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Full text of "Attila, König der Hunnen"

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DIN 


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University of Toronto 


http://www.archive.org/details/attilaknigderh00fess 


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1 
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Gemälde 


den alten Zeiten 


der 


Hungarn. 


Erfter Band. 


Attila. 


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1809. d 


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Von 
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Neue verbeſſerte Auflage 


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5 3 


(1809 =9) 


yrethbeile 
berühmter Gelehrten 


2 


über 
Attila. 


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F. C. J. Fiſcher. 


Sitten und Gebräuche der Europäer im 5 · und 
6. Jahrhundert. Seite 7, 


S. glanzvoll die Epoche iſt, die der Hunniſche 
Attila gemacht hat, ſo wenig ſind wir heut zu 
Tage von dem Detail ſeiner Siege benachrichtigt, 
und von den mancherley Veranlaſſungen ſeiner 
Thaten belehrt. Denn gleich andern Helden der 
erſten Groͤſſe war er bemüht, dem Aberglauben 
Schranken zu fegen und der Prieſterſchaft die dem 
Volke entwandten Schaͤtze wieder abzunehmen. 
Eben daher befigen wir von einem für unſere Cul⸗ 
tur und Staatengeſchichte ſo merkwuͤrdigen Zeital⸗ 
ter heut zu Tage nichts, als ein paar abgeriſſene un⸗ 
vollkommene Fragmente von Geſchichte; nichts als 
widerfinnige Fabeln von Wundern, wodurch Heili⸗ 
ge den Lauf ſeiner Eroberungen aufgehalten haben 
ſollen; nichts als gehaͤſſige Beſchreibungen von 
Grauſamkeiten, denen er, wenn fie auch wahr find, 
bey der unzähligen Menge und der angebornen 


x 


Wildheit ſeiner Krieger nicht immer Einhalt thun 
konnte 1). Nirgend eine genaue und aus fuͤhrliche 


1) Ein noch viel zu gelindes Urtheil über die foge- 


nannte Quellen, aus welchen die ſpaͤtern Hi⸗ 
ſtorienſchreiber ihre Erzählungen von Atti⸗ 
la geſchoͤpft haben. Zu den erſtern gehören 
vorzüglich folgende: i x 


Idatii Chronicon. 


Marcelli ni Comitis Chronicon. 


Chronicon Alexandrinum. 
Journades. De rebus gothicis, et de reg · 
norum successione, * 


Priscus Rhetor et Sophista hr in Excerptis de 


legationibus cum not. Cantoclari et H. Va- 
lesii fol, Paris 1648. 


5 RNebſt. den übrigen altern Ehrgnifen,ups e- 


denſchreibern. Die letztern ſind: 


Juvencii Coelii Calani Dalmatae 
Attila, cum notis Math. Bel. In Adparatu 
ad Historiam Hungariae. fol. Posonii 1735. 


Thburocziir Chronicon Hungaricum. In 


Schwandtner Seriptoribus rerum Hupgarica- 
rum. Tom I. 


Bonf n ii Decades rerum Hungaricarum. 
Callim a chi i de gestis Attilae regis. Hagenoe 


8. 1581. 
Olahi Hungaria et Ania, edit. Kollar Vin. 


dobon. 8. 1763. 


Alle ſcheinen von der berühmten Adderiti⸗ 
ſchen Entzundungsſteber (Lucian. wie 
man die Geſchichte ſchreiben müffe) 
mehr oder weniger ergriffen geweſen zu ſeyn. 


1 x 


1 


Erzählung der Begebenheiten und ihrer Verknü— 
pfung mit der Geſchichte der umliegenden Voͤlker; 
nirgend eine Schilderung der gleichzeitigen Staats- 
verfaſſung Europens und des Grades feiner Eul- 
tur. Ueberall nur kurze, nur dunkle und einſeiti— 
ge Bemerkung allgemeiner Revolutionen und ſehr 
ſelten eine Angabe der Triebfedern dieſer erſtaunens⸗ 
wuͤrdigen Staats veraͤnderungen, oder Entwickelung 
der Mittel, wodurch ſie bewirkt worden ſind.“ 


Deguignes. 


Histoire générale des Huns, Tom. I. 
part. II. pag. 309. 


0 wußte die Tugend zu ſchaͤtzen und war 
nur gegen feine Feinde Barbar. Stolz und hod- 
muthig war er, ſobald er mit dieſen zu thun hats 
te; unter feinen Unterthanen aber ſanftmuͤthig und 
liebreich. Er verachtete Pracht und Reichthuͤmer 
und uͤberließ fie feinen Gemahlinnen und Miniſtern. 


A 1 


Wahrſcheinlich in einem Anfalle deſſelben kam dem 
Biſchofe von Ravenna, Jornandes (De reb, 
Goth. cap. 24.) ein refert antiquitas fo glaubwuͤr— 
dig vor, daß er ohne Bedenken den Urſprung der 
Hunnen aus den Umarmungen vertriebener Zau— 
berinnen — Alraunen — und der in Wuͤſte— 
neyen herumirrenden boͤſen Geiſtern herleitete. 


— 8 — 


Er liebte ſeine Unterthanen, hoͤrte ihre Klagen an, 
ließ ihnen Gerechtigkeit wiederfahren, und duldete 
nicht, daß jemand in ſeinen Beſitzungen beunruhigt 
wurde, noch daß man die Armen unterdruͤckte. Bes 
leidigungen verzieh er leicht. Seine Voͤlker wur⸗ 
den mit Abgaben nicht gedrückt. Fremden Furcht 
und Schrecken einzujagen war ſeine Luſt, und es 
gluͤckte ihm, fo oft er's verſuchte. Im Kriege, den 
er leidenſchaftlich liebte, war er tapfer ohne Ver⸗ 
wegenheit; er machte groſſe Entwuͤrfe und wußte 
fie auch auszuführen. Seine Feinde machten ein 
Ungeheuer aus ihm, aber ſie fuͤrchteten ihn zu ſehr, 
als daß ſie ihm haͤtten Gerechtigkeit wiederfahren 
laſſen. In Rom und Konſtantinopel wurde er als 
ein Held verehrt; Feinde, welche ihn auf dem 
Schlachtfelde kennen gelernt hatten, ſchilderten ihn 
nur als einen Barbaren.“ | 


Gatterer. 
. Im Jahre 17/7. 1 


Einleitung in die ſynchroniſtiſche Univerſalhiſto⸗ 
rie. Seite 902. 


„In. der Reihe der Kriegshelden verdient Attil a 

allezeit einen vorzüglichen Rang. Ich kann mir in 
der That nichts Groͤſſeres in der weltlichen Geſchich⸗ 
te der altern Seiten gedenken, als wenn ich ſehe, 
wie Attila feine beyden Arme, ſo zu ſagen, über 


5 


unſere halbe Erdkugel ausbreitet, hier mit der ei⸗ 
nen Hand dem Kaiſer zu Conſtantinopel Frieden 
ſchenkt, Orleans belagert, Mayland und Pavia 
erobert, und dem Kaiſer zu Rom Frieden anbie— 
tet; dort mit der andern Hand mit dem Kaiſer von 
China ein Buͤndniß ſchließt, um der Nation der 
Sheuſhen, die ſich feine Entfernung zu Nutze ma⸗ 
chen wollten, einen maͤchtigen Feind im aͤuſſerſten 
Oſten zu erwecken. Rur ein ruhig ſitzender Chas 
lif, deſſen Befehlen die Voͤlker von Indien und der 
Bukarey an bis nach Spanien gehorchen, oder ein 
Tatariſch⸗Mogoliſcher Khan, der Rußland unter 
dem Joche haͤlt, Schleſien, Pohlen und Hungarn 
verheert, und gegen Japan eine Flotte abſchickt: 
dieſe laſſen ſich noch gewiſſermaſſen in ihrer Art 
mit Attila vergleichen.“ 


— . — 


Gatterer. 
I m Jahre 1792. 


Verſuch einer allgemeinen Weltgeſchichte bis 
zur Entdeckung Amerikens. Seite 501. 


Di Urtheile von Attila waren und find noch 
ſehr verſchieden. Was wir von ihm wiſſen, ſagen 
uns gegen ihn eingenommene Römer und Griechen. 
Wir hören immer nur die eine Partey urtheilen. 


5 10 — 


Gegen ſeine Feinde verfuhr er freylich ſehr grau— 
ſam; aber nicht eben nach eigener Hunniſcher Weiſe, 
fondern nach der damahligen allgemein üblichen 
Kriegshaͤrte, die jedoch wohl nicht groͤſſer war, als 
die etwa vor hundert Jahren bey der Verbrennung 
der Pfalz ausgeübte. So viel iſt gewiß, feine Un: 
terthanen liedten und verehrten ihn ganz ungemein, 
und fie hatten es aus Urſache: denn feine‘ Regie⸗ 
rung war ſanft und gerecht. Er beſchuͤtzte jeder: 
mann bey ſeinem Eigenthume, belegte Hab und 
Gut der Unterthanen mit keiner Art von Steyer, 
hielt täglich ſelbſt Gericht unter freyem Himmel, 
und ſuchte fein Recht jedem, fo wie er es verdien⸗ 
te, oͤffentlich zuzuurtheilen: ſelbſt gegen die raͤnke⸗ 
vollen Oſtroͤmer war er nicht unverſoͤhnlich. Wie 
großmuͤthig bezeugte er ſich nicht bey dem Bandi⸗ 
tenſtreiche des Oſtroͤmiſchen Hofes, der feine Uns 
terthanen gegen ihn aufwiegeln, und ihn heimlich 
durch Unterthanen⸗Haͤnde aus dem Wege raͤumen 
laſſen wollte? So auſſerordentlich haͤßlich mußte er 
doch auch nicht ausgeſehen haben, als man ihn ab⸗ 
zubilden beliebt: denn ſonſt würde ſich wohl ſchwer⸗ 


5 lich die Kaiſerliche Prinzeſſin Honorſa in ihn ver⸗ 


liebt haben.“ 


Herden 


Ideen iu Pbiloſophie der Geschichte der Menſch⸗ 
le, IV. Sal Seite 168. 


. Attila war die Macht ber rc in ‚En. 
ropa in ihrer furchtbarſten Groͤſſe. Ihm waren die 
Kaiſer von Orient tributbar; er verachtete ſie als 
Sklaven ihrer Knechte, ließ jährlich ſich 2 100 Pfund 
Goldes zollen, und ging in einem leinenen Kleide. 
Gothen, Gepiden, Alanen, Heruler, Akaziren, 
Thuͤringer und Slaven dienten ihm; Er wohnte 
im noͤrdlichen Pannonien in einem Flecken, von 
einer Würfe umgeben in einem hölzernen Haufe. 
Seine Gefährten und Säfte tranken aus goldenem 
Geraͤlh; er trank aus einem hölzernen Becher, trug 
kein Gold, kein Edelg⸗ ſtein an ſich, auch nicht an 
ſeinem Schwert, noch am Zuͤgel ſeines Pfe erdes. 
Billig und gerecht, gegen Unterworfene aͤuſſerſt guͤ⸗ 
tig; und mißtrauiſch gegen feine Feinde, und ſtolz 
gegen die ſtolzen Römer, brach er, wahrſcheialich 
vom Wandalenkönige Geiſerich angeregt, mit ei— 
nem Heer von fünf ; big ſtebenmalhunderttauſend 
Menſchen aller Nationen ploͤthlich auf, wandte ſich 
weſtwärts, durchflog Deutſchland, ging über den 
Rhein, zerſtoͤrte bis in die Mitte Galliens: alles 
zitterte vor ihm, bis endlich aus allen weſtlichen 


Voͤlkern ein Heer ſich gegen ihn ſammelte und an; 
ruͤckte. Kriegsklug zog ſich Attila auf die Katalau⸗ 
niſche Ebne zurück, wo fein Rüdweg frey war; 
Roͤmer, Gothen, Laͤter, Amoriker, Breonen, Kurs 
gunder, Sachſen, Alanen und Franken ſtand en 
gegen ihn; er ſelbſt ordnete die Schlacht. Dar 
Treſſen war blutig, der König der Weſtgothen blieb, 
Mengen fielen und Kleinigkeiten entſchieden 2). 
Unverfolgt zog Attila über den Rhein zuruck und 
ging im folgenden Jahre friſch uͤber die Alpen, da 
er Italien durchſtreifte, Aguileja zerſtörte, Mayland, 
plünderte, Pavia verbrannte 3) und um dem gan⸗ 
zen Roͤmer⸗Reich ein Ende zu machen, auf Rom 
losging. Hier kam ihm Leo, der Römifhe Bis 
ſchof, flehend entgegen, und erbat die Rettung der 
Stadt; dieſer reiſte auch gegen Mantua zu ihm 
ins Lager und bat Italien von ihm los. Der Hun⸗ 


2) Dies iſt alles was der denkende Geſchichtsfor⸗ 
ſcher über dieſe berühmte Schlacht ſagen kann. 

z) Selbſt einen Phocion oder Titus würde 
es unmoglich geweſen ſeyn, fo zahlreiche Haufen 
Barbaren, wie ſie Attila zur Ausführung fei- 
ner Entwürfe nehmen mußte, bey ihren ſtuͤrmen⸗ 
den Ueberfaͤllen den Geſetzen der ſanftern Menſch⸗ 
lichkeit zu unterwerfen. Hatte der Koͤnig der Hun⸗ 
nen fonft, gegen dieſe Geſetze Achtung gezeigt, fo 
ſollte der philoſophirende Geſchichtsforſcher ge⸗ 
rechter ſeyn, und das Plündern und Verbrennen 
der Horden nicht ihrem beſſern Anführer als eige⸗ 
ne Thaten anrechnen. 


— 13 nz 


nenkönig zog zuruͤck über die Alpen und war eben 
im Begriff, jene in Gallien verlorne Schlacht zu 
raͤchen, als er vom Tode uͤbereilt ward.“ 


J. C. Krauſe. 


Gelchichte der wichtigſten Begebenheiten des 
heutigen Europa. 2. Band. Seite 161. 


. RR der Leibesgeſtalt nach ganz Kalmuͤcke, 
der Lebensart nach ein morgenlaͤndiſcher Khau, der 
Denkart nach eben fo weit vom verzaͤrtelten Rö- 
mer oder Chineſen, als vom jetzigen cultivirten 
Europäer entfernt; — überhaupt eine ſonderbare 
Erſcheinung! beſaß alle Eigenſchaften, welche über— 
haupt zu einem Beherrſcher eben fo verſchieden ge— 
ſitteter als mannigfaltig gebildeter Volker, und 
zu einem Anführer eben fo verſchieden bewaffneter 
als fechtender Krieger unentbehrlich ſind, damahls 
aber einen Weltverwüſter und einen 
Zerſtoͤrer der gemeinen und erhabnern 
Künfte und alles des Guten und Schö⸗ 
nen, welche das Gluck der Menſchheit 
find, aus machten 4) Seine Groͤſſe if 


4) Es wurde mir bange werden, wenn ich dieſe Bee 
ſchuldigung geſchrieben halte, und man mich auf- 
forderte, fie aus unſtreitigen Thatſachen, 


unverkennbar, fein Werth ſchwer zu bes 
R 50. Man darf ihn weder mit einem 


oder inte gewürdigten hiſteriſchen 
Zeug niſſen zu beweiſen. Ich würde verzwei⸗ 
feln, wenn ich aus pſychologiſchen Grün- 
den in Attila auch nur die Fähigkeit zum 
Zerfidrerder gemeinen und erhabnern 
Künſte und alles des Guten und Shi 
nen, welche das Glück der Meuſchheit 
find, herauskuͤnſteln ſollte. 
3% Kann der Zerſtoͤrer der gemeinen und erhabenen. 
Ruͤnſte, und alles des Guten und Schönen, wel⸗ 
che das Gluͤck der Menſchheit find, eine un ver⸗ 
kennbare Groͤſſe beſitzen? Kann ſein Werth 
ſo ſchwer zu beſtimmen ſeyn? — Mich 
dünkt, Attila's Groͤſſe ſey aus den dürfti⸗ 
gen hiſtoriſchen Bruchſtücken für uns gar 
nicht erkennbar, fein Werth gar nicht beſtimmbar. 
Selbſt wenn wir die vollſtaͤndigſte Geſchichte ſei⸗ 
ner Thaten vor uns liegen hätten, würden wir 
aus dieſem Deukmahle, als reine Geſchichte 
betrachtet, über Attila's Gröffe und Werth 
nichts Zuverläffiges ausmachen koͤnnen. Nicht eis 
ne Reihe glänzender Thaten, nicht der objective 
Werth derſelden, ſondern die hiſtoriſch erweisli⸗ 
che, oder idealiſch aufgefaßte und mit poeti ſcher 
Wahrheit dargeſtellte Totalität des Charakters iſt 
der Maß ſtab der Groͤſſe des Mannes Das Ges 
bieth der reinen Geſchichte iſt bloß auf die 
Ulnterſuchung, was der Mann gethan hat, 
beſchraͤnkt; die Erforſchung ſeines Charakters, als 
eines Ganzen, gehört in das Gebieth der Pfycho— 
. logie; und wo dieſes begrenzt und geſchloſſen iſt, 


Caͤſar, noch mit einem preußiſchen Friedrich ver⸗ 
gleichenz man darf ihn nicht mit den Idealen (?) 
eines enophon, eines Polybius und Ta 
citus zuſammenſtellen. Mit feinen Stammvet⸗ 
tern, dem Dfhinfis Khan und dem Timur 
muß man ihn vergleichen 6) und dabey ſich erin⸗ 


- in die höhere Region der idealiſirenden Poeſie. 
Die reine Geſchichte kann und darf uns nur die 
Thaten des Menſchen, als Erſcheinungen, uns 
ter den gegebenen Zeitumſtaͤnden und Verhaͤltniſ— 
fen aufſtellen; die Pſychologie mittelt die Moͤglich— 
keit dieſer Thaten aus der Eigenthuͤmlichkeit ſei— 

nes Geiſtes aus, und die idealifirende Poeſte ſchafft 
ihn zu einer in ſich abgeſchloſſenen Totalität. Mit 
der Beſtimmung des eigentlichen innern 
Menſchenwerthes ſoll und darf ſich der Ge» 
ſchichtſchreiber eben ſo wenig, als irgend ein an— 
derer Menſch abgeben; denn derſelbe liegt in einer 
Welt verſchloſſen, die dem Blicke des forfchenden- 
und vernüunftelnden Sterblichen unzugaͤnglich iſt. 
Wir koͤnnen uberall nur Menſchen nach unſerm 
eigenen Bilde ſchaffen; aber durchaus nicht 
erkennen und darſtellen, was ſie durch und in 
ſi ch ſel bit find. 

5 Man muß das Vergleichen der Menſchen mit 
Menſchen, um dadurch ihren Werth zu beſtimmen, 
überhaupt bleiben laſſen, fo lange man ſich ſelbſt, 
beynahe bis an fein ſeliges Ende, ein Raͤthſel 
bleibt. Was wuͤrde man von dem kindiſchen Vor 
haben des Mannes halten, welcher von Jugend 
auf in ſein Doͤrfchen eingeſchloſſen, bloß aus Be— 
ſchreibungen und Bildern, Rom mit London, ob 


nern, daß er fein Dafeyn und feine Bildung 
oder Geiſtes geſtalt von einem nur an Beduͤrf⸗ 

niſſen reichen, an Mord, Raub und Krieg gewoͤhn⸗ 

ten unſteten Hirtenvolk erhielt 7). So wird man 


nn ¶ꝓƷä ññ—ñ— — —i3 


den Rheinfall mit den Katarakten des Nils ver⸗ 
gleichen, und dadurch über ihre Schönheit ent— 
ſcheiden wollte? n 
7) Ein Volk, das auf ſeinen Pferden aß, trank und 
ſchlief, nur vom rohen Fleiſche und von unge⸗ 
kochten Wurzeln und Kraͤutern ſich naͤhrte; nur 
mit leinernen, von ſeinen Weibern gewebten Klei⸗ 
dern und ungegaͤrbten Thierhaͤuten ſich bedeckte, 
heißt arm an Beduͤrfniſſen, nicht reich. — So 
kamen die Hunnen aus Aſien. Bald waren ihnen 
die nicht gar ſo wilden Alanen und ein groſſer 
Theil der mehr gebildeten Oſtgothen unterworfen; 
bis zu Att il a's Zeiten hatten fie ſchon öfter ge⸗ 
gen die Oſtroͤmer, und mit den Weſtroͤmern ver⸗ 
miſcht, gegen andere Voͤlker gekaͤmpft und zahlrei⸗ 
che Kriegsgefangene weggefuͤhrt. Nach der Ana⸗ 
logie zu ſchließen, hatten fie die Cultur der unter⸗ 
jochten Nationen groͤßtentheils, und vieles von den 
Sitten und der Lebensart ihrer Gefangenen ange⸗ 
nommen. In dem Beſitze von Dacien und Vanno⸗ 
nien regierte ihr König Mund zuch, Att ill a's 
Vater, des beruͤhmten Gothentoͤnigs Alarich 
Freund und Bundesgenoß, durch ſiebzehn Jahre, 
ohne den Krieg mit auswärtigen Feinden zu ſu⸗ 
chen, oder innere Empoͤrungen zu fuͤrchten. Die 
Hunnen waren alſo bey Attila's Geburt nicht 
mehr das nur an Mord, Raub und Krieg gewoͤhn⸗ 
rk te, 


finden, daß Attila für einen Hunnen ein groſ— 
ſer Mann war, welcher eben ſo ſehr wegen ſei— 
ner Groͤſſe unſer Erſtaunen, als wegen der Art, 
mit welcher er fie kund gemacht hat, unfern, Ab: 
ſcheu verdient. Seine guten und feine boͤſen Eis 
genſchaften haben hunniſchen Anſtrich. Die Geſchick⸗ 
lichkeit ſeine Voͤlkerſchaften zuſammen in einer Ein⸗ 
heit zu halten, war vielleicht 8) nichts weiter 
als fie fleißig zum Verderben fremder Voͤlker aus⸗ 
zuſenden. Das Kunſtſtuͤck aber, Knechtſchaft unter 
Hirtenvölfern zu behaupten, welches jetzt kaum eis 


* 
te, unſtete Hirtenvolk: deſſen ungeachtet hatte A t⸗ 
tila ſeine Bildung oder Geiſtesgeſtalt 
doch weniger ſeiner Nation als ſeinem Vater 
Mundzuch, und ſeinem Jugendfreunde dem 
ſehr gebildeten Aetius, am meiſten aber ficb 
ſelbſt zu verdanken. 


8) Dieſes vielleicht zeiget, daß Hr. Krauſe 
in den hiſtoriſchen Urkunden nichts Entfcheidendes 
fur feine Meinung fand; und in der gewiſſen Vor— 
ausſetzung, daß wirklich nichts zu finden iſt, wird 
es auch mir erlaubt ſeyn ein vielleicht zu wa⸗ 
gen: die Geſchicklichkeit feine Voͤlkerſchaften zus - 
ſammen in einer Einheit zu halten, war viel- 
leicht eine Wirkung ſeines durchdringenden 
Scharfſinnes und, feiner Herrſcherklugheit, durch 

| DA 


wu 18 — 


ner ruſſiſchen Regierung möglich iſt, beſaß er 9); 
wer einmahl ſein Unterthan iſt, bleibt es ewig, 
wer ihn aufnimmt und auszuliefern weigert, wird 
als Feind behandelt; wen er wieder erhaͤlt, den er⸗ 
wartet das Spieſſen. Seine oft geruͤhmte Kriegs- 
kunſt verdient dieſen Nahmen nicht. Unter ſeinen 
Befehlen ſtanden kriegeriſche Voͤlker, welche faſt al⸗ 
le damahls bekannten Arten von Waffen und Ge⸗ 
fecht vereinigten. Daß er ſie zu einem Ganzen 
zweckmaͤſſig verbinden, und mit Verſtand anzuwen⸗ 
den gewußt habe, iſt unerweislich. Bloß der Um⸗ 
ſtand zeichnet ihn aus, daß er im Gefechte nicht 
dem gemeinen Krieger gleich ſelbſt handgemein wurs 
de, ſondern Befehle ertheilte. Als erſten und vor, 
zuͤglichen Staͤdteeroberer unter den Barba, 
ren, welche Rom angriffen, kann man ihn mit der 
Einſchraͤnkung anſehen, daß dazu Gefangene und 
andere Ausländer wie zur Erbauung ſeines alien 


die er ſich die Achtung und das Zutrauen ſeiner 
Vökeeeſehnet zu erwerben gewußt hatte. | 


9). Dieſes Kunſtſtuͤck beſtand in dem eifrigen Be⸗ 
ſtreben, rechtſchaffen zu ſeyn, das Eigenthumsrecht 
ſeiner Unterthanen zu verehren und zu beſchuͤtzen, 
die Gerechtigkeit eben ſo behend als fireng und un- 

Passen zu verwalten. Dieſe ganz einfache 


| 


— 19 — 


nen Pollaſtes Ant worden ſind 10). Seine 
Gerechtigkeit und Strenge bleiben immer Unmenſch— 
lich'eiten, wenn es Gnade heiße, daß er ohne Wi: 
derſtand eingenommene Slaͤdie nur ausplündert 
und die Einwohner nur zu Sclaven macht. Seine 
Habſucht war doch groͤſſer als ſein Gefühl erlitte. 
nen Beleidigungen. Attila war ſtolz aus In» 


j * 


Staatskunſt beſtegt den furchtbarſten Deſpoten 
auf dem Throne; die entgegeſetzte fuͤhrt Monar— 
chien und Republiken allmaͤhlig zu ihrem Unter: 

gange. | 


10) Seine oft gerühmte Kriegsfunft ver- 
dient dieſen Rahmen nicht; und doch uͤber⸗ 
fiel, uͤberwand, unterjochte er kriegeriſche 
Voͤlker, welche faſt alle damahls be— 
kannten Arten von Vaffen und Gefecht 
vereinigten; und doch ertheilte er im Gefech— 
te dieſen kriegeriſchen Voͤlkern Befehle; doch 
„machte er ſich (wie es Seite 164 heißt) durch die 
Eroberungen, welche er zwiſchen der Donau und 
dem Eismeer machte, und durch die Verbindun— 
gen mit ſo ſtreitbaren Voͤlkern allerwaͤrts furcht— 
bar?“ — Daß er ſeine kriegeriſchen Böl- 
ker zu einem Ganzen zweckmaͤſſig zu 
verbinden und mit Verſtand anzuwen— 
den gewußt habe, ift unerweislich. At 
B 9 


kunde wahrer Gröffe 11), übermüthig aus Ge⸗ 
fühl eigener Macht und fremder Schwaͤche; war 


3 —— ͤ —EꝑEꝑ—E—j en nn 


tila hatte ſeinen Zweck nie verfehlt; immer ver⸗ 
ließ er den Kampfplatz als Sieger; nach der ge 
naueſten Prüfung aller hiſtoriſchen Umſtaͤnde bleibt 
es noch immer ein unaufloͤsliches Problem, ob 
Attila oder Aetius auf den katalauniſchen 
Ebenen die Oberhand behalten habe; haͤtte ſeine 
Menſchlichkeit im Kampfe mit ſeiner Tapferkeit 
und Auhmbegierde nicht ſo oft geſiegt, das weſt⸗ 
roͤmiſche Reich wäre um fünfzig Jahre früher und 
mit furchtbarerm Geraͤuſche zu Grunde gegangen. 

Er mochte alſo nur zu gut feine Kräfte zweckmaͤſ⸗ 

ſig zu verbinden und mit Verſtand anzuwenden 
gewußt haben. 


11) Welch ein widerwärtiges Spiel mit dem Worte 
Groͤſſe! Kurz vorher war Attila's Groͤſſe 
unverkennbar; gleich darauf verdiente er wegen 
ſeiner Groͤſſe unter einem an Raub, Mord und 

Krieg gewoͤhnten unſteten Hirtenvolk, das ihm 
feine Geiſtesgeſtalt gab, eben fo ſehr unſer Er⸗ 
ſtaunen, als er wegen der Art, mit welcher er ſie 
kund gemacht hat, unfers Abſcheus würdig war; 
auf einmahl fan? er fo tief herab, daß nicht ein. 
mahl feine Kriegskunſt dieſen Rahmen verdiente, 
daß ihm ſogar der Verſtand fehlte, ſeine Kraͤfte an⸗ 
zuwenden; auf einmahl wurden ſelbſt feine beſſern 
Eigenſchaften Unmenſchlichkeiten, und der un ver⸗ 
Tennbar groſſe, erſtaunens würdige At⸗ 


— 21 — 


maͤchtig an ſich durch die Menge, verhaͤltniß maͤſſig 
unter den Umſtaͤnden. Seine Politik war nichts 
mehr als die gewoͤhnliche Schlauheit eines Barba— 


tila iſt jetzt aus Unkunde wahrer Gröffe 
nicht mehr als ein ſtolzer Schwaͤchling. Woher 
ſolche! auffallende Widerſpruͤche der meiſten Ge— 
ſchichtſchreiber in der Menſchenſchaͤtzung? Daher, 
weil es fo ſchwer iſt, etwas Ganzes, als ein Gan— 
zes, aufzufaſſen, und das Mannigfaltige, als eine 
innigſt zuſammenhaͤngende, unzertrenuliche Eine 
heit, anzuſchauen. Die Geſchichtſchreiber machen 
es mit dem Menſchen, wie die Aſtronomen mit 
dem Himmel. Wie dieſe in dem unermeßlichen 
Weltall auf einen groſſen und einen kleinen Baͤ⸗ 
ren, auf einen Hund, auf eine Gans, auf eine 
Kornaͤhre und auf dergleichen hinweiſen, fo zer— 
ſtuͤckeln und vereinzeln jene im Menſchen das Gan- 
ze, und ſchwatzen von herrlichen Tugenden und 
ſchaͤndlichen Laſtern, von groſſen Eigenſchaften und 
kleinlichen Schwächen. Nur verrathen die Aftro- 
nomen keine fo armſelige Einſeitigkeit der Anfich- 
ten, indem ſie wohl wiſſen, daß ihre himmliſchen 
Bären, Hunde, Gaͤnſe und Kornähren und Bil- 
der unzaͤhliger Weltſyſteme, nur dieſe wieder nichts 
anders, als Theile eines unendlichen Ganzen find; 
dahingegen die Geſchichtſchreiber ſich ſelbſt und 
der ganzen Welt weis machen wollen, der von ih⸗ 
neu izerſtückelte und zuſammengeflickte Menſch ſey 
wirklich das jaͤmmerlich kontraſtirende Ding, als 
was ſie ihn hingeſtellt haben. 


— 22 — 


ren ohne Syſtem a feſte Regeln. Ein Zog, und 
bemerkenswerih iſt er, weil er auch bey Dſchen⸗ ö 
kis Khan vorkommt, verdient vor allen ausge⸗ 
zeichnet zu werden, wodurch er feinen Befehlen all: 
gemeiten Gehorſam, ſeinen Unternehmungen eine 
gewiſſe Wurde und feinen Hunnen Zutrauen auf 
ihn und Enthusiasmus für ſeine Sache verschaffte. 
Er ſelbſt, oder vielleicht, weil er wohl ſelbſt aber⸗ 
gläubiſch war, alſo mit deſto ſichererm Erfolge ein 
anderer brachte den Aberglauben mit ius Spiel. 
Er gab vor, im Befige des heiligen Schwertes des 
Kriegsgottes zu ſeyn, welches damabls angeblich 
wieder gefunden ward; fuͤhrte ſeine Kriege nun auf 
Befehl der ihn beſeelenden Gottheit, und ließ ſich 
Herrſchaft der Welt von ſeinen Prieſtern weisſa⸗ 
gen. Das machte aber nicht nur ſeine Verbrechen 
we ltverderblicher, ſondern loͤste auch die Verbin⸗ 
dung ſo ungleicher Theile des Ganzen wehrſchein— 
lichſt auf, ſobald das Wunderſchwert am weſtgo⸗ 
thiſchen Schilde ſtumpf ward. Auf Geheiß der 
Gottheit mordete er Hunderttauſende, eutthronte 
und mordete er feinen Bruder Bled g.“ 


Bey diefer auffalerden Verschiedenheit der Ur⸗ 
theile berühmter Schriftſteller über Attila, — 
eine Folge, theils der Unfanser? eit, theils der Ouͤrf⸗ 
tigkeit der Quellen, aus welchen fe ſchoͤpſen muß⸗ 


ten — werden mir hoffentlich meine Leſer die nicht 
zzu erfüllende Forderung einer voll ſtaͤndigen Ge 
ſchichte erlaſſen, und ſich mit dem bloſſen Ber: 
ſuche einer biſtoriſch pfy chologiſchen 
Darſtellung dieſes merkwuͤrdigen Ma n⸗ 
n es begnügen. Die ſchon oben (1. Anmerk.) ange⸗ 
führten Schriften ließ ich bey der Sichtung, Wahl 
und Würdigung der Begebenheiten nicht unbenutzt; 
auch die Arbeiten der Neuern, — herrliche Denk⸗ 
mahle des hiſtoriſchen Fleißes 12), — zog ich zu 
Rathe; doch weniger die Begebenheiten, als die in 
denſelben erkennbare Gliederkette der Urſachen und 
Wirkungen; mehr die vielfaͤltige Geſtalt und Ver— 
bindung, worin der König der Hunnen in 
feinen Handlungen, als Aeußerungen feiner Tota⸗ 
litaͤt, von den Zeitumſtaͤnden herbeygefuͤhrt, erſcheint, 
als die hervorragende Groͤſſe der Erfolge des Zeit— 
alters beſchaͤftigten meine Aufmerkſamkeit. Ich 


12) Desericii de initiis et maioribus Hungarorum 
Commentaria Tom, V. Fol. Budae 1758 et seqq. — 
Pray Annales veteres Hunnorum, Avarum etc, 
Vindob, fol. 1761. — Buat Histoire ancienne des 
Peuples de l'Europe à Paris. 12. 1772. — Geb- 
hardi Geſchichte des Reichs Hungarn. — Gib- 
bon Geſchichte der Abnahme und des Verfalls des 
roͤmiſchen Reichs u. a. m. — Ju allen vermiffe ich 
mehr oder weniger achte hiſtoriſche Critik. 


— 24 — 


wagte es, nach der Richtſchnur der hiſtoriſchen Wahre 
ſchoinlichkeit und poetiſchen Wahrheit, idealiſch zu 
entwerfen, was Attila unter den gegebenen Zeit⸗ 
umſtaͤnden mit feinen Kräften werden und ſeyn ko n n⸗ 
te. Db er's war, ließ ſich auf dem von mir ge⸗ 
wählten Standpuncte eben fo wenig entſcheiden, 
als die Freunde fogenannter rein ⸗hiſtoriſcher Com⸗ 
poſitionen aus den vorhandenen duͤrftigen und une 
ſichern Quellen behaupten koͤnnen, daß er das Ge⸗ 
gentheil davon war. 


umreiffe 
des Schauplatz e 


vor Erſcheinung 


des Helden. 


_ 


Di. letzte Stüge des Roͤmiſchen Staates 
war dahin; Mare-Nurel hatte vollendet. Thä- 
tiger aͤuſſerte ſich nun der im Norden geweckte Geiſt 
ver Wanderung und des Raubes in der Zerſtoͤrung 
der alten Oronung der Dinge und in Herdeyfüh— 
rung einer neuen, unter welcher ſich die Kraft des 


menſchlichen Geiſtes in wannigfaltigern Formen ente 


wickeln konnte. Eine weiter fortgeſetzte Reihe wir: 
diger, von Trajans, Antonins und Mare⸗ 
Aurels Grundfägen durchdrungener Well beherr— 
ſcher wuͤrde doch nie im Stande geweſen ſeyn, dem 
tief geſunkenen Menſchengeſchlechte wieder aufzubels 
fen, und das eingewurzelte Verderben des Zeital— 
ters auszurotten, oder in feinem Wachsthume auf 
zuhalten. Nur der einzelne Menſch Härte noch Ge— 
legenheit gefunden, feine Geiſteskraft zu uͤben und 
Beyſpiele der Tugend zu zeigen, die der übermits 
thige Beſitzer des Thrones nicht mehr würde gefuͤrch— 
tet, der ohumaͤchtige Haufe kaum mehr bewundert 
haben. Dafuͤr aber haͤtte der nervige Sohn des 
Norden und der kühne Bewohner der Wüſtencyen 
Aſiens, entweder unter dem mörderifhen Stahle 
der Weltuberwinder verbluten, oder unter dem Joche 


1 

einer regelmaͤſſigen, aber immer noch mangelhaften 
Verfaſſung die Kraft und Eigenheit ſeines Charak⸗ 
ters verlieren muͤſſen. Verheerende Voͤlkee⸗ 
ſch warme hätten keine Hierarchie, keine 
Lebnverfaſſung gegründet; keine Kreuzzuͤ⸗ 
ge haͤlten beyde wieder erſchuͤltert; keine, über 
Bannfluͤche, Scheiterhaufen und Blutgeruͤſte ſiegen⸗ 
de Reformation haͤtte den freyen Vernunftge⸗ 
brauch — der Menſchheit koſtbarſtes Eigenthum — 
den Klauen des Fanatis mus entriſſen; unvorberei⸗ 
tet waͤre noch die erhabne Stufe der Cultur, wel⸗ 
che in der über alles herrſchenden Selbſtthaͤtig⸗ 
keit ber Ve ruun ft unſern Nachkommen vorbe⸗ 
halten iſt. 

Sollte des Schwert der Gothen, Vandalen 
und Hunnen den großen Schauplatz reinigen, auf 
dem ein kraftvolleres Voͤlkergeſchlecht einem beſſern 
Zuſtande der Dinge vorzuarbeiten beſtimmt war; 
fo mußten die Nachfolger der Anton ine die ſchon 
gaaz verderbten, ihrer Herrſchaft unterworfenen 
Voͤlker noch in unnatuͤrliche und eutnervende Ruhe 
verſenken. Sclaberey und Weichlichkeit mußten 
die noch übrigen thaͤtigen Kräfte der alten Welt er⸗ 
ſticken, damit die aus ihren unbekaunten Wohnſitzen 
hervordringende neue Menſchenggttung gerade nur 
ſo viel Widerſtand fände, als noͤthig war, eine 
plöglide Auflöfung aller Bande der Ordnung 
zu verhindern. Welch ſchnelle Fortſchritte zu die⸗ 
ſem Ziele zeigen ſich Um Beobachter gleich in den 


erften zwoͤlf Jahren nach Marc⸗Aurels Vers 
klaͤrung! 

Commodus der Sohn des letzten Zürften 
der roͤmiſchen Welt, den Weis heit und Tugend 
mit Recht ihren Freund und Vertrauten nannten, 
kaufte an der Donau von Germaniens furchtbaren 
Horden den Frieden, um nach Rom zu ziehen und 
alles ſeiner Herrſcherwuth aufzuopfern, was ſich 
feinem ſchrecklichen Entzwecke — das Werk der 
Antonine zu zerſtoͤren — durch Rechtſchaffen⸗ 
heit und Verdienſte widerſezte. Aemter, Ehren 
ſtellen und Reichthuͤmer waren dem Laſter oder dem 
Fechter talente vorbehalten. Verborgenheit war die 
einzige Schutzwehr der Tugend; fuͤr jeden, der ſich 
als ihren Verehrer im Lichte zeigte, war das Mord; 
bdeil geſchaͤrft. Paternus, Mammertinus, 
Marcellus, Antiſtius, Burrhus und 
Arrius Antoninus mußten ihre Achtung 
und ihren Eifer für Marc-Aurels Grundſa⸗ 
tze mit ihrem Leben bezahlen. Schon war auch uͤber 
Pompejanus, Victorinus und Pertinag 
des gekroͤnten Weiſen letzte Freunde, das 
Schwert gezuͤckt, als der Wuͤtherich von den Ge— 
hülfen feiner Schandthaten in dem Augenblicke er: 
droſſelt ward, in welchem er fie ſelbſt ſeiner uner. 
faͤttlichen Mordluſt zu ſchlachten beſchloſſen hatte. 

Sie, die verworfenen Selaven der Schande 
und des Laſters, ernannten nun den kuͤnſtigen Be- 
herrſcher des Römifchen Reiches. Ihre Wahl traf 
den ehrwürdigen Greis Pertin ag, gerade weil 


fie überzeugt waren, daß er ſich mit der Strenge 
feiner Tugend nicht lauge behaupten würde. Ge— | 
zwungen uͤbernahm er den Kaiſerlichen Purpur, von 
nun an das Sterbegewand desjenigen der darin 
das Recht zu regieren, oder die Pflicht zu verbeſ⸗ 
fern vollziehen wollte. Mit der Loſung: laſſet 
uns kaͤmpfen, beſtieg er den Thron, auf dem er 
nach drey Monathen unter den Dolchen der Praͤto⸗ 
rianer, die jetzt nicht mehr kaͤmpfen fondern rau⸗ 
ben und genießen wollten, ſeinen Geiſt aushauchte. 
Oeffentlich ward nun das Reich feil gebothen. 
Zum erſten Mahle ward das große roͤmiſche Volk 
als eine Herde, und das Vaterland der Hels en 
und Weltbezwinger als ein Eigenthum angeſehen, 
das man um des Ertrages willen kaufen und ver- 
walten koͤnnte. Didins Julia nus hatte die 
Niedrigkeit, das Meiße zu biethen; aber unfähig 
die ungeheuern Summen zu entrichten, ward er 
ſelbſt von denjenigen verloffen und verachtet, die 
kurz vorher für einige tauſend Drach men dem ent⸗ 
ebrenden Joche feiner Herrſchaft ſich zu unte werfen 
bereit waren. Sie theilten ſich in Parteyen, und 
jede wählte ſich einen Kaiſer, von deſſen Frepgebigkeit 
ſie ſich das Meiſte verſprach. Nur Severus 
wollte nicht kaufen, was er erobern konnte; ſein 
Arm ſiegte uber das Geld feiner Nebenduhler; er 
bemaͤchtigte ſich der Hauptſtadt der Welt, feyerte 
feinen Triumph mit Com mod 18 Bergötterung, 
und begann die Staatsverwaltung dautit, daß er 
ein und vierzig Senatoren feinem Argzwohne und 


5 31 — 


ſeiner Rachſucht zum Opfer enthaupten ließ. Mit 
ſtarrer Gefuͤhlloſigkeit ſah das entartete Rom feine 
wuͤrdigſten Buͤrger zum Tode wallen. Segen und 
Dank jauchzte es dem Tyrannen zu, wenn er die 
Edeln, die feine Grauſamkeiten verabſcheueten, nur 
aus dem Reiche verbannte und von ihrem eingezo— 
genen Vermoͤgen praͤchtige Feſte und Schauſpiele 
feyerte. Das Roͤmiſche Volk war ein ſchaler ver— 
aͤchtlicher Haufe ohne Kraft, ohne Selbſtgefuͤhl, nur 
für feine Nahrung und fein werthloſes Daſeyn be: 
ſorgt. Der Roͤmiſche Krieger war alles, furcht— 
bar und gefaͤhrlich der Macht, die ſeines Armes 
zur Unterdrückung des bürgerlichen Verdienſtes bes 
durfte und ihn nicht fuͤr ihre einzige Grundfeſte an⸗ 
erkannte. Severus that es; und fein Beyſpiel 
ward feinen Nachfolgern zum Geſetze. Com mo— 
dus ausſchweifende Wolluſt und Verſchwendung 
hatte die oͤffentliche Schatzkammer erſchoͤpft; Reich— 
thum war jetzt das einzige Mittel, ſich auf dem 
Throne der Antoni ne zu erhalten; eine ergiebia 
ge Quelle deſſelben oͤffnete ſich der Oeſpot durch 
Verbannung ausgezeichneter Guͤnſtlinge des Gluͤckes. 
Mit innigſtem Vergnuͤgen ſah das verblendete 
Volk diejenigen in Mangel und Elende darben, de, 
ten verſchwenderiſche Pracht und übermüthiger 
Stolz ihm fo oft das Gefühl feiner Ouͤrftigkeit 
und feiner Leiden geſchaͤrft hatten. Von den Schaͤ⸗ 
zen der Geaͤchteten ward der Sold der Legionen 
betraͤchtlich erhöht; die auſſerordentlichen Geſchenke 
weckten den Durſt der Krieger nach Ueberfluß; bald 


kannten die Forderungen ihrer Habſucht keine Gren⸗ 
zen mehr. Unter dem ſchwelgeriſchen Genuſſe der 
Freuden des Lebens verſchwand der Geiſt der Zar 
pferkeit, der die Roͤmiſchen Waffen unter Trajan 
und den Antonin en unuͤberwindlich emacht hats 
te. Veteranen, die unter den Ver annten Freun⸗ 
de oder Wohlthaͤter hatten, und die Gelegenheit 
zu Wunden und Lorbeern hoͤher ſchaͤtzten als die ge⸗ 
raubten Drachmen eines Tyrannen, verlieſſen Roms 
beſalbte und entehrte Adler und verbannten ſich ſelbſt 
aus dem Vaterlande, wo jetzt das Friegerifche Ver⸗ 
dienſt der Zügellofigfeit den Lohn und die Ehre 
uͤberlaſſen mußte. Schaarweiſe zogen fie zu den 
Germankern und Parthern, die fie freundſchaftlich 
aufnahmen, und von Römern die Kunſt lernten, 
die entnervten Welteroberer anzugreifen und an den 
Ufern der Stroͤme blutige Schlachten zu gewinnen, 
wo ſie ſich ſonſt nur tapfer vertheidigen und den 
Heldentod ſterben kornten. 

Severus verderbliche Staatsmaxime war, 
den Wohlſland der Romer zu zerſtoͤren, um ſein en 
zwey Thronerben einen ungeheuern Schatz zu hin⸗ 
terlaſſen. Durch den Brudermord in den Allein⸗ 
beſitz deſſelben eingeſetzt, wendete Caracall ao 
die ererbten Summen nur an, den Untergang des 
Reiches zu befördern. Bereichere die Legio⸗ 
nen, und fürchte nichts, war die letzte Er⸗ 
mahnung ſeines ſterbenden Vaters; er blieb ihr ze⸗ 
treu, und bald waren die Kraͤfte verſchwendet, de⸗ 
ren Sufätigte und vergaͤngliche Dauer weder der 

Pater 


Water noch der Sohn berechnet hatte. In dem 
Traume ihrer Unerſchoͤpflichkeit zog Caracalla 
mit ſeinen ſchwelgenden Heerſchaaren durch Gallien, 
Germanien, Aſien und Afrika, mehr um den Schau» 
platz ſeiner Thorheiten und Gewaltthaͤtigkeiten, als 
das Gebirth der No miſchen Herrſchaft zu erweitern. 
Seine Satelliten, müde für den von Severus 
feſtgeſetzten Lohn dem allgemein verachteten Wuͤthe— 
rich laͤnger zu dienen, forderten Erhoͤhung des Sol— 
des. Er ſah ihre Waffen wider ihn ſelbſt geſchaͤrft, 
er mußte ihrem Uageſtuͤm nachgeben. Aber ver— 
ſiegt waren nun die Quellen, aus welchen fein Ba: 
ter die verſchwendeten Millionen geſchoͤpft hatte; 
die Niedrigkeit ſeines Herzens zeigte ihm neue. Er 
gab das Eigenthum des Volkes den Kriegern preis, 
und was dieſe verfhonten, riß er duech Raub und 
Erprefjungen an ſich. Alle feine Schritte waren 
zu der groſſen Kataſtrophe gerichtet, die dem Römts 
ſchen Koloſſe bevorſtand; doch keiner führte ihn der: 
ſelben naͤher als der Verkauf des Buͤrgerrechtes an 
alle Unterthanen des Reiches. Die Zahl der ſteuer— 
baren Bürger ward dadurch vermehrt; aber ftten— 
loſe, verworfene Menſchen erhielten zugleich Rechte, 
die ſie unter der gewaltigen Hand des derrſchenden 
Verderbens zum Uatergange des Ganzen ungehin⸗ 
dert mißbrauchten. 8 
Nur um das verhaßte Andenken Caligu⸗ 
108, Nero's und Commodus durch Frevel⸗ 
thaten zu erneuern, erſchtenen Macrinus und 
Heliogabalus auf dem Throne der Edfarn, 
C 


as 34 — 
Bald wurden fie gewaltſam aus dem Wege geſchafft, 
nicht um einem Wuͤrdigern Platz zu machen, ſondern 


weil ſie ihren Gebiethern im Waffenrocke nichts 


mehr preis zu geben hatten. 

Alle Eigenſchaften eines groſſen Regenten und 
die meiſten Tugenden des würdigen Menſchen wa⸗ 
ren in Alexa nder vereinigt; aber Tugend und 
Geiſtesgroͤſſe reisten jetzt ſelbſt unter dem Kaiferlis 
chen Purpur nur die Morddolche des Laſters. 
Maximinus, ein Gothe von Geburt, in feiner 
Jugend ein Viehhirt, von Severus uater die ge⸗ 
meinen Krieger aufgenommen, und von Helio⸗ 
gabalus zum Tribun der Leibwache befoͤrdert, 
ſtand auf Alexanders Befehl in Pannonien, 
um die angeworbenen Cohorten in dem Kriegs dienſte 


zu unterrichten. Der Stolz ſeiner Nation arbei⸗ 
tete maͤchtig unter ſeiner Bruſt. Der Wunſch, dem 


Polke, das bis jetzt alles unterjocht hatte, als Al⸗ 
leinherrſcher Befehle zu geben, war ſeine Seele 
nicht zu groß. Mit ſchmeichelnden Hoffnungen naͤhr⸗ 
te er die Neigung der Legionen zur Meuterey: durch 


ihre Haͤnde bewirkte er den Mord des gerechteſten 


und thaͤtigſten der Fuͤrſten, deſſen die en 
Welt nicht mehr würdig war. 


Von den Heeren zum Kaiſer ausgerufen ante 
von dem feigen Senat dafür erkaunt, verwandelte 
Maximin us das Zepter des Monarchen in die 


eiſerne Ruthe des Tyrannen, womit er ſeine Be⸗ 
foͤrderer aufs grauſamſte zuͤchtigte. Nach einigen 
Siegen uͤber die Germanier, Dacier und Sarma⸗ 


1: 


ten, die ſchwerlich mehr ein gebohrner Römer im 
Kaiſerlichen Kriegs mantel würde erfochten haben, 
traf auch ihn das Loos ſeiner Vorfahren; Alex an⸗ 
ders Manen wurden in feinem Blute geräacht. 
Maximus, Balbin us, drey Gordias 
ne, Philippus, Decius, Valerianus 
und Gallienus hatten entweder keine Kraft, oder 
waren ſelbſt zu verderbt, um dauerhafte Spuren 
ihres Daſeyns zuruͤckzulaſſen. Die meiſten waren 
Tyrannen der Bürger und Sklaven des Heeres. 
Schreckliche Drangſale, Peſt, Hungersgoth, uns 
gluͤckliche Feldzuͤge, Empoͤrungen der Legionen im 
Innern, und Verwuͤſtungen der Barbaren an den 
Grenzen verſetzten das Reich in den kläglichſten Zus 
ſtand. Die tapferſten Staͤmme der Germanier, 
nachdem ſie lange genug unter ſich fir Freyheit und 
Eigenthum gekaͤmpft batten, ergoſſen ſich nun vers 
einigt über Helvetien, Rhaͤtien und Italien. Von 
dem Nieder » Rheine her brachen die Franken auf 
und überſchwemmten Gallien, waͤhrend die Gothen 
Griechenland und Afıen verheerten. Dieſer Voͤl— 
ker gewaltiger Arm wurde vielleicht ſchon jetzt alle 
Reſte Roͤmiſcher Herrſchaft von dem Erdboden ver; 
tilgt haben, waͤren nicht auf dem Throne Clau— 
dius, Aurelianus, Tacitus und Pro 
bus, Maͤnner voll Kraft, Eifer und Kenntniß, 
auf einander gefolgtz aber auch ſie vermochten nicht 
mehr, als den letzten Augenblick des fallenden Rei— 
ches weiter hinauszuſetzen. Ihr thatenvoller Lauf 
war kurz; ſie ſielen unter den Schreck iſſen der 
C 2 


Peſt, oder unter den Dolchen ihrer e die 
jetzt mit dem Blute von mehr a funfsig Kaifern 
befleckt waren. 

Diocletian theilte feine Nacht mit dem 
Hannonier Maximian; Herrſcherklugheit und 
unuͤberwindliche Tapferkeit arbeiteten nun vereinigt 
gegen den Rathſchluß des Schickſals. Sie waren 
fuͤr den Augenblick gluͤcklich; der erſtere ſiegte über 
die Barbaren in Afıen, der letztere zeigte den Ger⸗ 
maniern am Rhein und an der Seine Thaten der 
alten Römer. Aber ihre Stagtsberbeſſerungen ver⸗ 
riethen Mangel an Haltung, ihr Blick in die Zu⸗ 
kunft war aͤuſſerſt beſchraͤnkt; in ihren Verfuͤgun⸗ 
gen lagen ſchon die Folgen, welche die gaͤnzliche 
Auflöfung der groſſen Maſchiue nur um ſo ſchneller 
bewirken mußten. Von den dringendſten Beduͤrf⸗ 
niffen aufgefordert, entwarf Diocletian den 
Plan einer neuen Verfaſſung. Von zwey Kaiſern 
und zwey Caͤſarn zugleich ſollte der ungeheure Staat 
in Zukunft verwaltet werden. Er hoffte, die vier 
vornehmſten Heere, deren jedes einen der vier Re⸗ 
genten an der Spitze haben ſollte, würden einander 
gegenſeitig in Furcht, Zucht und Ordnung erhal⸗ 
ten; die einzelnen Legionen, zu ſchwach ihren An: 
führern die hoͤchſte Würde zu erfechten, wurden 
allmaͤhlig auch die durch Mißbrauch und Gewalt f 
erlangten Anſpruͤche, den Thron zu beſetzen, auf⸗ 
geben: er glaubte, das wirkſamſte Mittel entdeckt 
zu haben, von der einen Seite das Leben der Kai⸗ 
ſer gegen Cmpoͤrungen zu ſichern, von der andern 


zu verhindern, daß die hoͤchſte Gewalt nicht fo leicht 
in willkuͤhrliche Herrſchaft und Tyranney ausarte⸗ 
te. Allein eben dieſe Einrichtung verrieth das Ge» 
heimniß des Thrones, das gaͤnzliche Uavermoͤgen, 
mit Kraft und Selbſtvertrauen das große Ganze 
zu umfaſſen: das Anſehen und Gewicht der Ma» 
jeſtaͤt ward durch die Theilung geſchwaͤcht, der 
Spielraum der Leidenſchaften ward erweitert; Arg⸗— 
wohn, Eiferſucht und Zwietracht unter den Haͤup⸗ 
tern ſelbſt waren unvermeidlich. Jeder der vier 
Regenten hatte feinen Hofſtaat, deſſen übertriebene 
Pracht den offentlichen Schatz erſchoͤpfte, und die 
Nothwendigkeit der Steuern zu vermehren zur trau— 
rigen Folge hatte. Die Legionen waren durch die 
neue Verfaſſung auſſer Stand geſetzt, den Kaiſerli— 
chen Purpur zu verhandeln, von ihren gekroͤnten 
Creaturen auſſerordentliche Geſchenke zu erpreſſen 
und das Volk zu plündern; aber eben die Aufhe— 
bung dieſer Mißbraͤuche, eben der an ibre Stelle 
geſetzte Zwang zu geborchen und Mangel zu ertra> 
gen, machte den Waffenrock veraͤchtlich. Magiſtra— 
turen, die bey geringerer Arbeit mehr Ehre und 
Gewinn brachten, waren das Ziel der vermoͤglichern 
Buͤrger; konnten oder wollten ſie dieß nicht errei— 
chen, fo ſtrebten fie nach dem leicht zu erlangenden 
Gluͤcke, als Höflinge ihre noch übrigen Schaͤtze 
dem Glanze des Hofes aufzuopfern. Der gemeine 
Mann, fo wehmitihig er auch unter dem Drucke 
Öffentlicher Laſten ſeufzte, zog die Ruhe und Armuth 
feiner friedlichen Hütte den Gefahren und Arbelten 


des kriegeriſchen Lebens vor. Bald war ein groſ⸗ 
ſer Theil der Roͤmiſchen Heere nur ein Haufe frey⸗ 
gelaſſener Sklaven, oder mißvergnuͤgter, ungluͤck⸗ 
licher Menſchen, die man mit allen Schrecken der 
Gewalt den Armen ihrer Familien entriſſen hatte. 
Unmoͤglich war es, mit dieſen zu ſammengetriebenen 
Schaaren muthloſer Söldner die Feinde des Reis 
ches in Ehrfurcht zu erhalten. Die Kaiſer ſchloſſen 
mit einigen 1 Stammen Hülfsbündniſ⸗ 
ſe, welche die letztern um fo bereitwliger eingin⸗ 
gen, je duͤrftiger jetzt ſchon die Ausbeute war, die 
ihnen die erſchoͤpflen und beynahe veroͤdeten Grenz⸗ 
provenzen der Roͤmer gewaͤhrten. Nur zu einzelnen 
Unternehmungen wurden ſie anfangs in Sold ge⸗ 
nommen; aber bald erwarb ihnen ihre Tapferkeit 
das Glück, als Hülfsvoͤlker in das Römifche Ger 
bieth aufgenommen zu werden; und die. Ehre, den 
entmannten Weltbezwingern zur Schuß wehr zu 
dienen. - Sie behielten ihre alten Gewohnheiten, 
Sitten und Geſetze; in den aͤrgerlichen Beyſpielen 
der Roͤmer lernten ſie die Vorzuͤge ihrer eigenen 
Verfaſſung, ſo wie die Wichtigkeit ihrer Dienſte 
kennen; bald verachteten ſie ihre neuen Beherrſcher. 
Die Ungelehrigfeit der erfiern in der Schule des Ver⸗ 
derbens, und der alberne Hochmuth der letztern ers 
weckten und naͤhrten gegenseitiges Mißtrauen. Haͤu⸗ 
fige Zwiſte verrlethen die Schwäche der einen, ſtaͤrk⸗ 
ten das Kraftgefühl der andern; kam es in der Fol⸗ 
ge zum gaͤnzlichen Bruche, ſo hatte man an dieſen 
Hälfs: olkern Wiha in dem Schoo⸗ 


2 Fe 


ße. So wird ein Staat, deſſen Grundverfaſſung 
durch Sittenverderben und Geſetzloſigkeit angegrifs 
fen if, ſelbſt durch alle erdenkliche Rettungsmittel 
nur zu feiner ſchnellern Aufloͤſung vorbereitet. 
Diocleti an, der wankenden Hoheit der 
Kaiſerlichen Würde uͤberdruͤſſig, vielleicht auch durch 
zunehmende Ueberzeugung von der Unzulaͤnglichkeit 
menſchlicher Anſtalten gedemuͤthigt, legte den Pur— 
pur ab, und zog ſich auf fein Landgut bey Salo— 
na zuruck, wo die reinern Freuden des Geldfigrs . 
nuſſes feiner harrten. Gale ri us unerſaͤttlicher Ehr⸗ 
geitz zwang auch den Maximian der Herrſchaft 
zu entſagen. Er und Conſtantius Chlorus 
wurden zu Kaiſern ausgerufen. Der tyranniſchen 
Herrſchſucht des erſtern ſchien die Seelengroͤſſe des 
letztern gefaͤhrlich; die Provinzen des Reiches wur⸗ 
den getheilt; unabhaͤngig von einander beherrſchte 
jener den Orient, dieſer den Oceident. 
Conſtantius ſtarb, als Vater von ſeiner 
groſſen Staatsfamilie geſegnet und beweint. Sein 
Sohn Conſtantinus war beſtimmt, das Elend 
der Roͤmiſchen Welt zu vermehren. Ga ler ius, 
Severus, Maxentius und Liein ius, die 
ihm die hoͤchſte Dewalt und den Thron feines Bas 
ters ſtreitig machten, unterlagen feinem Gluͤcke. 
Er ſchien groß, fo lange er Feinde hatte; die 
Alleinherrſchaft deckte die Schwaͤche ſeines Geiſtes 
und die Niedrigkeit feines Herzens anf. Von ſei— 
nen Nebenbuhlern befreyt, bekannte er ſich zu den 
Meinungen der Chriſtianer; aber nie zur 


— 40 — 


Religion Je ſu, deren Geiſt beynabe gaͤnzkich von | 


der Erde verſchwunden war. Ohne das Schwert 
der Gerechtigkeit fürdten zu muͤſſen, durfte mau 
ſeinen Bruder haſſen und verfolgen, die Unſchuld 
unterdrücken, das Recht verkaufen, das Mark und 
Blut von Waiſen und Witwen verzehren; aber 
wer des Arins Schriften las oder verbarg, war 
durch Conſtantins Machtſpruch des Todes ſchul⸗ 
dig. Für feinen theologiſchen Eifer von den zu 
Nic 4a ver ammelten Prieſtern vergoͤttert, zog er 
nach Rom, um feinen aͤlteſten Sohn Kriſpus, 

gerade den wuͤrdigſten, feine Gemahlin Fau fa 
und mehrere verdienſtvolle Männer auf boßhafte 
Anklagen oder ungegrümdeten Verdacht hinrichten 
zu laſſen. Von den beſſern Bürgern verachtet und 


verabſcheuet, von dem Poͤbel ſogar beſchimpft, ver⸗ 


ließ er die alte Hauptſtadt der Welt mit dem Vor⸗ 
ſatze, au der Thraciſchen Meerenge eine neue zu 
erbauen. Nom verlor dadurch ſeine maͤchtigſten 
Buͤrger, ſeinen Reichthum, ſeinen Glanz, und mit 
dem allen auch die Kraft, die an den Graͤnzen der 


weſtlichen Provinzen flreifenden Barbaren im Zau⸗ 


me zu halten, Mit Thraciſchen Sitten führten die 
Einwohner der neuen Stadt den Nahmen der Roͤ— 
mer; ſie hatten ihren Senat, aber fern von dieſer 
Verſummlung glaͤnzender Sklaven des Hofes war 
die Klugheit, die Wurde, der Ernſt, und die Stande 
haftigkeit der alten Vaͤter der Republik. Die in⸗ 
nere Staats verfaſſung und das Kriegs weſen erhiel: 
ten eine neue Geſtalt; aber Ordnung, Süten und 


—̃ — — 


Bürgerglüick gewannen weder durch die Eintheilung 
des Reiches in Praͤfekturen und Dioͤceſen, noch 
durch die Einführung der neuen Hof- und Staats- 
Rangordnung, noch durch das neue Steuerſyſtem, 
das mehr nach den geſtiegenen Bedürfuſſſen des 
Kaiſers als nach den Kräften der Uaterthanen be: 
rechnet war. Die Legionen, ſonſt beſtimmt die 
Grenzen gegen die Einfaͤlle barbariſcher Horden zu 
beſchuͤgen, wurden in die Städte zur Beſatzung 
gelegt; und durch neue Laſter, die fie daſelbſt ken» 
nen lernten, entnervt, zitterten fie jetzt bey dem 
bloſſen Nahmen der nordiſchen Waldbewohner. 

Scctengeiſt und ue e- vollendeten die 
Trennung der Gemuͤthe 

Conſtantins 26 und die Theilung des 
Reiches veranlaßte neue Zerruͤttungen, unter wel— 
chen die zahlreiche Familie bis auf ſeinen Sohn 
Conſtantius und ſeine Neffen Gallus und 
Julianus aufgerieben ward. Unter dem Titel 
Herr der Welt ergab ſich Conſtantius feis 
nen Verſchnittenen zum Sklaven: ſprach das To: 
desurtheil über jeden rechtlichen Maun, der ſeinen 
Argwohn erweckt, oder feinen gebiethenden Guͤnſt. 
lingen im Wege geſtanden hatte; gab Provinzen 
Barbaren preis, verfolgte die Heiden, verſammelte 
zwey und zwanzig Concilien, und ſtard, nachdem 
er den Kaiſermantel durch fünf und zwanzig Jah— 
re getragen, und nicht eine einzige achtungswür— 
dige Handlung gethan hatte. 


* 


— 42 — 


Julianus, der letzte Strahl des ſinkenden 
Römergluͤcks, hatte ſich ſchon unter Conſtanti⸗ 
us als den Mann angekündigt, der die Welt zu 


beherrſchen würdig war, weil er die Kraft und den 


Willen hatte, fie zu begluͤcken. Durch die feige 


Traͤgheit des Kaiſers beguͤnſtigt, hatten ſich die 


Franken und Alemannen beynahe des ganzen Gal⸗ 
liens bemaͤchtigt. Julian zog bin; und trotz als 
len Hinderniſſen, welche die Eiferſucht des Co n⸗ 
ſtantius und die Boßheit ſeiner Guͤnſtlinge dem 
Helden entgegen ſetzten, waren die Alemannen ge⸗ 
demuͤthigt, und die ſaliſchen Franken überwunden, 
Die in Schutthaufen verwandelten Staͤdte wurden 
wieder hergeſtellt; die Provinz ward von druͤckenden 
Abgaben befreyt, und nach Grundſaͤtzen verwaltet, 
die der ſiegreiche Retter in dem innerſten Heilig⸗ 
thume der Weisheit und Staatskunſt erlernt hatte. 
Noch wirkſamer zeigten ſich dieſe in ſeinen Thaten, 
durch die er als Kaiſer das Andenken der goldenen 


Zeiten der Antonine erneuerte. Nur neunzehn 


Monathe verehrte und liebte das Reich in ihm ſei⸗ 
nen Wohlthaͤter, und in dieſem eingeſchraͤnkten 
Zeitraume hatte er an allen Grenzen über die Bar⸗ 
baren, im Innern über das Verderben des Zeital⸗ 
ters, uͤber die Boßheit der Hoͤflinge und uͤber die 
Laſter der Maͤchtigen die herrlichſten Siege davon 
getragen, Sein Werk blieb unvollendet; denn 


milten in dem Getümmel der Schlacht, die er den 


— 43 — 


perſern lieferte, fiel er durch einen Meuchelmoͤr⸗ 
der ). 

Sein Nachfolger Julia nus ſchloß mit den 
Perſern einen ſchimpflichen Frieden und ſtarb, be⸗ 
vor er noch feine Kräfte zum Guten ‚bewähren 
konnte. 

Unter dem tapfern Valentin ian brach der 
furchtbare Sturm aus, der ſeit mehrern Jahrhun— 
derten dem Reiche die gewaltſamſte Erſchuͤtterung 
gedroht hatte. Die Feinde der roͤmiſchen Tyranney 
wurden unternehmender, weil ſie keinen Julian 
mehr zu fürdten hatten. Die Leichtigkeit, die 
Grenzyrovinzen des Reichs zu plündern und zu ver» 
beeren, die Gewohnheit, in den Sold !der Römer 
zu treten, das Grid, das einigen Barbaren zu 
roͤmiſchen Ehrenaͤmtern und Reichthuͤmern verhalf, 
lockte immer fort neue Haufen aus dem tiefſten 
Norden an die Grenzen. Witten, Handel und 
Künſte hatten noch kein Band der Freundſchaft um 
dieſe Voͤlkerſtaͤmme geſchlungen; nur das verderb— 
liche 2008 der Waffen hatte fie einander näber ge: 
bracht. Unfaͤhig gegenſeitige Ehrfurcht oder Liebe 
ſich einzufloͤßen, konnten fie ſich nur haſſen und 
verfolgen. Nie hatte Mitleid das Ungluͤck des Ues 
wundenen gemildert, nie hatte der Sieger darch 
das Organ ſeiner Gefuͤhle die Stimme der Menſch⸗ 


) Amm. Marcellin, XXVI 6. — Zozomenus Hist, 
Fesien libr. vi. 1. et 2. 


lichkeit gehört. Nur die allgemeine Erſchoͤpfung 
und die zunehmenden Leiden der Duͤrftigkeit ver: 
banden fie jetzt, um ſich ein beſſeres Schickſal mit 
vereinigten Kräften zu erfechten. 

Die Nlemannen uͤberfielen Gallien und Rhaͤ⸗ 
tien, die Quaden und Sarmaten Pannonien, die 
Picten und Schotten Groß⸗Britannien. Die mehr 
durch Hinterliſt und ſchaͤndliche Verletzung des Voͤl⸗ 
kerrechtes als burch die Vortheile der Kriegskunſt 
erfochtenen Siege der Roͤmer gewährten nur einige 
Augenblicke der Erhohlung, keine dauerhafte Sis 
cherheit. Valentini an that alles Mögliche, um 
auch dieſe herzuſtellen; aber weder ſeine Strenge, 
noch ſeine Beyſpiele der Tapferkeit konnten den al⸗ 
ten kriegeriſchen Geiſt in den Legionen erwecken: 
er nahm daher Bataver und Heruler in Sold, des 
ren unbezwinglicher Muth ſeine erſchlafften Heere 
beſchaͤmen ſollte. 1 die Grenzen von Gallien, 
die am meiſten in Gefahr ſchwebten, zu vertheidl⸗ 
gen, unternahm er das kuͤhne Werk, die Ufer des 
Rheins von ſeinen Quellen bis an ſeine Ausfluͤſſe 
in die Nordſee zu befeſtigen. Dabey üͤberſah er die 
Uebel nicht, die im Zunern auf die Lebenskraft des 
alternden Staates fortwirkten. Einige mauriſche 
Voͤ ßer waren in die Provinzen Afrika's eingedran. 
gen; die Perſer ruͤſteten ſich, Armenien den Roͤ⸗ 
mern zu entreiſſen: um dieſen Feinden die Spitze. 
zu biethen, überließ‘ er feinem Bruder Valens 
unter dem Titel Auguſtus die Vertheidigung und 
Verwaltung des Orients. Indeſſen, beſchaͤfktigte er 


ſich mit der Verbeſſerung der Finanzen, die der per; 
ſiſche Krieg erſchoͤpft hatte, und mit der Erhaltung 
der bürgerlichen Eintracht, die Sectengeiſt und Fa— 
natismus unaufhoͤrlich erfchütterten. Alle Ausnah— 
men von der Pflicht, die Kriegsſteuern zu entrich— 
ten, hob er auf, ſelbſt die Prieſterſchaft mußte ſich 
derfelben unterwerfen. Die gewoͤhnlichen Geſchen— 
Pe der Städte, die Julian nachgelaſſen hatte, ver: 
wandelte Balertinian in ordentliche Schaguns 
gen, von welchen nur die Senatoren befreyt waren. 
Eben fo weit von Conſtantius haͤuchelnder Po— 
litik, als von Conſtantius ſtolzem Religions⸗ 
eifer entfernt, verſicherte er Juden und Heiden, fo 
wie allen chriſtlichen Secten den Schutz der Geſe— 
tze. Das von feinen Vorfahren fo grauſam verleg: 
te Recht des Menſchen, nach ſeiner Ueberzeugung 
und feinen Beduͤrfniſſen zu glauben, war tom hei⸗ 
lig; nie fanden an ihm die Prieſter einen Schieds— 
richter ihrer Streitigkeiten, oder einen mit dem 
Schwerte der Gerechtigkeit bewaffneten Vollzieher 
ihrer Entſcheidungen. Um ſo thaͤtiger war er, ih: 
re Gewinnſucht einzuſchraͤnken, ihren Erbſchleiche— 
reyen Grenzen zu ſetzen, ihren Verfolgungsgeiſt zu 
entkraͤften. Alle feine Einrichtungen und Geſetze 
zeigten, wie ſehr ihm die Wohlfahrt des Ganzen am 
Herzen lag: aber das herrſchende Sitten verderben 
unterdrückte ihre Kraft, und er war mit dem beſten 
Willen zu ſchwach, die tief verborgene Keime der 
Verwüſtung auszurotten. 


8 46 wa 


Noch ungluͤcklicher war Valens in Oſten. 
Nicht immer waren die Beyſpiele und Nathſchaͤge 
ſeines erfahrnern Bruders die Richtſch nur feiner Uns 
ternehmungen. Ueberſpanntes Selbſtvertrauen vers 
leitete ihn zu Feblern, deren verderbliche Folgen 

keine menſchliche Gewalt mehr zuruͤckhalten konn⸗ 
te. Schon lange batten die Gothen, ein groſſes, 
kuͤhnes, kriegeriſches Volk, Scandinavien verlaſſen, 
um ſich in fruchtbarern Gegenden niederzul aſſen. 
Ohne Widerſtand waren fie über die Weixel durch 
wuͤſte oder wenig bevoͤlkerte Länder gegen Oſten 
und Süden fortgezogen, bis fie ſich von dem ſchwar⸗ 
zen Meere jund den Grenzen des roͤmiſchen Reiches 
in ihrem Laufe gehemmt ſahen. Mit den kleinen 
Horden, die ſich ihnen unterworfen hatten, vermehrt, 
ſchlugen fie an den nordweſtlichen Kuͤſten des Pon⸗ 
ius ihre Wohnplaͤtze auf. Seit Caracalla's 
Zeiten hatten ſie Dacien oͤfters deunruhigt und bis 
nach Griechenland verheerende Streifzuͤge gewagt. 
Aurelia mußte ihnen Dacien überlaffen: Di o⸗ 
cletian, Galerius und Conſtantinus bes 
dienten ſich ihrer Tapferkeit, um Feinde, die der 
entarteten Römer nur fposteten, durch Barbaren 
zu beſiegen. Nach ibren Wohnſitzen woren ſie in 
zwey Hauptſtaͤmme getheilt. Unter dem Nahmen 
der Weſtgothen beſaſſen die Zaifaler und Thervin⸗ 
ger das Trajaniſche Dacien; die Greuthunger, Oſt⸗ 
gothen genannt, beherrſchten die Nordufer des Pon⸗ 
sus; und ihr König Her manrich hatte bereits 
feine Eroberungen vou dem Ser und dem ſchwar⸗ 


zen Mecere bis zur Dfifee erweitert. Die Heruker, 
Scyrrer, Variner, Veneder, Aeſtier und Rugier, 
ſtarke, herzhafte Voͤlkerſtaͤmme, waren ihm unter⸗ 
than, ſelbſt die freyen Weſtgothen unterwarfen ſich 
als Schutzgenoſſen feiner Herrſchaft. Mit ſorglo⸗ 
ſem Wohlgefallen ſah man in Bizanz den raſchen 
Fortſchritten des gothiſchen Helden zu ſeiner Ver⸗ 
groͤſſerung zu; ſo unmaͤnnlich die tapfern Voͤlker 
des Norden gefuͤrchtet wurden, ſo unbeſonnen ver⸗ 
achtete man ihren Ueberwinder. In Mailand, wo⸗ 
hin die weſtlichen Kaiſer ſeit Conſtantinopels Er- 
bauung ihren Hofſtaat verlegt hatten, lebte man 
in der froheſten Unwiſſenheit der Thaten des nor⸗ 
diſchen Alexanders. Julians großer Nah⸗ 
wre hatte ihn in Ehrfurcht und Ruhe erhalten; 
jetzt erklaͤrte er ſich für Procopius, Julians 
Verwandten, der ſich gegen Valens empoͤrt und 
Conſtantinopel in feine Gewalt gebracht hatte. 
Dreyßig tauſend ſtreitgeuͤbte Gothen eilten dem 
Nebenbuhler des Valens zu Hülfe; aber bey 
ihrer Ankunft in Thracien war Procopius ſchon 
überwunden und enthauptet. Auf ihrem Rüͤckzuge 
wurden ſie abgeſchnitten, gefangen genommen und 
nach den verderblichen Maximen einer einſeitigen 
Staatsklugheit in die Staͤdte des oͤſtlichen Reiches 
vertheilt. Herwanrich klagte über dieſe Bes 
handlung feiner Unterthanen, vertheidigte die Unter⸗ 
flügung des Procopius als eine Pflichtleiſtung, 
aus Altern Verträgen, forderte nicht nur die Frey— 
laſſung der gefangenen Edlen feines Volkes, ſon— 


dern auch Rechte und Freyheiten der Gefandten für 
die gothiſchen Heerfuͤhrer, wenn ſie an der Spitze 
ihrer Krieger auf dem roͤmiſchen Gebiethe erſchei⸗ 
nen würden: aber weder feine Klagen noch feine 
Forderungen fanden bey Valens Gehoͤr. Un⸗ 
vermeidlich war der Krieg; der Erfolg für die Ge— 
then unglücklich. Sie mußten der Uebermacht des 
Kaiſers unterliegen, und Friedensbedingungen on⸗ 
nehmen, die den Glanz ihrer Thaten verdunkelten, 
und das Gekuͤhl ihrer Wichtigkeit herabſtimmten. 
Hermanrich rüͤſtete ſich zur Rache, die Gelegen— 
heit dazu erſchien; aber das Verhaͤnaniß hatte fei- 
nen eigenen Untergang in die Umfiände verwebt. 
Eine Revolution in Afıen gab den gewaltigen 
Stoß zu der allgemeinen Bewegung und zu den 
großen Wanderungen der Barbaren gegen Weſten 
und Süden Curopa's. Von den Sineſern verdrängt, 
zogen die Hunnen, ein bisher unbekanntes, zahl⸗ 
reiches, ſchreckliches Volk, unter Balamirs An⸗ 
führung, mit ihren Weibern, Kindern und Herden 
über die Wolga. Mit ſtuͤrmender Wuth überfielen 
fie die Alanen, die mit ihren Karren das ganze Ge: 
bieth zwiſchen dem Don uns der Wolga bedeckt hat: 
ten. Hohen Wuchſes und ſchoͤner Geſtalt waren 
dieſe oͤſtlichen Nachbarn der Gothen. Leibeigen⸗ 
ſchaft und Knechtſchaft war ihnen unbekannt; nach 
der Groͤße kriegeriſcher Thaten wählten fie ihre Rich⸗ 
ter und Fuͤhrer. Selig prieſen fie nur den, der 
auf dem Schlachtfelde fiel; Schmach und Verach⸗ 
tung war das Loos des Alanen, der in einem tha⸗ 
tenlo⸗ 


u.“ 


— 49 — 


tenloſen Alter, nach dem allgemeinen Beſetze zu ters 
ben, zur Verweſung hinwelkte. Mit dieſem fürchte 
baren, mächtigen Volke maß Balamir an den 
Ufern der Wolga ſeine Kraft. Sein Sieg war 
die erſte Darlegung des groſſen Ber u⸗ 
fesſeiner Horden, das ermattete Unge⸗ 
heuer in Weſten aufzureiben, welches 
durch eilf Jahrhunderte mehrals eine 
halbe Welt unterdrückt hatte. Ein Theil 
der uͤberwundenen Alanen flüchtete ſich auf den Cau— 


caſus, ein anderer zog gegen den Belt und“ vers 


band ſich mit Germaniens nördlichen Stammen, 
um in der Folge die zerſtreuten Reſte des roͤmiſchen 
Gluͤckes mit ihnen zu theilenz der groͤßte ſchloß mit 
den Ueberwindern ein Buͤndniß und folgte dem Fuͤh— 
rer der Hunnen uͤber den ed um das ger er 
Gothen zu zerſtoͤren. 9 

Vergebens both Hermanri 0 „ein anden 
zehnjaͤhriger Greis, feine ganze Macht auf, um ſich 
den herzuſtroͤmenden Haufen der Hungen zu wider: 


ſetzen; durch Strenge und Erpreſſungen war er den 


Seinigen verhaßt geworden, Herrſchbegierde und 
Eiferſucht hatten das Band der Eintracht unter 
verſchiedenen Staͤnmen der Gothen entzwehetz zu 
klein war die Zahl der Tapfern, die dem Aufrufe 
wider den gemeinſchaftlichen Feind Gehör gaben. 
Uranfbaltfam drang Balamir durch die beſten 
Gaue der Oſtgothen vor; nichts vermochte Her— 


manrichs Widerſtand gegen den Muth der fies 


genden Hunnen, denen ſeldſt die Treuloſigkeit der 
| D 


S 50 sn 


Seinigen die Mühe des Kampfes erleichtert hatte. 
Nur für ſich fand er Rettung im Tode; er ſtuͤrzte 
in ſein eigenes Schwert, um der Schande der Dienſt⸗ 


barkeit zu entrinnen. Sein Nachfolger Vithi⸗ 


mer ſiel unter Hunniſchen Pfeilen, und das ganze 
Gebieth der Oſtgothen erkannte die Herrſchaft des 
Ueberwinders. Mit Widerich, Hermanrichs 
unmändigem Enkel, flüchteten ſich Alatbeus und 
Saphrafr an der Spitze ihrer Haufen zu den 
Thervingern an den Dnieſter, wo Athanarich, 
der Weſtgothen König, die Fortſchritte der Aſiati⸗ 
ſchen Stuͤrmern aufhalten wollte; aber Balamir 
war ſtark genug, Hinderniſſe zu bezwingen, welche 
nur die Verzweiflung feinem Heldenlaufe entgegen. 
thuͤrmte. Er hinterging Athauarichs Vorſicht 
und fuͤhrte ſeine Schaaren dort über den Strom, 
wo ſich der Gothenkoͤnig durch die Beſchwerlichkei⸗ 
ten einer wilden unwegſamen Gegend geſichert glaub⸗ 
te. Der unerwartete Ueberfall der Hunnen zwang 
die Gothen nach einem ungluͤcklichen Gefechte in dem 
SGebirge und hinter den Daͤmmen, die ihr Beſchuͤ⸗ 
ger eiligſt aufwerfen ließ, Rettung zu ſuchen; aber 
auch hier war vor den gewaltigen Verfolgern noch 
keine Sicherheit und Ruhe für fie. Fluͤchtig, durch 
Züge, Arbeiten und Nachtwachen entkraͤftet, von 


Mangel an Lebensmitteln bedroht, von der Ausſicht, 


entweder unter den Qualen des Hungers, oder un⸗ 
ter den Pfeilen der uͤberlegenen Feinde ruhmlos 
hinzufallen, erſchreckt, faßte der groͤßte Theil auf 

Alavivus und Fritigerns Eingebung den 


es 31 — 


Entſchluß, ſich jenſeits der Donau unter den Roͤmern, 
entweder mit den Waffen in der Hand, oder durch 
dringendes Fleben und Bitten neue Wohnpläge zu 
erwerben. Gluͤcklich erreichten die Geſandten der 
Gothen bey Valens ihren Zweck. Unter der Be⸗ 
dingung, daß fie bey dem Zuge über die Donau 
ihre Waffen den Römern uͤberliefern und ihre Kin, 
der als Geißeln für die Treue der Väter durch Aſien 
wollten vertheilen laſſen, ward ihnen die Aufnahme 
in das Roͤmiſche Gebiethe gewährt. Valens ſah 
in dem Glanze der Vortheile, die ihm ſein Stolz 
und feine Eitelkeit vormahlten, die Gefahren nicht, 
in welche eine ausgewanderte kriegeriſche Nation 

den wankenden Staat, der fie aufnahm, verfügen 
mußte. Er frohlockte vielmehr über das Gluͤck, das 
ihm aus den entfernteſten Gegenden eine ſolche Au⸗ 
zahl ſtark er, muthvoller Krieger zur Befeſtigung 
feines Thrones herbeyfuͤhrte. Mit innigſter Zufr e⸗ 
denheit berechnete er die Summen, die dutch die 
Kriegsdienſte der Gothen an Werbegeldern, Sold 
und andern Ausgaben jaͤhrlich koͤunten erſpart wer, 
den. Valentin lan war nicht mehr; und an 
dem Hofe des Wonnetrunkenen war kein Mann mit 
weit hinaus ſehenden Blicken, der ihn aus dem täu- 
ſchenden Traume geweckt hätte. Die Ueberfahrt 
der Gothen ward mit außerordentlichem Eifer und 
verſchwenderiſchem Aufwande betrieben. Schon 
lange waren die Nachkoͤmmlinge der Roͤmer nicht ſo 
geſchaͤftig als jetzt, da ſie von einer hoheren 

D 2 


Ze ic 


ehe gettin den untergens ds 
Reiches befoͤrderten “). 

Die Waffen waren der a e 15 
Kriege gebornen und gebildeten Gothen theuerſtes 
Gut. Mit Abſcheu und Verachtung dachten ſie dar⸗ 
an, daß ihnen die Roͤmer die nee derſel⸗ 
ben zur Bedingung machen konnten. Die Gnade 
des Kaiſers ward ihnen verdaͤchtig; ſeine Forderung 
ſtritt gegen ihre Neigung, ihren Ruhm und ihre 
Sicherheit; die Habſucht ihrer neuen Schugherren 
ſetzte ſie in den Stand, die einſeitige Klugheit des 
Valens zu betrugen. Für ſchoͤne Weiber, Toͤch⸗ 
ter und Knaben ließen ihnen die kaiſerlichen Be. 
fehlshaber ihre Schwerter und Wurfſpieſſe, die bald 
mit dem Blute der Römer gefaͤrbt werden ſollten. 
Athanarich, nur von dem größten Theile ſei⸗ 
nes Volkes und von dem Gluͤcke, nicht von feiner 
Kraft und Entſchloſſenheit verlaſſen, zog ſich mit 
der kleinen Schar feiner Treugebliebenen nach Ca u» 
caland, welches die Sarmaten bewohnt hatten, 
und jetzt dem tapfern Fluͤchtlinge uͤberlaſſen mußten. 
Alatheus und Saphrar wollten ſich mit ihm 
vereinigenz aber von den Hunnen abgeſchnitten und 
verfolgt, erſchienen auch ſie mit ihren Greuthun⸗ 
gern an den Ufern der Donau, auch ſie erbothen 
ſich, Thraciens Wuͤſteneyen anzubauen, und als 


#) Ita turbido instantium studio orbis Romani perni- 1 
ties ducebatur; Am. Marcell. L. XXX. C. Iv 


Krieger gegen die Feinde des Römifchen Reiches zu 
kaͤmpfen. Nicht mehr Freude, ſondern Schrecken 
verbreitete der Ruf ihrer Ankunft in Bizanz. Zu 
ſpaͤt ward man den Fehler gegen die Staatsklug⸗ 
heit gewahr, den man in der Aufnahme der Weſt⸗ 
gofhen begangen hatte; vergebens ſuchte man die 
Folgen deſſelben durch Abweſſung dieſer neuen Gaͤ. 
ſte aufzuhalten; trotz des Widerſtandes der ſchwa⸗ 
chen Grenzbedeckung, fegten die Greuthunger über 
den Strom und vereinigten ſich mit den Weſtgo⸗ 
then, Beleidigungen zu rächen, die der zahlreiche 
Stamm der Tapfern bald nach ſeiner Ankunft von 
Lupicinus, Throclens Stattpalter, erdulden 
mußte. a 

Mit Vorſaß wurden die Gothen dem druͤckend⸗ 
ſten Mangel preis gegeben. Die ſchlechteſten. Nahe 
rungs nittel mußten fie mit Frobndienſten oder mit 
Hingebung ihrer Kinder zur Schande und Leibei⸗ 
genſchaft erkaufen. Ibrer Klagen ı und Beſchwerde 
ward geſpottet; ‚Ihre Drohungen. wollte Kl 
n us durch Mömiſche Küng unwirkſam machen. Er 
lud ihre Bührer lav ie usund Fritigern nach 
Marefgnopel z zu einem Gaſtmahle, deſſen Aufwand 
fie. und die Edelſen ihres Volkes unter meuchelmoͤr⸗ 
deriſchen Haͤnden mit ihrem Blute bezahlen ſollten, 
Die Geuͤbteſten im Kampfe begleiteten ihren Fuͤh⸗ 
rer, deren Sicherheit fie in Gefahr glaubten.‘ Mit 
Gewalt drangen ſie in die Stadt ein. Lupiein 
gab Befehl Fritigerns Gefolge zu ermorden; 
die Gothen wurden mit den Römern handgemein; 


unter dem Vorwande den Tumult zu ſtillen, verließ 
Fritigern den Statthalter und ſtellte ſich an die 
Spitze der Seinigen. Die von langer Ruhe und 
von Wolluſt entnervte Beſatzung vermochte nichts 
gegen die gothiſchen Männer. Lupie in ward 
gleich im erſten Gefechte geſchlagen. Nieder: Mi: 
ſien und Thracien wurden von dem Sieger verheert 
und geplündert. Von dem erſten gluͤcklichen Erfolg 
ermuntert, ruͤſteten ſich nun die Gothen zu groͤſſern 
Unternehmungen; ihr ſiegreicher Heerfuͤhrer verlang⸗ 
te und erhielt von den Hunnen und Alauen zahl⸗ 
reiche Huͤlfsvoͤlker. Schon waren die blühenden 
Gegenden um die neue Hauptſtadt der Welt in Brand. 
ſtaͤtte und Leichengefilde verwandelt, als Valens 
mit einem ſchnell zuſammengerafften Heere den Ver⸗ 
mwüflern entgegeneilte. Gratian, Valentini⸗ 
ans Sohn und Thronfolger, der eben jetzt die Alles 
monnen geſchlagen hatte, führte feine Mannſchaft 
dem Beherrſcher des Oſten zu Hülfe; aber Valens 
geitzte nach der Ehre des Sieges. Ohne die An⸗ 
kunft feines Neffen zu erwarten, wagte er bey Hadria⸗ 
nopel eine Schlacht. Fritigern, von den ſeini⸗ 
gen und Bala mirs Männern unterſtuͤtzt, feyerte 
auf den Leichen der Roͤmer das Siegesfeſt der Ra⸗ 
che und des Todes, das ſelbſt der fluͤch tige Val ens 


durch Verluſt ſeines Lebens den Ueberwindern ver⸗ 


herrlichte. 
Mit der Kunſt Staͤdte zu belagern waren die 
Gothen noch unbekannt; ihre Angriffe auf Hadria⸗ 


nopel, Perinthus und Bizanz mißlangen. Um fo 


— 5 5 — 


ſchrecklicher war die Verwuͤſtung, die fie auf ihren 
Streifereyen verbreiteten. Sie drangen von der 
einen Seite bis nach Achaja, von der anden bis 
an das Adriatiſche Meer. Erſtaunt, daß ſie nir⸗ 
gends Widerſt and fanden, fpotteten fie des eiteln 
hochmuͤthigen Volkes, das ſich den Herrn der Welt 
nannte, ohne Kraft feine Herrſchaft zu vertheidigen. 
Von nun an entfchieden die Pfeile und Schwerter 
der Hunnen bey jedem wichtigen Auftritte, zu dem 
fie die unſichtbare Hand des Schickſals führte, u m 
ſie zu wirkſamen Beförderern feiner 
verborgenen Rathſchlüſſe zu bilde n.“ 
Gratian und Theodoſius traten nach ei: 
nigen erfochtenen Vortheilen mit den Gothen und 
Hunnen in Unterhandlungen. Den erſtern ward der 
groͤßte Theil von Thrazien zum eigenen Wohnſitze 
eingeräumt, fie erkannten dafuͤr die roͤmiſche Ho- 
heit, legten die Waffen nieder und ergriffen ſie nur 
unter ihren ſelbſtgewaͤhlten Anfuhrern, wenn fie zur 
Vertheidigung ihres neuen Vaterlandes aufgefordert 
wurden. Theodoſius bildete aus ihnen ein zahl⸗ 
reiches ſtehendes Heer, das ihm fuͤr anſehnlichen 
Sold treu ergeben blieb, aber ſeinen Nachfolgern 
um fo nachdrücklicher fein Gewicht empfinden ließ. 
Von Balamir, der mit feinen furchtbaren Scha: 
ren auch die Städte Pannoniens ſchon oͤfters heim» 
geſucht hatte, ward Ruhe und Sicherheit mit einem 
jahrlichen Tribut von neunzehn Pfund Gold er. 
kauft; Geſchenk naunten ihn die Römer, die 
ſchon gewohnt waren über dem Anſtaͤndiger 


— 36 — 


des sh ene des Schu pft ion der 
Sache zu vergeſſen. | 
da Huf die Tapferkeit der Hunnen garn 
rufte ſie Grat ian zu Hülfe gegen Maximus, 
der ſich in Britannien den Raifertitel angemagr and 
Gallien in Beſig genommen hatte. € Ga un, Ba: 
la m irs treuer Sirgesgefaßrte, zog mit "einigen 
tauſond Hunnen rd Alanen an, den Nh ein; aber 
der Kafſer war von feinem Neben büßler ſchon in 
die Flucht beſagt, verfolgt und durch bie Hand ei 
nes Meüchelmoͤrders ermordet. Juſtina, die im 
Nahmen des vam ündigen. Balentinions dag 
weft che Kaifertbum beherrschte, ſchloß mi it M arts 
mus einen Veraleich; und die Hunt en, wur den | 
reichlich befhenkt, um fie zur friedlichen "gi reh 
voch Dacien | zu bewegen. N vn. a 
Abe. Nach ichten von der Säwäse und Pers 
derbeheit der Römer in Weſten waren Bala mir s 
Geiſte ein reichlicher Stoff zu son Eotwürfe! 
für die Zukunft; jetzt war er noch im ier beihätz 
tigt, Ordnung und Eintracht unter den erſchlede⸗ 
nen Völkerſtammen } su erhalten, die ſich Arch Her; 
ſchaft unterworfen atten. Sin natiirfices Gefühl 
von Billigkeit leitete ihn. auf den ſtherſten Weg, 
| fih die treue Ergebung der eroberten Horden zu er⸗ 
werben. | Er hielt ihre einfache, den ftiegerifchen 
Enthufiosmus begünstigende Religion i in Ehren. Sie 
waren ihm als ihrem unbefihrän?tefien Monarchen 
und Schußherrn unterthan, zugleich aber auch ſei⸗ 
ne dreunde und treueſten Bundesgenoſſen. Sie 


lebten nach ihren eigenen Gewohnheiten und Gefe: 
gen. Unter feinem Schutze kamen fie in ihren Gau— 
en zuſammen, um die Angelegenheiten ihres Stam— 
mes zu verhandeln ; ; unter einein Schutze En 
ſich die Alanen ihre Richter; die Oſtgothen, 
die nach Vertreibung der Sandalen in 17 
en wohnenden Therviuger und Weſtgothen ihre Koͤ⸗ 
nige. 
ungerührt von der mie des Eroberers, 
fir te Winithar, der Oſtgothen König, nach 
unabhängigkeit; um fie zu behaupten, und ein neue 
v3 Reich zu errichten, uͤberftel er die Anten zwiſchen 
dem Duieſter und dem Pontus. Der Rächer ver: 
folgte feine Fußſtopfen; in der Schlacht endigte 
* ala mir mit einem Pfeilſchuſſe das Leben und 
die kurze Herrlichkeit des Uedermüthigen. Huni⸗ 
mund ward von dem Sieger zum Könige über die 
Oftgothen eingeſetzt. Um ſich der ſtandhaften Treue 
dieſes Volkes deſtomehr zu verſichern, nahm Ba ⸗ 
la mir Winithars Nichte zur Gemahlin, in 
deren Armen er bald fein. thatenreiches Leben vol⸗ 
lendete. 

C har a to on, der Erbe des Hunniſchen Reis 
ches, blieb der Weiſe feines Vorfahrers getreu, 
jede Gelegenheit, der Ohnmacht der Romer zu 
dienen, oder fie zu demuͤthigen, jeder Ruf zum 
Kampfe, er mochte aus dem Kaiſerlichen Pallaſte 
wider auftuͤhriſche Heerfuͤhrer, oder aus dem Las 
ger der letztern wider verachtete Kaiſer erſchallen, 
war ihm willkommen: immer war es der Ruf 


— 38 — 


zur Thaͤtigkeit und Ausbildung ſeiner Hun⸗ 
nen. 

Maximus hatte den mit Juſtin a gr 
ſchloſſenen Vertrag aufgehoben und den hülflo⸗ 
ſen Beherrſcher des Weſten aus Italien bis Theſ. 
ſalonica verjagt. Von Theodoſtus zur Hülfe 
gegen den Treuloſen aufgefordert, ſtellte ſich Cha⸗ 
raton mit zahlreichen Haufen Hunnen, Gothen 
und Alanen unter die Kriegs fahne der Roͤmer. M a: 
ri mus hatte ſich in Aquileja eingeſchloſſen; aber 
gegen die Gewalt der Hunnen waren die Mauern 
der Stadt eine zu ſchwache Schutz wehr für ihn. Sie 
ſpreugten die Thore, bemaͤchtigten ſich des Tyran⸗ 
nen und brachten ihn vor Theodoſtus, der über 
fein Haupt das Loos des Todes warf. Ruhig ges 
noſſen ſie den reichlichen Lohn ihrer Arbeit, bis ſie 
von dem Verraͤther Ru ſtnus, den Theo do ſi⸗ 
us ſeinen Freund nannte, gereitzt wurden, das 
oͤſtliche Kaiſerthum zu überfallen. Mit ihren Schutz⸗ 
und Bundesgenoſſen folgten ſie den Winken des 
verſchmitzten Hoͤflings. Ganz Thracien ſeufzte un⸗ 
ter den Schrecken der neuen Verheerung. Sti⸗ 
lico, von Geburt ein Vandale, feines Zeitalters 
tapferſter Heerführer, ward aus Italien zur Ret⸗ 
tung herbeygerufen. Durch richtig angewandte Kunſt⸗ 
griffe ſchloß er die Hunniſchen Haufen ein; Feiner 
wäre der Rache entronnen, hätte nicht Ru ſinu s, 
von Neid und Eiferſucht über das Gluck des Van⸗ 
dalen getrieben, dem Kaiſer den boshaften Rath 

eriheilt, dem Ueberwinder den Rückzug zu befehlen, 


und die Hunnen frey zu laſſen. Dankbar bezeigten 
ſich dieſe dem getaͤuſchten Theodoſtus; nur durch 
ihre und ihrer Bundesgenoſſen maͤchtige Huͤlfe ers 
focht er bald darauf den Sieg über Eugen ius, 
der nach Valentinion des Zweytn Ermor⸗ 
dung, von den Galliern und Franken unterſtützt, 
ſich der boͤchſten Gewalt in Weſten bemaͤchtiget 
hatte. 5 

Unter Arcadius und Honorius loͤste ſich 
der ſchoͤne Traum eines beſſern Zuſtandes, den man 
von Theodoſtus heilſamen Verfügungen erwar⸗ 
tete, in eine traurige Wirklichkeit auf. Unter ih⸗ 
nen ward der zweyte und entſcheidende Einbruch 
der Barbaren in das Reich entworfen; durch die 
Nichtswuͤrdigkeit ihres Characters, durch die Raͤn⸗ 
ke ihres Hofes, und durch den allgemein herrſchen⸗ 
den Geiſt des Zeitalters beguͤnſtiget, ward er aus“ 
geführt. Theodoſtus hatte das Reich unter ſei⸗ 
ne Soͤhne getheilt; mit ihrer Kraftloſigkeit bekannt, 
hatte er dem aͤltern den Ruſinus in Oſten, dem 
juͤngern den Stilico in Weſten als Vormuͤnder 
und Reichs verweſer an die Seite geſetzt. Mehr mit 
den theologiſchen Speculationen der Sectirer, als 
mit dem menſchlichen Herzen vertraut, wußte er 
nicht, daß die zwey Männer, in deren Hände er 
das Glück ſeiner Soͤhne und das Schickſal ſeines 
Reiches legte, ſich als Todfein de haften. Doch 
ſelbſt dieſer Irrthum war in ſeinen entfernten Fol⸗ 
gen wohlthaͤtig für die Welt; ſelbſt der Umſtand, 
daß gerade demjenigen, der feinem Nebenbuhler 


an Gluͤck und Geiſtesſtaͤrke uͤberlegen war, dort, 
wo noch die meiſten Kräfte aufzureiben waren, 
ſein Wirkungskreis angewieſen ward, war in dem 
Plane der Natur ein kraͤftiges Mittel, aus dem 
ung lücke und Verderben des Zeital⸗ 
ters die Gluͤckſeligkeit ferner Jahr⸗ 
hunderte hervorgehen zulaffen. Ge⸗ 
rade jetzt mußten Rufinus und Stilico die 
hoͤchſte Gewalt unter ſich theilen, ſollte die groſſe 
Kataſtrophe der Roömiſchen Welt nicht ſchneller 
erfolgen, und alle Vortheile ihrer all mähligen 
Aufloͤſung für die Zukunft verloren gehen. Gera⸗ 
de jetzt mußten ſich der Vandale und Gal. 
lier ihrer Macht nur zur Befriedigung ihres ge⸗ 
genſeitigen Haſſes bedienen, ſollte der Zuſtand der 
Barbaren in und an den Grenzen des Reiches mehr 
Feſtigkeit erlangen und ihr Einfluß auf das Schick⸗ 
ſal der Welt entſcheidender werden. Gerade der 
Hof des weſtlichen Kaiſerthumes mußte Stilic o's 
Leidenſchaften zum Schauplatze eingeraͤumt werden, 
ſollten die neuen Reiche in Gallien, Spanien und 
al entſtehen, follten ein Gothe, ein Hun⸗ 
‚ein Scyrer Rom und Italien für die Ver⸗ 
Bü einer halben Welt zuͤchtigen, zerſtoͤren und 
and ihren Truͤmmern den Grund zu einem feſtern 
Gebaͤude zuſammen bete Kufinu 8 in Oſten 
ver ſchwand bald; fein Untergang erweiterte die 
Macht ſeines ehrgeitzigen Gegners in Weſten, weil 


8 der Hof zu Bizanz gerade jetzt keinen Mann hatte, 


der dieſem auf 1 ins Standpunkte gefährlich 


8 1 
werden konnte. Stilico in Oſten hätte entwe⸗ 
der feinen Haß oder ſeine Entwürfe aufgeben muͤſſen, 
weil den in Weſten unterdruͤckten Rufinus Maͤu⸗ 
ner erſetzen konnten, deren vereinigte Kräfte St is 
lico's Anſchlaͤge vernichtet, und ihn fruher 
als es wirklich geſchah, in feinen eigenen Falls 
ſtricken gefangen haͤtten. Beyde ſtanden gerade zu 
rechter Zeit auf ihrem angemeſſenſten Plas 
be. Beyde wählten die ſchicklichſten Mittel zu dem 
Zwecke, zu deſſen Befoͤrderung ſie beſtimmt waren. 
Beyde wetteiferten um den Veyſtand barbariſcher 
Voͤlker; jeder fand unter ihnen einen maͤchtigen An⸗ 
hang fuͤr ſich; jeder bediente ſich deſſelben, ſeiner 
Abſicht gemäß, zum Sturze ſeines Nebenbuh— 
lers; nach dem Plane des Weltgeiſtes, 
zur Zerſtoͤrung der im Ganzen noch wirkſamen Kraͤf. 
te, die der moraliſchen Umwaͤlzung der Welt vor: 
4 mußte. 

Zwey Männer vol Kraft, Thatendrang, Ein⸗ 
ſchten und Entſchloſſenheit gaben ihrem Volke eben 
jetzt über alle Voͤlker des Norden ein maͤchtiges 
Uebergewicht. Entſchieden war die Ueberlegenheit 
desjenigen, deſſen Glü mit ihrer Kraft in einer 
Wagſchale lag. Innigſt vereinigt , diente jeder 
nur dem, der mit dem andern in Verbindung ſtand. 
A lar ich der Weſtgotben Heerfuͤhrer, und Hul— 
din Charatous Nachfolger waren dieſe Mäns 
ner; beyde ſtanden dem Rufinus zu Gebothe. 
Stilico behauptete, Theodoſius hätte die 
Neichs verwaltung und die ganze Kriegsmacht ihm 


| 
| 


allein anvertraut, um feine Anſpruͤche durchzuſetzen, 

behielt er das Heer, welches dem Kaiſer gegen E u» 
genius gefolgt war, in Italien; nur die Huͤlfs⸗ 
voͤlker der Hun nen und Gothen mit ihren ver⸗ 
kannten Führern wurden abgedankt. Nufinus 
hatte Nachricht von den Anſtalten ſeines Gegners 
zur Behauptung ſeiner vergeblichen Rechte in der 
Verwaltung des Orients. Der übermüthige Gal⸗ 
lier, der ſich ſelbſt auf den oͤſtlichen Kaiſerthron 
emporſchwintzen wollte, mußte ſich gefaßt machen, 
von der einen Seite dem maͤchtigen Stilico die 
Spitze zu biethen, von der andern die Kraͤfte des 
Arcadius zu vermindern, die ihn auf dem We⸗ 
ge zu dem Ziele ſeines Stolzes aufhalten konnten. 
Er glaubte alles zu gewinnen, wenn es ihm gluͤckte, 
das oͤſtliche, und wo moͤglich auch das weſtliche Reich 
der Wuth der Barbaren auf einige Augenblicke 
preis zu geben. 

Alatichs Selbſtgefuͤhl war gekraͤnkt, weil 
Theodoſius den Gothen Gainas, nicht ihn, 
zum oberſten Befehlshaber der Huͤlfstruppen ge⸗ 
ſetzt; fein Stolz war beleidigt, weil ihn der Kaiſer 
nach der Niederlage des Rebellen Eugenius ob» 
ne ausgezeichnete Belohnung entlaſſen hatte; ſeine 
Unzufriedenheit benutz te Rufinus zu feinem Zwe⸗ 
cke. Von dem Treuloſen aufgefordert, uͤberſtel Al a⸗ 
rich Thracien und drang ohne Widerſtand nach 
Macedonien und Theſſalien. Der Gall ier ſelbſt 
hatte ihm heimlich alle Hinder niſſe aus dem Wege 
geraͤumt. Meiſter des Paſſes bey Thermopplaͤͤ, 


machte er Boͤotien, Attica und den Peloponneſus 
zum Schauplatze der graͤulichſten Verwuͤſtung, waͤh⸗ 
rend die von der andern Seite herbeygerufenen Hun- 
nen Armenien, Coͤleſyrien und Cilitien pluͤnderten 
und verheerten. Arcadiug forderte ſeine Kriegs- 
macht aus Italien zuruck. Mit dem Vorſatze, das 
öſtliche Kaiſerthum von feinem Verraͤther und von 
feinen Feinden zu befreyen, zog Stili co ſelbſt 
mit dem Heere aus. Durch die Kunſtgriffe des 
Rufinus von dem Kaiſer zuruͤckberufen, machte 
er den Gainas zum Vertrauten feiner Entwürfe 
und zum Vollzieher der That, zu der ihm nun ſelbſt 
die Gelegenbeit benommen war. Gain as ſtand 
vor den Thoren Conſtantinopels; der Kaiſer und 
ſein regierender Vormund gingen den einruͤckenden 
Truppen entgegen; der Gothe gab das verabredete 
Zeichen; und im Angeſichte der Hauptfladt und ihres 
kraftloſen Gebiethers ward Rufin us angefallen 
und ermordet. 

Stilico hatte jetzt einen Nebenbuhler nnd 
Feind ſeiner Herrſchaft weniger; aber Alarichs 
und Huldins Verbindung mit den Maͤchtigen 
des oͤſtlichen Kaiſerhofes war noch nicht aufgehoben. 
Stilico verfolgte den erſtern mir einer Flot⸗ 
te in Griechenland; aber Al ariſch entrann der 
Zuͤchtigung, fand in Epirus Sicherheit, und ward 
bald von den Seinigen zum Koͤnige der Weſtgothen 
ausgerufen, und von dem Kaiſer auf Befehl des 
Eunuchen Cutropius, der dem Gallier in 
der Herrſchaft über Areadins und in dem Haſſe 


* 


— 64 — i 


gegen, Stilico nachgefolgt war, zum Oberbe⸗ 
febls haber der Oſtillyriſchen Kriegsmacht ernannt. 
Eutropius ward durch feine unerſaͤltliche 
Habſucht zur Geiſſel des Volkes; in dem allgemeis 
nen Abſcheu, der den verruchten Guͤͤnſtling traf, 
ſah Gain as die Leichtigkeit, feinen Freund in 


Italien auch von dieſem Gegner zu befreyen und 


für ſich ſelbſt bey dem Kaiſerbofe mehr Gewicht 
und Einfluß zu erlangen. Tribigild, Gai⸗ 
nas Verwandter, und jetzt das Werkzeug zu die⸗ 
ſem Zwecke, mußte ſich in Phrygien emvören, und 
nur unter der Bedingung, daß ihm der Euauch 
ausgeliefert wuͤrde, Nuͤckkehr zur Pflicht verſprechen. 
Arcadius bohlte das Gutachten ſeiner Gemahlin 
und Gebietherin Eudoxia ein; ihr Ausſpruch 
ſtimmte in die Wuͤnſche der Gothen; und der Herr 
des Orients ſtammelt eech uber 
Cutropius. 

Gainas konnte den Nein Sklaven ei⸗ 
nes Weibes und ſeiner Eunuchen nur verachten. 
Sein Kraftgefuͤhl trieb ihn zu demſelben Ziele hin, 
das Rufinus und Eutropius verfehlt hatten, 
nur zu zeitig verrierh er feine Anſchlaͤge. Des Hoch⸗ 
verraths ſchuldig, und als Feind des Reiches zum 
Tode verurtheilt, entfloh er aus der Hauptſtadt 
und verſammelte die einzelnen Siänme der Gothen 
unter die Fahne der Empörung. Zahlreiche Hau: 
fen folgten ihm zu Thraciens Berheirung; bey dem 
Genuſſe ihrer reichlichen Beute ſpotteten fie des 

ohnmaͤchtigen Widerſtandes der Kaiſerlichen Kriegs · 


ſch aa⸗ 
* 


W 
* 4 


u 65 2 


ſcharen. Arcadius rufte Huldin um Huͤlfe 
an; und der allenthalben fiegende Rebell, der die 
ganze Macht des Kaiſers nicht ſuͤrchtete, konnte 
der Tapferkeit der Hunnen nicht entgehen. Hul— 
din nahm ihn gefangen, ließ das Kaiſerliche To— 
desurtheil an ihm vollziehen und ſein Haupt dem 
Kaiſer zu Fuͤſſen legen. 2 

Stilio hatte jetzt keine Nebenbußler mehr 
aus dem Wege zu ſchaffen; ungehindert fuhr er fort 
feine Macht und fein Auſehen, in Weſten zu erwei— 
tern. Die Aufreibung der Barbariſchen Horden, 
die von allen Seiten das Reich und feinen Behert— 
ſcher aͤngſtigten, gehörte nicht in feinen Plan; er 
ging ihnen bewaffnet entgegen, zeigte ihnen was 
er durch Gewalt vermoͤchte, ſchloß mit ihnen Vera 
traͤge und wies ihnen unter der Bedingung eines 
ruhigen Verhaltens und treuer Ergebenheit Wohn— 
fige in den Provinzen an, die fie überfallen hatten. 
So ward den, von den Gothen verdraͤngten Duos 
den, Marcomannen und Vandalen das noͤrdliche, 
den Sarmaten, Sveven und Alanen das füdliche 
Noricum, den Juthongen und Bariern Bindelicien 
und Rhaͤtien eingeraͤumt. Angelockt durch die ſcho⸗ 
nende Staatsklugheit, mit welcher Stilico die 
unternehmendern Voͤlkerſtaͤmme behandelte, faßte 
Alarich den Entſchluß, feine von der Natur ers 
langten Vorrechte zur Erſchuͤtterung des Roͤmiſchen 
Reiches auch dem Decident anzukündigen. Lange 
dazu vorbereitet, verließ er Illytien, zog mit ges 
übten, wohlgeruͤſteten Schaaren über die Juliſchen 

E 


Alpen und drang mit dem feſteſten Willen, Kom 
zu beſtuͤrmen und die Herrſchaft der Weſtgothen in 
Italien zu gründen, gegen den Padus hervor. 
Schon drohte er, Ravenna, Honorius Reſidenz, 
zu belagern, waͤhrend dieſer ſich mit Prieſtern. Wei⸗ 
bern und Verſchnittenen berath⸗hlagte, ob er ſich 
in feinem Pallaſte verbergen, nach Rom flüchten, 
oder Italien verlaſſen ſollte. Alarichs furcht⸗ 
bare Annaͤherung brachte ihn zum Entſchluſſe. Er 
verſprach, dem ſchrecklichen Manne Gallien und 
Spanien abzutreten; und Alarich erlaubte dem 
Feigen noch eine Zeit unter dem Schimmer ſeiner 
ohnmaͤchtigen Majeſtaͤt ſorglos zu athmen. Bey 
Pollentia, eben als er nach Gallien ziehen woll⸗ 
te, unterbrach Stilico, der einzige, der in 
ganz Italien auf Widerſtand dachte, den Lauf des 
Helden. Der blutige Sieg, den Alarich dem 
entſchloſſenen Vandalen überlaſſen mußte, 
ſchwaͤchte fein Gluck, aber nicht feinen Muth. 
Mit Feuer und Schwert oͤffuete er ſich durch Thus⸗ 
cien den Weg gegen die Vaterſtadt der alten Hel⸗ 
den. Rom oder den Tod, war ſeine Lo⸗ 
fung : fie donnerte fo ſchrecklich aus feinem Mus 
de, daß es Stilico für beſſer hielt, von den 
Maßregeln der Klugheit zu erwarten, was er nur 
mit Aufopferung der letzten Kraͤfte des Staates 
hätte erzwingen koͤnnen. Durch einen geheimen 
Vertrag, bey welchem Alarich fuͤr ſich und ſei⸗ 
nen Freund Huldin aller Verbindung mit dem 
Hofe zu Conſtantinopel entſagte, und Oſtillyrien 


„ 


dem weſtlichen Kaiſerthume zu unterwerfen verſprach, 
überließ der unbeſchränkt herrſchende Vandale 
das obere Pannonien und Dalmatien den Weſtgo— 
then: und Italien erhielt noch laͤngere Friſt, 
fein Verbrechen zu haͤufen, und in feiner zunehmen⸗ 
den Schuld die Gerechtigkeit des raͤchenden Verhaͤng— 
niſſes der ſtaunenden Nachwelt deutlicher darzulegen. 

Von nun an waren Alarich und Huld in 
Stilico's treueſte Bundesgenoſſen. Die Vor⸗ 
theile dieſes Buͤndniſſes erfuhr das Reich bey dem 
Einfalle des Rhadagaiſus, der mit zahlloſen 
Haufen noch unſtet herumirrender Sveven, Quaden, 
Burgunder, Vandalen und Alanen die muthloſen 
Einwohner Italiens in Schrecken und Verzweiflung 
geſtuͤrzt hatte. Der auf den Ruinen verheerter 
‚Städte triumphirende Barbar fiel unter den ſiegen— 
den Waffen der Hunnen, die Huld in geſandt hats 
te, Stilico's Tapſerkeit zu unterſtuͤtzen. 

Ben der entſeelten Hulle des Rhadagaiſus 
toͤnte dem maͤchtigen Staatsverweſer 
des Oceidents das letzte Siegesgeſchrey von den 
Lippen feiner Freunde und Kriegsgefaͤhrten; er ſtand 
an feinem Ziele. Der Untergang des oͤſtlichen Kai— 
ſerthumes, zu dem er ſich mit Alarich und Hul⸗ 
din verbunden hatte, war noch nicht in dem Pla— 
ne des Schickſals, Er ſtrebie nach der Alleinherr— 
ſchaft über die Welt; wäre fie ihm geworden, durch 
die Starke feines Geiſtes hatte er fie behauptet, 
und vielleicht feine Zeitgenoſſen mit neuen Kräften 
belebt; aber vorbereiten und befördern, nicht au 

E 2 


— 63 — 


Kalten ſollte er den Lauf des Verhaͤngniſſes; er 
ward abgerufen. Der froͤmmelude Heuchler Oly m⸗ 
pius machte ihn dem Kaiſer verdaͤchtig; Hono⸗ 
rius ſprach ihm das Todesurtheil. Sarus, ein 
Gothiſcher Rottenfuͤhrer, übernahm die Vollziehung 
des Mordbefehls; mit der Unerſchrockenheit und 
Standhaftigkeit des Helden both Stilico feinen 
Nacken dem Schwerte dar. Sein Sohn, ſeine 
Freunde, ſeine Leibwache, aus den Tapferſten der 
0 Hunnen und Weſtgothen gewaͤhlt, mußten das 
Loos des Todes mit ihm theilen. 

Die grauſame Undankbarkeit des Kaiſers ent⸗ 
Aammte Alarich und Huldin zur Rache. Der 
erſtere ruͤſtete ſich zu einem ſchrecklichen Gerichte 
über Italien; der letztere forderte den Erſatz fuͤr 
das Blut der Ermordeten von dem Kaiſerhofe zu 
Bizanz. Huld in führte feine Streitmaͤnner über 
die Donau, nahm Caſtra Martis in Moͤſten weg, 
und drohte, nach einem Streifzuge durch Thracien, 
ſelbſt der Hauptſtadt Zerſtörung. Die Herren und 
Abgeordneten des Kaiſers, von dem allgemeinen 
Entſetzen hingeriſſen, bathen den Verheerer um 
Frieden. Mit Anbruch des Tages führte fie Hu l⸗ 
din auf einen Berg und hieß ſie der aufgehenden 
Sonne entgegenſehen. „Alles, ſprach er voll ſtol⸗ 
zen Selbſtgefuͤhls, was dieſes Licht vom Aufg enge 
bis zum Untergange erleuchtet, muß entweder un⸗ 
ter dem Schwerte der Hunnen fallen oder ihrer 
Herrlichkeit zinsbar werden. Fur einen jahrlichen 


Tribut von hundert fünfzig Pfund Gold will ich 
eurer noch ſchonen. Haben euch Laſter und Schwel: 
gerey zum muthigen Kampfe entnervt, hat euch die 
Furcht des Todes entmannet; fo friſtet euer arm⸗ 
ſeliges Leben durch die Schande der Dienſtbarkeit!“ 
Mit Verachtung entließ er ſie. In der Habſucht 
einer Horden fanden fie für den Augenblick Ret— 
tung. Häufig ſchlichen ſich die Roͤmer in das La— 
ger der Hunnen. Ihre prahlenden Lobeserhebun⸗ 
gen der Güte, Großmuth und Freygebigkeit des, 
Kaiſers fanden Gehoͤr und erzeugten Erwartungen. 
Schaarweiſe lief das geblendete Volk zu den Noͤ⸗ 
mern über; die den glatten Worten der Verführer 
nicht trauten, ſchworen zur Fahne des Aufruhrs, 
der alle Augenblicke auszubrechen drohte: aber ein 
ſchueller Ruͤckzug befreyte den verrathenen Helden 
von der Wuth feiner Verfolger. Mit verftärfter 
Macht erſchien er wieder. Der Ruf der grauſamen 
Behandlung, welche die entlaufenen Hunnen von 
den Roͤmern erdulden mußten, befeſtigte die Treue 
ſeiner Streiter, und machte ihren Arm behend zu 
dem graͤulichen Blutbade, das die Ehre der Hun 
nen von dem Flecken der erſten mißlungenen Unter: 
nehmung reinigen ſollte. Der Kaiſer that ihnen 
Einhalt und bewilligte den verlangten Tribut, weil 
es ihm leichter war den Betrag deſſelben den duͤrf— 
tigen Einwohnern der Hauptſtadt abzuzwingen als 
Menſchen zu finden, die ſich dem Feinde mit Muth 
und Entſchloſſenheit widerſetzt hätten. 


EL 


Indeſſen hatte Alarich feine Kräfte geſam⸗ 
melt. Wit Huldins Kaͤmpfern verſtaͤrkt, zog er 
ohne Widerſtand gegen die Hauptſtadt des Weſten. 
Unter ihren Mauern gelagert, fchritt ihr der Raͤ⸗ 
cher zu Waſſer und zu Lande die Zufuhr ab. Eut⸗ 


nervte Weichlinge, denen Schwelgerey und Ueber- 


fluß dringendes Beduͤrfniß geworden war, oͤffne⸗ 
ten jetzt ihre Schaͤtze, um ſich Nahrungsmittel zu 
erkaufen, vor welchen ſonſt ihren niedrigſten Sela⸗ 
ven geeckelt haͤtte. Tauſende ſtarben des Hungers 
todes, dem ihre Väter im maͤnnlichen Kampfe ent» 
ronnen waͤren. Eine Million zweyhunderttauſend 
Menſchen, von dem Gefühle ihrer Verworfenheit 
entmannt, ſahen kein anderes Rettungsmittel als 
die Gnade des Belagerers. Mit fuͤnftauſend Pfund 
Gold, dreyſſigtauſend Pfund Silber, viertauſend 
ſeidenen Kleidern, dreytauſend Stuͤck Scharlach 
und eben fo viel Pfund Pfeffer mußten fie die Fur» 
ze Friſt ihres armſeligen Daſeyns bezahlen. In 
Hetrurien erwartete Alarich die Erfüllung feiner 
Forderungen; die Soͤhne der vornehmſten Buͤrger 
nahm er als Geiſſeln mit ſich; unter ihnen war 
Aetius, Attila’ kuͤnftiger Lehrer und Ju⸗ 
gen deren d. 

Indeſſen war Utaulph, Alarichs Schwa⸗ 
ger, aus Pannonien aufgebrochen. Von den Ufern 
der Donau her hatte ihm ſein Schwert den Weg 
nach Italien geoͤffnet. Neue Scharen der Hun⸗ 
nen, von Mundzuch dem Tapferſten ſeines Vol⸗ 


\ 


A 


tes angeführt, waren ihm gefolgt. Vlerzigtauſend 
Sclaven und Landleute, des Joches ihrer grauſa— 
men und ſtolzen Gebiether uͤberdruͤſſig, hatten fein 
Heer verſtaͤrkt. An der Spitze hundert fuͤnfzigtau— 
ſend ſieg und raubbegieriger Streiter trat Al a— 
rich mit dem Hofe zu Ravenna in Unterhandlun- 


ger. Fuͤr anſehnliche Jahrgelder, Getreideliefe⸗ 


rungen und Abtretung einiger Provinzen verſprach 
der Koͤnig Italien zu verlaſſen. Aber Olympi— 
us, und nach dem Sturze dieſes herrſchenden Guͤnſt⸗ 
lings, Jovius und Sar us unterdruͤckten durch 
das Zauberbild taͤuſchender Hoffnungen in der See— 
le des Kaiſers die Furcht, die ihm nur in Aufopfe⸗ 
rungen Heil und Errettung feiner Herrlichkeit ge, 
zeigt hatte. Alarich zog wieder vor Rom; die 
Furcht einer neuen Hungersnoth oͤffnete ihm die 
Thore der Stadt. Auf des Siegers Befehl ward 
dem Honorius der Gehorſam aufgekündigt, und 
Attalus, Vorſteher der Stadt, zum Kaiſer er— 
klärt. Der neue Gebiether des Weſten verſprach 
viel und that nichts. Den Rathſchlaͤgen des Koͤ— 
nigs gemäß, ſollte er ſich vor allem Afrika's, der 
Vorrathskammer Italiens, verfihern; aber miß- 
trauiſch auf ſeinen Befoͤrderer, verwarf Attalus 
den heilſamen Rath. Alarich zog ihm den Pur⸗ 
pur wieder aus, deſſen ihn Geiſtesſchwaͤche, Stolz 
und Unthaͤtigkeit unwuͤrdig gezeigt hatten. Die Uns 
terhandlungen mit Hono rius wurden erneuert; 
aber von Sarus, dem Feinde des Helden, irre 


„ 


gefuͤhrt, gab der kaiſerliche Schwaͤchling der Stim⸗ 
me des Fri dens kein Gehoͤr. Zum dritten Mahle 
überfiel der erbitterte Al ar ich die Vaterſtadt der 
alten Helden. In der Nacht wurden ihre Thore 
geſprengt, und die von den Freuden und Genuͤſſen 
des kuͤnftigen Tages traͤumenden Einwohner zu 
Thraͤnen, zur Verzweiflung, zum Tode geweckt. 
Ihre Häufer wurden der Plünderung Preis gege⸗ 
ben; nur die Kirchen und das Leben waffeniofer 
Menſchen hatte der ſchreckliche Rächer für unverletz⸗ 
bar erklaͤrt. Aber unmoͤglich war es, die Wuth 
der Pluͤnderer durch Befehle und Drohungen zu 
bezaͤhmen. Ein großer Theil der Stadt ging in 
Flammen auf, Straſſen und Haͤuſer waren mit 
Leichen bedeckt. Die Beſtuͤrzung der Flüchtigen bes 


ſtaͤtigte in den Provinzen das entſetzliche Gerücht, 


Rom waͤre in einen Steinhaufen verwandelt und 
feine Einwohner unter demſelben begraben worden 
Selbſt Honorius in Ravenna erſchrack, als 
der Vorſteher des kaiſerlichen Vogelhauſes zitternd 
ſtammelte: Ro m iſt dahin. Rom hieß der grof- 
fe Hahn, den Theo doſius Sohn mehr liebte als 
feine Majeſtaͤt und das Reich: darum faßte er wies 
der Muth als er merkte, daß nur die Haupiſtadt 
der Welt verloren war. 

Die erkannte Nichtswuͤrdigkeit der Menſchen 
(hatten in Italien unterdrüdte in Al arich den 
Willen, ſie zu beherrſchen; ſeiner Aufmerkſamkeit 
und feines Stolzes wuͤrdiger ſchien ihm Sicilien 


und Afrifaz in dem Beſitze dieſer fruchtbaren 
Provinzen dachte er Italien durch Aushungerung zu 
reinigen. Mit der Ausführung dieſes Planes bes 
ſchaͤftigt, führte er feine bereicherten Scharen nach 
Calabrien; aber in Conſentia unterbrach der Tod 
den Lauf des furchtbaren Welterſchuͤtterers. 

Nach dem Hintritte des Gothiſchen Helden 
war für die Hunnen in Italien nichts mehr zu 
ihun. Mundzuch zog mit ihnen nach Pannonien, 
das die Weſtgothen verlaſſen hatten. Mehr, als 
ſeine Maͤnner die erbeuteten Schaͤtze, freute ihn der 
Beſitz des Aetius, den Ataulph ſeiner Sorge 
und Verwahrung übergeben hatte. Die Eigenſchaf— 
ten des Juͤnglings verkuͤndigten in ihm den Mann, 
den man einſt unter den groſſen Ruinen des We— 
fien als die letzte Kraft der Roͤmiſchen Männliche, 
keit bewundern würde. Mun d zuch rechnete bey 
ihm auf wichtige Vortheile; und er hatte das Gluͤck, 
feine gerechten Erwartungen erfullt zu ſehen. Nur 
noch einen Blick auf die veraͤnderte Geſtalt des 
Weſten, bevor wir ihn auf Huld ins Plage bes 
trachten, wie er ſein Volk und Attila, den Er⸗ 
ben ſeiner Macht, zum ſchrecklichen Werkzeu⸗ 
ge der raͤchenden Vorſehung bildete. 
| Ataulph, von feinem Volke zum Könige 

gewählt, gab Alarichs Entwürfe auf. Unter 
den Geiſſeln der Römer war die ſchoͤne Galla 
Placida, des Kaiſers Schweſter. Ihre ſelte— 
nen, für den Kaiſerlichen Heerfuͤhrer Co u ſt a u⸗ 


tius ſchon beſtimmten Reige machten ihn zum 
Freunde des Honorius. Von dem Wunſche ihres 
Beſitzes begeiſtert, 508 er mit ihr und feinem Heere 
nach Gallien, um dem Bruder ſeiner Geliebten von 
den Rebellen Joinus und Sebaſtian zu be⸗ 
freyen. Beyde gerietben in "feine Gewalt; aber 
durch die Raͤnke ſeines Nebenbuhlers Conſtan⸗ 
tius blieb feine Heldenthat unbelohnt. Seines 
Verdienſtes und ſeiner Kraft ſich bewußt, ſetzte er 
ſich im ſuͤdlichen Gallien feſt und feyerte zu Nar⸗ 
bonne ſeine Vermaͤhlung mit der Schweſter des 
Kaiſers. Durch die Eroberung der Städte Burdi⸗ 
gala und Toloſa hatte er den Grund zu dem Weſt⸗ 
gothiſchen Reiche in Gallien gelegt; Spanien oͤff⸗ 
nete ihm neue Ausſichten, daſſelbe zu erweitern. 
Von Catalonien Meiſter, ward er bey Varcellona 
von einem Gothen, deſſen er oft geſpottet hatte, 
ermordet. Wallia verfolgte das Glück ſeines 
Bruders in Spanien. Er vertrieb die Alanen, die 
ſich mit den Vandalen nach Rhadagaiſus Nie 
derlage daſelbſt feſtgeſetzt hatten. Mit feinen Eros 
berungen zufrieden, ſandte er die Placida ohne 
Loͤſegeld dem Kaiſer zuruck, der einen dauerhaften 
Frieden mit ihm ſchloß, und die Herrſchaft der Weſt⸗ 
gothen über, das zweyte Aquitanien und Catalonien 
anerkannte. 

Die Vandalen, Sveven und Alanen hatten 
indeſſen Spanien unter ſich getheilt. Die Soe⸗ 
ven und ein Theil der Vandalen hatten Gallaͤeten 


x 


e 


behalten. die von den Wergothen in die Enge 
getriebenen Nlanen zogen ſich nach Luſitanien und 
Carthagena zuruck. Baͤtica war den Silingern, 
einem andern Vandaliſchen Stamme, zu Theil ge» 
worden. Die Roͤmiſchen Beſatzungen in den Staͤd— 


ten mußten abziehen, weil die Einwohner nicht 


ſelten mit Frohlocken ihren neuen Gebiethern die 
Thore oͤffneten, um ſich von der Raubſucht der Kai⸗ 
ſerlichen Machthaber zu befreyen. 

Ehe noch die Weſtgothen in Italien und Gal⸗ 
lien ſich auf den losgeriſſenen Truͤmmern der Roͤ— 
miſchen Herrlichkeit vergroͤſſerten, waren die Bur— 
gunder uͤber den Rhein gegangen und in Heivetien 
eingedrungen; unter den Schrecken der Gothiſchen 
Verheerung machte der Hof zu Ravenna mit ihnen 
Frieden und überließ dem mächtigen Volke das gan⸗ 
ze Gebieth an der Rhone, wo es den Grund zu 
dem Burgundiſchen Reiche legte, und ſich all maͤh⸗ 
lig Galliens bis an die Saone und die Alpen bes 
maͤchtigte. 

Rubig blieben indeffen die Franken und Alk 
mannen in ihren Wohnplaͤtzen am Rhein. Aus 
verſchiedenen kleinen und unabhaͤngigen Staͤmmen 
zuſammengeſetzt, und keinem gemeinſchaftlichen 
Oberhaupte unterthan, waren fie zu ſchwach aus 
der allgemeinen Verwirrung Vortheile zu ziehen, 
oder die groͤſſern Voͤlkerſchaften in ihren Galliſchen 
Beſitzungen anzugreifen. Erſt in den letztern Jah— 


. 


ren des unthaͤtigen Honorius befckpten ſie Nie⸗ 
der⸗Germanien von dem Joche der Noͤmer. 

um Italien gegen die Gothen zu vertheidigen, 
hatte Stilico alle Beſatzungen aus Britannien 
herausgezogen und die Einwohner den wuͤthenden 
Anfaͤllen der Picten und Scoten uͤberlaſſen. Ver: 
gebens forderten die Abgeordneten der Britten von 
einem Kaiſer Beyſtand, der ſich ſelbſt in Italien 
nicht zu retten wußte. Der Hof zu Ravenna ent» 
ſagte aller Herrſchaft uͤber die Provinz, die er nicht 
länger behaupten konnte; und Britannien ſank un⸗ 
ter den Verwuͤſtungen ſeiner alten Feinde in dic ehe⸗ 
mahlige Varbarey zuruck. Von den Einwohnern 
zur Hülfe aufgefordert, zogen die Sachſen unter 
Anfrhrung der Bruder Hengiſt und Hor ſt hin, 
draͤngten die Picten und Scoten in ihre nordiſchen 
Waͤlder und Gebirge zuruck, und machten ſich für 
ihren Beyſtand damit bezahlt, daß ſie nach langwie⸗ 
rigem Blutvergieſſen ſich die Inſel unterwarfen und 
ihren Schutzgeuoſſen die Feſſeln einer druͤckenden 
Dienfbarfeit anlegten, 54 d 

Zerſtreut, oder gegen einander im Kampfe, 
wohnten in Germaniens Norden bis an die Ufer 
des Mains und der Donau herunter noch einzel⸗ 
ne Stämme oder Reſte ausgewanderter groͤſſerer 
Voͤlkerſchaften, Quaden, Markomannen, Thuͤrin⸗ 
ger, Sveven, Franken, Burgunder, Bructerer, 
Lygier und Variner. Ungeruͤhrt von den gluͤckli⸗ 
chen Fortſchritlen ihrer Bruͤder, hatten ſie ſeit dem 


allgemeinen Aufbruche nichts Entſcheidendes gewagt, 
das auch ihnen unter den Zerſtoͤrern der Roͤmiſchen 
Welt ihren Rang angewieſen hatte. Sie ſchienen 
des Mannes zu harren, der ihre noch ungebrauch⸗ 
ten Krafte ſammeln, durch Vorhaltung eines ge⸗ 
meinſchaftlichen groſſen Zieles ſie vereinigen, durch 
den weithallenden Ruf feiner Heldenthaten begeis 
ſtern und fie zur Theilgahme an feinen kuͤhnen Un— 
ternehmungen aus ihren Gauen hervorrufen ſollte. 

Das Stammvolk dieſes Mannes hatte bereits 
den Römern die Herrſchaft uber Dacien und Pan: 
nonien entriſſen. Unter feinem maͤchtigen Schutze 
lebten die Eingebornen ihrer Freyheit und ihres 
Eigenthumes ſicher. An ſeinen Grenzen hatten ſich 
Voͤlkerſtaͤmme niedergelaſſen, die der Anerkennung 
ſeiner Macht und Gewalt nicht lange widerſtehen 
konnten. An den weſtlichen und füdlihen Grenzen 
Daciens verloren die Jazigen und Sclavinen un— 
ter dem Nahmen der Hunnen ihren eigenen. Von 
der Mündung des Onieſters bis zum Anfange de— 
Carpathiſchen Gebirges wohnten Gepiden, Baſtar 
nen, Gelonen, Neurer, Bellonoten, und vergaf— 
ſen unter der Hoheit der Hunnen ihrer ehemaligen 
Unabhaͤngigkeit. Von dem Carpathiſchen Gebirge 
eingeſchloſſen und rechts von Oſtgothen und Gepi— 
den, links von einem Stamme der Quaden bi: 
grenzt, hatten Rugier, Heruler, Seyrrer und Tur— 
cilinger ihre Wohnplaͤtze, in welchen fie unter dem 
Zwange der Unthaͤtigkeit ſeufzten. Welche Furcht» 


bare Heere, welche Menge neuer Kräfte zur Aus» 
rottung des alten Verderbens und zur Vorberei⸗ 
tung eines beſſern Zuſtandes der Menſchheit! Sie 
bedurften nur eines Mannes, der den Willen 
hatte, fie zu dieſem Zwecke in Bewegung zu ſetzen; 
und dieſer Mann war Attila, 


J. C. 411 bis 430. 
Attil. 5 — 25 


— 


Ai Huldins Grabhügel hatten die Hunnen 
Mun dzu ch zu ihrem Beherrſcher und Führer ang» 
gerufen. Das unverdorbene Naturgefüͤhl lehrte il n 
fie als Menſchen ſchaͤtzen und den Tribut ihrer Ach 
tung verdienen. Er gab ihnen Sitten, deren fie 
faͤhig waren, und in der Folge einen König, 
in deſſen Thaten ſich das Andenken ihres Daſeyns 
verewigte: fie ſelbſt mußten mit ihm verfhwinden, 
fobald ſie ihre Beſtimmung in dem groſſen Plane 
des Weltregierers erfullt hatten. N, 
Als eine alte, von ihrer Cultur und ihrem 
Woßhlſtan de herabgeſunkene Nation ), nicht in 


n 


9 In den älteften Zeiten hatten die ir a da⸗ 
mahls noch ein herumziehendes Hirtenvolk, an 
Sina's noͤrdlichen Grenzen ihre Wohnplaͤtze. Ihe 
re Streifzüge wurden bald wichtigere Eroberun- 
gen, die ſie ſelbſt dem benachbarten Kalſerthume 
furchtbar machten. Gegen Oſten von dem Ocean 
eingeſchraͤnkt, breiteten fie ſich, mit den, zwiſchen 
dem Amur und dem auſſerſten Ende der Haldin— 
ſel Corea zerſtreuten Stammen vereinigt, gegen 
Weſten aus, wo ſich ihnen aun den Quellen des 


8 


dem Zuſtande einer gänzlichen Wildheit waren die 
Hunnen durch die groſſe Tartarey gegen Weſten vor⸗ 


Irtiſch und in den Thaͤlern des Imans zablrei⸗ 
chere Feinde widerſetzten, und unterwarfen. Die 
Ströme Amur und Irtiſch, der große See Paikal 
und die von Chi⸗hoam⸗ti, dem Kaiſer der Si⸗ 
neſer, aufgefuͤhrte Mauer begrenzte ihr Reich, 
(210 J. b. C. G.) als fie ihren Anführer Te u⸗ 
mann zum Kaiſer erwaͤhlten und ihm zu neuen 
Eroberungen folgten. Me⸗té, Teumanns 
Sohn und Moͤrder, erweiterte die Herrſchaft, die 
er durch das ſchwaͤrzeſte Verbrechen erlangt hat⸗ 
te. Siegreich über die oͤſtlichen Tatarn, kehrte er 
ſeine Waffen gegen Weſten und Süden. Nicht 
nur der, den altern Hunnen entriſſenen Laͤnde⸗ 
reyen, ſendess auch der drey groͤßten Provinzen 
des noͤrdlichen Sina's Meiſter, nahm er den Titel 
Sohn des Himmels (Tan⸗jo) an, der her» 
nach allen ſeinen Nachfolgern gegeben ward. Der 
Tau ⸗jo, aus einem der drey alteſten Hunniſchen 
u Geſchlechter der Lien⸗ti⸗chi, Hou⸗yenchi, 
"und Su⸗po⸗chi gewählt, war in dem Beſitze 
der hoͤchſten Gewalt; er theilte ſie unter zwey 
Statthalter, enen, deren einer den oͤſtli⸗ 
chen, der andere den weſtlichen Theil des Reiches 
im Rahmen des Tan⸗ jo verwaltete. Die Statt⸗ 
halter hatten ihre untergeordneten Machthaber, 
deren jeder über zehnthufend Mann Reiterey und 
ihre Führer zu befehlen hatte. Ihre Aemter was 
ren erblich, und gewöhnlich folgte der Hien⸗vam 
des Oſten dem Tan⸗jo in der Regierung. Die 
Hofſtadt des Kaiſers war in dem Tatariſchen Ge⸗ 
birge In ch an. Dort ſtellten ſich jahrlich im er⸗ 


geruͤckt. Herren des Aſtatlſchen Norden, batten fie 
Tan j oꝰs „ welche die Pflichten guter Regenten 


We Monden die Statthalter und Vorſteher der 
Provinzen, um ſich uͤber die Angelegenheiten des 
Reiches zu berathſchlagen. Die Verſammlungen 
wurden mit einem gemeinſchaftlichen feyerlich en 
Opfer beſchloſſen. Im fünften Monde begleiteten 
ſie den Tan⸗ jo nach Lumtching, wo dem Him- 
mel, der Erde, und den Geiſtern der abgefchisde: 
nen Voreltern Dank- und Verſoͤhnungsopfer dar⸗ 

gebracht wurden. Die Herbſtverſammlung hatte 
die Zaͤhlung der Unterthanen, die Schaͤtzung des 

Viehſtandes und die Entrichtung der Steuern zum 

Zbwecke. Der Gottesdienſt der Nation war einfach; 

der Erſte im Staate mußte ſich auch in der Aus⸗ 
uͤbung deſſelben als den Erſten und Eifrigſten bee 
zeigen Täglich zog der Tan⸗ jo, von ſeiner Leib⸗ 

wache umgeben, auf das offene Feld hinaus, um 
des Morgens die Sonne, oder des Abends den 
Mond anzubethenn. 

In Süden und Weſten befeſtiget uns gefürchtet, 

zog Mer te, gegen Norden, um die Anwohner der 

Strome Selinga, Angara und Oby zu bezwen⸗ 

gen. Sie unterlagen ſeiner Macht. Angelockt von 

dem Gluͤcke, das ihn fo beguͤnſtigte, drang er 
ſelbſt nach Sina ein; nach Eroberung der Stadt 

Ma ⸗pe war er Herr der Provinzen Tay -en und 

Ortus; und die Bahn zu weitern Fortſchritten 

war gebrochen. Der Kaifer Kaos ti führte die 
Sineſiſchen Heere wider ihn aus; aber nach ei— 

ner gaͤnzlichen Niederlage konnte er ſelbſt nur durch 
die Vermittelung der Hunniſchen Kaiſeriun den 
Händen feines Ueberwinders entrinnen. West- 


> 


8 3 


24 


— 84 — 


nannten; Heerführer ‚in deren Unternehmungen 
Menſchlichkeit und Tapferkeit ch umarmten; Staats. 


ſtarb, nachdem er die Herrſchaft der Hunnen von 
Corea und dem Japoniſchen Meere bis an die oͤſt⸗ 
lichen Grenzen von Kaphthak, und wahrſcheinlich 
bis an die Wolga verbreitet hatte. Die meiſten 
ſeiner Rachfolger unterlieſſen nichts, was dieſes 
ungeheure Reich zu ſeinem Untergange vorberei⸗ 
ten konnte. Maͤnner, die der Muth der Sineſer 
noch lange nicht würde uͤberwunden haben, ent⸗ 
nervte der Lurrs und die Weichlichkeit dieſes Vol: 
kes, das ſie ſich zinsbar gemacht hatten. Der Keim 
des Verderbens war da; Vergroͤſſerungsſucht, 
| deſpotiſche Verwaltung der hoͤchſten Gewalt und 
innere Zwietracht befoͤrderten ſeine Entwickelung. 
Waͤhrend Pu⸗ enu⸗hu und Pey ſich einander 
den Thron ſtreitig machten, begaben ſich die ſuͤd⸗ 
lichen Hunnen unter den Schutz des Kaiſers von 
Sina, (J. C. 48.) Von einem ſo anſehnlichen 
Theile ſeiner Nation verrathen, verlaſſen und ge⸗ 
haßt, war der Tan⸗ jo zu ſchwach, ſeine Herr⸗ 
ſchaft noch laͤnger zu behaupten; er folgte dem 
Bepfpiele der Treuloſen, und fand bey dem Kai⸗ 
ſerlichen Hofe zu Sigan die reichlichſte Belohnung 
ſeiner Niedrigkeit. Durch den Ruf der ſtaatsklu⸗ 
gen Großmuth des Kaiſers ermuntert, zogen die 
nördlichen Hunnen haufenweiſe nach Sing. Die 
Zurückgeblirbenen verlieſſen die oͤſtlichen Provin⸗ 
zen ihres Reiches freywillig, und ſchraͤnkten ſich 
bloß auf die Vertheidigung der weſtlichen ein. 
Von ihren gluͤcklichern Bruͤdern in Suͤden verfolgt 
und von den Sienpiſchen Tatarn unablaͤſſig ange⸗ 
fochten, beftanden fie eine kurze Zeit nur noch da⸗ 


manner, welche die entferntern Folgen ihrer Ent⸗ 
würfe nach ihrem Gewichte auf der Wagſchale der 
Rechtſchaffenheit zu berechnen wußten; und Buͤr— 
ger, welche die Erfüllung der Pflicht, gemeinnü— 


durch, daß fie ſich dem Herrn der Sineſer zins— 
bar machten. Mit dem Tode des Kaifers Kuam⸗ 
bouthi war auch ihre Ruhe und Sicherheit da— 
hin. Von allen Seiten gedraͤngt und beſtuͤrmt, 
wagten ſie an den Ufern des Irtiſch den letzten, 
entſcheidenden Kampf. Der Sieg der Sineſer 
und Sienpier machte ihrem Reiche, das unter 
mannigfaltigem Wechſel des Gluͤckes durch drey— 
hundert Jahre beſtanden hatte, in Aſien ein Ene 
de, (J. C. 93.) Ihre tapferſten Stämme behaup⸗ 
teten ſelbſt noch in dem Ungluͤcke die Unerſchro⸗ 
ckenheit ihrer Vaͤter. Vereinigt zogen ſie gegen 
Weſten, um ſich Wohnplaͤtze zu ſuchen, die den 
Waffen ihrer Verfolger unzugaͤnglich wären. Auf 
den Höhen des Imans getheilt, zogen die einen 
gegen den Orus, die andern gegen die Wolga 
Die erſtern lieſſen ſich auf den weiten fruchtba⸗ 
ren Ebenen von Sogdiana an der oͤſtlichen Kuͤſte 
des Caſpiſchen Meeres nieder. Die letztern lern- 
ten in den Vaskirif chen Wuͤſteneyen unter einem 
unfreundlichen Himmel die Annehmlichkeiten des 
Lebens entbehren, bis der Zeitpunct erſchien, in 
dem ſte, zu allem gehaͤrtet, ihre ſchreckliche Be— 
ſtimmung in Europa erfüllen ſollten. — Du Hal. 
de description geographique, historique etc, de 
la Chine et de la Tartarie Chinoise. —Deguig- 
nes Histoire generale des Huns. — Pray Anna- 
les veterum Hugnorum, 


— 86 — 


big zu handeln, für Tugend hielten. Aus ihren 
Wohnplaͤtzen vertrieben, allen Bedürfniffen preis 
gegeben, gezwungen, nur durch Raub und Ber 
heerung ihr Daſeyn zu behaupten, waren fie in 
die alte Barbaren zuruͤckgefallen; aber ſelbſt in dies 
fer mußten ſich unverkennbare Spuren ihres ches 
maligen beſſern Zuſtandes erhalten. Sie waren 
nicht mehr das maͤchtige Volk, das unter der An⸗ 
führung feiner Tan⸗jos und Hien⸗dbams ſich wohl⸗ 
babende Provinzen unterwarf und die Belohnung 
feines kriegeriſchen Muthes in den Reichthuͤmern 
der Unterjochten fand; aber das Eigenthumsrecht 
auf die mühſam erworbene Beute war ihnen gegen⸗ 
feitig heilig und unverletzlich. Sie waren nicht mehr 
die vom Gluͤcke begünſtigten Sieger, die unter den 
drückendſten Bedingungen mit den Ueberwundenen 
Vertraͤge ſchloſſen und fie bald wieder verletzten; aber 
ihr Wort, ſie mochten es Freunden oder Feinden 
gegeben haben, hatte jetzt mehr Kraft, als die mit 
den heiligſten Eiden verbürgten Verheißungen gluͤck— 
licherer Voͤlkerſchaften. Sie wurden nicht mehr 
von einem Hien vam jaͤhrlich gezählt und als Opfer 
zur Vergroͤſſerung eines einzigen auf das Schlacht⸗ 
feld gejagt; aber Mann ward jetzt unter den Hun⸗ 
nen nur der, welcher einen Feind im wirklichen 
Kampfe erlegt batte. Noch kannten ſie die Vorthei⸗ 
le der geſellſchaftlichen Verbindungen; wer ſich des 
Leichnames ſeines gefallenen Kriegsgefaͤhrten bes 
machtiget hatte, war der Erbe feiner Weiber, Kinder 
und Herden. Mord auſſer der Nothwendigkeit 


der Selbfivertheibigung, und Raͤuberey unter ein— 
ander ausgeuͤbt, wurden mit dem Tode beäraft. 
Noch glaubten ſie, daß Alle fuͤr gut und zweckmaͤ⸗ 
ßig erkennen müßten, was alle befolgen ſollten: 
die Verſammlungen der Stämme erhielten und naͤhr⸗ 
ten unter ihnen Gemeinſinn und Ordnung. Den 
Geiſtern der Abgeſchiedenen wurden keine Opfer mehr 
gebracht; aber das Andenken an ſie und der Glau— 
be an die Freuden der Tapfern im Lande der Seli— 
gen waren noch immer mächtige Trieb federn zu allem, 
was ihnen jetzt Verdienſt und Nationaltugend hei— 
ßen konnten. Der Umfang ihrer, theils mitgebrachten, 
theils neu erlangten, Vorſtellungen von den Social— 
verhaͤltniſſen, forderte fie in unzaͤbligen Fällen auf, die 
Grunde ihres Verhaltens aus der Zukunft herzuneh- 
men. Mit der Anzahl derſelben vermehrten ſich ihre 
Bedürfniſſe, und mit dieſen die Gegenſtaͤnde ihres 
Rachdenkens. Ihre erweiterte Denkkraſt mußte die 
Sagen von ihrem ehemaligen Zuſtande mit ihrem 
gegenwaͤrtigen oft und vielmahl verglichen haben, 
ehe fie die Moglichkeit eines beſſern für die Zukunft 
erkannten; ehe ſie den Entſchluß faßten, ihr Ideal 
eines beſſern Schickſales thaͤtig zu verfolgen. Nur 
das deutliche Gefühl von der Staͤrke vereinigter 
Kraͤfte unter der Leitung eines Einzigen konnte ſie 
vermögen, vor ihrem Zuge über die Wolga ſich einem 
gemeinſchaftlichen Oberhaupte zu unterwerfen. Nur 
die Vorherſehung guͤnſtiger Folgen konnten fie bes 
ſtimmen, den Alanen ihr Leben, ihre Richter, ib« 
re Gebräuche zu laſſen und ein uͤberwundenes Volk 


— 38 — 


als freye Menſchen zu behandeln, welches die gebil⸗ 
detern Spartaner wie eine dee wilder Thiere 
würden erlegt haben. 

Ihre Verbindung mit den Alanen und Oſtgo⸗ 
ein war ein wichtiger Schritt zu ihrer weitern Bil: 
dung. Das Geſetz der Treue und Ergedenheit, dem 
fh ihre neuen Schutz und Bundesgenoſſen un⸗ 
ierwerfen mußteu, war der erſte Grund zur küͤnfti⸗ 
gen Ungleichheit der Rechte und Vortheile, wenig 
ſtens mußte die Stimme des Hunnen auf den Ver⸗ 
ſammlungen der Staͤmme mehr Gewicht zur Ent⸗ 
ſcheidung haben, als das Gutduͤnken des Alanen 
oder Oſtgothen. Von den letztern leraten die Hun⸗ 
nen O din, den Schutzgott der Tapfern, kennen; 


“ven den erſtern unter dem Bilde des Schwertes 


ion anbethen. Ihre Vorſtellung von ihm war das 
Erzeugniß der abwechſelnden Eindruͤcke, welche die 
Natur auf ihre Phantaſie gemacht hatte. Spar⸗ 
ſam, doch groß, rauh, verheerend und furchtbar war 
fie ihnen an den nördlichen Kuͤſten der Easpifchen 
See, freygebig, fruchtbar, ſanft, wohlthaͤlig allen 
lebenden Weſen in Dacien erſchienen. Odin ward 
den Hunnen ein ſchrecklicher verheerender Gott; zu⸗ 
gleich aber auch ein Freund und Wohlthaͤter der 
Menſchen, ſchrecklich nur auf dem Schlachtfelde, 
wo er die Menſchen wie die feindſeligen Elemente 
in der Luft kaͤmpfen, und ſich gegenſeitig aufreiben 
ließ. Der Kampfplatz war ſein Tempel; nur dort 
konnten ihm im Sturme der Schlacht Opfer dar⸗ 
gebracht werden; auf den froͤhlichen Weiden und 


lachenden Fluren efelte ihm vor Menſchenblut. Die- 
fer von dem blutigen Gottes dienſte ihrer Bundes» 
genoſſen verſchiedene Charakter religioͤſer Geſinnun⸗ 
gen gab auch ihrem geſellſchaftlichen Leben das Ge— 
praͤge der Menſchlichkeit. Sie verdanden mit der 
Kraft des Mannes die Gutmuͤthigkeit des Kindes; 
im Gefühle befriedigter Bedürfniffe ſanft, leutſelig, 
treu und offenherzig, waren ſie nur grauſam, wenn 
fie von Beduͤrfniſſen gedraͤngt, Widerſtand erfahren 
mußten. Anhaltendem Grolle war ihre Bruſt ver— 
ſchloſſen; nie raubte ihnen Neid oder Geitz die Ruhe 
des Herzens, oder die Freude des Genuſſes. 

Je mehr ſie ſich in ihren eroberten Beſitzungen 
unter Bala mir und feinen Nachfolgern befeſtig— 
ten, deſto weiter ward der Kreis von mannigfalti— 
gen Gegenſtaͤnden, den ihre Aufmerkſamkeit, die 
Thaͤtigkeit ihres Verſtandes, ihre Neigungen, Be: 
gierden und Leidenſchaften umfaſſen konnten. War 
gleich ihr Umgang und Verkehr mit den Eingebor⸗ 
nen des Landes immer noch ſehr entfernt, ſo muß⸗ 
te er doch ungemein viel beytragen, die Wirkſam⸗ 
keitsihrer Erkenntnißkraͤfte, ſowohl dem Umfange 
als dem Grade nach auszubreiten. Die Menge neu: 
er Erfahrungen vermehrte und berichtigte ihre Be: 
griffe und Gefühle, das erweiterte Vermögen , die 
Verbindung und das Verhaͤltniß der Dinge auch 
nach ihren Folgen für die Zukunft zu erkennen, ofe 
feubarte ſich in ihrer Handlungsweiſe deutlicher; 
die erkannte Zweckmaͤßigkeit geſellſchaftlicher Ver: 
bindungen zum Erwerbe und zur Sicherung des 


— 90 — 

Eigenthumes überzeugte fie von der Nothwendigkeit, 
ihren Willen den Einſichten der Erfahrenſten unter 
ihnen zu unterwerfen und ihre Kraͤfte nur nach ih⸗ 
rer Leitung anzuwenden. Die koͤnigliche Wuͤrde 
gewann dadurch groͤſſere Macht; fie verkuͤndigte ſich 
in Geſetzen; der Hunne lernte Belohnungen kennen 
und Strafen fürchten; und fo war der Grund bes 
feſtigt, auf welchem Mund zuch fortfahren konn⸗ 
te, ſeinem Volke reinere Formen der Menſchlichkeit 
anzulegen. 

Mit dem ernſtlichen Willen „groͤſſere Begeben⸗ 
heiten vorzubereiten, uͤberließ Mundzuch den 
Gothen, Vandalen und Germaniern das Geſchaͤft 
die Ohnmacht der Roͤmer zu beuutzen, den Weſten 
zu er ſchuͤttern und auf die losgeſprengten Trummer 
neue Reiche zu gruͤnden. Pulcher ia, die jetzt 
für ihren Bruder, den ſiebenjaͤh rigen Theod ofin 8, 
das oͤſtliche Reich verwaltete, bezahlte jahrlich den 
feſtgeſetzten Tribut; Mundzuch ließ das Kriegs⸗ 
ſchwert ruhen, um es ſchaͤrfer und furchtbarer feinem 
Erben zu hinterlaſſen. Er hatte an Huld ins 
Seite geſtanden, als dieſer den Abgeordneten“ von 
Bizanz auf dem Berge die Beſtimmung der Hunnen 
verkuͤndigte. Eine unauslöfhliche Flamme waren 
Huldins Worte in ſeiner Seele; von ihr er⸗ 
waͤrmt, fuͤhlte er die Wuͤrde ſeines Berufes, die 
Barbarey der Hunnen durch Sitten und Geſetze zu 
mildern, und dieſe groſſe Menſchenmaſſe zur Auge 
führung beſtimmter Entwürfe brauchbar zu machen. 
Oieß nach einem feflen Plane zu bewirken, machte 


der Geiſt des Zeitalters unmoͤglich. Allein muß: 
te er handeln; von den Umſtaͤnden wenig unters 
fügt, oft ſogar gehindert, konnte er den Erfolg 
immer nur von der Wirkſamkeit ſeiner Kraft er— 
warten. Mit den Waffen in der Hand hatten ſich 
die Hunnen ein beſſeres Schickſal in Europa erfoch— 
ten; nur die Waffen gaben ihnen das Gewicht, wo— 
mit fie das Gluck anderer nicht minder tapferer 
Voͤlkerſtaͤmme aufwogen; allenthalben von feindfes 
ligen oder unterdrückten Horden umgeben, mußten 
fie den Krieg als ihre Hauptbeſchaͤftigung beybehal— 
ten; alle Anſtalten und Verfuͤgungen ihres Koͤnigs 
mußten nach dem Verhaͤltniſſe derſelben zur kriege— 
riſchen Lebensart und Verfaſſung berechnet werden. 
Jeder Hunne war Krieger; von den Eingebornen 
des Landes und den Kriegsgefangenen kaufte er die 
Mittel zu feinem Unterhalte, wenn er fie nicht von 
den benachbarten Feinden erbeuten konnte. Mit 
dem Genuſſe des Lebens ſchon mehr bekannt, lieb» 
ten und ſchuͤtzten die Hunnen Kuͤnſte und Fleiß in 
ihren Unterthanen; aber fie ſelbſt blieben immer 
ein einziger Stand, deſſen Betriebſamkeit nur auf 
friegeriſche Unternehmungen eingeſchraͤnkt war. Die 
Verſchiedenheit der Lebensarten und Beſchaͤftigun— 
gen, dieſe Quelle fo mancher Vortheile für die Cul— 
tur eines Volkes blieb ihnen unbekannt und ver 
ſchloſſen. 

Doch in jeder Lebens weiſe wirken die aͤuſſern 
Gegzenſtaͤnde mit unzaͤhligen Eindrücken auf die 
Phantaſie; fie reigen die Auſmerkſamkeit und ger 


— 92 — 
währen dem Vaterlande reichlichen Stoff zur Ber 
ſchaͤftigung, Auch das Kriegsleben iſt reich an 
mannigfaltigen Empfindungen, Beduͤrfniſſen und 
Reizen, die den Begriff des Menſchen von ſich 
ſelbſt aufhellen und fein Selbſtgefuͤhl erweitern. 
Dieß war es, was Mund zuch im Hinſchreiten 
zu ſeinem Ziele zum Beſten ſeines Volkes benutzen 
mußte. Bis jetzt hatten die Hunnen nur um die 
Sicherheit in ihren Wohnplaͤtzen gekaͤmpft; Mund» 
zuch lehrte fie für Ehre, Ruhm und Herrſchaft 
ſtreiten, er hielt den aufgeregten Bewußtſeyn ih⸗ 
rer Kraft die Größe ihrer Stammvaͤter in Aſten, 
und die Schande der Verachtung vor, die ſie als 
bkoͤmmlinge eines edeln Voͤlkerſtammes bey ihrem 
Einbruche in Europa von den Römern hätten er⸗ 
fahren muͤſſen. Nationalſtolz vereinigte ſich mit 
Muth; und von nun an ward das Schwert in den 
Haͤnden der Hunnen zum ſchrecklichen Werkzeuge 
der Rache über ein Volk, das fie Barbaren ſchimpf⸗ 
te, weil ſie redlicher, gerechter und freyer als die 
Roͤmer, die Sklavenketten des Laſters und der Ty⸗ 
rannen haßten. Nicht mehr ausziehen und pluͤn⸗ 
dern, damit fie nicht des Hungers ſtuͤrben; fondern 
zeigen ſollten ſie, wie eilend und veraͤchtlich eine 
Nation werden muͤßte, die hingeworfen an den Bu⸗ 


7 ſen der Schwelgerey und der Schande, die Sitten 


und die Würde ihrer Väter hatte erſterben laſſen 
Den Blick auf dieſes neue und erhabnere Ziel ge⸗ 
heftet, mußte der Hunne bald andere Gefuͤhle in 
feiner Bruſt verſpuͤren, bald von maͤchtigern Bes 


Js 


weggründen in feinen Unternehmungen fortgetrieben 
werden. Die Flamme war aufgelodert; Mun d⸗ 
zuſch durfte fie nur unterhalten. Die Mittel dazu 
fand ſein Scharfſinn in den Umſtaͤnden. 

In wilden ungeordneten Haufen, unter groſ— 
ſem Geſchrey nur mit Schwertern, Pfeilen und 
Schlingen bewaffnet, ſprengten ſonſt die Hunnen 
auf ihren Roſſen in die feindlichen Scharen. Gleich 
gefährlich war ihr Angriff und Ruͤckzug: doch nur 
ihre Heftigkeit und die Uebermacht ihrer Anzahl, 
nicht die abgemeſſene Anwendung ihrer Kräfte ent. 
ſchied. Hatte der Feind den erſten Sturm ausge: 
halten, ſo konnten ſie ihm den Sieg nur durch Auf— 
opferung vieler saufend ihrer Mitkaͤmpfer entreiſſen. 
Mit dieſer hergebrachten Art zu ſtreiten, ſuchte 
Mund zuch alles zu verbinden, was ihm von der 
Krlegskunſt der Roͤmer und Gothen auf ſein Volk 
anwendbar ſchien. Er lehrte die Hunnen die Roͤ. 
miſche Rüffung tragen, und Waffen, welche den 
Nachkoͤmmlingen der alten Weltbezwinger ſchon zu 
ſchwer waren, zu ihrem Vortheile benutzen. Er 
lehrte ſie die Kunſt im Lager anzuhalten, ſich zu 
verſchanzen, bey dem Auszuge und Angriffe Ord— 
nung! in den Gliedern und Notten zu halten, nach 
beſtimmten Regeln und auf den Wink ihrer Führer 
ſich zu ſtellen, vorzuruͤcken, anzufallen, und ſich 
zurückzuziehen. Anhaltende Beſchaͤftigung verdraͤng⸗ 
te den Muͤſſiggang mit feinen Folgen; fie lernten 
den Werth der Zeit kennen und in zweckmaͤſſiger 
Thaͤtigkeit ihr Daſeyn genleſſen. Kriegsuͤbungen, 


— 94 — 


Waffentaͤnze und Kampfſpiele füllten die Zelt, wel⸗ 
che die Jagd, oder zum Erwerbe ihrer nothduͤrftigen 
Nahrungsmittel unternommene Streifzuͤge übrig 
lieſſen. Der Schauplatz ihrer kriegeriſchen Arbei⸗ 
ten war ihnen nicht nur Schule des Koͤrpers, ſon⸗ 
dern auch der Geſinnungen, fie fingen an, ſich an 
den Gehorſam zu gewöhnen, Ordnung und Zucht 
lieb zu gewinnen, und was das wichtigſte war, 
ſich ſelbſt in Beziehung auf ein groſſes Ganzes, als 
eine, zu gemeinſchaftlichen Vortheilen verbundene 
Nation zu betrachten. Was waͤre aus ihnen ge⸗ 
worden, haͤtten ſie ſich unter einander auch als 
Brüder, haͤtten fie das menſchliche Geſchlecht übers 
haupt als die groſſe Familie eines gemeinſchaftli⸗ 
chen Vaters anſehen und lieben gelernt! Schon vor 
Mundzuchs Regierung war ihnen das Chriſten⸗ 
thum verkuͤndigt worden; aber der Geiſt deſſelben 
war ſelbſt ihren Lehrern fremd. Die Pflichten, die 
dieſe predigten, waren entweder blinder Glaube an 
Meinungen, oder aͤuſſere Gebraͤuche, die das Ge⸗ 
praͤge der Rohheit ihres Zeita ters und der Geiſtes⸗ 
ſchwaͤchen ihrer Erfinder an ſich trugen. Bey dem 
ſchwachen Einfluſſe derſelben auf die Denkart und 
Sittlichkeit der Hunnen war es ein Glück, daß ſich 
die Zahl ihrer Bekenner unter ihnen nicht ſo ſchnell, 
wie bey den Weſtgothen und Vandalen, vermehrt 
hatte. Unter der ſchrecklichen Tyranney des Fana⸗ 
tismus und Sectengeiſtes, haͤtte auch das wenige 
Gute noch erſterben muͤſſen, welches Mundzuch's 
Einrichtungen in dem rohen, aber unverdorbenen 


Gemuͤthe ſeines Volkes allmaͤhlig hervorgebracht 
hatte. 0 N 

Roh, aber unverdorben waren die Hunnen, 
als fie von dem Ehrgeitze herrſchſüchtiger Groſſen, 
oder von ſchwachen, auf dem Throne wankenden 
Regenten zu Huͤlfe gerufen, in die Angelegenheiten 
des Reiches verwickelt wurden. Da erkannten ſie 
in den Auftritten der zuͤgelloſeſten Leidenſchaften, 
in den taͤglichen Beyſpielen der ſchaͤndlichſten Laſter 
die Nichts würdigkeiten, in welche die Römer im 
Schooße der ͤppigſten Schwelgerey verſunken was 
ren. Ihr Abſcheu gegen dieſes entehrte, verworfe— 
ne, werthloſe Volk war die beſte Vorbereitung zu 
den Anordnungen, welche ihnen nach Munde 
zuch ' s Plan zur Richtſchnur ihres geſellſchaftlichen 
Verhaltens dienen ſollten. Gegenſeitige Schonung 
und Beſchuͤtzung des Eigenthumes, Vertheidigung 
des Schwachen gegen den Staͤrkern, Unverletzlich⸗ 
keit des Wehrloſen, ſtrengen Gehorſam gegen die 
Fuͤhrer und Vorſteher, Gaſtfrrundſchaft, Ehrlich⸗ 
kelt, Treue und Erfüllung eines jeden Verſprechens 
waren die erſten Geſetze, die er ihnen verfündigte. 
Ihre Erfahrungen unter den Römern verbürgten 
ihnen die Zweckmaͤſſigkeit derſelben; ſie verehrten die 
Stimme des Geſetzgebers, in welcher ſie nur die 
Erklärung ihres eigenen Gefuͤhls vernommen hatten, 


Dieß war die Geſtalt des Volkes, unter wel. 
chem Attila das Daſeyn erhalten hatte. & 


ward, was er werden konnte, durch ſeine eigene 
Kraft. Seine Nation, war mit dem Geiſte der Thaͤ⸗ 
tigkeit beſeelt, lieferte in ihren mannigfaltigen Be: 
ſtrebungen ſeiner Phantaſie reichlichen Stoff. Von 
ſeinem Vater ſah er Beyſpiele der Thaͤtigkeit, des 
Muthes, der Strenge, der Mäffigfeit und Recht⸗ 
ſchaffenheit; Aet ius ertdeilte ihm eigene nützliche 
Kenntuiſſe; Geſinnungen gab er ſich ſelbſt. | 
Oft war er Zeuge des Beyfalls, womit Mun d⸗ 
zuch das Verdienſt der Thaͤtigkeit, Wachſamke it 

und Unerſchrockenheit belohnte; er ſah die Freude 
und das Entzuͤcken des Tapfern, der den Uebrigen 

als Muſter und Vorbild von dem Könige vorgeſtellt 
wurde; er hörte das Frohlocken und Jauchzen der 
Känipfer, die in den Kriegsuͤbungen und Fechter⸗ 
ſpielen ſich den Ruhm der Unuͤberwindlichen erwor⸗ 
ben hatten. In dem dadurch erweckten und ver⸗ 
ſtaͤrkten Gefühle feiner eigenen Kraft bildete er ſich 
das Ideal von Groͤſſe, nach dem er in Zukunft 
fireben wollte. Lebhaft ſtand es vor feiner Seele 
im Sturme der Leidenſchaften, und ſpannte ſeine 
Aufmerkſamkeit auf die nachtheiligen Folgen, wel⸗ 
che die Reitze des gegenwaͤrtigen Genuſſes begleiteten. 
Er ſah ſich vom Gluͤcke zur Herrſchaft beſtimmt⸗ 
das Schickſal ſeiner Nation in Afen , die Thaten 
ihrer Tan⸗jo und Hien⸗ vam waren ihm durch 
ihre Ueberlieferung bekannt; unter der Feyer der 
Volksfeſte hörte er die Unternehmungen und Vers 
dienſte der Helden Bala mit, Charaton und 
Huldin preiſen; neue Vorſtellungen beſchaͤftigten 
ſei⸗ 


— 


ſeinen Geiſt, neue Gefühle erweiterten ſein Herz; 
er fing an, fein Leben als eine Kette von Verhälte 
niſſen und Pflichten zu betrachten, die ihn zur 
Erreichung einer hoͤhern Beſtimmung fuͤhren ſollte. 
In dem Vorgefuͤhle feines künftigen Werthes ver— 
gaß er ſich ſelbſt; er ward maͤſſig, ernſthaft, nach⸗ 
denkend, wißbegierig; unter dem Drange, ſich für 
die Wiederherſiell ung und Vergroͤſſerung ſeines Vol— 
kes ganz hinzugeben, erſtarb ſein Haug zur Freu— 
de, Wolluſt und Gemaͤchlichkeit. Kalter Gleichſinn 
bey allem, wes ſonſt ſeine Sinnlichkeit reizte, 
ward die fortdauernde Stimmung ſeines Geiſtes. 
Mundzuch wachte über die Erhaltung des Frie— 
dens; Attila ſeufzte unter dem Joche der Ruhe 
nach Arbeit und Anſtrengung. Die Nahmen der 
Vaͤter, die von der Nation dem Danke und der 
Verehrung geheiligt waren, ertoͤnten ohne Unter— 
laß in ſeinen Ohren; um ſo ſchmerzlicher fuͤhlte er 
den Zwang der Unthaͤtigkeit, in dem ihn die Zu: 
gend und Umſtande gefeſſelt hielten. Das tägliche 
Einerley der Jagd und der Kriegsuͤbungen reizte 
ſeine Kraͤfte, ohne ſie zu naͤhren; weckte ſein Selbſt— 
gefühl, ohne es zu befriedigen. Er zog ars, ſuch— 
te Gefahren, ſuchte Gelegenheit zu ſchnellen Ent- 
ſchlieſſungen und muthigem Widerſtande; aber 
nichts that ihm Genüge, nichts gab fiinen gaͤhren— 
den Kräften angemeſſene B ſchaͤftigung. Die Welt 
ſchien ihm ein Schauplatz traͤger Rude, auf wel— 
chem ihn alles nur den Unweeth feines zweckloſen 
Treibens empfinden ließ. Unmuth und Ueberoraß 
G 5 


* 


a 98 — 


mußten ihn zu ſich ſelbſt zuruͤckfuͤhren: er begann 
inner ſich zu ſuchen, was er auſſer ſich jetzt nirgends 
fiuden konnte. Der Wechſel der Dinge troͤſtete ihn 
mit der Hoffnung, daß es beffer werden müßte; 
ſein Leben ward anhaltende Vorbereitung zu einer 
thatenvollen Zukunft. Duͤſter, in ſich gekehrt, je⸗ 
dem ſaufteen Gefühle verſchloſſen, irrte er in Wild» 
niſſen herum und arbeitete an den Planen, in de⸗ 
ren Ausführung er einſt als Schutzgeiſt feiner Nas 
tion, als Raͤcher der lange unterdrückten Menſch⸗ 
beit, als Richter uͤber das aus geartete Geſchlecht 
der Weltbezwinger, als Geiſſel Gottes erſchei⸗ 
nen wollte. So betrachtete er ſich ſelbſt in den re» 
ligioͤſen Ausflügen feines Gemuͤths. In der Ver⸗ 
gleichung der Urſachen und Wirkungen, in der Er⸗ 
weiterung und Einſchraͤnkung feiner Entwuͤrfe legte 
ſich die quaͤlende Unruhe ſeines Geiſtes; der unge— 
ſtüme Drang feines Kraftgefuͤhls ward mehr uͤber⸗ 
legtes Streben nach einem beſtimmten, ganz erkono⸗ 
ten Ziele. Hier war es, wo der lehrreiche Umgang 
mit Aetius feinen bleibenden Einfluß auf Atti⸗ 
la's Denk- und Handlungsweiſe gründete. Ju 
der Geſellſchaft dieſes jungen, über die Nichtswür⸗ 
digkeit feiner Nation ent ruͤſteten Roͤmers, lernte 
Mund zuch's Sohn die ihm noch verborgenen 
Seiten feiner Selbſtheit erkennen und feinen. Cha⸗ 
rakter berichtigen; in den Unterredungen mit ihm 
über die alten Helden der Griechen, Römer und 
Deutſchen lernte er vergangene Zeiten mit den ge⸗ 
genwaͤrtigen vergleichen, fremde Handlungen nach 


SO ee 


ihrem ganzen Umfange zergliedern, das Verhaͤltniß 
zweckmaſſiger Mittel zu dem Erfolge berechnen, und 
feine eigenen Entwürfe nach neuen Grundfäßen 
pruͤfen. 

Selige Augenblicke der Weihe und Begeiſte⸗ 
rung waren für ihn die Stunden, in welchen ihm 
Aetius die Urſachen entwickelte, die zur Vergroͤſ⸗ 
ſerung der alten Römer fo maͤchtig mitgewirkt hats 
ten; in welchen er ihm ihre edelmüthigen Gefinnune 
gen, ihre Freyheits⸗ und Vaterlanbsliebe, ihre une 
uͤberwindliche Standhaftigkeit, ihre Verachtung der 
Gefahren und des Todes, ihre Achtung gegen die 
Sitten und Geſetze, ihre Strenge der Gerechtigkeit 
und der Kriegszucht in Bepſpielen ſchilderte. Aber 
bald verſchwand der Taumel feines Entzuͤckens, als 
ihn fein Freund mit dem verderbten Zuſtande feiner 
Zeitgenoſſen bekannt machte; als er iom erzaͤhlte, 
wie Ueberfluß und Schwelgerey die alte Tugend 
und Sittlichkeit verſcheuchten, wie der Ehrgeitz der 

aͤchtigern die Stimmen des Volkes zum Unter 
gange des Vaterlandes erkaufte, wie Freyheit und 
Muth in dem Blute der Bürger erloſchen, wie eis 
nige verworfene Menſchen die Schaͤtze unterjochter 
Nationen verſchlangen, wie die Freyheit, ungeſtraft 
zu rauben und zu morden, die graͤulichſten Verbre— 
chen ohne Unterlaß vermehrte, und das allgemeine 
Elend vergroͤſſerte. Ohne Zuruͤckhaltung machte 
ihn Aetius aufmerkſam auf das gaͤnzliche Unvers 
mögen, in welches die niebrigſte Feigheit die 21» 
koͤmmlinge der alten Helden verſetzt batte. Mit 

G 2 


Erſtaunen hörte Attila, daß die Nachfolger der 
Anton ine, nachdem ſie durch eine lange Reihe 
von Jahren mit ungeheuern Summen die Sicherheit 
ihres Lebens von ihren eigenen Leibwachen zu er⸗ 
kaufen gezwungen waren, jetzt alles den Barbaren 
geben müßten, um von denjenigen nicht als Knech⸗ 
te behandelt zu werden, die ihre muthigern Vorfah⸗ 
rer verachtet hatten. Sein Stolz maß die Fort⸗ 
ſchritte zu ſeiner kuͤnftigen Vergroͤſſerung, waͤhrend 
ihm Aetius die traurige Nothwendigkeit darſtell⸗ 
te, welche die Römer zwang, barbariſche Voͤlker⸗ 
ſtaͤmme in ihren Sold zu nehmen, ihnen ihre Kriegs⸗ 
kunſt, zu deren Ausuͤbung fie ſelbſt keine Kräfte 
mehr hatten, zum Eigenthume zu überlaffen, und 
das groſſe politiſche Geheimniß zu verrathen, durch 
deſſen Bewahrung ihre Vaͤter die ganze Welt un, 
terjocht hatten. Mit ſcharfſinniger Genauigkeit be⸗ 
rechnete er, mit welchem Erfolge er einſt den Um 
tergang einer Nation befoͤrdern koͤnnte, die in einer 
vermiſchten Stimmung von kalter Gefuͤhlloſigkeit 
und feiger Verzweiflung ſich der grenzenloſeſten Ver⸗ 
ſchwendung überließ, bey welcher die Unſicherheit 
des Eigenthumes alle Menſchen muthlos gemacht, 
in welcher die Herrſchaft kleiner Seelen, verfeiner⸗ 
ter Laſter und uͤberlegter Verbrechen alles Selbſtge⸗ 
fuͤhl erſtickt hatte. Frohlockend zaͤhlte er ſeine kuͤnf⸗ 
tigen Siege, während Aetius mit wehmuͤthigem 
Herzen klagte: die entnervten Enkel der alten Rös 
mer koͤnnten die ſchwere Ruͤſtung ihrer Väter nicht 
mehr ertragen; ihren zarten Schultern wäre der 


Nömiſche Panzer zu ſchwer, ihre an Taͤndeleyen ges 
woͤhnten Haͤnde koͤnnten den Schild nicht mehr 
heben; gegen die Streiche der Feinde unverwahrt, 
übten ſie ſich nur noch im Laufen, damit ſie, die 
einſt im hartnaͤckigen Kampfe niemand übertrofs 
fen hatte, jetzt in der Fertigkeit die Waffen weg⸗ 
zuwerfen und zu fliehen, Melſter würden; Scla— 
ven der Traͤgheit und Gemaͤchlichkeit, vergeſſen ſie 
ſelbſt der Furcht vor dem Tode, und weigerten ſich 
ihre Laͤger zu befeſtigen, oder ihre Staͤdte zu ver⸗ 
theidigen. 5 

Erſt in den Augenblicken der Ruhe und Urs 
berlegung unterſuchte Attila die Wuͤrdigkeit der 
Thaten, die er wider dieſes armſelige Volk unters 
nehmen wollte; er prüfte den Werth des Ruhmes, 
den er ſich durch die Aufreibung deſſelben erwerben 
koͤnnte. Erhabene "Gefühle erwachten in feiner 
Seele; es ſtritt gegen feine Großmuth, einen Haus 
fen nichtswuͤrdiger Menſchen zu ſchlachten, die durch 
ihre Laſter und Schwelgereyen auſſer Stand geſetzt 
waͤren ſich zu vertheidigen; fein edler Stolz empoͤr⸗ 
te ſich gegen den Gedanken, fein Haupt mit Lor⸗ 
beern zu ſchmuͤcken, die er ohne Anſtrengung und 
Widerſtand geſammelt haͤtte; beſchaͤmt ließ er Er— 
wartungen fahren, die ihn im’ Schwunge feiner 
feurigen Phantaſie mit dem Flitterglanze falſcher⸗ 
Groͤſſe geblendet hatten. 

Vielleicht würde ſich einſt feine ganze Thaͤtig⸗ 
keit auf die Behauptung feines vaͤterlichen Reiches 
und auf die Beglückung ſeines Volkes eingeſchraͤnkt 


— 102 — 


haben, haͤtten nicht mehrere Unterredungen mit 
Aetius das ſtaͤrkſte feiner Gefühle erweckt, hätte 
dieſes nicht eine Leidenſchaft in ihm entflammt, die 
feine Aufmerkſamkeit von einzelnen Römern auf das 
ganze roͤmiſche Volk zuruͤckfuͤhrte, und nur in der 
Erneuerung feiner aufgegebenen Entwürfe Befrie⸗ 
digung finden konnte. Als ihm Aetius den Plan 
der aͤuſſerſt mangelhaften Regierung des Reiches dar⸗ 
legte; als er ihm Conſtantin, den Urheber der 
neuen Staatsverfaſſung, nach allen feinen Schwach⸗ 
heiten, Laſtern, Verbrechen und Grauſamkeiten 
ſchilderte; als er ihm das gräßliche Schauſpiel 
mahlte, welches dieſer, zur Schande der menſchli⸗ 
chen Vernunft groß genannte, Wüͤtherich in Trier 
mit den gefangenen Franken aufgeführt hatte; als 
er ihm erzaͤhlte, wie getreu ſeine Nachfolger in die 
mit Menſcheublute bezeichnete Fußſtapfen traten, 
wie Valens den Koͤnig von Armenien durch die 
niedrigſte Verraͤtherey ermorden, Valentin ian 
der Erſte den Gabin ius, König der Quaden, 
bey einem Gaſtmahle umbringen, viele unſchuldige 
Bürger nach feiner Laune hinrichten und zwey Bär 
ren, die ihm beſonders lieb waren, mit den Leich⸗ 
namen der Unglücklichen füttern, wie Valenti⸗ 
nian der Zweyte mehrere tauſend tapfere Go⸗ 
then, die er unter dem Verſprechen neuer Geſcheu⸗ 
ke von Laͤnderehen in die Hauptſtaͤdte gelockt hatte, 
insgeſammt niedermachen, wie Theodoſtus in 
dem Circus zu Theſſalonica fünfzehn tauſend, groͤß⸗ 
lentheils unſchuldige Menſchen, in einer einzigen 


Stunde feinem Jorne zum Opfer erwurgen ließ; 
als er ihm die blutigen Auftritte bey Stilico's 
Ermordung zu Ravenna darſtellte, ihm als Augen 
zeuge erzählte, mit welcher Entſchloſſenheit die Hun⸗ 
nen ihren Freund und Siegesgekaͤhrten gegen feine 
Mörder vertheidigten, wie fie der Uebermacht un- 
ferliegen , und ihre Treue mit ihrem Blute bezah— 
len mußten: da verwandelte ſich ſeine Verachtung 
in den bitterſten Haß und Abſcheu gegen ein Volk, 
welches ſolche Regenten über ſich duldete, und die 
Feſſeln der ſchimpflichſten Knechtſchaft mit der du: 
ßerſten Gleichguͤltigkeit trug; da ſchwang ihn fein 
Gefühl von Menſchlichkeit und Gerechtigkeit zur 
hoͤchſten Begeiſterung empor; da ward die grauſam⸗ 
fe Rache fein einziger Gedanke, fein eifrigſter 
beiligſter Wunſch, ihr beſchloß er fein ganzes Le— 
ben zu weihen, ihr alle Freuden und Vergnuͤgungen 
aufzuopfern; da fluchte er dem Zwange der Um— 
ſtände, der ihn hinderte hinzueilen, mit hochſchla⸗ 
gendem Herzen ſich zwiſchen die Graͤuel der Untere 
drucker zu werfen, und als Geiſſel Gottes mit 
allen Schrecken einer raͤchenden Gottheit bewaffnet, 
das verworfene, treuloſe Volk unter der Laſt ſei— 
ner eigenen Verbrechen zu vernichten. 

unausloͤſchlich waren die Eindrücke, welche 
Aetius Erzählungen in Attil a's Seele zuruͤck— 
gelaſſen hatten. Die aus dieſem Stoffe gebildeten 
Vorſtellungen waren die ſtaͤrkſten; bey jeder Gele— 
genheit kamen fie zuerſt in fein Bewußtſeyn. Durch 
die ihnen entſprechenden Gefühle wirkten ſie auf ſein 


— 104 — 


ganzes Weſen, und gaben allen übrigen Trieb fe⸗ 
dern feiner Willens aͤuberungen und Handlungen 
ſiegende Kraft und ausdauernde Lebhaftigkeit. Sei⸗ 
ne geſchaͤftigte Einbildungskraft verarbeitete ſie ſo⸗ 

gar zu einem ſchrecklichen Ideal von der Menſch⸗ 
heit, das von nun an im Kampfe zwiſchen Menſch⸗ 
lichkeit und Leidenſchaft beynahe immer der letz⸗ 
tern den Sieg verſchaffte. Tief hatten die erkann⸗ 
ten Frevelihaten einzelner Boͤſtwichte den Werth 
der ganzen Menſchengattung in feinen Augen her⸗ 
abgeſetzt; machte ihn auch in der Folge fein ftarfes 
Gefuͤhl von Menſchlichkeit gegen alles, was nicht 
Römer war, nachſichtig, ſchonend, ſanft und theil⸗ 
nehmend: fo war doch der Menſch in dem Roͤ⸗ 
mer zu beklagen, der in ſeine Gewalt gerieth, und 
Verbrechen büffen mußte, die er nicht begangen hat⸗ 
te. Die abſcheulichſte Grauſamkeit ſchien ihm eine 
ruͤhmliche heilige That; er glaubte berufen zu ſeyn, 
die in den Barbariſchen Voͤlkerſchaften ſo ſchwer 
beleidigte Menſchheit auf alle erdenkliche Art an 
den Römern zu raͤchen. Vielleicht haͤtte er in dem 
laͤnger fortgeſetzten Umgange mit Aetius noch 
manches in ſeinem Ideal gemildert, vielleicht auch 
feinen Roͤmerhaß gemaͤſſigt, und feine rachſuͤchtigen 
Geſinnungen mit feinen beſſern Gefühlen in ges 
nauere Uebereinſtimmung gebracht; aber Gauden⸗ 
tius forderte jetzt ſeinen Sohn, die Stuͤtze und 
den Troſt ſeines Alters, von Mundzuch zuruͤck. 
Attila mußte ſich von Netius in dem Augen⸗ 
blicke trennen, in welchem er ſelbſt dieſen ein⸗ 


105 wo 
zigen Schutzgeiſt des weſtlichen Kaiſerthrouts in 
feine Portheile zu ziehen, und zum Beſoͤrderer ſei— 


ner verderblichen Entwürfe zu machen beſchloſſen 
hatte. 3 , | 


unter raſtloſer Anſtrengung flie die zukünftige 
Groͤße feines Volkes reifte Mund zu d zum Tode. 
Mit dem ruhigen Bewußtſeyn eines wohlgebrauch— 
ten Lebens verkuͤndigte er feinen Brüdern Uptar 
und Ru has feine bevorſtehende Auſtoͤſung; ihnen 
uͤbergab er die Herrſchaft uͤber die Hunnen und ihre 
Schutzgeuoſſen;z unter den Geſetzen des Gehorſams 
und der Ordnung ſollten ſeine Soͤhne Attila und 
Bleda noch ferner die Kunſt erlernen, Achtung, 
Liebe und Gehorſam zu verdienen. Dringendſt ers 
mahnte er Alle, dort unermuͤdet fortzufohren, wo 
er angefangen hatte. Sie ſollten den Krieg nicht 
ſuchen, fo lange fie nicht dazu gezwungen würden; 
aber mit Nachdruck angreifen und ſchlagen, flörte 
das Blocken der Schafe den ſchlafenden Löwen in 
feiner Ruhe. Keinem bedraͤngten Volke follten fie 
ihren Beyſtand verfagen; er wirufchte, daß die Hun— 
nen von nun an die Gemaͤchlichkeiten des haͤuslichen 
Lebens nie ganz, und nie auf lange Zeit geyoͤſſen. 
Seinem Rathe gemäß ſollten fie jeden guͤnſtigen 
Umſtand benutzen, um ihre Macht gegen Norden 
und Süden zu erweitern; gleich einer unüberwind— 
lichen Mauer würden fie dann zwiſchen dem Orient 
und Occident, beyden zum Schrecken daſtehn, und 


— 167 — 


durch erhöhte Tribute von dem oͤſtlichen Kaiſerthv⸗ 
me die Mittel erzwingen, das weſtliche zu unters 
drücken. Seine Verachtung gegen die Roͤmer uͤber⸗ 
ließ er feinen Söhnen zum Erbtheile und zur blei⸗ 
benden Richtſchnur ihres Vetragens, wenn ſie einſt 
in dem Befige der hoͤchſten Gewalt, ſich der Welt 
als furchtbare Diener des Verhaängniſſes ankündi⸗ 
gen wuͤrden. Nie ſollten ſie ſeiner Lehren und Bey⸗ 
ſpiele vergeſſen, aber das Andenken ſeines Daſeyns 
auf dem Schlachtfelde feyern; dort wurde er ihnen 
aus Odins Wohnungen Beyfall und Segen zu⸗ 
winken; und wenn ganze Haufen der Römer unter 

ihren Pfeilen und Schwertern fielen, wenn die 
Wolke der Vernichtung ſich uͤber die gelockten Haͤur⸗ 
ter der Feinde niederfenkte, wenn fie den Ruͤckweg 
zu den Ihrigen nur durch Stroͤme des Blutes und 
über Leichenhügel finden, dann ſollten fie frohlocken 
und jauchzen, daß fie den Auftrag ihres ſierbenden 
Vaters vollzogen, daß ſie die Laſt der Erde und die 
Leiden der Menſchheit vermindert haͤtten. 


Mund zuch's Huͤlle lag in dem Schooße der 
Verweſung; und auch fein Geiſt ſchlen von den Er⸗ 
ben feiner Macht gewichen zu ſeyn; denn ſie ſuch⸗ 
ten den Krieg. Durch keine Beleidigung gereitzt, 
von keiner Gefahr aufgefordert, nur von Ehrgeiz 
und Eitelkeit getrieben, zog Uptar aus, um die 
zuruͤckgebliebenen Stämme der Burgunder aus ih⸗ 
ren Wohnſitzen zwiſchen der Oder und Weichſel zu 


11 


vertreiben. Mit Nachdruck hatte ſich Attila gegen 
die zweckloſe Unternehmung erklaͤrt. In jedem Bars 
bariſchen Voͤlkerſtamme ſah er einen natuͤrlichen 
Bundesgenoſſen der Hunten gegen die Romer; dar— 
um ſchien es ihm eben fo ungerecht als nachthbeilig, 
ein Volk zu bekriegen, das durch ſeine Tapferkeit 
berühmt, und ruhig in ſeinen Gauen, der innig⸗ 
ſten Freundſchaft würdig war, ein Volk, in deſſen 
Verbindung man einſt die wichtigſten Vortheile über 
den gemeinſchaftlichen Feind erreichen koͤnnte. Aber 
feine Vorſtellungen fanden kein Gehoͤr; Attila 
begleitete feinen Oheim auf den Kampfplatz in der 
Abſicht, wenigſtens die Umſtaͤnde im Verborgenen 
fo zu lenken, daß der aus Uebermuth unternom— 
mene Feldzug nicht ſo leicht in einen langwierigen 
verderblichen Krieg ausartete. Uptar's fiolge Zus 
verſicht machte Mund zu ch's ſcharfſinnigen Sohn 
zültern; der König ſpottete eines Feindes, deſſen 
Kraft er nur nach der Zahl, nicht nach dem Muthe 
ſeiner Streiter gewogen hatte; er beſtimmte den 
Tag, an welchem die drey tauſend Burgunder in 
ihrem Blute liegen müßten, und that nichts, was 
ſeine verwege en Erwartungen beguͤnſtigen konnte. 
Seine Unthaͤtigkeit machte die Burgunder kuͤhn, der 
verachtete Feind faßte Muth zu Unternehmungen. 
Nach einem ſchwelgeriſchen Mahle ſtarb Uptar 
ploͤhlich an den Folgen feiner Unmaͤß igkeit. Die 
Feinde hörten durch ihre Kundſchafter von dem Hin— 
tritte des Königs; fie benutzten die allgemeine Bes 
ſtuͤrzung ſeines verloſſenen Heeres. Ihr Anfall war 


heftig; die Hunnen fielen, ohne ſich wehren zu koͤn. 
nen; denn in den erſten Augenblicken des gewalti⸗ 
gen Sturmes dachten ſie an keinen Widerſtand. At- 
tila ſammelte die einzelnen Haufen, die dem groſ⸗ 
ſen Gemetzel entronnen waren; aber bevor er ſie 
noch in Reihen geordnet hatte, ſah er ſich von den 
Verfolgern umringt. Muthiger Kampf oder Hin⸗ 
gebung zum Tode mußte hier engfheiden, Attila 
begann das moͤrderiſche Gefecht; durch ſein Bey⸗ 
ſpiel ermuntert, verſuchten ſeine Maͤnner ihre Kraft, 
das Gluͤck unterffügte die Tapfern, die fiegenden 
Wuͤrger wurden in die Flucht geſchlagen. Hier 
fühlte Attila zum erſten Mahle, was es heiſſe, 
ver Wohlthaͤter und Retter ſeines Volkes, der Mann 
zu ſeyn, durch deſſen Geiſt und Entſchloſſenheit 
Tauſende wieder Zutrauen in ſich ſelbſt faßten, die 
ſich ohne ihn der feigen Verzweiflung prris gegeben 
hätten. Hier verſtand er ganz, was ihm Aetius 
von Leonidas und Hannibal ſo oft erzaͤblt, 
was er mit fo vieler Ruͤhrung angehört hatte. Hier 
erkannte er, was er werden müßte, um einſt in 
dem einhaͤlligen Beyfalle ſeiner Nation, in ihrer 
Achtung und Liebe das untruͤgliche Zeugniß feiner 
Wuͤrdigkeit zu erlangen. Im Junerfien mit den 
Heldenthaten feiner Bäter beſchaͤftigt, ſtand er tiefe 
ſinnig in der Mitte ſeiner geretteten Scharen und 
börte das Dank und Jubelgeſchrey nicht, das 
ihm aus allen Herzen, von allen Lippen erfönte. 
Die aͤlteſten und erfahrenſten feiner Streiter hefte⸗ 
ten mit Erſtaunen ihre Blicke auf ihn; unbegreiflich 


a 


— 109 — 


war es ihnen, wie der junge Held, den fie fonft 
immer nur unzufrieden, verſchloſſen und ſcheinber 
untheilnehmend geſehen hatten, ſich fo plotzlich über 
ſich ſelbſt und die Umſtaͤnde erheben, und in eben 
dem Maße, in welchem er ihnen ſo lange ſtumpf, 
kalt und unbedeutend ſchien, ſich jetzt als lebhaft, 
groß, furchtlos und unternehmend auszeichnen konn— 
te. Voll hoher Erwartungen, von der Ausſicht in 
eine glaͤnzende Zukunft begeiſtert, huldigten ſie ihm 
noch auf dem dampfenden Leichengefilde als ihrem 
Retter und Könige, 


( un 


Honorius batte aufgehoͤrt zu ſeyn; gelebt 
hatte er nie. Lange noch vor ſeinem Verſchwinden 
hatte Conſtantius in ſeinem Nahmen das 
weſtliche Reich beherrſcht; der Kaiſer hatte ihn mit 
der Hand feiner Schweſter Placidia, und kurz 
vor feinem Ende mit dem Titel Au gu fi u belohnt. 
Conſtantius war feinem Wohlthaͤter vorausge— 
gangen; Theodoſius der Zweyte war Erbe 
des weſtlichen Kaiſerthumes. Zu ſchwach, dieß wich⸗ 
tige Erbtheil zu behaupten, ließ er den ſechsjaͤhri⸗ 
gen Sohn des Conſtantius, Valentinian 
den Dritten, zum Kaiſer ausrufen. Unter dem 
Titel Auguſt a ward die Mutter des Unmündigen 
zur Regentin des Occidents eingeſetzt, wofuͤr ſie 
im Nahmen ihres Sohnes das weſtliche Illyrien ab⸗ 
treten mußte. 


— 


s 


—— 110 — 


Noch fehlte es nicht an Maͤnnern, deren Kral, 
te den ſinkenden Staat noch eine Weile würden 
aufrecht erhalten haben, wenn entweder ſchwache 
Tyrannen ſie zu benutzen gewußt, oder die Laſter 
des Zeitalters nicht auch die letzten Hülfs quellen 
verſtopft haͤtten. Die Beherrſcher der Welt hatten 
keine Einſichten, keine Kraft; die Männer von Ein» 
ſichten und Kraft keine Sitten mehr. Selbſt dort, 
wo ſie durch die Ohnmacht der Regenten begünſtigt, 
ungehindert haͤtten handeln koͤnnen, opferten ſie die 
Wohlfahrt des Ganzen ihren kleinlichen Leidenſchaf⸗ 
ten, und verfolgten ſich gegenſeitig um die Gunſt 
eines elenden Schattenbildes, das der Zufall mit 
dem Kaiſerlichen Purpur bekleidet hatte. 

Aetius hatte ſich bereits durch Verdienſte, 
und weil dieſe wenig oder gar nichts mehr galten, 
auch durch Ränfe und Schmeicheleyen zum erſten 


Befehlshaber uͤber die Kaiſerliche Kriegsmacht em⸗ 


porgeſchwungen. Sein unbegrenzter Ehrgeitz ſtreb⸗ 
te hoͤher; die verfchiedenen Rangſtufen, auf welchen 
die Tyranney vom Throne hinab alles Selbſtgefühl 
der Menſchen erſtickte, gewährte ihm keine Vefrie⸗ 
digung mehr. Sich zum Herrn uͤber das Schick⸗ 
ſal des Reiches aufzuwerfen, war ſein entfernteres 
Ziel; die Ueberlegenheit feiner Talente hatte ihm 
den Weg dahin gezeigt und gebahnt. Nicht die 
dicht verſchleyerten Kunſtgriffe des Deſpotismus, noch 
die feinern Spiele des Hofes; weder die Argliſt lau- 
ernder Nebenbuhler, noch der verwickelte Umgang 
mit feldfifüchtigen treuloſen Meuſchen konnten feine, 


rn 111 — 


Geduld ermüden: Erſchuͤtterung, nicht Beruhigu— 13 
feiner Seele hieß ihm Gluͤckſeligkeitz durch Suchen, 
Streben, Herren und Aus dauern verſtaͤrktes Ge— 
fühl feiner Uebermacht, nicht Erlangung und ruhi⸗ 
ger Beſitz war ihm der höchſte Selbſtgenuß. Unter 
dem Zwange von auſſen her gewohnt, die Fuͤlle fe:: 
ner Kraft unter ſchlaue Behutſamkeit, hellere Denk: 
art unter leere Höflichkeit, Wahrheit und Gerad: 
heit des Characters unter kalten Wohlſtand zu ver— 
bergen, verlernte er allmaͤhleg die eben fo edle als 
leichte Kunſt, ehrlich, aufrichtig, rechtſchaffen und 
großmuthig zu ſeyn. Willkommen und erlaubt 
war ihm nun jedes Mittel zu ſeinem Zwecke, recht 
jede Handlung, die den Forderungen ſeines Stol— 
zes und Ehrgeizes genug that. Zu allen Beſchwer⸗ 
den abgehaͤrtet, kuͤhn, ſcharſſinnig, zu jeder Rolle 
geſchickt, an tiefen Cinſichten reich und an Schein⸗ 
gründen fruchtbar, wußte er ſich allenthalben Sue 
tritt zu erwerben, und durch kluge Benutzung jedes 
Zeitumfiandes, jeder Schwaͤche, jeder Triebfeder 
ſich brauchbar, vertraut und nothwendig zu machen. 
Alle Thorheiten der Menſchen waren ihm dienfibur; 
Meifter in der Kunſt, ihre Leidenſchaften und Nei— 
gungen unvermerkt in ſeinen Willen zu verwickeln, 
betrog er Hoͤflinge, Feinde und Nebenbuhler durch 
ihre eigene Maske. Sie wurden die thaͤtigſten Ber 
ſoͤrderer ſeiner Abſichten in dem Augenblicke, als ſie 
in der Ueberzeugung frohlockten, feine geheimſten 
Entwürfe errathen und vernichtet zu haben. 


Schon hatte ib Bonifaciug, Statthalter 
von Afrika und erſter Guͤnſtling des Hofes, der 
Nothwendigkeit unterworfen, feine Herrschaft über 
Placidia und den Occident mit Aetius 
zu theilen; aber ungetheilt wollte dieſer beſitzen, 
wozu er die Anweiſung des Glüdes für ſich al⸗ 
lein in den Umſtaͤnden las. Der Untergang des 
Statthalters war beſchloſſen. Er machte ihn der 
Regentin, und dieſe den: Bonifaetus der ver⸗ 
ſchmitzteſten Treuloſigkeit verdaͤchtig. Auf Aetius 
Anrathen ward der vorgebliche Rebell aus Afrika 
zurückberufen; auf Aetius Warnung weigerte ſich 
dieſer, die Provinz zu verlaſſen. Sein Ungehor⸗ 
ſam hieß Empörung; er ward des Hochverraths 
angeklagt, und fein liſtiger Verfolger, zur Beloh⸗ 
nung feiner ſcheinbaren Treue, von Placidia in 
die Zahl der Patric ier verſetzt. Keiner Schuld 
ſich bewußt, faßte der Verurtheilte den Muth, ſich 
gegen die Macht der Regentin zu behaupten. Er 
rufte die Vandalen aus Spanien zu Huͤlfe, welche 
unter Geiſer ichs Anführung hinzogen, um ſich 
in Afrika feſtzuſetzen und ein neues Reich zu errich: 
ten. Indeſſen fand der verkannte Statthalter Ge: 
legenheit, der erbitterten Placid ia feine Unſchuld 
mit dem warnenden Sendſchreiben des Aetius 
zu erweiſen; doch für die Vortheile des Kaiſerthu⸗ 
mes war es zu ſpaͤt; Afrika war auſſer Cyrtha und 
Carthago, für die Römer verloren. Bonifacius 
ward in feine Wurde wieder eingeſetzt; aber Gei⸗ 
ſerich war im Beſitze der Herrſchaft, und ſpotte⸗ 

be 


— 13 — 


te der Waffen und des Geldes, wodurch mon die 
Abtretung derſelben von ihm erzwingen oder erkau⸗ 
feu wollte. Der Verraͤther aus Itrithum zog nach 
Ravenna und fand in der Gnade feiner Gebicthe— 
rinn reichlichen Erſatz für die Schmach, durch un. 
männliche Leichtglaͤubigkeit das Reich ſeine frucht⸗ 
barſten Provinz, und ſich ſelbſt ſeines Ranges be— 
raubt zu haben. Um den Ausbruͤchen der Rache 
Placid a's Trotz zu biethen und die Ohnmacht 
ihrer Herrlichkeit fie nachdrücklich fühlen zu laſſen, 
ergriff Aetius, jetzt Statthalter von Gallien, 
das Panier der Empoͤrung. An der Spitze zahl⸗ 
reicher barbariſcher Scharen eilte er nach Italien. 
Bonifacius, mit den Roͤmiſchen Heeren wider 
ihn ausgeſandt, gewann die Schlacht, verlor aber 
fein Leben an einer Wunde, die ihm der Arm ſei— 
nes gluͤckliche“ Nebenbuhlers verſetzt hatte. Ae— 
tius, von der Wuth des kaiſerlichen Weibes vis» 
folgt und von Meuchelmoͤrdern zum Tode geſucht, 
entfloh zu den Hunnen, um mit den Schrecken ib» 
rer Waffen die Furien der weiblichen Rache zu br 
zwingen. | 


- - — 
—ͤ—ü—Ü— j — ——— 


At lilaempfieng feinen Jugendfteund mit der 
Freude und dem Entzuͤcken eines Helden, dem nach 
langer Gefangenſchaft der Herold feine Ausloͤſung 
verkündiget, und ihm das Schwert, das Werkzeug 
feiner Uuſterblichkeit , überreicht. Er glaubte, 
der Römer wäre gekommen, ihn zum Beyſtande ge» 


* 


— 114 — 


gen unbezwingliche Feinde aufzufordern; feine Aus⸗ 
ſichten erweiterten ſich, ſeine Erwartungen ſtiegen, 

als er einen verfolgten Fluͤchtling an ihm ſah; ſein 
erſter Gedanke und Entſchluß war, feinen Freund 
zu raͤchen. Haͤtte ihm doch Aetius die Urſachen 
ſeiner Verfolgung nicht entdeckt, haͤtte er doch den 
Willen, durch die grelleſte Schilderung des Bo⸗ 
nifacius ſich vor Attila zu rechtfertigen, un⸗ 
terdruͤckt; haͤtte er doch die Macht der ſich ſelbſt 
überlaſſenen Vernunft und den Werth der Menſch⸗ 
heit in Barbaren gehoͤrig zu wuͤrdigen gelernt! 
Trotz der Feinheit und Kunſt, womit er ſeine nie⸗ 
drige Handlung darzuſtellen und zu entſchuldigen 
wußte, ſah Attila's Scharfblick ihre wahre €» 
ſtalt. Sein reines Gefühl der Rechtſchaffeuheit und 
Gerechtigkeit empoͤrte ſich; haͤßlicher ſtand das Ide⸗ 
al der Menſchheit vor feiner Seelen feine Achtung 
fur Aetius war auf immer dahin. Doch heilig 
waren ihm die Pflichten der Gaſtfreundſchaft; alle 
Verſuche des oͤſtlichen und weſtlichen Kaiſerhofes ihn 
zur Auslieferung des Verbrechers zu bewegen, blie⸗ 


ben ohne Erfolg. Noch unbekannt mit den Abſich⸗ 


ten des Fluͤchtlings, beſchloß er, ihn zu feinen ei» 
genen, ſo gut er konnte, zu benutzen. In vertrau⸗ 
ten Unterredungen mit ihm erwarb er ſich die voll: 
ſtaͤndigſte Keuntniß von dem gegenwärtigen Zuftan⸗ 
de des Reiches, zu deſſen Erſchuͤtterung ihm ſelbſt 
die erkannte Niedrigkeit ſeines ehemaligen Freundes 
ein neuer Antrieb geworden war. Aetius fuͤhlte 
feinen Werth, er hatte die noch übrigen Kräfte der 


ſinkenden Maſchine berechnet, die allgemeine Geis 
ſtesnoth in Weſten war ihm bekannt; ſein ſchwer 
beleidigter Ehrgeiz gab ihm den Troſt an ihm haͤt⸗ 
te der Staat den einzigen Mann verloren, der die⸗ 
fen Kräften eine zweckmaͤſſige Richtung zu geben 
faͤhig war: jetzt ſtand er auf dem Scheidewege, 
entweder alles zu beherrſchen, oder das Ganze zu 
ſtüͤrzen, und ſich ſeldſt unter den Trümmern deſſel⸗ 
ben zu begraben Zu beydem waren ihm die Kraͤf⸗ 
te der Hunnen unentbehrlich; mit der aͤuſſerſten 
Anſtrengung begann er, was Attila von ihm vers 
langt hatte. Zahlreiche Rotten der Hunnen lernten 
von ihm den Roͤmiſchen Kriegsdienſt und vorzuͤglich 
die ihnen noch ganz fremde Belagerungskunſt. Fuͤr 
ſich glaubte Aetius dieb furchtbar werdende Heer 
zu bilden, um ſo eifriger war er in dem Geſchaͤfte, 
und um ſo offenberziger gegen Attila, fo oft dies 
fer das Geſprach auf die innere nin des Rei⸗ 
ches gelenkt halte. 

Aetius errieth den unpchröhrlihen Haß, der 
in Atti la's Bruſt gegen die Roͤmer gluͤhte. Rus 
bas wuͤnſchle für feine Voͤlker Gelegenheit zu Fries 
geriſchen Thaten. Schnell benutzte der Fluͤchtling 
die Gemüthsſtimmung feiner Schutzherren. Er ent: 
deckte feine Abſicht, Italien zu überfallen und dem 
hochmuͤthigen Weibe die Herrſchaft zu entreiſſen. 
Er bat um Unterſtützung, zeigte die Gewißheit des 
gluͤcklichen Erfolges und verſprach, nicht nur alle 
Anfprüche auf die Wohnplätze, die fie bereits ins 
ne hatten, aufzugeben, ſondern * Pannonien 

2 


— 116 — 


an der Save den eee feiner. aa ah 


111 und Aetius, zogen an die Ufer des Pa⸗ 
dus, um dem Hofe zu Ravenna das Ende feiner 
ohnmaͤchtigen Herrlichkeit und die Strafe ſeiner 
zablreichen Verbrechen anzukündigen. Die beſtürzte 
Placid ia uͤberſah den ganzen Umfang ihrer ſchreck⸗ 
lichen Lage. Ihre Kriegsmacht war getheilt, in 
Gallien mit den ſiegenden Weſigothen, in Afrika 
mit den weiter vordringenden Vandalen beſchaͤf⸗ 
tigt; Hülfe von Oſten her zu verlangen oder zu er⸗ 
warten, war zu ſpaͤt, die Befagung der Städte 


Italiens zu ſchwach, um ſich der Uebermacht der Ge⸗ 


waltigen zu widerſetzen. Ihre Hoͤflinge und Schmeich⸗ 
ler waren ſtumm, ihre Vertrauten und Rathgeber 
zaghaft; alles, was um ſie herum in dem Stau⸗ 
be kroch, jammerte und verkuͤndigte nur Unglück. 


Tief gebeugt und zu jeder Demuͤthigung gefaßt, 


ſandte fie dem erbitterten Römer eine anſehnliche 
Geſandtſchaft entgegen, um unter was immer für 
Bedingungen eine Aus ſoͤhnung mit ihm zu bewir⸗ 
ken. Sie empfahl ſich mit ihrem Sohne in ſeinen 
Schutz; fie ließ ihm betheuern, daß ſie in ihm ihre 
einzige Stuͤtze, ihre einzige Hoffnung, den einzis 
gen Mann anerfennte, der das von allen Seiten 
beftürmte, wankende Reich aufrecht zu erhalten ver» 
moͤchte. Es ward ihm vorgeſtellt, groß muͤthige 
Verzeihung würde ihm unſtreitig mehr Achtung bey 
ſeinen Zeitgenoſſen, und Ruhm bey der Nachwelt 


„Scchſig ee Sale an ihrer Seite At⸗ 


Ny 


erwerben, als der Sieg, den er mit einer weit 
ſchwaͤchern Macht uͤber ein Weib und einen un⸗ 
mündigen Knaben ſpielend erfech ten, koͤnnte. Es 
ward ihm die unbegrenzte Vollmacht angebothen, 
während ihrer Negentſchaſt alles zu unternehmen, 
was ihm für die Wohlfahrt des Staates dienlich 
ſcheinen würde, ohne jemand andern als feinem ei⸗ 
genen Gewiſſen und Ebrgefäbt verantwortlich zu 
* 

An der Spitze Far Geſandiſchaft erschien ſeine 
Gattin und fein Sohn Carpito; ihr Flehen und 
Bitten unterſtuͤtzte die Vorſtellungen der Friedens. 
mittler. Aetius wat beſaͤnftigt, und in der Aus⸗ 
ſicht auf neue glorreiche Unternehmungen both er 
der Bedrängten feine Hand. Nur die Sorge, wie 
er die Hunnen und ihren ſtegbegierigen Koͤnig be⸗ 
friedigen würde, beſchaͤftigte ihn noch; die Mittel 
dazu gab ihm Placid ia ſelbſt an die Hand; fie 
unterzeichnete die Abtretung Pannoniens ), und 

W. His consulibus Pannoniae, quäe per quinqua- 
Sinta annos ab Hunnis retinebantur a Romanis re- 
0 ceptae sunt; ſchreibt Marcellinus Comes 
/ auf das Jahr 427. 'Hec non intelligendum, — 

fügt Jordan de originibus Slavicis, Part IV, 

App. bist. $. Dec. p- 156. — quasi Hunni ces- 

| serint e Pannonia: manserunt enim, et Aetius A. 

43%. eos ibi invenit; ast Hunni, ut non nisi op- 

portuno tempote, auctis prius viribus, et subjuga- 

ta tota Scythia, peticulum armorum cum Roma - 


— 118 — 


der Kaiſerliche Schatz ſtand ihm zu Gebothe, um 
die Hunnen durch klingende Veweggruͤnde zum fried⸗ 
lichen Ruͤckzuge u vermoͤgen. 

Seinen Wuͤnſchen eee als er glautte, 
fand Aetius den König der Hunnen. Attila 
fühlte ſich groͤſſer, wenn er verzieh, als wenn er 
een demüthige Ergebung und beſcheidene Zu⸗ 
verſicht auf ſeine Großmuth hatten den edeln Men⸗ 
chenfreund in ihm nie vermißt. Er faßte wieder 
eine beſſere Meinung von Aetius, weil er noch 
verzeihen konnte. Uebrigens ſah er mit Wohlge⸗ 
fallen, daß betraͤchtliche Summen und Geſchenke 
unter feine Heerſcharen vertheilt wurden; denn al⸗ 
les, was die Noͤmer auf was immer für, eine Art 
ſchwaͤchen oder demüthigen konnte, gehörte. in ſei⸗ 
nen Plan. Gern bewilligte er auch dem Römer eine 
beſtimmte Anzahl Huͤlfstruppen aus feinem Volke, 


nis, fors cum maxima detrimento suo, ut exem -: 
plum Gotborum docuerat facerent, interim tamen 
parti Romanorum imperii , nempe Panna ide pede 
' firmo, insisterent,, et solutionem annuam, in ma- 
dum tributi perciperent, tempori cedere satius ar- 
bitrati, itaque professi sunt, se Pannoniam jure 
benehciario Romanorum ‚ possessuros ; et id Ro- 
manis vocabatur reeipere provineiam, si- 
cut subigere gentes illis dicebatur dum eos ex 
hostibus fo ederatos auro semper median- 
te fecetant. Improprie. igitur loquitur et male in- 
tellexit Marcellinum, Jo nan des u dum cap. 32. 
dicit: Hunnos Pannonia expulsos, esse. 


— 119 — 


die für anſehnlichen Sold in Italien verbleiben ſoll— 
ien; nur mußte ihm Aetius feinen Sohn Carpi— 
lio zum Leibbuͤrgen für ihre gute Behandlung übers 
geben. Es lag dem Koͤnige ſelbſt daran, daß ſeine 
Männer das verworfene Geſchlecht auf das genaucs 
ſte kennen lernten, wovon er die Welt zu reinigen 


beſchloſſen hatte. 


u ttila zog ab, und ward in Pannonien als 
Alleinbeherrſcher der Hunnen empfangen; denn Rus 
has war zu feinen Vaͤtern heimgekehrt. Wichtige 
Ereigniſſe oͤffneten ihm gleich ein weites Feld zur 
Vergroͤſſerung feiner Macht und zu Thaten, in dee 
ren Vorbereitung der Tod feinen Oheim unterbros 
chen hatte. 

Reicher an Glanz, doch aͤrmer noch an ite 
ſamer Kraft als der weſtliche, war der Kaiſerhof 
in Oſten. Sleich elend war in beyden Reichen die 
Staatsverwaltung; mit gleicher Frechheit wurden 
in Oſten und Weſten die Sitten geſchaͤndet, die Ge— 
ſetze verachtet. Erbielt ſich das oͤſtliche Reich läns 
ger als das weſtliche, fo geſchah es, weil Con- 
ſtantin bey der Einrichtung des erſtern das Ver— 
derben des Zeitalters mit der neuen Staatsverfaſ— 
ſung kuͤnſtlich zu rerbinden wußte. Die von ihm 
verachteten Provinzen des Weſten waukten ohne Uns 
terlaß zwiſchen den Truͤmmern der alten republika⸗ 
niſchen Freyheit und den Klippen der neuern Tyran⸗ 
1:9 5; die Regierungsform des Oſten war deſpotiſch, 


die Kaifer maſſen ihre Groͤſſe nur nach dem knech⸗ 
tiſchen Gehorſam ihrer Unterthanen. Kein Sti⸗ 
lico, kein Bonifacius, kein Aetius konnte 
dort ſo leicht aufſtehen, oder ſich behaupten, wo 
jede Laune des Herrſchers für das heiligſte Geſetz 
gegolten, wo die Gewohnheit, allem Menſchenwer⸗ 
the zu entſagen, alles Selbſtgefuͤhl zu verlaͤugnen, 
jedes Seelenvermoͤgen erſtickt hatte. Weniger Reis 
ze als die fruchtbaren Gegenden in Italien, Gal⸗ 
lien und Spanien hatte Thracien für die Raubbe⸗ 
gierde oder Herrſchſucht der Barbaren. Alle Schaͤ. 
tze und Keichthuͤmer waren in der neuen Hauptſtadt 
der Welt verſammelt; ihr feſter Hafen und ihre 
Mauern verwehrten ſelbſt deu tapferſten Voͤlkern 
das Eindringen; das Jubelgeſchrey wonnetrunke⸗ 
ner Schwelger uͤberſtimmte die Klagen in Elend und 
Duͤrftigkeit ſa ma htender Bürger; weder duffere 
Kriege, noch innerer Aufruhr unterbrachen auf laͤn⸗ 
gere Zeit die Ausſchweifungen, oder die Andachts⸗ 
n der Kaiſer in Bizanz. 

Erſt die ſteigende Macht der Hunnen hatte die 
Eunuchen, Weiber und Moͤnche, die eigentliche Be⸗ 
herrſcher Theodoſius des Zweyten und ſeines 
Reiches, aukgeſchreckt. In einem fieberiſchen Ans 
falle des Muthes hatten fie an Mittel gedacht, dem 
Gluͤcke ihrer gewaltigen Nachbarn Grenzen zu ſetzen. 
Von ihren kuͤnſtlichen Lockungen irre geführt, wa⸗ 
ren die Amaldſurer, Ithamarer, Tunkaſſer und 
Boisker, ſtreitgeuͤbte Scythiſche Voͤlkerſtaͤmme, von 
den Hunnen abgefallen, und in ein Waffen buͤndniß 


” 


mit den Oſtroͤmern eingetreten. Eſlaw, Ruhas 
Geſandter, hatte dem Kaiſer einen immerwaͤhren— 
den Krieg angekündigt, im Falle er ſich weigern 
wurde, die abtruͤnnigen Voͤlkerſchaften an dem After 
ihrem verdienten Schickſale zu itberlaffen, und auch 
diejenigen auszuliefern, die ſich bereits in das Noͤ— 
miſche Gebieth geflüchtet hatten. Von den Dro: 
hungen der Hunnen erſchreckt, hatte der Senat von 
Conſtantinopel dem Hofe das Geſetz des Frie. 
dens verkuͤndiget; Theod ofi us mußte gehorchen, 
und Männer vom erſten Range als Friedens mittler 
nach Pannonien ſenden. Schon hatten der Conſu⸗ 
lar Plinthas, ein Scythe von Geburt, und der 
Quaͤſtor Evygenes, durch Feinheit und Staats⸗ 
klugheit berühmt, die Hauptſtadt verlaffen, als der 
Ruf von Ruh äs Vollendung ſie unſchluͤſſig mach⸗ 
te, ob ſie ihre Sendung vollziehen, oder heimkeh⸗ 
ren ſollten. Attila hob ihre Zweifel durch die 
Forderung ihrer Ankunft. Zu Margus wurden ſie 
von den Geſchaͤftstraͤgern des Koͤnigs der Hunnen 
erwartet, und mit dem Stolze eines Feindes em— 
pfangen, der in der Fuͤlle ſeiner Kraft nur einige 
Augenblicke der Ruhe und Erholung als Gnade ge— 
währt. Attila's Männer legten den Oſtroͤmern 
Friedens bedingungen vor, die dieſe als eine ſchimach— 
volle Beſchimpfung würden angeſehen, oder als eis 
ne Kriegserklaͤrung ausgelegt haben, wäre ihnen 
nicht unter dem armſeligen Hofceremoniel, bey dem 
fie zu Sclaven heranwuchſen, Ehrgefuͤhl und Selbſt— 
ſchaͤtzung ganz fremd geworden. Alle Hunnen, die 


unter Huldin und Nu has ſich der Schande des 
Römiſchen Bürgernabmens preis gegeben batten, 
ſollten ausgeliefert, die Kriegsgefangenen der Römer, 
die ohne Loͤſegeld zu bezahlen aus dem Hunniſchen 
Lager entwichen waren, zurückgeführt, oder mit 
acht Goldguͤl ben ausgeloͤſet werden. Mit keinem 
Volke, das mit den Hunnen in Krieg verwickelt 
wäre, ſollten die Römer irgend eine Verbindung 
unterhalten, oder ihm mit Rath und Hülfe beyſte⸗ 
hen. Mit gleichen Rechten und nach gleichen Ge⸗ 
ſetzen ſollte der Handel zwiſchen ihnen und den Hun⸗ 
nen fortgefuͤhrt, und zur Befeſtigung dieſes Ver⸗ 
trages der jährliche Tribut auf fieben hundert Pfund 
Gold erhoͤht werden. Die Sachwalter des Kaiſer⸗ 
lichen Hofes bewilligten alles, und überlieferten die 
vornehmen Geiſſeln und praͤchtigen Geſchenke, die 
fie als untrügliche Merkmahle der erſtorbenen Maͤnn⸗ 
lichkeit der Oſtroͤmer mitgebracht hatten. ö 
Attila hatte ſich felten verrechnet, faſt im⸗ 
mer rechtfertigte der erwunſchte Erfolg die Zuver⸗ 
ſicht ſeiner Erwartungen und die Wahl feiner Mit: 
tel. Auch durch diefe, eben fo druͤckende als demuͤ⸗ 
thigende, Forderungen erreichte er ſeinen Eudzweck; 
wie die Ausbruͤche eines feuerſtroͤmenden Berges 
von den Thalbewohnern, ſo ward der Mann in 
Couſtantinopel gefürchtet, der ſich ſelbſt vor dem 
Altar des Friedens ſo ſtolz, entſchloſſen und dro⸗ 
hend als den 1 Welterſchütterer geoffenbart 


aus», 


198 


ſtes zu einem erhabnern Ziele gerichtet war. In 
der Stärke feines Charakters und dem Stolze füis 
nes Volkes, nicht in der Ohnmacht und Riedrig⸗ 
keit ſeiner Nachbarn, fand er 1 Mittel zu ſeiner 
urn ſſerong, 


Sein reines lebhaftes Gefühl. dee Menſchlich⸗ 
keit hatte ihn der Freuden der Geſelligkeit und der 
Wonne der Freundschaft empfaͤnglich gemart. Er: 
kannte und achtete keine andere Groͤſſe, als die des 
Verdienſtes, der Wahrhaftigkeit und Rechtſchaf⸗ 
fenbeit., Er entdeckte fir um fo leichter in andern, 
je raſtloſer er ſelbſt darnach ſtrebte. Wo er fie im⸗ 
mer ſand, bey dem Hunnen, Gothen, Pannonier 
oder Roͤmer, dort war er bereit, den Tribut feiner 
Liebe und Verehrung zu entrichten. Er war faͤhig 
achtungswerthe Menſchen, und würdig, Freunde 
zu finden; er verfammelie ſie um ſich her und freu— 
te ſich unter ihnen, nur fühlender Menſch zu ſeyn. 
Er theilte mit feinem Bruder Bleda feine Macht; 
mit ihnen ſein Herz. Die Stunden, die er mit 
den Oſtgothiſchen Fürſten Walamir, Thode⸗ 
mir und Videmir, mit dem Könige der Gepi— 
den, Ard arich, mit dem Scyrrer Edecon, dem 
Pannonier Oreſtes und den Hunnen Scotta 
und Oneges verlebte, waren ihm die ſeligſten; 
der Befoͤrderung ſeiner eigenen Würdigkeit und der 
Wohlfahrt ſeines Volkes waren ſie geweiht. So 
manche ihm noch unbekannte Seite ſeines Selbfieg 


— 124 — 


ward ihm hier von dem Scharfſinne dieſer Freun, 
de aufgedeckt; fo manche heilſame Wahrheit ſtroͤm⸗ 
te ihm hier aus ihren Herzen; fo mancher kuͤhne 
Entwurf, den mehr ſeine gluͤhende Phantaſie als 
ſein Verſtand hervorgebracht hatte, ward durch ih⸗ 
re Klugheit berichtiget; von ſo mancher Unmenſch⸗ 
lichkeit, zu der ihn der Eifer fuͤr Recht und Red⸗ 
lichkeit hingeriſſen haͤtte, ward er durch ihre Er⸗ 
mahnungen zurückgehalten. Er wußte Freunde nicht 
nur zu lieben, und waren fie niedriger als er, 
ihre Aufmerkſamkeit auf ſeine Herablaſſung zu un⸗ 
terdrüden ; er beſaß auch die Kunſt und die 
Großmuth, das behagliche Gefuͤhl in ihnen zu 
erwecken, daß fie ihm nuͤtzlich und unentbehrlich waͤ⸗ 
ren, daß er mit ihrer Freundſchaft auch den groͤß⸗ 
ten Theil ſeines Gluͤckes, ſeiner Zufriedenheit, ſei⸗ 
ner Selbſtſchaͤtzung verlieren wuͤrde. Herzen, die 
er aus Mangel eines ſelbſtſtaͤndigen Werthes mit 
Liebe und Achtung nicht gewinnen konnte, beherrſch⸗ 
te er durch Furcht. Die Haͤupter der kriegeriſchen 
Staͤmme, die ſich ihm unterworfen hatten, muß⸗ 
ten ſich in dent demuͤthigen Range feiner Leibwache 
um ihn herum ordnen; aufmerkſam auf jeden Wink 
ſeines ſcharfen majeſtaͤtiſchen Auges, zitterten fie 
bey dem geringſten Zeichen feiner Unzufriedenheit; 
nur eines Blickes von ihm bedurft es, und ſeine 
Befehle waren vollzogen, ohne durch das unbedeu⸗ 
tendſte Merkmahl Mißmuth und Unwillen zu ver⸗ 
rathen. Das Volk liebte in ihm zugleich ſeinen 
zaͤrtlichen Vater, wenn es die einfachen Geſetze 


— 1235 — 


der Ordnung und Zucht in Ehren hielt; und ſeinen 
ſtrengen unerblitlichen Richter, wenn es durch uns 
rediſche, gewaltthaͤtige Handlungen feinen Eifer für 
Rechtſchaffenheit und Gerechtigkeit reizte. Keine 
Beleidigung oder Mißhandlung ließ er ungeſtraft, 
als die ihm ſelbſt begegnete; er fühlte ſeinen Werth 
zu flarf, als daß er feine Treuen des Vorſatzes, ihn 
zu beleidigen, faͤhig gehalten haͤtte. Jedem redli— 
chen Manne, jedem Verfolgten oder Unterdruͤckten 
ſtand ſein Ohr und ſein Herz offen; herrſchen war 
bey ihm thaͤtige, wohlgeordnete Aeuſſerung ſeiner 
edelſten Gefühle; nicht mit Ausuͤbung einer ſchlecht 
erlernten Kunſt, oder eines muͤhſam angewoͤhnten 
Swanges; daher feine ausdauernde Anſtrengung 
bey allem, was er unternahm, es mochte das 
Gluͤck des Einzelnen oder die Wohlfahrt des Gans 
zen betroffen haben. Die gewoͤhnlichen Seligkeiten 
der Erdengoͤtter hatten fuͤr ihn keinen Reiz; die 
Klagen feiner Unterthanen anhören, ihre Streitig— 
keiten unterſuchen, ihnen Recht ſprechen, und ihre 
Zwiſte beylegen, war fein tägliches Geſchaͤft, fein 
ſuͤſſeſter Lebensgenuß. 

Er ſah ſich von den Seinigen hochgeachtet und 
verehrt, und dadurch zur Erfüllung feiner Pflichten 
als König genugſam unterſtuͤtzt; zur Ausführung 
feiner groſſen Entwürfe bedurfte er noch mehr. Die 
Achtung gegen einen guten, rechtſchaffenen, gerech— 
ten Fuͤrſten ſteigt in rohen Gemüthern nie bis zur 
Begeiſterungz macht Barbaren nur unterthänig, treu 
und gehorſam, nicht tapfer, unerſchrocken und un 


— 126 — 


uͤbetwindlich. Ihe Verſtand iſt weniger gende als 
ihre Phantaſie; ungewoͤhnliche Ereitzniſſe und ge⸗ 
waltſame Erſchuͤtterungen find das einzige Mittel ⸗ 
Empfindungen allgemein zu. machen, unter welchen 
ſich die Seele der Barbaren zu einem hoͤhern En» 
tduſtasmus für ſeinen Gegenſtand emporſchwingt. 
Dieß wußte Attila; weder durch die zerſtreuende 
Mannigfaltigkeit der Geſchaͤfte, noch durch ſeelen⸗ 
betaͤubende Bergaägungen in der ſteten Beobachtung 
ſeiner ſelbſt unterbrochen, mußte er eine mehr als 
gewöhnliche Menſchenkenntniß erlangen. In ſeinem 
eigenen Herzen fand er die Aufſchluͤſſe ber die ei⸗ 
genthuͤmliche Gemüͤthsbeſchaffenheit ſeines Volkes: 
in dem Hiublicke auf die Entwickelung feiner See⸗ 
lenkraͤkte entdeckte er das zweckmaͤſſige Mittel, auf 
die Seelenkraͤfte ſeiner Nation zu wirken. Sie ſoll⸗ 
te glauben, daß die Groͤſſe ihres Koͤnigs ſelbſt in 
den Wohnplätzen der Seligen anerkannt waͤre; ſie 
ſollte ſtolz darauf ſeyn, von einem Manne be⸗ 
herrſcht zu werden, den ſelbſt die Goͤtter ihrer ver⸗ 
trauten Freundſchaft gewuͤrdiget hätten; ſie ſollte 
auf dem Schlacht felde ſich ſelbſt als die auserwaͤhlte 
Richterin der Welt betrachten, und von der Er, 
habengeit ihres Berufes begeiſtert, aller kleinlichen 
Sorgen und Schrecken gewoͤhnlicher Menſchen ver⸗ 
| geſſen. Alles war zu eirſem Zwecke eingeleitet und 
vorbereitet; er ſchritt zur Ausführung: 33 
In einer feyerlichen Volksberſammlung erzähl» 
te er den Traum, womit ihn die Götter beglückt 
pätten. Hoch ſchlugen die Herzen der Hunnen, 


ip 


Gothen, Gepiden, Heruler, Seyrrer und Panuo— 
nier, als fie mit Entzücken hörten, daß Odin 
ſelbſt ihren groſſen Beherrſcher bewaffnet und ge— 
ſandt haͤtte, den Stolz derjenigen zu demuͤthigen, 
die feiner Herrſchaft ſich widerſetzten, oder freye 
Menſchen ungeſtraft unterdrückten. Nach einigen 
Tagen ward ein Hunniſcher Hirt auf der Weide 
das Bluten eines feiner Thiere gewahr; aufwerk— 
ſam folgte er der vom Ninde zuruͤckgelaſſenen roͤth— 
lichen Spur; fie führte ihn durch ein Gebüſch zu 
einer eiſernen Spitze, die aus der Erde hervorragte. 
Es war ein altes verroſtetes Schwert, er brachte 
es in die Verſammlung des Volkes. Die aus der 
Ueberlieferung noch bekannten Wahrzeichen entdeck— 
ten den Werth und die Heiligkeit des gefundenen 
Schatzes; es war Odins eigenes Schwert, das 
ſeit undenklichen Zeiten verloren war. Unter dem 
Jubelgeſchrey des begeiſterten Volkes ward das 
heilige Werkzeug von den unterthaͤnigen Koͤnigen 
und Fuͤrſten dem Attila überreiht, und in feis 
nen Haͤnden von der ganzen Nation in tieſſter Ehre 
furcht angebethet. Von nun an ward ihm ſelbſt, 
als Odins Vertrautem und Liebling, beynahe 
goͤttliche Verehrung erzeigt; don nun an war er un— 
umſchraͤnkter Herr üb Willen und die Krätle 
der Seinigen; von an war jede Aufopferung 


für ihn heilige Pflicht, und die Erfuͤllung derſelben 


unſterblicher Ruhm. 
Attila rüſtete ſich zur Vollziehung feines Be. 


ruſes. Gegenſeitiger Haß und innere Zwietracht 


— 128 — 


rieden die Kräfte der Voͤlker in Norden noch immer, 
fort auf; Einigkeit unter ſich, und Anerkennung 


der Oberherrſchaft eines Einzigen ſchien dem Koͤni⸗ 


ge der Hunnen eine nothwendige Bedingung der 


groſſen Begebenheiten, die er in Oſten und Weſten 


veranlaſſen wollte. Er brach auf; und alles, was 
zwiſchen den rauheſten Himmelsſtrichen des Norden 
und den gebildetern Völkern des Süden, zwiſchen 
den wohlhabenden Bewohnern der Staͤdte in We⸗ 


ſten und den Horden der Jaͤger und Hirten in Oſten 


lebte, mußte in Attila ſeinen gewaltigen Ober⸗ 
herrn erkennen. Unter allen alten und neuen Ero⸗ 
berern war er der erſte und einzige, der die aus⸗ 
gebreiteten Gebiethe von dem Rhein bis an die 
Wolga, von den Juſeln der Oſtſee bis an die Kuͤ⸗ 
ſte des Adriatiſchen Meeres und die Bergkette des 
Haͤmus feiner Obergewalt unterworfen hatte. Feſt 
gegruͤndet war nun der Zuſtand, in dem er von 
Barbaren nichts mehr befürchten durfte und gegen 
die Roͤmer alles unternehmen konnte. Der Aufruf 
zu dem letztern ertoͤnte ihm aus Afrika. 


Carthago war in Geiſerichs Gewalt, 
vorſichtig gab der Vandaigfoͤnig alle weitern Ero⸗ 
berungen im innern Ania un id der Ober⸗ 
herrſchaft zur See zu bemächtigen, und die Romer 
von ſich entfernt zu halten. Mit einer ſtark bemann⸗ 
ten Flotte uͤberfiel und verheerte er Sieilien, wah⸗ 
ur einzelne Bin feines Volkes mit ihren Fahre 

zeu⸗ 


— 


zeugen an den verſchiedenen Seekuͤſten des weſtli⸗ 
chen Reiches erſchienen, landeten wo ſie konnten, 
abzonen wo fie Widerſtand fanden, und pluͤnderten 
wo ſie den Widerſtand zu bezwingen vermochten. 
Die Unſicherheit der Seefahrt hemmte den Handel; 
eine allgemeine Noth machte verſchiedene Nahrungs— 
zweige unfruchtbar; der Luxus der Roͤmer verlor 
auf eine Zeit die Mittel zu ſeinen verſchwenderiſchen 
Aus ſchweifungen. Die Seemacht des weſtlichen 
Kaiſerthumes war ſchon lange an den Klippen der 
Verſchwendung und Ueppigkeit geſcheitert; Theo— 
doſtus war daher unfaͤhig, feinem bedraͤngten Nef— 
fen beyzuſtehen. Eine griechiſche Flotte ſegelte ge— 
gen Sicilien: mit vielen tauſend raubgierigen Men— 
ſchen und wenigen Kaͤmpfern bemannt, ſollte ſie 
die Vandalen vertreiben. Von den Anſchlaͤgen des 
Kaiſers unterrichtet, bot Geiſerich dem Könige 
der Hunnen ein ewiges Buͤndniß der Freundſchaft 
an; dafur ſollte er das oͤſtliche Reich überfallen und 
den Beherrſcher deſſelben zwingen, frine Macht aus 
Sicilien zur n ee feiner Hauptſtadt zuruͤck— 
zurufen. 

Jun dem Bilde, das Geiſerichs Geſandten 
von ihrem Könige entwarfen, erkannte Attela ſich 
ſelbſt. Die Freundſchaft eines Mannes, deſſen Ente 
würfe mit feinen eigenen fo genau übereinſtimmten, 
und der eben fo viel Muth äußerte, eben fo viel Kraft 
beſaß, fie aus zuführen, war ihm hoher Gewinaz nur 
durch die ſchaͤndliche Verletzung ſeines Vertrages mit 


Theodoſtus wollte er fie nicht verdienen; aber . 


J 


um fo thaͤtiger war er, nachdem ihn das Betragen 
der Oſtroͤmer, Geiſerichs Wuͤnſche zu erfüllen 
berechtigt hatte. 

Unter dem Vöorwande, den Hunnen das Evan: 
gelium zu verfündigen, hatte der Biſchof von Mar: 
gus mit einer Schaar Prieſter und Moͤnche einen Zug 
nach Pannonien gewagt. Schuldig oder unſchul⸗ 
dig gerieth er bey dem Volke in Verdacht heimlich 
ausgeühter Plünderung und Raͤubereyen. Atti⸗ 
la, dem es ſonſt gleich viel galt, ob feine Hunnen 
in den Stunden der Ruhe Pſalmen oder Kriegslie⸗ 
der ſangen, der von jeher die Bekenner des Chri⸗ 
ſtenthunes ſchuͤtzte, fo lange fie an die Pflichten des 
Menſchen glaubten, hatte Gründe gefunden, den 
Biſchof von Margus für einen Kundſchafter des Bir 
zantiniſchen Hofes zu hallen, der ausgeſandt war, 
den Zuſtand des Hunniſchen Reiches aus zuſpaͤhen. 
Man ſuchte ihn zur Haft; aber er entrann ſeinen 
Verfolgern. Mehrere Einwohner von Margus muß⸗ 
ten auf dem naͤchſten Markte bey Conſtantia die 
wahrer oder angedichteten Verbrechen ihres Seelen⸗ 
birten unter den Haͤnden der Hunnen mit ihrem 
Leben buͤſſen. Theodoſtus beklagte ſich über 
den gewaltſamen Friedensbruch, und verlangte Sr: 
nugthuung; Att il a waͤlzte die Schuld auf die Roͤ⸗ 
mer und forderte die Auslieferung des Biſchofs zur 
Strafe. Es ward die Unſchuld des Biſchofs vor⸗ 
gewendet; der gerechte König behauptete, dieſe muͤß⸗ 
te erſt vor unparteylichen Richtern aus beyden Voͤl⸗ 
kern erwieſen werden. Die vorgeſchlagene Unter⸗ 


ſuchung ward von dem Kaiſerhofe verſagt: um fo 
nachdrücklicher drang der König darauf. Er drohs 
te mit dem Kriege, ſchon ſtand er bewaffnet an dem 
Ufer der Donau; und noch beharrte der Hof zu Bi— 
zanz auf feine Weigerung. Die Bürger von Mar: 
gus frohlockten über die Standhaftigkeit des Kai 
ſers in Vertheidigung der Unſchuld ihres Biſchofs; 
als aber Attila mit feinen Heerſcharen über den 
Strom geſetzt, Viminiacum mit Sturm eingenom— 
men hatte, und jetzt unter den Mauern von Mar: 
gus ſtand: da erſtarb ihre Freude über die gerettete 
Unſchuld unter dem Vorfatze, ihten Seelenhirten 
den Feinden eigenmähtig aukzuopfern, um ihre 
Haͤuſer und ihr Eigenthum zu retten. Der Biſchof 
errieth und vernichtete ihre Anſchlaͤge; weder die 
Bürger + noch die Maͤrtyrerkrone hatte Reize für ihn. 
In der Nacht erſchlen er in Attila 's Gezelt; uns 
ter der Bedingung der Sicherheit ſeiner Perſon und 
einer angemeſſenen Belohnung, verſprach er dem 
Könige die Stadt zu überliefern. Attila bediente 
ſich des Biſchofs als eines Werkzeuges Menſchen— 
blut zu ſchonen. Die Verraͤtherey gelang; er ſelbſt 
oͤffnete den Feinden die Stadttdore, und Attila 
empfing die Huldigung der Bürger von Jargus. 
Dieß war das Vorſpiel zu ſchrecklichern und 
mehr entſcheidenden Unternehmungen. Mit Bleda 
vereinigt, überſchwemmte Aut til a Moͤſien und Thra⸗ 
cien. Alle feſten Plate, die Illyriens Grenzen be— 
ſchuͤtten, wurden von den Hunnen toeils erobert, 
theils zu Boden geſchleiſt. Eingeſchloſſen von den 
3 2 


— 132 — 


furchtbaren Stürmern, ſahen Sirmiums, Einwoh⸗ | 
ner mit Verzweiflung ihrem Schickſale entgegen. 
Appennius, der Statthalter Illyriens, der ſie 


vertheidigen ſolte „hatte der erſte die Flucht ergrife 


fen. Das Gebeth ihres frommen Biſchafes blieb 
unerhört; zum Gluͤcke hatte in dieſem die Fertig ⸗ 
keit zu bethen die Kraft zu handeln noch nicht ver⸗ 
zehrt. Mit den heiligen Gefaͤſſen ſeiner Kirche zog 
er in das Lager der Hunnen, und uͤbergab dem 
Conſtantius, Attila's Geheimſchreiber, den 
gottgeweihten Schatz als einen Preis für die Frey⸗ 
heit und Sicherheit ſeiner Glaͤubigen, wenn ſich die 
Stadt den Belagerern übergeben müßte. Ohne 
ſchweren Kampf war Attila Meiſter derſelben. Die 
fromme Herde, die ſich um ihren Hirten in der Kir⸗ 
che verſammelt hatte, blieb verſchont; aber alles, 
was ſich den Gewaltigen widerſetzt hatte, ward dem 
O din hingeſchlachtet; alles, was ſich in dem 
Schooße der Unthärigfei ſicher glaubte, ward in 
die Dienſtbarkeit weggeführt. Eben dieß traurige 
Loos traf Singidunum und Naißus. Entſchieden 
war nun das Schickſal der übrigen Städte Moͤſiens 
und Thraciens; nichts hemmte mehr die Fortſchrit⸗ 
te des ſiegenden Verheerere. 

Jetzt erſt in dem Kreiſe feiner Mönche und Vers 
ſchnittenen aus feinen Andachtsübungen aufgeſchreckt, 
that Theodoſtus als wenn er handeln wollte. 
Eiligſt rufte er die! Flotte aus Sieilien zuruͤckz bey⸗ 
de Kaiſer ſchloßen mit Geiſerich den ſchimpflich · 
ſten Frieden, um dem Beherrſcher der Hunnen die 


Nichtswürdigkeit ihrer Heere zu beweiſen, und bis 
es dieſem gefallen würde, ihnen den Schein des 
Friedens zu verkaufen, ſich geduldig ſchlagen zu 
laſſen. Bis zur Ankunft der Flotte ſammelte The— 
odoſius alles, was ſich noch Krieger nannte, oder, 
von der Ausſicht auf Beute gelockt, die Waffen tra» 
gen wollte, und ſandte es unter Anfuͤhrung An e— 
gislus, feines erfahrenſten Heerführers, den Hun 
nen entgegen. Anegislus wäre vielleicht als 
Retter des Reiches firgend ih die Hauptſtadt zuruͤckge— 
kehrt, hätten die übrigen Anführer noch die Kunſt 
zu befehlen verſtanden, und die Krieger noch den 
Willen gehabt, zu gehorchen. Er hatte den Vor: 
theil für ſich, daß gleich ſein erſter Verſuch vom 
Gluͤcke beguͤnſtigt wurde. In der Gegend um Mar— 
cianopolis lieferte er Bled a's Haufen eine blu⸗ 
lige Schlacht, waͤhrend Attila vor Hadrianopo— 
lis feine Scharen in der Belagerungskunſt übte- 
Unvorſichtig verfolgte der Roͤmer den geſchlagenen 
Hunnenkoͤnig bis gegen Utos, wo dieſer mit neuen 
Haufen verſtaͤrkt, ihm wieder die Spitze bot, und 
in dem Siege über Anegis lus ſich über feine 
erſte Niederlage troͤſtete. 

Tief empfanden Thracien und Moͤſten die Fol— 
gen dieſes Verluſtes. Trotz allem Widerfiande des 
friebkertigen B bed a verfolgte Attila fiegeud und 
verheerend die Bahn, die ihm vom Gluͤcke bezeich— 
net war. Theodoſtus feyerte mit fuͤrſtlicher 
Herzlichkeit die Trauer uͤber den Tod ſeines Feld— 
herrn, klagte über die Sünden des bizantiniſchen Vol. 


fes, die der Ewige jest an den Groſſen und an 
dem Hofe ſo ſtreng beſtrafte, troͤſtete ſich mit grund⸗ 
loſen Hoffnungen und zog auf die Jagd, um ſich 
des laͤſtigen Mienen ⸗ und Geberdenzwanges zu eut⸗ 
ledigen. Seine herrſchenden Guͤnſßlinge ſandten den 
Theodulus nach Odeſſus, den Flavius Su 
nator zu Bled a, jener ſollte die Thraciſchen Trup⸗ 
pen vor den Gefahren und Arbeiten des Kampfes 
ſicher ſtellen, dieſer durch große Verheiſſungen den 
Bruder des Koͤnigs bewegen, als Friedensmittler 
für fie aufzutreten. Gern unterzog ſich Bleda 
einem Geſchaͤfte, das ſeiner eigenthümlichen, mehr 
zur Ruhe und Gemaͤchlichkeit geneigten Gemuͤths⸗ 
beſchaffenheit fo angemeſſen war. Nach einem leb⸗ 
haften Streite zwiſchen beyden Brüdern, der keine 
vollkommene Aus ſoͤhnung mehr hoffen ließ, verſprach 
Attila ſich zuruͤckzuziehen, wenn ihm der Kaiſer 
alle Ueberlaufer auslieferte, und den ſeit zwey Jah⸗ 
ren ruͤckſtaͤndigen Tribut bezahlte. Wollte ich auch,“ 
— ſchrieb er an Theodoſius, — „meine ges 
rechten Forderungen an dich fahren laſſen, ſo ſtaͤn⸗ 
de es doch nicht laͤnger mehr in meiner Gewalt, die 
tapfern Streiter zuruͤckzuhalten, die mit heißer Bes 
gierde meines Winkes zum Kampfe harren.“ Mit 
ſtolzer Verwegenheit und veraͤchtlicher Haͤucheley 
erflärte ſich der Kaiſer, er wäre bereit ſich lieber 
der Gefahr des blutigſten Krieges aus zuſetzen, als 
an Menſchen, die ſich in feinen Schutz begeben haͤt⸗ 
ten, die verlangte Treuloſigkeit zu begehen. At⸗ 
ti la, der die Römer ſchon lange keiner Treue mehr 


— 15 — 


fähig hielt, warf das Loos des Verderbens Über 
fie, und um Odins Schwert ungehinderter ſchwin— 
gen zu koͤnnen, ertheilte er ſeinem Bruder den Be— 
fehl, in die Arme ſeiner Weiber heimzukehren. 
Den erſten Ausbruch feines Zornes erfuhr die 
volkreiche Stadt Ratiaria, und bald darauf ward 
das ganze Land dies- und jenſeits des Haͤmus der 
Schauplatz der graͤulichſten Verwuͤſtung. Indeſſen 
waren die Truppen aus Sicilien angekommen; As- 
par und Annatolius, die zu gleicher Zeit ge— 
gen die Perſer ſtritten, mußten dort ihre Vortheile 
fahren laſſen, und ihre Heere nach Europa zuruͤck— 
fuͤhren. Arcobindus und Argaliscla wur⸗ 
den an die Spitze der vereinigten Kriegsmacht ges 
ſetzt; aber weder die Zabl der Krieger, noch die 
Geſchicklichkeit der Heerfuͤhrer konnte die Schwere 
der Hunniſchen Gewalt vermindern oder aufwiegen. 
Wie der Adler feine Beute, ſo faßte Attila den 
drohenden Haufen mit einem Blicke und flürzte auf 
ihn ein, um die ungluͤcklichen Todesopfer hinzuſtre— 
cken. Von den Wuͤrgern verfolgt, zogen ſich die 
fluͤchtigen Scharen auf den Cherſoneſus zuruck. At: 
tila eilte ihnen nach, forderte ſie auf der engen 
Halbinſel zur Schlacht. Tauſende fanden in der 
letzten Zufluchtsſtaͤtte ihrer Feigheit den Vollender 
ihrer Schande, den Tod. Bis in die Vorſtaͤdte von 
Conſtantinopel drang der Koͤnig der Hunnen vor. 
Das Augſtgeſchrey der Schwachen und Frommen, 
die Fluͤche und Verwuͤnſchungen der Maͤchtigern, 
mehr aber als alles, die Furcht, feine In— 


— 136 — 


- 


dachtsbuͤcher und Jagdhunde zu verlieren, zwang 
den ewig unmuͤndigen Kaiſer, von Attila's Groß⸗ 
muth den Frieden zu erflehen. Ihm, dem Furcht⸗ 
baren, blieb es uͤberlaſſen, die Bedingungen zu be; 
ſtimmen; Anatolius und Bigilas zogen in 
das Lager der Hunnen, um fie zu vernehmen. Oh⸗ 
ne Schamroͤthe und Widerſtand hoͤrten und unter⸗ 
ſchrieben fie Attila's ungeheure Forderungen. 
Die in Gefangenſchaft gerathenen Hunnen ſollten 
ohne Aufſchub und Loͤſegeld, alle Ueber aufer unbe⸗ 
dingt und ohne Zuſicherung der Strafloſigkeit aus⸗ 
geliefert, aber fire jeden Roͤmiſchen Gefangenen 
zwoͤlf Goldguͤlden erlegt, für den rückſtaͤndigen Zins 
ſollten auf der Stelle ſechs tauſend Pfund Gold 
bezahlt und der jaͤhrliche Tribut auf zwey tauſend 
ein hundert Pfund Gold ) erhoͤht werden. Der 
Kaiſer ſollte ihm das ganze Gebieth von Novae bis 
an den Drinus, und von dem ſuͤdlichen Ufer der 
Donau bis an das Vorgebirge des Haͤmus foͤrm⸗ 
lich abtreten. Kein Roͤmer ſollte ſich auf dem Ge 
biethe der Hunnen blicken laſſen, und daher auch 
der gemeinſchaftliche Markt auf die Ruinen von 
Naiſſus, die Grenze des Hunniſchen Reiches, ver⸗ 
legt werden. Selbſt Atti la's Freunde erſchra⸗ 
cken vor dieſen druckenden Bedingungen; ihrem Ras 
the gemäß, follte er ſich lieber der Hauptfiadt bes 
maͤchtigen, den Kaiſer in Feſſeln nach Ravenna 


” 560700 Rthlr. 


— 137 — 


ſenden und der Herrſchaft der Römer in Oſten ein 
Ende machen; allein nicht auf einmahl zu Grunde 
richten, ſondern langſam aus ſaugen und um fo ent» 
pfindlich er quälen wollte er eine Nation, deren Ver— 
worfenheit ſchon lange fo weit geſtiegen war, daß 
ihre Regenten ungeraͤcht den Zluh,m ori se sen- 
tiant, über ihre Bürger ausſtoſſen konnten. Vers 
gebens ſtellten ſte ihm vor, daß die Laſt des erhoͤh— 
ten Tributes nicht fo ſehr den Kaiſer drucken, als 
das Unglück der ohnehin tiefgebeugten Einwohner 
des Reiches vermehren würde; er blieb ungerührt, 
weil er glaubte, daß er vorzüglich dort firafen 
muͤßte, wo zur Vermeidung des Boͤſen die meiſten 
Kraͤfte vorhanden waren; daß ſchwache, böfe, ver» 
achtliche Regenten ſich nicht behaupten koͤnnten, 
wenn es nicht vorher ſchwache, boͤſe, veraͤchtliche, 
zum Widerſtande zu feige! oder zu träge Voͤlker ge 
geben haͤtte. 

Allgemeines Entfesen ſtarrte den Abgeordneten 
entgegen, als fie der Haupiſtadt und dem Hofe die 
Bedingungen des Friedens verkuͤndigten; aber der 
Uederwinder ſtand ibnen auf dem Nacken, feine 
Männer athmeten nach Mord und Raubbegierde; 
der Kakfer mußte ſich allem unterwerfen. Der Kai— 
ſerliche Schatz war erſchoͤpft, in unnützer Pracht 
und uͤbermaͤſſigen Belohnungen, die man entweder 
Verherrlichung der Majeſtaͤt, oder Arufferungen 
chriſtlicher Wohlthaͤtigkeit nannte, verſchwendet. 
Man hatte kein anderes Mittel, Atti la's ungeſluͤ, 

men Forderungen genug zu ihun, als eine perſoͤnliche 


Steuer, die auf alle Patricier, Conſularen und 
Buͤrger willkührlich vertheilt wurde. Die erſtern 
wurden gezwungen, die Edelgeſteine ihrer Weiber 
und den koſtbaren Hausrath ihrer Pallaͤſte entwe⸗ 
der an die Perſer, oder an die allein reichen Eunu⸗ 
chen, Prieſter und Guͤnſtlinge des Hofes zu ver: 
kaufen; in den letztern kaͤmpfte noch das ſterbende 
Gefühl ihrer Kraft mit dem Triebe der Selbſterhal⸗ 
tung / die wiederholten Befehle des Hofes entſchie⸗ 
den den Kampf, und die letzten Mittel ihres noth⸗ 
duͤrftigen Unterhalls waren dahin. Jammer und 
Elend wurden die allgemeinen Hausgoͤtter, denen 
ſich Viele in der Wuth der Verzweiflung durch Selbſt⸗ 
mord aufopferten. 


Reichlich mit Golde und koſtbaren Geſchenken 
beladen, von einer Schar gefaugener und fluͤchti⸗ 
ger Hunnen begleitet, zog Scotta, Attila's 
Freund, aus der Hauptſtadt des Oſten, waͤhrend 
die Römer viele der Flüchtlinge, die fi ihrer 
Auslieferung widerſetzt hatten, grauſam ermordeten. 
Attila hörte das Wehklagen und Angſtgeſchrey 
der ungluͤcklichen Schlachtopfer; ob er ſie gleich als 
Verbrecher betrachtete, ſo ſchwor er doch unter 
Conſtantinopels Mauern im Herzen, ihr Blut an 
den Roͤmiſchen Wuͤtherichen zu raͤchen. Der Man⸗ 
gel des Goldes machte die Auslöfung der Noͤmi⸗ 

ſchen Kriegsgefangenen für jetzt unmoͤglich. Der 
Held der Hunnen uͤberließ fie feinen Kriegern zur 


Knechtſchaft, in welcher ihr Schickſal dennoch ers 
träͤglicher war, als in der Dienſthbarkeit ihrer herr— 
ſchenden Eunuchen. Jeder Hunne war unumſchraͤnk— 
ter Herr und Eigenthümer feiner Knechte; er kenn— 
te fie in der Aufwallung feines Zorns mißhandeln, 
aber ein durchdachtes Syſtem der Unterdruͤckung 
hatte unter Attila 's Volke nicht Statt. Sie wurs 
den in den Kampf geführt und fochten mehr für 
ſich als für ihre Gebietber, deren Freylaſſung und 
völliger Erſatz des ihnen entriſſenen Eigenthumes 
war der gefegmäffige Lohn ihrer Tapferkeit “). 
So ward vielen flüchtigen oder gefangenen Roͤmern 
ihr gegenwärtiger Zuſtand zur Quelle eines Glückes, 
welches fie unter den Ruinen der Roͤmiſchen Herr- 
ſchaft, unter welchen jetzt nur Verwirrung und 
Grauſamkeit hauſten, nie würden erreicht haben. 
Die gefangenen Prieſter und Biſchoͤfe serfündigten 
ihren neuen Gebiethern den Glauben; Atti bha's 
Verordnungen gemäß mußte fie das Volk in Ehren 
halten. Die Furie des Sectengeiſtes konnte unter 
den Hunnen ihr Schlangenhaupt nicht erheben; mit 
Odins Schwerte, nicht mit Edicten, wie die 


*) Postea ubi adversus Romanos fortissime dimicas- 
set (erzählte Priscus von einem Gefangenen, 
den er ſelbſt gefprochen hatte) omnia quae bello 
acquisierat, una cum libertate, ut Scytharum (H un- 
norum)legibus cavetur, propria sibi vindi- 
casse — et hoo vitae genus longe potius prioıe 
ducete. Excerpta legat. pag. 40. 


Froͤmmlinge zu Bizanz, würde fie Attila ver⸗ 
Pa Ruhe, Eintracht und Menſchenliebe wieder 
ergeſtellt haben. Uebrigens kannten die Hunnen 
an ihren Knechten keinen andern Werth, als die 
Jugend und Leibesſtaͤrke; gern lernten ſie von ih⸗ 
nen die Sprache der Weſtroͤmer, ſie war nebſt der 
Gothiſchen die Sprache ihres Königs: aber fie ver 
abſcheuten die Wiſſenſchaften der Griechen, ihre 
Sprache war ihnen unertraͤgliches Eulengeheul und 
Schlangengeziſch. Unter den Gelehrten, Kuͤnſtlern 
und Handwerkern unterſtuͤtzten ſie nur diejenigen, 
die ihren Beduͤrfniſſen zur Friedenszeit dienen und 
für den Krieg die Waffen verfertigen konnten. In 
dem Grade, in welchem die Rechtsgelehrten verach⸗ 
tet, gehaßt und verfolgt waren, wurden die Aerz⸗ 
te von den Hunnen verehrt. Sie verachteten den 
Tod; aber weil ſie die Krankheit und den Schmerz 
fuͤrchteten, beugten fie willig ihren Stolz vor dem 
G fangenen, von dem ſie glaubten, daß er ſie von 
den Qualen des Krankenlagers befreyen koͤnnte. 
Unter den innern Einrichtungen feines Reiches 
arbeitete Attila im Stillen doch unermüdet fort, 
die angefangene Aufloͤſung und Zerſtörung der Roͤmi⸗ 
ſchen Kräfte zu befoͤrdern. Bald nach dem Friedens: 


ſchluſſe hatten ſich die Sorosker, ein Seythiſcher 


Volksſtamm, den Römern u: aterworfen. Der König 
der Hunnen hielt die Enkel der Weltverwuͤſter für uns 
würdig, Scythen, ein Volk deſſelben Urſprunges mit 
ihm, zu beherrſchen; er zog hin, um ihnen Odins 
Schwert zur Anbethung vorzuhalten und fein Recht 


N — 14 — 

auf ihre Unterwuͤrfigkeit darzulegen. Sie erkannten 
es, huldigten ihm als ihrem einzigen rehtmäßigen 
Oberherrn, und wurden aus Sclaven freye Menſchen, 
berufen, unter Attila's Fahnen der ſchwinden— 
den Groͤſſe ihrer ehemaligen Gebiether zu ſpotten. 
— Den aufgebrachten Kaiſerhof erhielt er durch 
häufige Geſandtſchaften in Ehrfurcht. Bald klag— 
te er, man hätte eine große Anzahl Hunniſcher 
Flüchtlinge zuruͤckbehalten; bald beſchwerte er ſich 
aber die Vermeſſenheit ausgewanderter Oſtroͤmer, 
die ſich auf Hunniſchem Gebiethe in Illyrien nie— 
dergelaſſen hatten; bald drohte er mit neuen Ueber— 
fällen, wenn ſich Rö miſche Kaufleute auf einem ans 
dern Markte, als auf dem einzigen zu Naiſſus, wär: 
den blicken laſſen: alles nur eine Hülle feiner weis 
ter hinaus berechneten Abſichten. Nur die genaue— 
ſte Kenntniß von dem Zuſtande des oͤſtlichen Rei— 
ches wollte er ſich erwerden; nur ſeine geheimen 
Verſtaͤndniſſe mit den Unzufriedenen in der Haupt⸗ 
ſtadt wollte er unterhalten, nur den beguͤnſtigten 
Unterdruͤckern des Volkes und ihren Kreaturen, nur 
den regierenden Hofſchranzen und ihrem Diener im 
Purpur wollte er Furcht einjagen. Wie gewaltig 
dieſe die Gemüther in Bizanz beſtuͤrmte, zeigten die 
großen Ehrenbezeigungen und koſtbaren Geſchenke, 
womit die Geſandten des Koͤnigs empfangen und 
entlaſſen wurden. Bald ward ihm die Sendung 
dahin ein ergiebiges Mittel, ſeine Lieblinge zu 
bereichern oder feine Tapfern zu belohnen. 


— u 


— 142 — 


Je empfindlicher Attila die Beherrſcher des 
Orients ſchwaͤchte und erniedrigte, je treuer ihm 


das Gluck in feinen Unternehmungen diente, je hoͤ⸗ 


her die Ehrfurcht gegen ihn die Herzen der Geis 
nigen erhob; deſto ſtrenger ward er in der Aus- 
uͤbung feiner oberherrlichen Gewalt; deſto uneinger 
ſchraͤnkter war der Gehorſam, den er gegen. feine 
Befehle und Verordnungen forderte. Mit Recht 
verlangte er, die Art feirer Verwaltung ſollte auch 
feinem Bruder zur Richtſchnur die nen, dem er Ober⸗ 
und Nieder - Pannonien bis an den Tibiscus über⸗ 
laſſen hatte. — Die Menge der Römifchen Kriegs⸗ 
gefangenen mußte all maͤhlig auf die Denkart, Nei⸗ 
gungen und Sitten der Hunnen wirken. Der unnuͤtze⸗ 
re Haufe der Fremdlinge war unzufrieden; der Un⸗ 
muth der Knechte ſchlich ſich unvermerkt in die Her⸗ 
zen ihrer Gebiether ein. Bleda war ſanfter, leut 
feliger und biegſamer als der feſte, ernſthafte A t⸗ 
til a. Die Gefangenen hatten noch Patriotismus 
genug, um einzuſehen, wie wenig ihr ehemaliges 
Vaterland von den Hunnen zu befuͤrchten haͤtte, 


wenn der kampf⸗ und arbeitſcheue Ble da die hoͤch⸗ 


fie Gewalt allein beſaͤße. Einige  mißvergnügfe 
Stämme rotteten ſich zuſammen, ruften Bleda 
zum Allein herrſcher der Hunnen aus, zwangen ihn, 
an ihrer Spitze wider feinen Bruder aufzubrechen, 


um dem ſtrengen unerbittlichen Manne die Herr⸗ 


ſchaft zu entreiſſen. Attila ſendete ihm ſeine 
treurſten Kämpfer entgegen: ihre Geſinnungen, ih⸗ 
re Kraͤfte, ihr Gluck ſollten zwiſchen ihm und ſei⸗ 


nem Bruder die Wuͤrdigkeit und das Recht zur uns 
geiheilten Herrſchermacht entſcheidey. Bleda fiel 
im Gefechte, und die Rebellen ergaben ſich der 
Gnade und Großmuth ihres muthwillig gereitzten 
Beherrſchers *). Sie blieben ungeſtraft, aber ihre 


„) Unſere hiſtoriſchen Menſchenrichter br 
ſchuldigen und verurtheilen den Koͤnig der Hun— 
nen geradezu des Brudermordes. Die Zeugen, 
auf deren Ausſage ihr Richterſpruch gegruͤndet iſt, 
find die Chronikenſchreiber Proſper der Aqui— 
tanier, Tiro Proſper, Marcellinus 
Comes und der Maͤrchenſammler Jour nan— 

des mit dem Haufen ihrer Nachbether; groͤßten— 
theils Weſtroͤme r, bey welchen fer Conſtantin 
Bruder- und Meuchelmord nichts ſeltenes war; 
die Urſache hatten, ihrem Zuͤchtiger Attila ale 
les erdenkliche Voͤſe nachzuſagen. Griechiſche 
Scheiftſteller wiffen von dieſem Verbrechen nichts; 
ſelbſt der gleichzeitige Pris eus, der Attila 
perſoͤnlich kannte, der von Bleda’s Wittwe auf 
das freundſchaftlichſte bewirthet ward, der ſo ort 
Gelegenheit gehabt hätte, in feinem Werke von 

Bleda's Ermordung zu ſprechen, ſagt nichts dar 
von. Die oben angegebenen Zeugen ſind ſelbſt in 
der Beſtimmung der Urſachen, die Attila zum 
Brudermorde gehabt haͤtte, unter ſich uneins. Keia 
ne einzige iſt hinreichend, den Mann, in deſſen 
Charakter Gerechtigkeitsliebe ein Hauptzug war, 
zum Brudermoͤrder zu machen. Bey der leichter zu 
erweiſenden Wahrſcheinlichkeit, daß Bleda entwe⸗ 
der als ein Opfer der Gerechtigkeit, oder als gezwun— 


aus 144 un 


Freyheit ward mehr befchränkt; öfter und nach⸗ 
drüͤcklicher empfanden fir feine Strenge in der Be: 
ſtrafung der Ausſchweifungen gegen Ordnung und 
Zucht. In der beygelegten Empoͤrung erkannte er 
das Schädliche der Ruhe für feine Voͤlker. Er ſah 
ein, daß die Flamme des Krieges noch einen groſ⸗ 
fen Theil ihrer wilden Kraft verzehren müßte, bes 
vor ihnen die Annehmlichkeiten und Vortheile des 
Friedens Beduͤrfniß würden; er ſuchte Beſchaͤfti⸗ 
gung für fie, um ſeltner ſtrafen zu dürfen. Die 
Armuth und Treuloſigkeit des oͤſtlichen Kaiſerthu⸗ 
mes begegneten feinen Wuͤnſchen. 


Theo doſtus konnte den hohen Tribut nicht 
mehr fo puͤnktlich entrichten, denn die Quellen, aus 
welchen er die Summen fuͤr die zwey erſten Jahre 
geſchöpft hatte, waren groͤßtentheils verſiegt. Wie⸗ 
derholte Volkszaͤhlungen uͤberzeugten den König der 
Hunnen, daß die Römer eine große Anzahl ns. 


ge 


75 


gener Thei nehmer eines Aufruhrs fiel, Th urocz 
Part. I. Chron, cap, XVII Olahus Attila cap. 
XIII.) apellire ich mit Atti la's ungerechtem Ver⸗ 

dammungsurtheile zu dem ehrwürdigen Richterſtuh⸗ 
le philo ſophiſcher Menſchenforſ cher; 
und ich hoffe Los prechung eines Angeklagten, für 
deffen Verbrechen man nichts, als die Ausſage 
theils verdaͤchtiger, theils einander ſich widerſpre⸗ 
chender Zeugen hat. 


— 143 — 


gefangenen und Ueberlaͤufer zuruͤckbehalten haͤtten: 
Beweggründe genug für Attila zu neuen Feinde 
ſeligkeiten. Sein Geheimſchreiber Conſtantius 
zog hin, dem Kaiſer den Zorn ſeines Herrn anzu— 
kundigen, und die Bedingungen vorzutragen, uns 
ter welchen er die Blitze deſſelden von ſeinem Haups 
te ableiten köͤngte. Der chlaue Gallier hat wich— 
tig; die aufmerkſamen Kleingeiſter des Hofes ers 
riethen feine Habſucht; fie verſprachen ihm Reich— 
ꝛhuͤmer und des Comes Saturnin reizende Tod» 
ter zur Gemahlin, wenn er ſich feines Einfluſſes 
bey Attila zu ihrem Vortheile bedienen wollte. 
Conſtantius that wirklich alles was er vermoch— 
te, um einen dauerhaften Frieden zwiſchen den 
Hunnen und Oſtröͤmern zu gründen; aber Theo— 
doſtuss ſelbſt machte feine Bemühungen fruchtlos. 
Attila war von keiner ſeiner Forderungen abzu— 
bringen, der Kaiſer wollte keine erfüllen. Dreiſt 
laͤuguete er das Zurückbehalten Hunniſcher Flüchte 
linge und Kriegsgefangenen, und bot dem Koͤnige 
eine Geſandtſchaft an, mit welcher die Streitigkei— 
ten in Anſehung des Tributes auf 's neue verhan— 
delt werden ſollten. Seiner gerechten Sache ge— 
wiß, voll des Unwillens über das hinterliſtige 
Weigern und Saudern der Römer, ging Attila, 
von Ardarich und Walamir begleitet, über 
den Haͤmus. Nicht vorbereitet traf das Reich der 
alles erſchͤtternde Sturm; ſchuell verſchwanden 
die Schatten der Krieger, mit welchen der Kaiſer 
die Helden Pannoniens zurückſchrecken wollte; mit 
g K 


— 146 — 


dem Blute vieler Tauſend befleckt, darch die Bere 
ſtoͤrung ſtebzig volk reicher Städte noch nicht ermuͤ⸗ 
det, ſtand der furchtbare Hunne vor den Thoren 
der Hauptſtadt. In dem Gefühle des Unvermoͤ⸗ 
gens, den erbitterten Feind zu bezwingen oder zu 
beſaͤnktigen, ſuchte der Hof in den Kunſtgriffen ei⸗ 
ner ſchleichenden und veraͤchtlichen Politik feine Net 
tung. Durch Geſchenke, die er in dem Augenbli⸗ 
cke zuſammengerafft hatte, durch Verheiſſungen, die 
er weder erfüllen konnte noch wollte, gelang es 
ihm, in Attila's Heere einen Theil der Gothen 
und Gepiden zum Aufſtande zu bewegen. Aber der 
König der Hunnen war eben ſo ſcharfſichtig und 
wochſam, als tapfer. Die ſchalen Rathgeber des 
Kaiſers ſahen ihr geheimes Spiel verrathen, ſie 
verfluchten es, als Attila die Mißvergnuͤgten 
von den Ruinen der Thraciſchen Staͤdte durch Ma⸗ 
cedonien und Theſſalien bis gegen Thermopyla 
führte und alles ihrer Habſucht preis gab, was 
Alarichs Einfall und die Raubbegierde des Bi⸗ 

zantiniſchen Hofes bis jetzt verſchont hatten. b 
5 Waͤhrend Attil a in Graͤcien die ehrwürdigen 
Denkmahle Griechiſcher Heldenthaten vor der Wuth 
ſeines Volkes beſchuͤtzte, unter ihrem begeiſternden 
Schatten Über die Entnervung feiner Zeitgenoſſen 
ſeufzte, den Umfang feiner Welt» und Menſchen⸗ 
Anſichten erweiterte, und fein Selbfigefühl erhoͤhte, 
hatten ſich die Stämme der Acatziren an dem Pon⸗ 
tus von ſeiner Oberberrſchaft losgeſagt und zur 
Behauptung ihrer Unabhaͤngigkeit geruͤſtet. Ent: 


— 147 — 


zuͤckt umfaßte Theodoſius das Traumbild ſchmei⸗ 
cheluder Hoffnungen, das ihm in der kuͤhnen That 
der Acatziren erſchienen war. Er bemühie ſich, die 
tapfern Stämme zu einem Buͤndniſſe mit ihm zu 
vermoͤgen; fie ſollten auch ihm helfen, das druͤcken⸗ 
de Joch ihres ebemahligen Oberherrn abzuſchüuͤtteln. 
Mit Golotund Edelgeſteinen nach Nothdurft verfes 
hen, ſegelten feine Geſchaͤftstraͤzer hin, um für ei⸗ 
nige ſchimmernde Bruchſtücke des roͤmiſchen Glückes 
Kräfte zu erhandeln, die man in Oſten und Wellen 
auf den Roſenbetten der Weich! ichkeit verſchwelgt 
hatte. Die Fuͤrſten der Staͤmme freuten ſich der 
Geſchenke und verſprachen dem Kaiſer ihren thaͤti⸗ 
gen Bepſtand: doch bald ſah dieſer das ſchwache 
Gebäude feines wieder auflebenden Muthes geſtuͤrzt. 
In der Austheilung der kaiſerlichen Geſchenke war 
Caridach, gerade der maͤchtigne der Fürlien, den 
übrigen nachgeirgt worden. Sein beleidigte Ehr— 
geiz und Eigennutz machte ihn zum Verraͤther. 
Von ihm erfuhr Attila die Raͤnke des Theo do⸗ 
ſius und die geheimen Anſchlaͤge der treubrüchi⸗ 
gen Acatziren. Schon war er auf dem Rüͤckzuge 
aus Gräcien, mit dem Vorlage Conſtautinopel zu 
beflürmen, als er den Ruf zur Rache erhielt. Er 
verſchob fein fühnes Vo haben auf beſſere Belegen» 
heit und eilte durch Illyrien nach Pannonien, um 
ſich dazu vorzubereiten. Gegen die Acatziren fens 
dete er Ellak, feinen Erſtgebornen, mit One 
ges und einigen auserleſenen, ſieggewohnten Schas 
ren. ‚Die Zürften wurden überwunden, die mu⸗ 
K 2 


— 148 — 


thigſten blieben auf dem Schlachtfelde, die Abrigen 
fanden in demuͤthiger Unterwerfung ihr Heil. El⸗ 
lak ward ihnen von Attila zum Könige gefegt, 
Caridach zur Empfangnehmung ſeines verdien⸗ 
ten Lohnes nach Pannonien abgerufen. Durch das 
Gefühl feiner eignen Niedrigkeit mißtrauiſch, ſuch⸗ 
te der Verraͤther ſeiner Brüder die Einladung von 
ſich abzufſehnen; „Wenn kein Sterblicher, — ants 
wortete der Acatzir, — die Sonne mit unverwand- 
tem Auge betrachten kann; wer wollte es waßen, 
ſich dem Anılige des maͤchtigſten der Erdengoͤtter zu 
nähern.” Attila verachtete den liſtigen Schmeich⸗ 
ler, ohne ihm die untergeordnete Herrfipoft uber 
ſeinen Velksamm zu cutziehen. 


— — 


Furchtbarer ſchien den Hoͤftingen zu Bizauz 
Attila's Macht, nachdem fie von den Tapfern 
am Pontus wieder anerkannt worden war. Schon 
ſahen fie mit Entſetzen das Nachſchwert ihres ge⸗ 
reizten Gebiethers in Pannonien über ihre Häup⸗ 
ter gezüͤckt; um den drohenden Streich noch eine 
Weile von ſich abzuwenden, beredeten ſie den 
ſchwachen Herrſcher, den Helden der Hunuen durch 
eine Geſandtſchaft in feinen Unternehmungen aufs 
zuhalten und durch neue Geſchenke zu beſaͤuftigen. 
Maͤnner, die der Kaiſerhof nicht kannte, weil fie 
Verdienſte hatten; die den Beſtürmer der roͤmiſchen 
Welt verehrten, weil ſie fähig wären, Meuſchen⸗ 
werth und Mannes wurde in ihm zu entdecken, be. 


—— 1 49 m 


richteten die Anſchlaͤge der Zaghaften nach Pauno⸗ 
nien. Attila kam ihnen zuvor; ſeine Freunde 
Edecon und Oreſtes wurden in die Kaiſerſtadt 
geſandt, um den Herren derſelben das Schreckbild 
ihres nahen Verderbens vorzuhalten; und wenn ſie 
bey dem Anblicke deſſelben erſchuͤttert, um Scho— 
nung und Gnade ſlehten, auf die eidlich verſicherte 
Erfüllung feiner Forderungen zu dringen. Wollte 
Theodoſius zur Unterſuchung ihrer Rechtmaͤſſig⸗ 
keit Abgeordnete an ihn ſenden, fo ſollten fie ihm 
erklaͤren, er waͤre bereit fie anzunehmen, er würs 
de ihnen fogar feine Sachwalter bis Sardica ent— 
gegen ſchicken; aber er beſtaͤnde darauf, daß nur 
Maͤnner vom erſten Range zu dieſem ehrenvollen 
Geſchaͤfte beſtimmt würden. Gleich viel würde es 
dem Könige der Hunnen gegolten haben, ob Con- 
fularen und Patrieier ohne Werth, oder Männer 
von entſchiedenem Seelenadel ohne Rang und Titel 
die Urkunde der Ohnmacht ihres Beherrſchers un— 
terzeichnet haͤtten; die letztern würden ihn vielleicht 
ſogar gerührt und zur Maͤſſigung feiner Auſpruͤche 
bewogen haben: nur den erbaͤrmlichen Stolz des 
Kaiferhofes wollte er demuͤthigen, und ihn vermit— 
sel feiner eignen Schwaͤchen, Vorurtheile und 
Thorheiten zuͤchtigen; nur feinen Kraftmaͤunern 
wollte er das tragiſche Schauspiel der tief herabge— 
wuͤrdigten Maͤnnlichkeit verſchaffen; ſie ſollten fe» 
hen, wie unnatuͤrlich und elend die Romer die Kol: 

le des ehrlichen M enſchenſpielten, ſeitdem fie 

von dem Geiſte ihrer Baͤter, von Ehre und Tugend 


— 150 — 


verlaſſeu, nur in dem flüchtigen Schimmer des 
ſchwankenden Tͤrones, nur in eifriger Behaup⸗ 
tung ihrer vielſylbigen Titel und laͤcherlichen Rang⸗ 
ordnung ihre Groͤſſe ſuchten. 

Noch becchaͤftigt mit den Mitteln, die hochmuͤ⸗ 
thigen Schwaͤchlinoe des Oſten zu drangen und zu 
aͤngſtigen, ward Attila von den Umfaͤnden auf: 
gefordert, ſeine Aufmerkſamkeit auch auf das weils 
liche Reich zu wenden. In Kquitanien hatten die 
Land bewohner und Selaven das verhaßte, blutige 
Joch der roͤmiſchen Tyranney zerbrochen und unter 

Battos Anführung ſich zuſammengerettet, um 
die Qualen ihrer Duͤrftigkelt an den ſchwelgenden 
Sroſſen und dem reichen Prieſterthume zu raͤchen. 
Unter dem Nabmen der Bagand en ) hatten 
ſie bereits durch die ganze Provinz Schrecken und 
Verwüͤſtung verbreitet, als es dem tapfern Ae ti⸗ 
us erſt gelang, die wuͤthende Rotte zu zerſtreuen. 


) Räuber, Land ſtreicher. Ihre Stammvä⸗ 
ter, urſpruͤnglich Celten, hatten ſich ſchon unter 
Diocletian mit einigen herumſchweifenden 
Raͤuberhorden verbunden, ſich der Bothmaͤſſig⸗ 
keit der Romer entzogen, die Machthaber des 
Kaiſers aus dem Lande gejagt, ſich allmählich der 
Aquitaniſchen Städte bemaͤchtigt, und unter fich 
eine neue, mehr republikaniſche Staatsverfaſſung 
errichtet, welche bis auf die Zeiten Eh lo de⸗ 
wigs beſtanden hatte, und erſt in unſern Zeiten 
leider „in einer ſchlechtern Geſtalt, unter dem 
Rahmen Sans⸗culots wieder erneuert ward. 


Der Arzt Eudorius, einer ihrer beherzteften An⸗ 
führer, entrann dem Rächer und fand bey Attila 
Schutz, Freyheit und Sicherheit. Seine genaue 
Bekanntſchaft mit dem klaͤglichen Zuſtande des groſ— 
fen Kranken- und Irrhauſes im Weſten 
erwarb ihm den freyen Zutritt zu dem Könige. Als 
les, was er ſeinem Beſchuͤtzer davon erzaͤhlt hatte, 
beſtimmte dieſen, ſich den ſiechen Weſtroͤmern zum 
Vollender ihrer Leiden mit aller Behendigkeit anzu⸗ 
biethen. Sein beſonderes Recht dazu hatten fie 
ſelbſt gegründet. | 
Seine Scharen, die er dem Aetius als 
Huͤlfstruppen überlaffen hatte, waren durch die 
Unerfahrenheit und den Leichtſinn der Roͤmiſchen 
Führer von den Weſtgothen aufgerieben worden. 
Zum Erſatze hatte Attila von Valentinian 
einen jahrlichen Tribut gefordert. Um ihn zu bes 
ruhigen, und den weſtlichen Thron von der Schan— 
de der Zinsbarkeit noch frey zu erhalten, war ihm 
von dem Hofe zu Ravenna die Sache unter einem 
wohlauſtaͤndigern Rah men gewährt worden. Uns 
ter der Bedingung, daß er Carpilio, den Sohn 
des Aetius, nach Italien zuruüͤckſendete, hatte 
der König der Hunnen den Rang eines Heerfuͤhrers 
der Römer in Weſten erlangt; und ihn mit Verach⸗ 
tung im Herzen, bloß wegen der Anſpruͤche auf ei» 
nen anſehnlichen Sold angenommen. Bis jetzt 
ſchien er ſeine Forderungen ſtillſchweigend erlaſſen 
zu haben; nun trat er damit auf. Ohne ſich auf 
feinen Rang zu berufen, bloß auf das Gefühl ſei⸗ 


ner Kraft geſtuͤtzt, drang er auf einen auſtaͤndigen 
Erſatz ſeiner hingeopferten Streitmaͤuner. Eine 
neue Beleidigung erbitterte ihn noch mehr. Erſt 
jetzt, — fo gering ſchaͤtzte Attila das Gold — 
vermißte er die koſtbaren Kirchengefaͤſſe, womit der 
Biſchof von Syrmium vor heben Jahren die Si⸗ 
cherheit und Freyheit ſeiner Herde von dem Ueber⸗ 
winder erkauft batte. Ein Geheimſchreiber des Köͤ⸗ 
nigs, iu wichtigen Angelegenheiten nach Rom ge⸗ 
ſandt, hatte ſie heimlich mitgenommen und in der 
Hauptſtadt des Weſten gegen eine auſehnſiche Sum: 
me an Sylvanus verpfändet. Der Verbrecher 
war nicht mehr; bald nach feiner Ruͤckkunft aus 
Italien war er in dem Verdacht des Hoch verrathes 
gerathen, und mit dem Tode beſtraft wor den. Jetzt, 
lange nach ſeiner Hinrichtung „erfuhr Attila die 
Entwendung des heiligen Geſchirrs; er verlangte 
von Valentinian entweder die Zurüͤckſtellung 
des Schatzes, oder die Auslieferung des Sylva⸗ 
nus. Schlecht unterſtüͤtzte Hartnäckigkeit, weibis 
ſcher Eigenfinn , beydes, maͤnnliche Standhaf⸗ 
tigkeit, genannt, war von jeher das untruͤgliche 
Merkmahl der kraftloſen, wankenden Herrſchaft. 
Attila ward mit Gruͤnden abgewieſen, deren 
Schwaͤche nur einige hundert tauſend bewaffnete 
Spartaner aus Leonidas Schule dem Scharfe 
blicke des Hunnenkoͤnigs hätten verbergen koͤnnen. 
Der Hof von Ravenna autwortete: ſeine ongebor, 
ne Rechtſchaffenheit und Wuͤrde verboͤthe ihm eben 
fo ſeht, einen Uaſchuldigen ſeinem Berſolger zu 


— 133 — 


überliefern, als es mit feiner Froͤmmigkeit und 
Gottesfurcht ſtrriten würde, Geſaͤſſe Barbaren preis 
zu geben, welche zu dem hetligſten Gebrauche ge— 
weihet wären. Unerſchuͤnerlich fand nun in At⸗ 
tila’s Seele der Vorſag, den Gehalt der Recht— 
ſchaffenbeit, Würde, Froͤmmigkeit und Gottesfurcht 
der Weſtroͤmer mit ſeinem Schwerte zu prüfen. 
Seine Herolde eilten hin, dem Kaiſer zu melden: 
Attila wäre geruͤſtet. 

Zu fo ſchnellen Entſcheidungen war man in 
Ravenna eben fo wenig, als in Bizanz gefaßt. 
Valentin tan bat um Friſt, und machte dem 
raſchen, ſelbſt in ſeinem Grimme noch menſchlich 
fuͤhlenden Helden Hoffnung, eine Geſandtſchaft, die 
eheſtens in Pannonien erſcheinen ſollte, würde alle 
Mizßverſtaͤndniſſe beylegen, alle Beſchwerden heben 
und die Eintracht zwiſchen den Hunnen und Weſtroͤ— 
mern bofeſtigen. 

Attila ſtand nun auf einer Hoͤhe, auf wel— 
cher fein Ehrgeiz keine Grenzen mehr erkennen, feine 
Anſprüche keinen wirkſamen Widerſtand mehr fuͤrch— 
ten durften. Aus Oſten und Weſten erwartete er 
Geſandte, die bey dem Anblide feiner einfachen, 
nur von erhabnern Geſinnungen erzeugten Majeſtaͤt 
erbeben, und feine Willenserklaͤrungen als unver— 
letzliche Geſetze annehmen müßten. Auch von den 
Poͤlkerſtaͤmmen in Norden waren Abgeordnete une 
terwegs, um ihrem, gewaltigen Oberherrn mit dem 
Tribute ihrer Unterthänigkeit die treueſten Nachrich⸗ 
ten von ihrem u und fir den Fall, daß er 


— 1 


fein ſchreckliches Machtwort über die Römer erſchal⸗ 
len ließ, die aufrichtigen Verſicherungen ihres thaͤ⸗ 
tigen Beyſtandes zu überbringen. Attil a's Pal⸗ 
laſt war nun das Ziel, auf welches alle Augen mit 
Furcht und Zittern geheftet waren. In At til a's 
Händen hing die Wage, auf welcher das Schickſal 
einer halben Welt ſollte abgewogen werden. Wie 
leicht war es ihm, auf dieſer Stufe des Auſehens 
und der Macht Maſſigung und Gerechtigkeit zu ver⸗ 
lieren; und welchen Nahmen verdient er, wenn er 
ſo vielen Lockungen zu feiner Vergroͤ ſerung wider⸗ 
ſtand und ſich ſelbſt zu beherrſchen wußte? Men⸗ 
ſchen, im Reiche der Vernunft von dunkler, nie⸗ 
driger Herkunft, Menſchen ohne Beruf, ohne Recht, 
ohne Kraft zur Menſchenwuͤrdigung, erhoben ihr 
bloͤdſichtiges Auge zu ihm, ſchreckten zuruck und 
weihten ſein Andenken dem Abſcheu, um ſich uͤber 
ihre eigene Kleinheit und Unwuͤrdigkeit zu troͤſten: 
laßt uns ihn im beſcheidenen Lichte unſerer Selbſt— 
ſchaͤtzung betrachten; laßt uns ſehen, wie er unter 
den Hallen des Friedens, hier zum Kriege gereitzt, 
dort zur blutigſten Rabe aufgefordert, handelle; 
laßt uns bis in das Innerſte ſeines Pallaſtes und 
feines Herzens eindringen, und in dem Bar ba⸗ 
ren den Menſchen ſuchen; vielleicht koͤnnen wir 
ihn ohne Selbſterniedrigung aus dem glaͤnzenden, 
aber veraͤchilichen Haufen der Lyſander, Ma⸗ 
rier und Edfarnin die ehrwuͤrdigere Claſſe b ef 
ſeter Renſchen verſetzen. 


1 


Edecon und Oreſtes hatten ihren Auftrag 
bey dem Kaiſer vollzogen ); der erſtere äußerte 
das Verlangen, die Groſſen des Hofes zu beſuchen, 
und nicht ohne geheime Urſachen ward ihm von 
Theodoſtus Bigilas zum Führer und Dols 
metſcher angewieſen. Der verſchmitzte Grieche folls 
te den biedern Seyrrer ausforſchen, ſeine Em⸗ 
plaͤnglichkeit zu neuroͤmiſchen Heldentha— 
ten pruͤfen, und ihn zu dem wichtigen Geheimniſ— 
fe vorbereiten, welches der Kaiſer mit feinem ver— 
trauteſten Günſtlinge, dem Eunuchen Chryſaphi⸗ 
us, nach einer naͤchtlichen Andachtsſtunde erſonnen 
hatte. Bigilas bemerkte an Attila's Freun⸗ 
de hohe Bewunderung des Reichthums und der vers 
ſchwenderiſchen Pracht in den Pallaͤſten der Römer, 
Frohlockend tbeilte er dem regierenden Eunuchen den 
gefundenen Schlüſſel zu dem Herzen des Barbaren 
mit, beyde waren durch das Gefuͤhl ihrer eigenen 
Verderbtheit uͤberzeugt, auch in der Seele eines 
Scyrrers müßte das Verlangen eine nothwendi— 
ge Folge der Bewunderung ſeyn. Chryſaphius 
naͤberte ſich feinem vermeinten Gefährten auf der 
Bahn der Ehrloſigkeit: „Auch dir, — ſprach er, 
— ſteht die Ausſicht offen, die Dunkelheit und 
Niedrigkeit deiner Hunniſchen Hütte mit dem Glanze 


) Der Inhalt dieſes ganzen Abſchnittes iſt nur ein 
Auszug aus den noch uͤbrigen Bruchſtuͤcken des 
Zeitgenoſſen und Augenzeugen Pris cus, 


— 156 — 


* 


und der Höhe unferer Palläſte zu vertauſchen; 
glaͤnzende Ehreuſtellen und unvergaͤngliche Reich⸗ 


thuͤmer erwarten dich, haͤltſt du es deiner wuͤrdiger, 


die Gunſt und das Vertraucu des Kaiſers der Dieuſl⸗ 
barkeit unter deinem Könige vorzuziehen. Verlaſfe 
Pannonien und werde Roͤmiſcher Bürger.” 
1 „Es iſt nicht erlaubt, — erwiederte Ede. 
con mit der vollen Würde des Pflichtgefuͤhls auf 
ſeinem Angeſichte, — daß der rechtſchaffene Die⸗ 
ner ſeinen wuͤrdigen Gebiether eigenmaͤchtig ver⸗ 
laſſe.“ f 
Beſchaͤmt lenkte Chryſaphius ein; aber 
noch gab er die Hoffnung, zu ſeinem Ziele zu ges 
langen, nicht auf: denn den Glauben an Redlich⸗ 
keit, Biederſinn und Tugend der Meyſchen hatte er 
nie gelernt. Er führte den Scyrrer durch alle 
Gemaͤcher feines Pallaſtes und zeigte ihm die Schaͤtze, 
womit Theodoſius Freyge ligkeit die Treue und 
das Verdienſt feiner Lieblinge zu belohnen pflegte. 
In dem Augenblicke, als er in dem ſtärkſten Mus⸗ 
kelnſpiele des Barbaren eine ſeinen Abſichten guͤn⸗ 
ſtigere Geutuͤthsſt immung las, fragte er ihn, wel⸗ 
chen Rang er unter den Hunnen behauptete. 
„Attila, — verſetzte Edecon mit edelm 
Stolze, — nennt mich Freund; mit einigen Scy- 
thiſchen Fuͤrſten und den vornehmſten Hunnen die⸗ 
ne ich ihm wechſelweiſe zur Leibwache.“ 
Bon der Begierde des ſchnellen Erfolges ver⸗ 
bleudet, verließ der Eunuch alle Maßregeln der 
Kiughrit. e Rang, — ſprach Per giebt 


15 


— en * 


dir alle Mittel in die Hand, dem Kaifer einen hoͤchſt 
wichtigen Dienſt zu erweiſen und dadurch dein ei. 
genes Gluck zu befoͤrdern; aber dies if nicht der Au: 
genblick, in welchem ich dir das groſſe, doch leich⸗ 
te Geſchaͤft offenbaren kann: ohne Begleitung dei⸗ 
ner Gefaͤhrten erwarte ich dich nach dem Mahle.“ 

Edecon erſchien, feſt uͤberzeugt, nur die 
Beſtaͤtigung ſeiner Vorherſehung, nicht Aufſchluͤſſe 
eines undurchdringlichen Geheimniſſes zu empfau⸗ 
gen. Es war Nacht, Todtenſtille herrſchte in dem 
Pallaſte des Eunuchen, nur ein mattes Licht daͤm⸗ 
merte in dem Gemache, in welchem die ſchaͤndlichſte 
That ſollte beſchloſſen werden; nur Chryſaphius 
nab Bigilas waren zugegen; die Schatten Con— 
ſtantius, Valens und Valentiniauns, der 
verhaßten Vorlaͤufer in aͤhnlichen Verbrechen, um⸗ 
ſchwebten beyde. Edecon ſollte ſich eidlich ver 
pflichten, den Vorſchlag, den man ihm entdecken 
würde, er moͤchte ihn vollziehen, oder von ſich ad» 
weiſen, geheim zu halten. Bereitwibig leiſtete er 
den Eid. 

„Kehre zurück, — ſprach nun Chryſap hi— 
us mit der Zuverſicht und Feyerlichkeit des ver: 
ruchteſten Boͤſewichts, — durchbohre Attila's 
Bruſt und fliehe nach Bizanz in das Heiligthune 
des Kaiferlichen Pall aſtes, um den reichen Lohn dei. 
ner großmüthigen That zu empfangen. 

Das war es, was Edecon, mit dem Geiſte 
der Neurömer bekannt, erwartet halte; er war 
ſcharfſinnig genug, um dutch die zweckmaͤſſigſtem 


Mittel den Anschlag. der 1 Bosheit zu 
vernichten. Er erklärte ſich für die Wünfde des 
Kaiſers und ſeines Guͤnſtlings; ; zur Erfüllung der⸗ 
ſelben verlangte er funfzig Pfund Gold, womit er 
die Hände der Hunnen füllen müßte, die ihm zur 
gluͤcklichen Vollbringung der That beyſtehen ſollten. 
Noch in der Nacht wollte Chryſapbius die Sum⸗ 
me aufzaͤhlen; aber dies war gegen Edecons, 
eben fo vortrefflich, als ſchnell durchdachten Plan: 
Bigilas, den Mitwiſſer und Theiln hmer des Ber» 
brechens, Attila's Handen zu überliefern, war 
feine Abſicht. 
| „Laſſet mich heimkehren, — ſprach er, — 
und dem Koͤnige von meiner Sendung Rechenſchaft 
ablegen. Bigilas fol mich begleiten, damit 
wir auf dem Schauplatze ſelbſt die beſten Maßre⸗ 
geln zur That verabreden koͤnnen. Er wird auch 
die Verhandlungen mit Attila fo einzuleiten und 
zu lenken wiſſen, daß die Nothwend igkeit, eine 
zwente Geſandtſchaft von dem Kaiſer zu erwarten, 
dem Könige ſelbſt einleuchte; und bey dieſer Gele⸗ 
genheit kann er die Summen miübringen, die ich 
jetzt nicht übernehmen darf, ohne mich und eure 
Sache der Gefahr ausjufegen. Es kann meinem 
Gebiether nicht leicht etwas verheimlicht werden; 
ſeine erſte Frage an feine ruͤckkehrenden Gefandien 
iſt immer: von wem und wie viel ſie an Geſchenken 
bekommen haͤtten. Eine Unwahrhen von den Lips 
pen der Seinigen kann ihn in die feurigſte Wuth 
verſetzen; und ich würde fie nicht ungeftroft wagen, 


— 108 — 


weil meine Gefaͤhrten als Zeugen wider mich auf⸗ 
treten koͤunten.“ 

Chryſaphi us fand Edecons Vorſichtig⸗ 
keit gegruͤndet, um fo gewiſſer rechnete er auf die 
gluͤckliche Ausführung des moͤrderiſchen Entwurfes. 
Er eilte, dem Kaifer Nachricht davon zu ertheilen, 
und den fo leicht verdienten Lobſpruch eines bes 
waͤhrten unterhaͤndlers zu verdienen. Theodoſtus, 
der feine feige Bruſt durch des Scyrrers Bereit 
willigkeit von einer unertraͤglichen Angſt befreyet 
hätte‘, zog auch den Vorſteher der Hofaͤmter Mar: 
tialius zu Rathe. Die Mordhelden wurden ei⸗ 
nig, an den Koͤnig der Hunnen auſſer Bigilas 
noch einen Geſandten mit einem Kaiſerlichen Sends 
ſchreiben abzuordeen, dem jedoch die Sache des 
Hofes ein ewiges Geheimniß bleiben müßte. Ihre 
Wahl fiel auf Maximin us. Die Aufträge, die 
ihm ertheilt wurden, machten ihn zaghaft. Er folle 
te vor allem die Würde des Kaiſers gegen die Ben 
ſchimpfung behaupten, welche nach den neuroͤmiſchen 
Begriffen von Ehre in der Forderung lag, Theo 
doſtus möchte nur Maͤnner von Conſulariſchem 
Range zur Geſandtſchaft nach Pannonien beſtimmen. 
Er ſollte dem hochmuͤthigen Hunnen alle Hoffnung 
dazu abſprechen, weil es der Gewohnheit ſeiner er— 
habenen Vorfahrer zuwider waͤre, die in der Wahl 
ihrer Geſchaͤftstraͤger bey den Koͤnigen der Hunnen 
kein anderes Geſetz, als ibre unumſchraͤnkte Will. 
kuͤhr erkannt hatten. Zur Erörterung der Zwiſtig⸗ 
keiten zwiſchen Attila und Theodoſtus ſollte 


— 160 — 


jenet keinen andern als Oneges, und zwar mit 
gaͤnzlicher Vollmacht in die Hauptſtadt ſenden; nur 
mit dieſem würde ſich der Herr des Orients in Un⸗ 
terhandlungen einlaſſen. Mariminus wußte, 
wie thoͤricht es wäre, einem furchtbaren Feinde ſo 
hochmüthig zu begegnen, vor dem man im Herzen 
zitterte; er machte Vorſtellungen dagegen; aber der 
Eunuch hatte geſprochen, feine Ausſpruͤche wa⸗ 
ten dem gekroͤnten Schwaͤchlinge Eingebungen des 
Himmels, der redliche, erfahrnere Mann mußte 
verſtummen. Erſt nach vielem Bitten, und nad» 
dem man ihm erlaubt hatte, ſeinen Freund, den 
Redner Pris cus, mitzunehmen, unterzog ſich 
Max iminus dem gefahrvollen Geſchaͤſte. | 

Mit einem ſtarken Gefolge, von ſtebzehn Hun- 
niſchen Ueberlaͤufern begleitet, zogen Attila’s 
und Theodoſius Geſandten aus Bizanz. 
An dem Ufer der Donau ſtand eine groſſe Anzahl 
Fahrzeuge, die von Attila, unter dem Vorwan⸗ 
de eines Jagdfeſtes jenſeits des Stromes, zu ei⸗ 
nem feindlichen Einfalle in Thracien beſtimmt was 
ren. Jetzt dienten fie dazu, um die Geſchaͤftstraͤger 
der Hunnen und Oſtroͤmer überzuſetzen. Einige Sta⸗ 
dien von der Donau ward den letztern das weitere 
Fortſchreiten unterſagt, bis Edecon den König 
auf ihre Ankunft vorbereitet hätte. 

Der treue Scyrrer entdeckte feinem Freun⸗ 
de die Raͤnke und Mordanſchlaͤge, die man im Kai⸗ 
ſerlichen Pallaſte, der duͤſtern Werkſtaͤtte der Bos⸗ 
heit und Niedertrachtigkeit wider ihn geſchmiedet 

hatte. 


* 


— 161 — 


hatte. Mit kalter Gelaſſenheit hörte Attila Ede 
cons Erzählung an; fein Entſchluß zur Rache war 
bald gefaßt, ſie war groß; die Art derſelben war 
das reine Erzeugniß des Bewußtſeyns ſeiner Ueber⸗ 
legenheit und ſeines erhoͤheten Selbſtgefuͤhls. Er 
zeigte den Schuldigen nur, was der Bar bar thun 
konnte; und that of was des Menſchen 
würdig war. | 

Schon hatten ſich die Roͤmer gelagert, als ſie 
von zwey Herolden abgerufen wurden, vor dem 
Beherrſcher der Hunnen zu erſcheinen. Sie folg⸗ 
ten ihren Fuͤhrern. Nach einem kurzen Marſche fa: 
hen fie von einer Anhoͤhe Attila's Lager im Tha⸗ 
le “). Vergeblich bemuͤhten fie ſich, das Gezelt 
dieſes erſchrecklichen Mannes auszuſpaͤhen. Nach 
dem ſchlechtgeuͤbten Schlußvermögen des Hofpoͤdels, 
hielten ſie das praͤchtigſte dafuͤr: ſie erſchracken, als 
ihnen dle Hunnen in der Mitte des Lagers ein klei⸗ 
nes Gezelt von bloſſen Thierhaͤuten ohne Zierde und 
Glanz zeigten und verſicherten, dort würde ihr 
Koͤnig von den Seinigen geliebt, gefuͤrchtet und an⸗ 
gebethet. Edecon' s, Oreſtes und Scott a's 
Ankunft machte ihrem Erſtaunen über Attila's 
rohe, barbariſche Beſcheidenbeit ein Ende, Mit 
ſtarrer Verwunderung ſahen Ah die Roͤmer einander 
au, als fie nach dem Zwecke ihres Hierfeyns, und 


) Wahrſcheinlich im Vanate zwiſchen der Donau 
und der Temes. 


* 


1 


— 162 — 


nach den Auftraͤgen, die fie von dem Kaifer erhal⸗ 
ten baͤtten, befragt wurden. Ihre Antwort war, 
ſie wuͤrden ſich derſelben gegen niemand, als den 
König ſelkſt entledigen. Scotta beſtand auf der 
Forderung einer umſtaͤndlichen Erklaͤrung Die 
Roͤmer beruften ſich auf die unverletzlichen Rechte 
ihrer Wuͤrde, kraft deren ſte niemanden als dem 
zu welchem fie gefaudt worden, Rechenſchaft ſchul⸗ 
dig waͤren. Uunwillig zogen Attila's Herolde 
ab, doch bald erſchienen ſie wieder mit der Verſi⸗ 
cherung ihres Koͤnigs, er haͤtte der Beweiſe der 
Koͤmiſchen Hinterliſt und Treuloſigkeit in Vertraͤgen 
genug; er wußte alles, was fie ihm im Nah men 
ihres Kaiſers vorzutragen haͤtten; er forderte den 
feſtgeſetzten Tribut und die Auslieferung der Ueber⸗ 
laͤufer, nicht leere Worte und Aus flüchte, die ge⸗ 
woͤhnlichen Hilfsmittel der Roͤmiſchen Feigher zig, 
keit. Ohne Verzug ſollten fie heimziehen und ihrem 
Beherrſcher melden, Attila hätte beſchloſſen, zwi⸗ 
ſchen ſich und dem Kaiferhofe mit feinem Schwerte 
zu entſcheiden. Maximin us und fein Gefolge 
ruͤſteten ſich, die Befehle des Koͤnigs zu vollziehen; 
über den verfehlten Endzweck ihrer Neiſe bestürzt; 
ungewiß, wo ſie bey dem Einbruche einer ſtürmi, 
ſchen Nacht ſich niederlaſſen würden, begaben fie 
ſich auf den Weg. Schon nahe an der Donau von 
Hunniſchen Eilbothen eingeholt, athmeten fie wie: 
ber freyer, als fie hörten, der König haͤtte ihnen 
noch ein Nachtlager auf feinem Gebiethe erlaubt. 
Voll befferer Hoffnungen kehrten fie auf ihren vori⸗ 


— 163 u 


gen Standort zuruck, wo ihnen auf Atti la's Be 
fehl Fiſche gebracht und ein wohl gemaͤſteter Ochs 
zum nächtlichen Mahle zugeführt wurde. Bigi⸗ 
las dachte nichs weniger, als daß das Mordge: 
heimniß des Kaiſers waͤre verrathen worden; nur 
verzweifelt hatte er ſchon, ſich den Ruhm eines 
thaͤigen Mitwirkers bey einem glücklichen Staats: 
ſtreiche zu erwerben. Attila’ s großmuͤthige Art 
zu handeln verſcheuchte feine Furcht und Verzweifs 
lung. Auf fein Zudringen wagte Pris cus mit 
Anbruche des Tages bey Scott a noch einen Ber: 
ſuch; ſeive Beredſamkeit und reichlichen Geſchenke 
fanden Eingang; Oneges Bruder bewirkte den 
Geſandien den Zutritt zu dem Könige. 
Ehrfurchtvolles Erſtaunen bemaͤchtigte ſich der 
Gemuͤther der Oſtroͤmer bey dem Eintritt in das 
Gezelt des Helden, des gleichen ſelbſt ihre Ur: und 
Großväter keinen mehr geſehen hatten Et ſaß auf 
einem einfachen, hölzernen Stuhle. Aus feinem 
eindringenden Blicke glaͤnzte das Hochgefuͤhl feiner 
Würde; mojeſtäliſcher Ernſt gebolh von feiner Stirs 
ne Verehrung, ohne den ſich ſelbſt fühlenden Mann 
zurückzuſchrecken. Sein Kleid war nur das rein— 
lichſte, an Pracht und Koſtbarkeit von dem Rocke 
des gemeinſten Hunnen in nichts unterſchieden Vor 
ihm ſtand ein Scythiſcher Fuͤrſt mit dem Schwerte 
in der Hand, dem einzigen ſichtbaren Zeichen feiner 
Herrſchaft. Um ihn herum ſtanden ſeine Getreuen, 
alle mit aufrichtiger Ergebung im Herzen, den aus 
tungsvollen Blick auf ihn geheftet. Niemand log 


to 
2 2 


hier Empfindungen, die feiner Seele fremd waren; 
niemand hatte hier das ehrenvolle Recht, durch 
feine Gegenwart Atti la's Herrlichkeit zu verkuͤn⸗ 
digen, ſeinem ererbten Nahmen, jeder nur ſeinen 
eigenen Thaten zu verdanken. Kein furchtſames 
Athmen einer weg geworfenen Sklavenſeele, kein au⸗ 
genommenes Zittern eines auſſer dem Pallaſte al⸗ 
les wagenden Guͤnſtlings, kein verzerrendes Mie⸗ 
nen piel eines Vertrauten geheimer Ränfe und 
Schandthaten, kein haͤmiſches Lächeln uber die Ver⸗ 
laͤugnung oder Vernichtung alles Menſchenwerthes 
beleidigte hier das ſchaͤrfere Auge des einzigen Bes 
obachters P riscus; alles trug die reinſte, edelſte 
Form der Natur und des Gefühls. Bebend mä⸗ 
herte ſich Maximi nus dem Koͤnige; oft genug 
hatte er in der Kaiſerſtadt den Schein der Maje⸗ 
ſtaͤt geſehen; aber hier fühlte er zum erſten Mahle 
ihre Wuͤrde, ihr Gewicht. 

„Heil und Wohlergehen wünſcht dir der Rai- 
fo, ſtammelte er und übergab das anne 
ſeines Gebiethers. Ens e 
„Es werde den Römern alles, was ſte mir 
wuͤnſchen;“ verſetzte der Kraftmann vom Stuhle 
und waͤlzte den grimmigen Blick auf Bigilas, 
der mit heiſſer Begierde und marternder Ungewiß⸗ 
heit die langen Augenblicke bis zu dem Falle des 
groſſen Opfers berechnete. | 

Schrecklich rollte nach einer Hontnvoen Stil⸗ 
le von Artila' s Lippen der Bonner in ſeinen 

Ohren. Unable ſig den Blick auf den Boͤſew icht 


y * 


* 
die 
7 
5 


* 165 3 


geheftet, rufte ihm der König zu: „Melde Der: 
wegenheit trieb dich, ſchaͤndliches Ungeheuer, biers 
her, da du doch wußteſt, daß mein Schwert über 
eure Haͤupter fo lange gezuͤckt bleibet, bis mir die 
Ueberlaͤufer ohne Vorbehaltung eines einzigen übers 
liefert worden find I’ 

Bigilas dreuſte Verſicherung, die letzten, 
welche man im ganzen oͤſtlichen Reiche entdecken 
konnte, waͤren jetzt von den Geſandten mitgebracht 
worden, erbitterte den geſchwornen Feind der Luͤge 
noch mehr. 

„Nur dem Range, — ſprach er, — den du 
unwuͤrdig traͤgſt, haſt du die Friſt deines Lebens 
zu verdanken; folgte ich den Forderungen meines 
gerechten Zornes mehr, als meiner Achtung gegen 
die Rechte deines Amtes, heute hingeſt du noch an 
einem Pfahle den Adlern und Geyern zur Speiſe, 
deinem treuloſen Volke zum Entſetzen.“ 

Auf feinen Wink las Conſt ant ius die Nah⸗ 
men der Hunnen vor, die ſich noch unter den Rd: 
mern befinden müßten. — 

„Esla, alter, bewaͤhrter Sohn der Ehre, — 
fubr Attila fort, — begleite den unverſchaͤmten 
Betrüger in die Kaiſerſtadt, frage feinen Herrn 
zum letzten Mahle, ob er den mit mir geſchloſſenen 
Vertrag in Ehren halten, oder feine Stadt in Flam— 
men, feinen Pallaſt in einen Schutthaufen verwan- 
delt ſehen wolle. — Zieh' hin, ehrloſer Grieche, 
dolmetſche deinem Gebiether die Sprache des mu- 
thigen, zur Rache bewaffneten Mannes und huͤlf 


. 


— 166 — 


ihm einen En tſchluß gebähren, der fein Land ge⸗ 
gen neue Verheerungen ſicher ſtellt. Bis zu dei⸗ 
ner Ruͤckkunft bleiben deine Merkpien in meiner 
Gewalt.“ 

Tief gekraͤnkt, gedemüͤthiat und erſchüttert moß⸗ 
ten die Römer Attila's Gezelt verlaſſen; und 


doch war Bigilas fe überzeugt, der gefaßte 


Mordanſchlag waͤre dem Koͤnige noch verborgen. 


Weder in dem Auftrage, nach Bizanz zuruͤckzukeh⸗ 


ren und wieder zu kommen; noch in dem bald dar⸗ 
auf erfolgten ſtrengen Verbothe, vor der gaͤnzlichen 
Beylegung aller Streitigkeiten Roͤmiſche Kriegsge⸗ 
fangene auszuloͤſen, Sklaven, Pferde, oder was 
immer zu ihrem nothduͤrftigen Lebens unterhalte ent⸗ 
behrlich war, zu Faufen, errieth der Verblendete 


die geheime Abſicht des Koͤnigs, der ihn nur auf 
der That ſelbſt erwiſchen und ihm Gelegenheit geben 


wollte, die zwiſchen Edecon und Chryſa ph i⸗ 


us ausgemachte Geldſumme nach Pannonien zu 


ſchaffen. So viel Vertrauen ſetzte Bigilas in 
den Eid eines Barbaren, den er doch der abſcheu⸗ 
lichſten Undankbarkeit, des Hochverrathes des Meu⸗ 
chelmordes fähig gehalten hatte. 

Nach ſeiner Abreiſe uren . 


und Priscus mit ihrem Gefolge weiter gegen 


Pannoniens Norden geführtz Attila zog in Es⸗ 
kams Gau, um mit Oſpiru, der Tochter die⸗ 
ſes maͤchtigen Hunnen, feine Vormaͤhlung zu fey⸗ 
ern. Nach einigen Tagereiſen wurden ſie von ihren 


Führern in einem Flecken angrhalten, wo ſie die An⸗ 


kunft des Königs erwarten follten, um in feinem Ge⸗ 
folge in die Hauptſtadt der Hunnen einzuziehen. 
Schon trafen fie dort die eſandten des weſtlichen Reis 
ches, Romulus, Primutus, Romanus Gap 
ſtodorus und Carpili o. In ihrer Begleitung 
waren Tatullus, Oreſtes Vater, und At- 
til a's Geheimſchreiber Conſtantius. Der ho⸗ 
be Rang, den fie an dem Hofe zu Ravenna Dis 
haupteten, verſprach ihnen einen anſtaͤndigern Em⸗ 
pfang, als welchen die Oſtroͤmer erfahren hatten. 
Attila erſchien. Der Bug näherte ſich der 
Hauptſtadt. Vor den Thoren derſelben empfing 
ihn ein zahlreicher Haufe Frauen und Maͤdchen. 
In mehreren Reihen getheilt, hielten die erſtern 
lange ſchleyerne Tuͤcher empor, unter welchen in 
jeder Reihe ſechs Maͤdchen einhertraten, und dem 
allgemeinen Vater mit unverkennbaren Spuren der 
Freude im Auge Lob» und Siegeslieder fangen. 
Mit dieſem einfachen, aber ruͤhrenden Gepraͤn⸗ 
ge kam Attila vor Oneges Haus; tief neig⸗ 
te ſich die Gattinn des Verdienſtvollen, die in 
ihrem feyerlichſten Kleide, von einer Menge Auf⸗ 
waͤrterinnen umgeben den Veherrſcher der Hunnen 
unter der Halle erwartet hatte. Ihre Diener tru— 
gen eine ſilberne, mit verſchiedenen Gerichten und 
Getraͤnken beſetzte Tafel auf ihren Haͤuptern; mit 
dem Laͤcheln der Anmuth, dem untruͤglichen Zeichen 
ihrer haͤuslichen Gluckſeligkeit, bat fie den König, 
von den dargercihten Erfriſchungen zu genieſſen. 
Attila that es, ohne vom Pferde herunterzuſtei— 


— 18 — 


gen. Unverrückt weilte Priscus forfhendes Au⸗ 


ge auf ihm; ſeine Aufmerkſamkeit ward mit Er⸗ 
ſcheinung belohnt, unter welchen er nur mit Ekel 


an die Reife Herrlichkeit und Majeſtaͤt feines Kai, 
ſers zuruͤckdenken konnte. Alle Mienen, Geberden 
und Bewegungen des Koͤnigs offenbarten das Ge⸗ 


fuͤhl der Menſchen achtung, nicht das mimi⸗ 
ſche Streben nach einer der Menſchheit ſpottenden 


Herablaſſung. Er genoß mit Luſt und Wohle 


gefallen, mit der Freyheit und dem Anſtande des 
Mannes, dem Maͤßigkeit Geſetz ſeiner Geiſteskraft, 


nicht Bedingung ſeines kene dee 


gens war. 


Auf One ges Einladung blieben di Römer 
in ſeinem Hauſe bey dem Mahle. Attila zog 
in ſeinen Pallaſt, um die Nacht in Nachholung ſei⸗ 


ner angehaͤuften Pflicht geſchaͤfte zu durchwa⸗ 


chen. Dieſer Tempel des Fleißes, der Thaͤtigkeit, 
der Liebe gegen das Volk und der Gerechtigkeit, ſtand, 
nach Priscus Beſchreibung, auf einer Anhoͤhe, 
von Balken, fein geglaͤtteten und kuͤnſtlich in ein⸗ 
ander gefuͤgten Tafeln errichtet. Die Menge ſeiner 
hohen, kegelfoͤrmigen Thuͤrme zeigte den Hunnen 


von allen Seiten das Heiligthum, in welchem ein 
Mann von hoͤherer Kraft fuͤr ihren Wohlſtand und 


ihre Freyheit wachte. Ein geraͤumiger Hof nahm 
fie auf, wenn fie haufenweiſe ſich hindraͤngten, um 


die Stimme ihres Geſetzgebers zu vernehmen, in 


dem Ausſpruche ihres Richters die Beſtaͤtigung der 


Sicherheit ihres Eigenthumes und ihrer Rechte zu 


— —— 


— 


— 169 — 


hören, ihrem gewaltigen Herrn zu huldigen, ihren 
wohlthaͤtigen Vater zu ſegnen. Die Saͤulengaͤnge 
des Pallaſtes waren ihnen eine Schule der Pflich⸗ 
ten und Geſinnungen; Roͤmiſche Haͤnde, von den 
allmaͤhlig erſterbenden Funken der Kunſt geleitet, hats 
ten daſelbſt die Thaten der Vaͤter in Holz geſchnit⸗ 
ten. Rings herum hatten die Gemahlinnen, die 
Freunde, Vertrauten und Diener des Koͤnigs ihre 
Wohnungen; keine Spaͤherhoͤhlen waren da, aus 
welchen verworfene Guͤnſtlinge und vergoldete Skla— 


ven herausfallen, und den Leidenden, der bey feis 


nem pflichtmaͤßigen Sachwalter auf dem Throne Troſt 
oder Huͤlfe ſuchen wollte, miß handeln konnten. 

In einer kleinen Entfernung von dem Pallas 
ſte waren für die Geſandten der Römer Gezelte aufs 
geſchlagen. Mitten unter freyen, gluͤcklichen, von 
Liebe und Verehrung gegen ihren Beherrſcher durch: 
drungenen Menſchen handelten die Römer nach Mas 
rimen, die nur unter Sklaven oder Sybariten den 
erwuͤnſchten Erfolg hätten bewirken koͤnnen. Ma» 
rimin us erſter Verſuch war, Oneges, dieſen bes 
waͤhrten Freund des Königs, zur Untreue zu vers 
leiten. Durch den taͤuſchenden Schimmer großer 
Verheißungen wollte er ihn bewegen, nach Bizanz 
zu ziehen, um die Uneinigkeiten zwiſchen dem Kais 
fer und feinem Könige zum Vortheile des erſtern 
zu beendigen. Seinem Verdienſte gemäß, ward] er 


von dem Barbaren abgefertigt. 


„Oft genug, — ſprach Oneges, — ſchil⸗ 


derte ich dem Kaiſer und feinen Rathgebern A t ti— 


la's feſten, unerfhütterlichen Sinn; und was 
koͤnnte ihn auf der Hoͤhe ſeiner Macht, bey dem Ge⸗ 
wichte ſeiner Ueberlegenheit beſtimmen, nur eine 
einzige feiner Forderungen fahren zu laſſen? Reis 
niget euer Auge von dem Wuſte Thraciſcher Dünfte 
und ſeht hier viele hundert tauſend Streitmaͤnner 
bereit, ſich für die Rechte ihres angebetheten Ober⸗ 
herrn aufzuopfern. Leget euern Irrthum ab; ihr 
ſcheinet zu glauben, daß ich an der Bruſt einer Roͤ⸗ 
merin ſog, weil ihr es für, möglich haltet, mib 
durch Roͤmiſche Bitten und Verheiſſungen zum Ver⸗ 
rather meines Königs herabzuwuͤrdigen. Ich bin 
ſtolz auf meine Erziehung, meine Gemahlinn und 
meine Kinder; die Freuden, die ſie mir bringen, 
habe ich den Hunnen zu verdanken. Das Hochge⸗ 
fühl, den Beyfall meines Volkes durch Hunni⸗ 
ſche Thaten verdient zu haben, gilt mir mehr als 
der hoͤchſte Rang, deu mir euer Kaiſer ertheilen 
koͤnnte. Gluͤcklicher macht mich die Dienſtbarkeit 
unter Attila, den meine Seele Wann nennt, 
als alle Schaͤtze der Romer, deren Werth mich der 
Mann verachten gelehrt hat. Soll ich euerm 
Herrn mich gefällig bezeigen, fo muß es hier, nicht 
in der Kaiſerſtadt geſchehen; aber auch hier vermag 
ich nichts mehr, als den wider euch aufbraufenden 
Zorn meines Freundes vor dem Ausbruche zu maͤ⸗ 
ßigen.“ \ 
Priscus konnte dem Manne ſeine innigfte 
Achtung nicht verſagen. Suͤſſe Harmonie war ihm 
die lebendige Sprache der Nechtſchaffenheit, die er 


zu Bizanz nur noch auf veralteten Pergamentrol⸗ 
len in abgelegenen Gemaͤchern oder Sclavenſtuben 
geleſen hatte. Maximinus wog die Worte des 
Barbaren auf der Wage der Staatsklugheit, und 
laͤchelte, wie die wichtigen Maͤnner ſpaͤterer Zei⸗ 
ten über die Verblendung roher, ſitten » umd ge⸗ 
ſchmackloſer Menſchen, welche ſich unter den Traͤumen 
ihrer eigenſinnigen Rechtſchaffenheit glaͤnzende Wirk⸗ 
lichkeiten eutgehen lieſſen. Sich feiner mit dem von 
der Natur Verwahrlosten in perſoͤnliche Unterhand⸗ 
lungen einzulaſſen, hielt er unter feinem Ran gez 
mit Vergnuͤgen übernahm Pris eus dies Geſchaͤft. 
Er beſuchte die Königinnen, bewarb ſich um den Um⸗ 
gang mit den Großen, draͤngte ſich zu allen oͤffentli⸗ 
chen Gerichten und Verhoͤren und ließ keine Belegen» 
heit unbenutzt, die vollſtaͤndigſte Kenntniß von einem 
Volke zu erlangen, das er in der Folge mit dem 
Zwecke des Kenophon oder Tacitus feinen Oſt⸗ 
roͤmern zu einem beſchaͤmenden Beyſpiele darſtellen 
wollte. 

Einſt, waͤhrend Attila den Abgeordneten der 
Voͤlkerſchaften des Norden im Innern des Pallaſtes 
Gehoͤr gab, ſtand Priscus mit den Geſandten 
der Weſtroͤmer in Vorhofe. Mit Ungeduld harr⸗ 
ten fie der Aukunft des Oneges, um durch ihn 
ihre Wuͤnſche dem Könige vorzutragen. Der Hun⸗ 
ne trat heraus, hörte ihre Vorträge an aber oh⸗ 
ne darauf zu antworten, fragte er Maximin us 
Befährten , wen der Kaiſer zur Befandifhaft an 
Attila ernannt haͤtte. — „Theodoſtius, — 


— 172 — 

verſetzte Priscus, — wuͤnſcht dich zum Schieds⸗ 
richter zwiſchen ſich und deinem Könige; verfage® 
du ihm dieſen Dienſt, ſo wird er bey der Wahl 
ſeiner Geſchaͤfistraͤger nach ſeinem Gutduͤnken ver⸗ 
fahren.“ Dieſe Antwort bewirkte dem Maximi⸗ 
nus den Zutritt zu dem Könige. Mit nachdruͤck⸗ 
licher Kürze erklaͤrte ihm Attil a, der Kaiſer haͤt⸗ 
te nur unter Nomius, Senator, oder An a⸗ 
tolius zu waͤhlen, deren Rechtſchaffenheit ihm 
bekannt waͤre; keinen andern, als einen aus den 
Genannten würde er als Machthaber des Theo do⸗ 
ſius anerkennen. Vergeblich bat der Roͤmer, er 
moͤchte durch ſeine ſo beſtimmte Forderung wuͤrdi⸗ 
ge Maͤnner dem Kaiſer nicht verdaͤchtig machen; x 
Attila beitand darauf: 405 Babes Wort war 

Krieg. 

Schon war Mar iminus mit den Seinigen 
zum Rückzuge nach Thracien gefaßt, als Zatule 
Uẽs in das Gezelt trat und ihn mit Pris cus im 
Nahmen des Königs zu einem feyerlichen Mahle 
lud. Zur beſtimmten Stunde erſchienen fie vor At: 
tila unter der Halle des Speiſeſaals. Erf nach⸗ 
dem fie aus dem gemeinfchaftlichen Becher für das 
Wohlergehen des Koͤnigs getrunken hatten, wurden 
ſie in den Saal auf die Plaͤtze geführt, die ihrem 
Range gemäß für fie bereit waren. Atti la ſaß 
in der Mitte auf einem Throne, ihm zur Rechten 
Oneges, zur Linken ſeine zwey juͤngern Soͤhne, 
mit ihm auf dem Throne Ellak, dem die tiefſte 
Ehrfurcht kaum erlaubte, in Gegenwart ſeines Va ⸗ 


ters den Blick von der Erde zu erheben. An beyden 
Seiten in einer ziemlichen Entfernung ſaßen die 
Säfte; zur Rechten die Hunnen und die Fuͤrſten der 
Schutzgenoſſen, zur Linken die Geſandten der N: 
mer mit ihren Gefaͤhrten. Die mannigfaltigen und 
koſtlichen Gerichte wurden Allen in goldenen und 
ſilbernen Gefaͤßen gereicht. Die goldenen Becher 
waren mit Edelgeſteinen beſetzt. Mit flüchtiger 
Schamroͤthe betrachteten die Römer dieſe Werkzeu⸗ 
ge der Pracht und des Luxus; in Moͤſiens und Thra⸗ 
ciens reichen Staͤdten waren ſie erbeutet worden, 
weil die Enkel der alten Freybeuter Italiens in dem 
Gebrauche derſelben ihre Kräfte verſchwelgt hatten 
Tiefer fühlten ſie die Schmach ihrer Selbſternie⸗ 
drigung, nachdem ſie gewahr wurden, mit welcher 
Groͤße Attila dieſe Denkmale des roͤmiſchen Prun⸗ 
kes verachtete. Er, der beynahe alle Barbaren für 
ihren Oberherrn erkannten, dem ein Theil der Noͤ⸗ 
miſchen Welt zinsbar, der andere unterthaͤnig war, 
ſaß dort, wo alles im hoͤchſten Glanze ſich zeigte, 
in einem einfachen, beſcheidenen Kleide; ſtillte ſei⸗ 
nen Hunger mit einem einzigen Gerichte auf einem 
hoͤlzernen Teller, und loͤſchte feinen Durſt aus eis 
nem hölzernen Becher mit Waſſer. Auf einige Anz 
genblicke lebte in den Römern das laͤngſt erſtorbene 
Andenken an die vergangenen Jahrhunderte wieder 
auf. Die Manen der Fabrieter, Cincinn a⸗ 
ten und Cur ter ſchwebten vor ihrem Geiſte; mit 
Eutſetzen dachten fie an die Armuth ihrer Sprache, die 


wur 174 — 


fuͤr dieſen Mann mit altroͤmiſcher Seele keine an⸗ 
dere Benennung hatte, als Barbar. 

Jetzt traten zwey Saͤnger herein, eine feyerli⸗ 
liche Stille herrſchte in dem ganzen Saale. Sie 
beſangen Attila's Tugenden und Heldenthaten; 
ſie beſangen ſie, als Soͤhne der Ehre, von dem 
uͤberſtroͤmenden Gefuͤhle der Verehrung gegen den 
Wuͤrdigen begeiſtert; nicht als feile, verächtlich 
Schmeichler, von der Begierde nach dem herablaſ⸗ 
ſenden Laͤcheln der Majeſtaͤt angetrieben. Nicht 
Attila allein war in ihren Liedern der alles Ver⸗ 
moͤgende, der Groſſe, der Unuͤberwindliche; das 
Hunnenvolk glich nicht einer Summe von Nullen, 
die an ſich ohne Werth, bloß durch die Zahl, die 
an der Spitze ſteht, die Würde einer beſtim mien 
Quantitaͤt erhält: Auch für das Verdienſt feiner 
Freunde, Gefährten und Rathgeber, auch für die 
Thaten und Aufopferungen der Niedrigſten im Vol⸗ 
ke hatte ihre Muſe Lorbeern des Ruhmes. Darum 
horchte der Koͤnig mit Wohlgefallen auf den erha⸗ 
benen Schwung ihrer Gedanken und Geſinnungenz 
denn in dem Werthe feines Volkes erkannte und 
fuͤhlte er ſeinen eigenen. Darum wurden die Juͤng⸗ 
linge bey den dargeſtellten Bildern überwundener 
Gefahren und beſiegter Schwierigkeiten von Helden⸗ 
muth entflammt; in den Geſaͤngen der Nation, in 
dem Lobe ihrer Vaͤter hoͤrten ſie die herzerhebende 
Verſicherung ihrer künftigen Unſterblichkeit. Dar, 
um brachen die Greiſe, deren Naßmen von den 
Lippen der Sänger ertoͤnten, in Thraͤnen der Weh⸗ 


muth aus; das Zeugniß ihrer ehemahligen Kraft 
verſtaͤrkte das kraͤukende Gefuͤhl ihrer gegenwärtigen 
Schwaͤche, die ſie der ſchrecklichen Nothwendigkeit, 
im Bette zu ſterben, unterwarf. 

Alles, was die Römer bisher geſehen und ges 
hoͤrt hatten, war ihnen neu; aber nun ward der 
Schauplaz verändert, ploͤtzlich glaubten fie ſich nach 
Bizanz oder Ravenna hingezaubert. Oefter wur⸗ 
den die Becher gefuͤllt und geleert, Gaukler und 
Poſſenreiſſer traten auf, alles überließ ſich der zii 
gelloſeſten Freude, nur Attila blieb ſich gleich. 
Nicht bas geringſte Merkmahl des Vergnügens ward 
an ihm bemerkt. Ernſthaft, in ſich zuruͤckgezogen, 
gleichguͤltig und kalt für alles, was um ihm vor: 
ging, ſaß er da, bis ſein iöngkır Sohn Ir nak 
in dem Saale erſchien, den er in feine Arme (bloß 
und in der Fuͤlle vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit mit Lieb⸗ 
koſungen überhäufte “). Er war ihm unter feinen 
— der liebſte; nach dem Ausſpruche feiner 


) Die busbrückliche Verſicherung des Prisens, 
daß er ib auf der Stelle um den 
Grund dieſer Liebkoſungen erkundi⸗ 
get habe, iſt mir viel werth. Sie beweiſt, daß 
ſich der Grieche mit dem Scheine der Dinge nicht 
begnuͤgte. Ohne Zweifel wird er ſich auch erkun⸗ 
diget haben, ob Attila immer ſo maͤßig, ernſt⸗ 
haft und genuͤgſam lebte. Haͤtte er das Gegen⸗ 
theil erfahren, fo würde er nicht unterlaſſen baden 
anzumerken: Attila hätte vor den Römern aus 
figuriren wollen, 


— 


— 176 — 


Wahrſager, ſollte Irn ak fein Geſchlecht und ſein 
Reich wieder emporſchwingen, welches nach dem 


unabaäͤnderlichen Rathſchluſſe der Goͤtter durch die 


Zwietracht feiner Söhne zu Grunde gehen mußte. 


— Nichts entging der Aufmerkſamkeit des Pris⸗ 


tus; jede Bemerkung erhoͤhte feine Achtung gegen 
Attila. In Irnaks Umarmungen entdeckte er 
den ſanfter fuͤhlenden Menſchen, den er in dem Kai⸗ 
ſerlichen Pallaſte zu Bizanz immer vermißt hatte; 
in dem Ernſte des Koͤnigs erkannte er den Mann, 


der das Gluͤck und die Wohlfahrt der Voͤlker in ſei⸗ 


nem Herzen trug; in der ungeſtörten Freude der 
Uebrigen, welche die Verſchloſſenheit ihres groſſen 
Beherrſchers gar nicht wahrzunehmen ſchienen, fand 
er den menſchenfreundlichen Regenten, nicht den 


hochmuͤthigen Despoten, der im Innern von dem 


angſtvollen Bewußtſeyn gemiß brauchter Gewalt oh⸗ 


ue Unterlaß beſtuͤrmt, durch den aͤuſſern Schein des 


unmuthigſten Tiefſinns nur Furcht und Entſetzen 
um ſich her verbreiten wollte; nicht den mit Gold 
belegten, für fein Anſehen und ſeinen Rang ſtets 
bekümmerten Schwaͤchling, wie ihn Prisens 
in der Kaiſerſtadt zu ſehen und zu verachten ge⸗ 
wohnt Wars 

Bey dem Abſchieds mahle der Geſandten, wel⸗ 


ches mit derſelben Pracht und von Seiten des Kö. 


nigs nach eben den Geſetzen der Maͤſſigkeit und 
Beſcheidenheit gefeyert wurde, bezeigte ſich auch 
Attila heiterer und geſelliger. Er ließ ſich mit 
den Römern in vertrauliche Unterredungen ein und 
gab 


— 17 — 


gab Jedem ſchicklichen Anlaß, in dem Umfange ſei⸗ 
ner Keuntniſſe und der Tiefe ſeiner Einſichten auch 
den Adel ſeiner Geſinnungen darzulegen. Reich. 
lich beſchenkt, entließ er den Maximinus mit 
feinen Gefaͤhrten. Seines Verbothes ingedenk, kraft 
deſſen die Roͤmer keine Pferde oder Laſtthiere in 
Pannonien kaufen durften, mußte jeder feiner Gros. 
ſen den Geſandten nebſt andern Geſchenken auch ein 
Pferd geben; dieſe wohlwollende Verfuͤgung ſchuͤtz. 
te ſie vor Verlegenheiten, in welche ſie auf einer 
fo weiten Reiſe leicht hätten gerathen koͤnnen. 
So behanbelte Attila die Geſandten eines 
Hofes, der ihm durch Feigheit zinsbar, durch die 
ſchaͤndlichſten Lafter und Verbrechen verhaßt, durch 
die niedrigſten Raͤnke veraͤchtlich geworden war; 
eines Hofes, der ſich wider ſein Leben verſchworen, 
dem der Dolch des Meuchelmoͤrders das einzige 
und letzte Mittel geſchienen hatte, das Zepter der 
Majeſtaͤt zu behaupten. Wahr iſt es, Maxim i⸗ 
nus und Prisſcus hatten keinen Theil an dem 
boshaften Anſchlage; aber ihre Unſchuld konnte nicht 
erkannt werden: was buͤrgte dem Könige dafur, 
daß ihnen Bigilas vor feiner Abreiſe aus Pan— 
nonien die Wünſche des Kaiſers nicht cutdeckt habe? 
Sie waren die Abgeordneten, eines Herrn, deſſen 
Bruſt das Mordgeheimniß entweder geboren, oder 
begierig aufgefaßt hatte; der Schein ſprach wider 
ſie in einer Sache, in welcher die Gewißheit immer 
ſchon zu ſpaͤt wäre erlangt worden: die neuere 
Staatsweisheit haͤlte das haͤrteſte n ge: 


rechtfertiget. Aber Attila war Barbar; er 
begegnete den Geſchaͤfttraͤgern ſeines Nachſtellers 
nach ihrem perſoͤulichen Verdienſte, und in ſeinem 
Lager an der Temes erwartete er mit Gleichmuth 
die Ankunft des Beheben von deſſen aa er 
See war. Bi 
a a a 


Mit hundert Pfund Gold beladen, von feinem 
Sohne begleitet, von der Begierde das Opfer hin⸗ 
geſchlachtet zu ſehen, begeiftert, war Bigilas an 
dem ſuͤdlichen Ufer der Donau angelangt. Sobald 
er die Grenzen Pannoniens betreten hatte, ward er 
auf Attila's Befehl gefangen genommen und 
des Geldes beraubt, das wider ihn zeugen ſollte. 
Ueber die Beſtimmung deſſelben vom Könige befragt, 
antwortete er mit kuͤhner Zuverſicht, die Unterhal⸗ 
tung der Seinigen und die Abſicht, einige römi⸗ 
ſche Kriegsgefangene, die er als Freunde liebte, 
auszuloͤſen, haͤtten ihm dieſe au eee 

gemacht. a0 0 
D das ſchaͤndliche Gewebe deiner Bosheit, — 

ſprach Attila, — iſt aufgedeckt und zerriſſen, drin 
Verbrechen liegt am Tage, dein Urtheil iſt geſpro⸗ 
chen, und nichts iſt im Stande die Vollziehung 
deſſelben aufzuhalten. Mein Verboih, Kriegsge⸗ 
fangene auszuloͤſen, war dir bekannt, die Sum⸗ 
me deines Geldes überſteigt deine Vedürfniſſe. — 
— Diener meines Zornes, beginnet die Nache, reif 
ſet den Sohn von der Seite des Ungeheuers, ſchwin⸗ 


— * — 


get den Todesſtreich über ihn, wenn ſich der Alte 
noch einige Augenblicke weigert, den geheimen Plan 
ſeines abſcheulichen eee . Br a 
re A 

Bigilas (ap das Schwert über feinen Sopn 
* fuͤr das Leben ſeines Erben beſorgt, warf 
er ſich zu den Fuͤſſen des Königs, bat um Scho⸗ 
nung und Gnade für den Unſchul digen, geſtand 
fein Verbrechen, gab die Urheber und Befoͤrderer 
deſſelben an und endigte mit der Bitte um den 
Tod für ſich, um Verzeihung für feinen ſchuldlo⸗ 
fen Sohn. Attila, den Bigilas geaͤuſſertes 
Gefühl der Vaterliebe mit dem Menſchen auf 
der Stelle ausgeſoͤhnt hatte, ließ den Verbre⸗ 
cher in Feſſeln wegführen, mit dem Befehle, ihn fo 
lange in ſtrenger Gefangeuſchaft zur behalten, bis 
ſein Sohn wieder von Bizanz zurückkehren und dur » 
dert Pfund Gold zur nen, e a 
e wurde. 1 

Oreſtes und Es la mit einem fte | 
Scfolge begleiteten Bigilas Sohn mit fonderbas 
ren Aufträgen in die Kaiſerſtadt. Ihre unerwarte⸗ l 
le Ankunft erſchreckte den ſchwachen Regenten, der 
mit ſeinem Guͤnſtlinge verſchloſſen, mit angſtvoller 
Uuruhe der troͤſtenden Nachricht von N 
Ermordung entgegen ſah. 

Den Geldſaͤckel um den Hals IR: Mat 
ſchien Oreſtes vor dem Kaiſec. — „Auf Atti«⸗ 
la's Befehl, — e er zu dem Eunuchen, der 

. M 2 ar tr, un 


— 180 — 


an der Seite des Theodoſius ſtand, — frage 
ich dich, ob du dieſen Sädel kenneſt? 

Chryſaphius ſah feine Entwürfe: geſchei⸗ 
tert; ſeine Zunge, von der Verzweiflung gelaͤhmt, 
verſagte ihm den Dienſt der Sprache. Es la um 
terbrach ee der ME NEN 

tig leid: n i 
re — roth er vi 5 Kalt — was 
der groffe König der Hunnen durch wich zu dir 
ſpricht. Unſtreitig biſt du ein Zweig eines edelu 
ethabenen Stammes; auch Attila iſt von edler 
koͤniglicher Herkunft, unbeſleckt hat ihm ſein Vater 
Mund zuch die Ehre feines Heldengeſchlechtes hin⸗ 
t rlaſſen. Aber du haſt den ererbten Adel deiner 
Waͤter geſchaͤudet; biſt durch die Zinsbarkeit At t i⸗ 
la's Knecht geworden, und haſt deine Schande 
noch mit dem Verbrechen eines niedertraͤchtigen, 
treuloſen, verworfenen Sklaven vermehrt, der ſei⸗ 
nem, vom Gluͤcke und von der Tugend ihm vorge⸗ 
ſetzten Gebiether nach dem Leben gefircht hat. Wiſ⸗ 
ſe daher, daß er nicht aufhoͤren wird, dich dieſes 
entehrenden Frevels zu beſchuldigen, bis du ihm 
deinen Eunu hen Eh Be ph lass zur eee e 
Zuͤchtigung üͤberlieferſt. 5772 

Was iſt aller Schimmer 1 Wesch: mas 

find alle Lobſprüche bezahlter Schmeichler, alle 
Vergoͤtterungen bereicherter Prieſter und Mönche 
gegen die gerechten Vorwürfe eines mißiungenen 
Verdrechens von einem großen, maͤchtigen, er⸗ 
ſchrecklichen Feinde? Theodoſius verſtummte, 


Chryſaphius zitterte; nie ſahen A ttila“s 
Freunde Menſchen armſeliger und veraͤchtlicher da⸗ 
ſtehen. Der Anblick der fo tief erniedrigten maͤnn⸗ 
lichen Wurde erſchuͤtterte fie; wohl ward ihnen, “is 
fie den Wink erhielten abzutreten. 

Eben jetzt ward der herrſchende Eunuch auch 
von Zeno, dem Haupte der empoͤrten Iſaurer, 
zum Tode verlangt. Der allgemeine Haß gegen 
den Anführer rettete den Hoͤflng. Zend ward 
mit ſeiner Forderung abgewieſen; den Koͤnig der 
Hunnen, von dem man nun das Schrecklichſte zu 
erwarten hatte, beſchloß man durch eine Geſandt⸗ 
ſchaft zu beſaͤnftigen. Nach Attila's Verlangen, 
nicht nach Willkuͤhr der gedemuͤthigten kaiſerlichen 
Herrlichkeit, wurden die Geſandten ernannt. An a⸗ 
tolius und Nom ius erhielten den, von der 
Zagbaftigkeit eingegebenen, in der Ausführung ſchwe⸗ 
ren Befehl, von einem barbarlſchen Koͤnige fuͤr den 
Herrn des Orients Gnade und Verzeihung zu erfle⸗ 
hen. Mit reichlichen Geſchenken und Geldſummen 
verſehen, und was mehr wirkte als alles, von ih⸗ 
rem eigenen Verdienſte unterſtuͤtzt, übernahmen fie 
das verfaͤngliche Geſchaͤft. 

Attila, von ihrer Ankunft unterrichtet, erleich⸗ 
terte ihnen entgegenkommend die Laſten einer laug— 
wierigen Reiſe. An dem Dreucon wurden die Unter⸗ 
handlungen eroͤffnet; ein ſtuͤrmiſcher Anfang ſetzte den 
Roͤmern die aus ſicht auf einen gluͤcklichen Erfolg weis 
ter hinaus. Atti la bezeigte ſich in feinen Aeuſſerungen 
ſtolz, in ſeinen Forderungen feſt, in ſeinen Drohungen 


— 1382 — 


entſchloſſen. Sie mußten ihm zugeben, daß ſelbſt 
dem oͤſtlichen Reiche ein wichtiger Dienſt geleiſtet 
würde; wenn Chryſaphius feine Laſter und 
Greuelthaten unter dem Schwerte der Hunnen buͤß⸗ 
te. Erſt die Geſchenke des Kaiſers und ſeines Lieb⸗ 
lings; erſt die wiederhohlten Vorſtellungen, daß 
Tbeodoſius an dem Eunuchen zwar einen leicht⸗ 
finnigen Rathgeber, damit aber auch einen ihm theu⸗ 


ern Freund verlieren würde, daß dieſer der lange 


verdienten Strafe om Ende doch nicht entgehen wär: 
de, milderten Attila's angenommene Haͤr⸗ 
te: er ſprach Verzeihung über Chryſaphius. 
Ihre Beredſamkeit, feine perſoͤnliche Achtung für 
Anatolius, feine ſiegende Großmuth und Menſch⸗ 
lichkeit bewogen ihn zu noch groͤſſeren Aufepferungen. | 
Er beſtaͤtigte und unterzeichnete den letzten Friedens. 
ſchluß und verſprach eidlich, den Kaiſer der Ueber⸗ 
laͤufer wegen nicht mehr zu beunruhigen. Er that 
noch mehr, als wan ſich bey Hofe je getraut haͤtte 


| zu verlangen: frehwilli ig begab er ſich aller Rechte und 


Anſprüͤche auf den Strich Landes, den ihm Theo⸗ 
doſius, von den Waffen der Hunnen gezwungen, 
von Illyrien, Möften und Thracien abgetreten bat: 
te. Bigilas ward fuͤr das Loͤſegeld den Geſand⸗ 
ten ausgeliefert; eine groſſe Anzahl roͤmiſcher Kriegs: 
gefangenen, die zu den Ihrigen heimzukehren wuͤnſch⸗ 
ten, ward ohne Loskaufung frey gelaſſen und zur Be⸗ 
gleitung der kaiſerlichen Machthaber eilend herbeyge⸗ 
fuͤhrt. Anatolius und Nomius erhielten die 
ſprechendſten Beweiſe feiner Hoch ſchaͤtung, und unter 


den aufrichtigſten Friedens und Freundſchaftsver⸗ 
ſicherungen wurden ſie von ihm entlaſſen. 

So hatte ſich Atti la in der Fülle feiner Ge: 
walt geraͤchet. — Wenn in der ganzen Natur 
kein wirklicher Widerfpruh Statt findet, wenn 
fowohl in der moraliſchen als phyſiſchen Ordnung 
der Dinge der genaueſte Zuſammenhang herrſcht: 
wie mußte der Held der Hunnen ſonſt gedacht, wie 
mußte der Mann ſonſt gehandelt haben, wenn ihm 
gerade die Schwere der erlittenen Beleidigung der 
erſte Beweggrund zur Verzeihung, der maͤchtigſte 
Antrieb zur Wohlthaͤtigkeit ward; wenn man ihn 
zur unverſoͤhnlichſten Rache aufreizen mußte, um 
einen dauerhaften Frieden und die groß muͤthigſten 
Aufopferungen von ihm zu erlangen. 


Aber nicht lange genoß Theodoſius die 
Früchte des Hunniſchen Edelmuths; nicht lange uͤber⸗ 
lebte er die letzte Schande, womit er die Graͤuel 
ſeiner Vaͤter auf dem Throne vermehrt hatte: ein 
ungluͤcklicher Sturz von ſeinem Pferde machte ſei⸗ 
ner gehaͤuchelten Froͤmmigkeit, ſeiner ſchimpflichen 
Knechtſchaft, ſeinem werthloſen Daſeyn ein Ende. 
Seine Schweſter Pulcheria ward einhaͤllig zur 
Kaiſerinn ausgerufen. Zum erſten Mahle beſaß ein 
Weib durch freywillige Wahl und Anerkennung des 
Reiches die Herrſchaft des Orients. Durch die all⸗ 
gemeine Stimme aufgefordert, ohne weiter Rechts⸗ 
form ließ fie den Berführer Chryſaphius vor 


den Thoreu des Pallaſtes enthaupten; und die 
Menſchheit hatte einen Wuͤrger, der Orient einen 
Helden des Laſters weniger. Um ſich ruhiger den 
Uebungen der Gottſeligkeit weihen zu koͤnnen, bot 
ſie ihre Hand, den Purpur und die Regentenpflich⸗ 
ten einem Manne an, der zu dem erſten Verdien⸗ 
fie, zur Erfüllung der letztern Muth und Kraͤfte 
genug hatte. In Thracien geboren, in der Armuth 
und in den Waffen erzogen, war Marcian us zu 
raſtloſer Thaͤtigkeit abgehaͤrtet und aller Launen des 
wechſelnden Glückes gewöhnt. Die durch Thaten 
verdiente Gunſt des Aſpars und Ardaburius 
hatte ihn zu dem Range eines Tribuns und Sena⸗ 
tors verholfen; ſein wohlgeordneter Lebenswandel 
hatte ihn der Schweſter des Kaiſers ſchaͤtzbar zes 
macht, ſeine Maͤſſigung und Beſcheidenheit ihn ge⸗ 
gen ihre unheilige Eiferſucht auf ihren Einfluß in 
die Regierung ſicher geſetzt. Lange genug war er 
Augenzeuge der Uebel und Mißbraͤuche der vorigen 
Staatsverwaltung; er bot alle ſeine Kraͤfte auf, 
um Sitten, Ordnung und Gerechtigkeit wieder her⸗ 
zuſtellen und die Leiden des Volkes zu vermindern. 
Die Reinigung des Pallaſtes von Eunuchen, Klein⸗ 
geiſtern, Muͤſſiggaͤngern und Haͤuchlern erweckte in 
den Gemüthern der wenigen Guten beſſere Hoffnun⸗ 
gen; ſeine eigenen Beyſpiele des Fleißes, der Spar⸗ 
ſamkeit, der Eingezo genheit und Rechtſchaffenheit 
gaben ſeinen Geſetzen Würde; aber der Geiſt des 
Zeitalters erſtickte ihre Kraft: ſie wirkten bisweiles 


1 


—— 185 — 


Gutes, hinderten einzelne Verbrechen; ihr Einfluß 
auf das Ganze blieb unbemerkbar. 

Marcians feſteſter Grundſatz war, den 
Krieg zu vermeiden, ſo lange er mit Ehren der 
Vortheile des Friedens genieſſen konnte; aber mit 

Entſchloſſenheit das Loos der Waffen zu wagen, ſo⸗ 
bald der uͤbermuͤthige Feind Furcht und Verzagt⸗ 
heit entdeckt zu haben glaubte, wo nur die behut⸗ 
ſam ſchreitende Staatsklugheit handelte. Der Mann, 
der ſo dachte, mußte entweder mit Attila ſich 
ſchlagen und unterliegen, oder feine feſten, männe 
lichen Geſinnungen mußten dem Helden der Huns 
nen Achtung einflöffen und ihn zur Schonung bes 
wegen. | 


— — 


Attila ſaͤumte nicht, das Gewicht und den 
Gehalt des neuen Kaiſers zu prüfen. Er ſchickte 
feine Bevollmächtigten hin, um den am Dreucon 
geſchloſſenen Frieden zu befeſtigen, und den jaͤhr⸗ 
lichen Tribus einzufordern. Kühn und vermeſſen 
war ihre Anrede an Marcianusz; fo forderte es 
die Abſicht des Senders. Das Beleidigende der 
Anrede war Aufforderung zu einer entſcheidenden 
Erklaͤrung, die dem ſcharfſichtigſten Könige das In⸗ 
nere des neuen Regenten in Oſten aufſchlieſſen ſollte. 

„Attila unſer König und dein Herr, — 
ſprachen fie, — gebiethet dir durch uns, den Fries 
den zu unterzeichnen, den er deinem Vorgänger ver— 
liehen, und die Sicherhelt deiner Herrſchaft mit 


dem Tribute zu erkaufen, den er unabänderfid fefte 
geſetzt hat.“ 

„Die Zeiten find vorüber, — verſetzte Mars 
ei anus, — in welchen man die Kaiſerliche Wuͤr⸗ 
de unhiſtraft laͤſtern konnte. Verſichert euerm Koͤ⸗ 
nige, meinem Freunde, daß ich die Treue und 
Friedfertigkeit meiner Bundesgenoſſen mit Vergnuͤ⸗ 
gen belohne, fo lange fie um die verdienten Ge 
ſchenke und Hülfsgelder mit Beſcheidenheit anhal⸗ 
ten; daß ich aber für ungeſtuͤme und dreiſſe For⸗ 
derungen ſtreitbare Maͤnner habe, denen es weder 
an Waffen noch an Herzhaftigkeit fehlt, den Hoch⸗ 
muth meiner Feinde zu zuͤchtigen.“ f 

Die Herzhaftigkeit der Roͤmiſchen Männer, wie 
ſie unter den groſſen Nuinen des alten Heldenvol⸗ 
kes heranwuchſen, war dem Könige der Hunnen 
aus Erfahrung bekannt; er ließ dem Kaiſer melden, 
er ſtaͤnde zum Kampfe bereit. Marciauus ſah 
den, auf eine überwiegende Kriegs macht ſtolzen 
Trotz; Appo llonius zog mit dem Auftrage nach 
Pannonien, die Eintracht zwiſchen Attila und 
dem Reiche herzuſtellen, ohne doch der Würde ſei. 
nes Beherrſchers das Geringſte zu vergeben. Am 
| nördlichen Ufer der Donau erwarteten die Hunnen 
den Friedens mittler, um ihn ohne Hoffnung fuͤr 
den Zweck feiner Geſandtſchaft abzuweiſen. 
„Unſer Koͤnig, — ſprachen ſie, — hat ſeinen 
Willen beſtimmt und eutſcheidend Alma ; Aue | 


Be 


Kaifer bleibt nichts mehr übrig, als albeder fie 


— 187 — 


in Ehren zu halten, oder ſich zu ruͤſten. Uns wirſt 
du die Geſchenke überreichen, die dein Gebiether ſei— 
nem Herrn, unſerm Koͤnige, zugedacht hat; wei⸗ 
gerſt du dich, ſo ſtehſt du vor deinem Grabe.“ 
„Bevor ich hinunterſteige, — verſetzte Up: 
polloniusſmit ruhiger Faſſung, — muß ich noch 
wiſſen, ob Attila die Gaben meines Kaiſers als 
Geſchen ke, die ein Freund dem bringt, annehmen, 
oder als einen Rau b, den unſere und eure Geſetze an 
dem gemeinen Manne beſtrafen, an ſich reiſſen will. 
Ihr werdet feine Groͤſſe beleidigen und feinen Ruhm 
beſchimpfen, wenn ihr euch, ohne feinen Willen vors 
her zu erforſchen, eurer Gewalt über mich bedient.“ 
Nie verfehlte der Mann von feſtem Sinne und 
Gegenwart des Geiſtes bey Attila feine Abſichtz er 
befahl, den Geſandten mit den Kaiſerlſchen Geſchen— 
ken in Frieden abziehen zu laſſen. Ohne Zweifel 
wuͤrde er ihm bald ſelbſt mit der Heeres macht über 
die Donau gefolgt ſeyn, hätten ihm nicht Freund: 
ſchaft und Gerechtigkeit ia der Ferne ein 
Ziel aufgeſteckt, fuͤr deſſen Erreichung er dae Waffen— 
ſpiel mit dem prahlenden und undankbaren Drient 
auf einen ſchicklichern Zeitpunkt hinaus ſetzen mußte. 
Einem gekränkten Weibe, einem in Ge 
fahr ſchwebenden Bundes genoſſen, eis 
nem verfolgten Fuͤrſtenſohne beyzuſtehen, 
ſchien ihm jetzt feiner wuͤrdiger, als Rechte und 
Anſprüche zu verfechten, deren Rechtmaͤſſigkeit über 
Marciauus hochgeſpannten Eigenſinn ohne wirk⸗ 
ſamen Widerſtand gefiegt hatte. 


— 


1 


— 188 — 


In einem duͤſtern Winkel Italfens ſeufzte H o⸗ 
noria, Valentinians Schſheſter, nach ihrem 
Retter. Von dem Geiſte des Conſtantius, ihres 
Vaters, belebt, hatte ſie alle Eigenſchaften, die ih. 
rer Mutter zur Regentin, ihrem Bruder zum Man⸗ 
ne fehlten. Scharfſinn, Klugheit, Großmuth und i 
maͤnnliche Entſchloſſenheit erhoͤheten den Werth und 
die Macht der Reize, die ſie von der Natur im 
reichlichſten Maſſe empfangen hatte. Placid ia, 
der es ſchon gelungen war, ihren Sohn in feiner 
zarteſten Jugend zu entnerven und alle Antriebe zu 
vernünftiger Thaͤtigkeit in ihm zu unterdruͤcken, ſah 


noch in ihrer Tochter ein Weſen, das ſie ihrer 


Herrſchbegierde und Eiferſucht zum Opfer darbrin⸗ 
gen mußte. Honoria ward zum eheloſen Stan⸗ 
de verdammt, weil fie den Mann ihres Herzens 
ſelbſt wurde gewaͤhlt haben, weil man fuͤrchtete, ih: 
re Wahl koͤnnte einen Würdigen treffen, dem die 
Regentin ihre ſchlecht verwaltete Herrſchaft wuͤrde 
abtreten muͤſſen. Der Rang und der Titel Aug u⸗ 
ſta war das erſte Zwaugsmittel, das fie von je⸗ 
der andern Verbindung als einer Kaiſerlichen zu⸗ 
ruckhalten mußte; war der traurige Erſatz, der ihr 
das Gefuͤhl ihrer Leiden unter dem Drucke Par 
grauſamen Mutter mildern ſollte. | 

Bald hatte Honoria Beweggründe genug, 
die laͤſtige Groͤſſe des Hofes, wo keine Freuden 
des Lebens für fie glaͤnzten, zu verabſcheuen. Der 
einfoͤrmige, geſchmackloſe Pomp hatte weder die Be⸗ 
duͤrfniſſe ihres gebildeten Geiſtes, noch die Wuͤn⸗ 


— 189 —— 


ſche ihres höher ſtrebenden Herzens befriediget, in 
der Liebe ihres Kaͤmmerers Eugen ius hatte ſie 
ihrem Schickſale getrotzt; aber Placid i a's wach⸗ 
ſames Auge hatte das gefaͤhrliche Verſtaͤndniß zu 
rechter Zeit noch entdeckt. Der Troͤſter der ungluͤck⸗ 
lichen Honoria war verſchwunden, ſie in das 
Kaiſerliche Bethhaus nach Bizanz verbannt wor⸗ 
den. Dort hatte fie Attila's Nahmen mit Ent⸗ 
ſetzen nennen, ſeine Thaten mit Beſtuͤrzung erzaͤhlen 
gehört; der Koͤnig der Hunnen war der letzte Strahl 
ihrer Hoffnungen. 

Kurz vor Theodoſius Hintritte hatte fie 
durch einen Eunuchen, den Vertrauten ihrer Leiden, 
dem Helden einen Ring geſandt, ihn zur Huͤlfe aufs 
gefordert, und ihm mit ihrer Hand auch ihre Rech⸗ 
te und Anfprüche auf einen Theil des weſtlichen 
Reiches angebothen. Der Schritt war ſchon ge⸗ 
wagt, als er verrathen wurde. Honoria mußte 
tilend nach Italien zuruck, wo fie dem Scheine nach 
vermählt, und gleich darauf in einem harten Ge» 
faͤngniſſe den Augen und der Hülfe der Menſchen 
entriſſen ward. 

Erwuͤnſcht kam dem Ben der Hunnen der 
Beruf, eine Unglückliche von ihren Leiden zu be. 
freyen und den Lohn dafur, entweder in der Er» 
weiterung feiner Herrſchaft, oder in der Ausfühe 
rung feiner feindfeligen Anſchlaͤge gegen die We: 
roͤmer zu empfangen. Gleich nach dem Friedens» 
ſchluſſe mit dem oͤſtlichen Kaiſerthume hatte er dem 
Hofe zu Ravenna feine Verbindung mit[Honortg 


— 


mm 190 — 


bekannt gemacht, 108 die Auslieferung ſeiner Ver⸗ 
lobten, ſo wie die Abtretung der Provinzen, die 
ihr als Erbtheil gebührten,, verlangt. Jetzt waren 
feine Machthaber aus Italien angelangt. Der Yes 
ſcheid, die Schweſter des Kaiſers wäre ſchon an ci» 
nen Andern vermaͤhlt, und das weibliche Geſchlecht 
hatte bey den Roͤmern weder auf den Kaiſerthron 
noch auf einzelne Provinzen des Reiches geſetzmaͤßi⸗ 
ge Anſpruͤche, entflammte in ihm den Entſchluß, 
aufzubrechen und mit groͤßter enn eee 
zu edge, \ 

Indeſſen, fo wenig Attila ſonſt * geneigt 
war, ſeinen Willen, war er einmahl zu einem für 
rechtmaͤſſig erkannten Ziele gerichtet, der Herrſchaft 
der Umſtaͤnde zu unterwerfen, oder den Reizen groͤße⸗ 
rer Vortheile binzugeben: ſo bereitwillig folgte er 
doch jetzt der Aufforderung, ſeinen Lieblingsplan 
der Erhaltung ſeines Freundes nachzuſetzen. Das 
Reich der Weſtaothen in Galliens fadlichen Provinz - 
zen hatte all maͤhlig Kraft und Feſtigkejt erlangt. 
Ihr Gluck im Kriege und ihre Staatsklugheit im 
Frieden beſchaͤftigte des Aetius ganze Thätigkeit. 
Trotz derſelben ſtrebte Theoderiſch, Alarichs 
Sohn und Erbe des Thrones, feine Befisungen zu 
erweitern. Nachdem er ſich auf beyden Seiten der 
pyprenden ausgebreitet hatte, warf er das Loos über 
Arles, die Hauptſtadt des Roͤmiſchen Galliens, und 
den Mittelpunkt des Handels, der Reichthuͤmer des 
Wohlſtandes. Mit Verluſt ward er von Aetius 
zurückgetriebenz aber gluͤcklicher erneuerte er ſeinen 


— 1 —. 


Verſuch, als die Fortſchritte eines Burgundiſchen 
Stammes in Belgien den Roͤmiſchrn Heerführer 
zwangen, Gallien ſeinem Schickſale zu uͤberlaſſen. 
Theoderich belagerte Narbonne; aber der Ruf 
von dem groffen Siege des Aetius über die Bur⸗ 
gunder bewog ihn, von den erſchütterten Mauern 
der Stadt abzuziehen. Littorius, dem von dem 
Patricier die Vertheidigung der Provinz uͤbertragen 
wer, verfolgte den Koͤnig bis in ſeine Hauptſtadt 
Tholoſa. Dort ward ihm von den Gothen eine 
Schlacht angebothen. Voll der Begierde, den Ruhm 
ſeines Oberfeldherrn zu verdunkeln, wagte er den 
entſcheidenden Kampf und verlor ſeine Maunſchaft, 
feine Ehre, feine Freyheit, fein Leben. Ohne Wis 
derſtand wuͤrden jetzt die ſiegenden Gothen bis an 
den Rhodanus vorgedrungen ſeyn, hätte nicht A ca 
tius bey feiner Rückkehr der Macht der Umſtaͤnde 
nachgegeben und ſich mit Eüred erich. aus- 
eafahapr No — 

Noch immer naͤhrte der ſtaats kluge Wale 
die Hoffnung, durch den Arm der Weſtgothen die 
Barbaren in Spanien und Afrika zu bezwingen; 
ſie war geſchwaͤcht, als ſich Geiſerichs Sohn 
mit einer Tochter des Herrn der Weſtgothen ver— 
maͤhlt hatte; ſie waͤre vernichtet worden, haͤtte der 
Verdacht und die Grauſamkeit des Königs der Van— 
dalen dieſe Verbindung nicht bald wieder getrennt. 
Auf die wahre oder erdichtete Befhuldigung , feine 
Schwiegertochter hätte ihn vergiften wollen, ließ 
ihr Geiſer ich Naſe und Ohren abſchneiden und 


die verſtuͤmmelte Koͤnigstochter den Weſtgothen zu⸗ 
ruͤckfuͤhren; und nun durfte Aetius wieder '« 
die Freundſchaft des Rache athmenden Theod 
richs rechnen. Gereitzt von der Ausſicht auf die 
Vortheile, welche dem weſtlichen Reiche aus den 
Uneinigkeiten der Barbariſchen Könige entfpringen 
koͤnnten, verſprach er dem Bele idigten Geld, 
Waffen und Kriegsſchiffe. Doch ſicher ſtand Get: 
ſerich in der Zuverſicht auf Attila' s Macht; er 
rufte ſie auf, und die Willfaͤhrigkeit des Hunniſchen 
Helden, in Gallien einzufallen, noͤthigte die Römer 
und Gothen, auf ihre eigene Erhaltung ded acht 
zu ſeyn. 

Die Eröſtreitigkeiten der Soͤbne 61 odio we; 
des Königs einiger Fraͤnkiſchen Stämme, befoͤrder⸗ 
ten die Ausführung feines Entſchluſſes. Der jüns 
gere floh nach Italien, und nannte ſich den Herrn 
der Franken, weil ihm mit dem unfruchtbaren 
Gluͤcke der Roͤmiſchen Schutzgenoſſenſchaft noch die 
Ehre zu Theil ward, von Aetius an Sohnesſtatt 
angenommen zu werden. In feiner Abweſenheit 
behauptete ſich Chlodeb aud, der aͤltere, dies⸗ 
und jenſeits des Rheines in einigen Gauen des vaͤ⸗ 
ꝛerlichen Reiches; doch unfähig mit eigener Kraft 
den Stab zu zerbrechen, an den fein Bruder ſich 
ſtuͤtzte, flehte er zu dem Könige der Hunnen um 
Schutz und Vertheidigung ſeiner gerechten Sache. 
Mit Vergnuͤgen nahm Attila eln Buͤndniß an⸗ 
welches ihm den Uebergang über den Rhein erleich⸗ 
terte, welches ſeinen Voͤlkern zum Antriebe der Ta⸗ 

pferu 


\ 


— 193 — 8 
pferkeit und zu einem Zeugniſſe diente, wie hoch feine & 
i in allen Weltgegenden geſchaͤtzt würde. 

Dieß waren die duſſern Umſtaͤnde, die ſeine 
Gründe der Unzufriedenheit über Marci an 2 
wogen; doch ſtaͤrker noch als dieſe, wirkten auf ihn 
dle innern Antriebe, die aus feiner eigenthümlichen 
Gemüthsbeſchaffenheit herkamen. Im Orient hat⸗ 
te er keinen Feind, der ihm gewachſen war; keine 
Schwierigkelten und Gefahren, deren Ueberwin— 
dung feinen Gefühlen Schwung, feinem Selbſtbe⸗ 
wußtſeyn Erhöhung, feinem Herzen Befriedigung 
gewährt hätte, Dieß alles erwartete er mit Ge⸗ 
wißheit im Oceident. Sein Angriff auf die Weſt⸗ 
gothen mußte alle Barbaren, die mit ihnen ver miſcht, 
oder von ihnen unabhaͤngig, Belgien, Gallien und 
Spanien bewohuten, zu den Waffen wider ihn 
aufſchrecken. Die Weſtroͤmer mochten ſich für die 
Barbaren erklaͤren, oder fie ihren eigenen Kräften 
üͤberlaſſen, immer ſah er den folgenrelchſten Gewinn 
auf ſeiner Seite; einen Gewinn, den er nur mit 
der größten Anfrengung an ſich reiſſen konnte, zu 
dem ihm jede Annäherung ſtreitig gemacht werden 
mußte. Gewoͤhnt, auch die gluͤcklichſten Erfolge 
nicht nach ihrem Werthe, ſondern nach dem Grade 
ſeiner Mitwirkung zu berechnen, mußte er dort 
nothwendig mehr Nahrung für feinen Stolz und 
Heldenmuth finden, wo ihm höhere Begeiſterung 
nur aus der Quelle großer Ereigniſſe und heftiger 
Erſchütterungen hervorſtroͤmte. 


N 


— 194 — 


Voll der Verachtung gegen den Menſchen des 
Oſten, der den verlornen Werth ſeines Daſeyus 
zund die Strafe feiner Verworfenheit mit Golde be; 
zahlte, verglich er noch den feſt beſchloſſenen Ueber⸗ 
fall Galliens mit den Entwuͤrfen ſeines Haſſes ge⸗ 
gen die Weſtroͤmer. Mit innigſter Zufriedenheit 
entdeckte er, daß durch den erſten nur die gewalti⸗ 
gen Unternehmungen vorbereitet wurden, die er zur 
Befriedigung des letztern ſeit einer langen Keihe 
von Jahren im Sinne gefuͤhrt hatte. Leicht ſchien 
es ihm, die Roͤmiſche Herrſchaft in Italien zu un» 
terwuͤhlen, wenn er entweder die duͤrftigen Reſte 
ihrer Macht in den Provinzen vernichtet, oder die 
Kräfte ihrer Huͤlfsvoͤlker und eee uͤber⸗ 
waͤltiget haͤtte. 

Sein Eifer für alles, was ihm gerecht ſchien, 
drückte ſeinem entſchiedenen Vorhaben das Siegel 
der Rechtmaͤſſigkeit auf. Nicht die Begierde, ſich 
und feine Voͤlker zu bereichern, welche die fortge» 
ſetzten Aengſtigungen des Orients im Ueberfluſſe und 
mit weniger Gefahren geſaͤttiget haͤtten; ſondern 
die Unterſtuͤtzung ſeines hochgeſchaͤtzten Freundes, 
die Erhaltung eines mächtigen Feindes der Römer, 
die Vertheidigung eines an dem Rechte der Erſtge⸗ 
burt gekraͤnkten Fuͤrſtenſohnes hatten ihn beſtimmt, 
die Staͤrke ſeines Armes an dem Oceident zu ver⸗ 
ſuchen. Geiſer ich hatte ſich ohne Zweifel vor 
dem Richterſtuhle der Biſchoͤfe und Moͤnche groſſer 
und unverzeihlicher Verbrechen ſchuldig gemacht; er 
veguͤnſtigte die Arianer, verfolgte die Nicaͤner, plün- 


— 195 — 


derte die Freyſtaͤtten ihres Muͤſſigganges und ſteuer⸗ 
te feinen Kriegsbeduͤrfuiſſen von den geraubten Reich: 
thuͤmern ihrer Tempel: aber alle dieſe Graͤueltha— 
ten waren dem Könige der Hunnen entweder wirk⸗ 
lich oder gefliſſentlich unbekannt; er ſah in ihm nur 
den tapfern, unteruehmenden Freund, der jetzt feines 
Beyſtandes beduͤrftig war. Unbekuͤmmert um die 
Meinungen, Irrthuͤmer und Spißfindigkeiten, die 
der Vandalenkoͤnig ſeinen unterjochten Voͤlkern und 
Städten zu glauben befahl oder verboth, ſchaͤtzte 
Atti la in ihm nur die auſſerordentlichen Geiſtes⸗ 
kraͤfte, die ihm ſelbſt feine, vom Wachen nnd Fa⸗ 
ſten ausgemergelten, Feinde nicht abſprechen konn⸗ 
ten. Er wog nur das groffe Gewicht dieſes Man⸗ 
nes über den frelenlofen Haufen ſeitſer Römiſchen 
Zeitgenoſſen, deren gaͤnzliche Unterjochung, fie moͤch⸗ 
te durch ihn oder durch Geiſerich vollendet wer⸗ 
den, Attila's heiſſeſter Wunſch war. Das ge⸗ 
haͤſſige Ideal von dem Menſchen überhaupt, das 
ſich auf dem Wege feiner Bildung unausl!oſchlich in 
ſeiner Seele feſtgeſetzt hatte; die in ſeiner fruͤheſten 
Jugend aufgefaßten empoͤrenden Eindruͤcke von der 
Nichts wuͤrdigkeit der Neuroͤmer, die durch zahlloſe 
Erfahrungen waren verſtaͤrkt worden; das maͤchti— 
ge, durch den Anſchlag auf ſein Leben aufgeregte 
ſompatheciſche Gefühl für alle Opfer, welche die 
Roͤmiſche Feigheit oder Treuloſigkeit jemahls ge 
ſchlachtet Hatte, verhüllien ihm die Ungerechtigkeit 
ſeines Wunſches, und die Unlauterkeit des Ur: 
ſprunges, aus dem er gefloſſen war. Ohne Zwei 
N 2 


fel hatte der Bandalenkönig Theoderichs Rache 
durch die Ver guͤmmelung feiner Tochter verdient; 
aber Attila hielt es nicht für Pflicht die gehels 
men Urfachen zu unterſuchen, die feinen Freund zu 
dieſer Grauſamkeit vermocht hatten: zum Helfer, 
1 icht zum Schiedsrichter war er berufen worden. 
Die Römer glaubten, Clodious jüngerm Sohne 
ihren Schutz gegen feinen Bruder mit Recht ange: 
deihen zu laſſen; aber gerade dieß beſtimmte den 
Koͤnig der Hunnen, das Gegentheil zu glauben; 
unfaͤhig der Erkenntniß und der Achtung des Rechts 
hielt er ein Volk, das zur Behauptung ſeiner eige⸗ 
nen Rechte weder Herz noch Spannkraft mehr hatte. 
Er fah auf der Wagſchale der Gerechtigkeit das volle 

Gewicht ſeiner Anſchlaͤge und Beweggründe ; getrie⸗ 
ben von dem gewaltigſten Drange, ruͤſtete er ſich 


zur Vollſtreckung. 


An dem Ufer der Save ſtanden die Heerſcha⸗ 
ren verſammelt, noch ungewiß, ob ſie das Macht⸗ 
wort ihres Helden nach Thracien um den verweiger⸗ 
ten Tribut, oder nach Italien zu Honoria's 
Befreyung ſenden würde. Aetius erwartete das 
letztere; darum zog er an die Juliſchen Alpen, um 
den Hunnen den Uebergang zu verwehren“). Ju⸗ 


) Sidon Apoll in. Paneg. Avit. v. 328. Al 
tila, der den Weſtrömern mit euer und Schwer 


— 197 — 


deſſen waren auch die Marcomannen, Quaden, 
Sveven, Thuͤringer, Heruler, Seyrrer und Rugier 
mit den übrigen Volksſtaͤmmen aus Norden und 
Oſten auf ihres Oberherrn Befehl au dem noͤrdli— 
chen Ufer der Donau angelangt. Unter Attila's 
Zeichen brachen fie auf und ſetzten laͤngs dem Stro— 
me ihren Marſch bis an die Mündung des Leches 
fort, wo ſie den Koͤnig erwarten ſollten. An der 
Spitze der Hunnen, Gepiden, Oſtgothen und eini⸗ 
ger Horden Alanen zog Attila, von feinen Ges 
treuen Ardar ich, Valamirund deſſen Brüdern 
begleitet, durch Noricum und Rhaͤtien. Das Ges 
feg der Ordnung und Zucht, welches er feinen Scha⸗ 
ren au Paunoniens Grenzen unter den furchtbarſten 
Drohungen verkündiget hatte, ſicherte die Ruhe 
der Städte und das Elgenthum ihrer Einwohner ). 


r —— 


te gedroht hatte, im Falle fie ihm feine Verlob⸗ 
te nicht auslieferten, hielt es fuͤr unnoͤthig, ſie 
von feinem Einfalle in Gallien vorläufig zu be- 
nachrichtigen. Noch viel weniger hatte Aetius 
dieſen Einfall lange vorausgeſehen; denn unfaͤhig 
war er der Thorheit, die Juliſchen Alpen zu be— 
ſetzen, wo er nach dieſer Vorausſetzung keinen 
Feind fuͤrchtete, und den Weg über den Rhein 
nach Gallien ohne Vertheidigung zu laſſen 

) Parcens civitatibus Getmaniae et Galliae. Id a- 
tius. Chron. — Roricums und Rhaͤtiens Städte 
befanden ſich nach Attila's Tode, der einige 
Jahre darauf erfolgte, groͤßtentheils in dem bluͤ— 
hendſten Wohlſtande. Eugippius in vita S. Severini, 


N A oe 


An dem Aus fluſſe des Leches ſetzte er über die Do- 
nau, um ſich mit ſeinen deutſchen Voͤlkern zu ver⸗ 
einigen. Schon hatten dieſe im Harzwalde eine 
beträchtliche Anzahl Nachen gezimmert, die auf 
Karren vor dem Heere an den Rhein geführt wur⸗ 
den. Die Franken und Bructerer, Anwohner des 
Nekars, die ihrem rechtmaͤſſigen Fuͤrſten Chlo⸗ 
debaud treu geblieben waren, verſtaͤrkten At ti⸗ 
la's Kriegsmacht, die jetzt ſieben hundert tauſend 
Mann ſtark, trotz dem Widerſtande Gundicars 
und Sigismunds, zwey Burgundiſcher Fürs 
fien “), den freyen Uebergang uͤber den Rhein ſich 
erfochten hatte. 

Aetius, durch Attila's Bewegungen hin. 
tergangen, eilte nach Gallien, um die Umſtaͤnde 
felbſt zur Vertheldigung der Provinz fo viel moͤglich 
zu benutzen. An Zahl und Kräften ſchwach war 
die Mannſchaft, die ihm folgte; durch den Bey: 
tritt der Gothen hoffte er ſie zu vermehren. Doch 
bald ſah er ſich in feinen Erwartungen getaͤuſcht: 
The oder ich hatte beſchloſſen, auf ſeinem eigenen 
Gebiethe den Feind zu erwarten, und unbekuͤmmert 
um den Roͤmiſchen Antheil, nur ſein Reſch zu ver: 
theidigen. Nun bot Aetius alles Erdenkliche auf, 


[2 
u Freut! DEP 7 N Bu 


* 


2 ne ttila primo impetu mox ut Gallias ingressus 

„ Gundicarium Burgundionum regem sibi 

BE protrivit. Paulus Diacon, L. XV. 
p. 364 — Aventunis Annal. Boie. Lib. II. 


den gefahrvollen Eigenſinn des Königs der Weſt⸗ 
gothen zu beugen und ihn zur Vereinigung feiner 
Kriegsvoͤlker mit den Römern zu vermögen. 
Den erſten vergeblichen Verſuch machte eine 
Geſand tſchaft, die mit einem Kaiſerlichen Send⸗ 
ſchreiben von Ravenna an den Beherrſcher der Go— 
then abgeordnet wurde. Valentini an wollte 
dem Barbaren beweiſen: die Klugheit fordere es, 
ſich mit den Römern wider einen Tyrannen zu vers 
binden, der ſich die ganze Welt dienſtbar zu ma⸗ 
chen trachtete. Hätte er auch des Unrechts vers 
geſſen, welches ſeine Vaͤter von den Hunnen einſt 
erdulden mußten, ſo waͤre es jetzt doch Pflicht für 
ihn, zur Rettung des Reiches mitzuwirken, von 
welchem er einen fo anſehulichen Theil beherrſchte. 
Theoderich ſchien ſich von dieſer Pflicht und 
Vorſchrift der Klugheit, ſofern fie die Gemeinſchaft, 
der Waffen mit den Römern zum Zwecke hatte, nicht 
fo leicht überzeugen zu koͤnnen. 
„Roͤmer, — erwiederte er den Geſandten des 
Kaiſers, — euer Wunſch iſt erfuͤllt, auch uns habt 
ihr Attila zum Feinde gemacht. Wir werden uns 
ſtellen, wo er uns auffordern wird *).“ 


5) Prudentiae vestrae est, fortissime gentium, adver- 
zus orbis conspirare tyrannum, qui optat mundi 
generale habere servitium; qui causas proeli non 
requirit: sed quidquid commisserit,hoc putat esse 
legitimum. Ambitum suum brachio metitur, su- 
perbia licentiam satiat; qui jus fasque contemnens 


— 200 — 


Naͤher feinem Ziele brachte den Patricier ein 
Kunſtgriff, den ſein Scharfſtun in den Armen der 


hostem se exhibet naturae cunctorum. Ete nim 
meretur hie odium, qui in commune omnium se 
approbat inimicum. Recordamini quaeso, quod 
certe non potest oblivisci. Ab Hunnis casus est 
fusus: sed quod graviter agit insidiis agit appeti- 
tum. Unde ut de nobis taceamus, potestis hanc, 
inulti ferre superbiam? Armorum potentes fave · 
te propriis doloribus et communes jungite manus. 
Auxiliamini etiam reipublicae, cujus membrum 
tenetis. Quam sit autem nobis expetenda vel am 
plexanda societas, hostis interrogate consilia, Jo r 
nandes de reb. Goth. c. XXXVI. —. Wenn es 
wahr iſt, was der verdächtige Biſchoff von Naben⸗ 
na vorausſchickt, und was feine Altern und neuern 

Ä uncritiſchen Nachſchreiber als Wahrheit verkau⸗ 
fen: Attila legatos in Italiam ad Valentinia- 
num — — misit, serens Gothorum Romanorum- 
que discordiam, ut quos proelio non poterat con- 
cutere, odiis interuis eli deret: adserens se eius, 
amicitias in nullo violare; sed contra Theodori- 
cum — — sibi esse certamen, unde eum excipi 11 
benter optaret. Caetera epistolae usitatis saluta- 
tionum blandimentis oppleverat,. studens fidem 
adhibere mendacio. Pari etiam modo ad regem 
— — Theodoricum ditigit seriptum, hortans, ut 
2 Rome norum societate discederet recoleretque 
proelia, quae paulo ante contra eum fuerant con- 
eitata sub nimia feritate. Wenn Attila dies 
wirklich gethan hat, was war die Urſache, daß 
Valentinian oder ſein Geheimſchreiber unter 


Gefahr erzeugt hatte. Auf fein dringendes Bitten 
begab ſich Avitus, ein maͤchtiger Gallier und The⸗ 


—— 


den Beweggruͤnden, die den Koͤnig der Weſtgo— 


hen zur Gemeinſchaft der Waffen mit den Ro- 


mern heſtimmen ſollten, gerade den ſtaͤrkſten, At— 
til a's feind ſelige Anſchlaͤge wider ihn, unbenutzt 
ließ? Was konnte den Koͤnig nach der Aufhellung 
dieſes hinterliſtigen Streiches von Seiten Atti⸗ 
la's noch zuruͤckhalten, ſtatt zu erwarten, wo ihn 
der Feind angreifen würde, ihm mit Aetius ent⸗ 


gegen zu eilen und ihm zu zeigen, daß er ſich nicht 
ungeraͤchet beluͤgen ließ? Wenn es wahr iſt, daß 
Attila gegen die Gothen Freundſchaft haͤu⸗ 
chelnd, durch ſeine Geſandten in Gallien betheu⸗ 
erte, feine Abſichten wären nur wider die Nömer 
gerichtet, und um die Freundſchaft der Roͤmer zu 


erhalten, in Ravenna verſicherte, er wollte nur 
ihre und ſeine Feinde, die Gothen bekriegen; 
(Paul. Diacon. Lib. XV.) wenn er dem A e⸗ 
tius wirklich unter der Bedingung, daß man ihn 
von Roͤmiſcher Seite ungeſtoͤrt die Weſtgothen auf— 


reiben laſſe, was der Heerfuͤhrer und Beherrſcher 


. 


des Weſten oft ſo ſehnlich gewünscht hatte, die 


vortheilhafteſten Verheiſſungen zur Wiederherſtel— 
lung der Roͤniſchen Herrſchaft in Gallien mad: 
te; und zu gleicher Zeit dem Könige: der Weſtgo— 
then einen betraͤchtlichen Theil des weſtlichen Kai— 


ſerthumes verſprach, wenn er mit ihm und feinen 
‚Brüdern, den Oſtgothen und Gepiden, gemein— 


ſchaftliche Sache wider die Römer machen woll— 
te; (Blondus Hist. Dec. I. L. II. p. 22.) wenn 


Aetius von Attila's heimtückiſcher Lift wirk⸗ 
lich uͤberzeugt war und mit Gewißheit wußte, daß 


oderichs Freund, mit Anianus, dem Biſcho⸗ 
fe von Aurelianum, nach Tholoſa. Seine Beredt⸗ 
ſamkeit, unterſtuͤtzt von dem Verſprechen des Aeti— 
us, Gallien mit den Weſtgothen zu theilen, wenn 
es ihnen in Verbindung mit ihm gelange, die Hun⸗ 
nen daraus zu verjagen, veränderte den Entſchluß 
des Koͤnigs. Er verſprach die gewuͤnſchte Vereini⸗ 
gung mit den Römern und ruͤſtete feine Streitmaͤn⸗ 
ner zum Aufbruche “). Durch die Thaͤtigkeit der 


der Einfall der Hunnen in Gallien vorzüglich wi⸗ 
der die Römer gerichtet wäte: (Paul, Dia c. I. c.) 
was konnte dieſen klugen, erfahrnen Roͤmer zu eis 
nem Zuge gegen die Juliſchen Alpen verleiten, 
und ihn dort ſo lange feſt halten, bis Attila 
ſchon über den Rhein geſetzt hatte? Und endlich, 
wann hätte Attila die' verfuͤhreriſchen Geſandt⸗ 
ſchaften nach Ravenna und nach Gallien ſenden 
ſollen? Waͤhrend er ſich noch in Pannonien ruͤſte⸗ 
te; oder nachdem er ſich ſchon auf den Marſch be⸗ 
geben hatte? Im erſtern Falle haͤtte er die Fein⸗ 
de nur aufgefordert, ihm an dem Rheinſtrome 
mehr Widerſtand entgegen zu ſetzen; im letztern 
wären. Valentinians Geſandten an Theo⸗ 
derich, gerade ſo wie A etius in Gallien, zu 
ſpaͤt angekommen. So offenbar traͤgt Jor nan⸗ 
des Erzählung von At til a's kleinlicher Hinter⸗ 
liſt das Gepraͤge der Unwahrſcheinlichkeit; das 
Ganze widerſpricht dem Charakter des Helden, 
und den lUmſtaͤnden, welche i in der Erzählung fel 
angegeben find: 


5) Sidon. Apolli n. l. c. Verßlich en mit Ida - 


tii Chronic. 


— 


Weſtgothen von einer groffen Sorge befreyt, faßte 
Aetius den Vorſatz, ſich fo viel möglich neutral 
zu verhalten. Sein Hauptplan, der zweckmaͤſſigſte, 
den er bey der auſſerordentlichen Schwaͤche der Kai⸗ 
ſerlichen Kriegsmacht verfolgen konnte, war: das 
Gluͤck der Barbaren durch ihre eigenen Kräfte zu 
zerſtoͤren. Dahin war ſein Blick geſchaͤrft, als er 
jetzt auch den Koͤnig der Hunnen durch eine Ges 
ſandtſchaft erſuchte, den Ruhm eines Heeres, das 
er über den Rhein geführt hätte, auf den Untergang 
der Weſtgothen zu gründen wofuͤr er ihm die Hälfs 
te von Gallien abtreten wollte *). 


*) Auch hier iſt der gleichzeitige Joͤatius mein 
Sewaͤhrsmann, der im Widerſpruche mit Jor- 
nandes, nach meinen critiſchen Principien, bey⸗ 
nahe immer Recht hat. Selbſt der Abbrevia⸗ 
tor oder Verbeſſerer der Idatianiſchen 
Chronik, deſſen Arbeit den Fragmenten des 
Fredegarius angehaͤngt iſt, ſcheint mir um 
vieles glaubwuͤrdiger, als die mit Fabeln, Maͤr— 
chen und Prahlereyen überhäufte Geſchichte der 
Gothen des Biſchofs von Ravenna. Haͤtte doch 
dieſer, ſtatt das hiſtoriſche Werk des Caſſiodo⸗ 
rus in einen Auszug zu bringen, lieber einen bis 
ſtoriſchen Roman geſchrieben, fo würde vielleicht die 
Geſchichte nicht verloren gegangen ſeyn; und da 
man jetzt den Hiſtoriker Jornandes in die 
fluaſt unendliche Reihe der hiſtoriſchen Ge— 
ſchichtverderber verſetzen muß, würde man 
dem Romandichter nach ſeinem aͤſthetiſchen 
Verdienſte, wie dem Curtius und ſeines Glei⸗ 
chen, Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. 


— 204 — 


Aber bey Attila hatte Let ius ſchon lange 
Achtung und Zutrauen verloren. Die Vorſtellun⸗ 
gen, welche ſeine von ihm ſelbſt erzaͤhlten Raͤnke 
gegen Bonifacius in der Seele des biedern Koͤ⸗ 
nigs einſt hervorgebracht hatten, kamen mit neuer 
Staͤrke in Attilas Bewußtſeyn und weckten das 
lebhafteſte Gefuͤhl der Verachtung gegen den treulo⸗ 
fer Patricier. Die Erſchuͤtterung der weſtgothiſchen 
Herrſchaft war der Endzweck ſeines Heerzuges; oh: 
ne auf die Einladung oder die Verheiſſung des 
Roͤmers zu achten, e we er berg feinem PAR 
duͤnken. 


x Hoͤchſt vortheilhaft fen es . ſich die 
kleinern Fürften der Barbaren in Gallien zu un⸗ 
terwerfen, bevor fie ſich mit Aetius oder Theo: 
derich wider ihn vereinigten. Die Schrecken 
ſeines erſten Ueberfalles erfuhren die Städte 
Treviri, Metis, Divodurum, und der Koͤnig 
eines fraͤnkiſchen Stammes Gibicho, der in 
MWorutatia feinen Wohnſitz halte. Die erſtern 
eutgingen der Verwuͤſtung durch die Bereitwillig⸗ 
keit, mit welcher ſie dem droheaden Helden Rab: 
rungsmittel und Kriegsbeduͤrfniſſe dargebracht hat⸗ 
ten “); der letztere unterwarf ſich der Zinsbarkeit, 


) Nach dem Gregorius Turonenſts ſoll 
Attila Metis in Brand geſteckt, das Volk mit 


leifiete feinem Ueberwinder Heerfolge und gab ihm, 
ſtatt feines unmündigen Sohnes Gunthar, Has 
gan o, einen edeln Franken, zum Buͤrgen feiner 
treuen Ergebeupeit ). 

Daſſelbe Loos hatte Herrich, der König ei— 
nes burgundiſchen Volkes, zu Cabilonum; fein 
Volk mußte ſich unter Attila's Zeichen ſtellen, 
und ſeine Tochter Hildegunde als Geiſſel dem 


der Scharfe des Schwertes getoͤdtet, und die Prie— 
ſter des Herrn in ihren Heiligthuͤmern ermordet 
haben. Nach dem Dia conus Acta 88. M. Au- 
gusti ſollen die Hunnen zu Metis durch wunder- 
volle Strafen der goͤttlichen Allmacht gezwungen 
worden ſeyn, die gefangenen Rechtglaͤubigen aus— 
zuliefern und die Beute fahren zu laſſen; aber der 
Verbeſſerer des Idatius verſichert, Attila 
hatte die Städte Germaniens und l⸗ 
liens verſchont; Jdat ius ſelbſt ſagt nur 
eivitates Plurimae effractae; das heißt: wo man. 
ihn nicht hineinlaſſen wollte, dort drang er mit 
Gewalt ein, welches als eine uralte und heute 
noch in jedem Kriege ubliche Sitte, dem armen 
Attila nicht fo hoch als Verbrechen ſollte ange— 
rechnet werden. Was der Diaconus den Hun⸗ 
nen nachſagt, wird von beſſern Kritikern den Van— 
dalen zugeſchrieben. Hens chenius ad d. VIII. 
Mai,. Sollerius ad d. X. Aug. Chifflet P. 
II. P. 77. 
* Fischer. de prima 8 Attilae, und 
desſelb. Sitten und Gebräuche der Em 


ropa e r. 


— 206 — 


Könige der Hunnen die Treue ihres Vaters ver, 
bürgen. | 

Attila's Unternehmungen zeigten dem Roͤmi⸗ 
ſchen Heerführer zu Arles, wie wenig er von ihm 
zu Erreichung feiner Abſichten zu erwarten hätte. 
Auf günftige Ereigniſſe lauernd, ſuchte er durch den 
Beytritt mehrerer barbariſchen Staͤmme ſeine Mann⸗ 
ſchaft zu vermehren. Die Franken, die dem jüne 
gern Sohne Clodions und feinem Verwandten 
Mero ve anhingen, ordneten ſich unter die Noͤmi⸗ 
ſchen Adler. Ein Theil der Aremoricer, einige 
Horden Sarmaten, Laͤten, Sachſen, Alanen, Breo⸗ 
nen, die an den Rhaͤtiſchen Alpen wohnten, und 
Burgunder, welchen Aetius nach ihrer Nieder⸗ 
lage in dem Gebiethe der Sequaner an dem Dber: 
rhein Wohnplaͤtze angewieſen hatte, eilten herzu, 
zum durch ihre Tapferkeit das ſchimpfliche Unvermoͤ⸗ 
aun Mae Italiſchen Krieger zu erſetzen. Unter die⸗ 
fen zunehmenden Vortheilen. des Patrieiers, die 
Attila's Aufmerkſamkeit nicht entgehen konnten, 
glaubte ſich Alpher, Koͤnig eines Celtiſchen 
Stammes in Aquitanien, ſicher vor dem Sturme, 
der das Gluͤck feiner Nachdarn erſchüttert hatte. 
Um ſo ſchrecklicher war ihm die Erſcheinung des 
Gewaltigen auf ſeinem Gebiethe, der jetzt auch 
von ihm Anerkennung der Hunniſchen Oberherrlich⸗ 
keit, Heerfolge, Tribut und Geiſſeln forderte. Al⸗ 
pher gab ihm feinen Sohn Walther und folgte 
mit ſeiner Lanze dem Gebiether, der ihn nicht, wie 
die alten Voͤlkerbezwinger, zur Sklaverey, ſondern 


— 207 — 


zu Thaten, die des en Mannes würdig wa⸗ 
ren, gerufen hatte. 


Der Zeitpunct war nun erſchienen, in wel: 
chem Attila etwas Entſcheidendes unternehmen 
mußte. Seine Streitvoͤlker waͤlzten ſich gegen Au⸗ 
relianum, deſſen Vertheidigung die Roͤmer dem Koͤ— 
nige der Alanen Sangiban überlaſſen hatten. 
Heimlich war dieſer mit dem Helden der Hunnen 
in Unterhandlungen getreten; er hatte ihm die Stadt 
zu überliefern verſprochen, wenn er den Alanen, 
einſt Unterthanen der Hunnen, den Befig ihrer Frey: 
heit und ihres Eigenthums beſtaͤtigen wollte. Sa u— 
giban ward der Verraͤtherey verdaͤchtig. So 
gern ih auch Theoderich noch länger geweigert 
hätte, feine Scharen uber die Grenzen feines Ges 
biethes zu fuͤhren, weil Aetus, ſeinem geheimen 
Neutralitaͤtsplan gemäß, Arles nicht verlaffen wol: 
te; ſo wichtig ſchien ihm doch Aurelianums Behaup⸗ 
tung für feine eigene Sicherheit, fo gefaͤhrlich duͤnk⸗ 
ten ihn die Folgen für feine eigene Herrſchaft, wenn 
ſich die Alanen mit ihrem Könige den Hunnen ers 
geben ſollten. Von der Sorge für feine Selbſter. 
haltung getrieben, brach er mit feinen zwey aͤlteſten 
Söhnen Thorismund und Theoderich auf, 
um dem Hunnenkoͤnige bey Aurelianum zuvorzu⸗ 
kommen. Er führte die Befagung mit ihrem koͤnig⸗ 
lichen Vefehleh eder zur Pflicht der Rechiſchaffenheit 


— 208 — 


zurück und ſetzte die Stadt in den befien Vertheidi⸗ 
gungsſtand. Deſſen ungeachtet zog Attila vor 
den befeſtigten Platz, und waͤhrend ein Theil ſeiner 
Heerſcharen die Velagerung begann, fuͤhrte er den 
ondern üder den Liger, um der geaͤngſtigten Stadt 
alle Hoffnung des Weſtgöthiſchen Beyſtandes abzu⸗ 
ſchneiden. 

Auf den Mauriaciſchen Ebenen zwichen dem 
Liger und dem Fuſſe des Gebenna Hand Theo de⸗ 
rich mit einem auserleſenrn Heere. Hier war es, 
wo das Schickſal den Maßſtab des Verdieaſtes hielt, 
ungewiß, ob es feinen thaͤtigen Mitwirker Attila, 
oder feinen , treuen Diener Theoderich begünſti⸗ 
gen ſollte. Ungleich waren auf beyden Seiten Vor⸗ 
theile, Kräfte und Gefahr; uͤberlegen an der Zahl 
wer der Koͤnig der Hunnen ſeinem Feinde; aber 
dieſer ſtand an der Grenze ſeines Reiches; ſelbſt 
die hlutigſte Niederlage konnte ihn nur auf einige 
Augenblicke ſchwaͤchen, nicht aufreiben: hinter ihm 
war das ganze Gothiſche Volk, noch immer von 
dem unverſoͤhnlichſen Hape wider die Zerſtörer ih⸗ 
res Reiches in Dacien beſeelt, noch immer den 
Hunnen und ihren Bundesgenoſſen an Kriegskunſt 
uͤberlegen, an Abhaͤrtung und Tapferkeit gleich. Al⸗ 
les, was dem Könige der Weſtgorhen hier vorzuͤg⸗ 
lich günſtig war, machte Attila's Lage bedenk⸗ 
licher. In einem fremden Lande ſuchte er Lorbeern 
des Ruhmes, unter ſeinen Bewaffneten waren die 
Hunnen an der Zahl die geringfien, es gehörte: viel 
dazu, und nur Atte il a's tief blickender Geiſt ver⸗ 

mocht 


mocht' es, unterjochte oder zins bare Voͤlker ſch afte 
auch im Auslande und auf dem Schlaͤchtfelde in 
treuer Unterwuͤrfigkeit zu erhalten; ihren Abfall muß 
te er fuͤrchten, fobald ihn das Gluͤck verlaffen wuͤr— 
de. Die Nahrungsmittel für dieſe ungeheure Volks. 
menge mußte er von Galliens Städten erzwingen 
und ſich dadurch ihrem Haſſe preis geben, der uur 
der Gelegenheit barrte, fuͤrchterlich wider ihn aus: 
zubrechen. Eine einzige Niederlage mußte entwe— 
der ſeine Fortſchritte auf der kriegeriſchen Laufbahn, 
der wuͤrdigſten, die er für ſich kannte, auf eine fans 
ge Zeit hemmen; oder ihn gaͤnzlich zu Grunde rich— 
ten. Er ſtand in dem Mittelpunkte des feindlichen 
Landes, von allen Seiten konnte er eingeſchloſſen 
werden, kein feſter Platz war in ſeiner Gewalt, 
der feinen Rückzug gedeckt, oder dem Fliehenden 
eine Zufluckt gewährt hatte. 

Oieß alles ſoh Attila; und dieß alles ers 
hoͤhte fein Selbſtgefuͤhl, entflammte feinen Muth, 
befeſtigte feine Entſchloſſenbeit und ſtaͤrkte feinen 
Orang, den Helden der Weſtgothen anzugreifen. 
Er fand und erkannte ſich auf ſeinem eigenthuͤmli— 
chen Standpunkte. Nach einer duͤſtern, grauen. 
vollen Nacht, in welcher er unter ſeinen Kaͤmpfern 
zwiſchen den Wachtfeuern, wie ein furchtbarer Ge— 
nius, mit dem Schwerte des Verderdens in der ei: 
nen, mit der Schale des Jammers in der andern 
Hand umherwallend, alles ſelbſt, mehr mit bedeu— 
tenden Mienen und Geberden als mit Worten an— 
geordnet, nirgends Zaghafligkeit oder bange Uns 

O 


WW 


gewißheit des gluͤcklichen Erfolges, überall hohe Zu⸗ 
verſicht mit verſchloſſenem Ernſte gepaart, gezeigt 
hatte, gab er mit Anbruche des Tages das begei⸗ 
ſternde Zeichen zur Schlacht. Wie der brauſende 
Hagelſturm über den Ocean ſich hinſtuͤrzt und die 
tobenden Fluthen vor ſich her treibt, ſo ſtuͤrzen ſich 
die Hunnen und Weſigothen mit flammendem Aue 
ge und hochſchlagendem Herzen in das Treffen. Im 
Nebel des Morgens ſchwebt der Tod; feine Opfer 
hat er ausgeſpaͤhet, ſeine Pfeile fliegen und ſtrecken 
reihenweiſe von beyden Seiten die Soͤhne des Mu⸗ 
(bes in den Staub hin. Stille wird es einige Aus 
genblicke auf dem Kampfplatze, aber es iſt das ent⸗ 
ſetzliche Schweigen zwiſchen abwechſelnden Wind⸗ 
ſtoͤſſen, das nur die Schrecken des Sturmes ver⸗ 
mehrt. Heftiger erhebt ſich die Wulh der Schlacht. 

Afttil a' s Männer dringen in die dichtgeſchloſſenen 
Reihen der Weſtgothen, der Schall der Streithoͤr⸗ 
ner, die Flammenworte der Könige und Führer, 
die begeiſternden Lieder der Saͤnger entflammen 
den moͤrderiſchen Kampf. Heiß wird es den Go⸗ 
then; ſie ſehen hunderte der Feinde fallen, und Tau⸗ 
ſende den Tod ihrer gefallenen Brüder raͤchen. Schwer 
wird den Hunnen die Blutrache; die Geiſter der in 
Dacien Erſchlagenen ſcheinen für das Leben und die 
Ehre ihrer Enkel zu kaͤmpfen. — Feſt blieb der Go⸗ 

thiſche Mann; alle zerſtoͤrende Kräfte der Seythen 
konnten ihn nicht erſchuͤttern, bis unter dem Schwer⸗ 

te eines Bundesgenoſſen Attila' s das große Op⸗ 

pfer dieſes entſetzlichen Tages fiel; bis unter zwey 


— 211 — 


hundert tausend Leichen ſeiner Tapfern Theo de- 
rich in ſeinem Blute lag, und dem Helden der Hun— 
nen die Ehre des theuer erkauften Sieges uͤberlietz“). 
Waͤhrend die geſchlagenen, aber nicht uͤberwundenen 
Weſtgothen den Leichnam ihres Königs in die Er: 
de ſenkten und bey ſeinem Grabe blutige Thaten 

ſchworen, die feinen Geiſt in dem Reiche des Ewi— 
gen erfreuen ſollten, kehrte Attila nach Aurelia« 
num zurück, das jetzt der Ueber macht des Siegers 
nicht laͤnger widerſtehen konnte. Mit ſtuͤrmender 
Hand hemaͤchtigte er ſich der Stadt, die Thore wur: 
den geſprengt, vor dem Einzuge verſammelle er die 
Rottenführer um ſich her. Auf den Mauriaciſchen 
Feldern und unter den Stadtmauern hatten fie den 
feſten, entſchloſſenen, unuͤberwindlichen Krieger in 
ihm angeſtaunt; hier ſollten fie den edler fühlenden 
Menſchen in ihm erkennen und die Geſetze der Men ſch⸗ 
lichkeit von ſeinen Lippen vernehmen. Feyerlich und 
groß ſaß er vor ihnen auf feinem Streuroſſe; unter 
Odins Anrufung geborh er Ort nung bey dem Zus 
ge durch die eroberte Stadt; unter den ſchrecklich— 
ſten Drohungen erklaͤrte er das Leben und das Cie 
genthum der Einwohner, ihre Tempel und oͤffent⸗ 
lichen Denkmale für heilig und unverletzlich. Der 
Befehl ward den Rotten verkuͤndigt, der. Wille des 
allgemein verehrten Gebiethers war der ihrige; fein 
kraͤftiges Wort hatte ihre Hände gefeſſelt und die 

O 2 


*) Idat. Chron. 


— 212 — 


ungeſtůͤmmen Forderungen ihrer Raubbegierde um 
terdruͤckt“). | | 


Das Unglück der Weſtgothen zwang den Bes 
ſehlshaber der Roͤmer, feinen Neutralitaͤts plan auf⸗ 
zugeben und mit Ihnen vereinigt, den Koͤnig der 
Hunnen ſo zu beſchaͤftigen, daß er die erfochtenen 
Vortheile nicht zu ihrer gaͤnzlichen Aufreibung be⸗ 
nutzen konntt. Seinen Rathſchlaͤgen gemäß, ver⸗ 
lieg Thorismund die Wahlſtatt und zog nach 

Tholoſa, um als Theoderich s Erſtgebohrner 
von dem Throne feines Vaters Beſitz zu nehmen, 
bevor ſich ein herrſchſuͤchtiger Nebenbuhler auf dene 
ſelben emporſchwaͤnge, oder die Rotten der Mißver⸗ 
gnügten einen feiner Brüder zum Könige aus ruf⸗ 
ten. Nach dem Schwur, den Tod ſeines Vaters 
zu rächen, erhoben ihn feine Streiter auf ihren 
Schilden und huldigten ihm, ihrem rechtmaͤſſigen 
Beherrſcher. Das ganze Volk griff nun zu den 
Waffen, das ganze Barbariſche Spanien und Gal⸗ 
lien erklaͤrte ſich fuͤr die Weſtgothen, und eilte un⸗ 
ter ihre Fahnen. Heere, zahlreicher und muthi⸗ 
ger, als die ſeines Vaters, fuͤhrte Thor is mund 
zum Kampfe gegen den gemeinſchaftlichen Feind. 
Die Huͤlfsvoͤlker der Römer ſchloſſen fi rung 


y SidonApollin, Epistol. Lib. VIII. Ep. 1% 


— 213 — 


Haufen an. Aetius, deſſen Leitung ſich der Koͤ⸗ 
nig mit feinen Scharen überließ, trotzte an der 
Spitze eines Heeres, dem die Kriegsmacht der Hun⸗ 
nen nicht mehr überlegen war. 

Attila ſah die ploͤtzlich veraͤnderte Geſtalt 
der Dinge; forgfältig wog er die Kräfte, die ge» 
gen alle Erwartung wider ihn aufſtanden; er be⸗ 
rechnete ihre Wirkungen und faßte den Entfhluß, 
Gallien zu verlaſſen; denn der Rächer, welchen 
Geiſerich gefuͤrchtet hatte, war nicht mehr. Al⸗ 
le weſtlichen Voͤlkerſchaften fanden wider ihn ge— 
ruͤſtet; ein einziger Sieg, wäre er auch auf das 
graͤßlichſte Blutbad erfolgt, haͤtte noch nichts ent⸗ 
ſchieden, mehrere haͤtten den Krieg und das Ge— 
richt des Verhaͤngniſſes über die Römer und Go⸗ 
then noch nicht beendiget; und auch um dieſe zu ers 
fechten, waren noch fo viele Kriegsbeduͤrfniſſe an» 
zuſchaffen, noch fo viele feſte Plaͤtze wegzunehmen, 
noch fo viele Hinderniſſe an Strömen und in Ges 
bürgen zu überwinden. Jenſeits des Rheines mas 
ren die Sachſen und ein volkreicher Stamm Ripas 
riſcher Franken Atti la's Feinde; fie konnten ihm 
den Ruͤckweg verſchließen; Gallien konnte das 
Grab der Macht und des Ruhmes der Hunnen wer⸗ 
den. Alle dieſe Gefahren und Beſchwerlichkeiten 
beſtanden für ſich, ganz unabhaͤngig von dem Aus⸗ 
gange einer Schlacht. Bis jetzt hatte ihnen eine 
uͤberlegene Kriegsmacht und die Unthaͤtigkeit des 
Aetius das Gleichgewicht gehalten; aber nun 
waren dieſe Vortheile dahin; das Beſtehen auf dem 


— 214 — 


Vorſatze die Gothen zu uͤberwaͤftigen, wäreutolle | 
kuͤhner Eigenfinn geworden, wo feiner Ausführung 
fo entſchiedene Gefahren und Hinder niſſe im Wege 
fanden. Vielleicht wurde fie der Held bezwungen 
haben; aber dann haͤtte der Erfolg einzig und al⸗ 
lein dem Gluͤcke, nicht ſeiner Kraft gehoͤrt. Er 
mar zu ſtolz, um von den Launen des Glückes zu 
erbeiteln oder anzunehmen, was unuͤberwindliche 

umſtaͤnde feinen Kräften verſagt halt en. | 

Mit frienlichern Geſinnungen, aber noch im⸗ 
mer auf jeden Widerſtand gefaßt, zog er von Aus 
relianum ab. Die Einwohner von Trecae zitterten. 
vor der Ankunft des Gewaltigen, den ihnen ihr 
frommer Seelenbirt Lupus in ſeinen Ermahnun⸗ 
gen zur Buſſe als eine Geiſſel Gottes *) ae 
ſchildert hatte. Ste verſchloſſen vor ihm ihre Tho⸗ 
re und waffneten ſich mit dem Gebethe; andere 
Waffen zu gebrauchen, hatten fie verlernt. At ti⸗ 


*) Ob ſich Attila je ſelbſt eine Geiſſel Öst- 
tes genannt habe, kann nicht entſchieden wer⸗ 
den. Indeſſen dient doch der allgemeine Glau⸗ 

be, Attila wäre gefandt, das menſchliche Ge⸗ 
ſchlecht ſeiner Sünden halber auf Gottes Zulaf- 
fung zu beſtrafen, zur Beſtaͤttigung einer allgemei⸗ 
nen Tradition, die man damahls hatte, und die 
wahrſcheinlich aus Attila 's Lager ſelbſt aus⸗ 
gegangen war: naͤhmlich, daß es der Koͤnig fuͤr 
ſeinen heiligſten Beruf gehalten habe, die 
Menſchheit an den Römern zu rächen. 


la verlangte von dem Bifhofe den freyen Durch; 
zug; und die Drohung, daß er jede Widerfegliche 
keit auf das grauſamſte zuͤchtigen würde, bewog den 
Prieſter zur Willfaͤhrigkeit. Er ſelbſt, von feinem 
Clerus und feiner Heer de umgeben, empfing den Hel» 
den; er ſelbſt führte das Noß des Könige an dem 
Zügel mit tiefſter Ehrfurcht in die Stadt. In der 
ſtrengſten Ordnung und Zucht zog er durch. Ohne 
daß ihn erſt der Lenker der Herzen und Herr aller 
‚Könige mit Blindheit ſchlagen durfte ), blieben 
die Wohnungen, Weiber, Kinder und Befigungen 
der Bürger verſchont; der Sicherheitsbrief dafuͤr 
lag in ſeinem Herzen; noch hatte keine freſſende 
Schminke der Verdbildung die edlern und feinern 
Zuͤge der Menſchlichkeit in ihm vertilgt. 
Nirgends zeigten ſich dieſe in einem gefaͤlligern 
Lichte als auf feinem Zuge nach Remi. Die reich— 
ſten Einwohner von Trecae hatten ſich mit ihren Fa— 
milien und Koſtbarkeiten in die Wälder geflüchtet: 
dort traf ſie Attila mit Wuth und Verzweiflung 
ringend, als ſie ſich auch in unwegſamen Wuͤſte⸗ 
neyen in der Gewalt des vermeinten Menſchenwuͤr— 
gers erblickten. Liebreich verwies ihnen der Held 
ihre Zaghaftigkeit, troͤſtete fie und rieth ihnen nach 
Hauſe zu eilen, bevor fie in die raubſuͤchtigen Haͤn— 
de der Roͤmer und Gothen geriethen, die ihm auf 


*) Boschii Hagiographi ad d. XIX. Jul, — A. 
ventin. Annal, Beic, Lib, II. p. 230 


dem Fuſſe nachgefolget waren. Noch ſchallte ihr 


Freuden⸗ und Dankgeſchrey in ſeinen Ohren, als 
ein neuer, herzerſchuͤtternder Auftritt feinen Lauf 
unterbrach. Von dem Ufer der Matrona ward ihm 
ein Weib entge zen geführt; ein Haufe der Hunnen 
hatte ſich ihrer in dem Augenblicke, als fie ſich in 
den Strom ſtuͤrzen wollte, bemeiſtert. Ein Saͤug⸗ 
ling bing an ihrer Bruſt, neun Töchter, zum Elen⸗ 
de geboren, an ihrer Seite, blaß und aus gehun⸗ 
gert, vollendeten das lebendige Bild des Jam⸗ 
mers. Kalt und tbraͤnenlos warf fie ſich zu den 
Fuͤſſen des Königs und flehte für ſich und ihre Kin. 


der um die Wohlthat des Todes. Der Barbar 


ſprang von dem Pferde, bot der Troſtloſen ſeine 
Hand, richtete fie von der Erde auf, trocknete die 
Thraͤnen ihrer Kinder, ergoͤtzte ſich an dem ſuͤſſen 
Worte Vater, das ihre halb erſtarrten Lippen 
ſtammelten, und ließ fie, reichlich beſchenkt und 
ausgeſoͤhnt mit ihrem Schickſale, heimkehren *). 
Hinter Remi hatte ihn das vereinigte Heer 
des Aetius und Thorismunds erreicht; auf 
den Catalauniſchen Ebenen mußte er ein Lager be⸗ 
ziehen, oder ſeinen Nahmen mit der Schmach einer 


eben ſo ſchimpflichen als unſichern Flucht brandmar⸗ 


ken. Bis jetzt war er bemuͤht, einem Treffen aus⸗ 
zuweichen; aber hier war ihm der Feind zu nahe 
in dem Rüden, er mußte es wagen; ſelbſt das 


5) Olähi Attila Cap. IX. 5. 3, 


6 


Glück feines Rückzuges hing davon ab. Er wen⸗ 
dete ſich gegen den Feind: ihm gegenuber lagerte 
ſich Aetius. Die Kraͤfte beyder Heere waren 
ziemlich genau gegen einander abgewogen. Gleich 
tapfer und auf dem Wege zwiſchen Tod und Gefah— 
ren bewandert, waren von beyden Seiten die Fuͤh— 
rer; hier Ardarich, Valamir mit feinen Brüs 
dern, Oreſtes und Edecon mit feinem Sohne 
Odoacer; dort Thoris mund, Merove, 
Sangiban; Männer die ſchon in mannigfal⸗ 
tigen Stuͤrmen ihre Anſpruche auf Heldengroͤſſe 
gerechtfertiget hatten; Maͤnner, denen das Bild des 
Todes fuͤr Ehre und Freyheit wie die Geſtalt eines 
vertrauten Freundes wohlthaͤtig und unausloͤſchlich 
in der Seele lag. Hier Attila, dort Aetius 
an der Spitze; jeder der Leitſtern und die hoͤch⸗ 
ſte Zuverſicht der Seinigen, jeder von dem Hoch⸗ 
gefuͤhle feiner Kraft, feiner Beſtimmung, feines 
Werthes durchdrungen. Jener kuhn, beherzt und 
eniſchloſſen, dieſer tapfer und vorſichtig; jener 
in der Fülle des männlichen Alters noch immer 
raſch, ungeduldig und entſcheidend; dieſer im 
Herbſte ſeines Lebens ſchon gewohnt, der Umſtaͤnde 
zu harren, Begebenheiten vorzubereiten und mit 
abgemeſſenen Schritten zu ſeinem Ziele zu wandeln. 
Bey de geuͤbt, ſelbſt aus der graͤulichſten Verwir 
rung Vorthelle zu ziehen. Beyde an Scharfſinn, 
Fleiß und Wachſamkeit einander gleich, ſuchte A t⸗ 
tila dem Gluͤcke zu gebiethen, Aetius daſſelbe 
auf feine Seite zu locken. So fanden die zwey 


größten Kraftmaͤuner ihres Jahrhunderts gegen ein: 
ander, um den blutigſten und teten 2 
zu en 


Die weite Ebene des Schlachiſeldes ſchwoll 
allmaͤhlich zu einem Hügel an, der durch die lang⸗ 
ſam rieſelnde Matro na beſpuͤlt ward. Hier liefer⸗ 
ten Merove' s Streitmaͤnner das blutige Vorſpiel, 
zum graͤßlichſten Gemetzel des folgenden Tages. Zu⸗ 
fällig ſtieſſen fie bey einbrechender Nacht an die Ge: 
piden; fie wurden handgemein und wuͤtheten ſo 
ſchrecklich unter ſich, datz ſchon viele Tauſend auf 
beyden Seiten auf den Truͤmmern ihrer Schilde 
und Lanzen in ihrem Blute lagen, als die Koͤnige 
mit ihrer ganzen Macht herzueilten, um die erbit⸗ 

terten Wuͤrger von einander zu treunen. ; 

Im Grauen der Morgendaͤmmerung ſtellten fi 
die Könige, Zürften und Rottenführer in Aktie 
Ta’s Gezelt. Voll groffer Erwartungen horchten 
fie auf die Ausſpruͤche der Wahrſager, die der Kö- 
nig, dem Volke zur Beruhigung, in ihrer Gegen⸗ 
wart zu Rathe zog. Ungluͤck den Römern und 
Hunnen, Tod dem oberſten Heerführer verkuͤndig⸗ 
ten die Eingeweide der Opferthiere; aber Attila 
war mit den Nathſchluͤſſen der Götter vertrauter 
als ihre Prieſter; er deutete ihre Weiſſagungen zu 
ſeinem Vortheile. Aetius, ſagte er, muͤßte fal⸗ 
len; die Hunnen verloͤren den letzten Feind, der 
ihrer Anſtrengung werth war: dieß ware das ein⸗ 


4 24 
zige Unglück, welches den Seythiſchen Maͤnnern 
bevorſtaͤnde. | 

Mit der aufgehenden Sonne ordnete der Held 
im Angeſichte des Feindes die Schlacht. Die Oſt— 
gothen mit einem Theile feiner Nordiſchen Schutz— 
genoſſen ſtellte er auf den rechten Fluͤgel: in ſeines 
geliebten Valamirs Haͤnde legte er ihre Ehre 
und ihr Schickſal, zu deſſen Meiſter ſich Aetius 
ihm gegenuͤber mit den Weſtroͤmern aufwerfen wol: 
te. Den übrigen Huͤlfsvoͤlkern und Bundesge⸗ 
noſſen wies er den linken an; Ardarich ſollte 
fie zu Wänden und Lorbeeren führen, die ihnen 
nur Thorismund mit feinen Gothen ſtreitig ma- 
chen konnte. Vor der Fronte war Attila's 
Platz; um ihn herum erwarteten die übrigen Kö— 
nige und zinsbare Fürſten feine Befehle, oder ſei— 
nen Wink zu maͤnnlichen Tbaten. Ihnen gegen⸗ 
über fanden Merove und Sangiban, deſſen 
Treue dem Heerfuͤhrer des Weſten noch immer ver⸗ 
daͤchtig war. 5 

unbeweglich Banken beyde Heere bis in die 
neunte Stunde des Tages. Jetzt erſt erkannte A e⸗ 
tius die Wichtigkeit des Huͤgels, von dem er das 
ganze Lager und die Stellung der Hunnen über: 
ſchauen konnte. Statt des Angriffes, den Attila 
ſchon fo lange mit Ungeduld erwartet hatte, zog 
ſich der Römer mit Thoris mund die Aahoͤhe 
hinauf. Gleich die erſte Bewegung verrieth ihre 
Abſicht. Attila hieß einige Scharen vordringen 
und ſich des Huͤgels bemeiſtern, aber Aetius 


— 


— 2206 — 


war ihnen zuvorgekommen. Nach einem ſchweren 
Kampfe mit groſſem Verluſte und mit dem quä⸗ 
lenden Gefuͤhle des verfehlten Zweckes kehrten fie zu 
den Reihen ihres Königs zuruck. Der Unmuth 
der Vertriebenen konnte das ganze Heer anſtecken, 


laͤngeres Zaudern konnte dem Feinde Friſt geben, 


ſich in ſeiner vortheilhaften Stellung zu verſchan⸗ 
zen: dahin durfte es der Beherrſcher der Hunnen 
nicht kommen laſſen. Er verſammelte die Muthig⸗ 
ſten und die Zaghafteſten ſeines Volkes um ſich her, 
um durch maͤnnliche Worte den erſtern mehr Hal⸗ 
tung, den letztern mehr Zuverſicht einzufiöffen. 
„Nicht zum erſten Mahle, — ſprach er, — 
ſtehen wir heute mit einander auf dem Scheidewe⸗ 
ge zwiſchen Heldentod und Entſcheidung; dort, wo 
die tapferſten Voͤlkerſchaften der Starke unfers ner« 
vigen Armes unterliegen mußten, lernten wir uns 
kennen: zaͤhlet eure Siege, waͤget den Werth der 
Thaten, durch welche ihr euch Könige zinsbar ge- 
macht und eine halbe Welt keiterworfen habt; und 
jede Aufmunterung zu euerm angebornen Berufe 
wäre zweckloſes Wortgepraͤnge, wäre ſtraͤfliche Ent⸗ 
ehrung eures fo oft dargelegten Heldenmuthes. 
Einen Blick die Anhoͤhe hinauf; Augſt und Beſtüͤr⸗ 
zung haben eure Feinde dahin getrieben; in den 
zufälligen Vortheilen des Ortes, nicht in der Fe⸗ 
ſtigkeit ihres Armes und Entſchloſſenheit ihres Her⸗ 
zens ſuchen fie Rettung und Sicherheit. Auf „Maͤn⸗ 


ner, die Schwaͤche der Roͤmiſchen Waffen, die 


Nichts wuͤrdigkeit des Schwarmes, der dort oben 


— 221 = 


unſerm Anfalle trotzen will, iſt uns bekannt. Der 
Roͤmiſche Mann iſt nicht mehr; feine entnervten En— 
kel werden ſchan vom erſten Staube des Schlacht— 
feldes zu Boden gedruckt. Auf die Herzhaftigkeit 
der Alanen und Weſ'gothen iſt die Hoffnung ihres 
Heils gegründet; dort hin, Brüder, dort erwar— 
tet uns noch ein glaͤnzender Sieg. Die Nerven 
des Roͤmiſchen Körpers muͤſſen von Hunniſchen 
Schwertern abgeſchnitten werden, damit feine Glie— 
der ſich nicht mehr bewegen koͤnnen. Mir nach; nur 

um uns zu den Freuden des heutigen Kampfes vor» 
zubereiten, hat uns das Gluͤck zu Herrn und Ge 
biethern ſo maͤchtiger Voͤlker eingeſetzt. Wer ſich 
morgen von uns des heutigen Sieges freuen fol, 
kann beute von keinem Pfeile getroffen werden; 
wem die Goͤtter das Loos des Todes geworfen ha— 
ben, wird ihm auch hinter der Wagenburg im 
Scho oße der Unthaͤtigkeit nicht entrinnen. Auf, der 
groſſe Augenblick iſt da; die Spitze meiner Pfeile 
wird euch das Ziel dezeichnen, an welchem die 
Fülle eures Grimmes ſich ergießen, eure Wuth ſich 
entflammen ſoll. In weſſen Seele der Wunſch nach 
Ruhe ſich erhebt, während Attila kaͤmpft, der if 
zum ſchimpflichſten Tode reif, der Verachtung und 
Vergeſſenheit würdig )!“ 


*) Jornand, Cap. XXXIX. — Die in dieſer Ker 
de ausgedruckten Geſinnungen find Alti la'? 
Character zu angemeſſen, als daß man fie für 


Attila klopfte an feinen Schild, das Schlacht⸗ 
horn erſcholl, die Saͤnger begannen den feyerlichen 
Geſang. Der König ſpornt den mulhigen Streits 
heugſt; ihm nach ſtuͤrzt fein merdathmendes Volk, 
das ausgedehnte Feld bebt unter dem ſchnellen Vor⸗ 
dringen ihrer Roſſe. Eine Wolke von Pfeilen ver⸗ 
kuͤndigt den Alanen und Weſtgothen die Ankunft 
der Soͤldner des Todes. Mit unaufhaltbarer Ge⸗ 
walt fprengen fie den Hügel hinauf. Aetius if 
der erſte, der feine Kömer auf die Ebene hinun⸗ 
ter in Sicherheit führt, als Zeugen, nicht als 
Theilnehmer der barbariſchen Erſchoͤpfung harte er 
fie auf den Kampfplatz gebracht. Unerſchüttert ſtellt 
ſich Thoris mund mit feinen Kaͤmpfern dem 
Audrange der Hunnen entgegen, mit Macht dringt 
er in ihre Geſchwader, ein ſchreckliches Gemetzel be⸗ 
ginnt, Erbitterung und Verzweiflung verſchlieſſen 
alle Auswege zur Flucht, alle Aus ſichten zum Sie 
ge. Schon flimmen tauſend Gothiſche Helme 
zwiſchen den Fuͤſſen der Streiter, ſchon werden 
tauſend Hunniſche Scheitel in Blut und Staub ge» 
treten, ſchon bedecken die Auhoͤhe tauſend verſtüm⸗ 


ein Werk der Dichtungskraft des Jornandes 

halten koͤnnte. Wahrſcheinlich hat fie ſich durch 

Ueberlieferung bis zu Caſſiodor erhalten. V a⸗ 

lam ir konnte fie feinem Sohne Theoderich 

dem Großen mitgetheilt, und dieſer ſeinem wuͤr⸗ 

digen Potricier Caſſiodor überliefert haben. 
EN; Dieß bewog mich, fi ie bier heyzubehalten. 


Pr 223 — 


melte Leichen; und noch iſt kein- Fuß breit Erde 
gewonnen, noch kein Strahl der Zuverſicht vers 
ſchwunden, noch kein Funke des Muthes erloſchen. 
Wahrend Attila mit feinen Gehuͤlfen in der Mit: 
te der feindlichen Haufen das Schickſal des We— 
(ten entſchelden will, vereinigen ſich Val amir 
und Ardarich, um die Geiſſeln, welche das Roͤ— 
miſche Gluͤck dem Verhaͤngniſſe geben wollte, zu 
umringen und einzuſchlieſſen. Thoris mund ſieht 
die nahe Gefahr, eilend zieht er ſich mit feinen Streit: 
völfern die Anhöhe hinunter. In Schlachtordnung 
erwartet er au Aetius Seite ſeine Verfolger. 
Wie von dem donnernden Bergſtrome losgeriſſene 
Felſentruͤmmer, waͤlzen ſich dieſe auf ihn herab. 
Wuͤthender Augriff und beherzter Widerſtand wer— 
den erneuert. Jeder fallende Hunne, jeder hinſin— 
kende Gothe entzündet in den Seinigen ein wilde— 
res, verzehrenderes Feuer; die Begierde, für Ehre 
und Freyheit zu bluten und zu ſiegen, erſtickt in 
der Bruſt der Kaͤmpfer auch die leiſeſte Regung der 
Sorge für das Leben. Mit Loͤwengrimme nd 
das entfeglihe Mordgefecht bis an den Abend for 
geſetzt. Keiner weicht von ſeinem Platze, den er 
auf den aufgethuͤrmten Leichen gefaßt hat; Gefan— 
gene macht hier nur der Tod. Von dem Blute 
und den Leichnamen der Erſchlagenen angeſchwollen 
tritt die Matrona aus ihren Ufern; traurig alänzt 
ſchon der letzte Lich tſtrahl des ſcheidenden Tages 
auf ihrer roͤthlichen Wage. Unmoͤglich bleibt es 
den Hunnen, die Niederlage der Weſtgothen zu vol; 


Sum 224 — 


lenden; unmoglich wird es dieſen, die Luͤcken zu 
ergaͤnzen, welche das Hunniſche Schwert in ihre 
Reihen gehauen hat. Nebel und Nacht machen 
beyden Heeren die Nothwendigkeit des Ruͤckzuges 
ſichtbar. Drey hundert tauſend liegen von beyden 
Seiten entſerlt auf dem Wahlplatze, alle Wunden 
ſind auf der Bruſt; ſchwer iſt es zu entſcheiden, ob 
der geſtuͤrzte Hunne, oder der liegende Gothe hei. 
denmuͤthiger gefochten batte. Der Heerfuͤhrer des 
Weſten hatte die Schlacht gelenkt; aber kein Roͤ⸗ 
mer hatte hier den Heldentod zu ſterben verdient. 
una beſiegt ſchieden beyde Heere von einan⸗ 
der; nur in beſſerer Ordnung als Thoris mund 
und Aetius, zog ſich Attila in feine Wagen» 
burg zuruck. Der König der Weſtgothen hatte ſich 
mit einigen Scharen im eilfertigen Ruͤckzuge verirrt; 
die Unkunde des Feldes fuͤhrte ihn in das Lager 
der Hunnen. Ein neues Treffen fing an. Tho⸗ 
ris mund ward auf dem Hauste verwundet und 
in einer gaͤnzlichen Betäubung, nur durch die auf: 
ſerordentliche Tapferkeit der Seinigen der Gefahr 
der Gefangenſchaft entriſſen. Aetius, der ſeinem 
Bundesfreunde zu Hülfe geeilt war, gerieth in die 
Miite der Feinde. Zum Gluͤcke hatte er feine Ber: 
irrung bald bemerkt; unerkannt erreichte er das 
Lager der Gothen, wo er von den Schildtraͤgern 
beſchuͤtzt, eine ſchlafloſe Nat voll bar ger Erwar⸗ 
tung der Begebenheiten des folgenden Tages verlebte. 4 
Unbekannt war dem Helden der Zuſtand, in 
welchem die Weſtgothen den Kampfpiatz verlaſſen 
hat⸗ 


— 15 — 


hatlen. Sein blutiges Tagwerk war gethan; bez 
ſtimmte Kenntnitz des Erfolges, der nicht Volleu— 
dung war, ſchien ihm ſeiner Sorge nicht werth. 
Größtentheils unverletzt und zum neuen Kampfe 
berein, franden leine Tapſern um ihn her. Sein 
ſcharſer Blick in die Zukunft hielt ihn zurück, ohne 
Aufforderung etwas zu unternehmen; fein eöler 
Stolz verboth ihm aber auch, ſich dem Verdacht 
eines furchtſamen Verſchwindens auszuſetzen. Oh⸗ 
ne Unterlaß ward auf ſeinen Befehl die ganze Nacht 
und den Tag Über das Schlachthorn geblaſen und 
ein gewaltiges Waffengeraͤuſch unterhalten: es war 
das Gebrüll des blutgeſaͤttigten Löwen , der von 
allen Seiten mit Fallſtricken umgeben, vor dem 
Eing ange feiner Höhle wacht, und ohne den Wil— 
len feine geſchwaͤchten Verfolger zu zerfleiſchen, ſich 
begnügt, ſie und die ganze Gegend umher nur in 
Furcht und Entſetzen zu erhalten “). 


— T1— — 


) Nach, einem fertur des Jornandes, hatte 
ſich Attila ſelbſt auf das Aeußerſte gefaßt ge» 
macht, und daher von den Sattein der Pferde 
einen Scheiterhaufen errichten laͤſſen, in der Ab— 
ſicht, ih in die Flammen deſſelben zu flürzen, 
wenn er von den Nömern überfallen und in die 

Enge getrieben wiirde» Aber eine Thatſache, die 
ſelbſt der ſelten zweifelnde Jornandes mit dem 
ſkeptiſchen fertur auffielt, kann von dem dene 
kenden Geſchichtforſcher ſicher als ein Maͤrchen 
verworfen werden. Willkommen war dem Go— 


P 


— 226 — 


Doch mehr von den beſtimmt vorausgeſehenen 
Folgen einer zweyten Schlacht, als durch das dro— 
bende Waffengetuͤmmel der Hunnen erſchreckt, war 
Aetius nur bedacht, die erſtern zu entfernen. Auf 
der Wahlſtadt berechnete er das Verhaͤltaiß des 
Verluſtes, welchen die Gothen und ihre Bundesge⸗ 
noſſen erlitten hatten, zu den Kraͤften, welche in 
dem Hünniſchen Lager noch vorhauden waren. Der 
zweyte Kampf mußte den Sieg, entweder für A t⸗ 
tila oder fuͤr Thorismund, entſcheiden. Im 
erſtern Falle mußte der Roͤmer fuͤrchten, der Sieger 
würde Gallien von den noch ubrigen Graͤueln der 
Roͤmiſchen Herrſchaft reinigen; im letztern, die Go⸗ 
then moͤchten durch die gaͤnzliche Aufreibung der 
Hunnen zu maͤchtig und dem weſtlichen Kaiſerthu⸗ 
me noch gefaͤhrlicher werden. Seine ſchlaue Politik 
gab ihm das zweckmaͤſſigſte Mittel an die Hand, 
ſich nicht nur aus dieſer bedenklichen Lage heraus⸗ 
zuwinden, ſondern ſogar den Schein und die Ehre 
des Sieges an ſich zu reiſſen ). 


* 


thiſchen Biſchofe, im Mangel wahrer Bege⸗ 
benheiten, jede Sage, die ihm zu ſeinem Haupt⸗ 
zwecke: Erhebung der Gothen und Er⸗ 
niedrigung der Hunnen, dienen konnte. 

) Alle Umſtaͤnde, welche die Schlacht begleiteten 
und darauf folgten, beweiſen offenbar, daß der 
Sieg unentſchieden blieb und ſelbſt die ſtreitenden 
Heere daruͤber ungewiß waren. — In quo con- 
fictu, quamvis neutris cedentibus inaesti- 


Froh im Herzen, daß der geſuͤrchtete Feind 
den Tag nach der Schlacht ſeine Wagenburg nicht 


mabiles strages commorientium factae sint; Chu— 
nos tamen eo constat victos fuisse, quod amis- 
saproeliandi fiducia, qui superfuerant ad 
propria reverterunt. Prosp. Aquit. Chron. — 
Attila Gallias ingressus — — ubi gravi clade 
inflicta et accepta ad propria recedit. Tir. 
Prosp. Chron. — Postera die luce orta cum ca- 
daveribus plenos campos aspicerent, nee audere 
Hunnos erumpere, suam arbitrantur esse 
victoriam. Jorn andes C. 40 | ee 

Von einem Heere, welches, auf feinem Ruͤckzu— 
ge vom Feinde verfolgt und zur Schlacht aufge— 
fordert, ſich ſtellt; den ganzen Tag kaͤmpft und 
erſt bey einbrechender Nacht in beſter Ordnung 
in ſeine Verſchanzungen zuruͤckkehrt, dann ruhig 
erwartet, ob ihm nicht ein neues Treffen vom 
Feinde angebothen wird; kann, bloß aus dem 
Grunde, weil es nicht unaufgefordert zum Kam— 
pfe herauskruͤckt, ſchlechterdings nicht behauptet 
werden, es fen gefchlagen und beſiegt worden. Es 
macht alſo der hiſtoriſchen Kunſt gewiß wenig Eh— 
re, wenn ſelbſt beruͤhmtere Geſchichtforſcher noch 
uncritiſcher als die beyden Proſper und J = 
nandes ſchreiben, wie folgt: 

„Dieſen (den Römern und Gothen) lieferte er 
bey Chalons an der Marne eine ſehr blutige 
Schlacht, in welcher Aetius das Feld behaup— 
tete; (und ſich doch die ganze Nacht von Schild— 
traͤgern dewachen ließ?) er aber ſo ſehr geſchwächt 
wurde, daß er nach feinem Vaterlande zurücd- 


2 


verließ, begab ſich Netiug des Nachts in Atti⸗ 
la's Gezelt. In die ihm fo gut anpaſſende Mas⸗ 
ke der Ehrlichkeit und Freundſchaft verhüllt, vers 
ſicherte er dem Koͤnige: nichts haͤtte er ſehnlicher 
gewünſcht, als daß Gallien durch die unuͤberwind⸗ 
liche Tapferkeit der Hunnen von den Gothen waͤre 
befreyet worden: aber jezt muͤſſe er dieſe troͤſtende 
Hoffnung fahren laſſen. Mit taͤuſchender Treuher⸗ 
zigkeit aͤuſſerte er feine Veſorgniſſe für Attila, 
der bis jetzt nur mit dem ſchwaͤchſten Theile 
der Gothen zu thun gehabt, aber von nun an alles 

Unheil zu befürchten haͤtte, weil Theoderich, 


wandern mußte.“ Gebhardi Hungariſche Ge⸗ 
ſchichte 1. Th. S. 214. g | 
a: > IR) 

„Die Weſtgothen behaupteten nicht nur ihren 
Platz, ſondern ſchlugen auch den Attila nach ei⸗ 
nem langen blutigen Kampfe aus dem Felde, als 
Thoris mund von ſeinen Flügeln herab den 
Feind in der Seite faßte. Der Sieg war ganz den 
Gothen zu verdanken; vielleicht hat nur der Mans 
gel an Nachrichten der Ehre des Aetius geſcha⸗ 
det.“ Geſchichte der wichtigſten Bege⸗ 
benheiten des heutigen Europa 2. 
Band. S. 177 u 

Mangel an Nachrichten? Sidonius A pol⸗ 
lin. ein gleichzeitiger Roͤmiſcher Gallier ſagt ja 
ousdruͤcklich: | | 

— — vis liquerat Alpes 
Aetius,tenue, etrarum sine milite ducens 
Robur— — — — Paneg. Avit. v. 328. 
womit nicht viel Ehre konnte gewonnen werden, 


Thorismunds Bruder, diefe Nacht noch mit 
zahlreichen Scharen, dem Kerne der Gothiſchen 
Kriegsmacht ankommen würde. Attila errieth 
den Betruͤger; aber entlarven wollte er ihn nicht. 
Mit ſcheinbarer Dankbarkeit nahm er den Rath eis 
nes friedlichen Ruͤckzuges an, und machte dadurch 
den Patricier ſelbſt zum Befoͤrderer ſeines Entſchluſ— 
ſes, den er ſchon bey Aurelianum gefaßt hatte. 

Noch in eben der Nacht hinterging er auch den 
Koͤnig der Weſtgothen. Er erdichtete furchtbare 
Nachrichten, die er dieſen Augenblick von eingetrof— 
fenen Huͤlfsvoͤlkern der Hunnen erhalten hätte. Er 
ſetzte hinzu, das Gerücht waͤre allgemein, daß ſein 
Bruder Theoderich nach der Herrſchaft über die 
Gothen ſtrebte und auch von einer mächtigen Par« 
they unterſtuͤtzt würde. Er befaͤnde fi alſo in der 
augenſcheinlichſten Gefahr, hier von den Hunnen 
ganzlich zu Grunde gerichtet, dort von dem vaͤter⸗ 
lichen Throne geſtuͤrzt zu werden. Nichts koͤnnte 
ihn von beyden Uebeln ſchuͤtzen, als ein eilfertiger 
Ruͤckzug, den er, fein treuer Freund, mit feiner 
ganzen Macht begünſtigen wollte.“). 

Leichtg laͤubiger als Attila, machte ſich 
Thorism und ſogleich zum Ruͤckzuge bereit; und 
gegen die Mitte des Tages war er mit feinen Go⸗ 


*) Idat. Chron. post. fragm. Fredegarii, — Nur 
das iſt mir unwahrſcheinlich, daß jeder der bey⸗ 
den Koͤnige die freundſchaftliche Warnung dem 
Aetius mit zehn tauſend OGoldguͤlden bezahlt ba⸗ 
ben ſollte. ' 


then nach Entlaſſung der Bundesgenoſſen ſchon auf 
dem Marſche gegen Th olofa. Aetius war nun 
mit ſeinen Römern und Franken Meiſter des Schlacht- 
feldes; mit Begierde erwartete er auch At til a's 
Aufbruch, um mit neuroͤmiſcher Wahrhaftigkeit zu 
rufen: die Römer haben geſieget! | 
Ihm zur Qual verweilte der Rönig der Hun: 
nen noch einige Tage in dem Lager; der verſchmitz⸗ 
te Roͤmer ſollte es fuͤhlen, daß er ihn weder erſchreckt, 
noch getaͤuſcht hätte *) Attila hatte den Zweck 


erreicht, zu dein er nach Gallien gezogen war; auf 


den Mauriaciſchen und Catalauniſchen Feldern leg⸗ 
ten die Weſtaothen den Willen ab, die Mißhand⸗ 
lung der Tochter ihres Königs an 0 eiſerich zu 
rächen; und Clodebaud ward in den ruhigen 
Beſitz von Treviri eingeſetzt, wo es ihm bald ge⸗ 
lang, feine Herr ſchaft bis zu den Ripariern zu er⸗ 
weitern. *) Mit den Anſchlaͤgen wider Italien, zu 


*) Attila discessione cognita Gothorum, quod de ino- 
pinatis colligi‘ solet, et inimſeorum magis aestimans 
dolum, diutius se intra castra continuit. Sed ubi 
hostium absentia sunt longa silentia consecuta, eri. 

gitur mens ad victoriam, gaudia praesumuntur, at- 
que potentis regis animus in antiqua fata reverti. 
tur. Jornandes C. 41. — Bey einem Schrift⸗ 
ſteller von ſo auffallender Schwache der Urtheilse 
kraft hielt ich es für erlaubt, die Thatſache anzu⸗ 
nehmen, ohne auf die von ihm angegebene Trieb⸗ 
feder im mindeſten zu achten. 

*) Eckhard de rebus Franc. Orient. 


— 231 — 


deren Vollziehung er jetzt ſchreiten wollte, in der 
Seele beſchaͤftigt, verließ der Held die Provinz, in 
der er nach glaubwürdigen Zeugniſſen, 
nur die Rechte des Krieges ausgeuͤbt. Aeti⸗ 
us, der alles, nur das jenige nicht, was ihm wirk⸗ 
lich bevorſtand von dem Könige der Hunnen fuͤrch— 
tete, wandte alle moͤgliche Maßregeln an, um ihn 
auf ſeinem Ruͤckzuge in den Grenzen der Ordnung 
zu erhalten. Bis nach Thüringen, dem naͤchſten 
Lande, das unter Attila's Oberherrlichkeit Fand. 
mußten ihm die Ripariſchen Franken auf dem Faſſe 
nachfolgen; und durch mehrere Feuer, die ſie in 
verſchiedenen Entfernungen unterhielten, ihn glaub⸗ 
ben machen, er werde von Aetius mit einem 
zahlreichen Heere verfolgt. Aber unnoͤthig war das 
forgfältige Blendwerk des Patriciers; ſicherer, als 
unter den Neuroͤmern, war der ſchwache, wehrloſe, 
friedliche Menſch unter Atti ha's Schutz. 


—2— ——— —— ũ — 


Bald nach ſeiner Ankunft in Pannonien lud 
er alle Könige und Fürſten der Barbaren, deren 
Schutz⸗ oder Vundesherr er war, zu einer Ver— 
ſammlung bey Curta. Mit überzeugendem Nach' 
drucke legte er ihnen die Grunde vor, die ihn be= 
ſtimmten, das verworfenſte Volk der Erde in Itali⸗ 
en ſelbſt anzugreifen, und den Untergang deſſelben, 
wenn nicht zu vollenden, doch wenigſtens anzufan⸗ 
gen. Der noch nicht beygelegte Zwiſt über Syl— 
vanus und die Syrmiſchen Kirchengefaͤſſe, die 


— 232 — 


auf eine wiederholte Geſandtſchatt verweigerte Ans 
lieferung der Honor ia, das jetzt in Gallien von 
Aetius angenommene hinterliſtige Betragen gegen 
die Gothen und Hunnen, der allen Varbariſchen 
Voͤlkerſchaften hoͤchſt verderbliche, von Oreſtes 
aufgedeckte Plan des weſtlichen Hofes, die Fein⸗ 
de des Reiches durch ſich ſelbſt zu vertilgen und den 
Kaiſerthron mit ihrem Blute zu befeſtigen: dieß 
alles gab Attila's lange genaͤhrtem Haſſe gegen 
die Roͤmer neue Kraft und entzuͤndete in feiner Bruſt 
die heftigſte Rachbegierde. Seine Erbitterung ward 
die allgemeine Gemuthsſtimmung feiner Fuͤrſten und 
Voͤlker; keiner zweifelte an der Gerechtigkeit ſeiner 
Unternehmung, keiner war für den gluͤcklichen Er⸗ 
folg derſelben beſorgt, alle verſprachen ihm 8 
ſtand und Heerfolge. ö 
Indeſſen hatte Gibicho feine Tage volendet 
Die Rheiniſchen Franken hatten alle Verbindung 
mit dem Könige der Hunnen aufgegeben und von 
der Laſt des jaͤhrlichen Zinſes ſich losgeſagt. Nach 
der Sitte des Zeitalters, wurden die Geiſſeln des 
Volkes, das den feſtgeſetzten Tribut zu entrichten ſich 
weigerte, zu Sklaven gemacht; dieß waͤre jetzt Ha⸗ 
gano's Loos geblieben, hatte er ſich nicht durch 
eine ploͤtzliche Flucht gerettet. Attila ließ den 
Flüchtling nicht verfolgen; aber auf Os p ir u's 
Eirgebungen ſuchte er ſich des Walthers und der 
Hildgunde zu verſichern. Bepde hatten ſeine Zu⸗ 
neigung in vollem Maſſe; fie war der Preis der 
Einſichten und der kriegeriſchen Tapferkeit des Cel⸗ 


— 233 — 


liſchen Juͤnglings; fie war der Tribut, der den ſel⸗ 
tenen Reizen des Burgundiſchen Maͤdchens gebührt 
hatte. Selbſt Os piru konnte ihr ihre Huld und 
Liebe nicht verſagen; ſie ward die unzertrennliche 
Gefaͤhrtin der Koͤnigin, und was noch mehr war, 
ohne es zu wiſſen, beſaß fie Attil a' s Herz; nach 
den Arbeiten des Helden in Italien wollte er auch 
fie zur Königin erheben und in ihren Armen die Fren⸗ 
den des Menſchen genieſſen. Zu den erſten waren 
ihm jetzt thaͤtige Mitwirker noͤthig; unverkennbar 
war in Walthern der Beruf der Natur zum 
Helden. Die herrlichſten Verheiſſungen, und eine 
Gattin aus Hunniſchem Geſchlechte ſollten ihn an 
Attila feſſeln; aber Hagano's Beyſpiel hatte 
ſchon den Gedanken der Flucht in ſeiner Seele er— 
zeugt. Unter dem Vorwande, daß, wer einmahl 
die Wolluſt ſchmeckte, Fleiß und Arbeit nicht dul⸗ 
den koͤnnte; daß ihm ſeine Pflichten als Krieger, 
die Freuden und Sorgen des Hausvaters unter: 
ſagten; daß er aus Eifer fuͤr die erſtern beſchloſſen 
hätte, die Zeit feines Daſeyns ehelos zu verleben, 
entging er den gefürchteten Fallſtricken und erwarb 
ſich die Achtung und das Zutrauen des Koͤnigs 
noch mehr. Waͤhrend dieſer in Pannonien zu dem 
bevorſtehenden Feldzuge ſich ruͤſtete, hatte ein Scy— 
thiſcher Stamm das Joch der Hunniſchen Bothmaͤſ⸗ 
ſigkeit abgeworfen. Walther ward mit einigen 
Scharen hingeſandt, die abtrünnige Horde zu be 
zwingen. Auch er liebte Hildgunde, ohne ihr 
bisher ſein Innerſtes entdeckt zu haben. Dieß wag⸗ 


te er nach feiner ſiegreichen Ankunft in Pannonien. 
Es gelang ihm, die reizende Koͤnigstochter zur Flucht 
mit ihm und zum Raube zu bereden. Ein feyerli⸗ 
ches Gaſtmahl, womit Walther den König und 
ſeine Groſſen bewirthete, gab ihnen die Gelegen⸗ 
heit ihr Vorhaben ins Werk zu ſetzen. Freude⸗ 
trunken genoſſen die Gaͤſte nach dem Mahle der 
Wohlthat des Schlafes; aber bey dem Erwachen 
fand Attila ſeinen undankbaren Liebling, fand 
Ospiru ihre liebenswürdige Nebenbuhlerin nicht 
mehr. Mit den geraubten Schaͤtzen, die Hild— 
gunde in Verwahrung hatte, waren fie entflo« 
hen “). Zur Rache war jetzt weder Zeit noch Ge: 
legenheit: der Winter war vorüber, der Augen⸗ 
blick zur Beſtuͤrmung Italiens war vorhanden: un⸗ 
ter den Vorbereitungen dazu erſtarb Attilas 


) Walther Fam nach vielen ausgeſtandenen Muͤh⸗ 
feligfeiten und uͤberwundenen Gefahren in feinem 
Vaterlande an. Durch dreyßig Jabre beherrſchte 
er nach ſeines Vaters Tode ſeinen Celtiſchen Stamm 
in Aquitanien. Seine uͤbrige Lebenszeit ſoll er 
als Einſiebler bey einer Capelle zugebracht ha⸗ 
ben, wo nach feinem Hintritte das Kloſter Rova⸗ 
leſa erbauet wurde. — Fischer de prima Ex- 
ped. Attilae, deſſelb. Sitten und Geb ſraͤu⸗ 
che der Europäer. — Die Gründe, die mich 
bewogen haben, dieſe ganze Thatſache aus einem 
Dichter hier aufzunehmen, ſtehen in Rachti⸗ 
gals Abhandlungen in der Deutſch. Monath⸗ 
Ihre J. 1792. MM. April und May. 


Schmerz über den Verluſt zweyer Menſchen, die 
ſeinem Herzen theuer waren; aber das Bild von 
dem Menſchen uberhaupt, das feiner Seele ohne 
Unterlaß vorſchwebte, erhielt einen neuen unver— 
gaͤnglichen Anſtrich von Häßlichfeit. Noch nie hats 
te er die Züge der ihm ſo verhaßten Treuloſigkeit 
und Hinterliſt an Barbaren wahrgenommen, die 
er bis jetzt in dem Alleinbeſitze aller Rechtſchaffen⸗ 
heit geglaubt hatte. 

ITnm Ueberfluſſe waren nun die Kriegsbeduͤrf⸗ 
niſſe angeſchafft, die Belagerungswerkzeuge in den 
beſten Zuſtand geſetzt, die neuen Scharen ausgerü— 
ſtet und in den Waffen geübt. Durch die ungehen- 
re Anzahl der Mannſchaft, die zum Schrecken und 
Verderben der Römer Attiha's Zeichen folgte, 
zur Theilung gezwungen, ſandte er einen Theil mit 
Ardarich durch Noricum, den andern fuͤhrte er 
ſelbſt durch Illyrien. An den Juliſchen Alpen war 
der allgemeine Sammelplatz. Grenzenlos war die 
Beſtürzung in Itallen, als der Ruf von Attil a's 
Ankunft erſcholl. Dieſen furchtbaren Sturm hatte 
Aetius nicht vorausgeſehen. Nie war das, feinem 
gaͤnzlichen Sturze ſo nahe, Vaterland der alten 
Helden weniger im Stande, den Rädern der un— 
terjochten Welt Trotz zu biethen als jetzt, da Atti⸗ 
Ta mit unaufhaltbarer Gewalt durch den Paß der 
Juliſchen Alpen drang. Erſt an dem Fluſſe Arſta und 
dem Tergeſtiner Meerbuſen wollte ſich der Praͤfekt 
von Liburnien mit einigen Legionen dem Helden der 
Hunnen widerſetzenz aber fein Widerſtand war der 


— 236 — 


ohnmaͤchtige Verſuch eines ſiechen Wucherers, der 
bey einer Feuersbrunſt von den Seinigen verlaſſen, 
ſeine mit Unrecht angehaͤuften Schaͤtze der Gewalt 
der Flammen entreiſſen will. Der Praͤfekt und 
ſeine Bewaffneten erfuhren die erſten den Grimm 
eines Feindes, den der unangemeſſene Widerſtand 
nur noch mehr erbittert hatte. Die beſſer in der 
Flucht als im Kampfe geuͤbten Legionen hatten ſich 
nach Aquileja gerettet: Attila verfolgte die Fuß⸗ 
ſtapfen der Fliehenden und lagerte ſich vor der 
Stadt. Sie war der Schluͤſſel zu Italien, die volk⸗ 
reichſte und wohlhabendſte der Provinz. Noch im: 
mer hatten ſich unter ihren Einwohnern einige Fun⸗ 
ken der Ehre: und Freyheitsliebe erhalten, von wel⸗ 
cher in Rom und Ravenna auch nicht die geringſte 
Spur mehr übrig war. Es mußte dem Könige al» 
les daran gelegen ſeyn, ſich dieſes Sammelplatzes 
der in Italien noch vorhandenen Neichthümer und 
Kraͤfte zu bemaͤchtigen. So lange Aquileja ſeiner 
Macht trotzte, war jeder ſeiner Schritte in das 
Innere des Landes unſicher. Die Feſtigkeit ihrer 
Mauern vereitelte jeden ſtuͤrmenden Anfall. Unter 
den ſchreckbarſten Drohungen forderte er die Ein⸗ 
wohner zur freywilligen Ergebung auf; aber ihre 
Antwort war die Sprache des Muthes, der auch 
dort, wo alles verzweifelt ſchien, zwiſchen maͤnn⸗ 
lichem Kampfe und rühmlichem Tode kein Mittel 
kannte. Attila begann die Belagerung. Das 
allgemeine Entſetzen, welches ſein Nahme in Ita⸗ 
lien erweckt hatte, machte Aquileja's Buͤrger nur 


— 238 — 


entſchloſſener und beherzter; in dem feſteſten Vor⸗ 
ſatze, ſich bis auf den letzten Mann zu vertheidigen, 
hatten fie noch vor Ankunft des Feindes ihre Wei- 
ber, Kinder und Greiſe auf die Inſel Gradus in 
Sicherheit gebracht: ihr Angſtgeſchrey ſollte die Un⸗ 
erſchrockenheit der kuͤhnen Verfechter ihrer Vaters 
ſtadt nicht erſchuͤttern. 

Schon durch dreyßig Tage hatten die Maſchi⸗ 
nen der Hunnen an den Stadtmauern geſpielt, 
und noch zeigte ſich keine Aus ſicht zur Eroberung 
des Platzes. Attila hob die Belagerung auf, 
bemeitierie ſich des Hafens, beſetzte alle Zugänge 
der Stadt und ſchnitt ihr alle Zufuhr zu Waſſer 
und zu Lande ab. Einzelne Scharen zogen aus, 
um ihrem Gebiether den Weg in das Innere ta» 
liens zu bahnen. Die Einwohner der Staͤdte von 
Friaul und dem Venediſchen Gebiethe hatten ſich 
theils nach Aemtlien und dem Apenninus, theils 
auf die Inſeln des Adriatiſchen Meeres gefluͤchtet. 
Der Jammer und das Wehklagen der Erſtern dran— 
gen bis in den kaiſerlichen Pallaſt zu Ravenna, al⸗ 
les ſank dort in die aͤnſſerſte Verzweiflung; nur Yes 
titus ſtand noch und dachte auf Mittel zur RNet⸗ 
tung. Die Gefahr war zu nahe, die Galliſchen 
Voͤlker hatten ihren Beyſtand verſagt, nur von Bis 
zaaz war noch Hülfe zu erwarten. Er both ſich an 
hinzueilen und fie von Marcianus zu erflehen ; 
für den Augenblick wußte er dem Kaiſer des Weſten 
keinen andern Rath, als den einer ſchimpflichen 
Flucht aus Italien. Aber auch dieſe war unſicher 


— 2 


und gefährlich, In Gefahren zittern und wimmern, 
nicht beſtehen und handeln hatte Valentinian 
von feinen Eunuchen und Weibern gelernt; eine 
Furcht verdraͤngte die andere, er entließ den Pa⸗ 
tricier nach Thracien und gründete feine Zuverſicht 
auf das ungewiſſe Gluck feiner Unterhandlungen 
mit dem Beherrſcher des Orients ). ö 
Mangel und Elend hatten indeſſen die Kräfte 
der Bürger Aquileja's geſchwaͤcht; aber noch waren 
ſie ſtark genug den Heldentod auf dem Schlachtfel⸗ 
de dem allmaͤhligen Hinſterben unter den Qualen 
des Hungers vorzuziehen. Menapus und Ori⸗ 
cus fielen mit zehn tauſend Mann aus. Nichts 
glich der Wuth, mit welcher ſie von den Hunnen 
empfangen wurden. Verzweiſtung und Haß ent; 
flammten das moͤrderiſche Gefecht. Unter den Mau⸗ 
ern der Stadt dampfte das graͤßliche Blutbad. At: 
tila ſelbſt zuͤcket ſein maͤchtiges Schwert über die 
Fuͤhrer der Römer; in der Hitze des Kampfes ſtuͤrzt 
er vom Pferde. Hundert Lanzen drohen ihm den 
toͤdtlichen Stoß; aber ſeine Treueſten draͤngen ſich 
an ihn, und bezahlen der Gefahr feine Erhaltung 
N 8 3 


5) Attila — — Italiam ingredi per Pannoniam in- 
tendit, nihil duce nostro Aetio secundum prio- 
sis belli opera prospiciente; ita ut ue clusuris 

quidem alpium, quibus hostes prohiberi poterant, 
uteretur, hoc solum spei suis superesse existimans, 
si ab omni Italia cum Imperatore discederet, 
Prosp. Aquit, Chron, 


— 


= — — 


n 


mit ihrem Blute. Dem Tode entriſſen, mißt er 
noch einmahl mit Oricus feine Kraft. Atti⸗ 
la's Stahl dringt durch die leichte Ruͤſtung in die 
Bruſt des Römers; blutend kaͤmpft dieſer noch; 
aber unter wiederholten Streichen faͤllt er finnlos 
hin. Vom Blute und Wunden entſtellt, wird er 
vom Schlachtfelde weggetragen; der Anblick des 
verwundeten Heerfuͤhrers entmannet ſeine Streiter; 
Niederlage und Flucht werden allgemein. Die Hun⸗ 
nen fallen den Fliehenden in den Ruͤcken und fordern 
Entſcheidung; kein Zureden, kein Drohen des Me— 
napus kann dieſe bewegen, den Kampf zu erneu— 
err. Nicht mehr für die Befreyung der Stadt, nur 
für das Leben der Fluͤchtigen ſtreitet noch vor den 
hintern Reihen der Fuͤhrer, der in der Schule der 
Weſtroͤmiſchen Feigheit noch en Fremdling war. ) 
Attila ſtand als Sieger auf dem Leichen⸗ 
gefilde; aber der Sieg hatte ihn um keinen Schritt 
feinem Ziele näher geführt. Bey Oricus Grab: 
ſtaͤtte ſchworen Aq uileja's Bürger, ſich lieber un— 
ter den Truͤmmern der Stadt zu begraben, als 
durch eine ſchimpfliche Ergebung ſich, das Leben zu 
friſten, das ihre Vaͤter fuͤr Ehre, Pflicht und Un— 
ſterblichkeit des Nahmens verachtet hatten. Die 
Stondhafligkeit der Einwohner befeſtigte in Atti 
la den Entſchluß, fuͤr ihre Bezwingung alles auf 
das Spiel zu ſetzen. Innigſt fühlte er die ſchreckli⸗ 


)Sabellieus de vetustate Aquilejae Lib. III. 


-.20 — 


che Freude, dort wo er nur menſchliche Schatten 
verbannen zu dürfen glaubte, Feinde gefunden zu 
haben, deren Fall nur der Preis feiner hoͤchſten un⸗ 
ſtrengung werden konnte. Mit wahrer Herzensluſt 
uͤbte er ſeine Kraft vor Aquileja; denn mit Gewiß⸗ 
beit ſah er vorher, daß in dem Innern Italiens, 
dem Wohnplatze der Nichts wuͤrdigkeit, keine Lor⸗ 
beern des Ruhmes für ihn bluͤhten. Aber andere 
Geſinnungen hatten ſich der Gemuͤther ſeiner Streit⸗ 
ſcharen bemaͤchtigt. Eine gewaltige Seuche vers. 
mehrte die Plagen der bedraͤngten Provinz; ſchon 
hatte fie auch unter Atti la's Voͤlkern ihre Opfer 
verſchlungen. Auſſer dem Schlachtfelde in voller 


Kraft hinfallen und ſterben, war kein Tod, dem die 


Hunnen entgegen jauchzten; die Aus ſicht dahin war 
ihnen die ſchrecklichſte. Mehr die Hoffnung der 
Beute, als Thatendrang und Nuhmbegierde hatte 
die zahlreichen Voͤlkerſchwaͤrme des noͤrdlichen Ger⸗ 
maniens unter die Fahne des Helden gelockt. Zau⸗ 
dern und Harren war überhaupt ihre Sache nicht; 
ohne vortheilhaften Erwerb hatten ſie bereits durch 
mehrere Monathe vor einer einzigen Stadt aus; 
gehalten; Ueberdruß und Unzufriedenheit wurden 
die Stimmung des ganzen Heeres. Der Zunder 
des Aufruhrs hatte Funken gefaßt; nur der Befehl 
zum Abzuge konnte fie erſticken. Schwere Sorgen 
drückten das Herz des Königs; eine mit ſo viel Auf⸗ 
wand und Zuverfiht unternommene That unausge⸗ 
führt zu laſſen, ein nahe geglaubtes Ziel durch den 
geforderten Befehl für unerreichbar zu erklären, 
ſcy on 


ſchon an den Grenzen einer Nation, an die er von 
feinen Bildungs jahren immer nur mit Abſcheu und 
Verachtung gedacht hatte, ſich gedemuͤthigt zu ies 
hen; dieß war jetzt das entehrende Loos, das ihm 
drohte, wogegen feine ganze Selbſtheit ſich emvoͤrte. 
Zwiſchen dem Drange feines Selbſtgefuͤhls und der 
Macht der Nothwendigkeit kaͤmpfend, ritt er noch 
einmahl um die Stadt, um eine ſchwache Seite 
auszuſpaͤhen, welche feinen Befehl zum Sturme 
rechtfertigte. Treulos verließ jetzt das Gluͤck die 
Kraftmaͤnner Aquileja's und trat auf die Seite des 
Maͤchtigern. Schon war es in feiner GSerle bes 
ſchloſſen, den Kampf mit Unmöglichfeiten aufzuge⸗ 
ben und dem eiſernen Zepter der Nothwendigkeit zu 
huldigen, als er einen Storch erblickte, der mit feis 
nen Jungen in dem Schnabel die ungluͤckliche Stadt 
verließ, um ſich auf dem freyen Felde einen fried— 
lichern Aufenthalt zu ſuchen. Mit dem ſcheinbaren 
Ausdrucke der lebhafteſten Begeiſterung ſprengte 
Attila zu den Seinigen zurück. — „Dorthin 
Maͤnner euern Blick, — rufte der Held; — die 
Vogel der Luft haben die Kunde der Zukunft; ſie 
fliegen aus der Stadt, die heute noch untergehen 
ſoll. Mir nach zum Sturme!“ 

Neuer unbezwinglicher Muth befeelte das gan— 
ze Heer bey dem Anblicke des bedeutenden Vogel— 
fluges. Alles ſtuͤrzt dem glücklichen Befirger ihres 
Ueberdruſſes nach. Die Maſchinen werden in Be— 
wegung geſetzt, unter ihrem unge wiſſen Spiele und 
dem Pfeilenbagel der Beſatzung erſteigen die tro— 

2 N 


genden Stürmer die Stadtmauern. Dort ſicht. 
Mann fuͤr Mann, die letzte Kraft der Buͤrger ringt 
mit der Wuth der Barbaren. Attila's Gegen⸗ 
wart und Beyſpiele erzeugen neue Kraͤfte in den 
Ermudeten. Er iſt Zeuge jedes errungenen Bor, 
theils; unter feinen Lobſpruͤchen, Ermahnungen, 
Bitten, Drohungen und Verheiſſungen wuͤthet von 
allen Seiten das Hunniſche Schwert. — Die feis 
den der Tapfern find geendigt; die letzten Römer 
liegen unter den Fuͤſſen ihrer Würger , über ihren 
Leichen hallet die Stimme des Nachruhmes, ihre 
zerſtoͤrten Mauern, ihre verlaſſenen Haͤuſer ſind in 
der Gewalt des Ueberwinders. 

Ohne Schonung uͤberließ er die Wohnungen 
der Helden der Raubſucht ſeiner Horden. Die 
Stadt ward in Brand geſteckt, ihre Feſtungswerke 
und vornehmſten Gebaͤude wurden der Erde gleich 
gemacht. Sogar die Spuren einer Stadt wuͤuſch⸗ 
te er vertilgen zu löͤnnen, die von fd heldenmuͤthi⸗ 
gen Bürgern bewohnt, doch lieber das ſchaͤndliche 
Joch eines werthloſen Kaiſers tragen, als feine 
Oberherrlichkeit anerkennen wollte. 


Unter Aquileja's Ruinen, in dem Gefühle be⸗ 

ſiegter Schwierigkeiten und Gefahren erwachte zum 
erſten Mahle Hildgunde's Andenken in feiner 
Seele. Die Leere und Unruhe des Herzens, die 
er auf dem Schauplatze der Verwuͤſtungen empfand, 
„die Ruͤckerinnerung an die herzliche Theilnehmung 


und zaͤrtliche Pflege, die er nach Aurelianums Eros 
berung und nach dem heiſſen Tage auf den Eata- 
launiſchen Feldern von Herrichs Tochter erfah⸗ 
ren hatte, weckte jetzt heftiger als jemals in ihm 
das Verlangen nach ihrem Beſitze. Die bewaͤhrte⸗ 
ſten ſeiner Diener ſandte er nach Cabilonum mit 
dem Auftrage, dem Koͤnige der Burgunder fuͤr die 
Hand feiner reizenden Tochter Erlaffung des Tri⸗ 
butes, immerwaͤhrende Freundſchaft und gaͤnzliche 
Verzeihung für die entlaufenen Geiſſeln anzubiee 
then. Erſt wenn Herrich ſich weigerte, den Wins 
ſchen ſeines Oberherrn Gehoͤr zu geben, ſollten ſie 
ihm mit dem blutigſten Kriege und allen Schrecken 
einer unerſaͤttlichen Rache drohen. Mit koſtbaren 
Geſchenken für den König und Hild gunde ent⸗ 
ließ er ſeine Freywerber, in der Erwartung des 
Erfolges ihrer Unterhandlungen ſetzte er fein er» 
ſchreckliches Geſchaͤft in Italien fort. 

Das Bild des Jammers, das er eben verlaſ⸗ 
ſen hatte, die Vorſtellung der Freuden, denen er 
in Hildgunde's Armen entgegen ſah, hatten 
ſeine Seele zu mildern und ſanftern Empfindungen 
geſtimmt. Vielleicht wäre das Vaterland der al: 
ten Weltſtuͤrmer weniger verheert worden, viel 
leicht wären Staͤdte und Menſchen mehr verſchont 
geblieben, haͤtte man der Gewalt eines Stromes 
nachgegeben, den man durch keinen Widerſtand in 
feinem reiffenden Laufe aufhalten konnte. Attila 
war fireng gegen jeden, der ſich ibm als Mann 
darſtellte, grauſam nur gegen den hochmuͤthigen 

Q 2 


Schwaͤchling, gnaͤdig und huldceich dem Beſchei⸗ 
denen, der feinen Vor uͤgen den Tribut der Aner⸗ 
kennung und Achtung freywillig zollte. Das Ge⸗ 
fuͤhl ſeiner uͤberwiegenden Kraft hielt ihn von jeder 
Aus ſchweifung des Zornes und der Rache zuruͤck, 
ſo lange ihn eine tollkuͤhne Widerſetzlichkeit nicht 
auf das aͤuſſerſte getrieben hatte. Zum Ungluͤcke 
fir Italien machte ſich die Stadt Concordia, die 
erſte, die er nach Aquileja's Zerſtoͤrung zur Unter⸗ 
wuͤrſigkeit aufforderte, dieſer Verwegenheit ſchulbig: 
er draug mit Tyrannenwuth ein, wo man den 
menſchlich fühlenden Eroberer nicht aufnehmen woll⸗ 
te. Die Bürger Tarviſium's, Altinum's und Das 
dua's, von dem Schickſale ihrer Nachbaru erſchreckt, 
huldigten feiner Uebermacht und frohlockten in dem 
ungeſtoͤrten Beſitze ihres Eigenthums über das uns 
erwartete Gluͤck, in den Hunnen nicht nur menſch⸗ 
liche Formen, ſondern auch mehr Menſchlichkeit, 
als in ihren roͤmiſchen Praͤfecten, aten und 
Quaͤſtorn entdeckt zu haben. 

Selbſiſchaͤtzung machte ihn gegen e ge⸗ 
recht; Selbſtſchaͤtzung und Gerechtigkeit erzeugten 
in ihm den gleich ſtarken Haß gegen die Anmaſſun⸗ 
gen der Verwegenheit, und gegen das Kriechen der 
Schmeicheley. Beyde zu zuͤchtigen, wo er fie fand, 
hielt er fuͤr ſein eigenthuͤmliches Geſchaͤft. In Pa⸗ 
dua gab er ein entſetzliches Beyſpiel davon. Bald 
nach feinem Einzuge wohute er in dem Athenaͤum 
der Vorleſung eines Gedichtes bey, wozu Maru⸗ 
lus, ein Dichter aus Calabrien, alles, was im 


— 845 a 


der Stadt auf Geſchmack Anſpruch machte, gela: 
den hatte. Mit Widerwillen ward Attila gewahr, 
daß der kleinherzige Muſenſohn ihn zum Gegenſtan⸗ 
de ſeines Geſanges gewaͤhlt hatte. Nichts Gutes 
ahndete den Anweſenden fuͤr den ſelbſtzufriedenen 
Vorleſer; deutlich bemerkten ſie bey den unverſchaͤm⸗ 
teſten Lobeserhebungen in dem Angeſichte des Kb: 
nigs den ſteigenden Verdruß. Jetzt, als der Dich: 
ter im Taumel falſcher Begeiſterung Vorzuͤge in 
ihm lobte, die Attila verachtete, und Thaten 
ruͤhmte, die er nicht begangen hatte; als er den 
Koͤnig einen Sohn der Unſterblichen nannte, und 
fein Geſchlecht in gerader Linie von den Göttern 
herleitete, gerieth der mit ſich ſelbſt fo gut bekannte 
Bögling der Ratur in den heftigſten Zorn. — 
„Bindet den Elenden, — rufte er ſeinen Die⸗ 
nern zu, — werft ihn mit ſeinem Geſange auf den 
Scheiterhaufen; in den Flammen buͤſſe er feine nie— 
drige Schmeicheley und den gotteslaͤſterlichen Un: 
ſinn, der ihn verführt hat, einen ſterblichen Men⸗ 
ſchen den unſterblichen Goͤttern gleich zu ſtellen!“ 
Schon lag der ungluͤckliche ringend mit To⸗ 
desangſt auf dem Feuergerüͤſte, ſchon ſtanden die 
Vollzieher ſeines urtheils bereit, daſſelbe anzuzuͤn⸗ 
den, als Attila dem Geaͤngſtigten Gnade zurufte, 
damit die wahrheitliebenden Maͤnner ſeines Zeital⸗ 
ters nicht abgeſchreckt würden, das Andenken feiner 
wirklichen Verdienſte der Nachwelt zu uͤberliefern. 
Nur durch die Vorſtellungen ſeiner Vertrauten ge⸗ 


— 246 — 


rührt und beſaͤnftigt, widerrufte er den wennn 
Ausſpruch ſeines Grimmes“). 


5 


Mehr wohlthaͤtig als beſchaͤmend iſt das Ge⸗ 
fuͤhl des Mannes mit ſtarker Seele, wenn er ſich 
durch die Hand des treuherzigen Freundes von ei⸗ 
ner ungerechten, grauſamen That zuruͤckgefuͤhrt fieht, 
die er entweder im Drange einer ungeſtuͤmen Leis 
denſchaft, oder von uͤberſpanntemEnthuſtas mus für 
das, was ihm gut und recht duͤnkte, verblendet, bes 
gangen hätte, Leichter ſoͤhnet er ſich mit feinem 
innern Anklaͤger aus, und empfindet die Schande 
feiner Uebereilung weniger; in der bezeigten Folg⸗ 
ſamkeit gegen den Lenker feines Herzens erblickt 
er feine vernuͤnftige Wuͤrdigkeit wieder. 

War dieß auch die Gemuͤthsſtimmung At ti⸗ 
la's bey dem Auszuge aus Padua, fo ward fie 
doch bald von den ſtaͤrkern Aufwallungen ſeines 
Zornes wieder unterdruͤckt. Die Flammen deſſel⸗ 
ben verzehrten den Wohlſtand und das Gluck der 
Bürger von Bicentia, Verona, Mantua, Brixia 
und Bergomum; weil ſie entweder von 35 Zuver⸗ 
ſicht auf ihre Heiligen, oder von dem frommen Irr⸗ 
ihume, daß tauſend Rechtgläubige zehn tauſend 


* Callima chus in Attila, — Olahbns in 
in XV. 5. 2. 


— 247 — 


Heiden ſchlagen müßten, zum Widerſtande angeſeu— 
ert, dem Gewaltigen ihre Huldigung verſagt 
hatten. Selbſt ihre Städte wurde er in Brand 
geſteckt haben, waͤre er nicht durch ihre praͤchtigen 
Denkmahle der Kunſt und durch die Vorbitte ſei— 
ner Freunde zur ſchonenden Maͤſſigung bewogen 
worden ). Ä 

Ertraͤglicher war das Schickſal der Städte 
in Ligurien. Mediolanum, Ticinum und Cremona 
unterwarfen ſich freywillig, und keiner ihrer Ein— 
wohner verlor fein Leben oder feine Freyheit. Lei 
der kannte der König der Hunnen eben fo wenig, 
als die Helden neuerer Zeiten und in guͤnſtigern 
Verhaͤltniſſen als er, ein wirkſames Mittel, die 
Hände feiner raubſuͤchtigen Horden zu lahmen, oder 
zu feſſeln: fie zu bändigen mußte ihm doch biswei⸗ 
len gelungen ſeyn, weil achtzig Jahre nach der Vers 
heerung von den Hunnen Mediolanum gegen drey 
hundert tauſend Menſchen, und unter dieſen eine 
betraͤchtliche Zahl wohlhabende Bürger zaͤhlte: 
jetzt ward nur ein einziges Kunſtwerk daſelbſt auf 
Attila's Geheiß verletzt. In dem Pallaſte 
prangte ein Gemaͤhlde, auf welchem die Kaiſer bey» 
der Reiche ſitzend auf einem goldenen Throne und 
die Fuͤrſten der Scythen in Feſſeln zu ihren Fuͤſſen 
liegend dargeſtellt waren. Mit edelm Widerwillen 
ſah der Held der Hunnen dieß Denkmahl des uns 


) Olahus l. c. 


ſinnigſten Hochmuthes; um dieſen zu firafen, muß⸗ 
te dem Bilde Wahrheit gegeben werden. Ein Kuͤnſt. 
ler ward herbeygerufen, fein Pinſel mußte ſich be: 
quemen, den goldenen Thron in einen einfachen und 
beſcheidenen Stuhl zu verwandeln und anſtatt der 
Kaiſer, den König der Hunnen hinzuſetzen. Die in 
Feſſeln liegenden Scythen mußten frey und empor⸗ 
gerichtet, um ihn herum gereibet werden. In einer 
kleinen Entfernung erſchienen die Kaiſer in demuͤ⸗ 
thiger Stellung mit vollen Geldſaͤcken auf den 
Schultern, mit dem ſichtbaren Ausdrucke deſſen, 
was in ihrem Innerſten vorging; mit den deutlich⸗ 
lichſten Kennzeichen des Willens, ſich Ruhe, Frie⸗ 
den und Lebensfeiſt zu amen 9 


— 


*) Suidas v. MesdsoAavov und Kopnuos. — Wenn 
man ſich immer die Muͤhe gäbe, vor allem die 
Glaubwuͤrdigkeit der hiſtoriſchen Denkmahle mit 
gehoͤriger Strenge zu prüfen; — dann die rei- 
nen Thatſachen von dem Gefihtspuncte, 
aus welchem ſie der hiſtoriſche Zeuge ſelbſt 
ſehen konnte oder darſtellen wollte; — von den 
Driebfedern, die er nach feiner eigenthuͤmli⸗ 
chen Kenntniß des Menſchen angab;' von den Be⸗ 
merkungen, die er nach ſeinen Einſichten oder 
feinem Intereſſe über die Begebenheiten machte, 
fo forgfältig zu unterſcheiden: fo würde man vielleicht 
auf das Reſultat kommen: daß die meiſten Bars 

bariſchen Voͤlker gebildeter und groß⸗ 
müthiger; ihre Helden menſchlicher, 


u 249 — 


Naͤher dem unthaͤtigen Kaiſerhofe und der al⸗ 
ten Hauptſtadt der Welt waͤlzte ſich nun das furcht⸗ 
bare Ungewitter. Bey Cremona ſetzte Attila mit 
feinen Heerſcharen über den Padus, um den Bes 
herrſcher des Weſten zu Ravenna abzuholen und 
an feiner Rechten, als Sieger und Herr des Reis 
ches feinen Einzug in Rom zu feyern. Die Staͤd⸗ 
te Platentia, Parma und Kegium nahmen ihn mit 
allen Merkmahlen der Ehrfurcht und Unterwuͤrfig⸗ 
keit auf. Ungekraͤnkt blieb der Wohlſtand ihrer 
Buͤrger; je mehr er ſich der Hofſtadt naͤherte, und 
je feltuer er jetzt durch Widerſetzlichkeit der Schwa— 
chen aufgebracht wurde, deſto nachdruͤcklicher forder— 
te er von den Seinigen Achtung gegen die Geſetze 
der Ordnung und Menſchlichkeit. Unaufgefordert 
ließ ihm der Biſchof Geminianus Mutina's 


rechtſchaffener, gerechter und aus Prin⸗ 
cipien beſſer waren, als fie gewoͤhn⸗ 
lich von den hiſtoriſchen Zeugen ange⸗ 
kündiget werden. Ferner, daß die mei⸗ 
ſtenſo genannten cultivirten, daß heißt 
in Weichlichkeit, Sitten verderben und 
Sklaverey verſunkenen Voͤlker um 
vieles roher, grauſamer, niederträch⸗ 
tiger, und ihre geprieſenen Helden um 
vieles hinterliſtiger, gegen Freunde 
und Feinde treuloſer und aus Grund⸗ 
ſätzen boß hafter waren, als die hiſto— 
riſchen Zeugen darſtellen wollten oder 
durften. 


Thore aufſchlieſſen; fen es, daß es dem Ewigen ges 
ſiel, auf das Gebeth des Biſchofs hier ein Wun⸗ 
der zu wirken, welches er fo vielen Städten ver⸗ 
ſagt hatte; oder daß es bey dem großmüthigen 
Charakter At til a's keines Wunders bedurfte; 
ohne die geringſte Aus ſchweifung folgte der ganze 
Norden feinem Führer durch die Stadt *). 
Valentinian hatte ſich indeſſen nach Rom 
geflüchtet. Aetius war mit Huͤlfsverſicherungen 
aus der Hauptſtadt des Orients daſelbſt angelangt. 
Nicht ohne Grund fuͤrchteten die Römer, daß der 
Beyſtand des oͤſtlichen Kaiſers zu ſpaͤt kommen dürf- 
te; alles, was zwiſchen Rom und dem Apenninus 
die Römiihen Waffen zu tragen, oder wenigſtens 
die maͤnnliche Form des Kriegers anzunehmen und 
zu behaupten noch faͤhig war, ward ſchnell zuſam⸗ 
mengerafft, geruͤſtet und unter Aetius Anführung 
auf die Flaminiſche Straffe geſtellt. 

Unter dieſen unbedeutenden Vorkehrungen der 
Römer war Attila vor Ravenna eingetroffen. 
Joannes, der Biſchof der Stadt, von einer ehr⸗ 
wuͤrdigen Prieſterſchar begleitet, eilte ihm entge⸗ 
gen, um Gnade fuͤr die Stadt und ihre Einwoh⸗ 
ner zu erlangen. Attila hatte ſchon erfahren, 
daß ſich Aetius und die Roͤmer die Ehre des Sie⸗ 
ges auf den Catalauniſchen Ebenen ungerecht an⸗ 


0 ' 


) Sigonius de oceid. Imp. Lib. XIII. 


— 


gemaßt haͤtten; vor der Kaiſerſtadt aͤuſſerte er ſei⸗ 
ne Empfindlichkeit darüber. Es ware, erwiederte | 
er dem Biſchofe, von jeher feine Gewohnheit, des 
Demuͤthigen und Schwachen zu ſchonen; darum 
haͤtten auch die Stadt und ihre Buͤrger nicht die 
geringſte Beleid gung von ihm und den Seinigen 
zu fürchten: damit aber die Ravennater und ihre 
Nachkommen nicht vorgaͤben, ihre Tapferkeit oder 
Klugheit Hätte ihm dies gnaͤdige Verfahren abge⸗ 
drungen; forderte er, daß die Stadtthore niederge— 
riſſen und von den Roſſen feinerStreitoölfer in Staub 
getreten würden. Mit der größten Bereitwilligkeit 
nahmen und vollzogen die Ravennater dieſe Bedin⸗ 
gung. Siegend zog Attila durch die Stadt, und 
alles jauchzte dem Großmüthigen Heil und 
Dank für feine Rettung entgegen“). 

Die Abweſenheit des Kaiſers riß eine merk⸗ 
liche Lucke in Attila's Plan. Unter Aquileja's 
Zerſtoͤrung und feinen Streifzuͤgen war der Soms 
mer vorübergegangen; jetzt war es zu ſpaͤt über 


— 


) Riccobaldus in Pomerio beyRubeus Raven- 
nat. bif. Lib. XI. In adventu Attilae, de Raven- 
na sie legi in commentario pontihcio 
ejusurbis etc. — Riccobald lebte im XIV. 
Jahrhunderte, war Canoniens von Ravenna, 
Cardinal und ein Geſchichtſchreiber, den Rub e— 
us und G. J. Voſſius ihrer ganzen Achtung 
würdig fanden. Sieh. d. letztern. De Historicis 
Latin. L. II. C. 62. ) 


den Apenninus zu ziehen und durch Thuscien und 
Latium ſich durch eine oder mehrere Schlachten den 
Weg nach Rom zu bahnen, auf weichen ſich ihm 
nach Gefangennehmung des Kaiſers niemand wider⸗ 
fegt hätte. Ueberzeugt, daß ſich die Sorge der Roͤ⸗ 
mer ſeit ihrer Entartung immer nur auf den gegen⸗ 
waͤrtigen Augenblick erſtreckte, glaubte er nichts zu 
verlieren, wenn er fie den Winter über den Aus⸗ 
ſchweifungen ihrer Schwelgerey und Ueppigkeit über: 

ließ, und mit Anfang des Fruͤhjahres die Neſte 
ihrer Kraͤfte ſeinem Schwerte, die Reſte ihres Glü⸗ 
ckes der Begehrlichkeit ſeiner Horden aufopferte. In 
dieſer Abſicht kehrte er Über den Strom zurück und 
lagerte ſich an dem Zuſammenfluſſe des Mincius und 
Padus vor Mantua, wo ihn ſeine nach Cabilonum 
geſandten Geſchaͤfttraͤger mit der ſchoͤnen Hild g un⸗ 
de ſchon erwartet hatten. 


Grenzenloſe Freude uͤberſtroͤmte das Herz des 
Kaiſers und des Roͤmiſchen Volkes, als fie At ti⸗ 
la's unerwarteten Ruͤckzug vernommen hatten. 
Ernſthafter als jemahls dachten jetzt Aetius und 
der Senat auf Mittel, aus dieſem guͤnſtigen Ereig⸗ 
niſſe Vortheile zu ziehen und das Land auf eine 
gute Art von einem Feinde zu befreyen, dem man 
nichts mehr, als in dem Waffenrocke vermummte 
Zeugen der allgemeinen Ohnmacht und Verzweiflung 
enfgegenfesen konnte. Der Vorſchlag, den König 
der Hunnen mit einer anſehnlichen Geſandtſchaft zu 


— 253 — 


beehren und unter was immer fuͤr Bedingungen 
einen Frieden mit ihm zu ſchlieſſen, fand allgemels 
nen Beyfall. Das wichtige Geſchaͤft ward dem 
Conſalar vom erſten Range Avienus, dem Praͤ⸗ 
fekt der Leibwache in Italien Trigetius und dem 
Roͤmiſchen Biſchofe Leo aufgetragen. Das Heil 
des ganzen Oceidents hing von dem gluͤcklichen Er- 
folge dieſes Verſuches ab; den Sachwaltern war die 
unbeſchraͤnkte Vollmacht, alles was ihn beguͤnſtigen 
koͤnnte, einzugehen ertheilt. Der Segen der From⸗ 
men, die Angſiſeufzer der Beſtuͤrzten, die Jammer⸗ 
thraͤnen der Ungluͤcklichen begleiteten fie auf ihre 
Wallfahrt. . 8 

Attila empfing ſie mit allem Ernſte des ſich 
bewußten unbezwinglichen Helden; zugleich aber auch 
mit allen Merkmahlen der Achtung, die ihm ihr ehr» 
wuͤrdiges Anſehen einfloͤßte. Leo, der geuͤbteſte 
Redner ſeines Zeitalters, führte das Wort. Wuͤr⸗ 
de mit Beſcheidenheit gepaart, bahnte ihm den Weg 
zu dem Herzen des Koͤnigs. 

Mit lebhaften Zügen ſchilderte er ihm die Vor⸗ 
zuge der Römer, die einſt waren, vor ihren, von 
dem Strome der Vergaͤnglichkeit mit fortgeriſſenen 
Enkeln. — Freymuͤthig geſtand er, alles, was das 
unbeſtaͤndige Gluck dieſen entzogen haͤtte, wäre 
ihm und ſeinem Volke in vollerm Maſſe zugetheilt 
worden. Dadurch waͤre feine Macht und Herrlich- 
keit auf einen Gipfel geſtiegen, auf welchem ſie nur 
den Rathſchluͤſſen des unſichtbaren Weltbeherrſchers 
untergeordnet, von allen Voͤlkern müßte gefuͤrchtet 


und verehrt werden. — Auf dieſer Höhe huldigte er 
ihm im Nahmen des Kaiſers und des Roͤmiſchen 
Volkes. — — Als Sachwalter derjenigen, die, 
vor dem traurigen Verſchwinden ihres Glanzes die 
ganze Welt ihr Gedierh genannt, von welchen Ad, 
nige und Voͤlker Rechte und Geſetze empfangen 
hatten, bat er um die Kundmachung der Bedin⸗ 
gungen, unter welchen ihnen feine Großmuth Fries 
den und Sicherheit verleihen wollte. — Mit mehr 
Waͤrme drang er nun in das Innerſte des geruͤhr⸗ 
ten Helden. Mit hober Begeiſterung ſtellte er ihm 
vor, bis jetzt haͤtte er gezeigt, daß er ſto ze Koͤni⸗ 
ge demuͤthigen, auf ihre Feſtigkeit trotzende Staͤdte 
erobern, tapfere Voͤlker uͤberwaͤltigen, die ſchreck⸗ 
barſten Gefahren und maͤchtigſten Hinderniſſe uͤber⸗ 
winden koͤnnte; nun ſollte er ſich ſelbſt uͤberwinden, 
ſeinem erbitterten Herzen Gewalt anthun, ſeinen 
Zorn, der den Roͤmern groſſe, und vor dem Rich⸗ 
terſtuhle des Ewigen laͤngſt verdiente Zuͤchtigungen 
zugedacht haͤtte, den Vorſchriften der Meuſchl w⸗ 
keit unterwerfen, und durch edelmuͤthige Schonung 
der Schwachen, Bedraͤngten, Gedemuͤthigten ſeinen 
Ruhm vollenden. 

So hatte noch kein Römer fo fein Prieſter 
vor Attila geſprochen. Der Anſtand, die Ruhe, 
die Sanftmuth und Majeſtaͤt, die in der ganzen 
Geſtalt des Römifhen Biſchofs lag; fein graues 
Alter, die unverkennbaren Züge groſſer Sorgen 
und in Reinigkeit der Sitten verlebter Jahre; die 

Kraft ſeiner Worte, die mit den edlern Gefuͤhlen 


— 15 — 


des Koͤnigs fo gluͤcklich uͤbereinſtimmende Würde 
feiner geoffenbarten Geſinnungen, das aus gezeich⸗ 
nete Aaſehen der Männer und des Gefolges, von 
welchen der Sprecher umgeben war; dieß alles 
mußte ſeiner Seele das ſchwarze Ideal von der 
Menſchheit auf einige Augenblicke verhuͤllen, deſſen 
Haͤßlichkeit bisher ſchon durch mannigfaltige Wie 
drige Züge in ihm war verſtaͤrkt worden; mußte 
ſeinen Abſcheu von einem Volke mildern, das nur 
die uͤberſpannte Gunſt des Gluͤckes in das aͤußerſte 
Verderben geſtuͤrzt hatte; mußte ſein Selbſtgefuͤhl 
zu den ſanftern Empfindungen der ſympathetiſchen 
Gefuͤhles hin aufſtimmen, unter welchen er ſich ſei⸗ 
nes edelſten Vorzuges, — der Kraft, Ungluͤckliche 
zu unterſtuͤtzen und der Rache zu entſagen, — bes 
wußt ward: — richtigere Vorſtellungen uͤber den 
ſchnellen Wechſel der menſchlichen Dinge erwachten 
in ſeinem Verſtande; lebhaft ſchwebte ihm die Lage 
vor Augen, in welcher er ſich ſelbſt auf den Catalau— 
niſchen Feldern befand, oder in welche er dort haͤt⸗ 
te gerathen koͤnnen; ſein Herz ward den Wuͤnſchen 
der erwartungsvollen Sachwalter des Oceidents 
geneigt. n 

In dieſer Seelenſtimmung ſah er ſelbſt ſeine ge— 
genwaͤrtigen Verhaͤltniſſe in einer ganz andern Ges 
ſtalt; nicht einmahl im Dunkeln hatte ihm vorher 
das Gefahrvolle derſelben geahndet. Freunde und 
verſteckte Feinde hatten ſich noch jenſeits des Padus 
vereinigt, um ihn von der feſtbeſchloſſenen Beſtuͤr— 
mung der alten Hauptſtadt der Welt zurückzuhal⸗ 


— 236 . 


ten. Sie hatten ihn auf Alarichs Schickſal aufs 
merkſam gemacht, der die Eroberung der heiligen 
Grabſtaͤtte der Vaterlandsliebe, des Buͤrgerſinnes 
der Freyheit und des Heldenmuthes nicht lange 
überlebt hatte. — Aber feine unerſchrockene Seele 
erkannte die Macht des Aberglaubens nur, wenn 
ſie ſich ihm als folgſame Dienerin zu ſeinem Zwe⸗ 
cke angebothen hatte; er ſpottete ihrer, ſobald ſie 
ſelbſt uber feine Entſchließungen herrſchen wollte. 
— Er, den die gegenwaͤrtige Gefahr nie erſchuͤttern 
konnte, war über eingebildete Schrecken derſelben 
erhaben. Edecons und feines Erfigebornen Ds 
do acer 3 Gründe für die Zerſtoͤrung Roms hats 
ten bey ihm ein entſchiedenes Uebergewicht über 
die Beſorgniſſe der Zaghaften. — Jetzt erſt ſah er 
ein, daß er ſeine große Unternehmung mit den Kraͤf⸗ 
ten derjenigen ausführen müßte, die nur darum 
Alarichs Schickſal ihm vorgehalten hatten, weil 
fie es für ſich ſelbſt fuͤrchteten. Der Zauberſtab des 
Vorurtheils hatte die anſehnlichſte ſeiner Siegesge⸗ 
fährten beruͤhrt; mit ihnen durfte er nicht wagen, 
was der Pinſel des Aberglaubens als verderblich 
und ſchreckenvoll dargeſtellt hatte. — Die aus laͤn⸗ 
diſche Weichlichkeit hatte angefangen, Italien an 
den Hunnen und Nordbewohnern zu raͤchen; Voͤl⸗ 
kerſtaͤmme, deren gewoͤhnliche Nahrung ſonſt in 
Milch, Kraͤutern und rohem Fleiſche beſtand, hat⸗ 
ten die Veredlung der Roͤmiſchen Kochkunſt kennen 
gelernt; unter dem Kitzel der Gaumen erſtickte die 
Schwelgerey ihren Geſchmack an den Freuden der 
Sey⸗ 


Seythi ſchen Nuͤchternheit. — Die in Ztalien hert⸗ 
ſchende Seuche hatte ſchon einen großen Theil ſei⸗ 
ner Streitmaͤnner hingerafftz der noch Geſunde fors 
derte, unter dem Vorwande der Arbeit, Gelegen⸗ 
heit zur Beute. — Die Aus pluͤnderung I Staͤd⸗ 
te hatte Attile's Lager in einen Sammelplatz 
der Reichthuͤmer und des ueberſluſſes verwandelt; 
was ſo leicht war gewonnen worden, ward ohne 
Sorge für die Zukunft verſchwendet: bey den ver⸗ 

mehrten Bedürfniffen mußte der Held den unaus⸗ 
bleiblichen Mangel; vorherſehen. Auſſer Thuscien 
und Latium war nichts mehr zu plündern übrig. 
— Die auf die raſende Verſchwendung nothwendig 
folgende Noth würde die kaum aufgekeimte Ord⸗ 
nung und Kriegszucht bis auf die letzte Spur ver⸗ 
nichtet, wuͤrde die, durch das eigene Verderben 
veranlaßten, Folgen dem Führer angerechnet, würs 
be das ſchnell verzehrende Feuer der Meuterey und 
Empörung angezuͤudet haben; und ſo konnte der 
Schlund, in welchen die Herrſchaft der Caͤſarn 
wäre geſtuͤrzt worden, der Abgrund werden, der 
mit geringerm Geraͤuſche, aber mit mehr Schande 
ihre Ueberwinder verſchlungen hätte. — Die maͤch⸗ 
tig hervorſchoſſenden Keime dieſer Uebel waren we; 
der durch Befehle zurückzuhalten, noch durch das Hen⸗ 
kerbeil auszurotten. Unter einigen hundert taufend 
bewaffneten, auf einem Haufen zuſammengedraͤngten, 
noch nicht in Maſchinen verwandelten Meuſchen mußte 
die Stimme des drohenden und lehrenden Heerfuͤh— 
rers verhallen; mußten die Ruthe der Zucht und das 

R 


Schwert der Otrechtigtrit ihre 1 
verlieren. 98 

Dieß alles lag jetzt gegen dee Schickſal — 
halben Welt auf der Wagſchale des Berbängniffes, 
welche für dieſen Augenblick, welche zum letzten 
Mahle in Atti la's Händen war. — Seine Ge⸗ 
führe urdeiteten im gewaltigſten Kampfe; aber der 
Blick ſeines Geiſtes war auf das Schwanken der 
Wage geheftet. — Das Gewicht der Gründe, wel⸗ 
che fuͤr die Schonung der Römer ſprachen, war 
fuͤhlbar, war hell und deutlich erkannt; die Wich⸗ 
tigkeit der Vortheile, welche Roms Unterjochung 
verhieß, war nur durch den Zauber einer glühen⸗ 
den Einbildungskraft erhoͤhet. — In dieſen, für 
alle folgende Generationen Europa's, für das gan⸗ 
ze Menſchengeſchlecht ſo entſcheidenden Augenblicke 
mußte ein überdachter Entſchluß gefaßt; nicht dem 
heißen Drange leidenſchaftlicher Begeiſterung ge⸗ 
folgt werden. — Das in den Wonneſtunden der 
frühefien Jugend entworfene und glücklich angefan⸗ 
gene große Werk ſollte vollzogen, oder aufgegeben 
werden. Nur einige Schritte noch von dem lange 
verfolgten Ziele entfernt, ſollte der Held ſtehen blei⸗ 
ben ;dort, wo er dem Sieger hinter dem Ziele 
an der einen Seite das Dornenlabyrinth der qua⸗ 
lenden Neue eroͤffnet, von der andern die Hallen 
des Ruhmes und der Unſterblichkeit aufgeſchloſſen 
ſah; dort, wo es noch unentſchieden war, wo er 
hingerathen würde, ſollte er vor der Eutſcheidung 
umkehren und in den Armen der Klugheit, in dem 


— 29 — 


ſtillen Bewußtſeyn, recht und vernünftig gehandelt 
zu haben, Belohnung oder Entſchaͤdigung fuͤr ſei⸗ 
nen mühſamen Lauf ſuchen. — Die R uͤck kehr 
war leicht, gegenwärtig, ſicher, nicht glänzend, 
aber immer noch ehrenvoll; die Fort ſetzung 
des Laufes lockte durch einen weit ausg⸗ goſſe⸗ 
nen Schimmer, aber ſchreckte mit Unsicherheit und 
Schwierigkeiten. Zu der erſtern waren die Kraͤf⸗ 
te noch im Urberfluffe vorhanden; zu der letztern 
mußten ſie bey jeder Annaͤherung zum Ziele mit 
neuen verſtaͤrkt werden. — Die lebhaft aufge⸗ 
faßte gewiſſe Gegenwart und ungewiſſe 
Zukunft, die klare Einſicht, daß hier 
alles, dort nichts konnte verloren werden, 
entſchied den ſchweren Kampf und neigte die Wage 
zur Schonung und Gnade fr die Römer. 

unter der Bedingung eines jahrlichen Tributes 
und der Auslieferung der Honoria mit dem ihr 
gebuͤbrenden vaͤterlichen Erbtheile, und unter der 
ernfihaften Drohung einer ſchrecklichern Wiederkunft, 
weigerte ſich der Kaiſer die Bedingungen in Jahres- 
friſt zu vollziehen, dot er den Sachwaltern des We; 
ſten ſeine Hand zum Frieden und verſprach Italien 
zu verlaſſen *). 


— — — 


) Auf dieſe, und auf eine andere, S. 220 erzähl 
te Begebenheit deutet die Allegorie auf dem Titels 
blatte. Noch verdient bemerkt zu werden, was 
Buat über beyde ſagt. — „Ni les prophéties des 
saints, ai möme la prescience de Dieu n'ôtent 4 


R 2 


= 209 — 


Neue Aufforderungen zur Thaͤtigkeit fand er 
nn feiner Ankunft in Pannonien. Marcianus, 
hatte waͤhrend der Abweſenheit des Helden den Tri 
but nicht abgeliefert, entweder weil er Muth genug 
in ſich fuͤhlte, ſein Waffengluͤck an Atti la zu ver⸗ 
ſuchen; oder weil er eingeweiht in die ſchaͤndlichen 
Myſterien der Neuroͤmer, mit Gewiß heit wußte, daß 
er Ad ben Lee wut und in d kia 

neee e eee ei Tre 


unt a aan u 


j 44 16 1 5 980 15 N * f Ina 


Ebemfe lsa liberté. — II y a ceftainement ve 
que chose de miraculeux dans la conduite d’Att- 
til a: mais le miracle, s’il y en a, ne doit point 
faire ‚disparoitre, à nos aß ‚une ‚preuve 3 si ‚ecla« 
tante 5 si. bien constatee de la a de 

ce grand homme. — — Si on à fait un miracle 

85 opere par la toi de saint Leon, in ne faut pas 
conclure , que ce saint füt un Thaumaturge ni 
qu' At ti la füt an bourreau, Jene sgaissi l'on 
kait bien, d’öter aux hommes ce ai 
n'est due trop rare ch 2 eu x, pour d o n- 
ner 4 Dieu ce dont il n’apas besoin, et 
Sy auroit pas eu autant de piété à le remer- 
eier d'avoir fait naitre un prinee Hun; un Attila, qui 
pouvoit faire tant de mal, avec des sentiments d’hu- 
manité qui &paignoient aux Romains une partie des 
malheurs, qu'ils s’etoient attirés. Ces sentimens, na- 
turels aux grandes àmes de tons les siecles, sont 
un plus grand présent de Dieu, que n’auroit été 
l’eloquence de Leon, ou l’etourdissement passa- 
ger d' Attila“. Hist. Ancienn. de Peupl. Nun. 


rop. T. VII. p. 544 et 588. 


— 


— 261 — 


Attila's Bogen würde zerbrochen fe 
hen.“) Mit großer Anſtrengung ruͤſtete ſich der Kö: 
nig der Hunnen den Winter über, um die Schale der 
Plagen uͤber den Orient auszugieſſen, womit er den 
tiefgebeugten Oceident verſchont hatte. — Fertig zum 
Aufbruche feyerte er noch vorher feine Vermaͤhlung 
mit Hildgunde ). Die Hochzeitnacht war die 
letzte ſeines Lebens; in dem Brautgemache lauerte 
der Tod auf das groſſe Opfer, das ihm ſo oft ent⸗ 
gangen war. 

Hildgunde ) war ſchon Walthers 
Verlobte, als fie Herrich, um ſich und ſein Volk 
gegen Attila's mächtige Feindſchaft zu ſichern. 
mit ihrer und des Jünglings Einwilligung den Hun⸗ 
niſchen Freywerbern überlieferte, Sey es, daß 
ſie ihrem Geliebten mit unwandelbarer Treue an⸗ 
gehangen, und um ſie gegen die Gewalt der um⸗ 
ſtaͤnde unverletzt zu behauplen, ſich noch in Cabilo⸗ 
num zu einet Frevelthat entſchloſſen halle; oder 

99 lornandes C. 43. 

) Meine Gruͤnde, warum ich e einen zweyten Feld- 
zug, den Altila nach Gallien ſollte unternommen 
baben, bier ſtillſchweigend uͤbergehe, ſtehen bey 
Valeſtus. Rer. Franc. Lib. XV. 

| 0 Jornandes und Bo nfinius nennen fie nach 


Priscus Haien — Sigonius und Calli- 
machus, Hildie om — Aventin us, dem ich 
gefolgt bin, nennt fie Hildgunde, und des Heri⸗ 
eus, eines Fraͤnkiſchen (Vurgundiſchen hät: 
te er nach Fiſcher U. ce. ſagen ſolle n) Koͤ⸗ 


nigs Tochter. 


va 262 — 


daß ſie durch geheime Geſchaͤftstraͤger des Ae ti us 
in Mantua dringend dazu war aufgefordert wor⸗ 
den: fie war das ſchreckliche Werkzeug, durch wel⸗ 
ches eine hoͤhere Kraft Att il a's groſſem Leben ein 
Ende machte; weil das Reich der Caͤſarn unterge⸗ 
ben, weil die neue Hauptſtadt der Welt die noch 
übrigen Reſte der alten Noͤmiſchen Geiſterbildung 
und Herrlichkeit einem wuͤrdigern Zeitalter aufbe⸗ 
wahren ſollte. — Nach den Freuden der Hochzeit⸗ 
feyer trdumte er an ihrer Seite von Schlachten und 
Siegen in Thracien, während fie ihm den moͤrderl⸗ 
ſchen Stahl in das Herz ſtieß ). | 


*,Jornandes und Diaeconus laſſen ihn in ei⸗ 
nem tiefen Schlafe, von Wein und Liebe trunken, 
an einem Blutfluſſe aus der Naſe ſterben; Otto 
Friſing Chro n. L. IV. C. 28. ſetzt die Urſache 
hinzu: ut qui semper humanum sanguinem sitive- 
rat, proprio quoque sanguine suffocatus interiret. 
Marcellinus Comes Chron. a. a. 454. At- 
kila rex Hunnorum Aetii hortatu noctu mulieris 
manu cultroque confoditur. Und dieſem glaube ich 
folgen zu dürfen: 1) Weil die von Jornandes und 
feinen Nachbethern angegebene Schwelgerey des 
nüchternen Attila hoͤchſt unwahrſcheinlich ift: — 2) 
Weil ſowohl der Charakter des Aetius, als auch 
die Lage des weſtlichen Kaiſerhofes, der ſich weder 
zum Tribut, noch zur Auslieferung Honori a's 
entſchlieſſen konnte, einen Mordanſchlag wider At⸗ 
tila hoͤchſt wahrſcheinlich macht — z) Weil Mar⸗ 
cellinus, der, Zeit und dem Orte nach, der Be⸗ 
gebenheit der naͤchſte war: und Caſſiodorus 
(Div. Leet. cap. 17.) ihn als einen glaubwürdigen 
Schriftſteller empfiehlt. — Und endlich 4) weil ich 
in dem ganzen eee des Koͤnigs der Hun⸗ 
nen keinen Bewegarund fuͤr mich finden konnte, 
das erbauliche Wortſpiel des Otto Friſing zu 
unterſchreiben, oder durch den Glauben an Jor⸗ 
nandes zu bewaͤh ren. N 


— — 


— 


Fo 


. 


1 


n. 


ee „Um 


Mit dem Kraftmanne war das Reich der 
Hunnen emporgeſtiegen; mit ih em mußte et fallen, 
ſollte die groſſe Kataſtrophe erfolgen, die er ſo thaͤ⸗ 
tig vorbereitet, befoͤrdert, vor der Vollendung ab⸗ 
gebrochen hatte. Die von ihm zuſammengedraͤng⸗ 
ten und geleiteten Kräfte mußten jetzt getheilt, muß⸗ 
ten ſelbſtſtaͤndig und in einem groͤſſern Umfange 
wirkſam werden, ſollten ſie das Ziel erreichen, wel⸗ 
ches ihnen die geheimen Nathſchluͤſſe des Ewigen 
geſetzt hatten. Das Hunniſche Reich in ſei ner 
Fortdauer wuͤrde vielleicht noch lange den Herren 
des Orients und Occidents Gefege vorgeſchrieben, 
vielleicht ſich mit ihnen zum Verderben der kuͤnfti⸗ 
gen Geſetzgeber Europa's verbunden haben; ſein 
Sturz zog ſchneller den Untergang der weſtroͤmi⸗ 
ſchen Herrſchaft, als nothwendige Folge nach ſich; 
und die von zwey groſſen Feinden befreyten Voͤl— 
ker des Norden waren Meiſter des Feldes, in das 
fie die erſten, und heute noch fortarbeitenden Keir 
me einer beſſern Zukunft hineinlegen konnten. 
Attila hatte den Thron feinem aͤlteſten Soh⸗ 
ne Ellak, mehr weil er der tapferſte, als weil er 


— 266 — 


der erfigeborne war, zugedacht; doch ehe er ihm noch 
die Thronfolge wirklich verſichern konnte, ward er 
weggerafft. Das Reich war der verderblichen Ge⸗ 
walt der Eiferſucht und des Bruderzwiſtes preis 
gegeben. Die Nation, die entweder das ausſchlie⸗ 
zende Recht der Erfigeburt nicht anerkannte, oder 
die Vortheile deſſelben fur den Staat in ſeinen ge⸗ 
genwaͤrtigen Verhaͤltniſſen nicht eingeſehen hatte, 
erklärte ſich für die Theilung deſſelben durch das 
Loos. Dieſes, freyen Voͤlkerſtaͤmmen fo ſchimpf⸗ 
liche Verfahren, wodurch es dem Zufalle heimgeſtellt 
plieb, wer von ihnen als Herr gebiethen ſollte, em⸗ 
voͤrte vor allen Ardarichs Stolz. Er verband 
Gh mit Valamir und feinen Bruͤdern, um jetzt 
ein Joch zu zerbrechen, das nur Attila’ ſeltne 
Borgüge ertraͤglich gem acht, dem nur „feine Herr⸗ 
ſcherwürde und fein Heldenruhm das Entehrende 
benommen hatten. Dem Bey ſpiele der Gepiden 
und Oſtgothen folgten die Sueven und Rugier. 
Edecon mit feinen Seyrrern blieb Attila's 
Soͤhnen getreu. Die übrigen Stämme traten theils 
auf die Seite der Hunnen, theils auf die Seite 
derjenigen, die Ehre und Freyheits liebe wider ihre 
alten Ueberwinder bewaffnet hatten. 

An Nedas Ufern ſiel Ellak mit dreyßig tau⸗ 
ſend Hunnen im Kampfe gegen Ardarich und 
ſeine Bundes freunde. Ellak's Tod zog das Ver⸗ 
derben der Hunnen unaufhaltbar nach ſich. De n⸗ 
gezik flüchtete ſich mit einem Theile der Uebrigge⸗ 
bliebenen an die Kuͤſten des Pontus; Irnak mit 

\ | 


* 


dem andern gründete ein neues Reich in dem oͤſtli⸗ 
chen Theile von Klein⸗Scythien. Die Ueberwin⸗ 
der theilten die Truͤmmer des niedergeſtuͤrzten Kos 
loſſes nach dem Verhaͤltniſſe unter ſich, in wel: 
chem ſie zu ſeiner Erſchuͤtterung mitgewirkt hatten. 


Indeſſen wurden in Italien Attila’ 8 Mas 
nen felhg von feinem Feinde Valentinian ver⸗ 
ſoͤbnt. Des Aetius ausgebreiteter Ruhm hatte 
ſeine Eiferſucht gereitzt; er fing an den Beſchüͤtzer, 
feiner Herrſchaft zu halfen. Der Eunuch Hera: 
clius, fein Liebling, machte ihm den ſchon zu 
mächtigen Patricier des Strebens nach dem Kai⸗ 
ſerihrone verdaͤchtig; und Vale ntinian zog, — 
zum erſten Mahle in ſeinem Leben, — das Schwert, 
um die Bruſt ſeines Retters zu durchbohren. Er, 
der Freundſchaft und Dankbarkeit für leere Nah⸗ 
men hielt, weil er ſie ſelbſt nie empfunden hatte, 
nahm Aetius treue Haustruppen und Söldner 
unter feine Leibwache auf. Maximus, einer 
der vornehmſten Senatoren, deſſen Gemahlin der 
Kaiſer geſchaͤndet balte, feuerte fie an, ihren er— 
mordeten Gebiether an feinem Mörder zu rächen 
Zwey von ihnen nahmen die Vollziehung der That 
auf ſich; während Valentin ian auf dem Mars⸗ 
felde an Fechterſpielen ſich ergoͤtzte, zeigten fie an 
ſeinem Guͤnſtlinge Heraclius, was ihm ſelbſt 
bevorſtaͤnde. Roch rauchte das Blut des Eunuchen 
an ihren Schwertern, als fie auf ihn hinſtuͤrzten 


— 


— 268 — 


und ihn ermordeten, ohne daß ein einziger von der 


ihn umringenden Leibwache daran düse, * zu 


befteven oder zu vertheidige n. 
Maximus erhielt durch die Wahl den Thron, 
durch Zwang die Hand der Kaiſerin Eudoria; ihre 
Zuneigung ward ihm nie. Das Geſtaͤndniß feines 
Autheils an Valeutinians Ermordung entflamm⸗ 
te in ihrer Seele den maͤchtigſten Abſcheu und Haß. 
Geis eriſch, von ihr aufgefodert, erſchien mit ei⸗ 
ner ſtark bemannten Flotte vor der Mündung der 
Tiber. Maximus verlor auf der Flucht unter 
der Wuth der Soldaten und des Poͤbels fein Le⸗ 
ben; Rom durch die Pluͤnderung von den Vanda ⸗ 
len feine Reichthuͤmer und Söaͤtze, welche die Raub» 
Ki der Groffen in ihren Pallaͤſten aufgehäuft bate 
Reicher als Ala rich und Attila, kehrte 
nen ch nach Afri? a zuruck. Eudoxia mit 
ihren Toͤchtern und einer zahlreichen Schar vorneh⸗ 
mer Gefangenen verherrlichte ſeinen Einzug in Car⸗ 


thago. 


Rieimer, ein Sueve, durch Verdienſte be. 
rähmt und feiner Tapferkeit halber allgemein ges 
ſchaͤtzt, ver achtete den neuen Kaiſer Avitus, den 
die Roͤmer aus Gallien auf den Thron berufen hat⸗ 
ten. Als oberſter Befeblshaber der Roͤmiſchen Huͤlfs⸗ 
truppen hatte er die Macht in den Haͤnden, unter 
welcher der Glanz und die Herrlichkeit des Galliers 
verſchwinden mußte. Er griff ihn in dem Gebiethe von 


— 260 — 


Placentia an, nahm ihn gefangen und ließ ihn zum 
Biſchofe weihen. Mehrere Monathe herrſchte nun 
Reim, er mit unumſchraͤnkter Gewalt ohne den 
Kaifertitel anzuneh nen Sein Ehrgeiz befriedigte 
ſic damit, daß er nach Wohlgefallen Kaiſer eutſetzte 
n höre: and A wi 

Jetzt traf feine Wahl 9 deſſen vor⸗ 
bin unbekannte, aber im Purpur glanzende Eigen» 
ſchaften den Stolz des Sue ven auf feine Einſich⸗ 
ten beſchumten. Majorian hatte die Kraft, 
ſelbſt zu herrſchenz und er wollte es. Seine vor⸗ 
treflichen Geſetze wurden nicht befolgt; aber feine 
kriegeriſchen Talente erwarben ihm Achtung. Er 
ſclug die Vandalen und Mauren bey Spuveſſa, 
brachte die empoͤrten Voͤlker in Gallien zur Ord⸗ 
nung und Ruhe, noͤthigte die Weſtgothen zum Beg. 
ſtande wider Geiſer ich; ward aber von dieſem 
bey Carthagena gezwungen, einen Waffenſtillſtand 
zu ſchlieſſen, weil er der Stimme des Friedens 
kein Gehoͤr geben wollte. Auf feiner Reife nach Ita⸗ 
lien gerieth er in die Gewalt der Bsrräther, die 
ihm Rieimer entgegengeſandt hatte; um fein 
Leben zu erhalten, ua er feyerlich der Lager. 
wurde. 

Der maͤchtige Su eve befahl 10 Senat, den 
Severus, einen Mann von dunkler Herkunft, 
Kaiſer zu nennen; und er gehorchte. Nach einem 
Jahre verſchwand das Schattenbild vom Throne, 
und Rieimer beherrſchte den Oceident unter fein 
nem eigenen Nahmen. Mehr ſchwindelnder Hoch, 


= 27 & 


muth als edles Selbſigefuͤhl machte den Nömern 
die Herrschaft des Barbaren verhaßt. Bon Leo, 
dem Kaiſer des Orients, forderten ſie einen Herrn, 

und erhielten ſeinen Eidam Anthem ius. Bald 
erſah Rieimer feine Vortheile bey dem neuen 
Gebiether; er vermaͤhlte ſich mit der Tochter des 
Anthemius und ließ dieſem den Kaiſertitel; die 
Gewalt konnte dem Sue ven wicht mehr een 
werden. 

Geiſerich, der bon W wr alles, von 
Anthemius nichts zu fürchten hatte, ſtreute 
zwiſchen beyde den Samen der Zwietracht. Oly⸗ 
brius, vom Kaiſer des Orients geſandt, die 
Streitenden miteinander aus zuſoͤhnen, vergaß ſei⸗ 
nes Auftrages und ließ ſich von dem Staͤrkern ſelbſt 
zum Kaiſer ausrufen. Vereinigt mit Rie imer 
zog er vor Rom. Die Stadt ward mit Sturm 
eingenommen, Anthemius ermordet. Kurz darauf 
machte eine heftige Krankheit der hochmuͤthigen Ty⸗ 
ranney und dem Leben des Su even ein Ende. 
Viermal hatte er den Thron der Cäfarn verge⸗ 
ben, und die Beſitzer deſſelben als Sclaven, nicht, 
wie Attila, als Zinsgenoſſen behandelt. . 

Nur einige Monathe uͤberlebte ihn Olybri⸗ 
us. Sein Nachfolger bieß Glycerius; die Ge⸗ 
ſchichte der Menſchen weiß nichts von ihm, als 
feinen Nahmen und eine Mordthat. Von Nepos, 


dem Statthalter Dalmatiens entſetzt, ward er von 


der Kirche zu Salona als Biſchof aufgenommen. 
Nepos auf dem Kaiſerthrone beguͤnſtigte die 


* 


Schmeichler; ihre Niedrigfeit belohnte ihn mit dem 
Nuhme eines iugendhaften Regenten und eines er⸗ 
fahrnen Heerfuͤhrers. Dreift verkündigten ſeine 
Güuͤnſtlinge die Ruͤckkehr gluͤcklicherer Zeiten; aber 
ſie glichen einem Marktſchreyer bey dem Krankenla⸗ 
ger, der das krampfhafte Lächeln des Sterbenden 
für ein troͤſtliches Zeichen der zuruͤckkehrenden Les 
beuskraft ertidrt. Oreſtes ſtrafte ſie der Lüge, 


Attila's Freund hatte nicht Luft, den ver- 
drängten Erben des Hunniſchen Reiches in die Scy- 
thiſchen Wüſteneyen zu folgen; aber er war auch zu 
ſtolz, um unter dem Rahmen der Schußzgenoſſen⸗ 
ſchaft den Gepiden oder Oſtgothen zu dienen. Er 
war nach Rom gezogen, wo ihn Nepos mehr ſei⸗ 
nes gefaͤlligen Betragens, als ſeiner Verdienſte hal. 
ber zum Vorſteher der Kriegsmacht erboben hatte. 
Schon lange beſtand dieſe nur aus barbariſchen 
Haufen, die nach der Auflöfung der Hunniſchen 
Macht von den Kaiſern des Weſten in Sold wa⸗ 
ren aufgenommen worden. Sie verehrten den 
Oreſtes, weil er noch immer ihren Sitten getreu 
geblieben, weil er ihres geachteten und unvergeß⸗ 
lichen Gebiethers oder Schutzherrn Vertrauter war. 
Sie waren unzufrieden mit einem Kaiſer, bep dem 
das Verdienſt im niedrigſten Werthe hand: Org 
fi e 8 benugte ihre unruhige Gemuͤthsſtimmung und 
führte fie vor Ravenna, um den Schwaͤchling zu 
zwingen feine geraubte Wuͤrde niederzulegen. Ne— 


— 273 nu 


pos floh nach n wo er nach fünf Jake 
ren von feines Vorfahrers Glycerins geſalbten 
Händen ermordet ward. 8 

Die ein lige Stimme der Krieger rufte den 
Freund Atti! a's zum Kaiſer aus; aber er wei⸗ 
gerte ſich dem verdächtigen Rufe des Gluͤckes zu 
folgen. Was ſeine Vorſicht oder feine Beſcheiden⸗ 
heit ausſchlug, ward ſeinem Sobne Romulus 
Au guſtus aufgedrungen. 


= — 


Rus — 

Wöbreld dieſer ſchnel ac bee | 
Erſchuͤtterungen des Kaiferthrones waren die Seyr⸗ 
rer, Heruler, Zureifinger,, Alanen und Rugier, 
die ſich unter Ede co ws Anführung wider die Oſt⸗ 
gothen verbunden batten, nach einem zwölfjährigen 
Kampfe gaͤnzlich geſchlagen und zerſtreuet worden. 
Ihr Führer war auf dem Sqhlachtſde geblieben; 
nur feine Söhne Odo acer und Onulph waren 
dem Gothiſchen Schwerte entronnen. Der legte: 
re faud in der Hauptiiadt des Oſten Wohlthaͤter, 
die er mit der ſchwaͤrzeſten Undaakbarkeit belohnte: 
Odo a cer beſaß nichts als Muth, Unteruehmungs⸗ 
geiſt, Sitten und Tugenden, die er in Attil a's 
Lager gelernt hatte. Ihm war es vorbehalten, die 
Entwuͤrfe ſeines groſſen Meiſters auszuführen.“ 

Nach langem Herumirren ſam melte er die zer⸗ 
ſtreuten Haufen feines vaͤterlichen Volkes und führs 
te fie nach Italien. Seinem vortrefflichen Wüch⸗ 

| | 9 ſe 


se 


fe hatte er den anſehnlichen Rang. zu verdanken, 
der ihm bey der Leibwache drs Kaiſers war ertheilt 
worden; was feinem innern Werthe gebührte, ers 
warb ihm die Fuͤlle ſeiner maͤnnlichen Kraft. 
Die Barbariſchen Soͤlduer, mit deren Hülfe 
Oreſtes den Nepos verjagt hatte, forderten 
jetzt den dritten Theil der Laͤndereyen in Italien 
als eine gerechte Belohnung ihrer geleiſteten Dien⸗ 
ſte. Die Weigerung des Kaiſers und ſeines Vaters 
reizte fie zur Empoͤrung; in Odoacers Hände 
legten ſie ihre Rechte und ihr Schickſal. At t i⸗ 
La’s beherzter Zoͤgling ſtellte ſich an ihre Spitze und 
belagerte Pavia, wohin ſich Oreſtes gefluͤchtet 
hatte. Nachdem er ſich ſtuͤrmend des Platzes bee 
meiſtert, und den Heldentob des Mannes, den er 
als den Freund ſeines verewigten Koͤnigs verehrte, 
bedauert hatte, zog er vor Ravenna und zwang 
den Romulus, dem Kaiferrange zu entſagen. 
Folgſam bezeigte ſich dieſer dem Willen feines Ues 
berwinders; er begab ſich mit ſeiner Familie auf 
die Villa des Lucullus, wo er durch Odoacers 
großmuͤthige Unterſtuͤtzung die Freuden des Leveus 
genoß, die ihm unter den Gefahren des Thrones 
nie wuͤrden gebluͤht haben. 
Dem Befehle des Scyrrers gemäß, mußte 
der Roͤmiſche Senat ſich feiner Rechte uno feines 
Antheils an der Geſetzgedung und Kaiſerwahl be: 
geben; mußte dieſe Serbſterniedrigung ſogar dem 
Kaiſer des Orients melden und von ihm beſtaͤti⸗ 
gen laſſen. 

S 


— 274 — 


Odo a cer herrſchte als der erſte König: * 
Italien. Zertrümmert war der Kaiſerthron, auf 
welchem Weisheit, Tugend und Verdienſt ſo ſelten 
geglaͤnzt und beglückt Herrſchſucht, Unwiſſenheit, 
Geiſtes ſchwaͤche, Haͤucheley, Treuloſigkeit der Ty⸗ 
rannenwuth fo viele und ſo ere e 
: hatten. 

So ward über das R eich a C Ban) en 
das Gericht des Verhaͤngniſſes geendigt, welches 
A larich angefangen, Attila fortgeſetzt hatte: 
ihm waͤre vielleicht der Nahme und der Ruhm 
des Vollenders zu Theile geworden, wäre er 
mehr Barbar, als ſich ſelbſtbeherrſchen⸗ 
der Meuſch geweſen; haͤtte er in entſcheidenden 
Augenblicken ſich mehr durch Totalität, als 
durch einſeitige An ſich ten, zum Handeln bes 
4 . laſſen, | 1 


Inhaltsanzeige. 
I. 


Urtheile berühmter Gelehrten über Attila. 


Seite 1 — 24. 


F. C. J. Fiſcher. — Aeltere Geſchichtſchreiber. 
— Deguines. Gatterer. — Herder. Attila 
zerſtoͤrte, pluͤnderte und verbrannte nicht. — Kraus 
ſe. Grenzen der Geſchichte in der Menſchenwuͤrdi— 
gung; — im Vergleichen der Menſchen mit Menſchen. 
— Die Hunnen. — Atti la's Regierungskunſt. — 
Verwerfliches Spiel der Geſchichtſchreiber mit dem Praͤ . 
dicat Groͤſſe. — Abſicht des Verfaſſers. 


II. 


Umriſſe des e vor Erſcheinung des 
4 Helden. 


S. 25 — 78. 


Zustand des 4 Römischen Reiches nach Mare-Au⸗ 
rels Tode. — Commodus, Pertinax, Didi 
us Julianus, Severus ꝛc. Caracalla, Helio— 
gabalus, Alexander, Maximin us, Mari- 
mus, Balbinus ac — Diocletian. — Con⸗ 
ſtantius ꝛc. Conſtantinus; kirchliches Chriſten⸗ 

S 2 


— 276 — 


thum. Conſtantius, Julianus, Jovianus, 
Valentinianus I., Valens. — Revolution fin 
Aften; Auswanderung der Hunnen. Bal am ir ꝛc. — 
Die Gothen. Gratian und Theodoſtus. — Die 
Hunnen mit Gratian im Bündniß. — Charaton 
mit feinen Hunnen unter der Kriegs fahne der Romer. 
— Arcadius und Honorius. — Alarich, der 
Weſtgotben, und Huldin, der Hunnen Heerfuͤhrer. 
— Stilico, Eutropius, Gainas. — Hul⸗ 
dins Antwort an die Geſandten des Kaiſers. — 
Mund zuch, der Hunnen Heerführer. — Aetius 
in Mundzuchs Verwahrung. — Vandalen, Sue⸗ 
ven, Alanen ꝛc. Ben. 
III. . 
Attila im Werden. 
S. 79 — 108. 


Jahr Chr. 411 bis 450. 
Attil. 5 ee 
Mund zuchs Regierung. Frühere Geſchichte der 
Hunnen. — Ihre Verbindung mit den Alanen und Hſt⸗ 
gothen. — Ihre Entwickelung zur Cultur. — Wie dle⸗ 
fe von Mund zuch befördert wurde. 


Attila's frühere Bildung. — Sein Umgang mit 
Aetiuls. — Sein Abſcheu vor den Laſtern und der 
Erſchlaffung der neuen Römer. Seine Entwuͤrfe für 
die Zukunft. — Mund zuchs Tod. Seine Bruͤder 
Uptä r und Ruhäs folgen ihm in der Regierung. 
uptars Feldzug wider die Burgundier, wobey 1 
Attila begleitet. Uptär's Tod. Atti la's Sieg. 


11 8 auf de m Sch p ae 
S. 109 — 262 


Jahr Chr. 430 bis 454; 
Attil. 23 — 49 


Zuſt and des weſtlichen Kaiſerthumes nach Hon o⸗ 
rius Tode. — Aetius Charakter. — Bonifaci⸗ 
us. — Aetius fluͤchtet ſich zu Attila. Deſſen Zug 
nach Italien. Sein Friede mit Placidi a. Er nimmt 
Carpilio, den Sohn des Aetius, als Geiſſel mit. 
Ruh äs Tod. Attila Alleinherrſcher der Hunnen. 
Zuſtand des oͤſtlichen Kai ſerthumes unter Theo do⸗ 
ſius II. Seine Geſandten Plinthas und Epyge⸗ 
nes. Demuͤthigende Bedingungen, unter welchen At- 
tila dem oͤſtlichen Kaiſer Frieden gewährt. — Atti— 
la's Regierungsweiſe. Attila's Traum. Odin's 
Schwert wird gefunden und ihm üherbracht. ' 


Geiſerich, der Vandalen-Koͤnig, biethet dem 
König der Hunnen ein Freundſchaftsbundniß an. Der 
Biſchof von Margus veranlaßt einen Bruch zwiſchen 
Attila und Theo doſius. Der Biſchof verräth die 
Stadt. Attia fällt in Moͤſien und Thracien ein. 
Seine Fortſchritte. Theodoſtus muß einen ſchaͤndli⸗ 
chen Frieden eingehen. 


| Innere Einrichtung des Hunniſchen Reiches. A t⸗ 
tila unterwirft ſich die Sorosker. 


Attila theilt das Reich mit ſeinen Bruder Ble⸗ 
da. Einige Hunniſche Staͤmme empoͤren ſich wider 
Attila und zwingen Bleda ſich an ihre Spitze zu 


— 278 — 


ſtellen. Ble da fallt im Gefechte gegen Attila's 
treue Scharen. Attila wird mit Precht, des Bru⸗ 
dermordes beſchuldigt. 


Theodoſtus erfuͤllet die 1 
nicht. Attila zieht uͤber den Haͤmus. Die Acatziren 
ſagen ſich von Atti la's Oberherrſchaft los. Sein 
Sohn Ellak bringt fie wieder unter den Gehorſam. 


Edecon und Oreſtes, Attila's Geſandte zu 
Conſtautinopel. Veranlaſſungen zu einem Feldzuge 
wider die Weſtroͤmer. Attila erwartet ae aus 
Oſten, Weſten und Rorden. 8 


Edecon wird in Conſtantinopel zu Attila's er⸗ 
mordung gedungen, er willigt ſcheinbar in die Wün- 
ſche des Kaiſers. Maximinus und der Redner 
Priskus, des Kaiſers Geſandte begleiten Edecon 
nach Pannonien. Dieſer entdeckt feinem Könige den 
Mordanſchlag. Empfang der Oſtroͤmiſchen Gefandten 
in Attila's Lager. Atti la's Pallaſt. Gaſtmahl, 
welches den Oſtroͤmiſchen Geſandten Achtung und Be⸗ 
wunderung abMöthiget. Attila's N ee und 
Menſchlichkeit. f 


Attila beſtraft den Kaiſer wenn eines MEER En. 
Hauses mit Groß muth. 


Th eo doſtus Tod. Seine Schweſter pulch⸗ e⸗ 
ria verehlichet ſich mit Marcian us und erhebt 
dieſen auf den Hſtroͤmiſchen Thron. f 

Attila's Geſandte fordern von Marcian us 
den "jährlichen Tribut. Dieſer verweigert ihn mit 
Würde. Mr DIN 

Honoria, Valentinians Schweſter, bies 
thet ſich dem Könige der Hunnen zur Gemahlin an, 
Das Reich der Weſtgothen in Gallien. Atti l a's 
Feldzug dahin, zu Geiſerich's Unterſtuͤtzung. 


Vorkehrungen des Aetius gegen die Ein⸗ 
falle der Hunnen. ( n 

Attila in Gallien, unterwirft ſich die kleinen 
Fuͤrſten der Franken, der Franke Hagano, Hild 
gunde, Tochter des Burgundiſchen Fuͤrſten Herrich, 
und Walther, Sohn des Aquitaniſchen Fürften, wer⸗ 
den ihm als Geifjelu überliefert. 


Schlacht zwiſchen Attila und Theoderich, 
König der Weſtgothen, auf den Maurigeiſchen Ebe— 
nen. Theoderich faͤllt im Treffen. Attila als 
Sieger nimmt Aurelianum mit Sturm ein. Sein 
edelmuthiges Betragen. | | 
4 Aetius verbindet ſich mit den Weſtgothen wider 

Attila. Attila vor Trecaͤ. Biſchof Lupus. Die 
Geiſſel Gottes. Attila's Menſchlichkeit an dem Ufer 
der Matrong. Er lagert ſich auf den Catalauniſchen 
Feldern, wo ihn Aetius und Thoris mund, der 
Weſtgothen Koͤnig, erwarten. 

Artila’s Ruͤſtung zur Schlacht. Seine Rede zu 
feinen Kriegern. Schlacht. Der Sieg bleibt unents 
ſchieden. Bemerkungen über die Geſchichtſchreiber. 


Attila's Entwurf zu einem Feldzuge nach Ita⸗ 
lien. Walther und Hildgunde. 


Attila belagert Aquileja. Einnahme und Zer— 
ſtoͤrung die ſer Stadt. Seine Fortſchritte in Italien. 
Sein Abſcheu vor Schmeichelepy. Schickſal des Dich⸗ 
ters Marulus. 


Unterjochung mehrerer Städte Italiens. Das Ge— 
mählde zu Mediolanum. Attila vor Ravenna. 


Pabſt Leo als Geſandter der Römer beſaͤnftiget 
den König der Hunnen und beweget ihn zum Rückzuge 
aus Italien. Atti la's eigene Beſtimmungsgründe. 


= 280 — N 


Attila in Pannonien ruͤſtet ſich zu einem Feld⸗ 
zuge gegen Marcianus; feyert feine Ver maͤhlung 


mn eee die ihn in r Wenne er? 
mordet. er 


Ya ge 
\ a. 


BL AR Br SI oe 
S. 265 — apt 
Shbeilung 55 Hunniſchen Reiches unter 4 tti⸗ | 


la's Söhnen. — Geiſerich in Italien, Untergang 
des Knee Reiches. f i f 


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Fessler, Ignatius Aurelius 
Attila 


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