Die Philosophie Giovanni Picos della Mirandola.
Ein Beitrag zur Philosophie der Frührenaissaace.
(Einleitung. Kapitel I. Kapitel II Abschnitt C.)
INAUGURALDISSERTATION
ZUR
ERLANGUNG DER DOKTORWÜRDE
GENEHMIGT
VON DER PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT
DER
FRIEDRICH-WILHELMS-UNIVERSITÄT
ZU BERLIN.
Von
LhJ-
Arthur-L®vy
• /
aus Berlin.
/
v / S
Tag der Promotion: 16. Mai 1908.
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p5 PL*)
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Referenten:
Prof. Dr. Friedrich Paulsen
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Alois Riehl.
Mit Genehmigung der hohen Fakultät kommt hier nur ein Teil der
ganzen Arbeit zum Abdruck.
Druck von Emil Ebering, Berlin NW., Mittelstrasse 2Q.
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Inhaltsverzeichnis.
(Der * kennzeichnet die hier nicht abgedruckten Abschnitte.)
Einleitung. Die Hauptzüge der Philosophie
P i co s.
Kapitel 1. Der ontologische Charakter der
Grundbegriffe.
1) Das Wesen der Begriffe.
2) Der menschliche Geist Und die Ideen.
3) Das Verhältnis der Allgemeinbegriffe zu den
transzendenten Ideen.
4) Der Wahrheitsbegriff und seine metaphysische
Grundlage.
5) Picos Metaphysik.
Ka p i t e 1 2. Die Theologie.
*A) Die rationale Theologie.
1) Die beiden Arten der Theologie.
2) Die Hauptbestimmung der rationalen Theologie.
3) Die Standpunkte der Immanenz und der Trans¬
zendenz.
4) Das Erklärungsverfahren der rationalen Theo¬
logie.
5) Die einzelnen Bestimmungen der rationalen Theo¬
logie.
*B) Die negative oder mystische Theologie.
1) Gott und Seine Attribute.
2) Die Unerkennbarkeit Gottes.
3) Gott und Welt.
4) Der Bruch des Systems und die Modifikation
der Gottesvorstellung.
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— 4 —
5) Historische Uebersicht über die Lehre von der
Unerkennbarkeit Gottes.
C) Das Verhältnis zwischen der rationalen und der
negativen Theologie.
1) Picos religiöse Gesinnung.
2) Die Art des Gegensatzes zwischen der rationalen
und der negativen Theologie. Die Differenz
in der Begründung.
a) Die rationale Begründung.
b) Die gefühlsmässig-intuitive Begründung. Die
intellektuelle Anschauung.
3) Die Bedeutung der gefühlsmässigen Begründung
für die Renaissance.
4) Herkunft der gefühlsmässigen Begründung und
ihr Auftreten in anderen Perioden.
5) Die Folgen der gefühlsmässigen Begründung.
*D) Die Lösung des Widerspruchs zwischen den beiden
Arten der Gottesvorstellungen.
1) Das logische Verhältnis zwischen Pantheismus
und Theismus.
2) Das psychologische Verhältnis zwischen Pan¬
theismus |und Theismus. Die Gottesvorstellung
als Erlebnis.
3) Die Welt als Symbol und als von Gott gesetzte
Einheit.
4) Die exoterische und die esoterische Philosophie.
5) Die Naturauffassung der Renaissance.
6) Die Geheimwissenschaften.
7) Pico und Reuchlin.
8) Die Identität der verschiedenen Philosophien und
Lehren.
9) Das mystische Grundgefühl und die allegorische
Interpretation.
‘Kapitel 3. Die Kosmologie.
1) Der Charakter und der Gegenstand der Kos¬
mologie Picos.
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5
2) Die Engelwelt.
3) Die himmlische Welt.
4) Die sublunarische oder irdische Welt. Die Ma¬
terie.
5) Der Begriff der „prima materia“.
6) Die Materie als das Prinzip des Bösen.
7) Die Materie und die göttliche Grundkraft und
Einheit.
8) Die Herkunft der Kosmologie Picos.
‘Kapitel 4. D i e A n th rop olo gi e und die Ethik.
1) Der allgemeine Charakter der Anthropologie und
Ethik Picos. Die Beziehung zwischen Anthro¬
pologie und Ethik.
2) Der körperliche Mensch.
3) Der geistige Mensch.
4) Der Mensch als Mikrokosmos.
5) Die Bedeutung des Menschen für den Kosmos.
6) Die ästhetische Einheit.
7) Das Verhältnis der ästhetischen zu der gött¬
lichen Einheit.
8) Das sittliche Ideal und die Mittel zu seiner Er¬
reichung.
a) Die intellektuelle Vorbereitung.
a) Die Klassifikation und die Bedeutung der
einzelnen Wissenschaften,
ß) Die Reihenfolge der Wissenschaften.
b) Die mystische Vorbereitung.
c) Die niederen Tugenden.
d) Die drei Arten der Liebe,
a) Die sinnliche Liebe.
ß) Die rationale Liebe.
y) Die intellektuelle Gottesliebe. Die Errei¬
chung der Glückseligkeit.
9) Das Verhältnis der Gottesliebe zu den anderen
Gemütskräften.
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10) Das Verhältnis der Mystik Pioos zu den anderen
Formen der Mystik.
11) Picos praktisches Verhalten.
12) Der asketisch-pessimistische Zug in der Ethik
Picos.
a) Die innere Begründung.
b) Die äussere Begründung.
13) Die Mystik und die praktischen Aufgaben des
Lebens.
14) Die menschliche Freiheit.
15) Pioos Stellung zur Kirche.
16) Pico und die deutschen Reformatoren.
17) Picos historische Fortwirkung.
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Verzeichnis der fertiggestellten Werke Picos.
1) Heptaplus, de Dei creatoris sex dierüm opere Gene¬
seos.
2) Conclusiones nongentae.
3) A p o 1 o g i a adversus eos qui aliquod propositiones Theo-
logicas carpebant.
4) De ente et uno opus, in quo plurimi loci, in Mose ! ,
in Platone et Aristotele explicantur.
5) De hominis dignitate.
6) Ad Christian,ae vitae institutionem regu-
lae sive praeCepta quibius adiutus homo possit
vincere mundum et tentationes.
7) In Psalm um, Co ns er va me Dom ine, qui est
XV, commentariuis.
8) De Christi regno et vanitate huius inundi.
9) Epistolarum über.
10) De Astrologia disputationum Libri XII.
11) Elegiae aliquot.
12) Commento sopra una Canzona de amore.
Die Zitate aus den Werken Picos beziehen sich auf
die im Jahre 1557 in Basel erschienene Originalausgabe.
Die Angaben „Einleitung Und „Uebersetzung“ beziehen
sich “auf mein unter dem Namen Arthur Liebert erschienenes
Buch: Giovanni Pico Deila Mirandola. Ausgewählte Schrif¬
ten. Einleitung und Uebersetzung. Jena und Leipzig 1905,
Eugen Diederichs.
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Einleitung.
Die Hauptzüge der Philosophie Picos.
So häufig auch des Namens Giovanni Picos, des
Grafen von Mirandola und Concordia (1463—1494), in den
grossen Darstellungen der Geschichte der Philosophie Er¬
wähnung getan wird, so ist Picos Philosophie doch erst
einmal zum Gegenstand einer eingehenden Monographie
gemacht worden. 1 Diese Untersuchung ist von Georg
Dreydorff (Das System des Grafen Johannes Pico, Grafen
von Mirandola und Concordia, Marburg 1858) in überaus
sorgsamer und genauer Weise geführt worden. Die vor¬
liegende neue Monographie will nun, abgesehen von der
selbständigen Quellenforschung und der daran sich an¬
schliessenden Darstellung, jene ihrer Entstehung nach etwas
zurückliegende Arbeit in mehreren wichtigen Punkten er¬
gänzen.
In erster Linie handelt es sich darum, den logischen
Geltungswert, der den Grundbegriffen und den Grundprin¬
zipien in jener Philosophie zugesprochen wird, genauer zu
untersuchen, um einen Einblick in die innere Struktur und
in die geschichtliche Dependenz jener Bestimmungen zu
gewinnen. Sodann wird der Versuch unternommen, die
Philosophie Picos unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung
für ihre Zeit zu betrachten, also ihre kultur- und zeitge¬
schichtliche Bedeutung hervorzuheben. Diese Philosophie er-
i. Den Lebens- und Entwicklungsgang Picos habe ich in meinem
Seite 7 genannten Buche ausführlich geschildert.
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scheint von hier aus geradezu als der typische Ausdruck
für jene intellektuellen Interessen, welche die geistig so
angeregten und beweglichen Kreise der Humanisten am
Hofe der Mediceer in den letzten 4 Dezennien des Quattro¬
cento bewegten. Sie birgt alle die zahlreichen Gedanken¬
richtungen jener Zeit in einer nur lose zusammengefügten
Vereinigung in sich. Ferner aber gilt es, die Entstehung
dieser Gedanken aus ihren historischen Voraussetzungen,
heraus begreiflich zu machen. Zu diesen Voraussetzungen
gehört, was so häufig übersehen wird, die Scholastik nicht
minder als der Neuplatonismus. Gewiss war die von G e -
orgios Gemistos PI et hon (1355—1450) und von dem
Kardinal Bes sarion (1403—1472) ins Werk gesetzte Re¬
naissance der neuplatonischen Spekulation und Mystik von
ausserordentlichem Einfluss auf den Geist der Frührenais-
sänce, und Picos Denken lässt diese Einwirkung am we¬
nigsten vermissen. Gewiss gewann die neuplatonische Welle,
die ja, wie viele Züge in den Spekulationen des h. Au¬
gustinus beweisen, 2 auch in den Jahrhunderten des Mittel¬
alters nicht ganz und gar im Sande verlaufen war, jetzt
erst ihre volle Ausdehnung; und ihre mystisch-intuitiven Ele¬
mente begannen, im Widerstreit mit der rationalistisch ge¬
sinnten Scholastik, dem Verstände seine alte Befugnis streitig
zu machen, für die Dogmen der Theologie eine wissen¬
schaftliche, theoretische Begründung zu liefern. Daneben
aber wirkte auch die Scholastik weiter *und hielt gar manchen
dieser Humanisten wider Wissen und Wollen noch in ihren
Banden. „Die Stimmführer unter den Philosophen der Re¬
naissance — von Laurentius Valla und Marsiliits Ficinus
an bis herab zu Petrus Ramus und Giordano Bruno —
eifern gegen die Formlosigkeit, die Begriffsverwirrung Und
Unfruchtbarkeit der mittelalterlichen Philosophie,“ bemerkt
2. Rud. Eucken, Gesch. der philosophischen Terminologie
1879 S. 58ff. Fr. Paulsen, Einl. in die Philosophie 5 (1898) S. 298f.
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Freuidenthal, „aber sie selbst sind nicht frei von den Fesseln,
deren zu Spotten sie nicht müde werden .“ 3 Im scharfen Gegen¬
satz zu vielen Vertretern dieser humanistisch-philosophischen
Kreise, die ihren Abstand von der mittelalterlichen Kultur,
die den Grad der Befreiung von den Grundgedanken und
Spekulationen der kirchlichen Philosophie gewaltig über¬
schätzten und zu Gunsten ihrer sehr eingeschränkten Hin¬
gabe an die antike Kultur und an die griechische Philosophie
viel 1 zu weit in den Schatten rückten, erkannte Pico mit
feinem Verständnis seine Abhängigkeit von der Scholastik,
wie er überhaupt ein Bewusstsein der historischen Ge¬
schlossenheit der geistigen Entwicklung besass. Ein um¬
fangreicher Brief an seinen Freund Hermolao Barbaro
legt dafür ein bemerkenswertes Zeugnis ab . 4 Somit ist das
Urteil eines älteren Historikers, J. G. Buhl es, über Pieos
Verhältnis zur Scholastik zu berichtigen. „Die Scholastik
war ihm verächtlich, und er bereute oft die Zeit, welche
er ihr gewidmet hatte .“ 5 Wiederholt und nachdrücklich be¬
kannte Pico, nicht aujsSchliesslich ein Zögling der Antike
zu sein, sondern wesentliche Anregungen jener Richtung
zu verdanken, über Welche die Humanisten so gern mit einem
verächtlichen Blick hinweg !zu sehen pflegten. Selbst in
der sprachlichen Form Schloss er sich der Scholastik an
und verwandte für bestimmte wissenschaftliche Zwecke ab¬
sichtlich die „norma dicendi parisiensis .“ 6
Noch nach einer länderen Seite hin tragen Picos' Ge¬
danken ein typisches Gepräge. Neben der Bedeutung näm-
3. J. Freudenthal, Spinoza und d. Scholastik. In d. philos.
Aufsätzen zu Zellers sojähr. Doktorjubiläum 1887 S. 86.
4. Uebers. S. 66ff.
5. Joh. Gottl. Buhle, Gesch. d. neuer. Phil, seit d. Epoche d.
Wiederherstellung d. Wissensch. II (1800) S. 381 f. und ähnlich
S. 401 .
6. Einl. S. 34 f.
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lieh, welche der Beschäftigung mit der klassisch-neuplato¬
nischen und der mittelalterlich-scholastischen Philosophie !
innewohnte, machte sich noch der Einfluss eines Wissens- I
gebietes, welches damals neu in den geistigen Gesichtskreis
eintrat, geltend. Das waren die jüdisch-kabbalistischen Speku¬
lationen nebst dem ganzen Apparat ihrer Geheimwissenscha-f
ten. Auf diesem Gebiete, dem Pico ein langjähriges und
energisches Studium widmete, bewährte er sich, wie des
Genaueren nachgewiesen wird, geradezu als Bahnbrecher, j
Erwägt man den Charakter dieser vielfältigen, einander i
heterogenen Quellen, die Picos Gedanken speisten, so er¬
scheint es natürlich, dass diese keine harmonische Struktur
und sachliche Uebereinstimmung aufweisen. Mit seiner bei¬
nahe sklavisch bereitwilligen Aufnahme einander entgegen¬
gesetzter Denkrichtungen teilte Pico aber den eklekti-
zistischen oder, mit einer damals entstandenen Bezeich¬
nung, synkretistisehen 7 Zugseiner Zeit. Von diesem
Gesichtspunkte aus wurde izuerst in der Geschichtsschreibung
der Philosophie die Spekulation Picos betrachtet und ge¬
wertet und, wie es nicht anders zu erwarten steht, wenn
man lediglich auf die zahlreichen, auf der inneren Diskrepanz
der verarbeiteten Gedanken beruhenden Widersprüche
achtet, verurteilt. Nach J acob Brücker sind Picos Schrif¬
ten angefüllt mit einem widerlichen Synkretismus. „Idem
in philosophia, quam secutus est, Platonica praestitit: Syn-
cretismo enim pestilenti, quam recentiores Platonici intro-
duxerunt, et Graeci exules in Cosmi domum et ad ipsum
quoque Ficinum perduxerant, oorreptus, et lepido seductus
praeiudicio, veram et divinam philosophiam platonismum
exhibere, Platonicorum placita Mosi aliisque viris sanctis
tribuit, et ut semel complectamur, inepte miscet omnia, et
CabalistiCa, Phytagorica, Platonica, Aristotelica, Judaica,
7. Otto Willmann, Gesch. d. Idealismus IV (1897) §86 S. 19.
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Christiana inter se misere confundit. 8 Wenn idTfese Ent¬
scheidung lediglich die tatsächliche, historische Gestalt der
Philosophie Picos charakterisieren wollte, so wäre gegen sie
nicht viel einzuwenden. Der Vorwurf des Eklektizismus
scheint jedoch noch weiter zu gehen und nicht nur auf den
unorgineilen und unsystematischen Charakter der Philoso¬
phie Picos hinzuizielen, sondern überdies das Urteil ihrer
historischen Wirkungslosigkeit einzuschliessen, eine Meinung,
bei der auch Dreydorff im wesentlichen stehen bleibt. So
hätten wir in Picos Werken nichts Weiter als den missglückten
Versuch einer Sammlung der wissenschaftlichen und philo¬
sophischen Erkenntnisse der Vergangenheit zu erblicken,
der mit dieser selbst seine Geltung eingebüsSt habe. Und
Pico selbst wäre der Schär jener mittelalterlichen Philosophen
beizuzählen, die für uns nur noch das Ansehen und den
Reiz historischer Kuriositäten besitzen. Die vorliegende Un¬
tersuchung will nun jenen Vorwurf keineswegs in seinem
vollen Umfange zu entkräftigen suchen. Gewiss birgt Picos
Philosophie genug des Mittelalterlichen und obsolet Ge¬
wordenen. Dies sind vorzugsweise jene Elemente, welche
dem Bestände der kirchlichen Philosophie angehören. Da¬
neben aber finden sich, teils leise und zaghaft angedeutet,
teils klar ausgesprochen, fruchtbare und wertvolle Keime,
welche in die Folgezeit übergegangen und von dieser nach
mancher Richtung hin aus- und fortgebildet wurden. Die
deutliche Hervorhebung dieser Momente bildet eine weitere
Hauptaufgabe meiner Arbeit.
Welches ist dieser wertvolle und zu historischer Bedeu¬
tung gelangte Grundgedanke? Er besteht in der dyna-
misch-pantheistischen oder emanatistischen
Theorie der Welterklärung. Wohl ist Pico nicht der Schöpfer
8. Jak. Brücker, historia critica philosophiae IV (1743) S.
597f. Brückers Urteil schliesst sich an: Dietr. Tiedemann, Geist d.
spekulativen Philos. V (1796) S„ 328f.
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dieses Gedankens. Er hat ihn neben vielen anderen Ueber-
zeugungen dem Neuplatonismus, dessen mystischer Grund¬
stimmung sich Pico wesensverwandt fühlte, entnommen. Auf
Schritt und Tritt ist der Einfluss der neuplatonischen Meta¬
physik auf ihn spürbar. Er kennt ganz genau alle ihre Ver¬
treter, von Plotin an, dessen Bekanntschaft er hauptsäch¬
lich durch die epochemachende Uebersetzung seines Freun¬
des und Studiengenossen Marsilio Ficino gewonnen
hatte, bis herab auf den Pseudoareopagiten Diony-
!sios, dessen Lehre denselben tiefen Eindruck auf ihn wie
sechshundert Jahre vor ihm auf Johannes Scotus Eriu-
gena gemacht hatte. Gewiss ist Pico ein nie zum Meister
aufgerückter Schüler des Neuplatonismus gewesen. Ver¬
gleicht man auf Grund von Arthur Drews schönem Werk
über Plotin 9 dessen Gedanken mit denen unseres Philo¬
sophen, so begegnet man zahllosen Ausführungen, die dieser
fast ohne Umbildung übernommen hat. Andererseits gewinnt
Pico doch ein höheres Interesse, insofern als auch aus der
Tiefe seiner Seele und seines Erlebens heraus gewisse ewige,
metaphysische Gedanken zum Leben erwachen, Gedanken
und Phantasien, deren Realität und Geltung nicht an das
Dasein des Individuums geknüpft sind, die aber doch durch
den Einzelnen vermittelt und weitergetragen werden. In¬
dem diese Gedanken hier ans Licht gestellt werden, will
diese historische Einzeluntersuchung einem philosophischen
Interesse dienen. Sie will die innere Verkettung eines Spe¬
zialsystems mit dem übergreifenden Denksystem aufzeigen,
an dem alle Zeiten und alle Völker mit verschiedener In¬
tensität und Begabung und ungleichen Erfolgen gearbeitet
haben, arbeiten und arbeiten werden und zu dem der Ein¬
zelfall einen bestimmten systematischen Bestandteil hinzui-
9. Arthur Drews, Plotin und der Untergang der antiken Welt¬
anschauung Jena 1907.
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trägt. 10 Auf diese Weise liefert sie einen Beitrag zur Er¬
kenntnis' der lückenlosen Kontinuität der philosophischen
G eisteS e nt w i cklung.
io. W. Windelband, Gesch. d. Philos. im 2. Hefte der Fest
Schrift für Kuno Fischer 1905 S. 191.
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Kapitel 1.
Der ontologische Charakter der Grundbegriffe.
1) Das Wesen der Begriffe.
Vor der Darlegung der einzelnen Bestimmungen in den
Spekulationen Picos ist es zweckmässig, denjenigen allge¬
meinen Gesichtspunkt anzugeben, unter den Picos Ontologie
und Metaphysik und im besonderen seine Theologie ge¬
stellt sind. Es handelt sich also um die Entscheidung der
Frage: in welchem Sinne werden von unserem Philosophen
die Allgemeinbegriffe, mit denen er operiert, gebraucht?
Diese Frage zielt hin auf die Diskussion über das Wesen
der Allgemeinbegriffe, wie sie der mittelalterliche Univer¬
salienstreit hervorgerufen hatte. Allerdings war der Höhe¬
punkt dieses Streites zu Picos Zeiten längst überschritten und
das starke Interesse, mit welchem jahrhundertelang die
Denker der Bestimmung der Realität und Existenzweise der
Gattungsbegriffe sich gewidmet hatten, war verblichen. Doch
trotz des teilweisen Durchdringens der nominalistischen An¬
schauung war das Problem keineswegs zum endgiltigen Ab¬
schluss gebracht oder wirklich beseitigt. 1 Und wie die mittel¬
alterlichen Anhänger der platonischen Philosophie die rea-
i. Ja Windelband behauptet: „Das Problem kann auch jetzt
gerade auf dem heutigen Stande der Wissenschatt nicht als endgültig
gelöst angesehen werden.“ — „Denn noch immer weiss man nicht
mit voller Sicherheit und Wahrheit anzugeben, worin die metaphy¬
sische Wirklichkeit und Wirksamkeit dessen besteht, was wir ein
Naturgesetz nennen“. Lehrbuch d. Philos. (1903) S. 246. Anmerk.
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listische Auffassung der Gattungsbegriffe und Ideen ver¬
traten — hier ist an erster Stelle Heinrich von Gent,
(1217(?)—1293), der „doctor solemnis“, zu 1 nennen, auf den
sich Pioo wiederholt beruft 2 und der unserem Philosophen
die wohlberechtigte Zuweisung zur Reihe der platonisieren-
<len Scholastiker des 13. Jahrhunderts verdankt 3 — so bleiben
auch ihre Nachfolger, die Platoniker der Renaissancezeit,
an ihrer Spitze Pico, jenem Standpunkte treu.
Ich versuche nun die Entscheidung, dass Pico den Stand¬
punkt des gemässigten Realismus vertrete, näher zu
begründen. Hinzuzufügen ist aber, dass eine Theorie über
die Entstehung Und den Geltungswert der empirischen
Begriffe ganz und gar ausser Betracht bleibt. Es handelt sich
lediglich um die Erörterung der in den spekulativen Wissen¬
schaften gebrauchten, auf die höchsten Erkenntnisdinge sich
beziehenden .Begriffe. .
Mit Sigwart 4 möchte ich eine dreifache Bedeutung
des Wortes „Begriff“ unterscheiden: eine empirisch-psy¬
chologische, eine metaphysisch-ideale und eine logische.
„Einerseits bezeichnet es ein natürliches psychologisches Er¬
zeugnis, und ist das einfache innere Correlat des Wortes,
2 . Apologia S. ISS, * 5 ^» 1 58 -
3. Vgl. Ueberweg-Heinze, Grundriss II (1898) S. 299. Für
die Kenntniss der strengen Geschlossenheit, die überall im geschichtl.
Leben und besonders im geistig-geschichtl. vorhanden ist, ist es wichtig,
dassHeinrich v. Gent, der für manchen Punkt Picos philosophischen Ge¬
währsmann darstellt, seinerseits wieder in seiner realistischen Auffas¬
sung sich sehr stark mit Joh. Scotus Eriugena berührt. Vgl. Xavier
Rousselot, Etudes sur la Philosophie dans le Moyen-äge Paris 1841
II S. 309 f.; B. Haur6au, De la philosophie scolastique Paris 1850
II S. 263 ff. bes. 265 f. Andererseits erfährt Heinr. v. Gent von
Joh. Duns Scotus, dem Verfechter des Nominalismus, zahllose An¬
griffe. Vgl. Karl Werner, die Scholastik d. späteren Mittelalters I:
Joh. Duns Scotus, Wien 1888 1 S. 44 Anm.; io3ff., 109f., 127, 302,
335 f- u. a. a. O.
4. Chr. Sigwart, Logik I (1904) S. 324 fr.
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wie es im gewöhnlichen natürlichen Sprechen gebraucht
wird.“ (S. 325.)
-„Dieser empirischen Bedeutung steht eine ideale
gegenüber, wonach der Begriff den Zielpunkt unseres Er-
kenntnisstrebens insofern bezeichnet, als in ihm ein adae-
quates Abbild der Dinge gesucht und gefordert wird, dass,
wer den Begriff einer Sache habe, sie dadurch in ihre|m
innersten Kerne durchschaue, sie begreife, d. h. ihre einzelnen
Bestimmungen als notwendige Folge ihres einheitlichen
Wesens in ihrem Zusammenhang einsehe. In diesem Sinne
redet man wohl von der Wahrheit unserer Begriffe; sie
sind wahr, wenn sie in sich der erschöpfende Ausdruck
des Wesens der Dinge sind. Der wahre Gottesbegriff wäre
derjenige, der in seinen Bestimmungen das reale Wese«
Gottes nach allen Seiten als Gedachtes enthielte.“ (S. 325 f.)
. . . „Zwischen jener empirischen und dieser metaphysischen
Bedeutung des Wortes liegt die logische, welche durch die
Forderung bestimmt ist, dass unsere Urteile gewiss und
allgemeingültig seien.“ (S. 326.)
Wenn wir nun an der Hand dieses Schemas unsere
Frage zu entscheiden suchen, so werden wir finden, dass
(sich Pico zur realistisch-metaphysischen Auf¬
fassung der Begriffe bekannte. Zwar erfolgte nicht eine
eigentliche, logisch-erkenntniskritische Reflexion über das
Wesen der begrifflichen Aussage. Diese Reflexion hätte
auch von Pioo vorgenommen werden können. Denn die
'wichtige Stelle in der Einleitung des Porphyrius zu
der aristotelischen Schrift „de Categoriis“, welche der Aus¬
gangspunkt der berühhiten Kontroversen über den Seins¬
wert der Universalien abgab, konnte unserem Philosophen
nicht unbekannt geblieben sein. War er doch, wie bereits
erwähnt, mit der historischen Tradition wie kaum ein
Zweiter zu seiner Zeit vertraut. So hätte er auch Porphyrius
eingehend studiert. Er spricht von ihm wiederholt Und mit
Anerkennung. 5 Jene Stelle selbst aber, welche die Frage
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nadh der Seinsweise der Begriffe: genus, differentia, species,
proprium und accidens aufwirft, lautet in der Uebersetzung
des von Pico gut gekannten Boethius: subsistant sive in
solis nudis intellectibus posita sint, sive subsistentia corpo-
ralia an incorporalia, et utrum separata a sensibilibus an
insensibilibus posita et circa haec consistentia. 5 6 Dass aber
der langjährige und hingebend fleissige ScnüJer der aristo¬
telisch-scholastischen Philosophie, 7 der Zögling der Univer¬
sitäten Padua Und vor allem Paris 8 Kenntnis von den Dispu¬
tationen über das Wesen der Gattungsbegriffe besessen habe,
ist selbstverständlich.
Der Grund, weshalb in Picos Schriften keine ausdrück¬
liche Stellungnahme zu jenem Probleme anzi’treffen ist, ob¬
wohl der eingenommene Standpunkt darum nicht undeutlich
bleibt, ist leicht zu nennen.
Picos mystisch-platonischer Denkweise steht von vorn¬
herein die metaphysische Geltung und onto¬
logische Bedeutung der Begriffe als der in dem Geiste
Gottes gesetzten Gedankendinge fest. Nur einmal nähert
sich Pico der konzeptualistischen, ja sogar der nominalisti-
schen Anschauung. An dieser Stelle ist ihm der Begriff der
5. Heptaplus S. 43. De hominis dignitate S. 325: in Por-
phyrio rerum copia et multivaga religione delectaberis.
6. Boethius, lateinische Uebersetzung der „Isagoge“ des Por-
phyrius (Basel 1570) I S. 53.
7. Epp. S. 352: enim sexennium apud illos (sc. die Scholastiker
wie Thomas, Johannes Scotus!, Albertus, Averroes) versor. — —
Dann in der Biographie des Neffen Giovanni Francesco S. if: cum
humanae tum divinae se penitus dedidit cuius enanciscendae gratia
non tantum Italiae, sed et Galliarum literaria gymnasia perlustrat
celebres doctores tempestatis illius, more Platonis et Apollonii scru-
pulosissime perquirebat operam adeo indefessam studiis illis impen-
dens ut consumatus simul et Theologus simul et Philosophus im-
berbis adhuc et esset et haberetur.
8. Vgl. Einleitung S. 19 u. 32 f.
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— 20
sprachlichen Bezeichnung aequivalent, der „conceptus“ ein
„nomen“. Er gründet sich nicht (auf die Natur der Dinge oder
auf ein metaphysisches Urbild, das, im platonischen Sinne,
die letzte, unbedingte Voraussetzung, die vTtö&eots, die Idee,
die Grund- und Urgestalt für das Auftreten und für die
Realität der Dinge abgäbe. Sondern nadt dieser Stelle soll
die Namengebung und Begriffsbezeichnung ganz und gar
ein Akt der Willkür sein. 9 Die Beziehung zwischen Wort
und Begriff ist nur äusserlich, durch gewohnheitsmässige
Bestimmung, Platon würde sagen: d-iaei, zu erklären.
Dieser offenbare Widerspruch gegen seine Grundüber¬
zeugungen darf bei einem Philosophen nicht Wunder nehmen,
dessen Geistesarbeit zum guten Teil auf ein möglichst weit¬
gehendes Zusammenscharren fast aller in der Geschichte
der Philosophie aufgetretenen Ansichten gerichtet ist und
9. Epp. S. 356. Aut enim nomina rerum arbitrio constant aut
natura. Si fortuito positu, ut scilicet communione hominum in ean-
dem sententiam conveniente, quo sanxerint unum quodque nomine
appellari, ita apud eos recte appelletur. — haec impositio nominum
tota est arbitraria. — Diese Stelle stützt sich völlig auf die Aus¬
führungen des Hermogenes in dem plat. Dialoge „Kratylos“ (384C ff.
U.433E). An einem anderen Orte verlässt Pico seinen Standpunkt,
um den des Kratylos und Sokrates sich anzueignen, nach dem die
Wörter, uw/tora, auf die Natur der Dinge, die sie benennen, sich
stützen müssen, um richtig zu sein. Ueberhaupt bietet Platos „Kra¬
tylos“, der mit Benfeys Ausdruck an der Spitze der europäischen
Sprachwissenschaft steht, für Picos sprachphilosophische Anschau¬
ungen die entscheidende Grundlage (Theo. Benfey, Ueber d. Auf¬
gabe des platonischen Dialogs Cratylus. Nachr. v. d. Königl. Ge¬
sellschaft d. Wissensch. und der G. A. Universität zu Göttingen 7.
März 1866 No. 8 S. 114). — Gegen Picos angeführte Stelle richtet
sich eine Bemerkung Melanchthons in einem fingierten Briefe aus dem
Jahre 1558, Corpus Reformatorum ed. Bretschneider (Halle 1842)
IX. S. 698. Quid audio? Si hoc semper licet (sc. ut vocabula non
natura constent, sed hominum arbitrio), quomodo contrahent inter
se homines? Quomodo docere alii alios potuerunt?
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der, in seiner oben gekennzeichneten Weise, die 1 Frage nach
der inneren Zusammengehörigkeit Und Einheitlichkeit dieser
Ansichten und die erforderliche Begründung für die Berechti¬
gung einer solchen Vereinigung in recht äusserlicher Form
aufnimmt und durchführt.
So müssen wir von dieser Inkonsequenz absehen. Und
zu ihrer Ausserachtlassung liegt schön darum ein Recht
vor, weil die hier von Pico vertretene Theorie der Namen¬
gebung viel mehr auf Grund einer momentanen, privaten
Polemik gegen gewisse Auslassungen des Empfängers des
zitierten Briefes, Hermolao Barbaro, als durch systematische
Erwägungen hervorgerufen ist. 10
Prinzipiell kennt Picos Metaphysik so wenig wie die
der Neuplatoniker abstrakte Ideen im eigentlich logischen
Verstände, d. h. allgemeine oberste Begriffe als bloss sub¬
jektive Denksetzungen, als intellektuelle Funktionen. Schon
ein Blick in die Schriften De ente et uno und Hep 1 -
ta*plus 11 zeigt mit vollkommener Deutlichkeit, dass die
Grundbestimmungen der Metaphysik Picos in keiner Hin¬
sicht ihre rein logisch-gedankliche Existenz bewahren. Dass
was Natorp bei Platon als „psychologische Wendung“ 12
bezeichnet, jene Vernachlässigung des logischen Charakters
des Allgemeinbegriffs oder der Idee, jene „Umdeutung der
Ideen aus Gesetzen in Dinge einer besonderen Art, Ueber-
dinge“ 13 die Umdichtung abstrakter Begriffe in übersinn-
10. Uebersetzung S. 96 ff.
11. Uebersetzung S. 141 —170 u. 171 —180.
12. Paul Natorp, Platos Ideenlehre; eine Einführung in den
Idealismus (1903) S. 35 f.
13. Natorp 1 . c. S. 36. Mit der Anführung dieser Natorp-
Stelle soll dem Standpunkte Natorps nicht vollinhaltlich bei¬
gepflichtet, sondern nur die metaphysische Tendenz, welche bei
Pico parallel zu der Platos geht, bezeichnet werden. Mir scheint
bei N. eine gewaltige Unterschätzung der metaphys. Tendenz und
Interessen bei Platon zu Gunsten der Hervorhebung der logisch-
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liehe Realitäten vollzieht sich, und zwar ganz unbewusst,
wie in dem Meister so auch im Geiste seines Schülers
PiCos.
Diese ausserordentlich starke ontologische und meta¬
physische Tenderz erfährt ausserdem durch das Studium
der orientalischen Philosophie eine bedeutsame Unter¬
stützung und Begünstigung. Nicht nur den Begriffen weist
Pico eine metaphysische Existenz und intelligible Wirk¬
samkeit zu, sondern er lässt die kabbalistischen Zeichen und
Figuren, ja selbst die Zahlen hinter den Begriffen nicht
zurückstehen. Auch sie figurieren als mystische Kräfte, und
Piöo weiss mancherlei von ihrer Wirksamkeit zu berichten. 14
Mit unbezweifelbarer Klarheit präzisieit Pico seine rea¬
listische Auffassung der Begriffe und Namen an einer Stelle,
wo er eine Unterscheidung zwischen „nomina concreta“
und „nomina abstracta“ vornimmt. Es liegt hier nicht die
bekannte grammatikalische, sondern die im Anschluss an
Aristoteles vorgenommene metaphysische Unterscheidung
von Substanz iund Akzidenz vor. Die nomina abstracta näm¬
lich wie calor, lux, candor, humanitas werden als reale
Substanzen und die nomina concreta wie calidum, lucens,
candidum, homo, als ihre Akzidenzen aufgefasst. 15
Ein Begriff existiert: d. h. bei Pico: er existiert durch
seine Relation auf ein an sich und absolut Existierendes.
erkenntnistheoretischen vorzuliegen. Vgl. Joels eingehende Be¬
sprechung des Buches von Natorp in der „Deutsch. Litera turztg.“
Nr. VII, 1905 Spalte 400 ff.
14. Dieser Punkt wird weiter unten ausführlich behandelt.
15. De ente et uno S. 244. Nominum alia concreta, alia ab¬
stracta. Concreta, calidum, lucens, candidum, homo. Abstracta,
calor, lux, candor, humanitas. Est autem haec vis illorum el diver-
sitas, ut quod abstractum dicitur: id notet quod a se tale est, non
ab alio. Concretum ex adverso id significet quod non a se, sed
alterius beneficio tale est. Sic lucens luce lucet. Candidum can-
dore candidum est. Et homo humanitate est homo.
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Dieser Punkt wird seine völlige Klarstellung erhalten, wenn
jene absoluten Existenzen selbst entwickelt werden. Hier,
wo nur die logische Grundform seiner Ontologie und Theo¬
logie im allgemeinen skizziert werden soll, mögen diese
andeutenden Bemerkungen genügen.
Wir wenden unser Augenmerk nun derjenigen Gruppe
von Begriffen zu, deren genauere metaphysische Bestimmung
in erster Linie interessiert. Dies sind die Begriffe, die das
Wesen Gottes bezeichnen. An ihnen erleuchtet sich des
Genaueren das ontologische Verhältnis zwischen Begriff Und
Idee. Diese Begriff sind nicht bloss begründet durch ihre
Beziehung auf das’ Wesen Gottes. Sie werden vielmehr
selbst als absolute Wesenheiten von intelligibler Subsistenz
gedacht. Pico hypostasiert oder substantialisiert die begriff¬
lich-prädikativen Aussagen ohne weiteres zu objektiven, trans¬
zendenten Qualitäten, zu selbständigen Emanationen des
Wesens Gottes. So findet hier eine Deckung zwischen Be¬
griff und Idee statt. D : e Begriffe, mit denen Gott gedacht
wird, sind die ewigen, metaphjsischen Gedänkendinge, pla¬
tonisch gesprochen: die Ideen selbst. Um ein Beispiel zu
nennen: die wichtigste Aussage, welche wir über Gottes
Wesen zu machen im Stande sind, ist die: Gott ist die ab¬
solute Einheit. Diese Einheit ist nicht als etwas vom mensch¬
lichen Denken an das Absolute Herangebrachtes, nicht als
eine nur im denkenden Bewusstsein vollzogene Erkenntnis¬
funktion aufzufassen.
Der Fall liegt hier ähnlich wie bei der Bestimmung der
Realität der Attribute im Sjs.eme Spinozas. Wie diese zwei¬
fellos die Geltung realer, transsubjektiver Eigenschaften oder
Energien besitzen, weiche „das Wesen der Substanz kon¬
stituieren“, 16 so bedeutet auch in unserem Beispiele die
18. Spinoza, Ethica parsl definitioIV: Per attribatum intelligo
id quod intellectus de substantia percipit tanquam eiusdem essen-
iiam constituens. Vgl. Kuno Fischers realistische Entscheidung
des Wesens der Attribute in seiner Polemik gegen Hegel und Joh.
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Einheit eine reale Kraft, ja die eigentliche Weltkraft, welche
jedem Dinge zui seiner Einzelexistenz verhilft, zugleich aber
die empirische Vielheit, die Mannigfaltigkeit der Dinge und
Kreaturen zu einem grossen, universalen Zusammenhang,
zu einer übergreifenden Einheit verbindet. 17 Und um dieses
gleich hinzuzufügen: auch die Erkenntnis dieser Wesen¬
heiten ist dem Menschen unter bestimmten Bedingungen zu¬
gänglich. Wir erreichen sie in dem Zustande mystischer
Ekstase. 18
2) Der menschliche Geist und die Ideen.
Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass der menschliche
Geist die Bestimmungen des Wesens Gottes nicht aus sich
selbst schöpft. Pico vergleicht ihn gern mit dem Auge.
Wie dieses gewisse Eindrücke aus der sinnlichen Wirklichkeit
auf nimmt, so empfängt auch der menschliche Geist die Er-
Ed. Erdmann (Fischer, Gesch. der neueren Philos. I, 3. Aufl.:
Descartes und seine Schule S. 354 fr. — Vgl. auch A. Tumarkin,
Spinoza 8 Vorlesungen i9C>7 S. 47 ff. Windelband nennt Spinozas
Metaphysik das letzte Wort des mittelalterlichen Realismus (Lehrb.
d. Gesch. d. Philos. S. 337).
17. Heptaplus S. 40h: est enim primum ea in rebus unitas,
qua unumquodque sibi est unum sibique constat atque cohae et.
Est ea secundo, per quam altera alteri creatura unitur et per quam
demuro omnes mundi partes unus sunt mundus. — Nam et patris
potestas omnia producens, suam omnibus largitur unitatem, et
sapientia filii rite omnia disponens, omnia invicem unit et copulat,
et Spiritus amore ad Deum omnia convertens, totum opus opifici
nexu charitatis adjungit. — Die Realität der einzelnen Bestimmungen
wird ihre Besprechung im Kap. II finden.
18. De hominis dignitate S. 320: accedens sacratissima Theo-
logia duplici furore animabit (sc. Deus), nam in illius eminentissimam
sublimati speculam inde et quae sunt, quae erunt, quaeque fuerint
insectili metientes aevo et primaevam pulchritudinem suspicientes,
illorum Phoebi vates huius alati erimus amatores. Uebers. S. 196.
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kenntnis der intelligiblen Welt. 19 Er ist ein Spiegel, ein
Aufnabmeapparat für die aus der höheren Welt auf ihn
einströmenden Einwirkungen. Das System von Anssagen,
welches den Inhalt der Theologie bildet, ist auf mystischem
Wege in uns erzeugt und hervorgerufen worden durch
Gottes allwaltende Wirklichkeit und Wirksamkeit. Es ist
uns eingeprägt und verliehen und bezieht sich zurück auf
ein System göttlicher Seinsweisen, welches den Charakter
der allgemeinen Weltgesetzlichkeit trägt. Diese Seinsweisen
sind jedoch nichts anderes als die hypostasierten Allgemein¬
begriffe. Es ist erforderlich an diesen Ueberlegungen den
Gedanken hervorzuheben, dass, wie die Mitteilung der Ideen
an die menschliche Seele durch einen mystischen Akt er¬
zeugt ist, diese Ideen auch nur auf mystische Weise zum
Bewusstsein gebracht werden können, oder mit anderen
Worten, dass eine rationale Erkenntnis ausgeschlossen ist.
3) Verhältnis der Allgemein begriffe zu den
transzendenten Ideen.
Jetzt können wie die Frage nach dem Verhältnis der
im menschlichen Denken vorhandenen Allgemeinbegriffe, der
„genera“ 20 oder „species rerum“, wie Pico anstelle des
üblichen Ausdrucks „notiones communes“ sagt, zu ihren
transzendenten Korrelaten erledigen. Dieses Verhältnis lässt
sich als das der Kongruenz bestimmen. Im reinen Denken
erfasse ich das wahre, das absolute Sein. Das „Esse“, von
dem der Intellekt mir Kunde gibt, ist das schöpferische,
verursachende, innere Prinzip aller Dinge, das „Ens“, welches
19. Heptalus S. 34: quod enim est oculus in rebus corporeis
id ipsum est mens in genere spiritali S. 35.
20. De ente et uno S. 269: genera enim rerum essentiae
sunt.
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Pico durchgehend von den „Res“ oder den „Corpora“ als
den geschaffenen, bedingten Wesen unterscheidet. 21
Wenn die metaphysischen Ideen als die transzendenten
Korrelate der Allgemeinbegriffe, mit denen unser Erkennen
arbeitet, zu betrachten sind, so folgt eben hieraus, dass
die Universalien nicht der empirischen Wahrnehmung ent¬
stammen. Die Seele trägt Sie in lund bei sich 1 als die ihr Wesen
konstituierenden, angeborenen Formen, mit denen Gott sie
begabt hat. Die Bedeutung der Aussenwelt beruht ledig¬
lich darauf, diese im latenten Zustande vorhandenen Formen
in Aktion zu versetzen Und zu der Leistung der Erkenntnis
anzuspornen. 22
4) Der Wahrheitsbegriff und seine metaphy¬
sische Grundlage.
Mit dem Ausgeführten ist die Beantwortung einer hier
unmittelbar sich anschliessenden Frage eingeleitet, der Frage
nämlich, worin das Kriterium der Wahrheit der Erkenntnis
und der Wirklichkeit bestehe, welcher Umstand dem mensch¬
lichen Denken und dessen Begriffssystem das Merkmal wis¬
senschaftlicher Gewissheit verleihe.
Dieses Merkmal der Wahrheit beruht nach Pico auf der
Uebereinstimmung zwischen Begriff und Idee: ein Begriff
ist wahr, wenn er als ein getreues Abbild seiner ihm zu
Grunde liegenden Idee erscheint, wenn er seinem Vorbilde
21. Conclusiones S. 73, 10 (secundum Plotinum): in ratione
similitudines rerum sunt et species, in intellectu vero ipsa entia.
22. Conclusiones S. 74, 2. (secundum Adelandum Arabern):
anima habet apud se rerum species et excitatur tantum ab extrin-
secis rebus. — Man gewahrt auf den ersten Blick, dass es sich
auch hier um Gedanken handelt, die in letzter Beziehung von
Platon entlehnt und besonders im „Phaidon“ voll entwickelt sind.
(Phaidon 72—77.)
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adaequat ist. Dieses Entsprechen erstreckt sich nicht au!
irgend ein im empirischen Bewusstsein vorhandenes und
aus der wahrnehmbaren Wirklichkeit abgezogenes Ideal —
einem auf sensualistischem Wege gewonnenen Begriff würde
Pico nimmermehr die Geltung eines „genus“ einräumen —
es bezieht sich vielmehr auf jene transzendenten und in
Gott gegründeten Ideen, von denen wir Menschen eine
nur gefühlsmässige, ahnende Erkenntnis besitzen. 23
Man kann diese Ansicht vom Wesen der Wahrheit als
den Standpunkt der metaphysischen Wahrheit be¬
zeichnen : das transzendente Wirklichkeitssystem soll in dem
subjektiven Begriffssystem der Philosophie seine genaue Wi¬
derspiegelung haben. Da der menschliche Geist in die Reihe
der empirischen Wesen, der Kreaturen, mit einbezogen und
als ein Glied derselben, wenn auch als ein aus der Mannig¬
faltigkeit der übrigen Glieder sChärf und bestimmt sich ab¬
hebendes, betrachtet werden muss, so folgt, dass die in ihm
wirksamen Begriffe nur dann die Dignität der Wahrheit
besitzen, wenn sie als Nachbildungen, als adaequate Kopien
der transzendenten, ideenhaften, göttlichen Urbilder gelten
können. 24
Die Begründung für die Behauptung jener durch den ab-
23. Uebersetzung S. 177. — De ente et uno S. 252: Si igitur
res ccnsideramus ut a Deo efficiente constituuntur, sic entia dicun-
tur, quia illo eificiente esse participant, si ut exemplari suo quam
vocamus ideam secundum quam illas condidit Deus quadrant et
respondent, veras dicuntur. Vera enim imago Hercules dicitur,
quae vero Herculi conformatur. — Tertia est veritas, quia post-
quam est aliquid in se, videndum est an sit tale quäle est exemplar
ad quod fuit formatum.
24. Der erkennende, kontemplativ gestimmte Geist gehört in
dieser Beziehung noch in den Bereich der geschaffenen, abhängigen
Wirklichkeit, deren Wesenseigenart er in den Hauptzügen teilt.
Inwiefern er im Stande ist, über diesen Rahmen hinauszutreten,
wird erst später zu untersuchen sein.
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bildmässigen Charakter des Begriffes hervorgerufenen Korre¬
spondenz und Beziehung zur Idee ergibt sich für Pico un¬
gezwungen aus seiner theologisch-dogmatischen, bibeltreuen
Auffassung des Verhältnisses zwischen Gott und Wirklichkeit.
Das göttliche Wesen hat die Welt erschaffen gemäss der
in seinem Geiste vorhandenen Ideen, einem Bildhauer ähnlich,
der bestimmte Phantasievorstellungen in sich trägt Und diese
als Musterbilder bei der Schöpfung seines Werkes ver¬
wertet. 25
Die Ideen sind also nach allem, was wir gehört haben,
die ewigen Gedanken Gottes, denen er die Objekte der
Welt nachbildete. So hatte schon vorher Anselm von
Canterbury gesagt, der ja auch der platonischen Denk¬
weise nahestand und die realistische Auffassung der Ideen
vollauf (teilte. 26 Ganz klar und unmissverständlich jedoch
hatte Augustinus die Bedeutung der Ideen dahin be¬
stimmt, dass sie die intelligiblen Urbilder und Formen der
Dinge wären und ihren Ort im göttlichen Intellekte hätten. 27
25. Uebersetzung S. I49, 178, 180 u. 182.
26. Johann Heinr. Loewe, Der Kampf zwischen dem Realismus
und Nominalismus im Mittelalter. Sein Ursprung und sein Verlauf.
Aus den Abhandl. der Königl. böhm. Gesellschaft der Wissen¬
schaften. Folge 6, Band 8 (1876) S. 45 fr. — Ueberhaupt steht
Pico Anselm v. Canterbury in vielen Punkten nahe, so z. B. in der
noch zu streifenden Behauptung der Identität zwischen Sein und
Vollkommenheit, die bei ihm wie bei Anselm begründet ist durch
die erkenntnistheoretische Identifikation der logischen und der
metaphysischen Kategorie des Seins (Loewe S. 46).
27. Augustinus, de diversis quaestionibus XL, VI. (Migne,
Patrologia latina, tom. 40 col. 30): Sunt namque ideae principales
formae quaedam vel rationes rerum stabiles atque incommutabiles
quae ipsae formatae sunt, ac per hoc aeternae ac semper eodem
modo sese habentes, quae in divina intelligentia continentur. Et
cum ipsae neque oriantur, neque intereant; secundum eas tarnen
formari dicitur omne quod oriri et interire potest et omne quod
oritur et interit.
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Mit der Ansicht, dass die Wahrheit der Erkenntnis dann
gewährleistet sei, wenn den Vernunftbegriffen und der kon¬
kreten Welt eine immaterielle Welt als ihr Original ent¬
spricht, stellt sich Pico überhaupt auf den Boden einer alten,
von dem philosophischen Denken, zumal in dessen platonisch-
realistisdier Richtung hauptsächlich angenommenen und ver¬
fochtenen Erkenntnistheorie. Diese Erkenntnistheorie zieht
sidh seit ihrer Grundlegung in der platonischen Metaphysik
in einer grossen Linie durch die Jahrhunderte bis an die
Schwelle der kritischen Philosophie Kants. Erst durch diese
erfährt die Kontinuität dieser logisch-erkenntnistheoretischen
Ueberzeugung eine Unterbrechung. „Diese von Kant über¬
wundene Meinung ist die Vorstellung, als sei die mensch¬
liche Wissenschaft bestimmt und als habe sie darin ihr
Regulativ, eine unabhängig von ihr bestehende Welt ab¬
zubilden.“ 28
Schon Aristoteles fand die Norm der Wahrheit in der
Uebereinstimmung des Gedankens mit der absoluten Wirk¬
lichkeit. In der „Metaphysik“ spricht er diesen Gedanken
in der Form aus: falsch ist, wenn man sagt, das Seiende
sei nicht, oder das Nichtseiende sei; wahr ist, wenn man
sagt, das Seiende sei und das Nichtseiende sei nicht. 29 Eben¬
so formuliert Spinoza denselben Gedanken in dem Axiom:
eine wahre Idee muss mit ihrem Gegenstände überein¬
stimmen. 30 Und in voller Uebereinstimmung mit Pico for-
28. Windelband, Präludien (1903) S. 132. Hierselbst auch
eine im Umriss gehaltene Skizze der Geschichte des Wahrheits¬
begriffes (S. 132—142).
29. Aristoteles, Metaphysik IV. 7, ionb: tu pkv yäp Xiyetv tu
< iv ßtj efoat >1 tu [xrj uv etvac <j.'sudos, to <ie tu uv, eTvau xai tu p}; ov ,11 '}
elvat äAijükg.
30. Spinoza, Ethica, pars I, axiom VI u. prop. XXX; ferner
pars II prop. XXXII u. scholion zu prop. XLIII. Auch Tractatus
de intellectus emendatione VH, 41: „Die Idee verhält sich „objek¬
tive“ so, Wie sich ihr Gegenstand „realiter“ verhält.“
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muliert Marsilio Ficino den Gedanken in der Form: die
Wahrheit eines geschaffenen Dinges besteht darin, dass dieses -
in jeder Hinsicht mit seiner Idee übereinstimme. 31
Picos Erkenntnislehre zeigt also ein dogmatisch-onto¬
logisches Gepräge. Nach ihr besitzt der subjektive Begriff
zugleich eine objektiv-metaphysische Realität. In dieser Hypo--
stasierung der Begriffe bekundet sieh Picos Platonismus.
Wie in der ganzen dogmatischen Philosophie wird auch hier
der logisch-erkenntnistheoretische Charakter der Begriffe ver¬
kannt und damit eine grundsätzliche, aber dadurch das Feld
der Metaphysik überhaupt erst urbar machende Ver¬
wechslung begangen, deren Aufdeckung zu den unsterblichen
Verdiensten des Kantischen Kritizismus gehört.
5) Picos Metaphysik.
Erwägt man den prinzipiellen Standpunkt, der zur Ent¬
stehung einer Erkenntnistheorie führt, ganz genau, dann
kann man den Standpunkt des dogmatischen Realismus nicht
als eine Erkenntnistheorie bezeichnen. Die metaphysische
Auffassung der Begriffe und die dogmatische Auffassung der
Wirklichkeit ist nicht dazu: angetan, zu einer Erkenntnis¬
theorie hinzuieiten. Diese Leistung ist viel mehr durch die
nominalistische Betrachtung begründet. „Der reine Realis¬
mus blieb auf dem Felde der Metaphysik urd konnte dort,
wie schon Platon versucht hatte, aus dem logisch-dialektisch
analysierten und kombinierten Begriffsinhalte der Univer¬
salien ein System metaphysischer Bezienungen entwickeln,
in welcher sich ein für sich gütiges Gebiet der Erkenntnis
autfzuschliessen schien.“ 32
31. Marsilio Ficino, Theologia Platonica XII cap. I. (Opera
Basel 1561 S. 266): veritas rei creatae in hoc versatur, ut ideae
suae respondeat undique, Scientia vero in hoc praecipue ut mens
congruat veritati.
32. H. Siebeck: Zur Psychologie d. Scholastik. Arch. f. Gesch.
d. Philos. 1 1888 S. 380 f.
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Die nominalistische Anschauung dagegen setzt ein ge¬
wisses Mass kritischer Einsicht in das Wesen der Erkenntnis
voraus. Diese kritische Reflexion würde einer Metaphysik,
wie sie der Platonismus treibt, einen starken Riegel vor¬
legen, ja wenn wir den kritischen Gesichtspunkt mit aller
Strenge bewahrten, eine Metaphysik im alten Sinne un¬
möglich machen. Das hat Kant gezeigt. Wie aber ist es
um das Verhältnis des eigentlich noch vorerkenntnistheo¬
retischen Standpunktes, wie wir ihn bei Pico fanden, mit
der Metaphysik bestellt?
Zwischen der dogmatischen Erkenntnislehre Picos und
seiner Metaphysik waltet das Verhältnis der Verträglichkeit
und Zusammenstimmung. Kennt jene Erkenntnistheorie über¬
haupt keine kritische Beschränkung in der Leistung des
menschlichen Erkenntnisvermögens, so ist es nur konsequent,
wenn Isie auch keinen Zweifel inbetreff der Möglichkeit einer
Erkenntnis der absoluten, transzendenten Wirklichkeit hegt
und auf Grund einer ursprünglichen, kraftvollen Zuversicht
für den Zweck der Erreichung dieser Erkenntnis die Fähig¬
keit zur mystischen, geistigen Anschauung der transzen¬
denten Welt stabiliert. Die Metaphysik nun be-
stimmtjenetranszendenteWeltalseinSystem
ideenhafter Wesenheiten, welche die Konstituenten
der wahrhaft wirklichen Wirklichkeit bilden. Im Anschluss
an P au Is en bestimme ich eine solche Metaphysik näher als
einen idealistischen Pantheismus: die Wirklich¬
keit stellt sich dem philosophischen Nachdenken dar als ein
seelenhafter, geistiger Makrokosmos, als ein System seiender
Gedanken, welche in der umfassenden Allgei ?tigkeit Gottes
zur Einheit bezogen und von ihr getragen werden. 33
Die objektive und real-metaphysische Bedeutung der
Ideen erfährt durch Picos pessimistische Wertung des Dies¬
seits, welche uns später noch beschäftigen wird, eine be-
33. Paulsen, Einleitung S. 289 f.
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trächtliche Verstärkung. Im Gegensatz zu der sinnlichen
Welt, welche nur haltloser Sein und der Tummelplatz teuf¬
lischer Gewalten ist, umschliesst die intelligible oder in¬
tellektuelle Welt, die Welt der reinen Geister- oder Engel-
wesen, ewige Dauer, absolute Konsistenz und Vollkommen¬
heit.
Damit hat PiCos Weltanschauung ihre historische Ein¬
ordnung erfahren. Sie gehört der Richtung der idealistischen
Systeme an. Die Wirklichkeit wird konstruiert als ein
xoa/iog vot/Tog; aus einem geistigen Prinzipe wird die gesamte
Wirklichkeit abgeleitet.
Die Bestimmung des allgemeinen Charakters, welchen
Picos Metaphysik trägt, erhält eine indirekte Bestätigung
dadurch, dass »die von unserem Philosophen herangezogenen
arabischen und jüdischen Philosophen im wesentlichen
auf dem jgleichen metaphysischen Standpunkte stehen. Denn
Pido ist ja nicht allein von der neuplatonischen Metaphysik
abhängig. Auch der orientalischen Gedankenbildung, der
arabischen und jüdisch-alexandrinischen Theosophie und Kos¬
mologie, hat er breiten Spielraum eingeräumt. Den Kern
der kabbalistischen Theosophie bildet aber ein deutlicher
Pantheismus.
Allerdings werden wir später sehen, dass diese panthei-
stisch-idealistische Weltanschauung des öfteren mit ihren
eigenen Voraussetzungen in Widerspruch gerät, besonders
da, wo es sich um die Begründung und Ableitung der ma¬
teriellen Seite der Wirklichkeit handelt. Hier tritt, die Ein¬
heit des Systems gefährdend, der idealistischen Konstruk¬
tion ein ganz andersartiger Konstruktionsversuch zur Seite.
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Kapitel 2.
Die Theologie.
C) Das Verhältnis zwischen der rationalen und der negativen
Theologie.
1) Pi cos religiöse Gesinnung.
In einer zweifachen Ausprägung stellen sich nun Picos
religiöse Ueberzeugungen dar, in der rationalen und in der
negativen Theologie. Die Grundgedanken der rationalen
Theologie lassen die innere Einstimmigkeit vermissen, denn
sie bewegen sich sowohl in der Richtung zu der pantheistisch-
immanenten als auch der dualistischrtranszendenten Gottes¬
vorstellung. Die negative Theologie hingegen bevorzugt die
transzendente Gottesvorstellung, sofern sie nicht überhaupt
jede Angabe vermeidet und die Möglichkeit einer theore¬
tischen Bestimmbarkeit des Wesens Gottes streng abweist.
In dieser Hinsicht erscheint sie als ein merkwürdiges Gegen¬
stück zu der kirchlichen Metaphysik. Obwohl sie den Ver¬
zicht auf eine theoretische Formulierung offenbar unter dem
tiefen Eindruck der Erhabenheit Gottes ausspricht, so er¬
weckt sie dabei doch den Anschein, als schliesse die Ne¬
gierung eines theoretischen Verhältnisses auch die Ne¬
gierung einer praktischen Beziehung zu Gott ein, als hafte
der Ablehnung der theoretischen Erkenntnis ein Zug zur
religiösen Indifferenz und Skepsis, ja zur Irreligiosität an. 1
So sind die Vertreter der negativen Theologie nicht selten
i. R. Falckenberg, Gr. d. Philos. d. Nicolaus Cusanus S. 24.
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in den Verdacht, den Fragen der Religion kühl gegenüber
zu stehen, verstrickt worden. Die katholische Kirche hat
immer nach einer wissenschaftlich-rationalen Begründung
ihrer Dogmen, nach einer dem Verstände genugtuenden
Ergänzung des Glaubensgrundes durch einen Erkenntnis¬
grund gestrebt. Das System der religiösen Metaphysik wurde
ohne die Hinzufügung eines theoretischen, den Verstand
überzeugenden Teiles für unvollständig ei achtet; und eine
Reserve diesen Bestrebungen und Forderungen gegenüber
beschwor häufig genug den Vorwurf und Verdacht häre¬
tischer Gesinnung herauf. Das beweist das Leben manches
Mystikers.
Könnte gegen Pico eine solche Verdächtigung erhoben
werden? Und Hesse sich, wenn sie begründet wäre, aus
einer häretischen Gemütsart d ; e schliessliche Ablehnung der
rationalen Theologie und die Hinwendung zur mystischen
herleiten? Dazu berechtiget nicht das Geringste. Pico war
ein Mann von tief religiösem, sogar theistisch und kirchlich
gestimmtem Bewusstsein. Sein Denken Und sein Leben wies
keine Spuren religiöser Freigeisterei und Indifferenz auf.
Und zwischen seinen wissenschaftlichen UeberzeugUngen und
der katholisch-kirchlichen Dogmatik bestand kein nennens¬
werter, geschweige 'prinzipieller Gegensatz. Die Vermutung,
dass eine Tat intellektueller Befreiung von der von der Kirche
geforderten ,und gern gesehenen theoretischen Beweisführung
für das Dasein Gottes der Grund sei, der ihn zu einer
mit den Jahren anwachsenden Hinneigung zur negativen
Theologie geführt habe, zerfällt in nichts, wenn man sich
sein Denken ünd seinen Lebensgang vergegenwärtigt. Auch
empfand er seine Beziehung zur Scholastik viel zu sehr und
zu deutlich, um sich als ihren Gegner zu fühlen.
Die Unterdrückung der intellektuellen Ergründung der
Gottesidee lässt sich also nicht folgern aus einer der Kirche
und ihren Interessen abgewendeten Geistesstimmung. Nicht
Kühlheit und Skepsis waren es, die seine ablehnende Haltung
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gegenüber dem Rationalismus hervorriefen. Diese Ablehnung
floss aus einer viel tieferen Quelle. Sie bezog sich nicht
auf Iden Inhalt des religiösen Bewusstseins. In Pico lebte die
felsenfeste UeberzeugUng von dem Dasein Gottes, eine inner¬
liche, unerschütterliche Gewissheit, eine heilige Ahnung, die
sein ganzes Wesen durchdrang. Das Organ dieser Gewiss¬
heit und AhnUng war ihm nicht der Verstand, sondern
der zur Intuition befähigte, durch ekstatische Gefühlsan¬
triebe bewegte Glaube. In diesem allein vollzieht sich die
Vergewisserung über Gottes Dasein. Von ihm allein aus
liesS dieses Dasein sich erfassen und begründen. Daher
Schreibt sich die Absage an die rationale Theologie.
2) Die Art des Gegensatzes zwischen der ra¬
tionalen und der negativen Theologie. Die
Differenz in der Begründung.
Von dieser Erwägung aus rückt der Unterschied
zwischen der rationalen und der negativen Theologie in ein
Licht, welches ihm seine Schärfe nimmt. Es leuchtet ein,
dass wir es nicht mit einem sachlichen, inhaltlichen
Gegensatz zu tun haben. Das Objekt, dessen Existenz die
rationale Theologie zu beschreiben versucht, wird in seiner
Realität von der verneinenden nicht in Abrede gestellt.
Diese Realität bleibt unerschlüttert. Der Unterschied der
beiden Theologien beschränkt sich lauf den einer formalen
Gegensätzlichkeit, auf eine Differenz in der methodischen
Begründung (und auf den durch diese erreichten verschiedenen
Grad der DeberzeugUngskraft und Gewissheit.
Welches sind die beiden verschiedenen Begründungs¬
arten, durch welche der Schein einer völligen Gegensätz¬
lichkeit zwischen der rationalen und der negativen Theologie
erweckt wird? Es sind die rational-diskursive und die
mystisch-intuitive oder intellektuale Begründung.
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In welchem Verhältnis stehen diese Begründungs- oder
Crkenntnisarten zu den beiden Arten der Theologie? In¬
wiefern bedingen sie den Widerspruch und ermöglichen
seine Auflösung?
a) Die rationale Begründung.
Die rationale Erkenntnis, von den Mystikern häufig „Me-
ditatio“ 2 genannt, bezeichnet den Standpunkt der gewöhn¬
lichen Wissenschaft Ihre Aussagen bestehen in bestimmten
Prädikationen, in gedanklichen Positionen, welche die Gel¬
tung einer verstandesmässigen Erfassung und Durchdrin¬
gung ihrer Objekte beanspruchen. Diese Objekte können
nur konkrete Einzeldinge, höchstens empirische Zusammen¬
hänge von Einzeldingen sein. Die Kategorien der rationalen
Erkenntnis ergeben in ihrer Beziehung auf die Erscheinungs¬
welt eine positive Erkenntnis. Sie versagen da, wo es sich
um die adaequate Verdeutlichung der Gottesidee, um die
Erfassung des Alls des Seins handelt Das diskursive, von
der Sprache abhängige und in deren Formen sich bewegende
Denken vermag die gewaltige und überwältigende Vor¬
stellung vom Wesen Gottes begrifflich nicht zu bemeistern
und mit seinen logischen Formeln zu erschöpfen.. Die
verstandesmässige Bewusstseinsstellung ist in dieser Hin¬
sicht nur zu negativen Bestimmungen befähigt.
Daraus ergibt sich: die rationale Erkenntnis lehrt, da
sie sich auf die gegebene, in den empirischen Tatsachen
vorliegende Welt bezieht, Gott nur in seinem Verhältnis
zu dieser Welt kennen. Die theoretische Wahrheit ihrer
Bestimmungen bleibt unangetastet, wenn nichts weiter als
eine solche relative Erkenntnis gefordert wird. Und da die
2. W. Dilthey, Die Funktion der Anthropologie i. d. Kultur
d. 16. u. 17. Jahrhunderts. Sitzungsber. d. Königl. Preuss. Akad.
d. Wissenschaften v. 7. Januar 1904 S. 5 .
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< — 37 —
gegebene Wirklichkeit den Ausgangspunkt dieser Aussagen
bildet und das von ihr ausgehende Denken seine natür¬
liche Basis niemals verleugnen kann, so enthalten die Be¬
stimmungen der rationalen Gotteslehre immer ein kom¬
paratives Moment.
Die rationale, bejahende Theologie stellt sich demnach
'dar ials ein System relativ gültiger Aussagen, und der Gottes¬
begriff wird in diese Relativität eingesponnen, wenn sein
Objekt und Inhalt als Gegenstand einer rationalen Erkennt¬
nis betrachtet wird.
Die mystische oder die negative Theologie stellt nun
aber nicht nur das ausschliessliche Recht und die ausschliess¬
liche Geltung, sondern auch den Wert dieser Erkenntnisweise
in Frage. Indem sie die Forderung einer absoluten
Erkenntnis Gottes erhebt, verlangt sie die Ausserachtlassung
aller Relationen, betont sie das Ungenügende und die Un¬
angemessenheit aller Relationsbegriffe und bietet und lehrt
eine andere Begreifungsart und eine andere Erfassungsmög¬
lichkeit. Gebraucht die rationale Theologie die Begriffe in
dem üblichen Sinne als Erkenntnis, dann ist es falsch und
ungehörig, sie auf Gottes Wesen anzuwenden, sobald man
Gott in seinem Ansiebsein erfassen will. Die rationale Er¬
kenntnisart hat ihren engbeschlossenen Geltungskreis. Wen¬
det die rationale Theologie diese Erkenntnisart an, so tritt
ihr die religiöse Reflexion mit der Einsicht der Unzuläng¬
lichkeit dieser Erkenntnisart entgegen.
Wir erhalten also folgendes Resultat: Die rationale Theo¬
logie nimmt in dem Augenblicke den Charakter einer unbe¬
stimmenden öder Unzulänglich bestimmenden an, sobald ihre
Aussagen von dem religiösen Bewusstsein unter dem Ge¬
sichtspunkt ihrer Adäquatheit mit der Natur Gottes be¬
trachtet werden. Die Kategorien des Verstandes sind nur
ungefähre Orientierungsbegriffe, und die Aufgabe und
Leistung des Verstandes besteht lediglich in einer analy¬
tischen Behandlung gegebener Erscheinungen und in dem
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Vergleichen derselben untereinander. Der Verstand bleibt
bei den Teilen, bei den einzelnen Gegebenheiten. Die
eigentliche Absicht und Forderung der Mystik, zur Einheit
vorzudringen, den Gesamtzusammenhang zu erfassen, der
die Vielheit zu einem einheitlichen Komplex verschmilzt,
lässt sich durch den Verstand niemals erfüllen. 3
b) Die gefühlsmässig-intuitive Begründung; die intellektuale
Anschauung.
So ist also ein höheres Vermögen erforderlich, das
jener Absicht Genüge tut, mittelst dessen das Verlangen
nach 1 Erfassung der Wahrheit oder der Einheit seine Be¬
friedigung erreicht, nachdem der Weg durch Induktions¬
schlüsse als unzulänglich sich erwiesen hat. 4 i
Dieses höhere Vermögen ist die dem Mystiker eigene
Begabung zu geistiger Anschauung, zu gefühlsmässiger Er¬
kenntnis: die „comtemplatio“. 5 Sie ist eine höhere Stufe
gegenüber der rationalen Erkenntnis. Jene geistige, intellek¬
tuale Anschauung enthält in sich voll legitime Bejahungen,
Bejahungen, welche nicht in die Sprache der Logik über¬
tragen oder Zu 1 rationaler Deutlichkeit gebracht werden
können. Vom Standpunkt des auf begrifflich formulierbare
Erkenntnis hinarbeitenden Verstandes aus kann man von
Verneinungen sprechen, indem wir es hier mit alogischen,
irrationalen Bestimmungen zu tun haben. Es ist, um mit
Schopenhauer zu reden, der ja auch in seiner Philosophie
einen weiten Gebrauch von dieser Erkenntnis macht, „eine
Erkenntnis ganz eigener Art“, welche sich als Gefühl kund¬
gibt.
Die Vorgänge und Kundgebungen, welche sich im Ge-
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3. Vgl. Ad. Lasson, Meister Eckhart, der Mystiker (1868) S. 5.
4. J06I, Urspr. d. Naturphilos. aus d. Geiste d. Mystik S. 19.
5. Dilthey, Funktion d. Anthropologie 8. 5.
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fühl vollziehen, begründen ‘sich selbst in ihrer Selbständigkeit,
sie “bedürfen keiner anderswoher geholten Rechtfertigung.
Sie beanspruchen einen Wahrheitswert, der unendlich er¬
haben sein will über die begrifflich formulierbaren Bestim¬
mungen des Verstandes. Nur darf man die Bejahungen des
mystischen Gottesgefühls nicht als Verstandeserkenntnisse
auffassen Und als solche be- und verwerten. Die Aeusserun-
gen f des Gefühls ruhen in sich selbst; sie haben ihre eigene
Evidertzkraft. Und noch ein anderes Moment, ein ganz
erlesenes, ist an ihnen hervorzuheben. Sie setzen uns in
den unmittelbaren Besitz dessen, was wir im Gefühl be¬
jahen und erleben: das Erfassen Gottes im Gefühl oder
die Gottesliebe ist Besitzergreifung von Gott. 6
Die Hinwendung zur geistigen Anschauung soll jedoch
nicht als eine Verlegenheitsannahme betrachtet werden; als
wenn der Mystiker alle Erkenntniswege auf ihre Tauglich¬
keit hin geprüft und sich gefragt hätte, wie weit sie ihn
tragen, um dann schliesslich z:u jener intellektualen An¬
schauung als zu dem letzten Notbehelf zu greifen. Der Ver¬
lauf ist vielmehr der entgegengesetzte. Aus der erregten
Tiefe der mystisch gestimmten Persönlichkeit erhebt sich
jene Anschauung in spontaner Tätigkeit und überzeugender
Wirksamkeit. Sie ist gleichsam die transzendentale Voraus¬
setzung, mit welcher der Mystiker an die Erfassung der
göttlichen Monas sich begibt; sie ist sein eigentümliches
Erkenntnisrüstzeug; Und erst von dessen Leistung und Bedeu¬
tung aus gelangt er zu einer Bewertung der andern Er¬
kenntnisvermögen. Von diesen wird später an ihrem Ort
die Rede sein.
6. De ente et uno S. 250: sed vide Mi Angele quae nos in-
sania teneat. Amare Deum dum sumus in corpore plus possumus
quam vel eloqui vel cognoscere. Amando plus nobis proficimus,
minus laboramus, illi magis obsequimur. Malumus tarnen semper
quaerendo per cognitionem nunquam invenire quod quaerimus quam
amando possidere. Id quod non amando frustra etiam invenitur.
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So steht hinter jedem Satze der mystischen Philosophie
der Mann selbst mit der Innerlichkeit und Gewalt seiner
Gemüts'stimmung. Er will uns keinen schalen Aufguss einer
verstandesmässigen Entzifferung bieten; sondern was er sagt,
dringt aus der Tiefe des Herzens. Die rationale, schblastische
Erkenntnis wird aber darum nicht durchaus verworfen, es
bleiben ihr eine gewisse Berechtigung und ein gewisser
Wahrheitswert Vorbehalten. In dieser relativen Anerkennung
der rationalen Gotteserkenntnis tritt die scholastische Unter¬
strömung im Denken PiCos hervor.
Ein ähnliches Zusammenbestehen zwischen der mystisch¬
platonischen Anschauungsweise und dem scholastischen Ra¬
tionalismus zeigt sich, um nicht immer die grossen Führer
der mystischen Theologie zu nennen, bei Heinrich von
Gent, den wir schon (als Lehrer und Vorgänger Picos kennen
lernten. Er unterscheidet zwei Wege der Gotteserkenntnis,
den rein gefühlsmässig-natürlichen, auf dem wir unmittel¬
bar zur Erkenntnis Gottes gelangen, auf dem wir Gott in
uns aufnehmen, wie das Auge das Licht aufnimmt, und den
rationalen, der jene unmittelbare Apperzeption zur Höhe
fester Erkenntnis und logischer Mitteilbarkeit erhebt. 7
So erweist sich die negative Theologie auch als eine
bejahende, nur im tieferen Sinne des Wortes. Man muss ihr
Geltungsrecht und ihre Wesensart richtig bestimmen. Sie
gilt in dem Sinne einer Gefühlstheologie oder Gefühlsphilo¬
sophie, 8 bei der die religiöse Inspiration und der religiöse
Symbolismus im Vordergründe stehen. Sie beansprucht in
demselben Sinne die Geltung eines Systems von Glaubens¬
oder Gefühlswahrheiten, wie sie diejenige eines Systems
begrifflicher, theoretischer Wahrheiten abweist. Die Theo-
7. K. Werner, Die Scholastik d. spät. Mittelalters 1: Johannes
Duns Scotus (1881) S. 335.
8. Conclusiones S. 67, 2 (secundum Aegidium Romanum):
theologia nec est practica nec speculativa, sed affectiva.
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logie bejaht, insofern als sie sich auf das Gefühl stützt
und diesem ihre Bestimmungen entnimmt; und wenn Karl
Joel sagt: ,,Dem Mystiker in seinem erweiterten Lebens¬
gefühl ist Gott der höchste, unendliche Gefühlsgegenstand,“ 9
so darf man dieser Bemerkung hinzufügen: Gott ist nicht
nur dieser höchste, unendliche Gefühlsgegenstand, sondern
die Eigentümlichkeit der mystischen und theosophischen
Geistesverfassung besteht eben in der Fähigkeit, sich das
Unendliche und Unwahrnehmbare, das rein Gefühlsmässige
zu geistiger Anschauung zu bringen, es in das magische
Licht visionärer Schau zu rücken. 10
Diese geistige Anschauung ist wurzelhaft verschieden
von jedem spekulativen Wissen. Sie ist kein Fürwahrhalten
und Begreifen im theoretischen Sinne. Ihr Inhalt ist eine
Glaubenssetzung und Glaubenstat, welche dem endlichen
Geiste den Zugang zum Reiche des Uebersinnlichen er-
schliesst. 11
Und trotzdem ist, darauf tnag nochmals hingewiesen sein,
aus der mystischen Schau nicht jegliche Erkenntnis getilgt.
Der Gegensatz ist richtig zu fassen. Von einer adäquaten,
erschöpfenden, rationalen Erkenntnis kann keine Rede sein.
Dieser Punkt ist erledigt. Wenn das Geheimnisvolle, Myste¬
riöse ein wesentlicher Bestandteil der Religion ist, dann ver¬
letzt, streng genommen, schon der Versuch, das religiöse
Erlebnis durch gewisse Vorstellungen, wie sie sich im Dogma
oder im Mythus ausprägen, näher zu bestimmen, jenes Er¬
lebnis in seiner Eigenart und Eigengeltung; die Verstandes¬
funktion greift in die Gefühlssphäre über. 12 Wohl aber bleibt
die intellektuale, höchste und reinste, eigentlich schon „gött¬
liche“ Erkenntnis, zu der der Mensch sich emporzuarbeiten
9. Joel, Urspr. d. Naturphilos. S. 10.
10. Class, Die Realit. d. Gottesidee S. 46.
11. Class, Real. 8. 5, Paulsen, Einl. S. 254.
12. Windelband, Präludien 2 S. 371.J
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vermag, in nächster und natürlicher Beziehung zu dem re¬
ligiösen Erlebnis. In ihr erfasst der reine Geist, diese er¬
habene Mitgift des intelligiblen Gottes, seine eigene Gött¬
lichkeit; er begreift sich als einen Teil Gottes, als Teil
der ewigen Weltvernunft Wir erkennen uns nicht mehr
als diese einzelne, empirische Kreatur, als das enge, indi¬
viduelle Ich. In jenem Akte erfassen wir den göttlichen
Geist durch den göttlichen Geist; alle mystische Erfahrung
kennt dieses Aufgehen in Gott, dieses Erfassen Gottes durch
Gott. 13
Diese Erkenntnis nun, die auf die schon in den Upani-
shads mit hinreissendem Tiefsinn vertretene Identitätsphi¬
losophie hinsteuert, ist also kein Ausdruck der spezifisch
menschlichen, rationalen Verstandesfumktion ; 14 sie beruht
vielmehr auf der Wirksamkeit Gottes in uns. Pico identifi¬
ziert diese intellektuelle Anschauung (intellectus agens), die
in den Visionen der Propheten ihre überirdische Kraft und
Herkunft bezeugte, 15 mit Gott selbst 16 Historisch interessant
13. Heptaplus, S. 48: haec est vera felicitas, ut unus cum Deo
Spiritus simus, ut apud Deum non apud nos Deum possideamus,
cognoscentes sicut et cogniti sumus. Ille enim nos non per nos,
sed per ipsum cognovit. Ita et nos cognoscemus illum per ipsum
et non per nos.
14. Heptaplus S. 30. Nam inter partem rationalem, qua
homines sumus.
15. Conclusiones, 8. 67, I (secundum Averroem): possibilis est
prophetia in somnis per illustrationem intellectu3 agentis super
animam nostram.
16. Conclusiones S. 71, 2 (secundum Abumaron Babylonium):
intellectus agens nihil aliud est quam Deus. — Pico zitiert diese
These als „secundum Abumaron Babylonium“. Doch hatte schon
Alexander v. Aphrodisias, der Kommentator des Aristoteles in der
römischen Kaiserzeit, den Intellectus agens mit dem göttlichen
Geiste identifiziert. Den gleichen Gedanken spricht ein Zeitgenosse
Picos, der jüdisch-italienische Philosoph Leo Hebraeus in seinen
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ist, dass sich Pico für die Lehre von der „tätigen Vernunft“
nicht auf den Begründer der Lehre, auf Aristoteles, sondern
auf dessen arabische Anhänger, auf Averroes und Abumar,
beruft.
Diese schon wiederholt aufgewiesene Bekanntschaft Picos
mit der arabischen Philosophie ergab sich für einen Floren¬
tiner Humanisten von selbst. Renan hlat gezeigt, dass
auch in Florenz die Philosophie der Araber und in erster
Reihe die Lehre des Averroes wohl bekannt, wenngleich
nicht mit jener Intensität und fast bedingungslosen Aner¬
kennung studiert wurde wie in Padua, der Hochburg für die
Pflege der äverroistischen Oedanken. 17
Dem Prinzipe “nach steht die arabische Lehre von der
einheitlichen, tätigen Vernunft, an welcher jeder Mensch
Teil hat, sofern er reine Erkenntnis treibt, mit den pantheisti-
schen Grundgedanken der Philosophie Picos in vollem Ein¬
klänge, wie ja denn Averroes selbst den Gedanken der Teil¬
nahme des Menschen am Geiste und des Eindringens des
göttlichen Geistes in den Menschen in pantheistischem Sinne
nahm. 18
3) Die Bedeutung der gefühlsmässigen Be¬
gründung für die Renaissance.
Nach dieser Abschweifung gehen wir wieder auf den
Punkt zurück, an dem wir die Darstellung der Philosophie
Picos verliessen. Wir sahen, wie sich in dessen Philosophie
ein energisches Aufgeben des dogmatisch-rationalen Und dok¬
trinären Standpunktes vollzog. Man wandte sich damals ab
berühmten „Dialoghi di amore“ aus, welche nicht unbeträchtliche
Spuren der Einwirkung Picos aut Leo zeigen. (Vgl. B. Zimmels,
Leo Hebraeus, Ein jüdischer Philosoph der Renaissance. (1886)
S. 24 und besonders S. 79 fr.).
17. E. Renan, Averroes et l’Averroi'sme (1866) S. 388 fr.
18. Fr. Alb. Lange, Gesch. d. Materialismus 1 (1902) S. 137, 154.
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von all den Unternehmungen einer verstandesmässigen Be¬
gründung der Gotteslehre, wie sie durch die Scholastik"
ausser und neben der Begründung im gläubig gestimmten
Gemüte vorgenommen worden war.
In der Betonung und Anerkennung der intuitiven, ge-
fühlsmässigen Gewissheitsquelle ruht einer der wichtigsten
und folgereichsten Charakterzüge jener philosophischen Pe¬
riode. Im Gegensätze zu der gewohnten rationalen Begrün¬
dung der Gedanken über Gott, die in dem ontologischen
Beweise ihre denkwürdige Formulierung gefunden haben,
wird nun ein ganz andersartiger Versuch geboten. Die ent¬
scheidenden Kategorien dieses philosophischen Versuches
entstammen nicht einer nüchtern prüfenden Weltbetrach¬
tung und Wirklichkeitsanalyse, sondern einer rein gefühls-
mäsSigen Setzung (und der metaphysischen Zuversicht zu der
objektiven Geltung jener Begriffe. 19
So steht Pico in dem Zuge seiner Zeit, wenn er die
Unternehmung einer beweisartigen, logisch-demonstrativen
Erhärtung der Existenz Gottes abweist. Zwar würden seine
Bestimmungen des Gottesbegriffes einem solchen Unter¬
nehmen nicht im Wege stehen. Sie würden sich wohl ver¬
wenden lassen, um auf sie jene drei üblichen, dogmatischen
Beweisführungen zu stützen, welche, schon in der Antike
angelegt, im Mittelalter zu dem umfassenden Systeme der
rationalen Theologie ausgebaut und in einer ihrer Beweis¬
führungen, der teleologischen, noch im Zeitalter der Auf¬
klärung von einem Newton, Locke, Voltaire vertreten wurde.
So hätte Pico aus dem Begriffe Gottes als des „ens realissi-
mum“ auf die reale Existenz Gottes hach 1 der Weise des onto¬
logischen Beweises schliessen können. Die Bestimmung
Gottes als Urkausalität und Grundprinzip, die Behauptung der
19. In diesem Sinne beurteilt auch der alte Tennemann Picos
historische Bedeutung. Wilh. Gottl. Tennemann, Gesch. d. Philos.
(1814) IX S. 156: „Pico ist ein Mystiker edler Art, der mit heiliger
Ehrfurcht gegen Gott erfüllt, den Dünkel der Vernunft, das Wesen
der Gottheit erforschen zu können, niederschlug.“
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Aseität, hätte die Grundlage für den kosmologischen
Beweis abgeben können. Ferner hätte sich die Aufstellung
Gottes als des „ens perfectissimum“, welches seine Voll¬
kommenheit auf die geschaffene Welt niederstrahlt und sie
zui einem Stufenreich kontinuierlich ansteigender Voll¬
kommenheiten macht, für den physiko-theologischen
oder teleologischen Gottesbeweis verwenden lassen. 20
Und doch 'wird die verstandesklare Begründung Zu
einem Moment zweiten Ranges. Der Unterschied zwischen
dem Rationalismus oder Panlogismus als Weltanschauung
auf der einen Seite und der Mystik auf der anderen besteht
nicht allein in der verschiedenen Auffassung der Struktur
und des Wesens der Gesamtwirklichkeit. Auch die Mystik
kann die Ansicht von einer allgemeinen Weltvernunft als
des metaphysischen Substrates der phänomenalen Wirklich¬
keit vertreten, wie der Neuplatonismus und Picos eigene Spe*-
kulation dartun. Der Unterschied erreicht seine volle Schärfe
erst durch das Hinzukommen der besonderen methodischen
Begründuingsweise für jene Weltanschauung und durch die
Verschiedenheit in der Qualifizierung der einzelnen Erkennt¬
nisse.
4) Die Herkunft der gefühlsmässigen Begrün¬
dung und ihr Auftreten in anderen Perioden.
Jener Zug zu einer Begründung durch das Gefühl tritt
in der Philosophie der Frührenaissance nicht zum ersten
und nicht zum letzten Male auf, wie ja denn diese Philo¬
sophie nicht in der Neuheit und Originalität ihrer Gedanken
ihre historische Bedeutung besitzt. Wie in allen ihren Par¬
tien, so erweist sie sich auch in ihrer Religionsphilosophie
20. Ausser den bereits in diesem Kapitel angeführten Ge¬
danken, welche sich für eine physiko-theologische Beweisführung als
brauchbar erweisen würden, werden wir in den drei letzten Kapiteln
noch eine Reihe teleologischer Vorstellungen antreffen.
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im wesentlichen als reproduktiv und als ein Vehikel der
Uebermitteluing. In diesem Zusammenhänge wird die Phi¬
losophie der Frührenaissance zu einem wertvollen Binde¬
glied zwischen Altem und Neuem.
In dieser durch ethische, aesthetische und religiöse In¬
teressen unterstützten Strömung gegen den Rationalismus
ist die Renaissancemystik direkt abhängig von der Mystik
des Neuplatonismus, pn welche Pico und Marsilio Ficino
bewusst anknüpfen ,und welche, wie Harnack ausdrücklich
hervorhebt, eine starke Tendenz zur Bekämpfung des ra¬
tionalistischen Dogmatismus zeigte. 21 Aber auch sonst tritt,
besonders in den Zeiten einer Vertiefung und Spannung des
religiösen Bewusstseins, eine antirationalistische Strömung
auf. So begann in den Tagen der deutschen Mystik der
logische Bann scholastischer Formen sich zu: lockern, als
gegenüber der „formalistischen Dialektik der scholastischen
Theologie“ 22 eine mystisch-praktische Theologie aufzublühen
und eine unmittelbare, selbständige Erfahrung des Gött¬
lichen angestrebt wurde. Damals sprach Eckhart das
grosse und freie Wort: „Ein ganzer Glaube ist vielmehr denn
ein Wähnen in dem Menschen. In ihm haben wir ein wahr
Wissen.“ 23 Auf Grund gleicher Motive und mit der gleichen
Tendenz äusserte sich später in Deutschland eine Oppo¬
sition gegen die aufklärerisch-rationalistische Weltanschau¬
ung der Wolffischen Schulmetaphysik und gegen die ver¬
nünftige Theologie, 24 wie denn Lessing, Hamann, Herder,
21. Ad. Harnack, Lehrb. d. Dogmengesch. 1 S. 783.
22. Otto Pfleiderer, Religionsphilos. auf geschichtl. Grundlage
(1896) S. 314.
23. W. Preger, Gesch. d. deutschen Mystik i. M.-A. I S. 449.
24. Fr. Paulsen, Kant 3 S. 17 fr. — So naheliegend es scheinen
könnte, in dieser Reihe Spinozas zu erwähnen, wenn man an die
„cognitio tertii generis“ denkt, welche uns intuitives Wissen, „sci-
entia intuitiva“ (Ethica pars II, prop. XL, schol II) gewährt, so
würde doch seine Einrückung in unseren Zusammenhang nicht
ganz gerechtfertigt sein. In dem Zustande der höchsten Steigerung
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Jakobi, Goethe, Schelling in manchen Zügen als die Nach¬
fahren der deutschen Mystiker und die Fortsetzer und Vol¬
lender der Renais'sandegedinken erscheinen.
5) Die Folgen der gefühlsmässigen Be¬
gründung.
Es war nur eine Folge der Gemütsstimmung der Re¬
naissancedenker, wenn die Schätzung des rationalen Wissens,
„dieser Welt Weisheit“ eine Einschränkung bis Zur Ge¬
ringschätzung und Verachtung erfuhr. Von dieser Stimmung
sind Picos Briefe ian seinen Neffen getragen. Mit dem Apostel
ruft er aus: „Dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott.“ 25
Ein seltsames Wort in dem Munde eines Humanisten, dem
die Ausbreitung und Beförderung der intellektuellen Kultur,
die Vermehrung von Kenntnissen und Wissensschätzen aller
Art eine der wichtigsten Aufgaben bedeuten sollte.
Die in der Renaissancemystik hervortretende Anschau¬
ung, nach welcher das W^sen der Religion ausschliesslich
in dem mystisch-subjektiven Erleben der Gottheit, in der
lebendigen Gegenwart Gottes im menschlichen Gemüte be¬
steht, lässt sich in aller Kürze ah der schon berührten Um-
der menschlichen Gemütskräfte, in der intellektuellen Liebe zu
Gott, bewährt der intellektualistische Faktor, die Erkenntnis, das
Hauptgewicht und sie strebt gegenüber allen gefühlsmässigen Ein¬
flüssen sich durchzusetzen, wie denn Spinoza überhaupt an seinem
rationalistischen Gesichtspunkt mit starrer Konsequenz festhielt und
nur der der Erkenntnisiunktion entstammenden Tugend die Palme
reichte.
25. Vgl. Schelling: „Mysticimus kann nur jene Geistesbe¬
schaffenheit genannt werden, welche alle wissenschaftliche Be¬
gründung oder Auseinandersetzung verschmäht, die alles wahre
Wissen nur von einem sogenannten inneren, auch nicht allgemein
leuchtenden, sondern im Individuum eingeschlossenen Licht, aus
einer unmittelbaren Offenbarung, aus blosser ekstatischer Intuition
oder aus blossem Gefühl herleiten will.“ (NW. 1, 10 S. 191 f.).
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Qrifjiraal fro-m
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Wertung der Kategorie der Unendlichkeit nachweisen. 26
Wurde das Unendliche ursprünglich als eine mathematische
Kategorie zur Bezeichnung raum-zeitlicher Grössenverhält-
nisse verwendet, so unterschied man in der Renaissance¬
zeit von der mathematischen Bedeutung des Unendlichen
ihre dynamische, den Gedanken täer Intensität einschliessende
Idee. Diese dynamische Fassung des Begriffs entspricht
völlig der immanenten, pantheistischen Gottesvorstellung und
bietet die einzig mögliche logische Voraussetzung für die¬
selbe.
Wenn nun an den (bei dem theologischen Habitus unseres
Philosophen selbstverständlichen Gedanken erinnert wird,
dass in letzter Hinsicht der Geltungs- und Interessenkreis
der Philosophie als einer rationalen Erkenntnis sich deckt
mit dem der rationalen Theologie, so würde sich als Re¬
sultat unserer Betrachtungen jene Ueberzeugung ergeben,
welche Pico in die Formel kleidet: „Die Philosophie sucht
die Wahrheit, die Theologie findet sie, und die Religion
hat sie in ihrem Besitz.“ 27 Zur Erläuterung dieser Formel
ist hinzuzufügen, erstens, dass der Begriff der Wahrheit
hier in dem Sinne des Gottesbegriffs genommen ist, denn
den Inhalt und Gegenstand der Religion, den die Philosophie
sucht, bildet Gott, Zweitens, dass unter Theologie nicht die
rational-bejahende, die ja eben mit der Philosophie zu-
zusammenfällt, sondern die mystisch-bejahende, deren Sätze
nicht wissenschaftlichen, sondern nur symbolischen Wert
besitzen, zu verstehen ist, während drittens Religion der
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26. Joel, Ursprung d. Naturphilos. aus d. Geiste d. Mystik,
Kap II S. 7 — 22. Die verschiedenen Etappen der Umwandlung
dieses Begriffs in den Jahrhunderten verfolgt eingehend Jonas Cohn,
Gesch. d. Unendlichkeitsproblems im abendländischen Denken bis
Kant (1890), besonders S. 29 ff.; S. 54ff.; S. 67ff.; S. 95ff.
27. Epp. S. 359; Philosophia veritatem quaerit, Theologia
invenit, Religio possidet.
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geheimnisvolle, unerklärliche Zustand des Erlebens der Gott¬
heit ist, der in der Seele des Ekstatischen auftritt.
Diesen Vorgang des Aufsteigens zu Gott bis zu dessen
völliger Ergreifung hat Pico ausführlich beschrieben , 28 und
seine Ausführungen t ragen deutlich den Stempel leidenschaft¬
licher Erregtheit und Innerlichkeit. Mit heisser Begeisterung
träumt er sich hinein in jenen Zustand der Kontemplation und
Schau des Höchsten. Er dünkt ihm der Seligkeiten grösste.
Von der ethischen Seite und Bedeutung dieses Vorganges
soll jedoch erst später gehandelt werden.
28. Uebersetzung S. 186 ft', u. 191 flf.
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Lebenslauf.
Ich, Arthur Levy, mos. Konfession, wurde am 10. November 1878
in Berlin als Sohn des Kaufmanns Franz Levy und seiner Ehefrau Rosa,
geb. Hirschberg geboren. Von Ostern 1885 an besuchte ich das Fran¬
zösische Gymnasium, dann das Wilhelms-Gymnasium, endlich die III.
Realschule in Berlin, die ich zu Ostern 1895 mit dem Berechtigungs¬
schein zum Einjährig-Freiwilligen Dienst verliess. Nach einer sechsjäh¬
rigen kaufmännischen Tätigkeit gehörte ich von April 1901 der Kgl.
Friedrich-Wilhelms-Universitätzu Berlin ohne Unterbrechung 11 Semester
an. Am 26. Februar 1907 bestand ich an dem Kgl. Luisengymnasium
zu Berlin die humanistische Reifeprüfung. Während meiner, besonders
dem Studium der Philosophie gewidmeten Universitätszeit genoss ich
den Unterricht der Herren Dozenten Beth, Breysig, Diels, Dilthey, Erman,
Foerster, Frey, Fritsch, Geiger, Gunkel, Helm, Heusler, Hintze, Kekule
von Stradonitz, Klebs, Lasson, Lenz, Menzer, R. M. Meyer, Oppert,
Paulsen, Pfleiderer, Reich, Riehl, Roethe, Sachau, Schmoller, Schumann,
Simmel, Stolze, Stumpf, Tangl, Thomas, Vierkandt, von Wilamowitz-
Moellendorff, Wölfflin. Allen meinen hochverehrten Lehrern, besonders
aber den Herren Professoren Paulsen, Frey, Menzer, die mir während
meiner Universitätszeit ihren Rat und ihre Unterstützung in der liebens-<
würdigsten Weise angedeihen Hessen, sage ich meinen herzlichen
Dank. — Die Promotionsprüfung bestand ich am 13. Juni 1907.
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THIS BOOK IS DUE ON THE LAST DATE
STAMPED BELOW
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AN INITIAL FINE OF 25 CENTS
WILL BE ASSESSED FOR FAILURE TO RETURN
THIS BOOK ON THE DATE DUE. THE PENALTY
WILL INCREASE TO 50 CENTS ON THE FOURTH
DAY AND TO $1.00 ON THE SEVENTH DAY
OVERDUE.
JUL &7 W35
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LD 21—100m-8,’34
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Picos de
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