. Aufl. S. 656. Im Deut, dauert Pfingsten als Ase- 
reth nur einen Tag, während Ostern und Laubhütten eine Woche, 



Die Feste. . 9t 

und des Auszugs aus Ägypten, wobei sich das Verhältnis von 
Ursache und Wirkung im Laufe der Zeit umkehrte. Der Natur 
der Dinge entspricht es einzig, die Sitte des israelitischen Erst- 
lingsopfers als Mutter der Erzählung von der Tötung der ägyp- 
tischen Erstgeburt anzusehen ; ohne Voraussetzung der Sitte 
würde die Erzählung unerklärlich und die sonderbare Auswahl, 
welche die Pest unter den Menschen trifft, völlig unmotiviert 
sein. 

Das Opfer der Erstgeburten — der männlichen , denn die 
weiblichen wurden wie bei uns aufgezogen — erklärt sich auch 
ohne geschichtliche Grundlage und zwar auf eine recht simple 
Weise: es ist der Dank, welcher" der Gottheit von den Erzeug- 
nissen der Viehzucht entrichtet wird. Wenn auf die mensch- 
liche Erstgeburt ebenfalls Anspruch erhoben wird, so ist das 
weiter nichts als eine nachträgliche Generalisierung, welche am 
Ende doch • nur auf eine Lösung durch Schlachtvieh und also 
auf eine Vergrösserung des ursprünglichen Opfers hinausläuft. 
In Exod. 22, 28. 29 und 34, 19 scheint diese Consequenz noch 
nicht gezogen, ja noch nicht einmal als möglich geahnt, und in 
34,20 erst nachgetragen zu sein; am ausgesprochensten tritt 
sie in der spätesten Stelle 13, 12 auf, denn da ist Dm ItOD dem 
"\M *N3D entgegengesetzt und für das erstere der Ausdruck 
TZWn gebraucht, der für das Kinderopfer zu Jeremia's und 
Ezechiel's Zeit technisch ist. Die Ansicht von einigen Gelehrten, 
meistens Streifzüglern auf Alttestamentlichem Gebiete, als sei die 
Schlachtung der erstgeborenen Knäblein ursprünglich gerade die 
Hauptsache beim Passah, verdient kaum Widerlegung. Wie die 
anderen Feste, so hat auch dieses, abgesehen von der Auffassung 
des Priestercodex, einen durchaus fröhlichen Charakter (Exod. 
10,9. Deut. 16,7 vgl. Isa. 30,29). Historisch ist die Hingabe 
des einzigen oder des wertesten Kindes wohl in einigen Bei- 
spielen bezeugt, aber stets als freiwillige und ganz exorbitante 
That; die Stelle Hos. 13,2 beweist nicht das Gegenteil 1 ). Eine 

l ) „Sie machen sich Gussbilder aus ihrem Silber, nach ihrer Phantasie Öl- 
götzen, zu denen reden sie, opfernde Menschen küssen Kälber". Men- 
schenopfer würde der Prophet schwerlich nur so beiläufig, mehr im Spott 
als in der Entrüstung, tadeln; er würde das Empörende, Scheussliche 
der That viel mehr hervorheben als das Widersinnige. Also bedeutet 
D1K TD! wohl: Opfernde aus dem Genus Mensch. Indessen, wenn es 
auch Menschenschlächter bedeutete, so würde daraus für das regelmässige 
Kinderopfer doch nichts folgen. 



92 Geschichte des Cultus, Kap. .3. 

regelmässige und geforderte Abgabe ist in der alten Zeit das 
menschliche Erstgeburtsopfer auf keinen Fall gewesen, es finden 
sich von einem so enormen Blutzoll keine Spuren, desto mehrere 
von einer grossen Bevorzugung der ältesten Söhne. Erst kurz 
vor dem Exil kam mit vielen anderen Neuerungen das Kinder- 
verbrennen im grossen Stil auf, das man dann auch mit einer 
strengen Interpretation der Forderung der Erstgeburten stützte 
(Jer. 7, 31. 19, 5. Ezech. 20, 26). Dazu stimmt es, dass das Ge- 
setz Exod. 13, 3 — 16 von der Hand des jüngsten Bearbeiters des 
jehovistischen Geschichtswerks herrührt. 

2. „Abel war ein Hirt und Kain war ein Ackersmann. 
Und einmal, da brachte Kain von der Frucht des Ackers dem 
Jahve eine Gabe dar, und Abel brachte auch ein Opfer von den 
Erstgeburten seiner Schafe. 44 Die einfachsten natürlichsten und 
allgemeinsten Opfer, die Erstlinge von den Erzeugnissen des 
Ackerbaues und der Viehzucht, deren Anlässe sich regelmässig 
mit den Jahreszeiten wiederholen — aus denen sind die Feste 
geworden. Passah entspricht den Erstgeburten Abels des Hir- 
ten, die anderen drei den Feldfrüchten Kains des Ackersmannes; 
abgesehen von diesem Unterschiede ist das Wesen und Funda- 
ment aller dieser Feste das gleiche. Ihr Zusammenhang mit 
den Aparchen der Jahreszeit wird freilich in der jehovistischen 
und deuteronomischen Gesetzgebung mehr vorausgesetzt als aus- 
gesprochen. Doch heisst es Exod. 23, 17—19. 34, 23—26: „Drei- 
mal im Jahre sollen alle deine Männer vor dem Herrn Jahve 
erscheinen — du sollst nicht mit Saurem das Blut meines 
Opfers vermischen und das Fett meines Festes nicht bis zum 
anderen Morgen übrig lassen, das Beste der ersten Feldfrüchte 
sollst du zum Hause deines Gottes bringen, du sollst das Böck- 
chen nicht in der Milch seiner Mutter kochen. 44 Man erscheint 
nicht leer vor Jahve: daraus ergibt sich die Beziehung, welche 
zwischen dem vorangestellten allgemeinen Satze und den#folgen- 
den speciellen waltet. Unter diesen könnte sich der erste 
vielleicht auf das Passahfest beziehen; er gilt zwar ohne Zweifel 
von allen Tieropfern, aber faktisch wurden solche vom Volke 
eben vorwiegend zu dem grossen Schlachtefest dargebracht, wenn 
die Rinder und Schafe geworfen hatten. Die übrigen Sätze be- 
ziehen sich dann auf das Ernte- und Lesefest, deren Basierung 
auf den Ertrag des Feldes ohnehin klar ist. Was das Deute- 



Die Feste. 93 

ronomium anbelangt, so wird auch hier einerseits gefordert, man 
solle die Abgaben von Feldfrüehten und Vieh persönlich in Je- 
rusalem darbringen und dort fröhliche Opfermahlzeiten davon 
veranstalten, andererseits, man solle dreimal in Jerusalem er- 
scheinen, zu Ostern Pfingsten und Laubhütten, und nicht mit 
leeren Händen. Das lässt sich nur so vereinigen, dass die Ab- 
gaben eben zu den Festen den Stpff lieferten. Ersichtlich fällt 
im Deut, alles drei zusammen, Opfer, Abgaben, Feste; es ist 
kaum von anderen Opfern die Rede als von denen, die von den 
Abgaben veranstaltet werden, um sich vor Jahve am Feste zu 
freuen; die Abgaben sind eigentlich weiter nichts als die von 
der Volkssitte vorgeschriebenen, darum festen und festlichen 
Opfer, von denen allein das Gesetz Veranlassung hat zu han- 
deln 1 ). Es macht sich von selber so, dass der Dank für den 
Segen Jahve' s gemeinsam dargebracht wird ; besonderes Gewicht 
wird nicht gerade darauf gelegt. Namentlich das Erstgeburts- 
opfer steht ge wissermassen noch auf dem Übergänge zum Feste. 
Das Bundesbuch gebietet Exod. 22, 29, das Junge sieben Tage 
seiner Mutter zu lassen und es am achten dem Jahve zu geben; 
hier ist, wie es scheint, das grosse Schlachtefest unbekannt. 
Dagegen wird es in der jehovistischen Erzählung des Auszugs 
und wohl auch im Zweitafelgesetz Exod. 34, 19. 25 vorausgesetzt. 
Da die Erstgeburten der Heerdentiere in den Frühling zu fallen 
pflegen, so erklärt es sich, dass man die Opferung derselben 
zusammenzulegen anfing; doch ist die Sitte wahrscheinlich lokal 
verschieden gewesen. Entschiedener haben sich die Ernte- 
aparchen zu Festen ausgebildet, wie es ja in der Natur der 
Dinge liegt, dass die Feldfrüchte ihre Zeit regelmässiger inne- 
halten als die Kälber und Lämmer. Indessen ist es auch hier 
in Exod. 23. 34 noch durchaus nicht zu festen Terminen gekom- 
men, so dass man von einer im strengen Sinn gemeinschaftlichen 
Feier kaum reden kann und eher von Festzeiten als von Fest- 

12, 6 f. llf. 14,23. 26. 16, 7. 11. 14. In dem Abschnitt 14, 22—16, 17 
werden Abgaben und Feste zusammengefasst. In der ersten Hälfte 14, 
22—15,18 findet ein stufenmässiger Fortschritt statt von den Leistungen, 
die innerhalb eines einzelnen Jahres sich wiederholen, zu denen, die alle 
drei und endlich alle sieben Jahr fällig sind; in der zweiten Hälfte 15, 
19 — 16, 17 wird noch einmal auf die hauptsächlichen, d. h. die jahreszeit- 
lichen Abgaben zurückgegangen und zunächst über die Erstgeburten und 
das Passahfest, sodann, über die beiden anderen Feste gehandelt, denen 
der Fruchtzehnte entspricht. 



94 Geschichte des Oultus, Kap. 3. 

tagen. Ostern wird im Monat Abib gefeiert, wenn die Saat in 
Ähren steht (Exod. 9, 31. 32), Pfingsten, wenn der Weizen ge- 
schnitten ist, das Herbstfest, wenn die Lese beendet ist: ziem- 
lieh weite und variable Bestimmungen. Das Deuteronomium 
thut einen Sehritt zu grösserer Fixierung der Termine und der 
Fristen, was natürlich mit der Centralisierung des Cultus in 
Jerusalem aufs engste zusammenhängt. Aber ein Gesammtfest- 
opfer der Gemeinde findet sich auch hier nicht, sondern nur 
vereinigte Privatopfer der Einzelnen. 

Dem entsprechend ist das Mass der Gaben noch so ziem- 
lich dem guten Willen tiberlassen. Nur die Erstgeburten sind 
eine bestimmte Forderung. Die im Deuteronomium gestattete 
Ablösung durch Geld, wofür man in Jerusalem anderes Opfer- 
vieh kauft, hat für die frühere Zeit keinen rechten Sinn; doch 
mag auch damals der Darbringer sich in einzelnen Fällen die 
Freiheit des Umtauschs genommen haben, da ja doch seine 
Gabe, als Mahlopfer, wesentlich ihm selber zu gut kam (Exod. 
23,18. Gen. 4,4: jrrabriDI). Für die Erstlinge der Feldfrüchte 
wird im Exodus gar kein Mass vorgeschrieben, das Deuterono- 
mium verlangt den Zehnten von Korn Most und Öl, der aber 
nicht mathematisch streng zu verstehen ist, da er zu Opfermahl- 
zeiten verwandt, nicht an einen Anderen entrichtet und also 
auch nicht nachgezählt wird. Und zwar wird der Zehnte, wie 
aus Deut. 26 erhellt, zum Herbst d. h. zu Laubhütten darge- 
bracht 1 ); dies ist das eigentliche Erntedankfest, nicht bloss für 
den Ertrag der Kelter, sondern auch der Tenne (16, 13) ; es nimmt 
sieben Tage in Anspruch, die alle in Jerusalem gefeiert werden 
müssen, während bei den Massoth bloss der erste. Übrigens 
versteht es sich von selbst, dass man sich nicht auf den Genuss 
der. vegetabilischen Gaben beschränkt, sondern auch Fleischopfer 
hinzunimmt, die vielleicht mit aus dem Verkauf des Zehnten be- 
stritten wurden. Dadurch konnte sich der besondere Charakter 
der Feste und ihr Zusammenhang mit den ihnen eigentümlichen 
Aparchen leicht verwischen, ein Fall, der in der That im Deute- 
ronomium und vielleicht schon früher eingetreten zu sein scheint. 

J ) Nach einem Zusätze der Sept. brachte Elkana den Zehnten am Herbst- 
feste nach Silo. Hieron. zu Ezech. 1, 3 : Apud orientales populos post 
collectionem frugum et toreularia, quando ^ecimae deferebantur in tem- 
plum, October erat primus mensis et Ianuarius quartus. 



Die Feste. 95 

Dass uns Vieles unklar vorkommt, was den Zeitgenossen selbst- 
verständlich sein musste, ist nicht zu verwundern ; es wird eben 
auch im Deuteronomium das Meiste der bestehenden Sitte tiber- 
lassen und nur immer die eine Hauptsache eingeschärft, dass 
man den Gottesdienst und also auch die Feste nur in Jerusalem 
feiern dürfe. 

Im Ganzen und Grossen kann es nicht zweifelhaft sein, dass 
nicht nur in der jehovistischen, sondern auch in der deuterono- 
mischen Gesetzgebung die Feste auf dem Ackerbau fussen *), der 
die Grundlage wie des Lebens so der Religion ist. Das Land, 
das fruchtbare Land ersetzt beides, Himmel und Hölle, zugleich. 
Jahve gibt das Land und sein Vermögen, er empfängt das Beste 
vom Ertrage zum Dank, den Zehnten als Anerkennung seines 
Besitzrechtes. Indem er seinem Volke das Land zu Lehen ge- 
geben hat, ist überhaupt das Verhältnis zwischen beiden erst 
fertig geworden; es wird beständig warm gehalten dadurch, dass 
von Jahve Wetter und Fruchtbarkeit abhängt. Im Deuterono- 
mium sieht man die ersten stärkeren Spuren einer Vergeschicht- 
lichurig der Religion und des Cultus, die sich. aber noch in be- 
scheidenen Grenzen hält Das historische Ereignis, worauf zurück- 
gegangen wird, ist immer die Ausführung aus Ägypten, und dies 
ist insofern bezeichnend, als die Ausführung aus Ägypten zu- 
sammenfällt mit der Einführung in Kanaan, d. h. mit der Land- 
gabe, und also die geschichtliche Motivierung doch wieder ein- 
mündet in die natürliche. Darum kann man sagen, dass von der 
Herbringung nach Kanaan nicht bloss das Osterfest, sondern 
alle Feste abhangen, und dies tritt wirklich • deutlich in dem Ge- 
bete Deut. 26 hervor, womit zu Laubhütten der Anteil, der dem 
Priester von den Festgaben zufiel, der Gottheit übergeben wurde. 
Es wird ein Körbchen mit Früchten auf den Altar gesetzt und 
Folgendes dazu gesprochen. „Ein irrender Aramäer war mein 
Vater und ging hinab nach Ägypten und weilte dort wenige 
Männer stark, und ward dort zu einem grossen starken und 
zahlreichen Volke. Die Ägypter aber mishandelten und drückten 
sie und legten ihnen harten Dienst auf, da riefen wir zu Jahve 
dem Gott unserer Väter und er hörte unsere Stimme und sah 
unser Elend und Leid und unsere Drangsal. Und Jahve führte 

l ) Nur das Passah fusst vielmehr auf der Viehzucht. 



96 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

uns &us Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm 
und grosser Majestät unter Zeichen und Wundern, und brach'te 
uns an diesen Ort und gab uns dies Land, ein Land, 
wo Milch und Honig fliesst: nun also bringe ich das 
Beste der Früchte des Landes, welches du mir gege- 
ben hast." Man beachte, worauf hier die Heilsthat hinausläuft, 
durch die Israel gegründet wurde. 

IL 

Mit diesem Befunde der jehovistisch-deuteronomischen Ge- 
setzgebung stimmt die vorexilische Sitte, soweit sie verfolgbar 
und in den geschichtlichen und prophetischen Büchern be- 
zeugt ist. 

1. Altisraelitische Feste müssen — wenn dies überhaupt 
möglich ist — das Hirtenleben zur Basis gehabt haben. Es 
ist insofern consequent, wenn das Fest, welches dem Auszuge 
aus Ägypten als Veranlassung untergelegt wird, als ein in der 
Wüste zu feierndes und als ein Schlachtefest gilt, welches mit 
dem Fruchtlande und der Ernte nichts zu schaffen hat. Ein 
mit am frühesten und zwar für das schafzüchtende Juda be- 
zeugtes Fest ist die Schur (1. Sam. 25, 2 ff. Gen. 38, 12); sie 
scheint sich aber nicht zu einer regelmässigen und selbständigen 
Feier entwickelt zu haben. Aparchen von Wolle und Flachs 
kommen bei Hosea vor (2, 7. 11), wie von der Wolle allein im 
Deuteronomium (18, 4). 

Die Agricültur haben die Hebräer von den Kanaanitern ge- 
lernt, in deren Lande sie sich niederliessen und mit denen ver- 
schmelzend sie in der Richterzeit zum ansässigen Leben über- 
gingen. Ehe sie die Metamorphose von Hirten zu Bauern durch- 
gemacht hatten, konnten sie unmöglich die auf den Ackerbau 
bezüglichen Feste haben. Es müsste mit sonderbaren Dingen 
zugehen, wenn sie dieselben nicht ebenfalls von den Kanaanitern 
übernommen hätten. Jene verdankten dem Baal das Land und 
seine Früchte und bezahlten ihm dafür den Tribut; sie dem 
Jahve. Der Inhalt der Handlung an sich. war weder heidnisch 
noch israelitisch, eines und das andere wurde sie erst durch 
die dativische Beziehung. Der Übertragung der Feste von Baal 
auf Jahve stand somit nichts entgegen, im Gegenteil musste sie 
als Bekenntnis des Glaubens gelten, dass nicht in dem heidnischen, 



Die Feste. 97 

sondern dem israelitischen Gott das Land und sein Ertrag, und 
damit die ganze Grundlage der Volksexistenz, verdankt werde. 

Am höchsten hinauf reicht die Bezeugung des Herbstfestes 
der Weinlese. Und zwar zunächst als einer Sitte der kanaani- 
tischen Bevölkerung von Sichern. In der alten und inhaltreichen 
Geschichte von Abimelech, dem Sohne Jerubbaals, wird über die 
Bürger von Sichern berichtet (Jud. 9,26): sie gingen hinaus aufs 
Feld und hielten Weinlese und kelterten und feierten Hillulim 
und kamen ins Haus ihres Gottes und assen und tranken und 
fluchten dem Abimelech. Ziemlich früh muss sich aber diese 
Feier dann auch bei den Israeliten eingebürgert haben. Zu Silo 
soll nach Jud. 21, 19ff. von Jahr zu Jahr in den Weinbergen dem 
Jahve ein Fest begangen sein, wobei die Mädchen draussen zum 
Reigen antraten. Wenn auch die Erzählung Jud. 19 ff. im Ganzen 
höchst unglaubwürdig ist, so berührt das doch diesen beiläufigen 
Zug nicht notwendig, zumal er- durch 1. Sam. 1 bestätigt wird. 
Hier ist nämlich abermals von einem Feste zu Silo die Rede, 
welches am Ende des Jahres, d. i. im Herbst zur Zeit des Asiph *), 
stattfindet und w T ozu auch die Nachbarschaft wallfahrtet. Er- 
sichtlich kommt das Fest nicht allenthalben zugleich auf, son- 
dern an bestimmten einzelnen Orten (in Ephraim), die dann 
auch auf die Umgegend wirken. Die Sache hängt zusammen 
mit der Entstehung grösserer Heiligtümer gegen Ende der Richter- 
zeit, beziehungsweise mit ihrer Übernahme von den alten Ein- 
wohnern; z. B. nachdem Sichern eine israelitische Stadt geworden 
war, werden die Hillulim so wenig abgeschafft worden sein wie 
das Gotteshaus. 

Bedeutenden Einfluss müssen dabei die grossen königlichen 
Tempelbauten ausgeübt haben. Sowohl zu Jerusalem als zu 
Bethel wurde seit Salomo und Jerobeam das Fest gefeiert, das- 
selbe wie zu Sichern und Silo, dort im September, hier vielleicht 
etwas später 2 ). Dies war damals die einzige wirkliche Pane- 
gyris. Die Feste zu Anfang des Sommers mögen zwar auch 
schon begangen sein (Isa. 9, 2), aber in kleineren lokalen Kreisen. 

1 ) D^OVl H&pnb (= im neuen Jahr) 1. Sani. 1, 20. Exod. 34, 22. • Darnach 
ist auch DD^ffl QV^D J u( *- 21, 19. 1. Sam. 1, 3 zu verstehen, vgl. 
Zach. 14, 16. # 

2 ) 1. Reg. 12,32 ist freilich sehr unzuverlässig. 1. Reg. 8, 2 ist mit 6, 38 
nicht gut zu reimen, wenn die Deutung von Bul und Ethanim richtig ist. 

W e 1 1 h a u s e n , Prolegomena. 7 



98 Geschichte des Cultns, Kap. 3. 

Man erkennt diesen Unterschied noch im Deuteronomium, denn 
obwohl hier die Laubhütten theoretisch nicht den Vorrang haben, 
so werden doch faktisch nur sie von Anfang bis zu Ende beim 
Centralheiligtum, Ostern dagegen im Ganzen zu Hause und nur 
am ersten Tage in Jerusalem gefeiert; noch dazu wird die ge- 
ringere Forderung viel nachdrücklicher eingeschärft als die 
grössere, so dass die erstere scheint Neuerung, die letztere aber 
ältere Sitte gewesen zu sein. Arnos und Hosea, wie sie einen 
glänzenden Cultus und grosse Opferstätten voraussetzen, kennen 
ohne Zweifel auch mehrere Feste, aber sie haben keinen Anlass, 
irgend eins bei Namen zu nennen. Bestimmtere Angaben finden 
sich bei Jesaia. Die Drohung, dass man binnen Jahresfrist die 
Assyrer im Lande haben werde, drückt er 29,1 so aus: „Fügt 
Jahr zu Jahr, lasst die Feste kreisen, dann bedränge ich Jerusa- 
lem 44 , und am Ende der selben Rede lässt er sich 32, 9 ff. so ver- 
nehmen: „Ihr leichtsinnigen Weiber, auf, höret meine Stimme, 
ihr sorglosen Mädchen merkt auf meine Worte: in Jahr und Tag 
werdet ihr Sorglosen zittern, denn ein Ende hat's da mit der 
Lese und das Herbsten fällt aus; auf die Brüste werdet ihr euch 
schlagen ob der lieblichen Gefilde, ob des reichtragenden Wein- 
stocks 44 . Wenn die beiden Stellen zusammengehalten werden, 
so geht daraus hervor, dass Jesaia, der allgemeinen Sitte der 
Propheten bei grossen Volksversammlungen aufzutreten folgend, 
hier zur Zeit des Herbstfestes redet, an dem sich auch die 
Weiber lebhaft beteiligten (Jud. 21, 19 ff.). Dieses Herbstfest 
aber, dessen fröhlicher und natürlicher Charakter unverkennbar 
durchscheint, fällt bei ihm an den Jahreswechsel, wie man aus 
dem Vergleich von ispr 29, 1 mit nspn Exod. 34, 22. 1. Sam. 
1, 20 abnehmen darf, und schliesst einen hier zuerst erwähnten 
Cyklus von Festen ab. 

Der selbe Jesaia erwähnt zuerst eine Pannychis als einleitende 
Festfeier 30,29, offenbar die Vigiliennacht Exod. 12,42. Es 
wird kaum zufällig sein, dass sich gerade bei diesem spezifisch 
jerusalemischen Propheten der Turnus so bei einander findet. 
Das Passah kommt unter diesem Namen nur 2. Eeg. 23, 21 ff. 
vor, wo erzählt wird, im 18. Jahr des Königs Josia sei es nach 
der Vorschrift des Gesetzes (Deut. 16) begangen und zwar da- 
mals zum erstenmal, bisher nie seit den Tagen der Richter. 
Wenn hier die Neuheit der Institution so sehr hervorgehoben 



Die Feste. 99 

wird, so bezieht sich das einmal natürlich nicht auf die Massoth, 
und auch bei dem Passah weniger auf die Sache, als auf den 
Modus der deuteronomischen Vorschrift. Diese macht daraus 
eine in Jerusalem zu feiernde Panegyris, als welche bis dahin 
nur das Herbstfest hergebracht war, und indem sie zugleich den 
Ersatz der männlichen Erstgeburten durch andere Opfertiere ge- 
stattet, verwischt sie vollends einen wichtigen Zug der alten Sitte. 
Das wird es sein, was als Neuerung empfunden wurde. 

2. Nach dieser Übersicht scheint es nun freilieb mit der 
behaupteten Congruenz des jehovistischen Gesetzes und der 
älteren Praxis nicht ganz wohl bestellt zu sein. Namen lassen 
sich überall nicht nachweisen, der Sache nach ist nur das Herbst- 
fest gut bezeugt, aber wie es scheint als das einzige, als das 
Fest. Ohne Zweifel ist es auch das älteste und wichtigste ge- 
wesen, wie es immer das abschliessende blieb. Was glücklich 
vollendet ist, begeht man mit dem meisten Recht; der Abschluss 
der Ernte, sowohl des Drusches als der Kelterung, eignet sich 
auch deshalb am besten zu einer grossen Gesammtfeier, weil 
hier der Termin nicht so wie bei der Freude des Schneidens 
von der Natur abhängt, sondern eher in des Menschen Hand 
steht und von ihm geregelt werden kann. Doch müssen schon 
in der älteren Königszeit die Vorfeste daneben bestanden haben 
(Isa. 29, 1). Die Einzigkeit der Laubhütten wäre dann darauf 
zu beschränken, dass es weiter kein allgemeines Fest zu Jeru- 
salem und zu Bethel gab; lokale Feiern „auf allen Korntennen" 
— das heisst auf allen Bamoth — werden dadurch nicht ausge- 
schlossen (Hos. 9, 1). Die jehovistische Gesetzgebung aber macht 
dazwischen keinen Unterschied, denn sie will von den grossen 
Tempeln nichts wissen J )- Übrigens mag sie auch wohl die noch 
unbestimmtere Sitte etwas systematisieren; der Übergang von 
den Aparchen zum Feste war vielleicht in der Praxis noch 
fliessender. Von Übereinstimmung in der Hauptsache dennoch 
zu reden, ist man, bei der Dürftigkeit des positiven Materials, 
darum berechtigt, weil der Begriff der Feste hier und dort der- 
selbe ist. Sehr lehrreich in dieser Hinsicht sind zwei Abschnitte 
aus Hosea, Kap. 2 und Kap. 9, so dass sie verdienen ausführlich 
mitgeteilt zu werden. 

*) Exod. 20, 24—26 nimmt sich beinah aus wie ein Protest gegen die Ein- 
richtungen des salomonischen Tempels, namentlich v. 26. 

7* 



100 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

In der einen wird Israel als Frau vorgestellt, die von ihrem 
Manne, d. h. der Gottheit, den Unterhalt bekommt: dies ist die 
Basis des Treueverhältnisses. Sie irrt sieh aber in dem, der ihr 
Speise Trank und Kleidung gibt, meinend es seien die Idole, 
"während es Jahve ist. „Sie hat gesagt: ich will meinen Buhlen 
nachlaufen, die mein Brod und Wasser, meine Wolle und Flachs, 
mein Öl und mein Getränke spenden. Weiss sie denn nicht, 
dass ich (Jahve) ihr das Korn und den Most und das Ol gegeben 
habe und Silber in Menge und Gold — daraus sie Götzen macht? 
Darum will ich mein Korn wieder an mich nehmen zu seiner 
Zeit und meinen Most zu seiner Frist, und meine Wolle und 
meinen Flachs wegholen, die ihr zur Kleidung dienen ; und dann 
will ich ihre Blosse vor den Augen ihrer Buhlen aufdecken und 
niemand soll sie meiner Hand entreissen. Und ich mache all 
ihrer Freude ein Ende, ihren Festen Neumonden und Sabbathen 
und all ihren Feiertagen. Und ich verwüste ihre Reben und 
Feigen, von denen *sie sagte: Buhllohn ist's für mich, den meine 
Buhlen mir gegeben haben ; und ich mache dieselben zur Wildnis 
und die Tiere des Feldes sollen sie fressen. So strafe ich an 
ihr die Tage der Götzen, da sie ihnen räucherte und ihren 
Schmuck und Kleinodien anlegte und ihren Buhlen nachlief und 
mich vergass, spricht Jahve. Darum so will ich sie locken und 
sie in die Wüste führen und ihr dort ihre Weinberge anweisen; 
da wird sie fügsam wie in ihrer Jugend und wie zur Zeit da 
sie aus Agyptenland zog. Darnach verlobe ich dich mir aufs 
neue für immer, um Recht und Gerechtigkeit und um Liebe und 
Erbarmen. Jenes Tages will ich, spricht Jahve, dem Himmel 
willfahren, und der wird der Erde willfahren, und die Erde 
wird dem Korn Most und Ol willfahren, und sie werden Israel 
willfahren" (2,7 — 24). Der Segen des Landes ist hier das Ziel 
der Religion, und zwar ganz allgemein sowohl der falschen heid- 
nischen, als auch der wahren israelitischen 1 ). Sie hat keine 
historischen Heilsthaten, sondern die Natur zur Grundlage, welche 

*) Yg]. Zach. 14, 16 ff. Die Übriggebliebenen von den Völkern, die gegen 
Jerusalem gezogen sind, werden von Jahr zu Jahr wallfahrten zu huldigen 
dem Jahve Sebaoth und das Laubhüttenfest zu feiern. Welche aber nicht 
mit wallfahrten von den Geschlechtern der Erde nach Jerusalem zu hul- 
digen dem Jahve Sebaoth, für die wird der Regen ausbleiben. Die 
Ägypter aber — die wegen des Nils keines Regens bedürfen — werden 
auf andere Weise gestraft, wenn sie nicht zum Laubhüttenfeste kommen. 



Die Feste. 101 

jedoch nur als Domanium der Gottheit und als Arbeitsfeld der 
Menschen betrachtet und keineswegs selbst vergöttert wird. Das 
Land ist das Haus Jahve's (8, 1. 9, 15), worin er der Nation 
Wohnung und Unterhalt gibt; im Lande und durch das Land 
wird Israel erst Jahve's Volk, wie die Ehe dadurch geschlossen 
wird, dass das Weib in des Mannes Haus aufgenommen und dort 
sustentiert wird. Und wie die Scheidung die Verweisung des 
Weibes aus dem Hause ist, so löst Jahve seine Beziehung zu 
Israel, indem er das Land zur Wüste macht oder zuletzt das 
Volk geradezu daraus in die Wüste vertreibt; er knüpft sie andrer- 
seits wieder an, indem er es aufs neue „einsät im Lande 4 ', den 
Himmel regnen und . die Erde tragen lässt, und dadurch den 
Namen Gott gesät für Israel wieder zu Ehren bringt (2,25). 
Demgemäss ist der Gottesdienst weiter nichts als der schuldige 
Dank für die Gaben des Bodens, der Lehenstribut für den Haus- 
herrn, der diesen und jene gegeben hat. Er fällt von selbst fort, 
wenn Korn und Wein ausbleibt, in der Wüste ist er undenkbar; 
denn wenn Gott nichts beschert, so kann man sich auch nicht 
freuen, und der Gottesdienst ist lauter Freude über den be- 
scherten Segen. Derselbe hat somit durchgehends und allgemein 
den Charakter, den in der jehovistischen Gesetzgebung die Feste 
tragen, in denen er sich auch nach der Beschreibung Hosea's 
gipfelt und concentriert. Denn die Tage der Götzen, an denen 
man sich putzte und opferte, sind eben die Feste, und zwar die 
Feste Jahve's, den aber das Volk unter Bildern verehrte, welche 
dem Propheten schlechterdings als heidnisch gelten. 

Ebenso instructiv ist die andere Stelle 9, 1—7. „Freue dich 
nicht zu laut, Israel, wie die Heiden, dass du hurst gegen deinen 
Gott, Buhllohn gern hast auf allen Getreidetennen. Tenne und 
Kelter wird sie nicht laben und der Most wird sie trügen — 
sie werden im Lande Jahve's nicht bleiben, Ephraim muss wie- 
der nach Ägypten und in Assur müssen sie Unreines essen. Dann 
spenden sie nicht mehr Wein für Jahve und schichten ihm keine 
Opfer; wie Trauerbrot ist ihr Brot 1 ), alle die davon essen werden 
unrein, denn ihr Brot wird nur für ihren Hunger sein, kommt 
nicht in Jahve's Haus. Was wollt ihr erst machen zur Feierzeit 
und für den Tag des Festes Jahve's? Denn siehe nachdem sie 

*) Für irnp 9, 4 lies )^y\ und ODPlb für qh^j s - Kuenen, Volksreli- 
gion und Weltreligion (Berlin 1883) S. 310f. 



102 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

aus Trümmern ausgezogen, wird Ägypten sie festhalten, Memphis 
sie begraben, ihre silbernen Lieblinge wird die Nessel beerben, 
der Dornbusch in ihren Zeiten". Es braucht uns nicht zu stören, 
dass der Prophet hier wieder den Cultus, der der Absicht nach 
ersichtlich dem Jahve gelten soll, mit dem in der That äusser- 
lich wohl wenig verschiedenen Cultus der Heiden gleichsetzt, 
weil er die silbernen Lieblinge der Zelte auf den Höhen nicht 
für Symbole Jahve's, sondern für Götzen und ihren Dienst für 
Hurerei erkennen muss. Genug, dass abermals erhellt, wie der 
volkstümliche Gottesdienst in Israel damals beschaffen war. 
Tenne und Kelter, Korn und Most sind seine Motive, laute 
Freude, rauschender Jubel sein Ausdruck. Alle Lust des Lebens 
drängt sich zusammen in Jahve's Hause, bei den Freuden- 
mahlen zum Anbruch der Gaben seiner milden Güte; kein 
schrecklicherer Gedanke, als dass man sein Brot wie unreine 
Speise, wie Trauerbrot essen muss, ohne die Aparchen (zum 
Feste) dargebracht zu haben ! ). Dieser Gedanke ist es, der der 
gedrohten Exilierung den Stachel gibt; denn Opfer und Feste 
hängen von dem Lande ab, der nährenden Mutter und dem 
wohnlichen Hause der Nation, der Grundlage ihrer Existenz und 
ihres Cultus. 

Dass dies vollständig mit dem Wesen des Gottesdienstes 
und der Feste im Bundesbuch Zweitafelgesetz und Deuterono- 
mium übereinstimmt, ist an sich klar, wird aber noch deutlicher 
durch die Vergleichung des Priestercodex, wozu wir nunmehr 
übergehen. 

III. 

Über den Festcyklus handeln hier die Abschnitte Lev*. 23 
und Num. 28. 29, von denen der erstere einen dem Kern des 
Priestercodex nicht ganz homogenen Bestandteil (23, 9—22 und 
zum Teil v. 39—44) mit einem völlig homogenen verbindet. Die 
drei grossen Feste kommen auch in diesen beiden Aufzählungen 
vor, aber mit beträchtlicher Veränderung ihres Wesens. 

*) Trauerzeiten sind gewisserraassen Interdicte, in denen die Gemeinschaft 
zwischen Gott und Mensch pausiert. Übrigens ass man überhaupt nichts 
als wovon zuerst die Gottheit ihren Anteil bekommen hatte, nicht bloss 
kein anderes Fleisch, sondern auch keine anderen Vegetabilien ; denn die 
Aparchen von Korn und Wein galten als Anbruch des Jahresertrags und 
heiligten den ganzen. Alles andere war unrein; vgl. Ezech. 4,13. 



Die Feste. 103 

1. Die eigentliche Feier wird durch vorgeschriebene Ge- 
samtopfer erschöpft. Es werden dargebracht: in der Oster- 
woche und ebenso am Pfingsttage, ausser dem Thamid, täglich 
2 Farren 1 Widder 7 Lämmer als Brand- und 1 Ziegenbock 
als Sündopfer; zu Laubhütten vom ersten bis zum siebten Tage 
2 Widder 14 Lämmer und in absteigender Linie 13—7 Farren, 
am achten Tage 1 Farre 1 Widder 7 Lämmer als Brand-, ausser- 
dem tagtäglich 1 Ziegenbock als Sündopfer. Hinzukommende 
freiwillige Leistungen der Einzelnen werden nicht ausgeschlossen, 
sind aber Nebensache. Sonst ist, sowohl in der älteren Praxis 
(1. Sam. 1, 4 ff.) als im Gesetz (Exod. 23, 18), gerade das Festopfer 
stets ein Mahl-, also ein Privatopfer. Im Deuteronomium hat 
man nur deshalb die fröhlichen Mahlzeiten vor Jahve auffallend 
finden können, weil man das Alte Testament nur aus der Per- 
spective des Priestercodex kennt; eigentümlich ist hier höchstens 
eine gewisse humane Ausbeutung der Festopfer, dass man näm- 
lich die Armen und Grundbesitzlosen seiner Bekanntschaft dazu 
einladen soll. Das ist aber eine Fortbildung, die der alten Opfer- 
idee der Communio zwischen Gott und Menschen weit näher 
liegt als jene selbstgenugsamen Generalkirchenopfer. Nur das 
Passah ist auch im Priestercodex ein Mahlopfer geblieben und 
die Teilnahme daran auf die Familie oder eine geschlossene Ge- 
sellschaft beschränkt. Aber dieser letzte Rest der alten Sitte 
erscheint hier als sonderbare Ausnahme, auch hat die Feier im 
Hause, statt vor Jahve, etwas ganz Zwitterhaftes und macht das 
Opfer fast ganz zu einer profanen Schlachtung — bis auf den 
Ritus der Entsündigung, der charakteristischer Weise beibehalten 
wird (Exod. 12, 7 vgl. Ezech. 45, 19). 

Dem geht zur Seite, dass die Aparchen der Jahreszeit sich 
noch mehr, als es schon ohnehin der Fall war, von den Festen 
gelöst haben. Während sie im Deuteronomium noch zu den drei 
grossen Mahlzeiten vor Jahve verwandt werden, sind sie im 
Priestercodex überhaupt keine Opfer mehr und also auch keine 
Festopfer, sondern nüchterne Abgaben an die Priester, die teil- 
weise von diesen selber eingesammelt werden und allesamt nicht 
vor den Altar gelangen. Damit verlieren die Feste vollends ihre 
eigentlichen Charakteristica, ihre beseelenden und unterscheiden- 
den Anlässe; durch das Einerlei der ewigen Brand- und Sünd- 
opfer der Gesamtgemeinde werden sie alle einander gleich 



104 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

gemacht, ihrer Naturwüehsigkeit entkleidet und zu Exercitien der 
Religion degradiert. Nur ganz leise Spuren bezeugen noch, 
gleichsam verräterischer Weise, den Ausgangspunkt der Ent- 
wicklung, nämlich die Riten der Gerstengarbe der Weizenbrote 
und der Laubhütten (Lev. 23). Aber es sind dies eben blosse 
Riten, versteinerte Reste der alten Sitte; die wirklichen Erstlinge 
der Grundeigentümer heimsen die Priester ein, ihr Schatten 
bleibt dem Feste erhalten in der von der ganzen Gemeinde dar- 
gebrachten symbolischen Garbe, die nun ein ganz vereinzelter 
und unverstandener Zug geworden ist. Wenn somit in Wahrheit 
die Abstattung des Dankes für die Früchte des Feldes nichts 
mehr mit den Festen zu thun hat, so fängt auch selbst der 
Schein an zu schwinden, denn die Riten Lev. 23 sind aus einer 
älteren Gesetzgebung übernommen und werden Num. 28. 29 
mehrenteils mit Stillschweigen übergangen. — Das Passah ist 
auch hier wieder seinen eigenen Weg gegangen. Schon früher 
konnte es mit den Erstgeburtsopfern, nachdem dieselben auf ein 
Fest verlegt waren, nicht mehr so genau genommen werden; 
Ersatz durch andere Rinder und Schafe war gestattet. Im Prie- 
stercodex nun werden die Erstgeburten zwar strenge gefordert, 
aber als blosse Abgaben, nicht als Opfer; das Passah, immer 
ein jähriges Schaf- oder Ziegenlamm, hat weder der Sache noch 
der Zeit nach damit etwas zu schaffen, sondern steht gesondert 
daneben. Da dasselbe jedoch gestiftet sein soll, damit die mensch- 
liche Erstgeburt der Hebräer, beim Würgen der ägyptischen, ver- 
schont bleibe, so verrät sich durch diesen Zusammenhang, dass 
die jährigen Lämmer doch nur ein Ersatz sind für die Erstlinge 
alles schlachtbaren Viehs, aber in Vergleich zu den Rindern und 
Schafen der jehovistischen Tradition und des Deuteronomiums 
ein sekundärer und in seiner Gleichförmigkeit unmotivierter Er- 
satz, und dass wenn nun die Erstlinge noch ausserdem an die 
Priester gesteuert werden, dies einer Verdoppelung gleichkommt, 
welche auf Grund zunächst einer gänzlichen Verdunkelung, so- 
danü einer künstlichen Erneuerung der ursprünglichen Sitte er- 
möglicht ist. 

Ein weiteres hierher gehöriges Symptom ist die Fixierung 
der Erntefesttermine nach Monatstagen, die sich ausschliesslich 
im Priestercodex findet. Ostern fällt auf den 15., d. h. auf 
den Vollmond des ersten, Laubhütten auf den selben Tag des 



Die Feste. 105 

siebeuten Monats, Pfingsten, in Num. 28 merkwürdiger Weise 
unbestimmt gelassen, fällt nach Lev. 23 sieben Wochen nacli 
Ostern. Diese bestimmte Datierung weist nicht bloss auf eine 
feste einheitliche Regelung des Cultus, sondern auch auf eine 
inhaltliche Veränderung. Denn es ist nicht gleichgiltig, dass 
nach der jehovistisch-deuteronomischen Gesetzgebung Ostern im 
Ährenmonat begangen wird, beim Anhieb der Sichel in die Saat, 
Pfingsten nach der Weizenernte, Laubhütten nach dem Herbsten; 
als Erntefeste richten sie sich von Haus aus nach dem Stande 
der Früchte. Thun sie das nicht, werden sie an den Mondwechsel 
gebunden, so ist das ein Zeichen , dass sich ihr Zusammenhang 
mit dem natürlichen Anlass verwischt. Ohne Zweifel steht die 
genaue Bestimmung des Termins in Beziehung dazu, dass die 
Feste nicht mehr an beliebigen Stellen zerstreut, sondern vom 
ganzen Volke vereint an einer einzigen Stelle begangen werden. 
Es ist darum glaublich, dass sich dieselbe bei der Herbstfeier 
zuerst vollzog, weil diese zuerst den lokalen Charakter abstreifte 
und sich auch am leichtesten ein paar Wochen verschieben Hess. 
Am schwersten war das dagegen beim Massothfeste möglich: 
der Anhieb der Sichel in die Saat lässt sich nur sehr unbequem 
verlegen. Hier aber scheint das Passah eingewirkt zu haben. 
Das Passah, das einzige Fest, welches die Hebräer aus dem 
Hirtenleben der Wüste mitgebracht haben können, war eine 
Pannychis und wurde als solche höchst wahrscheinlich in einer 
Mondnacht, in der Vollmondszeit des Frühlings, gefeiert: wohl 
mit Recht hat es Snouck Hurgronje mit dem mekkanischen 
Feste zusammengestellt *). 

Die positive Gegenprobe für die behauptete Denaturalisation 
der Feste im Priestercodex liegt darin, dass die schon von der 
jehovistischen Tradition vorbereitete geschichtliche Deutung der- 

2 ) Het Mekkaansche Feest (Leiden 1880) S. 46. 65. Nach Sur. 22, 29 liegt 
es nahe, das grosse Opfer- und Schlachtefest von Mekka auf die Darbrin- 
gung der Aparchen des Viehes zurückzuführen. Aus dem Leben Mubam- 
meds geht mit genügender Sicherheit hervor, dass vor der Einrichtung 
des muslimischen Mondjahrs der Dhulhigga bei den Arabern auf den An- 
fang des Frühling gefallen ist; es stimmt also auch die Zeit zum Passab. 
Vgl. Vakidi's Maghazi (Berlin 1882) S. 17 ff., Nöldeke's Tabari S. 303 
Anm. 1. Allerdings wenn Dozy recht hat, so wäre die Übereinstimmung 
des Hagg mit dem Passah kein Wunder. — Die Erstlinge der Früchte 
gaben die Araber auch (Sur. 6, 142); daraus scheinen sich aber bei ihnen 
keine Feste entwickelt zu haben. 



106 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

selben hier ihre Spitze erreicht hat. Denn sind dieselben ihres 
ursprünglichen Inhalts verlustig gegangen und zu. vorgeschrie- 
benen Formen des Gottesdienstes herabgesunken, so steht nichts 
im Wege, die leeren Schläuche nach dem Geschmack des Zeit- 
alters neu anzufüllen. So werden nun auch die Laubhütten 
(Lev. 23) ein historisches Fest, eingesetzt zum Andenken an die 
Obdächer, unter denen sich das Volk während des 40jährigen 
Wüstenzuges behelfen musste. Bei Ostern wird über die bereits 
im Deuteronomium und in Exod. 13, 3 ff. sich findende Motivie- 
rung durch den Auszug aus Ägypten noch ein Schritt hinaus 
gethan. Im Priestercodex ist nämlich dies Fest, das gerade 
wegen seines eminent geschichtlichen Charakters hier als das 
bei weitem wichtigste von allen gilt, noch mehr als bloss Nach- 
hall einer göttlichen Heilsthat, es ist selber Heilsthat. Nicht 
weil Jahve die Erstgeburt Ägyptens geschlagen, wird in der 
Folge das Passah gefeiert, sondern vorher, im Moment des Aus- 
zugs, wird es gestiftet, damit er die Erstgeburt Israels ver- 
schone. Die Sitte wird also nicht bloss geschichtlich motiviert, 
sondern in ihrem Anfange selber zu einem geschichtlichen Faktum 
potenziert und durch ihren eigenen Anfang begründet; der 
Schatten, den sonst doch nur ein anderweitiges historisches Er- 
eignis wirft, wird hier verkörpert und wirft sich selber. Sehr 
ähnlich verhält sich die Sache mit den ungesäuerten Broten. 
Statt dass sie durch den Umstand, dass die in der Mitternacht 
Ausziehenden in der Eile ihren Teig ungesäuert wie er ist mit- 
nehmen, veranlasst sind, und bestimmt das Andenken an diesen 
Zug zu erhalten (Exod. 12, 34), werden sie im Priestercodex 
ebenfalls schon vorher (12, 15ff.) befohlen und hinterdrein zum 
Andenken an sich selber gefeiert, also nicht bloss durch die 
Geschichte motiviert, sondern selbst vergeschichtlicht. Darum 
wird denn auch das Ostergesetz ganz aus dem Zusammenhange 
der Stiftshütten-gesetzgebung herausgehoben (Exod. 12, 1 ff.), und 
die Schwierigkeit, dass nun beim Passah von dem sonst im 
Priestercodex unentbehrlichen Heiligtume abstrahiert werden 
muss, durch möglichstes Abstreifen des Opfercharakters um- 
gangen 1 ). Einzig beim Pfingstfest zeigt sich noch kein Ansatz 

*) Das Absehen vom Heiligtum ist nur beim ersten Passah begründet und 
soll vielleicht nur für dieses gelten. Der Unterschied zwischen dem 
P'HHC flCD imcl clem niTnn riDS ist notwendig, schon weil jenes 



Die Feste. 107 

zur historischen Deutung; hier ist dieselbe dem späteren Juden- 
turne vorbehalten geblieben, welches darin, auf Grund der Chro- 
nologie des Buches Exodus, eine Erinnerung an die sinaitische 
Gesetzgebung erkennt. Man sieht aber, wohin der Zug der spä- 
teren Zeit geht. 

Es ist schon im Vorhergehenden angedeutet, dass für diese 
Entwickelung die Centralisation des Cultus epochemachend ge- 
wesen ist. Die Centralisation ist mit Generalisierung und Fixierung 
gleichbedeutend; und das sind die äusseren Züge, wodurch sich 
das Festwesen des Priestercodex von dem früheren unterscheidet. 
Ich verweise auf die vorgeschriebenen Gemeinde- statt der spon- 
tanen Privatopfer, auf die festen Termine am 15. des Monats, 
auf die reinliche Sonderung von Opfern und Abgaben, auf die 
Uniformierung des Passah: nichts frei und naturwüchsig, nichts 
undeutlich und noch im Werden, alles statutarisch, klipp und 
klar. Aber auch an der inneren Umwandlung der Feste ist die 
Centralisation des Cultus nicht zum wenigsten schuld. Erst 
werden die Gaben der Jahreszeit von den einzelnen Häusern 
geopfert wie es sich jedem passt, sodann werden sie zusammen- 
gelegt und es entstehen Feste, zuletzt treten die vereinigten 
Einzelopfer zurück gegen die einheitlichen Gesamtopfer der 
ganzen Gemeinde. Je mehr Gewicht auf die Gemeinsamkeit und 
Gleichförmigkeit der Feier gelegt wird, desto mehr löst sie sich 
von ihrer Wurzel, desto abstrakter wird sie. Dass sie dann 
gern einen historischen Inhalt annimmt, wird zum Teil auch 
dem Umstände zugeschrieben werden dürfen, dass die Geschichte 
nicht, wie die Ernte, ein Erlebnis der einzelnen Haushaltungen 
ist, sondern vielmehr ein Erlebnis des Volkes im Ganzen. Man 
sieht freilich, dass die — ja immer in gewissem Grade centrali- 
stischen — Feste an sich die Neigung haben sich von ihren 
individuellen Trieben zu entfernen ; aber nirgends haben sie sich 
so weit davon entfernt wie im Priestercodex. Während sie doch 
sonst noch überall, wie wir sahen, in deutlicher Beziehung zu 
dem Lande und seinem Segen stehen und gleichsam die grossen 
Huldigungs- und Tributtage für den Lehnsherrn und Verleiher 
des Landes sind, so tritt dieser Zusammenhang hier völlig zu- 

ein historisches Faktum, dieses eine Erinnerungsfeier daran ist. Dagegen 
ist nicht zn kämpfen, wenn für die Ursprünglichkeit des Passah-ritus im 
Priestercodex damit eingetreten wird, dass dieser allein den Bedingungen 
des ägyptischen Aufenthalts entspreche. 



108 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

rück. Wie man im Gegensatz zum Bundesbuch und Deutero- 
nomium, ja selbst zu dem Corpus, welches Lev. 17 — 26 zu 
Grunde liegt, den ganzen Priestercodex als Wüstengesetzgebung 
charakterisieren kann, insofern er von den natürlichen Bedin- 
gungen und Motiven des wirklichen Volkslebens im Lande Ka- 
naan abstrahiert und auf der tabula rasa der Wüste, der Negation 
der Natur, aus kahlen Statuten des absoluten Willens die Hiero- 
kratie aufbaut, so sind auch die Feste, bei denen sich die Ab- 
hängigkeit des Cultus vom Ackerbau am stärksten zeigt, so 
viel es angeht, hier zu Wüstenfesten geworden, allerdings am 
meisten das Osterfest, das aber das wichtigste von allen gewor- 
den ist. 

2. Mit der Centralisation des Cultus, deren umgestaltender 
Einfluss sich im Priestercodex zeigt, macht das Deuter onomium 
den Anfang. Jener fusst auf diesem und zieht die hier noch 
nicht geahnten Consequenzen. Dies Verhältnis bewährt sich 
auch in Einzelheiten. Zunächst in den Namen der Feste, welche 
beiderorts die gleichen sind, Pesah, Schabuoth, Sukkoth. Es 
ist das nicht ohne innere Bedeutung, denn Asiph hätte der ge- 
schichtlichen Umdeutung viel grössere Hindernisse in den Weg 
gelegt als Sukkoth. Sodann in der Bevorzugung des Passah, 
eines vorher nirgend erwähnten Festes, welche im Priestercodex 
noch weit auffallender ist als im Deuteronomium. Ferner in der 
Dauer der Feier. Während das Deuteronomium allerdings die 
Anfangstermine noch nicht gleichmässig fixiert, thut es doch 
darin einen Schritt über die jehovistische Gesetzgebung hinaus, 
dass es Ostern und Laubhütten auf eine Woche, Pfingsten auf 
einen Tag normiert. Damit, sowie auch mit der zeitlichen Be- 
ziehung von Pfingsten zu Ostern, stimmt der Priestercodex im 
Ganzen überein, doch sind seine Bestimmungen im Einzelnen 
ausgebildeter. Das Passah, im ersten Monat am Abend des 
14., eröffnet zwar auch hier das Fest, zählt aber nicht wie Deut. 
16,4.8 als erster Tag der Osterwoche, sondern diese beginnt 
erst mit dem 15. und schliesst mit dem 21., vgl. Lev. 23, 6. 
Num. 28, 17. Exod. 12, 18. Da nun der Anfang der Festwoche 
besonders ausgezeichnet wird, so entsteht dadurch nicht bloss 
ein gewöhnlicher, sondern ein ausserordentlicher Feiertag mehr, 
der Tag nach dem Passah, an dem nach den Bestimmungen des 
Deuteronomiums bereits in der Frühe die Pilger von Jerusalem 



Die Feste, 109 

in die Heimat zurückkehren sollten 1 ). Eine andere Steigerung 
bestellt darin, dass nicht bloss das Passah, wie im Deuterono- 
mium, oder ausserdem der hinzugekommene erste Festtag, son- 
dern auch der siebente, der nach Deut. 16, 8 nur durch Ruhe aus- 
zuzeichnen ist, als Mikra Kodesch in Jerusalem gefeiert wer- 
den muss. Mit anderen Worten sind die nicht ganz in der 
Nähe wohnenden Wallfahrer gezwungen die ganze Woche dort 
zuzubringen: eine Anforderung, die den Fortschritt der Centra- 
lisierung erkennen lässt, den weit massigeren Ansprüchen des 
Deuteronomiums gegenüber. Die Laubhüttenwoche wird auch 
in dem letzteren Gesetze von Anfang bis zu Ende in Jerusalem 
begangen, aber der Priestercodex hat hier abermals einen achten 
Tag zuzulegen verstanden, als eine Asereth zum Hauptfeste, die 
freilich in dem älteren Bestände von Lev. 23 noch zu fehlen 
scheint. Nach alle dem unterliegt es keinem Zweifel, dass der 
Priestercodex zunächst mit dem Deuteronomium zu vergleichen ist 
und in der selben Richtung darüber herausgeht, wie dieses 
selbst über die jehovistische Gesetzgebung. Auf jeden Fall 
nimmt das Deuteronomium die mittlere Stellung in der Reihen- 
folge ein, und wenn man dieselbe mit dem Priestercodex be- 
ginnt, so gelangt man consequenter Weise dazu, sie mit dem 
sinaitischen Bundesbuch (Exod. 20, 23 ff.) zu schliessen. 

Nachdem der König Josia das Deuteronomium publiciert 
und es durch feierliche Verpflichtung des Volkes zum Bundes- 
buch gemacht hatte (a. 621), befahl er allem Volke: begehet 
Passah dem Jahve eurem Gotte, wie es vorgeschrieben ist in 
diesem Bundesbuche — ein solches Passah war nicht begangen 
seit den Tagen der Richter und während der ganzen Königszeit 
(2. Reg. 23, 21. 22). Und als der Schriftgelehrte Ezra den Pen- 
tateuch, wie er uns gegenwärtig vorliegt, als Grundgesetz der 

') Dadurch, dass im Priestercodex der Tag vom Abend an gerechnet wird, 
lässt sich diese Differenz nicht ausgleichen, denn erstens hat dies keinen 
praktischen Einfluss, da die Datierung dennoch mit dem Morgen beginnt 
und der dem 15. voraufgehende Abend immer der 14. des Monats heisst 
(Lev. 23, 27. 82); zweitens ist der erste Festtag im Deut, eben der Tag, 
an dessen Abend das Passah fällt und es folgen dann nicht noch sieben, 
sondern sechs Tage, während im Priestercodex die Feier vom 14. bis zum 
21. des Monats sich ausdehnt Exod. 12, 18. — Wenn die rOtPH DiriD 
nicht wie Jos. 5, 11 als der auf den 14., sondern wie in der jüdischen 
Tradition (LXX zu Lev. 23, 11) als der auf den 15. Nisan folgende Tag 
gedeutet wird, so tritt zum 14. und 15. auch noch der 16. Nisan als be- 
sonderer Festtag hinzu. 



HO Geschichte des Cultus, Kap. ?>. 

Gemeinde des zweiten Tempels einführte (a. 444), da fanden sie 
geschrieben in der Thora, welche Jahve durch Mose befohlen 
hatte, dass die Kinder Israel am Feste im siebenten Monat in 
Hütten wohnen und dazu Laubzweige von Oliven und Myrten 
und Palmen gebrauchen sollten; und dementsprechend ging das 
Volk hin und machte sich Hütten: das war nicht geschehen seit 
den Tagen Josua's des Sohnes Nun bis auf diesen Tag (Nehem. 
8, 14ff.). Dass sich das Passah Josia's auf Deut. 16 und nicht 
auf Exod. 12 gründet, muss man schon deshalb annehmen, weil 
die Festfeier im Zusammenhange steht mit der neuen Cultus- 
einheit und zur Erprobung derselben dienen soll, während die 
Vorschrift von Exod. 12, wörtlich befolgt, nur zur Erschütterung 
derselben hätte dienen können. Auf der anderen Seite ist es, 
trotz kleiner Incongruenzen, klar, dass die Laubhüttenfeier unter 
Ezra auf Lev. 23 zurückgeht. Es trifft sich also, dass die zwei 
so wichtigen und einander so ähnlichen Gesetzespublicierungen 
beide in die Zeit eines Festes fallen, die eine in den Frühling, 
die andere in den Herbst; und es ergibt sich bei dieser Gele- 
genheit, dass die Festsitte des Priestercodex erst beinah 200 
Jahre später anfing ins Leben zu treten und Geltung zu ge- 
winnen, als die deuteronomische. Es gibt dafür noch einen an- 
deren Beweis. Der Verfasser des Buchs der Könige weiss nur 
von einer siebentägigen Dauer der Laubhütten (1. Eeg. 8, 66): 
am achten Tage entlässt Salomo das Volk. Dagegen in der 
Parallelstelle der Chronik (II 7, 9) hält der König am achten 
die Asereth und entlässt das Volk erst am folgenden, dem 23. 
des Monats. Es wird also hier der deuteronomischen Sitte, 
welcher der ältere Schriftsteller und der ihm etwa gleichzeitige 
Ezechiel (45, 25) folgt, von dem jüngeren die seit Ezra (Nehem. 
8, 18) herrschende des Priestercodex übercorrigiert. Im späteren 
Judentum kam es bekanntlich, durch die Neigung gerade das 
Anfechtbare am festesten zu behaupten, dahin, dass der achte 
Tag des Festes als der herrlichste von allen angesehen wurde 
(Joh. 7, 37). 

Am nächsten steht dem Priestercodex auch auf diesem Ge- 
biete Ezechiel, der (45, 21 — 25) folgende Verordnung gibt. „Im 
1. Monat am 14. sollt ihr das Passahfest feiern, eine Woche 
Massoth essen ; an selbigem Tage soll der Fürst für sich und das 
ganze Volk einen Stindfarren bringen und während der sieben 



Die Feste. 111 

Tage regelmässig* als Brandopfer 7 Farren und 7 Widder, als 
Sündopfer einen Ziegenbock, als Mehlopfer ein Epha für jeden 
Farren und Widder, und Öl ein Mass auf das Epha — im 
7. Monat am 15., am Feste, soll er dasselbe darbringen, 7 Tage, 
hinsichtlich der Sund- Brand- und Mehlopfer und des Öles." 
Im Einzelnen deckt sich hier allerdings beinah nichts mit den 
Bestimmungen des Ritualgesetzes Lev. 23. Num. 28 f. Abgesehen 
davon, dass der — vom masorethischen Texte durch eine alberne 
Correctur in v. 21 restituierte — Pfingsttag übergangen wird, 
weicht zunächt die Dauer der Feste ab, beide währen sieben 
und nicht acht Tage und das Passah gilt als der erste Ostertag, 
wie im Deuteronomium. Ferner differieren die Opfer, sowohl 
durch ihre stets gleich bleibende Zahl als durch ihre Qualität; 
insbesondere ist vom Passahlamm keine Rede, sondern von einem 
Sündfarren als Generalopfer. Bei der Minha fehlt der Wein, 
doch das darf man nicht in Anschlag bringen, da Ezechiel die- 
sen grundsätzlich aus dem Cultus verbannt. . Endlich bringt 
nicht die Gemeinde die Opfer, sondern der Fürst, für sich 
und das Volk. Aber trotz aller Differenzen leuchtet doch die 
allgemeine Gleichartigkeit durch; es wird an ihnen gewisser- 
massen nur anschaulich, dass man hier zum ersten male etwas 
hat, was man auf allen Punkten mit dem Priestercodex zusam- 
menstellen kann, mit dem die jehovistische Gesetzgebung ganz 
und die deuteronomische halb unvergleichbar ist. Beiderorts 
findet sich der nach dem Monatstage datierte Termin, das fest 
vorgeschriebene Gesammt- Brand- und Stindopfer, die Abstraction 
von Aparchen und Ackerbau, die Ausgleichung der natürlichen 
Unterschiede zu einer allgemein -kirchlichen Feier. Schwerlich 
nun hatte Ezechiel einen Grund, Lev. 23 und Num. 28 f. zu re- 
producieren, noch weniger aber, sich dabei eine Menge völlig 
zweckloser Variationen zu erlauben. Man beachte, dass er in 
keiner Einzelheit dem Deuteronomium widerspricht und doch 
dem Priestercodex so unendlich viel näher steht: die Verwandt- 
schaft ist eine unwillkürliche, die in der Zeit liegt. Ezechiel 
ist der Vorläufer des priesterlichen Gesetzgebers im Pentateuch, 
sein Fürst und Volk die noch einigermassen von der vergan- 
genen Königszeit gefärbte Vorstufe der Gemeinde der Stifts- 
hütte und des zweiten Tempels. Dieser Annahme steht nichts 
im Wege und sie ist darum die rationelle, weil nicht Ezechiel, 



112 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

sondern der Priestercodex die Sitte der späteren Zeit nor- 
miert hat. 

Denn sowie das Festwesen des Priestercodex sich in die 
Art des älteren Cultus, wie wir ihn z. B. aus Hos. 2. 9 kennen, 
schlechterdings nicht schicken will, so ist dasselbe für die Praxis 
des nachexilischen Judentums, und darum auch für unsere von 
daher entnommene Anschauung, in jeder Hinsicht massgebend. 
Niemand denkt im Neuen Testament an eine andere Passah- 
feier als die von Exod. 12 und an ein anderes Opfer als das 
dort vorgeschriebene Passahlamm. Man darf vielleicht die Ver- 
mutung wagen, dass wenn in jener Wüsten gesetzgebung der 
Ackerbau überhaupt nicht als die Grundlage des Lebens empfun- 
den wird, die er noch im Deuteronomium und selbst in dem 
Kerne von Lev. 17 — 26 ist, auch dies ein Beweis für ihren Zu- 
sammenhang mit den Zuständen weniger einer sehr alten als 
einer sehr jungen Zeit ist und nicht sowohl als ein Noch 
nicht, sondern viel eher als ein Nicht mehr aufgefasst wer- 
den muss. Durch die babylonische Gefangenschaft haben die 
Juden ihre Sesshaftigkeit verloren und sind ein Handelsvolk 
geworden. 

3. Eine Erscheinung, wodurch sich der Priestercodex aus- 
zeichnet, ist bisher übergangen, dass nämlich hier der drei- 
gliedrige Cyklus der Feste erweitert und durchbrochen ist. In 
der nach der Zeitfolge geordneten Aufzählung Lev. 23. Num. 28. 
29 sind zwischen Pfingsten und Laubhütten zwei andere Feier- 
tage eingesetzt, Neujahr am 1. des 7. Monats und der grosse 
Versöhnungstag am 10. des selben Monats. Wie sehr die drei, 
ursprünglich zu einander gehörigen, Erntefeste abgeblasst sind, 
sieht man daraus, dass diese beiden heterogenen Tage mitten 
dazwischen erscheinen, der Jörn Kippurim in gleicher Reihe 
mit den alten Haggim, d. h. Tänzen, die lauter Lust und 
Freude waren und mit einem Trauerfasten nicht an einem Tage 
zu nennen. Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken. 

Der Jahreswechsel fiel in der Königszeit auf den Herbst; 
das Herbstfest bezeichnete den Abschluss des Jahres und der 
Feste (Exod. 23, 16. 34, 22. 1. Sam. 1, 20. 21. Isa. 29, 1. 32, 10). 
Das Deuteronomium wurde im 18. Jahre Josia's aufgefunden und 
noch im selben Jahre Ostern nach Vorschrift dieses Gesetzes 
begangen — das war nur möglich bei Jahresanfang im Herbst. 



Die Feste. 113 

Hiernach richtet sich nun auch im Priestercodex die kirch- 
liche Neujahrsfeier 1 ). Der Jörn Therua (Lev. 23, 24f. Num. 
29, Iff.) fällt auf den ersten Neumond des Herbstes, und es 
folgt aus der durch her. 25, 9 f. beglaubigten Tradition, dass 
dieser Tag als nwn BWl? als Neujahr begangen wird. Er wird * 
nun aber immer als der erste des siebenten Monats bezeichnet. 
Also hat sich das bürgerliche Neujahr von dem kirchlichen 
getrennt und auf den Frühling verlegt; das kirchliche kann nur 
als Rest von früher her aufgefasst werden und verrät schlagend 
die Priorität der Sitte, wie sie in der älteren Königszeit herrschte. 
Erst durch den Einfluss der Babylonier scheint dieselbe abge- 
kommen zu sein, welche die Frühlingsära hatten 2 ). Denn die 
mit dem Gebrauch der Frühlingsära zusammenfallende Bezeich- 
nung der Monate durch Zahlen statt durch die althebräisch eu 
Namen (Abib Ziv Bul Ethanim) findet sich, abgesehen vom 
Priestercodex und dem letzten Eedactor des Pentateuchs (Deut. 
1,3), noch nicht im Deuteronomium (16,1), sondern erst bei 
Schriftstellern des Exils. Zuerst bei Jeremia, aber nur in solchen 
Teilen seines Buchs, die nicht von ihm aufgeschrieben oder 
doch von späterer Hand redigiert sind 3 ); sodann bei Ezechiel und 
dem Verfasser des Buchs der Könige, der die Namen seiner 
Quelle durch Zahlen erklärt (1. Reg. 6, 37. 38. 8,2), ferner bei 
Haggai und Zacharia; zuletzt noch in der Chronik, aber hier 
beginnen schon die zunächst vom Hebräischen ferngehaltenen 
babylonisch -syrischen Monatsnamen einzudringen (Nehem. 1, 1. 
2, 1. Zach. 1, 7), die im Buche Esther den Zahlen immer bei- 
gegeben und im Makkabäerbuch ausschliesslich gebraucht wer- 
den. Wollte man diese seit dem Exil nachweisbare Änderung 
des Kalenderwesens aus der zufällig jetzt beginnenden Einwir- 

') Dabei kommt freilich Laubhütten nicht vorher, sondern .nachher zu stehen 
— was wahrscheinlich mit der bestimmteren Datierung (auf den 15. Mo- 
natstag) zusammenhängt, der alten Sitte und dem Sinne des Festes aber 
durchaus widerspricht. 

2 ) In Exod. 12,2 wird dieser. Wechsel der Ära förmlich durch Mose ange- 
ordnet: dieser Monat (der Ostermonat) soll euch der Anfang der Monate 
sein, der erste sei er euch von den Monaten des Jahres. Nach George Smith 
(the Assyrian eponym canon S. 19) begann das assyrische Jahr mit der 
Frühbbigsnachtgleiche ; die assyrische Sitte hängt vo-n der babylonischen 
ab. Trotz der entgegenstehenden Annahme Idelers war ich von dem 
Frühlingsanfang des babylonischen Jahres fest überzeugt, lange bevor 
ich die Ergebnisse der Assyriologie in dieser Beziehung kannte. 

3 ) Kuenen, historisch-kritisch Onderzoek II (1863) S. 197. 214. 

Well hausen, Prolegomena. 8 



1 14 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

kung. des bisher scheintoten Priestercodex erklären, statt aus 
allgemeinen in den Zeitumständen liegenden Gründen, unter deren 
Einfluss eben auch dieser stand und die überhaupt damals einen 
Umschwung — allgemeinere Anwendung und grössere Genauig- 
keit — in der Zeitrechnung zur Folge hatten, so würde das 
absurd genannt werden müssen. — Eine ähnliche Erscheinung 
zeigt sich bei dem Gewichtswesen. Der „heilige Sekel", der 
oft im Priestercodex und nur hier vorkommt, kann unmöglich 
eher so benannt sein, als bis auch die natürlichsten altisraelitischen 
Dinge, weil abhanden gekommen, in einem wundersamen Nim- 
bus erschienen. Er hat zum Gegensatz den „Stein des Königs", 
der 2. Sam. 14, 26 in einer Glosse erwähnt wird; der König ist 
kein anderer als der Grosskönig von Babylon. Interessant ist 
es, dass der heilige Sekel des Priestercodex dem Ezechiel noch 
der gewöhnliche ist; vgl. Exod. 30, 13 mit Ezech. 44, 12. 

Während des Exils scheint das kirchliche Neujahr nicht am 
1., sondern am 10. des 7. Monats gefeiert zu sein (Lev. 25, 9. 
Ezech. 40, 1) — ganz begreiflich, nachdem es überhaupt einmal 
von dem wirklichen Jahresanfang sich getrennt hatte 1 ). Schon 
daraus würde erhellen, wie jung der grosse Versöhnungstag 
Lev. 16 ist, der später auf diesen Termin begangen wurde; denn 
obwohl derselbe als Generalreinigungsceremonie mit Fug am 
Jahreswechsel steht, so passt doch der fröhliche Lärm der 
Neujahrsposaunen nicht in seine stille Feier, wie denn der 
nynn OV im Priestercodex in der That auf den 1. des 7. Monats 
gelegt ist. Trotz seiner überragenden Wichtigkeit ist der Ver- 
söhnungstag weder im jehovistisch-deuteronomischen Teile des 
Pentateuchs, der nur ein dreimaliges Erscheinen vor Jahve for- 
dert, noch in den historischen und prophetischen Büchern be- 
kannt. Seine ersten embryonischen Keime zeigen sich im Exil. 
Ezechiel verordnet* (45, 18— 20) zwei grosse Entsündigungen zu 
Anfang der beiden Jahreshälften; denn 45,20 ist nach der Sep- 
tuaginta ISHrD ^JOt&O „im 7. Monat am Neumond" zu lesen. Die 
zweite von diesen, im Herbst, ist mit der des Priestercodex zu 

, 3 ) Dass bei Ez. der 10. als rutü/TI tW"l genau zu nehmen ist, folgt nicht 
1 bloss daraus,- dass diese Bezeichnung nur in diesem Sinne vorkommt, 
£**>» J*4**» | sondern auch daraus, dass es nicht zufällig ist, wenn der Prophet gerade 
~l iAJ ■ I zu Neujahr ^ as Neue Jerusalem schaut. Dann aber ist nach Lev. 25, 9 

* fc *|**<* der siebente Monat gemeint, an dessen 10. Tage die Posaunen zum An- 

• * brach des Jobeljahres geblasen werden. 



W><r* 



Die Feste. 115 

vergleichen, nur dass sie auf den ersten und Neujahr (40, 1) auf 
den zehnten fällt, während dort umgekehrt Neujahr auf den 
ersten und die Entsündigung auf den zehnten; auch ist der Eitus 
weit einfacher. Zacharia, gegen Ende des sechsten Jahrhunderts, 
sieht auf zwei seit 70 Jahren, d. h. seit dem Anfange des Exils, 
bestehende regelmässige Fasttage im 5. und 7, Monate zurück 
(7, 5), denen er (8, 19) noch zwei andere im 4. und 10. Monate 
zufügt. Sie beziehen sich, nach Ch. B. Michaelis' unzweifelhaft 
richtiger Erklärung, auf die geschichtlichen Unglückstage, welche 
dem Exil vorhergingen. Am 9. des 4. Monats ward Jerusalem 
eingenommen (Jer. 39, 2), am 7. des 5. ward die Stadt und der 
Tempel verbrannt (2. Reg. 25, 8), im 7. Monat wurde Gedalia er- 
schlagen und der Rest des jüdischen Staats vernichtet (Jer. 41), 
im 10. hatte die Belagerung der Stadt durch Nebukadnezar be- 
gonnen (2. Reg. 25, 25). Den grossen Versöhnungstag von Levit. 16 
kennt mithin auch dieser Prophet noch nicht, sondern erwähnt 
nur neben anderen das Fasten im 7. Monat als seit 70 Jahren 
bestehend. Derselbe ist sogar bis a. 444, dem Jahre der Publi- 
cation des Pentateuchs durch Ezra, noch nicht in Kraft getreten. 
Ezra beginnt die Vorlesung des Gesetzes am Anfang des 7. Mo- 
nats, darnach wird am 15. Laubhütten begangen: von einer 
Sühnfeier am 10. des Monats wird in der genauen und gerade 
für Liturgisches interessierten Erzählung nichts berichtet, sie wird 
dagegen am 24. nachgeholt (Nehem. 8. 9). Dies testimonium e 
silentio ist vollgültig — bis dahin bestand der grosse Tag des 
Priestercodex nicht, der erst jetzt eingeführt wurde 1 ). Sein 
Termin wird teilweise im Anschluss an Ezechiel durch das alte 
Neujahr (Lev. 25, 9) bedingt sein, teilweise im Anschluss an 
Zacharia durch das Fasten Gedalia's, welches freilich später 
dann doch noch besonders gefeiert wurde. 

Auch vor dem Exil kamen wohl allgemeine Fasttage vor, 
aber sie wurden besonders angesagt und waren immer ausser- . 
ordentlich veranlasst, wenn eine Schuld zum öffentlichen Be- 

] ) „Wenn Lev. 16 'zum ursprünglichen Bestand der Priesterschrift gehört 
uod im Jahr 444 der gesamte Pentateuch von Ezra publiciert wurde 
und doch damals der Tag nicht gefeiert wurde, so wird ja eben damit 
zugegeben, dass es Gesetze geben kann, ohne dass sie ausgeführt wer- 
den." So Dillmann in der Einleitung zu Lev. 16 (1880 S. 525); es wird 
ihm jeder zugeben, dass das Gesetz, ehe es öffentliche Geltung gewinnen 
konnte, zuvor geschrieben und promulgiert sein musste. 



116 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

wusstsein kam oder der göttliche Zorn drohte, namentlich bei 
Landescalamitäten (1. Reg. 21, 9. 12. Jerem. 14, 12. 36, 6. 9. Joel 
1, 14. 2, 12. 15). Im Exil begannen sie regelmässige Sitte zu 
werden Isa. 58, ohne Zweifel zunächst in Erinnerung an die er- 
lebten dies atri und gewissermassen als ein der Situation ent- 
sprechender Ersatz für die nur im heiligen Lande möglichen 
fröhlichen Volksversammlungen zu Ostern Pfingsten und Laub- 
hütten 1 ). Endlich traten sie den Festen selber zur Seite und 
wurden ein förmlicher und sehr wichtiger Bestandteil des ordent- 
lichen Gottesdienstes. Im Priestercodex ist das grosse Fasten 
am 10. des. 7. Monats der heiligste Tag des ganzen Jahres. Nichts 
ist so bezeichnend für den Gegensatz des neuen Cultus zum 
alten: wie er überall auf die Sünde und die Sühne sein Absehen 
richtet, so läuft er auch in ein grosses Sündensühnfest als in 
seine Spitze aus. Es ist als ob die Stimmung des Exils auch 
nach der Befreiung, wenigstens während der ersten Jahrhunderte, 
im Judentum stehen geblieben wäre; als ob man sich nicht bloss 
momentan wie die frühere Zeit bei einem besonderen Anlass, 
sondern unaufhörlich unter dem bleiernen Druck der Sünde und 
des Zorns gefühlt hatte. Ich habe kaum nötig ausdrücklich hin- 
zuzufügen, dass auch hinsichtlich des Versöhnungstages als des 
Festes aller Feste der Priestercodex für die nachexilische Zeit 
massgebend geworden ist. „Ritus und Opfer sind durch das 
Misgeschick der Zeiten untergegangen, aber dieselbe Heiligkeit 
ist ihm geblieben; wer sich noch nicht ganz losgesagt hat vom 
Judentum, hält diesen Tag, mag er auch sonst gegen alle Ge- 
bräuche und Feste desselben gleichgiltig sein." 

IV. 

Zum Schluss noch ein Wort über die Mondfeste, d. h. über 
Neumond und Sabbath. Dass beides zusammengehört, lässt sich 
allerdings aus dem Pentateuch nicht sehen, wohl aber annähernd 
aus Arnos 8, 5 und 2. Reg. 4, 22f. Bei Arnos sagen die über jede 
Unterbrechung ihres Wuchers ungeduldigen Kornhändler: wann 
wird der Neumond vorübergehen, dass wir Getreide verkaufen 
und der Sabbath, dass wir Korn aufthun! An der anderen Stelle 

') Auch nach der zweiten Zerstörung Jerusalems, durch Titus, nahm das 
Fastenwesen einen solchen Aufschwung, dass die Tage verzeichnet werden 
mussten, an denen das Fasten verboten war. 



Die Feste. 117 

wird die Sunamitin, da sie ihren Mann um einen Esel und einen 
Knecht bittet um den Propheten Elisa zu besuchen, von diesem 
gefragt, wie sie denn dazu komme, jetzt einen solchen Ausflug 
zu unternehmen, da es ja doch „kein Neumond und kein Sab- 
bath", d. h. wie wir sagen würden, kein Sonntag sei. Wahr- 
scheinlich hat sich der Sabbath ursprünglich nach den Phasen 
des Mondes gerichtet und ist also immer der 7. 14. 21. (28.) Tag 
des Monats gewesen, den Neumond als ersten gerechnet: eine 
Ratio muss er gehabt haben, und eine andere lässt sich nicht 
auffinden 1 ). Denn dass die Woche durch die sieben Planeten 
bedingt sein soll, erscheint sehr wenig glaublich. Erst nachdem 
man die sieben Tage hatte, kam man darauf sie nach den sieben 
Planeten zu benennen ; die Siebenzahl ist das einzige Band zwi- 
schen ihnen. Ohne Zweifel ist die Woche älter als die Namen 
ihrer Tage. 

Die Mondfeste sind wohl überhaupt älter als die Erntefeste, 
und sicher sind sie es bei den Hebräern. In vorhistorischer Zeit 
muss der Neumond so vorzugsweise gefeiert sein, dass von einer 
alten Benennung desselben, welche im biblischen Hebraismus 
nicht mehr vorkommt, sogar das allgemeine Wort für den Fest- 
jubel abgeleitet ist, welches sich schon Jud. 9,27 für die Feier 
der Weinlese gebraucht findet 2 ). Aber auch noch aus historischen 
Zeugnissen lässt sich constatieren , dass die Neumondsfeier in 

*) George Smith, the Assyrian Eponym Canon S. 19f: Among the Assy- 
rians the first twenty-eight days of every month were divided into 
four weeks of seven days each, the seventh, fourteenth, twenty-flrst, and 
twenty - eighth days, respectively , being sabbaths; and there was a ge- 
neral prohibition of work on tbese days. Ferner Hyde, hist. relig. vet. 
Pers. S. 239. Bei den Syrern bedeutet N2# n i cnt den siebenten Tag, 
sondern die Woche, ebenso bei den Arabern &»*..*.«** und XJCx-U* (Plur« 
<ojLU«, Dem. &C^J*w) einen Zeitabschnitt (Lagarde, Fs. Hier. S. 158), 
und zwar nach den Lexikographen einen längeren. Aber in dem ein- 
zigen Beispiele, welches der Tag al'Arüs anführt, bedeutet es vielmehr 
eine kurze Frist: »JUXmi ...l^&/x. uAxÄJI (statt Ol*) \o Lo = was ist . 
die Jugend? der Anfang einer Sanbata; d.i. etwa: der Sonntag einer 
Woche. Darnach wäre der Sabbath ursprünglich die Woche selber ge- 
wesen und erst hinterdrein der Wochenfesttag geworden. Die Identität 
des syrischen Wortes (xd adßßaxa im N.T.) mit dem hebräischen wird 
durch die doppelte Form des arabischen verbürgt. 

2 ) Mit Recht haben Sprenger (Leben Moh. III. 527) und Lagarde das hebräische 
hallel mit arab. aha IIa (Labbaika rufen, z.B. Abulf. 1180 p) zusam- 
mengestellt. Über die Ableitung des ahalla von hiläl (Neumond) waltet A*% - 9 
aber gar kein Zweifel. Vgl. Vakidi's Maghazi S. 421 Anm. 1: die Mekkaner JL-r 
ah all u (nahmen den Ihräm an), wenn sie den hiläl sahen. -""^ 



118 Geschichte des Ciiltus, Kap. 3. 

alter Zeit mindestens auf gleicher Linie mit der Sabbathsfeier 
gestanden hat; vgl. 1. Sam. 20, 5. 6. 2. Reg. 4, 23. Arnos 8, 5. Isa. 
1, 13. Hos. 2, 13. In der jehovistisehen und deuteronomischen 
Gesetzgebung jedoch wird dieselbe vollkommen ignoriert und 
wenn sie in der priesterlichen und ezechielischen etwas mehr 
hervortritt — ohne entfernt mit der Sabbathfeier sich messen 
zu können — , so hängt das vielleicht damit zusammen , dass 
sich hier die grossen Feste nach dem Neumond richten und des- 
halb seine Beobachtung von Wichtigkeit ist. Es mag einesteils 
bewusste Absicht gewesen sein, welche die Neumondsfeier, wegen 
allerhand heidnischen Aberglaubens, der sich leicht daran an- 
setzte, verdrängt hat, andernteils ist wohl auch das unwillkür- 
liche Übergewicht des Sabbaths daran schuld gewesen, zitfolge 
dessen dieser seine eigenen Wege ging und in regelmässigen 
siebentägigen Intervallen weiter gerechnet wurde, unbekümmert 
um den Neumond, mit dem er nun colli dierte, statt wie früher 
durch ihn gestützt zu werden. • 

Als Mondfest reichte ohne Zweifel auch der Sabbath in sehr 
hohes Alter hinauf. Bei den Israeliten aber bekam dieser Tag 
eine ganz eigentümliche Bedeutung, wodurch er sich von allen 
anderen Festen unterschied-, er wurde der Ruhetag kat' exochen. 
Ursprünglich ist die Ruhe nur eine Consequenz der Feier, z. B. 
der Erntefeste nach der sauren Arbeitszeit; auch die Neumonde 
wurden dadurch ausgezeichnet (Arnos 8, 5; 2. Reg. 4, 23). Sie ist 
auch beim Sabbath eigentlich nur die Folge davon, dass er der 
Feier- und Opfertag der Woche ist (Isa. 1, 13. Ezech. 46, IE), 
an dem die Schaubrote aufgelegt werden; für ihn aber wurde 
sie, wohl wegen der Regelmässigkeit, mit der er die Alltags- 
arbeit alle acht Tage unterbrach, allmählich die wesentliche 
Eigenschaft. Am Ende wurde dann auch sein Name so gedeutet, 
als sei er vom Ruhen hergenommen. Als Ruhetag kann nun 
der Sabbath nicht so uralt sein; in dieser Eigenschaft setzt er 
vielmehr den Ackerbau und ein ziemlich angestrengtes Werk- 
tagsleben voraus. Dazu stimmt es, dass sich im Laufe der Ge- 
schichte eine Steigerung der Sabbathsruhe bei den Israeliten 
nachweisen lässt. Am höchsten ausgebildet, bis zur Veränderung 
der Qualität, erscheint dieselbe im Priestercodex. 

Nach 2. Reg. 4, 22f. hat man am Sabbath Zeit zu nicht all- 
täglichen Beschäftigungen; Knecht und Esel können abkommen, 



Die Feste. 119 

zu einer Reise, die weiter ist als ein Sabbatherweg. Hos. 2, 13 
heisst es: „ich mache all ihrer Freude ein Ende, ihren Festen 
Neumonden und Sabbathen u ; diese letzteren teilen also mit den 
ersteren die lustige Fröhlichkeit, die sich im Exil, mit dem Jahve 
droht, von selbst verbietet. Beim Jehovisten und Deuteronomisten 
ist der Sabbath, der freilich schon Arnos 8, 5 auf den Handel aus- 
gedehnt wird, eine Einrichtung speciell für den Ackerbau; er ist 
der Erholungstag für die Leute und das Vieh und wird mithin 
in ähnlicher Weise wie die Opfermahle zu socialen Zwecken 
benutzt (Exod. 20. 10. 23, 12. 34, 21. Deut. 5, 13. 14). Obwohl 
diese moralische Wendung echt israelitisch und nicht ursprüng- 
lich ist, so ist die Ruhe doch auch hier noch ein Fest, ein Ver- 
gnügen für die arbeitenden Klassen; denn was zur Pflicht ge- 
macht wird — den israelitischen Herren nämlich, an welche 
die Gesetzgebung sich richtet — ist weniger, dass sie ruhen, als 
dass sie ruhen lassen. Im Priestercodex dagegen ist die Sab- 
bathsruhe schlechterdings nicht mit dem fröhlichen Aufatmen 
von der Last des Lebens bei den Festen gleichartig, sondern 
eine Sache für sich, die den Sabbath nicht bloss von den 
Wochentagen sondern auch von den Festen unterscheidet und 
einer ascetischen Leistung weit näher kommt als einer lässigen 
Erholung. Sie wird hier ganz abstract genommen, nicht als 
Ruhe von der gewöhnlichen Arbeit, sondern als Ruhe schlecht- 
hin. Man darf am heiligen Tage nicht aus dem Lager gehen, 
um Manna oder Holz zu sammeln (Exod. 16. Num. 15), nicht 
einmal Feuer anzünden und kochen (Exod. 35, 3): diese Ruhe 
ist in Wahrheit ein Opfer der Enthaltsamkeit von aller Be- 
schäftigung, worauf man sich schon den Tag vorher präparieren 
muss (Exod. 16). In der That könnte vom Sabbath des Priester- 
codex nicht gesagt werden, er sei um des Menschen willen da 
(Marc. 2,27), er ist vielmehr ein mit der Starrheit eines Natur- 
gesetzes auftretendes Statut, das sich selbst zum Grunde hat 
und auch für Gottes Schaffen gilt. Der ursprüngliche Schöpfungs- 
bericht, wonach Gott am siebenten Tage die Welt vollendete 
und ihn darum heiligte, ist dahin verbessert, dass er in sechs 
Tagen fertig wurde und am siebenten Tage ruhete 1 ). 

Ansätze zu einer solchen Überspannung der Sabbathsruhe 

*) Es ist ein unzweifelhafter Widerspruch , wenn es in Gen. 2, 2 zunächst 
heisst: er machte die Arbeit am siebenten Tage fertig, und sodann: er 



120 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

iüs Absolute finden sich seit der chaldäischen Zeit. Während 
Jesaia, den Sabbath rein als Opfertag betrachtend, sagt: „ihr sollt 
nicht mehr nichtsnutziges Opfer darbringen, ekelhafte Räucherei 
ist es mir; Neumond und Sabbath, Tempelversammlung — ich 
mag nicht Gräuel und Feiertag", so ist Jeremia der erste unter 
den Propheten, welcher umgekehrt für streugere Heiligung des 
siebenten Tages eintritt, denselben aber lediglich als Ruhetag 
auffasst 17, 19ff.: „tragt keine Last am Sabbathstag, weder hinein 
in die Thore Jerusalems noch hinaus aus euren Häusern, und be~ 
. sorgt keinerlei Geschäft an ihm". Er fügt hinzu, dass dies Gebot 
zwar schon den Vätern gegeben, bisher aber nicht gehalten sei; 
hergebracht scheint also nur die Enthaltung von der Feldarbeit 
und vielleicht von der professionellen Hantierung gewesen zu 
sein. Ebenso wie Jeremia verhalten sich in dieser Hinsicht seine 
exilischen Nachfolger, nicht bloss Ezechiel (20,16. 22,26), son- 
dern auch der grosse Unbekannte (Is. 56, 2. 58, 13), der sonst 
keine ausgesprochene Vorliebe für den Cultus zeigt. Während 
nach Hos. 2, 13 und sogar nach Thren. 2, 6 der Sabbath ausser- J^-. 
halb des heiligen Landes, wie der übrige Gottesdienst, aufhören T~? 
muss, gewann er thatsächlich im Exil ausserordentlich an Be- 6s. 
deutung, indem er nicht bloss vom Ackerbau, sondern nament- 
lich auch vom Opfercultus sich ganz unabhängig und als heilige 
Ruhefeier völlig selbständig machte. Dergestalt wurde er neben 
der Beschneidung das zusammenhaltende Symbol der jüdischen 
Diaspora, wie schon im Priestercodex beide Institute die allge- 
meinen religiösen Erkennungszeichen (niN Gen. 17, 11. 10 Exod. 
31, 13) sind, welche auch unter Umständen bestehen, wo ähnlich 
wie im Exil die Bedingungen des mosaischen Cultus nicht vor- 
handen sind (Gen. 2, 3. 17, 12 f.). Welche Mühe inzwischen noch 
die Constitutoren der Gemeinde des zweiten Tempels hatten, mit 
den neuen strengen Anforderungen durchzudringen, erhellt aus 
Neh. 13, 15ff. Aber es gelang schliesslich. Die Sabbathfeier 
des Judentums hat sich ^,uf Grund der priesterlichen Gesetz- 
gebung consequent weiter entwickelt, immer mehr dem Ideal 
der absoluten Ruhe sich nähernd, so dass für die strengste Rich- 
tung der Pharisäer die Vorbereitung auf den heiligen Tag die 

feierte am siebenten Tage von der Arbeit. Handgreiflich ist der letztere 
Satz eine authentische Interpretation, aus sehr deutlichem Motive nach- 



Die Feste. 121 

ganze Woche in Anspruch nahm und also womöglich das halbe 
Menschenleben um seinetwegen da war. „Vom Sonntag an denk 
an den Sabbath", sagt Schammai. Hervorgehoben zu werden ver- 
dient die Unterscheidung zwischen Jörn tob und Schabbath,die 
mit der puritanischen zwischen Fest- und Sonntag zu vergleichen 
ist, und die Discussion über das Brechen des Sabbaths durch 
den Gottesdienst; zwei Einzelheiten, welche die durch den Prie- 
stercodex angezeigte Richtung erkennen lassen, in der sich die 
spätere Sitte vom Ursprünglichen entfernt. 

2. Mit dem Sabbath steht das Sabbathjahr in Verbindung. 
Im Bundesbuche wird gefordert, einen Hebräer, den man zum 
Knechte kauft, nach sechs Jahren des Dienstes im siebenten frei 
zu geben, wenn er anders nicht selber zu bleiben wünscht (Exod. 
21, 2 — 6). Ebendaselbst wird an einer anderen Stelle geboten, 
sechs Jahre das Land und die Obstgärten zu bestellen und die 
Ernte einzuheimsen, aber im siebenten dieselbe preiszugeben 
(£Dt£>), damit die Armen sie essen und, was sie übrig lassen, die 
Tiere des Feldes (23, 10. 11). Von einem Sabbathjahr ist hier 
keine Rede. Die Freigebung des hebräischen Knechts erfolgt 
sechs Jahr nach dem Kauf, also an einem relativen Termin. 
Ebenso ist in der anderen Verordnung ein absolutes siebentes Jahr 
durch nichts indiciert; auch handelt es sich nicht um einen Sab- 
bath, d. h. eine Brache, für das Land, sondern um eine Preis- 
gabe der Ernte. 

Das erste Gebot wird im Deuteronomium wiederholt, ohne 
sachliche Abweichungen, teilweise wörtlich (15, 12 — 18). Das 
andere hat wenigstens ein Analogon in Deut. 15, 1—6: „am Ende 
von sieben Jahren sollst du eine Preisgabe (ntOD£>) machen und 
folgende Bewandtnis hat es mit der Preisgabe: kein Gläubiger 
soll wegen einer Forderung seinen Bruder drängen, denn man 
hat eine Preisgabe ausgerufen dem Jahve; den Fremden magst 
du drängen, aber was dir dein Bruder schuldet, sollst du preis- 
geben". Dass diese Verordnung mit Exod. 23, 10. 11 zu ver-' 
gleichen ist, beweist der Name nteüW, aber derselbe bekommt 
eine andere Bedeutung, die offenbar als neu eingeführt wird. 
Es handelt sich hier nicht um Grund und Boden, sondern um 
Geld, und preisgegeben werden soll nicht bloss, wie die Ernte 
des Feldes, so die Zinsen der Forderung, sondern das Capital 
selbst — der letzte Satz lässt kein anderes Verständnis zu, so 



122 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

zweckwidrig die Massregel ist. Ein Schritt auf das Sabbaths- 
jahr zu ist darin zu erkennen, dass der Termin des siebenten 
Jahres nicht ein für die einzelnen Schuldverhältnisse, je nach 
dem Datum ihrer Contraction, verschiedener ist — dann könnte 
es sich einfach um Verjährung handeln — , sondern ein für alle 
gleicher und gemeinsamer, den man öffentlich ansagt; ein abso- 
luter also, kein relativer. Jedoch umfasst er nicht das ganze 
siebente Jahr, tritt nicht am Ende von sechs Jahren ein wie im 
Exodus, sondern am Ende von sieben: die Preisgabe der Ernte 
nimmt eben das ganze Jahr in Anspruch, der Schuldenerlass 
vergleichsweise nur einen Moment. 

Das Sabbathjahr ist dem Priestercodex eigentümlich, oder 
genauer der von ihm recipierten und überarbeiteten Gesetzsamm- 
lung, welche in Lev. 17 — 26 zu Grunde Hegt. Es heisst in 
Lev. 25, 1 — 7: „wenn ihr in das Land kommt, welches ich euch 
geben werde, so soll das Land dem Jahve einen Sabbath feiern; 
sechs Jahre sollst du dein Feld säen und deinen Weinberg be- 
stellen und die Ernte einheimsen, und im siebenten Jahre soll 
das Land einen Ruhesabbath feiern dem Jahve, dein Feld sollst 
du nicht säen und deinen Weinberg nicht bestellen, das freige- 
wachsene Korn sollst du nicht mähen und die Trauben der nicht 
geputzten Reben nicht schneiden, ein Ruhejahr soll das Land 
haben, und der Sabbath des Landes soll euch zur Nahrung sein, 
dir und deinem Knechte und deiner Magd und deinen Heuerleuten 
und deinem Vieh und dem Wilde soll all sein Ertrag zur Nah- 
rung sein 44 . Die Ausdrücke lassen keinen Zweifel darüber, dass 
Exod. 23, 10. 11 die Grundlage dieser Verordnung ist, aber es 
ist etwas Anderes daraus gemacht. Das dort relative siebente 
Jahr ist hier ein festes geworden, nicht verschieden für die ver- 
schiedenen Acker, sondern gemeinsam für das ganze Land, ein 
Sabbathjahr nach der Ähnlichkeit des Sabbathtages. Dies kommt 
einer gewaltigen Erschwerung der Sache gleich, denn es ist ein 
anderes Ding, ob sich der Verzicht auf die Ernte über sieben 
Jahre verteilt oder auf das je siebente zusammendrängt. Glei- 
cherweise zeigt sich die Steigerung der Anforderung darin, dass 
im siebenten Jahre nicht bloss einzuheimsen, sondern auch zu 
säen und zu bestellen verboten wird. In dem originalen Gebote 
ist das nicht der Fall, hier fällt nur die Ernte im siebenten 
Jahre nicht dem Eigentümer des Feldes zu, sondern ist publici 



Die Feste. 123 

iuris — vielleicht ein Rest der Gemeinwirtschaft. Durch ein 
blosses Misverständnis des Verbalsuffixes Exod. 23, 11, wie Hup- 
feld vermutet hat, ist aus dem Liegenlassen des Ertrags des 
Landes ein Liegenlassen des Landes selbst, eine allgemeine 
Brache desselben gemacht Lev. 25, 4. Das Misverständnis ist 
aber nicht zufällig, sondern überaus charakteristisch. In Exod. 23 
ist die Einrichtung für die Menschen da, eine Beschränkung der 
Privateigentümer des Grundbesitzes zum Besten der Gesamtheit, 
d. h. faktisch der Besitzlosen, die im siebenten Jahr den Niess- 
brauch haben sollen; in Lev. 25 ist die Einrichtung wegen des Lan- 
des da, damit es wenn nicht am siebenten Tage doch im siebenten 
Jahre ruhe, und wegen des Sabbaths, damit er seine Herrschaft 
auch über die Natur ausdehne. Natürlich setzt dies die extreme 
Sabbathfeier durch absolute Ruhe voraus und ist nur als Aus- 
wuchs davon zu begreifen. Übrigens ist eine allgemeine Brache 
nur unter Verhältnissen möglich, die schon von der eigenen land- 
wirtschaftlichen Production ziemlich unabhängig sind: vor dem Exil 
hätte schwerlich auch nur der Gedanke daran kommen können. 
Zu dem Sabbathjahre kommt nun im Priestercodex als Er- 
gänzung noch das Jobeljahr hinzu (Lev. 25, 8 ff.). Wie jenes dem 
siebenten, so ist dieses dem fünfzigsten, d. i. dem Pfingsttag 
nachgebildet, wie schon aus dem Parallelismus von Lev. 25, 8 
mit Lev. 23, 15 zu erkennen ist. Wie der 50. Tag nach den 
sieben Sabbathtagen als Schlussfeier der 49tägigen Periode ge- 
feiert wird, so das 50. Jahr nach den sieben Sabbathjahren als 
Schlussstein der 49jährigen; die sieben in die Ernte fallenden 
Sabbathe, die besonders gezählt zu werden pflegen (Luc. 6, 1), 
haben eben dadurch, dass sie die Erntearbeit unterbrechen, eine 
besondere Ähnlichkeit mit den Jahrsabbathen, die den Ackerbau 
überhaupt unterbrechen. Jobel ist also eine künstliche Einrich- 
tung, aufgebaut auf den Brachjahren als Erntesabbathen, nach 
der Analogie des Pfingstfestes. Seine beiden Funktionen scheinen 
ursprünglich auch dem Sabbathjahr angehört zu haben und aus 
den beiden entsprechenden Bestimmungen des Deuteronomiums 
über das siebente Jahr abgeleitet zu sein, so dass also Exod. 23 
die Basis von Lev. 25, 1 — 7 und Deut. 15 die von 25, 8 ff. wäre. Die 
Freilassung des hebräischen Sklaven sollte zuerst im siebenten 
Jahre des Kaufes, sodann vermutlich im siebenten Jahre schlecht- 
hin geschehen : von da ist sie aus praktischen Gründen auf das 



124 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

fünfzigste verlegt worden. Analog ist auch wohl das andere 
Element des Jobel, der Eückfall des verpfändeten Grundbesitzes 
an den Erbeigentümer , erwachsen aus dem Schuldenerlasse der 
Deut. 15 für das Ende des siebenten Jahres gefordert wird ; denn 
beides hängt sachlich eng mit einander zusammen, wie Lev. 
25, 23 ff. zeigt. 

Was die Bezeugung aller dieser Einrichtungen betrifft, so 
werden die des Bundesbuchs gleichmässig vom Deuteronomium 
und vom Priestercodex vorausgesetzt. Auf die Anregung des 
Deuteronomiums scheint es zurückzugehen, dass gegen Ende der 
Regierung Sedekia's Ernst gemacht wurde mit der Freilassung 
der hebräischen Sklaven; die Ausdrücke Jer. 34, 14 weisen auf 
Deut. 15, 12 und nicht auf Exod. 21, 2. Da sie bisher nicht 
praktisch geworden war, ward in diesem Falle die Massregel 
von Allen zu gleicher Frist durchgeführt; in der That musste 
dies immer geschehen, wenn sie als ausserordentliche Neuerung 
in die Welt trat: vielleicht hängt es damit zusammen, dass aus 
einem relativen ein fixes siebentes Jahr ward. Das Sabbathjahr 
ist nach der eigenen Aussage des Gesetzgebers in der ganzen 
vorexilischen Zeit nicht gehalten worden. Denn nach Lev. 26, 
34f. soll die Desolation des Landes während der Dauer des 
Exils eine nachträgliche Erstattung der früher nicht eingehaltenen 
Brachjahre sein: „dann wird das Land seine Sabbathe bezahlen 
alle Tage der Verödung, w T enn ihr im Lande eurer Feinde seid, 
dann wird das Land feiern und seine Sabbathe bezahlen; alle 
Tage der Verödung wird es nachfeiern, was es früher nicht ge- 
feiert hat, solange ihr darin wohntet". Der Vers wird 2. Chr. 
36, 22 als ein Wort Jeremia's citiert und das ist ein richtiger und 
unbefangener Eindruck seines exilischen Ursprungs. Da nun aber 
der Verfasser von Lev. 26 auch der von Lev. 25, 1 — 7 ist, d. h. 
der Gesetzgeber des Sabbathjahres, so folgt daraus die Jugend 
dieser Einrichtung. Das Jobeljahr, auf alle Fälle vom Sabbath- 
jahr abgeleitet, ist noch jünger als dieses. Jeremia (34, 14) ahnt 
nichts davon, dass die Freilassung der Knechte nach dem „Ge- 
setz 44 im 50. Jahre erfolgen soll. Den Namen 1111, welchen 
Lev. 25, 10 das Jobel trägt, gebraucht er vom siebenten Jahre, 
und das ist auch für Ezech. 46, 17 entscheidend: das Grundstück, 
welches der König einem seiner Diener schenkt, bleibt nur bis 
zum siebenten Jahre in dessen Besitz. 



Die Priester und Leviten. 125 

Viertes Kapitel. 
Die Priester und Leviten. 

I. 

1. Das Problem, um das es sich hier handelt, erscheint 
mit besonderer Schärfe in einem prägnanten Beispiele, das wohl 
an die Spitze gestellt zu werden verdient. Das mosaische Ge- 
setz, d. h. der Priestercodex, scheidet bekanntlich zwischen den 
zwölf weltlichen Stämmen und Levi, andererseits innerhalb des 
geistlichen Stammes selber zwischen den Söhnen Aharons und 
den schlechthin so genannten Leviten. Der erstere Unterschied 
wird anschaulich in der Lagerordnung Num. 2, in der Levi einen 
schützenden Ring um das Heiligtum bildet, gegen die unmittel- 
bare Berührung der übrigen Stämme; im ganzen gilt er jedoch 
als selbstverständlich und wird nicht besonders hervorgehoben 
(Num. 18, 22). Der andere wird mit ungleich grösserem Nach- 
druck eingeschärft. Bloss Aharon und seine Söhne sind Priester, 
zum Opferdienst und zum Räuchern befähigt, die Leviten sind 
Hierodulen (3. Esdr. 1, 3) , die zur Besorgung der niederen 
Dienste an die Aharoniden geschenkt worden (Num. 3, 9). Zwar 
sind sie deren Stammgenossen, aber nicht wegen seiner Zuge- 
hörigkeit zu Levi ist Aharon erwählt und sein Priestertum nicht 
etwa die Spitze und Blüte des allgemeinen Berufs seines Stam- 
mes. Er war vielmehr Priester, lange bevor die Leviten ge- 
heiligt wurden; während der Cultus längst eingerichtet und im 
Gange ist, sind die letzteren noch geraume Zeit nicht vorhan- 
den: im ganzen dritten Buche nicht, das seinem Namen Levi- 
ticus insofern keine Ehre macht. Genau genommen gehören 
sogar die Leviten gar nicht zum Klerus, sie werden nicht von 
Jahve berufen, sondern von den Kindern Israel an das Heiligtum 
gewidmet; an Stelle der Erstgeborenen, aber nicht als Priester 
— weder Num. 3. 4. 8 noch sonst im Alten Testament kommt 
von einem Priestertum der Erstgeborenen eine Spur vor * — 
sondern als Abgabe an die Priester, als welche sie sogar die 
übliche Schwingung vor dem Altar, d. h. das scheinbare Werfen 



126 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

in die Opferflamme durchzumachen haben (Num. 8). Die Ver- 
wandtschaft zwischen Aharon und Levi und dass gerade dieser 
Stamm als Lösung der Erstgeborenen dem Heiligtum abgetreten 
wird, erscheint somit fast als zufällig, erklärt sich aber jeden- 
falls nicht daraus, dass Aharon auf den Schultern Levi's in die 
Höhe gestiegen, sondern dass Levi an Aharon heraufgerankt 
ist, dessen Priestertum durchaus als das Prius gilt. Von Gleich- 
artigkeit zwischen beiden ist nicht die Rede, das Amt und auch 
das Blut scheidet sie mehr, als dass es sie verbindet. 

Nun hat sich der Prophet Ezechiel in dem Plan des neuen 
Jerusalem, welchen er im Jahr 573 entwarf, auch mit der Neu- 
gestaltung der Verhältnisse des Tempelpersonals beschäftigt und 
er sagt in dieser Beziehung 44, 6 — 16: „So spricht der Herr 
Jahve. Lasst es genug sein all eurer Greuel, Haus Israel! — 
dass ihr Ausländer, unbeschnittenen Herzens und unbeschnittenen 
Fleisches, habt eingehen lassen zu sein in meinem Heiligtum, 
es zu entweihen, wenn ihr mein Brot, das Fett und Blut, dar- 
brachtet, und habt meinen Bund gebrochen 1 ) durch all eure 
Greuel und meinen heiligen Dienst nicht gewahrt, indem ihr 
jene 1 ) zu Besorgern meines Dienstes in meinem Heiligtum ge- 
macht habt. Darum 1 ) spricht der Herr Jahve also: kein Aus- 
länder, unbeschnittenen Herzens und unbeschnittenen Fleisches, 
soll in mein Heiligtum hineinkommen, keiner von allen, welche 
unter den Kindern Israel leben; sondern die Leviten, welche 
sich entfernt haben von mir, da Israel von mir abirrte hinter 
seinen Götzen her, die sollen ihre Schuld büssen, und sollen in 
meinem Heiligtum Dienstlanger sein, Wachen an den Thoren 
des Hauses und Diener des Hauses, sie sollen das Brandopfer 
schlachten und das Dankopfer den Leuten und vor ihnen stehen 
sie zu bedienen. Weil sie ihnen gedient haben vor ihren 
Götzen und dem Hause Israel ein Anstoss zur Sünde geworden 
sind, darum erhebe ich meine Hand gegen sie, spricht der Herr 
Jahve, dass sie ihre Schuld büssen sollen; sie sollen sich mir 
nicht nahen, mir zu priestern und all meinem Heiligen zu 
nahen, sondern ihre Schande und Greuel büssen, die sie verübt 
haben; und ich will sie zu Besorgern des Hausdienstes machen, 
aller Arbeit daran und alles dessen, was darin zu geschehen 

Für «nevi v. 7 1. n&rvi» für no^m v - 8 üid^iu für d:^ v. s p^, 

alles nach der Septuaginta. ' 



Die Priester und Leviten. 127 

hat Aber die Priester, die Leviten Söhne Sadoks, welche den 
Dienst meines Heiligtums gewahrt haben in der Zeit da die 
Kinder Israel von mir abirrten, die sollen zu mir nahen mich 
zu bedienen und sollen vor mir stehen, mir Fett und Blut dar- 
zubringen, spricht der Herr Jahve; sie sollen eingehen in mein 
Heiligtum und treten an meinen Tisch, mich zu bedienen, und 
sollen meinen Dienst bewahren." 

Hieraus ist zweierlei zu lernen. Einmal, dass die systema- 
tische Absperrung des Heiligen vor profaner Berührung nicht 
von jeher bestand, dass man im salomonischen Tempel sogar 
Heiden (Zach. 14, 21), wahrscheinlich Kriegsgefangene, zu den 
Hierodulendiensten verwendete, welche nach dem Gesetz die 
Leviten hätten verrichten müssen und später auch wirklich ver- 
richteten. Freilich hält Ezechiel diese Sitte für einen abscheu- 
lichen Misbrauch, man könnte sie also für einen Ungehorsam 
ausgeben, den die jerusalemischen Priester gegen ihre eigenen 
Forderungen sich zu Schulden kommen Hessen, und würde es 
dadurch vermeiden, sie der Unbekanntschaft mit ihrem Gesetz 
zu zeihen. Dahingegen schliesst eine zweite Thatsache, die aus 
unserer Stelle erhellt, das Vorhandensein des Priestercodex für 
Ezechiel und seine Zeit zweifellos aus. An die Stelle der heid- 
nischen Tempelsklaven sollen künftig die Leviten treten. Bisher 
besassen diese das Priestertum, und zwar nicht zufolge eigen- 
mächtiger Anmassung, sondern vermöge ihres guten Rechtes. 
Denn es ist keine blosse Zurückweisung in die Schranken ihres 
Standes, wenn sie nicht mehr Priester, sondern Tempeldiener 
sein sollen, keine Herstellung eines Status quo ante, dessen Be- 
fugnisse sie ungesetzlicher Weise überschritten haben, sondern 
ausgesprochener Massen eine Degradation, eine Entziehung ihres 
Rechtes, welche als eine Strafe erscheint und als verdiente ge- 
rechtfertigt werden muss: sie sollen ihre Schuld büssen. 
Sie haben ihr Priestertum dadurch verwirkt, dass sie es mis- 
braucht haben, um dem Cultus der Höhen vorzustehen, der dem 
Propheten als Götzendienst gilt und ihm in tiefster Seele ver- 
hasst ist. Natürlich sind diejenigen Leviten von der Strafe aus- 
genommen, welche an der legalen Stelle amtiert haben; das sind 
die Leviten die Söhne Sadok zu Jerusalem, welche nun 
einzig Priester bleiben und über ihre bisherigen Standesgenossen, 
mit denen sie Ezechiel noch unter dem selben Gemeinnameu 



128 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

zusammenfasst, emporrückeu, indem diese zu ihren Handlangern 
und Hierodulen erniedrigt werden. 

Es ist eine wunderliche Gerechtigkeit, dass die Priester der 
abgeschafften Bamoth dafür bestraft werden, dass sie Priester 
der abgeschafften Bamoth gewesen sind, und umgekehrt die 
Priester des jerusalemischen Tempels dafür belohnt, dass sie 
Priester des Tempels gewesen sind: die Schuld jener und das 
Verdienst dieser besteht in ihrer Existenz. Mit anderen Worten 
hängt Ezechiel bloss der Logik der Thatsachen einen morali- 
schen Mantel um. Aus der Abschaffung der volkstümlichen 
Heiligtümer in der Provinz zu Gunsten des königlichen von 
Jerusalem folgte mit Notwendigkeit die Absetzung der provin- 
cialen Priesterschaften zu Gunsten der Söhne Sadok am Tempel 
Salomo's. Zwar will der Urheber der Centralisierung, der deu- 
teronomische Gesetzgeber, dieser Consequenz vorbeugen, indem 
er auch den auswärtigen Leviten das Recht gibt in Jerusalem 
zu opfern so. gut wie ihre dort erbgesessenen Brüder; aber es 
war nicht möglich in dieser Weise das Schicksal der Priester 
von dem ihrer Altäre zu trennen. Die Söhne Sadok Hessen es 
sich wohl gefallen, dass in ihrem Tempel alle Opfer sich ver- 
einigten, aber dass sie ihr Erbe nun mit der Priesterschaft der 
Höhen theilen sollten, leuchtete ihnen nicht ein und es ward nicht 
durchgesetzt (2. Reg. 23, 9). Für diese Abweichung vom Gesetz 
findet Ezechiel, jerusalemisches Vollblut wie er ist, einen mora- 
lischen Ausdruck, der indes die Thatsache nicht motiviert, son- 
dern nur umschreibt. 

Von der Grundlage des Deuteronomiums aus ist es leicht 
möglich, die Verordnung Ezechiels zu verstehen, von der Grund- 
lage des Priestercodex aus ist es ganz und gar unmöglich. Was 
er als das ursprüngliche Recht der Leviten betrachtet, den 
Priesterdienst zu verrichten, betrachtet dieser als eine bodenlose 
und höchst bösartige Anmassung, die einmal in der Urzeit der 
Rotte Korah den Untergang brachte; was jener als nachträgliche 
Entziehung ihres Rechtes, als Degradierung zur Strafe einer 
Schuld ansieht, sieht dieser als ihre erbliche Naturbestimmung 
an. Der Unterschied zwischen Priester und Levit, den Ezechiel 
als eine Neuerung einführt und rechtfertigt, besteht nach dem 
Priestercodex seit ewigen Zeiten, was dort als Anfang erscheint, 
ist hier seit Mose immer so gewesen, ein Gegebenes, nichts Ge- 



Die Priester und Leviten. 129 

machtes oder Gewordenes *). Dass nun der Prophet vom priester- 
lichen Gesetz, mit dessen Tendenzen er von Herzen überein- 
stimmt, nichts weiss, kann nur daher kommen, dass es nicht 
vorhanden war. Seine eigenen Verordnungen sind nur als Vor- 
stufe desselben zu verstehen. 

2. Nöldeke jedoch deutet den Vergleich der Söhne Aha- 
rons mit den Söhnen Sadoks zu Gunsten der Priorität des 
Priestercodex, der doch noch nicht ganz so exclusiv sei wie 
Ezechiel 2 ). Nun ist dies zunächst ein untergeordnetes Moment, 
die Hauptsache ist, dass Ezechiel den Unterschied zwischen 
Priestern und Leviten erst selber machen muss, der im Priester- 
codex ein längst gegebener ist. Dem gegenüber, dass jener 
die Sonderung neu einführt, die dieser voraussetzt, ist 
der Grad derselben hier und dort vollkommen gleich- 
giltig. Ferner aber kann man mit dem selben Rechte wie die 
Söhne Aharons im Vergleich zu den Söhnen Sadoks, so auch 
die Stiftshütte im Vergleich zum jerusalemischen Tempel für 
einen Beweis höheren Alters ausgeben. Jene nämlich sind die 
Priester der Stiftshütte, diese die des Tempels ; wie aber faktisch 
kein anderer Unterschied zwischen dem mosaischen und dem 
wirklichen Centralheiligtum besteht, als der zwischen Körper 
und Schatten, so auch kein anderer zwischen der mosaischen 
und der wirklichen Centralpriesterschaft. Nur darum ist im 
Priestercodex der altersgraue Name an die Stelle des geschicht- 
lichen gesetzt, um den Schein der mosaischen Zeit aufrecht zu 
erhalten: soll diese Verschleierung ein Zeichen seines früheren 
Ursprungs sein, so ist es wohl auch ähnlich zu beurteilen, dass 
in ihm Herkunft und Wesen der Leviten gänzlich unklar ist, 
während man es bei Ezechiel mit Händen greift, dass sie die 
ausser Dienst gestellten Priester der abgeschafften Bamoth sind, 
die notgedrungen sich unter die vornehmen Standesgenossen zu 
Jerusalem haben unterordnen müssen. In Wahrheit ist es 

l ) „Wenn die Leviten kraft ihrer Geburt unmöglich Priester werden konn- 
ten, so würde es mehr als sonderbar sein, ihnen das Priestertum zu ent- 
ziehen auf Grund ihrer Übertretungen — ebenso sonderbar als wenn je- 
mand Bürgern als Strafe androht, sie sollten künftig in einer Versamm- 
lung von Edelleuten nicht mehr Sitz und Stimme haben." Kuenen, Theol. 
Tijdschr. III 463. 

a ) Jahrbb. für Prot. Th. 1875 S. 351: „Dass er die Aaroniden allein als 
wahre Priester betrachtet, hat sein Gegenbild im Ezechiel, welcher noch 
viel exclusiver bloss "die Söhne Sadok's als Priester anerkennt." 

Well li a u scn, l'rolegomv.na. 9 



130 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

gerade umgekehrt ein Beweis der nachexilischen Abfassung des 
Priestercodex, dass er die Priester des Centralheiligtums — das 
sind auch nach dem traditionellen Verständnis (2. Chr. 13, 10), 
direct oder indirect, die jerusalemischen — zu Söhnen Aharons 
macht. Er führt dadurch ihren Ursprung hinauf bis zur Stif- 
tung der Theokratie und lässt sie als die legitimen seit je er- 
scheinen. Diese Meinung nun konnte vor dem Exil nicht ge- 
wagt werden. Denn damals war es zu wohl bekannt, dass das 
Priestertum des jerusalemischen Geschlechts sich nicht über die 
Zeit Davids verfolgen Hess, sondern erst von Sadok datierte, 
der unter Salomo die erbberechtigte Familie Eli aus der Stel- 
lung verdrängte, welche dieselbe schon seit lange, erst zu Silo 
und zu Nob, und dann zu Jerusalem an dem jeweils hervor- 
ragendsten Heiligtume Israels eingenommen hatte. 

In einer deuteronomisch gefärbten Stelle, die nicht lange 
vor dem Exil geschrieben sein kann, heisst es in einer Weis- 
sagung an Eli über den Sturz seines Hauses durch Sadok: „Ich 
habe zwar gesagt, spricht Jahve der Gott Israels, dein und 
deines Vaters Haus sollen vor mir w r andeln in Ewigkeit, aber 
jetzt sage ich: das sei ferne von mir, denn die mich ehren, die 
ehre ich, und meine Verächter werden zu schänden — siehe es 
kommen Tage, da zerschmettere ich deinen und deines Ge- 
schlechtes Arm, und erwecke mir einen verlässigen Priester, der 
nach meinem Herzen handelt, und baue ihm ein verlässiges Haus, 
dass er vor meinem Könige wandeln soll immerdar" (1. Sam. 2, 
27 — 36). Also ist Eli's Haus und Vatershaus das in Ägypten er- 
wählte rechtmässige Priestergeschlecht; gegen das Erbrecht und 
gegen die Verheissung ewigen Bestandes wird es abgesetzt, weil 
die Gerechtigkeit vorgeht. Der an die Stelle tretende ver lässige 
Priester ist Sadok, nicht bloss weil es 1. Reg. 2,27 ausdrück- 
lich gesagt wird, sondern auch weil kein anderer als er das 
verlässige Haus gehabt hat und als Ahn und Inhaber des- 
selben vor den jüdischen Königen gewandelt ist alle Zeit. Dieser 
Sadok also gehört weder dem Hause noch dem Vatershause Eli's 
an, sein Priestertum reicht nicht bis in die Stiftungszeit der Theo- 
kratie und ist kein im eigentlichen Sinne legitimes; er hat es 
vielmehr erlangt durch den Bruch des gewissermassen ver- 
fassungsmässigen Privilegs, für das kein weiterer Erbe existierte 
als Eli's Familie und Geschlecht. Man sieht, er gilt nicht als 



Die Priester und Leviten. 131 

Mittelglied der Linie Aharons, sondern als der Anfänger einer 
absolut neuen Linie; die jerusalemischen Priester, deren Ahnherr 
er ist, sind Emporkömmlinge aus dem Anfange der königlichen 
Zeit, mit denen das alte mosaische Sacerdotium nicht fortgesetzt 
wird, sondern abbricht, Wenn dieselben nun im Priestercodex 
Söhne Ah arons heissen, mindestens unter den Söhnen Aharons 
mit einbegriffen sind, denen sie in Wahrheit nur entgegengesetzt 
werden können, so ist das ein sicheres Merkmal, dass die Fäden 
der Tradition aus der vorexilischen Zeit hier vollkommen ab- 
gerissen sind, was in Ezechiels Tagen noch nicht der Fall war ! ). 
Das hiemit dargestellte Verhältnis der priesterlichen Gesetz- 
gebung zu Ezechiel gibt nun Ziel und Richtung für die folgende 
Darstellung an, in welcher der Versuch gemacht wird, die ein- 
zelne Erscheinung in ihren allgemeinen Zusammenhang zu stellen. 

IL 

1. Die Absonderung eines ganzen geistlichen Stammes aus 
dem übrigen Volk und der schroffe Rangunterschied innerhalb 
der Klassen desselben setzen einen sehr systematischen Gegen- 
satz von Heilig und Profan und einen gewaltigen Apparat des 
Cultus voraus. In der That sind, nach der Darstellung des Prie- 
stercodex, die Israeliten von Anfang an als Hierokratie organisiert 
gewesen, mit dem Klerus als Skelett, dem Hohenpriester als 
Haupt und der Stiftshütte als Herz. Aber so plötzlich wie diese 
Hierokratie ausgebildet vom Himmel in die Wüste herabgefahren 
ist, so plötzlich ist sie im Lande Kanaan spurlos wieder ver- 
schwunden. Wie weggeblasen sind, in der Zeit der Richter, 
Priester und Leviten mitsamt der „Gemeinde der Kinder Israel", 
welche sich um jene schart; kaum ein Volk Israel gibt's, nur 
einzelne Stämme, die sich nicht einmal zu den dringendsten Not- 
sachen vereinigen, geschweige denn auf gemeinsame Kosten ein 
nach Tausenden zählendes Cultuspersonal mit Weib und Kind 
unterhalten. Statt der Kirchengeschichte des Hexateuchs setzt 
mit einem mal im Buch der Richter die Weltgeschichte ein, der 

l ) In der Chronik wird, um des Pentateuehes willen, durch künstliche Gene- 
alogien nachgewiesen, wie sich die Söhne Sadoks in ununterbrochener 
Folge von Aharon und Eleazar ableiten. Vgl. meine Pharis. und Sadd. 
S. 48 f. Die Sache ist zuerst entdeckt von Vatke S. 344 f., sodann von 
Kuenen, Theol. Tijdschr. III S. 463—509, zuletzt von mir, Text der Bb. 
Sam. S. 48—51. 

9* 



132 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

geistliche Charakter ist völlig abgestreift. Der Hohepriester, nach 
der Absicht des Priestercodex die centrale Obrigkeit von Gottes 
Gnaden, mag sehen wo er bleibt, denn die wirklich eingreifenden 
Volkshäupter sind die Richter, Leute von ganz anderem Schlage, 
nicht gestützt auf ein Amt, sondern auf ihre Person und das Be- 
dürfnis der Umstände, selten über die Grenzen ihres Stammes 
hinaus von Einfluss. Und offenbar sehen wir hier nicht die 
traurigen Reste einer einst unter Mose und Josua vorhandenen, 
dann aber total zerfallenen kirchlich -politischen Ordnung, son- 
dern die ersten naturwüchsigen Anfänge staatlicher Autorität, 
die sich weiter und weiter entwickelnd schliesslich zum König- 
tum geführt haben. 

Im Kern des Richterbuches Jud. 3—16 kommt nirgends 
eine Person vor, die den Cultus als Profession betreibt. Zwei- 
mal wird ein Opfer dargebracht, von Gideon und Manoah; ein 
Priester gilt dabei nicht für nötig. In einer Glosse zu 1. Sam. 
6, 13 f. macht sich die Divergenz der späteren Sitte Luft. Als 
die Lade Jahve's auf einem Kuhwagen aus ihrem philisthäischen 
Exil zurückkehrte, blieb sie in der Feldmark von Bethsemes bei 
dem grossen Steine stehen ; die Bethsemesiten aber, die eben bei 
der Weizenernte waren, spalteten das Holz des Wagens und ver- 
brannten die Kühe auf dem Stein. Nachdem sie nun fertig sind, ; 
kommen v. 15 die Leviten im Plusquamperfectum, und thun als ,. j: 
ob nichts geschehen wäre, heben die Lade von dem gar nicht" 
mehr vorhandenen Wagen und setzen sie auf den Stein, auf /5fl 
dem bereits das Opfer brennt: natürlich nur um das Gesetz zu er- 
füllen, dessen Anforderungen die ursprüngliche Erzählung ignoriert. 
Ehe nicht der Cultus einigermassen centralisiert ist, haben die 
Priester keinen Boden. Denn wenn jeder für sich und sein Haus 
opfert, an einem Altar, den er wo möglich für das augenblick- 
liche Bedürfnis improvisiert, wozu braucht's solcher Leute, deren 
Geschäft und Begriff es ist, für andere zu opfern? Wenn sie 
also in der frühesten Periode der israelitischen G'eschichte so 
wenig von sich merken lassen, so hängt das damit zusammen, 
dass es noch wenige grosse Heiligtümer gibt. Sobald dagegen 
solche auftauchen, finden sich auch die Priester ein. So Eli und 
seine Söhne bei dem alten Gotteshause des Stammes Ephraim 
zu Silo. Eli nimmt eine sehr angesehene Stellung ein, seine 
Söhne werden als übermüthige Menschen geschildert, die nicht 



Die Priester und Leviten. 133 

direct, sondern durch einen Diener mit den Opfernden verkehren 
und ihren Pflichten gegen Jahve mit vornehmer Lässigkeit nach- 
kommen. Das Amt ist erblich, die Priesterschaft schon recht 
zahlreich. Wenigstens zur Zeit Sauls, nachdem sie von Silo, 
wegen der Zerstörung des dortigen Tempels durch die Philister, 
nach Nob tibergesiedelt war, zählte sie über fünfundachtzig Män- 
ner, die indessen nicht gerade lauter Blutsverwandte Eli's ge- 
wesen zu sein brauchen, wenn sie sich auch zu dessen Geschlechte 
rechneten 1. Sam. 22, ll 1 ). Noch ein anderes Heiligtum wird 
gegen Ausgang der Richterperiode erwähnt, das zu Dan an den 
Quellen des Jordans. Ein reicher Ephraimit, Micha, hatte dem 
Jahve ein silberüberzogenes Bild gestiftet uud dasselbe in einem 
ihm gehörigen Gotteshause aufgerichtet. Zunächst stellte er einen 
seiner Söhne dabei als Priester an, darauf den Jonathan ben 
Gerson ben Mose, einen heimatlosen Leviten von Bethlehem 
Juda, den er sich glücklich schätzte gegen ein Jahrgeld von 
zehn Silberlingen nebst Kleidung und Unterhalt festzuhalten. 
Als jedoch die Daniten durch die Philister gedrängt aus ihren 
alten Sitzen aufbrachen, um sich im Norden an den Abhängen 
des Antilibanus eine neue Heimat zu gründen, raubten sie unter- 
wegs das Gottesbild und den Priester Mieha's; veranlasst durch 
ihre Kundschafter, welche vordem bei Micha geherbergt und 
dort ein Orakel eingeholt hatten. So kam Jonathan nach Dan 
und ward der Begründer des Geschlechtes, welches bei dieser 
späterhin so wichtigen Cultusstätte bis zur Fortführung der Da- 
niten in die assyrische Gefangenschaft das Priestertum inne hatte 
(Jud. 17. 18). Seine Stellung erscheint sehr verschieden von der 
des Eli. Nur darin herrscht Gleichheit, dass sie beide Erbpriester, 
s. g. Leviten sind und sich vom Geschlechte Mose's ableiten: 
darüber wird unten des näheren zu reden sein. Während aber 
Eli ein vornehmer Mann ist, vielleicht der Besitzer des Heilig- 
tums, jedenfalls ganz unabhängig und das Haupt eines grossen 
Hauses, ist Jonathan ein einsamer fahrender Levit, der bei dem 
Eigentümer eines Gotteshauses gegen Kost und Lohn in Dienst 
tritt, von diesem seinem Brotherrn zwar wie ein Sohn gehalten, 

*) Freilich ist 1. Sam. If. nur immer von Eli und seinen zwei Söhnen und 
von einem Knecht die Rede; und noch David und Salomo scheinen an 
dem Haupttempel nur einen oder zwei Priester gehabt zu haben. Sollte 
Doeg 85 Männer alleine haben hinrichten können ? 



134 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

von den Daniten aber keineswegs mit sonderlicher Hochachtung 
behandelt wird. 

Der letztere Fall stellt vermutlich eher die Kegel dar als 
der erste. Ein selbständiges und angesehenes Priestertum konnte 
sich nur an grösseren und öffentlichen Cultusstätten ausbilden, 
die zu Silo scheint aber die einzige dieser Art gewesen zu sein. 
Die übrigen Gotteshäuser, von denen wir aus der Übergangsperiode 
zur Königszeit hören, sind nicht bedeutend und befinden sich im 
Privatbesitz, entsprechen also dem des Micha auf dem Gebirge 
Ephraim. Das zu Ophra gehört dem Gideon und das zu Kiriath- 
jearim dem Abinadab. Namentlich scheint es, dass Micha, indem 
er für Geld einen Diener des Heiligtums anstellt, einer allge- 
meineren Sitte gefolgt ist. Denn der Ausdruck 1T tihft, welcher 
als technischer Terminus auch später für die Ordination der 
Priester beibehalten worden ist als diese längst ganz unabhängig 
ausgestattet waren, kann ursprünglich in dieser Anwendung nichts 
anderes als ein Füllen der Hand mit Geld oder Gut bedeutet 
haben; das Priesteramt wird also in älterer Zeit ein bezahltes, 
vielleicht das einzige bezahlte gewesen sein. Wen er anstellen 
will, steht im Belieben des Eigentümers; hat er sonst niemand, 
so beauftragt er einen seiner Söhne (Jud. 17, 5. 1. Sam. 7, 1): von 
einem character indelebilis ist dabei natürlich nicht die Rede, 
wie man aus dem ersteren Beispiel ersehen kann, wo Micha's 
Sohn nach kurzer Frist vom Dienst zurücktritt. David, als er 
die Lade überführte, vertraute sie zunächst dem Hause Obed- 
edoms an und machte diesen seinen Hauptmann, einen Philister 
aus Gath, zu ihrem Wächter. Ein Berufspriester, ein Levit, ist 
nach Jud. 17, 13 für ein gewöhnliches Heiligtum eine grosse 
Seltenheit. Auch zu Silo, wo übrigens die Verhältnisse ausser- 
ordentlich sind, ist das Privilegium der Söhne Eli's nicht exclusiv; 
Samuel, der nicht zur Familie gehörte, wird doch zum Priester 
angenommen. Der Dienst, wozu man einen ständigen Beamten 
nötig hatte, war nicht das Opfern; das geschah nicht so regel- 
mässig, dass man es nicht auch selber hätte besorgen können. 
Für einen einfachen Altar bedarf es keines Priesters, sondern 
nur für ein Haus, worin ein Gottesbild befindlich ist 1 ); dieses 

*) Dv6fc* n^D Grotteshaus ist nie etwas anderes als das Haus eines Bil- 
des. Ephod ist ausserhalb des Priestercodex das Gottesbild, Ephod Bad 
das Priesterkleid. 



Die Priester und Leviten. 135 

muss bewacht und bedient werden (1. Sam. 7, 1) — ein Ephod 
wie das Gideons oder Micha's (Jud. 8, 26 f. 17, 4) war in der That 
sehr stehlenswert und die Gotteshäuser lagen gewöhnlich frei 
(Exod. 33, 7). Noch in späterer Zeit sind von daher die Aus- 
drücke 1Dt£> und mt£> für den heiligen Dienst beibehalten worden, 
und während jedermann zu opfern versteht, ist die Kunst, mit 
dem Ephod umzugehen und ihm Orakel zu entlocken, von jeher 
nur das Geheimnis des Priesters. Ausnahmsweise ist bisweilen 
der Wärter nicht der Priester selber, sondern sein Lehrling, der 
die Anwartschaft hat. So hat Mose den Josua als seinen Aedituus *) 
neben sich (Exod. 33, 11), der nicht aus dem Zelte Jahve's weicht, 
so ferner Eli den Samuel, der Nachts im Inneren des Tempels 
bei der Bundeslade schläft: wenn auch die Jugendgeschichte 
Samuels den wirklichen Verhältnissen zu Silo vielleicht nicht 
ganz gerecht wird, so reicht sie doch jedenfalls zur Bezeugung 
anderweit vorhandener Sitte vollkommen aus. Man vergleiche 
mit diesen einfachen Zuständen, dass im Priestercodex den Söhnen 
Aharons etwa die Hälfte von 22000 Leviten als Wächter und 
Diener des Heiligtums zur Seite stehen. 

Schlachten und opfern darf jedermann (1. Sam. 14, 34f.), und 
auch da wo Priester vorhanden sind, ist von systematischer Ab- 
sonderung des Heiligen und von einer Scheu es zu berühren 
nichts zu spüren. Wenn David „in das Haus Gottes eingeht 
und die Schaubrote isst, welche nur die Priester essen dürfen, 
und auch seinen Leuten davon gibt" (Marc. 2, 26), so gilt dies 
1. Sam. 21 in dem Falle gar nicht für unerlaubt, dass die Essen- 
den geheiligt sind, d. h. sich Tags zuvor von Weibern enthalten 
haben. Verfolgte Flüchtlinge erfassen das Hörn des Altars, ohne 
dass dies als Profanierung desselben gilt. Ein Weib, wie die 
Hanna, tritt vor Jahve, d. h. vor den Altar, um zu beten; die 
von der Sept. gegebenen Worte " ^%b D^Jini (1. Sam. 1, 9) sind 
für den Zusammenhang notwendig und vom masorethischen Text 
als anstössig ausgelassen. Sie wird dabei von dem Priester 
beobachtet, der wie er pflegt gemütlich in der Tempelttir auf 
seinem Stuhle sitzt. Namentlich die Geschichte der Lade, wie 
Vatke mit Recht bemerkt S. 317. 332, bietet mehrfache Beläge 
dafür, dass der Begriff der Unnahbarkeit des Heiligen unbekannt 
war; ich will nur den auffallendsten hervorheben. Samuel der 
l ) nWft mt^E, genauer JHDH tWß ^Ö n« " HN "D 1. Sam. 2, 11. 



136 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

Ephraimit schläft von Amts wegen jede Nacht bei der Lade 
Jahve's, wohin nach Lev. 16 nur einmal im Jahr der Hohepriester 
eingehen darf und auch er nicht anders als nach der strengsten 
Vorbereitung und unter den ceremoniösesten Sühngebräuchen. 
Der Widerspruch der Empfindungsweise ist so gross, dass 
ihn noch niemand sich klar zu machen gewagt hat. 

2. Mit der beginnenden Königszeit treten alsbald auch die 
Priester, im Anschluss an die Könige, stärker hervor; die Stei- 
gerung der Centralisation und der Öffentlichkeit des Lebens 
macht sich auch auf dem Gebiete des Cultus bemerklich. Im 
Anfange der Regierung Sauls finden wir die angesehene ephra- 
imitische Priesterschaft, das Haus Eli's, nicht mehr in Silo, son- 
dern zu Nob, in der Nähe des Königs, und gewissermassen im 
Bunde mit ihm; denn ihr Haupt, der Priester Ahia, ist gleich 
bei der ersten Schilderhebung gegen die Philister in seiner 
nächsten Umgebung, teilt mit ihm die Gefahr und befragt für 
ihn das Ephod. Hinterher trübte sich das Einvernehmen, Ahia 
u$d seine Brüder fielen der Eifersucht des Königs zum Opfer 
und damit ward dem einzigen Ansatz eines selbständigen Priester- 
tums von Bedeutung, welcher sich in der alten israelitischen 
Geschichte findet, für immer ein Ende gemacht. Abiathar, der 
allein dem Blutbad von Nob (1. Sam. 22) entkam, floh mit dem 
Ephod zu David, er gelangte zum Dank dafür später zu hohen 
Ehren, aber alles was er geworden ist, ward er als Diener 
Davids. Unter David begann das königliche Priestertum sich 
zu der Bedeutung zu entwickeln, die es fortab behalten hat. 
Er verfügte mit voller Freiheit wie über das Heiligtum der Lade, 
welches in seiner Burg stand, so über die Einsetzung der Priester, 
welche lediglich seine Beauftragten waren. Neben Abiathar 
stellte er den Sadok (später noch den Ira) neu an, ausserdem 
auch einzelne seiner Söhne. Denn wenn es 2. Sam. 8, 18 heisst 
die Söhne Davids waren Priester, so dürfen diese Worte 
nicht dem Pentateuch zu liebe anders gedreht werden als wie 
sie lauten. Auch den Sohn des Propheten Nathan treffen wir 
1. Beg. 4,5 als Priester, umgekehrt dagegen den des Sadok in 
einem hohen weltlichen Amte (v. 2); die spätere Grenze zwischen 
heiligen und nichtheiligen Personen existierte eben noch nicht. 
Was unter David der Institution des königlichen Cultus und der 
königlichen Priester noch fehlte, ein fester Mittelpunkt, kam 



Die Priester und Leviten. 137 

durch den Tempelbau seines Nachfolgers hinzu. Zu Anfang der 
Regierung Salomo's gab es noch keine, grösseren Bedürfnissen 
genügende, israelitische Opferstätte; er war gezwungen, seinen 
Antritt auf der grossen Bama zu Gibeon zu feiern, einer damals 
noch ganz kanaanitischen wenn auch schon länger unterworfenen 
Stadt in der Nähe Jerusalems. Jetzt sorgte er dafür, dass seine 
ungeheuren Feste auch in seinem eigenen Heiligtum gefeiert 
werden konnten. Er machte daran den Sadok zum Priester, 
nachdem er bereits früher den greisen Abiathar, der aus vor- 
nehmem und echtem Priesterblute entsprossen war, wegen seiner 
Parteinahme für den rechtmässigen Thronfolger abgesetzt und 
auf sein Landgut nach Anathoth, einem Dorfe bei der Haupt- 
stadt, verbannt hatte, damit das 1. Sam. 2 angedrohte Geschick 
der einst so stolzen und mächtigen Familie Eli's erfüllend. Dem 
Geschlechte Sadoks werden sich allmählich andere Priester an- 
geschlossen haben, die sich späterhin ebenso seine Söhne nannten, 
wie die Rechabiten den Jonathan ben Rechab oder die Pro- 
phetenkinder den oder jenen grossen Propheten als ihren Vater 



Wenn diese ersten Könige, ganz ebenso wie es in dem 
classischen Beispiel Jud. 17. 18 Micha thut, ihre Heiligtümer als 
ihr Privateigentum betrachten und in der Ein- und Absetzung 
der Beamten daran ganz umumschränkt verfahren, so scheuen 
sie sich natürlich auch nicht, selber die Rechte auszuüben, die 
von ihnen emanierten und auf andere übertragen wurden. Von 
Saul, der freilich noch Alles selber und wenig durch Andere 
that, wird mehrfach gemeldet, dass er in eigener Person geopfert 
habe; und es ist deutlich, dass ihm das in 1. Sam. 14 und 
Kap. 15 nicht zum Vorwurf gemacht wird. David opferte; als er 
die Lade glücklich nach Jerusalem heraufgeholt hatte; dass er 
dabei selbst fungierte, geht daraus hervor, dass er den linnenen 
Priesterrock trug, das Ephod Bad, und dass er nach vollbrachtem 
Opfer den Segen sprach (2. Sam. 6, 14. 18). Nicht minder voll- 
zog Salomo selber die Einweihung des Tempels, er trat vor den 
Altar und betete dort auf den Knieen mit ausgestreckten Armen, 
dann erhub er sich und segnete das Volk (1. Reg. 8, 22. 54. 55), 
ohne Zweifel wird er auch eigenhändig das erste Opfer darge- 
bracht haben. Nur zur Befragung des Orakels vor dem Ephod 
ist die Technik des Priesters nötig (1. Sam. 14, 18). 



138 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

3. Die Geschichte des Priestertums nach der Teilung des 
Reichs ist die Fortsetzung dieser Anfänge. Jerobeam I., der Be- 
gründer des israelitischen Reichs, gilt dem Geschichtsschreiber 
auch als der Begründer des israelitischen Cultuswesens, sofern 
dieses sich von dem judäischen Ideal unterschied; „er machte 
die beiden goldenen Kälber und stellte sie auf zu Bethel und 
zu Dan, er machte die Bamothhäuser und stellte Priester mitten 
aus dem Volke an, die nicht zu den Söhnen Levi's gehörten und 
feierte Fest im achten Monat und stieg auf den Altar um zu 
räuchern" (1. Reg. 12, 28ff. 13,33). Hier wird zwar in der be- 
kannten Weise der frommen Pragmatik dem deuteronomischen 
Gesetze, das erst dreihundert Jahre später in Geltung kam, rück- 
wirkende Kraft verliehen und also nach einem historisch unzu- 
lässigen Massstabe geurteilt; auch werden die dem Urteil zu 
Grunde liegenden Fakta einesteils zu sehr verallgemeinert, an- 
dernteils zu ausschliesslich dem Jerobeam zur Last gelegt. Der 
erste König trägt die Cultus-Stinden aller seiner Nachfolger und 
des ganzen Volks. Aber die Anerkennung des souveränen Prie- 
stertums des Herrschers, des bestimmenden Einflusses, den er auf 
den Cultus ausgeübt hat, ist richtig. Die bedeutendsten Tempel 
waren königlich und königlich auch die Priesterschaft daran 
(Arnos 7, 10ff.). Als darum Jehu das Haus Ahabs stürzte, da er- 
würgte er nicht bloss alle seine Angehörigen, sondern mit seinen 
Beamten und Höflingen auch seine Priester; das sind ebenfalls 
königliche Diener und Vertrauenspersonen (2. Reg. 10, 11. vgl. 
1. Reg. 4, 5). Die Angabe, dass dieselben nach Belieben von dem 
Könige ausgewählt wurden, wird dahin zu verstehen sein, dass 
sie, wie in der Zeit Davids und Salomo's, so auch später beliebig 
ausgewählt werden konnten und durften ; denn thatsächlich blieb 
wenigstens in Dan das heilige Amt seit der Richterzeit bis zur 
assyrischen Gefangenschaft in der Familie Jonathans erblich. 
Ausserdem hat man sich gewiss nicht vorzustellen, dass sämmt- 
liche Bamothhäuser und sämmtliche Priesterstellen 1 ) königlich 
gewesen seien; so tief konnte die Regierurig unmöglich in diese 
Angelegenheiten eingreifen. Öffentlich waren in dieser Periode 

*) Der Parallelismus von Bamothhäusern und Priesteranstellung 1. Reg. 12, 31 
scheint nicht zufällig zu sein. Während eine Bama ein einfacher Altar 
sein kann, setzt ein Bamothhaus ein Gottesbild voraus und macht einen 
aedituus notwendig. 



Die Priester imrl Leviten, 139 

wohl die meisten Heiligtümer, aber darum noch nicht königlich, 
und so gab es ohne Zweifel auch zahlreiche Priester, die nicht 
königliche Diener waren. Dem Übergewicht des officiellen Cultus 
und des officiellen Cultuspersonals stand gerade im Nordreich 
der häufige Wechsel der Dynastien und der ungebundene Parti- 
cularismus der Stämme gegenüber; die Verhältnisse werden sich 
sehr bunt und individuell gestaltet, erbliche und nichterbliche, 
unabhängig ausgestattete und arme Priester neben einander be- 
standen haben; die Verschiedenartigkeit und das gleiche Recht 
der Verschiedenartigen ist die Signatur der Zeit. 

Im allgemeinen aber hat sich die Priesterschaft gegen 
früher entschieden consolidiert und wie an Zahl so auch an 
Einfluss nicht wenig zugenommen; sie ist eine wichtige Macht 
im öffentlichen Leben geworden, ohne welche sich das Volk 
nicht mehr denken lässt. Auf Grund der kurzen und unzu- 
länglichen Notizen des Königsbuchs, welches vorzugsweise das 
ausserordentliche Eingreifen der Propheten in den Gang der 
israelitischen Geschichte hervorhebt, wäre es vielleicht etwas 
kühn dies zu behaupten, aber andere und authentischere Zeug- 
nisse berechtigen dazu. Zuerst der Segen Mosis, ein unabhängig 
für sich stehendes, nordisraelitisches Dokument. Darin wird ge- 
sagt: „Deine Urim und Thummim gehören dem Manne deiner 
Freundschaft, den du erprobt hast zu Massa, für ihn gestritten 
an den Wassern von Meriba; der spricht von Vater und Mutter: 
ich habe sie nie gesehen, und seine Brüder nicht kennt und um 
seine Kinder sich nicht kümmert — denn sie bewahren dein 
Wort und dein Gesetz behüten sie, sie lehren Jakob deine 
Rechte und Israel deine Weisungen, sie bringen Fettduft in deine 
Nase und Vollopfer auf deinen Altar; segne, Jahve, seinen 
Wohlstand und lass dir seiner Hände Werk gefallen, zer- 
schmettre seinen Gegnern die Lenden und seinen Hassern dass 
sie sich nicht erheben 4 ' (Deut. 33, 8 — 11). Die Priester erscheinen 
hier als ein festgeschlossener Stand, so sehr, dass sie nur aus- 
nahmsweise als Plural auftreten, meist aber zu einem singu- 
larischen Collectivum zusammengefasst werden, zu einer orga- 
nischen Einheit, die nicht bloss die gleichzeitigen, sondern auch 
die ascendierenden Glieder umfasst und ihr Leben mit Mose, 
dem Freunde Jahve's, beginnt, welcher als Anfang ebenso mit 
der Fortsetzung zusammenfällt, wie der Mann mit dem Kinde 



140 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

aus dem er erwachsen ist. Die Geschichte Mose's ist zugleich 
die Geschichte der Priester, die Urim und Thummim gehören, 
man weiss nicht recht, ob jenem oder diesen, aber das ist das 
selbe: jeder Priester, dem die Hut eines Ephod anvertraut war, 
befragt vor demselben das heilige Los.* Der erste auf Mose 
bezügliche Relativsatz geht ohne Subjects Wechsel über in einen 
auf die Priester bezüglichen, darnach fällt der Singular unver- 
mittelt in den Plural und der Plural zurück in den Singular. 
Jedoch beruht diese so sehr hervortretende Solidarität des Stan- 
des keineswegs auf der natürlichen Grundlage der Geschlechts- 
oder Familieneinheit; den Priester macht nicht das Blut, sondern 
im Gegenteil die Verleugnung des Blutes, wie mit grossem 
Nachdruck betont wird. Er muss um Jahve's willen thun, als 
habe er nicht Vater und Mutter, Brüder und Kinder. Die blinde 
Befangenheit in den Vorstellungen des Judaismus hat bis jetzt 
das Verständnis dieser Worte verhindert, sie sind aber durchaus 
unmisverständlich. Indem man sich dem Dienste Jahve's widmet, 
besagen sie, tritt man heraus aus den natürlichen Verhältnissen 
und reisst sich los von den Banden der Familie; es hat also mit 
der Brüderschaft der Priester in Nordisrael ganz ähnliche Be- 
wandtnis wie mit den ebenfalls dort heimischen religiösen Gil- 
den der Prophetensöhne, der Rechabiten und wohl auch der 
Naziräer (Arnos 2, llf.). Wer wollte (oder: wen er wollte), den 
machte Jerobeam zum Priester, drückt sich der deuteronomische 
Bearbeiter des Königsbuch aus (1. Reg. 13, 33). Ein historisches 
Beispiel dazu liefert der junge Samuel, wie er in der jedenfalls 
auf ephraimitischen Zuständen der Königszeit fussenden Jugend- 
geschichte 1. Sam. 1 — 3 erscheint. Aus einer wohlhabenden 
bürgerlichen Familie zu Rama in der Landschaft Suph' Ephraim 
gebürtig ist er von seiner Mutter schon vor der Geburt dem 
Jahve versprochen und dann sobald es irgend möglich dem 
Heiligtum zu Silo übergeben, und zwar nicht etwa zum Naziräer 
oder Nathinäer im Sinne des Pentateuchs, sondern zum Priester, 
denn als m&'D trägt er den linnenen Priesterrock, das Ephod 
Bad und sogar das Pallium 1. Sam. 2, 18 1 ). Sehr deutlich er- 
hellt dabei, dass es als eine Verzichtleistung auf die Rechte der 

*) Vgl. Bochari in der Bulaker unvocalisierten Ausgabe I. 70, 16 f.: 



Die Priester und Leviten. 141 

Familie betrachtet wird, wenn die Mutter den Knaben, der eigent- 
lich ihr gehört, des Gelübdes wegen dem Heiligtum abtritt und 
ihn wie sie sich ausdrückt für immer dem Jahve leiht (1. Sam. 
1,28 hx)KW = ^NtfiOlD). Dass Samuel von seinen Eltern ge- 
widmet wird und sich nicht selber widmet, begründet natürlich 
keinen erheblichen Unterschied; das eine steht auf gleicher 
Linie mit dem anderen und wird neben dem anderen vorgekom- 
men sein, wenngleich seltener. Umgekehrt ist es aber auch 
schwerlich die Regel gewesen, dass jemand nicht bloss Eltern 
und Brüder, sondern auch Weib und Kinder dahinten Hess, um 
der Priesterschaft beizutreten; das wird Deut. 33, 9 nur als extre- 
mes Beispiel der Aufopferungsfähigkeit angeführt. Auf keinen 
Fall darf man daraus auf gefordertes Cölibat schliessen, sondern 
nur darauf, dass das Priestertum häufig kaum den Mann, ge- 
schweige denn eine Familie ernährte. 

So fest und bedeutend, so selbständig und abgeschlossen 
muss in der Entstehungszeit des Segens Mosis der Priesterstand 
gewesen sein, dass er eine eigene Stelle neben den Stämmen 
des Volks einnimmt, gleichsam selbst ein Stamm, aber nicht 
durch das Blut, sondern durch geistige Interessen verbunden. 
Seine Bedeutung erhellt auch aus der Opposition, die er findet 
und die zu einer so lebhaften Verwünschung seiner Gegner An- 
lass gibt, dass man glauben sollte, wer sie niederschrieb, sei 
wohl selbst ein Priester gewesen. Worauf die Feindschaft be- 
ruht, wird nicht gesagt; es scheint aber als richte sie sich ein- 
fach gegen die Existenz eines berufsmässigen und fest organi- 
sirten Klerus und gehe von Laien aus, welche die Rechte der 
alten priesterlosen Zeit festhalten. 

Neben dem Segen Mosis enthalten die Reden Hosea's das 
wichtigste Material für die Würdigung des nordisraelitischen 
Priestertums. Die grosse Bedeutung desselben für das öffent- 
liche Leben geht auch aus seinen Äusserungen hervor. Die 
Priester sind die geistigen Leiter des Volkes; der Vorwurf, dass 
sie ihren hohen Beruf nicht erfüllen, beweist zunächst, dass sie 
ihn haben. Ausgeartet sind sie allerdings, sie erscheinen bei 
Hosea in einem ähnlichen Lichte wie die Söhne Eli's nach der 
Beschreibung 1. Sam. 2, 12 ff., zu der vermutlich der Verfasser 
die Farben aus Verhältnissen entlehnt hat, die ihm näher lagen 
als die der Richterzeit. Die Priester von Sichern werden von 



142 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

dem Propheten sogar offenen Strassenraubes bezichtigt (6, 9), 
und alle mit einander klagt er sie an, dass sie ihr Amt in 
schnöder Gewinnsucht ausbeuten, dessen heiligste Pflichten ver- 
nachlässigen und auf diese Weise an dem Ruin des Volks die 
Hauptschuld tragen. „Hört Jahve's Wort, ihr Kinder Israel, 
denn Jahve hat zu hadern mit den Landesinsassen; denn es ist 
keine Treue und Liebe und Gotteskenntnis im Lande. 2. Schwö- 
ren und lügen und morden und stehlen und ehebrechen, 
sie üben Gewalt und reihen Mord an Mord! 3. Darum trauert 
das Land und welkt Alles was darin wohnt, bis auf das Wild 
des Feldes und die Vögel des Himmels, und auch die Fische 
des Meeres werden hingerafft. 4. Doch schelte und tadle nur 
niemand, denn das Volk machts wie seine Pfaffen. 5. Darum 
werdet ihr (Priester) straucheln jenes Tags und auch die Pro- 
pheten mit euch jene Nacht und ich rotte aus eure Sippe. 
6. Mein Volk geht unter aus Mangel der Kenntnis, denn ihr selbst 
verachtet die Kenntnis, so will auch ich euch verachten, dass 
ihr mir nicht Priester sein sollt, ihr habt der Lehre eures 
Gottes vergessen, so will auch ich euer vergessen! 7. So viel 
sie sind, so sündigen sie gegen mich, ihre Ehre vertauschen sie 
gegen Schande; 8. meines Volkes Sünde essen sie und nach 
seiner Verschuldung tragen sie Verlangen, 9. so soll es wie dem 
Volke auch den Priestern ergehen, ich ahnde an ihnen ihren 
Wandel und vergelte ihnen ihre Thaten; 10. sie sollen essen 
und nicht satt werden, huren und sich nicht mehren, weil sie 
dem Jahve zu dienen abgelassen haben 44 Hos. 4, 1— 10 1 ). Kaum 

l ) Im Eingang wird das Volk aufgefordert zu hören, worüber Jahve es an- 
klage; die Sünde herrsche derart, dass der völlige Untergang des Landes 
nicht ausbleiben könne v. 1 — 3. Mit dem Doch an der Spitze des fol- 
genden Verses ändert der Prophet seine Gedankenrichtung, vom Volke 
geht er über zu den Priestern: die Wurzel des allgemeinen Verderbens 
sei der Mangel der Gotteskenntnis (nämlich: Liebe will ich und nicht 
Opfer, vgl. Jerera. 22, 16) und daran seien die Priester schuld, die die 
Aufgabe hätten „die Kenntnis" zu verbreiten, statt dessen aber in selbst- 
süchtigem Interesse dem Hange des Volkes, durch Opfer statt durch Ge- 
rechtigkeit Jahve's Gnade zu erlangen, Vorschub leisten. Wenn nämlich 
zugestanden ist, dass von v. 6 an die Priester angeredet werden, so ist 
nicht ersichtlich, wartim zwischen v. 5 und v. 6 ein Wechsel in der An- 
rede statt finden soll, zumal die Coordination von Priestern und Pro- 
pheten berechtigter ist als die von Propheten und Volk v. 5. Da nun 
auf diese Weise v. 4 zwischen die Anklage gegen das Volk v. 1—3 und 
die Anklage gegen die Priester v. 5 — 10 in die Mitte zu stehen kommt, 
so muss darin der Übergang vom Einen zum Andern gemacht werden, 



Die Priester und Leviten. 143 

geringer scheint hienach auch im Nordreiche der geistige Ein- 
fluss der Priester auf das Volk gewesen zu sein, als der der 
Propheten, und wenn wir in deh historischen Berichten weniger 
davon hören 1 ), so erklärt sich das daraus, dass sie still und 
regelmässig in kleinen Kreisen wirkten, unpolitisch und der ge- 
gebenen Ordnung unterthan, und dass sie darum nicht so viel 
Aufsehen und weniger von sich reden machten, als die Pro- 
pheten, die durch ihr ausserordentliches und oppositionelles Ein- 
greifen Israel aufregten, wie Elias und Elisa. 

4. In Juda war der Ausgangspunkt der Entwickelung der 
gleiche wie in Israel. Die Meinung hier hahe sich das echte 
mosaische Priestertum von Gottes Gnaden erhalten, dort da- 
gegen sich ein schismatisches Priestertum von des Königs und 
der Menschen Gnaden eingedrängt, ist die der späteren Judäer, 
die das letzte Wort und darum Recht behielten. Die B'ne Sadok 
von Jerusalem waren gegenüber den B'ne Eli, die sie ver- 
drängten, ursprünglich illegitim — wenn man diesen in jener 
Zeit völlig unbekannten Begriff anwenden darf — und hatten 

der durch das Doch angezeigt ist. Hosea bricht von dem vorherigen 
Schelten gegen das Volk ab : doch schelte und tadle nur niemand; 
warum nicht, das müssen die folgenden Worte besagen. Es muss in 
v. # ein Umstand genannt werden , der das Volk entschuldigt und zu- 
gleich den Zorn auf die Priester ableitet, die im Folgenden daran kom- 
men. Der zu erwartende Gedanke ist durch diese Erwägungen ganz not- 
wendig bestimmt, nämlich: denn das Volk folgt nur seinen 
Priestern. Diesen Sinn trifft die Conjectur THDDD *>Dyi (statt: 
ÜPIftDDD}?!) : mein Volk macht's wie seine Pfaffen, vgl. v. 9. Das übrig 
bleibende jfi^ wird man streichen müssen. — Die gewöhnliche Auf- 
fassung von v. 4 ist kaum der Widerlegung wert. Das HDI^ *?X v * ^ 
soll im Sinne des Volkes geredet sein. Die Leute verbitten sich Rüge 
und Tadel des Propheten, während — so wird dann v. 4 b gedeutet — sie 
selbst sich kein Gewissen daraus machen, sogar mit dem Priester zu 
hadern. Sogar — denn Mangel an Unterwürfigkeit gegen den Priester 
gelte als besonders bösartig. Aber der Prophet Hosea würde es kaum 
als Capitalsünde betrachtet haben, wenn auch das Volk den Priestern 
die Achtung versagte, die sie "nach seinen Äusserungen so ganz und 
gar nicht verdienten. Ausserdem lässt jede Auslegung, die in v. 4 einen 
Vorwurf gegen das Volk findet, unklar, wo der Übergang vom Schelten 
gegen das Volk zum Schelten gegen die Priester sich vollzieht. 
J ) Nach 2. Reg. 17, 27. 28 wurden die von den Assyrern nach dem ent- 
völkerten Samarien eingeführten fremden Colonen zuerst von Löwen ge- 
fressen, weil sie die richtige Verehrungs weise des Landesgottes nicht 
kannten. In Folge dessen sandte Esarhaddon einen der exilierten sama- 
risehen Priester hin, der seinen Sitz zu Bethel, dem alten Hauptheiligtum, 
aufschlug und die Ansiedler in der Religion des Landesgottes unterwies 
(rmo) ^ as se ^ z t einen geschlossenen Priesterstand voraus, der sich 
sogar in der Verbannung längere Zeit erhielt. 



144 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

ihr Kecbt nicht von den Vätern her, sondern von David und 
Salomo. Sie blieben immer in dieser Abhängigkeit, sie wan- 
delten, wie es 1. Sam. 2, 35 ausgedrückt wird, vor dem Ge- 
salbten Jahve's allezeit, als dessen Diener und Beamte. Den 
Königen war der Tempel ein Teil ihres Palastes, der wie 
1. Reg. 7 und 2. Reg. 11 lehrt auf dem selben Hügel lag und 
unmittelbar daran stiess; sie legten ihre Schwelle neben Jahve's 
Schwelle und setzten ihre Pfosten neben die seinigen, so dass 
nur die Wand zwischen Jahve und ihnen lag (Ezech. 43, 8). Den 
officiellen Cultus gestalteten sie ganz nach ihrem Belieben und 
hielten seine Bewirtschaftung, wie es wenigstens nach der Epi- 
tome des Königsbuches scheint, für das Hauptgeschäft ihrer Re- 
gierung. Sie führten neue Gebräuche ein und schafften alte ab, 
die Priester fügten sich .dabei stets ihrem Willen und waren 
nur ihre ausführenden Organe '). Dass sie auch opfern durften, 
versteht sich, sie thaten es jedoch nur ausnahmsweise, etwa zur 
Einweihung eines neuen Altars (2. Reg. 16, 12. 13). Noch für 
Jeremia, der im Allgemeinen das Opfern und Nahen zu Jahve 
(Num. 16, 5) nicht mehr für jedermanns Sache hält, ist doch der 
König als solcher auch der oberste Priester; denn im Anfang 
des Exils und der Fremdherrschaft hofft er von der Zukunft: 
Israels Fürst wird aus ihm selber stammen und ich will ihn mir 
nahen lassen, dass er vor mich trete — wer hätte sonst das 
Herz, vor mich zu treten, spricht Jahve (30, 21). Erst Ezechiel 
protestiert gegen die Behandlung des Tempels als einer könig- 
lichen Dependenz, bei ihm ist die Prärogative des Fürsten dahin 
zusammengeschrumpft, dass er den öffentlichen Cultus auf seine 
Kosten unterhalten muss. 

Der Unterschied zwischen dem judäischen und israelitischen 
Priestertum war nicht von Anfang an vorhanden, sondern ent- 
stand erst durch den Verlauf der Geschichte. Den äusseren 
und inneren Unruhen, dem raschen aufgeregten Treiben im 
Nordreich steht das geschützte Stillleben des Kleinstaats im 
Süden gegenüber. Dort warf der geschichtliche Strudel ausser- 
ordentliche Persönlichkeiten aus der Tiefe hervor, Usurpatoren 
und Propheten, hier befestigten sich die Institutionen, die auf 
das Bestehende gegründet und von den bestehenden Mächten 

l ) Vgl. z. B. 2. Reg. 12, 5 ff. Joas zu Jojada, 16^ 10 ff. Ahaz zu Uria, und zu- 
letzt noch Kap. 22 Josia zu Hilkia. 



Die Priester und Leviten. 145 

abhängig waren 1 ). Am meisten kam natürlich die Stabilität 
dem Königtum selber zu gut. Der königliche Cultus, der im 
Reiche Samarien nicht im Stande war den volkstümlichen und 
unabhängigen zu verdrängen, bekam in dem kleinen Juda schon 
früh ein fühlbares Übergewicht; die königliche Priesterschaft, 
welche dort gelegentlich in den Sturz der Dynastie verwickelt 
wurde, erstarkte hier zur Seite des Hauses David — schon 
Aharon und Amminadab waren nach dem Priestercodex ver- 
schwägert wie in Wirklichkeit Jojada und Ahazia. Auf diese 
Weise ward schon früh der Uniformierung vorgearbeitet, wo- 
durch Josia den königlichen Cultus zum alleinigen und officiellen 
machte. Als begleitende Folge seiner Massregel ergab sich 
natürlich die ausschliessliche Berechtigung der königlichen 
Priesterschaft zu Jerusalem. Jedoch war die Erblichkeit auch 
bei den übrigen priesterlichen Familien schon so durchgedrungen, 
dass ihnen der Übergang zu profanem Berufe nicht zugemutet 
wurde. Der deuteronomische Gesetzgeber hatte ihnen das Recht 
gegeben, ihr Amt zu Jerusalem fortzusetzen und dort für jeden, 
der ihre Dienste in Anspruch nahm, zu fungieren; aber diese 
Bestimmung erwies sich, dem Widerstreben der B'ne Sadok 
gegenüber, im ganzen als undurchführbar (2. Reg. 23, 9), wenn 
auch einzelne fremde Elemente damals Aufnahme in den Tempel- 
adel gefunden haben mögen. Die Masse der ausser Dienst ge- 
setzten Höhenpriester musste, da sie ihren geistlichen Charakter 
schon nicht mehr los werden konnten, sich zur Degradierung 
unter ihre jerusalemischen Brüder und zu einer untergeordneten 
Teilnahme am Dienste des Heiligtums bequemen, vgl. 1. Sam. 
2, 36. So entstand am Ausgange der vorexilischen Geschichte 
der Unterschied von Priester und Leviten, den Ezechiel sich 
bemüht gesetzlich zu sanctionieren. 

III. 

1. Mit den erkennbaren Stufen der historischen Entwicke- 
lung die Schichten des Pentateuchs in Parallele zu stellen, ge- 
lingt hier im Ganzen leicht. In der jehovistischen Gesetzgebung 

J ) Die Rekabiten, die im Nordreiche entstanden, erhielten sich in Juda, 
und Jeremia weissagte ihnen, es solle ihnen nie fehlen an einem priester- 
lichen Haupte aus der Familie des Stifters (35, 19). 

Wellhausen, Prolegomena. 10 



146 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

(Exod. 20—23. Kap. 34) ist von Priestern nicht die Rede, und 
auch solche Gebote wie: du sollst nicht auf Stufen zu jneinem 
Altare heraufgehen, damit nicht deine Scham davor sich ent- 
blösse (20, 26), werden an das allgemeine Du, d. h. an das Volk, 
gerichtet. Dem entspricht, dass bei der feierlichen Bund- 
schliessung am Sinai (Exod. 24, 3 — 8) junge Männer aus den Kin- 
dern Israel als Opferer fungieren. Anderswo im Jehovisten gel- 
ten Aharon (Exod. 4, 14. 32, lff.) und Mose (33, 7—11. Deut. 33, 
8) als die Anfänger des Klerus. Zweimal (Exod. 19, 22. 32, 29) 
werden noch andere Priester neben ihnen genannt; aber Exod. 
32, 29 steht auf dem Boden des Deuteronomiums, und auch 
Exod. 19, 22 gehört schwerlich zum ursprünglichen Bestände einer 
der jehovistischen Quellen. 

2. Im Deuteronomium nehmen die Priester neben dem 
Richter und den Propheten eine sehr hervorragende Stellung 
ein (16, 18 — 18, 22) und bilden einen in zahlreichen Familien 
erblichen Klerus, dessen Privilegium nicht bestritten wird und 
darum auch nicht geschützt zu werden braucht. Hier nun tritt 
zuerst mit Regelmässigkeit der Name Leviten für die Priester 
auf, dessen bisher aufgeschobene Besprechung bei dieser Gele- 
genheit nachgeholt werden soll. 

In der vorexilischen Literatur ausserhalb des Hexateuchs 
findet er sich sehr selten. Bei den Propheten zuerst ein einziges 
Mal im Buche Jeremia (33, 17 — 22), in einer Stelle, die jeden- 
falls später ist als die chaldäische Eroberung Jerusalems und 
gewiss nicht von Jeremia herrührt 1 ). Gesichert ist der Gebrauch 
des Namens bei Ezechiel (a. 573), und nun reisst derselbe bei 
den späteren Propheten nicht ab, zum Zeichen, dass das frühere 
Fehlen nicht als Zufall zu erklären ist, zumal bei Jeremia, der 
so häufig von den Priestern spricht 2 ). In den historischen Büchern 
kommen Leviten, abgesehen von 1. Sam. 6, 15. 2. Sam. 15, 24 
und 1. Reg. 8, 4. 12, 31 3 ), nur vor in den beiden Anhängen zum 

') In der Septuaginta fehlt 33, 14 — 26. Auffallend ist der Parallelismus von 
v. 17 — 22 mit v. 23—26. Es scheint, als seien David und Levi Misver- 
ständnis der beiden Geschlechter von v. 24, nämlich Juda's und Ephraims. 
Jedenfalls ist ~\)"]) v. 26 interpoliert. 

2 ) Ezech. 40, 46. 43, 19. 44, 10. 15. 45,5. 48,11—13.22.31. Isa. 66,21. 
Zach. 12, 13. Mal. 2, 4. 8. 3, 3. 

3 ) Über 1. Sam. 6, 15 ist auf S. 145 und über 1. Reg. 8,4 auf S. 32 das 
Nötige bemerkt worden. Dass 1. Reg. 12, 31 von dem deuteronomistischen 



Die Priester und Leviten. 147 

Richterbuche (Kap. 17. 18 und Kap. 19. 20), von denen jedoch 
der letztere unhistorisch und spät ist und nur der erstere ohne 
Zweifel vorexilisch. Hier aber handelt es sieh nicht wie sonst 
um die Leviten, sondern um einen Leviten, der als grosse 
Rarität gilt und vom Stamme Dan, der keinen hat, geraubt 
wird. 

Dieser Jonathan nun, der Ahnherr des Priestergeschlechtes 
von Dan, wird, obgleich judäischen Geschlechts, von Gerson dem 
Sohne Mose's abgeleitet (Jud. 18, 30). Das andere alte Priester- 
geschlecht, das in die Richter zeit hinaufreicht, das ephraimi- 
tische von Silo, scheint gleichfalls mit Mose in Verbindung ge- 
bracht zu werden; wenigstens wird in der allerdings nach- 
deuteronom. Stelle 1. Sam. 2,27, wenn Jahve sich dem Vatershause 
Eli's in Ägypten geoffenbart und dadurch zu der Begabung des- 
selben mit dem Priestertum den Grund gelegt haben soll, doch 
wohl an Mose als den Empfänger der Offenbarung gedacht. Mit 
historischer Wahrscheinlichkeit lässt sich die Familie auf Pinehas 
zurückführen, der in der frühen Richterzeit Priester der Lade 
war und von dem das Erbgut auf dem Gebirge Ephraim und 
ebenso der zweite von Eli's Söhnen den Namen hatte: es ist 
nicht anzunehmen, dass er nur der Schatten seines jüngeren Na- 
mensgenossen sei, weil der letztere noch vor dem Vater starb 
und neben demselben keine Bedeutung hatte. Pinehas aber ist 
nicht nur im Priestercodex, sondern auch Jos. 24, 33 (E) der Sohn 
Eleazars, und dieser ist zwar nach der massgebenden Tradition 
ein Sohn Aharons, jedoch in der Aussprache Eliezer neben Gerson 
ein Sohn Mose's. Zwischen Aharon und Mose ist im jehovisti- 
schen Pentateuch kein grosser Unterschied; wenn Aharon im 
Gegensatz zu seinem Bruder als derLevit charakterisiert wird 
(Exod. 4, 14), so führt andererseits Mose den priesterlichen Stab, 
ist der Herr des Heiligtums und hat dabei den Josua zur Seite 
wie Eli den Samuel (Exod. 33, 7 — 11). Er hat offenbar die älteren 
Ansprüche; in der jehovistischen Hauptquelle, in J, kommt Aharon 
ursprünglich überhaupt nicht vor 2 ), wie auch Deut. 33, 8 nicht an 

Bearbeiter herrührt, der nicht vor der zweiten Hälfte des Exils gesehrieben 
hat, bedarf keines Beweises. Die totale Corruption von 2. Sam. 15, 24 
habe ich im Text der Bücher Samuelis (Göttingen 1871) nachgewiesen. 
l ) Am besten lässt es sich in Exod. 7 — 10 nachweisen, dass Aharon in J 
nicht ursprünglich, sondern erst durch den Bearbeiter, der J und E zu 

10* 



148 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

ihn gedacht wird. Noch in den Genealogien des Priestercodex 
heisst der eine Hauptast des Stammes Levi Gerson wie der älteste 
Sohn Mose's, und ein anderer wichtiger Zweig heisst geradezu 
Muschi, der Mosaische. • 

Nicht unmöglich, dass wirklich in der Familie Mose's das 
heilige Amt sich fortpflanzte, und sehr wahrscheinlich, dass die 
beiden ältesten Erbgeschlechter zu Dan und zu Silo im Ernst 
den Anspruch machten, von ihm abzustammen. Hinterher ver- 
ehrten, wie uns Deut. 33, 8 ff. gelehrt hat, alle Priester in Mose 
ihren Vater, nicht als das Haupt ihres Geschlechtes, sondern als 
den Begründer ihres Standes. In Juda geschah das selbe, aber 
hier bildete sich die Erblichkeit des Klerus heraus, der Stand 
verwandelte sich in eine Art Geschlecht. Levit, bis dahin Be- 
rufsname, ward nun zugleich Gentile und alle Leviten zusammen 
bildeten eine Blutsverwandtschaft ] ), einen Stamm, der zwar kein 
eigenes Land, dafür aber das Priestertum zum Erbteil empfangen 
hatte. Seit dem Anfange der israelitischen Geschichte sollte 
dieser Erbklerus bestanden haben, und zwar schon damals nicht 
beschränkt auf Mose und Aharon, sondern gleich als ein zahl- 
reiches Geschlecht. So ist die Vorstellung bei den späteren 
Schriftstellern, seit dem Deuteronomium; doch wird im letzteren 
meist von dem Leviten in den jüdischen Provinzialstädten und 
von den Priestern den Leviten in Jerusalem geredet, von 
Gesamtlevi nicht häufig (10, 8f. 18, l) 2 ). 

Dass man es hier mit Prädatierung einer erst in der späteren 
Königszeit entstandenen Erblichkeit zu thun hat, ist bereits nach- 
gewiesen, namentlich an dem Beispiele der Söhne Sadok von 

JE verband, hineingebracht ist. Der Befehl Jahve's, vor Pharao zu 
treten, ergeht nämlich in J immer an Mose allein (7,14. 26. 8, 16. 9, 1. 
13. 10,1); nur im weiteren Verlauf erscheint daneben viermal Aharon, 
nämlich immer in dem Falle, wenn Pharao in der Not Mose und 
Aharon holen lässt, um ihre Fürbitte in Anspruch zu nehmen. Merk- 
würdigerweise aber wird hinterher wieder Aharon völlig ignoriert, Mose 
antwortet allein, redet nur in seinem, nicht zugleich in Aharon's Namen 
(8, 5. 22. 25. 9, 29), und obwohl er selbander gekommen, geht er doch im 
Singular wieder fort und bittet im Singular (8, 8. 26. 9, 33. 10,18): der 
Wechsel des Numerus in 10, 17 ist unter diesen Umständen verdächtig 
genug. Es scheint als ob der jehovistische Bearbeiter gerade bei der 
Fürbitte die Assistenz Aharon's für angemessen gehalten habe. 

*) Wie leicht der Übergang war, ersieht man aus dem Beispiele der Bne 
Rekab. 

2 ) Über Deut. 27 vgl. Kuenen, Theol. Tijdschr. 1878 S. 297. 



Die Priester und Leviten. 149 

Jerusalem, die zuerst Parvenüs und hernach die legitimsten der 
legitimen waren. Aber höchst sonderbar ist es, wie diese künst- 
liche Bildung eines geistlichen Stammes, die an sich durchaus 
nichts rätselhaftes hat, dadurch nahegelegt und begünstigt wurde, 
dass es in grauer Vorzeit einmal einen wirklichen Stamm Levi 
gegeben hat, der schon vor der Entstehung des Königstums unter- 
gegangen ist. Er gehört zu der Gruppe der vier ältesten Söhne 
Lea's, Rüben Simeon Levi Juda, die immer in dieser Reihenfolge 
zusammen aufgezählt werden und zu beiden Seiten des toten 
Meeres sich ansiedelten, gegen die Wüste zu. Merkwürdiger 
Weise hat sich von ihnen allen nur Juda zu behaupten gewusst, 
die anderen lösten sich unter den Wüstenbewohnern oder unter 
ihren Volksgenossen auf. Am frühesten erlitten die beiden 
Gen. 49 zu einer Einheit zusammengefassten Stämme Simeon 
und Levi dieses Schicksal, in Folge einer Katastrophe, die sie 
in der Richterzeit betroffen haben muss. „Simeon und Levi sind 
Brüder, Mordwaffen ihre Hirtenstäbe; meine Seele komme nicht 
in ihre Gesellschaft, meine Ehre sei fern von ihrer Rotte, denn 
im Zorn erwürgten sie Männer und zur Lust zerhieben sie Rin- 
dern die Sehnen: verflucht sei ihr Zorn, so heftig, und ihre Wut, 
so grausam — ich will sie verteilen in Jakob und zerstreuen über 
Israel!" (Gen. 49,5 — 7). Die hier gestrafte Unthat Simeons und 
Levi's kann nicht gegen Israeliten gerichtet gewesen sein, denn 
in diesem Falle würde der Gedanke gar nicht entstehen können, 
der hier mit Nachdruck zurückgewiesen wird, dass Jakob d. i. 
Gesamtisrael mit ihnen gemeinsame Sache machen könnte. Es 
handelt sich also um einen Frevel gegen die Kanaaniten, höchst 
wahrscheinlich um den selben, der in Gen. 34 den beiden Brüdern 
zur Last gelegt wird und von dem auch dort (v. 30) Jakob nichts 
wissen will, dass sie nämlich trotz eines mit Sichern abge- 
schlossenen Friedensvertrages die Stadt treulos überfallen und 
ihre Bewohner niedergemacht haben. In Jud. 9 wird erzählt, 
dass Sichern, bis dahin eine blühende Stadt der Kanaaniten, mit 
denen sich übrigens schon israelitische Elemente zu mischen be- 
gannen, von Abimelech erobert und zerstört sei ; damit kann man 
jedoch die Zerstörung durch Simeon und Levi auf keine Weise 
zusammenbringen, dieselbe muss früher stattgefunden haben, 
wenngleich auch in der Richterperiode. Die Folgen ihrer That, 
die Rache der Kanaaniten, haben die beiden Stämme allein zu 



150 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

tragen gehabt; Israel hat sieh nach der Andeutung Gen. 49, 6 
34, 30 nicht bewogen gefühlt für sie einzutreten und gemein- 
schaftliche Sache mit ihnen zu machen. So sind sie zersprengt 
und haben sich aufgelöst, und damit ist ihnen nach der Meinung 
ihres eigenen Volkes ganz recht geschehen. In den geschicht- 
lichen Büchern ist von ihnen nie mehr die Rede. 

Es ist eine baare Unmöglichkeit, diesen Levi der Genesis, 
den Bruder Simeons, als einen blossen Reflex der Kaste anzu- 
sehen, welche gegen Ende der Königszeit aus den verschiedenen 
Priesterfamilien Juda's zusammengewachsen ist. Der Spruch 
Gen. 49, 5 — 7 setzt die beiden Brüder völlig gleich und legt 
ihnen einen sehr weltlichen blutdürstigen Charakter bei. Keine 
Ahnung von dem heiligen Berufe Levi's und seiner dadurch be- 
dingten Zerstreuung, dieselbe ist ein Fluch und kein Segen, eine 
Vernichtung und keine Stabilierung seiner Besonderheit. Ebenso 
unmöglich aber ist es, die Kaste aus dem Stamme abzuleiten, 
es existiert kein realer Zusammenhang zwischen beiden. Es 
fehlen alle Mittelglieder, der Stamm ist früh untergegangen und 
die Kaste sehr spät entstanden, nachweisbar aus freien Anfängen. 
Unter sotanen Umständen ist nun aber die Übereinstimmung des 
Namens höchst rätselhaft: Levi der dritte Sohn Jakobs, vielleicht 
einfach das Gentile seiner Mutter Lea 1 ), und Levi der Berufs- 
priester. Wenn es anginge, den letzteren Sprachgebrauch aus 
der appellativischen Bedeutung der Wurzel herzuleiten, natürlich 
mit Evidenz, so würde man an Zufall glauben können; aber das 
ist nicht möglich. Man ist darum auf den Ausweg verfallen, die 
gewaltsame Auflösung des Stammes in der Richterzeit habe die 
einzelnen Leviten, die nun kein Land mehr hatten, dazu veran- 
lasst, sich ihren Unterhalt durch Verwaltung des Opferdienstes 
zu erwerben; dies habe sich ihnen darum nahe gelegt und sei 
ihnen deshalb gelungen, weil einst Mose der Mann Gottes zu 
ihnen gehört und ihnen ein gewisses Vorzugsrecht auf das hei- 
lige Amt vererbt habe. Aber es gab damals keine Menge von 
unbesetzten Priesterstellen und ein solcher Massenübergang der , 
Leviten zum Dienste Jahve's in jener alten Zeit ist bei der Selten- 
heit grösserer Heiligtümer eine sehr schwierige Annahme. Richtig 

*) Vgl. (^J Demin. von ^ (BHish. 534, 14) = ^j&^yti jjÜ\ Agh. X 
13, 29. Auch Agh. VII. 101 f. und Wüstenfelds Register S. 273, 



Die Priester und Leviten. 151 

ist es vielleicht, dass Mose wirklich aus Levi stammt und dass 
von ihm aus die spätere Bedeutung des Namens Levit zu er- 
klären ist. In der That scheint derselbe zunächst nur auf die 
Nachkommen und Verwandten Mose's angewandt und erst später 
auf die Priester überhaupt übertragen zu sein, die dem Blute 
nach nichts mit ihm zu thun hatten, aber alle mit ihm als ihrem 
Haupte in Zusammenhang stehen wollten. Über Vermutungen 
wird man hier nie hinauskommen. 

3. Während im Deuter onomium der geistliche Stamm des 
Leviten (10, 8 f. 18,1. Jos. 13,14. 33) noch bescheiden auftritt, 
wird im Priestercodex massiver Ernst damit gemacht"; der 
Stamm Levi (Num. 1, 47. 49. 3, 6. 17,3. 18,2) wird von den 
übrigen Stämmen dem Heiligtum übergeben, nach dem genea- 
logischen System seiner Familien katalogisiert, zählt 22000 männ- 
liche Mitglieder und erhält sogar auch eine Art Stammgebiet, 
die 48 Levitenstädte (Jos. 21). Einen mit dieser Verbreiterung 
des Klerus zusammenhängenden, aber noch viel bedeutenderen 
Schritt vorwärts, den der Priestercodex thut, haben wir bereits 
am Anfange des Kapitels besprochen: während es sich bisher 
immer nur erst um die Scheidung des Klerus von den Laien 
handelt, wird hier jene grosse innere Zwieteilung desselben ein- 
geführt, in Aharoniden und Leviten. Nicht bloss im Deutero- 
nomium, sondern überall im Alten Testament abgesehen von 
Ezra Nehemia und Chronik ist Levit der Ehrentitel des Prie- 
sters 1 ) — Aharon selber wird in der öfters angeführten Stelle 
Exod. 4, 14 so genannt und zwar um dadurch seinen Beruf, nicht 
seine Familie zu bezeichnen, denn die letztere hat er mit Mose 
gemein, von dem er doch durch das Beiwort dein Bruder der 
Levit unterschieden werden soll. Im Deuteronomium aber fällt 
es auf, dass mit einer absichtlichen Emphase die gleiche Berechti- 
gung aller Leviten zum Opferdienste in Jerusalem statuiert wird: 
„die Priester die Leviten, der ganze Stamm Levi, sollen nicht 
Teil noch Erbe haben mit Israel, die Opfer Jahve's und sein 
Erbteil sollen sie essen — und wenn ein Levit aus irgend einer 

Exod. 4, 14. Deut. 33,8. Jud. 17 f. — Exod. 32, 26—28. Deut. 10, 8f. 12, 
12. 18f. 14, 27. 29. 16, 11. 14. 17, 9. 18. 18, 1—8. 24, 8. 27, 9. 14. 31, 9. 
25. Jos. 3, 3. 13,14.33. 14, 3 f. 18, 7. Jud. 19 f. 1. Sam. 6, 15. I. Reg. 
12, 31. Jer. 33, 17—22. Ezeeh. 44, 8 ff. Isa. 66, 21. Zach. 12, 13. Mal. 2,4. 
8. 3, 3. — Nur die Glossen 2. Sam. 15,24 und 1. Reg. 8,4 (vgl. jedoch 
2. Chron. 5, 5) mögen auf den Priestercodex beruhen. 



152 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

Stadt von ganz Israel, wo er wohnt, kommt zu dem Orte, den 
Jahve erwählen wird, so darf er im Namen Jahve's seines Gottes 
fungieren so gut wie die Leviten, die daselbst vor Jahve stehen" 
(18, 1. 6. 7). Der Gesetzgeber hat hiebei seine Hauptmassregel 
vor Augen, nämlich die Abschaffung aller Cultusstätten bis auf 
den Tempel Salomo's; die bisherigen Priester derselben durften 
damit nicht brotlos werden. Darum legt er es auch so oft und 
dringend den Provinzialen ans Herz, sie sollten bei ihren Opfer- 
wallfahrten nach Jerusalem den Leviten ihres Orts nicht ver- 
gessen und ihn mitnehmen. Dies ist nun für das Verständnis 
der folgenden Entwickelung insofern sehr wichtig, als man sieht, 
wie durch die Centralisierung des Gottesdienstes die nichtjerusa- 
lemischen Leviten in ihrer Stellung bedroht waren. Thatsächlich 
erwies sich die gute Absicht des Deuteronomikers als undurch- 
führbar, mit den Bamoth fielen auch die Priester der Bamoth. 
Sofern sie überhaupt noch am heiligen Dienste teilnahmen, 
mussten sie sich eine Unterordnung unter die Söhne Sadoks 
gefallen lassen (2. Reg. 23, 9). Mit Recht vielleicht hat hierauf 
Graf die Weissagung 1. Sam. 2, 36 bezogen, dass dermaleinst zu 
dem festgegründeten königlichen Priester die Nachkommen des 
gestürzten Hauses Eli kommen würden, ihn um ein Almosen 
anzugehen oder zu sagen: füge mich ein in eine der Priester- 
schaften um ein Stück Brot zu essen; dass geschichtlich die ab- 
gesetzten Leviten mit jenen alten Schicksalsgenossen nicht allzu 
nahe zusammenhingen, kann gegen diese Deutung bei einem 
nachdeuteronomischen Schriftsteller keine Bedenken erregen. Auf 
diesem Wege entstand, als eine gesetzwidrige Folge der Refor- 
mation Josia's, der Unterschied von Priestern und Leviten. Für 
Ezechiel ist derselbe noch eine Neuerung, die gerechtfertigt und 
sanktioniert zu werden bedarf; für den Priestercodex „eine ewige 
Satzung", obwohl doch noch nicht so ganz unangefochten, wie 
aus seiner Version der Erzählung von der Rotte Korah erhellt 1 ). 
Für das Judentum seit Ezra und dadurch für die christliche 
Tradition ist auch hier der Priestercodex massgebend geworden. 
Statt der deuteronomischen Formel die Priester die Leviten 
heisst es fortab die Priester und die Leviten, namentlich in 

*) Verfärbte Anklänge an die historische Wahrheit finden sich auch in 
Num. 17, 25 und 18, 23, welche Stellen ohne Ezech. 44 nicht zu verstehen 
sind. Vgl. Kuenen, Theol. Tijdschr. 1878 S. 138 ff. 



Die Priester und Leviten. 153 

der Chronik 1 ); und in den Übersetzungen wird der alte Sprach- 
gebrauch mehrfach corrigiert 2 ). 

Der Schlussstein des heiligen Gebäudes, welches die Gesetz- 
gebung des mittleren Pentateuchs aufrichtet, ist der Hohepriester. 

x ) Ausgenommen 2. Chr. 5, 5. 30, 27. Über die handschriftliche Bezeugung 
dieser und ähnlicher Stellen handelt Curtiss, the Levitical Priests 
(Edinb. 1877), angezeigt von Baudissin in Schürer's Theol. Literaturz. 
1879 S. 343. 

2 ) Z. B. Septuag. Jos. 3,3. Isa. 66,21; Hieron. Deut. 18, 1. Jud. 17, 13; Syr. 
an vielen Stellen. Über die Durchführung der neuen Organisation 
des Tempelpersonals nach dem Exil vgl. Vatke S. 568, Graf in Merx' 
Archiv I S. 225 ff. und Kuenen, Godsdienst II S. 104f. Mit Zerubabei 
und Josua kehrten a. 538 vier Priestergeschlechter aus Babylon zurück, 
zusammen 4289 Köpfe stark (Esdr. 2, 36 — 39), mit Ezra kamen a. 458 
noch zwei Geschlechter hinzu, deren Zahl nicht angegeben wird (8, 2). 
Von Leviten zogen das erstemal 74 mit (2, 40), das zweitemal befand sich 
unter den 1500 Männern, die sich auf dem von Ezra bestimmten Sammel- 
platz eingefunden hatten um die Reise durch die Wüste anzutreten, an- 
fangs kein einziger Levit und erst auf dringende Vorstellungen des 
Schriftgelehrten wurden endlich noch einige dreissig bewogen, sich anzu- 
schliessen (8, 15—20). Wie ist dies Übergewicht der Priester über die 
Leviten zu erklären, das auch dann noch auffallend bleibt, wenn man die 
Posten nicht für genau vergleichbar hält? Sicherlich nicht auf Grund eines 
tausendjährigen Bestehens der Verhältnisse, wie sie im Priestercodex und 
in der Chronik erscheinen. Dahingegen verschwindet das Rätselhafte, 
wenn die Leviten die degradierten Priester der judäischen Bamoth waren. 
Diese waren wohl überhaupt nicht zahlreicher als das jerusalemische Col- 
legium, und auf keinen Fall konnte die Aussicht, in der Heimat fortab 
nicht mehr opfern, sondern nur schlachten und waschen zu sollen, für 
sie sehr verlockend sein; man kann es ihnen nicht verdenken, dass sie 
keine Lust hatten, sich freiwillig zu Handlangern der Söhne Sadoks zu 
erniedrigen. Ausserdem wird man annehmen dürfen, dass doch auch 
manche ursprünglich nicht dazu gehörige (namentlich levitische) Elemente 
es damals verstanden sich in die salomonische Priesterschaft einzudrän- 
gen; dass es nicht allen gelang (Esdr. 2, 61), beweist, dass es manche 
versuchten, und bei der Leichtigkeit, mit der man damals altersgraue 
Stammbäume schuf und anerkannte, wird auch nicht jeder Versuch mis- 
glückt sein. 

Wie ist es denn aber nun zugegangen, dass in der Folgezeit, wie 
man aus den Angaben der Chronik schliessen muss, das Verhältnis der 
Leviten zu den Priestern der gesetzlichen Proportion wenn auch nicht 
ganz, so doch mehr entsprach? Einfach durch LMitisierun^^remder Ge- 
schlechter. Zu Anfang wurden~m der Gemeinde des zweiten Tempels™ 
die Leviten noch unterschieden von den Sängern Thorwächtern und Ne- 
thinim (Esdr. 2, 41 — 58), Innungen, die schon von vornherein weit zahl- 
reicher waren und schnell wuchsen (Neh. 11,17.19.36. 12, 28f. 1. Chr. 9, 
16. 22. 25). Aber der Unterschied hatte in der Gegenwart keine faktische 
Basis mehr, nachdem einmal die Leviten auch zu Tempeldienern degra- 
diert und zu Nethinim der Priester geworden waren (Num. 3, 9). Wo 
daher der Chronist, der zugleich der Verfasser der Bücher Ezra und 
Nehemia ist, nicht ältere Quellen wiedergibt, sondern frei schreibt, da 
betrachtet er auch die Sänger und die Thorw r ächter als Leviten. Durch 
künstliche Genealogieen sind die drei Sängergeschlechter Heman Asaph 
und Ethan von den alten levitischen Geschlechtern Kehath Gerson und 



154 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

Wie über den Leviten die Aharoniden, so erhebt sieh Aharon 
selber über seinen Söhnen; in seiner Person gipfelt die uni- 
tarische Ausgestaltung des Cultus, wie sie durch das Deutero- 
nomium und Josia angebahnt worden ist. Eine Figur von so 
unvergleichlicher Bedeutung ist dem übrigen Alten Testamente 
fremd, selbst Ezechiel kennt noch keinen Hohenpriester mit 
eminenter Heiligkeit. Schon vor dem Exil war allerdings der 
Tempeldienst zu Jerusalem so grossartig und das Personal so 
zahlreich, dass eine geregelte Amterteilung und abgestufte Rang- 
ordnung eine Notwendigkeit war. Zur Zeit Jeremia's bildeten 
die Priester eine in Classen oder Geschlechter eingeteilte Ge- 
nossenschaft, mit Altesten als Vorstehern; der oberste Priester 
hatte in der Anstellung seiner niederen Gollegen einen bedeuten- 
den Einfluss (1. Sam. 2, 36) ; neben ihm standen der zweite Prie- 
ster, die Schwellenhüter, der Wachtoberst als vornehme Chargen *). 
Aber im Gesetz nimmt Aharon keine bloss oberste, sondern eine 
einzigartige Stellung ein, wie der römische Pontifex gegenüber 
den Bischöfen; seine Söhne fungieren unter seiner Aufsicht (Num. 
3,4), der einzige vollberechtigte Priester ist nur er, die Con- 
centration des Heiligen in Israel. Er allein trägt die Urim und 
Thummim und das Ephod: der Priestercodex weiss zwar nicht 



Merari abgeleitet (1. Chron. 6, lff.), wobei mit dem Material nicht gerade 
wählerisch verfahren wird, s. Graf a. 0. S. 231, Ewald III S. 380f. In 
wie weit der Unterschied der Net hin im gegen die Leviten späterhin 
aufrecht erhalten wurde (Jos. 9, 21. 3 Esdr. 1, 3. Esdr. 8, 20), ist nicht klar. 
Es wäre nicht übel, wenn die Absicht Ezechiels , die Ausländer aus dem 
Tempel zu verbannen, in der Weise erfüllt wäre, dass diese heidnischen 
Hierodulen, die Meunäer Nephisäer Salmäer und wie die fremdartigen 
Namen Esdr. 2, 43 ff. sonst noch lauten, auf dem beliebten genealogischen 
Wege in den Stamm Levi Aufnahme gefunden hätten. Ein eigentüm- 
liches Schlaglicht auf die Richtung, in der sich die Dinge entwickelten, 
wirft die Thatsache, dass die Sänger, die zur Zeit Ezra's noch nicht ein-, 
mal Leviten waren, später sich schämten es zu sein und wenigstens 
äusserlich den Priestern gleichgestellt werden wollten. Sie baten den 
König Agrippa II, ihnen vom Synedrium die Befugnis zu erwirken, dass 
sie das weisse Priestergewand tragen dürften. 
*) Der Kohen ha-Rosch findet sich zuerst 2. Sam. 15, 27, aber hier stammt 
ttWin ( so statt nNlin) von dem Interpolator des v. 24. Sodann '^/-j 
^-tfn 2. Reg. 12, 11, aber 2. Reg. 12 stammt vom Verfasser von 2. Reg. 
16, 10 ff. und Kap. 22 f. Sonst einfach der Priester. — Vgl. übrigens 
2. Reg. 19, 2. Jer. 19, 1. 2. Reg. 23, 4. 25, 18. Jer. 20, 1. 29, 25. 26. In 
1. Sam. 2, 36 muss HjrO Priesterschaft, Priesterorden bedeuten, 
wegen ^flÖD gliedre mich ein. Wegen ^ ist es merkwürdig, dass 
j-jDD mit n*6 parallel steht Isa. 14, 1. 



Die Priester und Leviten. 155 

mehr was es mit jenen Losen für eine Bewandtnis hat und er 
confundiert das Ephod Zahab mit dem Ephod Bad, das über- 
zogene Gottesbild mit dem Priesterüberzug; aber die trüben Re- 
miniscenzen dienen dazu, Aharons majestätischen Ornat noch 
magischer zu gestalten. Er allein darf ins Allerheiligste ein- 
dringen und dort das Räucheropfer bringen ; der sonst unnahbare 
Zugang (Neh. 6, 10. 11) steht ihm am grossen Versöhnungstage 
offen. Nur in ihm berührt sich Israel unmittelbar, in einem 
Punkte und in einem Momente, mit Jahve, die Spitze der Py- 
ramide ragt an den Himmel. 

Der Hohepriester erscheint auf seinem Gebiete völlig sou- 
verän. Bis auf das Exil, haben wir gesehen, war das Heiligtum 
Besitz des Königs und der Priester sein Diener; sogar bei 
Ezechiel, der im Übrigen auf Emancipation hinarbeitet, hat doch 
der Fürst noch eine sehr grosse Bedeutung für den Tempel, an 
ihn werden die Abgaben des Volkes entrichtet und er unterhält 
dafür den Opferdienst. Dagegen im Priestercodex werden die 
Abgaben direct an das Heiligtum entrichtet, der Cultus ist voll- 
kommen autonom und gibt sich seine eigene Spitze von Gottes 
Gnaden.. Und nicht bloss die Autonomie des Heiligen reprä- 
sentiert der Hohepriester, sondern auch die Herrschaft desselben 
über Israel. Das Scepter und das Schwert führt er nicht, nir- 
gends, wie Vatke S. 539 treffend bemerkt, wird ein Versuch ge- 
macht, ihm weltliche Macht zu vindicieren. Aber eben nach seiner 
geistlichen Würde, als oberster Priester, ist er das Oberhaupt 
der Theokratie, und so sehr, dass ein anderes neben ihm nicht 
Platz hat, ein theokratischer König ihm zur Seite nicht denkbar 
ist (Num. 27, 21). Er allein ist der verantwortliche Vertreter 
der Gesamtheit, die Namen der zwölf Stämme sind ihm auf 
Herz und Schultern geschrieben; sein Fehltritt zieht Verschul- 
dung des ganzen Volkes nach sich und wird gesühnt- wie der 
des ganzen Volkes, während die Fürsten durch ihre Sündopfer 
sich ihm gegenüber als Privatleute charakterisieren (Lev. 4, 3. 
13. 22. 9, 7. 16, 6). Sein Tod begründet eine Epoche; nicht wenn 
der König stirbt, sondern wenn der Hohepriester stirbt, tritt für 
den flüchtigen Amnestie ein (Num. 35, 28). Er empfängt bei der 
Investitur die Salbung wie ein König und heisst darnach der 
gesalbte Priester, er ist mit dem Diadem und dem Kopfbund 
(Ezech. 21, 31) geschmückt wie ein König, er trägt wie ein König 



156 Geschichte des Cultus, Kap. 4. . 

den Purpur, das unpriesterlichste Gewand von der Welt, das 
er darum auch ausziehen muss, wenn er ins Allerheiligste ein- 
geht .(Lev. 16, 4). Was bedeutet es nun, dass die Spitze des 
Cultus — eben als solche und nur als solche, ohne daneben mit 
politischen Befugnissen ausgestattet zu sein und in die Regierung 
einzugreifen — zugleich die Spitze der Nation ist? Was anders, 
als dass die weltliche Herrschaft dieser Nation genommen und 
nicht mehr ihre eigene Sache ist, dass sie nur noch eine geist- 
liche kirchliche Existenz führt? Vor der Anschauung des Priester- 
codex steht Israel in der That nicht als Volk, sondern als Ge- 
meinde; weltliche Angelegenheiten liegen derselben fern und wer- 
den von dieser Gesetzgebung nie berührt, ihr Leben geht auf im 
Dienste des Heiligen. Es ist die Gemeinde des zweiten Tempels, 
es ist die jüdische Hierokratie, mit der Fremdherrschaft als 
Voraussetzung ihrer Möglichkeit, die uns hier entgegen tritt. 
Zwar pflegt man, was man in der geschichtlichen Realität Hie- 
rarchie nennt, im Gesetz mit dem idealen d. h. blinden Namen 
Theokratie zu bezeichnen: aber wer damit einen Unterschied 
der Sache gewonnen zu haben glaubt, der belügt sich selber. 
Wer das fertig bringt, dem gelingt es dann auch weiter, die 
hierokratische Gemeindeverfassung in die mosaische Zeit zu ver- 
setzen, weil sie das Königtum ausschliesst, und dann entweder 
die Geheimhaltung derselben während der ganzen Richter- und 
Königszeit zu behaupten oder mit dem Hebel der Fiktion die ge- 
samte überlieferte Geschichte aus den Angeln zu heben. 

Für einen einigermassen mit der Geschichte Vertrauten ist 
es nicht nötig nachzuweisen, dass die sogenannte mosaische 
Theokratie, die in die Verhältnisse der früheren Zeit nirgends 
hinein passt und von der die Propheten, auch in ihren idealsten 
Schilderungen des israelitischen Staates wie er sein soll, nicht 
die leiseste Spur einer Vorstellung haben, dem nach exilischen 
Judentum so zu sagen auf den Leib geschnitten ist und nur da 
Wirklichkeit gehabt hat. Damals hatten die fremden Herrscher 
den Juden die Sorge für die weltlichen Geschäfte abgenommen, 
sie konnten und mussten sich rein den heiligen widmen, in denen 
man ihnen volle Freiheit Hess. So ward der Tempel der aus- 
schliessliche Mittelpunkt des Lebens und der Tempelfürst das 
Haupt des geistlichen Gemeinwesens, dem auch die Verwaltung 
der politischen Angelegenheiten, so weit solche etwa noch der 



Die Priester und Leviten. 157 

Nation überlassen wurden, von selbst zufiel, weil es überhaupt 
keine andere Spitze gab *). Der Chronist lässt den zwei mal zwölf 
Generationen zu vierzig Jahren, welche man von der Befreiung 
aus Ägypten bis zum Tempelbau Salomo's und von da wiederum 
bis zur Befreiung aus Babylonien annahm, ebenso viele Hohe- 
priester zur Seite gehen; die Amtsdauer dieser Hohenpriester von 
denen die Geschichte freilich nichts weiss, ist an die Stelle der 
Regierung der Richter und Könige getreten, wonach ehedem ge- 
rechnet wurde (1. Chron. 5, 29 ff.). Wie man in dem Ornate Aha- 
rons, an dem übrigens die Urim und Thummim fehlten (Neh. 7, 65), 
gewissermassen die dem Volke Gottes zum Trost für die ver- 
lorene irdische Hoheit gebliebene transcendente Majestät ver- 
ehrte, erhellt aus Sirac. 50 und aus mehreren Angaben des Jo- 
sephus, z. B. Antiq. 18 4, 3. 20 1, 11. Unter der griechischen 
Herrschaft ward der Hohepriester Ethnarch und Präsident des 
Synedriums; nur durch das Pontifikat konnten die Hasmonäer 
zur Herrschaft gelangen, aber indem sie dasselbe mit der vollen 
weltlichen Souveränetät verbanden, schufen sie ein Dilemma, an 
dessen Folgen sie untergingen. 



Fünftes Kapitel. 

Die Ausstattung des Klerus. 

Die Macht und Unabhängigkeit des Klerus läuft parallel 
mit seiner materiellen Ausstattung, hier wie dort lässt sich daher 
die gleiche Entwickelung verfolgen. Ihre Stufen spiegeln sich 
schon in der Sprache ab, in der graduellen Abstumpfung des 
eigentlichen Sinnes der Formel die Hand füllen, welche zu 
allen Zeiten für die Ordination gebraucht worden ist. Ursprüng- 
lich kann dieselbe nichts anderes bedeutet haben als die Hand 

J ) Sehr interessant und lehrreich ist die von Ewald erwiesene Correktur von 
Zachar. 6, 9— 15. Ebenso waren und sind gegenüber den Chalifen und 
Sultanen die Patriarchen die naturgemässen Häupter der griechischen und 
orientalischen Christen auch in weltlichen Angelegenheiten. 



158 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

mit Gelde oder Gute füllen; wir haben gesehen, dass der Prie- 
ster einst von dem Besitzer des Heiligtums gegen Lohn angestellt 
wurde und nicht unabhängig von einem bestimmten Herrn seine 
Existenz auf die Gefälle gründen konnte, die von seinen Opfer- 
kunden eingingen. Als nun aber in dem jüdischen Reich der 
späteren Zeit das levitische Erbpriestertum aufkam, da füllte 
ihnen nicht mehr ein Anderer die Hand, der das Recht hatte sie 
ein- und abzusetzen, sondern sie füllten sich auf Gottes Ge- 
heiss selber die Hand; oder vielmehr sie hatten das zur Zeit 
Mose's ein für alle mal gethan, wie in dem mit dem Deuterono- 
mium gleichstehenden Einsätze Exod. 32, 26 — 29 gesagt wird. 
Dass dies bei Lichte besehen ein Widersinn ist, sich aber erklärt 
aus dem Streben, das Eingreifen des fremden Subjects zu ent- 
fernen, liegt auf der Hand 1 ). Hier indessen wird doch noch 
immer die Etymologie insoweit empfunden, dass sie unwillkür- 
lichen Anstoss erregt und zur Abänderung der Construction führt; 
zuletzt aber ist sie vollständig abgeblasst und verschwunden: die 
Hand anfüllen bedeutet dann einfach einweihen. Bei Ezechiel 
wird nicht nur dem Priester, sondern sogar dem Altare die Hand 
gefüllt (43, 26); im Priestercodex ist hauptsächlich das Ab- 
stractum milluim in Gebrauch, mit ausgelassenem Subject und 
Object, als Name einer blossen Inaugurationsceremonie , die 
mehrere Tage dauert (Lev. 8, 33. Exod. 29, 35) , wesentlich in 
der Darbringung eines Opfers von Seiten des Einzuweihenden 
besteht und mit der wirklichen Handfüllung auch nicht im lose- 
sten Zusammenhange mehr steht (2. Chr. 13,7 vgl. 29,31). Das 
Verbum bedeutet dann nichts mehr und nichts weniger als diese 
Ceremonie vollziehen, und das Subject ist dabei ganz gleich- 
gültig (Lev. 16,32. 21, 10 Num. 3,3); nicht von der den Ritus 
ausführenden Person hängt die Einsetzung ab, sondern von dem 
Ritus selber, von der Salbung Investitur und den übrigen For- 
malitäten (Exod. 29, 29). 

Dieser Wandel im Sprachgebrauch ist das Echo der realen 
Veränderungen in der äusseren Lage des Klerus, die nunmehr 
näher ins Auge zu fassen sein werden. 

J ) In dem arabischen *jvXj Xo ist allerdings das Nominalsuffix immer 
reflexiv, aber die Redensart wird auch ganz anders angewandt, in dem 
Sinne sich die Hände mit Beute füllen (auch abs. Harn. 296,8, 
und die Waffen zur Hand nehmen, mit UJ der Waffe. 



Die Ausstattung des Klerus. 159 

L 

1. Von den Opfern widmete man in alter Zeit einiges der 
Gottheit, das meiste verwandte man zu heiligen Mahlzeiten, an 
denen man, wenn ein Priester vorhanden war, natürlich auch 
diesen in irgend einer Weise teilnehmen Hess. Aber einen ge- 
setzlichen Anspruch auf bestimmte Fleischabgaben scheint der- 
selbe nicht gehabt zu haben. „Eli's Söhne waren nichtsnutzige 
Leute und kümmerten sich nicht um Jahve noch um Recht und 
Pflicht der Priester gegen das Volk; so oft jemand opferte, so 
kam der Knecht des Priesters — das sind hier die 22000 Le- 
viten — , wenn das Fleisch kochte, mit einer dreizinkigen Gabel 
in der Hand und stach in den Kessel oder in den Topf, und alles 
was die Gabel heraufbrachte, nahm der Priester — so thaten sie 
allen Israeliten, die dort nach Silo hinkamen. Sogar bevor das 
Fett geräuchert war, kam der Knecht des Priesters und sprach 
zu dem Opfernden: gib Fleisch zum Braten her für den Priester, 
er will kein gekochtes von dir haben, sondern rohes, und sagte 
jener dann zu ihm: erst soll das Fett geräuchert werden und 
dann nimm dir wie du willst, so sprach er: nein, jetzt gleich 
sollst du es geben, sonst nehme ich's mit Gewalt" 1. Sam. 2, 
12—16. Die Abgabe roher Fleischstücke vor der Räucherung des 
Fettes gilt hier als eine unverschämte Forderung, welche geeignet 
ist das Opfer Jahve's in Verachtung zu bringen (v. 17) und den 
Untergang der Söhne Eli's zur verdienten Folge hat. Erträg- 
licher ist es, aber auch schon ein Misbrauch, dass sich die Prie- 
ster gekochtes Fleisch aus dem Topfe holen lassen, dabei nicht 
einmal das beste sich aussuchend sondern die Wahl dem Zufall 
tiberlassend; sie sollen abwarten, was man ihnen gibt, oder sich 
damit begnügen, dass man sie zur Mahlzeit einlade. Dagegen 
ist es nun im Deuteronomium „das Recht der Priester an das QiU%** 
Volk" (18,3 = 1. Sam. 2, 12), dass ihnen ein Vorderbein die ^ 
Kinnladen und der Magen des Opfertieres zukommen; und dies / 
ist noch bescheiden gegenüber den Ansprüchen, die sie nach 
dem Priestercodex haben, auf die rechte Keule und den Bug 
(Lev. 7, 34). Wohin der Lauf geht, sieht man; natürlich ist 
für das Judentum der Priestercodex massgebend geworden. 
Bei den Opfern galt seine Forderung; jedoch um alle Gerechtig- 
keit zu erfüllen, hielt man daneben auch die des Deuteronomiums 



160 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

aufrecht, indem man sie, gegen die klare Meinung und aleo 
gewiss erst in Folge späterer schriftgelehrter Rigorosität, nicht 
auf die Opfer, sondern auf die profanen Schlachtungen be- 
zog und auch von diesen den Priestern einen Teil gab, die 
Kinnladen (nach Hieronymus zu Mal. 2,3) einschliesslich der 
Zunge: also harmonistische Verdoppelung der Leistung 1 ). 
In einer älteren Zeit bekamen die- Priester zu Jerusalem Geld 
{ von ihren Kunden (Deut. 18, 8), hatten dafür aber die Pflicht 
'»'t**-den Tempel in Stand zu halten; man sieht daraus, dass dies 
r ii Geld eigentlich an das Heiligtum gezahlt und nur bedingungs- 
weise dessen Dienern tiberlassen wurde. Da sie die Bedingung 
nicht hielten, ward ihnen von König Joas auch das Geld ent- 
zogen (2. Reg. 12, 7 ff.). 

Die Mahlopfer sind im Priestercodex Nebensache, und was 
den Priestern hievon zufällt, ist geringfügig im Vergleich zu 
ihrer Einnahme aus den übrigen Opfern. Das Mehl, wovon nur 
eine Handvoll auf den Altar gestreut wird, die Gebäcke und 
überhaupt die Minha bekommen sie ganz, ebenso die so häufig 
geforderten Sund- und Schuldopfer, von denen Gott nur das 
Blut und Fett, der Darbringer aber gar nichts erhält; vom 
Brandopfer fällt wenigstens das Fell für sie ab (Ezech. 44, 29). 
Diese Gefälle jedoch,, in ihrer bestimmten Form allesamt nicht 
als alt nachzuweisen und zum Teil nachweislich nicht alt, wer- 
den schon in der früheren Zeit Analoga gehabt haben, so dass 
sie nicht schlechthin als Steigerung des Einkommens betrachtet 
werden dürfen. Zur Zeit Josia's waren die Massoth eine Haupt- 
nahrung der Priester (2. Reg. 23, 9): sie rührten doch wohl 
grossenteils von der Minha her. Statt der Sund- und Schuld- 
opfer, die noch dem Deuteronomium unbekannt sind, gab es 
früher Sund- und Schuldbussen als Geldzahlungen an die Priester, 
die freilich gewiss nicht so regelmässig gewesen sein werden 
(2. Reg. 12, 17). Es ist als ob die blossen Geldzahlungen dem 
Gesetze zu profan seien, es muss bei der Sühne Blut vergossen 
werden. Dass von der Ola die nicht opferbare Haut dem 
Priester zufällt, ist eine so natürliche Sitte, dass man sie für 
neu zu halten nicht geneigt sein wird, obwohl Ezechiel von 
dieser doch nicht wertlosen Gebühr stillschweigt (44, 28—31). 
Soweit sich also in den Opfergefällen des Priestercodex 
*) Philo de praemiis sacerdotum § 3. Joseph. Ant. III. 9, 2. IV 4, 4. 



Die Ausstattimg des Klerus. 161 

Abweichungen gegen den früheren Gebrauch constatieren lassen, 
sind sie zwar keinesfalls für bloss lokale Verschiedenheiten 
auszugeben, aber auch im Ganzen und Grossen nicht gerade 
eine bedeutende Erhöhung der Taxe. Indessen, die Opfergefälle 
sind hier auch nur ein ziemlich untergeordneter Teil des Ein- 
kommens der Priester. Im Deuteronomium sind die letzteren 
darauf angewiesen, sie leben vom Opfer (18, 1) und von der Ein- 
ladung zu " den heiligen Mahlzeiten (12, 12. 18 f.); sie müssen 
hungern, wenn sie nicht fungieren (1. Sam. 2, 36). Dahingegen, 
die Aharoniden des Priestercodex brauchen gar nicht zu opfern 
und haben doch ihr Brot, denn ihre Haupteinnahme besteht in den 
reichen Naturalsteuern, welche ihnen geleistet werden müssen. 
2. Die Abgaben, welche nach dem Gesetze an die Priester 
fallen, waren allesamt ursprünglich Opfer, nämlich die regel- 
mässigen Opfer, welche zu den Festen gebracht werden mussten; 
und allesamt dienten dieselben ursprünglich zu heiligen Mahl- 
zeiten, von denen die Priester weiter nichts als den auch sonst 
üblichen Anteil bekamen. Dies gilt zunächst von den männ- 
lichen Erstgeburten des Viehs. Wie wir in dem Kapitel über 
die Feste gesehen haben, werden sie in dem jehovistischen Ge- 
setze ebenso wie in der jehovistischen Erzählung über den Aus- 
zug und über Abel geopfert und zwar als Mahlopfer, wie alle 
von Privaten dargebrachten Opfer in alter Zeit. Wenn es Exod. 
22, 29 heisst, sie sollen dem Jahve gegeben werden, so bedeutet 
das nicht, sie sollen den Priestern gegeben werden; von sol- 
chen wird im Bundesbuch nirgend etwas erwähnt. Ebenso stehen 
die Sachen im Wesentlichen auch noch im Deuteronomium: „du 
sollst sie dem Jahve heiligen und nicht pflügen mit der 
Erstgeburt deines Rindes noch die Erstgeburt deines Schafes 
scheren, vor Jahve sollst du sie verzehren alle Jahr an 
dem Ort den er erwählt; wenn aber ein Fehl daran ist, so sollst 
du sie nicht opfern dem Jahve deinem Gott 44 (15, 19f.). Dem 
Jahve heiligen, vor Jahve essen, dem Jahve opfern — sind hier 
ganz gleichwertige Begriffe. Wenn nun nach Num. 18, *ib ff. aller 
erste Wurf ohne Umschweife dem Priester zugesprochen und 
daneben dann noch ein besonderes Passahopfer eingesetzt wird, 
so kann das nur als die letzte Phase der Entwickelung verstanden 
werden, teils weil überhaupt der Begriff der Abgabe im Vergleich 
zu dem des Opfers etwas Abgeleitetes ist, teils weil der gewaltige 

Wellhausen, Prolegomena. 11 



162 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

Zuwachs in der Einnahme der Priester auf hierftkratische Maeht- 
entfaltung hinweist. Ezechiel zählt die Erstgeburten noch nicht 
unter den Einkünften des Klerus auf (44, 28—31); dagegen richtet 
sich die Praxis des Judentums wie gewöhnlich nach der Norm 
des Priestercodex; seit Nehem. 10,37. 

Auch der Zehnte ist ursprünglich Gott gegeben und ebenso 
wie die anderen Opfer behandelt, d. h. nicht von den Priestern, 
sondern von den Darbringern in heiligen Mahlzeiten verzehrt. 
In der jehovistischen Gesetzgebung kommt er nicht vor, aber 
Jakob widmet ihn (Gen. 28, 22) dem Gott von Bethel, wobei trotz- 
dem dass w das Ganze Projection aus späterer Zeit ist, es doch 
schwerlich im Sinne des Erzählers sein würde, an Priester da- 
selbst zu denken. Der Prophet Arnos, der in gleiche Linie ge- 
stellt werden darf, sagt: „kommt nach Bethel zu sündigen, nach 
Gilgal noch mehr zu sündigen, und bringt jeden Morgen eure 
Opfer, alle drei Tage eure Zehnten, und bringt auf Brot Fleisch- 
stücke dar zur Flamme und rufet Freigaben laut aus — so liebt 
ihres ja, Haus Israel!" (4, 4 f.). Ironisch empfiehlt er ihnen, in 
ihren bisherigen Anstrengungen zur Ehre Gottes fortzufahren und 
sie zu verdoppeln, täglich zu opfern,, statt wie es Sitte war 
(1. Sam. 1) jährlich an dem Hauptfeste, jeden dritten Tag zu 
zehnten, statt wie man pflegte, alle drei Jahre. Man sieht, dass 
der Zehnte hier in einer Reihe mit Zebah Thoda und Nedaba 
steht; er ist ein Freudenopfer und ein glanzvolles Stück des 
öffentlichen Cultus, keine blosse Abgabe an die Priester. Auch 
in diesem Punkte nun hat das Deuteronomium die alte Sitte im 
Ganzen unverändert gelassen. Nach 14, 22 — 29 soll der Zehnte 
des Feldwuchses, oder auch der Erlös desselben in Gelde, von 
Jahr zu Jahr zum Heiligtume gebracht und daselbst vor Jahve, 
also als Mahlopfer, verzehrt werden; nur in jedem dritten Jahre 
soll er nicht in Jerusalem geopfert, sondern als Almosen an die 
des Grundbesitzes entbehrenden Ortsangehörigen gespendet wer- 
den zu denen namentlich die Leviten gehören. Die letztere Ver- 
wendung ist eine Neuerung, die einerseits mit der Abschaffung 
der lokalen Cultusstätten zusammenhängt, andererseits mit der 
Tendenz des Deuteronomikers, die Festfreude zu humanen 
Zwecken zu benutzen *). Das ist aber noch nichts dagegen, dass 

! ) Anlehnung an eine ältere Sitte , wie wir sie für Arnos 4, 4 voraussetzen 
müssen, ist trotzdem möglieh, vgl. 26,12 das Jahr des Zehnten. 



Die Ausstattung des Klerus. 163 

nun im Priestercodex endlich der ganze Zehnte zu einer blossen 
von den Leviten einzusammelnden (Neh. 10, 38) Steuer an den 
Klerus geworden ist, dessen Ausstattung dadurch wiederum sehr 
beträchtlich verbessert wird. Ezechiel schweigt auch hierüber 
(44, 28 — 31), aber so wie der Zehnte ini Buche Numeri (18, 21 ff.) 
gefordert wird, hat ihn seit Nehemia (10, 38 f.) die Gemeinde des 
zweiten Tempels gegeben. Späterhin fügte man dazu dann noch, 
um der abweichenden Forderung des Deuteronomiumszu genügen, 
den sogenannten zweiten Zehnten hinzu, der für gewöhnlich zu 
Jerusalem verzehrt und im dritten Jahr an die Armen gegeben 
wurde (so Sept. zu Deut. 26, 12), und am Ende entrichtete man 
sogar den Armenzehnten als dritten zu dem ersten und zweiten 
obendrauf (Tobith 1, 7. 8. Jos. Ant. 4 8, 22). 

Wahrhaft unerhört ist es, dass der Zehnte, der sich der Natur 
der Sache nach nur von Gegenständen festen Masses, von Korn 
Most und Öl versteht (Deut. 14,23), im Priestercodex auch auf 
das Vieh ausgedehnt wird, so dass neben den männlichen Erst- 
geburten auch noch das zehnte Stück von Rindern und Schafen 
an die Priester gezahlt werden muss. Jedoch findet sich diese 
Forderung noch nicht Num. 18 und ebenfalls noch nicht Neh. 
10, 38. 39, sondern erst in der Novelle Lev. 27, 32 (1. Sam. 8, 17). 
Ob sie in der Praxis des Judentums durchgedrungen ist, erscheint 
fraglich; 2. Chron. 31, 6 wird der Viehzehnte zwar erwähnt, aber 
dafür die Erstgeburten nicht; in der vorrabbinischen Literatur 
sind keine Spuren zu entdecken, insbesondere nicht bei Philo 
der nur den an die Leviten zu entrichtenden gewöhnlichen, aber 
nicht den an die Priester zu entrichtenden Viehzehnten kennt 
(de praem. sacerd. § 6).* 

Mit dem Fruchtzehnten sind die Erstlinge in der Wurzel 
identisch, sie sind durch ersteren nur nachträglich auf ein be- 
stimmtes Mass gebracht. Dies wird der Grund sein, warum in 
der jehovistischen Gesetzgebung nicht beides neben einander ge- 
fordert wird, sondern nur eine dem freien Ermessen anheimge- 
stellte Gabe des Ersten und Besten von Korn Most und Öl, 
welche mit der Erstgeburt der Rinder und Schafe zusammenge- 
stellt wird (Exod. 22, 28. 34, 26. 23, 19). In ganz gleichet Be- 
deutung steht im Deuteronomium neben den Erstgeburten des 
Viehs der Zehnte des Feldes (14,22f. 15,19ff.). Aber auch 
die Reschith, die man durch Erstlinge zu verdeutschen pflegt, 

11* 



164 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

kommt im Deuteronomium vor, sie zwar als Abgabe an die Prie- 
ster, von Korn Most Öl und Wolle (18, 4) ; eine Kleinigkeit, ein 
Korb voll, wird davon vor den Altar gebracht und mit einer 
sinnvollen Liturgie übergeben (26, lff.). Es scheint, dass sie von 
dem Zehnten abgenommen wird, wie aus 26, 12 ff. als Fortsetzung 
von v. 1 — 11 gefolgert werden könnte; ausnahmsweise bricht 
26, 2 der allgemeinere Sprachgebrauch durch, wonach die Reschith 
die geheiligte Frucht überhaupt bedeutet, welche im Ganzen von 
den Darbringern vor Jahve verzehrt wird und von welcher die 
Priester nur einen Teil erhalten. Im Priestercodex aber wird 
nicht nur der ganze Zehnte als Abgabe an den Klerus gefordert, 
sondern ebenso daneben noch die Reschith (Num. 18, 12), und 
dieselbe wird dadurch vervielfacht, dass sie nicht bloss von der 
Tenne, sondern auch vom Backtrog gefordert wird: bei jeder 
Säuerung gebührt die Halla dem Jahve (15, 20). Damit aber 
nicht genug, sondern zu der Reschith (18, 12) kommen noch die 
Bikkurim (18, 13) als etwas Besonderes hinzu. Sonst findet sich 
der Unterschied nicht (Exod. 34, 26); es handelt sich immer bloss 
um präparierte Früchte, um den Ertrag der Tenne und Kelter, 
wovon man den Vorlauf weihen sollte, „die Fülle und den Über- 
fluss a . Das Fett von Ol Most und Korn ist auch in Num. 18 
die Hauptsache und heisst Reschith (v. 12) oder Theruma (v. 27); 
aber die Bikkurim (v. 13) scheinen doch davon getrennt zu wer- 
den, und wenn dies wirklich der Fall ist, so müssen diejenigen 
rohen Früchte damit gemeint sein, die am frühesten reif gewor- 
den sind. Das Judentum, welches sich hier abermals im Wesent- 
lichen durchaus nach der Vorschrift des Priestercodex richtet, 
hat in der That diese Distinktion gemächt; seit der Publikation 
des Gesetzes durch Ezra verpflichtete sich die Gemeinde, die 
Bikkurim jährlich hinaufzubringen zum Hause Jahve's, die Re- 
schith aber in die Tempelzellen abzuliefern (Neh. 10, 36. 38). 
Jenes war eine mit Processionen verbundene religiöse Feier, bei 
der man Deut. 26 als Ritual benützte, dieses mehr eine simple 
Naturalsteuer — ein Unterschied, der vielleicht mit den ver- 
schiedenen Ausdrücken sie sollen bringen (Num, 18,13) und 
sie sollen geben (18, 12) zusammenhängt. Die Septuaginta 
hält äizapyri un ^ ^pwtoYsvv^fxata genau auseinander, ebenso Philo 
de praem. sac. § 1. 2 und Josephus Ant. 4 4, 4. 8, 22. 

3. Es ist unglaublich, was am Ende alles abgegeben werden 



Die Ausstattung des Klerus. 165 

muss. Was ursprünglich neben einander hergelaufen war, wird 
zusammengehäuft, was frei und unbestimmt gewesen, wird auf 
Mass gebracht und vorgeschrieben. Die Priester bekommen alle 
Sund- und Schuldopfer, den grössten Teil der vegetabilischen 
Zugaben, die Haut vom Brand-, Keule und Bug vom Mahlopfer. 
Ausserdem die Erstgeburten, sodann Zehnten und Erstlinge in 
doppelter Form, kurz alle Kodaschim, die früher bloss als regel- 
mässige Mahlopfer gefordert (Deut. 12, 26 = v. 6. 7 u. a.) und 
freilich an heiliger Stätte und von geheiligten Gästen, aber nicht 
von dem Priester verzehrt wurden. Trotzdem wird dafür nicht 
etwa dem Klerus (wie von Ezechiel dem Fürsten, der dort die 
Abgaben bezieht 45, 13 ff.) zugemutet den öffentlichen Gottesdienst 
auf seine Kosten zu bestreiten, sondern dazu dient die Kopf- 
steuer, die im Kern des Priestercodex noch nicht angeordnet, 
aber seit Neh. 10, 33 in der Höhe von einem drittel Seckel ge- 
leistet und in einer Novelle des Gesetzes (Exod. 30, 16) in der 
Höhe eines halben Seckels gefordert wird. 

IL 

1. Zu der Ausstattung des Klerus im Priestercodex gehören 
endlich noch die achtundvierzig Städte, welche ihm nach Mose's 
Anordnung von Josua zugewiesen worden sind (Num. 35. Jos. 21). 
Die Stämme geben sie gutwillig her, der kleine wenig, der grosse 
mehr (Num. 35, 8). In vier Abteilungen losen die Aharoniden 
und die drei Geschlechter der Leviten darum, jene treffen 
13 Städte in Juda, diese 10 in Ephraim-Manasse, 13 in Galiläa 
und 12 im Ostjordanlande- Nicht etwa bloss die Wohnberechti- 
gung, sondern, trotz allem apologetischen Rationalismus, den 
vollen Besitz erhalten sie an denselben (Jos. 21, 12), einschliess- 
lich einer als Gemeinde-anger dienenden Feldmark von 2000 Ellen 
im Quadrat — Quadrat im ganz eigentlichen Sinne gefasst 
(Num. 35, 5). 

Die sachliche Unmöglichkeit dieser Einrichtung hat nach 
Grambergs Vorgange Graf mit schlagenden Gründen erwiesen 
(Merx Archiv I S. 83). Die 4x12 oder statt dessen 13+ 10+13+12 
Städte, von denen trotz Num. 35, 8 gewöhnlich vier auf je einen 
der zwölf Stämme fallen, reichen schon hin den Verdacht künst- 
licher Mache zu begründen; vollends die Bestimmung, dass ein 
quadratischer Bezirk von 2000 Ellen Seitenlänge rings um die 



166 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

Stadt, die dabei (Num. 35, 4) rein als Punkt betrachtet wird, zur 
Viehtrift für die Leviten abgemessen werden solle, Hesse sich, 
um mit Graf zu reden, wohl etwa in einer südrussischen Steppe 
oder bei neu zu gründenden Städten im Westen Nordamerika^, 
nicht aber in dem gebirgigen Palästina ausführen, wo ein solcher 
geometrisch abzumessender Raum gar nicht vorhanden ist und 
es keineswegs von willkürlichen Gesetzesbestimmungen abhängt, 
welche Grundstücke sich zu Viehweiden und welche sich zu 
Feld- und Gartenbau eignen, wo auch die Städte schon bestan- 
den, das Land schon bebaut war, als die Israeliten es im Laufe 
der Jahrhunderte eroberten. Geschichtliche Spuren von dem 
Vorhandensein der Levitenstädte finden sich denn auch seit 
Josua nirgend. Eine ganze Anzahl derselben war noch in den 
Tagen der Richter und bis in die erste Königszeit im Besitz 
der Kanaaniten, so Gibeon Sichern Gezer Thaanach, einige 
mögen sogar stets darin verblieben sein. Die aber in die Hand 
der Israeliten übergingen, gehörten zu keiner Zeit den Leviten. 
Sichern Hebron Ramoth waren die Metropolen von Ephraim 
Juda und Gilead, ebenso Gibeon Gezer Hesbon wichtige und 
keineswegs geistliche Städte. In der deuteronomischen Periode 
lebten die Leviten in der Weise über Juda verstreut, dass jeder 
Ort die seinigen und den seinigen hatte, nirgends wohnten sie 
abgeschlossen in compakten Massen zusammen, da sie sich ja 
vom Opfern für andere nährten und ohne Gemeinde ihren Be- 
ruf nicht ausüben konnten. Einzelne hatten wohl Land und 
Erbe; wie einst die silonische Familie zu Gibeath-Pinehas Amasia 
zu Bethel und Abiathar zu Anathoth, so in späterer Zeit Jeremia 
gleichfalls zu Anathoth. Aber eine Priesterstadt im Sinne von 
Jos. 21 war z. B. Anathoth darum noch nicht, Jeremia hatte dort 
sein Grundstück als Bürger und nicht als Priester und teilte 
nicht mit den Priestern, sondern mit dem Volke (37,12). Als 
Stamm unterschied sich Levi eben dadurch von den anderen 
Stämmen, dass er kein Land hatte und seine Glieder meist nur 
als Inquilinen den angesessenen Bürgern und Bauern sich an- 
schlössen (Deut. 10, 9. 18, 1). 

Auch nach dem Exil ward es freilich in dieser Beziehung 
nicht anders als es vorher gewesen war. Ab excidio templi 
prioris sublatum est Levitis ius suburbiorum, sagt R. Nachman 
(b. Sota 48 b ), und das Schweigen von Neh. 10 gibt ihm Recht. 



* Die Ausstattung des Klerus. 167 

Man verschob die Ausführung des Gesetzes wahrscheinlich auf 
die Zeit des Messias, sie stand in der That nicht in der Men- 
schen Macht und kann vom Priestercodex selbst nicht im Ernst 
gefordert sein, da er ein rein ideales Israel mit idealen Grenzen 
dabei vor Augen hat und von der Wirklichkeit so weit abstrahiert, 
dass er Jerusalem, den geschichtlichen Hauptsitz der Priester, 
aus archaistischen Gründen gar nicht mit aufführt. 

Dieser Umstand nun, dass nämlich diese Städte in partibus 
infidelium lagen, scheint sie als Handhabe für die Altersbestim- 
mung des Priestercodex unbrauchbar zu machen. Man kann 
wie Bleek die geschichtliche Transcendenz als Mosaicität aus- 
legen, dagegen ist nicht anzukämpfen. Man kann aber auch in 
der Weise Nöldeke's geltend machen, eine so kühne Erfindung 
lasse sich dem Geiste der exilischen und nachexilischen Zeit 
nicht zutrauen, der überall nur ängstlich an das Alte sich an- 
klammern und es zu restaurieren beflissen sei ; dies verdient und 
gestattet eher eine Widerlegung. Es ist nämlich nicht an dem, 
dass die Juden der Restauration vor ihrer alten Geschichte Re- 
spect gehabt hätten, sie verurteilten vielmehr die ganze frühere 
Entwickelung und Hessen nur die mosaische Zeit nebst ihrem 
davidischen Abglanz gelten, d. h. also nicht die Geschichte, son- 
dern die Idee. Die theokratische Idee stand seit dem Exil im 
Mittelpunkt alles Denkens und Strebens, und sie vernichtete den 
objectiven Wahrheitssinn, die Achtung und das Interesse für den 
überlieferten Sachverhalt. Es ist bekannt, dass es nie dreistere 
Geschichtsmacher gegeben hat als die Rabbinen. Die Chronik 
aber liefert hinreichende Proben, dass diese schlimme Disposition 
in sehr frühe Zeit hinaufreicht, wie denn ihre Wurzel, der do- 
minierende Einfluss des Gesetzes, die Wurzel des Judaismus selber 
ist. Der Judaismus also ist für ein solches Kunstgewächs, wie 
die achtundvierzig Priester und Levitenstädte sind, gerade der 
geeignete Boden. Einem Autor, der in der Königszeit, noch in 
der Continuität der alten Geschichte lebte, würde es schwer ge- 
fallen sein, so gänzlich von allen Bedingungen der damaligen 
Wirklichkeit zu abstrahieren, er würde dadurch auf seine Zeit- 
genossen keinen anderen Eindruck gemacht haben als dass sie 
ihn für nicht recht klug gehalten hätten. Nachdem aber durch 
das Exil das alte Israel vernichtet und der natürliche Zusammen- 
hang mit den Zuständen des Altertums gewaltsam und gründlich 



168 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

durchschnitten war, stand nichts im Wege, die tabula rasa in 
Gedanken beliebig anzupflanzen und auszustaffieren, etwa so wie 
es die Geographen mit den Landkarten zu machen pflegen, so 
lange die Gegenden unbekannt sind. 

Weiter nun ist bekanntlich keine Phantasie reine Phantasie, 
einer jeden liegen irgendwelche reale Elemente zu Grunde, bei 
denen sie sich fassen lässt, seien es auch nur gewisse herr- 
schende Vorstellungen eines Zeitalters. Es ist klar, wenn dem 
Klerus ein eigenes Gebiet zugesprochen wird, so ist die Vor- 
stellung von dem geistlichen Stamm, die im Deuteronomium eben 
anfängt Wurzel zu schlagen, hier bis zu dem Grade ausge- 
wachsen und erstarkt, dass auch der letzte und ausschlag- 
gebende Unterschied fortgeschafft wird, welcher die wirklichen 
Stämme gegenüber den Leviten auszeichnet, die communale 
Selbständigkeit und die Dichtigkeit der Consistenz, welche in 
abgeschlossenen Sitzen zum Ausdruck gelangt. Denn dass es 
trotzdem im Priestercodex heisst, Aharon und Levi sollen kein 
Teil und Erbe haben in Israel (Num. 18, 20. 23), das ist nur eine 
aus dem Deuteronomium beibehaltene Redensart und zugleich 
eine unwillkürliche Concession an die Wirklichkeit: was sollen 
denn diese achtundvierzig Städte, hätte es sie wirklich gegeben 
anders sein als ein Los, als ein Landgebiet und zwar ein ver- 
gleichsweise sehr bedeutendes? Lässt sich insoweit die allge- 
meine Basis erkennen, welche der historischen Fiktion zur Vor- 
aussetzung dient, so kann man auch einen näheren Einblick in 
das concrete Material derselben gewinnen. Die Priester- und 
Levitenstädte hängen mit den sogenannten Freistädten zusam- 
men. Diese werden nun auch im Deuteronomium angeordnet 
(Kap. 19), nur noch nicht namentlich aufgeführt — denn Deut. 4, 
41 — 43 kann nicht als genuin in Betracht kommen. Ursprüng- 
lich waren die Altäre Asyle (Exod. 21, 14. 1. Reg. 2,28), einige 
in höherem Grade als andere (Exod. 21, 13). Um nun nicht mit 
den Altären zugleich auch die Asyle abzuschaffen, wollte der 
deuteronomische Gesetzgeber einzelne heilige Orte als Zufluchts- 
städte fortbestehen lassen, vorläufig drei für Juda, zu denen 
wenn sich das Gebiet des Reichs erweiterte noch drei andere 
hinzukommen sollten. Der Priestercodex nimmt diese Einrich- 
tung herüber und nennt drei bestimmte Städte diesseit und drei 
jenseit des Jordans (Num. 35. Jos. 20) — vier davon sind nach- 



Die Ausstattung des Klerus. 169 

weislich berühmte alte Cultusstätten , nämlich die sämtlichen 
drei westlichen und von den östlichen Kamoth d. i. Mispa 
(Gen. 31. Jud. 11, 11). Alle diese Asyle sind nun aber zugleich 
Priester- und Leviten städte: die Vermutung liegt nähe, dass die- 
sen auf eine ähnliche Weise alte Heiligtümer mögen zu Grunde 
gelegen haben. Es soll damit nur das Nachklingen einer allge- 
meinen Erinnerung behauptet werden, dass es einst in Israel 
viele heilige Orte und Sitze von Priesterschaften gegeben hatte, 
nicht gerade, dass jeder einzelnen der Jos. 21 aufgeführten 
Städte wirklich ein altes Heiligtum entspreche. Vielfach lässt 
sich dies jedoch allerdings nachweisen 1 ), obwohl einige der be- 
rühmtesten oder für den späteren Standpunkt berüchtigsten Ba- 
moth, wie Bethel Dan Gilgal und Beerseba, wahrscheinlich mit 
Absicht übergangen sind. 

Indessen ist vielleicht der nächste Ausgangspunkt für diese 
Gebietsabgabe an die Leviten bei dem Propheten Ezechiel zu 
suchen, in dem Bilde, welches er zum Schluss von dem zukünf- 
tigen Israel entwirft. Ausführlich beschäftigt er sich da auch 
mit der Absteckung der Grenzen des Volkes und der Stämme, 
wobei er ganz frei zu Werke geht und gewissermassen nach 
der Elle zuschneidet. Während er das Land östlich vom Jordan 
den Saracenen überlässt, teilt er das westliche in 13 parallele 
Querstreifen; in der Mitte des (übrigens dem Fürsten zugewie- 
senen) dreizehnten, der zwischen Juda und Benjamin sich er- 
streckt , treten die zwölf Stämme ein Quadrat von 25000 Ellen 
als heilige Abgabe an Jahve ab. Dieses wird in drei von West 
nach Ost laufende und somit in dieser Richtung 25000 Ellen 
lange Oblonga zerlegt, davon umfasst das südliche, 5000 E. breit, 
die Reichsstadt nebst Gemarkung, das mittlere, 10000 E. breit, 
den Tempel und das Gebiet der Priester, das nördliche, gleich- 

*) Bei Hebron Gibeon Sichern Ramoth Mahanaim und Thabor (Hos. 5, 1) 
durch geschichtliche Nachrichten, bei Bethsemes Astharoth Kedes, vielleicht 
auch Rimmona, durch die Namen. Consequente historische Treue wird 
man freilich auch hier dem Priestercodex nicht zutrauen dürfen. Was 
Hos. 5, 1. 2 angeht, so scheint der ursprüngliche Sinn zu sein: „ein Fall- 
strick seid ihr geworden für Mispa und ein ausgebreitetes Netz auf dem 
Thabor und die Fallgrube von Sittim (c^ül^H DnttO haben sie tief ge- 
macht". Sittim ist als Lagerstätte unter Mose und Josua sicher ein 
Heiligtum, so gut wie Kades, Gilgal und Silo; der Prophet führt solche 
Stätten an, an denen nach seiner Meinung der Uultus besonders ver- 
lockend und seelenmörderisch ist; den Vorwurf macht er den Priestern, 
die das Subject der Aussagen sind. 



170 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

falls 1000Ö E. breit, das Erbe und die Städte der Leviten 1 ). 
Also ebenfalla eine Landabgabe von Seiten der Stämme an den 
Klerus; die Vergleichung mit Jos. 21 ist nicht abzuweisen, um 
so weniger, da sonst im Alten Testament sich nirgend Ähnliches 
findet. Ezechiel nun ist ganz durchsichtig und aus sich zu ver- 
stehen. Damit der Tempel in seiner Heiligkeit aufs beste ge- 
schützt werde, kommt er in die Mitte des Priestergebietes zu 
liegen, welches seinerseits wieder von der Stadt im Süden und 
von den Leviten im Norden gedeckt wird. Zugleich soll auch 
das Cultuspersonal selber möglichst abgeschieden auf eigenem 
Grund und Boden wohnen, derselbe soll ihnen dienen zu 
abgesonderten Häusern sie zu heiligen, wie es für die 
Priester 45, 4 ausdrücklich bemerkt wird und in abgestuftem 
Mass natürlich auch für die Leviten ihnen zur Seite gilt. Vom 
Tempel geht hier Alles aus und erklärt sich Alles. Sein 
Original ist unverkennbar der salomonische; er liegt bei der 
Hauptstadt, im Centrum der heiligen Mitte des Landes zwischen 
Juda und Benjamin, dort haben die Söhne Sadoks ihren Sitz 
und daneben die Leviten, welche Josia aus dem ganzen Lande 
nach Jerusalem tibergeführt hatte. Man sieht, hier liegen die 
Motive auf der Hand. Dahingegen im Priestercodex, der nicht 
in der Lage war die Zukunft frei von der Gegenwart aus zu 
gestalten, sondern gezwungen, sich archaistisch zu verbrämen, 
sind dieselben historisch verdeckt und fast paralysiert. Die 
Wirkung ist geblieben, nämlich der abgeschlossene Landbesitz 
des Klerus, aber die Ursache oder der Zweck, durch die Ab- 
straction vom Heiligtum, nicht mehr zu erkennen. Jerusalem 
und der Tempel, die eigentlich treibende Kraft der ganzen Ein- 
richtung, werden mit einer höchst auffallenden Geflissentlichkeit 
in Stillschweigen begraben, und dagegen, in Eeminiscenz der 
früher überall an den israelitischen Bamoth zerstreuten Priester- 
schaften, achtundvierzig anderweitige Levitenstädte creirt, denen 
aber ihr eigentlicher Mittelpunkt, nämlich ein Heiligtum, entzogen 
ist. Nur darin, dass die Aharoniden sich zufällig gerade die 
dreizehn jüdisch -benjaminitischen Städte erlosen, bricht denn 
doch unwillkürlich der Einfluss Jerusalems durch. 

*) Für rOts6 D'HW 45, 5 lies mit LXX rQt&6 D'H W- Thore zu wohnen. 
Vgl. Sept. 42, 3 die gleiche Umstellung der Buchstaben. Der Ausdruck 
Thore für Städte ist durch das Deuteronomium veranlasst. 



Die Ausstattung des Klerus. 171 

2. Abgesehen von dieser historischen Fiktion sind die 
übrigen Ansprüche betreffs der Ausstattung des Klerus, so exor- 
bitant sie sind, doch ausführbar und ernst gemeint. Man steht 
ihnen gegenüber, was die Umstände ihrer Genesis betrifft, vor 
zwei Möglichkeiten. Entweder die Priester forderten, was sie 
zu erlangen hoffen konnten; dann hatten sie thatsächlich die 
Herrschaft über das Volk. Oder sie stellten Forderungen, die 
zu ihrer Zeit weder berechtigt noch überhaupt möglich waren: 
dann waren sie zwar nicht bei Sinnen, zugleich aber doch so 
prophetisch nüchtern, dass Jahrhunderte später ihre geträumten 
Einkünfte in wirkliche sich verwandelten. Soll etwa Mose seinem 
in der Wüste notdürftig da's Leben fristendem Volke zugemutet 
haben, für eine übermässig reiche Dotierung des Klerus zu sor- 
gen? oder glaubt man, in der Richterperiode, wo die einzelnen 
israelitischen Stämme und Geschlechter, nachdem sie sich zwi- 
schen die Kanaaniter eingedrängt, Mühe hatten ihre Position zu 
behaupten und sich in den neuen Wohnsitzen und Verhältnissen 
einigermassen einzuwurzeln, sei der Gedanke aufgetaucht, der- 
gleichen Steuern zu erheben von einem Volke, das erst zusam- 
menwuchs, zu einem Zweck, der ihm durchaus ferne lag? welche 
Gewalt hätte denn damals, wo jeder that was ihm recht schien, 
den Einzelnen vermögen sollen zu bezahlen? Als aber wirklich 
unter dem Druck der Umstände eine politische Organisation, 
welche die sämtlichen Stämme umfasste, zu stände gekommen 
war, auch da konnten die Priester schwerlich darauf verfallen, 
den weltlichen Arm als Mittel zu benutzen, um sich selber eine 
souveräne Stellung zu geben; und ohne den König konnten 
sie, bei ihrer völligen Abhängigkeit von ihm, noch weniger die 
Rechnung machen. Kurzum die Ansprüche, welche sie im Ge- 
setz erheben, würden sich in der vorexilischen Zeit im eigent- 
lichen Sinne utopisch ausgenommen haben; sie erklären sich 
nur aus den Verhältnissen, wie sie seit der chaldäischen und 
noch mehr seit der persischen Fremdherrschaft sich anliessen 
zur Ausbildung einer Hierokratie, der das Volk als der wahrhaft 
nationalen und dazu auch göttlichen Obrigkeit freiwilligen Ge- 
horsam entgegenbrachte und der auch die Perser Rechte ein- 
räumten, die sie der Familie Davids nicht verstatten mochten. 
Gleich im Anfange des Exils beginnt Ezechiel die Einkünfte der 
Priester zu steigern (44,28—30); doch hält er sich im ganzen 



172 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

noch an das Mass des Deuteronomiums und erwähnt nichts von 
Zehnten und Erstgeburten. Von den Forderungen des Priester- 
codex im vollen Umfange hören wir geschichtlich zum ersten 
male in Neh. 10; da wird berichtet, dass sie von Männern, welche 
die Autorität des Artaxerxes hinter sich hatten, durchgesetzt 
wurden. Es ist dies mit das schwerste und zugleich wichtigste 
Stück in der Arbeit, welche Ezra und Nehemia bei der Ein- 
führung des Pentateuchs als Gesetzes der jüdischen Gemeinde 
hatten; darum ist so speciell und so ausführlich davon die Rede. 
Hier liegt offenbar die materielle Basis der Hierokratie, von wo 
aus ihr Haupt schliesslich auf den Königsthron gelangte. 

Denn alle diese Abgaben, abgesehen von den Opfergefällen, 
flössen in eine gemeinsame Casse und kamen denen zu gut, die 
über letztere zu verfügen hatten, d. h. dem Pfiesteradel zu Jeru- 
salem, dem sie zu einer wahrhaft fürstlichen Stellung verhalfen. 
Die gewöhnlichen Priester und gar die Leviten hatten nichts 
davon. Die letzteren sollten zwar nach dem Gesetz den Zehnten 
bekommen und davon nur wiederum den Zehnten an die Aharo- 
niden abtreten, aber wie überhaupt die Richtung der Zeit dahin 
ging, sie herabzudrücken, so ward ihnen allmählich auch dieses 
gesetzliche Einkommen entzogen und von den Priestern ange- 
eignet. Weiterhin nahmen dann die Erzpriester den Zehnten 
für sich allein in Beschlag, während ihre niederen Standesge- 
nossen bitteren Mangel und selbst Hunger litten (Jos. Ant. 20 
8, 8. 9, 2). 

Zum Schluss sei noch ein Einwurf erwähnt, der neuerdings 
auf Grund der eben angegebenen Differenz der späteren Praxis 
vom Gesetz gegen die Ansetzung desselben in der babylonisch- 
persischen Periode gemacht worden ist. „Ein anderes Zeugnis 
der Überlieferung schliesst Abfassung der elohistischen Thora 
(d. h. des Priestercodex) durch Ezra geradezu aus. Es ist be- 
kanntlich die elohistische Thora, welche das Verhältnis der 
Priester und Leviten zu einander geflissentlich ordnet, während 
das Deuteronomium beides ohne den Unterschied hervorzuheben 
zusammenfasst. Jene ist es, welche den Leviten den Zehnten 
zuweist, sie jedoch verpflichtend den Zehnten von ihrem Dienst- 
zehnten als Hebe an die Priester abzugeben. So war auch bald 
nach dem Exil [d. h. 100 Jahre später Neh. 7, 5] die Praxis . . . 
(Neh. 10, 38 ff.). Weiterhin aber kam die Entrichtung des Zehn- 



Die Ausstattung des Klerus. 173 

ten an die Leviten ganz ausser Brauch, man entrichtete den 
Zehnten unmittelbar und nur an die Priester, so dass Jose ben 
Chanina geradezu bekennt: wir geben den Zehnten nicht nach 
Gottes Anordnung (Sota 47 b ). Überall aber führt der Thalmud 
diese Praxis auf Ezra zurück. Ezra soll es gewesen sein, 
welcher die Leviten durch Entziehung des Zehnten strafte und 
zwar weil sie nicht aus Babel heimgekehrt waren (Jebam. 86 \ 
Chullin 131 b ). Wir constatieren , dass Ezra eine Vorschrift der 
elohistischen Thora nach traditionellem Zeugnis antiquiert hat, 
indem er sich dabei vielleicht auf die deuteronomische Thora 
stützte." So Delitzsch in der Zeitschr. für luth. Theol. 1877 
S. 448 f. Dass Ezra nicht der Verfasser des Priestercodex ist, 
soll bereitwilligst zugestanden werden — : nur nicht auf dies 
Argument hin. Wenn die Überlieferung, die mit Recht diesen 
edlen Namen verdient, den Ezra ausdrücklich als Einführ er 
des Levitenzehntens gerade nach der Vorschrift des Gesetzes 
nennt (Neh. 10, 38 ff.), welcher gewissenhafte Mensch darf dann 
etwas darauf geben, dass der Thalmud es besser weiss? 

Aber nehmen wir an , die von der gesetzlichen Vorschrift 
differierende Praxis reiche wirklich bis auf Ezra zurück, was 
würde daraus gegen den nachexilischen Ursprung des Priester- 
codex folgen? denn auf diesen kommt es an, nicht auf die Ab- 
fassung durch Ezra, die nur von der durchsichtigen Angriffs- 
taktik jenes Theologen zur Hauptsache gemacht wird. Die 
Forderungen des Priestercodex, die vor dem Exil nachweislich 
weder gestellt noch irgendwie erfüllt worden sind, erlangten 
100 Jahre nach der Rückkehr aus Babylon Gesetzeskraft 
(Neh. 10), das ganze Abgabensystem des Judentums basierte 
allezeit darauf — soll das gar nichts besagen in Vergleich zu 
der Kleinigkeit, dass der Zehnte zwar auch durchaus in Über- 
einstimmung mit dem Priestercodex und im Widerspruch zu der 
alten Sitte an den Klerus abgegeben wurde, aber nicht dem 
niederen, sondern dem höheren zu gute kam? 

Besser in der That als diese hätte jede andere Differenz 
der jüdischen Praxis vom Gesetz gegen die Thesis Grafs geltend 
gemacht werden können, z. B. das Fehlen der Urim und Thummim 
(Neh. 7, 65) oder der achtundvierzig Levitenstädte, die Gemeinde 
der zurückgekehrten Exulanten statt der Gemeinde der zwölf 
Stämme Israels, der zweite Tempel statt der Stiftshütte, Ezra 



174 Geschichte des Cultus, Kap. 5. 

statt Mose, die Söhne Sadoks statt der Söhne Aharons, item die 
Abwesenheit der übrigen Merkmale der Mosaicität. Denn mit 
jenem Punkte wird gerade die Achillesferse des Priestercodex 
berührt. Wenn die Leviten späterhin noch weiter unter die 
Priester herabgedrückt und gegen sie benachteiligt werden, so 
setzt das doch den Unterschied zwischen beiden voraus: weise 
man also erst nach, dass dieser dem genuinen Alten Testament 
bekannt ist und dass insonderheit Ezechiel ihn nicht als neu, 
sondern als uranfänglich gegeben einführt. Oder bedeutet die 
primäre Thatsache, dass die Kluft zwischen Priestern und Leviten 
nur im Priestercodex und im Judentum aufgerichtet und in ihrer 
Genesis seit Josia mit Sicherheit verfolgbar ist, weniger als die 
sekundäre, dass dieselbe in der weiteren Entwickelung des 
Judentums sich noch etwas verbreitert hat? ist denn nicht die 
Consequenz Folge des Princips? Aber — ganz zutraulich stellt 
Delitzsch den Satz an die Spitze: „es ist bekanntlich die elo- 
histische Thora, welche das Verhältnis der Priester und Leviten 
zu einander geflissentlich ordnet, während das Deuteronomium 
beides ohne den Unterschied hervorzuheben zusammenfasst", 
und auf dem Grunde dieser vorsichtigen Harmlosigkeit wirbelt 
er dann, um den Baum an der Wurzel zu treffen, einen Stein 
in den Wipfel, der auf ihn selber zurück fällt. 



II. 

Geschichte der Tradition. 



Hesiod. Operae 40. 



Sechstes Kapitel. 

Die Chronik. 

Unter dem Einfluss des Zeitgeistes ist der gleiche, ursprüng- 
lich aus Einer Quelle geflossene Überlieferungsstoff sehr ver- 
schieden aufgefasst und geformt worden, anders im neunten und 
achten Jahrhundert, anders im siebenten und sechsten, anders 
im fünften und vierten. In der selben Ordnung nun, wie die 
Schichten der Gesetzgebung, folgen sich auch die Schichten der 
Tradition. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Tradi- 
tion sagenhaft oder historisch ist, ob sie vorgeschichtliche oder 
geschichtliche Zeiten betrifft: der Wechsel der herrschenden 
Ideen prägt sich gleichmässig hier wie dort aus. Dies für den 
Hexateuch nachzuweisen ist allerdings unsere Hauptabsicht; aber 
den Anfang machen wir vielmehr mit den eigentlich historischen 
Büchern. Denn aus verschiedenen Gründen können wir hier 
mit grösserer Gewissheit behaupten: dies Ansehen hatte die Ge- 
schichte in dieser, jenes in jener Periode, diese und jene Ein- 
flüsse herrschten hier und dort. 

Wo die Sache am klarsten liegt, setzt die Untersuchung 
ein, nämlich bei der Chronik. Die Chronik, mit den Büchern 
Ezra und Nehemia eigentlich zusammengehörig, geht im Stoff 
vollkommen den Büchern Samuelis und der Könige parallel, 
und wir sind hier in der günstigen Lage, die Vergleichungs- 
objecte nicht erst wie gewöhnlich durch Quellenscheidung ge- 
winnen zu müssen, sondern sie von vornherein, sicher begrenzt, 
vor uns zu haben. Was aber mehr ist, wir können sie auch 
ziemlich sicher datieren. Die Bücher Samuelis und der Könige 

Well hau sen, Prolegomena. 12 



178 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

sind im babylonischen Exil redigiert, die Chronik dagegen ist 
wohl 300 Jahre später verfasst, nach dem Untergange des per- 
sischen Reichs, schon mitten aus dem Judaismus heraus. Es 
soll nun gezeigt werden, dass es lediglich der Zeitunterschied 
ist, welcher die abweichende Darstellung des selben Gegenstan- 
des auf der früheren und auf der späteren Stufe erklärt, und 
dass der Unterschied im Geist der Zeiten beruht auf dem in- 
zwischen eingetretenen Einfluss des Priestercodex. Ich fusse 
durchgehends auf de Wette's kritischem Versuch über die Glaub- 
würdigkeit der Bücher der Chronik (Beiträge J 1806) ; diese Ab- 
handlung ist von Graf (Gesch. Bücher des Alt. Test. S. 114ff.) 
nicht verbessert, denn die Schwierigkeit ist hier nicht, die 
Einzelheiten aufzutreiben, sondern einen Gesammteindruck zu 
geben und des überreichen Stoffes Herr zu werden. Und das 
hat de Wette viel besser verstanden. 



1. Nachdem Jahve den Saul getötet hatte, so beginnt die 
Erzählung der Chronik, wandte er das Königreich dem David 
ben Isai zu; ganz Israel versammelte sich zu ihm nach Hebron 
und salbten ihn zum Könige nach dem Worte Jahve's durch 
Samuel (1. Chron. 10, 1— 11, 3). Wie einfach und glatt, wie 
ganz ohne menschliches Zutun hat sich darnach die Sache ge- 
macht! Anders in der Relation des Buches Samuelis. Diese 
enthält zwar wörtlich auch den Bericht der Chronik, aber noch 
einiges mehr, wodurch die Sache ein ganz anderes Aussehen 
gewinnt. Auf der untersten Stufe zum Königtum ist David hier 
der Bandenführer in der Wüste Juda, der schliesslich durch 
Sauls Verfolgungen gezwungen wird auf philisthäisches Gebiet 
überzutreten und dort unter dem Schutz der Feinde seines Volks 
sein Freibeuterleben fortsetzt. Nach der Schlacht von Gilboa 
benutzt er die Auflösung des Reichs, um als Vasall der Phi- 
lister im Süden ein Partikularfürstentum zu errichten: er wird 
nicht erwählt, sondern mit 600 Mann hinter sich kommt er und 
trägt sich den Ältesten Juda's an, die er schon früher durch 
allerlei Gefälligkeiten und Geschenke sich verbunden hat. In- 
zwischen erhält Sauls Vetter, Abner, vom Reich was zu erhalten 
ist, nicht für sich, sondern für den rechtmässigen Erben Isbaal; 
von Gilead aus, wohin er nach der grossen Katastrophe die 



Die Chronik. 179 

Regierung verlegt hat, erobert er allmählich das Westjordanland 
zurück und trachtet darnach, auch das losgerissene Juda wieder 
zu gewinnen. So kommt es zu langwierigen Kämpfen zwischen 
Abner und David, worin das Glück mehr auf Seiten des letzteren 
ist; doch tritt er nicht aus der Defensive heraus und erwirbt 
nicht etwa im Kampfe die Herrschaft über Israel. Sie wird 
ihm vielmehr durch Verrat in die Hände gespielt. Abner selbst, 
über den Undank seines königlichen Neffen erzürnt, bietet dem 
Nebenbuhler die Krone an und tritt dieserhalb mit ihm in 
Unterhandlung, aber da er gleich darauf der Blutrache zum 
Opfer fällt, so wird nichts daraus, bis Isbaal heimtückisch im 
Schlaf von zweien seiner Hauptleute ermordet wird: da erst 
kommen die Altesten von Israel nach Hebron und da erst wird 
David König über das Reich Sauls. Wie viel Zeit gebrauchen 
die Dinge, wie natürlich entwickeln sie sich, wie viel Mensch- 
liches läuft mit unter, List und Verrat und Krieg und Mord! 
Der Chronik ist das Alles zwar wohl bekannt, wie aus gelegent- 
lichen Äusserungen in Kap. 11 und Kap. 12 erhellt, aber es wird 
verschwiegen. Unmittelbar nach seines Vorgängers Tode wird 
der Sohn Isai's von ganz Israel aus freien Stücken zum Könige 
gemacht, nach dem Worte Jahve's durch Samuel. Anders lässt 
sich die Folge von 10, 13. 14. 11, 1 nicht verstehen, anders ist 
sie auch nicht verstanden — denn es ist dadurch wirklich ge- 
lungen, wenigstens das Königtum Isbaals aus der traditionellen 
biblischen Geschichte so ziemlich herauszubringen: auf Saul, 
sagt man, folgt David. Es liegt also eine beabsichtigte und in 
ihren Gründen sehr durchsichtige Verstümmlung der originalen 
Relation vor, die uns im Buche Samuelis erhalten ist. 

Wie ganz Israel den David zum Nachfolger Sauls gemacht 
hat und ganz Israel dann mit ihm auf die Eroberung Jerusalems 
ausgezogen ist (11,4) — in 2. Sam. 5, 6 ist bloss von den 
Männern Davids die Rede — , so werden nun alsbald die edelsten 
Repräsentanten aus allen Stämmen Israels, die schon bevor er 
König geworden, mit dem Herzen und auch in der That auf 
seiner Seite gestanden haben, an dieser Stelle mit Namen und 
Zahlen aufgeführt, in drei Verzeichnissen (11, 10 — 12, 40), welche 
zwischen die Mitteilung von 2. Sam. 5, 1—10 und 5, 11 ff. einge- 
schoben sind. Das erste (11,10 — 47: dies sind die Helden, die 
ihm beistanden in Gemeinschaft mit ganz Israel ihn zum Könige 

12* 



180 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

zu machen) ist das von 2. Sam. 23, welches der Chronist, wie 
er in Kap. 20. 21 verrät, an jener Stelle gekannt hat und hier 
höchst verfrüht mitteilt; denn es sind meistens Krieger aus 
Davids späteren Kämpfen, die aufgezählt werden *). Das zweite 
Verzeichnis (12, 1 — 22: dies sind die nach Siklag zu David Ge- 
kommenen, als er noch verbannt war vor Saul) ist nicht aus 
dem B. Samuelis entnommen, man merkt aber auch den Unter- 
schied: neben alten und echten höchst gewöhnliche Namen, 
kaum ein einziger nur hier vorkommender; die in Kap. 11 so 
specielle Angabe der Herkunft mangelt fast immer, und statt 
vor unseren Augen volkstümliche Thaten zu verrichten, ein 
Gerstenfeld vorm Feind zu retten, einen Trunk Wasser mit Blut 
zu bezahlen, einen Löwen im Brunnen zu erlegen, bekommen 
die Helden allerlei Epitheta ornantia (12, 1—3) und Ehrentitel 
(12, 14. 20), und führen gelegentlich eine recht geistliche Sprache 
(12, 17. 18). Was vollends die historische Situation betrifft, 
welche Unmöglichkeit, dass zu David als philisthäischem Lehns- 
manne in Siklag sich ein grosses israelitisches Heer gesammelt 
haben soll (12, 22), mit einer Menge von Hauptleuten über Hun- 
derte und über Tausende! Offenbar ist der verbannte Flüchtling 
für diese Vorstellung der glänzende König und der erlauchte 
Ahnherr der legitimen Dynastie; daher auch die naive Bemer- 
kung v. 29. Nicht besser steht es mit dem dritten Verzeichnis 
(12, 23 — 40: dies sind die Häupter der Gerüsteten, welche zu 
David nach Hebron kamen). Man beachte die regelrechte Auf- 
zählung der zwölf Stämme, die in den älteren geschichtlichen 
Büchern nirgends vorkommt und überall künstlich ist, sodann 
die ungeheuren Zahlen, die hier nichts gleichgiltiges, sondern 
die Hauptsache sind und den ganzen Inhalt ausmachen, endlich 
die 4000 Leviten und 3700 Priester, die auch mit in dem krie- 
gerischen Zuge auftreten und fortab die eigentliche Garde des 
Königs bilden: der Chronik ist der Unterschied zwischen welt- 
lichen und geistlichen Soldaten nicht ganz klar. Specialia kom- 

*) Die durch Textverderbnisse im 2. Sam. 23 verwischte Einteilung in eine 
Gruppe von drei und in eine andere von dreissig Helden (Text der Bb. 
Sam. S. 213—216) hat der Chronist nicht verstanden und ganz unkennt- 
lich gemacht. Darum hat er am Schluss (11, 42 — 47) noch eine Reihe 
anderer Namen hinzufügen können, die über die Zahl Dreissig hinaus- 
schiessen. In v. 42 verrät sich deutlich sein Stil, die Elemente wird er 
irgendwo vorgefunden haben. 



Die Chronik. 181 

men wenig vor; die Bemerkung 12, 32 hängt vielleicht mit 
2. Sam. 20, 18 zusammen, Jojada der Fürst des Hauses Aharon, 
d. h. der Hohepriester, eine neben der historisch gesicherten 
Folge Eli Pinehas Ahitub Ahia (Ahimelech) Abiathar vollkom- 
men unmögliche Person, ist ein Reflex des Jojada von 2. Reg. 
11. 12, und die Angabe, Sadok an der Spitze von 22 Erzpriestern 
sei damals zu David gestossen, ist ein wenig glaubwürdiger Er- 
satz der Nachricht des B. Samuelis, wonach Abiathar, dessen 
ältere Ansprüche den B'ne Sadok und den Späteren nicht ge- 
nehm waren, derjenige Priester gewesen ist, der es von vorn- 
herein mit David gehalten; die 22 Erzpriester scheinen den 
Häuptern der 22 nachexilischen Priesterfamilien zu entsprechen 
(Neh. 12, 1—7. 12—21. 10, 3-9. 1. Chron. 24, 7—18). Doch es 
bedarf kaum so weitläufiger Untersuchungen des Inhalt« dieser 
Verzeichnisse, da die Absicht, in welcher sie hier stehen, 
zum Schlüsse ohne Umschweif angegben wird v. 38: „alle 
diese Kriegsleute, in Heeresordnung, kamen von ganzem Her- 
zen gen Hebron, David zum König über ganz Israel zu 
machen, und auch alles andere Israel war eines Herzens, dass 
man David zum Könige machte; und waren daselbst bei David 
drei Tage, assen und tranken — denn es war eine Freude in 
Israel". 

Nach dieser an recht verkehrter Stelle eingeschobenen Ex- 
plicierung des Begriffs Gesamt -Israel wird mit der Wiedergabe 
von 2. Sam. 5—7 fortgefahren. Davids erste That, nach der Er- 
oberung der Feste Jebus, ist in der Chronik die, dass er sie, 
durch Überführung der Lade Jahve's, zur heiligen Stadt macht 
(13, lff.). Es hat den Anschein, als solle der Palastbau und 
der Philisterkrieg 2. Sam. 5,11 — 25 ausgelassen werden, aber 
nachdem die Erzählung 2. Sam. 6,1 ff. bis zu dem Punkte und 
die Lade Gottes blieb im Hause Obed-edoms drei Mo- 
nate (1. Chron. 13, 14 = 2. Sam. 6, 11) gegeben ist, wird diese 
vierteljährige Pause benutzt, um das Übergangene nachzuholen 
(14, 1—17 = 2. Sam. 5, 11—25), und dann der Bericht über die 
Lade zu Ende gebracht. Dadurch wird zwar das Zusammen- 
gehörige auseinandergerissen, aber zugleich das weltliche Ge- 
schäft, welches nach der älteren Relation das nächste und an- 
gelegenste ist, zu einer blossen Episode des heiligen herabge- 
drückt. Dass Hausbau und Philisterkrieg in den drei Monaten, 



182 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

die so praktisch zu [ihrer Einschaltung dienen, keinen Platz 
haben, ist Nebensache. 

Was nun näher die heilige Angelegenheit betrifft, die Über- 
führung der Lade auf den Sion, so findet sich beinah Alles was 
2. Sam. 6 steht, wörtlich auch 1. Chron. 13. 15. 16. 17, 1. Zwei 
Züge nur fehlen in der Chronik, aber beidemal nicht zum Besten 
des Zusammenhangs. Davids Weib Michal, heisst es 2. Sam. 
6, 16. 20—23 , da sie den König in der Proeession tanzen und 
springen sah, verachtete ihn in ihrem Herzen; hinterher als er 
zu Hause kam, sagte sie ihm über sein unwürdiges Benehmen 
die Meinung. Die erstere Bemerkung findet sich auch in der 
Chronik (15, 29), aber die letztere ist (bis auf den abgerissenen 
Ansatz 16, 43 = 2. Sam. 6, 20) ausgelassen — obwohl sie die 
Hauptsache enthält, denn die Äusserung der Verachtung ist 
das historische Ereignis, nicht die psychologische Motivierung 
derselben: ein Weib durfte dem David nicht so etwas bieten. 
Ganz ähnlich steht es mit dem anderen Fall. Wegen des Un- 
glücks, das den Führer der Lade betroffen hat, wagt David zu- 
erst nicht sie in seine Burg zu nehmen, sondern bringt sie unter 
im Hause seines Hauptmanns Obed-edom; da aber Jahve das 
Haus Obed-edoms segnet, so fasst er Mut, sie zu sich zu holen 
(2. Sam. 6, 10 — 12). Dass Jahve Obed-edoms Haus gesegnet 
habe, teilt auch die Chronik mit (13,4), aber dem wird keine 
Folge gegeben, wir haben wieder die Ursache ohne die Wirkung. 
Statt dessen wird ein anderer Pragmatismus beliebt: David er- 
kannte, dass jener Unfall beim Transport der Lade davon ge- 
kommen sei, weil sie nicht, nach der Vorschrift des Gesetzes, 
von den Leviten getragen worden; nun sollten die Leviten sie 
tragen, dann sei keine Gefahr dabei (15, 1. 13 — 15). Dass dies 
dem älteren Berichte völlig widerspricht, liegt auf der Hand; 
und da die Chronik in Kap. 13 denselben copiert, so widerspricht 
sie sich auch selber (13, 10), und zwar in um so auffallenderem 
Masse, als sie durch den Zusatz 13,2 die Fahrt der Lade auf 
dem Kuh wagen von den nebenherziehenden Klerikern still- 
schweigend approbieren lässt. Nachdem ihnen so ihre gebüh- 
rende Beteiligung an dem heiligen Zuge gesichert ist, wird 
1. Chr. 15 in Priestern und Leviten, von denen 2. Sam. 6 kein 
Wörtlein zu lesen ist, förmlich geschwelgt, auch alsbald eine 
Art musikalischer Gottesdienst von David höchstselber vor der 



Die Chronik. 183 

Lade eingerichtet und eine von ihm aus nachexilischen Psalmen 
zusammengesetzte Festcantate aufgeführt Kap. 16. Aus der 
ursprünglichen Relation, deren zerrissene Glieder sich nun sehr 
sonderbar in dem neuen Zusammenhange ausnehmen, ist dadurch 
etwas ganz anderes geworden. „Dort ist alles frei, bloss Sache 
des Königs und des Volks, hier ist es Priesterceremoniel, dort 
jauchzet und tanzet fröhlich das Volk mit seinem Könige vor 
der Lade her, hier sind die Leviten Musiker und Sänger in 
festgesetzter Ordnung. Beide Erzählungen vereinigen zu wollen, 
ist ganz gegen die Gesetze historischer Interpretation. Wäre 
die erste kurz und gedrängt, so wäre eine Vereinigung eher mög- 
lich, allein specieller und anschaulicher kann nicht erzählt wer- 
den, und nur von den Leviten, wenn sie eine so wichtige Rolle 
gespielt hätten, sollte nichts gesagt sein? Der Vf. der Chronik 
konnte sie nur hineinbringen, indem er sein Original entstellte 
und verstümmelte und mit sich selbst in Widerspruch geriet. Er 
kann nichts ohne Leviten geschehen lassen, und die Bundeslade 
sollte ohne sie nach Jerusalem geschafft worden sein? Das Ge- 
setz sollte auch das zweitemal unter dem frommen König David 
unterlassen worden sein? Dies schien ihm unmöglich. Veran- 
lassung mag ihm gegeben haben, dass Uzza bei der ersten Ab- 
holung der Lade umkam , und dass 2. Sam. 6, 13 die Lade das 
zweitemal — wo es sich um einen ganz kurzen Weg handelt 
— getragen wird. Der combinationsreiche Verfasser benutzte 
diesen Wink." So sagt mit Recht de Wette, Beiträge I, 88—91. 
Nachdem der Bericht 2. Sam. 6 mit der ersten Hälfte von 
v. 19 (1. Chron. 16,3) abgebrochen ist, wird nach Einschiebung 
von 16, 4 — 42 die andere Hälfte des Verses und der Anfang des 
folgenden nachgebracht (16, 43) und dann das Kapitel 2. Sam. 7 
angeschlossen, welches 1. Chron. 17 im ganzen wörtlich wieder- 
gegeben wird: der Entschluss Davids, der Lade ein Haus zu 
bauen und was für einen Bescheid darauf ihm Jahve durch Na- 
than gegeben. Der Sinn der Rede des Propheten hängt 2. Sam. 7 
an dem Gegensatze: „du willst mir ein Haus bauen? vielmehr 
ich will dir ein Haus bauen"; das Haus Davids ist natürlich 
die Dynastie der Davididen. Aber schon in den Samuelistext 
ist eine Interpolation eingedrungen 7, 13, welche die Antithese 
so fasst: du willst mir ein Haus bauen? nein, dein Sohn soll 
mir ein Haus bauen. Die Chronik nun, der David lediglich als 



184 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

der eigentliche Gründer des salomonischen Tempels in Betracht 
kommt, nimmt gerade wegen dieser Interpolation die Erzählung 
2. Sam. 7 auf, wie aus 22, 9. 10 erhellt, sie «erweitert das Mis- 
verständnis, indem sie in einem Zusätze (17, 14) darauf zurück- 
kommt, und verdirbt von vornherein den originalen Gegensatz 
durch die unschuldige Änderung: „du sollst mir das Haus nicht 
bauen" (17,4) statt: du willst mir ein Haus bauen? Das Haus 
kann hier nur heissen das notwendige und längst von Gott und 
Menschen ins Auge gefasste, das jedenfalls gebaut werden muss, 
nur nicht von David, sondern von Salomo; es ist unzweideutig 
der Tempel und enthält nicht wie ein Haus die Möglichkeit 
des Doppelsinns, worauf die ursprüngliche Pointe beruht. Inter- 
essant ist auch der Vergleich von 2. Sam. 7, 12 mit 1. Chron. 
17, 13. „Ich will deinem Samen Vater und er soll mir Sohn 
sein; wenn er fehlt, so will ich ihn mit Menschenrute 
züchtigen und mit menschlichen Schlägen, aber meine 
Gnade soll nicht von ihm weichen. 44 Die gesperrten Worte 
fehlen in. der Chronik, der Sinn, dass Jahve der judäischen 
Dynastie im Ganzen seine Gnade nicht entziehen wolle, wenn 
auch einzelne ihrer Glieder Strafe verdienen würden, wird da- 
durch zerstört und in einen abstracten Idealismus verflüchtigt, 
welcher zeigt, dass dem Verfasser das davidische Königsge- 
schlecht nur als Nebelbild bekannt ist und nicht aus historischer 
Erfahrung wie dem Verfasser von 2. Sam. 7. 

In Kap. 18 — 20 scheint sich die Chronik an einer kleinen 
Abwechselung zu erholen, indem sie die äusseren Kriege Davids 
erzählt, nach der Reihenfolge von 2. Sam. 8. 10. 11, 1. 12, 30. 
31. 21, 18— -22. Aber sie hat dabei doch ihren Zweck im Auge, 
der auf David als Stifter des jerusalemischen Gottesdienstes ge- 
richtet ist; diese Kriege brachten ihm das viele Geld ein, das 
zum Tempelbau nötig war. Alles dagegen, was über die inneren 
Vorgänge jener Zeit im Buche Samuelis so ausführlich und 
schön erzählt ist, wird weggelassen, da es doch nicht viel zur 
Verherrlichung des Königs beiträgt. So die Geschichte von Me- 
ribaal und Siba Kap. 9, von Bathseba und Uria Kap. 11. 12, 
von Thamar und Amnon Kap. 13. 14, vom Aufstande Absaloms 
Kap. 15—20 und von der Opferung der Söhne Sauls 21, 1 — 14. 
Wie mechanisch und roh dabei die Angaben über äussere Kriege 
aus dem Zusammenhange mit häuslichen Begebenheiten, worin 



Die Chronik. 185 

sie in der älteren Relation stehen, herausgerissen werden, zeigt 
1. Chron. 20, 1.2 verglichen mit 2. Sam. 11, 1. 12, 30. Die Notiz 
David blieb in Jerusalem als das Heer gegen Rabba 
ausrückte bereitet 2. Sam. 11 den Ehebruch mit dem Weibe 
eines im Felde stehenden Hauptmanns vor, hat aber 1. Chron. 
20, 1 keinen Sinn und verwickelt in Widerspruch mit v. 2, wo 
David dennoch im Lager zu Rabba erscheint, obwohl der Über- 
gang, dass er dem Heere nachgezogen, zusammen mit dem gan- 
zen Zwischenspiel von Bathseba und Uria ausgelassen ist 
(de Wette S. 19. 20. 60). Wie weit das Zudecken der Schande 
der Heiligen getrieben wird, möge noch daraus abgenommen 
werden, dass auch von den äusseren Kämpfen Davids, die sonst 
allesamt mitgeteilt sind, einer verschwiegen wird, den David 
nicht ganz mit Ehren bestanden haben soll, der mit dem Riesen 
Jisbobenob (2. Sam. 21, 15 — 17). Bemerkenswert ist endlich 
noch die Änderung 1. Chron. 20, 5. Elhanan, der Sohn Jairs 
von Bethlehem, heisst es 2. Sam. 21, 19, habe den Goliath von 
Gath getötet, dessen Speerschaft so dick gewesen sei wie ein 
Webebaum. Aber David von Bethlehem hatte doch nach 1. Sam. 
17 den Riesen Goliath erlegt, dessen Speerschaft so dick war 
wie ein Webebaum? Also erschlägt Elhanan in der Chronik 
den Bruder des veritablen Goliath. 

2. Die letzten Kapitel des B. Samuelis II 21—24 sind be- 
kanntlich ein Nachtrag von sehr eigentümlicher Structur. Der 
Faden von 21, 1—14 wird mit 24, 1—25 fortgesetzt, in die Mitte 
aber ist 21, 15 — 23, 39 geraten, auf eine sehr irrationelle und 
vielleicht rein zufällige Weise. In diesem Zwischenstücke selber 
gehören wiederum die ganz gleichartigen Verzeichnisse 21, 
15 — 22 und 23, 8 — 39 eng zusammen; die beiden Lieder also 
22, 1—51. 23, 1 — 7 sind ein Einschiebsel im Einschiebsel. Dieser 
Unordnung folgt nun auch der Verfasser der Chronik, indem er 
2. Sam. 23, 8—39 als gesondert von 21, 15—22 behandelt und 
2. Sam. 24 an der letzten Stelle mitteilt, welche es nicht aus 
sachlichen Gründen einnimmt, sondern nur deshalb, weil es 
nachträglich angehängt und noch dazu von seiner ursprünglichen 
Verbindung mit 21, 1—14 durch eine grosse Interpolation los- 
gerissen ist. 

Im ganzen ist 1. Chr. 21 (die Pest als Strafe für Davids 
Volkszählung und die Theophanie als Veranlassung des Altar- 



186 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

baues auf der Tenne Arauna) eine Copie von 2. Sam. 24, jedoch 
mit Auslassung der genauen und interessanten geographischen 
Angaben v. 5 ff. und mit Anbringung mehrfacher Verbesserungen. 
So 21, 1 : und der Satan stand auf wider Israel und reizte David 
— statt: und Jahve zürnte nochmals auf Israel und reizte David 
(2. Sam. 24, 1). Desgleichen 21,6: Levi und Benjamin zählte 
Joab nicht mit, da des Königs Befehl ihm ein Greuel war — 
ein Zusatz, der sich einesteils aus Num. 1,49 und andernteils 
daraus erklärt, dass im Gebiete Benjamins die heilige Stadt lag. 
Sodann 21, 16. 27: David sah den Engel stehen zwischen Him- 
mel und Erde und sein Schwert gezückt in seiner Hand, aus- 
gereckt gegen Jerusalem — verglichen mit 2. Sam. 24, 16. 
(1. Chr. 21,15): der Engel streckte seinen Arm aus Jerusalem 
zu verderben und er war bei der Tenne Arauna; nach der 
älteren Anschauung haben die Engel keine Flügel (Gen. 28). 
Ferner 21, 25: David gab dem Arauna für seine Tenne 600Sekel 
Goldes — dagegen 2. Sam. 24, 16: nur 50 Sekel Silber; dem 
Verfasser der Chronik kostete es nichts den König königlich be- 
zahlen zu lassen. Seine bedeusamste Zuthat endlich ist das 
Feuer vom Himmel, welches das Opfer verzehrt (21,26); dadurch 
soll der Altar auf der Tenne Arauna, d, h. der des jerusalemi- 
schen Heiligtums, dem Altar der Stiftshütte, seinem Vorgänger, 
gleichgestellt werden, dessen Feuer ebenfalls vom Himmel ent- 
zündet wurde (Lev. 9, 24). Wer die Geschichten von den Altar- 
bauten der Erzväter, Josua's (5, 15) Gideons und Manoahs be- 
griffen hat, wird zugeben, dass der Verfasser der Chronik die 
Meinung von 2. Sam. 24, der zufolge hier die göttliche Inaugu- 
ration der jerusalemischen Cultusstätte berichtet werden soll, 
ganz richtig verstanden hat; aber was dort, ebenso wie in den 
ähnlichen älteren Sagen von Anzeigung geweihter Stätten durch 
eine Theophanie, für geistesverwandte Zeitgenossen nur ange- 
deutet wird, das muss er stark retouchieren, damit die Epigonen 
es merken; und doch hat er die Pointe dadurch halb verdorben, 
dass er den Engel nicht bei der Tenne Arauna auf dem heiligen 
Boden stehen, sondern ihn in der Luft schweben lässt. 

2. Sam. 24 = 1. Chron. 21 dient nun weiter zum Ausgangs- 
punkte für die freie Ausführung 1. Chron. 22 — 29. Dass im letzten 
Kapitel des Buchs Samuelis David den Altar zu Jerusalem grün- 
det, wird dabin erweitert, dass er im letzten Jahre seiner Re- 



Die Chronik. 187 

gierung den salomonischen Tempelbau in allen Stücken bis aufs 
kleinste vorbereitet habe. Unbeengt von der historischen Über- 
lieferung bewegt sich hier der Verfasser in freien Regionen, in 
seinem richtigen Fahrwasser. Was bis dahin an der Hand der 
älteren Quelle über den König gesagt ist, das Alles ist durch 
Zusätze und Auslassungen zugestutzt zu einer blossen Einleitung 
für das eigentliche Werk seines Lebens, welches jetzt recht con 
amore beschrieben wird. Er selber hat leider dem Jahve das 
Haus nicht bauen dürfen, weil er viel Blut vergossen und grosse 
Kriege geführt hat (22, 8. 28, 3), aber das Verdienst an der Sache 
nimmt er doch noch im letzten Jahre seiner Regierung (23, 1. 
26, 31) seinem Nachfolger vorweg. Mein Sohn Salomo, sagt er, 
ist jung und schwach, das Haus aber, das dem Jahve gebaut 
werden soll, muss gross und herrlich werden, da will ich's ihm 
bereiten (22, 5). So beschafft er denn zum voraus die Hand- 
werker und Künstler, wozu er namentlich die nichtisraelitische 
Bevölkerung aufbietet, er beschafft das Material, Steine und Holz 
und Erz und Eisen und Gold und Silber und Juwelen ohne Zahl, 
er liefert auch den Plan oder erhält ihn vielmehr direct von 
Jahve, und zwar schriftlich, schwarz auf weiss (28, 19), während 
Mose die Stiftshütte doch nur nach der Erinnerung an das himm- 
lische Urbild baut, welches er auf dem Sinai hat schauen dürfen. 
Vor allem aber bestellt er das Personal für den Dienst des Tem- 
pels, die Priester Leviten Thorwächter und Sänger, teilt ihre Tau- 
sende in Classen ein und weist ihnen durchs Los ihre Ämter 
zu; mit besonderer Vorliebe nimmt er sich dabei natürlich der 
Musik an, indem er die Instrumente erfindet (23,4) und selber 
als oberster Dirigent fungiert (25, 2. 6). Und da er doch nun ein- 
mal König ist, so nimmt er zum Schluss auch noch ein Inventar 
seines weltlichen Staates auf, nachdem er zuvor den geistlichen 
geordnet. Dies Alles thut er für die Zukunft, für seinen Sohn 
und Nachfolger; nicht in Wirklichkeit, sondern bloss nach dem 
Plane werden z. B. die Thorwächter auf ihre Posten gestellt 
(26, 12 ff.), nichtsdestoweniger mit genauester Angabe und Benen- 
nung der Lokalitäten des dereinstigen Tempels — und zwar des 
zweiten! Wie er fertig ist mit den Vorbereitungen, beruft David 
eine grosse Versammlung der Prälaten und Notabein (23, 1. 28, 1), 
lässt Salomo zum Könige und Sadok zum Priester salben (29, 22) 
und übergiebt in langer Predigt dem ersteren mit dem Reich 



188 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

zugleich die Aufgabe seiner Regierung, nämlich die Ausführung 
dessen, was er selber vorbereitet und angeordnet hat; bei dieser 
Gelegenheit werden dann noch mehr köstliche Steine und edle 
Metalle, darunter Gold von Ophir und persische Dariken, von 
David und von den Fürsten zum heiligen Bau gespendet. Der 
ganze Abschnitt 1. Chron. 22—29 ist ein abschreckendes Beispiel 
der statistischen Phantasie der Juden, die sich ergötzt an unge- 
heuren Geldsummen auf dem Papier (22, 14), an künstlich einge- 
teilten Regimentern von Namen und Zahlen (Kap. 23 — 27), an der 
Aufzählung von lauter Subjecten ohne Prädikat, die in Parade 
neben einanderstehen und nichts zu thun und zu bedeuten haben. 
Nur durch gesalbte Reden wird zuweilen die Monotonie unter- 
brochen, aber keineswegs in erquicklicher Weise. Man lese die 
Kapitel durch, wenn man es fertig bringt. 

Nach 1. Reg. 1. 2 war der König David in seinen alten 
Tagen krank und schwach an Leib und Seele, und durchaus 
nicht in der Verfassung, kurz vor seinem Tode seinem Nach- 
folger in dieser Weise vorzuarbeiten, ihm das Brot so weit fertig 
zu machen, dass jener es nur in den Ofen zu schieben brauchte. 
Von seiner Absicht, dem Jahve ein Haus zu bauen, ist allerdings 
auch 2. Sam. 7, in Anlass von 6, 17, die Rede; sie wird aber in 
Folge der Ablehnung Jahve's, nicht der Mensch baue der Gottheit, 
sondern die Gottheit dem Menschen ein Haus, definitiv aufgegeben. 
Wunderlich contrastiert gegen diese Motivierung die der Chronik, 
David sei ein Kriegsmann und habe viel Blut vergossen, darum 
dürfe er den Tempel nicht errichten: dass er die Kriege Jahve's 
geführt, dass der Herr durch seine Hand Sieg gegeben, wäre 
der älteren kriegsgewohnten Zeit wahrhaftig nicht als Grund 
wider, sondern nur als Grund für seine Würdigkeit zu diesem 
Werke erschienen. Am schlimmsten collidiert jedoch die feier- 
liche in allen Formen des Rechts und der Öffentlichkeit ge- 
schehende Einsetzung Salomo's zum Könige und Sadoks zum 
Priester, wie sie 1. Chron. 28. 29 vgl Kap. 22. 23, 1 erzählt wird, 
mit der älteren Relation 1. Reg. 1. 2. Nach der letzteren war 
es vielmehr eine gewöhnliche Palastintrigue, durch die es einer 
Partei am Hofe gelang, dem altersschwachen Könige die Sanktion 
der Nachfolge Salomo's abzulocken. Bis dahin hatte Adonia 
als präsumtiver Thronerbe gegolten, bei David selbst, bei ganz 
Israel und bei den Hauptwürdenträgern des Reichs, Joab und 



Die Chronik. 189 

Abiathar; in die Entscheidung fttr Salomo fiel vor allen Dingen 
das Gewicht der 600 Prätorianer Benaja's, einer furchtbaren 
Macht unter den Umständen der damaligen Zeit. Ganz harmlos 
glaubt der Verfasser der Chronik allen Schwierigkeiten zu ent- 
gehen, indem er die von ihm berichtete Krönung Salomo's für 
die zweite ausgiebt (29,22); eine Bezugnahme auf 1. Reg. 1. 2, 
die den Widerspruch nicht beseitigt, sondern nur verrät. 

Doch dies besagt nichts gegenüber der Disharmonie des 
Gesamtbildes. Was hat die Chronik aus David gemacht! Der 
Gründer des Reichs ist zum Gründer des Tempels und des Gottes- 
dienstes geworden, der König und Held an der Spitze seiner 
Waffengenossen zum Kantor und Liturgen an der Spitze eines 
Seh warmes von Priestern und Leviten, seine so scharf gezeichnete 
Figur zu einem matten Heiligenbilde, umnebelt von einer Wolke 
von Weihrauch. Dass es vergeblich ist, die grundverschiedenen 
Bilder stereoskopisch zusammenzuschauen, leuchtet ein; histori- 
schen Wert hat nur die Tradition der älteren Quelle. In der 
Chronik ist dieselbe dem Geschmack der nachexilischen Zeit 
gemäss vergeistlicht, welche für nichts mehr Sinn hatte als fin- 
den Cultus und die Thora, welche daher der alten Geschichte, 
die doch die heilige sein sollte, fremd gegenüber stand, wenn 
sie sie nicht ihren Begriffen assimilierte und zur Kirchengeschichte 
umgestaltete. So wie das durch Ezra zur Grundlage des Juden- 
tums gemachte Gesetz als das Werk Mose's angesehen wurde, 
so ward, was sich auf dieser Grundlage noch nach Mose aus- 
bildete — und das war namentlich die heilige Musik und die 
Ordnung des Tempelpersonals — , auf den König David zurück- 
geführt, den lieblichen Sänger Israels, der nun seine Muse in 
den Dienst des Cultus stellen und in Gemeinschaft mit Asaph 
Heman und Jeduthun, den levitischen Sängergeschlechtern, Psal- 
men dichten musste. 

3. Bei Salomo entfernt sich die Chronik (II Kap. 1 — 9) nir- 
gend sehr weit von dem Leitfaden des Buches der Könige. Da 
die Erzählung 1. Reg. 1. 2, die nicht erbaulich ist und dem Be- 
richte 1. Chron. 22—29 unbarmherzig ins Gesicht schlägt , aus- 
gelassen werden muss , so wird mit 1. Reg. 3 angefangen , mit 
dem Antrittsopfer Salomo's auf der grossen Bama zu Gibeon 
und der Offenbarung Jahve's, die ihm darauf im Traume zu teil 
wurde. Die letztere ist mit geringen Änderungen abgeschrieben, 



190 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

aber am Anfang findet sich eine charakteristische Differenz. 
„Salomo liebte den Jahve zu wandeln [in den Sitten seines 
Vaters David, nur opferte und räucherte er auf den Höhen (denn 
es war bis dahin dem Namen Jahve's noch kein Haus gebaut); 
und der König ging nach Gibeon, dort zu opfern, denn da ist 
die grosse Bama, tausend Brandopfer opferte er auf jenem Al- 
tare; und Jahve erschien ihm im Traume: bitte was ich dir 
geben soll." So 1. Reg. 3, 3 ff. Die Chronik umgibt den König 
zunächst in ihrer Weise mit einer grossen Versammlung von 
Hauptleuten über Hunderte und Tausende, von Richtern und 
Fürsten und Familienhäuptern, mit lauter pentateuchischen 
Grössen, und fährt dann fort: „und Salomo und die ganze Ge- 
meinde mit ihm gingen zur Höhe in Gibeon, denn dort war die 
Stiftshütte Gottes, die Mose der Knecht Jahve's in der Wüste 
gemacht hatte; aber die Lade Gottes hatte David aus Kiriath- 
jearim heraufgeholt dahin, wo er ihr die Stätte bereitet hatte, 
denn er hatte ihr ein Zelt aufgeschlagen in Jerusalem; und der 
eherne Altar, den Besaleel ben Uri ben Hur gemacht hatte, 
stand dort vor der Wohnung Jahve's, den besuchte Salomo und 
die Gemeinde; und Salomo opferte dort auf dem ehernen Altar 
vor Jahve, bei der Stiftshütte opferte er 1000 Brandopfer und 
Gott erschien ihm im Traume: bitte was ich dir geben soll" 
2. Chron. 1, 3 ff. In der älteren Relation steht nichts von der 
Stiftshtitte; unter der Voraussetzung derselben würde die Ent- 
schuldigung dafür, dass Salomo auf einer Höhe geopfert habe, 
weder nötig noch möglich sein. Die Chronik, in ihren Vor- 
stellungen vom Altertum durch den Priestercodex beherrscht, 
hat sie vermisst und nach jener Norm ergänzt; der junge fromme 
König konnte doch unmöglich sein feierliches Antrittsopfer, wozu 
er sich express von Jerusalem wegbegab, an einem anderen als 
dem gesetzlich vorgeschriebenen Orte dargebracht, widrigenfalls 
noch unmöglicher Jahve ihm dazu seinen Segen gegeben haben. 
Es kennzeichnet die Gebundenheit und die Kühnheit des Ver- 
fassers, dass er den 1. Reg. 3, 3 gebrauchten Ausdruck Höhe 
beibehält und mit Stiftshütte gleichsetzt, obwohl derselbe das 
gerade Gegenteil davon bedeutet. Lehrreich aber ist es zu sehen, 
wie hinderlich ihm nun bei anderen Gelegenheiten sein ad hoc 
in die Geschichte eingeführtes mosaisches Centralheiligtum zu 
Gibeon wird. Nach 1. Chron. 16 ist David im besten Zuge, bei 



Die Chronik. 191 

der Lade Jahve's, die er auf den Sion übergeführt hat, auch 
einen Opferdienst einzurichten; aber er darf nicht, denn der mo- 
saische Altar steht zu Gibeon, und muss sich mit einem musika- 
lischen Surrogat begnügen (v. 37—42). Ähnlich wird die Er- 
zählung 1. Chron. 21, dass David durch die Theophanie auf der 
Tenne Arauna's veranlasst sei, dort einen Altar zu bauen und 
darauf ein vom Himmel acceptiertes Opfer zu bringen, zum 
Schluss noch geknickt und verdorben durch die auf 2. Chron. 1 
vorblickende Bemerkung: freilich sei das mosaische Heiligtum 
und der Brandopferaltar damals noch auf der Höhe zu Gibeon 
gewesen, aber der König habe nicht die Kraft gehabt sich dort- 
hin zum Opfer zu begeben, weil ihm der Schrecken vor dem 
Engel mit dem gezückten Schwert in die Glieder gefahren. So 
muss denn auch das Opfer, welches Salomo gleich nach der 
Rückkehr von Gibeon vor der Bundeslade zu Jerusalem darge- 
bracht haben soll, ebenfalls ignoriert werden (2. Chron. 1, 13), 
weil es den Zweck der vorangegangenen Interpretation der Bama 
zu Gibeon vernichten würde. Also der Schatten raubt dem 
Körper die Luft. An anderen Stellen wird bezeichnender Weise 
die Stiftshütte mit dem jerusalemischen Tempel confundiert (Graf 
S. 56), im Ganzen ist sie jedoch eine ziemlich wirkungslose Vor- 
stellung geblieben, die nur .an unserer Stelle (2. Chron. 1) ge- 
wissermassen ex machina benutzt wird, um den Salomo von 
schwerem Vorwurf zu reinigen. 

Auf den letzten feierlichen Gottesdienst bei dem mosaischen 
Heiligtum folgt nun, mit Übergehung von 1. Reg. 3, 16—5, 14, 
gleich der Tempelbau (1, 18— 7, 11). Doch werden inzwischen 
ein paar kurze Züge zur Schilderung des Reichtums Salomo's 
gegeben (1,14—17), die im Buche der Könige erst 10,26—29 
stehen und an dieser weit schicklicheren Stelle auch in der 
Chronik wiederholt werden (9, 25 ff.); vgl. Sept. zu 1. Reg. 3. 
Die Vorbereitungen zum heiligen Bau hat zwar eigentlich David 
dem Nachfolger abgenommen, aber letzterer scheint davon nicht 
befriedigt (2, 16) und besorgt sie noch einmal (1, 18—2, 17). Ein 
Vergleich mit Esdr. 3 (Zurüstung des zweiten Tempels) lehrt, 
dass die Erzählung ein Elaborat unseres Verfassers ist, jedoch 
nach Motiven von 1. Reg. 5, 16 ff. und mit Beibehaltung mancher 
wörtlichen Reminiscenzen. Während Hiram und Salomo nach 
dem älteren Bericht sich gleichstehen und einen Contrakt machen, 



192 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

der auf Leistung und Gegenleistung beruht, ist hier der tyrische 
König der untertänige Diener des israelitischen und liefert ihm, 
was er verlangt, als Tribut; statt sieh wie dort mündlieh bereit 
zu erklären, schreibt er hier einen Brief, worin er nicht bloss offen 
seinen Glauben an Jahve den Gott Israels, der Himmel und 
Erde gemacht hat, bekennt, sondern auch eine seltsame Kennt- 
nis des pentateuchischen Priestercodex verrät. Der Erzgiesser, 
den Salomo aus Tyrus kommen lässt (1. Reg. 7, 13. 14), wird 
2, 13 als ein wahrer Dädalus und Tausendkünstler beschrieben, 
ganz in der Weise Besaleels (Exod. 31, 2 ff.); dass derselbe zum 
Sohne eines Weibes von Dan statt einer Witwe von Naphthali 
gemacht wird, gibt den Auslegern Stoff zur Ausspinnung eines 
kleinen Familienromans *), hat aber nicht mehr auf sich, als dass 
das Sandelholz (2, 7) vom Libanon bezogen wird. Die Angabe 
1. Reg. 5, 27 (11,28. 12,4), dass Israel in starkem Masse zum 
Frohndienste des Königs herangezogen sei, ersetzt der Chronist 
durch die an einem anderen Orte (1. Reg. 9, 21) vorkommende, 
dass nur die kanaanitischen Hörigen dazu benutzt seien: die 
Summe derselben berechnet er gleichwohl aus den 1. Reg. 5, 29f. 
aufgeführten Zahlen. Charakteristisch ist endlich noch, wie 
Salomo (2, 2) dem Hiram versichert, er werde den Gottesdienst 
in dem neuen Hause ganz legitim nach der Ordnung des Priester- 
codex einrichten; solche Bemerkungen, aus denen die ununter- 
brochene Ausübung des mosaischen Cultus nach den Regeln 
des Gesetzes erhellt, werden dann von Zeit zu Zeit wiederholt 
(8, 12— 16. 13, 11). 

In Kap. 3. 4 gibt der Verfasser die Beschreibung des Tem- 
pels 1. Reg. 6. 7 wieder, mit Auslassung dessen, was sich auf 
Profanbauten bezieht. Den gegenwärtig sehr corrupten Text hat 
er vielleicht an einer Stelle (1. Reg. 7, 23) noch besser vorge- 
funden, im Übrigen ihn entweder liederlich excerpiert oder wört- 
lich abgeschrieben, mit Zuthat einiger Extravaganzen und späterer 
Einrichtungen, z. B. der Specification des Goldes (3, 4ff. 8. 9), 
der zehn goldenen Tische und hundert goldenen Schalen (4, 8), 
der erzüberzogenen Thüren der Aussenthore (4, 9), des Vorhofs der 
Priester (4, 9), des Vorhangs zwischen Heiligem und Allerheilig- 

*) „Sie war von Geburt eine Danitin, heiratete in den Stamm Naphthali, 
ward Witwe, als Witwe aus dem Stamme Naphthali ward sie das Weib 
des tyrisehen Mannes." So Bertheau z. d. St. 



Die Chronik. 193 

stem (3, 14). Zu leugnen, dass in 1. Reg. 6. 7 das Original erhal- 
ten sei, auf das an manchen Stellen zum Verständnis recurriert 
werden muss, dazu gehört ein übel angebrachter Mut, zumal da 
geradeso wie 1. Reg. 7,40—51, auch 2. Chr. 4, 11—5, 1 das sum- 
marische Verzeichnis auf die* Beschreibung des Einzelnen folgt. 
Während die concreten und sachlichen Angaben von 1. Reg. 
6. 7 nur unvollständig und flüchtig mitgeteilt werden, wird da- 
gegen der Aktus der Einweihung und die dabei von Salomo ge- 
haltene Rede genau und ausführlich nach 1. Reg. 8 wiedergegeben 
(5,2—7,10); die vorkommenden Zusätze und Auslassungen sind 
allesamt geflissentlich. Die Priester und Leviten spielen 1. Reg. 8 
bei einer Gelegenheit, die sie so nahe anging, nicht die ihnen 
gebührende Rolle und machen namentlich gar nicht die bei einer 
solchen Feier doch ganz unentbehrliche Musik. Also schiebt 
der Chronist ad vocem Priester in der Mitte der auseinander 
gerissenen Glieder von 1. Reg. 8, 10. 11 folgendes ein: „denn alle 
Priester, so viel ihrer waren, hatten sich geheiligt ohne Unter- 
schied der Klassen, und die Leviten, die Sänger, allesamt stan- 
den in weissen Kleidern mit Cymbeln und Harfen und Zithern 
östlich vom Altare und bei ihnen hundertundzwanzig Priester 
mit Posaunen; und wie auf einmal die Posaunenbläser und Sän- 
ger zusammen den Lobgesang Jahve's anstimmten und die Musik 
begann mit Posaunen und Cymbeln und Begleitinstrumenten und 
dem Lobgesang: Preis dem Jahve, denn er ist freundlich und 
seine Güte währet ewiglich, da füllte sich das Haus mit Rauch" 
(5, 11 — 13). Weiterhin wird die Angabe 1. Reg. 8, 22, Salomo 
sei vor den Altar getreten und habe dort gebetet, zwar zunächst 
copiert (6, 12), sodann aber einer authentischen Interpretation 
unterworfen, der König habe nämlich nicht etwa wirklich vor 
dem Altar gestanden (was nur die Priester durften), sondern auf 
einer improvisierten Kanzel im inneren Vorhof, auf einem um- 
gestülpten ehernen Kessel (6, 13) — ein ausgezeichneter Ge- 
danke, der denn auch die verdiente Approbation der Ausleger 
gefunden hat. Der Schluss von Salomo's Gebet (1. Reg. 8, 49 bis 
53) wird, vielleicht um 8, 50 los zu werden, verkürzt (6, 39. 40) 
und dafür ein Epilog eigener Fabrik gegeben (6, 41. 42), der an 
nachexilische Psalmen erinnert. Darauf folgt eine grössere Aus- 
lassung, nämlich von 1. Reg. 8, 54 — 61, die sich aus dem Anstoss 
erklärt, dass der König hier doch nicht auf dem Kessel, sondern 

W eil hau sen, Prolßgomena. 13 



194 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

vor dem Altare kniet und steht und segnet wie ein Priester; 
als Ersatz wird dann in 7, 1—3 berichtet, wie der Altar durch 
Feuer vom Himmel eingeweiht sei, das zwar schon einmal auf 
ihn herabgefallen (I. 21, 26), aber wie es scheint unverantwort- 
licher Weise ausgegangen ist. Mit 7, 4 erreicht der Verfasser 
wieder den Anschluss an 1. Reg. 8, 62 ff., spickt indessen auch 
hier seine Vorlage, wo sie ihm zu mager dünkt, mit posaunen- 
den Priestern und musicierenden Leviten (7, 6) und lässt zum 
Schluss die Entlassung des Volks statt am achten Tage des 
Laubhüttenfestes (1. Reg. 8, 66) vielmehr erst am neunten ge- 
schehen (7, 10), auf Grund der Vorschrift Num. 29, 35. 

Der Rest der Geschichte Salomo's (7, 11 — 9, 28) ist aus 
1. Reg. 9. 10 übertragen. Dabei ist die Nachricht 1. Reg. 9, 
10 — 18, dass Salomo dem Hiram zwanzig galiläische Städte ver- 
handelte, in ihr Gegenteil umgedichtet, dass nämlich Hiram dem 
Salomo die Städte abgetreten und dieser darin Israeliten ange- 
siedelt habe (8,1.2), und ähnlich ist die schon 1. Reg. 9, 24 
verdunkelte Notiz von der Übersiedelung der ägyptischen Ge- 
mahlin Salomo's aus der Burg Davids in seinen neuen Palast *), 
verändert und in ein ganz falsches Licht gesetzt: „die Tochter 
Pharao's brachte Salomo aus der Burg Davids in das Haus, 
welches er ihr hatte bauen lassen, denn er sprach: im Hause 
Davids soll mir kein Weib wohnen, denn es ist heilig, weil dort 
die Lade Jahve's hingebracht ist" (8, 11). Über 8, 12 — 16 
(1. Reg. 9, 25) thut nicht weiter not zu reden; mehr gleichmü- 
tiger Art sind der Zusatz 7, 12—15, aus lauter Reminiscenzen 
zusammengesetzt, die Ausschmückung 8, 3 — 6, entsponnen aus 
1. Reg. 9, 17—19, die Variationen 8, 17 f. 9,21, misverstanden 
aus 1. Reg. 9, 26 ff. 10, 22. Das Schlusskapitel über Salomo's 
Regierung (1. Reg. 11), worin der König sich nicht von der glän- 
zenden Seite zeigt, wird aus den selben Gründen mit Still- 
schweigen übergangen wie die beiden Anfangskapitel. 

Nach dem selben Plan und mit gleichen Mitteln wie die 
Geschichte des Vaters ist also auch die Geschichte des Sohnes 
bearbeitet, nur fügt sich hier der Gegenstand leichter der Ab- 
sicht der Bearbeitung. Das alte Bild ist in der Weise retouchiert, 
dass alle dunklen und hässlichen Züge getilgt und dafür neue 

l ) Vgl. 1. Reg. 3, 1. In 9, 24 ist mindestens zu sprechen bethö ascher 
bana lö, aber vielleicht kommt man damit nicht aus. 



Die Chronik. 195 

und glänzende Farben aufgesetzt sind, nicht im Stil des Origi- 
nals sondern im Geschmack der Zeit: Priester und Leviten und 
Feuer vom Himmel und Erfüllung aller Gerechtigkeit des Ge- 
setzes und viel Musik, dazu noch allerlei harmlose legendarische 
Anachronismen und Übertreibungen. Der überlieferte Stoff er- 
scheint gebrochen durch ein fremdartiges Medium, den Geist des 
nachexilischen Judentums. 

IL 

1. Seit Salomo's Tode wird die Geschichte Israels in der 
Chronik nur durch das Reich Jahve's in der Hand der Söhne 
Davids fortgesetzt und Alles beiseite gelassen, was sich auf die 
Zehn Stämme bezieht. Denn nach den Begriffen der judaisti- 
schen Periode ist Israel die Gemeinde des rechtmässigen Gottes- 
dienstes, dieser aber ist an den Tempel zu Jerusalem geknüpft 
und am Tempel zu Jerusalem haben natürlich die Samarier 
keinen Anteil. Abia von Juda macht dem Könige Jerobeam I 
und seinem Heere diesen Standpunkt klar, in einer Rede vom 
Berge Semaraim herab, womit er die Schlacht eröffnet. „Ihr 
denkt zu bestehen vor dem Reiche Jahve's in der Hand der 
Söhne Davids, da ihr ein grosser Haufe seid und die goldenen 
Kälber auf eurer Seite habt, die euch Jerobeam zu Göttern 
gemacht hat? habt ihr nicht die Priester Jahve's, die Söhne 
Aharons, und die Leviten vertrieben und wie die Heiden euch 
selber Priester gemacht, so dass jeder, der kömmt seine Hand 
zu füllen mit einem Farren und sieben Widdern, Priester wird 
für die Götzen? Wir aber haben den Jahve unsern Gott nicht 
verlassen und unsere Priester dienen dem Jahve, die Söhne 
Aharons und die Leviten zur Dienstleistung, und räuchern dem 
Jahve Brandopfer alle Morgen und Abend und bringen Weih- 
rauch dar und Schaubrote auf den reinen Tisch ; denn wir 
haben den Dienst Jahve's unseres Gottes bewahrt und ihr habt 
ihn verlassen. Und siehe mit uns sind an der Spitze Gott und 
seine Priester und die Lärmposaunen zu lärmen gegen euch: 
Israeliten, kämpft nicht gegen Jahve den Gott eurer Väter, denn 
es wird euch nicht gelingen!" (13, 8—12, vgl. 11, 13—17). 

In Wahrheit war das Reich, welches den Namen Israel 
führte, in alter Zeit auch thatsächlich das eigentliche Israel, und 
Juda eine Art Anhang dazu. Als Amasia von Juda nach der 

13* 



196 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

Bezwingung der Edomiter den König Joas von Samarien zum 
Kampfe herausforderte, dessen Land damals durch die ewigen 
Syrerkriege aufs äusserste gelitten hatte, Hess der ihm sagen: 
„die Distel auf dem Libanon sandte zur Ceder auf dem Li- 
banon: gib deine Tochter meinem Sohne zum Weibe — da lief 
das Wild darüber hin und zertrat die Distel; du hast Edom ge- 
schlagen und bist stolz geworden, geniesse deinen Ruhm und 
bleib zu Hause" (2. Reg. 14, 9); und da der andere nicht hören 
wollte, strafte er ihn wie einen unartigen Knaben und Hess ihn 
laufen. Dem Verhältnis der politischen und historischen ent- 
sprach so ziemlich das der religiösen Bedeutung. Israel war 
die Wiege des Prophetentums, Samuel Elias und Elisa wirkten 
dort; welche ähnliche Gestalt wäre ihnen gleichzeitig aus Juda 
an die Seite zu setzen? sicher würde sie der Verfasser des 
Buchs der Könige nicht vergessen haben, der von ganzem Her- 
zen Jude ist und doch durch den Stoff selber gezwungen wird, 
sich vorzugweise für das Nordreich zu interessieren. Noch zum 
Schluss war es der drohende Untergang Samariens, welcher eine 
neue Phase der Prophetie erweckte; ihr Eröffner, der Judäer 
Arnos von Thekoa, ward nicht an Juda, sondern an Israel ge- 
sandt, dessen Geschichte als die des Volkes Jahve's von ihm 
in tiefster Seele mit- und vorausempfunden wurde. Erst Jesaia 
stellte Jerusalem in den Mittelpunkt seiner Schau und wandte 
sich von Israel ab; denn als er zuerst auftrat, brannte der Krieg 
zwischen den Brudervölkern, und als er auf der Höhe seiner 
Wirksamkeit stand, war es aus mit dem Nordreiche, und alle 
Hoffnung musste sich an den Rest halten, an die verfallene 
Hütte Davids. Hinsichtlich des Cultus allerdings mochten die 
Dinge, wenigstens in dem letzten Jahrhundert vor der assyri- 
schen Gefangenschaft, in Israel etwas ungünstiger liegen als in 
Juda, aber von vornherein bestand kein wesentlicher Unter- 
schied. Hüben und drüben ward Jahve als der eigentliche Gott 
des Volks an zahlreichen Stätten verehrt, dem Höhendienste 
mangelte es weder hier noch dort an heiligen Bäumen Pfählen 
und Steinen, an goldenen und silbernen Bildern (Isa. 2, 8 ff. 
17, 8. 31, 22. Micha 5, 12). Ob in der Zeit vor Hizkia der 
Reichscultus zu Jerusalem sich so sehr vor dem zu Bethel und 
Dan ausgezeichnet habe, ist die Frage — den goldenen Käl- 
bern Jerobeams steht die eherne Schlange Mose's und die Lade 



Die Chronik. 197 

Jahve's selber gegenüber, die im Altertum ein Idol war (1. Sam. 
4—6) und zu einer Lade des Bundes d. i. Gesetzes erst ideali- 
siert wurde, als sie wahrscheinlich gar nicht mehr vorhanden 
war. Was aber die prophetische Reaction gegen den volkstüm- 
lichen Cultus betrifft, so beweist das Beispiel Hosea's, dass sie 
sich gerade so früh und so stark innerhalb Israels regte wie 
innerhalb Juda's. Sogar noch nach der Reformation Josia's 
klagt Jeremia, die bis dahin verschonte Schwester sei um nichts 
besser als die vor hundert Jahren dem Assyrer zum Opfer ge- 
fallene (3, 6 — 10) , und der Verfasser des Buches der Könige, 
obwohl er, auf dem Deuteronomium fussend, grundsätzlich Juda 
und Jerusalem vorzieht, verändert doch nicht seinem Urteil zu 
lieb die Thatsachen, welche beweisen, dass das alte Israel den 
Anforderungen jenes Gesetzes nicht eben schlechter entsprochen 
habe als das alte Juda. 

Die Chronik dagegen legt das Gesetz — und zwar im 
vollen Umfange das ganze pentateuchische Gesetz, namentlich 
aber den darin dominierenden Priestercodex — nicht bloss ihrem 
Urteil über die Vergangenheit zu Grunde, sondern dichtet auch 
die Thatsachen in jene von jeher gültige Norm um und denkt 
sich das alte hebräische Volk genau nach dem Muster der spä- 
teren jüdischen Gemeinde, als einheitlich gegliederte Hierokratie, 
mit einem streng centralisierten Cultus von genau vorgeschrie- 
bener Form an der heiligen Stätte zu Jerusalem. Wenn also 
die Zehn Stämme alle die Kennzeichen des Reiches Gottes ver- 
missen lassen so bedeutet das ihren Abfall vom wahren Israel; 
sie haben die Böcke und Kälber zu ihren Göttern gemacht, die 
Priester und Leviten verjagt, überhaupt sich losgesagt von den 
Einrichtungen, die in Juda seit Josia sich ausbildeten und durch 
Ezra ihren Abschluss gewannen 1 ). Sie kommen darum wie an- 
dere Heiden nur so weit für die heilige Geschichte in Betracht, 
als sie mit dem eigentlichen Volke Jahve's, dem Israel im Lande 
Juda (2. Chron. 28, 2), in freundliche oder feindliche Berührung 
treten, wobei dann immer in geflissentlichster und unverholenster 
Weise für Juda Partei genommen wird, sogar von den Be- 

] ) Freilich kann der Verfasser der Chronik auch bei diesen Schismatikern 
nicht von seinen gesetzlichen Vorstellungen abstrahieren, wie es sich in 
einer fast komischen Weise darin zeigt, dass die Priester Jerobeams ihre 
Ketzereien ganz nach Vorschrift des Priestercodex begehen nnd ihre 
Handfüllung mittelst eines grossen Opfers besorgen (13, 9). 



198 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

wohnerri des Nordreichs selber 1 ). Macht man Ernst mit dem 
Pentateuch als mosaischem Gesetze, so ist diese Ausschliessung 
der Zehn-Stämme in der That eine notwendige Consequenz, 
denn die blosse Thatsache ihrer Zugehörigkeit zum Volke Jahve's 
zerstört dessen Grundvoraussetzung, die Einheit und Legitimität 
des Gottesdienstes als Basis der Theokratie, die Priester und 
Leviten als ihre wichtigsten Organe „als die Sehnen und Mus- 
keln des Volksleibes, welche den Gliederbau zu einem lebens- 
kräftigen und beweglichen Ganzen zusammenhalten". 

2. Die Kehrseite ist natürlich die Idealisierung Juda's vom 
legitimen Cultus aus, in einer Weise, die man sich nach den bei 
David und Salomo abgelegten Proben vorstellen kann. Die 
Priester und Leviten, die aus Israel ausgewandert sind, haben 
das südliche Reich gestärkt (11, 17) und bilden hier das eigent- 
lich herrschende, die Geschichte tragende Element. Um ihret- 
willen sind die Könige da, als die Schirmherren und Vögte des 
Cultus, in dessen innere Angelegenheiten sie sich aber nicht 
mischen dürfen (26, 16 ff.); Predigten zu halten und geistliche 
Feste — welche als die Höhenpunkte der Historie erscheinen 
— zu ordnen gehört zu den Hauptpflichten ihres Regiments 2 ). 
Die guten unter ihnen begreifen ihre Aufgabe und sind unzer- 
trennlich von den heiligen Dienern Jahve's, so namentlich Jo- 
saphat Hizkia und Josia. Von dem ersteren wird berichtet, er 
habe im dritten Jahr seines Königreichs eine Commission von 
Notabein Priestern und Leviten abgeordnet um mit dem Gesetz- 
buch umherzuziehen und zu lehren in den Ortschaften Juda's 
(17, 7 — 9); in den grösseren Orten, in den Festungen, habe er 
demnächst Richtercollegia bestellt und über ihnen ein höchstes 
Tribunal zu Jerusalem eingesetzt, gleichfalls bestehend aus Prie- 
stern und Leviten und Notabein, unter dem Vorsitz des Hohen- 
priesters für die geistlichen und des Fürsten von Juda für die 
weltlichen Sachen (19, 5 — 11). Im Buche der Könige steht davon 
nichts, obwohl weniger Wichtiges bemerkt wird (I. 22, 47); der 
Verfasser der Chronik meldet es in seiner eigenen Sprache, die 
namentlich in den frommen Reden unverkennbar ist. Wahr- 
scheinlich ist es die Justizorganisation seiner Gegenwart, die 

J ) Vgl. 11, 16. 15, 9. 30, 6. 19, 2. 20, 35ff. 25, 7. 28, 9ff. 
2 ) 13, 7ff. 15, lOff. 20, 6ff. 29, 5ff. 30, lff. 35, lff, 



Die Chronik. 199 

hier auf Josaphat zurückgeführt wird, so dass wir hier wohl 
das älteste Zeugnis für das Synedrium zu Jerusalem als oberste 
Instanz über den provincialen Synedrien, sowie für dessen Zu- 
sammensetzung und Präsidium haben. Die Unmöglichkeit einer 
solchen Gerichtsverfassung im Altertum erhellt aus der Voraus- 
setzung des Gesetzbuches als ihrer Grundlage, aus .der Coordi- 
nation von Priestern und Leviten, und auch aus dem thatsäeh- 
liehen Widerspruch gelegentlicher Angaben namentlich bei Jesaia 
und den älteren Propheten (bis auf Jerem. 26), in denen es 
überall als selbstverständlich gilt, dass die Machthaber zugleich 
auch die geborenen Richter sind. Schon von David weiss 
übrigens die Chronik Ahnliches zu erzählen wie von Josaphat 
(1.23,4. 26,29 — 32); der Grund, warum vorzugsweise der 
letztere zu diesem Werke ausersehen wird, liegt einfach in sei- 
nem Namen Jahve ist Richter, wie er selbst mehrfach an- 
deuten muss (19, 5 — 11 vgl. Joel 4, 12). Aber nicht bloss in 
diesen inneren Angelegenheiten, sondern auch zum Kriege stär- 
ken die Priester und. Leviten den König von Juda. Wie die 
Posaunen der Priester dem Abia Mut und Sieg wider Jerobeam 
von Israel verleihen, so die Leviten dem Josaphat gegen Moab 
und Ammon. Nachdem er zuvor gefastet und die tröstliche 
Verheissung des Sängers Schauegott anbetend entgegen genom- 
men hat, rückt er am anderen Morgen mit dem Heere gegen 
die Feinde aus, die Leviten voran, die im heiligen Schmuck vor 
den Gerüsteten herziehen und singen: danket dem Jahve, denn 
seine Güte währet ewiglich. . Er findet darnach die Kampfes- 
arbeit von den Feinden selbst gethan, die sich auf das Signal 
jenes Lobgesanges hin einander angefallen und allesamt aufge- 
rieben haben, teilt drei Tage den Raub aus und kehrt dann um 
wie er gekommen ist, die levi tische Musik voran, mit Psaltern 
Harfen und Drommeten zum Hause Jahve's (20, 1 — 28). In ähn- 
licher Weise wird Hizkia verherrlicht. Von der assyrischen Be- 
lagerung Jerusalems und der denkwürdigen Befreiung der Stadt 
wird verhältnismässig wenig Aufhebens gemacht (32, lff. vgl. 
de Wette I. 75); nach der Chronik ist seine Hauptthat, dass er, 
sobald er auf den Thron gelangt, im ersten Monat des Jahres 
und seiner Regierung (Exod. 40, 2. Lev. 9, 1), durch die Priester 
und Leviten, die er ganz väterlich als seine Kinder anredet 
(30, 11), ein grosses Weihfest des angeblich von Ahaz ver- 



200 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

schlossenen und verwüsteten Tempels veranstaltet, darauf im 
zweiten Monat das Passah in grossartigster Weise nachfeiert, 
und endlich vom dritten bis zum siebenten Monat für das genaue 
Eingehen der Abgaben an den Klerus Sorge trägt; wie das alles 
in dem gewohnten Stile durch drei lange Kapitel beschrieben 
wird, aus denen wir für die Zeit Hizkia's nichts, wohl aber 
manches für die Zeit des Verfassers lernen können, besonders 
für die damalige Darbringungsweise der heiligen Abgaben (29, 
1 — 31, 21). Auch bei Josia wird zwar der Bericht über seine 
epochemachende Cultusreformation im ganzen nur verstümmelt 
in der Chronik wiedergegeben, aber die kurze Notiz 2. Reg. 23, 
21 — 23 wird zu der ausführlichsten Schilderung eines glänzen- 
den Passahfestes erweitert, wobei wie immer die Priester und 
vor allem die Leviten als, die Hauptpersonen figurieren. In 
letzterer Beziehung ist. noch ein einzelner kleiner Zug mitteilens- 
wert, dass nämlich die grosse Versammlung, worin der König 
das Gesetzbuch beschwören lässt, zwar im Übrigen 2. Chron. 34, 
29 f. genau so zusammengesetzt ist wie 2. Reg. 23, 1. 2, aber 
statt der Priester und Propheten die Priester und Leviten 
daran teilnehmen. Was das zu bedeuten habe, lehrt am besten 
der Vergleich des Thargum, wo die Priester und Propheten 
in Priester und Schriftgelehrte übersetzt werden. 

In einen eigentümlichen Conflikt gerät nun aber der Chro- 
nist durch diese Projection des im Gesetz vorgeschriebenen und 
im Judaismus verwirklichten legitimen Cültus mit den Angaben 
seiner Quelle, aus denen hervorgeht, dass derselbe nicht fertig 
aller Geschichte vorangegangen, sondern allmählich im Laufe 
der Geschichte geworden ist; er wickelt sich heraus so gut es 
geht, ohne jedoch einem wunderlichen Schaukeln zwischen der 
zeitlosen Anschauung, die ihm Natur ist, und der historischen 
Tradition, die er benutzt und aufnimmt, zu entgehen. Die Verse 
1. Reg. 14, 22. 23 die Judäer (nicht bloss Rehabeam) thaten 
was Jahve übel gefällt und ärgerten ihn wie ihre 
Väter und errichteten ebenfalls Höhen und Malsteine 
und heilige Pfähle u. s. w., welche ebenso wie die parallelen 
über Israel 12, 25 ff. an dieser Stelle von principieller Bedeutung 
sind und einen derben Strich durch den angeblichen Unter- 
schied der Culte des levitischen und des nichtlevitischen Reiches 
ziehen, werden als gar zu unmöglich ausgelassen, obwohl der 



Die Chronik. 201 

ganze übrige Zusammenhang mitgeteilt ist (12, 1 — 16). Des- 
gleichen ist das ungünstige Urteil über Rehabeams Nachfolger 
Abia 1. Reg. 15, 3 — 5 nicht aufgenommen, weil die ersten jüdi- 
schen Könige, da sie ja den rechten Gottesdienst bewahren, 
gegenüber den israelitischen, die davon abgefallen sind, not- 
wendig gut sein müssen. Aber wenn der Chronist zur Ehre 
Juda's das Schlimme verschweigt, so mag er doch nicht die 
nach 1. Eeg. 15, 12 ff. mit Asa eintretende Besserung übergehen, 
obgleich man nun gar nicht weiss, wozu es derselben bedarf, 
da ja schon vorher Alles in bester Ordnung gewesen ist. Ja er 
übertreibt noch diese Besserung und macht den Asa zu einem 
andern Josia (15, 1—15), lässt ihn auch (14,3) die Höhen ab- 
schaffen und recipiert dann doch (15, 17.) die Angabe 1. Reg. 
15, 14, die Höhen seien nicht abgethan. Ähnlich heisst es über 
Josaphat zunächst, er habe in den anfänglichen Wegen seines 
Vaters Asa gewandelt und die Höhen abgeschafft in Juda (17, 3. 
6. 19, 3), in falscher Verallgemeinerung von 1. Reg. 22, 43. 47, 
und hinterdrein dennoch, die Höhen seien geblieben (20, 32. 33), 
wörtlich nach 1. Reg. 22, 43. 44. Es dünkt dem Verfasser einer- 
seits eine Unmöglichkeit, dass der Höhendienst, der ihm trotz 
33, 17 im Grunde Abgötterei ist, auch von den frommen d. i. 
gesetzestreuen Königen nicht unterdrückt sein sollte, und auf der 
anderen Seite copiert er doch mechanisch seine Vorlage. 

Bei den notorisch misfälligen Herrschern hilft er sich damit, 
dass er sie einfach zu Heiden und zu Verfolgern der Bundes- 
religion macht; denn innerhalb des Jahvismus, der ja zu allen 
Zeiten nach dem Gesetz normiert und mit dem exclusiven Mo- 
saismus des Judentums gleichbedeutend gewesen ist, sind sie 
für ihn undenkbar. So zuerst bei Joram: er macht Höhen auf 
den Bergen Juda's und verführt die Bewohner Jerusalems zur 
Hurerei und Juda zum Abfall (21,11), erwürgt dazu alle seine 
Brüder mit dem Schwert (v. 4) — eins ergibt sich aus dem an- 
deren. Seine Witwe Athalia verwüstet, durch ihre ermordeten 
aber zu diesem Zweck wieder auflebenden Söhne, den Tempel 
Jahve's und macht Baalsbilder aus dem geweihten Metall (24, 7); 
nichtsdestoweniger geht der öffentliche Jahvedienst unter Lei- 
tung des Priesters Jojada ununterbrochen fort. Am unbarm- 
herzigsten wird Ahaz zugerichtet. Nach 2. Reg. 16, lOff. hat der- 
selbe zu Damascus einen Altar gesehen, der ihm gefiel, und nach 



202 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

dessen Muster einen ähnlichen zu Jerusalem errichten lassen, 
während der eherne Altar Salomo's wahrscheinlich in die 
Schmelze wanderte; Uria der Priester hat die Ausführung der 
betreffenden Befehle des Königs besorgt. Man sieht, von Auto- 
nomie, von unantastbarem göttlichen Recht des Heiligtums ist 
keine Rede, der König befiehlt's und der Priester thut's. Dem 
Chronisten ist also die Geschichte vollkommen unfassbar; was 
macht er daraus? Ahaz hat den damascenischen Götzendienst 
eingeführt, den Jahvedienst abgeschafft und den Tempel zuge- 
schlossen (28, 23 f.). An der Person eines Menschen liegt ihm 
nichts, an der unbeugsamen Einheit des mosaischen Cultus Alles, 
und dessen Identität wäre ja dahin, wenn ein rechtgläubiger 
Priester, ein Freund des Propheten Jesaia, die Hand dazu ge- 
boten hätte, einen fremden Altar einzuführen. Um Manasse 
und Amon zu reinen Götzendienern zu machen, war eine Stei- 
gerung der Angaben 2. Reg. 21 kaum von nöten; ausserdem la- 
gen hier besondere Gründe vor, die es verboten zu schwarz zu 
zeichnen. Wunderbar ist wie auch das Volk, welches stets von 
Eifer und Freudigkeit für das Gesetz beseelt ist und den from- 
men Herrschern ihre Bundestreue belohnt (15, 15. 17, 5. 24, 10. 
31, 10), diese bösen Könige dadurch censiert, dass es ihnen die 
Ehre des königlichen Begräbnisses versagt oder verkümmert 
(21, 19.20. 28,27. 33, 20) — in Widerspruch gegen 2. Reg. 9, 28. 
16, 20. 21, 28. 

Die periodischen Anfälle des Heidentums dienen zugleich 
dazu, die darauf folgenden Besserungen zu verstehen, die sonst 
das Begriffsvermögen des jüdischen Schriftgelehrten übersteigen. 
Nach dem Buche der Könige trafen die Könige Joas Hizkia 
und Josia lobenswerte Neuerungen im Tempelcultus, beseitigten 
tief eingewurzelte und von jeher geübte Gewohnheiten und re- 
formierten den officiellen Dienst Jahve's. Aus diesen Fort- 
schritten innerhalb des Jahvismus, die allerdings seiner mo- 
saischen Stabilität recht unbequem widersprechen, macht die 
Chronik vielmehr einfache Herstellungen des reinen Gottes- 
dienstes, welche auf vorübergehende gewaltthätige Abschaffung 
desselben folgen. Am gründlichsten bei Hizkia. Nachdem sein 
Vorgänger die heiligen Thore geschlossen, die Leuchter gelöscht 
und den Gottesdienst sistiert hat, bringt er, durch die reaeti- 
vierten Priester und Leviten, alles wieder in Gang; seine erste 



Die Chronik. 203 

und wichtigste Regierungsthat ist die Tempelweihe (Kap. 29), 
daran sehliesst sich (Kap. 30. 31) die Wiedereröffnung des Passah 
und die Eintreibung der Temporalien an den bisher, wie es 
scheint, gesperrten Klerus. Dass die freilich ganz anderes be- 
sagenden Angaben 2. Reg. 18, 1—7 der Ausgangspunkt zu diesen 
Extravaganzen gewesen sind, lehrt der Vergleich von 29, 1. 2. 
31, 1. 20. 21. 32, 22. Nur dass der König die eherne Schlange 
Nehustan zerstörte (2. Reg. 18, 4), wird mit Stillschweigen über- 
gangen, als sei es unglaublich, dass man ein solches Abbild, im 
Glauben es rühre von Mose her, bis dahin sollte verehrt haben; 
der nicht geringere Anstoss dagegen, dass er die Aschera um- 
hieb, worunter man nur die des Tempelaltars verstehen kann 
(Deut. 16, 21), wird durch Umsetzung des Singulars in den 
Plural geebnet: er hieb die Ascheren um (31, 1), die sich hie 
und da in Juda vorfanden, natürlich bei heidnischen Altären. 

Bei Joas und Josia stehen die nicht bloss kurz das Resultat 
berichtenden sondern speciell in den Hergang eingehenden Er- 
zählungen der Vorlage, an die der Chronist gebunden ist 2. Reg. 
11. 12. Kap. 22. 23, dem freien Fluge seiner gesetzesseligen 
Phantasie entgegen. Gerade solche Geschichten, fast die einzigen 
ausführlichen über das Reich Juda im Buche der Könige, die 
ihrer Natur nach der Vorliebe unseres Verfassers für den Cultus 
am meisten entsprechen, bringen ihn durch ihr Detail in die 
grösste Verlegenheit, welches nach seinen Begriffen total unge- 
setzlich ist und doch nicht anders als im günstigsten Lichte dar- 
gestellt werden darf. 

Dass die im Tempel spielenden und den Tempel betreffen- 
den Perikopen über Joas 2. Reg. 11, 1 — 12, 17 eigentlich iden- 
tisch sind mit 2. Chron. 22, 10 — 24, 14, steht ausser Zweifel. 
Was zunächst 2. Reg. 11 betrifft, so kehrt der Anfang und 
Schluss v. 1—3. v. 11—20 in 2. Chron. 22, 10—12. 23, 12—21 
wörtlich wieder, von kleinen Alterationen abgesehen. Aber auch 
in der Mitte finden sich Stellen aus 2. Reg. 11 in 2. Chron. 23 
unverändert aufgenommen, nur sind sie hier im Zusammenhange 
ungereimt, während dort verständlich. Denn die Meinung und 
Farbe des Ganzen ist in der Chronik völlig verändert, wie fol- 
gende Nebeneinanderstellung der Hauptpartie lehren mag, zu 
deren Verständnis man wissen muss, dass die Regentin Athalia 
alle dem Blutbade Jehu's entronnenen Glieder der davidisch§n 



204 



Geschichte der Tradition, Kap. 6. 



Familie gemordet hat bis auf den kleinen Joas, welcher mit 
Wissen des Priesters Jojada im Tempel Versteck und Schutz 
gefunden hat. 



2. Reg. 11, 4. Im siebenten Jahre 
beschied Jojada und nahm die Haupt- 
leute der Karer und Trabanten 



und liess sie zu sich ins Haus Jahve's 
kommen und machte mit ihnen einen 
Bund und Verschwörung im Hause 
Jahve's und zeigte ihnen den Königs- 
sohn 5 und befahl ihnen: dies ist es 
was ihr thun sollt : das Drittel von euch, 
die am Sabbath heimgehen und den 
Dienst im Königshause versehen [6 und 
das Drittel im Thore Jesod und das 
Drittel im Thore hinter den Trabanten 
und ihr sollt den Dienst im Hause 

versehen ] 7 und die zwei 

anderen- Drittel von euch, die Sabbaths 
aufziehen und den Dienst im Jahvehause 
haben bei dem Könige: 



8 ihr sollt den König rings umgeben, 
jeder mit gezogener Waife, und wer 
eindringt in die Reihen, soll getötet 
werden, und ihr sollt mit dem Könige 
sein, wo immer er sich hinwendet. 

9 Und die Hauptleute thaten genau 
wie ihnen der Priester Jojada gesagt 
hatte und nahmen jeder seine Mann- 
schaft, die am Sabbath Heimgehenden 
und die am Sabbath Aufziehenden, und 
kamen zum Priester Jojada. 



2. Chron. 23, 1. Im siebenten 
Jahre ermannte sich Jojada und 
nahm die Hauptleute Azaria ben 
Jeroham, Ismael ben Johanan, Azaria 
ben Obed, Maaseja ben Adaja und 
Elisaphat ben Zikri mit sich in Bund, 
2 und sie zogen in Juda umher und 
sammelten die Leviten aus allen Städten 
Juda's und die Familienhäupter Israels 
und kamen gen Jerusalem, 3 und die 
ganze Gemeinde schloss einen Bund 
im Hause Gottes mit dem Könige. 
Und er sprach zu ihnen: siehe der 
Königssohn soll herrschen wie Jahve 
geredet hat über die Söhne Davids, 
4 dies ist es, was ihr thun sollt: 
das Drittel von euch, die am 
Sabbath kommen, von Priestern 
und von Leviten, soll die Schwellen 
hüten, 5 und das Drittel von euch soll 
sein im Hause des Königs und das 
Drittel im Thore Jesod und alles Volk 
in den Höfen des Hauses Jahve's; 
6 und niemand soll ins Haus Jahve's 
dringen als die Priester und die Dienst- 
habenden von den Leviten, sie sollen 
hinein, denn sie sind heilig, aber alles 
Volk soll die Ordnung Jahve's ein- 
halten; 7 und die Leviten' sollen 
denKönig rings umgeben, jeder 
mit gezogener Waffe, und wer 
in den Tempel dringt, soll getötet 
werden, und sie sollen mit dem 
Könige sein, wo immer er sich 
hinwendet. 8 Und die Leviten und 
das ganze Juda thaten genau wie 
ihnen der Priester Jojada be- 
fohlen hatte und nahmen jeder 
seine Mannschaft, die am Sab- 
bath Kommenden mit den am 
Sabbath Gehenden, denn der 



Die Chronik. 



205 



10 Und der Priester gab den Haupt- 
leuten die Speere und Rüstungen des 
Königs David, die im Hause Jahve's 
waren. 

11 Und die Trabanten standen, männig- 
lich mit der Waffe in der Hand, von 
der Südseite des Tempels herum bis 
zur Nordseite um Altar und Tempel, 
rings um den König. 

12 Und er führte den Königssohn her- 
aus und legte ihm das Diadem und 
die Armspangen an, und sie machten 
ihn zum König und salbten ihn und 
klatschten in die Hand und riefen: es 
lebe der König! 



Priester Jojada entliess die Abtheilun- 
gen nicht. 9 Und der Priester Jojada 
gab den Hauptleuten die Speere und 
Schilder und Rüstungen des Königs 
David die im Hause Gottes waren, 
10 und er stellte das ganze Volk, 
männiglich mit der Waffe in der 
Hand, von der Südseite des Tem- 
pels herum bis zur Nordseite um 
Altar und Tempel, rings um den 
König. 11 Und sie führten den 
Königssohn heraus und legten 
ihm das Diadem und die Arm- 
spangen an und machten ihn 
zum Könige, und es salbten ihn 
Jojada und seine Söhne und spra- 
chen: es lebe der König! 

Die Inthronisation des Joas soll, ähnlich wie einst die Sa- 
lomo's, durch die Leibwache der jüdischen Könige geschehen 
sein? der Hohepriester soll mit den Hauptleuten im Hause 
Jahve's eine Verschwörung gemacht und selbst die Anregung 
gegeben haben jene halbheidnischen Söldlinge in den Tempel- 
raum einzuführen? das wäre ja ein Greuel gegen das Gesetz, 
der einem "solchen heiligen Mann nicht zuzutrauen. Warum 
brauchte Jojada denn nicht seine eigene Garde, die Myriaden 
von Leviten, die ihm zu Gebote standen? Das war doch das 
einzig richtige und also auch das wirkliche Verfahren. „Nie- 
mand soll ins Haus Jahve's dringen als die Priester und die 
Diensthabenden von den Leviten 44 , nach diesem von ihm selbst 
angegebenen Grundsatze (23,6; vgl. v. 7 in den Tempel statt 
in die Reihen) substituiert unser frommer Geschichtschreiber 
den Karern und Trabanten seine Priester und Leviten. Da- 
durch rückt nun auch Jojada in die ihm gebührende Stelle als 
Souverän des Heiligtums und der Gemeinde. Er braucht nun 
nicht mehr insgeheim mit den Befehlshabern der Leibwache eine 
Verschwörung anzustiften, sondern beruft durch seine geistlichen 
Officiere die Leviten und Familienhäupter aus allen Städten 
Juda's in den Tempel und lässt dort die ganze Versammlung 
einen Bund mit dem jungen Könige schliessen. Die schreienden 
Disharmonieen, die durch derartige Neucolorierungen einzelner 
Partien des alten Bildes unvermeidlich entstehen, muss man in 



206 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

den Kauf nehmen. Wenn Jojada unbeschränkt über eine solche 
Macht gebietet und bei seiner Revolution mit der grossten 
Öffentlichkeit verfährt, so hat er und nicht Athalia die eigent- 
liche Herrschaft — wozu macht er aber dann so viel Wesens 
um die Tyrannin abzusetzen? aus blosser Lust an levitischem 
Pomp und solennem Verfahren? Was soll man ferner mit den 
Hauptleuten, die 23, 1. 9 beibehalten und v. 14 sogar wie 2. Reg. 

11, 15 (Meiere des Kriegsvolks genannt werden, anfangen, 
nachdem ihnen ihre Soldaten genommen oder verwandelt sind? 
Waren die Leviten militärisch organisiert und lösten sie sich, 
in drei Compagnien eingeteilt, allwöchentlich im Tempeldienste 
ab? Die Ausleger sind geneigt, solche Hülfsannahmen hinzuzu- 
dichten; damit können sie ins Unendliche fortfahren ohne zum 
Ziel zu gelangen, denn der Irrtum ist fruchtbar. Als ein be- 
sonders auffallendes Beispiel, wie sich das Verfahren der Chronik 
rächt, möge noch 23,8 erwähnt werden: und sie nahmen jeder 
seine Mannschaft u. s. w. Die Worte sind aus 2. Reg. 11, 9 entlehnt, 
haben aber dort die Hauptleute zum Subject, dagegen hier die 
Leviten und alle Judäer, als ob ein jeder von diesen letzteren 
seine Mannschaft gehabt hätte, die des Sabbaths an und abtrat. 

Nicht viel weniger lehrreich ist der Vergleich von 2. Reg. 

12, 5—17 mit 2. Chron. 24, 4 — 14. Nach 2. Reg. 12 traf Joas 
die Anordnung, dass alle dem Tempel geweihten Geldgaben 
künftig an die Priester fallen, diese aber dafür die Pflicht haben 
sollten, das Gebäude im guten Stande zu halten. Aber sie 
nahmen das Geld und vernachlässigten doch die Reparatur, und 
als sie und insonderheit Jojada darum vom Könige gescholten 
wurden, verzichteten sie auf die Einnahme, um die Last nicht 
zu tragen. Darauf stellte 'der König eine Art Gotteskasten, eine 
Truhe mit einem Loch, neben dem Altare auf, „rechts wenn 
man in den Tempel will", dahinein sollten die Priester das ein- 
laufende Geld werfen, mit Ausnahme der Straf- und Schuld- 
gelder, die ihnen verblieben. Und so oft die Truhe voll war, 
schütteten der Schreiber des Königs und der oberste Priester 
das Geld aus, wogen es und übergaben es den Werkführern 
zur Löhnung der Arbeiter: zur Anschaffung heiliger Geräte sollte 
nichts davon verwandt werden, wie ausdrücklich (v. 14) gesagt 
wird. Diese Einrichtung des Königs Joas war eine dauernde 
und bestand noch zur Zeit Josia's (2. Reg. 22, 3 ff.). 



Die Chronik. 207 

In die autonome Hierokratie von Gottes Gnaden passte das 
eigenmächtige Verfahren des Joas nicht. Nach dem Gesetze 
fielen die laufenden Geldabgaben an die Priester; kein König 
durfte sie ihnen nehmen und nach Gutdünken darüber befinden. 
Wie konnte Jojada auf sein göttliches Recht verzichten und 
eine solche Majestätsbeleidigung des Heiligen dulden! wie konnte 
er für seinen anfänglichen passiven Widerstand gegen die ge- 
setzwidrige Zumutung getadelt, wie konnte überhaupt der Prie- 
ster in seinem eigenen Departement vom Könige zur Rede ge- 
stellt werden! Die Chronik weiss es besser. Athalia, die 
schlimme, hatte den Tempel verwüstet und ausgeraubt; so be- 
schloss Joas ihn zu restaurieren und zu dem Zweck durch die 
Leviten aus ganz Israel Geld sammeln zu lassen. Da aber diese 
damit keine Eile hatten, so machte er eine Truhe und setzte 
sie drausseü in das Thor zum Heiligtum: da strömte das Volk 
herbei und freudigen Herzens thaten Vornehme und Geringe ihre 
Gaben in die Truhe, bis sie ganz voll war. Als nun die Thor- 
wache dies gemeldet hatte, kamen der Schreiber des Königs 
und der Delegirte des Hohenpriesters, das Geld auszuschütten, 
und der König und der Hohepriester löhnten damit die Arbeiter; 
was übrig blieb, ward zu kostbaren Geräten verarbeitet (2. Chron. 
24, 5 — 14). Hiernach trifft Joas nicht über die heiligen Abgaben 
irgend welche Verfügung, sondern er veranstaltet eine ausser- 
ordentliche Sammlung wie einst Mose zum Bau der Stiftshütte 
(24, 6. 9): in Folge dessen erscheint auch alles Andere, was 
2. Reg. 12 dauernde Einrichtung ist, hier als einmalige Begeben- 
heit ; statt von den immer wieder nötigen Reparaturen des Tem- 
pels ist von einer ausserordentlichen Restauration desselben die 
Rede, und nur zu diesem vorübergehenden Zweck wird der 
Gotteskasten aufgestellt, jedoch nicht beim Altar sondern am 
Thor (24, 8 vgl. 2. Reg. 12, 10). An den Klerus, und zwar an die 
Leviten, ist nur die Zumutung gestellt worden, die Sammlung 
zu betreiben, nicht selbst von den heiligen Einkünften den Bau 
zu bezahlen; in Folge dessen wird ihnen auch nicht vorgeworfen, 
dass sie das Geld für sich behalten, sondern dass sie nicht recht 
an die Sammlung heran wollen. Es erweist sich aber, dass sie 
mit diesem Widerstreben ganz Recht gehabt haben, denn der 
König braucht nur den Gotteskasten auszustellen, so fliesst er 
auch über von freiwilligen Gaben des sich herzudrängenden 



208 



Geschichte der Tradition, Kap. ß. 



Volks, so dass davon auch noch zu anderen, freilich nach 2. Keg. 
12, 14 ausdrücklich ausgeschlossenen Zwecken etwas übrig bleibt 
(v. 14). Den Priestern erteilt Joas überhaupt keine Befehle, und 
namentlich Jojada steht ihm ganz gleichberechtigt gegenüber: 
schickt der König seinen Schreiber, so erscheint auch der Hohe- 
priester nicht persönlich, sondern lässt sich durch seinen Delegier- 
ten vertreten (24, 11 vgl. 2. Reg. 12, 11). Auch hier passt mancher 
neue Lappe nicht zum alten Kleide, wie de Wette I, 100 zeigt; 
stillschweigend gibt die Chronik selber dem älteren Bericht die 
Ehre, indem sie den Joas schliesslich vom Mosaismus abfallen 
und die dankbare Ehrerbietung, welche er dem Hohenpriester 
schuldig war, verleugnen lässt: das ist die Nachwirkung des 
unangenehmen Eindrucks, den sie nicht aus ihrer eigenen Er- 
zählung, sondern nur aus der des Buches der Könige, über das 
unangemessene Auftreten des dennoch frommen Königs in Ange- 
legenheiten des Heiligtums und der Priester, gewinnen konnte. 
Die Früchte für ihre Entstellung von 2. Reg. 12 erntet die 
Chronik bei der Wiedergabe der damit nahe verwandten und 
eng zusammenhängenden Perikope 2. Reg. 22, 3—10. Es ist der 
Mühe wert, die Parallelen noch einmal zusammenzustellen. 



2. Reg. 22, 3. Und im 18. Jahre des 
Königs Josia sandte der König den 
Saphan ben Asalia ben Mesullam ins 
Haus Jahve's sprechend: 4 geht zu 
Hilkia dem Hohenpriester, und schüttet 
das Silber aus, das eingegangen ist im 
Hause Jahve's, welches die Schwellen- 
hüter eingenommen haben von dem 
Volk, 5 und gebet es den Werkführern 
im Hause Jahve's, dass sie es den 
Arbeitsleuten geben, welche im Hause 
Jahve's mit der Reparatur beschäftigt 
sind, 6 den Schmieden Zimmerleuten 
und Maurern, und zum Kauf von Holz 
und Bausteinen zur Ausbesserung des 
Hauses, 7 doch soll über das ihnen 
übergebene Geld nicht mit ihnen abge- 
rechnet werden, auf Treu und Glauben 
verfahren sie. 



2. Chron. 34, 8. Und in seinem 
18. Regierungsjahre, zu reinigen das 
Land und den Tempel, sandte er den 
Saphan ben Asalia und Maaseja den 
Burgemeister und Joah ben Joahaz 
den Kanzler, zu restaurieren das Haus 
Jahve's seines Gottes. 9 Und sie ka- 
men zum Hohenpriester Hilkia, und 
sie gaben das im Hause Gottes ein- 
gegangene Silber, welches die Leviten, 
die Schwellenhüter, gesammelt hatten 
von Ephraim und Manasse und dem 
übrigen Israel und von ganz Juda und 
Benjamin und damit heimgekehrt wa- 
ren nach Jerusalem, 10 das gaben sie 
den Arbeitern bestellt im Hause Jahve's, 
und die Arbeiter, welche an der Re- 
stauration im Hause Jahve's schafften, 
11 die gaben es den Handwerkern und 
Bauleuten, zu kaufen Hausteine und 
Hölzer zu Decken und Balken der 



Die Chronik. 



209 



8 Hilkia aber, der Hohepriester, sprach 
zu dem Schreiber Saphan also: das 
Buch der Thora habe ich im Hause 
Jahve's gefunden, und er gab's dem 
Saphan und der las es. 9 Und Saphan 
der Schreiber kam zum Könige und er- 
stattete ihm Bericht und sagte: deine 
Knechte haben das im Tempel vorhan- 
dene Geld ausgeschüttet und es den 
Werkführern im Hause Jahve's über- 
geben. 10 Und der Schreiber Saphan 
erzählte dem Könige also: ein Buch 
hat mir der Priester Hilkia gegeben, 
und er las es dem Könige vor. 



Häuser, welche die Könige Juda's ver- 
derbt hatten. 12 Und die Männer 
verfuhren mit Treu und Glauben bei 
dem Werke, und es waren ihnen vor- 
gesetzt Jahath und Obadia die Leviten 
von den Söhnen Merari's und Zacharia 
und Mesullam von den Kehathiten, zu 
dirigieren, und die Leviten, alle die 
sich auf Musikinstrumente verstanden, 
13 waren über die Lastträger und 
leiteten alle Arbeit bei jedem Werk, 
und andere Leviten waren Schreiber 
und Aufseher und Thorwächter. 14 
Und da sie das im Hause Jahve's ein- 
gegangene Geld ausschütteten, fand 
der Priester Hilkia das Buch der Thora 
Jahve's durch Mose, 15 und Hilkia hub 
an und sprach zu Saphan dem Schrei- 
ber: das Buch der Thora Jahve's habe 
ich gefunden im Hause Jahve's; und 
Hilkia gab das Buch dem Saphan. 

16 Und Saphan brachte das Buch dem 
Könige und erstattete ausserdem * dem 
Könige Bericht also: alles was deinen 
Knechten aufgetragen ist, thun sie, 

17 und sie haben das im Hause Jahve's 
vorhandene Geld ausgeschüttet und es 
den Vorstehern und den Arbeitsleuten 
übergeben. 18 Und der Schreiber 
Saphan erzählte dem König also: ein 
Buch hat mir der Priester Hilkia ge- 
geben, und Saphan las daraus dem 
Könige vor. 



Die in der Einrichtung des Joas liegenden Voraussetzungen 
des Anlasses, bei dem der Priester dem Saphan das Gesetz- 
buch insinuiert, hat die Chronik zerstört und dafür andere er- 
gänzt: unter den Vorgängern Josia's sei der Tempel verderbt, 
unter ihm selber aber durch umherziehende Leviten aus ganz 
Israel Geld zur Restauration gesammelt und zunächst im Gottes- 
kasten deponiert. Beim Ausschütten dieses Kasten soll dann 
der Priester das Buch gefunden haben (v. 14, nach Deut. 31, 26), 
ungeachtet bei dieser Gelegenheit auch Saphan und die beiden 
v. 8 hinzugefügten Statisten zugegen waren und den Fund hätten 



Wellhausen, Prolegomena. 



14 



210 Geschifchte der Tradition, Kap. (>. 

mitmachen müssen, was durch v. 15 (= 2. Reg. 22, 8) ausge- 
schlossen ist. Andere Misverständnisse kommen hinzu, nament- 
lich sind die Werkführer (muphkadim), denen nach dem 
ursprünglichen Bericht das Geld zur Löhnung übergeben wird, 
zu einfachen Arbeitern degradiert, von denen sie dann doch 
wieder unterschieden werden: während sie 2. Reg. 22, 7 bei 
der Auszahlung des Geldes auf Treu und Glauben verfahren, 
verfahren sie 2. Chron. 34, 12 bei dem Werke mit Treu und 
Glauben. Vielleicht ist dies indessen kein reines Misverständnis, 
sondern hängt zusammen mit dem Bestreben, die profanen Hände 
thunlichst vom Heiligen ferne zu halten und besonders die Lei- 
tung des Baues den Leviten zu übergeben (v. 12. 13). Wie weit 
die Ängstlichkeit der Späteren in diesem Punkte ging, ersieht 
man aus der Angabe (Joseph. Ant. 15 11, 2), dass Herodes zum 
Bau seines Tempels tausend Priester zu Maurern und Zimmerleuten 
ausbilden liess. Die zwei interessantesten Änderungen der Chronik 
sind ganz unscheinbar. In v. 18 sind die Worte: er las das Buch 
dem Könige vor, umgewandelt zu: er las daraus dem Könige vor, 
und hinter: und Hizkia gab das Buch dem Saphan (v. 15), ist der 
Satz: und er las es ausgelassen. Nach 2. Reg. erscheint das 
Gesetzbuch als sehr massigen Umfanges, aber der Verfasser der 
Chronik stellt sich den ganzen Pentateuch [darunter vor. 

Im weiteren wird zwar 2. Reg. 22, 11 — 23, 3 wörtlich wieder- 
holt 2. Chron. 34, 18—32, aber der sich anschliessende unver- 
hältnismässig wichtigere Abschnitt 23, 4—10, der eine detaillierte 
Schilderung der gewaltsamen Reformation Josia's enthält, wird 
übergangen und mit der nichtssagenden Bemerkung ersetzt, der 
König habe alle Greuel aus Israel entfernt (34, 33); desto aus- 
führlicher wird , dato sein Passahfest beschrieben (Kap. 35). 
Wenn die Chronik auch den Bericht von der Auffindung und 
Publicierung des Gesetzes mitteilt, so begreift sie doch nicht, 
dass dasselbe erst seit diesem Augenblicke geschichtlich wirk- 
sam und plötzlich von so grosser Bedeutung geworden sein 
sollte. Es war ja seit Mose die Grundlage der Gemeinde und 
bestand zu allen normalen Zeiten in Kraft und Geltung; nur 
zeitweilig konnte dies Lebensprineip der Theokratie von schlech- 
ten Königen niedergehalten werden, um nach dem Aufhören 
des Druckes sofort wieder wirksam und mächtig zu werden. 
Sobald Ahaz die Augen geschlossen hat, stellt Hizkia im ersten 



Die Chronik. 211 

Monat seines ersten Jahres den mosaischen Cultus wieder her; 
und sobald Josia zu verständigen Jahren gekommen ist; macht 
er gut was seine Väter gesündigt. Weil er bei seinem Antritt 
noch zu jung ist, wird Anstands halber statt des achten Jahrs 
seines Alters das achte Jahr seiner Regierung gewählt und dahin 
die grosse Reformation verlegt, die er thatsächlich viel später 
unternahm (34, 3—7 = 2. Reg. 23, 4—20). So verliert dieselbe 
denn glücklich den geschichtlichen Anlass und der Charakter 
der Neuerung erscheint vielmehr als einfaches Emporschnellen 
der Feder nach Beseitigung der ihr angethanen Gewalt. Das 
Gewölk weicht vor der Sonne des Gesetzes und sie scheint 
wieder wie zuvor — ihr Licht macht keine Phasen durch, sie 
leuchtet von Anfang an in gleicher Stärke. Was Josia gethan 
hat, hat ganz ebenso vor ihm schon Asa gethan, darnach Jo- 
saphat, darnach Hizkia; die Reformen sind keine Stufen einer 
fortschreitenden Entwickelung, sondern haben alle den gleichen, 
ewigen Inhalt. Das ist der Einfluss des transcendenten, allem 
Werden und Wachsen enthobenen Mosaismus auf die historische 
Anschauung, spürbar schon im Buche der Könige, aber in der 
Chronik ungleich handgreiflicher. 

3. Abgesehen davon, dass sie die stetige Tradition des 
legitimen Cultus zu Jerusalem darstellt, hat die Geschichte 
Juda's in der Chronik noch einen anderen lehrhaften Zweck. 
In dem Reiche Jahve's wirkt nicht ein natürlicher und mensch- 
licher, sondern der göttliche Pragmatismus. Ihn zum Ausdruck 
zu bringen, dazu sind die Propheten da, die in ununterbrochener 
Succession den Königen und Hohenpriestern zur Seite gehen; 
sie verknüpfen die Thaten der Menschen mit den Ereignissen 
des Weltlaufs und benutzen die heilige Geschichte als Thema 
für ihre Predigt, als Beispielsammlung für die prompteste Wirk- 
samkeit der Gerechtigkeit Jahve's. Neues und Freies verkün- 
digen sie dabei nicht, sondern handhaben nur, ebenso wie Jahve 
selber, die Thora Mose's, indem sie nach der Schablone Glück 
oder Unglück in Aussicht stellen, je nachdem das Gesetz treulich 
erfüllt oder vernachlässigt worden ist. Natürlich treffen ihre 
Weissagungen immer genau ein, und es ergibt sich somit eine 
ganz wunderbare Symphonie von innerem Wert und äusserem 
Ergehen. Nie bleibt auf die Sünde die Strafe aus und nie man- 
gelt dem Unglück die Schuld. 

14* 



212 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

Im 5. Jahr Rehabeams ward Juda und Jerusalem von 
Pharao Sisak ausgeplündert (1. Reg. 14, 25). Nämlich drei Jahre 
lang wandelten sie in den Wegen Davids und Salomo's, denn 
drei Jahre lang wurden sie gestärkt und gekräftigt von den aus 
dem Nordreich zugezogenen Priestern und Leviten und übrigen 
Frommen (2. Chron. 11, 17); darnach aber im 4. Jahr, da das 
Königreich Rehabeams gestärkt und gekräftigt war, verliess er 
das Gesetz und ganz Israel mit ihm (12, 1) — und es folgte im 
5. Jahre der Überfall Sisaks. Ein Prophet kündigt denselben 
an, in Folge dessen demütigt sich der König mit seinem Volk 
und kommt mit blauem Auge davon — weil er gewürdigt wor- 
den, noch zwölf weitere Jahre zu regieren. 

Asa litt im Alter an den Füssen (1. Reg. 15, 23). * Nach 
2. Chron. 16, 12 starb er an der als sehr gefährlich geschilderten 
Krankheit im 41. Jahre seines Königtums, nachdem er schon 
vorher in der späteren Zeit seiner Regierung Unglück gehabt 
hatte. Was war die Schuld? Er hatte gegen Baesa von Israel 
auswärtige Hülfe statt der göttlichen angerufen. Nun lebte Baesa 
nur bis zum 26. Jahre Asa's, jene böse That müsste also vorher 
begangen sein. Aber dann wäre ihr Zusammenhang mit der 
Strafe nicht klar geworden, die den König erst gegen Ende 
seines Lebens traf. Also wird Baesa's Zug gegen Jerusalem 
und der in Folge dessen von Asa veranlasste Einfall der Syrer 
in Israel von der Chronik in's 36. Jahr des letzteren verlegt 
(16, 1). Man hat die treffende Beobachtung gemacht, dass Baesa 
damals eigentlich längst tot war, und darum die Zahl 36 in 16 
verbessern wollen — ohne zu bedenken, dass die erste Hälfte 
der Regierungszeit Asa's ausdrücklich als glücklich bezeichnet 
wird, dags schon 15, 19 das 35. Jahr erreicht ist und dass jene 
Correctur den Zusammenhäng mit dem Folgenden (16, 7ff.) zer- 
stört. Nämlich in Anlass jener frevelhaften Herbeirufung der 
Syrer tritt nun der übliche Prophet auf (16, 7) und verkündet 
die übliche Drohung. Es ist Hanani, ein Nordisraelit (1. Reg. 
16, 7), aber Asa behandelt ihn wie seinen eigenen Unterthan, 
lässt ihn hart an und setzt ihn in's Stockhaus. Dadurch ver- 
grössert und beschleunigt er die Strafe und erliegt ihr im 
41. Jahr seiner Regierung. 

Josaphat, der fromme König, beteiligte sich nach 1. Reg. 22 
an dem Feldzuge des gottlosen Ähab von Israel gegen die Da- 



Die Chronik. 213 

mascener. Ungeahndet kann ihm das die Chronik nicht hin- 
gehen lassen, also sagt ihm, da er in Frieden heimkehrt, selbi- 
ger Hanani eine jedoch gnädige Strafe an (19, 1—3). Und in 
der That sie ist gnädig; die Moabiter und Ammoniter fallen in's 
Land, aber Josaphat trägt ohne sein Zuthun einen glänzenden 
Sieg davon und macht unermessliche Beute (20, lff.). Man kann 
es ihm darnach nicht verdenken, dass er sich noch einmal mit 
Ahabs Nachfolger verbindet, zu einer gemeinschaftlich zu betrei- 
benden Schiffahrt, die von einem Hafen des Eoten Meeres aus, 
wahrscheinlich um Afrika herum, nach Tarsis (Spanien 2. Chron. 
9,21) gehen soll. Diesmal aber wird er ernstlicher gestraft: 
wie Eliezer ben Dodija geweissagt, scheitern die Schiffe. Vgl. 
dagegen 1. Reg. 22, 49. 50: „Josaphat baute Tarsisschiffe nach 
Ophir zu fahren um Gold, aber die Fahrt kam nicht zu Stande, 
denn die Schiffe zerbrachen im Hafen am Roten Meere; damals 
hatte Ahazia ben Ahab um Beteiligung seiner Knechte an der 
Fahrt gebeten, aber Josaphat es abgeschlagen". So der Original- 
bericht. Aber in der Chronik muss das Unglück moralisch be- 
gründet sein und darum Josaphat sündige Gemeinschaft mit dem 
Samarier machen, den er in Wahrheit abgewiesen hat, freilich 
keineswegs aus religiösen Bedenken. 

Joram ben Josaphat habe es sehr schlimm getrieben, heisst 
es 2. Reg. 8, 18; die Chronik steigert seine Frevel und ergänzt 
vor Allem den verdienten Lohn (21, 4 ff.). Elias, obwohl damals 
längst gen Himmel gefahren (2. Reg. 3, 11 ff.), muss dem Sünder 
einen Brief schreiben, dessen Drohungen Jahve dann pflicht- 
schuldig in Erfüllung gehen lässt. Nachdem zuvor die Philister 
und Araber ihn bedrängt haben, verfällt Joram in eine unheil- 
bare Krankheit der Eingeweide, die ihn Jahre lang quält und 
endlich in furchtbarster Weise sein Ende herbeiführt (21, 12ff.). 
Dem Gottesurteil beifallend versagt das Volk dem Toten die 
königlichen Ehren und begräbt ihn nicht bei seinen Vätern: 
trotz 2. Reg. 8, 24. 

Joas war nach 2. Reg. 12 ein frommer Herrscher, aber er 
hatte Unglück; den Syrer Hazael, der Jerusalem belagerte, 
musste er durch schweres Geld zum Abzüge bewegen, zuletzt 
.fiel er durch Meuchelmord. Womit er dies Schicksal verdient 
hat, weiss die Chronik. In dem Satze: „er that was Jahve wohl- 
gefällt alle seine Tage, weil ihn der Priester Jojada unter- 



214 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

wiesen hatte 44 (2. Reg. 12, 3), verändert sie den Sctiluss dahin: 
alle die Tage Jojada's des Priesters (24, 2). Nämlich 
nach dem Tode seines Wohlthäters ist er abgefallen und hat 
ihm an seiner Familie mit schnödestem Undank gelohnt: am 
Ende des selbigen Jahres tiberziehen ihn die Syrer, bei ihrem 
Abzug verfällt er in eine schreckliche Krankheit, um die sein 
Unglück hier noch verschlimmert wird; und in der Krankheit 
wird er ermordet (24, 17 ff.). 

Amasia ward von dem samarischen Könige Jehoas, den er 
übermütig herausgefordert hatte, geschlagen gefangen und em- 
pfindlich bestraft (2. Reg. 14, 8 ff.). Warum? weil er erbeutete 
edomitische Götzen in Jerusalem aufgestellt hatte und ihnen 
diente (2. Chron. 25, 14). Erbeutete Götzen eines überwundenen 
Volkes zieht er in dem Augenblicke dem Jahve vor, als letzterer 
jene besiegt hat! Seit diesem in der That nicht genug zu strafen- 
den Abfall sollen dann auch seine Knechte sich gegen ihn ver- 
schworen und ihn umgebracht haben (25, 27) — und doch wird 
v. 25 nach 2. Reg. 14, 17 versichert, Amasia habe seinen Gegner 
Jehoas um 15 Jahre überlebt. 

Uzzia, einer der besten Könige Juda's, ward aussätzig und 
musste die Regentschaft seinem Sohne Jotham übergeben (2. Reg. 
15, 5). Nämlich, fügt die Chronik hinzu, „er war sehr mächtig 
geworden und da erhub sich sein Herz zum Verderben, so dass 
er sich an Jahve seinem Gott vergriff und in den Tempel ein- 
ging, um auf den Räucheraltar zu räuchern. Und da der 
Priester Azaria und achtzig seiner Genossen sich ihm wider- 
setzten und sprachen: es gebührt dir nicht zu räuchern, son- 
dern allein den Söhnen Aharons, die dazu geheiligt sind, so 
ward er zornig und Hess das Räucherfass nicht aus der Hand. 
Da fuhr der Aussatz aus an seiner Stirne und die Priester 
scheuchten ihn von dannen 44 (26, 16 — 20). Nun ist die Sache 
kein Rätsel mehr. 

Ahaz taugte wenig und half sich doch ganz leidlich aus 
der Bedrängnis, in die er durch den Einfall der verbündeten 
Syrer und Israeliten geraten war, indem er sein Reich dem 
Assyrer Thiglathpileser zu Lehen antrug (2. Reg. 16, lff.). So 
billigen Kaufs konnte ihn die Chronik unmöglich davon kom-, 
men lassen. Hier wird er dahingegeben in die Hand der 
Feinde; alleine die Israeliten erschlagen 120000 Juden, darunter 



Die Chronik. 215 

den Sohn des Königs und seine vornehmsten Diener, und 
schleppen 200000 Weiber und Kinder nebst anderweitiger grosser 
Beute fort nach Samarien. Auch die Edomiter und Philister 
fallen über den Ahaz her; die Assyrer aber, die er zu Hülfe 
gerufen hat, misverstehen ihn und rücken in feindlicher Absicht 
vor Jerusalem; sie erobern freilich die Stadt nicht, gewinnen 
jedoch mühelos ihre Schätze, die ihnen der König selber aus- 
liefert (28, 1—21). 

Keinen schlimmeren Herrscher kennt das Buch der Könige 
als Manasse; dennoch hat er, länger als irgend ein anderer, 
durch 55 Jahre ungestört die Eegierung geführt (2. Reg. 22, 
1 — 18). Diesen Stein des Anstosses muss die Chronik aus dem 
Wege schaffen. Sie erzählt Manasse sei . von den Assyrern in 
Ketten nach Babel gebracht, dort aber habe er zu Jahve gefleht, 
sei von diesem wieder in sein Reich eingesetzt und habe nun 
den Götzendienst aus Juda beseitigt (33, 11—20). So entgeht 
er einerseits nicht der Strafe und andererseits erklärt sich doch 
die lange Dauer seiner Regierung. Freilich ist man neuerdings 
der Glaubwürdigkeit dieser Angaben mit einer assyrischen 
Inschrift zu Hülfe gekommen, aus der hervorgeht, dass Manasse 
dem Esarhaddon Tribut geleistet hat. Also, sagt man, ist er 
von den Assyrern vergewaltigt, und aber also ist er gefesselt 
von ihnen fortgeschleppt. Weniger geschwinde aber vielleicht 
eben so richtig wäre die Folgerung, dass er als Tributzahler 
auf dem Thron von Juda und nicht im Kerker zu Babylon ge- 
sessen haben müsse. In Wahrheit steht die zeitweilige Ab- 
setzung Manasse's ganz auf gleicher Linie mit Nebukadnezars 
zeitweiligem Grasfressen. Die Ungeschichtlichkeit des in seinen 
Motiven vollkommen durchsichtigen Intermezzo folgt nicht allein 
aus dem Stillschweigen des Buches der Könige, welches wahr- 
haftig in dieser Sache nicht leicht wiegt, sondern auch z. B. 
aus Jerem. 15, 4 Denn wenn es an letzterer Stelle heisst, um 
der Schuld Manasse's willen solle ganz Juda und Jerusalem der 
Vernichtung preis gegeben werden, so ist die Voraussetzung 
nicht, dass sie bereits von ihm selber gebüsst und gesühnt sei. 

Dem Josia wird, um zu rechtfertigen, dass er bei Megiddo 
Schlacht und Leben verlor, die Schuld angeheftet, dass er den 
Worten Necho's aus dem Münde Gottes nicht gehorcht habe, 
der ihn vom Kampf abmahnte (35, 21. 22). Umgekehrt wird 



216 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

dem gottlosen Jojakim die Strafe vergrössert; er soll von dem 
Chaldäer in Ketten gesehlagen und nach Babel geführt worden 
sein (35, 6) — freilich war das vor der Einnahme Jerusalems 
nicht wohl thunlich, die erst im dritten Monat seines Nach- 
folgers gelang. Der letzte Davidide Sedekia, weil er Schwereres 
als alle seine Vorgänger erlitt, muss halsstarrig und verstockt 
gewesen sein (36, 12. 13), Eigenschaften, auf die er nach dem 
authentischen, Zeugnisse des Propheten Jeremia in Wahrheit 
am allerletzten Anspruch erheben konnte. 

Man sieht, die allerconcretesten Produkte sind aus dem 
Plan dieser Geschichtschreibung, wie man sich euphemistisch 
auszudrücken pflegt, hervorgegangen. Man wird darum über- 
haupt die Bestimmtheit der Angaben, mit denen die Chronik 
allein steht, nicht für einen Beweis ihrer Thatsächlichkeit halten 
dürfen. Die Erzählung von dem Athiopen Zerah (2. Chron. 
14, 7 ff.) ist ebenso apokryph wie die von Kusan Risathaim 
(Jud. 3, 10). Schon des Vignoles hat zwar den ersteren mit dem 
Osorthon Manetho's gleichgesetzt, der als Osorkon Sohn des 
Sisak, jedoch nicht als Erneuerer des Feldzugs gegen Palästina, 
auf den ägyptischen Monumenten wiedergefunden ist; aber 
Osorkon war ein Ägypter, Zerah ein Äthiop, und die Ähnlich- 
keit ihrer Namen ist doch auch nicht allzu schlagend. Ausser- 
dem — wäre Zerah in der That eine historische Person, was 
hülfe dies zur Rettung des unhistorischen Zusammenhangs? Mit 
einer Million zieht der König der Mohren und Libyer, Ägypten 
überspringend, gegen Juda aus, Asa rückt mit 580000 Mann, 
dem Aufgebot eines Landes von ungefähr sechzig Quadratmeilen, 
den Feinden entgegen und schlägt sie auf der Ebene nördlich 
von Maresa so, dass kein einziger am Leben bleibt. Das soll, 
der genau angegebenen Lokalität wegen (wobei jedoch Maresa 
statt Gath nicht eben nach alter Quelle schmeckt) glaubhaft 
sein, wenigstens nach Abzug der Unglaublichkeiten? Vielmehr 
nach Abzug der Unglaublichkeiten ist der Rest gleich Null. Der 
Einfall des Baesa von Israel in Juda und Asa's Benehmen ihm 
gegenüber (1. lieg. 15, 17ff.) ist eine vernichtende Kritik des 
grossen Sieges, den er vorher über die Athiopen davon getragen 
haben soll. Mit Josaphats Siege gegen die Ammoniter und 
Moabiter steht es um kein Haar besser (2. Chron. 20), es liegt 
hier wahrscheinlich ein Echo von 2. Reg. 3 vor, wo von der 



Die Chronik. 217 

Beteiligung Josaphats an einem Feldzuge gegen Moab erzählt 
wird und ebenfalls der charakteristische Zug von der gegen- 
seitigen Aufreibung der Feinde vorkommt, so dass dem Wider- 
part nur die Arbeit des Beutemachens übrig bleibt (3, 23. 2. Chr. 
20, 23). Feinde stehen dem Chronisten immer zu Gebote, wenn 
er sie nötig hat, Araber zur Seite der Kuschiten (17, 11. 21, 16. 
22, 1. 26, 7), Meunäer (20, 1. 26, 7), Philister (17, 11. 21, 16. 
26, 6 f. 28,18), Ammoniter (20, .1. 26,8. 27,5), die sich zum 
Teil schon durch ihre Namen für die alte Zeit unmöglich machen. 
Nachrichten wie die, dass die Ammoniter den Königen Uzzia 
und Jotham unterworfen gewesen seien (26, 8. 27, 5), werden, 
bei dem vollkommenen Schweigen der glaubwürdigen Quellen, 
einfach durch ihre innere Unmöglichkeit gerichtet; denn zu Ammon 
war Moab die Brücke, und dies Land war jener Zeit keinesfalls 
im judäischen Besitze, wie übrigens auch nicht behauptet wird. 
Die Philister sind (21, 16. 28, 18) durch den Plan der Geschicht- 
schreibung . als rachgierige Feinde benötigt; schon das flösst 
Mistrauen ein gegen die vorhergehenden Angaben (17, 11. 26, 6f.), 
dass sie von Josaphat zur Tributleistung gezwungen und von 
Uzzia niedergekämpft seien; vollends unglaublich ist es, dass 
der letztere die Mauer von Asdod (Arnos 1, 7) gebrochen und 
Festungen in Philisthäa angelegt haben soll. Nach dem Buche 
der Könige hat er Edom wieder unterworfen; Edom ist hier das 
einzige Land, worauf die Davididen Ansprüche machen und wo- 
gegen sie Kriege führen, während Moab und Philisthäa — 
letzteres jedoch mit Ausnahme der bedeutendsten Städte — 
virtuell zum Gebiete Israels gehören. 

Die Triumphe, welche die Chronik ihren Lieblingen gönnt, 
haben allesamt keine geschichtliche Wirkung, sondern nur die 
momentane Bedeutung den Glanz ihrer Eegierung zu steigern. 
Der Erfolg ist nämlich stets die Kehrseite des Verdienstes. Joram 
Joas Ahaz, die als verworfen geschildert werden, bauen keine 
Festungen, halten keine grossen Heere, haben nicht eine Fülle 
von Weibern und Kindern; nur bei den frommen Königen, zu 
denen ja auch Rehabeam und Abia gehören, äussert sich in 
diesen Zeichen der Segen Gottes. Die Macht ist der Grad- 
messer der Frömmigkeit und steigt und fällt mit dieser. Weiter 
hat es keinen Sinn, wenn z. B. Josaphat über elf mal hundert 
tausend Soldaten hat (17, 14 ff.); denn zu Kriegen werden sie 



218 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

nicht gebraucht, der Sieg kommt von Gott und von der Musik 
der Leviten (Kap. 20). Bei den Nachrichten über Festungs- 
bauten, die sich regelmässig bei den guten Herrschern wieder- 
holen *) , sind allgemeine Angaben, wie Hos. 8, 14. 2. Reg. 18, 13 
in concreter Weise exemplificiert, mit Benutzung einzelner tra- 
ditioneller Elemente (Lachis). Es ist nicht möglich, aber auch 
wahrhaftig nicht nötig, überall die Erdichtung nachzuweisen; 
nach 19, 5 scheint es, als ob einfach alle einigermassen be- 
trächtlichen Städte als Festungen angesehen werden, in dem 
Verzeichnis 11, 6 ff. trifft man vorzugsweise Namen, die auch in 
der nachexilischen Zeit bekannt waren. Dass Abia dem Jerobeam 
unter anderem Bethel abgenommen und dass Josaphat in die 
von seinem Vater Asa eroberten ephraimitischen Städte Statt- 
halter gesetzt habe (13, 19. 17, 2), würde Verwunderung erregen, 
wenn es nicht in der Chronik stünde. Zur Beurteilung der 
Familiengeschichte der Davididen leistet besonders die Mittei- 
lung 13,21 nach Form und Inhalt gute Dienste: „und Abia 
stärkte sich und nahm sich vierzehn Weiber und zeugte zwei- 
undzwanzig Söhne und sechzehn Töchter". Man muss meinen, 
dies falle in das Königtum Abia's und zwar nach dem angeb- 
lichen Siege über Jerobeam; er regierte aber Alles in Allem 
nur drei Jahre und binnen dieser Zeit soll einer seiner Söhne 
sogar zum Manne gereift sein? In Wahrheit hat Abia nun über- 
haupt keinen Sohn gehabt, denn sein Bruder ist ihm gefolgt. 
Selbstverständlich ist doch auf die bestimmte und zweifelsohne 
quellenmässige Nachricht, Maacha, die Frau Rehabeams, sei die 
Mutter sowohl Abia's als Asa's gewesen und letzterer habe sie 
aus ihrer Stellung am Hofe entfernt (1. Reg. 15, 2. 10. 13), mehr 
zu geben als auf die andere verhältnismässig leicht zu erklä- 
rende, wonach der Nachfolger für des Vorgängers Sohn aus- 
gegeben wird (v. 8). Nach Josaphats Tode soll zunächst Joram 
alle seine Brüder (21,4) gemordet haben, sodann die Araber 
alle Söhne Jorams mit Ausnahme eines einzigen (22, 1): wer von 
den Davididen bleibt denn da noch für Jehu übrig, der auch 
ihrer zweiundvierzig abschlachtete (2. Reg. 10, 14)? Kurz die 
Familiengeschichte des Hauses Davids ist von dem selben histo- 
rischen Werte, wie alles Andere, was die Chronik mehr und 

*) 8,3—6. 11,5—12. 13, 19. 14,5. 6. 17, 12. 19, 5. 26, 9. 10. 27, 4. 32, 5, 
33,14. 



Die Chronik. 219 

besser weiss als die älteren kanonischen Geschichtsbücher. Auch 
die Namen und Zahlen können an diesem Urteil nicht irre 
machen; denn um solche Kleinigkeiten, die den Schein der 
Genauigkeit erwecken, ist der Verfasser nie verlegen. 

4. Die Grundlage des Buches der Könige schimmert auch 
in diesem das nachsalomonische Juda behandelnden Teile der 
Chronik allenthalben durch. Wo dort detailliert und ausführ- 
lich erzählt wird, da gebietet auch unser Verfasser über reicheres 
und sachlich interessanteres Material ; so bei den judäiseh-israeli- 
tischen und bei den den Tempel betreffenden Geschichten 
(Kap. 10. 18. 23 f. 25, 17—24. 33 f.). Sonst ist er an die Epitome 
gebunden, die das Skelett des Buches der Könige bildet; nach 
ihr richtet er sich sowohl in den Verdicten über den allgemeinen 
Wert der Herrscher als auch in den chronologischen Angaben, 
jedoch seinem Plane gemäss die Synchronismen für gewöhnlich 
(13, 1. 25. 25) auslassend. Auch die positiven Data der Epitome 
über die von diesem und jenem Könige getroffenen Cultusmass- 
regeln finden sich grösstenteils wörtlich wieder und schwimmen 
brockenweise und sofort unterscheidbar in dem Aufguss von 
Festfeiern, Predigten, Levitenchören, Gesetz und Propheten. 
Denn das ist eine wichtige Gegenprobe alles dessen, was sich 
bisher ergeben hat: was in der Chronik nicht aus den Büchern 
Samuelis und der Könige herrührt, gleicht sich nicht bloss in 
der inneren Art, sondern auch in der unbeholfenen und häufig 
unverständlichen Sprache, die offenbar einer Zeit angehört wo 
das Hebräische im Aussterben begriffen war, und in der mani- 
rierten Darstellungsweise, die ganz von biblischen Keminiseenzen 
lebt. Es gehört nicht hierher, dies nachzuweisen; vgl. aber 
Stähelin, specielle Einleitung (1862) S. 139f., Bertheau, S. XIV ff., 
Graf S. 116. 

III. 

1. Wo die Chronik mit den älteren kanonischen Geschichts- 
büchern parallel geht, da enthält sie keine Bereicherung, son- 
dern nur eine Verfärbung der Tradition durch zeitgenössische 
Motive. In dem Gesamtbilde, welches sie malt, spiegelt sich 
ihre eigene Gegenwart, nicht das Altertum wieder. Nicht viel 
anders verhält es sich nun aber auch mit den Geschlechtsver- 
zeichnissen, welche 1. Chron. 1 — 9 zur Einleitung vorangeischickt 



220 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

sind; auch sie haben im ganzen nur für die Abfassungszeit Gel- 
tung, sei es für deren wirkliehe Verhältnisse oder für ihre Vor- 
stellungen über die Vergangenheit. 

Die Vorliebe für Stammbäume und Geschlechtsregister, ge- 
mischt aus genealogisch-historischen und ethnologisch-statistischen 
Elementen, ist charakteristisch für den Judaismus; mit der Sache 
ist auch das Wort jaches erst in späteren Zeiten aufgekom- 
men. Man schreibt compendiarische Geschichte in der Form 
von Tholedoth und Juchasin. Der Faden ist dünn, unanschau- 
lich, und doch scheinbar fest und zusammenhangend; man be- 
hauptet nicht viel und hat doch Gelegenheit allerlei Inter- 
essantes anzubringen. Material findet sich; hat man erst Anfang 
und Ende, so ist die Brücke leicht geschlagen. Eine andere 
Aeusserung des selben Triebes ist die Neigung, alle Verbindun- 
gen und Beziehungen der menschlichen Gesellschaft auf einen 
genealogischen Ausdruck zu bringen, überall künstlich Familien 
zu schaffen und sie in Verwandtschaft zu setzen, als gehe das 
ganze öffentliche Leben in der Vetterschaft auf: bezeichnend für 
die damaligen politisch stationären Zeiten. Wir hören von den 
Geschlechtern der Schriftgelehrten zu Jabes, der Töpfer und 
Gärtner und Byssusarbeiter, von Söhnen der Goldschmiede 
Salbenhändler und Walker, welche Corporationen ganz auf 
gleicher Linie mit wirklichen Familien aufgeführt werden. Die 
Gliederung des Cultuspersonals ist nur die consequenteste Aus- 
bildung dieses künstlichen Natursystems, welches ebenso, auf 
alle anderen socialen Verhältnisse ausgedehnt wurde. 

Um nun näher auf den Inhalt von 1. Chron. 1 — 9 (und an- 
derer damit zusammenhängender Verzeichnisse) einzugehen, so 
liegt hier, abgesehen von dem nicht weiter berücksichtigenswerten 
ersten Kapitel, eine ethno - genealogische Uebersicht über die 
zwölf Stämme Israels vor, welche meist an die Data des Priester- 
codex (Gen. 46. Num. 26) anknüpft und sie bald mehr bald 
minder beträchtlich erweitert. Nur sollen die Angaben des 
Priestercodex für die mosaische, jedoch die der Chronik zugleich 
für die folgende Zeit gelten, z. B. Sauls und Davids, Thiglath- 
pilesers und Hizkia's. Aber schon in der Richterzeit waren in 
diesen Verhältnissen sehr bedeutende Veränderungen eingetreten. 
Während Dan mit Mühe sich hielt, lösten Simeon und Levi sich 
gänzlich auf (Gen. 49, 7): im Segen Mosis bedeutet letzterer be- 



Die Chronik. 221 

reits etwas ganz anderes als einen Stamm, und ersterer wird gar 
nicht erwähnt, obwohl die Aufzählung vollständig sein soll; schon 
zur Zeit Davids war er in der Gegend, wo er einst Fuss gefasst 
hatte, von judäisch - edomitischen Geschlechtern aufgesogen. 
Ostlich vom Jordan hatte, allerdings in etwas späterer Zeit, 
Lea's Erstgeborener ein ähnliches Schicksal. Nachdem er Gen. 49 
des Primats verlustig gesprochen und Jud. 5 wegen seiner an- 
spruchsvollen Worte, denen keine Thaten entsprachen, verspottet 
ist, wird Deut. 33, 6 der kleinmütige hoffnungslose Wunsch ge- 
äussert: „es lebe Rüben und sterbe nicht", und König Mesa weiss 
nicht anders, als dass der Mann von Gad seit je in dem Lande 
wohnte, welches eigentlich rubenitisches Erbe war. Aber in 
der Chronik tauchen diese verschollenen Stämme — und zwar 
nicht bloss Levi, mit dem es ja eine besondere Bewandtnis 
hat, sondern auch Simeon und Rüben, die hier vorerst allein 
in Betracht kommen — wieder auf und existieren al& selbständige 
Zwölfteile Israels so gut wie Ephraim und Manasse durch die ganze 
Königszeit hindurch bis zur Zerstörung des Reichs durch die As- 
syrer 1 ). Diametral widerspricht dies aller beglaubigten Tradition-, 
denn dass es sich bloss um ein Jahrhunderte langes Fortbestehen 
einzelner simeonitischer und rubenitischer Geschlechter inner- 
halb anderer Stämme handle, ist eine harmonistische Verlegen- 
heitsannahme, und ebenso verbietet sich auch jede andere Ab- 
schwächung der Thatsache, dass jene untergegangenen und halb 
mythischen Tribus in der Chronik den übrigen ganz unterschiedslos 
an die Seite gesetzt werden. Der historische Wert, welcher 
durch diese Gleichstellung dem Ganzen genommen wird, kann 
nicht durch die scheinbar objectiven Einzelheiten wieder her- 
gestellt werden. Oder sollen wirklich die Kriege der Simeoniten 
und Rubeniten gegen die Araber mehr zu bedeuten haben als 
die tiberall aus dem Aermel geschüttelten Kriege der jüdischen 
Könige gegen diese Wüsten Völker? wenn nur wenigstens die 
Namen nicht wären, Söhne Harns und Meunäer und Hagarener 
(4, 40 f. 5, 10)! Was ferner die Gesehleclitsregister und Stamm- 
bäume betrifft, sind sie deshalb historisch, weil ihre Elemente 

Vergleiche für Rüben ausser I. 5. 1—10 noch 5, 18. 11, 42. 12, 37. 26, 32. 
27, 16, für Simeon ausser I. 4, 24—43 noch 12. 25. II. 15, 9. 34, 6 und 
beachte, dass in den beiden letzten Stellen Simeon zum Nordreich ge- 
rechnet wird, damit die zehn Stämme voll werden. 



222 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

für uns undurchsichtig sind und unserer Kritik sich entziehen? 
Die Sprache lässt keineswegs vermuten, dass man hier Excerpte 
aus uralten Dokumenten vor sich hat (4,33. 38.41.5, 1 f . 7. 9 f.), 
und Eigennamen, wie z. B. Eljoenai und andere (4, 35 f.), be- 
stechen nicht durch altertümliche Originalität. 

Von den übrigen Stämmen, soweit sie zu Israel und nicht 
zu Juda gehören, kommen im Anschluss an Rüben zunächst 
die transjordanischen an die Reihe (5, 11 — 26). Sie seien ver- 
zeichnet in den Tagen Jothams von Juda und Jerobeams von 
Israel, wobei sich ihre Zahl auf 44,760 Krieger belaufen habe; 
sie seien zu Felde gezogen gegen die Hagarener Ituräer Na- 
phisäer und Nabatäer und haben Sieg und viele Beute gewonnen, 
„denn zu Gott schrieen sie und er Hess sich von ihnen erbitten 
weil sie auf ihn trauten". Darnach aber seien sie abgefallen 
vom Gott ihrer Väter und zur Strafe durch Phul und Tiglath- 
pileser nach Armenien geschleppt an den Chabor und an den 
Fluss Gozans. Abgesehen von der spätjüdischen Sprache im 
erbaulichen Tone und von der Aufzählung Rüben Grad und halb 
Manasse sind hier die wunderlichen und höchst dubiosen Coor- 
dinationen bezeichnend: Phul. und Thiglath-pileser , Chabor und 
der Fluss Gozans sind schwerlich von einander verschieden, 
Jotham und Jerobeam dagegen ein so unmöglicher Synchronis- 
mus, dass die Advokaten der Chronik behaupten , es solle gar 
keiner sein-, freilich ohne an Hos. 1, 2 zu denken und ohne an- 
zugeben, was dann Jotham von Juda hier sonst überhaupt zu 
thun habe. Auch die Hagarener und Ituräer, statt etwa der 
Möabiter und Ammoniter, geben zu denken, desgleichen die 
geographischen Angaben, dass Gad in Basan und Manasse am 
und im Libanon gewohnt habe. Was aber die Eigennamen der 
Geschlechter und Häupter betrifft, so entziehen sie sich aller- 
dings unserer Beurteilung; jedoch sind die Ausdrücke des 
Sehema's, worin sie stehen (ansehe schemoth rasche l'beth abo- 
tham, migraseh, jaches) dem Pristercodex und der Chronik 
eigen, und neben alten und anderweit bezeugten Elementen 
kommen andere sehr neuen Gepräges vor, z. B. 5, 24 Eliel Azriel 
Jeremia Hoduja Jahdiel. 

Die galiläischen Stämme nehmen in der Einleitung keine 
bedeutende Stelle ein, aber in der übrigen Chronik treten sie 
günstig hervor, namentlich I 12, 32—34. 40 und II 30, 10. 11. 18: 



. Die Chronik. 223 

es liegt nahe, besonders bei der letzteren Stelle, an die spätere 
Judaisierung Galiläas zu denken. In Issachar soll es zur Zeit 
Davids 87,000 Mann gegeben haben (misparam l'tholedotham 
Tbeth abotham 7, 1 — 5), aus Zebuion und Naphthali sollen 
wiederum genau 87,000 Mann zu David nach Hebron gekommen 
sein, um ihn zu salben und sich drei Tage bewirten zu lassen; 
doch heisst es vorsorglich 12, 40, sie brachten die Lebensmittel 
selber mit. — Der eigentliche Kern Israels, Ephraim und Ma- 
nasse, ist 7, 14—29 im Vergleich zu Simeon Rüben Gad Issachar 
Äser sehr stiefmütterlich behandelt — ein sehr verdächtiges 
Zeichen. Das Verzeichnis der manassitischen Geschlechter ist 
eine künstliche Neucomposition aus irgendwo aufgelesenen ver- 
witterten Elementen; Maacha, welche vielleicht mit Molecheth 
gleichbedeutend ist, gilt sowohl als Weib wie als Schwester 
Machirs, gehört aber als Gileaditin (Beth-Maaeha) gar nicht 
hierher, da vom eisjordanischen Manasse die Rede ist: zur Aus- 
füllung der Lücken wird kein Material verschmäht 1 ). Bei 
Ephraim ist bloss eine lange und dünne Genealogie gegeben, 
die v. 20. 21 beginnend und v. 25 sich fortsetzend, immer die 
gleichen Namen (Thachath Thachan 1. Sam. 1, 1, Elada Ladan, 
Schuthelah Thelah) wiederholt und schliesslich ihr Ziel und Ende 
mit Josua erreicht, von dem die älteren Quellen nur den Vater 
Nun kennen '). In die Genealogie hinein hat sich eine wunder- 
liche Nachricht über die Tötung der Söhne Ephraims durch die 
Männer von Gath (1. Sam. 4?) eingedrängt, die (wie 8, 6. 7) nach 
der herrschenden Meinung uralt sein soll. Doch soll auch die 
Notiz 4, 9 uralt sein, während sie sich offenbar auf das Auf- 
blühen der Schriftgelehrtenschulen bezieht, welche sich nach 2, 55 
zu Jabes befanden. 

Ueberall wird vorausgesetzt, dass Israel während der ganzen 
Königszeit nach den zwölf Stämmen organisiert gewesen sei 
(Kap. 2—9. Kap. 12. Kap. 27); bekanntlich ist diese Voraussetzung 
grundfalsch, wie z. B. aus 1. Reg. 4 zu erkennen. Ferner wird 
die statistische Neigung des späteren Judaismus auf die ältere 
Zeit übertragen, der Aufnahmen und Zählungen aufs äusserste 
zuwider waren. Unter David sollen trotz 2. Sam. 24 wieder 
und wieder Zählungen sowohl des geistlichen als der weltlichen 

] ) Kuenen, Th. Tijdschr. 1877 S. 484. 488. — Derselbe, Godsclienst v. L 
ßd.I S. 165. 



224 Geschichte der Tradition^ Kap. 6. 

Stämme vorgekommen sein; ebenso unter seinen Nachfolgern, 
wie teils ausdrücklieh angegeben wird, teils aus den genauen 
Angaben über die kriegsfähige Mannschaft zu schliessen ist; 
immer ergeben sich dabei die ungeheuerlichsten und doch ur- 
kundlich und rechnungsmässig sein sollenden Ziffern. Wir haben 
es also bei den statistischen Verzeichnissen der Chronik, sofern 
sie sich auf das vorexilische Altertum beziehen, mit künstlichen 
Compositionen zu thun. Es mag sein und ist mitunter nach- 
weislich, dass dabei einzelne Elemente benutzt sind, die auf 
Tradition beruhen. Sicher eben so viele sind aber auch erdichtet, 
und die Verbindung der Elemente, auf die es vor allem ankommt, 
stammt, wie Form und Inhalt zeigen, aus spätester Zeit. Wer 
hier geschichtliche Erkenntnis über altisraelitische Verhältnisse 
sucht, muss sich darauf legen, das Gras wachsen zu hören. 

2. Anders allerdings als mit den untergegangenen zehn 
Stämmen, von denen bisher die Rede war, steht es mit Juda 
und Benjamin und in gewisser Hinsicht mit Levi. Es lässt sich 
denken, dass hier eine lebendige ethno- genealogische Tradition 
die Gegenwart mit dem Altertum verbunden habe. Jedoch bei 
näherem Zusehen ergiebt sich, dass das Meiste, was der Chronist 
hier mitteilt, auf die nachexilische Zeit sich bezieht, und dass 
die wenigen Fragmente, die höher hinaufweisen, einem Zusam- 
menhange eingearbeitet sind, der im Ganzen sehr jungen Datums 
ist. Am stärksten fällt es auf, dass das Verzeichnis der zu Jeru- 
salem wohnenden Häupter des Volkes 9, 4 — 17 einfach mit Neh. 
11, 3 — 19 identisch ist. Man erwartet an dieser Stelle, zur Ein- 
leitung der Königsgeschichte Kap. 10 ff., keineswegs über die Ver- 
hältnisse der Gemeinde des zweiten Tempels etwas zu hören; 
aber unser Verfasser glaubt dadurch auch über die Verhältnisse 
des alten Jerusalems aufzuklären; von David zu Nehemia ist für 
ihn kein Sprung, er weiss von keinem Unterschied der Zeiten. 
Auch für Kap. 8, wo eine ausführliche Aufzählung der benjamin. 
Familien gegeben wird mit besonderer Rücksicht auf die in der 
Hauptstadt sesshaften, hat Bertheau die nachexilische Beziehung 
nachgewiesen; interessant ist es, dass es im späteren Jerusalem 
eine ausgebreitete Familie gab, welche von Saul abstammen 
wollte und ihre Ansprüche durch einen langen Stammbaum be- 
gründete 8, 33 — 40 x ). Ohne Zweifel wird auf diese Weise für 
J ) es 9, 35— -44$ was vielleicht die spätere Einschaltung von 9, 1—34 beweist. 



Die Chronik. 225 

das hohe Alter des anderen Verzeichnisses der Benjaminiten 
(7, 6—11) kein allzugünstiges Vorurteil erweckt; um übrigens an 
dem angeblichen Zurückgehen desselben auf verblichene Ur- 
kunden zu zweifeln, braucht man nur auf die echt jüdischen 
Termini in den Versen 7. 9. 11, auf Eigennamen wie Eljoenai 
und auf die hier nicht leicht abtrennbaren, sondern sehr zur 
Sache gehörigen Zahlangaben (22,034 + 20,200 + 17,200, zu- 
sammen 59,434 Kriegsmänner) Acht zu geben. 

Am meisten historischen Wert haben die auf den Stamm 
Juda bezüglichen Register (2, 1 — 4, 23). Doch muss man den 
Stammbaum der Davididen Kap. 3 ausnehmen, der nur von Zeru- 
babel abwärts Interesse hat, sonst aber eine äusserst liederliche 
Zusammenstellung des auch uns noch aus den älteren kanoni- 
schen Geschichtsbüchern und aus Jeremia zugänglichen Materials 
enthält. Die ersten vier der in Jerusalem geborenen Söhne 
Davids sollen nach 3, 3 alle von der Bathseba stammen, die 
anderen sieben werden durch ein Textversehen, welches auch 
in der Septuaginta zu 2. Sam. 5, 16 vorliegt, auf neun erhöht. 
Bei den Söhnen Josia's (3, 15 f.) wird Johanan d. i. Joahaz von 
Sallum (Jer. 22, 11) unterschieden und, weil er zuerst seinem 
Vater folgte, zum Erstgeborenen gemacht, während in Wahrheit 
Jojakim älter war (2. Reg. 23, 36. 31); Sedekia, Jojakims Bruder, 
wird für den Sohn Jechonia's, des Sohnes Jojakims, ausgegeben, 
weil er der Nachfolger Jechonia's, des Nachfolgers Jojakims, 
war. Ahnliche Dinge kommen auch im Buche Daniel vor, man 
erkennt sie nicht an, weil man in der Weise von Iobs Freunden 
für Gott Partei nehmen zu müssen meint. Wer Augen hat zu 
sehen, kann nur den beiden grossen jüdischen Geschlechtslisten 
in Kap. 2 und Kap. 4 höheren Wert zugestehen. Doch finden sich 
auch hier die ungleichartigsten Elemente zusammengewürfelt und 
die Spreu mit dem Waizen vermischt 1 ). 

Das 2. Kapitel ist abgesehen von der Einleitung v. 1 — 8 ein 
Verzeichnis der B'ne Hesron, einer Tribus, die zur Zeit Davids 
noch gar nicht völlig mit Juda verschmolzen war, aber schon 
damals die eigentliche Kraft dieses Stammes ausmachte und 
später völlig damit verschmolz. Aus der übrigen Umgebung tritt 
folgendes Schema hervor: „Die B'ne Hesron sind Jerahmeel 

*) Für alles Nähere verweise ich auf meine Dissertation De gentibus et fa- 
miliis Judaeis. Gotting. 1870. 

Wellhausen, Prolegomena. 15 



226 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

und Kelübai (Kaleb) (v. 9). Und die B'ne Jerahmeel, des Erst- 
geborenen Hesrons, waren (v. 25) , . . Das waren die B'ne Jerah- 
meel (v. 33). Und die B'ne Kaleb des Bruders Jerahmeel waren 
(v. 42) . . . Das waren die B'ne Kaleb (v. 50 init.). 44 Was in dieser 
Weise formell begrenzt und zusammengehalten wird (vgl. in letz- 
terer Beziehung „Jerahmeel der Erstgeborene Hesrons' 4 , „Kaleb 
der Bruder Jerahmeels 44 ), zeichnet sieh auch inhaltlich gegenüber 
allem Anderen aus. Es ist der Kern des Ganzen und bezieht 
sich auf die vorexilische Zeit. Schon das ungewöhnliche et 
fuerunt (v. 25. 33. 50) leitet darauf hin, ausserdem bei Kaleb 
die positive Thatsache, dass die Städte v. 42 — 49 alle bei Hebron 
und im Negeb Juda liegen, wo nach dem Exil die Idumäer 
wohnten, und bei Jerahmeel der negative Umstand, dass hier 
überhaupt keine Städte unter den Geschlechtern erwähnt werden, 
vielleicht mit Ausnahme von Molad (v. 29), wodurch man in den 
tiefsten Süden gewiesen würde. Dieser Kern ist nun durch eine 
Reihe naehexilischer Zusätze erweitert. Zuerst findet sich bei 
Jerahmeel ein Anhang v. 34 — 41, der nicht ethnologischer, son- 
dern rein genealogischer Natur ist und einen lögliedrigen Stamm- 
baum offenbar bis nahe zur Gegenwart des Chronisten herab- 
führt, der ausserdem nur in scheinbarer Verbindung mit dem 
Vorhergehenden steht (vgl. v. 34 mit v. 31) und regelmässig die 
Hiphilform holid gebraucht, die v. 25—33 nie und v. 42—50 nur 
sporadisch vorkommt, an drei Stellen, die späterer Redaction 
verdächtig sind (vgl. namentlich v. 47). Ungleich wichtiger sind 
jedoch die Nachträge zu Kaleb, von denen sich der eine Teil 
vorgedrängt v. 18 — 24, der andere dazu gehörige aber passender 
an den Schluss gehängt hat v. 50 — 55 (anfangend mit: „und die 
Söhne Hurs, des Erstgeborenen der Ephrath 44 , Kalebs zweiter Frau 
v. 19). Hier erscheint Kaleb nicht mehr im tiefen Süden Juda's 
und in der Nähe Jerahmeels (1. Sam. 25, 3. 27, 10. 30, 14. 29), 
wo er vor dem Exil gesessen hat, sondern seine Geschlechter, 
die allesamt von seinem Sohne Hur abstammen, bevölkern 
Bethlehem Kiriathjearim Sor'a Esthaol und andere oben im 
Norden belegene und in den Büchern Ezra und Nehemia viel 
genannte Städte. Die Kalibbäer haben also in Folge des Exils 
ihre alten Wohnsitze verlassen und nach der Rückkehr andere 
eingenommen; diese Thatsache wird v. 19 so ausgedrückt, dem 
Kaleb sei sein erstes Weib Azuba bath Jerioth (Deserta filia 



Die Chronik. ' 227 

Nomadum) verstorben und da habe er ein zweites genommen, 
die Ephrath, mit der er den Hur zeugte — Ephrath ist der Name 
der Landschaft, wo Bethlehem und Kiriathjearim liegen und 
eigentlich eine blosse Nebenform von Ephraim, w T ie der Name 
Ephrati beweist. Ausser diesen Zusätzen zu Jerahmeel und Kaleb 
ist noch die Genealogie Davids hinzugekommen (v. 10 — 17). 
Das Buch Samuelis weiss nur von seinem Vater Isai, während 
dagegen Sauls Geschlecht höher hinauf verfolgt wird und kein 
Grund war dies bei David zu unterlassen, wenn die Mittel zu 
Gebote standen. Hier aber wird wie im Buche Ruth über Isai 
Obed Boaz auf Salma zurückgegangen. Salma ist der Vater 
Bethlehems (2, 54), daher der Vater Davids. Aber Salma ist der 
Vater Bethlehems und benachbarter ganzer und halber Städte 
nach dem Exil; er gehört zu Kaleb Abi Hur 1 ). Wenn nun 
irgend etwas gewiss ist, so ist es das, dass in der alten Zeit die 
Kalibbäer im Süden und nicht im Norden Juda's wohnten und 
dass speciell David durch seine Geburt nicht zu ihnen, sondern 
vielmehr zu dem älteren Teile Juda's gehörte, der gegen das 
eigentliche Israel zu gravitierte und mit Benjamin in nächster 
Verbindung stand. Von den drei ersten Gliedern der Genea- 
logie sind Nahson und Amminadab die Fürsten Juda's im Prie- 
stercodex, die passend als die Ahnen ihrer Nachfolger. ange- 
sehen werden; Bam aber ist der Erstgeborene des Erstgeborenen 
Hesrons (v. 25) und auch durch die Bedeutung seines Namens 
(der Hohe) wie Abram zum Ausgangspunkt der fürstlichen Linie 
qualificiert. 

Während man also in Kap. 2 in der That auf einen alten 
und nothwendig auf gute Tradition zurückgehenden Kern stösst, 
der freilich nur um der späteren Zusätze willen erhalten zu 
sein scheint, so charakterisiert sich das 4, 1 — 23 enthaltene ganz 
unabhängige und parallele Verzeichnis dufch viele und deut- 
liche Zeichen für jeden Sachverständigen als eine späte und 
auf nachexilische Verhältnisse abzweckende Composition, worin 

l ) Im Thargum werden die mit Kaleb verwandten Keniter als Salmaner be- 
zeichnet, der Name kommt auch im Hohen Liede vor (1, 5: die Zelte 
von Kedar, die Decken von Salma), ferner bei Plinius für eine naba- 
täische Tribus. Unter den Nehem. 7, 46 — 60 aufgezählten Familien der 
Nathinäer kämmen auch die B'ne Salma vor, neben mehreren anderen 
Namen, die deutlich den nichtisraelitischen und ausländischen (Ezech. 44) 
Ursprung dieser Tempelsklaven erkennen lassen z. B. v. 48. 52. 55. 57. 

15* 



228 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

* vielleicht einzelne ältere Elemente aufgenommen sein mögen, die 
aber nicht mit irgend welcher Sicherheit zu erkennen sind 1 ). 

Am ausführlichsten wird selbstverständlich Levi behandelt 
(I 5, 27—6, 66. 9, 10 ff. Kap. 15 f. Kap. 23-27 u. s. w). Wir 
wissen, dass dieser geistliche Stamm ein Kunstprodukt ist und 
seine hierarchische Gliederung, wie sie im Priestercodex ausge- 
bildet vorliegt, die Folge der Centralisation des Cultus in Jeru- 
salem. Ferner ist oben nachgewiesen, dass in der Geschicht- 
schreibung der Chronik das Streben am auffallendsten ist, die 
Aharoniden und Leviten tiberall da, wo sie in den älteren histori- 
schen Büchern des Kanons vermisst werden, diejenige Rolle 
spielen zu lassen, auf welche sie nach dem Priestercodex An- 
spruch haben. Wie unmittelbar an dieses Gesetz angeknüpft 
wird, wie die Chronik in gewisser Hinsicht dasselbe fortbildet, 
ersieht man z. B. daraus, dass dort Mose (Num. 4, 3 ff. 8, 23 ff.) 
den Anfang des Dienstalters der Leviten von 30 Jahren in einer 
Novelle auf 25 Jahre, hier David (1. Chron. 24, 3. 24) von 
30 Jahren noch weiter auf 20 Jahre herabsetzt; die Dinge sind 
noch einigermassen im Fluss, und die Ordnung des Tempel- 
cultus durch David setzt die Gründung des Gottesdienstes der 
Stiftshütte durch Mose fort. Sofern nun die Statistik des Klerus 
auf Wirklichkeit zurückgeht, ist diese Wirklichkeit nachexilisch. 
Es ist längst aufgefallen, wie viele der unter David und seinen 
Nachfolgern agierenden Individuen (z. B. Asaph Heman Jeduthun) 
mit Familien oder Innungen der späteren Zeit gleichnamig sind, 
wie sogar beides beständig ineinander fliesst und man häufig 
schwankt, ob mit dem Ausdruck Haupt eine einzelne Person 
oder ein Geschlecht gemeint ist. Aber da der Chronist doch 
nicht seine eigene, sondern die alte Zeit schildern will, so hält 
er sich keineswegs streng an die Statistik der Gegenwart, son- 
dern lässt zugleich seiner idealisierenden Phantasie freien Raum: 
daher kommt es, dass man trotz der zahlreichen und scheinbar 
genauen Angaben sich dennoch von der Organisation des Klerus, 

*) Peres Hesron Karmi Hur Schobal 4, 1 ist eine genealogische descendi- 
rende Reihe: man muss also notwendig Kelubai lesen statt Karmi, um so 
notwendiger, da in der folgenden Ausfüllung Kelub und nicht Karmi an 
dritter Stelle erscheint; denn diese, von unten aufsteigend, handelt zu- 
nächst von Schobal (v. 2), sodann (v. 3 — 10) von Hur, der zu As-hur in 
demselben Verhältnis steht wie Tob zu Is-tob, zu dritt (v. 11 — 15) von 
Kelub oder Kaleb. 



Die Chronik. 229 

der Ordnung der Familien und Geschlechter, der Verteilung der 
Amter durchaus kein Bild machen kann, vielmehr sich in einen 
Wirrwarr von Widersprüchen verwickelt findet. Obed-edom 
Jeduthun Salomith Korah stehen in den verschiedensten Verbin- 
dungen, gehören bald zu dieser bald zu jener levitischen Ab- 
teilung und bekleiden bald das bald jenes Amt. Natürlich sind 
die Ausleger schnell bei der Hand, durch Differenzierung gleicher 
und Identifizierung ungleicher Namen auszuhelfen. 

Einige charakteristische Einzelheiten mögen hier noch eine 
Stelle finden. Die Namen der sechs Levitenklassen Giddalthi 
V'romamthi-Ezer Joschebkascha Mallothi Hothir Mahazioth sind 
nach 25, 4 die zerstückten Glieder eines zusammenhängenden 
Satzes: ich habe gross | und herrlich gemacht | die Hülfe dessen |, 
der in Not sass, | habe Weissagungen | geredet in Fülle. Der 
Wächter oder Sänger Obed-edom, der zur Zeit Davids und 
Amasia's fungiert haben soll, ist kein anderer als der Hauptmann, 
dem David drei Monate lang die Obhut der Lade anvertraute, 
ein Philister von Gath. In höchst durchsichtiger Weise sind die 
Stammbäume der Sänger componiert, namentlich der des Heman 
(1. Chron. 6, 7— 12=v. 18—23). Ausser Exod. 6, 16—19 sind vor- 
zugsweise dabei die Angaben über Samuels Familie (1. Sam. 
1, 1. 8, 2) benutzt, der weil ihn seine Mutter zum Dienste am 
Heiligtum weihte, natürlich levitischer Abstammung gewesen sein 
muss. Heman ist der Sohn Joels ben Samuel b. Elkana b. Jero- 
ham b. Eliab b. Thahath b. Suph — nur wird nicht wie 1. Sam. 
1, 1 (Sept.) mit Ephraim geschlossen, weil ja auf Levi gekommen 
werden soll; aber Suph ist eine ephraimitische Landschaft und 
Thahath (Thohu Thoah Thahan Nahath) ein ephraimitisches 
Geschlecht (7, 20). Weiter hinauf wiederholen sich die gleichen 
Elemente vereinzelt noch öfters, Elkana im Ganzen viermal : ein- 
mal kommt er schon Exod. 6, 24 vor, ohne Zweifel auch hier 
aus 1. Sam. 1 entlehnt. Das Schönste ist, dass, entgegen der 
Absicht der 1. Chron. 6 mitgeteilten Genealogien, wodurch die 
Sängerinnungen als Leviten erwiesen werden, sich daneben (2, 6) 
die Notiz findet, Heman und Ethan stammen von Zerah b. Peres 
b. Juda ab. Die Ausleger in ihrem Bemühen, die Homonyme 
zu differenzieren, werden zwar begünstigt durch ihre Unkenntnis 
des Umstandes, dass noch z. Z. Nehemia's die Sänger nicht für 
Leviten gelten, scheitern aber daran, dass nicht bloss die Söhne, 



230 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

sondern auch die Väter gleichnamig sind (Ps. 88, 1. 89, 1. Ewald 
III 380 f.). Historisch stammen natürlich diese Musiker des 
zweiten Tempels weder yon Levi noch von den Söhnen Machols 
(1. Eeg. 5, 11) ab, aber von den letzteren haben sie in der That 
wenigstens ihre Namen hergenommen. Allenthalben finden sich 
solche künstliche Namen bei den Leviten. Einer heisst Issachar; 
man würde sich nicht wundern, einem Naphthali Sebi oder Juda 
ben Jakob zu begegnen. Jeduthun ist eigentlich Bezeichnung 
einer Singweise (Ps. 39, 1. 62, 1. 77, 1), daher denn auch eines 
darauf eingeübten Chores. Besonders interessant sind einige 
heidnische Namen, z. B. Henadad, Bakbuk und mehrere andere, 
die ursprünglich bei den Hierodulen (Neh. 7, 46 ff.) heimisch, 
ohne Zweifel aber mit diesen hinterher zu den Leviten überge- 
gangen sind. 

Mit den Priestern, deren so manche aus allen Zeiten der 
israelitischen Geschichte namhaft gemacht werden, steht es, so- 
weit sie nicht aus den Büchern Samuelis und der Könige ent- 
lehnt sind, nicht besser als mit den niederen Leviten. Insbeson- 
dere sind die 24 Priesterklassen keine Einrichtung des Königs 
David, sondern der nachexilischen Zeit. Wenn Hitzig zu Ezech. 
8, 16 bemerkt, dass die 25 Männer, welche zwischen dem 
Tempel und dem Altar stehend ihr Gesicht gen Osten wenden 
und die Sonne anbeten, die Vorsteher der 24 Priesterklassen mit 
dem Hohenpriester an der Spitze gewesen seien (weil nämlich 
niemand anders das Eecht gehabt zwischen Tempel und Altar 
im inneren Vorhof zu stehen), so ist das für ihn selber und für 
die ganze s. g. historisch -kritische Schule charakteristisch, die 
ihren Scharfsinn immer von Fall zu Fall anstrengt, aber sich 
nicht Zeit lässt über die Sachen im Zusammenhang nachzu- 
denken, vielmehr einfach die Gesammtanschauung der Tradition 
beibehält und sich nur zum Vergnügen eine Menge Ketzereien 
erlaubt. Es ist beinah nicht möglich anzunehmen, dass Hitzig 
als er Ezech. 8 commentierte, die Stellen Ezech. 43, 7 f. 44, 6 ff. 
gelesen hatte, aus denen aufs unzweideutigste hervorgeht, dass 
der vorexilischen Zeit die nachmalige Absperrung des Heiligen 
für die Laien völlig unbekannt war. Wie viel die Chronik über 
die vorexilische Priesterschaft wusste, verrät am deutlichsten 
das Verzeichnis der 22 Hohenpriester I 5, 29 — 41. Vom 9. bis 
18. Gliede lautet die Beihe: Amaria Ahitub Sadok Ahimaas 



Die Chronik. 231 

Azaria Johanan Azaria Amaria Ahitub Sadok. Was die ersten 
fünf angeht, so war Azaria nicht der Sohn, sondern der Bruder 
des Ahimaas und letzterer dem Anschein nach nicht Priester 
(1. Reg. 4, 2); Ahitub aber der angebliche Vater Sadoks war viel- 
mehr der Grossvater von dessen Rivalen Abiathar aus der Fa- 
milie Eli (1. Sam. 14, 3. 22, 19): die ganze altberühmte Linie Eli 
Pinehas Ahitub Ahimelech Abiathar, welche seit den Tagen der 
Richter und noch unter David das Priestertum der Lade inne 
hatte, wird totgeschwiegen, und die erst unter Salomo (1. Reg. 
2, 35) an Stelle jener getretene Linie Sadok als die seit .Mose 
im Besitz des vornehmsten Priestertums befindliche dargestellt. 
Was ferner die vier letzten Namen der oben aufgezählten Liste 
betrifft, so wiederholen sie einfach die früheren. Im Buch der 
Könige kommen Azaria II Amaria Ahitub Sadok nicht vor, da- 
gegen aber gleichzeitige andere Hohepriester, Jojada und Uria, 
die im Verzeichnis der Chronik fehlen. Gleichwohl kann das 
letztere nicht für lückenhaft erklärt werden. Denn in der jüdi- 
schen Chronologie wird die alte Geschichte in zwei 480jährige 
Perioden eingeteilt, deren eine vom Auszuge aus Ägypten bis 
zum Tempelbau und die andere von da bis zur Gründung der 
zweiten Theokratie läuft. Nun sind 480 Jahre 12 vierzigjährige 
Generationen; und 1. Chron. 5 werden 12 Hohepriester auf die 
tempellose Zeit gerechnet (v. 36 b hinter v. 35 a), von da aber 
noch 11 bis aufs Exil, d. h. inclusive des Exils 12 Generationen. 
Man kann also nicht umhin über den historischen Wert der 
Genealogie 5, 29—41 den Stab zu brechen. Wusste aber die 
Chronik von den Priesterfürsten der älteren Zeit nichts, so ist 
ihren Angaben über die gewöhnlichen Priester erst recht nicht 
zu trauen. 

3. Von einer Tradition aus vorexilischer Zeit kann also in 
der Chronik nicht die Rede sein, weder in I. 1 — 9 noch in 
I. 10—11. 36. Schon im Jahre 1806 hatte dies der damals 
26jährige de Wette bündig dargethan. Aber seitdem hat sich 
mancher theologische Sisyphus bemüht, den Stein auf halbe oder 
ganze Höhe wieder bergauf zu wälzen, mit besonderem Erfolge 
namentlich der dem nüchternen evangelischen Kritiker an Geist 
scheinbar überlegene Movers. Dieser Gelehrte verwirrte die 
Frage nach dem historischen Wert der für uns eontrolierbaren 
Nachrichten der Chronik mit der nach den mutmasslichen Quellen 



232 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

ihrer Abweichungen von den älteren kanonischen Geschichts- 
büchern. Vergebens hatte de Wette im voraus gegen ein solches 
Verfahren protestiert: es sei möglich und zuzugeben, dass die 
Chronik, wo sie variiere oder widerspreche, älteren Vorgängern 
folge, aber die Frage bleibe nach wie vor die gleiche, auf welche 
Weise sich die totale Verschiedenheit der Gesamtanschauung 
und die Menge der partiellen Differenzen erkläre; die Quellen- 
hypothese, wie sie vor Movers von Eichhorn vertreten war, helfe 
zur Entscheidung dieser Frage nichts, man müsse eben doch bei 
der kritischen Vergleichung der beiden Relationen und der Prü- 
fung ihres geschichtlichen Charakters sich halten an das was 
vorliege (Beiträge I. S. 24. 29. 38). Solche Grundsätze waren 
einer geistreichen Zeit zu simpel; Movers imponierte, zumal da 
er nicht so naiv war, sich auf authentische Urkunden wie den 
Brief Hirams und Elia's zu berufen, sondern sehr kritisch ver- 
fuhr. Gegenwärtig erkennt leider auch Dillmann (Herzogs RE. 
II 1 S. 693. IIP S. 223) an, „dass der Chronist tiberall nach 
Quellen gearbeitet hat und von absichtlicher Erdichtung oder 
Entstellung der Geschichte bei ihm keine Rede sein kann 44 . Und 
von der Höhe der Wissenschaft herab sieht der Verfasser des 
5. Teiles des biblischen Commentars über das A. T. mitleidig 
auf K. H. Graf nieder, „der so weit hinter dem gegenwärtigen 
Standpunkt der ATlichen Forschung zurückgeblieben ist, dass 
er die de Wette'schen Ansichten zu repristinieren versucht hat u ; 
ja um die Chronik völlig auf eigene Füsse und den Büchern 
Samuelis und der Könige gleich zu stellen, leugnet er überhaupt 
ihre Abhängigkeit von denselben und lässt sie auch da, wo sie 
wörtlich daraus abschreibt, anderweitige selbständige Quellen be- 
nutzen : eine unnötige Übertreibung der Wissenschaftlichkeit, denn 
z. B. das Gebet Salomo's und die Epitome hat doch der Vf. des 
Buchs der Könige selber geschrieben und nicht anderswoher 
entlehnt, der Chronist kann sie also, direkt oder indirekt, nur 
aus seinem Werke haben. 

Hiegegen kann man nur wiederholen was de Wette gesagt 
hat. Es kann sein, dafcs die Chronik nicht lediglich auf eigene 
Rechnung und Gefahr, sondern auf Grund schriftlicher Vorlagen 
ein von der echten Tradition in Farbe und Zeichnung so ganz 
abweichendes Bild des alten Israel entwirft. Dadurch verändert 
sich aber ihr geschichtlicher Charakter nicht um ein Haar, sie 



Die Chronik. 233 

teilt ihn nun bloss mit ihren s. g. Quellen. Das 2. Makkabäer- 
buch und eine Menge ähnlicher Schriften haben auch Quellen 
benutzt, was hilft das zur Verbesserung des Wertes ihrer Mit- 
teilungen? Der muss doch aus dem Inhalt derselben erkannt 
werden, welcher nicht nach den verloren gegangenen pri- 
mären, sondern nur nach den erhaltenen sekundären literarischen 
Produkten beurteilt werden kann. Auf die Prüfung des histo- 
rischen Gehaltes läuft mithin Alles hinaus — wir haben schon 
gesehen, zu welchen Ergebnissen diese führt. Die Änderungen 
und Supplemente der Chronik fliessen schliesslich alle aus dem 
selben Brunnen: es ist die Judaisierung der Vergangenheit, in 
welcher sonst die Epigonen ihr Ideal nicht wieder erkennen 
. konnten. Nicht weil das Gesetz und die Hierokratie, und der 
deus ex machina als einzig wirksamer Faktor der heiligen Ge- 
schichte, in der Überlieferung vorgefunden, sondern weil sie 
darin vermisst wurden, setzte man sie zu. Wenn die Aus- 
lassungen aus „dem Plane" erklärt werden, warum nicht aus 
der gleichen Rücksicht die Zuthaten? Die Entrüstung, mit der 
sich Ewald (Jahrbb. X 261) über die Ansicht äussert , dass die 
Gefangenschaft Manasse's auf jüdischer Dogmatik beruhe, „sie 
sei ein verzweifelt schlechter Gedanke und zugleich ein grosses 
Unrecht gegen die biblische Chronik", erinnert an Bernhard 
Schäfers denkwürdiges Wort über den Prediger Salomo, dass 
Gott der Herr keinen Lügner brauche, um ein kanonisches Buch 
zu schreiben. Was sagt denn Ewald zu den Erzählungen im 
Daniel oder im Jona? Warum muss die Umdichtung der Ge- 
schichte Manasse's anders beurteilt werden, als die der Geschichte 
des Ahaz, die eben so dreist ist, und als die übrigen S. 211 ff. 
aufgeführten analogen Beispiele? Mit welchem Rechte gilt über- 
haupt der Chronist, nachdem ihm so und so oft die Unglaub- 
würdigkeit nachgewiesen ist, in einem beliebigen Einzelfalle 
immer wieder für einen unverdächtigen Erzähler? Mindestens 
da, wo die Beziehung zum „Plane" deutlich ist, sollte man doch 
seinem Zeugnisse gegenüber mistrauisch sein; man sollte aber 
zugleich bedenken, dass solche Beziehungen viel häufiger vor- 
kommen werden als sie für uns, namentlich für die Blinden 
unter uns, erkennbar sind. Es ist ja möglich, dass sich irgend 
ein gutes Korn unter der Spreu befände, aber gewissenhafter 
Weise muss man von der Möglichkeit der Ausnahme abstrahieren 



234 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

und der Wahrscheinlichkeit der Regel die Ehre geben. Denn 
in dem Ausheben einer gesunden Einzelheit aus einem inficierten 
Ganzen täuscht man sich gar zu leicht. Zu 2. Sam. 5, 9: und 
David wohnte in der Burg (Jebus) und nannte sie die Stadt 
Davids und baute sie rings von der Mauerböschung nach innen 
zu — findet sich 1. Chr. 11, 8 der Zusatz: Joab aber stellte den 
Rest der Stadt (Jerusalem) wieder her. Die Notiz sieht unver- 
dächtig aus und findet allgemeinen Glauben. Aber das Wort 
mn statt JTD2 beweist ihre Jugend, und bei näherer Überlegung 
findet man auch, dass die Stadt Jebus z. Z. ihrer Eroberung 
durch David sich lediglich auf die Burg beschränkte und die 
Neustadt erst später hinzukam, mithin nicht von Joab wieder 
aufgebaut werden konnte; das Interesse für den letzteren er- 
klärt sich aus Neh. 7, 11. Vielfach pflegt man solche Angaben 
anzusehen, als aus pinem noch besseren Texte der Bücher Sa- 
muelis und der Könige geflossen, welcher der Chronik vor- 
gelegen habe; und das ist jedenfalls die zulässigste Form ihrer 
Introducierung. Aber die Textkritiker des exegetischen Hand- 
buches sind dem Chronisten nur allzu congenial und greifen 
immer mit beiden Händen nach seinen Glasperlen und jaach den 
verwandten Erscheinungen in der Septuaginta. 

Zuzugestehen ist, dass die Chronik nicht der Willkür eines 
Einzelnen, sondern einer .allgemeinen Zeitrichtung ihre Ent- 
stehung verdankt. Sie ist das notwendige Produkt der Über- 
zeugung, dass das mosaische Gesetz der Ausgangspunkt der 
israelitischen Geschichte sei und dass in ihr ein aller Analogie 
entnommenes heiliges Kräftespiel wirke; diese Ueberzeugung 
musste zu einer völligen Umgestaltung der alten Tradition führen. 
Von gleicher Voraussetzung ausgehend könnte ein Mann wie 
C. F. Keil noch heute die Chronik schreiben wenn sie nicht 
schon vorhanden wäre. In dieser Hinsicht nun, um die Chronik 
als den Typus der Geschichtsauffassung der Schriftgelehrten zu 
würdigen, ist die Frage nach ihren „Quellen" in der That wichtig 
.und interessant. Verweisungen auf anderweitige Schriften, aus 
denen man sich des näheren unterrichten könne, folgen in der 
Regel am Schlüsse der Regierung jedes Königs, ausgenommen 
Joram Ahazia Athalia Amon Joahaz Jojachin Sedekia. Die dabei 
angegebenen Titel lassen sich in zwei Gruppen bringen: a) das 
Buch der Könige von Israel und Juda oder von Juda und Israel 



Die Chronik. - 235 

(bei Asa Amasia Jotham Ahaz Josia und Jojakim), womit das 
Buch der Könige von Israel (Josaphat Manasse vgl. I 9, 1) iden- 
tisch ist, da es sich ja nur um Juda handelt; b) die Worte Sa- 
muels des Sehers, Nathans des Propheten und Gads des Spähers 
(David I 29,29 vgl. 27, 24. Sir. 46, 13. 47, 1), die Worte Nathans 
des Propheten, die Prophetie Ahia's von Silo und das Gesicht 
Iddo's des Spähers über Jerobeam ben Nebat (Salomo II, 9, 29), 
die Worte Semaia's des Propheten und Iddo's des Spähers (Re- /$, 
habeam 12, 15), die Worte Jehu's ben Hanani, welche in's Buch 
der Könige von Israel tibertragen sind (Josaphat 20, 34) , eine 
Schrift Jesaia's des Propheten (Uzzia 26, 22), näher bezeichnet 
als das Gesicht des Propheten Jesaia ben Arnos in dem Buche 
der Könige von Juda und Israel (Hizkia 32, 32), die Worte der 
Seher in den Geschichten der Könige Israels (Manasse 33, 18 
vgl. auch v. 19). Nach Movers Vorgange haben Bertheau und 
Andere nachgewiesen, dass -mit diesen verschiedenartigen Citaten 
immer nur ein und dasselbe Buch bezeichnet ist, entweder nach 
seinem Gesamttitel oder nach den conventioneilen Einzeltiteln 
seiner Abschnitte 1 ). Bertheau macht darauf aufmerksam, dass 
für gewöhnlich entweder die eine oder die andere Verweisung 
vorkomme, und, wenn ausnahmsweise zwei zugleich, dann regel- 
mässig die prophetische Schrift als ein Stück aus dem Geschichts- 
buche der Könige bezeichnet werde (20, 34. 32, 32 und ganz all- 
gemein 33, 18). Die eigentümliche Benennung der einzelnen Ab- 
schnitte 2 ) — in einer Zeit, welche keine Kapitel und Verse kennt, 
— geht davon aus, dass jede Periode der heiligen Geschichte 
ihren leitenden Propheten hat (dxpißyj£ twv 7rpo<p7]Tü>v StaSo/Vj contra 
Apion. 1, 8), sie involviert aber wohl auch (nach 26, 22 trotz 9, 29. 
12, 15. 13, 22 I 29, 29) die Meinung, dass jeder Prophet seine 
Periode selbst beschrieben habe. Offenbar ist dies der Grund 
des Namens prophetae priores, den die Bücher Josua Richter 
Samuelis und Könige im jüdischen Kanon tragen, und auch der 
Gesichtspunkt, aus dem die Uebertragung von 2. Reg. 18ff. in 

*) Auch in den Büchern Ezra und Nehemia hat der Chronist nicht so viel 
Quellen benutzt als man annimmt. Die Klagelieder 2. Chron. 35, 25 nicht 
für unsere Klagejieder Jeremiae zu halten hat man keinen Grund; we- 
nigstens ist die falsche Beziehung derselben auf den Tod Josia's (Joseph. 
Ant. 10. 5, 1) ehrlicher Weise nicht als ein solcher anzusehen. 

2 ) Rom. 11, 2: Iv "Elia r( Xeyet Vj ypacpiq; das heisst: wie steht in dem Ab- 
schnitte über Elias geschrieben? 



236 • Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

das Buch Jesaia's zu beurteilen ist. Bei geringen historischen 
Ansprüchen ward es leicht, für jeden Abschnitt den nötigen 
propheta eponymus zu finden. Jehu ben Hanani, ein Nord- 
israelit aus der Zeit Baesa's, muss wie für Asa so noch für Jo- 
saphat. herhalten. Iddo der Späher, der gegen Jerobeam ben 
Nebat geweissagt hat, ist der anonyme Prophet von 1. Reg. 13 
(Jos. Ant. 8 8, 5. Hieron. zu Zachar. 1, 1); in der damaligen 
Zeit wusste man auch die Namen der Weiber Kains und der 
Urväter anzugeben. 

Anlangend die nähere Bestimmung des der Chronik zu 
Grunde liegenden Buches der Könige, so kann eine Zusammen- 
arbeitung der Königsreihen von Israel und Juda erst nach dem 
Abschluss beider erfolgt sein, also erst im babylonischen Exil. 
Im babylonischen Exil ist nun das kanonische Buch der Könige 
wirklich entstanden, und dessen Verfasser hat zum ersten n^al 
die Jahrbücher von Israel und die Jahrbücher von Juda zusam- 
mengearbeitet; wenigstens beruft er sich nur auf die getrennten 
Werke und kennt noch keine ältere Verschmelzung derselben. 
Es läge also am nächsten, die von der Chronik gemeinte Schrift 
für unser im Titel gleichlautendes und im Inhalt entsprechendes 
kanonisches Buch zu halten. Aber das geht nicht an, weil in 
jenem Dinge gestanden haben, von denen hier nichts zu finden 
ist, z. B. nach 1. Chron. 9, 1 eine Familien- und Zahlenstatistik 
des gesamten Israels in der Weise von 1. Chr. 1 — 9 — welche 
Kapitel zumeist daraus entnommen sein werden — und nach 
2. Chron. 33, 19 das Gebet Manasse's. Aus diesen beiden An- 
gaben sowie auch aus der Art der übrigen mutmasslich grossen- 
teils aus dieser Quelle geflossenen Nachrichten muss man 
schliessen, dass das von der Chronik citierte Buch der Könige 
ein der wirklichen Tradition fern stehendes und spätes Mach- 
werk ist, und sein Verhältnis zum kanonischen Buch der Kö- 
nige so erklären, dass es eine apokryphe Aufputzung und Er- 
weiterung desselben ist, nach der Weise der Behandlung der 
heiligen Geschichte durch die Schriftgelehrten. Diesem Schlüsse 
aus dem Inhalt kommt nun ein wichtiges positives Datum zu 
Hülfe, nämlich die Anführung IL 24, 27: der Midrasch des 
Buchs der Könige und 13,22: der Midrasch des Propheten 
Iddo. Ohne Zweifel hat Ewald Recht, hierin den wahren Titel 
der sonst einfach das Buch der Könige genannten Schrift zu 



Richter Samuelis und Konige. 237 

erkennen. Nun versteht es sich zwar von selbst, dass die Aus- 
leger behaupten, das Wort Midraseh, das .nur an diesen beiden 
Stellen in die Bibel hineinragt, heisse hier etwas ganz anderes 
als was es sonst immer heisst — aber die wirkliche Bedeutung 
passt ausgezeichnet und wir stehen mit der Chronik mitten im 
Zeitalter der Schriftgelehrten inne (1. Chron. 2, 55). Der Mi- 
draseh ist die Folge der Heilighaltung der Reliquien der Ver- 
gangenheit, eine ganz eigene Wiedererweckung der toten Ge- 
beine, auf künstlichem und zunächst auf schriftlichem Wege, 
wie die Vorliebe für Listen von Namen und Zahlen zeigt. Wie 
Efeu umgrünt derselbe den abgestorbenen Stamm mit fremdarti- 
gem Leben, Altesund Neues in sonderbarer Vereinigung mischend. 
Es ist Hochschätzung der Überlieferung, welche sich in -ihrer 
Modernisierung äussert; aber dabei wird sie aufs willkürlichste 
umgedeutet, verrenkt und mit fremdartigen Zuthaten versetzt. 
Im Zusammenhange mit dieser Widerspiegelung der Gegenwart 
im Altertum stehen sowohl Jona wie Daniel und eine Menge 
von Apokryphen (2. Macc. 2, 13); das Gebet des Manasse, das 
jetzt nur griechisch erhalten ist, scheint in der That, wie Ewald 
vermutet, direkt aus dem Buche entlehnt zu sein, welches 
2. Chron. 33, 19 angeführt wird. In dieser Sphäre, in der das 
ganze Judentum sich bewegt, ist auch die Chronik entstanden. 
Ob man Chronik sagt oder Midraseh des Buchs der Könige, 
ist dabei ziemlich gleichgiltig, sie sind Kinder desselben Schosses 
und nach Geist und Sprache auf keine Weise zu unterscheiden, 
während dagegen die wörtlich aus dem kanonischen Buche der 
Könige beibehaltenen Stücke in beider Hinsicht sofort auffallen. 



Siebentes Kapitel. 

Richter Samuelis und Könige. 

In der an Unglücksfällen reichen Geschichte # der hebräischen 
Literatur ist auch ein glückliches Ereignis zu verzeichnen. Die 



238 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Chronik hat die ihr zu Grunde liegenden Geschichtsbücher nicht 
verdrängt, sondern neben der jüngeren ist uns die ältere Dar- 
stellung erhalten. Jedoch auch in den Büchern der Richter 
Samuelis und der Könige liegt die Überlieferung nicht rein in 
ihrer ursprünglichen Fassung vor, sondern schon hier tiberwuchert 
von späteren Trieben. Neben einer älteren Relation hat sich 
eine neue gebildet, formell unabhängig und für sich verständ- 
lich, manchmal freilich dennoch sich vorhandenem Zusammen- 
hange anschmiegend. Häufiger haben die neuen Säfte nicht 
einen ganzen Stamm aus der alten Wurzel noch auch einen 
ganzen Ast am alten Stamme hervorgetrieben, sondern nur 
parasitische Bildungen angesetzt; kleinere unselbständige Stücke 
sind einer älteren Erzählung angewachsen. Über das ganze 
Geschiebe der Tradition ist endlich gleichförmig ein letztes Se- 
diment gelagert, welches die Gestalt der Oberfläche bedingt. 
Um dies letztere handelt es sich uns zuvörderst; seine Art fest- 
zustellen, die zeugenden Kräfte zu erkennen, die darin wirken. 
Darnach erst können wir versuchen, auch in der dahinter lie- 
genden älteren Schichtung den Stimmungswechsel der Zeiten zu 
verfolgen. 

I. 

1. Zur Beurteilung der Richterperiode wird man durch 
folgendes Prooemium auf den richtigen Standpunkt gesetzt. 
„Nach dem Tode Josua's thaten die Kinder Israel was böse ist 
vor Jahve und verliessen den Gott ihrer Väter, der sie aus 
Ägyptenland geführt hatte, und dienten den Göttern der Völker 
ringsum, den Baalen und Astarten. Und Jahve's Zorn ent- 
brannte über sie und er tibergab sie in die Hand von Räubern, 
die sie ausraubten, und verkaufte sie in die Hand ihrer Feinde 
ringsum; bei all ihrem Unternehmen war Jahve's Hand gegen 
sie zum Bösen, wie er geredet und wie er ihnen geschworen 
hatte; und sie kamen sehr in die Enge. Dann erweckte ihnen 
Jahve Richter und war mit dem Richter und rettete sie aus der 
Hand ihrer Feinde alle Tage des Richters, weil er sich er- 
weichen Hess durch ihr Geschrei vor ihren Drängern und Pei- 
nigern. Wenn aber der Richter starb, trieben sie es wieder 
schlimmer als ihre Väter, fremden Göttern nachzu wandeln; sie 



Richter Samuelis und Könige. 239 

blieben nicht zurück hinter deren Thaten und ihrem verstockten 
Wandel, so dass Jahve über Israel ergrimmte" u. s. w. Jud. 2. 

Das ist der Text, es folgen die Exempel. „Und die Kinder 
Israel thaten was böse ist vor Jahve und vergassen Jahve ihren 
Gott und dienten den Baalen und Astarten , und JahveV Zorn 
entbrannte über Israel und er verkaufte sie in die Hand des 
Königs Kusan Risathaims von Aram und sie dienten ihm acht 
Jahre. Und die Kinder Israel schrien zu Jahve, und Jahve er- 
weckte ihnen einen Helfer, Othniel ben Kenaz, und gab den 
König von Aram in seine Hand, und das Land hatte vierzig 
Jahre Ruhe, da starb Othniel ben Kenaz." Die gleichen Ge- 
sichtspunkte und auch ziemlich wörtlich die Ausdrücke, die bei 
Othniel das ganze Cadre ausfüllen, kehren bei Ehud Debora 
Gideon Jephthah und Simson wieder, bilden hier aber nur am 
Anfange und am Ende der Erzählungen einen Rahmen, um an- 
derweitigen und reicheren Inhalt einzufassen; selten schwellen 
sie zu ausführlicheren Betrachtungen an, wie 6, 7. 10, 6. Auf 
diese Weise entsteht das regelmässige Fach werk von Jud. 2—16. 
Es sind jedoch bloss die sechs grossen Richter die darin unter- 
gebracht sind; die sechs kleinen stehen ausserhalb und haben 
ein besonderes Schema für sich, sie werden erst nachträglich 
hinzugefügt sein, um die Zwölfzahl voll zu machen. 

Es sind wenige und markante Züge, welche diese historische 
Methodik charakterisieren. Eine fortlaufende Chronologie reiht 
die Ruhezeiten und die Unterbrechungen an einander und sorgt 
für die Continuität der Periode. Um dieselbe richtig zu würdi- 
gen, muss man etwas über die Grenzen des Richterbuches 
hinausgehen. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt in 
1. Reg. 6, 1 : „im 480 Jahre des Auszugs der Kinder Israel aus 
Ägyptenland, im 4. Jahre der Regierung Salomo's baute er das 
Haus Jahve's". Wie Bertheau erkannt und Nöldeke weiter ver- 
folgt hat, entsprechen diese 480 Jahre 12 Generationen zu je 
40 Jahren. Analog werden 1. Chron. 5, 29 — 34 in diesem Zeit- 
raum von Aharon bis Ahimaas 12 Hohepriester angenommen, 
nach deren Successionen man in der späteren Zeit die Ge- 
schlechterfolge auszumessen suchte (Num. 35, 28). Es ist nun 
allerdings nicht sofort klar, wie diese Gesamtsumme mit den 
Einzelposten in Harmonie zu bringen ist. Jedoch dass die Vierzig 
die Grundzahl der Rechnung sei, lassen auch die Einzelposten 



240 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

zur Gentige erkennen. Vierzig Jahre lang dauert der Wtistenzug, 
während des die ägyptische Generation ausstirbt; je 40 Jahre 
hat das Land Ruhe unter Othniel Debora und Gideon, 80 unter 
Ehud; 40 Jahre währt die Herrschaft der Philister, ebensolange 
die Eferrschaft Davids. Nach der notwendigen Annahme, dass 
die Periode der Philister (Jud. 13, 1), die das gewöhnliche Mass 
der Fremdherrschaften weit überschreitet, sich mit der Eli's 
(1. Sam. 4, 18) deckt und gleichermassen die sich ergänzenden 
20 Jahre Simsons (Jud. 16, 31) und 20 des Interregnums vor 
Samuel (1. Sam. 7, 2) umfasst, sind hiemit 8X40 Jahre unterge- 
bracht, und es bleiben noch 4x40. Davon müssen einmal die 
beiden Generationen bedacht werden, für die keine Zahlen an- 
gegeben sind, nämlich die Josua's und der ihn überlebenden 
Zeitgenossen (Jud. 2, 7), und die Samuel-Sauls, vermutlich jede 
mit den normalen 40, beide zusammen sicher mit 80 Jahren. 
Von den übrigen 80 wären hauptsächlich zu bestreiten die 71 
Jahre der Interregna oder Fremdherrschaften und die 70 der 
kleinen Richter. Man sieht, diese beiden Abschnitte haben neben 
einander nicht Platz — es sind Äquivalente, die sich gegenseitig 
aussehliessen. Ich ziehe vor, die Interregna festzuhalten, weil 
gegenwärtig nur sie dem eigentlichen Schema des Richterbuches 
eingeordnet sind. Der noch verfügbare Rest von 9 oder 10 
Jahren verteilt sich auf Jephthah mit 6 und auf Salomo (bis 
zum Tempelbau) mit 3 oder 4 Jahren, resp. wenn man die 
letzteren nicht mitrechnet, auf Abimelech mit 3 Jahren. 

Aber die Hauptsache ist nicht die Chronologie, sondern die 
religiöse Verknüpfung der Begebenheiten., Beides hängt eng 
zusammen, formell, wie aus dem Schema zu ersehen, und auch 
durch eine innerliche Beziehung. Denn es handelt sich hier wie 
dort um Zusammenfassung grosser Zeiträume, um einen fort- 
gesetzten Üeberblick über die Folge und die Verkettung der 
Geschlechter, wobei von dem näheren Inhalt der Ereignisse ab- 
gesehen wird; die geschichtlichen Faktoren, mit denen der re- 
ligiöse Pragmatismus rechnet, sind so gleichartig, dass die ein- 
zelnen Perioden in der That bloss mit Jahreszahlen ausgefüllt 
zu werden brauchen. Man wird an Satz Gegensatz und Ver- 
mittlung erinnert, wenn man sich den einförmigen Takt in's 
Ohr klingen lässt, nach dem hier die Geschichte fortschreitet 
oder sich im fireise dreht. Abfall Drangsal Bekehrung Ruhe, 



Richter Samuelis und Könige. 241 

Abfall Drangsal Bekehrung Ruhe. Die einzigen Subjecte aller 
Aussagen sind Jahve und Israel, ihr Verhältnis allein ist es was 
den Weltlauf in Bewegung setzt; je nachdem in entgegenge- 
setzter Richtung, so dass er schliesslich immer auf dem selben 
Flecke bleibt. 

„Sie thaten was böse ist vor Jahve, sie hurten den Götzen 
nach" — das ist der durchklingende Grundton. Trotzdem die 
Monolatrie Jahve's auch äusserlich so wirksam sich empfiehlt, 
schlägt sie doch keine festen Wurzeln, verwächst nicht mit dem 
Volke, sondern bleibt ihm eine transcendente Forderung. Jahr- 
zehende hindurch lassen sie sich dabei festhalten, dann aber 
macht sich ihr götzendienerischer Hang Luft, der nur durch die 
Scheu vor dem Richter bei dessen Lebzeiten, zurückgehalten ist; 
sie müssen Veränderung haben. Nun ist der Abfall zwar für 
die Pragmatik ganz notwendig, weil sonst überhaupt nichts ge- 
schieht; es ist die Unruhe in der Uhr, wovon alle Bewegung 
abhängt. Indessen das ist natürlich kein Milderungsgrund, das 
Betragen des Volkes erscheint vielmehr überaus unentschuldbar. 
Die Hauptaktionen, die Thaten der Richter, sind für diese ge- 
schichtliche Betrachtungsweise immer nur Beweise von Israels 
Sünde und von Jahve's beschämender Gnade. 

Dass dies alles nicht zum eigentlichen Inhalte der Tradition 
gehört, sondern eine darüber gezogene Uniform ist, wird aner- 
kannt. Numero deus impare gaudet. Man pflegt diese nach- 
trägliche Bearbeitung deuteronomistisch zu nennen. Das Gesetz, 
das Jahve den Vätern befohlen und dessen Bruch er schwer zu 
ahnden gedroht hat 2, 15. 21, wird zwar seiner Art nach nicht 
näher bestimmt, man kann jedoch nicht daran zweifeln, dass 
die Quintessenz davon ist, Jahve allein und keinen anderen Gott 
zu verehren. Somit kann wenigstens an den Priestercodex dabei 
nicht gedacht werden, denn hier wird jene Forderung gar nicht 
ausdrücklich geltend gemacht, sondern als selbstverständlich an- 
gesehen. Dagegen das Deuteronomium spricht in der That keinen 
Satz mit grösserem Nachdruck aus als das Höre Israel, dass 
Jahve der einzige sei und fremder Dienst die Sünde aller Sünde. 
Diesen Satz haben vor allem die Zeitgenossen weit lauter daraus 
vernommen, als die moralischen Gebote der Menschlichkeit und 
Milde, die auch darin eingeschärft werden, die aber nicht neu 
sind, sondern älteren Spruch Sammlungen entnommen; nur nach 

Well hausen, Prolegomena. 16 



242 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

dieser Seite, sofern es den prophetischen Monotheismus auf dem 
Gebiete der Volksreligion in seine praktischen Consequenzen ver- 
folgt, hat das Gesetzbuch Josia's seine geschichtliche Bedeutung 
gehabt, nach dieser Seite in Ezechiel und den Epigonen fort- 
zeugend gewirkt. Wenn demnach überhaupt die Norm des 
theokratischen Verhältnisses, die in der Bearbeitung des Richter- 
buches vorausgesetzt wird, in einer schriftlichen Thora zu suchen 
ist, so kann diese allerdings nur die deuteronomische sein. Die 
endgültige Entscheidung der Frage hängt von der Vergleichung 
des Buches der Könige ab und muss bis dahin verschoben 
werden. 

2. Was das Verhältnis dieses Daches zum Unterbau be- 
trifft, so ist es* in erheblich verschiedenem Stile aufgeführt. Die 
Bearbeitung, worin das Richterbuch Aufnahme in den Kanon 
gefunden hat, ist ohne Frage judäischen Ursprungs; aber die 
Geschichten selber sind nicht judäisch, ja im Liede der Debora 
wird Juda gar nicht mit zu Israel gerechnet. Der einzige 
judäische Richter ist Othniel; er ist aber keine Person, sondern 
ein Geschlecht. Was. von ihm berichtet wird, ist vollkommen 
inhaltsleer und besteht lediglich aus den schematischen Wendungen 
des Bearbeiters, der also hier selbst an's Schaffen gegangen ist, 
damit die Reihe durch einen Judäer eröffnet werde; die Wahl 
Othniels ward durch Jud. 1, 12—15 an die Hand gegeben. Also 
eine Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Wichtiger sind innere 
Differenzen, die hervortreten. Um mit dem Allgemeinsten an- 
zufangen, so ist die geschichtliche Continuität, auf welche das 
Schema so viel Gewicht legt, in den einzelnen Erzählungen des 
Richterbucßs mit nichts angezeigt. Ohne Rücksicht auf Zusammen- 
hang und Folge stehen dieselben lose und unverbunden neben 
einander, wie einzelne lichte Punkte, die hie und da aus dem 
Nebel der Erinnerungslosigkeit auftauchen. Einen längeren 
Zeitraum wirklich auszufüllen machen sie keinen Anspruch, für 
eine Chronologie geben sie keine Anhaltspunkte. Es ist in 
Wahrheit kaum der blasse Schein eines fortlaufenden Zusammen- 
hangs, der durch die leeren Zeitmasse des Schemas über den 
Inhalt der Tradition geworfen wird. Ferne liegt der letzteren 
überhaupt die Vorstellung einer zwischen Josua und Saul liegen- 
den Periode der Richter, in der diese über Israel geherrscht 
und einander annähernd so regelmässig wie später die Könige 



Richter Samuelis und Könige. 243 

succediert haben. Man kann nicht zweifeln, dass Jud. 1 und 
Jud. 17. 18 das beste Recht haben zum ursprünglichen Stock 
gerechnet zu werden; von der Aufnahme in's Schema sind diese 
Stücke nur deshalb ausgeschlossen, weil darin von Richtern 
nichts zu lesen steht und von den allgemeinen Verhältnissen ein 
Bild entworfen wird, das sehr wenig zum Plane stimmt *). 

Der falschen Continuität liegt eine falsche Verallgemeinerung 
zu Grunde. Aus lokalem Nebeneinander entsteht ein zeitliches 
Nacheinander, indem aufs Ganze bezogen wird, was vom Teile 
gilt, indem immer die Kinder Israel in corpore auf den Schau- 
platz treten, von den Feinden bedrückt und von den Richtern 
gerichtet werden. In Wirklichkeit treten nur die einzelnen 
Stämme handelnd auf; die Richter sind Stammhelden, Ehud 
von Benjamin, Barak und Debora von Issachar, Gideon von 
Joseph, Jephthah von Gilead, Simson von Dan. Nur zum Kampfe 
gegen Sisera haben sich mehrere Stämme vereinigt, und em- 
pfangen darob ausserordentliches Lob im Liede der Debora. Es 
heisst nirgends: zur Zeit da die Richter regierten, es heisst: zur 
Zeit da noch kein König war über Israel und jeder that was er 
wollte; die regelmässige Verfassung der Periode ist die patri- 
archalische Anarchie der Familien- und Geschlechterherrschaft. 
Und als die Ursache, warum es lange nicht glückte die Kanaaniter 
aus den grösseren Städten zu verdrängen, scheint in Kap. 1 nicht 
undeutlich die Zersplitterung und Vereinzelung hindurch; erst 
als Israel stark wurde, d. h. als seine Kraft durch das König- 
tum zusammengefasst wurde, da ward es anders. 

Die Einheit Israels ist nun aber die Voraussetzung für das 

*) Die Bearbeitung erstreckt sich bekanntlich nur über 2, 6-— 16, 31 und 
schliesst 1, 1 — 2, 5 ebenso wie 17, 1 — 21, 24 atfs. Aber man sieht leicht, 
wie vorzüglich das erste Stück als allgemeine Einleitung in die Periode 
zwischen Mose und dem Königtum an seine Stelle passt, und wie viel 
gehaltvoller und lehrreicher es in dieser Beziehung ist als der folgende 
Leitartikel 2, 6 ff. Ausserdem existiert eine formelle Beziehung zwischen 
1, 16 und 4, 11. Was ferner Kap. 17. 18 betrifft, so schliesst sich diese 
Geschichte über den Aufbruch Dans nach Norden sichtlich an die nächst 
vorhergehende an,* wo sich der Stamm noch „im Lager Dans" befindet, 
aber arg bedrängt wird und auch durch Simson keine Hülfe findet. Bei 
Kap. 19 — 21 freilich kann es zweifelhaft sein, ob sie von der Bearbeitung 
ausgeschlossen oder noch gar nicht vorgefunden sind; indessen ist es 
beachtenswert, dass auch hier Kap. 17. 18 als vorangegangen vorausgesetzt 
werden. Der Levit'von Bethlehem Juda zeugt davon und namentlich die 
Reminiscenz 19, 1, die wie wir sehen werden in Kap. 19 — 21 gar keinen 
Boden hat. Vgl. noch 20, 18 mit 1, 1 f. 

16* 



244 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

theokratische Verhältnis, für den Gegensatz von Israel und 
Jahve, wodurch nach dem Schema der Verlauf der Geschichte 
einzig und allein bedingt wird. In der echten Überlieferung 
fällt die Voraussetzung fort, und im Zusammenhange damit be- 
kommt der ganze geschichtliche Process ein wesentlich anderes 
und zwar natürlicheres Aussehen. Das Volk wird nicht immer 
insgesamt in den gleichen inneren und äusseren Schwingungen 
hin und hergezogen, und es hängt nicht alles Geschehen ledig- 
lich an der Attraction und Repulsion, die Jahve ausübt. Statt 
des periodischen Schaukelspiels von absoluter Ruhe und ab- 
soluter Drangsal herrscht durch die ganze Zeit relative Unruhe; 
hier Friede, dort Kampf und Streit. Mislingen und Gelingen 
wechseln ab, aber nicht als obligate Folgen von Bundestreue 
und Ungehorsam. Wenn der anonyme Prophet, der in dem 
Einsätze der letzten Bearbeitung 6, 7—10 ebenso plötzlich auf- 
tritt wie er abrupt verschwindet, die Midianiterplage zu einer 
Strafpredigt für Israel benutzt, so wird unmittelbar darauf die 
Sache mit ganz anderen Augen angesehen. Denn auf den Gruss 
der Gotteserscheinung: „Jahve ist mit dir, du streitbarer Held*, 
antwortet Gideon: „und ist Jahve mit uns, warum hat uns denn 
alles dieses betroffen? wo sind seine Wunder, von denen unsere 
Väter uns berichtet haben?" — ihm ist von einer Schuld Israels 
nichts bewusst. Somit treten nun auch die Heldengestalten der 
Richter aus dem Zusammenhange der Sünde und des Abfalls 
heraus; sie sind der Stolz ihrer Landsleute und nicht demütigende 
Erinnerungen daran, dass Jahve Unverdientermassen immer wieder 
gut gemacht, was die Menschen verdorben haben. Wie künstlich 
endlich die nötige Sünde erzeugt wird, erhellt gelegentlich recht 
deutlich. Nachdem Gideon gestorben war, heisst es 8,33, hurten 
die Kinder Israel den Baalen nach und machten sich Baal Berith 
zum Gott. Indessen aus dem folgenden Kapitel erhellt, dass Baal 
oder El Berith nur der Schutzgott Sichems und einiger anderer 
damals noch kanaanitischer Städte gewesen ist: der Bearbeiter 
verwandelt den kanaanitischen Lokalkult zum Götzendienst des 
ganzen Israels. In anderen Fällen verfährt er noch einfacher; 
z. B. 10, 6 ff., wo die Siebenzahl der Götter der Siebenzahl der 
hinterher aufgezählten Völkerschaften entspricht. Für gewöhnlich 
begnügt er sich mit Baalen und Astarten oder Ascheren, bei denen 
schon der Plural zeigt, wie wenig Individuelles, Positives zu 



Richter Samuelis und Könige. 245 

Grunde liegt — davon zu geschweigen, dass Ascheren gar keine 
Gottheiten sind. 

Ku£Z, was man so eigentlich für das Theokratische in der 
Geschichte Israels ausgiebt, das ist durch die Bearbeitung hinein- 
gebracht. Da greifen Gnade und Sünde wie die mechanischsten 
Kräfte in das Getriebe der Ereignisse ein, der Lauf der Welt 
wird methodisch der Analogie entzogen, die Wunder sind nichts 
ausserordentliches, sondern die regelmässige Form des Geschehens, 
verstehen sich von selbst und machen gar keinen Eindruck. 
Dieser pedantische Supranaturalismus, die heilige Geschichte 
nach dem Recept, findet sich in den ursprünglichen Erzählungen 
nicht. Israel ist da ein Volk wie andere Völker, und auch sein 
Verhältnis zu Jahve wird nicht anders aufgefasst als z. B. Moabs 
Verhältnis zu Kamos (11, 20). An Erscheinungen und Zeichen der 
Gottheit fehlt es nicht; aber die Wunder sind so, dass man sich 
wirklich darüber wundert. Sie durchbrechen hin und wieder den 
irdischen Nexus, bilden jedoch kein zusammenhängendes System; 
sie sind Poesie, nicht Prosa und Dogmatik. Im Ganzen aber 
wird der geschichtliche Process, obwohl scheinbar krauser und 
verworrener, in Wirklichkeit doch viel begreiflicher, und obwohl 
scheinbar zerrissener, schreitet er in Wirklichkeit zusammen- 
hängender fort. Es geht bergauf auf das Königtum zu, nicht 
bergab von der Glanzzeit Mose's und Josua's (Jüd. 1, 28. 35. 
13, 5. 18, 1). 

Nur eine Erzählung allerdings, abgesehen von der nicht zu 
rechnenden über Othniel, entspricht ganz den Anforderungen an 
die heilige Geschichte, wie sie sein müsste, um in das Schema 
hineinzupassen. Es ist Jud. 19 — 21. Um sie recht zu würdigen, 
ist es angebracht, vorher einen Blick auf den vorhergehenden 
Bericht zu werfen, über den Wanderzug des Stammes Dan nach 
Norden. Die Daniten, 600 Mann stark, überfallen die kanaani- 
tische Stadt Lais, nicht weil sie innerhalb der dem Volke Gottes 
zugewiesene Grenzen belegen und ihre Eroberung Pflicht ist — 
wenn sie auch das Orakel befragen, so liegt es ihnen doch ferne 
sich auf das aus dem Buche Josua bekannte göttliche Recht zu 
berufen — , sondern weil ein friedliches und nichtsahnendes 
Völkchen darin wohnt, das gegenüber solch verzweifelten Ge- 
sellen wehrlos ist; gegen Israeliten, wie Micha, mit der selben 
Treulosigkeit zu verfahren, gilt ihnen gleich. Sie nehmen das 



246 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Recht zu sein wie man ist unverkümmert in Anspruch und 
kennen keine Rücksicht, weshalb sie sich Zwang anthun sollten; 
die Natürlichkeit ihres Benehmens grenzt an's Unverschämte. 
Dabei sind sie fromm auf ihre Art; wie viel ihnen Jahve wert 
ist, beweisen sie dadurch, dass sie sein Bild aus dem Gottes- 
hause stehlen und den Priester« dazu , der es hütet. Was von 
gottesdienstlichen Bräuchen in den beiden Kapiteln vorkommt, 
lässt es kaum an einem Greuel fehlen, den das Gesetz verbietet: 
das Privatheiligtum im Besitze des Ephraimiten Micha, der 
Enkel Mose's als Priester in dessen Dienst und Sold, Ephod 
und Theraphim als notwendige Requisiten des Jahvecultus; und 
doch wird dies Alles auch von dem Erzähler so vorgetragen, 
als ob es ganz in der Ordnung und unanstössig sei, wie er denn 
damit nicht zeitweilige Regelwidrigkeiten, sondern die Entstehung 
bleibender Einrichtungen an einem Hauptheiligtum des alten 
Israel zu berichten beabsichtigt. Man wird in eine andere Welt 
versetzt, wenn man von hieraus zu der folgenden Erzählung 
kommt, über die Schandthat der Benjaminiten und deren exempla- 
rische Bestrafung; es gibt kaum einen grösseren und lehrreicheren 
religionsgeschichtlichen Gegensatz im Alten Testamente. In Jud. 
19—21 sind es nicht, wie sonst überall, die einzelnen Stämme, 
welche agieren, nicht einmal das Volk Israel, sondern die Ge- 
meinde des Bundes, die auf der Einheit des Cultus basiert. Was 
sie zum Handeln veranlasst, ist eine in ihrer Mitte begangene 
Sünde, die fortgeschafft werden muss; die Heiligkeit der Theo- 
kratie bringt diese 400000 Mann in Harnisch und erfüllt sie zu- 
gleich mit Salbung und mit blutiger Energie. Dieser uniformen 
Masse sind die geistlichen Instincte ganz in Fleisch und Blut 
übergegangen und machen sie zu einem einheitlichen Automaten, 
so dass Alles was geschieht immer von Allen zugleich gethan 
wird. Individuen treten nicht hervor, nicht mit Namen, ge- 
schweige mit Heldenthaten; die Moral ist nichts weniger als 
heroisch. Da die gottlosen Buben von Gibea dem dort über- 
nachtenden Leviten an den Leib wollen, liefert er ihnen sein 
Weib aus, um sich zu reiten — und ganz Israel findet an dieser 
empörenden Feigheit nichts auszusetzen; vermutlich ist die Mei- 
nung, der heilige Mann habe durch sein Verhalten die Frevler 
vor noch schlimmerer Schuld bewahrt. „Vom mosaischen Ge- 
setze kommt in diesen Kapiteln nichts vor, aber wer könnte es 



.Richter Samuelis und Könige. 247 

verkennen, dass der Geist, welcher seinen Ausdruck im Gesetz 
gefunden hat, die so handelnde Gemeinde erfüllte! Hätten wir 
mehrere Erzählungen ähnlichen Inhalts, manches Eätsel des 
Pentateuchs würden wir lösen. Wo fänden wir unter den Kö- 
nigen ein so einiges kräftiges ernstes, für die höchsten Güter 
den schwersten Kampf so willig übernehmendes Israel!" So ur- 
teilt Bertheau, richtig empfindend, dass diese Erzählung eine 
völlige Ausnahmestellung einnimmt und Allem widerspricht, was 
wir sonst über die Richter- und sogar noch über die Königszeit 
hören. Nur kann es nicht für einen Beweis ihres historischen 
Wertes gelten, wenn sie der anderweitigen Überlieferung in 
den Büchern der Richter Samuelis und der Könige in's Gesicht 
schlägt und dafür dem Gesetze homogen ist. Dagegen ist es 
ein verräterischer Selbstwiderspruch, wenn der Verfasser, in un- 
willkürlicher Erinnerung an die vorangehenden Kapitel, über 
die Zerfahrenheit der damaligen Zeit klagt (19,1. 21, 25), und 
uns faktisch dann doch Israel in einer geistigen Centralisation 
vorführt, wie sie im Altertum nachweislich nie bestanden hat, 
sondern erst in Folge des Exils aufgekommen ist und das Juden- 
tum kennzeichnet. 

Da diese Erzählung nicht in das deuteronomistische Schema 
des Richterbuches aufgenommen ist, so kann gefragt werden, ob 
sie bloss das deuteronomische oder auch das priesterliche Gesetz 
voraussetze. Die meisten sprachlichen Berührungen hat sie mit 
dem Deuteronomium, aber ein vorzugsweise wichtiger Ausdruck 
und Begriff, der der Gemeinde der Kinder Israel, weist eher 
auf den Priestercodex; desgleichen auch Pinehas ben Eleazar 
ben Aharon (20, 27). Indessen kommt der letztere nur einmal 
voi- und zwar in einer Glosse, die sich zwischen und die Kin- 
der Israel fragten Jahve und das eng dazugehörige folgen- 
de rmassen sehr störend eindrängt. Im Übrigen verdient es 
Beachtung, dass mit der Stiftshtitte, die neben Mispa keinen 
Platz hat (S. 268), das Hauptwahrzeiehen des Priestercodex fehlt. 
Derselbe bereitet sich also nur vor, ist aber noch nicht erschie- 
nen; wir stehen noch auf dem Boden des Deuteronomiums, aber 
der Übergang bahnt sich an. 

3. Gehen wir von der letzten Bearbeitung einen Schritt 
weiter zurück, so treffen wir auf eine weniger systematische Vor- 
stufe derselben in gewissen Ergänzungen und Verbesserungen, 



248 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

die hie und da den ursprünglichen Erzählungen angeflickt wor- 
den sind. Sofern dieselben aus einfacher Freude an der Weite- 
rung oder am Reden entstanden sind, gehen sie uns hier nicht 
weiter an. Teilweise aber haben sie ihren Grund darin, dass 
die spätere Zeit in die religiösen Bräuche und Vorstellungen 
der Väter sich nicht mehr schicken konnte. Von dieser Art 
kommen in der Geschichte Gideons zwei Beispiele vor. Es 
heisst 6,25 — 32, auf Jahve's Geheiss habe Gideon in der Nacht 
nach seiner Berufung den Altar Baals in seiner Vaterstadt Ophra 
nebst der dabei stehenden Aschera zerstört, dagegen dem Jahve 
einen Altar gebaut und darauf ein jähriges Rind verbrannt, mit 
dem Holz der Aschera als Feuerung. Als dann am anderen 
Morgen die Leute von Ophra empört die Auslieferung des Frev- 
lers verlangten um ihn zu töten, habe sein Vater sie verweigert 
und gesprochen: „wollt ihr für Baal streiten oder ihr ihm bei- 
stehen? wenn er Gott ist, streite Baal (hebräisch Jareb Baal) 
für sich selber 44 . Und in Folge dieser Äusserung sei Gideon 
Jerubbaal zubenannt. Dies collidiert mit dem Vorhergehenden. 
Da hat bereits Gideon den grossen Stein unter der Eiche von 
Ophra, wo er Jahve sitzen sah, zum Altar gemacht und darauf 
das erste Opfer gebracht, welches durch spontan herausschlagen- 
des Feuer verzehrt wird, so dass .in der Lohe die Gottheit 
selber zum Himmel fährt. Wozu die zwei Altäre und die zwei 
Stiftungsgeschichten dazu, um ihren Ursprung auf den Patron von 
Ophra zurückzuführen? Sie vertragen sich nicht neben einander, 
aber man sieht wohl, warum die zweite der ersten nachgeschickt 
ist. Der Altar aus Einem Steine, die daraus hervorbrechende 
Lohe, der immergrüne Baum, der schon durch seinen Namen 
Ela eine natürliche Verwandtschaft mit El anzudeuten scheint '), 
alles dies gilt den Späteren nicht mehr für correct, ja für Baals- 
werk. Aus dem Streben nun, auf Gideons Frömmigkeit keinen 
Zweifel sitzen zu lassen, ist der Nachtrag entstanden, worin er 
einen Altar Jahve's an die Stelle des bisherigen Altar Baals 

*) n^N ])btt> * m Aramäischen der Baum schlechthin, im Hebräischen der 
immergrüne und gewöhnlich der heilige Baum (Isa. 1, 29 f.), meist ohne 
Unterscheidung der Arten. Nicht bloss Eiche und Terebinthe, sondern 
auch Palme wird einbegriffen. Denn der rni2"l ])htt bei Bethel heisst 
anderswo *")DrV Q^K hat seinen Namen von den 70 Palmen, und von 
H^M & m Rotem Meere gilt vielleicht ein gleiches. 



Richter Samuelis und Könige. 249 

setzt. Wie dies Streben gelungen ist, beurteilen wir am besten 
aus dem damit zusammenhangenden Versuch, noch einen anderen 
Anstoss zu beseitigen, der in dem Namen Jerubbaal liegt. Auf 
Grund des oben referierten Anlasses wird derselbe erklärt als 
bedeute er Streitebaal. Sprachlich ist diese Erklärung an den 
Haaren herbeigezogen, und unmöglich in jedem Betracht; nach 
einem Gott nennen sich nur Personen, die ihn verehren. Im 
hebräischen Altertum wechselt Baal unterschiedslos mit El, und 
es herrscht kein Bedenken, bis auf den Propheten Hosea (2, 18), 
Jahve selber als den Baal, d. h. den Herrn, zu bezeichnen. 
Das bezeugen vor allem eine Reihe Eigennamen aus der Familie 
Sauls und Davids, Isbaal Meribaal Baaljada, zu denen nun auch 
der Name Jerubbaal für den Midianiterkämpfer hinzukommt. Wenn 
also der Baal an sich noch in der israelitischen Königszeit keines- 
wegs schlechthin der Antipode Jahve's gewesen ist, woher denn 
der feindliche Gegensatz zwischen den Gottheiten, den Jerubbaal 
durch sein praktisches Verhalten voraussetzt, obwohl er durch 
seinen Namen den grossen Baal preist? Auch die Meinung, dass 
die Aschera sich mit dem Jahvedienste nicht vertrage, entspricht 
nicht dem Glauben des Altertums; nach Deut. 16, 21 müssen diese 
künstlichen Bäume häufig genug neben den Altären Jahve's ge- 
standen haben. Merkwürdigerweise verrät sich sogar innerhalb 
des eingelegten Abschnittes selber das Bewusstsein, dass diese 
Art Eifer für den legitimen Gottesdienst das historische Niveau 
überschreite. Man hat den Eindruck, dass die Bewohner von 
Ophra von der Unrechtmässigkeit ihres Baalsetiltus nichts wissen, 
dass Gideon denselben auch seinerseits im guten Glauben mit- 
gemacht und dass es bisher einen Altar Jahve's überhaupt dort 
nicht gegeben hat. 

Von etwas anderer Form ist eine Correktur, die Sich am 
Schlusse^ der Geschichte Gideons findet (8, 22 ff.). Nach dem 
Siege über die Midianiter habe er das ihm angetragene König- 
tum mit Rücksicht auf Jahve den alleinigen Herrscher abgelehnt, 
sich aber die goldenen Nasenringe, die man den Feinden abge- 
nommen, erbeten, daraus ein Jahvebild, ein Ephod, gemacht und 
es in Ophra zur Anbetung aufgestellt. „Und ganz Israel hurte 
dahinter her und es ward Gideon und seinem Hause zum Fall- 
strick. 44 Aber nicht bloss ist faktisch die Handlungsweise eines 
solchen Mannes in einem solchen Augenblick völlig massgebend 



250 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

für den dermaligen Stand des israelitischen Gottesdienstes über- 
haupt, sondern auch dem ursprünglichen Erzähler kann es nicht 
zugetraut werden*, dass er seinen Helden durch den unmotivier- 
testen Abfall der Gottheit habe danken, durch Götzendienst dem 
Siege habe die Krone aufsetzen lassen. Es wird dies um so 
unmöglicher, wenn man bedenkt, dass nach dem Zeugnisse des 
Hosea Jesaia und Micha dergleichen Bildwerke noch während 
der assyrischen Periode nicht bloss in Samarien sondern auch 
in Juda zum regelmässigen Zubehör der Gotteshäuser gehören. 
Hinzu kommt, dass. der Gegensatz des göttlichen gegen das 
menschliche Königtum, wie er in diesen Versen hervortritt, auf 
späterer Abstraktion beruht; worüber demnächst mehr zu sagen 
sein wird 1 ). Studer wird also Recht behalten mit der Behaup- 
tung, der alten Überlieferung habe es nur als ein schöner Zug 
von Uneigennützigkeit und Frömmigkeit gelten können, dass 
Gideon das Gold nicht für sich behält, sondern Gott weiht; wir 
haben in 8, 22—27 secundäres Produkt vor uns, worin die ur- 
sprünglichen Züge nach späterem Geschmack entstellt sind. 
Leider hat in diesem Falle die zweite Hand die Arbeit der 
ersten verdrängt. Die ältere Erzählung bricht 8, 21 mit den 
Worten ab: „Gideon nahm die Zierate am Halse der Kamele 
der Könige 44 . Was er damit angefangen, erfahren wir nicht 
mehr; aber natürlich müssen wir annehmen, dass er aus ihnen 
das Ephod gefertigt habe. Nach dem Auswüchse, der unmittel- 
bar nach 8, 21 einsetzt, werden dazu verwandt die von ganz 
Israel erbeuteten * goldenen Nasenringe der sämtlichen Midia- 
niter, im Gewichte von 1700 Sekeln, abgesehen vom Schmucke 
der Könige und ihrer Kamele. Ein ähnliches Verhältnis, wie 
das der 600 Daniten in Kap. 18 zu den 25700 Benjaminiten in 
Kap. 20, oder der 40000 Männer von Israel in 5, 8 zu den 
400000 in 20, 2. 

4. Gewisse Unterschiede der geistigen Haltung, die in der 
Entwicklung der Tradition schon leise die Richtung andeuten, 
welche in der bisher charakterisierten Überarbeitung und Aus- 
putzung ihr Ziel gefunden hat, lassen sich endlich auch inner- 

') „Die Worte Gideons erhalten erst durch die Voraussetzung Sinn, dass 
Jehova's Herrschaft anderweit, durch Propheten oder Priester, repräsentiert 
sei, was aber in der Richterperiode nicht der Fall war und wogegen die 
eigene Geschichte Gideons zeugt" — Vatke S. 263. Uebrigens ist nach 
9 7 1 f. Gideon in der That Herrscher von Ephraim und Manasse gewesen, 



Richter Sanmelis und Könige. 251 

halb der originalen Erzählungen selber verfolgen, namentlich 
bei denen, die uns in doppelter Version erhalten sind. Letztere 
sind im Richterbueh nicht häufig, doch kommen sie vor. Als 
einen sehr einfachen derartigen Fall kann man Jud. 4 im Ver- 
hältnis zu Jud. 5 betrachten. 

Gegen die Kanaaniter, die unter ihrem Oberkönige Sisera 
wieder ihr Haupt erheben und von ihren Städten in der Ebene 
aus die Bergdörfer der neuen Ansiedler beunruhigen, vereinigt 
Debora die hebräischen Stämme zum Kampfe. Von Nord und 
Süd steigen die Kriegsscharen Jahve's vor unseren Augen gen 
Jezreel hinab, die Seherin Debora an der Spitze, der Kriegs- 
mann Barak ihr zur Seite. Am Bache Kison erfolgt der Zu- 
sammenstoss und endet mit der Niederlage der Könige Kanaans, 
Sisera selbst wird auf der Flucht von Jael, dem Weibe eines 
nomadischen Keniters, erschlagen. Das der Inhalt des Liedes 
Jud. 5. In der voraufgeschickten Erzählung Jud. 4 sollte man 
einen historischen Commentar dazu erwarten, man findet aber 
nur eine Reproduction, die die speziellen Züge verwischt und 
verfälscht. Aus den Königen Kanaans wird der König von Ka- 
naan, als sei Kanaan ein Reich gewesen; aus Sisera ihrem Ober- 
haupt wird ein blosser Feldhauptmann; die Unterdrückung der 
Hebräer wird ins Unbestimmte verallgemeinert. Jael mordet 
den Sisera während er in tiefem Schlafe liegt, indem sie einen 
Zeltpflock ihm durch die Schläfe und in den Boden treibt — 
im Liede steht davon nichts, er trinkt als sie den Schlag führt 
und ist dabei stehend gedacht, denn sonst könnte er nicht vor 
ihr zusammenbrechen zu Boden stürzen und erschlagen liegen 
bleiben wo er hingesunken (5, 27). 

Im Liede wird das Unternehmen mit menschlichen Mitteln 
vorbereitet; Verhandlungen werden geführt zwischen den Stäm- 
men, bei denen Unterschiede hervortreten; die Lauheit oder die 
grossen Worte der einen werden getadelt, der thatkräftige Ge- 
meinsinn und der Kriegsmut der anderen gelobt. In der Er- 
zählung ist dagegen die Befreiung rein Sache Jahve's, die israeli- 
tischen Mannen sind Statisten, denen kein Verdienst und kein 
Dank gebührt. Dafür concentriert sieh das Interesse auf die That 
der Jael, die aus einer Episode zur Pointe des Ganzen anschwillt. 
Als solche wird sie angekündigt, indem Debora dem Barak voi> 
aussagt, nicht sein werde der Ruhm sein, sondern eines Weibeg ? 



252 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

in dessen Hand der Feind werde verkauft werden: der Held, 
die Mensehenkraft thut's nicht, sondern in der Schwachheit ist 
Jahve mächtig. Noch sonst wird gerade dem Barak sein Anteil 
am Werk verkümmert. Er wird von Debora aufgefordert, nicht 
etwa in den Kampf sondern auf den heiligen Berg Thabor zu 
ziehen, wo Jahve das Weitere veranlassen werde; er macht 
aber Umstände und bedingt sich aus, dass die Prophetin auch 
selber mitziehe. Das wird deshalb als eine Laune des Un- 
glaubens angesehen, weil die Aufgabe der letzteren damit für 
erschöpft gilt, dass sie den Befehl der Gottheit an das Werk- 
zeug befördert hat; sie ist bloss dazu da, damit man aus ihrer 
Vorhersagung erkenne, wie Jahve der einzige Efficient der Ge- 
schichte sei. Im Liede ist das anders. Da wird Barak nicht 
wider seinen Willen aufgerufen, sondern er hat einen persön- 
lichen Anlass zum Losbrechen: „auf, Barak, und fange deine 
Fänger, Sohn Abinoams ! u Und die Seherin hat nicht bloss zu 
prophezeien, sondern sie wirkt psychologischer; sie gehört hinein 
in den Kampf und befeuert durch ihren Gesang den Mut der 
streitenden Scharen: „auf, Debora, singe das Lied! ul ). Überall 
in den Varianten der prosaischen Reproduction macht es sich 
fühlbar, dass das bunte Getriebe des wirklichen Hergangs ver- 
blasst vor der einen allgemeinen Endursache, Jahve. Wohl 
rauscht Jahve auch durch das Lied, in dem Enthusiasmus, der 
die hebräischen Krieger erfüllt, in dem panischen Schrecken, 
der die reisige Macht der Feinde verwirrt. Aber in der Erzäh- 
lung ist der Gottheit das Mysterium abgestreift, vermittelst 
mechanischer Prophetie gelingt es, ihren Anteil an der Ge- 
schichte fest und nüchtern umgrenzt darzulegen. Je specieller 
sie eingreift, desto ferner tritt sie; je bestimmter die Aussagen 
über sie lauten, desto weniger spürt man sie. 

Es gibt noch ein anderes Beispiel im Buche der Richter, 
wo uns der gleiche historische Stoff in zwei verschiedenen For- 
men ausgeprägt vorliegt; das ist die Geschichte von Gideon aus 
dem manassitischen Hause Abiezer. Studer hat den Einschnitt 
zwischen 8, 3 und 8, 4 erkannt, der zwei für sich zu verstehende 

*) V. 12 ist eine Aufforderung den Kampf anzufangen: da kann Debora doch 
nicht das Triumphlied singen, welches den glücklichen Ausgang dessel- 
ben feiert. Aus ähnlichem Grunde ist auch die oben gegebene Über- 
setzung: „fange deine Fänger" die natürlichere und richtigere, 



Richter Samuelis und Könige. 253 

Erzählungen trennt. Mit 8, 1 — 3 ist die erste abgeschlossen. 
Vorher ist gesagt worden, wie Gideon, nachdem der erste Über- 
fall der Midianiter gelungen, den Heerbann Israels zur Verfol- 
gung aufgeboten, wie dann namentlich die Ephraimiten den 
flüchtigen Nomaden die Furten des Jordans verlegt und bei der 
Gelegenheit ihre beiden Anführer in die Gewalt bekommen ha- 
ben. Nun hören wir zum Schluss (8, 1 — 3), dass die Ephraimiten 
im Übermute des Erfolgs mit Gideon zu zanken anfingen; er 
aber habe ihren Zorn beschwichtigt und gesagt: „was habe ich 
denn jetzt gethan im Vergleich mit euch? ist nicht die Nachlese 
Ephraims besser als die Ernte Abiezers? in eure Hand hat Gott 
die Fürsten Midians gegeben und was habe ich dagegen zu 
thun vermocht! 44 Zu einem solchen häuslichen Zwist über den 
Anteil am Verdienst ist doch erst Zeit gewesen, nachdem das 
Verdienst selber erworben, nachdem der Streit mit den Feinden 
ausgefochten war, wie denn auch das Bild von der Ernte und 
Nachlese voraussetzt, dass der Sieg vollständig und alle seine 
Früchte gepflückt waren. Mit 8, 1 — 3 ist die Sache abgethan; 
die folgende Erzählung ist keine Fortsetzung der vorhergehen- 
den, sondern eine zweite Version, die von ganz anderen Vor- 
aussetzungen ausgeht. Während nach 7, 23f. ein grosses Heer 
auf den Beinen ist, hat Gideon 8, 4 ff. nur seine 300 Leute bei 
sich. Während nach 8, 1 — 3 schon Lese und Nachlese gehalten 
und der Kampf am Ziel ist, setzt Gideon 8, 4ff. unaufhaltsam 
den Feinden nach, und da er die Bürger von Sukkoth und Pe- 
nuel um Brod für seine müde und hungrige Mannschaft bittet, 
fragen ihn die höhnisch, ob er denn etwa schon des Erfolges 
sicher sei, so dass man Ursach habe für ihn Partei zu nehmen. 
Die beiden Häuptlinge, welche dort die Fürsten Zeeb und Oreb 
heissen und bereits gefangen sind, werden hier die Könige Zebah 
und Salmuna genannt und sind noch nicht gefangen. Leider ist 
der Anfang von 8, 4ff. nicht erhalten; in Folge dessen lässt sich 
nicht ausmachen, ob der Verfolgung, auf der wir Gideon hier 
treffen, schon eine Begegnung mit den Feinden voraufgegangen 
sei. Unmöglich ist eine solche Annahme gerade nicht , doch 
lässt der weite Vorsprung der Nomaden und ihre Sorglosigkeit 
im Lager die Sachlage eher so erscheinen wie in 1. Sam. 30. 
Wie dem auch sei, das Gewicht der die beiden Versionen 
trennenden Momente bleibt sich gleich. 



254 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Worin liegt nun die Wurzel des Unterschiedes? Das lehrt 
am besten eine Vergleichung der Eingänge des einen und des 
anderen Berichtes. Wie gesagt mangelt zwar dem zweiten jetzt 
der Anfang, aber einigermassen lässt er sich aus dem weiteren 
Verlaufe ergänzen. Nach 8, 4ff. hat Gideon es ganz speziell 
auf die beiden Könige der Midianiter abgesehen, diese erscheinen 
stets als seihe eigentlichen Feinde, hinter denen er her ist; die 
übrigen Midianiter sind ihm mehr oder weniger gleichgiltig. 
Nämlich Zebah und Salmuna, erfahren wir aus 8, 18 f., hatten 
am Thabor seine leiblichen Brüder erwürgt; um dafür Rache zu 
nehmen setzt er den Schuldigen nach und ruht nicht, bis sie in 
seiner Hand sind. Es ist die Pflicht der Blutrache, um deren 
willen er mit seiner Hausmacht sich aufmacht, unbekümmert 
um das Misverhältnis gegen die Überzahl; es ist die Gewalt des 
Familiensinns , die ihn in Bewegung setzt und ihn beiläufig zum 
Retter Israels vor den Räubern macht. In dem ersten Berichte 
(6, 11 — 8, 3) sind diese natürlichen Motive völlig verschwunden 
und andere an die Stelle getreten, von ungefähr entgegen- 
gesetzter Beschaffenheit. Im Voraus, ehe noch die Midianiter 
ihren diesjährigen Einfall gemacht haben, wird der nichts ahnende 
Gideon durch eine Theophanie zum Kampf gegen sie berufen. 
Wie sie nun wirklich kommen, da ergreift ihn der Geist und 
er zieht ihnen entgegen. Was an ihm Menschliches ist, hat 
nichts mit der That zu thun; Fleisch und Blut sträuben sich da- 
gegen. Es ist der directe Einfluss Jahve's, der ihn treibt; natür- 
lich dann auch im allgemeinen Interesse Israels, gegen die Mi- 
dianiter, nicht gegen die Person ihrer Fürsten. Im Zusammen- 
hange damit wird weiter auf alle Weise dafür gesorgt, dass der 
Mensch hinter der Gottheit in den Schatten tritt. Gideon, nach 
dem zweiten Berichte ein vornehmer und königlicher Mann, ist 
im ersten aus unansehnlichem Hause und Geschlechte ; während 
ihn dort eine unaufhaltsame Energie kennzeichnet, erscheint er 
hier bis zum letzten Augenblick zaghaft und zögernd und 
wird durch immer neue Wunder ermutigt und gekräftigt. Die 
32000 Mann, mit denen er in's Feld rückt, muss er auf Jahve's 
Geheiss bis auf 10000 und aber bis auf 300 entlassen r „damit 
Israel sich nicht gegen mich rühme und sage, seine eigene Hand 
habe ihm geholfen!" Die Waffen, womit die Dreihundert den 
nächtlichen Überfall ausführen, sind Fackeln Krüge und Po- 



Richter Samuelis und Könige. 255 

saunen; für Schwerter haben sie dann keine Hand mehr (7, 20), 
und demgemäss muss das feindliche Heer sich selber auf- 
reiben (7, 22). 

Unter den Abweichungen der religiösen Version, von. der 
natürlichen giebt es wenige undurchsichtige, wozu man nament- 
lich die rechnen kann, dass der Schauplatz diesseifc des Jordans 
verlegt wird. Die meisten sind sofort erkennbar als Produkte 
einer verklärenden Beseelung der Tradition, die ihren Körper 
verflüchtigt und sie in luftige Regionen hebt. Z. B. bilden nicht 
bloss in Kap. 8, sondern auch in Kap. 7 die 300 Mann das 
alleinige Gefolge Gideons bei der Hauptaction, beim Überfall 
des feindlichen Lagers; aber um die Bedeutsamkeit dieser ge- 
ringen Anzahl zum Eindruck zu bringen, werden sie im Kap. 7 
zum letzten Residuum eines anfangs ganz ansehnlichen Heeres 
gemacht und daraus entspinnt sich eine weitläufige Erzählung. 
Auch das darf man wohl vergleichen, dass wie das 6. Kap. mit 
der Beziehung dieses Richters zum Heiligtume seiner Vaterstadt 
anhebt, so das 8. Kap. damit schliesst : hier entdeckt er durch 
eine Theophanie, wie die Patriarchen der Genesis, die Heiligkeit 
des Altarsteines unter der Eiche ; dort stiftet er, weit realistischer, 
das Ephod aus dem goldenen Schmucke der Midianiterkönige. 
Historisch kommt vorzugsweise, wenn nicht ausschliesslich, die 
natürliche Version in Betracht, die in trockenem Tone die 
Sachen reden lässt und in die Einfachheit des Hergangs nichts 
von der Bedeutung seiner Folgen einmischt. Das Verhältnis 
ist jedoch etwas anders als wie wir es zwischen Jud. 5 und 4 
gefunden haben. Kap. 6 f. basiert nicht direkt auf Kap. 8, 
sondern wohl auf selbständiger mündlicher Grundlage. Mit 
den historischen Erinnerungen, über deren Unbestimmtheit die 
lebhafte Lokalfärbung nicht täuschen darf, schalten die wuchern- 
den Triebe hier viel freier und bringen weit plastischere und 
naivere Gebilde hervor. Offenbar aber ist im Gebiete des Wun- 
ders die Poesie älter als die Prosa. 

Drängt sich bei den Geschichten, die uns in doppelter 
Fassung aufbewahrt sind, der innere Abstand von selber auf, 
so lässt sich ein solcher nun auch da wahrnehmen, wo keine 
eigentlichen Parallelen verglichen werden können. Wie fühlbar 
unterscheidet sich die Erzählung über Abimelech, etwa von der 
folgenden über Jephthah, durch den Reichtum des sachlichen 



256 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Gehalts, durch das objective Interesse für die Mittel- und Neben- 
glieder in der Folge der Begebenheiten! Ohne Vergoldung durch 
übernatürlichen Nimbus werden die Dinge schlecht und recht 
vorgetragen, die Moral ergibt sich aus ihrem Verlauf von selber. 
In den Sagen von Simson hinwiederum stellen sich uns so zu 
sagen zwei Seelen in einem Körper vereinigt dar. So eng hier 
auch der derb volkstümliche Stoff und die besonders am An- 
fange und am Ende hervortretende religiös-nationale Form ver- 
wachsen sind, so stehen sie doch in einem innerlichen Contraste, 
und schwerlich sind die Streiche dieses absonderlichen Gottes- 
manns ursprünglich im Geiste Jahve's concipiert, aus dem sie 
jetzt geboren werden. Vielmehr wird der religiösen Darstellung 
eine ziemlich profane zu Grunde liegen, aber gegenwärtig kann 
man die ältere Stufe nicht mehr von der jüngeren sondern. Es 
versteht sich übrigens, dass in diesem Falle der Gegensatz von 
historisch und unhistorisch nicht angewandt werden darf, der 
indessen für unsere Absicht auch nicht wesentlich ist. Nur das 
gilt allgemein: je näher die Geschichtschreibung ihrem Ursprung 
ist, desto profaner ist sie. In der Art der Frömmigkeit gibt 
sich in den vordeuteronomischen Erzählungen der Unterschied 
weniger zu erkennen als im Grade. 

IL 
1. Die umfassende Bearbeitung, die wir im Richterbuche 
wahrgenommen haben, hat auch dem Buche Samuelis ihr Siegel 
aufgedrückt. Da aber hier die Periode kurz, dagegen ihr Inhalt 
überaus reich und wirklich zusammenhängend ist, so kann sich 
das künstliche Fach- und Netzwerk nicht so sehr bemerklich 
machen. Doch fehlt es keineswegs, wie zunächst die Zeitangaben 
lehren, die wir schon oben in das System der Chronologie ein- 
geordnet haben. Es verdient Beachtung, wie lose dieselben in 
den Context eingefügt sind. In 1. Sam. 4, 18 f.: „und da der , 
Bote die Schreckensnachricht erzählte, fiel Eli hinterrücks vom 
Stuhle und brach den Hals und starb, denn er war alt und un- 
beholfen und er richtete Israel vierzig Jahre; da aber 
seine Schnur, die hochschwangere Frau des Pinehas, die Kunde 
vernahm u. s. w." — ist der Satz mit dem Datum zwar bei halb- 
wegs passender Gelegenheit, aber doch eben deutlich bei Ge- 
legenheit eingeschoben. In 2. Sam. 2, 8 — 13 heisst es: „Abner 



Richter Samuelis und Könige. 257 

der Feldhauptmann nahm den Sohn Sauls Isbaals und brachte 
ihn über den Jordan nach Mahanaim und unterwarf ihm Gilead 
und Gesur und Jezreel und Ephraim und Benjamin und ganz* 
Israel, vierzig Jahre war Isbaal als er König ward und 
zwei Jahre regierte er, nur Juda hielt es mit David, und 
die Zeit die David König war über Juda in Hebron ist 
sieben Jahr und sechs Monat, und Abner'mit den Kriegern 
Isbaals zog aus von Mahanaim nach Gibeon und Joab mit den 
Kriegern Davids zog ihm entgegen". Es liegt auf der Hand, 
dass die gesperrten Worte den Zusammenhang sprengen; in Be- 
zug auf die Daten über Isbaal ist ausserdem zu bemerken, dass 
er nach allen übrigen Angaben einesteils in noch ganz unmün- 
digem Alter gestanden, andernteils eben so lange zu Mahanaim 
wie David zu Hebron geherrscht haben muss. Die Zweizahl 
der Regierungsjahre erklärt sich bei ihm ebenso wie bei Saul 
1. Sam. 13, 1: . . . Jahre alt war Saul als er König ward, 
und zwei Jahre herrschte er über Israel. Wie in diesem 
letzteren Verse, der der Septuaginta mangelt, die Zahl für die 
Lebensjahre noch gegenwärtig fehlt, so war ursprünglich auch 
die Zahl für die Regierungsjahre ausgelassen; die ganz absurde 
Zwei ist aus dem folgenden Worte für Jahr herausgewachsen, 
das im Hebräischen ziemlich gleich aussieht. 

Hand in Hand mit der chronologischen Schematik finden 
wir 1. Sam. 7, 2 — 4 die religiöse wieder. „Seitdem die Lade in 
Kiriathjearim wohnte, vergingen 20 Jahre, da sammelte sich 
das ganze Haus Israel hinter Jahve her. Und Samuel sprach 
zum ganzen Hause Israel: wenn ihr euch von ganzem Herzen 
zu Jahve bekehrt, so schafft die fremden Götter und die Astarten 
aus eurer Mitte und richtet euer Herz auf Jahve und dient ihm 
allein, so wird er euch von den Philistern befreien. Und die 
Kinder Israel schafften die Baale und Astarten ab und dienten 
dem Jahve allein." Im Vorhergehenden wird zwar von einem 
Abfall nichts berichtet, und an Vertrauen auf Jahve haben es 
die Israeliten nach Kap. 4 in der unglücklichen Schlacht gegen 
die Philister wahrlich nicht fehlen lassen; aber die selbstver- 
ständliche Annahme, dass das Joch der Fremdherrschaft zur 
Strafe der Sünde auferlegt sei und dass die Sünde im Götzen- 
dienst bestehe, ist bezeichnend für diese Betrachtungsweise. 
Eine weitere Probe derselben haben wir in der Rede Samuels 

W e 1 1 h a u s e n , Prolegomena. 17 



258 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

1. Sam. 12, die als Einleitung in die Königszeit mit Jud. 2 als 
Prooemium der Richtergesehiehte zu vergleichen ist. „Stellt 
6ueh her, dass ich euch vor Jahve vorhalte alle die Thaten 
Jahve's, durch die er euch und euren Vätern Recht geschafft 
hat! Wie Jakob nach Ägypten gekommen war, schrieen eure 
Väter zu Jahve, und er sandte Mose und Aharon und führte 
eure Väter aus Ägypten und gab ihnen Wohnung in diesem 
Lande. Aber sie vergassen Jahve ihren Gott, und er verkaufte 
sie in die Hand Sisera's des Feldhauptmanns zu Hasor und in 
die Hand der Philister und Moabiter, die stritten wider sie. 
Da schrien sie zu Jahve und sprachen: wir haben gesündigt, 
dass wir Jahve verlassen und dem Baal und der Astarte ge- 
dient haben, nun errette uns von unsern Feinden, so wollen 
wir dir dienen. Und Jahve sandte Jerubbaal Barak Jephthah 
und Samuel und rettete euch vor euren Feinden ringsum, dass 
ihr sicher wohntet. Als ihr aber sähet, dass Nahas der Ammo- 
niterkönig gegen euch anzog, spracht ihr zu mir: nein, ein König 
muss über uns herrschen — da doch Jahve, euer Gott, euer König 
ist. Nun siehe da ist der König, den ihr gefordert habt, siehe 
Jahve hat einen König über euch gesetzt. Wenn ihr Jahve 
fürchtet und ihm dient und auf seine Stimme hört und seinem 
Befehle nicht widerstrebt, gut! wenn ihr aber der Stimme Jahve's 
ungehorsam seid und seinem Geheiss widerstrebt, so wird Jahve's 
Hand gegen euch sein wie gegen eure Väter." Es ist die be- 
kannte Weise: Abfall Drangsal Bekehrung Kühe; Jahve der 
Grundton der Melodie, das erste Wort und das letzte. Am stoff- 
lichen Detail haftet der Blick nicht, die Lücken der Tradition 
werden ebenso positiv verwertet als ihr auf so wenige Punkte 
concentrierter Inhalt. Das Einzelne kommt nur als Moment des 
Ganzen in Betracht; in grossartiger Kevue werden die Perioden 
tiberblickt und das Gesetz dargelegt, das sie verkettet. Dabei 
kann Samuel eine bestimmt geformte Kenntnis der biblischen 
Geschichte bei seinen Zuhörern voraussetzen, ja sogar ohne 
Bedenken über seine eigene historische Bedeutung reden; auf 
einen Zeitraum, in dessen lebendiger Bewegung sie selber mitten 
drin stehen, müssen sie zurückblicken wie auf eine tote Ver- 
gangenheit. Indem sie so zur Höhe objectiver Betrachtung über 
sich und ihre Väter emporgehoben werden, tritt zum Schluss 
das zu erwartende Resultat ein; sie werden sich ihrer schweren 



Richter Samuelis und Konige. 259 

Sünde bewusst, immer haben sie der Gottheit gegenüber das 
ängstliche Gefühl, Strafe verdient zu haben. 

2. Die deuteronomistische Bearbeitung macht sich zwar 
nur an diesen beiden oder besser an dieser einen Stelle geltend, 
aber dies ist eben die Hauptepoche in unserem Buche, der Über- 
gang zum Königtum, der mit dem Namen Samuels verknüpft 
ist. Und hier tritt sie um so intensiver auf, nicht bloss als ge- 
schmackgebende Zuthat zur älteren Überlieferung, sondern die- 
selbe von Grund aus umgestaltend. Denn was wir so eben 
daraus angeführt haben, sind nur Fragmente eines bedeutenden 
geschichtlichen Zusammenhanges, dessen erstes Stück 7, 2 — 17 
uns zunächst in Anspruch nehmen wird. Nach der Aufforderung 
zur Bekehrung 7, 2—4 beruft Samuel 7,5 eine Versammlung 
der Kinder Israel nach Mispa bei Jerusalem, um für sie um 
Abwendung der Philisterplage zu beten; die Massregel steht 
natürlich im engsten Zusammenhange mit der vorher berichteten 
Abschaffung des Götzendienstes, denn nachdem die Schuld be- 
seitigt, muss auch die Strafe aufgehoben werden. Man kommt 
zusammen, schöpft Wasser um es auszugiessen vor Jahve, fastet 
und bekennt seine Sünden zu Mispa. Als das die Philister 
hören, sind sie gleich am selbigen Tage zur Stelle und über- 
fallen die betende Gemeinde. Aber Samuel opfert ein Milch- 
lamm und schreit zu Jahve um Hülfe; und wie nun während 
dessen der Zusammenstoss erfolgt, da donnert Jahve gewaltig 
über die Philister und setzt sie in Verwirrung, dass sie weichen 
müssen und bis weit hin verfolgt werden. Die Philister aber, 
so lautet das Ende, wurden gedemütigt und drangen nicht wieder 
in's israelitische Land ein, und die Hand Jahve's war wider die 
Philister, so lange Samuel lebte; und die Städte, welche die 
Philister den Israeliten abgenommen hatten, wurden wiederge- 
wonnen, Ekron und Gath und ihr Gebiet entriss Israel den Phi- 
listern, und es war Friede zwischen Israel und dem Amoriter. 
Es gentigt den Inhalt dieser Geschichte zu referieren, um 
ihre geistliche Mache und ihre innere Unmöglichkeit sofort zur 
Empfindung zu bringen: was drängt sich" Alles in den Baum 
dieses einen Tages zusammen! Nun aber beachte man noch 
den vollendeten Widerspruch gegen alles sonst Überlieferte. In 
der Folge finden wir die Herrschaft der Philister keineswegs 
beseitigt: nicht bloss dringen sie, noch bei Samuels Lebzeiten, 

17* 



260 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

mehrfach über die Grenze, sondern sie sind im Besitz des 
israelitischen Landes, einer ihrer Statthalter wohnt zu Gibea 
mitten in Benjamin. Der Kampf gegen sie ist recht eigentlich 
der Entstehungsgrund und die Aufgabe des Königstums, kein 
Gedanke daran, dass Samuel diesem Arbeit und Verdienst vor- 
weg genommen und sogar Ekron und Gath „zurückerobert" habe. 
Grade zu seiner Zeit hat vielmehr das Philisterjoch am schwer- 
sten auf Israel gelastet. 

An der ganzen Erzählung kann kein wahres Wort sein. 
Ihre Motive aber lassen sich leicht durchschauen. Samuel ist 
ein Heiliger ersten Ranges (Jer. 15, 1), einem solchen Manne ge- 
bührt in der Theokratie, d. h. in dem religiösen Gemeinwesen, 
als welches das alte Israel nach dem Muster des Judentums vor- 
gestellt wird, die Stelle an der Spitze des Ganzen. Natürlich 
muss dann sein Einfluss weit genug gereicht haben, um Götzen- 
dienst und Untreue gegen Jahve im Volke auszuschliessen; 
im Ganzen muss der Gemeincharakter der Zeit seinem eigenen 
Vorbilde entsprochen haben. Nun aber erhebt sich ein häss- 
licher Anstoss. Wenn Samuels Leitung dafür bürgt, dass im 
Innern Alles war wie es sein muss, wie soll dann zugleich 
von aussen her so grosse Not geherrscht und sogar der Existenz 
des Volkes Gefahr gedroht haben! Wenn die Menschen das 
ihrige thun, wie kann es detln Jahve an sich fehlen lassen! 
Man hat vielmehr zu glauben, dass der inneren Gerechtigkeit 
auch die äussere Rechtschaffung entsprochen habe. Schon unter 
Samuel sind die Philister mit Gottes Hülfe zu den Grenzen hin- 
ausgetrieben und haben sich sein Lebetag nicht wieder sehen 
lassen. Der Frömmigkeit einer betenden Versammlung hat Jahve 
einen Erfolg in den Schoss fallen lassen, an dessen Erringung 
sich hinterher das Schwert kriegerischer Könige lange vergeb- 
lich gemüht hat. 

Aber diese Geschichtskorrektur steht nicht für sich und wird 
erst durch den folgenden Zusammenhang vollkommen begreiflich; 
1. Sam. 7 wird durch Kap. 8, und Kap. 8 weiter durch 10, 17 bis 
12, 25 fortgesetzt. Nachdem Samuel das Land von der Fremd- 
herrschaft befreit, führt er bis in sein Alter ein ruhiges , und 
glückliches Regiment. Da aber seine Söhne, die er sich bei- 
geordnet hat, nicht in seinem Wege gehen, so nehmen die 
Altesten Israels das zum Anlass, sich von ihm einen König zu 



Richter Samuelis und Könige. 261 

erbitten; es ist aber nur ein Vorwand für ihr Gelüste, die gott- 
liche Herrschaft abzuschütteln und zu werden wie die Heiden. 
Samuel ist höchst aufgebracht über die Undankbarkeit, wird 
aber von Jahve angewiesen, der Forderung zu willfahren. „Sie 
haben nicht deine, sondern meine Herrschaft verworfen, grade 
so wie sie, seit ich sie aus Ägypten geführt, es gemacht, mich 
verlassen und anderen Göttern gedient haben, so handeln sie 
nun auch gegen dich." Vergebens hält ihnen Samuel ein ab- 
schreckendes Verzeichnis der Rechte des Königs vor, sie gehen 
von ihrem Entschlüsse nicht ab, und so beruft er (8, 22. 10, 17) 
eine allgemeine Versammlung des Volkes nach Mispa. Dort 
wird, nachdem die einleitende Strafpredigt gehalten ist, um 
den König gelost und Saul getroffen, worauf Samuel noch das 
Königsgesetz schreibt und es vor Jahve deponiert. Dann wird 
das Volk entlassen, „und auch Saul ging nach Hause gen Gibea 
und mit ihm die Kriegsleute, denen Gott das Herz rührte, aber 
die nichtsnutzigen Buben verachteten ihn und sagten: was wird 
der uns helfen! 44 

Nur de iure soll damit Saul zum König gemacht sein, de 
facto wird er es erst, nachdem er sich erprobt hat, Kap. 11. 
Nämlich etwa nach einem Monat (10, 27 Sept.) schicken die 
Bürger von Jabes, von den Ammonitern belagert und schwer 
bedrängt, Boten durch ganz Israel mit der Bitte um schleunige 
Hülfe, denn binnen sieben Tagen müssen sie sich den Feinden 
ergeben *und sich ein jeder das rechte Auge ausstechen lassen. 
Die Boten kommen auch nach der Stadt Sauls, Gibea in Ben- 
jamin, und reden ihre Worte vor den Leuten; die heben ihre 
Stimme auf und weinen. Indem kommt Saul mit einem Joch 
Rinder vom Felde, und da er das allgemeine Weinen bemerkt, 
fragt er was geschehen sei. Man erzählt's ihm, da überfällt 
ihn der Geist Gottes und er gerät in sehr grossen Zorn; er 
zerstttckt seine Rinder und schickt die Teile durch ganz Israel 
mit dem Entbieten: wer nicht ausziehe in den Kampf, des 
Rindern solle also geschehen! Und der Schrecken Jahve's 
fällt auf das Volk, sie ziehen aus wie ein Mann und entsetzen 
die belagerte Stadt. Darauf wird dem Saul zu Gilgal „das 
Königtum erneuert 44 ; und nun erst tritt Samuel ihm die Regie- 
rung ab, in der langen Rede Kap. 12, aus der oben ein grösseres 
Stück mitgeteilt ist. 



262 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Dass das 11. Kapitel in diese Version aufgenommen ist, er- 
hellt aus 12, 12 und auch aus 11, 12 — 14 Aber ursprünglich 
ist es nicht für diesen Zusammenhang berechnet. Denn von 
den Kriegsmännern, die Saul nach 10, 26 begleiten, merkt man 
hier nichts; die Boten von Jabes kommen nicht seinetwegen 
nach Gibea. Wie der vermeintliche König vom Pflügen zu 
Hause kommt, wird nicht gethan, als gehe ihn die Botschaft 
näher an, niemand teilt sie ihm mit, er muss sich nach der Ur- 
sache des allgemeinen Weinens erst erkundigen. Nicht kraft 
seines Amtes als König, sondern in der Autorität des Geistes 
bietet er den Heerbann Israels auf und findet begeisterten Ge- 
horsam. Erst nachdem er seine Kraft gezeigt und die Ammo- 
niter geschlagen hat, wird er 11, 15 vom Volke zum Könige 
gemacht: die Renovation des Königtums 11, 14 — nach einem 
Monate — ist ein durchsichtiger Kunstgriff des Verfassers von 
Kap. 8. 10, 17 ff., womit er das anderswoher entlehnte Stück 
seiner eigenen Relation einverleibt; die Verse 11, 12 — 14 rühren 
von ihm her. 

Der Zusammenhang, worin 1. Sam. 11 ursprünglich stand, 
ist die andere Erzählung über Sauls Erhebung 9, 1—10, 16. 
Hier wird er uns zu Anfang vorgeführt, wie er entlaufenen 
Eselinnen nachgeht. Auf mehrtägiger vergeblicher Suche bis 
gen Rama gelangt wendet er sich auf den Rat seines Knechtes 
an einen Seher daselbst um Auskunft, eben an Samuel. Dem 
ist er schon Tags zuvor durch Jahve angemeldet: „morgen werde 
ich dir einen Mann aus Benjamin zusenden, den salbe zum Für- 
sten über mein Volk, er soll es erretten von den Philistern" — 
er hat ihn also erwartet und zum voraus ein Opferfest auf der 
Bama für ihn veranstaltet. Jetzt ist Samuel, zwischen dem 
sakralen Akt und der daran sich schliessenden Mahlzeit, hinab- 
gegangen zur Stadt, und wie er eben zurück will zu den Gästen, 
trifft er im Thore den nach ihm fragenden Saul und erkennt auf 
Jahve's Zuraunung in ihm seinen Mann. Er nimmt ihn mit hin- 
auf zur Bama, und nachdem er ihn über die Eselinnen beruhigt, 
deutet er ihm auf der Stelle an, zu wie hohen Dingen er be- 
rufen sei, und gibt ihm tiberzeugende Beweise, dass er auf ihn 
als Ehrengast beim Opfermahle gerechnet habe. Darauf beher- 
bergt er ihn noch die folgende Nacht und begleitet ihn am an- 
dern Morgen auf den Weg. Nachdem der Knecht ein wenig 



Richter Samuelis und Könige. 263 

voraufgeschickt ist, bleibt Samuel stehen, salbt den Saul, 
zum Zeichen dass er von Jahve zum Könige und Helfer Israels 
ausersehen sei, und weist ihn zum Schlüsse an: wenn Gelegen- 
heit zu handeln komme, so solle er sie in dem Bewusstsein 
brauchen, dass Gott mit ihm sei. Auf dem Heimwege durch 
das Eintreffen dreier ihm angekündigter Zeichen von der Zu- 
verlässigkeit des Sehers versichert und dadurch im Herzen nach 
und nach bis zum Überschäumen umgewandelt, kommt Saul 
nach Gibea, und obwohl durch sein seltsames Wesen den Be- 
kannten auffallend, verrät er zu Hause doch nicht einmal dem 
nächsten Freunde, was ihm Samuel gesagt, sondern wartet der 
Dinge, die da kommen sollen. 

So weit sind wir 10, 16. Dass hiemit noch kein Abschluss 
erreicht ist, leuchtet ein; der Same muss doch aufgehen, der 
veränderte Geist zur Wirkung kommen. Dieser Forderung ge- 
schieht aufs vollkommenste Genüge, wenn Kap. 11 als unmit- 
telbare Fortsetzung von 10, 16 betrachtet wird. Etwa nach 
einem Monate, da kommt für Saul die Gelegenheit zu handeln, 
auf die ihn Samuel verwiesen hat; während die anderen über 
die Schmach, die einer israelitischen Stadt von den Ammonitern 
droht, weinen, tiberfällt ihn der Geist und der Zorn; er hat von 
jener Unterredung her den Stachel im Herzen und thut nun, 
„was seine Hand findet 4 '. Der Erfolg ist überraschend, auf die 
natürlichste Weise von der Welt erfüllt sich das Seherwort. 

Gehört Kap. 11 ursprünglich der Relation 9, 1 — 10, 16 an, 
so ergibt sich daraus die Abhängigkeit und Posteriorität der an- 
deren ohne weiteres. In welchem inneren Verhältnis stehen 
nun die beiden Versionen zu einander? Hie und da berühren 
sie sich in den Ideen. Dort sucht Saul die Eselinnen und findet 
die Krone, hier versteckt er sich unter den Geräten und wird 
als König hervorgezogen. Dort wird er vom Seher berufen, 
hier wird er durch's Los eingesetzt — beide mal wirkt die gött- 
liche Causalität. Aber wie wird der Gedanke auf der späteren 
Stufe übertrieben und wie plump tritt er hervor! Und weit 
stärker als diese Verwandtschaft in der Anschauungsweise ist 
auf der anderen Seite die Abweichung des Ablegers vom Original. 
Über die Richtung derselben sind wir durch das 7. Kapitel vor- 
bereitet. Samuel hat seine Landsleute von den Feinden befreit 
und hinterher gerecht und glücklieh über sie geherrscht — 



264 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

warum verlangen sie also nach einer Veränderung in der Re- 
gierungsform? Sie haben so viel und so wenig Grund dazu wie 
zum Abfall von Jahve,*der ihnen ja auch nach einer Reihe 
ruhiger Jahre periodisch zum Bedürfnis wird; es ist der Aus- 
fluss ihres innerlich heidnischen Wesens. So nach Kap. 8 nebst 
Zubehör. Ganz anders nach Kap. 9 ff. Da befindet sich Israel 
am Ende der Richterzeit nicht auf der Höhe von Macht und 
Glück, sondern im tiefsten Stande der Erniedrigung, und gerade 
im Königtum wird das Mittel der Rettung gesehen. Mit diesem 
Unterschiede hängt ein anderer eng zusammen, bestehend in der 
Auffassung der Autorität Samuels. In Kap. 8 ff. ist er wie in 
Kap. 7 der Reichsverweser Jahve's, mit unbeschränkter Vollmacht. 
Er empfindet die Königsherrschaft als seine eigene Absetzung; 
jedoch rebellieren die Israeliten nicht etwa gegen ihn, sondern 
erbitten sich von ihm selber den König. Er hätte die Bitte ver- 
weigern, er hätte ihnen einen Herrscher nach seinem Gutdünken 
geben können, doch als korrekter Theokrat lässt er Jahve ent- 
scheiden. Zum Schluss legt er feierlich die bisher von ihm ge- 
führte Regierung nieder und übergibt sie seinem Nachfolger, 
der nur den Titel, nicht aber die Fülle der Macht vor ihm vor- 
aus hat, eher in letzterer Beziehung, als bloss weltlicher Fürst 
(12, 23 f.) hinter ihm zurücksteht. Wie steht es dagegen in 
Kap. 9ff.? Hier ist Samuel dem Saul selber weder dem Namen 
noch dem Wohnorte nach bekannt, nur der Knecht hat von ihm 
sagen hören und in seiner Heimat steht er als Seher in grosser 
Achtung. Was man sich unter einem Seher von damals vorzu- 
stellen habe, wird mit einiger Absichtlichkeit klar gestellt, in- 
dem Samuel nach dem Verbleib entlaufener Eselinnen gefragt 
und ihm dafür ein viertel Silberling angeboten wird. Steht nun 
auch dieser Seher deutlich über der Masse seiner Standesge- 
nossen, so bleibt doch sein geschichtliches Eingreifen völlig 
innerhalb der Schranken des auch etwa einem Kalchas Mög- 
lichen, und lässt von der legislativen und exekutiven Gewalt 
eines Regenten der Theokratie nicht das Mindeste merken. Er 
bringt nicht die Hülfe, er ersieht nur die Hülfe und den Helfer. 
Gerade das Ereignis, wodurch Samuel nach Kap. 8 ff. von seiner 
Stellung verdrängt und in den Hintergrund geschoben wird, be- 
gründet hier einzig seine Bedeutung: das Königtum Sauls, das 
zwar nicht sein Werk, aber sein Gedanke ist. Er kündigt dem 



Richter Samuelis und Könige. 265 

Benjaminiteli seine Bestimmung an, als Interpret von dessen 
eigenen Herzensgedanken (9, 19). Damit ist seine Aufgabe er- 
füllt, seinen Nachfolger in der Regierung zu ernennen hat er 
keinen Auftrag und keine Gewalt. Alles Weitere tibeiiässt-er 
dem Laufe der Dinge und dem Geiste Jahve's, der Saul auf 
eigene Ftisse stellen werde. 

Im Hintergrunde der beiden verschiedenen Berichte er- 
kennen wir den geistigen Abstand zweier Zeitalter. Dem vor- 
exilischen Israel ist das Königtum der Höhepunkt der Geschichte 
und die grösste Segnung Jahve's. Vorher ging eine Periode 
der Unruhe und Bedrfngnis, wo jeder that was er wollte und 
also die Feinde leichtes Spiel hatten. Nun wohnt man sicher, 
geachtet von den Nachbaren, und kann im Schutze staatlicher 
Ordnung seines Feigenbaumes und seines Weinstocks froh wer- 
den. Das ist das Verdienst der beiden ersten Könige, die Israel 
von seinen Räubern befreit, ihm Macht und Ruhe gegeben haben. 
Sie werden in dieser Hinsicht nicht verschieden beurteilt, der 
eine hat das Werk angefangen, der andere es vollendet (I. 9, 16. 
14, 48. IL 3, 18. 19, 10). Während man früher in harter Kampfes- 
arbeit nicht zu Atem kam, ist nun Zeit auch an anderes zu 
denken. Noch das Deuteronomium , das nicht lange vor dem 
Exil geschrieben ist, betrachtet die vorkönigliche Periode nur 
als eine vorbereitende und nicht für voll zu rechnende Über- 
gangszeit: erst muss Israel selber zu festen Sitzen gelangt und 
eine gesicherte Existenz gewonnen haben, dann wird auch Jahve 
sich einen Sitz erwählen und Ansprüche in Bezug auf den Cultus 
erheben. Nachdem aber David es dahin gebracht, dass das Volk 
Raum hat und festgewurzelt ist im Boden und nicht mehr zittert 
vor den Feinden, die es von Anfang an und alle Tage der 
Richter in Atem gehalten haben, ist dann unter seinem Nach- 
folger die Zeit gekommen, den Tempel zu bauen und sieh 
höheren Aufgaben hinzugeben. Wie ferne dem hebräischen 
Altertum die Vorstellung eines feindlichen Gegensatzes zwischen 
dem himmlischen und dem irdischen Herrscher lag, ersieht man 
aus dem Namen des Gesalbten Jahve's und aus der propheti- 
schen Hoffnung, die auch für die ideale Zukunft den mensch- 
lichen König nicht entbehren kann. So lebendig wie je einem 
anderen Volke ist es den alten Israeliten im Bewusstsein ge- 
blieben, welcher Dank den Männern und der Institution gebühre, 



266 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

wodurch sie aus der Anarchie und Unterdrückung in einem ge- 
ordneten uud wehrfähigen Gemeinwesen emporgehoben wurden; 
die Bücher Samuelis legen davon das beredteste Zeugnis ab. *) 

* In schneidendem Gegensatz dazu nimmt die Version 1. Sam. 
7.8. 10, 17 ff. 12 ihren Standpunkt ein. Da ist die Errichtung 
des Königtums nur eine tiefere Stufe des Abfalls. Einen Fort- 
schritt über das mosaische Ideal hinaus kann es nicht geben; 
je weiter man sich davon entfernt, desto grösser ist der Rück- 
schritt. Die kapitale Sünde, einen menschlichen Herrscher auf 
Jahve's Thron zu setzen, dient sogar der Eich terzeit, die sonst 
auch grau in grau gemalt wird, zur verklärenden Folie; selbige 
erscheint wegen ihres Festhaltens an der Urform der Theokratie 
in hellerem Lichte, ja gerade zuletzt noch, um den Gontrast zu 
erhöhen, in herrlichem Glänze. Unter Samuels Regimente war 
Alles wie es sein sollte. Fragen wir nun, wie es da eigentlich 
war und was es mit der theokratischen Verfassung für eine Be- 
wandtnis hat, so erhalten wir darauf freilich keine genügende 
Antwort. Man könnte vom Haupte auf den Körper zurück- 
schliessen wollen, aber was für einen Begriff soll man sich von 
Samuels Stellung machen? So wie er in diesen Kapiteln er- 
scheint, ist er in den Kategorien, die etwa in Frage kommen, 
durchaus nicht unterzubringen; er ist kein Richter, kein Priester, 
kein Prophet, wenn wir den Worten ihre historische Bedeutung 
lassen. Ein zweiter Moses ist er — nun ja, aber das macht 
uns nicht klüger. Deutlich ist nur, dass die Theokratie auf 
ganz anderem Fusse eingerichtet ist als die Reiche dieser Welt, 
und dass es als Abfall zum Heidentum gilt, wenn die Israeliten 
wie andere Völker einen König an ihre Spitze stellen, der Hof- 
leute und Beamte, Officiere und Soldaten, Rosse und Wagen hält. 
Sie ist demnach ein geistliches Gemeinwesen, wie denn auch 
der geistliche Charakter des Regenten ausser Frage steht. Sa- < 

*) In der Ausschau Bileams über die gesegnete Zukunft Israels Num. 23 f. 
haftet sein Blick besonders auf dem Königtum als einem Hauptsegen. 
Im Allgemeinen 23, 21: „Jahve sein Gott ist mit ihm, und Königsjubel 
wird laut unter ihm". Mit besonderer Beziehung auf Saul 24,7: „und 
über Agag triumphiert sein König und sein Reich steigt empor". Auf 
David 24, 17: „ich sehe ihn obwohl nicht jetzt, ich schaue ihn obwohl 
nicht nahe; aufgeht (n*"fl) e i n Stern aus Jakob und eine Rute aus Israel, 
und zerschmettert die Schläfen Moabs und den Scheitel aller Söhne Seths, 
auch Edom wird Eroberung". Die Thora und das Königtum sind nach 
Deut. 33, 4. 5 die beiden grössten Gnadengaben Gottes. 



Richter Samuelis und Könige. 267 

muel malint das Volk vom Götzendienst w lassen, er steht dem 
grossen Busstage zu Mispa vor, der in der heiligen Geschichte 
Epoche bildet, seinem Bitten und Schreien vermag Jahve nichts 
abzuschlagen (12, 17). „Es sei ferne von mir, sagt er noch beim 
Abschiede (12, 23), dass ich ablasse für euch einzutreten und euch 
auf den guten Weg zu weisen." Entsprechend haben die Bürger 
der Theokratie die Aufgabe den Jahvecultus zu pflegen und sich 
der Leitung des Stellvertreters der Gottheit nicht zu entziehen. 
Auf Mittel sich wehrfähig zu machen brauchen sie nicht zu 
denken; wenn sie fasten und beten und von ihren Sünden lassen, 
so schlägt Jahve die Feinde durch seinen Blitz und Donner zu- 
rück, und so lange sie fromm sind, lässt er dieselben gar nicht 
in's Land kommen. All der Aufwand, wodurch ein Volk sonst 
seine Existenz sichert, ist dann natürlich überflüssig. Dass diese 
Vorstellung ungeschichtlich sei, versteht sich von selber; dass 
sie der echten Tradition widerspricht, haben wir gesehen. Die 
alten Israeliten haben nicht von Anfang an eine Kirche, sondern 
zuerst ein Haus zum Wohnen gebaut; und sie sind überfroh ge- 
wesen, als sie es glücklich unter Dach hatten (11, 15). Aber noch 
das ist zum Schluss hinzuzufügen, dass jene Vorstellung nur in 
einer Zeit entstanden sein kann, welche Israel als Volk und 
Keich nicht mehr kannte und von den realen Bedingungen, die 
dazu gehören, keine Erfahrung hatte — dass dieselbe mit an- 
deren Worten dem exilischen oder nachexilischen Judentume 
entstammt. Damals war aus der Nation eine religiöse Gemeinde 
geworden, deren Glieder sich um des willen auf die Hauptsache, 
den Gottesdienst und die Frömmigkeit, beschränken konnten, 
weil ihnen die Sorge für die weltlichen Angelegenheiten durch 
die Chaldäer oder die Perser abgenommen war. Damals 
existierte also die Theokratie, und von daher wird sie ideali- 
siert auf die Vorzeit übertragen. Aber so dass dabei der ma- 
terielle Untergrund, worauf sie thatsächlich ruhte, nämlich die 
Fremdherrschaft, ignoriert und es hingegen den alten Israeliten 
als Heidentum angerechnet wird, dass sie selber für ihre äussere 
Existenzfähigheit sorgen; dass sie ein Volk im vollen Sinne des 
Wortes sind und sich als solches mit den Mitteln, wie sie die 
gemeine Wirklichkeit erheischt, zu erhalten streben. Dass die 
durch das Königtum geschaffene politische Organisation und 
Centralisation die cultische erst begründet habe, dass ihre Kirche 



268 Geschichte der Tradition, Kap* 7. 

nur das y erklärte Überbleibsel der Nation sei, der Gedanke kam 
.begreiflicher Weise den Epigonen nicht — was dem Mose gut- 
geschrieben wird, wird dem Königtum entzogen. 

Noch eins ist hervorzuheben. Die Kapitel 7. 8. 10, 17 ff. 12 
bekunden nicht bloss durch ihre allgemeine Haltung eine nahe 
Verwandtschaft mit Jud. 19 — 21, sondern auch durch einen spe- 
cialen Berührungspunkt. Nur hier kommt Mispa bei Jerusalem 
als Versammlungsstätte Gesamtisraels vor, sonst hören wir in 
der ganzen Richter- und Königszeit nichts von dem Orte. Erst 
nach der Zerstörung Jerusalems wird er erwähnt und zwar als 
Mittelpunkt des neuen von den Chaldäern eingerichteten jüdi- 
schen Gemeinwesens (Jer. 40ff.), als Substitut der alten Haupt- 
stadt. In ähnlicher Bedeutung erscheint er noch einmal 1. Macc. 
3, 46 ff., in einer Zeit, wo der jerusalemische Tempel in den 
Händen der Syrer und den Juden unzugänglich war. Auf Grund 
von Jer. 40ff. ist Mispa vermutlich auch in Jud. 20. 1. Sam. 7. 10 
bestimmt, die Stelle Jerusalems zu vertreten, des allein legitimen, 
damals aber noch nicht vorhandenen Heiligtums. Das ist ein 
weiterer Beweis des nachdeuteronomisch -jüdischen Ursprungs 
dieser Geschichten, zugleich aber auch ein Merkmal dafür, dass 
dieselben den Priestercodex, bei aller Hinneigung zu dessen An- 
schauungen, doch thatsächlich noch nicht voraussetzen. Dort 
vollzieht sich nämlich die Projection Jerusalems für die vor- 
salomonische Periode in ganz anderer Weise, die Stiftshütte 
macht Mispa überflüssig. Übrigens ist auch der Ritus des 
Wasserausgiessens 1. Sam. 7 dem Priestercodex fremd. 

3. Sauls Verhältnis zu Samuel, sehr geeignet zu verall- 
gemeinernder Betrachtung, hat auch sonst der Entwicklung der 
Tradition zum Anhalt gedient. Gehen wir von der Auffassung 
in 1. Sam. 7. 8. 12 als unterer Grenze aus, so steht ihr am näch- 
sten, was 1. Sam. 13 in einer Einlage von Samuel berichtet 
wird. Nachdem Saul in Gilgal von dem Volksheere, womit er 
Jabes entsetzt hat, zum Könige gemacht ist, sucht er sich dar- 
unter Männer aus, die mit ihm und Jonathan zu Gibea und dem 
benachbarten Michmas lagern; Jonathan gibt das Signal zum 
Kampfe gegen den Erzfeind, indem er den Vogt zu Gibea er- 
schlägt. Die Philistef rücken vor und machen nordwärts von 
Gibea Halt, nur durch ein tiefes Thal davon getrennt. Saul 
aber, heisst es nun plötzlich 13, 7 (vgl. 13, 4), war noch immer 



Richter Samuelis und Könige. 269 

in Gilgal und wartete sieben Tage auf Samuel gemäss der Frist, 
die ihm dieser gesetzt, aber Samuel kam nicht und die Kriegs 1 
leute zerstreuten sich. Wie er nun eben selber das Opfer brachte, 
ohne das kein Feldzug eröffnet werden konnte, da kam Samuel 
und fuhr ihn an. Saul rechtfertigte sich sehr triftig: das Volk 
habe sich verlaufen und Samuel sich nicht zur bestimmten Zeit 
eingestellt, die Philister aber seien schon bis dicht vor Gibea 
vorgerückt, so habe er nicht länger warten können das Opfer zu 
bringen und ihnen entgegenzugehen. Aber Samuel hatte darauf 
nur die Antwort: „du hast gefehlt, hättest du Jahve's Gebot ge- 
halten, so hätte er dein Königtum bestätigt in Ewigkeit, nun 
wird dein Königtum nicht bestehen ; Jahve hat sich einen Mann 
nach seinem Herzen ausgesucht und ihn zum Fürsten über sein 
Volk bestimmt, denn du hast nicht gehalten, was Jahve dir be- 
fohlen hat". Sprach's und entfernte sich, Saul aber zog mit dem 
Heere von Gilgal nach Gibea. Zu Gibea — fährt der folgende 
Vers (13,16) dann fort — sassen Saul und* Jonathan und ihre 
Leute, als die Philister in Michmas sich lagerten. 

Dass der ganze Passus über die Begegnung des Königs mit 
dem Propheten in Gilgal (13, 7 — 15) von späterer Hand einge- 
setzt ist, erhellt aus dem Ortswechsel. Am Anfange der Er- 
zählung befindet sich Saul in Gibea (13, 2. 3) und eben dort 
suchen ihn die Philister auf, deshalb vor dem Orte Halt 
machend, weil sie hier auf die Gegenwehr treffen. Plötzlich 
wird 13, 7 Stillschweigens vorausgesetzt, Saul habe sich seit 
der Königs wähl noch immer in Gilgal aufgehalten und sei 
von da gegen die Philister gezogen, die vor Gibea auf ihn war- 
teten. Aber in 13, 16 hat man wieder den Eindruck, dass Saul 
mit den Seinigen längst in Gibea gestanden habe, als die 
Feinde gegenüber Lager schlugen; nur so versteht sich der 
Gegensatz des zuständlichen Particeps (sedentes) und des inchoa- 
tiven Perfekts (castrametati sunt). Und weiterhin verrät sich in 
der triumphierenden Fortsetzung der Erzählung, namentlich in 
Kap. 14, keine Spur, dass jene ominöse Scene in Gilgal auf Sauls, 
des Volkes, und des Schriftstellers Seele laste. 

Mit den sieben Tagen, die Saul nach 13, 7—15 zu Gilgal 
auf Samuel warten soll, wird zurückgegriffen auf 10, 8, wo der 
Seher dem zukünftigen Könige sagt: „du sollst vor mir nach 



270 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Gilgal hinabziehen und dort will ich dir Bachkommen, um die 
Opfer zu bringen; sieben Tage sollst du auf mich warten, damit 
ich dir ansage, was du zu thun hast". Diesem Verse spricht nicht 
bloss der Zusammenhang mit 13, 7 — 15 sein Urteil. Nach 10, 1 — 7 
handelt es sich dem Samuel in diesem Augenblicke nur darum, 
das Mistrauen des seine Eselinnen suchenden Benjaminiten zu 
dem ihm geweissagten hohen Berufe zu überwinden, ihm Glauben 
und Zuversicht einzuflössen, aber nicht, ihm unverständliche Vor- 
schriften darüber zu geben, was er, wenn er wirklich König ge- 
worden sei, zunächst thun und wie lange er in Gilgal auf ihn 
warten solle. Den schulmeisterlichen Ton von 10, 8 erwartet 
man am wenigsten grade nach der unmittelbar vorangehenden 
Äusserung 10, 7: wenn die drei Bürgschaften eingetroffen seien, 
so solle Saul thun was seine Hand finde, denn Gott sei mit ihm. 
Hiermit wird ihm doch die volle Freiheit des Handelns gegeben, 
und zwar deshalb, weil Gottes Geist in ihm wirkt, der bekannt- 
lich blaset wo er will und sich von keiner Autorität drein 
reden lässt. 1 ) 

Die Einlage beruht auf einer älteren Relation über den 
Bruch zwischen Samuel und Saul 1. Sam. 15, in welcher aber 
auch das Opfer die Gelegenheit und Gilgal der Schauplatz ist: 
nur aus letzterem Umstände erklärt es sich, dass Gilgal auch 
in 13, 7— 15 # trotz aller Unmöglichkeit als der gegebene und 
notwendige Ort festgehalten wird. Jahve erteilt durch Samuel 
dem Könige Befehl, die Amalekiter zur Strafe für eine vor 
Alters gegen Israel begangene Heimtücke zu bannen und nichts 
von ihnen übrig zu lassen. Demzufolge bekriegt Saul die Amale- 
kiter und schlägt sie, führt aber den Bann nicht ganz streng 
aus, sondern schont des besten Viehs und des gefangenen Königs 
Agag. Darüber in Gilgal, wo man den Sieg vor Jahve feiert, 
von Samuel zur Rede gestellt gibt er vor, die Beute zum Opfer 
Jahve's bestimmt zu haben. Damit macht er keinen Eindruck. 
„Siehe Gehorsam ist besser als Opfer, Aufmerken mehr wert 
als Widderfett; siehe wie Wahrsagerei ist das Widerstreben 

l ) Übrigens ist es klar, dass der Verfasser von 10, 8. 13, 7 — 15 unmöglich 
schon in Kap. 11 den Samuel in Gilgal vorgefunden haben kann, bevor 
er ihn in Kap. 13 dorthin kommen lässt. Dass 11, 12 — 14 Nachtrag ist, 
haben wir bereits gesehen; aber auch in 11, 7 muss der Name Samuels 
interpoliert sein. In der That handelt 11, 15 das, Volk, d.i. das Heer, 
noch im jetzigen Text Vollkommen auf eigene Hand. Daraus folgt zu- 
gleich, dass 10, 8. 13, 7—15 älter ist als Kap. 7. 8. 10, 17ff. 12. 



Richter Sanmelis und Könige. 271 

und wie Bilder- und Götzendienst der Ungehorsam: weil du 
Jahve's Wort verschmäht hast, hat er dich als König ver- 
schmäht." Der König erkennt seine Schuld und will Samuel 
begütigen, der aber wendet sich erzürnt, und da ihn jener fest- 
halten will, reisst der Mantel. „Jahve hat das Reich Israel 
heute von dir gerissen und es einem Besseren gegeben, auch 
lügt der Wahrhaftige Israels nicht und ändert seinen Sinn nicht, 
denn er ist kein Mensch, dass ihn etwas reue." Doch auf die 
Bitte Sauls ihm wenigstens nicht öffentlich vor dem Volke die 
Ehre zu versagen, nimmt Samuel am Opfer teil und eröffnet es 
selber damit, dass er den Agag vor Jahve zerhaut. Dann gehen 
sie auseinander um sich nie wiederzusehen, Samuel aber trägt 
Leid um ihn, dass Jahve sich's hatte reuen lassen, ihn zum 
König über Israel gemacht zu haben. Mit dieser Erzählung 
hängt eine andere, durch Gegenstand und Behandlung, Ge- 
danken und Ausdruck, aufs engste zusammen; die von der 
Hexe von Endor. Als Saul kurz vor der Schlacht, in der er 
fiel, das Heer der Feinde überblickte, befiel ihn Angst und 
Schrecken. Er fragte Jahve, erhielt aber keine Antwort, weder 
durch Träume noch durch das Ephod noch durch Propheten, 
bis er durch die Not einer dunklen Zunft in die Arme getrieben 
wurde, die er sonst verfolgt und ausgerottet hatte. Verkleidet 
suchte er Nachts mit zwei Begleitern eine TotenbeSchwörerin in 
Endor auf, und nachdem er sie über die Todesgefahr beruhigt 
hatte, die ihr durch Ausübung ihrer Kunst drohte, hiess er sie 
den Samuel citieren. Wie sie den Geist heraufkommen sieht, 
erkennt sie, dass derjenige, dem er zu einer Unterredung ent- 
gegengehe, der König selber sei; sie schreit laut auf, lässt sich 
aber wieder beschwichtigen und beschreibt das Aussehen des 
Toten. Saul sieht ihn nicht, er hört ihn nur reden. „Warum 
hast du mich in Unruhe gesetzt und mich heraufholen lassen? 
Jahve thut wie er durch mich gesagt, reisst das Reich von dir 
und gibt es einem andern, weil du seiner Stimme nicht ge- 
horcht und seinen grimmigen Zorn gegen Amalek nicht ausge- 
richtet hast: morgen wirst du mit deinen Söhnen bei mir sein 
und auch das Heer Israels wird Jahve in der Philister Hand 
tibergeben." Bei den Worten schlägt Saul so lang wie er ist 
zu Boden, er hatte Tags vorher und auch die Nacht nichts ge- 
gessen. Mit Mühe wird. er bewogen, etwas zu sich zu nehmen; 



272 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

darauf erhebt er sich mit seinen Knechten, seinem Geschick 
entgegen zu gehen (1. Sam. 28, 3—25). 

Vergleichen wir mit diesem Original die Copie 13, 7 — 15, 
so fällt zuvörderst die Vorschiebung des Bruches auf. Kaum 
König geworden wird Saul sofort abgesetzt, gleich auf dem 
Fleck, zu Gilgal. Und auf was für Gründe hin? Samuel hat 
ihm ganz willkürlich eine Wartezeit gesetzt, erst nachdem sie 
verstrichen ist, trifft Saul Anstalten zum Abmarsch, zu dem die 
Not zwingt, und darum wird er verworfen! Offenbar ist jener 
von vornherein von der Stimmung gegen ihn beseelt, die der 
legitime Fürst dem Usurpator gegenüber hat; er hat es darauf 
angelegt einen Anlass zu finden, um sein Verhältnis zu ihm in's 
Klare zu bringen. Genau genommen hat er freilich den Anlass 
doch nicht gefunden, da ja die Frist eingehalten ist; aber un- 
ausgesprochen steht die Meinung im Hintergrunde, dass der König 
nicht bloss vor Ablauf der sieben Tage, sondern überhaupt nicht 
opfern dürfe; sein Opfern wird als Raub am Heiligen angesehen. 
Da taucht die autonome Theokratie vor unsern Augen auf, an 
die vor Ezechiel niemand gedacht hat; wir werden erinnert an 
die Erzähjungen der Chronik über Joas und Uzzia. Bei aller 
Ähnlichkeit des Inhalts ist doch der Geist von 1. Sam. 15. 28 
ein wesentlich anderer und älterer. Nicht mit so rasender Eile 
erfolgt hier die Verwerfung, man gewinnt nicht den Eindruck, 
dass Samuel sich freut, den König von der Hand schlenkern zu 
können. Er ehrt ihn vielmehr vor dem Volke, er trägt Leid, 
dass Jahve ihn verschmäht hat; Saul, der ihn im Leben nicht 
mehr schaut, wendet sich in der höchsten Not noch an den 
Toten: er hält ihn nicht für seinen bösen Feind. Während 
ferner dort der König sich versündigt, indem er die Heiligkeit 
des Opfers und die Unnahbarkeit des Altars für den Laien nicht 
gebührend achtet, so wird ihm hier vorgeworfen, dass er dem 
Opfer einen viel zu hohen Wert beilegt. Dort handelt endlich 
die Gottheit und ihr Stellvertreter mit absoluter Willkür, stellt 
sich mit unbegreiflichen kleinlichen Geboten schroff dem Men- 
schen gegenüber, fordert ihn zum Widerspruch heraus; hier ist 
das Auftreten Samuels, wenn man den Bann als Volkssitte vor- 
aussetzt, motiviert, sein Wesen nicht von Geist entblösst, er be- 
ruft sich nicht auf seine Unverantwortlichkeit, sondern auf die 
Evidenz, dass Gehorsam besser sei als Widderfett. 



Richter Samuelis und Könige. 273 

Freilich gehören auch die Kapitel 15 und 28 nicht zum 
Stock der Überlieferung. Bei 1. Sam. 28, 3 — 25 ist es leicht, 
die Einsehiebung aufzuzeigen, denn der Faden von 28, 1. 2, her- 
kommend von Kap. 27, wird 29, 1 fortgesetzt; nach 28, 4 sind die 
Philister schon zu Sunem in Jezreel, nach 29, 1 noch zu Aphek 
in Saron, von wo sie erst 29, 11 nach Jezreel aufbrechen. 
Um in Bezug auf 1. Sam. 15 das Gleiche zu zeigen, könnte man 
sich darauf berufen, dass zwischen 14, 52 und 16, 14 directer 
Anschluss besteht — aber das ist etwas umständlich zu beweisen. 
Es genüge also, dass in der vorhergehenden Geschichte Sauls 
der Amalekiterkrieg in einem ganz andererf Lichte erscheint 
(9, 1. 10, 16. 11. 13. 14 vgl. auch Num. 24). Die Veranlassung 
dazu ist nach 14, 48 den Bedürfnissen der Gegenwart entnommen 
und der Zweck der sehr praktische „Israel von seinen Räubern 
zu befreien" ; keine Rede davon, dass der Feldzug um eines re- 
ligiösen Gebotes willen unternommen sei, um die Amalekiter für 
eine längst verjährte Schuld zu strafen, über die man nur aus 
den Geschichtsbüchern über die mosaische Zeit Bescheid wusste. 
Beide Erzählungen, Kap. 15 sowohl als Kap. 28, sind Vorspiele 
der folgenden Begebenheiten. Mit Kap. 16 tritt David auf den 
Schauplatz, ist sofort die Hauptperson und drängt Saul zur Seite: 
in Kap. 15 wird diese Wendung prophetisch eingeleitet. Die 
Thatsache war überliefert, dass Saul von Jahve zum Könige er- 
sehen war. Wie ist es denn möglich , dass seine Herrschaft 
trotzdem keinen Bestand hatte? Jahve, der sonst seinen Sinn 
nicht ändert, hat sich in ihm geirrt; Samuel, der den König be- 
rufen hat, muss zu seinem grossen Schmerz ihm nun auch das 
Urteil der Verwerfung sprechen. Die Gelegenheit, bei der er es 
thut, ist augenscheinlich historisch, nämlich die Siegesfeier zu 
Gilgal, wobei als vornehmstes Opfer der gefangene Führer der 
Amalekiter selber dargebracht ward. Das Opfer Agags, der spä- 
teren Sitte völlig fremdartig, mag zu der Deutung Anlass gegeben 
haben, dass Saul den König geschont, Jahve aber seinen Tod 
verlangt und ihn durch Samuel am Altare habe zerhauen lassen. 
Daraus lässt sich leicht das Übrige entspinnen, näher auf das 
Wie einzugehen, ist überflüssig. Zu Kap. 15 verhält sich weiter 
Kap. 28, wie zur ersten Stufe die zweite. Es braucht nicht nach- 
gewiesen zu werden, dass hier Sauls Fall im letzten Kampf gegen 
die Philister seinen prophetischen Schatten vorauswirft. Dass er 

Wellhausen, Prolegomena. 18 



274 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

sich an die, Hexe wendet, um den abgeschiedenen Samuel zu be- 
schwören, gibt einen höchst wirksamen Eindruck von der Gott- 
verlassenheit, worin er sich befindet, seit jener von ihm sich ab- 
gewandt. Die allgemeine Färbung endlich wird dem Gegensatze 
zwischen Samuel und Saul hier verliehen durch das Verhältnis 
der Propheten zu den Königen, wie es sich besonders im Reiche 
Samarien (1. Reg. 14, 7) ausgebildet haben muss. Es ist klar, 
dass unsere Erzählungen in der Auffassung dieses Verhältnisses 
den prophetischen Standpunkt einnehmen, wie sie denn auch 
nach den lehrhaften Ideen, die darin ausgesprochen werden, als 
prophetische Coneeptionen angesehen werden müssen. 

4. David ist der erste judäische Held, dem wir begegnen; 
er stellt sogleich alle übrigen in den Schatten. Über seine 
Thaten besitzen wir zwei ausführliche und zusammenhängende 
Schriften, die sich gegenseitig ergänzen. In 1. Sam. 14,52 bis 
2. Sam. 8, 18 wird zunächst umständlich erzählt, auf welche 
Weise David auf den Thron gelangt sei, sodann folgt seine 
Hauptthat als König, die Demütigung der Philister und die Grün- 
dung Jerusalems, worauf mit einer kurzen Übersicht über das 
sonst noch Bemerkenswerte abgeschlossen wird. Der Bericht 
ist uns vollständig erhalten, nur nicht in seiner reinen Form, 
sondern vielfach durchbrochen und überarbeitet. Die zweite 
Schrift 2. Sam. 9 — 2. Reg. 2 ist am Anfange verstümmelt, sonst 
jedoch fast völlig intakt, wenn man 2. Sam. 21—24 heraushebt. 
Sie erzählt vorzugsweise die Vorgänge am Hofe zu Jerusalem 
aus den späteren Jahren des Königs und verfolgt dabei mit be- 
sonderem Interesse, wie Salomo, von dessen Geburt und deren 
Umständen gleich anfangs die Rede ist, über seine vor ihm stehen- 
den Brüder Amnon Absalom Adonia hinweg auf den Thron ge- 
langt. Beide Schriften zeichnen sich aus durch ihren wesentlich 
historischen Charakter. Die Darstellung ist weit eingehender 
und nicht von fern so poetisch wie in der Geschichte Sauls 
1. Sam. 9 ff., Übertreibungen wie 14, 46 ff. kommen nicht vor. 
Den Vorzug verdient 2. Sam. 9 ff. In den Hergang der Begeben- 
heiten, die natürlichen Anlässe und menschlichen Motive der 
Handlungen gewinnen wir da vielfach einen recht tiefen Einblick, 
wenngleich der Standpunkt ein beschränkt jerusalemischer ist 
und beispielsweise die eigentlichen Gründe des Aufstandes der 
Judäer unter Absalom kaum berührt werden. Die Begeisterung 



Richter Samuelis und Könige. 275 

für David hat wohl auch hier die Feder geführt, aber seine 
Schwächen werden nicht verschwiegen, die wenig erbaulichen 
Verhältnisse seines Hofes getreu berichtet, die Palastintrigue, 
durch die Salomo auf den Thron gelangte, mit einer beinah bos- 
haft scheinenden Naivetät vorgetragen. Die erste Schrift 1. Sam. 
16—2. Sam. 8 erzählt nicht so eingehend, gibt aber den Zu- 
sammenhang nicht minder strenge und beruht auf nicht viel 
schlechterer Information. Der Parteistandpunkt tritt dadurch 
stärker hervor, dass David in biographischer Weise seit seinem 
ersten Auftreten zum Helden der Geschichte gemacht wird, 
während doch noch König Saul sie eigentlich beherrscht und 
bewegt. Aber zur Umdichtung der Thatsachen hat die unver- 
meidliche judäische Sympathie schwerlich geführt, überhaupt 
nicht anders und nicht stärker eingewirkt, als sonst das lokale 
Interesse für den Stammhelden, von dem aus ursprünglich immer 
erzählt worden ist. Doch gilt dies Lob von 1. Sam. 16flf. nur, 
sofern der ursprüngliche Bestand in Frage kommt. Anders steht 
es mit den grade hier sehr zahlreichen Einsätzen, welche dem 
älteren Zusammenhange sich anschmiegen oder auch wohl eine 
Neubearbeitung an Stelle eines echten Gliedes desselben treten 
lassen. Hier hat die Idealisierung des Gründers der judäischen 
Dynastie schöpferisch gewirkt, hier finden wir für die Geschichte 
der Tradition, in dem rohen Stil wie sie vor der Hand allein 
ausführbar ist, reiche Ausbeute. Vor allem den Anfang der 
ersten Schrift hat die spätere Sagenbildung überwuchert. 

David, als tapferer kluger und redegewandter Mann be- 
kannt, empfohlen zugleich durch sein Saitenspiel, kam an des 
Königs Hof und ward sein Waffenträger (16, 14 — 23). Im Kampfe 
gegen die Philister bewährte er sich so, dass Saul ihn von Stufe 
zu Stufe erhob und ihm seine Tochter zum Weibe gab (18, 6-ff.) 
Aber das Glück und der Ruhm des Judäers machten Saul eifer- 
süchtig und in einem Anfall der Manie, der er auch nach 10, 10 
ausgesetzt war, warf er nach David, der durch sein Saitenspiel 
den bösen Geist zu verscheuchen suchte, mit der Lanze (19, 8 — 10). 
Da jener im Einverständnis mit Jonathan es für geraten hielt zu 
entweichen, so bestätigte das des Königs Argwohn, dem zunächst 
die Priester von Nob zum Opfer fielen, weil ihr Oberhaupt David 
mit Brod versorgt und das Orakel für ihn befragt hatte (21, 2—7. 
22, 6 — 23). Den Flüchtigen selber bekam Saul nicht in die Hand, 

18* 



276 Geschichte der Tradition, Kap. «7. 

er scharte sein Geschlecht und andere verzweifelte Gesellen um 
sich und ward ihr Anführer in der Wüste Juda (22, 1—5. 23, 1—13. 
25, 2 ff.). Um den sich wiederholenden Verfolgungen Sauls zu 
entgehen, trat er endlich auf das Gebiet der Philister über und 
erhielt von dem Fürsten Achis die judäisehe Stadt Siklag zu 
Lehen (27, 1 ff.). 

Dies der Anfang der Geschichte Davids nach dem einfachen 
Faden der alten Erzählung. Zusatz ist zunächst die Legende 
von dem Kampfe des Hirtenknaben gegen Goliath 17, 1—18, 5, 
welche gleichmässig nach vorn und hinten anstösst. Denn nach 
16, 14 — 23 war David, als er mit Saul in Berührung kam, nicht 
ein des Waffenhandwerks unkundiger Fant, sondern, „ein streit- 
barer Kriegsheld, verständiger Rede, und von stattlichem An- 
sehen", und nach 18, 6 sangen die Weiber bei der siegreichen 
Heimkehr des Heeres: Saul hat des Philisters Tausende ge- 
schlagen und David seine Myriaden — letzterer war also neben 
dem Könige der Führer Israels, ein erprobter und bekannter 
Mann. Augenscheinlich muss zwischen 16, 23 und 18, 6 ur- 
sprünglich etwas ganz Anderes gestanden haben. Mit der Ge- 
schichte von Goliath 17, 1 — 18, 5 fällt nun aber aus ähnlichen 
Gründen auch die von der Salbung Davids 16, 1—13, die von 
jener abhängig (16, 12. 17, 42) ist; und auf diese Weise entsteht, 
da wir Kap. 15 bereits als secundäres Erzeugnis kennen gelernt 
haben, der nötige Anschluss von 14, 52 mit 16, 14. In 18, 6ff., 
wo über die Entstehung del* Eifersucht Sauls gehandelt wird, 
fehlen mehrere der störendsten Erweiterungen noch der Septua- 
ginta, namentlich der erste Speerwurf (18, 9 — 11) und die Ver- 
lobung mit Merab (18, 17 — 19). Am buntesten kreuzen sich die 
Einschläge in dem Bericht über den Ausbruch der Feindschaft 
Sauls und über Davids Flucht, Kap. 19. 20. Das Stück 19, 1-7, 
sehr unmotiviertes Machwerk, verrät durch die Bekanntschaft mit 
Kap. 17 seinen späteren Ursprung; erst mit 19, 8 beginnt die Fort- 
setzung von 18, 29 a (Sept.). Nach Sauls Speerwurf 19, 8—10 ent- 
flieht David zum ersten mal, ist aber v. 11 doch noch zu Hause 
und entflieht mit Hülfe weiblicher List v. 12 zum zweiten male, 
zu Samuel gen Eama, um indessen in Kap. 20 nach wie vor in 
Gibea zu erscheinen. Es fällt dem Könige auf, dass er nicht 
zur Tafel kommt; Jonathan versichert ihn der Gewogenheit 
seines Vaters, an der David allerdings zweifelt ohne jedoch 



Richter Samuelis und Könige. 277 

vom Gegenteil deutliche Beweise zu haben. Nachdem der tot- 
liehe Hass des Königs constatiert, macht David nun endlich Ernst 
mit der Flucht; in Kap. 21f. finden wir ihn auf dem Wege über 
Nöb nach Juda, doch weicht er 21, 11 noch einmal von frischem 
von dem Angesichte Sauls. Es versteht sich von selbst, dass in 
der Wirklichkeit und in der ursprünglichen Erzählung die Flucht 
nur einmal geschehen und gleich von vornherein nach der Zu- 
flucht, d. h. nach Juda, gerichtet gewesen sein muss. Das ge- 
nügt, um über 19, 11—24 den Stab *zü brechen; das 20. Kapitel 
ist wenigstens in seiner jetzigen Gestalt im Zusammenhang un- 
möglich; in Kap. 21 sind v. 8 — 10 und v. 11 — 16 auszuscheiden. 
Auch in dem Abschnitte über Davids Freibeuterleben Kap. 23—27 
finden sich bedeutende Nachträge; nämlich ausser 27, 7—12 be- 
sonders die Begegnungen Davids mit seinen Verfolgern, in zwei 
Versionen, von denen die eine 26, 1 — 25 wegen v. 19 vor Kap. 27 
eingesetzt ist, die andere 23, 14—24, 23 vor Kap. 25, um eine zu 
nahe Collision zu vermeiden. Da beide vielerwärts wörtlich 
übereinstimmen, so wird man Recht haben, die kürzere und 
motiviertere Fassung Kap. 26 für die Grundlage anzusehen. Dass 
aber auch Kap. 26 nicht dem echten Stocke angehört, ergibt schla- 
gend die Folge 26, 25. 27, 1. Die Einschiebung der Zusätze ist 
übrigens natürlich nicht ohne allerlei Redaktionsänderungen im 
älteren Stoffe abgegangen; vgl. z. B. 16, 14. 

Obwohl von der selben Wurzel ausgehend, sind diese Wuche- 
rungen doch keineswegs gleichartig und gleichstufig. Zum Teil 
sind es volkstümliche Sagen und unabsichtliche Dichtungen. So 
die Geschichte von der Michal, die es gegen ihren Vater mit 
ihrem Manne hält, ihn Abends am Seil durchs Fenster lässt 
und die Häscher eine Weile hinhält, indem sie vorgibt, David 
sei bettlägerig, und ihnen den Hausgott vorweist, den sie aufs 
Lager gepackt und unter die Decke gesteckt hat (19, 11—17). 
Von etwas anderer Farbe sind die Begegnungsscenen zwischen 
Saul und David; doch thut die Überzeugung, dass letzterer der 
König der Zukunft sei, der Anerkennung des ersteren als des 
wirklichen Königs und Gesalbten Jahve's keinen Eintrag; auch 
erscheint Saul nicht bösartig, sondern verblendet. In der seeun- 
dären Version 23, 14 ff. kommt, abgesehen von der ganz post- 
humen Einschaltung zwischen 23, 15 und 23, 19, zu den rühren- 
den Motiven ein gutmütiger Scherz hinzu, wie nämlich die beiden 



278 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

um einen Berg herum Haschen spielen, der davon den Namen 
hat. Als religionsgesehichtliches Kennzeichen für das Alter dieser 
Erzählungen kommt einerseits die unbefangene Erwähnung des 
Gottesbildes im Hause Davids in Betracht, andererseits die Äusse- 
rung 26, 19: „wenn Jahve dich gegen mich reizt, so möge er 
Opfer riechen, wenn es aber Menschen sind, so seien sie ver- 
flucht vor Jahve, dass sie mich jetzt vertrieben haben aus der 
Gemeinschaft im Lande Jahve's und mich zwingen, fremden 
Göttern zu dienen." Es ist vielleicht nicht zufällig, dass letztere 
Äusserung in dem Parallelbericht fehlt, und dafür eine förm- 
liche Huldigung hinzugekommen ist, die Saul zum Schlüsse 
seinem destinierten Nachfolger darbringt. Was die Erzählung 
von Goliath anlangt, so ist sie zwar auch harmlos, aber von 
einer viel spezifischeren religiösen Färbung. Bezeichnend in 
dieser Hinsicht ist die Rede, mit der David dem Riesen ent- 
gegen geht 17, 45ff.: „du kommst zu mir mit Schwert und Speer, 
ich komme zu dir im Namen Jahve's der Heerscharen, den du 
geschmäht; heute wird er dich in meine Hand tibergeben, dass 
alle Welt erfahre dass Israel einen Gott hat und dass diese Ver- 
sammlung (hnpn = Israel) wisse, dass nicht durch Schwert und 
Speer Jahve hilft, denn sein ist der Streit." Das nähert sich der 
geistlichen Sprache der nachdeuteronomischen Zeit. Nach 2. Sam. 
21, 19 ist Goliath von Gath, dessen Speerschaft dick war wie ein 
Webebaum *), nicht in den Philisterkriegen Sauls, sondern seines 
Nachfolgers aufgetreten und nicht von einem Hirtenknaben, son- 
dern von einem Krieger aus Bethlehem, namens Elhanan, erlegt 
worden. 

Das Thema David und Jonathan hat ohne Zweifel geschicht- 
lichen Grund, findet sich jetzt aber nur in secundären Ausfüh- 
rungen behandelt. Als solche hat man auch die Erzählung über 
den Abschied Kap. 20 anzusehen. Jedoch scheint dieselbe auf 
eine ältere Grundlage zurückzugehen, welche wohl dem Zu- 
sammenhange der ursprünglichen Schrift angehört haben könnte. 
Nämlich der Pfeilschuss hat nur dann Bedeutung, wenn eine 
Unterredung zwischen den beiden Freunden nicht stattfinden 

*) Dieser Ausdruck kommt 1. Sam. 17 wieder vor und beweist die Abhängig- 
keit dieser Legende von 2. Sam. 21. 23, einer Zusammenstellung von 
Heldenanekdoten aus den Philisterkriegen Davids im echten kurzen volks- 
tümlichen Ton. Vgl. zu 1. Chron. 12 oben S. 180, 



Richter Samuelis und Könige. 279 

kann. Da sie ja aber zusammenkommen und frei heraussagen 
was sie auf dem Herzen haben, so ist jenes stumme Zeichen 
nicht bloss überflüssig, sondern auch unverständlich und sinnlos. 
Wenn aber grade der am meisten charakteristische Zug nicht 
in die gegenwärtige Physiognomie der Erzählung passt, so 
heisst das mit anderen Worten, dass sie nicht in der wahren 
Form erhalten ist. Ursprünglich hat Jonathan lediglich den 
Pfeil abgeschossen und seinem Knaben zugerufen, wo er liege; 
und David, in der Nähe des Schiessplatzes versteckt, hat aus 
dem Zuruf das verabredete Signal entnommen. Mit dem Zuruf, 
der Pfeil liege näher nach ihm zu oder weiter von ihm weg, 
forderte Jonathan scheinbar den Knaben, in Wahrheit den 
Freund auf, entweder zu ihm heranzukommen oder von ihm 
weg zu gehen. Zum Zwiegespräch sind die beiden in dem 
zweiten Fall, der bekanntlich in Wirklichkeit eintrat, nicht ge- 
kommen; der thränenreiche Abschied fällt also fort und mit 
ihm auch vorher die im gleichen Stil gehaltenen sentimentalen 
Reden, in denen Jonathan seinem Vater thatsächlich Recht 
gibt, doch aber auf's entschiedenste Partei nimmt für David, 
dessen nicht achtend, dass dieser ihn selber vom Erbe ver- 
drängen wird. 1 ) 

Tendenziös im schlimmen Sinne ist Kap. 18, 6ff., auch abge- 
sehen von den Zusätzen des masorethischen Textes. Hier wird 
die Feindschaft Sauls gegen David gleich in die ersten Anfänge 
ihres Verhältnisses zurückgetragen und die Freundschaft selber 
als heimlicher Hass dargestellt. Alle die Ehren, womit der 
König seinen Waffenträger überschüttet, werden als Mittel den- 

*) Nur in einer Hinsieht legt er seiner Selbstverleugnung Schranken an; er 
lässt sich von dem künftigen Könige feierlich verbürgen, dass er seiner 
Familie schonen werde. Hier liegt ein Interesse aus der Gegenwart des 
Erzählers zu Grunde. Die orientalische Sitte, dass der neue Regent die 
vorhergehende Dynastie ausmordet, hat David nicht systematisch befolgt 
und insonderheit zu Gunsten eines hinterlassenen Sohnes des Jonathan 
eine Ausnahme gemacht. „Mein ganzes Geschlecht — sagt Meribaal II 
19, 29 — war meinem Herrn Könige zu Tode verfallen, du aber hast 
mich an deinen Tisch gesetzt, was habe ich also für ein Recht, mich 
(auch über Ungerechtigkeiten) zu beklagen!" Dieser Sohn Jonathans aber 
ist der Ahn einer jerusalemischen Familie geworden, die bis über das 
Exil hinaus geblüht hat. — Ältere Züge in 1. Sam. 20 sind die Wichtig- 
keit des Neumondes, das Familienopfer zu Bethlehem, vielleicht der Stein 
^HN |DX? m it dem es keine ganz legitime Bewandtnis zu haben scheint, 
da der Name zweimal so sonderbar corrumpiert ist. 



280 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

selben zu beseitigen gedeutet; zu seinem Eidam soll er ihn nur 
deshalb gemacht haben, um durch den verlangten Preis für 
seine Tochter, die hundert Vorhäute der Philister, ihn tötlicher 
Gefahr auszusetzen. Für den Zusammenhang ist 18, 6ff. nicht 
zu entbehren, aber zugleich steht fest, dass die giftige Betrach- 
tungsweise Zeichen späterer Bearbeitung ist. Denn Saul begeht 
hier seine Perfidien im Einverständnis mit seinen Knechten, 
denen also dadurch seine Gesinnung gegen David bekannt ge- 
worden sein nrasste, aber der alte Erzähler nimmt im Gegenteil 
an, dass der Hass plötzlich zu Tage gekommen sei und dass bis 
dahin David bei Allen für den beliebtesten der Diener des Königs 
gegolten hafee. Vgl. 21, 2. 22, 14f., um von Kap. 20 abzusehen. 
Nur dies entspricht auch der Natur Sauls, wie sie sonst überall 
geschildert wird. 

Auf der tiefsten Stufe der Corruption steht die Überlieferung 
charakteristischer Weise in den beiden eingesetzten Erzählungen, 
in denen Samuel in das Leben Davids hineinragt. Nach 19, 
18 — 24 flieht David zu dem Alten gen Rama in die Propheten- 
schule, Saul sendet ihm Häscher nach, aber wie diese in die 
Nähe Samuels kommen und ihn einen Haufen ekstatischer En- 
thusiasten commandieren sehen, werden sie auch von der Raserei 
ergriffen, und den zweiten und dritten Boten, die Saul absendet, 
ergeht es nicht besser. Saul muss endlich selber kommen, aber 
auch er wird in den Wirbel gezogen, wirft die Kleider von sich 
und tanzt vor Samuel und David, die allein nüchtern der bacchan- 
tischen Gesellschaft zuschauen, bis er umfällt und nackt wie er 
ist einen ganzen Tag und eine ganze Nacht liegen bleibt — 
daher das Sprichwort: „ist auch Saul unter den Propheten?" 
Aber dass David, wenn er floh, auch gleich im Ernst nach Juda 
und nicht erst zum Spass gen Norden nach Rama floh, liegt 
ebenso auf der Hand, wie dass es ein starker Misbrauch ist, den 
Geist der Prophetie fremden Zwecken dienstbar zu machen und 
ihn so bloss zum persönlichen Schutze Davids aufzubieten, der 
gar nicht nötig gehabt hätte, in Rama auf Saul zu warten und 
ihm dort ein Schnippchen zu schlagen. Unsere Erzählung, 
welche dem Verfasser von 15, 35 noch unbekannt ist, geht 
zurück auf das angeführte Sprichwort, dieses wird aber anderswo 
(10, 12) in einem weit edleren Sinne erklärt, und man kann sich 
des Verdachtes, hier mit einer frommen Karikatur zu thun zu 



Richter Samuelis und Könige. 281 

haben, um so weniger erwehren, da ja die Pointe jedenfalls die 
ist, dass Samuel und David sieh an der Schande des nackten 
Königs weiden. Für die allgemeine Geschichte der Tradition 
ist der Umstand am interessantesten, dass Samuel hier zum 
Haupt einer Prophetenschule geworden ist, deren Übungen er 
leitet. Nach der ursprünglichen Vorstellung (Kap. 9. 10) tritt 
er einzeln für sich auf und hat mit den Banden* der Ekstatiker, 
der Nebiim nichts zu thun. Er ist Eoe, Seher, kein Nabi, 
Prophet. Zwar wird in der Glosse 9, 9 behauptet, beides laufe 
auf eins heraus, was gegenwärtig Nabi heisse, sei ehedem Roe 
genannt. Aber das ist nicht ganz richtig. Der Verfasser von 
Kap. 9. 10 kennt auch den .Namen Nabi sehr wohl, aber er 
gebraucht denselben nie für Samuel, sondern nur pluralisch für 
die Haufen jahvetrunkener Derwische; in einer ganz anderen 
Bedeutung wie Rbe und auch in ganz anderer Bedeutung als 
wie Jesaia und Jeremia den Titel Nabi führen. 1 ) Man kann 
nicht daran zweifeln, dass diese Unterschiede historisch be- 
gründet und erst hinterher allmählich zusammengeflossen sind, 
dass also Samuel als Seher nicht zu einem der Flagellanten 
zu erniedrigen ist. 

Da Davids Flucht zu Samuel eine frühere Beziehung zu 
ihm voraussetzt, so scheint 19, 18 ff. auf 16. 1 — 13 zurückzu- 
sehen. In diesem Stück fängt David seine Laufbahn gleich 
damit an, dass er als Hirtenknabe, der in der Familie noch gar 
nicht mitgerechnet wird, von Jahve's wegen an Sauls statt zum 
Könige gesalbt wird. Aber nachher ist davon keinem etwas 
bekannt, selbst in der Erzählung von Goliath, die sonst noch 
am ehesten mit 16, 1—13 auf gemeinsamem Boden steht, wissen 
die älteren Brüder — hier drei, nicht sieben — nichts von der 
Salbung des Jüngsten, obwohl sie dabei gewesen und selbst in 
Frage gekommen sein sollen (17, 28). Ebenso ist in den Ver- 
folgungsgeschichten Kap. 24. 26 nur Saul die geheiligte Persön- 
lichkeit, der Gesalbte Jahve's, nicht David; der Glaube, dass 
letzterer von Jahve zu hohen Dingen ersehen sei, ist etwas 
anderes als die Thatsache seiner bereits vollzogenen Salbung. 
Wenn endlich die Folge bedingt ist von der Ursache, so zieht 
sich Samuel nach 15, 35 nicht bloss bis an seinen Tod von 

*) Diese müssten allerdings nach dem Sprachgebrauche von 1. Sani. 9 f. eher 
Eoe heissen, un<| darin liegt die Berechtigung der Glosse 9,9, 



282 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Saul zurück, sondern er trägt auch Leid um ihn bis an seinen 
Tod. Es ist ein harter Übergang, wenn es 15, 35 heisst: 
„Samuel sah Saul nie wieder bis an seinen Tod, weil er über 
ihn trauerte 44 , und dann 16, 1 fortgefahren wird: „und Jahve 
sprach ^u ihm: wie lange willst du über Saul trauern, da ich 
ihn doch verworfen habe 44 . Deutlich aber erhellt, dass die Ein- 
setzung des Nachfolgers eine ergänzende Consequenz der Ab- 
setzung des Vorgängers ist. 

Zugleich ist die Salbung Davids durch Samuel das Gegen- 
stück zur Salbung Sauls durch Samuel, wie das besonders der 
Vergleich von 10, 6. 11, 6 „und der Geist Gottes sprang auf 
Saul 44 und 16,13. 14 a „und Jahve's Geist sprang auf David und 
von Saul wich er 44 lehrt. Dort nun ist die Theopneustie ein 
momentanes Überschäumen, hier (trotz des Springens) eine 
ruhende Eigenschaft; schon allein dieser Unterschied lässt keinen 
Zweifel darüber, wo das Original und wo die Imitation zu suchen 
ist. Auf eine göttliche, d. h. überraschende und ideale Weise 
ist nach der alten Tradition bloss Saul König geworden, David 
auf einem recht langsamen menschlichen Wege und durch viele 
Zwischenstufen. Bloss von Saul erzählte man ursprünglich, dass 
der plötzliche Ausbruch des Geistes, wodurch er, unberufen wie 
er war, den Heerbann Israels aufbot, sich an die Spitze stellte, 
die Ammoniter scfilug und König wurde, im Stillen vorbereitet 
sei durch einen alten Seher, der seine grosse Bestimmung deutete 
und ihm Zuversicht zu sich selber einflösste, indem er ihn 
heimlich im Namen Jahve's salbte. Von David wusste man 
nur, wie er sich durch eigene Kraft vom Kriegsmann zum Ban- 
denführer, vom Bandenführer zum philisthäischen Lehnsfürsten 
von Siklag und Juda, vom Lehnsfürsten zum unabhängigen und 
mächtigen Könige Israels aufgeschwungen habe: gesalbt ward 
auch er, aber nicht zum voraus von Gott, sondern hinterdrein 
von den Ältesten von Juda und Israel. Diesen seinen mensch- 
lichen Ursprung, seinen Abstand grade in Bezug auf göttliche 
Weihe von dem Vorgänger, dessen Reich Jahve hinterdrein 
faktisch doch nicht bestätigt hatte, konnte eine spätere Zeit 
nicht auf ihm sitzen lassen; er musste mindestens eben so gut 
wie jener die Salbung von Samuel empfangen haben. Dies ist 
denn also durch die Legende 16,1—13 nachgeholt worden. 
Ein Schritt weiter auf der abschüssigen Bahn ist es, dass in 



Richter Samuelis und Könige. 283 

der judaistischen Version 10, 16 ff. von Sauls Salbung stillge- 
schwiegen wird. 

Wir kommen auf Samuel zurück, von dem das Buch Sa- 
muelis den Namen hat und der in der That zwar nicht für die 
Geschichte selber, wohl aber für die Geschichte der Tradition 
von solcher Bedeutung ist, dass seine Gestalt als Gradmesser 
für den Stand derselben benutzt werden kann. Vier Stufen 
lassen sich in seiner Auffassung unterscheiden. Ursprünglich 
(9, 1 — 10, 16) ist er ein einfacher Seher, jedoch zugleich ein 
patriotischer Israelit, dem die Not seines Volkes zu Herzen geht 
und der seine Autorität als Seher benutzt, um einem Manne, 
den er als geeignet erkennt, in's Ohr und in den Sinn zu setzen, 
er sei zum Helfer und Führer Israels bestimmt. Diese Beziehung 
zwischen Seher und Krieger ist, wenn überhaupt Samuel irgend 
etwas bedeuten soll, notwendig als historisch festzuhalten; ähn- 
liche Beispiele hat man in Debora und Barak aus älterer, in 
Elisa und Hazael und namentlich in Elisa und Jehu aus späterer 
Zeit. Samuels Grösse ist, dass er den erweckt hat, der nach 
ihm kommt und grösser ist als er; er verlischt nachdem er das 
Licht entzündet, welches nun in hellem Glänze brennt. Sein 
meteorisches Auftauchen und Verschwinden hat aber Verwun- 
derung erregt und früh zu einer Jugendgeschichte geführt, wo 
er schon als Knabe den Zusammenbruch des vorköniglichen 
Israels vosausverkündet (1. Sam. 1 — 3). Nachdem er das ge- 
than, schlägt jedoch das Dunkel wieder über ihm zusammen; 
schon in Kap. 4 ff. verlieren wir ihn völlig aus den Augen und 
erst als Greis treffen wir ihn wieder. Auf der anderen Seite 
hat der Umstand, dass wir auch nach der Begegnung mit 
Saul nichts mehr von dem Seher hören, der Meinung Vorschub 
geleistet, dass es sehr bald zu einem Bruch zwischen den beiden 
gekommen sei. 

Dieser Meinung begegnen wir auf der zweiten Stufe, welche 
durch die prophetischen Erzählungen Kap. 15. 28 repräsentiert 
wird. Erzeugt ist sie aus dem Widerspruch, dass Jahve den, den 
er zum Könige ersehen, doch hinterher in seinem Königtume 
nicht bestätigt und seine Dynastie stürzt. Also muss Samuel, 
der Saul gesalbt hat, zu seinem Kummer ihn hinterher ver- 
werfen. Er erscheint dabei schon nicht mehr als der einfache 
Seher, sondern als ein Prophet im Stile Elia's und Efisa's, der 



284 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

den Gesalbten Jahve's als seiner Hände Werk betrachtet und 
ihm herrische Befehle gibt (15, 1), während er ihn dagegen 
nach 10, 7 ausdrücklich seiner eigenen Inspiration überlässt. 
Von der zweiten Stufe ist der Schritt zur dritten nicht gross. 
Hier überträgt Samuel die Salbung, gleich nachdem er sie Saul 
entzogen, auf David und setzt ihn als den nunmehrigen König 
von Gottes Gnaden dem verworfenen Vorgänger entgegen. Sein 
Ansehen hat sich inzwischen noch gesteigert ; wie er nach Beth- 
lehem kommt, zittern ihm die Altesten entgegen (16, lff.); in 
19^ 18 ff. hat er zauberische Gewalt über die Menschen. Noch 
immer aber gilt er bisher als der intellektuelle Urheber des 
Königtums. Erst der letzten exilischen oder nachexilischen 
Stufe in der Entwicklung der Tradition ist es vorbehalten, ihn 
umgekehrt als denjenigen darzustellen, der dem Verlangen des 
Volkes einen König zu haben, so viel an ihm ist, widerstrebt. 
Hier ist das vorkönigliche Israel zur Theokratie und Samuel 
zum Haupt der Theokratie emporgerückt; daher erklären sich 
seine Empfindungen. 

Das moderne Urteil wird durch Samuels Fluch zu Gunsten 
Sauls und durch Samuels Segen zu Ungunsten Davids einge- 
nommen, das Bild des einen hat unter der Verdunkelung nicht 
gelitten, wohl aber das Bild des anderen unter der Verklärung *). 
Gewisse -in Vorurteil wie in Sachkenntnis gleich unbefangene 
Kritiker verehren in Saul den Bekämpfer und verabscheuen in 
David die Kreatur der geistlichen Herrschsucht, die sie in Sa- 
muel verkörpert sehen. Dem letzteren gibt man dabei eine 
Machtstellung dem Königtum gegenüber, die er nicht besessen 
haben kann, ohne breiten Grund unter den Füssen und einen 
organisierten Einfluss in weiten Kreisen zu haben. Soll er sich 
nun etwa auf die Nebiim gestützt haben? Aber diese entstanden 

l ) Am übelsten hat übrigens das verherrlichende Streben der Späteren dem 
David mitgespielt in dem Testamente 1. Reg. 2, 1 — 12. Schon durch die 
Sprache verrät es sich (v. 2—4) als nachdeuteronomischer Einsatz, der 
Inhalt ist der nachfolgenden. Erzählung entnommen. Aber in dieser wird 
Salomo bei seinem Verfahren gegen Adonia Abiathar Joab und Simei 
keineswegs durch jenes Testament geleitet, sondern durch andere Gründe; 
und die ausgesprochene Absicht des Erzählers ist die, zu zeigen, wie Sa- 
lomo's Thron durch Beseitigung der ihn gefährdenden Elemente befestigt 
wurde. Zudem passt die raffinierte Überlegung gar nicht zu dem Ein- 
druck, den man sonst aus 1. Reg. 1. 2 von dem altersschwachen Könige 
gewinnt. 



Richter Samuelis und Könige. 285 

damals eben erst aus einer formlosen Begeisterung, die sieh noch 
nicht auf sehulmässig abgeschlossene Kreise beschränkte; ausser- 
dem stand nach der alten Überlieferung wohl der König, aber 
nicht der Seher mit ihnen in näherer Verbindung — der Glaube, 
dass letzterer Gründer und Vorstand ihrer Gilde gewesen sei, 
gründet sich auf die wertlose anachronistische Anekdote 1. Sam. 
19, 18 ff. Oder conspirierte Samuel mit den Priestern zusammen 
gegen Saul? Dafür beruft man sich auf 1. Samuel 21. 22, wo 
Ahimelech von Nob den flüchtigen David mit Brot versieht und 
zur Strafe dafür samt dem ganzen Geschlechte Eli's den Tod 
erleidet. Aber erstens stehen diese Priester mit Samuel in 
keinem Connex, . zweitens lässt es sich mit nichts wahrschein- 
lich machen, dass sie mit David im Einverständnis waren und 
von dessen« ehrgeizigen Plänen — angenommen er habe sie 
schon damals gehabt — etwas wussten, drittens steht das um- 
gekehrt fest, dass sie dem Könige gegenüber gar keine Macht 
repräsentierten, vielmehr auf Gnade und Ungnade von ihm ab- 
hingen und auf einen leisen Verdacht hin sämtlich hingerichtet 
wurden ohne dass Hund und Hahn darnach krähten. Jene frei- 
sinnige Auffassung von Samuels Verhältnis zu Saul und David 
leidet an dem Fehler, dass sie dem Samuel die Hierokratie 
als Basis seines Auftretens gegen das Königtum unterlegt. Wer 
aber die Hierokratie in diese Zeiten zurückträgt, der hat zu 
einem historischen Verständnis des hebräischen Altertums noch 
nicht den Anfang gemacht. 

III. 

1. Am breitesten macht sich die letzte Bearbeitung im 
Buche der Könige. Chronologische und religiöse Elemente ver- 
binden sich auch hier zum Aufbau des Fachwerks; wir beginnen 
damit, die ersteren auf ihren systematischen Zusammenhang zu 
untersuchen. 

Vom Auszuge aus Ägypten bis zum Anfange des Tempel- 
baues sind 480 Jahre verflossen, von da an bis zur Zerstörung 
Jerusalems, nach den Zahlen der Könige von Juda, 430, ein- 
schliesslich des Exils wiederum 480 Jahre. In der Chronik fol- 
gen sich von Azaria ben Ahimaas, der nach richtiger Lesart 
zuerst im salomonischen Tempel amtete, bis auf Josadak, der 
# in die Gefangenschaft geführt wurde, 11 Hohepriester, ein : 



286 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

schliesslich des Exils also wiederum 12 Generationen zu je 
40 Jahren. Die Einzelposten, aus denen sich die Gesamtsumme 
zusammensetzt, sind hier krauser, teilweise gewiss aus dem 
Grunde weil sich gegebene Daten darunter befinden. Doch tritt 
auch hier, in den Regierungsjahren der Könige Juda's die Vierzig 
als Grundelement hervor, denn von der Spaltung des Reichs 
bis zur Zerstörung Samariens im 6. Hizkiä's haben Rehabeam 
Abia 20, Asa41, Josaphat. Joram Ahazia Athalia 40, Joas 40, 
Amasia Uzzia 81, Jotham Ahaz Hizkia 38; von der Zerstörung 
Samariens bis zum letzten Datum unseres Buches (IL 25, 27) 
haben Hizkia Manasse Amon 80, Josia Joahaz Jojakim Jechonia 
79V 4 Jahre; dass die Posten 41+81+38 sich durch Zufall zu 
40 + 80 + 40 ergänzen, glaube wer mag. 

Die israelitische Königsreihe ist in Absicht auf «die Chrono- 
logie von der judäischen abhängig. Nach den judäischen Zahlen 
sind seit der Spaltung des Reichs bis zur babylonischen Ver- 
bannung 393 Jahre verflossen; nimmt man nun mit Ezechiel (4, 4) 
an, dass Samarien 150 Jahre früher als Juda untergegangen ist, 
so bleiben 243 Jahre für die Dauer des nördlichen Königtumes 
— auf 242 beläuft sich in der That die Summe der angegebenen 
Posten. Freilich schiessen dann die von der Zerstörung Sama- 
riens bis zur Zerstörung Jerusalems angenommenen 150 israeli- 
tischen Jahre um 17 über die Summe der parallelen judäischen 
hinaus, und um etwa ebenso viel bleiben die israelitischen Jahre 
vom 1. Jerobeam bis 9. Hosea hinter dem judäischen vom 1. Re- 
habeam bis 6. Hizkia zurück: synchronistische Rücksicht zwischen 
den einzelnen Regierungen aus beiden Reihen ist also ursprüng- 
lich nicht genommen. Die 242 Jahre des Nordreichs werden, 
durch die mit 1. Jehu gemachte Epoche, in 98 + 144 zerlegt; 
rundet man sie auf 240, d. h. auf die Hälfte von 480, ab, so 
muss man die 98 in 96 verwandeln, d\e dann den gleichzeitigen 
96 judäischen Jahren entsprechen, und zwar muss man den Ab- 
zug bei der Regierung Baesa's machen. Denn dann entsteht 
folgendes Spiel: Jerobeam 22, Nadab 2, Baesa 22, Ela 2, Omri 12, 
Ahab 22, Ahazia 2, Joram 12. Das heisst: die acht Könige zu- 
sammen haben 96, die ersten vier und die letzten vier je 48 Jahre, 
zwei den Durchschnitt von 12 ; bei den übrigen sechs teilen sich 
drei Paare von Vater und Sohn so in die ihnen zukommen- 
den 2X12 Jahre, dass der Vater 12 + 10, der Sohn 12—10 



Richter Samuelis und Könige. 287 

bekommt — offenbar weil der Vater für viel wichtiger gilt als 
der Sohn. 1 ) 

De? 1 grosse in dieser Weise abgesteckte und nach Mass und 
Zahl künstlich gegliederte Zeitraum wird bei allen bedeutenden 
Epochen in predigtartigen Betrachtungen überblickt und gewür- 
digt, die im Buche der Könige weit häufiger sind als in den 
Büchern der Richter und Samuelis. Es macht keinen Unter- 
schied, ob der Schriftsteller dabei selbst das Wort führt oder 
einen anderen reden lässt; jenes thut er beim Rückblick auf die 
Vergangenheit II 17, dieses bei der Vorausschau auf die Zu- 
kunft I. 8. 9. Einige Proben sind unerlässlich , um eine An- 
schauung zu geben. 

Bei der Hauptepoche, dem Tempelbau, hält König Salomo 
eine grosse Weihrede, worin er Jahve bittet das Gebet derer 
die ihn an dieser Stätte aufsuchen vom Himmel aus zu er- 
hören, und schliesst dieselbe wie folgt. „Wenn sie an dir sün- 
digen — denn niemand ist der nicht sündigt — und du auf sie 
zürnst und sie in Feindes Land nah oder fern gefangen führen 
lässt, wenn sie dann in sich gehen und zu dir beten: wir haben 
gefehlt gesündigt sind schuldig, und wenn sie sich von ganzem 

l ) Zahlen der Könige Juda's vom 4. Salomo's an: 37 + 17 + 3 + 41 + 25+8 
+1+6+40+29+52 + 16+29+55+2+31 + 11 + 11 = 430 Jahre. Dabei 
sind Joahaz und Jechonia nicht mitgerechnet, bringt man sie mit 1 Jahre 
in Anschlag, so muss man für Salomo 36 ansetzen. Zahlen der Könige 
Israels von 1. Jerobeam: 22+2+24+2+12+22+2+12+28+17+16 
+ 41 + 1 + 10 + 2 + 20 + 9. Die künstlichen Zahlenverhältnisse, wie sie 
oben dargelegt sind, hat Ernst Krey mir mitgeteilt. Darüber dass die 
Synchronismen ursprünglich nicht dazu gehören, vgl. Jahrbb. für Deutsche 
Theol. 1875 S. 607 ff. Über Ezech. 4 hat zuerst Bernhard Duhm (die 
Theol. der Proph. S. 253) das Richtige veröffentlicht. Die Zahl 390, die 
der MT in v. 5 für die Dauer der Gefangenschaft der Nordisraeliten an- 
gibt, ist unmöglich. Denn Ezechiel kann nicht meinen, dass sie bereits 
seit 350 Jahren in der Fremde sich befinden, andererseits aber die Straf- 
zeit, die sie noch vor sich haben, nicht höher anschlagen als auf 40 Jahre, 
denn so lange dauert das Exil der Judäer nach seiner Rechnung, und die 
Restitution erfolgt bei ihm gleichzeitig für Israel und Juda, ja selbst für 
Ägypten (29, 11 — 16) — offenbar weil bewirkt durch die gleiche Ursache, 
den nach 40 Jahren zu erwartenden Sturz der Chaldäer. Die Zahl 390 
ist in v. 5 falsch eingedrungen aus v. 7, wo es sich um etwas ganz an- 
deres handelt, nicht um die Jahre des Exils, sondern um die Tage der 
letzten Belagerung Jerusalems; auf einer ähnlichen Confusion beruht die 
Glosse v. 13. Richtig gibt die Septuaginta für das israelitische Exil die 
Jahrsumme 150 resp. 190 an, exclusive resp. inclusive der letzten 40 
gemeinschaftlich mit Juda abzubüssende Straf jähre. Bemerkenswert ist, 
dass 390 = 240 + 150. Vgl. noch Robertson Smith , im Journal of 
Philology, Vol. X p. 209—213. 



288 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Herzen und von ganzer Seele zu dir bekehren im Lande ihrer 
Feinde wohin sie geschleppt sind, und zu dir beten in der Rich- 
tung auf ihr Land zu das du ihren Vätern gegeben liast, auf 
die Stadt die du erwählt und das Haus das du deinem Namen 
gebaut hast, so höre im Himmel ihr Gebet und Flehen und 
nimm dich ihrer Sache an und vergib deinem Volke seine Un- 
treue und lass sie Mitleid finden bei ihren Gewalthabern, dass 
sie sich ihrer erbarmen. Denn sie sind dein Volk und Erbe, 
da du sie aus Ägypten, aus dem Schmelzofen, herausgeführt und 
sie dir aus allen Völkern der Erde ausgesondert hast, wie du 
durch deinen Knecht Mose geredet." Was Jahve darauf geant- 
wortet habe, vernehmen wir in Kap. 9. „Ich habe dein Gebet und 
Flehen vor mir gehört, ich habe das Haus geheiligt, meinem 
Namen dort eine ewige Statt zu geben, dass mein Auge und 
mein Herz allezeit dort seien. Wenn du nun vor mir wandelst 
wie dein Vater David aufrichtig und ehrlich, alles zu thun was 
ich dir befohlen habe, und meine Gesetze und Eechte hältst, so 
will ich den Thron deiner Herrschaft über Israel in Ewigkeit 
bestätigen, wie ich zu David gesagt habe: es soll dir nie fehlen 
an einem Nachfolger auf dem Throne Israels. Wenn ihr und 
eure Söhne aber von mir abweicht und meine Gesetze und 
Rechte die ich euch geschrieben nicht haltet, und andere Götter 
verehrt, so vertilge ich Israel aus dem Lande das ich ihm ver- 
liehen habe, und das Haus welches ich meinem Namen geheiligt 
habe schlage ich mir aus dem Gesicht; Israel wird zu Spott und 
Schanden unter allen Völkern .und dies Haus zu Trümmern. Und 
fragt man dann: warum hat Jahve diesem Lande und diesem 
Hause solches angethan? — so wird es heissen: weil sie Jahve 
ihren Gott, der ihre Väter aus Ägyptenland geführt, verlassen 
und sich an andere Götter gehängt und ihnen gehuldigt und ge- 
dient haben." 

Das gleichfalls sehr einschneidende Ereignis der Reichsspal- 
tung wird durch eine Prophetie Ahia's an den ersten Jerobeam 
eingeleitet. „Siehe ich reisse das Reich von Salomo und gebe 
dir die zehn Stämme, nur ein Stamm soll ihm bleiben wegen 
meines Knechtes David und wegen der Stadt Jerusalem, die 
ich erwählt habe; weil er mich verlassen und die Astarte von 
Sidon und den Kamos von Moab und den Milkom von Ammon 
angebetet hat und nicht gewandelt ist in meinen Wegen, zu 



Richter Samuelis und Könige. 289 

thun was mir gefällt, meine Rechte und Gebote, wie sein Vater 
David. Und wenn du hörst was ich dir befehle und in meinen 
Wegen gehst und thust was mir gefällt, meine Rechte und Ge- 
bote, wie mein Knecht David that, so will ich mit dir sein und 
dir ein festes Haus bauen wie dem David und dir Israel geben. 
Und den Samen Davids will ich demütigen wie gesagt, doch 
nicht für alle Zeit." 

Eine Reihe regelmässig bei den Thronumwälzungen des 
Nordreiches eingefügter Prophetien ähnlichen- Stiles übergehe 
ich und setze nur noch das Schlusswort her, womit der Sturz 
des Zehnstämmereichs (2. Reg. 17) begleitet wird. Derselbe sei 
erfolgt, „weil die Kinder Israel an Jahve ihrem Gott, der sie 
aus Agyptenland befreit hatte, sündigten und andere Götter 
fürchteten und wandelten in den Satzungen der von ihnen ver- 
triebenen Völker und in den Neuerungen der Könige Israels; 
und weil die Kinder Israel Dinge, die nicht so sind, ihrem Gott 
Jahve andichteten und sich Höhen bauten in all ihren Orten 
vom Wachtturm an bis zur ummauerten Stadt, und sich Mal- 
steine und Holzsäulen aufrichteten auf jedem hohen Hügel und 
unter jedem grünen Baume und dort auf allen Höhen opferten, 
wie die Völker die Jahve vor ihnen vertrieben hatte, und böse 
Dinge verübten um Jahve zu reizen, und den Greueln dienten 
die Jahve verboten hatte. Zwar bezeugte Jahve ihnen durch 
alle Propheten und Seher: kehrt um von euren bösen Wegen 
und haltet meine Gebote und Satzungen nach all der Thora, 
die ich euren Vätern befohlen und durch meine Knechte, die 
Propheten, entboten habe; aber sie hörten nicht, sondern ver- 
härteten ihren Nacken wie ihre Väter, weil sie Jahve ihrem 
Gott nicht glaubten, und sie verschmähten seine Satzungen und 
seinen Bund den er mit ihren Vätern geschlossen und seine 
Zeugnisse die er ihnen eingeschärft, und folgten dem Nichts 
und wurden zu nicht und wandelten den Völkern ringsum nach, 
denen es gleichzuthun ihnen Jahve verboten hatte. Und sie ver- 
liessen alle Gebote ihres Gottes und machten sich Gussbilder 
und Holzsäulen und beteten das ganze Himmelsheer an und 
dienten dem Baal und Hessen ihre Kinder durch's Feuer gehen 
und trieben Zauber und Wahrsagerei und waren versessen zu 
thun was böse ist vor Jahve, ihn zu reizen. Und Jahve zürnte 
sehr auf Israel und trieb sie fort von sich; nur der Mann von Juda 

Wellhausen, Prolegomena. 19 



290 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

allein blieb übrig. Aber auch die von Juda hielten die Gebote 
ihres Gottes nicht und wandelten in der Weise Israels; so ver- 
warf Jahve .das ganze Geschlecht Israel und demütigte sie und 
gab sie in die Hand von Räubern, bis er sie fortgeworfen hatte 
von seinem Angesicht." Für Juda fehlt eine besondere Schluss- 
betrachtung, aber die für Israel gilt auch für Juda mit. Man 
erkennt das nicht bloss aus den letzten angeführten Worten, 
sondern auch daraus, dass zwei sehr charakteristische Greuel 
in dem obigen Verzeichnis, die Anbetung des Himmelsheeres und 
das Kinderopfer, nach dem allein massgebenden Zeugnisse der 
Propheten noch nicht im achten, sondern erst im siebenten Jahr- 
hundert, unter Manasse, eingerissen sind und also nicht Israel 
sondern Juda zur Last fallen. 

Von solchen Sammelpunkten aus, wo sich, bei den wichtigeren 
Epochen, das Wasser gleichsam staut, verzweigt sich das Geäder 
nach allen Seiten ! ). Wie sich die Herrscher zum reinen Gottes- 
dienst gestellt, ob sie was recht oder was böse ist in den Augen 
Jahve's gethan haben, ist die Frage die immer zuerst aufgeworfen 
und auch bei solchen die nur acht Tage regiert haben beant- 
wortet wird. Gewöhnlich muss constatiert werden, dass sie das 
Böse gethan haben; rapsS AaulS xal'ECsxtou xal'Iaxjt'oo toxvtss Tzkri\k- 
[AsKsiav iid7jp,[jiX7}<3av, sagt Jesus Sirach (49, 4,) nicht ganz genau 
allerdings, aber doch insofern mit Recht als auch an den from- 
men Königen immer noch etwas auszusetzen ist. Die Sünde 
aber ist hier nicht mehr, wenigstens nicht hauptsächlich, der 
Dienst fremder Götter, sondern der verkehrte Dienst Jahve's. 
Es wird jetzt ein specieller und darum strengerer Massstab an- 
gelegt — den Grund davon kennen wir: seit an dem Orte den 
Jahve sich erwählt hat der Tempel erbaut ist, hört die bis- 
herige Gemütlichkeit auf (Deut. 12, 8) und vor allem tritt nun 
das Verbot der Bamoth in Kraft (1. Reg. 3, 2). Dass dieselben 



*) Zusätze wie nirp niHD 1- Reg. 18, 18 (LXX richtig niiT ohne Dl^D)» 
?irVO 1DW (LXX richtig TjDtJ? ohne rv*D) und weitläufigere wie 
1. Reg. 18, 31. 32a. 2. Sam. 6, 2b (^ NlpJ *"ll^H) bringe ich nicht in 
Anrechnung, weil sie ans verschiedenen Zeiten stammen, grösstenteils 
jünger sind als die deuteronomische Bearbeitung und weniger derjiterari- 
schen als der Textkritik angehören. An sich ist es freilich sehr wichtig, 
diese Retouchen aufzudecken und zu beseitigen. Die ganze alte Über- 
lieferung ist damit überzogen wie mit einem judaistischen Verdauungs- 
schleim. 



Richter Samuelis und Könige. 291 

trotzdem fortbestanden, ist die ertliche allgemeine und durch- 
gehende Sünde der Zeit. Verschlimmert wird sie noch da- 
durch, dass mit den Bamoth sich auch allerlei ungesetzlicher 
Unfug im Jahvedienste einnistete, Massehen und Ascheren und 
immergrüne Bäume und die Hurer und Huren. Speciell für 
Israel, welches beständig mit Juda verglichen wird, kommt als 
zweite Hauptsünde hinzu die Sünde Jerobeams, d. h. die gol- 
denen Kälber zu Bethel und zu Dan. Mit den chronologischen 
Daten verbindet sich die religiöse Würdigung zu jenem Schema, 
welches gleichmässig jede einzelne Regierung der Könige von 
Israel und Juda einfasst, und zwar häufig mit reicherem Inhalt 
gefüllt, nicht selten aber auch fast leer ist an historischem Stoff. 
Am nacktesten tritt dasselbe hervor in Kapiteln wie I 15. 16. 
II 13. 14. 15. 

Dass diese Bearbeitung unseres Buchs mit derjenigen der 
beiden vorangehenden Geschichtsbücher im Wesentlichen gleich- 
artig ist, bedarf keines Nachweises. Nur hat sie hier einen 
wärmeren, lebhafteren Ton und ein weit näheres Verhältnis zu 
den Sachen. Es hängt damit zusammen, dass sie auch viel deut- 
licher dpn Standpunkt erkennen lässt, von dem sie ausgeht. 
Schon daraus dass der historische Stoff sich bis zur Zerstörung 
Jerusalems, ja bis zum Tode des gefangenen Königs Jechonia 
ausdehnt, ergibt sich, dass mit der Abfassungszeit bis in's 
babylonische Exil, bis in dessen zweite Hälfte hinabgegangen 
werden muss; die Chronologie, sofern sie das Exil selber mit 
50 Jahren in die 480jährige Periode einrechnet, führt uns noch 
etwas tiefer; doch ist es nicht unmöglich, hier eine nachträgliche 
Modificierung anzunehmen, die den Gesammtcharakter nicht weiter 
verändert hat. 1 ) Vom Ende aus wird hier auf die Königsperiode 

J ) Krey vermutet, dass das letzte erwähnte Datum, die Befreiung Jechonia's 
aus dem Kerker im 37. Jahre nach seiner Thronbesteigung, die ursprüng- 
lich beabsichtigte untere Grenze der Chronologie gewesen sei, zumal die 
40 jährigen Perioden, worin sich wie oben gezeigt die judäischen Posten 
einteilen, gerade auf dies Datum auslaufen. Wenn dem so ist, so kann 
aber nicht das 4. oder 5. Salomo's als die Anfangsepoche angesehen wer- 
den; denn die 37 oder 36 daraus resultierenden Jahre lassen sich, mit 
Absicht auf das 37. Jechonia's als Ziel, nicht unterbringen. Jene Epoche 
ist nun auch durchaus unnatürlich, Salomo's 40 Jahre dürfen nicht so 
zerrissen werden, und wenn man in jener Zeit überhaupt einen Ein- 
schnitt dachen will, so muss man es bei der Spaltung des Reiches thun 
als dem gegebenen Ausgangspunkt der Reihen von Israel und von Juda. 
Beachtenswert ist, dass die 37 Jahre Jechonia's am Schluss der älteren 

19* 



292 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

zurückgeschallt wie auf einqpabgeschlossene Vergangenheit, über 
welche das Urteil gesprochen ist. Schon bei der Einweihung 
des Tempels lässt sich der Gedanke an seine Zerstörung nicht 
zurückhalten, auch sonst steht überall die Vernichtung der Na- 
tion und ihrer beiden Reiche im Hintergrunde. Das gibt dem 
Ganzen die Beleuchtung: es wird gezeigt, warum es so kommen 
müsste. Wegen der Untreue gegen Jahve, wegen der grund- 
verkehrten Richtung, an der man trotz der Thora Jahve's und 
seiner Propheten beharrlich festgehalten habe. Die Darstellung 
wird gewissermassen zu einem grossen Sündenbekenntnis der 
exilirten Nation über ihre Vergangenheit. Es ist die Art, nicht 
bloss das gegenwärtige Geschlecht sondern die gesamte bis- 
herige geschichtliche Entwicklung zu verurteilen, die wir zuerst 
bei Jeremia (2, 1 ff. 4, 3) antreffen, der sich auch schon die Frage 
nach den Gründen des Endes vorzulegen hatte. 1 ) Ezechiel hat 
diese negative Betrachtungsweise, mit besonderer Rücksicht auf 
die Greuel des älteren Cultus, weiter verfolgt (Kap. 16. 20. 23), 
man findet sie gleichfalls in Isa. 40—66 (42, 24. 43, 27), obwohl 
ihr hier eine positive und weit gehaltvollere ergänzend zur Seite 
tritt, ferner in Deut. 28—30 und Lev. 26. Die ganz§ Vorzeit 
gilt als eine ungeheure Schuld, die im Exil abgebüsst wird (Jer. 
32, 29. Ezech. 18, 2. 33, 10. Isa. 40, 1); es wird sogar die Dauer 
der Strafe nach der Dauer der Sünde berechnet (Lev. 26, 34). 

Rechnungsweise, die vielleicht nur 40jährige Generationen, vielleicht 
aber auch eine 500jährige Periode von David an (40+40+20+41+40+ 
40+81 +38+80+79 V4) herauszubringen suchte, den 37 Jahren Salomo's 
am Anfang der jetzt durchgeführten entsprechen. — Dass man auch 
späterhin an der Chronologie noch allerlei änderte und besserte, ergibt 
sich aus den nachgetragenen Synchronismen der Könige Israels und Juda's, 
aus den schwankenden und nebeneinander hergehenden Angaben im 
Buch der Richter (z. B. Interregna und kleine Richter, die dreifache 
Verrechnung der Philisterzeit), ja sogar noch aus den Varianten der 
Septuaginta. 

*) Der Sturz Samariens hat schon die älteren Propheten in Bezug auf das 
Nordreich zu ähnlichen Betrachtungen geführt, die aber doch in der 
Regel (Am. 5. Isa. 9) lange nicht so radikal und so weit her^holt sind. 
Nur Hosea verfolgt allerdings die Schuld der Gegenwart hinauf bis in 
den Anfang — aber er exempMciert (wie Mich. 6) vorzugsweise an der 
Urgeschichte Jakobs und Mose's, in der eigentlich geschichtlichen Zeit 
/ steckt er doch noch zu sehr darin um sie von so hohem Standpunkte aus 
zu überschauen. Auch darin ist er der Vorläufer der Späteren, dass er 
das menschliche Königtum für einen Hauptschaden Israels ansieht: er 
hatte dazu in den Verhältnissen seiner Gegenwart allerdings sehr drin- 
gende Veranlassung. 



Richter Samuelis und Könige. 293 

Auch nach der Befreiung schleppt sich diese Stimmung gegen- 
über dem Altertum noch fort (Zach. 7, 8 ff. Esdr. 9, 7 ff. Neh. 
9, 7 ff.). 

Die Bearbeitung steht naturgemäss auf judaistischem Stand- 
punkte. Ausserhalb Jerusalems ist der Jahvedienst ketzerisch, 
so dass der politische Abfall der Nordisraeliten zugleich als 
kirchlicher erscheint. Doch werden sie darum nicht wie in der 
Chronik von der Gemeinschaft des Volkes Gottes ausgeschlossen, 
so völlig sind doch die alten Traditionen noch nicht über Bord 
geworfen: erst nach der assyrischen Zerstörung Samariens setzt 
Juda allein die Geschichte fort. Nahezu die gleiche Verehrung 
wie der Stadt und dem Tempel Jahve's wird dem David und 
seinem Hause dargebracht. Das letztere hat die Verheissung 
ewigen Bestandes, welche besonders gern mit den Worten Jere- 
mia 33, 17 ausgedrückt zu werden pflegt. Es ist ohne Zweifel 
kein Zufall, dass mit der Beffeiung des Davididen Jechonia aus 
dem Kerker geschlossen wird; sie ist das Angeld des Grösseren, 
was zu erwarten steht. Auch in den Worten Ahia's an Jero- 
beam , dass die Demütigung des Hauses David und die Ab- 
reissung der zehn Stämme doch nicht für alle Zeit dauern solle, 
blitzt die messianische Hoffnung auf, die grade in und nach dem 
Exil in den Gemütern sehr lebendig gewesen ist, wie wir aus 
Haggai und Zacharia ersehen. 

Lässt sich bei den Büchern der Richter und Samuelis viel- 
leicht nicht mit völliger Bestimmtheit entscheiden, welches die 
Norm sei, wonach der letzte Verfasser die Vergangenheit beur- 
teilt, so ist beim Buche der Könige kein Zweifel möglich. Hier 
wird nicht bloss in unbestimmten Andeutungen von dem Willen 
Jahve's geredet, dem Israel gehorchen soll und widerstrebt, son- 
dern auch hin und wieder (I 2, 3. II 14, 6. 17, 37) von der ge- 
schriebenen Thora, worin seine Rechte und Satzungen enthalten 
sind — eine Unterscheidung, worin sich immerhin ein geschicht- 
liches Gefühl ausspricht. Das Gesetzbuch aber, das als Massstab 
zu Grunde gelegt wird, ist dasjenige, von dessen Auffindung 
unter Josia in 2. Reg. 22. 23 so ausführlich erzählt wird, das 
Deuteronomium. Darauf führt, wie allseitig anerkannt wird, 
sowohl die Phraseologie des Bearbeiters, als der Geist, in dem 
er richtet und insbesondere diejenigen Volkssünden verdammt, 
gegen welche das Deuteronomium und die Reformation des Kö- 



294 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

nigs Josia gerichtet sind. Auch das einzige wörtliche Citat aus 
dem Buche der Thora, welches vorkommt, ist eben dem Deu- 
teronomium entnommen, 2. Reg. 14, 6. Deüt. 24, 16. Dahingegen 
finden sich von der Unbekanntschaft mit dem Priestercodex sehr 
deutliche Anzeichen in der Bearbeitung. Nirgend wird zwischen 
Leviten und Priestern ein Unterschied gemacht; von den Aha- 
roniden ist keine Rede. Desgleichen wird durch 1. Reg. 3, 2 
die Vorstellung eines vorsalomonischen Centralheiligtums ausge- 
schlossen. Nur in einem Abschnitt, der im hohen Grade aller- 
hand Correkturen und Interpolationen ausgesetzt gewesen ist, 
in der Beschreibung des Tempels und der Tempelweihe 16—8, 
finden sich Spuren der Einwirkung auch des Priestercodex, na- 
mentlich im masorethischen Texte, weniger in der Septuaginta. 
Was es damit für eine Bewandtnis hat, ist an dem wichtigsten 
Beispiel bereits oben S. 45. 46 dargelegt worden. 

Wenn man darnach in vollem Masse berechtigt ist, die Be- 
arbeitung deuteronopaistisch zu nennen, so darf man damit doch 
keinen anderen Sinn verbinden als den, dass dieselbe unter dem 
Einfluss des Deuteronomiums entstanden ist, unter dem das ganze 
Jahrhundert des Exils steht. Zwischen deuteronomistisch und 
deuteronomisch ist ein nicht bloss zeitlicher sondern auch inhalt- 
licher Unterschied 1 ); das Deuteronomium selber sieht im Cultus 
noch nicht so die Hauptaufgabe Israels und steht noch weit mehr 
innerhalb des Realismus eines wirklichen Volkslebens. Eine be- 
sonders greifbare einzelne Differenz liegt in der Datierungsweise. 
Statt mit ihren althebräischen Namen Ziv Bul Ethanim bezeichnet 
der letzte Verfasser die Monate mit Zahlen, die vom Frühling 
als Jahresanfang ausgehen. Dadurch unterscheidet er sich nicht 
nur von seinen älteren Quellen (16, 37 f. 8,2), sondern auch 
vom Deuteronomium. 

2. Es versteht sich, dass diese Bearbeitung dem über- 
lieferten Stoffe fremd ist und ihm Gewalt anthut. Insbesondere 
ist derselbe durch eine sehr einseitige Auswahl alteriert worden, 
welche von spezifisch religiösen Gesichtspunkten ausgeht. Das 
Interesse für die Propheten mischt sich darin mit dem Interesse 
für den Cultus. Es ist freilich nicht gesagt, dass diese Auswahl 
erst vom letzten Verfasser herrühre, so gut sie auch zu seinem 

*) Nachdeuteronomiseh, aber noch aus der Königszeit sind 1. Sam. 2, 27 ff. 
2. Sam. 7, lff. 2. Reg. 18, 13. 17ff. 19, lff. Kapp. 11. 12. 22. 23, 



Richter Samuelis und Könige. 295 

Geschmaeke passt: es war ihm wahrscheinlich in dieser Rich- 
tung schon vorgearbeitet. Aber für uns ist es weder möglich 
noch wichtig, in dem Sichtungsprocess, den die Überlieferung 
über die Königszeit durchzumachen gehabt hat , verschiedene 
Phasen zu unterscheiden. 

An der Spitze des ganzen Buches steht der Tempelbau, fast 
alles was von Salomo erzählt wird steht dazu in Beziehung. 
Damit ist zugleich der Gesichtspunkt angegeben, der auch die 
übrige judäische Geschichte beherrscht; sie ist mehr eine Ge- 
schichte des Tempels als des Reiches. Die Geschicke des Heilig- 
tums und seiner Schätze, die den Cultus betreffenden Einrich- 
tungen und Massregeln der Könige sind so ziemlich das Einzige, 
worüber wir immer auf dem Laufenden gehalten werden. Auch 
die wenigen ausgeführten Erzählungen (II 11 f. 16. 22 f.) spielen 
im Tempel und drehen sich um den Tempel; nur in II 18 f. wiegt 
das prophetische Interesse vor. 

m In Bezug auf das Reich Israel sind die Angaben über den 
Cultus sehr mager und meist ziemlich vage; hier treten die pro- 
phetischen Erzählungen in den Vordergrund, in der Regel solche 
die vom prophetischen Standpunkte aus erzählt sind, oder doch 
solche in denen die Propheten handelnd auftreten. Hie und da 
wird auch über Berührungen des Nordreiches mit Juda näher 
berichtet: darin äussert sich das judäische Interesse der Aus- 
wahl. Das einfach Geschichtliche, das bloss Weltgeschichtliche 
so zu sagen, wird im allerdürftigsten Masse mitgeteilt, häufig 
nur die Aufeinanderfolge der Königsnameni Über König Omri, 
den Gründer der Stadt Samarien und Neubegründer des Reichs, 
der auch Juda in eine Art freundschaftlicher Abhängigkeit ge- 
bracht zu haben scheint, erfahren wir fast nichts, über Jero- 
beam II, den letzten grossen Herrscher, nicht mehr; in ein paar 
nichtssagenden Versen wird der Zusammenstoss mit den Assyrern 
und der Fall Samariens abgemacht. Zuweilen unterbricht ein 
blitzendes Juwel (II 9. 10) die umgebende Nacht, aber hinterher 
tappen wir wieder im Dunkeln. Die alte Überlieferung ist uns 
nur, soweit sie den Späteren von religiösem Werte schien, auf- 
bewahrt worden, sie hat ihren angeborenen Schwerpunkt ver- 
loren und nunmehr eine Haltung angenommen, die sie ursprüng- 
lich gewiss nicht hatte. In Juda mag in der That der Tempel 
grössere Bedeutung gehabt haben als das Reich, aber die Ge- 



296 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

schichte Israels ist ohne Zweifel nicht bloss und nicht vorzugs- 
weise Geschichte der Prophetie gewesen. Von den Verlusten, 
die wir zu beklagen haben, muss am stärksten die israelitische 
Überlieferung betroffen sein. 

Nicht so unersetzlich ist der Schaden, den die Bearbeitung 
durch, ihr positives Eingreifen in den quellenmässigen Stoff ge- 
stiftet hat; dochr ist er auch nicht unerheblich. Am besten lässt 
sich die Verfärbung charakterisieren an den weittragenden Be- 
merkungen, womit die Königsreihe von Israel eröffnet wird. 
„Jerobeam sprach in seinem Herzen: nun wird das Beich wieder 
an David fallen; wenn dies Volk hinaufzieht Opfer zu bringen 
im Hause Jahve's zu Jerusalem, so werden die Leute sich im 
Herzen zu ihrem rechten Herrn zurückwenden und mich töten 
und wieder dem Behabeam von Juda unterthan werden. Da 
beriet sich der König und machte zwei goldene Kälber und 
sprach zu ihnen: hört nun auf nach Jerusalem zu ziehen; siehe 
da deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt habeji. 
Und er stellte eins in Bethel und das andere in Dan auf. Und 
dies geriet zur Sünde und das Volk ging wie ein Mann sogar 
bis Dan. Und er machte Höhentempel und nahm Priester mitten 
aus dem Volk, die nicht aus den Söhnen Levi's waren: wen er 
wollte, den stellte er an zum Höhenpriester 44 (1 12, 26—30. 13, 33). 
Nicht ganz so verkehrt wie in der Chronik, aber doch auch 
anachronistisch genug ist hier zunächst die Anschauungsweise, 
die in den Erwägungen Jerobeams durchschimmert, als sei das 
ephraimitische Königtum sich seines illegitimen Ursprungs be- 
wusst und nur künstlich in seiner Sonderexistenz zu erhalten 
gewesen. Wie man in Wahrheit in dieser Hinsicht in Nord- * 
israel gedacht hat, bezeugt der Segen Jakobs und der Segen 
Mosis. Dort heisst Jogeph der Gekrönte seiner Brüder, hier 
wird von ihm gesagt: „sein erstgeborner Stier voll Majestät 
(= der König) hat Btiffelhörner, mit denen er die Völker nieder- 
stösst, das sind die Myriaden Ephraims und die Tausende Ma- 
nasse's". Woher auch sonst der Zauber des Namens Ephraim 
als weil er der Königsstamm (Gen. 37, 8. 9) und der vornehmste 
Bepräsentant des stolzen Namens Israel ist! Von Juda aber 
heisst es ebendaselbst: „Höre Jahve die Stimme Juda's und 
bringe ihn zurück zu seinem Volke 44 . Über das Volk, zu dem 
Juda gehört, kann man nicht im Zweifel sein; man wird Graf 



Richter Samuelis und Könige. 297 

darin Recht geben müssen, dass dieser Stamm hier als das ent- 
fremdete Glied angesehen und seine Wiedervereinigung mit dem 
grösseren Reiche sogar als sein eigener Wunsch betrachtet wird 
— was nicht so sonderbar ist, wenn man bedenkt, dass der 
Teil zum Ganzen und nicht das Ganze zum Teile strebt. Erst 
durch lange Erfahrung lernte Juda den Segen einer festen 
Dynastie und Ephraim den Fluch der ewigen Thronwechsel 
kennen. 

Da die Anziehungskraft Juda's für die Bewohner des Nord- 
reichs in dem Cultus des salomonischen Tempels gesehen wird, 
so soll Jerobeam ihr vorgebeugt haben, indem er neue Heilig- 
tümer, eine neue Form Jahve zu verehren, und eine neue Art 
des Priestertums geschaffen habe. Das wodurch sich der alte 
samarische Gottesdienst von dem judäischen Muster unterschied, 
wird für absichtliche Neuerung des ersten Königs ausgegeben, 
an dessen Sünde dann die Folgezeit festgehalten habe. Aber 
indem Jerobeam Bethel und Dan zu Reichstempeln erhob — 
dass er die Höhenhäuser überhaupt eingerichtet habe, verdient 
keine Berücksichtigung — , that er weiter nichts als was Salomo 
vor ihm gethan hatte. Nur hatte er dabei festeren Boden unter 
den Füssen als jener, denn, Bethel und Dan waren alte Heilig- 
tümer, Jerusalem nicht. Die goldenen Stierbilder ferner, die er 
aufstellte, unterschieden sich wohl durch ihr Gold aber nicht 
durch ihren Zweck von den Ephoden und anderweitigen Idolen, 
die tiberall in den Gotteshäusern wohnten, z. B. von der ehernen 
Schlange zu Jerusalem *). Mit Fug und Recht hat schon Eich- 
horn erinnert, dass wenn Elias und Elisa gegen den einge- 
drungenen Dienst des tyrischen Baal eiferten, sie positiv für den 
Jahve von Bethel und Dan eintraten und nicht daran dachten 
gegen dessen bildliche Darstellung zu protestieren : jyoch^ Arnos 
tfes^^JLJ^ßbtj erst Hosea. Was endlich die nichtlevitischeji 
Priester betrifft, die der König angestellt haben soll, so ist dar- 
über schon oben (S. 138 ff.) das Nötige gesagt. 

*) „Wenrigleich Jerobeam sich in Ägypten aufgehalten hatte, so darf man 
ebensowenig von ihm sagen, dass er den Tierdienst von dorther mitge- 
bracht, als man Aharons goldenes Kalb für Nachbildung des Apis aus- 
geben darf. Denn das Eigentümliche des ägyptischen Tierdienstes über- 
haupt und Stierdienstes im Besonderen bestand ja darin , dass man 
lebendige Tiere für heilig hielt." Vatke S. 398. Ägyptische Götter 
können nicht gegen Ägypten helfen Exod. 32, 4. 1. Reg. 12, 28, 



298 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Eine merkwürdige Kritik dieses Urteils über den samari- 
schen Gottesdienst wird durch das bald darauf folgende Zuge- 
ständnis geliefert, dass der judäische damals auch nicht anders, 
jedenfalls nicht besser gewesen sei. In dem Berichte über Re- 
habeams Regierung heisst es (114, 22 f.): „auch die Judäer er- 
richteten sich Höhen und Malsteine auf jedem hohen Hügel und 
unter jedem grünen Baume, und auch Hurerei an geweihter 
Stätte ward getrieben im Lande u — damit wird ein Zustand 
beschrieben, der mit einigen Schwankungen bis gegen das Exil 
hin fortdauerte. -Wenn nun die Norm, nach der Samarien ge- 
richtet wird, auch nicht in Juda Realität besessen hat, so ist 
sie überhaupt im alten Israel nicht zu finden gewesen. Wir 
wissen, es ist das Gesetzbuch Josia's; wir sehen aber, wie die 
Thatsachen darnach nicht bloss beurteilt, sondern auch ge- 
modelt werden. 

Noch ein einzelnes Beispiel ist in dieser Hinsicht erwähnens- 
wert. König Salomo, heisst es, hatte ausser der Tochter Pharao's 
noch viele ausländische Weiber, aus Moab Ammon und anderen 
Völkern, deren Töchter zu ehelichen Jahve verboten hatte (Deut. 
17, 17). Und da er alt ward, verführten sie ihn zum Dienst 
ihrer Götter, und er baute auf dem Ölberge bei Jerusalem Höhen 
für Kamos von Moab und für Milkom von Ammon und für die 
Götter der übrigen Weiber. Zur Strafe dafür kündigte ihm Jahve 
an, dass sein Reich nach seinem Tode von ihm gerissen und 
seinem Knechte verliehen werden solle, und weiter erweckte 
er ihm Widersacher in dem Edomiten Hadad, der Edom befreite, 
und in dem Syrer Rezon ben Eljada, der Damaskus unabhängig 
machte. Zum künftigen Könige der zehn Stämme aber liess er 
durch den Propheten Ahia von Silo den Ephraimiten Jerobeam 
designieren, der damals die Fronarbeiten des Hauses Josephs bei 
der Befestigung der Burg Davids beaufsichtigte. So wird 1. Reg. 
11, 1 ff. berichtet. Nun hat sich aber Edom und wie es scheint 
auch Damaskus gleich beim Thronwechsel vom Reiche Davids 
losgerissen (11, 21 f. 25)-, die Befestigung der Burg, wobei Jero- 
beam durch Ahia zum Aufstand angereizt wurde, fällt zwar später, 
aber auch noch in die erste Hälfte von Salomo's Regierung, da 
sie mit den übrigen Bauten zusammenhängt (9, 15. 24). Da nun 
Salomo für eine Schuld, die er erst im Alter auf sich lud, nicht 
schon in seiner Jugend zum Voraus gestraft worden sein kann, 



Richter Samuelis und Könige. 299 

so widerspricht dieser moralische Pragmatismus der Zeitfolge 
und kann unmöglich dem ursprünglichen Erzähler zugeschrieben 
werden. In der That verrät sich die deuteronomistische Bearbei- 
tung in 11, 1 — 13 an jedem Wort. Zur echten Überlieferang gehört 
nur die Erwähnung der vielen Weiber, jedoch ohne den daran 
geknüpften Tadel, und die Angabe über den Bau der Altäre des 
Kamos und Milkom und vielleicht der Astarte auf dem Ölberge, 
wo sie bis auf Josia standen (II 23, 13). Die ursächliche Ver- 
knüpfung beider Thatsachen aber gehört ebenso dem letzen Ver- 
fasser an wie die Verallgemeinerung, dass der König für alle 
unter seinen Weibern vertretenen Nationalitäten Altäre ihrer 
Götter errichtet habe. 

Freilich wird die Überlieferung im Buche der Könige nicht 
in der Weise in's Gesetzliche umgedichtet, wie es in der Chronik 
geschieht. Was noch am meisten an die Chronik erinnert, ist, 
dass von Zeit zu Zeit ein Prophet eingelegt wird, der sich im 
Geiste des Deuter onomiums und in der Sprache Jeremies und 
Ezechiels äussert und dann verschwindet. 1 ) Dadurch wird das 
Gesetz lebendig in die Geschichte eingeführt, die Propheten er- 
halten es wirksam und wenden es an, nach dem auf Jerem. 7, 25. 
Deut. 18,18 beruhenden Grundsatz II 17, 13: „Jahve bezeugte 
ihnen durch alle Propheten und Seher: kehrt um von euren 
bösen Wegen und haltet meine Gebote und Satzungen nach all 
der Thora , die ich euren Vätern befohlen und durch meine 
Knechte, die Propheten, entboten habe". Das krasseste Bei- 
spiel dieser Art, an historischem Unwert mit Jud. 19 — 21 oder 
1. Sam. 7 ff. zu vergleichen aber noch eine Stufe niedriger stehend, 
ist 1. Reg. 13. Ein Mann Gottes aus Juda bedroht hier den 
Altar von Bethel, vor dem gerade König Jerobeam opfert, also: 
Altar Altar, siehe ein Sohn wird dem Hause Davids geboren, 

*) Vgl. Kuenen, de Profeten (Leiden 1875) II S. 143. Eine dieser deutero- 
nomistischen Weissagungen ist oben S. 288f. mitgeteilt. Zum Teil sind 
"sie anonym z.B. II 10, 30 ff. 21, 10ff., z. T. alten Namen in den Mund 
gelegt z.B. I 16. lff. Manchmal hat der Bearbeiter wohl in seinen 
Quellen Anfänge vorgefunden, die er dann in seiner Weise ausgeführt 
hat; so I 14, 7 ff. 21, 21 ff. II 9, 7 ff. In diesen Stellen treten zwar die 
deuteronomistischen Gedanken und die jeremianisch - ezechielischen Wen- - 
düngen (HlH &£OD \^n) deutlich hervor, aber einzelne Ausdrücke origi- 
nalen Gepräges linden sich eingestreut, die dann freilich immer wieder- 
kehren, z. B. 2))V) *l!SJy- ^di Namen wie Jehu ben Hanani sind ge- 
wiss nicht fingiert: so weit sind wir noch nicht wie in der Chronik. — • 
Vgl. 1. Sam. 2, 27 ff. 2. Sam. 7, lff. 



300 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

mit Namen Josia, der wird die Hohenpriester auf dir opfern, 
die auf dir räuchern, und wird Mensch engebeine auf dir ver- 
brennen. Und zur Gewähr der Richtigkeit dieser^ erst nach 
drei Jahrhunderten sich erfüllenden Weissagung gibt er das 
Zeichen, dass der Altar zerbersten und die Opferasche sich 
verschütten werde — welches denn auch auf der Stelle ein- 
trifft. Diese Legende gehört indessen nicht eigentlich dem 
Deuteronomisten an, sondern ist ein noch späterer Zusatz, wie 
man leicht daraus erkennt, dass der jenem angehörige Satz 
12, 31 erst 13, 33 b vollendet wird. Es verdient Beachtung, dass 
in den beiden das 13. Kapitel einleitenden Versen 12, 32 f. das 
Laubhtittenfest dem Priestercodex gemäss auf den 15. des 7. Monats 
fixiert ist. 

3. In den verarbeiteten Quellen lassen sich hier ebenfalls 
noch bedeutende Abstufungen und Schattierungen wahrnehmen. 
Im Buche der Könige begegnen wir zum ersten mal fortlaufenden 
kurze» Daten, die durch ihren streng faktischen Inhalt und ihre 
knappe Torrn sofort in der Umgebung auffallen und den An- 
schein gleichzeitiger Aufzeichnungen erwecken. Trotz ihrer 
losen Aufreihung sind sie es eigentlich, worauf unser zusammen- 
hängendes Wissen über die Periode beruht; sie sind auch der 
regelmässige Inhalt des religiös -chronologischen Schema's (z. B. 
I 14—16), wegen ihrer lockeren Fügung und neutralen Haltung 
vorzüglich zur Bearbeitung geeignet, die denn auch genugsam 
mit ihren Zuthaten eingegriffen hat 1 ). Schon bei Salomo be- 
ginnen diese wertvollen Notizen, hier freilich sind sie gegen- 
wärtig stark mit anekdotenhafter Spreu untermischt. Hinterher 
finden sie sich vorzugsweise, ja fast ausschliesslich in der judäi- 
schen Reihe. Mehrere bestimmte Zeitangaben lassen auf anna- 
listische Natur schliessen 2 ), man könnte damit auch das charak- 

J ) Die oben besprochene Stelle 1. Reg. 11, 1 ff- gibt davon ein gutes Beispiel; 
man erkennt sofort den nackten Satz )$) roiP IX aus der übrigen in- 
haltlosen Weitschweifigkeit heraus. Sonst vgl. 11 16, 3 f. 18, 4. 

2 ) 5. Rehabearas (I 14, 5), 23. Joas (II 12, 7), 14. Hizkia's (II 18, 13), 18. Jo- 
sia's (II 22, 3), 4. u. 11. Salomo's (I 6, 37. 38). Allerdings kommen diese 
Daten zum Teil in ausgeführten judäischen Erzählungen vor, die aber im 
nächsten Verhältnis zu den kurzen Notizen stehen und auf ihnen zu be- 
ruhen scheinen. Es lässt sich denken, dass solche bestimmte Zahlen, 
einst in noch reicherer Fülle vorhanden, die Anhaltspunkte geliefert 
haben für eine ungefähre Schätzung der Summen, aus welchen die syste- 
matische Chronologie aufgebaut ist. Jedenfalls stehen diese Einzeldaten 



Richter Samuelis und Könige. 301 

teristisehe dazumal in Verbindung bringen, welches häufig 
die kurzen Sätze einleitet und im jetzigen Zusammenhang meist 
beziehungslos ist. In welchen Kreisen diese Aufzeichnungen ge- 
macht sind, lässt sich kaum mutmassen. Wenn man sicher 
wäre, dass die hervorragende Berücksichtigung des judäischen 
Reichstempels nicht bloss auf späterer Auswahl, sondern auf 
einem ursprünglichen Interesse beruhte, so läge es nahe an die 
jerusalemische Priesterschaft zu denken. Der gut königliche, 
vollkommen offizielle Ton würde sich damit sehr gut vertragen, 
denn die Söhne Sadoks waren bis auf Josia nichts weiter als 
die gehorsamen Diener der Nachkommen Davids und betrach- 
teten das unbedingte Verfügungsrecht der letzteren über ihr 
Heiligtum als selbstverständlich (II 16, 10 f., Kap. 12. 22 f.). In- 
dessen wie wir sie haben sind diese Notizen nicht aus den Akten 
selber geschöpft, sondern aus einer sekundären Zusammenstellung, 
vielleicht aus den jedesmal am Schluss einer Regierung citirten 
beiden Chroniken der Könige von Israel und von Juda, aus 
denen jedenfalls die Reihenfolge der Herrscher entnommen zu 
sein scheint. Dass diese Chroniken nicht mit den urkundlichen 
Annalen gleichgesetzt werden dürfen, leuchtet ein; das Buch 
der Dibre-hajamim muss von den Dibre-hajamim selber unter- 
schieden werden. Ob die Chronik von Israel — aus welcher 
beinah nichts mitgeteilt wird — vier früher abgefasst ist als 
die (wie es scheint mit Jojakim abschliessende) Chronik von 
Juda, und ob sie und die Chronik Salomo's (I 11,41) ein ganz 
selbständiges Werk ist, möchte ich in Zweifel ziehen. 

Die Excerpte aus den Annalen werden unterbrochen durch 
grössere Ausführungen, die damit zusammengearbeitet und eben- 
falls in das deuteronomistische Schema aufgenommen sind. 
Unter ihnen sind die judäischen in der Minderzahl, die samari- 
schen tiberwiegen, drängen sich indessen auf einen ganz kleinen 
Zeitraum zusammen. Als Beispiel, um die Stimmung und den 
Wechsel der Stimmung auch hier nachzuweisen, wähle ich die 
wundervolle Geschichte Elia's. 

Der Prophet Elias, aus Thisbe in Gilead, tritt vor König 

selber ausserhalb des Systems. Das Gleiche gilt übrigens von den Alters- 
angaben der judäischen Könige beim Regierungsantritt, die vielleicht auch 
auf die „Annalen" zurückgehen. Das JK findet sich I 3, 16. 8, 1. 12. 
9, 11. 11, 7. 16, 21. 22, 50. II 8, 22. 12, 18. 14, 8. 15, 16. 16, 5. 



302 Geschichte Aler Tradition, Kap. 7. 

Ahab von Samarien und spricht: beim Leben Jahve's des Gottes 
Israels, dem ich diene, es soll diese Jahre nicht tauen noch 
regnen ausser auf mein Wort. Der Anfang der Erzählung ist 
abgebrochen; wir müssen wissen, dass Ahab auf der Königin 
Izebel Betreiben die Verehrung des tyrischen Baals in Israel 
verbreitet und die Propheten Jahve's zu Hunderten getötet hat 
(18, 13. 22), und dass darum ihn und das Land die Strafe trifft. 
Plötzlich wie er aufgetaucht ist Elias verschwunden. Wir finden 
ihn wieder am Bache Krith der in den Jordan fliesst, dann im 
Lande des Baal zu Sarepta bei einer Witwe: indem sein Lebens- 
lauf verfolgt wird, kommt zugleich auf einfache und schöne 
Weise die Schwere der Hungersnot zur Empfindung. Inzwischen 
hatte Ahab seine Häscher nach ihm ausgesandt und allen Reichen, 
wohin die vergebliche Suche ging, einen Eid abgenommen, dass 
er nicht zu finden sei. Nun jedoch zwang ihn. die Not an andere 
Dinge zu denken, er selbst mit seinem Reichsverweser musste 
ausziehen um Futter zu suchen für die noch übrigen Kriegsrosse 
(Am. 7, 1). In dieser demütigenden Situation ward er von dem 
Geächteten überrascht — er traute seinen Augen nicht. „Bist 
du es, Aufrührer Israels!" „Ich rühre Israel nicht auf, sondern 
du, König, und deines Vaters Haus!" Nach dieser Begrüssung 
forderte Elias den König auf, einen Zweikampf zwischen den 
450 Propheten Baals und ihm, dem einzigen noch übrigen Pro- 
pheten Jahve's, zu veranstalten. Eine Opferprobe vor allem 
Volk fand auf dem Karmel statt; beide Parteien sollten einen 
Stier zubereitet auf den Altar legen, ohne das Holz anzustecken : 
welcher Gott mit Feuer antworten werde, der sei der rechte. 
Die Baalspropheten, die zuerst an die Reihe kamen, suchten auf 
ihre Weise ihren Gott zu erweichen. Sie schrien und sprangen 
ungeberdig, verwundeten sich mit Schwertern und Lanzen bis 
sie mit Blut übergössen waren, rasten ekstatisch vom Morgen 
über Mittag bis gegen Abend. Derweil schaute Elias ihnen zu 
und spottete: ruft recht laut, denn er ist ein Gott, er ist wohl 
im Gespräch oder hat ein Geschäft, oder vielleicht schläft eP, 
dass er aufwache! Endlich ging auch er an's Werk, stellte den 
zerstörten Altar Jahve's her, schichtete darauf die Opferstücke 
und Hess sie um das Wunder zu erhöhen zwei drei mal mit 
Wasser übergiessen. Dann betete er zu Jahve — und Feuer 
fiel vom Himmel und verzehrte das Opfer. Das Volk, bis dahin 



Richter Samuelis und Könige. 303 

geteilten Herzens, trat nun auf die Seite des Eiferers, griff die 
Propheten Baals und schlachtete sie unten am Bache. Alsbald 
tränkte ein überraschender Platzregen das Land. 

Dieser Triumph des Elias war nur ein Vorspiel. Wie Izebel 
erfuhr was geschehen, schwur sie ihm Rache, und er flüchtete 
um sein Leben nach dem judäischen Beerseba, dem Heiligtume 
Isaaks. Todmüde setzte er sich dort unter einem Ginsterbusch 
in der Wüste nieder, und mit der Bitte: es ist genug, nimm 
Jahve meine Seele! schlief er ein. Da ward er von einem 
himmlischen Boten mit wunderbarer Speise gestärkt und auf 
den Berg Gottes Horeb beschieden. Wie er dort nach langer 
Reise angelangt in eine Höhle sich zurückgezogen hat, rauscht 
es an ihm vorüber: Sturm und Beben und Blitze sind Jahve's 
Vorreiter, darnach kommt er selbst im leisen Säuseln hinter 
dem Gewitter. Verhüllten Hauptes tritt Elias aus der Höhle 
und hört eine Stimme fragen was ihm sei. Nachdem er sein 
Herz ausgeschüttet, wird ihm der göttliche Trost zu teil, dass 
seine Sache mit nichten verloren sei, dass die grimmigste Rache, 
deren Vollstrecker er selbst zu berufen habe, über alle Verehrer 
Baals ergehen solle, und dass diejenigen Siebentausend in Israel 
das Feld behaupten werden, die ihre Kniee dein Abgotte nicht 
gebeugt. „Du sollst Hazael zum Könige über Damaskus salben 
und Jehu ben Nimsi zum Könige über Israel und Elisa ben Sa- 
phat zum Propheten an deiner statt, und wer dem Schwerte 
Hazaels entrinnt, den wird Jehu, und wer dem Schwerte Jehu's 
entrinnt, den wird Elisa töten." Der Berieht, wie Elias diese 
Befehle ausgerichtet habe, ist gegenwärtig ausgelassen; wir 
werden bald sehen aus welchem Grunde. Nur dass er den Elisa 
vom Pfluge weg aufgerufen habe ihm nachzufolgen, wird zum 
Schluss von Kap. 19 gemeldet. Auch von der Erfüllung des Ge- 
richtes über die Baalsverehrer haben wir, in dieser Erzählungs- 
gruppe, nur die Einleitung Kap. 21. Ahab wollte gern einen 
Weinberg haben, der in seiner Lieblingsresidenz Jezreel neben 
Ufern Palaste gelegen war; aber Naboth, der Besitzer, fand sich 
nicht bereit ihn zu verkaufen oder zu vertauschen. Ärgerlich 
glaubte der König dabei nichts weiter thun zu können, jedoch 
Izebel, die Tyrierin, hatte andere Begriffe von Macht und Recht 
und sagte: du willst die Herrschaft spielen in Israel? sei gutes 
Muts, ich verschaffe dir den Weinberg! Sie schrieb einen Brief 



304 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

an die Häupter der • Stadt und Hess den Naboth durch feile 
Richter aus dem Wege schaffen. Wie nun Ahab eben hinging 
den verfallenen Weinberg in Besitz zu nehmen, stiess der Feind 
auf ihn. Der Prophet Elias, immer im richtigen Moment zur 
Stelle, schleuderte ihm das Wort entgegen: „hast du gemordet 
und dich auch in Besitz gesetzt? fürwahr an dem Orte, wo die 
Hunde Naboths Blut geleckt haben, werden sie auch deines 
lecken". Damit bricht dieser Bericht ab-, was folgt, ist nicht 
die wahre Fortsetzung. 

Zugleich ist hier überhaupt der Faden der Erzählung ron 
Kap. 17—19. 21 abgeschnitten, ohne zu dem richtigen Ende ge- 
langt zu sein. Es fehlt der Sieg Jahve's über den Baal, des 
Propheten über den König; «die Geschichte Naboths wie gesagt 
leitet denselben nur ein. Der Sache nach sind wir zwar ge- 
nügend darüber unterrichtet, aber der Form nach entsprechen 
die Berichte nicht der Ankündigung in Kap. 19 und 21 ; sie sind 
anderen Quellen entlehnt. Die Syrerkriege sollen nach 19, 17 
zur Rache an den Baalsverehrern, d. h. vor allem an dem götzen- 
dienerischen Königshause, bestimmt sein^ aber gar nicht nach 
diesem Gesichtspunkte werden sie in Kap. 20. 22. II 7. 9 erzählt. 
Vielmehr behaupteten sich darnach Ahab und Joram mannhaft 
und ehrenvoll gegen die Übermacht von Damaskus, erst nach 
der Ausrottung des Baalsdienstes unter Jehu begann die 
unglückliche Wendung; Hazael, der sie herbeiführte, ward nicht 
schon von Elias, sondern erst von Elisa gesalbt (118, 7 ff.) 1 ). 
Auch das Blutbad zu Jezreel, worauf die Drohung I 21, 19 geht, 
muss, um den literarischen Abschluss zur Geschichte Naboths ,zu 
bilden, in anderer Weise erzählt sein als es II 9. 10 geschieht. 
Nach 21, 19 soll Ahabs Blut zu Jezreel fliessen, nach II 9, 25 
floss dort seines Sohnes Blut zur Rache für Naboth. Zwar 
wird 21, 27 — 29 die Bemerkung angehängt, da der König auf 
Elia's Drohung in sich gegangen sei, so habe Jahve nachträg- 
lich dem Propheten mitgeteilt, er werde dieselbe erst nach seinem 
Tode an seinem Hause erfüllen — aber wer merkt hier niclfP 
die Harmonistik! 2 ) Noch eine Reihe untergeordneter Differenzen 

> l ) Ebenso auch Jehu II 9, 1 ff. Dies der Grund der oben bemerkten Aus- 
lassung hinter I 19, 18; vgl. Thenius' Commentar. 
2 ) Trotz 21, 27—29 ist in 22, 38 ein Versuch gemacht die Erfüllung von 
21, 19 an Ahab selber nachzuweisen. Nachdem vorher berichtet, dass 



Richter Samuelis und Könige. * 305 

kommen hinzu, die beweisen, dass in II 9. 10 nicht auf die Re- 
lation über den Mord Naboths zurückgesehen wird, wie sie I 21 
lautet. Nach II 9, 25. 26 handelt es sich nicht um den Wein- 
berg, sondern um den Acker Naboths, der eine Strecke vor der 
Stadt lag; mit ihm wurde auch seine Familie hingerichtet; am 
folgenden Tage, als Ahab in Begleitung Jehu's und Ben 
Dekers hinausritt um den Acker einzuziehen, traf ihn das (nicht 
so speciell auf seine Person gemünzte) Wort des Propheten: „für- 
wahr das Blut Naboths und seiner Kinder habe ich gesehen, 
gestern Abend, und zahle dir's heim auf diesem Acker! 44 

Mit Hülfe dieser anderweitigen Berichte, unter denen sich 
namentlich eine grössere gleichartige Gruppe volkstümlicher Er- 
zählungen (I 20. 22. II 3. 6, 24—7, 20. 9, 1—10, 27) vorteilhaft 
auszeichnet, lässt sich nun an der Geschichte Elia's eine Kritik* 
üben, welche das für den Entwicklungsgang der Tradition lehr- 
reiche Ergebnis liefert, dass der Einfluss des gewaltigen Pro- 
pheten auf seine Gegenwart doch viel zu hoch angeschlagen ist. 
Das negative Fundament seiner Bedeutung ist die Verbreitung 
des Baalscultus in Israel: diese zunächst ist nicht wenig über- 
trieben. Von einer Unterdrückung des nationalen Gottesdienstes 
in damaliger Zeit kann keine Rede sein, es ist nichts mit der 
Angabe, dass die Propheten Jahve's damals sämtlich ausgerottet 
seien und Elias allein übrig geblieben. Die Prophetenvereine 
zu Bethel Jericho und Gilgal haben ungestört fortbestanden, in 
den Syrerkriegen stehen Jahvepropheten dem Ahab zur Seite, 
vor seinem letzten Feldzuge sind ihrer vierhundert in der Haupt- 
stadt versammelt, von denen wenigstens der eine dem Könige 
längst als Unglücksseher bekannt, aber weder früher erwürgt 
war noch jetzt erwürgt wurde, trotzdem er bei seiner misliebigen 
Art verharrte. Ahab nannte von den Söhnen, die ihm Izebel 
gebar, den einen Ahazjahu Jahve hält und den anderen Jehoram 

die Knechte des in seinem Wagen erschossenen Königs seine Leiche von 
Ramath Gilead nach Samarien gebracht haben um sie dort beizusetzen, 
heisst es 22,38: und sie spalten den Wagen am Teiche von 
Samarien und die Hunde leckten sein Blut und die Huren ba- 
deten darin, nach dem Worte Jahve' s. Auf diese Weise erklärt 
sich's, wie die Hunde zu Samarien das seit der Schlacht natürlich längst 
eingetrocknete Blut haben lecken können! Leider ist dabei übersehen, 
dass nach dem Worte Jahve' s 21, 19 die Hunde nicht zu Samarien, son- 
dern zu Jezreel , dem Orte Naboths , das Blut 'Ahabs lecken sollen. Der 
Vers 22, 38 ist eine Interpolation, die jüdischem Scharfsinne Ehre macht. 

Well ha usen, Prolegomena. * 20 



306 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Jahve ist erhaben: er hielt an Jahve als dem Gotte Israels 
fest, trotzdem er seiner Gemahlin zu lieb der tyrischen Gottheit 
in Samarien einen Tempel und einen Gottesdienst stiftete. — 
Ist dem nun so, so kann auch Elia's Kampf gegen den Baal 
damals nicht die Wichtigkeit gehabt haben, die ihm im Lichte 
eines späteren Standpunktes beigelegt wurde. Wirklich merkt 
man in der oben bezeichneten Gruppe volkstümlicher Erzäh- 
lungen nichts von einer religiösen Bewegung, die Israel im 
Inneren zerrissen hätte; das Volk wird ganz durch die Syrer- 
kriege in Anspruch genommen. Die Augen sind auf die Könige 
gerichtet, die ihre Pflicht und Schuldigkeit im Kampfe thuri, 
Elias steht im Hintergrunde. Ohne viele Worte verrät sich 
mehrfach die Hochachtung, die Ahab bei Freund und Feind ge- 
'niesst (20, 31. 22, 32. 34 f.); auch Joram und selbst Izebel werden 
durchaus nicht unsympathisch geschildert (II 6, 30. 9, 31). Von 
Jehu dagegen, dem von den Propheten angestifteten Mörder 
des Hauses Ahab, kann man schwerlich das Gleiche behaupten 
(II 9. 10). 

Thatsache ist allerdings, dass es dem Baalshass der Pro- 
pheten am Ende gelungen ist die Dynastie Omri's zu stürzen. 
Aber auf welche Weise! Während König Joram durch eine 
Wunde von seinem im Felde stehenden Heere fern gehalten 
ward, ging ein Abgesandter Elisa's in's Lager, rief den Feld- 
hauptmann von einem Gelage, bei dem er ihn antraf, zu einer 
heimlichen Unterredung ab und salbte ihn zum Könige. Als 
Jehu zu den trinkenden Kameraden zurückkam, fragten ihn die, 
was jener Verrückte gewollt habe, und da er mit ausweichenden 
Antworten nicht auskam, sagte er ihnen die Wahrheit. Sofort 
erhoben sie ihn auf einen improvisierten Thron und Hessen ihn 
als König ausposaunen: die Sache leuchtete ihnen ein, um 
, jenen Verrückten 44 scherten sie sich nicht. Mit einer unerhörten 
Meisterschaft in Verrat und Blutvergiessen rechtfertigte Jehu 
ihr Vertrauen, aber er verliess sich dabei lediglich auf die 
Hülfsmittel seines eigenen Mordgenies. Von einer allgemeineren 
Bewegung gegen die Dynastie ward er nicht getragen , das 
Volk, das er misachtete (10, 9), stand starr und entsetzt vor 
den Schlag auf Schlag sich folgenden Greueln; noch nach hun- 
dert Jahren war der Schauder über die Blutthat von Jezreel 
lebendig (Hos. 1, 4). Nachdem nun die Krone gewonnen war, 



Richter Samuelis und Könige. 307 

erwies- der verwegene Spieler den Fanatikern seinen Dank und 
schickte den Priestern Jahve's, die er zusammen mit dem 
ganzen königlichen Anhange hingeschlachtet hatte (10, 11), die 
Priester und Verehrer Baals nach. Aus der Weise, wie er sie 
in die Falle lockte (10, 18 ff.), geht hervor, dass niemand bisher 
daran gedacht hatte in ihm den Vorkämpfer Jahve's zu er- 
blicken; offenbar war auch jetzt der Eifer nur ostensibel (10, 15 ff.), 
er kämpfte nicht für eine Idee. Also, das sieht man, der Baal 
ist es nicht gewesen, der das Haus Ahab zu Fall gebracht 
hat, sondern gemeiner Verrat; die Eiferer haben ein recht un- 
heiliges Werkzeug zu ihren Zwecken aufgeboten, von dem sie 
dann selbst als heiliges Mittel zu seinen Zwecken benutzt 
wurden; das Volk zum Sturm gegen den Baal mit fortzureissen 
ist ihnen mit nichten gelungen. Grössere Entrüstung scheint 
die Hinrichtung Naboths hervorgerufen zu haben, ein mora- 
lischer, kein religiöser Frevel. In der Geschichte Elia's selber 
wird zugestanden, dass sein Kampf gegen den Baal trotz des 
Opfersieges auf dem Karmel resultatlos verlaufen und dass erst 
mit jenem Justizmorde eine andere Wendung eingetreten sei. 
Aber nach II 9, 25 ist derselbe doch nicht etwa durch eine all- 
gemeine Erregung, die er hervorrief, so verhängnisvoll ge- 
worden, sondern vielmehr durch den zufälligen Umstand, dass 
Jehu Zeuge des unvergesslichen Auftritts zwischen Ahab und 
Elias war und darum den Propheten zum Vollstrecker der Drohung 
geeignet schien. 

Gewiss ist es richtig, dass diese grandiose Gestalt des Elias 
nicht hätte gezeichnet werden können ohne aus einem ent- 
sprechenden Eindrucke der Wirklichkeit concipiert zu sein. 1 ) Aber 
sie ist zu sehr aus dem historischen Ensemble herausgerissen 
und dadurch in's Kolossale vergrössert. Überhaupt sind in dieser 
Gattung von Erzählungen die Propheten zu stark in den Vorder- 
grund gerückt, als wären sie schon in ihrer Gegenwart die Haupt- 

] ) Auch ist der zeitliche Abstand des Erzählers von den Sachen nicht allzu- 
gross. Er ist Nordisraelit, wie sich aus rnifP^. *)t£'N 19, 3 ergibt und 
aus 19,8 vgl. mit Deut. 1, 2: ein Judäer konnte sich in der Entfernung 
nicht so leicht und nicht so stark vergreifen wenn man freilich auch be- 
denken muss, dass der Horeb für diesen Erzähler schwerlich da lag, wo 
wir seine Lage anzunehmen seit Alters gewohnt sind. Ein Zeichen des 
Alters ist ferner die Unbefangenheit, womit Elias in Israel Baal bekämpft 
und doch im sidonischen Lande aufs freundschaftlichste mit den Baals- 
verehrern verkehrt (Luk. 4, 25 f.). 

20* 



308 • Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

macht der israelitischen Geschichte gewesen, als hätte das was 
sie bewegte auch ihre Zeit beherrscht und ausgefüllt. Das war 
nicht der Fall, für die Zeitgenossen traten sie vor den Königen 
völlig in den Schatten, erst den Späteren wurden sie die Haupt- 
personen. Ihre ideale Bedeutung, wodurch sie mehr auf die Zu- 
kunft als auf die Gegenwart eingewirkt haben, ist ins Reale 
übersetzt worden. In der Zeit Ahabs und Jehu's genossen die 
Nebiim, die sich damals sehr weit ausgebreitet und in eigenen 
Orden organisiert hatten, keiner grossen Achtung; durchschnittlich 
waren es armselige Gesellen, die dem Könige aus der Hand 
assen und in leitenden Kreisen wegwerfend behandelt wurden; 
Arnos von Thekoa, der allerdings einer jüngeren Generation an- 
gehörte, fühlte sich beleidigt mit ihnen zusammengestellt zu wer- 
den. Elias und Elisa ragten nun zwar über ihren Stand hervor; 
aber der erstere, dessen Hände rein geblieben sind, hat wohl 
gelegentlich durch sein kühnes Wort imponiert, thatsächlich aber 
nichts gegen den König ausgerichtet und auch das Volk keines- 
wegs auf seine Seite gezogen; Elisa dagegen hat wohl etwas 
ausgerichtet, jedoch mit lichtscheuen Mitteln, die eher die Schwäche 
als die Macht des Prophetentums in Israel bezeugen. 

4. Fassen wir zum Schluss zusammen, was wir auf un- 
serer eklektischen Wanderung durch die historischen Bücher 
gelernt haben. Was der gewöhnlichen Vorstellung als der spe- 
zifische Charakter der israelitischen Geschichte erscheint und der- 
selben vorzugsweise den Namen der heiligen Geschichte einge- 
tragen hat, beruht zumeist auf nachträglicher Übermalung des 
ursprünglichen Bildes. Schon früh beginnen die verfärbenden 
Einflüsse. Dazu rechne ich nicht das Eindringen sagenhafter 
Elemente, die schon in den ersten Anfängen zu denen wir die 
Tradition zurückverfolgen können nicht fehlen, auch nicht den 
unvermeidlichen Lokalton der mit Tendenz nichts gemein hat. 
Ich denke nur an das gleichförmige Gepräge, welches eine prin- 
cipielle Betrachtungsweise der Geschichte der Überlieferung auf- 
drückt. Da lässt sich nun zuvörderst ein religiöser Einfluss 
wahrnehmen, der sich in den Büchern Samuelis und der Könige 
näher als prophetischer herausstellt. Die Meinung scheint mir 
irrig, dass die Propheten dem hebräischen Volk seine Historie 
überhaupt gegeben haben. Das Lied Jud. 5, allerdings vielleicht 
das älteste geschichtliche Denkmal im Alten Testament, lässt sich 



Richter Samuelis und Könige. * 309 

nicht dafür anführen ; denn selbst wenn es wirklieh von Debora 
gedichtet wäre, so steht doch die Seherin in keinem Zusammen- 
hange mit den Propheten. Am wenigsten werden die Collegien 
der B'ne Nebiim zu Gilgal und an anderen Orten als Pflanz- 
schulen der Tradition zu betrachten sein; die Produkte, die aus 
diesen Kreisen stammen, verraten einen ziemlich beschränkten 
Gesichtskreis (2. Reg. 2, 1-25. 4, 1—6, 23). Die Propheten 
haben die Überlieferung nicht zuerst geformt, sondern sind mit 
ihrer eigentümlichen Beleuchtung hinterdrein gekommen. Ihr 
Interesse für den geschichtlichen Stoff war nicht so gross dass 
sie sich gedrungen fühlten ihn aufzuzeichnen; sie hauchten ihm 
nur nachträglich ihren Geist ein. 

Aber systematisch überprägt ist die Überlieferung erst, seit- 
dem man einen festeren Stempel hatte als die freien Ideen der 
Propheten, seitdem der Wille Gottes schriftlich formuliert war. 
Da ward man allgemein des Widerstreits inne, welcher zwischen 
dem idealen Anfang, den man jetzt herzustellen strebte wie er 
im Buche stand, und der nachfolgenden Entwicklung klaffte. 
Die alten Volksbücher, die harmlos an den verwerflichsten 
Sitten und Einrichtungen vorübergingen, bedurften einer gründ- 
lichen Aptierung nach der mosaischen Form, um sie für die Heue 
Zeit verwertbar, verdaulich und erbaulich zu machen. Nicht 
erst durch die Chronik, im Anfange der griechischen Herrschaft, 
wurden sie demgemäss zusammenhängend überarbeitet, sondern, 
wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, schon im babylonischen 
Exil. Aber in einer etwas anderen Weise. In der Chronik wird 
die Vergangenheit auf Grund des Gesetzes umgedichtet; jeweilige 
Übertretungen kommen vor, aber als Ausnahmen von der Regel. 
In den Büchern der Richter Samuelis und der Könige wird 
die Thatsache des radikalen Abstandes der alten Praxis vom 
Gesetz im ganzen nicht in Abrede gestellt. In einzelnen Fällen 
zwar wird die Vergangenheit auch hier auf Grund des Ideals 
umgedichtet, in der Regel aber doch nur verurteilt. Das ist der 
eine Unterschied; ein anderer kommt hinzu, der ungleich wich- 
tiger ist. In der Chronik ist es der Pentateuch, d. h. vor Allem 
der Priestercodex, nach dessen Muster die Geschichte des 
alten Israels dargestellt wird. In der Quelle der Chronik, in 
'den älteren historischen Büchern, geht die Bearbeitung nicht 
vom Priestercodex aus, der ihr vielmehr vollkommen unbekannt > 



310 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

ist, sondern vom Deute ronomi um. Die Geschichte der Tra- 
dition führt also, was die Reihenfolge der beiden grossen Ge- 
setzeskörper betrifft, zu dem gleichen Ergebnis wie die Geschichte 
des Cultus. 



Achtes Kapitel. 
Die Erzählung des Hexateuchs. 

In den geschichtlichen Büchern ist die Form , in der die 
Tradition weiter gebildet worden ist, die Ergänzung und Über- 
arbeitung; doppelte Relationen kommen zwar hier und da vor, 
aber nicht grosse parallele Zusammenhänge neben einander. Im 
Hexateuch haben zwar auch Ergänzungen und Nachtragungen im 
umfangreichsten Masse stattgefunden, aber vorzugsweise bedeu- 
tend ist hier, dass fortlaufende Erzählungsfäden, die für sich selbst 
verstanden werden können und müssen, zu einer doppelten und 
dreifachen Schnur zusammengeflochten sind. Man ist nun wenn 
auch nicht grundsätzlich so doch thatsächlich geneigt, die for- 
melle Selbständigkeit dieser s. g. Quellenschriften des Hexateuchs 
so zu deuten, als seien dieselben auch materiell unabhängig und 
beziehungslos gegen einander. Dies ist nun von vornherein sehr 
unwahrscheinlich. Wenn selbst bei den Propheten, die doch ihr 
Wort von dem Herrn empfangen hatten, der Nachfolger den 
Vorgänger kennt und auf ihm fusst, wie viel mehr muss dies 
bei Erzählern der Fall sein, die es ausdrücklich mit der Über- 
lieferung zu thun haben. Mit der mechanischen Zerlegung hat 
die Kritik ihr Werk nicht gethan, sie muss darauf hinaus, die 
ermittelten Einzelschriften in gegenseitige Beziehung zu setzen, sie 
als Phasen eines lebendigen Processes begreiflich und auf diese 
Weise eine stufenmässige Entwickelung der Tradition verfolgbar 
zu machen. 

Um so dringender liegt diese Aufgabe vor, je auffallender 
.die Einzelschriften nicht bloss im Stoffe, sondern auch in der 



Die Erzählung des Hexateuchs. 311 

Anordnung der Erzählungen übereinstimmen. Keine Ursage hat 
bekanntlich einen so geschlossenen Zusammenhang wie die 
biblische, so dass es in der That kein Wunder ist, dass sie der 
Eahmen für viele anderen wurde und sie verfärbte. Dieser Zu- 
sammenhang aber ist in allen Hauptztigen den Quellen gemein- 
sam. Der Priestercodex läuft in seinem historischen Faden dem 
jehovistischen Geschichtsbuche durchaus parallel. Nur dadurch 
ist es möglich gewesen, diese beiden Schriften so ineinander zu 
schieben, wie sie uns gegenwärtig im Pentateuche vorliegen. 
Dass es dabei nicht ohne alle Eingriffe abgegangen ist, ist we- 
niger zu verwundern, als dass sich dieselben in so engen Grenzen 
halten und insbesondere die Anlage der beiden Schriften fast 
ganz unangetastet lassen. Das begreift sich nur aus der weit- 
gehenden Uebereinstimmung derselben in diesem Punkte. Wo 
es sich nun nicht um Geschichte, sondern um Sagen über die 
Vorgeschichte handelt, da kann die Anordnung des Stoffes nicht* 
mit dem Stoffe selber gegeben sein, sondern muss auf dem Plane 
eines Darstellers beruhen; haftet ja doch selbst die Architek- 
tonik der Geschlechterfolge, welche das Gerüst der Genesis 
bildet, nicht etwa an den verwendeten Elementen. Aus dem 
Volksmunde stammen bloss die losen und nur ganz ungefähr auf 
einander bezogenen Erzählungen; ihre Verbindung zu einer festen 
Einheit ist das Werk dichterischer oder schriftstellerischer For- 
mung. Die Übereinstimmung der Quellen im Plane der Erzäh- 
lung ist also nicht selbstverständlich, sondern höchst auffallend 
und nur aus literarischer Abhängigkeit zu erklären. Die Frage, 
wie das Abhängigkeitsverhältnis zu bestimmen ist, drängt sich 
darum weit stärker auf, als wie man gemeiniglich annimmt. 1 ) 

x ) Die Übereinstimmung erstreckt sich auch weiter in's Einzelne, bis auf 
die Ausdrücke. Von mabbul (Sündflut) und theba (Arche) sehe ich 
ab, aber folgende Beispiele haben mich frappiert. In Q Gen. 6, 9 heisst 
Noah gerecht in seinen Geschlechtern, in JE 7, 1 gerecht in 
seinem Geschlechte — keine gewöhnliche Redeweise, die den Rabbi- 
nern und Hieronymus viel Kopfzerbrechens verursacht. Ebenso Q Gen. 
17, 21: der Sohn den dir Sara gebiert um diese Frist im künf- 
tigen Jahr und JE 18,14: zur selben Frist will ich nächstes 
Jahr wieder zu dir kommen und dann hat Sara einen Sohn. 
Desgleichen Q Exod. 6, 12. 7. 1: (Mose) ich bin unbeschnittener 
Lippen, (Jahve) siehe ich mache dich zum Gott für Pharao 
und dein Bruder Aharon soll dein Prophet sein verglichen mit 
JE 4, 10. 16: (Mose) ich bin schweren Mundes und schwerer 
Zunge, (Jahve) Aharon soll dir als Mund dienen und du sollst 
ihm für Gott sein. Vgl. Gen. 27, 46 mit 25, 22. 



312 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Es ist indessen hier nicht der Ort, eine Geschichte der Eitt- 
wiekelung der israelitischen Sage zu versuchen. Es soll viel- 
mehr nur der Grund dazu gelegt werden durch eine Vergleichung 
der Erzählung des Priestercodex mit der jehovistischen, wobei 
sich herausstellen wird, dass Buttmann (Mythologus I S. 122 ff.) 
gegen de Wette (Beiträge II) Recht hat mit der Behauptung, 
dass die jehovistische Gestalt der Sage die ursprünglichere 

sei. *) 

I. 

1. Mit dem Berichte des Priestercodex über die Welt- 
schöpfung beginnt die Bibel. Im Anfang ist das Chaos; Dunkel, 
Wasner, brütender Geist, der lebenzeugend die tote Masse be- 
fruchtet. Der Urstoff enthält unterschiedslos alle Einzelwesen 
in sich, aus ihm geht stufenweise die geordnete Welt hervor, 
und zwar durch Entmischung, durch Ausscheidung zunächst der 
grossen Elemente. Das chaotische Urdunkel weicht dem Gegen- 
satze von Licht und Finsternis, das Urwasser wird durch das 
Himmelsgewölbe geteilt in das himmlische, woraus die unseren 
Blicken entzogene Welt jenseit des Firmaments concresciert, und 
in das irdische; dies letztere endlich wird aus schlammiger 
Mischung zu Meer und Land geschieden, worauf alsbald das 
Land sein grünes Kleid anzieht. Die so entstandenen Elemente, 
Licht Himmel Wasser Land, werden darauf, etwa in der Ordnung 
wie sie geschaffen sind, mit Einzelwesen belebt; dem Licht ent- 
sprechen die Leuchten der Gestirne, dem Wasser die Fische, dem 
Himmel die Vögel des Himmels, dem Lande die übrigen Tiere. 
Der letzte Schöpfungsakt wird bedeutungsvoll hervorgehoben. 
„Und Gott sprach: lasset uns Menschen machen nach unserem 
Ebenbild, dass sie herrschen über die Fische des Meeres und 
die Vogel des Himmels und über das Vieh und alles Getier der 
Erde und alles Gekreuch, das auf Erden kriecht. Da schuf 
Gott den Menschen nach seinem Bilde, nach Gottes Bilde schuf 
er ihn, und er schuf sie männlich und weiblich. Und Gott seg- 
nete sie und sprach: seid fruchtbar und mehret euch und füllet 
die Erde und machet sie euch unterthan, und herrschet über die 
Fische des Meeres und die Vögel des Himmels und alles Getier 

*) Auf Buttnianns Spur ist erst Th. Nö'ldeke wieder zurückgekommen in 
seiner Abhandlung über die Grundschrift des Pentateuchs, worin er für 
die richtige Würdigung ihres erzählenden- Teiles Bahn gebrochen hat. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 313 

das auf Erden wimmelt. Und Gott sprach: siehe ich gebe euch 
alle samentragenden Gräser auf der ganzen Erde und alle Bäume 
mit Samenfrtiehten , dass sie euch zur Nahrung dienen; allen 
Tieren der Erde aber und allen Vögeln des Himmels und allem 
Gekreuch auf Erden, worin eine lebendige Seele ist, gebe ich 
das grüne Kraut zur Nahrung." So ward Himmel und Erde ge- 
schaffen und all ihr Heer, und Gott vollendete sein Werk am 
siebenten Tage und segnete den siebenten Tag und heiligte ihn 
(Gen. 1, 1-2, 4 a ). 

Es geht die Eede, diese Erzählung verfolge nur fromme 
Zwecke. Gewiss verleugnet sich der Israelit darin nicht; der 
religiöse Geist womit sie durchdrungen ist tritt sogar gelegent- 
lich in Widerspruch zu der Natur ihres Stoffs. Das Chaos ist 
seinem Begriffe nach die unerschaflfene Materie, es ist ein merk- 
würdiger Gedanke, dass es hier im Anfang von Gott geschaffen 
wird. Vom Geist bebrütet ist es ferner angelegt auf Entwicke- 
lung aus sich heraus, und darin dass die Schöpfung überall als 
Scheidung des im Chaos schon gemischt Vorhandenen dargestellt 
wird, verrät sich noch jetzt die ursprüngliche Anlage; doch in 
der hebräischen Erzählung ist der immanente Geist dem trans- 
cendenten Gott gewichen und das Evolutionsprincip zurückge- 
drängt durch das befehlende Schöpferwort. Dennoch ist das 
Interesse des Erzählers nicht hauptsächlich ein religiöses. Hätte 
er bloss sagen wollen, Gott habe die Welt aus Nichts geschaffen 
und er habe sie gut geschaffen, so hätte er das einfacher aus- 
drücken können und zugleich deutlicher. Er will ohne Zweifel 
den thatsächlichen Hergang der Entstehung der Welt naturgetreu 
schildern, er will eine kosmogonische Theorie geben. Wer das 
leugnet, verwechselt den Wert der Geschichte für uns und die 
Absicht des Schriftstellers. Während unsere religiösen Vor- 
stellungen den seinigen conform sind oder conform zu sein 
scheinen, haben wir über das Werden der Welt andere Begriffe, 
weil wir über die Welt selber andere Begriffe haben, im Himmel 
kein Gewölbe, in den Sternen keine Leuchten und in der Erde 
nicht das Fundament des Alls erblicken. Aber das darf uns 
nicht abhalten, das theoretische Streben des Verfassers von 
Gen. 1 anzuerkennen. Er sucht die Dinge so wie sie jetzt sind 
aus einander abzuleiten; er fragt sich, wie sie wohl allmählich 
aus dem Urstoff hervorgegangen sein mögen, und hat dabei 



314 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

überall nicht eine mythische Welt, sondern die gegenwärtige 
gewöhnliche vor Augen. 

Die blasse Farbe, welche ähnlichen Erzeugnissen der ältesten 
nicht mythischen Naturerklärung eigen zu sein pflegt, ist auch 
für Gen. 1 charakteristisch. Zwar ist man gewohnt, dies erste 
Blatt der Bibel in all dem Zauber zu sehen, den die Vereini- 
gung hohen Altertums gediegenen Inhalts und kindlicher Form 
zu geben vermag. Es wäre vergeblich, die erhabene Ruhe und 
die einförmige Grösse zu leugnen, die der Erzählung ihren Typus 
gibt. Unvergleichlich vor allem ist der Anfang: „die Welt w,ar 
ein wüster Wirrwarr und Finsternis lag auf der Flut und der 
Geist Gottes brütete auf dem Wasser, da sprach Gott: werde 
Licht! und es ward Licht 44 . Nimmt man aber das Chaos als 
gegeben, so ist von hier aus das Ganze entsponnen; alles Fol- 
gende ist Reflexion, systematische Construction, der man mit 
leichter Mühe nachrechnen kann. Es sind sehr einfache Erwä- 
gungen, welche dazu führen, erst das Grosse und dann das 
Kleine, erst das Fundament und dann das darauf Befindliche 
entstehen zu lassen, das Wasser vor den Fischen, den Himmel 
vor den Vögeln des Himmels, das Land und die Pflanzen vor 
den Tieren. Die Anordnung der zu erklärenden Dinge gilt hier 
für die Erklärung selbst, über eine vom Einfachen zum Ent- 
wickelten fortschreitende Reihenfolge kommt es nicht hinaus, 
kein Versuch der Phantasie, den Hergang näher zu beschreiben, 
tiberall bedächtige Überlegung, die sich scheut über das Allge- 
meinste hinauszugehen. Es wird eigentlich bloss das Fachwerk 
der Schöpfung gegeben, das aber unausgefüllt bleibt. Daher 
auch die Form des Ganzen, die durch ein Referat nicht wieder- 
zugeben ist; das Schema überwuchert den Inhalt, statt anschau- 
licher Schilderungen bekommen wir logische Definitionen zu 
hören. Es ist die stufenmässige Ordnung in der Ausscheidung der 
Einzeldinge aus dem Chaos, womit hier das Erwachen einer „natür- 
lichen 44 Betrachtung der Natur und eines verständigen Nachden- 
kens über sie sich ankündigt, ebenso wie in den Versuchen des 
Thaies und seiner Nachfolger, die auch als Anfänge der Theorie 
und eines objectiven Interesses für die Dinge der Aussen weit 
merkwürdig sind, sonst aber nicht eben Begeisterung erregen. J ) 

l ) „Es ist eigentlich gar nichts da das den Namen der Erfindung verdiente 
# als die Zeitfolge der einzelnen Schöpfungen." Buttmann a. 0, S. 133. 



Die Erzählung des Hexateuchs. * 315 

Den ersten Satz des jehovistisehen Berichtes über den An- 
fang der Weltgeschichte hat der Redaktor abgeschnitten. [Es 
war Alles trockene Wüste], als Jahve die Erde bildete, es gab 
noch kein Gewächs auf dem Felde und nirgends spross das 
Grün, denn Jahve hatte noch nicht regnen lassen auf diB Erde 
und kein Mensch war da den Acker zu bauen. Ein Nebel (?) 
aber entstieg dem Boden, der tränkte die Fläche des Ackers. 
Und Jahve bildete den Menschen aus Staube vom Acker und 
hauchte ihm Lebensodem in die Nase. Dann pflanzte er einen 
Garten im Lande Eden fern im Osten, an der Stelle, wo die 
vier Hauptflüsse der Erde aus gemeinsamem Ursprünge sich 
teilen; da wachsen unter anderen schönen Bäumen der Baum 
des Lebens und der Erkenntnis. In diesen Garten setzte Jahve 
den Menschen, ihn zu bauen und zu pflegen und zu essen von 
allen Bäumen: nur die Frucht des Baumes der Erkenntnis ver- 
bot er ihm. Mutterseelenallein aber ist der Mensch in seinem 
Garten, er muss Gesellschaft haben die für ihn passt. Also 
bildet Jahve jetzt erst die Tiere, ob der Mensch vielleicht mit 
ihnen verkehren und sich befreunden könne. Er führt sie ihm 
nach einander vor, zu sehen, welchen Eindruck sie machen, wie 
der Mensch sie nennen würde. Er nennt sie beim rechten Na- 
men, Ochs Esel Bär, gibt also der Empfindung Ausdruck, dass 
er nichts Verwandtes finde, und Jahve muss anderen Rat schaffen. 
Da bildet er das Weib aus der Rippe des schlafenden Mannes 
und lässt ihn erwachen. Der vergeblichen Experimente mit den 
Tieren wie überdrüssig ruft der Mensch nun entzückt beim An- 
blick des Weibes aus: das ist doch einmal Fleisch von meinem 
Fleisch und Bein von meinem Bein, die kann man Männin 
heissen. — Damit ist der Schauplatz gemalt, die auftretenden 
Personen eingeführt, eine Handlung insgeheim vorbereitet: nun 
spielt sich die Tragödie ab, die mit der Vertreibung des Men- 
schen aus dem Garten endigt. Von der Schlange verführt streckt 
der Mensch die Hand aus nach dem verbotenen Gute um zu 
werden wie Gott, und isst vom Baume der Erkenntnis. Der 
Anfang der Bekleidung, die erste Stufe der Civilisation, ist die 
nächste Folge davon; traurigere schliessen sich alsbald an. Am 
Abend hören der Mensch und sein Weib Jahve im Garten sich 
ergehen, sie verstecken sich vor ihm und verraten sich eben da- 
durch. An Leugnung der That ist nicht mehr zu denken, und 



316 Geschichte der Tradition, Eap. 8. 

indem jeder die Schuld auf den anderen wälzt, geben sieh die 
Beteiligten nach einander selber an. Der Riehterspruch be- 
schliesst die Untersuchung. Die Schlange soll auf dem Bauche 
kriechen, Staub fressen, und im ungleichen Kampfe mit dem 
Menschen zu Grunde gehen. Das Weib soll mit Schmerzen viele 
Kinder gebären und nach dem Manne sich sehnen, der doch ihr 
Tyrann sein wird. Der Hauptfluch trifft den Menschen d. h. den 
Mann. „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Qual sollst 
du dieh davon nähren dein Lebetag. Dorn und Distel wird er 
dir tragen und sollst das Gras des Feldes essen, bis du zum 
Acker zurückkehrst, davon du hergenommen bist; denn Staub 
bist du und Staub wirst du wieder. 44 Nachdem so das Urteil 
gesprochen, bereitet Jahve die Menschen für ihre künftigen Le- 
bensverhältnisse dadurch vor, dass er ihnen Röcke aus Fellen 
macht .und anzieht. „Siehe — wendet er sich dann ah seine 
himmlische Umgebung — , siehe der Mensch ist geworden wie 
unser ein zu erkennen Gut und Böse: nun dass er seine Hand 
nicht ausstrecke und nehme auch vom Baume des Lebens und 
esse und lebe ewiglich. 44 Mit diesen Worten vertreibt er den 
Menschen aus dem Paradiese und lagert davor die Cherube und 
das flammende Wandelschwert, zu bewahren den Weg zum Baum 
des Lebens (Gen. 2, 4 b — 3, 24). 

Die schwermütigste Betrachtung des Lebens, wie es gegen- 
wärtig ist, liegt dieser Erzählung zu Grunde. Eitel Not und Ar- 
beit, ein Frondienst sind des Menschen Tage, aussichtsloser Fron- 
dienst, denn der Lohn ist, dass man wieder zur Erde wird, davon 
man hergenommen. An ein Leben nach dem Tode kein Gedanke; 
als eine verscherzte Möglichkeit gilt das Leben ohne Tod — 
jetzt wehrt der Cherub den Zugang zum Baume des Lebens, 
von dem der Mensch im Paradies hätte essen können aber nicht 
gegessen hat. Dies gegenwärtige öde Erdenlos ist das eigent- 
liche Problem der Erzählung. Es wird empfunden als klaffen- 
der Widerspruch gegen unsere wahre Bestimmung, es kann nicht 
das Ursprüngliche sein. Es ist vielmehr Verkehrung des Ur- 
sprünglichen, die Strafe einer uralten Schuld lastet darin auf uns 
allen. Zuerst führte der Mensch im vertrauten Umgange mit Jahve 
ein glückliches und menschenwürdiges Dasein im Paradiese: 
das verbotene Streben nach der Erkenntnis von Gut und Böse 
bat ihn daraus vertrieben und all das Elend über ihn gebracht. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 317 

Was ist die Erkenntnis von Gut und Böse? Die Ausleger 
sagen, es sei das Vermögen der sittlichen Unterscheidung, also 
das Gewissen. Demgemäss nehmen sie an, der Mensch im Para- 
diese sei moralisch indifferent gewesen, in einem Zustande, der 
ein bewusstes Handeln ausschloss und weder gut noch böse zu 
nennen war. Da nun ein solcher Zustand kein Ideal ist, so 
finden die einen, durch den Sündenfall sei mehr gewonnen als 
verloren, und die anderen gestehen, es könne nicht die göttliche 
Absicht gewesen sein, den Menschen immfcr auf dieser Stufe kind- 
licher Unzurechnungsfähigkeit zurückzuhalten, und auch der Er- 
zähler könne das nicht meinen. 

Aber es ist deutlich, der Erzähler redet nicht von relativem 
sondern von absolutem Verbot der Erkenntnis; er meint sie stehe 
nur Gott zu, und wenn der Mensch die Hand darnach ausstrecke, 
so überschreite er seine Schranken und wolle werden wie Gott. 
Auf der anderen Seite kann er allerdings nicht meinen, das Ge- 
wissen sei ein sehr zweifelhaftes Gut, dessen Besitz zu beklagen, 
sei etwas, was Gott dem Menschen eigentlich versagt und nur 
sich selber vorbehalten habe. Die Erkenntnis kann nicht die 
sittliche sein. Was soll es heissen, dass Gott allein den Unter- 
schied zwischen Gut und Böse kennen und den Menschen dies 
Wissen versagen will? Dürfte man doch meinen, das Gewissen 
sei eher etwas spezifisch Menschliches. Was soll es ferner 
heissen, dass Adam und Eva so neugierig sind zu erfahren was 
Sünde und Tugend sei? Darauf ist niemand neugierig und nie 
entsteht die Sünde auf dem Wege des ethischen Experiments, 
dadurch, dass man gerne wissen möchte was sie eigentlich sei. 
Offenbar wird #och auch vorausgesetzt, dass die Menschen im 
Paradiese wussten, dass der Gehorsam gegen Jahve gut, der 
Ungehorsam böse sei. Es widerspricht endlich der gemeinsamen 
Tradition aller Völker, sich den ersten Menschen als eine Art 
Tier vorzustellen; nur hinsichtlich der äusseren Cultur wird er 
unentwickelt gedacht. Vielmehr die Erkenntnis, die hier ver- 
boten ist, ist die eigentliche, die allgemeine Erkenntnis, das 
Klug werden wie es hinterdrein genannt wird. Das ist's, was 
nach des Verfassers Meinung über die Schranken unserer Natur 
hinausgeht: das Geheimnis der Dinge ] das Geheimnis der Welt 
zu ergründen, Gott gleichsam in die Karten zu gucken, wie er 
es bei seinem lebendigen Wirken anfängt, um es etwa ihm ab- 



318 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

zusehen und nachzumachen. Denn Wissen ist der alten Welt 
zugleich auch Können, keine blosse Metaphysik. Dieses Er- 
kennen im höchsten Sinne steht nur Gott zu, der im schöpfe- 
rischen Mittelpunkt der Dinge stehend das Ganze durchdringt 
und überschaut, und ist dem Menschen, der sich am Einzelnen 
abquält, verschlossen. Und dennoch hat das verbotene Gut den 
grössten Reiz für ihn, er brennt darauf es zu erlangen, und statt 
in Vertrauen und Ehrfurcht zu resignieren, versucht er das ihm 
neidisch vorenthaltene *Kleinod zu rauben und dadurch Gott 
gleich zu werden — sich zum Schaden. 

Diese Erklärung ist nicht neu, es ist die alte und populäre, 
darum auch von Goethe im Faust befolgte. Ein Einwand freilich 
erhebt sich dagegen: es steht doch da nicht bloss die Erkenntnis, 
sondern die Erkenntnis von Gut und Böse? Aber im Hebräischen 
bedeutet Gut und Böse zunächst immer nur heilsam und schädlich; 
auf Tugend und Sünde werden die Ausdrücke nur übertragen, so- 
fern deren Wirkung frommt oder schadet. Mit Gut und Böse, wie 
es in Gen. 2. 3 gemeint ist, ist keine Entgegensetzung der Hand- 
lungen nach ihren sittlichen Unterschieden beabsichtigt, sondern 
eine Zusammenfassung der Dinge nach ihren zwei polaren Eigen- 
schaften, wonach sie den Menschen interessieren, ihm nützen 
oder schaden: denn, wie gesagt, nicht was die Dinge metaphy- 
sisch sind, sondern wozu sie gut sind, will er wissen. l ) Neben 
dem ausführlichen Ausdruck kommt übrigens auch der einfache 
vor, Erkenntnis schlechthin (3, 6), und zu beachten ist noch das, 
dass es nicht heisst: erkennen das Gute und das Böse, sondern: 
erkennen Gutes und Böses. 

Wir müssen nun aber weiter diese Erkenntnis nicht indivi- 
duell, sondern geschichtlich auffassen; es ist das gemeint, was 
wir Kultur zu nennen pflegen. Wie das Menschengeschlecht in 
der Kultur vorwärts schreitet , schreitet es in der Gottesfurcht 
rückwärts. Die erste Stufe der Civilisation ist die Bekleidung; 
hier ist sie die nächste Folge des Sündenfalls. Unsere Erzählung 
setzt sich fort in Kap. 4: Adams Söhne fangen an Städte zu 
gründen, Jubal ist der erste Musiker, Kain erfindet die älteste 
und die wichtigste Kunst x das Schmieden — das Schwert ent- 
steht dadurch und die blutige Rache. Weiter schliesst sich in 

J ) Sur/20, 91. Hudh. 228, 10 (cod. Lugd. fol. 160r). Hamasa 292, 8. 9. 
Tabari I 847, 18. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 319 

der gleichen Richtung die Geschichte von der Stadt und dem 
Turme zu Babel an, worin die Gründung der grossen Weltreiche 
und Weltstädte vorgeführt wird, die die Menschenkraft zusammen- 
fassen und damit bis zum Himmel vordringen wollen. In dem 
allen entwickelt sich die Emancipation des Menschen weiter, mit 
der steigenden Civilisation steigt die Entfremdung von dem höch- 
sten Gute; und — das ist offenbar die stillschweigende Mei- 
nung — zum Ziel gelangt der unruhige Fortschritt doch nicht, 
es ist eine Sisyphusarbeit, der ewig unvollendete babylonische 
Turm ist das richtige Symbol dafür. Es ist das sehnsüchtige 
Lied, das durch alle Völker geht. Zu geschichtlicher Kultur 
gelangt empfinden sie den Wert der Güter, die sie dagegen auf- 
geopfert. 1 ) 

Es war nötig so ausführlich den Begriff der Erkenntnis zu 
erörtern, weil das Misverständnis def Philosophen und Theo- 
logen einen Schein des Modernen über unsere Geschichte ge- 
worfen hat, welcher auf das Urteil über ihr relatives Alter nicht 
ohne Einfluss gewesen ist. Nachdem zunächst dieser Schein be- 
seitigt ist, wenden wir uns denjenigen Zügen von Gen. 2. 3 zu, 
welche positiv bei der Bestimmung des Verhältnisses zu Gen. 1 
in die Wagschale fallen. 

Was man von Gen. 1 mit Unrecht behauptet hat, das 
ist wahr von Gen. 2. 3; die jehovistische Erzählung glänzt in 
der That durch das Abwesen jegliches rationellen Erklärungs- 
strebens, durch die Verachtung jeglicher kosmologischen Spe- 
kulation. Die Erde wird zu Anfang nicht feucht und bildsam, 
sondern (wie lob. 38, 8) hart und trocken gedacht; es muss erst 
regnen, damit die Wüste in eine grüne Wiese verwandelt wird, 
wie noch jetzt alle Jahr durch die Frühlingsschauer; der Acker be- 
darf obendrein der Bestellung durch den Menschen) damit die 
Saat spriesst. Auf eine natürliche Reihenfolge der Akte wird 
gar nicht Bedacht genommen ; das bedürftigste Wesen, der Mann, 
entsteht zuerst und sieht sich auf die kahle Welt angewiesen, 
ohne Baum und Strauch, ohne Tiere, ohne das Weib. Unver- 
holen ist der Mensch der ausschliessliche Gegenstand des Inter- 
esses, die übrigen Wesen werden erklärt durch ihre Bedeutung 
für ihn, als ob sie nur darin ihr Existenzrecht besässen. Die 
Idee erklärt den Stoff, nach der mechanischen Möglichkeit wird 

*) Dillmann findet diesen Gedanken schal, Genesis (1882) S. 44. 



320 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

man nicht versucht zu fragen. Es ist der Abgrund der Ge- 
schmacklosigkeit, wenn dieser oder jener Gelehrte wegen Gen. 
2,21 seine Rippen nachzählt, oder auch schliesst , der ursprüng- 
liche Mensch sei Mann und Weib zusammen gewesen. 

Stehen wir bei dem ersten Bericht in den Anfängen nüch- 
ternen Nachdenkens über die Natur, so bei dem zweiten auf 
dem wunderbaren Boden des Mythus. Woher zu jenem der 
Stoff kam, fragen wir nicht; die allgemeine Betrachtung der 
Dinge selber hat ihn geliefert. Aber zu diesem hat nicht die 
Reflexion den Stoff gegeben — wenigstens so weit die Natur- 
ansicht in Frage kommt, um die es sich uns hier zunächst han- 
delt — sondern die farbenreiche Überlieferung der alten V.Order- 
asiatischen Welt. Wir befinden uns hier in dem Zaubergarten 
der Vorstellungen des echten Altertums, der frische antike Erd- 
geruch weht uns entgegen. Die Hebräer atmeten in der Luft 
die sie umgab; was sie sich am Jordan erzählten vom Lande 
Eden und vom Sündenfall, * das erzählte man sich ganz ähnlich 
am Euphrat und Tigris, am Oxus und Arius. Das wahre Land 
der Erde, wo die Gottheit wohnt, das ist Eden. Es ist nicht 
etwa nach dem Sündenfall entrückt, sondern noch heute vor- 
handen; warum wären sonst die Cherube nötig den Eingang zu 
wahren? Es sind wirkliche Flüsse, die von dort ausgehen, dem 
Erzähler nach den Ländern, durch die sie fliessen, nach den Pro- 
dukten, die von dort kommen, sämtlich wohlbekannt, drei 
davon auch uns nicht fremd, der Nil der Euphrat und der 
Tigris. Wtissten wir, wie der Verfasser sich den Lauf der vier 
Flüsse denkt, so wäre es leicht zu sagen, wo ihr gemeinschaft- 
licher Ursprung ist, wo also das Paradies liegt. Ähnlich be- 
stimmen andere alte Völker die Lage ihres heiligen Landes; die 
Ströme heissen bei ihnen anders, aber die Namen thun nichts 
zur Sache. Auch an die beiden Wunderbäume im Garten zu 
Eden finden sich vielfache Anklänge, bis hinein in die germa- 
nische Mythologie. Ebenso ist der Glaube an die Cherube die 
das Paradies hüten, weit verbreitet. Krub ist vielleicht der 
selbe Name und gewiss die selbe Vorstellung wie Gry p im Grie- 
chischen und Greif im Deutschen; tiberall sind diese wunderbar 
aus Löwe Adler und Mensch zusammengesetzten Wesen Wächter 
des Göttlichen und des Heiligen, dann auch des Goldes und der 
Schätze. Ein wenig von seiner ursprünglichen Farbe scheint 



Die Erzählung des Hexateuchs. 321 

allerdings der Stoff unserer Erzählung unter dem Einfluss des 
Monotheismus eingebüsst zu haben. Das hebräische Volk er- 
zählte wohl nicht bloss vom Baume des Lebens, sondern nach 
der Ortsbestimmung in der Mitte des Gartens scheint es, er 
habe am Ausgangspunkt der vier Ströme gestanden, an der 
Quelle des Lebens, die im Glauben des Orients so grosse Be- 
deutung hatte und die zu suchen Alexander auszog. Gewiss 
war ferner das Paradies ursprünglich nicht für den Menschen 
gepflanzt, sondern es war die Wohnung der Gottheit selbst. 
Spuren davon sind noch erkennbar. Jahve fährt hier nicht vom 
Himmel hernieder, sondern lustwandelt Abends im Garten als 
ob er da zu Hause wäre: im Ganzen ist aber doch der Gottes- 
garten etwas naturalisiert. Eine ähnliche Abschwächung des 
Mythischen hat bei der Schlange stattgefunden ; man merkt nicht 
mehr recht, dass sie ein Dämon ist. Doch ist durch die Ab- 
streifung des Fremdartigen an Gehalt nichts verloren, an edler 
Einfalt nur gewonnen. Der mythische Hintergrund gibt der Er- 
zählung ihren leuchtenden Schimmer, wir fühlen uns in der gol- 
denen Zeit, wo noch der Himmel auf Erden war: dabei ist doch 
der unverständliche Zauber gemieden und nirgends die Grenze 
eines keuschen Helldunkels überschritten. 

Bekanntlich hat das Sechstagewerk grundlegende Bedeutung 
für die Entwickelung der Kosmologie und der Geologie gehabt. 
Es ist kein Zufall, dass die Naturwissenschaft nicht an Gen. 2. 
und 3 angeknüpft hat: Natur gibt es da kaum. Aber die Poesie hat 
es zu allen Zeiten mit der Geschichte vom Paradiese gehalten. 
Ob nun in der Betrachtung der Welt die mythische Poesie oder 
die verständige Prosa älter sei, braucht nicht mehr gefragt und 
nicht mehr entschieden zu werden. 

Mit den aufgeklärten Vorstellungen über die Natur, die. wir 
in Gen. 1 antreffen, hängt der „geläuterte" Gottesbegriff eng zu- 
sammen. Das Wichtigste ist, dass es hier ein eigenes Wort 
gibt, um lediglich die göttliche Schöpferthätigkeit zu bezeichnen 
und sie dadurch aus der Ähnlichkeit menschlichen Thuns und 
Bilctens herauszuheben, ein Wort, das in so exclusiver Bedeutung 
weder im Griechischen, noch im Lateinischen oder im Deutschen 
wiederzugeben ist. In einem jugendlichen Volke ist eine solche 
theologische Abstraction unerhört, wir finden denn auch bei den 
Hebräern Wort und Begriff erst seit dem babylonischen Exil 

Wellhaus en, Prolegomena. * 21 



322 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

mehr und mehr gebräuchlich werden: parallel mit der Hervor- 
hebung der Schöpferallmacht Jahve's in Bezug auf die Natur, 
die beinah plötzlich in der exilischen Literatur auftritt, im Buche 
lob einen grossen Raum einnimmt und in Isa. 40—66 vielfach 
in lyrischen Intermezzi eingestreut wird. In Gen. 2. 3 ist nicht 
die Natur, sondern der Mensch der Anfang der Welt und der 
Geschichte; ob da überhaupt eine Schöpfung aus Nichts ange- 
nommen wird, ist eine Frage, deren Bejahung nur wegen der 
Verstümmelung des Anfangs (vor 2, 4 b ) nicht ganz unmöglich 
ist. Jedenfalls regt hier nicht der Befehl des Schöpfers die Dinge 
an, dass sie sich aus dem allgemeinen Chaos zu besonderen 
Arten entwickeln, sondern Jahve legt überall selber Hand an 
und setzt dabei das Bestehen der Welt irn grossen und ganzen 
voraus. Er pflanzt und wässert den Garten, er formt den Men- 
schen und haucht ihm den Atem in die Nase, er baut das Weib 
aus des Mannes Rippe, nachdem er vorher in dem Streben ihm 
Gesellschaft zu verschaffen nicht das Rechte getroffen : die Tiere 
sind lebendige Zeugen seiner mislungenen Experimente. Auch 
sonst verfährt er wie ein Mensch. Er geht Abends wie es kühl 
wird im Garten spazieren, dabei entdeckt er zufällig die Über- 
tretung und führt eine Untersuchung, in welcher er von seiner 
Allwissenheit nicht den mindesten Gebrauch macht. Und wenn 
er sagt: „siehe der Mensch ist geworden wie unser ein zu er- . 
kennen Gut und Böse: und nun — dass er seine Hand nicht 
ausstrecke und nehme auch vom Baume des Lebens und esse 
und lebe ewiglich", so ist das eben so wenig Ironie als wenn 
er in Anlass des Baues von Babel äussert: „siehe ein Volk und 
alle haben sie eine Sprache, und dies ist nur der Anfang ihres 
Thuns, und nun — es wird ihnen nichts zu schwer sein was sie 
sich unterfangen; auf lasst uns herniederfahren und ihre Sprache 
verwirren!" Dass mit alle dem gleichwohl der Majestät Jahve's 
nichts vergeben wird, ist das Geheimnis des Geistes. Wie würde 
sich der blasse Gott der Abstraction hier ausnehmen! 

Was endlich den Mikrokosmus betrifft, so spiegelt sich in 
dessen Auffassung der allgemeine Unterschied wider. In Kap. 1 
wird dem Menschen von Anfang an der Boden zugewiesen auf 
dem er sich noch gegenwärtig bewegt: „füllet die Erde und 
machet sie euch unterthan" — die Aufgabe ist eine völlig na- 
türliche. In Kap. 2. 3 wird er in's Paradies gesetzt und hat 



Die Erzählung des Hexateuchs. 323 

darin, vom Mutterschoss der Gottheit gleichsam noch umfangen, 
einen sehr beschränkten Wirkungskreis — seine gegenwärtigen 
Lebensverhältnisse, die Feldarbeit des Mannes, das Kindergebären 
des Weibes, entsprechen nicht seiner ursprünglichen Bestimmung, 
sind kein Segen, sondern ein Fluch. In der jehovistischen Er- 
zählung ist der Mensch sich selbst so wunderbar wie die Aussen- 
welt, in der anderen ist er sich selbst so alltäglich wie jene. 
Dort sieht er staunenswerte Geheimnisse in der Geschlechtsver- 
schiedenheit, in der Ehe, in der Geburt (4, 1); hier sind das 
physiologische Thatsaehen, die nichts zu fragen und zu denken 
geben: „er schuf sie männlich und weiblich und sprach: seid 
fruchtbar und mehret euch!" Dort steht er den Tieren vertraut 
und doch befangen gegenüber, er weiss nicht recht was er aus 
ihnen machen soll, sie sind ihm verwandt und passen doch nicht 
recht in seine Gesellschaft — hier sind sie neutrale Wesen, über 
die er herrscht. Der Hauptpunkt, worin der Gegensatz zusam- 
menläuft und sich zuspitzt, ist folgender. In Gen. 2. 3 ist es 
dem Menschen eigentlich verboten, den Schleier der Dinge ab- 
zuheben und die Welt, repräsentiert im Baume des Wissens, zu 
erkennen; in Gen. 1 ist dies die ihm von Anfang an gestellte 
Aufgabe, zu herrschen über die ganze Erde: Herrschaft und Wissen 
bedeutet gleichviel, bedeutet Civilisation. Dort ist ihm die Natur 
.ein geweihtes Mysterium, hier ist sie ihm Sache, Object: er steht 
ihr nicht mehr befangen, sondern frei und überlegen gegenüber. 
Dort gilt es für einen Raub des Menschen Gott gleich sein zu 
wollen, hier hat Gott ihn von vornherein in seinem Bilde und* 
nach seiner Ähnlichkeit geschaffen und ihn zu seinem Stellver- 
treter im Weltreiche bestimmt. Es kann nicht für zufällig gelten, 
dass Gen. 1 in diesem Punkte das Gegenteil von Gen. 2. 3 be- 
hauptet; die mit solchem Nachdruck ausgesprochenen und wieder- 
holten Worte 1, 27. 5, 1. 9, 6 klingen geradezu wie ein Protest 
gegen die Grundanschauung von Gen. 2. 3, ein Protest, der teil- 
weise zusammenhängt mit der entwickelten religiösen und mo- 
ralischen Bildung, teilweise aber wohl auch mit dem krampfhaften 
Streben des späteren Judentums, die sicherste aller geschicht- 
lichen Erfahrungen zu leugnen, nämlich dass die Söhne büssen 
müssen für die Sünden der Väter. 1 ) 

l ) Ein gröberes Gegenstück zu Gen. 2. 3, auch eine Art Sündenfall, ist 
Gen. 6, 1 — 4: die Verrückung der Grenze zwischen göttlichem und mensch- 

21* 



324 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Was man als Vorzüge von Gen. 1 gegen Gen. 2. 3 anzu- 
führen pflegt, das sind sicher Anzeichen eines Fortschrittes der 
äusseren Cultur. Die geistige Individualität der beiden Erzähler, 
des Systematikers und des Genius, darf man nicht vergleichen, 
denn die gibt keinen Massstab der Zeiten ab; was aber die all- 
gemeinen Vorstellungen über Gott Natur und Mensch betrifft, so 
steht darin der erste auf einer höheren, jedenfalls auf einer spä- 
teren Stufe. Dieselben sind, für unseren Standpunkt, verstän- 
diger einfacher natürlicher. Freilich hat man sie gerade darum 
für älter gehalten. Man hat da einerseits die Begriffe natür- 
lich und ursprünglich gleichgesetzt — das ist bekanntlich 
eine arge Verwechselung. Andererseits hat man an die vorge- 
schichtliche Tradition einen Massstab gelegt, der nur für die ge- 
schichtliche berechtigt ist — der letzteren gereicht das Fehlen 
des Wunders und des Mythus zur Empfehlung, aber nicht der 
ersteren. Die geheime Wurzel aber der sichtlichen Vorliebe, 
welche die historisch-kritische Theologie weiland für Gen. 1 ge- 
hegt hat, scheint da zu liegen, dass man sich selber für das 
was die Bibel sagt, verantwortlich fühlt und sich darum freut, 
wenn sie möglichst wenig behauptet, was mit der allgemeinen 
Bildung collidiert. 1 ) 

lichem Geschlecht. In Q \yird die Kluft zwischen Geist als göttlicher und 
Fleisch als menschlicher Substanz durch die Ebenbildlichkeit des Men- * 
sehen mit Gott überbrückt. 
• *) Ich behaupte nur die Priorität von Gen. 2. 3 vor Gen. 1, glaube aber 
nicht, dass die Erzählung vom Paradiese und vom Sündenfalle bei den 
Israeliten sehr alt ist. Darnach sieht es nicht aus, dass der Mensch und 
das Weib an der Spitze der Genealogie des Menschengeschlechtes stehen; 
man sollte an dieser Stelle viel eher die (nach ursprünglichem semiti- 
schen Glauben keineswegs widergöttliche) Schlange vermuten, wie im 
Chronicon Edessenum und in der abessynischen Sage, und vielleicht hat 
sich davon in dem Namen der Heva eine Spur erhalten, wie Nöldeke 
meint: sicher ist, dass dieser Name bei Philo (de agric. Noe § 21) und 
im Midrasch Rabba zu Gen. 3, 20 als Schlange gedeutet wird (DMZ 1877 
S. 239. 326). Ferner war der echt hebräische Gottessitz der Berg Sinai, 
der echt hebräische Lebensberuf der nomadische der Patriarchen, nicht 
der Garten- und der Ackerbau. Endlich ist nicht zu glauben, dass sich 
# Barbaren über Segen und Unsegen der Civilisation Gedanken sollten ge- 
macht haben. Vor Salomo ist der Stoff von Gen. 2. 3 schwerlich einge- 
wandert. Woher er stammt, lässt sich kaum raten: am nächsten läge 
es, an die Phönicier oder die Kanaaniter überhaupt zu denken, was auch 
durch Gen. 4 empfohlen wird. Da jedoch in JE Babel als die letzte 
Urheimat des Menschengeschlechtes gilt, nach Eden und Nod, so werden 
die Hebräer die Ursage letzlich wohl von dorther bekommen haben. Auf 
etwaige Gleichungen der Assyriologen soll darum aber kein Gewicht ge- 
legt werden. 



Die Erzählung des Hexateuehs. 325 

2. Auf den Anfang der Weltgeschichte folgt in Gen. 1 — 11 
sowohl im Priestercodex als. im Jehovisten zunächst der Ueber- 
gang von Adam auf Noah (Kap. 4. 5), sodann die Sündflut 
(Kap. 6 — 9), endlich der Übergang von Noah auf Abraham 
(Kap. 10. 11). 

In den trockenen Namen, die in Gen. 5 und in Gen. 4 an 
einander gereiht werden, hat Buttmann Reste eines aus uralten 
Erzählungen einst gewebten geschichtlichen Zusammenhanges 
erkannt. Zerstört ist der ursprüngliche Gehalt dieser augen- 
scheinlich mythologischen Elemente sowohl in Gen. 5 (Q) als 
in Gen. 4 (JE), aber nur die jehovistische Liste macht noch den 
Eindruck der Ruine, während dagegen in. der anderen die 
Trümmer zu einem künstlichen Neubau benutzt worden sind, in 
welchem sie sich nun eben nicht mehr wie Trümmer ausnehmen. 
Sie dienen hier nämlich zu Trägern einer Chronologie, die von 
Adam bis auf Mose herabgeht und den zwischenliegenden Zeit- 
raum auf 2666 Jahre berechnet. Diese 2666 Jahre entsprechen 
26 V 3 Generationen zu je hundert Jahren, nämlich 1 — 20 Adam 
bis Abraham, 21 Isaak, 22 Jakob, 23 Levi, 24 Kehath, 25 Am- 
ram, 26 Aharon ; das letzte unvollständige Glied ist Eleazar, der 
beim Auszuge schon ein gereifter Mann war. *) Es versteht sich, 
dass eine solche Zeitrechnung zu der Einfalt der Sage passt 
wie die Faust aufs Auge. 2 ) Es versteht sich ferner, dass wenn 
die systematische Chronologie sogar bei den historischen Büchern 
erst aus der Zeit des Exils stammt, sie beim Pentateuch noch 
späteren Ursprungs sein muss. Denn für die geschichtliche Zeit 
hat sie wirkliche Anhaltspunkte gehabt; sie kann nicht von den 
Patriarchen auf die Könige, sondern nur von den Königen auf 
die Patriarchen übertragen, sie* muss von unten ausgegangen 
sein, wo sie allein ein Fundament hat. Der Glaube an das 
hohe Alter der Urmenschen ist zwar gewiss alt, aber die ge- 
schlossene Zeitrechnung, die sich auf die Zeugungsjahre stützt, 
ist eine Künstelei, wodurch die gelehrte Behandlung, wie sie 
sich für die Historie der späteren Zeit auszubilden anfing, nun 

1 ) So Nöldeke in den Jahrbb. für protest. Theol. 1875. S. 344. Dass die 
Generation in dieser Periode zu 100 Jahren gerechnet wird, wird Gen. 15, 
13 — 16 ausdrücklich angegeben. 

2 ) „Die genauen chronologischen Angaben sind das sichere Gepräge späterer • 
Ausfuhrung alter poetischer Sagen", Buttmann I S. 183. 



326 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

sogar auf die Ursage übertragen wurde. Nur nachdem der 
lebendige Gehalt der Sage völlig entwichen war, konnte ihr 
Skelett als Gertist der Chronologie benutzt werden. 

Buttmann hat ebenfalls erwiesen, dass die Elemente der 
zehngliedrigen Genealogie von Q (Gen. 5) und der sieben- 
gliedrigen von JE (Gen. 4) gleich sind. In Q ist am Schlüsse 
Nöah noch hinter Lamech getreten und am Anfange hat sich 
Adam Kain verdoppelt zu Adam Seth Enos Kainan. Da Adam 
und Enos sich decken, so läuft das hinaus auf Adam Seth 
Adam Kainan; d. h. Adam Seth ist vorgesetzt, und mit Enos 
Kainan fängt die Reihe von vorne an und zwar ebenso wie in 
JE. Der grössere^ Ursprtinglichkeit der jehovistischen Genea- 
logie stellt der Priestercodex selber ein merkwürdiges Zeugnis 
aus, dadurch dass er dem Lamech, der nach ihm der neunte 
in der Reihe ist, ein Alter von 777 Jahren gibt. Das erklärt 
sich nur aus JE, wo er der siebente in der Reihe ist und 
ausserdem seine besondere Beziehung zur Siebenzahl noch durch 
die Äusserung hervorhebt: sieben mal rächt sich Kain und 
Lamech siebenundsiebenzig mal. Auch darin zeigt sich die 
Posteriorität von Q, dass hier der erste Mensch nicht wie in 
JE ha Adam, sondern stets Adam ohne Artikel heisst (5, 1—5), 
ein Unterschied, den Kuenen treffend mit 6 xpiaxos und Xptaxos 
vergleicht. Nun ist aber gerade nach den Voraussetzungen von 
Q (Gen. 1) der erste Mensch bis jetzt nur der Gattungsmensch; 
wenn er trotzdem 5, 1 einfach Adam genannt wird, als sei dies 
sein Eigenname, so kann das nur aus Reminiscenz an Gen. 2. 3 
erklärt werden, obwohl sich hier die Personificierung noch nicht 
auf den Namen erstreckt. 

Wir kommen zur Erzähluftg von der Sündflut Gen. 6 — 9. 
In JE ist die Stindflut wohl vorbereitet; in Q würden wir ver- 
wundert fragen, woher denn die Erde auf einmal so verderbt 
sein soll, nachdem bisher Alles in bester Ordnung gewesen, 
wenn wir es nicht eben aus JE wüssten. Mit dem Stindenfalle, 
dem Brudermorde Kains, dem Schwertliede Lamechs, der Ver- 
mischung der Gottessöhne mit den Menschentöchtern, überhaupt 
mit der ganzen bestimmten und zwar düsteren Färbung der 
Urgeschichte der Menschheit in JE ist im Priestercodex auch 
. die Motivierung der Stindflut fortgefallen; dieselbe erscheint hier 
nun völlig unvorbereitet und abrupt. Im Stoffe der Erzählung 



Die Erzählung des Hexateuchs. 327 

stimmt die priesterliche Version hier in aussergewöhnlichem 
Masse mit der jehovistischen überein; sie unterscheidet sich von 
ihr hauptsächlich durch die künstliche, technisch -mathematische 
Regulierung der Form. Die Flut dauert 12 Monat und 10 Tage, 
d. h. genau ein Sonnenjahr; im Jahr 600 Noah's am 17. des 
2. Monats tritt sie ein, 150 Tage steigt sie, seit dem 17. des 
7. Monats fällt sie wieder, am 1. des 10. werden die Spitzen 
der Berge sichtbar, im Jahr 601 am 1. des 1. Monats hat sich 
das Wasser verlaufen, am 27. des 2. ist die Erde trocken. Zum 
Bau der Arche gibt Gott, ebenso wie zur Stiftshütte, selber die 
Anweisung und die Masse: dreistöckig soll sie werden, und in 
lauter kleine Fächer abgeteilt, 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 
30 Ellen hoch; und genau nach der Elle soll Noah sie machen. 
Beim höchsten Wasserstande, am 17. des 2. Monats, steht die 
Flut 15 Ellen hoch über den höchsten Bergen: bei all seiner 
Angst hat Noah augenscheinlich doch nicht vergessen, das Senk- 
blei auszuwerfen und sich das Datum im Kalender anzumerken. 
Es ist klar, *dass durch dieses altkluge Ausmessen und Nach- 
rechnen nicht die Anschaulichkeit der Erzählung erhöht, sondern 
nur die Illusion zerstört wird. Überall wird der Sage das Idyl- 
lische und Naive nach Kräften abgestreift. Wie die Dauer der 
Flut von 40 Tagen (JE) auf ein ganzes Jahr erhöht wird, so 
wird auch ihre Ausdehnung unermesslich gesteigert. Mit be- 
sonderem Nachdrucke betont es der Priestercodex, dass sie 
ganz allgemein gewesen und über alle die höchsten *Berge ge- 
gangen sei — wozu er freilich durch die Annahme gezwungen 
ist, dass das Menschengeschlecht von vornherein über die ganze 
Erde sich ausgebreitet habe. Züge wie die von den ausge- 
sandten Vögeln und dem abgebrochenen Olivenblatt werden über- 
gangen; die dichterische Sage wird zur historischen Prosa ab- 
geflacht. Grade auf solchen kleinen Zügen beruht nun aber 
der Wert und Reiz der Erzählung, sie sind nicht Nebensache, 
sondern für die Poesie Hauptsache. Gerade sie kehren denn 
auch ganz ähnlich in der babylonischen Version der Sündflut- 
geschichte wieder; wenn der Jehovist sich mit dieser weit näher 
berührt als der Priestercodex, so ist das ein Zeichen davon, 
dass sich bei ihm der internationale Charakter dieser Ursageü 
noch treuer erhalten hat. Am stärksten schimmert derselbe bei 
iMn durch in der Motivierung der Sündflut durch die Verrückung 



328 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

der Grenzen zwischen Geist und Fleisch, durch die Vermischung 
der Gottessöhne mit den Menschentöchtern; hier haben wir in 
JE noch ein ziemlich unverfälschtes Stück mythischen Heiden- 
tums, welches in Q ganz undenkbar wäre. 

Den Regenbogen hat allerdings der Priestercodex gegen- 
wärtig vor dem Jehovisten voraus. Es ist aber zu bedenken, 
dass uns in Gen. 6—9 der jehovistische Bericht nur verstümmelt, 
der priesterliche dagegen vollständig erhalten ist. Wenn der 
Regenbogen sowohl in JE als in Q vorkam, so musste er not- 
wendig einmal gestrichen werden und zwar in JE, gemäss dem 
sonst befolgten Verfahren des Redaktors. Es ist also leicht 
möglich, dass er ursprünglich auch in JE nicht gefehlt hat; er 
passt sogar besser zu dem simplen Regen, der hier die Flut 
herbeiführt, als zu den geöffneten Schleusen des Himmels und 
Brunnen der Tiefe, welche sie in Q bewirken, und er hat hinter 
8, 21. 22 eine weit schicklichere Stelle als hinter 9, 1 — 7. Im 
Priestercodex ist zudem die Bedeutung des Regenbogens halb 
verwischt, teilweise durch ungeschickte VergeschicKtlichung, wo- 
durch man den Eindruck bekommt, als sei er entweder nur 
diesmal, nach der Stindflut, am Himmel erschienen, oder als 
stehe er seitdem beständig da; teilweise durch seine Verwen- 
dung als Zeichen des Bundes zwischen Elohim und Noah, wobei 
man nach dem sonstigen Sprachgebrauch und nach der Analogie 
von Gen. 17 an den Bund denkt, dessen Inhalt in 9, 1 — 7 dar- 
gelegt wird: der Regenbogen würde dann zum Gegenstücke der 
Beschneidung. 1 ) Der Bund d. h. das Gesetz 9, 1 — 7, eine Mo- 
dification der ersten, dem Adam gegebenen Ordnung (1, 29. 30) 
für die nachsiindflütliche, noch gegenwärtig fortdauernde Welt- 
periode, ist für den Priestercodex der krönende Schluss und die 

*) Der Himmel sbogen ist ursprünglich das Werkzeug des pfeilschiessenden 
Gottes und darum Symbol seiner Feindschaft; er legt ihn aber aus der 
Hand zum Zeichen des abgelegten Zornes, der nunmehrigen Versöhnung 
und Huld. Wenn es gewettert hat, dass man vor einer abermaligen 
Sündflut in Angst sein könnte, erscheint der Regenbogen dann am Him- 
mel, wenn die Sonne und die Gnade wieder durchbricht. Den Begriff 
der blossen Wölbung hat plt^p i m A. T. nicht, es bedeutet stets den 
Kriegsbogen. Und was vor allem wichtig ist, auch die Araber fassen die 
Iris durchaus als Kriegsbogen Gottes auf: Kuzah schiesst Pfeile von sei- 
nem Bogen und hängt ihn dann in den Wolken auf (DMZ 1849 S. 200f.)- 
Bei Juden und Judengenossen hat der Regenbogen bis tief in christliche 
Zeiten hinein eine merkwürdig nahe Beziehung zur Gottheit behalten, 
Seltsam ist der edomitische Gottesname Kaus neben Kuzah, 



Die Erzählung des Hexateuchs. 329 

Hauptsache der ganzen Erzählung, wie denn überhaupt bei ihm 
das Interesse am Gesetz das einfache Interesse am Stoffe gänz- 
lich absorbiert. Sehr merkwürdig ist dabei, dass die Rache für 
das vergossene Blut nicht Sache der Verwandten, sondern Sache 
Gottes ist, und dass sie gefordert wird für den Menschen 
schlechthin, sei er Herr oder Knecht, mit Ausschluss der Geld- 
stihne. So einfach und ernst die Worte lauten: „wer Menschen- 
blut vergiesst, des Blut soll durch Menschen vergossen werden, 
denn nach seinem Bilde hat Gott den Menschen gemacht", so 
ist doch der religiöse Begriff des Menschentums, der zu 
Grunde liegt, auch bei den Hebräern nicht alt; man vergleiche 
als Gegensatz Gen. 4, 15. 24 und Exod. 21, 20 f. *) 

Die Arche landet nach Q auf dem Gebirge von Ararat. In 
JE ist gegenwärtig überhaupt kein Landungsplatz angegeben. 
Das ist indessen um so weniger ursprünglich, als sonst die my- 
thische Geographie überall jehovistisches Characteristicum ist. 
In Q wird die Urgeschichte nirgend lokalisiert, gleich von An- 
fang an wird die ganze Erde den Menschen zur Wohnung an- 
gewiesen. In JE dagegen wohnen sie zuerst im Lande Eden, 
weit im Osten und wohl auch hoch im Norden; von da ver- 
trieben kommen sie ins Land Nod, wo Kain die Stadt Hanoch 
baut ; und von dieser ebenfalls noch sehr östlichen Gegend auf- 
brechend lassen sie sich im Lande Sinear nieder, an der Mün- 
dung des Euphrat und Tigris, wo sie die Stadt Babel bauen. 
Sinear ist der Ausgangspunkt der nicht mehr bloss mythischen 
Weltgeschichte, die Heimat der gegenwärtigen Menschheit: in 
diesem Punkte namentlich springt der Gegensatz der lokalen 
Bestimmtheit der jehovistischen Sage, die ihr den Charakter 
des Idyllischen verleiht, gegen die vage Allgemeinheit der 
anderen ins Auge. In Sinear sind nach JE Gen. 11, 1'— 9 noch 
alle Menschen beisammen und wollen dort auch beisammen 
bleiben. Um nicht zerstreut zu werden, bauen sie sich eine 
grosse Stadt die sie alle umfassen soll, und um sich einen Namen 
zu machen, fügen sie einen hohen Turm hinzu der an den 
Himmel reichen soll: Jahve, aus solchen Anfängen die Gefahr 
eines weiteren Fortschrittes in dieser Richtung erkennend, fährt 
hernieder ihre Sprache zu verwirren und führt dadurch, auf 
gewaltsamem Wege, die Zerstreuung der ihm in ihrer Einheit 
*) De Wette, Beiträge II S. 57. Alt ist der rel. Begriff des Volkes, 



330 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

furchtbaren Menschheit herbei. In Q versteht es sich von selbst, 
dass sich die Menschen auf der ganzen Erde zerstreuen; sie 
werden nie als an einem Punkte wohnhaft vorgestellt — weshalb 
denn auch die Sündflut hier mit Absicht und Nachdruck als 
ganz allgemein beschrieben wird. Die Zerteilung der Völker 
geht einfach auf genealogischem Wege vor sich und hat die 
Zerteilung der Sprachen nicht zur Ursache, sondern zur Folge. 
Als begleitende Erscheinung finden wir wiederum den merk- 
würdigen Unterschied der geistigen Stimmung: was in JE als 
Unnatur, als nur begreiflich aus gewaltsamer Verkehrung des 
Ursprünglichen empfunden wird, das ist in Q das natürlichste 
von der Welt. 

Den Zeitraum zwischen der Sündflut und Abraham füllt in 
Q noch einmal eine zehngliedrige Genealogie aus, die in JE, 
wo sie nicht gefehlt haben kann, nach Analogie von Gen. 4 
wahrscheinlich siebengliedrig war, indem sie von Sem gleich 
auf Eber überging und den Grossvater Nahor ausliess (10, 21. 
24. 24, 15. 29, 5): der letztere unterscheidet sich in der That 
von seinem gleichnamigen Enkel noch weniger als Adam von 
Enos. Der ursprüngliche Wohnort der Therahiden ist nach Q 
nicht wie in JE (12, 1. 24, 4) das mesopotamische Haran (Carrhae), 
sondern Ur Kasdim , was nichts anderes bedeuten kann als Ur * 
der Chaldäer. Von da soll Therah, der Vater Abrahams Nahors 
und Harans, mit Abraham und mit Lot, dem Sohne des bereits 
verstorbenen Haran, ausgewandert sein. Nahor mtisste dann in 
Ur Kasdim geblieben und Haran daselbst gestorben sein. Beides 
ist vollkommen gegen die Meinung der Sachen. Es ist trotz 
der verschiedenen Aspirata schwerlich sachgemäss den Mann 
Haran von der Stadt Haran zu scheiden und ihn wo anders 
sterben zu lassen. Es ist ebenso unmöglich, Ur in Chaldäa für 
den Wohnsitz Nahors — einerlei ob des Grossvaters oder des 
gleichnamigen Enkels — anzusehen; es ist offenbar auf Ver- 
hältnisse der Wirklichkeit gegründet, dass der jedenfalls syrische 
Ort, wo die Nahoriden Laban und Rebekka wohnen, in J die 
Stadt Nahors und in E Haran heisst; in Q selber wohnen Laban 
und Rebekka, trotzdem dass Nahor in Ur bleibt, nicht in Chaldäa, 
sondern in Paddan Aram, d. h. im mesopotamischen Syrien. 
Zum Beweise, dass Ur Kasdim nicht in die, ursprüngliche Ge- 
stalt der Tradition hineingehört, kommt noch hinzu 1 dass wir 



Die Erzählung des Hexateuchs. 331 

bereits mit Serug, dem Vater Nahors, weit von Babylon weg 
nach Westen gertickt sind. Serug ist der Name einer nördlich 
afi Haran grenzenden Landschaft; wie soll nun der Sohn Serags 
plötzlich nach Ur Kasdim zurückspringen! Welche Gründe dazu 
bewogen haben, Babylonien zum Ausgangspunkte Abrahams zu 
machön, sei dahin gestellt; nachdem er aber mit Therah von 
Ur Kasdim aufgebrochen ist, kommt er seltsam genug doch vor- 
erst nur bis Haran und bleibt dort bis zu seines Vaters Tode; 
nach Palästina wandert er auch in Q erst von Haran aus ein. 
.Wenn diese Verdoppelung des Ausgangspunktes nicht aus der 
Absicht den Anschluss an JE zu erreichen entsprungen ist, so 
gibt es überhaupt keine Harmonistik. 

3. Mehr und mehr gewinnt jetzt glücklicherweise die An- 
sicht Boden, dass in der mythischen Universalgeschichte der 
Menschheit Gen. 1 — 11 die jehovistische Version altertümlicher 
sei als die priesterliche. Zu dieser Ansicht wird man in der 
That genötigt, wenn man einsieht, dass der Stoff hier nicht 
israelitischen, sondern allgemein ethnischen Ursprunges ist. Von 
diesem Ursprünge hat der Jehovist die Spuren weit deutlicher 
bewahrt, darum hat sich auch die vergleichende Mythologie 
unwillkürlich vorzugsweise an seine Berichte gehalten. Verän- 
derungen hat die Urgeschichte allerdings auch bei ihm erlitten; 
der mythische Charakter ist stark vermischt, allerlei israelitische 
Elemente sind eingedrungen. Schon der Brudermord Kains, mit 
dem Hintergrunde des Gegensatzes zwischen dem friedlichen 
Leben der Hebräer im Lande Kanaan und dem unruhigen 
Schweifen der Kainiten in der angrenzenden Wüste, fällt ganz 
aus dem allgemeinen geschichtlichen und geographischen Rah- 
men heraus. Noch mehr die Verfluchung Kanaans; hier ist der 
augenscheinlich alte Zug, dass Noah den Weinbau eingeführt 
hat, zu einem nebensächlichen Ingrediens einer ausgesprochen 
national-israelitischen Erzählung geworden. Aber im Jehovisten 
ist doch die Entleerung der Ursage von ihrem eigentlichen Sinn 
und Gehalt bei weitem nicht so weit vorgeschritten wie im 
Priestercodex^ wo es geradezu auffällt, wenn noch einmal etwas 
Mythisches durchschimmert, wie bei Henoch und bei dem Regen- 
bogen. 

Der mythische Stoff der ältesten Weltgeschichte ist beim 
Jehovisten mit einem eigenartigen, düsteren Ernste erfüllt. Es 



332 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

steckt «ine Art antiker Gesehichtsphilosophie darin, die nahe 
an Pessimismus streift*: als seufzte die Menschheit unter einem 
ungeheuren Druck, nicht sowohl der Sünde, als der Kreatürlich- 
keit (6, 1 — 4). Es herrscht eine scheue, heidnische Stimmung; das 
gelegentliche Rasseln an den Ketten verschlimmert nur die Ge- 
bundenheit der menschlichen Natur, die entfremdende Kluft 
zwischen Mensch und Gottheit lässt sich nicht ausfüllen. Jahve 
steht nicht hoch genug, fühlt sich nicht sicher genug, um den 
Erdbewohnern eine allzugrosse Annäherung zu verstatten; der 
Gedanke vom Neide der Gottheit wird gestreift. Wenn auch 
schon vielfach gemildert liegt diese Stimmung dennoch erkenn- 
bar genug in Gen. 2. 3, in 6, 1 — 4 und 11, 1—9 zu Grunde. Im 
Priestercodex ist sie vollkommen verschwunden; hier fühlt sich 
der Mensch nicht mehr unter geheimem Bann, sondern gottver- 
wandt und frei, als Herr der Natur. Wohl erkennt auch der 
Priestercodex, wie wir in dem Kapitel über die Opfer gesehen 
haben, die Macht der Sünde in seiner Weise an; aber die Sünde, 
als erklärende und ausrottbare Wurzel des Verderbens, steht im 
Gegensatz zu dem dumpfen unabwendbaren Verhängnis; die 
Stindenknechtschaft und die Freiheit der Kinder Gottes sind 
im Evangelium Correlata. Mit der Zerstörung der mythischen 
Anschauungsweise durch die Autonomie der Moral hängt enge 
zusammen die verständige Naturbetrachtung, deren Anfänge wir 
im Priestercodex finden; ihre Voraussetzung ist, dass der Mensch 
sich selber als Person über und ausser die Natur stellt und die 
letztere schlechtweg als Sache betrachtet. Man darf vielleicht 
behaupten, dass ohne diesen Dualismus des Judentums die 
mechanische Naturwissenschaft nicht vorhanden wäre. 

Die Entfärbung der Mythen ist gleichbedeutend mit Hebrai- 
sierung. Scheinbar hebraisiert der Priestercodex weniger als 
der Jehovist; er hütet sich grundsätzlich vor Vermischung der 
Zeiten und Sitten. In Wahrheit hebraisiert er viel stärker, in- 
dem er den ganzen Stoff nach dem Masse zuschneidet, dass er 
als Vorstufe der mosaischen Gesetzgebung dienen kann. Schon 
der Jehovist hat allerdings diese ethnischen Sagen an die 
Schwelle seiner heiligen Sage gesetzt und sie vielleicht unter 
dem Gesichtspunkte, dass sie als Einleitung dazu passen, aus- 
gewählt; denn sie sind durchweg ethischen und geschichtlichen 
Inhalts, sie betreffen die Probleme der Menschenwelt, nicht die 



Die Erzählung des Hexateuchs. 333 

der Natur *). Aber beim Jehovisten kommt doch die Individualität 
der einzelnen Geschichten noch einigermassen zu ihrem Rechte; 
im Priestercodex ist dieselbe durch den Zweck des Ganzen nicht 
bloss modificiert, sondern vollkommen zerstört. Der auf die 
Thora Mose's abzielende Zusammenhang ist Alles; die einzelnen 
Glieder bedeuten nichts mehr. Natürlich wird dadurch auch der 
Zusammenhang selber vollkommen leer; er besteht abgesehen 
von den Bundschliessungen nur in Genealogie und Chronologie. 
De Wette findet das Alles schön, weil symmetrisch, durchsichtig 
und zweckvoll construiert. Indessen ist das nicht jedermanns 
Geschmack; es gibt auch eine ungemachte Poesie des Stoffs, 
und sie verdient auf diesem Gebiet den Vorzug. 

Wie lose im Jehovisten die Erzählungen der Urgeschichte 
noch neben einander stehen, zeigt namentlich die Sündflutperi- 
kope. Sie stösst sich gleichmässig mit dem, was voraufgeht, 
und mit dem was nachfolgt. Die Genealogie Gen. 4, 16 — 24 
läuft nicht auf Noah, sondern auf Lamech aus; statt Sem Harn 
Japhet, der Söhne Noahs, haben wir Jabal Jubal Thubal, die 
Söhne Lamechs, als Anfänger der zweiten Periode. Dabei die 
charakteristische Verschiedenheit, dass Sem Ham Japhet eine 
Eintheilung der Menschen nach Völkern ist, Jabal Jubal Thubal 
eine Eintheilung nach Ständen, notwendigerweise des selben 
Volkes; denn kein Volk besteht aus lauter Musikern oder 
Schmieden. Und unstreitig ist in Kap. 4, 16 ff. die Absicht, die 
Entstehung der gegenwärtigen Cultur zu erzählen, nicht der 
verschollenem, der durch die Sündflut ein Ende gemacht wurde. 
Thubalkain ist der Vater der gegenwärtigen Schmiede, nicht der 
vorsündflutlichen , Jubal der der gegenwärtigen Musiker, Jabal 
der gegenwärtigen Hirten; darum stehen sie auch am Ende der 
Genealogie und eröffnen die zweite Periode. Ebensowenig aber 
wie Gen. 4, 16 — 24 auf die Sündflut vorschaut, schaut hinterher 
Gen. 11, 1 — 9 (Turmbau zu Babel) auf sie zurück. Dass dies 
Stück nicht die Fortsetzung von Kap. 10 ist, liegt auf der Hand. 
Dort sind wir schon so weit gekommen, dass die Erde von sehr 
verschiedenen Völkern und Zungen eingenommen wird; nun 
werden wir hier (11, 1) plötzlich in eine Zeit zurückversetzt, 

*) Möglich indes, dä*ss ihm die Auswahl nicht schwer wurde, indem kösmo- 
logische Mythen eben nicht volkstümliche Erzählungen, sondern priester- 
liche Theoreme waren, die er gar nicht kannte. 



334 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

wo alle Welt Eine Sprache und Eine Zunge war. War das 
etwa die Zeit, als Noahs Familie noch die einzige Bevölkerung 
der Erde ausmachte? mit anderen Worten, geht 11, 1 — 9 hinter 
Kap. 10 zurück und schliesst an Kap. 6 — 9? Offenbar nicht, 
alle Welt (11, 1) ist nicht Sem Harn und Japhet, und die 
Menschenmenge, die sich durch künstliche Mittel concentrieren 
will und dann in verschiedene Völker gespalten wird, besteht 
aus mehr als einer Familie. Es liegt eine ganz andere An- 
schauungsweise vor, als sich aus den Prämissen von Kap. 6—9 
ergeben würde ; der Erzähler weiss nichts von der Sündflut, die 
von aller Welt nur die Familie Noahs übrig gelassen hat. 
Es würde auch nichts helfen, wollte man 11, 1 an einen so 
weit nach der Flut fallenden Zeitpunkt setzen, dass inzwischen 
aus der Familie wieder ein grosses Volk erwachsen wäre; An- 
schluss an die Vorstellung von Noah und seinen drei Söhnen 
würde dadurch doch nicht erreicht. Denn wenn die letzteren 
sich hinterdrein zu einer Familie vereinigen und daraus weiter 
ein einheitliches Volk entsteht, welches dann durch höhere Ge- 
walt plötzlich in mehrere Sprachen geklüftat wird, so ist die 
ganze Bedeutung von Sem Harn und Japhet als Theilungs- 
principes der Völkerwelt aufgehoben. 

Die Sache ist einfach die, dass der ganze Abschnitt von 
der Sündflut (Gen. 6 — 9) in dem anderweitigen Zusammenhange 
des Jehovisten isoliert steht. Ein ganz wundersamer erratischer 
Block jst ferner die Vermischung der Gottessöhne mit den Men- 
schentöchtern (Gen. 6, 1-4). Die Verbindung, in welche*dieses Stück 
mit der folgenden Flutgeschichte gesetzt ist, ist äusserst locker; 
mit der voraufgehenden jehovistischen Erzählung aber collidiert 
es vollkommen, indem es nämlich einen zweiten Sündenfall be- 
richtet, der wegen seiner sehr andersartigen geistigen Haltung 
auf keine Weise als Ergänzung oder als Fortsetzung des ersten 
betrachtet werden kann: in Gen. 6, 1 — 4 hat die Moral mit der 
Schuld gar nichts zu thun. Weitere Beispiele, an denen der 
brüchige Charakter des gegenwärtigen Bestandes der jehovisti- 
schen Urgeschichte zu sehen ist, sind die Erzählungen vom 
Brudermorde Kains und von der Verfluchung Kanaans, die 
freilich eigentlich gar nicht hierher, sondern erst in die Patriar- 
chengeschichte gehören. 

Zum Schlüsse mögen hier noch die beherzigenswerten Worte 



Die Erzählung des Hexateuchs. 335 

eine Stelle finden, in denen Buttmann (1208 ff.) seinen Gegen- 
satz zu de Wette hinsichtlieh der Behandlung der biblischen 
Ursage darlegt „Gründlich gelehrt in den Altertümern des 
Stammes, in dessen heiligen Schriften diese Denkmäler sich uns 
erhalten haben, erkennt und verfolgt de Wette den National- 
geist desselben bis in diese ältesten Urkunden hinauf. Auf 
diesem Wege entdeckt sich ihm, mitten unter diesen Trümmern, 
die Spur eines alten Zusammenhanges, einer Art Epos, dessen 
schon in der Urgeschichte des Menschengeschlechts vorspielen- 
der Zweck die Verherrlichung des Volkes Israel ist. Vor dieser 
Ansicht, welche für seinen Hauptzweck, die wahre Kritik dieser 
Bücher, so wichtig ist, müssen notwendig andere Beziehungen 
für den Augenblick in den Hintergrund treten. Mein Zweck ist 
durchaus nur, in den Sagen der verschiedenen Nationen das 
Allgemeine, und ganz besonders in den Mythen einzelner Zweige 
der grossen Völkerverwandtschaft, wozu die Hebräer gehören 
und die Griechen und wir, das Gemeinsame aufzufinden. So 
entdeckt sich mir also jeder Mythos nur als ein für sich be- 
stehender, in sich begründeter und vollendeter, den ich als einen 
solchen bewähre, wenn ich ihn auch bei anderen Nationen nach- 
weise. Hieraus entsteht zwischen de Wette und mir eine Ab- 
weichung in der Betrachtung einzelner Mythen. Ihm erscheinen 
diese gewöhnlich als willkürliche Erdichtungen einzelner Men- 
schen zu ihrem Zwecke; zwar nicht in dem unedelen Sinne, 
welchen eine gemeine Ansicht in die religiösen Dichtungen der 
Völker bringt, sondern als willkürliche aber doch völlig truglose 
Erdichtungen. Ich hingegen gebe in diesen ältesten Teilen 
durchaus keine Erdichtung zu. Ein ächter Mythos ist nie er- 
dichtet, sondern überliefert. Er ist nicht wahr, aber wahrhaftig. 
Aus kleinen Elementen, die die Phantasie als wahr darbot, ent- 
standen und erwuchsen jene Mythen, ohne dass irgend einer, 
der dazu beitrug, seiner Willkür sich bewusst gewesen wäre. 
Nur auf die, welche die ältesten reinen Mythen durch Hinzu- 
fügung einzelner Züge in den grossen Zusammenhang brachten 
mit ihrer Nationalgeschichte, nur auf diese fällt Absichtlichkeit; 
obgleich immer noch jene ganz schuldlose, die de Wette schil- 
dert. Die Hauptspuren jener Einheit oder jenes alten National- 
epos, das sich durch die mosaische Geschichte windet, entdeckt 
nun de Wette in der Elohimurkunde. Seinem kritischen Zwecke 



336 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

ist also diese notwendig die wichtigste, und ihr hauptsächlich 
geht er nach. Ich, dem es nur auf die innere Vollendung des 
Einzelnen ankommen darf, die mich in den Jehovafragmenten 
am deutlichsten anspricht, musste also auch dieser in meiner 
obigen Behandlung den Vorzug geben. Gelingen uns beiden 
unsere Zwecke, so treffen sie aufs beste zusammen/ 

Wir dürfen hinzufügen, dass der Priestercodex gerade wegen 
der geschlossenen Einheit seiner Erzählung, die ihm den Namen 
der Grundschrift angetragen hat, uns die vorgeschrittenere Be- 
arbeitung der Sage bietet, und dass der Jehovist gerade wegen 
cies formell mangelhaften Zusammenhangs seiner # „Fragmente", 
wegen deren man ihn lange Zeit als einen blossen Ergänzer der 
Grundschrift betrachtet hat, dem Urquell der Sage näher steht. 

IL 

1. Auch in der Patriarchengeschichte ist der Grundriss der 
gleiche in Q und JE: Abrahams Einwanderung in Kanaan mit 
Sara und Lot, seine Trennung von Lot, Ismaels Geburt von 
der Hagar, Erscheinung Gottes zur Verheissung Isaaks, Isaaks 
Geburt, Tot Sara's und Abrahams, Ismael, Isaaks Heirat mit 
Rebekka, Jakob und Esau, Jakobs Reise nach Mesopotamien 
und seine Familiengründung daselbst, seine Heimkehr, Esau, 
Joseph in Ägypten, Jakob in Ägypten, Jakobs Segen über 
Joseph und seine übrigen Söhne, sein Tod und sein Begräbnis. 
Der Stoff ist hier nicht mythisch, sondern national; darum durch- 
sichtiger und in gewissem Sinne historischer. Freilich über die 
Patriarchen ist hier kein historisches Wissen zu gewinnen, son- 
dern nur über die Zeit, in welcher die Erzählungen über sie im 
israelitischen Volke entstanden; diese spätere Zeit wird hier, 
nach ihren inneren und äusseren Grundzügen, absichtslos ins 
graue Altertum projiciert und spiegelt sich darin wie ein ver- 
klärtes Luftbild ab. Das Knochengerüst der Erzvätersage bildet 
bekanntlich die ethnographische Genealogie. Die Leastämme 
werden mit den Rahelstämmen unter dem gemeinsamen Vater 
Jakob-Israel zusammengefasst, demnächst das ganze Israel mit 
dem Volke Edom unter dem alten Namen Isaak (Arnos 7, 9. 
16), weiter Isaak mit Lot, dem Vater von Moab und Ammon, 
unter Abraham; zusammen werden diese nah verwandten und 
einst eng verbundenen hebräischen Völkerschaften in enge Be- 



Die Erzählung des Hexateuchs. 337 

Ziehung gesetzt zu den Bewohnern der mesopotg,mischen Wüste 
und in scharfen Gegensatz zu den Kanaaniten, in deren Lande 
sie wohnten. Das historische Nacheinander und Nebeneinander 
ist logische oder statistische Subordination und Coordination ; 
in Wirklichkeit sind gewöhnlich die Elemente älter als die 
Gruppen und die kleineren Gruppen älter als die grösseren. Die 
etwaigen Wanderungen der Völker und Stämme sind notwendige 
Folgen des angenommenen Verwandtschaftsverhältnisses. Ganz 
ähnlich liesse sich noch jetzt in jedem Augenblick die Statistik 
eines beliebigen Volkes in der Form einer genealogischen Urge- 
schichte darstellen. Eine unmittelbare Wiedergabe der bestehen- 
den Verhältnisse ist allerdings die Genealogie nicht. Ob ein 
Stamm der Vetter oder der Bruder oder der Zwillingsbruder 
eines anderen, ob er überhaupt mit ihm verwandt oder nicht 
verwandt ist, lässt sich nicht so objektiv feststellen; die Ver- 
wandtschaft kann verschieden aufgefasst und gedeutet. werden, 
die Gruppierung hängt immer etwas ab von dem Standpunkte 
des Genealogen, sogar von seinen Zuneigungen und Abneigun- 
gen. Die nahe Beziehung, in welche die Aramäer zu den 
Israeliten gesetzt werden, wird sich wohl daraus erklären, dass 
die Patriarchensage im mittleren und nördlichen Israel ihren 
eigentlichen Boden hat, wie das aus der ausgesprochenen Vor- 
liebe für Rahel und Joseph klar -erhellt. Wäre sie judäischen 
Ursprungs, so würden wahrscheinlich die jetzt ungebührlich in 
den Hintergrund gedrängten kainitischen Tribus der Sinaihalb- 
insel viel stärker hervortreten, da sie zweifelsohne für die 
älteste Geschichte Israels keine geringe Bedeutung gehabt haben. 
Auch an scheinbaren Widersprüchen mangelt es in der ethno- 
graphischen Genealogie nicht; Ismael, Edom, und die eben er- 
wähnten kainitischen Tribus stossen sich mehrfach miteinander: das 
erklärt sich ganz natürlich aus verschiedener Auffassung und 
Gliederung der Verwandtschaftsverhältnisse. Hinzuzufügen ist 
endlich noch, dass die Form der Genealogie an sich sehr bunten 
Inhalt aufzunehmen verträgt. In der Patriarchensage wiegt 
jedoch das ethnographische Element durchaus vor. Nur Abraham 
ist gewiss kein Volksname wie Isaak und Lot; er ist überhaupt 
ziemlich undurchsichtig. Natürlich wird man ihn in diesem 
Zusammenhange darum doch nicht für eine geschichtliche Person 
halten dürfen; eher noch könnte er eine freie Schöpfung unwill- 

Weilhausen, Prolegomena, 99 



338 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

ktirlicber Dichtang sein. Er ist wohl die jüngste Figur in dieser 
Gesellschaft und wahrscheinlich erst verhältnismässig spät sei- 
nem Sohne Isaak vorgesetzt. 1 ) 

Dieses Gerippe der ethnographischen Genealogie findet sich 
nun beim Jehovisten überall mit Fleisch und Blut belebt. 
Die Erzväter Abraham Isaak und Jakob sind nicht blosse Na- 
men, sondern lebendige Gestalten, ideale Prototype des rechten 
Israeliters. Alle sind sie friedliebende Hirten, zu ruhigem Woh- 
nen bei den Zelten geneigt, bemüht dem Streit und Zank aus 
dem Wege zu gehen, unter keinen Umständen bereit Gewalt 
gegen Gewalt zu setzen und Unrecht mit dem Schwerte abzu- 
weisen. Mutig und mannhaft sind sie nicht, aber gute Haus- 
wirte, ein wenig unter der Herrschaft ihrer mit mehr Tempe- 
rament ausgestatteten Ehefrauen. Sie dienen dem Jahve wesent- 
lich in der selben Weise wie in historischen Zeiten ihre Nach- 
kommen; ihre Frömmigkeit besteht nicht bloss in Opfern, sondern 
in rechtschaffenem Wandel und in gläubiger Ergebung in Gottes 
Fügung. Jakob ist realistischer gezeichnet als die beiden an- 

>) Die Erzählungen über Abraham und über Isaak sind sich so ähnlich, 
dass an gegenseitige Unabhängigkeit nicht zu denken ist; die über Isaak 
aber Sind ursprünglicher, wie das besonders schlagend aus einem Ver- 
gleich von Gen. 20, 2—16 mit 26, 6—12 sich ergibt: die kurze und pro- 
fane Version, worin Isaak der. Held ist, ist die lebendigere und moti- 
viertere, die lange und erbauliche, wo Abraham an seine Stelle tritt, 
steigert die mögliche Gefahr zur wirklichen, macht dadurch das Eingreifen 
der Gottheit notwendig und erreicht auf diese Weise eine Verherrlichung 
des Patriarchen, die er sehr wenig verdient hat. Freilich finden sämt- 
liche Commentatoren der Genesis in Kap. 20 das Original von Kap. 26, 
aber sie stützen ihr Urteil nicht auf die Vergleichung der Parallelen, 
sondern weil der Vater älter ist als der Sohn, halten sie auch die Erzäh- 
lungen über den Vater für älter als die entsprechenden über den Sohn 
und sehen überhaupt in Isaak lediglich einen Abklatsch Abrahams. Ge- 
gen diesen beinah zu nahe liegenden Grundsatz erhebt sich jedoch das 
Bedenken, dass sich in der späteren Entwicklung der Sage deutlich die 
Richtung verfolgen lässt, Abraham zum Erzvater par excellence zu machen 
und die anderen zu verdunkeln. In der älteren Literatur dagegen kommt 
Isaak schon bei Arnos, Abraham aber zuerst bei dem Verfasser von Isa.40bis 
66 vor — Micha 7, 20 ist exilisch und in Isa. 29, 23 sind die Worte 
der Abraham erlöste unecht, sie haben keine mögliche Stelle im Satze 
und die Vorstellung von der Erlösung Abrahams (aus dem Feuer der 
Chaldäer) kommt erst sehr spät vor. Es fällt mir übrigens nicht ein zu 
behaupten, dass zur Zeit des Arnos Abraham noch unbekannt gewesen 
wäre; nur stand er schwerlich schon mit Isaak und Jakob auf gleicher 
Stufe. Als Heiliger von Hebron könnte er kalibbäischen Ursprunges sein 
und mit Ram (1. Chron. 2) zusammenhängen; Abram für Abiram ist 
ebenso wie Abner für Abiner und Ahab für Ahiab. Der Name Abu Ru- 
ham kommt in Hadith vor als nomen proprium viri. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 339 

deren; ihn zeichnet eine starke Dosis von List und Gewinnsucht 
aus, und diese. Eigenschaften führen ihn schliesslich immer zum 
Ziele. Aus jeder Fährlichkeit und schwierigen Lage kommt 
er nieht bloss heil, sondern mit Gewinn davon; Jahve hilft ihm, 
aber vor Allem hilft er sich doch selber, ohne in seinen Mitteln 
nach unserem Geschmacke sehr wählerisch zu sein. Die Erzäh- 
lungen über ihn machen am wenigsten ein moralisches Gesicht, 
im Grunde leuchtet aus ihnen nur die helle Freude über alle 
gelungenen Künste und Griffe des Erzschelms. Unter den Neben- 
figuren ist besonders Esau mit Vorliebe gezeichnet, dann Laban 
und der gebrechliche Heilige Lot; Ismael wird als das Urbild 
des Beduinen geschildert, als ein Waldesel von Mensch, dessen 
Hand gegen jedermann und jedermanns Hand gegen ihn, und 
der allen seinen Brüdern auf der Nase sitzt. Auffallend ist es, 
dass die Helden der israelitischen Sage so wenig kriegerisch sich 
zeigen, insofern scheinen sie nicht gerade die geschichtliche Art 
des israelitischen Volkes zu reflektieren. Indessen ist es doch 
nicht so unbegreiflich, dass ein Volk, welchem in der Gegenwart 
ewiger Krieg aufgezwungen wurde, nicht bloss von einem ewigen 
Frieden der Zukunft träumte, sondern auch seines Herzens 
Wünsche in diesen friedlichen Gestalten der goldenen Vorzeit 
verkörperte. Daneben muss man bedenken, dass das friedliche 
Hirtenleben der Patriarchen durch die idyllische Form der Vor- 
geschichte des Volkes veranlasst ist; Kriege können nur Völker 
oder Stämme führen, aber nicht einzelne Männer 1 ). Daraus 
wird man es erklären müssen, dass im persönlichen Charakter 
der Patriarchen das historische Selbstbewusstsein der Nation so 
wenig zum Ausdruck kommt. Dasselbe macht sich nur Luft in 
den eingelegten Weissagungen über die Zukunft; hier spüren wir 
den nationalen Stolz, der die Frucht von Davids Thaten ge- 
wesen ist, aber immer schon verklärt zu religiöser Gehobenheit. 
Viel lebhafter als in den persönlichen Charakterztigen der 
Patriarchen, in denen sie wesentlich nur den einzelnen Israeliten 
nach seinem Wesen und nach seinen Wünschen repräsentieren, 

] ) Diese Erwägung ist allerdings weniger durchschlagend als die voran- 
gehende. Nicht bloss der idyllischen Form wegen ist Jakob ein fried- 
licher Hirt, sondern* er ist es seinem innersten Wesen nach, im ausge- 
sprochenen Gegensatz zu seinem Bruder Esau, der trotz der idyllischen 
Form kriegerisch ist. Ausnahmen wie Gen. 14 und 48, 22 (Kap. 34) be- 
stätigen nur die Regel. 



340 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

zeigen- sich die historisch-nationalen Bezüge in den Verhältnissen 
derselben zu "ihren Brüdern Vettern und übrigen Verwandten. 
Da blickt überall der Hintergrund, bricht überall die Stimmung 
der israelitischen Königszeit durch. Am deutlichsten geschieht 
das vielleicht in der Erzählung über Jakob und Esau. Schon 
im Mutterleibe stossen sich die Zwillinge, schon bei der Geburt 
will der jüngere dem älteren nicht den Vortritt lassen und ver- 
sucht ihn an der Ferse zurückzuhalten. Das wird der besorgten 
Mutter von dem Orakel zu Beerseba also erklärt: zwei Nationen 
sind in deinem Leibe und zwei Völker scheiden sich aus deinem 
Schosse, das eine wird das andere überflügeln und das ältere 
dem jüngeren dienen. Die Knaben entwickeln sich sehr ver- 
schieden, Esau schweift als rauher und gebräunter Jägersmann 
in der Wildnis und lebt unbekümmert in den Tag hinein; Jakob, 
ein frommer glatter Mann, bleibt daheim bei den Zelten und 
versteht den Wert der Dinge, die sein argloser Bruder nicht 
achtet. Jener ist der Liebling seines Vaters, des Autochthonen 
Isaak, dieser wird von seiner Mutter, der Aramäerin Rebekka 
bevorzugt; jener bleibt in der Heimat und nimmt sich seine 
Weiber aus der Urbevölkerung des südlichen Kanaans und der 
Sinaihalbinsel, dieser wandert aus und holt sie sich aus Mesopo- 
tamien. Deutlich wird damit der Gegensatz der späteren Völker- 
typen vorgespielt, des rohen urwüchsigen im Boden wurzelnden 
Edom, und des glatteren civilisierteren den Weltmächten näher 
stehenden Israel. Durch Trug und List gelingt es dem jüngeren 
Bruder, den älteren um den Segen des Vaters und um das 
Recht der Erstgeburt zu bringen; in Folge dessen nimmt sich 
dieser vor, ihn zu töten und ihr Verhältnis wird sehr gespannt. 
Edom war früher als Israel ein Volk und Reich geworden, wurde 
aber dann von Israel überflügelt und schliesslich durch David 
auch unterworfen; in Folge dessen entstand der wttthende Hass 
zwischen den Brudervölkern, von dem Amfts redet. Dass dies 
die geschichtliche Grundlage der Sage ist und als solche empfun- 
den wird, erhellt ganz klar aus dem Wortlaut des Segens 
Isaak; hier wird sogar schon Bezug genommen auf öfters wieder- 
holte Versuche der Edomiter, das israelitische Joch abzuschütteln, 
und diesen Versuchen wird schliesslich dn glücklicher Erfolg 
verheissen. Vor David können sich also die Erzählungen über 
Jakob und Esau nicht einmal in ihren Grundzügen gebildet 



Die Erzählung des Hexateuchs. 341 

habeu; in ihrer jetzigen Gestalt (Gen. 27, 40) blicken sie sogar 
noch auf weit spätere Zeiten voraus. Bei diesem Wurzeln der 
Sage in der späteren Geschichte, das im Jehovisten so unver- 
holen zu Tage tritt, ist es denn auch nur eine scheinbare Spren- 
gung des historischen Rahmens, wenn gelegentlich ein Ver- 
zeichnis der edomitischen Könige bis auf David hergesetzt wird, 
mit eingestreuten chronistischen Bemerkungen wie z. B., dass 
Hadad ben Bedad (etwa gleichzeitig mit Gideon) die Midianiter 
geschlagen habe auf dem Felde Moabs. Ein weiteres Beispiel, 
wo der zeitgenössische Hintergrund recht klar durch die Patri- 
archengeschichte hindurchschimmert, bietet die Erzählung von 
Jakob und Laban dar. Dem von Mesopotamien nach dem 
Jordanlande auswandernden, halb* flüchtigen Hebräer folgt der 
aramäische Schwiegervater auf dem Fusse und ereilt ihn in 
Gilead: dort vertragen sie sich mit einander und türmen einen 
Wall auf, welcher die Grenze zwischen ihnen bilden soll, die 
zu respektieren und nicht feindlich überschreiten zu wollen 
sie sich gegenseitig verpflichten. Das entspricht dem wirklichen 
Sachverhalte, dass der hebräischen Einwanderung in Kanaan 
die aramäische folgte und sie zu überfluten drohte, dass Gilead 
das Grenzland zwischen den beiden Völkern war und lange Zeit 
der Schauplatz der grimmigsten Kämpfe zwischen ihnen. Auf 
die Syrerkriege wird auch im Segen Jakobs, in dem Spruche 
über Joseph, Bezug genommen; die Pfeilschützen, die Joseph 
arg bedrängen, ihn aber nicht zu überwältigen vermögen, können 
nur die Aramäer von Damaskus sein, deren Angriffen er ein 
Jahrhundert lang ausgesetzt war; Joseph erscheint hier durch- 
aus als der Träger des nordisraelitischen Königtums, als der 
Diademträger unter seinen Brüdern, wozu er ja auch schon durch 
seine frühesten Träume bestimmt wird. Sonst scheinen aller- 
dings der Erzählung über Joseph, soweit sie überhaupt durch- 
sichtig und nicht Produkt freier Poesie ist, weit ältere geschicht- 
liche Thatsachen zu Grunde zu liegen, aus einer Zeit wo sich 
die Vereinigung der beiden Hälften des nachmaligen Volkes 
Israel gerade erst vollzog, wenngleich in der Eifersucht der 
Brüder auf ihn ein späteres Motiv eingemischt sein mag 1 ). 

l ) Es verdient Beachtung, dass Joseph ursprünglich allein in Ägypten ist 
und seine Brüder erst nach sich zieht. Vermutlich zog die Übertragung 
des Begriffes Gesamtisrael in' die Urzeit die Folge nach sieb, dass man 



342 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Ebenso sind auch die geschichtlichen Beziehungen, die den Er- 
zählungen von den übrigen Söhnen Jakobs zu Grunde liegen, 
verhältnismässig sehr alt; sie liefern uns beinah die einzigen 
Nachrichten über die grosse Veränderung, welche bald nach 
Mose in dem Bunde der Stämme vor sich gegangen sein muss. 
Diese Veränderung hat besonders die zusammengehörige Gruppe 
der vier alten Leastämme betroffen. Rüben hat sich zu früh 
die Rechte des Vaters angemasst und verliert den Primat. Si- 
meon und Levi unternehmen eigenmächtig einen treulosen Über- 
fall gegen die Kanaaniter, Gesamtisrael lässt sie die Folgen 
allein tragen, sie erliegen der Rache ihrer Feinde und lösen 
sich als Stämme auf. Dadurch geht die Erstgeburt auf Juda 
über. Zwar wird auch Juda, ohne Zweifel in den Kämpfen, 
welche die Ansiedfung im Lande Kanaan begleitet haben, arg 
mitgenommen und auf einen kleinen Teil seines alten Bestandes 
herabgemindert, aber hier wird die Lücke ausgefüllt durch 
frischen Zuwachs von dem Mutterboden der Leastämme her, 
durch die Verbindung von Peres und Zerah , d. i. von Kaleb 
Kenaz Kain Jerahmeel, mit dem Reste des alten Juda. Sicher 
liegen den jehovistischen Erzählungen über Rüben Simeon Levi 
Juda Thatsachen aus der Zeit der Eroberung des heiligen Lan- 
des zu Grunde; es ist indessen hier nicht der Ort die geschicht- 
liche Interpretation noch weiter auszuführen. 1 ) Ausdrücklich 
aber möge- noch bemerkt werden, dass auch da, wo die histori- 
schen Motive ganz unzweideutig in der Patriarchensage sich ver- 
raten, doch nicht einfach die Wirklichkeit darin transcribiert ist. 
In Wirklichkeit hat Edom seinen Zorn gegen Jakob immerdar 
bewahrt und sein Verwandtschaftsgefühl erstickt (Arnos 1, 11); 

die Geschicke des Teils nicht von den Geschicken des Ganzen trennen 
konnte; ähnlich ist es, dass wenn Rahel eine Aramäerin ist, auch Lea 
eine sein muss. Vielleicht ist die Verbindung von Rahel und Lea zu 
einer nationalen Einheit erst durch Mose zu Stande gekommen. Mose 
kam von der Sinaihalbinsel (Lea) herbei, um die Hebräer von Gosen 
(Joseph) dorthin überzuführen; die Bezeichnung Levi konnte er nicht in 
Lea, sondern nur in Joseph erhalten. 
*) Vgl. den Artikel Israel in der Encyclopaedia Brit. (1881) p. 400 sq. Eine 
ähnliche Stammgeschichte ist Gen. 4, 1 — 15. Der alte Stamm Kain, dessen 
Name auf Ansässigkeit und Cultur hinweist, scheint in sehr früher 
Zeit zerschmettert und in alle Winde (Jud. 5, 24) gestoben zu sein — 
ähnlich wie Levi, mit dem er auch das Priestertum geteilt zu haben 
scheint. Dass Gen. 4, 1—15 nur durch Interpolation in die Ursage ge- 
kommen ist, ist bereits gesagt, 



Die Erzählung des Hexateuchs* 343 

in der Genesis kommt er dem von Mesopotamien zurückkehren- 
den Bruder, der in grösster Angst vor ihm ist, mit rührender 
Versöhnlichkeit entgegen : es ist ein Zug der den alten Israeliten 
nicht geringe Ehre macht. Daneben ist auch ein Fall von 
offenbarer Gehässigkeit zu verzeichnen, nämlich Gen. 19, 30—38, 
wo insbesondere die auffallende Namenlosigkeit der Töchter Lots 
beweist, dass sie lediglich zum Zweck der Blutschande zwischen 
Lot und seine Söhne Moab und Ammon eingeschoben sind. 
Sympathien und Antipathien mischen sich überall ein, dabei 
wird durchgehend der nordisraelitische Standpunkt angenommen, 
wie sieh besonders klar daraus ergibt, dass Rahel die schöne 
und geliebte Frau Jakobs ist, die er eigentlich allein haben 
wollte, Lea die hässliche und zurückgesetzte, die ihm nur unter- 
geschoben ist. 1 ) Im Ganzen werden die Gegensätze der Wirk- 
lichkeit in dieser poetischen Verklärung eher ausgeglichen als 
verschärft, die verbindenden Momente treten stärker und ab- 
sichtlicher hervor als die trennenden. Von eigentlichen Anspie- 
lungen detaillierter und persönlicher Art, z. B. auf die unsaube- 
ren Vorgänge am Hofe Davids, ist nichts zu bemerken, so wenig 
wie von gemachter und versteckter Tendenz. 

Diese Geschichten würden nun aber in der Luft schweben, 
wenn nicht noch andere Elemente hinzukämen, durch die es 
bewirkt wird, dass sie an einer bestimmten Ortlichkeit haften. 
Vorzugsweise kommt es in dieser Hinsicht in Betracht, dass die 
Patriarchen als die Begründer des volkstümlichen Cultus zu 
Sichern, Bethel, Beerseba und Hebron angesehen werden, wie 
wir bereits oben S. 31 ff. gesehen haben. Eine ganze Reihe von 
Erzählungen über sie sind Cultusmythen: sie entdecken darin 
durch eine Theophanie, dass ein bestimmter Fleck Landes hei- 
liger Boden sei, errichten dort einen Altar und nennen ihn nach 
dem Numen des Ortes. Sie wohnen ausschliesslich an Stätten, 
die späterhin als uralte Heiligtümer galten, und inaugurieren 
den Opferdienst daselbst. Die Bedeutung dieser Erzählungen 
hängt ganz und gar von dem Lokal ab; Interesse haben sie nur 
für diejenigen, die noch immer an dem selben Altare wie einst 
Abraham dem Jahve opfern, unter der selßen heiligen Eiche More 

l ) Es ist daraus aber nur zu schliessen, dass diese Sagen ursprünglich in 
Ephraim entstanden, nicht dass sie dort auch in ihrer uns vorliegenden 
Gestalt niedergeschrieben sind. 



344 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

oder Mamre. Ähnlich finden oder graben die Patriarchen die 
Grabhöhlen, die Quellen oder Brunnen, pflanzen sie die Bäume, 
die ihre Nachkommen noch nach Jahrtausenden heilig oder doch 
in Ehren halten. Es kommt auch vor, dass auffallende oder 
bedeutungsvoll scheinende Formationen der Landschaft durch 
einen Vorgang aus der Patriarchenzeit legendarisch erklärt wer- 
den. Wäre das Tote Meer nicht, so würden Sodom und Go- 
morrha nicht untergegangen sein; wäre nicht die kleine flache 
Landzunge, welche von Südosten her in den Sumpf sich vor- 
streckt, so würde Lot alsbald auf die Berge seiner Söhne Moab 
und Ammon geflohen sein und nicht erst den Umweg über Soar 
gemacht haben, welcher bloss den Zweck hat zu erklären, 
warum dieser Zipfel vom „Einstürze" ausgenommen ist, zu dessen 
Gebiet er doch eigentlich gehört. Die Salzsäule, zu der Lots 
Weib versteinert worden war, wurde noch zur Zeit des Josephus 
gezeigt; vielleicht hat auch der Ofenrauch , den Abraham am 
Morgen nach der Katastrophe vom judäischen Ufer aus auf- 
steigen sah, eine Beziehung zu einer dort gelegenen gleichna- 
migen Stadt. ') Die Entstehung des Gebirges Gilead wird durch 
seine historische Bedeutung erklärt; es ist ein ungeheurer Wall, 
der einst von Laban und Jakob aufgetürmt wurde, um als 
Grenze zwischen Aram und Israel zu dienen. Manchmal haben 
die Namen der Orte Anlass zur Entstehung einer Legende ge- 
geben, die nicht immer den wahren Grund der Benennung trifft. 
Letzteres ist zum Beispiel der Fall bei der Quelle von Lahai 
Koi, durch deren Entdeckung Hagar und Ismael vor dem Ver- 
schmachten gerettet werden. „Hagar nannte den Namen Jahve's, 
der mit ihr redete, El Koi (Gott des Schauens), denn sie sprach: 
habe ich die Gottheit geschaut und bin am Leben erhalten nach 
meinem Schauen! Darum nennt man den Brunnen Beer Lahai 
Koi (lebendig ist wer mich schaut), er liegt zwischen Kades und 
Berdan.« Nach Jud. 15, 18-20, 2. Sam. 23, 11 wird Lahai Koi 
richtiger zu erklären sein: Kinnlade der Antilope — so heisst 
nach dem Aussehen eine Reihe neben einander stehender Fels- 
zähne. 2 ) 

*) ItSQDD Jos. 15, 62 heisst wohl richtiger JEaDfl» da der Name wegen des 
vorgesetzten Artikels eine klare Bedeutung erkennen lassen muss. 

2 ) Vgl. Onugnathos und die Kamelskinnlade bei Vakidi a. 0. S. 298 Anm. 2, 
Jakut IV. 353, 9 ff. ^1 >t ein verschollener Tiername. Statt Q^n 



Die Erzählung des Hexateuchs. 345 

Der hiermit aufgezeigte reale Kern der Sage erscheint nun 
aber weiter im Jehovisten tiberall und immer tiberkleidet von 
dem bunten Gewebe der Phantasie. Je länger eine Erzählung 
durch den Mund des Volkes gegangen ist, desto mehr ist ihre 
Wurzel verdeckt von den wuchernden Trieben; man wird zum 
Beispiel annehmen dürfen, dass die Geschichte Josephs, eben 
deshalb weil sie fast zum Romane geworden ist, ihrer letzten 
Entstehung nach in hohes Altertum hinaufreicht. Die volkstüm- 
liche Phantasie spielt nun wohl wie sie will; doch macht sie 
nicht solche Sprünge, dass man ihr nicht nachgehen könnte. 
Wunder, Engel, Gotteserscheinungen, Träume fehlen nie auf der 
Palette. Ganz gewöhnlicher Aberglaube liegt zu Grunde, wenn 
Rahel durch den Genuss der ihr von Lea abgetretenen Alraunen, 
die Rüben gefunden hat, fruchtbar und mit Joseph schwanger 
wird. Echt Mythisches findet sich vereinzelt in dem Ringen 
Jakobs mit der Gottheit an der Jabbokfurt. Sehr beliebt sind 
Etymologie und Spruch als Ausgangspunkte von oft sehr leben- 
digen bunten Erzählungen. Auch hinter dem, was man für in- 
dividuelles Kunstproduct halten möchte, stecken dennoch oft 
alte stilvolle Motive. Ganz und gar aus solchen zusammenge- 
setzt ist zum Beispiel die Geschichte Jakobs und Labans. Die 
Brautwerbung am Brunnen wiederholt sich ganz ähnlich noch 
zweimal ; dass der Schwiegervater die älteste Tochter zuerst los 
werden will und sie dem Eidam nach dem Hochzeitsgelage 
unterschiebt, ist ebenfalls schwerlich Erfindung eines Einzelnen; 
die Hirtenkunststücke, wodurch Jakob die Schafe beliebig färbt, 
zeigen ganz die Art des Volksschwankes. Eine sehr beträcht- 
liche Stelle nimmt gehaltene oder verletzte Gastfreundschaft in 
der jehovistischen Genesis ein; dass unerkannt die Gottheit 
selber von Lot bewirtet, von den Sodomiten freventlich ange- 
tastet wird, ist ein bekannter tiberall wieder auftauchender Zug. 
Psychologische Ausschmückung, eigentliche Mache ist sehr We- 
niges; das Meiste beruht auf der ineinandergreifenden unwill- 
kürlichen Arbeit Unzähliger. Wie bildsam und lebendig der 
Stoff noch im neunten oder achten Jahrhundert gewesen sein 
muss, zeigen die vielfachen Varianten und Dubletten, die gleich- 
wohl den Grundcharakter des Themas kaum verändern. 

Gen. 16, 15 ist DVi^N zu lesen (vgl. 1. Sam. 3, 13) und vor 'HpiN etw & 
VifcO einzuschieben. 



346 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Noch einen Zug zur Charakteristik des Jehovisten muss ich 
hinzufügen. Seine Erzählungen sind jede für sich und einzeln 
zu verstehen; die Genealogie dient nur dazu sie aufzureihen, 
ihr Interesse . und ihre Bedeutung bekommen sie aber keines- 
wegs erst aus dem Zusammenhang. Die lokale Färbung so 
vieler unter ihnen beweist lokalen Ursprung, und wie manche 
stossen sich im Grunde genommen und stehen nur gezwungen 
bei einander! In dem ganzen literarischen Charakter, in der 
lockeren Fügung der jehovistischen Patriarchengeschichte zeigt 
sich wie allmählich die Elemente zusammengebracht, wie wenig 
sie schon mit einander verwachsen sind. In diesem Punkt steht 
die Patriarchengeschichte der Ursage des Jehovisten, bei der 
wir das selbe- constatiert haben, ganz gleich. 

2. Die jehovistische Gestalt der Erzväterlegenden beherrscht 
durchaus den Eindruck, den wir überhaupt davon haben. So 
lernen sie die Kinder in der Schule und so können sie sie be- 
halten. Um die Parallele des Priestercodex damit zu ver- 
gleichen, ist es unumgänglich dieselbe zunächst herzusetzen; 
denn Wenige kennen den Eindruck, den sie macht. 

„Und Abram war 5 Jahr und 70 Jahr als er aus Harran 
auszog. Und Abram nahm Sarai sein Weib und Lot seines 
Bruders Sohn und all ihren Erwerb, den sie erworben, und die 
Seelen, die sie erzielt hatten, und sie zogen aus zu gehen in's 
Land Kanaan und kamen in's Land Kanaan (12, 4 b . 5). Und 
das Land ertrug sie nicht beisammen zu wohnen, denn ihr Be- 
sitz war gross, und sie konnten nicht beisammen wohnen. Und 
sie trennten sich von einander, Abram wohnte im Lande Kanaan 
und Lot wohnte in den Städten des Kikkar. *) Und da Gott 
die Städte des Kikkar verderbte, gedachte Gott an Abram und 
Hess Lot heraus aus dem Umsturz, als er die Städte umstürzte, 

in denen Lot wohnte (13, 6. ll b . 12 ab - 19, 29). Und Sarai 

war unfruchtbar, hatte kein Kind. Da nahm Sarai, Abrams 
Weib, die Ägypterin Hagar, ihre Magd, nach 10 Jahren des 
Aufenthalts Abrams im Lande Kanaan, und gab sie Abram, 
ihrem Manne, ihm zum Weibe, und Hagar gebar dem Abram 
einen Sohn, und Abram nannte den Namen des Sohnes, den 
Hagar geboren hatte, Ismael; und Abram war 80 Jahr und 
6 Jahr, da Hagar den Ismael dem Abram gebar (11, 30. 16, 3. 
l ) wo später das Tote Meer war, 



Die Erzählung des Hexateuchs. 347 

15. 16)." Folgt die Bundschliessung Gottes mit Abram, dessen 
Namen er jetzt in Abraham verwandelt, und die Anordnung der 
Beschneidung als Zeichen der Bundeszugehörigkeit; ferner die 
Ankündigung der Geburt Isaaks von der 90jährigen Sarai, die 
hinfort Sara heissen soll, und dessen Einsetzung zum Erben des 
Bundes an Ismaels Stelle (Kap. 17). „Und Sara gebar dem 
Abraham einen Sohn zu der Frist, die ihm Gott gesagt hatte. 
Und Abraham nannte den Namen seines Sohnes, der ihm ge- 
boren war, den ihm Sara geboren hatte, Isaak. Und Abraham 
beschnitt seinen Sohn Isaak nach acht Tagen, wie Gott ihm 
geboten hatte. Und Abraham war 100 Jahr alt, als ihm sein 
Sohn Isaak geboren wurde (21, 2—5). Und es war das Leben 
der Sara 100 Jahr und 20 Jahr .und 7 Jahr, die Lebensjahre der 
Sara. Und Sara* starb in Kiriath Arba, das ist Hebron im 
Lande Kanaan". Daran schliesst sich die juristisch genau auf- 
genommene Verhandlung Abrahams mit dem Hethiter Ephron, 
von dem er die Höhle von Makpela gegenüber Mamre zum Erb- 
begräbnis erwirbt (Kap. 23). „Und dies sind die Tage des Le- 
bens Abrahams, die er lebte, 100 Jahr und 70 Jahr und 50 Jahr. 
Und Abraham verschied und starb in gutem Greisenalter, hoch- 
betagt und lebenssätt, und ging ein zu seiner Verwandtschaft. 
Und Isaak und Ismael, seine Söhne begruben ihn in der Höhle 
Makpela auf dem Felde Ephrons ben Sohar des Hethiters gegen- 
über Mamre: das Feld, das Abraham von den Kindern Heth ge- 
kauft hatte, da ward Abraham begraben und sein Weib Sara. 
Und nachdem Abraham tot war, segnete Gott seinen Sohn 
Isaak (25, 7— ll a )." Folgen die Tholedoth (generationes) Ismaels, 
gemäss der regelmässigen Sitte, zuerst die Nebenlinien zu erle- 
digen (25, 12—17). „Dies sind die Tholedoth Isaaks des Sohnes 
Abrahams. Abraham zeugte Isaak .... und Isaak war 40 Jahr 
alt, da er die Rebekka, die Tochter Bethuels des Aramäers aus 
Paddan Aram, die Schwester Labans des Aramäers sich zum 
Weibe nahm .... und Isaak war 60 Jahr alt, da sie geboren 
wurden (25, 19. 20. 26°). Und*Esau war 40 Jahr alt, da nahm 
er ein Weib, Judith, die Tochter Beerfs des Hethiters, und Bos- 
math, die Tochter Elons des Hethiters, und sie wp.ren ein Her- 
zenskummer für Isaak und Rebekka. Und Eebekka sagte zu 
Isaak: mich verdriesst zu leben wegen der Töchter Heths; wenn 
Jakob auch solche Weiber von den Töchtern Heths, von den 



348 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Töchtern des Landes, nimmt, was soll mir das Leben! Da rief 
Isaak den Jakob und segnete ihn und befahl ihm und sprach 
zu ihm: du sollst dir kein Weib nehmen von den Töchtern Ka- 
naans; auf gehe nach Paddan Aram zum Hause Bethuels, des 
Vaters deiner Mutter, und hole dir von dort ein Weib von den 
Töchtern Labans, des Bruders deiner« Mutter, und. El Schaddai 
wird dich segnen, dich mehren und ausbreiten, und er wird dir 
den Segen Abrahams geben, dir und deinem Samen mit dir, 
dass du das Land, wo du fremd bist, erbest, das Gott dem 
Abraham gegeben. Und Isaak entsandte Jakob, und er ging 
nach Paddan Aram zu Laban ben Bethuel dem Aramäer, dem 
Bruder der Rebekka, der Mutter Jakobs und Esau's. Und Esau 
sah, dass Isaak den Jakob segnete und ihn nach Paddan Aram 
sandte, um sich von dort ein Weib zu nehmen, indem er ihn 
segnete und ihm befahl: du sollst kein Weib von den Töchtern 
Kanaans nehmen. Jakob nun hörte auf seinen Vater und ging 
nach Paddan Aram. Esau aber sah, dass die Töchter Kanaans 
seinem Vater Isaak misfielen, und Esau ging hin zu Ismael und 
nahm die Mahalath, die Schwester Nebajoths, zu seinen Wei- 
bern hinzu sich zum Weibe (26, 34f. 27, 46. 28, 1-9) ... und 
Laban gab ihr seine Magd Zilpa, seiner Tochter Lea zur Magd 
.... Und er gab ihm seine Tochter Rahel ihm zum Weibe, 
und Laban gab seiner Tochter Kahel seine Magd Bilha ihr zur 
Magd (29, 24. 28*. 29). Und die Söhne Jakobs waren zwölf. 
Die Söhne Lea's: der Erstgeborene Jakobs Rüben, Simeon, Levi, 
Juda, Issachar, Zebuion. Die Söhne Raheis: Joseph und Ben- 
jamin. Die Söhne Bilha's Raheis Magd: Dan und Naphthali. 
Die Söhne Zilpa's Lea's Magd: Gad und Äser. Das sind die 
Söhne Jakobs, die ihm geboren wurden in Paddan Aram (35, 
23—26) . . . [Und Jakob nahm] all seinen Erwerb, den er er- 
worben, die Habe seines Besitzes, den er in Paddan Aram er- 
worben, heimzugehen zu seinem Vater Isaak in's Land Kanaan 
(31, 18). Und Gott erschien dem Jakob als er heimkam aus 
Paddan Aram, und segnete ihn, und Gott sprach zu ihm: dein 
Name ist Jakob, dein Name soll nicht mehr Jakob heissen, son- 
dern Israel soll dein Name sein. Und Gott sprach zu ihm : 
ich bin El Schaddai, wachse und bjreite dich aus, ein Volk und 
ein Haufe von Völkern soll aus dir kommen und Könige sollen 
aus deinen Lenden hervorgehen; und das Land, das ich Abraham 



Die Erzählung des Hexateuchs. 349 

und Isaak gegeben habe, dir will ich's geben, und deinem Sa- 
men nach dir will ich das Land geben. Und Gott fuhr auf von 
ihm an dem Orte wo er mit ihm geredet hatte. Und Jakob 
nannte den Namen des Ortes, wo Gott mit ihm geredet hatte, Bethel 
(35, 9—13. 15). Und sie brachen auf von Bethel, und da es noch 
eine kurze Strecke bis nach Ephrath war, starb Rahel und ward 
begraben am Wege nach Ephrath d. i. Bethlehem (35, 16 a . 19; 
vgl. 48, 7. 49, 31). Und Jakob kam zu seinem Vater Isaak 
nach Mamre bei Kiriath Arba d. i. Hebron, wo Abraham und 
Isaak als Fremde wohnten. Und es waren die Tage Isaaks 
100 Jahr und 80 Jahr. Und Isaak verschied und statb und ging 
ein zu seiner Verwandtschaft, hochbetagt und lebenssatt, und 
seine Söhne Esau und Jakob begruben ihn (35, 27—29)." Fol- 
gen die Tholedoth Esau's in Kap. 36 '). „Und Esau nahm seine 
Weiber und seine Söhne und seine Töchter und alle Seelen seines 
Hauses und seine Habe und all sein Vieh und all seinen Besitz, 
den er erworben im Lande Kanaan, und ging in's Land Seir 
wegen seines Bruders Jakob. Denn ihr Besitz war zu gross um 
beisammen zu wohnen, und das Land ihres. Aufenthalts ver- 
mochte nicht sie zu ertragen wegen ihres Besitzes. Und Esau 
wohnte auf dem Gebirge Seir, Esau das ist Edom. Und Jakob 
wohnte im Lande des Aufenthalts seines Vaters, im Lande Ka- 
naan (36, 6—8. 37, 1). Dies sind die Tholedoth Jakobs 

(37, 2). Und sie nahmen ihr Vieh und ihren Erwerb, den sie • 
erworben im Lande Kanaan und kamen nach Ägypten, Jakob 
und all sein Same mit ihm; seine Söhne und sefher Söhne Söhne 
und all seinen Samen brachte er mit sich nach Ägypten (46, 6. 
7). Folgt die Aufzählung der 70 Seelen, welche damals seinen 
Samen ausmachten. „Und Jakob und seine Söhne kamen nach 
Ägypten zu Joseph, und Pharao, der König von Ägypten, hörte 
es. Und Pharao sagte zu Joseph : dein Vater und deine Brüder 
sind zu dir gekommen, siehe das Land Ägypten steht dir offen, 
im bebten Teile des Landes lass deinen Vater und deine Brüder 
wohnen. Und Joseph brachte seinen Vater Jakob und stellte 
ihn vor Pharao, und Jakob segnete Pharao. Und Pharao sprach 
zu Jakob : wie viel sind die Tage deiner Lebensjahre? und Jakob 
sprach zu Pharao: die Tage der Jahre meines Aufenthalts in 

l ) welches Kapitel jedoch nur teilweise dem Priestercodex angehört. 



350 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

der Fremde sind 130 Jahre, wenig und böse sind die Tage 
meines Lebens gewesen und haben nicht erreicht die Tage der 
Jahre meiner Väter zur Zeit ihres Aufenthalts. Und Jakob 
segnete den Pharao und ging fort von Pharao. Und Joseph 
Hess seinen Vater und seine Brüder wohnen und gab ihnen 
Grundbesitz im Lande Ägypten, im besten Teile des Landes, 
im Lande Eameses, wie ihm Pharao geboten hatte (47, 5 b . 6. Sept.; 
47, 7— 11). Und sie siedelten sich dort an und wuchsen und 
mehrten sich sehr. Und Jakob lebte im Lande Ägypten 17 Jahr, 
und es waren die Tage Jakobs, seine Lebensjahre, 7 Jahr und 
140 Jahr (47, 27 b . 28) . . . Und Jakob spracb zu Joseph: El 
Schaddai erschien mir zu Luz im Lande Kanaan und segnete 
mich und sprach zu mir: siehe ich breite dich aus und mehre 
dich und mache dich zu einem Haufen von Völkern und gebe 
dieses Land deinem Samen nach dir zu ewigem Besitz. Und 
nun, deine beiden. Söhne, die dir im Lande Ägypten geboren 
sind, ehe ich zu dir kam nach Ägypten, sind mein; Ephraim und 
Manasse sollen mein sein wie Rüben und Simeon. Und die 
Kinder, die du nach ihnen gezeugt hast, sollen dein sein; nach 
dem Namen ihrer Brüder sollen sie heissen in deren Erbe. Und 
als ich von Paddan kam, starb mir Rahel im Lande Kanaan 
unterwegs als es noch eine kurze Strecke bis nach Ephrath war, 
und ich begrub sie am Wege nach Ephrath, das ist Bethlehem 
•(48, 3—7, zu v. 7 vgl. 49, 31) .... [und auch die übrigen Söhne] 
segnete er und befahl ihnen und sprach zu ihnen: ich gehe ein 
zu meiner Verwfcdtschaft, begrabt mich bei meinen Vätern in 
der Höhle des Feldes Makpela gegenüber MSmre im Lande Ka- 
naan, welches Feld Abraham von Ephron dem Hethiter zum 
Erbbegräbnis gekauft hat — dort haben sie Abraham begraben 
und Sara sein Weib, dort haben sie Isaak begraben und Rebekka 
sein Weib und dort habe ich Lea begraben — den Besitz des 
Feldes und der Höhle darauf von den Kindern Heth. Und Jakob 
borte auf seinen Söhnen zu befehlen und zog seine Füsse zu- 
sammen auf dem Lager und verschied und ging ein zu seiner 
Verwandtschaft (49, 28 b — 33). Und seine Söhne brachten ihn 
in's Land Kanaan und begruben ihn dort in der Höhle des Fel- 
des Makpela, welches Feld Abraham gekauft hatte zum Erbbe- 
gräbnis, von Ephron dem Hethiter, gegenüber Mamre (50, 12. 
13). Und dies sind die Namen der Kinder Israel, die nach 



fej: 



Die Erzählung des Hexateuchs. 351 

Ägypten kamen, mit Jakob kamen sie, jeder mit seinem Hause: 
Rüben Simeon Levi Juda Issacbar Zebuion Benjamin Dan Naph- 
thali Gad Äser. Und die Summe der Seelen, die aus Jakobs 
Lenden hervorgegangen waren, war 70 Seelen, und Joseph war 
in Ägypten. Und die Kinder Israel wuchsen und wucherten gar 
sehr, und das Land ward voll von ihnen, und die Ägypter 
knechteten die Kinder Israel mit Härte, zu aller Arbeit, welche 
sie durch sie arbeiteten mit Härte, und verbitterten ihnen das 
Leben mit schwerer Arbeit (Exod. 1, 7. 13. 14). Und die Kinder 
Israel stöhnten wegen der Arbeit und schrien, und ihre Klage 
wegen der Arbeit drang zu Gott, und Gott hörte ihr Geschrei 
und Gott gedachte an seinen Bund mit Abraham Isaak und 
Jakob und Gott hatte ein Einsehen (2, 23—25). Und Gott re- 
dete zu Mose und sprach zu ihm: Ich bin Jahve. Dem Abraham 
Isaak und Jakob bin ich erschienen als El Schaddai, mit meinem 
Namen Jahve habe ich mich ihnen nicht kundgegeben, und ich 
habe einen Bund mit ihnen gemacht, ihnen das Land Kanaan 
zu geben, das Land ihres Aufenthalts, wo sie Fremdlinge waren. 
Und ich habe auch das Geschrei der Kinder Israel gehört, dass 
die Ägypter sie knechten, und habe meines Bundes gedacht 
u. s. w. (6, 2ffA" 

Das ist <ras Ganze. Im Allgemeinen beschränkt sich die 
Darstellung darauf, bloss die Gliederung und Verkettung des 
Stoffes wiederzugeben. Es ist als ob Q der rothe Faden sei, 
an dem äie Perlen von JE aufgereiht werden. Statt des noch 
ziemlich lockeren Gefüges des Jehovisten zeigt die Erzählung 
des Priestercodex eine fest geschlossene literarische Form; ein 
sehr merkwürdiges Zeichen davon sind die regelmässigen Über- 
schriften an der Spitze der einzelnen Abschnitte, die stehend mit 
den Worten ni*6in rhu (hae sunt generationes) , beginnen, von 
denen die Genesis den Namen hat 1 ) — in der übrigen histori- 
schen Literatur des Alten Testamentes findet sich dergleichen 
noch nicht. Dabei ist charakteristisch, dass jedesmal nach einer 
solchen Überschrift, die einen neuen Abschnitt eröffnet, zuerst 
ganz kurz der Inhalt des vorigen rekapituliert wird, um das 
Glied der Kette einzureihen. 

l ) Autt) ^ ßfßXo« fzv&teuK 2, 4 Sept. Daher Ewalds Name für den Priester- 
codex, der für die Genesis oder vielleicht überhaupt für das Vierbtmdes- 
buch (Q) sehr passend ist: Buch der Ursprünge, über originum. 



352 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Auf den Inhalt der einzelnen Erzählungen geht der Priester- 
codex so wenig wie möglieh ein. Die Prädikate werden so weit 
es geht abgestreift und darnach die Subjekte ordentlich in ein 
Register, mit verbindendem Texte, zusammengestellt. Fast 
schrumpft die Darstellung auf diese Weise zusammen zu einer 
Art räsönnierender Genealogie; die Genealogie bildet jedenfalls 
den hauptsächlichen Inhalt der Geschichte und tritt hier so breit 
und systematisch auf wie nirgend sonst. Man hat nun wohl 
eben hierin einen Beweis gefunden, dass Q einem älteren Ent- 
wicklungsstadium der hebräischen Geschichtschreibung angehöre 
als JE; denn dass sich die älteste hebräische a und überhaupt 
morgenländische Geschichtschreibung aus den den Stammes- 
und Geschlechtsverzeichnissen eingefügten historischen Notizen 
und Überlieferungen herausgestaltet habe, könne doch wohl 
keinem Zweifel unterliegen *). Indessen wissen wir genau, dass 
in den Büchern der Richter Samuel^ und der Könige von ge- 
nealogischer Statistik nichts vorkommt, während die Chronik 
samt Zubehör voll davon ist; wir wissen ferner, dass Lieder wie 
Jos. 10, 12. 13. Jud. 5. 2. Sam. 1, 19ff. 3, 33f. die ältesten histo- 
rischen Denkmäler sind, undvdass sich davon in JE eine Anzahl 
finden, in Q kein einziges. Die Herdersche Theorie von der 
Entwicklung der Geschichte aus der Genealogie halft nicht stich 2 ); 
ausserdem aber haben wir es hier überhaupt nicht mit eigent- 
licher Geschichte zu thun, sondern mit Volkssage. 

Wohl liegt die Genealogie auch im Jehovisten als Skelett 
zu Grunde. Sie ist das naturgemässe Band, um die Sagen auf- 
zureihen. Auch in der Zeit, wo diese letzteren nur erst einzeln 
und mündlich umliefen, ist sie dem Volke nicht unbekannt ge- 
wesen. Aber sie hat nur als stillschweigende Voraussetzung zu 
Grunde gelegen. Wenn von Isaak und Ismael und Lot und Esau 
erzählt wurde, so wusste man ohne weiteres, was man sich unter 
diesen Personen vorzustellen hatte, in welcher Beziehung sie zu 
Israel und zu einander standen. Das war nur aas selbstver- 
ständliche Substrat, aber keineswegs das eigentliche Interesse 
der ursprünglichen Erzählungen. Dieses hängt vielmehr eben an 

! ) Riehm, die s. g. Grundschrift des Pentateuchs, in den Studien und Kri- 

* tiken 1872 S. 296. 
s ) auch bei den Arabern nicht, wie besonders Sprenger gegen Caussin de 
Perceval (Essai, prefaee p. IX) ausgeführt hat. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 353 

den Zügen, die im Priestercodex fortgefallen sind. Die Charak- 
teristik der Völker nach ihrem wirklichen historischen Verhält- 
nisse zu einander, nicht nach dem leeren embryologischen, nach 
ihrer Gesinnung gegen einander, nicht nach ihrer Verwandt- 
schaft, ist das eigentlich Fesselnde dieser Art von Sagen; auf 
ihrer unbewussten Transparenz, auf dem Durchscheinen der ge- 
schichtlichen Stimmung ihrer Entstehungszeit beruht ihr Reiz 
und ihr Leben. Je mehr wir dabei von Liebe und Hass und 
Eifersucht und Schadenfreude spüren, desto näher stehen wir 
den treibenden Kräften der Überlieferung über die Vorzeit. Im 
Priestercodex fehlen alle jene Geschichten, an denen man etwa 
einen moralischen Anstoss nehmen könnte, z. B. von der durch 
die Feigheit der Erzväter bewirkten Gefährdung der Ehre ihrer 
Weiber, von der grausamen Eifersucht der Sara auf die Hagar, 
von dem hässlicheu Wettkampfe Lea's und Raheis um Mann 
und Kinder, von der Blutschande der Töchter Lots, von der 
Schändung Dina's. Aller Hass und Streit und Betrug in der 
Erzväterfamilie fällt fort: Lot und Abraham, Isaak und Ismael, 
Jakob und Esau gehen schiedlich friedlich auseinander; von dem 
bösen Spiele Labans und Jakobs gegen einander, von der Treu- 
losigkeit Simeons und Levi's gegen Sichern, von der Feind- 
schaft der Brüder gegen Joseph ist nichts im Priestercodex zu 
lesen. Hiemit bleiben nun aber nicht bloss „ psychologische 
Ausschmückungen", wie man es genannt hat, weg, sondern es 
wird den Sachen das Herz ausgeschnitten. Dass Moab und Am- 
nion und Ismael und Edom hebräische Völkerschaften sind, 
sämtlich näher oder entfernter den Israeliten verwandt, dass 
auch die Aramäer zu den Hebräern in naher Beziehung stehen 
und mit ihnen vielfach verschwägert sind, dass die einen in 
diesem, die anderen in jenem Nachbarlande Palästinas wohnen 
— das durch eine trockene ethno- und geographische Statistik 
in genealogischer Form darzustellen, worin von nichts als von 
Heiraten und Geburten und Scheidungen der Ahnherren in die 
verschiedenen Wohnsitze ihrer Völker die Rede ist, hat die 
Volkssage unmöglich im Sinne gehabt zu einer Zeit, wo alle 
diese Verhältnisse^ noch lebendig und jedem Kinde vertraut und 
geläufig waren. Ebenso wie die historische ist auch die lokale 
Färbung der Erzvätersage im Priestercodex abgestreift; sie wer- 
den von all den Orten ferngehalten, deren Heiligkeit sie im 

Wellhausen, Prolegomena. 23 



354 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Jehovisten begründen 1 ). Zum Verständnisse der Erzählung des 
Priestercodex in der Genesis hat man keine historische Geographie 
nötig; das bedeutet aber, dass dieselbe dem Boden, woraus die 
mündliche Tradition erwächst, ganz fern steht. Imgleichen ist 
das Absehen yon der Etymologie, vom Spruche und vom Liede, 
das Fehlen der Wunder Theophanien und Träume und weiter 
des ganzen bunten Zaubers der Poesie, mit dem die jehovisti- 
schen Erzählungen geschmückt sind, nicht etwa ursprüngliche 
Simplicität, sondern Verzichtleistung auf die Quelladern und auf 
die wesentlichen Züge der Sage 2 ). Was übrig bleibt, ist mit 
nichten die historische Objectivität, sondern das Schema. 

J ) Einen wunderlichen Ausdruck hat Hupfeld dieser Beobachtung gegeben, 
indem er sagt, Abraham Isaak und Jakob siedelen im Priestercodex weit 
fester. Es ist ja doch diese Schrift, welche geflissentlich so oft die 
Pilgerschaft, die Nichtansässigkeit der Patriarchen hervorhebt; sie redet 
immer nur davon, dass Abraham im Lande Kanaan geweilt habe, und 
nennt selbst für die Gotteserscheinung Kap. 17 keinen bestimmten Ort; erst 
als es sich darum handelt Sara und Abraham zu begraben, wird, aus 
diesem zwingenden Grunde, das Feld Makpela bei Hebron (wohl gemäss 
dem verloren gegangenen Berichte von JE) zum Grundbesitz der Erz- 
väterfamilie erworben, wo sie nun weiterhin sich dauernd niederlässt. Das 
Wohnenbleiben Isaaks und Jakobs am Grabe Abrahams hat mehr nega- 
tive als positive Bedeutung; und umgekehrt sollen die Kreuz- und Quer- 
züge der Patriarchen in JE sie nicht als schweifende Nomaden darstellen, 
sondern sie mit all den heiligen Orten in Berührung bringen, zu denen 
sie eine besondere Beziehung hatten. 

2 ) Riehm (a. 0. S. 302 f.) hält es freilich für constatiert, dass die religiöse 
Überlieferung des höheren Altertums sich durch ihre „nüchterne Einfach- 
.heit" und ihre „dem erhabenen Gegenstande angemessene Haltung" aus- 
zeichne, dass sie erst im Laufe der Zeit „von der Phantasie des Volkes", 
die aber nicht so leicht in die ernste Literatur Eingang finde (!), mit 
allerlei Wunderbarem und Geheimnisvollem ausgeschmückt werde. Er be- 
ruft sich darauf, dass die Engelvorstellung, obwohl gewiss beim Volke 
längst ausgebildet, bei den älteren Propheten doch nur vereinzelt vor- 
komme, häufiger dagegen bei den jüngeren, wie Ezechiel Zacharia Da- 
niel. Es ist schwer Wahrheit und Irrtum aus diesem Gemisch zu schei- 
den. Im Priestercodex finden sich allerdings keine Engel, dagegen aber 
Azazel und Seirim (2. Chron. 11, 15. Isa. 13, 21. 34, 14 vgl. oben S. 53); 
denn wo die Götter nicht sind, da walten Gespenster. In der einen 
jehovistischen Hauptquelle (J) kommt vorzugsweise der Mal'ak Jahve (die 
Botschaft Jahve's) vor, das ist Jahve selber, sofern er erscheint und sich 
offenbart, sei es in einem Naturvorgange, sei es in Menschengestalt. Etwas 
anderes sind die B'ne Elohim, Wesen von göttlicher Substanz, an welche 
man vielleicht bei der 1. Pluralis im Munde Jahve's (Gen. 3, 22. 11, 7) zu 
denken hat. Beides ist ohne Zweifel sehr alt. In der anderen Haupt- 
quelle (E) scheint eine Vermischung eingetreten zusein; die himmlischen 
Scharen sind nicht bloss die Kinder und Begleiter der Gottheit (32,2.3), 
sondern auch deren Boten, Vermittler des Verkehrs, zwischen Himmel und 
Erde (28,12): hier haben wir die Mal'akim neben Gott und im Plural. 
Dass auch dies nicht gerade jung ist, erhellt aus der Vision Micha' s 



Die Erzählung des Hexateuehs. 355 

Was von der Ursage gilt, gilt auch von der Patriarchen- 
sage: die Individualität der einzelnen Erzählung ist das Wesent- 
liche und das Ursprüngliche, der Zusammenhang ist Nebensache 
und erst durch die Sammlung und schriftliche Aufzeichnung 
hineingebracht. Die Individualität der einzelnen Erzählung ist 
nun aber im Priestercodex durch die einseitige Hervorhebung 
des Zusammenhangs geradezu vernichtet. Was hat es für einen 
Sinn , dass Jakob plötzlich Israel d. i. Kämpfegott heissen soll 
(35, 10), wenn sein Ringkampf mit El, der Grund der Um- 
nennung, verschwiegen wird? Kommt die Geschichte von Joseph 
im Priestercodex auch nur im entferntesten zu ihrem Rechte? 
Kann das ursprüngliche Kürze sein, wenn die Zerstörung So- 
doms und Gomorrha's in einem Nebensätze abgemacht wird, wie 
es 19, 29 geschieht? Man hat das bemerkenswerte Zugeständnis 
gemacht *), es sei der summarischen Berichterstattung des Priester- 
codex anzumerken, dass der Verfasser viel ausführlicher hätte 
erzählen können, wenn dies im Plane seines Werkes gelegen 
hätte, und dies setze allerdings eine ausführlichere Kunde vor- 
aus. Indessen die vorausgesetzte ausführlichere Kunde sei 
keineswegs notwendig eine schriftlich verzeichnete und am we- 
nigsten die uns vorliegende jehovistische; vielmehr erkläre sich 
der Sachverhalt am befriedigendsten durch die Annahme, dass 
der Verfasser eine ausführliche Erzählung nicht für erforderlich 
gehalten habe, weil die im Volke lebendige mündliche Über- 
lieferung die Grundlinien seiner chronikartigen Notizen noeh 
tiberall zu lebensvollen farbenreichen Bildern auszumalen im 

(1. Reg. 22, 19 ff.). Was versteht Riehm unter höherem Altertum? eine 
Periode, aus. der uns gar keine Denkmäler erhalten sind? Warum zieht 
er gerade die prophetische Literatur in Betracht? Da er einräumt, dass 
die Engelvorstellung „in der Phantasie des Volkes" früh vorhanden ge- 
wesen sei, sollte er sich doch auch zu dem weiteren Zugeständnis ent- 
schliessen, dass die Aufzeichner der Volks sage sich etwas anders zum 
Volksglauben verhalten haben als die prophetischen Bussprediger. 
Nicht einmal die historischen Bücher können in diesem Punkte mit dem 
gleichen Masse gemessen werden wie die vorgeschichtliche Überlieferung. 
Was ist übrigens ursprünglicher, dass die Engel sich einer Leiter be- 
dienen, wie in der Genesis, oder dass sie Flügel haben wie bei Jesaia? 
Betreffend endlich die Verweisung auf Ezechiel (?) Zacharia und 
Daniel, so scheint mir der Unterschied zwischen der systematischen, 
überall mit Zahlen und Namen operierenden Angelologie und dem kind- 
lichen Engelglauben ziemlich klar zu sein. "Jene rückt Gott in die Ferne, 
dieser bringt ihn nahe. 
») Riehm a. 0. S. 292. 

23* 



356 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Stande gewesen sei. Dies ist indessen lediglieh ein Versuch, 
der unvermeidlichen bestimmten Vergleichung zwischen Priester- 
codex und Jehovisten aus dem Wege zu gehen. Die Frage ist, 
welche der beiden Schriften dem Ausgangspunkte am nächsten 
steht. Ist es diejenige, welche zur Hauptsache macht, was dem 
Wesen der mündlichen Überlieferung eigentlich fremd ist, was 
erst durch literarische Composition hineinkömmt? Es wäre doch 
seltsam, wenn der Anfang zur Aufzeichnung der Sage damit ge- 
macht wäre, das aufzuzeichnen, was die Sage nicht enthielt. 
Was uns im Priestercodex geboten wird, ist die Quintessenz 
nicht der mündlichen, sondern der bereits schriftlich gewordenen 
Überlieferung. Und zwar ist die schriftliche Fixierung der Vor- 
geschichte, welche benutzt wird, das jehovistische Erzählungs- 
buch. Die Anordnung, welche die volkstümlichen Legenden dort 
gefunden haben, ist hier zum Kern der Erzählung gemacht; der 
dort noch hinter der Ausführung versteckte Plan tritt hier scharf 
und markiert, freilich durchweg übereinstimmend, als die Haupt- 
sache des Ganzen hervor. 

3. Dem Geiste der Sage, in dem der Jehovist noch lebt, 
ist der Priestercodex entfremdet; er thut ihr Zwang an, indem 
er sie von seinem Standpunkte aus behandelt, der ein ganz an- 
derer geworden ist als der ihrige. Die sittliche und geistige 
Bildung ist fortgeschritten. Daher die Beseitigung von wirk- 
lichen oder anscheinenden Verstössen gegen die Moral, von 
allzu kindlichen, abergläubischen oder gar mythischen religiösen 
Vorstellungen. Wenn die Gottheit auftritt , so darf sie doch 
nicht in die Sinne fallen, wenigstens nicht in irgend einer Form 
gesehen werden. Jahve redet mit Jakob, aber nicht im Traume 
von der Himmelsleiter, er offenbart sich dem Mose, aber nicht 
im feurigen Busch; der Begriff der Offenbarung wird festgehalten, 
aber die Ergänzungen, die hinzukommen müssen um aus dem 
Abstractum ein Concretum zu machen, werden abgestreift. Unter 
welchen Formen, durch welche Medien ein Mensch Offenbarung 
empfängt, ist gleich giltig, wenn nur die Thatsache feststeht; 
mit anderen Worten ist die Offenbarung nicht mehr lebendige 
Realität in der Gegenwart, sondern totes Dogma für die Ver- 
gangenheit. Vor allem Anderen zeigt sich der Fortschritt der 
Bildung beim Priestercodex in der gelehrt historischen Behand- 
lung, die er der Sage angedeihen lässt. Da ist zunächst die 



Die Erzählung des Hexateuchs. 357 

Chronologie, der wir schon bei der Ursage begegnet sind und 
die natürlich bei der Patriarchensage fortgeht. Gerade bei der 
Patriarchensage zeigt sich recht deutlich, wie fremd die gelehrte 
Kechnung dem poetischen Stoffe ist; in einigen Beispielen, in 
denen die Sachen zu einer ganz anderen Vorstellung führen als 
die Zahlen. Folgt man den Zahlen des Priestercodex, so kann 
man mit den Rabbinern Sem und Eber als die greisen Häupter 
der Judenschule ansehen, bei denen der kleine Jakob die Buch- 
staben und die Thora lernte. Jakobs Aufenthalt in Mesopota- 
mien dauert dann etwa 80 Jahr; während dieser Zeit liegt 
Isaak beständig auf dem Sterbebett; nachdem er für uns längst 
tot ist, taucht er unversehens noch einmal auf, freilich nur um 
zu sterben. Mit d&r Chronologie Hand in Hand geht die allge- 
meine Vorliebe des Priestercodex für Zahlen und Namen, die 
sich schon in der Genesis, freilich noch weit stärker in den 
späteren Büchern des Pentateuchs äussert. Die mündliche Volks- 
sage kann wohl runde Zahlen enthalten, wie die 12 Söhne und 
die 70 Seelen der Familie Jakobs, die 12 Brunnen und die 70 
Palmen zu Elim, die 70 Ältesten und die 12 Kundschafter; aber 
ein chronologisches System, ganze Listen genauer und grosser 
Zahlen, nackte Verzeichnisse völlig bedeutungsloser Personen- 
namen, Datierungen und Messungen wie sie der Sündflutsbericht 
des Priestercodex gibt, setzen schon zu ihrer Entstehung, ge- 
schweige zu ihrer Überlieferung die Schrift voraus. Diese Kunst- 
produkte der Pedanterie treten an Stelle des lebendigen poeti- 
schen Details der jehovistischen Erzählung; denn das episodische 
Element muss dem Ernste der trockenen Historie weichen. Histo- 
rische Gelehrsamkeit ist es auch, wenn die Vermischung der 
Patriarchenzeit mit einer späteren Periode als anachronistisch 
vermieden wird. Der Jehovist lässt tiberall die Gegenwart durch- 
schauen und verhehlt in keiner Weise sein eigenes Zeitalter; 
wir erfahren, dass Babylon die grosse Weltstadt ist, dass das 
assyrische Reich besteht, mit den Städten Nineve und Kelah 
und Resen, dass die Kanaaniter einst in Palästina wohnten, 

jetzt aber längst unter den Israeliten aufgegangen sind : vor alle 
dem hütet sich der Verfasser des Priestercodex sorgfältig. 1 ) Er 

t putzt die Sage nach den Regeln der Kunst zur Historie auf, 

*) Daher auch die Archaismen wie Kiriath-Arba, Luz, Ephrath. Vgl. die 
antiquarische Gelehrsamkeit in Deut. 1 — 4 und in Gen. 14, 



358 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

tötet sie dadurch als Sage und beraubt sie auch des wirklichen 
Wertes, den sie zwar nicht für die Urzeit, wohl aber für die 
Königszeit besitzt. 

Die Geschichte der Urmenschen und der Erzväter verläuft 
nach dem Priestercodex in drei Perioden, deren jede durch 
einen Bund eröffnet wird. Der. Bund mit Adam (Gen. 1,28 — 
2, 4) ist der einfachste; er wird noch nicht Bund genannt^ doch 
ist er die Grundlage des zweiten Bundes mit Noah (9, 1 — 17), 
der ihn in wichtigen Punkten modificiert und dem gegenwärti- 
gen Weltalter näher bringt. Der Bund mit Abraham (Gen. 17), 
welcher den folgenden Erzvätern lediglich bestätigt wird, gilt 
nicht mehr für die ganze Menschheit, sondern nur für die 
Abrahamiden und speciell für Israel. Das erste Bundeszeichen 
ist der Sabbath (Gen. 2, 3 vgl. Exod. 31, 12. Ezech. 20, 12. 20), 
das zweite der Regenbogen (Gen. 9, 12), das dritte die Beschnei- 
dung (17, 10). Der Urvater der Menschheit wird lediglich auf 
Pflanzennahrung angewiesen, der Vater der nachsündflutlichen 
Menschheit erhält Erlaubnis auch Tiere zu schlachten, wobei 
ihm jedoch eingeschärft wird, das Fleisch nicht im Blute zu 
essen und ausserdem kein Menschenblut zu vergiessen. Was 
dem Noah gesagt ist, bleibt noch für Abraham in Kraft; diesem 
aber verspricht Gott für seine Nachkommen von Sara den Besitz 
des Landes Kanaan, der weiterhin verbürgt wird durch den in 
aller Form Rechtens, unter den weitläufigsten Verhandlungen, 
abgeschlossenen Kauf der Höhle Makpela zum Erbbegräbnis; 
ausserdem gibt er sich ihm näher zu erkennen als El Schaddai. 
Unter diesem Namen offenbart er sich auch dem Isaak (28, 3) 
und Jakob (35, 11) und wiederholt ihnen die Verheissung des 
Landbesitzes. Es wird Nachdruck darauf gelegt, dass Gott mit 
seinem israelitischen Namen der vormosaischen Zeit unbekannt 
gewesen sei, dass er sich den Erzvätern nur als El Schaddai 
kund gethan habe, als Jahve aber erst dem Mose (Exod. 6, 2. 3). 
Ebenso wird mit deutlicher Absicht die Patriarchenzeit auch von 
den übrigen mosaischen Formen des Gottesdienstes noch frei 
gehalten, daher hier noch keine Opfer und Altäre, kein Unter- 
schied reiner und unreiner Tiere und dergleichen. Bis vor 
kurzem ist man nun sehr geneigt gewesen, — gegenwärtig will 
es allerdings keiner mehr gewesen sein — die Keuschheit und 
Treue des Priestercodex zu bewundern, die sich in dieser Inne- 



Die Erzählung des Hexateuehs. 359 

haltung des Unterschiedes der Religionsstufen kund gebe. In 
Wahrheit kann man an diesen Vorzügen nur Geschmack finden, 
wenn man glaubt, die Religion sei anfangs naturalistisch gewesen, 
dann sprungweise ein Stück positirer, und endlich im Jahre 
1500 vor Christus ganz positiy geworden: Wie ist es möglich 
darin historische Treue zu erblicken, dass die Erzväter zwar 
wohl haben schlachten, aber nicht haben opfern dürfen, dass 
erst der Sabbath, dann der Regenbogen, dann die Beschneidung 
und zuletzt unter Mose der Opferdienst eingeführt sei! Natür- 
lich ist es, dass Jakob zu Bethel den Zehnten gibt von Allem 
was er erwirbt, unnatürlich dass der Heros Eponymus gerade 
im Gottesdienst den Seinen nicht mit gutem Beispiel vorangehen 
darf. Was ist es anders als Theorie, dass der Name Jahve erst 
dem Mose und durch ihn den Israeliten offenbart wird und 
vorher ganz unbekannt bleibt? eine Theorie, die ohne Zweifel 
nicht stichhält — denn Mose hätte nichts widersinnigeres thun 
können als für den Gott der Väter auf den er sein Volk ver- 
wies einen neuen Namen einführen — , die aber wegen der 
Correlation zwischen Jahve dem Gotte Israels und Israel deip 
Volke Jahve's sehr nahe liegt und auch dem Verfasser des 
Priestercodex nicht ganz eigentümlich ist. 1 ) Er hat eine Vor- 
lage gehabt, deren andeutende Linien er mit systematischer 
Schärfe nachzieht; darin so weit gehend, dass er sogar da wo 
er selber erzählt den Namen Jahve in der vormosaischen Zeit 
vermeidet, dass er auch in seiner eigenen Rede bis auf Exod. 6 
nur Elohin sagt, nicht Jahve. 

Die drei Perioden und die entsprechenden drei Bünde der 
Vorzeit sind Vorstufen zur vierten Periode und zum vierten 
Bunde. Auf das mosaische Gesetz ist überall das Absehen des 



*) Exod. 6, 2. 3 (Q) = 3, 13. 14 (JE). Dass die Priorität der Theophanie 
auf Seiten des Jehovisten ist," ergibt sich schon aus dem feurigen Busch, 
während ihr im Priestercodex eigentlich der ganze Charakter der 
Theophanie abgestreift ist; namentlich aber ergibt es sich aus der Ver- 
gleichung von Exod. 7, 1 (Q) mit 4, 16 (JE). Der Ausdruck 7, 1 : „siehe 
ich mache dich zum Gott für Pharao und dein Bruder Aharon soll dein 
Prophet sein" ist eine Verschlechterung des entsprechenden 4, 1$: „Aharon 
soll dir als Mund dienen und du sollst ihm für Gott sein". Denn wenn 
Aharon der Prophet oder der Mund Mose's ist, so ist, nach der ursprüng- 
lichen weil allein sachgemässen Conception, Mose der Gott eben für 
Aharon und nicht der Gott für Pharao. — Beiläufig: hat die Ähnlichkeit 
zwischen Sene und Sinai etwas zu bedeuten? 



360 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Erzählers gerichtet, nach dieser Kücksicht entwirft er den bei 
ihm so stark hervortretenden Plan seiner Darstellung der Ur- 
sprünge. Die Höhenpunkte derselben bilden die Haupt- und 
Staatsaetionen Elohims mit den Erzvätern. In diesen Haupt- 
und Staatsaetionen wird nichts erzählt, sondern nur geredet und 
verhandelt; es werden darin die präliminarischen Gesetze ge- 
geben, welche stufenweise fortschreitend das Hauptgesetz vor- 
bereiten, nämlich das mosaische. Das Cultusgesetz ist an die 
Stelle der Cultussage getreten. In der Cultussage entstehen die 
heiligen Sitten und Bräuche so zu sagen unwillkürlich, bei irgend 
einer motivierenden Gelegenheit die in die heilige Vorzeit ver- 
legt wird. Jahve stellt nicht statutarisch fest, dass die Hüft- 
sehne nicht gegessen werden darf, sondern er ringt mit Israel 
und verletzt ihm dabei die Hüftsehne, und aus diesem Grunde 
pflegen die Kinder Israel die Hüftsehne nicht zu essen. Wie es 
gekommen ist, dass die jungen Knaben von den Israeliten be- 
schnitten werden, wird folgendermassen erzählt (Exod. 4, 25 f.): 
als Mose auf seiner Eückkehr von Midian nach Gosen unter- 
wegs tibernachtete, tiberfiel ihn Jahve in der Absicht ihn zu 
töten; sein Weib Sippora aber nahm einen Feuerstein und 
schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und berührte damit die 
Scham Mose's und sprach: du bist mir ein Blutbräutigam; da 
Hess Jahve von ihm ab. Sippora beschneidet also ihren Sohn 
statt ihres Mannes, macht den letzteren dadurch symbolisch 
zum Blutbräutigam und löst ihn von dem Zorne Jahve's, dem 
er verfallen ist, weil er eigentlich kein Blutbräutigam ist, d. h. 
weil er nicht die Beschneidung vor der Hochzeit an sich hat 
vollziehen lassen. Mit anderen Worten wird die Beschneidung 
der Knäblein hier geschichtlich erklärt als ein gemildertes Äqui- 
valent für die ursprüngliche Beschneidung der jungen Männer 
vor* der Hochzeit. *) Damit vergleiche man die Art und Weise, 
wie der Priestercodex in Gen. 17 "die Beschneidung der männ- 
lichen Kinder am achten Tage nach der Geburt statutarisch ver- 

l ) Dass dies in der That die ursprüngliche Sitte ist, geht aus dem Worte 
jnn hervor, welches sowohl die Beschneidung als den Bräutigam (resp. 

arabisch den Schwiegersohn) bedeutet, worauf in Exod. 4, 25 der Sinn 
von Qiftl |nn (Blutbräutigam) beruht. Noch gegenwärtig herrscht die 

ursprüngliche Sitte bei einigen arabischen Stämmen, ebenso wie auch 
Sichern in Gen. 34 sich vor der Heirat beschneiden muss, 



Die Erzählung des Hexateuchs. 361 

ordnet und durch die Verordnung die Erzählung, die ihr zum 
Anlass gedient hat, vollkommen in den Schatten stellt und ver- 
dirbt, nämlich die Erzählung von der Verheissung der Geburt 
Isaaks zum Lohn für die Gastfreundschaft, welche Abraham dem 
Jahve zu Hebron erwiesen hat. Es besteht aber nicht bloss ein 
formeller Unterschied, sondern auch ein materieller Gegensatz 
zwischen der jehovistischen Cultussage und dem priesterlichen 
Cultusgesetz. Die Cultussage wird von dem Cultusgesetz puri- 
ficiert, das heisst in allen ihren Grundzügen und Trieben negiert. 
Wie wir bereits im ersten Kapitel gesehen haben, ist es be- 
wusste Polemik, dass Abraham Isaak und Jakob im Eriester- 
codex keine Altäre errichten und keine gottesdienstlichen Ge- 
bräuche ausüben, dass sie gelöst werden von den heiligen Orten 
mit denen sie in JE unzertrennlich verbunden sind. Das Volks- 
religionsbuch , welches uns in der jehovistischen Genesis noch 
so ziemlich wenngleich auch nicht ganz uncorrigiert erhalten 
ist, erzählt, wie die Ahnen und Repräsentanten Israels die alte 
volkstümliche Praxis des Cultus, an den Hauptorten wo derselbe 
gefeiert wurde, begründet haben. Das Gesetz des legitimen 
Cultus von Jerusalem, wie es uns im Priestercodex vorliegt, 
reformiert und zerstört den alten volkstümlichen Gottesdienst auf 
Grund mosaischer d. i. prophetischer Ideen. Die Stiftshütte 
verträgt sich nicht mit den Heiligtümern von Hebron Beerseba 
Sichern Kades Mahanaim Lahai-Eoi Bethel; die Patriarchen wohnen 
in Hebron nur um sich dort begraben zu lassen, nicht um die 
Gottheit unter der Eiche Mamre zu bewirten und dort den Altar 
zu bauen. Die ketzerischen Malsteine Bäume und Brunnen 
verschwinden und mit ihnen die anstössigen Bräuche; dass Gott 
den Abraham sollte aufgefordert haben ihm seinen einzigen Sohn 
zu opfern, wäre im Priestercodex ein unmöglicher Gedanke. Der 
ganze Stoff der Sage ist legislativen Zwecken untergeordnet, 
überall tritt der umändernde Einfluss des Gesetzes auf die Er- 
zählung hervor. 

Im Ganzen stellt sich der Judaismus negativ zu der alten 
Sage, einiges Positive aber hat er doch neu hineingebracht. 
Während die Patriarchen nicht opfern, sondern nur schlachten 
dürfen, haben sie dagegen den Sabbath *) und die Beschneidung. 

*) Der Sabbath ist nach dem Priestercodex keine mosaische Verordnung, 
sondern wird schon Exod. 16 vorausgesetzt, und besteht nach Gen. 2, 3 



362 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Sie gleichen darin den Juden in Babylonien, denen die fehlende 
Cultusfeier durch diese beiden vom jerusalemischen Tempel un- 
abhängigen Verbindung»- und Erkennungszeichen der Religion 
ersetzt wurde. Im Exil, nach dem Aufhören des Altardienstes, 
haben der Sabbath und die Beschneidung die Bedeutung erlangt, 
die ihnen als Symbolen — in der eigentlichen alten Bedeutung 
des griechischen Wortes — und zwar als praktischen Symbolen 
des Judentumes bis auf die Gegenwart geblieben ist. Merkwürdig 
ist es, mit welchem Nachdruck stets im Priestercodex hervor- 
gehoben wird, dass die Patriarchen ein Leben* in der Fremde 
geführt haben, dass sie Gerim gewesen seien. Nimmt man 
hinzu, dass Abraham von Ur, aus Chaldäa, nach Palästina ein- 
gewandert sein soll, sq ist in der That der Gedanke nicht ab- 
zuweisen, dass auf die priesterliche Gestaltung der Erzvätersage 
die Verhältnisse des babylonischen Exils eingewirkt haben. 
Trotz allem historischen Bestreben und allem archaistischen 
Schein würde dann dennoch die Gegenwart des Erzählers auch 
positiv in der Schilderung der Patriarchenzeit zum Ausdrucke 
gelangen. 

III. 

1. In dem jehovistischen Geschichtsbuche ist die Genesis 
eine grosse Hauptsache und nimmt mindestens die Hälfte vom 
Ganzen ein, im Priestercodex verschwindet sie völlig gegen die 
späteren Bücher. Er kommt erst mit der mosaischen Gesetz- 
gebung in sein eigentliches Fahrwasser und erdrückt alsbald die 
Erzählung durch die Last des legislativen Stoffes. In seinem 
dünnen historischen Faden läuft er zwar auch hier dem Jeho- 
visten parallel, aber wir verlieren denselben bei ihm stets aus 
den Augen wegen der immer wiederkehrenden Unterbrechungen 
durch umfangreiche Ritualgesetze und statistische Aufnahmen. 

„Durch eine höchst traurige, unbegreifliche Redaction wer- 
den diese vier letzten Bücher Mose's ganz ungepiessbar. Den 
Gang der Geschichte sehen wir überall gehemmt durch einge- 
schaltete zahllose Gesetze, von deren grösstem Teile man nicht 
einsehen kann, warum sie hier angeführt und eingeschaltet 

^ seit Anfang der Welt. Bei den alten Israeliten trat der Sabbath an 
gottesdienstlicher Bedeutung völlig zurück hinter den Festen, im Juden- 
tum war es umgekehrt. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 363 

werden." Diese Sprengung der Glieder der Erzählung durch 
die ungeheuren Auswüchse gesetzlichen Inhalts, die indessen 
nicht wie Goethe meint erst Schuld der Redaetion, sondern schon 
des unredigierten Priestercodex selber ist, ist in der That un- 
erträglich; sie kann auch, rein formell und literarisch betrachtet, 
nichts Ursprüngliches sein. Es lässt sich, noch verfolgen, wie 
der gesetzliche Stoff in die Erzählung eindringt und sich dort 
allmählich immer breiter macht. Im Jehovisten scheint noch 
eine Form der Überlieferung durch, in welcher die Israeliten 
sofort nach dem Durchgange durchs Schilfmeer auf Kades zogen 
und nicht erst den Abstecher zum Sinai machten. Während wir 
erst mit Exod. 19 zum Sinai gelangen, befinden wir uns schon 
in Exod. 17 zu Massa und Meriba, d. h. auf dem Boden von 
Kades. Dort spielt der Vorgang, wie Mose mit seinem Stabe 
Wasser aus dem Felsen schlägt; dort der Kampf mit den Ama- 
lekitern, die eben hier und nicht am Sinai wohnten; dort 
Jethro's Besuch, der eine von seiner Heimat (am Sinai) ziemlich 
entfernte Örtlichkeit voraussetzt, wo nicht bloss ein vorüber- 
gehendes Wanderlager sondern die dauernde Gerichtsstätte 1 ) 
des Volkes sich befand. Darum kehren auch die Erzählungen, 
die vor der Ankunft am Sinai berichtet werden, nach dem Auf- 
bruch von dort noch einmal wieder, weil das Lokal vorher und 
nachher das gleiche ist, nämlich die Wüste von Kades, der 
wahre Schauplatz der mosaischen Geschichte. Mit der Einsetzung 
von Richtern und Altesten wird vor dem grossen Sinaiabsehnitte 
abgeschlossen und nachher wieder angefangen (Exod. 18 Num. 11); 
die Erzählung vom Manna und von den Wachteln begegnet nicht 
nur Exod. 16, sondern auch Num. 11; ebenso die von dem durch 
Mose hervorgelockten Felsenquell zu Massa und Meriba nicht 
bloss Exod. 17, sondern auch Num. 20. Das besagt mit anderen 
Worten, dass die Israeliten nicht erst nach der Digression zum 
Sinai, sondern sofort nach dem Auszuge, in Kades, dem ursprüng- 
lichen Ziel ihrer Wanderung, anlangen und dort die vierzig 
Jahre ihres Aufenthaltes in der Wüste verbleiben. Kades ist 
dann auch der ursprüngliche Ort der Gesetzgebung. „Dort setzte 
er ihnen Recht und Gericht, und dort versuchte er sie", heisst 
es vor der Sinaiperikope in einem poetischen Fragmente (Exod. 

*) Kades heisst auch Meriba, die Gerichtsstätte, oder Meribat Kades, die 
Gerichtsstätte am heiligen Quell. Meriba (dem Sinn0 nach) « Midian, 



364 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

15, 25), welches jetzt in die Erzählung von der Heilung des 
Brunnens zu Mara eingesetzt ist, dort aber ganz verloren und 
ohne Beziehung steht: die eigentümliche Verbindung von Gericht 
und Versuchung weist mit Entschiedenheit auf Massa und Meriba 
(d. i. Gerichts- und Versuchungsstätte), also auf Kades als den 
eigentlich gemeinten - Ort. Die Gesetzgebung an der Gerichts- 
stätte von Kades wird jedoch nicht vorgestellt als ein einmali- 
ger Akt, wodurch Mose den Israeliten ein für alle mal ein all- 
gemeines umfassendes Gesetz verkündet, sondern sie dauert 
vierzig Jahre und besteht in der Rechtsprechung am Heiligtum, 
die er beginnt und die nach seinem vorbildlichen Anfange die 
Priester und Eichter nach ihm fortsetzen. So ist die Vorstellung 
in der überaus lehrreichen Erzählung Exod. 18, welche zu Kades 
spielt. Und in dieser Weise gehört die Thora hinein in die 
Geschichtsdarstellung, nicht nach ihrem Stoff als Inhalt irgend 
eines Codex, sondern nach ihrer Form als das berufsmässige 
Thun Mose's, nicht nach ihrem Ergebnis als Summe der in 
Israel gültigen Gesetze und Bräuche, sondern nach ihrer Ent- 
stehung als begründender Anfang der noch immer in Israel fort- 
wirkenden und lebendigen Institution der Thora. 

Die wahre und alte Bedeutung des Sinai ist ganz unab- 
hängig von der Gesetzgebung. Er war der Sitz der Gottheit, 
der heilige Berg, ohne Zweifel nicht bloss für die Israeliten, 
sondern allgemein für alle hebräischen und kainitischen Stämme 
der Umgegend. Von dem dortigen Priestertum wurde das 
Priestertum Mose's und seine Nachfolger abgeleitet; dort war 
Jahve ihm im brennenden Dornbusch erschienen, als er die 
Schafe des Priesters von Midian hütete; von dort hatte er ihn 
nach Ägypten entsandt. Dort blieb Jahve auch für die Israeliten 
noch wohnen, lange nachdem sie selber sich in Palästina nieder- 
gelassen hatten; im Liede der Debora muss er vom Sinai her- 
kommen um seinem bedrängten Volke zu helfen und sich an 
die Spitze seiner Krieger zu stellen. Nach der Meinung des 
Dichters von Deut. 33 haben sich nicht die Israeliten zu Jahve 
nach dem Sinai begeben, sondern umgekehrt ist dieser vom 
Sinai zu ihnen nach Kades gekommen: „Jahve kam vom Sinai 
und erglänzte von Seir, blitzte auf vom Berge Pharans und kam 
nach Meribath Kades". 1 ) Es erklärt sich aber leicht genug, 
l ) Wo der Sinai gelegen hat, wissen wir nicht und die Bibel ist sich 



Die Erzählung des Hexateuchs. # 365 

dass es für passender gehalten wurde, sich die Israeliten zu 
Jahve bemühen zu lassen. Das geschah zunächst nur in der 
Form, dass sie dort vor Jahve's Antlitz erscheinen um ihm zu 
huldigen und zu opfern (Exod. 3, 12), und dass sie beim Ab- 
schiede die Lade erhalten zum Ersätze für Jahve selber, derauf 
dem Sinai wohnen bleibt (Exod. 33): denn die Lade ist die Re- 
präsentation Jahve's, darin besteht ihre Bedeutung und nicht in 
den Gesetzestafeln, die ursprünglich gar nicht darin liegen. Erst 
ein weiterer Schritt führte dazu, den Sinai zum Schauplatz der 
feierlichen Eröffnung des geschichtlichen Verhältnisses zwischen 
Jahve und Israel zu machen. Es waltete das poetische Be- 
dürfnis, die Coustituierung des Volkes Jahve's zu einem drama- 
tischen Akte auf erhabener Bühne zuzuspitzen. Was nach der 
älteren Überlieferung auf stille und langsame Weise vor sich 
ging, den Inhalt der gesamten Periode Mose's ausmachte, und 
ebenso begann wie es sich noch immer fortsetzte, das wurde 
nun der Feierlichkeit und Anschaulichkeit wegen in einen ecla- 
tanten Anfang zusammengedrängt. Dann aber musste der Bund 
zwischen Jahve und Israel auch irgendwie positiv charakterisiert 
werden, das heisst, Jahve musste die Grundlagen und Bedingun- 
gen desselben dem Volke ankündigen. So entstand die Not- 
wendigkeit, die Grundgesetze ihrem Inhalte nach hier mitzu- 
theilen, so fand der legislative Stoff Eingang in die geschicht- 
liche Darstellung. Dass er jedoch ursprünglich hier keine 
Stelle hatte, merkt man an dem Wirrwarr, der auch innerhalb 
der jehovistischen Sinaiperikope (Exod. 19—24. 32—34) herrscht. 
Die kleinen Gesetzescorpora, die hier mitgeteilt werden, mögen 
an sich alt genug sein; aber in die Erzählung sind sie hinein- 
gezwungen. Nur von dem relativ jüngsten Corpus, dem Dekalog 
(in E), kann man das nicht sagen. 

Wie der Jehovist ursprünglich ein reines Geschichtsbuch, so 
war das Deuteronomium , als es zuerst aufgefunden wurde, ein 
reines Gesetzbuch. 1 ) Diese beiden Schriften, die geschichtliche 

schwerlich einig darüber; das Streiten über die Frage ist bezeichnend 
für die Dilettanten. Den besten Anhalt gibt Midian Exod. 2, denn das 
ist doch wahrscheinlich Madian an der arabischen Küste des Roten Meeres. 
Nach unserer Stelle scheint der Sinai südöstlich von Edom zu liegen; 
der Weg vom Sinai nach Kades geht über Seir und Pharan. 
J ) Kap. 12—27. Diebeiden historischen Einleitungen Kap. 1—4. Kap. 5—11 
sind erst später hinzugekommen, ebenso die Anhänge Kap. 28 ff. 



366 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

und die gesetzliche,» waren anfangs ganz unabhängig von ein- 
ander; erst hinterdrein wurden sie verbunden, vielleicht weil 
das neue Gesetz die Popularität des alten Volksbuches teilen 
und dasselbe zugleich mit seinem Geiste durchdringen sollte. 
Eine bequeme Handhabe dazu bot der Umstand, dass, wie wir 
eben gesehen haben , schon ein gesetzliches Stück in das jeho- 
vistische Geschichtsbuch aufgenommen war. Dem Dekaloge, 
am Anfang der vierzigjährigen Periode, wurde nun das Deute- 
ronomium, am Schluss derselben, hinzugefügt. Die Situation — 
von der das Gesetz selber nichts weiss — ist sehr gut gewählt, 
nicht bloss well Mose in seinem Testamente das Recht hat 
weissagend vorzugreifen und ein Gesetz für die Zukunft zu ge- 
ben, sondern auch weil dadurch, dass das Gesetz an den Schluss 
seines Lebens zu stehen kommt, der Erzählungsfaden nicht weiter 
unterbrochen, sondern nur ein Einschnitt zwischen dem Penta- 
teuch und dem Buche Josua gemacht wird. Durch diese Zu- 
sami#enarbeitung des Deuteronomiums mit dem Jehovisten ist 
nun zuerst die Verbindung von Erzählung und Gesetz entstan- 
den; und nur weil dem Priestercodex dieses Muster vorgelegen 
hat, erklärt es sich, dass er, obwohl seine Absicht lediglich auf 
die Thora geht, doch gleich von vornherein darauf angelegt ist 
auch die Geschichte von der Weltschöpfung an zu umfassen, als 
wenn die auch zur Thora gehörte. In der Natur der Sache liegt 
diese Art der Darstellung der Thora in Form eines Geschichts- 
buches ganz und gar nicht, sie bringt im Gegenteil die grössten 
Unzuträglichkeiten mit sich. Sie lässt sich nur auf die oben 
angegebene Weise begreifen, durch die Vermittlung eines vor- 
ausgegangenen literargeschichtlichen Processes. 1 ) 

Wie vom literarischen Gesichtspunkt aus, so erscheint auch 
vom historischen der Mose des Jehovisten ursprünglicher als der 
Mose des Priestercodex. Dies zu beweisen ist nun allerdings 
eigentlich die Aufgabe des ganzen vorliegenden Buches; doch 
wird es deshalb nicht als ungehörig gelten können, wenn wir 
an dieser besonders geeigneten Stelle den Gegensatz der histo- 
rischen Anschauung über Mose und sein Werk in den beiden 

*) Dass dem Priestercodex die Sinaigesetzgebung des Jehovisten und das 
Deuteronomium bereits vereint vorlagen, zeigt sich auch darin, dass er 
sowohl eine Gesetzgebung am Berge Sinai, als auch eine Gesetzgebung 
in den Arboth Moab hat und dazwischen noch eine in der Wüste des 
Sinai. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 367 

Hauptquellen des Pentateuehs kurz darlegen und beurteilen. 
Nach dem Priestereodex ist Mose Religionsstifter und Gesetz- 
geber, so wie wir ihn uns gewöhnlich vorstellen. Er empfängt 
und veröffentlicht die Thora 1 ), vielleicht nicht als Buch — ob- 
wohl man sich die Sache schliesslich doch kaum anders vor- 
stellen kann — , wohl aber fix und fertig als weitläufiges, fein 
ausgebildetes System, welches die heilige Constitution der Ge- 
meinde für alle Zeiten enthält. In dem Botendienste, den Mose 
als Mittler des Gesetzes leistet, besteht seine ganze Bedeutung; 
was er sonst noch thut, tritt zurück. Dass das Gesetz ein 
für alle mal gegeben wird, das ist das grosse Ereignis der Zeit, 
nicht, dass das Volk Israel anfängt auf die Weltbühne zu treten; 
das Volk ist des Gesetzes wegen da und nicht das Gesetz um 
des Volkes willen. Nach dem Jehovisten dagegen besteht 
Mose's Werk darin, dass er sein Volk rettet vor den Ägyptern 
und in der Wüste in jeder Weise für es Sorge trägt; in dem 
Präludium aus seiner Jugend, wo er den Ägypter erschlägt und 
den Streit seiner Brüder zu schlichten sucht (Exod. 2, 11 ff.), ist 
seine Geschichte vorgezeichnet. Zu seiner Fürsorge für die 
Israeliten gehört es ebenso wohl, dass er ihnen Unterhalt ver- 
schafft als dass er Friede und Ordnung unter ihnen stiftet und 
erhält (Num. 11). Die Thora ist nur ein Teil seiner Thätigkeit 
und fliesst aus dem allgemeineren Beruf, dass er der Wärter 
des jungen Volkes ist und dasselbe gewissermassen auf die Beine 
setzen muss (Num. 11, 12). Sie ist nach Exod. 18 nichts anderes 
als ein Ratschaffen, ein Expedieren aus den thatsächlich einge- 
tretenen Verwicklungen und Verlegenheiten; indem er den 
Leuten in den bestimmten Fällen die sie vor ihn bringen Recht 
spricht oder Bescheid erteilt, lehrt er sie den Weg den sie gehen 
sollen. So wird er der Anfänger der nach ihm in Priestern und 
Propheten fortlebenden Unterweisung Jahve's. Hier ist Alles 
lebendig und im Fluss; wie Jahve selber, so arbeitet auch der 
Mann Gottes im lebendigen Stoff, praktisch, in keiner Weise 
theoretisch; geschichtlich, nicht literarisch. Es lässt sich wohl 
von seinem Thun und Wirken erzählen, aber der Inhalt 
desselben ist mehr als ein System und lässt sich nicht in ein 
Compendium bringen; er ist nicht abgeschlossen, sondern nur 

') Das. Gesetz könnte darnach Mose heissen, so gut wie der Psalter bei den 
Äthiopen Davi^L 



368 Geschichte der Tradition, Kapl 8. 

der Anfang einer Reihe unendlicher Wirkungen. Im Priester- 
codex hat man das Werk Mose's reinlich und abgegrenzt vor 
sich liegen; wer tausend Jahre später lebt, kennt es so gut als 
wer dabei gewesen ist. Es hat sich losgelöst von seinem Urheber 
und von seiner Zeit; selber unlebendig hat es das Leben auch 
aus Mose und aus dem Volke, ja aus der Gottheit selber aus- 
getrieben; das Residuum der Geschichte, indem es als Ge- 
setz an den Anfang der Geschichte tritt, erdrückt und tötet die 
Geschichte selber. Welche von den beiden Anschauungsweisen 
die historischere ist, ist darnach nicht schwer zu entscheiden. 
Es kommt hinzu, dass in der älteren hebräischen Literatur 
immer die Volksgrtindung und nicht die Gesetzgebung als die 
theokratische Schöpferthat Jahve's angesehen wird. Es fehlt 
überhaupt der Begriff des Gesetzes; man kennt nur Verträge, 
wodurch die Vertreter des Volkes sich gegenseitig die feierliche 
Verpflichtung auferlegen, dies und jenes allgemein zu thun oder 
zu lassen. 

Noch ein Unterschied muss hier hervorgehoben werden, der 
freilich uns schon öfters beschäftigt hat. Was im Priestercodex 
der Inhalt der Thora Moses ist, nämlich die Einrichtung des 
Cultus, das geht nach dem Jehovisten zurück auf die Praxis der 
Patriarchen — eine weitere Consequenz des Gegensatzes zwi- 
schen Cultusgesetz und Cultussage. Nicht bloss der Zukunft 
greift der Mose des Priestercodex vor, sondern auch der Ver- 
gangenheit; er collidiert mit der Geschichte auf allen Seiten. 
Offenbar ist die Vorstellung die einzig natürliche, wonach der 
Cultus nichts specifisch israelitisches, nichts zufolge plötzlichen 
Befehles der Gottheit von Mose, eingeführtes, sondern uraltes 
Herkommen ist. Zur Zeit der Abfassung des Priestercodex 
machte der Cultus allerdings das constituierende Wesen der 
Israeliten aus. An die Stelle des Volkes tritt bei ihm schon in 
der mosaischen Zeit die Kirche, die einheitliche Cultusgemeinde 
— - der Geschichte zum Trotz, aber bezeichnend für seinen 
Standpunkt. 

Autoritäten wie Bleek Hupfeld und Knobel haben sich nun 
freilich durch den Schein des Historischen täuschen lassen, den 
der Priestercodex hier wie in der Patriarchengeschichte mittelst 
gelehrter Kunst zu erwecken sucht; sie haben die vielen Zahlen 
und Namen, die genauen technischen Beschreibungen, das strenge 



Die Erzählung des Hexateuchs. 369 

Einhalten der Seenerie des Lagerlebens als Zeichen urkund- 
licher Objektivität angesehen. Nöldeke hat dieser Kritik für 
immer ein Ende gemacht, eigentlich aber gebührt Colensb das 
Verdienst zuerst das Gespinnst zerrissen zu haben. *) Die 
Dreistigkeit der Zahlen und Namen, die Genauigkeit der Mit- 
teilungen über gleichgiltige Äusserlichkeiten bürgt nicht für ihre 
Zuverlässigkeit ; sie stammen nicht aus gleichzeitigen Aufnahmen, 
sondern lediglich aus der spätjüdischen Phantasie, einer Phan- 
tasie, die bekanntlich nicht malt und bildet, sondern rechnet 
und construiert und weiter nichts als öde Schemata zu Wege 
bringt. Wenn man die Beschreibung der Stiftshütte (Exod. 25ff.) 
nicht wörtlich wiederholen will, so ist es schwer von ihrer Um- 
ständlichkeit einen Begriff zu geben ; man muss sich an der Quelle 
überzeugen, was dieser „Erzähler" darin leistet. Man sollte 
denken, er liefere Calculatoren das Material zu* einem Kosten- 
anschlage oder schreibe für Weber und Zimmerleute; aber die 
würden sich auch nicht daraus vernehmen, denn die unglaubliche 
Nüchternheit ist dennoch Phantasie, wie in Kap. 1 gezeigt ist. 
Die Beschreibung der Stiftshütte wird im Buche Numeri durch 
die des Lagers ergänzt; ist jene das Centrum, so ist dieses 
der Kreis dazu, der in einen äusseren Ring, die zwölf weltlichen 
Stämme, in einen mittleren, die Leviten, und in einen innersten, 
die Aharoniden, zerfällt: eine mathematische Darstellung der 
Theokratie in der Wüste. Die beiden ersten Kapitel enthalten 
die Zählung der zwölf Stämme und ihre Gliederung in vier 
Quartiere, lauter Namen und Zahlen. Zu dieser ersten Zählung 
kommt in Kap. 34 noch eine andere am Schluss der 40 Jahre 
hinzu, mit ganz verschiedenen Einzelposten aber nahezu der 
gleichen Gesamtsumme. Diese Gesamtsumme, 600000 Krieger, 
stammt aus der älteren Überlieferung; ihre Wertlosigkeit erhellt 
daraus, dass in einem wirklich authentischen Dokument der 
israelitische Heerbann zur Zeit Döbora's auf die Stärke von 
40000 Mann geschätzt wird. Dem Priestercodex bleibt das Ver- 
dienst, die Gesamtsumme ein bischen weniger rund gemacht 
und sie in künstliche Einzelposten zerlegt zu haben. An die 
Musterung des Volkes schliesst sich in Num. 3. 4 die Weihung 
des Stammes Levi an das Heiligtum, zum Ersatz für die bis 
dahin nicht geopferten und auch nicht gelösten männlichen Erst- 
*) Kuenen in der Theol. Tijdschrift 1870 S. 398—401. 

Wellhausen, Prolegomena. 24 



370 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

geborenen der Israeliten, Es sind 22273 männliche Erstgeborene 
und 22000 männliche Leviten über einen Monat alt vorhanden; 
die überschiessenden 273 Erstgeborenen werden mit fünf Sekel 
für den Kopf noch besonders gelöst. Wie genau! Aber was soll 
man dazu sagen, dass auf ein Volk von mindestens zwei Millionen 
nur 22273 männliche, also vielleicht 50000 männliche und weib- 
liche Erstgeburten gekommen sein sollen? Dann entfallen ja 
durchschnittlich vierzig Kinder auf jedes Weib, denn Erstgeburt 
im Sinne des Gesetzes ist, was zum ersten die Mutter bricht. 
Die Fortsetzung zu Num. 3. 4 liefert Kap. 8. Da die Leviten 
eine Abgabe an das Heiligtum von seiten des Volkes sind, 
welche jedoch nicht geopfert sondern den Priestern abgetreten 
werden soll, so wird auch der charakteristische Ritus dieser Art 
Abgaben mit ihnen vorgenommen, nämlich das scheinbare Werfen 
in die Altarflamme (Aristeas 31, 5) — man denke sich Aharon 
und Mose die 220*00 Menschen schwingen! Ein nicht minder 
starkes Beispiel dieser eigentümlichen Poesie ist die Geschichte 
Num. 31. Zwölftausend Israeliten, je tausend aus einem Stamme, 
ziehen gegen die Midianiter zu Felde, tilgen ohne Kampf — 
wenigstens ist von dieser Hauptsache nirgend die Rede — das 
ganze Volk aus, indem sie alle Männer und einen Teil der 
Weiber erwürgen und die unverheirateten Mädchen * gefangen 
führen, und erleiden dabei selber keinen Verlust. Das Letztere 
wird nicht bloss im Allgemeinen behauptet. „Die Hauptleute 
über Tausend und über Hundert traten zu Mose und sprachen 
zu ihm: deine Knechte haben die Summe der Kriegsleute, die 
uns untergeben gewesen sind, aufgenommen, und es fehlt nicht 
einer." Von der unermesslichen Beute an Menschen und Vieh 
bestimmt Jahve die eine Hälfte denen, die in's Feld gezogen 
sind und die Schlacht geliefert haben, die andere Hälfte der 
Gemeinde; jene sollen den 500sten Teil an die Priester, diese 
soll den 50sten Teil an die Leviten abgeben. Die Ausführung 
dieser Verordnung wird in folgender speciellen Weise berichtet. 
„Es war die vorhandene Beute, die das Kriegsvolk geraubt 
hatte, 675000 Schafe, 72000 Rinder, 61000 Esel, und 32000 
Weiber, die nicht beim Manne gelegen hatten. Und die Hälfte, 
welche den in's Feld Gezogenen zufiel, war 337500* Schafe, da- 
von Steuer an Jahve 675 ; 36000 Rinder, davon Steuer an Jahve 
72; 30500 Esel, davon Steuer an Jahve 61; 16000 Menschen- 



Die Erzählung des Hexateuchs. 371 

seele^i, davon Steuer an Jahve 32; und Mose gab die Abgabe 
an Jahve dem Priester Eleazar. Aber die andere Hälfte, die 
Mose den Kindern Israel zuteilte, die der Gemeinde zuständige 
Hälfte, war 337500 Schafe, 36000 Rinder, 30500 Esel, 16000 
Menschenseelen; und Mose nahm von dieser Hälfte der Kinder 
Israel je ein Stück von fünfzig und gab es den Leviten." Mit 
der Berechnung der Abgabe an Jahve hat es Mose insofern be- 
quem, als der 500 ste von der Hälfte ebenso viel ist wie der 
1000 ste vom Ganzen; er braucht also von den Hauptsummen 
bloss die Tausende weg zu lassen. Zum Schlüsse bringen noch 
die Hauptleute dem Jahve Geschenke von goldenen Geräten, 
Ketten Geschmeiden Ringen und Spangen, zusammen 16750 
Sekel im Gewicht, zur Sühne ihrer Seelen. „Das war aber nur, 
was die Hauptleute an Gold erbeutet hatten, denn die. Kriegs- 
männer hatten geraubet ein jeglicher für sich." Man darf sich 
vielleicht die Frage erlauben, in welchem Verhältnis diese 16750 
Sekel, welche hier allein die Hauptleute von dem Gold- 
schmucke der Midianiter an die Stiftshütte spenden, zu den 
1700 Sekeln stehen, welche in Jud. 8 das ganze Volk von dem 
Goldschmuck der Midianiter zur Errichtung eines Gottes- 
bildes in Ophra weiht? 

Weniger leicht als Verhältnisse und Zahlen scheinen sich 
die zahlreichen, oft registerweise zusammengestellten Namen aus 
blosser Fiction zu erklären. Darüber wird allerdings kein 
Zweifel walten können, dass die vierzig Orte, welche in der 
Liste der Stationen der Wüstenwanderung (Num. 33) aufgeführt 
werden, wirklich in der Gegend, durch welche die Israeliten 
ihren Weg genommen haben sollen, vorhanden gewesen sind. 
Wer sich das zum Beweise, dass wir hier ein uraltes historisches 
Dokument vor uns haben, genügen lässt, dem wird keine Kritik 
die Freude stören. War es aber so schwer, für die vierzig 
Jahre des Wtistenzuges vierzig bestimmte Stationen in der Wüste 
auszusuchen? Wenn die Elemente nicht fingiert sind, so folgt 
daraus noch lange nicht, dass auch die Composition nicht fin- 
giert sei. Bei den Verzeichnissen der Personennamen sind 
übrigens auch die Elemente vielfach von überaus zweifelhafter 
Beschaffenheit, und man thut hier am besten, sich an den Grund- 
satz Vatke's (a. 0. S. 675) zu halten, nämlich Subjekten ohne 
Prädikaten kein Vertrauen zu schenken und nicht an die Wirk- 

24* 



372 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

lichkeit von Personen zu glauben, die gar nichts zu Wirken 
haben. Die Dutzendnamen in Num. 1. 8. 14 sind fast alle nach 
der selben Schablone gemacht und haben gar keine Ähnlichkeit 
mit den echten alten Eigennamen. Dass der Name Jahve nicht 
in ihrer Composition vorkommt, beweist nur, dass der Com- 
ponist seiner religionsgeschichtlichen Theorie wohl einge- 
denk war. 

Durch diese Vorliebe für unfruchtbare Namen und Zahlen 
und technische Beschreibungen kommt der Priestercodex auf 
eine Linie zu stehen mit der Chronik und der übrigen Literatur 
des Judentums, welche mit der künstlichen Wiederbelebung det 
alten Tradition sich abgibt (S. 187f. 223f. 236). Nah verwandt 
mit dieser Vorliebe ist eine unbeschreibliche Pedanterie, die das 
innerste Wesen des Verfassers des Priestercodex bildet. Für 
das Classificieren und Schematisieren hat er eine wahre Leiden- 
schaft; wenn er einmal ein Genus in verschiedene Species zer- 
legt hat, so müssen wir uns jedesmal alle Species einzeln wieder 
vorführen lassen, so oft vom Genus die Rede ist; der subsumie- 
rende Gebrauch der Präpositionen Lamed und Beth ist für ihn 
bezeichnend. Wo er kann, bevorzugt er den weitläufigen Aus- 
druck, das Selbstverständliche zum hundertsten male ausführlich 
zu wiederholen wird er nicht müde (Num. 8), er hasst die Pro- 
nomina und alle abkürzenden Substitute. Das Interessante wird 
übergangen, das Gleichgiltige genau beschrieben, vor lauter er- 
schöpfender Deutlichkeit weiss man oft bei einer ohnehin deut- 
lichen Sache mit den vielen Bestimmungen nicht aus noch ein. 
Dies ist es, was man ehedem im historisch-kritischen Sprachge- 
brauch als epische Breite zu bezeichnen pflegte. 1 ) 

2. Nachdem wir so den allgemeinen Gegensatz des Priester- 
codex und des Jehovisten für die mosaische Periode darzustellen 
versucht haben, bleibt uns jetzt noch übrig, die einzelnen Er- 
zählungen zu vergleichen. Als Anfang der israelitischen Ge- 
schichte wird überall der Auszug aus Ägypten betrachtet. Im 

') Riehm a. 0. S. 292: „Die Darstellung ist ruhig, einfach, frei von allem 
rednerischen und dichterischen Schmuck, und die Ausdrucksweise bei 
gleichartigen Objekten von epischer Gleichförmigkeit. So eindrucksvoll 
manche Stücke gerade in ihrer schlichten Einfachheit und objektiven Hal- 
tung sind, so bemerkt man doch nirgends ein Streben, durch die Mittel 
schriftstellerischer Kunst Effekt zu machen und das Interesse des Lesers 
äu spannen. 4 * Tgl. dagegen Lichtenberg, Werke II 162. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 373 

Priestercodex ist derselbe zur Epoche einer Ära gemacht (Exod. 
12, 2), nach welcher künftighin datiert wird, und zwar nicht 
bloss in Jahren, sondern in Monaten und Tagen. Dass diese 
genaue Datierungsweise erst sehr spät unter den Hebräern auf- 
gekommen ist, steht fest. In den historischen Büchern haben 
wir aus vorexilischer Zeit nur eine einzige Monatsangabe (1. Reg. 
6, 38), aber ohne Hinzufügung des Tages. Eine gewisse Wich- 
tigkeit hatte die Zeitbestimmung für die prophetischen Schrift- 
steller, und da lässt sich die Entwickelung der Sitte einiger- 
massen verfolgen. Arnos ist aufgetreten „zwei Jahre vor dem 
Erdbeben 44 . 1 ) Bei Jesaia* ist die bestimmteste Angabe „das 
Todesjahr des Königs Uzzia 44 . Jahreszahlen finden sich zuerst 
bei Jeremia, „das 13. Jahr des Königs Josia 44 und wenige an- 
dere. Plötzlich aber tritt ein Umschwung ein; die im babylo- 
nischen Exil aufgewachsenen Propheten Haggai und Zacharia 
datieren fortwährend und geben dabei nicht bloss das Jahr und 
nicht bloss den Monat, sondern auch den Monatstag an. Im 
Priestercodex wird diese Genauigkeit, welche die Juden offen- 
bar von den Chaldäern gelernt haben, seit der Zeit Mose's an- 
gewandt. 

Im Jehovisten ist der ostensible Anlass des Auszuges ein 
Fest, welches die Kinder Israel ihrem Gotte in der Wüste feiern 
wollen. Im Priestercodex fällt dieser Anlass weg, weil es keine 
vormosaischen Feste geben darf. Damit fällt aber zugleich der 
Grund weg, weshalb Jahve die Erstgeburten der Ägypter tötet: 
er thut es deshalb, weil ihm der Agypterkönig die Erstgeburten 
der Israeliten vorenthält, welche ihm zum Feste dargebracht 
werden sollen; denn das Fest ist das Opferfest der Erstlinge des 
Viehs im Frühling. In der älteren Überlieferung ist das Fest 
das Prius, die Erklärung für die Umstände und die Jahreszeit 
des Auszugs; in der jüngeren hat sich das Verhältnis umge- 
kehrt: die Tötung der Erstgeburten der Ägypter ist der Anlass 
der Opferung der israelitischen Erstgeburten, der Auszug im 
Frühlinge hat das Fest im Frühlinge zur Folge. Auf Grund 



*) Agh. XV 11,17: als alValid b. alMughira gestorben war, datierten die 
Araber nach seinem Tode bis zum Jahr des Elefanten, welches sie dar- 
nach zur Epoche machten. Nach Anderen rechneten sie neun Jahre nach 
dem Tode Hischams b. alMughira, bis sie die Kaaba bauten und nun- 
mehr nach dem Bau der Kaaba datierten. Vgl. Agh. I 34, 1, 



374 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

dieser jüngeren Überlieferung entfernt sich der Priestercodex 
am allerweitesten vom Ursprünglichen dadurch, dass nach ihm 
das Passah, dessen Zusammenhang mit dem Erstgeburtsopfer er 
ganz verwischt, nicht zum Danke dafür, dass Jahve die Erstge- 
burt Ägyptens geschlagen hat, gefeiert, sondern im Momente des 
Auszuges gestiftet wird, damit er die Erstgeburt Israels ver- 
schone. Wie dies Alles zu verstehen und zu beurteilen sei, ist 
im Kapitel über die Feste (S. 90f. 104. 106) ausführlicher darge- 
legt worden. 

Ueber die Darstellung des Durchgangs durchs Schilfmeer 
in den beiden Quellen lässt sich nur das sagen, dass dieselbe 
im Jehovisten (J) complicierter ist. Nach ihm kommen auch 
die Ägypter zunächst durch das von einem starken Winde trocken 
gelegte Meer hindurch und stossen dann Nachts am östlichen 
Ufer mit den Hebräern zusammen. „Aber gegen «die Morgen- 
wache kehrte sich Jahve, in der Feuer- und Wolkensäule, gegen 
des Ägypters Heer und bestürzte des Ägypters Heer und hemmte 
das Ead seiner Wagen und Hess ihn ins Unwegsame gerathen. 
Da sprach der Ägypter: ich will fliehen vor Israel, denn Jahve 
streitet für sie gegen Ägypten. Aber das Meer kehrte zurück 
gegen Morgen zu seinem gewöhnlichen Stande, und die Ägypter 
flohen ihm entgegen, und Jahve schüttelte sie mitten ins Meer" 
(Exod. 14, 24. 25. 27). Nach dem Priestercodex 1 ) stürzen die Wellen 
über den Verfolgern zusammen, ehe sie noch ans jenseitige Ufer 
gelangen: die Vorstellung ist viel einfacher, aber ärmer an zu- 
fälligen Zügen. 

Das Wunder des Manna (Exod. 16) wird im Priestercodex 
als ein sehr zweckmässiges Mittel benutzt, die strenge Sabbaths- 
heiligung dem Volke einzuschärfen : am siebenten Wochentage fällt 
keins, aber das am sechsten gesammelte hält sich zwei Tage, 
während es sonst nur ganz frisch gegessen werden kann. Dass 
dies gesetzliche Interesse die Erzählung verdirbt und ihren eigent- 
lichen Sinn zurückdrängt, liegt auf der Hand. Ebensowenig ur- 
sprünglich ist es, vielmehr ein Zeichen von Greisenhaftigkeit, 
wenn im Priestercodex das Manna nicht roh, sondern gekocht 
und gebacken genossen wird. 

*) und überhaupt nach der jüngeren Überlieferung; auch nach dem Liede 
Exod. 15, welches abgesehen von dem alten Anfange ein Psalm in der 
Weise der Psalmen ist und keine Ähnlichkeit hat mit den historischen 
Liedern Jud. 5, 2. Sam. 1. Num 21. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 375 

Auf dem Berge Sinai erhält Mose nach dem Priestereodex 
die Offenbarung — des Modells der Stiftshütte, nach dessen ihm 
vorschwebenden Muster er dann unten die wirkliche Stiftshütte 
bauen lässt. Alle inhaltliche Offenbarung erfolgt schon zur Zeit 
Mose's so weit als möglich in der Stiftshütte, Exod. 25, 22. Denn 
auch der Sinai darf dem einzig legitimen Gottessitze nicht länger, 
als es unumgänglich nötig ist, zur Seite treten. 1 ) Die Gesetzes- 
tafeln werden, wie es scheint, stillschweigend Torausgesetzt, ohne 
vorher eingeführt zu sein; natürlich auf Grund der Annahme, 
dass die Sache den Lesern, nach der älteren Überlieferung, 
bekannt sein werde. Dafür wird dann aber das Äussere der 
Lade aufs verschwenderischste ausgestattet, mit einer Pracht, an 
welche die anderweitigen Nachrichten über den Akazienholz- 
kasten nicht denken lassen, wie denn auch sonst die Lade im 
Priestercodex anders aussieht, als sie nach 1. Reg. 7, 23ff. aus- 
gesehen hat. An die Haggada erinnert die Decke, welche Mose 
über sein vom Widerschein der Herrlichkeit Jahve's strahlendes 
Antlitz legen muss , um die Leute nicht zu blenden (Exod. 34, 
29 — 35), und die Verfertigung des ehernen Handfasses aus den 
Spiegeln der Tempelweiber (38, 1 vgl. Num. 17, lff.): diese 
Züge gehören zwar nicht zum ursprünglichen Bestände des 
Priestercodex, fallen aber dennoch in seine Sphäre. 

Vom Sinai gelangen wir nach der alten Überlieferung über 
diese und jene namentlich aufgeführten Stationen alsbald nach 
Kades, um hier die längste Zeit des vierzigjährigen Wtisten- 
aufenthalts zu verbleiben: hier spielen, wie bereits gesagt, eigent- 
lich alle Geschichten, die überhaupt von Mose erzählt werden. 
Im Priestercodex kommen wir auch hier, gerade wie in der 
Patriarchensage, nicht an bestimmte Orte, sondern treiben in 
der Wüste des Sinai, in der Wüste Pharan, in der Wüste Sin 
um. Mit offenbarer Absicht wird namentlich Kades möglichst 
in den Hintergrund gedrängt, jedenfalls wegen der grossen Hei- 
ligkeit, welche dieser Ort als langjähriges Standlager der Israe- 
liten unter Mose ursprünglich gehabt hat. 

Von Kades gehen nach dem Jehovisten die Kundschafter 
aus, nach dem Priestercodex von der Wüste Pharan. Nach 
jenem gelangen sie bis nach Hebron, bringen von dort die 

*) Vgl. indessen Jahrbb. für Deutsche Theologie 1877. S. 453 Anm. 1. 



376 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

schönen Trauben mit, finden aber das Land, wo sie wachsen, 
uneinnehmbar; nach diesem gelangen sie ohne weiteres gleich 
durch ganz Palästina hindurch bis zum Libanon, haben aber 
nichts mitzubringen und raten deshalb vom Angriff auf das 
Land ab, weil sie es nicht besonders begehrenswert finden: ge- 
rade als ob nur dem Glauben die Vorzüge desselben zugänglich, 
für ungläubige Augen aber nicht zu entdecken seien, wie es zur 
Zeit Haggai's und Zacharia's und zur Zeit Ezra's und Nehemia's 
wirklich der Fall war, während dem alten echten Israeliten die 
Herrlichkeit seiner geliebten Heimat kein blosser Glaubenssatz war, 
an dem er hätte auch zweifeln können. Dort wird (nach Dt. 1, 23) 
nur die Zahl der Kundschafter angegeben sein, hier werden sie 
alle zwölf mit Namen benannt. Dort macht alleine Kaleb die 
gute Ausnahme, hier Kaleb und Josua. Ursprünglich gehörten 
wohl beide nicht in diese Erzählung, aber Kaleb als Ausnahme 
zu nennen lag nahe, weil er in der That gerade die Gegend von 
Kades bis Hebron eroberte, welche die Kundschafter als unein- 
nehmbar geschildert und die durch sie eingeschüchterten Israe- 
liten nicht anzugreifen gewagt hatten. Josua dagegen ist hin- 
zugefügt worden von der Erwägung aus, dass nach dem Num. 14, 
23. 24 vom Jehovisten ausgesprochenen Grundsatze auch er das 
Verdienst Kalebs geteilt haben müsse, da er gleichen ausnahms- 
weisen Lohnes teilhaft geworden sei. 

Auftraggeber der Kundschafter, zu dem sie ihre Meldung 
zurückbringen, ist nach dem Jehovisten Mose allein, nach dem 
Priestercodex Mose und Aharon. In der ältesten Quelle des 
Jehovisten (J) kommt Aharon überhaupt noch nicht vor, im 
Priestercodex darf Mose öffentlich nichts ohne ihn thun. *) Mose 
ist zwar auch hier die Seele, aber Aharon der Repräsentant der 
Theokratie-, und es wird streng daraufgehalten, dass derselbe 
nirgend fehle, wo es auf diese Repräsentation, der Gemeinde 
gegenüber, ankommt. Die auffallendsten Früchte hat der Trieb, 
den Vertreter der flierokratie und damit überhaupt die Hiero- 
kratie in die mosaische Geschichte einzuführen, getragen in der 
sogenannten Erzählung vom Aufruhr der Rotte Korah. Nach 
der jehovistischen Überlieferung sind es die Rubeniten Dathan 
und Abiram, vornehme Männer des erstgeborenen Stammes in 

*) Ebenso handelt dort Josua allein, hier immer nur zur Seite des Priesters 
Eleazar. Vgl. oben die Anmerkung auf S. 147, 148. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 377 

Israel, von denen der Aufruhr ausgeht, und derselbe richtet sieh 
gegen Mose als Führer und Richter des Volkes. Nach 
der Version der Grundschrift des Priestercodex (Q) ist ein judäi- 
scher Stammfürst mit Namen Korah der Rädelsführer, und er 
empört sich nicht gegen Mose allein, sondern gegen Mose 
und Aharon als Vertreter des Priestertums. In einem 
späteren Nachtrage, welcher seiner Art nach ebenfalls zum 
Priestercodex, aber nicht zu dessen ursprünglichem Bestände ge- 
hört, erscheint der Levit Korah an der Spitze eines Aufstandes 
der Leviten gegen Aharon als Oberpriester und verlangt 
die Gleichstellung des niederen Klerus mit dem höheren. Neh- 
men wir die jehovistische Version, als deren geschichtliehe 
Grundlage das Herabsinken Rubens von seiner alten Stellung 
an der Spitze der Brüderstämme durchschimmert, zum Ausgangs- 
punkte, so lässt sich mit Händen greifen, wie die zweite daraus 
entstanden ist. Nachdem das Volk der Gemeinde, d. h. der 
Kirche, Platz gemacht hat, treten.statt des volkstümlichen Füh- 
rers Mose die geistlichen Spitzen Mose und Aharon ein, und die 
Eifersucht der weltlichen Grossen richtet sich nun gegen den 
Stand der Erbpriester, statt gegen den ausserordentlichen Ein- 
fluss eines gottgesandten Heroen auf das Gemeinwesen: alle 
diese Veränderungen ergeben sich naturgemäss aus der Über- 
tragung der Hierokratie in die mosaische Zeit. Vom Boden der 
zweiten Version lässt sich nun ferner die Entstehung der dritten 
begreifen. Nachdem zunächst dort die ursprünglich rubenitischen 
Stammfürsten zeitgemäss einem judäischen gewichen sind, ist 
hier, gemäss dem weiteren Fortschritte der Zeit, an die Stelle 
des judäischen Stammfürsten Korah der gleichnamige Eponymus 
einer nachexilischen Levitenfamilie getreten, und der Streit zwi- 
schen Klerus und Adel hat sich in einen häuslichen Streit zwi- 
schen höherem und niederem Klerus verwandelt, der ohne Zweifel 
in der Gegenwart des Erzählers brennender war. So entwickeln 
sich die drei Versionen, deren Zusammenschweissung unter je- 
dem anderen Gesichtspunkte als ein reines Rätsel erscheint, 
in geradliniger Deseendenz auseinander; unter dem Einfluss uns 
vollkommen bekannter, grosser historischer Wendungen haben 
sich die Metamorphosen vollzogen und im Lichte der judäischen 
Geschichte seit Josia sind sie uns durchaus nicht unverständlich. ! ) 
l ) Die nähere Begründung findet man in den Jahrbüchern für Deutsche 



378 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Es folgt der Aufbruch der Israeliten ins Ostjordanland. Nach 
dfcm Jehovisten legen ihnen die Nachbarvölker dabei Schwierig- 
keiten in den Weg, und das Land, wo sie sich ansiedeln wollen, 
müssen sie sich mit dem Schwerte erobern. Der Priestercodex 
berichtet davon so wenig wie früher vom Amalekiterkriege; 
nach ihm sieht es so aus, als ob die Israeliten geradeswegs auf 
ihr Ziel losgesteuert wären und sichs dort bequem gemacht 
hätten; der Besitz des herrenlosen Landes wird (Num. 32) von 
Mose und Eleazar den beiden Stämmen Kuben und Gad zuge- 
standen. Damit es aber nicht gänzlich an einem Kriege unter 
Mose fehle, wird hinterher der Krieg mit den Midianitern, über 
den wir bereits referiert haben, erzählt (Num. 31); erzählt wird 
freilich dabei nicht viel, sondern nur gezählt und verordnet; in 
dem Verse 31, 27 scheint 1. Sam. 30, 24 als Grundlage des 
Ganzen durchzuschimmern. Für die Anschauung vom Kriegs- 
wesen, wie sie die ganz kriegsentwöhnten Juden der späteren 
Zeit hatten, ist der Bericht äusserst bezeichnend. Sehr merk- 
würdig ist auch der Anlass des Krieges: nicht etwa um Land 
zu erwerben oder aus irgend welcher anderen praktischen Ur- 
sache wird er begonnen, sondern bloss zur Rache dafür, dass 
die Midianiter einzelne Israeliten zum Huren verführt haben. 

Die Ältesten von Midian sind nämlich hingegangen zum 
Wahrsager Bileam, um sich bei ihm Rats zu erholen, was gegen 
die israelitischen Eindringlinge zu machen sei. Er hat ein Mittel 
angegeben, der Gefahr die Spitze abzubrechen: die Midianiten 
sollen den Israeliten ihre Töchter zu Weibern geben und so 
das heilige Volk seiner Stärke berauben, deren Geheimnis seine 
Absonderung ist. Die Midianiten sind Bileams Käthe gefolgt, 
es ist ihnen gelungen, manche Israeliten durch die Reize ihrer 
Weiber zu bestricken, eine schwere Plage ist in Folge dessen 
von Jahve über das untreue Volk verhängt. Bis so weit lässt 
sich die Erzählung des Priestercodex nur aus Num. 31, 8. 16, 
Jos. 13, 22 und aus den Prämissen der Fortsetzung erraten; 
erst an diesem Punkte setzt das uns erhaltene Stück (Num. 25, 
6 ff.) ein und zwar mit dem Bericht, auf welche Weise der Plage 
endlich Einhalt gethan worden sei. Ein Mann bringt ganz dreist 



Theologie 1876. S. 572 ff. 1877 S. 454 Anm. und i» der Leidener Theol. 
Tijdschrift 1878 S. 139 ff. 



Die Erzählung des Hexateuchs. • 379 

eine Midianitin ins Lager, vor den Augen Mose's und der wei- 
nenden Kinder Israel; da nimmt der jugendliche Erbpriester 
Phinebas einen Speer, durchsticht das gottlose Paar, und wendet 
durch diesen seinen Eifer den Zorn Jahve's ab. Diese Erzäh- 
lung gründet sich auf die uns gleichfalls nur fragmentarisch er- 
haltene jehovistische (Num. 25, 1 — 5), über den Abfall der Israe- 
liten im Lager zu Sittim zum Dienste des Baal Peor, wozu sie 
sich verführen lassen durch die Töchter Moabs: der Götzendienst 
ist im Priestercodex, bis auf einige unwillkürliche Reminiscenzen, 
ganz fcjrtgefallen und statt dessen die Hurerei, die ursprünglich 
nur den Anlass zu der eigentlichen Hauptschuld bildet, aus- 
schliesslich hervorgehoben, offenbar in dem Gedanken, dass das 
Heiraten fremder Frauen schon an sich ein Abfall von Jahve, 
ein Bundesbruch sei. Diese Abwandlung war für das exilische 
und nachexilische Judentum höchst zeitgemäss, denn damals lag 
die Gefahr groben Götzendienstes nicht nahe, wohl aber kostete 
es grosse Mühe, dem drohenden Eindringen des Heidentums in 
die Gemeinde unter der freundlichen Form der Mischehen ent- 
gegenzutreten, welche schon nach dem Deuteronomium verboten 
und gar keine rechtmässigen Ehen waren. Zu der jehovistiscben 
Erzählung von Baal Peor ist nun aber in der Version des Priester- 
codex noch die Figur des Bileam hinzugekommen, die gleichfalls 
dem Jehovisten entlehnt, aber freilich ganz umgestaltet ist. So 
wie er in der alten Geschiehte erscheint, verstösst er gegen alle 
Begriffe des Priestercodex. Ein aramäischer Seher, der für Geld 
gedungen wird und allerhand heidnische Vorbereitungen trifft 
um zu weissagen, aber dabei doch kein Betrüger ist sondern 
ein wahrer Prophet so gut wie irgend ein israelitischer, ja mit 
Jahve in den vertrautesten Beziehungen steht trotzdem er eigent- 
lich die Absicht hat Jahve's Volk zu verfluchen — das ist dem 
exclusiven Judentum zu stark. Die Correctur wird einfach da- 
durch bewirkt, dass Bileam mit der folgenden Perikope in Ver- 
bindung gebracht und zum intellectuellen Urheber der Teufelei 
der midiariitischen Weiber gemacht wird: in dieser Neuschöpfung 
des Priestercodex lebt er dann in der Haggada fort. Unklar 
bleibt es, warum die Moabiter in Midianiter umgesetzt werden; 
es steht jedoch fest, dass die Midianiter nie in jener Gegend 
gewohnt haben. 

Mehr und mehr nehmen im Buche Numeri auch die erzäh- 



380 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

landen Partieen, welche im Übrigen die Art und Farbe des 
Priestereodex an sieb tragen, den Charakter blosser Ergänzungen 
und redaktioneller Nachträge zu einem bereits vorhandenen an- 
derweitigen Zusammenhange an; die selbständige Grundschrift 
des Priestercodex, das Vierbundesbuch oder das Buch der Ur- 
sprünge (Q), tritt immer stärker gegen die jüngeren Zusätze zu- 
rück und hört wie es scheint mit dem Tode Mose's ganz auf. 
Wenigstens lässt sie sich in der ersten Hälfte des Buches Josua 
nirgend verspüren, und dann kann man auch die ausführlichen 
dem Priestercodex angehörigen Stücke der zweiten Hälfte, die 
von der Verteilung des Landes handeln, nicht zu ihr rechnen, 
da dieselben ohne vorhergehende Erzählung über die Eroberung 
des Landes in der Luft schweben und keinen eigenen Zusammen- 
hang mehr darstellen, sondern das jehovistisch - deuteronomi- 
stische Werk voraussetzen. Bei aller Abneigung gegen Krieg 
und Kriegsberichte (1. Chron. 22, 8. 28, 3) hätte doch ein selb- 
ständiges Werk wie das Vierbundesbuch die Kämpfe Josua's 
unmöglich tibergehen können. 

Eine Vergleichung der Versionen über die Weise, wie die 
israelitischen Stämme von dem eroberten Lande Besitz ergriffen 
haben, möge den Reigen beschliessen. Der Priestercodex lässt, 
in Einklang mit der deuteronomistischen Bearbeitung, ganz Ka- 
naan zur tabula rasa machen und es dann herrenlos und menschen- 
leer der Verlosung unterbreiten. Zuerst fällt dem Stamme Juda 
sein Los, sodann Manasse und Ephraim, darauf den beiden 
Stämmen, die sich an Ephraim und Juda anschmiegten, Benja- 
min und Simeon, endlich den fünf nördlichen Stämmen Zebuion 
Issachar Äser Naphthali Dan. „Das sind die Stammländer, 
welche Eleazar der Priester und Josua ben Nun und die Stamm- 
häupter der Kinder Israel zuteilten nach dem Lose zu Silo vor 
Jahve vor der Stiftshütte. a 

Nach dem Jehovisten scheinen Juda und Joseph ihr Gebiet 
schon zu Grilgal (14, 6), und zwar nicht durchs Los, zugeteilt 
erhalten und es von dort aus in Besitz genommen zu haben. 
Geraume Zeit später wird das übrigbleibende Land unter die 
säumigen sieben kleinen Stämme verlost, von Silo oder vielleicht 
ursprünglich von Sichern aus (18, 2 — 10); Josua alleine wirft 
das Los und weist an, Eleazar der Priester nicht mit ihm. Schon 
hier wird die unterschiedslose Allgemeinheit der Anschauungs- 



Die Erzählung des Hexateuehs. 381 

weise des Priestercodex etwas eingeschränkt, viel stärker aber 
widerspricht derselben das wichtige Kapitel Jud. 1. 

Dasselbe ist in Wahrheit keine Fortsetzung des Buches 
Josua, sondern eine Parallele dazu, die wohl die Eroberung des 
ostjordanischen, aber nicht die des westjordanischen Landes vor- 
aussetzt, diese vielmehr erst selber erzählt und zwar erheblieh 
abweichend. Von Gilgal, wo der MaUak Jahve zuerst sein Lager 
aufgeschlagen hat, ziehen die Stämme einzeln aus um sich ihr 
„Los" zu erkämpfen, zuerst Juda, dann Joseph. Bloss von 
diesen wird eigentlich erzählt, indessen von Joseph auch nur 
der erste Anfang der Eroberung seines Landes. Von Josua ist 
keine Rede; als Befehlshaber Israels passt er auch nicht in 
die Gesamtanschauung, während es sich wohl damit vertragen 
würde ihn als Führer seines Stammes anzusehen. Rtickhaltslos 
wird die Unvollständigkeit der Eroberung zugeständen, dass die 
Kanaaniter in den Städten der Ebene ruhig fortgewohnt haben 
und erst in der Königszeit, als Israel stark geworden, unter- 
worfen und zinsbar gemacht seien. Dass dies Kapitel, sowie 
überhaupt der Stock des Eichterbuchs , der jehovistischen Tra- 
ditionsschicht entspricht, zu der auch die gleichlautenden oder 
ähnlichen Stellen im Josua (15,13 — 19 u.a.) unbestritten ge- 
, rechnet werden, lehrt schon der Mal'ak Jahve. Die Verschieden- 
i f heit von der jehovistischen Hauptversion im Buche Josua er- 
,^ klärt sich grössten Teils daraus, dass diese ephraimitischen Ur- 
' j§ Sprungs ist und in Folge dessen dem Helden Ephraims oder 
Josephs die Eroberung des ganzen Landes zuschreibt, während 
Jud. 1 den Stamm Juda mehr berücksichtigt. Es findet sich 
übrigens im Buche Josua selber der Best einer Version (9, 4 — 7. 
12 — 14), worin ebenso wie in Jud. 1 „der israelitische Mann" 
handelt und „den Mund Jahve's befragen" muss, während sonst 
Josua allein zu sagen hat und als Nachfolger Mose's die Ent- 
scheidung lediglich der Vollmacht seines eigenen Geistes ent- 
nimmt. Endlich ist auf Exod. 23, 20ff. aufmerksam zu machen, 
wo gleichfalls die Übereinstimmung mit Jud. 1 darin hervortritt, 
dass nicht Josua, sondern der MaFak Jahve's (Jud. 5, 23) Israels 
Führer ist, und dass das gelobte Land nicht auf einmal, sondern 
sehr allmählich im Laufe der Zeit erobert wird. 

Die Anachronismen und Anekdoten in Jud. 1 hindern nicht 
anzuerkennen, dass die zu Grunde liegende Gesamtanschauung 



382 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

von dem Hergange der Eroberung, nach dem was wir von der 
Folgezeit wissen, eine ungleich historischere ist als die im Buche 
Josua herrschende, wonach Alles mit systematischer Gründlich- 
keit zugegangen, das ganze Land erst entvölkert, sodann unter 
die einzelnen Stämme ausgelost sein soll. Sofern die letztere 
Vorstellung, welche einerseits ermöglicht wird durch die wört- 
liche Deutung des von den Familienäckern auf das Stammge- 
biet übertragenen Ausdruckes Los (Jud. 18, 1), andererseits durch 
die übliche Zusammendrängung einer langen Entwicklung in den 
ersten Hauptakt, am consequentesten im Priestercodex ausge- 
bildet ist, so steht dieser dem Ursprünge der Tradition am fern- 
sten. 1 ) Das Gleiche zeigt sich auch darin, dass der Stamm 
Joseph nie erwähnt wird, sondern statt seiner immer nur die 
beiden Stämme Ephraim und Manasse, und dass diese beiden 
Stämme fast ganz gegen Juda verschwinden, obwohl trotzdem 
der Führer Ephraims, Josua, als Führer Gesamtisraels aus der 
alten, ursprünglich ephraimitischen, Tradition beibehalten wird. 

Es ist kein Widerspruch , bei der Vergleichung der Überlie- 
ferungsschichten 'den geschichtlichen Massstab für die Ursage und 
die Patriarchenlegende abzulehnen und ihn für die epische Zeit 
Mose's und Josua's in gewissen Grenzen anzuwenden. Die 
epische Überlieferung enthält doch Elemente, die sich nicht an- 
ders erklären lassen als dadurch dass geschichtliche Facta zu 
Grunde gelegen haben müssen; sie geht doch von der Zeit aus 
von der sie handelt, während die Patriarchenlegende mit der 
Zeit der Patriarchen in durchaus keiner* Verbindung steht. 2 ) 
Darin liegt das Recht der verschiedenen Behandlung. Das letzte 
Ergebnis ist das gleiche: sowohl mit dem Masse der Poesie als 

*) In der deuteronomistischen Bearbeitung (Jos. 21, 43—45) zeigt sich doch 
noch ein Schwanken, ein gewisses Unvermögen sich loszureissen vom 
Alten (Deut. 7, 22. Jud. 3, 1.2), ausserdem sind hier die Motive der 
Neuerung weit deutlicher : die Kanaaniten werden ausgerottet um die An- 
steckung der neuen Ansiedler mit ihrem Götzendienst zu verhüten. 

2 ) Bei vereinzelten Angaben lässt sich wohl auch hier der historische Mass- 
stab anlegen. Man kann es eine richtigere Vorstellung nennen, dass Hebron 
zur Zeit Abrahams von den Kanaanitern und Pherezitern, als dass es 
von den Hethitern bewohnt gewesen sei, die letzteren wohnten nach 
2. Sam. 24, 6 (Bleek 4 S. 228. 597) in Coelesyrien und nach 2. Reg. 7, 6 
in der Nähe der Aramäer von Damaskus. Die Angabe, dass die Israeliten 
als Hirten von Pharao das Weideland Gosen an der Nordostgrenze Ägyp- 
tens erhalten und dort für, sich gewohnt haben, verdient den Vorzug vor 
der, dass sie unter den Ägyptern im besten Teile des Landes angesie- 
delt seien. 



Die Erzählung des Hexateuchs. 383 

mit dem Masse der Historie gemessen steht der Priestercodex 
nach Wert und nach Zeit beträchtlich unter dem Jehovisten. 

3. Ich habe in groben Zügen den Gegensatz zwischen 
den Endpunkten der Überlieferung des Hexateuchs zur An- 
schauung zu bringen gesucht. Es wäre nicht unmöglich, der 
inneren Entwickelung der Überlieferung durch die Mittelglieder 
nachzugehen, unter Benutzung der feineren Ergebnisse der 
Quellenscheidung und mit Heranziehung der nicht gerade zahl- 
reichen aber, wichtigen Anspielungen, die im Deuteronomium, in 
den historischen und in den prophetischen Büchern, namentlich bei 
Hosea, vorkommen. Es würde sich herausstellen, dass die Sage 
ihrer Natur nach dazu auffordert sie zu variieren , dass sie sich 
objektiv gar nicht darstellen lässt. Schon bei der ersten Auf- 
zeichnung spielen die verfärbenden Einflüsse ein, ohne dass 
darum doch dem einwohnenden Sinne des Stoffes Gewalt ge- 
schähe. Nachweisbar ist zuerst die Einwirkung jenes specifi- 
schen Prophetismus, den wir von Arnos ab verfolgen können. 
Am wenigsten lässt er sich in der alten Hauptquelle des Jeho- 
visten, in J, merken, doch ist es auffallend, dass die Ascheren 
im Patriarchencultus nirgend vorkommen. Weit stärker prophe- 
tisch angehaucht ist die zweite jehovistische Quelle, E; sie lässt 
eine fortgeschrittenere und grundsätzlichere Religiosität erkennen. 
Bedeutsam in dieser Hinsicht ist die Einführung Abrahams als 
Nabi, das Vergraben der Theraphim durch Jakob, die Auffassung 
der Masseba bei Sichern (Jos. 24, 27), vor allen Dingen die Ge- 
schichte vom goldenen Kalbe. Die Gottheit wird weniger ur- 
wüchsig vorgestellt als in J, sie tritt nicht leibhaftig zum Men- 
schen hin, sondern ruft vom Himmel oder offenbart sich im 
Traume. Indem sich das religiöse Element verfeinert hat, ist es 
zugleich energischer geworden und hat auch das Heterogene 
durchdrungen, gelegentlich so wunderliche Mischungen erzeugend 
wie in Gen. 31, 10 — 13. Dann tritt das Gesetz ein und durch- 
säuert die jehovistische Erzählung, zuerst das deuteronomische, 
schon in der Genesis, dann sehr stark im Exodus und im Josua. 
Zuletzt wird im Priestercodex, unter dem Einfluss der Gesetz- 
gebung der nachexilischen Kestauration, eine völlige Umgestaltung 
der alten Tradition bewirkt. Das Gesetz ist der Schlüssel zum 
Verständnis auch der Erzählung des Priestercodex. Mit der 
Einwirkung des Gesetzes hängen alle unterscheidenden Eigen- 



384 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

tümüchkeiten derselben zusammen; überall macht sieh die Theorie, 
die Regel, das Urteil geltend. Was oben vom Cultus gesagt ist, 
lässt sieh wörtlich von der Sage wiederholen: in der alten Zeit 
ist sie dem grünen Baume zu vergleichen, der aus dem Boden 
wächst wie er will und kann, hinterher ist sie dürres Holz, das 
mit Zirkel und Winkelmass regelrecht zubehauen wird. Es ist 
ein wunderlicher Einwurf zu sagen, die nachexilische Zeit habe 
zu Productionen, wie die Stiftshtitte oder die Chronologie es 
sind, nicht das Zeug gehabt. Originell war sie freilich nicht, 
aber der Stoff war ja schriftlich gegeben und brauchte nicht 
mehr erfunden zu werden. Was gehörte denn gross dazu, um 
den Tempel in ein tragbares Zelt zu verwandeln? Was ist das 
für eine Schöpferkraft, die lauter Zahlen und Namen hervor- 
bringt! Von Jugendfrische wenigstens kann da nicht die Rede 
sein. Mit ungleich grösserem Rechte wird sich behaupten lassen, 
dass die theoretische Modelung und Aptierung der Sage, wie sie 
im Priestercodex geübt wird, erst hat eintreten können, nach- 
dem dieselbe aus dem Gedächtnis und dem Herzen des Volks 
herausgerissen und in ihren Wurzeln abgestorben war. 

Die Geschichte der vorhistorischen und der epischen Tradition 
hat also ganz dieselben Phasen durchlaufen wie die der histo- 
rischen; und der Priestercodex entspricht in dieser Parallele in 
all und jeder Hinsicht der Chronik. Das Mittelglied aber zwi- 
schen Alt und Neu, zwischen Israel und dem Judentum, ist 
überall das Deuteronomium. 

Der Antar-roman sagt von sich selber, er habe ein Alter 
von 670 Jahren erreicht und davon 400 Jahre im Zeitalter der 
Unwissenheit (d. h. des altarabischen Heidentums), die übrigen 
270 im Islam verlebt. Etwas Ähnliches könnten die biblischen 
Geschichtsbücher von sich aussagen, wenn sie, personifiziert, ihr 
Leben begönnen mit der Aufzeichnung des ältesten Kernes und 
es abschlössen mit der letzten grossen Umarbeitung. Die Zeit 
der Unwissenheit würde dauern bis zum Erscheinen „des Buchs", 
welches allerdings im Alten Testament nicht so auf einmal wie 
der Koran, sondern während einer längeren Periode und in 
mehreren Phasen herniedergekommen ist. 



III. 

Israel und das Judentum. 



Das Gesetz ist zwischenein getreten. 

Yatke S. 183. 



Wellhausen, Prolegotmena. 25 



Neuntes Kapitel. 
Abschluss der Kritik des Gesetzes. 

Gegen die allgemeine Art der Begründung der Graf sehen 
Hypothese ist Einspruch erhoben worden. Es soll eine uner- 
laubte Argumentation ex silentio sein, wenn daraus, dass die 
priesterliche Gesetzgebung noch bei Ezeebiel latent ist wo sie 
wirksam, unbekannt wo sie bekannt sein sollte, geschlossen wird, 
dass sie damals noch nicht vorhanden gewesen sei. Was ver- 
langt man denn aber? Soll die Nichtexistenz des Nichtvorhan- 
denen etwa auch noch vorher bezeugt werden? Ist es verstän- 
diger, ex silentio positiv den Beweis der Existenz zu erbringen? 
zu sagen: in der Richter- und Königszeit gibt es keine Spuren 
der Hierokratie, also stammt sie aus dem höchsten Altertum, 
von Mose her? Das Problem bliebe dann dasselbe, nämlich zu 
erklären, wie es kommt, dass mit und nach dem Exil die Hiero- 
kratie des Priestercodex praktisch zu werden beginnt. Was die 
Gegner der Graf sehen Hypothese Argumentation ex silentio nen- 
nen, ist weiter nichts als die allenthalben gültige Methode histo- 
rischer Forschung. 

Ein etwas anderes Aussehen gewinnt der Protest gegen die 
Argumentation ex silentio, wenn darauf hingewiesen wird, dass 
Gesetze manchmal Theorien sind irnd dass es kein Beweis gegen 
die Existenz einer Theorie ist, wenn sie in der Praxis nicht 
durchdringt. Wer wird zum Beispiel daraus, dass das Deute- 
ronomium während der vorexilischen Zeit wesentlich Theorie 
blieb, schliessen wollen, es sei nicht vorhanden gewesen? Wenn 
Gesetze nicht gehalten werden, so sind sie darum doch da — 
vorausgesetzt nämlich , dass man dafür anderweitig genügende 

25* 



388 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

Beweise hat. Aber diese Beweise wollen sich eben für den 
Priestercodex ganz und gar nicht finden lassen. Ausserdem ist 
selten Alles bei einem Gesetze Theorie; die Möglichkeit, dass 
etwas Theorie sein kann, darf nicht allgemein, sondern immer 
nur im einzelnen Falle geltend gemacht werden. Und nicht 
Alles, was in der That Theorie ist, entzieht sich darum der 
geschichtlichen Ansetzung. Auch die gesetzliche Phantasie geht 
immer von irgend welchen gegebenen Voraussetzungen aus; eben 
an diese Voraussetzungen , nicht an die Gesetze selber, hat sich 
di& geschichtliche Kritik zu halten. 1 ) 

Gerade umgekehrt pocht man nun freilich auch darauf, dass 
die Gesetze des Priestercodex sich doch überall in der Praxis 
der historischen Zeit bezeugen, dass es immer Opfer und Feste 
und Priester und Eeinigungsbräuche und was dergleichen mehr 
ist im alten Israel gegeben habe. Dem liegt wo möglich die 
Meinung zu Grunde, dass nach der Graf 'sehen Hypothese der 
ganze Cultus erst durch den Priestercodex erfunden und erst 
nach dem Exil eingeführt worden wäre. Die Vertreter der 
Graf sehen Hypothese glauben wirklich nicht, dass der israeli- 
tische Cultus plötzlich in die Welt getreten sei, so wenig durch 
Ezechiel oder durch Ezra als durch Mose — wozu würden sie 
auch sonst yon Zöckler und Delitzsch des Darwinismus bezich- 
tigt? 2 ) Sie finden nur, dass des Gesetzes Werke vor dem Ge- 
setze geschehen sind, dass ein Unterschied besteht zwischen her- 
gebrachtem Brauche und formuliertem Gesetze, und dass dieser 
Unterschied auch da, wo er bloss formell scheint, doch einen 
materiellen Hintergrund hat, indem er zusammenhängt mit der 
Centralisierung des Gottesdienstes und der darauf gegründeten 
Hierokratie. Es kommt auch hier nicht bloss auf den Stoff an, 
sondern auf den Geist, der dahinter steckt und sich überall als 
Zeitgeist charakterisiert 3 ). 

Vgl. S. 52. 155f. 167 f. 2661 Darum ist auch die Vergleiehung der Tra- 
ditionsschichten ebenso wichtig als die der Gesetzesschichten. 

2 ) The Christian Church II (London 1882) p. 368: Wellhausen's speculations 
were spoken of by Delitzsch as merely applications of Darwinism to 
the sphere of theology and criticism. Damnant omnes Darwinistas: die 
Etikettierung der Ketzereien, in der es namentlich Zöckler so weit ge- 
bracht hat, ist die halbe, ja die ganze Widerlegung. Doch muss wegen 
de Wette und Reuss hinzugefügt werden: sive ante siye post Darwinum, 

3 ) Vgl. S. 79ff. 107ff. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 389 

Inzwischen leiden alle diese Einwürfe an dem Fehler, dass 
sie ausser Acht lassen, um was es sich eigentlich handelt. Es 
handelt sich nicht darum zu erweisen, dass das mosaische Ge- 
setz in der vorexilischen Zeit nicht bestanden habe. Es gibt 
drei Gesetzes- und Traditionsschichten im Pentateueh, und die 
Aufgabe ist, diese Schichten in historische Folge zu bringen. 
Beim Jehovisten und beigi Deuteronomium hat diese Aufgabe 
eine Lösung gefunden, die als allgemein anerkannt gelten kann; 
es handelt sich nun bloss darum, das Verfahren, wodurch die 
Reihenfolge und die Zeit dieser beiden Schriften ermittelt worden 
ist, auch auf den Priestercodex anzuwenden, nämlich die innere 
Vergleichung der Schichten untereinander und die historische 
Vergleichung derselben mit den sicher tiberlieferten Thatsachen 
der israelitischen Geschichte. 2 ) Man sollte nicht denken , dass 
hiegegen Widerspruch erhoben werden könnte. Aber dies ist 
dennoch der Fall; das, selbe Verfahren, welches auf das Deute- 
ronomium angewandt historisch -kritische Methode heisst, heisst 
auf den Priestercodex übertragen Gesehichtseonstruction. Con- 
struieren muss man bekanntlich die Geschichte immer; die Reihe 
Priestercodex Jehovist Deuteronomium ist auch nichts durch 
die Überlieferung oder durch die Natur der Dinge Gegebenes, 
sondern eine nur wenige Decennien alte Hypothese, von der 
man jedoch die freilich etwas unfassbaren Gründe vergessen 
hat und die dadurch in den Augen ihrer Anhänger den Schein 
des Objectiven, d. h. den Charakter des Dogmas, bekommt. Der 
Unterschied ist nur, ob man gut oder schlecht construiert. Graf 
Baudissin glaubt hier besonders vor. einer Gefahr warnen zu 
müssen, nämlich vor der übertriebenen Anwendung der Logik; 
die logische Auseinanderfolge der Gesetze brauche darum doch 
nicht die historische Aufeinanderfolge derselben zu sein. Um 
des logischen Fortschritts willen geschieht es aber in der That 
nicht, wenn wir die von den Propheten ausgehende Ent Wicke- 
lung schliesslich auf das Cultusgesetz auslaufen lassen ; von dem 
gesunden Menschenverstände ausgehend hat man gewöhnlich der 
Geschichte, trotz des Widerstrebens ihrer auf uns gelangten 
Spuren, den umgekehrten Gang aufgedrängt. 9 ) Wenn wir von 

J ) Die Methode ist in der Einleitung (S. lff.) angegeben; ich habe mich be- 
sonders im ersten Kapitel, über den Ort des Gottesdienstes, bemüht, sie 
deutlich hervortreten zu lassen. 

2 ) Wunderbar wäre es darum auch nicht, bei dem ganzen Charakter der 



390 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

der israelitischen Cultusgeschichte nach mühsam gesammelten 
Daten der historischen [und prophetischen Bücher einen Aufriss 
machen, darnach den Pentateuch damit vergleichen, [und auf diese 
Weise bestimmte Beziehungen der einen Schicht des Pentateuchs 
mit dieser historischen Phase, der anderen mit jener erkennen, 
so heisst das nicht die Logik* an Stelle der historischen Unter- 
suchung setzen. So weit soll doc^ gewiss die neue Lehre 
von der Unvernünftigkeit der Wirklichen nicht getrieben wer- 
den, dass man die Correspondenz zwischen Gesetzesschicht und 
betreffender Geschichtsphase als Grund ansieht, beides mög- 
lichst weit auseinander zu reissen. Wenigstens müsste man dann 
diesen Grundsatz auch auf den Jehovisten und das Deuterono- 
mium anwenden, nicht bloss auf den Priestercodex. Denn was 
dem einen recht ist, ist dem anderen billig; ein bischen Logik 
ist eben leider beinah ganz unvermeidlich. 

Dass nicht Alles, was ich in der Geschichte des Cultus und 
der Tradition vorgebracht habe, Beweis der Hypothese, vielmehr 
gar Manches nur Erklärung auf Grund der Hypothese ist, die 
nicht dazu dienen kann sie selber zu stützen, das versteht sich 
von selbst. Im Gegensatz zu Graf bin ich absichtlich so ver- 
fahren. Graf hat seine Argumente ziemlich un verbunden vorge- 
tragen und nicht versucht, die historische Gesamtbetrachtung 
der Geschichte Israels zu ändern. Eben darum hat er keinen 
Eindruck bei der Mehrzahl seiner Fachgenosseri gemacht; sie 
sahen nicht hinein in die Wurzel der Sache, konnten das System 
für unerschüttert halten und darum die einzelnen Anstösse für 
untergeordnete Kleinigkeiten ansehen. Mein Unterschied von 
Graf besteht zunächst darin, dass ich immer auf die Centrali- 
sierung des Cultus zurückgehe und daraus die einzelnen Diffe- 
renzen ableite. Meine ganze Position ist im ersten Kapitel ent- 
halten; dort ist namentlich auch der historisch sehr wichtige 
Anteil der prophetischen Partei an der grossen Metamorphose 
des Cultuswesens klar gelegt, die sich keineswegs bloss spontan 
vollzog. Weiter lege ich weit mehr als Graf entscheidendes 
Gewicht auf den Wechsel der herrschenden Ideen, der mit der 
Änderung in den Einrichtungen und Bräuchen des Cultus pa- 

Polemik gegen die Grafsche Hypothese, wenn ihr demnächst gerade der 
entgegengesetzte Einwurf gemacht würde, nämlich dass sie nicht im 
Stande sei, die Geschichte zu construieren. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 391 

* 

rallel läuft, wie das besonders der zweite Teil des vorliegenden 
Buches aufweist. Fast wichtiger als die Erscheinungen selber 
sind mir die dahinter liegenden Voraussetzungen. 

Wenn nicht Alles, was bisher zur Sprache gekommen ist, 
Beweis für die Graf 'sehe Hypothese ist noch sein soll, so gibt 
es andererseits auch Beweismaterial genug, welches noch nicht 
berücksichtigt ist. Dasselbe ausführlich zu erörtern, würde aber- 
mals ein Buch erfordern; es kann hier nur in Auswahl und in 
andeutender Kürze vorgeführt werden, wenn die Grenzen nicht 
überschritten werden sollen, welche der wesentlich historische 
Charakter dieser Prolegomena steckt. Grösstenteils wird sich 
dabei das Pro an die Widerlegung des Contra anschliessen. 

I. 

1. Eberhard Schrader erwähnt zwar in seinem Lehrbuch 
der Einleitung (1869, S. 266) , dass Graf die Gesetzgebung der 
mittleren Bücher des Pentateuchs der nachexilischen Zeit zu- 
weise, gibt jedoch nicht den mindesten Begriff von der Begrün- 
dung dieser T&esiß, sondern weist sie kurzer Hand damit ab, 
dass dagegen „schon die kritische Analyse ihr Veto" einlege. 
Schon die kritische Analyse! Wie fängt sie das an? Wie kann 
sie beweisen, dass die nach allen Seiten ausgebildete Cultus- 
einheit, die Denaturalisierung der Opfer und der Feste, der Unter- 
schied von Priestern und Leviten, die autonome Hierarchie älter 
seien als die deuteronomische Eeform? Schrader meint vielleicht, 
dass die aus der cultusgeschichtlichen Vergleichung der Quellen 
entnommenen Merkmale, wonach Jehovist Deuteronomium 
Priestercodex, in dieser Ordnung, auf einander folgen, durch an- 
dere mehr formale und literarische aufgewogen werden, wonach 
der Priestercodex an die Spitze oder doch nicht ans Ende der 
Reihe gehört. Dann stünde gleich gegen gleich, und die Frage 
müsste in der Schwebe bleiben. Dieser ungünstige Fall würde 
jedoch nur dann eintreten, wenn die literarischen Gegeninstanzen 
den mehr realistischen Gründen fttr die Grafsche Hypothese 
wirklich das Gleichgewicht hielten. In der Untersuchung über 
die Composition des Hexateuchs J ) habe ich nach dem Vorgange 
Anderer gezeigt, wie wenig dies der Fall ist: die Hauptpunkte 
will ich der Vollständigkeit halber Wer wiederholen. 
*) s. oben S. 8 Anm. 2, 



392 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

% Man sagt, das Deuteroiiomium gründe seine historischen 
Anschauungen nicht bloss auf die jehovistische, sondern auch 
auf die priesterliche Erzählung. Das eigentliche Deuteronomium 
(Kap. 12 — 26) enthält zwar kaum historischen Stoff, aber bevor 
Mose zur Sache kommt, schickt er zwei Einleitungen voraus 
Kap. 5 — 11. Kap. 1 — 4, und klärt uns darin über die Situation 
auf, worin er kurz vor seinem Tode „diese Thora" veröffent- 
licht. Wir befinden uns in dem zuerst eroberten Amoriterreich 
östlich vom Jordan, am Ende der vierzigjährigen Wanderung; 
der Übergang ins Land Kanaan, für welches diese Gesetzgebung 
berechnet ist, steht nahe bevor. Bisher, heisst es nun in Kap. 5. 
9. 10, ist nur das unter allen Verhältnissen gültige und darum 
von Gott selbst am Horeb verkündigte Grundgesetz der zehn 
Worte gegeben worden. Damals verbat sich das Volk weitere 
direkte Offenbarung von Jahve und beauftragte Mose mit der 
Vermittelung, der sich demgemäss auf den heiligen Berg begab, 
dort vierzig Tage und Nächte verweilte und die zwei Tafeln des 
Dekalogs empfing, ausserdem aber die Satzungen und Rechte, 
welche er erst jetzt nach vierzig Jahren zu publrcieren im Be- 
griff steht, da sie erst mit der Ansiedelung praktisch werden. 
Nachdem inzwischen unten das goldene Kalb gegossen worden, 
stieg Mose vom Berge herab, zerschmetterte im Zorn die Tafeln 
und zerstörte das Idol. Darauf begab er sich zum zweiten mal 
wiederum vierzig Tage und vierzig Nächte auf den Berg, bat um 
Gnade für das Volk und für Aharon, und nachdem er nach gött- 
lichem Geheiss zwei neue Tafeln und eine hölzerne Lade für sie 
gemacht hatte, schrieb Jahve den Wortlaut der zerbrochenen 
noch einmal auf. Bei jener Gelegenheit, wird 10, 8 f. bemerkt, 
wurden auch die Leviten zu Priestern bestellt. 

Dass dies eine Reproduktion «des jehovistischen Berichtes 
Exod. 19. 20. 24. 32—34 ist, liegt auf der Hand: Hingegen wird 
der Priestercodex vollkommen ignoriert. Nur zwei Gesetze kennt 
das Deuteronomium, den Dekalog, den das Volk, die Satzungen 
und Rechte, die Mose am Horeb empfing; beide sind zu gleicher 
Zeit unmittelbar hinter einander offenbart, aber nur der Dekalog 
bisher publiciert. Wo bleibt die gesamte Wüstengesetzgebung 
von der Stiftshütte aus? ist es doch geradezu eine Negation 
ihres Begriffs, wenn Mose die Thora erst verkündet beim Über- 
gang ins heilige Land, weil sie eben nur für das Land, nicht 



Abscjiluss der Kritik des Gesetzes. 393 

für die Wüste passt und Geltung hat. Kann der Deuteronomiker, 
ganz abgesehen davon dass ihm nach Kap. 12 von einem mosai- 
schen Centralheiligtum nichts bekannt gewesen ist, zwischen 
Exod. 24 und 32 das gefunden haben, was wir dort jetzt lesen? 
überschlägt er doch alles, was aus dem Priestercodex eingesetzt 
ist. Freilich findet Nöldeke ') eine Reminiscenz an denselben in 
der Lade aus Akazienholz (Deut. 10, 1). Aber die Lade kommt 
Jiier in einem Zusammenhange vor, der dem jehovistischen 
(Exod. 32. 33) genau entspricht und dem priesterlichen (Exod. 25 ff.) 
widerspricht. Sie wird erst nach der Aufrichtung des golr 
denen Kalbes gestiftet, nicht gleich zu Anfang der göttlichen 
Offenbarung als der Grundstein der Theokratie. Es ist wahr, 
wir finden gegenwärtig in JE Exod. 33 die Lade nicht erwähnt, 
aber in dem nächsten jehovistischen Stücke (Num. 10, 33) ist sie 
plötzlich da, und es musste doch ursprünglich gesagt sein, woher? 
Wie die Herrichtung des Zeltes, welches 33, 7 gleichfalls unvor- 
bereitet vorhanden ist, muss auch die der Lade einst zwischen 
33, 6 und 7 erzählt und dann vom Redaktor des gegenwärtigen 
Pentateuchs wegen der notwendigen Rücksicht auf Q Exod. 25 
ausgelassen worden sein: dafür sprechen noch eine Reihe wei- 
terer Gründe. 2 ) Dass der deuteronomische Erzähler JE vor der 
Verarbeitung mit Q noch vollständiger vorgefunden hat als diese 
Schrift uns nach der Verarbeitung vorliegt, ist doch keine so 
schwierige Annahme, dass man um sie zu vermeiden lieber zu 
den allerunmöglichsten zu greifen hätte. Nach Nöldeke näm- 
lich hat der Verfasser von Deut. 5 — 11 entweder den jetzigen 
Pentateuch vor sich gehabt und es dann rätselhaft gut verstan- 
den JE heraus zu schälen, oder er hat zwar JE als selbständige 
Schrift benutzt, aber doch auch Q gelesen, so aber dass seine 
Gesamtanschauung nicht im mindesten von der priesterlichen 
beeinflusst ist, sondern derselben total und doch unbewusst wider- 
spricht, da sie für eine ausser dem Dekalog orfolgte Cultusge- 
setzgebung, d. h. für den ganzen wesentlichen Inhalt von Q, 

!) Jährbb. für prot. Theologie 1875, S. 350. 

2 ) Ohne die Lade hat das Zelt keinen Zweck und der in Exod. 33 so wich- 
tige Gegensatz von Repräsentation (MaPak) Jahve's und Jahve selber 
keinen Sinn. Durch das Gusswerk, das sie sich gemacht, haben die 
Israeliten den Beweis gegeben, dass sie ohne eine sinnliche Vergegen- 
wärtigung der Gottheit nicht auskommen, darum gibt ihnen Jahve die 
Lade statt des Kalbes. 



394 Israel und das Judentum, Kaß. 9. 

keinen Platz offen lässt. Zu diesem Dilemma sollte man sieh 
deshalb verstehen, weil ein oder der andere Zug der deuterono- 
mischen Darstellung in der gegenwärtigen Gestalt von JE nicht 
nachweisbar, dagegen in Q erhalten ist? ist denn, unter sothanen 
Umständen, damit bewiesen, dass er dorther stamme? muss man 
nicht billigerweise einige Rücksicht auf das Ensemble nehmen? 

Übrigens hat Vatke richtig bemerkt, dass die hölzerne Lade 
Deut. 10, 1 gar nicht so sehr an die von Exod. 25 erinnere, die 
nach Analogie des goldenen Tisches und Altars viel eher eine 
goldene zu nennen war. Noch mehr guter Wille gehört dazu, 
die Angabe über Aharons Tod und Begräbnis in Mosera und 
über Eleazars Einsetzung an seiner statt (Deut. 10, 6. 7) für eine 
Reminiscenz an Q (Num. 20, 22ff.) anzusehen, wo Aharon auf 
dem Berge Hör stirbt und begraben wird. Aharon und Eleazar 
stehen auch in JE als Priester zur Seite Mose's und Josua's; 
vgl. Jos. 24, 33. Allerdings ist in JE jetzt der Tod und das Be- 
gräbnis Aharons nicht erhalten; aber man kann doch vom Re- 
daktor des Pentateuchs nicht verlangen, dass er eine Person 
zweimal sterben lässt; einmal nach Q und einmal nach JE. 
Noch dazu ist Deut. 10, 6. 7 eine Interpolation, denn die folgen- 
den Verse 10, 8 ff., in denen nicht bloss Aharon und Eleazar, 
sondern alle Leviten das Priestertum besitzen, schliessen sich an 
10, 5 und beruhen auf Exod. 32: wir befinden uns noch am 
Horeb, nicht schon in. Mosera. 

Der historische Faden, der in Deut. 5. 9. 10 angesponnen 
wird, lässt sich in Kap. 1—4 weiter verfolgen. Vom Horeb auf- 
brechend kommen die Israeliten direet nach Kades Barnea und 
schicken von hier, bevor sie den befohlenen Einfall in das ju- 
däische Bergland wagen, aus eigener Vorsicht, die aber von Mose 
gebilligt wird, zwölf Kundschafter zur Reeognoscierung aus, unter 
ihnen Kaleb, aber nicht Josua. Nachdem diese bis zum Bache 
Eskol vorgedrungen sind, kehren sie zurück, und obwohl sie die 
Güte des Landes preisen, wird doch das Volk durch ihren Be- 
richt so entmutigt, dass es murrt und nicht angreifen mag. Zor- 
nig darüber heisst sie Jahve wieder umkehren in die Wüste, da 
sollen sie sich so lange umhertreiben, bis die alte Generation 
ausgestorben und eine neue herangewachsen sei. Als sie nun 
doch aus falscher Scham nachträglich vordringen, werden sie 
mit blutigen Köpfen heimgeschickt. Nunmehr wenden sie sich 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 395 

zurück zur Wüste, wo sie lange Jahre in der Gegend des Ge- 
birges Seir hin und her ziehen, bis sie endlich, achtunddreissig 
Jahre nach dem Aufbruch von Kades, Befehl erhalten nach 
Norden vorzugehen, jedoch der verwandten Völker Moab und 
Ammon zu schonen. Sie erobern das Land der Amoriterkönige 
Sihon von Hesbon und Og von Basan, Mose gibt es den Stäm- 
men Kuben Gad und Halbmanasse, unter der Bedingung, daps 
ihr Heerbann noch ferner am Kriege teilnehmen müsse. Mit dei* 
Designation Josua's zum künftigen Fühfer des Volks wird der 
fortlaufende Bericht abgeschlossen. 

Man kann denselben, wenn man die hie und da im Deu- 
teronomium zerstreuten Einzelheiten hinzunimmt 1 ), geradezu als 
Leitfaden zur Ermittelung von JE benutzen. Was dagegen der 
Priestercodex Eigentümliches hat, wird mit tiefem Stillschweigen 
übergangen und von Exod. 34 direct auf Num. 10 übergesprun- 
gen. Während nicht wenige Geschichten, auf die im Deuterono- 
mium zurückgekommen oder angespielt wird, sich bloss in JE 
und nicht in Q finden, kommt der umgekehrte Fall nicht vor. 
Und bei den Erzählungen, welche sowohl in JE als auch in Q 
vorhanden sind, befolgt das Deuteronomium in allen Fällen, wo 
man eine deutliche Differenz constatieren kann, immer die Ver- 
sion von JE. Die Kundschafter gehen von Kades aus, nicht 
von der Wüste Pharan, sie gelangen bis nach Hebron, nicht bis 
beinah nach Hamath, Kaleb gehört zu ihnen, nicht aber Josua. 
Die Meuterer von Num. i6 sind die Bubeniten Dathan und Abi- 
ram, nicht Korah und die Leviten. Nach der Niederlassung im 
Ostjordanlande hat das Volk es mit Moab und Ammon zu thun, 
nicht mit Midian; mit jenen und nicht mit diesem steht Bileam 
in Beziehung und ebenso auch Baal Peor, Deut. 4, 3 stimmt mit 
JE (Num. 25, 1—5), nicht mit Q (Num. 25, 6 ff.). Da die Sachen 
so stehen, so kann man nicht mit Nöldeke in der Zwölfzahl der 
Kundschafter (Deut. 1, 23) eine sichere Spur des Einflusses von 
Q (Num. 13, 2) sehen. Hätte der Verfasser die Erzählung so ge- 

l ) Einsetzung von Richtern und Pflegern (D'HtO'H^ = Friedensbeamte, 
welche nach 20, 9 im Kriege den Hauptleuten Platz machen) 1, 9 — 18. 
Thabera, Massa, Kibroth Thaawa 9, 22. Dathan und Abiram 11, 6. Bi- 
leam 23, 5. Baal Peor 4, 3. Bloss auf die jehovistische Erzählung 
Num. 12 scheint nirgends Bezug genommen zu sein. Deut. 1, 9 — 18 spielt 
noch am Horeb, lässt aber auch Bekanntschaft mit Num. 11 durchblicken 
und benutzt beide Versionen zu einer neuen und etwas andersartigen. 



396 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

lesen, wie sie uns jetzt Num. 13. 14 vorliegt, so wäre es unver- 
ständlich, dass, wie wir eben gesehen haben, nur die jehovistische 
Version auf ihn Eindruck gemacht hat. Er müsste also Q als 
besondere Schrift gekannt haben, aber es ist doch überhaupt 
höchst bedenklich, aus einer solchen Einzelheit auf die Benutzung 
einer Quelle zu schliessen, deren Einflusslosigkeit und Unbekannt- 
heit übrigens eine vollständige ist, zumal die Priorität dieser 
Quelle keineswegs an sich fest steht, sondern erst aus dieser 
Benutzung erwiesen wird. Wäre eine Differenz zwischen JE 
und Q in diesem Punkte nachweisbar , könnte man sagen , nur 
Q lässt zwölf, JE dagegen drei Männer aussenden, so stünde es 
schon anders; aber der Anfang des Berichts von JE ist Num. 13 
durch den von Q verdrängt und uns also unbekannt, man weiss 
nicht, ob und wie die Zahl angegeben worden ist. In diesem 
Falle ist es doch das einzig Rationelle, aus d^m Deuteronomium, 
welches sonst lediglich dem Jehovisten folgt, das Verlorene in 
JE zu ergänzen und zu schliessen, dass auch hier der Kund- 
schafter zwölf gewesen. — Mit dem.^ meisten Rechte lässt sich 
noch die Bekanntschaft des Deuteronomiums mit der Erzählung 
des Priestercodex aus 10, 22 beweisen. Denn die siebzig Seelen, 
die den Bestand Israels bei der Einwanderung in Ägypten aus- 
machen, werden in JE nicht erwähnt, und eine Lücke in dieser 
Beziehung macht sich in der jehovistischen Tradition nicht fühl- 
bar. Aber sie widersprechen ihr doch auch keineswegs, und 
wenn man Deut. 10, 22 nicht für einen Beweis halten will, dass 
sie ursprünglich auch in dieser einen Platz hatten, so muss man 
mindestens zugeben, dass jene Stelle entfernt nicht ausreicht 
die Evidenz zu entkräften, dass die priesterliche Gesetzgebung 
von der deuteronomischen ausgeht. 1 ) 

*) Nöldeke verwertet solche Zahlen wie 12 und 70 manchmal so als kämen 
sie ausschliesslich in Q vor. Dem ist nicht so. Wie Q im Anfang der 
Genesis nach der Zehn, so gruppiert JE nach der Sieben ; die Zwölf und 
die Vierzig kommen in JE ebenso oft vor wie in Q, die Siebzig nicht 
minder. Es ist darum wunderlich, die Erzählung von den 12 Wasser- 
quellen und 70 Palmbäumen zu Elim bloss wegen 12 und 70 <zu Q zu 
rechnen. Nicht einmal die Angaben über das Alter der Patriarchen — 
soweit sie nicht dem chronologischen System dienen — sind ein sicheres 
Merkmal von Q; vgl. Gen. 31, 18. 37,2. 41,26. 50,26. Deut. 34, 7. Jos. 
24,29. — Nur die Namen der 70 Seelen und der 12 Kundschafter sind 
unanfechtbares Eigentum des Priestercodex; es hält aber auch nicht 
schwer (namentlich bei Gen. 46, 8— 27) nachzuweisen, dass sie" weit we- 
niger ursprünglich sind als die Summen, die als runde eigentlich gar 
nicht eine solche Herzählung der einzelnen Posten vertragen. 



Abschluss der Kritik des- Gesetzes. 397 

3. Gegen die Grafsche Hypothese wird ferner die deuterono- 
mistisehe Redaktion des Hexateuehs eingewandt, die am klarsten 
in den Teilen hervortritt, welche auf die deuteronomische Thora 
folgen und zurücksehen. Man hat als selbstverständlich ange- 
nommen, dass dieselbe sich ebenso wie über die jehovistisehen 
auch über die priesterlichen Stücke erstrecke; seit man Ursach 
hatte genauer zuzusehen, zeigte sich, dass dies nicht der Fall 
ist. Denn die Spuren, die Nöldeke a. 0. zusammengebracht hat, 
sind geringfügig und bestehen zudem die Probe nicht. Er sagt, 
der deuteronomistische Bericht über den Tod Mose's (Deut. 32, 
48 ff. 34, lff.) sei nicht anders aufzufassen wie als eine Erweite- 
rung des fast noch im genauen Wortlaute erhaltenen Berichtes 
der Grundschrift (Q): aber Deut. 34, l b — 7 enthält nichts von 
Q, und 32, 48 — 52 ist nicht deuteronomistisch überarbeitet? Er 
verweist ferner auf Jos. 9, 27 : „Josua machte die Gibeoniten 
damals zu Holzhauern und Wasserschöpfern für die Gemeinde, 
und für den Altar Jahve's bis auf diesen Tag an dem Orte den 
er erwählen würde." Die zweite Hälfte des Satzes sei hier ein 
deuteronomistischer Zusatz zu der ersten, welche der Grund- 
schrift angehöre. Aber, wie Nöldeke selber zugibt, sind die 
deuteronomistisch überarbeiteten Verse 9, 22 ff. nicht die Fort- 
setzung der priesterlichen Version 15c. 17—21, sondern der jeKo- 
vistischen 15 ab . 16; es fehlt zwischen v. 16 und 22 nur die Nach- 
richt, auf die v. 26 sich bezieht. Den 27. Vers von v. 22 — 26 
zu trennen, dazu berechtigt der Ausdruck Holzhauer und 
Wasserschöpfer an sich nicht, da er nicht bloss in v. 21, 
sondern auch in JE v. 23 vorkommt. Dem Zusatz für die Ge- 
meinde aber, der allerdings auf den Priestercodex zurückweist, 
hält der folgende für den Altar Jahve's, welcher der jeho- 
vistischen Anschauung folgt, das Gleichgewicht. Das Ursprüng- 
liche ist nun jedenfalls, dass die Gibeoniter dem Altare oder 
dein Hause Jahve's zugewiesen werden. Aber nach Ez. 44 
sollten die Hierodulendienste im Tempel nicht mehr durch Aus- 
länder besorgt werden, sondern durch Leviten — aus diesem 
Grunde sind im Priestercodex aus Knechten des Altares Knechte 
der Gemeinde geworden. Es erhellt daraus, dass imyb in 
v. 27 gegen TQIDb den kürzeren zieht und eine nachträgliche 
Correktur ist. Als solche aber beweist sie, dass die letzte Re- 
daktion des Hexateuehs vom Priestercodex und nicht vom Deu- 



398 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

teronömium ausgeht Über Jos. 18, 3 — 10, worin Nöldeke eben- 
falls einen deuteronomistisehen Zusatz zum Berichte der Grund- 
schrift über die Landverteilung erblickt, habe ich meine Ansicht 
oben S. 380 f. angedeutet: es ist ein jehovistisches Stück, und 
wenn die Meinung, dass Josua zuerst Juda und Ephraim und 
dann nach geraumer Zeit den übrigen sieben Stämmen ihr Ge- 
biet zugewiesen habe, überhaupt die Meinung des Priestercodex 
wäre, so wäre sie dort ein Erbteil von JE, wo sie allein ihre 
Wurzeln hat. 1 ) Wenn schliesslich Nöldeke ganz besonders 
Jos. 22 für seine Meinung entscheidend findet," so ist zu be- 
merken, dass in der Erzählung des Priestercodex 22, 9 — 34, zu 
der die Verse 1—8 nicht gehören, von deuteronomistisch er Über- 
arbeitung nichts zu finden ist. 2 ) 

Eine ernstere Schwierigkeit entsteht bloss bei dem kurzen 
Kapitel Jos. 20, welches dem Kerne nach zum Priestercodex ge- 
hört, jedoch allerhand Zusätze enthält, welche stark an die 
deuteronomistische Bearbeitung erinnern. Kayser hat diese un- 
bequemen Zusätze für ganz späte Glossen erklärt. Das scheint 
die reine Tendenzkritik zu sein, aber es fügt sich, dass ihre Er- 
gebnisse durch die Septuaginta bestätigt werden, welche die 
sämtlichen angeblich deuteronomistischen Ergänzungen an dieser 
Stelle noch nicht vorgefunden hat 3 ) 

Gesetzt übrigens, es Hessen sich wirklich einige probable 
Spuren deuteronomistischer Bearbeitung im Priestercodex auf- 
weisen, so muss doch erklärt werden, warum sie so un verhältnis- 
mässig viel mehr in JE vorkommen — warum z. B. überhaupt 
nicht in der Gesetzesmasse der mittleren Bücher des Hexateuchs. 
Diese sichere und durchgehende Erscheinung muss gegen ein- 
zelne Gegeninstanzen von vornherein mistrauisch machen, um 
so mehr, da Jos. 20 zeigt, dass die späteren Retouchen des ka- 
nonischen Textes manchmal den Ton des Deuteronomisten nach- 
ahmen. * 

IL 

1. Ich habe vorhin in 1 myb Jos. 9, 27 den Zusatz einer 
priesterlichen Endredaktion gesehen. Eine solche muss natür- 

Jahrbb. für Deutsche Theol. 1876. S. 596 f. 

2 ) Joh. Hollenberg in den Stud. und Krit. 1874 S. 462 ff. 

•) Aug. Kayser, das vorexilische Buch der Urgeschichte Israels (Strassb. 
1874) S. 147 f. — Joh. Hollenberg, der Charakter der alex. Übersetzung 
des B. Josua (Programm des Gymn. zu Mors 1876) S. 15. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 399 

lieh angenommen werden, wenn der Priestercodex jünger als 
das Deuteronomium ist. Aber nicht bloss auf Deduktion beruht 
die Annahme; Kuenen hat sie auf induktivem Wege begründet, 
noch ehe er ein Anhänger der Grafsehen Hypothese geworden 
war. 1 ) Zur Demonstration eignen sich am besten die Kapitel 
Lev. 17—26. Sie sind gegenwärtig dem Priestercodex einver- 
leibt, durch eine entsprechende Bearbeitung, die an manchen 
Stellen nur Weniges, an anderen Bedeutendes zugefügt hat. Ur- 
sprünglich aber bilden sie ein eigenes und abgeschlossenes Ganzes, 
durchzogen von einem ziemlich manirierten religiös-paränetischen 
Tone, der nur wenig mit dem Priestercodex stimmt. Der Ver- 
fasser hat vielfach nach älteren Vorlagen gearbeitet, wodurch 
sich z. B. die Nebeneinanderstellung von Kap. 18 und Kap. 20 
erklärt. Für die Erkenntnis der literarischen Verhältnisse ist 
Lev. 17 — 26 unvergleichlich lehrreich, ein wahres Compendium 
der Literaturgeschichte des Pentateuchs. 2 ) 

Wie dem Deuteronomium, so merkt man es dieser Gesetz- 
gebung noch deutlich an, dass sie zuletzt in der jehovistischen 
vom Sinai (Exod. 20 — 23) wurzelt. Sie soll gleichfalls auf dem 
Berge Sinai gegeben sein 25, 1. 26, 46. Sie ergeht an das Volk 
und ist auch dem Inhalte nach volkstümlich, zum grossen Teile 
bürgerlich und moralisch. Sie will nur für das Land und das 
ansässige Leben, nicht auch für die Wüste gelten. Die Feste, 
drei an der Zahl, haben ihren Charakter als Erntefeste noch nicht 
ganz eingebüsst; unter den Opfern fehlen die Sund- und Schuld- 
opfer. Der Cultus tritt zwar schon unverhältnismässig stark als 
Gegenstand der Legislation hervor, aber die Verordnungen dar- 

*) Historisch -kritisch Onderzoek I (Leiden 1861) S. 165: der Redaktor des 
Pentaleuchs muss in den selben Kreisen gesucht werden, wo das Buch 
der Ursprünge (Q) entstand und allmählich erweitert und modificiert 
wurde, d.h. unter den jerusalemischen Priestern; S. 194: nach der ge- 
wöhnlichen Meinung ist der Deuteronomist Redaktor des ganzen B. Josua, 
aber seine Hand zeigt sich nicht überall, z. B. nicht in den priesterlichen 
Stücken; der letzte Redaktor ist vom Deuteronomisten zu unterscheiden. 
Sehr umfangreichen Zusätzen der letzten Redaktion ist Kuenen in ge- 
wissen Erzählungen von Numeri und Josua auf die Spur gekommen; es 
wäre sehr dringend zu wünschen, dass die Ergebnisse seiner Untersuchung 
endlich im 1. Halbband der 2. Ausg. seines isagogischen Hauptwerks ver- 
öffentlicht würden. 

•) Vgl. die Jahrbb. für Deutsche Theol. 1877 S. 422—444, namentlich über 
die Ausscheidung der Redaktionszusätze, von denen ich in der folgenden 
Erörterung zunächst absehen muss. Ich ziehe z. B. bei- Kap. 23 nur 
y. 9—22. 39—44 in Betracht, bei Kap. 24 nur v. 15—22. 



400 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

über gehen doch noch nicht m das eigentlich Technische ein 
und richten sich noch durchaus an das Volk: selbst in den die 
Priester betreffenden wird das Volk angeredet, während von 
jenen in dritter Person gehandelt wird. Es fehlt auch nicht an 
greifbareren Berührungen. Man kann Lev. 19, 2 — 8. 9 — 18 als 
Analogon zur ersten und zweiten Tafel des Dekalogs betrachten. 
Der Spruch „du sollst nicht Partei nehmen für den Armen und 
dich nicht scheuen vor dem Grossen" 19, 15 ist eine Fortbildung 
der Regel Exod. 23, 3, eine Reihe anderer Sprüche in Lev. 19 
könnten ebenso gut in Exod. 22, 17 ff. stehen. Die Verordnun- 
gen Lev. 22, 27 — 29 lehnen sich an Exod. 22, 29. 23,18.19. 
Ebenso fussen die von Lev. 24, 15 — 22 nach Inhalt und Form 
auf Exod. 21, 12; *) bei 24,22 merkt man die polemische Be- 
ziehung auf Exod. 21, 20f. 26 f. In 25, 1—7 wiederholen sich die 
sämtlichen Ausdrücke von Exod. 23, 10. 11. In 20, 24 findet 
sich die jehovistische Phrase „ein Land fliessend von Milch und 
Honig". 

Jedoch nimmt Lev. 17—26 nur den Ausgang von der jeho- 
vistischen Gesetzgebung, modificiert sie aber sehr bedeutend und 
zwar etwa in der Weise des Deuteronomiums. Sowohl in den 
Ideen als in den Ausdrücken lässt sich die Verwandtschaft des 
Abschnittes mit dem Deuteronomium constatieren. Beiden ge- 
meinsam ist die Sorge für die Armen und Rechtlosen, beiden 
ist die Humanität ein Hauptzweck der Gesetzgebung. „Wenn 
ein Fremdling in eurem Lande bei euch wohnt, sollt ihr ihn 
nicht bedrücken: er soll euch sein wie ein Eingeborener von 
euch, und du sollst ihn lieb haben wie dich selber, denn ihr 
selbst seid Fremdlinge gewesen im Lande Ägypten" (19, 34). 
Auf die örtliche Einheit des Opferdienstes wird auch in Lev. 17 ff. 
starkes Gewicht gelegt. Sie wird noch gefordert, nicht voraus- 
gesetzt (17, 8 f. 19, 30. 26, 2); ihr Motiv, die Abwehr heidnischer 
Einflüsse und die Durchführung des . bildlosen Monotheismus 2 ) 
leuchtet noch erkennbar durch: wichtige Punkte der Berührung 
mit dem Deuteronomium. Dergleichen lassen sich ferner nach- 
weisen in dem Trauerverbot (19, 27 f.), in der Zählung der 

») Vgl. 24, 15f. mit Exod. 22, 27 (21, 17); 24, 18 mit Exod. 21, 28 ff.; 24, 19. 

20 mit Exod. 21, 33.34; 24, 21 mit Exod. 21, 28 ff. 
2 ) 17,7 (vgl. 2. Chron. 11, 15) 18, 21. 19,4. 19, 26. 29. 31. 20,2ff. 6. 26,1. 

30. Für die Datierung ist besonders wichtig das scharfe Verbot des 

Molochdienstes. Über Lev. 17 vgl. oben S. 52. 53. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 401 

Pentekoste vom Anfange des Gerstenschnittes (23, 15), in der 
siebentägigen Dauer des Laubhüttenfestes und in den fröhlichen 
Mahlopfern , womit dasselbe begangen werden soll (23, 40f.). 
Hinzukommt eine nicht unbeträchtliche Ähnlichkeit in der Farbe 
der Rede, z. B. in 18, 1-5. 24—30. 19, 33-37. 20, 22ff. 25, 35ff. 
Von einzelnen Wendungen sind hervorzuheben: „wenn ihr in 
das Land kommt, das ich euch geben werde", „ihr sollt euch 
freuen vor Jahve u , „Jahve der ich euch aus Ägyptenland ge- 
führt habe", „ihr sollt meine Gebote Satzungen und Rechte halten 
und thun." 

Aber auch über die deuteronomistische Stufe ist hier die Ge- 
setzgebung hinaus. Schon überwiegt bei den Festen das Gesamt- 
opfer der Gemeinde (23, 9 — 22), Priester sind nicht die Leviten, 
sondern die Söhne oder Brüder Aharons, ihr Einkommen hat 
beträchtlich zugenommen, ihre abgesonderte Heiligkeit sich ge- 
steigert. Auch an die leibliche Heiligkeit der Laien werden 
strengere Anforderungen gestellt, namentlich hinsichtlich der Ent- 
haltung von Fleischessünden und von der Verwandtenheirat 
(Lev. 18. 20). Demgemäss wird die Schwagerehe verboten 
(18, 14. 20, 20), die im Deuteronomium noch zu Rechte besteht. 
In eine Zeit, wo man mit dem Exil gar wohl vertraut war, 
führt 18, 25ff.: ,, gebet acht, meine Satzungen und Rechte zu thun 
und solche Greuel zu vermeiden, denn die Leute, welche vor 
euch im Lande wohnten , haben dergleichen gethan und das 
Land hat sie ausgespieen — hütet euch, dass das Land nicht 
auch euch ausspeie, wie es das Volk vor euch ausgespieen hat". 
Ahnlich 20, 23 f.; in der Gesetzgebung will so etwas mehr be- 
sagen als in der Prophetie. In dem Grade nun, wie sich unser 
Abschnitt vom Deuteronomium entfernt, nähert er sich dem Pro- 
pheten Ezechiel. Diese Verwandtschaft ist die nächste, sie ist 
auch am meisten aufgefallen. Sie zeigt sich in der eigentüm- 
lichen Durchdringung von Cultus und Moral, in der ziemlich 
materialistisch gefassten Heiligkeit als Grundforderung der 
Religion, in der Begründung dieser Forderung auf das Wohnen 
beim Heiligtum und im heiligen Lande. 1 ) Noch bemerklicher 
macht sie sich indessen in der Sprache, viele seltsame Rede- 
weisen, ja ganze Sätze aus Ezechiel wiederholen sich in Lev. 

! ) Zu Lev. 22, 24. 25 vgl. Kuenen, Weltreligion und Volksreligion (Berlin 
1883) S. 326 ff. 

Wellbausen, Prolegomena. 26 



402 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

17 ff. *) Am 10. des 7. Monats ist Lev. 25, 9 Neujahr wie bei 
Ezechiel (40, 1) , nicht grosser Versöhnungstag wie im Priester- 
codex. Graf hat darum jenen exilischen Propheten selber fin- 
den Verfasser dieser Gesetzsammlung des Leviticus angesehen, 
Colenso und Kayser sind ihm darin gefolgt. Daran ist indessen 
nicht zu denken; trotz der vielen sprachlichen und sachlichen 
Berührungen ist doch die Übereinstimmung keine vollständige. 
Ezechiel kennt keinen Samen Aharons und keinen Wein beim 
Opfer (Lev. 23, 13), seine Festgesetzgebung weicht erheblich ab 
und steht im Geiste der des Priestercodex näher. Er würde 
ausserdem über die Stellung, die den Leviten und dem Fürsten 
im Cultus gebühre, etwas haben sagen müssen. 

Von Ezechiel neigt sich unser Corpus, welchem Klostermann 
den nicht unpassenden Namen des Heiligkeitsgesetzes gegeben 
hat, dem Priestercodex zu; bei Stücken wie Kap. 17. 21. 22 be- 
darf es einiger Aufmerksamkeit um der (in der That freilich 
nicht unbeträchtlichen) Differenzen von jenem inne zu werden. 
Es steht zwischen beiden; allerdings dem Ezechiel etwas näher. 
Wie ist diese Thatsache zu verstehen? Jehovist Deuteronomium 
Ezechiel sind eine historische Eeihenfolge; Ezechiel Heiligkeits- 
gesetz Priestercodex müssen gleichfalls als historische Stufen 
begriffen werden, und zwar so dass dabei zugleich die Abhängig- 
keit des Heiligkeitsgesetzes vom Jehovisten und vom Deutero- 
nomium ihre Erklärung findet. Durch die Annahme, dass Ezechiel 
eine besondere Vorliebe gerade für dieses Stück des ihm übrigens 
im selben Umfange wie uns bekannten Pentateuchs gehabt und 
es sich für die Bildung seiner Denk- und Schreibweise zum 
Muster genommen habe, kann man sich der Forderung historischer 
Anordnung nicht entziehen und den Ezechiel aus der anzuord- 
nenden Reihe nicht herausbringen; ein solcher Zufall muss über- 
haupt ausser Rechnung bleiben. Die Antwort nun auf die Frage, 
ob das Heiligkeitsgesetz vom Priestercodex auf Ezechiel überleite 
oder von Ezechiel auf den Priestercodex, wird sehr bündig da- 
durch gegeben, dass dasselbe einer letzten Redaktion unterworfen 
ist, welche nicht von Ezechiel, sondern vom Priestercodex aus- 
geht und wodurch es in den Priestercodex aufgenommen wird. 



J ) Vgl. Colenso, Pentateuch and Joshua VI p. 3— 23; Kayser a. 0. S. 177— 
179; Smend zu Ezechiel S. XXV. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 403 

Nicht überall hat die Bearbeitung gleich stark eingegriffen, zum 
Teil sind ihre Supplemente und Correeturen höchst* umfangreich 
z. B. 23, 1—8. 23—38. 24, 1—14. 23, zum Teil nur geringfügig, 
z. B. die Eintragung des Ohel Moed (für das Mikdasch oder das 
Mischkau) 17,4.6.9. 19, 21 f., des Schüldopfers 19, 21f., des 
Kodeseh Kodaschim 21, 22. Die Ausscheidung der Zusätze ge- 
lingt nur in 25, 8 ff. nicht vollständig. Die Thatsache aber, dass 
die letzte Redaktion des Heiligkeitsgesetzes vom Priestefcodex 
ausgeht, wird allgemein erkannt. Ihre literargeschichtliche Be- 
deutung kann nicht hoch genug angeschlagen werden. *) 

2. Eine besondere Beachtung verdient die Schlussrede 
Lev. 26, 3 — 46. Das Stück, dessen Zugehörigkeit zu Lev. 17, 
1—26, 2 vorher Stillschweigens angenommen worden ist, wird 
von manchen Forschern, z. B. von Nöldeke, als eine fremdartige 
Interpolation im Leviticus betrachtet. Jedenfalls ist diese Rede 
mit specieller Absicht auf das Nächstvorhergehende geschrieben. 
Fasst man sie nicht als Schlussrede auf, wie Exod. 23, 20 — 33. 
Deut. 28, so ist ihre Stellung, an einem beliebigen Orte des 
Priestercodex, ganz unbegreiflich. Sie knüpft denn auch sicht- 
lich an die Gesetze Kap. 17—25 an. Das Land und der Acker- 
bau haben hier die selbe Bedeutung für die Religion wie in 
Kap. 19. 23. 25, die Drohung des Ausspeiens (18, 25 ff. 20,22) 
wird hier ausführlicher wiederholt, das einzige namhaft gemachte 
Gebot ist die Brache des siebenten Jahres (26, 34. 25, 1—7). 
Mit der für den Verfasser von Kap. 17 ff. so charakteristischen 
Wendung „wenn ihr in meinen Satzungen wandelt und meine 
Gebote haltet" beginnt das Stück, etwas abgewandelt kehrt die- 
selbe in v. 15. 43 wieder. Der Schluss (26, 46) lautet: „dies 
sind die Satzungen Rechte und Weisungen, welche Jahve zur 
Regelung des Verhältnisses zwischen sich und Israel gab, auf 
dem Berge Sinai, durch Mose." Das ist augenscheinlich die 
Unterschrift zu einem vorhergegangenen Corpus von „Satzungen 



*) L. Horst hat in seiner Abhandlung über Lev. 17 — 26 und Hesekiel (Col- 
mar 1881) zwar schlagend erwiesen, dass die mechanische Kritik, in 
welcher Dillmann seinen 'Vorgänger Knobel noch überbietet, dem literari- 
schen Problem, welches das Heiligkeitsgesetz stellt, in keiner Weise ge- 
wachsen ist, aber mit dem Versuch, die alte Strassburger These, dass 
Ezechiel der Verfasser sei, durch eine Modifizierung zu retten, scheitert 
er an Lev. 26, wie Kuenen richtig bemerkt (Leidener Th. Tijdschr. 
1882 S. 646); vgl. S. 408 Anm. 1. 

26* 



404 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

und Rechten", wie es in Kap. 17, 1—26, 2 vorliegt. Der Berg 
Sinai wird auch 25, 1 als die Offenbarungsstätte genannt. 

Wenn die Absieht von Lev. 26, zu Kap. 17—25 den Sehluss 
zu bilden, unbestreitbar ist, so liegt es am nächsten, den Ver- 
fasser jener Sammlung auch für den Verfasser der Rede anzu- 
sehen. Nun meint aber Nöldeke, die Sprache weiche zu sehr 
von Kap. 17—25 ab. Jedoch muss er selber mehrere und zwar 
gewichtige Ähnlichkeiten zugeben, einige Differenzen, die er an- 
führt (Bamoth, Gillulim, Hammanim 26,30), sind gleichfalls in 
Wahrheit eher Berührungen. Seltene und originelle Worte lassen 
sich auch bei den früheren Kapiteln zusammenstellen. In Kap. 26 
mögen sie verhältnismässig häufiger vorkommen; doch ist es 
irrig, darnach die Sprache überhaupt für sehr originell zu hal- 
ten, die sich vielmehr tiberall an Reminiscenzen anlehnt. Was 
wirklich von sprachlichen Unterschieden bleibt, erklärt sich ge- 
nügend aus der Verschiedenheit des Stoffs: bisher Gesetze in 
sachgemäss trockener, jetzt Prophetie in poetisch -pathetischer 
Rede. Dort tritt die Subjectivität des Verfassers meistens hinter 
dem Objekt zurück, das er öfters sogar geformt vorgefunden 
hat; hier kann sie sich frei äussern. Es ist billig, das nicht zu 
übersehen. 

Die Gegengründe, welche Nöldeke gegen die Wahrschein- 
lichkeit, dass Lev. 26 nicht bloss an Kap. 17—25 angeleimt ist, 
sondern dazu gehört, vorgebracht hat, verschwinden vollkommen 
bei näherer Vergleichung des beiderseitigen literarischen Cha- 
rakters. Aufs stärkste werden wir zunächst durch Kap. 26 an 
die Denk- und Redeweise Ezechiels erinnert. Die signifikanteste 
Stelle ist Lev. 26, 39. Nachdem vorher gedroht worden ist, 
dass Israel als Volk werde vernichtet und der dem mörderi- 
schen Schwert der Feinde entgangene Rest ins Exil geführt 
werden, um unter dem Druck des vergangenen Unglücks und 
der gegenwärtigen Leiden zu verschmachten , wird in diesem 
Zusammenhange fortgefahren mit den Worten: „und die Übrigen 
von euch verfaulen in ihrer Stindenschuld in den Ländern 
eurer Feinde und auch in der Stindenschuld ihrer Väter ver- 
faulen sie — dann gestehen sie ihre und ihrer Väter Sünde 
ein." Bei Ezechiel erfolgt dies Eingeständnis wirklich von sei 
ten seiner Mitverbannten; sie sprechen (33, 10): „unsere Misse- 
thaten und Sünden lasten auf uns und wir verfaulen darin 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 405 

und können nicht aufleben". Ahnlich sagt der Prophet (24, 23), 
er werde in seiner dumpfen Trauer über den Tod seines Weibes 
das Vorbild des Volkes sein: „ihr werdet nicht weinen und 
klagen, ihr werdet verfaulen in eurer Stindenschuld". % 

Auch die begleitenden Erscheinungen, die wir neben der 
ezechielischen Färbung bei den vorhergehenden Gesetzen con- 
statiert haben, fehlen in unserer Eede nicht. Wenn sich von 
einem Einfluss der jehovistischen Gesetzgebung (abgesehen davon, 
dass Exod. 23, 20ff. das Muster wie zu Deut. 28 so zu Lev. 26 
gewesen ist) natürlich hier nichts spüren lässt, so wird dies da- 
durch compensiert, dass der Einfluss der Propheten um so deut- 
licher ist, auch der älteren, wie des Arnos (v. 31). So wenig 
wie das Buch Ezechiels, ist unser Kapitel denkbar ohne die 
Grundlage der vorhergehenden prophetischen Literatur. 

Was das Verhältnis zum Deuteronomium betrifft, so ist die 
Ähnlichkeit von Lev. 26 mit Deut. 28 sehr gross, nicht bloss im 
Stoff, sondern auch in der Anlage. Lexikalische Berührungen 
gibt es zwar nicht viele, aber die wenigen sind gewichtig. Die 
Ausdrücke 26, 16 kehren im Alten Testamente nur Deut. 28, 22. 
65 wieder, ebenso auch ü^t#&n v. 46 in dieser Bedeutung nur 
Deut. 19, 14 und in der späteren Literatur (Isa. 61, 4). Der 
Tropus vom unbeschnittenen Herzen (v. 41) kommt im Gesetz 
gleichfalls nur an einer Stelle des Deuteronomiums noch einmal 
vor, ausserdem in der gleichzeitigen oder etwas späteren pro- 
phetischen Literatur (Jerem. 4, 4. 9, 24. 25. Ezech. 44, 7. 9). An- 
klänge* an Jeremia finden sich noch mehrere, meist jedoch un- 
bestimmtere. Hervorzuheben ist die Beziehung von Jer. 16, 18 
einerseits zu v. 30, andererseits zu v. 18 unseres Kapitels. Hier 
wird die Sünde siebenfach, bei Jeremia wird sie doppelt bestraft. 
So auch bei Isa. 40, 2. 61, 7: mit diesem Propheten hat Lev. 26 
ferner den auffallenden Gebrauch von n^l (mit Sünde oder 
Schuld als Objekt) gemeinsam. Stünde unser Kapitel nicht im 
Leviticus, so würde man es ohne Zweifel für eine Reproduktion 
zum geringsten Teil der älteren, zum grössten Teil der jeremia- 
niseh-ezeehielischen Weissagungen halten, wie denn Lev. 26, 34 
wirklich in 2. Chron. 36, 22 als ein Wort des Propheten Jeremia 
angeführt wird. 

Mit dem Priestercodex endlich berührt sich Lev. 26 in H1S 
rffU ma DPn, mm ^« (nie '»M«), in der übertriebenen An- 



406 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

Wendung der Akkusativpartikel und Vermeidung der Verbalsuffixe, 
in der Vorliebe für das farblose ]ro statt speciellerer Verba. 

Das Motiv, Lev. 26 von Kap. 17—25 zu trennen, ist nur 
der Umstand, dass der exilische oder nach exilische Ursprung 
dieser Mahn- und Drohrede mit Händen zu greifen ist. Für 
uns ist dieser Umstand nur ein Beweis der Zugehörigkeit zu 
Kap. 17 — 25 und eine wertvolle Bestätigung des Urteils, das 
uns ohnehin über die Entstehungszeit dieser Gesetze feststeht. 
„Wenn ihr trotzdem mir nicht gehorcht, sondern in Feindschaft 
gegen mich angeht, so gehe ich in bitterer Feindschaft gegen euch 
an und züchtige euch siebenfach für eure Sünden. Ihr sollt das 
Fleisch eurer Söhne und Töchter essen, und ich zerstöre eure 
Höhen und fälle eure Sonnensäulen und werfe eure Rümpfe über 
die Rümpfe eurer Götzen, und meine Seele wird sich euer ekeln. 
Und ich mache eure Städte zu Trümmerhaufen und verwüste 
eure Heiligtümer und rieche nicht an euren Opferduft. Und ich 
verwüste das Land, dass eure Feinde die sich darin ansiedeln 
darob erstarren, und euch streue ich unter die Völker und zücke 
das Schwert hinter euch her, und euer Land soll Einöde und 
eure Städte sollen Trümmerhaufen werden. Dann wird das 
Land seine Sabbathe bezahlen all die Jahre der Verödung 
wo ihr im Lande eurer Feinde seid, dann wird das Land 
feiern und seine Sabbathe bezahlen; alle Jahre der Verödung 
wird es die Sabbathe nachfeiern die es nicht gefeiert hat so 
lange ihr darin wohntet. Die aber von euch übrig bleiben, in 
deren Herz bringe ich Verzagen in dem Lande ihrer Feinde, 
das Rauschen eines verwehenden Blattes wird sie scheuchen, 
dass sie fliehen wie vor dem Schwerte und fallen ohne dass sie 
jemand verfolgt; sie werden übereinander straucheln wie in 
der Furcht vor dem Schwerte und ist doch niemand der sie ver- 
folgt, und es wird euch kein Haltens sein auf der Flucht vor 
euren Feinden. Und ihr werdet euch verlieren unter den Völ- 
kern und das Land eurer Feinde wird euch fressen. Und die 
von euch übrig bleiben, verfaulen in ihrer Schuld in den Län- 
dern eurer Feinde, und auch in der Schuld ihrer Väter verfaulen 
sie. Und sie werden ihre und ihrer Väter Schuld eingestehen, in 
Betreff der Untreue die sie an mir begangen, und dass weil sie 
gegen mich angegangen sind, ich auch gegen sie angehe und 
sie ins Land ihrer Feinde bringe. Dann beugt sich ihr unbe- 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 407 

sehnittenes Herz und dann bezahlen sie ihre Schuld, und ich 
gedenke an meinen Bund mit Jakob, und an meinen Bund mit 
Isaak und an meinen Bund mit Abraham gedenke ich und des 
Landes gedenke ich. Und das Land, von ihnen verlassen, be- 
zahlt seine Sabbathe, indem es bewohnerlos und öde daliegt, 
und sie selbst bezahlen ihre Schuld, sintemal und alldieweil sie 
meine Rechte verworfen und meine Satzungen verschmäht ha- 
ben. Doch bei alledem, wenn sie auch im Lande ihrer Feinde 
sind, habe ich sie nicht verworfen und verschmäht, sie gänzlich 
zu vernichten und meinen Bund mit ihnen zu brechen, denn ich 
bin Jahve ihr Gott. Und ich gedenke ihnen an den Bund mit 
den Vorfahren, welche ich vor den Augen der Völker heraus- 
geführt habe aus dem Lande Ägypten, um ihnen Gott zu sein, 
ich Jahve." (26, 27—45.) 

Dass so nicht vor dem babylonischen Exil geschrieben wor- 
den ist, unterliegt keinem Zweifel. Man hofft freilich mit der 
assyrischen Gefangenschaft auszukommen, aber wo steckt die 
Verwandtschaft unserer Rede mit dem alten echten Jesaia? Wäh- 
rend zu Ezechiels Zeit nachweislich solche Gedanken Gefühle 
und Ausdrücke herrschten, wie sie hier vorliegen, wird es schwie- 
rig sein zu zeigen, dass Samariens Fall diese Art von Depression 
in Jerusalem hervorgebracht habe — denn ausserhalb Jerusalems 
ist Lev. 26 nicht geschrieben, da die Einheit des Cultus voraus- 
gesetzt wird. Wie in Deut. 29. 30 werden auch hier die Ju- 
däer angeredet, und sie hatten kein so lebhaftes Bewusstsein 
von ihrer Solidarität mit den fortgeschleppten Israeliten, dass 
sie bei solchen Drohungen an diese denken konnten. Mir scheint 
es sogar gewiss, dass unser Verfasser entweder gegen Ende des 
babylonischen Exils oder nach demselben lebte, weil er nämlich 
zum Schluss die Restitution in Aussicht nimmt. Bei Propheten 
wie Jeremia und Ezechiel hat eine solche Ausschau in die fröh- 
liche Zukunft Sinn, hier aber widerspricht sie der historischen 
Einkleidung ebenso wie dem Zwecke der Drohung und scheint 
am natürlichsten durch den Zufall, d. h. durch die Wirklichkeit 
sich zu erklären. Dass im Vergleich mit Jeremia und Ezechiel 
die Priorität nicht auf Seiten von Lev. 26 ist, zeigt sich darin, 
dass das unbeschnittene Herz seine Genesis bei Jeremia hat 
(4, 4. 9, 24f.), hier aber als fertiger und bekannter Terminus 
übernommen ist, und darin, dass die Phrase verfaulen in der 



408 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

Stindenschuld von Ezechiel aus der Leute Mund wiederholt, 
also bei ihm literarisch ursprünglich und hier entlehnt ist. 1 ) 

Die Kritik von Lev. 17 ff. führt zu dem Ergebnis, dass eine 
selbst erst im Exil entstandene Gesetzsammlung im Priestercodex 
recipiert und verjüngt worden ist. Vor Schraders Drohung mit der 
„kritischen Analyse" braucht uns also nicht zu grauen, die Graf- 
sehe Hypothese fällt davon nicht um. 

3. Noch zwei oder drei andere wichtige Spuren der priester- 
lichen Schlussbearbeitung des Hexateuchs mögen hier Erwähnung 
finden. In der Erzählung von der Sündflut sind die Verse 7, 6—9 
ein redaktioneller Einsatz, der sich mit der Beseitigung eines 
Widerspruchs zwischen JE und Q beschäftigt; derselbe teilt die 
Vorstellungen und redet die Sprache des Priestercodex. In der 
Überschrift des Deuteronomiums gehört der Vers „es geschah 
im vierzigsten Jahre, im elften (ir\WV) Monat, am ersten des 
Monats, redete Mose zu den Kindern Israel gemäss allem was 
ihm Jahve an sie aufgetragen hatte" (Deut. 1, 3) nach den un- 
zweideutigsten Merkmalen dem Priestercodex an und hat den 
Zweck, das Deuteronomium in denselben aufzunehmen." Dass 
im Buche Josua der Priestercodex weiter nichts ist als Ergän- 
zung der jehovistisch-deuteronomistischen Erzählung, ist bereits 
früher nachgewiesen. 

Dass der Priestercodex aus zweierlei Elementen bestehe, 
erstens aus einem selbständigen Kern, dem Vierbundesbuche (Q), 
zweitens aus zahllosen Nachträgen und Ergänzungen, die zwar 
vorzugsweise dem Vierbundesbuche , aber nicht diesem allein, 
sondern dem ganzen Hexateuche sich anschmiegen — diese Be- 
hauptung hat auffallenderweise nicht den Widerspruch erfahren, 
der zu erwarten gewesen wäre. Eyssel hat sogar in der zwie- 
schlächtigen Natur des Priestercodex das Mittel gefunden, das 
Vierbundesbuch vor der Exilierung zu retten, indem er es näm- 
lich von den Ergänzungen, welche er preisgibt, durch einen be- 
liebig Jangen Zeitraum trennt. Die sehr enge Verwandtschaft 

*) Horst's Versuch, die Rede Lev. 26 in den letzten Jahren des Königs Se- 
dekia unterzubringen (a. 0. S. 65. 66) ist bloss die Consequenz seiner 
Annahme, dass der jugendliche Ezechiel der Autor sei — einer Annahme, 
die eben durch diese Consequenz gerichtet wird. Dass ich aus Ezech. 
33,10 herauslese, was darin steht, scheint Delitzsch 11 für eine grosse 
Dreistigkeit zu halten (Ztsch. f. kirchl. Wiss. 1880 S. 619). Über Deut. 
10, 16. 30, 6 und überhaupt über den color Hieremianus des Deutero- 
nomiums vgl. Jahrbb. für D. Th. 1877. S. 464. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 409 

beider Teile mit einander hält er dadurch für erklärt, dass sie 
aus demselben Kreise stammen, aus dem Kreise der Priester- 
schaft von Jerusalem. Wenn der Tempel von Jerusalem zur 
Zeit Salomo's ebenso autonom und einzig legitim gewesen wäre, 
wie zur Zeit der Fremdherrschaft, wenn die Priester unter Ahaz 
und Hizkia und Josia ebensoviel zu sagen gehabt hätten, wie 
nach dem Exil, wenn es erlaubt wäre, sie sich zu denken, wie 
es einem gerade passt und nicht wie sie historisch bezeugt sind, 
kurz wenn es überhaupt keine israelitische Geschichte gäbe, so 
könnte eine solche Erklärung hingehen. Sie wäre freilich auch 
dann Willkür und weiter nichts als Willkür. Der secundäre 
Teil des Priestercodex zieht mit Notwendigkeit den primären 
zu sich herab. Die formelle und materielle Gleichartigkeit, die 
völlige Übereinstimmung in Tendenzen und Vorstellungen, in 
Manieren und Ausdrücken zwingen dazu, das Ganze, wenngleich 
es keine literarische Einheit ist, dennoch als eine geschichtliche 
Einheit zu betrachten. 

III. 

1. Als unüberwindliches Bollwerk wird neuerdings den 
Umsturzversuchen der Tendenzkritik die Sprache des Priester- 
codex entgegengesetzt. Leider wird das Veto der Sprache von 
Riehm Delitzsch und Dillmann so wenig näher begründet wie 
das Veto der kritischen Analyse von Schrader, und einer nicht 
begründeten Behauptung mit Gründen zu begegnen, ist nicht er- 
forderlich. Aber ich benutze den Anlass, um einige zerstreute 
Beobachtungen mitzuteilen, die sich mir zuerst, wie ich vielleicht 
bemerken darf, gar nicht im Zusammenhange mit der Unter- 
suchung des Pentateuchs, sondern bei ganz anderer Gelegenheit 
ergeben haben. An der Stelle 2. Sam. 6, 12 befremdete mich 
ftüvh auf's äusserste, nicht weniger NID an den beiden Stellen 
Isa. 4, 5. Am. 4, 13; und indem ich* der sprachlichen Verbreitung 
dieser beiden Worte nachging, kam ich auch analogen Erschei- 
nungen auf die Spur. 

Der Sprache der vorexilischen Geschichtsbücher ist im All- 
gemeinen die der jehovistischen Schrift nahe verwandt, dagegen 
die des Priestercodex vollkommen fremdartig. Man kann dies, 
nach bewährter Praxis, so deuten, dass letzterer einer früheren 
Periode entstamme. Aber abgesehen davon, dass er dann gar 



410 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

keinen Einfluss ausgeübt hätte, stimmt es dazu schlecht, dass 
wenn man auf die ältesten Dokumente, die uns aus der histo- 
rischen Literatur der Hebräer erhalten sind, zurückgeht, der 
Abstand eher grösser als geringer wird. Mit Jud. 5 und 2. Sam. 1 
können wohl die poetischen Stücke in JE verglichen werden, in 
Q findet sich nichts Ahnliches. Umgekehrt aber lassen die sehr 
spät eingeschobenen Erzählungen Jud. 19—21. 1. Sam. 7. 8. 10, 
17 ff. 12. 1. Reg. 13 und die apokryphen Zusätze in 1. Reg. 6—8 
noch am ehesten eine sprachliche Hinneigung zum Priestercodex 
erkennen. Gerade so wie bei der historischen, stellt sich das 
Verhältnis auch bei der prophetischen Literatur. Die Redeweise 
von Arnos Jesaia Micha ist im Ganzen der des Jehovisten ent- 
sprechend, nicht der des priesterlichen Schriftstellers. 

In einzelnen wichtigen Ausdrücken stimmt zuerst das Deu- 
teronomium und das Buch Jeremia mit dem Priestercodex, in 
weit zahlreicheren sodann der Prophet Ezechiel, und zwar keines- 
wegs bloss mit Lev. 17— 26. .*) Bei den folgenden nachexilischen 
Propheten bis auf Maleachi beschränken sich die Berührungs- 
punkte auf Einzelheiten, hören aber nicht auf; ebenso finden 
sie sich in den Psalmen und im Prediger. Reminiscenzen an 
den Priestercodex kommen einzig und allein in der Chronik und 
in einigen Psalmen vor. Denn dass Am. 4, 11 aus Gen. 19, 29 
entlehnt sei, ist gerade so klar, wie dass zu. Am. 1, 2 das Ori- 
ginal in Jo. 4, 19 gesucht werden müsse. 

Seine sprachliche Absonderlichkeit behauptet der Priester- 
codex: auch gegenüber der späteren Literatur. Dieselbe beruht 
teils auf den vielen technischen Worten, teils auf der steten 
Wiederholung derselben Formeln, auf der grossen Spracharmut. 
Rechnet man aber die starr -ausgeprägte Individualität des Schrift- 
stellers ab, so steht das fest, dass eine ganze Reihe sehr charak- 
teristischer Ausdrücke, die er anwendet, sich vor dem Exil nicht 
finden, erst seit dem Exil allmählich auftauchen und gebräuch- 
lich werden. Die Thatsache wird auch nicht geleugnet, man 
geht nur um sie herum. Damit sie mehr Eindruck mache, möge 



*) Bemerkenswert ist namentlich rßDTl D33 HND bei Ezechiel und im 
, Priestereodex. In der letzgenannten Schrift wird Negeb, selbst wenn es 
auf den wirklichen Negeb sich bezieht, dennoch in der Bedeutung Sü- 
den gebraucht (Num. 34, 3. Jos. 25, 2—4), d. h. es hat seinen eigentli- 
chen Sinn völlig verloren. 



* Abschluss der Kritik des Gesetzes. 411 

hier eine kurze Statistik des sprachgesehichtlicü interessanten 
Materials yon Gen. 1 einen Platz finden. 

Gen. 1, 1 rWfrO heisst im älteren Hebräisch nicht der An- 
fang eines zeitausfiillenden Geschehens, sondern der erste (und 
gewöhnlich der beste) Teil einer Sache. In der Bedeutung 
des zeitlichen Anfangs, als Gegensatz zu rP^nN findet es sich 
zuerst in einer Stelle des Deuteronomiums 11, 12, ferner in den 
Überschriften des Buches Jeremia 26, 1. 27, 1. 28, 1. 49, 34 und 
in Isa. 46, 10, endlich in den Hagiographen lob. 8, 7. 42, 12. 
Prov. 17, 14. Eccles. 7, 8. In Gen. 10, 10 ist iroboö nw&n ganz 
etwas anders wie in Jer. 26, 1, nämlich dort der erste Teil des 
Reichs, hier der Beginn der Regierung. Für im Anfang sagt 
man in der früheren Zeit absolut rOEWQ nbriFD, relativ r6nrQ 

n^na 1 ) 

Über das wegen seiner specifisch theologischen Bedeutung 
so merkwürdige Wort fcOS ist schon oben (S. 321 f.) gehandelt 
worden. Abgesehen von Am. 4, 13 und Isa. 4, 5 findet es sich 
ausserhalb des Priestercodex zuerst beim Deuteronomisten Exod. 
34, 10. Num. 16, 30 (?) Deut. 4, 32 und im Buche Jeremia 31, 22, 
ferner in Ezech. 21, 35. 28, 13. 15. Mal. 2, 10, in Ps. 51, 12. 89, 
13.48. 102,19. 104,30. 148,5. Eccl. 12, 1 — am häufigsten 
aber, zwanzig mal, in Isa. 40 — 66, auffallenderweise gar nicht im 
lob, wo man es erwarten sollte. Mit n*D (abholzen) und &0*D- 
(fett) hat es nichts zu thun. 2 ) 

Gen. 1, 2 VD1 inn kommt noch vor Jer. 4, 23. Isa. 34, 11; 
inn allein findet sich häufiger, jedoch abgesehen von Isa. 29, 21 
ebenfalls nur in der späteren Literatur Deut. 32, 10. 1. Sam. 12, 
21. Isa. 24, 10. 40,17.23. 41,29. 44,9. 45, 18 f. 49,4. 59,4. lob 

2 ) Sehr auffallend ist die Vokalisierung rPt^fcHD* für die man erwarten 
würde nWfcOD- Man hat ihr zwar gerecht zu werden versucht durch 

die Übersetzung: „im Anfange als Gott Himmel und Erde schuf — die 
Erde aber war wüst und leer und Finsternis lag auf der Tiefe und der 
Geist Gottes brütete über dem Wasser — da sprach Gott: es werde 
Licht!" Aber diese Construktion ist verzweifelt, und jedenfalls nicht die 
von der Punktation befolgte, denn die jüdische Überlieferung (Septuaginta 
Äquila Onkelos) übersetzt einstimmig: „im' Anfang schuf Gott Himmel 
und Erde". Bekanntlich pflegen dagegen im Aramäischen solche Adverbia 
die Form des Status constructus zu haben; vgl. rQI Ps. 65, 10. 120, 6. 
2 ) Ich schweige über den Gebrauch von Elohim und über die Anwendung 
der Gottesnamen im Priestercodex; die Sache ist mir noch nicht klar, 
Sehr bedenklich ist Qj#n Lev. 24, 11, 



412 " Israel und das Judentum, Kap. 9. 

6, 18. 12,24. 26, 7. Ps. 107,40. - Das Verbum r)rn (brüten), 
welches im Aramäischen gewöhnlich ist, begegnet im Alten 
Testament nur an einer einzigen und zwar späten Stelle Deut. 
32, 11 ; indessen muss man die Möglichkeit einräumen, dass zu 
häufigerer Anwendung desselben keine Gelegenheit gewesen sei. 
Gen. 1, 4 ^nDH und ^"irü (scheiden und sich scheiden), im 
Priestercodex gewöhnlich, wird zuerst gebraucht vom Deutero- 
nomiker und Deuteronomisten (Deut. 4, 41. 10, 8. 19, 7. 29, 10. 
1. Keg. 8, 53), dann von Ezechiel (22, 26. 39, 14. 42, 10) und dem 
Verfasser von Isa. 40ff. (56, 3. 59, 2), am meisten vom Chronisten 
(1. Chr. 12, 8. 23, 13. 25, 1. 2. Chr. 25, 10. Esdr. 6, 21. 8, 24. 9, 1. 
10, 8. 11. 16. Neh. 10, 2. 29. 13, 3). — Über im bv» Gen. 1, 5 
vgl. Josephus Antiq. 1 1, 1: „das wäre nun der erste Tag, Mose 
aber sagt ein Tag; die Ursache könnte ich wohl hier angeben, 
da ich aber (in der Einleitung) versprochen habe eine Gesamt- 
erklärung in einem besonderen Buche zu geben, schiebe ich's 
bis dahin auf". Auch die Rabbinen in der Genesis Kabba neh- 
men Anstoss an dem Ausdruck, der übrigens seines gleichen hat 
an dem späterer Redeweise angehörigen Wirb "IflK. Im Syri- 
schen sagt man regelmässig X2W2 "in, daher im Neuen Testa- 
mente [Ata aaßßaxwv für den ersten Tag der Woche. 

Gen. 1, 6 Vp") (Firmament) findet sich ausserhalb des Prie- 
stercodex nur bei Ezechiel (1, 22—26. 10, 1) und bei noch spä- 
teren Schriftstellern Ps. 19, 2. 150, 1. Dan. 12, 3 vgl. lob. 37, 18. ') 
— Gen. 1, 10 CD 1 » (das Meer sing., vgl. 1, 22. Lev. 11, 9. 10) ist 
in älterer Zeit selten und hochpoetisch, gewöhnlich dagegen bei 
Ezechiel (zehn mal) und in den Psalmen (sieben mal), ferner 
lob. 6, 3. Neh. 9, 6. Jon. 2, 4. Dan. 11, 45. — Gen. 1, 11 po (Art), 
ein namentlich in der Form leminehu sehr eigenthümliches 



*) Es heisst nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, . das Dünngeschlagene, 
Ausgereckte. Denn erstens wird der Himmel nirgend als Blech vorge- 
stellt, zweitens kommt die betreffende Bedeutung nur dem Piel zu, und 
das davon abgeleitete Substantiv lautet yp*1« Das Kai, womit Jpp 1 ") zu- 
sammen zu bringen ist, findet sich Isa. 42, 5. 44, 24. Ps. 136, 6. Es wird 
gemeiniglich ausbreiten übersetzt, ohne etwelche Berechtigung. Parallel 
damit steht "iqi und pi3 (vgl. Ps. 24, 2 mit 136,6); die Septuaginta 

überträgt es an allen drei Stellen mit atepeouv und gibt darnach pp"} mit 
aTep£ü>fjia (firmamentum) wieder. Diese allein überlieferte und sehr pas- 
sende Bedeutung wird bestätigt durch das Syrische, wo das Verbum yp*} 
gebräuchlich ist im Sinne von befestigen. 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 413 

Wort, findet sich abgesehen von Gen. 1. Lev. 14. Gen. 6, 20. 
7, 14 nur noch Deut. 14 und Ezech. 47, 10. 

Gen. 1, 26 niD"! (Ähnlichkeit 5, 1. 3) kommt in der älteren 
Literatur nicht vor. Es erscheint zuerst 2. Reg. 16, 10, in einer 
nachdeuteronomischen Stelle, denn der Schriftsteller ist der von 
Kap. 11 f. 21 ff. Sodann bei Ezechiel (15 mal), Isa. 13, 4. 40, 18. 
2. Chr. 4, 3. Ps. 58, 5. Es ist ein aramäisches Lehnwort; auch 
das entsprechende Verbum wird erst in der Zeit, wo das Ara- 
mäische einzudringen beginnt, gebräuchlich. 

Gen. 1,27 *D] (männlich) heisst in der früheren Zeit TOJ; 
denn wenn diese Vokalisation Exod. 23, 17. 34, 23. Deut. 16, 16. 
20, 13 im Rechte ist — und daran läpst sich nicht zweifeln — , 
so wird man sie auch Exod. 34, 19. Deut. 15, 19. 1. Reg. 11, 15f. 
durchführen müssen. Im Priestercodex findet sich "DJ ungemein 
häufig, sonst aber nur in der späteren Literatur Deut. 4, 16. Jer. 
20, 15. 30, 6. Ezech. 16, 17. Isa. 66, 7. Mal. 1, 14. Jud. 21, 11. 12. 
2. Chr. 31, 16. Esdr. 8. Noch ungünstiger steht die Sache für 
HDpJ (weiblich), ausserhalb des Priestercodex findet es sich nur 
im Buch Jeremia (31, 22) und beim Deuteronomisten (4, 16). 
Der Jehovist sagt bekanntlich immer t^N nttf&O, auch von Tieren; 
wohingegen der Redaktor des Hexateuchs dem Sprachgebrauch 
des Priestercodex folgt. 

Gen. 1, 28 WEHn mn fällt auf dadurch dass der Artikel 
beim Substantiv ausgelassen und bloss dem folgenden Adjectiv 
präfigirt ist, als wollte man im Griechischen sagen dvY]p 6 d^aöoc 
für 6 dvy]p 6 d^ftos. Ebenso 1, 31 WB>n D'P und 2, 3 ijrawn Q1\ 
Das hat zwar im Arabischen vielfache Analogien, führt aber 
fürs Hebräische herunter in jene Periode, wo man n^H^n HD1D 
zu sagen pflegte. — W2D und rm sind Aramaismen. In HW3D 
erscheint in Gen. 1 das einzige Verbalsuffix, übrigens immer die 
Formen inx DHN; ähnlich ist das Verhältnis auch sonst im 
Priestercodex. In der jehovistischen Hauptschrift, in J, werden 
diese Substitute mit nN nur zuweilen und aus besonderen Grün- 
den gesetzt; man kann allgemein behaupten, dass dieselben je 
später je beliebter werden. Dem geht parallel der Gebrauch 
von ?mn in J, von 'OK im Priestercodex; die letztere Form wird 
in der späteren Zeit immer häufiger. 

Diese Bemerkungen greifen schon über Gen. 1 hinaus; für 
den Priestercodex im Allgemeinen kann ich jetzt auf F. Giese- 



414 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

brechts Abhandlung zur Hexateucbkritik verweisen. Wörter wie 
plp, DHU, HDy^, Tit^y fallen jedes einzelne für sich schwer in 
die Wage für die Annahme einer späten Abfassungszeit des 
Priestercodex. Man kann nicht glauben, dass so alltägliche 
Wörter bis aufs Exil in der übrigen Literatur nicht sollten zur 
Anwendung gekommen sein, wenn sie vorhanden waren. Man 
kann sie auch nicht zu den technischen Terminis rechnen; jmp 
im Hebräischen für. Opfer und Gaben gesagt ist nicht anders 
als priere im Deutschen statt Gebet gesetzt. Im Übrigen ist bei 
der Vergleichung des Lexikons immer zu bedenken, dass erstens 
die allenthalben eingreifende Überarbeitung und Redaktion der 
biblischen Bücher, zweitens die Willkür der Schreiber (bei schein- 
baren Kleinigkeiten wie *03N und "ON, besonders ausserhalb des 
Pentateuchs) den ursprünglichen Thatbestand so zerrüttet haben, 
dass man sich im Allgemeinen nur an Proportionen halten kann 
und sich bei dem Nachweise begnügen muss, dass eir^ Wort in 
der älteren Literatur dreimal, in der jüngeren siebenundzwanzig- 
mal auf gleichem Räume vorkommt. 1 ) 

2. Die sprachgeschichtliche Forschung steht im Hebräischen 
noch sehr in den Anfängen. Auf lexikalischem Gebiete müsste 
sie auch auf die Eigennamen ausgedehnt werden; es würde sich 
wohl herausstellen, dass nicht bloss Pharnak (Num. 34, 25), 
sondern auch Compositionen wie Peda-sur Peda-el Nathana-el 
Pag e i-el Eli-asaph weniger auf die mosaische, als auf die per- 
sische Zeit hinweisen und in der Chronik ihre Analoga haben. 
Andererseits müssten auch die Präpositionen und Partikeln in 
die Untersuchung gezogen werden; der Gebrauch der Präposi- 
tionen Beth und Lamed im Priestercodex ist sehr eigentümlich. 
Das würde weiter hinüberführen auf die Syntax oder besser die 
Rhetorik und Stilistik — ein sehr schwieriges und wenig ange- 
bautes, aber ungemein wichtiges und für vergleichende Behand- 
lung sehr wohl geeignetes Gebiet. Am allerweitesten gelangt 
man mit der Vergleichung solcher Parallelen, die in unzweifel- 

*) Auf Aramaismen darf man nicht zu viel Gewicht legen; selbst wenn sie sich 
constatieren lassen, haben sie wenig Beweiskraft so lange sie vereinzelt 
bleiben. Man findet schon früh auffallende Erscheinungen, wie *^j statt 
-ytf (woher -p]} ~ vovens), *\&} statt -^ (Arnos 1, 11 ^fti statt PHtO^?); 
vgl. arabisch lata für laisa Sur. 38, 2. Hudh. 84, 1. Ein Aramaismus 
w i e nrjW rQ Num. 15, 27 oder auch nur wie pSp'ist aber doch sehr 
merkwürdig. 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 415 

hafter,- direkter Beziehung zu einander stehen. Schlagender 
kann die Abhängigkeit des Priestereodex vom Jehovisten nicht 
erwiesen werden, als durch sein 1TTTD jTHlJ Gen. 6, 9 im Ver- 
gleich zu Hin nn3 pVtt Gen. 7, 1 (JE). Der Plural DT1 steht 
ganz mit den D\Pö und den pxn TOP der Rabbiner und mit den 
cnrep^axa von Gal. 3, 15 auf gleicher Linie; denn er bedeutet 
nicht die successiven Geschlechter, sondern die Zeitgenossen, 
die gleichzeitigen Individuen eines und des selben Geschlechtes. 
Von den Worten wird man dadurch wieder auf die Sachen 
gebracht werden, dass in manchen Fällen das Alter der Worte 
abhängt von der Einführung der Sache. Der Name iro im 
Hohenliede z. B. setzt den Anbau des Malobathron in Syrien 
und Palästina voraus. Der Priestercodex . führt Farben, Gewebe, 
Goldarbeiten, Edelsteinarten %,uf , die in der älteren Literatur 
nirgend vorkommen; er bildet zusammen mit Ezechiel die Haupt- 
fundgrube im Alten Testament für die Geschichte der technischen 
Cultur, und das wird um so weniger Zufall sein, da sie auch 
in ihrem geographischen Horizonte sich decken. Eine Berührung 
findet ebenfalls, wenngleich in geringerem Masse, in dieser Hin- 
sicht statt zwischen dem Priestercodex und Isa. 40--66; sie muss 
also ohne Zweifel historisch, durch das babylonische Zeitalter, 
erklärt werden. 1 ) 



Zehntes Kapitel. 

Die mündliche und die schriftliche Thora. 

Welche Bedeutung bei den Juden die Schrift, das Buch des 
Gesetzes hatte, wissen wir alle aus dem Neuen Testamente. 
Vom alten Israel dagegen heisst es im Eingangsgedicht des 

! ) Zum Hohenliede vgl. #> Schürer's Theol. LZ 1879 S. 31 ; es ist durch seine 
Pflanzennamen und Ähnliches ebenfalls eine wichtige Quelle der äusseren 
Gulturgeschichte. In Isa. 54, 11 lies mit der Septuaginta TJDO statt des 
sinnlosen Tl)B- 



416 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

Westöstlichen Divan, dass das Wort so wichtig dort war, weil 
es ein gesprochen Wort war. Der Gegensatz, den Goethe offen- 
bar, empfunden hat, ist wirklich charakteristisch und einer 
eingehenderen Würdigung wert. 



1. Wenngleich das Deuteronomium und der Priestercodex 
erst in sehr später Zeit aufgezeichnet worden sind, so bleibt 
doch noch die jehovistische Gesetzgebung (Exod. 20-— 23 Kap. 34), 
die als schriftlicher Ausgangspunkt der israelitischen Religions- 
geschichte betrachtet werden könnte. Dieselbe wird in der That 
so verwertet, freilich gewöhnlich nicht im ganzen Umfange. 
Denn von dem sinaitischen Bundesbuche (Exod. 20, 22 — 23, 19) 
pflegt man einzusehen, dass es feinem sesshaften und in den 
Ackerbau vollkommen eingelebten Volke gegeben ist, welches 
auch in der Geldwirtschaft schon ziemlich weit über die ersten 
Anfänge hinaus war. *) Als mosaisch im eigentlichen Sinne wird 
in der Regel nur der Dekalog festgehalten. Und zwar haupt- 
sächlich aus dem Grunde, weil bezeugt wird, er sei auf den 
zwei Steintafeln der heiligen Lade verzeichnet gewesen. Indessen 
auch vom Deuteronomium wird bezeugt, einerseits es sei auf 
zwölf Steinen eingeschrieben, andererseits es sei in die heilige 
Lade gelegt worden (Deut. 31, 26). Unbedingter Verlass ist also 
nicht auf solche Angaben. Die über den Dekalog scheint nun 
freilich gestützt zu werden durch 1. Reg. 8, 9. Aber das Gewicht 
dieser Aussage wird dadurch abgeschwächt, dass sie in einem 
deuteronomistisch bearbeiteten und ausserdem noch interpolierten 
Zusammenhange steht. Um so grössere Bedeutung wird man 
demgegenüber dem Umstände beizumessen haben, dass der Name 
„die Lade des Bundes" (d. h. der Kasten des Gesetzes) 2 ) den 
späteren Schriftstellern eigen ist, und wo er in älteren Erzäh- 
lungen vorkommt, sich durch sein sporadisches Auftreten sowie 
durch die Vergleichung der Septuaginta mit dem massorethischen 

*) Exod. 21, 35; vgl. 21, 33 mit Jud. 9, 4. 

2 ) Vgl. 1. Reg. 8, 21 „die Lade worin der Bund Jahve's lag" 8, 9 „es waren 
in der Lade nur die beiden Steintafeln, die Mose am Horeb hineingelegt 
hatte, die Tafeln des Bundes, den Jahve mit den Kindern Israel gemacht 
hatte". Mit dem deuter. Ausdruck „Tafeln des Bundes" wechselt im 
Priestercodex der Ausdruck „Tafeln des Zeugnisses* , d. h. ebenfalls des 
Gesetzes. Für nHJ?n 2 - Reg. 11, 12 lies nH}7Hn nach 2. Sam. 1, 10. 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 417 

Texte als Correctur erweist. In alter Zeit war die Lade kein 
blosser Behälter des Gesetzes, sondern als „Lade Jahve's" hatte 
sie ihre Bedeutung für sieh, wie man aus 1. Sam. 4 — 6 klar ge- 
nug erkennen kann. Gleichwie die zwölf Masseboth, welche den 
Altar auf dem heiligen Berge Ton Sichern umgaben, erst nach- 
träglich zu Gesetzesmonumenten geworden sind, so wird auch 
die Lade des Bundes erst durch Umdeutung aus dem alten Idol 
entstanden sein. Wenn überhaupt Steine darin lagen, so dienten 
sie schwerlich als Schreibmaterial , zumal sie ja dann nicht als 
Mysterium im Dunkel des Heiligtums hätten verborgen sondern 
öffentlich ausgestellt werden müssen. Es kommt hinzu, dass 
über den Inhalt der zehn Worte, die auf den zwei Tafeln ge- 
standen haben sollen, die Tradition mit sich selbst in Zwiespalt 
ist, indem zwei ganz verschiedene Dekaloge, Exod. 20 und 
Exod. 34, überliefert werden. Daraus folgt, dass es ein wirk- 
liches und festes Wissen darüber, was auf den Tafeln gestanden 
habe, nicht gegeben hat, und weiter, dass wenn solche Steine 
— was wohl wahrscheinlich ist — überhaupt in der Lade ge- 
legen haben, nichts darauf geschrieben gewesen ist. Zu ent- 
scheiden, welcher der beiden Versionen die Priorität zukomme, 
gehört nicht hierher*, für unsern Zweck gentigt das negative Re- 
sultat, das wir gewonnen haben. 

2. Wohl fehlte es auch im alten Israel nicht an gottgege- 
benen Grundlagen für die Ordnung des menschlichen Lebens,, 
nur waren sie nicht schriftlich fixiert. Im weiten Umfang wurden 
Brauch und Herkommen als Stiftung der Gottheit angesehen. 
So zum Beispiel die Weise und Regel des Ackerbaus. Jahve 
hat den Landmann unterwiesen und ihm das Rechte gelehrt. ! ) 

*) Isa. 28, 23—29 : „Merkt auf und höret meine Stimme, gebt Acht und höret 
meine Rede ! Pflügt der Pflüger allezeit das Saatland, furcht und eggt er 
den Acker immerfort ? Nein wenn er die Fläche geebnet hat , so streut 
er Dill und säet Kümmel und pflanzt "Weizen Gerste und Spelz auf sein 
Stück — es wies ihm das Rechte, lehrte ihn Omin) sein Gott. 
So wird der Dill nicht mit der Dreschwalze gedroschen, nicht das Wagen- 
rad getrieben über den Kümmel, sondern mit dem Stock wird der Dill 
geklopft und der Kümmel mit dem Stabe. Wird das Korn zermalmt? 
Nein, nicht immerdar drischt er es und treibt das Wagenrad und die* 
Pferde (?) darüber, er zermalmt es nicht. Auch das geht von Jahve 
Sebaoth aus, wunderbare Weisheit zeigt er, grosse Einsicht." In v. 25 
ist zweimal vor der Correctur das Corrigendum stehen geblieben: 
mit# = mjJBS und JJ0DD> verschrieben aus pQD = riODD- Am 
Schluss ist ir6D3 ( se i n Grundstück) der zweite Akkusativ zu Qfc'V 

Wellhausen, Prolegomena. 27 



418 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Er ist es namentlich, dessen Autorität den ungeschriebenen Ge- 
setzen der Sitte die verpflichtende Kraft gibt. „So pflegt man 
nicht zu thun in Israel", „das ist eine Thorheit in Israel" und 
dergleichen Äusserungen des verletzten Volksgewissens kehren 
häufig wieder und bezeugen die Macht der Sitte; als das Motiv 
sich ihr zu fügen erscheint die Gottesfurcht. „Gewiss ist keine 
Gottesfurcht an diesem Orte und man wird mich töten wegen 
meines Weibes", denkt Abraham in Gerar. „Wie sollte ich so 
grosses Unrecht thun und wider Gott sündigen", sagt Joseph 
zur Ägypterin. „Die Leute von Sodom waren böse und sün- 
digten schwer gegen Jahve", heisst es Gen. 13, 13. Desgleichen 
Deut. 25, 18: „die Amalekiter griffen Israel auf dem Marsch an 
und mordeten die Nachzügler, die nicht recht weiter konnten, 
und fürchteten Gott nicht". Man sieht, dass die Forderungen 
der Gottheit nicht bloss den Israeliten, sondern aller Welt be- 
kannt sind und gelten, also nicht auf besondere Gebote zurück- 
gehen — . wie denn auch schon lange, vor Mose die Erzväter 
ihnen nachkommen. „Ich kenne Abraham — sagt Jahve 18, 19 
— darin dass er seinen Nachkommen befehlen wird den Weg 
Jahve's einzuhalten, Recht und Gerechtigkeit zu üben." 

Viel grösseres Gewicht wird auf die besondere Thora Jahve's 
gelegt, die nicht allgemein giltige Gesetze des Handelns aufstellt, 
sondern dem Menschen in bestimmten schwierigen Fällen, wo 
er selbst sich nicht Rat weiss, den Weg zeigt. Sie gehört zur 
eigentümlichen Begabung Israels (Deut. 33, 4) und zwar ist sie 
den Priestern anvertraut, deren Einfluss sich, während der he- 
bräischen Königszeit, von der wir hier reden, viel mehr auf 
diesen Besitz als auf das Opferprivileg gründete. Das Verbum, 
von dem Thora hergeleitet ist, bedeutet in der ältesten Anwen- 
dung Bescheid, Entscheid geben. Das Participium heisst der 
Orakelerteiler in den beiden Beispielen gibeath more und allon 
more, der letztere Ausdruck wird durch einen alternierenden 
erklärt als „Eiche der Weissager". Da wir nun wissen, dass 
die Priester in den Tagen Sauls und Davids durch das Ephod 
. und die damit verbundenen Lose, die auf eine bestimmt gestellte 
Doppelfrage so oder so entschieden, Gottessprüche erteilten, so 
wird sich hieraus ihre Thora entwickelt haben. 1 ) Die Urim und 

*) ,1. Sam. 14. Kap. 23. Kap. 30. Dass das Verbum, dessen Abstractum 
Thora ist, ursprünglich das Werfen der Lospfeile bedeute^ habe ich zu 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 419 

Thummim gelten nach Deut. 33, 8 als das wahre und allgemeine 
Insigne des Priesterstandes ; das Ephod wird in den historischen 
Büchern zum letzten mal 1. Reg. 2, 26 erwähnt 1 ), scheint sich 
aber noch bis auf Jesaia's Zeit in Gebrauch erhalten zu haben 
(Hos. 3, 4. Isa. 30, 22). Mit der Zeit befreite sich, dem allge- 
meinen Zuge des Geistes folgend, die Thora von solchen heid- 
nischen Medien und Vehikeln (Hab. 2/19). Aber sie blieb ein 
mündliches Entscheiden und Bescheiden. Als Ganzes ist sie 
immer nur Potenz und zwar Gottes, beziehungsweise der Priester 
— von diesem Subjekt kann nicht abstrahiert werden, die Lehre 
ist nur als Aktion des Lehrers gedacht. Es gibt keine Thora, 
als fertiges, ohne den Urheber bestehendes, jedem zugängliches 
System; aktuell wird sie bloss in den einzelnen Sprüchen, die 
natürlich allmählich eine feste Tradition begründen. „Sie be- 
wahren dein Wort und hüten dein Gesetz, sie lehren Jakob 
deine Rechte und Israel deine Weisungen. 44 

Die Thora der Priester scheint zuvörderst einen rechtlichen 
Charakter gehabt zu haben. In Fällen , wo es eine zuständige 
Gewalt nicht gab oder die für menschliche Entscheidung zu 
schwierig waren, ward, die Sache in letzter Instanz vor Gott, 
d. h. vor das Heiligtum oder vor die Priester gebracht (Exod. 
18, 25 f.). Die Priester bildeten also eine Art höchster Gerichts- 
barkeit, die jedoch rein auf freiwilliger Anerkennung ihrer mo- 
ralischen Autorität beruhte und nicht im Stande war den Sprüchen 
durch Zwang Nachdruck zu geben: „wenn ein Mensch gegen 
den andern fehlt, so ist Gott Schiedsrichter 44 , heisst es 1. Sam. 
2, 25 sehr unbestimmt. Auch gewisse besonders feierliche Rechts- 
geschäfte werden vor Gott vollzogen (Exod. 21, 6). Je mehr nun 
aber mit dem Königtum die bürgerliche Justiz erstarkte, desto 
mehr musste das Fas das Jus aus seinem Schlosse entlassen. 
Die Gotteskenntnis , welche Hosea (Kap. 4) als den Inhalt der 
Thora betrachtet, hängt zwar noch immer näher mit der Juris- 

1. Sam. 31, 3 vermutet; vgl. äthiop. Märe mit Möre, dagegen assyr. Tertu 
lieber mit syr. Terta. Die Thummim hat Freytag und unabhängig von 
ihm Lagarde (Proph. Chald. p. XLV1I) ausserordentlich glücklich mit den 
arabischen Tamäim verglichen, welche nicht bloss Kinderamulette bedeuten, 
sondern überhaupt (z.B. sehr oft im Divan Hudhail) Zaubermittel. Urim 
hängt wohl mit "HN zusammen (vgl. Iliad. 1, 11 und Num. 22. 23); die 
beiden Worte der Formel scheinen sich gegensätzlich zu ergänzen. 
*) Bleeks EinL in das A. T. 1878.' S. 642. 

27* 



420 *- Israel und das Judentum, Kap. 10. 

prudenz als mit der Theologie zusammen; aber da sie darauf 
hinausläuft, dass Gott von den Mensehen Gerechtigkeit und Treue 
und Wohlwollen verlangt, so ist sie doch im Grunde Moral, wenn- 
gleich die Moral zu jener Zeit ihre Forderungen weniger an das 
Gewissen als an die Gesellschaft stellt. Natürlich hat sich auch 
eine rituale Tradition schon vor dem Exil ausgebildet (2. Reg. 
17, 27. 28). Aber nur diejenigen Riten werden unter Thora mit 
einbegriffen, welche die Priester andere zu. lehren haben, nicht 
die, welche sie selber ausüben; selbst im Leviticus lässt dieser 
Unterschied sich noch spüren, wo vorzugsweise die Anweisungen 
über essbare und nicht essbare Tiere, über reine und unreine 
Zustände, über den Aussatz und seüje Kennzeichen als Thoroth 
bezeichnet werden; vgl. Deut. 24, 8. 

So war es in Israel, wofür bis dahin die Zeugnisse beige- 
bracht worden sind; so war es auch in Juda. Das Sprichwort: 
„die Thora wird dem Priester nicht ausgehen noch der Rat dem 
Altesten noch das Wort dem Propheten", welches zur Zeit Je- 
remies und Ezechiels gäng und gäbe war, wird nicht erst da- 
mals entstanden sein und jedenfalls thatsächlich auch auf die 
frühere Zeit passen. Nicht sofern sie opfern, sondern sofern sie 
weisen , erscheinen hier die Priester als Grundpfeiler der gei- 
stigen Ordnung der Dinge; und zwar ist ihre Thora lebendige 
Kraft, die dem Anlass entspricht und nicht versagt. Von Micha 
^|-Vl*wird ihnen vorgeworfen, dass sie für Geld bescheiden (3, 11), 
was gleichfalls bezeugt, dass ihre Weisheit auf einer nur ihnen 
zugänglichen Tradition beruhte; das selbe folgt aus einigen 
Äusserungen des Deuteronomiums (17, lOf. 24,8). Wie das Ge- 
genstück zu dem oben angeführten Spruche (Jer. 18, 18. Ezech. 
7, 26) lautet die Klage (Lam. 2, 9): „Jerusalem ist zerstört, König 
und Fürsten unter den Heiden, die Thora ist dahin, die Pro- 
pheten erlangen kein Gesicht von Jahve"; nachdem das Heilig- 
tum und die Priester zu Grunde gegangen, gibt es auch keine 
Thora mehr, und damit ist dem Volksleben die Axt an die 
Wurzel gelegt. Bei den nachexilischen Propheten bekommt die 
Thora, die noch im Deuteronomium (17, 11) wesentlich recht- 
lichen Inhalts ist, einen stark ritualen Beigeschmack, den man 
früher nicht verspürt; doch ist sie selbst hier noch ein münd- 
liches Lehren der Priester (Hagg. 2, 11). 

Die Priester leiteten ihre Thora von Mose ab, sie wollten 



Die mündliche und- die schriftliche Thora. 421 

nur bewahren und behüten, was Mose hinterlassen hatte (Deut. 
33, 4. 9 f.). Er galt als ihr Ahnherr (33,8. Jud. 18, 30), sein 
Schwäher ist der Priester von Midian am Sinai, sowie auch 
Jahve gewissermassen von dem älteren Gott des Sinai abstammt. 
Aber zugleich galt Mose als der unvergleichliche Anfänger der 
Prophetie (Num. 12, 6ff. Deut. 34, 10. Hos. 12, 14), wie denn 
sein Bruder Aharon gleichfalls nicht bloss Levit (Ex. 4, 14), son- 
dern auch Prophet ist (4, 15. Num. 12, 2). Es besteht also eine 
nahe Beziehung zwischen Priestern und Propheten d.h. Sehern; 
wie bei anderen Völkern (1. Sam. 6, 2. 1. Reg. 18, 19 vgl. mit 
2. Reg. 10, 19), so auch bei den Hebräern. Nicht die Technik 
des Cultus kennen, die noch sehr einfach und unausgebidet ist, 
sondern ein Mann Gottes sein, mit Gott auf vertrautem Fusse 
stehen, das ist es, was in ältester Zeit den Priester macht, d. h. 
den Mann, der für andere den Verkehr mit dem Himmel be- 
sorgt; der Seher ist vor anderen dazu befähigt (1. Reg. 18, 30ff.). 
Der Unterschied ist in der frühesten Zeit fliessend, noch Sa- 
muel wird 1. Sam. 1—3 als angehender Priester, 1. Sam. 9. 10 
als Seher angesehen. 

Auch als sich später die Priester und Propheten sonderten 
und abschlössen, blieben sie doch in Zusammenhang, sowohl im 
Reiche Israel (Hos. 4, 5) , als auch namentlich im Reiche Juda 
(2. Reg. 23, 2. Jer. 26, 7 f. 5, 31. Deut. 18, 1—8. 9-22. Zach. 7, 3). 
Was sie verband, war die Offenbarung Jahve's, -die durch sie 
beide fortging und lebendig erhalten wurde. Jahve ist es, von 
*dem die Thora der Priester und das Wort der Propheten aus- 
geht; er ist der eigentliche Weiser, wie ihn Jesaia in der 
Stelle 30, 20f. nennt, wo er von der messianischen Zeit zum 
Volke sagt: „nicht mehr verhüllt sich dann dein Weiser (^HID), 
sondern deine Augen sehen deinen Weiser und deine Ohren 
hören die Worte eines der hinter dir ruft: dies ist der Weg, 
hier gehet! — wenn ihr links oder rechts abweichen wollt". 
Thora und Wort sind verwandte Begriffe, die sich vertauschen 
lassen (Deut. 33, 9. Isa. 1, 10. 2, 3. 5, 24. 8, 16. 20). Daher er- 
klärt es sich auch, dass Priester und Propheten gemeinsame 
Ansprüche erhoben auf Mose: als Begründer des Cultus ward 
derselbe nicht angesehen. 

Den Unterschied kann man, in der Periode wo er sich voll- 
kommen ausgebildet hatte, so bezeichnen, dass die Thora der 



422 4 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Priester einer stetig fortlaufenden, die der Propheten einer inter- 
mittierenden Quelle gleicht, die aber wenn sie sieh öffnet um so 
gewaltiger sprudelt. Die Priester gehen den Propheten voran, 
wenn sie zusammengenannt werden; sie haben sich offenbar 
früher und fester consolidiert. Ihnen ist der Stand und die inner- 
halb des Standes sich fortpflanzende Tradition wesentlich; sie 
bewahren und hüten die Thora (Deut. 33, 9). Eben deshalb, 
weil sie sich so ganz auf die Tradition stützen und von ihr ab- 
hängen, ist ihr Anspruch auf Mose als ihren Vater, als den An- 
fänger und Gründer ihrer Tradition, in sich berechtigter, 1 ) wie 
denn auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch unter Thora überall 
zunächst und hauptsächlich die priesterliche Thora verstanden 
wird. Die Propheten haben bekanntlich keinen Vater (1. Sam. 
10, 12) , ihre Bedeutung beruht auf den Individuen ; es ist be- 
zeichnend, dass uns nur von ihnen Namen und Lebensbilder er- 
halten sind. Dem Zuge der Zeit folgend gliedern sie sich zwar 
auch zu Corporationen, aber eigentlich heben sie dadurch ihr 
Wesen auf: die Koryphäen stehen immer einzeln, auf sich selber. 
Der Überlieferung eines Standes, welche den Anlässen des ge- 
wöhnlichen Lebens genügt, tritt hier die Inspiration einzelner 
Erweckter gegenüber, angeregt durch ausserordentliche Anlässe. 
Nachdem der Geist der ältesten Männer Gottes, Mose's an der 
Spitze, in Institutionen gewissermassen gebannt war, suchte und 
fand er ein neues Ventil in den Propheten; das alte Feuer brach 
vulkanisch hindurch durch die Schichten, die einst auch flüssig 
aus der Tiefe gestiegen, nun aber erstarrt und abgelagert waren. 
Das Lebenselement der Propheten ist der Sturm der Welt- 
geschichte, der die Ordnungen der Menschen hinwegfegt, in dem 
der Schutt der Geschlechter mitsamt den Häusern darauf in's 
Wanken gerät und nur ein Grund fest bleibt, der selbst keiner 
Begründung bedarf. Wenn die Erde in Beben vergeht, dann 
triumphieren sie, dass Jahve allein hoch bleibe. Sie predigen 



*) Er ist auch historisch begründeter; denn wenn Mose irgend etwas ge- 
than hat, so hat er das Heiligtum zu Kades und die Thora daselbst be- 
gründet, welche die Priester der Lade nach ihm fortsetzten — darin den 
Faden der Geschichte Israels fortspinnend, der durch das Königtum kräftig 
wieder aufgenommen wurde. Die Propheten sind erst zur Zeit Samuels 
bei den Hebräern aufgekommen ; die Seher aber waren älter als Mose und 
standen schwerlich seiner Tradition so nahe wie die Priester am Heilig- 
tum der Lade Jahve's. 



Die mündliche und die schriftliche Thora. • 423 

nicht über gegebene Texte, sie reden aus dem Geist, der alles 
richtet und von niemand gerichtet wird. Wo stützen sie sich 
jemals auf eine andere Autorität als die Evidenz, wo auf ein 
anderes Fundament als ihre eigene Gewissheit? Das gehört zum 
Begriffe der prophetischen, der echten Offenbarung, dass Jahve, 
über alle ordnungsmässige Vermittelung hinweg, sich dem In- 
dividuum mitteilt, dem Berufenen, in welchem der geheimnis- 
volle und unzergliederbare Rapport energisch wird, worin die 
Gottheit mit dem Menschen steht. Losgetrennt vom Propheten, 
in abstracto, gibt es keine Offenbarung; sie lebt in seinem gott- 
menschlichen Ich. Eine Synthese scheinbarer Widersprüche ent- 
steht dadurch: das Subjective im höchsten Sinn, erhaben über 
alle Satzungen, ist das in Wahrheit Objective, das Göttliche. 
Es bewährt sich als solches durch die Zustimmung des allge- 
meinen Gewissens, worauf die Propheten, gerade wie Jesus im 
Evangelium Johannis, bei all ihrer Polemik gegen den herge- 
brachten Gottesdienst rechnen: sie wollen nichts Neuesj nur alte 
Wahrheit verkündigen. In der schöpferischsten Aktion haben 
sie das Gefühl vollkommener Passivität; das homo tantum et 
audacia, welches man mit vollem Recht auf Menschen wie Elias 
Arnos Jesaia anwenden könnte , bedeutet bei ihnen das selbe 
wie deus tantum et servitus. Aber ihr Credo steht in keinem 
Buche. Es ist eine Barbarei, einer solchen Erscheinung mit dem 
Gesetz die Physiognomie zu verderben. 

3. Es ist ein leerer Wahn, dass die Propheten das Gesetz 
erklärt und angewandt haben sollen. Maleachi (± 450) sagt 
allerdings 3, 22: ,,gedenket der Thora Mose's meines Knechtes", 
aber wo fände sich sonst ein Analogon dazu! Viel richtiger als 
die Neueren urteilen die Männer, die am Ausgange der vor- 
exilischen Geschichte zurtickschauten auf ihre bewegenden Kräfte, 
die göttlichen sowohl als die ungöttlichen. Ihnen erscheinen die 
Propheten nicht als die Ausleger, sondern als die ebenbürtigen 
Fortsetze!* Mose's; das Gotteswort ist in ihrem Munde nicht ge- 
ringer als .im Munde Mose's; sie sind so gut wie er die Organe 
des Geistes Jahve's, durch den er in Israel gegenwärtig ist. Die 
unmittelbare Offenbarung an das Volk, heisst es Deut. 18, hat 
mit den zehn Geboten aufgehört; fortab bedient sich Jahve der 
Propheten als seines Mundes: „einen Propheten wie dich", sagt 
er zu Mose, „werde ich ihnen erwecken aus ihren Brüdern und 



424 * Israel und das Judentum, Kap. 10. 

meine Worte in seinen Mund legen, dass er zu ihnen rede was 
ich ihm auftrage, und wer auf meine Worte, die er in meinem 
Namen redet, nicht hört, an dem werde ich's ahnden". Ähnlich 
nimmt bei Jeremia die stets rechtzeitig* erschallende Stimme der 
Propheten die gleiche Stelle ein, die nach der herrschenden 
Meinung dem Gesetz zukommen miisste; nur dies lebendige Be- 
fehlen Jahve's kennt er, kein ein für alle mal gegebenes Testa- 
ment. „Ich habe euren Vätern, als ich sie aus Ägypten führte, 
nur das befohlen: hört auf meine Stimme und wandelt in den 
Wegen, die ich euch immer weisen werde. Von dem Tage an, 
wo eure Väter aus Ägypten gezogen sind, habe ich alle meine 
Knechte, die Propheten, zu euch gesandt, immer frühzeitig sie 
entbietend, aber ihr hörtet nicht. 44 Noch nach dem Exil bei 
Zacharia (520 v. Chr.) begegnen wir dieser Anschauung über 
die Bedeutung der Propheten. „So sprach Jahve Sebaoth (vor 
dem Exil zu den Vätern): sprecht wahrhaftiges Eecht und übt 
unter einander Güte und Barmherzigkeit, Waisen und Witwen 
und Fremdlinge und Arme bedrücket nicht, und sinnet im Her- 
zen nichts Arges gegen irgend welchen Bruder! Aber sie wollten 
nicht Acht geben und rüttelten mit der Schulter und machten 
ihre Ohren taub und ihre Herzen kieselhart, so dass sie nicht 
hörten die Thora und die Worte, welche Jahve Sebaoth durch 
seinen Geist durch die alten Propheten sagen Hess, und es kam 
ein grosser Zorn von Jahve Sebaoth. Und wie er sie rief und 
sie nicht hörten, so sollen nun auch sie, sprach er, rufen und 
ich will nicht hören, und ich will sie verwehen unter die Völ- 
ker So spricht Jahve Sebaoth (nach dem Exil zu der 

Gegenwart): wie ich beschlossen hatte euch erbarmungslos zu 
strafen, weil mich eure Väter erzürnt hatten, so habe ich wie- 
der in diesen Tagen beschlossen dem Hause Judä wohl zu thun, 
fürchtet euch nicht! Dies ist's was ihr thun sollt: redet unter 
einander die Wahrheit, Wahrheit und heilsames Recht sprecht 
auf euren Gerichtsstätten; und sinnet nichts arges gegen einan- 
der und lasset die Ltigenschwüre ; denn all so etwas hasse ich, 
spricht Jahve 44 (Zach. 7, 9-14. 8, 14— 16). Sowohl der Inhalt 
der Thora, auf deren Befolgung hier die Theokratie gegründet 
wird, gibt zu denken, als auch ihre Herleitung von den „alten 44 
d. h. vorexilischen Propheten. Selbst Ezra kann noch sagen 
(9, 10, 11): „wir haben deine Gebote vergessen , die du durch 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 425 

deine Knechte die Propheten befohlen hast und gesprochen: das 
Land wohin ihr kommt es einzunehmen ist ein durch die Ekel 
der einheimischen Völker beflecktes Land, das sie von Rand zu 
Rand mit ihrer Unreinigkeit angefüllt haben 44 . Er hat das 
Deuteronomium, Ezechiel, Ley. 17 — 26 im Auge. 

Unter denen, die vom Ende aus über den Sinn der abge- 
laufenen Entwickelung reflektieren, nimmt der Verfasser von Isa. 
40ff. die erste Stelle ein. Die Thora, die er auch das Misch- 
pat (das Recht d. h. die Wahrheit) nennt, erscheint ihm als das 
Göttliche und Unvergängliche in Israel. Sie ist ihm aber un- 
zertrennlich von ihrem Verkündiger, dem Knechte Jahve's (42, 
1_4. 49 ? i_6. 50, 4— 9. 52, 13—53, 12). Der Name bezeichnet 
den Propheten, hier wird darunter Israel verstanden, ein Pro- 
phet im grossen Stil. Der Beruf Israels ist nicht der der Welt- 
reiche, Aufsehen und Lärm zu machen auf den Gassen (42, 1—4), 
sondern der stille, die Thora zu verkündigen und zur Anerken- 
nung zu bringen. Und zwar sowohl in. Israel selbst als auch 
unter den Heiden. Prophet ist ja Israel nicht nach seiner eigenen 
inneren Qualität, sondern durch sein Verhältnis zu Jahve, nach 
seinem Beruf als Träger der göttlichen Wahrheit; darum ist es 
kein Widerspruch, dass der Knecht bei Israel selbst die Arbeit 
anfängt. *) Bisher hat er sich nur innerhalb des eigenen Volkes 
abgemüht, das immer geneigt ist, von Jahve und von sich selber 
abzufallen; der Schmach und der Leiden nicht achtend hat er 
unermüdlich den Aufträgen seines Meisters sich unterzogen und 
dessen Wort verkündigt. Aber vergeblich. Er hat es nicht ver- 
mocht, den Sieg des Heidentums in Israel abzuwenden, dem nun 
auch sein Sieg über Israel gefolgt ist. Jetzt im Exil hat Jahve 
das Verhältnis zu seinem Volke abgebrochen; die einzelnen He- 
bräer leben noöh, der Knecht, das Volk Jahve's ist tot. Aber 
die Thora würde ja mit ihm sterben, die Wahrheit selber der 
Lüge, dem Heidentum unterliegen. Das kann nicht* sein, die 
Wahrheit muss zu Rechte, muss an's Licht kommen. Wie dem 
Apostel Paulus der Geist die Bürgschaft der Auferstehung des 
Wiedergeborenen ist, so unserem Autor die Thora das Unter- 

') Ähnlich könnte man sich ausdrücken, dass noch viel fehle, bis wir 
Evangelischen evangelisch geworden seien. Die Unterscheidung, wie sie 
in Isa. 40 ff. durchgeführt ist, ist freilich darum doch sehr merkwürdig 
und bekundet einen auffallenden Grad von tiefsinniger Meditation. 



426 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

pfand der Auferstehung Israels, der Rechtfertigung des Knechtes 
Jahve's. Der endliche Triumph der Sache, die Gottes Sache ist, 
wird alle Erwartungen tibertreffen. Nicht bloss in Israel selbst 
wird die Thora, wird der Knecht Jahve's durchdringen und die 
Neugeburt des Volkes bewirken, sondern die Wahrheit wird nun 
von Israel aus leuchten in alle Welt und unter allen Heiden 
zum Siege kommen (49, 6). Dann ergibt sich, dass die Arbeit 
des Knechtes, so vergeblich sie bis zum Exil geschienen hat, 
doch nicht umsonst gewesen ist. 

Ich brauche wohl nicht noch auseinanderzusetzen, wie un- 
gemein lebendig, ich möchte sagen wie ungemein geschichtlich 
hier der Begriff der Thora gefasst ist, wie gänzlich incompatibel 
er ist mit dem „der Thora Mose's". Sie wäre am ersten zu ver- 
gleichen mit dem Logos des johanneischen Prologs, wenn man 
denselben nach Joh. 10, 35, einer sicherlich authentischen Äusse- 
rung, und nicht nach Philo versteht. Wie Jesus die Mensch 
gewordene, so ist der Knecht Jahve's die Volk gewordene 
Offenbarung Gottes. Die Ähnlichkeit ihres Wesens und ihrer 
Bedeutung bringt die Ähnlichkeit ihres Wirkens und Leidens 
mit sich, so dass in der That die messianische Deutung von 
Isa. 52, 13—53, 12 nahe genug liegt. r ) 

IL 

1. Im 18. Jahre des Königs Josia (621 v. Chr.) ward das 
Deuteronomium gefunden und veröffentlicht. Es wird nun in 
dem Fundberichte 2. Reg. 22. 23 immer das Buch der Thora 
schlechthin genannt: es war also das erste und seiner Zeit das 
einzige. Schon früher freilich hatten nicht bloss die Propheten 
ihre Reden, sondern wohl auch die Priester manche von ihren 

J ) Wenn, übrigens auch für die an dieser Stelle weiter als sonst getriebene 
Personifikation die Farben der Schilderung von einem bestimmten Bei- 
spiele eines prophetischen Märtyrers entlehnt sein mögen, so ist es doch 
unmöglich, dass hier etwas anderes unter dem Ebed Jahve sollte verstan- 
den sein wie überall sonst. Man beachte, dass Leiden und Tod des 
Knechtes Vergangenheit, die Verherrlichung Zukunft ist, zwischen beidem 
aber in der Gegenwart eine lange Pause liegt. An eine Auferstehung 
des Individuums hat der Verfasser von Isa. 40 ff. noch nicht denken können, 
auch passt dazu die nähere Beschreibung 53, 12 f. durchaus nicht. Zu- 
dem ist es klar, dass Kap. 54, 1 — 56, 8 gewissermassen eine Predigt über 
den Text 52, 13— 53, 12 ist: da aber wird die Weissagung über die Ver- 
herrlichung des Knechtes auf Sion bezogen. Vgl. Vatke S. 528 ff. 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 427 

Sprüchen aufgezeichnet; es scheint in der That, wie Vatke ver- 
mutet, dass wir z. B. in dem sinaitischen Bundesbuche ein Denk- 
mal ihres Geistes besitzen. Das Deuteronomium aber, welches 
solche ältere Aufsätze voraussetzt und vielfach das Material dar- 
aus entnimmt, unterscheidet sich von ihnen nicht bloss durch 
seinen weit grösseren Umfang, sondern auch durch seine weit 
höheren Ansprüche. Es ist mit der deutlichen Absicht verfasst, 
nicht Privataufzeichnung zu bleiben, sondern als Buch öffent- 
liche Geltung zu erlangen. Der Gedanke, eine bestimmt for- 
mulirte schriftliche Thora zum Eeichsgesetz zu machen, ist das 
Wichtige; ') es war ein erster Versuch und er gelang zunächst 
über alles Erwarten. Freilich trat dann wieder eine Reaktion 
ein, aber das babylonische Exil vollendete den Sieg des Ge- 
setzes. Einer ungeheuren Aufregung war damals die tiefste 
Depression gefolgt (Am. 8, 11 ff.). In einer solchen Zeit klam- 
merten sich die, welche an der Zukunft nicht verzagten, an den 
geistigen Erwerb der Vergangenheit. Zur rechten Zeit war der- 
selbe, mit Rücksicht auf die praktische Anwendung im bürger- 
lichen und religiösen Leben des Volkes, im Deuteronomium ge- 
bucht worden. In dem allgemeinen Ruin ging das Buch der 
Thora nicht unter, sondern blieb bestehen und ward der Com- 
pass für die, die auf ein neues Israel hinsteuerten. Wie sehr 
man es als Norm zu benutzen entschlossen war, zeigt die im 
Exil unternommene Bearbeitung des Hexateuchs und der histo- 
rischen Bücher. 

Mit dem Erscheinen des Gesetzes hörte die alte Freiheit 
auf, nicht bloss auf dem Gebiete des Cultus, der nun auf Jeru- 
salem beschränkt wurde, sondern auch auf dem Gebiete des 
religiösen Geistes.* Es war jetzt eine höchste objektive Autorität 
vorhanden: das war der Tod der Prophetie. Denn für diese 
war es notwendig, dass das Unkraut neben dem Weizen auf- 
wachsen durfte. Mögen auch die Merkmale, welche das Deu- 
teronomium aufstellt um den wahren Propheten vom falschen zu 
unterscheiden, recht allgemein und recht unpraktisch sein, so 
spricht sich die Tendenz der Controlierung und Uniformierung 
doch klar darin aus, und sie ist das epochemachende. 3 ) Es 

Duhm a. 0. S. 201. 

3 ) Man könnte den Unterschied von Deut. 18,22 und 1. Reg. 22, 19—23 
charakteristisch finden. Dort heisst es, wenn ein Prophet im Nameii 



428 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

war freilich nicht die Absicht des Gesetzgebers, die mündliche 
Thora oder das freie Wort zu beeinträchtigen. Aber die Con- 
sequenz, durch die äusseren Umstände begünstigt, war nicht zu 
vermeiden, die Empfindung, dass es mit den Propheten aus sei, 
hat nicht erst in den makkabäischen Kriegen begonnen. Wir 
hören im Exil die Klage, dass die Weisung der Priester und 
das Wort der Propheten verstumme (Lam. 2, 9); es wird gefragt, 
wo der geblieben sei der in der Vorzeit seinen Geist in Israel 
hineingelegt habe (Isa. 63, 11); in der Zeit Nehemia's wird eine 
zweifelhafte Frage wenigstens theoretisch in der Schwebe ge- 
lassen, bis „der Priester mit Urim und Thummim 44 d. h. ein mit 
zuverlässiger Weissagung Betrauter erscheine (Neh. 7, 69). Man 
darf Jeremia den letzten der Propheten nennen; 1 ) die nach ihm 
kamen, waren es nur dem Namen nach. Ezechiel hatte ein 
Ruch verschlungen (3, 1—3) und gab es wieder von sich. Wie 
Zacharia so nennt auch er schon die vorexilischen Propheten, 
im Bewusstsein seines Epigonentums, die alten Propheten; er 
sinnt über ihre Worte nach wie Daniel und commentiert sie 
durch seine eigene Weissagung (38, 17. 39, 8). Viel eher ver- 
dient der Verfasser von Isa. 40ff. ein Prophet zu heissen, aber 
er will keiner sein, seine offenbar beabsichtigte Anonymität lässt 
darüber nicht in Zweifel, Er ist in der That mehr Theologe, 

*Jahve's etwas ansage, was nicht eintreffe, so sei es ein Wort, welches 
Jahve nicht geredet habe. Hier dagegen hält Micha ben Jimla die Weis- 
sagung der Jahvepropheten, die dem Könige von Israel einen glücklichen 
Ausgang des Feldzuges gegen die Syrer verheissen, zwar für das Gegen- 
teil der Wahrheit, darum aber nicht minder für eingegeben vom Geiste 
der Prophetie: Jahve habe seinen Geist zum Lügengeist gemacht im 
Munde aller seiner Propheten. Es mag sich immerhin der Abstand der 
Zeiten hier abspiegeln, im ganzen scheint die Betrachtungsweise des Micha 
doch eher eine Auskunft, die auch späterhin noch möglich gewesen wäre. 
Im siebenten Jahrhundert dehnte man das Gebot „alle Erstgeburt ist mein" 
auch auf die menschliche Erstgeburt aus und sah die Opferung derselben 
als Forderung Jahve' s an, wie aus dem Protest Jeremia' s hervorgeht: „ich 
habe sie nicht geboten, es ist mir nicht eingefallen" 7, 31. 19, 5. Mit 
Beziehung darauf sagt Ezechiel: da die Israeliten die heilsamen Gebote 
Jahve' s verschmäht haben, so habe er ihnen Gebote gegeben, die nicht 
gut, und Satzungen, durch welche sie nicht mochten leben. Das ist eine 
ganz ähnliche Auskunft in der Verlegenheit, ohne tiefere Bedeutung. Vgl. 
umgekehrt Sur. 2, 174. 
l ) Jeremia, der in seinen jungen Jahren an seinem Teile beigetragen hatte 
zur Einführung des Gesetzes, zeigt sich später über dessen Wirkung 
wenig erbaut: zur Lüge habe geschrieben der Lügengriffel der Schreiber. 
Die Leute verschmähten das prophetische Wort, da sie die Thora schwarz 
auf weiss besassen (8, 7—9). 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 429 

er reflektiert vorzugsweise über die Resultate der vorhergegan- 
1 genen Ent Wickelung, deren Sauerteig die Pr.ophetie war, wie 
über gewonnene feste Güter, er heimst die Ernte ein. Was die 
nachexilisehen Propheten betrifft, so haben wir schon gesehen, 
dass Zacharia von den alten Propheten als von einer abge- 
schlossenen Reihe redet, zu der er sich selbst und seinesgleichen 
nicht rechnet. In der seinem Buche angehängten Schrift eines 
anonymen Zeitgenossen findet sich folgende merkwürdige Äusse- 
rung: „in jener (erhofften) Zeit, spricht Jahve, tilge ich die Na- 
men der Götzen aus dem Lande, dass sie nicht mehr erwähnt 
werden, und auch die Propheten und den unreinen Geist lasse 
ich aufhören; und wenn ein Mensch noch weissagen will, so 
werden seine Eltern zu ihm sagen: du bist des Todes weil du 
Lüge redest im Namen Jahve's, und seine Eltern werden ihn 
durchbohren, wenn er weissagt". 

2. Das Deuteronomium indessen war ein Programm für 
eine Reformation, nicht für eine Restauration. Es setzte das 
Bestehen des Cultus voraus und corrigierte ihn nur in gewissen 
allgemeinen Punkten. Aber nun war der Tempel zerstört und 
der Gottesdienst unterbrochen, die Praxis von ehemals musste 
aufgezeichnet werden wenn sie nicht untergehen sollte. So kam 
es, dass im Exil das Cultusverfahren Gegenstand der Thora 
wurde, wobei natürlich neben dem restaurierenden der reforma- 
torische Gesichtspunkt fortwirkte. Wir haben 'gesehen (S.62), 
dass Ezechiel der erste war, der diesen durch die Umstände in- 
dicierten Schritt that. In dem letzten Teile seiner Schrift hat 
er den Anfang gemacht mit der Aufzeichnung des im Tempel 
von Jerusalem üblich gewesenen Rituals. Andere Priester 
schlössen sich ihm an (Lev. 17 — 26), und so entstand aus diesem 
Stande im Exil eine Art Schule von Leuten, die was sie früher 
praktisch betrieben hatten, jetzt auf Schrift und in ein System 
brachten. Nachdem der Tempel wieder hergestellt war, hielt 
sich doch der theoretische Eifer und bildete in Wechselwirkung 
mit der erneuerten Praxis das Ritual noch weiter aus; die in 
Babylon verbliebenen Priester nahmen aus der Ferne nicht we- 
niger Anteil am heiligen Dienste als ihre mit der Ausübung 
desselben beschäftigten Brüder zu Jerusalem, die unter widrigen 
Umständen lebend es mit der peinlichen Befolgung der festge- 
stellten Observanzen nicht so genau gehalten zu haben scheinen. 



430 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Das letzte Resultat dieser langjährigen Aribeit ist der Priester- 
eodex. Man hat zwar gesagt, die Schöpfung eines solchen 
Werkes könne einer Zeit nicht zugetraut werden, die nur zu 
repristinieren suche. Zugegeben, dass das letztere Urteil richtig 
wäre — zum künstlichen Systematisieren vorhandenen Materials 
ist gerade eine solche Zeit durchaus geeignet, und wesentlich 
darin besteht die Originalität des Priestercodex. 1 ) 

Der Priestercodex, eingearbeitet in den Pentateuch als dessen 
massgebender legislativer Bestandteil, wurde das definitive „mo- 
saische Gesetz 44 . Als solches ward er publiciert und eingeführt 
A. 444 vor Chr., hundert Jahre nach dem Exil. In der Zwi- 
schenzeit, deren Dauer oft unterschätzt wird, war als schriftliche 
Thora noch immer nur das Deuteronomium bekannt und aner- 
kannt, wenn auch faktisch der Einfluss der Aufsätze Ezechiels 
und seiner Nachfolger auf die leitenden Kreise nicht unbedeutend 
sein mochte. Derjenige, welcher den Pentateuch zur Constitution 
des Judentums gemacht hat, ist der babylonische „Priester und 
Gelehrte 44 Ezra. Schon A. 458, im siebenten Jahre des Arta- 
xerxes Longimanus, war er an der Spitze einer grösseren Schar 
eifriger Juden aus Babylonien nach Jerusalem gekommen; wie 
es heisst, von dem Perserkönige mit Vollmacht versehen, die 
Gemeinde des Tempels, die sich noch immer nicht recht inner- 
lich befestigen und gegen aussen abschliessen konnte, zu refor- 
mieren nach dem Gesetz. „Vom Könige und seinen sieben Räten 
bist du gesandt, Untersuchung zu führen über Juda und Jeru- 
salem nach dem Gesetz deines Gottes in deiner Hand 
...... Du aber, Ezra, nach der Weisheit deines Gottes 

in deiner Hand, bestelle Vorsteher und Richter, die alles Volk 
jenseit des Euphrat richten, diejenigen welche die Gesetze deines 
Gottes anerkennen, und wer sie nicht kennt, dem sollt ihr sie 

*) Dillmann findet, es sei die natürlichste Annahme von der Welt und ans 
ACD (!) noch zu erweisen, dass die Priesterschaft des Centralheiligtumes 
schon in alter Zeit ihre Thoroth aufschrieb; dass man erst im Exil und 
in Babylonien, wo man gar keinen Gottesdienst hatte, die priesterlichen 
und gottesdienstlichen Gesetze aufgeschrieben oder . sogar erst gemacht 
habe, sei widersinnig. Widersinnig immerhin, wenn nur wahr. Ein 
Fortschritt ist es nicht, gleichwohl ein Faktum, dass auf die Könige die 
Hohenpriester folgten und auf die Propheten die Rabbiner. Es soll 
übrigens doch öfter vorkommen, dass die traditionelle Praxis erst aufge- 
schrieben wird, wenn sie auszusterben droht, und dass ein Buch so zu 
sagen Revenant eines abgeschiedenen Lebens ist. * > 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 431 

bekannt machen. Wer aber das Gesetz deines Gottes und das 
Gesetz des Königs nicht thun will, dem soll der Process ge- 
macht werden." So heisst es in dem Schreiben des Perser- 
königs an Ezra 7, 12—26, das, wenn es auch unecht sein sollte, 
doch jedenfalls die Meinung der Zeitgenossen wieder gibt; wie 
denn daran nach der aus Ezra's eigenem Memoire entnommenen 
Äusserung 7, 27 kein Zweifel sein kann, dass er von Artaxerxes 
in seinen Zwecken unterstützt worden ist. 1 ) 

In Judäa angekommen hat nun aber Ezra nicht, wie man 
erwarten sollte, das Gesetz alsbald eingeführt. Im Einverständnis 
mit den Obersten des Volkes hat er, auf Grund der vorhandenen, 
nämlich der deuteronomischen Thora, eine strenge Absonderung 
der heimgekehrten Exulanten von den heidnischen und halb- 
heidnischen Landesbewohnern in's Werk gesetzt und rücksichtslos 
durchgeführt, wenige Monate nach seiner Ankunft in Jerusalem. 
Sehr lange aber, mindestens vierzehn Jahre, dauerte es, bis er 
endlich mit dem Gesetze herausrückte, das er selber mitgebracht 
hatte. Warum er so lange zögerte, lässt sich höchstens ver- 
mutungsweise sagen, da uns Nachrichten darüber, was er in der 
Zwischenzeit gethan, nicht erhalten sind; zwischen dem sieben- 
ten und dem zwanzigsten Jahre des Artaxerxes (458 und 445 
v. Chr.) klafft in der Berichterstattung der Bücher Esdra und 
Nehemia eine grosse Lücke. Die äusseren Verhältnisse der 
jungen Gemeinde, die sich, wohl in Folge der schroffen Stellung 
die man zu den Nachbarvölkern einnahm, sehr mislich gestal- 
teten, mochten eine legislative Neuerung vorerst unratsam 
machen; auch hat vielleicht Ezra den corrigi er enden Einfluss 
der jerusalemischen Praxis auf das Produkt der babylonischen 
Gelehrsamkeit abwarten und ausserdem Gehülfen des Werks 
sich erziehen wollen. Die Hauptsache scheint jedoch gewesen 
zu sein, dass es ihm trotz dem Wohlwollen des Königs an einer 

2 ) Hinsichtlich seines Verhältnisses zum Gesetz kommen noch folgende An- 
gaben in Betracht: „er war ein Gelehrter (*"1£1D = literatus), bewandert 
in der Thora Mose's" 7, 6 ; „er hatte seinen Sinn gerichtet zu studieren 
die Tbora Jahve's und zu thun, und zu lehren in Israel Recht und 
Satzung" 7, 10; „der Priester Ezra, der Meister des Gesetzes des Gottes 
vom Himmel" 7, 21. Am wichtigsten bleibt indessen der Ausdruck, dass 
das Gesetz (die Weisheit) seines Gottes in seiner Hand gewesen sei : es 
war also sein Privatbesitz, wenn es auch Geltung für ganz Israel bean- 
spruche. Dazu stimmen die Angaben über den Zweck der Mission des 
gelehrten Priesters. 



432 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

energischen Unterstützung der persischen Behörden an Ort und 
Stelle fehlte, deren es bedurfte, um einem neuen Gesetze Gel- 
tung und Anerkennung zu verschaffen.. 

Da gelang es im J. 445 einem Juden und Gesinnungsge- 
nossen Ezra's, Nehemia ben Hakkeleja, dem Mundschenken und 
Günstling des Artaxerxes, als persischer Landpfleger nach Judäa 
zu kommen. Nachdem er mit redlichem Eifer und grossem Er- 
folge die Gemeinde zuerst von dem äusseren Druck befreit und 
aus ihrer trübseligen Lage emporgehoben hatte, war nun auch 
der Augenblick gekommen um mit der Einführung des Penta- 
teuchs vorzugehen: Ezra und Nehemia waren dabei offenbar im 
Einverständnis. Am 1. Tage des 7. Monats — das Jahr, das 
wir leider nicht wissen, ist frühestens 444 vor Chr. gewesen — 
versammelte sich alles Volk wie ein Mann auf dem Markt vor 
dem Wasserthore, und Ezra ward aufgefordert das Buch des Ge- 
setzes Mose's vorzubringen, das Jahve Israel geboten. Der 
Schriftgelehrte bestieg eine hölzerne Kanzel, je sieben Priester 
traten ihm rechts und links zur Seite. Wie er das Buch auf- 
schlug, erhoben sich die Anwesenden, Männer und Weiber; mit 
lautem Amen stimmten sie in den Eingangssegen ein, erhüben 
die Hände und warfen sich zu Boden. Darauf las er vor, vom 
frühen Morgen bis zum Mittag, in kleinen Absätzen, welche von 
einer Anzahl unter der Menge zerstreuter Leviten wiederholt 
und erklärt wurden. Die Wirkung war, dass ein allgemeines 
Weinen sich erhob, w#H man sich bewusst war bis dahin die 
Gebote Gottes nicht befolgt zu haben; Nehemia und Ezra und 
die Leviten mussten die Aufregung dämpfen und sprachen: der 
heutige Tag ist Jahve eurem Gott geweiht, trauert nicht und 
weint nicht, geht hin, esst was fett ist und trinkt was süss ist, 
und gebt denen ab die nichts mitgebracht haben! Da zerstreuten 
sich die Versammelten und veranstalteten „eine grosse Freude 14 , 
weil sie die Worte verstanden hatten, die ihnen mitgeteilt wa- 
ren. Am anderen Tage ward die Verlesung fortgesetzt, aber 
bloss vor den Familienhäuptern, und zwar kam ein zeitge- 
mässes Stück an die Reihe, nämlich die Verordnungen über die 
Feste, insbesondere über das unter grünen Zweiglauben zu 
feiernde Hüttenfest am 15. Tage des 7. Monats, desjenigen, in 
dessen Anfang man gerade stand. Mit grossem Eifer ging man 
daran, die seit den Tagen Josua's ben Nun nicht rite begangene 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 433 

Feier nun nacli der Vorschrift des Gesetzes Lev. 23 zu rüsten, 
und mit allgemeiner freudiger Beteiligung beging man sie vom 
15.— 22. des Monats. *) Am 24. aber ward in Sack und Asche 
ein grosser Busstag gehalten. Mit der Gesetzeslektion ward 
auch jetzt begonnen, darauf folgte ein §ündenbekenntnis, das 
im Namen des Volkes von den Leviten gesprochen wurde und 
mit der Bitte um Gnade und Erbarmen schloss. Das war die 
Vorbereitung zu dem Haupt- und Schlussakte, worin die welt- 
lichen und geistlichen Beamten und Ältesten der Gemeinde, 
ftinfundachtzig an der Zahl, sich schriftlich auf das durch Ezra 
veröffentlichte Gesetzbuch verpflichteten, alle Übrigen aber sich # 
mit Eid und Fluch verbindlich machten zu wandeln in der Thora 
Gottes, gegeben durch seinen Diener Mose und zu halten alle 
Gebote Jahve's und seine Satzungen und Rechte. Besonders 
zur Nachachtung hervorgehoben wurden die Bestimmungen des 
Pentateuchs, welche direkte Bedeutung für das Volk hatten — 
der grösste Teil bezieht sich ja auf das Ritual der Priester — 
und darunter namentlich diejenigen, welche die Abgaben der 
Laien an die Priester betrafen, auf denen die Existenz der Hie- 
rokratie ruhte. 2 ) 

Mit Recht hat es Lagarde's Verwunderung erregt, dass dieser 
merkwürdigen Erzählung von den Alttestamentliehen Kritikern 
so wenig Wichtigkeit beigelegt zu werden pflegt: nur Kuenen 
hatte sie allerdings nach ihrem vollen Wert gewürdigt. 3 ) Es 
liegt auf der Hand, dass wir in Neh. 8—10 eine genaue Parallele 
zu 2. Reg. 22. 23 haben. Insbesondere zu 23, 1 — 3: Josia Hess 
alle Altesten von Juda und Jerusalem zusammenkommen und 
zog mit den Männern Juda's und den Bewohnern Jerusalems, 
mit den Priestern und Propheten und allem Volke hoch und 
niedrig, hinauf zum Hause Jahve's; dort las er der Versammlung 
alle Worte des Gesetzbuchs vor und verpflichtete sich mit allem 

- *) Acht Tage lang, nach Lev. 23, 39 gegen Deut. 16, 13—15. 

2 ) Neh. 8, 1 — 10, 40. Die innere Glaubwürdigkeit der Erzählung bezeugt 
sich selber auf das entschiedenste. Dass der Chronist sie nicht selber 
verfasst, sondern aus seiner Hauptquelle entlehnt hat, aus der auch die 
Fragmente der Memoiren Ezra's und Nehemia's mitgeteilt sind, ergibt 
sich daraus, dass er, indem er in Esdra 2 das Kap. Neh. 7 abschreibt, 
unwillkürlich auch noch den Anfang von Neh. 8 ( = Esdr. 3, 1) hinzu-, 
nimmt. Also fand er schon Neh. 7 und 8 in der jetzigen Verbindung 
vor und schrieb nicht etwa die Kap. 8 ff. erst selber. 

3 ) Göttinger Gel. Anzeigen 1870 S. 1557 f. Kuenen, Godsdienst II Hoofdst.8. 

W eil hause u, Prolegoniena. 28 



434 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Volke vor Jahve, zu halten alle Worte dieses Buches. Gleich- 
wie bezeugt wird, dass das Deuteronomium im Jahre 621 be- 
kannt geworden, bis dahin unbekannt gewesen ist, geradeso 
wird bezeugt, dass die anderweitige Thora des Pentateuchs — 
denn dass das Gesetz Ezra's der ganze Pentateuch gewesen ist, 
unterliegt keinem Zweifel — im Jahre 444 bekannt geworden, 
bis dahin unbekannt gewesen ist. Es erhellt zunächst un wider, 
sprechlich, dass das Deuteronomium die erste, die priesterliche 
Thora die zweite Stufe der Gesetzgebung ist. Weiter aber wird 
man den selben Schluss, den man für die Abfassungszeit des 
Deuteronomiums aus der Publicierung und Einführung durch 
Josia zu ziehen pflegt, für die Abfassungszeit des Priestercodex 
aus der Publicierung und Einführung durch Ezra und Nehemia 
zu ziehen haben. Es bedarf sehr gewichtiger innerer Gründe, 
um die auf einer höchst positiven Nachricht beruhenden Wahr- 
scheinlichkeit zu entkräften, dass die Codificierung des Rituals 
erst in der nachexilischen Periode vor sich gegangen ist. Wie 
es mit solchen inneren Gründen beschaffen ist, haben wir ge- 
sehen. *) 

3. Ezra und Nehemia, und die fünfundachtzig Männer der 
Grossen Versammlung (Neh. 8 ff.), die als Unterzeichner des Bun- 
des genannt werden, gelten der späteren Tradition als die Be- 
gründer des Kations. Nicht mit Unrecht, nur müsste mit noch 
grösserem Rechte der König Josia dafür angesehen werden. Die 
Einführung des Gesetzes, zunächst des Deuteronomiums, sodann 
des ganzen Pentateuchs, war in der That der entscheidende 
Schritt, wodurch die Schrift an Stelle der Rede trat und das 
Volk des Wortes ein Volk des Buches wurde. Dem Buche 
haben sich die Bücher mit der Zeit angeschlossen; jenes ward, 
in zwei auf einander folgenden Akten, förmlich und feierlich 
eingeführt, diese gewannen unter der Hand eine ähnliche öffent- 
liche Geltung für die jüdische Gemeinde. Der Begriff des Ka- 

*) 1s ist übrigens nicht nötig und schwerlich richtig, Ezra für mehr als 
für den Redaktor, den eigentlichen und hauptsächlichen Redaktor des 
Pentateuchs zu halten; insbesondere wird er nicht der Verfasser von Q 
gewesen sein. Es soll andererseits auch nicht ausgeschlossen werden, 
dass manche Novellen und Änderungen noch nach Ezra hinzugekommen 
sind. Das Material der Bräuche ist schwer zu fixieren und zu erschöpfen. 
Über den nervus ischiadicus, die Barfüssigkeit der Priester, das Ein* 
sperren vor Jahve (1. Sam. 21 vgl. Jerem. 36, 5), die Steinigung der Ehe- 
brecher vermissen wir Bestimmungen. 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 435 

nons geht durchaus von dem der schriftlichen Thora aus; auch 
die Propheten und Hagiographen heissen bei den Juden Thora, 
wenn auch nicht Thora Mosis. 

Über die Entstehung des Kanons, welche Dank der beiden 
Erzählungen 2. Reg. 22. 23. Neh. 8 — 10 vollständig im Licht der 
Geschichte liegt, ist sich die herkömmliche Einleitungswissen- 
schaft höchst unklar. Josia, pflegt man sich etwa vorzustellen, 
hat zwar das Gesetz aber nicht den Kanon eingeführt, Ezra um- 
gekehrt zwar den Kanon aber nicht das Gesetz. Eine Analogie, 
die von dem sekundären Teil des Kanons, von Propheten und 
Hagiographen, hergenommen ist, überträgt man ohne Besinnen 
auf den primären, auf die Thora Mose's. Wie die historischen 
und prophetischen Bücher zum Teil lange existiert haben ehe 
sie kanonisch wurden, so, glaubt man, werde es auch mit dem 
Gesetze gegangen sein. Indessen beim Gesetze liegt die Sache 
wesentlich anders. Das Gesetz will gesetzliche Geltung haben, 
will Gemeindebuch sein: ein Unterschied zwischen Gesetz und 
Kanon ist nicht vorhanden. Es ist darum leicht zu begreifen, 
dass die Thora, obwohl als schriftstellerisches Produkt jünger 
als die geschichtlichen und prophetischen Bücher, dennoch als 
Gesetz älter ist als jene Schriften, die ja ursprünglich und ihrem 
Wesen nach gar keinen gesetzlichen Charakter tragen, sondern 
denselben gewissermassen nur metaphorisch erlangt haben, im 
Ansehluss an ein vorhandenes eigentliches Gesetz. 

Erkennt man an, dass der Kanon das Judentum vom alten 
Israel unterscheidet, so erkennt man auch an, dass die schrift- 
liche Thora das Judentum vom alten Israel unterscheidet. Das 
Wasser, das in der Vergangenheit gequollen war, fassten die 
Epigonen in Cisternen. 



Elftes Kapitel. 

Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 

Mit den Ausdrücken Theokratie und theokratisch spielen 
die Neueren, ohne über ihren Sinn und die Berechtigung ihrer 

28* 



436 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

Anwendung sich Rechenschaft zu geben. Man weiss aber, dass 
erst Josephus das Wort &eoxpaxta gebildet hat, 1 ) und es ist be- 
kannt, dass diesem Schriftsteller, wenn er von der mosaischen 
Verfassung redet, das heilige Gemeinwesen seiner Zeit vor Augen 
schwebt, wie es bis zum Jahre 70 nach Chr. beschaffen gewesen 
ist. Im alten Israel hat in der That eine Theokratie als Ver- 
fassungsform nie bestanden. Die Herrschaft Jahve's ist hier 
eine ideale Vorstellung; erst seit dem Exil werden Versuche 
gemacht, sie als Herrschaft des Heiligen mit äusserlichen Mitteln 
zu realisieren. Es ist vielleicht das Hauptverdienst von Vatke's 
Biblischer Theologie, die Entstehung der Theokratie und die 
Metamorphose der Idee zu einer Anstalt durch die Jahrhunderte 
verfolgt zu haben. 

I. 

1. Dass Mose den Pentateuch geschrieben habe, wird von 
den Vertretern der herrschenden Meinung geleugnet, desto be- 
stimmter aber festgehalten, dass er die Gemeinde der Stiftsbütte 
in der Weise organisiert habe, wie es im Priestercodex beschrie- 
ben ist. Es scheint dabei die Ansicht zu Grunde zu liegen, 
dass er ja sonst überhaupt keine Bedeutung gehabt habe: als 
ob es nicht auch etwas wäre, einen Samen in den Acker der 
Zeit zu streuen , den das daraus entspringende Spiel der Wir- 
kungen und Gegenwirkungen in einer Ewigkeit zur Reife bringt 
(Marc. 4, 26 ff.). In Wahrheit ist Mose etwa in dem gleichen 
Sinne der Urheber der „mosaischen Verfassung", wie Petrus der 
Stifter der Römischen Hierarchie. Von der angeblich uralten 
heiligen Organisation ist in der Zeit der Richter und der Könige 
nichts zu merken. Sie soll eine Art pädagogischer Zwangs- 
jacke gewesen sein, um den ungebändigten Eigenwillen der 
Hebräer zu brechen und sie vor schlechten Einflüssen von aussen 
her zu bewahren. Wollte man aber auch zugeben, dass eine 
Verfassung des Altertums so ausser allem Verhältnis zu dem 

! ) O&xoüv arcstpot [iiv a\ xaxcfc fxipoc x&v 1$&v xal tü>v vdptwv irapot xoT? fcxaiv 
dvOpumois 8iacpopa(* ot \*.h ydfcp (jiovap^^atc, oi §e xatc öÄfywv Suvaaxefous, 
äXkot Se xoTs irA'/jftecttv l7texpe<}>av x))v l£oua(av t&v noAtTeufi.dtTtüv. 'U S'^fxe- 
xepoc vopi.o{HT7js eis f^v xooxoov o68' 6xtoöv öfotsT^sv, cbc S'av Tic;efitoe 
ßtaadtfjievoc t6v Xdyov, $eoxpax(av dtit£§ei£e to 7toA£xeupt,a, $sq5 
tt)v dpxty xa ^ T ° *p« T °c ^vocftefe (contra Apion. 2, 16). Vgl. übrigens zu 
diesem ganzen Kapitel Die Pharisäer und die Saddueäer, Greifswald 1874. 



Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 437 

eigenen inneren Leben des Volks entstanden sein könne, so 
tritt doch an der Geschichte des alten Israels nichts mehr hervor 
als die ungemeine Frische und Natürlichkeit ihrer Triebe. Die 
handelnden Personen treten durchweg mit so einem Muss ihrer 
Natur auf, die Männer Gottes nicht minder wie die Mörder und 
Ehebrecher; es sind Gestalten, die nur in freier Luft geraten. 
Das Judentum, welches die mosaische Verfassung verwirklicht 
und consequent fortgebildet hatte, Hess für die Individualität 
keinen Spielraum: im alten Israel war das göttliche Recht nicht 
bei der Institution, sondern bei dem Creator Spiritus, bei den 
Individuen. Sie redeten nicht bloss wie die Propheten, son- 
dern sie handelten auch wie die Richter und Könige; aus 
freier Initiative, nicht nach einer äusseren Norm, und dennoch 
und gerade darum im Geiste Jahve^s. Höchst charakteristisch 
zeigt sich der Unterschied der Zeiten in der Auffassung Sauls 
nach den beiden, oben (S. 261 ff.) gesonderten und verglichenen 
Versionen. 

2. Es ist eine einfache aber sehr wichtige Bemerkung 
Vatke's, dass die im Priestercodex so weitläufig beschriebene 
heilige Verfassung der Gemeinde durchaus unvollständig sei und 
dasjenige voraussetze, was zu gründen zur Zeit Mose's die 
Hauptsache gewesen wäre, nämlich den Staat, ohne den doch 
auch die Kirche nicht bestehen kann. Um einen reichen und 
kostspieligen Cultus und einen ungeheuren Schwärm von Kle- 
rikern zu unterhalten, waren erhebliche Steuern und Abgaben 
nötig; lim selbige einzutreiben, um ferner das Ansehen der hei- 
ligen Personen und Einrichtungen, um namentlich die strenge 
Centralisierung und Uniformierung des legitimen Gottesdienstes 
bei einem immerhin rohen Volke aufrecht zu erhalten, dazu be- 
durfte es einer executiven Gewalt, die das ganze Volk umspannte 
und in der Macht hatte. Wo aber ist diese einheitliche Gewalt 
in der Richterperiode? Die Hauptbefugnisse wohnten damals 
den kleinsten Kreisen bei, den Familien und Geschlechtern; sie 
waren wenig beschränkt, wie es scheint, durch die übergeord- 
nete Macht des Stammes, und der Begriff des Staates oder 
Reiches existierte überhaupt noch nicht. Zuweilen vereinigten 
sich die verwandten Geschlechter, wohl auch die benachbarten 
Stämme zu gemeinschaftlichen Unternehmungen; aber nicht auf 
Grund irgend welcher verfassungsmässigen Ordnung, sondern in 



438 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

der Not, in dem Falle dass ein hervorragender Mann sieh fand, 
der an die Spitze trat und ein erfolgreiches Aufgebot erliess. 
Diese vorübergehenden Verbindungen unter Herzögen waren die 
Vorstufe einer dauernden Vereinigung unter einem Könige ; 
schon zur Zeit des Midianiterkriegs scheint ein Ansatz dazu ge- 
macht worden zu sein, der aber nicht recht einschlug. In dem 
schweren und langwierigen Kampf gegen die Philister trat das 
Bedürfnis nach einer festen Einigung der Stämme unabweislich 
hervor, und es fand sich auch der Mann für die Zeit. Saul, 
ein vornehmer Benjaminit aus Gibea, ward vom Zorn überwäl- 
tigt wegen der höhnischen Herausforderung, welche sich damals 
sogar die Ammoniter den Hebräern gegenüber erlaubten; nicht 
durch irgend ein Amt, nur durch den eigenen Drang berechtigt 
pef er seine Landsleute zum Kampfe auf; sein Enthusiasmus 
wirkte ansteckend, Scheu erregend. Ganz wie einer der früheren 
Richter begann er seine Laufbahn, aber als er zum Siege ge- 
führt hatte, da ward er nicht wieder los gelassen. Der Gesuchte, 
der König war gefunden. 

Aus so natürlichen Anfängen entstand damals der Staat, 
ohne jede Anlehnung an die Form der „mosaischen Theokratie" ; 
er trägt alle Merkmale einer neuen Schöpfung an sich. Saul 
und David haben aus den hebräischen Stämmen erst ein wirk- 
liches Volk im politischen Sinne gemacht (Deut. 33, 5). David 
blieb auch den Späteren unzertrennlich von der Idee Israels, er 
war der König schlechthin; Saul ward verdunkelt, aber beide 
zusammen sind die Gründer des Reichs und haben insofern eine 
viel allgemeinere Bedeutung als alle ihre Nachfolger. Sie sind 
es gewesen, die dem öffentlichen Leben Mittelpunkt und Inhalt 
gegeben haben, ihnen verdankt die Nation ihr geschichtliches 
Selbstbewusstsein. Auf dem Königtum gründet alle weitere 
Ordnung, auf diesem Boden wachsen die übrigen Institutionen 
hervor. In der Richterzeit, heisst es, that jeder was er wollte, 
nicht weil damals die mosaische Verfassung nicht in Kraft, son- 
dern weil kein König im Lande war. Auch auf religiösem Ge- 
biete sind die Folgen sehr wichtig gewesen, sofern durch den 
politischen Aufschwung des Volkes auch das historisch-nationale 
Wesen Jahve's wieder in den Vordergrund trat, nachdem der 
alte Gott der Wüste, durch die während der Richterzeit erfol- 
gende (übrigens völlig notwendige) Übernahme des kanaanitischen 



Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 439 

Festcultus in seinen Dienst, eine Zeit lang in Gefahr geschwebt 
hatte ein Gott des Ackerbaus und der Viehzucht zu werden wie 
Baal-Dionysus. Der Festcultus blieb zwar noch lange die Quelle 
des Heidentums, wurde aber doch immer mehr seines Natur- 
charakters entkleidet und musste schliesslich eine Beziehung zur 
Nation und ihrer Geschichte annehmen, um sich überhaupt zu 
halten. Die Beziehung Jahve's zu Volk und Eeich stand felsen- 
fest; auch dem schlimmsten Götzendiener war er der Gott 
Israels; im Kriege fiel es keinem ein, von einem anderen als 
Jahve Sieg und Heil zu erwarten. Das war die Frucht davon 
dass Israel ein Reich geworden war; das Königtum Jahve's, in 
der politischen Bestimmtheit wie es gedacht wird, ist der reli- 
giöse Ausdruck der Staatsgründung durch Saul und David. Die 
Theokratie war eben der Staat selber; den bürgerlichen Staat 
sahen die alten Israeliten als ein Wunder oder, wie sie sich aus- 
drückten, als eine Hülfe Gottes an. *) Die späteren Juden setzten 
bei ihrer Anschauung von Theokratie den Staat immer schon 
als bestehend voraus und konnten darum die Theokratie als ein 
besonderes geistliches Wesen darüber zimmern — etwa so wie 
die Modernen das Göttliche der Rechtsinstitute, z. B. der Ehe, 
nicht in ihrem eigenen Wesen, sondern in der kirchlichen Weihe 
erblicken. 

3. Das Reich Sauls und Davids hielt sich nicht lange auf 
seiner Höhe. Schon mit der Spaltung begann der Verfall; seit 
die Assyrer ans Thor klopften, brach er unaufhaltsam herein. 
Aber um so lebhafter hielt man die Zeit der Blüte und Macht 
in Erinnerung, man hoffte auf ihre Wiederkehr. Durch den 
Contrast der trüben Gegenwart gegen die glänzende Vergangen- 
heit entstand das Bild des Staates wie er sein sollte; dem Zu- 
stande innerer Anarchie und äusserer Zertrümmerung, worin er 
damals sich befand, setzten die Propheten das Muster der Theo- 
kratie entgegen. Die Theokratie, wie die Propheten sie sich 
vorstellen, ist nicht artverschieden von dem politischen Gemein- 
wesen, etwa wie eine geistliche von einer weltlichen Grösse; 
sie beruht vielmehr auf den selben Grundlagen wie jenes und 
ist eben nur die Idee desselben. Ihre klassische Ausbildung hat 



*) Uns greift häufig die obrigkeitliche Vorsehung zu tief ein, den Hebräern 
fehlte sie und darum blieb sie ihnen Ideal, 



440 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

Jesaia . dieser Idee gegeben, { in den Zukunftsbildern, die man 
messianische Weissagungen zu nennen sich gewöhnt tat. Es 
werden hier nämlich nicht zufällige Dinge vorausverkündet, son- 
dern Ziele aufgestellt, deren Verwirklichung zwar erst von der 
Zukunft erwartet wird, die aber schon in der Gegenwart Geltung 
haben oder haben sollten, zu denen das Gemeinwesen seiner 
wahren Natur nach hinstrebt. 

Die Austreibung der Assyrer ist der Zug, mit dem die 
messianischen Schilderungen beginnen ; aber der Hauptnachdruck 
wird gelegt auf die Herstellung der inneren Grundlagen des 
Staates, deren Morschheit auch die äussere Krisis herbeigeführt 
und notwendig gemacht hat. Die Zerrüttung des Regiments, 
das Darniederliegen des Gerichtes, die Ausbeutung der Schwa- 
chen durch die Mächtigen sind die Schäden, die repariert wer- 
den müssen. „Wie ist die ehrbare Stadt zur Hure geworden, 
sie war voller Gericht, Gerechtigkeit wohnte in ihr — und nun 
Mörder! Deine Fürsten sind Schurken und Diebesgesellen, alle 
lieben sie Geschenk und jagen nach Bestechung, der Waise 
schaffen sie nicht Recht, und einer Witwe Sache kommt nicht 
vor sie. Darum spricht der Herr: o ich will mich letzen an 
meinen Widersachern und an meinen Feinden mich rächen! und 
will meine Hand gegen dich kehren, Sion, und wie mit Lauge 
ausschmelzen deine Schlacken, und will deine Eichter machen 
wie zuerst und deine Ratsleute wie zu Anfang; darnach wird 
man dich eine gerechte ehrbare Stadt nennen. Sion wird durch 
Gericht erlöst werden und ihre Einwohner durch Gerechtigkeit" 
(1, 21—27). Immer hat der Prophet das vorhandene natürliche, 
nie ein durch absonderliche Heiligkeit seiner Organisation aus- 
gezeichnetes Gemeinwesen vor Augen. Das Reich Jahve's ist 
ihm vollkommen identisch mit dem Reiche Davids; die Aufgaben, 
die er an dasselbe stellt, sind politischer Natur, etwa solche wie 
man sie gegenwärtig* an das Ttirkenreich stellen müsste. Von 
Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Recht ist ihm 
nichts bewusst; das Recht an sich, das eigentliche juristische 
Recht, ist göttlich, die Autorität des Heiligen Israels steht 
dahinter. „Jenes Tages wird Jahve Sebaoth eine wejte Krone 
und ein herrliches Diadem sein für den Rest seines Volkes, und 
ein Geist des Rechtes dem der da sitzet zu Gericht, und ein 
Geist der Stärke denen die den Krieg über die Marken zurück- 



Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 441 

treiben 44 (28, 5. 6). Jahve ist ein wirklicher voller König, darum 
Gerechtigkeit seine Haupteigenschaft und seine Hauptforderung. 
Und diese Gerechtigkeit ist lediglich ein forenser oder socialer 
Begriff; die Gerechtigkeit der Bergpredigt kann erst an die 
Reihe kommen, wenn die bürgerliche Rechtsordnung selbstver- 
ständlich ist — was damals durchaus nicht der- Fall war. 

Der Verweser Jahve's ist der menschliche König. Dem 
himmlischen Herrscher steht der irdische so wenig im Wege, 
dass er auch für das herrliche Reich der Zukunft nicht entbehrt 
werden kann. „Dann herrschet nach dem Recht der König und 
die Fürsten regieren nach Gerechtigkeit; jeder wird wie ein 
Obdach vor dem Sturm, wie ein Schirm vor dem Wetter sein; 
gleich Wasserbächen in der Dürre, wie Schatten eines wuchtigen 
Felsen im lechzenden Lande 44 (32, 1. 2). Da der vorhandene 
König gemeiniglich nicht genügt, so hofft Jesaia auf einen neuen, 
der dem Vorbilde des alten David entspreche, den Messias. 
,,Dann spriesst ein Reis aus Isafs Stumpfe und ein Keim er- 
wächst aus seiner Wurzel, auf den wird Jahve's Geist sich 
senken, ein Geist der Weisheit und Einsicht, ein Geist des Rats 
und des Kriegsmutes, ein Geist der Furcht und Kenntnis Gottes: 
sein Atmen geschieht in Jahve's Furcht. Nicht nach dem Schein 
der Augen wird er richten und nicht nach Hörensagen ent- 
scheiden; er wird mit Gerechtigkeit die Geringen richten und 
mit Billigkeit bescheiden die Niederen im Lande, aber den 
Frevler trifft er mit der Rute seines Mundes und mit dem Hauch 
seiner Lippen tötet er den Schuldigen, so dass Gerechtigkeit 
der Gurt seiner Lenden und Verlässigkeit der Gurt seiner Hüften 
ist. Dann kehrt der Wolf beim Lamme ein und der Pardel la- 
gert beim Böcklein, Kalb und Löwenkatze fressen zusammen, 
ein kleiner Knabe hütet sie. Dann weidet Kuh und Bärin, *) 
bei einander lagern ihre Jungen, und der Löwe frisst Stroh wie 
das Rind; der Säugling streichelt der Natter Fühlhorn und nach 
des Basilisken Leuchte streckt ein Entwöhnter die Hand: kein 
Frevel geschieht und kein Unrecht auf meinem ganzen heiligen 
Berge". 11, 1—9. Man glaubt gewöhnlich, es sei hier ein all- 
gemeines goldenes Zeitalter auf Erden geweissagt, aber Jesaia 
redet bloss von dem heiligen Berge als Schauplatz, worunter er 

*) Lagarde's Emendation wird durch Isa. 65, 25 widerlegt. 



442 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

die ganze Stadt Davids als Mittelpunkt seines Reiches versteht. 
In Folge des gerechten und strengen Regiments des Davididen 
küssen sich Gerechtigkeit und Treue, kein Mächtiger wagt den 
Schwächeren zu beleidigen. Die Scheu vor der Strenge des 
Rechts bewirkt allgemeines Vertrauen, das Lamm fürchtet sich 
nicht vor dem Wolfe. Der Gegensatz zu diesem Ideal ist die 
innere Rechtlosigkeit und Anarchie, nicht der äussere Krieg; 
die Hoffnung richtet sich nicht auf internationalen Frieden, wie 
sowohl aus v. 1 — 5 als auch aus v. 9 erhellt. Einfache Regenten- 
tugenden sind es, die den Messias schmücken; das ist wiederum 
bezeichnend für die Natur des Reiches, an dessen Spitze er 
steht, für den Begriff der Theokratie. 

Die anderen Propheten dieser Periode stimmen mit Jesaia 
tiberein (Lament. 4, 20), nur Hosea bewährt auch hier seine 
Eigentümlichkeit. Er scheint das Königtum als solches für ein 
Übel anzusehen, in mehr als einer Äusserung setzt er es in 
Gegensatz zur Herrschaft Jahve's. Aber man beachte, dass er 
sein Urteil durchaus auf geschichtliche Erfahrung gründet. Im 
Zehnstämmereich ward die oberste Gewalt immer wieder von 
Usurpatoren angemasst: statt der Hort der Ordnung und des 
Rechtes zu sein ward sie ein Spielball der Parteien, die Ursache 
einer ewigen Aufregung. Eben dies nordisraelitische Königtum 
hat Hosea vor Augen; und er bricht den Stab darüber aus keinem 
anderen Grunde als weil es sich in den dreihundert Jahren sei- 
nes Bestehens nicht erprobt hat und auch in der gegenwärtigen 
Not sich nicht erprobt. Von einer apriorischen Theorie geht er 
nicht aus, ein vor aller geschichtlichen Entwickelung gegebenes 
Muster der theokratischen Verfassung legt er nicht als Mass an. 
Ohne Zweifel hat auch er noch keine Ahnung davon, dass die 
gottgewollte Form des Gemeinwesens am Sinai offenbart sei, 
nicht nach den Umständen sich richte. 1 ) 

4. Auch in der späterhin so sehr beliebt gewordenen Form 
des Bundes hat die Theokratie nicht seit Mose existiert. Das 
Verhältnis Jahve's zu Israel war von Haus aus ein natürliches; 
kein zum Nachdenken geeignetes Zwischen trennte ihn von sei- 
nem Volke. Erst seitdem durch Syrer und Assyrer die Existenz 
Israels bedroht wurde, hoben Propheten wie Elias und Arnos 
die Gottheit hoch über das Volk hinaus, zerschnitten das nattir- 
! ) Über David und das jüdische Reich spricht er sogar günstig, aber ich 



Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 443 

liehe Band zwischen ihnen und setzten ein bedingtes und zwar 
sittlich bedingtes Verhältnis an die Stelle. Zu oberst war ihnen 
Jahve der Gott der Gerechtigkeit, Gott Israels erst in zweiter 
Linie und nur insofern, als Israel seinen Gerech tigkeitsänsprüohen 
entsprach die er ihm aus Gnade offenbart hatte: sie drehten die 
hergebrachte^ Anordnung dieser beiden Eundamentalartikel des 
Glaubens um. „Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, sollen 
sie dann für weiss gelten wie Schnee? wenn sie sich röten wie 
Purpur, sollen sie dann wie Wolle sein? Wenn ihr folgt und 
gehorcht, so werdet ihr das Gute des Landes gemessen; wenn 
ihr euch aber weigert und widerstrebt, so mtisst ihr das Schwert 
fressen, 1 ) denn der Mund Jahve's hat es gesagt." Dadurch nun 
trat die Natur und der Inhalt der Bedingungen, die Jahve an 
das Volk zu stellen hatte, in den Vordergrund der Betrachtung ; 
die Thora Jahve's, die ursprünglich wie all sein Thun unter den 
Begriff des Helfens, nämlich des Rechtschaffens, des Weg- 
zeigens, der Lösung verwickelter Fragen, gefallen war, wurde 
jetzt aufgefasst als der Inbegriff seiner Forderungen, von deren 
Erfüllung seine Beziehung zu Israel alleine abhing. Sachlich 
entstand auf diese Weise, aus nahe liegenden Voraussetzungen, 
aber doch völlig neu, der Begriff des Bundes, d. i. des Vertrages. 
Der Name Berith aber findet sich bei den alten Propheten noch 
nicht, selbst nicht bei Hosea, der im Übrigen der Sache den 
schärfsten Ausdruck verleiht, durch sein Bild von der Ehe 
(Isa. 1, 21). Seine Unbekanntschaft mit dem technischen Sinne 
von Berith wird durch 2, 20 und 6, 7 so schlagend dargethan, 
dass sich darnach auch das Urteil über die (wahrscheinlich inter- 
polierte) Stelle 8, 1 wird richten müssen. 

Der Name Berith hat wahrscheinlich einen ganz anderen 
Ausgangspunkt. Die alten Hebräer hatten für Gesetz keine an- 
dere Vorstellung und keine andere Bezeichnung als die des 
Vertrages. Ein Gesetz wurde nur dadurch rechtskräftig, dass 
diejenigen denen es galt sich verpflichteten es zu halten. So 
geschieht es Exod. 24, 3—8, so 2. Keg. 23, 1—3, so noch Jer. 
34, 8ff. — merkwürdigerweise gerade so bei den Mekkanern 
zur Zeit Muhammeds (Ibn Hischam S. 230ff.). Daher auch die 

halte alle solche Bezugnahmen bei Hosea (wie bei Arnos) für Interpola- 
tionen. In 1, 7 wird an die Bettung Jerusalems unter Hizkia gedacht, 
>) Ibn Hischam 409,17. 



444 Israel und das Judentum, Kap. 1 1 . 

Bezeichnung Sepber Berith sowohl für das jehovistische als auch 
für das deuteronomische Gesetzbuch. 

Dieser Sprachgebrauch, Berith (d.i. Vertrag) für Gesetz, 
Hess sich *nun sehr bequem der prophetischen Grundidee an- 
passen und nach derselben deuten, wonach das Verhältnis 
Jahve's zu Israel bedingt war durch die Forderungen seiner 
Gerechtigkeit, deren Inhalt durch sein Wort und seine Weisung 
expliciert wurde. Zufolge dessen wurden nun Jahve und Israel 
die Contrahenten des Bundes, durch den ursprünglich die ver- 
schiedenen Vertreter des Volkes unter einander sich verpflichtet 
hatten zur Haltung z. B. des deuteronomischen Gesetzes. ') Seit 
dem feierlichen und folgenschweren Akte, durch den Josia 
dies Gesetz einführte, scheint die Idee der Bundschliessung 
zwischen Jahve und Israel in den Mittelpunkt der religiösen 
Reflexion gerückt zu sein; sie herrscht im Deuteronomium, bei 
Jeremia, Ezechiel, in Isa. 40 — 66, Lev. 17—26, und am meisten 
im Vierbundesbuche. Ohne Zweifel hat das babylonische Exil, 
ebenso wie einst das assyrische, auch seinerseits Sazu beige- 
tragen, dass man sich mit dem Gedanken der Bedingtheit und 
der möglichen Lösung des Verhältnisses vertraut machte. 

IL 

1. Die Hütte Davids verfiel vollends, kein König ward ge- 
boren, der sie wieder aufrichtete. Für das Reich kam keine 
Krisis, sondern der Untergang. Das hatte die Wirkung, dass 
die religiösen Hoffnungen, sofern sie festgehalten wurden, sich 
nicht mehr in den Grenzen gegebener Grundlagen hielten, son- 
dern nun einen freieren Flug nahmen und zumeist in's Unge- 
messene schwärmten. Früher war es stets ein bereits im Hinter- 
grunde drohender Feind, eine wirklich heranrückende Gefahr 
gewesen, wodurch die Erwartung eines grossen, durch reichliche 
Ansammlung von Zündstoff im Inneren längst vorbereiteten Bran- 
des erregt wurde — seit dem Exil ward von einer allgemeinen 
Vereinigung Gott weiss welcher Völker gegen das Neue Jeru- 
salem phantasiert, zu der in Wirklichkeit durchaus kein Anlass 

*) Diese Variation geschah um so leichter, als Berith z. B. auch von der 
Kapitulation steht, deren Bedingungen der Stärkere auferlegt; eine 
Gleichberechtigung der contrahierenden Teile lag durchaus nicht im Be- 
griff der Berith. Vgl. die schwankende Vorstellung Jer. 34, 13. 18. 



Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 445 

vorhanden war. *) Sonst war der nationale Staat, wie er unter 
David bestanden hatte, das Ziel aller Wünsche; jetzt ward eine 
universale Weltherrschaft in Gedanken aufgerichtet, welche über 
den Trümmern der heidnischen Reiche sich in Jerusalem erheben 
sollte. Die Prophetie verlor ihre geschichtliche Gebundenheit 
und ihren geschichtlichen Halt. 

Aber den excentrischen Hoffnungen, die man auf Jahve 
setzte, ward auf der anderen Seite durch nüchterne und realisier- 
bare Ziele, die im Zusammenhange damit den Menschen gestellt 
wurden, die Wage gehalten. Denen die auf den Trost Israels 
warteten, stellte damals die Situation praktische Aufgaben. Die 
alten Propheten begnügten sich mit dem Aussprechen ihrer Ideen, 
mit der Kritik der bestehenden Schäden; thatsächlich hatten sie 
nichts zu sagen, die wirkliche Leitung des Volkes war in an- 
deren Händen. Nachdem nun aber mit dem alten Gemeinwesen 
auch seine Häupter gestürzt waren, konnten und mussten sich 
die Frommen an die Spitze des neu zu schaffenden Israel stellen, 
das sie seit lange erstrebten und woran sie auch jetzt noch den 
Glauben festhielten. Ehedem war das Volk nicht so ernsthaft 
bedroht gewesen, dass nicht sein Fortleben, trotz der durchzu- 
machenden gefährlichen Krisis, als eine natürliche und selbst- 
verständliche Sache hätte betrachtet werden können. Jetzt aber 
war das nicht mehr selbstverständlich, die Gefahr lag sehr nahe, 
dass die judäischen Exulanten, ebenso wie vor ihnen die sama- 
rischen, absorbiert würden von den Heiden unter denen sie 
lebten. Damit würden auch die messianischen Hoffnungen ihren 
Ansatzpunkt verloren haben, denn mochte ihre Verwirklichung 
noch so sehr Sache Jahve's sein, so mussten doch die Menschen 
da -bleiben, an denen sie erfüllt werden sollten. Es kam also 
alles darauf an, jetzt den heiligen Rest hinüberzuretten, ihn so 
fest zu organisieren, dass er als Träger der Verheissung die 
Stürme der Zwischenzeit tiberdauern konnte. 

Aber das alte Gemeinwesen, sowie es früher gewesen war, 
stand bei denen* die bei der Restauration massgebend waren, in 
keinem guten Andenken, da sie ja dem verwerfenden Urteile 
Jahve's, das er durch den Mund seiner Knechte und durch die 
Geschichte ausgesprochen hatte, Recht geben mussten. Man 

} ) Ezech. 38. 39. Isa. 66, 18—24. Jo. 4. Zach: 12. 14. "In Isa. 5, 26 dagegen 
ist selbstverständlich ^ statt q^j zu lesen, der Singular statt des Plurals. 



446 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

beherzigte die Äusserungen der Propheten, dass Festungen und 
Rosse und Kriegsleute, dass Könige und Fürsten nicht hülfen, 
und machte praktische Grundsätze daraus; man wollte Ernst 
machen mit der alleinigen Herrschaft Jahve's. Dabei ward man 
von den Umständen begünstigt: und das war die Hauptsache. 
Denn nach Lage der Dinge war damals an die Wiedereinrich- 
tung eines wirklichen Staates nicht zu denken; die Fremdherr- 
schaft liess eine solche nicht zu (Esdr. 4, 19ff.). Woran sollte 
man sich nun halten, woher die Mittel nehmen zu dem Notbau? 
Die prophetischen Ideen langten nicht als Bausteine, ihnen ging 
die praktische Verwendbarkeit ab. Da zeigte sich die Wichtig- 
keit der Institutionen, der traditionellen Formen, für die Conser- 
vierung auch des geistigen Gehalts der Religion. 

Der judäische Reichstempel hatte früh die übrigen Heilig- 
tümer überflügelt und ihnen im Lauf des siebenten Jahrhunderts 
vollends die Luft geraubt. Unter dem Schatten des Königtumes 
waren die Priester von Jerusalem gross geworden und hatten 
zuletzt ihren Standesgenossen gegenüber eine ausschliesslich be- 
rechtigte Stellung erlangt/ Je schwächer der Staat wurde, je 
tiefer er seit Josia's Falle sank, desto höher stieg das Ansehen 
des Tempels beim Volke, desto bedeutender und selbständiger 
ward die Macht seiner zahlreichen Priesterschaft: wie viel fühl- 
barer macht sie sich zu Jeremia's als zu Jesaia's Zeiten! Dem 
entspricht ein unverkennbarer Aufschwung, den der Cultus im 
siebenten Jahrhundert genommen hat, gefördert eher als ge- 
hemmt durch die so übel beleumdete lange Regierung Manasse's. 
Derselbe zeigt sich nicht bloss in der Einführung luxuriöseren 
Materials, z. B. des Weihrauchs, sondern noch mehr in der Be- 
vorzugung schwerer und bedeutsamer Leistungen, z. B. der 
Kinder- und der Sühnopfer. Auch als die wüsten Greuel be- 
seitigt wurden, blieb doch der blutige Ernst, mit dem man jetzt 
die Ausübung des Gottesdienstes nahm. 

So eng war der jerusalemische Cultus mit dem Bewusstsein 
des jüdischen Volkes verwachsen, so fest hatte der Stand der 
Priester sich consolidieft, dass nachdem das Reich zusammen- 
gebrochen war, hier die Elemente sich erhielten zur Neubildung 
einer „Gemeinde", wie sie den Umständen und den Bedürfnissen 
entsprach. An dem in Trümmern liegenden Heiligtum richtete 
sich die Gemeinde wieder auf (1. Reg. 8. Hagg» If. Zach. lff.). 



Die Theökratie als Idee und als Anstalt. 447 

Die Bräuche und Ordnungen wurden, wenn auch im Einzelnen 
überall umgebildet, so doch im Ganzen nicht neu geschaffen; 
das Schöpferische lag darin , ,dass sie zu einem System verbun- 
den und als Mittel zur Herstellung einer Organisation „des 
Bestes" verwandt wurden. 

Ezechiel hat zuerst den Weg eingeschlagen, auf den die 
Zeit wies. Er ist das Mittelglied zwischen Prophetie und Gesetz. 
Er will Prophet sein, er geht in der That von prophetischen Ge- 
danken aus: aber es sind nicht seine eigenen, sondern die seiner 
Vorgänger, die er dogmatisiert. Von Natur ist er ein Priester, 
und sein eigenstes Verdienst ist, dass er die Seele der Prophetie # 
eingeschlossen hat in den Körper eines auf den Tempel und den fc 
Cultus begründeten, unpolitischen Gemeinwesens. Die Kapitel 
40—48 sind die wichtigsten seines Buches, welches von J. Orth 
nicht unrichtig als der Schlüssel des Alten Testaments bezeichnet 
worden ist. 

Es entstand jenes künstliche Produkt, die heilige Verfassung 
des Judentums. Ihr ausgeführtes Bild haben wir im Priester- 
codex. J ) Der Unterschied, den man zwischen der mosaischen 
Theökratie und der nachexilischen Hierokratie zu machen sich 
anstrengt, ist zu fein. Theökratie als Verfassung ist Hierokratie. 
Hat Mose eine solche Verfassung gestiftet, so hat er es als Pro- 
phet gethan, im Hinblick auf Verhältnisse wie sie tausend Jahre 
nach ihm eintraten (S. 170f. 284f.). Das alte Israel war noch 
nicht zusammengeschrumpft auf eine religiöse Gemeinde; das 
öffentliche Leben ging nicht auf im Dienste des Heiligen, der 
Hohepriester und die Wohnung Jahve's war nicht das Centrum 
um das sich alles drehte (S. 177 — 237). Das ist erst anders ge- 
worden durch die Vernichtung der politischen Existenz zuerst 
Samariens, dann Juda's. Dadurch ward das Volk „ein Reich 
von Priestern und ein heiliges Volk 44 , wie Exod. 19,6 in einem 
deuteronomistischen Stücke gesagt wird. Wenn früher die 
Gottesherrschaft ein Glaube war, an dem die natürlichen Ord- 
nungen der menschlichen Gesellschaft ihren Halt hatten, so ward 

2 ) Die Hierokratie beruht keineswegs auf dem Priestercodex, er ward erst 
eingeführt, nachdem jene faktisch schon bestand. Zunächst wird er ge- 
wiss zu ihrer weiteren Befestigung und Legalisierung beigetragen haben. 
Nachträglich hat das schriftliche Gesetz die Herrschaft der Priester 
untergraben und das Heft den Schriftgelehrten und Pharisäern in die 
Hände gespielt. — Vgl. übrigens die Parsi's, die Sabier, und S. 157 J ). 



448 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

sie jetzt als Gottesstaat sichfbarlich dargestellt, in einer ihr 
eigentümlichen künstlichen Sphäre, die das gewöhnliche Volks- 
leben überstieg. Die Idee, die früher den natürlichen Körper 
durchdrungen hatte, sollte jetzt, um recht eigentlich realisiert 
zu werden, ihren eigenen heiligen Körper haben. Ein materieller, 
äusserlicher Gegensatz von Heilig und Profan entstand und er- 
füllte die Geister; man war bestrebt die Grenzen aufs schärfste 
zu ziehen und das Naturgebiet immer weiter zurückzudrängen. 
Die Heiligkeit ist bei Ezechiel, in Lev. 17 — 26, und im Priester- 
codex das herrschende Ideal. Es ist ein in sich ziemlich leerer, 
hauptsächlich antithetischer Begriff; ursprünglich gleichbedeu- 
, tend mit göttlich wird er jetzt vorzugsweise im Sinne von geist- 
lich, priesterlich angewandt, als sei das Göttliche dem Welt- 
liehen, Natürlichen durch äusserliche Merkmale entgegengesetzt. 
Die mosaische Theokratie, das Residuum eines untergegan- 
genen Staates, ist selbst kein Staat, sondern ein unter ungün- 
stigen Bedingungen durch eine ewig merkwürdige Energie ge- 
schaffenes, unpolitisches Kunstprodukt; sie hat die Fremdherr- 
schaft zur notwendigen Ergänzung. Sie ist ihrem Wesen nach 
der altkatholischen Kirche nächstverwandt, deren Mutter sie in 
der That gewesen ist. Ästhetisch anstössig mag es sein wenn 
man von der jüdischen Kirche redet, historisch unrichtig ist es 
nicht, und insofern wäre es am Ende vorzuziehen, als hinter dem 
Namen Theokratie sich die Confusion verbergen kann. 

2. In der mosaischen Theokratie scheint sich ein gewaltiger 
Rückschritt vollzogen zu haben. Jahve's Gesetz bedeutet die 
Eigentümlichkeit seines Volkes gegenüber den Heiden. Diese 
lag nun in Wahrheit nicht im Cultus; es wäre vergebliche Mühe, 
diese und jene Nuance der hebräischen und der griechischen 
Riten zu einer principiellen Differenz aufzubauschen. Der Cultus 
ist das heidnische Element in der israelitischen Religion — wo- 
bei heidnisch durchaus nicht in einem unedlen und schlechten 
Sinne genommen werden soll. Wenn er nun im Priestercodex 
zur Hauptsache gemacht wird, so scheint das einem systema- 
tischen Rückfall in das Heidentum gleichzukommen, welches die 
Propheten unausgesetzt bekämpften und doch nicht entwurzeln 
konnten. Man wird zugestehen können, dass bei der Con- 
stituierung des Neuen Jerusalem die prophetischen Antriebe 
durch eine vorhandene natürliche Richtung der Masse, auf die 



Die Theokratie als Idee und als. Anstalt. 449 

sie wirkten, umgebogen wurden. Aber tiberall spürt man doch 
in dem gesetzlichen Gottesdienste auf das entschiedenste ihren 
Einfluss. Wir haben gesehen, wie sehr derselbe tiberall die Ein- 
wirkung der Centralisation erkennen lässt. Diese wird zwar 
im Priestercodex nicht in Verbindung gesetzt mit der Bekämpfung 
ungehörigen oder fremden Gottesdienstes, aber sie ist doch nur 
als polemische Massregel zu begreifen ; und wenn sie als natur- 
notwendiges Axiom betrachtet wird, so bedeutet das den voll- 
kommensten Sieg prophetischer Forderungen auf einem Felde, 
wo ihnen die schwersten Hindernisse entgegenstanden. Die 
exclusive Monolatrie ist auf keine Weise dem Cultus angeboren, 
sie lässt sich nur ableiten aus Rücksichten die seiner Natur 
fremd sind, sie ist das Gegenbild des strengen Monotheismus. 
Auch die bildlose Verehrung der Gottheit wird zwar nicht be- 
sonders eingeschärft wie im Deuteronomium, ist aber von ganz 
selbstverständlicher Geltung und ihrer selbst so sicher, dass sie 
auch zweifelhafte und widerstrebende Elemente ohne Gefahr in 
sich aufnimmt und assimiliert. Das goldene Ephod, gegen das 
Jesaia eifert, ist zu einem bedeutungslosen Schmuck des Hohen- 
priesters geworden; Talismane, die noch Ezechiel verbietet, 
werden erlaubt (Num. 15, 37 — 41), aber sie dienen dazu, „dass 
man sich erinnere aller Gebote Jahve's und sie thue und nicht 
nachschweife seinem Herzen und seinen Augen, deren Gelüsten 
man ehedem nachgehurt hat". Der krasse Götzendienst, von 
dem sonst immer der Ausdruck rw gebraucht wird, steht schon 
ausser Frage; das eigene Herz und sein ungebundenes Streben 
ist der fremde Gott dessen Dienst verboten wird. 

Man kann weiter gehen und sagen, dass der Cultus durch 
die Cultusgesetzgebung seinem eigenen Wesen entfremdet, in 
sich selber tiberwunden wurde. Bei den Festen zeigt sich das 
am sichtbarlichsten. Sie haben ihre Beziehung zur Ernte und 
zur Viehzucht verloren und sind zu historischen Erinnerungs- 
feiern geworden; sie verleugnen ihre Herkunft aus der Natur 
und feiern die Stiftung der übernatürlichen Religion und der 
darauf bezüglichen Gnaden thaten Jahve's. Das allgemein Mensch- 
liche, das Freiwüchsige geht davon, sie bekommen einen statu- 
tarischen Charakter und eine specifisch israelitische Bedeutung. 
Bei den Opfern steht es nicht anders. Sie ziehen nicht mehr 
die Gottheit, bei allen wichtigen Anlässen, hinein ins irdische 

Wellhausen, Prolegomena. 29 



450 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

Leben, dass sie teilnehme an dessen Freuden und Nöten; es 
sind keine menschlichen Versuche mit naiven Mitteln ihr 
etwas zu gut zu thun und sie geneigt zu stimmen. Sie sind 
der natürlichen Sphäre entrückt und zu göttlichen Gnaden- 
mitteln geworden, die Jahve in Israel, als Sakramente der 
Theokratie, eingesetzt hat. Man glaubt ihm nicht mit dem In- 
halt der Gabe eine Freude und einen Genuss zu bereiten; was 
ihm wohlgefällt und was Wirkung hat, ist nur die strikte Aus- 
führung des Ritus. Genau nach Vorschrift müssen die Opfer 
dargebracht werden, am richtigen Orte, zur richtigen Zeit, von 
den richtigen Personen, in der richtigen Weise. Sie gründen 
sich nicht auf den inneren Wert der Sache, auf den Antrieb 
frischer Anlässe, sondern auf den positiven, alle Einzelheiten 
ordnenden Befehl eines objektiven, unmotivierten Willens. Das 
Band zwischen Cultus und Sinnlichkeit ist zerschnitten; die Ge- 
fahr der Einmischung unlauterer, unsittlicher Elemente, die im 
hebräischen Altertum stets vorhanden war, kann gar nicht mehr 
aufkommen. Aus innerem Trieb erwächst der Cultus nicht mehr, 
er ist eine Übung der Gottseligkeit geworden. Er hat keine 
natürliche, sondern eine transcendente, unvergleichliche und 
unangebbare Bedeutung; seine Hauptwirkung, die auch immer 
sicher hervorgebracht wird, ist die Sühne. Denn seit dem Exil 
ward das Sündenbewusstsein, welches durch die Verwerfung des 
Volkes von Jahve's Angesicht hervorgebracht war, gewisser- 
massen permanent; auch als der Frondienst erfüllt und der Zorn 
eigentlich verraucht war, wollte es nicht weichen. 

Wenn nun das Wertvolle bei den heiligen Darbringungen 
nicht in ihnen selber, sondern in dem Gehorsam gegen Gottes 
Vorschriften lag, so ward der Schwerpunkt des Cultus aus ihm 
selber heraus und in ein fremdes Gebiet, das der Moral, hinein 
verlegt. Die Folge war, dass die Opfer und Gaben zurücktraten 
hinter ascetischen Leistungen, die mit der Moral in noch 
engerer und einfacherer Verbindung standen. Vorschriften, die 
ursprünglich grösstenteils behufs der Heiligung der Priester zu 
ihren gottesdienstlichen Funktionen gegeben waren, wurden auf 
die Laien ausgedehnt; die Beobachtung dieser Gebote der leib- 
lichen Kernigkeit war von weit durchgreifenderer Wichtigkeit 
im Judentum als der grosse öffentliche Cultus und führte auf 
dem geradesten Wege dem theokratischen Ideal der Heiligkeit 



Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 451 

und des allgemeinen Priestertumes zu. Das ganze Leben ward 
in eine gewiesene heilige Bahn eingeengt, indem man dadurch, 
dass es stets ein göttliches Gebot zu erfüllen gab, abgehalten 
wurde Beinen eigenen Herzensgedanken und -gelüsten nachzu- 
schweifen. Auf der anderen Seite wurde durch diesen kleinen, 
immerdar in Anspruch nehmenden Privatcultus das Sündengefühl 
des Einzelnen wach und rege gehalten. 

Der grosse Patholog des Juden tumes hat ganz Recht: in 
der mosaischen Theokratie ist der Cultus zu einem pädagogischen 
Zuchtmittel geworden. Dem Herzen ist er entfremdet; wäre 
er nicht alte Sitte gewesen, so würde er aus sich selber nie 
mehr emporgebltiht sein. Er wurzelt nicht mehr in dem naiven 
Sinn; ef ist ein totes Werk, trotz aller Wichtigkeit, ja gerade 
wegen der Peinlichkeit und Gewissenhaftigkeit, womit er ge- 
nommen wurde. Bei der Restauration des Judentums sind die 
alten Bräuche zusammengeflickt zu einem neuen System, welches 
aber nur als Form diente zur Aufbewahrung eines edleren In- 
halts, der anders als in einer so engen, alle fremden Einflüsse 
schroff abhaltenden Schale nicht hätte gerettet werden können. 
Das Heidentum in Israel, gegen welches die Propheten verge- 
bens protestierten, ist auf seinem eigenen Gebiete vom Gesetz 
innerlich überwunden, und der Qultus, nachdem die Natur darin 
ertötet worden, zu einem Panzer des supranaturalistischen Mono- 
theismus gemacht. 



Inhaltsübersicht 



Einleitung. Ist das Gesetz Ausgangspunkt für die Geschichte des alten 
Israels oder des Judentums? Letztere Möglichkeit wird durch die Geschichte 
des Kanons nicht von vornherein abgeschnitten. Gründe sie in P>wägung zu 
ziehen. De Wette, George, Vatke, Reuss, Graf (S. 1). Die drei Schichten des 
Pentateuchs: Deuteronomium, Priestercodex, Jehovist (S. 6). Um den Priester- 
codex und seine geschichtliche Stellung handelt es sich. Methode der Unter- 
suchung (S. 10). 

A. Geschichte des Cultus. 

Kap. 1. Der Ort des Gottesdienstes. I. Die histor. und proph. Bücher 
ergeben für das hebr. Altertum keine Spur von einem ausschliesslich berech- 
tigten Heiligtume (S. 17). Die Polemik der Propheten gegen die Cultusstätten. 
Der Fall Samariens. Josia's Reformation (S. 23). Einfluss des babyl. Exils 
(S. 28). IL Der Jehovist (JE) sanktioniert die Vielheit der Altäre (S. 29). Das 
Deuteronomium (D) fordert die lokale Einheit des Gottesdienstes (S. 33). Der 
Priestercodex (RQ) setzt sie voraus und überträgt sie mittelst der Stiftshütte 
in die Urzeit (S. 35). III. Die Stiftshütte als Centralheiligtum und Obdach der 
Lade ist in der historischen Überlieferung nirgend aufzufinden (S. 40). Unnah- 
barkeit der Ansicht Nöldeke's (S. 47). 

Kap. 2. Die Opfer. I. Das Ritual ist nach RQ Hauptgegenstand der 
mosaischen Gesetzgebung, nach JE vormosaischer Gebrauch; nach RQ kommt 
es auf das Wie, nach JE und D auf das Wem an (S. 54). Mit JE stimmen 
die histor. Bücher, gegen RQ zeugen die Propheten (S. 58) bis auf Ezechiel 
(S. 62). IL Materielle Neuerungen von RQ. Vorbemerkungen über Begriff, 
Inhalt, Applicierung, sühnende Wirkung der Opfer (S. 63). Materielle und 
geistige Verfeinerung der Opfergaben in RQ (S. ßß). Das Mahlopfer tritt zurück 
hinter dem Holokaustum (S. 72). Ausbildung der Sühnopfer (S. 75). III. Durch 
die Centralisierung des Cultus in Jerusalem ist die Verbindung des Opfers mit 
den natürlichen Anlässen des Lebens zerstört und es hat seinen ursprünglichen 
Charakter verloren (S. 79). 

Kap. 3. Die Feste. I. In JE und D herrscht ein Turnus von drei 
Festen; Ostern und Pfingsten feiern den Anfang und das Ende des Saaten- 
schnitts, das Herbstfest die Lese und das Einheimsen des Korns von der Tenne. 



Inhaltsübersicht. 453 

Mit dem Fest des Beginns der Mahd (Massoth) ist, besonders in D, das Fest 
der Opferung, der männlichen Erstgeburten des Viehs (Pesah) verbunden (S. 85). 
Die Feste basieren auf der Darbringung der Aparchen von den Früchten des 
Feldes und der Heerde. Bedeutung des Landes und des Ackerbaues für die 
Religion (S. 92). IL In den historischen und prophetischen Büchern ist nur 
das Herbstfest deutlich bezeugt, das auch in JE und D das wichtigste ist; von 
den übrigen finden sich nur schwache Spuren (S. 96). Aber die Natur der 
Feste ist die gleiche wie in JE und D (S. 99). III. In RQ haben die Feste 
ihre Beziehung zur Ernte und zu den Aparchen verloren und sind dadurch im 
Wesen umgewandelt (S. 102). Die Metamorphose ist durch die Oentralisation 
des Cultus bewirkt und lässt sich über Deuteronomium und Ezechiel zu RQ 
hinab verfolgen (S. 108). Zu den drei Festen kommt in RQ der grosse Ver- 
söhnungstag hinzu, entstanden aus den Festtagen des Exils. Änderung des 
Jahresanfangs und der Monatsbezeichnung in RQ (S. 112). IV. Der Sabbath, 
zusammenhängend mit dem Neumond, ist ursprünglich ein lunarischer Feier- 
tag. Überspannung der Ruheforderung in RQ (S. 116). Sabbath- und Jobel- 
jahr (S. 121). 

Kap. 4. Die Priester und Leviten. I. Nach Ez. 44 sollen im Neuen 
Jerusalem nur die Leviten von Jerusalem, die Söhne Sadoks, Priester bleiben, 
die übrigen Leviten aber zu ihren Dienern degradiert und ihres Priesterrechts 
entkleidet werden. Nach RQ haben die Leviten nie Priesterrecht gehabt, son- 
dern immer nur die Söhne Aharons (S. 125), welche den Söhnen Sadoks ent- 
sprechen (S. 129). IL In der ältesten Periode der Geschichte Israels findet 
sich die Scheidung von Klerus und Laien nicht. Schlachten und opfern darf 
ieder, Berufspriester fungieren nur an grösseren Heiligtümern. Priesterfamilien 
zu Silo und zu Dan. Keine Absonderung des Heiligen, z. B. der Lade (S. 131) 
Die Reichstempel der Könige, Priester daran als königl. Beamte (S. 136). Be- 
deutung der nordisraelitisohen Priesterschaft in der Königszeit (S. 138). Die 
Familie Sadok zu Jerusalem (S. 143). III. In dem ältesten Teile von JE kom- 
men keine Priester vor, kein Aharon neben Mose (S. 145). In D sind die Le- 
viten Priester. Als solche kommen sie, abgesehen von Jud. 18f., erst in der 
exilischen Literatur vor. Ihre Abstammung von Mose oder Aharon. Der geist- 
liche Stamm Levi und der weltliche Stamm Levi. Schwierigkeit sie zusammen- 
zubringen (S. 146). Consolidierung des geistlichen Stammes in RQ; Scheidung 
der Leviten und der Priester. Fortentwickelung des nachexilischen Klerus. 
Der Hohepriester als das Haupt der Theokratie (S. 151). 

Kap. 5. Die Ausstattung des Klerus. I. Die Opfergefälle werden in 
RQ gesteigert (S. 159), die Aparchen werden Abgaben an die Priester und 
dabei noch verdoppelt (S. 161). IL Levitenstädte (S. 165). Die historische 
Situation, welche den Priesteransprüchen in RQ zu Grunde liegt (S. 171). 

B« Geschichte der Tradition. 

Kap. 6. Die Chronik. I. David wird ohne sein Zuthun der Nachfolger 
Sauls, ganz Israel ist von vornherein auf seiner Seite, namentlich die Priester 
und Leviten. Entstellung des urspr. Berichtes über die Überführung der Lade 



454 Inhaltsübersicht. 

nach Jerusalem. Auslassung der nicht erbaulichen Züge im Leben Davids 
(S. 178). Vorbereitung des Tempelbaues. Schwelgen des Erzählers in Zahlen 
und Namen, in geistlichen Zuthaten. Widerspruch gegen 1. Reg. 1. 2. Das 
Bild Davids in der Chronik (S. 185). Salomo's Opfer bei der Stiftshütte zu 
Gibeon. Der Tempelbau. Retouchierung des Originalberichtes (S. 189). 
II. Beurteilung des Verhältnisses von Juda und Israel; die Israeliten gehören 
nicht zum Tempel und also nicht zur Theokratie (S. 195). Levitische Ideali- 
sierung Juda's. Auffassung der im Buche der Könige getadelten und der ge- 
lobten Massnahmen der Herrscher im Tempelcultus. Conflikte mit der Erzäh- 
lung der Quelle, Eintragung der Priester und Leviten (S. 198). Der göttliche 
Pragmatismus der heiligen Geschichte und seine Ausgeburten (S. 211). Durch- 
schimmern des Buches der Könige (S. 219). III. Die genealogischen Verzeich- 
nisse von 1. Chr. 1—9. Die zehn Stämme (S. 219). Juda und Levi (S. 224). 
Die Chronik hat für die vorexil. Zeit keine anderen Quellen zu benutzen ge- 
habt als die auch uns im Kanon erhaltenen historischen Bücher. Die Ver 
schiedenheit der historischen Gesamtanschauung erklärt sich aus dem Einfluss 
des Gesetzes, bes. des Priestercodex. Der Midrasch (S. 231). 

Kap. 7. Richter Samuelis und Könige. I. Schematische Bearbeitung 
des Richterbuchs, chronologischer und religiöser Natur (S. 238). Verhältnis 
derselben zum Stock der Oberlieferung. Jud. 19—21 (S. 242). Gelegentliche 
Zusätze zu den ursprüngl. Erzählungen (S. 247). Geistige Abstufung der lezte- 
ren (S. 250). II. Die chronologische und religiöse Schematik im Buche Sa- 
muelis (S. 256). Durchgreifende Umgestaltung der Geschichten über die Ent- 
stehung *des Königtums, über die Erhebung Sauls (S. 259). Sauls Verhältnis 
zu Samuel (S. 268). Davids Jugendgeschichte. Samuels Auffassung ist der 
Gradmesser für den Stand der Geschichte der Tradition. Saul und David 
(S. 274). III. Die letzte religiös -chronologische Bearbeitung des Buches der 
Könige. Ihre Gleichartigkeit mit der der beide t n früheren Bücher. Ihr 
judäischer und zwar deuteronomistischer Standpunkt. Ihr Verhältnis zu dem 
überlieferten Stoff (S. 285. 294). Unterschiede in der Haltung der Quellen 
(S. 300). In der Chronik wird die Geschichte des alten Israel nach Massgabe 
des Priestercodex umgedichtet, in den älteren historischen Büchern wird sie 
nach der Norm des Deuteronomiums verurteilt S. 308). 

Kap. 8. Die Erzählung des Hexateuchs. I. Genesis 1 und Gen. 2. 
3 (S. 312). Gen. 4—11 (S. 325). Die Urgeschichte in JE und in in Q (S. 331). 
IL Die Patriarchengeschichte in JE (S. 336) und in Q (S. 346. 356). III. Die 
mosaische Geschichte in JE und Q (S. 362). Vergleichnng der einzelnen Er- 
zählungen (S. 372). Schluss (S. 383). 

C. Israel und das Judentum. 

Kap. 9. Abschluss der Kritik des Gesetzes. I. Das Veto der kri- 
tischen Analyse (S. 391). Die historischen Voraussetzungen des Deuteronomiums 
(S. 392). Die deuteronomistische Redaktion erstreckt sich nicht über den 
Priestercodex (S. 397). IL Die Endredaktion des Hexateuchs geht vom Priester- 
codex aus, wie aus Lev. 17 ff. erhellt (S. 398). Untersuchung von Lev. 26 



Inhaltsübersicht. 455 

(S. 403). R lässt sich historisch nicht von RQ trennen (S. 408). III. Die 
Sprache des Priestercodex (S. 409). 

Kap. 10. Die mündliche und die schriftliche Thora. I. Kein 
geschriebenes Gesetz im alten Israel. Über den Dekalog und das Goethe' sehe 
Zwotafelgesetz (S. 416). Die Thora Jahve's im Munde der Priester und der 
Propheten (S. 417). Auffassung der Offenbarung bei Jeremia, Zacharia, dem 
Verfasser von Jes. 40 — 66 (S. 423). IL Das Deuteronomium war das erste 
eigentliche Gesetz. Sein Durchdringen im Exil. Ende der Prophetie (S. 426). 
Ergänzung der reformierenden durch die restaurierende Gesetzgebung. Codi- 
fikation und Systematisierung der Cultusbräuche durch Ezechiel und seine 
Nachfolger. Der Priestercodex. Eingeführt durch Ezra (S. 429). Die Thora 
die Grundlage des Kanons. Erweiterung des ursprünglich an der Thora haften- 
den Begriffes auf andere Bücher (S. 434). 

Kap. 11. Die Theokratie als Idee und als Anstalt. I. Frische und 
Natürlichkeit der alten israel. Geschichte (S. 436). Entstehung des Staates, 
Beziehung .der Religion und der Gottheit auf das Leben des Staates und der 
Nation (S. 437). Die messianische Theokratie der älteren Propheten, verlässt 
nicht die in dem wirklichen Gemeinwesen der Gegenwart gegebenen Grund- 
lagen (S. 439). Die Idee des Bundes (S. 443). IL Die Gründung der theokra- 
tischen Verfassung unter der Fremdherrschaft (S. 444). Das Gesetz und die 
Propheten (S. 448). 



Berichtigungen. 

3,20: über Saul statt von Saul. 3,28: der übrigen Literatur statt der 
Literatur. 30, 34 : das mittlere Vau in dem hebräischen Worte del. 49, 20 : 
2. Reg. 18, 22 statt 2. Reg. 22. 70, 19: in 2. Marc. 2,5 fehlt der goldene Tisch, 
in Ant. XIV 4,4 der goldene Altar. 96,37: nicht dem heidnischen statt nicht 
in dem heidnischen. 154,43: Vau statt Jod (Levi). 305,23: verwischt statt 
vermischt. 336,9: eingetragen statt angetragen. 336,18: Tod statt Tot. 
343,10: eingenommen statt angenommen. 364,26; seiner statt seine. 365,39. 
40: Kap. 12— 26 statt 12—27, und Kap. 27 ff. statt 28ff. 390,8: des Wirk- 
lichen statt der Wirklichen. 413, 20 : die beiden hebr. Worte sind umzustellen. 
419,30: Schoosse statt Schlosse. 419,33: vorausgesetzt dass Märe Fremdwort 
ist. 444,27: es ist natürlich kein Widerspruch hiegegen, dass nachdem das 
Reich Jahve's zerstört und sein Land verwüstet war, der Bund das Band 
wurde, woran das Volk sich hielt, nachdem der bisherige Grund unter seinen 
Füssen gewichen war. 



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