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42.4
Aus dem Nachlaß Barnhagen’d von Enſe.
— — — —
Tagebücher
von
K. A. Barnhagen von Enfr.
A SILELALLI LS
Elfter Band.
I Ze —
Hamburg.
Hoffmann & Campe.
1869.
Das Recht der Ueberſetzung ins Englifhe, Franzöſiſche und andere frembe
Sprachen ift vorbehalten.
1854.
Dienstag, den 21. März 1854.
Der König ift fehr aufgebracht über die Richtung der
öffentlihen Meinung, die nicht feiner Politik blindlings ver:
trauen, fondern fich felbftftändig geltend machen will. Schim⸗
pfen über die Kammern, fie hätten die 30 Millionen gleich
durch Zuruf einftimmig bewilligen follen c. Man macht
ihn darauf aufmerffam, daß auch ſchon vor 1848 eine Anleihe
ohne Zuftimmung von Reichöftänden nicht möglich geweſen
wäre, fein Bater habe diefen Riegel vorgefchoben ꝛc. —
Der König fährt fort die Strafen zu erlaffen, welche
wegen folder Schmähungen gerichtlich audgefprochen worden,
die gegen Demokraten oder aud nur gegen Liberale verübt
waren. Dieje Partheilichkeit macht im ganzen Rande den
fehlimmften Eindrud. —
Das Abfchieddgefuch des Präſidenten von Gerlach hat der
König nicht angenommen. Die Zuneigung für Die Kreuz:
zeitungsparthei ift offenbar; diefe rühmt fich auch, der König
. babe die wiederholte Befchlagnahme ihrer Rundſchauen miß⸗
billigt! —
Die Kölnifche Zeitung ift wegen politifcher Artikel über
Preußens Schwanken von der Polizei mit Befchlag belegt
worden. — Die Nationalzeitung bezeichnet heute wieder mit
Nachdruck und Schärfe die ganze Nichtswürdigkeit der infamen
Parthei, welche nicht Frömmigkeit, nicht Baterlandöliebe, nicht
Königdliebe, fondern nur Selbftjuht und Hoffahrt hat Die
Barnhagen von Enſe, Tagebüder. XI.
+
!
5
und ara dre Blätter deutfch mitgetheilt wird, iſt ein Weltereig-
wis. Der Kaifer von Rußland erfcheint darin als ausge:
madter — und Ränkeſchmied; er ift für alle Zeiten an den
Pranger geftellt! Wahnfinnig hat er felbft diefe Veröffent⸗
tihung herausgefordert, fie iſt ein größerer Nachtheil für ihn,
ald vie Vernichtung feiner Flotte wäre. Alles wird gegen ihn
aufgeregt, Frankreich unverföhnlich, Preußen, Defterreich, das
an feinen — doch Theil genommen, ganz Europa. Die enge *
liſchen Blätter nennen ihn gradezu einen —, der verdiene ale
ein out-law behandelt zu werden. —
Die Königin von England hat dem König von Preußen
eigenhändig gefchrieben, ihm feine früheren Gefinnungen und
ertbeilten Zuficherungen in's Gedächtniß gerufen, und fein
ießiged zweidentiges Verhalten gradezu für unritterlich und
unloyal erflärt. Diefer ſchimpfliche Vorwurf, der von feinee-
gleichen kommt, hat.ihn ganz außer Faſſung gebracht, und be-
kümmert ihn tief. —
Bunfen foll jeßt die Schuld tragen, durch feine Ueber-
lung den König unvorfichtig gegen England bloßgeftellt und
ihn weiter verpflichtet zu haben, als er feiner Anweifung nad)
durfte. Sch glaube fein Wort davon! Bunfen mag viel
verihußden, aber das gewiß nicht. —
Freitag, ben 24. März 1854.
Fortſetzung der Mittheilungen aus dem neuften ruffifch-
engliihen diplomatifchen Verkehr. Die gewichtigften Sachen,
die tiefften Eindrüde! Der Kaifer Nikolaus, wie hat er und
Alle betrogen, die wir etwas Edles und Tüchtiges in ihm
glaubten! Er, der ein gentleman fein wollte, feine polis
tiſchen Verabredungen als ſolcher gar nicht erft in Verträge
formuliren, durch Protokolle fihern wollte, erfcheint von
langem ber ala ein heimtüdifcher und dabei hoffährtiger —,
.
6
zugleich aber ala ein dummer! Diefe Schriften haben ihn
entlarvt! —
Beſuch von Frau Bettina von Arnim. Fragen wegen der
Angelegenheit der rau von Corvin-Wierdbigfi. Bettina will
nun auch ihre „Gefpräche mit Dämonen“ prächtig binden
laffen, und durch den türkijchen Gefandten dem Sultan Abdul
Mevihid Khan, dem fie aus Spaß zugeeignet find, im Ernft
- überfchiden. Ich foll ihr einen guten Buchbinder zuweifen.
Sollte der Sultan ſich dankbar erzeigen? Wer weiß? —
Audgegangen mit Ludmilla. — Im Afademiegebäude dad
ausgeftellte Gemählde von Zeuge „ Wafhington in der Schlacht
von Monmouth“ befehen; mit wahrer Andacht, ein vortreff-
liches Bild! Schöner Ausdrud Wafhington’d, de? edlen
Lafayette ꝛc. — | .
Auf dem Rückwege dem Grafen von nn» und Knyp⸗
haufen, hannöverfchen Gefandten, begegnet, der mich freund-
lich anfprad. Er hat fehr gealtert. —
Im „grünen Heinrich“ von Gottfried Keller gelefen.
GSriehifched von Demophilod und Demokrates, fpäter im
Plutarchos. —
Der König hat fich vorgeitern im Garten von Charlotten⸗
burg beim Spazierengehen an einen Aſt geftoßen, und eine
Wunde davon unter dem linken Auge, die nicht unbeträchtlich
fein kann, denn er hat heute Fieber. — (Der König ift in der
Dunfelbeit gefallen, er fam ganz blutbededt heim.) |
Den Kaifer von Rußland nennt man nun ganz kurz den
Gentleman! Die Kreuzzeitung ſelbſt muß nım die Aktenſtücke
liefern, die ihn in feiner Blöße darftellen. Die Parthei weiß
ſich nicht mehr anders zu helfen, ald daß fie täglich gemeiner
wird und pöbelhafter fchimpft. —
Ein möglicher Umſchwung der Dinge zu Gunften Ruf-
lands! In Wien laffen fich erhebliche Gründe dazu geltend
machen. Was kann Deiterreid gewinnen gegen Rupland ?
®
7
Nichts, ald die Abwehr der Ueberflügelung, die leßteres ihm
droht, und wie lange fann diefe Abwehr vorhalten ? bald wird
doch wieder die Uebermacht da fein! italien, Deutfchland
bleiben indeß der Großmuthb — dem Verrathe — Louis Bos
näparte’3 preidgegeben. Andrerſeits, wenn Oeſterreich mit
Rußland geht, in welchem Falle Preußen fih anfchließt und
der deutfche Bund noch hält und mitgehen muß, Krieg gegen
das revolutionaire und ufurpatorifche Frankreich macht, be-
fommt es aus der türfifchen Beute Serbien und Bosnien,
fihert Italien und Deutfchland, hat Ausfichten des Gewinnes,
der Sicherheit. Ob nicht die ruffiihe Diplomatif in diefem
Sinne thätig ift? Meyendorff ift nur nicht geſchickt genug,
dieſes alles geltend zu maihen! —
Der Gengal von Wrangel, der bei allen Gelegenheiten
jih vordrängt, um was Alberned oder Ungefchidtes zu jagen,
begrüßte neulich den Prinzen von Preußen in Gegenwart der
verfammelten Offiziere mit dem Glüdwunfh, dag die Wolfe
zwifchen ihm und dem Könige fich verzogen habe, worauf der
Prinz fogleich einfiel, er fei der treufte Unterthan und der ge-
horſamſte Diener des Königd, und er könne feine befonderen
Anfichten haben, werde diefe jedoch nie dem Wollen des Kö—
nigs entgegenfegen, von Wolke könne daher gar feine Rede
fein ꝛc. — -
Sonnabend, den 25. März 1854.
Die Nationalzeitung wirft einen belehrenden Rüdblid auf
den preußifchen Bafeler Frieden und auf die fpäteren Haug-
wiz'ſchen Verträge. Kaldreuth, Möllendorff, Köderik, Lom⸗
bard, Beyme fommen dabei fchlecht weg; alled jehr aus dem
Standpunkte des Buches von Perk über Stein, aber Beyme
Hatte nicht den geringften Einfluß auf die äußere Politik, und
8
ſeine Macht im Innern war ihm ſelber noch verborgen. Der
Aufſatz ift vom Herrn Aſſeſſor Paalzow. —
Dem Grafen zu Stolberg aus Paderborn wird der Spruch
Chrifti unter die Nafe gerieben: „Wer fagt, er liebe mich,
und haft den Bruder, der ift ein Lügner.“ in wenig be-
fannter Jude fchliept feine maßvolle Gegenrede mit diejer
Iharfen Spitze. —
In Schleſien follen gegen 20,000 Flüchtlinge aus Ruf:
fifch- Polen fein, die fich der ruſſiſchen Refrutirung entzogen
haben, alle ohne Paß und mehr oder minder verftedt. Nach
den beitehenden Verträgen müßten fie an Rußland audgelies
fert werden. Die meiften unfrer Behörden unterlaffen Dies
gern. —
Der König lieft nicht? als die Kreuzzeitung, feine andre
Zeitung. Die Barthei macht ſich das gut zu Nutze. Geit-
dem ihrem Gerlach der Abſchied verweigert worden, trägt fie
das Haupt wieder hoch empor. In's Minifterium zu ges
langen, ift ihr einziges Ziel, aber das gelingt noch nicht. Auch
hat Goediche, Gerlach's vertrauter Freund, der verabfchiedete
Poſtſekretair, noch feine Anftellung wieder befommen. —
— — — —— —
Sonntag, den 26. März 1854.
Nachmittags Beſuch vom Grafen Cieſzkowski. Die Polen
find aufgeregt, fehen ihre Nationalfache zu großen Hoffnungen
ermuthigt, können aber auf eigne Hand nichtd beginnen, es
fehlen Waffen und jogar alle ‘Mittel der Verabredung, des
Berathſchlagens. Alle Welt denft an Bolen, niemand fpricht
davon! Werden die Mächte die verwundbarfte Seite Ruß⸗
lands unbeachtet laffen, Tieber, ftatt die Herjtellung Polens zu
beichließen, und dem Feind einen verntchtenden Schlag beizu-
bringen, ihre beiten Kräfte nuglos an Kronftadt und Sebafto-
pol vergeuden ? a, lieber! denn alle Höfe fcheuen Bolksauf-
g°
fand, Erwachen der Rationalität, alle find zur Unterdrüdung,
zur Deöpotie geneigt. Die Polen müſſen warten, ob die
Ruſſen harte Niederlagen erleiden, und dann das Beſte felbft
tun, wenn fie ed fönnen; andre Hoffnungen find Täu—
dungen. Wir dürfen nie vergeffen, wer diefen Krieg macht,
— lauter fchlechte Regierungen, und fehr wider Willen! —
Der König hütet noch das Bette; die Gefchwulft im Ge-
fiht ift rofenartig geworden, er nahm geftern feinen Bor-
trag an. —
Man fagt, Markus Niebuhr habe den König bewogen, mit
der Anleihe zugleich eine Steuererhöhung zu verlangen, man
müffe dem Bolfe zeigen, daß. es feine Kriegeluft gegen Ruß—
land gleih im Beginn tüchtig bezahlen müffe, der König
‚babe fih vor Vergnügen die Hände gerieben, „Das Geld
müffen wir in jedem Fall einziehen“, habe er gefagt; Man:
teuffel dagegen foll nur indgeheim den Wunfch verratben, die
Anleihe möchte von der Kammer verfagt werden. Ob dies
alles wahr ift, ſtehet dahin, erzählt aber wird es, und ge:
glaubt. —
Es ift jtark die Rede Davon, Preußen werde fich plößlich
für Rußland erklären, und es fei fehr im Werk, auch Defter-
reich dahin umzuftimmen. Schon werden Maßregeln genannt,
die auf fol eine Wendung hindeuten, Vorkehrungen auf den
Eifenbahnen wegen Truppenfendungen nach dem Rhein, Maß-
tegeln ded Minifterd von der Heydt wegen der Handels:
ſchifffauhrt, — die fonft in den Sommer fallenden Salz-
anihiffungen aus Portugal follen gleich jest gefchehen, unge:
achtet der weit größeren Koften, und dergleichen mehr. —
Die Rofe hat der König aus Aerger über den ſchnöden
Brief der Königin von England bekommen. Es ſoll durch⸗
aus nicht heißen, daß er gefallen iſt, er ſoll ſich nur geſtoßen
haben! —
10
Lord Aberdeen hat fi) über die Sendung unſeres Gene:
rald Grafen von der Groeben fo geäußert: „Pour expliquer
une chose inexplicable on nous a envoy& un homme qui
ne sait pas s’expliquer.* Weil Groeben weder Franzoſiſch
noch Enalifch kann, noch die Sache verfteht! —
Bon Groeben's Franzöfifch erzählt man hier dieſes Beis
ipiel! Er fol in London gejagt haben: „Le roi mon maitre
veut faire la guerre à la Russie pas!“ — (Doch wohl
nur Berliner Witz!)
Der Kaifer von Rußland hat feinen Offizieren in St. Be-
tersburg unterfagt, jebt preußifche Orden zu tragen. —
— —
Montag, ben 27. März 1854.
Die Rufen find über die Donau gegangen. Die englifche
Flotte im Anfegeln auf Kiel. — Enthüllungen aus Paris
gegen Rußland. — Die Defterreicher ftellen ein Heer in Sta-
lien auf. —
Goethe's Farbenlehre wird fortwährend von den Natur-
gelehrten vom Fach nicht anerfannt. Er verzichtete auf den
Beifall der mit ihm gleichzeitigen, fühlte aber doch, daß er den
der fünftigen haben müſſe; der Beifall der geiftreichen Philo-
ſophen, Schelling, Steffend, Hegel, war einftweilen gut, ges
nügte aber nicht. Da Goethe außerhalb des Faches ftand, fo
wird ihm dad Gelten auf diefem Boden länger ald jedem Ans
dern verfagt werden. Mußte doc, der große Linnäus erleben,
der gewiß vom Fach war, und einen ungeheuern Fortſchritt in
der Botanif mit feinem Namen verfnüpft hat, daß feine be-
rühmten Mitftreber, Albrecht von Haller und Adanſon,
weder fein Syftem, noch feine Namenbezeichnungen annehmen
wollten! —
11
Dienstag, ben 28. März 1854.
Gefchrieben; über die Weltlage, Warnung an diejenigen,
he ſich des Krieges gegen Rußland freuen, und mit Recht
en, nicht einen Augenblid zu glauben, daß in dieſem
ge unmittelbar ihre Sache, die Sache des Bolt und der
heit, begriffen fei! Nein, das ift durchaus nicht der Fall!
fehr unmittelbar! Die Verbrecher und Schufte ziehen
einen der fie für feineögleichen erkennt, zu züchtigen, weil
28, was fie gemeinfam fein wollen, etwas zu fehr auf eigne
d fein wollte. Freilich iſt fehon ihre Zwietracht eine
ıde für uns, aber bei ihrer Zwietracht auch büßen doc
allem die Völker! Vergeſſen wir auch der Ruffen nicht,
die jept alles fchimpft, und die ald Volk fo edel, freiheitd-
big, freiheitöbegierig, und bildungsfäbig find, ald irgend
3. Und vergefien wir der Polen nicht, deren Sache in
diefem Getümmel und Gewirr noch nicht einmal nur ge-
at worden! —
Recht im Gegenfage zu diefen Anfichten fommt mir das
: Bud) von Arndt vor Augen, dem er den gezierten Titel
ben hat: „Pro populo germanico.“ Der alte Mann
nt und wundert fi der neuen Welt, die er um ſich fieht,
t in die alte zurüd-, und muß feinen nun nur noch pols
den Eifer in unnügem Gefhwäg auslaſſen. Geſchwätz
lles, was er jeßt vorbringt, wenn auch daſſelbe vor dreißig
° vierzig Jahren ganz verftändige zwedmäßige Rede war.
» aller Düntel von ehemals lebt nod in dem polternden
ife, fein Tächerlicher Stolz auf eine Deutfhheit, aus der er
Befte heraustadeln muß, damit fie recht die feine werde,
' Dentichen will or alle Macht und Ekro und eins Krei⸗
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geſchmähten Wälfchen, die la grande nation fein wollen, und
ed wahrlich lange genug waren? Zu fo was möcht’ er und
machen, die wir in Schmad und Noth liegen! Rechter Bettel:
ftolz! Weber die Vorgänge des Jahres 1848 in Berlin, Wien,
Frankfurt am Main, fpricht er wie ein — Baffermann, be-
Klagt die Märztage, die Berfammlung des PBorparlaments,
ipriht von Straßenauftritten in Berlin, als wenn bier
Gräuel gejchehen wären. Lobt die Gothaer, die Profefforen !
Weg mit dem alten Faſelhans, in welchem nie ein Staat$-
mann war, und ein Bolfömann nur, infofern er mit dem
Deutihthum gegen das Ausland prahlte. Er verdirbt mit
mit feinem Gefhwäß die gute Stimmung. —
In Grote gelefen, im Herodoted. Franzöfiihe Neuig-
feiten. —
Der öfterreichifche General von Heß ift hier angefommen.
Erwiederung der Sendung des Oberftlieutenants von Mans»
teuffel. —
Der Herzog von Parma ift auf der Straße von einem
Unbelfannten in den Unterleib geftochen worden und an der
Wunde gleich geftorben. Der Mörder ift entlommen. —
Mittwoch, ben 29. März 1854.
Wie dumm und roh der alte Arndt über Mazzini fchimpft,
deſſen Stellung, Berhältnig und Gefühl der deutfche Tölpel
nicht verftebt, nicht faßt! So blind und blöd’ ift der Mann,
daß er die Empfindungen und Betreibungen, die ihm felber
ald Deutſchem gegen die Franzofen fo natürlich und aufdring-
lich waren, in ganz gleichem alle dem taliener gegen die
Defterreicher nicht zugeftehen will! Dünkel und Selbſtſucht!
Freut fich der Siege Radetzky's! Alles Prahlen und alle Eitel-
feit, die fie an den fSranzofen tadeln, wären ihnen fchon recht,
13
wenn ſie nur in den Deutfchen fi aufbläheten! Das ift
grade ſehr undeutſch! —
Rachmittags Beſuch von Herrn Profeffor * aus Leipzig.
Ehrliher, eigenfinniger, gutmüthiger, unfundiger deutfcher
Gelehrter! Mit ihm über Politik zu fprechen, ift eine Bein,
und grade hierüber nur fpricht er gern! Er glaubt an die Er-
Märungen der Kabinette, an die Macht einer öffentlichen
Meinung in Deutfchland, — „a, fie fann den Tifch mit dem
ganzen Schachbrett ummerfen, aber auf dem Schachbrett felbit
vermag fie feinen Zug!” — an die Ehrlichkeit der Fürſten,
an Scham und Gewiffen, und an was nicht alles! — Ich kann
ihm zulegt nichte fagen, ald die Worte des Pindaros:
„Autogas d’ irsikoınoı uaprvpss Vopwra To1.“ (OAvun. 1.
59. 54.) —
Der Redakteur der Neuen Preußischen Zeitung, Dr. Beut-
ner, war wegen Beleidigung ded Breslauer Stadtgerichtd zu
4 Wochen Gefängnig verurtheilt; das Kammergericht hat
14 Tage daraus gemacht. Sein Bertheidiger war fein wür⸗
Diger Kumpan, der Afjeffor Wagener. —
Der realtionaire Thee beim Grafen von Findenftein ift
alle Mittwoch ; ein abfcheulicher Klub, wo hundert Bosheiten
ausgehedt werden. Adolph von Kleift, die Gerlach's, Stahl,
— aud) Wagener und Goedjche haben fchon die Ehre gehabt,
Graf von Voß ze. 2. — —
Die dummen Leute wundern fich, daß man dem Aufftande
der Griechen jebt nicht eben fo Heil und Gelingen wünſcht,
wie vor fünfundzwanzig und dreißig Jahren! Man könnte
der Dummheit das verzeihen, aber nicht der Tücke, die doch
auch dabei iſt. Damals diente die ruffifche Macht der grie-
chiſchen Freiheit, jest follte die griechiihe Hülfe unt dem
Schein der Freiheit dem ruffiichen Ehrgeiz und Gewaltſtreben
dienen! Sehen die Halunken den ungeheuern Unterjchied etwa
nicht? Damals waren fie felber ja nicht auf griechifcher, und
14
alfo auch nicht auf ruffifcher Seite, fondern griechenfeindlich
und öfterreichifch gefinnt. — Wie im Berlauf der Gefchichte
die Dinge ſich umfeben, und auf entgegengejegte Weiſe fich
einpflanzen, fieht man auch an der Marfeiller Hymne; im
Fahre 1813 konnten die Franzoſen fie nicht mehr fingen, aber
wir fonnten es; die Rollen waren völlig umgetaufht. —
— — — —
Donnerstag, den 30. März 1854.
Beim Mittageffen erfhien Bettina von Arnim, fien war
ganz ermüdet, und aß etwas mit. Sie lad mir vier Brief-
entwürfe vor; einen an Frau von Schorn in Weimar, der fie
reinen Wein über den Dr. Schade geben mußte, einen an den
König wegen des Mahlerd Ratti, worin fie Anfpielungen
machte über den Urfprung der demfelben von ihr gezahlten
Geldſumme; dann wegen ded Strafgefangenen von Corvin⸗
Wiersbitzki einen Brief an den PrinzsRegenten von Baden
und an den Prinzen von Preußen, — diefe beiden lebtern
find wahre Meifterftüde, ganz geeignet Herzen zu öffnen, ein⸗
gegeben von der rührendften Menfchenliebe, ich hörte fie nicht
obne Gemüthsbewegung, und mußte ihr den wärmſten Beifall
ſchenken, was fie nicht wenig zu freuen fchien. —
Nachmittags Beſuch von Herren Gottfried Keller. Sein
„Grüner Heinrich * ift ein Roman wie Rouffeau’d Bekennt⸗
niffe einer ift, voll Piychologie, unbeabfichtigter Pädagogik,
friiher Naturbilder, alled in edler höherer Haltung. Zu den
dort abgelegten dichterifchen Bekenntniſſen fügt er mündlich
noch andre mehr profaifche. Ein eigenthümlicher, gehaltvoller
Menſch, aber für die Welt etwas verjchoben, nicht aanz
brauchbar zugerichtet! Er lebt feit vier Jahren hier. Sein
doppelted Talent für Dichtung und Mahlerei fihert ihn gegen
Harſcher's Unglüd. Ich rief Ludmilla herzu. Er erzählte
15
fehr merkwürdig von Scherenberg, deſſen Wefen, und machte
dabei die treffenditen Bemerkungen.
Die Ruflen find über die Donau gegangen, bei Mat:
ſchin zc. in die Dobrutfcha. Der Zar, in feinem Zorn, hatte
den entfihiedenen Befehl dazu gegeben.
Der König hat den öfterreichifchen Yeldzeugmeifter von
Heß empfangen, lange mit ihm verhandelt, und darauf, nach
mebrftündigem Weinen und Schludyzen, mit Mühe fich darein
gefügt, den öfterreichifchen Vorfchlägen beizutreten. Es foll
ihm aber jchon wieder leid fein. —
General Kalergis, früher ein ruffifcher Betreiber, jegt ein
franzöfifcher, hat in Athen den Verſuch gemacht, den König
Dtto auf Bonaparte’d Seite herüberzuziehen, ijt aber fchlecht
aufgenommen worden, und die Griechen fehen ihn ald einen
Derräther, als einen Abtrünnigen an. —
— — — — nn
Freitag, den 31. März 1854.
Der König bat nun auch den Titel Feldzeugmeifter für
den Obergeneral der Artillerie eingeführt, und ihn dem Prinzen
Karl verliehen, mit dem Range eines Feldmarſchalls. Prinz
Adalbert ijt zum Admiral ernannt worden — Admiral ohne
Flotte — mit dem Range eined Generald der Infanterie. —
Der General von Wrangel wimmert nun auch nad) dem Titel
Feldmarſchall! —
Sonnabend, ben 1. April 1854.
Geſchrieben, was der Tag erfordert! Laßt und bei allem,
was geichieht, feinen Augenblid vergeffen, wad unfre Sache
ift, daß fie gegenwärtig nirgends öffentlich erfcheint oder ver-
treten wird, daß fein Sieg jegt unmittelbar für fie erfochten
wird! Laßt und überall den Geift juchen, und ihm vertrauen,
16
dus Körperliche im Staats⸗ und Bürgerleben dem Geifte fletö
unterordnnen und nachſetzen! —
Frau Bettina von Arnim beſuchte mih, lad mir neue
Briefe vor, und fragte um Rath wegen der Sache der frau
von Corvin. Sie eilte darauf zu diefer, damit fie das Nö-
thige ſchriebe. —
Die in Bromberg angebaltenen, nad Rußland beſtimmten
24,000 belgifhen Gewehre find nun doc weiterbefördert
worden. Man bat fidy befonnen, daß ja noch fein Krieg ers
flärt war. — |
In der Kredit-Kommiffion der zweiten Kammer hat be:
fonders der Kriegäminifter von Bonin die fchlagendften Erflä-
rungen gegeben, daß ein Anſchluß an Rupland ein Berbredyen,
eine Unmöglichkeit fei, daß niemand daran denken dürfe. Der
König hat ihm diefen Eifer entfeglich übel genommen, und
dem Kriegdminifter die bitterften Beinamen ertheilt. —
Die zweite Kammer hat fich erlaubt, in einer Geldfadhe
den Mliniftern einen Verweis zu geben, weil fie die Kammern
nicht befragt hatten. Die Minifter fträubten fich gegen den
Zadel, mußten ihn aber hinnehmen! —
Der Oberpräfident der Nheinprovinz, Herr von Kleift-
Retzow, hat die Kölner Zeitung mit Befchlag belegen laſſen,
wegen eines heftigen Artikels gegen die Kreuzzeitungdpartbei,
unter dem frechen Borwande, dadurch werde Haß und Miß—
trauen zwifchen den Staatdbewohnern audgefäet! Freilich ift
die angegriffene Parthei die ded Oberpräfidenten felbit; aber
bat der fromme Beamte je den aeringften Anftoß an den gif-
tigen Ausfällen, den gemeinen — der Kreuzzeitung genom-
men? — Die Zeitung ift übrigens freigefprochen worden. —
17
Sonntag, den 2. April 1854.
Audgegangen mit Ludmilla. In den Thiergarten, mit
Ummegen bis zum Hofjäger und zurüd. Ein herrlicher Früb-
lingstag! Alle Sträucher voll aufbrechender Knospen, einige
ſchon mit zarten Blättchen, die fich entfalten. Die Luft frifch,
aber die Sonnenwärme überwand alles! In freudigem nnd
wehem Muthe durchwandelte ich die oft durchfchrittenen
Gänge, gedachte aller meiner Lieben, beſonders der theuern
Rahel, die hier fo oft ald Troft und Freude des Lebens mir
zur Seite war. Auch das unvergeßliche Frühjahr 1797 ftand
mir vor der Seele, wie ich nach überftandener fchweren Krank:
beit an der Seite des geliebten Baterd die erften Genefungss
gänge nah Hamm und Wandöbel machte, und das junge
Grün wie der blaue Himmel und des Vaters Liebe mich be-
glückte. Sie find nun Alle fort, und ich rufe fig doch immer
noch an, die theuren Menfchen, „Sch muß fie wiederhaben, “
fie dürfen mir nicht entriffen fein! — Wir freuten und aller
Knospen, und der einzelnen ſchon hervorgepflegten Blu-
men, der fhimmernden Himmelöbläue, der frifchen Luft; wir
faben den Spielen eined jungen Eichhörnchene zu. Unfere
Gefpräche waren ſpärlich, Doch munter, fie waren andrer Art
ald das, was in meiner Seele vorging, eind hinderte Das andre
nicht. — -
Ein ſehr ftiller Nachmittag. Ich lad in Grote; arbeitete
dann in meinen Papieren, fam aber zu feiner Ausarbeitung. —
Ich theile nicht die Meinung derer, die da glauben, Ruß⸗
land werde fchnell und gänzlich unterliegen. Das wäre bei
den wider Dafjelbe aufgebotenen Kräften wohl möglich, allein
die Gegner jind felbft eines ſolchen Willens nicht fähig, fie
haben alle zuviel Eiferfucht und Miptrauen, zu fchlechted Ge-
wiflen, zu niedrige Denkungsart. Uber der Zar fann drüber
zu Grunde gehen, oder fonit etwas in Rußland ſich ereignen !
Ueberhaupt wird Neues, Unerwarteted eintreten! Die Stel-
Barnbagen von Enfe, Zagebüder. XI 2
18
lung der Dinge Fann fich gänzlich verändern, das Gute und
Nechte plöglich auf der entgegengefebten Seite ſich zeigen;
iteht e8 Doch gegenwärtig, wenn auch noch fo bedingt, auf der
Seite des Louis Bonaparte, des —, daß er dies fei, wollen
wir nicht vergeffen! —
Die Defterreicher, heißt ed, rüden in Serbien ein. Alſo
vor allem auch eine Pfandnahme! Wäre es Ernft gegen die
Rufen, jo müßten fie in die Moldau, nad) Bolhynien vor-
rüden, aus Galizien hervorbrechen. igenfucht und Verrath,
andre fteht nicht zu erwarten, von diefer und von jeder andern
jegigen Regierung. Am Ende wird doch die Türfei getheilt
vorläufig ſucht jeder ſich Stüde davon anzueignen! Warum,
Tollen Franzoſen Konftantinopel befegen? Vorwärts an die
Donau, dahin gehören die Hülfstruppen! —
Der Schaufpielerin Rachel, die St. Peterdburg wegen des
Krieges verließ, gaben vornehme ruffifhe Gardeoffiziere ein
glänzendes Abſchiedsfeſt. Man fagte ihr, halb im Scherz,
halb im Ernft, man hoffe fie bald in Paris wiederzufehen,
und dort ihr Wohl in Champagner zu trinfen. Sie erwie-
derte mit bedeutendem Lächeln: „Ecoutez, Messieurs, du vin
de Champagne à Paris c’est cher pour des prisonniers!“
Der Herzog Georg von Medlenburg:Strelik, Gatte der
Großfürſtin Katharina, iſt beute aus St. Peterdburg mit
einem eigenhändigen Schreiben des Kaiferd an den König hier
angefommen, und hat letztern fogleich gefprochen, und bei ihm
geipeift. —
Montag, den 3. April 1854.
Vorgeſtern bat zwiſchen dem Prinzen von Preußen und
feinem Bruder, dem Prinzen Karl, ein heftiger Auftritt ftatt-
gefunden. Der Prinz Karl ift ganz ruffifch, und machte jenem
Vorwürfe, daß er ed nicht fei. Es fam zu gewaltigem Zank.
Da der Prinz Karl „mehr Berftand hat“, fo trieb er feinen
19
Bruder bald in die Enge, und diefer ging in zorniger Auf-
wallung for. Man hält eine Berfühnung für unmöglich. —
Wieder Tſchako's anſtatt der Pickelhauben! Für Jäger
und Shüpen. Immer die alte Zaunenhaftigfeit und Flickerei!
Dem Dr. Kuno Fiſcher, Berfaffer einer Gefchichte der Phi-
loſophie, find in Heidelberg feine Vorträge plöglich unterfagt
worden. Man weiß feinen Grund dafür, ald eine dunfle pfäfs
fiſche Angeberei. Das ganze badijche Land ift folchen Einflüf-
jen hingegeben ! Die Hochberg’fche Dynaftie zeigt bi jetzt nur
jämmerlihe Regenten! —
Dienstag, den 4. April 1854.
In der Bau-Akademie die neuefte New⸗Yorker Nähmafchine
befehen ; eine ſchöne bewundernswürdige Erfindung! — "
Reue Erbietungen des Kaiferd von Rußland, er will die
Fürſtenthümer räumen, wenn die franzöfifchsenglifche Flotte
dad Schwarze Meer räumt, den Ehriften in der Türkei Schuß
und Recht gefichert wird u.f.w. Man ficht, es wird ihm bange!
Gr möchte gern die alten Berträge hergeftellt fehen, die ihm
künftige Lebergriffe offen erhalten, und feßt dabei die Heuchelei
fort, als jei ihm nur an der Religion gelegen; den Chriiten ift
in der Türkei mehr gewährt, ald in Rußland! Er hofft wenig-
hend Preußen binzubalten, und durch deffen Unentichiedenheit
auch Defterreih. Die ruſſiſche Diplomatie ift thätiger als je,
bietet alle Hülfsmittel auf, läßt alle Federn ſpringen. —
In Baden fängt die Regierung ſchon an, dem ulttamon-
tanen Erzbiſchof, der freilich von Defterreih und Frankreich
unterjtügt wird, und zwar eifrig, feige nachzugeben, hat aber
feinen Danf dafür. Der Pfaffe fieht alles Gewährte ald fein
Reht an, und meint, es fei noch lange nicht genug gethan.
Und fo lange man ihm feinen Standpunft zugeftebt, hat er
auch Recht! —
2*
20
Die Ruffen haben 50 Meilen der Tſcherkeſſenküſte am
Schwarzen Meere geräumt und völlig preidgegeben. Die
Truppen aus den dortigen Kleinen Feſtungen hat der
Admiral Nachimoff von Sebaftopol aud abgeholt, und jicher
in diefen Hafen gebracht. Die englifch-franzöjifche Flotte hat
ed nicht gemerkt. —
Der neue Feldmarfchall und Oberjtfänmerer — fo, mit
„ft“, heißt das Hofamt jest, — Graf von Dohna, hat in
Preußen zu verfammelten Offizieren beim Abſchiede gejagt:
„Auf Wiederfehen, meine Herren, zum drittenmal in Paris!“
Dies jebt zu fügen, bleibt eine Dummheit, auch wenn Die
Sache wahr werden follte, wozu doch wahrhaftig eben jebt
wenig Ausficht ift. —
Annahme der Regierungsvorlage in Betreff der Vorrechte
der ehemaligen Reichdunmittelbaren auch von der ziveiten
Kammer. Gerlady möchte auch den ehemaligen Reichsjtädten
befondere Vorrechte zugewielen jehen. Reichenſperger ſchließt
ausdrüdlich die Stolberg’fhen Häuſer aus, ald nicht beredy-
tigt zu Vorrechten. —
Bei der Debatte über die Befugniffe der Polizei bei Druck—
fachen werden viele Hebergriffe und Willfürlichkeiten gerügt,
aber matt, und es bleibt dabei. —
In Nürnberg war ein preußifcher Kaufmann aus bloßer
Namendverwechfelung in den Thurm gefperrt, und erft auf
Einiprache des preußifchen Gefandten in München wieder los-
gelaffen worden. Dabei hat es fein Bewenden. Es wird
nicht einmal gejagt, ob das Vieh von Polizeidireftor in Nürn-
berg wegen Dummheit gerüffelt, oder wegen Eiferd belobt
worden! — |
Berlinifhe Erzählungen: Der König will von Hindeldey
wahren Aufſchluß über die Stimmung ; Hindeldey befennt, es
jei fein Menſch hier.ruffüih, außer —; der König erwiedert -
ſchnell: „Ah was! Das weiß ich beffer! Gehn Sie, gehn
a SE De ———
—2
21
Sie! Sie find ein Phantaft!* und wendet ihm den Rüden. —
Fernet: Der Kaifer von Rußland fagt zu feiner Umgebung:
„Mein Schwager geht alle Abend ald Engländer zu Bett und
ftebt alle Morgen als Ruſſe wieder auf!“ —
Mittwoch, den 5. April 1854.
In Einf und Humboldt gelefen. Franzöfifches. — Elende
politiſche Schrift des Grafen von Ficquelmont; er fafelt wie
ein altes Wafchweib. — |
Der jebt etwas vom Könige, mittelbar fogar von den
Miniftern, will, muß ſich an den Generallieutenant Reopold
von Serlah wenden, der ganz und gar das Ohr des Könige
bat. Ber dem Ehrgeiz und der Gitelfeit dieſes Gerlach
ſchmeichelt, kann alles erlangen, fogar bisweilen etwas, das
fonft nicht den Grundfäben des fanatifchen Schalfd gemäß
it. — Auch der Graf von der Groeben, der frömmelnde Held
von Bronzell, gilt viel beim Könige. —
Man wollte mir heute die Polen fchimpfen, ich litt es
nicht! Freilich ift fein Volk, wie das andre, und Vorzüge und
Fehler find fehr verfchieden ausgetheilt; allein Menfchen find
fie doch alle, und haben diefelben Anfprüche an Recht und
Freiheit, wann und wo fie nach Diefen ftreben, da müſſen wir
ihnen Erfolg wünfchen, ihnen Beiftand leiften. Alle Völker
haben wechſelnde Schidfale gehabt, alle haben Niederlagen,
Unterdrüdung erlitten, das hat ihre Ehre, ihre Anfprüche
nicht geſchwächt; und daß fie es nicht zu großen Staatebil-
dungen gebracht haben, wer will fie deshalb verdammen, der
je
+
x
"
n 3
da erwägt, wie viel Höheres ed giebt, dem nachzuftreben ift!
An Staatömwefen fehlt ed den Ruffen nicht, aber an Geiftee-
bildung find fie nicht weiter ala die Polen, und weit hinter
den Italiänern. — Juden in der Zerftreuung. Alte Griechen.
Deutihe. —
22
Donnerstag, den 6. April 1854.
Im Plinius und in Humboldt gelefen ; deutfche Tagesſachen.
Gerücht, daß die beiden Minifter von Manteuffel und von
Bonin ihre Entlaffung genommen, und legterer fie auch ſchon
erhalten hätte. Es wäre fein Wunder, fchon längſt jucht der
General von Gerlach ihm ein Bein zu ftellen! Und Man—
teuffel ift von der Kreuzzeitungsparthei längſt verurtheilt. —
Auf der Börfe Unruhe deshalb. —
Die Sefellihaft la vieille montagne in Brüffel fauft für
viele Millionen Bergwerfe und andern Grundbefik in Schle-
fien, und hat diefe Millionen gleich baar zur Zahlung bereit.
Man hegt die Bermuthung, die von vielen Umftänden unter:
ftüßt wird, daß diefe ungeheuern Baarfchaften den Helfer:
helfern des Louid Bonaparte bei feinem Schandftreiche ge:
hören, und zu den Belohnungen und der Beute gehören,
die jenen für das Verbrechen zu Theil geworden find. Die
Spisbuben bringen ihr Geld in Sicherheit. —
Die in Reipzig erfcheinende „ Autographifche Korrefpondenz *,
von preußifchen Kammerabgeordneten der Linken herausgege⸗
. ben, iſt in Preußen verboten worden! Diefer Linken, das
will was heißen! —
Der in Dresden beftandene Sängerbunt, im Januar poll
zeilich aufgelöft, unter Angabe von Gründen, die den füch
fifchen Behörden zur ewigen Schande angemerkt zu werden ver:
dienen, — weil der Morfteher ehemals zur freien Gemeinde
gehört, Andre zum Baterlandöverein, oder zum Handwerker⸗
verein, — hatte fich dennoch wieder verfammelt; jebt find
deßhalb über dreißig Perfonen zu Geldftrafen von 10, 7,5
und I Thaler verurtheilt worden. Die Auflöfung war ganz
geſetzlos, die Strafen find es ebenfo. —
Der preußifche Gefandte in London, Herr Bunfen, wurde
beihuldigt, nicht nach feinen Inftruftionen gehandelt zu haben.
Aus Schonung für ihn wollte der Diinifter ihm einen längeren
23
Urlaub bewilligen. Bunfen aber wollte diefe Demüthigung
nicht annehmen, und fandte feinen Sohn hieher mit allen
Papieren, die ihn beim Könige rechtfertigen ſollten. Allein
der König ließ den Sohn nicht vor. Da wandte fich diefer
an den Prinzen von Preußen, der nun aus den eigenhändigen
Schreiben des Königs erfah, zu was derfelbe Bunfen ermäch—
tigt hatte, Weifungen, die dem Könige felbit nicht mehr im
Gedähtnig waren, ald er ſpäter die entgegengefegten gab
oder billigte. Der König foll darüber, daß ſich Bunfen an
den Prinzen von Preußen gewendet, in gränzenlojen Zorn
gerathen fein, und nun Bunſen's Abberufung befohlen haben.
Freitag, ben 7. April 1854.
Nachmittags fam Bettina von Arnim, jie fand mich auf
dem Sopha liegend mit bloßen Füßen, hörte meine Entichul:
Digung nicht an, fondern warf fich in den von Dore heranges
rüdten Lehnftuhl, fchleuderte mit dem Fuße einen meiner
Schuhe weit unter den Sopha, und al® ich Darüber o weh!
rief, auch den zweiten. Dore froh hinunter, und holte fie
wieder hervor, ftellte fie lachend wieder hin, und Bettina hatte
mittlerweile ihre Rede vom Prinzen von Preußen u. |. w.
Ihon begonnen; faum aber ftanden die Schuhe wieder an
ihrem Drt, fo gab fie ihnen neue Fußſtöße, daß fie wieder
weit wegfuhren, und Dore mußte fich zum zweitenmale büden
und wieder fie hervorhofen; ich lachte dazu und fagte: „Dore,
die unartige rau macht Ihnen viel Mühe!“ Da ftund Bet:
tina auf, fagte Adieu, und ging zur Stube hinaus, ehe ich
noch meine Schuhe wieder hatte, war fie auch zum Borzimmer
hinaus und ſchlug die Thüre zu. ich eilte die Schuhe anzu—
ziehen und ihr nachzugehen. Aber fchon Flingelte fie wieder,
und fagte zu Karolinen, die ſchneller als ich an der Thüre war,
fie folle mir beftellen, es fei gar nicht ſchön von mir, daß id)
24
fie habe gehen laffen, ihr nicht nachgeſchickt und fie zurüdgeholt
habe. Darüber war ich herangefommen, und hörte den Schluß
der Beftellung noch felber; dad machte fie verlegen, um fo
mehr, ald auch der junge Graf von Groeben in ihrem Nüden
die Worte hörte, der die Treppe weiter hinauf wollte. Ste
fand erft den Grafen mit einigen Scherzworten ab, that als
ging fie fort, und als jener aus dem Geſicht war, fehrte fie
dennoch um und fam wieder zu mir, der ich unterdeffen er-
wartend in meiner Thüre geftanden hatte. Ich lud fie wieder:
holt in's Zimmer, fie jedoch wollte nicht hinein, fagte mir im
Vorzimmer was fie mir von ihren Briefen zu fagen hatte,
verficherte, daß fie gar feine Zeit habe, bei Savigny's erwartet
werde, und ging auch bald, nachdem fie mir doch ein paarmal
herzlich Adieu gejagt und die Hand gereicht hatte. Es that
ihr leid, fo unnöthig der findifchen Laune gefolgt zu fein, das
war ſichtbar. ch aber fehreibe diefen unbedeutenden Borgang
mit aller Genauigfeit auf, weil er Bettina’n auf's ſprechendſte
in ihrer Art und Unart bezeichnet, und weil ed doch möglich
ift, daß an folcher Kinderei das ganze Berhältniß zerbricht.
Ich möchte nur jehen, wie fie ed nehmen, und was fie fagen
würde, wenn jemand ihr fo etwas thäte! Die alten Bren-
tano’fchen Auägelaffenheiten und Tollheiten! —
Heute fol es zum Abfchlug einer PVerftändigung mit
Deiterreich gelummen fein. Ob ein eigentliches Schutz⸗ und
Trutzbündniß zu Stande gebracht ift? Das wird fehr bezwei«
felt! Dap die Generale von Gerlach und Graf von der Groeben
zulegt beauftragt waren mit dem dfterreichifchen Feldzeugmei⸗
jter von Heß zu berathen, läßt auf ein militairifche® Abkom—
men fchließen ; ein vernünftiges und ehrenwerthes für Preußen
dürfte unter dieſen Umftänden fchwerlich vorauszuſetzen fein.
Die demofratifche Parthei hat befchloffen, ſich auch ferner
bei den Wahlen, jeien fie einzelne oder allgemeine, nicht zu
betheiligen, und diefer Schritt zeugt allerdings von großer
et u EEE ———
4
25
Standhaftigkeit und Zuverſicht. Das Warten iſt in politiſchen
Dingen ſehr ſchwer; Leute, die warten können und wollen,
ſind ihrer Sache gewiß. Die Demokraten wollen nicht nach
und nad) Fleine Erfolge, fie wollen in Hauptfchlachten fiegen.
— In ganz Europa fteht die Revolution drohend im Hinter:
grunde. —
Das Pfuel’fche Haus in Jahnsfelde hat die gute Inschrift:
„Slüd herein, Unglüd heraus! Das ift der Pfuele ritterlich
Haug, feit vierhundert Jahren ; Gott wolle bewahren in Glück
und Gefahren Gefchlecht und Haus.“ —
Sonnabend, den 8. April 1854.
Nachmittags Beſuch von Herrn Dr. Ring, der mit Frau
von Nimptich in der zweiten Kammer war; fpäter Befuch vom
Herrn Grafen von Wartendleben, der auch von daher Nady-
richten brachte. Die Abendblätter liefern nur Anfang und
Mitte der heutigen Verhandlung. Leute aus dem Volke, die
nur auf die Hauptfache gefpannt waren, wußten ſchon vor vies
len Andern, daß die dreißig Millionen bewilligt feien, und
diefe Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt. —
Dinde hat eine fcharfe Nede gehalten gegen die Bewilli:
gung, hat die Minifter hart mitgenommen, befonders aber den
— Gerlady; den König hat er mittelbar getadelt, indem er
vom Kaifer von Rußland alles Gute fagte, was beim König
als Mangel zu rügen iſt. Auch Bethmann-Hollweg hat gut
gefprochen, und befonders den Halunfen Gerlach, feinen ehe-
maligen Freund, fchwer getroffen, dem auch der Graf von
Zieten aut auftrumpfte. Gerlach hat die ſchamloſeſten Frech»
heiten herausgewürgt, ein ſchmutziger, giftgejchwollener Boffen-
{ reißer! In's Zuchtbaud gehört er! —
„Correspondence, despatches and other papers of
-
26
viscount Castlereagh, edited by his brother Charleı
William Vane, marquis of Londonderry. London
12 vols. 8.“ ch hab’ es indeß nur mit den vier legten Bän
den, der dritten Serie zu thun. Die Diplomatie zeigt hie
ihre vielfachen Erbärmlichkeiten und Gebrechen. Befonder:
eriheinen unfre Staatömänner Hardenberg, Bernitorff, An
cillon ꝛc. in geringem Licht! Wie diefe Leute ftetd die Volke
angelegenheiten angefehen haben, wie fchnöde, wie verachtend
Die ſpaniſche Erhebung, die Preßfreiheit, dad Ringen dee Frei
find in Frankreich, in Deutfchland! — Gut, daß alles an dei
Tag kommt! Und doch gehören Hardenberg und Bernitorf
noch zu den Allerbeften ; fie meinten es wenigſtens gut um!
ehrenwerth, wogegen die Werther, Goltz, Ancillon, Anftett
Berftett 2c. als vollfommene Qumpen daftehen! —
Der Minifter von Manteuffel hat der Kammer erflärt, fü
habe verfafjungdmäßig das Recht, die 30 Millionen zu bewil:
ligen oder auch zu verweigern. Außerdem aber machte er di
Mittheilung, Preußen habe jept eben in Wien ein Protofol
mit den andern drei Mächten unterzeichnet, ganz auf de
Srundlage der früheren. —
Da nun doch die Anleihe durchaus die Bezeichnung eine
antiruflifchen trägt, fo hätte die Kreuzzeitungsparthei dagegeı
jtimmen müffen. Sie hätte jedoch dadurch den Schimme
ihrer Augendienerei für den Königlichen Willen verloren, un!
bat daher lieber die Dornen in's eigne Fleifch gedrüdt! —
Der Herzog von Koburg-Gotha hat in Paris und London
das Benehmen des Könige von Preußen dadurch entjchuldigt
daß er den Karakter defjelben fchilderte und gänzlich bloßgab
St fagte, derſelbe fei aufgeblafen, Tindifch-eigenfinnig un!
furchtſam, man möge ihn nur nicht drängen , ihm Zeit laffen
er werde nicht im Stande fein, einen muthigen Entſchluß zı
nehmen, leicht aber einen übereilten, den er dann ſchwer be
teuen müßte. Der Berlauf der Dinge werde ihn von felbf
27
und aud wider Willen auf die Seite der Weftmächte werfen.
— Inzwiſchen fprechen franzöfifche und englifche Blätter mit
äußerfter Berachtung und bittrem Hohn von ihm. —
— —h rſ — —
Sonntag, den 9. April 1854.
Bettina von Arnim fam Nachmittags wieder. Sie wollte
mit mir über die geftrige Kammerfißung fprechen, war bejon-
ders freundlich und artig. Sie läßt ein Titelblatt für ihre
Dümonengefpräche prächtig mahlen, will dad Buch prächtig
eindinden laffen, und dann dem Sultan fchiden. —
In Thiers Kaiferreich gelefen. — Deutſche Gefchichte vom
Iode Friedrich’8 des Großen bis zur Gründung des deutjchen
Bundes. Bon Ludwig Häuffer. Reipzig, 1854. Erfter Band. —
Montag, den 10. April 1854. -
Die ganze Bevölkerung Berlins ift aufgereizt und voll
Unmwillen über die frechen Hanswurftiaden Ludwigs von Ger:
lach; alle Leute wiederholen die Worte Binde’3, Bethmann-
Hollweg's, felbft in den unterften Klaffen nimmt man Kennt:
niß davon, freut man fich derfelben. An der Börfe günftige
Bewegung. Dagegen auch das erneuerte Gerücht vom Ab-
ſchiede Manteuffel’e, Bonin’s. —
„Veuvres de Frangois Arago, publices sous la di-
reetion de M. J. A. Barral. Tome I. Paris, Leipzig,
1854, 80.“ Ein Borwort von Humboldt: „Histoire de ma
jeunesse“, von Arago felbft, feine Denkrede auf Fresnel,
Volta, Young, Fourier, Watt, Carnot, — die auf Young
und Garnot mit freude gelefen. —
„Preußen und Rußland. Leipzig, ©. Hirzel, 1854. 8.*
q,
28
Eine gediegene, ſcharfe Schrift, durchaus gegen die infame
Kreuzzeitungsparthei. — (Sie ift vom Profeffor Mar Dunder -
verfaßt. —) Der Herzog von Koburg-Gotha foll der Schrift
auch nicht fremd fein, einige Beiträge dazu gegeben haben. —
Dienstag, ben 11. April 1854.
Bettina von Arnim befuchte mich ſchon früh. Sie fchenfte
mir ein Zettelchen von ihr an Ludwig Tied in ihrer früheften
Zeit gefchrieben, auf Antrieb ihres Bruderd Clemens, al? fie
eben den „Sternbald“ gelefen hatte. Sie zeigt mir Ent-
würfe zu dem bunten Titelblatte ihrer Dämonengelpräche
für den Sultan; ich kann aber feinen derfelben billigen, und
fie will andre verfuchen. Sie erzählt, was fie von angeſehe—
nen Perfonen über den König gehört; er fei in verzweifelter
Lage, wolle bald das eine, bald dad andre, weine, ringe die
Hände, bleibe unfchlüflig, auch wenn er fehon einen Entſchluß
gefaßt habe, er fei fähig die größten Thorheiten zu begehen,
fih zu Grunde zu richten. Sie möchte an ihn fchreiben, ihm
an's Herz legen, fich zum Volfe zu halten, eine Amneftie zu
geben, u. ſ. w. Es fann nicht fehaden, wenn fie fchreibt,
aber helfen auch nicht. In folcher Hof» und Regierungd:
iphäre ift alle von weither vorbereitet, fein Zugang offen,
außer der Gewalt und Noth, dem fchon vollendeten Unheil! —
In Wien ift die von Heß und Gerlach und Groeben bier
entworfene militairifche Hebereinfunft nicht gebilligt worden.
Alſo auch dies Verhältniß, das man fchon feſt glaubte, wieder
zweifelhaft. Nun giebt e& auf’d neue hier Ränfe und Wider:
ſprüche die Fülle, und unfägliche Arbeit für die Minifter. —
Den Kriegdminifter General von Bonin hat der König
gar nicht mehr ſehen wollen, er ift ihm tödtlich verhaßt
durch feine Neußerungen in der Kredit-Kommiſſion der zweiten
Kamıner. — *
29
Die wahre Volksſtimmung zeigt fi mit außerordentlicher
Kraft und Schärfe; des Kaiſers Nikolaus wird allgemein ges
jpottet, ver Name Ruſſe ijt allgemein zum Abſcheu; den Kaifer
nennt man höhnifch den „Gentleman“ mit den fchimpflichiten
Beiwörtern, man lacht ſeines Gleichniffee vom „kranken
Mann“, man erflärt ihn für einen hartgefottenen Heuchler
und Betrüger, der aber zu dumm fei, feine Ränfe durchzu:
fegen, wie zu unfähig um feine Heere in Perſon zu führen.
Der König würde jet viel wagen, wollte er fich noch ganz mit
, diefem Schwager verbünden. — Eine friegerifche Schlappe,
gemeinfam mit den Ruſſen erlebt, könnte Preußen an den
Hand des Untergangs bringen. —
Neue Kommiffion zur Verhandlung mit Defterreich: Prinz
von Preußen, General von Reyher, General von Bonin.
Alſo feine Kreuzzeitungähelden mehr, fein Gerlach, fein
Groeben! —
Die Regierungsbehörde hat die Frechheit, den Elbingern
arade heraus zu jagen, die von ihnen gewählten Stadtbeamten
würden höheren Orts nicht beftätigt, weil die Gewählten bei
den Kammerwahlen nicht nad) dem Sinne der Regierung
geitimmt haben! Heißt Das nicht Hohn und Spott mit der
Wahlfreiheit treiben? Berdienen die Spigbuben nicht, öffent»
lih ausgehauen zu werden für ſolche Frechheit? Welche
Schande für die Kammern, auf ſolche Art zu Stande gefom-
men zu fein, daB feine freie Wahl ftattgehabt! — Aber jie
fühlen feine Schande! —
Bunſen's Abberufung foll nicht wahr fein; man glaubt
aber, dag der König die fchon auögefprochene wieder zurüd-
genommen habe. —
30
Mittwoch, den 12. April 1854.
Der König hatte in dem Abkommen mit Defterreich feft:
ſetzen wollen, daß er nie genöthigt fein follte, feine Truppen
den ruffifchen Boden betreten zu laffen; das ift in Wien fo-
gleich verivorfen worden. Die Defterreicher fragen, ob man
fie zum Narren halten wolle? Sie benußen Preußens Un-
Thlüffigkeit beftens, um und am Bundestag entjchieden vorzu-
greifen. Niemand fchließt ſich dem an, der immerfort zeigt,
daß er nicht weiß, was er will! —
Abfihten und Entwürfe des veritorbenen Fuͤrſten Felir.
von Schwarzenberg, Preußen zu verkleinern, zu theilen, an—
ftatt der Türkei; Defterreich befäme Schlefien, Rußland Pofen
und Oftpreußen, Frankreich die Rheinlande, Weitphalen käme
an Hannover. Des Grafen von Münfter altes Vorhaben,
Hannover zu einem großen norddeutfchen Staate zu. machen,
würde noch heute von England begünftigt werden. Kür das
Haus Koburg ließe fich auch was finden. Alles aber ift eitler
Kram, die Völker find aus der Rechnung gelaffen, die Revo:
Iution fteht jegt überall mit auf dem Schauplag, wenn nicht
in Bordergrunde, doc, gewiß im Hintergrunde! — Die Nevo-
Intion greift zuverläffig auch in Rußland durch !
In Hamm ift ein Mann wegen „Gottesfäfterung “ zu drei—
monatlihem Gefängniß verurtheilt worden! Chriftlicher
Staat! —
In Frankfurt am Main hat das Stadtmilitair die noch
beibehaltenen deutſchen Kokarden endlicd auf Befehl feierlich
abgelegt, auf der Parade, die Helme find nun wieder frei!
Die Kokarden wurden verbrannt. Dabei fprechen Oeſterreich
und Preußen immer dreift von ihrer Sorgfalt für Deutſch—
lande Wohl und Ehre. —
Die Neue Preußifche Zeitung überbietet fich felbft an täg-
lich wachfender Gemeinheit, Armfeligfeit und Bosheit. Eine
Schande unfrer Zeit und unfrer Stadt! —
al
Der ruffifche Gefandte von Budberg bier hat ohne Scheu
gejagt, dag Preußen durch Unterzeichnung ded Wiener Proto-
folls (vom 9. April) eine Infamie begangen habe! Und die
Kuugeitungsleute wiederholen dad mit Wohlgefallen! —
Der General Leopold von Gerlach hat vom Könige ge:
jagt, er jei der größte Haſenfuß, man müffe ihm nur Furcht
machen und dabei etwas fchmeicheln, dann könne man mit ihm
machen was man wolle. —
Donnerstag, den 13. April 18564.
Beſuch von Bettina von Arnim. Sie beginnt damit,
mir zu fagen, daß ich ihr bei einer ntrigue helfen foll!
Sarigny'd feiern am 17. ihre goldene Hochzeit, find aber ganz
betrübt, weil fie vorausfegen, daß der König fich ihrer bei
diejer Gelegenheit nicht erinnern, ja gar nichts von dem
Jubeltage wiffen werde, — fie jind feit längerer Zeit gar
nicht mehr beachtet worden, halten fich für ganz vergeffen. —
Dettina fagt: „Die alten Leute find doch ihr Leben lang
immer in den Schuhen der Pflicht und der Dienjttreue einher:
gewatſchelt — mögen fie ſolche auch oft genug platt und ſchief
getreten haben, — fo fann man ihnen doch gönnen, daß fie
grade den Lohn nicht entbehren, auf den fie den hödyiten
Werth ſetzen“; zu diefem Behuf foll ich an Humboldt jchrei-
ben, ob er nicht dem Könige wenigjtend jagen wolle, daß Sa-
vigny’d goldene Hochzeit am 17. ift. Ich fehe dabei fein
Bedenken, und fchreibe ed an Humboldt, indem ich doch an⸗
merke, dag „Sefpräche mit Dämonen“ meinen Schritt veran-
laſſen. — Bettina blieb noch lange, und ſprach noch mancherlei
mit mir durd. —
Unſer Gefandte in London, Herr Bunfen, ijt doch abge:
rufen worden! Ein Günftling ohne Gunft jept! Wer weiß?
32
Solche Leute haben alte Schliche, und find unerwartet wieder
da, wo man fie nicht erwartet. —
Nachrichten aus England, daß der Kaifer von Rußland in
der Wuth alles perfönliche Befisthum, das der Gefandte Sey—
mour in St. Petersburg zurüdgelaffen, mit Beichlag belegt.
Herbe Aeußerungen über diefe unmwürdige Barbarei, Erinne-
tung an des verrüdten Kaiſers Paul Benehmen gegen englische
Handelsſchiffe, die er alle verbrennen Tieß, weil ed zweien
geglüht war, fich der verhängten Beichlagnahme zu ent-
ziehen. —
Lord Ruffel hat im englifchen Parlament erflärt, die Ber
weife feien in feinen Händen, dag der König und die Königin
von Griechenland ald Mitanftifter des Griechenaufitandes in
der Türkei zu bejchuldigen find. — Der König Otto verfichert
- in einem Schreiben an den König von Preugen da& Gegen:
theil und bittet um Schuß; der König hat feine Seemacht (die
„Amazone!*) nad dem Piräus beordert, um nöthigenfalle das
Königepaar, wenn es flüchten müßte, aufzunehmen. (Nicht
die „Amazone”, fondern das Kriegeichiff „ Danzig“.) —
Die englifchen Blätter fprechen fcharf über Friedrich Wil-
heim den Vierten; das Land der Erbiweisheit ſchenkt ihm
nichts! —
Der gedrudte Bericht des Fürſten Gortſchakoff an den
Kaifer beweift, daß die Ruſſen ohne Kampf und Sieg in die
Dobruticha eingerüdt, alle Angaben von blutigen Gefechten,
eroberten Kanonen , 7000 Gefangenen — die fihon in Ben-
der anfommen — falſch find! Die Kreuzzeitung wird ſich
ärgern! —
Das Miniiterium des Innern, das die von beiden Kam:
mern befchlofjenen Aenderungen des Preßgeſetzes nicht anneh—
men will, hat eine neue Inſtruction an die Behörden erlaffen,
in der fcheinbar der wefentliche Inhalt jener Aenderungen
enthalten, das Ganze aber doch nur eine Täufchung iſt. Die
33
Beſchraͤnkung der Polizeiwillfür ift eben nur fcheinbar.. Das
bat man auch gleich entdedt, und die Rechte, von der die Nen-
derung ausgegangen, klagt ſehr über den Mintjter, der doch
ſonſt grade der ihrige iſt. Welch fpipbübifches, feiges, und
Dabei ganz unnüßes Verfahren! —
Stiller Freitag, den 14. April 1854.
Audgegangen mit Ludmilla. — Zu Haufe find’ ich ſchon
Antwort von Humboldt, liebenswürdige, angenehme, er will
dem Könige wegen Savigny's goldner Hochzeit eifrigft fchrei-
ben, und jelber zu dem Tage glückwünſchend fich einfinden.
Alſo das wäre gelungen, in fo weit! — Er ſchenkt mir ein
Autograph von Arago. —
Nahmittage Beſuch von Herrn **, — zwei Stunden.
Mannigfache Unterhaltung. Lage Frankreichs, Hoffnungen,
niht eben nahe! Karafter des — Louis Bonaparte; finn-
lid, — gewillenlos, dabei gar nicht klug und ftarf, ein
eingebildeter Selbitling, wie jo viele der römischen Cäſaren
und griechifchen Tyrannen, die durch Verbrechen oder Glüd
zur Serrichaft famen! —
Zu Haufe fand ich Abends ein zweites Billet von Humboldt;
er hat unverhofft jchon heute in Charlottenburg beim Könige
geipeift, und der ihm gefagt, er wife von Savigny's Feſt, und
babe jchon längſt alles dazu bereitet. —
Im Suvenalis gelejen ; im Plinius. —
Bunfen’s Abberufung wird wieder von den Zeitungen
verneint. Dad Gerücht war aber in London allgemein ver:
breitet, und die Conſols fielen Darauf um 1 Prozent!! —
— — — —
Bern Hagen von Enſe, Tagebüder. XI. 3
= =
. ”
34
Sonnabend, den 15. April 1854.
Nah ſchweren Träumen zu düjtern Betrachtungen auf-
gewaht. Mic übernahm die nicht erfreuende Erwägung, wie
mit zunehmenden Jahren alles mehr in die Ferne tritt, nicht
nur das Vergangene, fondern auch die Gegenwart, man fühlt
zu febr, wie bald fie vergangen fein wird; dad Schlimmite
jedoch ift, dag wir eine fo troftlofe, öde, in Unthätigfeit hin-
nehmen müffen,, obne das Glüc der Freiheit, ohne den Reiz
edler, ausgebreiteter und ausgezeichneter Geſelligkeit, obne den
Glanz und die Macht [höpferiicher Litteratur. Dei beſaßen
wir es einſt alles! —
Allerlei geſchrieben; dann ausgegangen mit Ludmilla, in
den Thiergarten, um Bettinen von Arnim die Humboldt'ſchen
Nachrichten zu bringen; fie begegnet und in einer Droſchke
mit ihrer Schwiegertochter, ich fage ihr eiligit Das Nötbige,
fie will darauf zu Savigny's, die auf'd Land reifen, um der
Schmach zu entgehen, dag etiva der König fie bei ihrem Jubel—
feft unberüdjichtigt ließe! Auch die Nachricht, die ich bringe,
wird daran nichts mehr ändern, jchon dephalb nicht, weil man
Bettinen nicht recht glauben wird! — Weiterer Spaziergang
im Thiergarten ; das junge Grün herrlich, die Knospen an
den Baumzweigen ſtrotzen. —
Zur Mittagdzeit fommt Bettina, Savigny's jind richtig
abgefahren. Frau von Savigny feufzte, was immer der König
thun wolle, dad Nechte werde er doch nicht treffen! „Und. was
wäre denn das?" Zögernd geitand fie, das, wonach Saviany's -
und ihr Herz am meijten verlangten, was fie am meiften er-
freute, das wäre die Erhebung in den Grafenſtand!! — Sind
das alte Leute! —
Dann viel Abgefhmadtes vom Pſychographen, was ich
alles ruhig anhörte, und nur endlich ganz unbefangen fragte:
„Sagen Sie doch an, was frißt er?* worüber fie herzlich
35
lahte,meine eigne Antwort aber: „ Gehirn und Vernunft frißt
er!" fait übel nahm. —
— — — — —
Oſterſonntag, den 16. April 1854.
Ich bewundere den Fleiß und Eifer, der ſich in großen
und Heinen Schriften umſtändlich mit Erörterung der ſoge—
nannten Tageöfrage, der orientalifchen, oder jegt vielmehr
vorzugsweiſe rujfifhen, beſchäftigt. Es widmen ſich dieſer
Erörterung auch beſonders ſolche Männer, die ich in Betreff
der yolitifchen Gefinnung mir gleichdenfend weiß oder glauben
muß, und von folchen allerdings begreife ich Eine jo durchaus
lebhafte Betheiligung nicht. Je mehr die Sachen fi auf:
hellen, beftimmter geftalten, defto weniger erfenne ih meine
Sache darin, jie ift nur in einigen Nußentheilen mit jenen
Dingen verflochten, und mir ift keineswegs entjchieden, ob fie
bei dem Verlaufe gewinnen oder verlieren werde. Der Neben-
gewinn, den meine Sache bei jeder Bervegung, bei jedem Ber:
geben von Zeit unfehlbar einzieht, fommt nicht in Betracht,
weil der immer feftfteht. Aber fonit, — was ift von diefen
Höfen und Kabinetten zu erwarten? Sie fchimpfen jest auf
die ruffifche Politif; aber hat irgend ein Staat eine beſſere?
ift e& irgend einer Regierung jetzt um Recht und Freiheit zu
thun? ch fürchte täglich den fchreienditen Verrath, alle find
deflen fähig, und aus den Beſchützern fönnen jeden Augenblid
Räuber und Raubtheiler werden. Daß fie durch die Macht
der Verwicklung, in der fie fich finden, alle in einer Richtung
fortgepeitfcht werden, die fie eigentlich nicht wollen, ja verab-
ſcheuen, ift freilich ein Schaufpiel, das auch mir täglich Ver:
gnügen macht. —
Uebrigens bleibt es dabei, non mea res agitur! —
Die englifchen Blätter geben die Reden Vincke's und
Betbmann-Hollweg’3 ganz oder theilweife wieder, beſprechen
\ 3”
36
fie, loben fie, und fpeien Gift und Galle gegen das preußifche
Minijtertum, gegen den König felbit, den einige arg miß-
handeln. —
Der Admiral Napier ift am 13. früh von Kiöge gegen die
ruſſiſchen Küften hingefegelt. Nächitend wird man von ihm
hören! Alles hier wünjcht feinen Unternehmungen Heil, mit
Ausnahme der fehon fehr geminderten Kreuzzeitungspartbei,
die mit landeöverrätherifcher Tüde und felbftfüchtigen Zwecken
mehr ruffifch als preußifch, ja ganz ruffifch ift. Ein General,
— vielleicht Leopold von Gerlah — hat fich erfrecht, in einer
Sefellfchaft zu fagen: das ganze preußifche Heer, mit wenigen
Ausnahmen, fei ruſſiſch gefinnt, und würde der Zumuthung,
gegen Rußland zu ziehen, nicht Folge leiten. Erſtlich iſt
das eine infame Lüge, eher dad Gegentheil könnte behauptet
werden; dann aber müßte ein General bei Annahme einer
folhen Thatſache nicht prahlend jubeln, fondern erichreden
und trauern, befonderd einer, deſſen Handwerk ed bisher war,
dem Anſehn und der Befehlsmacht des Königd unbedingte
Huldigung zu fordern. Aber diefe Burfche find diefelben, die
im März 1848 den Könige nicht gehorchen wollten, ihn mit
den fchändlichften Schimpfivorten belegten, ihm auswichen, um
ihn nicht grüßen zu müffen. — |
„La question du lendemain“ und „Pour repondre à
la question du lendemain“, zwei fleine Flugſchriften, in
London gedrudt, in kleinſter Schrift und Format. Boll luger
und edler Angaben deſſen, was nach einer neuen Revolution
zu thun fei, um ihr Gelingen dauernd zu fichern, denn ihr
Kommen wird ald unfehlbar angenommen für ganz Europa.
Daß die Völker fich verbünden, feinen Krieg gegen einander
führen werden, daß man die Kriegöheere abjchaffen wird, Die
Kriegäbefchlähaber entbehren zc., daß die Arbeit reiheit
fer ꝛc. Alles recht ſchön und aut; aber es ift ein Nichtver-
ftehen der menfchlichen Dinge, wenn man glaubt, der Feind
37
werde rafch, gleich, ganz und für immer überwunden fein; im
Gegentheil, die neue Revolution muß friegerifch, gewaltberr-
Ihend, gerüjtet und wachfam fein. Der neue Zuftand ift ja
nicht ganz neu und frei, er trägt die Erbfchaft des alten in
jih, und muß die verarbeiten, das geht nicht leife und fried-
lich. Dazu ift nicht mehr die Zeit; der Verſuch 1848 war
jhön und groß, das Alte hat ihn nicht gewollt, fondern vers
worfen, graufam beſtraft. Das geht nicht zum zweitenmale,
wenigitend kann es nicht beabfichtigt werden! —
Montag, den 17. April 1854.
Verahtung, die fiih in England gegen Preußen allgemein
und bitter auöfpricht; die Matrofen eined preußifchen Kauf>
fahrteifchiffes, das aus fernen Landen anfam, begriffen nicht,
weßhalb man fie verhöhnte, wie Geächtete mied; als ſie's
erfuhren, ſchämten fie fih. Ihre Flagge hatte man ihnen mit
einem Befen vertaufcht, der am frühen Morgen das Gelächter
aller Nahbarfchiffe verurfachte. Dies alles ift aus zuverläffl-
gem Jeugenmunde ! —
In Jean Paul Richter gelefen, in Voltaire und Luchet;
die Franzofen des achtzehnten Jahrhunderts haben Borzüge,
die wir und mit Erfolg aneigneten, die aber weder fie nod)
wit im neungehnten behalten haben. —
General Leopold von Gerlach fagte zum Feldmarſchall
Gtfen von Dohna: „Heß meint, er hat ihn (den König) ſchon
in der Tafche, da ift er fehr irrig.“ Er merkte, daß ein Dritter
die Worte gehört hatte, und wurde ganz verlegen. —
Das englifche Wigblatt „Punch * fagt über des Königs
Unfall im Garten zu Charlottenburg, er habe ſich an die Nafe
geftogen, vielleicht in der Betrunfenheit, jedenfalls folle es
ihm zur Warnung dienen, feine Schleichwwege mehr im Dun-
keln, fondern Die grade helle Straße zu gehen! —
38
Herr Profeffor Dirichlet ift an Leopold’3 von Bud, Stelle
zum Mitglied der Akademie der Wilfenfchaften in Paris er:
nannt worden. Gine große und wirkliche Ehre! —
Der Gefandte Theodor von Rochow in St. Petersburg ift
Schwer erkrankt. Auf feinem Poſten ift er ganz unbedeutend,
und dephalb gern gejehen. —
Der Polizeipräfident von Hindeldey ift nun auch Direktor
einer Abtheilung im Minifterium ded Innern geworden. Sein
Ehrgeiz ift zu langfamem Emporklimmen verurtheilt! —
Die kleinen Schriften „La question du lendemain“ x.
follen von einem Herrn Gantagrel verfaßt fein, der früher mit
Confiderant verbunden war.
Der König, im Zorn über Bunfen’d angebliche Eigen:
mächtigfeit, hat gefagt, mit der Diplomatie müfle e8 vorbei
fein, die Könige müßten, wie er jebt thue, felber ihre Sache
in die Hand nehmen. Dabei verfichert er, daß er Bunjen pers
fönlicy liebe, nad) wie vor. —
Dienstag, den 18. April 1854.
Frankreich hat eine ernite Aufforderung an Preußen er:
gehen laſſen, fich bejtimmt zu erflären, welche politifche Hals
tung e8 wähle, denn die zweideutige Neutralität mit heimlicher
Hinneigung zu Rußland fcheint man ihm nicht zugeftchen zu
wollen. Bon England jteht diefelbe Aufforderung bevor. Große
Derlegenheit und Angſt! „Die Könige befommen ihre Einge-
bungen von oben.“ Dad werden wir jet fehen! Bekamen
fie daher ihre Eingebungen auch im März 18482 Die famen
ziemlich offenbar [ehr von unten! —
Die Ruffen haben die feite Zuverficht, daß Defterreih und
Preußen ſchließlich mit ihnen gegen Frankreich gehen werden.
Roher und. frecher Aufruf Gortfchafoff’s an die Einwohner
der Dobrutſcha; der Gipfel von drohender Prahlerei, unver:
39
fhämter Lüge, gemeinen Hohns. Immer derfelbe Spuf von
Religion, Sittlichkeit, heiliger Sache, heiligem Zar, der die
Barbaren trafen und beffern will! —
Die Engländer haben in der Oſtſee ſchon acht ruffifche
Schiffe aufgebracht, alle ruſſiſche Häfen find für blodirt er:
flärt. —
Der Troft bleibt und jedenfalld, daß wir ald Tropfen
im Weltmeer unvergänglidy mitfhwimmen, oder ald Sand-
förner ungeheure Berge bilden helfen. —
Der preußiſche Generalfonful in Bufareit, Herr von
Meuſebach — ſchlechten Andenken? hier — bat dafelbit, un-
geachtet feiner beeiferten, bis zur Rächerlichfeit getriebenen
Aufenfreundfchaft, mit den ruffifhen Behörden nicht fertig
werden fönnen, und feine Amtöverrichtungen einftellen
müflen. —
Der König Spricht viel von den „elenden Türken, den rohen
Ungläubigen,* wie man fie mit Recht nenne, für die fein
Plaß mehr in Europa fei. Dagegen nimmt feine Politik fich
doh der Türken an, und will die Fortfchritte der Ruſſen
u benmen! —
Mittwoch, ben 19. April 1854.
Bejuch vom bremifchen Bundesgefandten Herrn Bür-
germeifter Smidt; er nimmt zur Reife nah Frankfurt den
Umweg über Berlin, weil in diefer Woche zu Frankfurt noch
Ä feine Sigung ift. Er ift rüftig bei feinen achtzig Jahren,
| fieht aber fo verfallen aus, daß er einem die Luft benimmt, fo
alt zu werden. Bon den hiefigen Dingen ift er ziemlich unter:
rihtet. Bemerkungen über Nordamerifaner, Geldanlagen dort
3u6, 7 ja 10 Prozent! Blühender Handel! — Smidt ift das
Gegentheil von Pfuel; er muß Gefchäfte haben, und bezieht
alles auf diefe, nichts andres reizt und befümmert ihn. Das
Hohmenfchliche, dad Schöne und Edle ficht ihn wenig an; das
40
Alter hat ihn verfchlimmert, wie meiſtens gefchieht; Pfuel ift
nur beffer geworden, hat wärmere Theilnahme für alle® Gute
und Schöne. —
Nachmittags unerwarteten Beſuch vom hamburgifchen Ar:
hivar, Dr. Lappenberg; er macht einen Erholungsausflug ;
Elagt ſehr über fein Auge, kann wenig mehr lefen und ſchrei⸗
ben, ſetzt doch feine litterariſchen Arbeiten möglihft fort;
Flemming, Eulenjpiegel xc. Nachricht vom Gurlittfeit; es
war ein langwieriges Effen und langweiliges Reden oder Bor:
lefen von Reden. Lappenberg felbit war nicht dabei, wegen
Unwohlfein. Grüße von Profeſſor Ullrich, —
Ruſſiſche Erflärungen im Journal de St. Pötersbourg
über die englifchen Enthüllungen ; ſchwach, gleißneriſch, ſo⸗
phiſtiſch! —
Hier wird endlich audgefprochen, daß Bunfen nicht abbe:
rufen fet, jondern nur auf fein Anfuchen einen längeren Ur⸗
laub erhalten habe! Auf fein Anfuchen? Längeren Urlaub?
In diefer Zeit? —
Englifches Spottgedicht auf den Admiral Dundas, Hoff⸗
nungen auf den Admiral Napier! —
Der König war in dieſen Tagen nahe daran, ſich ganz für
Rußland zu erflären, und er dachte fchon eine Anfprache an
fein Volk zu erlaffen, um daffelbe förmlich zum Beiftande Ruß:
lande, des Kreuzes, und der bedrängten Chriften aufzufordern.
So was fieht ihm ganz ähnlih! Eine Proflamation mit
ſchwungvollen Redensarten, Weberrafchung der Welt, Begeifte:
rung für ihn in Rußland, in allen legitimiftifchen Kreifen,
o ja! das wäre was! An die wahre Stimmung der Nation,
an die Richtung der Weltentwidelung, an die Macht des
Weſtens, an alled Unheil und alle Strafe, die der Mißgriff zur
Folge haben würde, denkt man nit! —
In einem englifchen Blatte wird der König von Preußen
EEE ——
41
that damned fool bezeichnet, und dabei bemerkt, daß ein
Preuße in Dresden fchon im Fahre 1840 ihn einem Englän:
der fo bezeichnet habe !
Donnerstag, den 20. April 1854.
Schwäche des Kunfturtheild bei *, fie Hält fich an Gehörtes
und beffeidet ed allenfall® mit neuen Worten, ohne eignen
Sinn. Wie ed damit, mit dem Kunfturtbeil, befchaffen ift,
das üderjteigt allen Glauben ! Goethe wußte, und Rahel wupte
es, und ich weiß es, welche Scheinfamteit, Lüge, Verſtocktheit,
welher Dünfel und Unverftand in diefem Gebiete fich tum-
men! Mer unterfängt fi) nicht in diefem Gebiete finnloe
mitzuſchwatzen ? Jeder Lump, jeder Affe! Und doch dürfte jeder
mit Recht hier mitfprechen, der nur aufrichtig und ehrlich her:
audfagte, was er wirklich fühlt und meint! —
Ein Bündniß zwifchen Preußen und Deiterreich foll im
Entwurf unterzeichnet fein ; die Feltfegungen, fagt man, ſind
aber nur vorläufige, wenig entſcheidende. —
Der preußiſche Geſandte in Paris Graf Mar von Hatz⸗
feld hat ein Schreiben des Könige an den Kaifer Bonaparte
zu überreichen gehabt. Neue Bermittelungsverfuche, die von
Kaifer Nikolaus auch unmittelbar unaufhörlich erneuert wer:
den, er bietet allca auf, um feinen „bon ami“ noch wicder zu
gewinnen, ihn von Enaland abzuziehen, er macht ihm die
größten Berfprechungen, felbft auf Koften Preußens, das zu-
gleich fi dazu heraiebt, den ruffifchen Vorjpiegelungen Ein-
gang zu verfchaften! —
Neuer Auswurf ruffifher Orden bier, an Militairper-
fonen und Ziviliften. Der Kaifer findet plöglich in Preußen
viel zu belohnen, zu danken! — Ungemeine Thätigkeit ruffifcher
Agenten an allen Höfen Deutfchlands, in Belgien, England,
Ftankreich, Italien, befonders auch in den Vereinigten Staaten
42.
Nordamerifad. Der Kaifer hofft dad Bündniß zu ſprengen,
von ihm abzuhalten, demfelben neue Feinde und Verlegen:
heiten hervorzurufen. Hier und in Potsdam foll der bekannte
Louis Schneider dem Kaifer alle vertraulichiten Nachrichten
fleißig fchreiben. — In der Türkei, in Montenegro, Serbien,
‚Griechenland, ja in Konftantinopel felbft, ift ruffiicher Einfluß
und ruffifches Geld überaus geichäftig. —
Der König glaubt feit, er werde den Frieden vermitteln,
und geht dabei von der Ueberzeugung aus, daß Rußland in
der That nur dad wolle, was es jagt. Budberg und Xeopold
von Gerlach nähren dieſe Ucberzeugung, und lachen fich dar:
über in’ Fäuſtchen! Man foll ihn nur in feinen Bemühungen
nicht hindern, meint der König, ihm freie Hand laffen, ja,
alles in feine Hand legen. Dazu hat aber feine Seite Luſt. —
Freitag, den 21. April 1854.
Der Keldzeugmeifter von Heß ift geftern Abend mit dem
unterzeichneten Bündnißentwurf von bier nad) Wien abgereift.
Er war in der legtern Zeit wegen der wiederholten Hinzöges
rungen fehr ungeduldig geworden, und hatte erflärt, unver-
tichteter Sache abreifen zu wollen. Als man den König ent:
ſchuldigte, daß es ihm biöher an Zeit gefehlt, den Gegenjtand
der Verhandlungen genauer zu prüfen, ließ der Defterreicher
nicht unerwähnt, der König habe in diefen Tagen vier Stun:
den lang der Einkleidung einer Diakonifjin in Bethanien
beigewohnt. — Der unterzeichnete Entwurf fagt noch nicht
viel. —
Der Minifterpräfident von Manteuffel hat zu dem Grafen
von Solmd-Baruth gejagt, er glaube, ed werde für Preußen
gar nicht einmal zur Mobilmahung, gefchweige zum Kriege
fommen ; daß man aber mit Rußland gehen könne, fei vollends
eine Unmöglichkeit. —
en T
43
Die Engländer nehmen ruffifhe Schiffe und bringen fie
nah Memel. Der Kapitain eines englifchen Kriegafchiffes,
der an’ö Land gekommen war, ertrank als er wieder an Bord
jurüdfehren wollte, die Wellen verjchlangen fein zu Pleines
Boot. —
„Der Menſch ift was er thut.“ Nachdenkliches Wort von
Hegel! Herrliche Sachen ftehen in feiner Enzyklopädie, welche
jebt von niemanden mehr gelefen wird. Man follte eine
Blumenlefe daraus veranftalten! —
Hegel ift fein Bewunderer des geftirnten Himmels, der
giebt ihm nur abftrafte Lichtpunkte, das Licht fei dort in feiner
erften unverarbeiteten Rohheit. „ Man hat in der Stadt her-
umgetragen, * fagt ex, „ ich habe die Sterne mit einem organifchen
Ausihlag von organifchen Körpern verglichen, oder mit einem
Ameiſenhaufen, worin auch Berftand und Nothwendigfeit ift.
In der That mache ich aus einem Konfreten mehr ald aus
einem Abſtrakten, aus einer auch nur Gallerte bringenden Anis
malität mehr ald aus dem Sternenheer." Siehe Enzyflopä-
de Thl. I, S. A61 und ©. 94. 95. „Man kann die Sterne
wegen ihrer Ruhe verehrten, an Würde find fie aber dem fon-
freten Individuellen nicht gleich zu ſetzen. Die Erfüllung des
Raumes fchlägt in unendlich viele Materien aus; das ift aber
une dad erjte-Ausfchlagen, das den Anblid ergögen fann.
Diefer Lichtausfchlag ift fo wenig bewunderswürdig, als einer
am Menfchen, oder ald die Dienge von liegen.” —
Sonnabend, den 22. April 1854.
Der preußifihe Gefandte in St. Peteröburg, General:
tieutenant Theodor von Rochow, genannt von Brieft, ift am
20. dort geftorben. —
Der preußifche Gefandte in London, Herr Bunfen, bat
feinen Abfchied gefordert, fobald er erfahren, daß ihm „auf
414
feinen Wunſch“ ein längerer Urlaub ertheilt worden fei, den
er gleich anzutreten habe. So tritt einer nach dem andern ab,
der Günſtlingspoſten ift ein gefährlicher, nutzt feine Leute ab.
Guſtav von Rohow, Malkan, Bülow, Canitz, Radowitz,
Brandenburg, Savigny, Kleift, alle find fchnell verbraucht
worden. — .
In den Kammern ging ed wieder etwas fcharf her; Reichen-
jperger von Köln fprach über unfer Kunftwefen, und daß man
die Alterthümer, 3. B. Danzige, zu Grunde gehen laſſe.
NReichenfperger von Geldern ſchimpfte auf Hegel's Einflup
recht wie ein pfäffifcher Ignorant! Patow verlangte, daß
700 Thaler, welche der Kabinetsrath Niebuhr aus den Ma-
rinegeldern ald Zulage ganz unnüß beziehe, geftrichen werden
follten ; Manteuffel rettete fie ihm noch, aber die Sache tft doch
nun offenbar. Auch das Briefgeheimniß fam zur Sprache.
Der Präfident von Gerlach Handwurft wie gemöhnlih! —
Die Neue Preußiſche Zeitung fagt heute: „Man fpricht
von ruffiichen Sumpathieen ; wer hat ruffifche Sympathieen 2 *
und in demfelben Blatte find fie ausgefprochen! Solche Un:
verichämtheit verdient auf ruffifche Weife beftraft zu werden.
Die Peitſche, die Peitſche! —
Der General von Wrangel hat dem König verfichert,, im
ganzen Heere feien nicht zehn Offiziere, die gern gegen Ruß—
land fechten würden, wad der König gern zu hören fehlen. Der
Prinz von Preußen aber zog Wrangel’n unwillig zur Seite,
und fagte ihm: „Wie fünnen Cie fo gewiffenlos reden, und
den König fo falfch berichten! Sie wiſſen ja felbft, wie klein
die Zahl derer ift, Die es mit Rußland halten möchten!” —
Gewöhnlich verlangt man, das Kriegäheer foll gar feine Mei-
nung haben, aber das hält nicht Stih! In Wahrheit freut
man fich, wenn die Soldaten der Meinung find, die man
ihnen wünſcht; das nennt man dann, fie feien vom beiten
Beifte beſeelt! —
De En 57—
45
Sonntag , den 23. April 1854.
VBeſuch von Bettina von Arnim. Sie ift nicht früher ge-
fommen, weil fie fich fchämte, daß die Savigny'ſche Sache fo
kahl abgelaufen ift, der König hat fich nur erkundigen laffen
durh einen Hoffourier, ob Savigny hier fei? und da das ver-
neint wurde, fo geſchah weiter nichte. Savigny's find indep
von Dresden wiedergefehrt, und grübeln nun traurig darüber,
od, wen fie hier geblieben wären, der König fie vielleicht be>
juht hätte! Bettina felber begreift nicht, wie fo fromme
Leute fo Kleinliche weltliche Ehrfucht haben können, daß die
geringiten, werthloſeſten Aeuperlichfeiten fie glücklich oder un:
glüdlich machen; die Sache ift leicht erflärlich. Bettina Flagt
dann, daß ihre Gefchäftögefihichte noch inımer nicht zu Ende
it; der Nechtöanwalt Caspar will nichte gegen M. unter:
nehmen ; ihr Schwiegerfjohn Graf Driola fagte, fie fei im Un-
teht; neue Klage vom Papierhändler, vom Druder, der ihr
das Gedrudte vorenthält; fie will auf den Verkauf der Bücher
vertröften, die fich nicht verkaufen, fie feßt den ungeheueriten
detrug voraus, um nicht an den Nichtabfab zu glauben, fie
meint, die Spigbuben hätten etwa taufend Gremplare für fi
nachgedruckt, und diefe-feien verfauft worden, während die ihr
abgelieferten nutzlos daliegen. Nun will fie wieder mit Wei-
mar drohen, mit der dortigen „ Behörde“! Alles fchief und
grundlod! Sie Flagt, daß fie franf von den Gefchichten fei,
ganz gebrochen, unfähig, etwas zu thun. — Dann fpricht fie
vom Piychograpken, mit Eifer und Luftigfeit, ich könne die
Thatfachen nicht läugnen, ich folle ed nıır einmal mit anfehen!
Eie erzählt eine Menge jchnurrige Antworten, Schalkheiten
and Grobheiten ded Pſychographen, die alle dad Arnim'ſche
Zeichen tragen, und immer waren ed auch Armgart, Gifela,
der etwa Guſtel Grimm, die das Holz berührten; lauter
Späße aus dem engften Kotteriefreife. —
— — — — —
46
Montag, den 24. April 1854.
Nachmittagd Beſuch von Frau Bettina von Arnim. Dies —
mal war hauptfächlich vom Pfychographen die Rede, fie hracht
auf einem großen Bogen die Antworten deifelben, wie fie au
der Stelle nach feinen Buchftabenbezeichnungen niedergeſchtie —
ben worden, nämlich mit Irrungen, Abkürzungen, falfcher —
Schreibungen. Sie wollte durchaus, ich follte einen Aben—
zu ihr fommen, die Sache mitmachen, ich würde ſtaunens —
werthe Dinge erfahren, vielleicht für meine bisherige Spöttere
abgeftraft aber dafür auch gläubig werden! — Ich hate
Bettinen gut gedient, unter Scherz und Lachen; ich habe
unter andern gefragt, ob der Pſychograph auch antworte,
wenn ein Pudel feine Pfoten auf ihn legt? Sie nahm
nicht? übel, beitand aber ſtets darauf, ich foll einen Abend
hinauskommen! Sie fragt fehr angelegentlih, ob wohl der
König was von der Sache wiffe und davon halte? Ya, nun
ſeh' ich’8, den König möchte man im Spiel haben! Das
wäre freilich eine wohlfeile Art, fich feiner zu bemächtigen!
Sie ſprach noch fehr verächtlih von * und ** und Andern,
die ihre erflärten Anhänger find; auch dem jungen Siegfried,
den fie mir doch empfohlen, und der füch für fie abquält, hing
fie einigen Tadel an, den er nicht zu verdienen fcheint. Zuletzt
noch Abſcheu gegen **! Sie ift unzufrieden mit der ganzen
Welt, und möchte was bewegen, treiben, ausrichten, — der
König wäre da der befte Piychograph, dem man die Hände
auflegte, um dann zu erwirfen, was man wünjcht und ver:
langt! Und Große? würde es nicht fein; es dreht fich doch
alles um ganz kleine, perfünliche Sachen. —
Keine erheblichen Neuigkeiten, al® daß die Ruſſen aller
Orten ungemein thätig find, und viele Leute fchon glauben,
der Kaifer Nikolaus könne feine Sache doch glücklich durchfüh—
ten, befonderd da Defterreich und Preußen noch nicht wider
ihn find, und die Weitmächte felber zu zaudern fcheinen. —
47
Shöne Italiänerin Gaggiotti, verheirathet an einen Eng-
länder Richards, die hier Bildniffe mahlt, Humboldt’, Rauch's,
ded Bringen von Preußen ꝛc. Der Prinz befucht fie oft, auch
in Stunden, wo nicht gemahlt wird. —
Der unfaubere Gefell Markus Niebubr, in welchem der
König feinen Taufpashen und des Vaters Namen liebt, hat
ein rothes Buch, in welchem Tauſende von Namen ftehen, mit
km Vermerk, ob jie im Jahre 1848 bloßgeftellt oder übel
genannt worden; bei jedem Vorſchlage zu Beförderung, Aus-
zeihnung oder neuer Anftellung läßt nun der König erft
Rebuhr in feinem Buche nachfehen, und fpricht das nicht
günftig, fo ift ein Genehmigen unmöglich von ihm zu erlan-
gen. Dan kann fich vorftellen, was für Schäfligfeit, Privat:
feindihaft, Berläumdung, Ungerechtigkeit, und wie zahlreiche
Ittthümer dabei ftattfinden! — Und doch find Simons und
von der Heydt unter den Miniftern, Ryno Quehl, Minutoli
find Generalkonſule ꝛc. —
Dienstag, den 25. April 1854.
Die erfte Kammer bat nun auch den Kredit von 30 Mil-
lionen bewilligt. Eine ganz rujfifche Nede des Geheimen
Rathes Stahl war das oberflächlichfte Sophiftengefhwäg, '
wurde aber beflatfcht von dem blöden Partheitroß, der
blindlingd dem Führer folgt; diefe Parthei fagt unauf-
börlih, die politifchen BVerhältniffe gehörten nicht vor die
Kammern, feien bloß dem Könige zu überlaffen, und grade
dieſe Barthei treibt am hitzigſten darauf, dag man fich für Rup-
land erfläre! Die Schufte und Rumpen fcheuen feine Krech-
keit, widerfprechen fih in Einem Athem, und find fo von
Bosheit und Gift durchfreſſen, daß man wohl fügen fann,
ebe dieſes „ſtrophulöſe Gefindel* nicht vertilgt ift, darf Preus
ben fein Heil hoffen, feine Ehre, Die Kreugzeitung fehleudert
48
auch heute wieder die ftinfenden Ausflüffe ihrer (
auf Bethmann=Hollweg, auf Binde; ihren Hanswu
von Gerlach dagegen will fie zum Staatsmann, ja 31
helden machen! Es weiß alle Welt, daß die ſämmt!l
lach's, den General an der Spike, feine Helden |
wo fie in voller Sicherheit ihr frecheg Gefchwäg f
nen, am Hof in ihren Kotterieen, in die ſen Mino
Zumpenfammern! —
Zwei telegraphifche Depefchen aus Wien in t
blättern, erſtens daß Odelfa von den Engländern '
werde und in Flammen ftehe; zweitens daß Pask
Räumung der Fleinen Wallachei, die Abbrechung all
dung mit Serbien, und die Auflöfung aller Freiſd
fohlen habe! Das wäre eine große Nachgiebigkeit,
für Deiterreich berechnet! Daneben aber Neffelr
lauffchreiben über die Aufftände in der Türkei und
land ihnen Schuß und Beiftand angedeihen la
daneben wieder das Siegsgeſchrei der Kreuzzeitung
gehe der Krieg an, feit Pasfewitfch, der Nadyfolge
bitfch, der Sieger von Erivan und Warfchau, auf de
platz erfcheint? Die Unfähigkeit und Schwäche des «
marfchalld find aller Welt befannt. —
In Weinsberg ftarb am Ofterfonntage Juftinu
rau, Ridele! Sie war hochbetagt, und feit le
ſchwach. —
Man erzählt ſich von einem Schreiben des
Kaiſers, worin er dem Könige Vorwürfe macht, er
ſchweren Verwickelung, die jetzt vorhanden, ganz all
wäre er zur rechten Zeit des Muthes geweſen, ſo z
wie er zu denken verſichere, jo wäre es gar nicht z
gefommen. So hat der König auch von dieſer ©ı
Dank! —
49
, Mittwoch, den 26. April 1854.
Vermählung des Kaifers in Wien, Amneftic, doch be:
Ihränfte. —
Donnerstag, den 27. April 1854.
Audgegangen mit Qudmilla; unter den Linden im Pictoria-
Hotel bei Madame Gaggiotti. Bildniß von Humboldt, von
Rauch. Madame Gaggiotti, erfcheint, eine ſchöne Frau, mit
Bliden der fanfteften Kraft, von hoher, fchlanfer, graziöfer
Geftalt, überaus zuvorkommend und freundlich; lächelnd, ge:
ſprächig — franzöſiſch, deutſch, engliſch, italiäniſch, mit ger
laͤufigſter Zunge, — fie bemerkt, daß ich fie noch lieber als ihre
Gemählde anſehe; darauf ihr kleiner Sohn Raoul, ihre Mut⸗
ter. Wir folgen ihr zwei Treppen hoch in ihr Atelier, wo das
angefangene Bildniß des Prinzen von Preußen fteht, dann in
'hten Salon. Das Ganze ein allerliebftes kleines Abentbeuer!
Die Frau ift wirklich eindrudsvoll fchön, fehöner als ihre
etwas rajch gemahlten Bilder. —
"Reimer ſchickt mir den fünften Band von Perg Biographie
Stein's. Ich habe den ganzen Regen⸗Nachmittag darin ge:
leſen und geblättert. Wider Willen enthüllt bier Berk den
gereizten, oft befchränften, oft fich jelbit beftreitenden Sinn
Stein’, feine Hoffahrt und Eitelfeit, die nicht felten zur Prah—
letei wird; er bildet fich befonderd immer auf Sittlichfeit viel
äin,.die doch in vielem Betracht nur Einbildung ift! Sein
ewiges Gerede über Stände, wie fie fein follten, zeigt wie ſehr
et hinter feiner Zeit zurüd war, wie unpraktifch es in feinem
Kopfe ausſah. Er fhimpft auf die Karlsbader Befchlüffe,
aber man fieht, er hätte fie auch und noch fchärfer gefaßt,
wäre er an der Spike der Angelegenheiten gewefen. Sein
Gift und Haß gegen Hardenberg ift ganz efelhaft, und geht
bid zur Berläumdung. Hätte er Doch erlebt, wie er felber
Barnhbagen von Enfe, Tagebüder. XI.
50
vom General von der Marwitz angeſehen wurde in deſſen
Denkſchriften! Das könnte ihm zur heilſamen Selbiterfennt-
niß gedient haben. Offenbar fehlt dem heftigen Eifer und der
unruhigen Kraft Stein's in diefer Friedenszeit ein tüchtiger
Gegenjtand, er ſucht ihn in der Zerfplitterung der vaterlän:
diſchen Sachen vergebene. Auch Wilhelm von Humboldt zeigt
fi) in feinen Mittheilungen an Stein nicht auf feiner fonjtigen
Höhe, er fügt fi etwas zu ſeht unter Stein's Art, mit dem
er ed nicht verderben will. Und Stein hinwieder, Der die
Unfittlichfeit in den Berhältniffen Hardenberg's immer jo ſcharf
rügt, läßt die Humboldt'ſchen jchweigend unberührt. ‘Berk iſt
feinerfeitö Theilnehmer an diefer heuchleriihen Anbequemung,
er ift ganz und gar partheiifch, verfchweigt alles, was für
Stein mißlich herausfommt, z. B. Wittgenftein’d großes
Schreiben an Stein vom Jahre 1807, und fhmüdt ihn auch
wohl mit fremden Lappen, 3. B. dag Stein Miturfache an dem
Srfolge Badens auf dem Kongrep in Wien geweſen, was ganz
und gar nicht wahr ift. —
Berathung im Staatsminiiterium über dad Verhatten bei
Priſen, die in preußifchen Häfen aufgebracht werden. Man
wählt den vorfihtigen Ausweg, auf den Urjprung der Schiffe
nicht zu achten, jondern nur auf die Flagge, unter der fie ein-
laufen. —
In der zweiten Kammer fpricht Binde jeine Verachtung
gegen Ludwig von Gerlach aus, fo Fräftig, daß der Präfident
ihn zur Ordnung ruft. Bethmann-Hollweg geht jämmerlich
zurüd, und glaubt gegen die Scheuplichkeit Des Straßenunfuge
im Jahr 1848 zu Berlin reden zu müſſen! Es gab feinen
Unfug, ald den, den die Reaktion angezettelt.
— ln nn
51
Freitag, den 28. April 1854.
In Stein waren ftets zwei Naturen in Streit, und wur:
Den niemals einig, die repolutionaire demokratiſche, und die
antirevolutionaire ariftofratifche, in feinen fpäteren Sahren
wurde die [eßtere ganz überwiegend. Er fchimpfte zwar fort-
während auf die Fürften und ihre Minifter, aber doch lieber
auf die Bolfdmänner und freien Geifter. ch werde in mei-
rem alten Urtheil bejtärft und beftätigt, er war ein tapferer
Held, er mußte fich ſchlagen, mit welchem Feinde, dad ergaben
Die Umftände. Sein Ruhm wird durch Perg nicht eben fehr
erhöht werden. —
Herr Aſſeſſor Paalzow ſendet mir die zweite Lieferung fei-
rer „ Altenftüde der ruffifchen Diplomatie”. Lehrreich, ver:
Dienſtlich! —
Der König hat Savigny’n nachträglich einen kurzen Be:
Juch gemadt. —
Der König ift mehr ald je ruſſiſch; der Troß und die
irehheit der rujfifchen Lakaien, der Kreuzzeitungsparthei,
Teißt ihn fort, die vielfachen Einwirkungen des Kaiſers Nikolai
Mragen fehr dazu bei. Der Kriegdminifter von Bonin foll ent:
Naſſen werden. Man nennt als feinen Nachfolger den Grafen
won Walderjee, der deßhalb auch fchon von Frankfurt a. M.
Wier eingetroffen fein fol. —
Sonnabend, den 29. April 1854.
Geſchrieben. — Alles iſt voll von neuen Friedenshoffnun—
gen, die vom Hofe hier ausgehen; der König ſchmeichelt ſich
immer auf's neue, das Vermittleramt ausüben zu können,
feinen Anträgen, — die aber, wie Manteuffel felber gefteht,
bis jegt nur Phrafen ohne eigentlichen Inhalt find, — Ein-
gang zu verfchaffen. Im Frieden würde dann die Parthei
der. ruffifchen Lakaien recht ungeftraft ruffifch fein können.
4°
52
Rußland macht die größten Anerbietungen an Preußen, will
alle Gränzfperre aufheben, den Handel begünftigen ꝛc.
Warum gefchah das nicht im Verlaufe von vierzig Friedens—
jahren? Warum ließ man alle vandelsvertraͤge wider Fug
und Recht unausgeführt? —
Sonntag, den 30. April 1854.
Mittags Beſuch von Bettina von Arnim, die ganz erfchöpft
anfam, buftete und Blut ſpie, alles von Aerger und Verdrug,
die fie zu Grunde richten, wie fie jagt. Sie hat die größten
Anflagen wider den Juftizratb Caspar, der anftatt ihre Sadıe
zu führen, ſich auf die Seite ihrer Gegner jtellt! Das ift in fo
fern richtig, ald er die Anfchuldigungen, welche Bettina gegen
fie erhebt, nicht fo wie fie e& will, begründet finden kann; der-
felbe hat fchon zu Herrn Siegfried gefagt: „Am Ende wird
fie auch noch von mir fagen, daß id) fie betrüge!* Dies bat
Bettina von Siegfried wiedererfahren, der aber, ald jie davon
jpäter wieder anfing zu reden, und ihn fragte, wer ihr das
doch wohl gejagt habe — als fünne fie fich nicht befinnen —
und meinte, es fönnten wohl Spitta und Leutz es gefagt
haben, dies gleich gelten ließ, und klüglich verfchwieg., dap
ed von ihm fomme! Nun ift ihr auch Siegfried etwas verdäch—
tig, wenigftens der Verfhüchterung und Zagbaftigkeit! Sie
dauerte mich unendlih; denn wenn auch verworren und
irrend, und vielfältig ſchuld an ihren Leiden, geht fie dody nicht
weniger daran zu Grunde! Sie lad mir einen Briefentwurf
an Caspar vor, an dem fie auf mein Anrathen einiges
änderte, denn die Annahme, dag fie an einen Mann fchriebe,
der vielleicht "in der Folge ihr Gegner werden fönnte, wurde
von ihr begierig aufgefaßt. Ich entließ fie mit beiten Troſt⸗
worten und Ermunterungen, wofür fie herzlich dankte, und
anjtatt zu jchlafen überlegte ich noch lange Zeit, was ſich
53
wirffam für fie thun ließe, wiefern ich dabei hülfreich fein
fönnte? Leider, ohne dabei auf ein gutes Ergebniß zu fom-
men. Sie will bald auf's Land gehen. —
Nachricht, daß am 23. wirflih Odeſſa bombardirt worden,
ald Strafe dafür, daß dort auf ein englifches Parlamentair;
ſchif geichoffen worden. Sonft nichts Ernftliches von Seiten
der Weſtmächte! — Hier fpriken die Ruffen- Preußen fort:
während ihr Gift aus, in Reden, in Zeitungen ꝛc. —
Am 25. April ftarb zu Tarputichen der Rittmeifter Ernſt
Friedrich von Sauden, geb. am 24. Augujt 1791. Ein ächter
preußischer Baterlandöfteund, fo tapfer, als edel und freifin-
nis. Im Bereinigten Landtag und in der Nationalverfamm-
lung ein erprobter Biedermann! — Ä
Dienstag, den 2. Mai 1854.
Im Thiergarten bei den Zelten, Anfprache bei Bettina
von Amim, wo ich Herrn Siegfried antreffe; Bettina faate
mir, fie habe große Luft an Humboldt zu fchreiben ivegen dee
Pſychographen, weil ihr der, auf die Trage, ob der König fie
noh liebe, geantwortet habe, „die Liebe glühe unter der
Adel" Das folle Humboldt wiffen! Humboldt foll es dem
Könige jagen, das ift die Meinung! Immer will fie wieder
mit dem König anbinden; Tann fie ihn nicht endlich ruhen
laſen? Diefe Sucht mißfällt mir auf’8 äußerfte! —
Mittwoch, den 3. Mai 1854.
Der Kaifer Nikolaus vermag feine Kriegsheere nicht felbft
zu führen, das überläßt er jeinen Generalen, die auch fchlecht
genug find! Dafür fommandirt er zu St. Peterdburg in eig>
ner Berfon die — Reichenparade des preußifchen Gefandten
von Rochow!! Die dem Lebtern in den Zeitungen gehaltes
51
nen Lobreden find ekelerregend; freilich ein Lob, das ſole
Nullicät decken fol, fann nicht groß genug fein! —
Donnerstag, den 4. Mai 1854.
Am 2. Mai ftarb zu Bonn Sulpiz Boifjeree an der Bruf
waflerfucht, 71 Jahre alt. Ich ſah ihn zuerjt in Dresden i
Frühjahr 1810, und gab ihm Empfehlungen nad Prag uı
Wien. Gefallen hat er mir nie, er hatte ein vornehm anma
liches Wefen und war voll von Vorurtbeilen, katholiſche
arijtofratifchen, romantischen. Seine Verdienfte find grı
in einer Nichtung, die an fich zu loben wäre, wenn fid) nic
jo viel mächtiger Dufel damit verbunden hätte. Der Mahl
Meier aus Rathenau konnte ihn Schon 1810 nicht leiden; d
Graf Reinhard führte bittere Klagen über ihn. --
Jakob Grimm's Vorrede zum deutfchen Wörterbuch q
lefen. Mit aller Ehrerbietung vor feinem großen und reich
Wiffen, vor jeiner bürgerlichen Rechtlichkeit, ift er Doch au
voll mürrifcher Eitelkeit und Teidenfchaftlicher Nechthaber:
Seine Gegner Sanders und Wurm glaubt er mit hohl:
Machtſprüchen und eiteln Schmähungen vernichten zu könne
Adelung und Voß muß er doch diegmal mit Ehren erwähne
doch ſucht er ihr Lob eiligft wieder zu befchränfen. Alt
trägt er im gereizter Stimmung vor, und nicht ohne Zi
rerei. Die Gothaer halten zu ihm, fchlechte Gefellichaf
Unter feinen Quellenfchriftitellern bin aud ich genann
aber nur mit den fünf Bänden biographifcher Denkmal
Hegel fehlt, aber Kant, Fichte, Schelling find da, Friedri
Auguft Wolf auch, doch nur mit feiner Proſa, nicht mit di
funftvollen metrifchen Ueberfegungen. Grimm's Lettern wı
Schreibweife thun mir in den Augen web; ich will nicht hoffe
daß jie jemals allgemein werden! —
55
Freitag, den 5. Mai 1851.
Seit 4 Uhr ohne Schlaf, und doch zu müde um aufzu-
teben, überlegt’ ich mir den Zuftand der Welt, mein Berhält-
niß zu ihr und zu den Menfchen, und fand meinen Geſichts⸗
freid zwar fehr erweitert, den Boden aber, auf dem ich ftehe,
äußerft verengt, faft zur Angft! So viele Stüßen find meinem
chen aefunfen, immer noch fallen deren zuſammen, und die
verfuchten neuen erweifen fih unbrauchbar. Sich einzig auf
ich felber zurückzuziehen, in Gedanken und einfamen Gefühlen
feinen Troft zu haben, iſt ſchwer und hart! Doch bleibt zulekt
nichts andred übrig, denn die Welt, wenn wir fie nicht mit
unfern Zwecken und Neigungen erfüllen, ift öde, das Men-
Ihentreiben verworren, traurig, widerwärtig. Nicht eigen:
ſüchtig ſeh' ich alles an, als verdiente grade ich e8 beffer; in
ten Gebrechen und Widrigfeiten der Andern feh’ ih auch
meine eignen, mit gleichem Urtheil, gleicher Abneigung. Be⸗
ſonders fchmerzlich ift e8 mir, daß neben der Geſellſchaft auch
die Ritteratur fo widrig audeinanderfällt, verwildert, zergeht.
Die Blüthen alle ſchwinden, und die Frucht fieht man noch
nicht; fommt fie auch gewiß, und fieht man fie herrlich gedei-
ben, jo gleicht fie doch nicht der erften, deren Anblick erfreute,
deren Genuß entzüdte! — .
Der Kriegsminifter General von Bonin ift entlaffen,
General Graf von Walderfee tritt an feine Stelle; von Bonin
bekommt eine Divifion in Neiße. Der König ift wüthend
über Bonin's Aeußerungen über Rußland; aber aud Bonin
ift tief beleidigt! —
Daß Bunfen dagegen auf feinem Poften bliebe, ift wohl
ein leered Gerücht. In der herfömmlichen Unrichtigfeit wäre
es jedoch ganz richtig! — An Rochow's Stelle nad) St. Peters⸗
burg geht einftweilen Herr von Werther. „Nun, darin ift
doh Konfequenz! Der eine dumme Kerl durch einen nod)
dümmern erſetzt!“ —
L)
De St TE
56
Was wird, nicht allein Frankreich und England, was
wird Defterreich zu der neuen preußifchen Schwenfung zu
Rußland fagen? Was follen die deutfchen Höfe von Preußen
denken? Gine jämmerlihe Wirthfchaft, aus Widerſprüchen
und Schwäche, Trog und Albernheit zufammengefegt! —
Die Entlaffung Bonin’d iſt durch ein eigenhändiges
Schreiben des Kaiferd Nikolaus an den König erfolgt, und fo-
gleich ohne alle weitere Berathung oder Rüdiprache. — Man
hat in Bonin’® Aeußerung befonders dad Gleichnig vom Ba-
termord übelgenommen, als habe er damit auf den Tod Paul's
des Erften, des Vaters des jetzigen Kaiſers, angefpielt. Der
jegige Raifer aber war bei Paul's Ermordung noch ein Knabe,
und auch der ältere Alerander ohne unmittelbare Schuld. Die
Bosheit ift aber fo groß, daß fie fich gar nicht fcheut, auch
die größte Dummheit zur Hülfe zu nehmen! —
Sonnabend, den 6. Mai 1854.
Ueber zwei Hinrichtungen, die geftern im Zellengefängniß
bei Moabit ftattgefunden, berichten unfere Tagesblätter fehr
anftändig; die Verbrecher, elende Raubmörder, konnten: Fein
beſonderes Bedauern erwecken, dennoch fpricht fih im Alt:
gemeinen der Widerwillen gegen die Todesftrafe auch bei diefer
Gelegenheit aus. Nur alte fteife Gerichtäleute, und die fana-
tifchen Junker der Kreuzzeitungöparthei find heftig für Blut-
urtheile; könnten diefe Teufel je freie Hand befommen, wir
hätten unfere Schredendzeit, wie die Franzoſen fie gehabt, an
Marat's, Collot d'Herbois, Fouquier-Tinville’s ꝛc. fehlt es
nicht, wenn ſchon die Talente fehlen! Unſere ſchwarzweißen
Jakobiner ſind nur Bluthunde! —
Die heute amtlich bekannt gewordene Entlaſſung Bonin's
hat an der Börſe ſchlimmen Eindruck gemacht, und die Kourſe
ſind etwas gewichen. —
97
Man verfichert, unfere erfte Kammer werde nun bald ale
neugeſtiftete Pairskammer hervortreten, und man will wiflen,
dab Stahl unter den ernannten Paird obenanfteben werde!
So wird unter den hochadeligen Großen des Reiches gleich ein
getaufter Jude mitglänzen! Es ift ihnen zu gönnen, er ift
unter ihnen noch immer ein Kopf, wenn auch ein chledhter
ſophiſtiſchet. —
„Denn wir unfre Truppen mobil machen, fo geichicht ce
zuerjt- am Rhein.” Ich glaube das leicht, es paßt zu allem
Hebrigen. —
Der Kriegeminifter von Bonin war beim König zur Tafel,
diefer überaus freundlich mit ihm; nad) dem Eſſen aber nahm
er ihn in fein Kabinet, verjicherte ihn, daß er feine Dienfte
ganz anerfenne, allein feine Politif fordere, daß er ihn ent:
laſſe. Bonin batte nichts einzuwenden. Draußen fagte ihm
der Feldmarfihall und Oberfammerherr Graf von Dohna,
der Kreuzzeitungsmann, ungefähr dafjelbe, aber mit dem
Tone des Vorwurfs, worauf Bonin mit Schärfe antwortete.
Am folgenden Tage ſprach dew König mit Dohna, jams
merte und Mlagte, fie hätten ihn den treueften Diener, den
beiten feiner Minifter entfernen laffen, er wolle ihn aber be>
halten, ed reue ihn, Bonin müffe bleiben. Da nahm Dohna
das hobe Wort, ſprach vom Kaifer von Rußland, und fchüch-
terte den König fo ein, daß der betrübt abging, und e8 bei der
Entlaffung ließ. Und wer ift Dohna? Ein altes Weib, wie
auch Gerlah und Stahl alte Weiber find; mächtig allein durch
die Gefpenfter, mit denen fie den König fchreden. Dieſelben
Leute haben auch Bunfen weggebiffen, gegen den der König
aufgebracht ift, dem er fein Unrecht nachweiſen fann, und der
noch immer zu feinen Lieblingen gehört! —
— — — — — — .-
58
Sonntag, den 7. Mat 1854.
Wie Bonin feine Entlaffung aufgenommen hat; fehr ent:
Ichloffen und unbefümmert! Der Prinz von Preußen wußte
gar nicht? davon, war ganz übertafcht und betroffen, machte
feinem Unwillen in den heftigſten Ausdrüden Luft. Es war
im Werke, dem abgetretenen Kriegäminifter eine öffentliche
Huldigung zu bringen, der Prinz von Preußen wollte daran
Theil nehmen, e8 unterblieb, um Bonin nicht zu fchaden. —
Zu Ludwig von Gerlach hat jemand gefagt: „Fürchtet
ihr denn nicht, euch den Thronerben fo ganz zum Feinde zu
machen?* Gerlach antwortete lachend: „Pah! noch ift er
nicht König und muß fufchen, ift er aber erft König, dann
werden wir ihn auch fchon zu fangen wiffen!* — Die Ger:
lach's find frech, und oft nicht Flug genug, das fieht man! —
Der Prinz von Preußen hatte am freitag eine lange
Unterredung mit Bonin. Geftern fchrieb er an den König, er
fei frank, und bedürfe einer Kur; bieberberufen, weil man
feinen Rath wünjchte, habe er dag Mißvergnügen zu fehen,
daß fein Rath unnüß fei undmie beachtet werde, er fei frank
aus Aerger und Verdruß. Der König antwortete Togleich, er
könne geben. Heute Abend ift der Prinz nad) dem Rhein und
nach Baden-Baden abgereift, wo die Prinzeffin ſchon einge:
troffen. —
Der Minifter von der Heydt ift der einzige Minifter,; der
bei dem entlaffenen Bonin einen Befuh gemacht hat. Der
Schächer will ed mit dem Prinzen von Preußen nicht verder:
ben! Ein edler Beweggrund it bei ihm niemald vorauszus
legen! —
Die Kreugzeitungeparthei fteht in lebhaften Verkehr mit
dem Kaifer Nikolaus, und hat ihn zur gelegenen Zeit zu einem
neuen Brief an den König veranlaßt, wodurd die neuefte
Schwenfung bewirft worden. Der Graf von Dohna, ganz
unbedeutend, ein altes Weib, aber Feldmarſchall und Ober:
59
kammerherr, ift eine wichtige Verftärfung der Ruffenfreunde,
er fpriht den König täglich und ganz vertraut. —
Manteuffel’d Wirkſamkeit fol ſehr befchränft werden,
durh Dohna und durch Bigmard-Schönhaufen, der eben hier
angefommen ift; wenn er nicht endlich doch lieber ganz den
Adjhied nimmt ! Aber die VBortheile, auch pekuniairen, feiner
Stellung, ſollen ihm zu wichtig fein! —
Ein junger von der Marwig nach St. Peterdburg gefandt;
jeine Tante, die Gräfin Münfter, hut es bewirkt; einem folchen
fann man fichre Briefe mitgeben. —
Der Bring von Preußen ift auf fechd Monate beurlaubt
(nad andern auf unbeitimmte Zeit), von allen auilitatrifchen
Dienſtgeſchäften vollftändig dispenfirt. —
Der Kaifer Nikolaus hatte vom König die Entlafjung Bo-
nin's verlangt, der König dem Prinzen von Preußen die Hand
darauf gegeben, daß es nicht gefchehen folle. Bier Stunden
Ipäter war es gefchehen! —
Zum 7. Mai 1854.
As der Prinz von Preußen die Entlaffung des Kriegami:
nifterg von Bonin, erfuhr, war er außer fih vor Unwillen
und jhrieb fogleich an den König einen heftigen Brief, den er
vor der Abfendung dem General von Bonin mittheilte;
diefer, über den barten Ton des Prinzen erfchroden, bat ihn,
den Brief nicht abzufchiden, da derſelbe nur nachtheilig fo-
wohl für den Prinzen ald auch für den General felbit wirken
könne. Der Prinz verfprah, den Brief zurüdzubehalten,
fandte ihn am folgenden Tage aber dennody ab. Der. König
gerieth in den höchften Zorn, und war fo tief verlegt, daß er
einige Generale berief, um fie zu fragen, ob der Prinz nicht
vor ein ſtriegsgericht geitellt werden, und ob dieſes nit ihn
der Felonie fchuldig erflären müfe? Wrangel, Neumann,
60
Möllendorff und Andere, flimmten dem Könige bei. Der
Prinz hatte unter andern gefchrieben, die Armee werde ſich
ein fo willfürliches Berfahren nicht gefallen laſſen. Man
Iprath davon, daß durch ſolche Drohungen der Kopf verwirkt
werde. Der Prinz, feiner Stellung theilmeife entſetzt, reifte
nach dem Rhein. Die Sache war noch in der Schwebe, und
fonnte dem Prinzen gefährlich werden, da viele Perſonen ihm
entgegen waren, und fogar die Hoffnung hegten, ihn von der
Thronfolge audgefchloffen zu fehen; allein fein Bruder Al:
brecht vermittelte e8, daß bei nächfter Gelegenheit der Prinz
von Preußen einen Brief an die Königin richtete -- ich glaube,
es war ihr Geburtötag herangekommen, — in weldyem er feis
nen Auedrüden in dem Brief an den König eine mildere
Deutung gab, und durd diefe zu einer Art Ausföhnung die
Hand bot. Der General von Bonin hat alles, ihn biebei
Betreffende, dem General von Pfuel ausführlih erzählt; von
diefem hab’ ich ed. —
Montag, deu 8. Mai 1854.
Nachmittags Beſuch von Bettina von Arnim. Sie denkt
den gerichtlichen Berfolgungen bier durh eine Reife nad)
Weimar oder auf’d Land zu entgehen, und auch wohl zu be-
wirken, daß alle Klagfachen in Weimar anhängig gemacht wer:
den, ftatt hier gegen ihre Perfon, dort gegen den Arnim’fchen
Berlag; allein die Gläubiger werden dazu jchwerlich zu bewe⸗
gen, nocd weniger zu zwingen fein. Uebrigens ift fie ganz
erfüllt von den hiefigen politifchen Vorgängen, den Ränfen
und Einflüffen der Kreuzzeitungsparthei, den ruffifchen Betrei-
bungen, der Schwenfung ded Könige nach diefer Seite hin.
Die Entlaffung Bonin’d macht das größte Auffehen, er:
weckt den ftärfften Widerfinn gegen den König Man jagt
ohne Scheu, Bonin habe in der Kreditfommiffion fo fprechen
61
müflen, wie er gethan, er fei dazu beauftragt gemwejen-und
ganz gebilligt worden, weil man ja die 30 Millionen haben
wollte und jie ander® nicht zu befommen glaubte, ald unter
Darlegung antirufjifcher Abfichten; jebt habe man die
30 Millionen, da verwerfe man die Mittel durch die fie ge:
haft worden. — — |
Ein angefehener Mann bier, nicht Demofrat und faum
Kiberaler, bat im Unwillen gejagt, die hiefige Wirthfchaft laufe
auf ein foldhes Ende hinaus, wie Jakob der Zweite von Eng-
land ed gehabt; erſt prahlerifch, gehälfig, eigenfinnig, dann
zum Erbarmen flein und jämmerlich; folche Könige feien
Strafruthen Gotted für die armen Bölfer. —
Manteuffel foll zwar Minifterpräjident bleiben, aber die
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten an Bismarck-Schön—
baufen abgeben. Das wird fchön werden! — Stahl zum
Kultusminiſter beitimmt, der getaufte Jude! Berberrlichung
für Breußen! —
Die aus Bethanien mit einem Hausknecht entflobene Dia-
fonifiin fest die fromme Welt in größten Aufruhr. Die
Scheinheiligen, die Eitelfrommen , find voll erbitterter Scham
und Wuth. Erjt wollte man den Borgang dem König und
der Königin verbergen, da das nicht ging, fo will man wenig-
itend die Deffentlichkeit möglichft vermeiden, und ein höchiter
Befehl verbietet von der Sache zu reden. Hindeldey hat die
Zeitungen vertraulichit warnen laſſen, befonders den Kladdera-
datich. — | |
Manteuffel, der in der Kreuzzeitungsparthei am Hofe die
bitterften Feinde hat, wird für den niedrigften Menſchen er:
Härt, weil er Bonin allein abtreten läßt ohne mit wegzu—
gehen. Auch die Parthei Bethmann-Hollmeg macht ed ihm
zum Vorwurf, daß er wider alle Ehre auf feinem Poſten
bleibt! —
In. Baden hat eine fatholifche Gemeinde, die katholiſch
62
bleiben will, fih vom Erzbifchof losgeſagt! Die Regierung ift
darüber nicht erfreut, fondern erichroden. — Über der Pfaffe
fol! nun einmal wagen, fein Interdift über das Land auszu:
Iprehen! —
Bon Zeit zu Zeit wird an der neuen Zuſammenſetzung
unfrer erften Kammer gearbeitet, das heipt an Beftimmung
der Familien, die zur erblichen Mitgliedfchaft beftimmt jein
jollen. Der König ſchwankt und zögert, indeß treiben die
Miniiter das Werk möglihft, da ſolches zur Bollftändig-
feit unſres Berfaffungspoffenfpield einmal unentbehrlich er:
Iheint. —
— — — — nn
Dienstag, den 9. Mai 1854.
Aufregende Träume; der Kaiſer von Rußland war hier
angekommen, und durch ſeinen Einfluß wurde das Heer von
einer Menge Offiziere geſäubert, die als ruſſenfeindliche
bezeichnet waren; dann kam auch der Pabſt, und ſchaffte die
Treigeifter und wirklich proteſtantiſchen Eiferer ab; Gerlach's,
Stahl, Wagener, Goediche, Dohna, und ihre Spießgefellen
erklärten jih als Diener ded Kaiferd von Rupland und des
Pabſtes; Preußen hatte zu fein aufgehört. ch war wie
errettet, als ich aufwachte! Perſönlich war mir von beiden
Seiten nichts gejchehen. —
Ueble Gerüchte von einem Minifterium der Kreuzzeitungs-
parthei. Dafjelbe würde kurze Zeit heftig im Innern wüthen,
feine Spießgefellen überall in die beften Aemter fegen, die
Preſſe der Gegner unterdrüden, aber nach innen und außen
ſchnell banfrott fein. „Ein Minifterium Polignac! Welches
andere hat je der Revolution beffer gedient ?! —
Viele Leute behaupten noch immer, der König fpiele Kos
mödie, und fuche dem Kaifer Nikolaus was weiß zu machen ; er
wolle gezwungen fcheinen, damit der Kaiſer ihn fpäter nicht
63
zur Rechenſchaft ziehen könne. Die Leute meinen, das jei flug
gerehnet, aber nur der Verluſt an Ehre und Würde in der
Rechnung ausgelaſſen. —
Im Haufe Bethanien ſoll eine ſchlechte Wirtbichaft fein.
Bei aller Pracht des Aeußern, aller Raumverfihwendung in
der Anjtalt, jind doch zu zehn Kranke in einem mäßigen Zim—
mer aufgehäuft, und die eigentlihe Krankenpflege joll fehr
vernabläffigt fein. Beten und Singen aber wird mit Eifer
getrieben. Die geringen Leute jagen, es fomme auch viel
Liederlichfeit vor, die Diakoniffinnen feien zum Theil ſchlechte
Weibsbilder ꝛc. —
— — — 0 ——
Mittwoch, den 10. Mai 1854.
Es wird verſichert, Die Kreuzzeitungsparthei werde zuver:
läjfig nicht in das Minifterium gelangen, faum erjcheine fie
teigend, ‚jo werde fie auch gleich wieder dem Könige unan-
genehm und verdächtig, ald wolle nun fie ihn leiten und
lenken. Diefer Gedanke it dem Könige der unerträglichfte,
dap er nicht ſelbſt alles leite und beſtimme. In dieſem Be⸗
treff, jagt man, ift es das Allerflügite von Manteuffel, bei
jeder Gelegenheit ji ale den willenlofen Diener und Aus—
führer ded Königlichen Willens binzuftellen, nichtö wirft beifer
auf den König, nimmt ihn mehr gefangen. Das Allerflügite
nennt man dad? Mag fein! Uber aud das Würdigite?! —
Der König foll die Voſſiſche Zeitung, in der Bonin’s Ent:
laſſung fcharf beiprochen, und der König mittelbar hart geta-
delt worden, dem Polizeipräjidenten von Hindeldey vorgelegt
und ihn gefragt haben, wie er dergleichen dulden könne?
Hindeldey habe die Achſeln gezudt, und gemeint, er vermöge
dawider nichtd, die Gerichte [prächen gewöhnlich frei! Darauf
fei der König zornig geworden, und hat ausgerufen: „Sie
müffen ſolchen Unfug abjchaffen, das ift Ihre Pflicht!“
64
Hindeldey erinnerte, daß ed noch nicht lange her fei, dap
Revolution die Herrfchaft gehabt, da müſſe man vorſicht
fein. — Der Kern der Sache ift, daß Hindeldey nicht für Andı
jondern für fich arbeiten will, die Kreuzzeitungsleute hab
auch ihn oft angegriffen, fo läßt er jegt gegen fie die Dem
fraten gewähren. —
Hier hört man im Stillen von Perſonen aus höheren Kr«
fen die Meinung ausfprechen, der König leide an einer Gehir
erweichung, und fo Laffe jich diefes Springen und Wechieln
feinem Kopfe erflären, diefer Wirbel, in welchem fein Gedan
flar und feft werden könne. —
Ganz unbedeutende Leute haben den größten Einfluß, t
unfähigiten, dunfelften, ein Marfus Niebuhr, ein Lou
Schneider, eine Rammerfrau, ein Lafai. Und welche Un
bedeutendheiten und Unfähigkeiten in großen Namen us
Würden jteden, ift auch befannt! Eſel überall, in graue
Tell, unter eignem Namen, oder in gefticdten Uniformen
andrem. — |
Bei dem legten Militairavancement find eine Menge höb
ver Offiziere übergangen worden, die dadurch gewiſſermaß
genöthigt werden, den Abfchied zu nehmen. Es find fehr tür
tige darunter. Die Auserwählten find größtentheild Gun
linge der Kreuzzeitungsparthei, die Ausfcheidenden von
angefeindet. —
— — — — —
Donnerstag, den 11. Mai 1854.
Nachmittags Beſuch von Bettina von Arnim. Sie [pr
ernftlich von ihrer Reife nah Weimar. Der Nechtsanz
Caspar hat ihre Papiere verloren, die ala Belege nöthig ji3
um eine Vorladung zu verſchieben, hat er ein Ärztliches Atı
verlangt, daß ihr Gefundheitszuftand von der Art fei, daß
feinerlei Gemüthsaufregung jet ertragen könne, nachd
65
Dr. Büding ein ſolches Zeugnig ertheilt hat, ſagt jener, es
würde wohl nicht nöthig fein! Sie fieht ordentlih ſchlimm
aus, von allem Aerger und Berdruß, und wenn fie auch
gropentheil® felber daran ſchuld ift, die Kolgen find darum
nht weniger traurig! — Bon politischen Dingen erzählt fie
manderlei, was fie bei Savigny's gehört hat, darunter auch
einiges, wad fie nur von mir weiß! Sch dachte erft, fie wolle
Spap machen, es war aber voller Ernſt, und die Sache mir
zugleich ergöplih und bedenflih! Herr von Meding, ganz
und gar ein Mitglied der Kreuzzeitungsparthei, klagte bitterlich
über die Angriffe, die jie von allen Seiten zu beftehen hätten,
und gen die fie nichts thun könnten, als jie ſchweigend bin-
nehmen! Er wünjcht die Zenfur zurüd, die ihnen allein freie
Rede gäbe, den Anderen dag Maul jtopfte. Herr von Die:
ding wundert jich wohl gar, daß man ihn und jeinesgleichen
niht hochachtet und ehrt? Ja, das ift zuviel verlangt! —
Im Potsdam find die Gardeoffiziere fehr aufgebracht gegen
; den Prinzen von Preußen, fie ſchimpfen laut auf ihn, wie
1848 auf den König. Damals war der Prinz ihr Abgott,
den fie mit Eifer dem König gegenüber ftellten! Jetzt ift der
Knig ihr Held, weil er ruffenfreundlich erfcheint! Dies ift
oh, wie damals, nur die Stimmung der Gardeoffiziere,
im übrigen Heere denkt man ganz andere. Spaltung in den
Inıppen, eine fchlimme Sache! —
Man ſagt, der König fei gegen feinen Bruder fchneidend
| ht geweſen, und habe fich recht gefreut, daß er ed gegen ihn
durhgefept, einen fo widrigen Tadler endlich entfernt habe.
Jedoch lange, meint man, werde er ed nicht aushalten, fon-
dem reuig eben fo nach feiner Wiederkehr jammern als 1848. —
Auf Bonin wird in Potsdam ſchrecklich gefhimpft. Wer
Ad fo vergehe, wie er, der müffe geftraft. werden, der müſſe
ganz aus dem Heere fcheiden. — Wenn Reden beitraft würden
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. XI. 5
66
nad) Gebühr, wie viele der Tadler müßten ohne Abſchied ent-
laſſen werden. —
Heute früh flarb Frau Sara Levy, geb. Itzig, beinahe
93 Jahre alt. Die Schwefter der Arnftein, Eskeles, Ephraim —
Oppenheim, Salomon. Sie war eine gebildete, Muge una
auch — befonders in den fpäteren Zeiten — mwohlthätiges,
Frau; doch ohne höheren Geift und ohne alle weibliche An= 4
muth, man fagte daher auch von ihr, fie fei ein rehtfchaffener —
Mann! —
In Roftod find die drei Advofaten Müller, Wedmann un” =
Ehlers verhaftet worden. In Mainz Herr Dr. Müller—
Melchiors bei feiner Rückkehr aus Newyork verhaftet® ab ı
gleich wieder freigegeben. ——
Freitag, den 12. Mai 1854.
Zu Mittag fam Frau Bettina von Arnim wieder; fie
erzählte die große, und zugleich Läherfiche Neuigkeit, der König
babe dem Prinzen von Preußen fchon den Feldmarſchall und
Oberfammerheren Grafen von Dohna nachgeſchickt (ſiehe den
13. Mai), um ihn zu begütigen, weil er fürchtet, der Prinz
möchte ſich der Feier feiner filbernen Hochzeit hier entziehen,
was ein Nergerniß und ein Schimpf vor der ganzen Welt fein
würde! Bettina hat es von Fräulein von Kalb und vom
Grafen von Flemming. —
Der ehemalige Staatsminifter Graf von Alvensleben hat
ſich doch wieder bewegen laffen, eine Sendung nah Wien an—
zunehmen. Er foll dort die übeln Gindrüde, die des Königs
letzte Verfahrungsweiſe verurfacht hat, wieder auszulöſchen
ſuchen. Man ift in Wien fehr aufgebracht, und in Paris
nicht minder, Louis Bonaparte hat ſich ſeht hart und fhnöde
über den König ausgeſprochen, ihn karakterlos, unzuverläffig
67
genannt, eine gute Lektion fer ihm nöthig, und könne ihm
verden ꝛc. —
Man hat die Bemerkung gemacht, daß bei den letzten Mi-
itairbeförderungen nur rufjischgefinnte Offiziere bedacht, ruf-
enfeindliche entichieden übergangen worden feien. Das macht
uted Blut! —
Auch wegen Bonin's fühlt der, König fchon reuiged Unbe-
rigen; er hat der familie deffelben das Schloß Schönhaufen
ur Sommerwohnung einräumen laffen. Sie wäre lieber im
Krieggminifterium geblieben! Bonin will, ehe er nach Neiße
geht, eine Urlaubereife machen, man fagt, zum Prinzen von
Preußen. —
Ich jchreibe meijt noch nach alter Urt falſch, Oberfammer:
herr“, e8 beißt aber „Oberſtkämmerer“; der König liebt Die
<uperlative, und hat ein jt eingejchoben, und den Rang er-
hoͤht. —
Die Berhaftungen in Roſtock hängen mit dem fogenannten
Närztomplott zufammen. Sowohl die dortigen als die hie⸗
ngen noch zahlreichen Gefangenen vom eriten Zugriff her find
nun fhon vierzehn Monate in Unterfuchungshaft!! Man bes
fraft ie im voraus für den Verdruß, den fie den Staatöret-
term machen duch ihre Unfchuld! —
Die Kreuzzeitung jagt ſchon, der Prinz von Preußen hate
nur auf vier Wochen Urlaub und werde im Anfange des Juni
wieder bier fein. Sie verfündigt, was der König zu verlangen
hofft. Dem Prinzen wird aber von feinen Sreunden, die dem
König äußerſt gram find, eifrigft gerathen nicht zu kommen,
ınd jeine leidende Gejundheit vorzufchügen. — Er wird
ommen. —
Die vormald dänische, jetzt preußifche Fregatte Gefion
Edernförde) ift nun doch glüdlich durch den Sund gewitfcht,
nd vor Danzig angeflommen! Die Dänen hatten verlauten
5*
4
68
laſſen, unter dem ihnen ſchmachvollen Namen Edernförde ſolle
fie nicht durchfommen ! —
Sonnabend, den 13. Mai 1854.
Bei aller Auflöfung und Verwirrung, in der ſich die heu-
tige Welt befindet, gefchieht Doch immer genug Bernünftiges
und Gutes, es kommt nur darauf an, daffelbe gehörig wahr:
zunehmen, zu erfaffen und feftzuhalten. Ich ſehe Sauten
auögeftreut werden, die herrlich aufgehen werden. In den
Deutfchen find gute Triebe mächtig regfam, die beiten Kräfte
in Thätigfeit. Ich will vertrauen und hoffen! Und ift es
in Frankreich, in Italien, ja auch in England und jelbft in
Rußland anders? Grade heute bin ich fehr zu diejer Betrach—
turig geftimmt, und ihrer bedürftig. Mein Tagewerf foll nicht
fehlen. —
* erzählte mir feine Erfahrungen in Potsdam während
des Jahres 1848. Gr fügte, Potsdam, obwohl eine Stadt
des Hofes, vom Hofe lebend und begünftigt, ſei wohl die am
meiften demofratifche Stadt des ganzen Staated geweſen; der
König wagte eine Zeitlang nicht durch die Stadt zu fahren,
fondern fuhr außen herum; felbft Hofdiener, der Kaitellan des
Schloſſes 3. B., hielten fich zu den Demofraten. Der König
wollte Potsdam gänzlich verlaffen, es nie wieder betreten, nad)
Brandenburg überfiedeln! „Berlin, Breslau, Königsberg, El—
bing, Poſen, Stettin, Magdeburg, Erfurt, Halle, Düffeldorf,
alle diefe Städte wollte der König fortan meiden, ivenn dad
jo weiter ging, fo ſchmollte er fich bald aus dem ganzen Land
hinaus!“ Leute, die ed mit dem Könige gut meinten, ihm in
dem Sinne der Zeitumftände dienten, — wie neulich Bo-
nin —, wurden ihm verhaßt, wurden fpäter geftraft, andre, die
fälſchlich angeklagt worden, behichten auch nad aufgededter
Berläumdung den [hwarzen Fled für immer! —
69
Die Gerlah’fhe Klique liegt dem Könige ſehr in den
Ohren, und fucht ihn mit dem Gedanken zu erfüllen, der Prinz
von Preußen habe fich militairifch gegen ihn ſchwer vergangen,
müſſe eigentlich vor ein Kriegdgericht geftellt werden und die
gehührende Strafe mindeitend ausgefprochen werden, Davor
erſchrick aber der König doch. —
Dohna hat den ihm ertheilten Auftrag an den Prinzen
von Preußen abgelehnt, weil er dem Prinzen unangenehm jei,
und daher wenig Erfolg bei ihm hoffen könne. Der König
hat darauf felber an den Prinzen fehr beiveglich gefchrieben. —
Welche — ſich der Kreuzzeitung anfchließen! Eduard Ja-
coby, Börfenberichterftatter ded Blattes, fchrieb an Louis
Mayer, er habe es in feiner Hand, gute oder ſchlechte Nady-
rihten über Eifenbahnaktien zu geben! Mayer veröffentlichte
das Schreiben, Jacoby antwortete hochfahrend, er gehöre zur
guten Barthei, das mache alled gut! —
Sonntag, den 14. Mai 1854.
Gefhrieben. — Früh ſchon fam Bettina von Arnim,
munter und luftig, erzählte, daß Frau Mathilde von Guaita
wieder hier it und mich befuchen will; fie fommt von Parig,
bringt Nachrichten und Grüße von Heine, hat Ramartine ges
ſehen, Alerander Dumas, den Fürften von Püdler in
einer Krankheit gepflegt, Herrn von Circourt befucht ꝛc,
Dann fam zur Sprache, daß Studenten ſich an Bettinen
gewendet, fie folle ihnen zu einem Konzert für den Kölner
Dombau den Konzertfaal vom Könige auswirken! Anftatt das
Anfinnen abzulehnen, will fie darauf eingehen, an Humboldt
fchreiben, der joll’d dem Könige zeigen. Ferner hat jie auch
Luft, jebt an Humboldt zu ſchreiben, was fie früher bei
Hindeldey anbringen wollte, daß die zweitaufend Thaler, welche
fie dem Mahler Ratti für die Kopie eined Gemähldes gezahlt,
70
nicht ihm deßhalb gegeben wären, um ihn über angeblihe
demofratiihe Gefchichten, die fie mit ihm betrieben habe,
jchweigen zu machen, fondern daß dies Geld aus einer Quelle
fomme, die fie nennen dürfe und wolle! Diefen lebtern
Unfinn red’ ich ihr einigermagen aus. Wer bat an eine fo
lächerliche, aberwigige Befchuldigung je gedacht? Sie redet ſich
ſolche nur ein, um eine unnütze Bertheidigung darauf zu grün-
den. — Ein Buch von Sophie Yaroche, von diefer durch einge:
Ichriebene Worte an Dorothea von Rodde geborne Scylöger
gewidmet, eignet fie jich mit Heftigfeit zu. „Das gehört mir,
das nehm’ ich !* 2c., verfpricht mir aber einen Brief von ihrer
Großmutter Laroche dafür zu bringen. —
Ich brachte den Nachmittag in wachen Träumereien bin,
die Gegend von Düffeldorf, der jtrömende grünliche Rhein, die
Ichattigen Dörfer, die Anblide und Erlebniffe meiner Knaben:
zeit lagen vor meinen Augen ausgebreitet, die Enge der Dert:
lichkeit und der Zujtände genügte mir, ich wünſchte mit leiden:
ſchaftlicher Sehnſucht mich zurüd zu Vater, Mutter und
Schwerter! Gin ſchöner Eommernachmittag wirft oft fo in
mir, er ijt die beglüdendite Gegenwart, die ganz verfchwimmt
in ihr ähnliche Vergangenheit. Welche Tage fo beglückter
Stimmung hab’ ich mit Nabel verlebt! Hier, in Töplig, in
Wien, Frankfurt und Baden, und wieder hier, in Gärten, auf
dem Felde! —
—
Montag, deu 15. Mat 1854.
Beſuch von Bettina von Arnim. Neue Beiprechung der
geftrigen Sachen, Abfaffung eines Briefed, Erwägung von
Schwierigfeiten. —
Die Fürftin von Püdler foll geftorben fein. (Sie ftarb
am 8. Mai auf Schloß Branis, 79 Jahre alt.)
71
Der König hat dem abgeſetzten Kriegdminifter General
von Bonin feine Marmorbüfte gefchenft! Bonin hat von allen
Seiten Adreffen, Kränze, Gedichte. 2c. befommen. Der König
fühlt don Neue und Berlegenheit dazu! Er hat Rupland
kaum etwas zufrieden geftellt, und nur etwas, fo fommt nun
Oeſterreich, England, Frankreich, und die möchte er auch zu=
frieden ſtellen! —
Ich fragte den Fürften Wiäſemskii, ob der Kaifer Nikolai
nicht feine Heere felbit führen werde? „Oh non! non, non!“
war die Antwort. ch fagte, fein Kaiſer habe früher den
Louis Bonaparte fehr gefhägt und begünftigt; „Oui, comme
maitre de police!“ erwiederte er. Im. Schimpfen auf den
Retter der Gefellfchaft find die Ruffen jest ftarf! „Il nous
a fit peur du spectre rouge! lui-möme fait partie de ce
spectre!“ —
Dienstag, den 16. Mai 1854.
Meine Sympathieen find natürlich in den gegenwärtigen
Kämpfen vorzugsweife für die Weftmächte, werden jedoch von
diefen keineswegs erfchöpft, fondern großentheild noch frei
gelaſen. Nicht meine Sache ift e8, um die hier gefämpft
wird, dad muß ich mir ſtets gegenwärtig erhalten, darf ich im
Gedtänge der Tagesftimmungen nicht aus dem Auge verlieren !
Ich wünſche allerdings, wie die Sacherr jegt liegen, den Sieg
der Weftmächte, aber ich bin nicht ohne Troft, wenn Ruß—
land fiegt! Das will ich ebenfalls nicht vergeffen! Bor ein-
brechender Barbarei, vor dem Schaden, welchen Wilfenfchaft,
Kunft und Bildung erleiden könnten, fürdt’ ic) mid) im ge-
ringften nicht! Unfere Zuftände find, inmitten aller Bildung
und alles Eiferd für Kunſt und Wiſſenſchaft, barbarifch genug!
Die Leute denken auch gar nicht, daß die Nuffen jeden
Augenblid in eine neue Entwidelung treten können, daß fie
72
nicht immer unter der Zucht bleiben werden, die jekt fie
drüdt! —
Zwiſchen Berlin und St. Petersburg foll ein lebhaftet —
Briefwechſel fowohl von höchſten ald von untergeordneten
Berfonen beftehen, und namentlich der Tegtere von Bedeutung us
fein. —
Der griechifche Gefandte Herr Schinas (Savigny's Schwie= =
gerfohn) hat beim Könige Zutritt gehabt, um defien Schu.
für den König Otto anzufprehen. „Wird und kann nichte 1
helfen!" —
Für den abgefeßten Kriegaminifter von Bonin giebt ſick
fortwährend die lebhafteſte Theilnahme fund. Der Köni
wantt ſchon wieder, und die Gerlach's geben fich alle Mühe —
ihn auf ihrer Seite zu befeftigen. Die Königin war in Dres =
den, wo fie mit der Erzherzogin Sophie zufanımengefommen ;
fie ift heute zurüdgefehrt, und gewiß nicht ruſſiſch, aber um ſo
mehr öfterreichifch angefärbt. —
Die Neue Preußifhe Zeitung ift wieder reih an Angebe-
teien; fie wiederholt Artitel der Voffishen Zeitung aus dem
Jahre 1848, die follen den König erbittern! Sie möchte gern
Gewaltfchritte gegen die andern Zeitungen bewirken, und die
Barthei ſchimpft auf den Polizeipräfidenten von Hindeldey,
der ſich dazu nicht hergeben will, fondern froh ift, wie er
jagt, daß die öffentliche Meinung folche Ventile hat. Alles
das ift indeß nur Willkür, Zufall, augenblidliche Laune; unfre
Preßfreiheit beruht nur darauf! — .
Trog aller Nachrichten von eifrigen Kriegerüftungen in
Frankreich und England, und befonders auch in Defterreich,
fann ich mic des Gedanfens nicht erwehren, daß man den
Kampf diesmal noch nicht ausfechten, fondern wieder heilegen
und vertagen wird. Rußland hat überall große Stüpen, und
fann mit einiger Geſchiclichkeit noch glüdlih aus allen
Schwierigkeiten feiner Tage heraustommen. Selbft Louis
Bonaparte ift nicht der wahre Feind Rußlands, nicht der be>
rufene Bertreter der Kreiheit und der Bölfer. Ebenſowenig
iſt es Lord Aberdeen, oder der Kaifer Franz Joſeph von Defter:
reih. Sie haben alle diefelbe Luft, am Raube theilzunehmen,
miit Rußland fich zu demfelben zu vertragen. Thun fie es
rriht, ſo ift e8 ein Zeichen, daß die Umftände ftärker find, ale
Die Neigungen diefer Heinen Leute, aus denen die Geſchichte
Feine Helden machen wird! —
_ Mittwoch, den 17. Mai 1854.
Im Wiener Lloyd vom — Mai fteht ein angenehmer Be:
richt von Fräulein Betty Paoli über das Wiedererfcheinen
der hochbetagten berühmten Sophie Schröder auf der Wiener
Schaubühne, wo fie zwar nur deflamirend auftritt, aber mit
rm größten Erfolg und Beifall. Auch hier wieder ein Erb-
füd von Rahel! fie zuerft hat den Leuten gefagt, wie groß
tiefe Künftlerin, welchen Ranges fie fei! —
Rahmittags Befuch von Frau Bettina von Arnim. Sie
lieft mir eirfen Huldigungöbrief vor, den ein Mahler Eorrodi
aus Winterthur ihr gefchrieben hat; dann einen Brief von **
an Clemens Brentano voll religiöfer Liebesinbrunſt. Ich
fann nicht mit Bettinen über dieſe Gefühle lachen, die wenn
auch in mipfälliger Ausdrucksweiſe vorgetragen, doch ehrlich
und wahr und tief fchmerzlich find! Der Brief wird mir ge
Ihentt für meine Sammlung. — |
Der König foll bei und nach der Ausfertigung der dem
Örafen von Alvensleben für Wien ertheilten Anweifungen
geweint haben aus Verdruß und Nerger, daB ihn Defterreich
in eine feindliche Stellung gegen Rußland bringen fönnte, und
er bereue, fagt man, die mit Oeſterreich abgefchloffene Ueber-
einkunft. „Er will immer alled zugleich, mit Rußland gut
ſtehen, mit England, mit Defterreih und mit Frankreich, ein
74
findifcher Wille, den man leiten muß, beftimmen muß,
wenn man ihn nicht will in’® DVerderben rennen laffen!“
Worte ded Grafen von Alvensleben. —
Bei den Zelten war am Montage — diefer Tag wird be
ftimmt angegeben — eine ungewöhnlich zahlreiche Verſamm—
lung von Gäſten, und eine ziemliche Aufregung unter den:
jelben. Sie forderten von den anweſenden Mujifanten die
öfterreichifche Hymne, die gefpielt wurde. Als es dunfel ge-
worden war, zogen große Haufen durch dad Brandenburger
Ihor wieder in die Stadt, fammelten fih vor dem Palafte dee
Prinzen von Preußen, und brachten ihm und dem Kaifer von
Defterreih Tautes Hoch. Die Polizei wußte nicht was ji
thun follte, oder fam zu fpät. Sie fuchte den Vorgang zu
vertufchen, erließ Mahnungen an die Zeitungsredaftoren,
defjen nicht zu erwähnen, fie fürchtete den Zorn des Könige.
— An ſich ift die Sache gering, ald Zeichen aber höchft bedeu:
tend! — Bor dem Palafte des Prinzen foll auch der Ruf ge
hört worden fein: „Der König foll abdanken!“ —
Donnerstag, den 18. Mai 1854.
Nachmittags kam Bettina von Arnim. Sie Flagte wieder
ſehr über **, ***, Caspar; lebterer hält ihr Krankenzeugnif
nicht für genügend, um vom Gericht einen Aufſchub zu er-
langen. Bettina, wenn es ihr gelingt, einer Sache nur
augenblidlich auszuweichen, hält jie dann gleich für erledigt,
und ift dann ganz erftaunt und empört, wenn die Ungelegen:
beit fpäter wieder auftritt. Auf ihre Schreiben an den
Prinzen von Preußen, den PrinzRegenten von Baden ꝛc.
hat jie noch Feine Antwort erhalten. Auch die Anregungen
bei Humboldt, Grafen von Redern ıc. ruhen einftweilen, —
Wenn der Krieg wirklich ausgefochten werden foll, bis zur
Demüthigung nicht nur, fondern aud bis zur Schwächung
75
Rußlands, fo bedarf ed vor allem, daß die Flotten- und Land⸗
truppen Englands und Franfreiche namhafte Vortheile erfäm-
pfen; dann wird Defterreich hinzutreten, vielleicht Schweden,
mit Widerjtreben und Unluſt Preußen (das heißt, der König
und die Ruffenparthei), und wenn fein Umfchlag erfolgt, end-
ih au die übrigen deutfchen und europäifchen Staaten.
Das wird aber eine weitläufige Gefchichte! Polen fommt dann
in Stage, die Revolution fpricht ihr Wort mit, in Rußland,
ie im übrigen Europa. Wird man fo lange die Einigkeit zu
erhalten, Eiferjucht und Mißtrauen abzuwehren wiffen? Wie
viele Spalten wird der ruffifche Kaifer finden, wo er fich ein-
bohren, wie viel Hebel, die er wird bewegen können! Freilich
it er mehr liſtig als Hug und geſchickt, und feine Diener find
nur elende Wichte, aber die Gegner jind auch nichts werth,
einige brave Seeleute und Heerführer abgerechnet. —
—
Freitag, den 19. Mai 1854.
Rahel's Geburtätag und Fichte's. Betrachtungen über
ein folhes Nachleben, wie das meine ift! Mein eigentliches
Leben war das mit Rahel, ich fühlt’ und wußt' es immer, und
fie wußt' es auch. —
Berlin ift heute jo voll Gährungsftoffes, Unzufriedenheit
und Kımpfmuthes, wie im Frühjahr 1848. Es fehlt nur ein
Greignig, das die Menfchen plößlich vereint, der zündende
Funken. Aller Drud, alle Verfolgung und Scheererei haben
das Bolt nicht geändert, nicht matt gemacht, den Freiheitseifer
nicht unterdrüdt. Die Regierung darf e& nicht wagen, die
Truppen wegzugiehen, und für Zwecke zu verwenden, die der
öffentlichen Meinung entgegen find. Mit den Konftablern
würde das Volk bald fertig fein; Die Behörden der Stadt und
des Staates würden flüchten oder ſich unterwerfen wie 1848.
76
— Niemand aber will das willen, niemand foldhe Warnung
hören. —
Herr von Weftphalen, Minifter des Innern, mehr Werk;
zeug ald Mitglied der Kreuzzeitungsparthei, hat im Staats:
minifterium darauf angetragen, die Preſſe ftrenger zu halten,
und der Kölnifchen Zeitung, der Elberfelder, und dem Preußi⸗
hen Wochenblatte die Konzeffion zu entziehen. Da Bonin
nicht mehr Minifter ift, Simons und von der Heydt fnechtifche
Seelen find, fo ftand die Sache fhlimm. Doc fand Man-
teuffel fürerft die Ablenkung, einen Bericht von Hindeldey
über den Zuftand der Zeitungspreffe zu verlangen. SHindel:
dey berichtete günftig, nannte fein Blatt, fagte aber, fie hielten
alle das gehörige Maaß und zeigten.preußifchen Eifer. Indeß
wird die Sache damit nicht abgethan fein! Die Kreuzzeitung
fieht fi von allen Seiten angegriffen, will das Gebiet allein
beherrfchen, die Gegner zum Schweigen bringen, man ſoll nicht
mehr gegen Rußland fchreiben dürfen, —
Sonnabend, den 20. Mai 1854.
Hengftenberg ift wegen feiner Kirchenzeitung in Zwei⸗
brüden zu drei Monat Haft verurtheilt und fein Blatt einft-
weilen verboten worden. —
In der Malmene’fchen Knabenanftalt ift wieder ein Knabe
an einen Klotz gefettet gefunden und von der Polizei in Frei:
beit gefept worden. Die Neue Preupifche Zeitung erhebt
darüber ein großes Gefchrei, weil Malmene ein Freund Man-
teuffel's ift, und fie diefen in jenem mit angreifen fann. Auch
die Gerichtözeitung und der Publizift find eifrig hinter der
Sache her. —
71
Sonntag, den 21. Mai 1854.
Mit Ludmilla ausgegangen, auf der Straße Frau Bettina
von Arnim und deren Schwefter, frau von Savigny, ges
ſprochen, die zum griechifchen Gefandten Schinad eilten, —
dem ehemaligen Schwiegerfohn der Frau von Savigny. —
Rahmittage Beſuch von Bettina von Arnim. Sie ers
säblt von ihrem Befuch bei Schinas; er hat in zweiter Che
eine reiche Rumänin geheirathet, verfieht feine Geſandtſchaft
in Bien, Berlin und München unentgeltlich; der General
Reopold von Gerlah mar grade bei ihm, brachte ihm vom
Könige die günftigiten Berficherungen für Griechenland, die
Ihmeihelhafteften Lobreden! Bettina verjicherte, er und feine
Reden feien ihr ganz efelhaft gewejen, ein giftgefchwollener
dider Krot. Bon ihren Angelegenheiten neue fchlimme Nach:
tihten; jegt endlich hat ihr Juftizratb Caspar erflärt, ihr
Geihäftsführer müffe gerichtlich behandelt werden! (Wenn
bierbei nicht wieder von ihrer Seite ein Mißverftändnip waltet;
die Folge wird's zeigen.) Sie bedarf inzwifchen Geld. —
Montag, ben 22. Mai 1854.
Ih werde jetzt öfter® zu der Betrachtung geführt, wie fel-
ten mir Menfchen noch eigentlich gefallen. Nur wenige Per:
fonen weiß ich und find’ ich, deren Umgang mich wahrhaft er:
freut, erhebt; und es ift feine Täufchung, wenn ich fage, daß
die Belt in diefem Betreff ärmer geworden ift, nicht ih! Was
für Namen könnt' ich nennen, denen die Gegenwart durch—
and feine ähnlichen entgegenzuftellen hat! Nicht Rahel, Goethe,
Fichte, Friedr. Auguft Wolf, Erhard, Schlabrendorf allein,
nein, hundert andre. ch fühle tief dieſe Verwaiſung, und wie
ſeht jie zunimmt. Dabei bin ih nicht undanfbar für alles,
was mir in täglicher Nähe Ludmilla ift, wenn ich gleich nicht
machen fann, daß fie Zeitgenofjin deſſen fei, was vor ihrer
18
Geburt Liegt! Wie freut mich die edle Freundin Charlotte
Wynn, wie erfenn’ ich die Vorzüge von Henriette Solmar.
Bettina von Arnim, wäre fie nicht unzuverläfjig und faft
immer von Aeußerlichkeiten befangen, fünnte ein reizender
Umgang fein, Hermann Franck desgleichen , hätte er ſich nicht
jo ſehr zurüdgezogen. Die Andern find meift nur eine Laſt,
die man ertragen, Kranke, die man fchonen muß, und das
Sclimmite ift, man fühlt, daß man auch ihnen eine Laſt, auch
ihrer Schonung bedürftig ift! — -
Was ift das für ein Leben! Und befonderd wenn man die
Wiffenihaft und Bildung fich verdüftern, Staat und Pater:
land fchwinden fiehbt! Ich habe in diefer Zeit einen wahren
Durft nach PBaterland, ich möchte den fihern Boden eines
folchen unter den Füßen haben! Aber Amerika kann ich mir
nicht dafür anbieten laffen, der Boden muß mir näher, die
Menfchen müffen mir vertrauter fein. Solcher perfönlichen
Wünſche kann ich mich nicht erwehren, befonderd wenn die
Wiederkehr des Frühlings alle Kräfte belebt, alle Amfprüce
fteigert! ch jtebe jedoch zum Glüd’ mit meinen Gedanken
höher, und eigne mir Vergangenheit und Zufunft mächtig an,
jo day die öde Gegenwart von ihnen eng zufanımengedrüct wird.
In meinen Papieren unverdroffen gearbeitet. Vielleicht
nubt es etwas! —
Die Engländer haben im Schwarzen Meer durh Sturm
die Fregatte Tigrid verloren, die Ruffen auf die Schiffbrüchis
gen ein heftiged Feuer gerichtet, fie zu Gefangenen ge:
macht, bei Odeſſa. Neue Beforgnig daher für Odeſſa. Die
englifche Flotte vor Sebaſtopol; die türfifche bringt Berftär-
fung an die tfcherkeffiichen Gränzen.
Perfien wieder gegen Rußland aufgeboten ; wenigſtens den
Türken unſchädlich. — Griechenland, Athen, von den Weft:
mächten bedroht. —
Endlich fängt man in Baden an, mit dem kirchlichen Un-
|
|
79
hold, dem Erzbifchof von Freiburg, Ernft zu machen; er wird
zur Kriminalunterfuchung gezogen. Aber wird man es durch:
ſeßen? —
Nahmittage Befuch von Frau Bettina von Amim. Sie
mar fehr munter und ergöglich, erzählte lächerliche Geſchichten
von Ranke. —
Franzöſiſche Zeitungen berichten von revolutionairen Un-
rubenin Toscana und Portugal, angeblich von Rußland erregten!
Nahrichten von ruſſiſchen Schiffen, die von englifchen
aus dem Hafen von Kibau geholt worden, von Zerftörung
tuſſiſcher Schanzen in Finnland, 1500 ruffiichen Gefan⸗
genen ꝛc. —
In Bamberg kommen die Bertreter der deutfchen Mittels
faaten zufammen am 25., um über die Haltung des deutjchen
Bundes in der orientalifchen Frage und über das Vorfchrei-
ten Defterreichd und Preupend in derjelben zu berathen. —
In Dresden fpricht fich entfchiedener Gegenfinn aus, man
will feinen Bruch mit Rußland, man will fih nicht an
Deſterteich und Preußen anfchliegen. Hier glaubt man, dem
Könige von Preußen fei das heimlich Lieb und recht, er habe
jogar in diefem Sinne gegen feine öffentliche Politik heimlich
eingewirkt ; Die Königin war fürzlich in Dresden! —
Dienstag, ben 23. Mai 1854.
Die Neue Preußifche Zeitung erwähnt heute mit dunfeln
Worten des Borgangd, der am Montage vor acht Tagen jtatt-
gefunden haben foll. Sie will ihn nicht glauben, weil er ein
derber Schlag für-die Parthei üft, fie meint, unfere vortreffliche
Polizei würde ihn nicht gelitten haben; als ob die Konftabler
wagen würden, ein dem Prinzen von Preußen und jelbit ein
dem Kaifer won Defterreich dargebrachtes Hoc, zu flören! —
(Siehe den 17. Mai.)
80
Die englifhen Zeitungen treten lebhaft für Bunfen auf,
und fihimpfen dabei auf den König mit den brennendften Aus-
drüden. — |
Im Thiergarten bei den Zelten fehlt plößlich wieder das
Gerüft, auf dem fich die Muſik aufzuftellen pflegte, die an zwei
oder drei Tagen der Woche dort zu fpielen pflegte. Die Polizei
hat e8 abbrechen laffen, und die Mufif an diefer Stelle unter:
fagt, weil ſich zu viele Xeute verfammelten, und Schlägereien
veranlagt würden! Offenbar Folge der Forderung, weldye hier
am 15. (oder 16.) den dfterreichifchen Volksgeſang ſpielen
lieg! — Das Gerüft diente 1848 zur Rednerbühne, wurde
zur Zeit ded Belagerungsftandes entfernt, lange nachher erß
auf'd neue zum Gebraudy der Mufikanten hergeitellt. Wir
vermißten dafjelbe bei unferm heutigen Spaziergang. —
Der Polizeipräfident von Hindeldey hatte Anfangs die
Abfiht, am nächſten Mufiktage viele Konſtabler in Zivilflei-
dern dad Preußenlied fordern zu laffen. Das MWegräumen
der Mufitbühne und Unterfagen aller Muſik fchien ihm dann
ficherer. —
Mittwoch, den 24. Mai 1854.
Gefchrieben. — Die firchlihe Parthei wirft in Preußen
immerfort, geheim und offen, in verderblichiter Weife; beſon—
ders fucht fie der einjlußreichen Memter fich zu bemächtigen
und im bürgerlichen Leben Fuß au faffen. Mögen Andre ihr
in die Schlupfivinfel ihres dunfeln Treibens folgen, ihre off:
nen Schamlofigfeiten rügen, ich kann und will darauf nicht
eingehen! Genug, dag ich im Ganzen das Pfaffenvolk verfluche!
Wie jämmerlich fteht ed mit unferen Geiftlichen, deren große
Mehrheit ohne Glauben und Einftimmung dennoch in Diefe
gebotene Bahn ftürzt, auf der man freilich am ficherften welt:
liches Gedeihen findet. Da jtand es doch fogar zu Wöllner’d
Zeit, ja zu Eichhorn’s, noch beffer! Das einzige Gute dabei ift,
8l
daß nichts in die Tiefe gebt, daß alled nur oberjlächliche Hülle
und äußerer Schein bleibt, — ein Hauch verweht alles. —
Dr. Jucho in Franffurt a. M. ift vom Oberappellationd-
gericht der vier freien Städte zu Lübeck wegen Nichtablieferung
der vom Frankfurter Parlament befchloffenen deutfchen Ber:
faſſungsurkunde völlig freigefprochen worden. “Die Urkunde ift
in ihern Händen zu London, denen der deutſchen Regierungen
aljo glüdlih entrüdt! Schande den Regierungen, daß man
fi darob freuen muß! —
In Goethe gelefen, im Juvenalis; franzöfifche Sachen. —
Der König hat es durch fchmeichelbafte Bitten dahin ge-
bradıt, daß der Prinz von Preußen zum 7. Juni, dem Todes-
tage de Waters, und zur eier feiner jilbernen Hochzeit
wieder hier fein wird. Der Prinz thut fich dabei wieder
auf feine Loyalität, feinen Unterthanen-Gehorfam etwas zu
gute, —
Feuilleton der National- Zeitung: Beſuch auf der fran-
;ölfhen Flotte im Kieler Hafen, von Keodor Wehl, lebhafte
friſche Schilderung. —
Ftau von Uſedom wird befihuldigt, die heftigen Artikel in
den „Times“ gegen Preußen und gegen die Perfon des
Königd verfaßt oder wenigftend eingefandt zu haben. Die
Beihuldigung ift falfch, wie die gegen Wilhelm von Hum-
boldt, im Jahre 1819 und 1820 wider Hardenberg folche Ar:
tifel durch Friedrich Auguft Wolf den englifchen Blättern zu:
gefertigt zu haben. ber dem Zwede, Herrn von Ufedom
zum Abſchiede zu bringen, dient dergleichen vortrefflich. Einige
lagen, er habe den Abſchied fchon. —
Unfere hiefigen Garpeoffiziere, als junferliche Kreuzzei—
tungöfnappen, haben auf dem Caſino den Borfchlag beſprochen,
alle nicht ruſſiſch Gefinnten fofort aus der Geſellſchaft hinaus
zu ballotiren. Der Graf von Pourtalès hat darauf ſogleich
dvarnhagen von Enſe, Tagebücher. XI.
| GERT" ud
82
erflärt, er fei ein Nuffenfeind; biöher haben fie ihn nicht auf
ballotirt, die Junfer! —
Donnerstag, den 25. Mai 1854.
Himmelfahrt.
Die geftrige Urwählerzeitung ift heute mitgeliefert wor—
den; die Polizei hatte erlaubt, daR eine ihr mipfällige Stelle
weggelaffen, und dad Blatt umgedrudt würde, wie glimpflich
und wohlmeinend! Aber auch wie gefährlich! Es kommt dabin,
daß man fich gegenfeitig lauter Gefälligkeiten erweift, wobei
die Zeitungen offenbar im Nachtheil find. —
Die heutige Urwählerzeitung bringt eine leſenswerthe Er⸗
innerung an den verftorbenen Minifter von Bodelfchwingb,
mit gebührender Anerfennung feiner Verdienfte, und mit ges
höriger Rüge feiner Mängel. —
Der Pfaffe Krummacher hat in Potsdam eine Predigt ges
halten ganz in ruſſiſchem Sinn. Unter andern fagte er, jeder
wahre Soldat müſſe cd mit Rußland halten, wobei der König
feine freudige Zuftimmung fichtbar zu erfennen gab! Man
ſah die Königin ernjt und unzufrieden, den König aber mit
freudigem Ausdrud lebhaft in fie hineinreden. Man erfubr
nachher, die Königin habe nur mißbilligt, dag überhaupt auf
der Kanzel politiiche Dinge befprochen würden. —
Der König bat das gejtrige Geburtöfeft der Königin von
England wie gemöhnlic durch ein großes Gaſtmahl gefeiert
und die Gejundheit Victoria's ausgebracht. Er war fehr ge:
neigt dieſes zu unterlaffen, indeſſen gab er den Vorſtellungen
nach, daß er dadurch eine offene Feindſchaft ausſprechen würde,
und ernfte Folgen daraus entitehen könnten. —
83
Freitag, den 26. Mai 1354.
Nachmittags fam Frau Bettina von Arnim. Sie lieft mir
- wer Auffäße wor, in denen das Benehmen von ** und von
»auseinandergeſetzt tt, und die ihrem Nechtöbeiftande
; Sam Baspar zur Grundlage bei dem einzuleitenden gericht:
lichen Verfahren dienen follen. Die Sache wird allmählich
ad klarer, doch ift fie ed mir noch nicht ganz. Eigenmäch—
{MT Br
e Sr Bo tigfeiten find ohne Zweifel vorgefommen, ob jedoch zu erwei—
imper. | imder Betrug, das ſteht noch fehr in Frage. — Bettina fagte,
Pin Jiht ſei ein Stein vom Herzen, fie fei ganz verwirrt und ver:
mer BE Nihtet geweſen durch dieſe fcheuplichen Gefchichten, nun hoffe
fie ſolche los zu fein, Das Uebrige habe der Rechtsbeiſtand und
e & 8 te Beimarer Buchhändler abzumahen. ch fürchte, fie irrt
rg ME Nih hietin! Sie war ganz munter, und fprach immer wieder
or von dem vielen Danf, den fie mir fchuldig ſei. Leider fann
j ich ihr wenig nußen! —
ar Der Erzbifchof von Freiburg in feinem Palafte jebt als
er Gefangener bewacht. Kleine Volksbewegungen in Freiburg,
Pe im Mannheim, im Schwarzwalde. Soweit hat ed die Dumme,
F gedankenloſe Nachgiebigkeit gegen die katholiſchen Pfaffen
ſchon gebracht! Das ſind die Folgen der blinden Liebhaberei
8 am katholiſchen Kirchenweſen und an jedem andern! Der
ar Großherzog von Baden folgte nur dem Beifpiel Größerer, die
ihn auch noch jeßt hemmen werden! —
In Köln ift der Redakteur der Kölnifchen Zeitung Herr
Brüggemann wegen Beleidigung des Minifterd von Weftpha-
len zu 25 Thalern Strafe verurtheilt worden. Der Staatd-
anıalt hatte auf zwei Monate Gefängnis angetragen. —
Die neueften Verträge Preußens mit Oefterreich find und
durch Parifer und Londoner Beröffentlihungen jegt zuerft be-
kanntgeworden. Alle Welt fchreit Darüber, daß die Preußen ihre
neuen Stuatöverhältniffe Durch das Ausland erfahren müſſen,
daß die eigne Regierung nicht zuerft damit hervortrat. Alle
6*
84
Welt lieft nun auch deutlich aus dem Wortſchwall heraus, deß
Preußen gegen Rußland ift, in Fällen, die man als [chen ein—
getreten anfehen kann, zum Kriege gegen Rußland fich ver
pflihtet hat, — wie foll man das reimen mit den täglichen
Zärtlichkeiten für Rußland, die man vom Könige, von feinen
Bertrauten und Schranzen, von Gardeoffizieren, von den hie
figen Lakaien Rußlands unter dem Kreuzzeitungsgefchmeit
immerfort hört? Gin Engländer hier hat Faltblütig gefagt
„Der König ift entweder ein Schwächling oder ein Betrüger
tertium non datur !* —
Sonnabend, den 27. Mai 1854.
In Goethe gelefen, in Schiller’d Briefen, im Juvenalis
Das heutige Preupifche Wochenblatt (Bethmann- dolle
ift polizeilich weggenommen worden. — —
Der englifche Geſandte, Lord Bloomfield, hat hier eu
vertrauliche Mittheilung gemacht, welche ein Befremden üb
Bonin’d und Bunfen’d Entlaffung ausdrüdt. Man thı
hier, ald nähme man diefe Anfrage erftaunlich übel! —
Daß die franzöfiiche Flotte im Hafen von Kiel verwei
und in der weiten Umgegend die Sympathieen für ſich aı
ſpricht, macht hier dem Könige auch Unruhe und Verdruß!
Nachdem eben Defterreich Träftig aufgetreten, fcheint
ſchon wieder einzulenfen. Man hegt wieder Mißtrauen m
allen Seiten! Verhandlungen und Ränke find immerft
thätig. Rußland bietet alle Mittel auf, Berwandtichaften, Ge
Berfprechungen; es rechnet auf Zwiefpalt, fucht ihn zu bew
fen, auf Bolföbewegungen ꝛc. —
Was ich gegen Bunfen habe? Weiter nichte, als daß
ein Günftling ift, damit ift alles gefagt! Seine Kenntni'
Talente, Meinungen, alle ftürzt in diefen Strudel und v
— — —
85
ſchwindet in ihm! Er hat immer nur gethan und geſagt, was
der Gunſt entſprach. Daß er dabei in Widerfprüche gerathen
und endlich gefallen ijt, darf doch wahrlich nicht ale Verdienft
gelten! Und wir wollen erjt fehen, ob ed mit der Gunſt fchon
je ganz vorbei ift, ob er felber fchon fo ganz darauf ver-
zichtet! —
Der Prinz von Preußen ſoll in ſchmerzlicher Bitterkeit
geäußert haben: „Mein Bruder bildet ſich viel darauf ein,
daß er im Jahre 1848 feinen Titel „von Gottes Gnaden“ ge-
tetet hat, leider aber giebt feine Regierung jedermann die
; Meberreugung, dag fie für Preußen eine „von Gottes Ungna-
den iſt!“ —
Sonntag, den 28. Mai 1854.
Unruhige Nacht, unterbrochener Schlaf. Mir träumte
bon meiner Schwefter Rofa Maria, fie wollte mich nach Hanı=
burng abholen. Erſt als ich längft erwacht war, fiel mir ein,
Ab heute ihr Geburtätag ift! —
In diefen Tagen foll der Polizeipräfident von Hindeldey
fee gewankt haben; die Kreuzzeitungsparthei fieht längft in
ihm einen Feind, und jet wirft fie ihm vor, die Frechheit der
Drefe gegen Rußland und deren unaufhörliche Angriffe auf
de Kreuzzeitung zu begünftigen. Seine Befchlagnahme des
Preußifchen Wochenblattes wird fie ihm wenig anrechnen.
Kur die Bürgfchaft, die er für die perfönliche Sicherheit
des Rönigd übernommen, und auf die der König feft baut, ift
nicht fo feicht auf einen Nachfolger zu übertragen, und dieſe
Schwierigkeit hält ihn. Beſonders fieht die Königin eine
Menge von Gefahren mit Hindeldey’d Entfernung verbunden.
Die Kreuzzeitungsparthei wird am Ende genöthigt fein, auch
in diefem alle ihre Minen von St. Peterdburg her anzu:
legen, —
—
—E——— —
86
Der König ift nad) Reglingen gefahren und wird aud
Thüringen ſich umfehen. Auf folchen Reifen wird mander
gebraut, da hat man Zeit und Gelegenheit, benupt Ei
drüde ꝛc. —
Der deutſchkatholiſche Prediger Flos aus Magdebı
durfte in Frankfurt a, M. nicht bleiben. — Der Gemei
evangelifcher Ehriften in Königsberg wurde angezeigt, fie dü
ihre fonntäglihen Erbaunngen nicht in den gewöhnlid
Kirchenftunden mehr halten, weil funft die beauffichtigent
Polizeibeamten verhindert würden, felber die Kirche zu |
fuhen! ine beuchlerifche Zärtlichkeit für die rohen Burſe
denen an der Kirche gar nichtd liegt! Das Schifaniren in |
ner höchſten Niederträchtigkeit! Damit glaubt das fchuft
Heuchlervolf einen großen Sieg erfochten, etwas Herrlid
ausgerichtet zu haben! —
Preußens Hauptgebrechen in diefer Zeit üjt dies Firchli
Lügenweſen, diefe dumme Rohheit und hohle Phantafterei!
Die ruſſiſche Diplomatik ift von außerordentlicher Thät
keit. Un allen Höfen wird gearbeitet, PBorjpiegelung
Ränke, Verdächtigungen aller Art find im Gange. Man
mit den Werkzeugen in Berlin und Wien nicht zufried
Meyendorff und Budberg follen abberufen werden, durch 9
tionalruffen erjeßt. —
In Wien hat der Kaifer Nikolai vorftellen laffen, v
denn Defterreicd, dabei gewinne, wenn Rußland befiegt wer!
Serbien, dad er ihm, der angebliche Feind, zugeftehe, we
ihm von den Bundesgenofjen durchaus nicht zugeftant
und die Revolution von denfelben Bundesgenoſſen un
jtügt, drohe ihm von der andern Seite unausgelekt.
dagegen verfpricht, Feine Revolution mehr zu begünitigen,
nachden er Griechenland fchon aufgehept, und ganze Bevö
rungen entzündet! — fich hinter den Pruth zu ziehen, ı
den Fünftigen Gewinn der Moldau und Walachei an die !
87
dingung zu fnüpfen, daß Defterreich Serbien befomme. —
Hier in Berlin, wo man in jedem Kalle nichts befommt,
nicht einmal ein Verſprechen, wäre man mit diefer Wendung
hoch zufrieden! —
„Le gendre de M. Poirier. Comedie par Emile
Augier et Jules Sandeau,“ lujtig zu lefen, gute Szenen
und Reden, aber feine Karaftere. —
Hätte ich einem jungen Ritteraten, der zwar auf fein Ge:
werb angewieſen ijt, aber dabei doch nicht ſich zu übereilen
brauht, einen Rath zu geben, jo wäre e3 der, fich auf den
Theil der Litteratur zu werfen, der jept ganz vernachläffigt ift,
auf die Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts, beſonders
auf die franzöſiſchen Schriftiteller, die jegt niemand mehr bei
und lieſt, beſonders auf Voltaire, aber auch auf alle Schön:
geifter feiner Zeit. Man fände da Schäße der feltenjten Art,
die bei einer gehörigen Umprägung mit dem außerordentlich
fen Erfolge wirken würden. Der vom Gewerb unabhängige
Shriftfteller bedarf feines Nathes, der durchaus abhängige
tann feinen brauchen in der täglich erneuten Hetze. Doch der
Nittelllaffe wüßt’ ich nichts Vortheilhafteres! —
Montag, den 29. Mai 1854.
Rahmittagd kam Frau Bettina von Arnim, Sie brachte
mit die freundlichften Grüße von ihrer Schweiter Meline
ven Quatta, Die mich gern befucht hätte, aber fchon wieder ab-
gereift ift, „fie fonnte e8 bei den Savigny's feinen Tag länger
aushalten, ach Gott! was ift dad mit den Savigny's! die
frankbaftefte Berjtimmung und Rangeweile herrfcht dort, die
zwei alten Mumien find ein Anblid des Jammers und der
Betrübniß; fie wiffen gar nicht mehr wie fie dran jind, mitten
im Reichthum fehlt eö ihnen an allem, der Sohn Leo thut
alles für die Eltern mit größter Hingebung, aber fruchtlos;
2
a un —
88
die Meline konnt’ es nicht aushalten, fie machte, daß fie fort:
kam!“ Darauf fprach Bettina über M., der nun wirklich
wegen feiner auegeftellten Wechjel verklagt if. Ganz flar
find mir die Sachen noch nicht; fie werden es erft durch ge:
richtliche Unterfuhung werden, da muß das Thatſächliche
fi) von den Bermuthungen, Annahmen und Einbildungen
endlich abfcheiden. Bon andern Dingen ſprach Bettina mit
großer Munterfeit; der Duc de Luynes, der jebt bier ift,
und den Fräulein Armgart, von Paris her, fennt, wird fie bes
ſuchen und ihr Goethedentmal fehen. Sie Magt, daß ihr die
Ausführung des Denkmals verfagt fei, fie möchte dafür allge:
meine Unterzeichnung amfprechen, jie hofft noch auf König
Ludwig von Bayern, Zu mir hat fie jept wieder das größte
Zutrauen. —
Gegen den heuchlerifchen und fredhen — Malmene häufen
fich die Zeugniffe in erfchredender Weife. Die Polizei felbft
ift gegen ihn, und er wird entlarut. —
In Defterreich droht eine Umkehr, man ift nicht mehr fo
feindlich gegen Rußland, ftatt in Galizien follen in Stalien
und Vorarlberg Truppen aufgeftellt werden. (Mehr Wunſch
ale Thatſache!) — |
Siliftria wird von den Ruffen hart bedrängt. Engländer
und Franzoſen rüden an den Balfan vor. Athen foll von
den Franzoſen befegt werden, griechifche Kriegsfchiffe von den
Engländern aufgebradht. —
— u — — —
Dienstag, den 30. Mai 1854.
Geſchrieben; zur Aufklärung des Tageszuſtandes; wenn
die Ruſſen unterliegen, kann der Freiheitsfreund ſich nur halb
freuen, wenn er bedenkt, wer die Sieger ſind; und wenn Frans
zojen und Engländer gefchlagen werden, bleibt ihm noch der
Troſt, daß Bonaparte und Aberdeen nicht? anderes verdienen.
89
Für und in Preußen aber bat die Lage der Dinge noch eine
beſondere fcharfe Beziehung: bier fteht alles, was ſchuftiſch,
gwalttbätig, heuchlerifch und gemein und niederträchtig if,
auf ruffiiher Seite, dadurch allein fehon wird jeder Ehren»
mann, jeder freie und edle Geift von felbft auf die Gegenfeite
geftellt. —
Man bemerkt an öffentlichen Orten eine zunehmende Drei:
fafeit unter den Leuten, ein fröhliches keckes Weſen, laute
Anperungen über politiſche Sachen und ‘Berfonen ; die Poli:
ji it darüber beunruhigt und verdoppelt ihre Aufmerf:
ſamkeit. —
Preußiſche Kriegsfchiffe haben zur Erlernung des Dienfted
eine Anzahl Seekadetten in England abgegeben, die auf die
Oſtſeeflotte gefchictt worden find. Der Gedanke, daß fie dort
gegen die Ruffen dienen müffen, hat den König plöplich ver:
mocht, die Seefadetten wieder abrufen zu laffen, nachdem dies
geihehen, hat er fich jedoch befonnen, und fie follen bleiben !
Dan Spricht hier von einer bevorftehenden Zufammenfunft
des Könige mit dem Kaifer von Rußland in Tilfit. Das
mirde einen fchönen Lärm geben! „Warum nicht lieber gleich
einen neuen Frieden von Tilfit? in welchem und Rußland
| oſtwarte, Frankreich weſtwärts pflückt?“ fagt man fchon jekt.
Lom Kriegsfchauplap nicht? Neues. Vermuthungen über
Deiterreichd Abfichten, über die ruffiichen ihm aemachten Bor:
(hläge und Verfprechungen. —
.Waſhington. ine Vorlefung gehalten in Jena von
Dr. E. von Stodmar. Braunfchweig, 1854. 301 ©. in 8.”
douis Bonaparte zieht jegt auch Herrn Thiers zu Rathe,
und der ſchwache Thor läßt ſich darauf ein, ihm mit feinen
Kenntnifien zu dienen, die auch in militairifchen Dingen durch
da8 genaue Studium der Napoleonifchen Feldzüge ſich geltend
machen! —
Zu der Sonntagsbemerfung! Und unfre deutfchen Schrift:
90
jteller des vorigen Jahrhunderts, wie find fie vernachläffigi
Bon Leſſing ift in neueiter Zeit viel die Nede, aber es ift nick
wahr, daß ihn die heutigen Kitteratoren wirklich kennen, daß a
der großen Leſewelt wieder aufgefrifcht worden. Daffelbe gi
von Kant und feinen Schülern, von Windelmann, Klopftoc
Möfer, von Fichte fogar und Voß. In den Litteraturge
ſchichten ſtehen fie, aber fie find nicht mehr in den Händen de
Leſer, faum noch in den Händen derer, die jene Ritteratum
gefchichten — fo elende als zahlreiche — zufammenfchmieren
— Die Franzoſen find hierin anders, fie fennen ihre Schrif
jteller. — Wir find zu ſehr gehetzt, zu ſehr auf den Tag em
picht, zu wenig beifammen; — diefer Grundfehler wiederho
jich überall. Wie wär’ ihm abzuhelfen?? —
— — — —
Mittwoch, den 31. Mai 1854.
Der Erfurter Oberbürgermeiſter von Oldershauſen br
eine Bekanntmachung erlaffen, in der er von den fchmachvolle
Ereigniffen des Jahres 1848 ſpricht, und die eines der ſchmach
vollen Ereigniffe ded Jahres 1854 it! Der König hatte all
Gmpfangöfeierlichfeiten ftreng verboten, der hündelnde Ober
bürgermeifter bat und flehte, der König möchte jie erlauben
diefer aber fand ed zu langwierig, und erlaubte nur, daß dei
Einwohnern gefagt würde, der König habe nicht? mehr geger
fie! Der elende Schädher heißt von Oldershauſen — un
mag jo ferner heißen einjtweilen. —
Der Abgeordnete von Senfft hatte in der Kammer di
hoben Juſtizbeamten genannt und fcharf getadelt, die in
Jahre 1848 den König zur Unterzeichnung Des Jagdgeſetze
vermocht haben. Unter diefen war auch der jekige Ober
landesgerichts-Präfident Nintelen, im Brandenburg: Dlan
teuffel’fhen Minijterium furze Zeit Juftizminifter, feige
Heberläufer. Diejer Erz— wehrt jih nun in den Zeitunge
91
gegen die Anflage, die er in der Hauptſache nicht läugnen
ann, mit den lumpigften Entjchuldigungen! — So bringt er
‚Id doppelt in widrige Erinnerung, den Demofraten und den
Junfern. — Auch der Major Blefion befommt von der Neuen
Preußiſchen Zeitung wiederholte Ruthenſtreiche für fein
ihlehtes Benehmen beim Zeughausſturm. Die Kreuzzeitung
übernimmt das Strafamt für die Demofraten, die jebt es
nicht üben können. — Doch das find nur Kleinigfeiten! —
Das fogenannte Märzfomplott vom vorigen Jahre, wegen
Hochverrath und Theilnahme an Kinkel's Befreiung, foll nun
nähftens zur Verhandlung kommen. Nachdem viele Bes
ihuldigte entlaffen worden, find noch zehn Belaftete in Saft,
unter ihnen der Lehrer Gerde, Dr. Ladendorf, Arzt Dr. Kal:
tenthal, Buchhändler Weidle, Kaufmann Salomon Levy. —
Ftankreich verlangt von Sardinien Hülfötruppen im
Orient. Dagegen fucht der — Louis Bonaparte im Berein
mit Deiterreich das liberale Minifterium in Turin zu flürzen,
und wahrfcheinlich gelingt eg ihm! —
England bearbeitet die Dänen und befonders die Schwer
den zur Theilnahme am Kriege gegen Rußland. —
Im Piräus find 6000 Franzoſen gelandet, bereit in Athen
einzurücken. Der König von Griechenland hat plöglich. nad):
gegeben, feine Minifter entlaffen ꝛc. —
Donnerstag, ben 1. Juni 1854.
Nichts Erhebliches vom Kriegöfchauplage. Die franzd-
ſiſhe Flotte von Kiel abgefegelt, um zur englifchen zu ftoßen.
Eiliftria hält fih noch aegen die Stürme der Ruffen. Der
Lump Gretſch in St. Petersburg fpottet über die Unthätigkeit
der englifchen Flotten; die Nationalzeitung erinnert ihn, daß
die tuſſiſchen gar Hausarreft haben! —
Der Kaifer von Rußland hofft auf Zwietracht unter den
92
MWeftmächten; mit Defterreich, und befonderd mit Preußen
ftehbt er fortwährend in vertraulichen Berhandlungen, e
ichmeichelt beiden fo viel er fann, im Grunde jedoch tft e
wüthend aufgebracht gegen beide, und ſpricht Dies gegen fein
Umgebung auch aus, Man erzählt von ihm — oder leih
ihm — folgendes Wort: „Die zwei größten Narren, vo
denen er je gehört, find Sobiesfi, der Wien von den Türken
befreite, und ich felbit, der ich für Defterreih Ungarn be
fiegte !* —
Nichtd gebt über unfre fanatifchen Weiber hier! Wahr
Megären jind die Offizieräfrauen, Hofdamen und die knech
tifchen Bürger: und Beamtenweiber, die jenen nachſchwatzen
Sie legen jebt fo grimmig gegen die Türken, Engländer un
Franzoſen lo8, wie früher gegen die Demokraten und 184:
gegen den König. Sie erheben die Ruffen und ihren Kaife
in den Himmel. Man muß das nichtewürdige Gefindel feine
Antwort würdigen ; daflelbe ift ganz ungefährlich, denn auße
Ihimpfen fönnen fie nichts, fie find zu dumm und unfähie
um politifche Weiber vorzuftellen. —
Preßprozeſſe gegen ein Keipziger Blatt, gegen eines i
Kaffel. Das Urtheil lautet, da man Verleger und Berfaffe
hier nicht verurtheilen fann, auf Vernichtung der Blätter un
Verbot derjelben. —
Der Erzbifchof von Freiburg, faum verhaftet und verhör
ift fchon wieder auf freiem Fuß! Die elenden feigen Regie
rungen! Die tüdischen Machthaber! — Nur weiter fo! —
Freitag, den 2. Juni 1854.
Diefe Nacht fprach ich im Traume mit dem rufjifche
Kaifer, er hatte mich zu fid einladen laſſen, war überaus arti
und freundlich, aber durchaus unfähig das zu verftehen, wa
ich bemüht war ihm zu fagen ; ich ftellte gar nicht? Aeußerſte
93
auf, nur ſolche Dinge, die einigermaßen zuläffig fehienen,
Ginlentungen in die liberale Richtung des Kaiſers Alexander
— aber alles fruchtlos, nicht weil er nicht wollte, jondern
weil er nicht Ponnte. Auch Adolph von Willifen, den ich fchon
vorfand, und der veranlaßt hatte, daß ich gerufen worden,
fonnte nicht8 ausrichten. Nicht einmal das konnten wir er-
langen, daß der Kaiſer zugeftünde, Louis Bonaparte’d Staate-
reich fei ein — Frevel, eine Mifjethat! Wir fahen, da dad
Shidjal ehernen Fußes feinen Gang fortfhritt! —
Gegen Malmene ift Unterfuchung eingeleitet. Wenn er
auch vor Gericht nicht ganz zu Schanden wird, fo wird er ed
doch vor dem Publikum. Die Ichamlofe Frechheit imponirt
niht, alle Blätter fahren gegen ihn los; er war urfprünglich
Riemer, ift ſchon wegen Verbrechen gegen die Sitten beftraft,
wird als eigennüßiger, hartherziger Lump entlarvt, ala Herum-
lieger in Wirthöhäufern bei Trunk und Spiel. Manteuffel
jelbft wendet fich von ihm ab. —
Brief von Marie von Fouqué, die fich mit liebevoller Er:
innerung alter Zeiten an mich wendet, um Rath und Bermitt-
lung ven mir in litterarifchen Dingen zu erhalten. Gie
wünſcht Schriften, auch wohl politifche, aus dem Englifchen
zu überfegen. — |
Beſuch von Herrn Gottfried Keller, gehaltvolles, aber
nicht flüffiges Geſpräch. Er ift fleißig am vierten Theile
feind „grünen Heinrich“ und denft ftarf an die Abreife. --
Ftau von Treskow bei Qudmilla. Bettina von Arnim bei
mir; fie ift guter Laune, erzählt, fcherzt; große Kobfprüche für
mid und meinen Bülow, fie hat dad Buch in der legten Nacht
durhgelefen, findet es mein befted, alle Offiziere lobten es ıc.
So ſchmeichelhaft es für mich ift, fo fehwer ift ed mir doch an-
zuhören. Was für ein Geficht dazu machen? —
Die Bamberger Konferenz der deutfchen Könige erklärt
ihten Beitritt zum djterreichifch-preußifchen Vertrage unter
94
drei Bedingungen, daß ihre Souverainetät auf’d neue gewähr
leiftet, ihnen beim fünftigen Friedensſchluſſe Mitwirfung zus
geftanden, und das Verdienft Rußlands um die nationale
Entwidelung Deutfchlande anerkannt würde! Das Leptere,
falle es wirflih To lautet, iſt die größte Albernheit und
zugleich Beleidigung und Schmach für Deutichland. Der
ſächſiſche Staatsminiſter Freiherr von Beuft foll den Wiſch
verfaßt haben. Deutfihland lernt nad und nad alle feine
Halunfen auf der hellbeleuchteten Staatsbühne fennen. An
der nationalen Entwidlung Deutichlands, wie fie jetzt vor«
liegt, bat gewiß niemand größern Antheil al& der alte Kaiſer
Napoleon, der das heilige römische Reich zeritörte, die Fleinen
Fürſten mediatifirte, den Rheinbund ale Vorbild des deutfchen
Bundes ftiftete ꝛc. ꝛc. — j
Alle Bewegung ringt zur Freiheit, geſchieht in ihrem
Dienft. Der Despotismus ift Ruhe; fängt er an ſich zu
regen, feine Erftarrung zu verlafien, fo iſt er verloren! Laßt
nur die Ruffen fommen! Sie werden ala gefchlagene beim:
fehren, aber die Saaten der Freiheit mitnehmen, oder als
liegende fi und verbrüdern, und zuleßt mit und ihr und
unfer och zertrümmern. — Wie die Sachen jetzt ftehen, halt’
ich das preußifche Heer allein ſchon fähig, aller ruffifchen
Heeresmacht die Spike zu bieten, vorauägefeßt, daß nicht Hof:
einfluß ihm lähmend beigegeben wird. Unter diefem halt’ ich
feine Niederlage für gewiß! —
Sonnabend, ben 3. Juni 1854.
Frühmorgens ein Billet von der Frau Generalin von
Tettenborn, die eben aus St. Peter&burg eingetroffen ift.
Sie will mich befuchen,, ich komm' ihr aber zuvor; um halb
zehn Uhr in ihrem Gaſthof, wo ich ſchon Herrn von Meyſen—
bug bei ihr finde, — der Legationsſekretair bei Tettenborn in
95
Bien war. Herzliche Grüße von der Gräfin von Bludoff,
deren Aufgeregtheit auf3 höchite geftiegen ift, fo daß man
| fum noch mit ihr fprechen kann! Sie liebt mich dabei fehr,
wie fie fagt, und mich wolle fie befehren,, das habe fie fich zur
Aufgabe geftellt! Der junge Tettenborn ift in St. Peterd-
burg, die Großfürftin Helene gleichfalle. Die Generalin ers
‚zählt auch von der in St. Peteröburg herrfchenden Begeifte-
| tung, von den Opfern und Anerbietungen der Reichen und
Armen; ed find aber diefelben wenigen Beifpiele, die in den
rujiühen und deutſchen ruſſiſch gejinnten Blättern bis zum
Ueberdruß wiederholt find, und hinter denen fich eine ent:
. gegengefehte Stinnmung fehr wohl verbergen fann. „Die fom-
menden Tage werden das Wahre zeigen!" —
Machmittags Beſuch von Frau von Tettenborn und ihrer
‚ Reilegefährtin, Frau von Vohnftedt. Letztere eine eifrige Le—
ſetin und Berehrerin von Rahel. Hunderterlei Nachrichten
1 über Berfonen und Berhältniffe aller Art. Etwas ruſſiſche
Faͤthung fhimmert überall Durch ; natürlich haben fie fich alles
weiß machen laffen, was man in St. Peteröburg den Leuten
| wei machen will! Daß der Kaifer alle Anftrengungen macht,
um dad Volk zu fanatifiren, zugleich alles aufbietet, um diplo-
nmatiſch im Bortheil zu fein, daß er um alles in der Welt
deflerreih vom Kriege abhalten möchte, daß er mit dem Kö—
‚ Age von Preußen äußerft unzufrieden fei, und ihn fünftig
einmal ftrafen werde 2. Die Damen aßen um 5 Uhr bei
, meinem Wandnachbar Meyfenbug zu Mittag. —
* Der Kurfürft von Heffen und fein würdiger Minifter
Haſſenpflug hatten die Mitglieder der aufgelöften heſſiſchen
: Ständeverfammlung fänmtlich der Steuerverweigerung,, des
Hochvertaths 2c. anlagen laffen. Das Kriminalgericht zu
Kaſſel hat nach langer Berathung die Anklage für unzuläffig
s erklärt und abaewiefen. Sie zu verſuchen war jchon Ber:
brechen und Schande genug! —
96
Der Reaktion ift ed nun gelungen, auch den legten T
deutfchen Minifter vom Jahr 1848 aus dem Amte
drängen. Der Minijter von Wydenbrugf in Weimar hat d
Abfchied befommen. —
Siliftria hält fih noch. Die Ruffen leiden in fleiner
Gefechten und durd Krankheiten große Verluſte. Die Ne
Preupifche Zeitung wird immer pöbelhafter und nichtewü
diger, Herr Goedfche überflügelt die Herren Wagener, vı
Gerlah ꝛc. —
Pfingftfonntag, den 4. Juni 1854.
Ueber: die Kriegdbegeiiterung in Rußland. Sie ift thei
die aus der Volksſtimmung natürlich entjpringende, denn i
Allgemeinen find die Völker ftetd willig zu frifher Bewegu
— wie war es bei und 1850 ald ein dummer Krieg geg
Defterreich in Ausficht ftand? theils aber auch, und aute:
theile, die Folge der Pneihtifchen Verhältniffe, die eine fchei
bare Freiwilligkeit gebieten, befonderd bei den Großen u
Neichen, die dem Kaifer bemerkbar find, und ihren Eifer zeig:
müffen —
Hoffmann von Falleröleben und Oskar Schade find nı
wirklich in Weimar angefiedelt, und follen eine neue Litter
turzeitung begründen, wozu der Großherzog ihnen — aı
dem Goethe-Fond — jährlich taufend Thaler giebt. Bettin:
it ihre Werk alfo geglückt. — Die Neue Preußiſche Zeitu
Iprigt auch fchon ihr Gift auf den armen Hoffmann, u
macht den Großherzog ängitlih! —
97
Montag, den 5. Juni 1864.
Am 5. Juni 1799 ftarb in Hamburg mein theurer ge⸗
liebtee Bater. ch lerne täglich mehr einfehen, weld, ein vor:
treffliher Mann er geweien, wie ftarf und fchwer er fid
durhgefämpft. Wie früh hab’ ich ihn verloren! Er würde
an feinen Kindern Freude erlebt haben; er hat im Sterben
den Trojt gehabt, ed vorauszufegen. —
Gefchrieben; über die Rohheit der öffentlichen Kriege:
urtheile; unfre fchlechten Zeitungen, die Neue Preußifche Zei-
tung, die Wehrzeitung, überbieten alles Gemeinite und Nie:
drigite, was uns ehemals an den franzöfifchen, an Napoleon’s
Bulletins und Zeitungsartifeln fo jehr empörte, und was wir
damald für einzig hielten! —
Bettina fam wieder, ald wir beim Mittageffen waren.
Neue Lobſprüche über mein Bülow-Buch. Sie fagt, es fei viel
wahrhaft Mufifalifched darin, fo viel glüdliche Gruppirung
de Einzelnen und dann Zufammenfaffung zum Ganzen. —
Klagen über M. und den Juſtizrath Caspar; große Ver:
luſte werden nicht abzuwenden fein! Bettina jagt, fie fei diefer
Lage ganz bin gewefen, ganz erfchöpft von Verdruß und Arbeit
und Störung. Daß ihr die Frau von Tettenborn entgangen
if, beflagt jie ungemein, fie hätte fie gern gefprochen; Frank—
furter Berwandtfchaft ꝛc. —
— — — — —
Dienstag, den 6. Juni 1854.
Louis Bonaparte hat in Deutfchland einen Xobredner ge
Funden: Wolfgang Menzel! Der giftige Wurm, der bisher alle
edeliten und beften Männer des Vaterlandes begeiferte, ift
ganz dazu gemacht jenen zu preifen! —
Die Defterreicher find von der Pforte ermächtigt, in Albani-
nien und Montenegro einzurüden, wenn dort Aufftände aus-
Barnpagen von Enfe, Tagebüder. XI. 7
98
brechen ; aber jeßt grade ift dort alled ruhig. Ob fie nun doc
einrüden? —
Der Prinz und die Prinzeffin von Preußen fommen heu
hier an, um morgen den Todestag des verftorbenen König
mitzufeiern. Die Prinzefjin hat in Baden geäußert, die Rei
nach Berlin rege fie fieberhaft auf, es fei ihr ein Gräuel bi
am Hofe zu erfcheinen, in diefem Nefte chlechter Gefinnungen
elender Schwanfungen, unvernünftiger Einfälle, und friecher
der wie hoffährtiger Heuchelei; fie werde glüdlich fein, diefe
Kreid unbefchädigt wieder zu verlaffen! —
Im Plutarchos gelefen, im Baco. Letzteren fann ic
eigentlich nicht leiden, doch war er ein außerordentlicher Geiſ
der in vielen Dingen feinen Zeitgenofjen weit voraus war; «
hat die Bereitung fünftlicher Mineralwaffer zur Aufgabe ge
ftellt, den Werth der vergleichenden Anatomie eingefehen, zw:
Stüde, die erft in unferer Zeit zur vollitändigen Ausführun
gefonmen. Ueber Platon und Ariſtoteles urtheilt er jet
herbe, offenbar wie jemand, der beide nicht durch gründliche
eigned Studium fennt. —
Es ift ein gewaltiger Unterfchied, den Wechfel der Zı
ftände und Berhältniffe blos aus Geſchichtsbüchern kennen z
lernen, oder denfelben zu erleben! Jenes bleibt eine todi
Kenntniß ohne Anfchauung, daher auch aus der Gefchichte
funde gewöhnlich für das eigne Leben nicht gelernt wird. Di
Anfchauung aber, das Miterleben, febt in Geiſt und Gemüt
wahre Ergebniffe ab, anwendbar und brauchbar für dag eign
Handeln. Nur empfangen wir fie gewöhnlich zu ſpä—
wenn ed mit dem Gebraudy fchon vorüber if. Aus di
bloßen Ueberlieferung die Anfchauung zu gewinnen, ift wı
nigen Menfchen gegeben; ich darf mich diefer Gabe rühmen
mir ift viele Bergangenheit, die weit vor meinem Leben lieg
verftändlich und vertraut, al® wäre fie Gegenwart. Das i
meine ganze Gefchichtefunde! —
99
Mittwoch, den 7. Juni 1854.
Heute, am Sterbetage des vorigen Königs, find alle Theater
gefhloffen, auch Die Nicht-Königlichen; die Feier ift, wie die
Aeußerlichkeiten alle, ftrenger geworden. Die Schaufpieler
aber, des freien Tages froh, haben fich zu einer Luftfahrt auf's
Land vereinigt, wobei es luftig genug hergeben wird, troß des
Ihlehten Wetters. Den König ſah man Vormittags in die
Stadt fahren, unter den Linden waren viele Leute, es fiel un:
angenehm auf, daß man den König, der dieſen Tag ale
Irauertag anfehen heißt, in Scherz und Luftigfeit ſich mit
einem Wagengefährten (Prinz oder Adjutant ?) eifrig unters
halten, heftig geftituliren fah und laut lachen hörte: „Ein
Gewieher.“ Heine. —
Bute Nachrichten von der Donau: fiegreiche Gefechte der
Sürfen ; Siliftria behauptet; Defterreich macht Ernjt. In der
Oſtſee die Weftmächte Meifter; die Engländer zerftören ruf-
fihe Schanzen auf der finnifchen Küfte, holen abermals
Schiffe aus Riga ꝛc. —
Donnerstag, ben 8. Juni 1854.
Nachmittags Befuch von Herren Erepet. Er war bei Bet:
tina von. Arnim und ift fehr mit der ihm gewordenen Auf—
nahme zufrieden; fie war natürlich, einfach, wohlwollend,
mittheilend, erzählte, zeigte ihm ihre Zeichnungen; die Töchter
kamen nicht zum Vorſchein. Grepet denkt entfchieden an
baldige Abreiſe, will aber beftimmt zum Winter wieders
kommen, —
Nachtichten aus Moskau. Die Stimmung dort ift nicht
für den Krieg, alles leidet von den Truppenaushebungen, von
der Berfchlechterung ded Papiergelded, von der Handels:
Nodung, Der Aufruf an die gedienten Soldaten, wieder in
Dienſt zu treten, hatte zuerft gar feinen Erfolg, es bedurfte
*
ae 7
100
verfchärfter Mahnung, zuleßt des entichiedenen Zwanges. Di
Geldopfer find auch großentheile erzwungen, die Leute fünneı
nicht anders; Leute wie Demidoff und Jakowleff bringen fi
aud Eitelfeit. Nur das unterjte Volk und die wirflice
Truppen find in Hitze gebracht, die fich aber auf dem Kriegs
ihauplag bald abfühlt, und im Innern große Erwartungen
aufitellt,, die nicht getäufcht werden wollen. Die ungeheuern
Berlufte an Menſchen, welche Rußland fchon erlitten bat, jin.
befannt und maden tiefen Eindrud, Die Truppen werde
zu Taufenden dem fichern Tod entgegengetrieben, die Genera
bieten alle& auf, den Befehlen des Kaiſers zu genügen; d-
jeßt vergebend. Die Hofberichte finden wenig Glauben. —
Der König ift heute früh mit dem Miniiterpräjidenten v
Manteuffel und dem Generaladjutanten von Gerlach zu eir
Zufammenfunft mit dem Kaifer von Defterreich nach Tetſch
abgereift; Iegterer bringt feinen Minifter, Grafen von Bu
mit. Zwei Monarchen! zwei Minifter! —
Die Neue Preußifche Zeitung vertheidigt die Mittelita
ten, deren Beauftragte in Bamberg verfammelt waren,
ihrem Widerftande gegen Preußen und Dejterreich, diefe Tolle
jett im Bunde nicht das entfcheidende Wort führen. Da
ließe fich allenfalls hören, nur die Kreuzzeitung darf es nid
fagen, die früher mit frehem Hohn jeden ſolchen Selbititän
digfeitöverfudy verwarf amd verjpottete. Die preußiſche
Ruſſen greifen aber zu allem, was für Rußland im Au
genblicke dienlich jcheint, das eigentlihe Vaterland iſt ihne
nichtd, oder vielmehr fie haben keines, ubi knute it
patria heißt es bei ihnen. Und dabei find fie im dümmſte
Irrthum, daß fie als Ruſſen ihr Junkerthum gedeihe
ſehen würden, die ruſſiſche Regierung iſt demſelben gar
feindlich! —
Der Erzbiſchof von Freiburg giebt endlich etwas nach, d
101
badiihe Regierung auch, — fo fucht man den alten ftinfenden
Drei zu erhalten und gießt laues Waffer hinzu! —
Freitag, den 9. Juni 1854.
Nachrichten aus Rußland; die Anftrengungen find fehr
groß, aber man ijt auch ſchon beforgt, daß fie ſich bald er-
ſchöpfen, nicht nur der Eifer, fondern auch das Geld, die
Sasen, fogar die Menfchen ; es foll unendlich ſchwer fein, aus
der wenn auch jechzig Millionen betragenden, doc) zerftreuten, -
überall dünnen Bevölkerung die nöthigen Soldaten zu fchaf-
fen, die denn doch wieder in der Kriegführung felbft mit grau-
famer Berfchwendung aufgeopfert werden, fowohl dem feind:
lichen Feuer, ald dem Mangel und der Bernachläffigung. Der
Kaiſer ift mit allen feinen Generalen unzufrieden , fie find es
natürlich auch mit ihm. Das in's Ungeheure vermehrte ruf:
\ifche Papiergeld erregt große Befürchtungen und Zurüdhal-
tung. —
Herr Dr. Hermann Frand beſuchte mich Nachmittags; er
ſprach ſehr geiftvoll und bezeichnend über Schelling, dem er
volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, mit höchfter Achtung von
Fichte, mit ehrerbietigfter Bervunderung von Kant, dem er
doeh vor allen Andern den Preis zuerfannte, fowohl der
größten Begabung ald auch der größten Wirkung. Bon Hegel
befannte er mit Trauer und Scham, daß wir von ihm in den
Steigniffen von 1848 wenig Freude und Ehre würden gehabt
haben, Schöne Geſchichten vom Mathematifer Jacobi, von
Gans, von Piron. — Plöplich that fich die Thüre auf, Bettina
von Amim jtredte den Kopf herein, rief: „ Adieu, Barnhagen!
mahte die Thüre wieder zu und verfchwand. Ich eilte ihr
nach, fie war aber nicht weggegangen, fondern in die hinteren
Zimmer, erft an der Küche konnt’ ich fie erreichen und auf
102
halten, do nun war fie durch Fein Zureden zu bewegen, be —
mir einzutreten; fie fagte, fie habe durchaus feine Zeit, borgt
fih zehn Silbergroſchen, und eilte fort. Sie weiß, ri
Franck ihr größter Verehrer ift, wenn fie ihn aber doch nich
jehen wollte, warum ging jie nicht ftill wieder fort, ſonder
meldete fi fo herausfordernd ? ch weiß recht gut, ein tiefe
Zartgefühl in ihr ſchämt fih, Xob und Bewunderung vor —
Zeugen auf’fich zu nehmen, und doch liebt fie den Reiz dee S
Spielens mit folchen Verhältniffen. Doch beides ziemt ihr nicht —
recht mehr, und ſteht ihr nicht gut, und für Andre iſt dad Be-
. nehmen verdrieplih. Franck fand fich allerdings etwas ver-
legt, ging aber leicht darüber hin, und fuhr in feinen Erzäh—
lungen fort. —
Heute find in der Mauerftrape die Röhren zur neuen
Wafferleitung gelegt worden, meift durch englische Arbeiter. —
Für Bunfen’d Abberufung giebt man jept noch einen be
fondern Grund an. Es heißt, der Polizeidireftor Stieber
babe ihn geftürzt! Diefer fei von ihm in London nit ehrens
voll genug behandelt worden, habe fich beklagt, dag er in
feinen Aufträgen gegen die Flüchtlinge von dem Gefandten
feine Unterftügung gehabt, dag derjelbe die Spipbuben wohl
gar begünftigt habe! Dies foll auf den König Eindrud ge:
macht haben; — doch gewiß nur durch gute Nahhülfe von
Seiten der Gerlach's ıc. So gemein und unwürdig das Flingt,
e8 kann fehr wohl wahr fein! —
Sonnabend, ben 10. Juni 1854.
Früh aufgeftanden und gefchrieben. — Nach 10 Uhr fchon
fam Frau Bettina von Arnim, fehr erfchöpft und übel aus:
fehend, wie fie fagte — fie hielt die Hand vor’s Geſicht —,
wurde aber bald munter, und brachte ihre ärgerlichen Klagen
mit fräftiger Krifche vor. Ihr Gefchäftsführer hat ihr einen
103
wirklich tüdifchen Streich gefpielt, und fie einen Wechſel
unterfchreiben laffen, den er bezahlen follte, fie nun aber für
ihn bezahlen mußte. Der Juſtizrath Caspar nimmt ihre
Sache fehr lau, und überaus wandelbar, jest räth er ihr wie-
der, den gerichtlihen Weg gegen M. nicht einzufchlagen.
Freilich macht auch Bettina ihrerſeits ihm das Leben fauer,
und er klagt, daß fie ihn, nie zu völliger Klarheit gelangen
laffe, und namentlich die nöthigen Beweisſtücke nicht beis
bringe! Soviel ift gewiß, daß ** die für ihre Bücher cin-
gelaufenen Gelder theilweife für feine Zwecke verwendet hat,
den Ausfall nicht deden kann, und fie wegen Zahlung verklagt
iſt! — Don geftern ſprach Bettina fein Wort! — Wir fprachen
nachher noch vieles durch, auch die Sache des Dr. Alerander
Jung, deſſen Brief fie fhonungslos zerfnitterte. Sie ging,
ſich weiteren juriftifhen Rath einzuholen, wußte aber weder
Namen noch Wohnung ded Mannes, den fie im Sinn
bitte! —
In der Jägerftraße bei Sachfe befahen wir die am Fenſter
aus geſtellten Bilder, eine Anficht von Berlin war nicht ganz
deutlih, wir fprachen zweifelnd darüber, da gab ung ein
junger Handwerfölehrburfche, der in fchlechteftem Arbeitsan-
juge dicht neben und ſtand, unaufgefordert gute Auskunft,
freimüthig und zugleich befcheiden, aus klarer Unbefangenbeit
heraus; auch hatte er ein ganz gutes, nicht gemeines Geficht.
Das freute ung fehr, als ein Zeichen jeßiger Volksart, Sitte
und Bildung. Der Junge wollte gar nichts vorftellen, nicht
einmal einen Grflärer, e8 war ald ob er und gar nicht merfte,
nur unfre Zweifel. —
Das politische Wochenblatt war angeflagt, den Minifter:
präfidenten von Manteuffel beleidigt zu haben. Das Stadt:
gericht hat die Klage ald unbegründet abgewiefen. Inzwiſchen
iſt Herr von Jasmund von der Redaktion zurüdgetreten,
Her Fürftenhaupt hat fie übernommen. —
104
Nachricht aus Wien, daß das ruffifche Hauptauartier von
Bukareſt nach Jaſſy zurückverlegt wird. —
Sonntag, den 11. Juni 1854.
Unter den Linden große Erleuchtung wegen der Feier der
ſilbernen Hochzeit des Prinzen von Preußen. Die Gafthöfe
zeichnen fich aus, die Hoffieferanten, der rufjifche Gefandte.
Am präctigften war der Gafthof zur Stadt Rom. In an-
deren Straßen nur einzelne Häufer oder Stodwerfe. In der
Mauerftraße alles dunkel. Der Prinz von Baden und der
badifche Gefandte hatten fein Licht. Selbit der -Tupezier
Kuntz war diesmal befcheiden.
Der König ift aus Tetſchen zurüd, Man erzählt die fon-
derbarften Dinge von dort. Der König foll ſich auf das aben—
theuerlichite betragen haben, der Kaifer und die Kaiferin dars
über höchit erjtaunt gewefen fein. Die tolliten Poſſen und
der tollite Schwulft! Indeß haben die beiderfeitigen Minifter
ihre Gefchäfte jo ziemlich abgethan, nicht zur Zufriedenheit
gewiffer Leute! --. Diefe Nachrichten fommen aus einer
Quelle, die den Generaladjutanten von Gerlach ale Erzähler
vermuthen laffen. Der kann offenbar mit dem jegigen Gang
der Dinge nicht zufrieden fein, und am wenigften mit dem Kö-
nige felbft, den er ruffisch gefinnt weiß und Doch gegen Ruß-
land fortgeriffen fieht. —
Warum ich nur fo fporadifch lefe, nicht methodifch, in
ordentlicher Folge? Heine fagte ſchon früh: „Sch lebe nur
zum Bergnügen!“ Darf ich im ſiebzigſten Fahr nicht „nur
zum Vergnügen“ lefen? —
Warum iſt dad Alter gewöhnlich jo mißmuthig? Weil
allem Leben ſo vieler Schein, der ſein Schmuck war, abfällt,
auch der eigne Schein, der uns begleitet, und ohne den das
Weſen, das doch die Hauptſache iſt, für und weniger ver⸗
105
ftändlich und ſchwerer darftellbar wird. Bon diefer Seite
bleibt das Alter, dem doc font die größten Befriedigungen
gewährt find, den meiften Menfchen unbefriedigend. —
Montag, den 12. Juni 1854.
Viel war von Bettinen die Rede, zum Theil tadelnd, zum
‚ Theil lobend, faft immer aber unrichtig; fie fehen nur das
Einzelne, nicht den Zuſammenhang, und glauben diefen Reich-
thum mit dem gewöhnlichften Maßſtabe meffen zu dürfen. Ein
Urtheil von Herrn Dr. Hermann Frand, das diefer zu Erepet
| gejagt hatte, daß nämlich Bettina in Berlin nicht an ihrem
Orte geweſen fei, daß fie anderwärts beffer gedichen wäre, zu
höherer Reife gelangt fein würde, muß ic) ganz und gar bes
| flreiten. Gin glüdlicherer Ort ale Berlin konnte für jie nicht
| gefunden werden, Berlin war das günftigfte Fußgeſtell für
ihre Erſcheinung, in anderer Atmofphäre ale der hiefigen
würde fie bald erfticdt, oder nur eine gewöhnliche Frau ge⸗
| wefen jein. ch möchte fügen, Friedrich der Große hat erft
| den Boden geſchaffen, auf dem foldhe Freiheit und Eigenheit,
| wie fie in Rahel und Bettina ſich zeigen, ihre volle Entwides
; lung finden konnten. Für Rahel freilih blieb noch manches
| zurüd, ihr hätte andere Stellung gebührt. —
| Man ſuchte den König auszuforjchen, welches Maß von
Huldigungen für den Prinzen und die Brinzeffin von Preußen
ibm wohl genchm fei; er ſprach das Wort aus: „Was man
F meinem Bruder thut, das thut man mir!" Da war jede Be
eiferung denn äußerlich berechtigt, innerlich aber wird eine zu
große Doch übelgenommen, meint man, beſonders joll Die Kö—
nigin große Eiferfuht hegen. — “Der Minifterpräfident von
Manteuffel hat erft ſpät durch den Telegraphen angeordnet,
Em jein Miniſterhotel feſtlich erleuchtet werden folle. Er
iſt mit dem Prinzen mehr einveritanden, ald mit dem König;
106
eben deßhalb wollte er fich zurüdhalten, und nichts Uebriges
tbun. —
Die Anleihe von dreißig Millionen Thaler wird mit dem
Haufe Rothſchild hier unterhandelt. —
In Magdeburg wird die freie Gemeinde mit frecher Bil:
für und ſchnöder Gewaltlift ald Handwerkerverein behandelt!
Die nichtswürdigen Pladereien dauern unaufhörlich fort. Die
Heuchelei befiehlt, die Augendienerei gehorcht eifrigit. —
Preußen ein Militairjtaat? Ein Pfaffen- und Schranzen⸗
ftaat! Aber, aber — ed lebt auch noch Andres in ihm! Gott⸗
lob! — Ä
Der Prediger der hiefigen freien Gemeinde Herr Hofmann
wollte eine Borlefung über die Gefchichte Der Waldenfer gegen
geringes Eintrittögeld halten; die Polizei erflärte, Borle
fungen für Geld müßten eine befondere Erlaubniß haben; er
wollte fie nun umfonft halten, und die Polizei wußte keinen “
Einwand, ale aber die Zuhörer ſchon verfammelt waren, löfle _-
der beauffichtigende Konftabler die Verſammlung auf, ohne:
einen Grund anzugeben. Die nicht gehaltene Borlefung if’
nun im Drud erfchienen. — Die Waldenfer waren eine freie.
Gemeinde jener alten Zeit; der König von Preußen beicüpt
noch heute deren Nachkommen in Piemont ; die heutigen Wals
denfer verfolat er! —
Dienstag, den 13. Juni 1854. |
Sch hatte es heute ſehr mit der Goethelitteratur zu thun,
fand viel aufzuräumen, Bergeflened wieder in's Gedächtniß zu:
rufen. Das Bedürfniß, Goethe's Briefe in Einen Körper ge:
ſammelt zu fehen, wird immer fühlbarer. Welche Scaßs,
fammer von Lebendweisheit und Lebensreizen, Gefühlen und
Geſtalten! — |
Nachrichten aus St. Petersburg. Der Kaifer Nikolai‘
107
wüthet, ſtößt VBerwünfchungen gegen die Monarchen von
Derterreih und Preußen aus, droht an beiden feine Rache zu
nehmen. Er will Rußland ganz fanatifiren, alles ſoll zu den
Baffen greifen, die Koſaken follen ihre Pferde wieder in der
Seine tränken, Preußen foll nur als ruſſiſcher Vaſall fortbe-
Reben 2c. Es beftätigt ſich au, daß Mehendorff in Un-
‚ gnade ift, der Kaiſer nennt ihn einen eitlen Geden, der jich
anaebildet babe Deiterreich zu lenken! Es jollen ächte Rufen
amdie Stelle der Deutichruffen kommen; da wird die ruffifche
; Diplomatif und Heerführung fchlecht genug fahren! —
Der Fürſt Paskewitſch ift Schwer erkrankt. Siliftria hält
ſich. Franzoſen und Engländer rüden nah Schumla vor.
Oefſterreich rüftet Präftig.und eilig. Die englifch-franzöfifche
glotte in der Oſtſee fährt hin und her, nimmt Schiffe, beob-
achtet die Häfen und Küften. — | |
Der König ift nach Preußen gereift. Daß er in Zilfit
oder font wo eine Zufammentunft mit dem Kaifer von Ruß⸗
| land haben werde, wird ausdrüdlich verneint. — Der Prinz
' von Preußen auch nad Königöberg, Truppen zu bejichtigen. —
Mittwod, den 14. Juni 1854.
Ludmilla fam von Fräulein Neander zurüd, die fehr franf,
und von den Xerzten aufgegeben ift! ch ſah fie nicht, doch
aeht ihr Berluft mir ſehr nahe, auch Yudmilfa wird untröftlich
fein! Die Kranke hat geftern etwas irre geredet, zwifchen ganz
hellen Augenbliden ; fie fragte nach ihrem Bruder: „Wo ift
denn Auguft? warum ſeh' ih ihn nicht?“ Man fuchte ihr
begreiflich zu machen, daß er längft nicht mehr lebe. „Was?
fo viele Jahre ſollt' ich ohme ihn gelebt haben? das ift gar
nicht möglih! ganz vor kurzem hab’ ich ihn ja noch ges’
ſprochen!“ In diefem Wahn offenbart fich ihr Innerſtes, das
Leben ohne ihren Bruder war feines, es ſchränkte fich im Be⸗
108
wußtfein auf eine Spanne Zeit ein. Sie hatte es ſchon
immer fo gefühlt, auch gefagt; bei ihrer fonftigen Heiterkeit
und Frifche wollte man ed nicht glauben! —
Der vielfach verfolgte, zum Auswandern gedrängte Pre
diger Wander aus Schlefien ift im Staat Ohio am 6. April
geftorben, furz nach Antritt ſeines Predigtamtes bei einer
dortigen freien Gemeinde. —
Heute ift bier endlich die Malmene’fche Anabenanitalt ge
ichloffen und Malmene felbit verhaftet worden. Der Staat®
anwalt Nörner und der Polizeidireftor Stieber führten &
gemeinfam aud. —
So weit erfennt doch der König die Verfaſſung an, daher
jich darein fügt, für feine Kabinetöbefehle ſtets die Unterfchrift
eines Minifterd zu verlangen ; nur im Kriegsweſen und in den
auswärtigen Angelegenheiten verfügt er biöweilen ohne die
Minifter deßhalb anzugehen. Bei manchen Gelegenheiten bat
er auch ſchon im Kabinet audgefertigte Befehle durch Illaire
oder Niebuhr den betreffenden Miniftern zugefandt, mit der
Weifung, fo lange dort zu bleiben, bie der Minifter unter
fchrieben habe. Da machen diefe denn freilich feine großen
Umftände! —
— — —— —
Mitte Juni 1854.
Vor kurzem war Dr. Walesrode aus Königsberg hier. Et
kam mit einem ordentlichen Paſſe, der nach Hamburg und
England ausgeſtellt war. Er bemerkte, daß ihm hier überall
ein Konftabler folgte, und ihn genau beobachtete, was er that
mit wem er verkehrte; auch in feiner Wohnung gefchahen po
lizeiliche Nachfragen. Er war daher fehr vorfichtig, und ver
mied manche Leute lieber, um fie nicht bloazuftellen ; auch wa
ihm unter diefen Umjtänden der Aufenthalt nicht angenehm
und nad fünf Tagen betrieb er feine Weiterreife. Sein be
10
zei aufbewahrter Pag wurde ihm wiedergegeben, er
den Hamburger Bahnhof und nahm fein Fahrbillet.
ihn ein Polizeimenn an, fagte, er folle fein Auffehen
und ihm ftill folgen, feine Sachen müßten unterfucht
Er folgte ohne Widerrede. Dian führte ihn in ein
nes Zimmer, das von Soldaten bewacht war, und
te fein. Gepäd, alles auf's genaufte, die Zeitungs⸗
worin feine Stiefeln eingewidelt waren, beſah man
ıd behielt fie, deßgleichen einige Briefe von unnam-
erfonen. Nachdem dieſes alles gefchehen war, fagte
1: „Mein Herr, wir haben Befehl, Sie auch am Leibe
ſuchen!“ Er widerjprach nicht, und mußte fi nun
ziehen, Kleider und Wäſche wurden auf's genaufte
Man fand nichts, und war fichtlich ungehalten
Fruchtloſigkeit des Bemühens. Ich muß noch nad:
dag man ein altes Exemplar feiner „ Unterthänigen
and, und dies wegnahm; ferner machte ein Miniatur:
Bed Vedenken, dad den Abbe Sieyes vorftellte, —
de hatte dafjelbe von dem einftigen Mainzer Klubbiften
geichenft erhalten, — und in weldhem man den
ann Jacoby erkennen wollte; auf die Berficherung, es
Jacoby (und wenn er’d nun gewejen wäre??!),
in eifrig, wer eö denn fei, worauf Walesrode endlich
te, es ftelle einen franzöfiichen Geiftlichen vor, deſſen
fie wahrjcheinlich nie gehört hätten; nad langem
und Weberlegen ließ man ihm das Bild. All dieſes
hrere Stunden gedauert, der Bahnzug war längit
ls man den PVerhafteten nun entlaffen wollte, fagte
t fein Billet bereite bezahlt aber den Zug auf den es
fäumt habe; er glaube verlangen zu fünnen, daß die
die ihn an der Fahrt verhindert habe, ihm das Billet
nächfte umſtempeln laſſe. Dazu ließ fie fich bereit
as Billet wurde umgeftempelt, Walesrode jedoch blieb
110 _
unter Auffiht, und durfte bis zur wirflichen Abfahrt mit nie-
mand fprechen. —
Was iit das für ein Verfahren ? wie foll man es nennen?
— Sie find in Noth wegen ihres Märzfomplottd, fie möchten
gern was finden, und hofften in Walesrode einen geheimen
Sendboten der deutſchen Demofraten an die Flüchtlinge in
England ertappt zu haben; fie dachten Aufträge der Könige
berger und Berliner bei ihm zu finden, und ließen ihn vorher
unangefochten, um ihn ficher zu machen, und im legten Augen:
blide zu faffen. —
Sein Freund, der Referendarius Meyerowicz, war zum
Abſchied auf den Bahnhof gefommen, und einen Augenblid,
bloß weil er lebhaft fragte, was denn geſchehe, mitverbaftet. —
Während Meyerowicz in Haft war, hielt man bei ihm Hause
ſuchung. — |
Donnerstag, den 15. Juni 1854.
Früh aufgeitanden und gefchrieben. Die Bamberger Br
rathungen! Schredlid, daß alles was in Deutichland zum
Guten gefchehen fönnte und follte, nur dann möglich und wirk-
lih wird, wenn ed zum Schlechten dient. Ein Berein deub
ſcher Regierungen gegen die Großmächte des Bundes, zur
Wahrung des Rechtes, der Freiheit, zur förderung der Bun—
deöfraft und Bundesehre — unmöglich! Aber im Sinn und
zu Gunften Rußlands, das geht, und man wagt cö nicht ſie zu
ftören! Ein deutſcher Fürjt, der für Volfäreht und gegen
Willkürmacht den Nachbarn und dem Bundestage Troß böte, —
unmöglich! Aber ein Kurfürit von Heffen mit feinem Hafen:
pflug in despotiſcher Abficht darf e8 ungeftraft! —
In Jacobi gelefen; feine philoſophiſchen Schriften machen
auf mid, immer denfelben unangenehmen Eindrud, es ift mit
dabei jtetd zu Muth, ald machte einer mit weinerlihem Ixoge
111
rin gutes Recht geltend; Necht hat er in feiner Weife, und
rit ehrlicher Meberzeugung, aber fein Vortrag ift fehr unan-
jenehm. — Schelling ift unwürdig mit ihm verfahren, Fried⸗
tich Schlegel hat ihn fpäter ehrend anerkannt, Schleiermacher
teoß alter Vorurtheile bei perfönlicher Befanntfchaft ihn fehr
lebgewonnen. —
Der General von Scharnhorft ift am 13. in Emd an
einem Nervenfchlage geftorben. Er war ein tapferer, ein
Nhtövoller Offizier und fehr braver Dann. —
Freitag, ben 16. Juni 1854.
Beſuch von Herrn Dr. Vehſe, neue Schwierigkeiten von
dolizeilicher Seite gegen feine Einbürgerung ; Hindeldey fchrie
af, ale die Sache an ihn gelangte, und meinte, man hätte
ja gern ihm jahrelangen Aufenthalt hier aeftattet, aber Ein»
hürgerung fei zuviel! Indeß kann er die Sache nicht rück—
gingig machen, wohl aber fie liegen laſſen. Mittlerweile
fwebt Bebfe zwiichen Himmel und Erde, ein Sachſe ift er
nicht mehr, ein Preuße noch nicht. Er lacht darüber, ich aber
md’ es abfcheulih. —
Abende Herr Graf von * mit mancherlei Neuigfeiten, zum
Ihil etwas wunderlihen. Gr fagte mir unter andern, daß
die hiefigen Berichter über die Gerichtöverbandlungen für
die Zeitungen ein förmliches Burean errichtet haben, wo
man ihr Schweigen erfaufen kann; 3. B. daß eines Ärgerlichen
drtzeſſes nicht erwähnt wird, dafür zahlt man 50, 100 bis
NM Thaler; ein Beamter, der für feine Vermittelung Theil
a dem Gewinne zog, ift deßwegen vor einiger Zeit abgefept
worden. Gr fagte mir auch, daß der Polizeidireftor Stieber
eh jeßt von der Voſſiſchen Zeitung jährlich 900 Thaler be-
pn dag er von der Kroll'ſchen Verwaltung jährlich über
MO Thlr. hat, daß er von der Polizei bedeutende Summen zu
112
geheimen Ausgaben empfängt, daß er binnen weniger Jahre
Dermögen von über 30,000 Thalern zufammengebraht 5
Sonnabend, den 17. Juni 1854.
Ludmilla fuhr um halb 7 Uhr zur Eifenbahn, nach Har
burg. Ich war zu unwohl, fie zum Bahnhof zu bringen.
> ch brachte die Nacht fait fchlaflos zu; gegen 1 Uhr Mo
gend großer Lärm von der Feuerwehr, fie war allarmirt wo
den, und fammelte ſich beim Opernhaus aud allen Enden d
. Stadt, fehr rafch und in voller Bereitfchaft, — aber fie hat
heimlich die nöthigen Winfe befommen! Das Schauſpi
wurde den Herren von Rothſchild gegeben — fie hatten v
der Abreife dies noch jeben wollen. —
Mittags fam Bettina von Arnim; fie lad mir ihren Bri
vor an den Dr. Alerander Jung in Königeberg. Ihre Sat
mit ** und *** fiheint zu Ende zu gehen, doch mit der We
dung, daß Bettina die Berlujte trägt.
Während wir bei Tifche fapen — Bettina aß etwas mit-
fam der Direktor Schadow aus Düffeldorf ; der Arme jolle
Montag eine Meine neue Operation am Auge beitehen. |
war ſehr erfreut, Bettina zu fehen, fprach vieled mit il
die auch länger blieb als jie anfangs wollte. Nach ihr
Weggehen blieb er noch eine Stunde allein mit mir, |pt
von feinem Werk über Mahlerei, das hier im Drud
von einem Roman in Drei Bänden, den er gefchrieben |
und von zwei Dramatijchen Stoffen, — Johann von Orle
der eine, der andere Thomas Morus, — die er im Kopfe tr
beide will er vom firengreligiöfen Standpunft aus behande
er befennt ſich als gläubiger Kathofif, und meint, das al
habe ihn bei feinem Erblinden vom Selbitmord gerettet.
der Beichte, der firhlichen Anjtalten ; doch verlangt er 7
dung und Anerkennung für Anderödenfende. Biel über
113
fünftleriihe Schaffen, in der Mahlerei, in der Dichtkunft, über
Talent und Lehrweiſe. —
Sonntag, den 18. Juni 1854.
Rüdblid auf mein Verhältniß im preußifchen Dienſt; es
war durchaus ungewöhnlich, obfchon ich feine hohe Stellung
erreichte, jo hatte ich doch in jeder einen hoben Grad von
; Selbititändigkeit, ich that nicht wie ein Staatsdiener unbe:
dingt das Befohlene, fondern brachte meinen eignen Sinn und
Villen mit. In Karlöruhe lieh ich der preußifchen Leitung
meine Anfichten, ja drang fie ihr auf. Später in Berlin, als
der Miniſter Graf von Bernitorff mir Aufträge gab, war die:
ſet ſo ehrenhaft, mich zu fragen, ob ich gewiſſe Ausführungen
| ud gern übernähme, ob fie mir nicht zuwider wären? Es
war glüdlicherweife nur Einmal der Fall, der jedoch ohne
mein Widerjprechen von ſelbſt unerledigt blieb. Merfwürdig
iſt es mir, daß Bernftorff manche meiner Arbeiten erſt durd)
Ranzelliften abfchreiben ließ, damit fie nicht in meiner Hand—
shift zu den Akten fämen. Ich fann mir es nur dadurd) er-
ären, daß er die Eiferfucht Ancillon's oder Eichhorn's, denen
I ih freilich oft vorzugreifen hatte, ſchonen wollte. — Bernſtorff
war ganz und gar Ariftofrat, aber aus innerfter Natur, ohne
ſpitfindige Grübelei oder hipigen Eifer, und ich fonnte vor-
; teiflich mit ihm zurechtfommen. —
— — — — *
Montag, den 19. Juni 1854.
Wieder ein ruhiger Tag. Bon früh bis ſpät gefchrieben,
mit mäßigem Erfolg. Die Arbeit ſelbſt ift vielleicht nicht
FE viel werth, defto mehr aber mir die Erregung, die fie mir giebt,
; Die Gedanken und Bilder, die fich herbeidrängen. Zeiten und
Nenſchen fern’ ich immer mehr einfeben, und das Verſtändniß
Barnkagen von Enfe, Tagebüder. XI. 8
114
führt Billigfeit des Urtheild mit fi, Beruhigung, Hoffnung !
Hoffnung auf weiteren Fortſchritt aller Dinge, auf helleres
Licht, entwiceltere Zujtände. Ameifenarbeit; aber die grade
ficherer ald Herfulesarbeit! — Brieflihe Anfrage vom Gehei—
men Staatd-Archivar Dr. G. Friedländer, wegen eined Buches,
fogleich beantwortet. Wie die deutjchen Bücher, felbit aus
ganz naher Zeit verſchwinden, iſt fehr auffallend, des Nächit-
vergangenen nicht zu achten iſt unfer fchlimmer Febler;
jo haben die Deutfchen ihre fchwäbifche Dichterzeit ganz aut
dem Leben hinaudfallen laffen, fo daß ihre Wiederentdefung
und Hervorziehung jet nur noch als eine gelehrte möglich iſt,
die trog aller Bemühungen in den heutigen Lebensſtrom nicht
mehr einfließen fann. Wie hat man fich mit den Nibelungen
gequält, fie in Schulen eingeführt! Grade dA ftehen fie abet
den Knaben weniger nah, als der griechifche Homerod. —
Nachrichten von Siliſtria; neue große Berlufte der Ruffen!
Die Soldaten werden furchtbar hingeopfert! Die Generale
jelber mülfen hart heran, Paskewitſch verwundet, SchilDel,
Selvan geblieben. Der Kaiſer ſoll befohlen haben, Siliſt ria
um jeden Preis zu nehmen, ehe die Feindſeligkeiten öſterreichhi⸗
fcherfeitö beginnen. —
Die Gränzboten waren wegen eines Artifeld über DU
preußifche Politik polizeilich hier weggenommen worden. Dat |
Gericht hat die Befchlagnahme aufgehoben, und die Kritik u FW
feres Verhaltens zwar für eine fcharfe, aber nicht ſtrafbare & "
flärt. Dieſe Freiſprechung ift ſehr auffallend, und es bleu ri
vielleicht nicht dabei. —
In Elbing hat der Polizeidireftor den Neuen Elbing €!
Anzeiger mit Entziehung der Konzeffion bedroht, wenn er feir 8°
politifchen Artikel jo wie bisher fortiege. Die Artikel er
nämlich ächt preußifch, aber nicht ruffifch! Bei der ſchlaf—
fen Wandelbarfeit oben natürlich freche Willfür unten! —
Betrachtung über Bettina von Arnim, den Zufammen—“
|
115
bang ihrer Eigenschaften, und deren Widerftreit. Es ift nicht
leiht, den Schlüffel zu ihrem Wefen zu finden, den Schlüffel,
der alle Fächer deijelben öffnet. Man muß fich hüten, nicht
ungerecht gegen fie zu werden um des Einzelnen willen, das
Ganze ift vortrefflih. Wer aber in die Einzelheiten hinein;
geräth, der wird freilich Urfache haben ſich zu beklagen, dem
fann oft graufam mitgefpielt werden! Ich erinnere mic, einft
den Vorwurf der Unmenfchlichkeit gehört zu haben, deren man
dettinen und ihren Bruder Clemens befchuldigte. Diefer ift
in fo fern gegründet, al& beide Gefchwiiter, fobald es die Um—
Hände oder auch nur die Laune fo wollen, feinen Menfchen
Ihonen, jeden zum Spiel benugen und verbrauchen. Bettina
it für jeden Bedürftigen in jeder Art zur Hülfe bereit, mit
größten Opfern, mit größter Anftrengung, aber vorher und
nahher wirft fie denfelben Menfchen fpottend weg, behandelt
iin als Sache, giebt ihn dem Gelächter preis; jeden, — ihre
Kinder ausgenommen! In Clemens ging diefe Unmenfchlich-
kit in’d Fabelhafte, — in Bettina geht fie — auch weit
genug! — Sonderbar, von den vielen Gefchwiftern Brentano
And nun ſchon drei in wahndumme Frömmigkeit gefallen ;
Clemens, Chriftian und Frau von Dedbordes (frühere Jordis,
Loulou); Bettina ift vor folhem Unglüd bewahrt, fie wird
ihrem furchtlofen Berftande treu bleiben! —
Dienstag, den 20. Juni 1854.
Nachrichten aus Preußen. Weußerer Prunf und Jubel
beim Erſcheinen des Königs, von ihm gewollt, von den Be-
hörden veranftaltet, im Stillen aber ſchlechter Eindrud, Miß-
fallen und Verſtimmung. Der Sinn ift weit mehr dem Prin-
ien von Preußen zugeiwendet, der aber die lauten Bezeigungen
moͤglicht ablehnt. Man fürchtet, daß während diefer Reife
große Ränke gefpielt, dem Könige gewifle Eindrüde gegeben
8*
116
und Entfchliegungen abgedrungen werden, die fchlechte Bart
wendet jetzt alle ihre Thätigfeit auf dieſes Gebiet, das einzic
wo fie noch ungefchlagen fteht. Meines Erachtens ift nic
viel zu fürchten, die Rage der Dinge ift fo, daß die Willf-
wenig vermag. —
Die Junkerparthei feufzt auch nach den Kammern, ”
fonnte fie jidy breit und geltend machen! Die Qumpen bedenf-
nicht, daß fie dort nur quted Spiel haben, jo lange die Dem.
fratie fic) des Wählen? enthält, und die Kammern verachte
Sch blieb zu Haufe. — In Fontenelle's Lobreden gelefe-
in Tagesneuigfeiten, im Horatiud. —
Die Belagerung von Siliftria aufgehoben! Vergeblich—
Berfuch der Ruffen, den türfifchen Befehlshaber zu bejteche-
General Schilder hat ein Bein verloren. Uneinigfeit um
Eiferfucht der ruffiichen Generale, wechfeljeitige Anfchult
gungen. —
Größte Hige heute 220 Reaumur im Schatten. —
Der Fürſt von Metternich hat in altem diplomatische
Eifer eine Friedendvermittelung ausgedacht, und feinen Pla
in einer Denffchrift ausgearbeitet, die der Kaifer von Oeſte—
reich gebilligt haben fol. Metternich hat feinen Entwu
darauf an Lord Aberdeen gefandt; dem mag jie denn freilie
gut gefallen. Alter Ehrgeiz, der gern noch einmal mitfpiele
will! (Siehe die Berichtigung unter dem 29. uni.)
Mittwoch, den 21. Juni 1854.
Zu Haufe Befuch von Frau Bettina von Arnim, fie faı
ale Sturmwind, flagte über Juſtizlente und Druderleut:
feste jüch hin eiligft etwas zu fchreiben, fprah vom Mufif
Joachim, ftürmte dann wieder fort. Sie war wenigften
munter und fräftig. — Bon der Mufit Felix Mendelfohn
ſprach fie ganz geringfchäßig, der fei der Marſyas, den di
117
Ehrgeiz verführt habe, etwas fein zu wollen, was er nicht fein
fonnte; von Meyerbeer’& Muſik meinte fie, der fei nicht einmal
werth, dap ihm das. Fell abgezogen würde, der möge fein
ftodenes, enges nur behalten! —
Nahrichten aus Jaſſy, aus St. Peteröburg. Jämmer-
licher Zuftand der Truppen, felbit der Offiziere. Mißftim-
mung der Großen. Der Groffürft Konftantin angefehen ald
der Anjtifter ded Krieges, ald Heßer der altruffifchen fana-
tifchen Barthei, der Großfürft Thronfolger zurückgezogen, feine
Gemahlin der Mittelpunkt der deutfchen, der Friedensparthei.
Das Bolt im Ganzen dem Krieg abhold. Der Kaifer in
beihämter Wuth. —
Klemme, in der fich die ruffifchen Diplomaten befinden;
entweder jie jagen die Dinge der Wahrheit gemäß, aber wie
man fie nicht wünjcht, dann jind fie mißliebig, oder fie fagen
die Dinge falfch, aber wie man fie wünfcht, dann fallen fie in
Ungnade; alſo in jedem Falle entgehen fie nicht dem Unheil;
wählen fie den erftern, fo fommt es früher, wählen fie den
andern, fo fommt es jtärfer. — .
Bon den bewilligten 30 Millionen leiht Preußen vorläufig
15 an; Königliche Verordnung hierüber. Deßgleichen wird
die Erhöhung der Einfommenfteuer ausgefchrieben. —
Rußland macht auch eine Anleihe, von 50 Millionen Si:
terrubel ; das hiefige Haus Mendelsfohn übernimmt davon 5
Millionen. Ob ihm das binnen furzem noch erlaubt fein wird ?
Die Ruffen haben im bothnifchen Meerbufen ein englifches
Voot genommen, drei Offiziere getödtet. Großer Jubel dar-
über in den Blättern von St. Peteröburg und gemeinfter
Biderhall in der hiefigen Kreuzzeitung! — Der Lange’fche
Telegraphı in der Franzoſenzeit hier war ein edled Blatt gegen
dieſe Kreuzzeitung; pöbelhaftern und niedrigern Ton als diefe
bat noch feine deutfche Zeitung angefchlagen. Bravo, Herr
Goedihe, Herr Stahl, Herr Wagener, Herr von Gerlah! —
118
Donnerstag, ben 22. Juni 1854.
Der König ift an der ruffiihen Gränze durdy den vorm
Kaifer an ihn abgeſchickten General von Grünwald begrüß
worden; auch der preußifche Militairabgeordnete in St. Pe-
teröburg, Graf von Münfter, hatte jich eingeftellt. „Wenr
der König zeigt, er möchte anterd, ale er muß, wer hat den
Schaden davon 2?" —
Bettina von Arnim fam gegen Mittag, jchenkte mir ihr:
Briefentwürfe an den Prinz-Regenten von Baden, und ar
den Prinzen von Preußen — die ihr beide nicht geantworte
haben — in der Sache des unglüdlihen Corvin-Wierdbigfi
nebft zwei Briefen von deſſen Frau. Sie flagte, dap fü
im Weggehen von Haufe auf der Treppe gefallen fei, und fid
am Arm und am Bein gefchunden habe, ich bot ihr Arnici
oder Goulard'ſches Waſſer an, fie wollte nichts, litt aber ſicht
lib. Sie machte meinem Bülow, den fie bei fich trug, di
größte Lobrede, es ſei fo lebendig, man ſehe alles, es ſei fi
gut gruppirt, daß man ein wahres Bergnügen habe vom Leſen
fie fagte, fie fenne fein zweites Buch der Art, auch lobten e
alle Offiziere. Cinen Meinen Fehler wollte fie gefunden haben
ich hätte gefagt, die Truppen empfingen das Feuer, ich hätt
fagen follen, das Teuer empfing fie, das wollte fie geänder
haben. — Bettina machte mir auch einen wehmüthigen Ein
drud, fie ſchien zu leiden, nicht blos won ihren Berlegungen
fondern von tiefem Diißvergnügen, von Dingen, die fie zı
fagen wünjchte, und doch nicht entfchloffen war zu fagen. Si
war fo ernjt, nachdenklich und ergeben! Nachdem fie wegge
gangen war, Fam fie noch einmal wieder, fie hatte was ver
geffen. Man darf ihr nicht zeigen, welchen herzlichen Anthei
man an ihr nimmt, fie will feine Rührung fehen noch haben
wenn fie fie auch erregt. —
Abends ging ich in den Thiergarten, wo es ſehr lebhaf
war, von Menfchen und — Raupen! Bis zu Teichmann"
119
Bhumen garten, dann zurüd. Rafengrün erquidend, Blumen:
dor täch! —
Zu Haufe Thee; Sprachjachen vorgenommen. Im Hora-
ts gelefen. — Gute Nachrichten von Siliftria! —
Bertrauliche Nachrichten aus St. Peteröburg fprechen ge:
beimnigvoll von einem Mordanfchlag auf den Kaifer, der in
großer Gefahr geweſen fein fol. Der Schlag ift noch eben zu
rechter Zeit verrathen und fo vereitelt worden, die Verſchwörer
ind wahrfcheinlich ergriffen und bei Seite gefchafft, ihre Namen
bleiben ungenannt. Dan deutet an, daß ſchon einige Mord»
anſchläge gegen den Kaifer ftattgehabt, von denen dad Publi-
fum niemald etwas erfahren, daß aber in Folge derfelben der
Kaifer feine Strenge bis zur Wuth gefchärft und der vielfachen
Polizei die eifrigfte Späherer und Aufficht anbefohlen habe. —
Man wiederholt bei diefer Gelegenheit, was ſchon früher ge:
ſagt worden, daß der Kaifer feines Kriegäheeres nicht mehr
über, demfelben Beichäftigung zu geben gedrungen gewefen,
und dephalb früher, als ſonſt gefchehen wäre, die Verwicklung
im Orient herbeigeführt habe, wobei die trügerifchen Berichte
feiner Diplomaten ihm zu Hülfe kamen. —
Freitag, den 23. Juni 1884.
Geſchtieben, von früh bis zum Abend, mit kurzen Unter:
brehungen, mit leidlichem Erfolg. Eine Meine Arbeit zum
Abſchluſſe gebracht, ein biographifches Bild, in welchem ein
Roman ſchon ganz fertig liegt. Schade nur, daß der Ausgang
jo tragiſch ift! Ich war beim Schreiben immerfort fehr bes
wegt, — |
Endlich einmal eine ehrliche Begnadigung, aber in Sadıs
ſen, niht hier! Der Hauptmann von Rohrfcheidt, wegen
Theilnahme an dem Maiaufftande von 1849 zum Tode ver:
urtheilt, auf lebenslängliche Haft begnadigt, dann auf einjäb-
120
tige, ift am 18. Juni vom Königftein frei entlaffen worden.
So fehr „ehrlich * find’ ich diefe Begnadigung aber nicht, fon:
dern ungroßmüthig, kleinlich. —
Daß der PrinzeRegent von Baden, und der Prinz von
Preußen auf Die rührenden Bittichreiben Bettina’s von Arnim
gar nicht antworten, ift recht bezeichnend! Der arme Corvin—
Wiersbipfi! Dabei tft er das Opfer feined Zutrauens umd dr
ihm gelegten Kallitride.
Nachmittage wieder Nachrichten aus Rußland; es fieht
dort bunt aus, niemand überficht das Ganze, am wenigſten
der Kaifer, dem grade das verborgen bleibt, was er wien
follte. Die Studung des Handeld wird in St. Petersburg
ehr ſchwer gefühlt. — Gute Nachrichten von der Donau, DW
Ruffen in vollem Rückzuge. —
Zu Haufe in Schadow’s Bogen gelefen, in den Oden Dei
Horatius, in den Denkſprüchen ded Plutarchos.
In Potsdam fchwören die Offiziere Stein und Bein, De
Kaifer von Rußland habe mit dem Könige heimlich eine > =4
fammenfunft gehabt, und freuen fich der guten Folgen! Sr
lich? Das wäre ja die größte Schande! Haben die Jun
denn für ihren Kaiſer nicht mehr Ehrgefühl ? Deffentlih, —
das wäre längft angezeigt, aber aud) Darin läge ein Bekenn 7
niß der Schwäche, der Noth, — befonders nach dem Bündu-
mit Defterreidh. —
Scändliche, verrätherifche Aeußerungen Aberdeen's ine
englifhen Parlament in Betreff des Kriegs und des Friedens—
Scharfe Bemerkungen der Nationalzeitung (Dr. Bucher's)
über den alten Lump, der zeitlebens eine ſchlechte Rolle gefpielt.
Wie ein folder Kerl mit offen eingeftandener Ruſſen- und
Knechtſchaftsliebe jekt nod) immer Minijter fein kann, ift un:
begreiflih! —
121
Sonnabend, den 24. Juni 1854.
Der König hat — vom Anhaltifchen Bahnhof aus — die
Kabinetsordre erlaffen, dag in Zukunft die Wachen am Char-
freitag und am Bußtag ohne Mufif aufziehen und überhaupt
tin Spiel gerührt werden fol. Wie gottlod war bisher der
preußifche Staat! —
Der lippifche Bundesgefandte Viktor von Strauß, einer
ter größten —, die aus der Reaktionszeit ſich heraufgemacht,
hatte Briefe über Staatsfunit herausgegeben, in denen dem
Könige gerathen wurde, feinen Berfaffungseid für nichts zu
ahten und zu brechen ; dad Buch war hier bei Hertz erfchienen,
und wurde von der Sunferparthei mit Jubel begrüßt. Der
Staatsanwalt aber mußte einfchreiten, und da der Berfafler
nicht erreichbar, To wurde der Berleger zu einer Geldftrafe ver⸗
urtheilt. Der König hat ihn jebt begnadigt und ihm die Strafe
geſchenkt. Zeichen, an dem fich vieles erfennen läßt! —
Herr von Jasmund unterzeichnet wieder das Preußiſche
Bohenblatt ale Herausgeber. Gr war zu den Landwehr:
übungen gezogen worden, das allein hatte den furzen Wechfel
verurfacht. — Die polizeilih weggenommene Nummer dee
Blattes ift wieder freigegeben worden.
Vo bleibt die erfte Kammer? die verheißene Pairie ?
Reh man mit der unbedingten Vollmacht, jie zu machen
ganz nach Belieben, fo gar nichtd anzufangen ? Gefteht man
unbedingte Zeugungsunfähigkeit? Soll dad Nergerniß einer
gewählten erften Kammer, die nicht Fiſch noch Fleiſch iſt, noch
immer fortbeitehen ? Jämmerlich, jämmerlich! —
GineNeubildung der erften Kammer Liegt noch im weiten Felde,
aber die Wiederherftellung des Staatsraths fteht in naher Aus-
richt, Diefe ſchwerfällige, unnüge, koftbare Behörde kommt nach
großen Mühen endlich wieder zu Stande, jet, wo fie neben
den Kammern unnöthig geworden. Früher war fie, wenn
auch ſchlecht organifirt, doch gar nicht überflüffige. In
122
Preußen denkt man nicht an Vereinfachung, immer nur an
Bervielfachung des Getriebed. Dem neuen Staatsrath fol
auch Stabl angehören; fo wird der Sophift und Schwätzer
nicht fehlen! —
Der Präfident Leite wird nicht wieder in den Staaterath
eintreten, weil der Dieziplinargerichtöhof eine Nüge gegen ihn
ausgejprochen hat; dagegen follen die Pfaffen Büchjel und
Hoffmann Mitglieder werden. —
Sonntag, den 25. Juni 1854.
Frau von Treskow erzählte folgendes köſtliche Stüd! Ein
ächter märfifcher Edelmann (ein Verwandter des Herrn vort
Prudelwig aud tem Kladderadatich!) redete von früherert
Späßen und allerlei Unfug, den Offiziere und Junker ſich
öffentlich erlaubt. Sie fügte mit Empörung: nun Gottlob ?
jo was ift denn doch jet nicht mehr möglich! „Freilich nicht, ”
verjeßte er, „das durfte man nur damald, wie noch mehr Frei⸗
heit und Gleichheit unter den Leuten war!“ Das nennt er
Freiheit und Gleichheit! Bortrefflih! Er hat die Worte oft
gehört, und bringt fie im entgegengefeßten Sinn an. —
Montag, den 26. Juni 1854.
In Hegel gelefen; gefchichtliche Sachen nachgefehen.
Geftern war hier auf dem Schloffe die Johanniter-Ordens-
Spielerei, 51 neue Ehrentitter, Beförderungen mancher Art.
Warum es jetzt immer Herrenmeifter heißt, anftatt wie fonft
Heermeijter, wiſſen felbft alte Johanniterritter mir nicht zu
fügen. Vielleicht wiffen es die allerneuften! —
Die Neue Preußifche Zeitung (die Neue Ruſſiſche wird
fie jegt immer genannt!) thut ſehr höhnifch über Die vereinig-
ten Flotten, die nur gegen Theer und Bretter Krieg führen,
123
da fie doch des Ruſſen Nachimoff Heldeuthat gegen Sinope
vortrefflich fand; fie findet, die Unthätigfeit der Flotten fei ge⸗
gen die Waffenehre! Was ſagt die Giftfpinne denn zu denen,
de aus Kronftadt, Smweaborg und Sebaftopel fich nicht her:
vorwagen?
An 24. iſt das Urtheil des Schwurgerichts in Fulda über
die wegen Theilnahme an der deutſchen Nationalverſammlung
in Stuttgart des Hochverraths Angeklagten bekannt geworden.
der Marburger Profeffor Hildebrandt, der Bürgermeifter
von Hünfeldt, Förfter, und aus Kaffel Doktor Philipp Schwar-
| berg, find zu zwei Jahren Zuchthaus und Verluſt der fur:
u beſſiſchen Kokarde verurtbeilt. Alle drei find außer Landes in
Sicherheit. —
Die Erforſchung der deutfchen Sprache, die Beleuchtung
W unierer Alterthümer und Die Herausgabe der verfchollenen
alten Schriften ift ein großes, in vieler Hinſicht dankenswer⸗
theb Wert, und die Meifter deffelben, die Brüder Grimm an
der öpige, find hoher Ehren wertb. Mitten in diefer Aner-
fennung aber überfchleicht mich bisweilen ein Zweifel, ob nicht
dieſes ganze Bemühen, in der Geftalt, die ed angenommen hat,
den Deutfchen mehr fchädlich ala nüglich fei? Auf dem Gan—
| jenliegt ein verdrigßlicher, mürrifcher Geift, der fih in Ein-
feitigfeiten und Befchränfungen gefällt, die das heutige Leben
nt dulden kann, wohl aber ihnen theilweife erliegen muß.
3 liebe die Vergangenheit, das Alterthum, ich weife ſtets
darauf zurüct; aber wenn das Alte mit der Anmaßung auf:
| Mt, der jungen Gegenwart zu gebieten, fie zu hemmen, dann
verwünsch” ich e& in tiefe Grabesnacht! — Wie heiter, frifch
und fruchtbar war die Wiederauferftehung des klaſſiſchen Alter:
thums der Griechen und Römer! Wie belebend drang das
hervor! Die ftarrite Pedanterei ftubengelehrter Philologen
bat diefen Lebensgeiſt nicht bezwingen fünnen, und wie herr=
lich ſtrahlt er aus den Arbeiten der edlen, der wahrhaften
' 124
Philologen! Alle Nibelungen und alle Grimm's werden nie
dem Homer und feinem Friedrich Auguft Wolf gleicykommen.
Dienstag, den 27. Juni 1854. !
Die Heirath der Prinzefjin Quife, Tochter des Prinzen |
Karl, follte in einigen Tagen fehr feierlich ftattfinden, ift aber °
heute in aller Stille, nur in Beifein der Königlichen Familie,
in Charlottenburg vollzogen worden; die Neuvermählten fin
darauf gleich zu dem Landgrafen von Helfen-Philippäthal: -
Barchfeld nach Wilhelmsburg abgereift, der im Sterben ligm _
foll. Man hat die Heirath befchleunigt, weil nach dem Ar
leben des Landgrafen fie ein ganzes Jahr lang hätte aufgelder
ben werden müffen. Die Mutter des neuvermäblten Prinzen
Aleris ift die Fürftin Sophie von Bentheim, die von mir einit
bejungene Schönheit. —
Heute früh ftarb hier die Frau Amalie Beer i in ihrem acht⸗
undachtzigiten Lebensjahre. Sie war ehr reich und wohlthätig.
Der Stadtgerichtörath * warnte neulich einen Belann:
ten, feine urfundlichen Papiere gut in Ordnung zu haben,
und fich nicht darauf zu verlaffen, dap ein ihm wichtiges Schrift:
ftüct in den Akten der Polizei vorhanden fei; wenn es ihr de
liebe, fchneide die Polizei ohne alled Bedenken das ihr Unbe—
queme aus den Akten heraus. — Oder thut auch wohl Fat
fches hinein, wie mir einft der Obertribunalerath Gad von DeM
Halunken Tzſchoppe verficherte! —
— —
Mittwoch, den 28. Juni 1854.
Der König hat bei der Vermählung der Prinzeſſin Qui
dem Lande wieder die fogenannte Prinzeffinfteuer, wie je
fünfzig Jahren immer gefhicht, erlaffen, doch mit Vorbeha!
feines Nehts zu deren Erhebung. Man fragt, ob er ohn
die Kammern noch irgend eine Steuer einfordern dürfte, und
die Antwort ift entfchieden Nein. —
Die Stadt Berlin braucht neue beträchtliche Geldfummen,
de Miethöfteuer foll um 1 bis 11/, Prozent erhöht werden.
Man Magt ohnehin ſchon fchredlich über dieſe fehr hobe
Steuer, von der nur die ganz Unvermögenden auögenommen
ſind. —
Die Zeitungen find leer. — Daß der Graf Perfigny mit
Louis Bonaparte uneins ift, und defjen Abjicht der Stiftung
aned neuen Kaiferlichen Adels widerjpricht, iſt eine fleine
Rerhvürdigfeit. Die Wiederherftellung eined Bonaparte’fchen
Mels iſt aber feine Verſtärkung des alten Adele, im Gegen-
theil eine Schwächung. Der Beichluß der preußifchen Na⸗
tonalverfammlung, der Adel fei abgefchafft, und die Stiftung
ſolchen Bonaparte’schen Adels wirken ganz überein. Langſam,
aber gewiß! —
Begen Verbreitung ded Harkort’fhen Wahlkatechismus
Weite noch ſtets Verfolgungen. Der Landſchaftsrath und
Abgeordnete zur zweiten Kammer Brämer berief fi) auf Ber:
lührung, und nad) langer Berathung jprad) ihn das Ober-
tibımal frei. Daffelbe war der Fall bei dem Gutäbefiker
hay und dem Rittergutöbefiger Siegfried. Man fcheint fich
dach endlich zu fchämen. —
‚Der ruffifche General Schilder ift, nachdem ihm das Bein
14 genommen worden, in (Folge der Operation gejtorben. Der
deldmarſchall Fürft Paökewitfch verwundet in Jaſſy. Alle
derfuche deifelben, die türkifchen Befehlshaber zu beitechen,
ind mißlungen ; im Jahr 1829 waren fie gut geglüdt ! —
Man findet oft Bruchitüde der berrlichiten Bildhauer:
sm dere zu bloßen Mauerfteinen verbaut; diefe beklagenswerthe
MM Larbarei zeigt ſich auch in der Ritteratur, die beften Werfe
| und höchiten Namen werden ohne Kunde und Beachtung oft
me ald Schutt zu Füllungen verbraucht, zur Unterlage, auf
126
der elende Nachtreter ſich jo fümmerlih als prableriih
richten. —
Dad alte heilige römische Reich deuticher Nation, die :
der Kaifer und Kurfüriten, der Füritbifchöfe und Aebte,
Reichsſtädte und Klöfter ꝛc. noch gejeben zu haben, ijt mir 1
höchſtem Werth! Es ift ein Schaß, der immer wächft, je
ringer die Zahl derer wird, die ihn mit mir theilen. Wie fi
ed jept aus, gegen damals! Wie wird ed in fünfzig Jah
gegen jet ausfehen ?! —
Wie felten ftirbt ein Menfch in derſelben Welt, in dei
geboren worden! Er wird aus diefer mit taufend Hebeln t
ausgehoben, und in eine andre verfeßt, die Micht mehr
feine ift. — \
Donnerstag, den 29. Inni 1854.
Die Volfdzeitung nennt den Nedakteur der Kreuzzeitr
Wagener — er ift nur zum Schein abgetreten — den Oberm
fowiter und Bize-Engel; lebteres ift der — bei den Irv
gtanern. Die Kreuzzeitung heißt immerfort die Neue R
fifche, was die Parthei ganz infam ärgert. Sie will die Sa
doch nicht den Namen, ihre Heuchelei iſt aber Thon vollitän
aufgededt. —
Eine nicht unbedeutende Neuigkeit! Die Wehrzeitu
ein würdiges Schweiterblatt der Kreuzzeitung, ift nach fec
jährigem Beſtehen — feit 1848 — jept eingegangen. (
fonnte fich in ihrem Nuffeneifer bei der Stellung der Rei
rung nicht mehr halten. Die Kreuzzeitung gebärdet fich
jämmerlih bei dem Tod ihrer Schweiter, und fpricht
lächerlicher Verehrung von ihr. Wenn fie felbft nur t
nachfolgte! Preußen hat eine Giftbeule an diefem hämife
Junker⸗ und Ruffenblatt! —
Das Stadtgeriht hat die Berwaltung der Kroll'ſe
127
Wirt durch die Polizei nicht geduldet, Herr Stieber hat
ſich ttoll en müffen. Unfere Gerichtöbehörden fangen an, wie
der mas jelbitjtändig zu werden, aber jie fangen nur an, und
wur ein wenig! —
Die Sahe mit der Denkſchrift Metternich's, von der fo
‚viel die Rede war, befonders in englifchen Blättern, wird jebt
| für nicht wahr erflärt. Das ift völlig ohne Geltung! Solche
Berläugnung hat es fchon oft gegeben. Daß die Sache wahr
ſei, steht aber auch nicht Feit. — (Xord Aberdeen hat im eng:
lichen Oberhaufe die Berneinung ausgefprochen.)
Ich habe heute in Bettinend: „ Günderode * geblättert. Es
ind einige fhöne Bilder, frifche Blicke, tiefe Wahrnehmungen
drin, aber ich war verwundert und etwas erfchroden, wie
| geringen Gehaltes dad Ganze ijt, wie fehr ohne Gedanken und
Stoff. Mich foll nicht wundern, wenn dieſes Tändeln der
Phantafie und des Gefühl mit der Zeit fo fchwach wird, daß
niemand mehr begreift, wie man vor zehn und fünfzehn Jah:
ten davon fo entzüct, jo beraufcht fein konnte! —
Freitag, den 30. Juni 1854.
Mich unterbrach im Schreiben ein Beſuch von Bettina von
Amim, die über anderthalb Stunden bei mir blieb, und
äußert lebhaft und vergnügt war. Sie vergißt gern alles Ver:
rießliche, wenn es fie nur nicht unmittelbar berührt und in
Anfpruch nimmt, auch die Geldverlufte, find fie einmal ge-
ſchehen, nimmt fie nicht fhwer. Sie war während des ganzen
dfuhs ungemein liebendwürdig, heiter und auftichtig, nichts
von dem vielen Störenden, das fich fonit fo leicht einmifcht,
lam heute vor. Sie erzählte mit luſtiger Laune die ergöß-
lihten Auftritte, die fie mit befuchenden Leuten gehabt, mit
einem bettelnden Dichter, einer begeifterten Schaufpielerin.
Dann fprach fie ernft und gehaltvoll über Muſik und Poefie,
128
iiber meinen Bülow, der ihr, wie fie fagte, die größte Ci
furcht für den Soldatenftand eingeflößt habe. Sehr ausfül
lich fprach fie von dem Muſiker Joachim, feinen außerordei
lichen Anlagen, feinem graziöfen Weſen; jekt habe Herm
‚Grimm jich feiner bemächtigt, weßhalb fie ihm neulich zu
rufen: „Philiſter über dir!“ Grimm, ſagte fie, fei '
Hoffahrt felbit, glaube in „ Traum und Erwachen“ das Hödy
der Poeſie erreicht zu haben, halte jich für den größten Dich!
und benchme jich al& folder; da doch ihres Erachtens jen
Gedicht überaus gebildet und fein, aber auch ganz leer u
wirkungslos fei, man brauche nur anzufangen es zu leſen,
höre man gleich daß ed die Langeweile anrufe, die denn ar
jofort fomme und zuhöre! —
Die Deutfchkatholifen in Breslau wieder einmal gequäl
Erit freigefprochen, Dann verurtheilt, weil fie politifche Gege
ftände behandelt haben ſollen! Der alte Need von Eſenb
zu 30 Thalern Geldftrafe verurtbeilt, er der feinen Heller he«
Zwei Andre auch. —
In Baden dauern die fatholifchen Kirchenftreitigkeit
fort. Die Regierung benimmt fih ſchwach. Der Erzbiſch
thut in den Bann, Ein exrfommunizirter Pfarrer wird vı
feiner Gemeinde beibehalten. —
In Weilburg hat ein Fatholifcher Pfaffe von der Kanz
herab öffentlid, den Bann gegen einige naflauifche Offizie
audgefprochen, weil fie zu Oftern nicht gebeichtet haben. —
Nachrichten aus Rußland. Große Beftürzung wegen d
Niederlagen vor Siliftria und wegen ded Auftretens d
Defterreicher. Die Altruffen befchuldigen Die deutfche Pa
thei, diplomatifch und militairish an allem Unheil fchuld
fein. Die Deutfchen fagen, es feien die altruffifchen Di
föpfe, Kiffeleff in Paris und Titoff in Konftantinopel, die all
verdorben haben. Uneinigkeit der Generale, alle Schuld wi
129
auf die Todten gefchoben ! Detrügereien und Gemwaltthaten
überall und immerfort! —
Sonnabend, den 1. Juli 1854.
| Geihrieben. Ueber deutfhe Sprache, gegen die Anma-
J sungen und Borfchläge der Gebrüder Grimm; die gelehrte
J Kenntniß und die Behandlung des Todten bleibe ihnen unbe:
ſttitten, aber mitten im Leben der Nation ftehen fie nicht, als
Geſezgeber der Gegenwart haben fie feinen Beruf, weder im
| Staat, noch in der Sprache. Das fagt’ ich geftern Bettinen
| und fie gab mir vollen Beifall. —
| Rrafrügge, der verfolgte Kradrügge in Erfurt, war in
einen Preßprozeß abermals zu 9 Monaten Gefängniß verur-
heilt worden, die angerufene Verjährung follte für ihn nicht
u gelten. Das Obertribunal jedoch hat fie anerfannt und ihn
W ftigeiprochen. —
Der Pole, Herr von Taczanowski, der vor ein paar Fahren
J reußiſcher Kammerherr wurde, ift nun auch preußifcher Graf
5 zmorden. Seine Landsleute denken leidfich gut von ihm, und
machen ihm Feine erhebliche Schuld daraus, in die Gunft des
| Dofes gelangt zu fein. Ganz anders ift ed mit dem Grafen
AUthanaſius Raczinski, den erflären fie für einen feigen Ver:
ber, den fpeien fie an. —
Was fagen die Demokraten zu den jegigen Sachen? „Sie
iagen, daß ihre Zwecke nicht durch ihre, fondern durch fremde
- Rttel gefördert werden! Rußland war die hochmüthige
Süße aller Reaktion, es ift gedemüthigt. Frankreich ala
Reyublik war unfriegerifch, es ift als Kaiſerthum in’ Feld
| gerüdt. Die Demokratie hatte feine Soldaten, England,
Frankreich, Defterreich und felbft Preußen müffen ihr deren
leihen. Die Staatsjhulden mehren fih, mit ihnen die Ber
Bornbagenvon@nfe, Tagebücher. XI. 9
130
legenheit und Schwäche der volfsfeindlihen Regierun
Das fagen die Demokraten!“ ft das nicht genug? —
Der Stadtgerichtärath Graf von * hat mit dem Pri
Adalbert vor einiger Zeit ein Geſpräch über Hindeldey get
Der Prinz lobte den Präfidenten wegen feiner Umficht
Kraft; der Graf erfannte diefe Eigenfchaften an, meinte i
in geordneten Verhältniffen, wie fie jetzt wieder beftün
müßten jene Eigenfchaften ſich nur in ftrenger Gefeglic
bewegen, das fei aber bei Hindeldey nicht der Fall, er m
ſich immerfort der größten Uebergriffe fchuldig, befondere g
die perfünliche Freiheit ; das mache den ſchlimmſten Eint
im Bolfe, verbreitete die ärgfte Mipftimmung, und dephall
Hindeldey jebt gradezu dem Staate wie dem Könige felbil
höchſt ſchädlicher Mann, der Widerwillen gegen die Regier
ausſäe. Der Prinz fragte: „ft das Ihr Ernſt? Sie jpi
wohl?“ Auf ''s Berfiherung, es fei allerdings fein E
ging der Prinz fort. —
Sonntag, den 2. Juli 1854.
Betrachtungen über das Chriftentbum. Man fann
Sicherheit ausſprechen, daß das jetzige Zeitalter in fe
hohen und lichten Kreife® ein Wunder-Ehriftentbum ı
mehr anerfennt. Goethe und Schiller waren feine rechtg
bigen Chriften, Wieland auch nicht, und jelbft Herder n
obſchon er — zu feinem Unglüd — ein Schwarzrod ı
daffelbe gilt von Schleiermadher, von Kant, Fichte, Schel
Daß Steffend zulekt ein Gläubiger wurde, war zugleid
Beginn feiner Schwäche, bei Stein war died chenfalls '
Beichränftheit. Hardenberg, Metternich, Beyme, Alteni
alle waren Freigeifter, Hegel dudte nur vorfichtig unter
er ed den Berhältniffen fhuldig zu fein glaubte. Die gri
— — —
131
Giferer für das Wunder⸗Chriſtenthum, die ich kenne, machen
mir nicht den Eindrud von Frommen, ſie mißbrauchen Die
Religion und Kirche nur, weil fie darin eine herrliche Polizei⸗
hülfe zu finden meinen. Bei vielen diefer Leute treibt auch
nur die Phantafie ihr Spiel. —
Gottihall hat in Breslau für das Feſt des Prinzen von
Preußen einen Theaterprolog gedichtet. Seine Freunde ver:
denken ihm es. ch kann nur die Achfeln zuden, und die Ge:
walt der Umftände und Berhältniffe anerkennen, gegen die zu
impfen nicht jedem gegeben ift, oft ganz unmöglich wird!
Das Leben des Tages hat immer die erften, die mächtigften
Anfprüche; nach unferer Neigung, unferm Gefchmad, unferer
Geſinnung zu leben, ift erft ein Zweites, das ſich mühſam zu
tere gefellt, felten und nur theilmeife zur Erfüllung fommt.
Ver in günftiger Lage ift, die ihn weniger Anforderungen
augſetzt, joll fich deffen nicht überheben! Dem Dichter ift aud)
hietin mehr erlaubt, ald allen Anderen; auf feinem Gebiet ift
ſſghon feine ſtarre Wirklichkeit mehr, er hat mit Gebilden zu
tun, die jich vom Boden abgelöft haben. —
Der neue Präfident in Minden, Herr Peters, früher Pos
Igeidireftor in Königsberg, hat feinen Spießgefellen Linden-
berg mit dorthin genommen, wo er wie früher in Königsberg
tin niedriged ganz gemeines Schmugblatt herauögiebt. Der
Deich hat im Zuchthaus gefeffen, ihm war die National:
tofarde abgefprochen, die Gerichte haben ihn wegen frecher
%rläumdungen und Beleidigungen namhafter Perfonen zu
eträhtlichen Geldftrafen verurtheilt ; fchadet alles nicht! Die
Strafen find ihm aus Gnaden erlaffen, er bekommt Anftellung
und Geld, und der König hat fi freundlich mit ihm unter«
alten. Die Kreuzzeitung empfiehlt eifrig das verfchmwifterte
Blatt und den würdigen Rampfgenoffen. —
Stäulein Sohanna Neander ift hier heute früh nach langen
Beiden fanft entfchlafen! Qudmilla verliert viel an ihr! — Sie
g®
132
war 77 Jahr alt, und ſehr lebensmüde, obſchon noch Tee:
fräftig und heiter. —
——
Montag, den 3. Juli 1854.
Die „ Feuerfprige“ bringt neue Nachrichten von Unfäl
der Ruffen, denen die Türken hart zufeßen. —
Im Eonftitutionel wird von Herrn Laguerronnière du
einen großen Auffab dem rufjiichen Kaiſer dringend gerath
abzudanfen, ja die Nothwendigkeit dazu vorgehalten !
St. Petersburg fihimpfen die Blätter auf Louis Bonapaı
nennen ihn den Nügenkaifer, werfen ihm den Staatöftte
von 2. Dezember ald Verbrechen vor. Der Kaifer Rifo
war ihm zu Diefem Streich eng verbunden! —
Mit der ruffifhen Anleihe will ed weder hier noch
Frankfurt am Main, no in Brüffel und Amfterdam geling:
In England und Frankreich ift jede unmittelbare Betheiligu
unmöglih. Der Kaifer Nikolai lernt auch in diefem Betr
die Gränzen feiner Macht erkennen. Doch follen die ruſſiſch
innern Hülfsquellen noch fehr groß fein, nur auf die Dau
nicht ausreichen. —
In den hiefigen Staatörath find auch die Profeſſor
Ranke und von Keller berufen ; ferner Homayer, Profeffor u
Tribunalsrath; Herr von Bismarck-Schönhauſen; bie ji
weder Leo noch Gerlach, noch Goedſche, noch Wagener. Rai
wird im voraus als die lächerliche Perſon des Staantsral
bezeichnet! Ob Eichhorn berufen wird? Gewiß! —
Im Plinius gelefen. Neulateinifches. Franzöſiſche Tag
ſachen. —
Ereignig in Madrid: ein paar verbannte Generale, un
ihnen O'Donnell, ftellen fi) an die Spike von 2000 Reit
der Beſatzung, rufen Lebehoch der Königin, aber Tod den x
rätherifchen Miniftern! Doc das Volf bleibt ruhig, die ı
133
deren Truppen auch, die Aufftändifchen ziehen aus Madrid
ab, werden verfolgt. — Auch der mißlungene Streich, könnte
zur Warnung dienen! —
Die Hofleute erzählen Wunder von dem Poffenipiel voll
Albernheiten, das der König und der Prinz Karl am Johan-
niterfeft hier aufgeführt. Der Graf von der Affeburg meinte,
der König fei nahe daran, ganz thöricht zu werden, und über:
iufhnappen. In allem was er thue und angebe fei weder
Ordnung noch Folge, nur wechfelnde Laune, und baare Phan-
tafterei ! —
Der Präfident von Kleift, der im Jahr 1848 feinen Ab-
fhied nahm, ift auch wieder in den Staatsrath berufen.
Grhat im voraus erflärt, daß er es nicht erwarte, in feinem
jall aber e8 annehme, nie werde er die Verfaſſung be-
ſchwören, die er verabjcheue. Er meinte auch, der ganze
Staatsrath danke feine Herftellung blos der Eitelfeit Hindel:
dey’8, der fich ala Mitglied deifelben habe zeigen wollen. Der
Geheime Rath Sulzer, verrufenen Andenkens, ift aud Mit:
gied! — Eine wackere Geſellſchaft! —
Mittwoch, den 5. Juli 1854.
Früh aufgeftanden und um halb 9 Uhr mit Ludmilla zum
degräbnig der guten Johanna Neander gefahren, Koch:
fraße, Ad. — Der alte Strauß überaus freundfchaftlich mit
und; er hielt am Sarge die Liturgie und eine Rede, welche
vorzüglich der treuen Liebe der Verftorbenen zu ihrem Bruder
gewidmet war. Wir folgten der Reiche auf den Kirchhof vor
dem Hallefhen Thor, wo die Verjtorbene neben ihrem Bruder
eingeſenkt wurde; der Prediger Lisco wiederholte hier die
Liturgie. Dad Ganze war feierlich und rührend, und ich
hatte dabei die weitgreifendften fruchtbarften Gedanken. —
134
Donnerstag, den 6. Juli 1854.
In franzöfifchen Blättern wiederholen ſich die Auffor De⸗
rungen und Zunöthigungen an den ruffifchen Kaifer, er [elle
abdanfen, denn in Unglüd und Schande, die er felbft verfch zals
det und feine Ausficht habe zu verbeffern, önne ı er über fetne
Völker nicht fortregieren. —
Die Antivort ded ruffifchen Kaiferd auf die letzte von
Defterreich und Preußen ihm geftellte Aufforderung ift durd
den preußifchen Oberftlieutenant von Manteuffel hier über:
bracht worden. Sie lautet friedliebend, ſophiſtiſch, quer,
durhaus unbefriedigend. Es werden die jämmerlihiten
Kniffe gemacht, um den wahren Stand der Dinge zu ver
hüllen, den Schein an der Stelle der Wirklichkeit gelten zu
laffen. Thut doch der Kaifer ald habe er die vom türkiſchen
Sultan den Mächten ertheilten Verficherungen in Betreff Det
in der Türkei lebenden Chriften zu billigen oder anzunehmen!
Darum ift er gar nicht gefragt worden; er aber möchte DU
gefcheiterte Beſchützerrolle fortfpielen! Unſere inländiih en
Ruſſen, Stahl, Wagener, Goedſche, Gerlach ꝛc. finden Den
alled erhaben und |hön! — |
Bunfen hat dem Könige bei der Affyrifchen Sozietät ®"
London 200 Fuß Basreliefs aus dem Palafte Sanherib’s fe
1000 Pfund Sterling zufichern laffen. —
Der Legationdratb Graf von der Golg, Mitglied de '
Bethmann-Hollwegs Barthei, hat fich mit diefer entzweit, vor —“
her aber mit dem Könige, bei dem er bi dahin ziemlich gu
ftand. —
Man fagt, auch im Falle wirflich der Friede zwiſchen Rup-
land und den Weftmächten zu Stande fomme, werde der König
zulegt doch noch das Heer auf den Kriegöfuß ftellen, — troß
den 10 oder 12 Millionen Thaler Koften —, bloß um feine
Kriegsmacht zu zeigen, diefe Genugthuung werde ibm nicht zu
135
{heuer fein, um fie fich zu verfagen. „Obne Kampf wenig-
end nalen, * fagt ein General. —
Freitag, deu 7. Juli 1854.
Geſchrieben: Bemerkungen über die Kriegsführung gegen
Rußland; mir erfcheint der fehließliche Sieg der Verbündeten
noch keineswegs verbürgt. Zahlreicher noch ale die Heeres-
| äfte werden auf allen Seiten Ränfe und Schliche aufgeboten,
um für Rußland zu wirken. —
: Sale wurde in Sandfouci der Geburtätag des Kaiſers
von Rußland gefeiert. Der Graf von Königemard war zu
dem Gaftmahl vom König eingeladen worden, und ift gleich
uchher mit Aufträgen nad) St. Petersburg abgereiſt. Wich—
ige wird man ihm wohl nicht anvertraut haben, dagegen fann
gewählt fein, um alle Schimpfreden des Kaiferd und tropi-
gen Gehäffigkeiten der Rufen in Empfang zu nehmen; in
| mande wird er fogar von Herzen einſtimmen. —
Heute früh ift der große Gewerbömann Borfig am
Shlagfluffe geftorben, erſt fünfzig Jahr alt. Er befchäftigte
über 3000 Arbeiter. —
Die Sachen in Spanien ftehen ‘noch zweifelhaft. Die
Auftändiichen fordern Konftitution, Verbannung der Königin
Mutter Chriftine, dieſes unheilvollen Scheufald, und Einzie-
bung ihres fehändlich erworbenen Vermögens. Endlich reißt
die Geduld! —
Königgmard foll nur Glückwünſche zum Geburtöfefte der
Kaiferin — am 13, Juli — überbringen. Das kann er aus:
richten! —
Sefeplich darf keine Hausſuchung gefhehen, ald auf rich-
terlichen Befehl. Der Polizeipräfident von Hindeldey achtet
dieſer Borjchrift nicht, noch niemals hat er das Gericht wegen
136
Ausfertigung eines foldhen Befehl angefprochen. Dieje Ber
legung der Geſetze wird endlich bemerkt, gerügt; aber niemand
wagt gegen den mächtigen Mann aufzutreten. Der Staats
anwalt Meyer, der ed wollte, ift deßhalb nach Magdeburg
verfeßt worden. Große Gefälligkeit ded edlen Juſtizminiſtere
Simons! — Man glaubt aber doch, das Reich Hindeldey?
babe am längften gewährt, er werde nächftend einmal übe
Bord gehen. Vielleicht aber findet er Gelegenheit, noch ein
mal den Staat zu retten, das Leben des Rönige zu ſchůtzer
Komplotte zu entdeden! —
Der König fpricht nie von Kammern, immer nur vr
Ständen; er betrachtet die Kammern immer noch ala Be
einigte Ausfchüffe der Provinzialftände, auf dieje Bedeutisı
und Benennung möchte er fie zurüdbringen. Die erfte Kar
mer foll ihm den Herrenftand des Vereinigten Landtags wi
der darftellen; er betrübt fich darüber, daß er dieje herrlic
Körperfchaft fo Tange durch das aus Volkswahlen hervorgega
gene plebejifche Gefindel hat müffen vertreten laffen und ne
muß, weil er fich nicht anders helfen fann. „Wenn ars
Herren darin find, fo find ſie's doc, nicht ale ſolche, fonde
durch ihrer unwürdige Wählerei aller Klaſſen.“ —
Sonnabend, ben 8. Juli 1854.
Gefchrieben, über politifche Verbindungen, die eigentli
wenig nüßen, nur augenblidlich und örtlich helfen können, i
Großen wirkt die allgemeine Thätigfeit der Geifter, die Sumr
unzähliger Beiträge — die namenloe find oder ed bald we
den — ficher und mächtig. Wenn jeder Wohlgefinnte n
feine Ueberzeugung feftbält, nah Maßgabe der Umftän
darnach handelt, fie ausfpricht, fo ift dad hinreichend, me
braucht ed nicht. —
137
u Im Plinius gelefen; Bibel- und Glaubendfahen, vom
ers 2 Sichenratb Paulus, Strauß ꝛc. —
53 Das Kreitgericht in Magdeburg hat den Prediger Uhlich,
2 derangeflagt war, die Religion und die Obrigkeit beleidigt zu
a4 haben, freigefprochen. Die Verhandlung war nicht öffentlich.
mer Die Neue Preußifche Zeitung hat heute mich wieder eins
za mal bedacht; fie jagt: „Der große Biograph Varnhagen
ned von Enje und die kleinen Juden der Volfäzeitung * das fei der
1 ’sr Utel eines Drama's, an dem der Zufchauer jept arbeite, und
deſen erfter Akt fast fertig fei. — Wieder ein Nachhall der
zur giftigen Inſinuation, daß ich heimlich an der Volkszeitung
als 3 mitarbeite! —
fr Sonntag, den 9. Juli 1854.
kr 2 Nachmittags fam Frau Bettina von Arnim, ohne Gefchäft
ze Und Zweck, aber wohlgeftimmt, munter. Sie ſprach lebhaft
er über Muſik, pried den Herrn Joachim außerordentlih, lud
IR mich ein, ihn bei ihr zu hören. Heute hätte fie nicht an Goethe
jene @ihrieben: „Du mußt ein Chrift werden, Heide!“ Sie
meinte, e8 habe nie einen ſolchen Chriftus, wie ihn die Kirche
Ihtt, gegeben, fein Dafein fei eine Fabel, feine Lehre fei ſchon
ki Indern und Aegyptern gewefen, und das thatfächliche
Chritenthum habe der Welt mehr Schaden ald Heil gebracht;
namentlich wirkte der Fabelkram in unfrem Könige, wenn man
ihm den aus dem Kopfe nehmen fönnte, würde er ein ganz
guter Fürſt fein, alles Unheil fomme aus dem Religionswahne
ber. Sie fagte Dinge, mit denen Voltaire ganz zufrieden fein
fönnte, mit großem fühnen Geifte, und mit voller Kraft einer
tiefen Ueberzeugung. —
Geipräh mit Ludmilla. Altteftamentarifche Sachen ge:
lefen ; Michaelis über das Mofaifche Recht, ein Zeugniß tüch-
tiger und freier Gelehrſamkeit im achtzehnten Jahrhundert,
138
wie verfchieden von unferen jebigen Leitungen in diefem Fach!
So ift auch Michael Ignaz Schmidt noch ftetd eine Delhi
mung aller derer, Die nach ihm eine Geſchichte der Deutſchen
verfucht haben.
Unfere preußiſchen Ruſſen bieten alles auf, um ung in die
vom Kaiſer Nikolaus gelegte neue diplomatifche Kalle zu loden 7
und uns von Defterreich wieder abzuziehen. Der König erläft
nach Wien den Nath, auf die rufjishen Erbietungen einjzu—
gehen. — g
In Sachſen neue Begnadigungen von fieben Maigefange
nen in Zwidau, von fechzig — fagt man — in Waldheim;
. 08 heißt von Allen. Der Himmel gebe feinen Segen dazu! —
Preußen allein verharrt in tüdifcher Bosheit, und läßt feine
beiten Söhne im Kerfer und im Ausland ſchmachten! —
(Das von Waldheim ift nur frommer Wunſch!)
Jemand, der den Polizeipräfidenten von Hindeldey nähel
fennt, will mit Sicherheit behaupten, diefer fee feinen ganz EN
Ehrgeiz darein, durch bürgerliche Verdienite um Berlin DI
Flecken auszutilgen, die auf feiner politifchen Thätigkeit liege F-
Er fol ſich der Rolle, die er im Prozeſſe Waldeck gefpielt, c
Ihämen, daß er roth wird, wenn deflen erwähnt wird; au
feinen Schergen Kayfer darf man vor ihm nicht mehr nenne #8
„Uber mit all feinen Waſſer- und Wafchanftalten wird F
diefe Flecden nicht wegwafchen !* — Ich miptraue dem ganze 7
Beriht! —
„Wi, dem das Gelächter als befondere Beilage vom Ur
heber gleich mitgegeben wird, ſonſt lacht: niemand. * —
Montag, den 10. Juli 1854.
Viele Leute in Bewegung, wegen Borfig’d Xeichenbegäng-
niß, das heute Vormittag ftattgehabt. — Bettina von Arnim
fam Vormittags, brachte mir einige Briefe und Blätter aus
139
vem Nachlaſſe von Sophie Brentano (Mereau), und ließ mir
ine Antwort Humboldt's zurüd, fie felbft wollte feinen
Hugenblid! verweilen, denn unten wartete jemand auf fie, mit
yem fie nothiwendig zu fprechen hatte. Humboldt beflagt, daß
ei der Fülle herrlicher Gaben, die Gott über fie ausgefchüttet,
br die des Mißtrauens nicht verfagt worden, fie folle doch
ticht auf alberne Reden hören. Don den Berdächtigungen,
yenen fie in Betreff ded dem Mahler Ratti ausgezahlten Preis
es für feine Tizian-Kopie bloögeftellt worden fei, habe er nicht
a3 Geringfte vernommen, werde ihnen aber entgegenwirken,
o fehr er es vermöge. Mit guten, artig vorgetragenen Grün
en lehnt er ab, ihre Aufträge wegen des hiefigen Dombau-
'ereind — der eine Muſik aufführen will —, wegen des Mu:
ikets Gorneliud und wegen Ratti’8 Gemähldeausftellung zu
Ibernehmen, er fagt, er jpreche nie mit dem König über folche
Dinge, auch helfe Fein mündliched Befprechen , eö müffe alles
ieſer Art gefchäftsmäßig an das Kabinet gerichtet werden. —
Brief und Buch aus Köln von Herrn Profeffor Dünger.
Sein Werk über Goethe’ Iphigenia. Ankündigung neuer
Arkeiten. Ein ftaunenswerther Fleiß und unermüdlicher
Sharfinn. Möchte ihm nur die verdiente Anerkennung zu
Theil werden! Das Minifterium des Kultus erweift ſich roh
und ftumpf. Der litterarifche Erfolg iſt nach den Umftän-
den noch groß genug, aber keineswegs ergiebig für den
Autor! —
Die Neue Preußiſche Zeitung ift heute Abend ausgeblie-
den; wie man nachträglich erfährt, weil der Redakteur Heinife
auf Befehl Hinckeldey's Nachmittags verhaftet worden ift, und
daher die nöthige Unterfchrift für die Polizei-Abdrücke nicht
geben konnte. Heinike weigerte fih, den Berfaffer eines be-
timmten Auffages zu nennen, und noch mehr, ein Berzeichniß
Uer Mitarbeiter einzureichen, welches zu fordern allerdings
sindeldey gar nicht befugt iſt. Schufte find ed, aber den
140
Schuften geſchieht Unrecht. Hole fie der Teufel, aber nicht
Hindeldey! — |
Der Bräfident Adolph von Kleift hat feine Berufung in
den Staatsrath entfchieden abgelehnt, ungeachtet ihm jeine
Sreunde fehr zur Annahme gerathen haben. Der König fell
„fuchswild' darüber fein! —
Die Ruffen räumen die Walachei minder eilig, man glaubt,
fie werden ftehen bleiben, in der Meinung, daß dann die
Deiterreicher nicht einrüden. Vielleicht foll auch nur der
Gindrud einer zu plößlihen Räumung gefchwächt werden! —
Der ruffifche General Manfuroff iſt hier amgelommen, am
Hofe fehr befannt und beliept. Der Kaifer Nikolai hoft,
durdy Preußen? Zögern auch Defterreich noch zurüdzuhalten. J
Aber die Türken, die Franzofen und Engländer, wie ml et J
jich deren erwehren? Bisher ift feine Heeresmacht einzig an
den Türken gefcheitert! — |
[4
Dienstag, den 11. Juli 1854.
Die von Bettinen von Arnim geftern mir gebrachten Briel’
ichaften aus dem Nachlaß ihrer Schwägerin verfegen mid ſo
lebhaft in eine mir bedeutende Vergangenheit, daß ich der Ge⸗
genwart darüber fait entrüdt werde. Wir waren noch Kinde
meine Schwefter und ich, ald und die Gedichte von Sophie
Mereau zu Bewunderung und Kiebe hinrifien, fie felber zit
fehen, den Saum ihres Kleides zu berühren, und das herrlichit‘
Glück gewefen wäre. Nun blid’ ich in ihre vertraufichiten
Beziehungen, leider ohne die liebe Schwefter! Später, wie
jehr erregte mich der Name Eichen, feine Ueberſetzung dee
Horatius, fein unglüdlicher Zod in der Schweiz, dann fein
Andenken im NReichardt’fchen Haufe zu Gibichenftein, er war
mit Luife Reichardt verſprochen; dann auch Böhlendorf’s
141
lamen, jeßt von niemanden mehr gekannt, einft aber mir
heuer, und auch Fichte'n, der ihn mit Billigkeit beurtheilte,
ein Trauerjpiel „die Schlacht von Marignano“, war fein uns
verdienstliches Werk; bier nun kommt ein Brief von ihm mir
vor Augen, an Sophie Mercau, auch feines Freundes Eichen
gdenfend. Desgleihen wird Erhard erwähnt, Woltmann
Reinhold, Böttiger in jener frühen Zeit, alle in gleichzeitigen
Jeugniffen der eigenen Handſchrift. Das Köftlichite aber iſt
tine Meine Silhouette von Hardenberg-Novalis, ihn in feinem
eiften Jahr voritellend, fprechend ähnlich dem fpäteren Bild»
fe, eine wahrhaft einzige Reliquie, die ich mit Andacht be:
tahte! Man muß jene früheren Eindrüde mit erlebt haben,
um mein Gefühl zu verftehben! —
Sendung aud Oldenburg, der dritte Band von Stahr's
Jalien! zweite Auflage, mit Stahr's gelungenem Bildniß.
Glah nach dem Eſſen fam Frau Bettina von Arnim.
Sie beiprach den Brief Humboldt’ mit mir, und bemerfte fehr
nötig, daß er beim Könige nicht viel mehr gelten müffe, daß
weggedrängt fei, da er nicht mehr Abends dort erſcheine,
niht mehr vorlefe, — aber je mehr verbrängt, defto ehren:
voller für ihn. —
Die Kreuzzeitung ift heute wieder audgeblieben. Die
Yarthei muß erfahren, daß fie troß allen Einfluffes doch nicht
herrſcht. — |
Sejuitenfachen gelefen. Peter Philipp Wolf's Gefchichte
der Jefuiten, in vier Bänden, ift mir aus früheiter Zeit ein
werthes Buch, das von allen fpäteren Schriftftellern, auch von
Ranke, jehr benußt, aber fait gar nicht genannt worden.
die Gruͤndlichkeit, Ehrlichfeit und der helle Sinn, welche darin
errſchen, werden in den Schriften der Späteren oft vermißt.
142
Mittwoch, den 12. Juli 1854.
Heute ift die Neue Preußiſche Zeitung zum drittenma
ausgeblieben, jtatt ihrer fam ein Zettel, der die Nachlieferum
der Nummern verfpricht. Der Redakteur Heinike ift noch in Haft,
obſchon das Obertribunal feine Freilaffung verfügt hatte; der
Unterfuchungsrichter legte gegen diefe Verfügung Einſpruch
“ein. E83 handelt fi um einen Artikel, bei dem die Behörde
eine Amtöveruntreuung vorausfegt, aljo ein Verbrechen, deſen
Urfprung fie erforfchen will. In wie vielen Fällen hat die
Kreuzzeitung folhe Mittheilungen von den höchſten Beamten
empfangen, und man hat dazu gefchiwiegen! —
Die Gräfin Rofji (Henriette Sonntag) ift am 17. Jun
zu Mericv an der Cholera geftorben. —
Die Türken unter Dmer Paſcha find bei Giurgewo über
die Donau gegangen, haben diefen Ort eingenommen, und eine
jtarfe rufjische Macht aus dem Felde gefchlagen. —
Vom Tifihrüden und andern folhen Alfanzereien. si
eine fich ftetö wiederholende Thatfache, daß alled Gute un?
Edle in der Welt zuerft mit Widerfpruh und Anfeindund
empfangen wird, jede neue Thorheit aber mit Gunft um
Beifall. — |
Die Kreuzzeitungsparthei findet ihre ftärffte Stüße in de
Königin, der man eingeredet hat, der Thron habe feine beilt
ren und treueren Bertheidiger. Die Königin verfteigt fl
nicht in die eigentliche Politik, fie begehrt nicht diefe Fäden ;)
. ziehen; aber fie befümmert ſich eifrigjt um alles Perſönlich
und weiß dem Könige die Eindrüde, die man ihr giebt, m
gutem Erfolge beizubringen. Man fagt hier, um die König
babe fih der fruchtbarfte Klatſchkreis gebildet, für den auch
Kreuzzeitung meiſt ihre Bosheiten gefliffentlih einrichtet. —
143
Domnerstag, den 13. Juli 1854.
Gegen Abend Beſuch vom Grafen von *. Erzählungen,
Ein Zeuge ift verpflichtet, ver Gericht auszufagen, kann dazu
geſwungen werden, Durch Geldſtrafen, Durch Gefängniß, letz⸗
tered ohne Maß und Ziel bis der Zeuge gehorcht. Aber der
Juſtizminiſter kann die Freilaffung verfügen. Dies geſchah
.B. in Königöberg in dem Muckerprozeß, zu Gunften der
Gräfin von der Groeben, die ſolcher Thatfachen, die mit ihr vor-
gegangen waren, fich nicht erinnern wollte, und Die Ausfage ver:
weigerte. Gelditrafen hatten nicht gefruchtet, es erfolgte Haft,
fe fandte eine Stafette an den Juftizminifter, der befahl man
ſolle fie frei laffen, undaufihr Zeugniß verzichten, dad ohnehin
bei folder Hartnädigkeit ald von geringem Werthe zu fchäßen
ki Diefe Berfügung, fo unhaltbar ihre Gründe waren,
mußte befolgt werden, das Gericht war aber fo aufgebracht,
Kies nun auch der Gräfin’ ihre Geldftrafen — gegen 300
Thaler — zurüdzahlen ließ. Auf ähnliche Weife wird Hei-
uile's Freilaſſung erfolgen, das erwartet man mit Sicherheit.
Heute ift die Kreuzzeitung wieder erfchienen, und drei
| Rummern dabei find nachgeliefert worden. Heinike hat fie im
Gefaͤngniß unterzeichnen dürfen, oder ift ſchon wieder frei;
man weiß ed nicht. —
Der König hat ſchon Hinkeldey'n rufen laffen, und ibn
befragt, wephalb die Neue Preußifche Zeitung nicht erjcheine ?
Hindeldey hat ſich entfchuldigt, es fei eine Juſtizſache. Die
„liebe, liebe” Kreuzzeitung! Wie fönnte man die am Hofe
miffen! — Man muß unterjheiden, was die Polizeibehörde
und was das Gericht von Heinife begehrt, nur erjtere konnte
das unbefugte Anfinnen ftellen, daß er alle Mitarbeiter nam-
baft machen folle. Die Sache felbit, die ein Beamter ihm
muß mitgeteilt haben, foll unerheblich fein, aber die Mitthei-
lung immer gegen die Beamtenpflicht. In taufend Fällen
fieht man darüber bin; wie ftrafbar würden fonft beide Ger:
144
lach's, Bismard-Schönhaufen, Stieber, Markus Niebuhr
ericheinen! —
Dennoch hat das Gericht das Anfinnen gemacht, und d
DObertribunal den Berhafteten aufgefordert, dem Anfinn
zu genügen! —
Malmene zu 20 Thalern Strafe verurtbeilt, weil er
jeiner Zeitfchrift, die feine Kaution geftellt, von Politik ſprid
Er hat fi vor Gericht dumm benommen und lächerlich
macht. —
Die freie Gemeinde in Magdeburg iſt vom Minif
von Raumer mit ihrer Bejchwerde gegen die dortige Regierui
abgewiejen worden. Natürlich! Die Behörde handelte ja na
feinen Befehlen! — Das Fortbeftehen unter ſolchen Umftä
den ift ein Wunder! —
Der alte Prozeß in Bremen gegen den Prediger Dulı
it endlid, abgeichloffen. Dulon ift verurtheilt, aber weit we
Röfing und die Andern find freigefprochen. —
nn ee —
Freitag, den 14. Yuli 1854.
Die Kreuzzeitung bringt heute Bericht über ihren Reda
teur Heinife. Er ift erft geftern Nachmittag der Haft entlafjt
worden, nachdem er dem Gericht — anftatt der ſämmtlich
Mitarbeiter — die Mitglieder der Redaktion namentlich a
gegeben, und der Mittheiler des fraglichen Artikels ſich a
eignem Antriebe genannt hat. Bon beiden Seiten feige Na
giebigkeit, doch ijt die Zeitung dabei im Vortheil, denn fie t
der Anforderung nur zum Schein, und zu fehr mattem Sc
genügt, und der Berichterftatter, der ſich gemeldet, jagt nic
woher er die Sache weiß! —
Der Fürſt Paskewitſch hatte den Kaifer Nifolai dring«
ermahnt, nichtö gegen die Türkei zu unternehmen, wenn
uw "nn
145
Oetterreihd und befonderd Preußens bollfommen ficher fei,
worauf der Kaifer lachend geantwortet, das fei er vollfommen !
As der franzöfifche Gefandte Caſtelbajace von St. Peters:
burg abreifte, faate ihm des Kaiſer: „Avec votre empereur
je pourrais m’arranger facilement, rien ne s'y oppose;
mes les Anglais, ce sont de vilains juifs, l’Autriche est
d’une ingratitude infäme, et mon frere de Prusse c’est
un —poete!* Dasleptere Wort fteht für ein härteres, das er
zu gebrauchen pflegt. —
Omer Paſcha geht über die Donau, fchen find Engländer
und sranzofen mit ihm vereint. Neue Schlappe der Ruffen.
General Chruloff hat den einen Arm verloren. —
In der Spener’fchen Zeitung fteht heute ein Nefrolog des
Öenerald von Scharnhorft, diesmal ein folcher, dem ich faft
ganz beiftimmen kann; alles Gute, was von ihm geſagt wird,
itmwahr. Einige TIhatfachen hätten anders gefaßt werden
finnen; die Schlacht von Haffelt ift lediglich nad) feinen An-
gaben gemonnen worden; bei Naftatt warf man ihm Fehler
; ter, deßhalb nahm er den Abſchied. Cr hatte ein liebevolleg,
licht verliebtes Herz. Als Fehler rechn’ ich ihm an, daß er
| inten Gindrüden von 1813 zu lange verblieb, fie wurden zu
} Lerurtbeilen. — Die Bewegung von 1848 verftand er nicht.
Die Zeitungen bringen ein Schreiben des ruffifchen Kanz-
lerz Grafen von Neſſelrode an den General von Budberg in
der Walachei, welches das fchreiendfte Zeugniß roher Gewalt:
humteit und zugleich ſchamloſer Lügen ift. Die ariechifche
Kirche der — wie ich glaube — weder Neffelrode noch Budberg
angehören, ift die einzige rechtaläubige, der Kaifer der einzige
Nachthaber und Berechtigte, alle hriftlihen Einwohner der
Türkei ftchen unter ihm, die andern Herrfcher in Europa find
irrgläubig und machtlos! So fpricht der von allen Seiten
eingeihnürte, durch die Türken allein biöher geſchlagene Zar!
Barnpagen von Enfe, Tagebücher. XI. 10
146
Sonnabend, den 15. Juli 1854.
Frau Bettina von Arnim fam, lud und zu morg«
Abend ein, wegen zwei Amerifanerinnen Namens Ray, Mu
ter und Tochter, von Paris ber ihr empfohlen. Bettina fpric
mit mir viel über ihren verftorbenen Satten, wünfcht, dap i
über ihn fchreibe, will mir noch ganze Maffen feiner Papie
zum Durchfehen und Ordnen bringen. Ich bin ihr gern b
hülflih. Sie war fehr gut und liebenswürdig, ſah auch fel
aut aud. —
Dffene Fehde zwifchen der Neuen Preußiſchen Zeitung ur
dem Polizeipräfidenten von Hinckeldey. Diefer hat ihr cir
Berichtigung zugefandt, mit dem Befehl, ſolche augenblidli
und gleich vorn in ihr Blatt aufzunehmen. Sie thut's, abı
fügt gleich ihren Einſpruch hinzu, daß feine Forderung üb
die gefegliche Berechtigung hinausgehe, daß die Befugniß fe
ned Einſchreitens noch nicht erbelle, daß er auf die Hauptſad
nicht eingehe 2c. Kein anderes Blatt dürfte dies Tropbiete
ungeftraft wagen. Die Kreuzzeitung indeß treibt es auc nid
aufs Außerfte, und rügt nicht Die Nachgiebigfeit des G
richts, weil ihr diefe doch auch fehr erwünfcht iſt; fie müß
doch fehr fürchten, daß zum Beifpiel Markus Niebuhr ala dei
jenige herausfäme, der ihr Nachrichten zuftedt. Hinckelde
wird ſich ſchmählich ärgern. —
Der Profeſſor Biedermann in Leipzig, ſchon feit eine
Jahr wegen feiner fchriftftellerifchen politifchen Thätigkeit i
feinem Lehramt ſtillgeſtellt, ift jebt gänzlich entlaffen und ibı
Borlefungen zu halten verboten worden. —
Bon einem angefehenen Mann wird mir verfichert, de
wicht nur der ruſſiſche Gefandte, fondern auch der franzoͤſiſch
und ohne Zweifel der öfterreichifche, hier eine vollſtänd
organifirte Polizei habe, die über alles berichte, auch üb
jtädtifche Vorfälle; fo fei die erfte Anzeige über das Sceil
begräbniß Tomaſchek's, an deſſen Statt ein Plättbrett |
147
| Sarge Ing, der biefigen Polizei vom frangöfifchen Gefandten
gekommen. Und unfere fehwerbezahlte, auf Stadt und Staat
laſtende Polizei taugt nicht einmal dazu, dergleichen Un-
weſen der fremden Gefandtjchaften abzuitellen, unmöglich zu
machen! —
Sonntag, den 16. Juli 1854.
Oeſterreich veröffentlicht feine neueften Verträge mit
Preußen und mit der Türkei. Defterreich verfündet die Ein-
fübrung von berathenden Landesverſammlungen in allen fei:
nen Kindern ; aljo ein Vorſchritt in Eonftitutioneller Bahn ;
und grade jetzt, in Ausficht eined großen Krieges, bei unges
heuern Rüftungen und Anleihen. —
Nachrichten aus Wien; der Kaifer Kranz Joſeph und feine
‚ Umgebung fprechen in den fehimpflichften Ausdrüden von
Preußen; alle Militairehre fei hier erfticht, fie gebe fein Lebens—
zeichen. Wenn es feine Demokraten und Volkshaufen nieder:
ulhmettern gebe, fei das preußifche Militair lammfromm
und fumm. In Wien find au fchon Stimmen laut ge-
!orden, daß Defterreich, wenn ihm die Donaufürftenthümer
entgingen, allenfalls Schlefien wiederbefommen fönne; dad
neuloſe Preußen, deſſen zweideutige Haltung allein noch
J Deetteich vom kräftigen Vordringen abhalte, verdiene eine
gründliche Beſtrafung! — Ob wohl dergleichen auch in den
Kiandtihaftlichen Depefchen dem Könige gefchrieben wird? —
— — 6 — — —
Montag, den 17. Juli 1854.
«ste denn wirklich fo gerathen und ſicher, mit Louis
Vonaparte, dem Staatsftreich-Kaifer, in enges Bündniß zu
gehen?" Sofragt ein altpreugifch gefinnter Mann, der aber in
dem Wahre ſteht, fein altes Preußen fei noch jept vorhanden
‚10°
148
und wirffam! ch antworte: Solcher Bund wird von
manden ftärfer verabjcheut, ald von mir! Aber durd a-
was ihr bisher gethan, oder vielmehr gefündigt, ii
jest geboten. hr könnt nicht anders! Mir zu Gefa
nennt ihr ihn den Staatsſtreich-Kaiſer, aber ihr Flatfchtet C
Staatöftreich Beifall, euch war er lieb! Schon dadurch Ten!
ihr in die fchlechte Bahn, in der ihr jetzt nicht vorwärts wo
die ſchimpfliche Senofjenfchaft wähltet ihr! Die müßt ibr n
weiter führen, oder mit ihr brechen, was ihr nicht fünnt, v
euch übel befommen würde. Das fommt davon, wenn
Regierung fich zur Parthei herabwürdigt, zur volksfeindlich
gewaltthätigen, wenn fie dad Volk fpaltet und drüdt, anil
ed zu einigen und zu heben! Preußen freifinig und gr
müthig, und noch heute ftünd’ es ald erfte Macht in Eur:
da, ald die Gebieterin über Deutfchland. Doc ſolch ein
ſehene Unmöglichfeit fann und nicht mehr täufchen. Frei
nig und großmüthig zu fein, dad muthet euch niemand m
zu; fo feid wenigſtens klug und kräftig! Ergebt euch in
Schande, und zieht aus ihr nun die geringen Vortheile, de
Fülle aus der Ehre zu gewinnen, ihr weder Herz noch Gejd
hattet! Eine fchnelle Fräftige Kriegsführung gegen Rußla
iſt euch auferlegt ; ihr zögert, bis alle Welt fieht, daß ihre n
als Sezwungene fie übernehmt ?! —
Der Staatsanwalt des Stadtgerichtd hat die Kreuzzeiti
gezwungen, nun auch den in ihrer Sache erlaffenen Beſch
des Obertribunald zu veröffentlichen. Die Polizei und
Gerichte find ihr nicht gewogen, aber bei Hofe ſteht fie
größter Gunſt! —
Dienstag, ben 18. Juli 1854.
Die englifchen Blätter ſchimpfen und drohen gegen ı
wegen unjered Zauderns und Schwankens. Dabei wird
149
König art mitgenommen, gefcholten und verhöhnt, ihm alle
Miännlicfeit abgefprochen! In England am meiſten wünfcht
ver König geachtet und geehrt zu fein, und da grade geht ea
ibm am fchlechteften! — Aber audy die Ruffen loben ihn nt
und dad Inland ſchweigt. —
Das neue Bundespreßgefeb befchneidet wieder etwas mehr
den geringen Raum, der unferer Prepfreiheit noch geblieben
it. Wird ed in Preußen eingeführt, die etwas freiere eigne
Geſetzgebung dadurch befeitigt, — nun dann wiſſen wir wie:
der etwas mehr, woran wir find! Die Gewalt: und Willkür:
Regierung fann und die freien Zeitungen nicht laffen; — aber
es geht langfam, wir fünnen noch lange die Nationafgeitung
und Volkszeitung genießen; außer wenn wir ung. für Ruß—
land erklären, dann hat e8 mit ihnen ein Ende. —
In Spanien greift der Militairaufftand um fich; hier find
Öenerale und Soldaten die Demofraten! Es fehlt nicht an
Leuten, die den Aufftand in Zufammenhang glauben mit ruf:
‚ fühen Ränfen ; er ift allerdings für Frankreich und England
| unbequem. —
Die Vereinigten Staaten von Nordamerifa haben es bei
| Dänemark durchgeſetzt, daß ihren Schiffen und Erzeugniffen
die Fahrt durch den Sund freigegeben wird. (Nicht ganz, doc)
' großentheils.)
Der General von Anrep, der im ungarifchen Kriege den
beftigen Auftritt mit feinem Oberbefehlshaber Paskewitſch
' hatte, dann von den Türken an der Donau eine Schlappe er:
her, ſoll ſich durch einen Piftolenfchuß getödtet haben. Grade
jest, da fein Feind Paskewitſch mit Schimpf und Schande
vom Schauplak abzieht? Es heißt, Anrep fei von feinen Mit:
generalen fchändlich im Stich gelaffen, und vom Kaiſer unwür:
dig gedemüthigt worden; er fei am wenigiten fchuld geweſen
an feinem Unfall. —
150
Das Berliner Leben ift jest in trauriger Stockung; nir-
gends etwas Frifches, Anregendes. Aller Muth und Geil,
alte Fröplichkeit und Kraft ift ſchweigend in's Innere gedrängt.
Ueberall Ueberwachung, Polizei, Hemmung, Schifane; fein |
lautes Geſpräch, fein Zufammengehen! Recht der Ausdtuc
dieſes ganzen lumpigen Regierwefens, der höfifchen Geiſtloſg
feit und Langweile, der fafelnden Phantafterei und Chn-
macht! -—
So dange noch feine Regierung wagt, mit freient offenen
Muthe die Frage wegen Polen aufzuwerfen, ift alles ma
gegen Rußland gefchieht, der ganze Krieg, zu Waffer und zu
Lande, nur Sumperei! Wäre in der preußifchen Politif ein
Zunfen von fühnem Heldengeifte, fo müßte fie diefe Frage
jetzt in die matte Kriſis kräftigend fchleudern. Entweder
müßte Preußen das hergeftellte Polen ſich aneignen, und Die
Stücke der Anderen bekommen, oder fein eignes Stüd gu:
mütbig aufgeben, und dafür überreichen Erſaß in Deutfhlarat
ſelbſt erlangen. — O wie weit entfernt von ſolchen Anſichte "ı
von folhen Entfehlüfen! —
Mittwoch, den 19. Juli 1854.
Beſuch vom Herrn General von Weyrach ; er reift mit je
ner Frau nach Preußen zum Befuche der Sauden’fchen I
wandten. Ueber Herrn von Sauden-Tarputfchen viel q
ſprochen, ihn hochgerühmt, und feinen frühen Tod bedauer”
Er ftand mit dem König in vertrautem Briefwechſel, empf
oft die ausführlichften eigenhändigen Schreiben von ihm ; ſcho
durch den Vereinigten Landtag fühlte ſich dieſes Verhältnig
welches ganz abbrach durch die Weigerung des Könige, die ihr⸗
von der deutfchen Nationalverſammlung zugeſprochene Kaiſec—
frone anzunehmen. Weyrach ift ganz weſtlich gefinnt, gege
151
Rußland, deffen verderblichen Einfluß auf Preußen er lebhaft
erörtert. —
In Spanien geht es luftig vorwärts! „Es lebe die Köni-
gin, Die Konjtitution! Tod den Miniftern! Fort mit Chri-
ſtine!“ — Wird endlich diefed Scheufal aus Spanien ver:
bannt, dann läßt fich hoffen. —
Es giebt hier von alten Zeiten ein fogenannted Bürger:
rettungsinjtitut, das den Zweck hat, braven Bürgern aus
unverfchuldetem Unglüd aufzuhelfen. Neulich nannte jemand -
Das neben dem Dom erbaute Campo santo mit jenem Namen.
Man fragte, wieſo das? „Weil da die Könige begraben wer—
den follen,* war die Antivort. —
Donnerstag, den 20. Juli 1854.
Schon im fiebenten Jahr feit der Revolution, fchon im
dritten jeit dem — Pariſer Staatsftreih! Zeit brauchen die
politifchen Entwidelungen, viele Zeit! Aber fie fchreiten vor,
und find grade jet in vollem Gange, wiewohl wir die Um—
wege befeufzen, die fie machen. Die hulbeuropäifche Revo:
fution von 1848 muß zur ganzeuropätfchen werden, dahin zielt
altes! Rußland und England werden furdtbar vorbereitet,
von entgegengejegten Seiten arbeiten fie beide auf ihr gemein:
fames Schidjal hin. Doc freut mich dieſer Gang nicht,
er verlest mein innigfted Gefühl, meine redlichfte Ueber:
zeugung! —
Die Regierung, nicht zufrieden , die der herrichenden Par—
thei mißfälligen Beamten, wegen politifcher Gefinnung und
Wirkſamkeit, zurüdzufegen, zu drüden, ja gradezu abzufegen,
treibt ihre Berfolgungefucht fo weit, deren Wiederanftellung
auch in Rommunalämtern, ja bei ‘Brivatgefellichaften, zu ver
hindern. Der Minifter des Innern, Herr von Weitphalen, bat
eben ein Zirfular ergehen laffen, durch dag allen Behörden
152
eingejchärft wird, ihren gefammten Einfluß anzumenden,
dergleichen Wiederanftellung — 3. B. bei Feuerkaſſen — r®
leicht gemacht werde! — Wie fann die preußifche Regiere
bei ſolcher elenden gehäffigen Betriebjamkeit eine grpuf
Politif haben! — Man kann nur rufen Pfui! —
Der Seehandlunaspräfident, Herr Bloch, hat feinen et⸗
tenen Abſchied erhalten, zugleich aber den Rothen Adletorde⸗5
zweiter Klaſſe mit Eichenlaub, zum Danke dafür, daß er gem
Seit Jahren ſucht man ihn wegzubeißen, hat ihn verläumde —?
und fränfen laffen, dem Verläumder Wagener die Strafe ga"
ſchenkt, endlich ift man ihn los! Er gilt für den fähigiteee?
Finanzmann im ganzen Staat, er ift auch gar fein Demofrar ⸗ç
aber ein Jude, ein aufgeflärter Mann! — An feine Stelle it
der Geheime Finanzrath Samphaufen gefommen. —-
Un der Donau, im Schwarzen Meer, in der Ditier,
überall wieder Stodung, auch Defterreich zaudert, und Preußen
— vermittelt und fchafft den Ruſſen Zeitgewinn. — Eine
lebendige, eine feurige Theilnahme fann für dDiefe Betreibun:
gen, für die ſe Mitfpieler in dem Drama fchlechterdingd nicht
Statt finden! — Die Türken felbft find noch die beiten. —
In Wien und in Kafjel find Nummern der Kreuzzeitung
polizeilich weggenomwen worden, Ihr Freund Haffenpflug
auch untreu?! —
Freitag, ben 21. Juli 1854.
Schon vor fieben Jahren erlangte der Herzog von Suther—
land von unferem Könige das Verſprechen, daß diefer ſich für
ihn wolle mahlen laffen, und zwar durdy Henſel. Das Bild
ift endlich jebt fertig geworden. Henſel beging die Taftlofig-
feit beim Könige anzufragen, ob der Herzog das Bild ald ihm
ſchon gehörend, zugeſchickt erhalten und bezahlen folle, oder
der König ed bezahlen und dem Herzog fihenten werde? Der
153
wortete darauf ebenfalle fonderbar, er wolle fich noch
Nun ſteht das Bild einftweilen und wartet, und
e warten. — Man will wiffen, der König fei bedenf:
fein Bild nad England zu fchiden, weil dort jet
ihn fchimpft, was ihn entfeßlich ärgert. —
— — — — — —
Sonnabend, den 22. Juli 1854.
kleinen Geſchäfte des täglichen Lebens werden mit
ifer und Ernſt betrieben, als wären ſie der wichtigſte
Daſeins; in ihnen auch wird vorzugsweiſe die Nütz⸗
gelegt, auf die der Menfch fo ftolz zu fein pflegt, in
jern feine Beruhigung fucht. Diefe Betriebfamteit
der höchfte Zweck, aber fie hängt allerdings mit ihm
, und ein Menſch, der fie ganz vernachläffigt, der,
zu fagen pflegt, nicht zu brauchen ift, auf den man
en kann, iſt bei aller fonftigen Begabung ein unvoll-
oder verfrüppelter, auch in füttlicher Beziehung. Zwar
nige, welcher der Welt nichtö Tiefert als fich jelber,
efem einen wahrhaft und allfeitig gebildeten, klaren,
und feften Menſchen, für die Welt weit mehr, ale
fort Fleine nügliche Thätigfeiten in geringem Stoff
- geringer Stoff ift auch die gewöhnliche Menfchen-
allein wer fich zu jenem Stand emporgehoben, der
» fähig fein, dad Geringere zu leiften. Die foge-
nüglichen Ihätigfeiten find großentheild problema-
Werkleute, die nach fürftliher Laune ein Luſtſchloß
‚ nennt man nüßlich, aber ebenfo die, welche nadı
ern Laune ed wieder abtragen ; die Kriegeleute, welche
Ihlagen, und die Wundärzte, welche fie wieder hei:
menſchlichen Angelegenheiten liegen in tiefer Ber:
und wo wir einmal einen guten Faden nicht zu
154
ſchnell wieder verlieren, da glauben wir fchon die re
ganzen Wirrniffes gefunden zu haben! aber bald müf- u
den Irrthum einfehen. Dies ift eine fruchtbare Geihie®
trachtung leider! —
Sonntag, den 23. Juli 1854.
Gegen 7 Uhr fam Frau Bettina von Arnim begleitet
Herrn Joachim. Sie betrich mit Eifer die Vermittelung
näheren Befanntfchaft, hebte ihn, hepte mich, aber in der.
müthigſten Abſicht, und liebenswürdigſten Weiſe. Bi
mußten gezeigt werden, Lob wurde geſpendet. Nach einer
ben Stunde führte Bettina den Gaſt wieder fort, dem ich
Buch Rahel geſchenkt hatte, auch auf ihr ausdrückliches
langen. —
In Spanien ift die revolutionaire Bewegung fiegt
Der Siegeöherzog Espartero fteht an der Spike, das Sche
Chriſtine ift auf der Slucht. Auch dad Wort „ Republif* ı
gehört, eine zu frühe Verkündigung, aber eine! —
Der König von Bortugal tft von London hier angefomı
Dan möchte gern viel draus machen, es iſt aber nichte.
Zeiten, wo ein reifender König Auffehen erregte, find voı
Und folche ordinaire Könige gar, ohne Saft und Kraft! -
Preußen fängt an, Pferde zur Verftärfung der Rei
und zur Beſpannung der Geſchütze zu kaufen; vorgemerkt
fie fehon. Ein Borjpiel zur Mobilmahung, Noch i
durchaus zweifelhaft, gegen- wen die preußifche Rüftung
treten wird; zwar ift Preußen durch den Vertrag mit O
reich ziemlich gebunden, allein Defterreich ſelbſt ift nich!
Ginge etwas in Frankreich vor, wodurd Louis Bonapc
Macht ſänke oder ganz fiele, oder ihm eine revolutionaire
tung auferlegt würde, fo gingen Defterreih und ‘Preußen
155
Rußland vereint am liebften gegen Frankreich; das heißt die |
Hör, Die Kabinette!! —
Der König, fo fagen Einige, fei nicht fo fehr ruſſiſch ae-
ſinnt, aber habe eine angeborne, ganz unüberwindliche Furcht
vor Rußland, eine weit größere, als die vor Louis Bonaparte,
wiewohl diefe auch nicht gering fei! —
Man erzählt vem Könige wieder eine Aeußerung der Art:
teine Macht der Erde folle ihn jemals dahin bringen, gegen
Rußland Krieg zu führen. — „Heine Macht der Erde! man
fennt dag!" —
Montag, ven 24. Juli 1854.
Zweifelhafte Nachricht, Daß der Ginmarfch der Defterreicher
in die Walachei begonnen habe. — Neue Schlappe der Ruffen,
Hop durch die Türken. — Franzöfifche Landtruppen in der
Oftſee angekommen, General Baraguay d'Hillers in Kopen—
hagen. —
Der Kaiſer von Rußland hat — jetzt! — ſeinen Titeln
den, Protektor der Donaufürſtenthümer“ beigefügt, ohne alles
Recht, ohne die nöthige Zuſtimmung, aus prahlendem Eigen—
ſinn; der Augenblick iſt gut gewählt! — Nachrichten aus
&t. Petersburg zufolge finft das perfönliche Anfehen des
Katfere, Das ohnehin auf Fünftlicher, großentheild Tügne-
tiſcht Grundlage mühfam errichtet war, mit jedem Tage
mehr. Die Niederlagen feiner Truppen, fein erfolglofes
Wüthen, feine Unfähigkeit die Sachen felbft zu führen, machen
den fhlimmften Eindruck. Die Nuffen fehen ihren Dünfel
überall niedergefchlagen, und die Bornehmen fchimpfen auf
den Kaifer. —
Wenn ich ftill daliege, und wach die Augen Schließe, thun
ſich mir, wie von felöft, Gegenden, Städte, Wohnungen, Gär:
ten auf, deren Wirklichkeit in bunten Lebensgewimmel fchnell
156
mit Phantafiebildern jich mifcht, und die mannigfad
jtalten hervorruft; ich kann mir fein reicheres, Fein
genderes Theater denken, und es fteht immer offen, e
nur auf den Entichluß an, bineinzugehben. Der fi
öfters. —
Die Gräfin von Münfter geb. von der Marwig, d
rald und Alexanders Schweiter, die lange Zeit !
Könige mit den ſchlimmſten Ausdrüden ſprach, ift
zufrieden mit ihm, und fagt es laut. Das iſt ein fı
Zeihen! —
Aus fehr guter Quelle wird verfichert, daß die.
tung eine fehr ftarfe Geldunterftüßung aus St. Pe
bezieht. Man giebt die Summe auf zwanzigtaufen
jährlih an, ungefähr achtzigtaufend Rubel Aſſignater
land bezahlt damit feinen eignen Schaden, die Kraı
thut ihm den größten an. Die Franzoſen und E
müßten die Zahlung fortfeken, wenn Rußland jie
Nüsen fann die Kreuzzeitung nur in der Sphäre hiefi
verhältniffe und in gewiffen Amts: und Gnadenfa
allen andern Beziehungen ift ihre Lob nur Sc
Schande, Nachtheil. —
Dienstag, den 25. Juli1
Im Seneca gelefen, in Voltaire's Henriade, be
wenigftend begriff, wiejo fie dad Entzüden und die B
rung der Beften ihrer Zeitgenoffen fein fonnte, di
ordentlichen Vorzüge diefer Dichtung liegen in de
menjchlichen, und nationalen Gefinnung, und in der
gen, theils erhabenen, theild anmuthigen Ausdrucksw
ſtets Forreft und lebhaft ift; der Fünftlihe Bau und I
gedrungene Erfindung treten für und ganz in den Hint
Dan muß fich in die Tage derjenigen Leſer verſetzen,
157
Ä Srfheinen der Henriade erlebten, man muß fich in den Bereich
| ihrer vollen Wirkung ftellen, in die Zeit, ehe fie da war. —
| Nichts Erhebliched vom Kriege gegen Rußland. Aber in
Spanien geht es luftig her! Der Palaſt des Scheufals Chri—
fine zerftört ; fie foll noch in Madrid bei ihrer Tochter der
Königin fein, und fann noch fchlimm fahren, wenn fie nicht
jur rechten Zeit entlommt! — |
Wieder hat jich eine Stimme vernehmen laſſen, die mic
beſchuldigt, ich hätte bei Ausarbeitung der Biographie Bülow's
die trefflichjten mir angebotenen Hülfsmittel von der Hand
gewieſen! Fit eö etiwa der General von Reiche, der mir Diefen
Bomurf macht? Benutzt hab’ ich feine Denfwürdigkeiten,
aber freilich nicht in dem Sinne, den fein Dünfel wünſcht.
Oder gar der Oberjt von Szwikowski? Sein Geſchreibe hat ſich
als das grundloſeſte Gewäſch eriwiefen, und fein mündlicher
Anedotenfram ijt von der Urt, daß ınan ibm weder Bedeu:
tung noch Vertrauen geben fann, fo fehr er beides behaupten
und möglichit viel Geld für Die zweifelhafte Waare einzieben
möhte! —
Der König und die Königin reifen nah Münden, und
laſen den König von Portugal bier bei dem Prinzen Friedrich
Wilhelm, dem Sohne des Prinzen von Preußen. -—
Der franzdfifche Gefandte in London, Graf Walewöki,
Sohn des alten Napoleon und einer Bolin, hat feinen Nb-
| Idied genommen, weil er mit dem Verfahren Louis Bonaparte's
nit mehr einig iſt. —
Die Kreuzzeitung verjichert, der rufjiiche General von
Antep habe fich nicht erfchoffen. Sie zuerſt hatte diefe Nadh:
richt gegeben, und thut nun, als ob fie Andere berichtige. --
158
Mittwoch, den 26. Juli 1854.
Daß die Gefchlechtfolgen der Menfchen einander die Sc
böten, daran ift fürerjt wohl nicht zu denken; im Gegenth
um fo felbitfüchtiger treten die Generationen auf, je mob
ner die Zeiten werden, um fo begieriger nur für füch zu f
gen, und um die nachfolgenden fi nicht zu befümme
In der Behandlung der Wälder und im Staatfchuldenwe
ift das recht fichtbar, auch großentheils in den Bauwerken,
nicht auf große Zufunft berechnet find. Das zunächft Brau
bare aus der Vergangenheit verzehrt wohl die Gegenwart, al
ohne Dank, und in verändertem Sinn; Wiffenfchaft u
Kunft haben alle Mühe, den Zufammenhang mit Früher
nur einigermaßen zu erhalten. Gine neue Entwidlungsft
wird es der Menfchheit fein, wenn nicht nur Zeitgenoffen, ſe
dern auch Gefchlechtfolgen mit bewußtem und treuem Sinn
derfelben Richtung zu gleichem Ziel ftreben. —
Aus Wien fehr zweifelbafte Nachrichten über die öft
reichifche Politik, man foll nicht? Großes und Kühnes von |
erwarten, fie fei, wie die aller Staaten jetzt, eine fleinlid
babfüchtige, trügerifche ; fie gehe jept Darauf aus, Frankre
und England zu großen Zugejtändniffen zu bringen, und da
beide zu entzweien, indem der Kaifer Franz Joſeph mehr |
dem Louis Bonaparte verbünden will, als den Engländer
er hat ihn, heißt es, wegen Italien nöthig, dag wieder in v
ler Gährung tft. — Aufſtand in Parma, durch öfterreichtj
Truppen gleich gejtillt, aber ein Zeichen deifen, was ır
zu erwarten bat. —
Nachmittags ausgefahren mit Ludmilla. Im Thiergar
herum; herrliche frifche Quft und fühler Wind, nur 160 Re
mur; eine wahre GErlöfung! Kattunfabrif an der Sp
Schöne Ausſicht am Ufer nach Moabit hinüber. Im Ih
garten viele Spagiergänger, bejonders aber zahlloſe War
159
alles will fich erfrifchen. Beim Hofjäger große Mufif und ge-
J maltiger Zudrang. —
Im Plinius gelefen, im Seneca, in Goethe. —
Die Stettiner Zeitung wurde _polizeilich weggenommen.
Der dortige Polizeidireftor ift ein Kreuzzeitungsfnappe, der
J niät erlauben will, daß gegen die Ruffen gefchrieben werde. —
Profeſſor d'Alton ift in Halle geftorben. —
Jimmerliche Späße der Neuen Preupifchen Zeitung mit
' erdihteten telegraphifchen Nachrichten, fo plump und roh und
albern, dag kaum ihre Junker ſich daran ergößen fünnen; viel:
leiht aber doch Ludwig von Gerlady, der feinen Goedſche licht.
In englifchen Blättern wird Preußen wieder tüchtig her:
5 untergemacht und auf den König bitter gefchinpft, man wirft
im Karakterloſigkeit, Schwindelei und tüdifche Streiche
‚ (trieks) vor, —
Der König bat fih nun befonnen, und ſchickt fein Bild ala
'Geihent an den Herzog von Sutherland durd den Mahler
benſel ſelbſt. —
Donnerstag, den 27. Juli 1854.
Geſchrieben. Nothwendige Grörterungen einiger poli-
tiſhen Begriffe; Unterfchied von jittlich, ftaatlich, gefchichtlich.
Nachmittags Bejuc von rau Bettina von Arnim; fie
| lieſt mir einen Brief vor, den fie aus dem Zuchthaus zu Bruch:
Wal von dem unglüdlichen Gorvin-Wiersbigfi erhalten hat,
und deffen Inhalt zu großer Hoffnung bereihtigt, daß man fein
8008 erleichtern werde. Sp wären die menfchenfreundlichen
demühungen Bettinend doch nicht ganz vergeblich gewefen,
| etihen es abfeheulich ift, daß weder der Prinz-Regent von
Duden, nody der Prinz von Preußen ihr geantwortet haben.
Nachher Iprechen wir von Bildern, und Bettina befchreibt mir
mehrere ihrer Zeichnungen, — fie hat eine Fülle der finnreich-
ſten Einfälle, der anmuthigjten Gebilde, eine wahre Fundgrube
160
für Rünftler, wiewoht fie jelber gefteht, daß die fichere Künft:
lerhand ihr zur Ausführung fehle; fie bat nicht Durch Fleiß
und Uebung, alled durch Eingebung, durch unmittelbares Er:
faffen, wobei fie Doch viel verfuchsiweife und mühevol! arbeitet.
Faſt alles, was fie mir fchilderte, drückte den fchönften, den
edelften Geift in freien Schöpfungen aus; und was mir von.
jeher auffiel, alle ihre Zeichnungen gehen nicht zur Mablerei _
ſondern entfchieden zur Bildhauerei hin, namentlich zum Bam
relief ; von Schatten und Helldunfel will fie nichts hören, alles
ift heil und licht bei ihr, und wenn je Karben in’s Spiel form: #..
men, fo find es heitre. Sie behauptet gradezu, SchinFel
habe feine beften Darftellungen von ihr entnommen, ihre Arı:
gaben nur ausgeführt ; eben jo Wichmann vieled. Darin aber
irrt fie fich, daß fie fagt und glaubt, fie babe erft einige Jabre
nach Arniın’d Tode zu zeichnen angefangen ; ich habe mehrer? Mi,
Jahre vorher fie bei Frau von Helwig angetroffen, wo fie um
Oelmahlen Verſuche machte und im Bilden aus Thon; fre® rk
lid) waren Died damals nur Spielereien, auf die fie kein en Tri
Werth legte; der rechte Ernft mag erft fpäter eingetreten jirt: Pr
Geheimnißvolle Mittheilung, in St. Petersburg fei em! |
vorgefallen, man fagt nichts Näheres. (Vielleicht die Fi #
fahr in der See zu ertrinfen, aus der der Gropfürft Konta n' Pi
tin faum gerettet worden? Man muß die Tagesangaben ve T
gleichen.) — In einer Zeitung wird behauptet, der Genre Mi
von Anrep fei in ſolche Ungnade gefallen, daß der Kaifer ir!
habe nach Sibirien abführen laffen. Dies widerfpräche nick“!
der Nachricht von feinem Selbjtmorde, fondern Fönnte die?
vielmehr begründen. Wie lange folche tbatfächlichen An⸗
gaben in Zweifel bleiben können!
Der Präfident Kisker ift im Bade zu Misdroy plötzlich ar A
ftorben. Gr war Abgeordneter in der Nationalverfammlung
und furze Zeit Juſtizminiſter. —
161
Freitag, den 28. Juli 1854.
Die Volkszeitung ift die einzige, Die von Vorgängen in
St. Petersburg fpricht, deren Inhalt nicht näher befannt
ſei. Man fpricht aber von heftigen Auftritten zwifchen dem
Großfürſten Thronfolger und dem Großfürſten Konftantin, in
deren Folge der eritere, vom Kaifer felbft dazu gedrängt, auf
die Thronerbfchaft verzichtet hätte. — Der Graf von Könige-
mad ift aus St. Peterebürg heute wieder hier eingetroffen.
' Grrühmt den guten Empfang, den er gehabt. Er hat natür-
ih nur Hofluft geathmet. —
| Im Plinius gelefen, in Goethe, — Die, Zeitungen
kt —
Ich habe ‚den tiefen Zufammenhang überdacht, der
zeifchen Rahel und Goethe beftand, und fehe ihn gründlich
en. Er war ein innerer, von ihr einfeitig gehegter, Goethe
| wußte wenig davon, denn was äußerlicd zur Gricheinung fam
jwiſchen beiden, war fein Hunderttaufendtheil defien, was in
ihrem Herzen lag. ch glaube, ed mußte fo fein, beiden war
| die Entbehrung auferlegt, ihm unbewußt, ihr bewußt. Und
ſo war fie doch die Begünftigte in dem Verbältniß, fie
wußte was fie an ihm hatte, wußte, was er ihr noch mehr
ſein konnte, und blieb, doch im befcheidener Stille, ftredte
die, Hand nicht aus nach dem, der von ihr mehr empfan-
w ge konnte ald von allen, die fo eifrig nach ihm griffen.
Wie anderd Bettina von Arnim, deren ganze Neigung zu
Gvoethe doch eigentlich darauf hinausging, daß fie früh er-
tannt hatte, er fei das fhönfte Juwel, mit dem man fich
\hmüden fönne. — Immer doch eine Anertennung ! —
Sorapagen von Enfe, Tagebücher. XI. 11
162
Zonnabent, ten 29. Juli 1854.
Vormittags ein Beſuch, Der mir den Unterjchied zwiſchen
Temoftatie und Pöbel ſprechend klar macht; dem leptern
gegenüber joll und muß man Ariftefrat jein! Ein tyreibitis
eiferer, ein Gleichmacher von der eriten Sorte, tbut gegen
mid) ganz unterwürfig und friechend, nennt mich zmwanzigmal
Herr Gebeimratb, ſchmeichelt mir auf das ummürdigfte, wei
er mich braucht, und ich ibm belfen ſoll — nicht blos mil
Geld, aud mit Lob, mit Anerkennung — und er glaubt, geger
mich dürfe er jich fo benehmen, weil ich ja jein Gejinnungt:
genoffe feit Mit nichten! Er hat die Gejinnung eine
frechen Zafaien, der bereit ift für entiprechende Vortheile jeden
zu dienen und alleö zu thun. Apage! —
Dem Profeffor Molefchott in Heidelberg hat das badiſch
Minifterium förmlich eröffnen laffen, er foll feine phyſiolo—
gifchen Vorträge nicht in bisheriger frivofen und unſittlichen
Weife halten, fonjt werde man ihm jein Lehramt nehmen. ©
hat freilich gegen jene Bezeichnung unwillige Berwahrung ein
gelegt und erklärt, dag er auf fein Lehramt verzichte. —
In. Halle war die freie Gemeinde vor etwa dreivierkt
Jahren von der Polizei unter nichtigem Vorwand geſchloſſe
worden; jeßt — nach dreiviertel Jahren — hat das dort
Kreiögericht die freie Gemeinde wieder in ihr Necht eingefch
und die Schließung aufgehoben, blos thatfächlich, ohne weite
Erklärung. Und das erlittene Unreht? Und die frei
Willfür der Polizei? Und die nichtewürdige Rangfamteit d
Gerichts? Davon ift nicht weiter die Nede! Edler Zuftan
würdige Behörden! --
Bei Ludmilla fah der junge Ferdinand Afcherfen, d
Philologe, Goethe's, Dichtung und Wahrheit” liegen, u
fügte, es vergehe fein Jahr, daß er nicht das Buch wie
durchlefe. Das freute mich herzlichft! —
Aus allem Getreibe des Tages, der Sorgen und Widr
un auunneviwny muy un yumamann, jvaveu un win
en, denen aber alles, was Unliebes und Gemeines mit
doch verbunden war, hier genommen ift. Niemand ver
1 diefe gemeihten Kreife zu dringen, als wer wirklich in jie
. Das berrlichfte Lebensſchauſpiel bewegt ſich vor den
+ Wie liebt man diefe verflärten Geftalten! Ich war
ganz in die Vergangenheit von Weimar, Jena, von
rg, und Draßendorf verfenft, und befonders liebt’ ich den
n Ort. Neben Goethe's Briefen an Frau von Stein,
l's und Merd’s Briefihaften, waren es befonders auch
teinifchen Denkfchriften des trefflichen Eichſtädt, die
ir mit allen fonftigen Erinnerungen und Gindrüden
ebensvollen Drama verwandelten. Eichſtädt felber ift
ı feinem prächtigen Kultus der ihn umgebenden Welt
ers lich. Er ift durch und durch in Maffifches Alter:
geträntt, und faßt das moderne Leben mit antifem Sinn
ieift nur defto feuriger. —
Sonntag, den 30. Juli 1854.
Frühmorgend ein Billet von Humboldt, nur um feinen
auszufprehen über den wirklich beim Könige amtlich
em Ruftusminifter Raumer geſchehenen Antrag, die nad:
Yildfäulen von der Schlogbrüde wieder abnehmen zu
164
bäufern, gänzlich ftill. Kein durchgreifender Gegenitand b
wegt die Gemüther, feine Neuigkeit, fein Ereigniß, weder yı
litiſches noch gefellfchaftliches , Feine litterarifche Erfcheinun
fein ungewöhnliches Schaufpiel, und der im Süden u
Norden fortgefepte Krieg erwedt in feinen unfichern und ni
entjcheidenden Borgängen wenig Theilnahme. Auf die €
gebniffe ift man gefpannt, nicht auf die Borgänge, wel
langfam und unficher dahin führen. Dagegen ijt die:
drücte Stimmung fehr merflih, welche Gewerba - und Ha
delöftodungen bier hervorbringen. Die Beforgniß wegen!
Zufunft, die Furcht vor neuen Steuern, vor Entwerthung !
Staatöpapiere. Dan hört täglich von Gefchäftseinitellung:
Banferotten ꝛc. —
Der Anfauf von Pferden für die Reiterei und das C
ihüß hat hier wie anderwärts begonnen, und verjchlingt M
lionen, die verloren find, wenn Preußen, wie der König bo
und betreibt, nicht am Kriege Theil nimmt, und viellicht 9
ein Frieden zu Stande fommt. Die allgemeine Schlaffb
und Jämmerlichkeit macht ed möglich, daß Rupland diesn
noch leidlich aus der Klemme fommt. —
Der Graf von Königsmarck beftätigt, daß man in O
nienbaum die Mufif der englifchefranzsfiichen Schiffe geb
und fogar, zum Scherz, angefangen bat nad) derfelben
tanzen. Der Kaifer gebt etwas vorgebeugt, und man ji
ihn öfters verftimmt und finſter. Die Kaiferin ift dageı
wohlauf und guter Dinge, mehr als ſonſt. —
. In Kopenhagen eine neue Gefammtverfafjung verfünd
ein Flickwerk, das nicht halten Fann! —
Der Graf von Königemard foll ſchon wieder abreifen,
Aufträgen des Könige, nad London. Die Sendung k
ſchwerlich eine politifche Bedeutung haben, da der Mann n
von der Art iſt. Mber freilih, unfere Wertber —
165
St. Petersburg, — unjere Hapfeldt — in Paris u. f. w.
find auch nit von der Art! —
Der Generalmufifdireftor Meyerbeer ift fchon vor
längerer Zeit um Erhebung in den Adelſtand eingefommen,
hat aber bis jeßt fein Gehör gefunden. Man hat ihm ge:
rathen, fich nach Wien zu wenden, dort adele man Juden! —
Montag, den 31. Yuli 1854.
Das Raub der Bäume hat gelitten, dad Gras ift hin und
wieder verbrannt, die Luft hat etwas Herbftliched ; der Sommer
it vorbei, fagen die Leute! doch wohl mit Unrecht! —
Brief von Humboldt; verneinende Antwort in Betreff
kr Ftage Bettinend von Arnim; bedeutendes Wort über die
einigten Staaten von Nordamerika, das Streben gehe dort
uf Rüglichleit und Vortheil, nicht auf höheres Geiftes - und
hemüthsleben: die Vereinigten Staaten feien aber ein car-
leaniſcher Wirbel, alles fortreipend und langweilig nivellirend.
36 fann ihm hierin nicht beiftimmen, dort jagt die Maffe
wilih dem Gewinn und Genuffe nah, aber hier nicht? in
Ingland, in Frankreich, in Rußland etwa nicht? Daß Ein-
eine in Amerifa wie hier höheres Streben fundgeben, zeigen
eine Dichter und andere Schriftfteller. Das Wort Hum:
voldt's iſt aber doch von ihm fchön, es zeigt, Daß fein Urtheil
ih nicht beftechen läßt, denn verehrt und geliebt wird er am
neiten in Amerifa! —
Rahmittags Beſuch von Herrn von Viedert. Als er
ing, Fam Frau Bettina von Arnim, begleitet von einem
irtigen Fräulein, fie eilte an mir und Biedert vorbei, gerades-
wegs in Rudmilla’d Zimmer, und zeigte dem Fräulein die an
der Band hängenden Bildniffe. Weder Ludmilla noch ich er:
fuhten den Namen des Fräuleins, ja Bettina verbot ihr, ihn
166
zu fagen, alles in lachender Luftigfeit. Es war Fräulein ı
Strang, eine Mahlerin, von Elugem, anmuthigen Weſen.
theilte dann Bettinen den legten Brief Humboldt's mit, wei
der fie betreffenden Stelle. Sie lud und zu Mittw
Abend ein. —
Herr Neu, Ludmilla's Zeichenlehrer, ift erfranft. Gr
Iheilnahme für den wadern guten Mann, der es in al
Dingen, befonderd auh in der Kunft chrlih und er
meint. — |
Der deutfche Bundestag hat ſich bequemt, den Anſich
der verbündeten Regierungen von Defterreih und Preußen
Betreff des ruffiihen Verhältniſſes unbedingt beizuftimm
Die Bamberger Betreibungen find verfchwunden. Nur bt
Medlenburg haben eine Ausnahme gemacht und nicht bei
ftinımt, vielmehr die Vorfchritte jener Mächte nicht genug
gründet für den Bund erflärt. Formell haben die bei
Mecklenburg ſogar Recht. Der Bund wird mißbraudt ı
den Großmächten für ihre Zwecke. —
Ich höre nachträglich, dag Königdmard mit feiner A
nabıne in St. Peterdburg nicht Urfache hat, zufrieden zu ſe
Die Kuiferin war ziemlich falt, der Kaiſer aber bat ibn me
mals hart angefahren und faft gar nicht beachtet. Köni
mard ſchweigt über feinen ganzen Aufenthalt. —
Dienstag, den 1. Auguft 1854.
Befuch von Frau Bettina von Arnim; Mittheilung ei
Briefed. Bedeutende Aeußerungen über Kunft; daß
Volk grade die befte am beften vertragen dann, daß die |
bildung weniger Rohheit hat, als die faljche Bildung,
heuchlerifche Ziererei; Verdammung der Schloßgruppen, ı
nicht and Nactheitggründen. Unfer ganzes Kunftw:
jämmerlih. —
167
Der General von Anrep ift wohlbehalten in Bufareit.
Eh Pasfewitich in Ungnade fiel, ftand ed bedenflih um
Antep, jeßt ift er wieder obenauf, als einer der tapferften
' Generale von Obern und Untern anerfannt. Zum Ober:
beſehl halt man ihn jedoch nicht reif, zu leidenfchaftlih und
verwegen. Auch traut ihm der Kaiſer nicht. —
Dan erwartet, daB Baden in feinem Streite mit der
tatheliichen Kirche nächftend nachgeben wird. Oeſterreich,
Ftankreich, Baiern und felbft Preußen drängen es dazu.
das wird herrlich fein, und große Folgen haben, zuvörderſt
die, daß wieder eine Regierung ſich in ſchreiendſter Weiſe
| ſtwach und verächtlich zeigt. —
Mittwoch, den 2. Auguſt 1854.
Geſchrieben. — Ich ſollte dem Stiftungsfeſte des medi⸗
imniſch-chirurgiſchen Friedrich-Wilhelms · Inſtituts (Pepiniere)
beiwohnen, aber ich war zu unwohl, das Wetter zu drückend. —
Nachrichten aus Wien; Defterreichd Zögerungen erflären
| Ih, wie ich e8 längft gedacht, aus dem Bedürfniß, wegen der
Zukunft Sicherheiten zu erlangen; Frankreich, England und
de Türkei follen im voraus für Defterreich den Befig der
WValachei, das Schugamt über Serbien und mehr noch feit-
Itten, während jene Mächte den Ertrag des fünftigen Friedens—
ſchluſes noch ungewiß laſſen möchten, oder wenigftens für fich
ähnliche fette Biffen jichern wollen. Wenn der Kaifer Nikolai
niht ein ebenfo unfähiger Staatemann ald Feldherr wäre,
wie guted Spiel könnte er gegenüber folchen Verbündeten
haben! Wie würde Friedrich der Große, wie würde der
alte Rapoleon die offenbaren Blößen zu benußen wiflen! —
Der Kölner Redakteur Brüggemann, angeklagt, den König
168
und die Regierung beleidigt zu haben, ift vom Gericht frei
fprochen worden. —
Gegen die freie Gemeinde zu Magdeburg werden imm
fort von der Polizei und der Verwaltung die drüdendf
uälereien ausgeübt, die Oberbehörden und Gerichte laj
die depfalld erhobenen Befchwerden unerledigt. Es ift off
bar die Abficht, grade diefe Gemeinde mit allen erdenklid
Mitteln zu Grunde zu richten. Es heipt, der König h
in diefem Betreff feinen entfchiedenen Willen ausgeſproch
und es fei den Behörden demgemäß der Befehl erthe
immer neue Werfolgungen anzuordnen. Die Gemei
hat feit längerer Zeit gar feinen Gottesdienft. „Der gel
ift der, dag die Leute, bei allem Freiſinn, noch immer
Glaubensbefenntniß aufftellen, und Religion und Kirche t
itellen wollen, jie fönnten einzeln als freie Deijten lebe
Diefer Meinung bin ich nicht; fie würden dann zu ira
einem beftehenden Kirchenwefen gehören, und diefe Heud
täglich fortfegen müffen. Ja, wenn man fih um Kirche
Staatöbehörde nicht befümmern dürfte, dieſe nicht übe
unbefugten Eiferd eingriffen! Die freien Gemeinden
nicht meine Riebhaberei, aber ich erfenne fie als eine Nothn
gegen fhlechte Staatdeinrichtungen! —
Gräßliches Schimpfen der Timed und des Wiener Lo
gegen Preußen; die Defterreicher behandeln und mit ſchm
vollem bittern Hohn, und die Schmähungen treffen zuni
alle den König felbit. Angeſehene Perfonen freuen ſich
über, theil® gönnen fie ed dem König, theild auch be
fie, e& werde dadurch das Bündniß mit Defterreich
lodert. —
Was will denn die Stahl» Goedfche - Gerladh- Part
Daß Preußen ſich zu Rupland halte? Und von Defter
in Schlefien, von Franfreih am Rhein angegriffen we
hes Berhaliniß, UDI I1DETLIAS 1D1 patriaà heihlt es DIEL,
yenn wirklich Freiheit herrſcht, ſo thut der Name weniger
ade, ob der Staat Preußen heiße oder Oeſterreich. —
find in dieſer Zeit die Volks- und Freiheitsfreunde
immer die größten Preußeneiferer zugleih! Sie find
ie an Friedrich dem Großen, an dem Staate Preußen,
nem Heer und Ruhm am ftärfiten halten, die Kreuzzei⸗
leute lügen und heucheln diefe Gefinnung nur. —
Rit Ludmilla Papiere ducchgefehen. — Thee. — Schadh.
m Sencca gelefen, in Boltaire. —
Der Geh. Hofrath Karl Heun (Clauren) ift heute ge-
en, 84 Jahr alt. Er war im Leben, wie in der Kitteratur
ielthätiger , nicht gerade fehlechter, aber wenig achtungs—
kt Menſch, eine durchaus gemeine Natur, wie auch feine
Nte ganz gemein ivaren. —
Donnerstag, ben 3. Auguft 1854.
det Rüdzug der Ruffen aus der Walachei hat nun ernft-
egonnen. Man gründet auf diefe Maßregel Friedens⸗
ingen. Sogar die Türken möchten jet Frieden Schließen
hre Verbündeten loswerden. Louis Bonaparte jedoch
entfihieden Bortheile für Frankreich aufweiſen; wer foll
ben? Der Staatdretter macht den Geretteten — alle
- L.B-._ı.. ML Ta FINAL... zul. Mus [M!. (8.
170
In Spanien ift man dicht an der Republik, mit genaue
Noth der Thron gerettet. Dahin hat das Scheufal Chriflin:
ed gebracht! Die Proflamation der Königin Iſabella iſt ein
demüthiged Sündenbefenntniß, ein angſtvolles Verſprechen
und Geloben. Die Berfolgten werden gepriefen, die Ber:
folger der Anklage preiögegeben. Alles erinnert an unit
Märztage von 1848. Der Kampf war in Madrid fehr ernithaft
die Barrifaden wurden behauptet und ftehen noch, viele Todtı
und Berwundete. Espartero in Madrid. —
Erflärlih genug, aber darum nicht weniger auffallen)
freuen ſich die Ruſſen jetzt über jede Revolutionsbewegung
denn für den Augenblid tft fie den Feinden unbequem, bejon:
derd dem Louis Bonaparte, und in italien den Defter:
reichern. —
Um 8 Uhr fuhren Zudmilla und ich nad den Zelten ji
Frau von Arnim. Hermann Grimm und feine Schweſtet
Fräulein von Strang und deren Bruder, Offizier in hollän
diſchen Dienften, die Mahler Keller und Ratti, Fräulein voı
Malkan — Tochter des baierifchen Gefandten, Mufiter Bar
giel, Herr Joachim — die Hauptperfon! Lebterer fpielte vo
Bargiel begleitet eine Sonate von Beethoven in größt
Meifterfchaft, eigenthümlich und eindringlich, Bettina wi
etwag leidend, und trat wenig vor, Fräulein Gifela munt
und freundlich. —
Freitag, den 4. Auguft 1854.
Der König hat ſchon wieder einen Unfall gehabt, fi
geftern Abend im Charlottenburger Garten an einer fteinern:
Bank den Fuß verlegt, fo daß die Reiſe nach Puttbus u
einige Tage verfchoben bleiben muß. Die Liebe des Bol
hat er fo ganz verloren, daß man nur ſchadenfrohe und fpü
ı marftfchreierifcher Phrenolog und Litterat Board
en Redakteur der Kreuzzeitung Affeffor Wagener, in
hriften beleidigt, und war zu längerer Haft gerichtlich
eilt worden. Gr bat beim König um Begnadigung;
lichen Fällen ift fie den Reaftionsleuten, die fih an
eunden vergangen hatten, ftets bewilligt worden, für
er hat der König felbft bei dem Präfidenten Bloch Ber
ig eintreten laſſen, derfelbe möchte auf Befttafung von
Berzicht leiten. Aber für Bofjard giebt es feine ſolche
fein Geſuch ift abgewiefen. —
U hier ausgewiefene Prediger der freien Gemeinde
auner, der vor furzem aus der Schweiz frank hieher
fehrt ift, und hier bleiben zu können hoffte, ift am 2.
n. So bleibt er nun freilich bier! —
inzöfifhe Blätter melden, daß der befannte Schrift:
dotvins de Monbreton in Pau geftorben fei, im 83.
Ich kannte ihn 1816 in Baden-Baden fehr gut. Er
iher franzöfifcher Präfekt in Rom, ſchrieb ein Lehrge—
1 Alegandrinern über die Unfterblichkeit der Seele, die
hte Napoleons ꝛc. Er hatte doch nur mittelmäßige,
ud) brauchbare Talente und fein Inneres war hohl und
lend.
Gichſtädt's lateiniſchen Denkſchriften geleſen; im
es Briefſchaften; Franzoöſiſches. —
ur mh Ballen m Kia Nashihan MMEhbe vn Kan
172
Mächte thun werden? Defterreich aber fieht die Lift, um
rüstet nur um fo mehr. Oeſterreich fragt Die Weitmächte mus
beſtimmter über die Bortheile, die ihm von diefen zugefider!
werden follen. Ein Schutz- und Trutzbündniß wird ge
Ihloffen werden. —
Auffifche vornehme Damen, die in Preußen ankamen,
fagten unverhoblen: „Oh! La Prusse ne peut nous in-
quieter, la cour et l’armee sont pour nous.“ In Betreff
des Heeres find fie im Srrthum. Nur die Hof: und Gare
Offiziere find ruſſiſch. —
Sonnabend, den 5. Auguft 1854.
Ich fchlief geftern unter lebensmüden Vorftellungen ein,
die fi) aber wunderbar in anregende, muntere Träume vers
wandelten. Was meine Tage jebt fehr ftört, ift der Mangel
an Einfamteit ; die leßtere würde mir fruchtbar fein; ich Fönnte
weit mehr Menſchen fehen, das fchadete nichts, aber die vielen
Berhältniffe, die vielen Anforderungen und Yumuthunge
ſchaden. —
Gefchrieben. Die Leute follen im Gedränge des pol
tifhen Treibens nicht vergeflen, was fie gewollt, gebofft, zum
Theil fchon gehabt; daran muß man fie immer wieder er
innern. Jetzt giebt Spanien ein Beifpiel! Alles Berlorent,
Aufgegebene — plöglich fteht e8 wieder aufgerichtet da, feim
ächte Forderung ift erlofhen. So war es in Frankreich be
jeder neuen Revolution, fo war ed und wird es in Deutſch
land fein! In Spanien ift fogar'von Nepublif die Rede ge
wefen, von Aenderung der Dynaftie! —
Die Polizei macht fich wieder viel zu thun! In Stett'
ift ein Zeitungsredakteur verwarnt worden; eine Form, d
semspuns Sreympsung vum emguys vun auuny wir
1848 thätig waren, und auch jept wieder politifcher
bungen verdächtig fein follen. —
ı Minden find fünf Zigarrenmacher verhaftet worden,
ie auf- der Straße revolutionaire Lieder gefungen
— In Löwenberg Berurtheilungen gegen den fathor
Kaplan Morig von Huff, der über den Verfall der
ꝓtatholiſchen Kirche gefehrieben hat, und gegen den Vers
er Schrift. —
ie Rufen haben Bufareft verlaſſen; die Türfen rüden
- Man zweifelt nicht mehr, daß die Ruffen auch die Mol-
men. In diefem Fall erachtet Preußen fein Bündnig mit
reich erledigt und es treten ganz neue Berhältniffe ein.
uffifchen Einflüfterungen und Liſten kann es gelingen,
en ganz für ſich zu gewinnen, oder deſſen freie Selbft-
eit in ſchlimme Berwidelungen mit Frankreich gerathen
en. Dem kranken Manne — jept der Kaiſer Nifolai —
es aber am meiften darauf an, jept überhaupt Frieden zu
m, um fürerft nur aufzuathmen, dann das Bündniß der
ächte, das ſchon durch feine bloße Dauer Gefahr leidet,
gen. „Wenn wir ohne Krieg abfämen, fo hätte doch der
fehr recht gehabt, fo zu zaudern, wie er gethan, das Land
es ihm fehr danken!“ Darauf war die herbe Antwort:
was, nicht er hat Recht gehabt, nicht er ift klug ger
174
die Frage; der Staat Preußen ift jämmerlich herabgelor:
und hat alles Anfehen verloren !* —
Sonntag, den 6. Auguft 1854.
Am 3. Auyuft Teierlichfeit auf der Univerfität. '
Rektor Ende trat ab, der Rektor Mitfiherlich ein. Preis
theilung an Studenten. Den theologifchen Preis erfaı
der Rektor einem Studirenden Namen? Quant zu; daaı
fih Prof. Henaftenberg, ging zu dem Rektor hin, fagte
einige Worte, worauf fich diefer befann und dann laut
flärte, es fei ein Irrthum, diefer Name fei nicht der re
dann nannte er einen andern. Diefer Vorfall machte
macht großed Aufſehen, man fieht darin einen fehändli
Berratb, der zuerfi Genannte war dem Fanatikern
techtgläubig genug, und der „Wifchlappen* Ende -- ı
ih nenn’ ihn fo, Andere gaben ihm die Bezeichnung
war ſchwach und niedrig genug, den Berechtigten einem !
pfohlenen aufzuopfern, — und dies in einer feierlichen H
lung ganz öffenglich, ein ſchmachvolleres Aergerniß fan
nicht geben! Wäre der Sachverhalt anders, ſo müßte
darüber eine öffentliche Erklärung geben, doch dieſe er
nicht, und alle Welt fpricht von der Schändlichfeit. —
Inder Fägerftrage, neben Treu und Nuglifch, hat
ganz in der Stille eine fatholifche Geſellſchaft eingeniftet
find Urjulinerinnen, die unter Leitung eines Priefters zu L
rinnen ausgebildet werden. Erſt durch ein Aergerniß
man ihr Dafein erfahren. Der Priefter fand Gefalle
einer jungen Engländerin ; die Kolgen wurden fidhtbar.
Mädchen wurde fchleunigit fortgefhidt, der Priefter ve
Aber die Anftalt befteht, die Mädchen leben in einer
I bei! In einer Zeit, wo er die Donaufürftenthümer
fen muß und alle feine Anmaßungen aufgeben muß, nennt
d nicht nur ausdrüdlich Protektor derſelben, fondern fügt
binzu: Proteftor aller rechtglaͤubigen Chriften in der
fi, was er nie war, und jet weniger als je Ausficht hat
erden! —
Montag, ben 7. Auguft 1854.
Bas wollen mir Träume tiplomatifchen Inhalts? Träume,
ien ich aus Berlin an Metternich berichte, und ftatt der
ten Zuftände altvergangene fchildere? Dazu die Ber
yit, die in Träumen fo gern waltet, Daß das Gefchriebene
tnicht das rechte ift, immer anders gefchrieben werden
Es war fehr verdrießlich. —
efchrieben. Innere Freiheit kann aud der Anecht und
e haben, der Knecht und Sklave auch in der äußern noch
fein; wenn aber der innen Freie auch äußerlich frei
» genießt er des würdigften und freudigften Zuftandes,
f Erden zu erlangen fteht. Herrfhfuht und Geldgier
anke Abarten des Freiheitstriebes, und beide oftmals
herſten durch Knechtſchaft befriedigt. —
ı Plinius gelefen, in Goethe's Briefen. Franzö—
er berüchtigte Malmene dat eine Schrift, „An meine
176
doch fo wefentlichen Eingeftändniffen, daß feine Schuld nur
um fo greller hervorgeht. —
In Italien gährt es aller Orten. Mazzini mahnt in
einer neuen Proflamation zum unmittelbaren allgemeinen
Aufftand! Ob der Zeitpunkt der rechte fei, fteht fehr zu
bezweifeln, aber das Beifpiel Spaniens, feine neue, ſchnell
gelungene Revolution ift für Jtalien von großem Gewicht,
eine ftarfe Mahnung! Und wenn es auch nur Lebenszeichen
find, diefe Bewegungen find gleichfam Uebungsftüde, und «
ift merfwürdig, daß ihr Miplingen gar nicht entmuthigt. —
Die Sachen gehen einen eignen, von höherer Hand vorge
zeichneten Gang, nicht wie wir ihn ancathen oberbeftimmen
mödten. —
Die Demüthigung des Kaiſers von Rußland wird immer
größer, und wird in ganz Europa laut ausgeſprochen. Gt
hat ſich wirklich erboten, den deutfchen Großmächten zu fie dt
die Walachei und die Moldau zu räumen, findet aber zum
fo weniger Gehör, ald er die Walachei ſchon hat räumen
müffen.
Des Königs Fußverlegung ift noch nicht beffer, vielm ebt
die Rofe dazugetreten, was ihm erfchredtt hat, da der Miniſter
Graf zu Stolberg am folhem Uebel geftorben if. Pre
König hält fo erſtaunlich auf die Bezeichnung: „Bon Gottes
Gnaden,“ man erinnert ſich, wie wild er ſich gebärdete, al
im Jahr 1848 die preußifche Nationalverfammlung dieln
Titel unterdrüdte. Seltfamerweife fpielt gerade jept wie
das Bolf höhniſch mit dieſen Worten, man hört: „Bon Gottes
Gnaden hat die Rofe“ ı.. —
Der Großfürft Konftantin wäre bei einer Spazierfahrt im
finniſchen Meerbufen bei St. Peterburg bei einem Haar er-
trunfen. Das Boot ſchlug um, ein anderes eilte herbei, und
mit genauer Noth wurde er bei den Haaren aus dem Wafler
Nachrichten aus Wien; gehäffige Stimmung gegen Preußen,
bilder auf den König; Die Regierung thut, als könne ſie's
hindern. Man fagt, un Krieg gegen die Ruſſen zu
n, müſſe man zuerſt die deutſchen Ruffen angreifen, d. h.
teußen! —
Ye fürzlich in Stralfund Verhafteten find al8bald wieder
tlich freigegeben worden, einige ohne alles Berhör. Audı
jprechen fie der falfchen Angabe, dap fie im Jahre 1848
maligen Unruben jich betheiligt hätten. Mißariff der
ei! Was folgt daraus? Nichte. Sie darf alle Miß—
ungejtraft thun. —
achmittags brachte Yudmilla die traurige Nachricht mir
Haufe, daB ihr waderer Zeichnenlehrer Theodor Neu
n Abend gejtorben ift. Sie verliert viel an ihm. —
ie Brüder Hermann und Adolph Schlagintweit haben
totben Ndlerorden vierter Klaffe befommen. Eine Unter:
ng zu ihrer Reife nach dem Himalaya hat der Kultus:
er von Raumer noch immer nicht bewilligen wollen,
n der König dazu geneigt ſein foll; aber es fei ihm nicht
‚ jagen Manche. —
Mittwoch, den 9. Auguft 1854. |
ch fühlte mich fehr leidend, wie im Fieberzuftand, mit
eb, rheumatifchen Schmerzen. — Vom Verſuche zu
178
durch las ich doch, in Ritter's Afrika, im Plinius, dem älteı
und dem jüngern; der leßtere, bei feinen unläugbaren Vor
zügen, thut mir nicht wohl; die Bildung der Nömer ift di
Abnahme ihrer Freibeit, das ift ein verfehrtes Weſen! Bil:
dung muß zur freiheit führen! —
Ludmilla bringt von Bettina von Arnim die traurig
Nachricht, daß fie feit unferem Beſuch, wo fie jchon leiden
war, täglich ſchlimmer geworden. Sie foll fehr übel au:
feben. ch bedauere fie herzlich; wenn jie fich frank befennt,
fo muß es wohl arg fein, fie ift ein Held im Ertragen, im
Standhalten. Sie fagt felber, was ich nur müſſe getadl
haben, fie fo lange nicht zu fehen! — Vielleicht Fönne fie
morgen fommen, meint fie. — Ich verweilte mit Wohlge
fallen in der Betrachtung, was doch ein ſolch ausgejeich—
netes Dafein werth ift, wie danfbar man dafür zu far
habe, daß es ſolche Perfonen giebt, und man fie fennt! —
Das geringfte Wort von Goethe wirkt belebend auf mid
nicht nur deö Gefühld oder Gedanken wegen, die es aus
drüdt, fondern hauptſächlich auch wegen der Sicherheit, di
ich empfinde, daß jedes Wort von ihm wahr, richtig und id
ift, daß er immer die Sache fiebt, die ganze Sache, die
nennt, mit allen Beziehungen derfelben. Rahel hat wo
Recht, wenn Goethe fagt: Natur, Liebe, Wahrheit, Cinfid
jo ift ed ganz anders, als wenn ein Anderer foldhe Worte i
braucht. — Wie ih mich nad) Nabel fehne, wie fie mir feb
Dafür fehlt mir aller Ausdrud! —
— — — — Q —
Donnerstag, ben 10. Auguſt 1854.
Unfere Lage wird täglich fchwieriger, die Berhältnifie .
ſpannter, nicht blos die politifchen, auch die bürgerlichen,
Klemme wird drüdender, Handel und Gewerbe jtoden,
179
Laſten mehren ſich, alle Leute klagen, daß das Dafein faum
neh zu erhalten ſei; die Bankerotte jind zahlreich, die
Shwindeleien wachfen in's Unendliche. Daß der Aufwand
keigt und die Verſchwendung ift nur die Kebrfeite deffelben
Uchelö, deren Scheinglanz nur Unfundige täuſcht. —
In Herzogenbuſch kommt ein Buch heraus, das den Titel
führt: „La vie d’Anna Maria a Schurman, par G. D. J.
Schotel.“ Bon frühfter Zeit hab’ ich den Ruhm diefer ge:
Iehrten Jungfrau vernehmen müffen, erjt fürzlich ihre gefam-
melten Schriften durchgefchen. ch bin begierig, ob der Ber:
hffer der Biographie, der neue Hülfsmittel benugt haben
will, im Stande fein wird, die merfwürdige Erfcheinung auch
ald eine bedeutende, wirffame darzuftellen. Wirklihen Geift
kann man ibr nicht zufprechen, —
Der König von Sachſen ift geſtern auf der Rückreiſe von
Minden mit dem Wagen umgeworfen und durd einen Huf:
ihlag des Pferdes getödtet worden. Die Nachricht hat fich
gleih verbreitet, die Leute machen nichts draus, „Von
Gottes Gnaden durch ein Pferd erfchlagen,” beit ee. Als
König war er unbedeutend, dabei falfch und ziemlich boshaft,
welches der Karakter der meiften heutigen Fürften iſt. Sein
Nachfolger, der Prinz Johann, ift befannt durch feine Ueber⸗
'esung ded-Dante, fo wie durch die Mepelei in Leipzig, die er
richt den Muth hatte ald von ihm befohlen zu befennen. Die
rmen Sachſen! —
In Defterreich neuer Stillftand in den Truppenbewegungen.
sollte wirflih alled zum Frieden einlenfen? Der Kaifer
ifolai und der Kaifer Louis Bonaparte? Würdig wären
5 einander die Hände zu reihen! —
180
Freitag, den 11. Auguft 1854.
Brief aus Hamburg vom Hauptpaitor Dr. Noodt,
„Bor fünfzig Jahren Ihr Mitfchüfer im Johanneum ur
Gurlitt, vor einundvierzig Jahren Ihr Kampfgenofje un
Tettenborn und Wallmoden* — er empfiehlt mir einen
und wegen einer Schrift im Jahre 1848 abgefegten Ob
prediger G. Schweißer, damals in Kremmen, der Hofm
hat eine Stelle in Bremen zu befommen, ich fell ihn t
Bürgermeifter Smidt empfehlen. — Gleih an Smidt
ichrieben, fo eindringlicdy als mir möglich! —
Sn meinen Karlsruher Denfwürdigfeiten fortgefabt
Schwierig. —
In Roftod, wo vor längerer Zeit auf preußifche Anfoı
rung mit großem Lärm viele Verhaftungen jtattfanden, fü
man an in der Stille die Verhafteten wieder freizulaffen
jest einen Advofaten. —
Die Zeitungen berichteten, in Bromberg feien Waffen
gelangt, die aus Belgien nah Rußland gingen. Aw
bliflih) wurde Dies dahin berichtigt, es feien nicht Waf
jondern Telegraphendrähte! Niemand glaubt das. Am wenig
werden ed die Engländer und Franzoſen glauben. 5
Preußen nicht aufrichtig handelt, ift gewiß. —
Unjere Behörden haben wieder ein ſcharfes Auge auf
Leihbibliothefen, und verbieten diefen viele Bücher.
Unfunde verbieten fie aber manches ganz unfchuldige,
viele der vermeintlich gefährlichften gehen unbewacht dı
Wie früher Beifpiele von Zenfurdummheiten erzählt man
jolche von Polizeidummheiten. —
Die Neue Preußiſche Zeitung bringt heute ein Kriegs
das in den fchärfiten Worten auffordert, Preußen jolle
Waffen gegen Weiten fehren. England und Frankreich
den geſchmäht. —
181
Ueber der Thüre des Banfgebäudes ift heute eine weiße
Tafel angebracht worden, zum Andenken des Grenadiers, der
als Schildwacht am 18. März 1848 dafelbft auf feinem Poften
in Bertheidigung feined Gewehre den Tod gefunden hat. Die
Yusdrüde „Revolte“ und „Meuchelmord* fommen vor. Die
ganze Sache ift eine nußlofe, erbitternde Aufregung, und wird
von allen Seiten mißbilligt. Den ganzen Tag ftanden Volks—
gruppen vor der Banf, um die Tafel zu fehen; immerfort
hörte man Bemerfungen , fcherzhafte und grimmige, die dem
Könige nicht Tieb fein fönnen, die hervorzurufen nicht Flug ift.
Belher Teufel hat ihm dazu gerathen? Solcher Troß, fügen
hie Rente, ziemt- ihm nicht, er felbft habe feinen Poften
nicht vertheidigt, fondern fein Gewehr gleich ausgeliefert,
fh dem fiegenden Volk ergeben und angefchloifen. Die Tafel
erwedt das Andenken an die Gräber im Friedrichshain, fie
leitet Diefelben Dienite, wie die verhüllten Infchriften jener
leiſteten; die Revolutionairs fönnen fich freuen! —
In badifchen Sachen gelefen, in Stein’? Leben von Perk
mit fehr ungleichen Empfindungen, bisweilen zuftimmend,
öfters empört. In der griechifchen Anthologie gelefen. —
Auf den Alandinſeln franzöſiſches Fußvolk gelandet,
300 Mann. — Im Schwarzen Meere werden Truppen eins
geihifft zu einem Angriff auf Sebaſtopol oder Odeſſa, oder
Anapa. —
Die nächtlichen Promenaden des Königs im Schloßgarten,
auf denen er fich nun fchon zweimal übel geſtoßen hat, und von
denen er fich biäher, aller Bitten der Königin ungeachtet, nicht
abbringen ließ, haben, wie man verjichert, einen ganz befon:
den Zweck. Er hofft auf eine Geiltererfcheinung, irgend eine
immliſche Offenbarung ; ein himmlifcher Bote, ein Geift feiner
dorfahren foll ihm eingeben, was er thun, wie er ſich ver:
alten foll. — Bisher mußte ihm, gegen feinen Befehl, der
achtbabende Offizier ftetd heimlich nachfolgen; da fonnten
182
denn freilich die Geifter nicht fommen. ine amdere Aut
legung der Promenaden, bei der es nicht auf Begeiftern, ſon—
dern auf Ernüchtern anfäme, geht unter dem Bolt im
Schwange. —
Sonnabend, den 12. Auguft 1854.
Zwei merfwürdige Beifpiele unfrer Zeit von lange for
beftandener falfher Schätzung. Wie lange galt Kaifer Frar
von Defterreich für einen ſchlichten, aufrichtigen, wohlwoller
den Mann! Seine nächften Umgebungen wußten wohl, de
er feige, hämifch, verftellt und in jeder Art Mein und erbär
lich war, aber das Volk blieb lange getäufcht; jetzt weiß
die ganze Welt. Ebenſo geht ed mit dem Kaifer von Au
land, man hielt ihn für einen muthvollen, entfchloffen:
willendfeften und dabei fich felbit beherrfchenden Mann, \
fträubt” ich mich zu glauben, als ich es zuerft von Ruffen hör
das alles fei nur Schein, er fei furchtſam, verſchmitzt, h
fährtig, gewaltfam und betrügeriſch, dabei unfähig etwas
leiten oder auch zu ertragen; jest ift fein Karafter groß
theils enthüllt, die heuchlerifche Frömmigkeit ift offenbar
worden als der Dedmantel feines räuberifchen Chrgei,
feines Verrathed an Verwandten und Verbündeten. —
Nachmittags kam Bettina von Arnim; fie hatte m
Billet noch nicht. Ihr Ausfehen war ſehr fchlimm, fie ı
ganz erfchöpft und fagte: „Sch bin kaput!“ Sie fli
mir wahre Beforgniß ein, und ich fchlug ihr vor, ſich
auf den Sopha zu legen und auszuruhen, vielleicht zu ſchla
Das wollte fie doch nicht. Neue Klagen über * *, *
Eifenmann, den Juſtizrath Caspar. Sie erzählte dann
ihrer Arbeit mit dem zweiten Theil der „Kronenwächt
und wurde dabei ganz belebt. Sie fcherzte heute nicht.
fchied in wehmüthiger Rührung und ließ mich in fo!
183
zurül. Ich überdachte ihr Weſen, ihr Geichid; ihr
Saft war gemacht alled zu überfliegen, zu überwinden,
nur nicht die Mitgift alles Menſchendaſeins, der allmähligen
Sterblichfeit, der fie erliegt, wie Goethe, wie Rahel! —
Sie zu verlieren, gerade jetzt, wäre mir fchredlich! — Sie will
in vierzehn Tagen nach Gaftein reifen. Meine heißeiten
Wünſche begleiten fie! —
Wie ein Gegenftand, den wir eine Weile Träftig ange:
fehen, nach längerer Zeit, nachdem wir den Blid anderswohin
geimendet, fein Bild im Auge läßt, wie ein gehörtes Tönen im
Ohr nachflingt, fo behält auch der innere Sinn noch lange den
Eindrud den er empfangen und überträgt ihn auf anderes.
Denn ich lange mit Ernft in Goethe gelefen habe, und gleich-
ſam mit ihm durchdrungen bin, dann aber plöglich abbrechen
und etwas ganz Berfchiedenes lefen muß, fo begegnet mir
wehl, daß ich dies Neue ganz in demfelben Ton und Gefühl
innerlich fortlefe, wie dad Goethe’fche, und z. B. die Volke:
4 tung durchaus fo, als ob Goethe weiterfprähe. Nach
einer Weile jedoch fprengt ‚die Wirklichkeit den tänfchen-
den Traum, die Uebertragung bricht zufammen, ed ift wie
in Erwachen, und es ift rein und baar die Volkszeitung, die
ih gleihfam ernüchtert lefe. —
— — — — —
Sonntag, ben 13. Auguſt 1854. _
Welch ergreifende herrliche Briefe von Rahel hab’ ich ges
leſen, aus dem Jahr 1819, an mich, an Delener, an Lindner!
Sie ficht das Allgemeine mit großerhabnem Sinn, mit
llarſter Wahrheit und drückt das Perfönliche mit Innigfeit
und Schönheit aus. Sie iſt ſich ihrer Geiftesmacht, ihrer Anzie-
hungfür die Menfchen vollfommen bewußt, gebraucht ihre Gabe
jedoch zu Teinen Zwecken, ald nur den Menfchen wohlzuthun, und
184
steht und wirft in deren Mitte, als wenn Alle ihreögleichen wärı
Sie vermißte und beflagte es oft, Feine Fürftin zu fein, w
fie fühlte, was fie als folche hätte ausrichten können, al
mit Anftrengung und Künftlichfeit ſich zu einer ſolchen
machen, fam ihr nicht in den Sinn. Bei den größten 8
hältniffen pflegte fie die fleinften, wenn nicht mit größer
wenigſtens mit gleicher Liebe. ch mußte zulegt aufhören
lefen! — |
Kein Befuh kam, Fein Brief. Die Einſamkeit v
ſchön. —
Gegen Abend ging ich mit Ludmilla in den Thiergart
Wir gerietben nad) Kemperhof, wo große Muſik war ı
mitteljtändijche, bürgerliche Gejellichaft, gepußter als
bildet, aber äußerlich ganz ordentlihen Verhaltens.
Mufit war nicht fonderlich, zulept die Schlachtmufif, auf
ich mich gefpibt hatte, nur eine rohe Beigabe der Tromn
und Gewehrfchüfle, ftatt daß es umgekehrt hätte fein fol
Der Deffauer Marſch, der das Ganze ſchloß, wurde fehr
Flatfcht. Unter den fünf- bis fehshundert Gäften fein
fanntes Gejicht! —
Im Cicero gelefen, in Goethe, —
Nachrichten aus Spanien verfünden dortigen ftarfen H
zur Nepublif. Sie wird wohl diedmal noch vermieden ı
den, fann aber bald ald Nothwendigkeit eintreten, wenn
dynaſtiſche Stoff ausgeht, oder unmöglich wird. —
In Italien gährt es immerfort, in Frankreich fpri
einzelne unten. — Was im Stillen fid) bereitet und
wächſt, ift unberechenbar! —
Für unfere Stimmung bier ift die Tafel über dem |
gang ded Bankgebäudes ein Zugpflafter, das viele Blafen 3
Das Volk fpricht feinen Unwillen in Hohn und troßender'
achtung aus, die Mittelflaffen find beforgt und mißtrau
die höheren Beamten finden die Sache unflug, unzeitgemäf
t
185
den für jebt noch ſchwachen Anfängen preußifcher
hung fällt es fehr auf, daß die erfte Sorge dahın
e militairifchen Punfte der Dftfeefüften zu verftärken,
gen. Swinemünde, Kolberg, Danzig; fürchtet man
aß die Rufen zur See gegen und etwas unter:
I — Der König foll mehr ald je geneigt fein, ſich
a anzuschließen, und heimlich die franzöſiſch⸗-engliſche
ı der Oftfee ftets ala den Feind anſehen. — Auch
a werden in den Feſtungen bedeutende Vorkehrungen
preußische Gefandte in Wien hat fich geweigert, an
öfterreichiichen Minifter berufenen Zufammenfunft
thung über die ruſſiſche legte Note, Theil zu nehmen.
» ohne ihn dennoch Statt. In Wien meinte man,
icheide dadurd) aus der Reihe der Großmächte aus. —
Montag, den 14. Auguft 1854.
König ijt von feinem Fußleiden noch nicht hergeftellt.
e nach Putbus in das Seebad foll ganz aufgegeben
es Fußübels wegen, „oder fürchtet er, daß ihn die
er fangen?* —
Prinz von Preußen hat fi) ebenfalld am Fuß leicht
auf der Nüdreife von Oftende, und wird nun in
bleiben, nicht, wie er anfangs wollte, nad) Baden-
ben. —
taffau hat das Gericht den Biſchof von Limburg, der
: war, mit einigen feiner Geiftlihen Firchliche Er:
n ausgeübt zu haben, freigefprochen. —
von Hindeldey ift zum General: Bolizeidireftor er:
mit einer ſich über den ganzen Staat erftredenden
feit; doch noch ganz wie bisher unter der Oberleitung
ifterd des Innern.
Bor der Tafel über der Thüre des Banfgebäutee® Med
no immer einige Volfdgruppen. Ein Mann frag bi
nisch: „Das ift wohl mit dem noch übrig gebliebene ra
Blu
gefhrieben ?* Nie hat e8 etwas Gehäffigered, Erbärm licher“
gegeben, ala Diefe Tafel! —
nn mn
Dienstag, ben 15. Auguft 1854.
Die Ernennung Hindeldey’s zum General-Polizeiditekt or
verfchnupft die Gerichtömänner fehr, fie fagen, damit Jet
die Willfür, die Ungefeplichfeit gerade als Herrfcherin ein?
geſetzt, ja man geht fo weit zu erflären, daß Berlin, wenn e® |
die Tragweite diefer Amtserhöhung vollftändig erfennte,
darin hinreichenden Grund zu erneuertem Aufſtand finden
würde!
In Schleſien iſt der meiſte Adel ruſſiſch geſinnt, wird be:
ftätigt. Es ift auch ganz richtig; die eine fchlechte Sache
ſchließt fich der anderen an. —
Der hiefige Publizift beeifert ſich aus Anlaß der berüh-
tigten Tafel am Banfgebäude den Vorfall, dem fie zum Denk—⸗
mal dienen foll, genau zu erörtern, und es ergiebt ſich auo der
forgfältigften Unterfuchung aftenmäßig, daß der Soldat im
Ningen um fein Gewehr durch deſſen zufälliges Losgehen it
die Bruft getroffen, und nicht vom Bolf ermordet worden if;
er hat noch viele Stunden gelebt, und ift unter bürgerlider
Pflege ruhig geftorben. Die Folgerungen aus diefem Betich
überläßt das Blatt den Lefern, die bloße Anführung aber der
Thatfachen zeiht den Wortlaut jener erbärmlichen Tafel einer
groben Unwahrheit. —
Der engliſche „ Bundy” macht den König von ‘Preußen auf
eine ſchreckliche Weife zurecht, überfchüttet ihn mit Spott un
Hohn, mit Rächerlichkeit. Wie empfindlich der König für die
|
187
Aeußetungen der englifchen Blätter ift, fieht man daraus, daß
er led auf die Drohung einer englifchen Zeitung, die Eng-
länder fönnten fi) an der preußifchen Küfte irgendwo eines
feiten Platzes verfichern, den Befehl gegeben hat, die Küfte
in Vettheidigungsſtand zu fegen. —
Im Goethe gelefen, in Cicero's Reden. Der gute Cicero
mit feiner philofophifchen, den Griechen entlehnten Bil-
dung! —
Elender Artikel der minifteriellen Preußiſchen Korrefpon-
den;, der beweifen foll, Preußen habe durdy den Bertrag mit
Defterreich feit dem Zurückweichen der Ruffen feine Berpflid)-
tung mehr; es ift eine deutliche Schwenfung zu Rußland hin.
Die Kteuzzeitung wagt fehon zu fordern, die Verproviantirung
der sslotten in der Oftfee aus preußifchen Häfen müſſe ver:
boten werden. — Wer weiß, wohin wir noch fommen! wenn
niht wieder die Furcht das Mebergewicht erhält! —
Die franzöfifhe Gefandtfchaft hat den 15. Auguft als
Rapoleondtag durch einen großen Gotteödienft und ein präch-
taed Gaſtmahl glänzend gefeiert. Unſere Minifter und alle
Selandten haben das Wohl des — Louis Napoleon trinken
müfen! Wohl befomm’d ihm und ihnen! —
Im neueften Hefte der Gränzboten ift ein Auffa über
sihte, worin Kant nad Gebühr fehr hochaeftellt, aber von
ihm gefagt wird, er habe die in feine alten Tage fallende fran-
öffhe Revolution nicht beachtet; das ift grundfalih! Er
ebte und webte in ihr, und hielt ungeachtet aller Gräuel feine
Yoffnungen auf fie fo feft, daß er, ald er die Verfündigung
er Republif erfuhr, lebhaft ausrief: „ Herr! Nun laffe Dei:
m Diener in Frieden dahin fahren, denn ich habe das Heil
r Welt geſehen!“ —
188
Mittwoch, den 16. Auguft 1854.
In Belgien ift Confiderant auf Anfordern der fra
jifchen Regierung verhaftet worden, nebft einigen Anderen, jr
werden befchuldiat, eine Höllenmafchine gegen Louis Bon:
parte bereitet zu haben; das ift gewiß nicht wahr! Te
Dberft Charrad audgewiefen. —
In Parına Hinrichtungen dur Pulver und Blei. —
Paris Berurtheilung — außergerichtlihe — zur Verbannun
nach Sayenne für Boichot und Andere. — In Rom Hinrich
tungen. —
Der elende Artikel der halbamtlichen Preußiſchen Kor
ſpondenz, der beweiſen ſoll, Preußen fei durch die ruflild
Räumung der Walachei und Moldau feiner Plichten gege
Defterreich ledig, und der Vertrag zwifchen beiden finde fein
Anwendung mehr, wird mit Inwillen beſprochen und al
jopbiftifch verdammt. —
In Goethe's Briefen gelefen, in Cicero's Reden. J
Cicero ift viel Chateaubriand, viel Friedrich Heinrich Jacob
dabei ift er aber ein Römer, der die Schredenszeit Sullo
hinter fih, und die der Triumviren vor fich hatte! Ge
Geifteöbildung ift außerordentlich und wie fein klarer und al
muthiger Ausdrud als gerechte Urfache der durchgreifent
Wirkung feiner Schriften anzuerfennen. —
In Spanien überall Junten, aufiteigende Republik
danfen ; fonftituirende Cortes in Einer Berfammlung, erw
terted Stimmredbt. Das Scheufal Ehriftine noch nicht
griffen, die nichtöwürdigen Staatöftreichminifter noch v
ſteckt. —
Der — Louis Bonaparte weilt in Biarig, und ift z
Napoleonsdtage am 15. nicht nach Parid gefommen. Möcht
mit Chriftine zufammen zur Hölle fahren! —
Die Leute nennen die Tafel über der Thüre des Banl
bäudes den neuen Geßlerhut. — Eine Frau aus dem Bı
189
ihrer Nachbarin aus dem Fenſter, fo daß ein Borbei-
ed hörte: „Wenn er ed gleich gethan hätte, das wäre
egangen ; aber jet nach ſechs Jahren, das find’ ich
dinair! —
Prinz von Preußen ift nun doch nach Baden-Baden
— — — — —
Donnerstag, den 17. Auguſt 1854.
widrigen fihredvollen Träumen fchon früh um
ah. Im Gicero gelefen, weil der grade zur Hand
Volkszeitung, die Spener’fche und die Nationalzeitung
pfer gegen die Preußifche Korrefpondenz vor; daß
at, fie kenne nicht die Anficht der Regierung, machen
er fich zu Nuß, um zu beweifen, daß die Regierung
aficht, wie jene Korreſpondenz aufftelle, unmöglich
ane. —
Mittageffengzeit kam rau Bettina von Arnim, die
yergejtellt ift und wieder munter ausſieht. Sie ſprach
Arnim's Kronenwächtern, erzählte fchöne Züge und
ı daraus und beflagte, daß fie unvollendet geblieben.
der Ratti'ſchen Kopie des Gemählded von Tizian
ig, will fie, da es ihr hier damit in feiner Weiſe
ı den König Ludwig von Baiern fchreiben. ch ver:
y immer nicht, wie e& mit diefem Bilde fich eigentlich
minifterielle „Preußiſche Korrefpondenz * lenkt ſchon
der ein und entfehuldigt die — ohnehin gar geringen
ingen an der preußifchen Küfte ald eine Maßregel,
die einfache Folge des Kriegöftandes in der Dftiee
schon Furcht vor dem franzöfifchzenglifhen Zorn! —
190
Der König wird nun doch nah Putbus in’s ef
gehen. Die Minifter fehen diefe Zeit als eine der Etholu!
an, die politische Umgebung des Königs fucht auf ihre 4
Nupen davon zu ziehen; für Einflüfterungen, Stimmunge
ift die Gelegenheit gut. —
Heute pfropfte fih mir Goethe auf den Cicero und fi
gingen längere Zeit recht qut zufammten, dann aber fie
diefer aus, und die Goethifchen Briefe herrſchten allein al
glänzendes Gejtirn in der Wüſte des Aethers, wie Pindare
fagt. (Dasıvov «orgor Zpyuas dr al$Epos. Olvun.L.!
Freitag, den 18. Auguft 1854.
In Spanien wird das allgemeine Stimmrecht verlung
Ob es eingeführt wird, iſt vor der Hand gleichgültig, d
Forderung ift die Hauptfahe. Der jekige Umſchwung mir
nicht dauern, alles ift für fchliegliche Zuitände noch nid
reif; der Gefchichte genügt, daß fie ihre Pulsfchläge fühl
läßt. —
Der Kirchenitreit in Baden ift vorläufig abgemadt, d
Negierung giebt den Erzbiſchof alle Forderungen zu, erh
jtimmt die Erziehung der Geiftlichen, vergiebt die Pfründe
der Großherzog behält ein elendes Beitätigungsrecht. Den Bar
wird der Erzbifchof auf Bitten zurüdnchmen! Wieder b
jih eine Regierung recht gründlich ſchwach und jämmerlic «
wiefen, nachdem jie das Maul recht voll genommen, eine Rey
rung, Die durch und durch volföfeindlih und wortbrüchigi
Und hat die fatholifche Kirche troß ihres. Sieges nicht aı
ihre Ohnmacht gezeigt? Die Demokratie darf fich dieſes Aı
gangs freuen! —
In Hamburger Blättern ftand ein Artifel über die Te
am Banfgebäude, der bier fehr geärgert hat. An Min
191
eine Zeitung, die ihn wiedergab, mit Befchlag belegt
den." —
„Die Schandtafel am Banfgebäude verdrießt euh? Da
n wir ganz andere Denkmäler, von Eiſen!“ — Wo denn
— „Am Königlihen Schloffe die Thorgitter, die Eifen-
um alle Wachthäufer. Die geben Zeugniß vom
Ritz." —
ie Kämpfe am 18. März find ein wunderbares Gr-
Kein Zweifel, daß die Truppen hätten fiegen können,
Ehatfache ift, daß fie nicht gefiegt haben. Den Sieg des
3 hat der Schreden, die Berzagtheit, die. Rathlofigfeit
egner entjchieden, die in Berzweiflung den Befehl zum
ige der Truppen ertheilten. Es war gar feine Regie:
mehr da, fein Minifter, fein General fonnte diefen
wel erjegen. Gott hat fie gefchlagen durch ihr eignes
btfein, fie fühlten fi erbärmlich und in diefem Gefühl
ı fie wie gelähmt! — „Die Truppen zogen ab, unbefiegt;
uch zogen ab, unbefieat! it die Demokratie etiwa ge-
en? Iſt fie in ihrem Rückzuge nicht ftarf und trotzig?
ſt es mehr ald vorher.” —
Sonnabend, den 19. Augnft 1854.
schon um A Uhr wach und in Cicero's Neden gelefen.
man aus den Luftfpielen der Römer ihr Privatlchen am
ı kennen lernt, fo ihr öffentliched aus diefen Gerichtd-
Staatöreden ; daß neben dem Schwerte fo dad Wort zur
ıng fommen fonnte, bezeichnet eine hohe Bildung, doch
diefe indem die Freiheit ſank, ein trauriges Beifpiel in
jefchichte! —
dachmittags gefchrieben. Unſere Thätigfeit wird durch
ag bedingt, und muß ihm ſich fügen, aber unjere Ge-
ng und das Ziel, zu dem fie ftrebt, müſſen ſtets diefelben
192
fein! Das möcht’ ich vielen Leuten zurufen, die jept mei
nen, alles fei für und erreicht, wenn nur Rußlands Demi
gung erfolgt; ſie fann und ganz recht fein, aber der Ein
Louis Bonaparte's, Defterreich® und Englands ift nicht yr
tade unfer Sieg; in gewiſſen Fällen könnte Deren Demüthi
gung ung lieber fein, als die der Ruſſen. Wir müffen me
nur geitehen, unfere Sache fpielt nicht mit in den heutigen
Berwidelungen; nur einige dünne Fäden laufen mit durd,
und entziehen ſich oft im Gewirr dem Auge ganz; fie werden
aber in der Stärke von Schiffstauen ſchon wieder fihttr
werden. — J
Die ſpaniſche Bewegung zeigt, daß die Sache des belle
und der Freiheit noch in voller Kraft ift, und nur der Gelezen⸗
heit harrt, um fiegend aufzutreten. Gin Augenblid der ifreikit
ift durch Jahre des Harrens und Ringens nicht zu theuererluft.
Sie fragen immer, was die Folge fein wird? Das Greignik,
die Bewegung ift ſich felber genug, ift felber ſchon Folge un
Ergebnig. Stehen bleiben kann die Gefchichte bei feinem. —
Am 16. it Bomarfund von den Franzoſen und En
(ändern genommen worden, mit geringem Verluſt; die 2000
Rufen der Beſatzung find kriegsgefangen. Freude darüber
bier im Volke. —
„Dentfchland im achtzehnten Jahrhundert. Bon Kurt
Biedermann. Erfter Band, Leipzig, 1854.“ Das Bud vet
dient die Empfehlung, die ihm Hettner in der Nationale
tung gab. —
Die franzöfifchen Truppen in der Türkei haben ſchen
15,000 Mann durch Krankheiten verloren, durch Cholera,
Typhus; die Engländer verhältnigmäßig ebenfo. Ja, ja! Der
Krieg if ein Glücksſpiel. Flotten und Heere können zu
Grunde gehen, ohne daß der (Feind fie ſchlägt! — Un
die Politif, in Händen von Schuften und Schwädlin:
gen, was ift in der nicht alles möglih? Den Ruffen nicht
193
‚it ſchon recht! Aber fann man e3 den Defterreichern,
anzofen, den Engländern? Den Preußen traut man
n fchon längſt nicht mehr. Wir find vielleicht nicht die
nften, aber wir fcheinen fie gewiß! —
tern. hat Hindeldey alle Zeitungsredafteure zu fich
laffen und fie nicht „vertwarnt*“, fondern nur „freunds
ch verjtändigt“, daß die Preſſe zwar frei fei, und aud
rei wolle, aber dag fie die von der Regierung eingehal-
olitit nicht befämpfen dürfe; er fei nicht für noch gegen
id, fondern für Preußen; Preußen aber wolle Krieden,
yürfe man nicht zum Kriege heben, bei dem auch nichts
innen fei für Preußen. „Polen? da fei nichts zu holen!“
ie Zeitungen über Die Befeftigungen an der Dftfee ges
n, tadelte er fehr. Nach diefer Anfprache ift das bischen
eiheit jo gut wie aufgehoben. Wehe dem Blatte, das
undſchaftlichen Rath nicht befolgte! —
Sonntag, ben 20. Auguft 1854.
‚dem Buche von Biedermann gelefen, mit fchmerzlichem
‚über die deutfchen Zuftände, die er jchildert, und von
ich ein gutes Theil mit eignen Augen gefehen. Warum
ttner, Biedermann habe fich nach dem Vorbilde Macaus
gerichtet Sole Schilderungen find längit bei ung
ish, Doc find fie hier in größerem Zuſammenhang
aß. Der Gegenftand eignet fi) aber meßr zu leiden»
her Rede ale zum rubigen Geſchichtsvortrag; mit. euer
lammen, mit Zorn und Haß müßte das gejchrieben
! Das Buch ift fehr zeitgemäß und wirkſam hof
8 guter Quelle wird verfichert,, der Prinz von Preußen
it der Zeit, daß er als Flüchtling in London bei
nhagen von Enfe, Tagebücher. XI. 13
194
Bunfen gewohnt, die befte Meinung von diefem, und fei dur
viele ernfte Gefpräche mit demfelben zu freieren politiſche
Anfichten befehrt worden, wozu natürlich der Anblick der eng
lifchen Zuftände fehr mitgewirkt habe; der Prinz fei jept a
richtig fonftitutionell, fehe fein Borbild mehr in Rußland, e
fenne, daß das Volk Nechte habe u. ſ. w. Ich laſſe alk
dahingeftellt. —
Wer unbefangenen Blides ift, der kann eö den Schrift
leicht anfehen, ob fie im Strome der Zeiten unterjinfen od
obenfchwimmen werden. Der augenblidlibe Erfolg od
Miperfolg entfcheidet darüber nicht. Der tiefe und reiche G
halt rettet fich immer, aber meift indem er Namen und Flag
wechfelt. Das wahre geiftige Eigenthum behauptet ſich mı
in edler und fchöner Seftalt. Wo dieſer aber fein Inhalt be
gegeben ift, verfchwindet jie wie täufchendes Nebelgebill
Bon wie wenigen deutfchen Schriftftellern wird die Nachwe
etwas willen wollen! —
Montag, den 21. Auguft 1854.
Brief und Buh aus Köln von Herrn Dr. Dünke
„Goethe's GH und Egmont“. in ftaunenswerther Flei
der lange nicht nach Berdienft anerfannt wird! —
Gegen Abend fam Frau Bettina von Arnim, und bi
anderthalb Stunden. Sie las mir die Schlußbruchitüde vi
Arnim’d „Kronenwäctern“ vor, Profa und Gedichte, die!
zum Drud zufammengeftellt hat. ine große Phanta
waltet darin, die aber, in diejer Geftalt, die des Leſers ſchwir
lig macht. Bettina Flagt noch über förperliches Leid, fie
bin, fie falle zufammen u. f. w. Sie ſieht in der That ſchlin
aus. Mitteilung eined Briefed aus dem Zuchthaus
Bruchſal von Herrn von Corvin-Wiersbitzki, er fchreibt gi
195
hoffnungsloe, Der Unglüdlihe! Sein Fehler war, daß er Per:
trauen hatte in das Wort deö preußifchen Generals, Grafen von
der Groeben, des Frommen! Obgleich der ‘Prinz » Regent von
Baden nicht der Ehren war, Bettinen auf ihren fchönen Brief
zu antworten, möchte fie doch nochmald an ihn fihreiben.
darin iſt jie außerordentlich brav. Sie ſprach noch viel und
ſeht jhön über Mufil, deren Zauber und Macht, die in der
Welt immer zunehmen und einft noch große Wirkungen auf
das Menjchengefchlecht ausüben werden. —
Eine Flugſchrift aus Weimar, Sendfchreiben an Stahl,
zut Rarakteriftif der neupreußifchen Parthei, iſt hier mit Be:
jölag belegt worden. Man weiß nicht weßhalb. Bielleicht
aus Müffiggang, die Beamten wollten fih was zu thun
machen. —
Der König ift in’d Seebad nach Putbus gereift. —
Man ſpricht wieder einmal von Bildung einer Pairs⸗
lammer; diefen Namen jedoch wird fie in feinem Kalle führen.
In feinem Staate will der König niemanden als feines gleichen
anertennen. Auch vom Staatsrath ift Die Rede. An amt:
liher Schreiberei wird es nicht fehlen, dafür fteh’ ich!
Veto mehr an gutem Geift und rechten Sinn. Diefe
ganze Regierung ift ein traurige Gewirre fchlechter Gewohn⸗
hiten und böfer Leidenſchaften. Ginzelne Zweige fönnen qut
fein und find ed, aber dad Ganze nimmt ſich kläglich aus! —
Ein Finanzmann hat berechnet, daß zu feiner Zeit Preußen
jo belajtet und angeftrengt gewefen fei, wie unter der Regie:
rung des jeßigen Könige, auch unter Friedrich dem Großen
niht, obfchon der die gewaltigen Kriege zu führen hatte, und
Me jetzige Regierung doch eine unfriegerifche ſei. —
Lyriſche Gedichte! Schon vor fünfzig Jahren fehrieb mir
friedrich von Schlegel, fie genügten nicht mehr, einen Dichter
ı machen, fpäter hat aud, Goethe geldene Worte gefagt, daß
ie Sprade und die Bildung zu fehr fortgejchritten find, um
13*
196
nicht ihre Handhabung auch in Verſen zum Gemeingı
machen. Wie viel mehr ift das jet der Fall; Dichten ij
wie ehemals Lefen und Schreiben war, eine empfehlende €
ſchaft, die allgemein verlangt wird. Und doch wird der G
auh in Ddiefem Gebiete fih zum Höchſten auffchwi
Uhland und Heine werden am litterarifchen Himmel ew
ſchöne Sterne glänzen. —
Dienstag, den 22. Auguft 185:
Nachrichten aus St. Petersburg. Troß der amt
Prahlereien und der gemachten Begeifterung foll im ©
dort eine große Niedergefchlagenheit und Beftürzung herr
die Niederlagen von Siliftria und dire Räumung der D
fürftentbümer machen in allen Klaffen den tiefften Ein
Die Vorftellung von der Macht des Kaifers, der Glaub
die Unüberwindlichfeit ded Heered — der fchon früher
rechten Grund hatte —, find gebrochen, der Kaifer felbit
ſich gedemüthigt und ift franf aus Erbitterung und Grimm.
fommt noch der Verluft von Bomarfund binzu! Der!
fieht mit banger Sorge auf Preußen, und firengt alle !
an, dies für fich zu gewinnen. Das kann ihm gelingen
der Bortheil wird nicht groß für ihn, wohl aber für Pr
der Nachtheil unermeplich fein, Krieg von den Franzoſen,
reigung Deutſchlands 2c. —
Der König ift in Putbus unpäßlich angekommen.
der Reife war er voll bittern Unmuths, den er öfters
ganz Unfchuldige ausließ. Er mißtraut dem Volke, dd
dephalb haft, die guten gepriefenen Pommern nicht :
nommen. — Ä
Bei allem was mir begegnet, ift mein erfter Gedanl
immer Rahel, bei allem Freudigen der Schmerz, dap
197
nicht theilt, bei allem Schlimmen eine Genugthuung, daß fie
davon nicht berührt wird. hr Andenken giebt mir Stärke;
wenn ich erwäge, was fie alles gelitten und ertragen hat, fo
fhäm’ ich mich, minder ftandhaft zu fein. Sie nannte ibr
Unglück eines ohne Titel, und für die Welthat ed noch immer
feinen; wenige Menfchen find fähig ein folches Leid einzu:
ben, dazu gehört jchon ein verwandtes Dafein. Ihre ganze
Umgebung, von frühefter Zeit bis zur legten, widerfprach
ihtem innerften Weſen, den lauten, gerechten Anſprüchen ihres
ſeinen edlen Sinnes, alle ihre Verhältniffe waren mißgeftellt,
und dad längite Leben hätte nicht ausgereicht, fie zurechtäu-
fellen, für ihre herrlichiten Gaben fehlte fat immer das Ele:
ment, in dem fie Ichen und wirken konnten. Damit wäre
eine Art Titel ausgedrückt, aber für die rohe Menge noch immer
ungerftändlich. — '
Mittwoch, den 23. Auguft 1854.
Feier der Schlacht von Groß-Beeren, nicht fo feftlich und
lirmend wie vor einem Jahr. Wrangel und Hindeldey hatten
ih entfehuldigen laffen. Das Volk ift lau bei ſolchen Ge:
kaenheiten, wenn nicht die Behörden es erhigen. —
In Goethe gelefen, in Biedermann; des letztern Buch ift
doch fehr nach Zufall zufammengetragen und könnte weit mehr
geben, der Stoff ift der traurigfte von der Welt und macht
tinen niederfchlagenden Eindruck, es ift ald ob man immerfort
hmmern hörte. Das hätte der Autor verhindern müflen,
wenn er auch nicht im Zorn und Grimm eines Juvenalis reden
durfte, fo mußte er doch ermuthigen und kräftigen; das thut
end, — ”
Der König hieß ea, habe nicht nad) Putbus gewollt, um
198
nicht den Verdruß zu haben, von den Flotten der Weftmähte
große Chrenbezeigungen annehmen zu müflen. Die lotten
find aber weit! —
Bon vielen Seiten wendet man alles an, dag Jahr 1848
und feine Erfcheinungen aus dem Gedächtniß fallen zu lafın.
Daß die Höfe, die Ariftofraten, die Behörden, die Kriegsleute
dies thun, iſt ſehr begreiflih, aber daß auch deinofratiikt
Blätter fo fprechen, ift gar nicht recht! Manche tbun fe,
als läge jene Zeit weit hinter uns, ald hätte fie feinen Be
zug mehr auf unfere Gegenwart, fie wollen damit andeuten,
daß nun auch alle Verfolgung aufhören, Amneftie eintreten
müßte; allein dies erreichen fie doch nicht, für ihre Rache haben
die Höfe, Ariftofraten 2c. nur ein zu gutes Gedächtniß
— m untern Volke gefchieht viel, um das Andenken ver
1848 zu bewahren, bedeutende Zeitungsblätter, Flugſchriften
und gefchichtliche Berichte werden in bürgerlichen Familie
forgfältig bewahrt, und an geeigneten Tagen andächtig vorge
lefen. Auch bildliche Darftellungen mancher Borfälle un
Bildniffe der ächten Volksvertreter, die in feinem Bilderlade
mehr zu haben find, erhalten fich bei dem gemeinen Man
werden in Bibeln gelegt. Die Kitteratur ift wandelba
dad Volk Hält feinen Befiß fe. Wenn einft eine ne
Bewegung fommt, wird man fehen, wie wenig die Gedanf
erlofchen,, die Gefinnungen verändert find! —
Wie fi Berlin feit einem halben Jahrhundert veränd
bat, ift faum begreiflih zu machen für jemanden, der ni
felber durch diefen Wechjel mitgegangen ift. Die Verarö
rung der Stadt, die Vermehrung und Verdichtung der Bol
menge, die Zunahme der Gewerböthätigfeit, des Reichthu
— und leider auch der Armuth —, das alles ift nicht
Hauptfache, fondern die Art des Lebens, die ganz veränd:
Stimmung und Anfiht, die fi in allem fund giebt. 1
199
malö war alles feit und ficher, was jetzt loder oder los ift,
die Alaffen der Menfchen waren äußerlich geſchieden aber
duch Bildung vereint, jebt ift alled getrennt auch im Zufam-
menlaufen, Feiner gehört zum andern, alle Harmlojigkeit ift
vertört, edle Bildung jteht ganz im Hintergrunde, zufrieden,
wenn jie dem Ehrgeiz und der Heuchelei dienen darf. Und
welhe Polizei jeßt, welche Verordnungen! Früher wußte
man von dergleichen nichts. —
Donnerstag ; ben 24. Auguft 1854.
Bettina brachte mir die Drudbogen der zweiten Hälfte von
Aerander Jung's Buche, die der Sendung an fie für mid
Kigelegt waren. Sie war wieder befferer Gefundheit und in
guter Stimmung, erzählte muntere Gefchichten, ſprach dann
mit tiefem Ernſt über ſich, über ihren Bruder Clemens,
Goethe'n und ihr Verhältniß zu ihm, über die Günderrode ꝛc.
Ion Ahim von Arnim fagte fie, die Königin Luiſe fei in ihn
verliebt gewefen ; das ijt aber eine ftarfe Mebertreibung, die
Königin Quife war niemals verliebt, daß ihr jemand zum Ber:
lieben gefallen hätte, kam nicht vor, fie nur wollte gefallen, und
jedem. — Bettina hatte in den Briefen Goethe's an Frau von
öttin gelefen ; man fehe klar, fagte fie, daß er ihrer ſchon lange
vor der Reife nach Italien überdrüffig gewefen und daß ee
mit den Liebichaften — allen — nichts Rechtes fei! Sie
ezählte, Goethe habe fie in Weimar zu einer Volksluſtbarkeit
mitgenommen, eine herumziehende Sängerin fei in den Saal
getreten und habe ein ziemlich gemeines Lied gefungen, „O
Beiber, o Weiber, o Weiber!“ fam darin vor, und Goethe
abe Beifall genickt, fie felbft aber ausgerufen: „Das ift ja
anz ſchlecht!“ Da habe er fie angefahren mit den zürnenden
200
Worten: „Dir fann man aud nichts recht machen!” und iht
feien darüber Thränen in die Augen gefommen. Erzürnt ſaß
er neben ihr, das fonnte fie nicht ertragen. „ch ließ wie
abfichtelog ein Stüd Brot auf die Erde fallen, ich wußte dah
er’d aufheben würde; wie er’d that, ſchlüpft' ich unter den
Tisch, als wollt’ ich ed auch thun, und küßte ihm verftohlen di
Hand, da waren wir verföhnt!* Bon ihrem Bruder Clemens
fagte fie, er habe fie von frühefter Zeit nicht verftanden und
ganz falfch beurtheilt, er habe gemeint, fie würde tolle Streihe
machen, dazu habe fie nie die geringfte Neigung gehabt, fie
fei immer und gern in feften Schranken geblieben, nur Be
wunderung habe fie ſtets lebhaft ausgedrückt, und fic nie von
einer guten richtigen Handlung dadurd abhalten laffen, daß
diefelbe eine zufreie ſche in en könnte. Darin ſpricht fie ganz
wahr. — Sie aß etwas von unfrem Effen mit, was von eine
guten Stimmung zeugt. „Ihr Buch befommen Sie nicht wieder,
das behalt’ ich!” fagte fie noch; es ift der dritte Theil det
Goethe’fchen Briefe an Frau von Stein, ich wollte ihr eir
reine Gremplar ſchenken, fie will aber das mit meinen Bel
ftrichen. —
„Goethe und Werther. Bon U. Keftner herausgegeben.
Endlich, endlih! Daß ich dies noch erlebe, freut mih! €
ift der Mühe werth. Was kann einem Höheres, Wichtiger‘
zukommen, als folche Offenbarungen des innerfi Menfchlichen, i
einem Götterbilde, das einen auf dem ganzen Lebenswege al
ein geiftiger Schub und Troft begleitet hat? —
Gefpräh. — Im Cicero gelefen, in den Wertbe
Briefen. — |
Der Redakteur C. D. Hoffmann, dem die Polizei ei
Borlefung über die Waldenfer unterfagte, hatte fih darüt
beim Miniſter ded Innern befchwert; die Dumme Antwort t
Herm von Weftphalen, der die Befcbwerde in dummen Au
drüden abweiſt, ift veröffentlicht. —
F
In Magdeburg hatte Uhlich und noch ein anderer Autor
gegen die Kirchenvifitation gefchrieben. Die Polizei nahm
die Drucblätter weg, das Gericht aber gab fie wieder frei. —
Dr. Aloys Boczef aus Mähren, al& demofratifcher Abge:
srineter zur deutfchen Nationalverfammlung aus Defterreich
verbannt, ift nun als Fatholifch-Firchlich gefinnter Zeitungs⸗
fhreiber aus Naffau weggeiviefen. —
Die Oefterreicher find in der Walachei „in Gemäßheit der
von ruffifcher Seite zugefagten Räumung der Fürftenthümer “
— ſo heißt die Redensart — nun wirklich eingerüdt. Das
fingt jämmerlich genug! —
Schelling ift am 20, in der Schweiz geftorben. —
Freitag, ben 25. Auguft 1854.
Die Nacht war ich im Traum erft mit Goetbe, dann mit
Robeöpierre befchäftigt ; Den erftern fah ich in einer rheinischen
Gegend mit einer Gefellfchaft, die zu Wagen nicht ohne Gefahr
uch ein breites Waffer fuhr, den letztern zu Pferd in einem
dert, ganz jung und luftig, er redete vertraulich zu mir
md lachte über die dummen Leute, die ihm einen fo fchlechten
Rımen gemacht! Ich wunderte mich, gegen den jungen
NRann den Abfcheu nicht zu empfinden, den mir fonft der
Rumen einflößte. ch erftaunte auch, daß er noch fo jung
fi. —
Die Kreuzzeitung fpricht mit großem Prunk von dem Tode
Schelling's, er ift ihr der Philofopb, der die Philofophie zu
den Füßen der Offenbarung niedergelegt hat, der Mann des
Königs! Ein großer Denker war er gewiß, aber ein fchwacher
Karakter und ein falfcher, er hing feine Philofophie nach dem
Winde, hielt ed mit der Macht, war in Baiern rheinbündnifch-
202
franzöfifh, neigte fich zur fatholifchen Kirche, haßte Preußen,
wurde dann preußifch, eiferte proteftantifch, war für den König,
wider die Freiheit, und war zugleich empört über die, welche
ihm zutrauten, feine Geifteötraft den Pfaffen und Höflingen
unterzuordnen. Er hatte ſich überlebt. —
Aus Wien fehr Zweifelhafted über Defterreichd Abfihten.
Preußen hilft diefe Zweifelhaftigfeit hervorbringen, und be
nugt fie zur Stärkung der eignen. Gin elendes Stüd, in
dem feine Heldentolle ift, nur elende Rollen für elende Schau:
jpieler! Wenn der Teufel die ganze Bande holte, — det
der will fettere Biffen! — In Spanien gährt und kocht es
Das Scheufal Chriftine ift noch im Palaſt. Espartero ma
fich in Acht nehmen! Der fpanifche Umſchwung wirft au
Italien mächtig ein, auf Sizilien, Neapel. Berubigt un
verföhnt ift in diefen Landen nichts, wie in feinen Landen
Die Regierungen meinen, fie hätten die Revolution w
einen armen Sünder hingerichtet, und erziehen nun d
Waiſen, das heißt, neue Nevolutionen; fie irren fi
nur darin, daß es feine Waifen find, daß der Pater nı
lebt! —
Sonnabend, ben 26. Auguft 1854.
Am Potsdamer Thor, ala es ſchon dämmerte, begegnet
wir Bettinen von Arnim, fie klagte wieder, fie fei faput u
ſah leidend aus; fie ging zu einer armen Tifchlerfrau, um
Kleidungsftüde und Geld zu bringen; fie ift außerordent!
brav in ſolchen Dingen, und nicht zu ermüden. —
Im Cicero gelefen, tm Florus, in Goethe's Briefen
Keftner’d. —
Der Kaifer lehnt die Anträge der Weftmächte ab, natürli
— Wie hat man die Prahlereien und Lügen der Kriege
203
rihte Rapoleon’d gefcholten! Aber die ruffifchen übertreffen
fenoh! Der Kaifer Rifolai fagt in einem Tagesbefehl an
ine Truppen: „Zum Schuß der Donaufürftenthümer gegen
eine Invafion der Türken übernimmt der langjährige Bundes:
genoffe Seiner Majejtät des Zaren, die Verpflichtung, diefelben
einfweilen zu beſetzen.“ An der Freundfchaft Dejterreiche
will ih nicht zweifeln, aber in Bufareft find einjtweilen die
Türen unter Omer Paſcha, und die Ruffen find von den
Türken überall gefchlagen! —
In Aſien haben die Ruffen die unregelmäßigen Streit:
baufen in die Flucht geſprengt. Wie groß und bedeutend die
Sache ift, läßt ſich noch nicht beurteilen, es giebt nur ruſſiſche
Betichte. —
In Varna große Feuersbrunſt, wobei alle Vorräthe der
Ftanzoſen und Engländer verbrannt ſind. —
In Spanien noch immer republikaniſche Regungen!
die Cortes ſollen entſcheiden. Espartero zum Präfidenten
ſpaniſcher Vereinigten Staaten gewünſcht! Jetzt, neben
Ftankreich, dem neuen Kaiſerthum, unter dem die Republik
noch nicht erloſchen iſt! —
Sonntag, den 27. Auguſt 1854.
Ein Herr „Rhetor“ **, vor vielen Jahren bei mir Ab-
ſchteiber, meldete ſich um eine Unterftüßung. Sein Vater
war ein Pöniglicher Schloßdiener, wurde aber entfernt, weil
der Sohn einmal Abends auf einem Schloßgange die Königin
mit einer derben Umarmung überrafcht, und nachher fich unge:
ſchidt entfhuldigt hatte, er habe fie für feine Konfine ange:
feben, „die auch lahm fei*. Dem Herren „Rhetor“ will feit-
vem nicht? gelingen! —
Die Neue Preußifche Zeitung tritt — etwas ſpät — gegen
ie aftenmäßige Erzählung des „ Publiziften * über den Tod dee
204
Grenadierd Theiffen auf, und will den Ausdrud „Mad
mord“ als richtig behaupten. Sie hat die freche Dummheit
zu fagen, für jeden Preußen müffe genügen, daß der Königes |
jo genannt habe. Dem Nedakteur Thiele wird dabei foͤrmlich
gedroht. —
Ih war noch in voller Arbeit, da fam gegen halb adı
Uhr Abends Bettina von Arnim, blieb zum Thee, und
bis nah 10 Uhr. Sie las mir weitere Merkworte Ahime
von Arnim zu feinen „Kronenwächtern“ vor, zu deren Sid:
tung und Grläuterung aber genaue Gefchichtöforfchungen ge
hören, die ich jeßt nicht anftellen kann, ich habe dazu weder die
nöthigen Bücher, noch die nöthige Zeit. Bettina erzählte um
ftändlich die Unglüdsfälle und Zuftände einer Goldarbater
familie Ahmet, dann von Herrn Joachim und Herman
Grimm, ſprach von Harthaufen, von Beethoven, von Mufl.
Goethe's Briefe an Keftner’d wollte fie noch nicht gelefen,
nur davon gehört haben, verlangte aber heftig mein Urteil |
in einer Weife, daß ich fah, fie hat fie gelefen! Ich ſagte
ihr daffelbe, was ich am Dünger gefchrieben habe. Sie lieh
den Gegenftand fallen. Sie war äußert liebenswürdig und
unterhaltend, auch für Qudmilla, und zeigte überhaupt ihre
beiten Seiten. Wenn fie Menfhen und Vorgänge ſchildert,
ift fie unübertrefflich! jie greift alles Bezeichnende mit ficheret
Hand, ihr Humor, ihre Ausdrüde, Mienen, Blicke, alles reizt
zum Lachen. Wir bedauerten,. daß fie fchon ging, aber fie
fürchtete fpäter Feine Drofchfe mehr zu befommen. Sonder?
bar, auch unter Scherz und Lachen werd’ ich durch ihre Reden,
wenn e& lange dauert, wie magnetifch, und möchte in Schlaf
finfen! —
In Belgien haben alle Minifter ihre Entlaffung einge:
reicht, weil man die Berfaffung verlegt, und auf Louis Bona-
parte's Andringen willfürliche Ausweifungen und Berhafs
205
tungen verfügt. Ein fchönes Beifpiel! Wird aber wohl nod
indere Triebfedern haben! — )
Montag, den 28. Auguft 1854.
Ich dankte Gott beim Auffteben, daß ich meine Strümpfe
leicht anziehen fonnte, ohne die graufame Marter, die ich
etgangene Nacht empfand, ale dies im Traum durchaus nicht
lingen wollte, während Tettenborn im Reiſewagen mit einer
inzen Geſellſchaft ftundenlang auf mich wartete, und Boten
ber Boten ſchickte! Je länger es dauerte, deſto unbefleideter
ed ich und defto entfernter von aller Hülfe. Zulebt ging
uh Qudmilla fort, und ich blieb allein mit den Strümpfen
nd Stiefeln, die mir nicht gehörten. —
Nahrichten aus Putbus. Der König foll wirklich die
sucht gehabt haben, die Engländer oder Franzoſen fönnten
hu als „Pfand“ wegholen! — Hindeldey hat alle möglichen
Siherheitömaßregeln angeordnet, befonderd werden Fremde
ſeht ſcharf beobachtet, manche gar nicht zugelaffen. Er hat
ganz techt, die patriarchaliſche Zeit ift vorbei. — Man wünfcht
in Putbus ftürmifche See; des ftärfern Wellenfchlages wegen
für dad Seebad ? oder aud andern Gründen? —
Ale deutfchen Zeitungen, die hiefigen befonders, ſetzen
immer voraus, oder fordern, daß Defterreich und Preußen,
vereint oder einzeln, etwas für Deutfchland thun, rühmen
ülled, was irgend folchen Schein giebt. Als wenn das irgend
je geihehen wäre oder heute in den Abfichten läge? Dun
hrauht nur den hergeftellten Bundestag anzufehen! Einmal
berfprach der König für Deutfchland etwas zu thun, Preußen
ollte fogar in Deutichland aufgehen. Das war 1848, in
saft der Revolution. Für Deutichland wird erft wieder
mas geſchehen, wenn fünftig die Revolution wieder auftritt.
ab man das gemeinfame Vaterland wenigftend als Wort in
206
Erinnerung hält, will ich nicht tadeln; aber täufchen fell man
fich nicht laffen, als hätte man im Wort ſchon die Sache! —
Im Cicero gelefen, in Goethe's Briefen. Rottech's wer:
mifchte Schriften. Briefe von Delöner und von Stägemann
durchgefehen. —
Aus fiherer Quelle erfahre ich, daß Bunfen in Xonden jo
weit gegangen ift, ohne Ermächtigung den Vorſchlag anu-
regen, daß der König von Sachſen einen Theil von Polen be
fäme, Preußen aber den Reft von Sachſen. „Bunſen ift ein
ſcholaſtiſcher Phantaft; aber hat er nicht auch einen ſolchen
zum Herrn und Meiſter?“ —
Das bürgerliche Leben iſt in einem großen Uebergang br
‚griffen, es quillt auf allen Seiten über die ihm geſtedten
Gränzen hinaus, die Geſetze fünnen es nicht mehr halten, &
müffen neue gemacht werden für neue Lebensverhältniſſe. In
den großen Städten ift das Leben ein erfchredend aufge
Ihraubtes, da ift die Gährung am ftärfiten, die Gährung,
welche niemand macht, aber jeder fühlt. Alles Gewerbe it
verändert, aller Handel. Nur das Größte und das Kleinft
gedeiht noch, das Mittlere fchwindet ein. Die Geldverhält
niffe müfjen den größten Umfchwung erleiden. Unzulänglid:
keit überall. in allgemeiner europäifcher Bankerott wird
unvermeidlih. Die Theurung und der Luxus führen gleicher
weife zu ibm. Den größten, den ausfchweifendften Lurus
führt der Staat, ift der Staat, fo wie er jest da ift! —
Dienstag, den 29. Auguft 1854.
Großjprechereien der Rufen. Der Sieg in Afien ift vo
geringer Bedeutung. Schändliche® Benehmen gegen ti
walachifchen Truppen, die nicht nur ihrer Waffen , fondeı
207
ud ihrer Bekleidung beraubt worden find. — Der Brand
in Barna von Griechen angelegt, die auch mit Gewalt das
töihen hindern wollten. — Tiefer Eindrud in St. Peters-
ug über den fehnellen Berlujt von Bomarſund. —
Merfiwürdigkeit! In Hannover trägt die Bürgerwehr noch
eutſche Kofarden, und will fie behalten! Und eine Bürger:
hr befteht noch! Auch merfwürdig ! In diefer Zeit! —
Bettina von Arnim wiederholte neulich, was fie mir fchon
er zwanzig Jahren gefagt, daß fie ihren Mann nicht eigent-
ch geliebt, -[ondern nur aus Ehrfurcht geheirathet habe, und
habe ihr die Ehre angethan, fie zur Mutter feiner Kinder
wählen. (Daher verehrt fie auch ihre Kinder, als ob fie
ehr wären ale die Mutter!) Das mißfiel mir damals und
ügfällt mir jebt. Es ift eine prablerifche Demuth, die jo
wicht. Da gefällt mir der Ausſpruch von Frl. von Crayen
fer, die da fagt: „Wenn mid) einer heirathen will, fei er
uch noch fo wenig angenehm, eine Politefje iſt's doc
umer!“ —
Wie oft muß ich jept meines einftigen geliebten Lehrers,
ei trefflichen Kieſewetter gedenken! Er war ein heller Kopf,
in beredter, lebhafter Sprecher, von freier Gejinnung und
dem Herzen. Einige Schwächen, die er zeigte, vechnete ich
Im zu hoch an, wie ich fpäter wohl eingefehen. Ich begreife
et befier, ala ich es Damals fonnte, mit welchem tiefen nagen-
en Schmerz er die franzöfifche Freiheit, an der er mit leiden-
haftlicher Liebe hing, erft in den herrlichen Girondiften, dann
nterBonaparte ganz und gar untergehen fah. Seine höchiten
eberzeugungen,, feine reinften Hoffnungen und Lebensaus—
hten ſah er verleßt, verdunfelt. Wie Goethe’d Taffo mußte
ſich zufegt an das anflammern, was ihm früher das Gleich:
tigfte, wo nicht das Widrigfte war, an den deöpotifchmili-
rifhen Staat, an den Hof, an die alten Gegner der fran-
208
zöſiſchen Freiheit, jegt freilich nur als die Gegner des fin |
zöfifchen Machtgebieterd erfcheinend ! —
Mittwoch, den 30. Auguft 1854.
Traum von einem guten Freunde, der Seeräuberzüge mit
macht und mich dazu verlodt; es ift und beiden fchredlich lat,
aber wir thun's doch, fchonen aber der Menfchen und haben
feinen Gewinn. Und dennod Seeräuber! Traumunfinn! —
Gefchrieben. Ich muß den zu reichen Stoff zufamme:
drängen; der eine Sommer und Herbit von 1819 fönnte einen
ganzen Band liefern, befonderd wegen Rahel, deren Gkif,
Karakter und Talent zugleih Blüthen und Früchte trieben.
Ich kann das nicht in gefchichtlicher Form darftellen, e& mühte
in dichterifcher gefchehen. Wie waren wir einig und wr:
gnügt, troß aller Schläge des Schickſals und aller Scheerereir :
der Menfchen! Wir grollten feinem der Leute, Die und Böͤſes zu⸗
gefügt hatten, nicht Berftett, nicht Bernftorff, wir entfchuldigten ;
fie. Wenn ich jebt von dem erfteren nicht Gutes fagen kant, |
fo ift e& nur Zwang der Gerechtigkeit, die ich endlich nach fünf
unddreigig Jahren üben mug. Nabel fagte immer, die Merz
ſchen alle find in fchlechter Tage, fie wiſſen jich nicht zu helfen,
und da machen fie dumme und fchlechte Streiche, ohne gerade
jelbit immer dumm und fchlecht zu fein. Sie meinte foget,
Berſtett's Naturell fei urſprünglich gut, nur durch Hofluft und
Ehrgeiz verdorben. —
Gegen 2 Uhr kam Bettina von Arnim; fie war akt
etwas angegriffen, hatte Blätter, die fie mir vorlefen wolle,
vergeflen, erzählte manches, fprach viel über Muſik und viel
über Goethe's Briefe an Keftner’3, die fie wirklich erſt nah
unjerm neulichen Geſpräch gelefen bat; jie gefallen ihr aa
nicht, auch Lotte nicht, und am wenigften Keftner, obfchon un
209
elleiht weil er ſich fo berliffen in's Schöne hat mahlen wollen.
oethe hat mit allen feinen Liebjchaften fein rechtes Glüd,
m gefielen auch meift folche Frauen, die nicht mehr zu haben,
: verfprochen oder verheirathet waren, Lotte Buff, Marimi-
ne Brentano, die Stein, die Mailänderin! Unergründlich
d die Tiefen der Neigung, unzählbar ihre Eigenarten, und
mer reizend die Studien darüber. —
Der Nachmittag war fchön, ich trieb Alle zum Spazieren-
ben. Ich blieb am Schreibtifch und in der Vergangenheit.
& hatte jchönere Tage in der Erinnerung, ala unfere [hönften
bt fein könnten! —
Die Regierung in Darmftadt erflärt, die Nachricht von
mem Nachgeben gegen den Bilchof von Mainz fei ganz und
munwahr. Sie ift aber wohl nur verfrüht, fie wird ihre
orichläge jo gemacht, der Bifchof fie nur noch nicht anges
ommen haben. '
Vielen darmijtädtifchen Soldaten, die wegen 1848 zeit-
dend in's Zuchthaus verurtheilt waren, ift erlaubt worden,
ah Amerifa auszuwandern. —
Donnerstag, den 31. Auguft 1854.
Nachrichten aus Putbus; der König fränkelt und ift fehr
erdrießlich; feine Umgebungen Mlagen über die heftigen Aus-
rühe feiner üblen Zaune, über die argen Worte, deren er ſich
edient; er ift ganz und gar ruffifch gefinnt. —
Herr von Ufedom geht nicht nad) Rom zurüd; er ift Wirk:
her Geheimer Rath geworden und zur Dispofition geftellt.
in Opfer des Gerlach'ſchen Einfluffes, wie Pourtalès, Bunfen,
iher Radowig; dem Könige werden die ihm Liebften und
gebenften genommen. —
Heute ift nun General Graf von Bendendorff aus St. Pe:
Barnhbagen von Enie, Tagebüder. XI. 14
210
tersburg in Stettin eingetroffen, und zum König nad Pı
gereiſt. Man weiß fchon, daß er nicht Frieden bringt. -
In Hannover ift der Staatdminifter Qudivig Konrad (
von Ompteda im 87. Jahre geftorben. Er war einft
növerjcher Gefandter in Berlin und ging im ariftofrat
Weſen tapfer mit. Seine Frau, geb. Gräfin von Schli
bach, war immer gerührt und weinerlih, und man nanı
deßhalb die Wehmutter. Ompteda zog fi aus dem T
zurüd, als der König Ernft Auguſt von Hannover das S
grundgeſetz umgeftoßen hatte, an dem jener mitgearbeitet
auch wohl weil er wußte, daß der König ihn nicht bei
würde, —
Abende mit Ludmilla zu Kalkreuth's. Sternberg do
Stein. Durch Klotildend liebenewürdige, immer ft
TIhätigfeit war der Abend munter und angenehm. —
Im Florus gelefen, in Goethe's Briefen an Fraı
Stein. Illuſtrirte Welt und andere Blätter. —
Die Königin Chriftine ift von Madrid nach Portug
gereift, das Volk erhob ſich und baute neue Barrifaden
aber von den Soldaten und Nationalgardiften erftürmt wı
vorgeftern. Man hofft, daß dem Weibsbild noch unte
ein Schaden zuftößt. Die Hemmung der Volkswuth if
feine Umkehr zur Hofknechtſchaft. Das Wort , Republ
einmal genannt in Spanien, dad wird nicht mehr zu
fein, verfolgt oder herrichend, im Kerker oder auf dem ?
ed wird mitleben. —
Unfre preußifhen Ruſſen, Stahl, Gerlah, Bid
Königemard, und wie die Schaar von Junkern und
fingen fonft heißen mag, find nicht einmal eigentlich ı
gefinnt, denn fie wollen feine Kaiferherrfchaft, fo
fie Volksherrſchaft wollen, jondern ihr Zwed ift Adel
ſchaft, Oligarchie; fie würden entſetzlich geftraft fein,
ruffifche Herrfchaft zu fommen, wo der vornehmite Fü
211
r Sflav ijt vor dem Kaifer. Sie find ruffifh, weil
iuf eine auswärtige Macht ftügen mülfen, die das Bor:
vr Könige für fich hat, und Rußland für ihre Heuchelei
emiten ift. Dieſe Barthei iſt bei diefer Bewandtniß
je nur um fo nichtewürdiger, um fo veriverflicher, weil
dliched Treiben nicht einmal Ernit, jondern nur Rüge
rath if. —
— — — — — —
Freitag, den 1. September 1854.
hrieben, aber nicht viel; die Nerven litten es nicht !
milla auf der heute eröffneten Kunitausftellung, wo
ehr leer war, an Bildern und an Menfchen. Herrn
g geſprochen, Heren Prof. Rauch, der von Rom er:
n PBaradiefe, jagt er, könne es nicht ſchöner fein, als
Frühling in Rom war, man möchte jich fein andrea
ünfchen! Gr will mir feine Gruppe von Goethe und
ſchenken. — |
en Abend fam rau Bettina von Arnim. Sie brachte
hiedsgrüße von Herrn Joachim, und fagte mir Aeuße—
yon ihm über Rahel. Ste lad mir Arnim’she Frag—
r, dann einen Brief, den jie an den König Ludwig
ern fchreiben will, über fich felbft und über die Tizian—
a Ratti, ich fonnte manches nicht billigen, und es foll
werden. Wir Forrigirten einen Drudbogen von
Fragmenten der Fortfegung der Kronenwächter.
ſprach mit Innigkeit und Wehmuth von Rahel:
gen! wenn wir die nod hätten! Was würde Die
asüben! was für ein Beifpiel fein!" —
—
Sonnabend, den 2. September 1854.
mittagd fam Frau Bettina von Arnim angefahren,
n großen Wafchforbe voll Papieren, den ihr Bedienter
. 14°
212
berauftrug, lauter Poefieen von Achim von Arnim. Keine
geringe Aufgabe, das zu fichten und zu ordnen! — Sie fprab
von Familienſachen, es drüde fie viel, fie könne nicht alles
jagen. Sie hat feinen Umgang, der fie freute. Die alte”
ift ihr ſchrecklich, was hat die für Zeug geſchwatzt! Goethe
jet fo heruntergefommen! Wiefo? Hat er nicht dad Pri-
difat Erzellenz befommen und große Orden? Das heißt doh
wohl im Sinne der **'ſchen Familie hinauf? Ach, laßt je
reden, die dummen Leute! Bettina fchimpft auf die fogenannte
Bildung, will mit Mägden und Knechten lieber umgehen, alt
mit folchen Gebildeten ; fie hat ganz Recht, befonders in dielen
Fall; Frau von ** ift urfprünglich naiv und unfchuldig, alt
Bildung aber läßt jie fih eine Menge Dummheiten und Per:
urtheile einreden, die fie felber nie erfunden hätte. je älter
die wird, deſto fchlimmer, die hätte ein junges Mädchen bleiben
müflen! —
Spazierfahrt nad Stralau. Noch viel Ueberſchwemmung.
Zuchthausgefangene, die im Freien arbeiten. Die Bauwerle
zur Wafferanftalt erjt im Entſtehen. Ungeheurer Umfang.
— Früh nad Haufe. Meberblid auf die Arnim’fchen Pr
piere. — Thee, Schach. Arnim's Stammbuc mit Qudmilla
durchgefehen. —
Der freien Gemeinde in Magdeburg hat die Regierung
nun erflärt, nach Zurüdnahme der ihr früher ertheilten Kor
zejfion fei fie feine geduldete Religionsparthei mehr, dürfe un
Sonntagen in den Stunden des Gotteödienfted feine Berfamm
lungen halten, könne überhaupt die Eigenfchaft eines religiöien
Vereins nicht anfprechen, in den Augen der Regierung fei ihr
Thätigkeit feine religiöfe. Meint die Regierung, die Miniftet
von Raumer, von Weftphalen 2c., hierin religiös, chriſtlich, ehr:
lich zu handeln? —
Die Betrachtung in Wilhelm Meifter’d Lehrjahren, daß
aller Boden auf der Erde fhon genommen, ſchon in irgent
213
einem Befig ift, hat man auf das geiftige Gebiet anwenden
nellen, und gemeint, in Poefie und Philofophie ſei jegt nichts
mebr zu leiften, alles fei bejebt und erfüllt, neben Goethe und
Shiller, neben Kant, Fichte, Schelling und Hegel fönne jegt
nihte mehr aufkommen, ald bid dieſe zerfallen und vergeffen
wären. Sch kann das nicht gelten laffen. Die unfähige
Mittelmäßigfeit möchte ſich auf diefe Weife gern entfchuldigen,
daß fie nicht ald fiegender Genius auftritt. Aber neue Große
ſchaffen fih Raum und finden ihren Weg, nicht weil jene
weichen, und fein Gedränge jie mehr hindert, fondern weil fie
neue Wege gehen, und neue Einöden in fruchtbared Rand um:
ſchaffen. Ueberhaupt brauchen fich die Menfchen feine Sorge
ju machen, daß ed an frifehem Leben fehlen werde! Sie denken
allzu geringe won der fchöpferifchen Gotteskraft! —
Sonntag, den 3. September 1854.
In einem ältern Blatte, das wahrfcheinlich non meinem
eben Wilhelm Neumann herrührt, fand ich eine treffliche
Andeinanderfegung des jogenannten Walter-Scottismug; er
ſagt, Walter Scott habe für halbgebildete Mittelklaſſen ge:
ſhtieben, mit großem Talent, aber ohne Begeifterung, daher
ohne alle Poefie. Schon vor zwanzig Jahren wurde das bei
und gedruckt! Die Kritit will das noch heute nicht annehmen,
aber die Leſewelt hat es beftätigt, fie hat fi von Walter Scott
ganz abgewwendet. Es gab Häufer, Kotterieen, wo Walter
Scott der Nächſte an Shafefpeare fein follte! Man glaubt
eht faum, daß das möglich war. Und fie bildeten ſich ordent:
ch was drauf ein! —
Abende fam der Herr Oberlandforftmeiiter von Burgs⸗
rf, der mir viel zu erzählen hatte. Dazu fand ſich Frau
tina von Arnim ein, die mir neue Päde von Arnim’fchen
214
Papieren brachte, und fi mit Burgsdorf ganz leut
benahm. Sie ging dann, er blieb noch lange. —
Im Cicero gelefen, in Goethe's Briefen. —
Der ruffiihe Gefandte Herr von Budberg verfücert,
Kaifer ſei jegt wieder ganz wohlauf, entichloffen und ft
freudig, nur über des Kaiferd von Defterreich ſchwarzen
dank gräme er fich, der nage ihm am Herzen! —
MWiener Reifende fagen, die Frau von Meyendorff {r
von ihrem Bruder, dem Minifter Grafen von Buol, mit
fter Berachtung, mit wahrem Haß.
Und dabei will man thun, als ftehe man mit Defte
gut! Dieſelben Reifenden erzäblen, der Kaifer Franz J
ſpreche mit feiner Mutter, der Erzberzogin Sophie, nie
aus Furcht, dag man jagen könnte, fie lenfe ihn. Sie
jest in der That gar feinen Einfluß. —
Wenn ich nicht widerftünde, fo machte mich Bettina
und gar zu ihrem Sklaven; es ift unglaublich, wie fi
Menfchen unvermerft einfänat und umſtrickt; ich bin erft
wie ſehr ich mich ſchon von ihrem Treiben, ihren Anforderu
und Wünfchen umfponnen fühle! Ich kann mid, aber
auf meine Natur verlaffen, fommt ed zu einem gewiffen P
jo hört alles auf, und die fefjelnden Bande reißen plößlich.
pflanzt einem das Gefühl ein, ald habe man fein höheres
liegen, als fie zufrieden zu ftellen. Sie will immer etwa
dem Menfchen, den fie vor ſich hat, ihn bewundern un
brauchen und neden, oder von ihm bewundert, gebrauch
nedt werden. Kabel hatte nichts hievon, fie ftand
Menschen rein menfchlich gegenüber, betrachtend, wohlwo
und wenn fie einmal das Gegentheil fagte, einer fei gu
zu dienen, für ihre Zwede gebraucht zu werden, fo wc
nur Redensart, und geichah dann gewiß am wenigſte
Bei großen, edlen Uehnlichkeiten welche Grundverfch
heit! —
215
Bettina bat die zartefte Empfindlichkeit, kann durch dad
Kleinfte tief verlegt fein, verlangt unausgeſetzt die forafäl-
tigfte Rückſicht, die aufmerkfamfte Beachtung, und ift außer
ſich wenn ihr dieſe nicht zu Theil wird. Recht ſchön, wenn
diefe Eigenfchaft auch für Andre wirkte, diefen ebenfalld zarte
Rüdjiht widmete! Aber im Gegentheil! Für Andre bat
Bettina nicht die geringite Beachtung, behandelt Alle mit will-
fürliher Yaune, ja mit fchnöder Rohheit, mit graufamer
Shonungslofigkeit! Ihre oft gränzenloſen Unarten werden
aber meifteng arg beftraft, fie kommt an die unrechten Leute,
und wird felber behandelt, wie nur fie die Andern behandeln
bil. Savigny's, Ludwig Tied, Schinkel, Rumohr, Wilhelm
von Humboldt, Grimm's, Ranke — und wer nod fonft
ale! — haben fie bitter empfinden laffen, wie ſolche Schnö-
digkeit fchmerzt. —
Montag, den 4. September 1854.
Ih hatte einen berrlihen Traum von Friedrich dem
Großen, — noch nie vorher hat mir von ihmgeträumt! Ich fah
und ſprach ihn, ich küßte ihm den Rod nach alter Sitte, oder
wollte ihn küffen, er aber gab mir die Hand. Er war prächtig
anufhauen, ungeadhtet feiner abgetragenen Kleidung, feiner
geüdten Haltung. Was er ſprach war kernhaft, geiftvoll,
tel, man hatte feine iyreude daran. Das ift ein König!
Naht’ ich, und weinte vor Rührung! — Der Traum war eine
ſchöne Mitgabe in den Tag hinein! —
Abende fam Bettina von Arnim wieder — fie war
ſchon Nachmittags dagewefen, und hatte mir neue Päde ge-
bracht —, blieb zum Thee und bie nah 9 Uhr. Sie war
ufgewedt, voll guter Laune, erzählte Fleine Begegnifle ſehr
omiſch. Sie Magte mir aber auch ernfthaft, ihre Stimmrigen-
ntzündung iſt noch nicht vorüber, ihr ganzes Geficht aufge:
216
dunſen, fie hujtet ftarf. Dabei müht fie fich ununterbroden, |
im Kleinen wie im Großen, beforgt alles felbft und allein; d
it eine ungeheure Lebenskraft in ihr. Auch über Gortk
wurde viel verhandelt, über das unerhörte Wagniß, den
Werther herauszugeben; ich fagte: „Das ift freilich ned
nicht vorgefommen! Schneidet ein junger Dann feine beften
Freunde, feine Geliebte felbft, mit andern Leuten zufammen
furz und Fein, mifcht es untereinander, ſtopft's in eine Di
tung, und wirft die in’d Publikum!“ Da ich auf Goethen
nichts wollte fommen laffen, meinte Bettina: „Der bataud |
feine Sünden!” — Ja wohl, verfehte ih, aber es ſchadet
nicht. — Ich felbft rechnete einige, Sündchen“ her, aber fprad
ihn auch wieder frei; erfannt, vergehen fie aud) ſchon. —
In Spanien legt man auf das Einfommen und die Güte
des Scheufald Chriftine nun Beichlag; die Cortes ſollen ent:
ſcheiden. hr meiſtes Vermögen hat dad Weib in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika ; in Betreff der Sicher:
heit ift ihr auch Die Republik ganz recht. —
Tolles Gerücht, der Kürft von Monaco habe fein Fürſten
thum den Bereinigten Staaten verkauft, aber Sranfreich, En:
land und Sardinien thäten Einfpruh! Als Gerücht jun
merfwürdig! uropäifched Land ale Kolonialbefig Ro '
amerifa’3! —
Die ruffifhe Flotte hat fih aus Kronftadt vor die Thüre
gewagt, ift aber gleich erfchredtt wieder in's Haus gekrochen. —
Shah. Im Cicero gelefen, in Goethe. Zwei Schriften
über Goethe: „Der zweite Theil und indbefondere die Schluß:
ſzene der Goethe'ſchen Fauſttragödie. Bon Dr. J. Bärens,
Hannover 1854." 8 Dann: „Ueber dee und Zufammen:
hang der Goethe'ſchen Fauſttragödie, namentlich des zweiten
Theild. Bon Prof. Dr. J. F. Horn. Kiel 1854." 8.
Meine Denktwürdigfeiten vom Jahr 1819 in Karlörube
217
md Baden bracht’ ich heule vorläufig zum Schluß. Es fehlt
ich einiged. —
Dienstag, den 5. September 1854.
Iſt denn seht befondere eine Zeit der Träume für mich?
elleicht weil ich den Tag über mid) mit Bildern viel beſchaͤf⸗
ige und wenig Leute ſehe, ſo daß die Ueberfülle ſich im
hlaf abſetzt! Mir träumte ſehr lebhaft von der jetzigen
belwerwirrung, ich verkehrte mit den verſchiedenſten Menſchen,
at manches, ohne daß jemand eine Ahnung hatte, es ſei von
it gethan, und wurde zuletzt ganz unruhig, ob ich das Rechte
than? —
Geſchrieben. — Beſuch von Herrn Dr. Levinſtein, einem
tzte, der ſich ſeit dreißig Jahren aus Liebhaberei mit dem
aamlet abgiebt, etwas über dieſes Trauerſpiel geſchrieben
at, und nun mich zu Rathe ziehen will, ob er auch wirklich,
ie er glaubt, alle Räthſel gelöſt habe? Ich glaube es nicht!
Fin fleipiger Grübler. Den Seinen giebt ed der Herr im
ohlafe. —
Lager bei Boulogne, nahe an hunderttaufend Mann! Sind
je gegen Rußland aufgeftellt ? Zum Ueberſchifftwerden in die
Offee? Schwerlich! Aber wie ſchnell können fie am Rhein
kin! Wem ift zu trauen in diefer Zeit? Einem Bonaparte
jeniß nicht! —
Man bietet nun alles auf, um in Spanien die Monarchie
Auubalten, außer den wirklichen Royaliften find auch Frei:
eitöfreunde zu diefem Zweck eifrigft bemüht, fie glauben eine
jnaßvolle Freiheit dadurch zu fichegn, während eine ftürmifche
ıld wieder verloren fein würde, Sie irren hierin, ihre Klug:
it wird nichts bewirken, als vielfache verworrene Kämpfe, und
n nochmaligen Berluft der Freibeit, die, wie jeßt die Dinge in
ropa ftehen, nur im Sturm und Siege ſich halten fann. —
218
Welch andere Lebendbedingungen jetzt hier Statt finden, alt
früher, läßt fich ganz einfach entwideln, wenn man vergleidt,
was vor fünfzig Jahren ein junger Menfch zu thun batte, wenn
er bier leben und gedeihen wollte, und was ihm jeßt zu thun
auferlegt ift. Ob er Kaufmann, Beamter, Litterat oder Off
zier fein mag, weld andern Weg findet er jept vor ih!
Einen mit hundert Hinderniffen gepflafterten, ftatt des freien
Feldweges, den er früher gehen konnte. So vieles ift unmög
lich geworden, und wenig von dem möglich, was Damals un
möglich fchien. Der Staat ift auf eine erfchredliche Wei
ausgebildet und bereichert und geſchmückt worden, und ſelte
fann man fagen, wen das zu Gute fommt. Der Staat oh
leitende Getfter, ohne Staatdmänner, ift ein beſchwerliche
Maſchinenwerk, bald mehr hinderlih ala nützlich. Ma
nennt fo oft, noch jest, Preußen den Staat der Intelligenz; i
alaube, es giebt heute feinen geiftloferen, gottwerlafenere
Staat ald Preußen, ungeachtet noch viel Geift und Schmur
außerhalb der Staatögeleife etwas wild in und herum
läufts —
Mittwoch, den 6. September 1854.
Träume wilder Art, Seegefechte, Verlegenheiten weg
Unfolgſamkeit der Schiffsführer, Matroſenaufſtand. —
Die Nationalzeitung beginnt in ſehr preußiſchem Ton
reden, die jetzige Politik Preußens unter gewiſſen Vorar
ſetzungen richtig zu finden; bis jetzt kann ich ihr noch b
ftimmen, aber der Wendepuntt ift ein gefährlicher! Sie neh
fih in Acht! — .
Gefchrieben. Dann Arnim’s Gedichte zu ordnen geſue
eine harte Arbeit! Ginige taufend Blätter, fait alles fch
zu lefen!. Und immer noch nicht alles, felbit dad Gedru
ift nicht vollftändig da! Bon Rechts wegen müßte alles
219
ben werden ; wer will dad unternehmen, wer fann es?
eund, ein fundiger Litterat ift dazu nöthig! —
ı Bicero gelefen; Italieniſche KReifebefchreibungen,
ag'ſche Streitfadhen. — |
tiger Wind erhebt jich zur Radıt Sch denfe an die
in der Dftfee, im Schwarzen Meer! Sie fünnen
einen Sturm zerjtört werden. Wie hat die Cholera
hon unter den Landtruppen gemüthet! —
? Kreuzzeitung macht höhnifch die Bemerkung, ihre
fei jegt die der Nationalzeitung geworden. Das ift
lich nicht wahr, aber des Scheined ift fchen allzu:
B die franzöfifchen Landtruppen aus der Oftfee fo
g heimfehren, ift ein bedenfliches Zeichen. it die
nicht eine Folge des preußifchen Verhaltens, welches
mehr ruffiich wird ? denn neutral heißt in diefem Fall
hiräglihede. Der Graf von Königsmarck war in
teräburg beim Kaifer und der Kaiſerin, ale ein Schrei-
er armen Wittwe gebracht wurde, Die ihre Erfparniffe,
el, dem Kaifer ald Kriegsſpende einfandte. Der Kaifer
Blatt, gab es dann der Kaiferin zu Iefen, indem er
halt verkündete und die Hände zufammenfchlugend aus-
Bott, wie fchredlich, daß man gezwungen ift, jo was
ymen!* — Königdmard ift ein eingefleiichter, wüthen—
fenfreund, oder vielmehr ein Freund des Despotismus,
ie Ruffen ale folche find ihm ganz gleichgültig. Die
‚die er im März 1848 perfönlich befommen hat, mar
ht art genug! —
220
Donnerstag, den 7. September 1854.
Die Vollszeitung rügt den Umfchwung, den die Nationul
zeitung genommen hat; jene will Preußend kräftiges An:
ſchließen an die Weitmächte, fie vergipt dabei nur, daß man
ed mit Schuften und Lumpen zu thun hat, auf deren Emmi
man fich nicht verlaffen fann. Freilich, wer felber Tabıd
raucht, braucht die Gefellfhaft von Rauchern nicht zu
ſcheuen! — 0
Nachmittags in Arnim's Papieren gearbeitet. Alben!
Ludmilla zu Kalkreuth's. — Bettina von Arnim Fam ver
halb 8 Uhr, tranf Thee mit mir, und ging gegen 10 Uhr
Sie war voll Dankbarfeit für meine begonnene Arbeit
bewunderte unaufhörlich, was ich ſchon gethan, wollte mid
hundertmal umarmen, „wenn Ihnen daran was gelegen
wär!" Wahrheit und Schmeidelei. Wir befprachen dann
viel Einzelned in den Gedichten, Lebensbeziehungen, Anfpie
lungen ꝛc. — Ueber Preußen, den König, wie er war und wie et
jet geworden ; die Veränderung ging gleich nach dem Regie
rungsantritt vor fich. Zwei große Umftimmungen über Nadt,
in Königsberg 1840 ald um Neichöftände gebeten wurde, in
Berlin 1848 wegen der Kaiferfrone; beides wollte er, dann
plöglich nicht. Ueber den Borwurf, der allgemein dem
Könige gemacht wird, daß er feige, erzfeige fei, befonter®
von den Hofoffizieren und Ariftofraten ihm gemacht wird; Huf
diefer Parthei gegen ihn. —
Mit Ludmilla Geſpräche. — Im Eicero gelefen, in Goethe
Tagesfachen, franzöfifhe Blätter. —
Man will verfihern, die preußifche erſte Kammer fei |
gut wie fertig. Man bat die bedenflichen Zeitläufte benutz
fo heißt ed, um die Abneigung ded Königs zu überwinden, ı
babe jich endlich dazu verftanden, die geeigneten Perfonen ;
erblihen Paird zu ernennen. Wer foll denn das bewir
221
aben? Seine nächte Umgebung? Seine Minifter? Sollen
te und am Ende noch für Konftitutionelle gelten? —
Die jepige Haltung Preußens ift zwar feine fehr ehrenvolle
nd dauernd nüßliche, aber für den Augenblic vielleicht doch
fe befte, die bei den vorhandenen Perfönlichkeiten möglich ift.
Aber an eine einjichtövolle Leitung ift dabei nicht zu denken,
iemand hat das Berdienft oder die Ehre einer folhen! Es
N lediglich das Schidfal, das die Sache fo führt, lediglich die
Naht der Umftände, die aus der entichiedenen Bolkaftimme
gen Rußland, und der entfchiedenen Hinneigung ded Königs
uRupland, diefe Diagonale hervorbringt, die zwifchen beiden
Rihtungen die Mitte hält. Preußen war vielleicht nie fo
mm an Leitern und Führern wie grade jept! Kein gefunder
Ropf it vorhanden, fein Staatsmann, der nur über das Mit:
telmäßige wäre, die meiften find tief drunter. Und welche
Diplomaten! Die trübfeligften aller Schächer! —
Freitag, den 8. September 1864.
Unruhige Träume, von Tettenborn, von Berlegenheiten ;
dergleichen läßt für den Beginn des Tages eine fchlechte Stim-
mung zurück! —
Ich ſtützte mich in die Arnim'ſchen Papiere, mit einigem
Erfolg; ich fand fehlende Stücke glücklich heraus und zu:
ſammen; aber welcher Wuft ift noch aufzuräumen. Dabei
das bloße Lefen fo ſehr ſchwierig! —
Billet und Sendung von Herrn von Henning, er ſchickt
nit vierzig ſchöne Autographen, von Jakob Grimm, Rückert,
ꝛeo, Bopp, Gries, Beſſel, Gabler, Minckwitz ı. —
Brief aus Köln von Herrn Dr. Düntzer. Anfrage. —
Sendung aud Straßburg vom achtzigjährigen Dichter
amey, einen Abdrud feiner Gedichte, die erfte Abtheilung
222
ihon 1852 erfchienen, die zweite 1854. Die Sendung mir
ein Vierteljahr unterwegs. Wie vor den Eifenbahnen! —
Bormittage Beſuch von Herrn Dr. Vehſe. Nachrichten
aus Sahjen. Der Schädelfnochen des Könige war vom
Hufſchlag des Pferdes in fünfzig Stüde zerfchlagen Pa
Reibarzt Carus fand im Gehirn Anlagen zum Trübjinn, de
ich unfehlbar entwidelt haben würde. Daß der König ein
ſchwacher unbedeutender Menſch gewefen, darin jind Al
einig, ebenfo darin, daß er ein erbärmlicher König geweſen:
ob auch ein boshafter, Darüber wird gejtritten. —
Bettina von Arnim brachte mir nachträgliche Papiere.
Dann auch einen Band handfchriftliche Dramen, die fie in di
Druderei geben will. Ich fell fie durchſehen, und die Drud-
revifion übernehmen; ich lehne beides ab. Das wäre zuviel!
Sch widme ihr fo ſchon eine ganze Reihe von Tagen, von
Wochen vielleicht! Und von meinen eignen Sachen überlaft
ih die Drud- Korrektur Anderen. Die Augen, die Augen:
Sie nahm das Paket wieder mit. Dankte nody hunde:
mal. — |
Der Oberſt Grad, der Vertheidiger Siliftria’s, ijt in
Ruſtſchuk an der Cholera gejtorben. Schade! in dem beiten
Dannesalter! —
‚Nun feht ihr doch, wozu der — Louis Bonaparte gut
it? Die Gefchichte brauchte einen ſolchen, um den Dünte!
und die Macht des Kaiferd Nikolai zu demüthigen, der
Dienft leiftet jener, und ein waghalfiger — mußte ihn leijten
die Demütbigung wäre fonft nicht vollftändig gewefen; un
feiner der fogenannten legitimen Fürſten hätte den Muth un
dad Zeug dazu gehabt; auch feine republifanifche Regierun
hätte ed wagen und durchführen können.“ Die Auffaffun
iſt nicht übel! —
223
Sonnabend, den 9. September 1854.
Shlehte Nacht, durdy Träume und Schlaflofigkeit. Bet:
nend Sachen lagen wie ein Alp auf mir. —
Geihrieben, und in Arnim's Papieren fleißig gearbeitet.
in wenig lichtet jich das Didicht, aber nur ein wenig. Noch
il mühfelige Arbeit ift zurück! —
Bettina von Arnim fam Nachmittags, und bradyte mir
inige Blätter, die fie mit Mühe entziffert und abgefchrieben
at; aber anderes hatte fie vergeſſen. Sie erzählte mir von
deiprächen, die fie gehabt, auch über Rahel, und ſprach fo be-
eiſtert und treffend über fie, Daß ich es befonders aufgefchrieben
abe. Sie fagte, manches habe fie felber auch, was Rahel
atte, aber nicht alles und nicht in folchem Grade, fie hulte
ichts feſt, es ließe ihr alles wieder weg. Merkwürdig war
oh, was jie über Clemens Brentano’d Philifter fagte, es fei
ar nichts drin, fein Wis, fein Humor, gar nichtd. Das
and ich beim Wiederlefen — vor längerer Zeit — auch;
ıber Thatfache iſt, Daß vor dreiundvierzig Jahren die geijt-
oolien Männer Berlins außer fi waren Vor Lachen und
bewundern dieſes tollen Erzeugniffes. Bei Arnim's Gedichten
tomme ich auch auf befondere Gedanken, die ich Bettinen
nicht fagen darf; er war edel und edlen reichen Geiftes, aber
it jelten etwas reif bei ihm geworden, und er gab das Un-
teile hin, ald wenn es doch fein Beſtes wäre! Nachläflige
Villküͤr lag in feiner Natur, an (Fleiß und Arbeit hat er es
nicht fehlen laſſen, es finden fich vier bis fünf Umarbeitungen
md Ausfeilungen defielben Gedichts, aber fein Feilen und
Raharbeiten war nichts andres, als das erfte Dichten fortges
tt, ohne mehr Strenge und Befonnenbeit.e Auch hat er
nendlich viel geichrieben. —
Staliänifche Reifeichilderungen gelefen ; im Plinius, wegen
3 Befund. —
„Der bier im Haufe wohnende Prinz Wilhelm von Baden
224
ift bei Hofe nicht recht angefehen, er iſt zu freifinnig!“
ſpricht die Dienerfchaft hier unter ſich; ordentlich diefes
„Freiſinnig“, es hat im Volke ſich in Umlauf geſetzt! —
Ein altes Bild, dag jeder Menſch ein Staat im A
fei, mit allen möglichen Anftalten, die alle in Harmonie ;
halten find und in fteter Wirkjamfeit, wenn das Gan;
deihen foll; ein altes Bild, auf das man aber nicht oft ı
zurüdtommen fann! —
Sonntag, den 10. September 1854
Unruhige Nacht. Gefchrieben, und in Arnim's Pay
gearbeitet. Heute verzweifle ich faft, fo fchwierig und
widelt ift alles! Hätte ich mir doch diefe Sache nicht u
laden! Ich fann fie doch nicht auf meine Art erledigen,
auf Bettinend Art auch niht! Es wird mit Verdruß e
und anftatt mir zu danken, wird fie auf mic, fchelten.
muß die Saden über’d Knie brechen, es geht nicht aı
Wie hat Arnim mit jenen Sachen gewirtbfchaftet! 5
viermal kommt daffelbe wieder vor, allein, in Berbin
wieder in anderer Berbindung, in Proſa eingeflidt, m
vermifcht. Und die Handihrift? Nicht zu leſen! (
eine Herkulesarbeit! —
Mit Ludmilla ausgegangen. Als wir nach Haufe k
fanden wir Bettina .von Amim und Frl. Gifela uns e
tend. Bettina brachte Abjchriften, die fie angefertigt
und neue Blätter, wieder größtentheild unledbare! . 3
und Schwierigkeiten! — Wie fie mich wieder lobte,
ich ihr, daß ich fürchte, fie werde Fünftig ganz unzufi
mit mir fein; da verfeßte fie ganz ernft, fie glaube
daß fie jemald, wenn man ihr einen Gefallen, einen 1
erwiefen, died mit Undanf gelohnt habe, daß fie mir
225
gen müffe, mit folcher außerordentlihen Güte und Freund—
qhleit, wie ich, habe ihr noch) niemals jemand einen fo großen
zefallen und Dienft erwiefen. Da wurden denn meine Ketten
we um fo fefter angezogen! — Sie blieben zum Thee, und
5 gab Luſtiges und Ernſthaftes genug, auch Gifela trug
dad Ihrige hei. —
Unfere Minijter find unzufrieden mit Hindeldey, er nimmt
ſich in feiner neuen Würde viel heraus, thut ald wenn er ihres
gleichen wäre, und doch fehr ärgerlich es nicht zu fein. Die
Unterbeamten paflen ihm fehr auf, und rechnen ihm feine Aus-
gaben nah. Der Magiftrat fieht ihn ald eine Plage der
Stadt an. —
Das Unternehmen auf Sebaftopol findet nun wirklich Statt.
Aus der Dftfee kehren die Landtruppen nad Frankreich
urüd, —
In Spanien republifanifche Ausbrüche, in Madrid felbft
ſt das Anfehen der Königin für diesmal noch erhalten. —
Man träumt und fehnt fih oft in ein anderes Zeitalter,
a andere Berhältniffe, und meint, man würde in diefen glüd-
iher gewefen fein, mehr geleiftet und mehr erreicht haben.
darin hat man nur in fo weit Recht, ald man fich einzelne
zezüge und Richtungen denkt, Bruchftüde ded Lebens, der
Bünfche, der Begabung; fo wie man den Blid auf dad Ganze
irft, Diefes in allen feinen Theilen umfaßt, wird man zulebt
fennen müffen, daß man nur recht in die Zeit und die Ber-
iliniſſe paßt, die man wirflich durchlebt hat. Das Demüthi-
ade in dieſer Betrachtung wird durch das Tröftliche in ihr
fgewogen. —
jarnhagen von@nfe, Tagebücher. XI. 15
226
Montag, den 11. September 1854.
Befuh von Herrn S.; er fommt aus Paris, und brint
mir feine Schrift: „Entrevue de Napoleon L are
Goethe,“ die ihm von Louis Bonaparte mit einer goldenen
Denkmünze gedankt worden; er jchildert den Zuftand von
Frankreich als fehr unficher, und hält den Kaifer bei großen
Kriegeunglüd fogleih für verloren. Der Marſchall Samt
Arnaud, ein elender Kerl, der fogar feinem Herrn und Meiftt
200,000 Franken in Bankzetteln aus dem Zimmer geſtoh—⸗
len hat! —
Gegen Abend kam Frau Bettina von Arnim, trank The
mit und, und blieb bis halb 10 Uhr. Anftatt mir Papier
zu bringen, auf die ich warte, bringt fie mir andre, und fiel
mir ohne weitered einen ganzen Akt eined Arnim'ſchen Trauel
ſpiels vor, ich foll ed durchfeben, und dann will fie eö eilia
zum Drud abgeben. „Warum denn fo eilig? warum ei
in's andre fchieben ?* Die Druderei quält fie jo ſehr, es fel
gerade an Arbeit! „Nun, Sie find doch nicht verpflichtet, 1
Druderei zu befchäftigen ? Laſſen Sie fie warten!” Nein, d
gehe nicht, was noch im November fertig werde, das kom
auf die nächfte Nehnung. Das ift der wahre Grund! €
wollte ihn aber nicht angeben, er entfchlüpfte ihr wider Wille
Biele Erzählungen von Savigny’d, von Arnim, von Grimm
von der Gräfin von Bohlen, aus Kaffel vom Hofe Jerome
viel Muntres und Yuftiges, aber man kann fich auf nichts ve
laffen. Etwas Wahres liegt ihren Erzählungen immer zu
Grunde, aber alles drum und dran ijt willfürlich zwrecte
macht, gränzenlos übertrieben, trügeriſch ausgeſchmückt. Ar
ift fie nicht dahin zu bringen, auf bejtimmte Fragen beitim
zu antworten, nicht die kleinſte Thatfache läßt fich auf's Rei
bringen, feine Jahrszahl, kein Ort, alled bleibt unbeftim
und willfürlih. Wieder hat fie an den König Ludwig ı
Baiern gefchrieben wegen der Tizian’fchen Kopie von Ra
227
diesmal aber grade heraus, er fol ed kaufen, „auf andre Art
it der Ratti'ſchen Familie doch nicht zu helfen!" So heißt ed
heute, vorher aber hieß ed, man wolle nicht? dafür haben, der
König folle dad Bild nur irgendwo aufftellen, bezahlt fei ed ja
hen! Heute fagte jie auch, Ratti folle nur gleich felbit das
Bild nach) München bringen, fie habe ihm dazu 150 Thaler
Reifegeld gebracht. „ Nicht von meinem Gelde, ſetzte fie hinzu!
Jh glaube doch, von ihrem! Sie hat ed mit Ratti, wie mit
Steinhäufer gemacht, ihnen Dinge vorgeipiegelt, die nicht
ganz richtig find, und ift nun in Verlegenheit. ch beflage
fe, fie bat viel Noth und Leid, aber wahrhaftig fie macht's
auh darnach! Geſchmeichelt hat fie mir wieder heute fehr.
Ih bin aber nicht der Narr, der alled glaubt, —
Dr. Gutzkow in Dreöden ift Ritter des weimarifchen Falken⸗
ordend geworden. Im Jahr 1835, in meiner Antwort an den
Fürſten von Metternich, der mich gefragt hatte, was es mit
dem jungen Deutfchland fei, hab’ ich fo was vorausgefagt. —
Dienstag, ben 12. September 1854.
Ich hatte einen böfen Traum von Bettina von Arnim, fie
benahm fich fo unartig, fo gewaltfum, daß ich im Ernft ärger:
ih wurde, und ed zu unangenehmen Erflärungen fam. ch
machte um A Uhr auf, und die gereizte Stimmung dauerte
noch lange fort, mir fiel alles Widrige ein, von dem meine
Lerhältniſſe belaftet find. Mit der Tageöhelle begann ich im
Sicero zu lejen, und fchlief fpäter wieder ein. —
Wie gewöhnlicdy aufgeftanden. Gefchrieben. Weber die
on der Nationalzeitung gemachte Schwenkung. Sie erfennt
gewiffem Sinne die Verfaffung an, die jegige! Dann muß
auch an den Wahlen theilnehmen. ch ftellte vor längerer
it leptered in Frage, ohne damit das erftere zu verbinden.
15*
"228
In Arnims Papieren gearbeitet. Wer es nicht mi
fiebt,, hat feinen Begriff von den Schwierigkeiten.
wie verlarot, durch fchlechte Handfchrift, Durchbeſſ
andere Abfchriften, andere Titel, andre Einreihung.
einem Maskenball quält man ſich mit langem Rat
Enträthfeln, und findet zulegt ganz unbedeutende !
wieder, Dabei fommt Bettina ftet® mit Neuem, ic)
ſicher, alles zu überjehen! —
Im Morgenblatte fteht von Dünger — ohne fei
men — die Rechtfertigung Goethe's gegen Oken's A
auf Entdedung des Zwiſchenknochens. Goethe's Br
völlig erwiefen und fteht unzweifelhaft feſt. Aber aı
braucht ed nicht von Goethe genommen, Tann ed ebenf
det haben. Das geht ja gar oft jo. Wenn ein Ge
erft an der Zeit ift, fo fieht ihn mancher, ohne von
zu willen, Leibnitz und Newton. Ein deutjched Un
ale Gegenfag zum Bundestag, wurde auch von ı
gleichzeitig in’d Auge gefaßt, öffentlich indeß hat es ı
jo viel ich weiß, ausgefprochen. Hätten wir's nur,
es einerlei, wer zuerit den Gedanken gehabt !
Der Minifter des Innern hat ausgeſprochen, day d
Mitglieder der bürgerlichen Gemeinden find, ein v
Jude alfo nicht feiner religidfen jüdifchen Gemeinde
fällt, fondern der bürgerlichen, zu der er gehört. Einm
Geſcheidtes von einem Drte ber, der fonft wenig de
liefert ! —
Der alte Hofgerichtörath von Itzſtein aus Mannh
in Naffau lebend, befannt wegen feines tapfern rei
den badischen Ständenerfammlungen und in der 1
Nutionalverfammlung, ift vom Mannheimer Gerich
Geiſtesſchwäche entmündigt worden. Er ift über
Fahr alt. —
Bettina von Arnim fam als wir beim Thee wa
229
ſtelte aber nur draußen, daß fie feine Zeit habe, und nur
jagen wolle, Grau von Goethe fei bei ihr gewefen, und erwarte
meinen Befuch, fie bliebe nur ein paar Tage, dann reife fie
nad Rom. —
Zur Abwechslung mal wieder im Homeros gelefen. Wo
it mein fchöner Hefiodos hingefommen! Und die andern
Klaſſiler! —
— — — —
Mittwoch, den 13. September 1854.
Die Schwenkung der Nationalzeitung erregt Aufſehen,
abet niemand verdächtigt fie Deshalb, man ſetzt nur reine Trieb-
fetern voraus, die der Ucberzeugung,, welche freilich im eige-
nen Sinn ein Jrrthum und Mißgriff, anderer Ueberzeugung
gegenüber eine falfche fein kann. Es ift unfere befondere
Rage, daß unfere Baterlandsliebe in Preußen nicht aufgehen
fann, fie fließt immer etwas über auf Deutfchland, und in
manchen Fällen fließt faft alles dahin über! Diefer Klumpen
von Rindern und Menfihen, wenn er vertheilt, oder ganz ruf:
ih wird, ift er dann noch Preußen? Preußen, das ich meine,
bat nicht bloß einen Körper, hat aud) eine Seele, einen Geift,
— der todte Leib, wenn Seele und Geift nicht mehr in ihm
ind, mag begraben werden! —
Geſchrieben, und meine Arbeit in Arnim’d Papieren fort-
geieht. Manches darin ift ohne thatfichliche Angaben gar
niht zu verftehen, Bettinen’d Erläuterungen find aber feine,
ie verwechfelf alles, und wenn man ihr beweift, daß fie das
ue, fpringt fie zu anderm über. „Das ift im Jahr 1809
wefen, darauf fönnen Sie Sich verlaffen, — oder im Jahr
25,” fügt fie hinzu! —
Rheumatiſches Kopfweh zwang mich bald von aller Arbeit
uftehen und mid) rubig hinzulegen. Sehr verdrieglih! —
ch laſſe mich verleiten, gegen 3 Uhr in den Thiergarten
230
zu gehen zu dem Volksfeſt, das zu Guniten der Sd
anftaltet worden. Gin großer Theil des Thierga'
Thore bis zum Großen Stern durch Tagdneke ı
innerhalb deren fechzehn Militairmufifen ohne Unt
an fo viel verfchiedenen Orten ſpielen. Zahlloſe V
Buden, Corfofahrt, alle Konjtabler auf dem Plake
zu Fuß. Ungefähr wie im Prater, die Polizei a
Nach anderthalb Stunden Umberwandeln Famen wi
nah Haufe. Im Ganzen fein freudiger Eindrud'!
man unerfreuliche Gefichter, ein befohlene® Bergn
Steuer, die Hindeldey ausgefchrieben! Man rechne:
80,000 Menſchen im Thiergarten waren, —
Frau Bettina von Arnim fam, ald ich eben K—
fie hatte nody nicht gegeffen, war ganz verhunge
Stüd von meinem Brot, ich merk' ed an, weil fie
fonft um feinen Preis thut, ed muß groß nöthig fei
eiligft über Frau von Goethe, wünfht daß i
fuchen möchte; ich weiß nicht, weßhalb Bettina Die
Empörendes Benehmen der ruffiichen Generale
berg und von Often-Saden gegen die walachiſche 1
meine Schergen und Despotenknechte! —
Furchtbare Proflamation des ruſſiſchen Be!
Krufenftern in Odeſſa! Man wird dem Feinde
Kräften widerſtehen, fullte er aber doch im Vorthe
wird man die Stadt in Schutt verwandeln, und
Einwohnern, die verfuchen würden, den Brand zu I
Schach mit Yudmilla. In der Ilias weitere
Goethe's Gedichten, in denen immer Neues gefunde
neu veritanden wird! —
Die Polizei hat alle befannten Tafchendiebe
morgen in eine Art Haft gebracht; hat fie dazu t
Bloß weil e3 ihr bequem ift, aud Verhütung? — €
231
{8 verhaftet worden, weil er Schmähungen auf den König
= ausſtieß. —
Der König hat eine Höflingsklaſſe, die bei uns lange nicht
mehr beſtand, wieder eingeführt. Gr hat ein paar Kammer⸗
: junfer ernannt, eine Abart der Kammerherren. —
Dreer Bundestagdgefandte Herr von Bismard-Schönhaufen
führte bier die wohlfeile Klage, daß unfere diplomatischen
Schriftſtücke ſo jämmerlich abgefaßt würden, und und überall
- Schande machten. Herr von Manteuffel nahm ihn beim
VWort, und erfuchte ihn, felber eine jept eben nöthige Depefche
abjufaſſen. Bismarck mußte wohl oder übel dran gehen, und
lieferte die vom 3. September, die unter allen fchlechten die
w ihlehtefte geworden, und nun auch nur verächtlich die Bis—
maic'ſche heißt. —
Donnerstag, den 14. September 1854.
Bettina von Arnim giebt Abfchriften ab, ungenaue, wenig
hrauchbare. — Abends famen Frau von Goethe und Fräulein
Ftommann.
In der Ilias geleſen, und etwas im Pindaros. Welche
Belt, dieſe griechiſche! Wir können nur ſtaunen, ung in die
Mitte diefer zauberifchen Fülle zu verfeßen, gelingt uns nicht.
| Und fo was hat untergehen müffen! Doch lebt es in unfrem
Staunen vielleicht ſchöner fort, als es in der Wirklichkeit war.
' Bir haben aber von diefer feinen Begriff. —
Zuletzt las ich in Cicero’d Briefen an den Atticus. Wie
ganz anders iſt fchon dieſe römische Welt! Sie lebt noch in
F uns fort, al& Unterbau unfrer Lebendeinrichtungen und Gejins
nungen ; in ihr iſt viel Modernes; gegen die griechifche, heitre,
jtrahlende Welt fommt fie mir ganz falt und düjter vor. —
Humboldt ift heute fünfundachtzig Jahr alt geworden.
Die Unternehmung auf Sebaftopol wird ausgeführt; die
232
Flotten find aud Barna abgeſegelt. Was wird erfolgen? G
fann ein Wendepunft für vieled werden! —
Der Prinz-Regent von Baden ift bier angelommen. —
Der Kaifer Nikolai fchreibt eine neue Nefrutirung aus, zehn
Seelen auf taufend, das beißt taufend männliche Seelen; —
man fann daraus fehen, wie falfch die prahlerijchen Angaben
über die Truppenmenge waren, und wie groß die Berlufte ar:
weſen fein müffen. — Thätig ift Rußland nach allen Seiten,
mit Erfolg jet auch wieder in Perfien. —
Die Karliften find in Frankreich und auch in Spanien
wieder fehr in Bewegung, jedes neue Ereignig machen fie ſich
möglichft dienftbar, und ihre Sache halten fie, fogar indem je
ihr abtrünnig werden, noch mit Zähigfeit fell. Wenn die
Sreiheit mißräth, kann ed den Karliften gelingen, bid zu ge
wiffem Grad, und keineswegs auf fehr lange. —
Preußen, der Schlinge ledig, die ihm Defterreich einen
Augenblid um den Hals gelegt, erflärt nun gradezu in Parie
und London, es wolle neutral bleiben. Necht gut, wenn die
Andern ed zugeben! Aber wehe, wenn fie ed nicht erlauben
wollen, wenn fie darin eine Partheilichfeit für Rußland feben
und ftrafen! Die Leute, die in Preußen am Ruder find, wer
den ed bereuen, oder wenigſtens das Land wird es bereuen,
wenn ihr Unverjtand und Uebermuth und dad Lager von
Boulogne auf den Hals zieht! — Wenn das Unternehmen
gegen die Krim gelingt, werden die Weftmächte, und Defter
reich mit ihnen, eine hohe Sprache führen! —
Freitag, ben 15. September 1854.
Wenig Schlaf, und früh aufgeftanden ; gefchrieben und i
Arnim’d Papieren gearbeitet; einen großen Theil bewältia
und zwei Bände Gedichte ziemlich in Ordnung gebracht, wob
233
illa mir durch fleißiges und fchnelles Abfchreiben gut ge⸗
. Für einen dritten Band ift noch Borrath übrig, aber
eſte ift vorweggenommen, und es ift mit zwei Bänden
+
ım Thee kam Bettina von Arnim und blieb zwei
en. Sie brachte einige Abfchriften, die fie gemacht
Ne aber fo wie fie find gar nicht gebraucht werden
. Sie lad die meiften Sachen vor; einige abweichende
en in den verfchiedenen Urfchriften waren fogleich nicht
teine zu bringen. Allerlei Erzählungen, auch von
's Leidenschaft für Fräulein Schwind, nachherige rau
dißmann. Arnim foll zwei Tage vor Prinz Louis
and’d Tod deifen Adjutant geworden fein; gewiß nur
dung! Nie hab’ ich gehört, dag Arnim je im Kriegs:
gewefen, audy war er nachher in Königsberg nur als
ling; wie hätte er fo fchnell den Abſchied nehmen kön—
Bettina macht ihre Phantafieen, ihre Wünfche, unbe:
h zu Wirklichkeiten; fie bezeichnet auch Arnim’fche Ge-
ald an fie gerichtet, die ed unmöglich fein Fönnen.
war fie heiter und fomifch, zum wahren Ergößen. Mit
"Behandlung der Arnim’fchen Gedichte iſt fie — jebt —
tieden, daß fie mit liftigem Lachen mir droht, näch—
yürde ich eingefangen werden, und nicht eher wieder los—
1, als bis das Letzte von Arnim's Sachen fertig gedrudt
wie früher die Alchymiften, um Gold zu machen! —
ch ihrem Weggehen plauderten wir noch. — In der
jelefen, in Cicero's Briefen. —
re Schredensnadhricht! Morik Hartmann ift in Buka—
n den Defterreichern verhaftet und nach Defterreich abs
worden. Der Unglüdlihe! Die Nachricht fchneidet
3 Herz! Ich mochte Ludmilla'n nicht merken laffen, wie
Aber wiefo er in Bufareft blieb, fich dem Feind anver⸗
234
traute, kann ich nicht begreifen. Der cdle freifinnige Bater:
Iandefreund und Dichter! —
/
Sonnabend, ben 16. September 1854. !
Nachmittags wieder mit allem Fleiß gearbeitet, mande :
umarbeiten müffen, Bettina jtört mich mehr durch ihre Sulfe, °
ald dag fie mir hilft, und bei allem drängenden Eifer ver ;
nachläffigt fie das, was fie allein thun fann, nämlich das Ser
ausjuchen von Papieren, die noch fehlen; dafür möchte jie mt ;
ſchon wieder andres aufbürden; mit ihr Gefchäfte zu haben,
ift eine fehwere Aufgabe. Ich habe zum Glück nicht Geſchaͤfte
mit ihr, fondern beforge nur einen Theil der ihrigen, ohne
eigne Verantwortung. —
Zudmilla ging gegen 7 Uhr zur Gräfin von Ahlefeldi.
Gleich darauf fam Bettina von Arnim zu mir, und blieb den
ganzen Abend. Sie fah ſchlimm aus, und Elagte wiederhelt,
ed fei aus mit ihr, fie fei hin! Ihre Stimmrigen- Entzündung
ift nicht geheilt, fie fürchtet ſchlimme Folgen. Dabei ware:
doch ganz aufgewedt, erzählte die luſtigſten Gefchichten, ſprach
ausführlich über ihre Gefchwifter, über Frau *. Die legten,
fagt fie, habe fich vorgefeßt, eine Rolle zu fpielen, eine Bettin
zu werden, wolle ein Buch druden laffen, deffen Proben gan
erbärmlich feien, fie nehme alle Zonarten an, die muthwillg
iten, die frömmelnditen, und babe ein gewiſſes Talent, ihr
Unruhe und Betriebfamfeit ale Anmuth und Genie geltend!
zu machen. — Sie ift für Bettinen die ergöglichfte und auf
wieder abjtopendfte Erjcheinung, fie lacht über ihre Abentheuer
lichkeit, und ſchilt auf fie, will fie jedoch gejchont willen.
Bettina brachte auch ein Heft mit, das ihr einige Studenten
ale Danf für die Widmung der „ Günderrode* überreicht haben,
eine fchöne Zeichnung, wie Bettina ihrer Freundin, die am
Fenſter figt und auf den Rhein blidt, niedergebeugt die Haare
235
icht, von ſechs Sonnetten begleitet, die ich ihr vorlefen mußte;
ie hatte vergeffen, daß fie mir alles fchon gezeigt. Am Ende
agte fie: „Das fönnten Sie recht gut dDruden laſſen!“ Ich
ging aber darauf nicht weiter ein. — Zum Thee fam aud
Ftau von T., die fchon eine ganze Zeit hinten geſeſſen hatte,
weil fie meinte, Bettina und ich hätten was Befonderes zu
ſptechen. „D Gott bewahre!” rief Bettina, „wir zwei find
einander ſchon lang ſatt!“ Nun erfolgten die anziehenditen,
gebaltreichiten Geſpräche. —
Für Morig Hartmann erheben jich viele Stimmen. —
Sonntag, ben 17. September 1854.
Gefchrieben. In Arnim's Papieren gearbeitet, einiges
Unangemeſſene aus der Neihe wieder ausgefchieden. —
Ausgegangen mit Ludmilla in den Thiergarten; Beſuch
bei Bettina von Arnim, Gijela fam auch zum Borfchein, gute
muntre Stunde; Bettina begleitete ung eine Strede, und lief
dann durch den Wald zurüd bid zu ihrer Wohnung, um
unfere Rückbegleitung zu verhüten. Mich entzücte das junge
frifche zweite Grün der hohen Wipfel, das auf den Raupen
fraß gefolgt war, und nun im Herbſte nocd wie (yrühling
auefieht. —
Zu mir fam Bettina von Arnim und brachte einen großen
Pat Drudblätter, lauter Rezenfionen ihrer Bücher und
ritiſche Auffäge über fie; wir ſahen fie durch, es waren meift
ortheilhafte, aber auch einige ſchlimme; wie fie fich dabei be—
ahm, ijt gar nicht zu bejchreiben, bald hochmüthig wegwer-
nd, bald geichmeichelt aufmerffam, bald ald ginge fie die
ache gar nichts an, bald als ſei ihr alles daran gelegen, die
nze Sammlung in einem Bande gedrudt erfcheinen zu fehen.
(es was fie von Andern gejagt wünfchte, fagte fie felbit,
mches wollte fie durchaus vergeffen haben. ch hatte bei
236
ihren Abentheuerlichkeiten oft alle Mühe die Faſſung zu behalten.
Sie that mir auch fehr leid, ihr wird.alles fo fchwer, fie mötte
fich geholfen fehen, und ihr kann doch niemand recht helfen,
fie macht es einem zu ſchwer, und faft unmöglich ; dieſes At
fpringen, Died Durcheinandermifchen,, diefe fich Durchkreugen:
den Plane, diefed Fallenlaffen und Wiederaufheben, diees ?
Unvolltändige in allem, wer kann dag alles mitmachen und
aushalten! Auch ein andres Padet, Briefe des Ilius und }
der Ambrofia, hatte fie mitgebracht, zeigte mir es aber nur .
obenbin, und nahm es wieder mit fort. — Wir tranfen The. |
— Ludmilla Fam aus dem Theater, fehr zufrieden mit dem
Erfolg von Sternberg’s Meinem Stüd. Bettina blieb ned |
eine Weile, dann ging fie mit ihrer Begleiterin ab, und ließ
mir dad Packet Drudblätter auf dem Hals, das ich dann mit ;
Ludmilla einigermaßen ordnete. —
Befümmernige um Mori Hartmann! Was jich für ibn |
thun läßt? Nicht das Geringfte, außer dag man in öffent |
lihen Blättern ihn bedauert, fein Schidjal beflagt, ihn ald4
Dichter und als Tiebenewürdigen Menfchen preift. Jeder |
andere Schritt, z. B. eine Bittfchrift für ihn mit vielen
Unterſchriften einzureichen, oder England und Frankreich zu
feinem Schuß anzurufen, würde nur erbittern, in Wien und '
hier erbittern. — Noch fehlen alle näheren Nachrichten. —
“
Montag, den 18. September 1854. |
Während ded Sturmes fchlief ich zwar, hatte aber ſchwere,
beängftigende Träume, die Noth mit den Arnim’fchen Gr
dichten ftieg auf's äußerfte, und ich fagte mir im Traum, fe
arg fei es doc) bisher nicht gewefen, und fünne es eigentlid
nicht fein. —
Gefchrieben. Einige Geſchäfte beforgt, dann das Regifter
von Arnim’s Gedichten verfaßt. Es trat der feltene Fall ein,
237
ah ich mit allem, was ich mir vorgefeht, im Laufe des Bor:
mittags völlig fertig wurde. — Den Nachmittag verdarb ich
mit damit, daß ich zufällig in einer alten nordamerifanifchen
Zutihrift „The dial“ — Boston im Oktober 1840 — einen
Artifel über Goethe lad, worin der ungenannte Berfaffer (doch
nicht Emerfon ?) — er ift nur mit E unterzeichnet, — neben
dem vollften Lobe das ungewafchenfte Zeug von Tadel vor⸗
bringt, dümmer und befchränfter und felbftzufriedener und ge⸗
meiner als wir es diefjeitd® des Weltmeerd gewohnt find, wo
wit doch nicht wenig der Art auch haben. ch habe mich
wahrhaft geärgert, ala hätte ich heute perjünlich den Unfug
erlebt. Freilich hätte ich über den nordamerifanifchen Efel
aut lachen follen, Die Mipurtheile werden dauern fo lange
wie dad Menichengefchlecht. —
Da kommt zum Unglüd noch ein Schreck; wir fißen nad)
rm Thee beim Schach, da Flingelt es, wir denfen es fei Bet-
ina, aber nein, ein Bote von ihr, fie fönne nicht kommen,
veil fie plöglich unmwohl geworden! Das muß arg fein, wenn
ie fo was fagen läßt. Und der Schred war um fo größer,
als ich in diefen Tagen felber oft unwillfürlich den Gedanfen
hatte, ihr ganzer Zuftand fei bedenklich! Der Himmel wolle
fie noch erhalten, und zu vielen Freuden! —
Die Nationalzeitung Fämpft mit feftem Muthe in die Zeit
nein, und ſucht ihr Dafein tapfer zu erhalten. Aber es läßt
ih nicht verfennen, daß fie unter miglichen Umftänden fämpft.
Sie ift wie ein Schiff, das auf offnem Meer eine Flagge führt,
er nirgends mehr eine Küfte gehört, nirgends ein Hafen offen
eht. Die Sadye, mit der zugleich fie entftanden, für die fie
fochten, ift für den Augenblick verfchwunden, darf und fann
ht mehr durch eine Zeitung vertreten fein. Don Rechts
gen hätte die Nationalzeitung längft eingehen müflen. Die
litiſchen Gegenftände, welche fie jept verhandelt, find nur
bendinge, in welchen die urfprüngliche Sache oft faum noch
238
zu finden ift, meift gänzlich fehlt. Hr. Dr. Zabel fühlt dieſe
Uebelftände fehr wohl, und fie drüden ihn ſchwer. Der be
voritehende Hochverrathsprozeß wird auch nur dazu beitragen,
die chlimme Lage fühlbar zu machen. —
Dienstag, den 19. September 1854.
Unruhige Naht. ch zündete mir Lihtan, und las in J.
Cicero's Briefen an Atticus; auch hier Widrigfeiten genug, 8
ed hat feiner Zeit daran gefehlt, und feinem Menfchen! Spät J.
Ichlief ich ermüdet ein. — | |
Bettina von Arnim, nad) deren Befinden ich fragen lieh, J.
war [hon wieder auögegangen, der Schredfhuß war geiten J
alfo ſehr unnöthig! Zu mir fam fie aber nicht. — 1.
Erwägung der allgemeinen Zuftände; alles geht vorwärts, J.
unzweifelhaft, aber ungeſtüm, wild, in feinem für und jchönen J.
Gange; dad Menfchengefchlecht abarbeitet fih in Folge der
in ihm liegenden Naturkräfte, nicht in Folge des Geijtes, der
in ihm wohnt, und der leiten fönnte und müßte; blind, nict
jehend. Der Mangel an guten und fichern Leitern ift offenbar, |
fein Yürit, fein Held, Fein Weifer, fein Dichter! Der Fort⸗
jhritt ift in der großen Maſſe, das ift eine gute Bürgſchaft, $-
die Sache hängt an feiner Zufälligkeit einzelnen Lebens mehr, &
recht [hön! Aber einen Friedrich den Großen, einen Waſbing⸗ J.
ton, einen Goethe vor Augen zu haben, wär" doch ein großes $
Glück! — ;
In Eicero’d Briefen und in Voltaire's Briefen gelefen. — P
Zeitblätter, auch Nachträgliched von Arnim durchgejeben. — #
Die legte Nummer des Politiſchen Wochenblattes ijt von
der Polizei weggenommen worden. Was will dieſe Partbei &
DethmannsHollmeg? Warum ftreitet fie gegen die Miniſter
und ihre Politik? Die Partbei ift ein Zwitterding ; nur die
289
Seite von ihr taugt etwas, die gegen die Kreuzzeitung ges
richtet ift. —
Ueber Walter Scott, noc eine frühe Stimme guten Ge-
halts! Der hochbegabte Banquier, Freiherr von Stieglig in
St. Petersburg, den Rahel mit Redht, ald er noch ein unbe-
deutender junger Menfch war, durch ihr Lob auszeichnete, fchrieb
am 9. Mai 1824: „ch habe in diefem Winter viel gelefen, faft
nur Ernſthaftes und Belehrendes, — doc auch Ivanhoe,
Waverley, Kenilworth. Klaſſiſch ift Walter Scott nicht; aber
binreißend meifterhafte Schilderungen ; aber nicht die allgemeinen
Anfichten, Bemerkungen, die den Meifter charakterifiren. Er
ijt ein großer Mahler, aber fein großer Denfer, fcheint mir.
E Die Begebenheiten an ſich intereffiren zu fehr, und in ihnen
F liegt das Hauptintereffe, daher man ſchwerlich feine Werke
bp mebreremale lefen fann. Allgemeine Bemerkungen über
E Menichen und Welt, die in Goethe's und anderer Meifter
Werfen, das eigentlich Bleibende und Treffliche jind, fehlen.“
E Sehr gut, braver Stieglig! —
Sommer 1854?
Der Kurfürit von Hefjen war in Paris infognito, und bes
friedigte jeine Neugier, ohne fi um den Kaifer Louis Napo-
leon zu fümmern. Dad ging fo vierzehn Tage; dann fam
: fein Gefandter von Dörnberg beftürzt und meldete ihm, der
franzöſiſche Miniſter habe ihm gefagt, der Kaiſer wife, dap
der Kurfürft in Paris fei, wenn er aber noch fernere acht Tage
dableibe, obne jih dem Kaifer vorzuftellen, fo werde diefer
; feinen Gefandten von Kafjel abrufen. Der erfchrodene Kur:
fürſt reifte am nächſten Tage ab. —
240
Mittwoch, den 20. September 1854.
Kriegsübungen bei Königd- Wufterhaufen. Sonft men
Neued. Am Hofe, jagt man, wird gegen Hindeldey ftart y
arbeitet, feit feiner neuen Würde mehr ald je! Die Bart
der Kreuzzeitung ift ihm feindli, der General von Gera
der Kabinetsrath Markus Niebuhr ꝛc. Er felbft ift aut
neswegs befriedigt, fondern will Minifter fein, wenigſte
Erzellenz heißen. Das Lebtere wird er erlangen, aber ı
mehr Mühen und Leiſten ald fo viele Andere, denen es
Schlafe gegeben wird. — Wegen der erjten Kammer fin
weniger Verhandlungen ald lebhafte Ränfe Statt, der Kö
ändert über Nacht immer wieder feine Entfchlüffe, baldı
er den einen nicht mehr, bald nicht mehr den andern. 1
Nitterfchaft aber die Hauptitärfe in der Kammer zu geb
wird er fchwerlich noch zu bewegen fein; er hängt fehr
großen Namen und Titeln, obwohl deren Träger ihm perſi
lich oft ganz verhaßt find, 3. B. Fürft von Hapfeldt, Graft
Dyhrn, und felbit Graf von Nord, Die Sachen werden zie
lich geheim betrieben, mehr als fonft; es liegt dies im V
theil aller Betheiligten, To lange fie alle noch hoffen, fi
werden die Unzufriedenen fchon laut werden! —
Der Prinz von Preußen ift Gouverneur von Mainz
worden, da diefer, der Reihenfolge gemäß, jetzt wieder t
Preußen ernannt wurde. Der König foll auf den erften V
Ihlag dazu — man fagt fogar, er fei öfterreichifcherfeit
geregt worden — in großen Zorn gerathen fein, ging a
bald Darauf ein, und war felbft beeifert, diefen neuen Ben
feiner Bruderliebe zu geben. —
Die Wiener flagen bitter, daß der dortige „Lloyd“ bei
vom Minifterium verboten worden; er hatte die preußi
Politik verfpottet und verächtlich gemadt. „So? er hat
gethan ? ich glaubte, fie felbft wäre es geweſen!“ —
Zuverläffige Nachrichten aus Defterreih. Der Kaifer
241
nicht geliebt noch acachtet, nicht einmal fonderlich beachtet;
das Bolt iſt gleichgültig, aber troßig dabei. Nichts ausge—
föhnt! Alles auf Erwartung geftellt. Die Kaiferhymne
wurde mehrmals in den Theatern anzuftimmen verfucht, es
ging aber nicht. Lauter Revolutiondboden! Die fogenannte
freiwillige Anleihe ift durch die angeftrengteften Gewaltsmaß—
regeln zu Stande gebracht worden, —
Donnerstag, den 21. September 1854.
Befuc von Herrn Dr. Vehſe. Später fam Bettina von Ar:
nim. Sie brachte mir einige Abfchriften, die faum brauchbar find.
Dann erzählte jie mir den genauen Hergang der „Günder:
tode'ſchen“ Gefchichte; jie meint, ihre fchöne Freundin babe
bei großer Schüchternheit den empfindlichften Ehrgeiz gehabt,
und der Gedanke, ganz Frankfurt werde über fie Flatichen und
fpotten, weil ein Liebhaber wie Creuzer — budlig und roth:
haarig — ihr abgefprungen, ſei ihr ganz unerträglich ge:
wien; auch das Aergernig, welches ihre Mutter gegeben, die
mit dem Hofmeifter ihrer Kinder, Namens Heim, eine Lieb-
idaft gehabt und mit ihm durchgegangen, habe fie tief verlekt.
Die Schilderung war fehr lebhaft ımd ergreifend. Bon Arnim
eäblte fie auch viel, und lobte ihn ungemein; in ihm habe
de edelite Bolfögefinnung gelegen, er habe gewollt, daß der
Staat jeden Menſchen müſſe erziehen laffen, und zwar nach
deſſen Anlagen; er habe jedes Kammermädchen wie eine Dame
behandelt, jei vor ihr aufgeitanden ; feine Berirrung in Betreff
der Juden mißbilligt fie ganz, auch feine Ungebühr gegen
Johann Heinrich Voß; von Wieperödorf wird viel erzählt,
on der alten Tante Frau von Labes, von fchlechten Ränfen
es Grafen von Arnim = Boypenburg 2c. —
Große Neuigfeit endlih! Die Yandung in der Krim bat
i Eupatoria ftattgehabt, die Truppen marjchiren auf Seba«
Barnhbagen von Enfe, Tagebüder. XI. 16
242
ftopol. Es wäre ein Wunder, wenn jeßt, nachdem die Lan⸗
dung geglüdt, das übrige Unternehmen nicht gelänge! — Di
Neue Preupifche Zeitung ift ſchon gang Heinlaut! — |
Im Cicero gelefen; die Briefe nad) Cäſar's Ermordung
find die merfiwürdigften; Brutus und Caſſius wegen der That
hochgepriefen, aber ihr nachheriged Verhalten für unzulängid
erklärt, fie haben den Tyrannen getödtet, aber den Erben hr
Tyrannei, den Antonius verfhont. Wie artig und freundlih :
die Feinde einander fehreiben! Cäſar dem Cicero, Cicero dem
Antonius! Viel Bildung, die aber der politifchen Schärfe
Eintrag that. — |
In Frankfurt am Main ift ein Buchdruder wegen Ber i
breitung irreligiöfer Schriften zu zweijähriger Zuchthausſttaft
verurtheilt worden. Das foll wohl fehr religiös fein? Ein
Polizeidienit dem lieben Gott erwiefen! — |
Unfere neuefte diplomatifche Note hat nicht Hand ned:
Fuß! Ein Schlechter Kopf hat fie abgefaßt, oder ein fchlechter :
fie jo befohlen. Es ift eine Schande, daß dergleichen ſinn⸗
loſes Zeug von unferm Minifterium ausgeht. —
Daß man im Alter die Welt der eignen Jugend nur ned
als Geheimniß hat, das man allein weiß, das fein Anterr :
veriteht, diefed Entbehren der Mitiheilung, der mittundigen Ge
meinfchaft, ift eine der fchwerften Bürden, die ung auferlet :
find, Ein auffprühendes euer, dem jtetd Waſſer entgegen
fprüst, dem Erlöfchen nab, und doch nicht erlöfchenn! Bir
oft erftirbt mir dad Wort im Munde, wie oft bereu’ ich dab
audgefprochene! Wer beim Spazierengeben freie Bahn ver
fich zu haben meinte, und dann bei jedem Schritt plößlich ein
Hindernig fände, ein fich quer vorlegendes, der würde bald dub
Spazierengehen felbft lieber aufgeben, —
243
Freitag, den 22. September 1854.
Gejchrieben, und in Arnim’d Papieren Nachträge ge-
net. —
Ausgegangen mit Ludmilla. Bei Kranzler in „Journal
ss debats“ einen Artikel über Meyendorff und Metternich
leſen, wo die Ungnade des erfteren gerade fo erflärt wird,
wich fie früher gleich in Furzen Worten erflärt hatte, —
daß Meyendorff deutfchen Gefchlechtes ift, Dünft mich mehr
ebenjache, fo wie auch daß Metternich ihn gewarnt haben
I. —
In der Rindenftraße bei Herren Dr. Zabel, ihn wegen der
mdung beglüdwünfcht; nichts Näheres über Morig Hart:
ann! Herr Julius Berende hat eine Leihbibliothek von
utſchen Büchern in San Antonio, die fehr gut gedeiht. —
Die Sammlungen für die überſchwemmten Schleſier find
wip recht gut, und gern geb’ ich meinen Beitrag ; aber die
tt, wie bier die Minifter und Hindeldey und Andere fih an
e Spige ftellen, mit ihrem Anfehen prahlen und recht große
ummen erzwingen wollen, ijt mir in der Seele zuwider.
ie thun, als wären fie lauter Menfchenliebe und Bulfe-
eunde, fie die dad Volk auf's fchändfichfte mißhandelt, um
ine Rechte gebracht, gefniffen und gefnebelt haben, fie die
ahumanſten aller Menfchen! Als Behörden wollen fie das
trauen gewinnen, das fie weder ald Behörden noch ale
enfhen verdienen! Nein, in Wohlthätigfeitsfachen muß
ın am wenigften mit ihnen zu thun haben, da muß man für
‚ allein handeln. — Heute ging die Manteuffel’fche Lifte
Unterzeichnung hier im Haufe um; auf dieſer hab’ ich
nen Beitrag unterzeichnet. —
Die Manöver find heute beendigt, nun geben die Par-
ejagden an. Dies rohe Jagdweſen war in Preußen ziem-
abgefommen, unter der jegigen Regierung blüht es wieder.
16*
244
Und doch it der König felbit äußerſt furzfichtig, und kann
nicht ſchießen! — |
Gegen Abend fam Bettina von Arnim. Sie Flagte übe
ihre Gefundheit und huftete ſehr. Sie geftand, dap fie,
neulich Abends einen Anfallvon Brechruhr gehabt, den fie aker
gleich durch eine homöopathiſche Dofis von Pulfatilla gefilt.
Sie erzählte noch Mehreres, von ihrer Freundin Günderrot, |
Ind einige? von ihr und auch von fich ſelbſt laut vor, undfprad
viel von- Arnim und feinen Schriften, es fei noch ein großer
Vorrath von Manuffripten da, wenigſtens zu 14 Bünde.
Vom Grafen Athanafius Raczinski, von Philipp Nathufus
und Andern mancherlei Erzählungen. Gegen 9 Uhr fuhr ſie
in einer Drofchfe nad Haufe. Sie will mir ihren ganzen
Borrath zur Herausgabe nah und nach aufpaden, fie but
als wenn es fchon gang meine Sache wäre, fpricht immer
in Wir, was wir dabei beobachten müffen, was wir zuerl &
nehmen ıc. — | |
Es ift überaus leicht, den Menfchen Urtheile aufzudrängen,
die aus ihrem eignen Sinne niemals hervorgegangen wären,
ja denfelben ganz entgegen find; ‚man muß ed nur geſchich
anfangen. Manche Leute verftehen das trefflich, üben 4
im Staat, in der Familie, in Kotterieen mit größtem Erfolg;
aus. Ich kenne Menfchen, die in diefer Art ganz angefüll:
find mit fremden Meinungen, die fie heftiger vertheidigen, J
als fie die eignen vertheidigen würden, und doch ganz leidt J
wieder aufgeben, wenn es ihr Borurtheiler fo fügt, dap rt
die eine Meinung durch eine andere erſetzt. —
Sonnabend, den 23. September 1854.
Die heutige Volfözeitung greift unfre legte diplomatiſche
Note mit ſcharfer Kritif an, zeigt ihren Mangel an Logik und:
245
Folgerichtigkeit. Jämmerlich ift das Machwerk, das iſt gewiß,
und die andern Kabinette werden die ſchiefen Ausdrücke und
falſchen Angaben auch ſchon rügen; ſie ſchenken uns nichts! —
Beſuch von Herrn Dr. Hermann Franck; ernſthafte Unter⸗
redung über den Stand der politiſchen Dinge; Europa als
ein Ganzes betrachtet; England fängt an zu wanken, England,
das iſt ein großes Zeichen! Dieſer bisher ſo feſte Boden!
Freiſinn und Machtwillkür entwickeln ſich um die Wette; die
nächſten Wandlungen werden dem Freiſinne nicht günſtig ſein!
Ausſicht auf lange, ſchwere Geburtswehen! Wir dürfen auf
das Erleben guter Zeiten wenig Hoffnung ſetzen, genug, daß
wir fie in der Zukunft mit Gewißheit ſehen! Wie wir im
beten Sprechen waren, fam Bettina von Arnim, fagte,
fie müfle gleich wieder fort, Gifela fei krank, und anderes,
& batte fi) aber ihre Abholerin erft um halb 9 Uhr beftellt
} blieb au zum Thee, und wollte und nachher noch große
= Stücken vorlefen, wad nur unterblieb, weil die Hand:
F Schrift zu ſchwer zu entziffern war. Sie und Frand waren
"5 tehr fomifch miteinander, Frand übte den fchalkhafteften Wis
»J gegen fie, fie lachte laut vor Vergnügen. Als fie ihm die Ge:
E Tdihte von ihrem Gefchäftsführer (fehr fchlecht, und wenig
J verſtändlich) erzählt hatte, und er einigen Zweifel äußerte, ob
J der gerichtliche Ausgang für fie günftig fein würde, fchalt fie
5 Ühn wegen feiner jchlaffen Denfart. Es waren höchſt ergößliche
F Wechſelreden und Bemerkungen. Franck empfahl fih um
E 8 Uhr, Bettina blieb noch länger und trank Thee mit und. —
Franck hat es für immer bei ihr verdorben. —
| Bettina ließ geftern durch Ludmilla forgfam auffchreiben,
& welche Bände von Arnim's Schriften mir noch fehlten, ale fie
E den Zettel hatte, waren ihr die einzelnen Nummern läftig, und
s fie ſagte, fie wolle mir lieber alle Bände ſchicken, gleichviel
ob ich einige ſchon habe oder. nicht. Heute follte ich fie ber
246
kommen. Ich befam fie aber nicht, und es war au
Rede von ihnen. Aecht Bettinifh. Meinerfeits hatte
den leifeften Wunfch geäußert, im Gegentheil ihren €
ſchwichtigt. —
Bettina rühmte fih gegen eine Dame, gewiſſe
pitanten Inhalts, die vor ihr lagen, habe fie in der N
Goethe's Geburtstag gefhrieben, der längjt vorüber w
Dame fah näher hin, und rief erftaunt: „Uber was
Die Dinte des Schlußblattes ift ja noch ganz naß ?*
höchſt unwillig über die Entdedung, fuhr die Entdederi
an: „Ad, gehen Sie doch! Was ift das für
Zeug!" —
Sonntag, ben 24. September 1:
Geſchrieben! Was wir zu hoffen, und wie wir und
halten haben; die Gefinnung und Denkungsart n
Dingen laffen, wie ſehr es auch unfte Handlungen fein
nur was wir innerlich aufgeben, ift und verloren, ni
und geraubt oder vorenthalten wird, das dürfen wir
gefien! Die Menge wird abfehweifen, ſich verirn
ſchadet nicht! im rechten Augenblide lenkt fie rafch n
den rechten Weg ein! —
Prof. Rauch fendet mir mit einem äußerft arti
ſchmeichelhaften Briefe das Gypsmodell feiner Gru
Goethe und Schiller. Wir fahen fie geftern in fein:
ſtatt, und hörten, fie fei für jemanden beftimmt,
Profeſſor wolle aber dazu einen Brief fehreiben. Ob
die Gruppe von Anfang an nicht gebilligt habe, ift
chen? doch fehr angenehm. —
Gegen Abend fam Bettina von Arnim, und blieb
9 Uhr, wo ihr Vedienter fie abholte. Sie erzählt
fehr viel, von ihren Geſchwiſtern, befonders von (
247
ihren Vermögensſachen, — ihr Ehefontraft hat fich ver:
1, das fei eine eigne Geſchichte, die fie aber nicht ers
en wolle — von Schleiermacher, der berühmten Frau
ber und deren magnetifhen Gaufeleien, von Schleier:
her's Predigten; im Thatfächlichen oft unficher und auch
zu falſch, auch in allem nur immer ſich felber hervor:
md, gleichgültig gegen alles andere. Später, ala auch
milla gefommen war, ſprach fie hauptfächlich ihre bittern
zen gegen ihren Gefchäftsführer aus, gegen Bürenftein und
n Advofaten Caspar, zulegt ganz leidenfchaftlih, fo
fie befannte, es ftebe ihr Xeben auf dem Spiel bei folchen
rüfen, aus denen fie dann gleich darauf fich gar nichts
ven will! Sie hat gehört, ed könne gerichtliche Pfändung
ihr ftattfinden, wenn Bürenftein durchaus bezahlt fein
e, darauf hat fie erwiedert, nicht? könnte fie mehr freuen,
hre wurmftichigen Möbel los zu werden. Aber fie denft
n zu entgehen dadurch, daß fie den Prozeß nad Weimar
n will, fie meint, wenn jie dorthin reife, müffe fie ale
maranerin angefehen werden, und rechnet darauf, daß die
igen Gerichte zu ihren Gunften fprechen werden. Ihren
alter * * hält fie mit * * * und * * einverftanden, und
ft ihn doch nicht ab. Sie fürchtet, dag ** durchgehen
te, und Hindeldey foll ihn fefthalten. Damit Hindeldey
arin zu Willen fei, möchte fie ihn durch einen Beitrag
ie Schlefier, der aus einem zu verfaufenden Dürer-Bild-
— in Folge der befürchteten Pfändung — zu hoffen fei,
ich einnehmen. Folgendes fei gejtern gefchehen, erzählt
Ibft. Herr Caspar befuchte fie, und fprach mit ihr über
Sache, fie verweigerte jede Ausfunft, wollte nichts hören,
te ab, fagte fie, und er folle nicht wiffen wohin, damit er
uch nicht ſchreiben könne. Caspar hatte fie um Arnim’d
e gebeten, fie gab ihm die einige und zwanzig Bände;
igte darauf: „Warum geben Sie mir die Bücher?“ und
248
fie antwortete — nicht etwa das natürlichfte: „Sie haben mid
ja darum gebeten,“ fondern: „ Damit Arnim nach Gebühr er
fannt werde, und mir, der Stau, die fo lange mit foldy edlem
Geiſt verbunden war, der gehörige Reſpekt ju Theil werde.‘
Auf den Advokaten machte das aber keineswegs den gewünſch
ten Eindrud; man fieht aus feiner Frage, daß er die Büce
nicht begehrt hat. Frand, ihr größter Verehrer, hat es au
immer mit ihr verdorben, weil er den Zweifel geäußert, o
dad Gericht, wie fie, den Drud eines von ihr noch nicht be
ftätigten Titel für ein Verbrechen anjehen werde — fie fpruc
von ihm in den verwerfenditen Ausdrücken. ** bat fidr au
eine Schrift, die er von ihr habe, berufen ; fie jagt, fie wif
nicht, was fie gefchrieben habe, es könne ja aber aud ihr
Handſchrift nachgemacht fein. Ihre Phantafie fpielt nad
allen Richtungen, der Berftand verliert fih in dem Gewin
ganz. Die arme Frau! Sie leidet entfeklih, und daß ii
am meiften durch fich felber leidet, am eignen Naturell, mad
die Sache nur um fo fehlimmer, denn ed macht fie unheilbaı
Wir Sprachen noch lange über fie mit berzlihem Bedauem
aber ihre Einbildungen find unerträglich, jede Berfnüpfun
mit ihr gefährlich; ihre Ansprüche gehen in’® Unglaublid
nach ihrem Sinne wären Arnim's und Brentano's die Haup
fahhe in der Welt. —
Montag, den 25. September 1854.
Zu Mittag fam Frau Bettina von Arnim, ſehr mun
und vergnügt, fie hat dem Herrn Juſtizrath Caspar erflä
fie ziehe nad Weimar, und hat an Herrn Hofrath Schöll
MWeinar gefchrieben, fie wolle ſich dort niederlaffen, und
warte, daß er ihr binnen acht Tagen den dortigen Bürgerb'
ausfertigen laffe! Es hilft nicht, ihr zu widerfprechen; fie nim
ed nur übel, und folgt ihrem Kopfe bid er anjtöpt.
249
weint, die Sachen und Perfonen müffen ſich ihr beugen. —
deftern brachte fie-mir zwei Quartbände des Preufifchen Kor:
eipondenten von 1813 und 1814, legte fie mir hin und fagte:
Das hat der Arnim gefchrieben.” Diefe Zeitung, von Nie:
uhr gegründet, hat Arnim aus Gefälligkeit während vier
Donaten beſorgt, und von eigenen Sachen findet ſich wenig
satin, ein Peiner Artifel über Fichte, drei poetifche Beiträge,
and ein Abfchiedöwort an die Leſer, das ift alles! Sie meinte
Wunder was daran zu haben. Und fo geht es mit allem, was
te vorträgt, was fie fchildert. —
Nachmittags Beſuch von Herrn Galusky, der geftern aus
Paris hier angefommen iſt. — Ueber den fonitigen Zus
ſtand in Frankreich, übereinftimmend mit anderen Nachrichten,
daß nichts befeftigt ift. Nach der Fuſion (der Orleans und
Bourbons) war eine große Berfhmwörung im Wert, die Trup:
pen in Afrifa follten gewonnen werden, zugleich die in Paris.
— Changarnier und RYamoriciere waren einverftanden, viele
Republikaner fogar ; der Krieg im Orient aber hat alles unter-
brochen.
Aus der Krim gute Nachrichten. Die Landungstruppen
im Befik von Eupatoria und im Marſch gegen Sebaftopol. —
Ich bin wie ein Schiff auf ftürmifchen Wogen hin und
ber geworfen. ch habe feinen Halt, als in mir felber, fo
lang’ ich den behaupte, bin ich nicht verloren. Aber es ift
eine harte Aufgabe ohne allen Beiftand von außen, ohne alle
Gmunterung nur eine fchwere Pflicht zu erfüllen, ohne Ber-
gnügen, ohne Reiz! Ich habe feine Gemeinde und gehöre zu
feiner, meine Sache hat feine Fahne, Teine Vertretung, feinen
gefiherten Boden. ch ftehe ganz vereinzelt, ohne andern
Zufammenhang mit der Welt, als dem allgemeinen geiftigen, der
m Ganzen freilich fruchtbar und wirkſam ift, aber im praf:
ſchen Tagesleben nicht Augenblidliched vermag. —
250
In der Augdburger Allgemeinen Zeitung vom 21. Cr
tember ff. (Nr. 264 ff.), ein Auszug aus Heine's Belent-
niffen. Ganz der alte Schalt und Wigbold. Die Leute ur
jtehen ihn aber nicht recht mehr. Mean hört die albernfen
Mikurtheile, und gerade von folhen, die ihn verftehen müpten,
wenn Unredlichkeit und Selbftfucht fie nicht um alle Einf
brädhten. —
Dienstag, ben 26. September 1854.
Die Volkszeitung bringt heute die Nachricht, daß Merk
Hartmann’d Freunde in Paris gar nicht an feine ‘Berbaftum
glauben, fie meinen, er fei nicht mehr in Bufareft, ſonden
ſchon wieder auf der Rückreiſe nach Konftantinopel in Scuml
geweſen, frank fogar, was doch immer befler ift ald in der &
walt feiner Feinde! —
Gegend Abend Fam Bettina von Arnim; fie fam ven
Juſtizrath Caspar, hatte deſſen Frau beichentt, und ih
fchmeichlerifch gefagt: „Sie müflen zu mir halten, und a
Ihren Mann einwirken, daß er meine Sache gut beforat‘'
Dann rief er aus: „Was geben Sie mir, wenn ich Ihnen de
Prozeß noch gewinne?“ Sie war’empört über diefe Aue
rung und erwiederte: „Sie werden’ihn aber nicht gewinnen
ich werd’ ihn gewinnen!” Sie meint, durch ihre Verpflan
zung nad) Weimar. —
Aus der Krim nichts Neues. — Louis Bonaparte führtt
gebietende Wort in Wien, die Defterreicher in der Wald
dürfen den Türken in ihrem Vorfchreiten nicht hinderlich fein.
—
Mittwoch, den 27. September 1854.
Gut gefehlafen bis 6 Uhr. Dann in Goethe’d Taſſo
fefen, mit einer Erfchütterung, einer Erhebung, die mich
251
yfreiten von aller gemeinen Drangfal; ich fühlte mich auf
beftem Boden, auf Goethe’d, auf Rahel's, eine reinere Luft
frömte mir an's Herz, ich fühlte was jene gefühlt, den gei-
figen Gewinn des Leids ohne das Leid felbft. Ich lad auch
in Goethe’ Eugenie, diefem von allen Kritikern als kalt ver:
Ihrieenen Gebilde. Mir bewegte ed das Herz, erwärmte, be-
feuerte meinen Sinn ; welcher Baterjchmerz ift darin auöges
drüdt, welches tiefe Leiden einer jungen edlen Seele, die zur
Hoheit berufen in Niedrigkeit hinabgeftoßen wird! —
Gejchrieben. Ein eigned nahes Feld zu befruchten, ift
jest nicht möglich, man leidet die Ausfaat nicht und zerftört
dad zarte Grün; fo werfen wir denn auf gut Glüd unſre
Kömer in’d weite Blau, vielleicht führt fie ein günftiger Wind
an gute Stätte! — Könnt’ ich hier nur eine Fleine litterarifche
Gemeinde fammeln! Die Beftandtheile wären wohl vor-
handen, aber die Hinderniffe find zu groß. —
Nachmittags in Goethe'd Eugenie weiter geleſen, mit
heißen Thränen! Was regten die goldnen, gefühl- und ge:
danfenvollen Worte nicht alles in mir auf! Wie fchmerzlicht
innig gedacht” ih an Rahel! Heute vor vierzig Jahren war
unfere Hochzeit! —
Später las ich in den Memoiren der Frau von Genlig,
die viel Ergögliches haben, wenn man über den erften Aerger
hinaus ift, den man bei den Zierereien der felbftfüchtigen, ſchein⸗
eiligen rau empfindet, welche alle ihre Abweichungen von
em, was fie Tugend, gute Sitte und edle Grundfäge nennt,
it dem Schleier des Neligiondeiferd zu bededen fuht. Sie
gt dabei nad) Herzensluſt, entftellt oder verfchmweigt ꝛc. —
Abſchrift eines Schmähgedichtes, welches beweift, daß die
tuth der Ultra's gegen den König aus dem Jahr 1848 noch
igeſchwächt fortdauert, fo fehr fie ihm vor den Augen
meicheln. — Das Gediht kommt aus den vornehmften
eifen. —
—— — —
252
Donnerstag, den 28. September 1854.
Die Volkszeitung gebt wider die Nationafzeitung, und
giebt ihr Fieberphantafieen Schuld; es ift wahr, fowohl Zabel
‚ale Paalzow haben ſich in Tepter Zeit etwas verftiegen. —
Schändliche neue Schifanen gegen Uhlich und deffen Sonn:
tagsblatt in Magdeburg. Wegen diefed Blattes wurde er in
Minden vorgeladen, troß feines Einſpruchs, aber das Gericht
ſprach ihn frei; daffelbe geihah dann in Paderborn. —
Ausgegangen mit Rudmilla im Thiergarten bi? zum Denk:
mal des Könige. ich finde diefes Denfmel gut, ich weiß nicht
was die Reute wollen! Der König hatte was Hölzernes, Trode-
ned, Dürftiges, ann feine Bildfäule, die Doch ähnlich fein foll,
anders fein? Der Unterfab aber, wo der Künjtler freie
Hand hatte, ift anmuthig und reih. Schöne Blumen um-
ber, aber feine Bänfe! Ludmilla meint, weil der König ftebe,
foll niemand in feiner Nähe fiben. Es giebt folche Abge—
ſchmacktheiten, und es ſieht unferer Zeit ähnlich, fie forgfam
feftzuhalten. —
Das Buch von Wilhelm von Schadew: „Der moderne
Bafari* aus der Buchhandlung empfangen. —
In der Augsburger Allgemeinen Zeitung fteht ein Artikel
aus der Uckermark, der die glänzenden Polizeianftalten Hindel:
dey's lobt, die Schönen Pferde und Uniformen der Konitabler,
denen feine Truppe des Heeres fich vergleichen könne, die Mar:
morftufen feines neuen Wohngebäudes, die Telegrapbendräbte
zu feinem Landhaus; mit diefem koſtbaren Prunf wird die
Unfcheinbarkeit ded Magiftratd, die Bedrängniß der Stadt,
welche die ungeheuern Koften tragen muß, in Vergleich ges
ftellt; der Artikel ift äußert feindfelig gegen Hindeldey, ohne
daß die Worte ed find. Bon verjchiedenen Seiten arbeitet
man gegen ihn. — Ihm felbft ift das Unangenehmite, dap er
|
5 253
mmer nur ald Polizgeimann prächtig und mächtig ift, aber
arüber nicht hinaus fommt. —
Ein Gardeoffizier hat diefer Tage laut gefagt,. wenn die
zreußen gegen Rußland fechten jollten, fo würde wenigfteng
te Garde zu den Ruſſen übergeben! Was will man mehr?
sit Das nicht die vortrefflichite preußifche Gefinnung?! —
ber auch im untern Volke ſucht man folche zu erregen; ein
emeiner Mann fagte an einem öffentlichen Ort: „ Da ließ ich ale
Zreuße mir ja lieber todtfchlagen, alö daß ich mit Franzoſen und
ngländern zufammen gegen die Ruſſen ginge!“ Zurecht ge:
viefen und geftogen von den Anwefenden, gejtand er, fein
Jert, ein Hofbeamter, habe ihm gejagt, fo müffe er reden! —
Es verlautet, die Königin Viktoria von England zeige
euntuhigente Spuren einer Neigung zum Tieffinn, die in
er englifchen Familie fchon öfters vorgefommen ift. Streng
nd ſtolz war fie ſchon immer, jetzt foll fie auch leuteſcheu
derden, was mit ihrem unrubigen Herumteifen freilich fchlecht
ujammenjtimmt. —
— — nn — —
Freitag, den 29. September 1854.
Die Nationalzeitung vertheidigt fich gegen die Bolfe-
eitung. Das Rechte und Wahre darf fie nicht Jagen, näm⸗
ih, daß an allen diefen Regierungen nichts Gutes, nichte
>altbares ift, daß die Sache des Volks und der Freiheit jeder
iefer Regierungen die größten Niederlagen gönnen Mag; daß
ur die Zufälligfeit der perfönlichen Angehörigfeit einen for-
nellen Baterlandeeifer begründet, der, um ächt und ganz zu
ein, eines beftimmten Inhalts bedarf. —
Ausgegangen mit Ludmilla. — In den Thiergarten, zu
Stau Bettina von Arnim; jie fah äußerft leidend und ange-
riffen aus, klagte auch ſehr über Hinfälligfeit, Schlaffucht,
Schroähe. Sie fihenkte mir einen Brief von Felix Drouin,
254.
Sie erzählte mancherlei, was fie verhindert haben foll, mid in
den legten Tagen zu befuchen, es waren aber Dinge, die ſchon
vor vierzehn Tagen vorgefallen waren, und die fie und gleich
damals erzählt hatte! Auch andere Wunderlichfeiten kamen
vor, Meine Lügen, Verkleidungen der Wahrheit, Verſchwei⸗
gungen. Sie ging mit und zur Stadt, um der Gräfin Driola
(der alten) einen Brief abzugeben. — Montag will fie ab:
reifen. Der Druder, der biöher ungeduldig nach Manuſkript
verlangt haben foll, der angeblich jede Woche vier Bogen |
und mehr zu liefern bereit fein follte, läßt feit fech® Wochen |
auf den Schlußbogen des zweiten Theild der Kronenwädter |
warten, fo daß diefer Band nicht verjendet werden fann! |
Welche Widerfprühe! — |
Sendung von Bettinen von Arnim, ihre eignen Werfe, zehn |
Bände, für Ludmilla, die Schriften Achim’? von Arnim, neun: |
zehn Bände, für mich; fie ſchickt mir lieber alle vorhandenen,
als daß fie die herausfucht, die mir fehlen! —
Sonnabend, den 30. September 1854. |
Gefchrieben. Wiefern Preußen recht thut, fich als eine |
Macht zweiten Ranges zu beuchnen? Allerdingd recht, wenn |
eine Regierung befteht, die den Staat in höherem Range nit
behaupten fann, die in Olmüg und BWarfhau bereite fo |
ſchmachvolle Niederlagen angenommen hat, wie zu ihrer Zeit |
Jena und Tilfit waren, eine Regierung, deren gefteigerte
Tätigkeit nur gefteigerted Unglüd bringen müßte! — |
Der Graf von * fchimpfte heute wüthend über die Kams
mern, der Unfinn könne nicht bleiben! „Sehen Sie, ein |
Kerl wie ih, der gar nichts davon verfteht, war beauftragt,
das Sportelgefeg machen zu helfen! Ich habe auch alles
dazu beigetragen, es fo hart und ſchlecht ald möglich zu
machen." Dabei jparte er die Seitenhiebe auf den König
255
richt, der die Berfaffung beſchworen habe! Graf * felbft hat
ie ja auch befchworen ! —
Englifche Blätter nennen das Benehmen des Könige von
Preußen in der jebigen Weltlage ein abgeichmadtes, das
einem Menfchen von Berftand und Muth einfallen könne.
Richt mit dem Gebetbuch hinter Dem Ofen feien die Nieder:
agen von 1806 wieder ausgeglichen worden, ein Feigling
vage nichts und gewinne nichts u. |. w. Deutjche Blätter
euten dernleichen nur an, indem fie auf die englifchen auf:
nerfjam machen. —
Der ruſſiſche Gefandte von Budberg war in Potsdam und
yat Dringend auf Unterdrüdung der Volkszeitung angetragen.
Dindeldey hat dem ſich widerfegt, und das Blatt gerettet.
Dindeldey Befchüger der Volkszeitung, der Prepfreibeit! —
Sonntag, den 1. Oltober 1854.
Gegen Abend Beſuch von Herrn Galusky, er bringt mir
die Nachricht von dem Siege der Franzoſen in der Krim. —
Bald darauf ein Ertrablatt der Kreuzzeitung mit den tele:
grapbifchen Depeſchen. —
Montag, den 2. October 1854.
Nachrichten aus der Krim; Mentichikoff geichlagen, Seba-
topol genommen; letzteres bezweifl' ich noch. Große Freude
iberall; nur Hofoffiziere, Kreuzzeitungsritter, Königsmarck,
Wagener, Niebuhr, und ſolche Käuze trauern. —
256
Dienstag, den 3. Oftober 1854.
Traurige Nachricht aus Wien, daß Morig Hartmann am |
25. September wirflih in Wien als Gefangener eingebracht |
worden! Was wird aus ihm werden?! In diefen Klauen! — |
Mittwoch, den 4, Oktober 1854.
Beſuch vom badifchen Geheimen Hofrath Bed, bisher Mit:
glied des fatholifchen Kirchenvorftandes, jept den Ultramen: &
tanen geopfert. Er bringt mir einen Brief vom Geheimen #
Mathe Nebenius, der aber leider nicht felbit ſchreibt, weil er 4
ftaarblind geworden! Schlimme Zujtände in Baden, den /
Pfaffen wird alled nachgegeben aus Feigheit und Unverſtand! J
Bed ift felber katholiſch, — wie ih. — Befuh von Herm F.
Dr. Michael Sachs; er bedauert Schelling’d Tod, jpricht von
Humboldt, recht brav und gut. — -
Nachmittags fam Bettina von Arnim mit einem großen #
Pad Schriften. —
Neue Nachrichten ; verforene Schlacht der Ruſſen; der
Fall Sebaftopold noch nicht zuverläffig. — |
— — —— — —
Donnerstag, den 5. Oltober 1854.
Bettina von Arnim fab aeftern jehr fchlimm aus, fie
klagte, fie fei recht Frank gewefen, und erzählte mandherlei
Vorgänge, die nicht recht Mar wurden; fie wollte in Wind und |
Regen einen Tag auf dem Köpenider Feld ausgehalten haben,
wie fo und warum \var nicht zu ergründen ; dann im tiefiten :
Ihiergarten ganz allein gewefen fein; auch war Frl. Gifela |
franf geweſen und noch frank. Die Papiere, die ich ordnen |
und durchſehen foll, lagen auf Tiſch und Bette vor mir, fie
lad mir Einzelne daraus wider meinen Willen vor, gab als
257
Arnim'ſch aus, was ſich ale abgefchriebenes Volkslied erwies,
börte mitten drin auf, gab mir einen Brief von Schudht und
einige Autographen, wollte dann gehen, zum Thee wieder:
fommen, vielleicht auch nicht ; griff ein paarmal nad) meinen
Beinkleidern in der Meinung es fei ihr Mantel, wollte
ſich darüber todtlachen, und Tief endlich fort; der ganze Praß
blieb mir auf dem Halfe. —
| Heute früh aufgeftanden. Die Papiermaſſe Bettina's
durchgeſehen; meiftend unbrauchbare, doch auch einige merf-
würdige Sachen, z. B. Arnim's Briefe an Goethe, zwei an
Sapigny, die ich mit großem Antheil gelefen habe, Arnim be:
jtreitet Savigny’d Anficht über den Beruf unferer Zeit zur Ge:
ſetzgebung recht wader. —
Später kam Frau Bettina von Arnim. Das gewöhnliche
| Spiel, jie müffe gleich wieder fort, aber fie blieb zum Thee
und hatte fi) ihren Bedienten nach 9 Uhr beftellt. Sie fieht
entſetzlich angegriffen aus und befennt, daß fie fehr elend fei.
* Bon der Reife ift faum nod die Nede, man möchte glauben,
alles fei nur Borfpiegelung gewefen, die fie bei ihrem Advo⸗
| Taten für nöthig hielt, und der Sicherheit wegen auch bei uns
ſpielte; wenigftend Gaftein und Meran find aufgegeben ; höch-
| Mens reift fie noch nah Bonn. Sie ſchenkte mir ein paar
| Handjchriften, lieferte Nachträge zu den Gedichten, und las
| und ein paar Briefe vor, die fie gleich nad dem Selbftmorde
der Frl. von Günderrode, über, diefen an ihren Bruder
: &lemend gefchrieben hatte, fehr bedeutend durch Inhalt und
; Ausdrud. Dann las fie aus einem frühen Reifebuch Arnim’d
| einige fchöne Stellen; ich fagte, diefe hätte fie alle in ihr
Konigsbuch aufnehmen fönnen, worauf fie erwiederte: „ Warum
| nicht gar! Da hab’ ich gar zu großen Reſpekt vor dem
| Amim, als daß ich feine Sachen unter meinen Quarf mifchen
follte!* Einen großen Bad, Briefe zwifchen ihr und Clemens
gewechfelt, nahm fie wieder mit. —
Barndhagen von Enfe, Tagebüder. XI. 17
258
Ueber Morig Hartmann ift wieder alles zweifelhaft;
Pariſer und Londoner Blätter nehmen fich feiner mit Wärme
und Klugheit an, auch die unfrigen; man ftellt ſich, als könne
Defterreich nicht fo Gehäffiges thun! — man erinnert, welchen
Haß Preußen durch die Behandlung Kinkel's auf fih ge
laden! —
Daß der Graf von Buol den frangöfifchen Gefandten in
Wien, und nun audy der öfterreichifche Kaifer felbft, durch
feinen Gefandten in Paris, den franzöfifchen Kaiſer wegen der
Niederlage der Ruffen in der Krim hat von ganzem Herzen be
glüdwünfchen laffen, macht ein ganz unverhältnigmäpige
Auffeben! —
Freitag, den 6. Oltober 1854.
Was hab’ ich mid den ganzen Vormittag wieder mit |
Arnim’d Gedichten geplagt! Und meift umfonft; die Ab⸗
ſchriften, welche mir Bettina gebracht hat, jind fait alle un: |
richtig, ganze Reimzeilen find weggelaffen, in einigen Fällen 1
das Gedicht nicht aud, in andern erfennt man zulegt Bolte |
lieder, die er felbft nur abgefchrieben hat. —
Brief aus Genf von der armen Helmina von Chezy, der
ich doch leider nicht helfen kann! Ihre Theaterfachen kann ic |
nicht beforgen, faum anrühren.
Ich erfahre die merfwürdige Thatjache, daß ungeachtet der |
Prinz von Preußen — der künftige König — Mitglied und :
Beichüger des Freimaurerordens ift, jegt weniger als je vorber
Dffiziere ſich einweihen laffen. Die Urfache diefer auffallen: |
den Erfcheinung blieb zweifelhaft. Proteftantifche Geiſtliche
find in Menge unter den Freimaurern ; bei der Aufnahme des ’
Prinzen waren allein vierzig. —
Ich war den Mbend in ftiller Beichäftigung ganz vers ;
gnügt, las und fihrieb, fo lange Die Augen es ertrugen, und |
259
überließ mich nachher allerlei Betrachtungen, die mich erfrifchten
und ftärkten. —
| In den Memoiren der Frau von Genlis gelefen, und —
| welcher Abiprung! — einiged im Pindaros, griechiſch und
t Humboldt’jche Ueberſetzung. —
| Die Einnahme von Sebaftopol wird jept amtlich verneint ;
| jo weit ift ed noch nit! Der Hof bier athmet wieder etwas
4 auf! Louis Bonaparte'd Berfündigung an die Truppen war
| übereilt. Der Sieg über die Ruſſen aber ſteht fell. —
Sonnabend, den 7. Oltober 1854.
In Mainz find fiebzehn Perjonen, meift junge Xeute,
; verhaftet worden, auf Berlangen einer auswärtigen Regie:
; rung, der preußifchen, wie man glaubt! „Ein Hindeldey-
Strich!" —
| Die Gefangenen in Roftod — Wiggerd ıc. — ſchmachten
feit anderthalb Jahren in Unterfuhungshaft, die hiefigen
ze ebenfalld! Die öffentlihe Berhandlung foll nächſtens be-
ginnen. —
Eine Nachricht, mir fo bedeutend und wichtig, wie der
Ball Sebaftopold ed Anderen wäre! Louis Bonaparte hat
3 befohlen, ohne weiteres und ohne alle Bedingungen den be-
- rübmten Barbed aud der Haft zu entlaffen. Das ijt ein
Feuerzeichen für ganz Europa, das den Regierungen eine Lehre
giebt, und eine Andeutung, welche Richtung Frankreich nöthigen:
5 falls nehmen dürfte; Demokratie! Revolution! —
In Frankreich erwachen ſchon Stimmen, die zum Rhein
rufen! — In England ſagt man, die preußiſchen Häfen müßten
ſebenſo, wie die ruſſiſchen, geſperrt werden, um Preußen für
ſeine falſche, hinterliſtige Rolle zu beſtrafen. —
| Defterreichifhe Depeſche, die dem preußiſchen Kabinet
empfindliche Belehrungen und Zurechtweiſungen giebt! —
17°
260
Wie zum Hohn wird am Schluffe die Einfiht und Hochherzig:
feit des Könige gerühmt! — |
Sonntag, den 8. Oltober 1854.
Die Schrift von Adolph Hapfeldt über Platon's Staats J
(ehre macht mir große Freude, fowohl um ihrer ſelbſt willen, J
als wegen des Zeugniffes, welches fie giebt, daß immer wieder J
junge Geifter fich diefen edlen Studien widmen und noch dazu J
in Frankreich! — Der — (trog der Freilaffung von Barbes J
bleibt .er ed) Louis Bonaparte hat wirklich Glück, der “
Marſchall Saint - Arnaud ift in der Krim geftorben. Ken
Menſch hat dem Kaifer fo geholfen, als diefer elende Ber- J
brecher, fein Menſch war ihm ſo unbequem und befchäment. J
Nun ift er ihn los! — i
Der König bat dem Herausgeber ded Danziger Dampf F
boote3, einem Lumpen Namens Denefe, der wegen Berläum-
dung des gewefenen Elbinger Bürgermeifterd Philipps zu J
Geld - und Gefängnißftrafe verurtheilt worden, die Strafe in $°
Gnaden erlafien! — |
Bei feiner leßten Anwefenheit in Bromberg hatte der
König, wie fhon mehrmald, den Appellationdgerichte-Präfi |
denten Gierke dafelbit, der im Jahr 1848 kurze Zeit Minifter J-
war, nicht fehen wollen. Der Regierungdpräfident von
Schleinig meinte, dergleihen Zurüdjeßung kränke das ganze
Geriht, und wandte fih an den General Grafen von def
Groeben mit der Bitte, beim König ale Vermittler einzuwirken,
aber der fchlug ed rund ab, und fagte, der König thue ganz"
teht. Da ſprach Schleinig mit Dem Könige, der anfangs aufs;
braufte und fchimpfte, Dann aber den ernften Borjtellungen J
von Schleinip nachgab, bejonderd da diefer auch verficherte, F
Gierke habe fich feit jener Zeit ganz verändert. Bei der Aufej
wartung der Gerichtöperfonen war alfo auch Gierke; der König:
261
hielt ſich die Lorgnette vor's Auge, fuchte ſich den Gierfe her-
aus, und fagte dann mit größter Berwunderung: „Ei, Gierke!
Mein Gott, wie haben Sie fi) verändert!“ ‘Damit war die
Sache fertig. Schleinig aber verficherte, der König fei wirk:
lihein guter Schaufpieler, nur wähle er oft fchlechte Rollen! —
Feuersbrunſt in Memel, der größte Theil der Stadt ein-
geäihert. — Noth und Mangel auf allen Seiten! —
Der General-PBolizeis Direktor von Hindeldey, dem bei
dem heginnenden Hochverrathsprozeß etwas fchwül zu Muthe
ft, will die Verhandlungen ftenographiren laffen und allen
Zeitungen umfonft mittbeilen. Natürlich würden diefe Ber
ihte die Polizeifärbung tragen, und beliebig weglaffen oder
ufegen, was ihm taugt. Diefer Falle zu entgehen, haben
re Rationalzeitung und die Volkszeitung für die Mittheilung
rer Berichte ablehnend gedankt, fie hätten dafür nicht genug
rein Raum. Darauf hat Hindeldey ſich erboten, ihnen die
Berichte umſonſt ala Beilagen zu liefern, fie haben aber auch
ns abgelehnt. —
Montag, ben 9. Oktober 1854.
Befuh von Herrn General von Weyrach. — Waderer
zrief Saudend- Tarputfchen an den Grafen von Dohna-
Schlobitten und Ablehnung der neuen Poſſe mit dem Johan:
üter-Orden, die man ibm zugemuthet hatte mitzumachen. —
zroße Freude des Generald an den beiden Kabinetdordern
friedrich8 ded Großen, in welchen diefer die Kammerherren⸗
ürde ala einen leeren Titel bezeichnet, der feinen Werth habe
nd feine Ehre bringe. Ueber unfre Politit. — |
Nach ihm kam Frau Bettina von Arnim, höchst aufgeregt und
grimmt, anfündigend ich werde ftaunen und lachen, fo Arges
ie ihr geftern begegnet, könne ich mir nicht vorftellen! Der
lahler Ratti ift von Afchaffenburg wiedergefehrt, hat dem
262
Könige Ludwig von Baiern den Brief Bettinend perfön
übergeben, das Bild aber, von dem darin die Rede, in Münd
gelaſſen, fein Anliegen mit feiner Silbe erwähnt, und ol
eine Antwort auf den Brief abzuwarten, den der König in |
Audienz nicht gleih lad, ift er eine Stunde nad die
wieder abgereift und geftern hier angefommen. Bettina
außer jih, hat mit Ratti die heftigften Erörterungen geha
ihn einen — genannt, der fie fompromittirt habe ꝛc. V
hält fih alle fo, ift nicht® verfchwiegen, fo hat allerdir
Ratti’8 Benehmen keinen Sinn. Aber die ganze Geſchic
hatte feinen von Anfang an, und die gehegten Abfichten fini
fi vereitelt, gefcheitert. Genug — Bettina's Untern
mungen haben fein Glück mehr! — Aber fie denkt imr
wieder an neue! Sie will nun ernftlich ihre „Gefpräde ı
Dämonen, die dem Sultan Abdul Medfchid gewidmet fi
an diefen ſchicken; aber die türfifhe Familie Achmet, die f
in Dürftigfeit lebt, fol ihr einen ſchicklichen Borwand geb
als wenn alles nur gefhähe, um die Großmuth und We
thätigfeit ded Sultan? für diefe Familie anzufprechen. Kr
lein von Strang mahlt bereits ein Bild für Bettina, das!
Buche zur äußern Zierrath dienen fol, Konjtantinopel
Hintergrunde, auf vier Minaretd vier Nefter von Störchen
Ungarn, Staliäner, Polen, Deutfche vorftellend —, die
heranihiffenden Weftmächten freudiged Willkommen zufl
pern; Sprüche aus der Bibel, in’d Türkiſche überſetzt, fo
zur Erklärung dienen; auch ich fol deren auffuchen und
Ihlagen! —
Nachmittags kam Herr Habfeldt, ein feiner geiftv:
Mann! Wir fprachen über Platon, feine dialektiſche Kı
feine Dichterifche Anmuth, feine fortreißende Kraft, ich me
wir bedürfen einer andern Dialektik, einer minder elemento
um nicht zu fagen Findifchen; ich bezeichnete ihm Schl
macher's Platonifche Kritit und Ueberſetzung, die er nur
263
zu fennen fchien. Einem hallifchen Studenten von 1806 fam
das unglaublich vor, daß ein Gelehrter ſchon nad) vierzig bis
fünfzig Jahren bei Platon den Schleiermacher unbeachtet
laffen fönnte! Doc „die Lebenden reiten ſchnell“, nicht die
Todten! Sch dachte auch an Friedrich Auguft Wolf, an
Johann Heinrid Voß, an Wilhelm und Friedrih Schlegel. —
Herr Dr. Hermann Franck erfhien, und das Gefpräd
wurde lebbafter und mannichfaher. Bon Raphael’d Madonna
in Dresden war die Nede, und daß Denon — wie ich von
1806 ber wußte — fie für unädht erflärt habe, was Strand für
den Gipfel des Unfinnd hielt. Den zweiten Theil des Fauſt
von &oetbe vertheidigte ich, es gebe einfache Gedichte und
gelehrte, gemeinverftändlihe und efoterifche, Dante's Dich-
tung zum Beifpiel. Ich fand auch den zweiten Theil nicht fo
. ganz verfchteden von dem erften, wie man auf den äußern
Schein hin fo jehr behauptet, in beiden ift viel Gleichartiges,
befonders der Gedanken, der Weltanficht. Vieles im zweiten
Theil ift auch älter, ald man glaubt. — Bu
Dienstag, den 10. Oktober 1854.
Bericht des Marfhalld Saint » Arnaud über die Schlacht
an der Alma; Pariſer Blätter rühmen die Beicheidenheit, daß
‚ er nicht von fi fpricht, allein er hat den Bericht nur anbe-
e foblen, nicht gemacht, und war fhon fterbend; auch unter:
F fchrieben mag er ihn nicht mehr haben; dergleichen fommt
vor. —
3 Nachmittags Fam Herr Galusky; dann fam Bettina von
- Arnim. Sie bradte mir Sprüde, die in's Türfifche überjegt
ihr Buch für den Sultan zieren follen; jie lieft fie mir vor,
: und läßt jie mir zum Ueberlegen und Berbeffern. Sie lad
E mir auch einen freundlichen Brief des Könige Ludwig von
264
Baiern, den fie eben empfangen, vor; von dem Bilde, das er
ja noch nicht geſehen fagte er nichts; Ratti foll nun morgen
wieder nady München reifen. —
Herr * brachte mir den Anklageaft gegen die des Hochver-
raths Beſchuldigten Gerde, Ladendorf, Falkenthal, Salomon
Lewy u. ſ. w. und machte mir haarfträubende Eröffnungen. |
Ränke zwifchen Manteuffel und Hindeldey liegen zum Grunde;
der Teptere hat die Rolle eined agent provocateur gefpielt |
und durch einen Rieutenant a, D. Henge fpielen laffen. Ein
Gegenftüd zu dem Walded’fchen Prozeß, zu den infamen Ent-
hüllungen. Wehe dem Staate, wo die Behörden foldhe Shan
ftreiche begehen, fih in fie verwideln laſen. Die Sache if
himmelfchreiend! —
Im Pindaros einiged gelefen; in Mar Ring's „Handıwer
und Studium *. —
Die Kreuzzeitung zieht im Namen Rußlands fürchtetlich
gegen Defterreich los. —
— — — — —
Mittwoch, den 11. Oktober 1854.
Vortrefflicher Artikel der Spener'ſchen Zeitung wider die
Kreuzzeitung; dieſe, welche jetzt von dem Tartaren, der die
falſche Nachricht verbreitet hat, ſoviel Aufhebens macht, hat
zuerſt dieſe Nachricht geglaubt und durch ein Ertrablatt ver |
fündet, erfchroden und demüthig! — |
Bettina’d Sprüche dDurchgefehen und verbefiert. — Beſuch
vom Grafen von Kleiſt⸗Loß. Er gefteht mir aufrichtig, daß
er wegen feiner Befißungen in Rußland ruffifch gefinnt fcheinen
müffe; die ruffiihe Polizei, die im Ausland aufmerkfamer
und thätiger fei ald im Inlande, habe ein Auge auf ihn. Gr
ſchimpft wie gewöhnlich auf Preußen, die Erbärmlichkeit diefer
Regierung. Er hatte Bettinen von Arnim auf der Straße
getroffen, fie ihn eingeladen, er einige Abende bei ihr zuges
265
tacht , Giſela ihm etwas gezeichnet, dazu gefchrieben ꝛc.
Jiefe heiße Bewerbung hatte fie mir Müglich verfchwiegen !
Sie kam als Kleift grade da war, und wollte ſich gleich vor
hm als Herrfcherin zeigen: „Wo ift mein Blatt? Sind Sie
fertig?“ rief fie mich an; ich gab es ihr, fie meinte ich hätte
nichts daran getban, und fagte: „Sie Faulpelz!“ ch zeigte
ibr meine Berbefferungen ; Kleijt bemerkte, er fehe wohl, ich
jei ihre Wäfcherin ; ich erwiederte: „Viel Ehre, daß Sie mich
zu Voltaire und Frau von Arnim zu Friedrich dem Großen
mahen!" br aber war ihr eigner Scherz dann unange—
nehm. Sie hielt dem Grafen dad Blatt hin, und als er
darnach griff, zog ſie's zurüd. Nun griff er ernftlidh zu,
wobei das Blatt zerfnitterte und faft zerriß, nahm es ihr weg,
bielt es hoch und fing an zu Iefen, fie konnte nicht hinanreichen.
Verdrieglich, erzürnt, ging fie weg, Kleift nach, auf der Treppe
‚wurde fie wieder gut, nahm feinen Arm, aber ald ob fie den
ſchwachen Mann führen und fügen müßte; unter Gelächter
fhieden wir, und fie gingen, wie ſchon Anfangs verabredet
War, zur Kunftausftellung. — Wir gingen zu Kranzler und
; dann auch zur Ausitellung, und trafen bald Bettinen an Kleiſt's
Arm wieder an. Auch jetzt wieder wollte fie ſich zeigen, fagte
mad wir fehen müßten, urtheilte freuz und quer verwerfend
; und lobend, wollte, dag man ihre Urtheile als Orafelfprüce
anhören follte, als das nicht ging, verfuchte fie grob zu wer:
ten, was aber auch nicht ging, denn fie merkte, daß auch mein
Geſchütz geladen war. Sie war voll Unruhe, Eitelkeit und
Hoffahrt; der Graf hatte fie beraufcht, und fie hätte gern
mit ihm geprahlt, was aber bei und nichts verfing! Das Bildniß
Abdul Medſchid's follten wir bewundern, wir thaten’d nicht.
Sie ging dann mit Kleift fort. Mir hinterließ fie den wid⸗
rigſten Eindrud wie nur je in früherer Zeit, das ganze Neft
lag offen vor mir, diefe Eitelfucht, Abfichtlichkeit, Liſt, dieſes
Drängen nady dem Vornehmen, Geltenden, fih Büden und
266
Trotzen, je nach den Umſtänden, diefed Einrichten aller Ur:
theile nad) perfönlichen Bedingniffen, diefed ewige Kofettiren
und Närgeln, diefer Launenwechſel — ih war alles ber:
lich fatt! Wenn der Umgang aufhörte, ich verlöre nichtd
dabei! —
Gegen Abend fam Herr Graf von * und blieb drittehalb
Stunden. Er mar fehr zutraulic und führte feltfames Ge:
ſpräch. Er fragte nad) meinen Manuffripten, gewiß fei alles
in [hönfter Ordnung, und viel Wichtiged werde einft erjcei-
nen; es fei recht, daß man alles in guter Ordnung halte, man
wiffe nicht, wann man abgerufen werden könne, er fagte auch
fo zuverfichtlih, die Negierung werde meinen Nachlaß von
Papieren durchſehen laffen, daß es faft wie eine abſichtliche
Warnung Hang. Dann fprachen wir von Teftamenten, ihren
Schwierigkeiten, ihrer häufigen Fehlbarfeit. Er ſprach von
des Juſtizraths Crelinger's Teſtament, das ungültig befunden
wurde. —
Bettina wiederholte heute mehrmald gegen den Grafen
‚ von Kleift die Aeußerung, das Bild des Sultans auf der Aus:
ftellung ſei noch unverkauft, wenn er es kaufen und ihr fchenfen
wolle, könne er fich bei ihr beliebt machen, fie nähme es an,
zu Weihnachten, zu ihrem Geburtötage, auch auf der Stelk.
Der Scherz dabei verhüllte den Ernft nur fchleht; es mißfiel
mir fehr. Der Graf übrigens denkt nicht daran! —
— — — — — ·—
Donnerstag, den 12. Oktober 1854.
In Stahr's Torſo gelefen, in Hatzfeldt's Platoniſcher
Schrift; einiges Pindariſche. Im ganzen Griechenthum it
uns nichts ſo fremd, ſo ſchwer uns anzueignen und in unſer
Lebensgefühl zu bringen, als Ariſtophanes, und dann Pin-
daros, der lebtere erregt ein beftändiged Staunen. —
Sch glaube nicht, daß jebt eine vollitändige Schwächung
267
Rußlands erfolgen wird, nur eine augenblidliche, der bald
wieder eine Stärkung folgen fann. Mber ich fürchte das
Uebergewicht Ruplande nicht, auch wenn e& vorübergehend ein
drüdendes würde. Befreiungskräfte würden fich gar bald
wieder vereinigen. Uebrigens nimmt Rupland in jedem Bor:
ſchritt fremden Beftandtheil und Bildung auf, und wenn es
über ganz Europa berrfchte, würde mit Einer Revolution
Europa und Rußland frei fein. Iam magnitudine laborat
sua, fagte Vellejus Paterculus vom römifchen Reiche, daffelbe
fann man vom ruffifchen jagen. Und woran ging Napoleon
zu Grund, wenn nicht an der Größe und Zufammenfeßung
feines Herrſchgebietes? —
Wie fremd und unfaßlich Pindaros und dafteht, beweilt
audy der Umstand, dag bisher feiner Meberfeßung deffelben ge:
lungen ift, ein wirkſames Abbild von ihm zu geben. Die Er-
babenheit, Kraft und Schönheit feiner Dichtung ſchwindet
unter den Händen des Leberfegerd dahin, man fteht erftaunt
vor dem ſcheinbar Wiedergegebenen, und begreift nicht, wo
denn das Wunder diefer Poefie ftede. In der That, es ift
verfhrwunden! Diefe Poefie will nicht entkleidet fein, fon-
dern in ihrem urfprünglichen Gewande bleiben. Am meiften
giebt vom Pindaros doch die Humboldt’fche Ueberſetzung
wieder. —
Freitag, ben 13. Öftober 1854.
Ausgegangen mit Qudmilla ; bei Kranzler gefrühftüdt, bis
zur Schloßfreiheit gegangen ; die neue vorgeftern aufgerichtete
fiebente Gruppe auf der Schloßbrüde angefehen, fie ift von
Bläfer und eine der beften. DieLinden hinab zum Branden-
burger Thor, und zurüd. — Wie vieled ging mir durch die
Seele bei diefem Spaziergange, den ich in harmloſeſter Stim-
268
mung machte! Der Anblid diefer Pläge, Straßen, Baum:
reihen, Denkmale erwedte in mir großartige Bilderreihen der
Bergangenheit und Zukunft, eine herrliche Gefchichtsentmide
lung, die gleich einem wogenden Meere dad Fleine Schiff des eig
nen Daſeins trug. ch fah das Leben mit freier Selbftftändigkit |
an, erhoben über defjen Heine Sorgen und Kümmerniffe. —
Bettina von Arnim drängte mich fo heftig mit der fe |
daftion der Gedichte, fie follten noch vor Weihnachten erfcher
nen; die Druderei — hieß ed — verlange ungeftüm nach Me⸗
nuffeipt, fie habe gerade feine Arbeit; ich bin längit fertis
aber alles bleibt liegen, es ift vom Drud nicht die Rede. Bet
tina fagt nicht®, aber den Grund erfahr’ ich nun doh. ZI
Druder will fein Papier borgen, der Papierhändler aud nic
der Gefchäftöführer in Weimar foll ed erſt anfchaffen und „it
der es thut, ift noch zweifelhaft. Ein Labyrinth, aus dem DM
arme Bettina nicht herauskommt! ch bedauere fie. —
Neulich bezeichnete jemand die jeige Regierungsart mm 1
eine vorzugsweiſe „Lleinlich” zu benennende. Alles fei klei =
lich, was hier gefchehe, auch wenn es äußerlich noch fo ur
fangreich erfcheine. —
Drei Bände vermifchter Schriften von Heinrich Heine fir F
glücklich eingetroffen. ch fürchte, fie zeigen eine Abnahw®
in Heine; das Zueignungsfchreiben an den Fürſten von Pic
ler vor dem zweiten Bande ift ſchwach, der Wib erzwunger F
In den alten Auffäben aus der Louis Philippe- Zeit ift viele“
was durch 1848 — das gefegnete herrlihe Jahr! — mat”
geworden, ja mehr ald matt, unleidlih. —
Sonnabend, den 14. Oltober 1854.
Furchtbare Erklärung von Barbes in Parie, daß er—
rechtswidrig entlaffen wie verhaftet worden, daß dem Menſchen, -
269
er nicht Gefep und Glauben mit ihm gemein hat, feine Ges
Ännungen nichts angehen, daß er zwei Tage in Paris warten
werde, um zu fehen, ob man ihn wieder einiteden werde, dann
aber in freiwillige Verbannung gehen wolle. Sold ein
Karakter! Ich bewundere ihn, aber es ift etwas Schauer:
liches darin, etwas Erfchredendes! —
Beſuch vom General Adolph von Willifen. Er empfiehlt
nir das in Weimar gedructe Sendichreiben an.Stahl, das
ier freigefprochen, in Halle verurtheilt worden. Er findet
te legte preußifche Note an Defterreich — von Balan verfaßt
— ein erbärmlich ſchlechtes Machwerk. —
Dann fam Frau Bettina von Arnim, etwas aufgeregt, er:
‚bite von den Aegyptern, die hier ftudiren und fich mit ihrem
ofmeifter und den Konftablern geichlagen haben, Sie nahm
Gihied, kommt aber wahrjcheinlich nochmals. — Bettina
agte mich, ob ich nicht auch wie Barbed gehandelt haben
wurde? Ich antwortete Nein! ich bewundere feinen Troß,
ↄne ihn nachahmen zu wollen. —
Ueber dad Schreiben von Barbes erhob fich ein lebhafter
Streit; Galusky mißbilligte ed, Crépet nahm fich deſſelben
Trig an, ich vertheidigte es bedingterweife. Crepet konnte
jegen Galusky nicht auffommen, der mehr Logik und Aus
rud zur Hand hatte, auch einigemal die Schärfe zu fehr
gebrauchte. Zulegt ftritten Galusky und ich über den Werth
des politifchen Mordes, ded Tyrannenmordes, Harmodios und
Anftogeiton, das Ruhmlied des Kalliftratod auf beide. Mit
beitigem Eifer, doch Iuftig, mit fomifchen Ausbrüchen, unter
dielem Rachen. ---
Nah 10 Uhr zu Haufe Noch Gefpräh mit Lud-
Mille, —
In der Schrift „ Zur Karakteriftit neupreußifcher Politik,
ein Sendſchreiben an Stahl“ (fie ift von Dr. Haym in Halle).
eleſen. Biel Schleiermacher'ſche Diateftit und Tonart, dod)
270
bei weitem nicht jo meifterhaft und bündig, indep genügen)
zur Vernichtung des tüdifchen Rabuliften. —
Sonntag, den 15. Oltober 1854.
Frühmorgens Muſik von der Schlopfapelle herab. Kanc
nendonner im Thiergarten, Spiker'ſche Stanzen in feiner Je
tung! —
Gegen alled Erwarten hat Louis Bonaparte der Erflärung
von Barboͤs Aufnahme in den Moniteur verftattet. Noh
geftern hielten wir faum für möglich, daß die belgifchen Blätter
fie aufnähmen. —
In Heine gelefen, Wie hatte ich mich auf diefe neuen Bände
gefreut, und wie fehr find’ ich mich getäufcht! Ich nehme die
beiden Aufſätze, welche die Revue des deux mondes zueri
veröffentlicht hat, billig aus, aber das Uebrige macht mir eine
Mißempfindung, die Berfe find widrig und gemein, die Pro |
verräth eine Gefinnung, die ich von Heine nie erwartet hätte.
Er fpriht vom Volke, vom Jahr 1848, in Ausdrüden, an
denen fich die infame Kreuzzeitung erfreuen mag, nicht id.
Died an Heine zu erleben, ift mir eine wahre Demüthigung:
ich werde dabei erinnert, daB ſchon vor einem Bierteljahrhun |
dert Rahel große Gefahr der Ausartung vorausſah, freilich n
andrer Richtung, fie ſprach von, ſchmutzigem Harlekin“; me
aber wenn ſolcher noch gar vornehm thun und der wohlgellei⸗
deten Ariftofratie gefallen will! Armer deine, warum nidt
lieber früher geftorben !
Bettina von Arnim war heute mit Fräulein Gifela und
Herman Grimm in der Oper; man will darin eine Bezeigung
für den König ſehen, es war aber nur Eifer für die Gluck'ſche
Mufik, fein Orpheus wurde gegeben. —
Der König hat einen Troftbrief an Schelling's Wittwe ges
ichrieben, in welchem er preiit, daß durch Schelling's Auftreten
271
Pantheismus fihtbar abgenommen habe! Die Heuchelei
d Augendienerei durch die Zeitumftände zugenommen, dad
te rihtiger gefagt. Schelling’d Auftreten! Das in Berlin
v nichts, ald eine gründliche Blamage. —
Der Präjident von Kette wird heftig gedrängt, er folle den
Tchied nehmen, fich penjioniren laffen. Er will nicht. Um der
möthigungen und Quälereien, die ihm widerfahren, frei zu
den, hat er fich an die beiden Minifter gewandt, unter denen
ſteht, und die er für feine Verfolger hielt. — Beide, Herr
n Weitphalen und Herr Simons, haben ihn freundlich auf-
wmmen und ihn verjichert, fie feien nicht wider ihn, im
gentheil. Aber an höherer Stelle werde der Haß gegen ihn
chürt, mit einer Heftigfeit und Stärke, gegen die fie nichts
möchten. Nicht einmal ſich feiner annehmen und verthei-
jen dürften fie ihn, denn das würde dad Uebel nur ärger
ıhen. Sie baten ihn, er möchte fie nicht verfennen, fie
ten ed nicht, die ſolche Gehäſſigkeit billigten ıc. Welche
Henntniffe! Welche Zuftände! und welche Minifter! —
Montag, den 16. Oftober 1854.
Gejchrieben; über die deutfche Entwidelung und Zukunft,
: fann nicht felbftftändig, nur in Gemeinschaft der größeren
topäijchen fich geſtalten; wir liegen mitten drin; an wen
Iten wir und vorzugsweife anfchließen ? An die Franzofen!
Ih ein Gewinn, wenn wir hierin den Engländern nach»
gen könnten! Aber welche Borurtheile ftehen entgegen !
zt auch der — Louis Bonaparte, — indeß quand même!
Der König bat am 12. Folich die Verordnung über die
dung der Erſten Kammer unterſchrieben, und heute bringt
der Staatsanzeiger. Seine Abneigung gegen Perſonen
der König überwunden zu Gunſten feiner ſächlichen Nei⸗
jen, die Mitglieder des Herrenftanded des Vereinigten
272
Landtages von 1847 find aufgenommen. Dad Ganze ift bunt:
jchedig genug, veraltet und ftumpf, Univerfitäten fpielen ihre |
Rolle, Stifter, Magiftrate, zur Zeit aber noch feine Biſchöfe.
Ein engherziged, weitjchichtiged® Machwerk, dem Volke jo
gleichgültig, wie die bisherige erfte Kammer, wie Die noch vor:
handene zweite, wie died ganze Verfaſſungsweſen, das zum
Ernſte zu wenig, zum Schein viel zu viel ift. Ungemad wid
au diefe erfte Kammer den Leuten genug verurfachen! —
Heute begann der große Prozeß vor dem Stantögeridtr
hofe. — |
Das Sendichreiben an Stahl — welches diefen — init
That an den Pranger ftellt — ift nun wie in Halle aud in
Königeberg vernichtet worden durch Urtheilsſpruch. Hier im
Gegentheil vom Staatdanwalt freigegeben. —
Der König hat einen Preid ausgeſetzt für das beite bite |
tifche Werk; wie man fagt, foll diefen Preis der Oberft von |
Höpfner für feine vierbändige Gejchichte des Krieges von |
1806 und 1807 erhalten. — (Richtig, 1000 Thaler in Go;
die Bücher mußten aus den fünf Jahren von 1847 bie 1852
fein). —
Der Kaifer von Rußland macht in Verbindung mit der
Kreuzzeitungsparthei — welches Bündniß des mächtigen Kai-
jerd mit ſolchem Schmug! — die größten Anfttengungen, um
den Minifter Manteuffel hier zu ſtürzen. „ Was würd’ es ihm
helfen *, fagt jemand, „ Einen Minifter, der gegen ihn ift, würde
ex doch nicht befeitigen fönnen!* — Welchen denn ? — „Die
Furcht vor Frankreich, England und Defterreih." —
„Eigentlich dürfte die neue erſte Kammer gar nicht aner-
kannt werden, der König hat dickhm gegebene Befugniß über-
Schritten und Mitglieder ernannt, die weder erbliche noch leben?»
längliche find.“ —
273
Dienstag, den 17. Oltober 1854.
Der Publizift und die Gerichtözeitung find von der Poli-
iweggenommen worden, wegen ihrer Berichte über den Prozeh
jerde, Ladendorf, Falkenthal, Levy 2c. Der Polizetmeifter
mn Hindeldey ift wüthend, daß die Blätter feine ftenogra-
hiſchen Berichte nicht wollen. —
Sranzöfiihe Schrift, die auf Herftellung Polend dringt;
mit, und damit allein würde Rußlands Macht gebrochen
in. Oeſterreich fünnte an der Donau entſchädigt werden.
nd Preußen? Berlöre Pofen, und vielleicht etwas mehr.
yahin hätte die Reaktion ung glüdlich geführt, vom darge:
otenen Kaiſerthum auf ein verftümmelted, faum lebengfähiges
‚Önigthum ! —
Die Zufammenfeßung der Erſten Kammer weckt denn doch
inigen Unwillen und Hohn; man erffärt das Machwerk für
ine jämmerliche Aufwärmung des mißrathenen Gekoͤchs von
8347, man erkennt die Einwirkung der Junkerparthei, der
herlach's, die weniger fich dem König als diefen ihren Abs
ihten anbequemt haben. Gerümpel aus der Zeit vor 1789,
Schon zur Zeit des Wiener Kongreſſes wäre dergleichen nicht
u bieten gewejen! Noch weniger 1847, noch weniger
eßt. —
Puſchkin's, Onegin * von Bodenftedt überſetzt. Bewunderns⸗
dürdige Leichtigkeit! Aber mit welchem Eindrude fi das
m Ruſſiſchen lieft, davon giebt die Ueberſetzung feine Bor:
tellung, und fann fie nicht geben. Die Art und {Folge der
Bilder und Gebilde Puſchkin's verträgt nicht die leifefte Ver-
änderung, ohne daß Kraft und Anmuth dabei verloren
Singen. —
Bas macht wohl jept mein guter Neweroff, mit dem ich
zuerſt den Onegin las? — Wie viele Menfchen find mir ent:
rüdt, durch den Tod und durch das Leben! Wie fehnlich ge-
den ich Neumann's, Chamiſſo's, Koreff's! —
der mhagen von Enſe, Tagebücher. XI. 18
274
Ueber den Hochverrathsprozeß erde, Ladendorf, Fal-
fenthal, Levy ꝛc. hört man die fchneidendften Urtheile.
Das Ganze, heißt ed, fei von Hindeldey künſtlich gemadt,
ohne den von ihm geleiteten und bezahlten Verräther Henke
wäre gar nichte vorhanden. Dabei ift es merkwürdig,
wie die eigentlichen Häupter der Freiheitd: und Volksparthei
beinahe gar nicht berührt werden. Die höhere Organifatien
und Wirffamfeit der Demokratie fol ganz ungefährdet fort:
beftehen, von der Polizei unentdedt. Die armen Schelm,
die jet vor Gericht ſtehen, büßen dafür, daß fie ungeduldig
auf eigne Hand etwas anfangen wollten, was denn aud nur
auf Kinderei hinauslief, — in der fie das Opfer eines Halunten
wurden. — Merkwürdig ift ed, daß nad der Schmad un
Schande des Prozeſſes Waldeck man fo bald wieder einen ähn
lihen zu bringen wagt, nad einem Ohm jept einen Henkt
bringt! — |
- Mittwoch, ben 18. Oftober 1854.
Die Rationakzeitung Scharf gegen die Kreuzzeitungsparthei
und gegen die Zufammenfegung der Erſten Kammer. 9
verfluche das verrottete Zeug und bin heute recht zum Fluchen
aufgelegt! — Großes Feft zur Einweihung des Denkmals auf
dem Invalidenkirchhofe für die am 18. März 1848 gefallenen
Soldaten. Der König dort. Kanonendonner, Glodengeläutt.
Das Pegräbnißfeft der Barrikadenfämpfer wird in der Erinne⸗
rung lebhaft aufgefrifcht; das war doch ganz was andres, de
Stadt nahm Theil daran, die Geiftlichkeit, der Magiftrat, die Be⸗
hörden, und e8 war der Sieg, den man feierte, nicht die Rie-
derlage, die Freiheit, nicht die Knechtſchaft. — Der König
hat die Marmortafel mit der rothen Infchrift über der Bank⸗
thüre wieder wegnehmen, und an deren Statt eine eherne Tafel
mit derſelben Infchrift in die Mauer zwijchen zwei Fenſtern
275
einſetzen laſſen. Dieſer Wechfel, der fchon aeftern befannt
war, heute zu fehen ift, erregt viel Gelächter und Spott. —
Der König läpt für Schlefien einen Buß- und Bettag
augihreiben! —
Der König ift nad) Zeplingen zur Jagd gefahren. „Ges
yränge, Jagd, Hofwirthfchaft, Kirchenwefen, Theologie, — nur
niht Krieg.” Viele Offiziere follen mit der Feier fehr unzu⸗
frieden geivefen fein und laut ihre Unzufriedenheit geäußert
baden. —
Abends bei mir Thee; Ludmilla, Croͤpet, Galusky, Hatz⸗
feldt, Franck. Vom erſten Augenblick an äußerſt lebhaft und
exxgößlich. Viel Streit, meiſt über litterariſche Gegenſtände,
doch immer in guten Schranken und ein Ende mit Lachen.
Galusky war immer der fchärffte; Hatzfeldt der heredtefte,
Cepet der geſinnungsbeſte. Die Herren gingen erft nach
1 Uhr fort. — Im Plinius gelefen. —
' Barbes in Brüffel angelommen. — Die Zeitungen fagen
jeßt wieder, Hartmann fei beftimmt ald Gefangener in Wien
tingebracht worden. —
Donnerstag, den 19. Oltober 1854.
Die Nationalzeitung befpricht die Note des fächlifchen
| Niniftere, Freiherrn v. Beuft, durch welche diefer Ruffenfreund
die Borwürfe des englifchen Kabinets abzumweifen fucht; von
dem Dank, den Deutfhland den Rufen ſchulde, fpricht er
zwar weniger ale in Bamberg, aber das dumme Vieh hat die
Frechheit, in dem jebigen Zuftande die Einheit Deutſchlands
gewahrt, und das Bundeöprinzip befriedigend zu finden !
Wenigſtens empfängt er hier eine Feine Züchtigung. —
Ausgegangen mit Ludmilla. — In der Werkſtatt von Kiß,
gegenüber von Monbijou; die folofale Gruppe St. George
ınd des Drachen, des guten und böfen Prinzipd, ald Sinn,
18°
276
bild des Jahres 1848. Der Bildhauer fchein
fteller zum Narren gehabt zu haben, dad Pfert
Drachen nicht mehr zu retten, und der Ritter bo
Drachen, ohne ihn treffen zu können; dabei if
häplich, und das vermeintlich böfe Prinzip ift im
In Heine's -Qutezia gelefen. Der Autor wı
berathen, diefe Tagesartifel geſammelt herauszu
enthalten viel Geiftvolles, Wibiges, aber um defien
mußte man fie einzeln haben, ihre Folgereihe ftelli
Willkür und Zufälligfeit bloß, mit denen hier Lo
audgetheilt wird, und man erfennt zu fchnell, t
theilen nur die Bosheit des Augenblided zum G
fie verlieren dadurch allen Werth. Niemald w
Leſen Heine’fcher Sachen fo unbefriedigt, feine p
Ihärfe fticht gegen feine fonftige Schärfe um fo
Schade, ſchade! —
Furchtbare Rechnung, wenn man im Alter fi
was alles man gehabt hat, was man noch hat, u
noch haben fann! Die Zeitgenofjen find meift
Lebensgüter aufgebraucht, die Hoffnung befchrär
nehmende Verfall vor Augen! — Es wäre nicht «
wenn man blos im eigerfft Perfönlichen lebte, we
Zheilnahme am Allgemeinen, am Geiftigen, am F
den, an den Menſchen und der Menichheit,
Zröftungen und Erwedungen brächte, die über dar
weit hinausgehen. Und dennoch gefchieht es, dal
manchen Augenblicken mit fchredlichem Ueberg
Andere in die Luft fchnellte! —
Der Generals BolizeisDireftor von Hindeldey
Geſellſchaft gejagt, die des Hochverraths angeklagt
müßten verurtheilt werden, da® ginge gar n
Seine Majeftät der König „fei gar zu wüthig
gegen fie! —
277
Freitag, ben 20. Oktober 1854.
Gefhrieben. Ueber den Hochverrathsprozeß und Die
Mitihuld der Behörde. — Audgegangen mit Ludmilla; im
Thiergarten bei Bettina von Arnim, wir wollten erfahren,
ob fie abgereift fei; fie fam herunter und ging mit und zur
Stadt zurüd. Sie entfchuldigte, daß fie noch bier fei, mit
Giſela's abermaligem Erkranken, das arme Mädchen muß
immer herhalten, wenn die Mutter einen Borwand braucht!
Irworrene Erzählungen über Steinhäufer, der wieder der
größte Bewunderer ihres Denfmals fein foll, dem König
taffelbe dringend empfehlen will u. f. w., dann über Ratti,
deſen Angelegenheit immer räthfelhafter wird! Bettina fprach
J immerfort, Tieß und Andre gar nicht zu Worte fommen. —
Se zeigt und Verzierungen, mit der Feder gezeichnet, die in
Gold ihr Dämonenbuch für den Sultan ſchmücken follen; fie
wvill die Sache zur Ausführung bringen. — Unter den Linden
J begegneten wir der Gräfin von Oriola, mit der wir Bettina
} ließen. —
Als wir nad Haufe fommen, trafen wir Fanny Elpler
go wit ihrer Tochter, die eben wieder weggehen wollten. Sie
I dringt mir das längft erwartete Bildniß des Herrn George
J Stote, dad mir Mrd. Harriet Grote ſchickt. Fanny iſt lieblich
und anmuthig, einfach und harmlos, fieht noch recht gut aus.
% Der Faktor der Trowitzſch'ſchen Buchdruckerei war bei
5 wir und fragte wegen der Drudfertigkeit der Arnim'ſchen Ge:
J dichte. Der Drud foll beginnen, fobald das Papier da ift,
J velches aus Weimar geſchickt wird. —
Ludmilla hat diefen Sommer ihre Freundin Neander ver:
Ioren, und ift jett in Gefahr, auch ihre Freundin Gräfin von
| Ablefeldt zu verlieren! Wir befpradhen dies traurige Ver:
| Mingnig auf unftem Abendwege, den wir über die hellerleuch-
teten Sinden nahmen. Auf wen fell ſich die arme Ludmilla
fügen, wenn ich nicht mehr da bin? Wir überdachten alle
|
+
278
unsre Berhältniffe, an allen war nicht viel, nicht das red
und nöthige. Ludmilla fagte zu mir: „Du fiehft, du mu]
noch lange, lange bei mir bleiben! und wenn du mid den
doch endlich allein zurüdläffeft, fo habe ich auch nicht viel meh
in der Welt zu thun, ich beforge noch beftend deine Papier
und dann fomme ich dir nah.“ Das erfchütterte mich in
Innerften, und diefe Art das Leben anzufehen lag noch lanı
wie ein Alp auf meiner Seele! —
Sonnabend, ben 21. Oltober 1864.
Reste Hand an Arnim’d Gedichtfammlung gelegt. Gr:ı
Mühe mit Bettinend nachläffigen Abfchriften. — Guter Art
der Nationalzeitung über die Forderungen, welche Deutf
land in der jebigen Krife zu machen bat: Deffnung Pole:
Miedergewinn Schleswig-Holfteind, Aenderung der däniſck
Thronfolge, Hülfe den Kurheſſen! —
In Frankfurt am Main war ed am 14. Oktober Aber
ſehr unruhig. Singende Schaaren zogen umher, fie fange
das Hederlied, das fo fehwer verpönt ift, und dad ichn
immer nicht fenne. Mehrere Berhaftungen fanden Statt.
In’ Baiern ein neued Wahlgefeb für die zweite Kamm
natürlich ein rüdfchreitended. Albernheiten ded Herrn x
der Pfordten, der wortbrüchigen Reaktion! — —
In Heflen-Kaffel find die angellagten Hanauer vom he
ften Gerichtshof freigefprochen worden. Ob ihnen das vn
helfen wird? Der Halunke Haffenpflug macht fich viel a
Urtheil und Recht! Er wird fie ſchon zwiden! —
Der jüngere Manteuffel hier ift Minifter geworden, i
zu Liebe ift ein AderbausMinifterium errichtet worden. Sp⸗
famteit! Immer neue Behörden! Die Sachen wurden b
ber ohne Minifterium hinreichend verwaltet. —
279 /
Seit einiger Zeit unterhalten fich ſpät Abende unter mei»
nen Fenſtern mehrere Leute, die wahrfcheinlich aus einem be-
nachbarten Wirthehaufe fommen und vor dem Scheiden noch
allerlei Bemerkungen austauſchen. Da ihr Schwähen und
Laden mih am Schlafen hindert — zwifchen 12 und 1 Uhr
— fo ging ich wohl an's Fenſter, und hörte, was fie verhan-
delten. Zum Theil ihre eignen Gefhichten, die ich nicht ver-
fund, zum Theil aber auch öffentliche Angelegenheiten, mit
einer Schärfe und Verwegenheit, die wenigſtens bei Tage auf
unſten Straßen fich nicht zeigen dürften! Aber die Leute jind
nicht fo dumm, in der einfamen laternenhellen Nacht kann kein
Konftabler ſich nähern oder verfteden, und was man im Haufe
vielleicht hörte, ift für fie ungefährlihd. Heute fchienen fie
mich bemerkt zu haben, fprachen leifer und gingen dann bald.
leber den Prozeß Gerede, Ladendorf ꝛc. fprachen fie mit bittrem
Hohn, mit Schimpfreden auf die Polizei, die Minifter, die Ge-
tichte. —
In Kopenhagen ift das Volksthing aufgelöft worden. Die
Dünen erfahren, was es heißt, ihre Sache auf die Kabinette
geftügt, ihre Freiheit und Volksthümlichkeit mit ruffifchen
Einfüffen befleckt zu haben. —
Londoner Blätter ſprechen vom hiefigen Hochverrathsprozeß
mit großer Berachtung, und rügen die Schändlichkeit, daß man
agents provocateurs gebraudye, wie früher den Schuft Ohm
und jeht den Schuft Henke. Auch der geweſene Kriegsminifter
von Bonin befommt fein Theil, weil er dem Hentze gefagt,
feine Rolle fei nicht gegen die Offizierdehre. Dann aber wird
geſagt, der größte agent provocateur, der Hunderttaufende
verführt und ftraffällig gemacht, fei wie jene genannten auch
one alle Strafe geblieben, außer der Berachtung, die ihn wie
jene treffe! —
280
Sonntag, ben 22. Oktober 1854.
Gefchrieben. In meinen Papieren gearbeitet; es gieht
unaufbhörlih was zu thun! Manches für den Tag Wichtige
oder Unerläßliche, was nachher in Unbedeutenheit hinfchwinde,
anderes im Augenblid Unerhebliche, was aber in der Folge
[häßenswerth wird. Goethe jagt, das geringfte Geſchäft ſei
beiler als Müffiggang, was aber leßterer eigentlich fei, hab
ich Gottlob noch nie erfahren, denn der jcheinbare if ja
feiner! —
Audgegangen mit Ludmilla. — Unter den Linden Her *
Direktor Wilhelm von Schadow geſprochen, dem es mit den
Augen vortrefflich und auch ſonſt gut geht. Er wird ſein
großes Gemählde hier ausſtellen, das der König ſehen will.
Er klagt über Olfers, der allerdings einen Nebenbuhler in ihm
wittern mag.
Im Thiergarten ſchickte ich zu Bettinen hinauf, fie war
aber nicht zu Haufe, oder nicht zu fprechen. Unſer Spazier
gang dauerte zwei Stunden, und war ganz vortrefflih. Der
Herbit prangte in feinen fehönften Karben, wir betrachteten
Großes und Kleines, fammelten bunte Blätter, beſprachen die
bunte Mannigfaltigfeit und Fülle. Die Luft war frifch und
ftärfend, der Athem leicht. — Wir begegneten dem Herrn
General Palm, der und etwas beffere Nachrichten von der
Gräfin von Ahlefeldt gab. —
Im Ovidius gelefen, die Schilderungen von Tomi, — ob
der Ort in Befjarabien oder in der Dobruticha gelegen, iſt
zweifelhaft, doch mir letzteres wahrſcheinlich. —
Der Hochverrathsprozeß nimmt durch die Ausſage der Ro-
jtoder Betheiligten eine fchlechte Wendung. Freifprehung ift
nicht zu erwarten. Thorheit, Dünfel, Unfinn werden wie
Verbrechen beftraft; im Grunde könnte die Demofratie felber
darauf antragen, es find ihre unartigen, vorlauten Leute, die
ihr nur fchaden und fie bloßftellen. —
281
Preußifche Note vom 13. Oftober als Antwort auf die
fterreichifche vom 30. September. Das elendeite Gewäſch, das
immerlichfte diplomatifche Machwerf, das feineögleichen nicht
ndet! Kein Wunder, wenn Preußens Anfehn und Einfluß
ı den Koth hinunterfinft! Die ſchönſten Worte der Welt
nd ihre geichictefte Anordnung wären freilich nicht ver:
sögend, diefe Haltungslofigfeit und Verwirrung ald Feftig-
tt und Beritand erfcheinen zu laffen! —
Bei dem Hochverrathsprozeß will man doch fehr die Ent-
altfamkfeit ſowohl Hindeldey’s ale des Oberſtaatsanwalts
ühmen, die viele Nebenzweige der Unterfuhung haben fallen
fen, 3. B. die Aeußerungen von Jacoby und Rodbertug,
te Geldfpenden , welche gegeben worden, die Theilnehmer an
en Bezirfövereinen in Berlin, an den demofratifchen Kon:
reſſen ꝛc. Hinckeldey ſchickt den Zeitungen die ftenographifchen
Yerichte nun doch zu, aber fie fcheinen nicht entftellt; die
‚ationalzeitung läßt fie überarbeiten.
Der Kirchenftreit in Baden fchien durch die Nachgiebigfeit
er Regierung fo gut wie ausgeglichen; er ift ed nicht! Der
xjbifchof beharrt in feinem Trotz! —
Montag, den 23. Oftober 1854.
Gleich nad, 10 Uhr fam Bettina von Arnim; fie brachte
rir einen Brief, den ich lefen und behalten follte, er war von
'“, der fie unter großen Schmeichelreden um ihre Schriften
at, nachdem er die ihred Mannes fchon von ihr bekommen.
Sie ſchimpfte auf den unverfchämten Kerl, das Schwein, den
ump, und wie fie ihn ſonſt nannte, wollte nicht, daß ich feine
;chmeicheleien leſen follte, und da ich's unterließ, wollte fie
doch wieder! Dann mißhandelte fie mit ſchimpflichen Bei:
srtern *, der geftern Abend habe kommen follen, aber nicht
tommen fei, fondern heute ein Schreiben von ihm, daß er
282
Durch einen Freund abgehalten worden, den er ihr heute vr
ftellen wolle, ſie meinte, der knirpſige Kerl habe gar fein Ad
ihr jemanden zu bringen, und ftatt ihn heute zu erwarten, fi
fie zu mir gefommen ; der Freund aber ift Hagfeldt, von de
ein Billet beigelegen,, nebft einem Buche, das er über Plato
gejchrieben und ihr, der Platoniſchen Frau, darbringe, ©
wußte den Namen nicht, ale ich ihr dad Buch zeigte, war j
ärgerlich, daß auch ich diefe Bekanntfchaft habe, eben fo m
es ihr unangenehm, daß ich F. geftern gefprochen zu haben b
fannte; fie fehimpfte nur um jo mehr. Dann fagte fie, ih
Abreife habe Steinhäufer noch verzögert, der den Stönig ſpreche
werde, falld es Olfers leide, der offenbar fürchte, Steinhäuf
fönne dem Könige ihr Denkmal anrühmen; dies nämlidi
ihre Hoffnung, obfchon fie ed läugnet! Steinhäufer, der no
vor wenig Tagen nur ein Techniker, ein Behaner deö Ma
morg, fein follte, ift plößlich wieder ein begeifterter Künfle
feine Madonna ein Meifterwer! Dann ließ fie mir ii
Grafen von Flemming hoch Flingen, der wolle fie auf der Rei
begleiten, und wegen feiner habe fie ihre Reife bis Mittwe
aufgefehoben. Nun aber kommt das Schönfte! Sie ſag
indem fie ſich in dem Lehnſtuhl weit zurückwarf: „Ach, ich !
alt und ftumpf, ich kann nicht mehr, was ich fonft konnte
fegte dann aber mit Nachdrud hinzu: ‚Doch nod) immer
reit, Ihnen die Spige zu bieten!“ ch nahm das ala Sch
merkte aber bald, dag eö eine Bedeutung habe, das alte Di
trauen regte ſich, fie hatte was über mich gehört, oder fich ı
ergrübelt! ch fagte ihr: „Heraus mit der Sprade! ı
ift’3 für ein Klatſch?“ Erſt nach vielen Zwifchenreden fam
darauf zurüd, und fagte: „Nicht, wie Sie vorher fag
Klatfh, fondern Infpiration!* Sch zudte die Achfeln.
fie dann ging, fagte fie doch wieder, wenn fie allen Dant,
fie mir ſchulde, ausfprechen follte, müßte fie da fich zur €
büden, und immerfort Allah, Allah! rufen. Sie nahm d
En E Fe
. ———
283
Abſchied, weil ſie am Mittwoch reiſe. Sie hinterließ mir die
übelſten Eindrücke von Verkehrtheit, Wahn, Unſicherheit.
Das ſoll das Schimpfen auf F., auf *, die ihr doch wieder zu
andrer Zeit ganz recht find, und denen fie fchmeichelt, wie jene
ide? was foll das Berwerfen der Leute, die ihr, wenn fie nicht
ihr allein gehören, gleih an Werth verlieren? und der un⸗
ſelige Argwohn, daß Andre fo verftedt und abſichtsvoll feien,
wie fie es iſt? Erfreuliche Nachricht über Mori Hartmann,
eritin Konftantinopel, nicht verhaftet, nur krank! Die Bruft
wurde mir ordentlich erleichtert! —
Nachmittags kam der Faktor der Trowitzſch'ſchen Druderei ;
in Folge von Bettinend Weifung übergab ich ihm das Manu-
ſttipt. —
Abends Beſuch von Herrn Erepet. Herr * hat heute
Herrn Hapfeldt zu Bettinen gebracht, und fie ihn vortrefflich
aufgenommen, ihm ihre Bücher gefchenft, ihre Zeichnungen
vorgelegt ; fie fagte ihm, fie empfange ihn, weil ich ihr ge:
fagt, er fei ein talentvoller und fchöner Mann! Sie muß von
mir eiligft nach Haufe gegangen fein, um den Beſuch, den fie
: anfangs verfäumen wollte, nicht zu verfäumen. —
Der öfterreichifche Lloyd ift in Sachen verboten worden,
duch den Minifter Freiherrn von Beuſt. So recht! zanft
euh! —
Der baierifche Minifter von der Pfordten ift hier ange:
fommen, und wird nah Wien gehen, um zu vermitteln!
| Baiern macht fih wichtig und Preußen macht fih un-
wichtig! —
Dienstag, den 24. Oltober 1854.
Ausgegangen mit Ludmilla. Auf der Kunftausftellung ;
| Herrn Generalauditeur Friccius geſprochen, Bekanntſchaft mit
| dem jungen Mahler Bleibtreu, der die Schladht von Groß⸗
284
Beeren und die Erftürmung von Leipzig gemablt hat. Dat
Gemählde von Menzel wieder mit Luft betrachtet, einige Bild:
niffe und Landſchaften, Mofes, der Waller aus dem Felſen
\hlägt. Einen widrigen Eindrud macht das Bild des König
im Krönungsmantel, von Krüger gemahlt. ALS wir [hen
weggehen wollten, ergriff mich jemand heftig am Arın und ri
mich zurüd, ed war Bettina von Arnim, die mich vor ein Gr
mählde führte, aber fogleich Die häßlichſte Quängelei mit mir
begann. Sie fagte, fie habe von *, wo fie eben gewefen, hören
müffen, daß die ganze Stadt davon fpreche, Barnhagen get
Arnim’d Gedichte heraus, laſſe fie nun aber fchnöde fallen,
wolle fi um die Drudbogen nicht fümmern, man finde de :
abfcheulich, könne es aber nicht glauben! Ich ging aufden
Scherz ein, bemerfte daß * heute in Potsdam fei, da id nidt
gewußt, daß diefe fo gute Bekanntſchaft mit dem Falter vr
Druderei habe, dem ich geftern allerdings gejagt, ich würde
nur die zwei eriten Drudbogen durchfehen,, nicht aber die fol:
genden, weil cd mir die Augen anftrenge, weßhalb ich ud
mein eigned Buch im vorigen Sommer dem Korrektor über
laffen habe. Sie erwiederte, da ich aber Fremdes übernommen
habe, fo hätte mich der Eifer, die Begeifterung für die Sache
hinreißen follen, mehr dafür zu thun, als für das Eigne. Ali
ich verfeßte, folche Wirkung habe ich nicht empfunden, das
Feuer müffe nicht ftarf genug gewefen fein, war fie fehr ge:
reizt und meinte, fie hätte mir mehr Rührung zugetraut. Dar
auf fchimpfte fie auf den Franzoſen, den ich ihr angerühmt,
auf fein dummes Buch, das fie mir fchenten wolle, damit ic
es zweimal habe, ich folle fie nicht mehr heimfuchen mit ſolchen
Leuten, denen ich Verehrung widmete, fie denke noh an Mrs.
Try, die ich ihr auch gerühmt. ch hätte ihr gut antworten
fönnen, antwortete aber nur mit Scherz. Das verdroß für
auf’® neue. Sie fagte, da ich fo Iuftig bei der Sache fei, febı
fie wohl, daß ich fie aus dem Haufe feße, fie werde mich nic!
285 .
mehr inkommodiren. ch nahm ed noch immer leicht, und
fagte, wir müßten gehen und bot ihr die Hand zum Abfchied,
fie zog ihre zurück, gab fie aber Ludmilla'n, wandte fich vor
ein Bild hin und und den Rüden. Da ließ ich fie ftehen, und
wir gingen fort. Was diefe ganze Handwurfterei hinter ſich
hat, weiß ich nicht und kann es nicht errathen, auch nicht die
Spige ded Borwurfd kann ich erfennen; daß ich die Korrektur
der Drudbogen nicht beforgen mag, ift doch etivad zu Gering-
fügiges, um Davon Lärm zu machen, die Erdichtung mit *,
die harten Ausdrüde aller Art zu begründen, von aus dem
Haufe werfen, von nicht mehr infommodiren zc. und die Falſch⸗
keit in Betreff ded Herrn Hapfeldt, den ich ihr nicht gebracht,
den fie aber mit fchmeichelnder Artigfeit aufgenommen, be:
ſchenkt und für fich zu gewinnen gefucht hat. Genug, ich habe
den Schlüffel zu dem Benehmen nicht, finde ed aber ganz
abgeſchmackt, unpaſſend und widerwärtig. Sie muß nicht
glauben, daß ich ihrer bedarf; ich kenne fie nur — feit mehr
als dreigig Fahren — um ihr nüglich und gefällig zu fein, ich
babe nie etwas von ihr, fie ſtets vieled von mir begehrt.
Längſt erwartete ich, wie ſchon öfters gefchehen, ſolche Wen-
dung, doch da fie nun eintritt, ift fie mir in ihrer Art gleich:
wohl eine verdrieliche Ueberraſchung. — Und dad nach den
jeftrigen Dankverfiherungen, und nad) dem Abſchluß einer
virflich großen Arbeit, die ich für fie gemacht, und während
ine fait nicht geringere noch in Ausficht fteht! —
Befuh von Herrn Habfeldt Abende. Cr reift morgen,
nd trifft Galusky'n in Magdeburg. Er iſt von Poitiers
ach Grenoble mit bedeutendem Bortheil verfebt worden. Mit
Sharfiinn hat er Bettina’n durchſchaut, und ſetzt beftimmt
oraus, daß fie nach der geftrigen Freundlichkeit übel von ihm
richt. — Er nimmt meine Biographiſchen Denkmale mit
nd will einiges überfegen. SHerzlicher Abſchied.
Am 22. ftarb in Iſchl, an den Folgen einer Handvers
‘ 286
legung, der Fürft Karl Egon von Fürftenberg, 58 Jahr alt,
Er war nicht ohne Geift und Schwung, in früherer Zeit
liebenswürdig. Doc artete er zulegt in einen ordnungsloſen
eitlen Phantaſten aus.
Mittwoch, ben 25. Oktober 1854. 4
Die ftenographifchen Berichte über den Hochverratbe :
progeß, welde Hinkeldey anfertigen läßt und den Zeitungen 3
zufendet, werden von diefen zwar ald Material angenommen, |
aber nur überarbeitet in den Drud gegeben; die bejonder |
Färbung, die man befürchtete, war biöher nicht [ehr wahrnehm: 1
bar, plöglich aber fehlt darin der Inhalt der Bertbeidigung. |
reden, und wird furz angegeben, welcher Anwalt und für war ı
er geiprochen. Hier alfo zeigt fich die bisher verſteckte Schlange: |
Die Volkszeitung rügt heute diefe Thatfache mit freiem Muthe.
— Der Prozeß wirft mächtig auf das Volk, und dient im ;
zur großen Lehre. Der Unterfchied, den die Staatsanmal |
{haft zwiſchen tother und blauer Demokratie macht — die °
legtre foll die edle fein — , wirkt dahin ein, daß auch nun de
rothe Flüglich nur als blaue gelten will. Daneben will man
bemerken, daß die fogenannten Gothaer fich ftärken, und nem
Anhänger gewinnen. Immerhin! Was die leute für Zeichen
aufſtecken, ift gleichgültig, ed fommt nur darauf an, welche?
fie fünftig tragen werden. —
In meiner Abwefenheit war Bettina von Arnim hier, da
fie mich nicht fand, verbot fie Karolinen ftreng, etivad davon
zu fagen, daß fie dageweſen fei! Daß fie mich verföhnen
will, ift fehr natürlich , vielleicht hält fie für das befte Mittel
dazu, mich wader auszufhelten! Man darf mit ihr nicht
rechten, nur fie bedauern! —
Das heute Vormittag befannt gewordene Urtheil des
. Staatögerichtähofes, welches Gerde, Ladendorf und Falken⸗
287
bal zu fünf, Collmann, Neo, Levy und Geisler zu vier, Pape
md Weidle zu drei Fahren Zuchthaus verurtheilt und nur den
schlofermeifter Härter freifpricht, hat unter der hieſigen Volks⸗
aenge einen furchtbaren Eindrud gemacht, nicht der Nieder:
eihlagenheit, fondern der Empörung, des Unwillend und des
zorns. Zwar war dad Gericht noch milde, der Staatdan-
valt hatte bis auf 15 Fahre Zuchthaus angetragen; aber die
Ugemeine Ueberzeugung tft, daß die fämmtlichen Angeflagten
außten freigefprochen werden; auch gewiegte Rechtögelehrte
nd diefer Meinung und erflären das Ganze für eine Gräuel-
hat der Polizei und des Gerichted zufämmen. Der Staate-
erihtöhof, heißt es, fei mit Bedacht aus den willfährigiten,
hmiegfamften Richtern zufammengefeht, er würde nie gewagt
aben alle freizufprechen, er würde es für feine Pflicht ange-
eben haben, zu verurtheilen, die Polizei nicht ſtecken zu laffen.
degen Hindeldey wird furchtbar gefchrieen, er habe diefe armen
deute zur Stufe feiner Beförderung gebraucht, und da die
Ieötere noch nicht nach Wunfch groß genug erfolgt fei, fo werde
er neue Opfer fuchen, um fie zu einer neuen Stufe zu ge
rauhen! Henke wird ein ehrlofer Schuft genannt, ein Judas
Hharioth, ein Ohm, ein Goedfche. Solche Reden fielen auf
Wentlicher Straße vor, in der Lindenſtraße, Charlotten-
traße ꝛc. — Keine Gefchworenen, fagt man, hätten hier das
Shuldig ausgeſprochen, man jehe, der Staatögerichtöhof erfülle
ie Abfichten, die man bei feiner Gründung gehabt, allein das
ertrauen in die preußifche Rechtspflege erleide im Volke den
irteften Stoß! —
Der fächfifche Minifter von Beuft bier. Ekelhaftes
reiben! —
288
Donnerstag, ben 26. Oftober 1854.
Endlich gewiſſe Nachricht, daß am 18. d. M. das Feun
gegen Sebaftopol eröffnet worden! Die Ruſſen geftehen
500 Mann Berluft, unter denen der Generaladjutant Fer:
niloff. —
Ausgegangen mit Ludmilla. Trotz des Sturmwindes in
den Thiergarten gegangen, wo der Wind in den Wipfeln here:
lich raufchte, und immerfort Blätter und Zweige niedenwarf
Wir fahen am Karpfenteiche eine italiänifche Pappel liegen, Di
zwanzig Fuß über dem Boden abgebrochen und niedergeftür
war. Eine Eiche war umgeftürzt, und hatte einen Menſchen
blutig geſchlagen. Windſtöße wechjelten mit Sonnenbliden
ed war fhön und friſch. —
Zu Haufe Herrn von Biedert und Frau Bettina vor
Arnim verfäumt; letztere hatte wieder ſtreng verboten
etwad davon zu jagen, daß fie dagewefen fei, dann abe
doch gewollt, man folle mir fagen, fie habe Abfchied nehme
wollen. — Nach dem Eſſen fam fie wieder, trat bei mir ei
rief aber gleich nach Dore, fie folle dableiben und Zeuge fei
was vorginge, denn mir fei nicht zu trauen, nachdem id |
ichon aus dem Haufe geworfen (! 721), könne ich ihr auch for
was thun. Nachdem wir und fie mit und hierüber gelai
trat fie an mich heran, und fragte mit fpigem Ernſt: „€
find alfo wirklich entfchloffen, an der Sache nicht ferner Tt
zu nehmen, und zurüdzutreten?* Keineswegs! Ich we
immer ein Auge darauf haben, allein die Korrektur der Drı
bogen regelmäßig zu beforgen, bin ih nicht im Stande.
„Nun gut, fo muß ich veranftalten, dag die Bogen an He
von Schöll nah Weimar oder an mich nah Bonn geſch
werden!” — Aber warum die Umftände? Wenn die Sc
im Gang ift, fann jeder Student, oder auch der Faktor
Korrektur beforgen. — „O nein, das muß ic) felbft thur
Ich bewies ihr, daß ihr das Auge für diefes Gefchäft fe
289
t ihr fcherzend vor, was fie ſchon im Abfchreiben für
jemacht. Dazu lachte fie denn fröblih, und lieg es
t. Nah einigem andern Gefpräch gab fie mir. die
rd nahm freundlich Abſchied. Ich rief ihr gute Reife:
und Grüße für Fräulein Gifela nad. —
deldey warnt die Neue Preußiſche Zeitung, nicht wie:
e Ausfälle, wie neulich ein paarmal, gegen das fran-
Staatöoberhaupt zu machen, fonjt würde man die
‚unterdrüden. Allgemeine Warnungen, die Regierun-
bar zu behandeln, bat die franzöfifche ergehen laffen,
reichiſche. Was will das jagen! Ohrfeigen können's
r nicht zu laute! —
Freitag, ben 27. Oltober 1854.
neues Regulativ des Minifterd von Raumer für Die
ulen beitimmt, daß die Lehrer weniger zu willen
i, daß alfo das Volk auch weniger lernen joll. Man
; Auswendiglernen begünftigen, das Selbftdenfen be-
1, nad unten eine Art Verdummung einführen.
heutige Publizift wurde von der Polizei weggenom:
St enthielt eine Unterfuchung über den Begriff Hoch—
Augsburger Allgemeine Zeitung ift wegen eine? preu-
lichen Artifeld vom Stadtgericht verurtheilt, und ein
tal aus gleichem Grunde von der Polizei weggenoms
rden; wird fie wieder verurtheilt, fo hat der Minifter
ht, fie im ganzen Staate zu verbieten. Geſchäh' ihr
echt! wenn auch aus andern Gründen! Sie war eine
. Ra im Cache ARAQ Na Malbätrıca nawurach
290
überlaffen, Konzeffionen zu gewähren oder zu entziehen; da
biöher zufäffige Rechtsweg ift verfchloffen worden. —
Sonnabend, ven 28. Oktober 1854.
Unter den Meinen Bürgern und Handwerkern zeigt fd
rege Theilnahme für Die neulich Verurtheilten, es wer
Sammlungen für deren Angehörige gemacht 2. Eine den
einem Litteraten aufgefepte Bittſchrift am den König wein
Vegnadigung foll feine Unterichriften befommen haben; in
Handwerker ftieß fie zurüd mit der fräftigen Ausrufung: „Eon
daher ift nichts zu erwarten!“ Schlimm, wenn das Ballon
die Gnade des Königs nicht glaubt! —
Den Befuh von Herrn Direltor Wilhelm von Scham
und von Bettina von Arnim verfäumt. — Gegen Abend lım
Bettina wieder. Sie lad mir einen Brief aus Braunfhmig
vor, der Nachrichten über die Familie Achmet giebt. Am
Ende des fiehzehnten Jahrhunderts hat Herzog Anton Und
von Braunſchweig im Kriege auf Morea drei Türken gefangen
genommen, und mit nad) Braunſchweig gebracht. re fofbare
Kleidung und ihre reichverzierten, miteiner Krone gefcpmüdten
Waffen wurden in Braunfchtweig aufbewahtt, bis 1806
der Kaiſer Napoleon diefelben mit andern Koftbarfeiten nach
Paris bringen ließ. — „Das ift mir doch bedeutend, dap den
Nappleon auf diefe Sachen fo großen Werth legte! Pie
Familie Achmet, jegt in tieffter Noth, ift gewiß vom edelnern
und reinften Stamm, dafür zeugt ihr Wappen auch, ein velle!
Halbmond mit einem Turban drüber und Mantel, Em
alte Frau in Braunfchiveig weiß noch viel zu erzählen, dad
altes ift forgfam von ihr zu erfragen, und dann aufzuſchreiben
Müßt ich nicht nad) Weimar, und wäre nicht die Gifel, i#
fieß alles und reifte nad Braunſchweig! Ich will an der
Eircourt ſchreiben, der foll ſich erfundigen, was in Paris ax
291
den Sachen geworden ift; die Gefchichte kann auf dieſe Art bie
an den Kaifer fommen!* Dann foll der türfifche Kaifer be-
wogen werden, etwas für die Familie Achmet zu thun. Bet:
tina hätte auch Luſt, gleich felber nad) Parid zu reifen, und
die nöthigen Schritte einzuleiten. Sie fühlt fich nur gehin-
dert, durch Gifela, Durch alles was fie umgiebt, fie möchte
ganz allein leben, um jeden Augenblid alles thun zu fönnen,
was ihr einfällt. — Dann nimmt fie ernftlih Abfchied. Der
Faltor Klein hat fie beruhigt wegen der Korrefturen, „dazu
haben wir Rente genug”, hat er gefagt. „Da Sie nun dieſer
Sache ledig find, lieber Varnhagen, und dod was zu thun
haben müſſen, jo will ich Ihnen gleich neue Aufträge geben!
Suchen Sie mir die gefchichtlichen Angaben über den Krieg in
Morea zuſammen.“ Unter vielem Lachen und der Berfiches
tung, daß fie noch viel für mich zu thun hat, dag ich ihre
Kundichaft behalten foll, gebt fie fort. —
In Goethe gelefen, in der Ilias. —
Nichte Erhebliched aus der Krim! —
Das Preuß. Wochenbl. ift heute von der Polizei befchlagen
worden. Daffelbe führt nachdrüdlich Krieg gegen dad Minifte-
rium Manteuffel, daher ruht der gegen die Kreuzzeitung etwas.
Sonntag, den 29. Oltober 1854.
In der Ilias gelefen, in Wachsmuth ꝛc. —
Die Bolfezeitung ift heute weggenommen worden, weil fie die
Unierrichtöverordnungen des Minifters von Raumer prüft und
tadelt. hr Ton ift befcheiden, ohne alle Bitterfeit. Hilft
nichts! —
Im Ganzen ift es doch der Polizei gelungen, in Betreff
des Hochverrathsprozeſſes die Prepfreiheit nad Gutdünfen zu
unterdrüden oder zu leiten. Bon den Berhören fam nur in
den Drud, was der Polizei beliebte, die fchlimmen Sachen
19 *
292
blieben unerwähnt. Bon den Vertheidigungsreden famen
magere Angaben in die Zeitungen. Die ftenographifcen
richte, welche Hindeldey anfertigen und den Zeitungen zu
len ließ, follten zwar überarbeitet werden, aber in der:
war das nicht gleich auszuführen, oder es trat auch Läſſi—
ein. Genug, die Polizei behielt alles in der Hand! Der
zeß macht gleichwohl einen tiefen Eindrud im Volke.
Unfittlichfeit des Verfahrens, der Schuß, den ein verrät
ſcher Schuft wie Henge erfährt, die Willfährigfeit des (ai
geſuchten) Staatögerichtöhofes, alles hilft die Achtung und!
Vertrauen zeritören, welche die Behörden ohnehin chen
wenig haben! —
Montag, den 30. Oktober 1854.
Der Mapftab, der heutigen Tages an die Bedürfnifle ı
Ausgaben des Staates gelegt wird, muß fünftigen Zeiten !
glaublih vorfommen. Für eine mögliche Kriegsrüſtung,
gen einen noch unbeftimmten Feind, werden mit Leichtig
30 Millionen Thaler bewilligt, und wenn fie zu einer nuplo
Mobilmachung verwendet werden, kräht fein Hahn dar
Aber für das Unglück in Schlefien hat der Staat fein G
da greifen Hof, Minifter und Polizei zu allen möglichen Be
leien, machen Grofchenfammeln ꝛc. Hofleben, Gepräi
Luxus, dummer Aufwand für Jahdebuſen und Scewe
diplomatische Schwelgerei, alleö gebt feinen Gang; inzwil
dreht im Thiergarten der einarmige oder ftelzfüßige In
von 1813 feinen Leierkaſten ꝛc. Das kann nicht fo daı
das muß feine Früchte tragen; die Wendung zum Beſſere
nicht zu hoffen, aber die zum Schlimmern wird nicht auöbfei
Man jagt und, wir follen die Hände nicht in den Sc
legen, wir follen die Zukunft nicht erwarten, fondern
zeiten, wir follen an den öffentlichen Zuftänden Theil
293
nen u.f.w. Meint man Damit, wir follen auch da Hand
anlegen, wo Verkehrtes betrieben wird, wir follen unfere
Anfihten und Gefinnungen den Umftänden unterordnen, fo
it diefe Zumuthung ſchon durch fich felbit gerichtet. Meint
man aber, wir follen gegen Wind und Wetter allerlei ver-
juhen und anregen, was unferer Gejinnung entſpricht, To
beißt das, uns die unglücklichen Gerde, Ladendorf, Falfen-
tal ıc. zum Muſter aufitellen. Eines fo thöricht wie das
Andre! Die wahre Thätigfeit iſt, Geift und Gefinnung frifch
und wach zu erhalten, unfre Handlungen und Urtheile jenen
möglihft gemäß einzurichten, und der Gewalt nachgebend ihr
nicht huldigen, — daraus wird alles Andre von felbit erfol-
gen. — Manche der Schreier behaupten auch, nur die Deut:
ihen ertrügen alles; aber was alles haben Engländer, Fran—
zoſen, Jtaliäner ertragen, was Römer und Griechen! —
Der König von Dänemarf ift in Altona; der König von
Preußen hat ihm ein eigenhändiges Schreiben durch den Ge—
neral Reopold von Gerlach geihidt, um ihn zu befomplimen-
ren! „In diefen Kreifen weiß man nichtö von Scham.
dor wenig Jahren noch ſchickte Friedrich Wilhelm der Vierte
line Garden, half die Schleswig-Holfteiner bewaffnen, litt in
Sütland und an den eignen Seefüften die größte Schmach,
leg dann Schleswig Holjtein im Stih, gab Land und Leute
den Deiterreichern preid; und jetzt!“ —
| Dienstag, den 31. Oltober 1854.
Beluche. Herr und rau von Walter aus Wien, die aber
von London fommen ! Sie erzählen von ihrem Schiwiegerfohn
Herrn von Pulszky, von Koffutb, Herzen ꝛc. Frau von Walter
ganz diefelbe wie vor zwanzig Jahren in Wien, und darauf in
Kiſſingen. —
Wie altfräͤnkiſch-abgeſchmackt find die Vorſchriften zur
294
Bildung der Erften Kammer! Alter Grundbefiß, befeftigke
Grundbeſitz, Grafen-Berbände 2c. Keine großen Füge, lauter
verjchnippelter bunter Kleinfram. Es ift zum wahren Clel,
wie die ganze Wirthfchaft! —
Seit ein paar Tagen ift hier am Hof die Stimmung weni
ger rufiisch und etwas kleinlaut. Nachrichten drohenden Em
fted aus Paris und Wien haben den König, fo heißt es, ein
gefchüchtert, beſonders ſoll eine harte Aeußerung Louis Bone:
parte's, den man der ftärfiten Streiche fähig weiß, tiefen Ein
drud gemacht haben. Preußen erläßt eine neue dringende
Note an Rußland, obgleich dieſes ihm ſchon die früheren übel
nimmt. Sollte der Krieg in der Krim eine für die Rufen
günftige Wendung nehmen, fo würde man es hier tief bereuen,
grade jept den Kaifer Nikolai durch Andringlichfeit erzürnt zu
haben. Der Kaifer foll feinem Schwager mehr grollen, al
dem Kaifer von Deiterreih. —
Ein englifches Blatt höhnt unfere Polizei und Gerichte,
ein paar arme Teufel hätten ji fangen laffen, ein yaat
Dupend Gewehre feien weggenommen worden, ob man wohl
glaube, damit die Kraft der Demokratie gebrochen zu haben!
Die wahren, die großen Vereine feien gar nicht berührt, be
ftünden unter fihern Firmen ungeftört fort ꝛc. An eigene
lichen Vereinen muß ich doch zweifeln; aber wenn von Geſin⸗
nungen die Nede ift, da darf man gewiß das Stiche
glauben! —
Mittwoch, ven 1. November 1854.
Ruſſiſche Nachrichten aus der Krim lauten nachtbeilig T
die Weftmächte; diefe theilen nichts Neues mit, es fcheint '
Truppen finden fehr große Schwierigkeiten und tapfern WiD
ftand. Auch ſprechen die St. Peteröburger Blätter wiei
in hohem Ton und befonders gegen England. Der Kad
295
Ritolai fcheint noch immer Hoffnungen auf den — Louis
Bonaparte zu feßen, daß der plötzlich umſchlagen, und England
im Stich laffen könne. Unficherheit muß jederman fühlen,
der ih mit dem — einläßt! —
Rußland zettelt überall feine Ränke an, hebt die Bereinig-
ten Staaten von Nordamerika gegen England und Frankreich.
Ueberall niedriged gemeined Weſen! Wohin der Blick fällt,
immer nur trifft er auf Unfittlichfeit und Verderbnig! —
Der Premierlieutenant außer Dienften Hentze hat fich von
Brangel ein Zeugniß audftellen laffen, daß er feine Ehre
nicht verwirkt habe. Nicht gut für Henke, fchlimm aber für
Brangel! — |
Die Magdeburger freie Gemeinde hat, nad erlittenen
zahlloſen Polizeifchifanen, endlich unter dad Vereinsrecht —
fat unter das einer Religionsgeſellſchaft — ſich geftellt, und
dad Berzeichniß ihrer Mitglieder — noch immer einige taus
ſend — der Polizei eingereicht. Allein damit hat fie feine
Ruhe erlangt, die Schifanen gehen fort! Die Polizei fordert
ht die genaue Angabe jeder Fleinften Beränderung, der Wohs
kungen der Mitglieder, ihrer An- oder Abweſenheit, Dinge
welhe der Vorſtand felber nicht weiß noch wiffen fann. Nun
geht alfo der Betteltang der Beſchwerde, des Hins und Her⸗
Ihreibend, der Pladereien aller Art wieder recht los! Man
Andet nicht Worte, um die Nichtöwürdigkeit eines ſolchen
Schikanirens zu bezeichnen; man nennt die Regierung, die
ſolcher Hülfsmittel bedarf, oder fie liebt, eine verabſcheuungs⸗
wirdige, fchändliche, eine, die fich ihrer Schwäche und Feigs
kit bewußt ift. Bei den Oberbehörden findet ſich feine Ab-
hilfe; dies elende Verfahren fei, heißt ed, von obenher vorge-
ſchtieben! —
Ad der Herzog von Gotha das leptemal hier war, wurde
es ihm unmöglich gemacht, den König einen Augenblic allein
zu ſehen. Die Umgebung litt ed nicht, und der König felber
296
fchien die Gelegenheit dazu nicht geben zu wollen. Der Ser
zog mußte gewiffe vertrauliche Eröffnungen feitend des Kaifers
von Oeſterreich und der Königin von England, die er machen
follte, für jich behalten. -- „I ne m’a pas été possible de
percer cette bone qui entoure Ic roi.* — (Der Herzog ven
Gotha fam von Wien, und meldete ſich beim Könige, der ihn
zur Tafel laden ließ. Bor derTafel war der König nicht allen,
er fagte zum Herzuge, nach dem Eſſen würden fie ungeitirl
Iprechen können. Als aber die Tafel aufgehoben war, un
der Herzog erwartete, der König werde ihn jept in fein Rab
net mitnehmen, trat die Königin heran, nahm den Königam
Arm und fagte: „Fritz, der Herzog will jich dir empfehlen!‘
Der König entließ ihn freundlid, und ging mit der Königin
ab. Eigne Erzählung ded Herzogs.) —
Donnerstag, den 2. November 1854.
Zweifelhafte Nachrichten aus der Krim. Aufregung in
England wegen des Ausdruds „avis timides“, deſſen Louis
Bonaparte ſich in dem Brief an die Wittwe Saint-Arnaud's
‚ bedient hat. —
Abends Beſuch von Herrn C. Mittheilungen au
Paris. Louis Bonaparte wartet nur auf den Fall Sebaſto⸗
pols, um in Verbindung mit Defterreich eine ſcharfe Anſprache
an Preußen zu richten. Wenn Preußen aber auch zur Theil
nahme am Kriege gegen Rußland beftimmt wird, fo wird ed
durch feine Mitwirfung mehr hemmen als fördern, daher wätt
den Gegnern faft lieber, Preußen erflärte fich für Rußland,
dann hätte man ein erwünjchtes Kriegsfeld, dann könnte mat
ihm unmittelbar zu Leibe gehen. Ueber die innere Lat
Frankreichs, feine Zukunft; Bonaparte liege nur loder obe"
auf, jeder Zufall fönne ihn herabftürzen, die öffentliche ME
nung ift durchaus wider ihn, er hat nur Schufte und Schwã
—
297
age um fich her; alled was Geift und Würde in Frankreich
at, hält fich fern von ihm. C. hofft auf allgemeine Freiheit
vr Völker, auf die Verbündung der enropätfchen Staaten ;
dann wird es gleichgültig fein, welchem man angehört, wie es
gleichgültig ift für den Nordamerifaner, ob er aus Maſſachu⸗
jettö oder aus Ohio ift. —
Neue Schwierigkeiten wegen der Arnim’jhen Gedichte.
Berathung mit dem Faktor der Druderei; mißrathener Probe:
drud. — Bettina von Arnim feheint wirklich adgereift zu
fein. —
Man Spricht von neuen Befchränfungen und Schwierigkei>
ten, die der Zeitungspreffe gemacht werden follen. Auch die
Eheſcheidung ſoll erfchwert werden. Die Kammern laffen fidh
zu allem gebrauchen. Die Regierung fcheint feinen andern
Joel zu haben, ald das Volk immer enger einzufchnüren und
immer ſchwerer zu befaften. Das Leben ift von allen Seiten
umftellt, zu allem bedarf es der Erlaubniß, der Konzeſſion, auf
allem liegt eine Steuer, eine Abgabe. Die bürgerlichen Ber:
bältniffe find äußerft gefpannt, und werden es mit jedem Tage
mehr, —
Freitag, den 3. November 1854.
Das Jahr 1848 hat meiner ganzen Lebensftellung eine
große Veränderung gebracht ; der äußeren zu gefchweigen, wies
wohl auch diefe erheblich genug ift, fo hat die innere fich un-
viderruflich dadurch erhoͤht, daß die kühnſten Forderungen, die
nd nicht hervorwagten, die in ftillem Schlummer lagen, plöß-
Äh durch die reinen und vollen Freiheitserfcheinungen jenes
Rhtes unerwartet zur thatfächlichen Wirklichkeit wurden, und
Yedurh unmöglich gemacht haben, mit Geringerem, als fchon
dageweſen, zufrieden zu fein. Vorher war jeder Schim-
|
298
mer ein Gewinn, jede Lleinfte Gewährung ein köſtliches Ge
ſchenk, ja man glaubte die völlige Freiheit ein unerreichbare,
ein nicht zu hoffendes Gut. Aber jebt, nachdem wir Uwah⸗
len auf breitefter Grundlage, volles Bereindrecht, volle Pre
freiheit, Nationalverfammlungen in Berlin, Wien und Franb⸗
furt, völliged Verſchwinden der Polizeis und Regierungs
willfür gehabt, und dies alles ohne Graufamtleiten, ohne Or:
waltthaten und fonftige Gräuel, nachdem wir, wenn aud nut
einen kurzen Sommer hindurch, wahre Freiheitsluft geathmel,
was follen und jebt die elenden Kammern, die falt er⸗
lofchene Prepfreiheit, neben der äußerften Polizeimacht, wos
jollen und die geringen Weberbleibjel nach der großen ädten
Fülle? Ich weiß wohl, es ift doch Unendliches gewonnen und
felbft der Name von Kammern bedeutet etwas, ja felbft die
‚neue abgefchmadte, verzwidte Adelöfammer ift der Willie
macht ein Stein auf der Bruft; — aber ſolche Rechnung il
nur für die Gedanken, die Empfindungen wollen andre Befrie
digung, und die einft gewährte ift jebt verfagt. Die änder
dad Verhältniß unſres Tageslebend. —
In Volke hier werden die verurtheilten Demokraten Gerd,
Ladendorf, Falkenthal, Levy ꝛc. nicht nur fehr bedauert, for
dern auch vertheidigt ald Männer, die gar nicht thöricht for
dern auf rechten Wegen gewefen, die nur dad Unglück gehalt,
an Verräther zu kommen. Das Bolf will nicht anerkennen,
daß fie blöde Thoren geweſen, ed meint, die verlorene Revo
Iution müfle mit Gewalt wiedergewonnen werden, und d
hänge von wenigen entfchloffenen Leuten ab, dies zu bewirten
Im März 1848 war dies freilich fo. Das Heer, die Behörden
die Polizeimacht, alles died wird für fein zu großes Hinderni
gehalten, man glaubt Died alled mit Einem Streich lähmen od
auch für die neue Sache verwenden zu fünnen. Bei diel
jehr verbreiteten Denfart müffen wir erwarten, daß die g
ſchehene Berurtheilung neue Umtriebe und Anſchläge nic
299
n, und die Polizei immer wieder neue Entdeckungen zu
n haben wird, Alle Ehrerbietung vor der Regierung
gehört. — |
Sonnabend, den 4. November 1854.
ngünftige Nachrichten aus der Krim, die englifche Reites
t beträchtlichen Berluft erlitten ; franzöftiche Linienſchiffe
tark beſchädigt. Doch fieht man den Fall Sebaftopold
wiß an. —
'efürchtungen in Betreff Nordamerikas, das gegen Frank⸗
und England auftreten zu wollen fcheint, zu Gunften
inds wirken könnte. Diefe Befürchtungen kümmern
venig; und wär’ ed denn ein fo großes Unglüd, wenn
chtswürdigen Regierungen, die jebt in Parid und Lon⸗
errfchen, etwas in’d Gedränge fämen? find fie um ein
beſſer als die ruffiiche? Bon Rändern und Bölfern ift
nehin gar nicht die Rede! —
ch las heute zufällig in Johannes von Müller's Schwei-
hichte, und der Haupteindrud war, daß Diefed ungeniep-
Werk und ohne fonderlihen Schaden verloren geben
e, ja der Nachwelt verloren fein wird, auch wenn es fich
. Und kaum ein andered Werk ift im achtzchnten Jahr⸗
rt und im Beginn ded neunzehnten jo allgemein bewun-
und gefeiert worden, die entgegengefeteiten Richtungen
ten in deſſen Lob überein. Aber auch zur Zeit feines
en Ruhmes wurde das Buch faft gar nicht gelefen, hödh-
einige Stellen daraus hervorgehoben. Solches ganz
zelefen zu haben rühmte ſich nur der felige Steffend, und
er hatte fih der Dual nur dephalb unterzogen, weil er
it dem Sohne des Feldmarſchall Grafen von Yord zu
hatte, der daraus Ernſt und Gefhmad der Gefchicht-
ung lernen follte! Johannes von Müller’d Ruhm hing
300
mit feinem Leben eng zufammen;; fein großes hiftorifches Bil
fen machte fi) in hundert Anwendungen geltend, er ftand in
großen Verbindungen, die er forgfam pfleate, fein Briefwechſel
erftreefte jich nach allen Seiten, überall wußte er zu loben, ju
ſchmeicheln, Kämpfe vermied er, indem er doch immer tapfer
ihien. Mit feinem Leben, das übrigens politifch fehr un—
glücklich ſchloß, verblich gleich der Glanz feiner Schriften. —
Sch glaube, ich habe Aehnliches ſchon Früher über ihn aufge:
ichrieben. —
Sonntag, den 5. November 1854.
Audgegangen mit Yudmilla, — Unter den Linden einem
Herrn mit einer Dame begegnet, wir erkennen einander zw
gleich, e8 ift Herr Lewes, der geftern hier angekommen ift; er
fommt von Weimar, wo und in Thüringen er drei Monate
fich aufgehalten hat, wegen feiner Abficht, Goethe's Leben zu
ſchreiben, die er fchon vor längerer Zeit gehegt, dann aufge
geben hatte, und nun dennoch ausführen will. Seine Ge
fährtin ift eine Engländerin Miß Evans, die das „West-
minster review“ heraudgiebt, dad „LXeben Jefu* von Strauß
und Fenerbach’3 „ Chriſtenthum“ überfegt hat. — Im Thiers
garten bis zum Königddenfmal gegangen. Die Luft war
frifch, der Himmel Far, die Herbitfarben noch ſchön; aber bald
wird alled Laub abgefallen fein! —
Herr von Elöner, der ſich als wüthiget Reaftionair and:
zeichnet, und als Landrath in Schlefien einen Brief an die
Wähler fchrieb, der an Frechheit und Hohn feines gleichen
ſucht. Die Preffe rügte die Unverfchämtheit, auch in der
Kammer wurde davon mit Unwillen gefprodhen. Der König
und die Königin aber dankten ihm für feinen Eifer, und der
Mann wurde hier in einem Miniſterium angeftellt. Der Be
günjtigte wünfchte jept eben in die geographifche Geſellſchaft
301
ufgenommen zu werden. Allein dieſe fonft ganz zahme
defellichaft empörte fich und bei der Abftimmung erfolgte das
ihiedenjte Nein. Der alte Karl Ritter war bei diefer
'ppofition befonders thätig. Unberechenbar, auf was für
unkten und bei was für Menfchen bisweilen der Widerjpruch
wacht! —
Der General von Bonin wird in fremden Blättern hart
tadelt, daß er ald Kriegsminiſter den fchändlichen Henke in
ner Rolle beftärkt, und ihn verfichert hat, die Offizierehre
de nicht dabei. Man beglückwünſcht mit Hohn das preußi-
e Heer, daß ein General ihm folchen — ald Ehrenmann
koyiren darf. — Nach fpäteren Angaben ift der Befcheid,
ihen Bonin dem Hentze ertheilt hat, gar nicht jo vortheil⸗
ft für diefen und ganz anders, ald man vorgejpiegelt hat.
e öffentlichen Berichte hierüber find gefliffentlich gefälfcht
tden. Und nur das ift zu verwundern, daß bei folcher
lſchung alles jchweigt, dad Gericht, die Advokaten, die Zei⸗
gen, Bonin felbft !
| nn nn
Montag, den 6. November 1854.
Morgend Beſuch von Herrn Lewed. Ueber die Borur:
le gegen Goethe; Lewes hält eine große Lobrede auf ihn.
Ein ftiller Nachmittag und Abend. Der Regen bringt
Sliche Einfamfeit, fein Beſuch ftört. ch verbringe einige
inden in wehmüthig-froben Gefühlen, denen theild eigne
nderinnerungen, theild große Gefhichtöbilder zum Grunde
en. So verflößt fih mir in demfelben Genuß alled Herr⸗
> und Beglüdende aus Rahel's reichbelebender Nähe und
mächtige Eindrud des griedhifchen Alterthums, wie ich es
in dieſer Zeit aus Homeros und Pindarod, Herodotos,
rius, und aus Grote, Windelmann und Stahr zufammens
Welcher Frieden kommt über mich in ſolcher Betrach-
802
tung, die zwei Welten glüdlich vereint! Ich habe nur ie
Einen Kummer, daß ich die Sachen und die Empfindungen
nicht in Rahel's Sinn und Herzen wiederfpiegeln fehen kann!
Die Nachrichten aus der Krim fehr lückenhaft, dabrm
verftändlich. — In franzöfifchen und englifhen Blättern tritt |
die Frage wegen Polens ftarf hervor. Unſere deutichen Bit |
ter machen fich wieder dad Vergnügen, daß ein Volk, welhe
nicht durch eigne Kraft frei werde, nicht frei zu fein werdien,
zu beweifen! Das elende Geträtſch unfrer Zeitungen! —
Anordnungen und Wahlen zur erften Kammer. Die Könige
lichen Prinzen und die Mediatifirten befommen Lehnftühle —
Das ganze Zeug tft mir zum tiefiten Ekel! — |
In Spanien regen fich republifanifche Beftrebungen. Die |
Nation ift des Hofes, feiner Camarilla, feiner Verſchwendun⸗
gen und Ränke längft überdrüffig. Für jet bleibt wohlnd
die Monarchie, für jeßt! Aber wie gründlich wird in gan
Europa gearbeitet, dad Königthum zu Grunde zu rihten: |
Nicht von den Feinden, nein von den Trägern! —
Dienftag , ben 7. November 1854.
Enalifche Blätter fprechen von der nothwendigen, unau® |
bleiblihen Beftrafung, welche Preußen für feinen Verrath an
der guten Sache zu gewärtigen habe; ihm falle das fortgelehtt
Blutvergiegen zur Laft, und die unermeßlichen Opfer, weldt
der Krieg ſchon gefordert habe, und weiter fordern mühe;
wäre Preußen ehrlicher verfahren, hätte ed gehalten, was e?
argliftig verjprochen, fo würde der Krieg längft beendet unt
auch Rupland beffer gefahren fein, als es jetzt fahren werde;
aber Preußen habe die eigne Nation betrogen, um die 30 Mil⸗
lionen zu erlangen, habe der Kriegdminifter von Bonin den
Kammern verfihern müffen, fie würden das Geld zum Kriege
803
gegen Rußland bewilligen, faum habe man die 30 Millionen
bewilligt erhalten, jo fei der arme Bonin geopfert worden zc.
Die franzöfifchen Blätter find vorfichtiger, aber dem Bona⸗
parte traut man die unerwartetften Streiche zu, und fällt
Sebaſtopol, fo wird er bald genug feine Gefinnungen durd)
die That zeigen! —
Nachrichten aus Rußland fchildern den Kaifer Nikolai ale
ſehr ergrimmt,, verdüftert, mißtrauifch, befonders foll er in der
übelten Stimmung gegen feine Söhne fein, den Thronfolger
hält er für einen unfähigen Schwächling, der nur nicht den
Muth habe, ihm zu trogen, der Großfürft Konftantin aber
erregt ihm Argwohn und man will Heußerungen gehört haben,
die an dem Kaifer den Gedanken verrathen, fein zweiter Sohn,
dieſer Ronftantin, könne ihn und den Thronfolger befeitigen
wollen! —
frau von Genlid macht ed unter andern auch zum bittern
Borwurf gegen Boltaire, daß er gegen beſſeres Wiffen und
überreugende Thatfachen, aus bloßem Eigenfinn, ftarrföpfig
die Unächtheit des fogenannten politifchen Teſtaments des
Kırdinald von Richelieu behauptet habe. Diefed Buch wurde
bon Betitot nach Handichriften aus zwei Bänden bis zu zehn
Binden vermehrt herausgegeben, und nun erfchien Voltaire’
Unglaube erft vollends unrichtig und als böslicher Eigenfinn.
Aber die nähere Prüfung zeigte, daß Voltaire's Pritifcher
Scharfblick durd dies vermehrte Material nur gerechtfertigt
rde. Ranke bat died überzeugend dargethan, durch eindrin-
‚ade Prüfung, bei der es ihm doch nicht beliebte, Boltaire’s
verdienten Ehren zu gedenken. —
304
Mittwoch, den 8. November 1854.
Gefchrieben ; wider die Anordnung unferer eriten Kamm, J.
ih kann's nicht laſſen! Ich will mit dem efelhaften Jrux
nicht zu thun haben, aber id muß doch einen Schuß gar Mi;
das Unthier losfnallen! Welche fcheußliche Bürgermeiker
werden von den Magiftraten, welche fcheupliche Profefern
von den Univerjitätfenaten dazu gewählt! — e
Wahlzettel zur Stadtverordneten: Wahl am 24. Riqht Er
für mih! War ich früher ein Nitter, fo bin ich jet cn Mi
Mönch, oder vielmehr ein geiftlicher Ritter, der auf die Ge Mi;
legenheit feinen Beruf zu erfüllen wartet. Diefe Wahlen aber
find feine Gelegenheit. —
- Die Zeitungen bringen nichte Erhebliches, ihr Ton it ſche *X
herabgeſtimmt, fie müffen äußerſt vorſichtig fein, die Poli Bay
drüdt ſchwer auf fie, und wirft ſich Dabei ald deren Beſchüſern en
auf! — J
Die erſte Kammer wird wieder fo ein buntſcheckiges, u Madin
behülfliches Gemache, wie der vereinigte Landtag war; dieltik ME
armfelige Phantafie macht in beiden ihre Mäglichen Zudungt |
Der vereinigte Landtag hat feine der Regierung erfprieplik
Folgen gehabt, fönnen jie von der erften Kammer zu ertvarkt
fein? —
Man fpricht wieder viel von Schleswig» Holjtein, m
Deutjchlande Anfprüchen auf das Land. Das find Stimun Wi:
der Gothaer, die an diefer Einzelheit ihren Narren gefreftn Fe
haben, und Stimmen folcher, die ihnen bewußt oder une
wußt nachplappern. Die Gefchichte von Schleswig. Holſtein
ift ein Gräuel von Schändlichkeit, ein unvertilgbarer Fleden
auf Preußen, aber die Hauptfache unferer Zeit ift fie nid.’
Freiheit, Freiheit! ift die Hauptfache, Freiheit, wie das Ja Wi
1848 jie hatte, und alles Mebrige folgt von ſelbſt! Nicht wur
von Deutjchland gilt das. — N
Die Schwierigkeit wegen des amerifanifchen Geſandten
805
Soule, von dem die preußifchen Ruſſen fhon Krieg zwifchen
sranfreich und den Vereinigten Staaten hofften, ift auf leichte
Art auögeglichen. —
Früher wollte Preußen die vier Garantieen, welche von
den Weitmächten gefordert wurden, nicht für nöthig halten,
\hlug fie dennoch dem ruffifchen Hofe vor, erhielt die fchnd-
defte Abfertigung. Sept will Preußen fie für durchaus nöthig
halten, nur foll man nicht darüber hinausgehen! Preußen
felber will fie nun fordern, mit dem Deutjchen Bund und
Defterreich vereint. Nußland zeigt Neigung darauf einzu:
geben c. Immer hinten nach verfpätet, jämmerih! —
Unter das Bildniß des Könige hat ein hiefiger Graf die
folgenden Worte gefchrieben: „Statura fuit paene justa:
eorpore maculoso et foedo: suffllavo capillo, vultu
pulero magis quam venusto: oculis caesiis et hebetiori-
bus: cervice obesa, ventre projecto, graeillimis eruribus,
valetudine prospera.* Aus dem Suetoniud, Nero Clau-
dius Caesar, Cap. 5l. —
Man verfichert, noch heute fei von mandyen Seiten der
Plan und die Hoffnung nicht aufgegeben, die Thronfolge von
dem Prinzen von Preußen ab» und auf den Prinzen Karl zu
leiten. Die Ränke zu diefem Behuf würden in der Stille
tortgefponnen. Das Verhältniß des ruffiichen Thronfolgers
u feinem Bruder, dem Gropfürften Konftantin, wird in diefem
Sinn eifrig befprochen. — Ä
Donnerstag, ben 9. November 1854.
Man erwartete allgemein, daß der Senat der hiefigen
Iniverfität den Halunken Stahl in die erfte Kammer wählen
‚ürde, eö fchien nicht anderd möglich, ſelbſt Heffter hatte feine
Iusficht, wiewohl er ald Anechtifchgefinnter beftend empfohlen
ar. Über es kam doc anders! Homayer ift gewählt
Barnbagen von Enfe, Tagebüder. XI. 93
306
worden. Zwar ift ee nur Homayer, aber auch d
Homayer! —
Des König hat einen Buß⸗ und Bettag für Schlefien
geordnet, der Fürftbifchof von Breslau bietet auch die $
dazu. „Finger Gotted, Strafgericht für begangene Sün
Heimfuhung.* Der alte Prediger-Fargon, deſſen Un
auch dem geringften Bauer fchon einleuhtet! Warum |
grade Schlefien? Und die andern Provinzen fündenfte
Und wenn der Finger Gotted die Ueberſchwemmung und
Verderben berbeigeführt hat, wie darf man fich unterfte
feinem Willen durch Menfchenhülfe entgegen zu hand
Abgefhmadtes Zeug, gut für das Mittelalter, nicht für
neunzehnte Jahrhundert! —
Arthur Schopenhalier „Ueber den Willen in der Nat
zweite Auflage mit einer Borrede, die wieder hart auf
Philoſophen und Naturforfcher losgeht. — Im Cicero gel
Franzöſiſches. — Fortfeßung der Histoire de ma vie
Frau von Dudevant; fie mag fchildern was fie will,
wird reigend unter ihrer Darftellung, die nie ein Blend
ift, fondern die reine Wahrheit, fie fchlägt diefe und
innere Xeben aus allen Gegenftänden heraus, Die Fra
durchaus edel, edlen Geifted und Herzens. —
Nachrichten, die aus Paris hier eingetroffen find, ſchil
den dortigen Zuftand als höchſt bedenflih. Louis Bonay
ift fehr forgenvoll und befümmert, harrt mit Ungeduld
Siegesnachrichten aus der Krim. Alles ift verloren für
wenn das Unternehmen fcheitert. Die Finanzen find
Ihöpft, die Stimmung ift gefpannt und lauernd, viele Gen
äußern Unzufriedenheit, man hört von Unverftand,
Abentheuer fprechen, von Hinopfern der Tapfern, von P
geben der Nation. Bonaparte foll Augenblide der Berzweil
haben. Alfo grade fo wie der Kaifer von Rußland! 2
tragen die Schuld und die Folgen des Uebermuthes, und g
— — EEE TEE ———— ——— —— —
307
fie beide jetzt zu Grunde, fo ſehen wir nur die Gerechtigkeit Der
Beltregierung! —
Freitag, ben 10. November 1854.
Korrefturbogen von Achim's von Arnim Gedichten. Zu
den Unfinn und der Liederlichkeit ded Autors nun auch noch
die ded Druders! Es ift eine faure Arbeit, Doch werd’ ich fie
fortfepen müffen, ich fann fie nicht Andern überlaffen. —
Nachrichten aus Wien. Bedenklihe Zuftände. Neben
der ſtarken, zahlreichen Militairmacht die größte Schwäche der
Regierung im Innern, feine Zuverfiht! Man hält nichte
für feft und dauernd, man rechnet auf nichts ald auf den Tag.
es Hier viel anders? in Paris? in ganz Deutfchland ? in
ganz Italien? —
Der König wird doch Geiftliche, ſowohl fatholifhe ala
proteftantifche, in die erfte Kammer aufnehmen, aber nicht ala
duch ihre Stellung berechtigte, fondern aus perfönlicher
Onadenwahl. Man fagt, er müffe Rotbftrümpfe und Biolet-
frümpfe haben, der Buntheit wegen. —
Daß die Wahlen der Magiftrate, Univerfitäten, Ritter-
ſchafts- und Grafen-Berbände zur erften Kammer noch der Be-
Nätigung des Königs bedürfen, die Wahlen demnach nur Vor⸗
ſhläge find, erregt viel Mißfallen unter den Betheiligten.
Der Demokratie ift das gleichgültig. „Das preußifche Ober-
haus ift und was und die Schloßfapelle ift, eine buntgemahlte
Rumpelkammer.“ — Das Herzogthum Stettin, das Fürften-
tum Kamin und andre ſolche dem preußifchen Regierungs-
weſen längft fremdgetwordenen Benennungen hängen mit der
Bappenfpielerei des Herrn von Stillfried zufammen. —
In Paris und London, aber auch — was mehr fagen
will — in Wien find ponifche Vereine thätig, und hier will
man neuen Anschlägen in Poſen, die mit ruffifhen Behörden
20*
308
in Warfchau Verbindung haben, auf der Spur fein. Ruſſiſch
Betreibungen aller Art finden Statt, die man nicht vorau
weiß, welcher Art man bedürfen wird; diejenigen, die maı
nicht wird brauchen können, kann man fpäterhin ja verläug
nen und opfern. —
Die Neue Preupifche Zeitung lenkt heute gar befcheiden i
Friedenswünſche ein, fei e8 dag Sebaftopol falle oder nid
Selbſt das Scheitern der Unternehmung der Weftmädte i
der Krim, fagt fie, werde dem Kaifer ed nur erleichtern, di
Hand zum Frieden zu bieten! Aber die Parthei glaubt nid
an Scheitern, fondern an Gelingen, und baut deßhalb far
mütbig vor. — Im Grunde fteht bei Sebaftopol alles noı
zweifelhaft, und wenn die Sache ſich ferner in Die Länge ie
jo kann fie allerdings unglüdlich werden. —
„Der Schulmeifter von Hims“ in den Makamen de
Hariri, von Rückert. Den Leader und dad Athenäum durd
gefehen. Griechiſches gelefen. —
„Aus dem Tagebuche des Rittmeifterd von Colomb. Strei
züge 1813 und 1814. Berlin, 1854. 8. eichthin o
ſchrieben und leichthin zu lefen. Mit guter Abficht wahr
fein, aber auch mit der Unfähigkeit etwas Hinzuzudict:
Für die Kriegdgefchichte unerheblih. Höhere Anfchaur
und reifed Urtbeil fehlen gänzlih. Ein Wachtmeifter o
Feldwebel konnte auch folhe Aufzeichnungen machen,
brauchte fein General der Reiterei zu fein. Uebrigens ſchi
Colomb mit ſchon geſchwächtem, untreuen Gedächtniß. —
— — — — —
Sonnabend, den 11. November 1854.
Berathung, ob man ſich bei den Wahlen zu Stadtverc
neten — am 24. — betheiligen ſolle? Die entfchieden‘
Demofraten, die grollenden, unverföhnlien, thun es ni
309
63 bleibt aber freigeftellt, jeder hält ed nach eignem Guts
dünken, nady eigner Zuftändigfeit; das Verhalten in diefem
Betreff foll feine Spaltung bewirken. Die ftädtifche Ange—
legenheit ift offenbar eine andre, als die ftaatliche, bei
jener gilt mehr das Stoffliche, bei diefer das Geiftige. Die
Zufammenfegung der erften Kammer, weit entfernt, den
fonftitutionellen Geift zu beleben, fchredt nur noch mehr
davon ab, in diefe Bahn einzugehen. Auch fieht man ein,
daß Preußens Beftand und Entwicelung nicht mehr von innern
Antrieben,, fondern hauptfählih von äußern Ereigniffen ab:
hängt, —
Die Beforgniß, daß Preußen in der gegenwärtigen Kriſis
durch die Schuld feiner Unentſchloſſenheit und Falſchheit —
wie die engliſchen Blätter es nennen — große Niederlagen
erfahren, und arg gerupft werden könnte, wird von vielen
Seiten ohne Hehl ausgeſprochen, und theilweife ſchon, anftatt
mit Schmerz, in höhnifcher Bitterkeit. Rheinland für Frank:
reich, Schlefien für Defterreich, das hört man fehon oft; und
Bofen für Bolen, Oſtpreußen für Rußland — da würde ja der
Bunfh der Kreuzzeitungdparthei, Preußen zu einer Art Han-
nover oder Mecklenburg herabgebracht zu jehen, vortrefflic
erfuͤlt! Ob es dann aber auch eine Junkerſchaft von Gottes
Önaden fein würde, was doc die Hauptfache wäre, das flünde
noch ſehr in Frage! Hoffen wir, daß es überhaupt ſo arg
nicht kommen wird! Wir ſehen fo oft mehr Glück als Der:
ſtand. —
Griechiſche Epigramme und Fragmente geleſen, in Goethe's
Einzelgedanken und Sprüchen ꝛc. —
Die preußiſche Regierung beſchäftigt ſich ruckweiſe mit der
Zeitungspreſſe; man wünſcht Miniſterialblätter zu gründen,
der Einfluß auf die vorhandenen Zeitungen zu gewinnen,
der auch diefe durch firenge Maßregeln einzufchränten, zu
chrecken. Aber alles das gefchieht rudweife, ohne folgerechte
310
Durchführung, und am wenigften mit Cinigfeit der dabei
thätigen PBerfonen. Auch möchte ſchwer anzugeben fein, welde
Richtung eingehalten werden fol, Was der eine für nik
ih hält, dünft dem andern ſchädlich. Jeder möchte für
fi) allein den ganzen Vortheil haben. — Jetzt ift die Re
davon, dag Manteuffel ein neues Blatt gründen und demfelten
beträchtliche Geldmittel zumenden will; aber auch Hindelder
möchte daffelbe thun! —
— — — — —
Sonntag, den 12. November 1854.
Geſchrieben, ein Wort über die Krim und die Kriegsfuh—
rung dort; man hätte nach der Schlacht an der Alma die
ganze Halbinfel rafch einnehmen müffen, der alte Napoleon
hätte es gethan. Frankreich entbehrt feiner beften Generale;
Deutfchland und Preußen insbefondere feiner tüchrigften
Baterlandeeiferer! Aber daran denkt niemand, als bis es zu
ſpät tft. —
Bunſen ſpielt noch immer den Staatsmann und Staats⸗⸗
beamten und thut ſehr wichtig, am meiſten geht er mit Theo⸗
logen um, und hofft auch yon der theologiſchen Seite her wie
der die Gunft des Könige zu gewinnen; doch preift er aut
den Prinzen und die Prinzeffin von Preußen. Er hat viele
Freunde unter den Engländer, viele befuchen ihn, aber auf
viele Feinde hat er in England, und manche die auf ihren
Reifen durch Heidelberg kommen, äußern fich mit Verachtung
und Haß über ihn, erzählen häßliche Gefchichten ꝛc. —
Nachrichten aus Wien. Man ift dort in Unruhe megen
Entdedungen, die man gemacht haben will, hinfichtlich gehei⸗
mer Verhandlungen, welche zwifchen Louis Bonaparte und
dem Kaifer Nikolai ftattfinden follen. Man weiß nicht, wer
diefer Bonaparte betrügt, ob den Ruffen oder die Engländet
und Defterreicher. Daß er befonders mit letzteren nicht je!
311
ſein kann, müſſen ſie recht gut wiſſen. Doch hofft
e Parthei in Wien, es werde gelingen, mit ihm ge⸗
Preußen zu demüthigen und zu rupfen. Der Fürſt
ernich ſpricht zwar in vieles mit hinein, hat aber in
nicht den geringſten Einfluß mehr. Er ſoll übri-
fig für Preußen fein. —
v8 mit Ludmilla zu * gegangen — es kamen Für:
n von Reumont empfohlener tosfanifcher General
riftori, mit dem Franzöſiſch gefprochen werden mußte,
neral von Pfuel. Der Graf Serriftori, vor Kurzem
oskaniſchem Dienfte und Minifter, hat früher zum
n in Rußland gedient, unter Diebitfch gegen die
inter Paskewitſch im Kaukaſus, nad 1830 nahm er
schied. Er ſcheint ein kenntnißreicher, aufgeflärter
sollte vom Hof und vom Kriegöwefen nichts wiflen,
von gelehrten Arbeiten, von Kunft, Gewerbfleiß.
tede vom Kriege war, befannte er, daß er zu näherem
nden Ereigniſſen veranlaßt fei, indem er einen Sohn,
zigen, dort habe; man fragte, wo? in der Krim, oder
nau? Kleine Baufe, dann fagte er furz: „Il n’est ni
ıoins qu’aide-de-camp— d’Omer Pacha!“ Welche
ung! Allgemeines frohes Erftaunen und Heiterwer:
kwünſche! man war gleich auf vertrauterem Fuß! —
erzählte von den Defterreichern in Florenz, daß fein
ner mit ihnen umgehe oder nur fpreche, daß wer es
gleich geächtet fein würde 2c. Und fo durch ganz
find Alle fo ziemlich dem alten Schlabrendorf gleich,
rgerfinn fucht ein Bürgerthum, unfer Staatöeifer
at! Wir finden fie nicht, oder verlieren, die wir zu
bnten, und werden darüber alt. „Civis civitatem
lo obiit octogenarius“, hatte er fich ald Grabſchrift
312
Montag, den 13. November 1854.
Gefchrieben und in Rahel’8 Papieren gearbeitet, — Ir
General von Pfuel fam und brachte die Nachricht, der Schlag
bei Sebaftopol ſei gefchehen, im ruffifhen Gefandtfchaftshaue
jei große Bewegung, die eingegangenen Nachrichten feien dem
Könige zugefertigt worden, Daß man fie nicht eiligft veröffent
liche, fei Schon ein gutes Zeichen. Nach feiner Art nahm Pu
den Fall Sebaftopols für gewiß an, und erging fich in Erörte
rungen, was nun zu thun fei? Er nahm an, die verbündeten
Truppen müßten fich theilen, zugleich Odeffa und Anapa ars
greifen, die ZTfcherfeffen freimahen u. f. w. ch jehüttelte
zu allem den Kopf, meinte, ein Sturm fei wohl nod nihter WE:
folgt, vielleicht ein Entfahgefecht vorgefallen, allein er wolle
davon nicht® hören, häufte Gründe auf Gründe, aus denen de Bi
Niederlage der Ruſſen hervorgehen follte, die Befchaffenkeit
der Krim, deren Umfang er viel zu groß annahm, — |
Herr Lewes befuchte mich; er hatte mit Miß Evans geftern
Nathan den Weifen aufführen fehen, beide waren entzüdt von
dem Drama, wunderten ſich, daß es hier nicht verboten fi. |
Pfuel ging erft um 2 Uhr. Ich hatte ihm meine Anficht übe
den ruffifchen Kaiſer mitgetheilt, den ich fähig halte, den nad
theiligften Frieden zu unterzeichnen. —
Gegen Abend fam Graf von *. Merkwürdige Mitther
lungen über den Prozeß des zu dreijährigem Zuchthaus verur |
teilten Baron von Köller. Diefer gehört einer angefehenen '
und reichen pommerfchen Familie an, führte aber ein wüfte®
Leben, — Mehrere Umftände machten den Prozeß zu einem höchſt
merfwürdigen, das Gericht verfuhr mit großer Schonung. Die
Ausfchliegung der Deffentlichkeit gefchah aus Rückſicht auf die
Sittlichkeit, weit mehr aber aud andern Gründen. Es ergab
fich nämlich aus den Verhören, dag Köller vom Minifterpräfis
denten von Manteuffel gebraucht worden ift, den Polizeipräfis
denten von Hindeldey zu überwachen, daß er aus geheimen
313
nde ein Gehalt von 1800 Thalern dafür bezogen ; indeß
r Hindeldey klüger, und ließ den Köller überwachen und
inteuffel’n dazu ! Köller befam auch von Manteuffel mehrere
fend Thaler, um deffen Wahl zur Kammer hier durdh-
een, diefe Beitechungsgelder hat er indep nur zum fleinern
ale gebraucht, den größten Theil für fich eingeftedt. „ Den:
Sie doch, was das für ein Nergerniß gegeben hätte, wenn
ntlih vorgefommen wäre, daß der Minifterpräfident felber
Wahlbeſtechungen erlaubt und dazu die Staatögelder miß⸗
ucht hat!” Ich denke vielmehr, daß die Pflicht des Gerich-
fei, dem ein Verbrechen befannt wird, died ohne Anfehn
Perſon zu verfolgen und zu beftrafen. „Die preußifche
Htöpflege ift durch politifchen Einfluß fehredlich verdorben,
it eine Dienerin der Oberbehörden, des Hofed geworden !*
Zelegraphifche Nachrichten aus St. Petersburg und aus
ne. Heißer Kampf bei Sebaftopol am 5. aber nicht? ent⸗
den. —
Dienstag, ben 14. November 1854.
Die Ereigniffe am 5. vor Sebaftopol waren eine wahre
lacht, allem Anfcheine nach ftanden die Franzoſen im Vor⸗
le, die ruffifchen Angriffe mißlangen. Die ruffifchen Be-
te, die feit Kurzem etwas aufrichtiger werden, befennen es.
ie müffen wohl etiwa® aufrichtiger fein, die früheren Auf:
tidereien und Berfchweigungen machten den fchlimmiten
drud.) — |
Abends kam Herr Oberlandforitmeifter von Burgedorf,
erzählte mancherlei. Den König liebt er, aber den Hof
das Regierweſen haft er, die Pfaffen, die Schmeichler.
‚ Manteuffel, den er genau fennt, hat er eine fehr geringe
nung, er geiteht ihm weder Geift noch Talent zu, nur die
Mittelmäßigkeit. — „Er zeigt feine fchönen Hände; ein
312
Montag, den 13. November 1854.
Gefchrieben und in Rahel's Papieren gearbeitet, — Ser
General von Pfuel fam und brachte die Nachricht, der Sala
bei Sebaftopol fei gefchehen, im ruffifchen Geſandtſchaftshauſe
fei große Bewegung, Die eingegangenen Nachrichten feien dem
Könige zugefertigt worden, daß man fie nicht eiligit veröffent
liche, Tei fhon ein gutes Zeichen. Nach feiner Art nahm Pfud
den Fall Sebaftopols für gewiß an, und erging fich in Erörte
rungen, was nun zu thun fei? Er nahm an, die verbündeten
Truppen müßten fich theilen, zugleich Odeſſa und Anapa an
greifen, die Ticherkeffen freimacen u. |. w. ch fchüttelte
„ zu allem den Kopf, meinte, ein Sturm fei wohl nody nicht er
folgt, vielleicht ein Entfaggefecht vorgefallen, allein er wolle
davon nicht® hören, häufte Gründe auf Gründe, aus denen die
Niederlage der Ruſſen hervorgehen follte, die Beſchaffenheit
der Krim, deren Umfang er viel zu groß annahm, —
Herr Lewes befuchte mich; er hatte mit Miß Evans geftem
Nathan den Weifen aufführen fehen, beide waren entzüdt von
dem Drama, wunderten fi), daß es hier nicht verboten fe.
Pfuel ging erft um 2 Uhr. Ich hatte ihm meine Anficht über
den ruffifchen Kaifer mitgetheilt, den ich fähig halte, den nat
theiligften Frieden zu unterzeichnen. —
Gegen Abend kam Graf von *. Merkwürdige Mitthei—
lungen über den Prozeß des zu dreijährigem Zuchthaus verur:
theilten Baron von Köller, Diefer gehört einer angefehenen
und reichen pommerfchen Familie an, führte aber ein twüfte
Reben. — Mehrere Umftände machten den Prozeß zu einem höchſ
merfwürdigen, dad Gericht verfuhr mit großer Schonung. Die
Ausſchließung der Deffentlichfeit gefchah aus Rückſicht auf die
Sittlichfeit, weit mehr aber aus andern Gründen. Cs ergab
fich nämlich aus den Berhören, daß Kölfer vom Miniſterpräſt⸗
denten von Manteuffel gebraucht worden ift, den Polizeipräft*
denten von Hindeldey zu überwachen, daß er aus geheime"
313
jonds ein Gehalt von 1800 Thalern dafür bezogen ; indeß
nr Hindeldey klüger, und ließ den Köller überwachen und
Ranteuffel’n dazu ! Köller befam auch von Manteuffel mehrere
ufend Thaler, um deffen Wahl zur Kammer bier durch:
ſſehen, dieſe Beſtechungsgelder hat er indeß nur zum fleinern
heile gebraucht, den größten Theil für fich eingeftedt. „Den:
n Sie doch, was das für ein Nergerniß gegeben hätte, wenn
fentlich vorgekommen wäre, daß der Minifterpräfident felber
h Wahlbeftechungen erlaubt und dazu die Staatögelder miß-
auht hat!“ Ich denke vielmehr, daß die Pflicht des Gerich-
zſei, dem ein Verbrechen befannt wird, Died ohne Anfehn
tBerfon zu verfolgen und zu beftrafen. „Die preußifche
echtspflege ift durch politifchen Einfluß ſchrecklich verdorben,
iſt eine Dienerin der Oberbehörden, des Hofes geworden!“
Zelegraphifche Nachrichten aus St. Peterdburg und aus
ame. Heißer Kampf bei Sebaftopol am 5. aber nicht? ent»
ieden. —
Dienstag, ben 14. November 1854.
Die Ereigniffe am 5. vor Sebaftopol waren eine wahre
hlacht, allem Anfcheine nach ftanden die Franzoſen im Bor:
eile, die ruffifchen Angriffe mißlangen. Die ruffifchen Bes
hie, die feit Kurzem etwas aufrichtiger werden, bekennen es.
sie müflen wohl etwas aufrichtiger fein, die früheren Auf-
meidereien und Berfchiweigungen machten den fchlimmiten
indrud,) — |
Abende Fam Herr Dberlandforftmeifter von Burgsdorf,
ad erzählte mancherlei. Den König liebt er, aber den Hof
nd das Megierweien haft er, die Pfaffen, die Schmeichler.
Im Manteuffel, den er genau kennt, hat er eine fehr geringe
Deinung, er gefteht ihm weder Geift noch Talent zu, nur die
ur Mittelmäßigkeit. — „Er zeigt feine fchönen Hände; ein
314
Mann mit Schönen Händen, da ift nie was Rechts dahinter!”
Uebrigens wiffe Manteuffel unter allen Umftänden ſich ſelbſt
gut zu bedenken. Vom Kultusminifter von Raumer erzählt |
er und verbürgt ed mit feinem Ehrenwort, derfelbe habe, als
er Vizepräfident war, in Burgsdorf's Haufe, ald vom Minifter 5
Grafen zu Stolberg die Rede war, mit Bitterfeit geäußert, dad #-
fei ein Minifter, der zu weiter nichtö tauge, ald daß man ihn p
an der Laterne aufhänge, da werde er zwar nicht leuchten, aber |
doch dem Lichte nah fein. Vom Präfidenten von Gerladh ev R
zählt er auch hübſche Stückchen. Er kennt diefes Gezücht ge #
nau. Raumer iſt jebt der größte Frömmler. —
Mittwoch, den 15. November 1854.
Nachrichten aus Paris und London, Fortfegung der Ri
ftungen. Lord Palmerfton in Paris erwartet, vertraute de F
rathungen mit Louid Bonaparte; man fürchtet, es Tommen |
feindliche Abfichten gegen Preußen an den Tag! Preußen gilt
als geheimer Bundesgenoffe, Gefchäftsträger und Bote Ruf:
lands, den diefed doch jeden Augenblid aufzuopfern bereit if. $
Und unfer innerer Zuftand! Kann der trauriger fein! — '
(Balmerfton traf erft am 15. in Paris ein.) —
In der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Nr. 308 und
309 vom A. und 5. November einen guten Auffag von Dr. }
Heffner gelefen über einen meiner alten Lieblinge Augeriud x
Gislenius von Busbeck; es freute mich herzlich, die mannid }
fachen Berdienfte des trefflichen Mannes in gebührenden Ehren J
dargeftellt zu jehen. — ;
„Rupland’s foziale Zuftände von Alerander Herzen, Aus‘
dem Nuffifchen. Hamburg, 1854.* Sehr fenrig, keck und eins |
fhneidend. — {
„Jahrbuch für deutfche Litteraturgefchichte. Von Auguf
Henneberger. Erfter Jahrgang. Meiningen 1855.* 8. Darin:
315
leber Goethe’ Satyrod, von Dünger *, und „Friedrich von
agetorn, von Karl Schmitt,“ lehteres breit und nicht ge⸗
ũgend. —
.Leſfing's Proteſtantismus und Nathan der Weiſe, von
Dr. Aug. Wilhelm Bohtz. Göttingen, 1854. Nicht fcharf
jenug. —
Busbel brachte aus dem Driente unter andern die Roß⸗
aſtanie und den ſpaniſchen Flieder (Lila) nach Europa. —
Der Herzog von Gotha, heißt es, will aus dem preußi⸗
chen Kriegsdienſt ausſcheiden. Er iſt Generalmajor. Seine
Borliebe und Zuneigung für Preußen wird ihm übel belohnt.
Donnerstag, den 16. November 1854.
Die Zeitungen bringen die öfterreichifche Inftruftion für
ven Bräfidialgefandten am .Bundestage, Herrn von Prokeſch,
äber die orientalifchen Angelegenheiten, die nöthigen Erflä-
rungen und Rüftungen ded Bundes; Oefterreich dringt ftark
in, droht den Bund feinem Schidjal zu überlaffen, klagt über
Preußen. Gigentlich lauter Obrfeigen für diefes, und das
Shlimmite ift, diefed muß fie hinnehmen! — Preußen hat
andere Gejchäfte! Beränderung der Namen feiner parlamens
karifchen Formen ; feine Kammern mehr! fondern ein „Herrens
haus” und ein „Haus der Abgeordneten“, beide zufammen
Allgemeiner Landtag *. Die Bezeichnung „Herrenhaus“ wird
Rlö eine der unglüdlichften angefehen. Nein ftändifch iſt das
danze Weſen noch nicht; der König hofft aber, es dahin zu
bringen. Qui vivra, verra! Bei all diefen Dingen ift fein
Bogen. Niemand freut fich ihrer; nicht einmal die preußi-
ben Ruffen, die Kreuzzeitungsleute, die ganz andre Dinge
ehofft Haben, von denen nur geringe Abfchnigel in die neue
vrm aufgenommen worden. Beißende Bemerkungen des
räfidenten von Gerlach) und des Profeſſors Stahl, die beide
Ge
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berm General von Pfuel; während
} Mögliche vor, auch Kanarienvoͤgel
adırd aber Mittbeilungen aus frühe⸗
a nichte Reues; Pfuel aber ift uner-
‚amd Folgerungen. — Geftern früh
Ban von Baldow, im dreiundacht-
be hat fie nicht mehr bekommen.
E nichtd mehr zu hoffen. Friede
$ von Glöner in die geo⸗
weitere Folgen. — Aud unter
| ob jie nicht ausiheiden
dejbalb beim Grafen ven
e Sache wurde turk die Bes
kınzen der Gelellichutt anie=
ken es die Ofiniere sah. —
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‚18 Iris
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haben,
ie weit⸗
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cſten alle,
ſehr ver⸗
318
wiedererrungenen Macht, die ein folches Denkmal aufricten
‚tonnte. Aber thöricht vergißt man, daß ein folches Denkmal
auch der Gegenfeite miterrichtet ift, es ift Die Erinnerung on |
jenen 18. März und die Welt wird es nicht vergeflen, dakın
jenem Tage Hof und Regierung und Krieggmacht erlegen ver 3
dem Zorn und der Tapferkeit des Volkes, welche feier da
Volkskämpfern zu Theil wurde, welche Fahnen ein halt ;
Jahr lang nad jenem 18. März in Berlin wehten, welt 3
Kokarde feitdem das Kriegäheer trug. —
Sonnabend, ben 18. November 184. 1
Sch habe heute in ftillen Stunden VBeranlafjung gehalt, 3
auf meine bisher durchlaufene Lebensbahn prüfend zurüdi- 3
hauen. ch habe wiederholt in großen Gefahren geftanten, Z
die ich als folche nicht erfannte, und nur jeßt erft wor ihnen;
zurüdfchrede, da fie längft vorüber find, viele eifrige Wünſch,
deren Erfüllung mir mein Glüd zu fein ſchien, wurden mit
nicht gewährt, zu meinem Glück, denn diefes Tag nicht in
ihnen, fondern in andern Dingen. Begehrte Wege, auf den
ich ſchöne Ziele erreichen konnte, mußt’ ich aufgeben, um
Beſſeres zu erlangen. Ich ftieg unaufhörlich, felbft durk'
Unfälle zu Erfolgen, und bis zu Rahel's Tode war alles mit
fteigender Gewinn! Seitdem aber nur einigeö! Mein Bent!
hat ſich noch ferner behauptet und erhellt; das Glück aber blich
ftehen ald Andenken und Erinnerung! — Wenn id) auf meine
Jugend zurüdblide, auf diefe Zurüftungen und Anläufe, je
muß ich mir fagen, es ift alles weit beffer geworden, ala ih &
dachte, das Ganze ein leidliched Schaufpiel, das fo nicht zu
werden verfprach. —
Briefe aus Paris argwöhnen, der — Lonis Bonapartı
fönne plöglid mit Rußland Frieden machen, und Englanl
und Defterreich dabei verrathen. Daß lebtere beide ihm miß
319
auen, ift gewiß, und fie haben allen Grund dazu. Er be
raft Alle, die fich mit ihm einlaffen, und fie werden noch alle
tefen ihren gepriefenen Staatsftreiher und Staatöretter zu
krwünjchen haben. —
Wie in allen menfchlichen Dingen, fo geht ed auch in den
politiihen, man fängt fie mit Eifer und Gewiffenhaftigkeit an,
und läßt allmählich in beiden nach; durch das wiederholte Bei-
Ipiel der Bernadhläffigung, der Unordnung und des Gehen:
laſens werden auch die redlichften Männer zulebt angeftedtt,
oder doch ermüdet, und daher gefchieht ed, daß meiftend die
Schufte und Lumpen den Plag behaupten und fich’8 wohlfein
laſſen. — . a
Sonntag, den 19. November 1854.
Frau Bettina von Arnim foll noch in Weimar und dort
mpäßlich fein. Man erzählt Abentheuerlichfeiten von ihr.
Der Drud der Arnim'ſchen Gedichte hier fteht ftill, die
Iruderei wartet auf Bapier. — Herr Lewes erzählt, Bettina
abe ihm einft gefagt, erſt habe fie Jeſus Chriftus geliebt, und
auf Goethe. Weder ſchön, noch ſchicklich, noch wahr aue-
drüdt! —
(es — —
Montag, ben 20. November 1854.
Die Art, wie die Baterlandsliebe jet wieder in Deutich-
ıd getrieben wird, zum Theil von denen, die das DBaterland
entlich verratben, feine Sache zu Grunde gerichtet haben,
mir ein Gräuel! Die Anfchuldigung ift leider eine weit
fafjende , fie trifft ganze Klaffen, die unter fi nichts weni-
als einig find, zuvörderſt die wortbrüchigen Fürſten alle,
n die nicht minder wortbrüchigen Gothaer, ein fehr ver-
820
breitete® Gefchleht, das mit Kenntniffen und Talenten wis ;
ausgeftattet ift, wegen diefer in verdientem Anſehen fteht, un
deßhalb auch ſtets mit Wort und Schrift wirkt, aber auf pele 1
tifchem Gebiete die auffallendfte Unfähigkeit und Schwäh |
zeigt. Wenn die öfterreichifche, die preußifche, die baieriide 3
Regierung jebt von Deutfchland reden, daß fie deſſen Sa ;
wahrnehmen, fo ift das nur ein Gaufelfpiel, das fie unter 4
einander treiben, und bei dem man mit Figaro fragen könnte: ;
„Wer wird bier betrogen?“ Andere kleinere Schreier find nur 3
zum Lachen und zum Efel. Das hohle Prahlen mit dem ;
Baterlande ift vollends ganz undeutfh. Wir Deutichen für ;
nen das Baterland nicht fg lieben, nicht in derfelben Art, wie
der Franzoſe, der Engländer, ja felbit der Rufe, das jeint;
bei diefen fällt Land und Staat in Eins, bei uns ift ie
unmöglih; die andern können für das Paterland ned
partheiifh und eifrig fein, wo daffelbe in falfcher Kid ;
tung, im Unrecht, oder in der Unterdrüdung ift, fie haben
ed mit grober Wirklichkeit zu thun, fo kann der Preuße auf
noch Preußen, der Baier Baiern lieben, aber der Deutfät ;
nicht Deutfchland, das ein edleres, idealeres Vaterland ift, und
zu rohen Berfnüpfungen fich nicht hergiebt ; will man ihm eine
Wirklichkeit aufnöthigen, die es nicht hat, fo wird eine när
rifhe Phantafterei daraus, die zu den verderblichiten Taͤu⸗
ſchungen, zu den fchändlichiten Betrügereien mißbraucht win!
Der General-PBolizei-Direftor von Hindeldey will für der
Befhüger der Preffe gelten, und läßt fi dafür öffentlid |
loben. Er hat ed durch die unaufhörlichen Scheerereien |
Wegnahmen, Anklagen, Verwarnungen, Rathichläge, dahin:
gebracht, daß feine unferer Zeitungen mehr wagen darf, ein
Minifter namentlich zu tadeln oder perfönlich anzugreifen, nut‘
einzelne Maßregeln dürfen noch einer fachlichen Kritik unter
jogen werden, und auch died nur mit größter Vorſicht. ©e}
oft ed verfucht wird, erhebt ſich am Hof und in den oberften'
321
Behörden gleich ein Staunen, ein Zorn und ein Lärmen, ala
fei das Ungeheuerfte gewagt worden. —
Man möchte gern verordnen, daß die Zeitungen den Wort:
lautder Rammerreden nicht mehr ganz geben dürfen, am wenig:
ften die ftarfen Ausfälle gegen Minifter,; man weiß ed nur
noch nicht anzufangen. Die Zeitungen verantwortlich zu
mahen und vor Gericht zu jtellen wegen folcher Aeußerungen,
die an ihren Urhebern nicht geftraft werben können, und in
den ftenographifchen Berichten ftehen, ift doch gar zu unfin«
ng. Aber man wird am Ente doch den Unfinn annehmen.
Sie fönnen feinen Tadel vertragen, die Sammermenfchen,
ie können's nicht, fie nicht! —
Dienstag, den 21. November 1854.
Außer feinem allmäcdhtigen Gott will der Menſch auch
fine Götter haben, nenn’ er fie Heilige, Genien, Helden, oder
uch nur Kürten. Wenn ed ihm an diefen fehlt, hat er eine
raurige Zeit. Wie ſchlecht fteht es darin jegt mit und? Wie
eſegnet war das achtzehnte Jahrhundert! Friedrich der Große
nd Joſeph der Zweite, Kant, Goethe, Voltaire, Rouffeau ! —
Es hatjemand die Bemerfung gemacht, daß troß aller herr⸗
benden, begünftigten und belohnten Yugendienerei und Höf-
ngsbeeiferung, doch nur Außerft felten ein Gedicht vorfommt,
elches dem Könige, der Königin, den Prinzen, oder gar den
Iiniftern gewidmet ift. Die frühere Zeit war hierin viel
tiger und befliffener, und brachte folchen Berfonen oft Gutes,
gar das Beſte, reichlich dar. Jetzt wird nur das fchlechtefte
ug zu folhen Zweden verwendet. Der König foll ſchon
hrmals über diefen Mangel fich unzufrieden bezeigt haben ;
nöchte, jagt man, gar zu gern befungen fein, aber freilich
# in der Art wie Heine, Herwegh und Freiligrath es ge⸗
sarnhagen von Enfe, Tagebüger. XI.
322
than haben! Seine fihwerbezahlten Tief und Nücert babın |
ihn übel getäufcht, und Kinkel, der ihn früher befungen, iſ
ſogar umgefchlagen. — |
Sch mag es noch fo gut wiffen, und ed mir vorhalten, daß
alle Rüdfchritte, die wir machen, nur dazu find, um den neuen
Anlauf zu verftärfen, daß die Troßbuben der Gefchichte de
Scheitern zufammentragen, die dann plöglich angezündet in
Flammen aufgehen, daß die wachjende Reaktion zugleich die
wachjende neue Aktion it: das innerfte Gefühl fträubt ſid
gegen diefen Troft, immer nur aus dem Schledhten das Gut |
hervorgehen zu fehen. Die Bande, von denen man weiß, Wh!
die Spannung fie fprengen muß, immer enger um die Buſt
gezogen zu fühlen, ift eine unerträgliche Beflemmung! Die:
Raumer’schen Regulative für den Bolfdunterricht laſſen mid
diefe Beklemmung fchmerzlichit jebt empfinden. — |
Mittwoch, den 22. November 1854.
Nachrichten aus Turin. Ganz Italien ift in fieberbaftrg
Aufregung, heißt ed, und verlangt nach Erhebung, nad Rewe
lution ; man habe in Deutfchland feinen Begriff von dem Sa
und der Verachtung, die man in Italien gegen alles Beſtehende
hegt, gegen Die Kirche, gegen die einheimifchen Regierungen,
gegen die fremden. Alle Geifter harten auf neue Gelegenhetſe
revolutionairen Ausbruchs; nur die Hebermacht roher Kriegbp
gewalt vermag diefen noch zurüdzubalten. An eine Beriög|
nung, an allmähliches Sichſchicken in die jegige Tage Ni
Dinge fei nicht zu denken, das fommende Gefchlecht wächſt ı
die Gefinnungen und Leidenschaften hinein, die das früher:
ihm überliefert, und dauere ed noch hundert Fahre fo fo
auch nach hundert Fahren wird Italien zur Revolutich
bereit fein, zur Abfchüttelung des Joches der Einheimifcek
823
nd Fremden. — So fteht ed nun freilih in Deutfchland
ht; hier find die Gemüther verföhnlich, und die Gewöhnung
irft allmächtig. Aber die Zuftände felbft find revolutionair,
id laſſen es zu feiner rechten Beruhigung fommen! Die
enge ded Volks ergiebt fi dem Zwang auf einige Zeit, aber
bleiben Männer und ünglinge genug übrig, die vom
ifte der Freiheit ergriffen nur an Zerbrechung diefed Zwan-
ı denken, und das mißlungene Jahr 1848 al? ein gelunge-
} zu widerholen hoffen. —
Ueber das „ Bürgermeifter-Gefchmeiß *, das von allen Sei—
auf Lebenszeit in die Erfte Kammer eindringt, wird viel-
’ gefchimpft, am heftigften von den Junkern, die fich ſolchen
ürgerftops* fchämen. Leider ift ed wahr, daß in ganz
eußen feit den lebten Jahren in diefe Magiftratftellen durch
berrfchenden Umstände nur die allerfchlechteiten Lumpen,
knechtiſchſten Burfche gelangt find. Man wollte nur folche.
rausnick, Groddeck⸗Olfers ꝛc. ꝛc.!“ Wenn die Mebdiatifirten
njtühle bekommen, ſollten jene billig nur Schemel haben! —
Betrachtung über Sitten und Lebensart; ſie werden beſſer,
will ich nicht läugnen, aber fürerſt nicht feiner, nicht ange:
mer. Wie felten findet fich jemand, der den Anftand und
Höflichkeit früherer Zeiten noch übt, noch weiß! Die Pir-
jität des gefellichaftlichen Xebens, eine fo wohlthuende, mil-
nde, erhebende Kunftmeiiterfchaft, verfchwindet felbft bei
Franzoſen. Und wahrlich, ed war viel Edles, Schönes,
nfchenfreundliches in dieſem Gebiet erzeugt, bewahrt, an
gt, . welches jet vermißt wird. In diefem Betreff bin ich
t demofratifch gefinnt. Doc hat ed in manchen Beifpie-
den Anſchein, als fei das Vermißte auch in den ariftofra-
en Kreifen nicht mehr zu finden. —
Der Theologe Wuttfe von Breslau ift hier unerwartet ale
feffor der Univerfität angeftellt worden; die Univerjität
te nichts davon. Er war biöher den Frömmlern ver:
21°
|
dächtig, man witterte Schleiermacher’fches und Heael’fce in
ihm. Nun aber hat ihn Hengftenberg — eine Hauptperien
im Raumer’jchen Minifterium — unter feine Flügel genommen.
Man argwohnt, daß Wuttfe ihm arge Verficherungen un
Bürgfchaften gegeben habe! —
324
Donnerstag, den 23. November 1854.
Die Nationalzeitung greift die vom Kultugminifter von
Raumer für den Volksunterricht erlaffenen Regulative kühn
und gründlich an, zeichnet deren Anmaßung, Verderblichkei
und Dummheit. Wöllner ift ein aufgeflärter Freigeift gege
diefen Raumer! —
Den König haben die Feltfegungen über die Hoffeierlid
keiten bei der bevorftehenden Vermählung in diefen Tagen ſet
in Anfpruch genommen; es find ein paar Fleine Abweichung
von dem früheren Jeremoniell beliebt worden. Dem Publitu
erfcheint es nur lächerlich, daß der Oberft-Truchfeß dem Könk
die Suppe, der Oberſt⸗Schenk ihm das Trinken darreih
jeder Kellner fagt man, verftünde das geſchickter zu made
Auch fpottet man über dad „St“, den großen Zumal
den der Titel der Hofämter befommen hat; fonft gab es m
Ober⸗, jetzt heißt e8 Oberft-, die Hoffchranzen felber madk
fich darüber luſtig. Ich mag nicht niederfchreiben, was |
alles fügen! —
Berathungen der nordamerikanifchen Diplomaten in Euroy
zu Ditende, die Erwerbung von Cuba betreffend. „Dasi
was anders!“ heißt es in einer holländiſchen Grabjchrift a
Tromp. —
Der Falkenthal'ſche Meineidsprozeß it auf unbeftimm
Zeit aufgefehoben worden, weil die Anklage noch Zeugen find
will. Falkenthal hat nämlich gefhworen, den Befreier Kinkel
325
enten Schurz, nicht gefannt zu haben; die Perfon
lich gekannt, aber unter einem andern Namen,
a fpäter Zeit erfahren, daß diefe Perfönlichkeit die-
die Schurz heiße. Auch der Schließer, der Kinkel's
jünftigt hat, ift wieder verhört worden, ‘Diefe Kin-
iche wird mit gehäffigfter Schärfe behandelt, man
ı einen höhern Orts noch ungeftillten Zorn und
fennen.
'adrid wurde am 7. November ein Schaufpiel aufs
eſſen Stoff die Hinrichtung Riego's war. Das Pubfi-
Riego’n und Espartero'n, der unter den Zufchauern
nmen wurde, hoch leben. Ein Zeitungsblatt feierte
. November 1823 ftattgehabte Hinrichtung durch
d, und durch furchtbare Berwünfchungen des bruder:
en und feigen Königs Ferdinand des Siebenten. —
Freitag, ben 24. November 1854.
Rationalzeitung fest ihren Angriff auf ded Miniftere
er Regulative für den Bolfdunterriht muthig und
ort; die Meberlegenheit ded Geifted und der Kennt:
» groß, daß der Minifter, wenn ed nur auf Diefe
mit Schimpf und Schande auf dem Rüden läge und
von fich ftredte. Aber die rohe Gewalt fteht ihm
, mit diefem Beiftand fann auch ein Orangutang
tinifter gebärden. Wie ed mit dem Machtivefen bes
:, bat man nod) nicht genug ergründet; es iſt viel
tartiged, aber auch etwas Geheimnißvolles dabei,
ed fonft möglich, daß einzelne Menfchen, troß allae-
iſſes, allgemeiner Berachtung, im Befige der Macht
ich behaupten! Daß fie auch im Beſitz aller Macht
ichkeit elend und nichtewürdig bleiben, das ift eine
he; died Fönnen fie nicht ändern. —
326
Böckh fendet mir feine Feftrede vom 15. Oftober m
freundlichen Empfehlungen. — In Böckh's Rede ift man
Gute, fehr viel Geſchicktes; das Beſte ift die lobende Wi
digung Fichte's, des edlen Fichte. —
Die zweite Hälfte der von den Kammern bewillig
30 Millionen Thaler wird jebt durch Anleihe flüffig gem
Wo will dad hinaus? Ohne Rüſtung, ohne wirkliches 4
treten! Was foll erft werden, wenn die Truppen in’)
rüden, wenn ein mehrjähriger Krieg geführt werden muß?
Der König will durchaus, daß Werder ale ordentli
Profeffor angeftellt werde, er liebt ihn wegen des Columt
Allein der Minifter von Naumer und die Frömmler find ge
den Segelianer, der auch noch nicht einmal peccavi gejagt,
die Univerfität ift ebenfalld gegen ihn. „Die Univerfität t
gewöhnlich gefragt bei neuen Anftellungen, bei folcen a
die man als befonderd wichtig anficht, wird es unterlal
Dan ift höflich, jo lange man es bequem findet, dann ı
plöglich einmal grob, und dann fchweigt alles.“ —
— — — —— —
Sonnabend, den 25. November 1854.
Nachmittags kam Graf von Wartendleben ; wir gi
feine Familienpapiere durch und beſprachen frühere Ber!
niffe. An einem genenlogifhen Faden Täßt fich ganz «
nehm ein Gang durch die Gejchichtdereigniffe machen.
fieht dabei recht deutlich, wie viele Herrlichkeit und
fpurlos zu Grunde geht. Einem jungen Offizier ift ein !
mentöfamerad, eine Schaufpielerin, ja ein ſchönes Pfe
Augenblide mehr werth, als alle feine Ahnen, deren Urf
und Bilder. —
Der Faktor der Trowitzſch'ſchen Buchdruderei bracht
den zweiten Bogen der Arnim’fchen Gedichte. Große '
327
DerSeper kann die Arnim’sche Handichrift noch weniger lefen,
ala ih, er läßt ganze und halbe Zeilen zur Ausfüllung Teer,
Ich weiß mir dabei nicht zu helfen. Es war mir bei der Bot-
ſchaft, ald wäre mir eine friſche Wunde gefchlagen, fo fühlt’
ih dad Unheil, und wurde es den ganzen Abend nicht los.
Ale Stimmung war dahin. Bettina, Bettina! Was hat fie
mir aufgebürdet! Es thäte noth, ich ſchriebe alle Arnim’fchen
Gedichte ſelbſt ab, oder noch beffer ich Dichtete fie neu! —
Wie traurig fieht ed in dem armen Würtemberg aus!
Der König iſt ganz in Nichtigkeit verfallen, läßt die Mächte
und den Bundestag und die Reaktion walten! Dem Lande foll
eine ungeheure Laſt aufgebürdet werden in Entfchädigunge-
fummen, die der Adel verlangt und die der Bundestag ihm
zuſpricht. Das wird ſchlimme Folgen haben, nicht jept gleich,
aber fünftig ; der Adel wird feinen jegigen Gewinn büßen ! —
Zu gleicher Zeit herrſcht Dunkelwefen und Polizeigewalt.
Dem Profeſſor Roßmäßler find in Stuttgart feine geologifchen
Vorlefungen verboten worden. Beim Buchhändler Göpel
war Hausſuchung wegen eines Buches, dad man von Diezel
verfaßt glaubte, da die Handſchrift aber eine andre war, fo
land man von weitern Dingen ab. —
Klofe fragt nach dem Urfprung ded Spruches „habent
ua fata libelli“. Die Philologenverfammlung in Alten:
ırg wußte ed nicht; man glaubte, er fei von feinem Alten;
Dresden fagte jemand, er fei von Erasmus. Späterhin
gte mir Bödh, er jei aus dem Terentianus Maurus.
„On meurt deux fois, je le vois bien;
Cesser d’aimer et d’&tre aimable
Est une mort insupportable,
Cesser de vivre ce n’est rien.
Voltaire.
328
| Sonntag, den 26. November 1854.
Ich begann den Tag mit der Arnim’fchen Korrektur, m
der ich Augen und Berftand fchmerzlich anftrengen muht.
Arnim's dichterifcher Ausdrud erfcheint oft als Unfinn, mil
er durchaus mit Versformen und Reimen entzweit war, — u
hätte nur in Profa fchreiben follen, wo ihm Vers und Reim,
wie doch oft genug gelingen, ift ed ein Glücksfall, — kann
man nur eine Zeile nicht lefen, fo will man einen klaren Sinn
heraugsiffern, während der rechte eben nur ein fehr unklare
ift. Nachdem ich mich weidlich abgequält, und einen Abfhlus
mehr erzwungen als gefunden hatte, ging ich aus, um Luft
zu fchöpfen, mit Ludmilla. Beſuch beim Geheimrath Bödh;
er war fichtlich erfreut. — Großes Lob Fichte's, „das wur
doch noch ein Mann!“ Ueber die Philologen klagte er aud,
die meiften trieben ihre Sache blos als Pedanten, als ga:
lofe Wortflauber; ich erinnerte ihn, daß er feiner Rede ein
Wort von Pindaros, ohne ihn zu nennen, einverleibt hal,
er wußte nicht was ich meinte, nachdem ich die Stelle genannt
— anigaı Ö’ Enthoınoı uagrvpss Gopwraros —, jagt ti:
„Ja da fehen Sie gleich ein Beifpiel der fpibfindigen Klügelei,
da hat einer vorgefchlagen, anftatt ded guten vopwrare
das fchlechtere vaysoraros zu ſetzen!“ Darauf noch übt
Galusky, Hapfeldt, Ravaiffon ꝛc. —
Man fagt, das Minifterium beeile fich, die zweite Hälfte |
des Anlehnd von dreißig Millionen flüffig zu machen, beat
noch die Kammern eröffnet werden, da nachher eine neue Er *
laubniß nöthig fein würde. Gin Bedürfniß zum Gebraud it
nicht vorhanden, fogat von der erſten Hälfte find nur erft, heit
ed, drei Millionen verbraucht. — Entwürfe zu einem neuem i
Wahlgeſetz für die zweite Kammer, einer fehlechter ale der
andre. Sie wollen den Unfinn der biöherigen Wahlordnung
für die erfte Kammer auf die zweite übertragen, doch find
fie no nicht darüber einig. Sie möchten auch die zweite
829
ı einer Adelöfammer machen; das ftändifche Prinzip
te eigentlich eine von Bürgern und Bauern. Sie
zweite Kammer lieber ganz abjchaffen, und die erfte
eile fchneiden, dann haben fie zwei! — Des dums
fein Ende! —
Montag, den 27. November 1854.
Rontagsblatt „die Feuerſpritze“ verliert von heute
bisherigen Redakteur Dr. Koſſak; fehr fchade! er
yaderer Kämpfer und voll guter Einfälle. — Ge—
über ein Herrenhaus, das mit Sträflingen bevölkert
Zuchthaus für vornehme Leute! —
eichnung eined Zufag-Artifeld zu dem preußifch-
hen Bertrag in Wien; Defterreich hat in der Form,
ber in der Sache nachgegeben. Am Bundestage
einig!
nd erflärt, die vier Garantieen zur Grundlage von
rhandlungen annehmen zu wollen, Preußen glaubt
I empfehlen darauf einzugehen. Das giebt Spiels
ſeuen Ränken, zu neuen Rüftungen! Wem ift hiebei
—
yon Raumer's Buch über Univerfitäten, oder vierter
er Gefchichte der Pädagogif. Für mich ſehr anzies
‚ feine Erwähnung feiner und meiner Univerfitäts-
Ne, feine Anhänglichkeit an Steffens, Schleiermacher
rich Auguft Wolf, Seine beffere Gemüthsart
it oft die rohen chriftlichen Frömmigkeitsauswüchſe,
ı äußerlich angebildet hat. Unter frifchen Leuten
beſſer geblieben fein, jchwächliche Freunde und Ge-
n haben ihn früh abgefchwächt. —
ar heute zu folgender Betrachtung veranlaßt: Wenn
dadurch daß ich die Andern, wie hoch fie auch ftehen,
330
zurüdlaffe, fo it das fo ehrenvoll ald richtig; will ich af
dadurd höher ftehen, dag ich die Anderen herabſetze, fo £
zeichne ich damit nur, wie tief ich unter ihnen ftehe. D
ift politifch wahr und litterariſch. —
Die Negulative für den Voltsunterricht hat nach Anw
ſung des Kultusminiſters von Raumer der Geheimrath Stie
verfaßt; dieſer und fein würdiger Geſelle Geheimrath Wi:
find die Haupthelfer des Minijterd in allen Rückgangsma
regeln. Schinderhannes und Cartouche mit ihren Spie
gefellen allen haben nicht foviel Schaden geftiftet und Ueb!
gethan ale diefe Grundverderber ded Volles und des Staat
dieſe Heuchler und Knechte! — (Stahl Mitarbeiter.) — D
fer Geheime Regierungsrath Stiehl hat noch vor.ein pa
Jahren, ald er mit Böcdh aus einer Gefellfchaft nah Hui
ging, auf der Straße laut die freifinnigftien Reden geführt,
dreiften Tadel gegen die Minifter ausgefprochen, daß Ds
ihn noch warnte, nicht fo laut zu reden! Solche Leute fü
und hegt und befördert die Regierung! —
Geheime Nachrichten über Perfonen, von der Polizei ı
ſammelt, Tiegen auf dem Polizeiamt in großer Menge geordı
zum Nachſchlagen bereit, Berhältnifle, Gefinnungen, Umga
Heußerungen, alles wird hier eingetragen, natürlich nad !
unzuverläfjigiten Angaben der untergeordneten Zuträger, lei
finnigen oder boshaften Klätſcher. Herr General v. Braudi
befah mit einem fremden Prinzen das Polizeiweſen bier, ı
durfte das unter feinem Namen Eingetragene zum Spaß Ic
doch natürlich nur die äußerlichen Angaben, nicht Die gebein
Dienstag, ben 28. November 1854.
Die elenden Regulative find nun wirklich an die St
behörden zur Nahachtung übergeben. Nun jollen ähn
\
331
für die höheren Echulen auegearbeitet werden. Auch die
Spener'fche Zeitung eifert gegen den Unfug. Verruchtes, heil-
loſes Getreibe der Heuchler und Frömmler! —
Es fommt nun ziemlich an den Tag, daß wie der Kaifer
von Rußland im Kriegsweſen nur das Untere verfteht, fo auch
Louis Bonaparte von den Einfichten feines Onkels nichts geerbt
hat. Der Krieg wird von allen Seiten fchlecht geführt ; Omer
Paſcha fcheint noch am meiften Feldherr zu fein, allein die
Hände find ihm gebunden. Blut fließt in Strömen, es ift ein
wahrer Gräuel! —
Der Deutfche Bund foll alfo auf Defterreihd und Preu-
bene Anregung fich wehrhaft zeigen! Mir ift dabei zu Muthe,
wie im Jahr 1848, ald die deutfche National-Berfammlung
fh durch fcheinfame Borfpiegelungen berüden ließ, und eine
Stätkung der Kriegsmacht in ganz Deutfchland anbefahl. Das
beißt den Regierungen, den erfchrodenen aber nicht überwun-
denen Regierungen, Waffen in die Hände geben, die auch ſchnell
genug gegen den Bund gebraucht wurden! Wenn jebt Deutjch-
land waffnet, wer wird denn ftreitbar? Die Regierungen, die
mit wenigen Ausnahmen alle indgeheim oder auch offen für
Rußland geftimmt find! Wer weiß, in welcher Richtung Die
Dundeäfräfte vertvendet werden! In Berlin herrfchen die
Aufenfreunde, in Wien haben fie noch großen Einfluß, —
wenn die Weftmächte in der Krim großed Unglüd haben, fo
fönnen wir ungeheure Schwentungen erleben. —
Der ruffifche Gefandte, Herr von Budberg, hat einem hie-
figen Hofmann im Vertrauen gefagt, feit der Unterzeichnung
ded neuen Vertrages zwiſchen Preußen und Defterreich, fei
Preußen für Rußland nicht mehr zuverläffig, fondern zweifel-
haft; er habe auch ſchon diefe Meinung nad) St. Peterdburg
berichtet, er wolle es nicht machen, wie Kiffeleff oder Meyen-
dorff, fondern die Wahrheit fagen, auch Die unangenehme. —
Hannover bat gegen die preußifche Erwerbung ded Jahde⸗
332
buſens Einfpruch gethan, fie fei den Verträgen des Haufe?
Braunfchweig mit Oldenburg entgegen. Hannover will an
den Bundestag deßhalb gehen, ein Aufträgalgericht fordern 2C-
Preußen beachtet den Einſpruch nicht. — |
Ein ſehr ftiller, praftifh mit Erfolg thätiger Mann, vet
von allem politifchen Treiben auch im Jahre 1848 fih feet
gehalten hat, „weil er in fich dazu feine Fähigkeit fühlte '
fagte neulich ganz Falt und aelaffen, zum Erftaunen der pas!
Freunde, die ed hörten: „ch verlange nur fo lange zu lebeut,
bis die Republik da ift, die will ich gern noch mit meine
Augen fehen, dann will ich fröhlich fterben!* —
Mittwoch, den 29. November 1854.
Königliche Ernennungen zur erften Kammer, lebenslͤnc
lihe Mitglieder aus perfönlichem Vertrauen und vie
Kronſyndiker. Der Kehricht ded alten Staatöprunfes, ee
Sammelfurium zum Ekel, ed wird einem ganz jämmerli
dabei! — Herr von Arnim-Krieven, Mühler, Uhden, Savignu@
Stahl, Brüggemann, Pernice ꝛc. —
Sturmwinde im ſchwarzen Meer. Scheitern vieler Tran
portfchiffe und einiger Kriegefchiffe, große Verluſte. Be
Sebaftopol ftill. —
In Goethe gelefen. Englifches, Franzöſiſches. —
„Sollten die Ruſſen fiegen, follten Preußen und Defter-
reich und der Deutiche Bund fich mit ihnen zur neuen Heiligen
Alltanz vereinigen, die ganze Maffe fich gegen Frankreich und
England wenden, dann — ift ed Zeit audjuwandern, dann
wird der Zuftand nicht mehr zu ertragen fein, und die Weiter:
entwidlung, die unfehlbare zur Fünftigen Freiheit, können
wir nicht mehr abwarten, wir müſſen den Reſt unfres Lebens
dann retten!" —
338
Donnerstag, ben 30. November 1854.
Gejchrieben; gegen die Nationalzeitung, die von mir
gröpern Eifer für die Sache der Franzofen und Engländer ver-
langt, als ich haben fann. Diefelben Gründe, die mich be-
fimmen, an den Wahlen nicht Theil zu nehmen, beftimmen
mid, den Kriegsgeſchicken nur eine bedingte Theilnahme zu
widmen; meine Sache findet dabei feine Stelle. Gewiß find
mir befiere Wahlen lieber als fehlechte, die Erfolge der Ber-
bündeten lieber als die der Ruſſen, — aber meine Leute fün-
nen nicht gewählt, meine Erfolge nicht errungen werden !
Bergefien wir feinen Augenblid, daß unfere Suche die der
Freiheit, die des Volkes ift, und diefe jet nicht zur Entſchei⸗
dung liegt. —
Die Zeitungen überrafchten mich durd den Bericht von
Der heute ftattgehabten Eröffnung unferer Kammern, — diefer
Auddrud ift noch seibehalten. Ich hatte diefer Gefchichten
garnicht mehr gedaht. Die Ihronrede farblos, das Ge-
Pränge deito bunter. In der erften Kammer ftanden eilf
Lehnſtuͤhle leer; die Königlichen Prinzen haben ihre Pläpe
nicht eingenommen. Die Mediatifirten find auegeblieben,
zum größten Verdruß des Könige; fie meinen durch den Ber:
faſſungseid fich etwas zu vergeben. Die zweite Kammer ift in
ihrer alten geringen Einrichtung geblieben , die erite dagegen
vrahtool! aufgepugt worden, man fagt für eine fehr große
Summe habe der Tapezier Arbeit dazu geliefert. „Da wird
der Tapezier,“ bemerkte die Gräfin Klotilde launig, „zur Bes
lohnung ſelbſt Pair werden, wenn er ſich ein Landgut kauft
und den Grundbefig alt und befeftigt werden läßt!“ Im
Ganzen fpricht man von den Kammern — und bejonders von
der erftien — nur mit Verachtung und Spott oder mit völlig-
fter Sleichgültigfeit. —
In Goethe gelefen, in Thaderay; neulateinifche Gedichte
Ducchgefehen.
334
Der König bat den Verdruß, daß die Bevorzugung ii
alten und befeftigten Grundbefiged, auf die er fo viel hält,
im Pofenfchen ganz zu Gunften der Polen ausfällt, denn de |
eingewanderten deutſchen Edelleute find alle nur neue Befike.
Es ift große Luft vorhanden, den Grundſatz durch VWillir
abzuändern. Willfür und Laune follen ftets über alles gehen,
das ift die Hauptfache. —
Freitag, den 1. Dezember 1854.
Nachrichten aus Wien; die Berhältniffe find äußerſt a
ipannt, befonders ift man beforgt wegen der Finanzen, min
fürchtet alle möglichen Mißgeſchicke; die Regierung ift ein
der bloßen Gewalt, alles Bertrauen, alle Xiebe find dahın.
Der wiederbergeftellte, auf ein ftarfes Kriegsweſen gejtüptt
Kaiferftaat ift doc immer in Gefahr yplößlich gefprengt ju
werden, feine Beftandtheile ftreben auseinander, Wäre Kt
Kaifer von Rußland, heißt es, der rechte Dann, er hätte lid
ted Spiel mit Defterreich. — Ja, wär’ er der rechte Man:
Hier ift ein Konftabler, der eine Frau mißhandelt hattt
vom Geridht zu 6 Monat Gefängniß verurtheilt werke '
Hindeldey nahm den Mann nicht in Schuß, und läßt ſich nun
ungeheuer dafür loben. Uber die brutalen Mighandlungn, |
die gegen Demokraten verübt worden, durch den ſchändlichen
Schergen Kaifer, bleiben unbeftraft! —
Ein Gutsbeſitzer hatte mit den Eingefeffenen feined Dorjei
fich berathen wegen einer von ihnen zu gründenden Schule;
der Landrath Flagte, daß man ihn nicht vorher davon benad-
richtigt habe; Das Gericht aber ſprach den Gutsbeſitzer frei, der
für gutgefinnt gilt. —
Diele Erzählungen und Spöttereien über die legten Hof
fefte, deren Prunf und Aermlichkeit ; neue Livreen und Koftüme
und Mangel an Speifen; es fol eine wahre Bettelwirthſchaft
335
efen fein; die verhungerten Lieutenantd, zufammen mit
ſolchen Fräuleins in einen Saal gebannt, öffneten einen
tank, in Hoffnung, daß Lebensmittel darin feien, e8 fanden
aber nur Wafchfchüffeln und andere Gefäße. Die Stadt
ol von Geſchichten der Art, von Anidereien und Mängeln
nöthigften Dinge. Man fchimpft allgemein auf die Hof-
ihtungen, und fpottet über die Anfprüche, die der Hof
bt, einer der prächtigften zu fein! Man findet, daß die
fachheit ded Hofd unter dem vorigen Könige viel reicher
' würdiger gewejen fei. —
In Thaderay gelefen; im Philoftratos und Plinius. —
Bon Stahr in der Nationafzeitung ein guter Auffag über
ing’® Emilia Galotti und deren legte Vorftellung hier auf
Königlichen Bühne. Schönes Lob Leſſing's, herzerfreuend!
Sonnabend, den 2. Dezember 1854.
Die Frage wird aufgeworfen, wie ed nur möglich fei, daß
ſolches Minifterium der Mittelmäpigkeit, wie das jebige
ußifche, fich fo lange hält? Die Antwort ift fogleich, weil
de ein ſolches den Erforderniffen am beiten entfpricht; der
nig würde bei kräftigen, entſchloſſenen, gejinnungsvollen
niftern nicht felbft zu regieren glauben, die fremden Mächte
ı diefen allerlei fürchten, die Partheien im Lande diefen
off gegenüber fteben; die jegigen Minijter find wie die
he, auf denen man fchreibt, wie auch der Inhalt des Ge-
iebenen ausfalle, niemanden wird es beffommen, das Holz
aus jene beitehen, dephalb zu befchuldigen. Auch die Kam⸗
n entiprechen diefen Miniftern, es ift alles in demjelben
ın. Die Kraft ded Staates, durch welche Diefer noch be:
t und einigermaßen gedeiht, beruht auf den tüchtigen Mit-
und Unterbeamten, die noch aus früherer Zeit übrig find,
die Meberlieferungen eines befjern Geiftes fortjegen, durch
336
Kenntniß, Ordnung, Redlichkeit. Doch wie weit diefe Kraft
reicht, ift jehr zweifelhaft; in den obern Regionen hat fie fein
unmittelbare Wirkſamkeit, wird fie vielmehr — fofern fie in
ihrem Wefen erkannt wird — gehaßt und gefchmäht, und ei
ift nicht zu läugnen, daß unfer Beamtenftand im Ganzen ſchon
Ihredlih verloren hat, an Ehre, an Selbftftändigkeit und |
Gediegenheit. Man will nur Knechte und findet fie in Meng. |
Nachrichten aud Paris; Louis Bonaparte finnt auf aufer
ordentliche Schläge, die ihm vor der Welt neues Anfehen
geben, denn er fühlt den Boden unter feinen Füßen manten.
Er foll neue Eröffnungen an Cavaignac und Ramoriciere ge
richtet haben, er foll bemüht fein Leute von Geift und Talent
für fi zu gewinnen; bis jeßt ohne Erfolg; feine beften Diener
im Krieg wie im Frieden find doch nur ald Gefindel angeſehen,
und er ſelber ſchämt fich ihrer, mißtraut ihnen. —
Die Rufen führen den Krieg mit barbarifcher Graufım-
feit, tödten die Berwundeten, morden und metzeln noch nah
dem Kampf, ihre eignen Verwundeten ftechen und fchießen auf
die Wundärzte, von denen fie verbunden, auf die Offiziere,
durch die fie gerettet, gelabt worden. Doc hat im müthen:
den Kampfe der menfchliche, gefittetere Soldat das entſchiedene
Mebergewicht über den wilden, thierifh wüthigen. Entſetz⸗
liche Beifpiele roher Graufamleit von Seiten der Ruffen wers
den in englifchen Blättern thatfächlich angeführt. —
Der König ging, ald er die erfte Nachricht von der Ab:
weifung Elöner’d erhielt — man verfehlte nicht ihm diefe ala
äußerfte Gehäffigeit gegen die Treue an ihn und fein Haus
vorzuftellen, — ganz aufgebracht im Zimmer umher, indem er
fich wiederholt auf die rechte Wade fchlug und immer ausrief:
„Es ift gar nicht zu glauben! Es ift zu arg! und darf nicht
geduldet werden !* So erzählen Elsner's Freunde. —
— — — —
337
Sonntag, ben 3. Dezember 1854.
Bon Sebaftopol geträumt, Kämpfe, Berivundete, wie ich
bingefommen, und was ich dort follte, war unklar. —
Besuch vom Geheimen Rath Bödh; er erzählte manches
und ſprach überaus frei. Seine großen Kenntniſſe und fein
ftarfer Geift find anzuerkennen. — Bald nachher kamen die
Herren Kapp, Bater und Sohn; der erftere um Abſchied zu
nehmen. Ueber die hiefigen Kunftbeftrebungen, Bildhauerei,
Muſik ꝛc. Weber die politifchen Ausfichten ꝛc. —
Geſtern, in der Monatsfigung der geographifchen Gefell-
ſchaft, haben die fämmtlichen Offiziere, welche bisher Mitglie-
der derfelben waren, fchriftlich ihren Austritt angezeigt. Die
Reaktion ift eifrig und verfolgt ihre Sache mit Nachdruck. Es
" wird ihre heimkommen! Geduld! —
Der König hat fich über die Zeremonie bei der neulichen
„A. Bermählung, die immerwährenden Knire, den Yadeltanz ıc.
SI 0 Spott» und Wigreden luſtig gemacht, die den Erzellenzen
Und Höflingen fehr empfindlich find. „Warum ordnet er die
Zeremonie denn an?" hört man fragen. Gewiß ift es, daß
alle dergleichen Poſſen, Koftüme, Buntheiten außer der Zeit
liegen, altfränfifch und lächerlich erfcheinen, in der Zeit, aus
, der fie herftammen, waren fie in Webereinftimmung mit allem
| andern, jetzt wird der Widerſpruch, in welchem fie mit allem
ftehen, täglich größer. Das Brautpaar felber foll nur mit
| Biderwillen und Beſchämung feine Rolle in diefen „ Chinefe-
reien“? gefpielt haben. —
Boͤckh jagte, der Spruch „Habent sua fata libelli“ fei
: aus dem Grammatifer Terentianus Maurud, dem Zeitge-
| noffen des Martialis. — Das Boraudgehende „Pro captu
; lectoris“ hält er für den fpätern Zufaß eined Anwenderd, —
Engliſche Blätter bedrohen Defterreih, wenn es ſich nicht
5 bald enifcheide, fo werde man es gar nicht mehr berüdfichtigen,
| und den in fich zerfallenden Staat fünftig ale Entihäbigungs-
Barnbagen von Enfe, Tagebüder. XI.
338
maffe betrachten, aus der man die kriegführenden Mächte zu
frieden ftellen könne; das Schickſal von Polen wird angeführt. |
Das Gewichtige diefer Drohung Tiegt in der Wahrheit, dh
wirklich Defterreich wie Preußen nur noch in der Henperlid:
feit ftark ift, jeden Augenblid ift Schwäche, Verfall, Auf
löfung möglih. Zum Glüd für diefe Staaten ift aber nur
der falfche, nicht der rechte Bonaparte da; was hätte Letzteret
für ein gutes und leichted Spiel! —
Montag, den 4: Dezember 1854.
Nachrichten aus Rußland; wie überall auch dort, was mit
dem Hof und der höheren Staatsbehörde zufammenhängt,
fpiegelt Eifer und Begeifterung für den Kaifer und feinen
Krieg vor, das Volk ift ganz gleichgültig, der befohlene Re
ligionsfanatismus will ſich nicht zeigen, im Gegentheil wäh
Mißmuth und Tadel, daß der Kaifer aus leichtfinnigem Chr |
geiz den fehweren Krieg in’d Rand gerufen, der fo ſchlecht ge ;
führt wird. In St. Petersburg liegt aller Handel darnieder, ,
in Moskau leidet man weniger, fpricht aber die Unzufrieden 3
beit fi mürrifcher und drohender aus, Eine Regierung, de:
fein Glück hat, die fortgefegte Unfälle trägt, ift jept gleich ein:
gefährdete! Wie verfchieden von jonft! —
Die Zeitungen brachten die Nachricht, daß am 2. Degember |
zwiſchen Defterreich und den Weitmächten ein Bündnißvertrag .
unterzeichnet worden. Alſo gleich hinter dem Vertrage bet, ,
den jest eben Preußen mit Defterreich gefchloffen, und bevor ;
noch der Bundestag fich ausgeſprochen hat! Hier wollte
man fich jchmeicheln, Preußens neueiter Bertrag habe geheime
Artikel, Die Defterreich hemmen, fi ohne Preußens Einftim-
mung weiter mit den Weitmächten einzulaffen; man fiebt, dap
died nicht der Fall ift, dag Defterreich nicht gehemmt iſt, oder
839
ung troßt. Preußen erfcheint bei allem diefen in
r Geftalt! —
könig war bei der erften Nachricht von dem in Wien
neten Bertrage ganz wie betäubt, nachher aber gerieth
n, und wüthete heftig, nun fei e8 Zeit, gleich das
il zu machen, und mit Rußland vereint über Defter-
ufallen. Danteuffel gab ihm in allem Recht, um
Widerſpruch nicht noch mehr zu reizen. Alles am
mie ein, Krieg! Krieg! war die Rofung, man ſprach
ı wildeiten Reden aus. —
Dienstag, den 5. Dezember 1854.
nittagd Befuch vom Herrn Grafen von *. Der Ein-
am 2. d. M. zwiſchen Defterreich und den Weft:
ohne Preußen geſchloſſenen Vertrags erregt hier in
en Beftürzung, Unmillen, Befchämung. Einige
fern Gefandten in Wien an, andere den Minifter-
n von Manteuffel; warum nicht Tieber dad Ganze
leitung, die Durch und durch unfähig, falſch und
ſt? Sonntagdfeier, Frömmelei, Umkehr der Wiffen-
ahlerei, Feigheit, Verfhwendung, Eigenfinn, Rach⸗
es gehört alles zufammen. Dabei könnten die fähig«
idten, die beiten Generale, denen feine Oberleitung
nichts helfen! — Mittheilungen mancher Art; er
erfährt viel, was ich nicht unmittelbar erfunden
er befommt er von mir gefchichtliche Auffchlüffe, die
ı geblieben. —
teuzzeitung berichtet über einen Artikel über Preußen
eften Revue des deux mondes, worin der König,
1 und die Kreuzzeitungdparthei furchtbar herunter
erden. Die Angriffe fcheinen von Wohlunterrich-
22°
340
teten zu fommen, das Blatt deutet auf die Barthei Bethmann- |
Hollweg. —
Der Bundestag, von Defterreich gut geſchult, hat eiligi
feinen Beitritt zu dem preußifch - öfterreichifchen Vertrag er :
flärt. Defterreich war des Beitrittes verfichert, und warte 4
nicht erft, daß er audgefprochen würde, fondern ſchloß mit ia
Weſtmächten ab. Für's erfte alfo — Fein Rheinbund! —
Künftig? Wer weiß? —
Nahträglich erfahren: Nur erft die Rommiffien, nicht det
Bundestag felbft.)
„Rebenderinnerungen von Chriftoph Heinrich Pfaff. Kiel,
1854." 8. Bom Prof. H. Ratjen in Kiel herausgegeben.
Die trodene und dürftige Aufzeichnung der Lebendgefhik
eines deutfchen Gelehrten, deſſen frühe Begeifterung für de!
franzöfifche Revolution bald verdampft, und deffen fpätt |
Weltbetrachtung ſich im Kreife der Gewöhnlichkeit hält. Der:
Eindrud unerfreulih. —
Am Hofe fehreit alles Wuth und Nahe, Preußen foll )
feft mit Rußland verbünden, feine Heere marfchiren laſſen, u:
Böhmen einrüden, am Rhein vorgehen, fich Belgiens ur:
fihern; die Hofoffiziere überbieten fi in hbeidenmüthigm:
Verheißungen. Der König hält Franfreih und England fr}
bereits erfchöpft, unfähig zu neuen Kraftanftrengungen ; wen
bad Unternehmen gegen Sebaſtopol ſcheitert, fo iſt man w
Stande, den verderblichiten Täuſchungen thöricht zu folgen! —:
Der König, vom General Leopold von Gerlad aufge“
ftachelt, hat befohlen, daß alle Offiziere aus der geographiſchen
Geſellſchaft austreten. Doch hat es der Prinz Adalbert nel
nicht gethan, auch der Prinz Wilhelm von Baden ne
nicht. —
— —o — —
341
2 . Mittwoch, den 6. Dezember 1854.
\ Geſchrieben; über den Sammer der politifchen Zuftände;.
se nirgends in Europa, mit Ausnahme Spaniens, ift jet die
; Freiheit voran, auch in England nicht ; überall ift Macht und
mi Anſehn Der beftehenden Regierungen, alfo der freiheitöfeind-
ip 5 lichen, die Hauptfache, und felbft die beften Freiheitsmänner
laffen fi in diefe hineinziehen, ale wär’ e8 auch) ihre. Daß
- Ne jetzigen Streitverhältniffe zu guten Erfolgen leiten können,
rn weiß ich recht gut; aber welche Umz- und Nebenmwege! —
1 Die Pariſer Zeitungen ſagen es laut, daß Frankreich die
Fr preußifchen diplomatifchen Eröffnungen gar nicht beantwortet,
SE jaderen Empfang nicht mehr befcheinigt, und ebenfo verächt-
FE lich werde Preußen von England behandelt. Die Weftmächte
EEE find einiger ald je. —
Yu Nachmittags Beſuch von Herrn Bentejoul; ein harmlofer,
Se gutmüthiger und recht kluger Menſch. Wir fprachen von
_ | neueren Schriftftelleen über die franzöfifche Revolution —
a vom Aufenthalt in Paris ꝛc. Die neueren Schriftfteller
E über die franzöfifche Revolution haben unendlich mehr That:
ſachen, Einfichten, Enthüllungen, Ueberblicke, ald den früheren
m Gebote ftanden ; allein diefe haben, was jenen faft ohne Aus-
mas uhme fehlt, den wahren Geift, das Achte Gefühl, den eigent-
fhen Karakter der Dinge, die fie erzählen; in diefem Betreff
ſtehen Michelet, Louis Blanc, Thiers und Lamartine weit zu:
rück gegen Rabaut de Saint⸗Etienne, les deux amis de la
Häiberte, Bailleul ꝛc. —
B__ Sn den Abendblättern fteht nichts Neues, als daß die Be:
fchießung Sebaftopols, die kurze Zeit unterbrochen war, wieder
Mfortgeſetzt wird. Beiden Heeren bringt der Winter große
Roth, doch den Ruſſen weit mehr ald den Verbündeten. —
Es ſollen Nachrichten aus St. Petersburg bier fein, daß
der Kaifer Nikolai auf den Krieg mit Defterreich ganz gefaßt
it, und an keinen Frieden denkt, aber dagegen feft darauf
342
rechnet, daß Preußen und der deutfche Bund neutral bie
oder doch nicht Exrnftliches gegen ihn thun werden. Derfi
foll ihm hierüber die beftimmteiten Verficherungen er
haben. Die Ruffen fammeln eine große Macht in Polen
Biel in Goethe's Tpäteren Gedichten und profaiichen
fägen gelefen; da giebt ed immer Neues zu erkennen
Altes zu verarbeiten! So fehr Goethe’d Alter im Ge
heiter, kräftig und im edelften Berufe thätig war, fot
ich doch heute mich nicht ded Eindrudd erwehren, daß er
chwere Stunden des Mißmuths und Unbehagens zu erh
gehabt, nicht gerade durch beftimmte Vorgänge, fondern
die Stellung jelbft, welche das Alter zu Neben und Wel
merklich befommt — es find nicht mehr diejenigen, denen
fi) innig angehörig fühlt! —
Eckermann ift in Weimar am 3. Dezember gefte
Geh. 1792. —
Ein enalifches Blatt jagt, wenn Preußen feine Au
nicht willig ausführe, fo bleibe nicht? übrig, ala es ſchim
auf den Kampfplatz zu fhleppen ; wenn die deutjchen Fi
zauderten, gegen den allgemeinen Feind Parthei zu nef
jo müffe man mit ihren Unterthanen fprehen. Das ift
deutlich gefprochen und zeigt, daß man jehr gut weiß, w
es anfommt! —
Die meiften Menfchen haben viel Schaufpielerhaft
Mimifches, wie ed Harfcher zu nennen pflegte, — di
Großen wie im Kleinen ſehr läftig und widrig ift, bei:
für ſolche Leute, die ed gleich erfennen, und feinen Aug
davon getäufcht werden. ch werde davon gleich zur
tigiten Angriffe gereizt, oder zu gänzlichem Berftumm
bracht. Keine Spur von folhem Shaufpielmefen n
Rahel, keine! —
Heute Vormittag ift der König wieder bedenflich gew
343
Manteuffel's BVorftellungen gehört, in ganz verän-
Stimmung. —
Donnerstag, ben 7. Dezember 1854.
Sonnenblid ift ſchon was in foldhen trüben Tagen,
gengrug! Man hält etwas Gutes und Frohes ſchon
möglih. Doch muß ich mir beim Erwachen geftehen,
felten ein Tag erfcheint, der feine Freude mitbringt,
ffnung, feine friſche Ihätigkeit; ich muß aus eigner
m alles dies erſt zu geben tradhten, und in meiner
ingt dad nicht immer, und wenn ed gelingt, fo ift ed
, ald wenn man dad mangelnde Tageslicht durch an-
e Kerzen erjegt. ch follte billig wieder eine fchaffende
mfangen. —
z in der Geſchichte fpäter ald großer Abfchnitt, als
oender Wendepunkt gilt, das ift in der augenblicklichen
art oft ganz unfcheinbar, tritt fat unmerflich in die
ed Tageslebend, das fich in den noch herfömmlichen
reiten bewegt, und fi um Weiterhinaudliegendes im
m nicht fümmert. Bei den Alten drangen die öffent:
reigniffe viel mächtiger in das Einzelleben ein, da wan-
anze Bevölferungen aus, wurden erjchlagen, gefnechtet ;
ırmen allenfalld einige, während andere reich werden,
yeitet, fingt und fpielt fo weiter, und jeder richtet fich
ver Weife in den neuen Zufland zurecht. In diefem
id fühlt niemand in Berlin die Obrfeige, die Preußen
bekommen hat, und ob man bier ruffifch ift oder öſter⸗
und franzöfifch, fieht niemand dem Tage an. —
habe zum Pergnügen und Studium Goethe’? Götz
clichingen in der älteften Geftalt wieder durchgeſehen,
uch in der neuften, die freilich feine gelungene heißen
344
kann, wenn ſchon Einzelnes darin bedeutend und merkwürdig
erfcheint. — |
„Die deutfchen Myſtiker des vierzehnten und fünfzehntn
Sahrhunderts, Tauler, Sufo, Rusbroek, Groot, Radevynjon,
Thomas von Kempen. Bon Friedrih Böhringer. Zürih,
1855." Ein ftarfer Oftavband. ch bin von Diefer Ritter |
ratur fehr abgefommen, doc fühl’ ich für Tauler, Edart md
Sufo nod die größte Vorliebe. Sie fuchten in ihrer Bee
die höchfte Freiheit, und ftanden der vorweltlichen Kirche und
dem Pabſt entgegen. — |
Man erzählt, der ruffifche Gefandte in Wien, Yürft Gert- |
ſchakoff, habe zwar nichts von den Verhandlungen gewußt, die zu
dem Vertrag zwiſchen Frankreich und Defterreich geführt haben,
fei aber doch einer der Erften gewefen, die den Abſchluß er
fuhren. Sogleich habe er die Nachricht durch einen Kourief
bieher an Budberg zu fenden beſchloſſen, aus kollegialiſchet
Gefinnung aber doc den preußifchen Gefandten in Bien,
Grafen von Arnim, fragen laffen, ob er etwas mitfchiden
wolle? Diefer jedoch, unbekannt mit der Neuigfeit und jehr
faul, habe nur erwiedert, es fei nicht feine Gewohnheit, auf
am Nachmittage Depefchen zu fehreiben! Als der Kourier fort
war, erfuhr Arnim die Neuigkeit. Man ſchimpft Hier ſehr
auf ihn. —
Der Kaiſer von Rußland hat fich bewogen geſehen, den
öfterreichifchen Hofe zu erklären, daß er die Grundlage der ge:
forderten vier Bürgfchaften zur Friedendverhandlung an:
nehme. Defterreich hat diefe Erklärung den Weftmächten mit:
getheilt. Indeß bat died den Abfchluß des Vertrags nid
- hindern können. —
345
Freitag, ben 8. Dezember 1854.
Ausgegangen mit Ludmilla. — In der Lindenftraße beim
ntiquar Meyer. — Darauf bei Heren Dr. Zabel, wo au
err Afjeffor Paalzow erjchien ; die guten braven Männer find
it ihrer politifchen Rolle etwas im Gedränge, fie fühlen,
aß fie für ihre wahre Meinung keinen Boden mehr haben,
aß fie das Beſte, das Eigentliche jept unmöglich fagen können,
nd wohin fienun fich einftweilen wenden follen, ift ihnen nicht.
anz flar; meinen Rath, in Ermangelung der Freiheitd- unt
zolksſache, die des Landes, wo fie leben und wirken, die Sache
Breußens, voranzuftellen, möchten fie zwar befolgen, allein die
egigen Zuftände find einmal nicht zu loben, und man geräth
n Gefahr, wenn man ed doch verfucht, in fie verwidelt zu
derden. —
In Magdeburg hielt die freie Gemeinde Berathung über
neue Statuten, Die fie fich geben wollte, nad) kurzer Zeit löſte
der anweſende Polizeimann die Berfammlung auf. —
In Göppingen ift der Schriftfteller Guſtav Diezel, der
ben von einer Reiſe heimkehrte, fogleich verhaftet worden.
Er foll des Hochverraths angeklagt werden! Man nahm keine
zürgſchaft für ihn an. — In Würtemberg ift es jebt beträcht-
ch dunkel! —
Der König hat den Profeſſor Baumſtark und einige
adere zur erften Kammer „präfentirte” Perfonen nicht be⸗
fen, weil fie ihm mißfällig find. PYorck rügt den Wider:
uch, in den der König hiedurd mit feiner Thronrede
illt, wo er fagte, er ehre auch Meinungen, die von der feinen
wichen. —
Die Kreuzzeitung erwähnt heute Abend des Ausfchneiderd
röhlih mit einigem Lobe, trotzdem Fanny Lewald und die
ationalzeitung ihn empfohlen haben. Sie fügt dann hinzu:
Biele dürfte bei der Gelegenheit die Notiz intereffiren, daß
ıch ein biefiger berühmter Memoirenfchreiber der oppofitio-
346
nellen Barthei, außer famofer Auffchneider in der Vollszei⸗
tung, auch famofer Audfchneider in Schwarzpapier if.” —
Wenn ich mir nicht vielleicht zu ſehr ſchmeichle, fo bin ih ge
meint, obſchon dad mit der Volkszeitung eine abgefhmadte
Lüge ift. — | |
Im geftrigen Konzert wurde zum erftenmal eine Ower- |
ture von Richard Wagner bier aufgeführt, und mit leiden:
Ihaftlichem Beifall beflaticht, theild aus Anerkennung feiner
Muſik, theild aus Widerfpruch gegen die Regierung und Herrn
von Hülfen. Der Prinz Karl entfernte fich in großem
Aerger, die Königin ſchon früher. —
Sonnabend, ben 9. Dezember 1854.
Ein trauriger Tag, der nichts von außen bringt, und innen
alles verfchloffen hält! Ohne Licht, ohne Freude! Die große
weite Stadt erfcheint arm und hülflos, denn jeder frifche Gei n
ift verbannt, oder ſchweigt feufzend im engen Verſteck. Zu desrt
unglüdlichen Klima noch diefe verwünfchte Unterdrüdung *
Wenn man nicht zwanzig Jahr alt ift, kann man des Dinge$
wohl müde fein! ch bezwinge fonft wohl foldye Verſtim⸗
mung, heute gelingt’8 mir nicht. Daß es eben Andern audy
fo ergangen, weiß ich recht gut. Wie mancher Stoßſeufzer
Goethe's fällt mir ein, und Friedrih Auguft Wolf's erſchüt⸗
ternder Ausdrud: „Wo ich ganz in mir zufammenftürze!* —
Die Zeitungen melden, daß wirklich ſchon die Erklärung
von bier nach Wien abgegangen fei, Preußen finde fih wohl
zufrieden mit dem Vertrag, den Defterreih mit den Weſt⸗
mächten abgefchloffen hat! —
Erft nachträglich hat man bemerkt und höchſt auffallend
gefunden, daß weder der englifche nod der franzöfifche Ges
fandte bei der Eröffnung der biefigen Kammern gegenwärtig
‚347
geweſen, und ift Darüber ziemlich betroffen. Sie mögen vor-
auögewupt haben, daß die Thronrede der Weftmächte gar nicht
erwähnen würde. Auch der öfterreichifche Gefandte foll ge-
fehlt haben. Am Tage felbit hat ed niemand geachtet. —
Die Zeitungen meldeten die Anweſenheit der Ge⸗
ſandten. —
Wie man in Wien Preußen anfieht, giebt fich offen zu
erfennen. Weniger befannt ift, daß die öfterreichifchen Offi—
jiere mit Stolz und Hohn auf die preußifchen herabbliden, und
noch lieber ald gegen die Rufen, gegen die Preußen fechten
wollen. Die preußifchen Offiziere find in der That in einer
Ihlimmen Lage; man gönnt ihnen nicht die geringfte geiftige
Freiheit, auch ihre Privatverhältniffe ſtehen unter ftrenger
Auffihtz außer der militairifchen Zucht erleiden fie auch eine
moͤnchiſche, man bewacht ihren Umgang, ihre Sitten; fie
müfen zur Kirche gehen, eine Art Frömmigkeit wenigſtens
heucheln; die Gardeoffiziere geben den Ton an, fie find meift
ufffh gefinnt, und dürfen dies laut befennen, fie haben den
Sof und die Regierung für ſich, die anderögefinnten Offiziere
' müffen ſchweigen, müffen jeden Freiſinn verhehlen. Dies ge-
drüdte Wefen macht einen üblen Eindrud. —
Der Leader giebt Koſſuth's neuefte Rede ganz ausführlich.
Bortreffliche Wahrheiten find darin, die freilich den Englän-
dern jebt ungelegen kommen, ſowie Bictor Hugo’d Ausfälle
gegen Rouid Bonaparte. Wir aber, die wir feine Regie:
tungen find, die wir fein nothwendiges Scheinverhältniß mit
ben thatfächlichen Mächten haben, wir dürfen nie vergeffen,
wer und gegenüberfteht, wer unfer Feind ift. —
Die aus der „Revue des deux mondes* abgedrudte
Schrift über Preußen heißt „La Prusse, la cour et le ca-
binet de Berlin dans la question d’Orient. Paris, 1855.
Au bureau de la revue des deux mondes.* 71 Seiten
in gr. 8. Der Abdrud ift aber kein franzöfcher, fondern
Mk es En 3 —
|
. 348
ein deutfcher. In den Thatfachen, die der Autor ana, |
findet fi) nichts geradezu Unwahres; nur in dm Ur
theilen über die Perſonen ift vieles zu mild audgedrüdt, und |
manches aus Schonung verfchwiegen., Der König und de
Königin werden nur mit großer Zartheit angefchuldigt; —
auf die Kammern wird ein nicht zu rechtfertigender Werth ge
febt. —
Sonntag , ben 10. Dezember 1854.
Heute ift die Nationalzeitung polizeilich weggenommen! — |
Gefchrieben,, über parlamentarifche Formen, daß fie niät
die Sache felbft find, fondern ein Behelf; mit ihnen ift noch
die furchtbarfte Tyrannei möglih, wie in Rom unter den
Cäfaren, wie in England unter dem elenden Jakob dem
Zweiten. —
Die Kaiferin von Rußland ift fehr erkrankt. Man meint,
der König werde Durch diefe Nachricht in feinen Gefühlen nut
noch ruffischer werden ; Andre fagen, wenn diefed Band zer
reift, werde die Sympathie für Rußland bald erfalten; noch
Andere halten diefen Umstand für politifch gleichgültig, und
den König für gar nicht empfindfam. —
Nachrichten aus Wien. Man ift dort fehr dreift und body
fahrend, fpottet über Preußen, und fagt, wenn diefed die
Artigkeit, mit der man es behandle, nicht verftehe oder nicht
würdige, werde man ibm bald mit Unart und Grobheit fom-
men. Des Bundestages ift man verfichert; außer Defterreidh
haben auch Frankreich und England auf die Fürften mit Rad:
drud eingewirkt; und Preußen, wenn ed auch den Willen
hätte, entgegenzuwirken, hat nicht die Macht dazu. Kein
Fürft, feine Regierung vertraut und noch, —
349
Fabeln von neuen -Umtrieben, Verſchworungen, die fid
n untern Volke durch die deutfchen Länder erftreden follen.
denn auch in der Sache viel Wahres fein mag, denn die
tudenten und die Handwerker find gewiß nicht ohne mannig⸗
he Betreibungen, fo ift doc) das, was die Polizei davon ers
jt, und wie fie ed erfaßt, nur Fabel und Thorheit. Man
wicht von Zeit zu Zeit ſolche Nahrung für gewiffe Perfonen,
mit fie fich fürchten und fügen. —
‚Der Tacitus ift etiwad Ungeheures! Die Cäfaren, die
ſchildert, bedurften eines ſolchen Gegengewichte, er rächt
ihnen die durch fie gefchändete Menfchheit, ein Prachtitüc
lichen Unmillene und großer Tugend! Aber die ganze
eligeſchichte in ſolchem Tone wäre nicht auszuhalten! Es
eine Bein, ſtets im ſolch feierlicher Strenge zu verkehren,
an rubet aus, indem man nad ihm den Julius Cäfar oder
mophon lieft. —
Zwei Gefchichten ruffifchen Verfahrens, die ein fundiger
ewaͤhrsmann mir erzählt hat! — In Riga befteht eine
nterftügungsfaffe der Handwerker, von ihnen felbit ges
tindet; der Generalgouverneur Fürft Sumworoff läßt fie
fordern, das Kapital dem Staate zur Baterlandöverthei-
sung zu leihen, oder noch beſſer zu ſchenken. Die Hands
eter leiden durch den Krieg und ftellen vor, daß fie der
aſſe bedürftiger find als je; der Fürft läßt die beiden Ab⸗
ordueten, die ihm Died an's Herz legen, fogleich zu Soldaten
heexen und fchidt fie nach der Krim. — In Finnland hatten
e Landleute zur Küftenvertheidigung freiwillig eine Anzahl
m Ruderbooten bemannt, und waren dafür belobt worden;
it Eintritt ded Winterd und Abzug des Feindes wollten fie
ch Haufe kehren, das wurde nicht geftattet. Als der Groß»
ft Konſtantin fie befichtigte, erneuerten fie die Bitte. Finfter
f der Sroßfürftihnen zu: „Wer von euch will nach Haufe? *
e ſchwiegen aus Furcht, nur neun oder zehn Männer wagten
350
endlich fih zu melden. „Was?“ ſchtie der Großfuͤrſt ſie
wüthend an, „ihr Rebellen wollt euch dem Dienft entziehen?
Nun follt ihr ihn erft recht kennen lernen! Tert, in de
Krim!” Die Männer wurden gefchoren — lauter Famikien-
väter — und abgefchidt. —
| Montag, ben 11. Dezember 1854.
Der Bundestag ift geftern dem preußifch = öfterreichifcher
Vertrag einftimmig beigetreten, auch die Bamberger, Ofden
burg ꝛc. Die beiden Medlenburg enthielten ſich der Ab
flimmung. Was ein großer vaterländifcher Entſchluß fen
könnte, tritt als eine Jämmerlichkeit auf, als ein Erzeugnil
der Furcht und Fügſamkeit deutjcher Fürften! Diefe Spipa
feiner Erſcheinung find offenbar der fehlechtefte, der verdet
benfte und verderblichfte Beitandtheil von Deutfchland. Wi
fehr ftehen Diefe Fürften gegen die des achtzehnten Jahrhun
dert? zurüd! Sie machen ed zur Unmöglichkeit, fich ihne
anzufchließen, mit ihnen zu gehen; jedes Lob machen fie
Schanden! — |
Die Nationalzeitung von geftern Morgen ift heute Abe
nachgeliefert worden ; da® Abendblatt fagt, wegen Außerer B
hinderungen habe fie geftern nicht ausgegeben werden fünneı
man weiß, daß diefe Behinderungen in der polizeilichen Be
nahme beitanden, durch Weglaffung einer Stelle aus Lond
aber die Freilaſſung erfolgt ift. Das ift nun eigentlich ı
Zenfurverfahren, allerdingd auch zum Vortheil des Blatt
aber für die Prefreiheit verderblich, das gerichtliche Verho
deln wird umgangen, ein Ablommen mit der ‘Polizei tritt
die Stelle, die Redaktion verliert ihre Unabhängigkeit. —
In der Schneider’ihen Buchhandlung find befondere 9
drüde des Artilelö über Preußen aus der Revue des de
mondes zu haben, bis jeßt unverboten. Die Hof: u
351
Staatöwelt hier ift ganz außer fich über diefen Aufſatz, den
fie dem Grafen von Pourtalès zuſchreibt. Er enthält nur
Wahrheiten, die hier in weiten Kreifen längft bekannt find.
Das öffentliche Ausfprechen ift den Leuten fo arg! —
Die Nachrichten aus St. Peteröburg lauten in Betreff der
Kıiferin weniger ſchlimm. Daher ift heute die Galla-Oper,
die noch zu den Bermählungsfeierlichkeiten gerechnet wir,
wieder angefebt. Die Hofleute widerfprechen der Meinung,
daß der König aus Gefchwifterliebe ruffifch fei, von einer
folden habe man überhaupt noch feine Spur entdeden können,
die Öroßherzogin Alerandrine von Medlenburg-Schwerin habe
bon jeher gefagt, ihr Bruder thue zwar fchön mit feinen Ge-
Ihwiftern, aber es fei nichts dahinter. Man führt Aeupes
Eungen diejer Art von der Gräfin von Münfter, geb. von der
Marwitz, von der Gräfin von Brandenburg, und auch vom
Stufen von * an. Gewiß, der König hat feine ſchlimmſten Auf-
Paffer und Gegner unter feinen nächften Höflingen, die vor den
Augen ihm fchmeicheln und huldigen! —
Die Neue Preußifche Zeitung jammert nach Frieden ; ihr
bird bei den neuen Verträgen angft und bange; was man
enn von Rußland wolle? Der Kaifer habe ja die vier Bürg⸗
haften ſchon rückhaltlos angenommen, und dergleichen Ge⸗
hmwäp mehr, während die Gegenfeite darthut, dag es damit
in Emft, fondern nur Spiegelfechterei fei, um Zeit zu ge:
nnen. —
Dienstag, ben 12. Dezember 1854.
Nachmittags Beſuch vom Grafen von *. Er beweift mir
er feinen Willen, aber umftändlih und mit Anführung
Thatſachen, daß in Preußen aud) die Rechtöpflege eine
de der ſchreiendſten Willkür ift; der Staatsanwalt, defjen
" niffe völlig ſchweige, als
bei
wenn er fic aber num: ach
⸗ummum jur sum ia
Dr. Rein unt ira. er
politiſche Artikel geherer
binterlegen. Dr. Kl
will nicht mit der Sprache
bobe Behörde ihm weil €“
wolle, bie Kaution erlahr
langt, weil eine Röniglide*
Fönnte, den Aueſchluß der :
willigt ibn. biedurch if
premittirt! So ſchlecht,
dumm! —
Gin aus Rußland zurüd:
Daß niemand dert vom Arien
rung aber verfündigt alle
[de Zur ze 0
er zımnm'ia
zu ter pi hun
wer. Ira. Died-
sem enter dor Befebl
ee Jelge zu geben,
m bar — Dies wur
1 Rampp Juftigminifter
vom * aus Neuvorpom ⸗
eten feiner Ramrruces
aber Herr von Runısı,
vxrid nic· Ten.
ve Ehre,
u eilig!
für, daß
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In der
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genſchrift
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Aufgabe
aber den
t Mann,
‚e Gegen?
oird wohl
Bewenden
n Preußen
, fo fange
nen damit
verpflichtet
sathen, und
unterworfen
ad! Diefer
on will, bat
ie Hand ber
von, ale das
\ fie, daß der
x auswärtigen
mit diefen Ber
Einwirkung ver⸗
mmert man ſich
23°
354
Beide fehr freundlich und traulich. Rebekka beftäti
Meinung, die ich von jeher von ihr gehabt. —
Im Plutarcho8 gelefen; in der Revue du dix.
siecle vom 1. November. Viele junge Schriftfte
fich hier mit Eifer auf die Bearbeitung wiffenfchaftli
ftände, der Piemontefer Emil Nerva, der Ar;
Ch. Lemonnier, H. Chavee, Ev. Colombel, €
G. Lejean, Stanislaus Bellanger, Achille Guillar
Pelletan, Nus, Henri Martin, Frand (vom Snftit
Lucas ꝛc. Auch Eugene Erepet ift unter den D
angeführt. — Solche Thätigkeit ift ein gutes Zei
Franzoſen find noch da, leben, arbeiten; fie find un
den Augenblid, aber bezwungen nicht! Und fo ift
den Deutihen! —
Donnerstag, den 14. Dezembe
Die Thronrede der Königin von England bei
Öffnung des Parlaments hätte telegraphifch bereit
jein follen. Man jagt, die Regierung halte die ve
tunge-Redaktionen theuer bezahlten Depefchen, fo
tigkeit und folchen Inhalts, ohne weiteres zurück,
für ſich allein die Nachrichten zu haben und auszube
ſoll man ſolch ein Verfahren nennen, Herr von der
Heute bringen die Abendhlätter die Thronrede, u
die Angabe, daß der Aufihub durch eine Störun
graphen in England verurfacht worden. Alfo |
feine Behörde anzuflagen. Daß aber bei ſolch
gleich die ganze Kaufmannswelt den fchlimmiter
hegt, ift übel genug! —
Herr von Drlich, ehemaliger Offizier und feit 1
friedener, ift gerade jebt, aus Trotz, der geographife
355 “
[haft beigetreten. Auf die Bemerfung, jept fei e8 eine Ehre,
Äh dort anzufchließen, erwiedert ein Anderer: „Nicht zu eilig!
Gi möchte zu ſchnell Reue folgen! Wer fteht Ihnen dafür, daß
die geographifche Gefellfchaft nicht in kurzem zu Kreuze riecht,
und Herrn von Clöner ald Mitglied aufnimmt?* In der
That, e8 ift nicht zu frauen. —
Der König ift außer ſich vor Zorn über den Artikel über
Preußen in der Revue des deux mondes; er findet fi
darin auf’3 ärgſte mißhandelt, und will, daß eine Gegenfchrift
erſcheine; wer fie aber abfaffen foll, darüber ift großer Zweifel
und große Noth, man hat nicht Eine Feder, die der Aufgabe
gemahlen wäre, zu Gebot. Abeken wurde genannt, aber den
will man nicht, Selig Caſſel ift ein unangenehmer Mann,
Shlefier'n traut man nicht. uch glaubt man, die Gegen:
ſchtift müfle franzöfifch gefchrieben werden! Es wird wohl
bei einigem Schimpfen in der Kreuzzeitung fein Bewenden
haben. —
Hier hat man beſchloſſen, dad Bundespreßgefeß in Preußen
nicht ala Gefeh zu veröffentlichen, befonders nicht, fo lange
Defterreich es nicht thut. Beide Mächte befennen damit
ſchamlos, dag fie ſich nicht durch ein Bundesgeſetz verpflichtet
halten, daß fie ein ſolches wohl hervorrufen, berathen, und
den Anderen auflegen wollen, aber ohne felber ihm unterworfen
wu fein. Genug, wenn die Andern gebunden find! Diefer
Uebermuth, der außer und über dem Geſetze ftehen will, hat
aber auch noch den Hintergedanfen, daß man freie Hand bes
alten will, fchärfer mit der Preffe zu verfahren, als das
Bundesgeſetz es vorfchreibt! Und dabei wollen fie, daß der
Bundestag Anfehen habe, geehrt werde! —
Die meiften Menfchen find ganz von der auswärtigen
Bolitif eingenommen, befchäftigen fich eifrigft mit diefen Ver—
ältniffen, auf die ihnen feine unmittelbare Einwirkung ver
attet iſt. Um die inneren Zuftände befümmert man fidh
23°
856
wenig, und doch werden fie immer trauriger. Der Staatit
im Innern von böfen Giften zerfreffen. Bon da droht ihn E
größere Gefahr ald von außen. Die Regierung, felber ohne
Gewiffen, ftrebt died auch in Anderen zu zerftören,, fie arbeite
nicht nur an der Knechtung, fondern auch an der Entfittlichung
und Verderbniß ded Volks. Die Nichter, wie alle andern
Beamten, find in die unwürdigfte Abhängigkeit gebracht, die
Kammern der Abjchaum des knechtiſch gefinnten Theile ii
Volks, der Ariftofraten und Beamten. Jede Weberzeugung
muß unterduden, jede freie Stimme verftummen. Die ganjt
Derwaltung ift Gewalt und Rüge, geiftliher Dünkel, politiide
Nohheit, elende Kniffelei. Die Heuchler treiben ihr freche
Gewerbe, alles ift gefälfcht, angeſteckt von fehleichendem Gift.
Wenn ein Bolt in feinen Sitten zurückgeht, unredlich, lügne J
riſch wird, fo könnte eine edle Megierung es noch retten; J
aber wenn das Verderben von oben auögeht, Heuchler und
Buben mehr und mehr fich feitfegen, einander heben und tra‘
gen, und das Volk treten und entfittlichen, woher foll da die
Hülfe fommen ?! —
Freitag, den 15. Dezember 1854.
Heute gelingt mir feine Arbeit! Das Wetter fpannt mid
gänzlich ab, erjchlafft mir die Nerven. Die Natur draußen
ift fo finfter, wie die Menfchengefichter jetzt alle find. Bon
feiner Seite Hellung! Doc wiffen wir, daß hinter diefer
Finſterniß die leuchtende Sonne fteht, die wieder hervorbrechen
wird! ber unterdeflen! —
Die Kreuzzeitungsleute Gerlach, Stahl, Goedfche ꝛc. waren
heute zufammen, und freuten fich gemeinfchaftlich, dag nächftend
der Anfchluß Preußens an Rußland würde erflärt werden.
„Der Wahnfinn Diefer Leute geht fo weit, ob auch Die Regie
857
jo wahnfinnig fein werde, fteht dahin.“ Wahnfinn ?
n Preußen nicht demofratifch fein will, und nicht von
m höheren Geifte geleitet fein kann, weil diefer überhaupt
‚fo muß ed wohl ruſſiſch fein! —
Indre fchmeicheln fih, Preußen gehe eine enge felbitftän:
Verbindung mit England ein, um Defterreich zu über-
In. Wenn jened Bündniß mit Rußland ald Wahnfinn
int, fo muß diefed mit England noch ald Wahn gelten.
nicht daran zu denken. —
Die Zeitung „Lloyd“ in Wien ift auf drei Monate dort
drüdt, weil fie — gegen Rußland gefprocdhen, die unbe:
te Herrfchaft eines Einzelnen getadelt hat! Natürlich
dad auch Defterreih! —
In Paris hat Lord Palmerfton mit Louis Bonaparte
den Fall beiprochen, daß Frankreich wieder im Beſitz des
n Rheinufer? fäme; die englifche Zuftimmung würde unter
fen Bedingungen nicht fehlen. Preußen? Zerpflüdung
e leicht Defterreichd und auch Rußlands Beifall! —
Sonnabend, den 16. Dezember 1854.
Der Vertrag zwifchen Defterreich und den Weftmächten ift
in Wien feinem Wortlaute nach bekannt gemadt. Er
aber auch geheime Artikel, die einftweilen verſchwiegen
en. Ueber Preußens Entſchließungen verlautet noch
3 Zuverläffiged. —
Infere erfte Kammer wird von allen Seiten ſehr ungünſtig
heilt; man nennt ſie eine Auswahl der Unbedeutenden,
emeinen und armſeligen Vornehmheit. Die meiſten Mit⸗
r find dem Publikum völlig unbekannt. „Ein Zuchthaus
Sträflingen hat mehr Berühmtheiten“. Die Namen:
enhaus“, „Haus der Abgeordneten“ und „Allgemeiner
358
Landtag“ find jebt in Vorſchlag gebracht, man glaubt, de |
Kammern werden Schwierigkeiten machen, befonders mikäll
der Ausdrud: „Herrenhaus.“ Man fagt, grade an diefem In
dem Könige alles gelegen, daran hänge fein Herz. „Le
pauvres heres et le pauvre Sire!“ foll ein rheinifcher Of
gejagt haben.
„Korrespondenz des fächlifchen Premierminiftere Grafen
von Brühl mit dem fächfifchen Generallieutenant Freiherm
von Niedefel, Refidenten bei der ruffifhen Armee. Alsen
Beitrag zur Gefchichte des fiebenjährigen Kriegs 1760 — 1762.
Don Mar von Eelking, fachfen-meining’schem Hauptmann.
Reipzig, 1854. Gr. 8.
Mehr ala fonft wenden fich feit einiger Zeit meine Gedan:
ten nach Hamburg, und es fehmeichelt meinen Gefühlen, mit
dorthin zu verſetzen. Aber ich weiß im voraus, daß ich den
längern Aufenthalt dort nicht ertragen würde, da dad Ham
burg meiner Borftellung, meiner Erinnerung ein ganz andre?
ift, als das der Wirklichkeit. Und dann, wenn mir aud ri
zend und lodend erfcheint, mich dorthin zurückzuziehen, fo iſ
mir doch gleich daneben der Gedanke, daß ich Berlin verlaffen
hätte, ganz erſchrecklich! — Zum Glüd fteht mir feine Wab!
frei! —
Der Kultusminifter von Raumer, der reaftionaire Kan’
tiker, der kirchlichgeſinnte Eiferer, der allergetreufte Könige
unterthan, bat als Regierungspräfident zu Frankfurt an de
Oder, im Jahr 1848, ald die Nationalverfammlung di
Steuerverweigerung audgefprochen hatte, der Befehl audge-
fertigt, die Negierungshauptfaffe zur Verfügung der National:
verfammlung zu ftellen. Er glaubte damald an den Sie
der letzteren. Wenige Tage nachher war er glüdlid, de
Befehl wieder unterdrüden zu können. Solche Beamte diene
der Macht, fie fei von Gott oder dem Teufel. Und dami
find die Machthaber zufrieden! —
859
Sonntag, ben 17. Dezember 1854.
Nah dem Eſſen befuchte mich der Fürft Heinrich von,
arolath, der Oberjägermeifter. Seit feiner neuen Heirath
atte ich ihm noch nicht gefehen ; er hat fehr gealtert, ift aber
üftig und vergnügt! Wir fprachen vielerlei Perfönliches,
ann aber auch über die politifche Zage der Dinge, Er klagte
ber Rußland, jammerte über Defterreih, und hatte feine
Borte über Preußen. In Louid Bonaparte wollte er den
‚geiheidten Kerl“ ehren und fchägen, ich nannteihn einen — !
sonderbar, das Unfittliche, das Böfe, erfcheint den meiften
Renihen als die wahre Kraft, die wahre Klugheit, fobald nur
Srfolg dabei ift; nah Straßburg und Bonlogne fahen fie alle
a dem Menfchen feinen Helden, nur einen Hand Narren!
Der Fürft beflagte, daß in einer Republik fo viel Unruhe,
Rönte, Gefahren, Unficherheiten feien. „Und in Monar-
hieen weniger?* fragte ich; „fehen Sie die gegenmärtigen,
Öredlichen Berwirrungen an, die angſtvollen Zuftände von
an; Europa, wer hat fie hervorgerufen? Die Ränke der
Ronarchen, der gemeine Ehrgeiz folcher Leute, die Helden fein
nöhten, aber feine find; die drei Kaifer, alle drei Feinde der
Revolution, der eine fogar ald Staatöretter gepriefen, haben
töpered Unheil angeftiftet, als die Republik Frankreich es je
xımocht hätte!” Das fehien ihn fehr zu treffen und zu bes
türen. Sch erinnerte ihn daran, daß er mir unfere Revo—
uion von 1848 ganz beftimmt vorausgefagt hatte; er mußte
no recht gut, und feufzte Darüber, daß er auch heute wie:
er nur ein Unglüdöprophet fein könne! Daß der König
ht eigentlich dazu gemacht fei, Revolution hervorzurufen
nd den Staat in’d Unglüd zu ftürzen, habe ihm ſchon 1840
i der Huldigung der Fürft von Neuwied in's Ohr geraunt!
Wenn doc, Frieden würde, Frieden! damit die Krifis für
reußen diesmal noch, vorüberginge!“ —
Wieder ift eine Berfammlung der freien Gemeinde zu
360
Magdeburg aufgelöft worden; der anweſende Polizeibeamte
Pehauptete, die in der Rede vorfommenden gefhichtlihen Cr
wähnungen feien politifche! —
—
Montag, den 18. Dezember 1854.
Abermald wird mir eine gedrudte „Lettre d’un veteran
de l'armée russe en 1812* zugeſchickt, diesmal von Karli-
tube; der darin herrſchende fpöttifche Weltmanndton und
Phraſengebrauch ift mir ganz efelhaft; ich habe fie genug gr
hört, dieje Leute, die ohne Geift und Kenntniffe von beidem
die Maske annehmen und dreift mitfchwagen ale hätten fie kt:
des! Unter den Ruſſen befonders ift dieſes Gefchwäß her-
kömmlich, fie haben fich das Schlechte angeeignet, was die bef-
feren Sranzofen wegwerfen. Nur Fürft Kosloffskii macht eine
ehrenvolle Ausnahme, die fonft Nambafteften — Golofin,
Woronzoff, ſelbſt Raftoptichin — prangen und prunfen mit
jolchem Kehriht! —
Der Faktor aus der Trowitzſch'ſchen Druderei bringt mir
eine neue Korreftur. Es ift Papier angefommen, der Drud
geht nun auch vorwärts.
Befuch von Herrn von Biedert. — Er glaubt, dag der
„Veteran de l’armee russe 1812 der Fürft Wiäfemstit fei,
was mir gleich einleuchtet. —
Die frühere Weihnachtsſtimmung in Berlin will, fo ſcheint
es, nicht zurückkehren; fonft war fie im Allgemeinen heiter,
freudig, hoffnungsvoll zum Empfangen und Geben geneigt, die
Wohlthätigkeit war zu Feiner Zeit bereitwilliger, eifriger, der
Verkehr belebt, die Handeläleute froh ded guten Gewinnes.
Sept hört man überall von Sorge, Zurüdhaltung, Einfchrän:
fung; die Stimmung ift hart, mißmuthig, die Verhältnifie
find gefpannt, man fürchtet die Zukunft. Die Philifter ſehen
361
in, daß die Staatöretterei nichts geholfen, nicht die preußifche
ınd öfterreichifche, nicht die franzöfifche. Die Demokraten find
som Schauplatz verfchwunden, nur unbefchränkte Kaifer und
Könige füllen ihn, und doch giebt ed nur Unheil, Verwirrung,
Blutvergiegen, Noth und Schreden in der Welt! Nirgenda ift
Ruhe und Sicherheit, nirgende Glauben und Zuverficht auf
Feten Beftand. —
Der Bertrag vom 2. Dezember ift von den drei Mächten
ratifzirt, dem preußifchen Hofe mitgetheilt, und diefer zum
Beitritt aufgefordert worden, Was wird man antworten ?
Große Verlegenheit und Noth! Das Wüthen und Toben, das
Shimpfen und Knirſchen muß unter der diplomatifchen
Sprache füch forgfältigft verbergen! —
Der König bat zum Namendtage des Kaiferd von Ruß—
and heute ein großes Feſtmahl angeordnet, wobei er felbft die
Sefundheit des Kaiferd ausgebracht, Budberg dann die des
Tinige, —
Am 13. ftarb zu Gotha nach furzer Krankheit Pauline
ion Schelling geb. Gotter. So bald nad dem Tode des
Batten. Dies fchnelle Folgen hat etwas Glüdliches, Rüh—⸗
endes!
Die Oppofition in der erften Kammer hat e& doch zu 13
timmen gebracht! Der Graf von Nord erflärte, daß er dem
inige herzlich dankbar fei für die ihm verliehene erbliche Mit-
edfhaft, daß er aber nicht zugeben könne, dies als ein Pri-
egium, ald ein Vorrecht bezeichnen zu laſſen. Ungeſchickt
d unridhtig zugleich! Wenn dies fein Vorrecht ift, fo giebt
überhaupt feines! —
Geftern hat der Minifterpräfident den Gefandten Defter-
hs, Frankreichs und Englands erklärt, der König trete dem
trage vom 2. Dezember vorläufig noch nicht bei, fondern
le neue Friedensverſuche vermitteln. Die Gefandten waren
362
ſehr unzufrieden mit diefer Ausweichung, gaben aber
feinen weitern Beſcheid. —
Dienstag, den 19. Dezember 18:
Beſuch von Herrn Dr. Hermann Franck; er vertra
feine Abfichten in Betreff feines Sohnes, der Feine N
zum Studiren, dagegen die größte zum Seedienit ha
war nur deßhalb im Sommer nad) England gereift, u
fundigungen in diefem Betreff einzuziehen und Verabret
zu nehmen; er fpricht hierüber mit größter Klarheit un
väterliche Liebe weiß den beften Ausweg zu finden zr
den Vorfchriften der eignen Einfiht und den Neigung
Sohnes; er richtet e8 fo ein, daß dem Sohne, follte den
nad) zwei, drei Jahren eine andre Richtung lieber fein, |
auch dann noch wenig Zeit verloren ift. Weber den h
politifchen Zuftand; „Keine Luft von feiner Seite!* —
Zwei diterreichifche Zeitungsblätter find wieder in
mit Beichlag belegt. Das ift deutfche Preßfreiheit,
Wien fo auch in Berlin! Die Regierungen fünnen
Willkürmacht nicht beftehen, fie find unfähig auf |
Rechtsboden zu leben. —
Der Wirflihe Geheime Rath von Meding hat in de
ten Kammer von „NReften demofratifchen Schwindel
ſprochen, wofür ihn die öffentliche Stimme ſchon gez
Diefe freche Erzellenz foll fich erinnern, wie fie nach den
1848 erbärmlih um Berzeihung gebeten und vorgeftel
wie fie wie früher den Geboten der Willkürmacht jef
denen des Tonftitutionellen Staates zu gehorchen gan
ſei! Pfui über das vornehme Gefindel, das überall f
drängt, wo was zu erfchnappen fcheint! —
Zwifchen dem Prinzen Karl und feinem Schwiee
dem Landgrafen von Heffen-Philippsthal-Barchfeld fü
863
ringen Anlaß heftige Streitigkeiten ausgebrochen, auf einen
hriftlichen Verweis des Prinzen hat der Schwiegerfohn fo
antwortet, daß jener diefen zum Zweikampf herausforderte.
Die Sache wurde beigelegt, Aber der Landgraf reifte fofort
nah Barchfeld ab. — Gleichgültige Hofgefchichte, aber als
Beiſpiel wichtig! — (Sie famen am 27. Dezember nach Berlin
zurüd.) —
Mittwoch, den 20. Dezember 1854.
Die Nationalzeitung geigelt fcharf den Grafen von Itzen⸗
pliz und feine Genoffen in der erften Kammer, die gleich mit
einem jämmerlichen Reviſionshieb in die Verfaffung ihre neue
Ihätigkeit begonnen haben, und hält dem Junferpad die Be:
merkungen Vincke's entgegen, daß ed weder alt, noch befeitigt,
no hergeftellt und neugebildet, fondern nur die abgefchmadte
Grundfuppe fei, die unfere fämmtlichen Gerichte ungenießbar
made. — (Dies find nicht die Worte, aber doch der Sinn des
trefflichen Artikels.)
Der Herzog von Sachfen-Altenburg hat dem berüchtigten
Joel Jacoby, biefigem Kanzleirath und litterarifchem Spür-
bund, feinen Verdienftorden gegeben. Meinetwegen könnte
aud der Joel Jacoby auch dem Herzog einen Verdienftorden
geben! Und vielleicht hat er's gethan! —
Beſuch von Herrn Joachim, nur kurz. Er fpielt heute zum
letztenmal und reift gleich morgen nach Hannover zurüd. Will
m Sommer wiederfommen. Cr machte mir den Eindrud
ines herrlichen Menſchen, der außerhalb ded gemeinen Lebens
eht. —
Ausgegangen mit Ludmilla; Beſuch beim Kriegsrath Müchler,
eue Grünſtraße 32. Der dreiundneunzigjährige Mann rüſtig
ı feinem Schreibtiſche die Spener'ſche Zeitung ohne Brille
364
lefend! Er hat fein ganzes Gedächtniß, für Neues, mie für
Altes, wußte fogleich alles, was er mir zu fagen, worauf er
fih zu beziehen hatte; er fragte nad) den „ Tahreszeiten“,
wußte, dag nicht mehr Feodor Wehl, fondern Ernſt Rillfomm
fie redigire, war gegen leßteren aufgebracht, fchalt auf Preuß, |
auf Häring ꝛc. Bon Friedrih dem Großen, von der Kar:
ſchin, von Karl Philipp Morig erzählte er mancherlei. — |
Der König hat den ehemaligen Gefandten Heren von Ufe |
dom nach London geſchickt mit einem eigenhändigen Schreiben |
an die Königin Victoria. Gleiche Sendung wird nady Paris ;
beabſichtigt. Man hofft, dem Bunde der Weftmächte durd |
ſolche Maßregeln ſich entziehen zu können. Man glaubt nod J
Anfehn zu haben und Vertrauen zu gewinnen, wo beide
längft verloren ift! — :
Die Magdeburger freie Gemeinde ift nun vorläufig ganz 2°
gefchloffen, bis zur gerichtlichen Entſcheidung. Dan hf
diefe armen Leute dadurch, daß man ihnen grade jet zut
Weihnachtszeit alle kirchliche Erbauung und Gemeinſamleit
entzieht, völlig mürbe zu machen und zur Auflöfung zu
bringen. — |
In Breslau wurde am 18. der Lehrer an der höheren:
Bürgerſchule Dr. Stein durch Erkenntniß ded Staatäminifte |
riums disziplinarifch feines Amtes entlaffen, wegen feines Ber }
haltens vor und nach dem Jahre 1848. Seit dem 1. Oftober |
1849 war der brave Mann fuspendirt, feit dem Juni 1850.
in Unterfuchung, die alfo beinahe 41/, Jahre gedauert hat!— 2
Die Demokraten werden fich diefes Verfahren merfen! — |
Es ift eine verzweiflungsvolle Wahrheit, daß wir eigen
lich feit Friedrichd des Großen Tode, mit der furzen Ausnahme
von 1813, in demfelben politifhen Schlamm und Schmuy
weg mühfam fortwaten! Es ift immer derfelbe Sammer, die,
felbe Wirthfchaft, derſelbe Kampf gegen Unfähigkeit und |
865
lechtigkeit. Der Wechfel, der dennoch vorkommt, ift für
Ganze nur unbedeutend. —
Donnerstag, den 21. Dezember 1864.
In Kaffel ift jegt — erft jetzt! — der Kriegszuſtand auf:
oben worden, der fogar dem Bundestage zum Aergerniß
orden war! —
Freitag, den 22. Dezember 1854.
Sendung aus Reipzig, der fiebente Band von Baader's
driften. Diefe von Geift und tiefen Einfichten fprudelnden
hriften find mir verleidet durch Baader’? eigne fpätere Ge⸗
yungenheit, fi) eng an die fatholifche Kirche anzufchließen,
ad durch dad Bemühen ded Herausgebers, diefen Anſchluß
ls einen innerlich gebotenen und wefentlichen vorzufpiegeln,
fgentlich war Baader ein reidenker, der mit den Dogmen
er Kirche nur umging, wie Kant mit Bibelfprühen. Er
außte im Katholifchen daſſelbe Gefchid erfahren, das Schleier:
saher im Proteftantifchen erfuhr; beide wollten fih unab⸗
ängig von der Kirche bewegen, beide wurden auf fie zurüd-
drängt, und mußten fich mit dem verbinden, was fie beitreis
m wollten. Das macht die fpätere Erſcheinung beider fo
ndrig, jo zum Gegentheil deſſen, was ihre frühere geweſen.
Bie Baader nach 1823 in Berlin mit mir fprad), und 1827
ı München, — wie verfchieden von diefen Schriften! Freis
h waren die Zeitumftände und Lebendverhältniffe andre ger
srden. Und der arme Profeffor Franz Hoffmann in Würz-
rg, was fann er anders, als immer auf's neue die fatho-
he Seite hervorfehren, die freifinnige verdeden, um nur
ht verfegert zu werden, um nur feine Herausgabe fortfegen
866
zu fönnen! Seine Hingebung und Ausdauer find aller Inc:
fennung werth. — |
In Dresden hat die erfle Kammer der Stände das For Er
beftehen der Patrimonialgerichte befchloffen. Nur zu! &t &
fammeln Stoff fünftigen Aufräumend, das nicht ausbleiben
wird! — |
Die englifchen Blätter, „Punch * Nr. 194 und „Tins‘ We
Nr. 21882 waren bier vor Geriht, und follten vernihti
werden, weil fie Haß und Verachtung gegen den preußiſhn
Hof ausbreiten; die Verhandlung war nicht öffentlich, da
Schluß war, daß die Blätter frei blieben. —
Das neue dänifhe Minifterium gilt für ein antiruſſiſcheh
freifinniged. Wir werden ja ſehen! ch traue nit! —
Lord Bloomfield hat vom Minifter von Manteuffel mt
Achſelzucken gefagt: „Poor innoeent fellow! what can le.
do?“ (Nah) Andern: „Poor little man.“) |
Die Artifel aus Berlin in der Augeburger Allgemeine;
Zeitung galten bier in früheren Jahren etwas, man vernahn
durch fie Thatfachen, die von inländifchen Blättern nicht;
wähnt wurden, man hörte freifinnige Urtheile, geiftwolle de
merfungen. Nicht? von all diefem jegt! Nur die dürrften de;
richte, die alltäglichften Betrachtungen, ganz im Sinne Mi;
Regierung, denn wenn ein wenig Oppofition zuweilen durd;
klingt, fo ift es nur, weil in der Regierung felbft nicht Eimg}
feit ſtattfindet. Die fämmtlichen Berichterftatter find im Solde
der Regierung, der Freiherr von Cotta hat und will feim
andern! Daher haben dieſe Artikel alle Geltung verlor,
und man lieft fie kaum. —
Sonnabend, den 23. Dezember 1854.
Wieder Arnim’fche Korretturbogen! Dan möchte fel
mehr verbeflern, als die Drudfehler; die Nachläffigkeiten
867
sprache, Versbau, Reim find unerträglich, oft ift gar nicht
u errathen, mas der Dichter eigentlich meint. Daneben ift
naweilen das Alltäglichite gefagt, wie ed nur Schmidt von
Berneuchen fagen möchte; in dem Gedicht „ Stralauer Filch-
ug" ift der Märker Arnim von jenem andern märkifchen Dich-
ter gar nicht fo fehr entfernt; „Dedel klappen in den Krug“,
dad iſt wie geftempelt aus Werneuchen! Und hinwieder ift
joviel Hechted und Schönes in diefen Liedern! —
Nachrichten vom Rhein. Man fordert und erwartet dort
ungeduldig, daß Preußen fich den Weftmächten anfchließe. Sm
voll das Gegentheil gefhähe und die Rheinlande zum Kriegd-
fhauplage werden müßten, fo würde man von der Stimmung
der Einwohner nur Feindliches zu erwarten haben. Die
Demokraten fprechen ihre Gefinnungen unverhohlen aus, daß
fie mit den Franzoſen vereint deren und der Deutfchen Freiheit
zugleich anſtreben. Die Volldangehörigkeit tritt in den Hin-
lergrund, da jetzt feine fich der Freiheit erfreut, alle unter dem
Drud leben. —
Im Plutarchos gelefen. Franzöſiſches. — Briefwechfel
ton Geng und Johannes von Müller. —
Ein Feſt ift es, freilich ein Trauerfeft, in diefer Zeit die
Briefe wiederzulefen, welche Gens und Johannes von Müller
a den Jahren 1804, 1805 und 1806 gewechfelt haben. Wieder
ft Preußen, wie damals, in eine Klemme geftellt, in der ee
veder feine Unmacht bekennen, noch feine Macht bethätigen
ann! Diefelbe Unentfchloffenheit, Zagbeit, Windbeutelei und
faufelei, wie damals! Aber damals hatte Preußen neben dem
nentfchloffenen König noch feine Hardenberg, Stein, Scharn-
ef, Blücher, Rüchel, Prinz Louis Ferdinand, — welche Leute
t es jetzt?! — Einzig lehrreih, erwedend und reifend für
edanken und Empfindungen, iſt diefed Leſen! Aber wer außer
x giebt fi damit ab? Wenige Ältere Leute haben diefe und
nliche Mittheilungen beim erften Erfcheinen beachtet, Die
868
meiften jüngeren find flüchtig darüber hinweggegangen, die
jüngften, deren Federn täglich politifche Fragen erörtern odergar
entfcheiden, wiffen gar nicht? von dem Dafein folcher vaterlär-
difcher Denkſtücke; diefe find gedrudt, aber nicht befannt, ver
öffentlicht, und doch nicht veröffentlicht, wie Ariftoteles dem
Alerander fagte! — Ueberhaupt, wie liegt alle brach bei un, ;
wie vereinzelt, wie verftedtt! — ch habe redlich das Meinig
gethan, unfer Gut in Bewegung zu erhalten, an's Licht u
ftellen, befannt zu machen ; aber was vermag ein Einzelner!
Sonntag, ben 24. Dezember 1854.
Sendung aus Madrid, mein Better ſchickt mir Aushänge
bogen feined portugiefifchen Geſchichtswerkes über Brafilin,
obne Brief, nur mit Beifchrift von zivei Zeilen. — |
Im deutfhen Mufeum von Prutz ift ein Auffap „Bad :
vor und nad) dem 14. Oktober 1806“ von einem jeßt fiebjig -
jährigen Herrn K. Litzmann, der damals Auskultator bein
Stadtgericht war. Was er damals ſelbſt geſehen und gehit, -
mag in gewiſſem Sinne treu berichtet fein, allein die Folgezei ;
ſcheint feinen befchränkten Geſichtskreis wenig erweitert, fin :
fpäteres Licht auf die Borgänge geworfen zu haben, das Ganze |
ift daher dürftig und mangelhaft geblieben. Die Farbe jener Zeit
ift theils äußerft blaß, theils ganz falfch aufgetragen. Dievonden -
Gendarmenoffizieren aufgeführte Berhöhnung der Werner'ſchen
„Weihe der Kraft“ durch eine Schlittenfahrt — im Sommtt, :
auf Rollwagen — wobei Luther, Katharina von Bora, Theo z
bald, und die andern Perfonen jenes Dramas in ihren Kofi |
men paradirten, ift ganz falfch erzählt. Die Offiziere dachten.
nicht daran, die Erfcheinung Luther's auf der Bühne anſtoͤßig
zu finden, foldhe Srömmigfeit war ihnenıfern, ihnen mißnd;
dad Stüd, und fie wollten fich einen Spaß machen, das wat:
alles! Einer polizeilichen Erlaubniß bedurften fie nit, und
|
i
369
he handelten wider kein Derbot. Der König war anfangs
nicht erzürnt, fondern lachte, ald er davon hörte, und fagte in
\einer Art: „ Schade, daß ich es nicht gefehen habe, muß recht
hübſch geweſen fein!" Aber dann kam Iffland, der feine
Shaufpielerwürbe verlegt fühlte, und Magte über Mißachtung
der Religion, nun erft nahm der König die Sache übel. —
Schulenburg⸗Kehnert wird Minifterpräfident genannt, ſolches
Amt gab ed damals nicht. Auch die bei Todesftrafe den Bür-
gern gebotene Ablieferung der Wäffen ift falfch angegeben, der
Magiſtrat befahl fie, nicht die Franzoſen, im Gegentheil be-
kam von diefen der Magiftrat gleich darauf einen öffentlichen
Verweis, daß er die guten Bürger durch fcharfe Drohung un-
nöthig erfhredt habe! Die Hasfeldt’fhe Nichträumung des
Zeughaufes verhielt fich auch anders. Kurz, der ganze Auf-
ſaß taugt nicht! —
Montag, den 25. Dezember 1854.
Traum von Stein, der in feiner Art ausführlich fprach,
über Staatd- und Gefellfchaftsfachen, er wollte die Welt zu-
rudihrauben, eben die Wiffenfchaft umkehren zu Taffen, fand
er dumm und lächerlich; ich widerftritt dem einen wie dem
andern, ſprach eben jo derb wie er, und er — im Traum —
ließ es fich gefallen! —
Gefchrieben, über den ruffifchen Krieg. —
Der König liebt, dag ihm Bücher zugeeignet werden, und
Wandert fih, daß dies fo felten gefchieht; er meint, noch fein
Knig habe fo viel für die Gelehrten und Schriftfteller gethan,
wie er durch die Errichtung der Friedensflaffe des Ordens
year le merite, aber diefe Leute feien ein undankbares Ge⸗
hlecht; daß ihm nicht Schelling, Rüdert und Tieck mehr litte-
srifche Ehre gebracht, findet er unbegreiflih. Wenn er erft
üßte, Daß die glänzendite Widmung, die ihm geworden, die
Barnhagen von Enfe, Tagebilder. XI.
370
ded Kosmos von Humboldt, nur durch meinen Betrieb u
Rath bewirkt worden ift! — Wenn die Schriftfteller jene Lie
haberei ded Könige nur wüßten! wie würden fie herbeidring
mit ihren Huldigungen! Freilich giebt es deren auch, die fi
Ihämen, und fi) aus dem Beifall von oben nicht3 machen. -
Der König OU in der lebten Zeit wieder großen Hang ji
gen, in die Berirrungen feined Großvaters zu fallen, mit abge
ſchiedenen Geiftern zu verkehren, himmlifche Dffenbarungn
zu erhalten; er hält fich ſchon ald König dazu berufen un
würdig. Es fehlen nur die Bifchoffswerder’3, Wöllner’s un
ihre Gehülfen und Gehülfinnen! Die Gerlach's, Stahl‘
Wagener's ꝛc. find mit allem Pietiemud und Irvingianism
doch zu ungefchidt und dumm. Sie find auf andere W
ohnehin ihres Spield verfihert. —
Der vom Könige verlangten neuen Benennung „HerT
haus“ für die erfte Kammer werden viele Schwierigkeiten
macht, auch von den „Herren ſelbſt, die fih durch einen T
wenig geehrt fühlen, den fie mit elenden Profefforen und 1
achteten Bürgermeiftern theilen follen. Berliner Witz ma
allerlei Iuftige Vorfchläge, unter andern den, daß die zwe
Kammer ſchicklich , Packkammer“ heißen könnte, denn im ©
genfaß zu den Herren fei in ihr doch nur Pad! —
Wenn man die Briefe und Tagebücher von Genp lief
die Befenntniffe, die er niederlegt, die nichtswürdigen Men:
[hen und Triebfedern fieht, mit denen alled Staatsweſen jı
thun hat, an die es gefeffelt ift, — wenn ich meine eigne
Aufzeihnungen anfehe, wie feit länger als dreißig abe
immer daffelbe Jammerweſen ſich hier fortfchleppt, ohne da
mit Ausnahme des Frühjahrs und Sommers 1848 aud m
ein einzigmal die Sonne in diefen Abgrund von Schmuß u:
Gemeinheit leuchtet und befiere Keime befruchtet — denn I
Schimmer im Sommer 1840 war nur eine Mägliche Ti
hung —, fo möhte man wirklich die Warnung des Epih
371
17 roAzev sc9as zur Richtſchnur nehmen, und ſich mit ihm
nur fo weit ala möglich abfinden. Allein auch das geht nicht, er
bat feine Klauen überall hin audgeftredt, und wir fönnen und
nicht regen, ohne fie zu fühlen. —
Dienstag, den 26. Dezember 1854.
. Dem Könige bier ift nur darum zu thun, Zeit zu gewin-
nen und felbftftändige Entjchließungen nody abzumwenden ; der
Minifter von Manteuffel hat den Gefandten der MWeitmächte
nachträglich erflären müfjen, der König habe fich über den
Beitritt oder Nichtbeitritt zum Bertrage vom 2. Dezember
noch gar nicht ausgefprochen, er wolle die Frage noch ruhen
lafien, bi8 er den Erfolg feiner neuen Schritte in London und
Paris erfahren habe; die bisherige Antwort fei demnach gar
nicht ala eine Ablehnung zu verftehen u. f. w.
Man fieht hier mit Entfeten die neue Verwickelung vor-
aus, in welche Preußen geräth, wenn in Folge der von ihm
ſelbſt hervorgerufenen Befchlüffe des Bundestages eine allge-
meine Rüftung und fogar Truppenaufftellung gegen Rußland
gefordert wird. Wie foll man fich der Theilnahme entziehen ?
wie kann man fie leiften? Man fühlt die Erniedrigung, man
fieht, wie man gebunden ift und gefchleppt wird! —
„Georg Forſter der Naturforfcher des Volls. Bon Jacob
Moleſchott. Frankfurt a. M. 1855." —
Einige Mitglieder der zweiten Kammer, unwillig über das
elende konftitutionelle Gaukelſpiel, das hier getrieben wird,
- find in Berathung getreten, wie der Berfaffung aufzuhelfen
. und wahres Leben einzuhauchen wäre? Der Vorſchlag, fich
x der demofratifchen Parthei zu nähern, fie zum Antheil an den
Wahlen zu bewegen, fand Schwierigkeiten, und es fam zu
feinem Beſchluß. Ohne beſſre Wahlen, die es nur durch Theil:
nahme der demokratiſchen Wähler werden können, iſt nicht?
24°
372
zu mahen. Die Demofraten aber jagen, daß ihre Betheü —
figung fogleich ein fie wieder ausſchließendes neues Wahlgeſer —
zur Folge haben würde. Außerdem baben fie noch and
Gründe, nicht zu wählen, und fi mit den Gothaern nick
einzulaſſen.
Man nennt die erſte Kammer ſpottweiſe: la chambre de=s
peres et meres (pairs et maires, wegen der Bürgermeifter_ —
Mittwoch, den 27. Dezember 1854.
Mir träumte, Louis Bonaparte habe Paris in Brand au“ —
gehen laſſen, wie Nero Rom; er könne joldye Hauptftadt nie
leiden, habe er gefagt, und der Kaifer von Rupland ihm be—
fällig zugeftimmt. —
Der Landgraf von Heffen Philippsthal-Barhfeld ift um
feiner Gemahlin wieder hier eingetroffen. Der König hat ſe—
nem Bruder dem Prinzen Karl in dem Streit Unredyt gegebe —
und eine Ausſöhnung bewirkt, die bei erfter Gelegenheit wie
fallen wird. —
Neue große Kriegsrüftungen in Frankreich, deutliche Dras”
hungen der frangöfifhen Blätter, den Krieg gegen Rußlam ®
auch durch andre Ränder hindurch zu führen, das heißt durch
Preußen, mit andern Worten, diefem den Krieg zu machen, ſich
an diefem ſchadlos zu halten! —
Man will ſchon wiffen, daß Herr von Uſedom in London
ichlecht aufgenommen worden fei, feine feiner Borftellungen
das geringfte Gehör gefunden habe. Der König foll darüber
ſehr erbittert, gleich darauf aber niedergebeugt geivefen fein;
fo erzählen die Hofleute. —
„Wenn wir no) einiges Heil erwarten können, fo liegt es
in einem Thronwechſel,“ fagte neulich ein General, „Biel:
leicht," antwortete ein Anderer, „aber in einem fortge-
festen!" —
873
Donnerstag, den 28. Dezember 1854.
Frau Herwegh geb. Siegmund ift aus der Schweiz hier
gekommen, um ihre Familie hier zu fehen. Auf acht Tage
+ SHindeldey ihr hiezu die Erlaubniß gnädiaft bewilligt.
5 fie früher als Hochverrätherin hier angeklagt und fted-
Leflih verfolgt worden fei, wie einige Zeitungen fagen, wird
eneint. —
In Friedrich Auguft Wolf Briefen an Heyne gelefen. —
rı Westminster Review ein XArtifel von Lewes „Goethe
, a man of science ift gerecht gegen Goethe und Ofen und
eiſt die verläumderifchen Ausfälle des letztern zurück; aber
. Betreff Newton’ kann der Engländer nicht zu gleicher Ge-
tigkeit fi erheben; er gefteht, daß er felber über den
treitpunkt nicht urtheilen könne, findet aber aus Aeußerlich⸗
hen, die er zufammenftelft, nur zu wahrfcheinlich, daß Goethe
m Unrecht und deffen Farbenlehre eine Schwäche ſei! Diefe
Innahme hätte ſich Herr Lewes fparen können, nachdem er
jeſtanden, daß er fein Urtheil in der Sache habe. Wenn er
Jar ald Thatſache gelten läßt, daß Newton's Theorie des Lichts
und der Farben noch heute bei den Gelehrten allgemein für
richtig gelte, fo ift er fehr im Irrthum. Ich ſelbſt fühle mich
auch nicht berufen, hier ein wiffenfchaftliches Urtheil abzu-
geben, afein die äußern Gründe, die für Goethe fprechen, dürften
die für Newton doch weit überwiegen. dudFas d’ ärrikoınos
Naprupss Voywraroı! —
Es Heißt, der ruffiihe Kaiſer habe einen Ukas erlaffen,
daß jeder, der einen Berwundeten födtet oder einen Wehrlofen,
uf der Stelle erfchoffen werden fol. Der Kaifer fühlt
ıenfchlicher ald fein roher Befehlshaber, der die Thatfache
iht läugnete, fondern entfhuldigte, ja der, nad) der Mei-
ung einiger, das Morden fogar felbit befohlen hat. —
Man meint hier, einen großen Erfolg zu erringen und die
litiſche Selbftftändigkeit glängend darzuthun, wenn Preußen,
374
anftatt dem Vertrag vom 2. Dezember beizutreten, eigne Be
träge mit Frankreich und England fchliegt, immer doch—
Wahrheit zu gleihem Zweck und gleicher Verpflichtung ; den
nachgeben wird der König, das will man ſchon wiſſen. —
„Wer aber wird über die preußifche Kriegsmacht den Ober
befehl. führen?* — Die Wahl ift nicht groß, und fchon ge
troffen: Groeben und Wrangel. — „Der Held von Yütlan
und der Held von Bronzell? D weh!" —
Freitag, den 29. Dezember 1854.
Beſuch vom General von Pfuel. Er ſpricht mit größte
Einfiht und Klarheit über die erforderlichen Eigenfchaften
eined Kriegsbefehlshabers, wie derfelbe ſtets mit Geiftesaugen
das Verhüllte fehen, ungeirrt rechnen und urtheilen müffe, und
bei aller ruhigen Kälte doch des feurigften Eiferd nicht ent
behren dürfe. Ueber die hiefigen Zuftände, ihre Urſachen,
ihre Folgen, ihre FJämmerlichkeit, find wir ganz einverftande.
Ufedom’d Sendung nad) London wird von den Kreuzzeitung®
leuten, die des Oberften von Manteuffel nad) Wien andrerjeitt
ſehr getadelt.
Nachmittag befam Ludmilla den unverhofften Beſuch We
Frau Doktorin Emma Herwegh, und ließ mich dazu rufen. Di
freudigfte Ueberrafhung! Die Frau fah fehr gut aus, u
gefiel mir beffer ala je; fie ift lebenserfahrener geworde
veifer, und bei unverfürztem Muthe weicher; fie ſprach m
guter Laune. Sie lebt in Zürich, zieht aber den Aufenthe
zu Paris und noch mehr den zu Rom, dem in der Schw
weit vor. Dr. Herwegh ftudirt Naturmwiffenfchaften. €
leben zumeift mit Jtaliänern, unter denen die vortrefflichft
Menſchen find, fie nannte einen Florentiner Piero Eiro:
In Baden ift fie doch ald Hochverrätherin angeklagt und r
375
ieddriefen verfolgt worden. Leider gebt fie ſchon übermorgen
der fort! — Humboldt's Handfchrift. —
In Friedrich Auguft Wolf's Briefen an Heyne und in
\inen Prolegomenen gelefen ; ein Bergnügen, eine Stärkung!
— Englifches. — .
Nachrichten aus St. Peterdburg fagen, daß der Kaifer
äußerft unruhig und verftört ift, und aus allen Kräften nach
Frieden verlangt. Der König freut ſich diefer Hinneigung,
und wünſcht ihr eifrigft nachzubelfen, ift aber unangenehm
davon berührt, daß Rußland ſich veranlaßt findet, ſoviel nach—
ugeben; wenn Rußland nicht mehr ſo ſtark iſt, ſo fühlt auch
er König kein rechtes Zutrauen mehr. —
Daß in Wien die Berathung der Diplomaten beim eng=
Shen Gefandten war, wo der ruffiiche fich bereitwillig ein-
ınd, und Preußen ausgefchloffen blieb, macht bier einen
hlimmen Eindrud. —
Sorinabend, den 30. Dezember 1854.
In Wolf’d Prolegomenen gelefen ; neben der Vortrefflich⸗
teit des Geiftes, der kritiſchen Betrachtungaweife, Forſchung
und Acheit, wird das eigegtliche Ergebniß faft gleichgültig ; es
geht mir damit wie mit Goethe's Farbenlehre, deren eigent-
liher Gegenftand mir nie nahe gerüdt ift, an deren Behand-
lungdart und Beiwerk aber der Geift immer auf’d neue ſich
tftiſcht. Im den Homerifchen Fragen muß ich doch in der
sache ſelbſt, als ein nicht Unkundiger, mich zu Wolf's kritifcher
nfiht befennen, abweichend won Goethe, der ihr in feinen
äteren Jahren untreu wurde,
Abends fam Wilhelm von Willifen, und blieb wohl andert:
Ib Stunden. Perſönliches wurde bejprochen und Wllge:
376
meined. Ich ftellte ihm meine Anficht auf, daß ein nahe
Frieden möglich fei, bei verlängerten Unterhandlungen abı
ganz neue Dinge ſich aufthun können, und ſchließlich deh
die Türkei die Zeche bezahlen werde, infofern könne der Kalle |
von Rußland endlich doch Recht behalten, nur daß die Zul
etwas anders vertheilt werde, ald er ed gemeint. Ob man
Preußen dann auch bedenken wolle, wird eine Sache Wi
Gutdünfens, der Gnade fein! Das Ganze ift und blaiht
eine Abfcheulichkeit, würdig der Verbreder und Schmit-
linge, die jebt regieren. Wird der Krieg fortgefegt, fo il
ed nicht viel beffer. Der Unſinn und die Schlechtigfeit liegen
überall! —
. Der General Graf von Bendendorff wirbt hier über hun
dert Aerzte und Wundärzte für den ruffifchen Tazarethdienf,
unter für fie vortheilhaften Bedingungen. — |
Nachdem in Folge des Königlichen Zornd die Offiziere
aus der geographifchen Gefellfchaft ausgefchieden waren, ftellten |
der Prinz Adalbert und Humboldt dem Könige vor, wie übel
diefe Sache in englifhen und franzöfifchen Blättern werde wr:
arbeitet werden. Dafür ift der König empfindlich. Er ſprah
daher bei erfter Gelegenheit fehr freundlich mit Karl Ritter, |
verficherte die Gefellfchaft feiner Gnade ꝛc. Gleich darauf
fandte ev ihr mit einem fehmeichelhaften Schreiben ein fh
bares Gefchent, ein geognoftifches Bildwerk der Brüder Schlay
intweit. Der General von Reyher, der früher den Off
zieren eingefchärft, fie müßten austreten, fucht nun ihten
MWiedereintritt zu vermitteln. — Died alled macht einm
jämmerlichen Eindruck. Der Prinz und Humboldt Haben durd
ihren Rath nichts gebeffert. —
877
Sonntag , ben 31. Dezember 1854.
Nachrichten aus Wien; größter Haß gegen die Ruffen,
ann aber auch Haß gegen die Preußen, und dann Haß und
Riptrauen gegen Frankreich und England! So ftehen die
Scchen! Haß überall, und Miptrauen überall! Dabei find
uch wieder viele Bornehme in Wien ruffifch gefinnt, und
jalten den ruffenfeindlichen Eifer im Schach, der Graf von
Buol felbft wagt fich nicht weiter, als foweit er durch Kaifer-
liche Befehle gedeckt ift, und fo fehr die Ruſſen auf ihn fchims
pien, fo wäre er doch gleich bereit, ihnen die Hand zu bieten,
wenn die Umftände dafür günftig wären. Gin karakterloſer
Mann und von ganz mittelmäßigen Fähigkeiten, einer von
den Resten, die vor allem in Amt und Würden bleiben wollen,
alles andre it ihnen Nebenjahe. — Wenn in Frankreich
nichts vorgeht, im der Krim die Sachen fich halten, oder
gar die Ruſſen gefchlagen werden und Sebaftopol fällt, wird.
aber doch Defterreih, und mit ihm Preußen — fo hofft
man — in den Krieg gezogen \werden. Wie diefer dann
geführt werden mag, dad weiß niemand anzugeben! Die
Deſterreicher haben doc wenigſtens Genevale, aber wo find
die preußifhen? Und mit welchem Bertrauen follen fie
lmpfen, wenn fie wien, daß am Hof eine Parthei herrfcht, -
die mehr noch einen Sieg ale eine Niederlage ihnen zum
Berbrechen mat? Genug, es iſt ein gräuelhafter Zuftand,
ind es iſt nicht zu jagen, wer irgend einen wahren Bortheit
avon hat, oder haben wind. Die Sache der Monarchie ges
rd nicht —
Im engliihen Parlament ift wader auf die Deutfchen ge-
bimpft worden, nicht nur auf die Negierungen,. Die faum des
chimpfens werth find, ſondern auch auf die Völker, man
stexfteht fh, ihre Kriegstüchtigkeit und: ihren Muth in
meifel zu ziehen. Dem dummen Webermuth der Engländer
das eher zu verzeihen, als den deutſchen Fürſten, daß ihre
3.78
Feigheit und Wortbrüchigkeit und in foldhe Rage gebracht, wo
man und jeden Schimpf ungeftraftanthun kann. Dabei wollen
die Engländer doch eine Fremdenlegion vorzüglich aus Deut:
chen zufammenwerben! Hier in Preußen find alfogleich die
beftehenden Verbote gegen jede fremde Kriegewerbung von den
Behörden in Erinnerung gebracht worden. —
Spät Abende, nad) dem Thee, kam noch Graf Cieszkowẽki,
und wir hatten eine lange Unterhaltung, die in feherzender
Laune und gewichtigem Exnfte die Fragen ded Tages und die
Ausfihten der Zukunft erörterte. Wieder einmal Anwendung
der großen Wahrheit, dag man das Belannte nur berechnen
fann, aber das Unbekannte nicht, das immer hinzutritt, und
in großen Beftandtheilen. Möglichkeit eines rafchen Friedens,
mit langen Nachverhandlungen, in denen fi) ganz neue Dinge
darbieten können, Ländertauſch, Zerpflüdung der Türkei x.
Elendigkeit der preußifchen Kammern, Mattigkeit der Stim-
mung. Ueber die Herftellung Polens: „die Polen ziehen
ihre Bolföthümlichkeit weit der Freiheit vor, find lieber unter
dem heimischen Joch, ald in fremder Volksthümlichkeit
frei.“ Der Gang der Entwidlung ift im entgegengefeßten
Sinn, erft die Freiheit, dann Volksthümlichkeit, die lebtere
verliert an Bedeutung, fo wie die Freiheit wächſt und die Bils
dung! —
Das Neue Jahr erfchien unter Sturm und Regen. Bir
begrüßten es guten Muthes, aber ohne Freudigkeit, ohne be
ftimmte Erwartung oder Zuverficht. —
Probeblatt einer neuen preußifchen Vaterländiſchen Zei⸗
tung, die in ächtem Unterthanenfinn wahr und unpartheiiſch
berichten will, in Meinem Format, und äußerft wohlfeil, mit
der Abficht die Bernftein’fche Volfdzeitung zu verdrängen!
Der Redakteur der neuen Zeitung ift der bankerotte Kunfts |
händler Julius Kuhr, nichtönußiger Treubündler, und ſelbſt
aus dem Treubund audgeftoßen. Das heipt alles gefagt, um
379
18 Unternehmen zu fennzeihnen. Man jagt, er bekomme
seid aus den Minifterien. —
Der Landrath von Eldner, durch die Ausfühnung des
öniged mit der geographifchen Gefellichaft äußerſt blosgeſtellt
nd gleichfam preiögegeben, ift hiedurch fo beftürzt und er-
ittert, daB er feinen Abjchied nehmen will, und aus einem
ienftergebenen Unterthan nun ein auffäffiger Feind gemwor-
en ifl. —
1855.
Montag, ben 1. Januar 1855
Träume guter Art, die liebe Geftalt Rahel's erf
darin! —
In Gent gelefen, in den Briefen des Plinius an
Trajanus; der Einblid in das römische Regierungsweſt
ſehr lehrreich, und erwedt viel Gedanken! —
‚ Hier in diplomatischen Gefellfchaften ift das Gerede
breitet, der ältere Willifen fei nur bieber gefommen, un
der englifhen Geſandtſchaft ſich zur Befehlshaberſchaf
Fremdenlegion zu melden und zu empfehlen, die En
werben will. Es ift fein wahre® Wort daran! Man
nur neuen Haß auf ihn laden. —
Gerücht, daß Herr von Prokeſch beauftragt fei, den
herzog Albrecht darüber auszuholen, ob er geneigt fei,
tretenden Falles die Königdfrone von Polen anzunehmen
Der Prinz Triedrih Karl hat in Potsdam heut
Offizieren, die fih zum Neujahrsglückwunſch eingefu
hatten, öffentlich gefagt, er wünſche ihnen in diefem
einen glüdlichen Feldzug. Ebenſo hat der Oberſtkamme
und Feldmarfchall Graf von Dohna fich geäußert. Beid
die higigften Ruffenfreunde. —
381
Dienstag, den 2. Januar 1855.
Beſuch vom General Adolph von Willifen; mannichfache
Mittheilungen und Erörterungen ; den ruffifchen Krieg von
allen Seiten betrachtet, die polnifche Frage, die Betheiligung
Vreußens. — Geftern Abend wußte Humboldt noch nichts von
Br Wendung, welche die Sache der geographifchen Gefellichaft
gruommen hat; er hoffte, wenn die Geſellſchaft eine Gelegen-
Brit fände, dem Könige zu ſagen, daß fie gar feine politifchen
Beſtrebungen habe, ſo würde der König das Vorgefallene da⸗
Bingeftellt fein laſſen; er ahndete nicht, daß feine Vermittelung
nen fo glänzenden Erfolg gehabt, einen ſolchen Umſchlag be-
Jirkt hat. Willifen wußte auch nichts, und war nicht wenig
Maunt, ed von mir zu hören. Klagen über die Gerüchte,
man gegen feinen Bruder Wilhelm ausftreut, —
Abends kam General von Pfuel; einige Neuigkeiten von
ot3dam. Allgemeine Anfihten und Erwägungen; Pfuel
18 über alled nachgedacht, hauptfächlich vom Kantifchen Stand-
Kuft aus, wobei ihm doch ein geheimes MWunderwefen lieb
Mtichen ift, das doch nur ald Ergoͤtzlichkeit dient, auf fein
Enden feinen Einfluß bat; die großen Wunder, welche der
Krchenglaube lehrt, feheinen durch die Meinen des Privataher-
aubend erfeßt zu werden! Es war nahe daran, daß er fich
E93 Tiſchrücken vertieft hätte, Doch die fcharfen Verwerfungs-
Etheile gegen diefe Albernheit bewahrten ihn. —
Ein feltener Fall! Die Spener’fche Zeitung vom Sonn-
war dur) die Polizei weggenommen worden, und durfte
nach Entfernung eines Artikels, der die preußifche Politik
tach, audgegeben werden. Der Artikel gab zum Theil die
agriffe des franzöfifchen Eonftitutionnel wieder, diefe waren
BRößig. Unfere Prepfreipeit ift ganz und gar eine Täu-
bung. Daß unendlich viel Started doch durchfchlüpft, darf
wundern, das geſchah auch unter der Herrichaft der
fur, zum fteten Aerger der Regierung. —
382
Das Schandgefeh, das ſchon entworfen war, die Zein
für die Aufnahme mißfälliger Aeußerungen der Abgeon
in den Kammern zu ftrafen, wenn auch diefe Neuerungen
nicht zu beftrafen fein können, dieſes Gefeß, mürdi
Schikanen und Quängeleien, mit denen man in Preuf
gern regiert, foll dem Vernehmen nach, fürerft nicht von
werden. — Woher kommt plöplich diefe Berfhämtheit?
Die Neue Preußifche Zeitung ift feit einiger Zeit
matt und ftumpf; fie muß üble Nachrichten aus Ruflan
tommen haben, oder von dort der gewöhnlichen Weiſi
entbehren. Das Gift ſcheint fhaal geworden. —
Man fagt ohne Scheu, die Armee fei gegen den König
"übel geftimmt, und habe, was er auch befcließen ı
fein Vertrauen zu ihm. Die Kreugzeitungsparthei, die!
den Anfchluß an die Weftmächte wittert, verbreitet diefed
rede gefliffentlih. —
Unter den Offizieren wird geſagt, der König werdel
abdanken, ald gegen Rußland zu Felde ziehen. Die Hofe
fürchtet eine Abdankung jept eben fo, als fie früher f
wünfchte, verlangte. Man ſchimpft auf den Prinzen
Preußen, man rühmt den König, das heißt unter dr
dingung, daß er ruſſiſch fei. Im den Feldtruppen hr
die entgegengefepte Gefinnung, da wünfcht man den Pi
von Preußen ꝛtc.
Merktwürdige Aeußerung eines Minifterd: „Geber
Acht, wenn jept ein Friede zu Stande fommt, fo wird fl
König einbilden, er habe den {Frieden vermittelt, um
Menſch wird ihm das ausreden koͤnnen!“ —
Die Polizei geftattet den Zeitungen manche Freiheit
über die Polizei dürfen fie nie tadelnd reden. Man I
Blätter fo lange gequält und ſchikanirt, bis fie alle
erfennen müffen, ihr Beftehen hänge davon ab, den Her
— "Gern Grey, ber ar
————— He pet, de
* ‚still er wieder hier fein und
N. —
‚re der Konftablerwirthfchaft
‚ daß diefe bewaffnete Schaar,
Ser ganzen Regierung ruhe —
sroße meinte, auf dem Kriegs:
;vergnügte, demokratiſch gefinnte,
- pitzbübiſche Mitglieder. enthalte,
— Täuſchung ſei, daß mit dieſer
her Kartoffelkrawall zu bekämpfen
iq, bei welchem Hinckeldey ſich be⸗
:te Schutzmannſchaft geltend macht
ahren Sachverhalt wüßte, fo wäre
‚infehen und Macht gethan.
Freitag, den 5. Januar 1865.
:bimpfen fortdauernd auf Preußen, oder
z geringfhägig; Die Warnungen der Bes
rungen mit Achtung zu behandeln, gelten
an Preußen die Aufforderung erlaffen, bei
injtalten der Rufen in Polen nun auch feis
:traggmäßige Hülfe kriegsmäßig aufzuftellen.
ing an den deutfchen Bund. Preußen will
ausweichen und zögern, noch greife ja Rußland
igentlich foll fi die Aufforderung nur darauf
am Bundestage mit Defterreich gemeinfchaftlich
zu machen.) |
In von Enfe, Tagebüder. XI. 25
884
neben dem Ffriegerifchen Eifer auch ſchon friedfertig. Die
fromme kirchliche Salbung ift eine widerwärtige Heuchelei! —
Donnerstag, den 4. Jannar 1855. |
Die Zeitungen enthalten die Mittheilung, es fei definitiv |
Abftand genommen, den Kammern das im Minifterium de}
Innern bereitd entworfene neue Wahlgefeß für die zmeite |
Kammer in der diedjährigen Sigung vorzulegen; nach diefem
Entwurf follen künftig nur die MagiftratSmitglieder, die |
Stadtverordneten, die Gemeindeverorbneten, die Zünfte und
Kreidtagdberechtigte dad Wahlrecht haben. Wo bleibt das |
allgemeine Wahlrecht, Die Urwahlen auf der breiteften Grund® |
lage? Muß man nicht fpeien auf diefed ganze Berfaffunge-
wefen und die nichtswürdigen Halunfen, die daffelbe fofchänd-
lich zurichten? Wie richtig, wie vorausſichtig Flug hat das |
Volk fich bisher ſchon vom Wählen zurüdgehalten, Das man !
ibm ohnehin ſchon ſtets zu entziehen dachte? Man fage nict,
es würde anderd geworden fein, wenn das Volk ſich fortwäh- |
rend betheiligt hätte! Nur um fo fchneller würde man ihm
das Wahlrecht gefehmälert und genommen haben, ja die ganze
Berfaffung hätte weichen müflen. —
Die Volkszeitung bringt einen farkaftifchen Artikel über |
die im kurheſſiſchen Orte Bodenheim, unter den Augen des
Bundestages, eröffnete Werbung für die englifche Fremden: '
legion, mit fchneidenden Hieben auf die Kreuzzeitungsparthei,
auf Stahl namentlich und auf Leo. — k
Nachmittags kurzer Beſuch von Herrn Dr. Ring, ſchönes
Manuffript von ihm, er ift fleißig bei der Arbeit mit einem |
neuen Roman, und troß mancher Hemmniffe und Befchwerden :'
ganz vergnügt, was ich ihm herzlich gönne. Er hat viel von i
Koreff, aber nur dad Gute, — .
385
Korrelturbogen von Arnim's Gedichten. Für die Augen
angreifend. — Abende Beſuch von Herrn Crepet, der Ab-
ſchied nimmi. In zwei Monaten will er wieder hier fein und
feine Arbeit über Preußen vollenden. —
Ein Beamter, der in das Innere der Konftablerwirtbfchaft
hier tief eingeblict hat, verfichert, daß diefe bewaffnete Schaar,
auf der das Beitehen und Heil der ganzen Regierung ruhe —
nicht mehr, wie Friedrich der Große meinte, auf dem Kriegö:
heer —, viel unzuverläffige, mißvergnügte, demoftatifch gefinnte,
anderntheils auch feige und fpisbübifche Mitglieder. enthalte,
dag die Brauchbarkeit eine Täufchung fei, daß mit diefer
,Mannſchaft kaum ein ernftlicher Kartoffelkrawall zu bekämpfen
; fein würde. Wenn der König, bei welchem Hindeldey ſich be⸗
ſonders duch die fogenannte Schugmannfchaft geltend macht
E und geltend erhält, den wahren Sachverhalt wüßte, fo wäre
; ed bald um Hindeldey’s Anfehen und Macht getban,
Freitag, den 5. Ianuar 1865.
Wiener Blätter ſchimpfen fortdauernd auf Preußen, oder
ſprechen von ihm ganz geringfchäßig; die Warnungen der Bes
| hörde, fremde Regierungen mit Achtung zu behandeln, gelten
nur zum Schein. —
Defterreih hat an Preußen die Aufforderung erlaffen, bei
| den kriegeriſchen Anftalten der Rufen in Polen nun auch feis
nerſeits die vertragsmäßige Hülfe kriegsmäßig aufzuftellen.
Gleiche Mahnung an den deutfchen Bund. Preußen mill
möglichft noch auöweichen und zögern, noch greife ja Rußland
nicht an zc. (Eigentlich foll fi) die Aufforderung nur darauf
befchränten, am Bundestage mit Defterrei gemeinfchaftlich
den Antrag zu machen.)
| Barnhbagen von Enfe, Tagebüder. XI. 25
386
Der König hat dem Landrath von Eldner dad Riiterfreu |
des Haudordend von Hobenzollern verlieben. Er wollte ihn |
zum Kammerherrn machen, zum Johanniterritter, beides verbat
Elsner. Hindeldey hat an Elöner gejchrieben, der König habt |
der geographifchen Gefellihaft nur unter der Bedingung ver: |
ziehen, daß fie Elöner’n zum Ehrenmitglied aufnebme. Diefer |
Angabe Hindeldey’3 entfpricht aber dad Berfahren des Könige J
nicht; weder Humboldt noch Ritter willen von folcher Be
dingung. Möglich bleibt, daß der König dergleichen obenhin |
geäußert, dann aber ed vergefien, oder nicht darauf beftanden
habe. —
Sonnabend, den 6. Jannar 1855.
Ein trüber Negentag, Taum Tageshelle! Nachmittage U
über 50 R.W. Dem Wetter entfpriht meine Stimmung, U
die zum Ueberfluß auch durch rheumatifhe Schmerzen nod |
getrübt wird. Es foll mid wundern, wenn der Tag noch J.
etwas Heitered bringt; ich glaub’ ed nicht! Und die traurige
Tröftung, daß ed fchlimmere Tage geben fann, daß dieſer ver- W.
hältnißmäßig noch zu den guten zu technen fein wird, troöſtet J.
mich nicht. — 1
Spät aufgeſtanden, dann einen Druckbogen von Arnim's P
Gedichten durchgeſehen, mit Anſtrengung der Augen! —
Antrag des Appellationsgerichts⸗Praäſidenten Wentzel in J
der zweiten Kammer zur Beſchaͤftigung der Strafgefangenen |
außerhalb des Gefängniffed und zur Abrechnung ihrer Mehr:
arbeit von der Strafzeit. Menfchenfreundlih, mit Kenntniß
und Erwägung aller Umftände. Die Begründung iſt ſorg⸗
fältig ausgearbeitet. Der Graf von Nord hatte mir die de⸗
fallfige Druckſchrift mitgetheilt, md ich fann in das Lob, dat
er ihr giebt, nur einſtimmen. — |
387
Der Tag ſchloß ungünftig, wie er mgefangen. In der
Illias gelefen, ald Betäubumgamittel! Armer Homeros, wie
mißbraudt! — In Sean Jacques Roufſeau's Politiſchen Schrif⸗
ten geleſen, franzöſiſche und engliſche Zeitungsblätter. —
Die Kreuzzeitung iſt fehr geſchlagen durch das Unterliegen
ihrer Parthei bei der Präſidentenwahl in der zweiten Kammer.
Der Graf von Schwerin iſt ſchließlich gewaͤhlt. Aus der Ver⸗
bindung der Bethmann⸗Hollweg'ſchen Fraktion mit der Linken
weiffagt die Kreuzzeitung dem Thron Unheil! —
Sonntag, den 7. Januar 1855.
Sendung von Humboldt, fein Vorwort zu den Reifeer:
innerungen des Brinzen Waldemar von Preußen, der 1844
und 1845 in Dftindien war, und am 17. Februar 1849 ſtarb;
das Vorwort iſt ſehr ſchicklich abgefaßt und fagt alles was fich
bei foldher Gelegenheit jagen läßt, mit Gefhmad und
Wärme. —
Br
Humboldt giebt in der Zeitung Nachricht von den Brüdern
— es find jet drei — Schlagintweit, daß fie im Sturm am
2. November nicht untergegangen, fondern am 28. Oftober in
Bombay glüdlih angelangt find. Er fagt, fie reiften auf
Koſten unfered Königs und der oftindifchen Gefellihaft in
London; bisher war nur bekannt, daß die letztere allein die
Koften trägt, da der Kultusmimifter von Raumer feine Unter:
ſtützung für diefe Naturforjcher für räthfih fand, und Hums
- Boldt’3 wärmfte Empfehlung nicht achtete. —
Die Leute fürchten eine zu enge Verbündung Defterreiche
und Frankreichs als der beiden mächtigften fatholifchen Staaten,
und beforgen daraus Gefahr für die. Proteftanten. Ich theile
ſolche Beforgniffe nicht! Wie katholiſch find denn Defterreich
25°
388
und Franfreih, und befonders ihre jebigen Häupter? Da
aanze Gegenfag von Katholifch und Proteftantifch ift heutige
Tage? nur ein ganz untergeordneter, der in der politiihen
Freiheit — wir haben ed 1848 gefehen — ſogleich wt
ſchwindet. Als er fih in Frankfurt zuerjt wieder gelten?
machte, da war ed mit den fchönen und guten Tagen jchon vor
bei, da begannen die argliftigen Ränke, Blendwerke, Ber
räthereien, fowohl der Fürften ald der Volksvertretet. Der
Hauptgegenſatz in unſerer Zeit iſt der des Freiſinns und det
Willkür, in anderem Ausdruck der Revolution und der Reef
tion, des Vorwärts und des Rückwärts. Die Revolution hal
jegt die Bedeutung ded Chriſtenthums in feinen Anfängel
die Reaktion die Bedeutung der graufamen Gegner und BU
folger deſſelben. Das eigentlich Mächtige ift überall das Mr
volutionaite. Das, was jept den Kaifer von Rußland ve
drängt, ift doch in Wahrheit das Revolutionaire, und TH
womit er fich helfen wollte, und helfen fönnte, wenn er MI
Muth und Geift dazu hätte, auch wieder dad Revolutionaire- 7”
Montag, den 8. Januar 1855.
Artiges Zwifchenfpiel in Neapel, wo der König die Jeſuiten
austreibt, weil er fie in Verdacht hat, für den Prinzen Murat
zu arbeiten! Der Prinz Murat erflärt, dag er fich nie mit
den Jefuiten gemein machen werde! Alles ift fihen wieder
audgeglichen, die Jeſuiten bleiben in Neapel, und der König
erkennt in ihnen feine Freunde. —
‚Ein Mitglied der äußerften Rechten der zweiten Kammer
klagt bitter über das Unterliegen feiner Barthei in der Präft-
dentenwahl: „Wenn das fo fortgeht, * jagt er, „fo werden wir
bald, fürdht’ ich, auseinandergejagt!" Das ift ed! Kine frei:
389
nmer wird nicht geduldet! Da wendet man zur
r Willfür gleich Gewalt an! Der Gewalt aber zu
‚ dazu find die Konftitutionellen zu furchtſam. Wie
en die Demokraten, hat das Volk getban, fih an
Lumpenweſen nicht zu betheiligen! —
ois s’en vont!“ Dieſes große Wort Lainé's fin-
ag feine Beftätigung, und fichtbarlich eben jept
e Könige allmächtig fcheinen, und wirklich im Be-
glihen Macht find. Zwar fällt gerade jept fein
n fiebt feinen flüchten und betteln, aber jeder Tag
en etwas, von ihrem Anfehen, ihrer Bedeutung,
ntergräbt die Throne, auf denen ſchon nicht mehr
ſtigten, fondern neue, revolutionaire Fürften fißen.
nen Kaifer aus der Bolköfouverainetät, aus der
ıenmebrheit, einen Louis Bonaparte unter fid
thut ihnen mehr Schaden, als die größte Republif
ihnen thun koͤnnte.
n hat nad) Wien eine Note geſandt (man fagt,
auar), worin e8 gegen feine Ausſchließung von den
n proteftirt und feine Rechte ald Großmacht wahrt,
opäifchen Angelegenheiten eine Stimme zu haben,
erträge, die es mit unterzeichnet, nicht revidiren
me fein Zuthun. Das ift fehr gewagt, und kann
ihren! —
m Wert Großmaht wird ein großed Weſen ges
viel Unfug getrieben. Für Preußen ijt der Bes
noch anmwendbar. Es hat fich feit dem Herbit
ß nicht als Großmacht erwiefen. Und was ed
15 war, war es durch den Geift ded Volkes und der
e den Staat in die Hand genommen hatten. —
390
Dienstag, den 9. Januar 1855.
Gefchrieben ; über die Kriegsführung der Weſtmächte, die
ſchlecht iſt aus Mißtrauen, Schuldbewußtfein und Feigheit.—
Beſuch von Fräulein Aline von Schlichtkrull, die eben aus
Bommern wiedergefehrt ift, und unerwartet die frühere de—
kanntſchaft wieder aufnimmt, fröhlid, munter, —
Nachricht aus Wien, Daß der ruffifhe Kaifer die Aus
fegung der vier Gewährungen, melde die Weſtmächte ver |
langen, vollftändig gelten laffe und demzufolge Unterhandlungen
eröffnet feien. —
Klagen über ruffiihe Umtriebe in Stalien und Ungam, |
beide Länder gegen Defterreich zum Aufftande zu reizen. Mn |
will Schon Anzeigen haben, daß der Kaifer von Rupland mt
Kofuth Verbindungen anfnüpfe. Warum greift er die Co |
nicht gründlicher an, in Polen? Da fürchtet er für ichje |
zuviel! Ein großer Schlag wird im Stillen vorbereitet, |
dem ſchon viel gethan fein foll, nämlich ein Schlag im Franl
reich zu Gunſten der Bourbons, der Erfolg wäre Ruplandı |
größter Triumph. Aber um das franzöſiſche Heer zu geyeinuen ;
für das alte Kömigögefchlecht, müßte Louis Bonaparte Kriege |
unglüd haben, und verſchulden, oder einen dummen Frieden
ſchließen. Kür erfteres muß in der Keim geforgt werben, fir 1
legteres in Wien. Die ruffifchen Thätigkeiten werden über
mit großem Gifer betrieben, leiden aber. an den einbeimilden |
Gebrechen, an lähmender Anechlögelinnung, und an und
licher Selbſtſucht; die Ansführer dürfen nicht freifinnig fen,
nicht höheren Antrieden folgen, fie dürfen höchſtens einigen
Freiſinn lügen, zur Täuſchung der Anderen; fie finden
natürlich nirgends Vertrauen, ald bei den verſchmitzten Griechen,
die auch im gegenfeitigen Betrügen immer noch zu gewinnen
hoffen. — u
Angebliche Aeußerung ded Fürſten von Metternich, fein
391
Inſtinlt fei für den Frieden, feine Vernunft für den Krieg.
Bahr oder nicht, viel Sinn und Berftand iſt in dem Aus⸗
pruche nicht! —
Mittwoch, den 10. Janunar 1855.
Beſuch von Herrn Lewes; die politiſche Lage der Dinge,
>08 ein Friedensſchluß bedeuten würde; wo die wahre Macht
iegt, welche Krifen noch bevorftehen ; wenn die nächite Revo:
ution nicht in frankreich entfteht, wie ich doch erwarte, fo
ind fie in England, in Rußland entftehen, aber fommen wird
ie! Der jetzige Zuftand von Lüge, Gewalt und Feigheit ift
tin folher, der fich befeftigen und dauern fann, da war der
us dem Wiener Kongreß hervorgegangene noch beffer — in
er Ihat hat dies Werk, obſchon nur Flickwerk, doch dreißig
Jahre gedauert! —
„Sonnets on the war, by Alexander Smith and Syd-
ey Yendis,“ von denen der Xeader Proben giebt. —
Die Rationalzeitung bringt das freifprechende Erkenntniß
es Kammergerichts für dag 12. Stüd der „Gränzboten*, das
m vorigen März von der Pelizei weggenommen worden war
md durchaus ſtrafbar fein follte; die Gerichte jedoch, fanden
wa Tadel der preußischen Politik, der hier ausgelprochen war,
och innerhafb der Gränzen des Erlaubten. — Ein neuer Ges
thentwurf zux Beſchränkung der Eheicheidung, den der König
den gebilligt, foll den Kammern vorgelegt werden. Die Ge:
einplätze halber Gründe find hier im Dienſte der Heuchelei
braucht, dad Machwerk ift ein ganz jämmerliches, und thut
ht einmal dem Pfaffengeifte Genüge, denn ein Sakrament
d unauflößlich wird Die Ehe dody nicht, dazu müßten die
ste vollends kathelifc werden, und das Tönnen fie Doch aus
392
anderen Gründen nit. Durchgehen wird dad Gefeb ohne
Zweifel, denn die Scheingründe der Heuchelei find allgemein
verbreitet und allmächtig. Für Die Ehe ift nicht damit ges
wonnen! Und wenn wir erft ganz fatholifhe Ehe hätten, was
wäre Damit denn gewonnen? Man fehe die Sitten in katho⸗
fischen Rändern! — .
In den Briefen des Plinius aelefen; Franzöſiſches, Eng
liſches. —
Nachrichten aus Wien; man glaubt dort an Frieden. -
Der Ukas des Kaiſers Nikolai, wonach Todesitrafe gefest
wird auf Ermordung von Berwundeten, ift eine bloße Erdich⸗
tung. Die Kreuzzeitung fagt fogar, ein folher Ufas würde
die Ehre des ruffifchen Heeres beleidigen. Doch die Thatfachen
haben nicht geläugnet werden können, man hat nur gefudt 4
fie zu entfchuldigen! —
Eine Sache von großer Wichtigkeit, von möglicherweilt
außerordentlichen Folgen, ift die Gründung einer freien ruf
Shen Preffe in London. Der erfte Verfuch diefer Art. ift eben
gemacht worden, durch den befannten Alegander Herzen, der
fih) ald Autor Iskander nennt. Er bat fein eignes Werl
„Gefängniß und Berbannung*, worin feine Schidfale erzählt |
und das Innere Rußlands in thatfächlichen‘ Beifpielen vorge
führt wird, in London ruffifch herausgegeben. Freilich wid |
der ruffifche Kaifer alles aufbieten, Tolche Erzeugniffe nicht in
fein Reich eindringen zu laffen, er wird die härteften Strafen
gegen die Berbreiter verfügen, fowie gegen die Beſitzer und
Lefer; aber alle feine Macht wird nicht ausreichen, die Wir-
fung diefer Preſſe zu vernichten. Es ift fchon viel gewonnen,
wenn ſolche Bücher nur bis an die ruffifche Gränze gelangen,
von andern Slaven, von Ruffen im Auslande gelejen werden.
Welchen Nugen haben die ausländiichen Drudorte Genf, Haag,
393
üfel, Lüttich, Köln ꝛc. der franzöfifchen Litteratur des ſieb⸗
nten und achtzehnten Jahrhunderts gewährt! — |
Donnerstag, den 11. Januar 1855.
Die Rationalzeitung klagt, daß Preußen, die fünfte Groß:
cht in Europa, bei den jepigen Verhandlungen der andern
t Großmäcdhte, gar nicht zugezogen werde, für fich verein»
: daftehe, und fein ihm gebührendes Anfehn verliere! Doc,
eußen i ft feine Großmacht, ald unter gewiflen Bedingungen,
jebt fehlen. Uebrigens wird es den Schein doch immer
h retten und fi in den Rath der Mächte wieder hinein-
ifteln; dazu bieten fie fchon die Hand! —
Arnim'ſche Drudbogen durchgefehen, peinlichſtes Ges
ift! —
Betrachtung. Jeder noch fo fchlechte Zuftand kann qute
üchte bringen, die wollen wir anerkennen und pflegen, aber
bt um ihretwillen jenen Zuftand loben, oder gar hervor:
fen, wie wir auch das aus Laſter oder Verbrechen erzeugte
nd aufnehmen und lieben. Aber hiebei waltet wieder
Unbarmberzigkeit der Gefchichte, daß diejenigen, welche
» Schlechte tragen, felten die guten Früchte defjelben er:
en! Für den Einzelnen ift die Geſchichte nur Schidfat,
das ganze Menſchengeſchlecht wird fie Gerechtigkeit ; der
nzelne — fehe wie er durchkommt; auf ihn wird Feine
dficht genommen, er hat mit Gott und Borfehung fein per:
liches. Berhältnig zu ſuchen. —
Die Demokraten find billiger, ald die andern politifchen
rtheien, fie fönnen Könige und Ariftofraten dulden und fich
ihnen recht qut behelfen, wenn diefe nur ächt find, was
lich felten genug vorkommt! Die andern Partheien dulden
echterdingd nichts neben ſich, außer wenn es unädht ift,
394
unächte Könige, unächte Vollemänner, nur mit foldden migen
fie zu thun haben, —
Der alte Arndt hat in das fogenannte Radetzky⸗Album zu
nöprud ſchlechte Verſe zum Lobe des öfterreichifchen Keldherm
geliefert. Mögen ihn die Defterreicher befingen, die Deut |
ſchen haben Dazu feine Urſache, er gehört auch nicht zu und. |
Die in der Frankfurter Nationalverfammlung fo verderhlid
aufgeftiegene deutfche Hoffahrt, die Deutfchen follen mädtis
fein und frei, die Polen und Staliener aber dienen, fpuft u
dem alten Eſel noch fort, und mitſprechen meint er aud noh
zu müffen! Verächtliche Selbftfuht! Auch Profefor Simrot |
in Bonn hat elende Berfe in das Album geliefert, ex prall
dad Riederfchlagen des Aufruhrs; derfelbe Simrod wurde
1830 in Berlin aus dem Fuftigdienft entlaffer, weil er de
drei Tage und drei Farben der Juli» Revolution durch ein
Zeitungsgedicht gefeiert hatte! War das nicht Aufruhr!
oder hätte er vielleicht damald den Marfhall Marmont gr
feiert, wenn bdiefer den Aufruhr besiwungen hätte? O wei B:
für erbärmliche Menfhen! — J
Mit welcher Luſt hab' ich mich wieder zu Jean "Zargen |
Nouffean gewendet! Sein Buch du contratsocial iſt und blelt |
ein Meiſterſtück. Der kurze, derbe, abfprechende Bortrag ift ver!
eindringlichiter färffter Wirkung Welch gediegene folgen
reihe Wahrheiten fpricht ex aus! Doc beisundere ich meht
noch feine Mäßigung als feine Kühnheit! Biele feiner Der;
hauptungen, feiner Schlußfolgerungen, laffen wir als imgi
fallen, aber der Kern ded Ganzen ift unauslöſchliches & N
das fchon feit fiebzig Jahren die Welt exleuchtet, und no?
lange, fange die Welt erleuchten wird, Wie vieles ift hier:
audgeiprochen, was Gemeingut geworden, und non bem Die
Welt gar nicht mehr weiß, daß cd von Reufenu herlemmitl
Ich habe folhe Wahrheiten eifrig von Leuten aufftellen ui
behaupten hören, die erſchrecken würden, wenn fie den oontreff
895
al vertreten follten! Das Bud) ift bei und nur nod
ig gekannt; unſere Philofophen, deren Tiefe nicht bes
ten werben foll, deren Dünfel aber nicht felten noch größer
haben folche Bücher, wie Monteöquieu’d Geift der Geſetze
Rouſſeau's gefellfchaftlihen Vertrag, zu fehr bei Seite
ängt, ald angeblid) überwundene, weit überflügelte, ver-
te; aber im (runde leben fon mehrere Gefchlechtöfolgen
Menſchen von diefem Inhalt und Beift, und feit fiebzig
ren find die Geſchichtsereigniſſe ganz erfüllt von jenen
en und Anfchauungen, während die Nufftellungen unferer
lofophen, bei aller wahren oder eingebildeten Tiefe, zu
er rechten Wirkung gelangen konnten. —
Freitag, den 13. Januar 1855.
Sm Fahr 1803 traf mih Koreff im oontrat social
id, er lächelte, und meinte, wir wären weit Darüber hins
Drei Jahre Später in Halle urtheilten Harſcher und
weiß ebenjo; fie meinten in Schleiermacher, in Steffens
beſſere Stontölehrer zu haben; doch Schleiermader's
atslehre hatte viel von Rouffeau aufgenommen, und mas
ffens über Staatslehre geishrieben, ift das Schlechteſte,
worrenſte, Unheltbarite, was Unkunde und Schmiegſam⸗
jemals über Diefen Gegenſtand zu Tage gefördert haben.
vie befannte ſich von jeher als Verehrer Rouſſeau's, Schels
‚ meinfe weit über ihn hinaus zu fein, Hegel nit minder,
wohl er felbft und die beiten feiner Schüler, Gans, Yewer-
), Strauß — wiſſend oder unwiffend — ganz voll von
ıffeau waren ; etwas wefentliched Neues haben indeß weder
elling noch Hegel über den Staat vorgebradht, und ihre
ung auf die Welt ift in diefem Betreff null, — Auch
896
Fichte's Staatslehre, gewiß ein tiefed und reiches Ber
aus dem die treffendften Wahrheiten hervorfchlagen, bat ver- |
hältnigmäßig wenig Eindrud gemacht, daffelbe ift ein ayi- #
vsone gegen die Bonapartifche Gewaltherrfchaft, kam für ſJ.
diefen Zwed zu ſpät an’d Richt, und der Sohn ald Heraus J.
geber verdarb die Sache vollends dadurch, daß er dem Geiſt
des Vaters ein chriftliched Mäntelhen umbängte Außen
unferem nächſten Sreife (Rahel, Ludwig Robert, Can,
Abraham Mendelsfohn ꝛc.) ift dad Werk meines Wiffend ga
nicht zu rechter Würdigung gelangt. Die Frömmler bil
auf den biblifchen Köder am wenigjten an. —
Es ift mit den Staatöformen wie mit den Philoſophieen
und Religionen, die vollendete, allgemein gültige wird gejudt, |
und nur immer annähernd, nie ganz gefunden. Auch wenn ;
auf ſchon beffere wieder jchlechtere folgen — wie Dahme
auf Jeſus — darf und das nicht irren; der Fortfchritt ift doch
vorhanden, man muß ihn nur an rechter Stelle mehruchmn.
Künftliche Berfaffungen, wie die von Sparta, Benedig, die
deutſche Reichsverfaſſung, haben zum Theil ihren Mäne “
ihre längere Dauer zu verdanken. Die hoͤchſten und reinft
Formen, die Demokratie von Athen, die franzöfifchen reihe ö
verfafjungen, glichen mehr vworübereilenden Himmelderjchei
nungen! —
Wie viel tiefer und reicher Fichte's Staatolehre ift, al
Rouffeau's contrat social, zeigt der flüchtigfte Ueberblich
Aber wie wenig hat Fichte's Bud gewirkt, wie mächtig
und andauernd wirft Rouſſeau's! jenes ift ein ſanfteß
ſtilles Licht, Died ein zündendea, unauslöfchliches Feuech
zeichen. — Y
f
897
Sonnabend, den 18. Januar 1855.
‚Gegen Abend Beſuch vom Herrn Grafen von *; er zwei:
et am Frieden, will aber die Politif Manteuffel’3 hoch preifen,
nenn fie durch den Frieden befiegelt wird. „ Manteuffel’3?
des Könige, wollen Sie fagen, denn der befiehlt, und Man: .
teuffel ift nur der Audführer der empfangenen Befehle. Wo
Andet fich eine Spur eigener Politit des Minifterd?* Die
Gefinnung ift für Rußland, die Nothwendigkeit befiehlt dies
af neutraled Verhalten herabzuftimmen ; fonft find Hof,
Rinifterium und Kreuzzeitungsparthei ganz daſſelbe, Aus⸗
drud und perfönliched Verhältniß abgerechnet. Herr Lewes
Im in den Befuch hinein, wollte aber nur Bücher umtauſchen,
md ging gleich wieder.
Alle unfere Blätter ftreiten heftig gegen die Neue
Preußiſche Zeitung; wenn man bedenkt, daß diefe Zeitung
He des Hofes ift, daß der König, nachdem er oft von ihr
gefholten und verwarnt worden, ſich ihr gefügt und unter-
porfen hat, daß fie zugleich den Schub und Beiſtand Ruß⸗
ands genießt, fo ift es allerdings anzuerkennen, daß dem
nfamen Blatt ein fo fräftiger Widerftand geleiftet wird. Und
vie zieht alles gegen Rußland los! Niemand denkt daran,
red zu unterdrüden, wenn ed nur nicht geradezu die Perfon
ed Kaiſers angeht. Welch ein Unterfchied gegen fonft, wo
sarı es ald eine große Kuͤhnheit anführte, dag Heine in den
teifebildern 5 hatte druden laſſen, „unfer allaugroßer Freund
. Diten ”.
Die Zukunft wird große Spiphühereien der heutigen poli:
fchen Leitung der Staaten enthüllen; wir fehen die Wir
ıngen vor Augen, aber die Urfachen nur wie im Nebel.
Benn wir aber auch alled flar fähen, wie es doch im Einzelnen
je und da der Fall iſt, ändern würde Died im Augenblide
icht das Geringfte. Denn die ftärfte fittliche Empörung ift
hne Macht, ohne Werkzeug, fie muß erft langjam Außere
398
Kraft gewinnen, um den Feind auf deffen eignem Gebiet
greifen. - Diefe Jwifchenzeit, wo die Ginficht vorhanden
-nod nicht zur Kraft geworden, ift hart. Aber man m
tröften, e8 wächft in ihr der Samen des Beſſeren! —
Merkwürdig ift ed, wie vortheilhaft Rouffeau Bir
fafjung und den Beruf des deutjchen Reiches anſieht
überhaupt die Bundesftaaten oder Staatenbünde. Sein
berfagungen find wit eben glücklich, aber immer dei
bedeutend. Er hielt eine neue große Revolution in €
für unmöglih, und fie ftand vor der Thüre; er q
Europa weniger von Rußland bedroht, als Rußland v
Iortaren. —
“ Humboldt hat den biefigen Mitgliedern der Frieden
ded Ordens pour le merite den Willen des Königs
theilt, daß diesmal, zum Erfah des Bhilofophen Schellir
Gefchichtfchreiber gewählt merden fol, und daß der
dabei Ranke'n bedacht willen wolle. Böckh, Biemi
zufrieden, bat gefagt, er werde für den alten Si
ſtimmen. — Ä
Sonntag, den 14. IJamuıat 185
Wir haben und in Deutſchland im neunzehnten Yat
dert angewöhnt, die Franzoſen des achtzehnten für oberfld
unwiſſend und leichtfinnig zu halten, und jeder Stuben
einige philoſophiſche Vorlefungen gehört hat, glaubt fi
rechtigt, auf die berühmten franzöfifhen Namen jene
mit Lächeln herabzufehen. Wenn man ihre Schriften
vornimmt, erfiaunt man über die Geiftesfhärfe, Den
Ernft und die umfaſſende gelehrte Kenntniß, die fich hir
legen ; Montesquieu, Rouffeau, Boltaire, P’Alembert, 9
Buffon u. f. wm. —
Der Koͤnig if fchon benachrichtigt, daß der won ib
899
voraus auigeheißene Eheſcheidungs⸗Geſetzentwurf auf ftarfen
Widerſpruch in den Kammern ftogen, und die von ihm ge-
wollten neuen Benennungen der Kammern abgelehnt werden
follen. Er fei darüber, heißt ed, in unglaublichen Zorn ge-
rathen, habe anf die Kammern gefchimpft, fie feten demo-
kratiſches Gefindel, das er ſchon werde zur Ordnung bringen,
nad Haufe ſchicken, auseinander jagen z.. Dabei llagt er
| feine Minifter der Unfähigkeit an, dap fie nicht beffer zu
wirthſchaften verkünden ꝛc. — —
Montag, ben 15. Jannar 1856.
| Die Magdeburger freie Gemeinde thut beicheiden Ein-
ſpruch gegen die verläumderifchen Entftellungen, die durch Bes
„a börden in den Zeitungen gegen fie veröffentlicht worden, die
falſchen Nachrichten über angebliche Zwiſtigkeiten zwifchen
Muhlich und Sachſe, die nur Meinungöverfchiedenheiten feien,
A von denen die freie Gemeinde nicht gefährdet werde; fie Mlagt
; über das Borgeben, daß fie ein politifcher Verein fei, fie war-
te — anf diefed Borgeben hin polizeilich gefchloffen — die
Entſcheidang der Gerichte ab, — und da kaun ſie lange
; warten! —
Aud die hiefige chriftlatholifche Gemeinde, bisher noch
5 mit einiger Schonung ſchikanirt, wird jet offen angegriffen.
BE Yinerwartet fehen fich die Frauen und Kinder ploͤßlich von den
gotteödienftlichen Berfammlungen zurückgewieſen, die Kon⸗
; Radler fagen ihnen, wenn. fie zur Kirche wollten, fönnten fie
zum Dom gehen u. f. w. Die Männer aber läßt man ein!
jGiebt ed eine unfinnigere, verrüdtere Maßregel als diefe?
Sollte man nidyt denken, böje Buben treiben im Staat unge:
ſtraft ihr freches Spiel? Durch Ouälen und Nergeln, durch
zobed Schilaniren will man die Leute auf äußerfte treiben,
damit fie fich vergehen und man fie dann beftzafen könne!
400
Diefe Rotte böfer Buben, diefe Rotte von Heuchlern im
Halunken, werd’ ich fie noch einft gezüchtigt fehen? Das mil N
ih, daß Chriftus, nach welchem fie ſich nennen, fie aladttem J
gezücht längſt verflucht hat! —
Die Schikanen gegen die hriftkatholifche Gemeinde ſingen J.
ſchon um die Weihnachtszeit an. Auch die Geldbüchſen fr |
Armenfpenden nahmen die Konftabler weg, die man dodam |
Ende den Vorftehern wieder ließ. Einige Mitglieder wurn
verhaftet und erft nach 24 Stunden wieder entlafien. —
In den Kommiffionen der zweiten Kammer haben die Ri: |
nifter unglaubliche Dinge anhören müffen, fich die ſchimpflid⸗
ften Beichuldigungen in's Ungeficht fagen laffen, befonden |
Weftphalen, Raumer und von der Heydt. „Wenn ein yunfe
von Ehrgefühl in diefen Burfchen wäre, fo müßten fie den Ah
jhied nehmen.” Ja! ein Funken von Ebrgefühl! Danad
ſuchen wir fchon lange. --
Dienstag, ben 16. Januar 1858.
Korrefturbogen von Arnim's Gedichten; eine große Qual
fowohl wegen der Beichaffenheit der Handſchrift, ala wegen
der des Inhalts; auch wo die Handfehrift Mar und unzweiie,
haft ift, glaubt man bisweilen Verfe aus dem Irrenhauſe ver
fich zu haben — .
Nachrichten aus St. Peteräburg. Die Kriegsbegeiſterung
dauert nur noch in fchlechten Gedichten und ſchlechten Jar
tungsartifeln fort; die Großen wünfchen lebhaft den Frieden:
find aber auch ſtets bereit den Kaifer zu. tadeln, wenn der Jrier
den nicht den Schein eines für Rußland vortheilhaften hal
Der Kaifer ift nun in der Klemme, und was er auch thull
mag, alles wird ihm zum Borwurf gemacht, wird gegen ih
gebraucht werden. Ein großer Theil der Ruffen fcheint feine
Regierung müde; die Freifinnigen verabfcheuen feine Willkür—
401
ine Unterdrüdung und Abſchließung der Nation, den
ven ift er nicht gewaltthätig und bejonders nicht ver:
ich genug; beide Partheien ſtimmen zufammen in
gen über die fchlechte Kriegführung, die Unfähigkeit
erd, feine Heere felber zu befehligen 2. — Bon
h fpriht man in St. Peterdburg mit wilden Haß,
Ben mit bitterer Verachtung, die man fogar den Ge-
ühlen läßt; freilich find die auch wenig geeignet
inzuflößen! —
dachricht von der Abberufung des öfterreichifchen Ger
trafen von Schlid wird jebt verneint; daß er aber
fenliebe nicht verhehlt, beftätigt ſich; daſſelbe gilt
Seneralen Freiherr von Jellachich und vom Grafen
llas. —
Mann von hohem Rang und Anſehn ſtand neulich
straße mit einem Freunde ftill vor einem Haufe, und
nem Schilde die Worte „Königlich Preußifcher Hof:
'; dann fagte er bitter: „Sa, noch lejen wir es fo!
bald können wir nur noch lefen: „ Markgräflich Bran-
her!“ und eigentlich ftehen ftatt jener Worte diefe
Der innere Sinn lieft fie!" —
oU der Fall vorgefommen fein, daß der König einem
derung vorgefchlagenen Beamten diefe verfagt und
vifter Vorwürfe gemacht habe, daß er ihm einen
Tann empfehle. In dem rothen Buche nämlich, das
Riebuhr für den König führt, war bei dem Namen
Gefinnung angemerft. Es ergab fih indeß, daß
Niebuhr den Mann mit einem gleichnamigen verwech-
. Diesmal konnte der Irrthum aufgeflärt und
werden. —
Aſſeſſor Wagener, dem feine Parthei zum Lohn für
nfle ald Zeitungsſchreiber ein Rittergut gekauft hat,
verfhämt gewefen, in der Kammer öffentlih von
agen von Enfe, Tagebüder. XI. 26
402
feinen „ Wohlthätern“ zu reden. Ganz knechtiſch! Gejhmd-
[08 obenein! —
Mittwoch, den 17. Januar 1855.
Gefchrteben; über parlamentarifche Formen, warn fe mi h
taugen, und warn nicht; bei ung find fie nur erft eine Schul: J
übung für die Schwachen, Teined wahren Inhalts und &
brauchs; die böfen Buben benupen folche zu ihren Zwecen. |
Sendung von Heren Dr. Bucher in London, fein neueftd
Wert: „Der Parlamentariömus, wie er iſt.“ Seltfam, daj
ich grade heute früh über denfelben Gegenftand ſchrieb! Yucert
Fleiß und fchriftftelleende Kraft muß ich ſehr bewunden,
wenn ich auch feinen Urtheilen nicht immer beipflichte. —
* fpricht feinen Unmuth über unfere äußere Politik au
Ich rufe feine Aufmerffamkeit auf den innern Zuftand zurüf,
den die meiften Leute mit Gleichgültigkeit anfehen, um:
der doch fchlimmer ift, als alled Aeußere, dieſe Verderb
niß, Heuchelei, Nechtälofigkeit, Polizeigewalt, Beamten‘
ſchikanen! Er gefteht mir, daß diefer Zuftand empörend un
heillos ſei. Er war neulich in einer Geſellſchaft beim Grafen
von Schwerin, dem Präfidenten der zweiten Kammer; viele
wadere Männer waren dort verfammelt, und Außerten fra
ihre Meinungen, aber keiner wußte Rath und Hälfe, af
feufzten unter dem Drud der Gegenwart, dem Regimente der:
böfen Buben, denen der Staat unbegreiflichertveife preisge⸗
geben ift, die ihn nach innen und außen zu Grunde richten.
Bom ruffifhen Gefandten Herrn von Budberg wird erzählt,
er gehe umher und fage zu den Leuten, fein Raifer fehe num
ein, daß er feinen Schwager biöher verlannt, der König em
heine ihm jept als der weifefte Staatsmann. Diefe ſchn
dende Ironie foll als plumpe Schmeichelei wirken! —
Die Spener’fhe Zeitung bedient heute das Ei
408
it gehörigem Raugenguß. Immer gut, daß dies ge-
ı 68 doch einmal nicht einzurichten ift, daſſelbe durch
hliches Schweigen lahm zu legen! Die Büben leben
Inariffen, mit denen man fie beehrt, von der Preſſe,
Demokraten, den Kammern, gegen die fie fhimpfen
iten. —
onth in the camp before Sebastopol. By a non-
nt. London, 1855.* Im Oftober, da war ed noch
fo fhlimm, wie fpäterhin! —
die Königin Victoria und ihr Gemahl Prinz Albert
li den Krieg gegen Rußland wollen, daß fie viel
ruſſiſchen Weſen günftig find, daffelbe dem eng-
it vorziehen, if gar nicht zweifelhaft. Was hat
y der Prinz Albert von England, als unvollftän-
n und nicht eingeftandene, verſteckte Machtübung ?
iftofraten find Beide, eigenfüchtig, ohne Geift, ohne
Sliebe, ohne höheres Beftreben. Der Herzog von
ſichert, beide hätten die herrliche Eigenfchaft immer
aufrichtig zu fein, fie Pönnten gar nicht etwas Fal-
eben, eine doppelte Nolle fpielen u. f. w. Credat
Apella! Ih halte diefe Behauptung für einen
und Haudglauben, der aber außerhalb feines Krei-
dedeutet, etwa wie eine Haus-Erzellenz! —
Donnerstag, den 18. Januar 1855.
tönig hat das ftolze Gefühl ausgeſprochen, er fei in
igenblick die entſcheidende Macht in Europa, ſein
ertes Beharren in ſeiner Stellung gebiete den an—
ten, ſich zum Frieden geneigt zu zeigen, dieſem fei-
uffe habe fich Defterreich zu fügen, Frankreich und
und ſelbſt Rußland. Die Höflinge, die Kreuzzei-
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404
tungsritter, beftärfen ihn in Diefer Meinung. Mitt
ift er zur Theilnahme an den Wiener Berathungen gu
eingeladen, fein Gefandter nicht zugelaffen! —
In Brüffel ift erfchienen „La cour et le gouvern
de Prusse en face de la coalition.* Es foll eine
ſchrift des Artifeld in der Revue des deux mondes [i
darin ald ein unmwürdiger Klatſch, eine widerwärtige,
liche Beröffentlihung genannt wird, da doch in Wahr
Artikel nur ein haltungsvoller, ſchonender, befonnener
über offenkundige Berhältniffe und Vorgänge ift. Die
ichrift ift ein elender Bombaft voll Drebereien und.
und verräth weniger preußifhe Gefinnungen, als ı
ganz in der Richtung und Art der Kreuzzeitung. Ma
der als nicht zur Parthei gehörig bei dem raufchendf
der von ihm geleiteten Politif dody namentlich kaum
wird, ift fehr unzufrieden mit dem elenden Bombatft ;
aber gefällt dad Gewäſch. —
Das Pamphlet „La cour et le gouvernem
Prusse“ ift von einem gemeinen Schwäßer abgefaß!
Halbbildung fi in klaſſiſche Zitate verfteigt, und fc
geläufigen Phrafen ergeht, die dem vornehmen Pöbel
Europa eigen find, abgedrofhene Wendungen und Bil
fie jeder Lakai im Salon erhorchen fann. Mir ift
ſcheinlich, daß der Berfaffer ein Ruffe fei. Jedes Wor
Unwahrheit, Verdrehung oder Verhüllung. —
Freitag, ben 19. Ianuar 1
Die Spener’fche Zeitung erfreute mich durch ihr
Angehen wider den abfcheulichen pfäffiihen Geſetzentw
die Ehefcheidung, mit dem unfere Heuchlerfrommer
haben hervorzutreten. —
405
Rerfwürdige Aeußerungen preußifcher Offiziere; die frei-
nten find in ungeheurer Mehrheit, leben aber im Drud
nüſſen ſchweigen; die Minderheit der nechtifchen darf das
Wort führen; auffallend genug find jene noch am mei:
ir den König, diefe haffen ihn, obfchon fie den Schein
men, feine eifrigften Diener und Berehrer zu fein. —
enig gelefen ; nur Abends etwas in Bucher’d Werk, das
er wichtigften unfrer Zeit ift. Ich bewundre den Ber:
der bei feinen großen Tagesarbeiten noch ein fo gediege-
iuf die gründlichfte Gelehrſamkeit und die Tebendigfte
nntniß geftüßtes Werk zu liefern im Stande war; fein
finn und Marer Umblid find die eines wahren Staatd-
Einen folhen Mann hat das arme Preußen aus
er Gehäffigkeit in die Verbannung gefandt! Als ob es
Ihe hätte! Das arme Preußen! —
Sonnabend, den 20. Januar 1855.
e Spener’fhe Zeitung febt ihre Beftreitung des pfäffi-
hegefeßentwurfed wader fort. Das Preußiſche Wochen:
t heute von der Polizei weggenommen worden. —
englifchen Blättern wird Preußens König und feine
ſehr verächtlich behandelt; fie fprechen von King Cliquot,
n Champagnertrinfen anfpielend, von feinem Unver⸗
‚ feiner Furcht! Es thut einem weh, fo was zu leſen!
ıher’d Werk zeigt an dem Beifpiel des Parlamentaris-
dag in den gepriefenften Staatsſchöpfungen neben dem
das Schlechte liegt, daß wir und täuſchen, wenn mir
r Nahahmung engfifcher Gebilde ein beftimmtes Heil
n, daß einftweilen die Vereinigten Staaten von Nord-
ı noch die beften Grundlagen haben; mic) lehrt e8 auch
Shefondere, daß der Staat als folcher nicht das Höchfte
406
und Einzige ift, worin der Menſch feine Befriedigung ya
kann, daß ed andere würdige Beftrebungen giebt, die mi
ſchadlos halten für dag, was der Staat und vermifen lit
Ich weiß das lange, in manghen Zeiten ynd Umftänden akt
wird es ſchwer, ja unmöglich, ſich darein zu ergeben, beſonden
wenn der Staat, wie jept hei und, frech und roh und gleijne
riſch in alles ſich einmifcht, und feine plumpen Tapen nicht a
vermeiden find! —
Der Kaifer von Deſterreich hat bei feinen Truppen ie
Spiepruthenftrafe abgeſchafft. Erſt jept! Doch ift es gut! -
Sonntag , ben 21. Januar 1855.
Die Spener’fche Zeitung wieder ſehr Fräftig und brav. -
Korrekturbogen der Arnim’fchen Gedichte. — Nachtidt au
‚Bonn, daß Bettina nebft ihren drei Töchtern an der Gripk
danieder liegen. —
‚Herz Laboulaye, der gefhäpte franzöfifche Schriftiln J
der ein eifriger Katholik zu fein keineswegs aufgieht, hat ua
das neue vom Pabſt ausgeſprochene Dogria der unkefletta
Empfängnig der Jungfrau ine ſcharfe kritische Unter
ſuchung bruden laffen; gr fürdhtet den angedrohten Pana
eines ehere gar nicht! —
Frau von Freäfow Fam, dann guch Lutunikla, yah da S
ſpräch wurde fehr lebhaft. Zulept kam Herr Dr. Herman
Franck, und wir beſprachen die öffentlihen Zyikände; ihm
ſchien der Frieden als ein vexhaͤngnißvolles Unglüd, gla an
folgenreiche Schmach; gang Europa werde eim Bild dei ſich
lofeßen Berfals fein, auch England mit eingefchlofieg. Ag
mweithinaus! Denn auf immer yerzweifelt ex nicht an da
Franzoſen noch an den Engländern,
407
Ordenefeſt. — In Bucher gelefen, in Fichte, in Jean
Jacques Rouſſeau. —
— — — — —
Montag, ben 22. Januar 1855.
Ordensfeſt: Herr von Savigny hat den erfehnten Schwar-
zen Adlerorden befommen. Der Rothe Adlerorden hat durch
feine buntfchedigen Abftufungen — mit und ohne Eichen-
laub, mit Schwertern, mit der Schleife, mit dem Stern —
alle Würde verloren, er ift mit unvertilgbarer Lächerlichkeit
behaftet. Der jebige König lachte ald Kronprinz über die von
feinem Bater damit vorgenommenen Schnibeleien, er bat ale
Rönig fie nur vermehrt. —
Herr Dr. Koſſak greift in der Montagdzeitung den pfäf-
nichen Chegefebentwurf tapfer an. Dagegen hat der Graf
von Voß — der fogenannte rothnafige, der mit mir in Halle
1806 ftudirte — mit andern Kreuszeitungdgefellen in der
erſten Kammer den Antrag geftellt, Eheicheidungsfachen immer
jleich den Appellationögerichten zu überweifen. Sie lechzen
in allen Dingen nach Ausnahmen, Vorrechten; die Gleichheit
des Gerichtöftandes ift ihnen ein Gräuel! —
Der Proteft Preußens erregt in Parid Unwillen und wird
von dortigen Blättern wie auch amtlich ſcharf zurechtgemwiefen,
man zeigt ihm, daß es fich bisher nicht ald Großmacht benom-
men babe, und mit diefer Eienſchaft neben den Rechten auch
Pflichten verbunden ſeien. —
Herr Dr. Levinſtein beſuchte mich und ſprach in ſeiner
was ſeltſamen Weiſe recht gute und wackere Dinge. Xerzt:
icher Rath: Kaviar und Tokayer! „Über das ſag' ich nicht
ederman; dad ift mein Geheimnig!* —
408
Dienstag, ben 23. Jannar 185.
Die Polizei fucht fi heute in den Zeitungen wegen ihm
Verfahrens gegen die hriftlatholifche Gemeinde zu rehtfet,
gen, auch ihre Wegnahme der Armenbüchfen, wegen unerlaus '
ten Kollektirens! Sie beruft fih auf ihre „Auffaffunge!'
Ja, eben diefe Auffaffungen find die Schändlichkeit. da
Artilel macht den jämmerlichften Eindrud, man fieht ii
Gewiſſen! — Ä
| — — — —
Mittwoch, den 24. Januar 1855.
Unfere politifche Rage wird nun im Ernft gefährlich, Ni
franzöfifche Zurüdweifung der Anſprüche Preußens ift ve
Drohungen begleitet, die erbitternd wirken, Rußland und die
preußifchen Rufen Gerlach und Spießgefellen ſchüren mas fi
fönnen; die verzweifelte Lage der Engländer in der Krim wirt
auch ſtark ein; Rußland hat die medlenburgifchen Großherzoge
wegen ihrer Abftimmung am Bundestage belobt, Neapel rüfd
auf Rußlands Anftiften ein ſtarkes Heer; wie leicht Tann ein
unglüdlicher Augenblid und ald Rußlands Dienftmannen in
den Krieg ftürzen, der am Rhein und in Schlefien zu führen
fein würde! Alles kann ſich noch anderd wenden, bejonder
wenn Sebaftopol erflürmt, oder ein Sieg in der Krim erfochten
wird; aber die Gefahr ift da, und niemand ihr gemadjien.
Wir find, wie die Times es von England fagen, in den Hi
den einer verderbten, unfähigen, prablerifchen, und vollkever
rätherifhen Nriftofratie. Kein einziger hober Beamter, tat
einziger Minifter und General, der wahrer Achtung gendft
Bertrauen einflößte, überall nichtsnutziges Junkerthum! —
Man kann die politifchen Tohnfchreiber gleich daran e
tennen, daß fie, wie in dem ruffifhen Pamphlet über Preuße
nicht vorzugdweife das fagen, was auf die Menge Eindn
machen könnte, fondern das, was ihren Herren gefällt;
409
t für die Sache durch Gründe, fondern für fi
Schmeichelei wirfen. — In dem erwähnten Bam-
ſchamlos vorgeftellt, die Königin Luiſe fei ale
der Napoleonifchen Härte geftorben, — fein wahs
— Ferner wird verfichert, in der Königlichen
t berrfche die größte Einigkeit, ed wird vom häus⸗
des Kaiferd Nikolaus gefprochen, und andres der
Igel — "
urbogen von Arnim’d Gedichten, — diesmal leichte
auf ein von Bettina abgefchriebened Blatt, wo fie
leer gelaffen,, und die Urfchrift nicht beigelegt hat!
org Spiller von Hauenfchild (Mar Waldau) ftarb
Lebensjahre auf feinem Gute Tſcheidt in Ober:
ı 20. Januar. Eines der wilden Talente, deren
werlich zu hoffen iſt. Er war cin braver, eifriger
Donnerstag, ben 25. Januar 1855.
ig aus Lauſanne „trois nouvelles lettres d’un
ısse de l’annde 1812*, in Lauſanne gedrudt,
lich vom Fürften Wiäſemskii, der feine fonftige
rläugnet, und in Höflingsgrobheiten und Sophi-
die Gegner Rußlands höhnt und ſchimpft. Schlechs
zweiten Kammer Streit wegen der Elbinger Peti-
hen Binde und den Miniftern von der Heydt und
denen ſtark zugefeßt wird, der lebtere nimmt fogar
Heydt erfheint in ganzer Erbärmlichkeit. Auch
titfchle-Rollande, ein Wicht, den ich aus früherer
mifcht fich ein, und macht fich lächerlich, wird
der Rechten, der er angehören will, ausgelacht.
m Herrn Jakob von Niefen und andern Elbingern
410
von der Regierung angethane Unrecht, ſchon zweimal von da
Kammermehrheit anerfannt, bleibt unerledigt! Auch der Pi;
fident von Gerlach ließ wieder ald boshafter Hanswurſt ſih
vernehmen. in jämmerlicher Zuftand! — i
In Frankfurt a. M. offener Streit zwifchen Oeſterreih
und Preußen! Bismard-Schönhaufen gegen Probeſch-Oſten
Wenn Preußen nicht nachgiebt — warum follt’ es nicht? ci
ift deffen ja gewohnt, — fo wird der Bund gefpalten; Def
veich fordert feine Anhänger ſchon auf, ſich jedenfalls ihm an |
zufchließen, auch wenn der Bund es noch nicht thut, Wahl
eined Bundesfeldherrn angeregt; fie ſoll auf den Kailer vn |
Defterreich gelenkt werden. —
Rachmittags Befuch von Herrn Dr. Frand; er ift aufe
fi über die fchlechte Wirthſchaft in England, das Zugrunde
gehen des Staates durch Dummheit, Unfähigkeit und Ber
rätherei eines Haufens von Ariftofraten, er meint, der um
Napoleon ausgefprochene Gegenfag „entweder koſackiſch et |
republikaniſch!“ rüde von beiden Seiten näher zur Entſchei⸗
dung; ich formulire den Ausſpruch etwas anders, ich fag:
„zunächft Tofadifch oder republilanifch, aber ſchließlich republi
fanifch ;* die Rufen, wenn auch augenblidlich vielleicht Euren
beſiegend, machen doch deſſen Entwidelungen alte mit, un
alle ihre Fortſchritte ſind Schwächungen ihrer Despotie. —
In England Staatsſtreich oder Revolution, beide führen auh
zu demfelben Ziel! —
In Münfter ift Fräulein Auguſte von Brieft geftorben;
mit ihr erlifcht diefe alte märkifche Familie, berühmt dure
den Landrath von Brieft auf Bähne zur Zeit des großen Kur
fürften. Als ich im Jahr 1807 zuerk Nennbaufen befucte,
war das Fräulein ein Meines Kind (Stieffchiweiter von Kara
line von Fouqué, geb. von Brieft, und Tante von Marie
von Kouque.) —
Wenn fich die Menfchen beffer auswiefen, als ich fie ge:
u
ht, war ich immer froh geizrt zu haben; ärgerlich aber,
en mein Irrthum fie für beffer gehalten, als fie ſich aus⸗
ieſen. Doch hat mich das Beſſere vorauögefept zu haben nie
eteut! — Bei Gelegenheit von M. ıc. —
Freitag, ben 26. Januar 1855.
Der König hat vorgeftern in der militairifchen Geſellſchaft,
ie den Geburtätag Friedrich's des Großen feierte, eine
hwungvolle Anrede an dig Offiziere gehalten, die ſtarke poli-
Ihe Andeutungen gegen Frankreich ausgefprudelt haben foll.
Ye „Neue Preußifche Zeitung“ erwähnt diefer Rede, giebt
ber die Worte nicht wieder, entweder wagt ſie's nicht, oder
e darf nicht. Die Offiziere ſchweigen darüber. Alle Der:
uthungen gehen dahin, daß die Rede nicht mitgetheilt wer-
m wird, außer in neuredigirter Faſſung. —
In Bien find die Friedendunterhandlungen noch nicht
öffnet. Es ift wunderbar, wie man bier faft einftimmig
'ünfcht, der Krieg möge fortgefept werden und eine größere
müthigung Rußlands, als die fchon jetzt erlangte, zur
olge haben. Nur die Kreuzzeitung feufzt fcheinheilig nad)
tieden, damit dem Blutvergießen ein Ende gemacht werde!
ont war das Scheufal doch eifrig für das Leo'ſche Wort,
m frifcher Krieg fei nöthig, um das ffrophuldfe Gefindel
us der Welt zu fchaffen! Der Menfchenfreund, der Ehrift!
Ind wie gut berechnet! Als ob das flrophulöfe Gefindel
ı den Krieg zöge! in übermüthiged Gefindel, ein vom
hweiße des Volkes gemährtes, zieht in den Krieg, die
unter = Dffiziege! Das würde ein ſchönes Jammern geben,
san unfte Garden in’g euer kämen! Jetzt frohlodt die -
uſſenparthei hier über die Perluße der engliſchen Adeldfami-
g in der Krim! — Ich kann für meinen Theil feine Kort-
yung des Krieges wüͤnſchen, weil ich der einen Geite mohl
412
die Niederlage, der andern aber nicht den Sieg günne; m FE:
den Völkern ift ohnehin gar nicht die Rede, nur von ihm
Leitern, die auf allen Seiten nit? taugen. Der Kin
gegen die Ruffen ift nicht mein Krieg, aber mein Rrigif |
auch nicht der Für fie! —
Ich las im Jean Jacques Rouffeau, in Fichte; franzöfiide
und englifche Blätter. — |
Defterreich verfpricht den deutfchen Bundesgliedern, di |
fih ihm anſchließen — mit oder ohne den Bundestag — Ni
Gewährleiftung ihrer Befigungen und mögliche Bortheile bum |
Frieden, Die andern Bundeöglieder find alfo nicht gefigertt |
Und das foll noch Bund heißen! Aber machte Preußen ein |
Erfurt nicht ebenfo? Nur daß der Muth fehlte, und man
ſchimpflich nachgab! Gepriefened Warfchau, gepriefenes Olmih:
Und das herrliche Bronzell dazu! — |
In der militairifchen Gefellfchaft war von Leuthen und
Roßbach gefprochen worden, der König in feiner Anrede nahm
nur Roßbach auf, und ließ Reuthen fallen. Eine Menge vor |
Bariationen laufen über diefe Ansprache um. Das komm
wohl daher, weil einige Berichte nur wiedergeben, was der
König feierlich an alle Anwefende gerichtet hat, Andre damit
folhe Neußerungen- verfnüpfen, die gefprächsweife von ihm
gegen Einzelne gemacht worden. —
J
Sonnabend, den 27. Januar 1855.
Die Nationalzeitung ift heute von der Polizei weggenom—
men worden. Das war zu erwarten, fie hatte in letzter Zeil
einen trogigen Ton angefchlagen, und die Kreuzzeitung fie
denunzirt! — Die Spener’fhe Zeitung ſpricht wieder gegen
das pfäffifche Eheſcheidungsgeſetz, und gegen die Mehrheit der
413
ten Kammer, die über die gerechten Elbinger Petitionen
Tagesordnung überging! —
Befuch von Herrn Dr. Levinftein. Cr lieft mir einige
werfungen über Hamlet vor... Er hat gehört, ich fei einer
fleißigſten Mitarbeiter, Förderer und Austheiler der Volks⸗
ng, befuche fleißig eine Bierftube in der Johannisftraße,
fih Bernftein auch einfindet u. f. w. Manteuffel und
deldey follen dies feit glauben! Wenn das der Fall it, fo
fie zu bedauern, fo ſchlecht bedient zu fein! —
Ueber die Anrede des Königs an die Offiziere in der mili-
chen Geſellſchaft gehen noch immer die mannichfachften
ihte um. Nach einigen war der Hauptitoß gegen Die
nzofen gerichtet, nach andern gegen Defterreidh, nach noch
een Die heftigite Partheinahme für Rußland ausgeſprochen.
inur einfach Friedrich der Große gepriefen worden, wie
‚ verfichert wird, glaubt kein Menſch. Die Verficherung,
Rede fei harmlos gewefen, denn fie fei ja vor dem Saft:
l gehalten worden, vertheidigt den König in fehr unge:
fter Weife, das wird in anderer Richtung beleidigend. —
In England ift Lord Sohn Ruffell aus dem Minifterium
bieden. Man hofft Aberdeen's Entlaffung, Palmerfton’d -
tritt. Ob damit viel gewonnen fein wird? Palmerjton
in den letzten Zeiten fehr übel enthüllt worden, er weift fich
t viel befjer ald die anderen aus. — |
Der König bat. den Generallieutenant von Wedell mit
m eigenhändigen Schreiben an Louis Bonaparte nad)
18 gefhidt. Er foll den Sturm befchwören, der gegen
ußen audzubrechen droht. Bloße Worte werden mit Wor-
erwiedert werden. Indeſſen fchreiten die öfterreichifchen
läge rafch vor. —
Der englifche „Punch * ift hier an allen öffentlichen Orten
oten worden. Erenthielt in jedem Stüd die ſchmähendſten
fälle gegen den König, der ald Trunkenbold, ale Feigling,
414
ale Wortbrüchiger, dargeftellt wurde. — (King Eliguet u. .w)
Er ift doch noch zu haben! — 1
Auf die preußiſchen Diplomaten wurde geſchimpft, aufiht
Unfähigkeit, Unwiffenbeit, Schwäche. Zugegeben, Sittim
armfelige Zucht, eine jämmerliche Gefellfihaft.. Dann de
Ichuldigte man ihren Führer, den Minifterpräfidenten ven
Manteuffel, derfelben Eigenfchaften. Auch das fand keinen
Widerfpruh. „Aber,* fuhr endlich ein alter Staatsmimier
heraus, „was können die armen Teufel dafür, daß fie mt ,
arme Teufel find? Und fie felber haben fich doch hit ihr
Anftellungen gegeben!” Das flug tief ein, und alk
ſchwieg! —
Sonntag, den 28. Jannar 1858.
Seltfames Fortleben abgefchiedener Seelen im Gericht
wefen! Die heutige Zeitung bringt eine Liſte von Teftamente,
die umeröffnet bei Gericht liegen geblieben find, darunter if
eines vom Jahre 1795 des Heren und der Frau von Grottbui;
“wie lange find diefe einffaflbefannten, viefbewegten und welt
lich angefehenen Perfonen todt und vergeffen, nur am ie:
Namen Goethe, Genlis und Rahel noch leife angefmüpft! N
fommt dad Gericht, und führt fie mit allen Namen ausfährlt
auf. Das Teftament Tonnten fie Tiegen laſſen, fie Hatten beit
nichts mehr zu vermachen, und brachten ihre legten Xebendfahtt
in großer Dürftigfeit hin. — |
In Karl Philipp Morik gefefen, in Louis Blam; in
Shafefpeare, um den Forfchungen des Dr. Levinſtein übe
Hamlet's Karakter nachzugehen; ich kann feiner Auffaffurd
noch nicht ganz beiftimmen, verwerfen fie aber auch noch nidt.
Die Beihäftigung mit diefem Gegenftand ift anregend uf
ergiebig. —
415
Der König hat in der militairifchen Gefellfehaft, — fo lautet
: neufte und ziemlich glaubhafte Bericht, — den Offizieren
jagt, er werde den Frieden erhalten, fie follten ſich daher
ht auf Kriegsgedanken einlaffen, fondern Friedensſtudien
nben, auf die Nachrichten in den Zeitungen nichts geben,
haupt fich nicht mit Politik befchäftigen. Trotz diefer
auptrichtung feiner Worte foll er aber dennoch aufregende
ebendinge erwähnt, und feine Gefinnungen für Rußland ge-
ist haben. — („Steden Sie Ihre Degen ein, meine Herren,
it und bleibt Friede!” Dies find eigene Worte des
öͤnigs.) Späterer Zufap: Nicht die eignen Worte, nur .
t Sinn! Der König ſprach jtotternd, unficher, wortefuchend,
id nannte die Arbeit des Friedens frucdhtbarer und beffer
die des Kriege. Seine Rede machte den fchlimmften Eins
ud. —
Montag, den 29. Januar 1856.
Ich ließ die 8 Bände Wolf’iher Schriften bei Frau Dof-
tm Körte abholen und begann fogleich fie durchzufehen.
Re mußt’ ich auf's neue den herrlichen Mann bewundern, der
Roße und mannichfache Dinge geleiftet, mit folchem Fleiße,
Ihem Scharffinn, folder Anmuth! Ich fand ziemlich alles
der, was ich von ihm fenne, eine Erflärung gegen Herder _
genommen, und die Schrift über die Klatfchereien von
oigtel in Halle, Teptere ift wohl mit Abſicht weagelaffen, ob
ih mit Recht ift eine andere Frage. An Briefe hat man,
e es fcheint, nicht gedacht. Dem Direktor Ferdinand Ranke
ij ich eine Ehrenerflärung machen, er hat die Tateinifchen
jriften mit großer Müh’ und Sorgfalt zur Herausgabe ge-
net, eine ausführliche Iateinifche Einleitung dazu gefchrieben
auch Anmerkungen nicht gefpart. Ich kann es nicht uns
416
billig finden, wenn er auf ein Honorar für diefe Arbeit mitt
verzichten will. — Unerwartet fand ich hier auch zwei Geb—
liamben wieder, die bei einem Feſte bei Keriten im Thier:
garten im Frühjahr 1807 Wolf aus dem Stegreif mir jun
Dank für mein galliambifhes Feſtgedicht fagte, und de
mein Gedächtnig nur unvollflommen aufbewahrt hatte; ft
lauten:
„Wie gelehrt und kunſtvoll wagft du, du Zauberer des Belange,
In des Salliambus Taktſchritt die begeifternde Melodie!“
Welche Zeit ruft alles diefed mir zurück! Welches Auf⸗
ftreben, welchen Eifer, Fleiß und Umblick, welche Genofe |
ſchaft! —
Befuch vom Herrn Grafen von Wartendleben. Merlwir⸗
dige Mittheilungen! Frau von Nimptſch kam dazu. Spike
Herr Dr. Ring. — |
Gerücht, daß der Geheime Juſtizrath Pernice Minife
werden fol. Der König liebt. ihn ſehr. Man fpricht vom
Austritt der ‚beiden Minifter von Raumer und von U
phalen. Was kann das helfen? —
Herr von Stillfried foll der Vorftand eines neweinguik
tenden Heroldamtes werden, mit 4000. Thalern Gehalt, fan!
beiden Gehülfen, Herr Märder und Herr von Ledebour, folk
jeder 300 Thaler befommen. Das Amt ift eine Sinekur, d
fol 6108 der Unlap fein, dem Günftling ein tüchtiges Stud
Geld zuzumwenden. Des Borwanded wegen muß man nu
außer den 4000 Thlrn. auch noch 600 Thaler ausgeben, de
Bureaukoften ungerechnet. Friedrich Wilhelm der Erſte hob:
das Heroldamt gleich bei feinem Regierungdantritt auf, um
. feitdem hat Preußen ohne diefe Behörde recht gut beftanden.
Gegen Polizeibeamte fann feine gerichtliche Klage meh
ftattfinden, die Polizei erhebt fogleih ein Konfliktverfahreg
und das Gericht muß abftehen. In der zweiten Ka
417
offen ausgefprochen worden, daß Verwaltung und Polizei
rlih handeln dürfen, ohne an irgend ein Gefeg gebunden
a. Scham giebt ed nicht mehr, bie Willtür ſteht auf
ipfel der Frechheit. —
ie Erflärungen Oeſterreichs in Betreff der deutfchen
m wird mit Recht ale ein Staatöftreich gegen den deut:
Bund, ald deffen Sprengung angefehen. —
er General von Wedell, den der König nach Paris
‚ it wegen Theilnahme an den preußifchen Aufitänden
hre 1809, — Schill, Katte ꝛc. — von dem Kriegsge⸗
des Kaiſers Napoleon zum Tode verurtheilt, von dem
zu den Galeeren verurtheilt worden. Erſt das Jahr
bat ihn wieder befreit. Er trägt noch die Buchftaben
(travaux fore&s) eingebrannt. Iſt dieſe Wahl eine
eſſene? Scwerlih! Außerdem fpricht er fo gut wie
icht Franzoͤſiſch. — Ein anderer Wedell wurde in der-
Zeit erfchoffen. —
er General von Wedell forderte eine Inſtruktion für
Sendung, der König wies ihn an Manteuffel. Man-
fagte, er fönne feine geben und wies ihn an den König
‚ aber fihlieglih mußte ihm doch Manteuffel einen Wifch
tigen, mit dem Wedell erflärte nichts Rechtes anfangen
nen, doch reifte er damit ab. —
Dienstag, den 30. Jannar 1855.
ie Offiziere find mit der neulichen Anfprache des Könige
tzufrieden, und es ift fonderbar, wie jeder etwas anderes
gehört hat. —
n Bundeötage fcheint die öÖfterreichifche Aufforderung
werchzudringen, Sachſen widerfpricht, dagegen flimmt
ver zu, auch Darmitadt und Kurheſſen. Batern wollte
nhagen von Enfe, Tagebüder. XI. 37
418
vermitteln, aber Defterreich wies jede Vermittelung ab,
der Minifter von der Pfordten, der ſchon nach Berlin ı
wollte, bleibt in München. —
Preußen hat erflärt, wenn ed auch den Verbündeten ı
Rußland nicht beitreten wolle, fo fei hinwieder ein Anſchh
Rußland ganz undenkbar. Aber daß diefer Anfchluß ſeit
halben Fahre eifrigft gewünfcht, vorbereitet und bei wieder!
Anläffen fogar verheigen worden, läßt fich nicht abläugn
Das englifche Minifterium ift gefallen! Ed nimmt &
und Schande reichlich mit, läßt aber auch deren nod
zurüd, in die fich die Nachfolger theilen werden! Piel
werden fie nicht fein. —
Der Schweizer Ochfenbein franzöfifcher Brigadege
Er war ſchon früher von den Liberalen zu den Konferv
übergegangen. —
Unfer General Graf von Noftiß hat hier, auf die Raı
daß Hannover für Defterreich am Bundestage ſtimmt, |
den Befehl erhalten, auf feinen Geſandtſchaftspoſten
Hannover abzureifen, und entgegenzuwirken! Der wir
Rechtes ausrichten! —
Der Gefandte von Ufedom muß beute aus Londo
eintreffen, unverrichteter Sache! Sie meinen bier, all
Einzelnen zu betreiben und einzurichten, wenn das Gan;
fäumt und verfhoben tt. —
Bei der Wahl neuer Wahlmänner wegen eines r
wählenden Abgeordneten zur zweiten Kammer haben di
liner fi wieder ſchwach betheiligt; in einem Bei
wegen Mangel an Wählern gar nicht gewählt werden fi
„Das ift ganz Recht! Warum ſich Ungelegenheiten ı
um folhe Kammern zu haben, deren Mehrheit fih a
feigite, bübifchjte Gefindel benimmt ?* —
Die häpliche Verwidelung ded Prinzen Karl mi
Namen Wedede foll fih noch immer fortfchleppen.
419
irde ſchon längſt, heißt es, verurtheilt fein, wenn er nicht
‚ihidterweife jeine Sache immer wieder mit dem Prinzen zu
tfnüpfen wüßte, der, da es ihm nicht gelinge ſich von ihm
zulöfen, nun ſehr wünfchen müffe, daß die Sache niederge-
lagen werde. —
Mittwoch, den 31. Januar 1865.
In der Nationalzeitung fteht in einem Bericht aus Kon-
ıtinopel das bedeutende Wort: „Wenn auch Rußland auf
Oberfläche fortwährend wächſt und zunimmt, unter der:
ven verliert ed in größerem Maße, indem Deutfches und
topäifches in ihm unmwiderftehlich zunimmt.“ Das mein’ ich
nfalld, ehe Europa ruffifch wird, hat Rußland aufgehört,
nich zu fein! — .
Befuh vom General Wilhelm von Willifen; die polis
ven Zuftände befprochen, Defterreich® troßiged Vorgehen,
upend Mägliched Nachgeben. Das Schlimmſte ift die
ere Auflöfung und Verderbniß, die von obenher angeord-
' Entfittlihung des ganzen Staates, der Verwaltung, der
htöpflege, der Geiftlichkeit, der Gelehrten, die aufgedrungene
ıhelei, die Unterdrüdung aller Freiheit, alled natürlichen
bie. Man will nur Knechtsgeſinnung und Augendienerei;
Bolizei mit ihrer Willlür und Gewalt, und ihren Spähern
geheimen Angebern, zerftört alle Ehrenhaftigkeit, fogar
Offizierftand ift in gedrüdter Lage, darf feine Meinung,
Selbitftändigkeit haben. Oft genug ift dieſes alles durch⸗
tochen worden, aber man muß es ſtets mit neuen Stacheln
a8 Bewußtfein eindrüden! —
Rorrefturbogen Arnim’fcher Gedichte, Papier fehlt in der
derei, wo Bettina von Arnim ift, weiß man nicht zuver⸗
j. —
Breußen ift jehr ärgerlich, dag ihm die Verbündeten nicht
re Beadhtung widmen. Aber wie geringe Beachtung
27°
420
widmet ihm Rußland, feit langer Zeit, und befonders feit tem
Beginn der jegigen Gefchichten! Für diefe Schnödigkitn
ſcheint das preußifche Kabinet nicht empfindlich!
Herr von Mitfchke-Kollande macht fich zum dreiften Sant |
wurft der zweiten Kammer, wagt fih an Binde'n, der ihm jmr |
gute Badenitreiche giebt, fich aber doch eines folchen Lumpen
geaners ſchämt. Wir werden den Lump aber nächftend befür
dert fehen, er legt ed ganz darauf an, und warum follt' es ihm
nicht gleich fo vielen Anderen gelingen! —
Daß der berüchtigte Goedfche in den Adelſtand erheben
werden foll, iſt wohl nur eine luſtige Erfindung. Aber mt
weiß! Der Mitjchke’fche Abelftand ift auch nicht viel kin
verdient worden! —
Alles Hagt über Stoden der Geſchäfte, Nahrungelofget
und Theurung, die Armen leiden bittere Noth, der Hill
wird immer weniger. Dabei DBergnügungen über Vergni⸗
gungen! Die Spaltung in zwei Nationen, Reiche und Arm,
wird immer deutlicher, die beide Theile vermittelnde Wahl
habenheit ſchwindet, fie fteigt entweder zum Reichthum ar
|
oder finft — häufiger — zur Armuth hinab. —
Einige Landräthe haben auf Grund von Miniftermab
nungen fi erlaubt den Befehl ausgehen zu Taffen, daß die
jungen Leute nad) der Konfirmation noch bis zum zwanzigſin
Jahre dem fonntäglichen Katechifiren der Prediger beimohnn
follen, unter angedrohter Geldftrafe! Ganz ungefeplih! Dr.
Augendiener aber machen fich durch ſolche Uebergriffe ei
Natürlich ift bloß von Proteftanten die Rede. —
Hunderttaufend Franzofen follen durch Defterreih mar
fhiren, um gegen die Ruffen zu fechten. Wird der deutiät
Bund, wird Preußen den Durchzug geftatten? Er kann auf
durch Stalien geſchehen, wird aber doch jedenfalls öſterreichiſche
Land berühren, das zum Bunde gehört. —
General Adolph von Willifen ift mit befonderen Aufträge
421
ig an den Prinz-Regenten von Baden nach Karlsruhe
vorden. — (Wegen der Minie-Büchfen, die man in
bei den Truppen einzuführen beabfichtigt, und mit
Karlöruhe Ihon Proben angeftellt worden find.) —
Donnerstag, den 1. Februar 1855.
e Huftennaht! Wie häßlich fieht der Tag aus! Die
öde, nirgends eine Spur von Fröhlichkeit. Keine
bricht, von feiner Seite, man erwartet ſchon feine
Ind feine Luſt zur Thätigkeit! Doc das Tebtere
loß von meinem Kranfheitszuftand. —
ch vom Grafen Arhibald von Keyferling und vom
Arthur von Seher: Thoß. Letzterer hat früher in
en Dieniten geftanden, dann fich auf feine Beſitzung
m zurüdgezogen, ift in den Krieg verwicdelt worden,
nun wieder hier. Lebhafte Erzählungen aus jenen
erfäumniffe der Ungarn, perfönliche Verhältniffe; er
r Briefe von Görgey und Klapfa mit. Ueber die
higkeit der öfterreichifchen Kaifer, über die fchändliche
ie dem General Yellachich aufgetragen und von ihm
'pielt wurde, „Ungarn ift heute wieder ganz bereit,
abzuwerfen, und für die Freiheit in den Kampf zu
zes Hoffeft. Feuerwehr in Bewegung, 6 bis 8 Spriben
ein in der franzöfifchen Straße. —
Soethe’3 naturwiflenfchaftlihen Sachen gelefen, in
fen des Plinius. — i
Sngland noch Fein neued Miniſterium, ein tüchtiges
feinem Ball zufammentommen, immer nur der alte
was anders gemifcht! — Omer-Paſcha foll feine
ung niedergelegt haben; öfterreichifche Ränke! —
422
Meberhaupt, welche Spigbübereien find im Schwange, vn
allen Seiten! —
Defterreih hat am Bundestage feine Anträge zuridg
zogen, und ift den preußijchen beigetreten, daß anitatt me |
Mobilmahung des halben Bundeöheered eine Marichfertigit
binnen 14 Tagen für alle Kontingente befchloffen werden jellt.
Dies ift einftimmig angenommen worden. Preußen, unter
dem Schein ded Eigenwillend alfo doch gefangen! Defterrit,
unter dem Schein des Nachgebend alfo doch im Bortheil! —
Schwierigkeit ein engliſches Minifterium zu bilden. Bu
eintritt, muß die Bedingungen der Lage annehmen, nicht nut
der troftlofen äußern, fondern auch der mißlichen inneren; 1
muß den Prinzen Albert ald ungenanntes und nicht zu nm
nendes Haupt des Staats annehmen, defien Willen berüdiid:
tigen, weil derfelbe den der Königin beftimmt oder in mandın
Fällen fogar erfegen muß. Die Lage Englands ift Rußland
gegenüber noch lange nicht fo verfänglich, als gegenüber
Frankreich, nachdem die englifche Seemacht nirgends viel aut
gerichtet und die Landmacht zu Grunde gerichtet ift, fteht En®
land neben feinem mächtigen und ſtets gefürchteten Bunde?
genoffen ganz Hein und armfelig da, braucht defien Unte
ftügung, darf nicht den geringften Eigenwillen zeigen ıc. M«
fühlt in England died demüthigende Verhältnig mit Scha
und Schreden. —
Freitag, ben 2. Februar 18585.
Das ſcheinbare Nachgeben Defterreihd am Bundestas
das ſcheinbare Rechtbehalten Preußens, beides aber in Wah
heit das Gegentheil des Scheins, wird hier am Hof und
dem Miniſterium als ein großer Sieg gefeiert, fie find ga
freudig und ftolz darüber, Die blinden Thoren! Sie glaut
nicht an Schläge, bis fie fie auf dem eignen Buckel fühle
423
n Wien tft man zu ficher, um in dem Schein eine Gefahr zu
ben, man nimmt ihn ohne Bedenken an, da die thatfächliche
irflichteit zum klaren Vortheil gereicht, und man lacht über
m dünfelvollen Bethörten. —
In Goethe gelefen, im jüngeren Pliniud, deffen Briefe
ir ein, guter antegender Nothbehelf find; man thut wunder:
ue Blite in das römische Weſen! — Alte Papiere durchge:
ben. — Engliſche Blätter, —
Die durch das neue Dogma von der unbefledten Empfäng-
& der Jungfrau Maria geftärkte katholifche Kirche ſetzt nicht
ır in Baden ihren Krieg gegen die Staatöbehörden eifrig
tt, fondern droht auch) in Turin und Madrid, wo man geift-
he Güter für die Staatsbedürfniffe verwenden will, mit
ten Bannftrahlen. Diefe würden ganz ohnmächtig fein,
enn nicht der — Louis Bonaparte für gut fände, den frei-
migen Kortfchritt an beiden Orten zu hemmen! —
„Der König hält fich für den muthigſten, befonnenften,
ügften und Tonfequenteften Mann in’ der Welt, für den
letter Preußens, Deutſchlands, für den Schiedsrichter
utopa's. Daß er jetzt in einer Richtung, die er haßt und
iemald einſchlagen will, einen ſtarken Schritt vorwärts ge-
an hat, macht er fi) zum Triumph, und ift voll Stolz und
reude deßhalb.“ Man fagt, Manteuffel erhalte ihn bei diefer
ünfelmeinung, weil er in diefer dann zu allem Nachgeben
18 bereit ift. —
Bei dem geftrigen Hoffefte hat fich folgendes Aergerniß
getragen. Der Prinz Karl geht an den ausgeftellten Wacht:
ten der Gardedukorps vorbei, fieht fie mißfällig an, und
tt dann ihrem Offizier, dem Major Grafen zu Stolberg, fie
ven fchlecht aus. Der fieht erfchroden nach, und findet alles
befter Ordnung, meldet aber die Sache dem Kommandeur
erit von Derenthal, der ebenfalld nachfieht und auch alles
adlih finde. Graf zu Stolberg geht an den Prinzen
424
heran, und meldet ihm dad, Der Prinz ruft zornig: „In Wi:
ich finde es nicht fo! Ueberhaupt ift bei den Gardedulen ir
vieles nicht in Ordnung!“ womit er fi) abwendet, der Guf |
ihm aber noch nadhruft: „Das, Königliche Hoheit, find Ir
ſichten!“ Inzwiſchen ift alles auch dem kommandirenden
General der Garde gemeldet worden, und diefer, der Graf ven
der Groeben (von Bronzell!), tritt nun auch zu dem Prinen |
mit einigen Offizieren, um ihm Vorftellungen zu machen, ir |
Prinz aber antwortet fu grob, daß Groeben erblaßt, und dem !
Prinzen jagt, er habe fchon mehrmald vergebend um feinen |
Abfchied angehalten, diesmal werde der König ihm denfelben
nicht verfagen können. — (Der Anfang diefer Gefchichte datırt |
vom Ordensfeft, und war der Offizier der Lieutenant Grf |
von Kleift; fie feheint auf dem Hoffeft vom Donnerstag ji |
wiederholt und weitergefponnen zu haben.) — |
Sonnabend, den 3. Februar 1855. |
Der König hat den Herzog von Gotha eingeladen, fehl: |
nigft nach Berlin zu kommen; er ift fehon eingetroffen. & |
heißt, der König wolle deifen perfönliche DBermittelung in |
England nochmals anfprechen. — |
Der König ift aufgebracht über feine Minifter, daß fir
feine Benennungen, „Herrenhaus *, „ Haus der Abgeordneten‘,
„Allgemeiner Landtag”, in der Kommiffion der zweiten Kam 1
mer nicht durchgefeht, nicht mit überzeugenden Gründen ver |
theidigt haben. Es mag ihnen freilih daran wenig gelegen
gewefen fein, dem König aber fehr viel, —
Die ruffiihe Parthei hier hindert viel, gewinnt aber dech
feinen rechten Boden. Der Generaladjutant von Gerlach hat
wieder folche Stöße erlitten, daß ed nun endlich hieß, er werk
feinen Abfchied nehmen. Aber der Fant kann was aushalten, er
nimmt den Abfchied nicht, er bleibt, Bid er ihm gegeben wird. —
425
Graf Hand von Königgmard ift aus dem Haag hier
nen, um feinen Sig in der erften Klammer einzu-
ein trauriger Gefandter, ein traurige Kammermit:
ſucht zwifchen Danteuffel und Hindeldey, die Bor:
letzteren beim Könige find jenem fehr unangenehm.
Htigte Malmene trägt den bitterften Haß der Polizei,
| Manteuffel.mit ihm in Beziehungen fteht. —
Histoire de ma vie par George Sand“ gelejen. —
3 Buch der Lieder. Tert und Weberfegung von
Heyfe. Berlin, 1855.* Der Ueberſetzer lebt in Rom,
nfel von Paul Heyfe; feine Meberfeßung des Attis
ımben kenn' ich feit langer Zeit, fie ift ein Meifter-
yer in den übrigen Stüden ift Catull’d Derbheit zu
efallen, feine Anmuth nicht wiedergegeben. —
König hat die Gefchichte zwifchen dem Prinzen Karl
Grafen von der Groeben auögeglichen, feinem Bruder
gegeben, und Groeben hat damit zufrieden fein
Sountag, den 4. Yebruar 1855.
mittagd Befuh von Dr. Hermann Franck. Auch
zen Bucher, findet in deffen Schrift nur Tadeljucht,
r und ſchlechten Ton, — das alles ift zuzugeben, und
Gehalt wichtig und fruchtbar. Freilich hat der arme,
jen Tag hindurch geplagte Zeitungdfchreiber nicht
xh Stimmung, ein anmuthiged, geiftreiched und ge:
heſchichtswerk auszuarbeiten, auch würde ein fulches
itzen; ich ſehe fein Werk ald ein großartiges Pamphlet
in den Tag einfchneidet und viele gefährliche Vorur-
ıten läßt. Sonderbar, daß Franck in feinen Einwen-
egen Bucher zum Theil aus Bucher's Schrift heraus:
426
ſprach: „Er fagt nicht, was denn gefchehen fol." Das tm
er freilich nicht, aber er zeigt, was und wie es geſchieht, du i
vor der Hand genug. —
Ein preußifcher Gardedukorps⸗Offizier fagte mit höhniſha
Bitterfeit über den Herzog von Gotha: „ft die verfuhte
Beftie auch wieder da? Man follte ihn zum Lande hina;
jagen!" Ein anderer fagte ihm lächelnd: „Ach, Fieber fr
merad, grade fo fprechen viele Leute von ung!" —
Kaum ift Adolph von Willifen abgereift, fo wird ven
Könige eine neue Kommiffion zur Prüfung der Minié-Büchſen
angeordnet, unter dem Vorſitze des Prinzen von Preußen, mi
Zuziehung der Generale von Grabow und von Werder. Bil:
Iifen, anftatt das Haupt einer folhen Kommiſſion zu fein,
wird nun ein untergeordneter Berichterftatter. —
|
Montag, den 5. Kebruar 1855.
Graf von Nord ift aus Schlefien zurüd, und macht eut
fchredliche Befchreibung von dem dortigen Elend in Folge m
großen Waſſersnoth, Menfchen und Vieh haben feine Rahrungk
mittel, die Aecker verdorben, feine Ausfaat möglih, Sch
fterben, Hungertuphus. Wie früher! Was geht das im
Hof, die hoͤchſten Staatsbehörden, die Vornehmen und Rad
an? Die Hauptftadt mufizirt und tanzt, chlemmt und jukll
und die Hofoffiziere phantafiren ruffifchgefinnt von Sim
über die Franzofen und Engländer. — Betrachtungen üb
die politifchen Verhältniffe, die Abfichten der verfchieden
Betheiligten, die mannichfachen Möglichkeiten in der Gm
widelung diefer Kriſis. Ich Habe nur Einen Schlüfle 1
allen Erfheinungen: Mißtrauen, DVerrätherei, Gigenful
und Schamlofigkeit in allen Regierungen! Cine Gele
ſchaft von Verbrechern, deren Gerichtötag noch zu ermarl
ift, deren Büttel einer aber fich ſchon zeigt in Louis Bo
427
barte, den fie in ihre Reihen als einen ihreögleichen auf:
genommen! —
Der König hat den Eheſcheidungsgeſetzentwurf durch feine
Minifter aus den Kammern zurüdzieben Ceinftweilen die Bes
rathung einftellen) laſſen, da fo ſtarker Widerfpruh ſich
zeigte, dag an ein Durchbringen nicht zu denken war. Der
Staatsrath foll den Entwurf nun beratben und ändern. Der
Staatsrath! —
Prachtvolle Schlittenfahrt der Gardeoffiziere in theatra-
liſhen Koftümen und mit Fadeln. Sie wollen fi aus—
zeihnen durch dergleichen! Die Offiziere der Linien- und Feld:
tesimenter haben freilich nicht fo viel Geld zu verfchwenden.
Die Spaltung zwiſchen diefen und den Gardeoffizieren ift
aröger ald je norher. Ueberhaupt hegt man große Bedenken
über den Geift ded preußifchen Heeres. General von Reyher
meint, durch Unterdrücdung aller Nedefreiheit habe man es
dahin gebracht, daß man über die Gefinnungen völlig im
Dunkeln fei. Befonderd fürchtet man, dag in den Unteroffi-
zieren der Hang zum Demofratifchen in der Stille ftets zu-
nehme und man fragt ängftlich, wie Dem entgegenzumwirfen ſei?
Der Borfchlag, ihnen größere Ausfichten zum Offizierwerden
ju eröffnen, ift ald ein demokratiſcher, der wieder nur förderte
was man verhindern will, fchon verworfen worden. —
Die Minifter, vom Könige wegen ihres Mangels an Eifer
üchtig ausgeſcholten, bieten alles auf, um für die neuen Bes
immungen der Kammern Stimmen zu gewinnen; fie bes
chwoͤren die einzelnen Mitglieder, doch hierin den perfönlichen
Bünfchen ded Könige nachzugeben, ihn nicht ganz und gar
ıverftimmen, an diefen Namen fei ihm alled gelegen, er fei
nmal fo, er habe feinen Kopf darauf gejebt u. f. w. Sie
Iten den Erfolg noch für zweifelhaft, und fiele der Mißer-
g nicht auf fie zurüd, fo wäre er ihnen ganz recht. Der
nifter Herr von Weftphalen hat bei diefer Gelegenheit fich
428
über den König fehr fonderbar geäußert, man wife ja, derielx Fe
jet ein Phantaft, halte auf Unbedeutendes, Taffe MWefentliäkt
dafür außer Acht ꝛc. — |
Manteuffel ließ an Dr. Metzel, den Herausgeber cnd
Regierungsblattes, einen Auffag über und gegen die Maunte
zum Drud abſchicken. Mepel, jelbft Maurer, hatte Bedenken, |
und zeigte den Auffag erft dem Prinzen Friedrich Wühln,
Sohne des Prinzen von Preußen. Diefer mißbilligte ti
Blatt, und behielt es zurüd. Einem zweiten Artikel ginge |
ebenfv. Da ließ Manteuffel den Dr. Mebel wegen Ungeher:
ſams von feiner Stelle fuspendiren, und zu Protokoll ter |
nehmen. Nachdem er hier zu feinem Erftaunen und Beruf
erfahren, daß der Prinz Thronfolger im Spiel ift, hat erde
Dr. Mebel wieder eingefeßt! —
Dienstag, den 6. Februar 1855.
Graf von Kenferling bringt mir die Nachricht, dap Mr:
König feinen Kabinetsrath Markus Niebuhr in befondern Kt |
trägen nad) Paris gefchiett hut, ohne daß Manteuffel das dei
ringfte davon weiß; man bat darüber ſchon fehr mipfälis:
gefprochen, und jemand meinte, fi) bei Louis Bonaparte u
bemühen, daß der doch erlauben möge, daß man es mit Ruf‘
land halten dürfe, fei doc) eine ebenfo wunderliche ala wenig
würdige Politik! Uebrigens urtheilt man über diefen Nicht
ſehr ungünftig, und fagt, an Geſchicklichkeit ftehe er nod tif
unter feinem Vater. — |
Im Halliichen Wochenblatt für Stadt und Land jteht ei
Stelle, die heißt: „Die Unverleplichfeit der Türkei erhaltet
wollen, gränzt an Gottesläſterung; die Heere und Jloitet
Englands und Frankreichs ſtehen in dieſem Moment im ein
fachiten und klarſten Dienft des Teufeld; das Gebet jede
Ehriften darf und foll fein, daß Gott der Here fie auf je
429
Beife vernichte und: zerfcheitere, mie er denn durch feinen
Bürgengel, die Cholera, den Anfang gemacht!" — Das Blatt
vird vom lutheriſchen Prediger Herrn von Tippelskirch — ich
ıh den Pfaffen 1836 in Emd — herausgegeben. Daß es
olche gögendienerifche, fanatifche Pfaffen giebt, die den Namen
‚heit Schänden, ift nicht zu verwundern; das Schlimme ift,
ap von der Regierung dergleichen Dtterngezücht gern gefchen,
Bünftigt und gehoben wird. —
Ludmilla fam nach 11 Uhr von der Stahr’fchen Hochzeit
mid. —
In George Sand gelefen, im jüngern Plinius. —
„Ce ne sont pas les femmes vraiment pures, ce ne
ontpas les matrones vraiment respectees qui ont exclu-
ivement & statuer sur les me£rites de leurs soeurs &ga-
tee. Ce n’est pas une reunion de gens de bien qui
it Popinion. Tout cela est un reve. L’immense majo-
te des femmes du monde est une majorite de femmes
erdues. Tous le savent, tous l’avouent, et pourtant
ersonne ne bläme et ne soufflette les femmes impu-
entes quand elles blament et soufflettent des femmes
wins coupables qu’elles.“ Brav, George Sand! —
Zum 6. Februar 1855.
Markus Niebuhr war doch nicht in Parid, wie man all:
mein geglaubt hat, fondern nur in Holland, wohin er ver:
Hapt worden zu reifen, weil er hier eine Weile fehlen follte.
aß er felbft aus Ehrgeiz oder Eitelkeit die Meinung habe
ıttfinden laſſen, er gehe in geheimen Aufträgen nach Paris,
rd von manchen Seiten geglaubt. Er ift aber nicht mehr
in Gnaden wie vorher, feine Gunft hat einen Stoß er:
ten. Man jagt, er habe fich zu viel zugetraut, und fich in
nge gemifcht, die ihn nicht® angingen. —
430
Mittwoch, den 7. Februar 1865.
Gegen Abend langer Bejuh von Herrn Oberlandiort:
meifter von Burgsderf, der in Einem Zuge taufenderlei Dinz
erzählt, Wichtiges und Geringes, mit größter Lebhaftigkeit un
luftigften Neuperungen. Er war am Donnerftag auf du
Hoffeft und Augenzeuge eines lebhaften Gefpräches zwiſche
dem König und dem Grafen von der Groeben ; der König m
wie außer fich, machte die heftigften Geberden, zeigte &
größte Staunen, den größten Unwillen, Groeben fchien ih
eine Sache zu berichten; der General Leopold von Gerla
ftand erfchroden dabei, fprach aber nicht mit. Humboldt le
grade, ale died vorging, wich aber vorfichtig aus, und nähe
ſich dem König erft lange nachher ; — als er dem Könige fei
Berbeugung machte, fnidten ihm unwillfürlic die Kniee, m
bedauerte den Greis, und meinte, bei feinen 85 Jahren blei
er beffer zu Haus im Schlafrod! — |
Die Minifter haben nicht vergebend gearbeitet; beit
heutigen Abftimmung in der zweiten Kammer find die X
nennungen „Herrenhaus“ und „Haus der Abgeordneten“ ı
einer Mehrheit von fünf Stimmen angenommen, der Rau
„Allgemeiner Landtag“ indep mit einer Mehrheit von
Stimmen abgelehnt worden. Auch die Befchlupfähigkeit
eriten Kammer bei nur 60 anweſenden Mitgliedern ift mit
ringer Stimmenmehrheit angenommen worden. Herr !
Binde hat tapfer geftritten. Herr von Mitſchke⸗Kollande
wiederholt ausgelacht worden. —
Die durch den Rechtsanwalt Dorn mwohlbegründete N
tigfeitöbefchiwerde in der Hochverrathäfache des Dr. Laden
und Genofien ift vom Obertribunal verworfen worden.
Die Berurtheilung der unglüdlihen Opfer der Polis
treibungen kommt daher zur Ausführung! ‚Der Staat
richtshof, das Obertribunal, fie ſprechen Recht nad
Belieben des Hofes, der Minifter, — knechtiſch und fi
431
unfere ehemalige preußifche Rechtspflege, die ftrenge
Jihleit und Selbitftändigkeit der Gerichte! In dieſem
ige ift Die Derderbnig gründlich eingeniftet, das ift den
uhten Händen, die hier eingegriffen, nur allzu qut ge-
en! — Auch dem vielverfolgten Lehrer Wander ift wieder
ſchreiendes Unrecht gefchehen; ein Untergericht hatte eine
je von ihm ald begründet angenommen, die Obergerichte
men den Kompetenzkonflikt des Landraths an, und
en die Klage zurüd. Kein Hahn kräht darnach in ganz
upen! —
Der Minifterpräfident von Manteuffel hat an Herrn
ing, Gigenthümer der Boffifchen Zeitung, gefchrieben, man
ie mehr als biöher die jegige Richtung der preußifchen
tif unterftügen. Leſſing hat geantwortet, dad Minifterium
te ihm nur Altenftüde (wie der Düfleldorfer Zeitung)
Auffäge zufchiden, und wenn fie nicht gegen die Grund⸗
:der Redaktion wären, würde man fie aufnehmen. Dans
fel hat verfprochen zu ſchicken. —
Die Boffiihe Zeitung brachte vor kurzem einen Artikel
: die Wirkfamfeit des Prinzen von Preußen in der Maus
. Hinckeldey fchrieb fogleich an den Redakteur, der Auf:
lei ganz wider die Anfichten der Regierung, und man folle
den Berfafler nennen. Die Redaktion braucht das nicht
hun, aber fie that’d, und nannte — den Prinzen von
Ben! Defien Hofſtaatsſekretair Bord hatte den Aufſatz
tamen des Prinzen überbracht. —
Donnerstag, den 8. Februar 1855.
Rerkwürdigfeiten vom Hofe, aus der Minifterwelt; Man-
[| fol Graf werden und eine Dotation erhalten, dann
wahrſcheinlich verabfchiedet werden. Steigende Gunft
432
ded Generalpofizeidireftord von Hindeldey; der König lich
ihn beim Hoffefte längere Zeit mit ſich auf- und abgehen, mi
“ fonft nicht vorfommt. — Der König hat der. Familie König
mard eingeräumt, zurerften Kanımer ein Mitglied vorzuſtelen
nachdem dies geſchehen, hat er zu feinem Verdruß erjahtn,
dag diefe Familie gar nicht zum ſchloßgeſeſſenen Adel gehitt,
eigentlich nur geringer Landadel ift! Was für Sorgen un
Mühen! „Der Adel ift abgefchafft!” fagte die Preufik
Nationalverfammlung 1848, das war kurz und bündig, mi
allen Schwierigkeiten fertig zu werden! Beſſer ale Heroldim
und all der Kram! —
Die Minifter haben die Debatte wegen der Benennn
„Herrenhaus * ꝛc. erbärmlich geführt, mit hitzigem Eifer, a
mit lahmen Gründen, wie Schulknaben. Binde, Reden
jperger und befonderd Wenpel gaben ihnen fcharfe Dinge!
verſchlucken. — Nach vier Wochen muß eine nochmalige Ab
jtimmung erfolgen, —
Eine Befchwerde des Lehrers Wander, der über gefehn
driges Berfahren der Behörde klagte, fand feine Beadtun
man ging zur Tagesordnung über. Gewiſſenloſe, feige Boll
vertreter! — |
Richter und Advokaten Magen, daß fie die Maffe der
feglichen Vorfhriften gar nicht mehr überfehen fönnen, |
einer den andern oft vergebend frage, was ift in dieſer oder
jener Sache Recht? Das Befte fei, daß es in gar vielen d
len auch darauf gar,nicht anfomme, fondern auf den Wi
— Hindeldey’3! Dieſes Drafel fteht jedem Fragenden im
offen! —
Der Reichthum des Lebens befteht hauptfächlih im
jammenphalten, im Nichtverlieren. Was man einmal beje
ift unvergänglicher Befiß geworden, auch wenn die Wirt
feit ihn wieder geraubt. Getäufchte Liebe, gebrochene Frei
jchaft, verfehlte Wege, nichts geht dem Achten Men]
433
verloren, alles Neben fördert und fteigert ihn. Nur die ger
ringen Menfchen vergeffen ihre Vergangenheit, nur die
ſchlechten wünfchen fie zu verhüllen. Kür Nouffeau, für
Goethe, für Rahel, verging und ftarb nichts, ohne in ihnen
höheres Zeben gewonnen zu haben. Für Rahel war eigentlich)
niemand geftorben, alle Menfchen lebten für fie noch, fie hegte
deren Gedanken, Gefühle, fie fprach zu ihnen, als ob fie da
wären. Sie war die fräftigfte Geiftesbannerin! —
— — — — — —
| Freitag, den 9. Februar 18565.
Die Boffifche Zeitung bringt heute richtig einen Reitartifel,
den ihr der Minijterpräfident von Manteuffel geftern zuge:
Mit hat; er rühmt die am Bundestage befchloffene Kriegsbe-
titfhaft binnen vierzehn Tagen ald eine Bermittelung zwiſchen
Diiterreich und Preußen, lächelt, daß Baiern ſich die Ehre
davon zufchreibt, tadelt Defterreich® unloyalen Ungeftüm, lobt
aber deffen Energie gegen Rupland. Was ift nun damit
geſagt? Man möchte gern das preußifche Kabinet als weife
und mächtig zeigen, möchte dafjelbe loben laffen, aber ed geht
und gelingt nicht! —
Befuh von Herrn Dr. Ring. Biel über Milten und
Gromwell. Erzählungen aus der hieſigen litterarifchen Welt.
dere Graf von Seher-Thoß fam dazu, dann Ludmilla. —
Korrektur eined Arnim’fchen Druckbogens; unverftändlicher
Inhatt !
Das neuefte Blatt des „Diffidenten“ von Hofmann ift
durh die Polizei weggenommen worden. Die Polizei er:
laubt jept wieder, dag dem chriſtkatholiſchen Gottesdienſt
uch Männer, die nicht der Gemeinde angehören, beimohnen
ürfen. Die angehörigen rauen und Kinder dürfen aber
icht! Es ift die reine Willfür, die fich als folche geltend
achen und anerfannt fein will, echt türfifh in dieſem
BSarnhagen von Enfe, Tagebüder. XI. 28
434
hriftlich = germanifchen Staat! Diefe Willfür ift von der
oberften Stelle auf niedere herabgefunfen, doch ift es immer
die oberfte, die bier thätig ift. —
In Rurheffen, in der Fleinen Stadt Neuftadt, find auf ein
mal vierzig Tatholifche Familien zur proteftantifchen Kirche
übergegangen, und haben eine eigene Gemeinde zu bilden ar:
gefangen. —
In Kaiferslautern ift ein ehemaliger Student Neuheukr
wegen Ausgabe von Kofjuthnoten zu fünfzehn Monaten Gr
fängniß verurtheilt. —
So weit ift ed gefommen, daß jetzt Defterreich,, Preupens
trogiger Feind, fich bei Louis Bonaparte für Preußen vr
wendet, diefem doch den Zutritt zu den Wiener Berathungn |
zu aeftatten, und man hofft, daß Louis Bonaparte auf dilt
Fürfprache Nüdficht nehmen wird! —
ch fchrieb Abends Doch noch einiged, und las dann in Grete.
Man kann jet kaum etwas Hiftorifches lefen, ohne Ruf
anwendungen auf unfere Zuftände zu machen; fie find ſolche,
die reihe Saaten des Unheils, des Untergangs enthalten;
wenn diefe Saaten nicht aufgehen, fo ift ed ein Glüd, ei
Wunder, aber nicht dad Verdienft derer, die den unglüdligen |
Staat in Händen haben! — |
Frankreich und Defterreich zwingen Neapel zu ihnen zu
halten, und gleih Piemont eine Zahl Hülfdtruppen ge
Rußland zu ftellen. —
Neden und Erklärungen des Admirald Napier in Londen
gegen die Admiralität. — Minifterium Palmerfton, mit vn
Beeliten! — |
Betrachtung über Leffing. Auch Leffing, der edle muld⸗
volle Kämpfer für Licht und Wahrheit, dem die Deutfchen nie
genug Verehrung und Ruhm widmen fönnen, ftand zulept
doch in Gefahr, feine Tapferkeit in Streitluft ausarten zu
435
ben, ohne den wefentlichen Anlaß und die richtige Gegner-
ahl, durch welche der Kampf erft ald nöthiger und edler fich
zeugt. Er hatte ſchon mit Windelmann unnöthig gehadert,
md wollte auch mit Goethe'n hadern. Sein früher Tod
yit ihn der Gefahr, im Alter ald Klopffechter zu enden, in
allen Ehren ftill entrüdt. —
Sonnabend, den 10. Februar 1855.
Abends Beſuch von *; er hatte beim Fürften Wilhelm
Radziwill zu Mittag gegeffen, und von daher manches mit-
zutheilen. Der Fürft beflagt wie jeder Andere den Zuftand
der Dinge, die Rath- und Hülflofigkeit, in der ſich der
Staat befindet; nirgends beftimmte Richtung, nirgends Ents
ihloffenheit, als in der kleinen boshaften Parthei, die alles
verdirbt und dabei felber zu regieren ganz unfähig ift; fie
wäre nichts, ohne den Karakter des Königs, auf deſſen Vor⸗
urtheile, Eigenfinn und Sefbftüberhebung fie ſich ſtützt, und
deſen Schwanfen und Wechfeln fie zu benugen verfteht. Die
Ninifter find bloße Schreiber, geherfame Ausführer, ohne
tigne Denfart und Anficht, oder wenn fie ja von folchen etwas
haben, Died wenige unterdrücden und fi den Umftänden ans
bequemen. Die zweite Kammer hat jet zwei Hanswurſte, der
Präfident won Gerlach muß die Ehre mit Mitfchke-Kollande
tbeilen T
„Preußen muß im Kriege gegen Rußland das ehemalige
Südpreugen und Neuoftpreußen wieder befommen, Warfchau
mit allen Feſtungen der Mittelweichfel; alle was es früher
beieflen hat, und noch einiges darüber, vier bis fünf Millionen
Menjchen, die unter feiner Regierung bald dad Doppelte fein
erden, und Das deutfche Element weit im Often zu befeftigen
erſprechen.“ Patriotiſche Phantafie! —
23 *
436
Sonntag, den 11. Februar 1855.
Bei dem neulichen Feſte des — ich glaube — batriitn J.
Gefandten hat der Prinz von Preußen zwei Abgeordnete ge J.
fragt, wie fie über Die Benennung „Herrenhaus“ gefimm
hätten? Der eine, Fol, fagte, er habe mit Nein geftinmt,
weil die Gründe für Ja ihm nicht eingeleuchtet hätten. „Gut‘
fagte der Prinz freundlich, „ Ihre Aufrichtigkeit muß ich lot. |
Und Sie," fuhr er fort, zu Jacobs gewendet, „wie haben zit |
geſtimmt?“ — Ich habe dafür geftimmt. — „ Und warum?”-
Weil mir die Gründe triftig fchienen. — „So?“ verfepte du
Prinz, „das ift mir freilich unbegreiflich !* — Bezeichnent fir
das Verhältniß des Prinzen zum Könige. — An Verbrüfen
fehlt es auch fonft nicht. Der Prinz Wilhelm von Medien
burg-Schwerin, hier nur Prinz Schnaps genannt, hat bei dem
legten Hoffefte die Damen Gräfin von Bismard- Bohlen, geb.
dv. Below, und Gräfin von Perpondher, geb. von Maltzan, ven
einem Tifche, wo fie fhon Plag genommen, aufftchen heißen,
weil er fich dieſen Tifch im voraus gewählt habe; fie wichen,
beklagten fich aber bei ihren Männern über die erlittene Unart,
und diefe Flagten beim Könige. Der König fchalt den Prinzen
aus, und befahl ihm, den Damen am andern Morgen peſſon—
lich Entfchuldigungen zu machen; er that’3, lich aber zuglaß |
Ausforderungen für die Männer bei feinem Befuche zurid.
Zum Zweifampfe wird cd nun wohl nicht kommen; abet“
König ift auf’d neue in den wüthigften Zorn geratben, da
jedoch meift wirfungslos verraucht, und daher wenig gefüchtl
wird. — Eine andere Verſion diefer Erzählung läuft ad
um: es find verfchiedene Vorgänge und Namen in Ent!
Geſchichte verfnüpft, die Ausforderung ift eine verzieren‘
Zulage; die Hauptfache: das Benehmen des Prinzen und it
Zorn des Königs find unbeftritten. —
Starke Aeußerungen des Herrn v. Brünned. Schimpfen
der Gräfin v. Münfter, geb. von der Marwitz, auf den König.
437
Bereicherung der deutfchen Sprache: Herr von * hat zu
iner Frau, geb. von *** gefagt, fie fei ihm „ſpeizuwider!“
Sie hat fich wegen vieler Mißhandlungen zu ihren Eltern ge:
üchtet, und dringt auf Scheidung. Eine oberflächliche dumme
serfon übrigens, voll Hoffahrt und Gemeinheit! —
Herr von Brünned empfängt regelmäßig ausführlich Briefe
om Staatdminifter von Schön, der aus feiner Zurückgezogen⸗
git noch möglichft einwirkt, um Preußen durch Fräftige innere
Ippofition aufzuhelfen. Wenigjtend nährt er die Gefün-
ungen. —
Die Verwandten des angeblich wegen Hochverrathd zu viel:
ähriger Strafe verurtheilten Kaufmanns Levy haben ein
Snadengefuch für ihn beim König eingereicht. —
Montag, ben 12. Februar 1855.
Befuch vom General Adolph von Willtfen, der von Karls:
ude und Suhl zurüdgefehrt if. Er legt mir den Stand der
Sachen wegen der Minie-Büchfen in furzen Worten deutlich
or, und die Einſprüche der Gegner ftellen nur deren Unver⸗
and oder ihren böfen Willen vor; alle Feindfchaften und Ränke
nd gefhäftig mit Lügen und Berläumdungen, mit Argliften
ler Art. Willifen hielte ed für ein großed Unglüd, wenn
ht der Friede zu Stande käme, befonders für Preußen ein
nglüd, das feine andere Stüße dann behielte, ald das zwei⸗
utige, gewiß bald feindliche Rußland; ich erfläre den Krieg
fofern für Unjinn, als auf feiner von beiden Seiten die gute
ache, nirgends für diefe ein Vortheil ift, ed möge fiegen wer
wolle und könne. — Kleine Züge aus dem hiefigen Negier-
fen, die denn doch zulebt den fonft immer feſten Muth
lliſen's etwas mürbe machen! —
Fénélon's Briefe aus der Zeit ded ſpaniſchen Erbfolge:
ges an feinen Neffen, an den Herzog von Chevreufe; fie find
438
‚wichtig als gefchichtliche Zeugniffe der Derzweiflung gut J.
reichs, der Demüthigung des ftolzen Könige. Schöne Bet J
Fénélon's an feinen Neffen,’ den er mahnt, nicht zu telltüh
im Kriegödienfte zu fein, nur tapfer und treu feine Schultiy
feit zu thun; er fagt: „J’aime cent fois mieux votre fid-
lit que votre vie; aussi bien n’y a-t-il nulle autre vie
veritablos que cette fidelit&: le reste, quelque beau quil |
paraisse aux yeux grossiers, n’est qu’une mort." jene
lon ift ein wahrhaft Frommer, der aber Hof und Welt genau
fennt, und geſchickt zu behandeln weiß; in dem ſtets erneuern
MWiderftreiten fiegt doc immer die Frömmigkeit. Freilich mır |
auch in der Ungnade des Hofs und in der Verfolgung, de
feine Widerfacher ihm erfahren liegen, feine Stellung nd
immer eine höchft günftige. — Er gehört zu den gropen Gr
fcheinungen feiner Zeit. — Ä
Die deutfchen Dichter find bei der großen Krifid der Belt
zuftände ftumm. Sehr natürlich! Begeiftern kann man ſich
nur für einen perfönlichen Helden, für die Freiheit, für da |
Baterland; eine Perföntichkeit, für die man fich begeiſtern
fönnte, giebt e8 in ganz Deutfchland nicht, und Freiheit un
Baterland find bei diefer Krifis gar nicht im Spiel. DW
Berftummen der Dichter ift ganz in der Ordnung. — —
Humboldt hat zu Herrn Dr. de Lagarde gefagt, in Preuße"
vermöge er nichtd, im Ausland aber, in England und Fran’
reich, fei er zu jeder Verwendung und Empfehlung erbötid‘
hier könne er ihm höchſtens cin paar hundert Thaler zum Be
huf des Druds einer ſyriſchen Handſchrift verſchaffen, un?
died nur vermittelft der Akademie der Wiffenfchaften, ohnt
Betheiligung des Miniftere, —
439
Dienstag, ben 13. Februar 1855.
te Gefellihaft hier ift in einem traurigen Zuftande,
„ und nicht reich, gebildet und abgefchmadt, heffährtig
‚mein, frömmelnd und haßerfüllt; fie ift feit vielen ab»
ımer fchlechter geworden. — In Feénélon's Briefen kom⸗
Neußerungen vor, die mich lebhaft an Rahel erinnern,
mmen Mahnungen, die er ertheilt, waren in ihr von
erfüllt, in jedem Augenblide war fie aufrichtig, ohne
rigenliebe, geftand ehrlich ihre Mängel und Schwächen,
durchaus nichts fcheinen, Feine Wirkung hervorrufen,
atte ftetd dad Höhere — Gott — in der Seele und vor .
. Ich war tief gerührt von dieſen Zügen ihres Bildes,
die fie mit Fenelon Aehnlichkeit hat. Auch das ift wie
it, daß er fagt: „La demande à Dieu n’est point une
le de discours; c’est un simple desir du coeur,
‚nt son besoin, son impuissance, la toute-puissance
finie bontè de notre pere celeste.* — Die Gränz-
Nr. 7 enthalten den Schluß eines Auffaßes über Leben
arakter der Frau von Dudevant ; fehr leſenswerth, wür⸗
id edel abgefaßt, wie man über diefe herrliche Frau nur
en darf, wenn man fich nicht verfündigen will! Es ift
eb, daß ed in den Gränzboten fteht, die nicht auf folcher
und in ſolcher Freiheit des Geiftes fich darftellen. —
hends zweiftündiger Befuch vom Herrn General v. Pfuel.
ilt mir vielerlei Merfwürdiges über feine frühern Amts—
ienftverhältnifje mit, beſonders auch über feine Sendung
ofen. Er verfihert, daß die ätzende Schwärzung ge-
er Polen, die man allgemein ihm zugefchrieben habe,
yon ihm ausgegangen, im Gegentheil von ihm fogleich
igt worden fei; warum hat er died nicht fogleich damals
prochen ? Noch jetzt glaubt die Welt ihn diefer Ungebühr
z, und nicht ald Bosheit, aber ald Wi und Spaß war
ı auch wohl zuzutrauen! Nene Auffchlüffe aus der Zeit
440
feinet Sendung nad St. Peteröburg, feiner Miniftepn-
ſidentſchaft ze. Ich ‚fordere ihm ſehr auf, alles Bitte
niederzufchreiben, allein dazu hat er nicht Die Rube ud
Sammlung. — "
Mittwoch, den 14. Februar 1858.
Befuc von Herrn Lewes; er holt neue Bücher für fein
Arbeit über Goethe, freudige Anerkennung dieſes Helle
unter den Deutfchen; über Shakeſpeare und befonders üht
den Hamlet, deſſen Unergründlichkeit und Bieldeutigfeit, me
das Leben felbit. Großes Lob von Stahr's Torſo. Herrlit:
feit des Griehenthums, vollfte Blüthe und reichte Frucht akt
menschlichen Anlagen, lauter Schönheit und Tüchtigfeit un
Geiftes: und Kunftbegabung, bloß die mächtigen Namen af:
zuzählen erregt Staunen, Freude, Begeifterung. —
Nachrichten aus Wien; die ruffifche Parthei ift dort weni
ger laut als hier, aber ftärfer und bedeutender, und fortwit
rend in größter Thätigkeit, fie hat auch dort in der griehiid-
ſlaviſchen Bevölkerung Ungarns große Sympathieen, die it
hier im Volke gänzlich fehlen. Der Kaifer Franz Joel
würde ohne die befeidigenden Berührungen, die er vom Kailet
von Rußland erfahren, auch gut ruſſiſch fein; jetzt ſchwindeln
ihm die Schmeicheleien im Kopfe, daß er berufen fei, felbititin:
dig und mächtig aufzutreten; man hält ihn für äußerft gering
an Geift, und dabei für gefhwächt durch frühe Ausſchweifun
gen; Die etwas freifinnige Bureaufratie hat ihn in den Händen
Fürſt von Metternich genicht aller Ehren des Alters, hat abe
gar feinen Einfluß. Großer Haß auf Preußen, auch in de
ruſſiſchen Parthei, und in ihr befonderd, —
Der König ſchmeichelt fih, daß feine Vermittlung fü
Rußland in London und Paris noch vom beiten Erfolge ge
44]
nt fein werde, und hat jich vor feinen Höflingen hierüber
hmredig ausgeſprochen. Daß fein General von Webdell bei
em Feſtabend in den Zuilerien von Louis Bonaparte be-
derd ausgezeichnet worden, wie Die Zeitungen fagen, wird
sltig hervorgehoben. Du lieber Gott! —
Die infame Neue Preupifche Zeitung liefert jebt Artikel
zemein und erbärmlich, daß fie dem Kinderfpotte verfällt;
fragt zum Beifpiel, ob dad Regiment Königin Küraffiere
fchiren fol, weil die Weftmächte in der Krim Noth leiden?
Ihe Frage könnte weiter führen, ale den Halunfen, welche
erlandesverrätherifchen Parthei vorftehen, lieb fein möchte!
: Zeitung widerfprach, ald Niebuhr’s Abreife nad) Paris
weldet wurde, fie fagte, er fei nur in Privatangelegenheiten
h dem Haag gereift. Inzwiſchen ift er in Paris ange:
je! In der erften Kammer haben der, Freiherr von Senfft—
ſach und der Geheimrath Pernice ſich gehörig blamirt, und
‚ von ihrer eignen Parthei, von Herrn von Meding und
ywimrath Homeyer, gehörig zurecht geiwiefen worden. In
jweiten Kammer glänzen in redfeliger Breite, Bosheit
Albernheit die Herren Wagener, von Mitichfe-Kollande
von Gerlach. Die Berhandlungen und Beichlüffe find
ımlih. Zwölf chriftfatholifche Gemeinden in Schlefien
en ihre Befchwerden und gerechten Wünfche vor; die Zum:
ammer geht zur Tagesordnung! —
Donnerstag, den 15. Februar 1855.
Beim Erwachen blid’ ich mit wenig Hoffnung und viel
trauen in den neuen Tag! Was kann er bringen? Selbit
teugierde ift nur ſchwach. Aus dem Bekannten ift nicht
zu erioarten ; aus der Ferne nur oder unbefanntem Nahen
irgend ein Glüd hervorbrechen. Aus Paris zum Beifpiel,
442
oder aus — Moskau! — Große Freiheitöbewegungen fünnten
mich zu neuem Leben auffrifchen. Unſer heimifcher Jammıı
jedoch läßt fein Heil abfehen! —
Der heutige Wintertag erinnert mich fehr an die falten |
einſamen verfchneiten Tage, die ich im Winter von 1808 u |
1809 in Tübingen verlebi habe, ohme andern Anblid, als den
Schnee auf den Dächern, oft ohne einen Menſchen zu fehen.
Aber ich befam Briefe von Rahel, ich dachte an fie unden
Berlin, ih war voll Zuverficht und Kraft! — Der Schar
macht alles ftill und leife, man hört feinen Wagen, und nie
mand geht aus, ald wer dazu genöthigt ift. So werd’ ich heule
wohl unbefucht bleiben, und Hald und Brust fchonen können!
Graf Cieszkowski ſchickt mir die Schrift: „Die polniſch
Frage vom deutjchen Standpunft betrachtet. Bon einem deut
ihen Staatsmann. Leipzig, 1855.* Der Gegenftand im
Beionnenheit und Maß behandelt, zu Gunften der Herftellug
Polend. Uber die Ausgleihung der deutfchen und polniſchen
Forderungen, die Angabe preußischer und öfterreichifcher Ent
ſchädigungen, dürfte die Betheiligten ſchwerlich zuftieden
ftellen! Für mich entbehrt das Ganze der wefentlichen Grund
lage, der Selbftbeftimmung der Völker in einer freiheit, die
ſchwerlich anders als auf revolutionairem Wege gewonnen
wird; politifche Berechnungen jetiger Machthaber, von ihnen
oder für fie angeordnet, werden immer nur ein Flickwerk zu
Stande bringen. —
Fräulein Elifabeth Ney kam ihre Abreife nad Münfter
anzumelden. —
Die hohe Kommiffion für die Minie-Büchfen Hat nur
noch eine kurze Berathung gehabt, und fih dann aufgelöft.
Der General Adolph von Willifen ift nun wieder der Leiter
diefer Angelegenheit. —
Geftern Abend auf dem Ballfeite beim Prinzen Karl
ging der Kriegsminifter Graf von Walderfee an den Prinzen
443
a Preußen heran, und fagte ihm, der König habe bereits
ch ein eigenhändiged Schreiben die allgemeine Einführung
: Minie:Gewehre anbefohlen. Der Prinz, der das Guts
yten der von ihm geleiteten Kommiffion noch nicht abges
ben, wenigftend noch nicht erwogen wußte, fand feine Ehre
tletzt, daß man die Sache ſchon entichieden habe, bevor
ne Meinung, um die man ihn doch gefragt, auch nur ges
tig befannt fei, er fragte, ob man ihn zum Beiten haben
He? Im Zorn fuchte er gleich den General Adolph von
ilifen auf, und machte ihm eine große Szene, die ziemlich
age anhielt, und allgemeine Aufmerkſamkeit erregte. Willifen
thielt fich möglichft ruhig, und erwiederte nur, daß er von
t Sache gar nichts wiffe, und wenn der König fo befohlen
be, ohne Einfluß auf diefen Befehl gewefen fei. Der Prinz
lieg ihn mit größtem Mifvergnügen. Der König hatte
das davon mit angefehen, und fragte nun den General:
Bas haben Sie denn mit meinem Bruder gehabt?" Willifen
ählte ed: „Mein Gott,” rief der König aus, „hat denn
alderfee den Verſtand verloren? oder hat er mit Abficht den
inzen aufbringen wollen ? Ich habe ihm ja deutlich geſchrie⸗
i, daß er nur ein 15,000 Patronen zur Probe foll anfertis
t lafien!* Der König hat darauf feinen Bruder hart aus»
holten, noch härter aber den Kriegdminifter, und ihm die
dummheit“ fcharf verwiefen. Alles auf dem Balle. Der
in; aber, eines Beſſeren belehrt und fein Unrecht gegen
ilhifen einfebend, hat diefem heute die eindringlichiten,
igften Entfchuldigungen gefchrieben. —
Freitag, ben 16. Februar 1855.
Brief und Sendung aus Köln von Hrn. Dr. Dünper,
e Erläuterung von Goethe's Hermann und Dorothea, nebft
erem. —
444
Eine Anzahl Franziskaner in Neiße verhaftet! Sie haben Mi:
ſich gegen die Polizei gewehrt, aber auch gegen den yürt
biſchof von Breslau feindlich aufgelehnt. Tolles ungsügs
Bad, dem aber aus katholiſirender Liebhaberei Die größte gt:
heit verftattet worden. Was ift der preußifche Staat jept für
ein Sammelfurium von nihtstwürdigen und albernen Vetter
bungen! Mit Behörden, Geſetzen, Polizei-Vorſchriften un
Ueberwachungen überfüllt, und doch wahre Anarchie! —
Sendung aus Leipzig, ohne Zweifel von Herrn Sir: ;
„Briefe der rau Rath an ihre lieben Enkeleins. Gedrudt
zum 13.. Sebruar 1855. L. P. O. J. H. H. Siehe
Briefe von Goethe's Mutter, nebit ihrem Schattenrig.” Zr
gefügt lag ein Auffap aus den Gränzboten: „Noch, einmal die
Wertherbriefe.“ — | Ä
Immer wieder fommt die Behauptung zum Vorſchein, die
Königin fei heimlich der katholiſchen Kirche angehörig, und:
auch der König habe ſich insgeheim befehren laſſen. Seldes
Gerede Freift im Bolfe, geht aber nicht vom Volk aus, fondern
and der Hoftvelt, wo überhaupt die bitteriten Feinde tu
Königs lauern und gefchäftig find. Gewiffen Leuten matt
es die größte Freude, wenn der König durd) Anordnungen und
Borfchriften, die aus feinen kirchlichen VBorurtheilen ftammen,
jich beim Volke mißfällig macht. —
Der König von Holland hat feinen Adjutanten erftoden;
die Sache wird als ein unglüdlicher Zufall angegeben, man
vermuthet aber eine andere Bewandtniß. — Dies ift eine Ge
ihichte, die unendlich wenig befprocyen wird, man empfindet
- eine Scheu fie zu erwähnen, man nimmt den Schein völliger
Unwiffenheit an. Bei dem Diamantendiebftahl in Brüſſel
war es ebenſo! —
445
Sonnabend, ben 17. Februar 1855.
Mit dem fprachlichen Tadel, welchen ſowohl Dünger als
'onderd Lehmann gegen manche Wendung und Ausdruds-
iſe Goethe's vorbringen, Tann ich nur felten einverftanden
n. Wer will dem Bogel auf dem Zweige feinen Gefang
iſtern? Goethe ift ein Rheinländer und redet feine Sprache,
h wenn er mehr und mehr hochdeutfch werden will. „Wir
en Beloponnefifch, — heißt es beim Theokritos, — Doriern
td man doch wohl die Dorifche Sprache verftatten?* Die
üder Grimm haben in diefem Betreff große Achtung vor
n aus freier Natürlichkeit gefprochenen, nicht durch gramma=
bes Klügeln erfünftelten Deutfch. —
Der Kaifer von Rußland hat ein neues Manifeft erlaflen,
; wiederholt feine Friedensliebe verfichert, aber zugleich das
je Volk zu den Waffen ruft. Diefe Mapregel will im
unde wenig bedeuten, da die gewöhnliche Nefrutirung ſchon
wehrfähigen Mannfchaften großentheil® vorweggenommen
‚ die Bevölferung in dem weiten Reiche dünn und zerftreut
außerdem Die Bewaffnung der Leibeigenen in Maſſe fehr
ten Bedenken unterliegt. —
Bon Paris her verbreitet fich dad Gerücht, Louis Bona-
te wolle felbft nach der Krim gehen, um dort den Sieg zu
cheiden und den Fall Sebaftopol’s für feinen Ruhm ein:
reihen. Dan fpricht von Negentfchaft der Kaiſerin, vers
den mit Hieronymus Bonaparte ꝛc. — Die Leiche des
zog's von Reichftadt foll aus Wien nad) Paris gebracht
ven. Defterreich foll ſchon eingewilligt haben. —
Segen Abend kam Herr Dr. Hermann Franck zu mir,
ı auch der Herr Graf von Wartensleben, endlich der Herr
eral von Pfuel; die lekteren beiden blieben bis halb
Ihr, viertehalb Stunden, Aber Pfuel war in gutem Zuge,
ch fo fenntnißreich und angenehm, dag wir ung — auch
milla war dazu gekommen — höchlich ergögten. Er er
446
zählte von Gletſchern und Eisfeldern, von Thieren, une WE
gefchichten, Merfwürdigfeiten aller Art, und fchien aud jet
in größtem Behagen fi der aufmerffamen Zuhötr 1
freuen.
„Les pöches de jeunesse, par Emile Souvestre.'
Nicht ſchön erfunden und ausgeführt, aber merkwürdig ıl
Einfpruch gegen die Ungerechtigkeit, die Sünden der raum ı
härter zu beurtheilen, ald die Sünden der Männer. —
Man verfichert, der König habe aus Paris fo droht
Nachrichten empfangen, daß er plößlich zu jeder Nachgiebiglet
bereit geworden fei, die Sympathieen für Rußland fuche er nur
noch durch Bedingungen zu retten, die für Rußland ſelbſt wenig
Bortheil bringen, und das ruffifche Ehrgefühl tief verlegen:
müffen, 3. B. er werde nicht leiden, daß Rußland wieder in die
Donaufürſtenthümer einrüdt, oder bei jiegreichen Fortſchritlen
den Boden Defterreichd betritt. Alſo wenn Rußland geihle’
gen wird, will Preußen zufehen, wenn jenes fchlägt, ihm Halli
gebieten! Die Weftmächte fünnen dad annehmen, denn m!
erftern Kal brauchen fie Preußen nicht, im letzteren dient 8,
ihnen, und in beiden Fällen ladet es den vollen Haß NRußlande
auf fih. Und ſolche politifche Zweideutigfeit will man neh
gar ald Klugheit preifen! —
Sonntag, ben 18. Februar 1855.
Der Bildhauer Kiß hat feinen koloſſalen Heiligen Geor
für die Pariſer Ausftellung beftimmt. ‘Der König war gefter
in den Atelier um fich des Anblicks nochmals zu freuen, un
bezeigte lebhaft fein Wohlaefallen, kefonder® auch daran, „de
alles fo Acht im katholiſchen Sinn aufgefaßt ſei!“ Wer die
erzählen hört, fällt faft unwiderftehlic in den Ausruf: „Di
proteftantifche König!* —
447
In den politifchen Angelegenheiten nichts Neues, als daß
id John Ruſſell auf feineg Reife nah Wien hier ein-
echen fol. Der Generalpolizeidirektor von Hindeldey fagt
ı Könige alle Tage, die ganze Volksſtimmung fei gegen
land, der König aber will das nicht glauben ; die Kreuz.
ıngöparthei wüthet, und bietet alled auf, die Meinung zu
reiten, daß dad Heer ganz ruffifch fei, was ganz und gar
: wahr ift; höchftend die Garde, und auch in diefer finden
richende Gefinnungen Statt, die aber jebt nicht laut werden
Mm. —
Soethe’d Hermann und Dorothea gelefen, mit höchftem
uß, dann in Dichtung und Wahrheit. In Grote. —
Der diefer Tage geftorbene Präfident der Oberrechenkam⸗
in Potsdam, frühere Staatöminifter von Yadenberg wird
en Zeitungen gerühmt, wie immer folche Leute. Dod
das Urtheil feit, daß er weder geiftig noch) fittlich viel
h war; ein gemeiner Beamter in hohem Poften, das ift
Bezeichnung! Er war dumm genug, es mit Radowitz zu
n, fonjt wär’ er auch Minifter geblieben bis an fein
. — Seine Frau — ift auch von geringfter Art. —
Montag, den 19. Februar 1856.
er Husten will nicht weichen, und wird mich wohl in
einundfiebzigites Jahr begleiten. —
rief an Herm Dr. Dünker in Köln nebft dem von ihm
aſchten Auffaß, den er nach Belieben zum Drud beför-
mag. — Beſuch von Frau Profefforin Dirichlet, fehr
ehm! Ich bin ihr fehr gut; wir fprechen immer in be-
rer Weife vertraut und einverjtanden, nicht arade von
ilten Sachen jelbft, aber doch in fteter Beziehung auf
448
jolhe. Sie befuchte auh Ludmilla'n, die an ihr jeptaud
guted Gefallen hat. — .
Nachrichten aus Paris. Die preußifchen Abgefandtn J
Herr von Ufedom und General von Wedell werden dort ieh
falt behandelt und Louis Bonaparte hört fie faum an, gieht
ihnen feine Antwort. Dagegen werden die Oeſterreichet mit J.
ausgezeichneter Freundlichkeit behandelt. — Der König irrt 4
ſich entfeglich über die Zurückſetzung, läßt fich aber nur gegen
feine Bertrauteften darüber aud, wo ed denn an bitteren Br
merfungen über den Emporfömmling nicht fehlt. Indeß ge
jteht man ihm doch das PVerdienft noch immer zu, die Republi
vernichtet, die Freiheit getödtet, dad Volk gebändigt zu haken.
Nachrichten aus Bonn. Bettina von Arnim ijt ehr le
dend, die eine Seite ift ihr dur Rheuma wie gelähmt; ſie
wird fo bald nicht nach Berlin fommen, fondern im Frühling
in ein Bad gehen. —
Der Kriegdminifter Graf von Walderfee widerfeßt ſich der
Einführung der Minie-Büchfen hartnädig, und ift dem Könige
dadurch fchon fehr unangenehm geworden; der Mann gilt für
ſehr unbedeutend und geiftlos, ift aber knurrig und mißlaunig.
Man glaubt, er fei am längften Kriegsminijter gewefen. — —
Bei lebenden Bildern, die am Hofe des Prinzen Karl ver‘
geftellt wurden, war aud) Werther'd Lotte, wie-fic den jüngern
Geſchwiſtern Butterbrod austheilt. Die Kinder ftanden mit.
ihren Butterbroden und rührten fih nicht. Nach einer Fleinen‘
Weile rief dann der König: „So, nun fünnt ihr einbeißen!“
Und eines der Kinder that e8 auch, zum großen Gelächter der
Zuſchauer. Der Zug wird verfchieden beurtheilt, nicht Alle
finden das Späfchen hübfch. — |
Der König hat die geftern erwähnte Neußerung beim Bilte,
hauer Kiß nicht bei feinem legten Beſuch gemacht, Tonderk;
ſchon früher. Eine noch fehlagendere wird aus zuverläffi £
Quelle erzählt; die Gefchichte ift fehon älter und fiel bei einem
449
ejuch in Tegel vor. Ein Dahler zeigte das Bild einer Ma-
mna, und fagte Dabei gleichfam entfchuldigend, freilich müfle
an dabei die katholiſche Auffaffung ſchon gelten laffen.
Selten Taffen?* fiel der König ein, „ Dann! willen Sie denn
iht, welch unermeßliche Gnade es ift, in der Tatholifchen
iche geboren zu fein?" Der proteftantifhe König! fann
aan hier wieder ausrufen! —
Dienstag, den 20. Februar 1865.
Der König hat dem General von Wedell neue Bollmachten
ud Paris geſchickt. Das Bündniß, dem er fich entziehen
volte, tritt ſchon näher, mit allem Weigern fommt er nur
fer hinein. Es geräth ihm alles verkehrt. Die Kreuzzei—
ungöparthei fieht ihr Spiel als verloren an, und ift dephalb
friedliebend,, fo Meinlaut! Sie hat noch zuletzt verfucht, den
Rinifter von Manteuffel zu ftürzen, hat alle Ränke dazu auf-
jeboten, alle Hülfamittel. Daher ift Manteuffel fehr erbittert,
nd es foll nicht ohne feine Zuftimmung fein, daß die Natio-
zeitung fo fürdhterlihen Angriff auf dad Gezücht eröffnet
t. Sie fcheinen zu ahnen, woher der Schlag kommt, und
Bhalb jo wenig zu erwiedern. —-
Toscana ift den Weftmächten beigetreten; Neapel muß
gen. Schweden und Dänemark unterhandeln. Der deutfche
ınd fügt ſich. —
Mittwoch, den 21. Februar 1865.
Die Neue Preußifche Zeitung hatte der Nationafzeitung
vach und erbärmlich geantwortet, die Nationalzeitung giebt
heute eine neue Züchtigung. Auf das prahlerifche Bor:
en, alle in der preußifchen Gejhichte berühmten Namen
örten zur Kreuszeitungspartbei, erwiedert die Nationals
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. XI. 29
450
zeitung, die von ihr genannten Namen der Häupter — Kr
lad, Stahl, Hengitenberg, — fie hätte noch Goedſche, Thadden
Trieglaff, Peter ꝛc. nennen können, — wären in der pruf
ſchen Geſchichte gar nichte. —
Der General von Wedell ſchreibt nicht nur zufrieden, fm
dern entzückt über feine Aufnahme in Paris, über die Tu
lichkeit Bonaparte’8, der ihm, nach anfänglicher Kalte, ange
nehme Scherziworte fage 2c. Die Franzoſen aber meinen, mut |
mache fich über den preußifchen General etwas luftig, halt
ihn mit Redensarten hin u. |. w. Der Gefandte Grafre |
Hapfeldt fieht den General ungern dort. —
„De la conduite de la guerre d’Orient. Expedition
de la Crime. Memoire adresse au gouvernement de
S. M. l’empereur des Francais par un officier genenl. :
Bruxelles, 1855.“ Wenn nicht vom Sohne des Hierende
mus Bonaparte gefchrieben, was ich bezweifle, doch in feinem
Sinne, vielleiht auch mit Benukung feiner Denkſchriften,
Briefe, Aeußerungen. Und eine feindliche Hand fcheint auf
dabei thätig gewefen. — (Man fagt, Emile Girardin, der be⸗
jondere Freund des Prinzen Napoleon, fei dabei betheiligt.)
— Eine Stelle fiel mir befonderd auf; es wird gefagt, I}
während der zweimonatlichen Unthätigfeit in Varna die Trup
pen mißvergnügt wurden, einige Bataillone Neigung zum Aufe
ruhr zeigten und Taut Die Namen der verbannten
Generale anriefen! Das ift der Punkt, der dem —
Louis Bonaparte an’d Leben geht! —
Auf den jungen Serome Bonaparte wird weiblich ge
Ihimpft. Er ift feinem Better Louis Bonaparte innerlid
verhaßt, und fchwerlich foll er noch fein Erbe im Reich wer
den. Aber noch verhaßter ift er den Staatsjtreichern allen
weil er Mitglied der Montagne in der Nationalverfjammiun
war, und noch jet ald Republikaner gilt. Man befchultk
ihn der jämmerlichften Feigheit, er habe fi in der Krim fra
451
jeftellt, um nur weggehen zu können! Solche Befchuldigungen
berden denn auch von Leuten nachgefprochen, die nicht wiffen
Doher fie Jolche aufgenommen haben. —
Donnerstag, den 22. Februar 1855.
Zn der höheren Gejellfchaft unterhält man fich von vielen
lergernifien ; an Stoffen fehlt ed nicht. —
Gute Botjchaften, herzerfreuende Dinge, wie felten jeßt!
die fogenannte Bildung hat jich mit der tiefften Schlechtigfeit
erbunden, dient für diefe zum Zierrath, zum Luxus; die größ-
en Böjewichter, die unmenſchlichſten Ungeheuer hatten folche
inpere Bildung, die größten Qumpen haben fie. Nero machte
Berfe, war Sänger. Die obern Kreife find nun einmal grund-
erderbt, an ihnen ift wenig.zu retten, jie mag man ihrem
Shidjal überlaffen; aber fie fteden die untern Volksklaſſen
m, fie entfittlichen den Bürgerftand, die Bauern, fie zeritören
Leu und Glauben, befördern Heuchelei, Argliſt, Tücke, — es
Heibt dem armen Volke keine andere Wahl ale diefe fchlechten
Nittel, gegen Unterdrüdung und Scifanen, von denen es
edrängt if. Nirgends wird ihm Wort gehalten, nirgends
serechtigfeit gehandhabt, überall werden ihm Schlingen ge-
gt, jeine Rechte verfümmert,, feine Laſten gemehrt. he die
tenge fich dagegen in Gefammtheit empört, haben die Einzel-
n fchon längit ebenfalld zu Lift und Schleichwegen fich ge:
mdet. Das ift das größte Uebel! — Welch ein Unterfchied
diefer fittlihen Hinficht zwifchen 1848 und 1855!
Wie verfteht Doch eigentlich niemand, wie mir im nner-
n zu Muth ift! Aus wie verfchiedenen weit auseinander
genden Quellen fließt diefe Fluth zufammen, deren Strö⸗
ing mich dahin trägt! Wie wenige haben von Anfang
felben Greigniffe mit mir erlebt, und faum Einer mit
nfelben Sinn! Die meifte Vebereinftimmung fand ich in
29*
452
Rahel, bei aller wefentlihen Verſchiedenheit! Die ltr ir
gab der erfteren die wahre Kraft und Höhe, bei urfprünalider |
Aehnlichkeit würde die Uebereinſtimmung doch nur eine mallt
gewefen fein. Nabel fagte nicht ohne Grund von ſich jelkt,
fie wiſſe alles, fie verftehe alles; im allgemein Menſchlichen, in
Sachen des Gemüthes, des Herzens, der Lebensverhältniſe mır
das wirklich der Fall. Daher konnte fie auch mit Recht jagen,
fie fönne alle Menfchen tröften, fie dagegen von niemanı We
Troſt empfangen. — |
Hohe Seelen und Geifter gleichen den Bildfäulen, die nu ſJ
verftümmelt auf und gekommen find, und die wenn ergänzt, 8
oft in ganz falfhem Sinne find. Aber es kommen ad
immer wieder Befchauer, für die das Bild in feiner vollen
Schönheit und Bedeutung fich herftellt, die Durch feinen:
falfehen Zufaß ſich irren laffen; für ſolche ift aud das Bud J
Rahel. Das gemeine Bolt der Gefellfhaft, der Troß deu
Litteratur mag fo oder fo darüber ſchwatzen, es iſt vollfomme
gleichgültig. —
| Zreitag, den 23. Februar 1856. |
Nach Erklärungen des Minifterpräfidenten von Manteuſel
in der Kreditkommiſſion der zweiten Kammer ift in kurzem I |
Unterzeichnung eines Vertrages zwifchen Preußen und Ftaul⸗
reich und England zu erwarten, der einen Anſchluß an WM:
Meftmächte bedeutet. Scheinbar unabhängig und friedlich, ia
Wirklichkeit abhängig und zum Kriege wider Willen fers;
gerifien! — In der Kommiſſion waren allerlei ftarfe Anregum;
gen, zu einer Adreffe an den König, zur Einftellung des Non
dite. Die Berhandlungen find nicht ganz flar. — r
Austritt der Peeliten aus dem englifchen Miniſteriue
Gladſtone, Graham, Herbert u. ſ. w. Aus Furcht vor DE
453
nterfuchung, auf welche Roebud angetragen hat. Scharfe
ede Layard's. Die Times heftig gegen die Ariftofratie. Syn
tgland vorbereiten fich große Wandlungen. —
‚Nachmittags Befuch vom General von *, Erzählungen. Ueber
Bewaffnung der Truppen, Die neuen Gewehre, die neuen
zen Kanonen, die zugleich als Haubitzen dienen; Uebelſtand,
} das preußifche Gefhüh nur zu einem Drittheil fchmeres,
zwei Drittheilen aber leichted ift, das fich gegen Minie-
fen nicht halten kann. Der Feldmarfchall Srafvon Dohna
den General Adolph von Willifen zu ſich entboten, um ihm
cwürfe zu machen wegen feine? Eiferd für die neuen Ge-
we, nachdem der alte Efel fich alled hatte erklären laſſen,
iücherte er nun auch dafür zu fein! Ebenfo verficherte der
: Narr General von Wrangel mit zärtliher Umarmung!
Schwächlinge laffen fich aber gleich wieder umftimmen. —
Louis Bonaparte hat wirklich die Abficht geäußert, nach
Krim zu gehen; ob ed ihm damit Ernft gewefen, bleibt
ingeftellt. Gefchrieben hat er diefe Abſicht auch an den
zog von Koburg. —
Wie ift denn Rahel fo ſchwierig aufzufaffen? Bloß weil
Reute fo falſche Gefichtspunfte mitbringen, ja fie von
bei felbft entnehmen, und wenn fie von ihren Mängeln,
gungen, Schidfalen fpricht, nicht verftehen wie es zu
men ift. Das Selbftlob, wenn ed auch nur aus reiner,
chuldiger Selbfterfenntniß hervorgeht, nehmen fie als Eitel-
und verfleinern es zu ihren Maßen herab, den Selbft-
el fehen fie in äußerfter Vergrößerung. Wollten fie doch
Rahel nur den natürlichften, einfachiten Menſchen erblicen,
Geiſt und Herz in feltnem Grade verliehen war, der lei-
Ihaftliches MWohlwollen und die größten Gedanken hegte,
warmen 2ebend, und immer dem waltenden Augenblid
ehörig, voll Güte, Thätigkeit, heiterer Laune, — das, dünkt
, wäre ein wo nicht erfchöpfendes, doch ziemlich andeuten-
454
des Bild. Das war eine ihrer wefentlichiten Eigenicaften,
daß fie feinen Träumen nachhing, fondern in klarer Wirklich
feit lebte, nie zerjtreut, immer und ganz bei dem Vorhandene
war, mochte died noch fo groß oder noch fo flein fein, immer
auch von diefem fich erhob, darüber dachte, zu Allgemeinen
aufftieg. Sogenannte Angewöhnungen hatte Rahel gar fein, |
überhaupt nichts Störendes, nicht? Aufdringliches ; ihre größte
Lebhaftigkeit war noch befcheiden. —
Sonnabend, den 24. Februar 1854.
In englifchen Blättern wird durch Louis Blanc ein Bril
aus Cayenne veröffentlicht, in welchem ein Geächteter die dor:
tigen Zuftände fchildert, die Galeeren, die Bergwerke in Sibr
rien, können nicht ärger fein! Tauſende der frechen Wilkir,
dem blinden Haffe, der roheften Grauſamkeit geopfert! Kam
man einen Augenblid vergeffen, weldh ein — — — — Melt
Louis Bonaparte ift? Und fie verbünden ſich mit ibm, wehfeln
Ehren und Schmeicheleien mit ihm! Der Kaifer von Kur
land auch. — |
Im Parlamente giebt es hitzige Kämpfe. Die Unter
ſuchungskommiſſion ift ernannt; die Minifter, die Arte
fratie wird bitter angeflagt. Die Lumpen gehen, amt
kommen. — |
Englifche Blätter gelefen, Straßburger Suchen. „NRotrudi, |
Trauerfpiel von Herman Grimm.* Ohne Knochen, ohne |
Wahrheit. Er dichtet nicht aus erfter Hand, er hat nidt ie
Natur vor Augen, fondern das von Andern vor ihm Gedichte,
Dichtern nachahmen ift aber nicht dichten, das fann red
hübſch fein, wenn es auf das befchräntt bleibt, was nadge
ahmt werden fann, auf ſchönen geründeten Ausdruck, gerechtt
Berfe, edle Sprachbildung; auch Boileau und Pope find in
diefem Betreff zu ehren. —
455
Sonntag, den 25. Februar 1855.
Schwere Träume, Beängftigung wegen meiner Studien,
ch immer foll ich die medizinifchen nachholen; im vierzigften
ihre noch Arzt zu werden, fag’ ich mir, ift doch zu fpät! Da
finn’ ich mich, daß ich ſchon fiebzig bin, Tache und bin be-
higt. Erwachen. —
Die Kölnifche Zeitung in Münfter angeklagt. Einfprud)
zen diefed fchifandfe Verfahren. Das Gericht behauptet
ne Berechtigung, giebt aber dieſesmal ein freifprechendes
theil. — |
Bon Gerlach dazu gehäffig angeregt, erzählt der Abgeord-
te von Patow in der zweiten Kammer fein Abentheuer mit
a Arbeitern im Jahr 1848, denen er in ihrer Noth Arbeit
ben follte, aber Geldunterſtützung gab. Er fagte, die Arbeiter
tten ihn bedrängt, aber keineswegs Gewaltthätigkeiten ver-
t, fie wären vom Rathhaus durch zwei Offiziere zu ihm ge-
hrt worden. Der Kriegdminifter Graf von Walderfee trat
ih auf, und machte im Namen der Ehre des Heered einige
mme Bemerkungen, und wollte die Offiziere genannt wiffen,
itow verweigerte die Namen. Daraus wird nun eine alberne
jrenfache gemacht, die Regimentskommandeure find beauftragt
stden, ihre Offiziere bei Ehre aufzufordern hierüber Auskunft
‚geben. So werden fid, die beiden felbft angeben müflen.
ne unwürdige Zortur. Die beiden Offiziere haben nichts‘
tban, was ftrafbar wäre, fie haben aber, wenn auch in befter
iht, Arbeitern Rath gegeben, genug, um fie ded Dienfted
würdig zu erflären! Der König ift in Betreff der Revo—
ionderinnerung jo unverföhnlich ald empfindlich. —
Mitſchke⸗Kollande verfäumt feine Gelegenheit, ſich lächer-
ı und verächtlich zu machen, felbft bei der Parthei, der er
jehören will. Küpfer wird eiferfüchtig auf ihn! —
Herr Dr. Sigismund Stern bringt mir fein Buch „Stein
456
und fein Zeitalter.“ Gr fpricht mit Verftand und Unpartke: Sa
lichkeit, ift aber dem Gegenftande nicht gewachfen. —
Rußland erflärt Krieg an Sardinien, in großmülhign
Weile! —
Die Namen der Herren, welche Ende Mai's 1848 ft
Arbeiter zum Minifter von Patow führten, find in Beift we
NRevolutiondchronif offen genannt: Graf von Schlieffen, Yan
von Wimpffen, Herr von Chemnik; nur der erftere mt
Gardeoffizier, hat aber fchon längere Zeit den Dienft verlafen.
Auch ein Graf zur Rippe wird angegeben, als bei der Sad
betheiligt, it aber auch nicht mehr im Dienft. — |
Das getaufte Füdchen Joel Jacoby, Kanzleirath, Ritter |
des fachfen-altenburgifchen Ordens, dient zwar unbedenllich
den fchlechteften Bedürfniſſen feiner Vorgeſetzten, will aber dech
nicht al& der Theilnehmer an ihrer Dummheit erfcheinen. An
einem öffentlichen Orte wurde ihm gefagt, man folle nicht ver:
geffen, daß wieder ein Bonaparte über Jena nach Berlin kom⸗
men fönne; worauf er eriwiederte: „O das fürchten unler
Herren gar nicht! Damals hatten wir fo gut wie gar kein
Polizei, faum hundert Gendarmen, jegt über taufend fer |
ftabler, auf die geftügt fühlen wir und ganz ſicher. Ben
Bonaparte füme, — febte er mit höhnifcher Schalfheit hin, |
— Herr von Hindeldey ließ ihn ausweiſen!“ — So madttt
fi über feinen Herrn luftig! —
Montag, ben 26. Februar 1855. |
Der Oberft von Olberg hat ſchon zum zweitenmale von
Paris hier neue Borfchriften für den General von Wil
holen müffen, jeßt ift er mit den ſchließlichen, ſagt man,
dorthin zurückgekehrt. Es bleibt dabei: geht’ den Rufen
Ichleht, dann fieht Preußen ruhig zu, geht's ihnen gut, fo tritt
457
ihnen entgegen. Ein unfinniger Vertrag! Spät und halb,
ne Ehre, ohne Bortheil. — Wedell und Habfeldt in Paris
e Hund und Kap’ in bitterem Entgegenftehen. —
Das Freimaurerjahrbuch, Aſträa“, vom Diakonus Müller
ı Meiningen, hatte die Reden mitgetheilt, welche bei der Auf:
ahme des Sohnes des Prinzen von Preußen in den Frei—
naurerorden gehalten worden waren. Die Spener’fche Zei:
ung gab Auszüge daraus, worauf niemand achtet. Die
Boffifche gab fie vollftändig, hatte aber vorher bei dem Prinzen
ingeftagt, und von demfelben eigenhändige Verbefferungen
dazu empfangen. Als Hindeldey gegen dieſen Abdruck ver:
jahren wollte, wußte er nicht? von dem Spener’fchen und
itgerte fich als er jegt erft vernahm, daß ihm der entgangen
Bars gegen die Voſſiſche dachte er aber doch zunächit einzu:
breiten, und feßte fich hin, um felber dad Verhör des Redak⸗
eure zu protofolliren. Die Vorzeigung der prinzlichen Hand»
hrift machte allem gleich ein Ende. „Da können wir nichts .
nahen,” rief der Polizeimann; warf die Feder hin und entließ
en Redakteur. (Müller, aus deffen eignem Munde). —
Mit General von Pfuel feine früheren kleinen Aufſätze
ind Schriften befprochen, deren Sammlung und Herausgabe.
sr hat nichtd davon aufbewahrt. ch erinnere mich feiner
Auffäge über Kriegs: und Fechtkunſt, den Vendeekrieg, Skan⸗
erbeg gegen Jomini, über dad Schwimmen, theild in der
fterreichifchen militairifchen Zeitfchrift, theild in Hormayr's
Archiv, Rückzug der Franzoſen 1812, Ueberſicht der Kriege
1813— 1815, Bericht über die Schlacht von Belle-Alliance,
Rzenfion von Fain's Buch 1812. Dazu könnte denn feine
hertheidigungsſchrift von 1848 den Schluß bilden. Die
htere wäre unftreitig am wichtigften. — |
Der Erzbifchof von Freiburg hat über einen badifchen Ort
Donau-Efchingen) das Interdikt audgefprochen, weil der dor⸗
je Geiftliche von der Regierung beftraft worden if. Meſſe
458
darf nicht gelefen werden, feine Trauung geſchehen u.|.®.
Und das Vieh glaubt, das werde was ausrichten! —
Die Jefuiten, bisher in Baden zugelaffen, jetzt ausgewieſen.
In Preußen ift ed noch nicht fo weit, wird: aber kommen! -
Dienstag, den 27. Februar 1885.
Der Huften nicht ganz fort. Entzündetes Auge! St
beſchwerliche Durchſicht Arnim’scher Drudbogen! — |
Geftern ift der berüchtigte Malmene vom biefigen Shmur
gericht wegen Mißhandlung der von ihm befchäftigten Knaben,
zu ſechsmonatlicher Gefängnipftrafe verurtheilt worden; dt
Gutgefinnte, der Freund und Begleiter Manteuffel’s! Doh
war er auch ſchon früher in Strafe gekommen wegen Beni, |
wegen grober Unfittlichfeiten,, wegen ſchwerer Beleidigung dei
Polizeipräſidiums; er war fehr unzufrieden, daß alles dieſe
miterwähnt wurde! —
Brief aus Weimar von Apolloniud von Maltig, nebft einem
ruffifchen Gedicht, einem gedrudten Bruchftüd aus dem italiö |
nifchen Reifetagebuch des Kollegienrathe von Liepmann, Mi
Billdliade von Mery und Barthelemy, und dem Trauerpidl
bon Genaft „Herzog Bernhard*. — |
Befuh vom General Adolph von Willifen ; feine Kämpfe
gegen Dummheiten, zu denen man Erzellenz oder gar König
liche Hoheit fagen muß! Diesmal ift es ihm felber doch fat
zu viel, fo tapfer und gewandt er auch feine Sache führ.
Noch fcheint der König entfchieden an der Sache Teftzubalten,
wenn aber der ſchwankt! —
Die beiden Gardeoffiziere, von denen Hr. von Patow ge:
ſprochen hat, follen leicht heraugzubringen fein, man hält fie
für verloren. Denn was im Jahr 1848 als gutgefinnte
45%
igfeit angefehen und eher belobt als getadelt wurde, gilt
als ehrwidriged Verbrechen. Der Präfident von Gerlach
verflucht von allen Seiten, weil er in feiner Bosheit
ruht, und ftetd die alten Gefchichten zum Efel und
druß aufrührt, in die Wette mit feinem ‘Freunde
Ihe. —
5pät Abends gegen 9 Uhr kam auch General von * und
noch Thee bei mir. Weber die Krankheit Preußend, im
en Polizeigewalt und Partheihaß, nach außen Schwäche
Soffahrt. General von Reyher hat gejagt, von Vorberei-
n zum Kriege gegen Rußland, von Planen der Aufitels
der Truppen, ihrer Verpflegung, und dergleichen Din-
ürfe man fein Wort reden, ohne fogleich in Berdacht
ter Gefinnung zu gerathen, den wüthigften Haß auf ſich
ben! Alle Behörden find nur Schreibereien,, jede wartet
jefehle von oben, führt die aus, und ıft dann außer
Verantwortlichkeit. Eigne Anfichten, eignes Urtbeil,
Eifer, find verboten. Baterlandsliebe gilt nur in der
wie die Neue Preußifche Zeitung fie verlangt, und die
in«vielen Fällen dem Landeöverrath ganz gleich fteht.
ꝛx iſt alt und gebrehlih, Tann nicht mehr im Feld
i, zagt aber bei dem Gedanken, feinen Poften aufgeben
len. —
n Kaffel hat das Dbergericht endlich alle die wegen Steuer;
igerung angellagten Ständemitglieder, welche der kur⸗
he Haflenpflug, oder der haffenpflug’fche Kurfürft, durch⸗
erurtheilt jehen wollte, völlig freigeiprochen, und dabei
t, daß fie zu jener Verweigerung nicht nur berechtigt,
n aud verpflichtet 'gewefen. — Brad und muthig von
zericht! —
460
Mittwoch, den 38. Februar 185.
Lord Sohn Ruffell ift auf feiner Reife nach Wien hatt
hier angefommen. Preußens Theilnahme an den Jridens
verhandlungen ift noch nicht entſchieden. Man fagt, Mi
König mache wieder Schwierigkeiten, die vwerabredeten de
dingungen zu unterzeichnen. Franzöſiſche Aeußerung: Bons
parte'n wird ed ganz recht fein, im Könige von Preußen einem
Gegenftand fünftiger Züchtigung zu behalten, es würde ihm
nicht lieb fein, denjelben wegen völligen Anfchliegend immt |
Ichonen zu müſſen! —
Donnerstag, den 1. März 1855.
Der Kriegdminifter beabfihtigt, dem Herrn von Pater
noch verdrießliche Händel zu machen, weil detfelbe gefagt, ohne |
ihn würden zwei preußifche Offiziere fompromittirt gemejen
fein. Darein fest der Mann feinen Eifer! Die Kreuzzeitung
hetzt dazu. —
Ein Konſtabler Namens Götze war wegen Mißhandlung
einer Frau zu ſechsmonatlichem Gefängniß vom erſten Richtet
verurtheilt worden; das Kammergericht hat ihn jetzt freige
ſprochen. Möglich, daß dies mit Recht geſchehen. Aber die
Sache macht den ſchlimmſten Eindruck! Man ſetzt höhere ge
heime Befehle voraus; man glaubt nicht mehr an die Self:
ftändigfeit, an die unpartheitfche Rechtspflege! —
Es fällt fehr auf, daß der König, während er den Let
Fohn Ruffel dur den Minifter von Manteuffel abfüttern
läßt, den xuffifchen Diplomaten Titoff an der Königlichen |
Zafel bewirthet. —
Dem elenden Mitfchfe-Kollande, dem Hanswurſt der zwei⸗
ten Kammer und dem Gelächter feiner eignen Kameraden, R
nad) dem Schluffe der Kammerſitzung der Meine rothe Adler;
orden zugefagt. Dafür fräht denn der giftige Hahn bei jedet
461
enheit nach Leibeskräften! — In Preußen, dem Staate
ntelligenz, die größte Dummheit und Narrheit überall
I _
incke's Antrag auf geheime Abftimmung, Harkort’3 auf
näßige Dertheilung der Grundfteuer, durch Stimmen-
eit bejeitigt. Nichte Gefcheidted, nichts Richtiges hat
! Elendeite aller Bolfävertretungen! — Binde doch
ih nur ein Klopffechter, Bethmann-Hollweg ein ſchüch⸗
Intriguant zc. 20. —
Freitag, ben 2. März 1855.
nen Drudbogen von Amim’d Gedichten durchgefehen,
ı Augen fehr befchwerlih! — Beſuch von Herrn Lewes;
ft an die Abreiſe; Klagen über die Polizei und ihre
Scheerereien. —
uch von Herrn von Biedert; er will nach Italien
iſt aber in Berlegenheit wegen feines Paſſes x. Er
freifinnig,, heute. —
hon um halb 2 Uhr befam ich Nachricht, im ruffi-
Sefandtfchaftähaufe fer eine telegraphiiche Depefche ein-
en, der Kaifer Nikolai ſei ſchwer erfrankt, Tiege im
n, fei ſchon todt; ich ließ ed dahingeftellt, was an
che ſei. Nach 3 Uhr aber kam Herr von Viedert
ils und brachte die volle Beftätigung der Nachricht.
Raifer ift heute Mittag 12 Uhr 10 Minuten in
eterdburg einer Lungenlähmung erlegen; die Nachricht
iner Erkrankung am 28. Februar war jchon im Laufe
rmittagd eingetroffen. Im Volke glaubt man an feinen
ihen Tod, fondern an Vergiftung oder Erdroffelung.
ört laute Berwünfchungen des Verftorbenen, bittre An-
‚lachende Freude. „Die verfluchte Kreuzzeitung möge
11° Sie thut es, mit ſchwarzem Rande! — Betrach⸗
462
‚tungen über die Ihronfolge, die veränderten Zuſtände, de #
Ausfihten zum Frieden. — |
Mit Ludmilla ſprach ich die wahrfcheinlichen Folgen ut |
Todesfalles in der Kürze ernſtlich durch. —
Heute haben Herr von Patow und der Graf von Sqhlieſen
fi wegen der „ Kompromittirung“, von der in der Kommt P—
die Nede war, gefchoffen, und erfterer ift am Bein vernundt P
worden. Dahin haben die Hepereien geführt! Und warum |
geht feiner dem Anftifter, dem Halunfen Gerlah, zu Leibe! P
An den follten fie fich halten! — Der Graf von Schliefen if
noch wirklich im Dienft, der andre diefed Namens, der ſchon J
vor längerer Zeit den Abichied genommen hat, ift nicht der
rechte. — |
„In diefer Ehrenfache gegen Patow haben die zum Zwei:
fampfe drängenden Militairoberen und hegenden Offiziere die
größten Blößen gegeben, außer der gehäffigen Leidenihalt |
haben fie auch die völligfte Unvernunft gezeigt, es ift gar fein
Sinn und Verftand in dem ganzen Handel, nur lächerlidt
Dummheit.” —
Sonnabend, den 3. März 1855.
. Die Nationalgeitung fpricht in furzen Worten ganz wir '
über den Tod des ruffifhen Kaiſers. — Dieſer Kaifer Rile
laus hat gleich dem Raifer Franz von Defterreich lange Jul
in falfchem Schimmer gelebt, wie der leptere in dem der Out |
müthigfeit, fo der erftere in dem des Heldenmuthes; die Ge
jchichte muß beiden beides abfprechen. Der Kaifer Nikolaus |
hat auch mich gröblich getäufcht, auf den Grund von Rab
richten, die ich für zuverläffig halten mußte, war ic) geneigt,
ihm alles Beite zuzutrauen, ihn zu bewundern. Die Ent
täufhung begann ſchon vor 1848, Gr hatte wenigen und
beihräntten Berftand, gar keinen Geift, und nur den Muth,
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edingter Gewaltherrfchaft jo leicht zu haben ift; er
t immer härter und dreifter, er ftarb unter Demü⸗
nd Straffchlägen, unter wohlverdienten. —
vom General von * *. Ueber den Tod des
artheildfofe, vernünftige Anficht; Lächerlichkeit der
türzung und des angeblihen Schmerzes, angeb-
in der ganzen Königlichen Familie ift niemand, der
geliebt hätte, der König hate ihn. Dem König
n'von der Bruft gefallen; „vielleicht ein andrer
fann fein, aber doch immer jener herunter.” —
zu heucheln, denn Schmerz und Trauer dürfen
it werden.“ —
niglichen Theater auf drei Tage gefchloffen; vier-
Hoftrauer, auch das Heer trauert vier Wochen.
von Preußen follte nach St. Peteröburg reifen, ift
inwohl, daher reift der Prinz Karl nebit feiner
lerandrine, Großfürftin Olga ꝛc. —
t, daß der Großfürft Thronfolger die Regierung
yat als Kaifer Alerander der Zweite. Wir müllen
dabei bleibt, oder in Moskau was vorgeht. —
ue Preugifche Zeitung jammert und lobhudelt in
er Weife. Sie ift fo weichherzig geworden, Daß
ie Würde und Ehrbarfeit rühmt, mit der die
tung und die Spener’fche Zeitung den verftorbenen
chen. Auch für diefe Blätter dauert nämlich das
noch) fort, welches über die Kraft des Karakters und
es Kaiſers durch feine ftarfe Körperlichkeit fich all-
reitet hat. Die Geſchichte wird diefe Täufchung
Men nicht lange mehr beitehen laffen; die Zeug:
ihrheit werden überall hervortreten. —
ı der König in Paris, wo man feinen Anfchluß
tmädhte erwartete, neue Schwierigkeiten gemacht
dingungen geftellt hatte, daß franzöfifhe Truppen
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nicht den Durchmarfch durch Deutfchland fordern, und ihm
der Befik von Poſen gewährleiftet werden follte, ift alle Ber:
handlung mit dem General von Wedell dort abgebrochen wor:
den, und der General fchon wieder hieher zurüdgefehrt. Ci
beißt, er folle neue Weifungen holen. Der König bat er
Härt, in feinem Falle werde er fi an Rußland anfchliepen;
aber Polen folle man ruhen laffen! —
Der König hat mit Lord Ruſſell abfichtlich nur unbedeu—
tende Kleinigkeiten gefprochen,, gar nicht? von Politit! Rur
ganz am Ende hat er dem englifchen Minifter auf deflen An-
dringen gefagt, er werde in feiner bisherigen Haltung wer:
harren. Der Lord ift fehr unwillig abgereift. —
Der General von Bonin, der geweſene Kriegdminifter,
meint, der König iverde freiwillig nie die Waffen gegen Ruh:
land ehren ; nur Zwang fünne ihn dahin führen, der Zwang
fönne nur allaubald eintreten, wenn ed Bonaparte'n Emft
werde; biöher ſei man durch deſſen Langmuth und Höflichkeit |
ficher getworden — doch wenn der wieder die Zähne zeige.....!
(Die Langmuth und die Höflichkeit bildet man ſich mehr ein,
als daß fie wirklich vorhanden wäre.) —
Sonntag, den 4. März 1856.
Die Bolfdzeitung und die Nationalzeitung find heute früb
von der Polizei tweggenommen worden; man fagt, es fei ohne
eigentlichen Anlaß nur bfindling® gefchehen, damit es nit
außer Hebung komme, und gleichſam dem Tode des ruffifchen
Kaiſers zu Ehren, damit fie fich nicht zu fehr des Ereignifies
freuen! — |
Ein Brief Schleiermaher’d an Friedrih Heinrich Jacobi,
mir von Fräulein Wilhelmine Schede mitgetbeilt, veranlaßt
mid) die Gedanken lebhaft auf jene beiden Geifter zu lenken,
465
e fo früh und fo ftark auf meine Jugendjahre eingewirft
ben. Mit Jacobi bin ich eigentlich Tängft auf dem Reinen,
war ein tiefer und edler Geift, der feinen eignen Weg ein»
ylug, aber unglüdlicherweije nicht durchfam, fondern fteden
teb, fo daß er ftetd nach Hülfe ſich umſah, und fie von dem
Hauben, wohl gar von der Kirche, hoffte, die Wege der Andern
ver, auf denen fie friich und muthig ihren Zielen zumwan-
ten, ald unrichtige ſchalt, weil er fie nicht gehen fonnte, und
> ihm alſo nichts halfen. Mit Schleiermacher fteht es
Ywieriger; er bietet immer etwas Unaufgelöftee, und man
uß ihn erft verjegen um ihn richtig zu faffen, verlieben aus .
m Theologen und in ganz beftimmte Berhältniffe einge-
emmten Prediger in den freien Geift, der ohne Hinderniß
m eignen Forſchertrieben folgt, In jenem Briefe fucht er
ine Berfchiedenheit von Jacobi darzulegen, und die Beruhi-
ıng, die ihm auf feinem Wege geworden, jenem auf den. fei-
igen hinüberzureihen. Aber weldhe Beruhigung bietet er
a! Nichts ale Worte der Anbequemung, der Nushülfe, der
zeſchwichtigung, die feinen Standpunkt gegen die Widerfacher
Unfalls ſichern, aber für einen Jacobi nur dialeftifche Spitz⸗
ndigfeit find; feinen großen erhellenden Gedanken, fein tiefes,
uneres Bekenntniß. Dan fieht, er will fi in feinen Gränzen
alten, was er außerhalb diefer fein könnte, kommt gar nicht
ur Frage. Mir beitätigt fich auf’d neue die fchon alte Wahr:
ehmung, Schleiermacher hätte — wie Herder — fein Schwarz: .
od fein follen, fein Schwarzrod bleiben follen! Dies falfche
zerhältniß hat beide ganz gefälfcht und entftellt. —
Die Nationalzeitung ift wegen einer Schilderung ded
aiferd Nikolaus weggenommen worden, in der freilich gefagt
ar, derjelbe fei fein großer Mann, fein Staatsmann, fein
eneral geweſen; das aber, wenn es auch mipfällig fein mag,
auf feine Weife ftrafbar. Schon um halb 4 Uhr Morgens
ihah die Wegnahme. Der Artikel war von Herrn Affeflor
Barnhagen von Ense, Tagebüder. XI. 30
466
Paalzow, der doch noch irrthümlich dem Kaifer Heldenmuth |
zulprah! — |
Montag, ven 5. März 1858.
Ausgegangen mit Ludmilla. Unter den Linden begegnete f
mir Herr Geheimrath Homeyer, redete mich an und fagte jehrz
ernft: „Ich muß fie aufmerffam machen — das flang etwas
wunderlich, löſte fich aber gleich als er fortfuhr — daß zwei,
Nebenfonnen zu fehen find." ch blidte zum Simmel, und }
in der That zeigte fich dies prächtige Phänomen im fchöniten |
Glanze. Es war etwa halb 12 Uhr, die Sonne fand m |
Mittag, rechts und links von ihr, im Südoft und Südweſt,
ſchimmerten zwei Sonnenbilder in Regenbogenfarben, gegen: ;
über im Nordoft und Nordweit zwei weißliche Kugeln, viele ;
und jene durch einen großen weißen Ringftreifen vereinigt,
der weithin in der Bläue fich ausdehnte. ch habe frühe;
nicht der Art gefehen. —
Die geftern von der Polizei weggenommene Volkszeitung
hat heute nachträglich erfcheinen dürfen. Hat irgend etwas |
Mipfälliged wegbleiben müffen, fo ift ed wie beider Zenfur! —;
Die Neue Preußifche Zeitung macht es ſich zum eifrigiten;
Geſchäft, aller Welt einzureden, befonders aber dem Hofe, dat
ganze Volt, namentlich aber das Volk in Berlin empfinde;
ſchmerzlich den Berluft, den die Welt durch den Tod des rufe;
ſchen Kaiſers gemacht, erfenne in dem Berftorbenen den großen
Helden, den Staatdweifen, den Schüßer und Erhalter. Ganz!
im Gegentheil! Das Volk, der Bürger, die Mehrzahl der Ger f
bildeten halten ihn für den Störer des Friedens, wie für den;
Feind alles Fortſchritts, aller Freiheit, fenden ihm Verwün⸗
ſchungen nach, freuen ſich feines Toded. Die Papiere an derj
Börfe find geftiegen, auch in Paris, London und Wien. Def
Hof mag trauern — obſchon es auch ihm großentheild wenig |
467
Ernft damit ift — das Volf jubelt und nimmt es übel, daß
man fo ungewöhnliche Bezeigungen macht, „ald wäre Preußens
Herrſcher geftorben, oder ald wären wir eine ruffifche Pro-
Yin!" — Ä
Majeftätöbeleidigungen! „Warum waltet in Rußland die
Band der Vorfehung fo gnädig, und nicht auch bei ung? Wir
fäben „ Unfern * gar gern auch her, Unglüd genug hat er ge:
hiftet, fein Maß könnte voll fein!“ Einige Berhaftungen find
Jeſchehen, die Leute aber nad) ftarfer Verwarnung gleich wier
fer entlaffen worden, man will fein Aufheben machen. In
Wirthshäuſern und auf den Straßen wird ſchon wieder
keifter geiprochen und lauter. —
+ Die Nationalzeitung von geftern ift heute verftümmelt
Iochgeliefert worden; das heutige Abendblatt aber äusge⸗
ieben. —
Beſuch von Heren Affeffor Paalzow ; die ruffifhen Sachen
Mprochen, Berichtigung von Irrthümern. Gnglifche Blätter .
fen Fluch und Verwünſchung auf den Kaifer Nikolaus.
hefige Heuchelei, Bosheit und Gaufelei. —
| Erzählungen über den Tod des ruffifchen Kaifers, feine letz⸗
Worte, Mahnungen ; lauter zurechtgemachted Zeug, großen⸗
Bil dumm und albern, aber gewiſſen Zweden dienend.
Ehrung, Empfindfamteit foll gewedt werden. Das Bolf bes
Br Mährchen, die Bornehmen bedürfen der Lügen. Das
läßt fi nicht audreden, der Kaifer fei an Gift ge:
eben. —
F Sin Stuttgart haben die Stände 3 Millionen Gulden zur
Miegsbereitſchaft bewilligt, mit der Bedingung des Anſchluſſes
h Defterreih. Der König von Würtemberg iſt zwifchen
i Feuern, dem ruffifchen und dem franzöfifchen ; das lep-
e iſt ſtärker, die Volksſtimme ift nicht franzöfifch aber ruffen-
ndlich. —
— —— — —
30°
468
Dienstag, den 6. Mär; 1855.
Befuh vom Hrn. Grafen von Keyferling. Heuchelei unfere,
Höflinge wegen des ruffifchen Todesfalls; fie find ſchon ga;
getröftet, weil noch feine Revolution ausgebrochen ift, meie
hier noch dort; bleibt nur ihnen alles im Geleife, ſo iß
ihnen wenig daran gelegen, ob der Kaifer fo heißt oder fe;
was ift ihnen denn Nikolaus? Ein Konftabler, ein Schuy
. mann! Der — Louis Napoleon war ihnen faft ebenfo lic,
als er den Staatöftreich machte. — Noch nichte aus Moskau.
Gefpräch über Zweifampf, und den des Herm wm
Patow. Sehr viele Beamte gaben diefem Unrecht, daß
den Zweifampf mit einem jungen Offizier nicht abgelehnt ba
Meines Erachtens mußte er ihn annehmen. Der Graf wg
Schlieffen war von Oberen und Kameraden gendthigt werde
den Herrn von Patow zu fordern, aus welchem Grunde, mi
ihwer zu fagen! Leidenfchaft und Unverftand bewegen I
in aberwißiger Verwirrung! Die Thatſachen, welche Pal
angeführt, find nicht widerlegt, nicht einmal beftritten,
Ausdrudsweife hatte nicht? Beleidigended. Nun beipt
gar noch, der Staatdanwalt folle — auf Befehl — geg
Patow einfchreiten wegen des Zweikampfes, wobei für 4
eine harte und langivierige Strafe herausfommen kann, ma
rend der Offizier jedenfalls ſtraflos ift! — Das beabjichtig
Heroldsamt foll ſchon errichtet fein, und Herr von Stülrg
ale Haupt deffelben nicht 4000 Thaler Gehalt, wie man ul
angab, fondern 5000 befommen. — Der König foll bei
ruſſiſchen Trauerdienſte reichlich geweint, bald nachher &
die leichtfertigiten Späße gemadhıt haben. — Die Gräfin t
Brandenburg ift geftorben ; die Gräfin von Münfter, geb.
der Marwitz, hofft nun Oberhofmeifterin zu werden, und f
ihre Schimpf= und Spigreden gegen den König und!
Königin fogleich eingeftellt. — 1
Der König hat eine furze Aufwallung gehabt, in w
469
Paris und London und Wien einigen Troß gezeigt
gerühmt hat, er habe den Franzoſen dad Betreten des
ı Bundes verboten, und feine Verhandlungen mit
onaparte abgebrochen; Die Hofleute meinen, diefe
ung fei wieder vorüber, und an ihrer Statt Beforgniß
jheit eingetreten, General von Wedell foll mit neuen
gen nad) Paris abgehen. — |
franzöfiichen Blätter fprechen vom Kaifer Nikolaus
fangenbeit, freuen fich über feinen Tod, der auch für
echter Zeit gefommen fei, ihn vor größerer Schmad)
nüthigung bewahrt habe. Die Neue Preußifche Zei-
darüber außer fih, nennt ihn ſtets den Helden, den
Dann, und macht ſich und ihn lächerlich ; fie hält den
n vor, er fei Ehrenbürger von Berlin gewefen, habe
ftungsgeld für das nah ihm genannte Hospital ge-
c. Das Bolf wird von ſolchen Prahlehren und Prahl:
gen wenig berührt, und fieht in dem verftorbenen
ur den harten Gewaltherrfcher und böfen Anftifter des
unbeilvollen Krieges. —
Mittwoch, den 7. März 1855.
ı verfuhlt, o Sonne, vergeben! Durch die Düftern Wolfen
nen! Der ganje Gewinn meines Lebens ft Ihren
zu beweinen.“ Goethe fpricht das für mich mit. Was
fe zweiundzwanzig Jahre, trog mancher Wallung und
ung, als eine lange Trauer, eine wiederkehrende
. Sonntag früh in der Nacht hatte der polizeiliche Zei—
fer Ponge den Herrn von Hindeldey wegen des Nikolaus⸗
3 der Nationalzeitung weden laffen, und in der erften
ung wurde die Wegnahme befohlen. Nachher fand
e fei übereilt gefchehen; dagegen gab die Voſſiſche Zei:
470
tung dadurch, daß fie von Patow's Zweikampf ofen |
weit größern Anftoß, und die war unbeachtet geblieben
rüber Ponge heftige Borwürfe befam. Der Prinz von?
ließ von der Polizei die beiden Artikel, wegen deren di
nalzeitung und die Volkszeitung weggenommen wor
fi) holen, und fand darin nichts was die Wegnahı
fertigte. Hindeldey fchicdte nun beide den Redakteure
und ließ dabei ärgerlich fagen, über Rußland möchten
druden, was fie wollten! Daß der Prinz von Pre
geweigert, nach St. Petersburg zu reifen, hatte der
Direktor auch überrafcht, und der Gedunfe, wie leid)
uns ein Wechfel ded Throns und der Einflüffe ij
fönnte, ſcheint vielen Leuten grade jegt fehr gegenwärti
— Hindeldey hat heftige Auftritte mit Franz Dun
Berleger der Bolkezeitung, und mit Herrn Müller, d
thümer der Bofjifchen gehabt, und beide gleid
dem Zimmer geworfen, Hut und Papiere ihner
Ihmiffen ꝛc. Man könnte ihm die von ihm feinen
lern ertheilten Vorfchriften, in ihren Amtsverrichtun—
rubig und höflich zu fein, zu Gemüthe führen! —
Alle ehrenwerthen Leute machen Beſuche bei $
Patow, laſſen fich bei ihm auffchreiben; die Haustl
gar nicht leer. Die Gardeoffiziere ſelbſt beurtheilen
gehabten Zweikampf verfchieden, und einige mißbi
Die Hebereien dauern aber noch fort und die Gerla
ten den Gegner gern auf die Zeitung bringen. Sei
ift leicht. —
Nachmittags Beſuch vom Grafen Arhibald vo
ling. Erzählung von feinem geftrigen Abend beim
präfidenten von Manteuffel; nur Fleine, zufällige G
öfters zehn Minuten allgemeinen Stillfehweigeng, n
gültiged gefprochen ꝛc. — .
Noch der Kaiſer Nikolaus hat den Fürſten Menfe
471
hl in der Krim abgerufen, ob er aber durch den Fürſten
off gut erſetzt it? — (Die Ausfertigung gefchah doch
+ März.) — |
Hofftaatd » Seftetair der Königin, Legationdrath
iußert fih mit Heftigfeit und Haß gegen Rußland,
ı Kaifer Nikolaus, und führt alle böfen Streiche an,
amentlih gegen Preußen ausgeübt, die wüthigen
:eden auf den König, die er dem Grafen von Branden-
Geſicht geichleudert, die Mißachtung, Bedrüdung,
Mofigfeit, Die er gegen Preußen feit 1848 be-
foll eine franzöfifche Zeitung, im ruffifchen Geift er:
erden und Journal du Nord heißen. Der Polizei
ei doch etwas bange, man fürchtet Frankreich und
ch, und ſucht Hinderniffe zu legen. — Der ruſſiſche
haftsanhängling Chopin foll die Oberleitung führen ;
Anderen heißt er Hr. von Schöpping. —
Donnerstag, den 8. März 1855.
Volkszeitung ftellt die beiden an demfelben Tage Ges
', Dupon de l'Eure und Kaifer Nikolaus, vergleichend
n, wobei noch immer der Wahn von des Zard Karaf:
sit und Muth zu deffen Gunften mitjpielt; dennody
die bloße Zufammenftellung beider Namen das heuch⸗
dünkelhafte Hofgeſchmeiß. —
jegangen mit Ludmilla; Beſuch beim Herrn General
mann, Dorotheenftraße 50. Sehr freimüthige Ge⸗
ber die neuefte Gefchichte und jebige Stellung ‘Preußen? ;
ſtarken Tadel aus, ganz ruffenfeindlih. —
Graf Arhibald von Keyferling brachte mir Mittheis
nd Anfragen. — Franzöfifche Flugſchriften über den
472
Kaifer Nikolaus, die meiften fehr heftig wider ihn. Print
fchungen der Englifhen „Times“ gegen ihn. Das Bett MW”
äußert Haß und Hohn. — |
Manifeft des Kaiſers Alexanders des Zweiten; es atıml W_-:
Krieg, Uebermuth, Ausführung der Wünfche und Enwilt h
Peter's des Großen, Katharinens, Alerander’3 und Nitolaut- |
Eine Sprache, die nichts bedeutet, hinter der alled ftedn |
fann, auch die größte Friedensliebe. Der neue Kaifer may |
eine ſolche Sprache für feine Nuffen nöthig finden, wohl aud
für die Mächte, mit denen er unterhandeln will. Diefelben |
Weifungen für Wien, wie vorher. — |
Der General von Wedel ijt heute mit neuen hiefigen Bor: |
ſchlägen nach Paris abgereift. Louis Bonaparte hat viel Ge |
duld. Aber eine anfehnliche Truppenmacht zieht er bei Mek |
zufammen. Seine Verhandlungen an deutfchen Höfen werden |
lebhaft betrieben. Die Gedanken und Berhältniffe eines Rhein:
bundes ftehen nicht fern. „Wenn der deutfche Bund zerreift,
fo ift der König von Preußen an dem Riffe fhuld, wenn et
den Riß auch nicht grade macht.“ —
„Le tzar Nicolas et la sainte Russie. Par Ach.
Gallet de Kulture. Paris, 1855.* Der Berfaffer war lange
Jahre Seftetair bei Demidoff. Wenig Neues, aber dreift und:
\charf vorgetragen. Manche Täufhungen werden aufgededt.
— Pag. 208: „Ce n’est point en Russie, mais en Europe,
oü l’empereur passe pour un grand homme. Les Russes
sont, en general, fort surpris de cette opinion. Pour
eux, — je parle de la partie intelligente de la nation, |
— non du peuple, qui, dans son ignorance, pousse le‘!
fetichisme jusqu’& la deification; — pour les hommes qui !
pensent, dis-je, — le tzar est un esprit borne, grandij
par l’orgueil et surexite, à certains moments, pas les
acces d’une fulie de race.“ Dies ift genau daffelbe, was;
aud ich, aber freilich erft in den fpätern Jahren, von den
473
einfihtigften,, redlichften Ruffen gehört, befonderd auch von
Ruffinnen. — Jenes Buch führt die gräßlichften Züge von
böhnifher Gewaltthat und fchändlicher Grauſamkeit an, deren
ſih der Kaifer Nikolaus fchuldig gemacht hat. Man muß den
Tag preifen, der feine Herrfchaft geendet! — „Il a été un
monstre de luxure.“ —
Ich finde die Stelle von Mackhiavelli angeführt, die auch
jest wieder volle Geltung hat: „l’opinione contro ai popoli
nasce, perch& dei popoli ciascun dice male senza paura,
e liberamente ancora mentre che regnano: dei prin-
cipi si parla sempre con mille timori et mille rispetti.“
Discorsi sopra Tito Livio, 58. —
Freitag, den 9. März 18565.
Die Kreuzzeitungsparthei jammert ob der nochmaligen
Sendung ded Generald von Wedell nah Paris, fie fürchtet
diesmal, daß ed doch zum Anfchluß an die Weitmächte fommt;
fie fchimpft nun wieder maßlos auf den König, ja ihr tolles
Preifen des Kaiferd Nikolaus ift mit darauf berechnet, den
König durch den Gegenfaß zu demüthigen! Bald wird es ale
Huldigung und Schmeichelei eined guten Unterthanes gelten,
daß er dem verftorbenen Kaifer Die Heldeneigenfchaften ab-
[pricht, die jene Rotte gewaltfam in ihm verherrlichen will! —
Umftändliche Nachrichten über die legten Tage des Kai—
fers Nikolaus, nicht? beſonders Merfwürdiged, Die Worte,
die er zur Kaiferin für den König gefagt haben foll: „Dites
à Fritz de rester toujours le m&me pour la Russie, et
de ne pas oublier les paroles de papa!* hält man bier für
erdichtet ; fie waren ſchon bei der Todednachricht in Umlauf,
und find offenbar für den König in politifcher Abficht ge:
474
macht. Die Leute meinen übrigens, Fritz habe ſich biäke
eben nicht ſehr nad) den paroles de papa gerichtet! —
Der Tod des Kaifers ift offenbar durch Die Nachrichten aus
der Krim beſchleunigt worden; die Schlappe von Eupateria
hat ihm das Herz getroffen. Und ſolche Niederlagen immer
durch die Türken! Bei Kalafat, Oltenitza, Cetate, vor Siliftria,
nun au vor Gupateria, ſolche Reihe von Schlägen auf
folhen Dünkel und Uebermuth! Hier bejeigen viele Leute die
größte Freude darüber! —
Die im Parlament angeregte Frage wegen Polen hat man
auf Lord Palmerfton’s dringende Bitte wieder ruhen laſſen. —
Man wird es einmal nicht glauben, wie jämmerlich Stahl
in der erften Kammer als Berichterjtatter über den Ramen
Herrenhaus gefprochen hat. Wirklich efelhaft, fo gering und
niedrig! Die Kammer hat natürlich feine Folgerungen an:
genommen ! —
In der Boffifchen Zeitung ftand ein Artifel, worin gefagt
wird, bei den Deutfchen fei noch immer der Sinn für Wahr:
heit und Reblichfeit fo vorherrfchend, daß dem Kaifer Nikolaus
bei ihnen nicht fo geſchadet habe, ald die Heuchelei und Lüge,
mit denen er feine Eroberungsgelüfte unter dem Decmantel
des Refigiondeifers habe befriedigen wollen. —
Daß das Heer um den Kaifer Nikolaus vier Wochen trauert,
ift ganz ungewöhnlich, und ift vielfach) getadelt worden. Sept
fagt der König, er habe die Trauer des Hofes gleich im erften
Augenblide auf vier Wochen beftimmt, dann auch Trauer für
dad Heer, aber nicht auf vier Wochen, der General von Cr
lady habe dies mißverftanden oder willfürlich hinzugefügt,
Gerlach dagegen verfichert, der König habe es fo audgefprochen,
auch für dos Heer, und wolle nun jegt den Mißgriff von fih
abweifen. —
475
Sonnabend, ben 10. März 1855.
Beſuch vom Herrn Grafen von Seher-Thoß; ungarifche
Ge fſchichten, Rechtfertigung der Magyaren vom legalen, vom
ara Htofratifhen Standpunkt; die Freiheit der Bauern ale
Sch» ugmittel der Edelleute, ald Schwächung der Regierungs-
meacht, fofern dieſe gegen den Adel ift. — Nachrichten aus
Ur garn, dag dort wirklich ruffifche Sendlinge verhaftet wor-
dern , Aufmwiegler der Slowaken, nicht der Magyaren, die doch
me Hr als jene zum Aufftande geneigt find. —
Abends fam Herr Hofrath Bolzenthal, mit ihm Herr
Ac t on, Sohn von Lady Acton, die ich als folche in Wiesbaden,
daran ald Lady Levefon in Kiffingen 1845 gekannt. habe; ihr
Mann ift jet Earl Granville und englifher Minifter. Die
Mutter des jungen Acton ift eine Tochter des franzöfifchen
Hera ogd von Dalberg. Der junge Mann, der mehrere Jahre
in Münden bei feinen Verwandten (Grafen von Arco ꝛc.) ge-
lebt, ſpricht vollfommen deutfch; er reift in diefen Tagen nad)
loradon, denkt aber im Sommer hieher zurüdzufehren. Wir
Iprauchen von Wynn's, Mondten Milnes, Grote, Carlyle, von
dee politiſchen Rage der Dinge, dem Verlangen nach Frieden ıc.
Vincke jtreitet in der zweiten Kammer tapfer und furdhtlog,
ber ganz vergeblich. Klage, daß die Zeitungen fo wenig ſich
um Die Kammern befümmern; die Urfachen find: eritens, daß
vie Kammern entartete, ohne Bolkötheilnahme zu Stande ge-
dorn mene Körperfchaften, zweitens, daß die Zeitungen von der
Polizei gefeffelt find; die auswärtige Politik erlaubt fie ihnen
618 zu gewiffem Grade, die inländifche nicht. Der Präjident
von Gerlach zeichnet fich wieder durch freche Handwurftereien
and, die Minifter durch jämmerliche Nichtigkeit, ihre Gründe
find immer kahl und fchal! — ,
Der zweite Band von Sybel’8 Gefchichte der Revolutiond-
zeit befriedigt mid) noch weniger als der erſte. Oelsner oder
Schlabrendorf hätten die Geſchichte der franzöſiſchen Revo:
476
lution ſchreiben können ;- mir ift fonft fein Deutſcher befannt,
der ſich an diefe Aufgabe hätte machen fönnen. Im Allgeme:
nen fehlt ganz und gar das Berftändniß der großen Bene
gung. Mit Fleiß und Sorgfalt, die ich gewiß nicht entbehren
will, ift es allein nicht gethan. Berichtigungen, genaue Ein-
zelheiten, mögen wir beibringen; Ungerechtigeiten, Ueber:
treibungen zurüdweifen, aber dad Ganze darzuftellen fehlt
unfern Schriftftelleen der hohe freie Standpunkt, das ftarfe
Gefühl der waltenden Lebenöverhältniffe, der beherrichente,
große Dichterſinn, die den franzöjifchen Schriftftellern mehr
innewohnen, ald den unfern. Sybel betrachtet zu ſebt die
einzelnen Rollen, die Abfihten der Menfhen, und bamit
fommt man nicht weit, wo alles im fämpfenden Gedränge
einer unwiderftehlichen Nothwendigfeit folgt, mehr getriehen
wird, ald treibt. Diefe Macht empfanden die mächtigften Ge:
ftalten der Revolution immerfort, niht nur Neder und
Lafayette, fondern auch Mirabeau, Danton, Robespierre, und
ſelbſt Bonaparte, Der deutfche Profeffor, felbft wenn er
fähig wäre, das Befte über die franzöfifhe Revolution zu
fagen, dürfte er e8 denn fagen? —
Sonntag, ben 11. März 1855.
Die Weltlage bietet meiner Betrachtung feine nahen Rube-
punfte, feine erfreulihen. Der Blid muß in weite Fetne,
über alles jept Vorhandene, jetzt Sichtbare hinausfchweifen,
um frohe Wendungen und Stätten zu erfpähen, zu denen
die Zeit hineilt, mic aber ſchon unterwegs abwirft! In
den jepigen Spannungen ift doch fo gar nicht®, woran ic
Freude haben, woran ich mich halten fönnte, im weiten Be
reich von Europa nicht? Geftaltetes, überall nur Werdendes,
das aber in feinen Rohftoffen nod unverkennbar Daliegt, wie
469
ı Parid und London und Wien einigen Trog gezeigt
gerühmt hat, er habe den Franzoſen das Betreten des
n Bundes verboten, und feine Verhandlungen mit
Ionaparte abgebrochen; die Hofleute meinen, Diele
lung fei wieder vorüber, und an ihrer Statt Beforgniß
gheit eingetreten, General von Wedell foll mit neuen
igen nach Paris abgehen. — |
franzöfifchen Blätter jprechen vom Kaifer Nikolaus
efangenheit, freuen fich über feinen Tod, der auch für
rechter Zeit gefommen fei, ihn vor größerer Schmad)
müthigung bewahrt habe, Die Neue Preußifche Zei⸗
darüber außer fih, nennt ihn ſtets den Helden, den
Mann, und madht ſich und ihn lächerlich ; fie hält den
m vor, er fei Ehrenbürger von Berlin gewefen, babe
iftungdgeld für dad nach ihm genannte Hospital ge-
rc. Das Volk wird von folchen Prahlehren und Prahl⸗
igen wenig berührt, und fieht in dem verftorbenen
ur den harten Gewaltherrfcher und böfen Anftifter des
unbeilvollen Krieges. —
Mittwoch, den 7. März 1855.
u verfuchft, o Sonne, vergeben? Durch die düftern Wolfen
nen! Der ganje Gewinn meined Lebens ft Ihren
zu beweinen.* Goethe fpricht dag für mich mit. Was
je zweiundzwanzig Jahre, trog mancher Wallung und
ung, als eine lange Trauer, eine wiederkehrende
Sonntag früh in der Nacht hatte der polizeiliche Zei-
er Ponge den Herrn von Hindeldey wegen des Nifolaus-
der Nationalzeitung weden laffen, und in der erften
ng wurde die Wegnahme befohlen. Nachher fand
ſei übereilt gefehehen ; dagegen gab die Voflifche Zei:
470
tung dadurch, daß fie von Patow's Zweikampf ofen Ib, $-
weit größern Anftoß, und die war unbeachtet geblieben, we
rüber Ponge heftige Vorwürfe befam. Der Prinz von Prupa f
ließ von der Polizei die beiden Artikel, wegen deren die Katie
nalzeitung und die Volkszeitung weggenommen worden, ſit Ja
fi) holen, und fand darin nichts was die Wegnahme ıcht
fertigte. Hindeldey fchidte nun beide den Redakteuren zurih
und ließ dabei ärgerlich fagen, über Rußland möchten fie nun
druden, was fie wollten! Daß der Prinz von Preußen id
geweigert, nad) St. Peteröburg zu reifen, hatte den Polis.
Direktor auch überrafcht, und der Gedanke, wie leicht aud dä
und ein Wechſel des Throns und der Einflüffe ſtattfinden
fönnte, fcheint vielen Leuten grade jegt [ehr gegenwärtig zu im
— Hindeldey hat heftige Auftritte mit Franz Dunder,
Berleger der Bolfözeitung, und mit Herrn Müller, dem Eiyns
thümer der Boffifhen gehabt, und beide gleichjum a
dem Zimmer geworfen, Hut und Papiere ihnen nad
ſchmiſſen 2. Man könnte ihm die von ihm feinen Konttab
lern ertheilten Borfchriften, in ihren YAmteverrichtungen imme
ruhig und höflich zu fein, zu Gemüthe führen! —
Alle ehrenwerthen Leute machen Beſuche bei Herm vo
Patow, laſſen fi) bei ihm auffchreiben; die Hausthüre wi
gar nicht leer. Die Gardeoffiziere felbit beurtheilen den ftat
gehabten Zweifampf verfchieden, und einige mißbilligen ib
Die Hebereien dauern aber noch fort und die Gerlach's mi
ten den Gegner gern auf die eftung bringen. Seine Wun
ift leicht. —
Nachmittags Beſuch vom Grafen Archibald von Keyfe
ling. Erzählung von feinem geftrigen Abend beim Minift
präfidenten von Manteuffel; nur Feine, zufällige Geſellſcha
öfterd zehn Minuten allgemeinen Stillſchweigens, nur Glei
gültiged gefprochen ꝛc. — .
Noch der Kaiſer Nikolaus hat den Fürften Menfchikoff v
471
Iberbefehl in der Krim abgerufen, ob er aber durch den Fürften
Hortſchakoff gut erfegt it? — (Die Ausfertigung gefchah doc)
it am 4. März.) — |
Der Hofſtaats-Sekretair der Königin, Legationgrath
Safe, äußert fih mit Heftigleit und Haß gegen Rußland,
gegen den Kaifer Nikolaus, und führt alle böfen Streiche an,
die er namentlich gegen Preußen ausgeübt, die wüthigen
Shimpfreden auf den König, die er Dem Grafen von Branden-
burg in's Geficht geichleudert, die Mißachtung, Bebrüdung,
Nüdfichtslofigfeit, die er gegen Preußen feit 1848 be-
wiefen ıc. —
Hier foll eine franzöfifche Zeitung, im ruffifchen Geift er-
richtet werden und Journal du Nord heißen, Der Polizei
wird Dabei doch etwas bange, man fürchtet Frankreich und
Defterreih, und fucht Hinderniffe zu legen. — Der ruffifche
Sejandtichaftdanhängling Chopin foll die Oberleitung führen ;
— nad) Anderen heißt er Hr. von Schöpping. —
Donnerstag, den 8. März 1855.
Die Volkszeitung ftellt die beiden an demfelben Tage Ges
srbenen, Dupon de l’Eure und Kaifer Nikolaus, vergleichend
fammen, wobei noch immer der Wahn von ded Zard Karak—⸗
fejtigfeit und Muth zu deffen Gunſten mitfpielt; dennoch
bittert die bloße Zufammenftellung beider Namen das heud)-
-ifche, dünkelhafte Hofgeſchmeiß. —
Ausgegangen mit Ludmilla; Befuch beim Herrn General
nn Hedemann, Dorotheenftraße 50. Sehr freimüthige Ge-
räche über die neuefte Gefchichte und jetzige Stellung Preußens ;
fpricht ftarken Tadel aus, ganz ruffenfeindlih. —
Der Graf Archibald von Keyferling brachte mir Mittheis
ngen und Anfragen. — Franzöſiſche Flugſchriften über den
472
Kaifer Nikolaus, die meiften fehr heftig wider ihn. Verwin
ſchungen der Engliſchen, Times“ gegen ihn. Das Bolt hi
äußert Haß und Hohn. —
Manifeft des Kaiſers Aleyanderd des Zweiten; es attı
Krieg, Uebermuth, Ausführung der Wünfche und Entwi
Peter's des Großen, Katharineng, Alerander’d und Nikola
Eine Sprache, die nicht? bedeutet, hinter der alle ſie
fann, auch die größte Friedendliebe. Der neue Kaifer
eine ſolche Sprache für feine Nuffen nöthig finden, wohl
für die Mächte, mit denen er unterhandeln will Diele
Weilungen für Wien, wie vorher. —
Der General von Wedell it heute mit neuen hiefigen'
Schlägen nach Paris abgereift. Louis Bonaparte hat viel
duld. Uber eine anſehnliche Truppenmacht zieht er bei
zufammen. Seine Verhandlungen an deutfchen Höfen w
lebhaft betrieben. Die Gedanken und Berbältniffe eines R
bundes ftehen nicht fern. „Wenn der deutfche Bund zer
fo ift der König von Preußen an dem Riffe fhuld, wer
den Riß auch nicht grade macht.“ —
„Le tzar Nicolas et la sainte Russie. Par
Gallet de Kulture. Paris, 1855. Der Berfaffer war
Fahre Sefretair bei Demidoff. Wenig Neues, aber dreif
Iharf vorgetragen. Manche Täufchungen werden aufgı
— Pag. 208: „Ce n’est point en Russie, mais en Eu
oü l’empereur passe pour un grand homme. LesR
sont, en gencral, fort surpris de cette opinion.
eux, — je parle de la partie intelligente de lan:
— non du peuple, qui, dans son ignorance, pous
fetichisme jusqu’ä la deification ; — pour les hommı
pensent, dis-je, — le tzar est un esprit borne, g
par l’orgueil et surexite, & certains moments, ps
accès d’une folie de race.* Dies ift genau daffelbe
auch ich, aber freilich erft in den fpätern Jahren, vı
473
nfihtigften, redlichiten Ruſſen gehört, befonderd auch von
uffinnen. — Jenes Buch führt die gräßlichften Züge von
öhnifcher Gewaltthat und fchändlicher Grauſamkeit an, deren
ch der Kaifer Nikolaus fchuldig gemacht hat. Man muß den
‚ag preifen, der feine Herrfchaft geendet! — „Il a été un
nonstre de luxure.“ —
Ich finde die Stelle von Mackhiavelli angeführt, die auch
jebt wieder volle Geltung hat: „l’opinione cuntro ai popoli
nasce, perch& dei popoli ciascun dice male senza paura,
e liheramente ancora mentre che regnano: dei prin-
eipi si parla sempre con mille timori et mille rispetti.“
Discorsi sopra Tito Livio, 58. —
Freitag, ben 9. Mär; 1855.
Die Kreuzzeitungdparthei jammert ob der nochmaligen
Sendung des ‚Generale von Wedell nach Paris, fie fürchtet
diesmal, daß es doch zum Anfchluß an die Weftmächte kommt; _
fe fhimpft num wieder maßlos auf den König, ja ihr tolles
Preifen des Kaiſers Nikolaus ift mit darauf berechnet, den
König durch den Gegenſatz zu demüthigen! Bald wird es ale
Huldigung und Schmeichelei eines guten Unterthanes gelten,
daß er dem verftorbenen Kaifer Die Heldeneigenfchaften ab-
Ipricht, die jene Rotte gewaltfam in ihm verherrlichen will! —
Umftändliche Nachrichten über die legten Tage des Kai:
erd Rikolaus, nicht? befonderd Merkwürdiges. Die Worte,
je er zur Kaiferin für den König gefagt haben foll: „Dites
Fritz de rester toujours le m&me pour la Russie, et
> ne pas oublier les paroles de papa!“ hält man bier für
dichtet; fie waren fchon bei der Todednachricht in Umlauf,
d find offenbar für den König in politifcher Abfiht ge:
474
macht. Die Leute meinen übrigens, Fritz habe fih bis
eben nicht fehr nach den paroles de papa gerichtet! —
Der Tod des Kaiſers ift offenbar durch die Nachrichten
der Krim befchleunigt worden; die Schlappe von Eupat
hat ihm das Herz getroffen. Und folche Niederlagen in
durch die Türken! Bei Kalafat, Oltenika, Cetate, vor Silit
nun auh vor Eupatoria, folhe Reihe von Schlägen
folhen Dünkel und Uebermuth! Hier bezeigen viele Leut
größte Freude darüber! —
Die im Parlament angeregte Frage wegen Polen hat
auf Lord Palmerſton's dringende Bitte wieder ruhen laſſer
Man wird ed einmal nicht glauben, wie jämmerlic €
in der erſten Kammer als Berichteritatter über den Ne
Herrenhaus gefprochen hat. Wirklich efelhaft, fo gering
niedrig! Die Kammer hat natürlich feine Kolgerunger
genommen! —
In der Boffifchen Zeitung fand ein Artikel, worin g
wird, bei den Deutfchen fei noch immer der Sinn für W
heit und Redlichkeit jo vorherrfchend, daß dem Kaifer Ritt
- bei ihnen nichts fo gefchadet habe, ald Die Heuchelei und {
mit denen er feine Eroberungdgelüfte unter dem Dedm
des Meligiondeifers habe befriedigen wollen. —
Daß das Heer um den Kaifer Nikolaus vier Wochen tra:
ift ganz ungewöhnlich, und ift vielfach getadelt worden.
fagt der König, er habe die Trauer des Hofes gleich im e
Augenbfide auf vier Wochen beftimmt, dann auch Traueı
dad Heer, aber nicht auf vier Wochen, der General von |
lady habe dies mißverftanden oder willfürlich binzuge
Gerlach dagegen verfichert, der König habe es fo ausgeſpro—
auch für das Heer, und wolle nun jegt den Mißgriff von
abweifen. —
475
Sonnabend, den 10. März 1855.
Beſuch vom Herrn Grafen von Seher-Thoß; ungarifche
Bethihten, Rechtfertigung der Magyaren vom legalen, vom
arı Fiofratifhen Standpunkt; die Freiheit der Bauern ale
Schk»uspmittel der Edelleute, ald Schwächung der Regierungs⸗
macht, fofern diefe gegen den Adel ifl. — Nachrichten aus
Urs garn, daß dort wirklich ruſſiſche Sendlinge verhaftet wor-
dena , Aufmwiegler der Slowaken, nicht der Magyaren, die doch
me Br ale jene zum Aufftande geneigt find. —
Abende kam Herr Hofrath Bolzenthal, mit ihm Herr
Ac t on, Sohn von Lady Acton, die ich als ſolche in Wiesbaden,
daran ald Lady Leveſon in Kiffingen 1845 gekannt. habe; ihr
Mann ift jetzt Earl Granville und englifcher Minifter. Die
Muutter des jungen Acton ift eine Tochter des franzöfifchen
Herzogs von Dalberg. Der junge Mann, der mehrere Jahre
in München bei feinen Verwandten (Grafen von Arco 2c.) ge-
DE, ſpricht vollfommen deutſch; er reift in diefen Tagen nach
Lom don, denft aber im Sommer bieher zurüdzufehren. Wir
ſprachen von Wynn's, Mondton Milnes, Grote, Carlyle, von
der politiſchen Tage der Dinge, dem Verlangen nad) Frieden ıc.
Binde ftreitet in der zweiten Kammer tapfer und furchtlog,
aber ganz vergeblih. Klage, daß die Zeitungen fo wenig fich
um die Kammern befümmern; die Urfachen find: eritend, daß
die Kammern entartete, ohne Boltötheilnahme zu Stande ges
lom mene Körperfchaften, zweitens, daß die Zeitungen von der
Polizei gefeffelt find; die auswärtige Politif erlaubt fie ihnen
bis zu gewiſſem Grade, die inländifche nicht. Der Präjident
vorm Gerlach zeichnet fich wieder durch freche Hanswurſtereien
US, die Minifter durch jämmerliche Nichtigkeit, ihre Gründe
ſin D immer kahl und hal! —
Der zweite Band von Sybel’8 Geſchichte der Revolutiond-
zeit befriedigt mich noch weniger ald der erfte. Oelsner oder
SH) Labrendorf hätten die Geſchichte der franzöfifchen Revo-
476
lution fchreiben können; mir ift fonft fein Deutjcher befannt,
der jich an diefe Aufgabe hätte machen können. Im Allgemei:
nen fehlt ganz und gar das Berftändniß der großen Bene:
gung. Mit Fleiß und Sorgfalt, die ich gewiß nicht entbehtn
will, ift es allein nicht gethan. Berichtigungen, genaue Ein-
zelheiten, mögen wir beibringen; Ungerechtigfeiten, Ueber:
treibungen zurücdweifen, aber das Ganze darzuftellen jehlt
unfern Schriftftelleen der hohe freie Standpunkt, das farke
Gefühl der waltenden Lebenöverhältniffe, der beherrſchende,
große Dichterfinn, die den franzöfifchen Schriftftellern meh!
innewohnen, ald den unfern. Sybel betrachtet zu fehr pt
einzelnen Rollen, die Abfichten der Menſchen, und dan %
fommt man nicht weit, wo alles im fämpfenden Gerrän ER
einer unwiderftehlichen Nothwendigfeit folgt, mehr getriebe"
wird, ale treibt. Diefe Macht empfanden die mächtigften G—
ftalten der Revolution immerfort, nicht nur Neder >
Zafayette, fondern auch Mirabeau, Danton, Robespierre, una
felbft Bonaparte, Der deutfche Profeffor, felbft wenn €"
fähig wäre, das Befte über die franzöfifche Revolution
jagen, dürfte er ed denn fagen? —
Sonntag, den 11. März 1855.
Die Weltlage bietet meiner Betrachtung Feine nahen Ruhe:
punkte, feine erfreulihen. Der Blick muß in weite Ferne,
über alles jegt Vorhandene, jest Sichtbare hinaugfchweifen,
um frohe Wendungen und Stätten zu erfpähen, zu denen
die Zeit hineilt, mich aber fehon unterwegs abwirft! In
den jegigen Spannungen ift doch fo gar nichts, woran ich
Freude haben, woran ich mich halten Fönnte, im weiten Be-
reich von Europa nicht? Geftaltetes, überall nur Werdendes,
das aber in feinen Rohftoffen noch unverkennbar daliegt, wie
477
Steine, Kalk, Sand und Balken zu einem Gebäude, deſſen
erſt entworfen werden ſoll. Wie anders war das vor dem
x 1848! Damals, in politifcher Kindheit, fonnte man zu-
den fein mit vielem, was jet unerträglich geworden, konnte
n fich freuen mit manchem, was jest feine Beachtung findet.
nige Monate des Jahres 1848 haben die Dede zerriffen,
auf den allgemeinen Zuftänden lag, haben und das Uns
tdige und Erbärmliche gezeigt, und zugleich das Gute und
ſche, was an die Stelle von jenem treten fol, ch Teide
| durch die eingetretene VBerdüfterung, aber ich kann die
heren Zuftände nicht zurückwünſchen! Das Gefchleht ift
Kindheit entrüct, zur Mannheit berufen, und diejer Beruf
hält mehr Befriedigung, als alles frühere Spiel von Hoff:
augen und Täuſchungen. —
Ludmilla fam von der Gräfin von Ahlefeldt, deren Zuftand
fnungslos ift, wobei fie mit größter Freundlichkeit noch an
m Theil nimmt wie fonft, und die Freunde, mit denen fie
nig mehr fprechen kann, mindeftena noch fehen will. —
Montag, den 12. März 1855.
In der heutigen Montagspoft giebt Herr Dr. Koſſak un-
rnuthet aus der „ Galerie von Bildniffen * den Brief Aleran-
3 von der Marwig an Rahel über „den kleinen Gerlach“.
>3 Karafterbild nimmt fich in der Zeitung feltfam aus; ale
geichrieben wurde, war der Feine Dann nur und befannt,
ed gedrudt wurde, ein unbeachteter Offizier, jest fteht er
einflußreicher Stelle. Doch ift es night, wie Koffaf und mit
n das Publifum glauben mag, der Präfident und Kammer:
newurft von Gerlach, der hier gemeint ift, fondern fein Bru⸗
r Leopold, der Generaladjutant. —
Defterreichifches Rundfchreiben, das mit Heftigfeit den
478
preußifchen Anfichten widerfpricht, die da meinen, die Bun
destruppen feien nur innerhalb des Bundesgebieted zu ver:
wenden, und die Kriegöbereitfchaft nach allen Seiten anzuord
nen, alfo auch gegen Frankreich, daher die Bundesfeitungen
in Stand zu ſetzen u. f. w. Oeſterreich erklärt dies all
dem Beten Deutfchlands entgegen, beruft ſich auf die ſchon
geſchloſſenen Verträge, und betreibt eifrig den Beitritt der
deutfchen Regierungen zu feinen Anträgen und Abfichten; wie
es Scheint, mit gutem Gelingen. — Der General von Wedel
fpielt in Paris eine traurige Rolle, man hält ihm die Wider:
fprüche vor, in welche Preußen fich verwickelt hat, man madt
fich über ihn luftig, wozu der Gefandte Graf Mar von Hapfeltt
das Seinige gern beitragen foll. Es heißt jebt, der König wolle
noch einen General nad) Paris fenden, den General Adolph
von Willifen, gegen den aber der Minifterpräfident von Mar-
teuffel Einfpruch thue. —
Die ruffifche Zeitung Journal du Nord foll nun nicht
hier erfcheinen, fondern an andrem Orte, vielleicht in Ham
burg. Wir haben ja fhon ein ruffifches, erzruffifches Blatt
an der Kreuzzeitung! — Manteuffel hat die franzoöſiſchen
Litteraten, die an dem Blatt arbeiten follten, ausweiſen
lafien. —
Depefche Manteuffel’s an den Gefandten in Paris Grafen
Mar von Hapfeldt, die ſehr gereizt die Franzöfifchen Beſchwer—
den über preußifche Aeußerungen am Bundestag abweift, und
leßtere verneint. Er fagt, was am Bundestage verhandelt
werde, fei immer deutfche Angelegenheit, und gehe das Aus‘
land nicht? an; eine Behauptung, die unter den waltenden
Umjtänden fich ſchwerlich durchführen läßt, außer durch ein
Machtanſehen, das uns fehlt! —
—
471
berbefehl in der Krim abgerufen, ob eraber durch den Fürften
zortſchakoff gut erfegt iſt? — (Die Ausfertigung gefchah doch
tft am 4. März.) —
Der Hofftaatd- Sekretair der Königin, Legationdrath
Safe, äußert fi mit Heftigfeit und Haß gegen Rußland,
gegen den Kaifer Nikolaus, und führt alle böſen Streiche an,
die er namentlich gegen Preußen ausgeübt, die wüthigen
Schimpfreden auf den König, die er dem Grafen von Branden«
burg in's Geficht gejchleudert, die Mißachtung, Bedrüdung,
Nüdfichtölofigkeit, die er gegen Preußen feit 1848 be-
wieſen ꝛc. —
Hier ſoll eine franzöſiſche Zeitung, im ruſſiſchen Geiſt er⸗
ichtet werden und Journal du Nord heißen. Der Polizei
ird dabei doc etwas bange, man fürchtet Frankreich und
)efterreih, und ſucht Hinderniffe zu legen. — Der ruffifche
jeſandtſchaftsanhängling Chopin fol die Oberleitung führen ;
- nach Anderen heipt er Hr. von Schöpping. —
Donnerstag, den 8. März 1855.
Die Volkszeitung ftellt die beiden an demjelben Tage Ges
rbenen, Dupon de l’Eure und Kaifer Nikolaus, vergleichend
ſammen, wobei nody immer der Wahn von ded Zars Karak⸗
feftigfeit und Muth zu deifen Gunften mitfpielt; dennod
ittert die bloße Zufammenftellung beider Namen das heuch-
ifche, dünkelhafte Hofgeſchmeiß. —
Ausgegangen mit Qudmilla ; Befuch beim Herrn General
rn Hedemann, Dorotheenftraße 50. Sehr freimüthige Ge⸗
-äche über die neuefte Gefchichte und jegige Stellung Preußen? ;
fpricht ftarfen Tadel aus, ganz ruffenfeindlih, —
Der Graf Archibald von Keyferling brachte mir Mittheis
gen und Anfragen. — Franzöſiſche Flugichriften über den
480
alles auf, um den Schein zu behaupten, als fei Preußen vor
allen andern Staaten bevorzugt. —
Binde hatte in der zweiten Kammer gefagt, Die Regierung
fuche ihre Zwede auf Schleichwegen zu erreichen. Vom Prü:
fidenten wegen diefed Wortes getadelt, fagte er kalt: „Ih
nehme die Schleichwege zurüd.” So war der Ausdruck wie:
derholt! —
Drud von Dito Wigand in leipzig.
Tagebüder
bon
&. 3. Barnhagen von Enfe.
Zwölfter Band.
Aus dem Nachlaß Barnhagen’3 von Enfe.
— — —
Tagebücher
von
ẽ. A. Barnhagen non Enſe.
Zwölfter Band.
ea -
Hamburg.
Hoffmann & Sampe.
1870.
Das Recht der Ueberſetzung ins Englifche, Sranzöfifche und andere fren
Spraden ift vorbehalten.
|
Mittwoch, den 14. März 1855.
Die Nationalzeitung fpricht fehr treffend über den Mangel
an Theilnahme in den Zeitungen für die Verhandlungen der
Kammern; diefe felbit haben ja die Gefeße machen helfen,
Durch welche der Preſſe faft alle Freiheit genommen, das Da⸗
fein verfümmert worden! —
Geſchrieben. — Beſuch von Herrn Juftigrath Strap. Er
ladet zu feinen Gefellfchaften dringend ein. Er bringt die
Neuigkeit, daß der Minifter des Innern, Herr von Weitphalen,
abtreten, und an feiner Statt Herr von Hindeldey Minifter
werden foll, der Konjtabler-Oberit Patzke dann Polizeiprä-
jident. Bei diefer Beförderung, neint man, fommen die
erdichteten oder künſtlich bereiteten Verſchwörungen fehr in
Anſchlag, auf folhen Stufen fteige man empor, ſchon Kampk
babe mitteljt diefer feinen Weg gemacht. Der arme Kampp
muß ſich noch als Beifpiel hergeben! Aber mehr Dummheit
war es bei ihm, al® Unredlichkeit, was ihn allenfallö entfchul-
digt, entfchuldigt nicht Andre. —
Brief aus Genf von Helmine von Chezy. Sie jammert
über den Tod des ruffifchen Kaiſers und fchidt mir ein Ge-
Dicht an defien Wittwe. Ueber Ludwig Tied, Clemens Bren-
tano, Frau von Sudow, Hitzig. Von ihren Memoiren fchreibt
fie unverftändlich ; find fie fertig gefchtieben, oder nicht? Sie
erwähnt der großen Honorare, die Frau von Genlid und rau
von Dudevant für die ihbrigen empfangen haben! Fa freilich,
Barnhbagen von Enfe, Tagebüder. XII. 1
MV ⏑ Be ER, 7 Zend 7 EFT
feine ganze Luſt ſcheint, den Chriſten zu ſchaden — be
erfrecht zu fagen, wenn aus dem neuen Ehegeſetz viel Ur
erfolge, jo fei das fein Vorwurf, die Geſetze feien nicht
da, Unglüd zu verhüten, und Unglüd fei ein Segen Gı
Man wünfht dem — den Bollgenuß folchen Segend
Schöne Burſchen, diefe Mitglieder des Herrenhaufes!
Graf von Hoverden hat ſich ald Lakai dargetban; arm
Schwägßer die einen, die andern Stahl's unterwürfigei
folge! —
Donnerstag, den 15. März 186{
Die Nationalzeitung rüffelt den — Stahl und feine:
Genoſſenſchaft; daß er mit dem Landrecht brechen will
„und Proteſtanten“ fpriht, von „Daterland“ u. f. w.
ganze erfte Kammer eine Sammlung vornehmer und gel:
Dummtöpfe! (Das fteht nicht jo, jedoch anders, in de
wähnten Artikel!) — Herr Profeſſor Stahr befpricht im |
leton Jung's Werk über die Wanderjahre, wobei er auch
Wort über diefe rühmend anführt. —
Gefchrieben. Dann ausgegangen, mit Yudmilla.
Kranzler franzöfifhe Zeitungen angeſehen; fie reden
Kaifer Nikolaus mit großer Mäßigung — uber aud
großer Unfunde. —
In der Mufeumshalle Schinfel’d Bildfäule — von
und Wittich — betrachtet; fteif und wenta Ausdrud, au
3
Hotho gefprochen. Im Kunftverein das Gemählde von Ewald
beiehen: Elifabeth von England, die das unterzeichnete Todes⸗
urtheil der Maria Stuart dem Staatöfekretair Davifon giebt;
das Geficht der Elifabeth in furchtbarer Wahrheit zeigt das
böfe, haßerfüllte, wollüftige und tüdifche Weib. —
Hindeldey und Weitphalen, die nicht mehr mit einander
ausfommen können, haben einander bei dem Könige ver:
Hagt, und ihm beide ihre Entlaffung eingereiht. Man zweifelt
nicht, daß der König die Weftphalen’d annehmen werde, weil
ibm Hindeldey für unentbehrlih gilt. Indeß arbeitet die
Kreuggeitung aus allen Kräften für ihren Weftpbalen, und
vielleicht gelingt e& ihr, ihn neben Hindeldey zu erhalten. —
Der König hat ein vom Grafen von der Affeburg geftifte
ted Majorat betätigt, worin dem jededmaligen Beſitzer frei-
fteht, feinen Nachfolger zu wählen. Man begreift nicht, aus
welhen Anfichten der König eine folche Beftimmung genehmigt
bat. Sept will der Graf von Reichenbach⸗Goſchütz ein gleiches
Majorat gründen, aus Haß gegen feinen Sohn, mit dem er in
heftiger Keindfchaft lebt. —
Freitag, den 16. März 1856.
Geſchrieben. Ueber die preußiſchen Kammern, ob aus
; Ahnen jemals etwas Befferes werden kann? ob nicht das ganze
Unwefen ausgetilgt und von Grund aus neue Formen eintreten
müfen. Es giebt für alles Maß und Gränzen; die der Her
vorbildung ded Guten aus dem Berdorbenen fcheinen mir bier
weit überfchritten. Bei diefer früppelhaften Mißgeburt, dem
ſcheußlichen Machwerk der niederträchtigften Reaktion, dünkt
mic feine Orthopädie mehr anwendbar. —
Befuh von Herm Dr. Michael Sache. Ueber die boshafte
Härte des Kaiferd Nikolaus gegen die Juden, gegen die Katho⸗
1*
4
Iifen. Allgemeiner Zuftand der Dinge. Auf keiner Seite ii
Rechte, nirgends ein gerechtfertigter Anfchluß, man hüte ſih
vor gutmüthiger Vorausſetzung! Heillofe Buben fchlagen ſih
untereinander, leider mit andern Kräften als mit ihren eignen |
förperlichen, leider zum Schaden Anderer, aber Parthei u
nehmen für den einen oder den andern ift fein Grund! —
Brief aus Köln von Herrn Profeffor Dünger. Er fragt
mich, wo die Gejchichte vom Franken Koͤnigsſohn, von der in
Wilhelm Meiſter's Lehrjahren die Rede ift, eigentlich vorlom
men? Er wife ed nicht, und niemand könne es ihm jagen.
Sonderbar! Die allbefannte Gejchichte des Antiochus, Sobnd
des Könige Seleucud von Syrien, mit deſſen Stiefmutte
Stratonife und dem Arzte Erejiftratod, zunächſt bei Baleriut
Marimus V 7. — Ein Gemählde died vorftellend, war, ſo
dünft mich, zu Düffeldorf im Haufe meiner Eltern. Bi
leicht auch auf der Galerie, wo ed Goethe gefehen haben
fünnte. — |
Die Berathungen in Wien haben begonnen ohne Zulafung
von Preußen. Der Generalvon Wedell, der für legtere in Pad
auf's neue unterhandeln wollte, ift mit höhniſchem Achfelzuden
abgewiefen worden; er hatte Mühe, nur Gehör zu erlangen.
Scharfe Angriffe der englifchen Blätter auf Preußen, auf
den König felbft, auf Manteuffel; unfere Zeitungen dürfen |
nicht wagen diefe Artifel zu überfegen. Auch befgifche un
füddeutfche Blätter reiben unfre Regierung mit ſcharfer Salbt-
Der neue ruffifhe Kaifer hat in Wien die eifriggtet
Wünfche nach freundichaftlidem Vernehmen mit Defterret®
bezeigen laffen. Es fällt hier unangenehm auf, daß er FR
Preußen noch feine fonderliche Beeiferung gezeigt hat, me
danfbare, wie man fich fchmeichelte, noch erwartungsvo
Auch ihm liegt Preußen nebenbei! —
Unſre Pairskammer ſogar bat den neuen Ehefcheidungg
gefeß- Entwurf nicht unverändert annebmen wollen. Der —
5
[ mit feinen Gefellen hat eine Niederlage erlitten. —
Nationalzeitung greift das Pairsgeſindel ziemlich per:
han. —
die Frechheit Stahl's, das Landrecht zu verdammen, den
) mit dem Landreht ale Nothwendigkeit hinzuftellen,
tim ganzen Lande das größte Mißfallen. —
Ser „ Ruffifche Invalide* geiteht, dag der Kaifer Nikolaus
r Niederlage feiner Truppen durch die Türken vor Eupa-
geftorben iſt. Auf diefe Nachricht verfchlimmerte ſich
feine bis dahin nur leichte Krankheit. —
Sonnabend, den 17. März 1855.
Die Bolközeitung fagt, die Gleihgültigkeit, mit der das
likum die Kammern anfehe, fei von diefen verdient, all ihr
ten und Thun fei nur proviforifh und ihre Geſetze änder-
Vie Welt nicht! Die Nationalzeitung greift in die Paire-
ner, wählt in ihr, und langt fich den Herrn von Senfft-
ah heraus, und fagt von ihm: „Es iſt unmöglich bei fo
er thatfächlicher Unfenntniß und bei einem fo erftaunlich
Tänkten Gefichtöfreife mit mehr Anmaßung ſich zu ergehen,
diefer Pair es thut.* Hin und wieder etwad Züchtigung
noth! —
Drudbogen Arnim’fcher Gedichte durchgeſehen; diesmal
', weil das Manuffript ganz von Ludmilla gefchrie:
war. — ·
Beſuch vom General Adolph von Willifen. Die Sache
n der Miniebüchfen geht langfam vorwärts; der General
Wrangel hat ihn bei neulichen Berfuchen in Spandau vor
ı Sriegövolf dankentzückt umarmt! In den politifchen
chten fann ich ihm nur bedingterweife zuftimmen; ich habe
Kabinetepolitit zu vertreten, und die Volfd- und Frei—
fache liegt verdedt, ftreicht nur felten irgendwo zu Tage.
6
Auch in der militairifchen Beurtheilung ftimm’ ich ihm mitt
bei; die Kriegführung in der Krim erfcheint mir nicht ihtm
Zweck zu erfüllen; gehen ruffifche Heere zu Grunde, fo ıf dit
auch der Fall bei Engländern und Franzoſen. —
Der neue ruffifche Kaifer, fagen heute die Zeitungen, hat
einen Befehl erlaffen, die Lage der Bauern in Polen zu vr:
beſſern, ihnen Grundeigenthum zu fihhern ıc. Der int |
wurf Biezu ift fchon alt, und wird jegt nur aus Kriegsllug—
heit hervorgezogen, um Aufftandöverfuchen entgegenzumiren J.
dem Feinde den Stoff vorwegjunehmen. Giebt es Frieden, WM.
läßt man die Sache wieder fallen! —
Der Moniteur in Paris erklärt, daß Preußen die ven |
feinem Bundestagögefandten ausgefprochenen Worte, die gegen
Defterreich hemmend, und drobend gegen Frankreich waten, P
mißbilligt hat, es denfe an feine Frontftellung gegen Front
reih, an feine Bewaffnung der Bundesfeftungen. Dem
Herrn von Bismard- Schönhaufen und dem General pet
Reibenftein kann es wenig gefallen, fi) fo auf's Maul gr
fchlagen zu fehen! —
Sämmerlihe Rolle des ehemaligen Juftigminiftere Uppen
in der erften Kammer! Kein Wort zur Bertheidigung feinste
einftigen Abgotted, des preußifchen Landrechts! Ueberhau pt:
wie viele Lumpen in diefer Kammer! Stahl aber ift mehr alt
ein —, ein böfer Bube! —
Der Kommiffionsbericht der zweiten Kammer über DIE
dreißig Millionen, vom Geheimen Legationsrath von Grurt® r
verfaßt, ift ungewöhnlich fcharf und fireng, macht die ſtärkſt?
Oppofition, aber das fteht in feinem PVerhältnig zu der
fonftigen Schlaffheit der Kammern, Die ſich dem König und
den Miniftern gegenüber in Sachen, die weit leichter zu be
haupten wären, willenlod beugt. Auch wird diesmal ſich darin
nihtd ändern. Die Kommiffton ift nicht die Kammer. —
In Puſchkin gelefen, im Valerius Maximus; Frans
zoͤſiſches. —
Die Kreuzzeitung vertheidigt ihren Spießgeſellen Linden⸗
berg in Minden, muß aber feine erlittenen Strafen einges
fteben, fie will Mitleid für ihm. Ganz der Stil Goedſche's,
‘oder auch Wagener’d, oder Gerlach's! —
— — —
Sonntag, den 18. März 1855.
Unruhig gefchlafen. — Die Zeitungen laſſen unerwähnt,
welcher Jahrestag heute ift; es lebt aber dad Andenken feurig
im Herzen des Volkes; und die eifernen Gitter an den Schloß:
portalen und vor den Wachthäufern find ein Tprechendes Denk:
jichen. Die Gräber im Friedrichshain find unzugänglid
von dichtem Gebüfch umpflanzt, das militairifche Denkmal
auf dem Invalidenkirchhof prangt in ftolzer Pracht; aber
die Thatfachen werden dadurd nicht anders, und jederman
weiß fie! —
Bei allem prablerifchen Vertrauen auf die neue Regierung
in Mußland, bei aller Leidenfchaft gegen Frankreich, ift der
hie ſige Hof und fogar die Kreuzzeitungsparthei doch einiger-
ma Hen erfchredt durch den Gedanken, daß Rupland und Frank:
tetch plöglich verföhnt einander die Hände bieten und dann
Preußen garftig in's Gedränge nehmen könnten. Man läugnet
es Fich wenigſtens nicht ab, daß ein ſolches Verſtändniß dent;
dar ift, und leicht zu verwirklichen fein möchte. Der Kaifer
Nikolaus hatte dergleichen im Sinne, warum follte es nicht
auch der Sohn im Sinne haben, der Sohn, der die Wege des
Baters fortzugehen verfpriht? —
Die „Times“ find hier von der Polizei weggenommen
worden, wegen eines wüthenden Artikeld gegen Preußen. Es
Iommen von dem theuren englifchen Blatte fünf oder feche
Abdrüde nad) Berlin. Der jchlimme Artikel fteht aber auch
8
in „ Daily News*, in, Galignani*, und überfegt in der „Inde
pendance belge“. Letztere Zeitung findet fich aller Orten, und
ife nicht weggenummen. Wie lächerlich find folche Polize—
mapregeln! Man lieft nun den XArtifel um fo begieriger! —
Der König ift nach Dresden gereift. Solche Reifen wer:
den gewöhnlich zu mancherlei Ränken benutzt. Manteufel
wollte mitreifen, gewiß aus gutem Grunde, mußte aber zurüd:
bleiben, gewiß auch aus gutem Grunde. ft der Minifter
von Weitphalen auf diefer Reife wieder feit geworden? Der
hat Hindeldey für fich gearbeitet ? —
Die „Illuſtrirte Zeitung“ ift in Breslau weggenommen,
doch das erjte Blatt ſchon wieder freigegeben worden. Aut
in Minden hat das Stüdchen gefpielt; eine wahre Jämmer: |
lichkeit! — " |
. Montag, den 19. März 1855.
In weimarifchen Brieffchaften gelefen, „die Glode, ein
MWochenblatt von Walesrode“ zu Königsberg 1850 erfchienen,
ftreng verboten, von fühnem Inhalt und freieftem Geifte. —
Die Neue Preußiſche Zeitung wiederholt die Angabe eines
Ihlefifchen Blattes, daß der König an die Berwaltungsbehör
den eine Kabinetöordre erlaffen habe, wonach die im Jahre
1848 und 1849 fompromittirten Beamten, fofern fie fetten
ſich gut aufgeführt haben, in ihrer Laufbahn nicht gehindert
werden jollen. Früher war das Gegentheil ftreng befohlen.
Db die Nachricht fich beftätigen wird? Viele bezweifeln je.
Es wäre die erfte milde Regung diefer Art! Wiewohl di
Mapregel immer nur eine halbe und gar nicht genügentt
bliebe, würde fie doc, von gröpter Wirkung fein! —
Der jekige Kultusminifter von Raumer war im Mär
1848 noch Präfident in Köln (fpäter in Frankfurt an der
Oder), wo er die erfchredende Nachricht empfing, Berlin fei
9
Aufitand und der König habe flüchten müffen, er brachte
dem Kommandanten General von Engeld und wollte mit
m berathen, was zu tbun fei; der General wollte fogleich
ch den Telegraphen den König auffordern nah Köln zu
mmen, wo er jichere Zuflucht finden werde; aber Naumer
andte erfchroden ein: „Wo denken Sie bin? Wo der König
‚ta wird auch der Aufruhr fein, und was folldann aus und
erden, aus und und unfern Familien?“ Die Aufforderung
iterblieb. Solche Freunde hat der König, und giebt ihnen
in Bertrauen! —
Man fagt, der Direktor des Zellengefängniffed Herr Bor:
ann habe vorgeitellt, daß die Glasſcheiben der Zellen, welche
& Durchjehen hindern, eine nußloje Grauſamkeit feien, daß
: den Augen erweislich Schaden, und fchon in manchen Fällen
ehlindung verurfacht haben ; er foll darauf angetragen haben,
wöhnliches Glas einzufegen, es ſei ja dem ärgſten Verbrecher
ohl zu gönnen, ein Stüdchen Himmel zu erbliden. Sein
ntrag wurde abgewiefen, auch vom Könige felbfl. Mber
ormann hat nun doch, auf feinen Kopf und auf feine Koften,
Blendeglad wegnehmen laffen. „Mögen fie mih ab-
Ben!“ foll er gefagt haben. Fürerſt ſcheint fein Verfahren
ch nicht gekannt zu fein. —
Dienstag, den 20. März 1855.
Die Spener’fche Zeitung ift ermächtigt zu erflären, daß
ı dem Gerücht von der Erfekung Weſtphalen's durch Hindel-
y kin wahres Wort fei. Dergleichen Berneinung bedeutet
chts; dabei fann die Sache wahr gemwefen fein oder noch
ihr werden. —
Die Kreuzzeitung verneint nur, daß ihr lieber Weftphalen
die Oberrechenfammer fommen fol. —
Die Gräfin von Ahlefeldt ftarb heute Nachmittag um
10
1 Uhr nad, langem Leiden. Sie war eine Acht gute, lie
bengwürdige und geifteörege Frau, und Ludmilla's beſte
Freundin! —
Der alte Geheimrath Steinbach wird geadelt, der Jahr:
arzt Dr. Werth ebenfalls, Mitſchke⸗Kollande ift es ſchon; „de
Nationalverfammlung hat erflärt, der Adel fei abgeichaft;
wenn der König folchen fich anfchafft, fo kommt es ja gım
auf daffelbe heraus!” — |
„Was der bloße Name doch thut! Nur allein der Rome
ift ed doch, der Bonapart’n zum Kaifer macht, der Name, kt #
ihm eigentlich nicht einmal gebührt, denn er ift ja fein Yon:
parte!* — Darauf wurde geantwortet: „Eine foldhe Rad
wirkung des Namens fehen wir bei ung felbft, im Grunde ned
merfwürdiger und dauerhafter als jene! Ruht nicht Preußen
ausschließlich auf dem Ruhme Friedriche des Großen? Bat
wären die Hohenzollern jett ohne feinen Namen ? Er hat und
in den Befreiungäfriegen zu neuen Siegen geführt, er allen
hält und noch etwas oben in der Schmach, die und zumt
fchlingen droht, in der Verirrung von allem Wahren und
Guten, das er fich zur Richte genommen hat!" — |
„Der König hält fih für klüger ald alle Leute, die ihn
umgeben, zum Theil mit Recht, denn er läßt andre nidt
in feine Nähe kommen, oder lähmt fie ſogleich und We
Ihränft fie auf's engfte, wie 3. B. Humboldt oder Adolph ven
Willifen; fein Selbftvertrauen ift ungeheuer und oft am
ganz unbegründet, eine Art von Meinem Glüd beſtärkt in
darin, wenn eine Gefahr ohne fein Zuthun vorübergegangm
ift, fo glaubt er, fein Berftand und Muth babe fie überwunden!
Das Schlimmite ift, daß er mit feinen Gedanken, Borlien,
Abfichten und Wünfchen immer nur in Phantafiegebilden um
berirrt, niemald — in feiner Sache — auf dem Boden Mi
Wirklichkeit feftfteht.“ Urtheil eines wadern Preußen, da
den König genau fennt. —
11
Mittwoch, ben 21. März 1855.
Beſuch von Herrn und Frau von Putlik bei Ludmilla, ich
ing dazu hinüber. Große Theilnabme an dem Tode der
Bräfin von Ablefeldt. —
Im Balerus Marimus gelefen, in George Sand's Histoire
de ma vie. —
In der heutigen Sitzung über das Kreditvotum gab eö in
der zweiten Kammer eben fo redjelige ald armfelige Verband:
lungen. Manteuffel weitläufig und nichtsſagend, Gerlad, las
ein jämmerliched® Gewäfch langweilig ab, Keichenfperger
ſchwaßzte, Bethmann⸗Hollweg fafelte. Binde war wegen eined
Todesfalles nach Weftphalen gereift; die infame Kreuzzeitung
hatte angedeutet, um deflen Rückkehr abzuwarten, habe der
Bräfident Graf von Schwerin die Sitzung um einen Tag ver:
ſchoben; heute fam an den Tag, daß er ed auf Erfuchen der
Rechten gethan und mit Wiffen ded Minifterpräfidenten! —
Der elende Gerlach las in feiner Rede mit ab, das Haus fei
heute wenig gefüllt, und nie war es fo überfüllt! Der —
batte die Thatfache vorausgeſetzt, und nicht einmal die Be-
fennenheit, diefe Worte, da ſich das Gegentheil erwies, wegzu⸗
laffen, ja er hatte die (Frechheit, ale man darüber lachte und
änfprach, die offenbare Unwahrheit aufrecht zu erhalten; ein
War Mitglieder feiner eignen Parthei ſchämten fih und fagten
im Beggehen : eigentlid müßte man fid von ihm losſagen, er
li ein frevelhafter Menfch, er habe ni foi ni loi, und mache
dem Adel nur Schande und ſchlechtes Spiel. —
Manteuffel hat eine Depefche ergehen laſſen, worin er der
Angabe des Deoniteurs, Bismard:Schönhaufen fei mißbilligt
und getadelt worden, mwiderfpricht, auch verneint, daß Preußen
ſolche Anträge geftellt habe, wie dort behauptet worden.
Zrügerifcher Wortfchein! Sept man ftatt Anträge „Meupe-
ungen“, umd fagt genauer, Preußen habe in Paris verneint,
vad Bismard-Schönhaufen in Frankfurt am Main geäußert,
12
jo ift alles wahr und rihlig. Den Bundesgefandten felhi
fonnte man freilich nicht tadeln und desavouiten, da er mır
gethan hat, was ihm befohlen war! —
Manteuffel wurde neulich in der Kammer gefragt, ob
die Entlafjung des Kriegdminifterd von Bonin zur Zeit unter
zeichnet habe? Er bejahte ed, und fügte hinzu, daß er jede
Entlaffung eines Minifterd zu unterzeichnen bereit fei, wenn
der König ed von ihm verlange. Schr artig für feine Kollegen,
und fprechend für die Einheit eines folchen Miniſteriums!
Bon Rechtswegen hätte jeder der Minijter auftreten under
flären follen, aud er fei ftet& bereit, jeden feiner Kollegen
ſpringen zu laffen! —
Seit der Rückkehr des Königs aus Dresden foll faum ned
die Rede davon fein, daß Hindeldey an Weftphalen’s Stelk |
Minifter werden folle. Die Kreuzzeitungsparthei hat die Reiſe—
tage gut benutzt. Aber Hindeldey feinerfeits giebt die Sat |
nicht auf, .er finnt darauf, fich neue Berdienfte zu erwerben,
die Demokraten könnten ihm durch ein kleines Komplott einen |
größten Gefallen thun! — |
Donnerstag, ben 22. März 1854.
Im englifhen Oberhaufe hat Kord Lyndhurſt arg gegen
die preußifche Politik losgezogen. Die englifchen Blätter
ſchuldigen den König von Preußen doppelzjüngiger Falſchbeit,
das Minifterium argliftiger Ränke, hinter denen die Ohnmadt |
fi zu verbergen fuche, andre fagen, die Dinifter feien bloß
Lakaien. — |
In der Kreditfache haben heute manche Abgeordnete MI
zweiten Kammer brav gefämpft, Herr von Bonin (Wolmtt
ftädt), Rudolph von Auerswald, Brämer, Gruner, Hennig,
die — Gerlah und Wagener find gehörig. blosgeſtell
worden. Manteuffel hat eine jämmerlihe Role geſpiell.
13
lich wurde die beantragte Adrefje abgelehnt, der Kredit
it, doch nur bie zum Ablaufe des Jahres. Letztere
nfung bewirkte hauptfächlich der ehemalige Generals:
rektor Kühne und der Geheime Rath Schmüdert mit
Anhang. —
Minden bat der Polizeifcherge Peterd das Blatt,
die Verhandlungen der Kammer über feinen Freund
räfling Tindenberg ftanden, wegnehmen laſſen; er miß—
fein Amt für feine Privatleidenfhaft. Preußen ift
bt ein Polizeiftaat; uns fehlen nur die ruffifchen oder
en Benennungen. —
t Dr. Schütte, der 1848 aus Wien bieber fam, und
zeit feine prablerifchen Windbeuteleien trieb, dann nad)
eich zurückkehrte, und . wider fein Berboffen verhaftet
iſt jebt zu zmwölfjähriger Feſtungshaft vwerurtheilt
chmittags Befuh von Frau Profefforin Bürde. —
lam Hr. Dr. Hermann Franck: er fündigte mir an, daß
ftend Berlin verlaffen, zunächft nah England geben
rt feinen Schn im Seewefen anbringen werde. Der
tzehnjährige Knabe ift trefflich begabt, hat große Feſtig⸗
d entjchiedene Neigung für dad Seeleben. Doch ift dad
ehmen ein bedenflihes, und der Bater, dem die Tren- .
on dem Kinde fchwer fällt, fieht ed wohl ein. Ueber
and und Preußen dültere Anfichten! --- Den Manacl
tigen Männern und würdigen Karafteren beftreit’ ich,
die Vorzüglichfeit des Militairſtandes, und das Ueber:
der Nationalitäten ; im Gegentheil, ich fehe mehr Ge:
med ala je, mehr als je Streben und Berfließen zu Ge:
mem. —
3 Naubmörder einer Nähterin ift ein Baron von Putlig
gen worden, ein befannter Bagabund. —
t Graf von Hoverden hat den — Stahl aefor-
14
dert, der den Zmweifampf aber nicht angenommen hat ; die Sache
wird vermittelt. —
— — — —
Freitag, ben 23. März 1855.
Zelegraphifche Depeſche, daß Menſchikoff am Typhus ge
ſtorben ſei! Warum nicht „am Paletot?“ Die mit dieſen
begonnene häßliche Geſchichte iſt's doch eigentlich, an derer |
ſtirbt! „War etwa Orloff bei ihm zum Befuch, wie bei Kon
ftantin und Diebitih?* Man wird der Welt ſchwerlich auf
reden, daß er an Gift geftorben fei. Hier glauben die meiſten
Leute auch an des Kaiferd Nikolaus Bergiftung! — (em
Depefche bedarf der Beftätigung.) — (it falih.) —
Die Berathungen in Wien gehen vorwärts ohne Preupen:
Iheilnahme. Man empfindet died bier ſchmerzlichſt, tut i
aber, ald ob man auf dem Gipfel ded Anfehens und der Raht
ſtünde!! —
Nun jtraft auch der öfterreichifche Minifter Graf von Burl
den Minifter von Manteuffel Lügen, und erklärt in amt |
Rundichrift, daß Preußen allerdings in Frankfurt die vonitm
jest geläugneten Yeußerungen gemadht habe! — „Man ii
bier gewohnt! *
Stahl hat dem Grafen von Hoverden Abbitte gethan, um
einen Revers unterzeichnet, „den ein Edelmann nicht unter:
zeichnet hätte.“ Sp fagen Junfer von feiner eignen Parthei. —
. Sonnabend, den 24. März 1855.
Das Berliner Wochenblatt ift heute von der Polizei weg,
genommen worden. Dieſes fchlechte Blatt ift den Miniften
bejonderd unangenehm, ebenfo wie der Kreuszeitungspartbei
weil feine Leute die meifte Ausficht haben, bei nädhfter Ge
legenheit Minifter zu werden, fie find vornehm, reich, roya
15
iſtiſch, kirchlich, frömmelnd, hinreichend reaftionair; das ift
teilich nicht ohne Gefahr für die andern! Gin Bein wenig
mehr Ehrlichkeit, das heißt nichts! —
Die Kölner Zeitung vor Gericht geftellt, wegen Mittheis
lungen aus England, aber freigefprochen. Die Quängeleien
bören nicht auf! —
In Wien ift fein Frieden zu hoffen, wenn nicht Rußland
vorher weitere tüchtige Schläge befommt. Es wird offen ge-
fagt, dag wenn die Verhandlungen fcheitern und der Krieg in
grögeiter Ausdehnung fortgejegt, Polen in Frage geitellt wird,
nur allein Preußen die Schuld trägt, feine ſchwankende Poli:
tif, fein für Rußland günftiges Verhalten, das gegenüber den
mit Deiterreich gefchloffenen Verträgen und den mit den Weit:
mädıten verhandelten Erbietungen, für ein verrätherifches er-
Märt wird. Hof und Minifter und Kreuzzeitung betrinfen
ih im Dünkel der vermeintlichen Größe und Macht des
preußischen Daftehend; fie meinen, Preußen habe zu ent-
\heiden was fommen foll, werde geachtet, gefürchtet. Und
Preugen ift ausgefchloffen von den Verhandlungen, Oeſter⸗
reich drüct ihm fein mitleidiges Bedauern aus, der türfifche
Gefandte legt Fürbitte für Preußen ein! —
Der Raubmörder Putlitz — nicht mehr „von“ Putlig,
weil er als uneheliches Kind nicht adlich geboren ift, aber der
selannten Adelöfamilie dem Blute nach angehörig — bat feine
Miffethat bereits eingeftanden. — Er foll ein natürlicher Sohn
ed Prinzen Karl fein. —
Sonntag, den 25. März 1355.
Die Volkszeitung verarbeitet heute die beiden Schimpfaes
oſſen Gerlah und Wagener ganz tüchtig. Man wird es
nmal nicht glauben, daß ſolch nichtsnutziges, geiſtesatmes
16
Geſindel ernftlich befämpft werden mußte, von augenblidlid
Wichtigkeit war! —
Nachrichten aus England. Es wird verfichert, nur di
Einſprache oder vielmehr die Bitten der Königin Bictoria un]
ihrer Miniſter habe den Kaifer der Franzoſen noch abgehalten,
mit dem Könige von Preußen kurz umzufpringen und ihm mit
einem feharfen Entweder Oder auf .den Hals zu rüden, auch
Defterreich wäre gar nicht abgeneigt, mit Preußen Händel zu
haben. Anftatt einer Herftellung Polend eine Theilung
Preußens, das wäre eine fchöne Beſcheerung! Gar nicht un
möglich; ed fäme nur darauf an, daß man einig würde, auch
mit Rußland, die Türkei fäme dann fpäter! —
Artiges Gefhichthen aus dem Fahr 1848! Bei den
Wahlen in Paris zur Assemblee nationale ging es lebhaft
ber, die Kandidaten fprachen zum Bolt mit größtem Ciler,
zeigten ihre Gefinnungen, ihre Verdienſte, einer fuchte die
Gunſt befonders durch Verfprechungen zu gewinnen, die ge⸗
radezu Mißtrauen erregten, überhaupt fah man fchon deutlid,
wie alled wieder auf die alten Zügen und Falfchheiten hinaus
lief. Da unterbrach plößlih ein fleiner Gamin den Redner
mit der Srage: „Monsieur, savez-vous nager?“ Der Red—
ner gerieth durch die Knabenftimme außer Faffung, ftupte, jah
fih um, und erwiederte dann: „Pourquoi cette question?
non je ne sais pasnager!“ — „Oh! alors Evitez de vous
faire nommer depute, parceque nous sommes resolus
de jetter toute l’assembl&e dans la Seine.“ — Unit
Berliner Jungen könnten daffelbe von unfern Kammern fügen!
In die Spree, ftatt in die Seine! —
Frau Spahnd erzählte einige merkwürdige Umſtände vor
den legten Stunden des Kaiferd, wie fie deſſen Leibarzt Di
von Mandt an eine von ihr gefannte Dame bieher geichrieh
bat. Der Kaifer wußte nicht, daß er in Gefahr fei, u
wollte die erften Andeutungen ded Arztes nicht verfteh
17
Endlich fragte er doh: „Muß ich denn fterben?“ Auf die
möglichft fchonende Bejahung ſchwieg der Kaiſer erft, wandte
ch dann von dem Arzt ab, und fagte: „Woher nehmen Sie
den Muth, einem Kaifer von Rupland fein Todedurtheil zu
ſptechen?“ Mandt fagte, aus den früheren Befehlen dee
Kaiferd nehme er diefen Muth, aus den Forderungen der Reli:
gion und denen ded Reihe. Der Kaifer fchwieg nun lange,
und erft auf die wiederholte Frage Mandt's, ob der Beicht:
vater fommen dürfe, willigte jener ein, und wollte zugleich die
Verwandten und Diener verfammelt ſehen. Die weitere Er:
zaͤhlung fcheint etwas aufgeftußt, von einer fchriftlichen Arbeit
des Thronfolgers, Die der Kaifer gefordert, angehört und ge:
billigt habe u. f. w. Man will in ihm bis zum legten Augen⸗
blide den ftarken Serrfcher zeigen, während er nur nody der
ſchwache Kranke, der ſchwer Leidende, der nur halb bewußte
Sterbende war. —
Montag, den 26. März 1855.
Dr. Koſſak in der Montagspoſt vortrefflich über Manteuffel,
ſo freimüthig und fcharf wie fein andres Blatt. Auch ſchil⸗
dert er meifterhaft den frömmelnden Dr. Kranichfeld, deffen
Vortrag gegen die Altoholvergiftung vor einer jämmerlichen
Verſammlung. Er zitirt zwei Verſe, die von Rahel herrühren,
als von Angelus Silefius, in einer etwas platteren Form. —
Die hiefige freie Gemeinde feierte am Sonntag ihr zehn:
jäͤhriges Beſtehen. Die Polizei ftörte die Berfammlung, ins
dem fie einige rauen, die den Berein hatten gründen helfen,
hinauswies. —
Herr von Reumont hat vom Louis Bonaparte das Kreuz
der Ehrenlegion befommen. Der fjchidt feine Bücher an alle
ifürjten, um Orden oder Dofen zu erbetteln. Das mag fein!
Aber auch an Bonaparte Das ift etwas zu bettelhaft! —
Barnbagen von Enſe, Tagebüder. XII. 2
18
Ein Spaß, der im Volke großes Glück macht! Man
zählt, daß ein Bauer ein Fuder Heu zu Marfte bringt,
Käufer weift ihn an, daffelbe in der Leipziger Straße Nr.
auf dem Hof abzuliefern,, er jolle nur nach dem Stall fragen
wo die größten Ochfen find. Wie er anfommt, fagt man ihm
hier fei die erfte Kammer oder das Herrenhaus! —
Dienstag, ben 27. März 1855.
Die Nationalzeitung fpricht unerwartet für den Gufei
don Hoverden, den fie früher ald den „armen * bezeichnet hatte
entfchuldigt fein Berufen auf den König, und nimmt an den
„Herrenhaus“ einigen Antheil. Nicht grade unrichtig, abe
unziemlich, folgewidrig, und jedenfall® unnöthig! Warum
nimmt fie denn an den Wahlen nicht Theil? — Der gun;
Artikel. hat ein mattes, einlenkendes Anſehn. Hoffentlich nu
ein vorübergehendes Wölfchen! —
Die erite Kammer hat das Ehefcheidungegefeg mit geringe!
Aenderungen angenommen, doch war eine Oppofition de!
einigen dreißig Stimmen, und eine Anzahl Mitglieder mi
hielten fich Müglicherweife der Abftimmung! Die zweite Kam
mer hat den Antrag auf Abänderung zweier Paragraphen De
Berfaffung, den die erfte angenommen hatte, mit einer Medt
heit von 18 Stimmen verworfen. Gerlach und Mantufft
Iprachen erbärmlich, Wenpel fehr aut. Der Antrag ging vor
Grafen von Itzenplitz aus. Das ift ein Sieg der Konftitutie
nellen, ein ſehr großer; aber es iftfaum zu glauben, wie went
das Volk ſich daraus maht! Im Volk ift das Gefühl wı
breitet, ohne eine neue gründliche Revolution fei alles nichtt. -
Die Zeitungen fagen, in St. Peterdburg fei das Bı
gegen den Reibarzt Dr. von Mandt fo erbittert, daB der Rai
ihm den Rath gegeben habe, auf einige Zeit in's Ausland
reifen! —
19
Der Faktor der Trowibfch- Druderei war bei mir, und
meldet eine Unterbrechung ded Drucks der Arnim’fchen Ge-
dihte an. Er iſt ohne alle Nachricht von Bettina von Arnim,
und es fehlt an Papier, obfchon er deffen Mangel im voraus
länaft ihr felbft nach Bonn und ihrem Gefchäfteführer nad
Weimar angezeigt hat. —
Friedrich der Große fchreibt am 12. März 1760 an die
derzogin Sophie Dorothee von Sachſen-Gotha: „Peut-Etre
jue le periode fatal de la Prusse est arrive; pent-etre
rerra-t-on une nouvelle monarchie despotique des Cé-
sars. Je n’en sais rien. Tout cela est possible; mais
je reponds que l’on n’en viendre là qu’apres avoir ré-
pandu des flots de sang, et que certainement je ne
serai pas le spectateur des fers de ma patrie et de l’in-
digne esclavage des Allemands. Voilä, madame, ma
resolution ferme, constante, inviolable. Les interets
dont ils’agitsont si grands, si nobles, qu’ils animeraient
unautomate.e L’amour delaliberteetlahaine
detoute tyrannie est si naturelleauxhom-
mes, que,ämoinsd’äötreindignes,ilssacri-
fient volontiers leur vie pour cette liberte.“—
Mittwoch, den 28. März 1855.
Beſuch vom Herrn General Adolph von Willifen; die
unaufhörliche Beichäftigung mit den Minié-Büchſen, das
Wiederholen derfelben Gründe, der Abwehr gegen diefelben
Dummheiten, macht ihn etwas mürbe. Die Friedensaus-
fihten find ihm auch bedrüdend, die innere und äußere Lage
Preußens fehr entmuthigend. —
Der König hat ſich mit Bitterfeit Darüber ausgefprochen,
dag in Spanien auf Dlozaga’d Antrag der Senat ein Wahl:
2*
20
förper geworden ift. In der That fpielen Herrenhäuſer und
Pairskammern neben folcher freifinnigen Einrichtung ein
veraltete Rolle, und die Erblichfeit und Lebenslänglichkei
unfrer „ Herren” wird in ein ſchlechtes Licht geftellt, man hut
ohnehin feinen Glauben an fie. jemand fagt: „Oder König
ift gar nicht gegen die Wahl, nur möchte: er fie allein haben!’ —
„Sede Oppofition erzürnt ihn, landitändifche wie parlamen-
tarifche, nur römifchefatholifche nicht !* —
Der Landrath von Dieft hat in Düffeldorf einen Bann
auf der Straße verhaften Taffen, ohne daß er dazu befugt war.
Der Mann war von der Revifionsfommiffton zum Rachdienen
in den Kriegsdienft verwiefen worden, hatte aber von feinem
General Urlaub erhalten, um in der Stadt feine Gefchäfte zu
beforgen. Der Landrath, ihn mit niedrigem Haß verfolgent,
begegnet ihm und läßt ihn verhaften. Es erweiſt ih, daß
fein Grund dazu war, und die Militairbehörde nimmt Me
Sache übel. Der Landrath will ſich herausreden, und wit:
fpricht fich in den Borwänden, die er dazu gebraucht. Ran E
weift ihm öffentlich feine Lügen und Berdrehungen nad. Ten |
noch will ihn die Oberbehörde fchonen und behalten. Im J
ſolche Entfittlihung wird gelobt! — J
In der Revue des deux mondes ſteht cin Aufſaß über
die Zuaven, man fagt vom Herzog von Aumale; darin wer
den die Generale Lamoriciere, Cavaignac, Shangarnt
Bedeau, außerordentlich gelobt. Bonaparte läßt den Al
teur dafür fchelten und bedrohen. —
Der König will von den PVerbefferungen der Stufbit
nicht® hören, weil fie von dem ihm verhaßten Präfidenten ver
Wenpel ausgehen; er hat ſich von dem Vortrag abgewenkt,
und erflärt, man folle ihm den Namen nicht nennen! nie
ift Hindeldey ſchon längft auf die Sache eingegangen, um
unter feinem Namen gedeiht fie und wird fie zur vollen Aus
führung fommen. —
— — — —
‚21
Donnerstag, den 29. März 1855.
Ausgegangen mit Qudmilla. In der Thüre begegnet und
Herr Hermann Grimm, der und befuchen will, und aber nun
zu Rranzler begleitet, unter den Linden und im Luſtgarten
wohl dreiviertel Stunden mit ung fpazieren geht. Er hat
driefe aus Bonn, Bettina von Arnim will nach Berlin fom:
men, die Töchter fürchten, fie möchte hier wieder in die alten
Verdrieglichkeiten gerathen und davon ganz miedergeworfen
werden — ihre früheren Unfälle fcheinen wirklich fleine
Schlagflüffe gewefen zu fein. -—— Ich fenne ihre Sachen nur
durch fie, weiß nicht, wie fie in Wahrheit fint. Grimm be-
hauptet, alles was Bettina vortrage fei falfeh, lauter Einbil-
dung und Unrichtigfeit; er fei ganz überzeugt, daß der arme
M. ein redlicher Menfch und fein Betrüger fei, Bettina habe
ihm gewaltfam die Rolle eines abgefeimten Böfewichts aufge:
drängt, da er doch nur deren Beſtes gefucht und erwirft habe.
Grimm fpricht von Bettina wie ein Menſch, den fie fchon
auf's äußerſte gebracht hat! —
In der erften Kammer bat das Minifterium eine Nieder:
lage erlitten, fie erklärte jich faſt einftimmig gegen die Vorlage.
(Bferdefache!) — In der zweiten Kammer wieder Mattigfeit
und Kleinmuth. —
In Friedriche des Großen Briefen gelefen; da lernt man
den ſtarken Herrfcher und Helden ald edlen und liebenswür⸗
digen Menfchen kennen! —
Der ſonſt wackre Generalfteuerdireftor Kühne hat in der
Kammer gefagt, die Regierung habe die zweite Kammer 1849
auflöfen und eine neue Wahlordnung oftroyiren müflen,, weil
mit diefer Kammer nicht möglich gewefen zu regieren! Auf
Diefem Punkt alfo blöd und ftumpf wie ein gewöhnlicher Be-
amter! Wie oft hätten die Völker Urfache, aus gleichem
Irund die Regierungen abzufchaffen! Nun freilich, biöweilen
hun ſie's auch! —
22°
Freitag, den 30. März 1855.
Louis Bonaparte wird in London, in Wien und in Kon:
ftantinopel eriwartet, und dann auch in der Krim. Sein an:
geblicher Oheim machte in den Hauptitädten andre Befuce,
und dieſe trafen andere Anftalten für ihn, als jegt die Höf-
linge der Königin Victoria, ded Kaifers Franz Joſeph und dr
Sultand Abdulmefchid. —
Der König befucht die frömmelnden Vorträge von Stall,
Hengitenberg, Göſchel, und fcheint fich dabei gar nicht zu luny
weilen. Dean fagt, der König werde täglich Firchlicher, aber
auch täglich unruhiger, denn die Kirche, der er äußerlich an-
gehört, befriedige ihn nicht, er werfe fehnfüchtige Blide nad
der fatholifchen. Der Tod des Kaiferd Nikolaus hat ihn
mächtig erſchüttert, und ſtark an feinen eignen Tod erinnert,
mit deſſen Vorftellung er große Angſt verbinden foll. Den
Tod zu fürchten, ift allerdings ein Unglück, das Taufende aus
dem unterften Bolfe nicht fennen! —
In Bremen find erfchienen „Novae epistolae clarırınm
virorum ad dominum Mixta Colanda.“ Der altem
Mitſchke-Kollande wird hier gehörig verarbeitet. Chaly- -
baeus Cancrinus, Querlarsius Judex, Pisquarkius
Leo lenis, Parvus Niburtius, Pernicies etc. find unkr
fennbar Stahl, Gerlah, Bismard, Leo, Niebuhr, Per
nice ꝛc. —
Die Demokraten haben auf's neue die Frage geftellt, eb
fie fich bei den Wahlen betheiligen follen? Daß fie in m
Kammer bald die Mehrheit haben würden, ift unzweifelheh,
aber eben fo gewiß, daß die Negierung dann die Kammer auf:
löfen und willfürlih ein neues Wahlgefeb erlaffen würde,
durch das die Demokraten wieder ausgedrängt würden. Wat
follen fie dann thun? Als gefoppte Narren ftill abziehen?
oder — — —? Tederman fühlt, daß hier eine größer:
ne nn
23
Stage im Hintergrunde liegt, ſich beugen oder fich offen gegen -
die Gewalt empören. Das Letztere ift etwas fo Gewichtiges
und Gewagted, daß man davor zurüdichredt. Anderntheils
jammert es die Demofraten, zu ſehen, wie vereinzelt die
nadern Kämpfer Binde, Wentzel ıc. ftreiten müffen, in fo
manchen ragen, wo die ganze Demokratie fie unterftügen
möhte. Die Demofraten am Rhein und in Preußen find
theilmeife fehr geneigt, an den Wahlen theilzunehmen, weniger
die in der Mark und befonders die in Berlin; die meiften
verharren in gründlicher Verachtung des jekigen Kammer:
weiend, und wollen fich mit folcher Halbheit und Verkrüppe⸗
lung gar nicht einlaffen. Die Klügeren unter den Leitern er-
äten ea für eine Sache des Beliebens, jeder möge wählen
oder nicht, fie wollen vor allem eine Spaltung der Parthei
verhüten. — Die Sache hat zwei Seiten, es fommt darauf
an, den Werth der Bortheile gegen die Nachtheile gründlich
abzumefien. —
Unter denen, die gar nichts von den Kammern willen
wollen, giebt es viele, beſonders im eigentlichen Volke, denen
mit einer allmählichen Befferung und Ausbildung des jepigen
Flidwerks gar nicht gedient ift, fondern den ganzen Plunder
verwerfen, und auf neuer Unterlage von Grund aus eine Neu:
getaltung verlangen, mit andern Worten neuen Kampf und
gänzliches Unterliegen der Gegner. Diefer Denfart iſt auch
an dem Staate Preußen nicht allzuviel, manchen gar nichts
gelegen! Ein Staatsmann follte dergleichen wohl erwägen
und die Quellen ſolchen Abfalls zeitig zu verſchließen fuchen,
in der Fortdauer der jetzigen Erbärmlichkeit fließen fie unge:
hindert! —
24
Sonnabend, den 31. März 1855.
Das Preußiſche Wochenblatt ift heute hier von der Polizei
weggenommen worden. Es enthält einen Artikel gegen de
Ruſſenpreußen, „zu denen gehört aucd der König felbi,‘ |
fagte jemand. — Ä
Der Redakteur der Kölnifchen Zeitung, Herr Dr. Brügge
mann, foll abtreten, die Behörde hat entjchieden erflärt, er ſei
eine ihnen verhaßte Berfon, und man werde der Zeitung, ſe
lange er an der Spike ftehe, unausgeſetzt den Krieg machen.
Bon allen Seiten erhebt ſich vaterländifcher Einſpruch und
heftiges Gefchrei gegen die fchändlichen Aeußerungen der ke W
den — Gerlach und Wagener, die in der zweiten Kammer ge:
fagt, der Kaiſer Nikolaus fei der Protektor der deutfchen kleinen
Fürften gewefen, der Schußherr Preußens. In ihren Privat:
reden gehen fie noch weiter, und nennen den König einen
ruſſiſchen Statthalter, Bafallen ꝛc. — Sollte man das für
möglich halten? Iſt da das Beiwort — zu viel? — Ju f
diefer Parthei waltet etwas Teuflifches, Chriſtus hat keine
entfehiedeneren Widerfacher, ald dieſe Berworfenen, die fih nd W
ihm nennen. —
Der König hat die Gnadengefuche der Ladendorff, Ley x
nicht gewährt. Die Unglüdlichen werden in's Zuchthaus
abgeführt. — Was hilft's? Ueberall mehrt fich die demott-
tifche Gefinnung, und ein Herrſcherhaus wird mit Haß um
Grimm angefehen als ein Feind alles Volksgedeihens. Die
Ausübung der Gnade wäre noch ein gutes Band, aber gratt
das läßt man fallen! —
In Forſter's Briefwechfel gelefen, zu befonderem Zwed.
Im Cornelius Nepos und Balerius Maximus. —
„Köhlerglaube und Wiſſenſchaft. Eine Streitfchrift gegen
Hofrath Rudolph Wagner in Göttingen. Bon Karl Bogt.
Zweite Auflage. Gießen 1855.* 8. Die erfte Auflage war
25
innen vierzehn Tagen vollftändig vergriffen. in gutes
zeichen! —
Sonntag, den 1. April 1855.
Zrauriger Anblick des Königlich Preußiſchen Sonntage!
Gi it ald ob er mit Blei belaftet wäre. Keine Arbeit und
Seihäftigkeit, aber auch Feine Kuftbarfeit und Freude, außer
in den niedern Wirthöhäufern. Die Straßen find todt, außer
den Thorſtraßen, in diefen drängt fich ein Menfchenftrom, der
in die Dede draußen ftrebt, auch diefer ftill und traurig. Was
hilft’8 den Frömmlern, den Sonntag gefcheinheiligt zu ſehen?
Die Kirchen find doch leer, außer den paar Modeficchen, wo
Ne Heuchler einander zur Schau dienen! Pfui über das
Ötterngegücht ! —
Ich verbrachte den Nachmittag in unruhigen kleinen Arbei-
ten und nicht erquidlichen Betrachtungen. Ich fand für mein
Urtheil über Menfchen gewiffe Prüffteine, die mich nicht leicht
itren laffen. Wer gern etwas an Goethe, Kant, Voltaire,
Rouffeau und Mirabeau auszuſetzen findet, fie lieber tadelt ala
bewundert und liebt, wer nicht offenen Sinn hat für {Friedrich
den Großen, für den Herzog Karl Auguft von Weimar, mit
dem ift es nicht richtig beftellt, dem fehlen große Stüde, die
ein wohlgeordneter Menfch haben muß! Wer nur immer denft
und finnt, aber nie zum Thun fommt, oder doch nur fpät und
dürftig, der ift für gewiffe Richtungen auszuſtreichen! —
Montag, den 2. April 1855.
Die Montagspoft ift heute von der Polizei weggenommen
worden; ich habe fie noch empfangen, fie enthält treffende
orte über Berlin, die doch nicht der Grund der Wegnahme
26
fein fönnen. Wie es mit unfrer Preßfreiheit ſteht, jieht man
an der Kölnifchen Zeitung, die Regierung fordert einen andem
Redakteur, der verfprechen muß, in feiner Oppofition eine map:
volle Haltung zu beobachten; das ift ganz ungeſetzliche Willkür!
Verletzt er die Gefege, fo mag er beftraft werden: dafür find
die Geſetze; man fürchtet die Kreifprechungen, und das iſt gan;
erbärmlih, und ſchändlich. „Man fann mit Gefepen nidt |
regieren!“ wird ed bald heißen und heißt es fhon! — |
Der General von Wedell ift geitern aud Paris hier ange
fommen. Er foll bald wieder nach Parié zurückfehren. Un
- fruchtbare Verhandlungen, deren Nachtheil erft in der gole
fihtbar wird! —. Ä
Don den Wiener Berathungen nichtd Zuverläffiges, al
dag Rußland die Theilnahme Preußens beantragt haben ſoll
Neue fcharfe Depefche des Grafen von Buol gegen die Behaup
tungen und Anlagen, welche der Minifter von Manteufl |
ausgeſprochen hat. —
Der öfterreichifche Erzherzog, der wegen des Todd I
Kaiferd nah St. Peteröburg gefchidt worden, hat dort vom
Volke Drohungen und Belchimpfungen erlitten. — Dr. ven |
Mandt ift noch in St. Peterdburg, aber ein Theil der Bed ·
ferung ift gegen ihm erbittert, glaubt an Vergiftung dei
Kaiferd. —
Der Fürft von Sonderöhaufen hat vom Königeinen de
amten verlangt, den er zu feinem Minifter nehmen fünne, ju
einem Factotum für fein Ländchen. Der König hat denn
berüchtigten Landrath von Eldner genannt, Manteuffel u 1
ſtimmt, wie e8 fcheint, doc mit Unluft, weil er dem Elönf
nicht recht traut. Elöner hat angenommen. ort mit ihm‘
Werd’ er ein würdiger Kumpan ded Herrn von Lauer, Di
Grafen von Bülow ꝛc. — ch denke, fie find am ſchädlichſten
in Preußen, an andern Orten finden fie mehr Widerftand. —
Hamburgifche Verfaſſungswehen! Auch hannöverſche! Der
27
Bundestag wird in beiden von der fchlechten Seite angerufen!
Sehr richtig! —
Dienstag, den 3. April 1855.
Geichrieben, in meinen Papieren gearbeitet, mit feidlichem
Erfolg. Eigenthümliche Gegenfäge ergeben fih, wenn man
nebeneinander jtellt, was verfchiedene Menfchen in gleichen Zeit:
ahihnitten gethan, gelebt, und wenn man die Fäden verfolgt,
an denen die Gebilde diefed verfchiedenen Thund und Wirkens
Ipiterbin zufammenfließen, fich durchfreuzen oder vereinigen.
Sründonnerstag, den 5. April 1855.
Ausgegangen mit Ludmilla; bei Kranzler. Die unglüd:
lihe, gemaßregelte Kölnifche Zeitung durchgefehen! Ich dachte
Immer, fie würden die mißfälligen Blätter gradeswegs fchlach-
ten, — das Meſſer haben fie ja in der Hand, — aber fie
ziehen vor, fie zu martern, langfam zu erdroffeln. —
General von Wedell ift von hier wieder nach Paris abges
fertigt worden, wieder mit einem eigenhändigen Schreiben des
Könige, von deffen Faſſung der Minifter von Manteuffel nicht?
weiß. — (Moch nicht abgereift!
Stiller Freitag, den 6. April 18585.
Geſchrieben. Meine Arbeit fortgejeßt und beendigt. —
Brühmorgend kam Herr Dr. Pribil, feßte fi) vor mein Bett,
und ſah mit mir einen Stoß Autographen durch, unter denen
ich ihm einige ale befonderd wertvoll bezeichnen konnte, Wir
fprachen viel über Böhmen, die Berhältniffe in Prag, die Hoffe
28
nungen der Tſchechen. Cr fieht diefe Verhältniffe an wie id,
andre Sachen freilich andere. Crinnerungen an das Jahr
1848; betrogene Völfer! Muth von Feigheit befiegt! —
Audgegangen, mit Ludmilla; bei Kranzler. Häplicer
Feiertagsanblick, Kirchengänger, die mit Hoffahrt ihre Gebet:
und Geſangbücher zur Schau tragen, böfe Gefichter, Heudler-
mienen. Gefchloffene Läden, verhüflte Schaufenfter. Blöin-
nige Anftalten! Bald wieder nach Haufe gelenkt! —
Nachmittags fam Herr Dr. Frand, eigentlich, obwohl es
nicht recht geftehen wollte, um fich zu verabjchieden. Errr
fauft feinen Hausrath, feine meiften Bücher. Sein Weggehen
ift fehlimmer als eine Auswanderung: ein tragifches Geſchid
führt ihn mit feinem Sohn in’d Ausland, aber auch hier fun |
er nicht mit ihm zufammenbleiben, er muß ihn feinem Beruf,
feiner Liebhaberei überlaffen, ungewiß ob diefe beitehen, zum
wahren Beruf werden wird. Und dabei kommt der Jünglingz
doch nur auf eine unglüdliche Bahn, im engliſchen Seedient
als Ausländer findet er ſchwerlich Gedeihen! Frand ver |
ftimmte mich fehr, fowohl durch died Geſchick, das ihn fer:
reißt, ald durch Die Trübnig und Unzufriedenheit, mit dere |
Welt und Menfchen anfiebt; er will faft niemanden gelten
laffen, nicht® anerkennen, nichts ift ihm genügend, und indem
er vieles Beffere und Befte verwirft, gefchieht es ihm, daß et
fih dann mit entfchieden Schledhtem behilft, mit Liederliden
Gefellen, die er, weil fie eben nicht weiter fein wollen, gut
nicht in Rechnung bringt. Er verwarf die meiften unfrer dr
fannten. Es fcheint ihm fehr übel zu Muth! —
Unſre Prefreiheit! Der Litterat Hopf, ein armer Tell,
der von feinem bischen Humor lebt, von der Polizei vielfältig
gefchoren, nad) Charlottenburg ausgewiefen u. ſ. w. hat tn
Schriftchen druden laſſen: „Stimmen der Berliner Kran
gegen das neue Ehegeſetz“, Die Polizei befommt Wind daven,
nimmt alles Gedruckte fort, zerbricht die Drudformen! Bloy
29
deil fie weiß, dag der König mit blindem Zorn für das Geſetz
eifert! —
Die Kreuszeitung und alle andern Blätter geben die Nach⸗
tiht, der General von Wedell fei fhon wieder nach Paris ab⸗
gereift; diefe Nachricht ift aber falſch. Man fagt, er habe ſchon
dad Schreiben des Könige in Händen gehabt, da fei diefer
andern Sinned geworden, habe eö zurüdgefordert, und der
General warte auf neuen Befehl. —
Sonnabend, den 7. April 1855.
In meinen Papieren gearbeitet, und einiged gefördert.
Ich möchte gern einige Auffäge dDruden laſſen, aber vernünf-
tiger ift ed zu warten, dad Pulver nicht unnütz in's Leere zu
verplaken, Tondern zum wirkſamen Schuß aufzubewahren. In
allen Kämpfen, die jest ftattfinden, hat unfre Waffe feine An-
wendbarfeit. —
Dad BethmannsHollweg’fche Wochenblatt beleuchtet bei
Gelegenheit des Redaktionswechſels der Kölnifhen Zeitung
dad Verhalten der Regierung gegen die Preffe, und erffärt
dafjelbe für geſetzwidrig, tüdifch und verrätherifch; Die
Polizei fucht alle Blätter von ihr abhängig zu machen, und es
iſt ihr großentheils ſchon gelungen. —
Beſuch von Herrn Foß aus England, alte Bekanntſchaft,
deren ich mich nur dunkel erinnere. Der Zuftand von Eng—
land ſcheint äußerft verworren und bedenklich; man hat fein
Vertrauen mehr auf die alten Stügen des Staates, und fucht
neue; alles lenft in revolutionaire Bewegung, und es bereiten
fich die größten Umgeftaltungen vor, ſchwerlich ohne gewalt-
ſame Ausbrüche. —
Beileidsadreſſe des Magiſtrats an den König wegen des
Todes des ruſſiſchen Kaiſers. Der König antwortet dankend.
30
— Bildniffe, Lebensabriſſe des Kaiferd, Gedichte auf
Trauerreden, von allen Seiten und in größter Menge.
möchten gern einen Helden, ein Partheihaupt aus ihm mad
ihn auf alle Weife verberrlichen. Hilft aber nichts. Der?
ift ein zu mächtiger Auslöſcher; und nicht nur im Bolfe, jo
dern auch Thon am Hofe wird der Name Nikolaus wenig
genannt, und mit geringfter Theilnahme, wenn es gefdieh
Der Todte giebt feine Orden, feine Dofen. Die Hofjchrange
gehen ihrem Futter nah. —
Der Lieutenant bei den Gardefürafjieren Graf Adely
von Königsmarck ift auf ſechs Monate feinem Onfel dem ©
fandten im Haag beigegeben. Sie wollen einen Diplomate
aus ihm machen. —
Gegen die Ungerechtigkeit der Zeitgenoffen beruft man Rt
zivar auf die gerechtere Nachwelt. ch finde genug Fälle, i
denen man ſich gegen die verfennende Nachwelt auf die an
fichtigeren Zeitgenofien berufen könnte. Goethe bejondet
wäre dazu berechtigt. Je weiter feine Werke fi ve
ihrem Urfprung entfernen, deſto weniger Berftändnik, Ein
und Liebe für fie bleibt übrig. Grade jept ift für ihn cr
falte Winterzeit. Auch für Nabel ſcheint weniger Sin
und Liebe vorhanden, ald vor zwanzig Jahren. Aber ı
ſchadet nicht! Diefe Jahrözeit geht vorüber, und Frühli
und Sommer fehren zurüd. Dies find wechſelnde Stimme
gen, die man ertragen muß. -- Zuletzt kommt denn doc ei
Zeit, wo nur berufene und edle Geifter den Werth ihrer d
gänger feititellen, wo man den Autor wenigitend im a
menhange mit feinen Zeitgenoffen ſieht und beurtheilt.
bindert nidyt, daß die Gemeinheit auch nach etanfend — N
ren noch bisweilen jchreit, Platon fei ein dummer Schwär
Homeros ein langweiliger Schwäßer. ——
— —— — — —
31
Oſterſonntag, den 8. April 1856.
Ein Gerücht vom Auseinandergehen des Kongreſſes in
Wien. — Eine merfwürdige und wichtige Thatfache ift die
große Verwüſtung, welche im öfterreichifchen Heer durch Kranf:
heiten angerichtet wird; die Truppen fteben noch friedlich auf
eignem Boden, in geordneter Verpflegung, und dennoch! Ein
Reiterregiment ift faft ganz aufgerieben, ein andres hat nur
noch die Hälfte feiner Mannfchaften! Ich gedenke der Zuftände
in Ungarn 1809, wo das Heer neunzigtaufend Kranke zählte,
dad Regiment Bogelfang allein zweitaufend, von denen feiner
jum Regiment wiederfehrte. Und welch entfegliche Anftalten
damals! —
Eine Betrachtung drängt fich mir feit einiger Zeit wieder:
holt auf. Das Alter hat das Eigne, nicht mehr erwerben zu
können, es kann nur audgeben, abwerfen, verzehren, kaum noch
genießen. Died gilt von allen Gebieten, ded Körpers, des
Geiſtes, des Herzend; von allen äußern Hülfsmitteln, und
innen. Das bedingt allerdings eine befondere Stellung zum
Reben, wie die Jugend fie nicht fennt. Im Innern aber
macht der Unterfchied fich doch weniger geltend, da treibt es
und alüht es, und finnt es und ftrebt ed immerfort — 5¶
Berlin mit aller feiner Pracht und Schwelgerei hat doch
an folhem Fefttage wie heute nur ein klägliches Anfehn, be-
ſonders wenn kein heitres Wetter if. Da zeigt fich fein ges
pußted Bolf auf der Straße, da bleibt e8 in feinen Arbeits⸗
böhlen verborgen, oder fehleicht am dunkeln Abend in die
fhlehten Wirthähäufer, und betäubt fih in wüſtem Lärm,
Tabaferauch und Getränf! Berlin fommt um feinen ehrbaren
Nittelftand, der guten wohlhabenden Bürger werden immer
weniger. Schwindel aller Art gedeiht, wie nie vorher. Bon
oben wird diefer Mipftand begünftigt. Schlechter, ferviler
Magiftrat, ohnmächtige Stadtverordnete; glänzende allmäch-
tige Polizei, prunfvolle Anftalten, deren Koften unerfchwing-
32
(ich find! — Das Gewerb und der Handel ringen fräftig gegen
den Rerfall, aber ftopen überall auf Hinderniffe, und ihre Er:
folge felbjt werden oft zum Nachtheil. —
Ein Mitglied des Richterjtandes beflagt fich bitter über die
(Eingriffe der Polizei in die Nechtöpflege. Die Polizei darf
gefeklicy feine Verhaftung vornehmen ohne gerichtlichen Fer:
haftsbefehl, jie verhaftet aber eigenmächtig nach Willfür, läßt
die Berhafteten oft längere Zeit im Gefängniß ohne die Kennt:
niß des Gerichts, erfinnt allerlei Ausflüchte, um die Verf
tung als gerechtfertigt erfcheinen zu laffen, und behält inden
meiften Fällen die Oberhand, da der Juftizminifter wie dr
Hof auf ihrer Seite find; ein armes Gericht vermag dagegen
nichts. — |
Oftermontag , den 9. April 1855.
Gefchrieben ; ich habe doch der Frage, ob man mitmählen
foll, eine leine Erörterung widmen müffen, für den jehigen
Augenblid überwiegt das Nein, mehr noch ald vor einem Jahte.
Die jepige Staatöverderbniß ift zu groß und liegt zu had, ald |
daß ſie durch Kammern und leere Abjtimmungen geheilt wer:
den könnte! — Die Berliner find mehr bewegt und beicäftut
durch die Schliegung der Kroll'ſchen Wirthſchaft, als je
von der Schließung der Kammern fein würden. Allerdint |
fnüpfen fib an dieſe Sache manche höhere Angelegenr |
heiten, der Kampf der Nechtöpflege gegen die Polizei, M
gewaltfame Einmifchung der leptern, die Begünftigung it
Polizeidirektor Stieber, deffen Geldvortheile, die Nachſicht gegen
den Verwalter Engel, und andred der Art; das gerichtliht
Berfahren wird mandjed, was man verheimlichen möchte, an
den Tag bringen, es müßte denn fein, Daß auch dies Geridt,
wie in dem Köller/ihen Prozeß, aus Rüdjichten gewiſſe Ber
fonen nicht bloöftellen wollte. —
33
em Mangel an Zeitungen, während der Feiertage,
allerlei Gerüchte, die aber Schnell wieder fallen. —
nittagd Befuch von Herrn Dr. Vehſe. Mit Betrüb-
t er von der nahen Xbreife Dr. Franck's, und dem
Verhängniß, das über deflen Leben fich zufammen-
at. Wirklich ein tragifches Geſchick! Alle feine Vor:
ne Unabhängigfeit, fein Vermögen, feine Bildung,
einen fo ausgezeichneten Sohn zu haben, die Liebe
e Freiheit zu jeder Entſchließung, alles das verwan-
hm in Unglück! Er hat zu Behfe mehr Zutrauen,
deren, geſteht ihm feine Betrübniß, feinen Schmer;,
hränen nahe, befennt, daß er auf immer feheide.
Sohn in England Heimatherecht erlangen werde, ift
timmte Hoffnung. Und wie der Sohn fünftig ein-
3reußen zurücbliden werde, ift auch nicht vorherzu-
zenug, das Ganze ift ein großes Unglüd! — Ein
nicht in dem Sohn aufgehen ; das ift dad Unrichtige
iß der Sohn vor der Zeit Hauptperfon geworden.
Junge kann dafür nicht, und der liebevolle Vater,
8 geblieben war als dieſes Kind, ift auch zu ent-
Dienstag, den 10. April 1856.
Sonnenfchein ausgegangen. Zu Kranzler. Kölnifche
s8burger Zeitung. Bei Dr. Frand im Hotel de
urg, ich traf aber nur den Sohn, der mir einen
ndrud machte ald früher, nicht jo vortheilhaft, er hat
yolled Ausfehen, und fam mir etwas wie ein Schid-
ug für den Bater vor. —
Saftor aus der Trowitzſch'ſchen Druderei klagt über
on Arnim. —
fe Note des franzöfifchen Minifters Drouin de l'Huys
jgen von Enſe, Tagebüder. XII.
34
gegen die Manteuffel’fche, deren Behauptungen er hart be
ftreitet. — |
Herr Major von Hannefen aus St. Petersburg zurüdge:
fehrt. Ein rufjifcher General dort hatte fich auf eine an ihn
gerichtete Yrage Furz abgewendet, und als Hannefen ihn Nur:
über zur Rede ftellte, bat er um Berzeibung, er babe jenen
wegen der weißen Uniform für einen Defterreicher gehalten »
Gegen dieſe ift man wüthend aufgebracht. — In Wien geben
die Verhandlungen weiter. Lord John Nuffell von der Wiener
Geſellſchaft eingefangen, abgeſchwächt! —
Der Prinz von Preußen aus Koblenz berberufen. Die
große Kommiffion wegen der Miniebüchfen tritt wieder zufam |
men; die Feine von Adolph von Willifen geleitete genügt
wieder nicht. —
Bettina von Arnim fann nun jeden Tag hier eintreffen.
Ich freue mich gar nicht auf fiel Hat fie wirffich durt
Sclaganfälle gelitten, fo wird ihr Anblid ein fehr traurige
fein ; it fie wie fie war, fo wird fie mich wieder fchön quälen:
— Hermann Grimm will fi) todtlachen über ihren Einfall,
dem Generalpolizeidireftor von Hindeldey ihren Prozeß gegen
M. und den davon zu erftreitenden Betrag für die übt
ſchwemmten Schlefier zu überweifen! einen Betrag, der Id
auf bloße Gerichtöfoften, die zu bezahlen find, befchränfen wi. |
Nach) Grimm's Meinung ift M. in der Sache ganz che
Schuld, und au Bettinend Töchter glauben ed. — |
Mittwoch, ben 11. April 1865.
Ih habe großes Berlangen nach frifchem Grün und mitt
Quft, erinnere mich aber faum jemald mit fo geringen Erwar⸗
tungen der Sommerzeit entgegengefehen zu haben. Nicht nur
verfpricht fie nichts, fondern auch meinen Wünfchen bietet fie
feine annehmliche Geftalt, wenigftend in demjenigen, was ih
auf dem ordentlichen Wege für wahrſcheinlich, für möglid
halten fann; es müßte „neued, ungekanntes Glück“, perfön-
liches oder beſſer noch allgemeines kommen! — 63 ift
jet eine trübe Zeit, nichts Sichtbares, Offenes gedeiht,
überall verdorbene, falfche, fich hinfchleppende Berhältnifie,
überall Beflommenheit, Aufipannung, Mangel. Die Staa-
ten alle in verfehrter Entwidelung, fie arbeiten fi dem
Untergange zu. Und fein einziger Fürft, der dies einfähe,
entgegenwirfte! Das fpricht dem ganzen Monarchenthum
dad Urtheil! Ob Republifen beffer fein werden? Darnach
will die Gefchichte nicht fragen, ihr genügt der Wechfel,
wobei ja doch die Menfchheit im Ganzen fich immer etwas
votſchiebt. —
Man verſichert, die Verurtheilten vom ſogenannten März-
tomplott, Ladendorf, Levy, Gehrde 2c., würden ausnahms—
weife gut gehalten, auch die zum Zuchthaus Berurtheilten,
denen weder die Kleidung noch die Arbeit der gemeinen Sträfs
linge zugemutbet werde. Der Befehl zu diefer Milderung foll
dem Könige durch Hindeldey abgedrungen fein, ald deren Bes
gnadigungsgefuch verworfen worden. —
Nachrichten aus Wien: Thätigkeit ruffifcher Diplomaten
in allen möglichen Richtungen. Wird fein Frieden zu Stande
gebracht, fo werden die Ruſſen ſich offen mit der Revolution
verbünden,, den Aufftand der Griehen, Magyaren, Slaven,
Staliäner, ja vielleicht der Deutfchen und zuleßt der Franzoſen
degünftigen, unterftügen. Die Gegner können dafür die Polen
in Bewegung feßen. Arme Völker! Gut gemeint ift es von
feiner Seite, man will fie nur ald Werkzeuge gebrauchen. —
Hier ift ed wieder ganz ftill davon, daß Hindeldey zum
Dinifter des Innern ernannt werden foll. Die Kreuzzeitungs-
parthei hat die Sache zu hintertreiben gewußt, indem fie davon
frühzeitig Lärm machte und die Vorftellung verbreitete, der
König müſſe der öffentlichen Meinung nachgeben. Die arme
3*
36
öffentliche Meinung! fie hat nicht entfernt an das gedadt,
was ihr jebt aufgebürdet wird! —
In der Ilias gelefen, in Goethe's Fleinen Gedichten, unter
denen viele ganz unbeadhtet find! — In der deutfchen Litte
ratur fehlt e& vor allem an Lefern, ganz entfeglich am guten,
dankbaren Leſern. Die Schäße liegen bei und aufgehäuft, me
dad Erz in den Gebirgen, dunkel, unausgebeutet, unbenukt.
Und da fällt das blöde Kritiferwolf noch ungezogen über die
wadern Bergfnappen her, die bemüht ſind, den Reichthum in
Umlauf zu bringen! —
Prinz Albrecht und ſeine Gemahlin Prinzeſſin Marianne
haben ſich in Meinungen bei der Leiche ihrer Tochter getrofen,
und verföhnt, foweit hier dad Wort Geltung haben fann, Dit
Prinzefjin hat ihren Diener geheirathet, Kinder mit ihm, und
er ift ganz Herr im Haufe. Man fchäpt Das Bermögen det
Prinzeffin auf dreigig Millionen. —
Nachrichten aus Baden. Der Prinz: Regent ijt ſchwah,
und ganz in den Händen der Reaktion, nur zwifchen Defer |
reih und Preußen ſchwankend. Die Proteftanten, not)
gedrungen wider die römifche Kirche im Streit, ftügten ihrer
Meinung nad) fih am liebften auf die Jeſuiten! Liederlice
Wirthichaft, in die man den Prinz-Regenten zu ziehen bemüht
ift; ein gewifles adliged Haus in Karlsruhe bezeichnet man
ald —, die angefehenften Familien beeifern ſich ihm ih
Töchter zu Kiebfchaften anzubieten. Es fommen in de
ſem Betreff Namen vor, die mir ſchon vor dreißig Jahren in
jolcher Art genannt wurden; es fcheint auch hierin Erbämte
zu geben! —
Donnerstag, den 12. April 1855.
Der König ift fehr dadurch verlegt, daß Rußland in Wien
nicht entfchiedener auf den Eintritt Preußens in die Friedens⸗
37
serathungen beftanden hat, Der ruſſiſche Gefandte begnügte
ſich, den hiefür ausgefprochenen Wunſch, welchen die Weft-
mähte furz werneinten, zu den Akten zu geben. —
Großes Ffranzöfifched Lager bei Konftantinopel, die Stadt
und den Bosporus beherrfchend. Die Franzoſen werden dort
auch nach dem Frieden fo lange als möglich bleiben, wie in
Rom, wie die Defterreicher in den Donaufürftenthümern, —
wie die Preußen es in Holftein, Hamburg und Baden woll-
ten! — Frieden ift wahrfcheinlich, aber welcher! Ein Frieden
voller Jwiftigkeiten, Ränken und Ausflüchten! —
Herr Dr. Hermann Franck hat noch hier die Nachricht
empfangen, daß es für feinen Sohn nichts ift mit dem Dienft
anf englifchen Kriegsſchiffen, nichts ift mit der Schifffahrte-
ſchule; er wird ale Midfhipman auf einem Schiffe der oftindi-
ſchen Kompagnie feine Zaufbahn beginnen, — falle nicht aud)
bier noch Schwierigkeiten eintreten. Die ftoljen Gönnerfchaf-
ten, die fichern Borauserfundigungen, haben ſich als Täu-
ſchung erwieſen! — Franck reift morgen mit feinem Sohn ab;
ih hedaure den Vater fehr, es Fonnte ihm fein größeres Un-
glüd widerfahren. Und follte der Sohn doh nicht aushal-
ten, welch neues Unheil, welche Beihämung! Das Schlimmfte
ft, daß der Sohn wie dem Baterlande zugleich dem Vater faft
gänzlich entzogen wird. Wie die Sachen einmal ftehen, ift es
doch richtig, daß der Vater dem Sohne nachgab. —
Der Unterfuchungsrichter Schlötfe vom Stadtgericht ift
von dieſer Amtöverrichtung entfernt, als Hülfgarbeiter zum
Kammergericht verfegt und dur den Grafen von Wartene-
leben erfegt worden. Die Veränderung ift für jenen feine
Beförderung, vielmehr eine Kränkung; man wollte ihn los
ein, befonders war Hindeldey feit langer Zeit ihm feind, und
‚rbeitete emfig gegen ihn. Schlötfe, der aud dem Waldeck'⸗
hen Prozeß berüchtigte, verrufene Schlötfe, der eiftige Augen-
iener des Hofes, der Minifter, der Reaktion, in Ungnade!
38
Das alſo fein Lohn! Er bekommt feine Strafe von der Seike,
von der er fie nicht verdient, das ift um fo härter! Er fol
ein geſchickter Furift fein, und wollte auch einmal ein redlich
ftrenger fein; in der Sache ded Prinzen *, der ein — Vergehen
mit einem Mädchen begangen und die gerichtliche Ahndung
nur mit den größten Geldopfern vermieden hat, war Schlöfte
gegen die Warnungen, Die er von oben empfing, taub, wollte
feine Pflicht thun, nahm die fchlimmen Ausſagen der Keute in
die Berhörprotofolle auf, anftatt fie zu unterdrücden. Sindel:
dey ftellte dem Könige Diefe Ungebühr vor, und es erfolgte
— eine feltfame Neuheit — ein mündlicher Kabinetöbefehl an
den Juftizminifter, die obige Berfeßung zu verfügen. Di
die Sache in der Beamtenwelt Auffehen macht, fo hat fid
Hindeldey auf einige Tage entfernt, damit es um fo weniger
ausſehe, ald habe er mit ihr etwas zu thun. —
Freitag, den 13. April 1855.
Großer Auffag im Moniteur über den Kriegszug nah det
Krim; Louid Bonaparte wälzt alle Nachtheile auf die Auß
führer, rechnet alle Bortheile fich zur Ehre. Das Bedürfniß,
die öffentliche Meinung für fich zu gewinnen , oder zu behauß;
ten, bringt ihn ſchon fehr in die Klemme. Um die allgemeint
Gunſt muß er zum Theil die des Heeres opfern, und doch hilft
ihm jene nicht im geringften, wenn er diefe nicht hat.
Mit der Reife Louis Bonaparte's nach England wird te
Ernft. Man bereitet fih dort zu dem feftlichiten Empfang vor.
Er gilt dort nur ald Ausdrud einer thatfächlichen Macht, einer
befreundeten, hülfreichen, und fein anderer Gefichtepunt
wird fih im Augenblide geltend machen. — Die Ariftokratie
und der Hof haben die Schmad, ſich vor dem verbrecherifchen
39
Emporfömmling zu beugen, und werden fie bid auf die Hefen
trinfen! Was find alle fogenannten legitimen Monarchen,
wenn fie diefen Abentheurer zum Genoſſen haben, ihn ala
lolhen anerkennen, ihm huldigen, ihm fehmeicheln müffen !
Die Demokraten hohnlachen darüber, er dient ihnen, indem
fie ihn haſſen und verachten. — |
Im Auguft erlifcht das. Mandat der jegigen Abgeordneten
jur zweiten Kammer, und ed werden allgemeine neue Wahlen
Rattfinden. Die Frage wegen der Betheiligung an der Wahl
wird nun wichtig und dringend. Es finden fich viele Volks—
freunde geneigt, diesmal mitzuwählen. Andere find heftig
für die fernere Zurüchaltung. Die Minifter find ſchon dar:
über beunruhigt, und denken auch ihrerfeits an Maßregeln, um
Ye Wahlfreiheit zu befchränfen; der Gedanke, ein neues Wahl-
jefeg ohne die Kammern auf eigne Hand zu oftroyiren, liegt
tabe genug, aber man weiß noch nicht, auf welche Weife man
8 einrichten foll, um die Demokraten wirklich auszuſchließen.
Die bisherige dumme Pfiffigfeit genügt hier nicht. —
Dr. Franck hat feine Reife um einen Tag aufgefchoben,
im morgen mit Pfuel zugleich bis Magdeburg zu fahren; eine
eltne Biegfamfeit in ihm! —
Zu Haufe noch kurze Sitzung in allerlei Geſpräch. — Alte
Sachen gelefen, aus der erften franzöfifchen Nevolutionszeit,
deutſche Auffaffungen derfelben durch Schlabrendorf, Delöner,
Forfter, Huber, Baggefen, Georg Kerner, Reichhardt, Johann
Heinrich Boß, Rebmann ıc. —
Der Fürft Woronzoff, gewefener Statthalter in Odeſſa,
hat hier zu einem meiner Bekannten gejagt, Liprandi fei
der einzige tüchtige General in der Krim; Lüders habe nur
perfönliche Tapferkeit, fonft nichts; Gortfchafoff fei zerftreut,
abe gar fein Gedächtniß; DftensSaden fei ein Betbruder;
iber Menſchikoff Sprach er ſehr geringfchäßig, an Paskewitſch
40
lobte er den guten Willen, die dem Aufbrauſen folgende
Milde. —
Von Manteuffel fagt man, er habe die Leitung der aus
wärtigen Angelegenheiten übernommen, wie jener Hann du
Geigenfpiel, den man gefragt, ob er die Geige fpiele? worauf
er geantwortet, ex wiſſe ed nicht, er wolle ed probiren! —
Sonnabend, den 14. April 1855.
Lebhafte aufregende Träume; Bonaparte zu einer Art von
europäifchem Generaliffimus erflärt, der König von Preußen
in größter Bedrängniß; ich war beiden perfünlich ganz nal,
fonnte alled genau jehen, fprach aber mit feinem.
Herrn Profeffor Agathon Benary gefprochen ; er hat neu
Verdrießlichkeiten, das Schulfolfegtum will ihm die oem |
Klaffen nehmen. Wegen einer Neußerung bei der Todesnad-
richt vom ruffifchen Kaifer ift er zur Verantwortung gejogm
worden. |
In meinen Papieren gearbeitet, ohne fonderlichen Erich.
Ueber manche Gegenftände kann ich durchaus nicht zum dr |
ſchluß kommen; ihre Behandlung hängt zu fehr von den Um |
ftänden ab, unter denen eine Beröffentlichung möglich erſcheinl.
Ich würde viele Papiere vernichten, wenn ich nicht hoffte, do}
die gegenwärtigen Zuftände anderen weichen werden, in denen
andere Anfichten, Meinungen und Urtheile herrſchen mögn
als jeßt. Bei heutigen Zeitgenoffen wird heuchlerifche Ziererei
und blöder Unverftand mich über vieles tadeln, was ich dehhalt
doch keineswegs aufgebe. Nichte kommt mir elender vor, alt
fi) vor der Lefewelt fleckenrein darftellen zu wollen; ein ae:
fchmeicheltes, falſches Bild ift meines nicht mehr. —
Abends mit Ludmilla zu Frau von Nimptfch gegangen. —
Ein muntrer Abend, lebhaftes Gefpräch nad) allen Richtungen,
41
ernſt und heiter. Der Kladderadatjch über Putliß wurde vor:
gelefen, zum großen Ergögen. Ueber Dr. Franck wurde viel
geiprochen, fein Schidfal, das feines Knaben. Franck hat der
rau von Nimptfch das Bekenntniß abgelegt, für die Kräfte,
die ihm verliehen worden, habe er fo gut wie nicht® geleiftet,
fein urſprüngliches Gebrechen fei Faulheit; er hätte in den.
Wiſſenſchaften viel thun fönnen, er wäre noch jebt im Stande
eine Oper zu fchreiben, und mehr dergleichen Aeußerungen, auf
die ich gar nicht viel gebe. Seine gute tage, feine wohlhabende
Unabhängigkeit hat er fich zu gut gefallen laffen, und die Ge-
nüfe der Welt reichlich genoffen, zu denen freilich die geiftigen
auch gehörten. Daß er mehr hätte leiten können, halte ich
für einen Irrthum; wäre er in einer befonderen Richtung
Heißiger gewefen, fo würde er diefe allgemeine Bildungshöhe
niht erreicht haben, die er jet ald Mapftab an feine Aufgaben
legt; jeder Vortheil bat feine Schattenfeiten, jeder Nachtbeil
feine Lichtſeite. — Franck wird heute 53 Jahre alt. —
Im Plutarchos gelefen, in deutfchen älteren Sachen. —
Eine der härteften Prüfungen für das Alter ift ed, wenn
man den Menfchen ihre Schöpfungen zerftört, ihre Götter:
und Heroengeftalten niederftürzt. Goethe drückt erfteres weh-
müthig in diefen Zeilen aus:
„Den hochbeftandenen Föhrenwald
Pflanzt’ ich in jungen Tagen,
Er freut mi fo! — ! — ! — Man wird ihn bald
Als Brennholz niederjchlagen.” —
Das Niederwerfen der Götter wird zwar bei freuen und
flandhaften Gemüthern nicht gelingen, fondern immer nur ein
foheiternder Berfuch bleiben ; aber daß diefer auch nur gewagt
wird, ift dem Gefühl fchmerzlich. —
42
Sonntag, ben 15. April 1855.
Die Zeitungen melden, daß der Baron Theodor ven
Sydow am 8. April zu Gräk fünfundachtzig Fahr alt geftor:
ben iſt. Er war früher preußifcher Offizier, nad) 1806 ri:
fender Deflamator, Schmaroger, Glüddjäger; als ich ihn
‚1834 bei Tettenborn in Wien fah, war er ſchon ganz herunter:
gekommen; er lebte zulegt von den Almofen der Bornehme.
Ein weichlicher Holtet, wie diefer ein härtliher Sydow. |
Der Kaifer von Oeſterreich hat feit kurzem ſchon die dritt
Amneftie erlaffen, über zwölfhundert politifche Gefangene fin
Dadurch in freiheit gefebt worden! Nichts der Art in Preußen:
Beichämend und dumm zugleih, an feine Verföhnung ju
denfen, die edelften Kräfte des Landes yelähmt zu laffen, den
Zwiefpalt zu erhalten, — aus den kleinlichſten Rachegefühln,
bei dem Bewußtfein, felber nicht ohne Schuld zu fein. Her
liegt Preußens? Schwäche! —
Geſchrieben. Die Wahlfrage unterfucht, zur Unterfuhung
empfohlen. Die Abneigung gegen unfer Scheinverfafung®
wejen ift mit Recht fehr groß, und wird ſchwer zu uͤberwinden
fein. Man gebt feinem Gewerbe oder Vergnügen nad, if
gegen den Staat gleichgültig, fucht fi mit ihm als eint
Unvernunft möglichit abzufinden. — |
Im Plutarchos gelefen; in alten Brieffchaften, gedrudten
und ungedrudten, deren Stoffe fich allmählig zu einer Aus
arbeitung anlaffen, deren Geftalt und Richtung indeß neh
nicht entfihieden find. —
Neue bittre Umlaufenote Defterreichd gegen Preußen, vom
23. März, es blidt einige Verachtung durh! — Nachricht
aus Wien fagen, daß der Kaifer perfönlich in heftigfter Stim:
nung gegen Preußen fei, vom Könige mit Hohn und Grimm
ipreche, ala von einem falfchen Bundeegenoffen, den man
beffer zum offnen Feind habe ꝛc. —
Der König bat gefagt, Die Sendungen ded Generals von
43
Wedell nach Paris follten nun ihr Ende haben, derfelbe könne
nach Qurenburg jurüdfehren. Den König foll der Beſuch
Louis Bonaparte’d in London ſchmerzlich beunruhigen, der
Ithtere fpielt Rollen ,. die ein Hohn für die andern Machthaber
werden. Der König erinnert ſich feiner eignen Reife nad)
Gngland, aber weder die Bedeutung nody der Beifall kommen
in Bergleich zu der Ernte, Bonaparte’d. —
Eine vornehme Dame, die mit den Hoffachen genau befannt
if, höchft ariftofratifch, aber nur bedingungsweife royaliftifch ge-
finnt, macht von dem Könige und der Königin feine vortheilhafte
Shilderung. Sie fagt von leßterer, fie fei über die Maßen hof
fährtig, ftreng und hart, in vielen Beziehungen erbittert, grän⸗
zenlos herrjchfüchtig, nur darin befchränft, dag ihr Geſichtskreis
ein fo überaus enger ſei; man glaube gar nicht, wie eigen und
jorgfältig fie in Kleidung und Pup, wie wählerifch und ſchwer
zu befriedigen fie fei! Man müſſe ſich ihr ganzes Weſen und
Benehmen daraus erklären, daß fie feine Kinder habe ꝛc. In
perfönlichen Dingen beberrfche fie den König ganz, fie fpreche
mit ihm in kaltem gebietenden Ton oft leife, man fehe, daß
der König fie fürchte, öfterd ängstlich und zweifelnd nach ihr
binblide, genug fich ihrem Willen füge. Das hindere nicht,
daß er doch biöweilen wieder durch allerlei Unarten fich Luft
made. Noch wurde bemerkt, daß wer in der Gunft ded Könige
dauernd fih erhalte, dies nur durd die Gunft der Königin
bewirfe, 3. B. Uhden, Illaire, Leopold von Gerlach, Hofrath
Schneider, auch Markus Niebuhr fo lang es ging, die Familie
von Canitz 2. — Gene vornehme Dame, wer ift fie? Die
Gräfin von Münfter geb. von der Marwig? Die Gräfin
von Haake geb. Gräfin von Tauenpien? Oder eine der vielen
anderen, die folcher Aeuperungen fähig, am Hofe leben? Der
Rame wurde nicht genannt. —
— — — — ——
44
Montag, ben 16. April 1858.
Die Montagspoft prüft mit Schärfe den berüchtigten
Artikel des Moniteurd über die Krim, zeigt deſſen Schwäche,
deffen Unhaltbarkeit. Für mich ift er ein Zeichen des
Sinfend! —
Im Plutarchos gelefen, in Schiller’d Briefen. —
Wie viele unfter guten Schriftfteller, unfrer begabten, |
gehaltvollen, Die zu ihrer Zeit wichtig waren, und zur großen
Geiftedbewegung ihr Theil redlich beitrugen, gehen und gay |
verloren! Ihre Namen bleiben allenfalle, eingefchrieim
etwa in Litteraturgefchichten, oder in den Brieffchaften und
Denkwürdigkeiten vorfommend, aber ihre Schriften gehen
rettungslos verloren! Die Deutfchen find vorzüglich reihen
folchen, die nicht die Erften find, aber die beiten weiten und
Dritten, oft jenen ganz nahe, und die Mitvordränger ven |
jenen. Es wäre das arößte Unrecht, diefe Leute für Mittel:
mäßigfeiten auszugeben, fie find dies durchaus nicht! Ahr
die Schriften von Morik, von Erhard, Reinhold, Voß, um |
nur diefe zu nennen, wer lieft fie noch, wer fammelt ſie |
Und felbit die gefammelten, fann man fagen, fie feien jum |
Gemeingut geworden? Jean Paul Richter, Forſter, Fichte,
— werden fie noch gefchäßt und genoſſen wie fonft? — |
Unter den Affefforen, die angellagt find, ihre Prüfung: |
arbeiten nicht felbit gemacht zu haben, wie fie doch an Cie |
Statt verfihern mußten, befindet ſich auch ein Kammergeriht® |
affeffor v. *, defien Mutter eine Millionärin if. Dan bit |
ihr vorgefchlagen, den Verſuch zu machen, durch Anbietung
einer Summe von hunderttaufend Thalern zu milden Zwedn
den König zur Nicderfchlagung des Verfahrens zu bemeam |
Ein folcher Fall ift in früheren Zeiten einmal vorgefomme,
ein Hr. von Zedlitz hat mit folder Summe einen Rott
gefühnt. Aber die Mutter ann fich nicht entfchliegen. Auch
giebt es jetzt geſetzlich Feine ſolche Niederfchlagung meh,
45
ur nach erfolgtem Urtheil Begnadigung. — Noch
erer Umftand fommt bei diefem * in Betracht. An:
3erfonen verwandten fich bei dem Juftizminifter um
Hülfe, diefer war auch beiten Willend, meinte aber,
müffe er genau wiffen, was und wie es gefchehen
rieb darauf in rückhaltloſem Bertrauen dem Minifter
Beichte, und diefer — gab das den Armen gänzlich
de Schreiben zu den Alten! —
Dienstag, ben 17. April 1856.
rieben ; über das politifche Gedächtniß, das ſich ver:
jehr lange, dann aber plöplich mit Macht hervortritt.
a alle Urfache, unsre Erinnerungen zu pflegen, unfrer
nicht zu vergefien, aber auch unfrer Feinde nicht.
e Feind ift der gefährlichfte. Selbft im Jahre 1813
werer zu überwinden, ald der Äußere. —
ranzler. Unter den Linden, zur Schloßbrüde; Ueber-
eutigen Parade, Konftabler zu Fuß und zu Pferd,
yichtig machen und fpreigen; daß Diele Zier des
ſens hauptjächlih an dem Defizit in den Finanzen
Schuld ift, fällt und heute nur zu fehr ein, da die
ı melden, daß die Erhöhung der Haus⸗ und Mieth⸗
> die Errichtung einer Brennftofffteuer wie einer
euer befchloffen iſt. —
ung aus Paris von der Gräfin d'Agoult, die Revue
yraine vom 15. April, worin ein Auffaß von ihr:
- et libert&: quatre ans de l’histoire de Hol-
— Brief aus Weimar von Apollonius von Maltig. —
ichten aus Baden; Aergerniffe am Hof, reaftionaire
Pfaffenwirthſchaft. Ueber die ruſſiſchen Ber:
KL, —
46
An Herrn Direktor Lehmann nach Marienwerder ge
ichrieben. Seine Gedichte machen auf mich einen angenehmen
Eindruck, nicht fowohl durd, ihren dichterifchen Werth, ald
weil fie im Ganzen ein befriedigended Lebensbild geben, dad
erheiternd auf mich wirkte. -- |
Gleichzeitig aus Paris und aus St. Petersburg trifft hiex
die Nachricht ein, daß die allgemeine Beichiegung Sebaſtopols
am 9, April begonnen hat. Die Ruffen geben ihren Beruf
auf 834 Dann an. — Zweiter großer Artikel des Moniteur
über die Friedensverhandlungen, mehr drohend als hoffend.—
Mittwoch, ben 18. April 1855.
Berfchnupft und heifer, fehr leidend. — Louis Bonaparte
Ankunft in England am 16. glänzend und herzlich!? fir
ihn und feine Frau fehr befriedigend, für die Königin aber, den
Hof, die Ariftofratie, den Staat, demüthigend und beſchämend!
Damit es dem neuen Staatefpielzeug bei und, M
preußifchen Flotte, nicht an Spott und Schande fehl,
muß die in England eingetaufchte Fregatte den englifhen
Kriegöfchiffen und den dänifchen Sundbatterien die gebräud
lichen Salutfchüffe nicht erwiedern können, und ſich entichub
digen, daß fie ihre Kanonen fämmtlidh in England zurid⸗
gelaffen habe! Die Seeleute felbft find außer ſich darükt,
und fchimpfen laut. Dem Kladderadatich ift verboten wort,
feine Späße über die Gefchichte zu machen. —
Man fängt ſchon an Ängftlic zu werden twegen der neun
Kammerwahlen, dad Minifterium merkt, dag die Stimmun |
etwas ernfter ift, und die Wahlen nicht mehr fo unberindt |
durch die Landräthe diftirt werden möchten, und man del
an veränderte Einrichtung der MWahlbezirfe nach dem Gut:
befinden der Behörde. In der zweiten Kammer wird deßhalb
von der Parthei Bethmann-Hollweg ein Geſetz beantragt, da}
47
die Wahlbezirke fo bleiben müſſen, wie fie jebt find, und dag
Ve nicht willfürlih, fondern nur durch ein Gefek verändert
werden Dürfen. Daß die demofratifche Parthei mitwählen
werde, iſt ſchon wieder fehr zweifelhaft; es ift weniger Troß,
der fie abhält, als Ekel; der preußifche Staat iſt ein Augiad-
fall geworden, fo viel Unrath der ftinfendften Art hat fich in
ihm angehäuft, und man hält ed nicht der Mühe werth, an
Aufräumen zu denken, während der Mift noch ftetd vermehrt
wird. Jämmerliche Zuftände! —
Die Nationalzeitung hat mehrere Artikel den kriegswiſſen⸗
ſchaftlichen Schriften Rüſtow's gewidmet, worüber die Kreuz:
jeitung ihren gehörigen Aerger geifert! —
In der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 9. April
(Ro. 99 Beilage) fteht ein leſenswerther Artikel über Wiflen-
ſchaft und Theologie in Straßburg, der die Arbeiten der dortigen
proteitantifchen Gelehrten gebührend hervorhebt. Dabei find
die Philologen und Dichter noch nicht aufgezählt. Die kleine
tühtige Schaar macht dem deutfchen Elfaß alle Ehre. —
In der Revue contemporaine läßt fich Guizot vernehmen,
unter dem Titel M&ecomptes et esperances theilt er feine
Anficht der politifhen Dinge. mit. Er hat viel von einem
Pfaffen, er erinnert an den feligen Ancilfon, das Philofophiren
if bei beiden gleich, das heißt von der äußerften Mittelmäpig-
keit, Daß Guizot durd feinen Auffas den Weg zu Louis.
Bonaparte für fich zu öffnen ſucht, glaub’ ich doch nicht. Dazu
half ich ihm für zu ehrenhaft. Aber der Ehrgeiz des alten
Mannes läßt ihn nicht ruhen. Er muß wieder mitreden, muß
don fidy reden hören. — Darin ift er dem Chateaubriand
ähnlich. —
— — — — —
Donnerstag, ben 19. April 1865.
Mein Zuftand ift ärger ald geftern, und vielleicht heute
n fchlimmften! Ich bin ganz verdummt, fannn nicht ſprechen,
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die Augen brennen, das Athemholen ift befchwerlich. Dabei
die herabgedrüdtefte Stimmung, eine Unluft, ein Ueberdruß,
— dad ganze nody übrige Leben erfcheint: eine Laſt, das ganze
menfchlihe Dafein ein mühvoller Traum! ch greife ver:
gebend nach Hülfsmitteln gegen diefed Sinfen, nichts will
anſchlagen, nicht Bücher, nicht Gedanfen: Die legtern vers
einen fi) immer wieder auf Bildern unwiederbringlider
Vergangenheit; mir fehlen die rechten Menfchen friſche In-
Ihauungen, gedeihliche Thätigkeit, und ich fann nicht hoffen,
daß mir fie wiederfehren werden! —
Verſuche zu arbeiten gelangen mir heute durchaus nidt;
ich fand fogar das Lefen angreifend. Schachaufgaben, traurige
Beichäftigung! — Auf: und Abgehen im Zimmer! — i
In diefe ſchwache Gemütheftimmung fiel ein Schlag, Kt
fie augenblicklich zu einer fchmerzlich ftarfen machte! Hr. Pr
feffor Dirichlet fam, um mir ald einem antheilvollen Freund
mit zu allererit anzufündigen, daß er Berlin verlaffen wir, |
daß er einen Ruf nach Göttingen angenommen hat, wo era
die Stelle ded berühmten Gauß treten wird. Der Entfhlus
ift ein bedeutender, in manchem Sinne bedenflicher; aber die |
Umftände rechtfertigen ihn, die Regierung hat feit fiebenun®
zwanzig Jahren Dirichlet’3 ausgezeichnete Berdienfte nicht
beachtet, der Minifter von Raumer noch bis zulegt fih un
würdig und unfchidlich gegen ihn betragen, es gefchieht vn |
Kerls Recht, wenn man fich endlid von ihnen losſagt; auh
Humboldt fiebt ed fo an, und ift voll Unwillens und Jomt
gegen Raumer, giebt ihm die häßlichſten verdienten Titel.
Aber mir fchnürte diefe Ankündigung dad Herz zufammen, &
war mir im Augenblide, ald ob Berlin verödete! Diefer Ark
von der Abraham Mendelöfohn'ihen Familie, diefer fchönen
Erinnerungen von Haus und Garten, von belebter Jugendluß,
ſoll mir nun auch hier verfchwinden! Ich mußte weinen, alö
ich allein geblieben war! —
49
Nachmittags Diefelben traurigen Betrachtungen mit Lud—
milla befprochen. Man muß verwundert inne werden, wie
ſehr allein man ift, wie von fremder Welt umgeben, die man
die feinige nennen könnte, ift nirgendd mehr zu finden. Wir
tehneten auf, was wir in Berlin haben; mit jedem Tage
weniger, blutwenig. — Die Ueberlegung fam wieder vor, ob
nicht auch mir ein anderer Wohnoyt angemeffener fein würde;
doh war das Ergebniß verneinend; in Hamburg, in Düflel:
dorf, fo fehr mich beide Städte anzichen, würden mid) Die
porhandenen Erinnerungen und die fehlenden gleicherweiſe
unglüdlich machen; von andern Orten fann faum die Rede
lein. — Die Erwägung felbft war eine Plage! —
Nach dem Thee ariffen wir zum gewohnten Schachfpiel. —
Stanzöfifche Sachen gelefen; die Schilderung Wilbelm’3 von
Orinien, ded Schweigfamen, von der Gräfin dD’Agoult, in der
Revue eontemporaine, ein recht braves Geſchichtsbild, aus
guten Studien! —
sh dachte mir immer die Sabre des höheren Alters
als ſtillruhige Zurückgezogenheit, als bebagliches Tages—
leben, als herrlichen Friedenszuſtand; aber die Wirklichkeit
zeigt von dem nichts, nur immer neuer Kampf, neue
Sorge, neue Mißverhältniſſ! Was Frau von Guion
Ihre Kreuze nannte! —
Ich babe heute wieder eine Anzahl Bücher verfchentt,
niht gleichgültige und mir unwerthe, fondern brauchbare
und liebe, mit dem Borgefühl, daß ed mir aud wieder
leid fein könnte und ich fie vermiffen würde; aber ich
that e8 Doch! Das DBergnügen, dergleichen in die rechten
Bände zu bringen, ift doch noch größer, ala das des Erwerbens
ınd Beſitzens. ch that ed fchon oft, immer mit etwas Reue,
nd doch immer wieder. ch finde in mir noch heute das
zefühl erneuert, mit dem ich in meinem neunten Jahr einem
Barnhbagen von Enfe, Tagebüder. XII. 4
50
armen Knaben einen neuen Weberrod ſchenkte, der mid fl
im Winter hatte wärmen follen. —
Freitag, ben 20. April 1855.
Meine Nacht war fchleht, durch Pörperliche Leiden m
Gedanfenreihen, in letztere war ich wie verflochten und frant
fie nicht losiwerden. — Die Zeitungen find angefüllt mit Yu
richten von dem Glanz und der Beeiferung, ja Begeifterm,
mit denen Louis Bonaparte in London gefeiert wirt. Güj
ein merkwürdiges Schaufpiel, wie England in vollen Jim J
feine Schande trinkt. Die Niedrigkeit des Hofes und m P.
Großen übertrifft weit die Niedrigkeit des unteriten Bolle.-
In Rußland iſt eine Amneftie ergangen; es iſt jhmen
beurtheilen, wie weit fie ſich erſtreckt, aber es ift daheie fr
Handlung, die jenen Namen führt. Bei uns nicht derit
Gnade ift nur erfolgt, wenn die Reaktion Verbrechen wrik J
hat; da fehlte Fürfprache nicht. —
Der ruffifche Kaifer hat ſchon Zeit gefunden, die Unifoma
in feinem Kriegsheer abzuändern. Es fällt z. B. die Offer
ſchaͤrpe fort, die Generale befommen rothe Hofen, wie kin
Defterreihern zc. Darin foll wohl der militairifhe beij
des neuen Herrfcherd zu erkennen fein? Der dei Kulm
Nikolaus war freilich nicht viel beſſer! —
Nachmittags kam General Adolph von Willifen, der mt
nicht viel reden ließ, mir aber manches mittheilte. Sein ®#
trag auf Umänderung der Gewehre ift nad) viermonatlis®
ſchweren Kämpfen durchgedrungen; die Sache ift beidirhe
genehmigt, befohlen, und foll nun zur Ausführung konen
Mit feinem politifhen Urtheil bin ich jet nicht einverftant;
er nimmt nur Frankreich als Macht in Rechnung, und veriü
in weſſen Händen fie ift; er findet es eine Maßregel der Bm
51
ſehung, daß in Bonaparte ein Gegner Rußlands auf den
franzöfifchen Thron gefommen ; die Bourbong, die Orleans,
würden nie gegen Rußland, fondern mit ihm gemwefen fein,
darum mußten fie fallen. Uber wollte der Staatöftreicher
nicht auch zuerft mit Rußland fein? Hat nicht der blinde
Uebermuth des Kaiferd Nikolaus allein den Glückspilz auf die
andere Seite geitellt? Wie fehr England gedemüthigt iſt,
will man dort faum abläugnen, Willifen aber findet es nicht;
er möchte, daß Louis Bonaparte auch hier feinen Beſuch machte,
Hof und Bolf würden ihn mit Jubel empfangen. Leidenfchaft
gegen Rußland, vor der alle Rückſichten ſchwinden! Warum
joll ih Rußland mehr halfen, ald den — Louis Bonaparte ?
Weil diefer ein gebildetes, freied Volk unterdrüdt hat, it er
nur um fo haſſenswerther. Die unterdrüdten Ruffen waren
wenigftend nicht frei, und können es bei jedem Umſchwunge
werden, wie die Franzoſen wieder.
Nachrichten aus den Kammern. mn der eriten hat der
— Senfft von Pilſach wieder von dem „Schandjahr 1848 *
geſprochen, ihm hat der Graf von Arnim-Boytzenburg wenig-
tens vorgehalten, daß man dieſes Jahr — wegen der Reaktion!
— auch ein Ehrenjahr nennen könne! In der zweiten Kammer
bat die infame Kreuzzeitungsparthei das fo nothwendige, forg-
fältig ausgearbeitete, von Wentzel mit feinen beften Kräften
unterſtützte Konkursgeſetz gleich im Beginn wollen fallen machen.
Wagener und Gerlach hatten die Stirn, den unwürdigen Kniff
BE juverfuchen; der Minifterpräfident von Manteuffel mußte
W ihnen Scharf entgegentreten, und der bübifche Anfchlag wurde
zunichte. Das Gefeb wird eine Wohlthat für die Bürger:
und Handelöwelt fein, das genügte jenen Partheileuten, um
FE ihre ganze Bosheit dagegen aufzubieten. Wie lange werden
dieſe — ihr freches Weſen noch treiben dürfen? Sie
F haſſen den König, fie dienen einem fchändlichen Abgott, fie
J haben kein Vaterland, find unpreußifc und undeutſch, ver-
q*
h,
5
a
ä
;
3.
*
*
92
rathen den Staat an Rußland, — das gilt als Monarchentkum,
Religion, Patriotismus! —
Bertrauliche Mittheilungen aus St. Petersburg ſchilden
den Kaifer Alerander ale körperlich geſchwächt und fhrn J
der Bruft leidend, außerdem ald unficher und unbebülflit,
noch gar nicht auf eignen Füßen ftebend; er bat noch nid
Zeit und Willen genug gehabt, feine eigne Regierung einzu—
ſetzen, er führt nothgedrungen die alte mit den worgefundenn
Mitteln einftweilen fort. —
Sonnabend, den 21. April 1855.
Unrubige Nacht, doc angenehmer Traum. — Geſchrtieben
aber nicht recht in Zug fommen fünnen. Durchaus kin |
Luſt Briefe zu fchreiben! Des Perfönlihen bin ih ühr
drüffig, das Allgemeine ift troftlod, das Kitterarifche gerind
und ohne Reiz. — Beſuch von Herrn Dr. Vehſe; über Dirt:
let’8 Fortgehen; es macht allgemein großes Nuffehen, und m
den zahlreichen Freunden und Kreifinnigen den peinlihiten
Eindruck; auf den Unwiffenheitöminifter von Raumer wir
ſtark losgezogen. — |
Heute verläßt Louis Bonaparte, nachdem er den SHofen-
bandorden empfangen, London wieder. Das Ganze war feine
politiiche Handlung, nur eine Eitelfeitöpoffe. —
Die englifche Flotte ift vor Kiel angefommen. — Die
Beſchießung Sebaſtopols aus allen Batterieen dauert jeit dem
9. ununterbrochen fort. Ob der Sturm folgen wird? Ein
Schlacht gegen die Rufen im freien Felde wäre wirkſamer,
auch in Betreff der Feſtung. —
Zumutbhungen, die man mir in Anfehung der bevoriteben-
den Wahlen macht, und die ich entjchieden abweife. Iſt mn
auch nicht ausgemacht bis jest, ob eine allgemeine Betbeiligung
53
jurathen fei, — die Gründe für und wider fordern eine
wägung, die ohne Öffentliches Berhandeln ſchwer ift, — fo
ht mir doch feit, daß ich perfönlich jedenfalle nicht Antheil
hme. Die Entfcheidung hinfichtlich des Allgemeinen ift auch
zwegen ſchwierig, weil es auf ftatiftifche Ermittelungen an-
nmt, auf welche Zahlen und Gefinnungen man rechnen
mte; died im Stillen durch Briefwechſel herauszubringen
ju mühſam und unſicher. Und Berfammlungen jind un:
glich! —
Im Plutarchos geleſen, dann vielerlei ältere Sachen durch—
ehen, die vielleicht Stoff einer größeren Arbeit geben. —
Amtlicher Artikel über das hier neue Heroldsamt, und wieſo
ſelbe ganz in der Stille eingeſetzt worden, es ſei nämlich
e ganz alte, nur wieder abgeſondert hervortretende Behörde.
eſer Grund iſt ſo ſchlecht wie die ganze Sache, und ſein
mtliches AMusfprechen hebt ihn wieder auf, denn nun wird
doch die Wiederherftellung ausdrüdlich befannt gemacht! —
Die Neue Preugifche Zeitung rechnet den Franzoſen vor,
; fie für jeßt höchftend mit 50,000 Mann-am Rhein auf:
en fönnen, im September freilich vielleicht mit 150,000
nn, aber was will das fagen im Bergleih zu Preußend
resmacht! Doc, ließe fich vieled, gar vieles fagen gegen
e Berehnung! —
In den meiften Blättern wird ein großed Rühmen gemacht
den Schriften Riehl's, ja der gute Ruf derfelben hat ihm
Ernennung zum Profeffor an der Münchener Univerfität
haft. Sein neueſtes Buch Führt den Titel „Die Familie. *
s Buch gehört zu denen, die geſunde Nahrung und Arznei,
mmenmifchen, und daher Uebelfeit verurfachen. Seine
‚üben aus dem Leben find mannigfach und fchäßbar, aber
e Nubanwendungen find fümmerlih. Er thut den Phili—
ı fchön, macht den Bertheidiger alter Borurtheile, ſetzt alles
ere herab, hat die engherzigften VBorftellungen und Die
54
gemeinften Ausdrüde. Er fpriht zum Beifpiel von. Dlaw
ftrümpfen * — warum fagt er nicht auch „meine Wenigkeit‘?
für ihn wäre dad angemefjen, — er zieht gegen die arme ver:
folgte Frau Luiſe Aſton los! Nun, dem feichten Schwärr
geichieht ganz Necht, daß auch beſonders die Neue Preufifhe |
Zeitung ihn rühmt! —
Sonntag, den 22. April 1855.
Mir träumte von einem fcharfen Plänflergefecht, dem id
beiwohnte, ohne an ihm Theil zu nehmen; das Seltfamft
war, daß meine Mutter noch lebte und mich unangenehm Mr:
über auöfragte! — | KR
Die Nationalzeitung züchtigt die fchlechten Burfchen, die WE
in der zweiten Kammer aus böfer Tüde gegen das Kontur:
gefeb aufgetreten find, Wagener, Gerlach, Keller zc., und rügl
die weichliche Empfindfamfeit, in welche diefe harten Fanatilt P
der Buße und ded Banned plößlich ſich einhüllen wollen. —
Nachmittags Beſuch vom Grafen von Wartensleben, MI |
mir von feinen neuen Amtsverrichtungen als Unterfuchung®
tichter belehrende Auskunft ertheilt, von feinen Berhältnifer
zur Polizei, zu dem Staatsanwalt, zu den Miniftern. Erf |
mit Reidenfchaft Juriſt, und das ftrenge Recht geht ihm übe!
alles ; doch ift er Dabei von wahrer Menfchenliebe durchdtungen⸗
und immer ift er in dem liebenswürdigen Beftreben,
Menfchenfreundliche neben dem Recht und das Recht nee?
dem Menfchenfreundlichen zu erhalten. Er ift ein durdauf
achtungswerther Karafter, und ich würde eben fo auf feine
Gutmüthigfeit wie auf feine Rechtichaffenheit bauen. Seine
Borurtheile find mebr Gewohnheiten, und auch keineswegs die
ſchlimmſten, es läßt fi) mit ihnen ausfommen. Nady einiger
Zeit erſchien Fräulein *, die ſchon eine Weile bei Ludmilla
55
efen war und bald nachherauch Frau von * * ; Das Geſpräch
ide ſehr belebt, angenehm ſcherzhaft, wo der Ernft überhand
‚men wollte, fand jich immer glüdliche Einlenfung. Aber
of genug zu erniten Bemerkungen blieb mir zurüd! Die
giten Menfchen, wenn fie etwas verjteden wollen, verrathen
de durch ihr Bemühen ihre Abſicht, und man ficht nun,
s man ſonſt nicht gefehen hätte; was fie Scheinbar verachten
d verabſcheuen, ift oft grade der Gegenftand ihres heißeſten
gehend, und umgefehrt, was fie zu lieben worgeben, ihres
fcheud. Wieder zwei Wahrnehmungen, zu denen Rahel
: Gelegenheit gab! Man befprach reiche, vornehme Hei:
ben, den Bettelglanz hoher Würden in Heinen Berhältniffen,
um von Elsner ıc. —
Die Berliner Bürger fangen an laut zu murren über die
uen Steuern, die der Magiftrat ihnen auferlegen will. Der
agiftrat und die Stadtverordneten fagen, es ginge nicht
ders, das ungeheure Defizit müſſe doch gedeckt werden,
0,000 Thaler feien nur durch außerordentliche Keiftungen
ubringen, wer ein beſſeres Mittel wifje als jene Steuern,
t möge ed fagen. Aber, jagen die Bürger, iſt denn der
agitrat nur der Scherge der Polizei, hat er nicht die Stadt
vertreten, auch gegen die Regierung, die und ohne Maß
erbürdet ? Warum widerfegt ſich derfelbe nicht den un—
heuren Laſten, die Hindeldey uns auflegt, den übergroßen
fipieligen Anftalten, die mehr der Eitelfeit des Stifters
men, ald der Stadt nügen? Lehne fich der Magiftrat da-
der auf, lage er bei dem Staatdminifterium, dem Könige,
d wenn alles nicht hilft, fo lege er feine Stellen nieder, fo
h die Stadtverordneten; wenn man dann die ungerechte
walt dennoch fortfegt, jo mögen wir und die ganze Welt
nigſtens willen, daß wir unter einem Pafcha » Regiment
m! — Der Magiftrat abdanfen! welcher Einfall! Der
ge Magiftrat, mit Herrn Krausnick an der Spike, dem
56
lebenslänglichen Mitgliede ded Herrenhaufes! Eher kann allen
Bürgern Berlins das Fell über die Ohren gezogen werden! —
Fran Doktorin Meyer, früher Luiſe Afton, iſt mit be
jonderer Erlaubniß des Herrn von Hindeldey hier angefommen,
um während einiger Tage zum Bebuf ihrer Auswanderung
nach Amerifa die nöthigen Anftalten zu treffen. “Der Generat
von Wrangel liebäugelte einft mit ihr, ale fie die Kranfen um |
Berwundeten in Schleöwig-Holftein pflegte; ob er fich auch |
wieder um jie bekümmern wird ? —
Man jagt, der König fei gar nicht beruhigt über die pelv |
tifche Rage Preußens, — vor kurzem noch fchien er e8 in fteu—
digem Stolz, — fondern empfinde fehmerzlich, daß die Königin
Victoria ihm mißtraut, der Kaifer von Defterreich ihm grellt,
und der Kaifer von Rußland ihn wohl perfönlich einigermapen,
aber politifch gar nicht beachtet. Perſonen, die dem Koͤnige
nahe ftehen, verjichern, daß er öfters den Luſtigen nur fpiek,
um die tiefe Schwermuth, an der er leide, zu verbergen.
Dabei wird er immer mißtrauifcher. Man fucht ihm alles
was ihn umgiebt, zu verdächtigen. —
Montag, den 23. April 1855.
Gefchrieben ; Erörterung politifcher Fragen und Stan:
punfte, VBertheidigung des Fürften von Metternich in jenen
frühern Verhalten gegenüber von Rußland, er hatte früh das
Richtige gefehen, das Zweckmäßige gewollt, aber dem Einfluſe,
den er betritt, fich zuleßt fügen müffen, da weder Wellington
ihn verftand, noch Sranfreih, und am wenigften Preußen ihn
unterftügte ; jet erlebte er die große Genugthuung, daß die
Welt wenigftend feine Borausficht anerkennen muß. —
Die Montagspoft wieder fehr gut. Sie trifft immer den
Nagel auf den Kopf! —
Ueber Louis Bonaparte's Bejuch-in London urtheilen die
57
deutichen Blätter meift unbefangen und ungeblendet, man fieht
nur beiderfeitige Schwäche darin; englifche und benapartiftifche
(nicht franzöfifche!). Ueberhaupt fieht der Staatöftreicher
ſich in Verlegenheit, die er zu deden wünfcht. Seine großen
Moniteurartifel find redende Zeugniffe, er will fich heraus—
reden. So fchnell verfchwinden die Täufchungen, verbraucht
ih die Macht! In Frankreich mag es beunruhigend ausfehen! —
Louis Bonaparte hat der franzöfifchen Akademie das Recht ihre
Mitglieder zu ernennen, zum Theil entzogen und dem Unterrichts:
minifter beigelegt. Bereits find zehn neue Mitglieder (zur Klaſſe
der moralifchen und politifchen Wiffenfchaften) ernannt. Die
Gelehrten find ftugig und aufgebracht, fügen ſich aber. In der
Alademie war bisher eine noch ftarfe Oppofition, die jet ge-
brochen wird. Nebendinge, doch wichtig im Zufammenhang
mit allem Hebrigen. — Herr Dr. Keller wollte mid) befuchen. —
Beim Durchfehen diefer meiner Blätter fällt mir auf, daß
ein reichlicher Vorrat von Schimpfworten darin wiederholt
vorkommt; aber ed ift ſehr natürlich, denn Schimpfworte find
einmal die bequeme Abkürzung mancher Bezeichnungen, die in
andrer Art allzu weitläufig ausfallen würden, und dann find fie
überhaupt jetzt in verſtärktem Gebrauch, fie find aus dem untern
Volke zu den gebildeten Klaffen heraufgerüctt, und befonders am
Hofe gäng und gäbe. Wie kann man fich vor ſolchen An-
Nedungen genug hüten! Manche Namen werden gar nicht
ausgefprochen ohne den Zuſatz Schweinchund, Rader oder
Kanaille, und woher folde Worte fommen, dahin kehren fie
auch wieder zurüd. Auch werden bloße Namen jebt Schimpf—
worte; wie vor vielen Jahren der Name Schmalz, fo jetzt Gerlach,
Bagener ꝛc. „Sie find ein rechter Gerlah!* in Student,
der died zu einem andern fagte, hat ſich mit diefem fchlagen
nüffen. Auffallend ift es, mie in den höchften Kreifen fort:
vährend auf die höchſten Perfonen gejchimpft wird, man legt
ich kaum noch einen Zwang auf, die Bedienten hören es mit
58
“an. Wo der König am meiften feine Gunft und Gnabden, fein
Ehren verfchiwendet, Da zeigen fidy feine entfchiedenften Wit:
facher, feine perfönlichften Feinde; die angefehenften Familien
des Landes, die fich freilich .bei Gelegenheit den Ayfchein geben,
ihm in treuefter Xiebe und Ehrfurcht anzuhängen, machen ihn
und feine Neigungen zum Gegenftand ihres Spottes, ihr
Hohns! —
Die Neue Preußifche Zeitung bringt heute Abend einen
fcharfen, faft fhmähenden Artifel gegen Louis Bonaparte. ze |
wet nad) und nach den Gedanken, man fönne, auf Ruflan |
geftüßt, obne ſonderliche Gefahr mit Frankreich anbinden. Dem |
Könige ſchmeichelt und gefällt das ſehr, wenn er auch äußerlich
das mißbilligen muß. Der Lieblingswunſch wäre, wiederhilt |
in verbündeter Einheit mit Rußland und Defterreich gegm
Frankreich loszugehen. Sie meinen noch nie fo nahe daran |
gewejen zu fein, ganz Europa dem Joch der Reaktion zuunte:
werfen, Thron und Altar — wie fie ed nennen — in altem
Glanze herzuftellen, das heißt: Adel und Geiftlichkeit, denn
an den Fürften ift ihnen nur infofern gelegen, als fie jenen
dienen. — |
Ich blieb zu Haufe. Einiges gearbeitet, viel überdaht.—
Ich habe feinen Freund mehr, dem ic) jetzt mein ganzes ‚Jnnett
jagen könnte; ich werde manche meiner Anfchauungen undlr
theile mit in’d Grab nehmen müffen! —
In Scillerd Briefen. Franzöſiſches. —
Der Handwurft Gerlah macht die zweite Kammer ladet
indem er erflärt, er gehöre nicht zur äuberiten Rechten! Ev
bärmliher Spaß! —
Dienstag, beu 24. April 1855.
Nachrichten aus Wien, daß die Friedensverhandlungen
“ einftweilen abgebrochen, das heißt auf unbeftimmte Zeit wı-
59
tfind, weil Rußland in Betreff feiner Seemacht im Schwarzen
:ere den forderungen Frankreichs und Englands widerfpricht.
18 wird nun Defterreich thun? Zögern wie biöher. Die
fen haben neuen Muth befommen, fie fehen die fchlimme
ge des Feindes in der Krim, die Unficherheit Bonaparte’d
Frankreich und fie dürfen Preußen jebt nicht fürchten, auf
efterreich vielleicht chen hoffen. ch meinerfeitd mag mir
de Wendung diefer Dinge gefallen laffen, wohin die Niederlage
ı diefen Kämpfen fällt, immer trifft fie mir den Feind, die rohe
errihergewalt, den Treiheitöunterdrüder. Wenn der Sieg
t Weitmächte Polen herftellt, in Rußland Freiheitsſaaten
uöftreut,. gut! Wenn aber der Sieg der Ruſſen dafjelbe thut,
nd den — in Frankreich ftürzt, noch beffer! —
Die fortgefegte furchtbare Beſchießung Sebaſtopols liefert
oh immer fein Ergebniß, artet in nußlofe Verfchiwendung
18, —
In unferer erften Kammer hat der Graf von Arnim-Boppen:
ig zur innern Berföhnung und Einigung geiprochen, und die
thäffigkeit der Kreuzzeitungsparthei getadelt. Nachdem jie
hrelang den fhändlichiten Mipbraud, der Macht geübt, Die
nur durch die Milde und das Maß der Volksparthei wieder>
langt, wollen fie VBerföhnung! Spät, fehr fpät! ber
lerdings können fie auch heute noch auf den Edelmuth des
Mfed rechnen! Ginzelne denken freilich anders, und wollen
iche! — |
Der Bundestag hat dem Könige von Hannover Vollmacht
d Auftrag ertheilt, die beitehende Landesverfaſſung im rcaf-
maiten Sinn, und bejonders zu Gunften der Ritterfchaft,
juändern. Aufregung und Mipftimmung darüber, beſonders
ch Stüve’d und feined Anhangs. Wird nichts helfen!
üve wird die Niederlage nun felbft erleiden, die er früher
dern gern bereitet und gegönnt hat. —
— — — —
60
Mittwoch, ven 25. April 1858.
Lebhafte Träume; auf einem Bahnhofe lange Wartezeit,
herrliher Garten, der in wilde Felſengegend endet, ich ging
ganz allein da hinauf, ſah die ſchönſte Gegend, den prächtigſten
Himmel; Rahel war in der Nähe, aber auch meine Mutter,
uralt, doch rüftig dabei; fie wäre jeßt im hundertiten Jahre »
Der Traum hinterließ froben Eindrud. —
Geſchrieben. — In meinen Papieren gearbeitet. —
Urtheile über den verftorbenen Kaifer Nikolaus; der Ge |
neral Graf von Toll ſprach wegwerfend und verächtlich von ihm;
ein andrer General, der lange Jahre in feiner Nähe geweſen,
nannte ihn einen hohlen Komödianten, einen feigen, — —
Menſchen. — |
„Gegenwart und Zukunft der Philofopbie in Deutichland
von DO. %. Gruppe. Berlin 1855.° Eine ehrliche, ernfteund |
milde Schrift, auch in Betreff Schelling’d partheilos billig, fein
Schwächen wie feine lepte Wirkungsloſigkeit find nicht verhehlt.
Aber, indem Gruppe, wie ein Cicerone, in den reichen Schaf—
fammern der Philofophie umherführt, zeigt ſich feine eigene |
Armuth! Er hat durchaus nicht? zu geben, ala die Aufzählung
fremden Gutes, das er ſich nicht aneignen kann. Gr meint, cee
fei mit der großen Philofophie worüber ; von Leibnitz bis Stel:
ling habe die deutfche Nation ein Jahrhundert hindurd) fh in
falfcher Richtung abgemüht; die Philofophie folle künftig Mr
fcheiden fein, ih um Gott und Welt nicht befümmern, Pivd®
logie und Aeftbetif anbauen, vor allem aber feine Syfteme meh!
gründen! in Denker wird fich beſchränken laffen, ald oh el
dann nod) ein Denker wäre! Und woher foll die Anwendung kom⸗
men, wenn dad Anzumwenvende fehlt? Das kommt mir grade ſo
por, ald wenn man jemanden anf Jinfen anwieſe, wo das Ka:
pital fehlt! — Eine im Ganzen nuglofe Schrift! —
In Brandenburg, bei dem Trauerfefte, welches das dortigı
Küraffierregiment feinem gewefenen Inhaber dem Kaifer Rite
61
laus in Gegenwart des Hofes, der. Generale ꝛc. widınete,
lagen die dem Regimente gefchenkten Uniformftüde (die Waffen:
Rüde auf dem Altar) des Kaiſers, Nod, Hofen, Hut, Stiefel, in
derKicche neben dem Altar zur Schau! Neliquiendienft! „SHei-
liger Rod, bitt' für und!“ —
Unfer „Herrenhaus * will eine Matrifel feiner Mitglieder
anlegen. Der Regierungsfommiflair macht Einwendungen, man -
lole den Königlichen Anordnungen nicht vorgreifen u. |. w.
Es zeigt fich, daß der König Ruft bat, den Eintritt der Mit«
glieder für jede Sitzungszeit jedesmal von einer Einladung ab-
bängig zu machen, die er an die Berufenen erläßt, oder nicht
erläßt. Eine folhe Hinterthür willfürlichen Einfluffes war
aber doch nicht zu behaupten, das Gelüft mußte fih zurüd-
ziehen, und es erfolgte die ausdrüdliche Erklärung, daß das
Recht der Berufenen auf der Berufung beruhe, und nicht von
der Ginladung abhänge. Das Herrenhaus wird dem Könige
noch manchen Berdruß machen. —
Eine Anficht Mirabeau’s über Staatöverbände: „Je suis
Convaincu qu’un grand empire ne peut ötre tol&rablement
gouverne que lorsqu’il est constitue en confederation de
petits etats, et qu’ainsi le nötre se dissoudra ou se consti-
tuera ainsi, je ne doute pas que, si notre gouvernement
devient sage, et notre constitution mfire, tous les bords du
Rhin, & commencer par vos provinces (belges), viendront
Sy ranger etl’on verra enfin jusqu’oü peuvent s’etendre
les conquötes de la liberte et de la raison humaine.“ Diefe
Votherſagung ift in gewiffen Einn eingetroffen, und dann wieder,
weil die Borausjegungen fich nicht bewährten, für lange Zeit
aufgehoben; allein fie dauert noch fort, und harrt ihrer Erfüllung
für ganz Europa! Dem Geijte Mirabeau’s fonnte hiebei das
Beijpiel der Vereinigten Staaten von Nordamerika vorfchiveben.
Ich gedenke zugleich der alten deutfchen Reichöverfaflung, die trotz
der Entartung, Unbehüfflichkeit und Trägheit, an welchen fie
62
zu Grunde ging, dennoch zu den größten und der Bedeutung
nach edeliten Staatefchöpfungen gehört, die irgend ein Bolfge
leiftet hat. —
Donnerstag, den 26. Wpril 1855.
Muthige Träume von erwünfchten Ereigniſſen, freilich nur
Träume, die doch aber in dad Wachen freundlich einſchim—
mern. — |
Brief von Humboldt, der mir ein an ihn gerichtetes Ve—
kehrungsſchreiben mittheilt, mit gefpenftifcher Erſcheinung und |
Ansprache Wilhelm’d von Humboldt, die Goethe'ſche, Pfarre |
wittib” in etwas anderer Geftalt! Scarfes Wort über Me
Saturnalien,, das freche Feſt, die Affenfomödie in Yonden.
Sehr brav! —
Beſuch von Herrn Grafen Arthur von Seherr⸗Thoß; int |
die Gefeße und Sitten in Ungarn, den Kampf der Verfafun
und Bolköthümlichkeit. Aeußerungen Cavaignac's an Klaplo,
dag Frankreich nichte für Ungarn thun könne. —
Lord John Ruſſell ift von Wien abgereift, nimmt feine®
Rückweg aber nicht über Berlin ; beleidigende Aeußerung, er hade
an diefem Orte der Konfufion und Gaufelei nichts mehr zu
juchen. Der König foll doch fehr empfindlich darüber fein, dar
man nicht für nöthig hält, ihn wegen der weitern politifchen
Dinge anzufprechen. —
Sch höre, daß Herr Profeffor Gruppe durch feine neuft
Schrift den Kultusminifter von Raumer zu gewinnen, und Ni
Stelle Gabler's zu erlangen hofft. Dadurch erfcheint alles i
anderm Lichte, Daraus erklärt fih, daß er die Philoſophie ball
aufgiebt, den Herrn von Radowig unter die Philofophen zählt
der Theologie nicht? anhaben will ꝛc. —
Das Appellationsgericht zu Paderborn hat dag Mindener
Urtheil gegen den Redakteur der Kölnifchen Zeitung vernichtet
ni.) ı 1
63
dieſen freigefprochen, und eine etwaige weitere Anklage nad
Köln gewiefen. Uber die Regierung will doch den Grundſatz
aufrecht erhalten, daß jedes Gericht im ganzen Staate fom-
petent fei, einen Redakteur vorzuladen und zu verurtbeilen.
Herr von Hindeldey drohte neulich dem Herrn Müller von der
Voſſiſchen Zeitung mit ſcharfen Mafregeln, und ald diefer ein-
wandte: „Dazu haben Sie fein Recht!* antwortete Hinckeldey
lachend: „Aber die Gewalt! Sehen Sie zu, wie weit Sie mit
Ihrem Recht kommen!” in bei Gelegenheit in Erinnerung
ju bringendes Wort! —
Herr von Senfft-Pilfad hat in der Kammer zu fagen ae:
wagt, Bolf und König feien nirgends in fo glüdlicher Einigung
als in Preußen. inige ftaunten, Andere lachten über eine
Behauptung, die allen Partheien ale eine handgreifliche Un-
wahrheit erfcheint. Die Kreuzzeitungsparthei will diefe Eini-
gung am wenigften zugeitehen; wenn die Sache jo wäre, fo
hätte die Parthei feinen Boden zum Auftreten, two bliebe ihr
Verdienſt und Werth, wenn alled royaliftifch wäre? —
Der alte vieljährige Prozeß gegen Herrn Benede von Grö⸗
dizbetg, wegen gefpielten großen Betrugs, iſt erſt jetzt vom
Stadtgericht dahin entſchieden worden, daß der Angeſchuldigte
ſttaflos zu bleiben habe, nicht weil er unſchuldig ſei, ſondern
weil Verjährung ihm zu gute komme. Schon vor deht Jahren
war das Kammergericht zu dieſem Ergebniß gekommen, durch
das neue Gerichtsverfahren hatte jedoch die Entſcheidung an
dad Stadgericht übergehen müſſen. —
freitag, den 27. April 1856.
Gefchrieben. Brief an Humboldt, ihm das „Pfarrers:
wittib8* Schreiben zurüdgefandt, mit Bemerkungen ; Bedauern
über Dirichlet's Weggehen. —
Beſuch vom Grafen Archibald von Keyferling. Nachrichten
wegs aufgehoben fei, immer fortbeftanden babe, und ei hei
ftet8 auch verbleiben folle. Wie fich Das mit der Berfafung
trägt? was fragt erdarnach! Und die Kammern mudfen nidt!
Die erfte Kammer hat das Konfursgefeß nur mit emü
Berftümmelungen angenommen. Es ganz abzuweiſen, we
der Kreuzzeitungspartbei nicht gelingen. Die Stabl, Pern
Senfft von Piljah und ihre Spießgefellen thaten ihr R
lichſtes. —
Einige kleinere Zeitungen, in Preußen, in Weſtpba
haben von der Polizei Verwarnungen erhalten wegen Arhl
die fihnöde gegen Kranfreich, d. b. gegen Louis Bonaparte
gegen England loszogen. Auch das elende, dein Erlöjcen:
Blatt des Kuhr hier in Berlin ift deßhalb verwarnt wor
Diefe franzöfifche Polizeimapregel iſt bei und nicht geich
Aber doch! —
Nachmittags Beſuch vom Herrn Dr.*. Aus guter Qu
weiß er, daß der Juſtizminiſter den Stadtgerichtsrath Sl
zum Samntergeridhtörath machen wollte, der König aber.
durchaus nicht gewollt hat, und ganz wüthend gegen den!
nifter gewefen ift. Dem Scylötfe wirft man jeßt vor, daslı
Gifer im fchändlichen Prozeß gegen Walde doch feinen Erf
gehabt, daß Walde mußte freigefprochen werden! Das ®
dienft wird zum Gegentheil, und der Dank zum Haß. Aü
jich alle augendienerifchen Buben bier fpiegeln! —
Geftern fand noch eine Friedensberathung in Wien St
eine erfolalofe. Man erwartet Oeſterreichs Auftreten im Are
65
Offiziere, was fehr in Verwunderung ſetzt, haben fich laut
und heftig gegen den Kultus erflärt, den man mit den Röcken
und Hofen — Kleedagen, fagt man berlinifch — des Kaiſers
Nikolaus treibt, fie fprechen mit verachtender Empörung von
der unwürdigen Zeremonie in Brandenburg. —
Mirabeau wollte dad Königthum retten, nachdem cr die
Steiheit Hatte erobern helfen, er ſah in jenem jogar den Schup
der Ieptern. Taufende von Freiheitsfreunden dachten wie er,
auch mein Bater war für das Königthum wie für Die Freiheit,
auch meine Anfichten und Empfindungen jtimmten überein; .
im Jahr 1848, als das Königthum, das preußijche, bedroht
war, ſann ich ernftlich, was zu feinen, zu des Königs Gunſten
zu thun fei. Hat die Entwidelung der Dinge gezeigt, Daß wir
Alle im Irrthum waren, beided — Freiheit und Königthum —
dereinigt feithalten zu wollen, fo war es doch ein ſchöner und
edler Irtrthum, und ein verzeihlicher, wenn felbft ein Mirabeau
ihn haben fonnte! — Mirabeau’s ausführlicher Plan für das
Benehmen ded Hofe — eine Denkſchrift von größtem Ums
fang — ift ein Meifterwerf von Scharfjinn, Sorgfamfeit,
Schlauheit, zerfällt aber doch bei feiner Niefenhaftigfeit in
tümmerliche Kleinlichkeit und polizeiliche Gemeinheit. Und
an Ausführung war gar nicht zu denken, bei diefen Menfchen,
die ala Werkzeuge dienen follten, und bei diefen, zu deren
Gunften gewirkt werden follte! Mirabeau erwedt das grüßte
Bedauern, es ift ein Sammer, den Heros ſich in Ränken zer:
brödeln zu fehen. Die großen Augenblide, die er Dazwifihen
immer wieder hat, zeigen, daß er gleihwohl noch er felbft
war! —
Barnhpagen von Enfe, Tagebüder. XII. 5
66
Sonnabend, ben 28. April 1855.
Nachrichten aus der erften Kammer; Eigenfinn, Leiden:
Ihaft und Rohheit unter diefen Rornehmen, die recht eigentlic
von Gemeinheit ftroßen! Senfft von Pilfach einer der Haupt:
Iihreier, vollUngeberde und Bosheit; Pernice, Daniels, nichts:
würdige Pedanten, Graf von Merveldt, ein frecher Burſch. Gi
ist doch gut, daß die wilden Thiere in einer befondern Rammerein: |
gefperrt find, fie würden gemijcht mit der zweiten viel fchädliher J.
fein. Der Fuchs Stahl fehlt diesmal. Das Konfurdgefek bt
einige Flecken von ihnen befommen, ganz zu verwerfen wagtenfit |
es doch nicht! Sie haben die Frechheit gehabt fich auszubedingen,
daß ein Junker, wenn er auch Fabrik- und Gewerbegeihält
treibt, doch nicht ald Kabrifant oder Handeldmann angeſehen Fer
werden fol. Warum nicht lieber gradezu, dag ein unten |
wenn er ftiehlt und betrügt, doch nicht als Dieb und Betrüger
gelten ſoll? Sie broden fi) wad Gutes ein! Ich verlange
nicht Zeuge zu fein, wenn fie — oder ihre Kinder — es einſe
auöfreffen müflen! Kommen wird dad einmal! —
Die Polizei hat plöglich der fehr überhandnehmenten
Bettelei gefteuert, und einige hundert Bettler aufgreifen un
jie dem Magiftrat in das Arbeitshaus abliefern laſſen. da—
dieſes ganz überfüllt ift, fo geräth der Magiftrat in Verlegen
heit fie unterzubringen, und das foll Hindeldey’3 hauptſächliche
Zwed fein, denn er haßt den Magiftrat, und will ihn zwingen,
neue Anftalten zu gründen zum Behuf der Polizei; die Mittd
mögen berfommen, woher fie wollen, die Stadt mag ſeufzen
und ihren Magiftrat verwünſchen. —
Einige wollen in diefem Benehmen die ent|chiedene Abſicht
ſehen, den Städten ihre Selbftregierung (das Wenige!) zu
verleiden, die Wünfche nach Abfchaffung der Städteordnung
rege zu machen. —
67
Sonntag, den 29. April 1865.
Telegraphifche Nachricht aus Paris, daß in den Elyfäifchen
Feldern auf Louis Bonaparte, der fpazieren ritt, zwei Schüffe
getban wurden, die nicht trafen. Der Thäter, ein \taliäner,
it verhaftet. Geht das wieder load! —
Mich befuchte der Herr Graf von Wartensleben. Seine Mit-
theilungen über feine neuen Amtöverrichtungen thaten mir wohl;
er ift bei aller juriftifhen Strenge fehr menſchlich und wahr-
haft gütig, hat manchen Gefangenen auf feine Verantwortung
‚seffeln abnehmen Taffen, ihnen auch den Zutritt zur Kirche ver:
ſtattet, was fein Vorgänger den noch in Unterfuchung befindlichen
Gefangenen nicht erlaubte. Jede Woche hat er gegen 400 Ge⸗
fangene perfönlich zu fragen und anzuhören, ihre Befchwerden,
ihre Wünfche. Binnen wenig Tagen hat er ſchon Mißbräuche
abgeftellt. Ich freute mich antheilvoll feiner humanen Ge:
finnungen. —
In George Sand gelefen, in Mirabeau. Die lepte Lebens⸗
zeit Mirabeau’3 zeigt ihn noch in feiner ganzen Größe, doc
leider auf einem falfchen Boden, auf dem des Hofes, wo feine
Kraft wie die des Löwen im Käfig feine Anwendung findet;
er verfällt in Ränke, Liſten, Rückſichten, Schonungen, ſieht
mehr auf die Perfonen, als auf die Sachen, und würde zu win-
Niger Kleinheit verfinfen, wenn nicht hie und da plöplich doc
; Mieder, in der Nationalverfammlung und im Jakobinerklub,
deralte Freiheitsfreund ſiegend hervorbräche, und ſelbſt in feinen
Rathſchlägen an den Hof nicht ſelten fein Geiſt und Karakter
im größten Revolutiondfinne durchfchlügen. Er war aufrichtia,
ehrlich, in beiden Richtungen, für die Freiheit wie für dasKönig—
tbum, er hatte ungeheure Kraft, allein nicht die, das betail royal
zu fi) beraufzuziehen! Seine heftige Feindſchaft gegen La—
fayette beruhte auf unfeligem Mipverftand, er hatte feinen Sinn
für diefen edlen Karakter, er jah leinlichen Ehrgeiz und unfähige
6*
68
Schwäche, wo in der That patriotifche Tugend und hochjinnige
beharrliche Größe war. Beide Männer konnten einander nit
verstehen, nicht trauen, nicht vereint wirken. Gegen Miraben
ift auch Lamarck nicht aufrichtig, er Spricht von ihm ald einem
bloßen Werkzeuge, das ergebrauche; Doch ift feine Bewunderung
ächt und fein Hang zu ihm augenfcheinlich. Nichte ift flarer,
als dap der Hof, beſtellt wie er war, zu Grunde gehen mußte!-
— — — — — —
Montag, den 30. April 1855.
Ich hatte eine Schlechte Nacht, wenig Schlaf und viel Schmer:
‚zen, fühlte mid) auch etwas fieberhaft. — |
Sch ftand mühfam auf, und lagerte mich auf Dem Sep: Mi
fchläfrig, matt, mit dem Gefühl von Trübniß und Stumpfket, |
das mit dem Fieber verbunden zu fein pflegt. — Beſuch ven
Herrn Hermann Grimm; er bringt Nachrichten aus Bonn, NR
Bettina von Arnim noch dort feiin fehr gefchwächtem Zuſtande,
der die Kinder wünfchen läßt, daß fie noch, nicht reife. Sir
hat unterdefien ihr Sohn Freimund angefangen ihre litt
rarifchen Berwidelungen zu löfen, Schulden zu bezahlen, un
fie wird wenigftens diefe Unfeligfeiten nicht vorfinden. —
Bettina von Arnim hat die Druderei wieder mit Pape!
verforgt ; ich befam wieder einen Korrefturbogen. Zur
gelegenften Zeit, unter der größten Verſtimmung! Ich mahlt |
mich aber doch an die Arbeit, und ſah auf's neue, wie nötll |
es ift, daß ich felber mich ihr unterziehe; die Leute machen Dt 1
fehen und Schniger in Menge. — |
Abends mit Ludmilla nach dem Thee Schach geſpielt. P
blieb auf dem Sopha. Deutfche Sachen aus dem weimariſche
Kreife, aus der Zeit Kant's, Jacobi’d und Fichte's geleſen;
daneben in Mirabeau, alles mit großen Unterbrechungen durd |
Schläfrigfeit und müdes Hinträumen. —
69
Die Gegenwart hat einen reichen Inhalt; ich verfenne es
ht, die edelften Kräfte find thätig, es bereiten fich ungeheure -
Verwandlungen, fie find zum Theil ſchon fertig da, nur nod)
dededt von der unfcheinbaren oder auch häßlichen Hülle, unter
der fie fich bilden mußten. Mber alles dies ift nur für die
Geifteöbetrachtung vorhanden, für den Gedanken, nicht für die
iinnlihe Anfchauung, für den Lebendgenuß. Bon diefer Seite
bietet die Gegenwart mir fast nichts! Die dürftigften, die
kläglichſten Erfcheinungen bedrängen mich, rüden mir hart
auf den Leib, und in feiner Zeit fühlt” ich mich fo arm,
wie in diefer, an wahrer Befriedigung. Dafür nähert fich
mir die Bergangenheit in wunderbarer Weife, ſowohl die große
allgemeine, als die kleine perfönliche, und dieſe mannig—
fahen Fäden verfchlingen fich zu dem prächtigiten Gewebe, auf
welchem die Augen ergötzlich umherzuirren nicht müde werden.
Ganze Striche früheren Lebens nehmen mich in ihren Zug auf,
und halten mich feft, bis ich jie auf's neue durchgelebt; Knaben:
zeiten in Hamburg, Studentenjahre, Kriegserlebnifle, und immer
ihließt fich der große Weltlauf an, ich fehe den ganzen Gefcdyäfts-
gang in lebendigen Bildern. Wie vergegenwärtigen ſich mir
alle Revolutionserlebniffe bei dem Buche, das mich jebt vorzugs—
weile befchäftigt, bei dem Briefwechfel Mirabeau’s und Lamard’s!
Ih hatte dem Buche früher nur eine flüchtige Aufmerkfam-
keit gewidmet, jetst erſt lefe ich eögenau. Diegeringften Einzel:
heiten find mir wichtig, fagen mir was, geben mir Stoff zu
demertungen. Ich lerne einfehen, mit fcharfer Wahrheit, ur-
tbeilen, mit Billigkeit. Mirabeau, Lafayette, Neder, Sieyes,
die Königin, der König, alle werden mir Mar. Daneben die
neuern ähnlichen Berhältnifie, die dabei wirffamen PBerfönlich-
eiten, wenn auch in weitem Abftand von jenen, im Guten
ie im Schlimmen. —
„Aus Weimar's Slanzzeit. Ungedrucdte Briefe von und
yer Goethe und Schiller, Geh. Rath von Voigt ꝛc. Her:
70
ausgegeben von Auguft Diezmann. Leipzig 1855. 80%.
in 8 —
Hindeldey foll zum Grafen von Wartendleben gefagt haben,
in zweifelhaften Fällen über die Befugniffe des Gerichte: und
die der Polizei möge er ji) nur vertrauendvoll an ihn wenden.
„Sch werde nicht ftörrig fein, ich habe fo große Macht, daß id J
gern etwas davon abgeben kann!“ So erzählt *. Diele
Aeußerung Hindeldey's hat dad Bedenkliche, daß ſolche Rutw
redigfeit gewöhnlich erſt eintritt, wenn die Sache beginnt un
ficher zu werden. —
Dienstag, ben 1. Mai 1855.
Unfere Kammern eilen dem Schluffe zu, die größte In
geduld überftürzt die nody abzumachenden Geſchäfte; diezmeitt
Kammer hat daher die Flecken, welche die erfte dem Konkurs
gefeß angehängt hat, ungetilgt gelaffen, um nur dag Ganze nit
auf ein ganzes Jahr zurüczufegen, das Ehefcheidungagefeh m
gegen bleibt unerledigt. Es hat noch böfe Reibungen gegeben.
befonderd auch mit dem Junkerthum in der erften Kammer, Dat
den Minijtern viel Ungemach verurfadht. — Es ift moͤglich
dag dies Berfaffungswefen nah und nad im Staat un
Vollke ſich befeftigt, gedeihlich aufwächſt und erftarkt, es ih
möglich, dag einft wahre Freiheitsfrüchte davon entitehen, un
ſpätere Zeit dankbar auf die Anfänge zurüdblict, deren jämmel
liche Geftalt man alsdann vergeffen hat; aber wer diefemitan
fieht, die Nichtöwürdigfeiten und Feigheiten, Heucheleien un
böfen Ränke, die fchurkifhen und hämifchen Betheiligungen
alle, dem kann felbft der Gedanfe an die herrlichiten Tünffigen
Früchte nicht über den Ekel hinweghelfen, den diefer angehäufte
Unrath jedem edlen Sinn erregen muß. Und welche Berfön-
lichkeiten! Die beften haben etwas Lumpiges, wo nicht Schuf
71
zes an fih. Hin und wieder ein braver Philifter, ein Held
gende. —
Ich prüfe mich täglich, ob ich in meinen Urtheilen nicht zu
‚rt bin, nicht ungerecht gegen Perfonen und Berhältniffe, für
e gewiß manches zur Entjehuldigung jich jagen läßt; aber ich
uß mich doch in diefem Betreff ziemlich freifprechen. Sch
ürde vielleicht in vielen Fällen nichts Beſſeres thun, als die
etadelten, aber mein Urtheil würde dann auch gegen mich felbit
en fo jtreng ausfallen. Die Erkenntniß der Wahrheit läßt
h nicht herabſtimmen und mildern, allein im Benehmen, wo
auf fein eigentliches Handeln anfommt, bin ich fo nachfichtig,
ld und verföhnlich, als irgend jemand, den ich Fenne. —
In Darmftadt hat die Regierung die Unverfchämtheit, von
n Ständen eine Million Gulden zu verlangen, um Schulden
8 Großherzogs zu bezahlen. Und diefe Million wird be-
ligt werden. —
Hier ift „höheren Ortes * befohlen worden, Daß morgen am
uß: und Bettage in der Domkirche und in der Garniſonkirche
i der Litanei die Gemeinde nicht mehr fchweigen, wie bisher,
ndern mit „ernften Tönen“ in jede hergefagte Bitte mit
iſtimmen foll! —
Wiener Blätter bringen die wichtige Nachricht, daß in der
Itaine ein Bauernaufſtand gegen die Gutsbeſitzer ausgebrochen
. Das Elend in Galizien foll entfeglich fein. Das ruſſiſche
olen ift entvölfert und verarmt; dies jind herrliche Zu:
inde! —
Mittwoch, ben 2. Mai 1855.
Meine Nacht war erträglich, die Träume doch verwirrend
ıngenehm. Ich verfuchte zu fchreiben, es gelang einiger:
zen. ine mehrmald vorgenommene und immer wieder
idigelegte Arbeit auf's neue überlegt, die Schwierigkeiten
72
erwogen und den möglichen Erfolg; aber ich kann aud baut
noch feinen Entſchluß fallen. —
Beſuch vom General Adolph von Willifen; er reift auf ein
paar Wochen nach Erfurt. Seine Sachen find fiegreih an
genommen, und die Ausführung ift in vollem Schwunge, ded
hat er noch fernere Borfchläge durchzuſetzen. Nachrichten vom
Hof, von den Miniftern ꝛc. Unwillen über Oeſterreichs Zögern;
die Unentfchloffenheit ded Generale von Heß, der Keinen Unter:
nehmungsgeiſt befite und die Ruffen fürchte, wird hart beidhul:
digt! Man wünfchte, der Ruffenfeind Hainau lebte noch!!! Der
würde längft die eindfeligfeiten herbeigeführt haben! Diee
Stimmung gegen Rußland ift in vielen unferer beften Offizier,
doch müffen fie ſolche am Hofe forgfältig verbergen. Sogar det
General Graf von der Groeben ift öfters in diefem Fall, aber ich
denke, der weiß faum felber, was er meint, und fpricht nad zu⸗
fälligen Eindrüden, die er nie feftzuhalten vermag. Die Genenile
von Wrangel, Graf von Noftiß und Andre, die jet ganz für
Rußland zu fein fcheinen, würden fogleich ruffenfeindlic, fein,
wenn der Wind fich entfchieden drehte. Nichts feltener in dım,
was zu diefer Zeit voranfteht, und fich geltend machen dur, |
ale Karakter; gewiß fehlt er nicht in Preußen, aber auf drm
öffentlichen Schauplag hat er feine Stätte, er muß in Ju |
rückgezogenheit fich verbergen. Man freut ſich willenleft
Werkzeuge, der fchofelften Mittelmäßigkeiten, ja felbit te |
falfche Augendienerei ift willlommen! — |
Nachrichten aus Paris über den Italiäner, der auf Bons
parte geichoffen hat. Unzulänglichfeit der Polizei, dere |
fondren corfifchen, von der ſich der Uncorſe bewachen läht.
Sonft wird jeder Meuchelmord mit Empörung verabſcheul
und verurtheilt, aber diefen hätte man ruffifcherfeit® o wiegen
gefehen! Unſere ruffifchen Junker, die Kreuzzeitungshelden,
rufen: „Schade, daß ed mißlungen iſt!“ Druden laſſen dür-
fen fie dergleichen freilich niht! — Es ift fchon die Rete
73
n, wieder einen General nad Paris zu ſchicken, um Bo⸗
te wegen feiner Rettung zu beglüdwünfchen. —
Merfwürdiges Urtheil des Grafen von Lamarck (oder viel:
: damals ſchon Fürft Auguft von Arenberg) in einem
fe an den Grafen von Morny-Argenteau, aus Brüffel vom
Mai 1793, über die Theilung von Polen: „En effet
y a pas un homme de sens qui ait pu croire, avant
avoir acquis la certitude la plus positive, que la
‘d’Autriche a d’avance pröte les mains & un arran-
ent aussi funeste à ces propres interöts que con-
e à la saine moralit& des gouvernements. — Quelle
nsequence revoltante & la fois et digne de pitie!!
mömes souverains, d’accord d’un côté se coalisant
rdepouiller un souverain inoffensif et se partager ses
8, et d’un autre côté se coalisant pour retablir un
re roi dans toute la plenitude de ses droits, en pro-
nant des vues de moderation et Pengayement de ne
senrichir par des conquetes! Quelle pitoyable de-
on! Les conquätes faites à la suite d’une guerre
»n na pu Eviter ne seraient-elles pas plus justes
des aetes de rapine et de vol, qui ne peuvent trou-
ni pretextes ni excuses ?“ Zu jener Zeit hörte ich
wörtlich diefelben Bemerfungen von meinem Pater vor-
en, der auch zu fagen pflegte: „Hier wollen fie den
ig wieder auf den Thron feßen, dort wollen fie ihn her:
tt haben! * — Ich hörte dergleichen ſehr aufmerkſam an.
Der König iſt frank, man fagt aus Aerger über feinen
en den Prinzen Friedrich Karl, der feine Gemahlin fo
handelt hat, daß fie nach Deffau zurückgekehrt iſt, und
t wiederfommen will. Dan fürchtete anfangs, das Uebel
hte fich auf das Gehirn werfen, indeß hat es ſich als bloßes
hfelfieber ausgewieſen.
14
Donnerstag, den 3. Mat 1855.
Dr. Meier und feine Frau (frühere Luife Afton) nehmen
in der Kreuzzeitung Abſchied, da fie nad) der Krim reifen, wm
der Mann (früher in Bremen) ruſſiſcher Negimentdarzt fein
wird. In der Kreuzzeitung! Im ruſſiſchen Dienfen! |
Zuife Afton! „J’y consens!“ Ä
In Magdeburg ift vorgeitern der Paftor Uhlih vom |
Stadtgericht zu einer Woche Gefängniß verurtheilt worte, P
weil er die ihm abfchriftlich mitgetheilte Berfügung dei Ge |
richts, durch welche dieſes die vorläufige polizeiliche Schliegun |
der freien Gemeinde billigt, veröffentlicht bat; das Platt,
worin dies gefchehen, foll zerftört werden. Iſt darin Av J
Schenverftand? Die Form wird richtig fein! —
Heute. Nachmittag find auf dem Schloſſe die Kamm
durch den Minifterpräfidenten entlaffen worden. Zufeptmu F
noch ein eigner Fall in der zweiten Kammer wegen Fühtung
der neu zu bauenden Emö - Eifenbahn. Die Minifter hatten |
die Richtung genau angegeben, und die Kammer diefe gend |
migt, in der erften aber nahmen jene eine veränderte an, |
einen Umweg mit größern Koften. Das follte nun die zweit |
Kammer fich gefallen laffen. Die Minifter beftritten ihr det |
Recht, über dergleichen Einzelheiten zu verfügen, und zul ı
bat der Minifterpräfident um Genehmigung, indem er erflärtt, |
wenn jie erfolge, werde die Regierung doch nad) dem urfprüng |
lihen Plane verfahren, und der Fall folle die Grundfapftat |
gar nicht entfcheiden. „Gebt nach, dann geben wir nad: |
Die Genehmigung erfolgte. Kann man fich Findifchere ir |
merlichkeit denfen! — |
In Paris deuten die Regierungszeitungen fehon auf m
Aufgeben des Krimfeldzuges hin!. Sie ſprechen von der Ur |
einnehmbarkeit Sebaftopold. — Bor furzem noch rühmte din |
angefehener General, die Sache der Weſtmächte ftehe de’
glänzend, felbft was anfangs ein Mißgriff ſcheinen fonnte,
75
elie ſich als Vortheil heraus, die ruffifchen Kräfte würden
ort aufgezehrt, gelähmt wenigjtend. Umgekehrt, die Fran—
Dien ftehen dort in fruchtlofer Arbeit, und die ganze Kriege:
führung ift eine verfehlte. — |
Fteche Aeußerung Louis Bonaparte’d, es gebe Eriftenzen,
die ale Miffionen der Borfehung geheiligt feien, und denen
niemand etwas anhaben könne, bie fie ihre Sendung erfüllt
baden! —
Das Verfprechen des Minifters ijt ein falſches; die Ne:
gierung wird doc den Ummeg über Steinfurt bauen ; der Mi:
niſter mußte zur Nothlüge greifen, um eine Zufage des Könige
zudeden. Diefer hatte dem Fürften von Bentheim⸗Steinfurt
dafür, daß derfelbe fich geneigt erklärte, feinen Sitz in der
ertten Kammer einzunehmen, das beftimmte Berfprechen ge:
geben, daß die Ems-Eifenbahn über Steinfurt geführt werden
jol! Welch ein Taufchhandel! —
Den Zeitungen ift von der Polizei ftreng verboten wor:
den, der Krankheit des Königs zu erwähnen, fo lange nicht
Berichte der Leibärzte darüber veröffentlicht find. —
Freitag, ben 4. Mai 1855.
Leidliche Nacht, aber mancherlei Ungemach von Rheuma.
— Gefchrieben. In den früheren Schriften von Delöner,
Georg Kerner, Forſter, Archenholtz, Neichardt, aus ter Revo:
Iutiongzeit, herumgewühlt, verglichen, geprüft, Schlabren: -
dorf's, Bollmann's Brieffchaften vorgenommen, Jochmann's
Denkbläätter, — ein reicher Stoff, der ſich aber noch nicht be-
jwingen, nicht geftalten läßt. —
Mitten in diefer Befchäftigung kommt mir ein neues Bud,
nit dem ich mich fogleich befchäftigen muß: „Die deutfche Nas
jonallitteratur in der eriten Hälfte des neunzehnten Jahrhuns
erts, von Rudolph Gottichall, eriter Band.” —
76.
Der König, obfhon am Wechfelfieber Frank, hat beril
eigenhändig ein Glückwünſchungsſchreiben an Bonapark ge
richtet und durch den Gefandten Grafen von Hapfeldt üke:
reichen laffen. — In Wien Tedeum. —
Die freie Gemeinde in Breslau will fich ala politische Ge⸗
fellfchaft befennen, darf daher feinen Gottesdienſt halten, fann
feinen neuen Borftand wählen, beharrt aber bei ihren Gl:
bensanfichten und dauert daher ohne äußerlich fichtbaren Zu:
ſammenhang dennod) fort. Die verfolgende Behörde reine
auf den Zerfall der Sache, oder hofft die Theilnehmer anf wr:
botenen Beitrebungen zu ertappen. —
Der Minifter des Innern, Herr von Weftphalen, empfehl
allen Berwaltungsbehörden, dem fpottwohlfeilen „ Sonntue |
blatt”, einem Ableger der Kreuzzeitung, alle mögliche zörde
rung und befonders bei dem Landvolk Eingang zu verfhafe:
das Blatt werde auch bei den bevorftchenden Wahlen im fer
fervativen Sinn wirken. — | |
Das Hofgeriht in Mannheim hat den Dr. Ferdinand
von Föhr aus Worms, wegen Theilnahme am badifchen Auſ
ftand, in contumaciam zu Yjähriger Zuchtbausitrafe nad
trägfich verurtheilt. —
Sonnabend, den 5. Mat 1855.
Mein Erfältungözuftand fchleppt fi) wechfelnd hin, m
wenn er auch weniger fchmerzlich iſt, fo läßt er doch Ten
heitre Stimmung zu; zwar auch bei völliger Gefundbeit ft
fie jegt fich fchwerlih! Im meinen Papieren gearbeitl;
mancherlei Aufgaben überdacht, — ich hätte noch Stoffe gend
für mehr als hundert Jahre, nämlich gefunde, arbeitfame Jahtt,
denn folche wie die jeßigen können leider nicht wiel mehr im.
ften. — Ich wollte heute Briefe fchreiben, aber es aing nid,
und ed zu zwingen, war denn dody fein Grund! —
. 77
in Spanien geht es Iuftig ber. Die Königin weigerte
ven Beſchluß wegen Verkaufs der Kloftergüter zu unter:
ben. Espartero zwang fie dazu, nach einer halben Stunde
fie unterfchrieben, troß aller Einfprüche des päbftlichen
ius. Es galt Thron und Krone —
die Neue Preupifche Zeitung bejammert fcheinheilig, daß
Shefcheidungsgefeg unerledigt geblieben ift, und thut fehr
ich, weil unter der alten Landrechtsgeſetzgebung die Schei-
en in entfeßlicher Weife zunähmen. Das ift eine freche
! Der Minifter des Innern hatte dem ftatiftifchen Bu—
aufgetragen, die thatfächlichen Zahlen genau anzugeben,
tHoffnung, das Ergebniß werde jo ausfallen, daß in deu
mern fiegreich damit aufzutreten fei; aber ganz im Gegen-
da® Ergebniß war, day im Verhältniß der großen Zu:
ie der Bevölferung die Scheidungen fich bedeutend ver:
ert haben, und der Minifter war jehr betroffen darüber.
das Lügenblatt ftellt doch die faljche Behauptung auf. —
Die Nationalzeitung macht befannt, daß die hiejige Poft
fe und Sendungen nach Balaflava über Trieft oder Mar-
zu befördern ſich weigere, der Verkehr könne nur durd)
land geben; aljo gar nicht. Sobald man diefe Dumm-
weiß, kann man jie leicht umgeben; aber die Dummheit
t dabei was fie it! —
Immer allgemeiner wird erfannt, wie Louis Bonaparte
durch feine Kriegsführung in BVerlegenheit gebracht, die
te Frankreichs vergeudet, England faft zu Grunde gerich-
nd defien innerfte Schäden aufgededt hat. Der — wirft
r That für andre Zwede als er will! Lumpen und Feige
gen ihm, ftaunen ihn an; Anfehn und Würde hat er bei
rechtlichen Leuten nicht im geringften. Wenn er fällt,
en diejenigen am meiften auf ihn fchimpfen, die ihn jekt
tend anbeten. —
die Berfaffungörevifion in Hannover, vom Bundestag an-
78°
befohlen und von dem eignen Könige befonders gewünidt, |
zeigt auf’d neue, was die deutfchen Völker von ihren Fürken
und dem Bundeötage zu halten haben. Recht fo! Jede Spır
von Freiheit muß verfchwinden! Nur gefchiebt alles fo lang:
fam. Gleichzeitig mit Haffenpflug in Kurheſſen hätte das ban-
növerfche Junkerthum fiegen follen! —
Sonntag, den 6. Mai 1855.
Die Nationalzeitung fehr gut über die ſchmachvolle Um-
ftürzung der in Hannover beftehenden Berfaffung ; das Bischen
Freiheit und Ruhe, die dort noch bisher ſich erhielten, müfen :
dem Junkerthum geopfert werden, Was das für Früchte
bringen wird! ch werde fie nicht feben, und will fie and
nicht ſehen. — _ |
„Geſchichte meines Lebens von Ludwig von Baczko* di
fleine Bändchen, durchlaufen; einige Angaben darin liefem
beftimmte örtliche Farben, befonderd aus der früheren Zeit, in
Ganzen wenig Erhebliches, die Nachrichten über die Stiftung |
des Tugendbundes (des fittlich-wifjenfchaftlichen Vereins) in |
zu beachten. Den unglüdlich Erblindeten muß man bemit:
leiden, in feiner Thätigkeit anftaunen, aber aus feiner eigenen |
Schilderung gebt hervor, dag er ein zwar ehrlicher, aber niht
angenehmer, eitler und ruheloſer Mann gewefen, defjen Tr
lente nicht über dad Gemeine hinausgingen. In meiner Ju |
gend lad ich einige gefchichtliche Darftellungen von ihm, We:
mir damals etwas fchienen. — |
Montag, den 7. Mai 1856.
Beſuch des Herrn v. Waſſiltſchikoff von der ruſſiſchen
Sefandtfchaft. Er bringt mir einen Drief der Gräfin Blu⸗
doff und die prachtvoll gedrudte Denkſchrift ihres Baters auf
79
en Kaifer Nilolaus, die er nach dem Wunfche des jekigen
taifers verfaßt hat. Die Angaben des Leibarztes Dr. Mandt
ind darin wiederholt, Bruchftüde aus des Kaiſers Tejtament.
Die Gräfin wünfcht, ein etwaniger Ueberſetzer möge mich zu
Rathe ziehen; Herr von Wafliltfchifoff aber jagt mit, daß der
Hofrath Schneider die Arbeit übernommen hat. —
Nachrichten and Wien. Oeſterreich feßt feine Bemühun-
gen für den Frieden fort, macht neue Bermittlungdvorfchläge.
Dan fieht in Wien mit wachfendem Mißtrauen auf Louis Bo:
naparte, will jich weder auf feine Abfichten noch auf fein Glüd
mehr recht verlaffen, fein Lager bei Konftuntinopel erreat
GEiferſucht, der Beſuch in London nach andrer Seite audı,
Der ſchlechte Fortgang der Sachen vor Sebaftopol, die Schüffe
Des Italiäners Pianori, alles zeigt eine Unficherheit, welche
zur größten Vorſicht auffordert. —
Elendes Schriftchen des — Mitſchke-Kollande gegen die
Wentzel'ſchen Gefängniß- und Strafanftalten = Verbefjerungen.
Der — vereinigt Frechheit und Dummheit in höchften
Mugen; er ift der größte Freund Förperlicher Züchtigung,
möge jie ihm reichlich werden! Der Neuadlige thut fo arijto-
kratiſch wie möglich. —
Herr von Hindeldey ift — oder wird — zum Direftor des
Minijteriumd des Innern ernannt, mit Beibehaltung feiner
Diäherigen Aemter. Diefer Beamte — Staatömann heißt er
Ihn in den Zeitungen — häuft vieles und ſteigt immer
höher, aber im Grunde doch fehr langſam und mit größten
Mühen. Doc wird er zulept alles erlangen, Minijterfchaft,
Schwarzen Adlerorden 2c. Gr erinnert an Rother, der in den
finanzwegen eben fo vorrüdte, wie jener in den Polizeiwegen.
- Bleichzeitig wird auch der Sch. Rath Sulzer — Rochow's
zgling und einft Untergebener von Mathis — Direktor im
inifterium des. Innern, Rath erfter Rlaffe. —
Während die fatholifche Kirche nach Außen große Anftren-
80
gungen macht und bei Fürften und Großen neues Anfebn ge
winnt, erleidet fie im Innern große Berlujte. Die Reformen
in Spanien geben ihren jichern Weg ungebindert fort. a
Italien verfällt die fatholifche Kirche mehr und mehr. Ja
Böhmen gehen Hunderte zum Proteftantismus über, befondere
auch viele junge Geiſtliche, die dann freilich meift a.
wandern. —
Dienstag, den 8. Mai 1865.
Minifterveränderung in Paris, anftatt des Drouin de
Lhuys der Graf Walewski Minijter der auswärtigen Ange
legenheiten, ‘Berfigny Botfchafter in London. Mehr perün
liches, engered Anfchließen an England, weniger Vertrauen ju
Oeſterreich! — Die Berlegenheiten wachjen. Der — Statt
retter verliert Die politiſchen Fäden, wie er ſchon die militur:
chen verlor. —
Der König — er war frank, Wechfelfieberanfälle, it akt
wieder in der Genefung — ſoll die größten Hoffnungen aut
geiprochen haben, daß bald ein gänzlicher Umſchwung Mt
Dinge erfolgen könne. — |
Der ehemalige Vizepräjident von Soiron, aus der dub
ſchen Nationalverfjammlung befannt, ift in Heidelberg an M
Seite Gagern's vom Schlage getroffen plötzlich geftorben, En
voller Gothaer! — |
Louis Bonaparte nennt aus Fluger Borfiht den alten dr
poleon nie feinen Onfel, fondern fagt immer l’empereur Nr
pol&eon ; auch) ſpricht er nie von feiner Familie, jondern ven
der Kaiferlichen, oder der des Kaiferd. Auf dieſe Weile giebt
er feine Gelegenheit zu fpöttifchen Mienen oder zweifelnder
Bliden, denn er weiß nur zu gut, daß man über feine Geburt
gut unterrichtet ift. —
8l
| Mittwoch, den 9. Mai 1855.
Die Stettiner Zeitung vom 7. ift von der dortigen Poli—⸗
ei weggenommen worden, wegen angeblicher Beleidigung der
Staatöbehörden, der Kammern und auswärtigen Mächte. Biel
auf Einmal! — In Königsberg Verwarnungen. —
Dr. Klende ift aus Braunfchweig ausgewieſen worden, er
ſoll Berfaffer eines dort mißfälligen Romans fein, „ Zwanzig
Jahre aus dem Leben eines Arztes“, er aber diefe Autorfchaft
liugnen. —
Das „Mindener Journal”, von Dr. Schrader redigirt,
bat aufgehört. Die Polizei hat die Preffen verfiegelt. Hilft
ihnen alles nichts! Bor 1848 herrſchte die ftrengite Zenfur;
was hat fie geholfen? —
Die eigne Lebendgefchichte der Frau von Dudevant hat
für mich einen Reiz wie fein andre Buch. Wie fein andres
Buch erinnert es mich unaufhörlih an Rahel, wegen der
großen Aehnlichkeit beider grauen — trog aller großen Ber:
ihiedenheit —, wegen der jtrömenden Gedanfen und Bilder,
die mich bei diefem Lefen begleiten. Immer muß ic ver
gleichen, Nebensverhältniffe, Gemüths⸗ und Sinnedart, Geiſtes⸗
ſchwung, Wahrheitsliebe, Entfchloffenheit. Immer muß id)
mir die Frage aufiwerfen, mit welchem Sinn, mit weldyer
steude würde Rahel dies lefen, mit welchen überrafchenden
Borten ihre Eindrüde wiedergeben! —
Donnerstag, den 10. Mai 1855.
Drudbogen von Arnim's Gedichten. —
Der Graf von Dohna-Reichertswalde thut Einſpruch gegen
ie Heußerungen des Rundſchauers der Kreuzzeitung, der die
zegner des Chegefeßed in der erften Kammer unreiner Ge:
nnung verdächtigt hatte. Die Kreuzzeitung muß diefen Ein-
ruch jelber veröffentlichen. — |
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. XII. 6
82
Merkwürdiger Vorgang mit Herrn Jakob Riefen in Elbing,
der ald Gefchworner einberufen worden, aber jich beim Gericht
al? ein Mann angiebt, der ſich nicht im Vollgenuß der bürger:
lichen Rechte befinde ; man hat ihm den Gebrauch feines Eigen:
thums, feiner Buchdruckerei, entzogen, weil er nicht Rauterfeit
des Karafterd und rechtliche Gefinnung, weil er Mangel an
NRechtlichfeit, Neellität und Karakter babe; fo lauten die Yus
drüde, die der Negierungspräfident von Blumenthal in Danzig
gegen ihn fchriftlich gebraucht habe; wie fönne derfelbe Bann
ihn dabei doch auf die Lifte der Geſchwornen ſetzen? — Tu J
Gericht, im Ginverftändniß des Staatsanwaltes, erklärt um J
Niefen ald vollfommen geeignet, Geſchworner zu fein, under J
tritt demnach ald folder ein. Hiedurch bat das Gericht mittel: P
bar jene Angaben des Herrn von Blumenthal für Lügen un
Perläumdungen erflärt. Wohl befomme dem Herrn v. Blumen Jr
thal diefe wohlverdiente öffentliche Obrfeige! — 1
Freitag, ven 11. Mai 1855.
Beſuch von Herrn Hofrath Hackländer aus Stuttgart; 1 |
entfchuldigt fih, daß er mich beläftige, aber Humboldt it
ihn dazu ermuntert; wir befprechen einige biefige Sachen, de⸗
fonderd aber [hwäbifche. Lob Uhland's, feiner tüchtigen Et⸗
finnung, feiner Ablehnung der Orden von Preußen un
Baiern. Hackländer reift morgen wieder ab. — Treg is
Regens audgegangen; bei Kranzler, dann die Stereostopen it
ſehen, die italtänifchen Anfichten; wunderbar, zauberhaft, id
kann mich nicht ſatt ſehen! Doch greift ed die Augen etwa
an. —
Die Regierung bat eine ftrenge Berordnung gegen die Ken:
fubinate oder wilden Ehen erlaffen; der. Geiftliche foll zuerfi
einfchreiten, ermahnen, droben, Dann den weltlichen Arm an:
83
fen. Schöne Wirthichaft! Das Aergerniß, das man vor:
ebt aufheben zu wollen, giebt man erft recht. —
Unter dem Krummftab ift qut wohnen, fagte man fonit.
Das fann man doch von Preußen nicht eben ſagen!“ —
don Preußen? wo ift denn hier der Krummftab? wir haben
a den graden Zepter! — „Den Teufel mag er grad fein! fo
rumm ald möglich! Sat es jemals ein pfäffifcheres Regi—
ieut gegeben, ala jegt bei ung?“ —
Die Nationalzeitung beleuchtet fcharf die ftädtifchen
teuern, wobei der Magiftrat fcharfen Tadel erleidet. Der
aupttadel aber bleibt der, daß der Magiſtrat nicht den Muth
it, die Sache der Stadt gegen Polizei und Regierung mit
raft zu vertreten. Die Laften find übergroß. —
Der ehemalige Oberbürgermeifter von Elbing, Herr Phi—
»ps, war bei einer Illumination am Geburtstage ded Königs
n einem Bürger Namens Barlach durch ein Transparentbild
tiönlih beleidigt worden, zwei Inftanzen hatten den Bar:
ch zu Gefängnißftrafe verurtheilt, der König aber hat ihn
gnadigt. Einen Philippe darf man beleidigen. —
Die Nichtigfeitsbefchwerde des berüchtigten Malmene ift
om Gericht zurückgewieſen worden. Jetzt fammelt man Unter:
driften bei den Bürgern zu einer Bittfchrift für ihn, der
önig fol ihn begnadigen. Die Sadye könnte zweifelsohne
elingen, wäre nicht der Umftand, daß die Polizei und befon-
ers ihr Haupt diesmal dem Uebelthäter gram find. —
Der König ijt noch nicht hergeftellt, Tondern fränfelt auf
denflihe Weile. Man hat ihm einen Aufenthalt in Erd:
annsdorf vorgefchlagen, zum Behuf einer lüngern Kur.
sine nächiten Reifen, die fchon angefündigt waren, find auf-
jeben. Er hat jich feine Krankheit durch Erkältung in einer
rche geholt; er wohnt dem Gottesdienite, jagen die Hofleute,
ht als Andächtiger, ſondern als Kritifer bei, der die Pre—
6°
84
digten prüft, das Zeremoniel beauffichtigt, die Eindrüde be
achtet, Daher empfindet er feine Langweile. —
Sonnabend, den 12. Mai 1855.
Der Redakteur der Fatholifchen „ Deutfchen Volfshalle* zu
Köln war in erfter Inſtanz verurtbeilt worden, die Beamten
des hiefigen Prepbureaug, die er beleidigt hatte, ſollten Stasi
beanıte fein, da fie doch nur Lohnarbeiter des Minifters im. |
Das Appellationsgericht hat das Urtheil aufgehoben und den
Redaftenr Dr. Eiferling freigefprocdhen. —
Die Ernennung von Hindeldey und Sulzer zu Direktoren
im Minifterium des Innern ſteht nun im Staatsanzeiger.
Noch nicht Erzellenz! --
Brief und Sendung von Kriegsrath Müchler. Gin Ra—
nuffript, „Kriminalgeſchichten aus älterer und neuerer Jit‘,
das ich anbringen Toll! Der Neunzigjährige möchte vor feinen
Ende noch einmal gern als Schriftfteller auftreten; aber it
Stoffes ift er nicht mehr Herr und feine Schreibart iſt veralle.
Ich gönne ihm die Freude, Fan fie ihm aber nicht fhaffen'—
Nach 8 Uhr Fam Herr von Burgsdorf und blieb biänıd |
halb 10 Uhr. In feiner eigenthümlichen Redeweife, voll fm:
und Kraftworten, erzählte er viel Merfwürdiges, Beißendet,
Schnurriges, aus dem Kreife des Hofes, der Geſellſchaft. Ti
fämmtlihen NAriftofraten der erften Kanımer für vernageltt |
Dummföpfe zu erklären, die höchſten Hofbeamten, Minifer |
Generale, Gefandten, Lumpen und Hundsfütter zu nennen,
gegen die Pfaffen und ihre Anhänger die härteften Schimpf
wörter augzufprudeln, ift ihm noch eine milde Art der Wr
zeichnung. Er erzählt von großen Nergerniffen, die in it
Heiligen-Geift-Kirche zu Potsdam vor erwa zehn Tagen Statt
gehabt, wo die Pfaffen gegen einander geftritten, Mitglietu
der Gemeinde mit eingeredet, beſonders eine Frau, die durd
85
‚ren Muth und Scharffinn die Pfaffen in Berlegenheit ge:
taht. Lob der Familie Radziwill. Unzufriedenheit mit
em Minifterpräfidenten von Mantenffel. — Ueber die Krank—
beit des Könige, die noch nicht gehoben ift. —
Der Hindeldey’fche Polizeitummel, der überall etwas lei:
ten und fchaffen will, hat fih im Winter mit dem Aufmeißeln
der Steinplatten übereilt, und feinen Mißariff Dadurch zu ver:
ufchen gefucht, Daß er die Schuld des Unpraftifchen auf den
u großen Eifer der Hauewirthe gefchoben. Jetzt ſieht er fich
vieder veranlaßt, feine entfihieden ausgefprochene Abficht, mit
en plumpen Anfchlagfäulen für Zettel auch Anftalten zu
inem andern Zwecke zu verbinden, gänzlich abzuläugnen, nach:
em der öffentliche Hohn und Unmwillen fich ftarf gegen den
estern Zweck ausgefprochen. —
— — — — —
Sonntag, ben 13. Mai 1855.
In Müchler's Manuffript gelefen, mit traurigen Betrach-
ungen. Der Inhalt ift werthvoll und fpannt die Aufmerf-
jamteit, aber die Darftellung leidet an Trudenheit, Breite, die
Sprahe an Richtigfeit. Dabei fhimpft der alte Mann auf
1848 und 1849, und meint von mir Förderung erwarten zu
dürfen! Gr ann ſich fein andres Heil denken, ale ein aus
preußifcher Aufklärung, preußifcher Zucht und preußifcher
Rnappheit des vorigen Jahrhunderts zufammengefeptes. Da
findet er in den preußifchen Dingen de heutigen Tages frei-
li feine Rechnung aud) nicht! Armer Alter! —
Seit einiger Zeit, befonderd durch den Tod des ruffifchen
Kaiſers angeregt, faſſen die Leute die Möglichkeit, Daß auch bei
ınd ein Thronwechjel Statt fände, näher in's Auge und fra—
en und erörtern, was wir dabei zu fürchten oder zu hoffen
aben? Nach meinem Urtheil weder das eine noch das andre
86
in hohem Grade. inige Schattirungen werden fich ändern,
befonderd viele perfönliche Einflüffe wechfeln, einige Lich
habereien eingehen, andre vortreten; aber im Ganzen wird
alles ziemlich den alten Gang behalten, der Staat in dm
felben Gleiſe bleiben, in dem ariftofratifh=militatrifch:reafte:
nairen, denn wenn auch nicht diefelben Perfonen die Sachen J.
leiten werden, jo wird es doc) diefelbe Klaffe thun. Es iſt ii *
fogar zweifelhaft, ob die Pietifterei gründlich abgeſchafft werden,
und das Kunſtweſen eine beffre Richtung nehmen wird. leer J*
haupt dünkt mich die Zeit vorüber, wo durch bemußte, kluge J
Führung von vben dad Volk in ruhiger Ordnung zu gebildeter
Sreibeit und wachjendem Gedeihen emporgehoben werdentan, | bi
mir-[cheinen die nächiten großen Entwidlungen nur durd dat
Bolf unter Wettern und Stürmen gefcheben zu fönnen. Das
Naturell aber des jegigen Königs dürfte man im der Folge oft
genug vermiſſen; es ift in feinen jeßt freilich meijt dicht ver⸗
hüllten Grundanlagen nicht defpotifch, nicht Freiheitsfeind-
fih. Daher glaubten viele Perſonen, die den König genauer
kannten, im Jahr 1848 fehr entfchieden an die Wahrheit und
den Ernft feiner Umwandlung, feiner Annahme und Aufnahne J
der Revolution, fie meinten, er fei nun in die Richtung ge⸗
tathen, zu der er ſtets einige Neigung gehabt, von der murl
nur mit allen Hülfsmitteln ihn glüdlich zurüdgebalten. est
hegen fie dieferhalb Feine Beforgnig mehr! Diefe Wax
find verwachien und verftopft, wie die zu den Gräbern im
Friedrichshain! —
Louis Bonaparte hat geitattet, daß die Polen ihm eint
Adreffe überreichen, und feine im Moniteur abgedrudte Ant:
wort giebt ihnen das Berfprechen fich ihrer anzunehmen und
eine polnifche Legion zu errichten. Das iſt eine neue Szene,
die ſich aufthut; aber wie weit ift es Ernft damit? Grer
innert an dad, was der, deſſen Erbe er fei, für die Polen ge:
than. Die armen Polen! Auch der alte Napoleon hat fie ja
87
exxathen und mißhandelt; was fünnen jie von dem —
hoffen? —
Montag, den 14. Mai 1855.
Arnim’fche Drudbogen durchgeſehen. Die Montagspoft
enthält Betrachtungen und Behauptungen über Schiller und
Goethe, denen ich in feiner Weife beiftimmen kann. Willfür-
liche Annahmen zur Begründung von Unterfchieden, denen in
Kr Wirklichkeit nichts entfpricht, die mit dem Wefen beider
üchts zu thun haben. Dabei ftets das Beſtreben Goethe'n
n den Schatten zu ftellen, Schiller'n in’s Licht, den lektern
orzugsweife als Dichter der Freiheit, des Herzens, ald dem
olfe näher und lieber darzuftellen. Ich will dem edlen Geiſte
in Unrecht thun, aber weder als perfönlicher Menfch noch
5 Dichter reicht er an Goethe, und wenn er jet gelefener ift
3 diefer, fo hängt dies mit Eigenfchaften zufammen, deren er
ch nicht eben rühmen darf! In dem erwähnten Auffage
wd merfwürdigerweife and) Mängel und Schwächen von ihm
teffend angedeutet, aber im Endurtheil ihr Gewicht fo gering
18 möglich, faft gar nicht angefchlagen. Das Pathetiſche,
Rhetorifche, Deflamatorifche des Tragiferd Seneca ift viele
Jahrhunderte hindurch dem höchften der tragiſchen Poeſie im
Sophoffes und Euripides vorgezogen worden! —
Beſuch von Herrn Hermann Grimm; Nachrichten von
Bettina von Arnim.
Mitfchke = Kollande hat eine Flugfchrift gegen Wenpel’d
Sefängnißreform zufammengeftoppelt, deutſch ald wenn es die
Fortjegung der auf ihn gemünzten lateinifchen Epifteln wäre.
Bengel ging auf ihn zu, und fagte ihm, er bringe ihm feinen
ufrichtigen Dank, daß er diesmal deutfch gefchrieben habe:
denn ich geitehe es, Ihr Latein iſt mir oft gar zu Schwierig!”
88
Damit ließ er unter dem Gelächter der Hörer den elenden
Burfchen verblüfft ftehen. —
Dienstag, den 15. Mai 1855.
Wilde Träume von beftigen Kriegsgewirren, denen fchneler
Friede folgt, alle Truppen marfchiren plößlich heim.
Uhlich's Sonntagsblatt in Magdeburg von der Poliki
weggenommen. Ceit Schließung der freien Gemeinde hat da WE
Blatt eine weit größere’ Verbreitung gefunden, es dient ald
Band des Zufammenhanges. —
Karl Hawlidek, böhmifcher Abgeordneter zur deutſchen
Nationalverfammlung, der bisher in Briren leben mußte, hat
die Erlaubniß erhalten nach Böhmen zurüdzufebren. Oeſter
reich, das harte Defterreich, noch immer milder ale Preußen;
jenes ohne, died mit Berfaffung! —
Unfre Zeitungen werden ſchon fühner in der Kritil der
Handlungen Louis Bonaparte’d, der politifchen und perſon—
lichen, und die Regierungen, die anfangs mit dem Staatdrettet
buhlten, ihm Beifall Hatfchten, jeden Tadel von ihm abhielten,
müffen es jebt gern fehen, wenn er herabgeſetzt oder getadelt
wird. Der Tadel aber trifft fie mit! —
Neue Wahlliften von Urwählern für die zweite Kammer
läßt der hiefige Magiftrat anfertigen. Ich hatte heute meine
perfönlihen Angaben einzutragen, und habe ed gethan. Mit:
wählen aber werde ih nicht. Doc) habe ich nichts dagegen,
wenn es Andre thun. Jeder nach feiner Luſt! —
Mittwoch, ben 16. Mai 1855.
Unrubiger Schlaf, lebhafte Träume, gewiffermaßen war:
nende. —
Betrachtungen der Vollözeitung über Louis Bonaparte’
89
Benehmen gegen die Polen, die ihm nicht trauen follen. —
Bucher deckt in der Nationaljeitung eine betrügliche Arglift
auf, durch welche die englifchen Minifter ihre früheren diploma-
tiichen Blößen zu deden verſuchen, indem fie ein franzöfifches
Atenitü in der englifchen Ueberſetzung fälfhend mildern.
Louis Bonaparte verfucht aus den Schüffen Pianori's doc)
den Bortheil zu ziehen, daß in England die ihm feindlichen
Flüchtlinge befondern Maßregeln unterworfen würden, alfo
jegen die englifche Freiheit! — Pianori in Parid am 14.
uillotinirt; man hatte Begnadigung erwartet. Er ftarb
ntſchloſſen und muthig, auf dem Schaffot rief er noch laut:
’ive la republique! Vive l'Italie! — Er rief fo, der Henker
ehrte ihm; ſchon liegend unter dem Kallbeil rief er noch—
tale, —
' Donnerstag, ben 17. Mai 1855.
Geſchrieben, einiged in meinen Papieren gearbeitet. —
Ausgegangen mit Ludmilla; bei Kranzler; "Darauf in den
Ebiergarten ; fchon unter den Linden, noch mehr im Thier-
garten begegnete und ein Menfchenftrom, der aus der Matthäi-
Keche Fam, wo Büchfel gepredigt hatte; die Andächtigen waren
wegen des Himmelfahrstaged zahlreicher noch ale fonft, bes
nahmen ſich aber auf dem Heimwege ziemlich luftig ; die Kirche
kird, wie bei den Katholiken, ein weltliched Vergnügen, man
fieht die vornehme, gepußte Welt, findet feine Bekannten, zeigt
ih im Staat und in der Frömmigkeit, macht bin und ber
inen Spaziergang, und hört einen fanatifchen Pfaffen, über
effen verrüdte Redensarten man nachher ein Langes und
reites fprechen kann, auch allenfalld fpotten, — und nicht
enige thun letzteres! —
In Goethe gelefen; Franzöſiſches, Englifches. — Trau—
ger Tag! Sein Ertrag fehwermüthige Betrachtung, un—
friedigted Zurüddenten! Armuth! —
90
In meiner Jugend hört’ ich von meinem Bater den Geil
und die Sprüche Virgil's und Seneca's, Voltaire's und
Rouſſeau's, päter von Andern Homer's und Platon's, Leſſinge,
Goethe's und Schiller's, und alle Strebenden waren mer
oder minder in diefen Namen vereinigt und von ihrer Vak
berührt. Man darf fih nicht wundern, wenn andre Zeiten
andre Namen haben, das Alter kann nicht hoffen, feine Jugend
fortgefeßt zu fehen. Gut; ich würde mid, zu neuen Haus
göttern bequemen, und fie den alten willig beigefellen; ab
hat unfre jeßige Zeit deren? wo find fie zu finden, wo hart
man fie nennen? Nicht? hindert mich die alten zu pflegen
und zu verehren wie fonft, aberich thu’ es allein, die Gemeint |
fehlt, oder ift ohne ZJufammenhang in alle Melt zerire.
Aber die Unfterblichen wirken mächtig in der Menfchheit fett,
am gewaltigften und gedeihlichften, wo ſchon ihr Name fd
abtrennt und verliert, ihr Geift wieder aus feiner glänzenden
Zufammendrängung fih in's Allgemeine auflöſt! —
Seine Erzellenz der ſchwarzburg-ſondershauſen'ſche Staalt
nuinifter von Elsner, früher preußifcher Landrath, find bit
aus Schlefien eingetroffen, um zu feinem neuen Wirfungstteilt
abzugeben. Die Königin hat ihm gefagt, fie habe fih te}
gewundert, daß er die Stelle angenommen! Dies hat ih
doch gewaltig verfhnupft und verdroffen. Der König un
Manteuffel haben fih in die Wette über den neuen Gt
würdenträger luftig gemadht. — —
Freitag, den 18. Mai 1855. i
Sehr ſchlechte Nacht, erft Schlaflofigfeit,, dann ungefüg
Träume. — Gefihrieben, was der Tag erfordert, dies behil
leider ftetd die Oberhand gegen das, was der Wunſch und dei
Stimmung möchten! — Ä
Befuch vom Herrn Grafen von Seherr-Troß ; er hat Bridk,
91
ws Sebaftopol» von einem Fürften Galigin, der den an?
frengenden harten Dienft, das entfegliche, faſt unaufhörliche
Geſchützfeuer fehildert. Wünfche, „daß die argliftige Tücke
und Zweideutigkeit Defterreiche Dadurch beitraft werde, daß
stanfreih und Rußland Frieden ſchließen und vereint gegen
Deiterreich gehen; nicht die Polen werden dann frei werden,
aber die Ungarn und Italiäner!“ Nichts da! Mit dem
Willen der Fürſten wird fein Bolf frei, und was wäre das
ür eine Freiheit, die vom ruflischen Kaifer und von Louis
Bonaparte fäme! —
Der Bizepräfident des Appellationsgerichtes zu Natibor,
Jerr von Kirhmann, der erft aus dem Orient zurüdgefehrt ift,
at auf’d neue einen mehrjährigen Urlaub von der Regierung
thalten. Haß und Bosheit wirken durch's ganze Land, und
in wie blinder Haß, eine wie Dumme Bosheit, die zufeßt nur
em Staat und der Krone fchaden! —
In Kaffel haben die meilten der ihrer Konzeſſion beraubten
Buchhändler jie fchon wieder befommen, gegen neue Zahlung
der Gebühren. Alfo wenn gezahlt wird, ift das Gewerbe
unfhädlih! Gute Lehre. —
Der „Siecle* in Paris, ein Blatt, das wie alle nichte
ohne Erlaubniß fagen darf, fpricht ganz offen davon, die Welt:
mächte müßten um Rußland zu zwingen, erft Defterreich und
Preußen bezwingen, und dazu ftünden ihnen die unterdrüdten
Bölfer, mit Einem Worte die Revolution zu Gebot. Dahin
it es alſo fchon gefommen, zu folcher Drohung! Aber die
Revolution wird Louis Bonaparte'n nicht lange dienen, wenn
er fie auch dazu ruft; fie wird ihn mit den Andern zum Teufel
agen! —
Unfrer Kreuzzeitungsparthei ift febr bange um die nächften
Bahlen. Sie ſucht vor allem der Regierung einzureden, daß
tiefe nicht befjered thun könne, als ihre Beamten und allen
influß derjelben zu gebrauchen, um die Barthei zu verftärfen,
92
die doch oft genug der Regierung und immer den Beamten
feindlich gemefen ift, Die den König haßt und den Staat ſobiel
fie fann erniedrigt und zu Grunde richtet! Die Minifker
haben zu viel zu thun, um jetzt ſchon mit Ernft an die Wahlen
zu denfen; fie haben dag gute Bewußtfein, Daß fie zur rechten
Zeit alle Kraft anftrengen und Fein Mittel fcheuen werden,
nach ihrem Sinn und Bortheil auf die Wahlen einzumirfen.
Der Oberbefehl in der Krim ift von Ganrobert auf PBelifiter
übergegangen; Ganrobert dient nun unter dieſem, eignem
Wunfche gemäß. —
Gerücht aus St. Peterdburg, daß an Neffelrode'd Stell
der Graf Jermoloff die Leitung der auswärtigen Angelegen
heiten übernimmt. — |
Sonnabend, ben 19. Mai 1853.
Nahel’d Geburtdtag! Er fei gefegnet und gebeiligt! —
Gefchrieben; in meinen Papieren gearbeitet, vorbereitet; akt
der Augenblick des eigentlichen Darftellend erfcheint noch nicht,
und ihn herbeizuzwingen ift weder nöthig noch angenehm. —
Brief aus Hanau von Heinrich Koenig, nebit dem erten |
Bande von „König Jeröme's Karneval”. |
Ein Schulmann Zander in Pillau war von der Stadtjn
einem höheren Schulamt erwählt; der König aber hat jene
Beftätigung verfagt. Was find dad für Wahlen, bei denen
es immer noch einer Beftätigung bedarf! Zander war wege
politifher Yeußerungen in Disziplinarunterfuhung gezogen
worden, die mit einem gelinden Verweis endete, zu mehr fünd |
man feinen Grund. Und doh! —
Der General der Infanterie von Reiche ift geftern hier im
achtzigften Jahr geftorben. Nun fünnen feine Denkwürdig⸗
feiten erfcheinen! Ob er ihnen wohl einen polemifchen An
hang gegen mich beigefügt hat, weil ich ihm nicht als den
93
gentlichen Urheber der Schlacht von Groß: Beeren ges
hildert ? —
Sonntag, den 20. Mai 1856.
Nachrichten aus Paris behanpten, die Ausfichten zum
jrieden feien noch immer offen, Louis Bonaparte gebe das
Spiel verloren, und brenne vor Verlangen, das Spiel zu
enden, um ed mit befferm Anfang zu erneuen, man dürfe
ch durch feine Rüftungen und Drohungen nicht täufchen
aſſen, er werde nie revolutionair Krieg führen, er wiſſe zu
ut, daß er dann fogar im Gewinnen verloren fei; doch werde
t alles thun, um zu fohredin; die Hauptfache fei ihm, den
Schein zu retten, den Schein, den er für die Franzoſen nöthig
at, daß Frankreich auf dem Gipfel der Macht, des Ruhmes
ind der Ehre ſtehe; er werde nicht den Nuffen nachgeben, aber
uch plößliche Schwenfungen überrafchen und alles in neue
endende Faſſung zu bringen fuchen; es könne die Türkei
zu die Koſten trage ı, oder auch Dejterreich, vielleicht Stalin.
Das mag alles fein, aber man überficht Dabei, daß der —⸗
Abentheurer nicht mehr thun kann, was er will, fondern
hun muß, was feine Rage gebietet, dieje ift mehr bedingt, ala
man glaubt, er ijt einer engen Nothwendigfeit verfallen, die
eiſern auf ihn drückt. —
In Wien fühlt man die größte Verlegenheit, man weiß
nicht, was man thun foll, der Krieg hat große Gefahren, der
Fiedensftand auch. Man ſchiebt alle Schuld auf Preußen,
das durch feine Unentfchloffenheit, fein Wanfen und Zögern
allein verurfacht habe, daß Deiterreich nicht ſchon friegerifch
aufgetreten fei. Dies ift allerdings wahr, Defterreich bedurfte
remder Entjchloffenheit, um auch entfchloffen zu fein. — Man
inn es nicht oft genug wiederholen, die tapfern Krieger auf
m Schlachtfeld abgerechnet, ift all das Treiben der jegigen
94
Gewalthaber und Regierungen cin Gemijch ven Feigbeih
Spipbüberei, Berratb und Lüge; fie haben nicht einmal den
Muth, ſich ſelber zu geftehen, wer fie jind, Das wäre fchon ju
viel Ehrlichkeit! — |
Im Gicero gelefen, in Koenig’d neuem Buche, das die
Borzüge und Mängel feiner früheren hat. —
In Hannover beginnt das Oktroyiren; die Berfafum |
wird in Folge des Bundestagsbefchluffes abgeändert, j
Gunſten der Ritterfchaft, der VBorrechte. Die Megierung a
jcheint dabei gezwungen, thut aber nur ihren eignen Bill,
fonft hätte fie den Zwang verhindern fönnen. Staatereitum
und Oftroyirung find die artigen Namen für die heutigen WE
Spigbubenarbeiten. Hannover hatte bisher am wenigien
davon gelitten. — |
Spottgedicht auf Hindeldey mit Reimen auf feinen Namen, |
„Winkel, Kinfel ꝛc.“ wegen der Anſchlagſäulen, Die anfang
noch zu einem andern Zwecke beftimmt waren. Der König:
bat fehr darüber gelacht, und alfo auch Hindeldey felber; de
Spott foll ziemlich harmlos fein. — |
Es war von Boeficen die Nede, ihren Werth oder Unwertt,
den Hoffnungen, die fie erregen dürfen u. |. w. Ich erlennt
jedes Talent willig an, und finde noch löblich, mit Poeſie ſich
au befchäftigen, auch bei geringem Talent. Aber wenn die
Ansprüche, die nur bittweife hervortreten dürften, mich über
müthig herausfordern, wenn man Pergleihungen anftellt, und
Uhland in den Schatten, ja Goethe'n fogar zurüddrängen
will, dann muß ich feharfes Gericht halten, und jedem ſagen,
wohin er gehört. —
Montag, den 21. Mai 1855. |
Ausgegangen mit Ludmilla. Die Wege zu den Linde
waren wegen der großen Parade gefperrt; ich fragte eine
-
95
—
Konſtabler, ob ich nicht durchgelaſſen werden könnte, ich wollte
wu Kranzler; er ſah mich groß an, dann das blaue Kreuz, und
machte chrerbietig Plap, wir gingen frei durch, niemand fonft.
Wer kann da noch zweifeln an dem Werth und der Geltung
eines Ordens?! Wir waren doch innerlich empört über Die
Ausnahme! Die Parade war fehr ſchön, das Gefolge des
Königs überaus zahlreich und glänzend, prächtige Uniformen,
Ihöne Pferde; das Spiel wurde gerührt; der Eindrud des
Ganzen war groß. —
Die beiden Bildfäulen neben Blücher’& Standbild, die von
Nord und Gneijenau, waren heute früh enthüllt worden ; ich
tonnte nicht bi® dahin durch das Gewühl vordringen, ich fah
nur-aus der Ferne das frifche Metall in der Sonne blißen. —
Zur Ehre der zahlreichen Konftabler muß ich ſagen, daß fie
ihren bei folchen Gelegenheiten mübfamen Dienft mit großer
Veſcheidenheit und Höflichfeit verrichteten, felbft gegen Leute
ans der geringften Mlaffe, gegen Jungen und Kinder, fie
Iprahen bittend, nannten die Leute „meine Herren*, waren
artig gegen Damen, furz, benahmen fich als Gebildete. Als
der König geritten fam, erinnerte ein Konftabler, die Herren
möchten doch die Hüte abnehmen, nicht alle thaten es, aber
jener fah fich nicht weiter um, wiefern feine Weifung befolgt
werde oder nicht. —
Mir nahmen die neuen Bildfäulen in Augenfcein. Die
Aufſtellung ift fehr mangelhaft. Sie ftehen dem Blücher zu
abe und bilden doch feine Gruppe mit ihm. Der Unterfchied
m Größenverhältniß macht ebenfalls, in diefem nahen Zu-
ammenijteben, einen üblen Eindrud; fie find alle drei koloſſal,
ber Blücher ift es fo viel mehr, daß die andern beiden es
icht mehr fcheinen. Die Aufftellung ift ja aud beim Fried⸗
‚hödenfmal eine unglüdliche. Geſchmack und Urtheil fehlen
ei den Perſonen, die in Diefen Sachen zu enticheiden haben ;
m KRünftlern ift auch fein Uebermaß diefer Gaben verliehen,
9%
oder es feblt ihnen der Karakter, der unvernünftigen Iant-
nungen beharrlich wideriteht. —
Im öjterreichifchen Heer, auch bei den Truppen n m
Walahei und Moldau, iſt Standrecht angeordnet werk,
weil man großen Betreibungen auf die Spur gekommen if
die Soldaten zum Ausreißen und zur Empörung zu verfübra.
Nuffifcherfeits nimmt man ſich revolutionaire Mittel mi
übel, man ruft die griechiſch- religiöfen, die ungariid- mi J.
italiänifch-nationalen Sympathieen auf. '
Dienstag, den 22. Mai 1855.
Unruhige Nacht, Sorgen, die bei Tageshelle gleich m
ihwinden. — Beſuch von Herrn Gottfried Keller, vı da J.
langerwarteten vierten Band feines „ grünen Heinrih‘ trug. I
Er fpricht fehr verftändig über Kunftwerke, Drama, peltiät |
Schwenfungen. —
Der Prediger Uhlich in Magdeburg läßt die Predigm
die er nicht halten darf, einzeln druden, und jie werden ein I,
gekauft. Sein Sonntagsblatt ift abermals von der Pal W,
weggenommen worden. Diejes im Volke fehr verbreitete Pal J
wird zu dreitaufend Abdrüden gedrudt. —-
In Wien giebt man unverhohlen zu erfennen, dag Drttt‘
reich fih mit aller Macht nur dann in den ruſſiſchen A,
ftürzen will, wenn ihm der Beſitz der Moldau und Waladk
ugefichert wird; auch will man nicht Galizien verlieren @
zu Polens Herftellung beizutragen, diefe foll, wenn überhauf,
ganz und gar auf Rußlands Koften erfolgen. Preupen alt
wünfcht feine Herftellung, fondern nur für ſich felber Warſhn
wiederzubefommen. Wie viele und große Anfprühe! Um
für nichts! Was follen erft England und Frankreich fordern
die fchon fo viel gethan und gelitten haben? Ca wird bar
97
en für die nafeweifen Selbftfüchtler! Und au
fleiht. Uber, aber! —
is hält man für möglich, daß Louis Bonaparte
? Schwenfung macht und fich gegen Deiterreich
uch in England wird die Unzufriedenheit gegen
ſehr laut. Der englifche Konful in Jaſſy hat
triegöftand in den Fürſtenthümern proteftirt. —
ten aus Paris erwähnen mit Schadenfreude der
ten, die der Mbentheurer findet, feine boben
rig zu beſetzen; der Kreid der Zeute, unter denen
inn, ijt nicht groß, der Kreis der fähigen außer:
ein, und die Umftände find von der Art, daß er
digkeit fühlt, nicht nur ihm ergebene, ſondern auch
id anerfannt geſchickte Leute zu Miniitern, Ge-
fehlshabern 2c. zu haben; die Legitimiſten gewinnt
und da, doch auf die fann er nicht rechnen; Die
t dienen ihm durchaus nicht. Der Mordverfuch
at auch im Mißlingen das Anfehn Bonaparte’
rt, jederman ıft erinnert worden, auf wie fchwachen
Staatöretter ftebt, jederman fieht an dem ftand:
the des Italiäners, welch entfchleffene Gegner
the gelefen, im Cicero. Dann bab’ ich ein altes
r vorgenommen: The life of Samuel Johnson,
Boswell. Angenchm genug zu lefen, beſonders
ıd reich an Karafterzügen, Anefdoten, Bemerkungen,
fer Art. Am wenigjten aber entfpricht es feiner
eſen Johnſon ale einen Mann von Genie, von
yem Geift, als einen tiefen Denfer und wunder:
yeten darzuftellen. Alles in ihm läuft auf Mittel:
d Gewöhnliches hinaus, und zeigt mehr die geringe
Heiftesbildung, auf der feine Anhänger und Zeit—
nden, als die hohe und freie, auf der er ſelbſt ſoil
en von Enfe, Tagebüder. XII. 7
98
geftanden haben ; für mich ift er nichts weiter als ein engliider
Gottſched, etwas fräftiger als der deutfche, das iſt alles. Ih
muß es für einen großen Nachtheil halten, daß er fo viel un
jo lange gegolten, die Engländer leiden noch an der Verehrung,
die ihm gezollt wird; es ift ein wahrer Schaden, daß ihm kin |
englifcher Leſſing gefolgt ift. Seine fogenannte Trömmigkit
ift ganz unausſtehlich. — |
Mittwoch, den 23. Mai 1855.
Korrefturbogen von Arnim's Gedichten ; fehr zur Unze,
wie fo oft! — 1
Hr. Dr. Steinheim aus Rom hier angekommen mit jene |
Frau. Er befuchte Ludmilla, die dann mit ihm ging, um ie |
Frau zu begrüßen. Liebe Freunde Aſſing's und Rei |
Maria’d. — |
Wie Johnſon über Voltaire und Rouffeau urtbeilt! E1 |
möchte fie als Schelme zu Strafarbeit und förperlicher Jüh |
tigung abführen fehen. Wahrlich, ein Ochs, der über Genin |
Gericht hält! —
Donnerstag, den 24. Mai 1855. |
Unruhige Nacht, ungefüge Träume. — Die Bolkgzeitun |
bringt gute Bemerkungen über die Naumer’fchen drei Regular |
tive und über die Akademie der Wiffenfchaften ; ein Ungenanntt |
hatte die letztere aufgefordert, ein Urtheil in diefer Sade w 1
ſprechen, die Volkszeitung zeigt das Thörichte dieſes Derlangent |
und dad Armfelige der Akademie. — Gefchrieben. — Brit
von Steinheim's; fie loben Rom und Neapel. — Ausgegangen
mit Zudmilla. Unter den Linden hatten wir das Vergnügen,
den unter dem Namen Pietich befannten Berliner Strapen:
mann zu fehen, der von einer Schaar Jungen verfolgt und
von einer neugierigen Menfchenmenge begleitet wurde. —
99
Nähere Auffchlüffe über das Unternehmen gegen Kertich,
te und Truppen wurden gleich nad) der Abfahrt wieder
ifgerufen. Uebler Eindrud. Der Befehl muß unmittel-
von Louis Bonaparte ausgegangen fein, fe fehr dies ver:
ht werden foll. Der Glaube an feine Fähigkeiten ift ſehr
ſüttert. Gr befindet jich in einer dummen Lage. Macht
Induftriepalaft fein Glüd, fo ift es ſchlimmer, ald ob eine
laht verloren wäre. —
In Boswell gelefen, im „Grünen Heinrich *, in Goethe. —
Zweifampf der Gardeoffiziere von Krofigk und von Budden-
fin Potsdam, wegen einer Schaufpielerin. Beide ſchwer
vundet. Macht fchlechten Eindruf im Bolf. Auch der
ig fehr ärgerlich. —
Herr General Adolph von Willifen wollte mich befuchen.
n werden noch viele Hinderniffe in den Weg gelegt wegen
wandlung der Gewehre in Miniebüchfen, der Wille des
198 befhüst nur fpärlih. Der Prinz von Preußen tft
bedeutender Widerfacher. —
(Pietfch iſt der wirfliche Name eines Sonderlings, deſſen
heinung in den Straßen die Jugend mehr beluftigend als
dlich aufregt, und den Koſſak früher einmal befchrieben hat.
Name foll jedoch übergegangen fein auf alles, was irgend
ällt oder zum Neden Anlaß giebt. Der heutige Pietſch
ınur ein ſolch abgeleiteter geweſen fein, nicht der urfprüng-
. Der Staatöretter General von Wrangel ift in dieſem
n auch ſchon ein Pietſch. — Frühere Geftalten diefer Art:
Sänger Heinfius, die Hundefröfen, der Major von Sobbe,
Iheater- Schulz, der Major Graf von Schwerin (Die Kreuz:
ne genannt), der Dichter Drion Julius, Schapfe, Pie
ter (ziwei weißgefchminfte Jüdinnen, die regelmäßig nach—
ags zu den Zelten gingen). Aus dem Jahr 1848 Held,
en- Müller, Bater Karbe.) —
7*
100
Freitag, ben 25. Mai 1855.
In Hamburg ein neued Preßgeſetz, das den Beſchlüſſen
ded Bundestages gemäß eingerichtet worden. Um die einzelnen
Beftimmungen mag ich mich nicht fümmern es iſt genug, daß
das Ganze ein Werk der Reaktion, der Gewalt und Unfrei
beit iſt. —
Alle Zeitungen liefern in ſchlichten Ausdrücken eine Ve⸗
richtigung der früheren Angabe, daß die Berurtbeilten dee
Märzfomplotts ein Begnadigungsgeſuch beim König eingereicht |
hätten. Ladendorf, Gerde, Falfentbal, Collmann, Re und
Weidle haben feines eingereicht. Für Andre (Levy ꝛc.) mögen
Anverwandte Schritte getban haben, nicht fie ſelbſt. Der |
PBublizift von heute giebt den vollen Einfpruch, den in diefem
Betreff die Herren Dr. Tappert und Dr. Guſtav Raſch mit J
ihrer Namensunterfihrift an die Zeitungsredaftionen erlaſen p
haben. — | |
Die Nationalzeitung verarbeitet auf's neue die Regulatit
des Minifterd von Raumer für den Bolfsunterricht, zeigt deren
Abficht und Wirkung ꝛc. Der Widerftand in dieſer Sahe it
größer ald die Regierung glaubt; fie wird nicht durchdringen, |
der Bolfsgeift, man kann fagen der Preupengeift ift dawidet. —
Wilde Wirthfchaft im enalifchen Unterhaufe. Die &
brechen werden ſchonungslos aufgededt, ob geheilt, tue I
eine andre Frage. Palmerſton, Gladſtone, Phillimer X
fprechen für den Frieden, Palmerfton wider gebeime Ar |
ftimmung mit Gründen eines Manteuffel würdig! Gräpliät
Schande des Brieferöffnere Graham, der den Layard heihul:
digte, durch feine Betreibung den Tod des Kapitains Chriſtit
veranlagt zu haben, und mit allem Pathos eines Gewillent
eifererd eine Kotzebne'ſche Rührung erzwang, jeßt aber bekennen
muß mit befehämender Abbitte, daß er fich gröblich geirrt, dah
er jeldft den Kapitain abgefept und vor ein Kriegsgericht ge
ftellt babe, che von Layard's Anregungen die Rede geweien!
101
Ind der Lump, der jedenfalls durch feine Gedächtnißfchwäche
— wenn ed aud) nur dieje, wenn cd nicht ausgefuchte Schänd⸗
lihfeit und Lüge wäre — zu jedem Amt unfähig fein müßte,
Meibt in dem feinigen, bleibt Minifter! —
Warum ich nicht raſchen Entfchluffes nach Italien reife,
oder auch nach Parid und London, das fragen die Leute, dar-
über wundern fie fi! ch bin nicht gefund genug, um von
folher Neife den rechten Nugen und wahres Vergnügen zu
haben. Das ift ein wichtiger Grund, den ich angebe, und den
man zwar bejtreiten will, aber doch muß gelten laffen. Ich
babe jedoch noch einen andern, mir wichtigen. Ich mag nicht
Io heftig die Erfüllung alter Wünfche anftreben, denen früher
hätte Gewährung befchieden fein follen, Wünfche, auf die bei
Rärkern und höhern Anſprüchen Rahel hat verzichten müffen,
auf die für mich jegt allein zu verzichten mir gar nicht ſchwer
wird! Wenigſtens müßte jest die Gelegenheit mir gleichfam
in's Haus fallen, wenn ich fie benupen follte. —
Sonnabend, den 26. Mai 1855.
Sehr unruhige Nacht, geträumte VBerlegenheiten und Auf:
gaben, die gar feine fein können! — Die Nationalzeitung be
leuchtet weiter die drei Unterrichte-Regulative des Minifters
von Raumer, nennt jie unpreußifch, deckt die Lächerlichkeit des
Widerſpruchs auf, indem die Regierung erft behauptet, alles
ſei bis jeßt fchlecht gewefen, und dann wieder, alled was fie jetzt
betreibe, fei von jeher fo gewefen, auch unter Altenftein, der
fonjt immer der Sündenbod fein muß. —
Der König war beinahe wieder umgeftimmt in Betreff der
Ninie-Büchfen, deren Einführung er befohlen hat, aber fchon
vieder einftellen wollte in Vortrag des Generals Adolph
on Willifen, der ihm zugleich einen umgeänderten Probelauf
:igte und erflärte, hat ihn in dem früheren Beſchluß befeftigt.
JYyIIUMMARN, 19 WISUYUN VE VMIV 9 IDEE UIIVXLII NIE JEUEE syn
ein Krieg der alten Koalition gegen Frankreich und die Neon
tion werden. Rußlands Despotiemus in unbeftrittener He
macht, Preußen und Defterreih und ganz Deutfchland
Abhängigkeit, Englands Freiheit befchränft, Frankreichs Ma
gefhwächt und der Reaktion überliefert, — welch ein Trium
für die Kreuzzeitungdparthei, die Junker und Pfaffen! —
Nachrichten aus Parid verfünden, daß Louis Bonapı
die äußerten Kriegdanftrengungen nicht ſcheuen und nöthig
falld die revolutionairften Verfuche machen, die rothe yul
aufpflanzen wird. Aus feiner Hand werden die Völker ſe
die Freiheit nicht annehmen wollen, fie wäre befledt ı
unwürdig. Aber die Folgen feined Thuns werden den Bill
zu gute fommen, und für dad, was er wider Willen bewi
gebührt ihm fein Dank. —
Nachmittage bei Ludmilla. Steinheim’. Sehr b
und angenehm. Dr. Steinheim erzählte fehr unterhal
von Nom, Frau Doktorin Steinheim machte Durch ihr f
Weſen den beiten Eindrud. —
Empfang eines Briefed von Herrn Prof. Wuttfe aus Le
der mir meine Ernennung zum Chrenmitgliede des dei
Schiller » Bereind anmeldet, mit Beifügung eines präd
Diplomd. —
— — — — —
Pfingſtſonntag, den 27. Mai 185
Geſchriehen Tem Thieraarten hot don Rlıumon
103
jung und ſchon fräftig, herrliche Scheine, die Luft erquidend.
Ich hatte meine Andacht im Freien, fand auch hier „fchöne
Gegend", und rief den abgefchiedenen Geift herbei. Erinne⸗
tung an beftimmte Tage, an örtliche Vorgänge, befondre Aus:
iprühe! Der Thiergarten war mir recht lieb in all dem
Andenken, und in feiner Gegenwart. —
An Herrn Prof. Wuttke nady Leipzig gefchrieben; meinen
Dank für die Ernennung zum Ehrenmitgliede des Schiller:
Vereins ausgeſprochen. —
Fräulein Klärchen Steffens bringt mir ihre Ueberfegung aus
dem Norwegifchen zur Durchſicht: „Salomon de Caus, Tra-
gödie von A. Mund.“ —
In Samuel Johnſon ift mir vieled zuwider; aber am
meiſten feine ganz erbärmliche, philifterhafte Religiofität, feine
Firhlihe Nechtgläubigkeit, und die elenden Beweife, auf die
fie ſich ſtützt. Wenn er feine Gebete niederfchreibt, ift er nicht
beffer ald der gemeinfte Pfaff, der was gethan zu haben glaubt,
wenn er feinen Roſenkranz oder feine Litanei hergeplärrt hat.
Ein befchränkter, Mleinlicher Geift! Und der konnte bei den
Engländern zum höchften Ruhm gelangen, ihnen als der größte
Kititer gelten! Seine Briefe und moralifirenden Auffäge find
außerordentlich gering. Man muß bedenken, daß fein Publifum
im Ganzen ein fehr rohes war, denn aud) die ziemlich ver:
breitete Selehrfamfeit war roh, und weltlicher Bildung ſehr
bedürftig. Boswell ift ganz und gar ein Schildfnappe, der
feinem Herrn dient, aber auch fich felber nicht vergißt. —
Heute wollte die hiefige freie Gemeinde das Pfingitfeit
begehen, und zugleich die Aufnahme der in der Religion unter:
richteten Jugend ftattfinden laffen; die Polizei forderte, daß
die Frauen und Kinder fid) entfernen follten, und da dieſe
nicht gingen, löfte fie die Berfammlung auf. Wer ift hiebei
rube- und ordnungftörend ? Wer beleidigt Sitte und Anftand?
Wer fränkt die Ueberzeugungen? Und durch welche Mittel! —
104
Pfingfimontag, den 28. Mai 1855.
Stiller Nachmittag; das fchöne Wetter freut mid; id
brauch’ cd nur von meinen Yenftern aus anzufeben, in di
Grün der Gärten, in das fonnige Blau ded Himmels, un
mich der Zeiten zu erinnern wo ich folche Tage in vol
Thätigfeit und Luſt genoffen, um ganz vergnügt zu fein. An
angenehmes, ergiebiged Buch fehlt auch nicht! — Heute wur
mir der vierte Theil von Goethe's Dichtung und Wahrkit
zur Hand; die fhönen Tage der Beranntfchaft mit Lilli |
Aus Paris waren Nachrichten gefommen , die der Genetal
Peliſſier gleich nach Nebernahme des Oberbefehls vor Sebaſtopel
follte erfochten haben, wichtige Außenwerfe feien genommen
hieß ed, der allgemeine Sturm ftche nahe bevor. Nichts von
allem hat fich beftätigt. — |
Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts , von Geroinw.
Erſter Band. Dieſer redliche und eifrige, dabei gelebrte un
fleißige Mann ift Fein erfreulicher Gefchichtöfchreiber. 0
fieht alles in düftrem Licht; wenn fein Lehrer und Bert |
Schloffer immer mit den Ereigniffen zanft und gegen fe
poltert, fo beflagt Gervinus fie und trauert darüber, daß ie 3
nicht anders auögefallen find. Er urtbeilt immerfort über die
Menfchen und ihre Antriebe, und meiſt geräth es ihm ſchlecht.
Es fehlt ihm der Weberblid des Staatsmannes, die Kunde der
großen Welt, die Kenntniß der Gefchäfte. Weber Hardenberg
fommen die alten ungerechten Urtheile wieder vor, die von den
Bedingungen feined Amtes und Wirfend nichts wiffen ; Ber:
würfe können ihn, wie dem Genk und Metternich, und Wil—
helm von Humboldt, genug gemacht werden, aber die bier
verfuchten haben alle etwas Schiefed. Gervinus verfteht dad
Allgemeine nicht von dem Perfönlichen zu fcheiden, Das ge:
meinfame Element, in welchem ſich alles Politifche bewegt, die
Gemeinheit und Fülle des vornehmen Lebens, rechnet er der
Einzelnen an. Stein war fo gut an Ueppigfeit gewöhnt, wi
105
Metternich und Gens, hatte aleich ihnen feine Jugend genoffen,
und erit im fpätern Alter ließ er ſich den Heiligenfchein einer
Sittlichkeit gefallen, mit dem ihn feine Anhänger, oder viel>
mehr die Gegner jener Andern aueftatteten. Gervinus zitirt
mid einigemal; meinem Aufſatz über den Wiener Kongreß
bat er aber nicht abgemerft, daß derjelbe neben den perfönlichen
Dentniffen auch den Kern und das Wefentliche aller Geſchäfts—
thätigfeit mittheilt. —
Gerechtigkeit ift eine ſchwere Pflicht ; fie wird nicht geübt,
wenn wir irgend ein gegebenes oder ſelbſtgemachtes Geſetzbuch
genau befolgen, da wird allzu oft summum jus summa
injuria; fondern wir müffen den allgemein menfchlichen
Standpunft zu gewinnen fuchen, der über alle Sondergefepe
und Sonderfitten der Bölfer und Zeiten ſich erhebt. Oft ift
Gerechtigkeit geradezu unmöglich: Voltaire und Rouffeau,
Voltaire und Leſſing fonnten nicht gerecht gegen einander fein,
88 lagen unüberfteigliche Klüfte zwifchen ihnen. Merkwürdig
it mir, wie felten Goethe fich zu ungerechten Urtheilen hin-
teipen läßt, wie ruhig und Mar er auch das ihm am wenigften
Genehme zu würdigen weiß. Und wie wird er dagegen oft
beurtheilt! Bon blinden Fanatikern, von beſchränkten Phi-
tern, von muthwilligen und frechen Buben! —
Leidenschaft iſt noch nicht Ungerechtigkeit; eine Aufwallung,
in empörted Gefühl, einen frifchen Zorn, kann man oft
ächelnd oder doch gelaffen hinnehmen. —
Dienstag, ven 29. Mai 1855.
Schlecht geichlafen, ungebärdige Träume; fie fommen jest
fterd, zu meinem Berdruß! ihr Eindrud dauert länger ala
e jelber. — Gejchrieben, und in meinen Papieren gearbeitet.
-In der heutigen Montagspoit hat Dr. Koffaf wieder einmal,
ie fo oft, den Nagel auf den Kopf getroffen; er bejpricht dag
106
vielgepriefene Buch von Riehl „Die Familie“, und fest daſſelb
auf feinen wahren geringen Werth herab. Riehl ift wie frühe
Lift der Träger einer füddeutfchen, mit Cotta'ſchen Getrieke
verfnüpften Schwindelei, die auch in norddeutfchen Leute
Erfolg hat; mit Lift hielten es die oberflächlichen Liberalen
mit Riehl hält ed die Kreuzzeitungsparthei. —
Beim Antiquar Woltemas die Weltgefchichte von Schrödh
billig erftanden. —
Die Franzofen haben vor Sebaftopol wirklich bedeutende
Bortheile errungen, die Ruffen beträchtlichen Verluſt erlitten.
Peliffier fcheint ernfte Unternehmungen vorzuhaben. Aud
Kertſch und Jenikale find gefallen, die Kriegsfchiffe der Well
mächte beherrſchen das Aſoff'ſche Meer. — Aber das alles i
wenig; ed bedarf großer Siege und Eroberungen, um Di |
gefunfene Vertrauen wieder herzuftellen, um Oeſterreich fort: |
zureißen; den deutfchen Bund einzufchüchtern und Preufen ;
im Schach zu halten. — |
Nachmittags Beſuch von Herrn Baruch Auerbach. Dringend |
Einladung zur Jahresfeier des jüdischen Waiſenhauſes, morgen
Abend um 6 Uhr. ch kann nur bedingte Zufage geb.
Der gute Mann ift gewohnt, den Leuten die größten Schmeiche⸗
leien an den Kopf zu werfen, und thut dies auch mir, was ih
mit Rachen aufnehme, in das er zulegt einftimmt! —
In Schröckh's Gefchichte der Deutfchen gelefen, feit für!
undzwanzig Jahren zuerft wieder, mit eigenthümlichen, dant
baren Empfindungen! — In Boswell gelefen, in dem Av
nuffript von Klärchen Steffend. —
Ein Graf Friedrich von Seherr-Thoß, Neffe des ruſſha
Generals Rüdiger, des Obergenerals der ruſſiſchen Garden,
in Paris wegen verübter Betrügereien gerichtlich zu mehr:
jähriger Gefängnißſtrafe verurtheilt! —
Der Polizeiſpion und agent provocateur Henze, berüdtiat
vom Ladendorf'ſchen Prozefle her, bat zur Belohnung feiner
107
ichtswürdigen Dienfte die einträgliche Stelle eined Direktors
7 Garnifonverwaltung zu Danzig erhalten. — Was aus
en berüchtigten Ohm geworden weiß man nicht; vielleicht
iffen es nur feine vertrauten Freunde Goedſche und Was
ener. —
Mittwoch, ben 30. Mai 1858.
Keine gute Nacht, unerquidlicher Schlaf. — Gefchrieben.
— Im Wäldchen hinter der Univerfität. In der Königlichen
Bibliothef. Herrn Hofrath Foörſter geiprochen. Weber den
Gendarmenmarkt nach Hauſe. — Mein liebes Berlin gefiel
mir wieder einmal recht, die Gebäude, die Bildſäulen, der
Lebensverkehr, die Etinnerung ſo vieler Perſonen und Dinge!
Friedrich der Große und das Jahr 1848 ſtimmten in mir
dortrefflich zufammen. — _
Nachmittagd mit Ludmilla nach der Oranienburger Straße
38 gefahren, zur Feier im jüdischen Waifenhaufe. Steinheim’s
Dort, und viele Damen und Herren, General von Selaſinsky,
Fürſt Boguslam Nadziwill, Geheimrath von Bernuth zc.
Humboldt hatte fommen wollen. Zum Unglück hatte der
Direftor Auerbach das Tageslicht ausgefchloffen und eine
üppige Kerzen⸗ und Lampenbeleuchtung angeordnet, die eine
unerträgliche Hige verurfüchten. Hebräiſche Gefänge. Rede
von Auerbad) ; feine Gedanken, fein Ausdrud, Feine Folge,
ſich ſtets wiederholende platte Phrafen von Gott, König,
Keligion, Baterland. Effen der Kinder. Rufe von Selaſinsky
und Radzimill ausgebracht, auf den vorigen König, auf den
jegigen. Ich foll auch einen Spruch vortragen, Gott bewahre !
— Nun aber muß ich fagen, dad Ausſehen und Benehmen der
Knaben ift der größte Lobſpruch der Anftalt, die aud im
Einzelnen die beiten Einrichtungen zeigt, Reinlichfeit, Ord⸗
nung, gutartige Behandlung. Die Frau Auerbach vereinigt
108
Berftand und Güte. Die Mittel find reichlich. in Haupt:
vorzug der Anftalt ift, daß in ihr nur der Neligiondunterndt, |
aller andre Unterricht in einer allgemeinen Bürgerſchule ertheilt
wird. —
Der Prediger Uhlich hat fein Sonntageblatt in Magdetun |
einftweilen eingeftellt. Man fchifanirt die Herausgabe, ul
von einem nicht dazu ermächtigten Berein beforgt! — Ein
Flugſchrift des Fürſten von Wallerftein über das haieriik
Budget iſt in Baiern fogleih von der Polizei weggenommen
worden. —
Gleichgültigkeit des Volks in Baiern bei den neuen Wahlen; |
ebenfo in Darmftadt und in Kurheffen; das Bolt fept jene |
Sache nicht mehr auf Wahlen, fondern auf andre Thätig
feiten und Hülfemittel! — Dahin haben die blödfinnigen, ge
waltthätigen Regierungen es gebracht! Europa wird neu
Stürme fehen! Sie wollen e8 nicht andere, die Machthaber! —
Donnerstag, den 31. Mai 1855.
Unerquidtiche Nacht! Frübgelefen, dann gefchrieben. Dit
Zrauerfpiel „Salomon de Caus“ in Klärchen Steffens Lehr
feßung durchgelefen. in merkwürdiges Stüd, doch in M
dramatifchen Wirkung verfehlt, indem der Dichter mit ſich el
nicht einig war, und daher auch den Leſer zu feinem Ziele füht: ?
das Chriftliche darin ift unglücklich behandelt, es erſcheint in
befchränfter Geftalt, der Wiſſenſchaft feindfih, und doch ſel
diefe in dem angeblich frühften Wahrnehmer der Dampftraft:
verherrlicht werden. Gut gefpielt mag es vielleicht auf de
Bühne durchfommen, ‘aber ſich nicht lange halten.
Der König bat wieder einen Fieberanfall gehabt. Er wid
nach dem Rhein gehen, nach Benrath, Köln, Koblenz, Stolzen
feld, —
109
ichten aus Wien. Feindliche Stimmung gegen Preu⸗
n fchiebt alle Schuld des Zauderns Oeſterreichs auf
deſſen Unzuverläffigkeit alle großen Entfchlüffe lähmt.
ir Felix Schwarzenberg noch am Leben!“ heißt es.
ift einmal todt, und was er jegt ausgerichtet hätte,
och zweifelhaft. In ganz Europa giebt es jegt an
den Stellen nur Mittelmäßigfeiten oder Halunfen.
hen von Kraft und Gefinnung, von überwiegenden
nd verdrängt, verfolgt, verbannt. —
vetbe gelefen; in Schriften über (Friedrich den Großen,
ll. —
in die Zeiten Friedrich's zu verjeßen ift mir ftet& wie
ıng in eine hohe Burg, wo ich alle& Herrliche und
(led Liebe und Theure wiederfinde, und wohin feine
t und Störung mir nachfolgen kann. Das ift das
he dabei, dag alles Schlechte, Rohe und Wilde jener
nzlic) der Vergangenheit angehört, durch Gefchichts-
ıögeglichen und auch wirklich verſchwunden ift, und
Gute und Große davon getrennt mit ungetrübter
umfaffen fann. Das war ein König! foldyen kann
Republikaner wünfchen und vertragen ; was fann ung
jeboten werden? Seine Mängel und Gebrechen, feine
ad Fehlgriffe, was find fie gegen die unaufhörliche
ung feiner wahren Königdtugenden während feiner
egierungszeit? ch lich’ ihn von Herzen, fein ganzee
ine Gefühlöweife, feine Denkungsart, feine Heiterkeit,
enge, fein feited Map, feinen edlen Sinn. Wie ich
ym verhalten haben, welches mein Loos gewefen fein
18 läßt ſich nicht ergründen, aber das weiß ich, daß
jedem Fall wie bewundert auch geliebt hätte, glüdlich
üdlih! In allem was von feinem Innern ausgeht,
mich ein uniderftehlicher Reiz! —
110
Freitag, den 1. Jumi 1855.
Berivorrene Träume, geftörter Schlaf. — Ein Hand Rırr
giebt bei mir ein Glückwunſchgedicht zu meiner Mitgliedſchat
des Schiller- Vereins ab, ein Sonett wie er ed nennt, das abn
feines ift. Nach ein paar Stunden bringt derſelbe ein Jettl: |
chen mit der Anfrage, ob ich dad „Sonett“ gelefen? Nitter:
riſche Bettelei, die fchlimmfte, im der fich leibliche umd geiſtize
Armuth und anmaßliche Dreiftigfeit vereinigen. — Nadridt,
erfreuliche, aus Hamburg, daß Herr Wehl aufgefordert morkn
ift, die Redaktion der, Jahreszeiten” wieder zu übernehmen. — —
Brief aus Portsmouth von Dr. Hermann Franck, ſebt an
genehm, gehaltvoll, aus dem Gemüth herausgefchrieben. - —
Frand fchreibt unter andern: „Mir fcheint, Sie müßten Parid
in diefem Fahre zu jehen ſuchen. Unter der Republif war ei
berabgefommen, fo daß ich den Eindrud läftig fand; jetzt üte
obenauf und höher als jemals in Eleganz, Schönheit, Yuru,
Zülle, Bewegung; die Straßen find fo voll, daß die Tyranad
feinen Platz finden fann. In der That war ich während mein
dortigen drei Tage fo ſehr mit der Stadt bejchäftigt, daß id
darüber den Staat total vergeffen habe. * Hier jpricht ich abe⸗
mals ein Gemeinfames aus, das wie von Parid auch von Kir
und Berlin fich fagen läßt. Einem Fremden in Berlin gebt &
eben fo, nur daß doch etwas mehr Pla in den Strafen il,
Platz für ich weiß nicht was, für eine nod unbekannte Gröpt
die Zufunft wird lehren, ob Tyrannei oder freiheit. Bir
nur die Freiheit unter der Republik in Paris recht gedichen,
jo würde auch Paris dabei emporgefommen fein, oder fein Serab
fommen hätte nicht3 gefchadet. Die Republik war nicht die rechte,
jie wollte kaum die Dreifarbige, um feinen Preis die rothe jein. —
Cornelius hat in Rom bei einem Künftlerfeft in Gegenwart
des Königs Ludwig von Baiern einen Vortrag wider Kaulbad
und Schadow gehalten. Die beiden Angegriffenen find unter
einander auch feindlich !
111
Soethe gelefen, Friedrich'ſche Sachen, von Preuß,
Archenholz, Kaltenborn, Johann von Müller ꝛc. —
Herzogin von Sagan (früher Dino) hat den König um
ngerufen gegen die Berunglimpfung, welche Gervinus
ı neueiten Buche gegen fie verübt habe, indem er jagt,
htigte Herzogin von Dino fei 1814 mit den Berbün-
f der Kruppe eines Koſakenpferdes in Paris eingeritten,
ig wollte das Buch mit Befchlag belegen laſſen, feine
digen Näthe jedoch widerriethen dies, und der Her:
eibt überlaffen, bei den Gerichten Klage zu führen.
nell ift dad gegangen. — (©. 5. Juni.)
Sonnabend, den 2. Juni 1855.
ngenehmer, fortgefeßter Traum von St.'s Verlegen:
Dore war im Begriff, ihm aus Mitleid und Großmuth
parniffe hinzugeben! Wodurch hab’ ich es werfchuldet,
zu träumen? Sch fann ihn wohl bedauern, aber ihm
fen, und habe andre Sorgen genug, um auch für ihn
gen zu fönnen. Durch feine harte Selbſtſucht miß-
t er ſich zudem ftetd auf's neue. —
hrieben. Ueber die Berfinfterungdverfuche in Preußen,
n übrigen Deutſchland. Sie fihaden einigen Menfchen,
ve nicht. Das Licht ift allverbreitet, auch im untern
yon. —
Hamburg hat die Bürgerfchaft das vom Senat ent-
Schändliche Preßgeſetz, welches die Bundesvorfchriften
ritieg, verworfen. in neuer Entwurf muß audgear-
erden. —
Turin ift das Stloftergefeß durchgegangen. Die fatho-
cche erleidet in talien und Spanien immer neue
gen. Was fie in England und Deutfchland gewinnt,
e Niederlagen nicht aufwiegen. Die Thätigfeit der
112
Sefuiten ift fehr groß, wird von den Fräftigften Hülfem
unterftübt, aber die Hauptſache fehlt, der eigentliche Gl
den Eiferern felbit fehlt er. —
Bei und regt der fanatijche Kircheneifer auch den fanat
Widerfpruh, den Geift ded Spotted und der Lüjterun:
Am eriten Pfingfttage iſt der Gotteödienit im Dom durch
Mann geftört worden, der laut gegen den Prediger zu jpı
begann. Daſſelbe geſchah in einer andern Kirche, un
feinem Irrſinnigen. —
In einem Wirthshauſe hatte ein armer Schlucker fid
Papier Bäffchen gemacht, den Wobnungsanzeiger vor fid
gelegt, und im Predigerton eine Nede zur Beluftigung de
wefenden gehalten, mit Anführung vieler Bibelftellen ze.
Rammergericht hat ihn freigefprochen, weil die Abſicht
Berfpottung der Religion unerwiefen fei. —
In Friedrich'ſchen Sachen gelefen, in Goethe, in
well, —
Der König hat einen zweiten Anfall feines erneu
Fiebers gehabt. Beim Spazierengeben ift er in eine Sumpf
gerathen; er will immer allein gehen, und fiebt fo ſchlech
Sonntag, den 3. Juni 1855
Unrubiger Schlaf, ; auch Andre klagen fo. — Gefchriebe
Wie überdrüffig bin ich aller Kleinlichfeiten, in denen ic
dieſes gefelligen Geträtfches, Ddiefed ewigen Erörterns,
wägend, Wicderholens derfelben Seringbeiten, Zierereien, (
feiten! Doc feh’ ich Fein Mittel, mich diefem Unweſt
entziehen, es fei denn Durch gewaltfame große Riffe, die fü
nur negativen Ertrag zu pofitiv wären. Die Scelefann ft
nicht immer in hohen Gedanken und Gefühlen ſchweben,
offen und frei follte fie doch immer fein, die beſſre Stim
113
aufzunehmen, die durch den fich unabläffig zudrängenden elenden
Kleinfram nicht mehr durchfommen fann. —
Befuch von Herrn Affeffor Delöner. Briefe von Stäge-
mann an unfern Delöner, ein ftarfer Stoß; Briefe vom Grafen
Reinhard, vom Grafen von Schlabrendorf. Sch foll fie durch—
lefen und begutachten. —
Die ruſſiſche Bolitif arbeitet unverdroffen darauf hin, Frank⸗
reich und England zu entzweien, Miptrauen und Eiferfucht
zwifchen ihnen zu erregen. Aller Haß wird gegen England ge-
richtet, Frankreich mit auffallender Schonung behandelt. Ebenfo
ſtrebt Rußland in Deutichland gegen Defterreich zu wirken,
und in ODeſterreich jelbit eine ruſſiſche Parthei zu bilden, die
zunächtt nur ald Friedensparthei auftreten fol. Preußens
balt man fich verfichert und glaubt nicht nöthig zu haben mit
ihm viele Umijtände zu machen, ja man thut rufjifcherfeite, als
babe man ihm eigentlih manches zu verzeihen, 3. B. daß es
k nicht aradezu für Rußland ſich erflärt, den vier Punkten bei-
; gejtimmt babezc., aber man wolle gnädig darüber hinwegſehen!
: Unfer Kabinet ſetzt folhen Andeutungen und Airs feine ge:
"I bührende Abweifung entgegen. —
| Wie derholt wird die Stiftung eines neuen Kaiferlichen
; Adels in Frankreich angefündigt. Die Nationalverfammlung
: erflärte, der Adel fei abgeichafft, dergrößte — errichtet neuen:
| Dbrfeigen von links und rechts! —
Montag, den 4. Juni 18656.
Beſuch von Steinheim’s, bei Kudmilla ; gutes, heitred Ge⸗
23 präc, die Frau recht Flug und ſinnig. —
1 In den Briefen Stägemann's an Oelsner geleſen. Es
Eunacht mir einen peinlichen, unjeligen Kindrud, diefen Wuſt von
Eeng- und Sleinjinn, Mißurtheilen, Eitelfeiten, Schief- und '
— J
FAFFalſchheiten einzeln durchzuſehen; denn leider iſt das ve Haupt⸗
B arnhagen von Enſe, Tagebücher. XII.
114
inhalt dDiefer Briefe, jo wie der meiften andern, die ich von:
mann fenne. Range hab’ ich mid) täufchen laffen, ſpät erit
jehen, wie diefer Freund in allen feinen Briefen eigentlich n
felbft meint, fich vortheilbaft zeigen, fühn und frei ſcheine
auch dabei flug und vorfichtig fein will, um fidy nicht b
ftellen. Er tadelt wohl die Ultra’d, viel ftärfer aber die
finnigen, und thut als ob diefe entweder nicht freifinnig
oder doch nicht begabt und geiftmächtig wären, und ſie der
jener verfchuldeten. Ich ſehe mit Schreden, daß ſchon in
frühen Zeit der fervile Beamte in ihm ftedite, der ſich
offen in ihm hervorthat. —
Nachmittags fleißig gefchrieben, meift nur abgeſchr
doch in lebhafter Anregung und freudiger Bewegung, vera
durch das befriedigende Anfchauen vergangener Ereigniflı
Bezüge. Mir ift fo vieled entgangen, was ich nachher alı
ſäumt bedauerte, jo vieles hab’ ich verfchmäht und abgew
was doch begehrendwerth fchien; jegt erfenn’ ich, daß ich
nur recht gethan, daß die Sachen der Opfer, dieich hätte br
müffen, nicht werth waren. Es hätte 5. B. großen Re
babt, mit dem Grafen Reinhard in vertrauter Berbindui
ftehen, mit Chateaubriand, und felbit mit Talleyrand, wa
alles leicht gewefen wäre, ja dargeboten war. Aber hät
dann auch noch den gleichen Zug zu Schlabrendorf gehabt
war mir lieber al& alle jene hohen Zweideutigkeiten, un
freut mih noch! —
Im preußifchen Sachſen und in Erfurt beſonders ſi
Folge der Raumer'ſchen Regulative die Schriften von
Schriftſtellern, unter welchen auch Proͤhle, vom Gebrauch
Schulunterricht verboten worden. Das geht allmählig
den ganzen Staat. Nach zehn Fahren wird man ſehen,
damit bewirkt worden , ein wenig des Gewollten, und jeh
andrea nicht Gewolltes. Eine ſchlechte Wirthfchaft, mo
auf den Waizen rechnen muß, der unter dem Unkraut gedeit
115
Die katholischen Pfaffen fangen an, was fie im Preußifchen
bisher nicht gewagt, den Ratholifen, welche fi nicht gehörig
zur Kirche hielten, das firchliche Begräbniß zu verweigern. So
jest in Breslau, wo der allgemein geachtete Buchhändler Go—
ſohorsky auf dem protejtantifchen Kirchhof mußte begraben
werden. Aehnliche Beifpiele in Pofen, am Rhein. Möchten
diefe Pfaffen nur immer ganz ftrenge fein; ihre doch nur ge:
beuchelte Milde und Nachficht bringt nichts zur Entſcheidung! —
| Abende mit Yudmilla zu Kranzler. Steinheim's dort, Le⸗
wald's famen zufällig aud, dann Dirichlet. Wir faßen in
lebhaften, angenehmen Gejprächen bid nach 9 Uhr, dann nahmen
Steinheim’3 Abſchied, fie reifen morgen früh nad) Hamburg
ab. Später fprah und noch der Norweger Hr. Kroy bei
Kranzler an. Schöner, genußreicher Abend. Wir gingen noch
ſpaziren bie halb 11 Uhr. —
| In den Brieffhaften von Reinhard und Stägemann ge-
| lefen. Die lektern waren mir ſchon einmal unter den Händen,
| vor vielen Jahren, aber nur flüchtig. Der damalige Befiker
Guſtav Oelsner (Monmerqud) bot mir an, einige Mifurtbeile
| Stägemann’s über mich zu ftreichen oder zu berichtigen, ich fand
beides unnöthig und lehnte die Bertufhung ab. Wenn jener
| dergleichen nicht gefchrieben, nicht gedacht hätte, das wäre mir
lieb! An dem Budhitaben liegt nicht?! —
— — — — —
Dienstag, den 5. Juni 1866.
| Gefchrieben, Auszüge, Bemerkungen. — In den Stäge-
.mann’fchen Briefen weiter gelefen. Betrachtungen über die
b-politiichen Miſchungen und Zerfegungen. Die Deutfchthümler
k. und Burfchenfchafter von 1819 hatten zu ihrer Volks- und
Freiheitsliebe, die ganz einfeitig und eigenfüchtig nur das eigne
JVolt beachtete, allen frömmelnden Eifer und Schwindel, den
j jetzt die Adelöparthei mit ihrer Selbftjucht verbindet. Die
E 8"
116
Regierung wollte damals auch fromm fein, befeindete aberdet
jene deutſchthümelnde Frömmigkeit, und die beftigiten Gegner,
MWittgenftein, Schudmann, Kampk, Oberpräfident von Bülenı.
waren ganz rationalijtifch; jetzt fteht die Regierungsftömmigkit
in beitem Bernehmen mit dem Fanatismus der Kreuszeitung®
und Junferparthei. Doc im Ganzen, troß aller Willkür un
Gewaltſamkeit einzelner Fälle und Berhältniffe, ſteht die Sat
der Freiheit unendlich beffer ala damals! Es giebt Forticritt,
die zurüdgethan werden fönnen, andre bei denen dies unmöalie |
if. Das Jahr 1848 übt feine gewaltigen Wirkungen.
Nachmittag Befuch von Herrn Dr. Gottfried Keller. ehr
feinen Roman „der grüne Heinrih*. Ich ſuche einige %r
denken, die ihm gekommen find, zu heben, mahne zur friſchen
Thätigfeit 20. — |
Graf Archibald von Keyferling fam dazu. Die Herzog
von Sagan befam das Buch von Gervinus vom Buchhändlet
Alerander Dunder gleich zugefihidt, fah gleich die Stelle, in
der fie angegriffen wird, gerieth ganz außer fich, und befam den
thörichten Einfall an den König zu fchreiben; hiedurch war
nicht geholfen, vielmehr die Sache recht an die große Glode ge:
hängt. In der hiefigen großen Welt wäre das Aufjigen binter
einem Koſaken jebt fein Vergehen, im Gegentheil nur Berdienit
und Ehre; aber das damit verbundene Lächerliche und das Bei:
wort „berüchtigte* gönnt man doc der Herzogin recht fehr;
ihre Freundin die Gräfin von — fprang vor Freuden und
flatfchte in die Hände, als fie die Stelle lad. — Für den Ab⸗
faß des Buches ift die Gefchichte ein wahres Süd! —
Wir blieben bis halb 11 Uhr. Ueber die Linden, Wi
Kranzler eine Viertelſtunde. Die Straßen wurden jtill, die
Fenſter dunfel. Ein eigner Eindrud, dies Erlöfchen der Tages
thätigfeit, der Kichter, des Närmd, der Stimmen! —
Heute Nadhmittag, in ftiller Rube und Betrachtung, Mi
niederftrömendem Sonnenfchein und hin und her wogenden
117
=2:, durchleuchtenden Grün, wurden mir frühere Sommerzeiten fo
>= lebendig, daß ich mich wirflich wie in fie verjegt fühlte. Das
Bild Rahel's trat mir fo nahe, dap ich mit Schreden wie aus
einem Traum erwachte, ald der Gedanke, ſchon zweiundzwanzig
Jahre trennten mid) von ihr, fich plöglich vordrängte. Die
Augen füllten fi mit Thränen. Dann zerfloß die ganze Sze:
nerie, und ed war wieder heute! —
Die Stelle über die Herzogin von Sagan, non welcher Ger-
Dinus feinen Ausdrud nahm, lautet bei Baulabelle (histoire
' des deux restaurations) fo: „L’el&egante et belle comtesse
; Edmond de Perigord (depuis duchesse de Dino), se pro-
| mena, dans la soiree, assise à ch&val derriere un cosaque.“
| Unmittelbar darauf heißt es: Les filles perdues, le 31, ne
_ Barurent nulle part; les saturnales de la rue et de la
| Place publique, ce jour la, appartinrent aux dames
} tiches et titrées.“ T. 1. p. 309. — (©. 1. Juni.)
„ L’Elegante et belle comtesse* durch „die berüchtigte “
zu überfegen, ift freilich mehr ſach- als wortgetren. Baula-
belle fagt ſpäter (T. II. p. 58) felbit: „La dame dont M.de
Talleyrand exaltait les moeurs et la piete est la möme
i qui s’est rendue si etrangement célèbre depuis
'souB le nom de duchesse de Dino.“ Da ftedt freilich das
berüchtigt“ reichlich drin. —
— — — —
Mittwoch, den 6. Juni 1855.
Ungefüge Träume; ich hatte es mit Bettina von Arnim
zu thun, und beſonders mit ihrer Tochter Giſela, die mich vor
: Yrndern allzudreift nedte, dafür von mir fcharf zurechtgefebt
f wurde und fid) erfchroden dann zur Mutter flüchtete; eben follte
| es mit Diefer zur ernithaften Erflärung kommen, da wacht’ ich
auf. — Gefhrieben.und manderlei gearbeitet. —
Die Berhandlung wider die Neferendarien, die ſich, ihrer
118
eidlihen Berficherung entgegen, bei ihren fchriftlichen Eramen;
arbeiten von dem Nepetenten haben helfen laffen, fommt in
diefen Tagen zum Sprud. Man bemitleidet allfeitig dad tru:
rige 2008 diefer Angeklagten, die mitten in ihrer Laufbahn
plöglicd vom Berderben ergriffen werden. hr Vergehen, dus
dem jugendlichen Leichtfinn fo gering erfcheint, fo leicht un
oft begangen wird, follte nicht juriftifch genommen werk.
Die ganze bürgerliche und hohe Staatdwelt ift voll vonfoldn J.
Unregelmäßigfeiten, die höchften Beamten, der Staat felhl,
das Kabinet, find nicht frei von foldyen Dingen; würden dit
jedesmal, ſelbſt wo man fie fchon weiß, unterfucht, forſchte man
nach den unbekannten, wie viele Strafen würden erfannt, mc J
viele Aemter erledigt werden. Jene armen Teufel find dur
einen unglüdlichen Zufall verrathen worden, wie viele mögen
nody zittern auch entdedt zu werden! Wer ftebt dafür, di
nicht ſelbſt unter den Richtern folche find, die verurtheilen, md @
auch fie begangen haben! Man erinnert an den Stadtgeridt®
vath Hufeland, der bis er felbit entdeckt wurde, der ſtrengſt J
Richter war. Der Juftizminifter Simons verfolgt jene In
glüdlichen mit gehäffiger Feindlichkeit. — j
Donnerstag, den 7. Juni 1855.
Heute find alle Theater hier gefchloffen, wegen des Tor J
tages Friedrich Wilhelm's des Dritten. Die ganze Königlihe
Familie ift in Charlottenburg verfammelt und befucht die Gub
jtätte. Dem Könige foll diefe Feier fchon fehr läſtig gemont‘
fein, und er würde fie, fagt man, gern unterlaffen, wagt amt
nicht das Aergernig zu geben. Die Hofleute jagen, daß er ik:
einiger Zeit, befonders aber feit dem Ableben des Kaiſers va
Rußland, ungern an den Tod erinnert werde, und eine groß:
Scheu vor Trauerfleidern habe. — - |
Beim Durchlefen der Stägemann’ihen Briefe macht &
119
ir einen feltfamen Eindrud, hier immerfort den Wiederhall
nd Nachhall der Geſpräche zu finden, den er mit mir, mit
riedtich Schulz, mit Friedrich Buchholz gehabt, die er in ei-
igen geringen Fällen nennt, in den zahlreichen bedeutendern
sernicht. Bei vielen Ausdrüden, Bemerkungen, Auffaffungen,
fenn’ ich augenblidlic mein Feld, auf dem fie gewachſen;
anches Schale, Unfaubre, Platte gehört dagegen feinem eignen
der entjchieden an. ch habe nichtd dagegen, daß man
cht nur aus fich felber, jondern aus jeinem ganzen Kreife
mmt und verarbeitet wad man braucht, daß man wie Geld
ich Wis und Geilt, Kenntniß und Laune von feinen Freunden
imlich borgt zum Niewiedergeben, aber hier iſt nur das Wun-
tlihe, daß er an einen und gemeinjamen Freund fchrieb, dem
dh ich) an demfelben Tage daffelbe fchreiben fonnte! Daß
r etwas Uchnliches begegnet fein fönnte, und ich unbewußt
jend etwas Stägemann'ſches mir angeeignet hätte, halt’ ich
et unmöglich, und finde ich davon feine Spur. — Rahel wurde
tmald von ihren Freundinnen und freunden in diefer Art
g mißbraucht, zuweilen auch ganz offen — 3. B. von Frau
n Grotthuß und deren Schweiter rau von Eybenberg, zu:
noch von Kreund Band, — ohne Umftände offen erfucht, ihnen
viffe Schlagworte, Bezeichnungen, Einfälle zu überlaffen, die
dann ald die ihren geltend machten und in Umlauf festen.
ie vieles haben fie auf diefe Art für längere Wirkſamkeit und
auer gerettet, was junft der Tag wie geboren, fo verfchlungen
tel —
Befuch von Herrn Zedner aus London. Sehr gute Mit:
lungen von dortigen Berhältniffen. Ein rechtfchaffener und
ier Mann! —
Nachmittags ſchöne Fahrt im Thiergarten, zwei Stunden.
her Flor von Syringen überall. Erquidende Luft. Friſches
in im goldigen Sonnenfchein. Leider auch fchon Raupen-
1
120
Bei Kranzler angefprochen. Unterhaltung mit Pitt-Armin,
der noch muntrer fein will, als er fann, und in mitleidawerter B
Gebrechlichkeit davonſchleicht; doch allein, nur geftügt auf den
Stod. — Bon feiner Schwägerin Bettina feine günftige Rab |
richt, er hält ihren Zuſtand für bedenflih. Daß die Gedichte
feines Bruders gedruct werden, wußte er nicht. Er denft mit
MWohlgefallen an feine eignen Schriften, und meint, er bık
noch viel mitzutheilen. — |
In Plinius Briefen gelefen ꝛc. —
Die Deutfchfatholifen Hirjeforn und Jordan, von der Pr
lizei des unbefugten Kolleftirend angeflagt, weil fie nad m
Gottesdienſte fleine Geldfpenden auf den Altar niedergeleut
hatten, find vom Richter freigefprochen worden. Aber du
Schikanöſe ſolcher Anflage bleibt unbeftraft, ungerügt! Man
müßte die Borfchriften der Polizei jehen! —
In Fulda große Anftalten zum Bonifaziusfefte. Die hr
heſſiſchen Behörden haben ftrengen Befehl, nicht daran Ikil
zu nehmen; die Jeſuiten follten davonbleiben, erhielten ah
noch in der legten Stunde die Erlaubniß zu predigen. Bi
ficht den Haflenpflug pläglich an, oder feinen Obermeifter! —
— — — — ——
Freitag, den 8. Juni 1856.
Die Durchſicht der c Stägemann‘ ihen Briefe zu Ende gr
bracht. Im Ganzen liefern fie doch wichtige Angaben, Zeuz
niffe und Farben zu unfrer Gefchichte jener Zeit — von 1818 N
1828 — die bei und im Stillen mancherlei Gedeihen brachte
in den äußern Grfcheinungen aber nur ein Bild der jümmet
lihiten Nathlofigfeit und des elendeiten Hinſchleppens wat |
Sch hätte jene Zeit noch fchwerer empfunden, wäre mir midi
in Rahel das fchönfte ETüd zur Seite geweien! —
In Hamburg hat die Bürgerfchaft die vom Senat vorge
121 D
neue Verfaſſung, ein ganz verpfufchted Machwerk, ab-
it. —
n Meiningen ift die Prügelfirafe wieder eingeführt, der
Landtag hat zugeftimmt. Diejenigen, welche die Prügel
yaft verdienen, die Wiedereinführer, befommen fie vielleicht
elbſt! —
yer König hat bei der Frau Richarde Gaggiotti geftern
Beſuch gemacht. Der angenehmen rau wird fehr
digt. Schon deshalb mißfällt ſie vielen. Auch die
zin ift wider fie eingenommen. —
im „grünen Heinrich“ gelefen, in Goethe, in Boswell. —
tachricht,, daß Defterreich feinen Heerſtand um 100,000
a verringern will. — Große Berlufte der Ruſſen am
Then Meer, Handelöftodung. Neue Beſchießung Sebafto:
am 6. — In England friegerifche Stimmung: —
)das Bonifaziusfeft ift von den proteftantifchen Geiſtlichen
yüringen eifrig gefeiert worden. In Kurheffen war es
ten, nur den Katholifen erlaubt. —
Yer arme Samuel Johnfon! So Iuftig, fo derb und fcharf,
hlihefromm und fo ftreng fittlich, wie unglüdlich war er,
vei allen diefen Eigenfchaften er ſtets die fchredlichite Todes:
t hatte! Gr befannte ſelbſt, „he never had a moment
hich death was not terrible to him“. Ich muß ihn
dauern! Und am Ende waren ed nur die firchlichen Bor:
ngen, von denen er fich nicht losmachen konnte, die ihn fo
ngit feßten. Wie gefällt mir dagegen la Rochefaucould,
eine Eigenschaften aufzählte, und mit Wahrheit fagen
te, „et je ne crains nullement la mort“. Das Sterben
unter gewiffen Umftänden fchredlich fein, und niemand,
” ich, fann voraus verfichern, wie er es beftehen wird, aber
‚od als folcher, das Ende des Sterbens, braucht nicht zu
fen, er fann im Gegentheil willfommen, füß, erlöfend
—
. 122
Sonnabend, den 9. Juni 1855.
Wenig gefchlafen und unruhig geträumt. — Früh auf
gejtanden und gefchrieben ; alles bäuft fich wieder fo, daß ice
faum bezwingen fann, die verfchiedenartigften Geſchäfte, di
unfinnigften Sachen! — Befud von Herrn Hand von Büler
und Herrn Baschet. Lebtererartig und befcheiden, unterrichtet
feine Aufträge harmlos, er durchforfcht die öffentlichen Biblie
thefen; morgen geht er nach Wien, hofft aber im Herbſt wiete
hieher zu fommen. Ex hat einen Aufſatz über die Quelle
von Goethe's Werther gefchrieben. Herr von Bülow läugnet
dag Liſzt fein Verhältniß in Weimar aufgebe, beftätigt, daj
Gutzkow ald Dramaturg nah Weimar berufen it. — Rad:
mittagd Beſuch vom Herrn Grafen von Wartensleben ; er zeigt
ſich ganz vorurtheilsftei, und als ein edler, menfchenfreundlicher
Mann, der die Strenge mildert, wo und wie er nur kann.
Unfer Gerichtöverfahren und unfer Gefängnipwefen bedarf
ſolchen Eiferd; fie liegen gräuelhaft im Argen, gräuelbaft!.
Unmenfhliche Graufamfeiten werden durch Befolgung allar.
meiner Vorfchriften geübt, bei denen die Beamten ſich ganz rer
härten, und fich mit dem Bewußtfein beruhigen, nur gefeglid
zu verfahren! — |
Den „grünen Heinrich“ ausgelefen. In Friedrich's |
Großen Schriften gelefen, in Voltaire; deutſche Zeitfchriften. — |
Hiefige Paftoralkonferenzen, ganz unnöthiges Getreibe ht
Schwarzröde, bei dem nichts herausfommt als ihre Blöpa
und Gebrechen! —
In Defterreih, in Prag, wird ein ehemaliger katholiſha
Geiftlicher, der mit Beobachtung aller gefelichen Borjhrifte
dem fatholifchen Glauben entfagt und in Schlefien den pt
teftantifchen angenommen hatte, gegen alle Gefege in geiſtlichte
ſchwerer Haft gehalten. Man hofft, daß Preupen ſich für ihn
verwenden werde ! man hofft! —
In Toskana ift wieder ein fchlichter Bürger, weil er in det
123
Jel gelefen, deren italiänifche Ueberfegung bei ihm gefunden
rde, zu langwieriger Kerkerhaft verurtheilt worden. —
Die Gränzboten enthalten eine vernichtende Kritik der
umer'ſchen drei Regulative für den Bolfdunterriht. Was
8? —
Das Morgenblatt ftellt in einem qutgefchriebenen Bericht
gehäuften Laften vor Augen, welche die Stadt Berlin zu:
ift Durch die gewaltfame Willfür der Polizeimacht zu tragen
‘, und vergleicht damit dad 2008 der ländlichen Grundbefiber,
in diefen Zeiten der Noth mit größter Schonung behandelt,
verlorne Rechte und Bortheile wiedereingefept werden, und
ch immer der Grundfteuer fich zu entziehen wiffen. —
Sonntag, den 10. Juni 1855.
Die Tranzofen haben vor Sebaftopol in den eroberten
iſſiſchen Redouten über 60 Kanonen genommen. — Erfolge
an Aſoff'ſchen Meere; Zerftörung von Borräthen, Wegnahme
on Schiffen ꝛc. —
Nachrichten aus Rußland fagen, daß dort eine beforgliche
düſtre Stimmung zunimmt, daß man mit dem neuen Kaifer
unzufrieden ift, ihm den fchlechten Gang der Kriegdereigniffe
vorwirft ꝛc. Ganz umgefehrt.von Dem was wahr ift und wad man
erwarten follte, wirft man alle Schuld anftatt auf den Todten,
auf den Rebenden. Die militairifchen und diplomatifchen Nieder:
lagen des Kaifers Nikolai, die ihn doc) getödtet haben, werden
nicht beachtet, nicht befprochen, und ihre traurigen (Folgen, der
jeßige Zuftand, den der Kaifer Alerander doch fu geerbt hat,
wird auf feine Rechnung gefchrieben. Die Truppen im Innern
follen entmuthigt und mißvergnügt fein. Man glaubt tief:
jehende Palaftränfe in Thätigkeit. —
Schriften zur Tagesgefchichte durchgefehen. Englifches,
ranzöfifched. In Goethe's Spruchworten gelefen. —
124
Montag, den 11. Juni 1855.
Spät aufgeitanden. Gefchrieben. Herr Dr. Levinitein fam,
um über Die vorgeftrige Aufführung des Hamlet mit mir zu
ſprechen; er ift mit Dawiſon's Spiel nicht ganz einverjtanten,
gefteht ihm zwar große Meiſterſchaft zu, vermißt aber febr den
Prinzen. Sonderbare Schmeicdhelei, die jich dahin ausiprict,
daß ich in meiner Jugend den Hamlet hätte fpielen follen, in
mir zeigten ſich noch im Alter alle dazu erforderlichen Eigen:
heiten; zu denen, die Ophelia an Hamlet rühmt, kamen aud
die Blondheit, Die Wohlbeleibtheit, die Kurzathmigkeit; legtere
mußt’ ich doc, von mir ablehnen! —
Der Redakteur der Volkshalle vom Landgerichte zu Köln
wegen Beleidigung Der preußiihen Regierung halb freige-
fprochen, halb verurtheilt, — Angriffe gegen das Unmefen im
preußifchen Staate fuchen mehr und mehr ihre Stätte im Aue:
land, in englifchen Blättern befonders; die Aufſätze kehren dann
vollftändig oder auszugsweiſe vermittelft nichtpreußifcher Blätter
nach Deutfchland zurüd, und es ift ſchwer dawider überall An-
flagen zu erheben. Die preußifche Preßfreibeit iſt Durch die
Polizeiwillfür ganz eingefchnürt, in den Provinzen fo gut wie
‚ vernichtet. Die Winfe der Behörden find Befehle, und weh
dem Redakteur, der fie nicht beachten wollte! Doch gefeplid |
beiteht die Preßfreiheit, und fie kann jeden Augenblid wie
fidh erheben, wenn die Umstände günftig find, eine verändern
Strömung der Meinung, neue Perjönlichfeiten eintreten. — |
„Am Pflug. Bon Leopold Kompert.“ 2 Thle. Eine jr
dengefchichte in Böhmen. Biel guten Sinn und reiches Talent.
Grgreifende Schilderungen. Als dichterifches Erzeugniß many
haft. —
Der König, der ſchon beſchloſſen hatte, einige Wochen w
Erdmannsdorf auf dem Lande zuzubringen, wird nun doch nah
dem Rhein gehen, nach Stolzenfele, Brühl ꝛc. Die Kreuy
zeitungsparthei macht dazu lange Gefichter; in der Abgeſchieden⸗
125
zu Erdmannsdorf würde fie den König mehr nad) ihrem
ne haben lenken fönnen ; in dem gemifchten Gedränge des
nd am Rhein empfängt er leicht andre Eindrüde, als die
: ihm geben möchte, —
Der Fürft von —, in zweiter Ehe mit einer Gräfin —
eirathet, läßt ſchon lange feine Gemahlin nad) Belieben
ern. Man rieth ihm zu einer Scheidungsflage, er aber be-
nete die Koften, und dann die Folgen in Betreff der Ein-
Fte, die er ihr laffen müßte, und fand es vortheilhafter, fie
erhin ungefchieden flattern zu laſſen! Einer ihrer Mit-
terer iſt der hübfche Herr von —, der vor einigen Jahren hier
und ein Bändchen Gedichte druden ließ. —
Dienstag, ben 12. Juni 1855.
Unruhige Naht. Mir träumte, daß ich in der linken Bruft
yit am Herzen bei der geringiten Berührung einen heftigen
merz fühlte; aber beim Erwachen war nicht? vorhanden,
diefen Eindrud veranlapt haben könnte. — Gefchrieben ;
ußend Zufunft von feiner heutigen Weisheit oder Kraft
chert, jondern von Verfehrtheit und Schwäche dem Drang
meiner Strömungen überlaffen. — Beſuch von Herm — ;
fames Lächeln und Schweigen, bei den das Ungefagte deutlich
feinem Geficht zu lefen war! Gr ging dann zu Zudmilla
ein: „Man muß ehrlich fein und es fich geftehen, Goethe
oft Tangweilig, feine Dramen find ſchwach, das Theater iſt
„t fein Boden *; er jagt dergleichen ganz harmlos, wenn er's
indet, fo hat er Recht; es giebt Leute denen frifche Auftern
ſt ſchmecken, aber faule; der vorige König langweilte ſich
inem Shafefpeare’fchen Stüde, und gähnte, „daß ihm die
nbaden knackten“. Suum ceuique! —
Eine Erzäblung von Hermann Grimm im Morgenblatt,
8 Kind * überfchrieben, hat mir ungemein gefallen; fie ift
126
eigen, heiter, gediegen, und macht den angenehmiten Eintud. J
Dies, dünkt mich, ift fein Feld, dies follte er ferner anbauen.
Die Karaftere und Ereigniffe ftimmen in diefer Eräblun J.
glüdlich überein, heutiges Leben, Gefelligfeit, Seelenzuftänte.—
Zu Haufe noch längeres Geſpräch. — In Oelsner's Briden
gelefen, in Goethe. — — |
„Goethe's Fauſt und Schiller's Wilhem Tell, nah ihr
weltgefhichtlihen Bedeutung und wechjelfeitigen Ergänun, @
von 5. G. Rönnefahrt. Leipzig, 1855.* Was der Deutik
nicht alles ergrübelt! —
Mittwoch, den 13. Juni 1855.
Gefchrieben, in meinen Papieren gearbeitet. — Beſuch von
Herrn Grafen Hendel von Donnersmard, dem Sohne des Marie
burgerd, dem Enfel der weimarifchen Oberbofmeijterin, Wette
der Goethe’fchen Enfel; quter Art und Gefinnung. —
Die freien Gemeinden in Schlefien, fiebzehn an der Zahl
haben eine Provinzialfynode gehalten, um ihre Stellung gegen
die Regierung in Betracht zu ziehen. Dan wundert fi, di
die Polizei fie nicht geftört hat; oder hat jie vielleicht gar nidt
von der Sache gewußt? 3 gefchieht bisweilen, dap beit |
ftrenaften, vielfachſten Aufmerkſamkeit die Polizei gerade hi
Nächite nicht fieht. Die Synode hat die Befchwerden der fram
Gemeinden in einer forgfältigen Denkſchrift an den König ge
bracht. Man fagt im voraus, daß fie nicht den geringften ®
folg haben werde, es fei, ala ob die Proteftanten etwas von
Pabſt erbäten. Der König haßt die freien Gemeinden, hält fit
für Teufelöwefen ꝛc. —
Für den abtrünnigen, proteftantifch gewordenen Geiſtlichen
in Prag, den die hohe Geiftlichkeit dort gefangen hält und quält
jowie für den zu Jahreöhaft verurteilen Bibellefer in Toe
fana, erheben ſich hier viele Stimmen, Bethmann-Hollweg x
127
ber auch das wird nicht fruchten. Die Perfonen, auf die es
n meijten anfommt, um bierin etwas zu erwirfen, find im
runde nicht mehr proteftantifch, fondern katholisch gefinnt. —
Nachrichten aus Paris; die im Stillen gährende Meinung
rd ale ſehr gefährlich für Louis Bonaparte gefchildert, feine
acht hänge an einem ſchwachen Faden, heißt es, der geringite
ıfall könne diefen zerfchneiden. Gin paar Niederlagen in
e Krim, und der Kaifer liege am Boden. Die nächte zu ge
irtigende Bewegung, jagt man, werde bourbonifch fein, aber
verzüglich in eine republifanifche umſchlagen. Die Legiti-
ſten find im Bortheil um etwas vorzubereiten, einzuleiten,
er nachher jind die Volksmaſſen im Vortheil, und jene leicht _
rüdgedrängt. —
5m Cicero gelefen, Engliſches. Bücherneuigfeiten durch⸗
'ehen. —
In England fängt man bereit? an, die geforderten vier
anfte für dummes Zeug zu erflären, und wie für das fchwarze
eer nun auch für die Oſtſee fefte Beftimmungen gegen die
bergriffe der ruffifchen Macht anzufprechen. —
Die demofratifche Zeitung in Hannover, redigirt von dem
dern Dr. Eichholz, darf über die hannöver'ſche Verfaflungs-
he nicht ſprechen; man hat ihr zugeraunt, daß fie ihr Dafein
führde, falls fie den Gegenftand mipfällig anrühre. Da fie
ı aber auch nicht wohlgefällig berührt, fo ift ihr Schweigen
redt genug. —
Bor vielen Jahren erfchien vom Ingenieur: Major von Pritt-
b, damals in Poſen, ein Buch „Ueber die Gränzen der Zi⸗
iſation“, von freifinnigem Inhalt, das aber wenig Eindrud
chte. Der Berfaffer ift ſeitdem General geworden, und hat
Mitglied der zweiten Kammer eine durchaus unfreifinnige
htung gehalten, ſtets mit den Miniftern oder gar mit der
hten geftimmt. Nun ift fein Buch in neuer Bearbeitung
rusgekommen, und wieder ziemlich freifinnig. Der Mann
128
ift in feinen Anfichten ziemlich der er war, aber wo ed auf!
wendung anfommt, ſchwach und irr. Es gebt vielen fe!
Donnerstag, den 14. Juni 1855.
Der König bat wieder Fieberanfälle, und es heipt num,
er werde weder nach Schlejien, noch nad dem Rhein reilen,
fondern in Sandfouci bleiben. Schwerlih! „Er ift gar zu
unvernünftig!* ſagt ein vornehmer Hofmann von ihm. —
Der Kaifer von Dejterreich ijt zu feinen Truppen nad Go—
lizien von Wien abgereiit. Der Kailer von Rußland hi
feinen General von Grünwald abgefchicdt, ihn an der Gen
zu begrüßen. Man möchte jo gern gut freundlich fein! —
Freitag, ben 15. Ju
Schlecht geſchlafen, Verlegenheiten geträumt Le Geſchtit
ben. — Buch und Brief aus Nürnberg, „Deufſchland ur
die orientalifche Frage von B. ©." Der Berfaffer will W
genannt fein, meint aber, ic) fönne ihn errathen; der %
ſpricht von freundlichiten und herzlichiten Grüßen und
barer Erinnerung; ich weiß dies nicht zu deuten. — |
Die Nationalzeitung hat heute einen trefflihen %
über Hannover und den Stand der Sachen; Dr. Zat
ihn gejchrieben. Die Regierung hat die vorhandene J
verfammlung nochmals berufen und will fie zur Mitſch
Oftroyiren verleiten; der Rath Zabel’8 geht dahin, A
waltthat gegen die Verfaffung der Regierung allein d
laffen, aber auch die Schmach und die folgen ; Diele;
von Ariftofraten haben nicht einmal den Muth, im %
Macht und geftüpt auf den Bundestag, ihre Sache al
zuführen! Cie fürchten eine bundestägliche Kg
129
ich welche die Regierung felber ihr Anfehn fchmälert, laßt
et fommen, diefe Bundestommiffion! —
Gegen 8 Uhr zu * gegangen. Bei fchönem Abendhimmel
nahmen fich die Linden, der Opernpla, die Bildfäulen und Ge-
bäude herrlich aus; es ftrömten mir aus der Gegenwart be:
friedigende Gedanken zu, aus der Vergangenheit theure Erin-
nerungen zu, ich genoß Augenblide wahrer Lebensfreudigkeit,
fühlte die reinfte Dankbarkeit in mir, für mein ganzes Schid:
ſal, für alles einzelne Gute, dad mir gegeben worden und das
ich austheilen gefonnt. Berlin war mir wieder recht lieb, in
leiner Anlage, feinem Fortfchreiten ; ich kann fagen, alles ſprach
zu mir, die Steine, die Bäume, die Denfmale, und das helle
Geiſtesbild aller Menfchen, die ich hier gefannt, geliebt und
Derehrt habe, — Rahel die Mitte von allem! —
Um 10 Uhr mit Qudmilla zu Kranzler gegangen, noch eine
Stunde der fhönen Abendluft genoffen. — Wir fehen faft
teden Abend den Obermundfchen? Herrn von Arnim (Pitt) ge-
krümmt und mühfelig vorüberfchleihen, mit der einen Hand
auf einen Krückſtock gejtügt, mit der andern aus der Tafche
end, wobei er gar nicht aufblidt, jondern grad vorwärts
iebt, um nicht aud der Richtung zu fommen. Eine fonder-
are, komiſche Nachtericheinung, befonderd für diejenigen,
elche ihn ald luftigen Springinsfeld gefannt haben! — Nach
1 Uhr zu Haufe; noch furze Sikung. —
In ältern Schriften gelefen. LKitterarifches, Geſchichtliches;
Boswell, in Cicero's Briefen. —
— — — — —
Sonnabend, den 16. Juni 1855.
Le ceomte Rufini (Lorenzo Benoni) ancien ambassa-
ur de Sardaigne. Mémoires d’un conspirateur. Paris,
55. 8. Urſprünglich italiänifch gefchrieben, nad italiäni-
er Art weitfchweifig. —
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. XII. 9
130
Merkwürdige Trinffprüche des Prinzen Albert in €
land. Anſcheinend kriegerifch beeifert, zählt er die Hinden
auf, die der König, die Berfaffung und das Parlament |
gegenitellen, während in Rupland alles nach dem unbefchrän
Willen eines Einzelnen gefchehe; er fordert daher Bertrai
unbedingted PVerirauen für die Regierung, und völlig f
Hand für die Minifter. Der fremde Eindringling, der in
Bett der Königin gehört, aber nirgends fonjt mitzureden |
unterfteht fich die Berfaffung und das Parlament als Hin!
niffe zu bezeichnen! Hoffentlich befommt er gebührente .
rechtweifung. Lord Palmerſton fuchte klüglich einzuler
und zu mildern, was der ſchwatzhafte Prinz ungefchidt I
ausgeſprudelt hat. —
Büreaukratifches Pedantenthum. Der NRegierunget
Graf Hendel von Donnerdmard in Merfeburg mußte jedesı
zur Meſſe nad) Leipzig gehen und von dort über den Gi
der Mefje Bericht erftatten, was oft ungemein fehwierig ı
verdrießlich war. Dabei war ihm ausdrücklich vorgefchrieh
daß fein Bericht menigftend dreißig gefchriebene Bogen fl
fein mußte! —
Der König hat die auf fein Verlangen von den Kamm
angenommene Beränderung ihrer Namen, ftatt Erſte Kamı
Herrenhaus, ftatt zweite Kammer Haus der Abgeordneten, ı
beftätigt und zum Gejeß erhoben. In verbis simus facil
dachten die Abgeordneten ; aber die Aenderung bat viel I
fälliged, befonderd erregt das Herrenhaus den Herren fel
Anftog! —
Sonntag, den 17. Juni 1855.
Die tapfre Volkszeitung fällt gleich über die Rede des e
liihen Prinzen Albert her und zeigt deren freibeitäfeindlic
Karafter. —
131
Ausgegangen mit Ludmilla. Unter den Linden treffen wir
Sräfin Klotilde von Kalfreuth, die mit und zu Kranzler gebt.
Spaziergang in Thiergarten, ſehr Ichön, aber dur) Uebermaß
von Maupen arg geftört. Zwei fehr gepußte Damen in großen
Nötben, wir helfen fie von Raupen befreien, Röcke, Unterröde,
ed galt niht Scheu noch Scham. Gin Herr begegnete ung,
der in feltjamen Zidzadichritten vorrüdte und zu feinem Ge:
fährten fagte: „Ich habe mich verpflichtet, immer auf Raupen
su treten!“ Wir lachten, litten aber auch felbft nicht wenig.
Ganze Streden, wie im vorigen Jahre, zeigen nur fahle Zweige
und durchfichtige Wipfel. —
Unterdefien war Dr. Vehſe bei und gewefen, und ich fand
Karten vom Fürften Wiaſemski und Herrn von Piedert. Der
Fürſt Hat lange auf mid gewartet, aber da ich nicht fam, lieh
er jeine Karte mit den Worten zurüd: „Je pars ce soir pour
Saint-Petersbourg et regrette beaucoup de ne vousavoir
pas trouvé à la maison.“ Auch mir thut es leid; ich hätte
ihm gern manches fruchtbare Wort auf die Reife mitge:
geben. —
Mit grogem Eifer durchlief ich die mehreren Bände der
Kritifen von Auguft Wilhelm von Schlegel. Wunderlicher
Veberblid damaliger Kitteratur! Eine Art von Ausftellung,
wie wir jie jet hier aus früherer Zeit von Mahlerei haben.
Fie viele Bücher, die etwas gelten wollten, und die jeßt fpur-
los verjchwunden find, wirflid verſchwunden, Schriften, die
in Berlin gedrudt worden, und von denen mit größter Mühe
und Sorafalt nichts mebr zu finden if. Aus welchem Wuſt
bat die Litteratur fi hervorgemadht, was hat fie alled abwer-
fen müſſen! Die Urtheile Schlegel’ find alle in der Rich—
tung zum Befjern, oft wunderbar fein und ſcharf; wie keck und
zichtig verwarf er vor fechzig Jahren die angeblichen Geſänge
Offian's, von denen ganz Europa wie verzaubert war! Der
Ueverblick diefer Sachen ift fo lehrreich ald unterhaltend. Nur
| g*
}
132
blödfinnige Barbaren können es tadeln, Daß man diefe Gule | .
tie gemifchter Bilder — denn es find auch vortrefflihe <tüde
darunter — aufbewahrt hat, die und in das \nnerite jener
Zeit fehen laffen. Daffelbe gilt von den Kritiken Lefjings. W
Um die Heroen zu würdigen, muß man erfennen, was um fie |
herum, was mit ihnen und gegen fie war, durch welche trüb
Maffen ihre helleren Erzeugniffe ſich durchzuarbeiten hatten!
Wir vergeffen zu ſehr; das Gedächtniß zu ſtärken ift eine groe
Hauptfache, für Nationen, wie für Einzelne. —
‚ Sept ift wieder befchloffen, daß der König die Reife an den
Rhein zwar aufgiebt, aber nicht in Sansſouci bleibt, jondern | *
Anfangs Juli auf einige Zeit nach Erdmannsdorf geht; ein
Sieg der Ränke des Junkerthums. —
Montag, den 18. Juni 1855.
Gefchrieben. — Um 11 Uhr ausgegangen mit Zudmilla;
in den Nebenftraßen der Königsſtraße und auf dem Alerander rag
plag den Wollmarft angejehen, alles bedeckt mit Wolljäden, | FIN
ungeheure Borräthe aufgehäuft, lebendiger Verkehr, alle Guts—
befiger und Pächter der Mark, Handelöleute des In- und Aus
landes, ein Umfaß von einigen (6— 7) Millionen. In der
Blumenftrage beim Kunftgärtner Bouché, ſchöne Blumen; in J.
Garten das Sommertheater des Königsftädter Theaters, welchei J
zur Seite von Bouche’d Eingang aufgebaut ift, "wir hejabes |
das Innere. —
Wegen des Jahrestages von Bellealliance find die Bild: |
jäulen Blücher's, Scharnhorft’3, Bülow's, Yorck's und Gnei⸗ gti
ſenau's mit frifhen Eichenlaubgewinden umhangen und ber GW
fränzt, was fich fehr ſchön und feftlih ausnimmt. —
Wenig politifche Neuigkeiten. Debatten im englifchen Par
lament. In Hannover geht der Betteltanz mit den Ständen
los! Die Stände find brav, aber machtlos, wie alle, wenn W®
133
es nicht bis zum Aufftande fommt, die Regierung aber ift in
aller Macht lumpig und erbärmlich. — In Defterreich will
man 100,000 Mann beurlauben. — In Spanien die ge:
wohnten Garliften-Unruben, von ruſſiſchen Betreibungen ers
regt oder begünftigt. — Ruſſiſches diplomatifches Aktenftüd,
das in ausführlider Erörterung den Weſtmächten die Schuld
Des Scheiternd der Friedendverhandlungen ſchuld giebt, aber
dabei fehr friedliebend und verföhnlich lautet. —
„ Erlebniffe aus den Kriegsjahren 1806 und 1807. Aus
den binterlafenen Papieren ded Generald der Kavallerie Aus
guſt Ludwig Freiherrn von Ledebur. Berlin, 1855. Yür
die Kriegsgeſchichte wenig erheblih, geſchwätzig über perfün-
liche Einzelheiten, geiſtlos. —
Herr von Bady erzählte ein feines und wipiged Wort von
Gräfin Klotilde von Kalkreuth. Der jetzige Direktor der Sing-
akademie, Herr Örell, wurde gelobt alö ein überaus harmlofer,
- gutmütbhiger, unbefangener Menſch, der dad Böſe faum merke,
geſchweige denn übe. „Wahr ift ed,“ fagte die Gräfin, „amü-
ſant find’ ich ihn nicht, aber ich beneid’ ihn um feinen Pla
: im Paradies.“ —
⸗
Dienstag, den 19. Juni 1855.
3 Schwere Träume, früh wach. — Gefchrieben, in meinen
£ PBapieren gearbeitet. — Die Grängboten, No.25 vom 15. Juni,
_ entbalten einen großen Auffag „ Wilhelm Meifter im Verhält-
niß zu unferer Zeit*. Der Berfaffer giebt fi das Anſehn
F tiefer Forfhung und Kenntniß, hat aber nur die traurigen
Wahngebilde und gemeinen Stichwörter unfrer Zeit, und will
nach diefen meffen und beurtheilen, was fittlih-äfthetifh und
geichichtlich außerhalb feines Gefichtöfreifes liegt. Trotz aller
üppigen Bewunderung, die er dem Werke darbringt, iſt er im
Grunde doch nur ein etwas beffer gefleideter Puftkuchen für
134
daffelbe. Die Grundlagen feiner Kritit find entweder gan Fr
falfch oder doch chief und mwadelig, voll willkürlicher An:
nahmen, die nur ein ganz Unfundiger kann gelten laflen.
Immerfort bringt er die heutigen meift hohlen Anforderungen
des Tages in jene Zeit hinein, die von folden nichts wußte, *
nichts wiffen fonnte, und von denen man auch nächſtens nichts
mehr willen wird, ald daß fie leered und eitled Gepränge |
waren. Bon Baterland, Boll, Nation, Freiheit, Helden:
thum 2c. machen die Gothaer immer viel Geſchrei, fie die am
meiften gegen diefe Dinge gefündigt, jie jchief behandelt haben,
und fie jind zu blödfinnig um zu erfennen, daß Goethe, unt
namentlih im Wilhelm Meifter, mehr von dem Weſen der:
felben hat, ald in allen ihren Zerrbildern ftedt! Weil mit
dem Namen nicht geprahlt wird, meinen fie daß die Sade
fehlt! Ueber Adel und Bürgerthum find fie wollende fie: WE;
ed ift unfinnig und lächerlih, von Stein und Gneijenau ;u
iprechen im Gegenfaß von Lothario! Der Auffag fchliegt mu ir
einem fchein= und halbwahren, fireng genommen jämmerlicen
Ausfpruche ded Plutarchos, nach weldhem fein Jeſus, kein
Luther, überhaupt fein Genius je Recht haben Fönnte. Sole
ein Auffaß vergeht wie welkes Grad, ed ift nicht der Mübe
wertb, gegen ihn zu fchreiben, font thät ich's.
Nachrichten aus Potsdam. Der König zeigt fich zwar und |
icheint ganz munter, aber man behauptet, Die Aujtigfeit jet Wi
erzwungen, er fühle fich in Körper und Gemüth ganz gebrochen, Br
fei voll Sorgen und Zweifeln, fünne ſich zu nichts entfchliegen, |
wolle bald dies, bald jencd, und fein Mipmuth, feine Unzu-
friedenheit mache feine Nähe fehr peinlih. — Er hat jich von |
Dawifon einiges aus dem Fauſt und das luftige Stückchen ven ER
Holtei vorfpielen laffen. —
Die Ruffen haben bei Hangö englifche Offiziere und Ma—
trofen, die unter Parlamentairflagge gelandet waren, nieder
geichoffen. In Enaland große Aufregung deßhalb; die Auflen Wi.
ei stein . a —— u
135
nennen es einen Scharmüßel, wollen feine Parlamentairflagge
gefehen haben; die Engländer führen Worte des ruſſiſchen
Befehlshabers an, die das Gegentheil bemeifen, er fümmre
ſich nicht um die Flagge ꝛc. Es waren etwa fechdzehn Mann,
Die gewiß nicht in feindliher Abjicht offen auf mehr als
400 —500 Ruſſen heranfamen! — (Widerftreitende Berichte,
noch nicht Far. —)
Mittwoch), den 20. Juni 1855.
Geſchrieben. Ueber die Berechtigung hiſtoriſcher Ge-
mählde, die nicht gemahlt, fondern gefchrieben find; Lamar⸗
tine , Saint-Real ꝛc. Es gehört mehr in diefe Klaffe, ale
man gewöhnlich meint; von diefer ausfchmüdenden, aus
Künftlerabfihten zurechtftellenden Gattung ift die entjtellende,
gradezu verjehweigende oder lügende Fälſchung der Gefchichte
ſehr vwerfchieden, diefe legtere will betrügen, erftere will erhalten,
beleben, veranfhaulidhen. Der Biftorifche Roman darf nicht
von den Thatſachen der Geſchichte abweichen, der Erfindung
nur Spielraum geben, wo die Gefchichte ſchweigt, nichte
unterdrüden, nur hinzudichten und weiter ausführen. —
Auf der Ausftellung Herrn Hermann Grimm geſprochen,
dann Herrn von Burgsdorf; — Grimm jagt, Bettina von
Arnim fei nod nit in Schlangenbad, ein falted Fieber —
ſehr bedenflih — halte fie in Bonn zurüd! — Nachmittagd
in meinen Papieren gearbeitet. —
Nachrichten aus Parie. Louis Bonaparte foll frank, der
ganze Bonapartifhe Plunder in größter Unruhe fein, man
fpricht von zwei Aderläffen, Fieber ꝛc. — Daneben Gerücht
von Der Schwangerfchaft der Kaiferin. —
Der König in Potsdam hat Rheumatismus im Arm und
muß das Zimmer hüten. Das macht ihn immer verdrießlid;
136
er jegt einen Ehrgeiz darein, ſtets geſund und rüſtig zu er
fcheinen. — |
Das Kriminalgeriht hat von den angeflagten Aſſeſſoren
zwei freigefprochen, die andern ſechs zu Gefängnipjtrafen ven
6 bi8 9 Monaten und Berluft der Ehrenrechte auf ein Jahr
verurtheilt, den Kreiörichter Pietzſch ſogar zu 18 Monaten
Gefängniß. —
Die englifhen Blätter wetteifern im Abkanzeln der vor-
lauten und dummdreiften Meußerungen des Prinzen Albert,
daß Englande konſtitutionelle Regierungsform jetzt eine harte | ,
Probe zu befteben Habe. Man nimmt ihm fein vorwitziges
Auftreten ſehr übel. — |
Das Manifeft des Kaiſers von Rußland über die Thron:
folge und Regentfchaft macht mandherlei Gerede. Man fagt,
der Kaifer gehe mit dem Gedanken um, ji) in das Privatleben
zurüdzuziehen. Die Ruſſen ſprechen mit befonderm Eifer ven
feinem Bruder dem Gropfürften Konſtantin. Wenn dieler
ald Regent, oder auch ald Kaiſer — warum nicht ? — den Thron
beitiege, fo gäb’ ed Bewegung! —
„Unfre Kammern — oder Häufer, wie man jept fagen |
muß, — wie gering jebt und verachtet, können plöglic un:
gemein wichtig werden, und dann wäre doch zu wünjchen, jie &
etwas beſſer zufammengefegt zu fehen, als jeßt, Damit nicht ve 3.
Kreuzzeitungsparthei plößlich zu diefer Macht gelange.” — J
Wichtig? Macht? wie follte dad fommen? — „Wenn ed zum
Kriege käme, fo läge das entfcheidende Wort in den Kammern, |
die das Geld Schaffen müßten.“ Oder auch, man jchaffte je WE
ab und fette die ganze Perfaffung aus. — „Dann befime MW,
man feinen Heller zu einer Anleihe! Man hätte auch nidt WM
den Muth zu fo fühnem Schritt, im Gegentheil, man ſieht id M
ängſtlich um nah Stützen.“ —
137
Donnerstag, den 21. Juni 1855.
Geſchrieben. — Ausgegangen mit Zudmilla und Kräulein
nna Gottheiner — ein wackres, verftändiges und aufrichtiges
ind von neunzehn Jahren. — In die neue Grüngaffe ge-
ıngen, zum Kriegsrath Müchler, ihm den bisher fehlechten
tfolg meiner Bemühungen mit feinen Kriminalgefhichten zu
gen. Er ift ſehr ſchwach, hat aber fein gutes Gedächtniß
id noch frifche Lebendanfprüche. Seine Sache wegen des
edichtes von ihm, das unter die Schiller’fchen gerathen ift,
it er abermald in einer Beinen Drudihrift zur Sprade
bracht, das ift ein Lebensſtoff, an dem er immerfort ſich
ihrt und erlabt! Er möchte gern noch von fich reden machen,
zheren Ortes berüdfichtigt werden. Warum auch nicht, da
nody lebt und thätig iſt?
Freitag, den 22. Juni 1855.
Unruhiger Schlaf, widrige Träume ; vergeßne Kleinigkeiten
13 vergangenen Zeiten ſchwellen fih auf, und machen fi
hwer. —
Telegraphijche Berichte von Peliffier und Raglan, daß
zanzofen und Engländer am 18. Juni gleichzeitig die Werke
on Sebaftopol geftürmt haben, aber zurüdgefchlagen worden
nd, natürlich mit großem Verluſt. Es thut mir ſehr leid,
us befondrer Sympathie, meine Sache jedoch ift dabei nur
»Igerungsweiſe betheiligt, und nur eine ſehr zmeifelhafte
olgerung. Was aus den Dingen wird, wifen wir ja nie!
er Witz der Gefchichtsentwidlung ift unberechenbar. Wo
as Gute und Rechte ſich nicht unmittelbar zeigt, find wir
et im der Irre; hier aber zeigt es fich nicht unmittelbar,
venigſtens mir nicht. —
Befondere Bildungeblüthe nad) der Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts bid zum Ende defjelben im nordweſtlichen
138
Deutfchland, in Hamburg, Hannover, Göttingen, Braun:
ſchweig, Helmitedt, Kübel, Holftein, Schleswig, Dldentun, P
Bremen, bie nach Kopenhagen hin, und mit ſtarken Einflifn #-
von England her. Herrichende Wirfungen, die jich über gan M:
Deutfchland erjiredten. Klopftod, Bob, Claudius, die Et J.
berge, die beiden Reimarus, Leſſing, Schröder, Jacobi, Lichten J
berg, Schlözger, Campe, Knigge, Ebert, Eſchenburg un $
hundert Undre; dazu die vielen Engländer, Franzoſen u p
Hamburg, Dänen ꝛc. Ludwig von Heß, Archenholz, Bild, Jea
Sieveling ꝛc. Wie gänzlich verfchwunden ift alles das! da
ganze Länderftrich it öde und unfruchtbar, Einzelnes inkl
ih noch hin und wieder, aber ſpärlich, und ohne den frühen
Zufammenhang, die frühere Wechſelwirkung. Zimmermam
und Markard find noch nachzutragen, das ganze Gewidthtil .
Univerfitäten Göttingen und Kiel. Bon Künftlern Tifhben, J
Riepenhaufen, Ramberg ꝛc.
— — — ——
Sonnabend, den 23. Juni 185. MW
Traumreicher Schlaf, unruhige Nerven. — Geſchrieben.
Beſuch vom Grafen von Kleiſt. Er war in Kurland, nad!
am Rhein, in Bonn, in Koblenz. Er bat fein Untertbur
verhältniß zu Preußen gelöft, er verhehlt micht, daß du
Herrenhaus die legte Urfache war, die ihn hiezu bewog; duu
zu fein wäre ihm wenig Ehre und Freude, nicht darin zu ſeu
aber doch eine Kränkung geweſen, er wußte, daß der Kin
dem Prinzen von Preußen, der Kleiſt's Ernennung beantragt
entfchieden mit Nein geantwortet, er fonnte vorausſehen, iM
falld er von den Familienmitgliedern gewählt würde, der Kömg
ihn nicht beftätigen würde. Daher fchnitt er lieber alles ad
mit bittern Gefühlen freilih und Verwünſchungen; er be
außer dem Grafentitel hier nichts erreicht, Mitglied des Staat
raths hatte er werden wollen, Oberjägermeifter , nicht wur
139
vährt. Der König hatte ihm früher die Zuſtimmung zur
werbung von Sagan ertheilt, dann nahm er fie zurüd, und
8 die Herzogin von Dino das Thronlehen und den Titel
von erlangen. Alle Hoffnungen fcheint er doch nicht aufs
geben, wenigftend einige auf die Thronbefteigung des Prinzen
n Preußen gefegt zu haben. Er troßt auf feinen Reichthum,
er darin fteht er Doch nicht in erfter Reihe. Kleiit hat in
onn Bettina’n von Arnim gefehen, fie ſaß im Lehnſtuhl ftill
id gebüdt, den Blick zu Boden geſenkt, und ſprach nur färg-
h hie und da ein Wort; ein Zuftand, der ihrem fonftigen
ejen ganz und gar widerfpricht!
In Baden, in Würtemberg, in Hefjen, überall regt ſich
t Adel und die Geiftlichfeit; in Hannover macht der Adel
: größte Anftrengung, doch hält die alte Berfaffung heute
ch, vielleicht morgen nicht mehr! — Hier in Preußen trium-
irt er, doch ift er weder befriedigt noch forglos! —
Der Prediger Uhlich in Magdeburg war in erfter Inſtanz
gen Preßvergehens, Aufnahme des Beſchluſſes, der die freie
emeinde unterdrüdt, in fein Sonntagsblatt — verurtheilt
orden, die zweite hat ihn freigefprochen. — Die Polizei macht
m aber fchon wieder neue Scheerereien! —
Sonntag , den 24. Juni 1855.
Schlechter Schlaf, abgefchmadte peinliche Traumbilder ;
waren mir fo wichtig, daß ich fie feithalten wollte und
ttheilen, wad verlor ich fie gleich, und auch ganz gern!
xd es einft mit dem Erdenleben auch fo fein? —
Bucher fagt heute in feinem dritten Artikel über die Parifer
öjtellung von Bacon’d Novum organum: „Ein Bud, auf
die Engländer Grund haben mehr ftolz zu fein, ale auf
afefpeare.” ch weiß recht gut, welch edler und bedeutender
ft Bacon ift, und weiß, daß der treffliche Bucher nicht ohne
140
gute Gründe ſpricht, aber hier kann ich ihm durchaus nicht
beiſtimmen. Ich halte im Gegentheil den Einfluß Bacon's
im Allgemeinen für einen großen Schaden, an dem die Eng—
länder fortwährend leiden; die Philoſophie Bacon's bat fe |
von der tieferen und tiefiten Unterfuhung abgefchnitten, aus
der allein wahre Geiſtesfreiheit entfpringt, hat fie nach andern |
Richtungen gefördert, aber in religiöfer und Firchlicher Hinſicht
fie den engiten Beichränfungen preiögegeben, aus denen nur
wenige ihrer begabteren Geifter id unter großer Mibilligung |
zu befreien gewußt. —
In George Sand gelejen; neue und fehr leuchtende An-
ficht über die Jeſuiten; einigermaßen ſah ſchon mein Pater,
ihr Zögling, fie jo an, und ih nah ihm. Daß jie in der |
fatholifchen Kirche eine Art Freiheit, einen Widerſtand gegen |
Pabſt und Kirche vorftellten, war ung befannt ; ihre fcheinbar |
unbedingte Unterwürfigfeit fonnte und darüber nicht täufchen, |
aber auch jener Kern unfern Haß gegen die lügenbafte Form
nicht fchwächen. Auch Voltaire wußte die guten Seiten der
Jeſuiten wohl zu ſchätzen, während er die [hlimmen unermüt:
lich befämpfte. Daß Frau von Dudevant zu dieſer Auffaffung
gelangte, und fie jeßt, grade jeßt, fo licht auszufprecdhen ver: |
anlagt war, gehört zu den Merkwürdigkeiten, die wir erleben. |
Sie fagt wunderbare Wahrheiten über Religion, katholiſche
Kirche, Beichte ze. —
In der Naht vom Freitag zum Sonnabend war im Hotel Ä
du Nord unter den Linden großer Lärm. Der Jocey: Klub
war verfjammelt, und in Folge der jtattgebabten Pferderennen |
ſehr belebt. Man trank und jubelte tief in Die Nacht hinein. |
Mitten in diefe Fröhlichkeit trat ein Jremder, man fragte ibn, |
was er wolle? er erwiederte: „Sch will einmal jeben, wae |
hier vorgeht!" Man fagte ihm, er möchte fich entfernen. Als |
er hierauf zu erfennen gab, er fei ein Polizeibeamter, fühlten |
fih die vornehmen Junker und ariftofratifchen Offiziere erft |
141
recht gereizt, e8 fam zu heftigen Reden, ja Thätlichfeiten. Auf
den Pfiff des Polizeimanns war gleich eine Anzahl Konftabler
verjammelt, die Widerfeblichen follten verhaftet werden, die
Dfftziere wollten ſich nicht verhaften laffen. Ein Herr von
Prillwitz fprang während des Lärms aus dem Fenſter und
eilte zu Hindeldey. Die Offiziere fordern Genugthuung, die
Polizei ibrerfeitd auch. — |
(Ein Prinz von Medlenburg war dabei, ein Prinz von
Hohenlohe. Der Polizeilieutenant Dam ift erft verfpottet
worden — man warf feinen Helm unter den Tiſch, da gehöre
er bin — dann geprügelt. Einer zog den Degen und wollte
„den Hund todtftehen*“. Es war nicht nur ein Trink⸗ fondern
auch ein Spielgelag; nad) einigen Angaben hätte der Wirth
felbit , aus Furcht vor Strafe, die Polizei herbeigerufen um
das Haſardſpiel zu hindern. Die verfchiedeniten Angaben
laufen umber. Die Polizei wendet die größte Sorgfalt an,
um Die Sache zu vertufchen, nicht in die Zeitungen fommen
zu laffen.) | |
Fohanniter-Feter in der Schloßfapelle. Eine große Anzahl
neuer Johanniter befamen den Ritterſchlag. Dummes Zeug!
Buntes Gepränge, Geremonieen, Spielerei mit Religion und
Rittertbum, den meiften Johannitern ſelbſt ein Geſpött! —
Montag, ben 25. Yunt 1856.
Welcher Dämon giebt fich jetzt mit Berfertigung meiner
Fräume ab? Schiller’ Tod ein Geheimniß, man weiß nicht
wann, wie, und nicht einmal ob er geftorben? Was hat mir
Hans von Bülow getban, daß ich fein Mörder wurde, und
dann, verwundert über mid felbit, gleihmüthig weiter
lebte ? —
Der König ift wieder erfrankt; die Merzte hatten nicht
zugeben wollen, daß er die geftrigen Geremonieen in der
142
Schloßfapelle mitmachte, er aber gab die nachdrüdliche Er-
flärung, es ſei von größter Wichtigkeit, fei durchaus notk:
wendig; da mußten fie fchweigen. —
Im englifchen Parlament wird in den ftärfiten Ausdrüden
das völferrechtäwidrige, barbarifche Verfahren der Ruffen bei |
Hangd gerügt, auf Rache gedrungen ꝛc. Die Art, wie hr
„Ruſſiſche Invalide* in St. Peteröburg die Sache zu be
Ihönigen fucht, iſt höchſt erbärmlich, und zeigt nur die Unner
ſchämtheit der Lüge. —
Nur die einzige „ Montagspoft * macht heute in zwei Jeilen
eine Anspielung auf die „in einem Hotel unter den Linden vor
ein paar Tagen jtattgehabten nächtlichen Unordnungen“. Al
andern Blätter fchweigen, den Winfen und Warnungen dr
Polizei gemäß. Der Kanzleirath Jacoby (der berüchtigte Joel
Sacoby) bat jorgfältig nachgeforfcht, wad man im Publikum
jhen von der Sache wife, und verjucht davon eine ab |
geſchwächte Schilderung in Umlauf zu fegen; der abgefeinte W-
Kerl ijt aber diesmal fo dumm und plump, daß grade hurd
ihn die fchlimmiten Umftände erjt recht befannt geworden tin.
Das fommt davon, wenn man jede Nichtönugigkeit zu Pelie:
dienten verwenden zu können meint! —
Ueber die Memoiren Talleyrand's. Er hat fie feiner Ridte |
der Herzogin von Dino (Sagan) und Herren von Bacoutt zit |
Verwahrung übergeben. Sie follen erft dreißig Jahre nad
feinem Tode veröffentlicht werden; damit find die Prüfunga |
feiner Zeitgenofjen vermieden, was den Werth der Angabe |
mindert. —
In den Blättern für litterarifche Unterhaltung giebt den
Marggraff eine ausführlihe Beurtheilung des Freytag'ſchen
Romans „Soll und Haben”, und ſcheint mit gutem Reit |
denjelben auf eine ziemlich untere Stufe hberabzuftellen. —
Dem General von Höpfner machte jemand große Kobfprüdt
über feine Gefchichte ded Krieges von 1806 und 1807, um
143
erte fich über die gräßliche Verwirrung und Rathlofigteit,
yamals im preußifchen Kriegsweſen geherrſcht. Der General
e mit bedächtigem Ernft: „Dürfen wir denn ficher fein,
es jetzt nicht ebenjo, micht noch ärger fein würde?" Be—
tungen, wie ein König von Preußen fein müffe, wenn er
in der That, und nicht blos dem Namen nach fein wolle. —
Dienstag, den 26. Juni 1855.
Träume von Juden und jüdifchen Gebräuhen! Früh
ifgeſtanden und gefchrieben. — Der heutige Publizift macht
ı unfcheinbarfter Weife die ablehnende Bemerkung, ed lohne
icht der Mühe über die neulichen Vorgänge in einem Hotel
usführlich zu berichten, dergleichen fei unbedeutend und werde
leich vergeilen fein wie jo vieled Andre. Ta, vom Publikum!
ber Offiziere und Polizei werden es fchon behalten! Der
'önig foll anfangs im höchften Zorn gegen die Polizei gewefen
in, darauf foll diefer fich gegen die Offiziere gewendet haben,
ndlih aber durch Hinckeldey's kluges Behandeln neutralifirt
horden fein. Dem Könige wird alled Weitläufige, fagt man,
ald langweilig, und wenn er audführliche, wiederholte Bor:
täge mit gehäuften Akten zu befürchten hat, wendet er jich
eicht von dem Gegenftand ab. Das wird denn fleißig be-
wuutzt. —
Herr von Hindeldey fagt, er gäbe viel darum, wenn die
Geſchichte im Hotel du Nord nicht gewejen wäre, er habe jedoch
beftimmten Befehl vom Könige gehabt, das Hafardfpielunmefen
niht länger zu dulden. Die Sache des Spield wird alfo fehr
in den Vordergrund gezogen. Herr von Heidebrand, wegen
Zpield längere Zeit ſchon übel angefehen, und Mitglied des
sodey: Klubs, ift von Berlin audgewiejen worden. ‘Dagegen
rird der Polizeilieutenant Dam wohl an einen andern Ort
erjegt werden.
144
Die geftrige „ Feuerfpripe“ enthält auch einige Angaben
über den Vorfall. An diefe Montagsblätter fcheint die Pole
bei ihren Warnungswinken nicht gedacht zu haben. Die &:
rüchte im Volk find ſehr mannigfah, überbieten einander,
widerfprechen einander. Nach einigen Angaben waren di
Offiziere betrunfen, nad) andern der Polizeilieutenant. — /
Die Zeitung „Le Nord“, mit rufjifhen Geld geitifte,
erfcheint nun in Brüffel, und lügt Unabhängigkeit von hr
ruffiihen Regierung! Die belgifche Regierung hiedurch midt
geirrt, hat die nicht belgifchen Mitarbeiter von Brüſſel wer
gewiefen, und damit dem Blatte dad Herz ausgebroden; &
war vorauszufehen, daß Kranfreih und England das Unter: i
nehmen, das ihnen unter die Nafe mit der Fauſt drohte, mict
würden beftehen laſſen. Die ganze Sache war übel an |
gelegt. — |
Die Berlufte der Franzoſen und Engländer am 18. ka ı
dem mißlungenen Sturm find nun genauer angegeben, mit |
geringer ald man dachte. — Große Jerftörungen im Aſoff'ſchen
Meer. —
Zu Haufe noch Geſpräch mit Ludmilla. — In Goetk |
gelefen, in Baulabelle, Lichtenberg. — Engliſche Tage
blätter. —
Mit Erftaunen und Sorae ſeh' ich aus mancherlei- Zeichen,
welch ein troßiged und drohendes Geſchlecht in der jepigem
Jugend heranwächſt, die Knaben alle jind muthig und rauf
begierig, achten feiner Autorität, ale die fie felber als jolde
gutheißen, höhnen alle die Lehren, die der Staat und die Kirdt |
ald die einzig richtigen aufftellen, find freigeiftifch und fr
heitöliebend. Wenn man die Schaaren aus den Schulen anf
die Straße jtürzen fieht, fo kann man aus den Gejichtern und |
dem Benehmen jchon erfennen, weld ein Geift der Unab
hängigkeit und Entichloffenheit in diefer Jugend herrſcht. Si
fümmert fi um die Erwachjenen nicht, treibt auch nicht der
145
trüberen Unfug, ift nicht herausfordernd, aber fie leidet feine
Beeinträchtigung, und wirft fogleich auf die verfuchte zurüd.
Die Konftabler halten jich der Schuljugend gegenüber fehr
vorfichtig, und fcheuen ſich mit ihr anzubinden. Bemerkens—
werth it auch, daß unter den Knaben noch die Vorgänge,
Nedendarten und Stichworte von 1848, die bei den Erwachſe—
nen etwas vergeflen fcheinen, noch in gutem Andenken und
güng und gäbe find, wie 3. B. „An meine lieben Berliner“,
Jacoby's Worte an den König, „breiteite Grundlage”, ja
ſogar das Wort „Erbweisheit“ ift in ſpöttiſchem Sinne gehört
voorden. —
— — — —
Mittwoch, den 27. Juni 1866.
Unholde Träume! Wie darf dies Unthier Reumont in
meinen Schlaf eindringen? Zwar that er ed um ſich zu ver⸗
abihieden, aber auch fo nur unwillkommen! Sein Pater,
Alzt in Machen, ließ fih von Eulogius Schneider Empfehlungs-
Briefe an Robespierre geben, diefe wahre Gefchichte verwandelte
ſich im Traum zu den widrigften Zerrbildern. Der Sohn
waahte fein Glüd durch Empfehlungen Bunfen’s, deilen Name,
ſeit Bunfen in Ungnade, nicht mehr über feine Lippen kommt.
Ffui, was ift für efled Gefchmeiß obenauf! —
| Früh aufgeftanden und gefchrieben. Unterbrehung durch
. Schwindel, aber nur furze, ich konnte bald weiter fchreiben. —
= Bolgmeter in das Stammbud, der Fräulein Anna Gott:
Beiner. —
. Nachrichten aus Wien; Beſorgniſſe wegen Italien, man
Kraut dem Louis Bonaparte nicht, und fühlt fehr, daß man
ihm Grund genug gegeben hat, auch feinerjeit® mißtrauiſch
und treulos zu fein. Der Gedanke einer Verbündung mit
' Rufland ift gar nicht mehr fo fremd; der Kaifer aber iſt
rathlos, unentichloffen. Das Lob, das man ihm aufpaden will,
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. XII. 10
ih nur im Tagesgenuffe binzutaumeln; aber unvermul
erheben ſich dort und hier bedeutende Zeichen eines guten
noch ganz frischen Gedächtniſſes im Volke, das feine Tui
arbeit leiftet, aber dabei der Vergangenheit wie der Zul
gedenft, und feiner Stunde harıt. Die Demokratie ı
mancherlei Rebengzeichen, Erinnerungen von 1848 treten bi
hervor, auch bei dem Junkerthum, der Reaktion, bei di
freilich als Ausdrud der Furcht und Warnung! —
Die Neue Preußiſche Zeitung will mir wieder einen <
geben; jie fagt, Lermontoff fei nicht liberal gewefen, oh)
Barnhagen von Enfe ihn überfept habe! Das Bieſt
feinen Stachel mehr, ift matt und ftumpf. —
Der König will durhaus nicht Fran? fein, hat das?
wieder verlaffen und Bortrüge der Mintiter angenom:
Die Königin verhehlt ihre Unrube und Beſorgniß nicht. -
Die deutſchen Zeitungen werden allmählig dreijte
Beurtheilung der franzöfischen Angelegenheiten und L
Bonaparte’s felbit. Man läpt ihnen von obenher ind
Richtung mehr Freiheit. Die ängitlihe Rückſicht, die
voriged Jahr jede dem franzöfijchen Gewalthaber miph
Aeußerung vermied oder rügte, findet nicht mehr Statt;
fühlt, daß die Staatsſtreichshand, die man bis dahin!
und fürchtete, weniger Fräftig laftet, die Furcht vor Ar
unternehmungen gegen Deutfihland, von Stiftung eines r
Nheinbundes ꝛc. hat nachgelaffen. In der That ſteht
jest alles andere, ald vor dem Jahre, —
147
zolizei, und jener blieb vollfuommen Sieger. Der Polizei:
nant Dam hat Unrecht befommen, feine Kameraden
‘en, .mit ihm nad) feiner Aufführung und erlittenen Be-
lung nicht mehr dienen zu fönnen, er befommt den Ab:
Er war betrunfen, fam mit dem Hut auf dem Kopfe,
der Gigarre im Munde in’® Zimmer, benahm ſich fehr
yührlih ꝛc. So heißt es jetzt mit Beftimmtheit, während
heilnchmer fich luftig in's Fäuſtchen lachen und prablerifch
len, wie fie den armen Teufel verhöhnt, genarrt und
gt haben! Herr von Heidebrand und der Rafa, der zuerft
wiefen worden, foll nun gar nicht dabei gewefen fein,
‚ft wieder hier. —
— — — ——
Donnerstag, den 28. Juni 1866.
'teidlich geſchlafen. — Geſchrieben. — Die Spener'ſche
ing macht dringend aufmerkſam, daß für Preußen ein
Rückſchritt drohe, nämlich die Umwandlung der fon-
ionellen zweiten Kammer in eine ftändifche; die Nation
:uterer entgegen, fie möge daher auch durch die Wahlen
a, daß fie ſolchen Rüdichritt nicht wolle. Gut gemeint
gut gefchrieben. Aber ich kann es feinem verdenken, der
ren Kleinfram diefer Dinge fich nicht fümmern will. Bei
em Herrenhaus ift wenig dran gelegen, wie das Haug der
:ordneten bejchaffen jei; aus dieſen Dummbheiten wird
s Kluges, dad Ganze mag der Teufel holen! ch verdenk'
yer auch niemanden, der im guten Sinn aud) den Klein-
beachtet. Nur mich foll man ungefchoren laffen, ih mag
fann nicht hinabfteigen von dem Standpunft, den ich
‚ fiebzig Fahre Mitjtrebend und Miterlebend endlich er-
men habe. — In Baulabelle weiter gelefen; die franzö-
n innern Ingelegenheiten behandelt er mit großer Sad:
niß und ſcharfem Urtheil, fein nationaler Eifer tft hier
10°
148
auch dem fremden ehrenwerth, ja wohlthbuend. Gr haft die
Feigen und die Schurken, und die Schickſale Frankreichs waren
oft genug in den Händen der einen oder der andern. Die
Bourbonifche Reaktion erfiheint in ihrer ganzen Wuth und
Berächtlichkeit. —
Beſuch von der Geheimräthin Steffend und Tochter, jie
reifen nad) Dresden. Traurige Nachricht von Bettina ven
Arnim, fie ift in Bonn ſchwer erfrankt, die Aerzte geben weniz
Hoffnung, die drei Söhne ſind ſchleunigſt von bier zu iht,
geeilt, ihre Ankunft aber durfte der Kranken noch nicht gejagt |
werden. Mir fuhr es fchmerzlich durch die Seele! Ich mu
mir fagen, daß fie eigentlich ihr Leben ſchon ausgelebt, da ſie
nicht viel Guted mehr zu erwarten bat, wohl aber Schmen |
und Leid, aber fie leuchtete noch immer für Andre, und init JFr
würde ein Stern erlöfchen, den zu feben ein Trojt undem |
Freude it! — |
In London ernfthafte Volksaufregung gegen die im Par
lament in Antrag gejtellte ftrengere Sonntagsfeier; als wenn
die nicht fehon arg genug wäre im firchlich verdummten Gay fr
land! Sie find toll mit diefer wohlfeilen Frömmigkeit, Wi
nod dazu gar feinen Grund in der Bibel bat, fondern am:
willfürlihe Einrichtung der Menfchen ift. In der Bibelik
vom Sabbalh die Rede, dem fiebenten Tage nach der Schöpfung;
an welchem Gott geruht hat. In England ftammt der Schwu⸗
del von den Aufrührern, von den Königemördern her, m
doch behalten fie ihn bei! Das Schlimmite für ung ift, de
uns England, dad Land der Erbweisheit, mit jeiner Erbtellhek
angeftedt hat! — |
Der König hat wieder einen Fieberanfall. (Man ſprich
von fleinen Schlaganfällen.)
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9
1
\
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4
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149
Freitag, den 29. Juni 1855.
Spät eingefchlafen und fhon um 5 Uhr wieder wach.
leſen. —
Die Krankheit des Könige, wenn auch im Grunde
h feine gefährliche, wirkt doch fichtbar auf die Haltung und
3 Betragen vieler Menſchen ein. Die nächiten Umgebungen
rden ftill und fcheu; der Eifer der Partheien ftodt; die
inftlinge fehen ſich nach Wegen um, entiveder neue Gunft
ſtatt der alten zu erlangen, oder doch leidlich gut Davon:
tommen. Die Neue Preußiſche Zeitung ift ganz matt und
den. Die Burfche fühlen, daß fie bei einem Regierungs—
chfel übled Spiel haben würden. Der Prinz von Preußen
zwar dem Adel günftig, und allem altpreußifch Beitehenden,
er die Zunfer-Frömmler: Parthei ift ihm ganz verhaßt; diefe
rde mit Schimpf und Schande vom Schauplag abtreten. —
zwiſchen iſt der König heute wieder wohl, —
Freiheits- und Baterlandöfreunde aud Hannover find hier,
ı Unterftüßung gegen die dortige Junkerparthei, welche die
tfaffung abfchaffen will, zu gewinnen. Wenn fie dergleichen
m Hof und der Regierung erwarten, fo find fie ſehr ver:
mdet; auch die politifchen Gründe, die hier von Gewicht
n fönnten, Preußen im Auslande freifinniger handeln zu
ſen, als ed im Inlande fein will, gelten im Augenblide
hts; der Eigenfinn einerfeitö, andrerfeitd die Gleichgültig-
t, laffen es zu feiner Erwägung fommen. Die Unfähig-
t unfrer Minifter wird lebhaft beiprochen, nirgende edler
ift oder ftarfer Karakter, höhere Anficht oder Blid in die |
kunft; lauter Tagesmenfchen, Gunftleute, Stellungsfrohe !
nd wenn die Humboldte, Steine, Hardenberge, Herbberge,
eifenaue 2c. bei und wie Heu zu haben wären, Minifter
erden doch nur ſolche fein, wie die es jegt find.” —
Zu dem Goethe: Schiller » Denfmal in Weimar bat der
fer von Defterreih 300 Dufaten beigefteuert. Das mag
150
hingehen, obwohl jchwer zu fagen wäre, mas der Kaiſer mir
Goethe und Schiller zu thun hat, ja nur von ihnen weis,
außer dem Namen. Über daß aud der — Louis Bonaparte
fi) mit gleicher Summe herbeidrängt und. an dem Denkmal
betheiligt, daß diefed Geld angenommen wird, — das iſt ein
Schimpf, eine Berunchrung der andern Fürften und de
ganzen Unternehmens! —
Vertraute Nachrichten aus Rußland, daß eine tiefe und
weitverbreitete Unzufriedenheit im Innern furchtbar gäbe, j
und bejonderd im Süden viel revolutionairer Geift fprük. |
Der ruffifhen Regierung find Siege jo nothwendig wie hr
franzöſiſchen. Man fieht ſchon ald unvermeidlich an, dij
Rußland von der Revolution endlih aud ergriffen werk
So führt der Krieg überall zu Berwandlungen , in der Türke,
in England, in Rußland, — jie fommen aus dem Kriege ie $-
wie fie hineingegangen, nicht wieder heraus. — |
Sonnabend, den 30. Juni 1855.
Früh ufgewacht; geſchrieben, über die politiſche Bi Ra
jamfeit des einzelnen Bürgers, die Seltenheit richtigen, Hart:
Urtheils; ed giebt Zeiten, wo er nicht thun fann, als we
der Soldat im Frieden thut, fich ftärfen und üben, Inn]
Waffen in gutem Stand halten, wach, fein und aufmerlen;
es giebt wahrhaftig jept in. Preußen nichts andres zu thual;
Wer fich befonders berufen fühlt, möge fih an Gemeindeſahen
betheiligen, an Wahlen, an Kammern, aber eine Pilicht if eh
nicht, und viel nügen wird ed auch nicht. — In der Meinung
der Männer von 1848 ift wirklich fein Boden feit und würk j
ald der deö damaligen deutichen Parlaments, von dem *
Nationalverſammlungen von Berlin und Wien nur Zwei
waren, fie gründeten fi} in der That nur auf den Beichlüfiek
von jenem. —
151
Daß Defterreich ein Fünftheil feiner Heeresmacht auf Urlaub
atläßt, wird von einigen Tagesfchreibern zum Lobe Preußens
enutzt, welches Flüger und ſparſamer feine Streitfräfte noch
ar nicht aufgeboten hat, Allerdings ift Preußen im Augen
ide darin günftig geftellt, daß es feinen Friedenszuſtand noch
erhalten und feine Kriegdmittel nicht im voraus aufgezehrt
bat, — wiewohl doch zum Theil, denn wenigſtens ein Drittheil
der bewilligten Gelder ift doch ſchon verausgabt, — allein diefer
Zuftand ift keineswegs ein Berdienft der Regierung, feine Folge
ihrer Einſicht, fondern ift ein reines Glüdl, hervorgegangen aus
den Kriegsereigniſſen, ein Glück, das eben fo wieder ſchwinden
und in fein Gegentheil umfchlagen fann, ein Glüd, das ſich
iber Preußens Unfchlüffigkeit und Schwanfen ſchützend gelegt
at. Wären die Kriegsereigniffe anders ausgefallen, hätte
Deiterreich fein begonnenes Spiel, anftatt fi mit der Bejegung
er Moldau und Walachei zu begnügen, fortzufeben gewagt, fo
dvürde Preußen jest die Schuld feiner Säumniffe ſchwer zu be-
ahlen haben, Auch ift zu bedenken, daß, wenn Preußen gleich
Anfangs mit Defterreich gegen Rußland aufgetreten wäre, der
Ihon für jenes fo nachgiebige Kaiſer Nikolaus noch mehr nach-
gegeben hätte, und die ganze Krifis einftweilen, für die erſten zehn
Sahre vielleicht, befeitigt gewefen wäre. Kein Berdienft, nur Glück
and nur unfichres, veränderliches, dad morgen aufhören kann! —
Gegen Abend Beſuch von Herrn Hermann Grimm, der mit
feinem Bater nach Wildbad reift. Er fpricht mit großer Trauer
und Anerkennung von Bettinen ; die Nachrichten aus Bonn
lauten etwas beſſer, doch foll die Hoffnung gering fein, und die
Lebensgefahr nicht befeitigt. Bettina war längere Zeit fo,
daß man gar nicht mit ihr reden fonnte, fie wurde daher auch
hne ihre Zuſtimmung allöopathiſch behandelt. Wenn ſie ſtirbt,
zird es einen großen Riß geben, ſie wird Allen, die fie gekannt
aben, auf's jchmerzlichite fehlen, und kann durch nichts erſetzt
erden. — Grimm dann bei Ludmilla. —
152
In Lichtenberg gelefen, in Forfter’d Briefen, in Goethe. —
In den Arnim’fchen Papieren einiges geordnet. —
Gutes Wort von Lichtenberg: „Das, was man mir
empfindet, auch wahr auszudrücken, mit jenen Fleinende
glaubigungszügen der Selbftempfindung, mat
eigentlich den großen Schriftfteller, die gemeinen bedienen je
immer der Redensarten, dad immer Kleider vom Trödelmartt
find.“ Kleine Beglaubigungszüge der Selbftinpefindung, hi
trifft! Jean Jacques Rouffeau, Rahel, Dudevant! —
Der Prinz Friedrih Wilbelm, Sohn des Prinzen mn Je
Preußen, hat ed gewagt, mit dem König über Dirihlet jı ie
fprehen, den Minifter von Raumer anzullagen, dap erfüt fe
jenen nichtd zu rechter Zeit gethan, und den König anzugehn, P
daß er an den König von Hannover fchreibe, um Dirichlet wiede
loszubefommen. Der König fchimpfte auf Raumer, welltt id Er
aber doch zu nichts entfchließen. Brief des Prinzen hierükt fr
an Humboldt. Guter Wille. --
Sonntag, den 1. Juli 185.
Die Nationalzeitung bringt einen Artikel, der ihren pieujſch |
deutfchen Standpunkt darlegt und vertheidigt; einigem tann19#]
beiftimmen, andrem nicht; auf legteres hab’ ich chen im
aus geantwortet, noch geftern zum Theil. Preußifch und Deutiäy
das mein’ ich auch, aber mit dem Wort iſt's nicht gethan, wm
wenn ed die Sache gilt, ift fie nicht zu finden! —
Sendung von Herrn Hermann Grimm: „Die Famiı
von Meyern. Bon Kurt von Schlözer. Berlin, 1855.“ Gun
feine Sonderfchrift. —
Befuh vom Grafen von Kleiſt. Drittehbalb Stunde
Mancherlei Deittheilungen, muthwillige, ernfte, vertraulik
allgemeine. Die Zeit verging rafch genug. Bom biefig
153
em Reben der jüngern Prinzen, dem GSittenzuftande,
ellihaftlihen Berhältniffen ꝛc. ergiebige Nachrichten.
bricht, daß Lord Raglan in der Krim geftorben ift,
Rahel's Papieren gearbeitet; die Erinnerungen wurden
aft und bewegten mich fo, daß ich die Arbeit nicht fange
eBen vermochte. —
Baulabelle gelefen, in Zeitfchriften. Franzöſiſche
. — Inder Schrift von Kurt von Schlöger machte mir
173 die Schilderung Johann Gottfriede von Meyern,
Schichtichreibere des weitphäliichen Friedens, viel Ber:
; mit einer Gefchidlichfeit und einem Maße, die ich
Ich nennen möchte, wird und ein Bild feiner großen und
igen Arbeit, und unvermerft auch ded ganzen weitphäli:
jriedendgefchäftd in aller Kürze vor Augen geftellt. m
ufzählung der Meyern’fchen Familienglieder vermiß’
badiſchen Gefchäftdträger von Meyern, den ich in Karls:
nd Berlin gekannt, und deſſen gute Anlagen leider in
miger Frömmelei untergingen. Er war aus Braun
Mein Dya-Na-Sore-Meyern fcheint einer anderen
e angehört zu haben. — |
ute find die neuen Anfchlag- Säulen von Litfaß in öffent-
Gebrauch gefeßt. An den Strapeneden, Brunnen und
m jind über Nacht alle früheren Anfchläge verfchwunden.
den bildet fich nicht wenig ein, diefe neue Einrichtung
jeßt zu haben. Indeß erhebt ſich mancher Widerfpruch,
rd auch wider die Damit verbundne hohe Steuer. —
englifhen und franzöfiichen Blättern wird von der
eit des Könige gefprochen, ale wenn e& mitihm zu Ende
jie [prechen von bevorftehendem Thronwechſel, und da-
gewärtigendem Wechfel der Politit Preußens. —
er von Profefch ijt zum Bundestag zurückgekehrt. Defter-
gt ed wiederholt darauf an, Deutjchland an fich zu binden
[2
154
in ihm die Obermacht zu erlangen. Was Preußen nicht er
reichen konnte, — aus Mangel an Entfchloffenheit „und
thörichtem Reſpekt ded Königs vor den deutfchen Füriten‘, —
das fann Defterreich glüdlich gewinnen, Oeſterreich ten:
jchloffener, fühner, bat ganz und gar nichts von jenem thöridtn
Reſpekt, im Gegentheil, es fiebt die Fürſten als feine Bajallen
an, die durch Empörung fid) losgeriſſen haben; wenn fie al
zu Grunde gingen, Defterreich würde dazu lachen. —
— — — — —
Montag, den 2. Juli 1855.
Erinnerungen vergangener Zeiten werden mir lebhaft auß
geregt durch das eben erfchienene Buch: „Clemens Brentanei
gefammelte Briefe von 1793 bis 1842. Mit vorangehenkt
Lebenöbefchreibung des Dichtere. Frankfurt am Main, 1855. |
Zwei Bände, Das Buch macht mir den widrigiten Gindrud,
ed giebt mit allen feinen richtigen Angaben und authentiden
Mittheilungen durchaus keine Wahrheit, ihm iſt die Hauptiadt
das fpätere firchliche Frömmeln des Helden, fein aus feige
Angit und läppifcher Fafelei zufammengefegtes fathelide
Eifern, alles Andre foll dagegen ſchwinden, höchſtens als ig
und Stufe dazu gelten. Welch ein genialer, toller und niht®
nußiger Burfch er war, erführt man durch dieſe Schilderung
nicht. Der wilde Brentano war wenigftend liebenewürtg,
der befehrte ift nur widerwärtig, fein Talent fogar erlijcht, und
ed bleibt nur eine troftlofe Schwäche übrig, die doch noch eitel
it, und blenden mag. Auch fein Bildniß hat in düſtern, fummer:
vollen Zügen den Ausdrud der Schwäche, er fcheint über feine
eigne Elendigfeit, die er recht gut fannte, zu trauern. Und
diefer lügenvolle Schwächling hat den Glaubensleuten im
ponirt, hat auf den ürjtbifchof Diepenbrod von Breslau furl
eingewirft! Wir erfahren, daß diefer vormalige Kriegsmam
155
rhenfürft im Jahre 1848 in Breslau fo von Angjt und
en ergriffen worden, daß er unter andern die Briefe
no's an ihn ald gefährlich verbrannt hat! (Grade wie
in bier!) Das ganze Buch ift ein Jammerding, nichts tritt
gehörige Kicht, weder Brentano's Heirathen, noch feine
Nchaften, nicht feine Berhältniffe, noch feine Begegniffe ;
erhältnig zu Luiſe Henfel ift ganz falfch gejchildert ;
jind die größten Lücken. Daß nicht von den Prügeln
hrfeigen die Rede ift, mit denen er überall bedacht worden,
y nicht einmal rügen. Ueberhaupt war weniger feine
enfeite darzuftellen, ald vielmehr feine Sonnenfeite, die
irch die falfche Richtung ganz verdüjtert ift. Ein widriges, -
lechtes Buch! Aber ich werd’ es doch genauer durch⸗
rüffen. — Der Prinz von Preußen war in Schlefien
eim Fürſten von Hapfeldt in Trachenberg zum Befuch,
ir mit feiner dortigen Aufnahme fehr zufrieden, wie er
ürften und der Fürſtin in den verbindlichitien Aus—
bezeugte. Auch hierin widerfpricht der Prinz durch
enehmen auffallend dem des Könige, der den Fürſten
18 ungnädig behandelt, und befonders von der Fürſtin
wiſſen will, weil fie den katholischen Fürften geheirathet,
‚von feiner früheren Gemahlin hat fcheiden laffen, was
ie Landesgeſetze ihm geitatteten, die fatholifche Kirche
iht. Die Breölauer Zeitung hebt diefen Befuch 'des
ı fehr hervor. —
8 erfte Blatt von Le Nord verfpricht große Mäßigung
Uigkeit, nennt aber die Kreuszeitung als feine Gleich:
e! Hr. von Schöpping fordert hier alle Welt zu Bei-
auf, verjpricht reiche Bezahlung, und wirbt Bericht:
t an; die Lumpen von hiefigen Litteraten, die hier etwa
en möchten, fönnen aber zu wenig Franzöſiſch. —
156
Dienstag , den 3. Juli 1855.
Reidlicher Schlaf, aber widrige Träume von Franzoſen!
Früh auf und gefchrieben. Die Arbeiten häufen fich wieder
ungebührlich, die Rundfchaft ift fehr groß, nur ijt fie eine folde,
die man gern Andern überließe! Manuffripte durchſehen und
allenfalld durchbeſſern, Verleger dafür fchaffen, Beiträge zu Zeit
Ichriften geben, gedrudt Erjchienened rühmend anzeigen, Ks
frologe fchreiben, und dann noch artige ganz unnöthige Inter:
haltungsbriefe, damit könnte ſich ein Geſchäft führen lafen,
das an Umfang alle andern überflügelte! — |
Hier herrſcht jebt eine große Abfpannung und Gleichgültig⸗
feit, man hat für den Augenblid nicht? von Frankreich ned
von Rußland zu beforgen, und daß Defterreich fein Heer we:
tingert, erfüllt die Gemüther mit ſchadenfroher Trägheit; nun
glauben fie erft recht ficher zu fein und dem Gigennup und
Vergnügen ruhig nachgehen zu dürfen. Dies ift dieallgemein
Stimmung der Negierenden wie der Negierten. Der Küng,
die Prinzen, die Staatdminifter und hohen Beamten ſenſt J
denken an Sommeraufenthalt, Badereifen, Ferien, die Stual J
mafchine wird der Obhut der Gefellen und Lehrburſchen uber |
laffen, und wenn nichte Außerordentliche vorfällt, genugn J
diefe auch völlig, fie thun ohnehin zu allen Zeiten das Nöthigit
und Befte, und zeigen recht eigentlich, wie überflüffig die faulen,
wohllebenden, fogenannten Minifter find. Doch Müglichgenm
haben diefe ich gewiffe Entfcheidungen vorbehalten, und mahn
jich dadurdy nothwendig, fo daß ed zum Unglück werden kann,
wenn fie fehlen. Was fümmert das die Schweiger und Brafer!
Sie rechnen auf Glüd und haben's nur zu oft! “Doch fommt
gewiß der Tag, wo jede Nachläffigkeit und Berfäumnig ihr
PBergeltung findet; und inzwifchen wenden die Menſchen
fich immer mehr ab vom Staate, vom PBaterlande, es kommt
wieder dahin, wo wir es im Jahre 1806 fahen. Einer der
angefehenften Edelleute und reichiten Befiker in der Matt,
157
U Kammerherr von Wülfnik, welcher mit andern Edelleuten
ach dem Frieden von Tilfit dem Kaifer Napoleon in Dresden
wfwartete, um Nachlaß der Kriegszahlungen zu erwirken, bat
tamald den Eroberer, doch lieber die Mark dem Slönigreich
Weitphalen einzuverleiben, da würden fie es beffer haben und
leichtere Steuern tragen. So dashten damals viele Mitglieder
der Ritterfchaft, doch zum Glück nicht alle, fondern eine Min-
derheit. Heute ift das die Geſinnung der Mehrheit, die niedrigite
Schhftfucht beberrfcht diefe Junker und viele fagen ed ohne Scheu,
daß fie fein andred Baterland anerfennen als ihren Bortheil,
daß fie für ihren König und das Haus Hohenzollern nichte
fühlen, daß fie unter guten Bedingungen eben fo gern Sachſen,
Medienburger oder auch Ruſſen werden, — hur nicht Franzo-
jen, denn bei denen halten fie gute Bedingungen für unmöglich,
ſonſt bequemten ſie jich auch unter Louis Bonaparte, wie da⸗
mald unter Jerome Bonaparte. — ch hatte heute befondre
Beranlafjung zu diefen traurigen Gedanken. Preußen ift ein
Schiff ohne Steuer, die höchſten, die dringendften Pflichten
werden verfäumt, die fcheußlichiten Gifte verbreiten jih im
Innern, die fhändlichften Heucheleien und Bosheiten ftehen in
Macht und Anfehn, die edelften Kräfte find gelähmt, die guten
Rihtungen verfchloffen oder eingeengt. Was wird die Ge-
ihihte einft von diefen Jahren, pon diefer glüdlichen nicht zu
boffen gewefenen Friſt, die fo ſchmachvoll verfäumt wird, zu
berichten haben! Die Kataſtrophe von 1806 ift auch nicht in
diefem Jahre gemacht worden, fondern langjam bereitet vom
Jahr 1786 an, immer wachfend und fhwellend bie zum Nus-
bruh! —
Die Polizei geht jo weit zu behaupten, daß Wirthe, Kon⸗
Ditoren, Kaufleute, welche gedrudte Ankündigungen in ihren
Eofalen aufhängen wollen, dazu erſt eine polizeiliche Erlaub—
ıiß haben müffen. Wenn der Inhalt nichts Unerlaubted ent⸗
lt, fo wäre bier, follte man denfen, nichts was die Polizei
158
hindern darf. Aber freilich, die geliebten Anfchlagjülı
follen nicht gefährdet werden! —
Mittwoch, den 4. Juli 188.
Früh um 6 Uhr aufgeftanden, um 7 Uhr Lutmilh zu
Bahnhof gebracht, um halb 8 fuhr fie nach Hamburg ab. M
werde für Scheiden immer empfindlicher, die Trennung Ih
mie weh, doc ließ ich mir's nicht merfen. Als id wide
nad Haufe fam, fand ich die Wohnung groß und lernt
fill, und empfand ſchmerzlich den vollen Werth eines tut
Einverftändniß, Zutrauen und Neigung und verbunkmt,
mitlebenden Weſens. Ich ftürzte mic in großen Fleij ul
ſchrieb den ganzen Bor- und Nachmittag, einige Unter
brechungen abgerechnet. —
Einiges in dem abſcheulichen Lügenduche „Brike mt
Leben des Clemens Brentano“ gelefen, Arnim'ſche Sıdı,
Tageöblätter und Flugfchriften. —
Zwei Todesnachrichten in der Zeitung; Prof. Dr. Sir
ftarb in Jena, in Rußland Froloff, der Ueberſehet WM
Kosmos. —
Die Times haben fchrediic über Preußen und namentid
gegen den König felbft geichimpft ; das Parifer Blatt Aſentla
Nationale vertheidigt ung, das hiefige Minijterialplatt ninzt
die Vertheidigung auf; fo erfährt das ganze Land, wie m
Fremden der König und feine Politik angefehen werden! —
Reumont erzählte heute, daß der Haß der Ztaliäner gt
die Defterreicher alles übertreffe, was man ſich davon vorfellt
tönne; die Lombarden vor allen, aber auch die fonjt miltt
Benetianer habe er in größter Erbitterung getroffen, in um!
föhnlicher Spaltung und Abfonderung von den Deutfden.-
Bon einem Ruſſen wurde erzählt, der den Deutſchen a
Rußland, das heißt den einheimifchen Kur-, Tief und Ei
159
n, einen gewaltigen Ausbruch des Ruſſengeiſtes prophe-
einen Wuthanfall, dem fie unterliegen würden. Tiefer
hatte auch gelagt, die ruffiihen Bauern feien längit
reiheitögedanfen und reif zur Empörung, fie wüßten
anz genau, was in der Welt vorgegangen fei und vor:
Yie Ohnmacht und Feigbeit der Fürſten im Jahre 1848,
achherige Wortbrüchigkeit, die Revolution fei Damals in
nd ganz nahe geweſen, jie werde unfehlbur auch dort
igen. —
tr Regierungdrath * hat mir über den jetzigen Fürſt⸗
von Breölau, Dr. Förſter, ſchöne Dinge mitgetheilt.
Kircbenfürjt war vor vielen Jahren fehr vertraut mit
Iebrüdern Theiner, und bat unter andern zu dem in
iu noch jeßt lebenden Bibliothefar Theiner voll Unwillen
‚ das Meſſeleſen habe er fatt, es fei ja doch nur dDummes
und niemand glaube mehr daran, am wenigften die
n felbit, er werde auch in der That aufhören, ſich mit
fanzerei zu befaffen. Als aber Diepenbrod nah Breslau
nachte Förſter bald eine Schwenfung, ftellte ſich fromm
frig, jchmeichelte dem Fürſtbiſchof, gewann deſſen größtes
men und wurde von dem Sterbenden nachdrüdlich der
des Könige empfohlen, durch die er denn auch der
ger von jenem geworden. Solchen Heuchler bat man
n diefer bedeutenden Stelle, ſolchen nichtenugigen Bur:
Man will folhe, man hält folche für die brauchbarſten,
at fie am liebiten; dag ihr Vortheil fie einmal auf die
Seite ftellen fönnte, denft man nicht, man hofft nun
mer im Beſitze der Macht zu bleiben, und rechnet auf
Feſſeln. —
ı der Lebensgeſchichte Clemens Brentano's S. 55 wird
‚ er habe das Trauerſpiel, Aloys und Imelde“ in der
on 1813 bis 1815 gefchrieben, aber das Manuffript
nem Freunde, dem er eö anvertraut hatte, nie zurück⸗
160
befommen, daher es nicht zum Drud gelangt fei. Erhitii Bır
Stüd in Prag 1811 unter meinen Augen ganz fertig a
ichrieben, und dann gleich die Libufja begonnen. Der sun
war ih. Sein Manuffript aber hat er 1814 durd Robel
wieder befommen, wie ein Brief von ihm Died bezeugt. —
Unfre Generale fagen, ed fei zwar gut, dap wir ndt Mr
mobil gemacht haben und die bewilligten Gelder noch großen IJ
teils daliegen, aber mehrere Millionen feien doch ſchon umit Wr
andgegeben, aus thörichtem Gifer, und die würden ung, vera
ed Ernſt würde, fehr fehlen. — |
Donnerstag, den 5. Juli 1855. A
Die Neue Preußifche Zeitung hatte gefagt, Recht müſe
doch Recht bleiben, der Graf von Montemolin dürfe jih dis
zum lebten Athemzuge unterfchreiben „Ich der König.” Die
Volkszeitung bemerkt heute hiezu, dies harmloſe Vergnügen
werde jeder ihm gönnen, auch würde es feinen casus belli
ausmachen, wenn die Hidalgo's Gödfche und Beutner jih zur |
Huldigung zu ihm verfügen wollten. Das Beißende lieat in
der Zufammenjtellung, Beutner dünkt ſich hoch erhaben übt |
Gödſche, der eigentlih nur für die unfaubre Arbeit ana 1
nommen ift, aber in der Unfauberfeit find jie einander ale |
gleih, Gödſche und Gerlach, Beutner und Mitſchke-Kollande,
Dhm und Wagener. —
Geſchrieben, Eignes, Fremdes. —
Nachmittags meine Schreibereien fortgeſetzt. —
In London große Schlägereien des Volks mit der Polizei,
wegen der Sonntagsfeier, über taufend Polizeileute ſchlugen
auf das Volk los, welches die vornehmen und reichen Senn
tagöfpaziergänger durch Zuruf verhöhnte. Soldaten fchlugen
jid) auf die Seite des Volke. Großes Gefchrei über Die Rob:
heit und die Gewaltjamfeit der Behörde. Der Kampf hat ein
161
ratiſches Anſehn, · das Bolt erhebt fich gegen die Vor—
n und gegen dad Beamtenweſen, dad in England er-
end um fich greift. —
rd Grosvenor hat unter großen Borwürfen feine Sonn-
ll im Unterhaufe zurüdgezogen. Die Polizei wird
angeflagt. —
ı Koburg iſt der lippe’iche Staateminifter Hannibal
:, der die Befchwerdejchrift der gothaifchen Ritterfchaft
ı Bundestag verfaßt hat, plößlich verhaftet und der
tätöbeleidigung angeflagt worden. Er glaubte fidh im
e der Ariftofratie ganz fiher. —
uis Bonaparte hat der franzöfiichen Akademie nach-
n, und feinen willfürlihen Eingriffen gröptentheils
. Herr von Sacy, der erſte Zageblattöfchreiber, der
cher von ihr aufgenommen worden, hat in feiner Aufs
rede manches freimüthige Wort gefprochen. —
e Times waren bier wegen der Schimpfreden auf den
verboten worden, jind aber, es heißt auf Befehl des
5, wieder erlaubt. Die Schimpfreden find indeß durch
genartifel hinreichend befannt geworden, was durch das
ye Blatt felbft hier kaum geichehen konnte, da höchſtens
8 Abdrücke davon hierher nad Berlin fommen. In
Sachen berrfcht immer noch die alte Dummheit, Regies
yeig nichtd von Ritteratur! —
’ blieb Abends zu Haufe, während es heftig regnete
ı der Ferne .gewitterte, trant mit Vergnügen meinen
nd lad in Goethe, in Bacon de augmentis scientia-
nd Zagesfachen. —
Freitag, den 6. Juli 1856.
e Spener’fche Zeitung befpricht heute das neue ruffifche
att in Brüffel, und rühmt deffen Offenheit und Mäpßis
nbagen von Enſe, Tagebüder. XII. 11
162
gung. „Was und etwa in einem preußifchen Organ mit Elel
und Unwillen erfüllen würde, wenn es gefliffentlich auf Per:
berrlihung Rußlands und eine widerwärtige und intrigante
Polemik gegen den Weiten audginge, das würden wir an
einem Blatte, das ſich offen als ein ruffifches ausgiebt, er:
tragen, * aber nun wird noch fogar das legtere nie dem guten |
Ton entjagen, und jo befommt die Neue Preußiſche Zeitung
gleich Doppelt Ohrfeigen. —
Den ganzen Tag fleißig gefchrieben. Bergangne Zeiten
aufgewühlt, Fragen und Zweifel. Hätten Andre, hätte ih
die Sachen beffer, klüger betreiben fünnen? Im Einzelnen
fann id) fagen ja, im Ganzen muß ic) fagen nein. Das Gute |
hängt mit dem Ueblen allzufehr zufammen, gebt oft grade
wegs aus dieſem hervor. Dorothea von Schlegel rechnete ihre
Verbindung mit Friedrich Schlegel, Die fie gewiß in der Folge
ald Verirrung, ja ald Verbrechen angefehen, zu den Wegen,
welche der Himmel dazu erfehen, fie zum Heil zu führen; obm
Zucinde feine Katholifin! Den Himmel fann man dabei aus |
dem Spiele laffen, aber der Zuſammenhang ift jo, und jede
Leben voll folder Fügungen. —
Nachrichten aud Wien. Die Beurlaubungen und Ent
lafjungen im Heer betragen über 200,000 Mann. Was denft
man dort? Will man Rußland verföhnen? Erwartet man
Erichöpfung der Weſtmächte? Fürchtet man deren Feindlih-
feit oder neue Volksſtürme? Für alle diefe Fälle ſcheint die
Minderung der Heeresmacht und unthätiges Zufehen nicht |
das Rechte. Freilich ift der Mangel an Geld ein näditer, |
gebieterifcher Antrieb! —
Aus Moskau fhreibt man, dag die Anftrengungen zum
Kriege nicht noch zwei Jahre fo fortdauern können, daß die
Menſchen und die Finanzkräfte ſich erfhöpfen, Die Unzufrieden:
heit erfchredend wächft, —
Jules Janin hat den Muth gehabt, in einer Leichenrede
|
|
163
auf die Frau von Girardin feinen Freund Victor Hugo mit
Nachdruck zu rühmen, diefen Hugo, der nicht aufhört den
Louis Bonaparte mit tödtlicher Feindfchaft zu fchmähen. —
Sonnabend, den 7. Yuli 1855.
Brief aud Hamburg von Ludmilla, Tauter gute heitre
Nachrichten. Gefchrieben, meine Arbeit fortgefeßt. „Ob es
was hilft oder nicht, ich thue meine Schuldigfeit,; wie der
Soldat, der fein Gewehr abſchießt; wenn er nur zwei Schüffe
thut, wo er drei thun fönnte, verfäumt er feine Pflicht; aljo _
frifch wieder geladen, gut gezielt, und: Feuer!’ —
Beſuch vom General Adolph von Willifen; er ift nicht
ohne Beforgniß wegen des Könige, es ſcheint ein ernitliches
Leiden vorhanden, das die Aerzte noch nicht richtig erfennen,
oder fich fcheuen zu nennen. Andeutungen über Ränfe, die
in Wien vorgehen, Ränke, weldye den preußifchen Einfluß auf
Deutfchlund unterdrüden,, den öfterreichifchen fördern wollen ;
die Parthei der Gothaer, die im Berfall war, hat neue Thätig-
feit gezeigt, fie buhlt mit Wien und findet Gehör; Mag von
Gagern foll ein wirkſames Werkzeug fein. —
In Boswell gelefen, in Goethe’fhen Sachen. —
Der lippifche Staatöminifter Fifcher ift in Koburg gegen
800 Thaler Bürgſchaft wieder auf freien Fuß geſetzt
worden. —
Der Prinz von Preußen iſt heute Abend nach St. Peters⸗
burg gereiſt, um der verwittweten Kaiſerin, ſeiner Schweſter,
Glückwünſche zu ihrem bevorſtehenden Geburtsfeſte zu bringen.
Diefe Reife fällt ungemein auf, man legt ihr befondre Ab-
jichten bei. Man bringt fie in Verbindung mit der Truppen-
minderung Defterreichd, mit deffen Spannung gegen Frank⸗
reich, mit der Furcht vor Revolutionen, mit den Gedanken
11*
164
eined Umſchlags der Dinge und Erneuerung eines allgemeinen
Bundes gegen Frankreich, wobei Rußland auf feine Pläne im
Drient vorläufig verzichten würde. Andre meinen, der Grund
ſei nur, daß dem König die Nähe des Prinzen in Babertöberg
jest unangenehm fei, wo derfelbe gleihfam auf den Gang ter
Krankheit des Könige zu lauern fcheine u. f. w. Diefe Ret-
nung wird von den Herren und Damen des Hofes geflüftrt,
die von der Reife zum Theil früher als der Prinz wußten.
In „wohlunterrichtetem Kreiſe“ des Hofes will marı
wiflen, daß beim Könige Wafferfucht nicht nur au fürchten jei,
ſondern ſchon angefangen habe. —
Man tft hier fehr unzufrieden mit dem Gefandten in Bien,
Grafen von Arnim. (Er gebt jegt eben auf Urlaub nach
Kiffingen oder Baden.) Man hält ihn für unfähig und nach⸗
läſſig dazu. Man ift durhdrungen von der Nothmendigkit,
ihn durch einen etwas fähigern Menfchen zu erfegen. Allein
niemand hat den Muth auf feine Entfernung anzutragen :
auch der König thut ed nicht. Jener ift einmal im Beſiß und
jo bleibt er. Auch weiß man freilich nicht, durch wen man
ihn erfegen fol, Der „etwas fähigere Menſch“ it nicht zur
Hand, feiner der Graf oder Freiherr und ſchon meit im
Dienft vorgerückt oder gar Exzellenz ift, wie man dee
fordert! —
Für beide Schlegel, ihr litterarifches Wirken und ihren
perjönlichen Ruhm, war es ein rechtes Glüd, daß fie den
Schaupla ihrer erften Thaten fo bald verließen und fi ten
nahen Augen entzogen. Sie ließen eine Schaar begeifterttt
Anhänger und fruchtbare Keime zurüd, die in ihrer fortdauem⸗
den Gegenwart fih nicht jo üppig hätten entwickeln fünnen.
Sie entgingen in der Ferne auch der fcharfen Kritik ihres
eignen Anhangs, die fie anweſend nicht lange ausgehalten
hätten. Friedrich Schlegel zog ſchon 1803 nach Paris und
165
em franzöfiichen Köln. Auguft Wilhelm verließ 1804
: und folgte der Frau von Stadl.
Sonntag, ben 8. Yuli 1855.
h hatte einen fchönen Traum. Ich ftand mit Rahel,
rden die Bilder ihred Lebens vorgeführt, fie war innig
‚ihr wurde freigeftellt fie zu verändern, glüdlicher zu
en, fehöner, aber fie rief mit Erhebung aus: „ch will
ıt wie fie waren, ich will fie auch nicht anders! ch will
mehr aus diefer Welt; ich werfe mich in Gotted Schoß,
jelig!* Ich erwachte und war tief ergriffen.
fchrieben. So reicher Stoff, daß ich ihn faum zu be⸗
m vermag! —
ım Dr. Zabel in feiner Wohnung, Zimmerftraße 1,
Lange Unterredung mit ihm; über Wien, über die
n Wahlen, über die Reife des Prinzen von Preußen.
der Wahlen rath' ich zur Borficht und zur Abwartung
hten Zeit, die Behörden dürfen den Volksfreunden nicht
Karten fehen, dieſe von jenen ſich nicht überrafchen
worauf es wahrfcheinlich abgefehen ift. Die Volks⸗
e, wenn fie mitwählen — mander wird es nicht
— , müſſen die demokratifche Fahne nicht entfalten,
ı die vaterländifche, preußifche, mit der ausdrüdlichen
ung, daß in der jegigen Weltlage Died vor allem geboten
e müflen feine Gregoire’d, fondern Royer⸗Collart's
', feine Mehrheit anftreben wollen, fondern nur eine
Sppofition, die Einfluß gewinnt, weniger zum Durch—
le zum Abwehren. Seine alten Namen, neue! An
t, Unruh, Rodbertug ꝛc. ift künftig wieder zu denken,
cht! Mit diefen Anfichten ift Zabel ganz einverftanden. -
reußen ift er ſchon von mehreren Seiten aufgefordert
166
worden, die Parole zu geben für diefe Angelegenheiten, ihe
ihm ſcheint es noch nicht die Zeit. —
Der ehemalige Prediger der freien Gemeinde in Körig
berg, Dr. Detroit, hat eine gute Anitellung bei ber deufitu
proteftantifchen Gemeinde in Livorno, und predigt mit greiem
Beifall. Hier in der Heimath war er verhaftet, verfolgt, ur
gewieſen, — zu feinem Wohlergehen! —
In Darmftadt ift ein Wiesbadener Blatt, melde a
preußiſchem Sold fteht und in preußifchem Sinne fer,
vom Poftdebit ausgefchloflen worden. Die Feindſcheft da
dortigen Regierung gegen Preußen zeigt fich in aller Ag. -
Vittre lagen über die Polizei, deren dunkles, fhleiter
des Weſen in alle Berhältniffe eindringt, den ganzen Stat
unterhöhlt und entfittliht. Ungeheure Geldverſchwendunz
für alle Anftalten der Polizei, Koften ihrer geheimen Berrck.
Ueberall Auflaurerei, Beftehung. Der Polizeidirektor Stihr
hat ſich gegen Hindeldey’3 Willen den Meinen rothen Alıı-
orden geben laſſen. Hindeldey läßt den Stieber durch geheime”
Späher beobachten. Stieber hat ſich ein Gut gefauft un“
baut ein Haus, Papfe ift ein reicher Mann. Kein Advelecce
will einen Prozeß gegen die Polizei oder ihre Beamten fühten
nur die Offiziere bieten noch Trotz, und aud nur die beſ—
offiziere, mit ſolchen, die nicht bedeutende Namen und Bertin—
dungen haben, macht man wenig Umftände. —
Ich war darin immer fehr glücklich, dag ich vor allem tom
Allgemeine vor Augen hatte, das Litterariſche, Wiffenihuim
liche oder Politische, und nachher erft meine perfönlide =
derung; wenn diefe dann ausblieb, war ich keineswege mei
foren oder gefchlagen, ich hatte immer woran ich mich free
fonnte, Das perjönliche Gedeihen kam mir meift unge zar
plöglih und oft in Zeitpunkten, wo jene Befriedigung Mr
. allgemeinen Theilnahme ſchwach war; gänzlich fehlte Ai
nie. Auch in diefen Beziehungen muß id) Rahel für mir
167
ößtes Glück halten; fie fühlte hierin mit mir auf gleiche Weife,
id gab mir überdied durch ihre Nähe, was fein andres Ge:
ick mir hätte gewähren fönnen. —
- Montag, den 9. Juli 1855.
Gejchrieben. In meinen Papieren gearbeitet. — Ein
der Taq, ohne Begegniß, ohne rechten Ertrag und ganz ohne
Stheiterung.. Im Gegentbeil mancherlei Unangenehmes
drängte fih ein; fogar die Kanarienvögel machten mir Ber:
druß und Sorge, worüber ich Doc) zulegt lachen mußte. —
Nachrichten aus Paris. Louis Bonaparte’d Macht ift
noch volljtändig, aber fein Anfehn tief erfchüttert, und feine
dage fängt an fehr bedenklich zu werden. Es gehen gefährliche
Worte um, dag er Frankreich zu Grunde richte, das Heer ver:
erbe, die Hülfsquellen erfchöpfe. Sonderbar genug wünjchen die
tuffen feine Herrfchaft zu erhalten, fie hoffen noch ihn zu gewin-
en und gegen England zu gebrauchen. Er zeigt feinen Karakter,
ur oberflächlichen Berftand, Feinerlei Größe und Erhebung. —
Herr Geheimrath Schönlein verfichert, der König habe
ur ein leichtes, fchon halb bezwungenes Wechjelfieber; an
ndre Krankheit ſei gar nicht zu denken. Der Leibarzt ift —
den der Reibarzt! —
Geleſen, manches was zu meiner Arbeit nöthig war, dann in
Hordon's Betrachtungen über den Tacitus, etwas in Puſchkin.
Die Zeitungen fagen, der König werde nun beftimmt nad)
Erdmannsdorf reifen, mit der gewohnten Begleitung, Leopold
von Gerlach, Illaire ꝛc. Er bedürfe der Ruhe, fagen die Hof-
leute, am Rhein werde er zu fehr aufgeregt. In Schlefien iſt
Langweile fiher! —
Die Kreuzzeitung jammert, daß man ihren lieben Hannibal
fiſcher in Koburg jo rückſichtslos verhaftet hat; er ift ja fein
zolks/ und Freiheitsfreund, er hat ja nur ald Vertheidiger der
168
Ariftofratie, der Junker, den Herzog von Gotha-Koburg ke
leidigt, er ift ja ein Gutgefinnter, ein kleiner Tyrann di
detmold’fchen Ländchens, wie fann man den ald Berbrehn
behandeln, vierundzwanzig Stunden — länger war eamdt |
— im gemeinen Gefängniß halten!! Qumpen und Shuft |
find die Kerls allefammt, die jest in den Fleinen Staaten |
reaftioniren, in Medlenburg, in Heffen, in Lippe, Deiau,
Rudolſtadt, Sonderdhaufen 2. Wird einmal für diefe Tr
brecher der Tag ded Gericht? fommen? —
Das Chriftenthum hat dreihundert Jahre fich unter |
Drangfal und Noth durcharbeiten müffen, ehe es zur weltlihen
Anerkennung, zur Herrichaft gelangte, Doc in jener langen
Zeit der Noth und des Drudes war feine fchönfte Blüthe, fen |
fruchtbarfted Gedeihen. Die neue Lehre von allgemeiner |
Freiheit und urfprünglihen Menfchenreihten fämpft nun in
der Welt feit 1789, alfo ſechsundſechzig Fahre, eine verhält:
nigmäßig kurze Zeit, wenn diefer Lehre etwa befchieden fein
foll, auch erft nach dreihundert Jahren anerkannt und fiegreid
befeftigt dazuftehben. Und wäre diefe lange Zeit des Drudel,
der Noth und Schmach etwa auch diejenige, in der die Fre:
heit am fräftigiten gedieh, am fchönften blühte? Ich kann It
gern glauben! In den Empfindungen, im Geifte, ijt die Frei⸗
heit gewiß höchſt lebendig, lebendiger, als fie vielleicht ald
ruhiges Gemeingut fein kann. In der Entbehrung genicht
ich fie mehr, als in der früheren Zeit, wo der Anfprud ned
weniger entfchieden war. Die Freiheit, die wir verlangen, it
in Wahrheit fchon da, in den Gedanken, im Herzen. —
Dienstag, den 10. Juli 1855.
Heute Fein Arbeitstag! DBerftimmte Nerven, fchwerer
Kopf. Bewegung im Freien wäre gut, aber die Luft ift mir
zu drüdend. — ,
169
Nachmittags in Rahel’d und Veit's Briefwechſel gelejen.
el) Tieblicher Ernit, welch reined Streben und wel un-
yuldiges Verhältniß zweier fo jungen Perſonen, eine? zwei:
idzwanzigjährigen Mädchens und eined nicht viel älteren
tudenten! —
Gerücht, daß der König einen Schlaganfall gehabt. Mit
iglaublicher Gleichgültigkeit wird ed gejagt und vernommen.
Shtena fügt jemand hinzu: „Na, mit den jetzigen Heuchlern
ıd Günftlingen hat's dann ein Ende, wenigftend andre
mmen heran!” —
Haſſenpflug und fein Kurfürft haben alle Mittel erſchöpft,
n die Mitglieder der .Ständeverfammlung von 1850 wegen
keuerverweigerung verurtheilen zu laſſen und zu ftrafen;
er nun hat endlih das Oberappellationdgeriht auch die
te Befchiwerde ded Staatsanwalts abgewiejen und die in
ı zwei früheren Inftanzen erfolgte Freiſprechung beftätigt.
htlih können jene daher nichts mehr ausrichten, ihre Wuth
iß andre Wege fuchen. —
In der Spener’fhen Zeitung ift heute ein Auszug aus
ı fpanifchen Schilderungen, die Donofo Cortes Marquez
Baldegamad hinterlaffen hat. Vom Fürften Metternich
dt er ein anfchauliches Bild, ziemlich wahrheitägetreu, in
hen Zügen, wie ich fie fenne, fo hab’ ich den Fürften oft
en hören, wie er hier redend angeführt wird; nur fcheint er
feiner Manier durch das Alter bedeutend weitergediehen
fein, weniger geiftvoll und mehr fafelnd, unerfchüttert in
ler Selbitgefälligfeit. Daß der Spanier aber von ihm fagt,
ipräche fchlecht Franzöſiſch, iſt gradezu falſch und wird den
rſten fehr verdrießen! —
Im englifhen Parlament heftige Debatten wegen der
Ifaunruben. Ein Herr Dundas will Kanonen auf die
ıaille richten; man ruft ihn zur Ordnung, das könne fein
170
Gentleman (d. h. nur ein Hundafott) an diejer Stelle fagen.
Der Schächer thut Abbitte. —
Frühere Debatten führen zu Aufichlüffen über den frudt:
lofen Ausgang der Wiener Berhandlungen. Lord Sohn |
Ruſſell fucht feine doppelte Rolle zu erflären. Daß alles nd
in Lug und Trug, in Miptrauen und Heuchelei bewegt, willen
wir längft. Die Umjtände erlegen den Minijtern die größte
Schamlofigfeit auf. —
Daß der Hof, die Ariftofratie, die Miniſter alle wider den
Krieg find, aber ihn doch führen, jteht nun als offne Thatſache
da. Der — Louid Bonaparte möchte fi gern aus der Kır-
legenheit ziehen, indem er andre hineinjtürzte; er ärgetihb
ſchmählich, daß ihm Oeſterreich noch nicht in die Kalle gr
gungen iſt. — |
Das Gerücht, der König fei vom Schlage gerührt werten,
bat eine ziemlich zuverläfjige Quelle, der Staatäminiiter
Uhden hat ed zu einem Referendarius Snethlage gefagt. —
—
Mittwoch, den 11. Juli 1855.
Pfaffenbetriebſamkeit in Kirchentagen, Synoden, Zeit:
ſchriften; die Schwarzröcke nehmen Verabredungen, die mit
den Landesgeſetzen in Widerſpruch ſtehen, wollen Geſchiedene
nicht wieder trauen, gemiſchte Ehen nur unter Bedingungen
einſegnen, ſtreben weltliche Macht an, ſie nach Willkür auszu—
üben ꝛc. Die Narren! Sie bringen es dahin, daß die Zivil—
ehe nothwendig wird, daß man ihrem fchändlichen Kirchenmeien
abjaat ꝛc. —
Gegen Abend Befuh von Herrn Rechtsanwalt **. Gr
fpricht viel über Rechtepflege, Gerichtöverfahren, Aufgabe dee
Staatsanwalte. Im Ganzen läuft alle® darauf hinaus, dus
dad Recht abhängig ift von der Polizei und vom Hofe, gegen
beide giebt es fein Recht. Eingreifen der Polizei in Gewerke
171
und Verkehr, das Konzeſſionsweſen, das jeden thätigen Bürger
in Gefahr und in Abhängigkeit hält, das Anfichreißen ganzer
Gewerbe, 3. B. der Drudanfcläge, der Drofchfen, das Uni:
fermiren 2. Bon etwa taufend Drofchken beftehen nur nod)
ſechshundert, die andern find wegen Schifanirungen einge:
gangen ; ein Fuhrherr hat feine Konzeffion dem Polizetoberiten
Patzke zerriffen vor die Füße geworfen. Befchwerden gegen
einen Polizeibeamten werden grade diefem zur Erledigung
Überwiefen. In einer fcharfen Gingabe der freien Gemeinde,
verfapt von Herrn Jakobſon, wird Herrn von Hindeldey
gradezu gejagt, es fei eine bittere Ironie, wenn die Behörde
auffordere, man folle fich bei ihr beichweren , da jedesmal der
die Entfcheidung bekomme, über dein man klage. —
Stegreifverfe von Alerander Dumas (dem Bater):
„Dans leurs gloires impe&riales
L’oncle et le neveu sont rivaux,
L’oncle prenait les capitales,
Le neveu prend les capitaux.*
Der Prediger Marot hat hier fein fünfzigjähriges reis
aurerjubiläum gefeiert. Der Prinz von Preußen war zu:
gen und hielt eine Rede, in welcher er die Freimaurerei
ried als eine niit dem Chriſtenthum völlig übereinjtimmende
hre und Anitalt, und die Freude ausſprach, fo viele chrift-
he Prediger unter den Brüdern zu fehen. Gegen Hengiten-
rg und feine Evangelifche Kirchenzeitung. —
Donnerstag, ben 12. Jult 1855.
Herr Dr. Eduard Fichte, Arzt und Wundarzt aus Tü—
ngen, bringt mir Grüße feines Vaters. Cr will hier die
edizinifchen Anftalten kennen lernen, befondern Antheil
mmt er an Langenbed und Gräfe. Biel Familienart in
m, er gefällt mir ganz gut, fcheint aufgewedten Sinnes.
172
Ein eigner Eindrud ift es, die dritte Gefchlechtöfolge Tennen
zu lernen, was mir ſchon oft genug geſchehen ift, aber immer
etwas Neues hat. —
In Leipzig verurtheilen die Gerichte eine Anzahl Fra:
heitschriften zur Vernichtung, wie auch Bildniffe von Robert
Blum, Trüpfchler, Koſſuth, Battbianyi, Bem, Temme,
Waldeck ꝛc. — |
Aus Spanien immer nur wunderliche Dinge, die wir bier |
nicht verftehen. Espartero meint ed gut, aber die Könige J
Iſabella ift nicht weniger wie ihre Mutter ed war, ein Mitte:
punkt von Ränfen und Störungen. In Spanien fo wer M
wie in andern Ländern Europa's gelangt man zu einem rubigen I
Zuftand geordneter Freiheit, aber eben fo wenig zu einem
ruhigen Zuftand von Despotie. Alles nimmt Theil an ber;
großen allgemeinen Bewegung, die überall nur erft Gäbrung:
und Kampf liefert, aber noch fein Ergebnig. —
Zum erftenmal wird es öffentlich audgefprochen, mas id
längft kommen fah, daß das Bündniß von Rußland, Preußen
und Defterreich hergeftellt werden könnte, gegen die Webergrifie;
ded Weftend und gegen die Revolution. Sie bringen’s noqh j
dahin! —
In Goethe gelefen, im Tacitus. Englifches, Franjzoͤ⸗,
ſiſches. — |
Die Leute fangen ſchon an zu berechnen, was ein Ihrem
wechjel bei und für Folgen haben fann, wer aus der Gmk
fallen, wer in Gunft fommen wird. Die römmler ı
Heuchler hält man für verloren, wenigitend das Pad, dei
grade jeßt obenauf ift. Die Gerlach's werden weichen müſſen
und die untergeordneten aber einflußreichen Leute, wie Uhden P.
Niebuhr, Stillfried ꝛc. Auch für Olfers fiebt man nicht *
übrig bleiben. Die Miniſter werden bald andern die Geſche
überliefern müſſen x. Es wird aber noch anders kommen,
ala man es jetzt ausrechnen fann ! —
173
Freitag, den 18. Juli 1866.
Die „ Deutſche Volkshalle“ in Köln, ein katholifches, ultra-
sntanesd Blatt, ift unterdrüdt worden durch Entziehung der
snzeilion, die zum Verkauf ertheilt war. Das heißt im
eußiichen Staate Preßfreiheit! Es ift nur zu verwundern,
& auch) dieſe firchliche Seite von der Willkürmacht getroffen
ıd! Im Grunde ift diefe doch voll katholiſcher Neigung und
Irliebe. „Unſre Regierung ift fatholifh oder möchte es
m, inzwifchen da fie noch fo weitzurüd ift, muß fie Diejenigen
fen, die jo weit vorauf find.” —
Ein Lehrer Behnſch in Schlefien ift jept hier vom Dis⸗
Blinargericht wegen Verhaltens im Jahr 1848 feines Amts
Mieht worden. Man wußte nichts Thatjächliches auf ihn zu
engen, aber feine Meinungen waren angeflagt. Gründe
b das Gericht nicht. Vorſitzender war der Staatsminifter
ı Uhden! —
Große Spannung in Hannover, die Minijter in Berlegen-
+ der Hof in Furcht. Die Reaktion fürchtet ſich vor ſich
er, fie muß erft Muth befommen! Man ließ den Bundes:
anrufen, forderte fein Urtheil, gab ihm Recht, nun fürchtet
ı ihn ald Obermacht anzuerfennen. — Der Präfident
zweiten Kammer, Ellifjen, hat an hiefige Freunde ge-
ieben. —
Herr Dr. Behnih war hierher gefommen, um vor dem
saiplinarhofe felbit feine Vertheidigung zu führen; er that
mit Anftand und Gefchidlichkeit, aber natürlich erfolglos.
an Berbrechen iſt einzig, daß er Borftand der hriftfatho-
Jen Gemeinde zu Breslau war; eigentlich politifche Hand-
gen konnte man ihm nicht vorwerfen. —
„Kraft und Stoff. Bon Dr. Louis Büchner. Frankfurt
Main 1855.* Der Berfaffer, Privatdozent in Tübingen,
won der Univerfitätöbehörde aufgefordert worden, fich wegen
er auffallenden Behauptungen in feiner Schrift zu vers
174
theidigen. Wird ihm nicht viel helfen! Der Ring m
Würtemberg läßt den Frömmlern und Eiferern allen Sp
raum, aus einfadher Schwäche, falls er ihnen nur nadg
aus doppelter, falls er fich ihnen zugefellt. Cr hattenien
Karakterftärke, nur den Schein derjelben jich biemeilen
gelegt, wenn er den Antrieben feiner Gemahlin Katbıra
oder feined Minifterd von Wangenheim folgte; and tra
Herr von Cotta hat ihm manches dargeliehen. —
Der Ausſchuß der Tiedges Stiftung hat der grau m
Chézy eine Unterftügung von jährlichen fechzig Thaler ı
währt. — |
Der Aſſeſſor Wagener, gewefener Redakteur der Ira
zeitung, ift Rechtdanwalt beim Obertribunal geworden. !
Gericht als armer Sünder follte er ftehen, wegen in
ihändlihen Lügen und Verläumdungen, der Spiel
Goedſche's und Ohm's! —
Sonnabend, ben 14. Juli 185-
Gefchrieben, in meinen Papieren gearbeitet, Geil
lachen au. —
In Hannover find geftern die Stände vertagt wen
Elliffen und die ganze zweite Kammer liegen die Berjamml
hoch leben. —
Nachmittags zur Erquidung t in Goethe’d Briefen and
von Stein gelejen. Welh ein Reihthum von Leben,
ſchönſtem Menfchendafein, herrlichſtem Gefühl und eK
Weisheit! Wie diefe troftreichite Gabe mit fo geringem An
und von fo wenigen Menſchen aufgenommen worden, an
gebildeten, von Goethe's Geift und Wort überall d
drungenen, und dabei noch immer fo hülfsbedürftigen Dei
land, fo nahe noch feinem Leben, und bei fonftiger Ge
des weimarifchen Kreiſes, das ift mir ein Räthfel, ein E
175
fand befümmerten Nachdenkens. — In andrer Art gilt das
auch von Schiller’d Briefwechfel mit Körner. Die Leute be—
handeln diefe Herren wie reiche Gaſtgeber, man läßt fich ihre
Bewirthung gefallen, zehrt von ihrem Reichthume, um jie
felbit macht man fi feine Mühe. Und fo verfäumen die
Thoren doch das Beſte! —
In Schweden regt jich die Öffentliche Meinung ftarf gegen
Rußland. Uber der ſchwediſche Geift an fich richtet nichts
us, ed muß der Freiheitsgeiſt hinzutreten. Gin durd) und
urch revolutionaired Schweden, das könnte für Rußland ge-
ihrlich werden. —
Zange gelefen, im Tacitud, im Agrippa von Nettes:
im. —
Ich finde Goethe's Jugend und Rahel’d Jugend in Hin-
ht Des Sinned, der Gefühle, der Weltauffaffung überaus
yrilich dieſelbe Heiterkeit und diefelbe Schwermuth in beiden,
iſſelbe Berhältnig zur Natur, Diefelbe Urfprünglichfeit,
riſche, Wahrheit. Oft drüden fie beide denjelben Gedanken,
ejelbe Bemerfung mit ganz ähnlichen Worten aus. Die
chickſale waren dagegen himmelweit verjchieden, —
„Es kommt gewiß nod ein Menfch, der darüber Mar ficht.
ir wollen ihm vorarbeiten.“ So fchreibt Goethe den
. September 1780. Rahel pflegte jehr oft ähnliches zu
gen. —
„Mit den Fahren fteigern jih die Prüfungen,“ fagt
zoethe. Nabel fagte, noch früher und einjchlagender: „Mit
m Exiſtenzen fteigern fich die Aufgaben und Prüfungen. " —
Der Graf von Kleiit bat ſich mit dem Prinzen von
reußen auf den Fuß gefekt, dag er ihm gelegentlich vertrau:
che Deittheilungen macht, mündliche und fchriftliche, er weiß
eje mit der Würze, die dem Prinzen angenehm ift, zu
ürzen. —
Häuffer in feinem Gefhichtsbuche wundert fich und klagt,
176
daß in der Zeit, wo das deutſche Reich zu Grunde ging, die
deutfchen Fürften, große und Meine, niedrige umd fehlte
Streihe machten, dad Ausland die Herrichaft bei und führt,
daß in dieſer Zeit weder Goethe noch Schiller von diefem Jr:
jtand der Dinge ergriffen und davon empört waren, dap man
in Schiller’d und Körner's Briefwechfel diefe Gegenſtände gır
nicht berührt findet. ch fände eher das Gegentheil jur
wundern, und in Betreff Goethe‘! und Schiller’3 zu beklagen
fie würden das eigne Feld thöricht verlaffen haben, um al
dem fremden nußlofe Klagen zu führen. Häuffer hat fihm
jene Zeit ſchwerlich recht lebendig zu verfegen gemußt, net
gehörig Flar überdacht, was Vaterland, Staat und Freiheit in
jener Zeit, und wo fie waren. — J |
Sonntag, ben 15. Juli 1855.
Sendung aus Köln von Herrn Dr. Dünger; noch übet
die Lurlei; mir war feit früher Zeit fein Zweifel, daß die ein
fachfte Erklärung hier anzunehmen fei, daß die Rurlei nidti
weiter fei, als der Lauerfeld, das heißt, two man einen dur
fachen Wiederhall vernimmt. — Gefchrieben, über Hannore
Berfaffungdfrage ; ein abermaliges Trauerfpiel von Elendigfet
und Wortbruch ded Fürſten, vom Erliegen eines braven
Bolt! Hier findet dad Eigne ftatt, daß der König aufm |
betretnen Wege nicht vorfchreiten kann, ohne fich ſchwach un
abhängig zu befennen, fein Anfehn dem des Bundestag
unterzuordnen. Gebe er ſich feine Ohrfeigen! Das DE
wird thatjächlich die LXehre befommen, daß ed von feinen |
Fürſten laffen muß, in feiner Weife auf fie rechnen kann. —
Heute jagt man, die Krankheit des Könige fei Herzbeutd
wafferfucht und man meint, er werde lebend nicht von Kir
mannsdorf wiederfehren. General von Gerlach, heißt e&, ii
nicht mit ihm! —
177
Befuh vom Grafen von Kleift, anderthalb Stunden;
ele Gegenftände werden beiprochen, preußiſche, ruſſiſche,
anzöfifhe. Lob des verftorbenen Banquierd Joſeph Men-
Wohn; kluge Juden find doch die einzigen Leute, von denen
Leit fih imponiren läßt! Er beklagt fich über fein Alter
i5 Jahr) und daß er nur noch fo wenige Leute hier Fennt.
onft waren Hof und Staat voll von feinen Verwandten
ad Bekannten, jest find fie faft alle geftorben und verdorben.
en Hof verachtet er gründlich. —
Nachricht, daß Lord John Ruffell feinen Abfchied einge
icht hat, in Folge der Angriffe im Unterhaufe gegen ihn. —
Nach 10 Uhr zu Kranzler, wo ich den Grafen von Keift
yon fand, neben Pitt-Arnim ſitzend. Es war ein ſchöner
bend, der Sit behaglih, der Anblid überaus angenehm,
ae prächtige, belebte Szenerie. Wir faßen über eine Stunde
ergöglicher, nie ftodender Unterhaltung, Pitt-Arnim war
beiter Laune zum Grzählen. Don feiner Schwägerin
ettina lauten die Nachrichten etwas beffer, ed foll wenigftend
‚eder die Nede von ihrer Reife in’d Bad fein. — Kleift will
orgen wieder abreifen. —
In Tacitus gelefen, in Goethe. —
Die hannöverfchen Stände treffen mancherlei fräftige Ber
redungen; die freifinnige Parthei geht mit der Stüve’fchen,
ird aber von diefer ſchon zurücdgehalten und wird ſich von
t trennen müffen. Das ganze Land ift in Aufregung. Wird
ꝛt blinde König und fein blinded eidbrüchiges Minifterium
m Muth häben, fein infamed Unternehmen durchzufeben ?
oll auch in Hannover ein kurheſſiſches Bubenftüd ges
gen? —
Die Oefterreicher verftärfen fih in Italien, von den
zuppen, die nah Dften gerichtet waren, ziehen 40,000 Mann
ch der Lombardei. Man fpriht von einem italiäntfchen
indestage; der Pabft aber wird den Abfichten Zeſterreiche
Barnhagen von Enſe, Tagebücher. XII.
178
nicht entfprechen können, der König von Sardinien nidt
wollen, —
Froͤmmelnde Phantaften plagen fich mit der Frage, ob die
Seligen im Himmel einander ald diejenigen werden erfennen,
die fie auf Erden waren, und fie fürdhten, Died verneinen u |
müffen, weil die Menfchen einander nur an ihren fehlen
erfennen, und die dann nicht mehr vorhanden find, fo du
jelbft Kinder ihre Eltern nicht herausfinden werden, was ihnen
doch ganz entfeglich dDäucht. Ich kann ihre Zweifel und Aengſt
nicht heben, und laſſe das alles auf fich beruhen. Aber di
Bemerkung drängt fi mir auf, ob denn alles, was wir geht
nennen, died auch immer in dem Sinn ift, den wir hier mi
dem Wort verbinden, ob darin nicht vielmehr etwas Hedi
das blos als Eigenschaft zu gelten hat, ob nicht alle geht
zulegt in Eigenfchaften ſich auflöfen, die am ſich weder gul
nody böſe find, nur in unferer Auffaffung unter gegebenen
Umftänden das eine oder dad andre werden? Mir ift rät
auffallend, daß der öftere, mitunter bittere Tadel, den Goethe
wider den von ihm fo verehrten, geliebten, anerkannten Hey J
Karl Auguft ausfpricht, für und ganz und gar nicht zudfa J
Verkleinerung dient, im Gegentheil ihn und nur um fo näkt
rüdt, und ihn werther und liebenswürdiger macht, obigen
wir den Tadel keineswegs verneinen. —
Montag, ben 16. Sufi 1855.
Gefchrieben. Biel Heine Arbeit, Ordnen, Rachfchlagen, Er
gänzen. — Befuch von Herrn Dr. Behfe und Herrn Dr. Euud
Fichte. Gefpräch über Freimaurerei, über des alten Fichte
Pläne mit ihr, Schriften darüber im Archive der Loge Royal
York. Ueber Schelling’d Grobheit, die letzte Stütze ſeint
finkenden Philofophie; über feine Scheu ältere Schriften we
frühe Briefe von ihm an's Licht gezogen zu fehen, er vertrm
179
ie Prüfung feiner Vergangenheit nicht. Er wollte zulept in
einer Strahlenmwolte jeder Forſchung entrüdt fein, fein bloßer
Rame follte feinen Ruhm verfünden, Einzelnes nicht heraus»
gehoben werden. Seiner Eitelkeit ift unerbörte Befriedigung
ju Theil geworden, er fand, mie alles fehon aus war, einen
König und einen Anhang, die wirflih mit feinem Namen
begnügt waren! —
Herr Graf von Kleift befuchte mich, er reift erft am Abend
ab. Mittheilung der Ergebniffe feines Kundſchaftens; die
Hoffeute willen alle, daß fie beobachtet, belaufcht find, daß
ihre Briefe geöffnet werden. Vorſicht und Schweigen, wo fie
nicht den Boden ganz ficher fühlen. —
Sendung von Reipzig, zweiter Theil des Romans von
Heinrich Koenig, Jérome's Karneval. — Brief von Herrn
Kriegsrath Müchler, fo fein gefchrieben, daß ich wirklich den
Inhalt halb errathen muß, doc) foviel leſe ich heraus, daß er
mich zu fpredyen wünſcht. —
Nachmittags gearbeitet. Um 7 Uhr zu Müchler gefahren,
er wollte mir erzählen, daß er gerichtlich vorgeladen worden,
in der weimarifchen Schillerfälfhung fein Zeugniß zu geben;
wiefern das Gedicht von ihm, das irrig unter die Schiller’fchen
aufgenommen worden, in die Autographenfälfchung verflodhten
ift, wurde nicht Mar; die Unterfuchung war gegen einen Herrn
von Gerſtenbergk eingeleitet, der eine gefälfchte Handfchrift
Cdiefes Gedichts?) der Großherzogin um hohen Preis verkauft
Baden fol. Müchler fragte nach Qudmilla, nach Herrn Wehl,
s er denn ‚die Jahreszeiten“ noch nicht übernommen habe ?
Sein Manuſkript von Kriminalfällen gab ich ihm zurüd. —
Im Tacitus gelefen. Im Rheinifchen Antiquarius von
Diethelm die Stelle wegen der Lurlei nachgefchlagen. Hier
inden ſich alle Zitate beifammen, welche in diefer Unters
fuchung vorgeführt zu werden pflegen. —
Die würtembergifchen Stände machen einen Antrag wegen
12*
180
des Bundestages, bei deffen Herftellung auch deſſen Farm |
verfprochen fei, feine Mängel habe man eingeftanden, man
laſſe fie aber fortbeftehen, der Bundestag leifte nad imma
nichts und nach außen nichts, Deutſchlands Kraft und Wirk
leide immerfort. Was doch alles in Deutfchland geichieht!
Aber alles vereinzelt, zerbrödelt. Wären alle diefe Regungen
auf Einen Punkt gleichzeitig zu vereinigen, feine Regierung |
fönnte widerftehen. So wie ed jebt ift, bleibt die lumpigſte
Regierung im Bortheil! —
Meine geftrige Bemerkung über die Fehler der Meniden |
beftätigt fich mir durch heutige Betrachtungen. Das Bemühen, |
die Fehler zu verfchweigen, zu vertufchen, fann nad) Umständen
den Perfonen, die man ſchonen will, geradezu fchaden; «|
kommt auf die Standpunkte der fünftigen Beurtbeiler an.
Wir mögen alfo getroft jagen, was wir fehen, was wir meinen,
ohne thörichte Schonung, ohne ängitliche Befliffenheit, — die
Welt bringt zulegt doch alled wieder in’d Gleiche! — In dem
Anrühmen allgemeiner Tugend liegt fogar etwas Widrige, |
Efelhaftes, wir wollen lebendige Wahrheit fehen, Licht und,
Schatten, das Licht allein ift nicht wahr und nicht ausw
halten. — |
Dienstag, ben 17. Juli 1858.
In den Gränzboten No, 29 fteht wieder ein Auffag, de
bei großen Studien und mancher triftigen Bemerkung an dem
Erbübel diefer Zeitfehrift leidet, an einer willfürlichen ſchiefen
Auffaffung. Es ift der gute Jean Paul Richter, der diesmal
herhalten muß. Ich habe vielleicht mehr an ihm zu tadeln,
als diefer Kritifer. Aber nicht dad Map des Tadels, fondern
die Art ift e8, worauf ed hier anfommt. An den Menſchen
wie an den Dichter werden unberechtigte Anforderungen ge
macht, um die fich glüclicherweife niemand zu kümmern. hat.
181
Dap man den Titan mit dem Wilhelm Meifter zufammenftellen
WU, fei es äfthetifch oder didaktifch oder Hiftorifch, zeigt wenig
Äfthetifchen, dDidaktifchen und hiftorifchen Sinn. Iſt man etwa
gemeint, ein Erzeugniß wie Sollund Haben“ mit jenen hohen
Bebilden zu vergleichen oder gar über fie zu ftellen, fo bedarf
ed nur der Worte, die Hamlet feiner Mutter zuruft: „Sieh
Diefe an, und jened!* —
Mittwoch „ben 18. Juli 1858,
Brief aud Hamburg von Ludmilla. Sie fommt morgen.
Willlommen! — |
Vom Könige hört man jept nur günftige Nachrichten, jede
Spazierfahrt wird gepriefen. Es ift möglich, daß er fich noch
wieder völlig erholt; aber die amtlichen Nachrichten beweiſen
nichte. —
Der Lärm ift groß megen Lord Ruſſell's ungewöhnlichen
tiefen Sturz. Die Ausdrüde Berrath, Lüge, Betrug, werden
nicht geipart. —
Die politiſchen Verhältniffe fpannen fich in verfchiedenen
Richtungen. Die Weitmächte jehen Deiterreich etwas drohend
an, Defterreich ftimmt feine hohe Sprache ziemlich herab. —
Die Partheien in Frankreich regen fih, in Italien bereiten
ji neue Aufftände. Der Pabft bricht mit Spanien, mit
Sardinien. — Die Weftmächte wollen jich am Bosporus und
an den Dardanellen feitfegen, und werden nächſtens im Verein
mit den Türken von Defterreich die Räumung der Donaus
fürftenthümer verlangen! —
Donnerstag, ben 19. Juli 18585.
Ausgegangen. Bei Pitt: Armim die Handichrift abgeholt,
deren Urheber er nicht zu beftimmen wußte; ich traf.bei ihm
174
theidigen. Wird ihm nicht viel helfen! Der König von
MWürtemberg läßt den Frömmlern und Eiferern allen Sul: P.
raum, aus einfacher Schwäche, falle er ihnen nur nacgık,
aus doppelter, falls er fich ihnen zugefellt. Er hatte mend PJ
Karakterftärfe, nur den Schein derjelben jich bisweilen hi |
gelegt, wenn er den Antrieben feiner Gemahlin Katkırm M-
oder ſeines Minifterd von Wangenheim folgte; auch der all
Herr von Gotta hat ihm manches dargeliehen. — .
Der Ausſchuß der Tiedge- Stiftung hat der rau mu ie:
Chézy eine Unterftügung von jährlichen fechzig Thalern x M-
währt. — |
Der Aſſeſſor Wagener, gewefener Redakteur der Kruy
zeitung, ift Rechtsanwalt beim Obertribunal geworden. der
Gericht als armer Sünder follte er ftehen, wegen fein
ihändlihen Lügen und Derläuntdungen , der Spiehgeielt Je
Goedſche's und Sm s! —
Sonnabend, den 14. Juli 185.
Gefchrieben, in meinen Papieren gearbeitet, Gibt ie
fachen auch. — |
In Hannover find geftern die Stände vertagt wort.
Elliffen und die ganze zweite Kammer ließen die Berjammlung
hoch leben. —
Nachmittags zur Erquickung in Goethe's Briefen an diu
von Stein geleſen. Welch ein Reichthum von Leben, ve
ſchönſtem Menjchendafein, berrlihftem Gefühl und edel
Weisheit! Wie diefe troftreichite Gabe mit fo geringem Anthek
und von fo wenigen Menſchen aufgenommen worden, in dieſen
gebildeten, von Goethe's Geiſt und Wort überall dutd⸗
drungenen, und dabei noch immer jo hülfsbedürftigen Deutſch
land, fo nahe noch feinem Leben, und bei ſonſtiger Geltw
des weimarifchen Kreiſes, das ift mir ein Räthfel, ein Grm
175
hand befümmerten Nachdenkens. — In andrer Art ailt das
ud von Schiller’8 Briefmwechfel mit Körner. Die Leute be:
yandeln dieje Herren wie reiche Gaftgeber, man läßt fich ihre
Bewirtbung gefallen, zehrt von ihrem Neichthume, um fie
elbit macht man fich feine Mühe. Und fo verfäumen die
Ehoren doch das Beſte! —
In Schweden regt ſich die Öffentliche Meinung jtarf gegen
Rupland. Uber der ſchwediſche Geiſt am fich richtet nichts
us, es muß der Freiheitsgeiſt hinzutreten. in durch und
urch revolutionaired Schweden, das fünnte für Rußland ge-
Ahrlih werden. —
Lange gelefen, im Tacitus, im Agrippa von Nettes:
eim. —
Ich finde Goethe's Jugend und Rahel's Jugend in Hin-
cht des Sinned, der Gefühle, der Weltauffaffung überaus
bnlid ; dieſelbe Heiterkeit und diefelbe Schwermuth in beiden,
afjelbe Berhältnig zur Natur, diefelbe Urfprünglichkeit,
tische, Wahrheit. Oft drüden fie beide denfelben Gedanken,
tefelbe Bemerfung mit ganz ähnlichen Worten aus. Die
Schidfale waren dagegen himmelweit verfchieden. —
„Es fommt gewiß noch ein Menjch, der darüber Far fieht.
Bir wollen ihm vorarbeiten.“ So fihreibt Goethe den
I. September 1780. Nabel pflegte fehr oft ähnliches zu
agen. —
„Mit den Fahren steigern ſich die Prüfungen,“ fagt
doethe. Nabel fagte, noch früher und einfchlagender: „Mit
en Sriftenzen fteigern fich die Aufgaben und Prüfungen. * —
Der Graf von Kleiſt bat ſich mit dem Prinzen von
reußen auf den Fuß gefeht, day er ihm gelegentlich vertraus
he Mittheilungen macht, mündliche und fchriftliche, ex weiß
eje mit der Würze, die dem Prinzen angenehm ift, zu
ürgen. —
Häuſſer in feinem Geſchichtsbuche wundert fich und klagt,
176
daß in der Zeit, wo das deutiche Reich zu Grunde ging, die
deutfchen Fürften, große und Feine, niedrige und fchlehte
Streihe machten, dad Ausland die Herrfchaft bei und führ,
daß in diefer Zeit weder Goethe noch Schiller von diefem Ju:
itand der Dinge ergriffen und davon empört waren, daß mın
in Schiller’8 und Körner's Briefwechfel diefe Gegenſtände gu
nicht berührt findet. Ich fände eher das Gegentheil zu vr
wundern, und in Betreff Goethe's und Schiller’ zu beklagen;
fie würden das eigne Feld thöricht verlaffen haben, um u
dem fremden nußloje Klagen zu führen. Häuſſer hat jdn
jene Zeit fehwerlich recht lebendig zu verfeßen gewußt, net
gehörig Mar überdacht, was Vaterland, Staat und Freiheit in
jener Zeit, und wo fie waren. — Jñ
| en
Sonntag, ben 15. Juli 1855.
Sendung aus Köln von Herrn Dr. Dünger; noch übt |
die Lurlei; mir war feit früher Zeit fein Zweifel, dap die cin
fachfte Erflärung bier anzunehmen fei, daß die Lurlei nihte
weiter fei, ald der Lauerfels, das heißt, wo man einen drei
fachen Wiederhall vernimmt. — Gefchrieben, über Hannover
Berfaffungsfrage; ein abermaliges Trauerfpiel von Elentigfit
und Wortbrudy ded Fürſten, vom Erliegen eine hram
Volks! Hier findet dad Eigne itatt, daß der König auf den
betretnen Wege nicht vorfchreiten fann, ohne ſich ſchwach und |
abhängig zu befennen, fein Anfehn dem des Bundertagt |
unterzuordnen. Gebe er fich feine Obrfeigen! Das Bl |
wird thatfächlich die LXehre befommen, daß es von feinm
Fürften laffen muß, in feiner Weife auf fie rechnen kann, —
Heute fagt man, die Krankheit des Königs fei Herzbeutd
wafjerfucht und man meint, er werde lebend nicht von Erik
mannddorf wiederkehren. General von Gerlach, heißt es, fr
nicht mit ihm! —
177
uh vom Grafen von Kleift, anderthalb Stunden;
egenftände werden beſprochen, preußifche, ruſſiſche,
ſche. ob des verftorbenen Banquiers Joſeph Men-
1; kluge Juden find doc) die einzigen Leute, von denen
cch imponiren läßt! Er beflagt fich über fein Alter
hr) und dag er nur noch fo wenige Xeute hier fennt.
waren Hof und Staat voll von feinen Verwandten
'annten, jebt find fie faft alle geftorben und verdorben.
f verachtet er gründlich. —
hricht, daß Lord John Ruſſell feinen Abfchied einges
ıt, in Folge der Angriffe im Unterhaufe gegen ihn. —
h 10 Uhr zu Kranzler, wo ich den Grafen von Kleift
nd, neben Pitt-Arnim ſitzend. Es war ein fchöner
der Sig behaglih, der Anblid überaus angenehm,
ichtige, belebte Szenerie. Wir faßen über eine Stunde
zlicher, nie ftodender Unterhaltung, Pitt-Arnim war
rt Laune zum Erzählen. Bon feiner Schwägerin
lauten die Nachrichten etwas beffer, ed foll wenigſtens
die Rede von ihrer Reife in's Bad fein. — Kleift will
wieder abreifen. —
Tacitus gelefen, in Goethe. —
hannöverſchen Stände treffen mancherlei Fräftige Der:
gen; die freifinnige Parthei geht mit der. Stüve'ſchen,
er von diefer ſchon zurüdgehalten und wird fi von
nen müffen. Das ganze Land ift in Aufregung. Wird
de König und fein blinde eidbrüchiges Minifterium
ıth haben, fein infames Unternehmen durchzufepen ?
uch in Hannover ein kurheſſiſches Bubenſtück ges
Oeſterreicher verftärfen fih in Stalien, von den
n, die nah Oſten gerichtet waren, ziehen A0,000 Mann
r Lombardei. Man fpriht von einem italiänifchen
tage; der Pabft aber wird den Abfichten Zeſtrreiche
ıbagen von Enſe, Tagebücher. XII.
186
Nachrichten aus Wien. Am Hof und im Kabinet fühn Wi
verjchiedene Partheien einen Krieg, der allen Lärm vermeit,
aber zahlreiche Wechſelfälle hat, ohne daß es zu einer Hauyt
entfcheidung fommt. Für den Augenblid bat die ruffüt
Parthei die Oberhand; die Franzöfifche Parthei braucht Wafen-
erfolge in der Krim, bleiben die aus, fo kann fie feinen neun
Auffhwung hoffen. Durch alle Wandlungen durch erhält jd
der Haß gegen Preußen. Defterreich fchiebt auf Preußen alk
Schuld, und meint, nur defien Unentſchloſſenheit oder viel
mehr Ruſſenfreundſchaft habe gehindert, daß nicht die gan
Kraft ded deutichen Bundes mit der von Deiterreih un
Preußen vereint an der ruffifchen Weftgränge ftehe! Gifte
erit offen Ruffenfreundfchaft, fo nimmt Defterreich auch hierin
leicht den Vorrang, und läßt Preußen nur den zweiten Plaß
Indeß liegt der Gedanke noch fern, gegen Frankreich kriegeriſth
aufzutreten; man fühlt in Wien, dag man damit zugleid) di
Revolution herausfordert. — Daß man fich eine etwas freien I
Sprache aegen Bonaparte erlaubt, gründet fich auf Beridt
aus Parid, die den dortigen Zuftand ala höchft unficher fl
dern. Die Legitimiften regen fich, die Orleaniften, am wenig
ften die Nepublifaner; erftere werden von Rußland gerel
und geftachelt, aber wie Bonaparte die Polen reizt und ſtachel,
um fie zu gebrauchen, gar nicht im Ernſt, gar nicht um but
ſelbſt willen. —
Gefhichtchen von Marfchall Caftellane in Lyon. Er halt
durch feltfamen Irrthum geglaubt, durch den Telegraphen au
Paris die Nachricht von Bonaparte's Tod erhalten zu haben,
und fchon eine Proflamation fertig, die den Truppen Me
anzeigen follte; er wollte fie Heinrich dem Fünften ſchwoͤren
laffen. Noch eh es geſchah Flärte ſich der Itrthum auf. —
Auch wenn es erfunden wäre, fpräche dad Stückchen eine
große Wahrheit aus. Alfo von Jéêrome Bonaparte, vom
Prinzen Napoleon und der fonftigen Familie wäre nicht die
187
seien! Bonaparte mußte darin den fchlimmften Ber:
n, — einen Berrath, der auch allenfalld auf feinen
t zu warten brauchte! —
Montag, den 23. Juli 1855.
yrieben. Traurige Betrachtungen zu Troft und Hoff⸗
eitet. —
Jannover ift das Minifterium verabichiedet, an feine
ritt ein ganz ariftofratifchee. “Der blinde König!
t foll nun werden wie Kurheffen if. Bedauerne-
Yeutfche! Und Schleöwig = Holftein! Und Baden!
ches Volk und Land wäre nicht hier mitzunennen,
ie deutfche Zunge reiht! — Noch waltet die Geduld,
t wird der Zorn walten, der grimmige Zorn. —
Admiral Nachimoff iſt in Sebaitopol an feinen Wunden
. Die Kreugzeitung wollte fogar feine Berwundung
Fürſt von Rippe-Detmold hat feinen Minifter Hannibal
nerwartet entlaffen. Der lebtere verkündet dies felber
ve Öffentliche Anzeige; nach diefer und einer früheren
reuzzeitung ift er ein ganz — —. Der Gauch behält
yaler Benfion. — |
achtungen über die Xebendgebilde, unter welchen Ein⸗
ınd Umftänden fie ihre Gejtalt befommen, welche
ıgen fie erfahren, welche Hemmniſſe. Sowohl im
eben, als in dem der Andern, das ich überfchen und
iur fehr bedingungsweife Durchdringen kann, erfenn’
einen urfprünglichen feften Kern, der unter allen Ber-
ı unverändert bleibt, und an dem die Einwirkungen
lüffe fi nur anlegen, den die Begetation des Lebens
nfleidet; wo dieſes ftarre Geftein frei und bloß zu
yt, und jene Bekleidung nicht duldet, da ift der Menſch
188
unverlegbar und fiegreich, da bricht er mit feiner Härte dınd.
Bei mächtig wirfenden Menfchen Tag immer, wie es fhunt
ein großer Theil ihred Weſens ftarr und feit zu Tage. —
Ich kann mir leicht einbilden,, außer meinem eignen &ıkaı
auch noch andres gelebt zu haben, fo vertraut, fo verftintiid
ift ed mir; die jungen Jahre Goethe's, die alten Veltins |
find mir befonders nah und heimlich. — |
Aus Goethe's Briefen an Frau von Stein könnte ma
Hunderte der fchönften, der zarteften Liebesgedichte made.
Faſt jedes Zettelchen enthält einen folchen Keim, den man m
auszubilden braucht. Gin neues Bild oder Gleihnif, ma
Ausdrud, eine Wendung, voll Sinn und Geift, voll Gih
und Süßigfeit. — |
Dienstag, ben 24. Inli 1858.
Brief aus Köln von Herrn Prof. Dünger, zugleid In
Srläuterung ded Werther. —
Abſchiedsbeſuch von Herrn Dr. Eduard Fichte, er reift md
Düffeldorf, wo er ſich mit Fräulein Spangenberg werloht bi
nachher wird er in Stuttgart eine Stelle als Regierungid
antreten. Er gefällt mir fehr wohl, hat etwas urfprändih
Braves. Ich wünſch' ihm Heil und Gedeihen auf allen jnm
Wegen. — Ich hatte meine Betrachtungen über die Dr
dungen und Schidfale, in denen fi) das menschliche Le
fortfpinnt, diefer Strom, der jegt am Rhein und in Sci
fließt, hat feine Quelle in Rammenau gehabt! Und mie
ſchon der alte Fichte umhergeworfen worden! Wie aM
Bater, und ich ſelbſt! —
Die Kreuzzeitung enthält einen ihr aufgezwungenen I
titel, durch welchen Dr. Schleiden das Urtheil befannt mad
welches den Aſſeſſor Wagener der Berläumdung un de
leidigung Schleiden’3 für fchuldig erflärt, und ihm M
189.
Strafe von 20 Thalern oder 20 Tagen Gefängniß zuerkennt.
Die Klage if vom Jahr 1853 und gegen das Blatt 115 vom
21. Mai. —
Mittwoch, ven 25. Juli 1865.
Die Zeitungen berichten, daß ein Handeldfchiff der Ver⸗
einigten Staaten von Amerifa die Elbe hinaufgefegelt fei,
ohne fih um den Stader Zoll zu befümmern; das hannöverfche
Wachtfchiff wagte nicht, dem amerifanifhen Schiffe Gewalt
anzutbun. Hannover erhebt den Stader Zoll widerrechtlich,
feit dreißig Jahren rügen die andern Uferftaaten dies, aber
laffen es gefchehen, Preußen, Defterreih, Sachſen ıc. —
Der Kaifer von Rußland geftattet der polnifchen Sprache
wieder freieren Raum, läßt manche Behörden wieder ale
polnische auftreten 20. Aus Klugheit oder Billigkeit? Die
Folge wird es entfcheiden. An Wiederherftellung der früheren
Konftitution, des eignen Heers 2c. wird nicht gedacht. Und
doch fängt man an wegen der vielen Polen im ruffifchen Heer
bedentlich zu werden! Sie mögen's machen wie fie wollen,
immer wird ihnen ein Schaden bleiben. Strafe des alten
Verbrechens. —
In Toscana ift der verhaftete Bibellefer Cechetti auf
englifche Verwendung freigelaffen und ihm erlaubt worden
augzuwandern. Im Klofter zu Prag fehmachtet der zur
proteftantifchen Kirche übergetretene Mönch Borzinsky noch in
ſchmachvoller Haft; Preußens Verwendung! —
Ein Schreiber Namens Denede hat in Preußen den Bor:
ſteher einer Reffource, Herrn von Polenz, der freifinniger Rich-
tung befchuldigt wird, pöbelhaft beleidigt, und ift diefer dafür
vom Gericht zu 20 Thalern Strafe oder verhältnigmäßiger
Haft verurtheilt worden. Der König hat durch eine Kabinets⸗
order dem Berurtheilten die Strafe in Gnaden erlaffen. —
190
J Donnerstag, ben 26. Juli 1868.
Die Bolfözeitung hat einen vortrefflihen Artikel „Erikka
und nicht befprechen“, der in beigender Art den Sprud fea
loquuntur durch Beifpiele belegt. Die Nationalzeitung fprikt
über die frangöfifchen Finanzen, zeigt die plumpen Gleifnerin,
mit denen man die neuen Auflagen befchönigt. (Die Regierm
fpriht vom Prinzip der Gleichheit, von organifirter Den
ttatie!) —
Die Spener'ſche Zeitung Magt die hannöverſchen duin
an, und beſchuldigt die Ritterfhaften überall durch ihre I
maßungen und Ungerechtigkeiten die Herftellung ruhiger m
befriedigender Zuftände zu ftören. — Es iſt doch ſchön, dud
drei Zeitungen hier Morgens fo begrüßt zu werden! — & fi
ſchrieben. —
Das Udhlich'ſche Sonntagsblatt ift von der Poli u
Magdeburg bisher regelmäßig weggenommen worden, obalah
ſchon zwei Gerichte die Wegnahme für ungerechtfertigt erfit
haben. Endlich hat nun auch das Obertribunal in demſeha
Sinne gefprodhen. Wird die Polizei den Ausſpruch adta!
Sie ftößt fi befonders daran, daß das Blatt fi ald du da
dortigen freien Gemeinde auögiebt, und findet darin ihre dr
rechtigung, da die freien Gemeinden überalf der Polizei pıir
gegeben find, —
Der Legationdrath von Reumont, der nicht eiligft gem
abreifen konnte um feine Verwandten in Aachen zu befuda,
findet ſich plöplih in Schlefien beim Könige anweſend, fühl
mit fpagieren ꝛt. Ei, di! —
Nachmittags Befuh der Fürftin von Wittgenftein id
ihrer Tochter bei Ludmilla. Ich ging hinüber. Die girkt
liebendwürdig, geiftvoll, finnig, vom ſchönſten Gefühl belul
Sie erſchien mir als höchſt ausgezeichnet, edel, einfihtienh
gütig. Auch die Tochter allerliehft. Herr Gottfried Reh is
unertvartet, ſprach einige Worte mit, hörte antheilnehmend AP.
191
fine und meiner Schweiter Ausfchnitte, Flechtwerke zc. Die
rſtin ift erſt ſechsunddreißig Jahr alt! Sie muß viel ges
en haben; fchmerzfähig und fröhlih! —
In Macaulay’® Essays gelefen, in Zamartine. „Les
zines de Werther d’apres des documens authentiques,
Armand Baschet. Paris, 1855.“ 8. Nach den Keftner’s
n Briefen bearbeitet. —
Die Mutter ded Oberften Grach, ded Bertheidigerd von
iftria, befommt vom türfifhen Kaifer eine Penfion von,
» Thalern. Sie lebt in Trier, Der preußifche Gefandte in
ıftantinopel, Herr von Wildenbruch, hat ed ihr angezeigt. —
Der König fagt von Bunfen, derfelbe fei früher ein wahrer
er Chrift gewefen, jest aber leider ein Abtrünniger ge-
‘Den, der mit der Kirche in größtem Widerftreit ſtehe. —
Sreitag, ben 27. Juli 1866.
Nachmittags Herr Mahler Stein bei Qudmilla, zeigte und
te zahlreichen feinausgeführten Bildniffe, Yranz von Gaudy,
ontini, Gräfin Klotilde von Kaldreuth, deren Vater, Fräu⸗
ı Karoline Bauer, Fräulein von Hagn, Rittmeifter von
Idreuth und feine Frau geb. von Kaldreuth, Frau von
etwig, rau von Treskow ıc. —-
Sonnabend , ven 28. Juli 1866.
Schlechter Schlaf; weimarifche Träume, die mir leider
ſchnell entflogen. — Vortrefflicher Artikel von Herrn Dr.
bel in der Rationalzeitung über Brüggemann's Recht:
tigungsſchrift wegen feiner vieljährigen Redaktion der Kölni-
n Zeitung; Dr. Zabel fpricht dabei wichtige Kehren und
irnungen aus. — Die Volkszeitung fehr gut über die neuen
napartifchen Schlagworte, „organifirte Demokratie, Gleich⸗
192
heit, in dem Kaifertbum habe das Volk fich felbft gekrönt,‘
fie werden zufammengehauen, und mit ihnen das Wort Ludwigs |
von Gerlah, die rechte Wahlfreibeit fei, wenn der Landrath |
den Wählern vorfchreibe und befehle, wen fie wählen follen!
Sol elende Schuftereien! — Gefchrieben. Ueber die Ein |
heit Deutfchlands im gemeinfamen Drud und Elend. — |
‚Sonntag, den 29. Yuli 1865.
In Hannover müffen Stüve und fein Anhang — brav
Männer, die der Sache der Freiheit viel geſchadet — jept im |
Borderfampfe ftehen, und die ganze Laſt der ariftofratifcen |
Feindfchaft tragen. Es ift die gerechte Strafe,. die fie jeht |
treffen wird, wie [chon die Gothaer überhaupt, die Schleöwig:
Holfteiner insbefondre, für ihre nüchterne, befchränfte Aufe |
faffung der Dinge. Unfre Nationalzeitung bringt eine geheime |
Anklagefchrift, welche die hannoͤverſchen Minifter zur Berun
glimpfung von Stüve, Lehzen ꝛc. ſchon früher dem Bundes
rath eingereicht hatten, fie ift voll argliftiger, böſer Unter:
ftellungen. — |
Ich hielt heute meine Thüre verfchloffen, wollte allein
fein, und es that mir gut. Hätte ich nur mein Wohffein und |
Vergnügen zur Abficht, ich thäte das öfters, und befände mih |
dabei vortrefflih. Es dünft mich aber Unrecht, und fo lafl |
ich's, und begebe mich in die Trübjal ded Umgangs. Denn |
was bringen mir die Menfchen, und wer erhebt und erfrifät |
mih? Das Befte hab’ ich immer ſchon zu Haufe, und von
augen fommt nur Störung. — |
Der ſchwediſche Dichter Atterbom ift am 21. in Stuttgart, |
wo er feiner Gefundheit und chirurgiſcher Hülfe wegen ſich
aufpielt, nach einer überftandenen Operation geftorben. 3b |
ſah ihn zu Berlin im Jahre 1819 bei Frau von Helvig, ald |
er von einer Reife aus dem Süden zurückkehrte. Er war
193
ein lebhafter, angenehmer junger Mann, voll dichterifchen
Schwunges! —
Montag, den 30. Yuli 18566.
Der Generallieutenant von Kraft, faum aus Preußen
hier angelangt um in's Bad zu reifen, iſt im neuen Gaſthof
Hotel Royal plöglic an einem Herzübel geftorben, 72 Fahr
alt. Er war einft als zierlichiter, eingefchnürtefter Uhlanen-
offizier hier berühmt, feine fade Zierlichfeit wurde belacht,
und die Turner machten Spottverfe auf ihn. —
Goethe fchreibt an Frau von Stein (1780, 24. September):
„Es läßt fih nicht fo wie von Felfen und Wäldern fogleich
fagen, wie man mit Menfchen dran ift, und beſſer man wieder:
bolt ſich nicht jeden Eindruck, fondern läßt's eine Weile fort:
gehen.” — Wie richtig umd treffend ift diefe Bemerkung!
Mir ift es fchon oft genug fo gegangen, daß ich das Urtheil
über Menfchen zu früh pflüdte, ehe ed noch Zeit und Gelegen-
heit hatte fich zu entwideln. Ich mußte nachher immer hinzu-
thun und nachtragen, was eine verdriegliche Arbeit wird.
Zwar wo der erſte Eindrud gleich begeiftert und in Flammen
fest, da mag man ihm ganz vertrauen, aber wo er nur
ſchweigt, oder ſelbſt etwas abſtößt, da thut man beffer jtill zu
warten und zu fehen, was ferner daraus wird. Da kann noh
alles Gute fommen, ja das Beftel —
Dienstag, den 31. Juli 1856.
Aus Mannheim wird gemeldet, daß Friedrich Baffermann
— der Geftaltenfeher, der Halunfe, — in der Nacht zum 29. ſich
felbft das Leben genommen hat. Er litt an Erblindung —
der Geftaltenfeher! — und war ſchon einige Zeit ſchwermüthig;
doch hatte er Tages vorher an der Feier der gelbnen Hochzeit
Barnbagen von Enfe, Tagebüder. Zu,
2
194
feiner Eltern Theil genommen. Der Borgang hat vid Ir
Einbildungskraft Anregendes. Früher war Baffermanı cu
wackres, freifinnig thätiged Mitglied der badiſchen Stine
auch in der deutfchen Nationalverfammlung war er fu
gut. Seine Abordnung im Jahr 1848 nach Berlin un x
über die hiefigen Zuftände erftatteter Bericht haben ihm am
traurige Berühmtheit gegeben. Mit Haß und Veradtumy
beladen, ift er in die Grube gefahren. Sein Geſtaltenſtha
war die größte Erbaͤrmlichkeit, unwahr, feig, augendiennid
für den Hof und die Gothaerparthei. —
Der Publizift und die Gerichtöjeitung find heute vone
Polizei weggenommen worden, weil fie über die Gerihtie
handlungen gegen den des Mordes angelagten Puttli m
vor dem Urtheilsſpruch berichtet haben. Die gefeplihen dr
ſchriften hierüber find verfchiedener Auslegung fähig. —
Die nun in dritter Inftanz erfolgte Freifprehun I
Sonntagsblattes von Uplic in Magdeburg kümmert de
lizei nicht. Die Blätter find noch immer nicht freignuie
Auch ift an Uhlich noch feine Mittheilung des Urtheils F
langt. —
Mittwoch, ben 1. Anguf 188.
Meine vorbereitete Arbeit mußte ich mit vielem Rijazh
wieder weglegen, weil id) des Stoffes noch nicht Meifterneit!
konnte, die Behandlungsart ſich noch nicht gehörig dartit
wollte. —
Nachmittags Befuh von der Fürfin von Wittgais
und Tochter. Im Mitteljimmer; anderthalb Stunden de
früheren guten Eindrüde bewähren ſich. —
Bald nachher kam Herr von Burgsdorf lärmen m
lachend an. Er hatte wie immer viel zu erzähfen, von hihta
und hohen Perfonen, von Radziwill's, von General von ii
oe
195
ut an der Dder ꝛc. Der König hat fich über bie
sterin” Frau von Hohenhaufen, die ihm in Frankfurt
der auf dem Bahnhofe durch ihre Enkelin ein Gedicht
n ließ, bitter luſtig gemacht, und als er hörte, fie fei
me von Ochs, den ſchlechten Witz ausgerufen, das fei
uf & la mode! Das Gedicht foll ihn mit Louis
e verglichen und gegen diefen mit entfeßlichen Lobes⸗
n beransgeftrichen haben. — Der Regierungspräfi-
18 in Minden, früher ale PBolizeifcherge in Preußen
adlicher Verfolgungsſucht, und als „Demofraten-
erüchtigt, ſoll in den Verdacht gekommen ſein, einen
ſeiner Schweſter durch einen Schuß getoͤdtet zu
ine Parthei und die Behörden wenden alles an, heißt
ie Sache nicht vor die Gerichte kommen zu laffen.
f findet es niederträchtig, dergleichen zu vertufchen,
t Gunſt walten zu laffen. —
Dormerstag, ben 2. Anguft 1868.
räumte von Humboldt, wir bemühten und gemein-
iner fchwierigen Sache, waren zufammen in Tegel,
zerfloß wieder in Unbeftimmtheit. — Gefchrieben,
> viel Luft und Erfolg; es fommt mir alles Tang-
e was ich heute Jagen fann. Ich weiß, die Bud
d wie Samenförner, die man auöftreut, Taufende
aber Zehne gedeihen und tragen dann hundertfältig;
zu ſchmerzlich, die Zeit des Gedeihens abwarten zu
d in der Sonnengluth auf den Schatten zu hoffen,
gepflanzte Bäumchen einft geben werden. Bei aller
auf die Zukunft, bei allem feften Dertrauen auf fie,
[ches für den Tag thut auch noth. —
jeitung bringt Die verfpätete Anzeige, dag Arkhibafd
Keyſerling hier am 30. Juli frühmorgens ſanft ent-
13*
196
ichlafen fei, an einem Nervenfchlag, im 70. Jahr. Cr thut
mir fehr leid; er hatte ein vortreffliched Herz, ritterlichen
Muth, und fein bis zulegt waltender Leichtfinn machte ihn
liebenswürdig. In bürgerlichen Verhältniffen war er freilid
über allee Map unbedacht und forglod, gefegliche Formen nidt
achtend oder mißbrauchend und zulept auch etwas fchaufpiele
riſch und thöricht fchlau. Seine vornehme Stellung bat
weniger dad Gute und fehr ftarf das Schlimme an ihm aus:
gebildet, faljchen Ehrgeiz, prahlerifche Berfchwendung, Bor:
Ipiegelungen ꝛc.
Die Neue Preußifche Zeitung verfpottet Die wieder an-
hebenden Einheitöbeitrebungen der Deutfchen, die Anregungen
in Würtemberg und Darmftadt zur Reform des Bundes x.
Es ift eben die Neue Preugifche Zeitung! —
Freitag, ben 3. Auguft 18586.
Abſchiedsbeſuch von Herrn Profeffor Dirichlet. Er reift
morgen ab und Berlin ſieht ihn nur etwa als Fremden wieder!
Er und feine Frau waren bier in den lebten Jahren mein
befter Umgang, wir fahen einander nicht oft, aber immer gut.
Er hat nun auch von Humboldt Abfchied genommen, der ihm
gejagt: „ Mich werden Sie wohl nicht wiederſehen!“ Hum—
boldt fchien allerdingd etwas verfallen, er Flagte, daB ihm die |
Eingeweide den Dienft verfagten. Zulegt gab er ibm die
Derficherung, auf den Orden (pour le merite) fönne er red»
nen, neun Stimmen lägen ſchon für ihn da. Das Luflige
war, daß Seiffert, der Diener Humboldt’ und bei ihm eine |
wichtige PBerfon, bei Dirichlet's Weggehen ihm vertraulich
fagte: „Den Orden befommen Sie, Herr Profeffor, wir haben
ſchon neun Stimmen für Sie daliegen!“ Er fegte binzu:
„Sie thun ganz recht Fortzugehen, warum hat der Minifter
197
Ihren Werth nicht beffer zu fchäben gewußt!“ Diefer Seiffert
ist ein feltfames Menſchenkind. —
In Gibbon gelefen, und im Marcellus Palingenius aus
befondrem Anlag! —
Reifebriefe von Dr. Mar Ring in der Voffifchen Zeitung,
aus Dreöden, Toͤplitzz ıc.
Sonnabend, den 4. Auguft 1855.
Herr Reimer ſchickt mir die eben fertig gewordenen beiden
legten Bände ded Reben Stein’d von Perk, — das Ganze
beträgt nun fieben ftarfe Bände, ein Umfang, der die Der«
breitung des Buches fehr einſchränkt. Man fieht auch in
diefem Abfchnitte die große Heftigfeit Stein's, die Unficherheit
und Ungerechtigkeit feiner Urtheile; fein Ehrgeiz und feine
(Sigenliebe zeigen fich mehr ald der Berarbeiter und Heraus» '
geber diefer Urkunden ahndet. Einen Auftritt zwifchen Stein
und Golofffin erzählt Pertz nach meiner Mittheilung und
nennt mich dabei. Der von mir ihm mitgetheilte Brief Stein's
an Gagern vom 14. Februar 1830 ift auch abgedrudt. Andres
theils von mir Erzählte, theild in den Papieren gewiß Bor-
gefundene ift weglaſſen. —
Sonntag, den 5. Auguft 1858.
Gefchrieben. Einiges über Stein und Perk aufgefept.
In Hannover willfürlich gewaltfame Berfaffungsände-
rungen von den neuen Miniftern endlich formulirt und aus
gefprohen. Das Land wird der Gewalt nicht widerftehen, ift
aber von dem Unrecht tief getroffen und hegt Erbitterung und
Hab. — In Leipzig viele Berurtheilungen von Perjonen, die
zur Befreiung politifcher Gefangenen zu wirfen verfucht hatten,
auch Frauen find darunter. —
198
Unfere Polizei fpürt dem Urſprunge der Gerüdte md,
die über den König und über einen gegen ihm geridktn
Mordverſuch ausgeſprengt worden. Nun erft glauben di
Leute recht daran! „Die Sache ift wahr, aber es folniät
davon gefprochen werden, * heißt es. —
Nachmittags Beſuch von der Fürflin Wittgenſtein m
Toter. Wie immer lebhaft und geiftvoll und auch beſenden
herzlich. Dringende Einladung nach Weimar, wir follm uf
der alten Burg bei ihr wohnen. — Dann kam Herr Hella,
er ſah die Fürftin noch, und fie machte den vortheilbaften
Eindrud auf ihn. Er brachte mir einen früheren Band fe
Schriften, worin ich den Artikel über Channing leſen fell -
Die lepten Jahre Stein’3 machen in dem Bilde, du w
Per von ihnen giebt, feinen angenehmen Eindrud, Bu
fehen den Helden mehr und mehr ſchwinden, den unruhig,
mißvergnügten Zänter mehr und mehr hervortreten. Sit
unfichres heftiges Urtheil, von perfönlichen Berhältnifien u
bedingt und befangen, neigt in allen Schenkungen int
ftärker auf die ſchlechte Seite, zum ariftofratichen und +
potifhen Walten hin. Mit der äußern Melt ift er entzrei
fie geht in nichts nad} feinem Sinn und Willen ; feine geiit
Beichränktheit wird aufs widrigfte offenbar, wenn er fihgun
die Philofophen und Rationaliften ereifert. Auch wenn
fi) in feinem Behagen glaubt und dies zu erfennen giebt, m
urſacht er dem Lefer, anftatt' ihm diefe Stimmung mitzutbeiln
nur Zweifel und Mißbehagen, man füplt, daß Aeıga m
Zorn ſtets im Hintergrunde Tauern. Seine Tätigkeit h
Landtagsmarſchall der weſtphäliſchen Provinzialftänk i
gleich der diefer Stände überhaupt, eine eitle, Meinlic, #N
unfruchtbare, felbft der frühere Muth geht ihm in diefer E
lung aus. Sein körperlicher Verfall und feine Klagen brikt
erregen das größte Mitleid, aber man wendet gern den dl
ab, es ift nichts Erhebendes dabei, und die Art wie ei hl
199
ung des Todes religiös benimmt und äußert, hat nichts
huendes, es zeigt fih ein roher Glaube ohne Geifteshelle,
Süßigfeit. Dabei die weltliche Verzweiflung, eine neue
ution in Frankreich zu fehen, und alles durch die größten
fe Errungene wieder ald zweifelhaft betrachten zu müſſen!
‚wie Geng, „die Arbeit ſeines ganzen Lebens eine ver-
je!" — Stein wird vergebens ald ein Mann gefchildert,
an auch habe lieben müffen, überall bricht die Härte, die
träglichkeit, die Heftigfeit und das Schwanken feiner
ie, feine Selbftheit und fein verachtender Menſchenhaß
. Ich habe niemand gefannt, der ihn geliebt hätte,
ehrte und brauchte das Heldifche in ihm, aber man
te ihn, war froh ihn los zu fein und ihn nicht mehr
‚zubaben, Stägemann, Niebuhr, Eichhorn, Nicoloviug,
„Rühle, Pfuel, Zettenborn, Canitz und Andre, die für
ifrigſten Anhänger gelten, ſprachen oft mit wahrer Er-
ing von ihm, und haben über ihn nur etwa die Stimme,
dergleichen ‚Untergebene über ihren Seren haben
. — -
Montag, ven 6. Auguft 1855.
efchrieben ; über die hannöverfchen Sachen; der blinde
ift in's Bad abgereift und läßt feine Schergen mit der
fung und den Ständen nad) Gutdünfen fertig werden.
Deutfchen wird feine Art Schmach und Erniedrigung
t: die eignen Fürſten find die Ärgften Unterdrüder, wenn
olE nach Hülfe fich umfieht und diefe nur vom Ausland
en kann, weiten Schuld ift da8? Die Franzoſen haben
ra Volke die Freiheit zu bringen verheißen, und wenn
iefe nicht gebracht, doch faſt alled Gute veranlaßt, deffen
it fechzig Jahren theilhaft geworden find. Und da
die Stolgs und Süßredner noch immer thun, als fei
200
Deutſchlands Ehre und Gedeihen mit feinen jebigen Für
und Staaten verfnüpft! Der Eifer, den man dahin wein
will, würde nur einer für die Befeitigung und Mehrum
unfrer Knechtfchaft fein. in durch den Bundestag verteee
ned Deutfchland, durch den verrätherifchen, feigen, hoffährtigm
Bundestag, ift und fein Deutfchland mehr, ift ein Kerfer mi
feinen Auffehern und Schliegern. _
Ausgegangen mit Ludmilla. Am neuen Mufeum die de
gonnenen Säulengänge beſehen; die Säulen find zu Hein.
Unzweifelhafte Auskunft über Bunſen's Berufung nıd
Berlin; fie ift wahr, aber nur eine perfönliche abfeiten de
Königs, keine amtliche; er ift flug genug darauf nicht ein
gehen ; er will jegt auch fein Günftling mehr fein, fondern dt
Mann von Berdienft; er urtheilt frei und ſcharf! —
Dienstag, ben 7. Auguft 1855.
Geſchrieben. Wieder über Wahlen! ich babe nichts &-
gegen, daß Andre fich entfchließen an den Wahlen Theil zu
nehmen ; ich aber will mid) dazu im voraus nicht verpflichten;
ih traue hier nicht mehr! —
Als der Prinz von Preußen zuletzt eine Befichtigungsteil
nach Weftphalen machte, fchrieb der General Leopold von
Gerlach an den berüchtigten Präfidenten Peters in Minden,
er möchte doch den Prinzen geyau beobachten laffen. Die du
Kreuzzeitungdparthei verkaufte Seele des Peters war aud fr |
gleich gehorfam und beftellte den berüchtigten Dr. Lindenbetz
feinen vertrauten Spießgefellen, aum Späher. Bald abet
wurde man im Gefolge ded Prinzen auf den Buben aufmett:
fam, ergriff ihn und zwang ihn zum Geftändnik. Großet
Zorn des Prinzen, Klagen beim Könige, Doc) es blieb alle
beim Alten. — Ä
Schwer und bedeutungsvoll find die Worte Stein’3, mit
201
er. feinen eignen Lebensabriß befchließt und meifterhaft
idt: „ Das andere mir gewordene Problem zu löfen, oder
bre Stellung im Alter zu ergreifen, das wurde mir durch
togenen Hoffnungen von einem nahen beffern Zuftand
hlands und durch mancherlei Mipverhältniffe in dem
n meiner Familie erleichtert, fle die in einzelnen Källen
peinlich und tief mic, erfchütterten, im täglichen aber
unerfreulich wirkten, Tenften meinen Sinn vom Irdi⸗
von hier erwarte ich nicht? mehr als fortichreitende
g in Refignation, in Demuth, in Hoffnung, im Glau⸗
— Der Schrift Eicero’d vom Alter beizufügen! —
Mittwoch, den 8. Auguft 1855.
ruhige Nacht, Träume, Fieber, Huften! ch blieb lange
t. — Brief und Sendung aus Madrid. Mein guter
Adolph von Barnbagen ſchickt mir zwei Abdrüde feiner
ia geral do Brazil, tomo primeiro; das eine Erem-
t für Humboldt. Endlich aufgeftanden, fühlte ich mic)
tauglich, fchrieb aber doch an Humboldt und fügte dad
bei. —
err Lehfeldt befuchte mich wegen eined Anliegend des
aym in Halle; diefer wendet Wilhelmen von Humboldt
ere Aufmerkſamkeit zu, fragt befonderd nad) dem Brief:
I deffelben mit Körner, der meiner Vermuthung nad)
ausgedehnt noch erheblich geweſen fein kann; ein paar
bat Hofrath, Förfter der alten Wittwe Körner abge:
en. Alexander von Humboldt hat auf eine Anfrage
38 ſehr fühl, faft verdrieglich geantwortet und bemerkt,
efte über feinen Bruder hätten Barnhagen und Schlefier
— Ueber den geringen Abfak des Briefwechfeld zwifchen
er und Körner; früher war ed eben fo mit dem zwifchen
er und Wilhelm von Humboldt, Cotta befam die Koften
202
nieht heraus! Das gehört zu unfern deutjchen Unbeoreiflid-
feiten und mag die größten Geifter demüthig flimmen. —
Der Prinz von Preußen ift heute von St. Peteräburg jur
rüdgefehrt. —
Bei jedem Erfranfen bat man in meinen Jahren einig
Todesgedanken; ich fprach mit Ludmilla, beſonders auch ihre:
wegen, über den Berbleib meiner Papiere, deren Sicherung x.
Wir beriethen und überlegten ernitlih und lange. —
Man verfichert, nie habe es eine größere Späherei und
Kundichafterei gegeben, ald die jeht in Preußen hertſchende;
fie fei alterdingd auch eine politifche, aber doc vorzugsweiſ
eine perfönliche, und ihr Gegenſtand fei vor allem die Köniy
lihe Bamilie, dann andre hohe Perfonen im Ins und Au&
lande, die Minifter, Günftlinge, Gefandten ꝛc. Da die &
obachteten zum Theil willen, daß fie beobachtet find, fo menden
ſie ihrerfeit® alle Mittel an, um die Werkzeuge zu gewinne,
ihnen das Günſtige ftatt des Ungünftigen unterzufchieben; ja
manche Perfonen wenden -ihr Unfehn und ihre Macht an, um
eine Gegenfpäherei zu leiten. Daher Ränke und Kniffe ohne
Zahl, die ſich bald vereinigen, bald trennen, freuzen ꝛc. De
Schlimme ift, daß folcherlei Beitrebungen immer nur auffa%
theiliges ausgehen, das Gute gar nicht beachtet wird, we iend
daher fehlt muß es erfunden werden. Wenn die Berichte diekt
Art einmal öffentlich befannt würden, beißt es, fo müßte ir
Welt erftaunen über die Möglichkeit folder Anhäufung ver
Berläumdungen und Albernheiten, fie müßte erkennen, „daß a
nie einen belogneren und betregneren Fürſten gegeben hab |
ale Friedrich Wilhelm der Vierte. * —
Donnerstag, ben 9. Auguft 1855.
Fieber, rheumatiſche Schmerzen in Schulter, Arm, Rüden;
ſtarke Berjchleimung, benommener Kopf, elender Zuſtand! —
|
N
&
h
:
=
*
203
Antwort von Humboldt, aufgeweckt und freundſchaftlich,
wie immer. Er kündigt mir ſeinen Beſuch zum Sonnabend
gegen 1 Uhr an, wird mir feine geſtrige lange Unterredung
mit dem Prinzen von Preußen erzählen und ein Danffchreiben
für meinen Better in Madrid mitbringen. Sch beneide diefe
Rüſtigkeit; ich Tann in befter Zeit nie heute mit Sicherheit
etwad für morgen beifimmen! —
Ich nahm dag Reben Meierotto’d von Brunn zur Hand, dad
ich feit vielen Jahren nicht wieder gelefen, mich aber immer-
fort des guten Eindruds lebhaft erinnert hatte, den es früher,
auf mid) gemacht. Der gute Eindrud fehlte auch diesmal
richt, ich frente mich herzlich des rechtfchaffenen, fleißigen,
pflichteifrigen, mit praftifhen Gaben reichlich gefegneten,
menfchenfreundlichen,, heitern Schulmanns, Der bei geringen
äußern Mitteln und knappem Gehalt unverdroffen das Beite
that und förderte und einer der Edelſten und Verdienteſten
feined Faches war. Auch Friedrich der Große zeigt fich vor:
treflih,, fogar in der Art, wie er dem Berdienfte den zuer-
fannten Kohn noch zurüdhält. Dad Knappe in den alten
preugifchen Berbältniffen erfcheint überhaupt nicht nur ehr⸗
würdig und rührend, fondern als eine Kraft und Tugend, Die
allen Prunk und Schein ala Unwefentliches darftelit, Dagegen
immerfort auf dad Wefentliche, auf Pflichterfüllung und Ber-
dienft hinweift. Hätten wir von diefer guten Snappheit nur
mehr übrig! Das Giferne Kreuz, dieſer glückliche Gedanke
%- ded vorigen Könige, und überhaupt vieles im Jahre 1813, ift
% ob im Karakter diefed alten Preußenthums, und welche
f. Thaten, welche Reiftungen gefchehen damit! —
Ich Hatte heute die Empfindung, ald wäre Rahel mir
: geſtern entriffen worden, fo gewaltig war das Bermiffen, fo
u lebhaft und neu, ala könnt' ich ed nicht ſchon lange Jahre ges
fühlt haben. Mein Berhältnig zur jetzigen Welt bricht täg-
1 fih mehr zufammen, da wird eine aräßliche Leere fühlbar,
204
man fehnt fid) nach dem, was einjt fo glücklich Das Leben aut:
füllte. Rahel's Briefe zu lefen war ich in diefer Gemüth®
bewegung nicht fähig! —
Freitag, den 10. Auguft 1855.
Fieberfranf im Bette; Huften, benommener Kopf, Nie J
hagen im ganzen Körper. — Brief von Jegor von Siveri ul
Liefland, —
Der Volksmann Held, bekannt aus dem Jahr 1848, J
wieder hier, und fucht fih irgendwo anzubringen. Daß die
Polizei ihn duldet, Spricht nicht eben für ihn. in früher
Gönner, der Generalfieutenant außer Dienften von Belm, |
hat feine Hand von ihm abgezogen. Man fagt, er babend
zu einer geringen Stelle gemeldet und helfe ſich einjtiweien
mit Litteraturgewinnft. —
Zum erftenmal bricht in den Zeitungen eine Nahndt
durch, daß die Gothaer fich regen, in Heidelberg Berathunge
halten, wieder von deutfcher Einheit, deutfchen Grundredteni.
die Nede fei; doch von ihrer Verbindung mit Wien, die M
MWichtigite bei der Sache wäre, ihr unmittelbar praktiſche %
deutung gäbe, verlautet öffentlih nocd nichts. Bon M
Gothaern fann fein Heil fommen, fie laffen fih nur mif
brauchen und drüden die Augen zu, damit fie e8 nicht ſehen
Ehrgeizige Unruhe ift die perfönliche Hauptfache; daß fiede |
neben auch Baterlandeliebe haben, läßt ſich nicht läugn-
Dahlmann fcheint der Beſte, er ift aber jest nicht dabei. —
Der preußifche Gefandte zu Konftantinopel, Herr ven
Wildenbruch, ift hier angefommen; er bringt einen Sohn nad
Halle in’d Pädagogium. Er ſoll fehr verkehrtes Zeug
ihwagen, mit feiner Parthei ed verderben wollen; dod be
fchuldigt man ihn ſchon, doch eigentlich zu den Weſtmächten
hinüberzuneigen. Was foll diefer Fleine Sohn des Prinzen
205
is Ferdinand ald preußifcher Diplomat wohl Bernünftiges
yringen? Seine Megäre von Frau ift nicht mit. —
Herr Holland kam Abfchied zu nehmen, er faß lange vor
nem Bette. Wir jprachen von Ghanning, dem Menfchen,
. Schriftfteller, daß er an die Wunder geglaubt, die und
Bibel erzählt, was den fonft jo hellen und ſtarken Geift
feiner Höhe wieder tief hinabzieht, entfchuldigt Holland
h feine frühe ftreng firhliche Erziehung, fein Prediger:
n; entjchuldigen ift nicht rechtfertigen! Sein fcharfed Ur-
l über Bonaparte. —
Wie Stein feine fittlihe Empörung faft immer nur gegen
hoch und ihm im Wege ftehenden auffpart, daher befonderd
Hardenberg, dann Metternich, auch Gentz — wenn er ihn
ve nicht braucht. Die Humboldt’fchen Uebergriffe, die
igemann’fchen genirten ihn nicht, auch nicht, daß fein ver-
itefter dienftbefliffenfter Freund Kunth oder General von
tel ihre Frauen aus früheren Ehen weggeheirathet ıc.
Sonntag, ben 12. Auguft 18585.
Der Prinz von Preußen hat den Kanzler Grafen von
jelrode in St. Petersburg gefragt: „Und wenn nun die
ftmächte in den Wiener Berathungen die öfterreichifchen
träge, mit denen Rußland ſich fchon einverftanden erflärt
te, nicht abgelehnt, fondern angenommen hätten, was
tden Sie gethan haben?“ Neſſelrode fchwieg erft lange,
in fagte er: „Das würde uns in große Berlegenheit gebracht
en.“ Er wagte nicht zu fagen, daß dann der Friede zu
Inde gelommen wäre. —
Auf die Nachricht, daß der Prinz von Preußen nad Erd»
insdorf komme, ift der General Leopold von Gerlach
tunigft von dort abgereiſt. Er fürdtete ih, demfelben
Augen zu fommen! —
206
Montag, ben 13. Augef 185.
Mir ift oft zu Sinn, als ob ich unter Menſchen Ihe, de
nicht meine Sprache reden, deren Empfindungereiie um
angeregt wird ald Me meine, deren Gedanken einen um
Lauf haben, Wie oft wird ein Allgemeines, was ih w
fpreche, auf das kleinſte Einzelne bezogen, eine höhere Euyw
dung mit geringer Bemerkung beantwortet, jo daß alcih il
weitere Mittheilung abgeſchnitten ift, oder nur aus Füglınid!
mit völliger Herabitimmung fortgeſetzt wird! Wie aufs Au
geichlagen, wie mit faltem Waſſer befprigt ! Ich bedanre jr
mich in dieſem Betreff, wie ich fonft Rahel bedauerte! —
Naihrichten aus Wien fagen, daß dort der Gedanfe nm
großen Wendung der Politik, einer allgemeinen Berbünim
gegen den Welten, immer mehr Boden gewinnt. Man nit
Donaufürftenthümer behalten, in Italien und Deutiäla
die Oberberrfihaft führen; dazu würde Frankreich his
werden, Rußland befriedigt werden müffen, “Preußen bi!
zuerſt tapfer. mitzufämpfen,, feine Heeresmacht wäre nidtf
entbehren, dann aber dürfte man ihm zulegt Opfer aufetlezh
denn feine Schwächung fei ein Hauptzweck, Oftpreufen ſu
an Rußland fommen. Was ift hier größer, der Unfinn Mage
die Verrätherei? Sie berechnen nur immer ihre Cha
figuren, daß es eine Hand giebt, die das ganze Spiel zeriälägl
und den Spielern in's Geficht wirft, denken ſie nit. —
Abends mit Ludmilla Schad im Bette gefpielt. (&
haben jene Hand nicht zu fürchten!) Zulegt im Comein
Nepos geleſen und Homeriſche Verſe hergeſagt. —
Dienstag, ben 14. Auguft 1855.
Die Engländer hießen Sweaborg in Brand, nie.
Nachricht wird erwartet. — Die in Frankreich freigelufen
ruffifhen Offiziere, welche in Bomarfund gefangen — *
207
ddreißig an Der Zahl hier Durchgefommen, von dem
sefandten bewirthet worden und, nach zweitägigen
weiter gereift. Herr von Viedert hat fie befucht,
waren frech, prahleriſch, fie fhimpften auf Bona-
‚en jedoch die Ftanzoſen; aus allem Trotz, den fie
ickte die Beforgniß doch deutlich hervor, daß fie in
burg einen ‚fhmweren Stand haben würden. Ste
er Kranzofen und Engländer, daß fie Sehaftopol
ngen, das doch nur eine elende Feftung ſei x. —
ht das Gerücht, der Prinz von Preußen habe in
burg bittre Vorwürfe anhören müffen, und fei mit
iı Anträgen zu einem offnen Bündniffe zwiſchen
nd Rußland zurücgefchicht worden, zu einem offnen
n das auch Defterreich einzutreten ganz geneigt fei,
die Franzoſen und Engländer eine tüchtige Schlappe
ten. Es wird hinzugefügt, man habe dem Prinzen
ı gegeben, da fein Bruder, der König, keines irgend
Sntfchluffes fähig fei, immer nad beiden Seiten
e und feine Zagheit als politiſche Klugheit wolle
n, fo habe man ruffifcherfeitd nicht® damider, wenn
fen Umftänden der Prinz felber die höchfte Leitung
in die Hand nähme. Das fehlte unfern Zuftänden
Itung des ganzen Staatd und Heeres in zwei feind-
! Denn ohne Widerftand ging ed nit ab. Statt
d, in Preußen PBalaftrevolution! O nein! Bemer⸗
ft e8, daß hiefige Sefandtfchaften diefe Sachen als
yen und verbreiten. freilich läßt auch fehon das
icht fich vielfältig benugen. —
citus gelefen, in Louis Blanc. —
nftruftion des Minifterd des Innern Seren von
— — ein folder Name kann nicht oft genug genannt
wegen der nächſten Wahlen für das Haus der Ab:
ift fehon fertig und an die Behörden abgefandt,
208
Sie fagt, es dürften durchaus nur die von der Regierung ie
zeichneten Perſonen gewählt werden; fände fidh, dap im
eine derfelben ganz und gar nicht durchzufegen voäre, ſo hält
der Landrath als Kandidat aufzutreten, und der müßt m
elender Landrath fein, der nicht in feinem eignen Kreile ſi
die Stimmenmehrheit zu verfchaffen wüßte. Das jhänlik,
vom berüchtigten Landrath von Elsner gegebene Beifpiel, Wi
auch von den Kammern nicht befchönigt werden fonnte, Nr
Regel erhoben. —
Mittwod, den 15. Auguf 1858.
Dr. Diezel’d neufte Schrift, die Bildung einer wa
großen Einheitöparthei betreffend, wird in den Cränztet
beurtheilt, nicht ohne ſchiefe Blicke auf die fogenannte ar
kratiſche Parthei, die ſich aufgelöft habe durch ihren Beidin, U
in Preußen an feinen Wahlen Theil zu nehmen! mie J
theil, dadurch hat fie fich erft recht gebildet und eine Tax
höherer Anhänger gewonnen. Sie befteht freilich nidt m
polizeilich greiflichen Sinne, aber in geiftiger ſtarker Gm
(haft, mit Ausſchließung aller Qumpen und Scuft. #
dem Namen ift auch wenig gelegen; der ächte Freiheitiftel
verzichtet im voraus auf den Sieg des Namens, aber dir gi
wird immer diefelbe fein, auch wenn die Farben media
Bei Navarino war die Sache der Freiheit auch unter ruſſſhe
Flagge, heute ift fie auch unter türfifcher; doch nur ad"
fehr gemifcht und nicht rein. Wann wird fie einmal 1
bervortreten! Nicht unter Fürjten! —
Man will und immer abipeifen mit der De
Macht und Größe eines Baterlandes, das gar nicht mil; ®
Hirngefpinnften politifchen Gewichts und Einjluffes, vie m |
nur die beftimmter Höfe fein würden, jelbftfüchtiger Herrih
die an der deutfchen Sache von jeher zu Rügnern und do
209
een geworden find. So wenig man einem deutſchen
tlandäfreunde zumuthen konnte, dad Ungethüm des zer-
zen fogenannten Reiches im Sinken und Berfinten aufzu-
en, eben fo wenig fann jept ein ächter Baterlandefreund
Hoffnungen auf den deutfchen Bund fegen. Sept nicht
r. Mich konnte der Untergang des Reiches einft jammern,
Innte ed vielleicht aucdy einft der ded Bundestages, aber
das was fie dennoch hätten fein können, leider aber nie
eſen find! —
Zum Troft erhielt ich,ein neued Bändchen von Histoire
na vie, par George Sand, das vierzehnte, —
Donnerstag, ben 16. Auguft 1855.
Dirichlet hat den Orden pour le merite (Friedensklaſſe)
ih ſchon befommen. Dad ging ungewöhnlich ſchnell
mal. Humboldt hat auf’d allerfchönfte Wort gehalten
unmittelbar beim Könige die Sache mit aller Kraft durch⸗
zt. Die Stimmen hatte er fchon vorher gefichert. Es
: mich herzlich für Dirichlet, der nun in Göttingen gleich
erhöhten Ehren anfommt. Nun halt’ ih es auch für.
Ah, daß er nach einiger Zeit wieder nach Berlin zurüd-
fen wird, wenn nicht früher Paris ihn anzieht, —
Die Kreuzzeitung fehweigt ganz über Sweaborg. Erſt
et und fchimpft fie, daß die Engländer in der Dftfee nichts
können, und da fie thun, ift fie auf's Maul gefchlagen.
ärgite Spott trifft doch die Rufen, ihre ganze Seemadht
ie verſchwunden vor dem Feinde, fie vernichten ihre
ffe oder verfchließen fi. Wozu eine Seemacht, die ſich
ſchlägt und die Flug ift, fich nicht zu fchlagen? Warnung
Preußen mit feinem Jahdebufen und feinen zwei Fre⸗
mn! Der unnübe Aufwand für das thörichte Seeweſen
t fich aber täglich aus! — .
arnbagenvon&@nfe, Tagebüder. XII. 14
210
Schach mit Qudmilla gefpielt. — In Georges Sand, u
Goethe gelefen. —
Das Buch von Diezel über die Bildung einer deutjn
nationalen Parthei ift in Baiern und Kurbeffen von der Be
lizei weggenommen. Mißgriff! Im Sommer wirft fein dus
in Deutſchland. Und im Winter? Auch nicht viel! „dj
mich nun endlich Thaten ſehen!“ — |
Freitag, den 17. Anguft 1855.
Ueble Nacht. Mein Zuftand bringt zuweilen ein Gefihl
von Hinfälligfeit hervor, das zu aller Ihätigkeit unfähig
macht. — Nah Madrid an meinen guten Better gefchrieben
und ihm den Dankbrief von Humboldt zugefertigt. — Belud
von Herrn Dr. Freſe; litterarifche Anfrage. — Dirichlen.
Ernennung fteht ſchon in allen Blättern.
In Hannover ift der Kitterat Heinrich Bode, gebürtig aus
Hildesheim, wegen feiner vermutheten Zeitungäberichte übe
das hanndverfche Verfaſſungsweſen auf Anjuchen des Staats
anwalts verhaftet worden. — |
Die preußifche Polizei hat einen in der Nähe von Er
mannsdorf herumftreifenden Polen verhaftet; derſelbe fol in
Defterreich zum Tode verurtbeilt fein und wird wohl außer
liefert werden. — |
Beſuch von Herren General Adolph von Willifen, der an |
Erfurt angekommen ift. Vielfacher Austaufh. — Emil
Geſpräch über Tod und Todesfurcht. Beuth's früh angelegt
Lifte der Menfchen, die er gefannt und die geitorben; ein
erfchredlende Anzahl! Daß man unter den Mitlebenden mebt
und mehr fremd wird, erfährt jeder, der lange lebt. Shrek
Tiher Gedanke des irdifchen Immerlebens, nichts paßt dazu!
Willifen hegt die Meinung, das gewöhnliche Drenfchenalter
211
250 Jahre von Rechtöwegen, nämlich das Zehnfache feiner
Eentwidlungszeit, 25 Jahre. —
Der König follte nach dem Wunfche der Aerzte noch länger
nn Erdmannsdorf bleiben, er will aber durchaus nicht, das
Leben dort ift ihm zu einförmig, die Huldigung der Bauern
angweilt ihn. Er will Jubelfefte, Einweihungen, Grund⸗
teinlegungen, bunte Menge. Seine Gefundheit foll ſich ge⸗
efiert haben, aber noch keineswegs auf fichrer Grundlage
kehen. —
Der General Leopold: von Gerlach foll eine entfegliche
Sucht vor dem Prinzen von Preußen haben, den er für fähig
ält, ihm einen Öffentlichen Schimpf anzuthun. Er foll fogar
chon die vermittelnde Fürſprache der Prinzeffin angefleht
yaben, mit der Andeutung, daß er ja nicht umhin könne, das
vas ihm befohlen werde, auszuführen. So ftellt er alfo nun
en König bloß! Das kann ihm bei Gelegenheit übel heim-
ommen! —
Herr von Schön hat vor Stein eine große geiftige Bes
zabung vorausgehabt, er war Staatemann und Philofoph
ind ein Mann von edlem Gefchmad, von allfeitiger Bildung,
vährend Stein bekanntlich befchränften Geifted war, und von
Bhilofophie und Geſchmack in Künften keine Spur in fid
Jatte, Aber dennoch ragt Stein in der öffentlichen Meinung
aber Schön, wie Blücher über Gneifenau;; felbft feine Fehler
and Mißgriffe dienten feinem Namen, fo der berüchtigte Brief,
er das Werk eines Unbefonnenen war, fo die Schmad) von
Napoleon ald le nomme Stein bezeichnet zu fein ꝛc. —
Sonnabend, ben 18. Auguft 1856.
Mit meinem Huften fcheint es fchlechter zu werden; heftige
nftrengung, dann Ermatten. — Der Buchhändler ſchickt mir
8 eben fertig gewordene Buch des Herrn Jegor von Siverd:
14°
212
„Die deutfchen Dichter in Rußland“, eine Blumenlele ae '
Art. —
Sendung aus Leipzig, Herm Dr. Steinheim’ Arıy |
gegen einen Dr. Schiller über Aristoteles Sklavenfrage. —
* hatte mir die „Erinnerungdblätter * von Sternberg, a
kleines Bändchen in Duodez gebracht. Dies Erzeugnig, me
alled von ihm, ift ein fprechended Beifpiel begabter Unmk,
nicht unreifer Begabung, wie man vielleicht lieber fa
möchte, denn die Hauptfache ift wirflich die Unreife, un
ſich die Begabung angefegt hat. Er fchreibt fliegend, we J
nehm, fehr elegant und nie bloße Phrafen, aber feine Gehata
find kurzer Art, feine Gefühle ganz perfönlich wie feine Ib.
theile, feine Bilder nur Umriffe. Sein Bernünfteln im
Adel ift poffirlih, feine Neue, der Reaktion und dem Kine
thum gedient zu haben, klingt fomifch wie die Klage übet ie Pr
verfehlte Spekulation. Weber Goethe hat er fi von und]
Leuten beſchwatzen laſſen; über Ludwig Tieck jagt ad
Wahres; treffend wahr fehildert er den Kriminalrath Hi
einen der Menfchen, von deren Gitelfeit und Scheimofeai:
am meiften zu leiden gehabt; er war nicht nur felbe #
ichlechter Freund, fondern fuchte mich auch bei Chamife nif
lichft zu untergraben, was ihm doch nur zum Theil ydap
ungeachtet er fich deſſen Unbeholfenheit zu Nug gemadt, e
ihn ganz zu unterjochen. Friede fei mit Allen! Bern ik
nur nicht Rechnung halten, ich will e8 gewiß niht! —
Mit Ludmilla Gefpräche, Schach. In Goethe's Gedidlt!
und Maximen gelefen, in Stein’d Leben von Perg. —
„Wanderungen nad) Südoften. Herausgegeben von Ad
Theodor von Grimm. Erfter Theil. Die taurifche Halbil|
Berlin 1855." 8, Dem Groffürften Konftantin Ritolsjanit
gewidmet, deffen Lehrer der Verfaffer war. Derſelbe Hei
von Grimm, den ich in Kiffingen gefannt, dann aud ME
213
weder gefehen habe. Das Buch iſt ein leichtes, wenig in's
Jewicht fallended. —
Der König ift wieder in Sansſouci, der General Leopold
on Gerlach ebenfalls; er iſt weit aus dem Schuß, da der
Prinz von Preußen nach Baden-Baden geeilt ift. —
Ich war veranlaßt zu mancherlei Betrachtungen. ch bin
yon Kindheit an mit entfchiedener Richtung zum Guten und
mit Anlagen zu deffen Auswirkung begabt gemwefen ; in meinem
Bater hatte ich dafür das kräftigſte Beifpiel, die thatfächlichfte
Beſtärkung; gleiche Richtung und Anlagen waren in meiner
Schwefter, und fie ift ihnen unverbrüchlich treu geblieben.
In meinen Sünglingsjahren, unter rohen und fchlechten Ges
jellen, gerieth ich in einige Gefahr, allein alles Gemeine fchredte
mich ab. Größere Gefahren kamen mir aus höheren geiftigen
Regionen, aus der romantifchen Schule, die zur Verachtung
© vieled Gepriefenen, zur Hebertretung fo vieles Gebotenen mit
ã betlegenem Geift anreizte, eine bedenkliche Weltanficht auf:
teilte. Unter folcher Autorität waren manche Abwege leicht
u betreten, gefährliche Spiele guted Muthes zu wagen. Ein
vunderbares Glück ftand mir in diefen Zeiten bei, der Sinn
einer Kindheit verließ mich nie ganz. Den entfcheidenditen
Rud zum Guten, die Befeftigung darin für alle Zeiten gab
nir Rahel; feitdem fand fein Wanken mehr Statt, und was
ie Welt forderte und dad Gewiffen gebot, erhielt fih im
auernden Gleichgewicht. Auf die Anfichten kommt freilich
iel an! Es giebt, wie falfche Ehre, auch falfche NRechtſchaffen—
eit; wir haben genug davon gelitten! —
Sonntag, ben 19. Anguſt 1858.
Etwas beffere Naht und leichtered Huften, aber noch
limm genug! Seltſamer Traum von großen Zerftörungen
Rußland, in denen ich felber eine Rolle fpielte! —
214
Es heißt, der König fei mit dem Generalpoligeidikter
von Hindeldey in Erdmannsdorf gar ſchlecht zufrieden geincen,
und man ſpreche ſchon davon, daß man ihm einen Nadfelge Hat
fuche, der dann aber nur wieder die gewöhnlichen Befugnit
eines Polizeipräfidenten von Berlin haben würde, Ich alu MM‘
nichtd davon. — |
Die Regierung hat, fo wird verfichert, alles für die nähen
Wahlen forgfam vorbereitet, die Perfonen ausgeſucht und DR
Behörden angezeigt, die fie bei den Wahlen durchgefept wiſen J.
will. Sie hat aber mit Unruhe und Beforgniß vernommehs R
daß viele Wähler, die fich biäher des Wählens enthalten haben/
diesmal mitwählen wollen, und daß daher die gemachte Reh
nung arg durchftrichen werden könnte. Bon Seiten heftiger
Neaktionaire ift der Borfhlag gemadht worden, die fümmt |
lihen mißfälligen Wahlen zu vernichten und die Abgeordneten |
aus Königlicher Machtvolllommenheit zu ernennen ; von andter
Seite wird geratben, diefe Gelegenheit wahrzunehmen und zu
erflären, daß mit ſolchen Wahlen und Formen nicht regiert
werden könne, daß man beide Häufer daher auf unbejtimmte |
Zeit fuspendire. Der König foll erwiedert haben, das habe
man ſchicklich thun können, ehe noch das Herrenhaus beitand,
mit diefem könne man fo nicht umfpringen! — Wie wär & |
denn, wenn man mit dem Herrenhaus allein regierte und bloß
dad Abgeordnetenhaus eingehen liege? — So ftcht es mit
der Verfaffung in Preußen! Aber wie die Regierung fid |
nicht® draus macht, fo das Volk aud nicht; es wird hobn-
lachen, wenn man die Gaufelei abfchafft, und die fogenannten |
„Herren“ wird der Kladderadatich ablohnen! — |
Im Bette Schach gefpielt. In Sternberg’® Erinnerunge
blättern, in den baltifchen Dichtern von Sivers, in Goethe? |
Einzelfäpen gelefen. — |
215
Montag, ben 20. Auguft 1855.
Die Ruffen am 16. mit großem Berluft an der Tſchernaja
‚dgeichlagen; 50,000 Dann unter Liprandi. Sie fuchen
Berluft bei Sweaborg zu verkleinern, aber ed gelingt
k; unpartheiifche Berichte von Privaten fprechen feine
‚Be mit überzeugender Wahrheit aus. Beſchießung von
a. —
Die Königin von England in Parid angelangt. Gaſt des
des meineidigen —, des —. ine jchöne Ehre für fie
ihren Prinzen Albert! —
Ein Arzt, Dr. Neuhaus, wegen Betheiligung am badifchen
ftande zu zehnjähriger Haft verurtheilt, ift von Ehren:
tenftein, wo er gefangen faß, entlaffen und ihm der Reſt
er Strafe geſchenkt worden, unter der Bedingung, daß er
‚ Amerifa auswandre. Wird diefe langjame Begnadigung
t auch für den unglüdlichen von Corvin-Wiersbipfi ein-
n? Danf verdient folche verfpätete Milde nicht! —
Die von der Regierung bezahlten Zeitungsjchreiber müffen
uchen uns einzureden, die Regierung habe über die Maß—
m in Betreff der Häufer, der Wahlen, der Vorlagen noch
3 beſchloſſen. Man denft und zu überrafchen. —
Hiefige Magiftratsbeamte wollten ſich wegen ihrer perfön-
n Angelegenheiten berathen und hatten dazu die polizeiliche
iubniß eingeholt. Dennoch hob die Polizei die Berfamm-
| auf. Unter genauer Beſchränkung der Gegenftände,
be berathen werden dürften, wurde die Berfammlung
ver erlaubt. Nun aber hatten die Betheiligten die Luft
dren. — —
Unfre Pfaffen vereinigen fich in mehreren Provinzen, die
n Befchiedener, wenn auch die bürgerlichen Gefeße fie ers
ven, nicht einzufegnen, fofern der kirchlichen Forderung
ei nicht nach ihrer Pfaffenauffaffung entfprochen ift. Die
hwendigfeit der bürgerlichen Ehe wird immer offenbarer.
216
Die Rarren Arbeiten zum eignen Schaden, die Narren und -
Schelme! — |
„Biographifhe Erinnerungen an Johann Georg Samın,
den Magus im Norden. Münfter 1855.° 7658 m
Karl Sarvachi, kurheſſiſchem Oberfinanzratb. Shleht,m J
Tiefe Hamann’? nicht gewachfen, und ohne fcharfen Blidin J
Zeit und Umgebung. Die fromme Seite frömmelnd aufge
Mit feiner wilden oder „Gewiffendehe“ macht der alte us
den Frömmlern viel zu fchaffen, das fchöne frifche Landnid
hen, die Magd feined Baterd, mit der er Kinder befam, m
die zu heirathen er ſich nie entſchließen konnte! : Er geiek,
dag er Hleifchlich in fie entbrannt war, und diefe finnliche Lahn
haft durch nichte zähmen konnte; der fromme, chriflide
Mann! Die Frömmler trauren erftaunt, aber fie mela
nicht richten! Hier nicht, weil ed ihnen hier nicht paßt, abt
anderwärt® richten fie und verdammen ! —
Sommer 1855.
Der Gefandte von Ufedom und der General von Bekl,
mit Aufträgen des Königs nach Paris und London geidikt
fanden dort von den Königlichen Gefandten, Graf von fur |
feldt und Graf von Bernftorff, nit nur feine Unterftühum |
fondern entſchiedne Gegenwirkung, in folge ihrer vom Minikr |
präfidenten von Manteuffel empfangenen Weiſungen. &'
ſahen fi) dadurch auf's Außerfte blosgeſtellt und genark |
führten bittre Befchwerde beim Könige, und verlangten Gew
thuung, Wedell wollte fogar den Herrn von Manteufel im
Zweikampf herausfordern. Der König fuchte allerlei Ir |
wege, fie zu befehwichtigen, den Minifter zu entſchuldigen, m |
obwohl dies nicht recht gelingen wollte, fo erfolgte dech mil |
Weiteres, |
217
In Koblenz, Sommer 1858.
Der König war mit dem Prinz Regenten von Baden, ale
der Herzog von Koburg aus Paris eintraf. Gefragt, wie es
dort ausfehe, erwiederte er, die Stimmung fei ganz friegerifch,
worauf der König ein finſtres Geficht machte. Der Herzog
fuhr fort, und meinte, der Einfluß ded Königs verbunden mit
dem des Kaiferd von Defterreich könne noch den Frieden herbei-
führen. „Was?“ rief der König, „mein Einfluß? Was ich
fage ift alles umfonft, mein Wort gilt nicht mehr als ob's
der da gefagt hätte“, wobei er auf den Prinz-Regenten zeigte.
Diefer nahm nun aucd das Wort und fpracdh von der impo-
ſirenden Macht des vereinten Preußend und Defterreicht.
Ich habe das Stückchen durchgeſpielt,“ verſetzte der König,
und kenne ed. ch habe nach Wien gefchrieben, die Sache fei
anz leicht, unfre Kriegäheere vereint und dazu ein paarmal
underttaufend Ruſſen, fo diktiren wir den Frieden in Paris!
Bas hat man aber in Wien getban? Mein Schreiben in
ßaris mitgetheilt!" —
Dienstag, den 21. Auguft 1855.
Leidlich gaefchlafen, aber am Morgen der Huften ſehr
Hlimm, und auf's neue Fieberbewegung. —
Der heutige Bublizift liefert eine Gerichtöverhandlung, die
ar ſchreckliches Ticht auf die fromme Stiftung Magdalenum,
umd ein fchauderhaftes auf unfre Richter wirft. Die faule
Sache war nicht zu verhehlen; die Auffeherin und der Pres
diger zeigten fich nichtöwürdig feige, wollten ſich nichts er-
innern, wollten die Sache fallen laffen ꝛc. Und die feigen
Richter? mochten ſich nicht an der frommen Stiftung die
Hände verbrennen, nicht die hohen Befhüger und Veſchütze⸗
rinnen fich zu Feinden machen, und verurtheilten ein armes
Mädchen, das nicht? geftohlen hatte, zu vier Monaten Ger
218 |
fängniß wegen Diebftahle! Man hatte ihre Kleider ihr |
weigert, fie war alfo in denen des Stifte? weggegangen, jent
waren gut, diefe Zumpen, aber die Ausfage der Aufichern
gab eine andre Schäßung, und die galt. Der Publiziſt ſag
felber: „Daß die Beweidaufnahme eine erfchöpfende geneje=
wagen wir nicht zu behaupten.” — Solchen verderblihenEk =
fluß hat das Frömmler- und Heuchlerwefen! Und dar ==
diger Seibel, wie verfintt er nicht aus Scham, wie findet
fich mit feinem Gewiffen ab? Por Gericht ftand: er jümme=
lich da! —
Engliſches gelefen. „Histoire de la restauration p==
M.F.P. Lubis, Paris 1837.“ m Bourbonifhen Sir-
gefchrieben, wenig neue Thatfachen, geringe Daritellun=
Bildniffe nach Denktmünzen find eine gute Beigabe, die Ge
fichter lehren ſchon Geſchichte, Diefe bei bedeutenden Form—
nichtöfagenden Züge Ludwig ded Sechszehnten, der inhaltlem
Eifer in den Zügen der Marie Antoinette, die Fräftige, abe
böfe Hoffahrt der Herzogin von Angoulöme ıc. ze. !
Mittwoch, den 22. Augufl 1855.
Die Volkszeitung vom Sonntag ift nachträglich noch mm
Montage von der Polizei an allen öffentlihen Orten we
genommen worden. Ein Berzeichniß der Sünden, man hr
wohl jagen Verbrechen ded Bundestages gegen die Gefammrs
heit von Deutfchland und gegen das Volk insbefondere, mag
der Polizei hinterher exrft in die Nafe gegangen fein. Dir
Regierung hat jchon vergefien, daß ihr felber vor wenig Jahren
der Bundestag nichts weiter war als ein Klub in der Sicher
heimer Gaffe! —
Cornelius, der vom Könige reichbezahlte und hochgeehrit
Cornelius, will nicht wieder nad) Berlin zurüdtehren, fondern
in Jtalien bleiben. Er ift voll Unzufriedenheit mit dem
219
Könige, mit Berlin, mit allem. Wie Rüdert fagt er: Nur
fort! Und fo geht’3 mit allen Berufenen des Könige. Auch
Schelling und Tied, durch große Jahrgelder und legterer auch
durch Alter und Krankheit gefeflelt, waren mißvergnügt und
wußten dem Könige feinen Dant. Und Humboldt? Er war
ſchon von alter Zeit hier, war fein Herzugerufener und — hält
e8 eben aus! —
Der Fürft Wäfemdfii hat durch feine unnöthigen poli-
tifchen Streitfchriften in St. Peteröburg eine neue hohe An⸗
ftellung erlangt. Sich hat er genügt, Rußlands Sache
nichts! — i
Don Prutz in feinem „Deutichen Mufeum* ein Auffab:
„Preußen im Sommer 1842.” Freimüthig, wahr, verftandes-
hell, aber freilich mit unvermeiblichen großen Berfchweigungen.
Ich machte dabei die herabftimmende, demüthigende Betrach⸗
tung, daß der ganze Plunder diefes Gefchichtäftoffes im Grunde
faum werth fcheint ausführlich behandelt zu werden; dieſe
ganze Geſchichte ift von Haus aus elend, jämmerlich, lang»
weilig; feinem Menſchen ift es zu verdenfen, wenn er dad
ganze Zeug lieber gar nicht wiſſen will. Wie unbedeutend
alle die Perjönlichkeiten, wie weich und zäh und fehleimig,
ohne jede Feſtigkeit! Nur wenn die Feder des Gefchicht-
ſchreibers immerfort von geſchwungener Geißel begleitet wird,
von Staupbejen und Brandmal, kann in died gemeine, lum⸗
Pige und prahlerifche Wirrniß einiged Intereffe kommen.
Selbſt der Vaterlandseifer muß fih von diefem Stoffe ab-
Wenden, der nichts ift, ala eine faule Gährung, aus der nur
augenblidlih der Schimmer von 1848 entiteht, ſonſt aber
nichts! Da leſen fich die Franzöfifchen Gefhichten doch anders!
Da ift Urfprüngliches, Markiges, Zeugendes, Bewegung folgt
auf Bewegung und jede ift ein Fortſchritt, wenn auch die
Wege und Wendungen und oft nicht gefallen. — In den
„Unterhaltungen am häuslichen Heerd“ ein fehr braver Aufs
m B .
220
jag von Heren Feodor Wehl, Leffing’d Aufenthalt in Hamburg
behandelnd. —
Herr von Hindeldey bezieht von der englifchen Waſſer⸗
gefellfchaft hier ald Direktor einen Gehalt von 600 Pfund
Sterling; die Leute fagen, er wird den Magiftrat fchon
zwingen, mit der Gefellihaft wegen Reinigung der Rinnfteine,
die Bürger wird er fchon zwingen, mit ihr wegen Verſorgung
der Häufer fich einzulaffen. —
Der Buchhändler Schlefinger, nahdem er dem Bein:
händler Eweit aufgefagt, wird von diefem zweier Majeftäte:
beleidigungen angeklagt, aber vor Gericht freigefprochen. Die
Polizei ift aber ihm feindjelig. Der neue Weinhändler, der
bei Schlefinger gemiethet hat, befommt feine Konzefjion. Gr
bejchwert fich bei Hindeldey. Der fagt ihm ganz frei heraus:
„O, ich babe gar nichts dawider, unter den Linden überall,
nur nicht bei Schlefinger!* — Über ich habe fhon einen Kons
traft mit ihm, er wird mich verklagen! — „Laffen Sie fidh nur
verklagen, ich werde Ihnen fchon zu Hülfe fommen!“ — Ges
mand, der died hörte, machte die Bemerkung: „Sch war fchon
lange beforgt, wo fich die Paſcha⸗Wirthſchaft, Da fie in der
Türkei ſchwindet, neu anfegen wird, nun ſeh' ich's!“ —
Donnerstag, ben 23. Auguft 1855.
Geſchlafen, aber unruhig, mit ſchlechten Träumen ; beim
Erwachen jtarfer Huften und mattes Krankengefühl. —
Befuh von Fräul, Anna Piaget und dem fleinen Horace
Herwegh; der leßtere, ein Muger artiger Knabe, ift aus ber
Schweiz gekommen, um die Großeltern Siegmund zu befuchen;
er macht die Reife ganz allein. Fräul. Piaget, ein hübſches
Mädchen, finnigen, gerwinnenden Ausdrude. —
Unerwartet fam nochmals Herr Holland, der feine Abreife
auf’ neue verfchoben hatte. Wir ſprachen über Preußen,
221
über Goethe. Wafhington Irving hatte ihm gefagt, Goethe
fei eitel gewefen ; ich zuckte die Achfeln, und gab ihm zulegt die
allgemeine Regel: „ Was Ihnen von Goethe Guted gefagt
wird, glauben Sie ed unbedingt; was irgend Schlechtes, ver-
werfen Sie es!“ Cr nahm dieſen Grundjag willig an.
„War Sokrates eitel, Jeſus, Spinoza?“ fragte ich ihn noch.
Er Tieß die Zufammenftellung gelten, und antwortete ruhig:
Nein! Er hat einen wahren Durft fich zu unterrichten, und
es ift ein Vergnügen ihn zu fördern. —
Auch das legte Bethmann⸗Hollweg'ſche Wochenblatt ift
von der Polizei nachträglich mweggenommen worden. Auch
megen eines Artikels über den Bundestag und Hannover! Iſt
man bier fo ängftlich bemüht, dergleichen Schändlichkeiten, wie
die Regierung von Hannover mit dem Bundestage treibt, in
Schuß zu nehmen, weil man fich diefelben Mittel und Wege
vielleicht auch einmal offen zu ſehen wünfcht? —
Freitag, den 24. Auguft 1856.
Beſuch von Heren Holland. ch erzähl’ ihm allerlei, was
er gleich auffchreibt ; ich wollte ich wäre gefund, um mit ihm
auszugehen, audzufahren, ihm alle zu zeigen, mit ihm zu
lejen! Er ift ein braver, finnvoller Mann, vorurtheillog,
gutmüthig.
Rellſtab erhält manches Lob, wird aber wegen ſeiner vor⸗
gefaßten Meinungen getadelt, wegen ſeiner kecken Urtheile
über Goethe, ſeines ihm übel anſtehenden Tugendeifers, feines
engen Sinnes, der aburtheilt, wo ihm alle Kenntniß, ja alle
Faͤhigkeit der Würdigung fehlt, z. B. bei Gentz, von deſſen
Wirkungskreis, Höhe, Muth und Bedeutung eine gewöhnliche
Deutfche, wenn auch fonft ehrliche Schriftitellerhaut feine Ahn⸗
dung hat! Sie legen ihren kleinen bürgerlichen Maßſtab an,
und der will nirgends paſſen. An diefer Gefchiedenheit, daß
222
folche Kleine Leute gar nicht in die große Welt fommen, oder wenn
es je gefchieht, doch nie fo, daß fie diefelbe je wahrhaft kennen
lernen, leidet alle unfre Zagesfchriftitellerei, unfer gan
politifche® Zreiben, fofern es in untergeordneten Kreiſn
waltet. —
Sonnabend, den 25. Auguft 1855.
Im Krankfein habe ich wahrlich genugfame Webung, und
es fcheint, ich fol fie nicht verlernen. Jemehr ich dam
allein bin, defto leichter trag’ ich mein Reid, defto ruhiger ur
halt’ ich mich und defto fruchtbarer wird mir der Zuſtand von
Betrachtung und Stille, zu dem das unthätige Daniederliegen
unwillfürlih führt. Wenn nicht heftige Schmerzen odt
Außerfte Nervenunruhe mich ftört, fo ftrömen mir die beſten
Gedanken zu, wahre Seelenerhebungen, Gebete könnt! ih!
nennen. — |
Despot und Sklave, beides abfcheulich! Aber doch entgeht
ein Menfch nicht leicht dem Geſchicke, bisweilen auch einmal
das eine wie dad andre zu fein. Er muß bisweilen handeln
feinen Willen gegen alle Form durchſetzen, ebenfo duldend ihn
der mächtigen Form bieweilen beugen. Die beiden Aeußerſin
kann niemand gänzlich vermeiden, es ift Gewinn genug, wenn
zwifchen beiden ein möglichft großer Raum wirflicher Freiheil
fich ausdehnt. —
Die „Zeitung für Einfiedler*, von Ludwig Achim ven
Arnim zu Heidelberg 1808 herausgegeben, dann unter dem
Titel „Tröft-Einfamkeit* zufammengefaßt, ſoll jept eine le |
große Seltenheit fein, daß z. B. die hiefige Königliche Bihlie
thek ihr Eremplar nicht mehr ausleiht. Die Seltenheit ent
ftand daraus, dag die Blätter bei ihrer Erfcheinung wenit
beachtet wurden, und bald fo vergeffen waren, Daß der gebrudtt
Borrath vom Berleger-ald Makulatur verwendet wurde. Die
223
ganze Sammlung ift aber in der That nicht viel werth; es
ind einige artige und merkwürdige Sachen darin, dad Meifte
ıber ift alberned und in rohem Spaß ganz verfehltes Zeug,
ie namentlich die zahlreichen und noch dazu ſchlechten Sonette,
ıit denen Arnim den wadern Johann Heinrich Voß ärgern
sollte; fie find fo ſchlecht, daß ſogar Bettina von Arnim, die
>raft jede Zeile ihred Mannes ald Gold anfehen möchte, gegen
te Aufnahme diefer Sonette in die Gedichtfammlung ſich
ntichieden erflärte. —
Sonntag, ben 26. Auguſt 1855.
„The spy, a tale of the neutral ground, by J. Feni-
nore Cooper.* Nicht grade der befte Roman, nicht einmal
er beite von Cooper. Zum Lefen im Bette recht gut. ch
as aber auch in den geift- und gedanfenvollen Aphorismen
on Goethe, —
Das philologiihe Studium hat bei uns einen hohen, viel-
eicht den höchften Grad erreicht, die Priefter waren nie fo
ahlreich wie grade jetzt, und ihre Leiſtungen find bewunderns⸗
vertb. Das klaſſiſche Alterthum und feine Autoren find nad
illen Seiten erforfcht, beleuchtet, die Sachen wie die Formen,
fie verfchiedenften Wiffenfchaften find herangezogen und haben
ihre erhellenden Beiträge geliefert. An Gründlichkeit und
Scarffinn ftehen die Dentfchen auf diefem Gebiete feiner
Ration nach, an Fleiß und Treue, an edlem Sinn und geiftig
hoher Auffaffung gehen fie allen vor; es ift eine Freude, dieſes
Geſammtwerk fo vieler Kräfte zu überbliden. Und dennoch
muß ich geftehen, dag die Philologie noch günftiger und wirf-
ſamer geftellt war, als died Treiben erft begann, und weniger
Meifter aber unendlich mehr Liebhaber — und weldhe! —
fi) mit diefem Gegenftande befchäftigten. Schiller und Gvethe
zum Beifpiel waren an philologifcher Gelehrſamkeit nicht mit
224
dem erften beiten Schulmann heutiger Zeit im Vergleich zu
ftellen, aber der griechifche Geift war lebendiger in ibmen oh |
in Bundert Gelehrten, die wie 3. B. ſelbſt Immanuel Belle Wi
nur im Buchftaben groß find. Daffelbe gilt von den Eh J.
berg’s, und von vielen für Griechenland und Rom Begeiftern J
und Erfüllten, die ihre-Lieblinge nicht in den Urſprachen ja
lefen vermochten. Hieraus ergiebt fich eine ernite Betrachtung, F
wie verſchieden die Erfordernifje des Lebens und die der Scuk P
find, eine Betrachtung, die zur einfichtigern Zeitung des Unter
richts führen kann. —
Montag, den 27. Auguft 1858.
Die neue Schrift von Diezel ift heute poligeilich verboten
worden. Ausfälle gegen Preußen, gegen das biefige ruſſiſhe
Lakaienthum ꝛc. dienten zum Vorwand; die Hauptſache jeted
find die fcharfen Angriffe gegen die Polizei, von denen ie
biefige ſich ſchwer getroffen fühlt, der Generaldirektor vm |
SHindeldey ift mwüthend. — |
Die Fefte in Paris glänzend, aber zum wahren Ekl
Diefer Kaifer, diefe Königin, diefer Prinz Albert! Und d
dad Bonapartevolk!
Defterreichifche Blätter fprechen Davon, daß der Cl
Zucian Bonaparte’3 nächftend zum Kardinal ernannt were
fol. Dann kann er Pabſt werden. — Gräßliche Wirthiäfi!
in Neapel; Kranfreih und England drohen. Muratiin
regen fih. — |
In Spanien wollte die Königin fliehen wegen der piib
lihen Banndrohung. Aber fie blieb diesmal noch. Kritükt
Spannung. —
Herr Graf von Wartensleben beſuchte mich. Gr ze:
ih fehr gutmüthig und menjchenfreundlich, thut in feine
Amte vielfached Gute, behandelt die Unglüdlichen mit grögie
225
kämpft mit Klugheit gegen die Polizei, die leider hier
je Verwaltung der Gefängniffe an jich geriffen hat und
ipten Eifer zur Strenge und Härte an den Tag legt.
ft er wieder ein Jurift nach dem Buchſtaben, der jedes
und Verfahren der Gerichte vertheidigen möchte! —
e Mutter des Raubmörders Puttlik war bei ihm und
ihre Verzweiflung aus; jie it ein Fräulein Adelheid
ıttlip, Tochter eines Hauptmannd von Puttlig, der ein
tte und den König bei Gelegenheit eined Manoͤvers einit
Lage beherbergte, der König verſprach ihm feiner ein-
u bleiben, die Wittwe — erjt fürzlich geitorben — erhielt
ng, daß ihre Penfion auf die hülflofe Tochter würde
gen werden; die Tochter befam von einem (fchon vers
en) Offizier diefen jebt ald Naubmörder zum Tode ver-
ten Sohn, der ald unehelich zwar den Namen, aber
m adlichen Stand der Mutter führen fonnte. —
Dienstag, deu 28. Auguſt 1855.
ute Goethe’? Geburtsſtag! Ruhm und Ehre feinem
! Danf und Heil und Segen allem, was er gethan,
! — Wunderbar, wie viele Widerfaher gegen den
und guten Mann fich immer noch aufitellen! ber fie
ihm wider ihren Willen, fie halten die Verehrung und
ür ihn wach und thätig. Wir Deutiche haben feine
inen Helden, feine von der ganzen Nation anerkannten,
entzieht ein Theil. der Nation fich dem Kultus. Wir
einen Wafhington, feinen Shafeöpeare, feinen Cervan⸗
zen Heinrich den Bierten von Frankreich ꝛc. —
ıte fam das fünfzehnte Bändchen von George Sand's
e de ma vie, „der Aktuar Salzmann” von Auguft
, der Weber’iche Volföfalender. — In Dickens weiter
sbagen von Enfe, Tagebüder. an. 15
226
Mit den Wahlen für das Haus der Abgeordneten wirds
allmählich Ernft. Die Regierung hat in der Stille alle Bor:
bereitungen getroffen, die Kreuzzeitungsparthei ihrerjeitd aus.
Bon den Freiheitöfreunden verlautet nichts, Darf nichts ver:
lauten ; entjchließen fie fi zum Mitwählen, fo wird man alle
Rechnungen, die man gemacht, falih finden. Wählen fie nicht
mit, fo wird entweder die Regierung mit der Mehrbeit der |
Sunferparthei oder die Minderheit diefer gegen die Regieruns
einen lamentabeln Kampf zu führen haben! Sollen die gte-
heitöfreunde nicht lieber diefem Schaujpiel zufeben als darin
mitbandeln, da man ihnen doch feinenfalld ihre rechte Roll
zugefteht? Wenn aud für den Augenblid die fchändlicjiten
Geſetze durch die Uebermacht zu Stande kommen, was fchatet's?
Yu ſchon vorhandenen nod einige! Alle werden doch nur — |
fünftig zu nichte! —
Der berücdhtigte Konftablers Wachtmeifter Kayfer, ter
Bullenbeißer, deffen rohe Gewaltfamfeit man gebrauchte, um
die Dolfövereine audeinanderzutreiben, der durch viehiſche
Mildheit fih in dieſem Gefchäft auszeichnete, dann aber des
"von der Behörde, weil fie jich des Unthiers ſchämte, auf die
Seite gefhoben wurde und hier verachtet und dürftig lebte,
hat jich jüngft in Helgoland von den Engländern anmerken
laffen. Es it die jrage, ob die andern Angeworbenen, wenn |
fie erfahren wer er ijt, mit ihm dienen wollen. —
Berrücdter Brief Louis Bonaparte’ an den Genen |
Peliſſier. Gr fagt, die Nuffen werden in der Krim für der ı
Winter nicht aushalten, aber doch follen nah und nad alle
franzöfifchen Regimenter einander dort ablöfen. Er verjpridt
und verheipt leichtfinnig und frech, ald ob er fchon jemals cine |
- feiner Worte wahr gemacht hätte. —
N
227
Mittwoch, den 29. Auguft 1855.
Beſuch von Frau Profefforin Dirichlet, fehr liebreih und
gut, aber fie ſieht ſchlimm aus, und Verdruß und Sorgen laffen
ji nicht verbergen. In vierzehn Tagen wird fie Berlin ver-
laffen; mir ift dabei zu Muth, ale fündigte man mir ſchon
jest Schnee und Froſt an. —
Elende Wirthfchaft in Athen! Ein elfender Hof, ein Mini-
fterium fremden Sinnes, ein verrathenes, gedrüdtes, aber auch
verrätherifches und gewaltthätiges Volt. —
Anefdote vom Fürften Menſchikoff. Der Kaifer foll ihm
Vorwürfe gemacht haben, daß er nach einer Schlacht nicht
gleich wieder mit frifchen Truppen angegriffen habe; er ent:
ſchuldigte fi, 26 habe an Pulver gefehlt. Der Kaifer fragte
Den Kriegsminifter Fürften Dolgorufoff, der fagte, er habe
Daffelbe nicht mangeln laffen, fondern reichlich geihidt. Da
rief ihm Menſchikoff wüthend zu: „Sie haben dad Pulver
weder erfunden, nod Pulver gerochen, noch Pulver ge:
ſchickt!“ —
Donnerstag, den 30. Auguft 1855.
Nachrichten aus Paris fagen, daß der Beſuch der Königin
von England im Bolfe nicht den Eindruf gemacht hat, den
fich Bonaparte vorgeftellt. Sein Anſehn ift davon nicht ges
fteigert, im Gegentheil, man glaubte zu erfennen, daß er folder
neuen Blendwerke bedürftig fei, da er fih nach Stützen, nad)
Saufeleien umfehe. Die unmäßige Pracht und Verſchwen—
dung hat auch nicht allgemein gefallen. ‘Die Stimmung für
ibn, heißt es, iſt ſehr unficher und fann leicht gefährlich werden.
Der Waffenruhm in der Krim ift nicht groß genug, um für
die ungeheuern Opfer an Menfchen und Geld zu entjhädigen,
mit denen er erfauft wird. Auch in den Truppen ift jchon
allerlei Gemurmel. —
15*
228 “
In Wien find große Beforaniffe wegen Italien. Frank—
reih, England und Piemont wühlen dort offenbar das Bolt
gegen Defterreich auf, fie drohen mit Revolution und Freibeit
dann für fih felbft. Die Furcht kann leicht wieder Deiter-
reich zum entjchiedenen Auftreten gegen Rußland bringen, dat
ohnehin weniger furchtbar erfcheint, feitdem man glaubt, daß
deffen Hülfsmittel großentheild erfchöpft ſeien. Furcht, Eigen:
nutz, Gewinnfuht, Mißtrauen, Betrug und Züge, das fin
die Beitandtheile der heutigen Politif! Weberall! nirgende |
ein hoher Geift, ein edler Sinn, ein fefter Muth! —
Am 29. ftarb zu Bromberg an der Cholera der allgemein
verehrte und geliebte Appellationsgerichtspräfident Gierfe. |
Nur am Hofe ift man unedel genug, fich über den Tod ds
Mannes zu freuen, der im Jabr 1848 demofratifcher Minifter |
war. —
Hreitag, den 31. Auguft 1855.
Die würtembergiiche Ständeverfammlung wird aufgelöft,
die Furbeffiiche berufen, — es ift alles derfelbe Duarf. In
Kurhefien hat die Regierung den ala Oppofitionsmänner be: |
fannten Mitgliedern der Stände feine Berufungen zugeſchickt!
Dan begreift nicht, warum diefe Regierung und die ihr |
gleichenden überhaupt noh Stände für nöthig halten. Ewa |
dafür zum Dank, daß die Revolution von 1848 noch We |
Fürften für nöthig hielt? — |
Unter den Stadtverordneten hier bat ih ein gebeime
Ausſchuß gebildet, um die Frage zu berathen, durch was für
Mittel und Wege die Stadt Berlin die unerhörte, willfürlide
und gewaltfame Machtanmaßung, Bedrüdung und Ueber |
bürdung, die fie durch Hindeldey erleidet, abzufchaffen oder
abzuweifen im Stande wäre? Vergeblihes Bemühen! Sie |
finden fein Mittel. Diefe Herrfhaft und die ihr entfprechende |
229
anechtſchaft ſind in allen Gebieten und auf allen Stufen eng
verknüpft. Um gegen einen Konſtabler, gegen einen Polizei:
Direktor dag Necht und die Freiheit zu behaupten, müßten die
Minifter geftürzt, der Bundestag zufammengeworfen, die
Rationalverfammlungen hergeitellt, vielleicht mehr noch gethan
: werden! (8 gefchieht im Ginzelnen zwar auch manches, aber
im Ganzen nicht viel; das Allgemeine muß auftreten. —
Sonnabend, den 1. September 1855.
In Neapel herrſcht eine Bolizeibosheit, wie ſelbſt in Ruß-
land fie nicht zu finden ift. Alle Nichtöwürdigfeiten, Tüden
und Gewaltthaten werden verübt, fein Recht, fein Schuß hilft.
Sie bereiten dad Land für einen neuen König Murat. Und
in Kurheſſen wird am’neuen Thron für den alten Jeröme
gearbeitet! —
In der Schweiz wie in Spanien und Piemont wird der
päbſtliche Bannfluch öffentlih verfpottet; das Volt glaubt
nicht mehr. Diefe Fatholifch-Eirchliche Korm des Chriften-
thums, wenn fie nicht neue Kraft aus dem Innern des Geiſtes
fchöpfen fann, muß untergehen. Sie ift ja das Gegentheil
von Dem geworden, wa? fie fein follte. Abgötterei ftatt Reli-
gion, Fluch ftatt Segen! —
Wieder ein Beifpiel von dem Benehmen unirer Polizei!
Gin Rittergutsbefiger Karl Köhler, früher auf Schloß Erne-
Dorf bei Reichenbach in Schlefien, war wegen der Fluchtver-
ſuche von Schlehan aus Silberberg der Mitwifjenichaft und
Zheilnahme angeklagt, aber vom Gericht vollftändig frei
geiproden worden. Er wollte feine Niederlaffung in Berlin
bewirken und fam vorgeitern zu diefem Behuf hier an. Gleich
geitern wies ihn die Polizei von hier aus, und ſchickte mit
Zwangepaß ihn nad Schlefien zurüd. Gegen diefe Willkür
und Ungerechtigkeit ift feine Hülfe! —
230
Im dritten Theile von Didend Bleak House, ©. 17
(Tauchnitz' Ausgabe) find die berühmten Fälle von Selbſt
verbrennung angeführt, mit denen die gelehrte Welt im akt:
zehnten Jahrhundert fich fo viel befchäftigt hat; die Gräfn
Cornelia Bandi, der von Le Eat befchriebene Fall ꝛc. 2
heutigen Naturforfcher beftreiten die Sache. —
Sch höre immer wieder, daß han Heine und Pufdfu
durchaus auf Lord Byron zurüdführen will, der ihr Vorbild
gewefen fei. Nichts ift oberflächlicher und engfinniger di $
diefe Behauptung! Alle drei zufammen find ein- und dieſelbe J
Erzeugung, Glieder deſſelben Geſchlechts, unter ähnlihen
Weltzuftänden und Lebensſtimmungen an’d Licht getreten.
Byron war früher, und natürlich haben Heine und Pufctin
ihn gelaunt, nachgeahmt haben fie ihm aber nicht, fie hatten
bei ihren Gedichten nicht ihn vor Augen, fondern die eignt
vaterländifche Welt, die Widerfprüche des Menfchlihen un
des Gefellihaftlichen, und find fo gut wie Byron ganz ur
ſprünglich. —
Sonntag, ben 2. September 1855. |
Ich erfahre von qutem Orte ber, daß im Frankreich di
Stimmung für Bonaparte immer ungünftiger wird, auhM |
den Klaffen, die fonft mit dem Kaiſerthum ganz zufrieden jen
mögen; er hat die Erwartungen getäufcht, weder hat er ka
Frieden erhalten, noch hat er den Krieg fiegreich geführt, ie
franzöfifchen Truppen fchlagen fih gut, die Rufen erleiden
Niederlagen, aber das ift nicht fein VBerdienft und hat weite
feinen Erfolg. In der wirklichen, nicht fcheinbaren und ae
machten Meinung hat er feit dem Staatsitreiche keinen Ju}
breit gewonnen, fein Ehrenmann befennt fich zu ihm die vor:
nehme, gebildete Welt hält fi zurüd. — Sonderbar, in dem
jelben Grade, ald er in Paris wanft, in demfelben Gratt
231
vird er hier und in Wien mehr gefürchtet, man beforgt, er
önne um fich zu halten die gefährlichiten Dinge unternehmen.
Der König will durchaus an den Rhein. Die Hofränfe
nd dawider, bejonderd die Kreuzzeitungsparthei. Man
icchtet auch, daß er dort Bunfen zu ſich ruft und deffen Ein-
irkungen erleidet. —
Die jept in Deutfchland allgemein herrfchende Erfchlaffung
s politifchen Lebens, — in der nächſten Zeit hofft, betreibt
ad fördert niemand etwas Allgemeines, — ijt Doch zugleich
ar Erwartung neuer großer Ereigniffe, Revolutiondfpannung.
'azu, daß etwas Rechtes gejchieht, muß ein neues Geſchlecht
ranreifen; die Alten thun's nicht mehr! Friſches Blut,
ites Blut! —
In Angers Arbeiterunruben, die durch Truppen gedämpft
urden. Man fagt, fie feien von Parid aus geleitet worden
ad es ftünden weitere politifche Abſichten damit in Berbin-
ing. Die Gefellihaft La Marianne, eine Art republifani-
yer Tugendbund, foll über ganz Franfreich verbreitet und der
egierung fehr gefährlich fein. —
Aus Gotha wird der Augsb. Allg. Zeitung gefchrieben,
e früher daſelbſt mitgetheilte Erflärung des Herzogs von
oburg-Gotha beim Bundestag wider die Beſchwerdeſchrift
tr gothaifchen Ritterfchaft fei nicht Acht, Die wirklich abge:
bene Erflärung fei nur innerhalb eines Kleinen Kreiſes be-
innt 2c Was foll man daraus entnehmen? Daß der
verzog allerdings die ihm beigelegten Gefinnungen und An-
ihten haben und ſich aud gern durch Ddiefelben bei der
tutfhen Nation empfehlen wolle, jedoch eine ſolche Sprache
m Bundedtage und bei den großen Regierungen zu führen
iht den Muth habe! —
232
Montag, den 3. September 1855.
Deutiche Zeitungen werden hier und dort polizetlidy wey-
genommen, zum Theil auch gerichtlich verurtheilt, einige frei-
geiprochen, woran die Polizei fi) dann wenig kehrt; das dann |
veraltete Blatt hat für niemand mehr Bedeutung. Die
einzelnen Fälle tet? aufzuzählen, wäre zu weitläufig. —
Den Roman Bleak House von Didensd ausgeleien.
Schlechtes Machwerk, aber gut und brav gemeint, gegen dat
gräuelbafte Juſtizweſen in England, die eingerifienen Mir:
bräuche,, Die den Gegenftand des Streited aufzehrenden Ge—
richtöfoften ꝛc. Didens bat feinen Stil, nur Manier, und
die Manier verwahrloft oder auf die Spitze getrieben, wird
unerträglich. Außer feinen eignen Fehlern bat er die allge-
meinen feiner Landsleute, Weitjchweifigkeit, unnöthiges Aus:
malen Eleiner Einzelheiten, Hinneigung zu niedrigen Stoffen. |
Das Talent ift aber doch jehr groß. Die Karaftere find nicht
beffer ald die in unfern alten Zafontaine’fhen Romanen, die
Helden und Heldinnen find tugendhaft und liebenswürdig bie
zum Ekel! —
Die Kreuzzeitungsparthei, die Junfer und Fanatiker jind
eifrig bemüht, den Miniftern fi anzufchmiegen, ihnen den
Hof zu machen, ſich ihnen als einverftanden und dienſtwillig
vorzuftellen, um bei den bevorftehenden Wahlen für ihre Leute
- die Unterftüßung der Behörden zu gewinnen. Die Minifte
von Weftphalen und von Raumer find dazu ganz bereit, aber
Manteuffel mißtraut den Schmeichlern, die er ſchon ale bittre
Feinde hat fennen lernen. Für die Volks⸗ und Freibeite
freunde tft das alles fehr gleichgültig; fie Haben im beiden
Zweigen der Reaktion, mögen dieſe auch noch fo weit auös |
einandergehen, immer nur denjelben Feind zu befämpfen. Ob
fie den parlamentarifchen Boden dazu benutzen, ift noch nidt
entfchieden. —
In Bremen war am 26. Auguft eine Anzahl wadter
233
Hannoveraner verfammelt und hielten Rath über die Lage
ihres Landes. Sie fanden dieſe fehr troft- und hülflos, bes
ſchloſſen aber doh, den Kampf gegen die Junferparthei und
die von ihr beberrfchte Regierung mit allen Mitteln, die nod)
übrig, fortzufeßen. Bon der Stüve’fchen Barthei war niemand
zugegen! Merkwürdig ift die von vielen Theilnehmern aus:
geſprochene Ueberzeugung, daß es nichts ſei mit der Klein-
ftaaterei, zu der au) Hannover gerechnet wurde. —
In der Verläumdungsklage des Schaufpielerd Hendriche
gegen den Redakteur Schlivian ift die Einrichtung der foge-
nannten Glaque beim hiefigen Königlichen Theater zur Sprache
gefommen. Dad Haupt der Claque hat dem Nichter uns
ummunden erklärt, die Claque fei ganz unentbehrlich, für das
Publikum wie für die Schaufpieler gleich nüßlich, fie leite den
Geſchmack, befördre die Rechtzeitigkeit im Beifallgeben, hindre
untergeordnete Kabalen und Störungen, ja auch politifch fei
fie von Wichtigkeit, denn wenn 3.8. dad Preußenlied gejungen
werden follte, fo würde dies ohne die Hülfe der Claque nie zu
Stande fommen. Das legtere Bekenntniß muß für den ſoge⸗
nannten Patriotismus ſehr beihämend fein. —
Dienstag, den 4. September 1855.
Die Volkszeitung enthält eine Belobung ded Herzogs von
Sachfen:Koburg-Gotha wegen feiner Antwort an den Bundes-
tag, in welcher er fagt, daß er die von ihm gebilligte, recht:
mäßige Berfaffung nicht willfürlih ändern wolle, daß der
Bundestag nicht einzureden habe ꝛc. Die Bolfözeitung be>
Dauert dabei, daß man ſolches Worthalten eines deutichen
Fürſten noch beſonders zu loben habe, als feltne Ausnahme
Das, was die Regel fein follte! —
Nachrichten von Heren Julius Berends in San-Antonio
(Texas), der ald Buchhändler dort recht wohl gedeiht, fich
234
aber in den dortigen Lebensgang noch nicht gehörig zu finden
weiß. —
Politiſche Bedeutung der Deutfchen in den Pereinigten
Staaten, wenn die alteingebormen Bewohner, die Anm:
nothinge, den Eingewanderten abhold, diefe zu fehr bedrängen, |
fo werden die Deutfchen zu Taufenden fih auf Mittels un
Südamerifa ftürzen und in den dortigen machtlofen Fri |
ftanten Teicht die Oberhand gewinnen. So glauben ft
ſelbſt. —
Ueber Bunfen wird hier viel geſchwatzt, über feine ange
liche Abtrünnigfeit vom wahren Chriſtenthum, feine gelehttn
Arbeiten, feine politifchen Kebereien. Aber fein früher
Chriſtenthum war auch fein ächtes, war heuchlerifch zu welt⸗
lichen Ziweden angenommen und allen Tadel, den man jet
auf ihn häuft, verdiente er ſchon damals. Er ift ein unreinet,
gefinnungslofer Menfch, der im Innern feine Wahrheit hegte
oder die gehegte verbarg; er hat nur immer den Reidenfcaften
und Borurtheilen der Großen gefchmeichelt und gedient, und
ift Dadurch emporgeftiegen, recht wie ein Günftling; was ı
an Talent und Verdienſt befaß, hat er nur-gebraucht, um lid
in der Gunft zu behaupten, .und dazu haben fie nicht auf
gereicht. Test tft er freifinnig, aufgeklärt, volksfreundlich, —
jetzt! Aber auch fo ift er nicht mehr zu brauchen, im Gegen
theil er fchadet unfrer Sache, die fein Zufluchtsort für abe
dankte, gefallene Emporkömmlinge fein darf! Daß der Pr
und die Prinzeffin von Preußen ihm jegt geneigt find, |
auch Fein Heil, kann unter Umftänden ein Unheil werde.
Wenn ich bisweilen milder über ihn geurtheilt habe, jo mi
das in fchwachen Stunden. Mein fchließliches Urtheil un
ibn bleibt ein durchaus ungünftiged, bejonderd wenn ich «
wäge, wie unendlichen Schaden er in feinen preußifchen Per
hältniffen verurfadht hat. —
Die Neue Preußifche Zeitung brachte kürzlich aus dem
en a ni zul 2. 65” 7 vE.0 Su 2 SESSSEE Ze
235
Ruffifchen Invaliden einen Bericht Gortſchakoff's aus Sebafto-
pol, dag die Beichießung wieder begonnen habe, den Zufaß
aber „Unfre Werke leiden“ ließ fie weg, obfchon derfelbe in
St. Peteröburg war gedrudt worden. Beifpiel der Auf-
richtigfeit! —
„Maud, and other, poems. By Alfred 'Tennyson,
poete laureate. London 1855. Sie werden in England
jetzt hochgepriefen, ich finde fie künſtlich und kalt, und wie tief
unter Byron! Der frühere Band „In memoriam“ hatte
befiere Anklänge, mehr wahres Gefühl, das aber zuletzt doch
auch in der üppigen Bervielfachung feines Ausdrucks etwas
erſtickt wurde. —
Mittwoch, den 5. September 1855.
Die Zeitungen bringen heute die Antwort Humboldt'd an
die Raiferliche Karolinifch-Reopoldinifche Akademie der Natur:
forſcher zu Breslau, welche ihm fein Mitgliede-Diplom nad)
fünfzig Jahren erneuert hat. Seine Antwort iſt an den
Präfidenten der Akademie, Herrn Need von Gfenbed, ſehr
hochachtungsvoll und verbindlich gerichtet, an den feines Amts
entiesten, in's Elend geftoßenen, von den Staatsbehörden
in aller Weife verfolgten und gefchmähten, hochbetagten
Greis. —
Ich klagte einmal in Halle 1806 bei Schleiermacher, daß
mir an allen Dingen ſogleich vorzugsweiſe die Schattenſeite
in die Augen fiele, eine wahre Plage und Krankheit, die mir
manchen ſchönen Tag ganz verdarb. Er nahm die Sache
leicht und meinte, da habe man nur um ſo eifriger auch wieder
die Lichtſeiten zu ſehen, ſo werde ſich das Gleichgewicht her⸗
ſtellen. Als ob das nur ſo vom Willen abhinge! Von dieſem
hing es auch bei mir nicht ab. Die Lebensereigniſſe halfen
mir darüber hinweg, der Kampf in der Welt und gegen die
236
Welt. Mit den Jahren wurde mir zur Gewohnheit, immer
vorzugsweiſe das Gute, dad Schöne herauszuheben, an dieſes
mich zu halten, ein Gewinn, für den ich nicht genug dankbar
fein kann, deſſen Bortheil ich täglich mehr erkenne! (Wir Iprs
hen, Schleiermadher und ich, damals aber nicht von Schatten
oder Kichtfeite, fondern von Negativem und Pofitivem, nad |
damaligem Sprachgebrauch.) — |
Aus jener Zeit fällt mir in diefen Tagen manches ein
Unter andern die merkwürdige Thorheit, im twelche die hei
Schüler Schleiermacher’3, Harfcher, Adolph Müller, Pryie
nowsky, Alerander von der Marwig, verfüllen und verneklt
waren. Sie bielten die Erde und das Menfchengefhleät
nicht mehr für lange haltbar, denn mit der höchften Enid J
lung der Philofopbie fei die Gefchichte abgethan, die Aufgaben |
des Menſchendaſeins und des Erdenlebend erfüllt; was fünn
da weiter viel fommen ? Eine Friſt war ung freilich nod ge
geben, denn Schleiermacher hatte feine Ethik noch nicht ve J.
endet, noch nicht in gediegener Geitalt herauögegeben, und Mi.
er beinahe dreißig Jahre fpäter geftorben ohne dies Werl ul J
endet zu haben (bloße Borlefungen waren nur Anläufe dazu) J
fo ift es freilich ganz in der Ordnung, daß die Welt noh mt E
ter geht und wir immer noch leben und wirken! Hemlid J
mußt’ ich foldye Enaherzigkeit belachen, fie laut zu beftreiten
war ic) gegen die Eingeweihten — ich konnte nicht ala feld J
gelten — zu ſchwach. Mir die Thocheit anzueignen, verſuhl
ich wohl, aber ganz vergebend. — |
Donnerstag, den 6. September 1855.
Nachricht in der Nationalzeitung, daß Guſtav Adet
Rösler aus Oels, einjt Mitglied des Frankfurter Parlament,
von der Reaktion wüthig verfolgt und zur Auswanderung ge
nöthigt, am 13. Auguft zu Quincy im Staat Illinois geſtorbu
237
ft. Er war früher Schullehrer, in Amerika Zeitungsfchrei-
er. Es ging ihm fchlecht, und er hinterließ eine unverforgte
Familie. Ehre feinem Namen! Man denkt von hier aus die
Familie zu unterftügen.
Das Obergericht zu Yulda hat den Obergerichtdanmalt
Böfter zu Hanau freigefprochen; er war des Betrugs und der
Majeftätsbeleidigung angeklagt; die erfte Anklage erwies ſich
ald boshafte Erfindung — er follte ein Honorar unbefugt an-
genommen haben — , die zweite berubte darauf, daß er die
kurbefjifche Verordnung vom September, 1850 eine „verbreche-
tiihe Gewalttbat* genannt hatte. Das Gericht erfannte hierin
feine Majeftätöbeleidigung, da der Tadel zunächft doch nur
den verantivortlihen Minijter traf, der in jeder Hinficht ein
Berbrecher ift. —
In den Zeitungen werden Berichte von der Forſcherreiſe
der Brüder Schlagintweit mitgetheilt, die ſchon in Oſtindien
angelangt ſind. Dabei wird immer ſchmeichleriſch geprahlt,
als habe fie der König durch feine großmüthige Unterſtützung
in den Stand gefeßt, ihr Unternehmen auszuführen, während
doch der Minifter von Raumer ſich ſtandhaft geweigert, die
geringfte Summe für diefen Zwed in Antrag zu bringen, und
der König aus feiner Schatulle auch nichtö hat geben wollen.
Sie reifen mit englifchem Gelde, das Humboldt's Anfehn und
Bunſen's Bermittlung verfhaffte. —
Nachricht aus St, Peteröburg, da der Minifter Graf von
Reſſelrode die Erlaubnif erhalten hat, auf einige Zeit zu vers
teilen. Ungnade? Jeden erreicht fein Tag. Metternich hat
ftüb den feinen gehabt, den er für unmöglich hielt. —
Herr von Hindeldey, der den Unterſuchungsrichter Schlötke
nicht nachgiebig genug gegen die Polizei fand, und deshalb
ifrigft dahin wirkte, daß er entfernt wurde, klagt nun, daß
er Graf von Wartensleben, den er gewünfcht, noch weit went-
er nachgiebig ſei, und die Grenzen des Gerichts gegen Ueber:
238
griffe der Polizei ftreng wahre. Diefe Klagen gereichen dem
Grafen zur hoben Ehre und machen die gehäffigen Andeutun:
gen, ala habe er feine Ernennung durch verfprochene Nachgie—
bigfeit erlangt, gänzlich zu Schanden. —
Freitag, den 7. September 1855.
Dr. Stodmann hatte im November 1848 bewaffnete
Schaaren zum Schuge der preußifchen Nutionalverjammlung
zufammengebraht. Bon dem Appellationdgericht zu Naum:
burg wurde er zu ſechsjähriger Feſtungsſtrafe verurtheilt, bat
diefe nun überftanden, und ijt in feine Heimath entlaffen wor
den. Auch ein Demofrat Gujtav Rawald, wegen gleicher
Handlung zur Feſtungshaft verurtheift, ift auf freien Fuß gr
fest. ebt werden ihnen die Behörden das Leben erit red
verbittern! —
Hannibal Fischer, der in Koburg verhaftet geweſen un
gegen Bürgfchaft entlaffen worden, hat erflärt, ſich nicht ver
Gericht ftellen zu wollen, und man möge daher die Bürgihft, J.
falls man ſich dazu berechtigt glaube, nur- einziehen. du Mi
elende Kerl hat fonft dag Geld fehr lieb! —
„Kaifer Heinrich der Vierte und fein Zeitalter. Bon sat
wig Floto. Grfter Band. Stuttgart und Hamburg, 185. P
Ein fleißiges Bud, vom Verfaffer feinem Lehrer Leopeld
Ranke zugeeignet. Die Ranke'ſche Manier bis zum Gfelhl
ten getrieben, z. B. S. 297. Uebrigens auch darin gi
Rankiſch, daß feſte Anſchaunng und Geſinnung fehlen. —
GGeſammelte Aufſätze von Theodor Wilhelm Dan.
Herauögegeben von Dtto Jahn. Leipzig, 1855." ZJeuami
des Fleißes und der Bildung des in der Blüthe der Jahrev
bingeitorbenen edlen Gelehrten, Aber etwas Düfteres un
Steifes läßt einen nicht recht froh werden. —
239
Am Hofe wird Humboldt hart getadelt und gefchmäht, daß
ran einen fo „infamen Kerl“, wie Need von Eſenbeck, ver-
sindlich gejchrieben hat. Auch der König und die Königin
iehmen es ihm fehr übel; die legtere weiß natürlich nichte
yon ihm, ald dag er grundfagmäßig in wilder Ehe lebt, die
ahme verfchmähend. —
Voltaire ſchrieb einmal, um ſich mit einem deutfchen Apo-
theker zu verftändigen, an dieſen ein lateinifches Billet, das
als Kuriofität aufbewahrt, hervorgezogen und gedrucdt wurde.
Die deutjchen Gelehrten lachten herzlich über die Schniger
darin. Aber unter den heutigen deutfchen Kitteraten, die Phi-
\ologen von Fach ausgenommen, wer dürfte nur daran den-
ten, das Wagniß eined lateinischen Briefchens zu verjuchen?
Und felbft noch in den 1790er Jahren machte Ramler den
Schniger, in der Grabfchrift Des Grafen von der Marf zu far
gen: „Prosecutus lacrimis paternis.* —
Sonnabend, den 8. September 1865.
In Hartwig Floto’8 Kaifer Heinrich dem Vierten gelefen.
In Wendungen. und Nusdrüden Findifch-lebhaft wie Ranke.
Im Urtheilen ſchwach, ohne hohe Standpunfte. Daß er von
Kaiſer Heinrich dem Vierten gut denkt, ihn gegen Schloffer
und Leo in Schuß nimmt, ift mir jehr recht; aber daß erden
Seiligen Anno von Köln zum Sündenbode macht, ihm die
Spaltung und die Schmach Deutfchlands zur Schuld rechnet,
it eine haltungslofe Willfür und zeugt von wenig Sinn für
gelhichtliche Geftalten. Der Gefchichtfchreiber muß wie der
Dichter auch die Gegner feiner Helden in ihrem Recht und in
ihter Würde auftreten laffen. Er fagt (S.197): „Die Aus:
fprüche feiner Bewunderer follen und nicht beftehen. ch
fürchte, dieſe koſtbate Perle war durch fo ſchwarze Fleden ent:
ftellt, daß fie fein Diadem zieren fonnte. Ich fürchte, er
240
glich eher jener Frucht, die der Kreuzfahrer aus Chartres am
todten Meere brady, äußerlich ſchön, aber inwendig voll ſchwar⸗
zen übelriechenden Staubes.“ Dieſes zweimalige „6
fürchte *, bei einer. abgefchloffenen Geſchichte, die über adt:
bundert Jahr alt ift, Elingt lächerlih, und überranfet feinen
Ranke! —
Der Polizeilieutenant Dam, der den Auftritt mit den Or |
fizieren und Edelleuten im Hotel du Rord hatte, ift richtig von
bier verjegt worden und zum MVolizeidireftor in Pabdertom
ernannt. Hindeldey mußte ihn dem Militairũbergwh
opfern, hat ihn aber dabei befördert. —
Unſre Hof⸗ und Garde⸗Offiziere machen äh ein bejonde
red Bergnügen und Berdienjt daraus, ihre Vorgefepten ju de
\pötteln. Der General Graf von der Groeben heipt weg
feiner Frömmigkeit dad Lamm, der General Graf von Bil
derfee, der nicht mehr reiten kann, bat den Beinamen oh
myl; dem General von Wrangel, den man-im dänischen geld
zuge mit dem Namen „Druf!“ blüchern wollte, hat nur da
Namen Ged behalten; und fo geht ed. weiter, auch die Prir
zen werden nicht verfchont, und werden genedt und gehänid: J.
Das find aber nicht die Späße, die ſich die römijchen Solv J
ten beim Triumphzuge gegen den Cäſar erlaubten, — rt J
ift fein Gäfar, fein Triumph, fein Krieg, — bier iſt nichts ab
die. Zangeweile des potsdam’jchen Friedensdienſtes und KI Ei
Uebermuth der Junker, —
Sonntag, den 9. September 1855.
Es wird verfichert, daß im Berliner Volke, welches fe —3—
und der Gewalt völlig unterworfen ſcheint, unausgelept dr
ſtärkſten demokratiſchen Befinnungen rege feien, Gejinnunga,
die ſich fortpflanzen und ausbreiten, und auf die Gelegenheit
241
ırten, in That auszubrechen. Wirklich bedarf es Feiner be-
wern Beobadhtungdgabe um wahrzunehmen, daß die alte
ebe und Ehrfurcht, die fonft hier vorherrichten, nur noch
usnahmen, und großentheild nur als heuchlerifcher Schein
thanden find. Das Baterland Preußen, der Staat und
ine Gefchichte, leben noch in vielen Herzen, aber ald Weſen,
e von der heutigen Wirklichkeit verläugnet werden, und die
it dem heutigen Beftehenden faum noch etwad gemein
ben. —
In englifchen Blättern wird auch von neuen demofrati-
en Dereinen und Komplotten gefprochen, die hier angezettelt
irden, und denen die Polizei auf der Spur fei. Wir willen
r nichts der Art, aber freilich fann im Stillen vieles arbei-
i, wovon wir feine Ahndung haben, auch die größte Thor-
t, der tollfte Unfinn, wie die Ladendorf- Gerde’ichen Ge
ichten! — |
Ein jehr bezeichnendes Merkmal eines Menſchen ift, ob er
U und gern Briefe ſchreibt, und welcher Art die Briefe find ?
anz einfeitige und ganz egoiftifche Menfchen find felten Brief:
reiber, fie find am liebften mit ihrer eignen Perfon gegen-
irtig, und wo dies nicht fein kann, verzichten fie; fo Gans,
Steffens. Gewerbliche Ritteraten berechnen die Zeit und
8 Manuffript, die fie durch Briefe unentgeldlich hingeben.
de vielfeitigften, gemüthvolfften, menfchenfreundlichften Men-
hen waren von jeher ergiebig, ja verſchwenderiſch im Brief
hreiben, wie Cicero, Frau von Sevigns, Voltaire, Friedrich
rt Große, Jean Jacques Rouffeau, Diderot, Goethe, Schil⸗
1, Wieland, Schleiermacer, Guftav von Brindmann ꝛc. —
har feine Briefe zu fchreiben, wie 3. B. General von *, ift
ht bloß eine Unterlafjungsfünde, fondern ein wirkliches Be⸗
hen. Friedrich Auguft Wolf wurde erft im Alter brief-
eu. —
Barnbagen von Enfe, Tagebüder. XII. 16
: 242
Montag, den 10. September 1855.
Der König wollte den Truppenübungen bei Treuenbriegen
beitmohnen, hat ed aber aufgegeben. Gerüchte, daß feine &
fundbeit wieder durch die Heinen Anftrengungen ' erfchüttert
worden. Auf die Reife nach dem Rhein will er noch nidt
verzichten. — |
Die Neuwahl des Haufes der Abgeordneten ift uun feſt
gefeßt. Die Wahl der Wahlmänner ift auf den 27, beftimmt,
die Wahl der Abgeordneten auf den 8. Dftober. Alles ned |
nach dem unfinnigen, am 30. Mai 1849 willkürlich gemad: |
ten Dreiklaſſen-Wahlgeſetz. —
Herr Dr. Zabel ift in Paris. Seine Abweſenheit ift grade
wegen der Wahlfrage fehr bedauerlich. Doc) wird die Voll:
partbei ſich fchwerlich in Maffe zum Wählen verftehen mob
len. 5·
In Kurheſſen iſt eine feſte, ſtarke Oppoſition in den Ab—
geordneten kund geworden. Die Regierung iſt erfchroden und
weiß nicht was fie thun ſoll. Inzwiſchen liegt auf dem armen J
Volke immerfort Schmah und Drud. Es iſt eine wahrhaft
türkifche Regierung. —
Telegraphifche Depeche, daß am 9. der Malakoff⸗Thum
von den Franzofen mit Sturm genommen worden. Ein Ar:
griff der Engländer auf den Redan ift nicht gelungen.
In Bulwer gelefen, — o wie langweilig! Reflerionen vr
Goethe zur Erholung und Anregung. —
Bon Yulian Schmidt’8 deutfcher Litteraturgefchichte iſ
eine neue umgearbeitete Auflage erfchienen. Wie der Menſh
über Goethe ſpricht! mit vollem Unverftand. Man folk |
glauben, aller Gewinn an Bildung, Geift, Einficht, den die
Deutfchen feit achtzig Jahren gemacht, fei wieder verloren gr |
gangen. Selbft die Heldenthat der Kenien — es war wib |
lich eine — wird getadelt, geläftert, in Antrieb und Wirt
gänzlih verfannt! Vermag ein Geſchichtſchreiber ſich nikt
243
fer in den Sinn und die Bedeutung der Erfcheinungen zu
trieben, von denen er ſpricht? Er und fein Freund Freytag
edienten felber in den Zenien vorzulommen, mit ihrer eng-
tzigen Aeſthetik amd ihrer noch engherzigern Moral, auf die
fich foviel einbilden! Sie fcheinen ein Gefühl davon zu
ben, Daß alles Große, Friſche, Geniale, gegen ſie mit ge⸗
htet iſt. —
Dienstag, den 11. September 1866.
Ich las geſtern in der Zeitung, heute früh um 7 Uhr
irde im Zellengefängniß ein Raubmörder hingerichtet wer-
ı, wenn ih in der Naht wachte und die Glockenſchläge
tete, mußte ich immer daran denken, wie lange der Unglüd-
ye noch zu leben habe! —
Der Raubmörder Stümper ift hingerichtet worden, feines
rbrechens überwiefen, aber nicht geſtändig. Man hört
erali mit Nachdrud die Bemerkung machen, der vorige Koͤ⸗
I babe nichtgeftändige Verbrecher niemals hinrichten laſſen.
ümper hat bis zulegt den Zufpruch des Predigerd Bult-
nn abgewiefen, auch die albernen Reden des Geh. Rathes
t. Easper, der die Rohheit hatte ihm zu fagen, daß er an
nesgleichen Gefichter ftudirel (Er hat über Verbreher-Phy-
gnomieen einen Auffap geichrieben, der ſchon viel Achſel⸗
den veranlapt hat.) —
Die Rufen haben in Sebaftopol ihre Kriegsichiffe ver-
tannt oder verſenkt, die Unterjtadt aufgegeben. Große Sie-
Wireude der Franzoſen; ungeheure Berlufte der Ruſſen. —
ier bei der Gefandtjchaft nicht zu verhehlende Beftürzung. —
Der König ift nicht franf, Er wohnt zwar den Truppen-
ungen in Treuenbriegen nicht bei, aber denen in Münche-
ig. —
Endlich ift auch der vielgequälte Herr von Corvin⸗Wiers⸗
16*
244
bitzki aus dem badifchen Zuchthaufe freigelaffen, mit der Be
dingung nach Amerika auszuwandern ! Bettina von Armin
wird ſich freuen! —
Die Rufen haben Peter-Pauls-Hafen- auf Kamtfcatfe
nachdem fie dort große Bertheidigungsanftalten getroffen, be
Wiederannäherung der Franzoſen und Engländer freiwilu
verlaffen und fich in’s innere Land zurückgezogen. —
Mittwod, den 12. September 1855.
Berfuch auszugehen, mit Qudmilla, nur ein paar hundert
Schritt in der Sonne, bis zur Friedrichsſtraße 79, um vor
der Profefforin Dirichlet AUbfchied zu nehmen; wir trafen
die Schivtegermutter, gingen aber gleich zurüd, und fahen be,
Frau Rebecca Dirichlet noch eben vor unferer Hausthüre im
Wagen halten. Herzlicher Abfchied, ich fonnte kaum das Rö⸗
thige fagen, mir war überaus weh, die liebe, ſchöne Frau, Me
ich habe aufwachſen jehen, fortan hier miffen zu follen! Sie:
ſah vortrefflich aus, edel gefaßt, ſtark und gefühlvoll. Sie
reift morgen früh nach Göttingen ab. —
Die Kreuzzeitung ift ganz kleinlaut geworden. Bon allen
Seiten erfchallt Jubel über den Sieg der Franzofen in Mei
Krim, über die Vernichtung der ruffiihen Pontusflotte. — |
Daß der Kanzler Graf von Neffelrode Urlaub zum Reia;
erhalten habe, ſoll plöglich nicht wahr fein. Schneller Dep
ſel! Vielleicht braucht man feinen Namen noch zu einem [hie
ten Frieden. —
Auch der berüchtigte Hannibal Fifcher wird in den 3
tungen berichtigt, er foll nicht auf feine Bürgjchaftafunm:
verzichtet, fondern nur verlängerte Friſt zu feiner Vertheide
gung begehrt haben. —
Der ehemalige badifche Minifter von Blittersdorf it ker
angefommen. Will er auf eigene Hand Ränke machen, ee
245
| Bortheil Defterreihd? Er haft Preußen, aus füddeutfcher
tholiſcher Befchränftheit. Er ift von einem Pfaffen erzogen,
3 Tlebt ihm an. Seit vierzig Jahren fenn’ ich ihn von nicht
rtheilhaften Seiten. Er fennt feine Scheu, feine Pietät,
t Leinen Freund, und wenn er einen zu haben ſchien, vers
eth er ſolchen unbedenklich bei erfter Gelegenheit. Aus
igennuß hat er feinen Stolz aufgeopfert, und eine Mißhei-
tb mit einer Berwandten Bettina’d gefchloffen ; nämlich ihm
es eine Mißheirath. —
Die englifche Flotte war von Kronftadt verfchwunden, ein
iſſiſches Linienſchiff wagte ih in die See hinaus; zwei Fleine
igliſche Wachtichiffe fegelten fogleih darauf los, das große
inienſchiff zog fich eiligft in den Hafen zurüd! —
Donnerstag, den 18. September 1855.
Die Nationalgeitung bricht heute dad Schweigen über die
Wahlen und räth zur Theilnahme. Der Auffak ift einfichtig,
durchdacht und fein, aber nicht herzhaft und entfchloffen, nicht
‚anfeuernd und fortreipend; vielleicht mit Fluger Abficht, da-
mit die Regierung nicht zu fehr aufmerkt. Schlimm wenn
folhe Klugheit walten muß! —
In alten Sachen gelefen. In einem Gedicht von fünf
Gefängen „die Zukunft fagt Friedrich Leopold Graf zu Stol-
erg zu den deutfchen Fürſten: „Meintet ihr, ed würde der
Genius deutfcher Freiheit ewig ſchlummern, gefrönte Ber:
zäther?* Das war um dad Jahr 1780. Späterhin verrieth
wer jelbft die deutiche Geifteöfreiheit an das römische Pfaffen-
weſen! Jämmerliched Ende! —
Das wüthige, haßvolle Urtheil Stein's über den Füriten
son Wittgenftein, welches Pertz aus Stein's Papieren und
zwar in zwiefacher Faſſung hat drucken laffen, ift ſchwer zu
246
vereinen mit dem vertraulichen, unnöthig vertraulichen ge
fährlichen Brief, den er an den Fürften im Fahre 1807 a:
fchrieben hat. Oder will er ung glauben machen, er babe de
mals noch nicht alles dad in dem Fürften gefannt, was rn |
ipäter fo giftig in ihm tadelt? Er legt aber auch grundfalfk |
Befchuldigungen auf ihn! Wenn id) eine Schilderung Ni
Fürſten unternehme, fo werden dunfle Seiten genug übtiz
bleiben, aber feine feltnen Eigenthümlichfeiten des Geiſtes mı W'
des Gemüths auch gebührend hervortreten. Er war ganz un WW:
gar fein Höfling im gewöhnlichen Sinn, er fehmeichelte nk, W:
er fagte dem Könige und den Prinzen die derbften Wahre:
ten. Er förderte die Willkürherrſchaft, das ift wahr, alleia
er hätte ſie auch nicht hindern können, und dafür befeindete er
überall die Frömmler und Heuchler. Dies mußt’ ic bier
auffchreiben aus Anlaß eined Geſprächs. —
Im Horatiud gelefen ; welcher ftarfe Zauber baftet doch un
folhem Genoffen früher Jugend, deifen Bilder und Worte ſich J
der Seele und dem Gedächtniß tief eingeprägt baben! Pr!
kann gar nicht die Nede davon fein, was Horatius als Dichter
ift, ich fühle nur, wad er mir if. Er muß und au fu;
der verlorenen griechifchen Lyriker gelten. —
Freitag, den 14. September 1855. |
Humboldt ift heute ſechsundachtzig Jahr alt gemerden. WE
Das Büchlein von Deycks über Goethe's Fanſt hat em
zweite Auflage erlebt, die fehr erweitert und verbeffert if. GP.
ift ein guted Zeichen, daß dergleichen Schriften begehrt wer
den. In der Vorrede wird eine Stelle von mir über Go
Fauſt zitirt, Die ich ganz wie eine fremde lad, aber recht zu J
finden mußte. Das Büchlein ift dem General Morik ver:
Bardeleben in Koblenz gewidmet, der fi) zur Bethmann⸗Helb
weg’ihen Parthei hält. Seine gefchledene Frau, mei
247
Fugendfreundin, ftarb in Dreöden vor einigen Jahren, — ge:
borne Hübfchmann. —
Herr von Hindeldey ift nach dem Rhein gereift, um wegen
des bevorjtehenden Aufenthalts des Könige dort die nöthigen
Sicherheitdmaßregeln anzuordnen, Nicht wenig Arbeit! —
Deiterreih hat ſchon wegen Sebaſtopols in Paris feine
Glückwünſche abgeftattet. Die Niederlage der Nuffen ent:
hüllt ich immer größer. Die Franzoſen haben noch unzer-
ftörte ungeheure Vorräthe gefunden, die fie mit den Englän—
dern theilen. Der Fürſt Gortſchakoff meldete ſchon früher in
feinen Depefchen, feit dem erneuerten Bombardentent verliere
er täglid 2500 Mann; die St. Peterdburger Zeitung theilte
dies mit, die infame Rreuzzeitung hier lich ed weg! Das Blatt
ift auf's Maul geihlagen, dad Maul aber immer noch ſcham⸗
108 und frech wie vorher. —
Ein Stenograph Rahn follte in einer Drudfchrift die Po-
Lizei beleidigt haben, Hindeldey klagte beim Kriminalgericht,
dies fand die Klage unbegründet, er appellirte, allein das
Kammergeriht wied ihn auch ab. Die Gerichte kämpfen
gegen die Polizei, doch treten fie dabei nur ſehr vorfich-
tig auf. —
Das Obertribunal hat in lebter Zeit ein paar Entfchei-
Dungen gegeben, die der fchon gelähmten Preſſe neue Gefahr
bringen. Auch der Tadel der auswärtigen Politit Preußens
fol dafür gelten, „Haß und Beratung“ gegen die „Anord-
nungen der Regierung” zu erregen, Ferner, jede Stelle aus
einer Anklagefchrift, die ein Blatt vor dem Schluß der Ber:
handlung veröffentlicht, gilt als Veröffentlihung der Anklage:
ihrift und ift verboten. — Uhden und Goetze find Präji-
denten. —
. In der Augsburger Allgemeinen Zeitung ftand kürzlich
eine freifinnige, geiftig hohe, einfichtsvolle Anzeige der Lebens—
erinnerungen der Frau von Dudevant; es that mir ordentlid)
248
wohl, an ſolchem Ort eine fol anerfennende Beurtbeilung zu
lefen. In dem Londoner Athenaeum ift recht das Gegen:
theil audgelegt, eine engherzige, vorurtheildwolle Kritik, die
dem Buche zum Tadel rechnet, was fein größtes Verdient
ift, Die Mifchung von braver Offenheit und ſcheuer Zurüdhal-
tung. Recht der ftupide Engländer! Bei Jean Jacques Roui:
ſeau's Belenntniffen waren audy die rohen, gemeinen Urtheile
die zahlreichften und Tauteften, bei Goethe's Wahrheit und
- Dichtung nicht minder. — Eine große ftille Gemeinde bleibt
der edlen Frau doch in allen Ländern bewundernd zugethan,
und für diefe Gemeinde nur fchreibt fie. —
Sonnabend, den 15. September 1855.
Die Volkszeitung bringt einen beißenden Artifel „Bon
Siliftria bis Sebaftopol*. Sie zeigt, wie die Ruffen, im
Felde überall von Türken, Franzoſen und Engländern gefchla-
gen, das ſchwache Siliftria nicht haben nehmen, das ftarke
Sebaftopol nicht haben behaupten fönnen. — Der König fell
über die deutfchen Zeitungen, die fich der Niederlage der Ruf
fen freuen, zornig fchimpfen, befonders über die berlinifchen;
die Klagen des ruffifchen Gejandten hier finden aber bei dem
Minijterium fein Gehör, nicht weil die Prepfreiheit geachtet,
fondern weil Bonaparte gefürchtet wird. Bor diefem Aben-
theurer müffen fi) Alle beugen! —
Nuffifhe Bemühungen um Friedendvermittlung gleich⸗
zeitig mit Anfchürung revolutionairer Brände in Frankreich,
Spanien, Jtalien. In Italien fhürt auch Frankreich! Cr:
bitterung gegen Neapel. — —
Bei unfern Wahlen fcheint auch die Kreuzzeitungsparthei
ziemlich matt und fohläfrig; nur die Regierung bietet allen
Eifer auf, und freilich ſteckt in ihr ein gut Theil Kreuzzeitungs⸗
parthei! Die entjchiedenen Demokraten, die von 1848, wählen
249
richt mit. — „AS Abgeordneter freifinnig und volksfreund⸗
ich bei und auftreten, heißt unter erzürnte Wespen fich nadt
inftellen, oder fih zum Spießruthenlaufen melden, * fagte neu⸗
ich jemand ; „beider Durchgeipelung (Diamaftigofid) der ſpar⸗
anifchen Knaben war wenigſtens Ehre, bei dem Aushalten in
er Kammer ift weder Bortheil noch Ehre.* Eine Mittels
laffe, die wohl etwas Freiheit aber nicht viel will, die mag
‚Heil nehmen an dem Geſchäft. —
Im Plutarchog gelefen, in Goethe und im leidigen Bul-
er. Was für geringe Mafchinerieen und Dekorationen wers
en bier verwendet! Sein „Pelham* bleibt fein beftes
uch. — |
„Der Nachruhm!“ Ein angenehmes Bild für den Leben:
n, ein Zierrath an dem Gedanken des perfönlichen Dafein? ;
an will von feinen Nächiten, feinen Freunden, feinen Rande»
uten, nicht fogleich vergeffen fein, ein natürliches, ein richti-
3 Gefühl. Wer aus dem Nachruhm aber fein Höchftes, fein
Iles machen will, der muß fehr furzfichtig fein, der muß nur
nmer mit feinen Zahlen gerechnet haben. Ein Name, der
ach zehntaufend Fahren noch lebt, ift fein perfönlicher mehr,
in biftorifcher, nur noch ein mythifcher. Und nach hundert-
ufend Jahren? nach Millionen ? wer kann da noch leben! —
Wir fönnen und aber einen noch ganz andern Zufammen-
ang denken; einen Zuſammenhang des irdifchen Fortlebens
83 Geiſtes mit einem überirdifchen. Phantafieen, Möglich:
tten, die als folche aber in unfre Wirklichkeit gehören! —
Sonntag, den 16. September 1855.
Gegen die Ungerechtigleiten der rohen tadelfüchtigen Welt
ab’ ich mich von jeher aufgelehnt, für manche Frau und man-
‚en Mann ritterliche Lanzen eingelegt. ch werde jet nicht
250
aufhören, die heuchlerifche Tugend, die Scheinfchidlichkeit, das
feige Zuftimmen in die geltende Einrichtung, wo grade Diele
nicht taugt, mit allen Waffen zu befämpfen, in meinem |
Kreife wenigſtens! Hat’ mir das nichtewürdige Gefindel, Man: |
ner und Weiber, nicht auch meine theueriten Männer ve: |
unglimpfen wollen? Sie famen fhön an! — |
Gefämpft muß immer werden, jeden Tag! Wer nur ci
mal vierundzwanzig Stunden ausruht, wird wahrnehmen, N}
Roſt ſich auf die blanfen Waffen, eine Rinde um das friſche
Herz fest. Jetzt alt und Frank, ohne Amtäpflichten und Gr
ſchäfte, ohne mittelbare Einwirfung auf öffentliche Angelegen:
heiten, hab’ ich faft mehr zu thun, zu fämpfen und zu forgen,
als in meiner rüjligften Jugend, und fat mehr auch ned ju
lernen. Ineacxw d’ aısı nulla didaonousvos! — |
Im Horatius gelefen; aber feine Heiterkeit und fee
Weisheit wollten diedmal nichtd verfchlagen! Ich fuchte an:
tegendere Gedanken in Goethe, und fand fie reichlich, im Be
fannteften unvermuthet noch Unbefanntes.
Wie fich die Zeiten ändern! Ale Knabe war mir das Auf:
ichlagen im Wörterbuche ſtets peinlich, fo ſehr ich Fonnte, wer: |
mied ic) ed, lieber fucht’ ich Die Bedeutung eines Wortes zu
errathen oder ließ fie zum Schaden des ſichern Berjtändnifte
dabingeftellt. Jetzt bin ich eifrig zu diejer Fleinen Mühe, &
iſt mir ein feſtlicher Gewinn, ein griechifches oder lateiniſches
Wort aufzufchlagen, den verborgenen Sinn zu enthüllen, un
jede neue Kenntnip der Art freut mi, als könnte fie mit
noch wer weiß wie oft und fehr im Leben dienen. —
Ich glaube, ich habe das fchon früher aufgefchrieben; mag
fein, daß ich mich öfters wiederhole! Was fchadet es ? Wieder: |
holen fich Doch die Gedanken und die Empfindungen. —
251
Montag, ben 17. September 1855.
Unerwartet tritt General von Pfuel bei mir ein, friſch
und munter, nad allen Seiten aufmerffam und vergnügt,
wobei wir fehr ernſte Dinge beiprechen und uns gegenfeitig
befennen, dag das Lehen Doch am Ende fättigt und der Ge:
danfe bald aus diefer Welt abgerufen zu werden für und nichts
Stichredendes hat. Er war in Paris, wo er im Anfchauen
der Menfchen und Dinge gefchmwelgt, das Tageoleben anmu=
thig, frei, wohlfeil und erfprießlich gefunden hat, aber feinen
Bekannten traf er in dem ungeheuren Gewühl, er der fein
ganzes Leben hindurch die zahlreichften und mannigfachiten
Anfnüpfungen gehabt, in» und ausländiſche. Man findet fid)
allmählig in einer fremden Welt, wie unter Wilden, die nicht?
von uns willen, mit denen wir nichts zu thun haben wollen,
nichts zu thun haben fünnen. Hr. Dr. Ring fam dazu, dann
Ludmilla; Pfuel erzählte noch viel, mit größtem Bebhagen, mit
größtem Beifall. —
Die Kreuzzeitung enthält Folgendes: „Bei einem befann-
ten hiefigen Demokraten hat vor wenigen Tagen eine Ber:
fammlung ftattgefunden, an der fih auch gothaifche Parthei-
genoſſen betheiligten. Dan ift dort zu dem Beichluß gefom-
men, bei den Wahlen gemeinschaftlich zu operiren. Wie wir
hören, wird jich in Folge diefer -Verftändigungen die Bolfe-
zeitung, welche biöher die Ausfchreibung der Wahlen ignorirt
hatte, für die Betheiligung an denfelben intereffiren.* Iſt
die Sache wahr? Oder foll das nur die Kreuzzeitungsparthei
reizen und ftacheln? Oder folk die Polizei dadurch geſcholten
werden, daß fie eine folche Berfammlung nicht gehindert habe?
Gewiß ift, daß die Polizei ein dergleihen Zufammenfommen
von Demofraten nicht dulden würde, ‚wenn fie es zu rechter
Zeit erführe. Woher ift aber die Kreuzzeitung fo gut unter:
richtet ? Daß fie den befannten Demokraten nicht nennt, ift
etwas verdächtig. —
252
Der in Leipzig entlaffene Profeffor Dr. Biedermann über:
nimmt vom 1. Oftober die Redaktion der weimarifchen Je:
tung. —
Der wadre Bolfövertreter, früher in Baden, dann in
Frankfurt am Main, Adam von Itzſtein, ftarb am 14. zu Sall
garten im Rheingau ; er war 80 Jahr alt geworden weniger
1A Tage. Man hatte ihn während der legten Jahre für gei-
iteöfranf ausgeben wollen, er war ed aber nicht. Ehre feinem
Andenken! Er hat es gut gemeint mit dem Baterlande! —
Der König ift nad Stolberg und Nordhaufen abgereift.
In feinen Reifeplanen wurden faft jede Stunde Abänderun
gen gemacht, und diefe nach den betreffenden Orten mitgetbeilt.
Alles klagt über dieſe Wandelbarkeit, bei der man feinen
Augenblid ficher ift, was man zu thun habe, was gejchehen
werde. —
Nah dem Thee mit Ludmilla Schach gefpielt. — In
Goethe gelefen, im Horatius, Engliſches. —
In Weftphalen, an der Ruhr und Wupper, fingen bie
Schmiede und Hüttenleute ein Lied, worin die Zeilen vor
fommen:
„Was wär's Leben ohne Lieb’, Gefang und Wein,
Ohne Kohle, Kalt und Eijenftein ?“
Man fieht, die Poeñe dringt überall durch! Jovis omnia
plena.
„Die Rammern und das Land. Bon Dr. J. W. %. Braun,
Profeffor in Bonn und Mitglied des Haufed der Abgeordne⸗
ten. Elberfeld, 1855. Eine Schrift, die wenig nugen
wird. Meäßiger Freifinn, der zwifchen Recht und Gewalt ſich
durchwinden möchte, mit vielem Aufwand geſchichtlicher Bei-
fpiele. Sie wird niemanden warm mahen, niemanden falt.
Laues Profeſſorweſen. Ueber Voltaire urtheilt er wie ein
Vieh. — .
253
Dienstag, den 18. September 1855.
Die Bolfdzeitung ift heute ausgeblieben. Hat die Polizei
fchon den Stachel der Kreuzzeitung gefühlt und will der Wahls
thätigfeit Einhalt tun? Dann vergreift fie ſich im Mittel,
und belebt nur die Theilnahme, anftatt fie zu hemmen. —
Die Kreuszeitung jammert auch heute wieder über die
Lauheit vieler ihrer Partheigenofien. Die Kölnifche Zeitung
warnt, feine Beamten, befonderd feine Landräthe zu wählen,
fehr mit Recht! —
Borgeftern ftarb zu Herrendorf Eugen von Baerft, nad)
langen fchredlichen Leiden, gelähmt, blind! Seltne Kräfte wa-
ren in diefem begabten Menjchen vereinigt, die er meift zu
tadelndwerthen Zwecken verwendete. Er hatte den größten
Muth, die abgefeimteite Klugheit, und feiner Klugheit hielt er
alles erlaubt. Doc waren feine Erfolge, wenn auch nicht
gering, Doch keineswegs in Verhältnig mit feinen Talenten.
Seine Schriften find nicht ohne Geift und Beobachtungsgabe.
Er wünfchte fhon immer feinen Leiden ein Ende zu machen,
fonnte fich aber in feiner Unbeholfenheit die Mittel dazu nicht
verichaffen. —
Nachrichten aus St. Peteröburg. Die höchite Exbittes
rung und die tieffte Niedergefchlagenheit. Das wenige von
Fanatismus, das der Regierung zu erweden gelungen ift,
wendet fi num gegen fie. Mber weit vorberrfchend ift die
Entmutbigung, der Friedendwunfdh. Allgemein befchuldigt
man beide Gortfchafoff’s, den in Wien und den in der Krim,
ihre Sache nicht zu verftehen, jenen, daß er nicht den Frieden
herbeigeführt, diefen, daß er nicht den Feind in’d Meer ges
worfen habe! Ungerechte, Vorwürfe! Sie heben ſich alle in
dem, der dem verftorbenen Kaifer zu machen ift. So find
auch alle Borwwürfe, die man den weitmächtlichen Generalen
_und Admiralen macht, nady Paris und London zu verweilen.
In St. Peterdburg hofft man Frieden. Man ftrebt aus
254
allen Kräften, für diefen Zmed das Gewicht der Macht Preußens
in die eigne Wagſchale zu bringen. Hätte man died Gewicht
nur nicht im Jahr 1849 freventlich gefchwächt, das preußiſche
Anfehn in Deutfchland gebrohen zu Gunften Defterreiche,
das jest alle Kraft Deutichlands an fich ziehen will, vielleiht
— wenn auch wider Willen — an Frankreich überträgt! Ein
neuer Nheinbund ift noch immer möglid, —
In Goethe gelefen, in Bulwer. — Anerfennen mup man
bei den englifchen Romanfchreibern, Dickens, Bulwer, Thade
ray u. ſ. w., daß fie bei großen äſthetiſchen Mängeln meil
immer gute Übfichten hegen, auf Erhellung der Begriffe, auf
bürgerliche, gefellichaftliche, fittliche Verbeſſerung binarbeiten.
Faft jeder ihrer Romane ftellt eine bürgerliche Krankheit, cin
verderbliches Vorurtheil, ein herrſchendes Gebrechen dar. —
„Die lebte Sefjion der preußifchen Kammern, Leipjig
bei S. Hirzel, 1855.* Eine gute, klare Schrift, deren Schärfe
hauptfächlich in der Zufammenftellung der Thatſachen lieg.
Zum ergangenen Berbote diefer Schrift ift fein rechtliche
Grund vorhanden, man fieht daraus, wie wenig Tagedlid! Mr
unſre Regierungdeulen vertragen fönnen. Der Standpunt,
aus dem die Schrift die Dinge betrachtet, ift nur nicht Kr
rechte, fie nimmt unjer Scheinwefen ald zu Recht beitehend au,
fie fieht nicht auf die Grundlagen. —
Mittwoch, den 19. September 1855.
Die Bolfzeitung ift heute wieder von der Polizei wegge
nommen worden ; will man fie zum Beginn des neuen Dut-
tals verderben, oder nur mürbe machen und nachgiebig? Die '
Polizei hat alle Macht dazu. Die Bolfözeitung, höre ib,
hatte gejtern und heute dringende Aufforderungen ergehen kai
fen, an den Wahlen Theil zu nehmen, und alles aufzubieten,
— ——
um die Kandidaten der Regierung und die der Kreuzzeitung
auszufchließen. |
Grimm bringt die beften Nachrichten von Bettina von
Arnim, ed geht ihr in Badenweiler fehr gut, und fie fann in
vierzehn Tagen gejund und munter bier in Berlin ein-
treffen. — |
Der Beichluß der Demokratie, an den Wahlen Theil zu
nehmen, hat, wie voraudzufehen war, die Negierung in Schred
und Angft verfeßt. Nicht nur die Wegnahme der Volkszei⸗
tung giebt died zu erfennen, fondern noch mehr ein Erlaß der
Miniſter, den fie in ihren Blättern veröffentlichen. Sie jagen
darin, die Berbindung der Kiberalen, Konftitutionellen und
Demokraten drohe dem Lande Gefahr ; fie erinnern daran, daß
der König die Berfaffung nur mit der Vorausſetzung beſchwo⸗
ten habe, daß man ed ihm möglich machen werde mit ihr zu
regieren, e8 werde ihm unmöglich gemacht, wenn die Mehr:
zahl der Abgeordneten aus Feinden der Negierung beftehe.
Welche Arglift, welche Hinterthüren, welch feige Drohung!
„Feinde der Regierung“, wer nennt fie fo? „ Möglich machen“,
wer hat darüber zu urtheilen? Es ift diefe Hinweifung eben
N niederträchtig ald dumm, die feige Drohung verfehlt ihren
wel. —
In Breslau ift ein Wahlverein fogleich von der Polizei
öf worden. Aber die dortigen Kiberalen find voll
ter, —
In vielen größern und mittlern Städten richtet die Re⸗
gierung Polizeidiretionen ein; verfaffungsmäßig gebührt die
Polizei der Ortsobrigkeit; aber was verfteht die von der hoben,
don der willfürdienftbaren Polizei, wie fie der Regierung
nöthig ift? —
Wenn ein freifinniger Beamter etwa des Wählens fich
enthalten möchte, fo wird ihm das nicht geftattet, er foll
wählen, im Sinne der Regierung, er foll, falls er gewählt
256
wird, Die Wahl annehmen, und im Sinne der Regierung fun:
men. Er foll ein thätiger und eifriger Augendiener ja.
Zurückhaltung ift Verbrechen, fehlechte Gefinnung, Stat
verrath. —
Donnerstag, den 20. September 1855.
Die Volkszeitung ift erfchienen. — Wieder ein Amin:
her Korrefturbogen, nad langer Unterbrechung; abe N
bleibt vor der Hand bei dem einen, es fehlt an Papier, un
Bettina von Arnim hat erft neuen Vorrath zu liefen, I
Druderei will die Auslage nicht machen. —
Das Bethmann-Hollweg'ſche Wochenblatt ijt aud wit Ju
eines Wahlartikeld nachträglich von der Polizei weggenomam fir:
worden. Die Leute ded Miniſteriums und des Junferttum
find entfeglic in Furcht wegen der Wahlbewegung, fie it Po
ſchon wieder die Revolution in voller Kraft und diesmal ts fi
Rußland ale Anhalt und Schub.
Im Horatius gelefen, in Goethe. Ich verweilte aud m
großer Innigfeit auf den lateinischen Pfalmen, in der Le
feßung der Vulgata, von denen ich nody vieles auswends
weiß, nachdem ich fie vor fechzig Jahren Abende meinem Br
ter aus einem römifchen Brevier wiederholt.vorgelefen. Ser
derbar war ed, wie mein Bater, bei volllommen freier, ww
ficchliher Denkart, bei größter Vorliebe für die römifchen um
franzöfifchen Philofophen, zugleich die alten katholiſchen Ge
bete und Hymnen, den Heiligen Augujtinus, den Thomas
Kempid und Hermann Hugo's pia desideria liebte! Sonder
bar, und mir doch vollfommen begreiflih. Nabel verban
ebenfalls beide Richtungen, Frau von Dudevant nicht minde
auch mir find beide befreundet. Und liebte nicht Saint⸗Ma
tin die beiden Freigeifter Voltaire und Rouſſeau, die fromn
257
Herenhuterin Lotte Schleiermacher den König Friedrich den
Großen? —
Die wohlmeinende Anzeige von George Sand’d histoire
de ma vie in der Augsb. Allg. Ztg. ift von Levin Schüding.
Sein Name fteht unter dem lebten Abichnitt. —
Bor dreiundfünfzig Jahren hört’ ich Kiefewetter von
einem ungeheuern Aergerniffe fprechen,, das der blinde Ludwig
von Baczko in feiner Geſchichte von Preußen gegeben habe.
Derfelbe rede nämlich von der Freundfchaft der Königin So⸗
phie Charlotte zu Leibnitz und erwähne des Gerüchte, daf
diefe Freundſchaft auch wohl ein Liebesverhältniß geworden
und daher in das Königlich preußifche Haus Philofophenblut
gefloffen fein könne. Indeß zu jener Zeit wurde eine folche
Ungeheuerlichkeit nicht jonderlich beachtet, am wenigſten von
mir. Späterhin wünſcht' ich indeß über dieſe mehr als
Vehſe'ſche Naivetät des Ausdrucks Gewißheit zu erlangen,
Das Buch von Bacjko hatte ich nie gefehen. ch forderte
daſſelbe mehrmals von der Königlichen Bibliothek, immer
hieß es, dad Buch fei verliehen. Endlich erhielt ich ed, aber
rur die fünf eriten Bände, der fechite, hieß es wieder, fei ver:
lieben, der Bibliothefdiener aber vertraute im Stillen, der
jechfte Band fei ſchon längft abhanden gefommen, vielleicht
abjichtlich befeitigt. In diefem aber müßte die obige Stelle
fih finden. Das Buch ift jelten geworden, vielleicht ift das
bezügliche Blatt fpäter umgedrudt worden, und dann die
Sache gar nicht mehr zu erörtern. Auch in Scheffner’s
Denkwürdigkeiten find ganze Abjchnitte umgedrudt worden,
und urfprünglich erfte Abdrüde eine große Seltenheit. Auch
die „Beiträge zum republifanifchen Geſetzbucher, von Mor-
genbeſſer in Königsberg 1800 harmlos gedrudt, wurden dreis
Big Fahre ſpäter auf Befehl befeitigt, da freilich nur wenig
Abdrüde noch übrig waren.
Barnhbagen von Enfe, Tagebüder. XI. 17
258
Freitag, ben 21. September 1855. |
Die Volkszeitung macht ſich mit entjchiedener Ueberlezu
heit luftig über den militatrifchen Mitarbeiter der Reuen Pır
Bifchen Zeitung, der allerdings dad dümmſte Zeug vorbrind.
Es iſt die der Ingenieurgeneral von Prittwiß, der früher dab
Buch über „die Gränzen der Zivilifation“ hat Druden lafezz,
— bei Hoff in Mannheim! — der aber aus einem freifinsts
aufgeflätten Fortſchtittsmann ein Dienſtknecht der Kreuget
tung geworden ift, und ein dummer Faſelhans. Er giebt Dwt
unglaublichiten Blößen! — |
Große Beute in Sebaftopol, A000 Kanonen x. — D
Ruſſen laffen jehr die Ohren hängen! Der Kaifer fagt in je!
ner Proflamation, die Borfehung habe die gehegten Hoffnume?
gen nicht erfüllt, und ruft dabei neued Vertrauen auf die Bo
ſehung an, das klingt dem Volke wohl nicht recht zu! —
Die Neue Preußifche Zeitung gebärdet fich erbaͤrmlich-
und verfucht alle Zügen und Kniffe bei der jegigen Wahllriſie.
Ihre Unredlichkeit und Tüde ftehen hell am Tage. Sie, di
vorher den Abgeordneten das ganze Gebiet der audwärtigen
Politik völlig abfprach, fordert jet die Wähler auf, die stage
wegen Krieg oder Frieden zur erften Hauptfache zu machen!
Nämlich Frieden in Betreff Ruplande, Krieg Für Ruplem
wäre ihr fchon recht. — Auch möchte die Parthei fich jebt fü
die der Regierung audgeben, fie, der dad Minifterium Mau
teuffel der Gegenftand des wüthendften Haffes ift! —
Sonnabend, ben 22. September 1856.
Der Menſch ift nicht gemacht für ein langes Leben, da
felbe ift nur eine fortgefeßte Berarmung. —
Im Horatiud, in Bulwer gelefen, im Evangelium t
Matthäus. — Wahlartitel über Wahlartikel in den Reg
259
.ättern! Sie haben folche Furcht vor den Demokraten,
deren Bild möglichft abfchredend aufftellen, und fie
; lächerlichfte verläumden; fie fuchen den Konftitutio-
den Liberalen einzureden, es fei die größte Gefahr, fich
ı Demofraten zu verbünden, die überdies ohne Führer
me Programm feien. Die Reue Preußifche Zeitung
elt leptered. Dad Wahre ift, daß die Führer überall
den find, und daß das Programm dies ift, Das eigne
uftellen, und für den Augenblid nur das zu fein, was
möglich ift, freifinnig und konſtitutionell. Für das
e wird die Gejchichte forgen. —
18 nenn’ ich einen zähen, unzerftörbaren Hofmann!
beritichen? von Arnim, Pitt genannt, der ausgetrods
umpfe, gebrechliche, fümmerlich einherwankende Greis,
ım noch fehen kann, ift nach Paris gereift, und hat ſich
ven Gefandten Grafen von Hapfeldt dort am Hofe vor-
laffen. Die Zeitungen melden’d. Wenn’d nur ein
‚und wär’d der vom Kaifer Soulouque! —
er Präfident von Kleift ift um der Wahlen willen früher
wollte von feiner Sommerreife zurüdgefehrtt. Er will
ur Kreuzzeitungsparthei gehören, ift aber doch von ihrer
lei. Daß überhaupt Volkswahlen gefchehen, ift ihm ein
l, indeß muß er auf dem verhaßten Boden mit den ver-
Werkzeugen arbeiten! —
Montag, den 24. September 1856.
roße Anftrengung der Regierung, die Wahlbetriebfam-
erall zu leiten, zu beherrfchen. Alle Einflüffe werden
oten, manche Beamte haben angedeutet, fie würden den
der Regierung felbft mit Gewalt durchfegen. — Ein
ıth von Dergen in Anklam hat einen Aufſatz, der deuts
zeichnend die Wahl des Grafen von Schwerin PBubar
17°
260
abwenden will, und denfelben jtaatögefährlicher Gefinnungen
befehuldigt, in einem Wochenblatt abdruden laffen, das feine
ſolche Artikel aufnehmen darf, und deßhalb auch eine Antwort
des Grafen verweigert hat; den Auffab des Landrathes mußte
es aufnehmen; nähme es den ded Grafen, fo verlöre es die
Konzeffion, die ihm gegeben worden! Und das gegen einen
Mann, der zu den treueften Anhängern ded Königs gehört
aber freilich 1848 Minifter war. In manchen Gegenda |
wird die Regierung die Abgeordneten gradezu ernennen, in an:
dern mag fie große Niederlagen erleiden. Hier in Berlin if
noch fein durchgreifender Eifer des Volks zu fehen ; die meifen
Demofraten find noch zu fehr von Trog erfüllt. —
Dienstag, ben 25. September 1855.
Der Graf von Schwerin-Bubar hat in unfern Zeitunn J.
den Auffag und das Verfahren des Landrathed von Derka.
veröffentlicht, auch daß derfelbe ihm geftanden, die Sadı In
recht eigentlich gegen Schwerin gerichtet. Daß die Regierum
für ihre Zwede die Tagesblätter widergefeglich zu Angrife
mißbraucht, und fie, falls fie die Vertheidigung aufnehmen,
gefeglich zum Eingehen verurteilt, empört bei diejer Sadı J
am meiſten. — |
Woran fcheiterte eigentlich die Bewegung vom Jahr 1848?
Am Stillftand Frankreichs, am zu großen Bertrauen der Bi
fer, am Dünkel der Deutfchtrunfenen, an der Dreiheit der |
tionalverfammlungen, in Franffurt, Berlin und Wien.
Auffifche Lügen und Prahlereien; dem Volle wird am⸗
lich verfichert, die Truppen hätten Sebaftopol nur verlafen,
um die Wälle mit dem eindringenden Feinde zufammen in de
Luft zu fprengen! Der Rüdzıfg war eine wilde Flucht; de
Zruppen, in voller Auflöfung, gehorchten nicht mehr. Dake
261
auch die unermepliche Kriegsbeute, die zurüdgelaffen wurde.
Sonft waren die Sieger die Prahler, jebt find es die Belieg-
ten! — Die Neue Preußifche Zeitung treibt es in foldhen
Frechheiten auf's äußerfte; man follte glauben, nur Troß-
buben fchrieben an ihr, jo gemein und fo dumm wird da ges
ſchwatzt. — |
Konfigzirte Blätter und Schriften, wegen Wahlartifeln.
Die Beamten und Tohnfchreiber müffen alles aufbieten, um
die Kandidaten des Minifteriumd durchzuſetzen. —
Mittwoch, den 26. September 1855.
Die Vollözeitung nimmt heute das Wahlprogramm des
Bethmann⸗Hollweg'ſchen Wochenblattes auch für das ihrige
an. Das meinige ift es freilich nicht; aber unter den walten-
den Umftänden mag es genügen und gute Frucht tragen, den
Zeitumftänden nach. —
Mein Wahlzettel ift mir zugefandt worden, morgen früh
um 9 Uhr ganz in meiner Nähe werden die Wahlmänner ge-
wählt. Bon ven in Vorfchlag gebrachten jechd Kandidaten
it mir feiner befannt. Nach der oftroyirten Dreillaffen-
Wahlordnung wähl’ ich nicht, bin aber zufrieden, wenn andre
8 thun, jeder hat ed mit fich abzumachen, wie weit er nach»
giebig fein will. Bin ich es in diefem Falle zu wenig, fo bin
ih es vielleicht in andern zu fehr. Ich rathe zum Wählen,
fann es aber felbft nicht. Es ift eine Sache der Berechnung,
der Klugheit, der perfönlichen Zuftändigkeit. —
In Baiern ift eine Schrift des Fürften von Wallerftein
und eine Zeitung, die Auszüge daraus gegeben hatte, gericht:
li verurtheilt worden; fie betrifft das baierifche Budget. —
Der baierifche Geh. Legationsrath Dönniged, Günftling des
Könige, ift von der altbaierifchen fanatifchen Parthei wegge—
biffen worden, der König hat ihn mit Penſion entlaffen müffen. —
262
Die Neue Oder: Zeitung in Bredlau wegen eines Wall
artifeld polizeilich weggenommen. — Derein der Berfafungk
treuen dort. —
Im Weftphälifchen Kirchenblatt ftand in Bezug auf ir
Wahlen ein „Aufruf an das katholifche Volk.“ Die Behir:
den fonfigzirten dad Blatt. Bon Berlin aber, wo die Katie
liken hoch ftehen, kam fogleich der Befehl, dafjelbe wieder fr |
zugeben. — |
Meifterftüce frecher Schamlofigfeit und Soppiftif in da
Umlaufserlaffen des Oberpräfidenten von Kleift-Rekom un
ded Negierungspräfidenten Peters zu Minden ; fie drohen du F
Beamten, die „wider die Abfichten der Regierung Seiner Pr
jeftät* ftimmen, mit Disziplinarftrafen,, erinnern fie an ibn
Dienfteid — warum nicht das ganze Bolt an den Unterthe—
neneid? dann dürfte es gar feine Andersftimmenden met
geben! — und die Regierung Seiner Majeftät ift ihnen gleichbe
deutend mit dem jeßigen zufälligen Minifterium! Hanfemam, J
Aueröwald, Rodbertus, Camphauſen, Pfuel, waren aud ein
die Regierung Seiner Majeftät!. Kleift-Nekom erlaubt im
Beamten allenfalls ſich zu enthalten, erwartet aber aud I
nicht von ihnen! — |
Gegen Abend Beſuch von Herrn von Sivers, der eben ad
Liefland angelommen! Freudige Ueberraſchung! Er reifteigen
lich nur dur, nach Stuttgart, hofft auf der Rückkehr ein
Tage hier zu verweilen. —
In Neapel Veränderung des Minifteriumd und des Ober
ichergen der Polizei, wegen der Drobungen Frankreicht un '
Englande. Was hilft's? Den meineidigen, volksmoͤrderiſhen
König müßte man entfernen. Vielleicht geſchieht's noch! de
Nachkommen Murat’3 drohen ihm ſtark. — (Die Veränderung
ift nicht einmal eine politifhe!) —
In Stodholm, Upfala, Gotbenburg Freude über den Sieg
der Weftmächte; in Turin deßgleichen. —
263
Donnerstag, den 27. September 1855.
e Wahl der Wahlmänner meines Urwahlbezirks hat
rüh um 9 Uhr hier bei Gundelach, ein paar Häufer von
tattgefunden ; ich war doch einen Augenblid verfucht,
ie Abneigung fiegte! ich hätte mich zu ſehr geichämt,
Stimme einem mir unfichern Schriftführer in die Feder
tiren; nicht einmal felbft einfchreiben darf man den
ı! Und dann die drei Klaffen! Sch habe einen gründ-
Widerwillen gegen dad Trug und Pfuſchweſen, denn
ne erbärmliche Pfufcherei bleibt ed! Der Durft hätte
oth auch mit Pfügenwafler ſich abgefunden; aber nach
inen Quellwaffer von 1848, — unmöglih! —
ie heutigen Urwahlen find überall ruhig vorgegangen,
eift auf die in den Borverfammlungen auderjehenen, in
Fällen von den Leitern (Stadtverordneten, Bezirfövor-
ı 20.) angegebenen, oft gradezu oftroyirten Kandidaten
n. Bon einem Siege der Demokratie kann bier feine
ein; fie ift bier noch zu ſtark, um fi) auf den befchränf:
„den einzulaffen, den zu betreten ſchon eine Nachgiebig:
In den meiften Wahlbezirken ift faum die Hälfte, in
nur etwa ein Drittheil der Wahlberechtigten erfchienen.
egierung mag im Augenblide deßhalb frob fein, aber
: Folge mag fie nur um jo mehr befürchten. Ein gro-
jeil derer, die jept nicht wählen, wollen und erftreben
andres, ald einen Wahlfieg, den die Minifter durch Auf-
des Haufes der Abgeordneten oder durch ein neues
cliches Wahlgeſetz doch wieder vernichten können. —
n Horatius gelefen, in Goethe, in Bulwer's My novel;
3 ift ein fchlechted mit gemeinen Reizmitteln ausgeſtat⸗
Machwerk, in welchem ein nicht geringes Talent fein
ıbegängniß begeht. —
panien fchließt fich den Weſtmächten an, und ftellt ihnen
en zum Kriege gegen Rußland zur Berfügung. ‘Der
N
264
Krieg gewinnt neue Kräfte, doch immer nicht den rechten 9
den. Bon Polen ift wieder alles ftill. —
Immer mehr Prediger thun fi zufammen, und erklären,
die Trauung Geſchiedener fernerhin zu verfagen. Diele
offne Hohnfprechen den Gefehen, anftatt von den Behörden
ald Empörung beftraft zu werden, wird von den Konfiftorie
öffentlich belobt! Die Pfaffen ahnden nicht, daß fie dam
nur das Berlangen nach Zivilehe jtärlen. —
„The life and times of Oliver Goldsmith. By J. For-
ster. London, 1855. Sehr lefenswertb. Wir fehen de |
Noth und Duälereien des Schriftftellered — und welches aus
gezeichneten! — nicht nur hier und heute, fondern aud n
älterer Zeit und im fremden Rand! —
Freitag, den 28. September 1855.
Bolkäzeitung und Nationalzeitung geben vorläufige %
richte über den Ausfall der hiefigen Wahlen, übereinftimmen
mit dem, was ich fchon geftern darüber gehört; wenig Gilt,
ſchwache Betheiligung. —
Humboldt hat fih zum Wählen in feinem Urmahlbeit
eingefunden. Man reichte ihm beim Eintritt eine von M
Kreuzzeitungsparthei vorbereitete gedrudte Sandidatenlikt
Gr wied fie mit den Worten zurüd: „Ich reflektire wit
darauf.“
Ich kann die trübe Stimmung nicht bewältigen. De |
Hinſchwinden alles defien, was mir lieb und vertraut ift, grali
mir felber an’d Reben. Der Menſch ift fehr zufammengeiekt,
wird ihm das, was er fich angeeignet, entzogen, fo fühlt rüä
verftümmelt, vermindert in feinem Weſen. Der Yeiiy wm
Geifte genügt nicht, er ift oft mehr, ald der des leibhaft Wid⸗
lichen, aber nicht derfelbe. Seltfam, man möchte die früher
265
jeiten unter ihren damaligen Bedingniffen nicht zurüd-
hen, nicht auf's neue durchleben, und ift doch untröftlich,
ht mehr zu haben, fie immer weiter zurückweichen zu
Wie nöthig, wie hülfreich ift das eigne Sterben,
ein Segen der Tod! Eine weisliche Einrichtung! —
Sonnabend, den 29. September 1855.
Yer ehemalige Unterfuhungsrichter beim Stadtgeriht
Schlötke, welcher auf ausdrüdlichen Befehl des Königs
yülfsarbeiter zum Kammergericht verfeßt worden, fühlt
urch diefe Ungnade fehr unglücklich. Der Juſtizminiſter
nd hat ihn fchon zweimal dem Könige zum Kammer:
törath vorgefchlagen, aber der König will nicht? davon ,
. Schlötke hat im Waldel’fchen Prozeß eine häßliche
: gefpielt ; er wird jeßt dafür von der Seite her geftraft,
e dienftbefliffen fein wollte. Das ift dierrechte Nemefis! —
Montag, den 1. Oltober 1855.
leber den Konftabler-Oberft Patzke wird mir heute noch
endes erzählt. Als Wahlmann trat er in der Verſamm⸗
der Wahlmänner trogig auf, und hielt eine Rede, worin
zte, er erwarte von der Berfammlung, daß fie nur an⸗
nte und bewährte Freunde der Regierung zu Abgeordneten
en würde, Männer, wie 3.8. Herrn von Hindeldey ; würde
änner andrer Farbe wählen, fo wäre das ein Zeichen fchlech-
efinnung. Es entftand ein ſolches Scharren und Pochen
Heſchrei, daß Patzke in Verwirrung abtreten mußte, und
ire mißhandelt und hinausgeworfen worden, wenn nicht
freiögerichtödireftor Odebrecht fich feiner angenommen
266
und für ihn um Verzeihung gebeten hätte, er habe fid über:
eilt ꝛzc. So viel Muth und Eifer ift doch nody vorhanden!
Andre Wahlgefchichten find im Umlauf, welche die elende
ften Verfuche der Behörden zeigen, die Wähler einzufhüd-
tern, zu leiten, zu verloden ; die meiften dieſer Verfuce fin?
auf die Mäglichfte Weiſe gefcheitert, einige freilich auch gelun
gen. Man follte faum glauben, daß foviel Nichtöwürdigket
in diefen Kreifen walten könnte. —
Der König von Würtemberg, der nody vor einigen Jahin
dem Könige von Preußen beleidigend Hohn ſprach, hat nun
dieſem auf Stolzenfels die Aufwartung gemacht, und it ven
ihm, da grade fein 7Ajter Geburtstag eintrat, auf's fhme
chelhaftefte beglüdwünfcht worden. Er war außer fib mt
Rührung. Früher erflärte er aus Haß gegen Preupen im
Kaifer von Defterreich ale den Herrn, zu dem er halte! Geht
es in den höchften Ständen gerade ſo wie in den niedrigſen
zu? 2? —
In Koblenz Verlobung der Tochter des Prinzen von Pre
Ben mit dem Prinz-Regenten von Baden, Enkel des Fräulein
Geyer von Geyersberg. Mißheirathen hat Preußen nie ge
heut. —
Dienstag, den 2. Oktober 1855.
Neue Bekanntmachung ded Grafen von Schwerin: Puh
über einen zweiten Erlaß des Landrathe von Dergen zu iv
flam, der den Predigern feined Kreifed nun den Grafen ur
mentlich als einen folchen bezeichnet hatte, den man nicht wäh
len dürfe, obfchon derfelbe ald Landrath die Herzen aller Ein
gefeffenen gewonnen habe! Das Treiben der reaktionairen Br
hörden erſcheint in feiner jämmerlihen Scheußlichkeit! — &
war die Rede davon, alle die Blätter, in welchen der Grd
267
icht, mit Beichlag zu belegen, bis jept ift jedoch die aus»
eichnete Dummheit noch unterblieben. —
Abends Beſuch vom Prediger und Profeffor Blanc aus
fe. Er war um feinem fünfzigjährigen Predigerjubiläum
zzuweichen hiehergefommen. Gr ift freifinnig und wahr:
töliebend, wie ich ihn von jeher gefannt ; er haft die Mucker,
Kreugzeitungdleute, die Heuchler und Phantaften. —
Trauernachricht im Abendblatte der Nationalzeitung, daß
en Mitredakteur Friedrich Paalzom am 29. September in
rau an einem gaftrifchenernöfen Fieber geftorben ift! Er
r ein fehr guter Kopf und ein redlicher guter Menſch. —
In Ring gelefen. In „Ludwig Tieck, Erinnerungen aus
n Leben ded Dichterd x. Bon Rudolph Köpfe.” wet
inde. Wie ungerecht Tieck über Heine fpricht! Bon Nach⸗
ingen Goethe’fcher Lieder foll Heine das Befte haben, was
feinen Dichtungen ald neu gilt. Das möchte ſchwer zu bes
fen fein. Tied hätte eher fagen fönnen, von ihm habe
ine vieles; aber dazu mocht’ er ſich wohl nicht verftehen,
nn da wäre gleich zu erkennen gemefen, daß bei Heine eine
itte Ader geworden, was bei Tied ein Nederchen geblieben.
enn aber Tieck und feine freunde fich über die fchonungs-
je Frechheit beflagen, mit der Heine lebende Perſonen miß-
ndelt, fo ftebt da8 dem Berfaffer und den Bewunderern des
Riefelten Kater und des Zerbino fchlecht an. —
‚Geſchichte der preußifchen Politik. Bon Joh. Guſt.
royſen. Erſter Theil. Die Gründung. Berlin, Veit,
55." Ein ftarler Band von 650 Seiten. Fängt vom
ittelalter an und gebt bi8 zum Jahr 1440, das Werk ift
mnach auf viele Bände angelegt, auf allzuviele für meine
eduld. Wie alles was Droyfen liefert ift auch died Bud
t großer Kenntniß und höherem Geift gefchrieben, aber der
off ift für feinen geringen Gehalt doch gar zu fehwer, und
e ſchmeichelnde Kunft und Gewandtheit fann ihn nicht be=
268
flügeln! Ganz unbefangen und abſichtslos ift Droyſen einmil
nicht, er huldigt gangbaren Meinungen und Anfichten, ea
weil fie gangbar find. Hätte er wenigſtens von hinten anır
fangen, und die heutige Politik zuerſt gefchildert, da würd |
vielleicht das Buch zu leſen im Stande fein! Vielleicht ui Ei
nit. — i
Ueber Goethe's Eugenia ift Tieck auch ganz befangen w
blind. Er fieht nur die reine klare Form, und nicht den gr
waltigen, leidenfchaftlihen Gehalt. Man fpricht von Bır
morfälte, warum nicht von Marmorglanz, von Marmoridir
heit? Ich habe das Trauerfpiel zweimal aufführen fehen, u
Berlin und in Lauchftädt, beidemal brachte es die ftärkfte Bir
fung hervor, nicht nur auf mich, in Berlin auch auf Ficht, P
Frau von Boye zc., in Rauchftädt auf und hallifche Studenten,
auf Achim von Arnim. Gewiffe Vorurtheile, auf falſche Me
nungen und beiher auch auf fchlechte Antriebe gegründet, W
ben fich durch folche Autoritäten, wie Tieck's, unter cn
Menge von Nachſprechern feitgefeßt, — zu diefen gehörte uud P
Steffend —, und nur einem langen Zeitverlaufe gelingt di
dies Unkraut auszurotten. — Wie dumm und einfeitig un
quer wird nicht über den zweiten Theil ded Kauft geurtkeil: P
Freilich ift er nicht der erfte! —
Mittwoch, den 3. Oftober 1855.
Ich erhalte ruſſiſche Nachrichten mitgetheilt, die den Ju
ftand des innern Rußlands fehr bedenflich jchiltern. J
Moskau benupt die dem Kaifer feindliche Parthei die traum
gen Kriegsgeſchicke, um die ganze Regierung anzuflagen; mat
wagt nicht Frieden zu verlangen, aber man fordert beſen
Führung der Dinge. Dan fagt, der Kaiſer fei nah dem
Süden abgereift, weniger um der Kriegdanftalten willen, aß |
269
ielmehr um gewiflen Spannungen und Ränfen, die fih um
m ber zufammenziehen, auf einige Zeit auszuweichen. Seit
m Tode ded Tyrannen Nikolaus, wie er genannt wird, ift
8 freie Wort wieder rege geworden und man fpricht in Mos⸗
u, wie aud in den höheren Kreifen zu St. Peteröburg, freier
3 jetzt in Paris. So weit die Nachrichten. Aber dag man
Paris nicht frei ſpräche, iſt ein Itrthum. Das mündliche
»ſpräch erfeßt reichlich den Zwang, der auf der Prefle liegt.
- Daffelbe in Berlin! —
Immer neue Wahlumtriebe und Einſchüchterungsverſuche
mmen an den Tag, und werden in den Wahlverfammlungen
eügt. Blätter werden mit Befchlag belegt, Schriften ver;
ten. Die Frechheit der Einwirkungen wird nur von der
mmerlichen Sophiftit überboten, mit der jene ausgeübt wer⸗
n, man erlaubt fich die fchamlofeften Unterfchiebungen, Ver:
ebungen, nennt den König, wo man feine fchlechten Räthe,
e ihn felbft am meiſten befchädigen, nennen follte ꝛc. Die
nze Ruchloſigkeit der Junkerparthei tritt frech hervor. —
Herder auf dem Kranfenlager, dem lebten, bat Gott um
ıen großen, erquidenden Gedanken. Das möchte man alle
tge von Gott erbitten. Aber die alten find ftumpf gewor⸗
n, und neue giebt ed nicht. Große, befruchtende Gedanken
id in Deutfchland für den Nugenblid verfiegt, ed werden
ine erzeugt, weniaftens mir fommen feine zu; und id muß
glich mit den alten mich herumzerren, herumfchlagen! —
- Donnerstag, ven 4. Oftober 1856.
Der Prediger Jonas, Schwager des Grafen von Schwe-
, hat geftern in der Wahlverfammlung eine lange, fühne
d eindringliche Rede gehalten, die von allen Seiten ftürmifch
270
beflatfcht wurde, den anwesenden Minifter des Innern (Ber |
phalen) aber ganz verblüffte. —
In den Bierhäufern darf die Boltözeitung nicht gebalta
werden ; es befteht fein unmittelbared Verbot, aber Pole
leute fommen und ſehen nad), und wenn fie die Volközeitn
finden, ftellen fie dem Wirth in aller Stille vor, dap [m
Gewerbserlaubnig in Gefahr fei, wenn er das Blatt fer
halte! —
Den „ Wohnungdanzeiger“ hat die Polizei dem Buchdin
lex Dr, Veit nun wirklich entriffen. Als er einfah, dup ir
ckeldey das Geſchäft durchaus haben wolle, trat er von der
folglofen Behauptung ohne weitern Kampf zurüd. Mr
Leute nennen das „einem fein Brot nehmen“, und dad gl Jo
als gehäffigfter Vorwurf. —
Herr von Weftphalen erflärt, wenn von Behörden Ball
umtriebe geichehen feien, fo habe er davon nichts gewußt, nd ii
weniger fie befohlen. Aber feine Erlaffe ftrafen ihn Ligm P
Nach der Rede von Jonas hat er ausdrüdlich darauf verit
tet, in Diefem Wahlbezirk gewählt zu werden. Er fell mt
ein begoffener Hund als Jammergeſtalt dageftanden hal
So geht's, übermüthig und frevlerifh am Miniſtertiſch, M
und ohnmächtig vor der Deffentlichleit! —
Biele Demokraten, das beftätigt ſich von allen Orten kt fi
haben aus Trog nicht mitgewählt, andre, als rothe bean
find ſolche Peffimiften, daß fie zwar mitgewählt, aber iſt
Stimmen für Gerlah, Wagener, Goedfche ꝛc. abgegei
haben. —
Welch ein großartiges Bild entwirft Frau von Duden
von ihrem Freunde Michel de Bourges! Sie fehildert ihn #
einen Begeifterten, der mit Dante’fher Einbildungatil
furchtbare Prophetenworte fpricht; aber auch fie felbit iR rim
Begeifterte, indem fie mit dichterifher Macht ihn vor unftt
Augen ftellt. Die nächtlichen Auftritte und Wanderung,
271
fie mit ihm und andern Freunden in Parid hat, find er-
bne Zaubergemählde, in denen die ganze Zukunft fi ab-
iegelt. a, dieſe Zerftörung ded Alten wird fommen, ich
ye fie ſchon in allem, aber nicht bloß in gewaltfamen Aus»
üchen, fondern auch in ftiller Verweſung, die ſchon im vollen
ange ift. Es iſt fchredlich, für einen fo erhaltenden Sinn
e der meine, daß dafjelbe, was mein Gram ift, zugleich
ine Hoffnung fein muß! —
Freitag, ben 5. Oltober 1855.
Abends bringen die Zeitungen die Rede ded Könige in
In, worin manched Auffallende. Zum Lobe Köln’s wird
agt: „Auch, die Krone fehlt nicht, ohne die jede große Stadt
. Unding, oder eine Gefahr wird.” Armes Hamburg, Bres
n, Sranffurt, New⸗York! Aber Paris und London und
ien und Neapel, wie Trongefegnet! — Die Kreugzeitung
ist ihr Gift auf eine Rede des englifchen Gefandten Mallet
ı Bundestage, gehalten zu Hamburg bei einem Gaftmahle
: eier des Sieges der Weftmächte in der Krim; der Ge-
idte hat die Politif Preußens getadelt, in Worten, die,
nn die angeführten richtig find, gar nicht fo fchlimm lauten,
rer die Kreuzzeitung möchte daraus ein maßloſes, ein uner-
tted Berbrechen machen, der Gefandte foll nicht auf feinem
Yiten bleiben können ıc. —
Auch Herr von Hindeldey hat jept erflären laflen, eine
ah! zum Abgeordneten nicht annehmen zu können, wegen
iner Amtögefchäfte. —
Die Times wüthen immerfort gegen Preußen, und wider:
eiten heftig der beabfichtigten Heirath des Sohnes des Prin-
ı von Preußen mit einer englifchen Prinzeffin. Der Prinz
jegt grade in England, wie es heißt um zu werben. Der
nig, von.der Kreuzzeitungdparthei geleitet, war in der letz⸗
272
ten Zeit diefer Werbung abgeneigt, allein die Prinzeffin ven
Preußen foll die Sache mit Kraft durchgefept, den König mt
ſcharfen Worten an fein früher gegebened® Wort gemahnt he
ben. — Die Junkerparthei thut was fie fann um zwiide
Preußen und England feindlihe Spannung hervorzunfa
Daher auch das Heben wegen der Rede Mallet's, die fi
wenig erheblich fein würde. — |
Herr von Reumont, der Jeſuit, ift am Rhein wieder mi |
dem Könige zufammengefommen,, und von ihm zum Kammer:
herrn gemacht worden, eine Auszeichnung, welche — grak
diefe — befonderd auffällt und die entjchiedenfte Gunft ie
zeugt. —
Sonnabend, den 6. Oktober 1855.
Die Nationalzeitung bringt einen ausführlichen, trefflihen J
Nachruf über den Karafter und die Thätigkeit Friedrich Pad J
zow's. — Benehmen des Landraths Dodillet in Inſterbutz J'
würdig des Landraths von Oertzen in Anklam, ibn ſogar uhr J
treffend! Die Nationalzeitung liefert die gewechſelten Schritt:
ftüde. Die Herren von Sauden-ulienfelde und Bram
Ernſtberg als Feinde der Regierung bezeichnet! Das Tehrbaft
Schreiben des Landraths ift ein fehredtendes Beifpiel pedantı
[her Plumpheit und Verdrehung. Wie jämmerlih fam
jelbit die Macht erfcheinen, denn die ift unläugbar ver
handen! —
In George Sand gelefen. Die gemeine franzöfiſche Lde
welt macht nicht? aus dem herrlichen Buche, fe findet nut!
vanite et comme&rage darin! In ſolcher Leſewelt offenbart
fih nur stupidite et insolence. Gefindel will über die heit |
Frau urtheilen! — Ging ed Goethe’n bei uns beffer? Sen
herrliches Werk „ Dichtung und Wahrheit” fanden die Lade !
— ja wohl die Leute! — langweilig und gehaltlos! Did
273
Leuten muß man Heu und Wafler geben und allenfalls
Difteln. — |
Ein Pfarrer in Kochem an der Mofel bot dem König
auf der Durchreife ein Glas Wein, und fagte dabei: „Nein
wie diefer Wein, ift die Gefinnung meine? Orte.” Der König
erhob das Glas und fagte lachend: „Doc nicht 48er?“ —
Man findet diefen launigen Einfall des Königs fehr unpaffend
und anftößig ; ihm fomme es nicht zu über die Ereigniffe jenes
Jahres zu fcherzen, in welchem er die größte Demüthigung er:
litten und fo viele Berheißungen gemacht, von denen er feine
erfüllt hat. — Ä
Sonntag, den 7. Oftober 1855.
Die Times erklären fich heftig gegen eine Heirath zwiſchen
Preußen und England. Wie kann eine englifche Prinzeffin
mit Ehren die Gattin eined Prinzen fein, der vielleicht mor⸗
gen ein ruffifcher Lieutenant ift, die Anverwandte eines Koͤ⸗
nigs, der von feinem Volke gehaßt und verachtet auf beftem
Wege ift gleich den Bourbond feinen Thron zu verlieren ?
Das Blatt ift hier ftreng unterdrüdt, aber die Kreuzzeitungs-
leute forgen dafür, daß ed dem König vor Augen fommt. Sie
haſſen England mehr ald Frankreich.
In Pariſer Blättern hatte Lamartine bei Gelegenheit der
Ermordung Cäſar's gejagt, der Meuchelmord fei der Staatd-
ſtreich des Volkes gegen die Fürſten. Man wollte ihn dafür
vor Gericht ziehen, Louis Bonaparte jedoch hat es verhin-
dert. —
Der Minifter von Raumer ordnet für die eier des Ge⸗
burtstages des Königs im ganzen Lande Kirchen: und Schul-
Feierlichkeiten an. Diefer Kultus nimmt mit jedem “jahre
zu. Der König felbit und feine Behörden thun dazu. Aber
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. XII. 18
274
der Minifter von Raumer! Wie er den König liebt und ehrt |
hat er in Köln 1848 gezeigt! —
In Münden fiegt ganz und gar die altbaierifche und I
tholifche Parthei. Der ſchwache König wollte ald Kronprin,
den Sefuiten den Garaus machen; jegt ift er ganz im iher
Zucht. Dagegen hat das monardhifche Prinzip nichts eine
wenden, das ift fein eigenftes ſelbſt. Jeſuiten oder Junkn,
oder auch Jefuiten und Junker! Die Könige find ohnmid: |
tige Spielwerfe in den Händen derer, die fich ihre freund,
ihre Anhänger nennen. — |
Mas in Dänemark vorgeht, was in Schleswig-Holftin
gefchieht, ich mag mich um diefe erbärmlichen Geſchichten nicht
im Einzelnen befümmern. Verfaultes Königthum, vereitelt J
Bolt! —
Gerede, Louis Bonaparte habe mit dem Könige am Rhein |
eine Zufammenfunft haben wollen, der König aber fie abge⸗
lehnt. Darüber wird viel glofjirt, fpöttifh und gehäſſig
Man erinnert an frühere Vorgänge, an Olmüg ꝛc. Louis
Bonaparte, heißt es, läßt nicht mit fich fpaßen, wenn der wat
ernftlih will. Das hören Preußen ruhig mit an, das fügen
Preußen, erbittert über die Rolle, die fie den Staat jpieler
ſehen! — Ä
— — — — — —
Montag, den 8. Oftober 1855.
Mir hat von Rußland geträumt; dad weite Neich wur
aufgefchloffen, der Freiheit, dem Verkehr, alles wimmelte von
freudiger Ihätigkeit, die Tyrannei war im Großen wie m.
Kleinen abgefchafft, alle Furcht war verſchwunden, alle frühe .
ren Berhältniffe wichen dem neuen Leben. Ein Traum, dan
aber der Wille Eined Menfchen erfüllen fönnte, —
Große Freude in der Stadt; von ihren neun Mbgeordne-
ten find fieben freifinnig ; Graf von Schwerin dreimal, Raten _
275
Kühne jeder zweimal gewählt. Die Kreuzzeitungspar-
bat nur Eine Wahl durchgefeßt. In Magdeburg Bun-
gewählt, wahrfcheinlich weil er in legterer Zeit für Ge:
endfreiheit aufgetreten ift; ob er Stich und Farbe halten
d, fteht noch dahin. —
Bon allen Seiten wird berichtet und verabjcheut, daß die
gierung bei den diedmaligen Wahlen im ganzen Lande auf
gewaltjamfte und fchändlichfte gewühlt, die niedrigften
ttel aufgeboten hat, und Doch, fo viel fich jegt überjehen
t, mit geringftem Erfolg. —
Ruſſiſche Verluſte und ruffifche Rüftungen ; dabei doch ge:
ne Berfuche zur Friedendvermittlung durch Preußen und
terreih; die amtlichen Berneinungen find falſch, und ſtützen
höchſtens auf den Umftand, dag dergleichen Berfuche nicht
n in aller Form gemacht werden, fondern in vertraulichen
deutungen, die nachher nichtö gewefen fein ſollen. Louis
naparte hat die preußifchen Taſtungen ald unberufene
löd abweifen laffen. Die Schmach hat man. —
Eine merkwürdige Erjcheinung in unter Ritteratur war
ı Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts die allgemein im
fe verbreitete Leſewuth und die derfelben dargebotene Nah⸗
ig. Ich weiß in feinem andern Volk etwas Aehnliches.
tes nicht erlebt hat, kann faum eine Vorftellung davon
en. Auch jest lieſt das Bolt viel und allerlei, aber mit
t Zeit ift das in feine Vergleichung zu ftellen. Dienft-
n, Handwerker, Höfer, Lehrburfchen alles las mit Heiß⸗
ger, und in der Regel die Herrfchaften und Bildungsſüch⸗
a ebenfo; alled begnügte fich mit der rohften Koft; Karl
tlob Cramer, Spieß, Albreht, Schlenkert, Kopebue, wa-
die Lieblingdfchriftiteller, Veit, Weber (Wächter) und
intaine befriedigten außer den gemeinften Zefern auch fchon
13 feinere. Aus diefer Leferei ift viel in dad Volk über-
ngen, Borftellungen, Ausdrüde, Antriebe, mehr ald man
18°
276
glaubt. Das Volf hatte damals wenig zu thun, tährend in
Frankreich täglich die größten Dinge vorgingen; jene Schrift:
fteller waren ihm litterarifhe Demagogen, und als jnlk
feine jchlechten Talente. Es wäre der Mühe wertb, m
Darftellung ihrer Perſonen, Verhältniffe und Wirkfamfetu J
verfuchen. — I
Die Gottjched’fche Zeit, in welcher auch dag Mittelming
"und Geringite, die verwäfferte Nachahmung und dürftige An: J
reftheit fich zur Herrfchaft erhoben hatten und diefe unglur Wi
lich behaupteten, erſtreckte ihre Wirkung nicht auf das eigen J
liche Volk, für welches fie zu matt und leer war, fondem uf
die Gelehrten und Gebildeten, das heißt auf die zahlınd WR
Klaffe der Pedanten und Weltleute, die fein und zierihu J
wollten. Wir begreifen jept faum noch, daß fo wenig Am fr
und Geift damals in den Leuten war. Doch lebten jün if:
Windelmann, Leſſing, Möfer, Goethe, und felbjt Geller mi
als glänzende Ausnahme gerechnet werden. —
Unfre Litteraturgefchichte ift nicht fo Leicht und kurz ıb
gethan; fie ift ein verwidelter ſchwieriger Stoff, wie mit
deutſche Reichsgeſchichte; die rechten Gefichtöpunfte merkt
erft in der Folge gefunden werden. —
Dienstag, ben 9. Oktober 185. .
Der Ausfall der Wahlen im ganzen Lande, fo weit läge
ſchon überfehen läßt, feheint noch immer das Uebergewicht Wi
Minifteriums zu fihern, wenn auch die freifinnige Oppoſiin
verftärft worden. Landräthe, Nittergutsbefiger, Anehtik
gefinnte oder Doch Knechte in großer Zahl. Folge des nihlk
würdigen, unfinnigen, aber den Miniftern dienenden Dib
klaſſen⸗Wahlgeſetzes. Freilich war die Volksbetheiligung Id
den Wahlen gering. Aber auch das ift Folge des oftronirten
Willfürgefebed. — |
277
er. Reumont's Kammerherrnwürde ift der hiefige Hof-
wahrer Wuth; es fei feine Ehre mehr, den Schlüffel
, wenn manihn mit folhem —, Parvenü, Sefuiten zu-
haben folle; man fragt, ob feine Schweftern noch den
n in Aachen haben u. f. w. Eine wahre Empö—
en Alcherfon, den Philologen, von der Philologenver-
19 aus Hamburg zurückgekehrt, bei Ludmilla'n gefehen.
jehr zufrieden mit allem was ihm dort begegnet ‚und
jefeben. Helgoland, Gaftfreiheit ꝛc.
Goethe geleſen, — den herrlichen Auffaß über Krum⸗
; Predigten, im Horatius, in Tieck's Leben. —
Jeſuit aus Paderborn audgewiefen. Wie hat das
ı Eönnen ? Vielleicht Mißgriff einer Unterbehörde, den
cbehörde wieder gut macht! Oder bat der Mann bei
hlen ſich fchlecht benommen? Fa dann wird er fein
zu büßen haben! —
wig Tied hat dem Herrn Köpfe forgfältig immer an-
wenn er irgend einen Gedanken gehabt, den Andre
yet, ein Urtheil audgefprochen, das Andre fich ange-
yefonders aber wenn er Andern ganze oder halbe Ar⸗
berlaffen und ihnen erlaubt hat feine Autorfchaft zu
n zu machen. Hiebei kommt vor allen der arme
di übel weg, bald foll Ziel, bald Tieck's Schweiter
haben, was unter Bernhardi's Namen geht. Hier
ch erſt genau zu prüfen, ob Tied’d Erinnerung immer
ar, ob er nicht in manchen Fällen ſich geirrt, oder
oke die Sachen irrig aufgefaßt hat. Was Bernhardi
rüberen Zeiten mitgetheilt, ftimmt oft gar nicht mit
ngaben, und ich habe Bernhardi'n nie unwahr oder
ch gefunden. Gewiß ift, daß die Freunde und Schwä-
8 gemeinfam getrieben, erdacht und ausgeführt haben,
es oft ſchwer fein mag, jedem fein Theil genau zuzu-
278
Schreiben, Nicht immer ift auch der, welcher grade die par
geführt, det wahre Autor. — —
Mittwoch, den 10. Oktober 1855.
Die Nationalzeitung bringt feit kurzem einige Auffs*
über Häuffer’3 deutfche Gefchichte, recht brav und gutgemet!
aber wie der Autor felbit, den fie befprechen, einen St
punkt nehmend, der für jene Zeit nicht gelten Tann. 1
deutfehe Gefinnung, wie fie heute verlangt wird, gab es 3
mals nicht, und konnte es nicht geben, fie mochte mit alı
Zeiten fpielen wie Klopftod that, oder in den Lüften [ce
ben, ein Boden wo fte hätte fußen können, war nicht zu fi
den. Und was kann denn heute gute deutfche Gefinnen
thun, ald etwa mit hohlen Worten um fich werfen, oder. re
Iutionaire Wünfche hegen? Damals jauchzte gute deutfhe ©
finnung über den Fall der Baftille, heute über den von Seht
ftopol ; wo ift da der Unterfchied? Außer daß der erftere Jul
doch noch beffer war, ald der lebte. —
Auswärtige Blätter fprechen rückſichtslos über dad %:
nehmen der preußifchen Regierung bei den Wahlen und nm
nen es eine ſchamloſe Wühlerei. Die Ausfchreiben der Land
räthe, Kleiſt-Retzow's 2c. werden ald Beleg angeführt un
nachdrücklich abgefertigt. —
Der Polizeidirektor Dam in Paderborn — in Folge d
Aergerniffed mit dem Jockeyklub hier im Hotel du Nor e
dorthin verfeßt — ift ſchon wieder abgerufen. Er batte fatt
tifche Flugfchriften in Befchlag genommen, der Minifter !
Innern hat das ſehr mipbilligt und die Schriften wie
freigegeben, Der arme Dam zeigt einen ungefchidten Dier
eifer. „Gehört zur Polizei, und weiß nicht, daß Junter ı
Katholiten im heutigen Preußen nicht Unrecht haben fönr
er denkt wohl, er hat immer Demokraten vor ſich?“ —
279
Bei Gelegenheit von Tieck's Leben, wie ed Herr Köpfe ge:
rieben hat, bietet fi mir ganz paſſend folgender Ausspruch
ohannes von Müller’3 dar: „Es ift fchädlicher, als man
aubt, dag in dem Leben berühmter Männer fo manches ver:
bit wird ; wie fann die Gefchichte eine Schule der Menfchen-
nntniß werden, wenn fie den Menſchen nicht zeigen darf,
ie er iſt?“ —
Die Verleihung des ſchwarzen Adlerordend an den Hardi-
I Erzbifchof von Köln Johannes von Geiffel hat hier viel-
ches Mißfallen erregt. Diefes höchfte Ehrenzeichen Preu-
ns haben am Hofe nur zwei Perfonen, im Heer nur Wran-
L, in der Verwaltung niemand. (Kein Minifter.) — Aber
e Katholiken ftehen in Gunſt. 5
Der König hat dem Herm Minie in Paris, dem Erfinder
r nach ihm genannten Gewehre, die große goldne Friedriche-
nemünze und die Werke Friedrich des Großen zugefchidt. —
Das Leben Tieck's Tieft fih ganz angenehm und ift gut ge-
hrieben, in maßvoller Haltung, was mit einiger Schwädh-
hfeit — wie in dem Buch der Frau von Wolzogen über
ſchiller — ſich recht wohl verträgt. Es ift ein Werk. der
ietät, und ale folches zu loben. Der PVerfaffer hat auch
hl von dem, was er verfchweigt, nicht viel gewußt. —
Donnerstag, den 11. Oktober 1855.
Ras hab’ ich heute hier von der großen Stadt? Es geht
rchaus nichts vor. Nicht am Hofe, nicht in der Gefellfchaft,
ı wenigften in der Deffentlichfeit, doch find die elenden Thea-
gefüllt, und die Wirthshäuſer, glänzende und ſchmutzige,
aud nichts vorgeht. —
Ich leſe immer noch in Tieck's Leben, dad mir viel zu den-
‚ zu erwägen giebt. Bon Tied’d ökonomiſcher Lage ift nie
280
die Nede, und doch ift diefe in feinem ganzen Weſen ven gröj⸗
ter Wichtigkeit; . wenn er nicht geworden ift, was er feinem
Genius nach werden fonnte, fo find daran vorzüglid je
Dinge fchuld, feine von Anfang und immerfort — bie auf di
legten Jahre — zerrüttete Wirthfchaft, und das Lafter jeim |
Vorleſens, denn ein Lafter war ed, wie Das Weintrinken i
Wirthshaus, oder das tödtende Kartenfpiel. Wie er fen
Freunde mißbraucht hat, befonderd Wackenroder, dann Burs
dorf, auch Rumohr, darüber wurden die bitterften lagen ge:
führt. Wilhelm von Schlegel machte eine Gloffe darauf, m
Spottgediht, dad mir einmal mitgetheilt wurde. Sei
Schuldverhältniffe waren ebenfalld ſehr widermwärtig un
hemmten ihn. Seine „ Eevennen* hat er bloß deshalb wit
vollendet, weil Reimer ihm das Honorar früh voraudbezahlt
hatte, und Tied nun lieber etwas fchrieb, wofür er friſche!
Honorar befam. Diefe Mipverhältniffe griffen tief ein. Yon
feinen Weibergefchichten, frühern und fpätern, fehmeigt dt
Biographie ganz; manche waren allerdings ſchwierig dar:
ftellen, 3. B. die Liebichaft mit feiner Schwägerin Marie I
berti, die nachher ald Büßerin fatholifch wurde, nachdem Tied,
um fie los zu werden, an Bernhardi fie gleichfam abgetreten
hatte. Bon der Schweiter, Sophie Bernhardi, nahhergm |
Frau von Knorring, wird nur in Umriffen berichtet. —
Wichtige Nachricht aus Hannover! Das Obergericht in
Aurich (Oftfriesland), beftehend aus drei Richtern, hat in
Muth gehabt, in einem NRechtöftreit ein Erkenntniß abzugeben,
in welchem die oftroyirte Verordnung vom 1. Auguft d. Jah
ald nicht rechtsgültig erflärt wird. Dies hat eine brutale, ak |
Nechtöpflege gefährdende neue Oftroyirung zur Folge gebatt,
die Errichtung eines Staatsgerichtshofes, der im Disziplinav
wege jeden mißfälligen Richter entlaffen kann. Der Staat
gericht&hof ift bereitd ernannt. So werden Die Deutſchen von
ihren Regierungen, Hannover von feinem blinden König und
281
Men verruchten Rathgebern behandelt! Für den Augenbiid
das Volk machtlod gegen ſolche Schändlichkeit, wird ed aber
achtlos bleiben? —
In Kafjel hat Haffenpflug mit feinen Spießgefellen Voll:
rar und Baumbach feine Entlafjung begehrt; neue Minifter
erden fchon genannt. Ob das was bedeutet, wird fich bald
igen. Vielleicht gefchieht diesmal den Spikbuben Un⸗
dt! —
Die drei Obergerichtöräthe in Aurich heißen Ludowieg,
efſe und Planck; legterer ift ein Entfel des berühmten Got-
Sgelehrten (und nur Obergerichtsafleffor). — I[Seffe hat an-
rs geſtimmt, fchlecht !]
Es wird vielfältig erwähnt, daß Ludwig Tieck eine auf:
Uende Aehnlichkeit mit Napoleon Bonaparte gehabt; indep
ar die Aebnlichkeit Bernhardi's mit dem Kaiſer noch viel
rößer; im Jahr 1806, wenn er einen franzöfifchen dreiedi-
m Hut aufiebte, war ed zum Auffchreien. Zwiſchen Tied
nd Bernhardi war jedoch nur geringe Nehnlichkeit. —
Freitag, den 12. Oftober 1855.
Ueber das Treiben der Behörden in den Wahlangelegen-
eiten häufen jich die ſchmachvollſten Anflagen. Keine Füge,
ine Berläumdung, fein Kniff wurde gefpart. Und dies alles
ing von oben aus, wie fehr man fich jegt bemüht, es auf den
inbefugten Eifer von Unterbeamten zu fchieben. Der Kon-
tableroberft Patzke ift fehr empört, daß man auch ihn ala
olchen preiögiebt, und fagt laut, was er gethan, habe er auf
usdrüdlichen Befehl des Herrn von Weftvhalen gethan,
nd wenn der fage, daß’ er felber davon nichts gewußt, fo
ige er. —
j Etwa zwanzig vormalige Mitglieder ded Abgeordneten-
282
baufes, die zur Oppofition gehörten, find diesmal durchgefal⸗
len, unter andern Bethmann-Hollweg, Binde (Dibendef),
Wentzel, Milde, Alfred von Auerswald, Brämer ꝛc. Diurd
Nachwahlen werden einige wohl noch gewählt werden. —
Wie übermüthig der — Louis Bonaparte auf Engl
wirft, giebt fich Dadurch erfchredend zu erfennen, daß man der
auf fein Andringen ernitlich daran denkt, die Flüchtlinge zu
entfernen, nach Amerifa oder fonft wohin, entweder durd
Parlamentsakte oder durch bloße Minifterverfügung, wenn zu
diefer fi) eine Form findet. Wenn England fein Zufludts
recht verliert, ift e8 nicht England mehr, trägt es auf der
Stirne nicht mehr Stolz, fondern Scham. Gelingt dem —,
diefe Schmach auf England zu bringen, fo hat er dem verhün-
deten Lande tiefern und heillofern Schaden gethan, als dem
feindlichen der alte Bonaparte je hat zufügen können! —
Sonnabend, den 13. Oltober 1855.
Der König hätte dem armen Teufel Reumont fein fchlim:
meres Geſchenk machen können, ald den Kammerberrnihlüfll.
Alle Kammerherren, die ganze Hofariftofratie, alles it em
pört; fie jehen died ald eine Herabwürdigung der Chren an,
die ihmen allein gebühren; daß es ſchon Beifpiele der Art
gegeben, daß Neugeadelte Kammerherren geworden (auch Je |
banniter), fommt nicht in Betracht, in Reumont fehen fie nut
den unwürdigen Plebejer, den SHerauffriecher. Ein alte
Hofmann’ rief mit Entfepen bei der Nachricht aus: „Nun it
feine Sicherheit mehr! Nun fieht man, daß der König führe
ist alled zu tun!“ Der wüthendfte Haß wirft ſich auf Rew '
mont, man will ihm eine öffentliche Kränkung zufügen, tet
DOberfammerherr Graf von Dohna fol ihn mit ſchneidendet
Kälte behandelt haben. —
283
Die Prinzeifin von Preußen wurde am Rhein, während
der Unpäßlichkeit der Königin, überall aufs Befliffenfte aus-
gezeichnet. Die Königin hierüber migvergnügt. —
Unſte Wahlen find fchlecht ausgefallen, die Servilen find
weit im Bortheil; was noch gut an der Berfaffung ift, ſchwebt
in größter Gefahr; Junker und Regierung werden auf ſtän—
difche Gliederung hinarbeiten, e8 können jämmerliche Zujtände
fommen! Den Peſſimiſten ift dad ganz Recht, fie wünfcen,
daß das Aeußerſte fomme, damtt auch fie das Aeußerſte nach
ihrer Urt herbeiführen. Die Mehrzahl der Wähler ift den
Wahlen fremd. In diefem Regierungsbezirk Berlin und
Potsdam haben von 105602 Wählern nur 17180 theilges
nommen; in arfdern Bezirken ift das Verhältniß noch niedri-
ger. Die Maffe des Volks findet ed nicht der Mühe werth,
in dieſer Berfaflung etwas zu fein; man wartet auf Ereig⸗
niffe, auf große Veränderungen ; fie werden kommen. —
Im Tacitus gelefen; fehr erhebend, wenn man den Ge-
ſchichtſchreiber als Hauptfache nimmt, fehr niederfchlagend,
wenn den Inhalt! wenigſtens ift dieſes Leſen nicht erheiternd !
— Goethe’fhe Briefe, Tied’3 Leben. — —
In Potsdam ftellte ein Kandidat den Wählern feinen
Spruch „Mit Gott für König und Baterland!”" Ein Gegner
fand diefen nicht genügend, und erklärte fich für beffer gefinnt,
er fei ganz und gar für die Miniiter! Welch eine Satire er
damit machte, ahndete er nicht. Aber jo ſteht es, die Sache
ift richtig. —
Manteuffel, Weftphalen und Hindeldey find tief gefränft
durch ihre Niederlagen bei den hiefigen Wahlen; Nüdzug ift
bier ebenfalld Niederlage. Aber fie find auch ſehr ergrimmt,
und ſchimpfen auf das Wahlweſen. —
Der Jude Salomond, erwählter Lord Mayor von Lon—
don, ift unfern Zeloten und Junkern ein fehredliches Aerger⸗
niß. Sie fhimpfen und läftern gewaltig! —
284
In der Augsb. Allgemeinen Zeitung wird von der
Schwäche der preußifchen Demokratie gefprochen, man habe
fie überfchäßt, fh ohne Noth gefürdtet ze. Die Furcht wur
allerdings übergroß und zeigte die Schwäche der Regierung
Der Ejel von Schreiber weiß aber von der Demofratie nichts,
fonft würde er wiffen, daß die Demokratie fein ftehendes Her
hat, aber ihr Aufruf plößlich einen Heerbann unter Waffen
ftellen fann, von dem die preußifchen Truppen vielleicht nur
ein Theil find. Waren fie ed im Sommer 1848 nicht etwa?
Sonntag, den 14. Oktober 1855.
Die Volkszeitung macht fchneidende Betrachtungen über
Kaffel und Hannover; feit fünf Jahren babe Haffenpflug in
Kaffel bei aller Willkürmacht und Unterftühung vom Bundei-
tage feine geordneten Zuftände herzuftellen vermocht. — Be
ichlagnahme des Bethmann⸗-Hollweg'ſchen Wochenblattes, eine?
Görlitzer Blattes ꝛc.
Heute iſt es neunundvierzig Jahre, daß die Schlachten
von Auerſtädt und Jena geſchlagen wurden. Ein ermſtet
Gedenktag! —
Der Geburtötag des Königd wird morgen von denen am
meiften gefeiert, die ihn am entfchiedenften haſſen, und if e
nicht zum Erbarmen, dag der König felber das meifte dazu
thun muß, daß er feine Kanonen die Feier verfünden Täßt, daß
er die Prediger und Schulmeifter aufbietet, daß die Polizei
und die Negierungsbehörden allerlei Bezeigungen anordnen!
AU dergleichen fand bei dem vorigen Könige nicht Statt. —
Ich habe heute das Tieckbuch zu Ende gelefen. Wie ſeht
ich Tieck hoch ftelle, ald Dichter ihn zunächft an. Goethe und
Schiller reihe, wie fehr ich geneigt bin, feine Menſchlichkeiten
zu erkennen und zu entſchuldigen, den’ Leidenden zu bedauern,
a
285
fo bat doch der Schluß des Buches, wo die Meinungen und
Anfihten Tiecks über Zeitfragen mitgetheilt werden, mid
empört! Welche Beichränftheiten und Borurtbeile, welche Rob:
beiten und Gemeinheiten hatten fich in dem alten Böfewicht
feſtgeſetzt! Das Hängen findet er ſchön, die Zünfte lobt er,
über Berfaffung und öffentliches Verhandeln fpricht er wie
der gemeinfte Phitifter. Pfui! —
Montag, den 15. Oltober 1855.
Geburtötag des Könige. Kanonenſchüſſe. Schlopfuppel-
Mufif. Glückwünſche, Gaftmähler, elende Gedichte; feine
Beleuchtung. —
Der König hat die Freigebung der Blätter der Times bes
fohlen, welche die befannten Schmähungen gegen ihn enthals
ten. In Berlin und in ganz Preußen nur wenige Abdrüde !
Db unfre Zeitungen nun jene Artikel aufnehmen dürfen? fie
werden ed nicht wagen! Am erften thäte es nod) die Kreuzzei-
tung, die neben dem Vergnügen auf England zu fchimpfen
zugleich den geheimen Kitzel befriedigte, dem Könige den
Schimpf unter der Hülle der verehrungdvollften Entrüftung
vorzuhalten. —
Nachricht von einer großen Niederlage der Ruſſen unter
dem General Murawieff beim verjuchten Sturm auf Kars,
4000 Todte werden angegeben. — Nachtraäglich berichten die
ruffifhen Blätter dad von der Kreuzzeitung geläugnete Reiter:
gefecht bei Eupatoria, und geben die gemeldeten Berlufte zu,
deren Schuld fie dem General von Korff beimefjen ſpielt hier
der Haß gegen die deutfchen Namen ein? —
Der Geh. Rath Bunfen hat die in Magdeburg auf ihn
gefallene Wahl zum Abgeordneten nicht angenommen, „aus
Gefundheitärüdfichten*. —
Bon Baader’! Werfen der achte und der neunte Band.
286
Mit welcher Beharrlichkeit, Aufopferung und Mühe der made
Franz Hoffmann died Unternehmen durchgeführt, unter da
größten Ungunft der Zeitläufte! Mir ift indeß die Freude an
dem Werke vergällt durch die Fathulifch-firhliche und auch yr
litifchstrübe Farbe, die das Ganze hat annehmen mu.
Dap er ein Katholif und ein Baier war, ift Baader's Unglid,
und fein Herausgeber ift leider beides auch, muß ed noch mer
fein, als er möchte. Die Schriften Baader’d geben fein
Borftellung von dem, was er im Leben als freie Perfönlictet
war. Seine tiefen Lehren wirften im Geſpräch frifch un
heiter, waren an feine Oberfläche gebunden, konnten fid mit
allen äußern Formen vertragen, weil fie von diefen jid ne
bedingen liegen. In den Schriften erfheint er oft ald Zelt
als Anhänger der Großen. Seine Philofophie, in melde
Tieffinn und Geiſtesmacht walten und die fühnfte Dialekt
gejchiet arbeitet, wird doch ſchwerlich durchdringen und den
Einfluß haben, den ihr Hoffmann beilegen will; fie ift meht
ein Denkmal der Bergangenheit, ald ein Gebild der Zu
kunft. —
Eines follt’ ich endlich lernen in diefer für mich fo pein
vollen Zeit, aber ich lern’ ed nicht, und alle Borfäge ſchwinden
bei erfter Gelegenheit in nichts! Ich jollte lernen, alles härter
und gleichgültiger zu nehmen, fowohl was mich betrifft, als
befonderd auch was Andre. Wie fchnell wird alles zur Der
gangenheit, und befommt dann doch ein andres Geficht!: Daß
ich empfindlic, für mich bin, möchte noch hingehen; aber füt
Andre ed zu fein, ift ein großer Fehler, eine Selbitopferung
. die Niemand und dankt, deren Anlaß der Andre vwielleiht gut
nicht gefühlt hat. Aber wer dazu einmal eingerichtet üft, det
kann es gar nicht laffen, der fann die Gemüthsbewegung gat
nicht abwehren. So geht ed mir, und fo leb' ich jeden Tay
unter vielfachen Wunden und Schmerzen, von denen die An
dern nichts willen. —
287
Dienstag, den 16. Oftober 1856.
Alle unfre Zeitungen, auch die es fonft nicht thaten,
reihen oder berichten vom Geburtötage ded Könige, man
nubt, die Polizei habe depfalld beftimmte Weifungen er:
den laffen, denen zu trogen nicht Flug gewejen wäre. Auch
:inen manche Leute, man müfje den König äußerlich hoch:
Iten ſchon um des Auslanded willen. Sie machen's wie
t der Religion, fie verachten die Tirchlichen Anftalten, wollen
er, daß Andre fich ihnen fügen. in märfifcher Junker,
‚ahlt man, hörte Mipreden gegen den König mit Zuftimmung
‚ ald er aber vernahm der Mißredende fei ein Bürgerlicher,
iterte er einem andern Junker zu: „ch dachte ed wäre
ter von und! Was hat der ſich in unfre Sachen zumifchen? *
e glauben wirflih, unzufrieden mit dem Könige zu jein
nme nur ihnen zu, fei ein Vorrecht der Edelleute. —
In Baader’3 Lehren möcht’ ich eine Scheidung vorneh-
n, eine Scheidung der tiefen Gedanken von ihrer theologi-
en, ſcholaſtiſchen Hülle, des reinen Sinned von den Wahn-
dern, die fi darum gelegt. In feinen Gefprächen machte
jelber diefe Scheidung, wenigftend wenn er mit Rahel und
r zu thun hatte; da war er nur der hohe Denter, heiter und
rin tiefen, reinen Gedankenreihen. Wenn er mit Koreff
ach, fo nahm er ſchon etwas, mehr Zuthat von myſtiſchen
Yantadmen und wunderlichen Ausdrücken, weil er wohl ſah,
3 es bei dem angebracht war. Mit Zuftinus Kerner ließ er
) ganz in den Wuft von deſſen Abgeſchmacktheiten verfinken,
d machte den roheften Wahn und Aberglauben mit. Der
me Baader! Er konnte lebenslang die fchlechte Hülle nicht
werfen, welche das hergebracht Heilige um feinen großen
it geworfen hatte! — Bon feinen Geſprächen hab’ ich
en Genuß gehabt, wie von feinen andern, die ich mit un—
n Philoſophen gepflogen ; diefe wollten meift gar nicht von
r Sache ſprechen; Baader wollte und fonnte dad immer,
288
und mit frifchefter, belchtefter Geiftesgegenwart. Seine jänit:
lihe Mittheilung war weder fo frei noch To gewandt, ukj
bei aller Schroffheit und Derbheit Doch ſtets anmuthig, gib |;
voll, fogar wigig. Mit Recht fagt Franz Hoffmann: ‚Mm |
eigentliche Kern, wenn man fo fagen darf, des Baaderjin
Stile ift vortrefflih, und Baader hätte ihn nur mehr von
äußerlichen Nachläffigkeiten befreien follen, um ihn als m
wahrhaft klaſſiſchen hervortreten zu laffen. In den dur
büchyern aus der Zeit des Jünglings⸗ und des umgehen
Mannesalters jchrieb Baader ohne ‚alle auf Schönheit da
Darftellung gerichtete Abjicht in einem fo trefflichen Stil, di
ſich jene genialen Ergüſſe des eben fo innig fühlenden wie tel
denfenden jugendlihen Geifted neben das Herrlidit m P.
Schönfte ftellen, was die deutfche Literatur aufzuweiſen hi J
Nicht weniger erhebt fi der Stil der von Baader zwiſhen J
dem jechzigften und fiebzigften Lebensjahre geſchriebenn J.
Schriften oft nahehin zur Höhe ächt Plafjifcher Darſtelunze J.
weiſe.“ Hoffmann beruft fich hiebei auf die Urtheile vn J.
Barnhagen, Guhrauer, Carriere, Hamberger ꝛc. —
Mittwoch, den 17. Oktober 185.
Unfre Zeitungen ſprechen mehr als fonft vom Kin M
auch die Nationalzeitung, auch die Volkszeitung; Folge Mi
zeilicher Andeutungen oder Mahnungen! Was Tönnen W
Blätter thun? Sterben wollen fie doch nicht, und fo mil
fie fih fügen. Nach und nach ſinken fie alle auf das Ri’
der gewöhnlichen alten Zeitungen zurüd. Ich würde freiid
lieber die Sache aufgeben, aber rathen kann man das mit
unbedingt jedem, abgefehen davon, daß es noch zweifelhaft il,
ob es das Rathſamſte wäre! — Man empfiehlt mir Bunſen'
Schrift, Briefe an Arndt über die Zeichen der Zeit, ih hi
‚289
ht ſehr begierig darauf; im zweiten Theile wird er den —
:ahl, den Umkehrer der Wiffenfchaft, verarbeiten. Recht jo!
lagt euch untereinander, da geht Fein Streich verloren! —
Der General von Wrangel bat zu einem Befannten von
heftig gegen Herrn von Hindeldey gefprochen, derſelbe
te fein Geſetz, übe despotifche Eigenmacht, gefährde das
:aatdwohl, arbeite den Demokraten in die Hände ꝛc. Man
iſſe alles aufbieten, ihn zu ſtürzen; in den lebten Wahl:
vegungen habe er Recht und Wahrheit mit Füßen getreten,
n Anfehn der Regierung unter dem Borwand ihm zu dienen
endlich gefchadet ꝛc. —
Den franzöfifchen Flüchtlingen auf Jerſey hat der Huldi-
ngsbeſuch der Königin Bictoria bei Louis Bonaparte zu
tigen Schmähungen in Berfen und in Proſa Beranlaffung
jeben, fie habe Ehre und Scham verloren ꝛc. Das wird
ı Flüchtlingen übel befommen! Die Engländer fühlen die
fe Schmach, deßwegen wollen fie ihre Schande nicht aue-
:ehen hören. Louis Bonaparte’d Dringen auf Entfernung
: Flüchtlinge wird dadurch fehr befördert. Aber die Wahr:
t iſt doch gejagt! —
„Reifedriefe aus Belgien, ranfreih und England im
ymmer 1854. Bon B. U. Huber. Hamburg, Rauhes
tus.“ 2 Theile. Kein Buch für mih! Ein Pietift, der
y mit der Kreuzzeitung entzweit hat, und feindlich gegen
je aufeigne Hand weitergeht, das ift noch nicht fo wichtig
er merkwürdig! Wilhelm von Humboldt lobte einft über
bühr das Buch diefed Huber über Spanien; man glaubte
nals diefer könne ein Sohn Humboldt’3 fein, aber der Frei⸗
ft hat jchmerlich einen Pietiften gezeugt! —
Barnbagen von Enfe, Tagebüder. XII. 19
290
Donnerstag, ben 18. Oftober 1855.
Befuch von Herrn Dr. Rudolph Köpfe, dem Sohne mii:
ned Univerfitätsgenoffen in Halle, des damaligen Famula
von Fr. Aug. Wolf. Ein Muger, einfichtsvoller Mann. Er
gefteht mir, daß ed fein Vortheil war, bei Abfaffung fein |
Buches von Tied’3 Leben nicht mehr zu wiflen, ale wada
durch diefen felbft davon erfahren, von manden Scattenfi |
ten und dunklen Vorgängen nur Andeutungen zu hab,
hinter denen das Einzelne jich verborgen hielt. Seitdem ki
er freilich vieles gehört, was er aber als unverbürgt bei Sit |
laffen konnte; genug, daß in feinem Buche Die Anfäpe zu fr
den feien‘, wo dergleichen eingefügt werden könne. Daß jm
Buch, in Folge der Art feiner Entftehung, einen Anflug ım
Schwäche habe, wollte er nicht läugnen, die Pietät feined kr:
fönlihen Verhältniffes muß died verantworten. —
In den Zeitungen auch nicht die Fleinfte Nachricht et
Angabe, die mir zur Freude, zum Anknüpfen frifcher Ger
fen wäre. In ganz Europa nirgends ein heller Funke, m
Zündftoff in ungeheurer Anhäufung! Statt des Maren Lihles
wird trübe Klammengluth kommen, die wünfch’ ich nidt! -
Die Neue Preußifche Zeitung nimmt ſich ihres Haffenpiu
an. Sie macht die Mehrheit der Stimmen geltend, wi
für deffen Günftling Bilmar vorhanden war, und die derfut
fürft nicht achten will. - Diefe Verächterin der Majentil,
diefe Preiferin der Autorität! Aber Widerfpruch gegen ſih
felbft, heute Nein, morgen Ja, das ift diefer Frechen Partki W
tägliches Brot. —
Louis Bonaparte zeichnet einen Beitrag von 12,000 Jrar
ten zu einer koloſſalen Erzbildfäule der Jungfrau Maria, uw
verfpricht Metall dazu von den eroberten Kanonen Ser
ſtopols! — |
291
Freitag, den 19. Oftober 1856.
Die Bolközeitung macht ihre gehörige Ausbeute von Haj-
ſenpflug's Entlaffung, und ftellt die Kreuzzeitungsleute in
ihrer Blöße hin. —
Ich erfahre, dag das Gericht die legte Befchlagnahme des
Bethmann⸗Hollweg'ſchen Wochenblattes nicht gutheißt, und
die der Volkszeitung eben fo wenig. Der Graf von Wartens⸗
\eben hat es für eine beleidigende Zumuthung erflärt, die von
der Polizei dem Gericht gemacht worden, grundlofe Beſchlag⸗
nahmen zu beftätigen; die Polizei meint, fie habe andre Ge⸗
ſichtspunkte als die Gerichte, fie könne fich nicht an das Ger
jegliche halten, fondern nur an die nächften Zwede der Re-
gierung. —
Der Berliner Magiftrat giebt in der Spener’fchen Zeitung
eine ausführliche Antwort auf die dafelbft ihm anonym ge-
machten Beichuldigungen der „Kniderei und Nergelei"; er
weiß recht gut, daß diefer Auffap von Hindeldey herftammt,
Warum verklagt er ihn nicht vor Gericht? Die hohe Obrigkeit
fühlt fich doch fonft fo leicht beleidigt !—
Ein neuer Landrath hat fi in den Wahlfachen wunder:
bar hervorgethan, indem er fein Mißvergnügen auöfpricht, -
daß viele Wähler feinen Rath nicht befolgt, fondern für
einen regierungäfeindlihen Mann geftimmt haben. Er
Warnt fie daher, der Meine Pafcha von Sprottau! —
Der Juſtizminiſter in Hannover hat die Richter in Aurich
jur Verantwortung gezogen, zuerft follen fie befennen, wie
jeder geftimmt hat; wer Died zu bekennen zögert, wird dafür
angefeben, fchlecht geftimmt zu haben. Der Richter Gele,
das hat fich fchon ergeben, ift nicht gleicher Meinung mit
Ludowieg und Pland geweſen, er hat gut geftimmt, alfo —
geundihleht! Das Schapkollegium hat ſich an den Bundess
tag gewendet, um Hülfe gegen die Handlungen der Regierung;
das wird fhön ankommen! Zuftände wie diefe in Hannover
19*
292
find wahrhaft unerbört in Deutfhland, man wird fie einit
für Fabeln halten. Und mehr oder minder ift ganz Deutid
land in folhen Zuftänden: Willfür, Gewaltfamfeit, Lüge,
Betrug. Soll man bei Spigbuben Recht fuchen gegen Spiß
buben? —
Das Athenaeum frangais fpricht über Heine fehr nad
theilig. Ein Herr Leon de Wailly hat ihn zum Gegenitant
einer ausführlichen Schilderung genommen. Was er ihm
vorwirft, ift im Einzelnen alles wahr, und trifft doch im Gun:
zen nicht zu. Den tiefen Kern in Heine, wo Diefer aufrictig,
ernst und treu ift, hat er nicht erfannt. Heine darf nicht vom
gewöhnlichen Standpunft einer philifterhaften Sittlichkeit und
Aeſthetik beurtheilt werden, jo wenig wie Ariftophanes, an
dem jekt auch der elendefte Tropf meint zum Ritter werden zu
fönnen, weil er gar nichtd von ihm verfteht. —
— — — —
Sonnabend, den 20. Oktober 1855.
Die Nationalzeitung giebt Nachrichten über die in Eng—
land beabſichtigten Maßregeln gegen die Flüchtlinge; Lord
Palmerſton ſteckt dahinter. Die an der Zeitſchrift l'homme
betheiligten Franzoſen find ſchon von der Inſel Jerſey mer
gewieſen. Vor kurzem hieß es, die engliſche Verfaſſung ſolle
auf das Feſtland übertragen werden; das Wahre iſt, die feſt⸗
ländiſche Regierungsart ſoll in England eingeführt werden.
Allerdings ſcheint das dortige Gebäu nicht mehr haltbar.
Alles in Europa wird gleichgemacht! Zu Gunften des Abie
lutismus? Diefer jelbft ift nur ein Lohnarbeiter für die Re
publik. Friſch! fleigig am Wert! —
Eine Freude war mir heute doch der fiebente Band von
Louis Blanc's histoire de la revolution francaise. ine
Buchfreude, was freilich eine befondere Art von Freude if,
von eigentlicher Lebensfreude noch jehr verfchieden. —
293
Der Kladderadatſch hat ein hübſches Lied auf das gefal-
lene kurheſſiſche Minifterium Haſſenpflug. — Eine Zeitung
werfündigt, der Rechtsanwalt Wagener, der berüchtigte Kreuz:
zeitungsfchreiber, ſei ald Haſſenpflug's Nachfolger berufen.
„So? hat denn der aud) fchon geftohlen, und Anwartfchaft
auf Prügel?* Als'ob der Nachfolger auch hierin feinem Vor:
gänger gleihen müßte! —
Einnahme von Kinburn durch die Weftmächte. —
— — mm
Sonntag, den 21. Oktober 1855.
Bethmann-Hollweg und Binde wollen keine Wahl zum
Abgeordnetenhaus annehmen. —
In Ungers find die Theilnehmer am Aufftande verurtheilt
worden. Es famen vor Gericht ftarfe Dinge zur Sprache.
Der Xrbeiter Seeretain ein Fraftvoller Karakter. Wo folche
Leute fich zeigen, da hat die Tyrannei feinen fichern Boden. —
In Louis Blanc’d fiebentem Bande ©. 35 find’ ich fol-
gende merkwürdige Stelle: „Raconter l’histoire de la revo-
lution, c’est plus qu’ecrire un livre, c’est faire un acte.
Qui sait sil’avenirdelaFrance nedepend
pas de telle ou telle opinion qu’on se sera
formee touchant les hommes et les partis
de cette &poque m&morable?* Er fagt died um
darzuthun, wie nöthig die genauefte Unterfuchung, die ftrengite
Wahrhaftigkeit dem Gefchichtichreiber fe. Er hat Recht,
fehr Recht! Wir Deutfche haben das auch zu beherzigen.
Aber wir thun's nicht! Wir laffen das Andenken an dad große
Jahr 1848 dahinfchwinden, vergeffen dad Einzelne diejer gro-
ben Gefchichtsentwidlung. Freilich giebt es in Deutfchland
feinen Ort, wo man fchriftlich oder mündlid, das treue Bild
der damaligen Dinge aufftellen dürfte! Louis Blanc's Werk
294
findet noch jet in Paris Verlag, Drud, freien Abfab, öffent:
lichen Beifall. —
Montag, ben 22. Oktober 1855.
Ausgegangen mit Qudmilla. Weber den Jahrmarkt auf
dem Schloßplake zur Noßftraße gegangen; Nr. 1 das Haus,
‚wo Tied geboren worden, der Laden, wo die Schweſter eini
Seilerwaaren verfaufte, ift noch vorhanden. —
Die Neue Preußische Zeitung gefteht, daß der Verluſt von
Kinburn für die Ruffen ein fehr wichtiger fei, und meint, aub
Otſchakoff fei bereits verloren, die noch unverbürgte Nachricht
fei nur allzu glaublih. Will das Schandblatt durch dies Be
fennen Buße thun? —
Der König hat einen jungen Kölner, der 1849 wegen Br:
theiligung am badischen Aufftand durch das Kriegsgericht zum
Tode verurtheilt, dann aber zu lebenslänglicher Haft verur:
theilt war, jeßt gänzlich begnadigt. Es ift das erfte Beifpiel
diefer Art. —
Man munfelt davon, daß hier im Arbeitähaufe feit Tin:
gerer Zeit ein ruſſiſcher Offizier, der aber feinem Vaterland
entfagt und fich daher mit der Regierung verfeindet habe, von
der Polizei widergefeglich in Haft gehalten werde, ohne Kennt:
niß der Regierungebehörden und noch weniger der Gerichte.
Gefälligkeit für den ruffifhen Gefandten, heißt ed. Redliche
Gerichtsperſonen follen der Sache nachſpüren, um fie öffent:
lich zur Sprache zu bringen, allein die Ermittelung der That:
jachen findet große Schwierigkeiten. —
Der König hatte zum General Adolph von Willifen bei
der Tafel gefprächöweife gefagt: „Hätten Ste nicht Luſt wie
der einmal nach Paris zu reifen?" — „O ja, wenn es dert
etwas zu beforgen giebt!" — Daraus entftand denn die Br
auftragung wegen der Gewehre. Der König fagte nod:
295
„Da wird man dod wieder einmal einen vernünftigen Bes
richt von dort erhalten.“ —
Donnerstag, den 25. Oltober 1855.
Daß Defterreih im Ernte darauf auögehe, dem Bundes-
tag eine befiere Geftalt und volfäthümliche Entwidelung zu
geben — credat Judaeus Apella! Eigenfüchtige Herrjchaft
will man, fonft nihte. Bon einer Bolfövertretung neben
dem Bundedtage — da3 einzige Erfprießlihe — will feine
Regierung etwas willen. An allem fonftigen Flickwerk ift
wenig gelegen, wenn auch hie und da ein guter Rappen. vor⸗
fommen follte, es bleibt ein Lappen. Defterreih und Preu:
Ben wollen zufammen die Bundesreform betreiben; Died „Zu⸗
fammen * hat nicht viel auf ſich, und wenn es der Fall wäre,
dann wehe den Mittlern und Kleinen! —
Der böhmifche Mönch Borzinsky, wegen Uebertritts zur
proteftantifchen Kirche in einem Klofter in Prag feit Jahr und
Tag gefangen gehalten und hart behandelt, ift feiner Haft ent-
fprungen und in Schlefien glüdlih angelangt. Die preußi-
fche Regierung hatte fich für ihn nur matt und daher erfolg-
108 verwendet; es ift noch die Frage, ob fie den Flüchtling
nicht ausweiſen läßt. Man fagt, der König liebe die Ueber-
tritte in die fatholifche Kirche, aber die in die proteftantifche
hafle er; noch immer foll er Darüber grollen, daß fein Vater
die damalige Kronprinzeffin zum lebtern Uebertritte bewogen
hat. Er würde fo gern, jagt man, am Hof einen glänzenden
fatholifchen Gottesdienft gejehen haben. —
Der König mit Höflingen und Gäften nad) Leblingen zur
Fagd. Man fagt, es fei dabei hauptfächlich darauf abgefehen,
den König als völlig gefund erfcheinen zu laffen, was er doch
nicht fei; im Gegentheil fei man fehr beforgt für den
Winter. —
296
Eine Heine Schrift von Guſtav Diezel über die würtn:
bergifchen Wahlen ift von der würtembergifchen Polizei ie W
gleich weggenommen, Die frühere Schrift deffelben, ik #
die Bildung einer deutichen Nationalparthei, ift fait übeul J.
in Deutichland verboten. Solche Beftrebungen dürfen k
wortbrüchigen Hanſe freilich nicht auffommen Taffen! —
Freitag, den 26. Oktober 1866.
Unſre Zeitungen bringen über einen hier won der Poli
verhafteten fogenannten Prinzen von Armenien ziemlid um
ftändliche, in der Abfaffung etwas verfchiedene, im der Haupt
fache aber übereinftimmende Nachrichten; ex fei eigentlich ein
polnifcher Jude, ein Schwindler und Betrüger, der in kt
großen Welt gelebt hat, jegt aber bier im Arbeitshaus in
Sträflingsrod trägt und Wolle fpinnt. Dabei läßt fid ie
Polizei — Herr von Hindeldey und Herr Stieber — iega
diefer Aufmerffamfeit und diefed Fanges mit vollen Badın
loben. . Zu rügen wäre vielmehr, daß jemand feit vier Tagen
gefangen gehalten wird, ohne dem Richter vorgeführt zu fen,
ſchnurſtracks den Gejegen zuwider, und daß der in Unter
juhung Befindlihe ſchon wie ein Berurtheilter behandelt
wird. Man vermuthet überdies eine ftrafbare Gefälligfel
der Polizei für den ruſſiſchen Gefandten Herren von Budbetg
der den angeblichen Prinzen hier in Gefellfchaft beleidigt, un |
dem dieſer deshalb ein paar fcharfe Briefe gefchrieben ht.
Der fogenannte Prinz wohnte hier in der Behrenſtraße Nr),
wollte eben nach London abreifen, und hatte alles bezahlt,
als er zu Hindeldey gerufen, dort feftgehalten und mit höhni
ſcher Beichimpfung in's Arbeitshaus geliefert wurde. Der
wurde ihm auf ausdrüdlichen Befehl der Bart abgefchoren,
die Arbeitöfutte angelegt und die firengfte Arbeit auferlegt,
297
h hat man den Befehl dazu nicht fchriftlich erteilt. Seit
r Tagen fucht Herr Stieber und fein Anhang vergebend
e Schuld, die dem Mann aufzubürden wäre. Polizei—
mte felbft haben mit Beforgniß geäußert, die Behörde habe
en Mißgriff gethan. An Manteuffel, an den Prinzen von
ußen, an den englifchen Gefandten , die er näher kennt, ift
nicht erlaubt zu ſchreiben. Man hofft, daß an diefem
ſpiel einmal die gefeglofe Willfür und Gewalt der Polizei
nkundig zur Sprache fommen werde. —
Der angeblihe Prinz von Armenien hatte feine Wirthin
Tagt, daß fie an ihn gerichtete Briefe geöffnet habe, und
: troß ihrer unzulänglichen Entfehuldigung bei ihr wohnen
lieben. Sie foll ihm geitanden haben, daß fie auf fich ge-
namen, was die Polizei gethan, daß diefe aber, wenn fie das
n fage, ihr die Erlaubniß möblirte Zimmer zu vermiethen
men würde! —
Sonnabend, den 27. Oltober 1855.
Abends Befuh vom Herrn Grafen von *. Nach einigen
läufigen Mittheilungen ſprach er mir von dem im Arbeits:
13 hier gefangen gefehten fogenannten armenifchen Fürſten.
8 jegt ift feine Verhaftung, die fchon zur Strafe geworden,
ht angezeigt; bis jegt hat die Polizei noch nichts aufzufin-
t gewußt, was ihr Verfahren rechtfertigt. Und wenn er
ch ald Betrüger überwiefen wird und nur ein holländifcher
ide ift, das Derfahren ift gefekwidrig, empörend. Das
beitöhaus ift für Obdachlofe, Heimathlofe, ift Fein Gefäng-
B; der Mann hat feine Wohnung, hat Geld; es ift ein
ändlicher Hohn, dag man ihn wie einen Berarmten behan⸗
t. Dan hat ihn auf der Polizei gleich mit den Worten
gefahren, man wolle ihn lehren, ferner grobe Briefe an den
fifehen Geſandten zu ſchreiben! —
298
Das BethmannsHollweg’she Wochenblatt ift heute weg
genommen worden, deßgleichen das dritte Heft der Dieflen
weg’ihen Schrift über Stiehl und die drei preußifchen Re
gulative. —
Sonntag, den 28. Oftober 1855.
Die „Jahreszeiten“, wieder von Wehl redigirt, bringen
manch willtommene Nachrichten und gute Urtheile. —
„Der PVolarftern. Bon Jskander.“ Das heißt von dem
in London lebenden ruffifchen Flüchtling Herzen. Ein nu |
ſches in London gedrudted Buch, überhaupt eine freie ruſſiſche
Preſſe im Ausland ift eine ganz neue Erfcheinung und fan |
große Folgen haben. Der Herandgeber hat Puſchkin's md
Andrer bisher ungedrudte tevolutionaire Gedichte, Darunter
Hohn: und Schimpflieder gegen den Kaifer Nikolaus, fleihiz
eingefammelt, und wird fie nächftend mittheilen. —
Montag, den 29. Oltober 1855.
Die Zeitungen fahren fort, fpöttifche Nachrichten über den
Prinzen von Armenien zu liefern. Sind die Nachriqten
nicht falſch, jo fteht es ſchlimm um ihn. Aber die Unger |
lichkeit des Polizeiverfahrens bleibt diefelbe, auch wenn er in
Schwindler if. Unter den vielfachen ihn betreffenden Ar
gaben fehlt indeß noch jede Erwähnung, daß er beleidigen |
an den ruffifchen Gefandten geſchrieben hat. —
Aus Moskau wird gemeldet, daß dafelbft am 16. Time
theus Granoffski geftorben if. Er war Profeffor der Ge
ſchichte an der dortigen Univerfität, und unter den trefflichen
jungen Ruffen, die vor vielen Fahren hier ihre Studien ver
vollitändigten, einer der edelften und tüchtigiten,, Freund von
Stanfowitfh, Neweroff ꝛc. Er hat in den etwa ſechezehea
u —⏑ MAI B Ge ... Be "©: 2
299
abren feines Lehramtes gewiß viel Gutes geftiftet, Licht ver⸗
reitet, Freiheitsſinn geweckt. Ob er etwas für den Drud
efchrieben hat, ift mir unbefannt. —
In Goethe gelefen, in Louis Blanc; die blutigen Gräuel
er franzöfifhen Revolution erfcheinen um fo fürchterlicher,
emebr ihre Nothwendigkeit — gefchichtliche, nicht fittliche —
ınd ihre Fruchtbarkeit dargethan wird, Allerdings ohne Die
Schredenäzeit, ohne Danton und Robespierre, wäre die Frei—
yeit in Frankreich jhon 1792 verloren geweſen. —
Der König hat dem berüchtigten Malmene den Reſt der
Strafzeit, zu der er verurtheilt worden, geſchenkt. Bisher
war er in Begnadigungen fehr unglüdlih und ift ed in diefer
wieder. Die öffentliche Meinung ift durchaus wider jenen
jemeinen Menfchen, den man dem König aber als einen guten
Royaliften gefchildert hat. —
Der König foll in den lebten Jagdtagen viele böfe Worte
zeſagt haben, 3. B. wenn „die Stände“ je widerfpenftig wür-
ven, die Oppofition die Mehrheit der Stimmen hätte, fo
würde er beide „ Häufer* fchon in Ordnung bringen, die Ab-
zeordrieten wegjagen, die mißfälligen „Herren“ nicht einbe-
wufen. Ferner, feine Minifter möchten fein wie fie wollten,
Andre als er felbft follten fie nicht vom Plage bringen ; wenn
es ihm einfalle, ja, dann könne er fie jeden Augenbfid mit
einem Tritt heimfchiden. Sehr ſchmeichelhaft für die Mi-
nifter! —
Dienstag, den 30. Dftober 1855.
Bon der. Leplinger Jagd werden noch wunderliche Stück—
hen erzählt, die Zmwietracht zwifchen dem Prinzen von Preu⸗
Ben und dem König foll dort neue Nahrung erhalten haben.
Der Prinz hat fich fehr lebhaft für die Parthei Bethmann-
Dollweg ausgeſprochen. —
800
Die Gerlach’ wiſſen und ſehen, Daß jie bei dem Ihren:
folger feine Gunft erwarten fönnen, fie haben ihn perjönlid
zu ſtark und oft verlegt. Sie wollen nun wenigitens die
Gegenwart benugen, um ihn möglichft einzuengen, und ten
ihm zum Berdruß mit verdoppeltem Eifer die Angriffe der ze
tifchen Geiftlichkeit gegen die Kreimaurer auf, an welchen da
Prinz ungemein hängt. —
In der Kreugzeitung gebt Prof. Leo gegen die neu
Schrift von Bunfen los, und behandelt diefen fehr gerind
ſchätzig. —
Mittwoch, pen 31. Oktober 1855.
Nachmittags Befuch von Herrn Fegör von Sivers. Er
fommt aus Schwaben zurüd, bringt mir aus Tübingen Grüße
von Uhland, den er wohl auf und fogar gefprächig gefunden
hat. —
Nachrichten aus Rußland, dag dort feit der neuen Re Wi
rung eine große Veränderung in allen Berhältniffen un & 5,
ziehungen zu fpüren ſei, feine neuen Geſetze oder Vorſchriften,
wenig neue Perfonen, aber eine andre Luft, eine andre Stim
mung, in allem was vorgeht. Alles früher Straffgefpannte
hat bedeutend nachgelaffen,, anftatt der unerbittlichen Streng
waltet Milde und Nachfiht, ed wird freier gefprochen, mat
läßt der Preffe mehr Freiheit, Dinge, die früher unmöglid
waren, find erlaubt, die Aufficht der Behörden ift naklällt Mir
geworden; man nennt den Zuftand fogar eine Grichlafung Me
während doch ftets neue Anftrengungen nöthig find, un m ©
Krieg fortzuführen! Das untere Bolk ift willig genug, akt |
die mittlern Klaffen murren, und die höchften find äupert
migvergnügt. Zur Entflammung des Vaterlandöcifers bil
man Motive zugelaffen, die das Volk und die Freiheit ini
Spiel bringen; es find ſchon außerordentliche Dinge gelutt
801
‚worden, bei denen der Zenfor ftußte, aber doch die Zulaffung
nicht weigern mochte. Won den zahllofen Mißbräuchen, die
früher nicht berührt werden durften, fpricht man laut, nicht
nur von denen, die die Regierung dafür erflärt hat, fondern
auch von ſolchen, an denen der Regierung felber gelegen ift
daß jie nicht aufgededt werden; man unterfucht die. Staats⸗
einrichtungen, die Maßregeln der Behörden ꝛc. Genug, es ift
Leben in Rufland, erwedtes Leben, thätiger Betrieb, und die
Zeiten des Kaiſers Nikolai find ganz und gar vorüber! —
— — —— en
Donnerstag, den 1. November 1855.
Herr Philarete Chasles aus Parid, er brachte mir Drei
Empfehlungen, eine von Heine gefchriebene Karte, einen Brief
von Stahr, und einen von Cuſtine. Heine im alten Leidens⸗
juftande, der aber noch lange dauern kann; er richtet Gebete
an Gott, fehr fchöne, wie Herr Chasles jagt, dem er eines
mitgetheilt hat. ujtine, mit dem ich feit 1848 außer Ver⸗
leht geweſen, fchreibt herzlich und geiftvoll; er lebte biöher in
Et. Gratien, war fehr mit der Prinzeffin Mathilde befreuns
det, ftand ſich am Hofe fehr gut! Der Haß gegen die Repu⸗
bit, die Furcht vor dem rothen Sozialismus, haben ihn zum
Anhänger Louis Bonaparte's gemacht!! Sept ift er nach Rom
abgereiſt; ich kann ihn alſo fürerft wieder nicht erreichen!
Herr Chasles felbft bekennt fich als Freiheitöfreund, als Wigh
im englifchen Sinn, hält ſich jelber mehr für einen Engländer
ald Franzofen, hat lange in England gelebt, ſchon in feiner
Jugend, liebt Deutfchland, betet ed an, will es jegt gründlich
fennen lernen ꝛc. Wir fprechen auch von Koreff, den er genau
gefannt hat. Er ift lebhaft, kenntnißreich, gutmüthig, etwas
geziert, etwad — unficher! ch Schenk’ ihm über meine Dent-
art reinen Wein ein, worüber er etwas verftugt erfcheint. Er
möchte hier in der Eile, bevor er nach Wien geht, einige Vor:
302
träge halten, was mir nicht eben gefällt. Ein rechter Fran
zoſe, von der rechten Sorte, kann dazu faum Luſt Haben; was
er in Paris noch allenfall® fagen dürfte, darf er hier nid
fagen, fo weit voraus ift Frankreich, daß unter dem Deöpott
mus mehr Freiheit ift, ald hier in der angeblich Fonjtituir-
nellen Erbmonarchie! —
Freitag, den 2. Movember 1855.
Der Herzog von Sachſen⸗Altenburg hatte bei Eröffnung
feiner Stände das Fahr 1848 „ein trauriged“ genannt. Ein |
wackrer Abgeordneter, Hempel aus Ronneburg, hat biegegen
muthig Einſpruch gethan; der Minifter von Larifch albem
darauf geantwortet. Die Fürſten indeß dürfen doc das
Fahr 1848 ein trauriges nennen, denn fie alle hat es in tus
rigſter Geftalt gezeigt. —
Den Dänen wird Angft wegen der Sundzollfrage, ji
regen nun felbft die Unterhandlungen dephalb an, freilih in
tänfevoller Abficht, aber ſchwerlich mit dem Erfolg, den fir:
warten. — Die preußifche Regierung ift hierin noch unal-
ſchloſſen und zaghaft. —
Die Polizei läßt die Zeitungen gegen die Gerüchte fpreden,
die hin und wieder laut werden für den von ihr mißhandeltn
Prinzen von Armenien; fie bekennt alfo, Daß noch viele zuer
fel find. —
Sonnabend, den 3. Rovember 1855.
Die Volkszeitung wagt auf tünftliche Weife fich des Pan |
zen von Armenien gegen die Polizei anzunehmen; fie ad,
manche Angaben hätten ſich ſchon ald irrig erwieſen; an
fönnten nichts gegen feine Aechtheit beweifen,, Abentheuerid; |
303
keit, Leichtfinn, ja fogar Schwindelei und Betrug — falls er
deren fehuldig fei — kämen auch bei ächten Prinzen vor. —
Die Nationalzeitung behandelt die Sundzollfrage, fehr
feindlich gegen Dänemark, deſſen Berfahren in Schleswig⸗
Holftein hart gerügt wird. — Ein Ausfhuß namhafter Män-
ner in Berlin, die Bürgermeifter Krausnid und Naunyn an
Der Spiße, fordert öffentlich zu Geldbeiträgen für die vertrie-
benen fchleöwigsholfteinifchen Prediger und Beamten auf.
Der König foll außerordentlich empfindlich fein, wenn diefe
Sache berührt wird; er vergipt nicht, daß ihm vorgeworfen
worden, er habe dad Unglüd diefer Leute auf feinem Gewif-
jen. Sein Wunſch wäre, fagt man, daß aud) die Sundzoll-
frage ruhen bliebe, jede Erwähnung Dänemarks ift ihm zur
wider, —
In Rahel’8 Papieren gearbeitet, Ergänzungen, Anmer⸗
tungen. Dies ift doch einmal mein Lebensberuf, alles andre
dagegen nichts. Im einundfichzigften Jahre fieht manches
anders aus, als früher; aber in Betreff Rahel's ſeh' ich und
fühl’ ich noch wie in frühfter Zeit. Die Kränkungen, Kämpfe,
Schickſale, die fie hat beftehen müffen, regen mich leidenfchaft-
lich an, und diefe fhmerzliche Reizung nur ift fchuld, daß ich
nicht täglich in ihren Briefen lefe, mich an ihrer Kraft und
Anmuth erfreue. — |
Gegen Herrn von Hindeldey ftiegen ſchon feit einiger Zeit
allerlei Wolken auf, die zum Gewitter fi zufammenziehen
tonnten, bis jebt wußte er fie immer wieder zu zerftreuen.
Sept aber heißt es, der König fei durch bedeutende Stimmen
veranlagt worden, im Stillen eine Kommiſſion niederzufeben,
welche unterfuchen foll, wiefern das Walten der Polizei. fich
in den Schranfen der Geſetze gehalten oder bei etwanigen
Hebergriffen das allgemeine Staatswohl gefährdet habe? Die
Mapregel könnte ihr Gutes haben, jedoch geht fie zum Theil
von der Kreuzzeitungsparthei aus, und ihr liegt perjönlicher
304
Haß zum Grunde. Statt Hindeldey foll — Peters komm!
Warum nicht Goediche, warum nicht Ohm? Sit dies Geüär
erit im Beſitze der Polizeimacht, fo wird es fie noch weit im ji
handhaben, ald Hindeldey es gethan. Im Jahr 1814 jm |
man in Parid: „J’ai vu le roi — le pauvre sire! Jan
monsieur — vive le roil* —
Der Feldmarſchall und Oberſtkammerherr Graf von dehn
foll an der Spige der ftillen Kommiffion ſtehen. Die Be
nung geht dahin, man wolle Hindeldey behalten, aber k
ſchränken. Das wird er [hwerlich annehmen. Gegen Petr Je
ift wirflih von einer Mordanklage mehr und mehr de
Rede. — |
Der König ift von plöglihem Unwohliein befallen wer:
den. Es ſcheint aber von feiner Bedeutung gewelen ji
fein. — '
— — — — —
Sonntag, deu 4. November 1888.
Der hannöverſche Obergerichtsaſſeſſor Pland in Danner
berg, vor kurzem noch in Aurich, ift wegen feiner getrudter
Anſprache an die Wähler zur Kriminalunterfuhung gezogen
worden. In Disziplinarunterjuchung ift er bereits. — Di
hannöverſche Ständeverfammlung ijt einberufen. Schön
Berwidlungen durch die fchändliche Oktroykrung! Auch Hanne
ver foll alles Durhmachen! —
Die ehemaligen Reihdunmittelbaren machen dem König '
viel Verdruß. Er möchte ihnen alle Ehren zugeftehen, at
nicht auf Koften feined Anfehens und feiner Macht. Siet
wollen ſich aber mit bloger Huld nicht abfpeifen laſſen, ſonden
fordern die von der deutſchen Bundesakte ihnen zuerfannten |
Borrechte: Sie wollen am Bundeötage Flagen. Der Kimy
läßt mit ihnen unterhandeln. Die meiften haben ſchon frk.
ber manche ihrer Anſprüche fih abkaufen laffen. Aber mar.
. 805
ird ihnen doch noch Vieles zugeftehen, dem Geifte der Ver:
fung und des preußifchen Regierungsweſens entgegen.
ver verftorbene Oberpräfident von Binde wollte fhon vor
nigen dreißig Jahren über diefe Nachgiebigkeit ded Teufels
den. Der König will vor allem, daß die Herren ihren
i8 in feinem Herrenhaus einnehmen. Als Körperfchaft
U man fie nicht anerkennen, und weigert fih, mit ihrem
oollmächtigten zu unterhandeln. Der Erbprinz von Bent:
im-Steinfurt fuchte als folcher aufzutreten. In die Gunft,
e man für fie hat, mifcht fih einige Erbitterung. Diefe
ute verfiehen ihren Bortheil nicht! —
Montag, ben 5. November 1855.
„SFreundfchaftliche Briefe von Goethe und feiner Frau an
Uolaus Meyer. Aus den Jahren 1800—1831. Leipzig.
356.” Hier lernt man Goethe von einer neuen Seite ken⸗
en, das Glüd ſeines häuslichen Verhältniffes, den Werth
Iner vielverfannten und mißbeurtheilten Frau. Daß Niko⸗
us Meyer, Medizinalrath in Minden, mit Goethe'n in naher
eziehung geftanden, war mir längft befannt. Sein früh
ftorbener Sohn Karl war noch bei Lebzeiten Rahel's viel in
iſrem Haufe, und der Vater fchrieb nach dem Tode des Soh⸗
3 dephalb einen Dankbrief an Rahel, der bei meinen Auto-
apben liegt. Wie fich in der Welt eined an dad andre und
legt alled zufammenreiht! Auf die Veröffentlihung einer
vethiſchen Brieffammlung von dorther war ich am wenig»
m gefaßt. — Auch dad Morgenblatt theilt weitere Gefchäfte-
iefe von Goethe mit, die feine Thätigkeit und feinen immer
zſamen Antheil im fchönften Lichte zeigen. Das Leben
jed Einzigen in allen feinen Richtungen und Entfaltungen
ch einmal mits und durchzuleben, gewährt uner chopfichen
Barnhagen von Enſe, Tagebücher. XII.
806
Ertrag, unerfchöpfliches DBergnügen ‚es if der Nik
werth! —
Dienstag, ben 6. November 1865.
Der Publizift verhöhnt die Volkszeitung, weil fie fih I
Prinzen von Armenien angenommen, und fucht das Pelin
verfahren zu befhönigen. — Jagdfeſte des Königs, luft
und fromme Reden, die er bei diefer Gelegenheit gehalten ht
auch politifhe Worte follen gefallen fein, ganz im Sinne kt
Kreuzzeitungsparthei. Man fürchtet fehr für des Könige Ge
ſundheit, fie fei nur eben fünftlich geflidt, und da er fiegu
eifrig immer als haltbar zeigen wolle, könne fie um fo lade
wieder reißen. —
Mittwoch, den 7. November 1885.
Ich begann einen Brief an Frau von Nimpiſch, wur
aber unterbrochen durch den Beſuch des Sanitätsrathes Dr
Nuge. Diefer hatte einen Brief aus Brighton von feinm
Bruder Arnold und gab ihn mir zu lefen! Mir vermirrte ſi
der Kopf, mir zitterten die Beine bei der Schredtendnadndl,
dag Hugo Frand in feinem Bette erwürgt, der Vater tobt af
dem Steinpflafter gefunden worden, aud dem en aan
herabgeftürzt! Am 3. November früh um 6 Uhr.
Ruge war den Abend vorher bei ihnen gewefen, date jr
Sohn hatten Schach gefpielt, der Sohn, feinem Wunie ge
mäß als Seefadet auf einem Oftindienfahrer angenomme,
follte im Dezember feine Reife antreten. Was ift vorgefale'
zwifchen Bater und Sohn? was in jedem? wie ift das Unkel:
gefchehen? Das wird wohl ewig ein Geheimniß bleiben! W
glaube an Sinnesänderung ded Sohnes, die er nicht bekennen
wollte, obfhon fie den Vater beglüdt hätte. Doch unmörhh)
807
bed nicht, daß auch der Vater felbft Hand an den geliebten
sohn gelegt habe, wie dert zuerft angenommen war! Schreck⸗
ch, gräßlich! Arnold Ruge hatte feinem Bruder aufgetragen,
zerft mich, dann auch Humboldt von dem Unglüd zu benach⸗
chtigen. ch mußte ein paar Einführungdzeilen an lebtern
hreiben. Ludmilla’d Entfeben bei der Nachricht. —
Donnerstag, den 8. November 1855.
Alle Zeitungen bringen die Franck'ſche Schreckensgeſchichte
ı wenig abweichender Faſſung. Auffchluß giebt keine, Tann
ine geben. Wie fam Hugo Franck zum Tode? Unlööbares
täthjel! — Nur die Nationalzeitung hat nichts, auch felbft im
bendblatte nichts. — Ueber Hugo Frand fteht ein merkwür⸗
iges Wort in meinem ZTageblatte vom 10. April d. 3. —
uch dad vom 6. iſt nachzufehen. —
Der ehemalige fchledwig-holftein’fhe Major Wyneken,
Mfigier in Willifen’d Generalftab, ift am 2. November zu
tegen in Oftfriesland am Nervenfieber geftorben, wo er Di-
tor einer Strafanftalt war. Wohl den Sträflingen! er
ar ein harter, tüdifcher Menih. Willifen vertraute ihm
br, viel zu fehr. Sch hielt ihn für einen aufgeblafenen, un-
iwerläfjigen Fuchsſchwänzer, deilen Dienft in Schledwig-
yolftein bei feinen Enechtifchen und frömmelnden Gefinnungen
tir unbegreiflih war. Willifen ift von ihm gradezu miß-
ritet, verrathen und fehr befchädigt worden. Wyneken's
Jenehmen in der legten Schlacht war eigenmächtig, feige, vers
aͤtheriſch. —
Antwort des Königd an die Stadtverordneten, die ihm
ım Geburtötage Glüd gewünfcht hatten. Er fchreibt ihnen,
ı erfreuend der Ausdrud ihrer Gefinnungen ihm geweſen,
o betrütbend mußte der Eindrud fein, den Die kurz vorher in
rfelben Stadt vorgenommenen Wahlen zum Haufe der
| 20°
308
Abgeordneten auf ihn gemacht.“ Was für Begriffe mal
hier! Welche jämmerlichen Einflüfterungen müffen hier fat: |
gefunden haben! Männer, wie Schwerin, Patow, Kühne, m
diefer Gelegenheit fo zu beichimpfen! Man würde eimk
glauben, aber dad Kabinetöfchreiben iſt authentifch, ift geht,
und wird morgen in der Spener’fchen Zeitung ftehen. — Tr
Schaden, den der König durch ſolch unbedachte Ungehörisfs
ten fich zufügt,, ift ganz unberechenbar. Die Gemüther in
immer geneigt, ſich ihm wieder etwas zuzumenden, aber uf
diefe Weife ſchreckt er Taufende wieder zurüd. Und was le
er? Die amtlichen, gebotenen, heuchlerifchen Gefinnunge kt
Stadtverordneten, die nur in Worten, in falfchen Born
beftehen, von den meiften Mitgliedern mißbilligt oder be
lächelt! — |
Es giebt fo verworfene, nichtöwürdige Qumpen, die da J
Bolfe zumuthen, den 9. November ald einen Ehrentag rw
ßens feftlich zu begehen, wegen des Staatäjtreiche vom 9. 9 |
vember 1848! Das Volk hat aus jenem Fahr andre Fehtaz
im Herzen! —
„Militärpolitil. Mit befonderer Beziehung auf ei Ei
derftandöfraft der Schweiz und den Kampf eines Mile P
gegen ftehende Heere. Bon Wilhelm Schulz⸗Bodmer. Kir
jig, 1855.* Ein ftarfer Band, Gin ernftes, gediegm
Werk, voll großer Anfihten und treffender Zufammenitdur
gen. Der Berfaffer ift der ehrenwerthe, treffliche Darmilib
ter, der ſchon vorlängft für deutfche Freiheit gekämpft ud
gelitten, —
Malmene ift noch nicht begnadigt. Manteuffel ik ir
ihn, Hindeldey gegen ihn. Man glaubt, die Polizei hi
das Gerücht von feiner Begnadigung abfichtlich verbreitel, m
diefe zu verhindern, denn man feßt voraus, der Rönig merkt
nicht gern hinterher thun, was man als gethan fchon werfün
det, ihm fo zu fagen vorgefchrieben hat! — |
309
t König foll fi) münblih darüber, daß die Berliner
:afen von Schwerin, den Geh. Legationsrath von Patow
n Steuerdireftor Geh. Rath Kühne gewählt, in den
en burfchitofeften Ausdrücken ereifert haben. Der
:äfident Flottwell hat ihn himmelhoch gebeten, in der
rt an die Stadtverordnneten die mißbilligende Stelle
affen. Der König fchien ed auch einzujehen; nachher
fann er fich wieder, und ſchrieb fie doch. —
hneken hieß Klaus, und war 36 Jahr alt. —
Freitag, den 9. November 1855.
e Nationalzeitung berichtet heute kurz über die Franck'⸗
taftrophe;; fie nimmt an, der Tod des Sohnes fei durch
Serzfchlag verurfacht, da auch die Mutter an einem fol-
Öglich geftorben fei. Da wäre dann freilich die Sache
) aufgeflärt. Aber warum fprachen die erften Nachs
jo beftimmt von „erwürgt*? wieſo rief der Vater
ft um Hülfe? Einen Leblofen ſucht man in’3 Leben
rufen, man glaubt nicht fo fchnell an Tod, am wenig⸗
‚einem geliebten Kinde! Bon einer Leichenöffnung wif-
noch nichts. — |
dgegangen, mit Ludmilla. Herren von Binde (Olben-
efprochen; die Regierung hat die auf ihn gefallene
ils Kreisdeputirter nicht genehmigt, wegen feiner polis
Gefinnungen! über dad Schreiben des Königs an die
erordnneten! —
Sonnabend, ben 10. November 1865.
. Urnold Ruge in Brighton hat in einem Brief an die
News in London erflärt, beide Annahmen, daß Franck
Sohn oder daß diefer ſich felbft umgebracht habe, feien
310
falſch und nicht ftatthaft, der Sohn fei an einem Hetzleiden
geftorben. Er widerfpricht alfo feiner eriten Meinung rel;
fommen.
Beſuch von Herrn **. Das Franck'ſche Unglüd. Wr
gingen die Goroner’d Verhandlung genau durch. Auffalln,
dag die Gefhwornen bei dem Sohn darauf beharrten, erin
erdrofjelt worden, Außer dem Arzte Dr. Carter war ned m
MWundarzt bei der Unterfuhung. —
Das Stadtgeriht in Magdeburg hat am 9. die freie Go
meinde in Magdeburg nicht freigefprochen, fondern verurtkeilt
und für immer gefchloffen. Sie fei ein politifcher Vertin. J
wird behauptet! Geldftrafen von 10 Thalern für die dor
fteher. Uhlich indeß perfönlich freigefprochen. Die Gemeinde
wird appelliren. Es wird ihr nichts helfen. Die Biltir- |
gewalt greift um fih. —
Ein Schulvorfteher Rettfchlag hat an der Spige ine#
Bürgerdeputation den Minifterpräfidenten von Wantıfe?
wirflih am 9. zu diefem Tage beglüdwünfht. Seine Anı®
ift nicht mitgetheilt, wohl aber die Antwort des Minifters, vn
überaus kläglich ift! — |
Der Kirchliche Anzeiger theilt -folgende Angaben mt =
In einer hiefigen Gemeinde von 20,000 Seelen rechnet use ®
7 bis 800 als regelmäßige Kirchenbefucher, etwa 600 bis INC
fommen ein= oder zweimal im Jahr zur Kirche, und 10,000
nie! Das foll nun eine Anklage gegen die Gemeinde ver:
ftellen! In Wahrheit ift es eine gegen die frömmelnden und
fanatifchen Kirchenbehörden und Prediger, das Bolt vermuft
diefe widerwärtigen Pfaffen, das Volk ift religiöfer als fie, «4
verwirft fie aud frommem guten Sinn. Unter Friedrich dem
Großen waren die Kirchen nicht fo leer wie jetzt, — mit Aus
nahme einiger, wo Die Heuchler zuftrömen um gejehen ju
werden. —
311
Montag, ben 12. November 1855.
Die Montagspoft liefert die glimpflichite Angabe über das
Franck'ſche Unglüd; der Sohn am Herzichlag geftorben, der
Bater hülfefuchend aus dem Fenſter, das er ftatt der Thür
öffnete, geitürzt; — unerflärlich bleibt dabei, daß die Todtens
(hau in Betreff ded Sohnes hartnädig auf Erdroffelung
beftand. Und auch ob die Fenſter der Art waren, daß es
möglih war fie mit der Thüre zu verwechfeln, ift noch ganz
ungewiß für und. Schauderhafted Dunkel! —
Das Schwurgericht hat Die wegen Beftechung eines Teles
graphenbeamten mit diefem angellagten Börfenfchwindler
heu te verurtheilt, auch den reichen Kaufmann Meyer, unges
acht et der meiiterhaften Vertheidigungsrede, welche der Rechts⸗
anwalt Gall für ihn unter größtem Beifall gehalten hatte.
An feiner Schuld konnte nicht gezweifelt werden. Seine
Strafe ift 21/, Jahr Gefängnig und Zjährige Entziehung der
Eh Tenrechte. —
Mittwoch, den 14. November 1855.
Auf und ab gehend überlegt’ ich mir frühere Lebensgeſchicke,
und fand entichieden Anlaß mich der Führung zu freuen, Die
mie zu Theil geworden, und die faft nur eine wiederholte
Rettung war. Wie fchredlich, wenn ich 1809 mich ald Arzt
in Hamburg niedergelaffen hätte, unter den damaligen Lebens⸗
verwidlungen, mit noch nicht audreichenden Kenntniflen,
meinem ftrengen Gewiſſen, und in fo trüben Umftänden!
Wie kläglich, wenn ich in öfterreichifchem Dienfte geblieben
und jegt General oder Gefandter wärel Wie gut, daß ich
den rufliichen Dienjt wieder verließ, obſchon mir dort die
glänzendfte Laufbahn eröffnet war; wie gut, daß ich nicht mit
Tettenborn in badifche Dienfte, nicht auf des Königs von
Würtemberg Ruf in feine Dienfte trat! Und felbit, daß ich
312
im preußifchen Dienfte fo früh feheiterte, muß ich preife;
was wär’ ich jebt, wenn ich ein verbrauchter, ausgehöhlte
Gefandter wäre, mit oder ohne Poſten! A dieſem glänzende
Elend hat mich die Neigung zu Rahel entrüdt, und das zi
diefer Neigung verbundene Wahrheitds und Freiheitsgefühl
Ich preife mich glücklich, daß alles fo gefommen ift, wien —
nunift! Trotz allem Berluft, allem Bermiffen, allem Ber
fehlen! ch überlegte mir befonderd auch den in Tübingen
verlebten einfamen Winter von 1808 und 1809, mit großen
Wunder, was alles ich in diefer troftlofen Rage that, leiftele,
unternahm! Die Jugend hat große Kräfte und vertraut ihnen |
forglod. —
Zwei Bediente, des Generald von Gerlach der eine, der
andre des Kabinetsraths Markus Niebuhr, find verhaftet und
in Unterfuhung wegen Diebftahld von Depefhen! Känfe
und Berrath find in diefen Kreifen heimifch; was im gegebenen
Falle vorliegt, wird die Zukunft lehren, — oder auch nidt!
In Kreuzzeitungs- und Ruffenfachen wird gern vertufht, ur #
büflt. (Die Briefe Gerlach's und Niebuhr's nach St. Peter
burg follen nach London verrathen worden fein!)
Dr. Collmann wegen des Märzlomplottö zu vierjähriger
Haft verurtheilt, aber wegen Krankheit vor der Zeit entlafen, |
ift in Brieg geftorben. —
Man erzählt, der König habe ſich vom Hofrath Loui⸗
Schneider die Times, nad) Andern war ed der Moniteur, vor⸗
lefen laffen, bei einer Stelle fei er aufgefprungen und habe
gerufen: „Hier ift Landesverrath! Den Inhalt der ha
erwähnten Depefchen kennen außer mir nur Gerlah wm
Niebuhr.* Darauf fei Hindeldey herbeigerufen worden, nd
der habe die Bedienten Gerlah’3 und Niebuhr's ala ve
Schuldigen entdeckt. Der König meinte, die Sache müffe ven
Leuten an den Hald gehen, es ftehe Todesftrafe auf Landel⸗
verrath, und nun foll er fehr fchimpfen und toben, da ver
313
vorliegende Fall in keinem Gefep bezeichnet ift, dag hier gar
kein Verbrechen ftattgefunden, fondern nur eine arge Neugier
und ſchlechtes Betragen, —
Donnerstag, ben 15. November 1855.
Ein Schaufpieldiener fam durd eine herabgefallene
Soffite zu Schaden und ſtarb. Geftern wurde er begraben.
Der Unfall war an einem Sonntage geihehen, davon nahm
der Geiftliche Kober, der auf dem Kirchhof feine Rede hielt,
den Anlaß, hier den Finger Gottes zu fehen, der die Sonntags⸗
arbeit ftrafe! Das dumme Vieh! Da müßte jeder Soldat,
der auf dem Poſten fteht, jeder Kutſcher, jede Köchin geitraft
werden, ja das Vieh von Prediger ſelbſt! Bon dem wäre
freilich unverbrüchliche Ruhe beffer, als feine ruchlofe Arbeit! —
Der Theaterintendant Hr. von Hülfen fuhr fogleih vom
Kirchhofe weg, ald Kober obige Schändlichfeit fagte! —
Großer Lärm über das Konkordat Defterreichd mit dem
Pabſt. Daffelbe giebt der Kirchengewalt alled preid, fie wird
weltliche Obrigkeit, ftraft, hat Gefängniffe, Güter, beauffich-
tigt die Schulen ꝛc. Ganz dad Gegentheil von Joſeph des
Zweiten firhlihen Ordnungen! Würde es ganz ausgeführt,
To wäre es fchredlih. Aber au dann — würde ed nur den
Abfall befördern, die Menfchen abfchreden; — man ift nicht
mehr gezwungen in Defterreich Fatholifch zu fein. Ich ſehe in
dem Konfordat nur eine Drängung zum Proteftantenthum. —
Freitag, ben 16. November 1855.
Die Ruffen am 13. Oftober von Omer Paſcha auf der
Straße nad) Kutaid gefchlagen. — Die Kreuzjeitung, höchſt
unzufrieden mit den Kriegsthaten der Ruffen, will deren Sache
314
verlaflen, beißt ed! Der ärgite Spott auf die Kreupatung
und auf die Ruſſen!
Der „Rheins und Moſel-Bote“ in Koblenz ift von et
Megierung verwarnt und bedroht worden; er foll feine ſich⸗
tung ändern, fonft werde man ihn verbieten. Er ua
demnach lieber an, daß er zu erfcheinen aufhöre. Kin
preußifche Preßfreiheit! —
Humboldt erzählt von der Berhaftung der untreuen Diener '
Gerlach merkte zuerit etwas und machte die Anzeige. da v
Demouſtier oder Eſterhazy die Depeſchen empfingen, etſchie S
gleich fabelhaft; ebenſo, daß Manteuffel Hinter der Sache ſider
nicht fo die Annahme, daß Hinckeldey die Leute zu feine S
Spähern gemacht habe. Zwifchen ihm und Gerlach jole um
heftige Auftritte vorgefallen fein, bei denen aber Hindelte =
der Troßige war. —
Humboldt befchreibt in feiner Art die Abende beim King
Er nennt den Schaufpieler Louis Schneider feinen Kollege,
weil auch der dem Könige vorlieft; er habe aber aud erme
Kollegin an der Generalin von Luck erhalten, die leje deu
Könige Anekdoten vor, wie fie in Meidinger'd Grammar?
ftehen, der amüfire fich göttlich, lache aus vollem Halje; „men |
ich ihm vorlefe, fchläft er ein.‘ —
Sonnabend, den 17. November 1855.
Der priviligirte Gerichtaftand für die Mediatifirten 1 W
durch Königliche Verordnung wiederhergeftellt. — Die bita J
Häufer „des Landtags * auf den 29. einberufen. —
Der Großherzog von Hefjen » Darmftadt bier eingetrofet.
Ein ſchmeichelnder Feind! Der König liebt ſolche Bezeigunge, |
fieht darin den Glanz feiner Macht, jeined Hofes. — |
Herr von Burgdorf beklagt bitter, daß fein geliebter Könt,
bei fo viel Berftand und Geift, in dem Wahne alles nad
315
m Sinne jelber zu beitimmen, doch nur das Spielmwerf
känken und verftedten Betreibungen fei, und alles thun
„was die Bamarilla wolle. Die widerfprechendften
ifie jtrömen in ihm zufammen, und machen ein Gebraus
Sewirble, aus dem doch immer diejenigen, die am meiften
in find, ihren Bortheil gefchidt herausfinden. Auch
eneral von Wrangel, den die Kamarilla nicht mehr leiden
Magt über Ränke, Arglift, Fallftride! Und follte nicht
Hindeldey Hagen? Wem ift denn wohl hier? —
Die Kreuzzeitungsparthei, die den König mißachtet und
geht recht eigentlich darauf aus, ihn in der Meinung zu
ide zu richten. Während fie felbft immer fo thut, ale ſei
tuter Verehrung, Bewunderung, Liebe, drängt fie ihn
zu Handlungen und Audfprüchen, die ihm beim Volf alles
ben, fo daß er nichts behält, ald die Scheinbezeigungen
Zarthet und der zur tiefften Knechtſchaft herabgewürdigten
den.“ Auf Bunfen wird am Hofe wacker gejchimpft,
i fein Ehrift mehr, habe bisher nur geheuchelt ꝛc. —
jen, von Niebuhr dem Bater gehoben und der höchften
ft empfohlen, wird von Niebuhr dem Sohn unter die
' getreten. —
Sonntag, ben 18. November 1855.
118 der König zulest in Preußen war, beſuchte er auch
Sut des Herrn von Fahrenheid, wo deffen reiche Kunſt⸗
ungen fich befinden. Der König bewunderte bejonderd
enetianifches Glas, und rief aus: „Meine Kerld bringen
lie ſolche Sachen!” (Seine „Kerls“ find Wangen, Olfers ıc.)
Befiker war abweſend; er fchenkte fpäter dem Könige dad
yeute bei Kranzler legte ein ältlicher mir unbefannter Herr
adependence belge mit fihtbarer Zufriedenheit aus der
816
Hand und richtete dabei das Wort an mich, die Briefe au
Paris über die Preiövertheilung feien ſehr leſenswerth, der
Kaifer habe fehr einfach, edel, aufrichtig und klar geſprochen
derfelbe fei doch wie fein Anderer, der ehrlichite und Flügk,
ohne Hinterhalt. Ich konnte nicht antworten, der Mann mu
im Abgehen! Ein deutfcher Bonapartift! Nun ja, wir leiten
in allen Fächern etwas! Ach würde ihn ſchön erſchreckt haben |
duch die Beiwörter, die ich feinem Helden gebe; mir bleibt |
der —, —
Humboldt befam neulich einen Brief aus Amerika von
einem angeblichen Sohn, der ihn tres-venerable pere nennt
und fih Humboldt unterzeichnet. Dies ift nur eine lächerlich
Borfpiegelung; Humboldt verfichert, in Amerika ſtets fuld |
gelebt zu haben. —
Preußen und Defterreich geben einander gegenfeitig die Bers
fiherung, daß bei ihren Abfichten auf eine Reform des deutfchen
Bundes in feinem Fall eine Volkövertretung oder parlamen
tarifche Ausbildung ded Bundes gemeint fei. Das glaubt man |
beiden ohne Betheuerung. Uber wenn man fich der Ber
heißungen von 1848 erinnert, der Urtheile, welche damald ven
den Regierungen felbit, befonder® vom Könige von Preufen,
ausgeſprochen wurden, fo Flingen obige Verficherumgen dd |
gar naiv! — |
| Montag, ben 19. November 1855.
Die neuefte Nummer des preußifchen Wochenblatte und
auch der legte Kladderadatich — diefer aber zu fpät — find von |
der Polizei in Befchlag genommen worden. Das Bethmam
Hollweg'ſche Blatt fol die Einmifhung der Behörden in de
Wahlen freimüthig befprochen, und zugleich eine Anfpielung
auf den Unmillen des Königs in Betreff der Berliner Wahlen
gemacht haben. Weber diefe Aeußerung ded Königs hört mar
317
on allen Seiten, au von Hofleuten und Staatöbeamten, den
ntichiedenften, den kräftigſten Tadel. Der Graf von Schwerin
oll willend fein, die Sache auch beim Landtage felbft zur
Sprache zu bringen. —
Der Graf Schwerin, an mehreren Orten gewählt, hat die
Vahl von Anklam angenommen, die andern abgelehnt. Seine
seinde hoffen jene zu beanftanden, und wenn die für ungültig
rklärt würde, ıhätte er dann feinen Sit. Mit ſolchen Arg:
iften und Betreibungen fucht die Kreuggeitungsparthei ihre
Sache zu fördern.
Der berüchtigte Held, im Jahre 1848 ala politiſcher
zaukler thätig, wird jetzt, mit Erlaubniß der Polizei, ein
Jeldengedicht auf Friedrich den Großen hier öffentlich vor-
ragen. Es gab eine Zeit, wo die Polizei ihn fürchtete! —
In Goethe gelefen; in Leo's drittem Bande; die Gefchichte
von der Flucht des Königs nad) Varennes erzählt er mit bittrem
John, ein Jakobiner könnt’ es nicht befier! Eigentlich ift Leo
in Jakobiner, der ſich nur im Stoffe vergreift, und es ift noch
ie Frage, ob er nicht, da Wüthen einmal fein Fach ift, nicht
ım Tiebften gegen Fürften und Bornehme wüthete! —
Ich finne und finne über die Schickſalswege, ſowohl die
er Menfchen überhaupt und der Völker indbefondere, ald des
inzelnen Menſchen, und fuche den Zufammenhang. Aber nur
Streiflichter hellen da® Gewirre, man findet fich nicht zurecht,
eine Geſetze find zu entdeden, nur dämmernde Bermuthungen
ind Hoffnungen. jeder denkt, fein Leben könnte auch andere
ein, ald es ift, dag heißt er erfennt die Nothwendigkeit nicht
n, er widerjtreitet feinem Schidfal. Hieran läpt fich vieles
nüpfen; auch die Betrachtung Wilhelm Meifter’d, daB dem
Nenfchen nicht nur das Unmögliche, fondern auch fo vieles
Rögliche verfagt ift. —
318
Dienstag, ben 20. November 1855.
Nachrichten aus Stodholm. Die Anmwefenheit des Gens
rald Canrobert ſetzt alled in die größte Aufregung, namentid
zeigt ſich das Volk fehr ruffenfeindlih. Aber am Hof undu
der Staatöregierung überwiegt die ruſſiſche Parthei, um
die Lodung Finnland wiederzuerobern wird durch Bit
Furcht niedergehalten, künftig der ganzen Macht Rußlandz
bülflos bloßgeftellt zu fein. Man fagt, Louis Bonaparte jä
zu Flug, um wirklich zu glauben, Schweden werde gegen Kuk
land friegerifch auftreten, die Sendung Canrobert's ſei nur
ein gelegentliched Gaukelſpiel, um andre Zwede zu fördern,
namentlich Rußland Beforgniffe zu erweden. Warum, wenn
es Ernft wäre, finge man nicht lieber mit Bolen an? —
Sendung von Herrn Dr. Heinrich Pröhle, „Friedrich Lu
wig Jahn's Neben *, ein ganzer Band höchſt ſchätzenswerthet |
Mittheilungen, in denen auch meiner jehr günftig Erwähnung
gefhieht. Wie bei dem Leben Ludwig Tieck's ift hier vide
verfchwiegen worden, was doch den Menſchen weſentlich bezeich
net. ch will den gehäfiigen Vorwurf, Jahn habe des friege
rifchen Muthes, wie er fich vor dem Feinde zeigt, allzu jeht
entbehrt, nicht beitärfen oder wiederholen, aber wie fommt es
daß ein Mann feiner Art in folhen Ruf gerathen fonnte? |
* &8 wäre ein. befondres Unglüd, wenn er nur durch Zufall
alle vielen Gelegenheiten, wo er ſolchen Muth bemweifen konnte,
verfäumt hätte! Auch fein Streben nach Geld, nach baurem |
Einfommen und fonftigem Gewinn war eine Schwädk in
feinem Karafter, er hielt an feiner Penfion fo feit, daß dk
Negierung ihn mittelft diefer viele Jahre in unwürdigen Feſſeln
halten konnte; damals war in Deutichland noch eine Stiw
mung und ein Gemeingeift, die ihm die jährlichen taufend
Zhaler leicht erjegt hätten, wenn er troßig geblieben wäre. —
Die Neue Preußifhe Zeitung befpricht die auffallenden
Aeuperungen Louis Bonaparte’d, die er an die Gewerböleute
a.
819
bei Gelegenheit der Preiövertheilung gemacht, fie follten ihren
Mitbürgern fagen u. |. w. Seine Worte werden genau
geprüft, und jedenfalls ihre Anwendung auf Preußen ernft
verbeten. |
Mittwoch, den 21. November 1855.
Neue Berlufte der Ruſſen; ungeheure Vorräthe theils
mweggenommen, theil® zerftört. Der Kaijer ift wieder in St.
Petersburg eingetroffen, er foll auf der ganzen Reife jehr
niedergefchlagen und gepeinigt geweſen fein, objchon er ſich
bemühen mußte, muthig zu fcheinen und Andre zu ermuthigen. —
Der König erläßt an die Mitglieder des Herrenhaufes
bejondre Einberufungdfchreiben, die fehr prächtig und förmlich
find, nicht auf Papier, fondern auf Pergament gefchrieben,
und die er felbft unterzeichnet. Der Einfall auf Pergament
zu fchreiben, ſoll ihm befonders Freude machen, und durch dies
Berfahren ihm nun das Herrenhaus nur noch lieber geworden
fein. Für das Haus der Abgeordneten wird nach wie vor
Papier gebraucht, und diefer Unterfchied wird mit Wohlgefallen
hervorgehoben. „Byzantinifch“, würde Humboldt jagen. —
Andre Lesart des Depefchenverrathe. in ehemaliger
Bolizeifpürhund Herr Techen hat die beiden Diener mit gerins
gem Gelde beftochen, und von den Papieren, die fie mittheilten,
Abfchrift genommen. Dem Herm von Hindeldey bot er eine
Abſchrift des vom Feldmarfchall Grafen von Dohna über ihn
erftatteten Berichtd für 100 Thaler an; Hindeldey kaufte fie
und brachte fie zum Könige, ihm zu zeigen, wie fcdhlecht der
König und wie gut er felbft bedient fet, denn er habe hier eine
Schrift, die er nicht follte zu fehen befommen. Hausſuchung
bei Techen, wo man gar nichts fand. Aber man entdedte,
daß er Papiere bei dem Direktor der Oberrechenfammer Geh.
Rath Seifert — einft unter Rochow berühmtes Polizeihaupt
320
— niedergelegt, der bei angefündigter Haudfuchung fe ud
lieferte, man fand Abfchriften aller geheimſten, vertraulihler®
Mittheilungen aus St. Peterdburg, Angaben der Truppe
ſtärke, der Ubfichten ꝛc. Alles dies fei in die Hände des fr
zöfifhen Gefandten gegangen! —
Seiffert ift fehr vertraut mit Gerlah und Niebuhr, me
diefe zu fchonen hat Hindeldey feinen Namen dem Könige m—
nicht genannt. Der König weiß nit, bei wen —
Papiere gefunden worden !
Bei vielen Perfonen befteht noch die Bermuthung, Je
Ganze gehe doch von Hindeldey aus, er habe wilfen wole
was Gerlad und Niebubr willen und treiben, die Beſtechun— —
welche Techen ausgeübt, fei diefem vielleicht unbewußt, em
höhere gewefen. —
Donnerstag, ben 22. November 1855.
Es ift num unzweifelhaft, daß ein neues Wahlgefe, af
ftändifche Gliederung gegründet, für das Haus der Abgeord
neten beabfichtigt wird. Der König befteht mit Heftigfeit auf
diefer feiner alten Borftellung, und die Minifter, denen u
Sache fonft gleihgültig ift, müſſen alles aufbieten, fie durd |
zufegen. Darum waren ihnen die lebten Wahlen fo wichtig
daß fie jede Scham bei Seite feßten, um willfährige Stimmen
zu gewinnen. Ob der König übrigend bei der Sadıe fein
Rechnung finden wird, ift ehr die Frage! Bei den Provinziab |
ftänden und bei dem Vereinigten Zandtage fand er fie nidt
Macht Schabbed von eurer ganzen Berfaffung! Wie je m
Wirklichkeit ift, kann fie und nichts helfen; es iſt lauter iu
und Trug, nichtöwürdiger Schein und gemeine Tüde de |
hinter. —
Der König hat in der erften Yufwallung über den De
pefchenverrhth die Herren Niebuhr und von Gerlach wegen
321
tachläffigkeit fchredlich herunter gemacht, und Niebuhr
jar eine Obhrfeige davon getragen. ‘Der König ift fein
die Sache gehört alfo in das ach der väterlichen
jungen.
i dem ehemaligen Polizeifpürhund Techen hat man doch
ir Briefftüde von Niebuhr an Gerlach im Paletot ein-
gefunden. Der König, jagt man, weiß von der
grade fo viel ald er davon wiffen will; gewiſſe Ber:
will er nicht bloßgeftellt fehen, nicht beftrafen müffen ;
d alfo wohl alles unterdrüdt werden. Die Mangel:
eit der Strafgefepe fommt fehr erwünfcht. Den beiden
ten hat man fchon angetragen, mit einem Stüde Geld
nerifa auszumwandern. Jeder befam monatlich 10 Thaler,
jerordentlich wichtigen Sachen auch noch befondre Ber:
. &3 war ein ordentliches Bureau eingerichtet, jeder:
onnte hier Mittheilungen faufen, auch nad England
eles. —
Freitag, ben 23. November 1856.
rt Prof. Hengftenberg und feine frau der Berläumdung
ericht angellagt. Sie hatten in vertraulichem Zifch-
h einen Negimentdarzt in Stettin befchuldigt, von der
‚von Lehndorf eine Beftechung angenommen und dafür
nilitairpflichtigen Hofmeifter für dienftuntauglich erflärt
en. Die Sache ift unterfucht und der Arzt unfchuldig
en worden. Der General von Grabow in Stettin hat
jene Klage erhoben. Hengſtenberg's find außer fich über
Bendung, und bieten alled auf, der öffentlichen Ber:
ng zu entgehen. Der Suftizminifter Simons fagt:
Bfaffen und Frömmler laufen mir dad Haus faft ein,
‚tten mich das Nergernig abzuwenden! Aber — den
wird's amüfiren, feinen lieben Hengftenberg gelinde
nhagen von Enſe, Tagebüder. XII. 21
322
beftraft zu fehen.” Ein fchöner Beweggrund für einen Jufiy
minifter! Sorgt für dad Amüfement ded Könige! —
Die Geheimräthin Steffend weiß ganz gewiß, daß dt
König den General Adolph von Willifen längft wieder hiehet
in feine Nähe ziehen will, der General Leopold von Gerlach
aber ſtets Mittel findet e8 zu verhindern. „ Der Mol!" ſagt
fie. Er foll übrigend jept die Ohren fehr hängen lafım- '
Seine Sorglofigkeit fol wirklich übergroß gewefen fein, ex
wollte feinen Diener zuerft ganz verdachtfrei halten, —
Sonnabend, den 24. November 1855.
Befuch vom General Adolph von Willifen, „Erzählungesz
von Paris; der Marfchall Vaillant ein grober Bauerterl-
Bemerkungen über hiefige Dinge.
Abentheuerliche Gerüchte über den Depefchenverrath. Der
Urſprung der Beftehung ſoll von Hindeldey ausgehen, dein
Werkleute ihn aber betrogen haben, nicht nur ihm ihre Beute
auglieferten, fondern fie aud anderweitig verhandelten; db M
die Depefchen wirklich an franzöfifche und englifche Beauftragte
gefommen feien, wird noch bezweifelt. Auch hört man: „Det
König ift felber fhuld, wenn er fo fchändlich hintergangen |
wird, warum duldet, warum befiehlt er folche Betreibungn
überhaupt? warum ftraft er nicht alle Winkelzüge und Kniffe!
Ferner: „Solche Wirthfchaft ift eine wahre Staatsfäulniß,
da muß alles verderben! Die Türkei ift bier in ihrer [hled-
teften Geftalt wiedererftanden. *—
Frage, ob ein Minifter, ein General, wenn die Polizei
Hausſuchung bei ihm hält, ſich dem unterwerfen muß? Un
bedingt mit Ja beantwortet. Ein gerichtlicher Befehl wäre
gefeplich erfordert, aber wird von der Polizei ſchon längſt nicht
mehr eingeholt, auch nicht nachträglich. Die Polizeibeamten
brauchen nicht zu jagen, auf weſſen Befehl fie kommen um
323
In; wer fich ald Beauftragter der Polizei meldet, dem
geglaubt werden, daß er es fei, dem muß gehorcht
n! — |
Sonntag, den 35. November 1885.
er Bundestag bat die Beichwerde des hannöverfchen
follegiums wegen Verfaſſungsbruches ald unbegründet
gewiejen. Ganz ded Bundestags würdig! Wie koͤnnten
ie Regierungen in Hannover das verurtheilen, was fie
ei fih zu Haufe felbft verübt haben! Die Deutjchen
tallmählig, aber ficher, endlich erfennen, woran fie find. —
nſre Regierung hat entfchieden die Abficht, ſobald es geht
id es geht jetzt ohne Zweifel — die Legislatur= Periode
3 Fahren auf 6 zu erhöhen und die Landesvertretung
le 2 Jahre ftattfinden zu laffen. Kann fie mit Wahrs
erjichern, daß es dabei fein Bewenden haben ſoll ? Keines⸗
! Wie foll man Herz und Sinn haben für dies unbes
ige lügenhafte Zeug? Es geht ein-Gefühl der Unficher:
der Unredlichkeit und Verderbniß durch die Leute, das
einst der Regierung und dem Staate bittre Früchte bringen
Jet hieſigen deutjch » Fatholifchen Gemeinde ift auch dieſes
von der Polizei nicht erlaubt worden, eine Weihnachts⸗
lung für ihre Armenkinder zu veranftalten. Sie zeigt
n den Zeitungen an, und bezeichnet den Ausweg, den fie
‚ren Zwed einzufchlagen genöthigt wird. —
Montag, ben 26. November 1855.
Inter den Linden den Geheimrath Dr. Schönlein geſpro⸗
Er war in Warfchau beim Fürften Paslewitſch, der
ungslos krank liegt, wit deſſen Ableben, meint man,
21°
324
dürfte die Ruhe in Polen-zu Ende fein. Die Polen find ihm
zugethan. Es find in Polen nur wenige ruffifche Truppen. —
Unter den bei Seiffert gefundenen Techen’fchen Papieren
befinden ſich Abfchriften von vertraulichen Briefen aus St
Peteröburg, eines polizeilichen Spähberichts vom Polizeidirecter
Lindenberg in Minden über alled was der Prinz von Preupen
in Weftphalen gefagt und gethan, einer Denkſchrift des Graf
von Münfter in St. Peteröburg über die ruſſiſchen Kräfte |
und Pläne, ferner eine Sammlung von mündlichen Xeuje
rungen ded Königs über die politifche Rage der Dinge, —
entweder Gerlach oder Niebuhr muß diefe Blumenlefe gemacht
haben. Das Merwürdigite und Bitterſte bei der Sache if,
daß, viel mehr ald der englifche und franzöfifche Gefandte, Ne
rufjifche und fogar auch die türkifche Geſandtſchaft aus dem
Beſtechungsbureau Nachrichten gezogen haben! —
Dienstag, den 27. November 1855.
Der Brofeffor Heyſe ift geftern geftorben, fanft eingeſchlafen.
Er kränkelte feit zwanzig Jahren, nur die zarte Pflege ſeinet
Mugen Frau Julchen geb. Saaling erhielt ihn fo lange. —
Der Arzt Dr. Hall in Brighton erflärt in der mediziniſchen
Zeitihrift the lancet, daß Hugo Frand nicht natüclde
Todes geftorben, fondern gewaltfam erdroffelt worden, m!
deutliche Zeichen dargethan. Mehrere Perfonen, dank
Dr. Franck's Bruder aus Paris, hätten nah genauer Bit
tigung der Leiche nicht gewünfcht, daß eine weitere Unter
fuhung ftattfände. Damit ift viel gefagt! —
Mittwoch, den 28. November 18586.
Man fagt, der Geh. Rath Seifert fei zwar arg bie
geftellt in der Sache des Depefchenverrathe, aber es werde ihm
825
ichts gefchehen ; er wiffe aus früherer Zeit fo viel Perſön⸗
ches, dem Könige, dem Hof und Staate Wichtiges, daß man
m fchonen müſſe. MUeberdied rühmt man feine Klugheit
nd Gewandtheit, feine Liebenswürdigleit, — er werde fich
bon zu helfen wiſſen! —
Die Kreuzzeitungsparthei verfündet, daß fie eine frifche
nd fihöpferifche Politik betreiben werde, und mahnt ihre
Ritglieder zum Zufammenhalten, zur Thätigfeit, man müffe
ie Regierung unterftüßen ꝛc., natürlich Die Negierung, die
er Parthei zu Willen ift, fonft — werden die Junker ihr
ntgegentreten, wie fie fihon immer gethan. Des Könige
meinen fie ganz ficher zu fein, fo gut haben fie ihn gewonnen
and umfponnen. Im Grunde hapt er die Parthei, fie hat
ihm aber einzureden gewußt, ohne fie fei er verloren! Der
Präfident von Gerlach verficherte neulich, der König fei der
eichtgläubigfte Menſch im ganzen Lande, grade deghalb müffe
tan wachen, daß er nicht auf Leute höre, die nicht von der
:chten Art wären. —
Donnerstag, den 29. November 1855.
Der „Randtag* wurde heute auf dem Schloß durd) eine
dede des Königs eröffnet; fie lautet ziemlich maßvoll, ohne
Eifelttellen, die man dem Könige glüdlich audgeredet und
Ibaeftritten haben fol. Es fiel fehr auf, daß der König ſich
Anftrengte ftark und lebhaft zu erfcheinen, während er doch
weder die förperliche noch die geiftige Mattigkeit zu verbergen
im Stande war. Als der König neulich in der Singafademie
erfchien, glaubte man gar er ließe fich führen, es war aber
sicht der Fall, er fchlich nur mühfelig einher. —
In der Rede des Königs ift nicht? von Aenderung des
Bahlgefegeö, nichts von ftändifcher Gliederung, nody fonft
zefürchtetes. Aber man traut nit, man glaubt an Ber:
826
zagtheit, an Arglift, an Ueberaſchung, nur nicht an Aufrichtig-
keit. — (Man rechnet darauf, daß in dem Haufe der Apgeert-
neten der Antrag gemacht werde, fo daß die Regierung nır
einzuftimmen braucht.)
Die Ruffen fürchten, dag die Weftmächte zum Frübjah |
ihre große Heeresmacht nach dem Norden werfen; mit ihrm
Schraubenſchiffen können fie binnen vier Wochen hundert:
taufend Dann aus dem fchwarzen nach dem baltifchen Meere
ſchaffen, das ruffifche Heer braucht mehr als vier Monate um
dahin zu folgen. Die Oftfeeprovinzen und Finnland find nır
ſchwach befest. In Polen ftehen nur 6000 Mann, in Bar:
hau und Modlin. Die ganze Bevölkerung iſt unſicher.
Freitag, ben 30. November 1855.
Der König hat geftern die fünf oder ſechs Mediatifirten,
die zum „Landtag ” endlich erſchienen waren, befonderd aut
gezeichnet, fie in einem befondern Kabinet empfangen und fit
huldreich mit ihnen unterhalten, während die andern Herren’
— warteten! Das haben ihm diefe andern „Herren“ ſeht
übel genommen und man hörte ihre Unzufriedenheit fic laut
ausfprechen. — Der Fürft von Fürftenberg war auch gelom—
men, aber da er auch und mehr zum badifchen Landtag gehött,
will er heute fchon wieder abreifen. Die Mediatifirten gelten
alle für fchlechte Preußen, und die preußifchen Beamten find
alle gegen fie geftimmt. Die Vorliebe ded Könige für fie wird
allgemein getadelt. —
Sonnabend, den 1. Dezember 1855.
Brief und Sendung aus London von Herrn G. H. Lee,
feine zwei Bände The life and works of Goethe. Grüßt
von Miß Evans. Er fchreibt, ich würde wohl manchem feine
327
Urtheile nicht beiftimmen. Freilich nicht! Doc ift das Buch
eine erfreuliche Erfheinung, und Fleiß und Sorgfalt darin
find lobenswerth! —
Direktor Dr. Krech iſt endlich als Direktor der neuen
böhern Schule in der Friedrich Wilhelmeftadt von der Regie-
rung beftätigt worden. Es war durchaus nicht gegen ihn
einzumenden.
In einem englifchen Blatte, fchreibt Lewes, fordert ein
mwüthender Artifel die Vernichtung „of the accursed dynasty
of Hohenlinden!“ anftatt Hohenzollern, ſpaßhaft
genug! —
Sonntag, ben 2. Dezember 18585.
Die Volkszeitung macht aufmerffam darauf, daß wir wieder
bevorrechtete Klaffen haben, daß ed aber nichts bedeute, was
ein Stand im Staate fei und gelte, fondern man darnach
zu fragen habe, was er dem Staate fei, dem Allgemeinen
nüße? —
Herr Schlivian wegen Beleidigung des Schaufpielerd
Hendrichs zu der gelinden Strafe von 30 Thalern verurtheilt.
Das Preußifche Wochenblatt und die Volkszeitung, anges
Flagt wegen Beleidigung ded deutfchen Bundestages, wurden
freigefprochen ; ihr Dertheidiger Rechtsanwalt Lewald machte
unter andern geltend, daß preußifche Minifterialblätter noch
vor wenig Jahren den Bundedtag gar nicht anerkannt, fondern
den Klub in der Efchenheimer Gaffe genannt hätten. —
„Bompeji in feinen Gebäuden, Alterthümern und Kunft-
werfen für Kunft- und Alterthumsfreunde dargeftellt von Dr.
J. Overbeck, Prof. in Leipzig. Mit Kupfern und dreihundert
SHolzfchnitten. Leipzig, 1855.* gr. 8. —
„Geſchichte der Architektur von Wilhelm Lübke. Mit 174
Holzfhnitten. Leipzig, 1855.* gr. 8. —
828
Zwei fehr beachtendwerthe Tehrreich - ergöpliche Bücher.
Herr Prof. Hoffmann von Fallersleben, abgefegt ven
feinem preußifchen Lehramt, aber mit kleiner preußifce
Penſion in Weimar lebend, hat vom Könige der Niederlank
einen Orden erhalten, wegen der horae belgicae. Der Köniz
hier foll fich fehr verwundert haben, daß ein in feiner Ungnar
Rebender einen Orden befommt. Aber das Beifpiel wirkt gu, J.
erinnert daran, daß man Berdienfte haben kann, aud ki
abweichender politifcher Denkweife. —
Montag, den 3. Dezember 1855.
Gegen den mit großer Stimmenmehrheit zum Bürger
meifter von Halle erwählten Regierungsrat von Voß in
Merfeburg ift eine Vorftellung von einigen vierzig Unter
fchriften bier eingegangen, um deſſen Beftätigung zu verhir
dern. An der Spibe ftehen Leo, Pernice, Witte das Wunde J
find. Ob diefe Klique fiegen wird? Man glaubt ed; obihn |
der Minifterpräfident von Manteuffel fih für Herrn von Beh |
erflärt hat, dem übrigend nichts vorzumerfen ift, ald dap et
ein gemäßigter, geſetzlicher Mann ift. —
Schwerin, Kühne, Wengel ꝛc. proteftiren in der zweiten
Kammer gegen dad Wort „Randtag‘, die Mehrheit aber
genehmigt deffen Beibehaltung. Der Minifter von Weſtphalen
vertheidigt fich fehr jämmerlich in Betreff der von ihm veran-
laßten oder gebilligten Wahlumtriebe. — Die ganze Wirth>
ſchaft ift um darauf zu fpeien! Der Präfident von Berlach
ſpielt wieder die alte freche Hanswurſtrolle. —
In den Times wird die Rede des Königs bei der hiefgem
Landtagseröffnung feharf mitgenommen. Der König, heißf
ed, bilde fih wohl ein, er zeige fich al ein ruhender doc zum
Sprunge bereiter Löwe oder gar Tiger, — aber er liege nut
329
ne friechende Schildfröte, die aus Angft alle Glieder
e Schale gezogen hat. — |
Dienstag, den 4. Dezember 1855.
h vom General Adolph von Willifen. Erzählungen
8, von Thierd, der vergnügt in feinen Arbeiten lebt,
zugleich mit Louis Bonaparte geheimen Zufammen:
„, er wird befragt, beſchickt, giebt manchen Rath,
manche Weifung. Ganz hingeben und völlig unter-
ll niemand jich dem neuen Machthaber, man ehrt die
nd wundert fich, daß fie in diefen Händen ift. Ueber
seniß der geheimen Späherei bier, — „eine nie zu
Schande, ein freifendes Krebsübel, das den Staat im
yirbt*. Alles ift unjicher, trügerifch, argliftig gewor-
and traut mehr dem andern. Geheime Polizei, die
auffrißt, das fchlimmfte Unheil, eine Saat des Der;
AUltra's treten nun ganz offen mit ihrer Abficht her:
etziges Mebergewicht im AbgeordnetensHaufe zu einer
en Reviſion der Berfaffung zu benugen, und nicht nur
Gliederung, fondern in allen Beziehungen ariſtokra—
vorrehtungen einzuführen. Hierin ift die Kreuz-
arthei mit dem König und mit den Miniſtern einig.
ineinigung fönnte nur ftattfinden, wenn die Gerlach's
Spiepgefellen allzu übermütbig würden, und nicht
Minifter ihre Sache ausführen laffen, fondern felbft
fein wollten. Wenn fie flug find, fo gehen fie für
nicht zu weit, und bejcheiden ſich; die nächfte Zeit
nen noch, das ift nicht zu bezweifeln! Aber weiterhin,
n die Stöße kommen, dann fei Gott ihnen gnädig!
rheit des Volkes kümmert fich wenig um die nächften
ngen, fie rechnet auf die Zukunft. „Die Schritte
330
unferer Feinde jebt aufzuhalten, wäre ebenfo vergeben?, als «
vergebend fein wird, fie Fünftig zu behaupten.” —
Niebuhr foll keine Obrfeige vom Könige bekommen haben,
aber einen heftigen Stoß vor die Stirn. Der König bat |
gemerkt, daß Niebuhr an der Thür draußen horchte, ftich dee
heftig auf, und traf ihn mit der Thür gegen den gehüdte
Kopf. Mit Niebuhr’s Augen foll es ſchon beffer geben;.e |
wird auf Urlaub nach Italien reifen.
Niebuhr foll vom Könige gefchrieben haben: „Der Di:
ift auf gutem Wege,“ worüber der König, der ed zu lefen
befam, „Fuhewild* geworden fein ſoll. —
Mittwoch, den 5. Dezember 1855.
„Aus dem Eril. Bon Ludwig Simon. Gießen, 185." |
2 Bde. Der ächte Geift des Jahres 1848, gefchichtlihe An |
gaben aus derfelben Zeit. Sehr lefenawerth, gedankenwedend.
Die fämmtlichen Demokraten, welche die Reaktion erfhiegen
lieg — einige dreißig, meift durch preußische Kriegägerichte -,
ftarben ihrer Sache getreu und ihrer Gefinnung würdig
Sünglinge, Männer, Greife, alle voll Mutb und Faſſung
Die Frankfurter Linke war bereit fich der Berliner anzuſchlie⸗
Ben, unterzuordnen. Uhland's Lob, Waldeck's, Temmes,
Itzſtein's.
Wie vieles weiß man, was man nicht ſagen kann; genan
und ficher weiß man es, und hat doch nicht Worte dafür, weil
jedes zu viel oder zu wenig fagt. Nach diefem innern Wiſſen
aber, nicht nad) den Worten und Ausdrücken, die wir gebrau:
chen, richten wir und im Handeln. Selbſt in unfern Bei:
hungen zur Gottheit fehlt und oft jeder Ausdrud, und lann
hier am leichteften entbehrt werden, die Formeln taugen hir
am wenigften. —
331
Der Generalpolizeidireftor von Hindeldey hätte Tänaft
Minijter des Innern werden können, die Stelle war ihm ſchon
angeboten. Dan fagt aber, fein Ehrgeiz gehe dahin, gleich
Minifterpräfident zu werden. Bis dahin laffe er gern den
Herrn von Weftphalen Miniſter bleiben, der ohnehin alles
thue, was Hindeldey wolle, diefer vereinige daher die befondre
Miniftermacht mit der feiner Polizei, und ſei ſchon eine Art
Sroßvezier. In den Depefchenverrath foll er auch tief ver-
widelt, die erfte Beftechung von ihm, das heißt durch feine
Werkzeuge ausgegangen fein. Doch diefe Sache wird abficht-
lich im Dunkel gehalten, auch vom Könige, der fich vielfach
bloßgeftellt fände, wenn man ftreng verführe, namentlich durch
Die gegen feine Brüder angeordneten Spähereien. —
Donnerstag, ben 6. Dezember 1855.
Nicht nur dag wir graue Haare befommen, und Runzeln
und dergleichen, macht und alt, fondern au, daß wir die
Andern fo werden fehen, am meiſten aber, daß andre Sitten,
andre Anfichten, andre Sprache und andre Worte herrichen ;
am einareifendften und niederfchlagendften ift das Beralten im
geiftigen Gebiet, ein Lied und eine Melodie, bei denen wir
gefühlt, wird nur noch belädhelt, ein Lieblingsſchriftſteller, den
wir verehrt, mit dem wir uns herangelebt haben, verachtet,
ein und lieb gewordened Gemählde in die Rumpelfammer
geworfen. Unfre Zeit ift hierin befonders ſchnell und hart,
man fpriht von Goethe's beften Sachen wie von Beraltetem,
ja ſchon von Beethoven gebraucht man folhen Ausdrud! Sie
wollen alles neu haben, und wenn ed auch nur Flitter wäre!
Aber fie bewirken doch nur, daß dad Mechte und Wahre ſich
ausfcheide zu Ruhm und Ehre; fie verdrängen es vom Markt,
aus dem Gewühl, damit es feine Stelle im Heiligthum ein-
nehme, wo es für alle Zeiten bewahrt und verehrt wird.
332
Goethe ift wie Shafefpeare, wie Voltaire und Rouſſeau, mı
Sophofle® und Homer, unfterblih! —
Die Berhandlungen der „Häufer“ fönnen nur Unmile |
und Efel erregen. Die Mehrheit ift ganz bei den Ultws.
Nicht Graf von Schwerin ift Präfident des Haufes der Ab |
geordneten, fondern Graf von Eulenburg. Damit if led |
gejagt. Die Regierung hat Volksvertreter wie fie jene !
wünjchen mag, das heißt: feine! Wir wollen fehen, var
mit ihnen treiben wird. Wenn man gefälfchte Bertrtung—
ftatt der wahren Meinung des Volfed eine gemachte hat, [ee
geht man auf gefahrvollem Wege. Die wahre Meinung mp
fich außerhalb des Kreifes, in dem fie ihre Stätte haben fellte—
geltend. Hatten die Peffimiften nicht recht, die fich der Wah E
enthielten? Sie fehen lächelnd zu, wie die Regierung ſick⸗
mit ihrem „Landtag“ abquält, der nichts iſt, und den fie tod |
behandeln muß, ald wäre er wad. Sie warten auf neue
Krifen, neue Schläge, und die werden erfolgen, früh oder [mE
das weiß man nicht; aber die freiheit hat alle Zeit, die lann
warten, beſſer und fichrer als die Reaktion, die immer eilen
muß, weil ihre Zeit abläuft.
Wenn man fieht, wie die Heroen der Menfchheit von Zeit⸗
genofjen und Nachwelt verarbeitet, mißhandelt, entftellt, oder
vergeffen werden, was foll man noch auf gefchichtlichen Ruhe
und Ehre geben? Wie wird über Goethe geurtbeilt, ükt
Friedrich den Großen, über Voltaire und Rouſſeau? Jederx
Lump hält fich berechtigt über fie abzufprechen, wirft fie dahıma
und dorthin nach Belieben, meiftert und hudelt! Das Belle,
das einzig Tröftliche hiebei ift, daß fie doch die urjprünglige
Geftalt nicht zerftören können, daß fie unter den Augen jedes
freien und edlen Beſchauers fich augenblicklich wieder herſtellt.
Und zulegt? Zuletzt werden Alle, wenn nicht vergefen, ut
bloßen Sage, die nicht einmal den Namen ficher fefthält! —
333
Freitag, ben 7. Dezember 1855.
5 befomme den zwölften Band von Thiers. Adolph
Billifen hat mir die Vorrede gerühmt; ich finde fie
fällig, langweilig, ohne Würde, ohne Schärfe, voller
tlichkeit, die doch ihres Zield verfehlt, kurz dad Gegen-
yon allem, was fie nach des Verfaſſers Willen fein follte.
Erörtern der Gefchichtfchreibung wiederholt nur allbes
Wahrheiten mit dem Anfpruch neue zu fein; er trumpft
Nebenbuhler ab, und ftellt fich ſelbſt als denjenigen bin,
3 Wahre und Richtige leiftet; er will dabei fich mit dem
wie mit dem neuen Napoleon möglichft gut abfinden,
aber noch der vortrefflichfte Franzoſe fein „qui se con-
de n’ötre rien dans son pays, en voyant ce pays
lans le monde tout ce qu’il doit &tre.“ Diefe grobe
eichelei noch für den Gewalthaber, der ihn aus dem
gejagt! Als ob das Erfte was Frankreich in der Welt
n bat, nicht fein müßte ein freied Volk, ein freier Staat!
b Siege unter einem Tyrannen dafür ein Erfab wären!
8 hat fich durch Diefe allerdings merkwürdige Vorrede
gezeichnet, aber wider feinen Willen häplich, wie er ed
ch iſt. —
n der engliſchen Fremdenlegion zu Shorecliffe iſt ein
»ant Goͤttſch, in welchem die andern Sergeanten den
lungsdiener Ohm, den Schurken aus dem Waldeck'ſchen
ß, den Freund Goedſche's entdeckt haben wollen, und
yeshalb weigern mit ihm zu dienen. Der ehmalige
ablerwachtmeifter Kaifer, der ebenfalld in der Fremden:
ı ald Feldwebel dient, bezeugt zwar, jener Göttfch fei
Ohm, aber man glaubt ihm nicht, und fchon erheben ſich
men, daß man auch mit ihm nicht dienen fönne! Kaifer
auch eined der roheſten, nichtswürdigſten Werkzeuge der
hteften Reaktion, und wurde zur Belohnung für feine
te dann fortgejagt! —
334
Sonntag, ben 9. Dezember 1858.
Die Zeitungen melden das am 7. erfolgte Ableben dei
Herrn Anfelm von Rotbfchild zu Frankfurt am Main, im 8.
Lebensjahre. Er war das eigentlihe Haupt und der wahr
Gründer des großen Haufed. ch habe ihn gut gefannt; a
war gutmüthig, in Geſchäften fcharffihtig und rafch, abe
fonft ohne Auszeihnung. Man erzählt viele Dummbeiln
von ihm. — Außer feinem Antheil an dem ungeheuren Br
mögen ded Haufes follerald Privatvermögen an 30 Millionen
Gulden hinterlaffen. — —
In Medlenburg - Schwerin ziwifchen den bürgerlichen |
Rittergutöbefipern und den adlichen ift großer Zwift aus
gebrochen. —
In Baiern und Sachen ift man etwas verlegen und
beihämt über die Zumuthung, die von Louis Bonaparte durd
die franzöfifchen Blätter ausgefprochen wird, daß jene Läude
in Deutfchland ein entſcheidendes Wort über Krieg und gte
den fagen follen. Sie werden in unfern Blätfern deßhalb an
verböhnt. —
„Denktwürdigleiten des Kaiſerl. ruffifchen Generald vor
der Infanterie Karl Friedrich Grafen von Toll, Bon There
von Bernhardi. Erfter Band. Leipzig, 1856.* 8,
„Transkaukaſia. Neifeerinnerungen und gefammelt
Notizen von Auguft Freiherrn von Haxthauſen. Rep |
1856.* 8.
Theodor von Bernhardi ift der Sohn des hier 1820 wr
ftorbenen Prof. A. F. Bernhardi, folgte der Mutter als dieſt
einen Herrn von Knorring heirathete und nahm deffen Roma
an, den er aber nachher, auf Anforderung der Samilie Auer
ring, wieder ablegen mußte. Er hatte inzwifchen ein Fraͤulein
von Krufenftern geheirathet, und erhielt aus Rüficht hieramf
unter feinem Namen Bernhardi das Adelsprädikat. —
835
Montag, den 10. Dezember 1855.
fragliche Heft der Zeitjchrift The lancet ift ange-
es liefert jchredliche Angaben ded Dr. Hall nebft
gen, die gewaltfame Erdroffelung Hugo Frand’s
t feinem Zweifel! Man kann nur Wahnfinn im
rausſetzen, aber felbit der Wahnfinn bleibt hier ein
3 Räthſel. Der Eindrud diefer Angaben und Ab-
ı ift überwältigend! —
| Dienstag, den 11. Dezember 1865.
turheffen ift der Präfident des dortigen Treubundes,
ehmer Staatöbeamter mit hohen Titeln und Orden,
recher in Unterfuchungdhaft. Er hat Vormundſchafts⸗
tuntreut. Was koſtet die Heuchler der Schein guter
ig? —
hat hier herausgebracht, daß Louis Bonaparte, als
erte aus zuverläſſigen Nachrichten zu wiſſen, Sebaſto⸗
re bald fallen, dabei die Denkſchrift des Grafen vor
im Sinn gehabt habe, die durch den Potsdamer
nverrath in feine Hände gefommen war. Der Graf
after hatte gefchrieben,, die Lage Sebaftopols fei ver-
man werde ed ehſtens verlaſſen, auch der Malakoff-
i unhaltbar. In St. Peteröburg nimmt man dem
jeine Berichte jehr übel, er kann dort nicht bleiben
mt einftweilen auf Urlaub zurüd. Seitdem ſchimpft
ıtter hier gewaltig auf die Ruffen! —
von Hindeldey hat längft gemerkt, dag der Graf von
leben nicht fein Dann ift, das Recht nicht aus Ge-
beugt. Man verfichert, er laffe ihn heimlich beobach⸗
ꝛxx von Hindeldey legt dem Könige Kabinetöbefehle
‚ läßt fie ihn unterzeichnen, ohne Zuthun oder Wiffen
inifterd. Mit den Angaben, die dem Könige gemacht
336
werden, foll es gar nicht immer richtig fein, oft feien!
Sachen entftellt, bisweilen aber auch völfig unwahr, ſob
ein angefehener Hofbeamter, der dies als ein fchreiend
bitter beflagt. —
Ein hoher Staatebeamter, befragt wegen der Gele
einer befprochenen Maßregel, antwortete mit Bitterfeit
haben ja gar keine Geſetze, auf deren Befolgung zu
wäre! Inden Provinzen noch allenfalls gelten fie, in der
ftadt gilt nur die Polizeiwillfür." (Der Feldmarſch
Oberftlämmerer Graf von Dohna foll das gejagt haben
Mittwoch, ben 12. Dezember 185
Dr. Behfe, fo melden die Zeitungen, ift vorgeſten
Antrag des Staatdanwaltd verhaftet und feine #
befchlagen worden, wegen Berläumdung fürftlicer Fed
in feinem Buche über Medlenburg, das zu gleicher Jet
boten und weggenommen worden. Sch hatte ihn 4
gewarnt, ihn zur Borficht ermahnt, ihm vorgeftellt, dej!
hier die medlenburgifche Sache wie eigne anfehe! —
Dr. Vehſe fam vorgeftern um 11 Uhr mit feiner I
nad) Haufe, gleich unten empfing ihn ein Konſtabler, N
mit hinaufgehen und fpäterhin ihm zur Haft folgen; !
faßen noch drei Konftabler, fie hatten feit 8 Uhr
‚gewartet. Alle feine Papiere, auch die der Tochter, M
durchſucht, jedes Zettelhen. Man hieß ihn fehmeigen, a
jet nicht® zu reden, fondern nur zu warten. Am anf
Ihrieb er aus der Stadtvogtei einen Zettel an feine de
e werde wohl nicht lange dauern, fie fönne ihn bis
— Herr von Burgdorf äußerte fich fehr empört über W
Verhaftung, auch Herr Geh. Legationsrath Abeken. —
Bettina von Arnim ift feit dem Donnerstag hiet,
noch ziemlich ſchwach und auch nicht mehr fo geiſteinhhh
#
b..
337
Ich habe fie noch nicht gefehen. Liſzt will fie nicht
hen, er grollt ihr wegen ihrer Umtriebe in Weimar
ihn. —
er Oberkirchenrath hat ſich veranlaßt geſehen, den Eifer
uſammengetretenen Prediger, die den Landesgeſetzen
er keinen geſchiedenen Ehegatten zu neuer Heirath
n wollen, in etwas zu mäßigen, und fie auf die künftige
gebung, einftweilen aber auf die Landesgeſetze zu ver⸗
le Schwach und d armſeigt —
Donnerstag, ben 13. Dezember 1855.
nerwartet fam grau Bettina von Arnim und ihre Tochter
ein Sifela. Sreundfühe Begrüßung. Bettina hatein ganz .
derted Ausfehen, fieift nicht mehr die frühere, fondern
n ausgebranntes Licht. Sie erzählt von ihrer überflan-
Krankheit, und darin ift fie wieder ganz die Alte, daß
fichert — der. Wahrheit ganz entgegen — fie habe zwar
allöopathifchen Arzt gehabt, aber der habe-fie homöopa-
ebandeln müffen, ihr nur verordnen dürfen, was fie
:ben habe! Im Grunde: fei fie auch gar nicht krank
n, und ſie habe immer gefragt, weshalb man fie dafür
- fie habe fich dabei wohl ſchwach aber fonft ganz wohl
e! mn ihrer alten Art war auch, daß fie von mir
ce zurüdverlangte, die. fie mir nie gegeben, den Brief»
l Arnim's und Brentano’3, den fie nie bei mir zurüd-
nn hatte, ich zeigte ihr den ftarfen Stoß von Papieren,
n ihr bei mir liegen, führte ihr aber zu Gemüth, daß
ven Briefwechfel mir zwar gezeigt aber ftetd wieder mits
imen, weil fie ihn bearbeiten wollte. Sie fagte nichts,
ich aber mit dem mißtrauifchen. Blid an, den ich an ihr
Gifela berubigte jie, dag Paket werde fi wohl
wo zu Haufe finden, jie werde ed nur zu gut verwahrt
rnhagen von Enſe, Tagebüder. XII. 22
888
baden. Sie gingen bald wieder. Mir bfieb der Eindrud
gänzlihen Verfalls! — .
Der Prinz von Preußen begünftigt das „Preußiſqhe
Wochenblatt *, das wird ald Grund angefeben, daß man dei
jelbe fo oft wegnimmt und anfhuldigt Man behauptet, Sen
von Hindeldey folge hierin fehr ungern und nicht ohne Be
forgniß fehr beftimmten höheren Befehlen. — Dabei foll He
von BethmannsHollweg, dad Haupt der Parthei jenes Blatted,
fortwährend beim Könige gut angefchrieben fein, und dk
Kreuszeitungsparthei ftet3 in Angft fein, jener könne bei Ge
legenheit plöglih Minifter werden. —
Freitag, den 14. Dezember 1856,
Nachmittags Botſchaft von Bettinen von Arnim an Lu
milla, fie befteht darauf, ich müffe das Paket mit dem Brief
wechſel Arnim’d und Brentano’d haben, Ludmilla fol e
berausfuchen! Gleich wieder eine verdrehte Geſchichte und
alberne Quängelei! ch fertigte die Iris — die bekannte
Newekow — etwas jcharf ab, aber die war gleich einverftanden, |
dag Bettina nie wife, wo ihre Sachen feien, daß bei ihr alled
in der größten Unordnung fei, und fie dann gerade am
unrechten Ort fuche. Nach meiner geftrigen Erklärung nee '
mald mit derfelben Anforderung wiederzukommen, ift ab
eine Impertinenz, Die mich doch verdrießt. Sie ift krank um
man muß fie ſchonen, das will ich aud gewiß. Aber fie wu)
auch nicht hernusfordernd beläftigen; denn was foll ih nun |
thun ? fchaffen kann ich ihr das Verlangte nun doch einmal
nicht, kann nicht Briefe Arnim’d und Brentano’s hervor⸗
zaubern, noch bei ihr fuchen helfen. —
339
Sonnabend, ben 15. Dezenfber 1855.
Frau Bettina von Arnim fendet ihre Newelow mit dem
Auftrag an Rudmilla, fie möge ihr alle Pakete, die ih von
ihr habe, zurädgeben, aber fo, dag ich es nicht merke!
Gradezu Unfinn! Wenn mirdasgefchehen könnte, fo dürfte fie
ja nicht darauf rechnen, daß ich noch etwas von ihren Papieren
hätte, fie önnten mir bei folcher Unaufmerkſamkeit Tängft
abhanden gefommen fein. Die Newekow lacht jelber über den
Auftrag, Die Leute nennten Bettinen mit Recht ein tolles
Frauenzimmer, jept nun gar fei fie völlig verwirrt, man müffe
ihr nur immer Recht geben, ihr was vormachen, fie [piele
Komödie mit den Leuten, und die Leute müßten auch gegen fie
Komödie fpielen. Die gute Frau nimmt alles mit, was ich
von Bettinen babe; ich empfehl’ ihr befondere Achim von
Amim’d Stammbuch. —
Das Preußiſche Wochenblatt ift auch heute. wieder weg⸗
genommen worden. ch habe ed aber noch gelefen. Es ent-
hatt kräftige Anfechtungen der Wahlen, bejonderd der des
Kölniihen Advokaten Thesmar, der jept ein gewaltfam
begünftigter Regierungsmann ift, im Jahr 1848 aber in einer
öffentlichen Belanntmachung — die das Wochenblatt mittheilt
— dem Könige das Recht abfpriht, Steuern zu erheben obne
Zuftimmung der Nationalverfammiung! Solche, Gefinnunge⸗
treue” hat das Miniſterium! —
Rede des Rektors Ringseis an der Münchener Univerftät;
auch dort fol die Wiffenfhaft umkehren, katholiſch werden;
— Ringseis befennt wenigftend offen feine Meinung, bier ift
Stahl ein Jeſuit unter proteftantifcher Larve. —
Heillofe Anträge im Haufe der Abgeordneten. Hol’ fie
Der I—!
22
340
Montag, den 17. Dezember 1855.
J Befund» von Frau yon Bod (Schröder » Devrient), die von
Hamburg wiedergefehrt. if. Schilderungen ruffifchen Lebens
und ruſſiſcher Berhältniffe; gänzlihe Ausartung des Beamten:
weſens unter: dem Kaiſer Nikolai, Dummheit und Betr
waren die Hauptfrüchte feines Dreißigjährigen Despotismus.
Er haßte Geift und Kenntnig, und wußte fie nicht zu gebraw
hen. Seine ſchlechten Günftlinge, wie Kleinmichel, feine
ſchwächlichen Rathgeber, wie Nefjelrode und Tſcherniſcheff, —
feine. unfittlichen Liebſchaften mit verheiratheten rauen, mit
Derwandten. Erſchöpfung der Menfchen, der Geldmittel;
überall mangelhafte Anjtalten, unzureichende Maßregeln; die
Flotte, ganz unnüß, verfault in den Kriegshäfen, die jie jid
nicht getraut zu verlaffen. —
Der Faktor aus der Trowitzſch' ſchen Druderei mit Arnim'⸗
ſchen Aushaͤngebogen. Er wußte nicht, daß Bettina hier iſt.
Rothe Adlerorden erſter und zweiter Klaſſe ſind vom
Könige an hohe türkiiche Staatsbeamte eben jetzt berliehen
worden. Das nimmt fich. bei der am Hofe herrſchenden Dent:
art jeltfam genug aus. Der König felbft hat das gröpte
MWiderfireben dabei gefühlt, und dann einige Wipe darüber
geriſſen. „Witze reißen“ ift fein eigner Ausdrud, der die
ſchlechte Beichaffenheit andeuten foll wie „Zoten reipen“. —
Die Familie Hengitenberg ift von der Anklage der Der
läumdung freigeſprochen worden ; der Landrath von Diet bat
feine früheren Angaben in's Unbeftimmte zuxückgezogen, un
das Bericht Hierauf erklärt, es fei unerwieſen, daß eim
beitimmte Aeußerung von einer beftimmten, Perfon gemagt
worden. Man ſagt es nisht leije, fondern offen und laut, daß
es bei dieſer Sache nicht ganz richtig hergegangen fe: Gun;
Einjlüffe, Abreden ꝛc.
Der König war in Neu - Strelid. Man fieht darin einen
ungünftigen Umftand für den Dr. Vehſe. Die dort empfan
341
gerten Eindrücke machen fich hier in höhern Kreifen vielfach
geltend, und die Polizeibchörde wird dadurch geftachelt, —
Der Oberſt Graf von Münfter: Meinhövel ift Aus St.
Peteröburg nun wirklich hier eingetroffen. Seine Mutter geb.
von der Marwit hält in ihrem Schimpfen gegen Rußland
etwas inne, fie glaubt nämlich, die Sachen Tießen ſich fo bei-
legen, daß iht Sohn wieder dorthin zurückkehren könne. —
In Koblenz haben fih die Pfaffen eine feierliche Exkom—
munifation gegen einen angefehenen Bürger erlaubt, der ſich
hatte ſcheiden laſſen und feit zwölf Jahren in Eivilehe geſetz⸗
fi) getraut mit feiner zweiten rau lebte. So lange hatten.
fie gefchwiegen, jet erft erdreiften fie ſich, rügten fein ehe—
brecherifches Leben, fprachen in der St. Eaftorfirche den Bann
über ihn, Löfchten die Lichter, läuteten die Todtenglode;
niemand folle mit ihm und feiner Frau verkehren, niemand
fie grüßen ıc. Aber die Leute befamen grade jet die antheil-
vofliten Beſuche, Abends eine Ehrenmufit ꝛc. —
Dienstag, ben 18. Dezember 1866.
Zum Mittagefien fand fich Bettina von Arnim ein; fie
bat den vermißten Briefivechfel zmifchen Arnim und Brentans
nun gefunden, er lag bei ihr in einem Kaften. Sie fchien
etwas befchämt, und wollte und begütigen, ſprach von neuen
Büchergefchenten ari Ludmilla, freute fich, daß der erfte Band
von Arnim's Gedichten fertig gedruckt ift, will mir neue Aufs
träge geben, bedarf meines Rathes wegen Anliegen bei Hum—
boldt, beim Könige, hat noch ihre alten Sachen mit dem
Matter Ratti, mit den mweimarifchen Berufenen Schade und
Hoffmann, denkt an ihr Goethe= Dentmal, an den Türken
Ahmed u. |. w. — Sie klagte daneben über ihre audgeftan?
dene Krankheit, fie fer lange bewußtlos gewefen, habe dad
Gedächtniß verloren, Verdrüſſe — Moltke, Liſzt, Ratti —
342
hätten ihre eine Gallenfrankheit zugezogen. Alles im Wechſel
von Ernft und Scherz, wie ſonſt. Aber ihre Augen ſprühen
nicht mehr Teuer wie ehmals, ihre Erzählungen brechen
ſchneller ab. —
Nachmittags kam Herr Hermann Grimm. Er ſpricht ſeht
beſorgt über Bettinen; — ſie hat — zum erſtenmale ſelbſt —
heute nach einem Arzte geſchickt, und zwar zu Dr. Defemeper,
denn Dr. Biding ift ihr nicht mehr homöopathiſch genug, und
fie hat fich mit ihm überworfen; fie klagt noch über Fühllefg-
feit, Lähmung einzelner Theile. —
Mittwoch, ben 19. Dezember 1855.
Die Spener’fhe Zeitung, welche ſeit Turzem trefflide
Artikel gegen die Kreuzzeitungsparthei liefert, bringt heute
eine ſcharfe Beleuchtung der Berfaflungsänderungen, meld
von diefer Parthei beabfichtigt werden, wie fie felbft in ihrem
Programm. Die Spener’fche Zeitung überflügelt heute darın
die Nationalzeitung, welche denfelben Gegenitand behanbelt,
Die Nationalgeitung kann dad Wenigfte deſſen, was fie dentt,
ausfprechen, fie muß ihr Beſtes verſchweigen; die Zuſtände,
in denen wir leben, laffen ihr feine Stätte mehr, fie darf nicht
mehr da fein, und ift im Grunde nicht mehr da. —
Hermann Grimm bat ein ächtes Talent, auf das witlliche
moderne Leben gerichtet, auf Gefellfhafte- und Gemütk-
zuftände unferer Tage, daher feine Novellen ihm am beiten
gelungen find. Er muß dad geben, was in ihm ift, in ihm
von felbft wächft und gedeiht, nichts Fremdes fuchen, in fid
hinein ziehen. Er darf überhaupt nichts wollen; in feinen
Arminius wollte er vaterländifch fein, das mochte an Ad
gelten, aber es fam nicht genug aus dem Innern; war akt
gar dad Wollen ein in fich verfehrtes, wie im Demetriud, wo
|
|
848
x Das angebliche Geburtöreht der Herrfcher bervorftellen
vollte, fo konnte der Mißerfolg nicht zweifelhaft fein. —
Ä Donnerstag, ben 20. Dezember 1855.
In Wien ftarb am 17. der oldenburgifhe und medien:
yurgifche Drinifter» Refident Adolph von Philippsborn. Er
var früher einer der Adjutanten Tettenborn's, und ein fo
‚apferer ald Iuftiger Kriegskamerad, voll freifinniger, revolutio⸗
aairer Denkart, die er aber weltklug den Berhältniffen unter-
rdnete, daher war er in Wien mit dem Metternich’fchen
Weſen, befonderd aber mit den Ruffen eng verbunden. Der
Fürst Gortſchakoff beſuchte ihn täglich in feiner Krankheit.
Sein Tod betrübt mich fehr. —
freitag, ben 21. Dezember 1858.
Nachrichten aus Wien. Die weftmächtliche Parthei gewinnt
ugenblidiid, wieder etwas die Oberhand über die ruffifche, fo
ang ed dauert! denn Verlaß ift auch in Wien auf nicht?!
Neben dem ſchmachvollen Konkordat erjcheint in Defterreich
npermuthet Gewerbefreiheit! Ein Spott auf jenes! Die
jolgen find grade in Defterreich unberechenbar. —
Der Vertrag zwilchen den Weſtmächten und Schweden,
am Theil veröffentlicht, zum Theil noch geheim gehalten,
acht Auffehn und wird befprochen. Kür Preußen nicht
leichgültig! —
Die Uebergabe von Kard an die Rufen wird von den
uffiichen Blättern, der Kreuzzeitung ꝛc. mit großem Lärm
usgefchrieen. Der Gewinn ift im Grunde fehr unbedeu-
nd. —
844
Sonntag, den 28. Dezember 1856.
Nachricht vom Ableben der Geheimräthin Steffens, fe
ftarb um Mitternacht. —
Im Brandenburger Thor begegnen wir Bettinen om
Arnim und Fräulein Armaard. wur Anſprache. Bettina
leidend, geknickt! —
Bei Klaͤrchen Steffens fanden wir Herrn Direktor Waagen
nebit Frau und Tochter. . Klärchen tief betrübt, aber aus
gefaßt, ganz einfach und natürlih. Wir fahen die Leiche; fe
hatte die fchönen Kormen und Züge früherer Zeit; ich fah nur
dad Gute, Tüchtige der eigenthümlichen Frau.
Die Geheimräthin Steffend, obgleich eifrige Belennerin
firhlihen Chriſtenthums und bewußt ihreö nahen Todes, bat
doch feinen Geiftlichen begehrt, noch ihre gleichgefinnte Tochtet
ihr einen holen laſſen.
_ Dienstag, den 25. Dezember 1855.
In Thiers gelefen. Maſſena's Eindringen in Portugal.
Sritaunen über Wellington’d Tinten von Torres» Bedras, von
denen man weder im Heer noch in Paris. etwas gewußt hatte!
Aber Thierd weiß noch heute nicht, daß diefe ganze Verthei⸗
digung nad den Angaben ded Grafen Wilhelm zur Kippe
geführt worden, wie würde er begierig diefen Ramen anftatt
MWellington’d geehrt haben! Solcher öffentlichen Geheimmift
giebt ed immer. Hat man doch in Rußland ˖ nichts ven
Schraubenfchiffen und nichts von Minie s Gewehren gewußt,
wiſſen gewollt! —
Hindeldey ift feit dem Vorfall im Hotel du Nord allgemein
beim Militair verhaßt. Der General von Wrangel und ned
mehr der Feldmarſchall Graf von Dohna haben ein fdarfei
Auge auf ihn, fammeln Angaben wider ihn, fprechen gegen
345
feine Anftalten zc. Gr ſcheint aber feft genug im Sattel zu
fien. — Ze |
— — — —
Mitwwoch, ben 26. Dezember 1855.
In den Thiergarten, Bettinen von Arnim zu beſuchen. Sie
war voller Beeiferung für und, deßgleichen die Töchter Arm—
gart und Gifela für Ludmilla. Hermann Grimm fehlte nicht.
Bettina war bemüht munter zu fein, und es gelang ihr ziem-
lich; aber man fieht es ift ein gefnidted Weſen. Sie zeigt
mir einen Kaften voll Papieren, den fie mir ſchicken will, ich
ſoll ihre Kundſchaft nicht verlieren!
Brief aus München von Herrn Franz Löher, dem nun-
mehrigen Kabinetsrath und Profeſſor. Er fehreibt mir in einer
Art von Auftrag des Königs von Baiern. Ich foll Rath
geben-und Vorſchläge machen, was für Litteratur und Rittera-
toren zwecmäßig zu thun fei. Keine leichte Aufgabe! —
Donnerstag, ben 27. Dezember 1855.
Ein Blatt der neuen Preußifchen Zeitung, worin die
Adreffe von Hengftenberg, Stahl ꝛc. an den dfterreichifchen
Kaifer zu Gunften des Priefterd Borzinsky fteht, ift in Wien
polizeilich weggenommen worden. Borzinsky ift mittlerweile
feiner Haft entfprungen, und glüdlich auf preußifchem Gebiet
angelangt. —
Daß dad Gericht die von der Polizei weggenommenen
Stüde des Preußiſchen Wochenblatts freigefprochen hat, wird
von der Polizei fehr übel vermerkt, und der Graf von Wartens⸗
leben deßhalb fcheel angejehen. bindeldey hatte ihn gefaͤlliger
und gefügiger geglaubt. —
346
freitag, den 28. Dezember 1858. |
Brief aus Weinsberg von Dr. Juſtinus Kerner, heul '
Worte in alter Liebe! Er legt ein getrodneted grünes Bit
bei, dad er im Sommer auf Ludwig Robert’3 Grab in Bades
Baden gepflüdt hat. — Ic muß ihm antworten! Lie’ ih
ihn denn nicht auch noch, trop all feiner Ungebühr? —
Abends Befuh vom Herrn Grafen von Wartendiceme—
Er wird verfept, wieder zur Zivilabtheilung des Stadigeridi >
der PBräfident hat einen andern zum Unterfuhungindtexr
beftimmt. Der König hatte geäußert, er wünſche, dag Bar
tendleben auf feinem Poſten bleibe, man folle ihm denjenigem
nennen, der ihn vertreiben wolle? Die Verſetzung if dem
Grafen Recht, obfchon fie nicht günftig für ihn gemeint iſt— |
Die Neue OdersZeitung in Breslau geht mit dem Beginn |
ded neuen Jahres ein. Ein demofratifhes Blatt in der Pre
vinz kann fich nicht halten, faum hier in der Hauptitadt. —
In Hannover find die Preßprogefie und politischen Sadıı
den Schwurgerichten durch einen Federzug entzogen workt.
Deutfches Worthalten, deutfche Fürftentreue! —
Auch die katholiſche, Deutſche Vollhalle“ in Köln mr
im nächften Jahre nicht fortbeftehen, wegen der Poli
ſcheerereien. — In Erfurt tritt Herr Dr. Paul Caſſel -
früher Selig Caſſel — von der Herausgabe der Erfurt Mi
Zeitung zurüd. —
Sonnabend, ben 29. Degember 1856.
Nachmittags Beſuch von Heren Hermann Griam. E
berichtet, daß Bettina von Arnim am Donnerötag Bormitif
wieder eine fchlagartige Anwandlung gehabt, Mebelld
Schwindel, nervöfe Gliederſchmerzen, daß eiligft zu N
Bicking gefhidt worden, am Nachmittag aber Bettina jdn |
wieder ziemlich beffer geweien fei. Geftern fing fie audit Wi
347
ige Thätigkeit wieder an, fcherzte über die Beforgniffe
ichter, welche nach den Brüdern gefchidt hatten, wollte
t. Biding nicht ſehen, lief vor ihm weg, in eine kalte
, wollte allerlei Schädliched eſſen, und zeigte. allen
nten Eigenfinn. Dabei Magte fie aber doch mehr als
ift im Ganzen ftiller, und fcheint recht gut zu willen,
tnäckig fie ed zu verläugnen fucht, wie ed mit ihr fteht.
me Bettina, fie erliegt wie Andre! —
er Buchhändler Julius Campe in Hamburg ift nun doch
reußifched Berlangen dort verhaftet worden. Er foll
n, woher ihm gewifie Angaben zugefommen, die er dem
ehſe für defien medlenburgifche Hofgefchichten mitgetheilt
Seine Gelbbürgfchaft hat man nicht angenommen. In
urg macht die Sache großes Auffehen, und eine ſtarke
jung findet zu feinen Gunften Statt; man unterzeichnet
ben, die feine fFreilaffung fordern. —
Sonntag, ben 30. Dezember 1855.
isgegangen mit Ludmilla. In den Thiergarten gegan-
yir wollten fehen, wie ed Bettina von Arnim geht, fans
e aber nicht zu Haufe, was wir ald das befte Zeichen
n. Draußen im freien war noch fefter Froft, die Luft
nd erfriichend. —
Louis Blanc gelefen, im Tacitus. Die beiden Wunder,
Kaifer Bedpanianus in Alerandria gethan (Hist. IV.81)
ıch dadurch merfwürdig, daß der Wunderthäter feldft an
Kraft zweifelte, gleichwohl aber fie ausübte, und Blind»
ıd Lähmung heilte! —
mdung des Oberiten von Manteuffel nah Wien mit
Eröffnungen des hiefigen Kabinets. Ein wohlunter>
rt Mann verfihert, daß unfre diplomatischen heutigen
ıoch erbärmlicher feien, ald die von 1805 und 1806,
348
daß fie keinerlei Richtung fefthielten, fondern in Borwände
und Ausreden nur immer jede Entfcheidung zu vermeiden
fuchten. Dies Hinhalten und Ausweichen macht die Kabintte
von Wien, Parid und London nur verdrieflich, umd wirft
zulebt erbittern. Alle Regierungen, auch die Eleinjten, erta-
nen, daß an Preußen fein Rückhalt ift, Daß fie nach andren
Bund und "Schuß ſich umſehen müffen. „Das preufiik |
Kabinet ift feig und falſch,“ das hört man in Dresden, Mün⸗
hen, Hannover c.
Montag, ben 31. Dezember 1855.
Nachmittags Beſuch von Bettina von Arnim und ihren
Sohne Friedmund, Sie befennt todtfranf gewefen zu fein,
ihr Sohn Friedmund aber fei gekommen, der große homöcp:
thifche Helfer, und habe fie gleich heigeftellt, fie tüchtig eſen
laffen, und da fei fie wieder! Sie thut ganz fröhlich und
luftig, geht auch, in die ſem Wetter, zu Fuß vom Thiergarten
nach der Stadt und von der Stadt nad) dem Thiergarten, akt
fie macht doch den Eindrud einer Kranken! Friedmund brinzt J
mir fein neues Buch: „Die Weltordnung. Bon F. vn
Arnim. Berlin 1855." Bettina fagt, da foll ich die Ralı
drein fteden! Dem Anjehen nach gleicht es ſehr den frühere |
Schriften dieſes Autors. Vorher waren Mutter und Seba
lange bei Ludmilla. N
1856.
Dienstag, ben 1; gJanuar 1856.
Sch erfahre, daß die Ultre’3 im Haufe der Abgeordneten
inen ernitlichen Angriff gegen Hindeldey unternehmen wollen,
Sie haben ihm nicht vergeffen, daß er einft ihre Kreuzzeitung
ht Tage hintereinander weggenommen und dem. Könige
mmald dieſes Blatt als das allerfchändlichte und werderblichite
vejchildert hat, fo daß es der König eine Zeit lang glaubte. —
Sie wollen auf Abfchaffung der Konſtabler, als eines revo⸗
utionairen Urſprungs, dringen) —
Dr. Bruno Bauer, dem es hier mit nichts glüden wollte,
f nad England ausgewandert. Sein Ruffeneifer war wenig⸗
tend uneigennübig, hat ihm nicht® eingetragen. — (Nur ver-
eift, nicht ausgewandert.)
Die freie Gemeinde in Königäberg hielt eine Weihnachtd-
dacht, hei welcher Dr. Rupp einen Bortrag hielt; die Poligei
dfte die Berfammlung auf, —
vd 5
, Mittwod), den 2. Januar 1866.
Ausgegangen mit Ludmilla. Beſuch bei Pitt⸗Arnim, der
ehr in der Beſſerung iſt, und von ſeinem Empfang des Königs
ind der Königin erzählt, die ſeine Weihnachtsausſtellung des
xriedrichsſtifts beſucht haben, von feinem Stern: auf, einem
nachtigen ‚morgenländjfshen Schlafroch, der König. habe. ihn
350
mit einem chinefifchen Kaifer verglihen x. Er nimmt e
übel, daß feine Schwägerin Bettina ihn noch nicht befudt
t. —
Sch mußte aber bald wieder nach Haufe, weil ich zu fm:
ben hatte — Mit nichten! Es kam Bettina von Amin, |
heute ganz munter und wohl, fprach mitleidig von der Gehein
räthin Piftor, die von ihr erfragte, wad denn Bettina made!
„ Dergleichen Geifteöfchwäche werden Sie an mir nicht erleben!" |
rief fie mir triumpbirend zu. - Sie ſah fich in meinem Jim
um, wo wohl noch guter Pla für die Papiere fei, die fiemt
nächſtens ſchicken werde, alle die ih ſchon gehabt, und vice |
andre dazu! Der Sohn Friedmund kam fie abzuholen. E
ſprach gegen ihre Veröffentlihungen, doch mit Befcheidenheit.
Sie will alles drucken laſſen. —
Sch mußte den Oberhofprediger Strauß annehmen, der
über eine Stunde fehr herzlich und heiter mich und Ludmil⸗
unterhielt, viel erzählte, von Schleiermacher, von Gneifmaux.
und und beiden die beiten Eindrüde hinterließ; er war gun
aufrichtig und wahr. Unter andern rühmte er, daß im eigal'
lichen Volke fehr viel religiöfer Sinn und ein auffallend
Streben nad Sittenreinheit fei. —
Demokratifche Männer wollen den Generalpolizeidircn
von Hindeldey vor den Abfichten der Kreuzzeitungsparki
warnen und ihn gegen dieſe unterſtützen; fie finden, daß m
ihm nod immer beffer auszulommen fei, ald wenn ein Bein,
ein Lindenberg, an feiner Stelle wäre. Man fagt, die Zeitungt
hätten Winke von ihm erhalten, er würde jegt die ſchärfſen
Angriffe gegen die Ultra's redyt gern fehen. —
Donnerstag, ben 8. Jannar 1866. |
Geſchrieben, über politifche Litteratur, die gänzlich de
niederliegt, nicht weil es an Freiheit zum Schreiben fehlt,
351
ondern weil ed an einem würdigen Gegenftande der Wirklich
eit fehlt, für den man fchreiben möchte. Es giebt nirgends
ine gute Sache in politifcher Thätigkeit, nur ſchlummernde,
vaxtende. Vielleicht in Spanien, doch und liegt das zu fern. —
Ausgegangen mit Ludmilla. Bei Kranzler. Im Bran-
enburger Thor der rau Bettina von Arnim begegnet, geführt
von ihrem Sohne Friedmund. Sie will zu mir geben, ich foll
u rechter Zeit wieder zu Haufe fein. Herrn Hermann Grimm
jeſprochen, Herrn Oberhofprediger Strauß. Beſuch bei Fräu-
ein Stefiend. —
Gegen 2 Uhr traf richtig Bettina von Arnim ein. Sie
hatte mir eine wichtige Mittheilung angefündigt, eine neue
Entdedung, die fie gemacht, — aber davon war nicht die Rede,
jondern von Ratti und feiner Kopie Tizian’®, von ihrem
Goethedenkmal, — beides foll der König bei ihr in Augen»
ſchein nehmen, wünfcht fie, Humboldt foll das vermitteln, fie
will ihm darüber ſchreiben, ich foll meinen Rath geben, den
Brief empfehlen. — —
Die englifche Morning. Poſt ergeht fih in heftigen
Schimpfreden gegen Preußen, deffen Stellung ein fortwähren⸗
ver Berrath der europäifchen Intereſſen fei, ein Berrath, der
Züchtigumg verdiene, die auch nicht ausbleiben werde. Berlin
ei näher zu erreichen ald Moskau xc.
Preußiſche Ordenöverleihungen an Franzoſen, den Ruſſen
ind Kreuzzeitungdleuten ein bittred Aergernig! —
Alle Blätter verhandeln forgfältig und ausführlich Pie
Sründe und Bewegungen der Staatenpolitit, der diplomas
tiſchen ſchwebenden Verhandlungen. Al dies elende Gefpinnft
in feinen einzelnen Fäden zu verfolgen, ift mir der größte
Eel. Ich fehe recht, dag ich hier fein Mann von Fach Bin,
und es thäte mir fehr leid einer zu fein. Und wie glüdlich
hin ich, Daß ich feine ſolche Schriften abzufaffen brauche, nicht
Berftand und. Scharffinn anzuwenden habe, um Erbärmlichkeit,
352
Rüge und Gleißnerei mit dem Schein von Klugheit und Re
lichkeit - auszuftatten! . Und dad Gefhwäg gilt nicht einmal
mehr, früher galt e8 wenigftend was! — Ä
‚Der König hat dem Bildhauer Prof. Rauch geftern, m
deffen Geburtdtag, den Rothen Adlerorden erfter Klafe mi
einem eigenhändigen Schreiben überjandt. Humboldt bi
durch feine Erinnerung den König dazu veranlaßt. —
Freitag, den A. Januar 1856.
.In Geljzet's proteftantifchen Monatöblättern (Juli 1855) |
die Schleiermacher’fchen Jugendbriefe gelefen; fie jind fehr
merkwürdig in Betreff feiner perfönlichen Entwidlung, er fand
immer fehr unter dem Einfluß von Freunden; noch im Sabre
1793 lichte er die franzöfifche Revolution, wie er feinem Bater
befennt. —
Frau Bettina von Arnim, die ſchon Vormittags dageweſen
war, kam Nachmittags wieder, brachte mir Morgenblätter von
Hermann Grimm, dann ein Blatt über Ratti's Tiziankopie,
zeigte mir einen Brief aus Dreöden von Marianne Düßlet,
die ihr 500 Thaler ſchickt, — in vierteljährigen Sendungen
überhaupt 2000 Thaler, — für Ratti's Kopie; jie möchte
diefen Brief gern dem Könige fchiden, um ihn zu überzeugen, :
dag nicht fie das Geld gegeben, aljo auch nicht den Zwed
dabei gehabt haben könne, über ihre-Nevolutiondbetriebfamteit
im Jahre 1848 Ratti's Schweigen zu erfaufen! wie Hinckeldey
dem Könige fälfchlich berichtet Habe! Sie will feinen Bider |
ſpruch hören, feine Borwürfe, die würden fie frank machen, e
könne nicht? vertragen, fie leide noch an den Folgen der A
läugnungen, die der Herr M. die Schändlichkeit gehabt, iht
auf meinem Zimmer in’d Geficht hinein zu behaupten! Sie
will auch nichts von andern Sachen hören, nur von ihren
eignen, von denen, die fie grade vorhat, fie verbittet fich jede)
353
andre Geipräh! Sie ging allein fort, zu Saviguy’s, wo
Friedmund fie erwarte, um mit ihr in den Thiergarten nad)
Haufe zu gehen. — |
Sendung aus Leipzig von Herrn Brockhaus, ein ſchönes
Eremplar von Feodor Wehl's neufter, mir zugeeigneten
Schrift: „Hamburgs Ritterafurleben im achtzehnten Jahr⸗
hundert. * — |
Der Hamburger Senat hat den Buchhändler Julius
Campe wegen feiner Erbgefeffenheit (Grundbeſitz) aus der
Haft entlaffen. Der Prozep geht indeß fort. Das Vehſe'ſche
Bud wird in Hamburg noch immer frei verfauft. —
Sonnabend, den 5. Januar 1866.
Früher Beſuch von Herrn Dr. Parthey, er bringt mir alle
Chézy'ſchen Papiere zurüd, er will fie unter feiner Bedingung.
Ein Donnerfhlag für die arme Frau, und für mich, dem nun
die ganze Gefchichte auf den Schultern bleibt. ch weiß
keinen Ausweg! —
Kaum ſetz' ich mich zum Schreiben, da fommt Bettina von
Amim. Sie fpricht allerlei durch einander, will mir eine
Strafrede halten, daß ich ihr zu viel widerfpreche, fie nicht
genug ſchone, fie ſei noch immer frank. Unvermerft lenkt fie
zu dem Vorwurf ein, ich hätte Arnim’d Gedichte hier ohne
ihren Auftrag, ohne ihr Wiffen druden lafjen, fie jet mir zwar
für meinen guten Willen und meine Sorgfalt vielen Dant
fhuldig, aber ihre Abficht fei nicht geweſen, die Gedichte hier
drucken zu laffen, fondern in Weimar, wo die Koften nur den
vierten Theil der biefigen betragen hätten. Bei diefer unglaub-
lichen Berdrehung fuhr ich auf, das fei zu arg! ich hätte alles
nur in ihrem Auftrag, nach ihrem Befehl gethan, ja die
Druderei felbit ſei von ihr angewiejen worden; folche irrige
Borftellungen könne ich feinen Augenblid dulden, aud im
Barnbagen von Enfe, Tagebüder. XII. 95
354
Scherze nicht. Sie entfchuldigte fich, fie babe fein Gedaͤchmiß
mehr. Sie hat ein vortrefflichee Gedächtniß für alles, was ſie
wilfen will, und giebt auf der Stelle Proben davon, fie wer
genau was fie an Humboldt hat fchreiben wollen vor einm
Jahre, was fie für Schritte gethan hat in ihren Prozepfade
u. dgl. mehr. Dann brachte fie Zweifel an Humboldt
Geiſtesfriſche vor; es werde ſich durch ihn nichts mehr maden
laffen. Dann prablte fie mit einem fiebenbürgifchen Grafen
Bethlen, der jeht hier fei, und ihre Tochter Armaart auf In
‚ Eis habe herunter rufen laffen, um fie im Schlitten herum:
zufahren, alle Zente haben Pla gemacht und gemeint, es ſei
eine Prinzeß! Als Ludmilla gefommen war, verfiel jie wieder
in fcherzende Vorwürfe, ich ſei hart gegen fie, freilich bebellig:
jie mich fehr u.dgl.m. Als fie weg war, fühlte ich doch großen
Aerger über fo viel Unvernunft, Tollheit und Argliſt, wie
diefe rau fchon wieder gegen mid, ausläßt, und ich war fehr
geneigt, ihr die Thüre zu fchließen. Ludmilla wollte fie ent:
Ihuldigen, und ärgerte mich auch. —
In Goethe's Briefen gelefen, in Louis Blanc, in Wehl's
Buche. — Betrachtungen über den Werth des Lebens, den
Werth der Gegenwart, beide find: dag Höchfte und wieder
nicht das Höchfte, ein Schaß, der aber verbraudt werden
muß. —
Dr. Ludwig Hahn, ein Kitterat, der ſich ganz den Miniftern
gewidmet, für fie manches litterariſche Unternehmen verfuht
und da diefe meiſt fehlichlugen dem Staat ſchon viele Tauſende
gefoftet, dann aber die preußiſche Geſchichte hofmäßig zu
bearbeiten angefangen hat, ift für feinen Eifer zum Gebeimen
Negierungsrath ernannt worden. Die Beamten fchrieen über
diefe Beförderung, befonderd auch weil der Mann noch gut
fein Eramen gemacht bat, womit Andre doch fo fehr gequält
werden. —
Man hat aufgerechnet, daß in einem Monat bier üke
355
30 Berhaftungen durch die Polizei gefchehen find, von denen
Die Gerichte gar nichts erfahren haben; weder vorher noch
nachher ift ihmen die gefegliche Anzeige gemacht worden, und
jie können dabei nichts thun. Die Polizei fteht über dem
Stadtgeriht, und dem Kammergericht gleih. Aber die Ge:
richte fünnten doch was thun, wenn man nicht fchon immer
Serge getragen hätte fie übel zufammenzufeßen! —
— — — — —
Sonntag, den 6. Januar 1856.
Mir ging im Wachen und Träumen ftetd das Unglüd im
Kopf herum, dag das Manuffript der Frau von Chezy nicht
angenommen worden! Wie nun Rath fchaffen? ſowohl wegen
Unterbringung des Manuffripte, als wegen Erfegend der
Hülfsmittel, welche die arme rau von demfelben unfehlbar
hoffte! — |
Die Volkszeitung ftraft mit Schärfe die Kreuzzeitungs-
junfer, die alles, was ihrem Eigennuß dient, für Gottes Ord⸗
nung und der Väter Sitte erflären, aber im Abfab ihrer
Bodenerzeugniffe, im Branntweinbrennen, Wollhandel u. ſ. w.
mit Eifer der neuen Zeit huldigen, weil ihr Vortheil damit
verwachlen ift. —
Dr. Behfe follte auf Befehl des Kammergerichts gegen
eine bei dieſem hinterlegte Bürgichaft von 4000 Thalern auge
der Haft entlaffen werden, da gab der Polizeidireftor Stieber
Gegenbefehl, fertigte die Tochter brutal ab, die fchon den Vater
abholen wollte, und fagte ihr höhniſch, das Kammergericht
habe fich darum nicht zu kümmern. —
Der Wirkliche Geheime Rath Graf von Voß⸗Buch — früher '
der rothnafige Voß genannt — hat vom Könige den Rothen
Adlerorden erfter Klaffe befommen. Gr hat höhnifch geäus
Bert, früher würde der Orden ihm mehr Vergnügen gemacht
baben, jest, nachdem ein Bildhauer ihn befommen, fei er nur
23 *
356
noch halb fo viel werth ald ſonſt! — Es wird bei dieſet Ge
legenheit auch wieder mit Bitterfeit daran erinnert, daß der
König die Rammerherrnwürde herabgefept, indem er fie Herr
von Neumont verliehen. Es wird an den General von it
Marwis erinnert, der den Rothen Adlerorden dritter Klafe
dem vorigen Könige zurüdichiden wollte, weil der Schau
Ipeiler Iffland diefen Orden zu gleicher Zeit befommen hatte; —
zurüdichiden wollte! der Bramarbad that e& nicht, dazu
hatte nur Uhland den frifchen Muth! —
Montag, den 7. Januar 1856.
Nachmittags, ald ich fchlief, fam Frau Bettina von Arnim,
fie wollte nicht, daß ich gewedt würde, und war bei Rudmilla,
der fie anfündigte, daß fie ihr Arnim's Schriften ſchicken
werde.
Als Berfaffer des Programms der Ultra's, welches von
diefen ſchon ale ein unhaltbares Machwerf wieder aufgegeben
it und verläugnet wird, giebt man den Grafen Pinto an, den
Herausgeber der Berliner Revue, einen verdorbenen Schuls
denmacher und Windbeutel, der fich mit Hülfe reaftionatter
Dienfte wieder etwas hinaufarbeiten möchte. —
Am Hofe wird Folgendes, von verfchiedenen Perfonen
ziemlich übereinftimmend, erzählt. Der König bat jid die
Tehow’fchen, bei Seiffart gefundenen Papiere vorlefen laſſen,
in Gegenwart von Hindeldey, Illaire, Gerlah und Niebubr.
Ein Brief Leopolds von Gerlach aus Stolzenfeld (1855) kam
vor, worin diefer jagt: Gewöhnlich heiße ed, wo Aas liegt,
da ſammeln ſich die Adler, bier müfje es heißen, wo der Adler
ift, da fammelt fich das Aas; chen fei Hindeldey eingetroffen,
der lich einen Staatsmann dünfe, einen unentbehrlichen, det
aber nur ein ehrjüchtiger dummer Menfch ſei. Der König
habe gefragt: „ Gerlach, haben Sie Dad gefchrieben ?* und der
357
babe geantwortet: „Sa, Euer Majeftät, und es ift auch noch
heute meine Meinung.” — Dieſe Ledart wird von dem ehe:
maligen Zandrath von Gerlach, dem Better Leopold's, ald die
wahre und richtige angegeben. — |
(Diefe voranftehende Gefchichte wird einfacher ald ein
Auftritt bloß zwifchen Hindeldey und Gerlah erzählt; Hin-
ckeldey habe diefem die Abfchrift feines Briefes vertraulich vor-
gelegt und ihn gefragt, wie er jo was hätte fchreiben können ?
worauf Gerlach geantwortet, er fei fein Freund nicht, wie er
wohl wife, und fehe feinen Grund, dies zu verläugnen.)
Dienstag, den 8. Januar 1856.
Der Bifhof von Würzburg hat zwei Familien von zehn
Perfonen, die ſich von der fatholifchen Kirche losgeſagt haben,
deßhalb feierlich erfommunizirerf laffen. Es fcheint das jebt
Mode zu werden. Nur zu! Da wird jich vieles an's Licht
itellen, was jeßt noch verborgen ift, nämlich wie wenig Macht
die Kirche noch hat; wenn alle, die nicht mehr glauben, offen
abfielen, wie fäh’ es da in der fatholifchen Welt aus! —
Nachdem Coufin kürzlich in Parid mit gleißneriſchem Eifer
gegen Voltaire losgezogen, iſt nun auch Nifard, der ehemalige
Mitarbeiter am National, gegen Boltaire aufgetreten, aber
mit üblem Erfolg, die ftudirende Jugend hat ihn audgezifcht,
ihm vorgeworfen, daß er jein Gewiſſen verfauft habe, daß er
ein feiler Abtrünniger fei, und hat Voltaire'n hochleben
laffen. —
Die deutfchfatholifhe Gemeinde in Pojen hat ſich aufges
löft. Sie konnte den Scheerereien der Behörden nicht länger
widerftehen. Der Prediger dankte ab. Was hat das alte
Kirchenthum dabei gewonnen? Die Gefinnung dauert fort,
und ift der Kirche wie dem Staat nur feindlicher geworden. —
358
Der Kabinetsrath Niebuhr dankt nicht ab, gebt nicht nıd
Italien, bleibt in feiner Stellung und wiedererlangten Guntt,
bat den Rothen Adlerorden (dritte Klaffe mit der Schleife
befommen. Heilpflaſter für die Ohrfeige! —
Mittwoch, den 9. Januar 1856.
Brief von Herrn Dr. Partbey, der mir fchriftlich wieder:
holt, daß er die Denfwürdigfeiten der Frau von Chézy nicht
in Berlag nehmen kann, wobei er die Kriegsläufte vorſchüßt.
— Auch wieder ein Sammer für mih! Der armen jjrau
weiß ich feine Aushülfe, und fie bedarf ihrer fo fehr! —
Befuh vom Grafen von Nord; er ſchildert die fchrediick
Noth in Schlefien, ein Mann verdient nur 2 Silbergroſchen
täglich, eine Frau nur anderthalb; „Sie müffen dabei ver:
bungern, aber ich kann ihnen nicht mehr geben! *
Louis Bonaparte hat öffentlih zum neapolitanifchen Ge:
fandten Antonini — den wir vor Jahren aud) hier hatten —
die ſcharfen Worte gejagt: „Je suis tr&s-mecontent du rei
votre maitre!* und ihm dann den Rüden zugefehrt. Dat
hat großen Eindrud gemacht, au hier. Damit dem Grafen
von Hapfeldt nicht etwa Gleiches in Paris widerfahre, fo bat
der König fich beeilt, auf einige Beſchwerdeworte hin, die dem
franzöſiſchen Geſandten entfallen find, diefem erklären zu laf;
fen, er habe es ganz mißbilligt, daß der General von Wran-
gel fich in der ruffifchen Kapelle bei dein Tedeum wegen Kurt
eingefunden habe. — |
Donnerstag, den 10. Januar 1856.
In der Lancet vom 1. Dezember No. 22 die Ginmwürk
der Doktoren Williamfon, Adolph Raſch und Hingeſton gegen
Dr. Hall’d Angaben und Urtheil über die Franck'ſche Kata
|
ı
s “
*
—⸗
359
ſtrophe gelefen ; die Einwürfe find nicht erheblich, und ändern
meine Anficht nicht, die Berufung auf charity und Scho—
nung des Namens macht die Sache nur fchlimmer, es handelt
fich hier um Wahrheit. Dr, Adolph Raſch ift ein Leipziger,
die andern beiden find Aerzte aus Brighton. —
Die Polen wollten hier in der Fatholifchen Kirche ihrem
im Orient verftorbenen Dichter Mickiewitſch ein feierliches
Todtenamt halten laffen; der Generalpolizeidireftor von Hin-
ckeldey jedoch verbot ed. Der katholiſche Probft Pelldram
aber fehrte fich nicht daran, und dad Todtenamt hat Statt
gefunden. —
Freitag, den 11. Januar 1856.
Beſuch von Bettina von Arnim; nad) einigen verwirtten
Erzählungen und Nachrichten eilt fie wieder fort. —
Der Prinz von Armenien hat an den König eine Be:
ſchwerdeſchrift gerichtet, in welcher er fich bitter über das Ber:
fahren der Polizei beflagt, in der Türkei könne es nicht ärger
fein, in Rußland fei man befjer mit ihm umgegangen, Der
König fendet die Schrift an den Juftizminifter, dieſer an das
Kammergericht, diefed an das Stadtgericht, es foll über die
Sache berichtet werden. Das Stadtgericht fordert von der
Polizei die Alten, Stieber antwortet, fie feien beim Staate-
anwalt Nörner; als fie von diefem gefordert werden, antwor:
tet er, fie feien ſchon zurückgeſchickt; Stieber, auf's neue an-
gegangen, antwortet nach vieltägigem Zögern, die Polizei
fönne fie noch nicht miffen! Daß Stieber die Akten, um jie
nicht geben zu müffen, wirklih an Nörner gefchict, diefer
dann, um fie feinerfeitd nicht mehr. zu haben, gleich zurüd-
gejandt, dieſes verabredete Gaufelfpiel hat ein Wiffender, der
dabei zum Werkzeug dienen mußte, ausgeplaudert. —
360
Sonntag, den 13. Januar 1856.
Brief von Humboldt; er fendet mir einen von der Für
von Lieven aus Paris, der eine Anfrage enthält, über die is
Auskunft geben fol. ch weiß aber feine andre, als die a
ihon felbit angiebt. Den weitern Inhalt des Briefes mu
id) zu lefen auf morgen verfchieben, der feinen Schrift um
meiner Augen wegen!
Die politifchen Berhältniffe fangen wieder an geipannter
zu werden; wenn fein Frieden zu Stande kommt, fo geräth
Preußen in’d Gedränge; man macht ihm in Parid und Lon⸗
don finftre Gefichter, nicht viel beffer in Wien; der König
wird nicht widerftehen können, und wenn er fich den Weit
maͤchten anſchließt, ‚oder aud) nur der biöherigen Stellung
Oeſterreichs, fo verliert die Kreuzzeitungsparthei fehr an Bo—
den, vielleicht allen; ein neues Minifterium würde nöthig,
und müßte etwas freifinniger fein, als das jebige. Etwas!
Das mag Andern wichtig fein, mir gar nicht. Hier kann
nur eine gründliche Aenderung helfen, und die fteht jegt nicht
zu erwarten. — Der Sturz von Miniftern kann immerhin
als ein Schaufpiel gelten, dem man mit Dergnügen zufiebt. —
Der Geh. Obertribunalsratb Waldel hatte feit feiner
Treifprechung noch immer den ihm rechtmäßig zuftehenden Ge
halt nicht vollftändig erhalten. Der feige Präfident und ins
feige Gericht ſchwiegen zu der offenbaren Ungerechtigkeit.
Der jebige Präſident, ehemalige Staatsminiiter Uhden, bat
fich endlich gefchämt, und beim Könige perfönlich bewirkt, dap
Waldeck wieder fein volles Gehalt empfängt. Seit gan
furzem. —
Montag, ben 14. Januar 1856.
Ich juchte Humboldt's Brief vollends zu -entziffern, ed
blieb noch einiges räthſelhaft; aber ich konnte meine Antwort
geben auf die Hauptſachen. --
361
Das Kammergericht hat die Freilaffung Vehſe's entſchie⸗
en auögeiprochen, die Polizei dagegen hält ihn feit; dad Kam-
nergericht erhebt deßhalb Beſchwerde beim Juftizminiiter,
nefer und der des Innern follen nun dem Könige darüber
rerichten. Man ficht died allgemein ald eine Schmad für
rad Kammergericht an, ale eine Berhöhnung des Rechts und
ver Geſetze; und wenn erft die Gerichte nicht® mehr gelten,
agt man, dann ift dem Staate dad Herz ausgebrochen. —
Der Prinz von Preußen bat eben erit den Juftizminifter Si—
none arg gerüffelt, Daß der Staatsanwalt Blätter (dad Preu⸗
jifche Wochenblatt) Teichtfinnig anklagt, die das Gericht als
ınftrafbar wieder freigeben muß. — |
Der Prediger Uhlih in Magdeburg erleidet achttägige
daft im Kriminalgefängniß, weil er in feinem Sonntagöblatte
om Februar vorigen Jahres das gerichtliche Erkenntniß, wel⸗
bed die polizeiliche Schließung feiner Gemeinde beftätigt,
yatte abtruden laſſen. Wiefo Das ein Vergehen fein mag?
— Das Sonntagsblatt ift feit dem Mai v. 5. eingeftellt, das
Appellationsgericht foll darüber urtheilen, auch über das Fort⸗
seftehen der freien Gemeinde, aber feit Jahr und Tag fchweigt
8 über diefen Gegenftand, man fagt, auf Grund höherer
Reifungen. —
In Sachſen ift ein Blatt, das den Louis Bonaparte einen
Parvenu genannt hatte, angeklagt und nur dephalb freinefpro:
ben worden, weil er auch jelber ſich diefen Namen beige:
egt! —
An dem Tage, ald die Einnahme von Kard durch die Ruf-
en bier befannt geworden, gab der General von Wrangel
ne Barole Hard. Das gab Gerede, und der König fand ſich
erwogen, auch diefe Kundgebung als eine unbefugte ftreng zu
nigbilligen. —
362
Dienstag, den 15. Januar 1856.
In den Thiergarten zu Bettinen von Arnim. Sie if
wohl auf und munter, überaus freundlid gegen und. —
Dr. Vehſe ijt feiner Haft entlaffen. Die Juſtiz bat ze
ſiegt, Die Polizei nachgeben müffen. Diesmal. — Der Kom
bat befohlen, der Sache ihren rechtlichen Lauf zu laflen, da
gegen fonnte Herr von Hindeldey nicht? ausrichten. —
Mittwoch, den 16. Januar 1856.
Beſuch bei Herrn Dr. Zabel; er hält eine Kabinetefniit
hier für ganz nahe, meint, Manteuffel und Genofjen würden
abtreten müffen, General von Wedell und Herr von Ujedom
die Hauptperfonen eines neuen Minifteriums fein. {ch halte
den Wechfel nicht für jo nothiwendig, und am wenigiten fann
ich Hoffnungen an ihn fnüpfen. Neue Minifter werden thun
müffen, wie die alten, was der König will, oder fehnell wieder
abtreten! —
Die Kreuzzeitung bringt die Nachricht, day der ehemalige
Kultusminifter Eichhorn heute im 77. Lebensjahre gejtorben
ift. In feiner früheren Zeit ein ganz andrer Mann, ale in
der ſpätern! Wie Stägemann, und fo viele Andre, denen
Gunſt und Beförderung zum Schaden gereichten. In Preupen
ein allgemeiner Grund zur Verderbniß, an der felbit cin
Schleiermader litt! —
Les confessions de Madame de La Valliere repen-
tante écrites par elle-möme et corrig&es par Bossuet.
Par M. Romain Cornut. Paris, 1854. Wegen der bier
bemerkten Feinheiten des franzöfifhen Ausdrucks Ichrreih. —
363
Donnerstag, den 17. Januar 1856.
Unmohlfein des Könige. Hoffachen. Verlobung Des
Prinz Regenten von Baden mit der Tochter ded Prinzen von
Preußen. Steigendes Anfehn der Prinzefiin von Preußen,
auf deren Ginwirfung diejenigen fehr rechnen, die einen
Minifterwechiel hoffen. Die Kreuzzeitungdparthei zittert bei
jeder Unpäßlichkeit des Königs, fie weiß, daß der Thronfolger
ſie nicht begünftigen wird. Stahl und Gerlah und Wagener
fönnen nicht umfehren, aber Goedſche und Stieber hoffen ſich
jeder Regierung nothivendig zu machen! —
Der König foll mit Hindeldey einen merfwürdigen Auf:
tritt gehabt haben. Nah manchen Umfchweifen und be-
deutungsvollen halben Worten, dur die Hindeldey ſich in
die peinlichfte Spannung verfegt fühlte, habe der König, fo
heißt «8, ihm endlich geradezu und mit ſcharfem Nachdrud
und heftiger Bewegung gefragt, vb er ihm nichte in Betreff
feines Bruders, des Prinzen von Preußen zu fagen habe?
Auf die Berneinung fei der König leidenfchaftlich losgefahren,
habe von verblendetem Ehrgeiz, von heimlichen Anftiftungen,
bochverrätherifchen Planen gefprochen. Erft nachdem Hindel-
dey fein Ehrenwort verpfändet, dag alles falfch fei, was man
in diefer Hinficht ihm zugeflüftert haben möge, daß der Prinz
das Mufter eines treuen Unterthans fei, erit dann habe ſich
der König allmählig beruhigt, und fei zuletzt Sindeldey
weinend um den Hals gefallen. — Hofleute verfihern, das
dennoch die Berdächtigungen gegen den Prinzen großentheile
durch Hindeldey felbft gefchehen feien, da er dergleichen Dinge
beim Könige gebrauchen müffe, um fich in Gunft und Einfluß
zu erhalten, daß ihm aber diedmal die Wirkung zu ſtark ge-
worden fei. —
364
Freitag, ben 18. Januar 1856.
MWichtige Nachricht, von allen Seiten beftätigt, daß Ruf
fand die fchlieglichen Friedensanträge Englands und rar:
reich® aus der Hand Defterreihd angenommen hat. Dami
ift freilich der Friede ſelbſt noch keineswegs gefichert, akt
die Demüthigung Rußlands vollftändig auggefprochen. Unit
preußifchen Ruffen find auf’d Maul gejchlagen , ihre Prable
reien und Frechheiten zu Schänden gemacht. Die Gerlachs,
Wagener's, Goedſche's und wie alle heißen, büßen ihren
Uebermuth und Verrath wenigitend in der offentlichen Mei⸗
nung! — —
Beſuch vom Grafen von *. Er zeigt mir einen Brief,
welchen der Prinz Leo von Armenien aud dem Arbeitshaus
an ihn gerichtet hat. Derſelbe verlangt feine Freiheit, man
foll ihn reifen laffen, er will in feine Heimath zurückkehren.
Der Brief ift in möglichit fchlechter Schreibart, im fchlechteiten
Franzöſiſch abgefaßt, und zeugt von fehr geringer Schul:
bildung; allein für die Güte feiner Sache folgt daraus ned
fein begründeter Zweifel. Er befchuldigt fehr die Polizei,
nur der Feindſchaft des ruſſiſchen Gefandten gegen ihn ge:
dient zu haben, und behauptet briefliche Beweiſe beibringen
zu fönnen, daß Budberg ihn früher ald Prinz von Armenien
anerkannt habe. —
m
Sonnabend, den 19. Januar 1856.
Jämmerlihe Debatten im Haufe der Abgeordneten, me
die Handmwurfte Wagener, Mitichfe-Kollande und Gerlad de
Helden find. Sie pochen jept,auf die Stimmenmehrheit, -
die fie font verachten wollten, nun aber erlangt haben. —
Der König thut, ald ob nur fein Anfehen und Bemühen
bie Nachgiebigkeit Ruplande bewirkt habe; rühmt ſich deſſen
365
ganz offen, und meint, die öfterreichifchen Borfchläge und
Drohungen hätten nichts ausgerichtet. —
Die Hofleute, die viel von den Launen und ftürmifchen
Aufwallungen des Königs zu leiden haben, benuben jede Ge:
legenheit fich zu rächen, und erzählen mit Eifer die Gefchicht-
hen von feiner Wandelbarkeit, feinen Widerfprüchen mit ſich
jelbft und von feinen fonftigen Schwachheiten, welches denn
auch zu Spottverjen und Zerrbildern manchen Anlap giebt.
Kommt etwa? der Art zu ded Königs Kenntniß, fo zürnt und
ſchilt er heftig, aber die Urheber willen fi im Dunkel zu
halten. Dan will ihn über einige ſolche Kränkungen auch
weinen gejehen haben. — Seine Umgebung liebt ihn durchaus
nicht. —
Sonntag, den 20. Januar 1856.
Litterariſche Sachen vorgenommen, Nachträge, Erläute⸗
rungen, Bemerkungen. Autographen, Denina, Preuß, Ger⸗
vinus. Unſtre Litteratur leidet wie die ganze Nation an Un-
zufammenhang, Zerfplitterung, und jest mehr ala früher,
trog der wunderbar vermehrten PVerbindungsmittel. Die
Menichenfreundlichleit und Bildungsliebe des achtzehnten
Jahrhunderts fehlt, die Deutfchen find härter, ungefelliger
geworden, die Fehden ded Mittelalter im geiftigen Ge—
biet! —
Sehr anzuerkennen ift der Mangel an Talent und Kennt⸗
niß, der fich im Herrenhaufe fund giebt, und im Abgeordnetens
hauſe in der fogenannten Rechten. Für Finanzjahen müffen
fie fi auf Kühne und Patow verlaffen, fie haben feine Leute,
welche deren Einficht und Erfahrung hätten. —
Bei den jebigen riedendausfichten ift von einer Ver—⸗
änderung des hiefigen Minifteriums nicht mehr die Rede.
Der König heißt ed, könne feinen bequemern Miniſter finden
366
als Manteuffel, den er fich fchon ganz nach der Hand gejogen
habe, der ohne eignen Willen alles Befohlne ausführe, jeta
Mipgriff auf fich nehmen, und nichts fein wolle als ein geber:
james Werkzeug. Aber die Kreuzzeitungdpartbei läpt mid
nach an feinem Sturze zu arbeiten! —
Die Gerlach's und ihre Spießgefellen haſſen mit offen
Muth das Jahr 1848, daß fie aber das Jahr 1813 eben fe
haffen, wagen fie nicht laut zu befennen, fie gefteben es nur |
im Bertrauen ein! Natürlih! Sie müffen alles haffen, mai
nicht Junker und Pfaff ift, alle, wobei das Volk groß, tapfer
und edel auftritt. —
Montag, den 21. Januar 1856.
Befuh von Herrn Oberftlieutenant von Binde (Olben⸗
dorf). Gefchichten aus der Verwaltung in Schlefien, ven
Zandräthen, Regierungspräfidenten, Kreiöftänden ꝛc. Starker
Tadel gegen den Grafen von *, er am meiften habe verfhultt,
daß der Prinz von Preußen in fo übled Gerede gefommenx.
Ueber die heutige politifche Lage der Sachen. —
- Nachmittags Befuh von Herrn Hermann Grimm. E
berichtet von Bettinen. Sie hat fih mit feinem Vater und
Onfel ausgeföhnt, auf ihren Wunfch wurde fie zu Reib
nachten eingeladen, und brachte dort einen vergnügten Abend
General Adolph von Willifen kam, und Grimm ging
Ludmilla. Wir befprachen die Friedensausſichten, und fin?
in Allgemeinen ziemlich einverftanden, nur ftellt Williſen
alles immer zu fehr auf die Spite, während in der Weltde
Sachen mehr ftumpf und dumpf genommen werden. —
Man ift in großen Sorgen und Zweifeln, ob Franfreib |
und England zugeben, daß Preußen an den Friedensverhand⸗
lungen Theil nimmt. Die Ausfchliegung wäre eine bel |
|
|
367
zende Schmach. Die Defterreicher thun, als fei die Aus—
ließung nicht. denfbar, ald würden fie die Zulaffung Preußens
yenfalld erzwingen. Aber der Eintritt unter dem Schuß
d durch die Fürfprache Defterreichd wäre fait noch demü⸗
tgender, ald die Ausfchließung! —
Dienftag, den 22. Januar 1856.
Audgegangen mit Ludmilla. Wir betraten die Suppen-
he Behrenſtraße 11, und fofteten die Suppe, die ganz vor⸗
lich war; für 11/, Silbergrofchen eine tüchtige Portion .
t einem Stüde guten Roggenbrotes. Einrichtung, Rein⸗
breit, Ordnung, alles auf's befte, unter Aufficht von Herren
d Konftablern. —
Zu Haufe fand ich die Einladung auf morgen früh zum
roßherzoge von Sacjen-Weimar durch feinen Ndjutanten
n &rafen Leo Hendel von Donnerdmard. ch fehrieb fo-
ich eine ablehnende Antwort, cheumatifche Uebel ald Grund
führend. — |
In Louis Blanc gelefen. Seine Geſchichte der franzgji-
‚en Revolution ift jebt das lefenswerthefte, ja alleinige Werf
‚er diefen Gegenftand. In Goethe gelefen. —
Drdenertheilungen am Sonntage, lange Lifte! Parlamen-
rifche Verhandlungen in beiden Häufern! Macht alles weder
irm noch Falt, ift eind unnüß wie das andre! Unſre innern
ıjtände quälen fi in Verrenfungen, Gebrechen und Schwei:
reien fort; nur eine gründliche Kur, ein Verſetzen auf ganz
uen Boden, fann und wieder in edle, freudige Faſſung
ingen. —
Dap der Minifterpräfident von Manteuffel den Schwarzen
lerorden auch diesmal nicht befommen, ſieht man als eine
hre Kränkung für ihn an. — Man fagt, dem Könige ſei
n gewiſſen Seiten ernftlich der Vorſchlag gemacht worden,
368
ein Minifterium Gerlach zu ernennen, allein er habe em
unüberwindliche Abneigung dagegen gezeigt. Den Genenl
von Gerlach, heißt es, dulde er nur, und ſchätze ihn eigentlih
gering, den Präfidenten von Gerlach aber haffe er, weil hide
früher fchmachvolle Aeußerungen gegen den König gethan un
gemeint babe, demfelben bleibe nur übrig abzudanten, jum
Negieren fei er ganz unfähig. —
Mittwoch, den 23. Januar 1856.
Herr von Minutoli, im Jahr 1848 Polizeipräfident um |
Berlin, und jett General-Ronful in Spanien, verweilt nnd
bier und wünſcht fehnlich wieder im Baterland angeftellt zu
werden, aber freilich nur auf einem hoben Poſten, und den
findet man für ihn nicht, oder will ihm denfelben nicht geben.
Er ift voll Ehrgeiz, Unruhe und Thätigfeit, aber weiß feine
Sachen nicht zu fördern. Der König ift ihm aus alter Zeit
ber gewogen, mehr noch als er ed zeigen mag; er glaubt ihn
feiner Perfon ganz ergeben und angehörig, und meint, derſelbe
habe im Jahr 1848 ihn gerettet. Wie das gejchehen fen
foll, weiß freilich niemand! Minutoli hat vom Könige ein:
große Menge vertraulicher Zufchriften aus jener Zeit. —
Große Entdedung! Der Yahdebufen erweift. fih als
1
|
unbrauchbar. Es foll unmöglich fein, dort die nöthigm |
Hafenbauten zu machen. AU das Geld weggeworfen! Die
elende Spielerei Eoftet jährlich ein paar Millionen !
Ein Belannter von mir war beim Prinzen von Preußen,
als diefem der Minifterpräfident von Manteuffel angemeldet
wurde. Der Prinz fragte jenen: „ft ed Ihnen auch nicht
unangenehm, daß er Sie bei mir fiebt ?* Die Antwort wat:
„D nein! Es wird mir eine Ehre fein.” Aber die Frage de
Prinzen bezeichnet den Zuftand der Dinge, es ſchadet der
Leuten, wenn man fie bei ibm fieht, und er bekennt &. — —
369
Der Prinz läßt alle Bekannten jept in Zivilleidern zu ſich
fommen; früher beftand er auf Uniform. —
Donnerstag, den 24. Januar 1856.
Der Vehſe'ſche Prozeß kommt heute zur Berhandlung.
Es heißt, die Deffentlichleit werde ausgefchloffen fein. Dr. .
Vehſe hat den Rath erhalten, fich bei dem eriten Erkenntniß,
welches es auch fei, zu beruhigen und nicht zu appelliren.
Humboldt hat das Ehrenbürgerreht von Berlin empfan-
gen; der Oberbürgermeijter Krausnid hat dabei eine fchlechte
Anrede gefprochen, Humboldt in fehönen und cdlen Worten
gedankt, die nur nicht an den Magiftrat, diefen Magiſtrat der
Stadt Berlin, gerichtet fein follten. Daß er dad Lob des
Königd auf eine feine Weife hat einfließen laffen, wird ihm
von Bielen verdadht, von mir aber nicht, ich finde es ſehr
taftvoll und hübfch.
Der König hat ein großed Gemählde von N. von Bayer,
das die Schiller/fhe Ballade Ritter Toggenburg zum Gegen-
ftande bat, für 7000 Thaler gefauft. Sowohl dad Gemählde
ale der Preis werden fehr angefochten, und ed werden harte
Borwürfe gegen die Nathgeber laut, denen der König in
folgen Sachen folgt, oder Die feinen mipleiteten Launen hierin
folgen, —
— — — ——
Freitag, den 25. Januar 1856.
Brief und Sendung aus Dreöden von Herrn Prof. Hett-
ner; er fendet mir den erften Band feiner Litteraturgefchichte
des achtzehnten Jahrhunderts, der die englifche Litteratur von
1660 bis 1770 behandelt. —
Dr. Vehſe ift zu ſechs Monaten Gefängniß verurtheilt
worden, der Antrag war auf 18 Monate geſtellt. „oe bat
Barnbagen von Enfe, Tagebüder. XII.
370
feinen Mißgriff eingefehen, alles auf Campe gejchoben, ke
ihn getäufcht habe ꝛc. Er bat die Strafe gleich angetrete,
und will nicht appelliren, um wegen feines Aufenthalts br
mit der Polizei feine Weitläufigfeiten zu haben. Die Deffent-
fichfeit war nicht ausgeſchloſſen. Sonderbar, nachdem di
Zhatfachen, welche Vehſe nun felbft ala faljche einräumt,
gerichtlich al® Verläumdung eriviefen worden, glaubt Ni
Publifum erft recht an deren Wahrheit. Man traut unfern
Gerichten nicht mehr, und noch weniger den medlenbur:
gifchen. —
Der elende Wolfgang Menzel, berüchtigt wegen feiner
gemeinen Angriffe auf Goethe, feines Bellend auf Heine ıc.
hat fih nun als Klopffechter auf die Seite der bairijhen
Junker und Pfaffen geftellt. . Da mag er ftehen bleiben! —
In Hettner’d Buch gelefen, mit großer Anziehung und
Befriedigung. —
Der Geburtötag Friedrich’ des Großen im Englijcen
Haufe hier doppelt gefeiert. Im großen Saale war die
militairifche Gefellfchaft „ wo fich auch der König einfand, und
einiged Schmeichelhafte wohlgefällig anhörte. In den vordern
Zimmern war die Linke des Abgeordneten-Haufes, we die
anzüglichften, die ftrafendften Reden gehalten wurden, ven
Wentzel, Kühne (Generalfteuerdirektor), Patow und Andern.
Alles Rob Friedrich's des Großen befam einen Gegenſatz, wie
es heute ausfieht, und der Fühnfte Tadel wurde heftig De
klatſcht. Das berühmte Wort, das einſt Yriedrich beim An
blid elender rufjifcher Gefangenen ausfprah: „Sieht Er,
mit folchem Gefindel muß ich mich herumſchlagen!“ wurde
auf Patow und feinen Zweikampf mit dem Grafen von
Schlieffen unter fchallendem Gelächter angewendet. —
371
Sonnabend, den 26. Januar 1856.
Humboldt fendet mir „mit freundfchaftlichften Grüßen “
nen Abdrud feiner Antwort an die Ueberbringer ded Ehren:
yürgerrechts für ihn von Seiten der Stadt Berlin. —
Alle Staatspiere fteigen, beſonders aud, die rufjiichen.
— Der Glauben an Frieden herrfcht überall, die hartnädigiten
Zweifler geben nad. Freilich wird der Frieden nur ein
Waffenitillftand fein, aber gewiß ein mehrjähriger, und in=
‚wifchen fann fich viel in der Welt verändern. — Hier ift man
sefonderd auf Defterreich eiferfüchtig, fürchtet deffen Tüde und
Salfchheit. Aber wie fpriht man in Wien von Preußen?
Dan hält deffen Demüthigung, Herabwürdigung, Verkleine⸗
ung für ein ganz verdienftliched Werk, über das ganz Deutfch-
‚and ſich freuen müffe. Man will hier willen, Defterreich fuche
nit Hülfe Franfreihe eine ftärfere Stellung im Deutfchen
Bunde zu erlangen, ein noch entjchiedneres Vorherrſchen,
als jeßt ſchon ftattfindet. -- Man fürchtet, weder Danteuffel
roh Bismard-Schönhaufen werden den ſchwierigen Umftän-
Jen gewachjen fein. —
Nachricht, daß Frankfurt am Main der Ort der Friedens⸗
yerhandlungen fein wird. Wien wird ftarf verneint. —
Paris? —
In Rußland und in der Türkei ſind die Keime der größten
Beränderungen vorhanden; der Krieg hat ſie eingelegt, der
Frieden wird ſie entwickeln. — In St. Petersburg wird
chon jetzt mit größter Freiheit geſprochen. Ein Krieg, den
nan für einen nationalen ausgiebt, für den man das Volf
ufruft, eröffnet auch dem Urtheil, der Unterfuchung, der
Rritif freie Bahn. Der Raifer Nikolai hat feine ganze Macht
ıngewendet, um feine Alleinherrfchaft zu brechen, er hat der
Sreiheit Anechtödienfte geleijtet. Uebrigens ift er ganz ver:
jeffen, niemand ſpricht mehr von ihm, feine begeifterten Be:
24°
372
wundrer find ftumm geworden, feine Bildniffe verſchwinden
von den Schaufenitern, von den Zimmerwänden. —
Bei der ängftlichen Frage, wiefern Preupen zur Thal:
nahnıe an den Friedendverhandlungen werde zugelaffen werden,
rechnet man bier faum noch auf die Unterftüsung von Seiten
Rußlands, vielmehr auf die Billigfeit Louis Bonaparte,
dem aber England offenen und Deiterreich heimlichen Witer:
ftand leiften werden. Der König hat fchon in feiner leichten
Weiſe hingeworfen , e8 ſei ihm gleichgültig, ob fie ihn zulafien
oder nicht, aber zugleich hat er Manteuffel beauftragt, alles
dran zu feßen, daß Preußen nicht ausgeſchloſſen werde. —
Bei der Nachricht, daß der König von Sardinien zur Theil
nahme an den Berhandlungen eingeladen worden, hat es nit
nur faure Gefichter, fondern auch Faujtballen und Zähne
fnirfchen gegeben. —
— — — — —
Sonntag, den 27. Januar 1856.
Dad Minifterialblatt „Die Zeit* bringt einen ſchartfen
Artifel gegen das Programm der Rechten, gegen deren Por:
ſchläge zu durchgreifenden Berfaffungdänderungen, die &
nicht fonfervativ, fondern revolutionair nennt. Die Minifter
ſcheinen alfo feine Rüdfchritte mehr zu wollen, feine großen!
Das wäre fchon was, wenn wir nur diefe Miniiter nicht ſchon
fennten! Es find diefelben, die neulich in der wichtigen
Grundfteuerfrage ſich des Abftimmend enthielten! Aus zurdt,
aus Unentichloffenheit! Sie merfen etiwad von Gefahr, wenn
der Staat ein Kreuzzeitungeftaat wird! —
Montag, den 28. Januar 1856.
Sch hing dem Gedanken nad), daß man fich nicht heimiſch
in dad Leben hineinlebt, jondern aus der Heimath hinaus,
373
in die fremde hinein! Es iſt wohl eine Täufchung, daß
man fi immer noch für denfelben hält, der man war, man
ift auch Tängft ein andrer geworden, ſchon durd die ver-
änderte Umgebung, in die man fich verfeßt findet, und die
immer wieder fich verändert. — Im Juvenalis gelefen, —
Der fogenannte Prinz von Armenien ift heute von der
Polizei in der Stille fortgebraht worden, und wird nad
Belgien ausgeliefert, wo er einen Gerichtöhandel hat. Die
Polizei konnte nicht länger verhindern, daß feine Sache hier
an die Gerichte fam, wo die Unbefugniß und Gehäffigkeit des
Verfahrens gegen ihn nicht zu vertufchen gewefen wäre. Gie
ihafft den Mann daher fort, wodurch jede weitere Unter:
ſuchung abgefchnitten und der ruſſiſche Gefandte gefichert wird,
der Befehl des Könige aber fruchtlog! Gleich beim Ergeben
dieſes Befehld wußte man voraus, fo würde die Sache
endigen! — | |
Dienstag, den 29. Januar 1856.
In beiden Häufern ded Landtags nichtewürdige Ver:
bandlungen! Das fhamlofefte Ariftofratenpad herrſcht, und
unterwühlt den Berfaffungsboden, auf dem es doch felber
ftehen muß um zu wirfen! Sie werden nicht zu Stande
bringen, was fie beziweden, diefe Wagener, Mitſchke-Kollande,
Serlah, Voß-Buch; aber Unfug und Schaden richten fie
genug an, ſchon weil fie die Demokratie zwingen, einſt ſcharf
gegen ihre Feinde zu verfahren. Man lernt fie alle fennen,
diefe Adlichen, in denen jeder Funke dee Edlen erlofchen ift. —
Heder, glüdlicherweife in Amerika, ift von badifchen
Gerichten jebt zu lebendlänglicher Zuchthaugftrafe verurtheilt
worden. Bon badifchen Gerichten ift früher ſchon die Todes:
ftrafe gegen ihn ausgeſprochen. Die Kreuzzeitung verdächtigt
374
ihn bei diefer Gelegenheit, der Freiheitsmann möge wohl gar
jest Sklaven halten. Niederträchtiged Lügenmaul! —
„Zur Gefchichte der Schladht bei Kulm. Bom Oberften
von Helldorf, Kommandanten von Wittenberg. Berlin, 1856.'
„Militairifche Betrachtungen über die Vertheidigung ven
Sebaftopol. Berlin, 1856.”
Der König, äußerft betroffen, daß man ihn von den
Friedendberathungen ausſchließen will, foll dem Miniftr
präjidenten von Manteuffel harte Vorwürfe gemacht haben,
daß er die preußifchen Verhältniffe nicht beffer geleitet; die
falte Erwiederung ded Minifters, er habe ſtets nur die Befehle
Seiner Majeftät befolgt, ſoll dem König fehr empfindlich ge:
wejen fein, und man glaubt eine Entlafjung Manteuffels auf?
neue wahrfcheinlich; man fieht fie als gewiß an, wenn Preußen
wirklich ausgefchloffen bleibt, deßhalb wünſcht die Krey
zeitungsparthei dem Staate dieſen Schimpf, der ihn allerdings
auch mehr auf Rußlands Seite wenden könnte. Allein was
ift ihr dabei gewonnen, wenn Rußland felbft mäber mit
Frankreich fich verbindet, und Preußen ihm noch ieniger
werth wird, ald jest? —
Der Minifter des Innern, Herr von Weftphalen, hat
geitern den Herrn von Hindeldey benachrichtigt, daß man er:
fahren habe, ein ehemaliger Polizeikommiſſarius Techow fei
in den Berrath preußifcher Amtepapiere verwidelt, man
fönne es nicht glauben, aber u. ſ. w. Wie mag Hindeldey
gelacht Haben! Als ob der Minifter im Monde Iebte, ftatt in
Preußen! —
Mittwoch, den 30. Januar 1856.
Bei einem Gaftmahl zur Feier der Hindeldey » Stiftung
hat Herr von Hindeldey eine Rede zum Lobe der Bürger ge
halten, und aud gejagt, die Beamten fungirten nur der
875
Bürger halber. So gering diefe Wahrheit und fo wenig neu
jte ift, fo wird der Spruch doch am Hofe übel vermerft, und
man fpottet, daß Hindeldey nun auch wie Wrangel ſich beim
Volke beliebt machen wolle! —
Ich weiche darin von meinen Bekannten fehr ab, daß ich
die politifhe Lage Preußens durch deſſen Ausfchliegen von
den Friedensberathungen nicht fo ernftlich gefährdet fehe, ale
man gemeinhin glaubt. Freilich, wenn das Weſen fehlt und
der Schein alles leiften muß, dann hat man alle Urfache,
wenigſtens den zu retten! Aber ſtünde man im Innern feft,
hielte man die dem Bolfe gegebenen Verfprechungen, geftattete
man Freiheit, übte man Gerechtigkeit, ftüßte man fich auf das
übrige Deutfchland, verhieße dem deutſchen Bolt Einheit, —
‚dann, ja dann fünnte man der ganzen europäischen Politif
troßen nnd Hohn fprechen! Uber wie weit find wir davon
entfernt! — |
Donnerstag, den 31. Januar 1856.
Ausgegangen mit Ludmilla. Auf dem Opernplage den
Grafen von Hertzberg geſprochen; auf meine Frage, ob er
vielleicht ald Mitglied des Herrenhaufes hier fei? erwiederte
er fpöttifh: „O nein! ich Danke für alles!" Ein alter Dffi-
zier vom Regiment Gendarmen vor 1806!
Beſuch von Herrn DOberftlieutenant von Binde, Nach—
rihten mancher Art. . Die Prinzeffin von Preußen freut jich
auf ihre baldige Abreife, zunächft nah Weimar; die Ber:
hältniffe am Hofe hier find ihr zuwider. Der Prinz beklagt
die innern Zuftände, und fagt unter andern dad merfwürdige
Wort, die Kammer der Abgeordneten, wenn man ihr Freiheit
gejtattete, würde eine ganz andre Haltung annehmen, ale fie
jest bat, die Meiften würden eben fo gern mit einem Minifte-
376
rium Schwerin Auerswald ſtimmen, als mit dem jeßigen, ja
fogar lieber! — Ueber die politifche Yage der Dinge. —
Die Verhandlungen des „Landtags“ — wie das Din
jetzt heißt, find ein wahrer Efel. Die Rechte, in. der Sicher
heit ihred Stimmenübergewichtd und des Schweigend nder Nach
gebens der. elenden Minifter, erlaubt fid, die ſchändlichſter
Ausfälle.umd, Anträge. Der Heuchler Wagener und der rotf-
nafige Boß-Buch führen. das große Wort; die Unfähigfet
ſchadet ihnen nieht, dad Talent und der. Eifer der Gegner find
nutzlos, we äußere Gründe, und PVerabredungen ſchon im
voraus entjchieden haben. Dabei ftimmen viele Abgeordnete
ganz offenbar wider ihre Geſinnungen, bloß weil fie von den
Standesgenoffen nicht. abweichen wollen; es liegen darüber
merkwürdige Belenntniffe vor... Der Graf ven Schwerin und
der eine Neichenjperger haben heute einige. brave Hiebe aus
getheilt., Die Demokratie fann dazu nur lächelnd die Achſeln
zuden; fie wartet auf.andere Tage. Sie werden fommen! —
Man, erinnert wieder eifrig an ein bekanntes Wort,
Preußen ftehe wieder am Abgrund w wie « 1806, aber ohne alle
Ausſicht auf ein 4813, —
| \ Freitag, h ben 1. Februar 1856.
Preuhen ſoll nun zu den Friedensverhandlungen zuge⸗
laſſen werden, aus Gunſt Louis Bonaparte's, aus Fürſptache
Oeſterreichs! Ueber ſolchen Erfolg ſich zu freuen, muß man
ſehr verliebt fein in den äußern Schein, der diesmal nicht ım
geringſten Die Schande bededt. Oeſterreich bedarf: Prenßem
beim Bundestag ein wenig! , emo or. m
In den Verhandlungen unſres ‚Landtags reitet. man
über das Wort revolutionair, und wen ed zufomme; die
Ultra’d, die nichts fchaffen, nur zerftören, werden von den
Liberalen fo bezeichnet, diefe von jenen. Am Ende wird fih
377
n, duß man noch mitten in der Revolution iſt, gleichviel
ſie mache! —
Die neuen Angriffe und Bertümmelungen der Berfaffung
heute mit großer Stimmenmehrheit dDurchgegangen. Der
zwurſt Zudwig von Gerlach und der Jammermann Wages
— er bereut öffentlidy Die Sünden, die er als Redakteur
Neuen Preußifchen Zeitung begangen — machten ihre
iche. Der wadre Wengel warnte vergebend, jo aud
* Schwerin, und. Lette und Patow. Gelegen ift nichte
1er Sache, fie gilt nur als Zeichen, aber als folches ift
ih —
Der Prinz von Preußen hat fich die Gefchichte des Prinzen
Armenten erzählen laffen, und ift empört über die Willfür
Eigenmacht der Polizei, fo wie über die Zagheit der
shte, die fich beichweren -follten. Bei wem aber? Bei
Juſtizminiſter Simons?! — Die Gefchichte wird fid
luten, wie viele andre. Man fpricht eine Weile davon,
dann nicht mehr. — |
Der Prinz von Armenien ift nicht nach Belgien audges
rt worden, fondern auf den Bahnhof gebracht und nad)
em Wunjche auf Frankfurt am Main gewieſen worden,
ı Geld hatte man ihm abgenommen und verrechnet, doch
Eifenbahn davon bezahlt. Man ift allgemein empört
‚ dies Berfahren. — M
Auf. den. erneuerten Subffriptionsbällen hat fich eine hier
hörte Pracht gezeigt. Befonderd auffallend war die
e Zahl reicher, glänzend geſchmückter Füdinnen. Der
ig. foll ganz erflaunt gewefen fein und gefagt haben, er
iberrafcht, in feinem chriſtlichen Staat fo viel jüdischen
at zu fehen. —
378
Sounabend, den 2. Februar 1856.
Die Kreuzzeitung brachte geſtern die Berichtigung, Is
anfängliche: Verbot der Aufführung des Stüdes von Be;
john „Nur eine Seele” fei. nicht auf Anfuchen des ruſſiſtha
Gefandten ergangen, und iſt unwillig, dag man dergleihe
verbreitet habe! — Der Kladderadatfch züchtigt die. Gerlad
und Wagener und Mitfchle- Kollande für ihre Frevelatbel,
indem er fie ald Holzhauer vorftellt, welche die Kleben da
Verfaſſung zerjägen und Heinhauen. Auch bat er den Ruth |
ded Prinzen von Armenien zu erwähnen, von dem die Pelizei
jest nicht gern mehr hören mag. Sie wird aus dem Aus
land aber wohl noch genug von ihm hören, er wird in Frant-
reich Federn finden, —
- Der Hanswurſt ˖ Ludwig von Gerlah Täugnete geftern,
daß im Jahr 1813 Begeifterung für Jreibeit vorhanden ge |
weien;. die Soldaten hätten geſungen: „Bonapart', d
Schinderknecht, Willſt uns lehren deutſches Recht!“ Auf
der Rednerbühne des Landes geſprochen, deſſen König und
Miniſter wieder mit einem Bonaparte ſehr ‚viel Umftände zu |
machen haben, Fangen diefe Worte plump und roh, und man
fürchtet ſchon, daß ſie in Paris herb gerügt werden. —
Die Ritterafademie zu Brandenburg, wo bis zum Jaht
1848 junge Adliche fehr Schlecht erzogen wurden, wird wieder |
bergejtellt. — Im neuften Budget jteht bereit? ein Jahres
beitrag von 5400 Thalern, die der Staat dazu wie früher aud
jest wieber.geben will. Unnützer fann er diefe Summe nicht
verichwenden, aber. ariftofratiiche Gelüſte müfjen befriedig
werden! Es iſt eine wahre Schande! —
Aus dem Anfange bes Februar 1856.
Das Vorſchreiten der Kreuzzeitungsparthei gegen die Ver—
faſſung iſt dem Miniſterpräſidenten von Manteuffel doch be
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denklich geworden, befonders weil er und feine Anhänger dur)
das Uebergreifen jener Parthei fich gefährdet fühlt: - In
inem Minifterrathe, bei dem der Minifter des Innern Herr
von Weitphalen fich fügen mußte, wurde beſchloſſen Einhalt
u thun. Im Haus der Abgeordneten wurden am A. dem⸗
jemäß zwei Anträge auf Berfaffungsänderung durch die. über:
afchendfte Mehrheit befeitigt. Die Mehrzahl: derer, die bisher
‚uch der Kreuzjeitung anzugehören fihien, erwies fich den
MRiniftern gehorfam. Große Zerrüttung deßhalb in der
Barthei! —
Die holfteinifhhen Stände haben fich ermuthigt, und eine
Minifteranflage befchloffen. — Das Itzehoer Wochenblatt
interdrüdt. —
Die Volldzeitung am 6. vortrefflih über Preußens Zu-
affung - zu den SFriedendberathbungen. Am 7. vortrefflid
jegen die Kreuzzeitung, die jegt Frankreich lobt, weil es Ruß⸗
and freundlicher iſt. —
Am 7. Debatten im Hauſe der Abgeordneten über Schwe⸗
in's Antrag wegen des von der Regierung verübten Wahl:
wanged. Reichenſperger und Mathis und Bardeleben brav.
Der Regierungdtommiffair Geh, Regierungsrath Dr. Ludwig
dahn ein ſchamloſer Lohnredner. Am 8. Fortſetzung. Der
Bole Morawski fpricht mit edler Leidenfchaft und. erregt
türmifche Bewegung. Aberdas Haus geht mitgroßer Mehr:
yeit zur Tagesordnung über! —
Uhlih in Magdeburg wegen des Sonntagsblatted vom
Hppellationsgeriht — endlich! — freigefprochen; die freie
Hemeinde dagegen, von diefem verurtheilt, wird ala politifcher
Berein angefehen!! —
380
u - Freitag den 8. Februar 1856.
Mehr als je fürchtet man bier, daß Preußen keinen u J.
theil an den großen Verhandlungen haben werde. Die Ri MW
richten aus Paris laſſen fehr die Ausſchließung befürdta,
und Rußland zeigt ſich außerordentlih Tau. Man iti
graufam, den König in diefer Bangigfeit hinzuhalten, und
fehlt nicht am Leuten, die darüber fchreien, als fei Preukmi
Ehre und Macht gefährdet. (Sie ift es, aber durd an
andre Dinge!) Hier tröftet man fich in der Erbitterung mil
dem Widerftande, den man Oeſterreichs Abjichten am Bunt
tag entgegenfegt. In Wien fchimpft man wüthig auf uni.
| Sonntag, den 10. Februar 1856.
Widerſprůche im menſchlichen Weſen, Ernſt und Shet
Trauer und Luft, beide wahr! —
Der Magdeburger Rabbiner Philippſon tritt hetau J
fotdernd gegen Wagener auf, der den Juden im chriftlihn J
Staate feine Rechte zugeftehen will. Jener führt figid
dad Neue Teftament gegen den frömmelnden — an, dem
mit trocknen Schmähungen zu antworten weiß. —
In England ein Baron Parke zum lebendlänglichen (mid
erblihen) Pair gemacht, feit undenklicher Zeit nicht gefhehen, W
aber durch alte Beifpiele unläugbar ald Recht der Krone ers |
wiefen. Im Oberhaufe Stuben und Widerſpruch, im Belt
Beifall. — |
Der König will nicht, daß während der Faſten Bil
gegeben werden, wenigftens follen fie nicht fo heißen. Ber |
jept einen Ball giebt, ladet nur zum Thee ein; wird nachher
getanzt, fo ift es eine Zufälligfeit. Ob dem lieben Gott mit
diefer Abfindung ein rechter Gefallen geſchieht?! —
|
381
Dienstag, den 12. Februar 1856.
Unfer allgemeiner Landtag vereint mit dem fchlechteften
‚heil des Minifteriumd arbeitet ganz offen auf das Verderben
es Staated los. Die Verftümmelung, das. Brechen der Ver⸗
iſſung, geht ungehindert fort, der ſchwache Widerſtand Man-.
euffel's ift bereits erlahmt, war überhaupt nicht ernft, kam.
ur aus perfönlichen Triebfedern, nicht aus der Sache. Hente
rang Weſtphalen mit feinen Gefellen eilig auf Unterordnung:
er Bauern unter den Gutöheren, das heißt unter den Edel⸗
wann, denn andre Gutsbeſitzer follen felber nur ald Bauern.
elten. Freie Leute follen wieder Hörige werden, man. ruft
as Beifpiel Medlenburgd an, man möchte zur Leibeigenſchaft
urück! Gerlach feßt feine nichtöwürdigen Späße fort, die
:aften der Bauern find ihr Recht, die Vortheile der Adlichen
hre Pfliht! Sind diefe Frechen nicht rafend, ‚dergleichen
Dinge zu betreiben, die einft fchwer. auf ihre Köpfe fallen.
derden? Die bisher ganz ruhigen, ja reaktionair mißbrauch⸗
en Bauern macht man zu revolutionairen. . Sie werden es
on merken, wie. man mit ihnen verfährt, und die Rode
ann nicht ausbleiben. —
Geftern begann eine Reihe von zwälf Borftellungen einer
leinen frangdjifchen Theaterfruppe. Ungeachtet der fehr hoben
Preife waren alle Pläge hefept, die Verſammlung äußerft
Tänzend, gine ungeheure Menge Wagen, Zu Bergnügungen,
um Prunf, zu prahlerifchen Genüffen fehlt es nicht an Geld.
Die Verſchwendung ift in ftetem Zunehmen, die Berarmung
über auch. —
| Mittwoch, den 18, . gebrugr 1 1856,
. Der, Sultan. in Konftantinopel wohnt einem Masfenballe.
ed englifchen Gefandten bei. Unerhörte Neuerung! PBiele
Nufelmänner griffen heimlich zu den Waffen, weit fie glaub»
en, fie würden den Sultan mit Gewalt befreien müffen. —
tigen Marat's oder Knipperdolling's als Nachtommen
jetzigen Gerlach's, Wagener's, Goedſche's auch mit der
Namen bezeichnen. So frech wie in dieſem — iſt
Unvernunft, Willkür und Gewaltthat vielleicht noch nie a
getreten.
— — — — —
Freitag, den 15. Februar 1856.
Bettina Spricht von Beethoven, und fagt, er fei nerl
in fie gewefen, und habe fie heirathen wollen! Sie ſei an
Anblick des fehönen Arnim gewöhnt gewefen, und habe
dergleichen nicht gedacht; wenn fie aber feine Frau gemor
wäre, würde fie ed nie gereut haben. Das Lied „Her, m
Herz, was foll das geben?“ habe er für fie fomponirt! Lar
Schaum und Traum! Beethoven hat an Heirathen gar n
gedacht, ale er Bettinen kannte; und das Lied hatte er ſe
vor 1808 veröffentlicht, ehe er Bettinen auf der Welt mu
— Bettina fieht kläglich aus, unficher, ſchwach, fafelig, 2
die alte Frau. —
u m — r e —
Sonnabend, ben 16. Februar 1856.
Die heutigen Zeitungen berichten über die geitrige Sik
ded Abgeordnetenhauſes. Der Graf von Pfeil aus Sdle
trat mit unerhörter Tsrechheit und Dummheit auf, und rat
fich mehrfacher Bemaltiamfeiten. Die er araen Gina
383
erurtbeilt werden fönnen. Er will damit beweifen, daß der
(del wohl obrigfeitliche Polizeirechte haben müffe, aber dabei
ody nit als Beamter den Strafgefepen unterworfen fein
ürfe, weldye gegen Uebertretungen der Amtsgewalt befteben.
die Rechte benahm fich dabei bubenhaft, Tachte bei jeder
rwähnung von Einfperren, Hiebe aufzählen ꝛc. In MWengel
rach der edle Unwillen erfchredend aus, er hielt dem Ber-
recher feine Schändlichkeit heftig vor, und machte fichtlich den
lefſten Eindrud. Der Minifter des Innern mißbilligte den
zrafen von Pfeil, der Gaufler Gerlach fuchte ihn zu entfchul-
igen; nachher, in Folge einer Berathung, erflärte Wagener,
te Parthei verwerfe die Pfeil'ſchen Aeußerungen. Schuftiges
zolk! — |
Sonntag, ben 17. Febraur 1856.
Gründung einer preußifchen Kreditanftalt dur Zufanı-
aentritt reicher Vornehmen und Banquierd. Ariſtokratiſches
elingt. — |
Mehrere Mitglieder der freien Gemeinde in Magdeburg
eſuchten ein Wirthshaus, wo fie tranfen und plauderten,
leich andern Gäften. Die Polizei fah darin eine unerlaubte
Zerfammlung, das Gericht aber fprach fie frei, und die Richter
prachen ihren Unwillen über die leichtfertige, arundlofe An-
lage aud. Sie haben doch leider ganz ähnliche gelten laſſen
nd durch Verurtheilungen beftätigt! —
„Johann Kaspar Lavater nach feinem Leben, Lehren und
Birken dargeftellt von Friedrich Wilhelm Bodemann, Paftor
u Schnadenburg an der Elbe Gotha, Perthed, 1856.”
ran Pfaff befpricht den Pfaffen. Ein fchlechtes Bud. Daß
zoethe darin mit der irchlichen Elle gemeffen wird, ift natür-
ch. Dafür mefje ich den Schwarzrod mit meiner! —
384
Montag, ben 18. Februar 1856.
Es ift auch bereitd eine zweite Sefellichaft zufamme:
getreten, die ein Kreditwefen zu Gunften des Grundbeike
ftiften will. Der Fürſt von Bentheim ift Dabei, der Graf mn
Königemard, Dr. Emil von Haber, Landrath von Lavetgut
Peguilhen x.
Dem Könige hat man von den Gefahren geſprochen, da
die franzöfifche Geſellſchaft du credit mobilier hier eindringen
fönnte, deshalb begünftigt er hiefige Schöpfungen der An.
Die Behörden aber, meint man, werden noch viele Schwierig:
feiten erheben.
Das Obertribunal hat das Strafurtheil des Stadtgerihtes
gegen den Banquier Louis Meyer — wegen Berrathes der
telegraphifchen Depefhen — vernichtet, und die Sache auf's
neue an das Gericht verwiefen.
Ich babe früher ftetd behauptet, daß das Lebensalter dat
Grundgefühl im Menfchen nicht verändere, und auch nicht die
Grundanfichten, die ihn im Leben geleitet haben oder ned
leiten, und dies behaupt’ ich auch noch; alle Veränderung,
welche durch fogenannte reifere Erfahrung gegeben werden
fol, habe ich wenigſtens nicht erfahren, und ich muß einen
ſolchen Wechfel verneinen, oder verwerfen, ald das Zeichen |
eined unfelbitftändigen, abhängigen, geringen Wefene Ih
fühle mich noch heute zur Natur, zum Geifte, zum allgemein
Menſchlichen eben fo geftellt, ald wie ich achtzehn Jahr alt
war. Nur im Verhältniß zur eignen Thätigfeit, zu Erwar⸗
tungen und Beforgniffen, zu Anfnüpfungen mit einzelnen |
Menſchen, fühl’ ich einen großen Unterfchied, da it es nicht
einerlei, ob man an der Schwelle, in der Mitte, oder am Aus |
gangsrande des Lebens fteht. —
— — — 0 —
|
385
. Dienstag, ben 19. Februar 1856.
No in nichts beſtimm— über Preußens Theilnahme an
den Pariſer Berathungen. Man iſt ſehr ängſtlich deßhald, ich
nicht! Ich bin ängſtlich wegen andrer Dinge. —
Der Graf von Pfeil ſucht in der Kreuzzeitung ſich zu
rechtfertigen, und will nur die Rechte eines engliſchen Friedens⸗
richters für dic Gutsobrigkeiten angeſprochen haben. Die
Redaktion der Zeitung aber mißbilligt ihn ferner, läßt ihn im
Stich, und beharrt ausdrüdlich dabei, daß ihre Parthei ſich
allen Geſetzen ſtreng unterwerfe. Die Lügner! —
| Minwoch, ben 20. 9. Febenar 1858. .
Ale Zeitungen geben aus Paris die telegraphiſche Nach⸗
riht, daß Heinrich Heine dafelbit am 17. geftorben. : Ein
Scylag, der ich ſehr fchmerzlich fühle. Mein jüngerer Lands⸗
mann aus Düffeldorf!: Was verfnüpft fich nicht alles feinem
berühmten Namen! — oo. DEE
Unwillen über die frechen, ftürmifchen — und. dabei doch
ſchleichenden — Schritte unſrer landesverrätheriſchen Reaktion.
Am meiſten wundert man ſich, daß man ganz wehrlos gegen
ſie daſteht. Wehrlos allerdings und durchaus, bis zum rechten
Augenblicke, dann wird Wehr und Steg: zugleich da ſein.
Haben wir nicht Karl den Zehnten in Frankreich geſehen?
Mit feinem Billele, Labourdonnaye, feinen Jeſuiten! Als
mächtig bis — zu den Julitagen! ‚Und Louis Philippe?
Allmächtig bis — zu den. Februartagen! Zwar der König
iſt bei und nicht gefährdet, noch das Königthum; aber für die
Junker möcht’ ich mich. nicht verbürgen, die fünnen einen
ſchmählichen Fall erleben! —
Der ruſſiſche Bevollmächtigte zum Parijer Kongreß Graf
Drloff wollte hier durchreifen ohne den König zu ſehen. Diefe
Gleichgültigkeit wollte man hier doch nicht ofenkundi werden
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. XII.
386
laffen, und es heißt, man habe ed mit Kunft und Geſchiclichkeit
fo gewendet, daß Drloff zur Tafel eingeladen werden konnte,
wie denn auch geſchah. —
Lob und Anerkennung Heine's; „der Ariſtophanes un
Zeit.“ Seine Fehler mit feinen Tugenden fo verwachſen, dij
man fie nicht trennen fann, fie müſſen zufammengeben, fe
find die Träger deſſelben Geiftes, fie geben diefem dieſelbe
Rahrung. —
Donnerstag, den 21. Februar 1856.
Der Graf von Pfeil hat vor dem Abgeordnetenhaufe ih
nochmals zu erklären, zu entfhuldigen, zu rechtfertigen verjucht,
aber mit fchlechtem Erfolg. Gerlach hat feine neuliche Aeupe:
rung, der Adel theile im Heere den bürgerlichen Offizieren
feine ritterlihe Ehre und Sitte mit, auch zu mildern geſucht.
Aber was diefe Junker gefprochen iſt ald Feuerfunke in die
Gemüther gefahren und glüht dort unlöfhbar weiter. —
Die Regierung will nicht die vom Grafen von Bop- Bud
vorgefchlagene Beſchränkung der Wechfelfühigfeit, mit de
Wiedereinführung der Prügelftrafe, noch nicht! —
Die Regierung hat mit dem Königlichen Bankinſtitut
einen Bertrag abgefchloffen, durch den diefed — mit feinen
mehr ale achtzig Filialen — in feinem Monopol befeftigt und
fein Gefchäftsbereich erweitert wird. Die Hauptſache ift, dab
die Staatdgewalt diefed Werkzeug ded Geldverkehrs immer zu
feinem Gebrauche in der Hand behalten will, — und allenfalls
auch zum Mißbrauche! — Herr von der Heydt Minifter, —
nun ja! —
387
Freitag, den 22. Februar 1856.
Herr Gottfried Keller fendet mir fein neueſtes Buch, bei
Pieweg in Braunfchweig herausgefommene Novellen.
Im Herrenhaufe bildet fich eine ftarfe Oppofition gegen
die Regierung, man troßt auf die Verfaffung, freilich nur bei
Gelegenheit ariftofratifcher VBortheile für die Branntwein-
brenner, welches faft alle Adlichen find. — Gerlah, Mitjchte-
Kollande, Pfeil, Wagener, fpielen ihre Rollen im Abgeord-
netenhaufe, halb Hanswurſte, halb Schinderfnedhte. —
Heine ftarb ohne religiöfe Umftände, er hatte fie verboten,
wie auch jede Grahbrede. Franzöfifche und deutfche Schrift:
tteller waren beim Leichenbegängniß, unter den erftern Mignet,
Theophile Gautier, Alerander Dumas. — Heine wurde heute
Abend gehörig gerühmt und anerkannt.
— —
Sonnabend, den 23. Februar 1856.
Heftige Debatten der Abgeordneten. Wentzel verlieſt
Proklamationen aus dem Jahre 1848, vom Grafen L. von
Pfeil, ganz revolutionaire! Er fragt auch Die Rechte, wo fie
im Sommer des genannten Jahres geweſen? in der Nähe des
Königs nicht! — Wagener und Gerlach erhalten gute Zurecht⸗
weifungen, Mitfchfe-Kollande hält dad Maul! Aber die Ab—
ftimmung ift eine fchlechte, wie zu erwarten war. —
Man fpürt im Lande einen großen Mangel an Lehrern,
die erledigten Stellen können nicht wiederbefegt werden, Die
Staatbehörde trifft Anftalten zur Abhülfe, ſetzt die Anfordes
rungen auf ein geringered Map. Aber damit, dag man fi
mit Wenigerfähigen begnügen will, ijt nicht geholfen. Die
Unterdrüdung aller Geifteöfreiheit in dem Lehrerſtande, die
kirchliche Auffiht, die Mapregeln und Scheerereien, diefe
"Uebel find es, die vom Schuldienft abfchreden, und es vor-
theilhafter erfcheinen laſſen ein Handwerk zu erlernen. —
. 25”
388
Dem Präfidenten von Gerlach jind ein paar bürgerliche
Dffiziere auf die Stube gerüdt, und haben ihn wegen ſeiner
Aeußerung über das Berhältnig der adlichen und bürgerlihn
Offiziere zur Rechenfchaft gezogen. Er wurde leichenblag m
ftotterte alle möglichen Entfchuldigungen. Seine öffentlik
Erläuterung aber, die er verfprach, iſt Doch wieder zweideutig
und jchielend ausgefallen. „Der thut nur gut, wenn und je
lang er die Fuchtel über ſich gehoben ſieht!“
Sonntag, ben 24. Februar 1856.
Der Graf Q, Pfeil fagt in feinem Plakat von 1848 unter
andern: „Arbeiter, achtet das Eigenthum Anderer, aber fer:
dert, daß Ihr felbft Eigenthum erhaltet.” — Der wird aud
einem Schergen und Frohnvogt gleich wieder ein Aufwiegler,
wenn Revolution ift! — |
— — — ——
Montag, den 25. Februar 1856.
Durch ftatiftifche Angaben wird dargetban, daß bereits |
vor 1806 ein jtarkes Viertheil der preußifchen Offiziere aus
Bürgerlichen beftand, im Jahr 1813 aber weit über die Hälfte,
im Jahr 1817, als die meift bürgerlichen Landwehroffiziete
längft entlaffen worden, noch beinahe die Hälfte. — |
M. fchreibt unter andern: „Metternich foll von Bud |
gefagt haben: Sein Berftand ift nur fpisig, aber nicht lang
nicht breit und nicht tief.“ — Ich Habe in früherer Zeit
diefen Grafen Buol als einen ſehr beſchränkten Menſchen
gefannt, und wüßte nicht, wiefo er fich follte geändert haben.
Einige Gefchäftsgeläufigfeit genügt aber in folchen Stellungen, |
die Hauptfache wird von den Umjtänden gemacht und von
gefchidten Unterarbeitern. —
389
Der Generalpolizeidireftor von Hindeldey gab kürzlich
einen glänzenden Ball, über fünfhundert Berfonen waren
gegenwärtig, aber fein Offizier war gefommen, Wenn das
gefammte Militair ihm grollt, fo ift das nicht eben aus guten
Gründen es ift wegen der Gefchichte im Hotel du Now! — |
Offiziere tanzen auf Bällen nie mit Fräulein von Hinckel⸗
dey; fie heißt bei ihnen nur die „ Konftabler-Göre”. —
Dienstag, ben 26. Februar 1856.
Humboldt fendet mir als werthed Andenken die Empfehs
lungskarte, welche Philarete Chasles ihm von Heine gebracht
hatte. Sie lautet: „Dem geliebten und hochgefeierten
Alerander von Humboldt überbringt der große franzöſiſche
Litteratur-Forſcher Philarath Chasles viele Grüße von Heinrich
Heine.” Auf die Rüdfeite fchrieb Humboltt: „Das Lebte
was id) von Heine erhalten. U. v. Humboldt. Febr. 1856.”
Sehr freundlich und angenehm.
Der Pöbel der Litteratur wird nicht müde, von Goethe's
Egoismus zu reden, und meint recht viel zu thun, wenn es
ihn einen großartigen Egoismus nennt! Wo folche blinde
Berfennungen, folched gedanfenlofe Kortpflanzen von Stich
wörtern, ſolche Nachiprechereien herrfchen, da ift ed im Innern
weder hell noch rein. —
Mittwoch, den 27. Februar 1856.
Der König hat auf dem legten Subffriptiondball eine
läſtige Schranke durchbrochen, die nun hoffentlich auch auf
Privatbällen wegfallen wird. Er hat erklärt, um eine Dame
zum Tanz aufzufordern, brauche der Herr nicht erft perfönlich
ihr vorgeftellt zu fein; bier genüge, daß man an diefem Orte
beifammen fei, um fich ale vorgeftellt anzufehen. Sein
—
390
Wort hatte die befte Wirkung, eine ganze Schaar junge
Herren jtürzte jich mit bisher unaufgeforderten Damen in va
Tanz. Der König konnte recht fehen, wie viel Andres in ir
Art fein Beifpiel und Wort auszuführen vermöchte! —
Unfre parlamentarifchen Poſſen werden immer efelhafte,
ich mag gar nichtd mehr davon hören noch reden.
Gegen das in Dresden erfchienene „ Schwarze Buch“ mit
mehr ald 9000 verdächtigten oder beſchmutzten freijinnigen
Namen wird ein „Weißes Buch“ verheißen, welches die Namen
der Ultra's und Reaktionairs und ihre Verbrechen angehen
fol. Ein wichtiges Material dazu liefern ſchon die Abitim-
mungen unfrer Herren und Abgeordneten; die Kreuzzeitung
giebt fie immer forgfältig; ob fie nicht daran denkt, daß fe
damit der Zukunft Profkriptionsliften giebt ? —
Der Graf 2. von Pfeil war im Jahr 1848 einer der Bor:
fteher ded demofratifchen Klubs, er wollte nicht Graf meht
fein, fondern nur Bürger Pfeil heißen! Die Fraktion Gerlah
hat den unbequem gewordenen Gefellen jet ausgeftoßen. Er
bleibt in unfern Augen aber ihr richtiger Genofle; fie muß
ihn behalten, er ift ihr Flarfter Ausdrud, nur etwas dumm!— |
In dem Depefchenverratb — Niebubr, Gerlach — madt
man noch immer neue Entdedungen; es find Beamte im
Hausdminifterium übel bloßgeftellt, aber man will fie nidt |
verhaften; geringere Werkzeuge — 3. B. ein gewiffer Hohl
felder — werden eingeftedt. Während die Polizei mit angeb
lichen Demokratenkomplotten eifrig befchäftigt war, die freien
Gemeinden fchifanirte, Wahlumtriebe machte, mit entdedten
Schiwindeleien prahlte, hat jenes Unheil ungehindert fich auf
gebreitet, und wichtige Staatöverhältniffe angefreffen. Alk
Gefandtichaften und auch Privatperfonen benupten die reihlih
fließenden Quellen! —
391
Donnerstag, den 28. Februar 1856.
Der Mahler Bleibtreu in Düffeldorf will die Schlacht
von Groß s Beeren auf’d neue mahlen, und läßt mich fragen,
was für Pferde wohl an jenem Tage Bülow und Krafft
geritten haben? Das fann ich freilich nicht fagen! ber
vielleicht Weyrach oder Burgsdorf. —
Unſre efelhaften Debatten und Streichungen von Ber:
faffungsparagraphen gehen ihren leidigen Gang weiter. Man
häuft Schuld auf Schuld; ein Zahltag wird fommen! Der
General von Pfuel erflärt, wenn dann die Nemeſis waltet,
dürfe man fein Mitleid haben; es werde nur gerechte Strafe
fein, wenn diejenigen verlieren, die jeßt unrecht gewinnen
wollen und dazu rohe Gewalt wie Tiftigen Trug anwenden.
Den Kommunidmud oder fonftige Ausfchweifungen des untern
Volkes fürchtet er gar nicht, das feien Schredbilder für Feige
und Dumme. —
Merkwürdige Verordnung des öfterreichifchen Ober:
kommando's, dad Heer foll die Faſten ftreng beobachten, zur
Beichte gehen, Predigten hören 2c. . Die Aufzeigung von
Beichtzetteln fteht in Ausficht! Früher, unter Maria Therefia,
war das fchon. Damals kaufte man die Beichtzettel um ein
Billige; insbeſondre waren fie in allen Treudenhäufern zu
haben, die Pfaffen brachten fie dahin, bezahlten wohl damit
ihre — Zeche! Dies ift ganz thatfählih; als ich in Prag
war, lebten noch viele Leute, die ed aus Erfahrung bezeugten,
Dffiziere ded Regiments Vogelſang, in dem ich diente,
Scaufpieler Liebich, Profeffor Meinert ꝛc. — Gute Ausfichten
für Deiterreich! Doch ift dad Zeug mehr lächerlich und efelhaft
als gefährlich! —
Die Friedendberathungen in Parid haben begonnen,
Preupen ift nicht zugegen. — Der König foll äußerft
erbittert darüber fein, aber wie auch fonft will er Died
392
durch angenommene Luftigfeit verdeden. Die Hofleute kenn
dad genau. —
Freitag, den 29. Februar 1856. |
Dad Morgenblatt der Nationalzeitung ift weggenommm
worden, auch die letzte Nummer der Jlluftrirten Zeitung. Die
Polizei muß von Zeit zu Zeit zeigen, daß fie das kann. Die
Artikel, die fie anfchuldiat, find gar nicht erheblich. —
Schon immer will man der Regierung zu Hülfe fommen,
dad Budget in ein ordentliches und außerordentlices ju
theilen,, jenes ihr für immer fichern und nur diefeö dem Land:
tag überweifen; aber nun, da ed ernſt wird, tritt der Kinanz
minifter dagegen auf, und fagt, die Regierung könne dazu nicht
flimmen! — —
In Weimar hatte die Regierung die Wiedereinführung
der Zodeöftrafe beim Landtag angeregt, dieſer fie abge
wieſen. — |
Sonnabend, den 1. März 1856.
Das öſterreichiſche Heer fo ftreng katholiſch? „Das iſt
bloß, daß fie nicht zu Türken werden, mit denen Oeſterreich
jegt jo brüderlich werbündet ift. * — Politiſch jedenfalls it de |
Mapregel, nicht religiös. . Wie alles in diefer Zeit. — |
Sonntag, den 2. März 1856.
Thierd hat von Louis Bonaparte gefagt, während de
Krieges fei ihm das Glüd zur Seite geweſen, nach dem Frie⸗
den werde er Genie haben müſſen. — Bisher hat Louis Bons
parte in der Meinung der rechtlichen, der ausgezeichneten |
Menfchen in Frankreich keine Fortfchritte gemacht, man hält
393
ſich zurüd, will mit ihm nichts zu thun haben, er muß ich mit
Taugenichtſen und Spitzbuben behelfen, zu feinem größten
Aerger. Man mihtraut ihm, man beobachtet ihn ſcharf; fo
wie er fchlecht wird in feiner Rolle, ift es um ihn gefchehen.
Die Geburt eined Sohned wird in diefer Tage wenig ändern;
man giebt in Frankreich nichts auf folche Kinder, man hat den
Dauphin Ludwig, den König von Rom, den Herjog von Bor:
deaur, den Grafen von Paris gefehen! (Vertrauliche Nach⸗
richten aus Frankreich.) — Ä |
Montag, den 3. März 1856.
In Weimar hat der Yandtag dem Antrage feiner Kom:
mifjion entgegen nun Doch die Wiedereinführung der Todes»
ftrafe mit 18 gegen 16 Stimmen angenommen. Die allge-
meine Reaktion verfolgt diefe Sache mit befondrem Nachdruck,
die großen Höfe müſſen auf Die kleinen dabei wirken, nöthigen⸗
falls droben, die hartherzige Ariftofratie hilft aus allen Kräften.
Einit fann ed manchem jebigen Reaktionair bitter leid fein, daß
noch Todſtesſtrafe befteht! —
Als ich vom Bette aus den prächtigen Sonnenfchein ſah,
der den Gendarmenthurm und die Dachſpitzen vergoldete,
fiel mir das herrliche Wort von Goethe ein, der in ähnlichem
Tall an Yrau von Stein ſchrieb (27. Suni 1785): „Heut ift
das Ichönfte Wetter von der Welt. Ih erlaube mir fein
Murren. Wird die Sonne doch ſchön leuchten, wenn wir im
Grabe liegen, warum follt’ es und verdrießen, daß fie ihre
Schuldigkeit thut, wenn wir Stube und Bette hüten müffen. *
— Die Umkehrung der Sache ift hier gerade hübſch; denn
eigentlich verdrießt ung ja nicht das Thun der Sonne, fondern
unfer gebindert fein; .aber das rechte Verhältnip iſt doch, das
Große der allgemeinen Ratur voranzuftellen. —
— — — ni
394
Dienstag, ben 4. März 1856.
Die Berhandlungen in Paris haben guten Fortgam,
Immer obne Preußen, defien auch nicht erwähnt wird. Da
Minifterpräfident von Manteuffel tbut fo, ale ob ihm de
ganz recht wäre, jedoch meinen Andre, es könne zu feiner Ent
laffung führen. Das glaube ih nun keineswegs! —
In Sonderdhaufen find die Juden für fähig erflät
worden, öffentliche Anftellungen zu erhalten. — In Wien if
ihnen ausdrüdlich die Advokatur zugefprochen. — In Preußen
— fchweigen wir von Preußen! —
Die Rede Louis Bonaparte's bei Eröffnung der Legislatur
— vollftändig hieher telegraphirt — giebt die bündigften
Friedensverficherungen; Defterreih wird fchmeichelhaft be
rührt, Sardinien au), Preußen bleibt ungenannt. —
—
Mittwoch, den 5. März 1856.
Im Herrenhaufe verräth ein Herr von Waldow den Zwed
des beantragten gefpaltenen Budget, man will der Regierung
„die bequeme Schraube zur Steigerung der direften Steuern“
entziehen, die Möglichkeit neuer Grundfteuern erfchweren ı..—
| Donnerstag, ben 6. März 1856.
Unfre Zeitungen verfünden triumphirend die Niederlage
Wagener’d und Gerlach’s im Abgeordnetenhaufe, mo der An
trag auf Streichung des Gleichheitös Paragraphen der Verfaſſung
durch die Tagesordnung beſeitigt worden ift; die Jentrumk
rechte war gegen den Antrag, die Minifter nicht dafür, die
äußerfte Rechte blieb allein, und ſtimmte mit für die Tage
ordnung, um nicht größerer Schmach ſich auszuſetzen, die dem
Antrage bevoritand, wenn Matbid und Schwerin durchdrangen.
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Diefe- Niederlage: ift eine Merkwürdigkeit, in der Sache jedoch
nicht eben fehr erheblich. — .
Heute ſetzte fich dieſe Niederlage fort, MM galt den Artikel
der Berfaffung, der die Gewiſſensfreiheit ausſpricht, und deffen
Streihung diesmal hauptlächlich gegen die Juden gemeint
war. Die Streichung wurde verworfen, nachdem der ‘Minifter
des Innern fich gegen fie erflärt hatte, wobei er jedoch feiger-
weife zugeftand, er würde den Artikel heute nicht in die Vers
fafjung aufnehmen, derſelbe bedürfe einer veränderten
Faſſung ꝛc. — Wagener und Gerlach werden gründlich ver-
arbeitet, in- ihrer armfeligen Blöße dargeftellt; fie laffen dag
Maul hängen! Uber ihre Tüden find nicht zu Ende, fie find
nody lange nicht aus dem Felde gefchlagen, fie haben ihren
Plag am Hofe, in der Regierung, fie haben die Frömmler und
Ariftofraten auf ihrer Seite. —
Die Unterfuchung in Betreff des fogenannten Depefchen-
verrathed wird jet dahin geleitet, daß Manteuffel an der
ganzen Sache jchuld fein foll; er habe zuerit die Beftechungen
verfuht, um hinter die Schliche feiner Feinde zu kommen.
Das ift gewiß nicht wahr! Vielmehr glaubt man, Hindeldey
ftrebe ihn zu ftürzen, und da Gerlach daffelbe Ziel habe, fp
feien fie für den Augenblid vereinigt, um auf ihn das
Gehäffige jener Geichichte zu werfen. Auffallend it es, daß
die angekündigten Streihe, welche Gerlach und die Seinen
gegen Hindeldey führen wollten, gänzlich unterblieben jind.
Man fcheint fi einigermaßen verftändigt und befchwichtigt zu
haben, wenn auch nur einigermaßen. — (Man hatte ſchon
befjere Streiche gegen ihn im Sinn! —)
Der König, von der Spannung unterrichtet, die zwiſchen
feinen Gardeoffizieren und Hindeldey herrſcht, hat verjucht
eine Verföhnung zu Stande zu bringen; die Offiziere haben
diefe für unmöglich erklärt, der König könne ihre Köpfe fordern,
aber nicht ihre Ehre. —
396
Freitag, den T. März 18586.
In der Gefchichte der Menfchheit wie im Leben des einzel
nen Menfchen ftrebt und dringt alles dahin, das Fdeale —
das bewußt oder unbewußt immer mitlebt — zur Erjcheinung za
bringen. Mehr oder weniger gelingt died auch, das Ideale
tritt in die Wirflichfeit, aber ftet3 nur auf kurze Zeit; es if
nur wie ein fchneller Durchgang, ein Aufleuchten,, dad augen-
blicklich altes ringsum erhellt, aber dann gleich wieder Dunkel⸗
heit übrig läßt. Wie der Einzelne in vielen Lebensjahren
nur einige,Zage, vielleiht nur Stunden wahren Glüdes zählt,
jo auch die Völker. Die Franzofen haben ihr Fabr 1789, die
Deutfchen ihr Jahr 1848, davon müffen fie lange leben. —
— — — nn —
Sonnabend, den 8. März 1856.
Der Fürft Ghika, Hospodar der Moldau, hat Preßfreiheit
feinem Lande ertbeilt, weil fie nützlich und nötbig ſei; der
Divan foll ſogleich ein Gefeß zu diefem Behuf ausarbeiten. —
Die Volkszeitung erzählt, daß in Polen die ruffiiche Ber:
waltung während des Krieges überaus mild und nachfichtig
gewefen, die polnifche Sprache zugelaffen habe ze. Sobald
man aber vom nahen Frieden gehört, fei die alte Schroffheit
und Strenge wieder eingeführt worden, und der neue Statt:
halter Fürft Gortfchafoff wolle nur Ruſſiſch hören. —
Bei dem Karrouffelreiten der Hofs und Gardeoffiziere hat
eine neue Neibung zwifchen dem Generalpolizeidireftor von
Hindeldey und jenen ftattgefunden.. Die Dffigiere und Kavar
fiere, Sogar die Damen, meinten, die Anweſenheit von adıt
Konſtablern fei ungehätig; der Prinz Friedrich Wilhelm hier
ihnen fagen, fie könnten weggehen, aber fie gingen nidt;
darauf fagte er es ihnen jelbit, worauf fie gingen. As
Hindeldey ſelbſt kam, verlangte man ſeine Eintrittölarte, —
fie oftete einen Friedriched’or, — er hatte keine und fagte, et
brauche feine; darüber harte Worte mit dem am Eingange
verweilenden Herrn von Rochow. Rochow ſoll Hindeldey’n
beim Minifter mit ehrenrührigen Ausdrüden verklagt, der
Miniiter dem Könige berichtet, diefer Hindeldey'n Unrecht
gegeben haben. Hindeldey, tief gekränkt und erbittert, will
feinen Abfchied nehmen.
Merkwürdiges Schreiben des Großadmirals Großfürften
Konſtantin an den ruſſiſchen Seeminiſter, worin die bis⸗
herige Verwaltung als eine ſchwache, trügeriſche, lügenhafte
bezeichnet wird, Fortſchritt und Ausbildung empfohlen wer⸗
den ꝛc. Das ganze Syſtem des Kaiſers Nikolai wird in feiner
Berderblichkeit gezeigt! —
Sonntag, den 9. März 1856.
Beſuch von Herrn Saint: Rene Taillandier aus Mont:
pellier; er ift auf einer Ferienreiſe, beſucht Berlin nur im
Fluge, eilt nah Wien. Sehr viel Gutes von Heine und
über ihn, von Moris Hartmann. — Couſin, Duboid, Hafe,
werden ehrenvoll erwähnt, auch Galusky, Saint-MarcsGirar-
din. Herr Eöquirou de Parieu, den mir Herr Taillandier
empfohlen hatte, wird als fcharffinniger fefter Mann und ala
aufrichtiger Bonapartiit gerühmt. Widerfpruch gegen die
Annahme, daß Thierd noch in einiger Verbindung mit Louis
Bonaparte ftehe, im Gegentbeil, es beftehe erklärte Feindſchaft.
Außer dem Schluffe der Borrede des neueiten Bandes von
Thierd wird auch fein Wort angeführt: „La cuisine est
bonne, mais le cuisinier me deplait!“ Worauf Louis
Bonaparte, ald er das Wort erfuhr, gejagt haben foll: „I
peut être sür que je ne le prendrai pas pour marmiton,
il me gäterait mes sauces.“ Ueber Preußen und "jein
Alleinfteben. Herr Taillandier macht mir den Eindrud eined
398
gebildeten braven Mannes, von feiner entſchiedenen politiſchen
Farbe, von mannigfachen Kenntniſſen.
Dr. Laube hat ſich gegen die boshaften Verdächtigungen
er habe den „Fechter von Ravenna” nach einem ibm einge
ſchickten Stüde des bairiſchen Schulmeifters Bacher gearbeitet,
vollftändig gerechtfertigt; er tft nicht Verfafler des „ Fechters“,
und diefer war ſchon acht Monate früher eingereicht, ale die
angebliche Zufendung des andern Stückes — von der Yrık
nichts weiß — ftattgefunden haben foll. — —
Der Generaldirektor von Hindeldey geht darauf aus, alled
feiner Macht unterzuordnen. Die Gerichte behandelt er ſchon
lange ganz geringfchäßig, achtet ihrer nicht, wenn fie ihm nicht
folgen, des Juſtizminiſters fcheint er fiber. Aber auch das
Militair ſoll fich fügen, er ftüßt fich dabei auf die Gunft dei
Könige. Die Konftabler follen feinen Offizier mehr grüßen,
auf den Bahnhöfen die Offiziere. wegen Paß oder Legitimation
anhalten. Der General von Hirfchfeldt in Uniform auf dem
Stettiner Bahnhof angehalten, fragt was dag bedeute ? Hindel-
dep, heißt ed, habe es jo befohlen; nach kurzem Mortwechiel
befiehlt der General den glücklicherweiſe anweſenden Sofdaten
den Konftabler zu verhaften, was auch gefchah; darauf von
beiden Seiten Klage beim Könige, der aber feine Entfcheidung
giebt! Auf dem Potsdamer Bahnhof ein Oberft angehalten;
ein andrer Offizier ebenfalld, und dadurch verhindert, an dei
Königs Tafel zu ericheinen, wohin er eingeladen war. Offnet
Krieg gegen das Militair! Es gehört eine Art Wahnfim
dazu, dergleichen feitend einer Zivilbehörde zu unternehmen,
in Preußen, in Berlin und Potsdam, jebt! — Daher auch
die Unverföhnlighfeit der Offiziere, fie fühlen ihren Stand
beleidigt. —
399
Montag, den 10. März 1866.
Gegen Mittag verbreitet fi) wie ein Lauffeuer durch die
Stadt die Rachricht, daß der Generalpolizeidireftor von Hindel-
dey heute Morgen durch einen ehemaligen Gardelieutenant
von Rochow (auf Pleffow), jett Mitglied ded Herrenhaufes,
im Zweikampf erfchoffen worden. Die durch Frühere Geſchichten
entftandene Erbitterung der Gardeoffiziere ift durch neuere .
Vorgänge genährt worden, ed kamen fchlimme Worte vor,
Hindeldey mußte fi fchlagen ; Herr von Rochow it ein guter
Piſtolenſchütz. —
Das Tagedereignig wurde ſtark beſprochen. Die meiften
Leute ſcheuen fi, eigned Urtheil und eigne Anficht für fich
feſtzuſtellen, fie möchten fie lieber fertiggemacht holen. Das
Ereigniß ift merhvürdig in mehrfachen Betracht. Nicht in
Folge einer feiner vielen Frevel und Vebergriffe kommt der
Mann um, fondern in einer Sache, in der das Recht auf feiner
Seite ift. Eine Junferhand ift es, der er erliegt. Der Ueber⸗
muth der Garde — nicht ded Militaird überhaupt — zeigt
fi voran. Der mächtige Polizeimachthaber muß mit einem
Lieutenant feinen Zwift ausfechten! —
Hindeldey war ſchlimm, er hat viel Unrecht und Gewalt:
that auf dem Gewilfen, hat viele Menfchen, ganze Familien
in's Unglüd geftürzt; aber fein Nachfolger wird ſchlimmer
fein! Dan nennt den Regierungspräfidenten von Minden,
Peters, der kürzlich hier war und gefeiert wurde! In Königes
berg weiß man von ihm zu Jagen. —
Die Leiche Hindeldey’d wurde zuerft in die Wohnung des
Polizeitommiffaird in Charlottenburg gebracht. Nach einer
Stunde fam der König, und foll bei dem Anblid in fchredliches
Weinen und Jammern ausgebrochen fein, auch dabei Die hef-
tigften Verwünſchungen gegen den „Mörder“ auögeftoßen
haben. —
400
Zum 10. März 1856.
Hindeldey hat geftern Abend niht nur fein Teftament
gemacht, fondern auch an den Geh. Kabinetörath Illair
gefchrieben und ihm einen Schlüffel geſchickt, mit dem Bemer
ten, derfelbe jchliege ein befondered Zach, wo die Zufhrita |
des Könige und andre demjelben wichtige Papiere lägen ; wens |
‚Hindeldey diefen Schlüffel am andern Mittag nicht zurüd:
fordre, möchte Illaire nur diefe Papiere an ji) nehmen.
Noh um 11 Uhr Abends ließ Hindeldey den Stuatk
anwalt Nörner und den Polizeidireftor Stieber durd den
Telegraphen zu ſich bejcheiden, und hatte mit ihnen eine lange
Unterredung. |
Heute Nachmittag traf eine von geftern datirte Kabinetö-
ordre an Hindeldey im Polizeiamt ein, durch welche der König
ihm entjchieden verbot, einen Zweifampf anzunehmen. Man
fragt fich, wie ed möglich fei, daß eine Kabinetsordre von dieſer
Wichtigkeit, Schon. geitern unterzeichnet, erjt heute Nachmittag
abgegeben worden fei? Es giebt Leute, die gradezu jagen,
der König habe den Zweikampf, von dem er unterrichtet war,
nicht zu hindern gewagt, aber jich hinterdrein den Schein geben
wollen, ale habe er es gethan! Harte Aeußerungen diefer:
halb, —
Die Kabinetdordre ift da, und die Verzögerung hat jtatt-
gefunden. Eine fehr fatale Geſchichte! |
Dienstag, den 11. März 1856.
Alle Bläter bringen heute die Nachricht von Hindeldegs
Tod, am ausführlichiten der Publiziſt; alle fprechen mit Lob
von ihm; diefe Gleißnerei ift einmal herkömmlich, und fa
geboten, wo nicht unmittelbar, doch mittelbar. —
Der Bublizift erzählt, Herr von Rochow habe geitern gleich
den Vorfall der Militairbehörde gemeldet und jei dann in feine
*
—
% “
jn:
401
Wohnung gegangen. Hier habe ihm Abends zwifchen 7 und
8 Uhr, auf gerichtlichen Befehl, der Polizeidireftor Stieber
verhaftet. „Ueber das Ereigniß felbit zeigte er feine Ergriffen-
beit, fondern er drüdte fogar jein Erftaunen über die Map:
nahme in den Worten aus, ob man denn Herrn von Hindeldey
auch verhaftet haben würde, wenn diefer ihn erfchoffen hätte?“
Der Bericht fügt mit höhnifcher Schadenfreude noch hinzu:
„In diefem Augenblid befindet ſich Herr von Rochow in einem
Sfolirgefängnig der Studtoogtei, und da ihm die Selbft:
beföftigung erſt auf richterlihe Verfügung gejtattet werden
fann, fo hat er heute früh, wie jeder andre Gefangene, fein
halbes Pfund Schwarzbrot und feine Morgenfuppe aus dem
Keſſel der Stadtvogtei empfangen.
Hier ijt nun der Anlaß zu bittrem langivierigen Partheis
jtreite zwifchen Militair und Polizei und zwifchen Militair
und Zivil gegeben! Das Zivil vergißt gar zu leicht, daß wie
das Militair ihm auch die Polizei feindlich entgegenjteht, und
erflärt ſich für die leßtere, wozu ed gar feine Urfache hat! —
Außer Herrn von Rochow, der nicht außer Dienften, fons
dern noch hei der Landwehr Premierlieutenant ift, haben noch
ein Herr von Prillwig und ein dritter Offizier die Derpflich-
tung übernommen, den Herrn von Hindeldey durch Beleidi-
gungen zum Zweilampfe zu zwingen. Gefordert hat allerdings
Hindeldey, aber er mußte.
Beſuch vom Grafen von KHleift aus Dresden, und vom
General Adolph von Willifen. Beide Herren beſprachen eifrig
das Tagesereigniß; Willifen hatte den Geheimen Rath von
Münchhauſen, Sekundanten Hindeldey’3, geſprochen, und
wußte alle genaueren Umſtände. Die Folgen laſſen ſich noch
nicht überſehen. Wird das Herrenhaus die Haft eines ſeiner
Mitglieder gutheißen? Schwerlich! Die Offiziere ſind außer
ſich, daß Stieber einen der Ihren verhaften durfte. — Der
König iſt ſehr unglücklich über den Vorfall. Er jawmert, daß
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. XII.
402
man feinen Lebensbeſchützer getödtet, aber Jugleich impenirt
ihm dad Ehrgefühl und die Entſchloſſenbeit feiner adlide
Offiziere. —
Herr von Rochow hat an Wrangel geſchrieben, dieſer ih
als zur Militairgerichtsbarkeit gehörig reklamirt, der Unter:
ſuchungsrichter ihn darauf gleich der Haft 'entlaffen. —
Im Herrenbaufe fam die Sache gleich heute zur Eprakk.
Der Präfident Fürft von Hohenlohe und der Graf zu Stolberg:
Wernigerode nahmen fih Rochow's mit warmen Lobfprüden
an. Man fieht die ariſtokratiſche Stimmung und Veri⸗
rung. —
Nähere Angaben in der SKreuzzeitung. Geflärung des
Herrn von der Marwitz. — Artikel der Nationalzeitung gegen
die Junkerparthei und zu Gunſten Hinckeldey's, der Beamten.
Mittwoch, den 12. März 1856.
Das Tagesereigniß macht mir zu fchaffen. Die Zeitungen
find voll davon. Nie zuvor ift ein Zweifampf fo ganz ‚ofen
‘. und rüdhaltlos befprochen worden.
Das Volk ift aufgeregt, drängt ſich auf dem Molkenmarhkt
in Hinckeldey's Wohnung, wo deſſen Leiche für jederman zu
ſehen iſt. Die Bürger, die Beamten, das ganze Zivil it
geneigt für Hindeldey Parthei zu nehmen, aus Haf gegen Die
Sunfer, die Kreuzzeitung; die Polizei wirft eifrig im Gef
ihrer Rörperfchaft und fchärt den Haß. — Guter Artikel der
Nationalzeitung, fie fagt, im Volk enttehe die Meinung, jene
Partbei fei der Regierung über den Kopf gewachſen, und dürfe
ſich alles ungeftraft erlauben, Mahnung zur Verſoͤhnung, zut
Einigkeit.
Auf der andern Seite große‘ Erbitterung des Hofadels, det
vornehmen, tonangebenden Offiziere, die das Herrenhaus zut
mächtigen Stütze haben. Mit Wuth wird der Name Stiebet
DV
“ ww‘
x x
ad
403
genannt, dann auch der Staatsanwalt Nörner, der aus knech⸗
tifchem Gifer für jenen den Unterſuchungsrichter verleitet habe,
den Berhaftöbefehl gegen Rochow auszufertigen. (Diesmal
wollte man diefe bisher widergefeglih von der Polizei ver:
nadyläffigte und gradezu verachtete Korm nicht fehlen laffen !)
Sie toben auch ſchon wieder gegen den König, den fie des
Schwankens, der Unentfchloffenheit beſchuldigen, er habe kein
militatrifches Herz, feinen Muth, — wie 184181 —
Als jemand anführte, der König werde gewiß glänzend für
Hindeldey’3 Wittwe und feine fieben Kinder forgen, fagte ein
hoher Polizeibeamter mit Bitterkeit, die Familie wird nichts
vom König annehmen, der den treuen Diener fchmachvoll
gefränft und in .den Tod gejagt hat!. Die Sache mit der
Kabinetsordre ift ſchon ruchbar. —
Der König foll in gräßlicher Berlegenheit und Unruhe
fein, von einem Aeußerſten zum andern ſchwanken, bald der
einen, bald der andern Seite zuftimmen. Die adlichen Offiziere
jagen düfter: „Er foll fich entjcheiden, mit wen er's hält, mit
uns, oder mit den Lumpen!“ Es fallen die trogigften Redens⸗
arten. — | ®
Die Bolldzeitung und die Nationalzeitung von geftern
Abend und heute Morgen find von der Polizei weggenommen
worden; mir fehlt aber nur die Volfdzeitung, die ich indeß
doch zu leſen befam . In alten diefen Blättern ſteht mehr
Gutes von Hindeldey, ald die Schreiber verantworten können ;
der Polizei fcheint ed aber zu wenig! Vielleicht find ihr auch
die Stellen gegen die Junkerparthei zu ſtark; es wäre nur
richtig, wenn die Polizei weder ihr gefallenes Haupt noch deſſen
blutdürftige Gegner wollte tadeln laſſen! —
Geitern Abend hat fich der Wirkliche Geheime Oberregie-
rungsrath G. W. von Raumer in einem Zimmer ded Haus:
minifteriums (Wilhelmoſtraße, Reimer’fches Haus) erfchoifen.
Er hatte erſt vor wenigen Wochen geheitathet. — —
26*
404
Borgeitern hat ein biefiger Zahnarzt jich mit feiner Frau
und zweien Kindern durch Chloroform in Potsdam getödte,
Nahrungsforgen, Hülflofigkeit. — Geftern hat ein Tapejir
fih und feine vier Kinder durch Halsabfchneiden zu tödten
versucht. — Welche fich anhäufende Gräuel! Es wird einem
ganz unheimlich.
Der Oberregierungsrath Lüdemann hatte die National
zeitung gewarnt, jie folle feine Bemerkungen aufnehmen. Sie
that ed doch, daher die Wegnahme.
Zum 12, März 1856.
Hindeldey hatte feine fchwierige Stellung gegenüber den
Gardeoffizieren dem Könige ausführlich erörtert, und empfing
zulegt von ihm den Beicheid: „Ja, das Duell werden Sie
wohl nicht evitiren können.“ Nach diefer Aeußeruug mar ed
nun wirklich nicht mehr möglid, und er forderte Rochow'n auf
Piſtolen.
Der König ſoll gemeint haben, Die Sache werde wohl ohne
Schaden ablaufen. *
Als er hörte, Dindeldey ſei erfchoifen, gerieth er in der
heftigften Zorn , jammerte, wollte ſogleich eine Kabinetöordre
gegen „den Mörder“ jchleudern. Wrangel und Simons wur:
den fogleich gerufen, auch der Oberftaatdanwalt Schward.
Alle drei wußten nicht, daß der Kandwehroffizier von Rochon
in Betreff ded Zweikampfs — in diefem Betreff allein — noch
unter Militairgerichtöbarkeit ſtehe! Die Verhaftung follte
gefihehen, der Polizeidireftor Stieber war aber ſchon zuver-
gefommen. Als der König über den Verluſt Hindeldeys
wehflagte, jagte-Wrangel, diefer ſei glücklich zu preifen, auf
dem Felde der Ehre gefallen und fo fchnell verfchieden zu fein,
denn wäre er Diesmal dapongefommen, ſo würde er gleich am
folgenden Tage dem Lieutenant von Prillwig haben -gegem.
—— — —
405
überftehen müffen, und nach diefen noch zehn andern von
„meinen Offizieren“, fallen mußte er am Ende doch! — Died
alles durfte dem König in's Geficht gefagt werden. —
Herr von Rochow hat aleih am Abend feiner Haft
Schreibmaterialien gehabt, und ihm wurden wegen Betten,
DBeköftigung 2c. alle Anerbietungen gemacht; der Gefängnip-
verwalter Richter war eigends angewiefen, ihn „ftandesgemäß
und rüdficht3voll* zu behandeln.
| Donnerstag, ben 13. März 1856.
Die heutigen Zeitungen berichtigen — auf Befehl — die
Angaben des Publiziften, daß Hindeldey dem Könige von dem
Zweikampf im voraud Anzeige gemacht habe, dies fei nicht
geichehen, er habe niemanden das Geringite merken laffen.
Dies verträgt fich in fo fern recht gut mit den andern gar
nicht zu läugnenden Angaben, daß Hindeldey nicht von der
beftimmten Yorderung, nicht von der auf den 10. feftgeftellten,
geiprohen habe, wohl aber von der dringenden Lage der
Sachen, bei der ein Zweikampf in gewiffer Ausſicht ftand. —
An Hindeldey’s Stelle foll der Yandrath von Grävenik
aus Schlefien in Vorſchlag fein, er hat ſich berühmt gemacht
Durch fein gewaltfames Berfahren bei den Wahlen. Andre
nennen einen Herrn von Münchhaufen, Bruder ded Sekun⸗
danten Hindeldey’®, auch den Präfidenten Peter, fogar den
Wolizeidireftor Stieber! Auf letztern zunächft haben es die
Offiziere abgefehen, fie wollen ihm fein Benehmen bei der Ber:
baftung Rochow's eintränken. Nur kann man fich mit ihm
nicht Schlagen, er fann nur geprügelt werden! —
Die Kreuzzeitung beklagt fih, daß man aus einem ein-
fachen Zweikampfe zwifchen zwei Edelleuten eine große Ge-
Tchichte machen wolle; was hätten frühere Borgänge damit zu
406
thun? Wiefo man bei diefem Anlaffe den Adel, das Militair
anfeinde? Die fhamlofe Unfhuld! — _
Großartiged Begräbnig Hindeldey’d; der König u
Zrauerhaufe, alle Prinzen, außer dem Prinzen von Preufe,
wohl aber fein Sohn, Wrangel jogar, Humboldt, Magiftee,
Stadtverordnete, alle Konftabler, Feuerwehr, Gewerke ı.
Unzählbare Volksmenge. Im Volke Schweigen; es meh
recht wohl die ſchweren Sünden des Mannes, feine Gemalt:
thätigkeiten, ſeine Bedrückungen der Stadt, fein fchandvelle
Benehmen im Waldech'ſchen Prozeß, feine Argliſt gegen die
Märzgefangenen, felbft fein Verfahren gegen den fogenannten |
Prinzen von Armenien wird gewürdigt, fein Berbalten gegen
die Preſſe; feine Werkzeuge Ohm, Kaifer, Stieber, Bag,
werden ihm vorgeworfen ; mögen ihn einige Stimmen rühmen,
dag Uebergewicht der Thatjachen, die ihn verdammen, ſchreit
laut zum Himmel! —
Die Nationalzeitung übernimmt ſich heute Abend unnöthi-
gerweife im Lobe der Verdienfte Hindeldey’d. Wir bitten um
weniger gutmüthige Empfindelei, und um fchärferes Gedächt⸗
niß! — Die Neue Preußifche Zeitung wehflagt wieder, dah
man eine bloße Privatfache zur Partheifache zu machen free! |
Ihr ziemt das, die jelber nichts it, ald unwürdigſter, ſchänd.
lichſter Partheigeiſt. —
Der Prinz von Preußen iſt heute früh nach Koblenz ae
gereiſt.
Preußen iſt nun duch den Grafen Walewski zur Theil:
nahme an den PBarifer Berathungen — die in den Hauptjacen |
fchon einig geworden — eingeladen. Dan freut fih kindiſch
darüber, und der Minifterpräfident von Manteuffel reift mor- |
gen nach Paris, um mit dem Geſandten Grafen von Hapfeldt ;
an den Sibungen fich zu betheiligen. Fürerſt, fagte man |
ſchon, werde er täglich einige Stunden im Franzoöͤſiſchen
nehmen. Ä
407
In Louis Blanc gelefen; vortrefflihe Abſchnitte über die
Gironde und den Berg, wiewohl ich der Anficht nicht durch:
gängig beiftimme.
Zum 13. März 1856.
Der Prinz. Karl bat beim Begräbnig Hindeldey’3 ganz
laut für diefen Parthei genommen, feine Verdienſte gerühmt,
jein gutes Recht anerkannt, das Benehmen der Offiziere da—
‚gegen, befonders auch das ded Herrn von Rochow felbft, hart
getadelt. Er that died abjichtlich, dag ed die Umftehenden
-bören jollten. Man fagt, er fei dem Berftorbenen zu befon-
derer Dankbarkeit verpflichtet. Andre jagen, er wähle ftete
das Gegentheil von dem, was fein Bruder der Prinz von
Preußen thue oder fage.
Freitag, den 14. März 1856.
Die Zeitungen find ſchnell wieder eingefchüchtert; die
Nationalzeitung führt fort Hindeldey'n zu loben ohne Tadel
einzumifchen, recht unnöthig, zwecklos, ja fogar ungehörig.
Der Nachfolger in der Bolizeimacht, ſicher ein Junker, wird
ed dem Dr. Zabel wenig danken, daß er für den Vorgänger
gefprochen hat. Die Volkszeitung fagt heute gradeheraus, daß
ihr das Neden erfchwert ift! Die Spener’fche hat gar die
Schändlichkeit, Hindeldey’8 Unterdrüdung der Demokratie zu
rühmen! Noch efelbafter find die reichen Gefchäfteleute
Borfig, Brüftlein, Carl und Oppenfeld, die zu einer Stiftung
für die Hindeldey’fche Familie eine Geldfammlung eröffnet
haben; freilich mit folchen Reichen verhielt jich der Mann
beſtens wie fie mit ihm! Adel und Militair werden dadurd)
nur mehr aufgereizt. —
408
Herr von Rochow ift auf fein Gut Pleſſow abgereiſ
Seirie Freunde find voll Eifer und Thätigkeit, und wollen nın
vor allem dem Polizeidireftor Stieber zu Leibe, aber nicht —
mit Waffen! —
Als Nachfolger Hinckeldey's ift Peters in Borfchlag, dam
Herr von Selchow, und aud Herr von dem Kneſebeck — alle
vom reinften Wafler!
Humboldt fendet mir eine ihm aus Bofton von Robert
C. Winthrop gewidmete Borlefung über Archimedes und
. Franklin. — Ihm einige Dankzeilen geantwortet. Hindelden,
Manteuffel! — 5 |
Die Verftimmung in beiden Häufern des Landtags fteigt
immer höher; das Bedürfniß, etwas zu fein,. wirflihd Macht
und Einfluß.zu haben, wird befonders im Herrenhaus immer
fühlbarer, die Oppofition gegen die Minifter wächit hier in
erfchredtender Weife; das Haus der Abgeordneten wird durd
das Beifpiel zum Wetteifer fortgeriffen. Viele Mitglieder
der Rechten befennen, daß fie Luft haben mit der Linken zu
flimmen. Die Minifter werden eilen die Häufer zu ſchließen,
ſobald nur das Budget bewilligt worden. —
Die Kreuzzeitung bezeichnet Herrn von Zedlitz⸗ Neukirch ald
wahrſcheinlichen Polizeipräſidenten von Berlin. An einen
gemaͤßigten, ruhigen Mann iſt nicht zu denken, ein knechtiſcher
Hitzkopf, einer der nichts ſcheut, muß es ſein! — (‘ner if
ſchon ernannt.)
Die Unterzeichnung für Hindeldey's Familie belänft fh
ſchon auf 10,000 Thaler. Die ſervilen Börſenhelden mögen
ſich nur immer damit in die Rachebücher des Adels und des
Militairs einſchreiben! Sie thun es nicht aus guten Grün⸗
den, ſondern aus ſchlechten; die Polizei iſt ihnen lieber als
das Junkerthum, aber auch lieber als die Volksfreiheit. —
Auch hier heißt es mit Recht: „Jeder dieſer Lumpenhunde wird
vom andern abgethan, * .—
409
Der Graf von Kleift aus Dresden hat fich an den Prinzen
von Preußen angefchloffen, und erweijt ſich ihm dienſtwillig.
Bei feiner Reife nach Paris ift es mit darauf abgefehen, dem
Prinzen von der dortigen Lage der Dinge vertraulich zu berich—
ten. Für innere Sachen ift der Freiherr von Binde aus
Schleſien ein willfommener Berichterftatter. Auch der Graf
von Schwerin hält fih an den Prinzen, mehr noch aber an
die Pringeffin.
Sonnabend, ben 15. März 1856.
Dem Oberregierungdrath von Zedlig - Neufich ift fürerft
nur die Verwalting der Stelle des Polizeipräfidenten von
Berlin übertragen worden. Ob ein neuer Generalpolizeis
direftor ernannt werden wird, ift noch die Frage. Doch wird
man folche Oberbehörde nicht gern entbehren. —
Abends kam nad, längerer Zeit auch Frau Bettina von
Arnim wieder zu mir. Sie that, ald wäre fie geftern dage-
weſen, war erzürnt auf meinen Huften, ſchalt unanftändig auf
meinen Arzt, und pries mit prahlerijchem Gepränge den Dr.
Arthur Luge in Köthen, an den ich mich wenden foll. Das
machte mich fchon ungeduldig. Dann framte fie, mit widri-
gem Prahlen, ihre Neuigkeiten aus, die und [ehr in Erjtaunen
ſetzen follten, aber theils allbekannte, theild ganz falfche Nach:
richten waren. In der Tagedangelegenheit, dem Zweikampf
Hinckeldey's, ftand fie, von ihren Kindern und deren Umgang
beeinflußt, ganz auf der Junkerſeite; fie bat fchon gar feine
eigne Meinung mehr. Sie nahm ed übel, daß fie nicht in
allem unbedingten Glauben fand. Dann fchwaste fie von
ihrem Goethedenkmal, der König werde ed nun nächſtens fehen,
Frankfurter Kaufleute wollten gleih hunderttaufend Thaler
zur Ausführung herbeifchaffen, das fei eine Kleinigkeit. („ Sie
haben dad Anerbieten doch gleich angenommen ?* fragt’ ich
410
dazwischen.) Der Großherjog von Weimar, „der Flez“, ki
fie nicht befucht, nun folle dad Denfmal auch nicht nad Wi:
mar fommen — auf der Wiefe vor Goethes Gartenhaus mir
der befte Pla — „das hat er verſcherzt!“ (Aber wenn es da
König oder Frankfurter Kaufleute ausführen, wird es ja gem
auch nicht nad Weimar kommen!) Sie bildet fich ein, der
Geheime Rath) Balan fei jept beim König in böchfter Gunſ,
und will durch den auf den König wirken! Auch an Frau von
Thile- Winkler und ihre Geldmittel denkt fie, deßwegen wurt:
neulich Fräulein * eifrigft eingeladen und ſchmeichleriſch
gehätfchelt! Sie erzählte dann, jie modellire fleigig, eine
Medufenmasfe, konnte jih aber auf das Wort Medufe gar
nicht befinnen, lachte Dabei unmäßig, zwang ſich dazu, wie eine
Tolle, es war der widrigite Eindrud von der Welt. Eine
franfe Hege, zum Mitleid und zur Furcht! Scherz obne
Grazie, Dünkel ohne Unterlage, Herrfchfucht ohne Kraft.
Sie bedient fih der gröbften Ausdrüde, beleidigt und mif-
achtet alles, iſt daber voller Liſt und Fleiner Tüden. Ein
abfcheulicher Umgang ! — Sie ſchimpfe noch gräulich auf 5.3,
die fie bei Madame P. getroffen hatte. Kein Wort daven,
daß ihr Gefchäftsführer Kühne aus Weimar hier gemefen. — |
Der Diener fam fie abzuholen, fie durfte ihn nicht warten
laffen, fie fteht unter der firengen Aufficht der Kinder. —
Bedauernswürdig; aber Franke Here, ich kann fie nicht ander
nennen! ch war von Herzen froh als fie wieder fort war. —
Der Kladderadatfch erklärt, die hiefigen Borgänge ſeien
zu ernit, zu furchtbar! Darüber laffe fich nicht fcherzen. |
In Arnim's Hotel war vor Kurzem ein Gewerfofeft, eimg
Dffiziere drangen ein, wurden abgewiefen, und da fie nid
gehen wollten, hinausgeworfen mit Stößen und Schläger
Jetzt heißt e8, in Folge diefer Gefchichte habe ſich in Potsdam
ein Graf von Canitz erfchoffen, nach andrer Sage ein Freihert
von Ganik; wiederum wird behauptet, das Ganze fei falid-
411
Aber die Schlägerei wird nicht geläugnet. — Der Sohn des
ehemaligen Miniſters Freiherrn von Canitz und Dallwitz,
Kammerherr der Königin — der hier im Hauſe gewohnt, von
dem ich den Hund Bello bekommen —, ſoll ſich erſchoſſen
haben. — |
F5
WB | März 1356.
Der Bein; von Preußen hat eine Beſchwerdeſchrift an das
Staatdminiftertum gerichtet, in welcher er Genugthunng for:
dert für die gegen ihn verübten Verunglimpfungen, die durch
den Potsdamer Depefchenverrath an den Tag gefommen find;
er verlangt gerichtliche Unterfuchung. Das Staatsminiſterium,
in größter Berlegenheit, fragt den König was er in der Sache
getban haben wolle? Der König läft das Staatsminiſterium
eine Kommiffion niederſetzen — Simond, Uhden, Goetze,
Schwarck find darin — welche dieſe Unterfuchung führen foll,
jedod mit ausdrüdlicher Beſchränkung, daß nichte den
Minifterpräfidenten von Manteuffel Bloßſtellendes votlom⸗
men dürfe! —
Er EEE rn
Sonntag, den 16. März 1856.
Deffentliche Erflärung des Staatsanwalts Nörner, - der
bezeugt, der König habe allerdings vorausgewußt, daß Hindel-
dey einen Zweikampf eingehen wolle. Nörner thut, als habe
er in diefer Sache das befondre Bertrauen ſowohl Hinckeldey's
als des Könige gehabt. Die Dinge werden nut immer
- unflarer! — Eine Denffhrift zum Ehrengedächtniß Hindel:
dey's hier gedrudt, ift von der Polizei weggenemmen worden.
Welche Widerſprüche! —
Man tadelt Humboldt ſehr, daß er mit bei Hinckeldey's
Begräbniß figurirte, niemand verlange es von ihm. — Der
412
König felber berent es, bei dem Bearäbniß geivefen zu fm;
er ſagt, er habe dabei gelitten wie in der Hölle. Der Ankit
der Familie fchnitt ihn wie mit Meffern in's Fleiſch, die älteſe
Tochter war höchft aufgereizt, man mußte fie zurückhalten un
bewachen, daß fie nicht auf den König mit Vorwürfen und
Berwünfchungen losftürzte. — —
Die Offiziere, der Adel, das Herrenhaus, nehmen es dem
König entſetzlich übel, daß er bei dem Begräbniß war. „E
verläßt. unfre Bartheit« heißt ed, „uns, Die wir ihm fen
Einmal verziehen, die wir ihn gerettet haben! Er giebt
Blößen nach allen Seiten, er bringt alles in Verwirrung, der
. Staat fällt in Auflöfung! Warum dankt der König nicht ab?
Wie mäg er noch weiterregieren ? Er muß abdanten!“
Solche Reden werden geführt, grade tie im März 1848, in
denfelben Kreiſen, von denfelben Perſonen. — |
- Veber Nörner’s Erklärung ift überall das größte Erftaunen,
die heftigfte Empörung. „Hat er aud eignem Antrieb diefed
Stück gefpielt, fo verdient er abgefept ju werden; er bezůchtigt
den König der Mitwiſſenſchaft, ſtraft ihn Lügen, würdigt ihn
dadurch herab, daß er ſich ala deſſen Bertrauten angiebt. Hat.
er mit Zuftimmung des Königs den Wiſch druden lafjen, fe
. wird man erinnert, daß vor acht Jahren der König den
Thierarzt Urban durd) eine eigenhändige Kabinetsordre heauf-
tragte, die Garderegimenter nach Berlin zurüdzuführen! Und
Nörner ift noch fchlimmer als Urban, denn der war wenigſtens
ein ehrlicher Thierarzt!“ —
Große Erbitterung gegen den — Stieber, dem ſchon
gerathen worden ſein ſoll, eiligſt und auf unbeſtimmte Zeit zu
verreifen. Stieber ſoll darauf tropen, daß er im Beſit wich⸗
tiger Geheimniſſe ſei, daß, der Koͤnig ihn nicht fallen laſen
könne. Darin möchte er ih iren' —
Der aus Sachſen hiehetgeſchleppte Gricche Simonides iR
bier vom Gericht Freigelaffen worden, man Tann ibm nichts
413,
anhaben! Wie beim Prinzen von-Armenien.! Der wüthige
Eifer und das blinde Zugreifen dev Polizei haben ſich wieder
einmal blamirt! -— Das geht nun ſchon ſeit ſiebenunddreißig
Jahren immer ſo fort! —
„Für den König iſt dieſe Bindeldey ſche Seſchichte ‚grade
fo ſchlimm und verhängnigvoll, als die balsbandseſchichte für
die Königin Marie Antoinette war.·
Telegraphifche Depeſche aus Paris, daß heute. früh⸗ die
Frau Louis Bonaparte's einen Knaben geboren hat. Großer
Lärm und wenig Bedeutung! — |
Montag, ben 17. März 1856. ..
Anonyme Zufendung einer Drudichrift. „Der Potsdamer
Depeſchen-Diebſtahl“, worin die Bertheidigung des Direktors -
der Oberrechenfammer Herrn Seiffart mit Bemerkungen, die
den Minifterpräfidenten von Manteuffel anfchuldigen. ch
befam es durch die Stadtpoft, und eingelegt. war ein wahrs
ſcheinlich diefelbe Drudfchrift enthaltendes Schreiben an den
General von Pfuel, die Adreſſe war von derjelben perſtellten |
Hand, wie die an mic, gerichtete. |
Große Erörterung über die Erklärung, von Nörner ,. man
fand fie ſchamlos, unfinnig, den König bloßjtellend, ungebühr:
lich. Endlofes Verwundern, Bejammern unfter Zuitände,
man fann fich gar nicht erholen von diefem Miſchmaſch uner:
börter Dummbeiten und Berwirrungen. Eine Teufeldwirths
haft, ein ftinfender Sumpf, der aufgerürt Peſtluft aus-
haucht. —
Die Druclſchrift, in der Seiffart's faule Sache wohlriechend |
gemacht werden foll, aber nur Geſtank mit Geftant auszutrei⸗
ben fucht, iſt auch ein redendes Zeugniß unſres Regierungs-
banferotted. Was find das für Enthüllungen! Welch heim⸗
liches Späh⸗ und Tügengetriebe am Hof und in der Regierung !
414
Ucberall Schufte, denen man vertraut; unfaubre Werkeug,
deren man fich bedient! Der General ven Gerlach beauftrat
den. beftraften. Verbrecher Lindenberg durch den belohnten Brr:
brecher Peters zu den fchändlichften Spähereien und. Berichten
gegen den Prinzen von Preußen! — Herr Seiffart wäſcht jih
im Schmuß, alfo nicht rein! Er ift ein PVerbrüderter ie
Techen. Mag er jebt ſagen, ‚Die Zeit. feines Polizeidienftes
ſei die ungtüdlichfte feines Lebens geweſen, — wie der Schuft
Stieber ſagte, man habe feine Jugend mißbraucht, — er bat
ih zu jenem Dienfte ‚gedrängt, iſt wider Willen daraus
geſchieden! Er iſt übrigens der Erfinder des Ausdrucks, be⸗
Ichränfter Unterthanenverftand”.
Die Neue Preußiſche Zeitung hatte ſchamlos geläugnet,
daß der Zweikampf Hinckeldey's die geringfte Verbindung mit
der Aufhebung des Jockeyklubs gehabt. Heute muß fie felber
den Beweis liefern; daß der engfte Zuſammenhang flattfindet,
durch die Erklärung des Bruders des Herrn von Rode
Pleſſow. ⸗⸗
Die Vutheidigungeſchrift. dee rafen. von pfeil if erſchie⸗
nen, ungeſchickt, wirrkoͤpfig, er. reißt Wunden von 1848 auf,
zum großen Schmerze ſeiner Perthei, des bofes der Regie
rung. — —
Noch zwei andre Schriften über Hindettey und; zu feinen
(Ehren jind ebenfalls von der Polizei weggenammen worden.
Als Herr von RohowsPßlefjoie von der Hauspogtei, wo et.
dig Leiche. hatte anerkennen müflen, fortging, rief: dad Bolt:
„Das iſt der Mörder! -Schlagt ihn todt!“ Er rettete ſich
durdy eilige Flucht, und fand gerathen, Berlin zu verlaffen. —
„Zwölf Frauenbilder aus der Goethe» Säiller- Gpode
Bon Arnold Schloenbach. Hannover, 1856.” 8., Rahel und
Bettina machen den Shlub; vorzugeweiſe —* juſan⸗
mengetragen.
„Mein holitiſches Treiben i im Sommer 4848 Bon Er
415.
von Pfeil. - Berlin, 1856.* 8. Mit dem Motto: „La patria
si debbe difendere con ignominia o con gloria ein qua-
lunque modo € ben difesa.“ Die ignominia hat er fih
richtig herausgewählt! —
| Dienstag, ben.18. März 1856. ..
Der König, fagen die Höflinge, leidet tauſendfaches Un⸗
gemach, Verdruß, Nerger, Bloßftellung aller Art; ein Andrer
würde dabei ſchwermüthig, wenigftend nachdenklich, allein er:
ſchüttelt alles ab, thut ala wäre nichts gewefen, nimmt alles
auf feine Krone, und jolange niemand an die zu greifen wagt,
ſetzt ex fich über. alles hinweg; im Unrecht glaubt er ſich nie,
im Gegentheil, er hält fich für beffer und befonders für klüger
ald alle Andern, und nicht? macht ihn darin irre, fein Verfeh⸗
len, fein Mißrathen, keine erlittene Demüthigung. |
Beſuch vom General Adolph von Willifen. Später fam:
Frau Bettina von Arnim. Dieömal ganz ſchmeichlexiſch, will
nichts vorftellen, nichts aufdringen, nur um Rath fragen !
Der König wird ihr Goethedenkmal fehen, und dann gewiß
ausführen, nur ift jie verlegen wegen der Wahl der Stelle,
wo die Infchrift stehen foll: „ Briedrih Wilhelm der Vierte
dem unfterblichen Dichter. *: Sie pflichtet allem bei, was ich
ihr fage, dankt mir beſtens. Iſt es denn aber fo weit, daß
man ſſchon an folche Infchrift‘ denken kann? Darf man dem
Könige fagen, daß fie beabfichtigt wird? - Der Banquier, der
von den hunderttäufend Thalern meinte, e8 würde ein Leichtes.
fein fie zu beſchaffen, ift fein Frankfurter, fordern der Berliner
Herr von Magnus; — o weh! —
Heute vor acht Jahren die ganze Nacht Varrikadenkampf
und heftiges Feuern! Heute ſchweigen alle Blätter von dem
Gedenktage, nur die Neue Preußiſche Zeitung erinnert an ihn;
ſo muß dad Schandblatt doc dieſen Dienft leiſten.
416
Der Feldmarfchall und Oberſtkämmerer Graf von Dobna
wußte heute noch nichts von Nörner’d Erklärung, wa
Seiffart’d Schrift.
Nah und nach fommt allerlei an den Tag was frükt
geläugnet wurde. SHindeltey hatte den Jockeyklub im Het
du Nord auf Befehl des Königs — auch die Königin hatte ih
Wort dazu gethan — aufheben laffen, der ‘Polizeilieutenant
Dam nur feine Schuldigfeit gethan. Aber Hindeldey fah id
genöthigt, ihn wider beſſre Meberzeugung zu mißbilligen, un
nahm ihn in Ordnungsſtrafe von 20 Thalern, die er zum Schein
bezahlte, in Wirklichkeit aber fogleich zurüderbielt! Dade |
Prinz von Preußen gejagt hatte, er wolle nicht, daB der |
Sihweinigel in dem Revier fei, wo er der Prinz wohne, jo
mußte Dam auch verjegt werden, aber mit Vortheil an Rang
und Befoldung! Solche Wirthſchaft! —
Veber ded — Gtieber Haupt ziehen jich Wolfen
zujammen! Im Minijterium des Innern ift Davon die Rede,
ihn wegen mehrfacher Gegenftände zur Kriminalunterſuchung
zu ziehen. „Bor acht Jahren fagte er, man habe feine Jugend
mißbraucht; jest wird er fagen, man habe fein Alter mif
braucht ; aber zum Hängen ift er weder zu jung noch zu alt.‘
. Mittwoch, den 19. März 1856.
Alle Leute, die von den Sachen näher unterrichtet fen
fünnen, denen man Willen oder Urtheil beimißt, find vet
Meinung, die Erklärung ded Staatsanwaltd Rörner fei mit
Zuftimmung, ja nach der Anweifung des Könige gefchehen!
Ueberull, wohin man hört, Erjtaunen, Entjegen, Sammer und
Trauer über ſolche verfehlte Mapregeln, Berwirrungen, Rip
griffe. Bon allen Zeiten zeigen ſich erbärmliche Wichte,
Schufte, Lumpen; diefen Abſchaum hat die Reaktion glüclich
417
emporgebracht, in feinem hohen Amte findet fih ein redlicher,
tüchtiger Mann, allen haftet Berderbniß oder Mangelhaftigkeit
an. Und jeder ſagt's vom andern, er tauge nicht; fo Seiffart
jeßt von Manteuffel! —
Humboldt fendet mir ein Büchlein über Polen, zugleich
für den Fall ich fie noch nicht’ hätte, die Seiffart’fche Druck⸗
ſchrift, und fügt ein Blättchen bei, worauf nur die beißenden,
berlinifchen Worte ftehen: „Was kommt aber nanu? AvHt.“
Ich durchlaufe die Polenfhrift, die fehr fcharf ift, und fende
fie mit einem Antiwortfchreiben an Humboldt zurüd. .
Erflärung des Bruders von Hindeldey, ganz unbedeutend
und unnüß, nur die Kreuzzeitung fucht Nutzanwendung davon
zu machen mit ihren gewöhnlichen Kniffen und Krechheiten. —
Abende kam Frau Bettina von Arnim; mieder ganz
gefehmeidig und fügfam, fie fprach vom Goethedenkmal, aber
auch von Savigny's, die da jammern, daß ihr Sohn katholiſch
ist, und deßhalb nicht Gefandter in Wien werden fönne! ch
wende dagegen ein, der Fürft von Hatzfeldt fei lange Zeit
preußijcher Gefandter dort geweſen, fie erwiedert, ich würde
mich wohl irren und der nicht Fatholifch gewefen fein! Sie
hat feine Vorftellung, wie ed mit dem Wiſſen ift, was zweifel-
haft fein könne, was ſicher gewußt werde. —
Dem Prinzen von Preußen war durch einen Arzt aus—
drüdlich angezeigt worden, der Abgeordnete und Kreuzzeitungd-
mann Wagener habe beim rufjiihen Gefandten Baron von
Budberg in einer Gruppe gejagt, der Faden ded Depefchen-
Berrathes fei bie zum Prinzen von Preußen verfolgt worden.
Der Prinz wandte fih an den Staatsanwalt Adler, der
Magener follte vernommen werden. Died erfuhr mancherlei
Schwierigkeiten. Zuletzt erflärte Wagener, ihm fei die Sache
nicht recht erinnerlich, einen Eid könne erdaher nicht ſchwören,
daß er ed nicht gejagt habe, Doch glaube er ed nicht. Der
Graf von Nojtiß, den er ald Mitanwefenden in jener Gruppe
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. XII. 97
418
genannt hatte, fagte aus, er habe nicht? der Art gebört.
Damit ift die Sache fürerft abgethan, aber nicht der Groll' is
Prinzen gegen Wagener. —
Doinerstag, den 20. März 1856.
Theophile Gautier’d Lobgediht auf den Parifer Neu—
gebornen, „e'est un Jesus à tete blonde“. Die Kreuzzeitung
‚ ft außer fich über die Gottesläfterung; den Juden ift aber
auch die Vergötterung ded Sohns der Maria ein folder
Frevel. —
Man faat, es ſei unzweifelhaft, dag der Minijterpräfident
von Manteuffel den alten Polizeifpürer Techen gebraucht hat,
aber eben fo unzweifelhaft fei e8 auch, daß der König jelbit
mit diefem Techen in Verbindung gewefen. —
Manteuffel hat fich gegen die Reife nach Paris ſehr
gewehrt; er fürchtete, die Gegner würden feine Abreiſe
benugen,, um ihn vor feiner Rüdfunft oder gleidy nad) derfel:
ben zu flürzgen. Der König, heißt e8, ſei des Miniſters end:
lich ganz überdrüſſig. So fei er and eigentlich Hindeldey's
ihon fange überdrüffig geweſen, was nicht hindert, dap er
außer ſich gerathen über deifen Tod. —
Stiller Freitag, den 21. März 1856.
Sendung aus London von Herrn George Grote, der zwölfte
Band feiner Gefchichte Gricchenlands, der Schluß des unſterb⸗
lichen Werks! —
Aergerniß, das durch Nörner’d Erklärung gegeben worden,
am meiften dadurch, daß der König in vertraulicher Verbin:
dung mit ſolchen Menfchen fich zeigt; niemand zweifelt, daß
der König jene Erflärung gewollt hat! Welch ein Irrthum,
um weiß zu werden, fih an einem Schornfteinfeger zu reiben!
419
Auch die Seiffart’fche Rechtfertigungefchrift macht die entgegen:
gefehte Wirkung einer bethörten Selbftanflage. Aber was
wird die nächte Folge fein? „Die nächte? nichts. Man
wird fo weiter leben, fo lang es geht, und ed geht noch
lange.” —
Gelefen, zwei große Unglüddereigniffe, die Oftobertage
von 1806, und die Flucht nad) Barenned, zwei Gefchichtd-
bilder, an denen man fid) nicht müde fieht, fie geben immer
neue Gemüthsbewegungen, immer neue Gedankenreihen. —
Wegen der Drudichrift von Seiffart hat die Bolizei Haus:
ſuchung bei einem Kaufmann Molinari und bei Dr. Free
gehalten, aber vergeblih. Der Polizeidireftor Stieber iſt in
derfelben Angelegenheit nach Braunfchweig gereift, wohin eine
Spur geleitet hat. — Molinari ift ein fchlefifcher Abgeord-
neter. —
Die Erklärung Nörner's ift von ihm und Stieber auf den
Wunſch des Königs und in feiner Gegenwart aufgefeßt worden.
Der König hat eigenhändig Berbefferungen hineingefchrieben.
Das Blatt mit ded Könige Handfhrift ift einem Demokraten
gezeigt worden, deffen Urtheil man haben wollte! Daß aus
dem Weißbrennen ein Anfchwärzen geworden, hat von den
Urhebern feiner eingefehen! —
Der König hat dem Feldmarfchall Grafen von Dohna den
Staatsanwalt Nörner warm empfohlen, er foll fih einmal von '
ihm erzählen laffen, er werde merkwürdige Sachen hören.
Nörner kam zu Dohna, der aber alles ſehr ernft nahm, und
ihn mit der Feder in der Hand anhörte, jeden Punkt auf-
fchreibend. Auf der zweiten Seite hielt er inne, und Nörner'n
die Widerfprüche vor, in die diefer gerathen war; nachher
jagte er das dem Könige, und daß der Menfch einen fchlechten
Eindrud auf ihn gemacht. Der König wandte fih ab. —
27”
420
Sonnabend, den ®. März 1856.
Dad Wiener Blatt der Wanderer hat die Seiffart'jk
Schrift abgedrudt und mit bitterböfen Bemerkungen begleitet;
die Polizei hat ed an den wenigen Orten, wo e3 gehalten win,
weggenommen. — Der geftrige Publizift, in welchem miß—
fällige Nachrichten über die Hindeldey « Gefchichte geftanden
haben jollen, tft auch weggenommen worden. —
Der neue Polizeipräjident ad interim — wie er jih rich⸗
tig nennt — hat feinen Amtsantritt öffentlich angekündigt,
Jeden Morgen nah 8 Uhr will er für jederman zu fprehen
fein. Daß er gleichſam auf Probe angeftellt ift, findet man
weder ehrenvoll noch zweckmäßig, es fchadet feinem Anfehn bei
den Untergebenen, und macht ibn unfiher in feinen Hant-
lungen. Aber man liebt einmal dad Halbe zu thun! —
Bis jebt hat der König über die Verſorgung der Familie
Sindeldey noch nichtd verlauten laffen. Die Sammlung an
der Börfe und in der Stadt beträgt fhon 20,000 Thaler, eine
jämmerliche Poſſe, bei der die Meiften einer blinden Betbös
rung folgen.
Allmählig vernimmt man günftigere Angaben über die
Vermögensverhältniffe des Gefallenen. Man fpricht von
Kapitalien, von 40,000 Thalern, von Geldern, die der Frau
. gehören 2. Die Schulden, mit denen er fein Amt bier ange
treten, hat er gleich im erften Jahre getilgt. — Bei Gerjon
fol eine Schuld von 6000 Thalern angefchrieben fteben.
Gerfon ftand mit Hindeldey in Unterhandlung wegen einer
zu übernehmenden Pacht fämmtlicher Berliner Droſchken!!
Hindeldey war auch öfters bei ibm zu Saft. Mit allen reichen
Geſchäftsleuten ftand er fih gut. — —
Der wirre Wahn geht fo weit, dag man Hindeldey'n auch
ein öffentliches Denkmal errichten will. Die fämmtlihen
Polizeibeamten find zunähft in Anjpruh genommen. Viele
421
flagen fchon darüber, was geht fie der todte Hindeldey noch
an! Sie haben ed nun mit Zedlig- Neukirch zu thun. —
Der Staatsanwalt Nörner, diefe anrüchige Perfon, diefer
zweite Thierarzt Urban, foll in hoher Gunft beim Könige
ftehen, ſchon dreimal feit feiner Erklärung zum Könige gerufen
worden fein, und lange vertrauliche Unterredungen mit ihm
gehabt haben. Die Hofleute, die Offiziere ꝛc fehen dies mit
ſcheelen Augen an. — |
Stieber richtet jeßt perfönliche Berichte an den König.
Der neue Polizeipräfident hält ſich ftill und beobachtet, nicht
nah unten, fondern nad) oben. Denn da liegt der Haupt-
punkt! —
„Aus dem Depefchenverrath entiteht ficher nichts! Seiffart,
Tchen, alle wie fie heißen, fühlen fi geſchützt! Denn der
König felber hat ſich Techen's bedient, ihm Aufträge gegeben,
von ihm Nachrichten empfangen. *
—
Montag, den 24. März 1856.
Schlefifche Junfer und hohe Beamte — auch der Ober
präfident tft unter ihnen — haben eine Adreſſe an den Kaifer
von Rußland gerichtet, voll Huldigung und Dankbarkeit, daß
er aus Großmuth den Frieden giebt, während er den Kampf
ruhmvoll hätte fortfeben können, und der Kaifer hat gnädig
geantwortet, Welch ein Beifpiel! Preußifche Unterthanen
in politifhem Verkehr mit dem ruffifhen Kaiſer! Es gehört
der ftumpfe Partheigeift, die Blindheit und Schwäche, der
gänzliche Verfall, die jept hier walten, dazu, daß dergleichen
geduldet, daß ed nicht beftraft wird.
Richtig hat auch ſchon ein Magdeburger Rabbiner
Philippfon fih an Louis Bonaparte gewendet, um für die
Juden feinen Schuß anzurufen! —
422
Mittwoch, den 26. März 1856.
Karl Wagner’d Programm über die Bacchiaden ven
Korinth gelefen; eine fleißige Arbeit, zu der alle Hülfämitt
benugt find, auch ſchon Grote’? Gefchichte von Griechenland
mit verdientem Xobe. Korinth war, das geht aus der ganzen
Schilderung bervor, eine Art von Nürnberg oder Augséburg,
aber bewohnt non Hellenen, unter füdlihem Himmel, und
bimaris.
In auswärtigen Blättern, franzöfifchen, enalifchen und
deutfchen wird Preußen fürchterlich angegriffen, ſchonungslos
beruntergeriffen und in feinen Blößen gezeigt. Alle Achtung
ift verfhmwunden, Hohn und Spott an die Stelle getreten.
Man fieht unfre Regierung wie einen verlumpten, banfrotten
Schwächling an, dem man ohne Bedenken Ohrfeigen und Fuß—⸗
tritte geben fann. Faul und nichtenukig ift freilich alles, was
jest obenauf ſchwimmt, alle Behörden find falfch befebt;
ſchlechte Kerle, gefinnungslofe Gemeinheit und niedrige Selbit-
ſucht walten, ihnen ift die Macht anvertraut. Polizei ift alles!
Auch die Derwaltung, die Rechtöpflege, der Hof und die Kirche,
alles ſchmiegt ſich unter die Polizei, ift von ihr befubelt.
Einzig das Militatr und der Zandadel wagt noch ihr gegenüber
etwas felbititändig zu fein.
Dem Dozenten Dr. Kuno Fiſcher hat der Minifter von
Raumer die Lehrerlaubniß an biefiger Univerfität wieder ent-
zogen; die philofophifche Fakultät verwendet fich zwar für ihn;
aber es wird nichts helfen.
Donnerstag, den 27. März 1856.
Die Volkszeitung fpricht jekt öfterd von der Entfittlichung
der Franzoſen; fie könnte mit größerem Rechte von der Ent:
fittlihung der Deutfchen reden; aber im Grunde doch in
beiden Källen mit Unrecht. In beiden Völkern ift Sittlichkeit
423
reichlich vorhanden, fie zeigt fich in der Haltung gegenüber den
gewaltthätigen, willfürlihen Regierungen; in diefen ift die
Unfittlichfeit, in diefen liegt die Heranziehung und Begünfti-
gung aller fchlechten Beftandtheile des Volke, die denn auch
den Schauplag ded glänzenden Lebens vorzugsweife erfüllen.
Der Kern des Volks bei den Franzoſen, wie bei und, muß jebt
in den untern, wentgftens in den verborgnen Schichten gejucht
werden. | |
Die Nationalzeitung erörtert die neuen Bankverhältniffe.
Der König_hat die hier beabfichtigten neuen Kreditanftalten
nicht gebilligt; das ganze Staatdminifterium war dagegen.
Der Handelöminifter von der Heydt begünftigte zwar im Stillen
die Sache, trat aber keineswegs für fie auf. —
‚ Freitag, ben 28. März 1856,
Nachmittags ein Brief aus Weimar von Apollonius von
Maltig, einer der angenchmiten, Tiebenswürdigften, gehalt:
volliten ! |
So fcharffinnig und lebendig Mommfen die römifche
Geſchichte behandelt, fo fehr ihm gelingt, die inneriten Ber-
hältniffe anfchaulich zu machen, fo kann ich doch weder feinen
Standpunkt billigen, noch feinen Vortrag und feine Redeweife.
Die Negierungsgewalt ift ihm zu ſehr Hauptfache, Freiheit
und Menfchentecht ftellt er in den Hintergrund, das Volk ift
ihm Pöbel. Wenn aber in römiſcher Geſchichte von Plan-
“ tggen, Garde, Geldariftofratie, Finanzkapitaliften, Geſchwor⸗
nengerichten, Offizieren gefprochen wird, Sulla ein Don Juan
der Politik heißt, fo fommt mir das nicht beffer vor, ald wenn
früberbin von unfern Pedanten die römischen Konfuln als
Bürgermeifter von Rom bezeichnet wurden. Dieſe Moder:
nifirung will verdeutlichen, giebt aber faljche Borftellungen.
424
Mithridates heißt sin Sultan! Das römische Schwert jegar
muß ald Säbel herhalten! —
Der Prinz von Preußen hatte zu den beabfichtigten neun
Kreditanftalten eine halbe Million Thaler unterzeichnet, diek
Thatjache wird von Herrn Hanjemann bezeugt; — fobald kr
König dies erfuhr, war er fogleich gegen die ganze Sache. —
Der König hat bei einer andern Gelegenheit gefagt: „Die
Zeute meinen, e& wird andere werden, wenn mein Bruder an
die Regierung fommt? Pah! Sie werden ſchon jehen! Gr
wird auch nichts Befondered mahen!" — .
Die Grafen von Bredow, Vater und Sohn, wegen Ri}
handlung eines Arbeiterd zu vier Wochen Gefängniß we:
urtheilt, die fie vergebend bemüht find in eine Gelditrafe ver⸗
wandeln zu laffen.
Sonntag, den 30. März 1856.
Nachmittags 3 Uhr ift in Paris der Frieden unterzeichnet
worden, jo wird Abends die telegraphifche Nachricht fund.
Der Polizei find neue Vorſchriften ertheilt worden, gegen
Militairperfonen alle Vorfiht und Schonung zu haben, fie
jedenfalls ihren militairiſchen Behörden zuzuführen.
Montag, ben 31. März 1856.
Der Grieche Simonides it von hier ganz frei fortgereift,
man hat feine hier beftrafbare Schuld an. ihm gefunden, das
Gericht hat ihn entlaffen, ihm feine Schriften und feine
beträchtlichen Geldfummen wiedergegeben. Die Polizei hat ihn
darauf aus Preußen weggewiefen. Warum hat fie ihn von
Leipzig geholt? Sie ift wüthig. über ihre eignen Mißgriffe!
Und die höheren Gewalten fehen dem willfürlichen, ausſchwei⸗
425
fenden, den Staat verderbenden Treiben ruhig zu! Solche
Wirthſchaft gab ed noch nie!
Geftern lebhafter Auftritt im Abgeordnetenhaufe. Die
Rheinländer wollen ihre Gemeindeverfaffung retten. Delius
deckte die Schändlichkeiten auf, welche gegen die Preßfreiheit
verübt werden. Die Kölnifche Zeitung darf nicht wagen,
Artilel für die rheinifche Gemeindeverfaffung aufzunehmen,
wider diefelbe muß die Elberfelder Zeitung Artikel auf:
nehmen, die ihr von den Behörden zugefchieft werden. Die
Linke ftürmt heftig, der Minifter ded Innern erflärt, er habe
dergleichen nicht befohlen, werde die Sachen unterfuchen ꝛc.
Die Rechte benimmt ſich feige. —
- Der Inſpektor Kopf tritt von der Verwaltung der Anftalt
für verwahrlofte Knaben zurüd, Er hat fie viele Jahre fegen-
reich geführt, Fromm aber nicht frömmelnd. Unter dem Namen
Wowanud hat er fein Leben in merfwürdiger Weife befchrie:
ben. —
Dienstag, den 1. April 1856.
Mittags kam Bettina von Arnim; fie war bei unfrem
Eſſen, und aß etwas mit, was fie fonft nicht gern thut. Sie
erzählte von der Profefforin Ritſchl aus Bonn, die mich habe
befuchen wollen, als aber Ludmilla fagte, ihr Vater Dr.
Guttentag fei mit Dr. Affing innig befreundet geweſen, war
ihr dies fichtbar ärgerlih. Dann fragte fie nad) dem Dichter
Petöfi, ich lobte deffen Lieder und bedauerte fein Geſchick,
nämlich man wilfe nicht, ob er lebe oder todt fei, nach einem
Gefecht fei er nicht mehr aufzufinden gewelen. Da fab
Bettina mich bedeutend an, und fagte mit Nachdruck: „Ich
habe eine Spur befommen, daß er lebt!” Welche Spur war
das? Sie hat Fürzlih aus Ungarn ein Bild zugefchidt
erhalten, ohne Brief, das Bild fei Petöfl’d, ganz unzweifel⸗
426
haft, und er habe damit ein Lebendzeichen geben wollen.
„Das Bild hab’ ich auch bekommen,“ verſetzte ich, „es iſt aber
Kertbeny's“. — „O nein,” fiel fie ein, „nimmermehr!* —
„Und fogar fteht fein Name drunter.“ Das hatte fie über:
fehen, auch ift der Name nicht fehr lesbar. Nun fiel ihr ganzer
Wahn wie ein Kartenhaus zufammen, und fie war hähi
ärgerlih, daB fie feinen neuen und großen Eindrud hatte
bewirken fönnen, daß jeder Verſuch, ihre Einbildung dennoch
zu behaupten, fich Fruchtlo® erwies. In ihren Gedanken und
Betreibungen ift wenig Zufammenhang und Folge, fie fpringt
von einer Sache zur andern, und fühlt ſich in ihrem Weſen
nicht mehr bebaglih. Sie ift leider geknickt, geijtig wie
förperlich, und Elagt auch fehr. Sie thut mir fehr leid. —
Mittwoch, den 2. April 1856.
Der Landtag will ſich noch vor dem Auseinandergehen recht
zeigen, in beiden Häuſern werden Anträge gemacht, zu Erſpar⸗
niſſen, zur Sicherung der Preßfreiheit ꝛc. Aber das Publikum
verhält ſich dabei mißtrauiſch und gleichgültig. —
Das politiſche Wochenblatt und die Volkszeitung, ange
flagt, den Deutichen Bund beleidigt zu haben, jind wie früher
vom Stadtgericht, jo auch jebt vom Rammergericht freigeſpro—
hen worden, und dieſes hat angenommen, der Bundestag ſtehe
nicht mit Preußen auf gleicher Linie, man brauche mit jenem
weniger zart zu verfahren. —
In Paris treibt man großes Kinderfpiel mit der Adler:
feder, die man zur Unterzeichnung des Friedens mit Diaman-
ten ausgefhmüdt hat. it fie etwa von dem zahmen Adler,
mit dem Bonaparte damals in Boulogne auftrat? —
Der Minifterpräfident von Manteuffel hat wegen der
Unterzeichnung des Friedens endlich jet den Schwarzen
Adlerorden befommen. Tür die fchlechtefte Geſchäftsführung,
1
427
in der größten Erniedrigung Preußens, die größte Belohnung !
Es ift darin ein rechter Hohn, eine Art Freude an der
Schmach, eine freiwillige Wahnverblendung. Man lebt in
Schmutz und Stank, und bildet ſich ein, fauber und elegant
zu fein! —
Gegen Abend kam Hermann Grimm. Er fagte, daß
Bettina ihre Einbildung wegen Petöfi’d noch fortjege! Sie
behauptet fogar, Kertbeny habe feinen eigenen Namen unter
das Bild geſetzt, da der Name Petöfi's nicht genannt werden
dDurfte!! Der Geweihte, der Einfichtige werde dadurch nicht
getäufcht!! Mebrigend erweckt Bettina’d Zuftand Mitleiden,
daneben aber auch Unmillen, denn ihre Verfehrtheiten treten
nur fhärfer hervor, und Anmuth und Reiz verfchwinden.
Grimm ging um 7' Uhr in den Thiergarten, er nannte died
feinen Dienft, „fein auf Wache ziehen“. —
Donnerstag, den 3. April 1856.
Dem -„ Kaiferlihen* Adler im Pflanzengarten hat man
die Feder ausgeriffen — arrachee —, mit der die Gefandten
den Frieden unterzeichnet haben! Was foll das heigen? wie
dumm! wie findiih! Wenn's noch der ruffifhe Adler
gewefen wäre! aber auch dann welch elende Prahlerei! Wahr:
haftig, dad ganze Poflenfpiel des Mannes erregt Efel und
Abſcheu! — Und fie beugen fih vor dem —, fie hul-
digen und fchmeichlen ihm, fie halten ihn für ihresgleichen,
und für weit mehr! —
Die englifche Zeitung Sun ift mit einem ſchwarzen Trauer:
rand erſchienen, wegen des elenden Friedens, und der — Bo⸗
naparte hat in Paris das Blatt verboten! —
428
Freitag, den 4. April 1856.
Ueber den Depefchenverrath in Potsdam hat das Au
der Abgeordneten, da der Mitangefchuldigte Seiffart ein Mit
glied deffelben ift, eine Kommilfion zur Bericdhterftattung
angeordnet. Gerlach felber hat died verlangt. Aber, abrı
— die Kommiffion wird nicht heraudbringen! 3 ift eim
neue Gaukelei! —
Auch eine Kommiffion wegen der Preßfreibeit ift eingejekt,
und der Abgeordnete Mathis hat gründlich alle Gebrechen un
Schliche aufgezählt, denen Die Preffe leider ausgeſetzt ift, und
die von der Regierung und Polizei mwidergefeplich und will
fürlich gebraucht werden. Der Miniſter des Innern Her
von Weftphalen fpielt Dabei eine traurige dumme Rolle. —
Ekelhafte Berichte aus Paris. Ein wahres Jungentreiben!
Bonaparte in feinem findifchen Prunf wirklich nur Parvenu!
Er gehört in den Jockeyklub unter feinesgleihen.
Sonnabend, den 5. April 1856.
Nachrichten aus Rußland; allezu ftraffen Bande lodern ſich
allmählig, man fpricht fehr frei, die Preſſe breitet ihr Gebiet
aus, der Berfehr wird erleichtert. Man beginnt nun erft recht
zu fühlen, wie gewaltthätig, hart und geiſtlos der SKaifer
Nikolai regierte. Die höheren Klaffen, die zugleich. die am
meiften verderbten, gefinnungslofen jind, ftreben eifrig zur
Berbindung mit Frankreich, fie finden gleich der englijchen
Arijtofratie in dem — Staatöftreicher nicht? Abfchredendes! —
Louis Bonaparte läßt dem Wipblatt Figaro, das eine
Bittfhrift an den neuen Jefus in der Wiege gerichtet hatte
um Grlaß einer Strafe, den amtlichen Befcheid ertheifen, fein
Sohn habe dem Blatte verziehen! Die Gefchichten in Franf-
429
veich werden immer gejchmadlofer und lächerlicher. Der
Abentheurer verräth fich mehr und mehr. |
Hier waren heute in beiden Häufern des Landtags eifrige
Debatten; in mehreren Punkten bat die Linke ihre Berbeffe-
rungsvorfchläge Durchgebracht, in der Hauptfache ift ſie ftetd
überftimmt worden. — Das Herrenhaus hat für feine Gerecht⸗
fame fih einige Oppofition erlaubt. Armfelige Schwaß-
haftigkeit Stahl's, deffen Schwindel nicht mehr recht zieht.
Sonntag, den 6. April 1856.
Nachmittags fam Bettina von Arnim. Sie erzählte vom
geftrigen Konzert des Sängers Stodhaufen, und war mit
allem unzufrieden, mit Stodhaufen, deffen Stimme den Saal
nicht fülle, mit. Frau von Bod, die heifer geworden jet, mit
Liszt, deſſen ungarifche Rhapfodie in Tollheit ausarte. Dann
that fie aber doch, als ſei fie Stockhauſen's Beſchützerin, müffe
für ihn forgen zc. Vor dem Beginn der Muſik hatte fie ihm
ihren Briefwechſel eines Kindes, den fie für ihn mitgebracht,
überreichen laffen, was in ſolchem Augenblid nur ftörend fein
fonnte. Hierauf ſprach fie wieder vom Goethedenkmal, von
der Inſchrift, die dem Könige fehmeicheln foll, von den Aendes
rungen, die fie noch immer vornimmt. Sie will jest nicht
100,000 Thaler, jondern eine halbe Million zur Ausführung,
der König joll den Banquier von. Magnus rufen laflen und
ihn auffordern, die Summe zufammenzubringen ! Dann aber
meint fie felbit, die Leute verfprechen oft viel, aber thun wenig
oder gar nichts. Sie trägt ihre Einbildungen viel matter und
fafelnder vor als fonft; Kraft und Anmuth machten fie früher
doch erträglicher als jegt. Bettina ging. bei beginnender
- Dämmerung allein fort. Sie fieht übel aus.
Ich las einen Brief Dorothea Schlegel’d aus Köln, Per
den Einzug des Kaiſers Napoleon und die herrliche Feier, ‚die
430
ächte Begeifterung der Kölner für ihn befchreibt. Damal
hoffte Schlegel noch eine Anftellung dort, und war gan; de
napartifh! Wenige Jahre ſpäter war er in Defterreihik
Gegentheil. Diefe Art, Lob und Tadel, Roſenfarb ode
|
Schwarz, lediglich nach perfönlichen Ausfihten und Zweden
zu vertheilen, war ihm und befonders feiner Frau von jean |
eigen, und machte mir ſtets den fchlimmften Eindrud. Alt
Wahrheit und Gerechtigkeit müffen Dabei zu Grunde gehen.
Montag, den 7. April 1856.
In Küftrin ift der Roſtin'ſche Prozeß gedrudt erfchienen,
und die Schrift wird hier verfauft. Der Regierungspräfitent
Peters in Minden erfiheint darin als eingeftändiger falſchet
Ankläger. Man ift begierig zu fehen ob er in feinem Amt
bleibt. —
Der Prediger Krummader in Potsdam jubelt auf der
Kanzel über den Frieden, und fchreibt dem Könige das volk
Verdienst zu, durch fein Verhalten und feinen Einfluß die
Heil bewirkt zu haben. Die Potsdamer find unwillig über
» den Pfaffen und Höfling.
In Potsdam werden die Soldaten zweimal wöchentlid
Abends zu Betftunden fommandirt, und die Offiziere müffen
fie dahin begleiten. Die Offiziere haben nichts dawider, das
die Gemeinen zu ihrem Seelenheil angehalten werden, aber
daß auch fie felbft hineingezogen werden, ift ihnen fehr ver:
drießlich. —
Das Herrenhaus hat den Zuſchlag zur Einfommenfteuer
nur auf fürzere Friſt bewilligt, ald die Regierung wollte.
Steuerverweigerung! und dad Beifpiel kommt vom Herten 5
haufe! — |
Perfonen, die felbft bedrängt und bedürftig find, wollen
für Undre wohlthätige Hülfe ſchaffen, Anſtalten gründen, find
431
gefchäftig im Einfammeln und Betteln. Sie vergeffen, daß
fie nächſtens für fich felber betteln müffen. Ein richtiger
Wohlthätigkeitötrieb wird vor allem das eigne Einfommen
ordnen oder mehren, und dann für Andre davon verwenden,
was immer möglih. Andre herbeizuzwingen ift immer mit
einem guten Stüd Eitelfeit oder frecher Zudringlichkeit ver-
bunden. —
— — — — —
Dienstag, den 8. April 1856.
Herr von Zedlitz-Neukirch kam mit dem Vorſatz hieher,
die ihm zugedachte Polizeipräſidentenſtelle nicht anzunehmen.
Er ſtellte dem Könige vor, Hinckeldey habe ihn kaum gekannt
und deſſen Empfehlung ſei ihm um ſo mehr ein Räthſel, als
er ſich keine der Eigenſchaften beimeſſen könne, durch die ſich
Hinckeldey hervorgethan habe. „Das iſt mir grade ſehr lieb,“
verſetzte der König, „Hinckeldey war mir zu plebejiſch, zu vor-
dringlich, er mifchte fich in alles, und beläftigte mich durch fein
ganzed Weſen, ich wünfche fehr, daß fein Nachfolger mehr
edelmünnifched Benehmen zeige.” Zedlis wollte noch aus-
weichen, allein der König redete mit fchwungvollen Worten
dringend auf ihn ein, verfiel zulegt in heftiged Weinen, und
Zedlig, überrafcht und beftürmt, gab fich zuleßt gefangen. —
Mittwod, ben 9. April 1856.
In der franzöfifhen Akademie hat der Herzog von Broglie
als Nachfolger Saint » Aulaire’8 feine Antrittörede gehalten,
und da er von der Fronde zu fprechen hatte, den Kardinal
- Mazarin fo bezeichnet, daß eine ungünftige Aehnlichkeit mit
Louis Bonaparte ftark hervortrat. Die Franzofen haben fich
gegen den Feldheren Napoleon Bonaparte noch immer aufresht
erhalten, wie follten fie e8 nicht gegen den Pfeudoneffen! —-
432
Brief von Humboldt an ebay über vis, ‚Untbefeh des
Tiſchrückens und des Plychogtaphen·
* N
— — — — — | nit
| ut
- | „ Döimeretag, ben 10. ul tage, .
Die Times geben Auͤszůge aus der fühnen Sean N
fardinifhen Staatsminifters Cypour, welche, den ‚jhärfit m
Tadel. gegen. Oeſterreich, Neapel. und den ‚Kirchen yſſagte aus
ſpricht. Bu teen epn
‚Elende Verhandlungen im ben trenhanß „— Ho eenbere I im
Abgeordnetenhaus, ‚wo der a bfurbe e gar ð EN ine Nebt
die er, für ‚deren. eigentlichen. 3 ni * ien 0 onnie Pie, Ir
ungeeigneter Stelle einfchiebt und ablieſt. . Gefegmaderei
auf die „ regierungdbedürftige* Rheinprovinz gerichtet. Mit
Hülfe der Rechten ſiegt das Miniſterium, doch erhalten einige
Verbeſſerungsvorſchläge die Mehrheit. —
Manifeſt, ‚des Kaifers bon, Pat DET —5
Milde, Gerechtigkeit, halt aber —* Pal m: Def Sri
nur für. den. Shup. de r RR nögenollen ;„uaÄerp om
worden, nicht aus —— A A 9 —
Volk eine ‚gute Taͤuſchung ſein; Cuxopa weiß yon den @
fprächen. mit. Lord Seymour, vom Tranfen. gnn A ie j
Frau von Schiller'wird mir recht lieb und wert, wegen
ihrer treuen Liebe und Anhänglichkeit für Goethe, dem
unwandelbar ergeben bleibt, und ſtets alles zum Guten aus—
legt, wie es bei ihm, unzweifelhaft immer geſchehen ſollte,
grade bei ihm! ‚Sein. — Men —7— iß gewoͤhn⸗
9 ganz andern Sinne, ‚03 je ji n Tin: Arne
!
etwas mäteln, u von — bi
Pr De
alu ie
a %*
"433
bin, deßwegen aber doch die feine in ihm als berechtigt aner-
fenne, und fie nur in Betreff Anderer beftreite, nicht aber
gegen ihn. Er hat zu allem ein Recht, was er fühlt und thut,
er und Rahel, fonft weiß ich niemand! Wenn auch der ein-
zelne Fall nicht immer aus fich felbft gerechtfertigt erſcheint,
fo erfheint er ed doch im Zufammenhang mit allem andern,
im Allgemeinen.
Schwäche der eigentlichen Kreuzzeitungsparthei, die nicht
dreißig fichre Mitglieder im Abgeordnetenhaufe zählt; fie zer:
fällt in Uneinigkeit, in Mißtrauen. Aber ihre Häupter willen,
daß fie in vielen Beziehungen dod auf den König rechnen
fönnen, und daß nach Umständen wieder die ganze Ariftofratie
ih ihnen anſchließt. Sie fegen ihr verderblichee Treiben
fort. — | .
Freitag, den 11. April 1856.
In dem Roſtin'ſchen Prozeß ift das PVerbrechen des
Regierungspräfidenten Peterd doch nur ganz flüchtig erwähnt,
und fein Nachdrud darauf gelegt, und man will wien, daß
höhere Befehle ergangen find, die Sache nicht weiter aufzu—
regen. Ohne dieſes Aergernig aber, meint man, würde er
gewiß Polizeipräfident geworden fein, diefen Rachtheil habe
er! —
— — a — *
Sonnabend, ben 12. April 1866.
Im Abgeordnetenhaufe ift heute das Gemeindegeſetz für
die Rheinlande, welches Stadt und Rand trennt, und die
Dehördenwirthfchaft fchlimmer al® unter der einftigen Prä-
feftenherrfchaft wieder einführt, ungeachtet alles Widerftrebens
der rheinischen Abgeordneten und der ganzen Linfen, mit
großer Stimmenmehrheit angenommen worden. Die Rechte,
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. XII. 28
134
welche ſonſt für die Brovingialſtande ſchwaͤrmt, wollte dieenul
nichts davon hören, daß erft der rheiniſche Lunttag betlionſ
würde. Gerlach verfiel in Schwäche Amd Au; gie
in Abfurdität und Lächerlichkeit. | F J
Bildniß von Heine, in Unn iſen jejeichttet von
Stahl radirt von Mandel. —— "I ah —T dr
nähernd gut.
. R Ho are BRWE 2
ä LEE
4 au a1. Fe > Pan
Sonntag, ben, 18. April, 1886,47
In Wien Berfammmlung. der. ößterrädjifchen Biſchoͤfe, in
Preußen proteftantifche Synpden. Schiwarzrode hier, Sharp
röde dort! Biel wird's nich, aber ‚immer widaig und ſchaͤd⸗
lich genug! — en 2200 er bepilaffe rss men
a ER BEAT AA N Tr en
ati net on em
Montag, ben 14. Aprif 1856.
Am Rhein werden Petitionen in Menge veranftaltet, fie
follen den König bewegen‘, dem neuen rheiniſchen ne
geſetz feine Zuftimmung zu verſagen. ern er Died t thuten
kann er auf's neue ain Rhein dam t Helteht werden, — —
ein augenblickliches allgemeines Zijauchzen ——
Kreuzzeitungsleute arbeiten natürlich ſtark 'entgegenit es —
ihre Partheiſache; der Regierung als ſolcher fan weil, an”
dem Gefeß gelegen fein, fie hat dreißig Jahte mit‘ dem bi,
herigen Geſetz recht gut audfommen tönnen.
Es ift einige Ausficht vorhanden, daß der: Genetal ao N
von Willifen Kriegsminiſter werden könnte. DE ware cite, —
Hauptniederlage der Gerlach'ſchen Parthei. "rn 7
In der hannöverſchen zweiten Kammer act
bedeutende Oppofition geltend, an deren Spitze die fröbein
Miniſter von Münchhauſen, Braun, Windthorſt und mehrere”
u...
Dr 5
435
an gefehene Ya N} örönste, ri Dppermann, Breufing, Wider, von.
dei ei: en Sie baben, die Mehrheit. :—:
In Kaffe tft der Gründer des dortigen Freubundes, der.
— — Taſſjus, wegen Unterflagung von Vormund⸗
Ihaftögel ern und. Erpreffung, von Gebühren, orfänglic ein:
gezogen und vor dei Schwurgericht angeklagt worden, -
Die Bolfözeitung foll in ihren Artikeln über Sindeldey
zwifchen den verfchiedenen Klaffen der Staatsbürger Haß
erregt haben, und deghalb verurtheilt werden! —
Ir Hannover iſt der Obbtgerichts⸗ Aſſeſſor Planck von dem
gaben Seutte des Oberderichts zu Mitch‘ ſreigeſprochen wor⸗
den jnſo hoie ſeine Genoſſtaͤ.“ Groöße Freiibe dehftillz.·.
ADie Nationatzritungivom Bo. Frbluar ulid vönn 12: März,
von der Polizei weggenommen und angeklagt, iſt heute frei-
gegeben worden, dad Gericht fand die Anklage nicht gerecht:
fertigt. Nach 45 und 32 Tagen!
. , R „v 94
Ma DE Bee Be ———— ——
3 * un , F ,
„|. MERIDIEN. 1. Ian N id 1 ri},
a ehlleieb rn Bitmeiag, ben, 16. —* 1856. |
"Hillemein 8 Houyenirg, confemporaing, 2,Bände ‚; dad
Me ilte befteht ı in einer Art Memoiren Rarbonnee 6, aus feinen
orühhellunge gejchöpft. „Di NM Mit Geiſt und Feinheit geſchrieben,
aber t in, ein 7 et, ‚Müttelge Jen die in allen Repolptignen
jo ei EA : wird, d98 Uymöglice will, und.
das, It v HER aut, neller und; gewaltfamer., herbeigieht.
Aber Herfommen, Grmüshögrt, und, Stellung, machen auch
— zn Laufbahnen ‚unvermeidlich, und. die von Narbonne
iſt —* ‚genug, um duxch Di Greignifie auch: dieſen
—— einmal zu begieiten en
A richt yon einer, —— aͤleiſ⸗ Rehow ſoll
an Haken’? tele ‚fommen., ‚Sieg der Kreuzzeitungs⸗
part —* enigften®. ſcheinbaf. Aber. ‚zugleich fol Nörner an
Nie uhr’s Stelle. fommen! Römer!! Nörner!!! Warum
28°
436
nicht Stieber? warum nicht Joel Jacoby? 1-80 blaut de
Sittenſtrenge, die Chrenhaftigkeit, die Gröntinigkeit, Merken
fich fo gern rühmt! '— In Berlin‘ wäß jebetmat? wirt
bei dem Ramen Nörner wi denen Hat. "Die Weienet L)
Nörner!! — u Se En 1 En EEE a BE Er νν.
Der Generalmajor von Shöler, Borftand Der Abt
der 'perfönlichen Süden - im Kriegemitigtertum‘; ‚hab fich mit
dem Kriegsminiſter gegantt‘, dieſet ihn blẽnt ·Konige verla
Der König hat dem Kritgamtriifter Hecht 'gegenen;,- und'al
Schöler fortfuht zu widerſprechen Pfeſenn dert Reh uge
wendet; er foll entfernt werden Ahern it muß doch der
Kriegsminifter auch fort?! —: Det Feldmarfchal Gin
Dohna wußte geſtern nocdh’nicte' vön Vleſer Ktiſis Land⸗
tagsmitglieder und Banquiers wuhhlen dabon. utlsbuıc J
b re
m ET TE !n
oberen glltwoch⸗ Herr. April 18061
Seute iſt Buß⸗ und eig &ihe widerwattigt Aliſtall!
Das Stillſtehen der bürgerlichen Bewerben’ diſs lar gweiſize
Geläut! Die gebotene, gleißneriſche Andacht;“bie ſich mt
dem Tag abfindet! —
Ich las in Villemain. Der zweite Theil behandelt die
hundert Tage Napoleon s etwas ſchwerfällig, und ſebt
ungenau, trotz der ſcheinhaten Nachweiſung von Quellen! |
Bei ihm beftcht die hellitge Allialz ſabn BIER olck nicht
als Königreich, fonderntfe Gi oßhekzog thum: Were /vis
der Kaiſer Alexander ſich bis an die Ober alnsdehren;nel i
Metternich nach Talleyrand's Belieben ſchwahen Zi |
leßtern zurechtgemachte Angaben als richtitze, utz wichet
ein unzuverläſſiges Buch! 2 br ta pn
Der General don‘ Schoͤler! hat bereild⸗eĩnen dreitiena·
lichen Urlaub erhalten. Das beweiſt! Aber Antihts: Fre:
Folge, wie wir an Riebuhr geſeheil haͤtenn7 iwrdedeß Kyle
487
ri
Ausſcheiden aft_no,gor, nicht gewiß. . Seine Erfegung durch
Noxner At wielleicht ſchon zügängig ‚geworden durch den
Schrei, des, Unſpillens „der pon allen Seiten wiederhallte und
doch ara Die zum Könige gedrungen fein muß. „Will er den
Glanz der Krone mit dem Straßentoth zudecken * wurde unter
andern gefagt, ip
te Es iſt Igang benoch, daß Nörner bereits im vollen
Beſttz, des Koniglichen Bertrauens-äft, und-fchon-feit einiger
Zeit danſelhen Vortgag bei ihm über Berfonalfagen, ben jonft
Hinstelöen.gatte, tegelmäßig hält. . —
Hiuchldey hatte für die. Ronftaher Erommeln gewollt,
‚um jedem, Militgis.mehrzgleich zu. ftellen, aber man wußte
nicht, aus;mehhen. Fond. man die Koften anweiſen follte. m
rief Hindelden einen. Bolizeiheamten ‚und - fagte ihm:
haben Sie 90 Thaler, die ich ihnen ald Gratififation ee
aber fie müffen dafür die Trommeln anfchaffen!“ Und fo
geichrh's I; ſtinvffenbacer SPetrug, ein ſchändlicher Mißbrauch
eh Neamten.dex/ſich sinn Gratififatien angerechnet ſieht, Die
un Bihtheformmenngi! Dergleichen Durchſtechereien und Unter-
chleife hohlen a Hunderten porgelommen fein. — Ä
Jane Fa En |
a nl
IT PT ul td " Donnerstag, ben, 17. April 1856.
ig Rashpnittage: u ‚meinen ‚Autographen - gearbeitet, Das
ngeue Buch von ‚Dr. Haym „Wilhelm von Humboldt“ durch
‚arfehen ; ‚ich. Ignn. ‚mit, fagen,: daB: das Bild ein wohl:
getroffenes ſei, qus ihm würd' ich niemals erraihen, wie der
Mann pirklich geweſen; auch ‚hat der Autor ihn nicht perſön—
fich gekannt, und nicht die ausreichenden Hülfsmittel gehabt.
Sonſt iſt das, Wegk:werdienftlich genug, Fleiß und Scharfſinn
habem bei der Arbeit nicht gemangelt, und das Schleſier'ſche
Buch iſt weit übertroffen. —
Der Baligeipräfident. von Zedlitz, fande Dem, iherüdgtiugien
Techen noch in Poliztihaft, und wollte Deufelben, :des Kr
nung gemäß, dem Garicht ühergehen. Schon Haste vr.dg
Staatsanwalt darüber, Mitheilugg, ; gemacht, ah aus den
Königlichen Kabinet der Befehl einging, bie Sache, gu.uuie:
laſſen, und die Polizeihaft fortzuſetzen — Techen iſt 75 Jahr
alt und fo frank, daß er in's Krankenhaus gebracht ‚werden
mußte, und. gar, nicht verhoört werden Fays | m 1: -eı
Bei dam. Haym'ſchen Bush ‚aber Wilhelm wen: Humbelht
wird mir ganz. weh; quih wenn edit, dhaktächlicge Natich
tigleiten find, die mich verlegen, ſo ak es dad no der Aus
druck, die Wendung, welche. faſt immyr perrathen, Da An mit
aus der. lehendigen Quelle ‚geihöpft:finp.. ſonderm, aue ſer⸗
ſchender, grübelnder Uebexlieferung, und feitfiehrmber: wprgefar
ter Meinung; e8.befommt,;alleg eine yurichtige- Faͤrbung⸗ mm
findet ſich in. beengter Luft, man fühlt fih umgeben yan.haik
maskirten Perſonen, die man wohl bald erkennt, die aber dod
nicht ihr wahres, ihr ganzes Geficht zeigen. Ich will den
Auter dazum nicht zu hart-beichuldigen, er.hat Mühe genug
angewandt, die ihm fremde. Welt aufsufaften!.. Nur Das, dsunte
man von ihm verkangen, daß er öfter feine frhinierige Aufgak
‚beffer erfannt, die Miplichkeit-,feineg ‚Borhabens "gefühl, und
onen eingeftanden Mh Ru PERee FU LACHEN TEIFTR KETTE LS TE Be > DEI?
Hat ta PIE Br eyhnltri"
on nn ngpanstleler
roten
ee Sannabenh, pen 19, April 1A86. 2.
Soyhiens Reiſ⸗ von Memel nad Sachſen P.lechs Henn
vom Antiquar, mit einem Titellupfer und ſechs Vignetten vn
Chodowiecki, die andern fünf Kupfer — ju jedem, Band eine
— hatte ich fchon. Seltfamer; Gindrud dieſes einſt mc
gelefenen, jest ganz veralteten Buches! Zeptnur noch sine
Merkwürdigkeit.. 40 zer
ana ren
i
‚439
15 Villemain's erſtem Theil S. M'f, eine treffliche Schil-
veräng“Tallepiand'e | in-den feinften Zügen, wo dem fchönften
Lobe ſo viel Tadel beigegeben iſt, als jedem Leſer belieben
mag. Beſonders iſt ſein Verhalten gegen feinen Fteund
Narbonne, den ’er in. beſchraͤnkter Lage hinleben ließ, ohne
‚je: für ihn etwas u thuu, ‚ohne ihn m befördern, ſehr an-
minhig erzählt. -
General von Arnd Kim mild, dem Theater, und blieb bis
nach 11 Uhr. Er war ſehr aufgeweckt und liebenswürdig,
nter hallend nnd belehrend, ſcherzhaft und ernſt.
1° Der Polizeipraͤfident von Zedlitz hat die Trommeln der
Kouſtablerꝰ als unnütz abgeſchafft, und ſie verkaufen laſſen.
Dabei kam "die Geſchichte, die ich unter dem 16. angemerkt
Bade ' zur’ Spräche;, und es fragt fih nun, ob derjenige, ber
ſich den Schein der: Brättfitatten bat gefatten laſen, d das Geld
belemmnen u Bus N E |
DANN MN. oa
NO Ba Ss Bu BEE TE Eee DE zu ‚Sonntag, ‚pen 20. April 1856.
‚Gegen Abend kam Frau Bettina von Arnim. Sie klagt
—— und’ Mangel an Eßluſt. Dann fpricht fie in
Ver allbn Weiſe / dom Goeklhebenkmal, am-ven fie fortwährend
ändert; die Waſſerkünſte dabei läßt ſie durch Glasfäden ver⸗
imiſchen, — es wird eine förmlich Spielerei! Die alten
Einbildungen: der König will das Denkmal ſehen, oder ſoll
es ſehen, und bei ihr; er joll die Geſtalt Goethe's übernehmen,
das, Aübre "dem Banquiet von Magnus auftragen durch
Unterjelchnungen ‚Ju beſorgen; Wenn dei König ihn rufen
läßt und ihm’den Wunſch dusdrüdt, diefen Theil zu über-
fiehihen, wlid Magnus ſich ſehr geſchmeichelt fühlen, und
gewiß alles thun. Zunãchſt folk. darüber an Humboldt ges
ſchrieben werden. Seltfame Perfonen, von denen fie uns
erzählt, von einem Herrn von Hagedorn aus Deffau, Herrn
Per Perg .. oo. —
len. Ion R 4 A a x
* >. * x
440
De Schaafhauſen aut! Bonn.’ :Sieıwil iyahig atinin Tprecen,
nur ihre Sachen erzählen, Teint Sie hoc Zwiſchenredeſde
den; es verdrießt fie, wenn man-nad den Töchtern fragt,
wenn man die Perfonen, von denen fie fpricht, auch fennt,
wenn mar wuds geſehen hait was fie rühmt, 3. B. heute hie
Glulbſpinnerei. te war WRÜNgEN Ufer; undu rits die
Muſik Bebthoben's, döch Fumeſt weil i Br eehoveril war,
"Ben Sie; Tore ſie? ſich ſchmolchelti⸗ re hatuon Im Guontin
Bere! eineilb detebenden Ginbruckz ullar liebliche ſScheu⸗
len Fer, 2Reiantheit Iimid "After eigenen ſich aavechatn
Betkiſiaꝰ/delkre fein” und TgihalT ich ren Au, aber ar
vis RT Hain ber: Nahe; fie will? nicht dah wan
dſierbeglite; fie wille nacht Zoch man ſehe! wie Jangfam Fir bie
Treppe hinabgeht. — Traurigu qeheltraucig ir Slezu ver⸗
et wilrdeomich hoch fehr ſchmerzen ee ſehen, if
horn Ber! Bedtih dd Verlibrens. "items? u Irasien
DE Polielpräſſdenti Bo edlen heit ce
»Naſtige Aufficht· der sPottgeigkeifnten auf'iden Bayırtöfenifeht
gemilvertleia Mire meiſteißc Ankomenden und Abrbiſenden wbt⸗
enkauini nbchif Berk el Die! Konſtäbler werden imeht
bürgerlich eingerichtet, Hinckeldey hatte fiergumg: milntichq
ee he Fehr - unnierung koſtherro MuſttAdirde wird
tigehen Ist Ts nisrd Gas Tomaishiirsung Soramı drin
EIG ee" re Mer wenig Bertcaum
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rule, und vekſelberiſonvin Werkin entſernt werben: 1°
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amſFriebensgeſchaft eitten fletlichenEinpfanng bewileno et
TRAG fuht Aoheichetlufwls order ee
in Shhlingetz Hehe fehblaniahend/ ER Nio deun voalden iin
441
wüßten?: ibm: allein Bommezgö zu, zu benpibeilen, was Man⸗
leuffel giihan re habe, +:
ET TE nt rau
u FOR ren ZI BE HE BEE |
CUT BEN De) Ban , „Dienstag; ven ae. April 1856,
,;4 »Befuch ;pom Oberſtlieutenant von. Binde. Gröffnungen
In Betapfl. feines Schmiegeſwaterg, des Großlanzlers von
DHeyme, deſſen edles Andenken nicht nur aus dem Dunfel der
Betgeſſenheit; ſandern uch: aus-. ungerechten ſchmähenden
KExrwaͤhnungen gerettet werden / ſoſll. Bincke's Schwager, der
ahemalige Landrath von Gerlad; Barfow, hat wenige Papiere
nad Beyme's Nachlaß, aber: mehrere find zu erlangen. Die
Haupisrbeit zu übernehmen, lehn ich zwar ah, erlläre mich
aber betet zu Math und Hũlfe.
it. ner Miniſſerpräſident erfthien. ‚heute von; Paris heim—
gekehrt im Abgeordnetenhaus. alle Mitglieder. erhoben ſich,
mit Ausnahmẽ der Binkeni; Die fügen blieb, und des Aögeord-
meton Rene; derr in seinen Mode unbefümmert-fortfuhr. Die
:Machieihemehrelle eine Ehrerbietung, die den entichiedenften Haß
vanenbengert helle, "bach wird ‚niemand, vu fie getäufcht,, auch
Ramteuffel niht, — .ı %.
ers Habliche: ta tholiſche iegeahen· die tatholiſche Parthei
wird immer zuverſichtlicher und dreifter, und wird ed, wenn
nauch wicht zum Kehligblichen - Siege, doch noch zu manchen
widrigen Kämpfen: bringen. :: Ultpreußiihe Männer fagen,
der Könige habe dem Staate Preußen unheilbare Wunden
dadurch geichlagen ; daß ‚ex die, weiſen Beichränfungen rüd-
ſichtslos aufgegeben, die das Geſetz gegen die katholiſche Geiſt⸗
lichfeit angeordnet hatte, daß et die Oberherrfchaft des Pabſtes
An Preußen anerlannt und ſogar den Jeſuiten Thür und Thor
s. geöffnet hat, Es ſei und ein. Gift eingeimpft, fagen fie, das
uns laugſam vergehren. wird, wenn nicht Greigniffe ihm ent-
gegenwirken; auf weiſe Regierung will man nicht mehr rechnen.
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"Die Regierung Friedrich Wilhelms des Bierten wird weit üke
ihre eigentliche! Dauer /hinatlowirlen Jod ſpãt · wirb man
‚gegen die Uebel, iwelche inter‘ iht und butch fie eingebrochen
zu ringen haben. Autpteußen find: es, die fo reden. — ⸗
Der Rönin hat enndlich märhgegebkii‘, per’ Ungnade kim
Kammergoricht als Hülfahrbettet- verfehte‘-chemalige "Anter-
| Jaduingerichter Sg löfte= vem · Stadtgericht iſt nun Homme
gerithtsvath geworben; 5 2:5 ini ag ET
In den heute Gier atifefönithenen enden Then if ein
fucdhtbarer Artilel gegen ven König oh Pteußen! Er win
ats ein ſchwindelnder, ideenlofer, uͤnzuverlaſſiget; bald wild
aufbrauſendet baldifeige fich duckeider, Yorfähufiger," Hafbiofler
Menſch bezeichnet Die beabſichtigte Verbĩndung einer eng:
tiſchen Bringeffin mil dent Sohnie des Pringen : won Preupen
wird getabelt) widerchthenree Man / weiffagt beit Stönige neues
Unglück, Berluſt ˖der Krone, Zertrummerang ded mißregierten
| Staatea⸗ Botachtung und Glende Abi ar ae Ti
: Der MPolizelhauptinann Mor hat Me Aufficht über dee
Drofihten) Ale ch hm taͤtlich in Den Frahſtunden vorzeigen
mußten, ohe fie ai nihtti Halteplatzee fahren vurften. Diet
höchſt laͤſtige Schau’ Hat: er-Prafident' von Jeblitz iabgeſchaff
Nun ift iaber Afchoffl beſorvers ˖ ſtreng in Prüfung der (arm
Drofchkendienft vorgeftellten Pferde. Einem Zuhrmank rwurde
das »feinige Wig/ ntauglich nie steh gu tũckhewitfen; a
wanhte ſich, im Gefühl daß ihin Ufirechtigefchehen An a Zedku
Dieſer trug / dom / Dbekft Pate eine neue Prufung des igethei
nuft ſdibfer veſtãtigtelediglich Die’ Behauprune Aſchoff Di
jeboch eraln godligguplaglich it der engen? acicif,erſelbft
hahrnmid ſReiner Fran wind Spazitetfahet von Ciner Stunke in
der Droſchle geniacht, Die mit jenem/ Rferde beipäumt geweſen
ündrdafjelbe ganz tauglich! gefündent ei Gi 2.2 Wen
GCGGGG Fue 5 Ws: E Bar TREE EEK SIERT Gr u. . 2
ee, . on, 20, » 8
J za 41 ‘ N A 4i D \ 9,0 ⸗ 1.7. q .. I RU Du;
448
— A Miſtwoch, den 23. Apzil 1866.
PR Im. Sonir da Tages, fr ich in dem Warke /des ehemaligen
Dlgrpräfidenten von Maliewik. Die Ausmarkı Bramderfurg
von 1806 7 I80B. 4 Die Ehikaerung der Srpugefenatit ıim
‚Biel Amsfͤhrlichleit gerfspte mie / in meine Sugenbinge; und
it, hoͤchſtex Spannung, Wehmuthiumd Trauem ließ ich ieſe
Unptüdderinnerungan: durch meine Serle ziehen: : Ach: Bönmte
noch mandye Züge beibringen, Die in dem ſorgſam zuſammen⸗
‚getengenen: Burhe fehlen; üher: Beyme,ı Lombagd, - Stein,
“Hardenberg, Hapfeldt, ac... . Die -Depmtation. dar Rurman,ıDie
Ari Napoleon auf keinen, Durchreiſe 480% in Dyesden wm Gr,
Apichterung bat, iſt mir noch ſehr arinnerlich; uUmmitteſbar Nach
ihrer. Rüdlkepr ſah und ſprach / ich Herxn von MWülfnig,: das
‚Mitglied derfelben, ‚welches dad Wort geführt hattasıtabıdiefen
Mmaxliſche Edelmann den Kajlan-gebeten: hatir die: auf, Hebex
‚ganz pon Preußen weggunehmen und zu Weſtphaltn. zu ſchla—
gen, iſt von Baſſewitz nicht ewpaͤhnt / werdan,abet Thatfachd
Bir waren ale Reimer,Sochheiermocher. GCichhocn, Staats-
xath Schulen. äh: und erh Madre hieizar Wuth« datuber
empört! Diele, Namen, bei Baſſewitz ſind, unxichtig geisfrier
ben, *B. Die der Audilenre / des lStantatoths Moudetot Safe
auch ſogar detſche, be 3. Schalenburg⸗ Rähmert 1 anftatt
Kehyert. eg Po lloptu hin :atchnn
n Beim, Weilsslejen, im "Berke pam Baffetoißpifinde Ah
Th II. G. 135 folgende. den Her, pon: Wültnip -batveffende
Anmerkung ; „Ad dam, Comite der Bırmarkifchan: Stäntte
frat der ‚Rampmerhast, von Wuͤltnitz; gleich ach. geſchloſſenem
Landtage wegen Pripatvexhaͤltniſſen aus / und murde von der
Landtagedeputation mit, Pant, für feine gewandten Leiſtungen
auch. entlafen. ; Er Hand. FonibıdenFrangöhrfsh een
oberften Bebörden Imaerlin. fahren oda Auch
wurde von ihm behauptet, daß er fein Intereife
für die preußifhe Königsfamilie gehabt habe.” —
Add
Pl een ‚hr Ahmnertsipn.i hen MESSE...
v1; Nachmittags Befuch vom Epifenist.n Malen Eh
Behorderaug, zum Kamnrengerichtsraabt, Pllehen Das: Dergehr
der Verhreitang einen amierlänbken Deucſchrift; enerlaubt ik
ahgeſehen/ von allem Fnhalt.jpde Peicdex die Angabe de
Dyutherei vehlt. lie habs ich ein / Dengehen dadurch begengen,
daß sich. Die Schrift üher dran / Depeſthendrebſtahle det: Grafen
von * mitgethellt:s:diefen. daſſelbe Vergehen Weil er ſie einem
Better zugefhidt! Das heipt Verbreitung! ft das nid
unjinnig und kindiſch? Hiernach müßten Taufende von Per:
fonenyr unbe 'gwar ides höchſten· Ranges und ded würdigften
Karalters; wegen ;jemeriuuny Sicherispt nu Verlin gerichtlich
beſtraft merden! Naterlich/ wied das Gaſetz als vicht / vorhau⸗
ſden betrachte, ind. hchſtens Enmal in einem⸗beſandern· Fall
angewendet/ wo der Hakund Die: Bocmilligkeit: es fonbefn tb:
Der Arzt Dr. Haſſeb chahminngFichriftchenmherausgegeben,
„Dieicktan Stunden Sindeldan'd At: Der Ran at ṽᷣ eitel
Andi bachot lichypen amenẽ und ſo vſn croch ein Bortrogen / Der
König har bei: der Nachrichtu AiesHaſſel unnd Münchhauſen wer
fom lich ihan vonrſ Hinckeldey s End üherhracht, gzqammen/ind
‚agwetät satin Freund inte Matigeber fer ihm xFtriſſen, ot: ade
Sn jcdesmal igefreut ⸗wenn er nanäben: geſchenes Feigen
als habe ior / einen Vruder perlaren wı Dies kebtere' Meubermag
please Du hi, 1 es
to re Raubmordrin/der Beröbameriiiahe, ann Hauſe
eu Dundlenss— spielt di mar Tasig nt
sralen Bun? mn nn.r
AT main kl nieht um den 5
| Freitag, den 25. April 184915
— Die genumges alle: birgen: eine Vorneinuyg det Gerüchte,
dab Nornir als 1Geheimẽr Mahinetärhtty arrge ſtellt, werden foll
Damit ging te he: just Der Boltzeapräftdtdsnew Jedlitz umihte
dern Köhige Kon dem» Berücht: Anzeigee, und. bemerkte dabei,
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daffefte‘ mine den üneften"Etrdrud, da Nörner ein übel-
berüchtigter. Menfch-feii1 Der Konig ſJagte! dc denkeinicht
daran, - ih in's Ralaet;dursaregmen.?” 7: Zeblüg: meinte,
da ſeines wohl zwecutaßig, dem Gerüchte entſchieden zu wider⸗
Iptehens: „Thun Sie ks!“ ſagte ber Ktönigl Stieber mußle
De: Ungelge den⸗Keitungen zufertigenli. Aufangs! hatte Zedlitz
den Artikel mit ſeinem⸗Ramen unterzeichnen! wollew; unterließ
8: aber, weil dies gar zu flindlich⸗ auge fee huttn vr
PEN Pe ——— Zu nesmik Jod un in hip 79.7
5 n2 22 PURDET, Kerkoin met REN Cr
villa. 67 2 eur Smiadhend, ‚dan ——— "|
.. Ppolizeiſchikunen gegein Rupp's Sonmtagshlatt in: Königb⸗
bergy wahre Dacke md Geſetzverdaehumg. — in Magteburg
:Dagegansbat'das: Bericht das. Sonntagsblatt Ahlichis;, das faſt
ein Jahr nicht: erſchainen durfte Freigefprochen.: Abend’ wird
doch nicht erſchrinen iduͤrcfen, ſagt mai od Ti oc
Der: Domdechant Ritter in’ Bheölaw: zieht die tbeiden pro⸗
rteſtantiſchen Streiter Vunſen und: Stahl vor⸗ ſein latholiſches
Gericht durch ein Bucht dus: den⸗Ritkh, führt 4 Die ‚beiden
Diodkuren⸗ dor proteſtanbiſchen KiechehinDeutichkank::. Dt.
Banſen und Dr) Stahl.” Hirn fitfäclidg wird ‚aber iBunſen
mißhandelt,in eineo / Sprache, dieudes geimneinſten⸗Pfaffen |
würdig!ſt⸗iwurdig der Pobelhaften theologiſchon⸗d Etreis⸗
ſchriften früherer Zeiten, wo Jeſuitenn und Rapuziner
he Ichmutziges / Haubwell trieben: „Die: heutige Ephuer'ſche
Zeitung giebt Proben und Auszüge Denen: ad Gemeinheit
nichts gleich fommt, was-Proteftanten heutiges Tages gefchrie:
ben haben. Nichtewürdiges, hämifches, erzdummes Ge⸗
trätſch! — Ei 12 per
1 Den Konigumd dieSkönigin, find) nach Dpeäbenigerei. —
"5, Däß Der Ftiede / geſchlofſen iſt, dann märzfürıdewi Mugen:
ii; fehr diebuſein⸗zaber Ui jene Einzelheiten Tau ich
mich wuchrlich nicht befämametn ti. Alles was jeßt gefchiehtuhnt
446°
nur den Werth eines ‚Bebetganges, ,. einer Forderung | in "Ye
Zukunft ‚ man' muf ein armer! Teufel fein, ein gemeinet Yor:
liebnehmer vder Bortfeilfthet, un fh bei biefen Unlerwegi⸗
Elendigfetten aufzußlten, wohl gar ſich ðehaglie ‚in ihnen. zu
fuͤhlen.!Mle itallrigen Stägstäbkt" bed. hen üfigen Guropı
werben ihre Friedei omuße ſofoti aAftig dazu enupen, ſowell
nee’ NHöhfe gegen einander" fu wachen⸗ — ats, ‘and ‚befohibers
div Völker noch mehr 'ziı hedrüdten, die Sreipet zu geritören..
Schon hat Louis Vonaharte, der , — Angriffe
gegen Belgiens Preßfreiheit fallen laffen , wobei er diefe wohl
auch meint, mehr aber noch die engliſche. Hiezu werden die
Machthaber ſih gern. ‚Nereinigen,, und: darin ‚and ‚einig
bleiben til I
Manteuffel "ft vol pien in en, ein bei keiten
Bewunderer Louis ‚Bönapatte's , et vie "Wehen,
wirdihfeit, Ernſt, Scharfſinn, defien Beruf. zum Pr
als jet et zum Thron und auf dent, Thton geboten ‚Der.
„N:
Schwädling hat fih von dem m! imponie ei {a a Mi
ift gang "in der Ordnung. Et: {mpontike,, nicht Bloß den
Lumpen; ſondern auch wacetu Leuten, der nifer Mitokaus! u
Wer ſpricht jder ache vonwi g' And ven enn ‚Dieter Bouis |
Bonäpätte einſt fütkt; wie wet en ie SH mögen hervor |
ſprütelnen | Riemaiib nl ke! it Haben wpllen! —
‚d It N ' Zr
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Auer er TEE hr, ITR Tee use Neontag den Iag: —
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Der Romaͤn Sophiens Bee ihn M an —* de .
hatte füt feine‘ Zeit heisig‘ viel, Berbien üches ; et,
Geſchicklichkeit "und Cinfihf aßge ab, mi ae
Zeithenoſſen nicht? fondern belehrt fie, Ke'an, treibt
j A
vorwärts, Die Im über den 3 weitampf 4 ‚über. den
thuiit ſind cuch heute ko Mae we —* — 525— De
erſten Bade fagt’ ga —26 Kim‘ en Fr, 1 schöte kein Yun
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447
Reichthum nicht, was von Proudhon’&.la, propriefe: e,eat la,
vol nicht‘ weit abtiegt,, ‚Son, ft der. Untepjieb. ‚her Sitten
und der Denhingdart von. dgmalg. und, jetzt ‚amgeheuer, groB, :
Aber auch für. die, Spia giebt ed mancherlei bier anzur
metfen.. . & fommen Yusprüge, ‚vor, wien Korjnthenbali —
ein ‚geringer, bei ‚Heinen Leufen, — wiß ⸗ Kilellalel“, die ich
wohl gehört, Aber nie gedruckt ‚gefeben., (v Kitelkatel! ‚da wird
was werden!“ pflegte Frau ı von Heygen dorf „zu fagen. Fr Ben:
fie — ihun wollte, was man, nicht, thunlich exgchtete) mr.
Hp sh
ELED —* m ug teen J sh, it Bundy
t
* 351 Km orhlin
° „ori. Ban
J Diengigg den 29. pri 18A64. „irn
eben die —— von Paris, Bauwerke und
andre große Unternehmungen Louis Bonaparte s. Gyaſtifür
Paris und Frankreich kaum mehr, alz was Hinckeldey für -
Berlin und, Preußen war, nur etwa io, viel mehn, doß R 10707
wohl. ihn einen Hinckeldey , aber, 206 nigt Hingeldey einen, ,
Louis Bonäparten nennen darf.“ — hl atir
"Die Ftanzofen ſchiafenz w ern fie wieder wach werden,
dann wird. man große Thaten Ichen! Die Denticpen [hlafen.
und. träumen, lehleres pflegen.fie auch wach fortzufeßen.
Der Geheime Kabinetsrath Niepuhr reißz nach Italien auf
längere Zeit: "Seine ‚Stelle. bleibt ,. ſcheinhqt wenigſtens,
unbeſetzt; abet" Nörnet hat wirklich offenen Zutritt beim
Könige und hält ihm Vortrag. —
Der. Feldmarſchall Graf. zy,Dohna, zugleich Oberfttämme:
ter, bat zu einem Freunde geſagt, ed bleihe ‚für einen Damm,
der feine Ruhe und Ehre liebt, aipte übrig, als ſich vom /Pofen
zuruückzuziehen. ler „denke Ye dqign. ſebthfr hinehen ip.
ſchwer auch manche Bande Mu u löfen feien , pi en vr I.
Hielten. - —
"Der treffliche Atzt, und, Anatom Prol ſot Biden. der.
durch die Neaftion von ‚bier bertrieben wurde und. einem Rufe
448
nah Würzburg folgte, foll hieher zurüdberufen werden; man
will ihm eine Beſoldung von dreitaufend Thalern geben. Wan
jagt, Schönlein und Humboldt hätten died beim Könige dırk
gefegt, wider den Willen des Kultusminifterd von Raumer. —
Mittwoch, den 30. April 1356.
Nachmittags gefchrieben. Unterbrechung durch den Bauh
Bettina’d von Arnim. Sie Magte fehr über Mattigkeit, ie
könne nicht mehr fort, der Kopf fei ihr wüft, die Hände wer:
fagten zum Schreiben den Dienft, fie müffe fich ſchonen, fünn
ed aber nicht, und täglich fomme neuer Berdruß. — Darauf
ſprach fie von ihren Abfichten auf den König, ſowohl für ihr
Goethedentmal ald für die Tiziankopie Ratti's, von dem
Briefe, den fie an Humboldt fchreiben will,
Unſre Landtagdverhandlungen find ſchamlos gemein und
niedrig. Für Prügelftrafe, für jede Härte und Befchränfung,
für das fchreiendfte Unrecht ift jedesmal, wenn niht De
Miniiter felbit ed hindern, die Stimmenmehrheit da! Nichte
ald Partheigeift, Eigenfucht, Heuchelei, Unwiſſenheit md
Dummheit! Wenn Preußen nad) Diefer Vertretung ber
theilt würde, jo wäre es dad lekte Land Europa's, weit zurüd
in aller Bildung, Einfiht, Gefittung. Gradezu die Grund
ſuppe ded vornehmen Poͤbels, der Abſchaum der Mittels
Haffen, ift hier beifammen. Ueber die gerechteften Beſchwer⸗
den geht man mit den nichtigften, in andern Fällen nicht
gebrauchten Borwänden zur Tagedordnung; der traurigfle
Ernft wird verlacht. Die Prügel, weldhe die Halunken aus
theilen wollen, verdienen ſie ſelbſt. —
Der König ift von Dresden wieder zurüd.
Drud von Otte Wigand In deipgtg
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