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Aus den emoiren einer, Hürslentothler.
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Prinzefjin Amalie von Sachfen.
Nach dem Gelbilde von L. Geyer.
Aus den
Memoiren einer Fürſtentochter.
Von
Nobert Waldmüller
(Ed. Duboc).
Mit einem Holzfhnitt-Portrait.
Dresden
Druck und Verlag von C. C. Meinhold & Söhne
Königl. Hofbuchdruckerei.
1883.
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Lebensſkizze
Znhalt.
Aus den Tagebüchern.
Die Kindheit (1794 — 1810).
Erſte Jugendzeit (1810-1813)
Fluchtreiſe (Februar bis Juni 1813)
Wieder daheim (Juni bis November 1813) .
In der Fremde (November 1813 bis Juni 1815)
Nach wiederhergeſtelltem Frieden Aut 1815 bis
Februar 1819) ;
Erſte italieniſche Reiſe (Februar bis August 1810
Zweite italieniſche Reiſe (1820 — 1821)
Die ſpaniſche Reife (1824 — 1825)
Königin Joſepha
Weiteres über Spanien
Nach Paris.
Die Rückreiſe
Die ſpäteren Jahre
Seite
Einleitung.
3. dem handſchriftlichen Nachlaſſe der Prinzeſſin Amalie
von Sachſen, der im Jahre 1870 verſtorbenen Schweſter
des Königs Johann, haben ſich zwölf Bände Tagebücher
gefunden. Dieſelben umfaſſen ihre ganze Lebenszeit, alſo volle
ſiebenzig Jahre, beſchränken ſich aber, ſoweit ſie über heimiſche
und häusliche Vorgänge berichten, zumeiſt auf ganz kurze
Notizen. Ausführlicher werden ſie, wo es ſich um Reiſe—
Erlebniſſe und Reiſe-Eindrücke handelt, und da Prinzeſſin
Amalie zu mehreren Malen Frankreich beſuchte, ſechs Monate
in Spanien verlebte, zehnmal in Italien war und überdies
eine Menge Ausflüge in Deutſchland und Oſterreich machte,
ſo bietet dieſer Teil ihres Tagebuchs, das ja ohnehin fort—
während aus ſonſt wenig zugänglichen Sphären berichtet, eine
intereſſante Ausbeute. — Dieſelbe würde noch ergiebiger ſein,
hätte Prinzeſſin Amalie mit ihren Notizen anderes beabſichtigt,
als für ſich ſelbſt ein Nachſchlagebuch zu ſchreiben. Für ſolchen
Zweck brauchte es beiſpielsweiſe beim Erwähnen von Perſonen,
die ſie ſah oder mit denen fie ſprach, nur einer kurzen Namens—
notiz; im Übrigen durfte ſie ſich auf ihr gutes Gedächtnis
verlaſſen. So hält ſie die äußere Erſcheinung Goethes, der
ihr in Karlsbad zu Geſicht kommt, nur mit ganz wenigen
Worten feſt. Napoleon und ſeine berühmten Generäle, der
kleine König von Rom, der Jüngling Louis Napoleon, Karl X.
von Frankreich, der Herzog von Orleans (Louis Philipp),
Ferdinand I. von Neapel, Ferdinand VII. von Spanien,
1
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Karl Auguft von Weimar, die Päpſte Pius VII., Gregor XVI.,
Pius IX., der Kardinal Antonelli, Nelſon, Taillerand, Metter-
nich, Waſhington, Irving, Scribe, Fürſt Pückler, Tieck, Rumohr
und ſehr viele andere namhafte Leute, mit denen ſie ſich be-
rührte, faft alle finden in dem Tagebuche keine eingehendere
Schilderung.
Freilich, wo hätte Prinzeſſin Amalie die Zeit hernehmen
ſollen, um auch für alles das zu ſorgen, was die Nachlebenden
jetzt in dieſen Blättern vermiſſen? Ein loſes Blatt hat ſich
unter ihren Papieren erhalten, darauf ſind die mehr oder weniger
zu hiſtoriſcher Bedeutung gelangten Perſonen zuſammen gezählt,
die ſie in ihrem langen Leben kennen lernte; das Regiſter ſum⸗
miert deren 398 auf. Noch zahlreicher ſind die namhafteren
Städte, die ſie beſuchte; es ſind ihrer 472.
Wie jene Seite des Tagebuchs eine dürftigere iſt, als man
es wünſchen möchte, ſo kommen durch dasſelbe auch die inneren
Erlebniſſe der Prinzeſſin nur zum kleinen Teil in eine wirklich
helle Beleuchtung. Über ihr vielſeitiges muſikaliſches und über
ihr dichteriſches Schaffen geht das Tagebuch faſt mit Still⸗
ſchweigen hinweg; im Gleichen über ihre Lieblingsſchriftſteller.
Was war ihre Lektüre? An welchen Muſtern hat ſie ſich ge⸗
bildet? Kaum finden ſich darüber ſpärliche Andeutungen. Und
wie fügte ſich's, daß ſie, die ſo reich Beanlagte und mit ſo
warmer Herzlichkeit Ausgeſtattete, ihre Schweſtern eine nach der
anderen zum Traualtar geleitete, während ſie ſelbſt unvermählt
blieb? Auch von dieſem Geheimniſſe ihrer Bruſt wird der
Schleier nicht gelüftet.
Dennoch hat das wiederholte Studium jener vergilbten und
in ihrer Art einzigen Blätter immer von Neuem den Wunſch
in mir erweckt, daß für die Mitteilung derjenigen Aufzeichnungen,
denen ein allgemeineres Intereſſe inne wohnt und die, zugleich
1
mit der Ergänzung des Bildes der Verfaſſerin von „Lüge und
Wahrheit,“ auch einen Beitrag zur Geſchichte ihrer Zeit bieten,
früher oder ſpäter eine paſſende Form gefunden werden möge.
Es galt, den weitſchichtigen Inhalt auf das kleinſte Maß zu-
ſammen zu drängen, durch Zuhilfenahme von Briefſchaften
manche perſönliche Beziehungen der Prinzeſſin deutlicher zu ver-
anſchaulichen und hier und da den großen hiſtoriſchen Hinter—
grund durchſchimmern zu laſſen, vor welchem die Erlebniſſe der
Prinzeſſin ſich vollziehen.
Vergegenwärtigt man ſich, daß ihre Jugendjahre in die
traurigſte Epoche fallen, von welcher die neuere deutſche und
in Sonderheit die neuere ſächſiſche Geſchichte weiß, ſo wird
man die delikate Seite der hier zu löſenden Aufgabe nicht
unterſchätzen. Es darf aber wohl ausgeſprochen werden,
daß die Wiederaufrichtung des deutſchen Reichs in Sachſen
mit ganz verwandten Gefühlen begrüßt worden iſt, wie ſie
vor allem denjenigen deutſchen Landſtrichen natürlich waren,
die von dem unruhigen Nachbar unſerer Weſtgrenze immer am
unmittelbarſten bedroht wurden, denn ſchlimmer noch als jene
hat Sachſen, obſchon im Herzen Deutſchlands liegend, von den
Zeiten der Fremdherrſchaft und ihren Folgen zu leiden gehabt.
Was dieſe Fremdherrſchaft, die aus der deutſchen Zerriſſenheit
mit Notwendigkeit entſprang, auch über die Verfaſſerin des
Tagebuchs und ihre Angehörigen an Heimſuchungen und
Schmerzen brachte, wird ſich denn jetzt wohl mit vorurteilsfreier
Teilnahme leſen laſſen.
Mit Genehmigung Sr. Majeſtät des Königs Albert habe
ich daher den Verſuch der in Rede ſtehenden Arbeit unter—
nommen, und ſolcher Art wird die von mir der Geſamtaus⸗
gabe der dramatiſchen Werke der verewigten Prinzeſſin voraus⸗
geſchickte Lebensſkizze derſelben eine Vervollſtändigung erfahren.
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Den Wiederabdruck jener Skizze hat mir der Verleger der Ge-
ſamtausgabe bereitwilligſt geſtattet. Sie folgt als Anhang.
In einem einzigen Punkte hätte vielleicht Veranlaſſung zu einer
kleinen Überarbeitung der Skizze vorgelegen. Ich fühle mich
aber nicht dazu berechtigt, da der hochſelige König Johann ſie
ſeiner Zeit mit großer Sorgfalt durchgeſehen hat. Von ihm
unterſtrichen worden iſt dabei noch ausdrücklich die Stelle, wo
Seiner Selbſt mit den Worten Erwähnung geſchieht: „der ihr
(der Prinzeſſin) am innigſten naheſtehende ihrer Brüder.“ Wer
hätte das Bild ſeiner geliebten Schweſter beſſer vor fremden
Zügen behüten können, als dieſer ihr Bruder? In allem Weſent⸗
lichen richtig muß die Lebensſkizze daher ſein, wie die Lektüre
des Tagebuchs dies auch beſtätigt. Fraglich allein bleibt mir
— und das iſt jener vielleicht zu berichtigende Punkt — ob ich
damals auf eine Außerung des Königs, wonach Prinzeſſin
Amalie keinen ſonderlich ausgeprägten Sinn für Naturſchön⸗
heiten und für Gegenſtände der bildneriſchen Kunſt gehabt habe,
nicht in der Wiedergabe dieſer Bemerkung zu viel Betonung
legte. Namentlich Kunſtwerke ſtudierte die Prinzeſſin, wie jetzt
aus zahlreichen Partien ihres Tagebuchs hervorgeht, nicht allein
mit Fleiß — der war ihre andere Natur — ſondern auch mit
Liebe, und wo die landſchaftlichen Reize einer Gegend zu rühmen
ſind, überſieht ſie dieſelben ebenſo wenig. Möglich, daß ſie dem
ſieben Jahre jüngeren Bruder in früher Zeit bei ſeinem enthu⸗
ſiaſtiſchen Aufnehmen ſolcher Genüſſe nicht genug that; auf alle
Fälle mußte ſie dieſen Freuden in dem Maße entfremdet werden,
wie die Abnahme ihrer Sehkraft in ſpäteren Jahren die Welt
für ſie in Schatten hüllte. Und ſo wird es genügen, hier auf
jenen Paſſus der Lebensſkizze als auf einen der Milderung be-
vdürfenden hingewieſen zu haben.
Zur Orientierung.
— —
ie Tagebücher der Prinzeſſin Amalie beginnen mit dem
Tage ihrer Geburt, den 10. Auguſt 1794. Man wird
die damalige ſächſiſche Reſidenz ſich vor allem als noch
durch Feſtungsmauern und Gräben eingeengt vorſtellen müſſen.
Heute hat Dresden gegen 220,000 Einwohner. Im vorigen
Jahrhundert wurden noch keine genauen Zählungen vorge—
nommen. Geſchätzt wurde Dresdens Bevölkerungsziffer Anno
1757 auf 63,200; nach dem ſiebenjährigen Kriege auf 45,000;
Anno 1791 auf 54,920; hinwieder 1809 auf nur 53,000. Der
Mittel, wie man zu dieſen durchweg ungenauen Ziffern gelangte,
waren verſchiedene. Zu ſehr irrigen Schlüſſen führten jeden-
falls die auf die jährlichen Sterblichkeitstabellen ſich ſtützenden
Bevölkerungs-Schätzungen. Auch dieſe Methode wurde aber
noch vielfach angewandt; ſo rechnet z. B. Süßmilch: Anno
1750 ſtarben 2150, folglich war die Totalzahl der Bevölkerung
60,200. In dem Geburtsjahre der Prinzeſſin, Anno 1794,
mag Dresden, wenn obige Angaben einigermaßen zutreffen,
etwa nur den vierten Teil ſeiner jetzigen Seelenzahl gehabt haben.
Im Einklange damit waren die Vorſtädte nur erſt von
geringem Belang, konnten auch, nach den im dreißig- und im
ſiebenjährigen Kriege über ſie hereingebrochenen Verheerungen,
zu regelmäßiger Bebauung nicht wohl als geeignet erſcheinen.
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Wie wenig man ſich gegen die Wiederkehr ſolcher Zeitläufe ges
ſichert glaubte, beweiſt das Scheitern der großartigen Pläne
Auguſt des Starken in betreff Neuſtadt-Oſtras, der ſpäteren
Vorſtadt Friedrichſtadt. Noch heute liegt die damals in dem
vermeinten künftigen Mittelpunkt der Vorſtadt erbaute Kirche
faſt an dem äußerſten Ende derſelben.
Dennoch hatte die Engigkeit der Feſtung dazu genötigt, daß
inmitten der vorwiegend kärglichen Bauwerke der Vorſtädte
auch hier und da Monumentalbauten ihren Platz fanden; ſo
im Norden der Stadt auf der Friedrichſtraße in einem urſprüng⸗
lich von der Fürſtin von Teſchen angelegten Garten das große
Brühlſche, ſpäter Marcoliniſche Palais mit der ſehenswerten
Kaskade Matiellis; im Weſten dann das umfangreiche, von
der Königin Maria Joſepha auf der Plauenſchen Gaſſe gegrün⸗
dete Joſephinenſtift; im Süden das Moseinskyſche Palais,
deſſen prächtiger Garten bis an den Dohnaſchen Schlag reichte;
im Oſten endlich der Zinzendorfſche Garten, aus welchem im
Jahre 1764 der Chevalier de Saxe den jetzt zur Sekundo⸗
genitur gehörigen Park mit dem ſogenannten Antonſchen
Sommerpalais entſtehen ließ; und jenſeits der dies Beſitztum
in öſtlicher Richtung begrenzenden Wieſen und Felder der
„große Garten“ mit ſeinem unter Johann Georg II. be⸗
gonnenen und unter ſeinem Nachfolger beendeten Palais. Im
Verſchwinden begriffen war bereits der italieniſche oder türkiſche
Garten, welcher von der Plauenſchen Gaſſe bis in die heutige
Prager Straße reichte, unter Auguſt dem Starken der Mittel⸗
punkt glänzender Luſtbarkeiten geweſen war, und nach den Ver⸗
wüſtungen, die der ſiebenjährige Krieg über das dortige Schlöß-
chen verhängt hatte, ſich in kleinere Privatbeſitze auflöſte.
An ſonſtigen außerhalb der Feſtung gelegenen Gebäuden
wären noch zu erwähnen: das Waiſenhaus (1768), die Waiſen⸗
ie —
hauskirche (1780), die Johanneskirche (1795), die Annenkirche
(1769, bis 1821 noch ohne Turm), endlich das kleine Max⸗
Palais, von dem Architekten der katholiſchen Kirche, Chiaveri,
urſprünglich als ſein eigenes Wohnhaus erbaut und von dem
ſogenannten Herzogin-Garten durch die Oſtra-Allee getrennt,
deren im Jahre 1747 durch den beliebten deutſch-franzöſirenden
Reimſchmidt Oberpoſtmeiſter Trömer gepflanzte 200 Kaſtanien⸗
bäume gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der ganzen dor—
tigen Vorſtadt zur Zierde gereichten.
Dieſe Kaſtanien-Allee führte auf das „große Gehäge“ zu,
deſſen vier ſtattliche Linden⸗-Doppel⸗Alleen ſich vor dem am anderen
Elbufer gelegenen, von Auguſt dem Starken „auf perſianiſche
Art“ erbauten Luſtſchloſſe Übigau wie ein laub- und wipfel-
reicher Wald ausbreiteten. Im Mai 1728 ging von Übigau
jene mit 18 Kanonen und 188 Bootsleuten armierte Flotille
aus, welche den König Auguſt und ſeinen älteſten Sohn, ſowie
ihr zahlreiches Gefolge, unter „Trompeten-, Pauken⸗, Haut⸗
boiſten⸗ und Waldhorniſten-Klängen“ in drei Tagen elbabwärts
nach Wittenberge brachten, von wo aus die Weiterreiſe nach
Potsdam nach zwei Ruhetagen zu Lande angetreten wurde.
Fehlte es ſolcher Art der Umgegend der Feſtung nicht an
Gärten und freundlichen Ausblicken, ſo würden dafür, wie ſchon
erwähnt, die dortigen bürgerlichen Wohnungen, alſo die Vor—
ſtädte überhaupt, manches haben vermiſſen laſſen, was nach
geſicherter Behäbigkeit ausſah. Dieſe Stadtteile waren zwar
mit Palliſaden umgeben und ſeit 1778 auch durch Schanzen
einigermaßen verteidigungsfähig gemacht; es konnte aber, wie
es der Kommandant der preußiſchen Beſatzung Dresdens im
Jahre 1758 gethan hatte, unter ähnlich ungünſtigen Kriegs—
läufen wiederum die Drohung ausgeſprochen werden: Beſchieße
man die Feſtung, ſo werde ſeitens der Beſatzung darauf mit
— 8 —
Niederbrennen der Vorſtädte Beſcheid gegeben werden. Und
brennen, das konnte man ſich ſagen, würden ſie ſchon, war es
doch erſt ſeit 1790 in Sachſen verboten, innerhalb der Städte
die Häuſer mit Stroh oder mit Schindeln zu decken und konnte
das Verbot doch auf die Vorſtädte noch jo gut wie keine Wirk—
ung geäußert haben. Auf den Stadtplänen aus jener Zeit be⸗
gegnet man denn auch außerhalb der Feſtung Straßennamen,
die zu keinen großen Erwartungen berechtigen; ſo vor dem
Wilsdruffer Thore dem Schinderſteg, dem Rabenſtein, der
Hundegaſſe, dem Kuttelhof, der Entenpfütze und dergleichen un-
liebſamen Bezeichnungen mehr. Auch der Name Jüdenteich
ſollte nach damaligen Begriffen dem Teiche, welcher auf dem
ſchönen heutigen Georgplatze unweit der Kreuzſchule den Zufluß
aus dem Kaitzbache (damals Kaiditzer Bach) ſammelte und damit
die Feſtungsgräben ſpeiſte, ſchwerlich zur Empfehlung dienen;
datieren die Bürgerrechte der Israeliten in Dresden und Leipzig,
und zwar in ſehr beſchränkter Weiſe, doch erſt vom Jahre 1838
und war ihnen doch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts
nicht einmal erlaubt, ihre Toten im Lande zu beſtatten, weshalb
dieſelben nach Teplitz geſchafft wurden.
Was jene Feſtungsgräben betrifft, ſo hat man ſie ſich dort
zu denken, wo jetzt die Moritz⸗, die Johannes- und die Friedrichs⸗
Allee allſommerlich im Platanenſchmucke prangen, ebenſo längs
der Nordſeite des Zwingers bis zur Elbe hin. Die Weber⸗,
Zahns⸗ und Scheffelgaſſe mündeten unmittelbar auf den Wall.
Die Wilsdruffer ſchloß mit dem Wilsdruffer Thore ab, auf
deſſen Walle die Sängerin Albuzzi in dem ihr von Brühl ver⸗
ehrten Gartenpavillon einſt heitere Stunden verlebt hatte; die
Seegaſſe endete mit dem Seethore, die Pirnaiſche (jetzt Land-
haus⸗) Gaſſe mit dem Pirnaiſchen Thore, deſſen oberer Teil
ſeit 1780 für die Baugefangenen und Eiſenſträflinge aus dem
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Gefängniſſe der Salomonis-Baſtei zu einer Kirche eingerichtet
worden war, der ſogenannten Feſtungsbaukirche. Die Feſtungs—
mauern, von denen die Brühlſche Terraſſe noch die einzigen
belangreichen Überbleibſel aufweiſt, waren von ſieben Baſtionen
flankiert. Diejenige der Brühlſchen Terraſſe hatte vordem
ſchlichtweg Jungfern-Baſtion geheißen, war dann aber, dem
veränderten Zeitgeſchmack entſprechend, in Venus-Baſtion um⸗
getauft worden, und ebenſo ſchmückten ſich die anderen ſechs mit
den Namen: Sol, Luna, Mars, Mercurius, Saturnus und
Jupiter. Die Terraſſe ſelbſt hieß zu Ende des vorigen Jahr—
4 hunderts noch Brühlſcher Garten, entbehrte der Freitreppe —
dieſelbe wurde erſt 1814 angelegt, wo dieſer ſchöne Punkt des
Elbufers, ebenſo wie der „große Garten,“ überhaupt erſt allgemein
zugänglich wurde — und ſchloß nach Oſten mit dem im Jahre
1751 von Brühl erbauten und acht Jahre ſpäter auf Friedrich
des Zweiten Befehl „de fond en comble“ zerſtörten Belvedere
ab, in deſſen Stelle 1843 das jetzige Vergnügungslokal gleichen
Namens getreten iſt; das jetzt von der Dreißigſchen Sing—
Akademie benutzte Lokal im Rücken des Belvedere war einſt
das, auch von Auguſt III. und ſeinem Hofe oft beſuchte Privat-
theater Brühls. Das kurfürſtliche Schloß hatte zu Ende des
vorigen Jahrhunderts ſo ziemlich ſein heutiges Ausſehen; ſeit
1778 war der Turm desſelben, den im 18. Jahrhundert acht—
mal der Blitz getroffen hatte, mit einem Blitzableiter verſehen
worden, dem erſten, deſſen ſich Dresden rühmen konnte, nach—
dem Hamburg neun Jahre früher den erſten Blitzableiter in
Deutſchland auf ſeinem Jakobiturm aufgerichtet hatte. Von den
Schloßfenſtern oberhalb des Georgenthors ſah man wie heute
zur Rechten auf das ehemals Fürſtenbergſche Palais, das
heutige Finanzgebäude, welches bis. 1791 die von Kurfürſt
Friedrich Chriſtian ins Leben gerufene Kunſtakademie beher—
*
bergte, von wo aus ſie in ihr jetziges Lokal, die vormalige
Brühlſche Bibliothek auf der Terraſſe, verlegt wurde; zur
Linken erblickte man die prächtige katholiſche Kirche Chiaveris
mit ihrem reichen Statuenſchmuck, aber ohne Turmglocken —
erſt durch den Poſener Frieden vom Jahre 1806 wurde der
katholiſchen Gemeinde das Recht des Glockenläutens —; und
geradeaus ſchweifte das Auge über die beiden Thore, welche
durch den Wall nach der alten Elbbrücke führten. Auf einem
der Brückenpfeiler glänzte im Sonnenſcheine das große vergoldete
Kruzifix, welches die hohe Flut ſeitdem, und zwar im Jahre
1845, in das Bett des Stromes begraben hat.
Auf der anderen Seite der Kirche ſtand unweit des
„italieniſchen Dörfchens“ — des kleinen, aus der Bauzeit der
Kirche datierenden Komplexes unſcheinbarer Uferhäuschen —
das im Jahre 1783 erweiterte und 1793 mit einer großen Vor⸗
halle verſehene, urſprünglich Morettiſche, als Opern- und Schau⸗
ſpielhaus benutzte Gebäude, welches vom Jahre 1755 an bis
zum Jahre 1838, wo es durch das Semperſche Theater erſetzt
wurde, diejenige Bühne Dresdens geweſen iſt, an welche ſich
die meiſten theatraliſchen Erinnerungen knüpfen.
Als ein Teil des nahen Zwingers, welcher letztere nach den
Verwüſtungen des Krieges bis zum Jahre 1794 in Reparatur
geweſen war, iſt noch das von Pöpelmann im Jahre 1718
erbaute große Opernhaus zu erwähnen, in welchem einſt die
koſtſpieligen Ausſtattungsopern, vor allem Haſſes, ſo viele
Bewunderer gefunden hatten, das aber im Jahre 1782 in einen
Redoutenſaal umgewandelt worden war.
An ſonſtigen Prachtgebäuden enthielt das innere Dresden
im letzten Jahrzehnt, mit Ausnahme des Muſeums und einiger
anderer monumentaler Gebäude neuerer Zeit, ſo ziemlich ſchon
»
TFP
alles, was vielen ſeiner Straßen, trotz ihrer Enge, noch heute
ein ſo unverkennbar auf Zeiten des Glanzes und der Uppigkeit
zurückdeutendes Anſehen giebt, und manche einſt dem Luxus
gewidmet geweſenen herrſchaftlichen Paläſte hatten auch ſchon
unter dem Drucke der haushälteriſcher gewordenen Zeit eine
andere Beſtimmung erhalten. Das 1760 zerſtörte Flemming⸗
ſche, ſpäter Orſelskaſche Palais, in der jetzigen Landhausſtraße,
war durch den Oberlandbaumeiſter Krubſacius 1775 neu er-
baut und im ſelben Jahre den Ständen überantwortet worden.
Im Erdgeſchoß des Brühlſchen Palais auf der Auguſtusſtraße
befand ſich ſeit 1776 die Niederlage des Meißner Porzellans.
Das ſogenannte Kurländer Haus am Zeughausplatze, zuerſt
dem General Wackerbarth, dann dem Chevalier de Saxe und
endlich dem Prinzen Karl von Kurland zu eigen geweſen, hatte
die Regierung aus dem Nachlaſſe des letzteren im Jahre 1798
gekauft. Das Zeughaus ſelbſt war erſt im Jahre 1747 in
ſeiner heutigen Form als Neubau fertig geworden, nachdem das
frühere Zeughaus, während der König Friedrich Wilhelm I. von
Preußen daſelbſt beim General Wackerbarth Quartier genommen
hatte, in Flammen aufgegangen war. — Die beiden proteſtanti—
ſchen Hauptkirchen der inneren Stadt, Kreuz- und Frauen-
kirche, hatten ſchon das heutige Ausſehen; die im ſiebenjährigen
Kriege zuſammengeſchoſſene Kreuzkirche war ſeit 1792 wieder
erſtanden. Die Sophienkirche hatte nur erſt einen Turm. Die
Gemäldegalerie befand ſich in dem oberen Teile des ſogenannten
Stallgebäudes — des heutigen Johanneums —, deſſen große
„engliſche“ Freitreppe von Reiſenden viel bewundert wurde.
Wer das heutige Altſtadt-Dresden kennt, wird hiernach
ſich ungefähr in die Zeit verſetzen können, mit welcher das Tage-
buch der Prinzeſſin Amalie beginnt.
Auf dem rechten Elbufer, deſſen bebauter Teil, „die Neu—
ſtadt,“ urſprünglich den Namen „Alt-Dresden“ führte, hatte
der verheerende Brand vom Jahre 1685 in ſolchem Grade
aufgeräumt, daß außer dem Jägerhauſe, dem Rathauſe und
etwa zwanzig am Ufer gelegenen Häuſern alles Übrige in Schutt
und Aſche verwandelt worden war. Mit dem Wiederaufbau
ging es langſam, ſo langſam, daß noch im Jahre 1714 denjenigen,
die daſelbſt wüſte Plätze bebauen würden, zehnjähriger Erlaß
der Schock- und Quatemberſteuern zugeſichert wurde. Auch
dieſe Vergünſtigung ſchlug aber noch nicht an, und ſo erfolgten
denn in den Jahren 1724 und 1732 weitere bis zu fünfzehn⸗
jähriger Steuerbefreiung geſteigerte Erlaſſe. Von dem Jahre
1732 datiert denn auch die Verfügung, nach welcher dieſer
ſolcher Art im Neubau begriffene Stadtteil „Neuſtadt“ zu be⸗
nennen ſei.
Aus dieſer Periode ſtammen die Verbreiterung der Elb-
brücke, das ſchon erwähnte vergoldete Kruzifix auf dem fünften
Pfeiler derſelben, das ſogenannte Pyramidengebäude — nämlich
die neue Hauptwache neben der Brücke —, die neue Dreikönigs⸗
kirche nach Forträumung der mitten in der Promenade der
Hauptſtraße gelegenen alten — der Turm datiert erſt vom Jahre
1853 —, endlich die jetzt nicht mehr vorhandenen tiefen Waſſer⸗
gräben um die Wälle dieſes Stadtteils, das großartige Militär⸗
lazarett und die noch umfangreicheren Kaſernen in der Haupt⸗
ſtraße. Kurz zuvor ſchon war der Prachtbau der Ritter⸗
Akademie in Angriff genommen worden und ebenſo der er-
weiternde Umbau des ſogenannten japaniſchen — urſprünglich
holländiſchen — Palais, Unternehmungen monumentaler Art,
welche der Neuſtadt ein gewiſſes einheitliches Gepräge gaben
und mit den Namen der Architekten Pöpelmann, Bähr, Knöfel
und Bodt dauernd verknüpft bleiben. Das Reiterbild Auguſt
des Starken, des eigentlichen Schöpfers dieſes einſt ſo ärmlich⸗
er
unanſehnlich geweſenen Stadtteils, wurde zwei Jahre nach
ſeinem Tode, alſo 1735, aufgeſtellt.
Wo hat man ſich nun die Grenze der damaligen Neuſtädter
Feſtung zu denken? Zunächſt gleich jenſeits der alten Kaſerne;
unmittelbar hinter dieſer, als Abſchluß der Hauptſtraße, erhob
ſich der Feſtungswall, ſtand das ſogenannte ſchwarze Thor;
ein zweites Thor, jenſeits des japaniſchen Palais gelegen, hieß
das weiße Thor und führte gegen Weſten ins Freie. Auf der
Elbſeite gab es dann noch das obere und untere Wieſenthor.
Das ſchwarze Thor war Anno 1715 das Ziel einer förmlichen
Völkerwanderung geweſen: Die Chroniſten berichten von 20,000
Menſchen, die am 8. März zum ſchwarzen Thore gewallfahret
ſeien, um draußen auf der Richtſtätte Lips Tullian, einen ge—
borenen Dresdner, und vier ſeiner Spießgeſellen aufs Rad
flechten zu ſehen. Im Jahre 1732 wurde die Richtſtätte unter
großen Feierlichkeiten weiter nach dem Walde hinaus verlegt.
Da draußen alles eitel Sandboden war, ſo hat es lange
gedauert, ehe ſich Neigung zum Anſiedeln einſtellte. Die Juden—
ſchaft erhielt ihren Begräbnisplatz ſomit „auf dem Sande“
angewieſen. 1734 entſtanden „Kammerdieners,“ 1738 „die
grüne Tanne,“ 1748 „der goldne Löwe“. Auch die Anfänge
des Linckeſchen Bades fallen in dieſe Zeit und das dortige
Komödienhaus wurde 1776 von der Seilerſchen Truppe ein—
geweiht. Gegen Ende des Jahrhunderts ſtanden etwa hundert
Häuſer auf dem Sande. Weiter elbaufwärts hatte Marcolini
durch Anlage einer ausgedehnten Meierei — ſie reichte bis zum
jetzigen Waldſchlößchen — die Gegend urbar zu machen be—
gonnen.
Übrigens fehlte es zu keiner Zeit in der Umgegend
Dresdens an ſchattigen Alleen. So oft die Kriegsverwüſtungen
auch unter ihnen aufgeräumt haben, immer wuchs neuer Erſatz
— 1
empor, und zu Ende des Jahrhunderts hatte dieſer grüne Kranz
der vielumworbenen Feſtung mehr Fülle, als vielleicht jemals
früher, waren doch ſeit dem letzten großen Kriege faſt vier
Jahrzehnte ins Land gegangen. Auch die Wälle der Altſtadt
waren nicht ohne den Schmuck freundlicher Anlagen, obſchon die
meiſten der dort vor Ausbruch des ſiebenjährigen Kriegs aus
der Erde gewachſenen Wohnſtätten nicht mehr in ſonderlichem
Zuſtande ſein mochten. Des Gartenpavillons der Sängerin
Albuzzi geſchah ſchon Erwähnung. Die Brühlſche Periode,
wie ſie dem Angenehmen vor dem Nützlichen überhaupt
ja den Vorzug gab, hatte ſich's angelegen ſein laſſen, auch
das Schwert mit Blumen zu umwinden, und dem ent⸗
ſprechend das allzu martialiſche Anſehen der Stadt durch ge—
fällige Anlagen zu mildern. Verſchenkt worden waren zu ſolchem
Zwecke durch königliches Reſkript vom Jahre 1749 zu erb⸗ und
eigentümlichem Beſitz und Nutzen ſowohl die Plätze auf dem
Walle, wie an der Contre-Escarpe rings um die Altſtadt,
und zwar erhielt Graf Brühl damals den an den ſogenannten
Brühlſchen Garten grenzenden Teil, der bis an die Ober⸗
zeugmeifter- Wohnung reichte; der Chevalier de Saxe erhielt
die Strecke von dort bis zum Pirnaiſchen Thore, Graf Brühl
wiederum die weitere Strecke von dort bis an die Schreiber⸗
gaſſe, der Oberamtsrat Heinecke den übrigen Wallraum bis
zum Seethor, der geheime Legationsrat Saul den Platz
vom Seethor bis zur Baſtion Merkur ꝛc. — Seit jenen
Tagen war ein halbes Jahrhundert verſtrichen, und jedenfalls
hatten die Bäume, ſoweit ſie dem Kriege nicht zum Opfer ge⸗
fallen waren, Zeit gehabt, ſich ehrwürdig zu runden. Die
Chroniſten berichten aber auch von Baulichkeiten, die noch bis
zum Jahre 1811 — als die Wälle geſchleift wurden — ſich
dort erhalten hatten, darunter jener Albuzziſche Pavillon, die
1 —
Brühlſche Rotunde genannt, dann links vom Thore das über
der Saturnusbaſtei gelegene Fletcherſche Gartengrundſtück und
am Wilsdruffer Thore die Marcoliniſche, ehemals Brühlſche
Reitbahn. Ein Militärſchriftſteller jener Tage klagt freilich: Die
nahe an den Feſtungsgräben erbauten hohen und maſſiven
Häuſer, ſowie auch die auf den Wällen entſtandenen Privat⸗
gärten hätten die Hauptwerke der altſtädter Feſtung allen Ver⸗
teidigungsregeln entzogen. Inſofern ſie der Stadt die martialiſche
Außenſeite nahmen, trugen ſie aber jedenfalls das ihrige zu
dem verhältnismäßig freundlichen Eindrucke bei, den auch ſchon
das damalige Dresden auf die Beſucher desſelben hervorzubringen
pflegte. s
Allerdings nicht auf alle und nicht in dem Grade, wie zur
Glanzzeit Auguſt des Starken auf Lady Montagu, welche Anno
1716 in Dresden eine Atmoſphäre von Höflichkeit und Bildung
wie nirgends ſonſt in Deutſchland gefunden haben wollte.
Namentlich in den Briefen über Polen, Oſterreich, Sachſen ꝛc.
des Herrn von Uklanzki kommt Dresden nicht zum beſten weg;
es ſei öde und langweilig meint er; ſchon um 11 Uhr Vor⸗
mittags ſei in den Straßen alles totſtill; in Friedrichſtadt habe
er nur bettelnde Kurrendeſchüler bemerkt; auf Empfehlungs⸗
briefe werde man in Dresden nicht zu Tiſche eingeladen, ſondern
mit bloßen Redensarten abgeſpeiſt. Der Touriſt Risbeck lobt
dagegen an den Dresdnern ihre zuvorkommende Höflichkeit und
ein gewiſſes „geſprächiges, zudringliches und einnehmendes
Weſen.“ Noch unbedingter gefällt ſich bald darauf Reichardt
bei ſeinem Novemberbeſuche 1808 in Dresden, wobei er freilich
die zahlreichen ihm gewordenen Einladungen und die ihm ge⸗
botenen Tafelgenüſſe nicht zu erwähnen vergißt. Seine „Reiſe
nach Wien“ quittiert darüber dankend. Nicht minder hat Ernſt
von Houwald für Dresden gütige Worte der Anerkennung, und
feine dort aufgeführten Dramen finden denn auch gleichmäßig
ſympathiſche Aufnahme, obſchon die Darſteller ihm eigentlich noch
nicht ganz genügen wollen. Der Chroniſt Haſche findet Dresdens
Klima weder „ausſchweifend heiß,“ noch „außerordentlich kalt,“
tadelt aber an den Bewohnern der Reſidenz übertriebene
Galanterie, Spielſucht und Kleiderpracht. „Man wird oft ver⸗
leitet,“ ſagt er, „den geputzten Friſeur für einen Hofrat zu
halten. Und in wie vielen Häuſern, ſobald man nur die Tafel
abgehoben, präſentiert Madame oder Mademoiſelle vom Hauſe
die Karte!“ Auch der vielen Schminke muß er mit Schmerz
Erwähnung thun. — Mirabeau urteilt: die Dresdner ſeien ſo
erfüllt von dem Geſchmack und den Ideen des Hofs, daß ſie
nichts Höheres kennten, als Glanz und Vornehmheit. — Leſſing
verſetzt ſeinen Landsleuten im Allgemeinen einen Hieb, indem
er von Elias Schlegels „geſchäftigem Müſſiggänger“ ſagt: Es
enthalte das „langweiligſte Alltagsgewäſch,“ wie es nur immer
im Hauſe „eines meißniſchen Pelzwaarenhändlers“ vorkommen
könne. — Verbindlicher hatte um die Mitte des vorigen Jahr⸗
hunderts Freiherr von Pöllnitz ſich über die ſächſiſche Bevölker⸗
ung ausgedrückt, wenigſtens über die weibliche, deren Geſten
ihm freilich etwas zu lebhaft ſcheinen; aber in Sonderheit die
Dresdner Bürgerinnen nennt er ein gut teil moins farouches
als andere Deutſche; auch ihrer Neigung zum Putze hält er die
ihnen natürliche Grazie entgegen und gelangt ſo zu dem Aus⸗
ſpruche: une femme Saxonne pour ötre aimable n'a qu’&
vouloir l'ètre. Der Vater Theodor Körners gehört wieder zu
den Unbefriedigten. Nachdem er mit einem Landsmann Schillers
einige angenehme Tage verlebte, ſchreibt er an Schiller: „Dein
Vaterland wird mir immer werter, und die Geſchliffenheit, mit
der wir Sachſen uns brüſten, immer ekelhafter.“ — „Man ent⸗
behrt“ (in Dresden), klagt er ein anderes Mal, „einen geiſtvollen
— 17 —
Umgang,“ doch tröſtet ihn der Gedanke, daß man dafür „Ge—
nüſſe von Kunſt und Natur“ habe. Am wenigſten findet
Schiller ſelbſt an den Dresdnern zu loben, die er freilich, durch
die unfreundliche Brille Körners beeinflußt, auffaſſen mochte.
So ſchreibt er 1788 an ſeine Schwägerin Karoline von Wol—
zogen: „Die Kurſachſen ſind nicht die liebenswürdigſten von
unſern deutſchen Landsleuten; aber die Dresdner ſind vollends
ein ſeichtes, zuſammengeſchrumpftes, unleidliches Volk, bei dem
es einem nie wohl wird ...,“ ein Ausſpruch, der übrigens
wohl böſer klingt, als er von dem damals Neunundzwanzig—
jährigen gemeint war, da auch andere ſeiner Urteile aus jener
Zeit in ihrer Schärfe nicht allzu wörtlich genommen werden
wollten, z. B. über Weimar: „Das Dorf,“ und über die
Weimaraner: „So viele Familien, ſo viele abgeſonderte
Schneckenhäuſer,“ oder über die verwitwete Herzogin Amalie,
von der er ſchreibt: „Ihr Geiſt iſt äußerſt borniert; nichts inter-
eſſiert ſie, als was mit Sinnlichkeit zuſammenhängt.“ Alles
dieſes, unbeſchadet ſeiner ſpäteren Liebe für Weimar und ſeiner
Verehrung für die verwitwete Herzogin. — Ein anderer Schwabe
— Wieland — hat ſich über das mit öſterreichiſchen Ausdrücken
ſtark durchſetzte Deutſch eines Dresdner hohen Herrn weidlich
geärgert; er ſagt von dem ſächſiſchen Prinzen Klemens, dem
Kurfürſten von Trier, derſelbe ſpreche „das verruchteſte Deutſch,“
halb Dresdner „Beenkleder,“ halb Wiener „holter.“ Auch
Jean Paul, welcher im Mai und Juni 1798 Dresden beſuchte,
hat ſeinem Freunde Otto zwar ein langes Regiſter vornehmer
Perſonen zu ſenden, bei denen er (offenbar beſſer empfohlen,
als Herr von Uklanzki) dinierte oder ſoupierte; aber der „platt-
gedrückte Hoftroß“ und am meiſten „das gekrümmte Schranzen-
volk, das nicht ſchön, nicht edel, nicht lesbegierig, nicht kunſt⸗
begierig iſt, ſondern nur höflich,“ bringt ſeine „demokratiſchen
2
„
Zähne“ zum „Knirſchen.“ Bei alledem verlebt er „ſchöne Tage“
bei der Gräfin Münſter auf Königsbrück, ebenſo bei Frau von
Ledebur, in die er ſich „in drei lieblichen Tagen als der einzig
daſeiende Mann gehörig verſchoß,“ und ſchließlich ſtürzt er ſich
auch noch unter der Agide beider Gönnerinnen, denen ſich Frau
von Berlepſch und natürlich vor Allem die ſchöngeiſtige Gräfin
Brühl ſelbſt geſellte, in die Romantik „des himmliſchen Seifers⸗
dorfer Thales.“ Daſſelbe genoß damals eines faſt eben ſo großen
Ruhmes, wie einige Jahrzehnte früher das unweit Pirna ge⸗
legene Bad Berggießhübel, aus welchem eine der ſchwärmeriſchen
Freundinnen Gellerts ihm im Sommer 1768 ſchrieb: „Noch
nirgends habe ich ein ſo ähnliches Urbild zu der Idee ge⸗
funden, die ich von Arkadien habe, als hier.“ — Auch Goethe,
welcher ſehr oft in Dresden weilte (zuerſt als Leipziger Student
im Jahre 1767), hat Ausſprüche über die Naturreize und Kunſt⸗
ſchätze Dresdens gethan, ohne ſich im Übrigen auf eine Abſchätzung
der dortigen Zuſtände einzulaſſen. So ſchreibt er am 1. Januar
1791 an Knebel: „Es iſt ein unglaublicher Schatz aller Art an
dieſem Ort!“ Und an Körner 1797: „. .. Denken fie in ihrem
herrlichen Elbthale, umgeben von ſo vielen Schätzen der Kunſt
und Natur, recht oft an ihre Freunde, die an der Saale und
Ilm durch zauberiſche Künſte ſich nur einen Teil jenes Genuſſes
verſchaffen können, den ihnen die Wirklichkeit ſo reichlich dar⸗
reicht.“ Achtzehn Jahre früher, im Alter von 29 Jahren, war
er über Berlin, wie Schiller über Dresden, rückhaltloſer aus ſich
herausgegangen, unbeſchadet ſeiner nie verleugneten Kindheits⸗
ſchwärmerei für den Sieger von Mollwitz. Berlin hatte auf ihn
den Eindruck einer großen Maſchine gemacht, in welcher jeder
Einzelne nur ein willenloſes Rad ſei, das von „der alten Walze
Friedrich“ in Bewegung geſetzt werde.
Sachſens Friedrich Auguſt war beim Schluſſe des vorigen
— 19 —
Jahrhunderts erſt fünfzig Jahre alt, und wenn dennoch manches
in Dresden, wie damals in Berlin, als hinter der Zeit zurüd-
geblieben anmutete, ſo lag der Grund dafür nicht in dem Alter
des Landesherrn, auch nicht in der allerdings ſchon beträcht-
lichen Dauer ſeiner Regierung — ſie datierte vom Jahre 1768,
einſchließlich der Vormundſchaftsperiode ſogar vom Jahre 1763
— ſondern in Friedrich Auguſts ganzer Art und Weiſe. Völlig
im Gegenſatze zu ſeiner lebhaften Mutter hatte Friedrich Auguſt
die Fähigkeit, ſich fortwährend in gleichmäßiger Gemütsver⸗
faſſung zu erhalten, und was ihm anfangs möglicherweiſe
Überwindung gekoſtet hatte, das Feſthalten an einer ſtreng
geregelten und unabänderlich abgemeſſenen Lebensart, das war
ihm je länger je mehr zur zweiten Natur geworden. Marie
Antonie, ſeine Mutter, hatte ihrem Bräutigam, dem Kurprinzen
Friedrich Chriſtian, während ihres keineswegs langen Braut⸗
ſtandes zweihundert Briefe geſchrieben — oft zwei bis drei den
Tag —, hatte am Dresdner Hofe das Komödienſpiel aufgebracht,
hatte früher in München ſich an einem dortigen Damenwettreiten.
beteiligt, konnte auch als Frau noch ſechs Stunden zu Pferde
ſitzen, ſchoß mit Büchſe, Piſtole und Armbruſt — ſelbſt zu
Zeiten, wo es ihr ſchlecht bekommen mußte —, hatte tauſend
muntere Einfälle, tanzte bis morgens 4 Uhr, während ihr zu
Liebe, wie ſie ihrer Mutter gerührt nach München ſchrieb, der
Gemahl geduldig „Staub ſchluckte;“ dichtete, komponierte, ſang,
malte — z. B. ihr in Weſenſtein hängendes eigenes Porträt —
intereſſierte ſich ernſthaft für Kunſt und Kunſtgeſchichte und
ebenſo ernſthaft und eifrig während der kriegeriſchen Wirren
und der dadurch veranlaßten Abweſenheit des Königs, ihres
Schwiegervaters, für die Rentkammer⸗Angelegenheiten, bei deren
Erledigung ſie ihrem Gemahl mehr als die halbe Arbeit abnahm,
und war nebenbei in Geldſachen liberal bis zum Verwirren
25
= WM
ihrer Privatſchatulle. Das Widerſpiel dieſes beweglichen Natu⸗
rells war Friedrich Auguſt. Seine eigentliche Biographie iſt
noch nicht geſchrieben. Man hat Mühe, ſich ein deutliches Bild
von ihm zu machen, denn wirklich mit ihm berührt haben ſich
nur Wenige, und die günſtige Anſicht, die man von ſeiner Recht⸗
ſchaffenheit durch viele Maßnahmen gewinnt, entbehrt der nötigen
Vervollſtändigung durch kleine Züge, wie ſie ein Bild braucht,
um wirklich individuellen Reizes teilhaftig zu werden. Zu
erſteren zählen die Abtragung von Schulden, welche aus der
Brühlſchen Periode herſtammten und vieles ähnliche, in Sonder⸗
heit auch die Verfügung an die Gerichte, wonach die Bevor⸗
zugung der Intereſſen des Fiskus im Streite mit denen von
Privaten aufhörte; oder, um an ſcheinbar Geringfügiges zu er⸗
innern, der Fall, wo zwei gleichnamige Diener bei einer Be⸗
ſoldungszulage verwechſelt wurden, ſo daß eine dem Unrechten
zugefertigte Bewilligung hätte rückgängig gemacht werden müſſen,
aber nicht rückgängig gemacht werden durfte, da der Kurfürſt
verfügte: „Eine einmal aus dem Kabinett erteilte Bewilligung
könne ſo wenig als ein gegebenes Wort zurückgenommen werden.“
Friedrich II. hat geſagt, von Jugend auf ſei es Friedrich Auguſt
unmöglich geweſen, ſein Wort zu brechen. Mirabeau berichtet
im Jahre 1786, als Friedrich Auguſt bereits 18 Jahre regierte:
„Der Kurfürſt verfolgt ſeinen Plan mit einer unbeugſamen
Feſtigkeit; er iſt langſam, aber keineswegs unentſchieden; die
Arbeit wird ihm nicht leicht, aber er iſt einſichtsvoll; die guten
Gedanken ſtehen ihm nicht auf den erſten Augenblick zu Gebot,
aber er hat ſich zum Nachdenken gewöhnt.“ Und er hält Sachſen
für „das glücklichſte Land“ in ganz Deutſchland. Ohne Friedrich
Auguſt, meint er, wäre es nach den ſiebenjährigen Kriegsgreueln
geradezu „verloren geweſen.“ Bei Gelegenheit einer dem Kurfürſten
in ſpäteren Jahren zu Ohren gekommenen Außerung über ſeine zähe
u Mn
Anhänglichkeit an Marcolini, deſſen Prachtliebe einigermaßen mit
der haushälteriſchen Einfachheit Friedrich Auguſts kontraſtierte,
ſoll er geäußert haben, Marcolini ſei aber doch nun einmal ſein
früheſter Vertrauter geweſen, habe ihm gewiſſermaßen erſt den
Gebrauch ſeiner Kräfte gelehrt, habe ihm das Gehen beigebracht.
Das iſt nahezu wörtlich zu nehmen, da wenigſtens in der Re—
ſidenz ſelbſt die Hochgeſtellten ſich nach altem Herkommen lange
Zeit nicht anders als zu Wagen oder in der Sänfte zeigten.
Marcolini ſorgte dagegen, was das Gehen betrifft, für eine
veränderte Lebensweiſe ſeines fürſtlichen Freundes, wenn auch
nur während des Sommeraufenthalts in Pillnitz, und letzterer
Ort wurde wegen der regelmäßigen Morgenſpaziergänge, deren
Ziel der Porsberg war und zu denen Marcolini den Anſtoß gab,
für die Kräftigung Friedrich Auguſts von nachhaltigem Werte.
Auch Friedrich Auguſts Neigung zur Jagd wurde durch Marco-
lini geweckt, ohne daß daneben die Staatsgeſchäfte und in den
Mußeſtunden das Drechſeln, die Botanik, die Inſektenkunde und
namentlich die Muſik vernachläſſigt wurden. Aus jener Zeit hat
das dortige Elbufer noch eine beträchtliche Anzahl von Maulbeer-
bäumen aufzuweiſen, ein ſüdlicher Kulturzweig, aus deſſen
Erträgen ſchon Leibnitz einſt die Mittel zu einer deutſchen
Gelehrten-Akademie hervorgehen zu ſehen hoffte, Erträge, die
den Marcoliniſchen Pflanzungen — oder ſtammen ſie aus
der entlegeneren Zeit des ſogenannten Manufaktur-Hauſes?
— jedenfalls nicht zu teil geworden ſind; ebenſo wenig hat
der unter ſeiner Direktion der Künſte und Kunſtakademien
an Leſſing gelangte Antrag, mit 1800 Thaler Gehalt,
ſeiner Zeit in die Stelle Hagedorns einzurücken, zu der
Überſiedelung Leſſings nach Dresden geführt, da Hage—
dorns Tod faſt mit demjenigen Leſſings zuſammenfiel. Daß
die Abſicht, Leſſing nach Dresden zu ziehen, vorwaltete, iſt
— 2 —
demungeachtet bemerkenswert. Charakteriſtiſch für Friedrich
Auguſt iſt unter anderem nach der Seite des Wohlanſtändigen
und Sittlichen jene Affaire des Geheim⸗Sekretärs Piani, der
im Schloſſe eben einer Kammerdienerin einen Kuß raubt, als
der junge Kurfürſt darüber zukommt. „Seid ihr verlobt?“
fragt der Kurfürſt, und da das Mädchen raſch mit dem „Ja“
bei der Hand iſt, ſtimmt auch Piani, ſich entſchuldigend, bei,
worauf der Kurfürſt ihn bei Worte hält und Sorge trägt,
daß der galante Geheim⸗Sekretär ſich mit ſeiner quasi Erwählten
in die Ehe begiebt. Wenige Jahrzehnte früher hatte aus
Dresden ein Vater ſeiner nach Italien reiſenden Tochter den
Rat gegeben, ſich drüben, wie die Sitte es erfordere, einen
Begleiter zuzulegen. Unterm 6. Juni 1759 ſchrieb der Miniſter
Brühl in einem ſeiner noch ungedruckten Briefe an ſeine Tochter
Amalie in Wien: Der König (Auguſt III.) ſage ihm in ihrem
betreff „qu'il faut absolument en Italie un officier qui
donne le bras, un bracciere ..“
Die Nähe dieſer Periode entſetzlicher Sittenloſigkeit will
eben, wenn man für das Verſtändnis der ſpröden, unzugäng⸗
lichen, ſcheu ſich abſperrenden Haltung Friedrich Auguſts den
richtigen Standpunkt gewinnen will, im Auge behalten ſein.
Was hatte die kurze, zehnwöchentliche Regierung ſeines Vaters
an der furchtbaren Zerrüttung Sachſens zu ändern vermocht?
Und auch die darauf gefolgten fünf Jahre — 1763 bis 1768
— während welcher der Vormund Friedrich Auguſts, der mili-
täriſch ſtraffe Adminiſtrator Prinz Xaver dem verarmten Lande
und vor allem auch der dezimierten Armee desſelben aufzuhelfen
ſuchte, wie wenig hatten ſie dem allgemeinen Notſtande abge⸗
holfen! Was zehn Jahre früher — 1758 — auf Prinz Zavers,
des damals franzöſiſchen General⸗Leutnants, Aufforderung zur
Befürwortung der Übergabe Göttingens der Rektor Käſtner da⸗
0
ſelbſt geantwortet hatte: Er habe fünf Jahre lang in Leipzig
als Extraordinarius ſo gründliche Hungerſtudien gemacht, daß
er hoffen dürfe, bei der vom Prinzen Xaver angedrohten Aus⸗
hungerung der Stadt jetzt als Beiſpiel voranzuleuchten — das
war damals eine Antwort, die auch von unzähligen anderen,
welche nicht Extraordinarius geweſen waren, hätte gegeben
werden können. Zwei Jahre erſt hatte Friedrich Auguſt —
damals 20 Jahre alt — ſelbſtändig regiert, als Sachſen durch
zwei nach einander folgende Mißernten ſo ſchwer heimgeſucht
wurde, daß die Hungersnot 150,000 Menſchen wegraffte; ſelbſt
die arge Hungersnot von 1617 war nicht jo verheerend auf-
getreten. Kein Wunder, wenn dem jungen Fürſten die aus
einer freudloſen Jugend in die reiferen Jahre mit herüber⸗
genommene Gewöhnung blieb, vor allem nur ſeiner Obliegen⸗
heiten ſich bewußt zu fein und dabei durch Fleiß und Gewiſſen⸗
haftigkeit zu erreichen, was genialer beanlagten Naturen oft
durch ein glückliches Wagnis gelingt. Dieſe Pflichttreue, Arbeit⸗
ſamkeit und Sittenſtrenge hat nicht verhindern können, daß
nach Friedrich Auguſts faſt vierzigjährigen aufopfernden und
ſegensreichen Regierungsmühen über Sachſen eine Periode herein
gebrochen iſt, in welcher mit Sicherheit den richtigen Weg zu
finden auch ſelbſt dem umſichtigſten Politiker unmöglich geweſen
wäre. Auf dem ihm aufgezwungenen, nicht von ihm geſuchten
und gefundenen Wege zu verharren und deutſche Treue ſelbſt an—
geſichts des mit ihr getriebenen ſchnöden Mißbrauchs nicht zu
verleugnen, dies Verhalten entſprach dann wieder jener ihm
ſchon von dem greiſen Preußenkönig nachgerühmten Unfähigkeit,
ein gegebenes Wort zu brechen — vom politiſchen Standpunkte
aus unter Umſtänden gewiß ein Mangel, wie die Weltgeſchichte
auf unzähligen ihrer Blätter von jeher gelehrt hat.
Aber zu der Zeit, deren ungefähre Phyſiognomie, mit bezug
„
auf die Geburtsſtätte der Prinzeſſin Amalie, hier zu ſkizzieren
iſt, ahnte man noch wenig, welche Stürme das künftige Jahr⸗
hundert in ſeinem Schoße barg. Jenſeits des Rheins zitterte
der Boden von vulkaniſchen Erſchütterungen unheilverkündender
Art, und in Pillnitz mußte Friedrich Auguſt die zu Beratungen
über die Notlage der franzöſiſchen Königsfamilie zuſammen ge⸗
kommenen Fürſten und Fürſtenvertreter willkommen heißen;
was jedoch dem Ergebnis dieſer Beratungen, der kläglichen
Kampagne von 1792, folgen würde, das lag noch hinter dichten
Wolken. .
Nach heutigem Maßſtabe gemeſſen, erſcheint, was damals
beſchloſſen und bald darauf ins Werk geſetzt wurde, außer allem
Verhältnis zu dem Brande, den man pflichtſchuldigſt ausblaſen
zu müſſen glaubte. Aber ſchon die Entfernungen zwiſchen den
heute einander durch Telegraphen und Eiſenbahnen faſt bis zum
Handgreifen nahe gerückten Ländern waren im letzten Jahrzehnt
des vorigen Jahrhunderts noch ſo unglaublich große, daß zum
richtigen Verſtändnis mancher Maßnahmen jener Zeit und vor
allem ihrer nebenſächlichen Zuſtände, ein Hinweis auch hierauf
nicht überflüſſig ſein dürfte. Es war keineswegs einzig der
Kurfürſt von Sachſen, der, nach dem Ausdrucke Berenhorſts,
„gleichſam auf einem Felſenſchloſſe, vom Meer umfloſſen,“ ſaß.
Der Mangel an Verkehrswegen, die Unſicherheit der Straßen
und die Plackereien, welche aus buntſcheckigen Münz⸗, Zoll⸗ und
Kontroll-Syſtemen aller Orten erwuchſen, ſorgten dafür, daß
faſt jedes Land den Charakter ſolches vom Meere umfloſſenen
Felſens hatte.
Ergötzlich wirkt die Schilderung einer Marterfahrt, über
welche aus ſicherer Ferne — aus Hamburg — ein ſchwediſcher
Kammerrat unterm 2. November 1805 — ſelbſt damals hatte
ſichs alſo noch nicht gebeſſert — gegen den Kurfürſten Beſchwerde
führt. Von Jena bis Naumburg — jetzt etwa 1 Stunde Wegs
— war er mit der Poſt von 12 Uhr mittags bis 8 Uhr abends
unterwegs geweſen. Dann hatte der Unglückliche noch die
ganze Nacht durch fahren müſſen und war doch erſt um 11 Uhr
vormittags nach Halle gelangt — jetzt wieder etwa 1 Stunde
Eiſenbahnfahrt. Der kurfürſtliche Poſtwagen, klagt er, ſei ohne
alle Bequemlichkeit geweſen: „kein Stuhl, kein Sitz, keine Be-
deckung;“ um ſich einigermaßen gegen das Herabſtürzen zu
ſichern, habe man abwechſelnd gewacht, was aber nicht durchzu—
führen geweſen ſei. — Und doch blickte man damals gewiß mit⸗
leidig auf die Zeit zurück, wo Kardinal Cuspiniani, um ſich
von Rom zum Konzil in Konſtanz zu begeben, ſieben Wochen
gebrauchte; wo die Geſandtſchaft des Grafen Kufſtein auf die
Reiſe von Wien nach Konſtantinopel 15 Monate verwendete;
und wo der Herzog Julius von Braunſchweig den Gebrauch
der Kutſchen als unwürdig deutſcher Nation und als unmännlich
geradezu verbot. Ja, wie war es dem Kurfürſten Auguſt I.
ergangen, als ihm im Lenz Anno 1583 der Gebrauch des
Schwalbacher Waſſers verordnet worden war? Sein auf Suche
nach dem unbekannten Orte im Frühjahr zu Roß nach dem
Rheingau ausgerittener Kurier braucht den ganzen Sommer,
um die nötigen Erkundigungen einzuziehen, und kommt erſt im
Herbſt wieder heim. Erſt im nächſten Mai kann der Kurfürſt
ſolcherart der Weiſung ſeines Medikus folge geben, worauf er
dann aber mit einem Troß von 209 Berittenen und 16 Leib-
pferden gen Schwalbach aufbricht und dasſelbe in 18 Tagen
erreicht.
Reichhardt in ſeiner ſchon erwähnten Reiſe nach Wien hebt
denn auch als beſonders löblich hervor, daß man von Leipzig
bis Dresden — jetzt 2 Stunden 20 Minuten — nur 1½ Tag
gebrauche: „in 1½ Tag bin ich ſehr bequem hergefahren;“ in
langen Sommertagen, meint er, genüge wohl gar ein einziger
Tag.
Nicht viel raſcher kam man zu Waſſer aus der Stelle. Am
7. September abends Anno 1799 verſchwand unter geheimnis⸗
vollen Umſtänden eine Fürſtin von Hohenlohe, geb. Hoym, aus
dem Hotel de Pologne in Dresden. Man hatte auf einen
Mord ſchließen ſollen; aber da ihre Leiche nirgend zu finden
war, kam man auf die Idee einer freiwilligen Entführung und
erwiſchte ſie und ihren Entführer wirklich am 9. September
morgens in Torgau, woſelbſt ihr am 7. von Dresden abge⸗
gangenes Schiff ſoeben erſt eintraf.
Daß zwiſchen Dresden und Tharand, wo Schiller 1787
weilte, alles per Botenfrau gehen mußte, iſt ſelbſtverſtändlich;
dieſe Art Poſt, die auch Weimar und Jena verknüpfte, hat ſich
noch ſehr lange erhalten und iſt, auch nach Einführung der
ſtaatlichen Poſt, noch geraume Zeit neben der letzteren hermar⸗
ſchiert. Wie aus einem entlegneren Jahrhundert dagegen mutet
es uns an, wenn Schiller aus Tharand an ſeinen Freund
Körner ſchreibt, man habe ihm geſagt, daß ſich Reitpferde in
Dresden zu 6 Groſchen per Tag, außer Futter und Stallung,
miethen ließen, weshalb er dem Freunde vorſchlage, auf den
Sommer mit ihm Moitié zu machen, „in den Tagen, wo du
nicht reiteſt, brauche ichs.“
Über Deutſchlands litterariſche Zuſtände an der Grenze des
18. und 19. Jahrhunderts würde ein Gang durch das ſchon
erwähnte Seifersdorfer Thal, wenn ſelbſt nur an der Hand des
Körnerſchen Briefs vom Oktober 1787, zu orientieren im ſtande
ſein, wenigſtens ſoweit berühmte Namen einem ganzen Zeit⸗
abſchnitt eine beſtimmte Beleuchtung geben. Außer alten Por⸗
zellanvaſen und Marmorkaminen, Sarkophagen und Hütten,
deren eine dem Andenken des Pythagoras geweiht war, und
——
außer Inſchriften und Altären gab es dort die Büſten namhafter
litterariſcher Zeitgenoſſen, an ihrer Spitze das ungleiche Drei-
Geſtirn Goethe, Herder, Wieland. Goethes öfterer Beſuche in
Dresden geſchah ſchon Erwähnung; Schillers Don Carlos
hängt mit des Dichters längeren Aufenthalten in Tharand,
Dresden und Loſchwitz zuſammen, leider nicht zu jo hoher Be⸗
friedigung des Dichters, wie wir Nachlebenden es uns wohl
vorſtellen; drei Jahre habe er daran gearbeitet, ſchrieb er im
Rückblick auf dieſe doch ſo reiche Periode ſeines Schaffens an
Körner, und wie habe das Publikum ihm ſeine Arbeit gelohnt?
Mit Unluſt. Fünf bis ſechs Monate denke er jetzt an ſeine
niederländiſche Geſchichte zu ſetzen, und dieſe fünf bis ſechs
Monate würden ihn vielleicht „zum angeſehenen Manne machen,“
ſei man doch demjenigen am dankbarſten, der einem das, was
man lernen müſſe, durch Schönheit und Gefälligkeit reizend
mache — eine bittere Beobachtung, die freilich ſeitdem nichts an
ihrer thatſächlichen Richtigkeit verloren hat. — Neben den ſo⸗
genannten Klaſſikern, und vor ihnen wohl eigentlich bevorzugt,
fanden denn auch minder hervorragende Autoren in Dresden
wie anderwärts ihr dankbares Publikum. Weißes Kinderfreund
war die Lieblingslektüre der Jugend und erlebte in ſechs Jahren
fünf Auflagen. Die Romane von Spieß, Schilling, Meißner
und Schlenkert zirkulierten in Stadt und Vorſtadt, und vor
allem Schlenkert, deſſen „Friedrich mit der gebiſſenen Wange“
und deſſen „Kaiſer Heinrich IV.“ in gefälliger Form über
Dinge orientierte, die man doch einmal „lernen mußte,“ genoß
großen Anſehens. Anſpruchsvollere Leſer und Leſerinnen ſuchten
ſich darüber klar zu werden, ob die Gellertſche Periode, welche
wenig oder gar nicht von Vaterlandsliebe und von Staats⸗
pflichten, aber deſto wärmer von Tugend und Freundſchaft und
von Herzensgüte und Empfindſamkeit erfüllt geweſen war, als
8
abgeſchloſſen und überwunden betrachtet werden dürfe; ob man
mit Friedrich II. die Klopſtockſche Meſſiade als eine „ſehr über⸗
flüſſige“ Nachahmung Miltons beiſeite ſchieben und ſich auch
von Klopſtocks unaufhörlichem Verherrlichen einer Zeit ab⸗
wenden ſollte, die jenſeits aller kontrollierbaren Überlieferung
lag; ob man ſich endlich nicht minder dem bisherigen Suchen
nach dem kürzeſten Wege zur „Glückſeligkeit“ entſchlagen und
auf Kants Lehre von den „Pflichten“ ſchwören müſſe, um mit
dem ſächſiſchen Landsmann Johann Gottlieb Fichte dann etwa
zu dem Ausſpruche zu gelangen: „ich bin überzeugt, daß hie-
nieden nicht das Land des Genuſſes, ſondern das Land der
Arbeit und Mühen iſt und daß jede Freude weiter nichts, als
Stärkung zu weiterer Mühe ſein ſoll,“ eine Weltanſchauung,
welche glücklicherweiſe nach und nach immer allgemeiner als
die richtige erkannt wurde.
Übrigens iſt das Geburtsjahr der Prinzeſſin Amalie auch
dasjenige der „Horen“ und der Freundſchaft Goethe und
Schillers, und um mit wenigen allbekannten Namen jene litte⸗
rariſche Periode zu kennzeichnen, wird es genügen, einige der⸗
jenigen Schriftſteller zu erwähnen, um deren Mitarbeiterſchaft
an den „Horen“ Schiller ſich im Jahre 1794 bewarb; es ſind,
außer den Weimaranern, Kant, Fichte, Garve, Engel, Jacobi,
Klopſtock, Voß, Baggeſen, Lichtenberg, Thümmel, Wilh. von
Humboldt, Heinſe, Schloſſer, Matthiſon, Salis und Reinhold.
Im ſelben Jahre drang Schiller in Goethe, er möge ſein Fauſt⸗
Fragment — mehr war davon noch nicht bekannt — vervoll⸗
ſtändigen, und Goethe konnte auch jetzt noch nicht zu dem Ent⸗
ſchluſſe kommen, das weiter von dem erſten Fauſtteil vorhandene
Manuſkript nur ſelbſt wieder durchzuſehen; „ich wage nicht, das
Paket aufzuſchnüren,“ lautet ſeine Antwort.
Es bleibt noch etwas über die damaligen Theaterzuſtände
— 29 —
Dresdens zu ſagen. Friedrich Auguſt, ein abgeſagter Feind
aller Willkür und aus dieſer ſeiner Abneigung heraus ſelbſt
Abweichungen in dem geregelten Gange des Tagesherkommens
nicht mögend, beſuchte das Theater, ſo oft keine zwingenden
Verhinderungen ihn davon abhielten. Gleich ſeinem Zeitgenoſſen
König Friedrich Wilhelm III. zog er heitere Theaterſtücke den
Tragödien vor, doch verſchloß er ſich unter Umſtänden auch
nicht den Kunſtwirkungen der Tragik; unter anderem hat ihn
Schillers Jungfrau von Orleans mächtig ergriffen; gegen die
Herzogin⸗Mutter von Weimar äußerte der Kurfürſt im Jahre
1802 ſogar, es ſei „ſein allerliebſtes Stück.“ Ob Körner nicht
zu ſchwarz ſah, als er 1802 an Schiller über die „ſeltſamen
Rückſichten“ ſchrieb, die Baron von Racknitz, der damalige
directeur des plaisirs, bei verfänglichen Stellen in neuen
Stücken nehme, wird ſchwer feſtzuſtellen ſein. In bezug auf
Gozzi⸗Schillers damals neue Turandot ſchrieb Körner: „ein
unglücklicher vertriebener König, fürchte ich, wird ſchon Kontre—
bande ſein. Es erinnert an Frankreich. Ein Kanzler Pantalon
iſt nun gar ein Gräuel, um ſo mehr, als gerade der jetzige
Kanzler manches Lächerliche hat. Er und Tartaglia werden
wohl zu erſten Mandarinen werden. So ſteh ich auch nicht für
die Köpfe auf dem Thor. Habe Geduld mit der Dresdner
Schwachheit.“ — Sehr wahrſcheinlich wußte wenigſtens der
Kurfürſt nichts davon, und der um ſeine Stelle beſorgte Herr
von Racknitz wollte ſich nur nicht der Gefahr ausſetzen, von
irgend einem ihm feindlichen Hofkavalier in Verlegenheiten ge—
bracht zu werden. Aus ähnlicher Vorſicht hatte fünfzig Jahre
früher Rabener nach ſeiner Niederlaſſung in Dresden an einen
Freund geſchrieben: „In Dresden habe ich noch keine Feder
angeſetzt .... Gemeiniglich ſuchen die Leſer die Originale da,
wo der Verfaſſer ſchreibt ... Das Thema, zu welchem ich jo
viel Luft hatte, ‚der allezeit fertige Bankeruttierer, muß ich
weglaſſen; es möchten es Excellenzen ungnädig vermerken.“
Auch die von Körner erwähnten und nach ihm oft zitierten
Dresdner Textverbeſſerungen: Genius ſtatt Gott, in der Jung⸗
frau von Orleans; ich will das meinige thun, ſtatt: Ich will
beten gehen, in Hamlet; und: Da iſt kein — Strich (ſtatt
Himmelſtrich) für ſolche Blumen, im Don Carlos, find, wenn
ſie nicht auf Ironie beruhen, wohl lediglich ein Beweis von dem
ungeſchickten Übereifer ängſtlicher Hofchargen oder der dieſe
wieder bedienenden Untergebenen, zugleich freilich auch von der
Unzweckmäßigkeit ſolcher Eingriffe, denn ſie hängen ſich kletten⸗
artig an ganze Zeitabſchnitte und laſſen ſich nicht wieder ab⸗
ſchütteln; geradeſo wie es wenig verſchlägt, daß der vielver⸗
ſpottete, dem geheimen ſächſiſchen Konſilium Anno 1793 vor⸗
gelegte Entwurf einer Rangordnung bis 1808 liegen geblieben
und dann zur Umarbeitung zurückgegeben worden iſt, ohne
daß er je Geſetz wurde — man gaudiert ſich demungeachtet
noch heute an ſeinen 126 Klaſſen und an der Rangierung der
Sprach- und Tanzmeiſter bei den Stadtſchulen in die 89. Klaſſe,
der Schreib- und Rechenmeiſter in die 111., der Kaufmanns⸗
diener in die 112., der Stadtpfeifer in die 117. u. ſ. f.
Die franzöſiſchen Theatervorſtellungen hatten bereits 1770
aufgehört, zugleich das in den Nebenzimmern des Theaters
während der Vorſtellungen der Franzoſen für die Beſucher des
erſten Ranges herkömmlich geweſene Pharaoſpiel. Auf Aus⸗
ſtattungs⸗Opern wurde ſeit der noch ſehr koſtſpielig geweſenen
Feſtoper bei Gelegenheit der Vermählung Friedrich Auguſts
— 1769 — nichts mehr verwendet; der Kurfürſt konnte bei
der unerläßlichen Notwendigkeit eines aufrichtig durchgeführten
Sparſyſtems weder an ſolche Aufwendungen denken, noch hätten
ſie ſeinem Geſchmack entſprochen; er hatte mehr Freude an der
1
Opera buffa der italieniſchen Truppe ſeines jeweiligen, durch
beſtimmte Zuſchüſſe ſubventionierten Entrepreneurs. Daneben
wurde das deutſche Singſpiel gepflegt, vor allem in dem kleinen
Theater auf dem Linckeſchen Bade, das ſeit 1775 in regelmäßigen
Gebrauch gekommen war und in welchem — aber beträchtlich
ſpäter — auch die italieniſche Truppe ſich zu Vorſtellungen ver-
ſtand. Man rühmt dem Kurfürſten ein ſehr feines muſikaliſches
Gehör nach, und wenn auf der Bühne oder im Orcheſter ein
falſcher Ton erklang, pflegte ſich in der königlichen Loge ein
mißbilligendes Räuſpern vernehmen zu laſſen. Zu den Chören
wurden die Altiſten und Sopraniſten des Gymnasiums zum
heiligen Kreuz herangezogen und zwar bis zu Karl Maria von
Webers Anſtellung im Jahre 1816. An Freitagen und Sonn⸗
tagen war das Theater geſchloſſen.
Als Kapellmeiſter, denen in ſonderheit der kirchliche Dienſt
oblag, fungierten nach einander, beziehungsweiſe miteinander,
Schürer, Naumann, Schuſter und bis kurz vor Friedrich Auguſts
Heimgang K. M. v. Weber.
Es wird ſchließlich über das Koſtüm der hier in Rede
ſtehenden Zeit noch einiges zu ſagen ſein. Da der Kurfürſt,
ſeiner ganzen Natur nach, die Verbeſſerung der Zuſtände ſeines
Landes und Volkes auf dem Wege ſchrittweiſer, nicht ſprung⸗
artiger Reformen zu erreichen, ſich am beſten befähigt fühlte, ſo
war ihm auch nicht ſympathiſch, was ſchon durch auffallende
äußerliche Veränderungen ſich, als zu den gewaltſamen Neuerern
zählend, kennzeichnete. Der neapolitaniſche Geſchichtſchreiber
Coletta verſichert, im Jahre 1799 habe in Neapel als Jakobiner
gegolten, wer nicht mit einem Zopfe verſehen geweſen ſei. In
Deutſchland hatten die ſogenannten Philantropins dem Zopf
und Puder ſchon lange vor dem Ausbruch der franzöſiſchen
Revolution den Krieg erklärt. Der Naturzuſtand, in welchem
aller Orten das Geſchlecht der Bauern ſich ſchlecht und recht in
einer gewiſſen Kernhaftigkeit erhielt, war zwar von den Idyllen⸗
dichtern nicht nach dem Leben geſchildert worden, und Garves
hartes Urteil in ſeiner Schrift „über den Charakter der Bauern“
(1796) konnte auch nicht darüber in Zweifel laſſen, daß in jenen
untern und zum Teil noch von der Leibeigenſchaft übel beein⸗
trächtigten Schicht en nicht alles nachahmungswert ſei. Dennoch
waren die Schriften Lockes, Sulzers, Rouſſeaus nicht ohne ſtarke
Wirkung geblieben. Baſedow, Salzmann, Iſelin, Campe und
andere fanden mit ihrer Abſage von den bisherigen verkünſtelten
Erziehungsmethoden zahlreiche Anhängerſchaft, die beiden Grafen
Stolberg badeten am lichten Tage im Züricher See — ſehr
zum Verdruß der dortigen Landleute, die dergleichen bäuriſche
Freiheiten nur für ihresgleichen als ſchicklich betrachten mochten
— und Jean Paul verſchwor bei der Kunde von der Einnahme
der Baſtille ſo Zopf wie Halsbinde. Wenn man bedenkt, daß
z. B. auf der Donau zwiſchen Regensburg und Wien die „Leute
mit Puder“ einen Dukaten zahlten, die ſogenannten „gemeinen
Leute“ nur zwei Gulden, die Handwerksburſchen, ſofern ſie
ruderten, nichts, ſo kann man nicht in Abrede ſtellen, daß mit
dem Aufgeben jener lange herrſchend geweſenen Mode mehr ge—
ſagt war, als daß man ſich von einer Unbequemlichkeit frei
machen wolle. 0 5
Es wird in dem Tagebuche der Prinzeſſin von dem ſpäteren
großen Ereigniſſe die Rede ſein, daß ihre Brüder, die Prinzen
Friedrich und Johann, zum erſtenmale ohne Zöpfe erſcheinen.
Den Kurfürſten und die beiden Prinzen Anton und Max und
ebenſo den ganzen Hofſtaat hat man ſich gepudert vorzuſtellen.
Prinz Anton war daneben der Tabakspfeife ſehr zugethan,
pflegte jedoch die Geſellſchaft nicht damit zu beläſtigen, ſondern
rauchte abſeits in einem der Pavillons des Gartenpalais auf
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der Langengaſſe; natürlich rauchte er Pfeifen, die Zigarren
kamen erſt in Deutſchland in Aufnahme, als man von den
ſpaniſchen Soldaten Napoleons gelernt hatte, daß man den
Tabak ſelbſt zu einer Pfeife machen könne. „Wie die lebendigen
Teufel ſehen die Kerle aus,“ ſagte der alte Voß zum Grafen
Wolf Baudiſſin, als Voß auf dem Hamburger Jungfernſtieg
den erſten Zigarrenrauchern im Dunkeln begegnet war. — So⸗
wohl Prinz Anton wie Prinz Max entzogen ſich nach Möglich—
keit dem ſtrengen Zeremoniell des Hofes, wurden auch in den
Straßen zu Fuß geſehen, zumeiſt im dunklen Hofkleide mit
Kniehoſen, ſeidnen Strümpfen und Schnallenſchuhen, barhaupt,
den Chapeaubas unter dem Arm, wie denn Prinz Max auch
ſpäter in den Straßen Madrids, dadurch daß er unbedeckten
Hauptes in der Sonne ſpazieren ging, das Volk zu der beſorgten
Warnung veranlaßte, er werde einen Sonnenſtich bekommen.
Um auch über die militäriſchen Erſcheinungen am Hofe einiger—
maßen zu orientieren — und der Adminiſtrator Prinz Xaver
hatte ja dem ſächſiſchen Hofe eine teilweiſe jo militäriſche Tour—
nüre gegeben, daß der Touriſt Dutens, als er mit ſeinem
Zögling Lord Algernon Percy im Jahre 1770 zur kurfürſtlichen
Tafel gezogen wurde, den Oberſtallmeiſter „geſtiefelt und ge—
ſpornt“ zum Nachbarn hatte — ſo ſei der Schilderung gedacht,
welche ein Leipziger im Jahre 1800 von den kurfürſtlichen Sol⸗
daten entwarf, die er in dem zwiſchen Pillnitz und Dresden
aufgeſchlagenen Lager geſehen hatte. Er ſagt, dies Lager habe
den in Menge dahin geſtrömten Sachſen Gelegenheit gegeben,
auch „eine große Zahl fremder Offiziers-Uniformen zu erblicken,
und wennſchon die ſächſiſche Kavallerie nicht nur durch ihre
Haltung und Equipierung, ſondern auch durch die Zierlichkeit
ihrer Uniformierung imponierte, ſo ſtach doch die der Infanterie—
und Artillerie-Offiziere mit den ſehr kleinen Hüten und dem
3
— :
altmodiſchen Schnitt der Kleidungsstücke gegen die ſchon damals
ſehr große Eleganz der preußischen Garde-Uniformen gewaltig
ab.“ Er tadelt dann die damalige Wochenuniform der Kadetten,
„die in Rock, Hoſe und Weſte von braunrotem Tuche mit
meſſingenen Knöpfen beſtand, dazu weiße baumwollene Strümpfe
und Schuhe mit meſſingenen Schnallen, den kleinen dreieckigen
Hut, ohne Kordons und Degen. Von Mänteln und Kapotts,“
fährt er fort, „ſei damals bei der ſächſiſchen und ebenſo bei der
preußiſchen Infanterie, nichts zu ſehen geweſen, mit Ausnahme
der Mäntel für die Schildwachen. Die ſächſiſche Infanterie
trug über der Uniform leinene Kittel. Bei Paraden wurden
dieſe abgelegt und die Truppen präſentierten ſich alle wohl ge⸗
pudert und pomadiſiert und mit gleich langen und ſtarken Zöpfen
und Seitenlocken geſchmückt; die Offiziere waren mit langen
Spontons und nicht ſelten mit Zopfperrücken verſehen.“
Erſter Abſchnitt.
Die Kinddheit.
(47941810)
—
N: Auszüge aus den Tagebüchern der Prinzeſſin werden
nach dieſen allgemeinen Vorbemerkungen nur noch hier
und da mit kurzen Notizen zu verſehen ſein. Dieſe
mögen hier mit Altersangaben der nächſten, den Hofkreis bilden-
den Verwandten der Prinzeſſin beginnen. Bei der Geburt der
kleinen Prinzeſſin Amalie war der Kurfürſt Friedrich Auguſt
44 Jahre alt, ſeine Gattin, Kurfürſtin Marie Amalie, 42 Jahre,
Prinzeſſin Auguſte, die Tochter des kurfürſtlichen Paares, 12
Jahre, Prinz Anton, der nachmalige König, 39 Jahre, ſeine
Gattin, Prinzeſſin Thereſe, 27 Jahre, Prinz Max, der Vater
der Prinzeſſin Amalie, 35 Jahre, ſeine Gattin, ihre Mutter,
Prinzeſſin Karoline, 24 Jahre; endlich der Prinz Kaver 64 Jahre,
Herzog Albert zu Sachſen-Teſchen 56 Jahre, Erzbiſchof Klemens
55 Jahre, Abtiſſin Kunigunde 54 Jahre, Prinzeſſin Eliſabeth
48 Jahre, Prinzeſſin Marianne 33 Jahre. Von dieſen ſechs
nahen Verwandten hatten jedoch nur die letzteren beiden Brin-
zeſſinnen ihren ſtändigen Aufenthalt in Dresden. Regelmäßige
Notizen über Familien⸗Vorgänge heben mit dem 8. Februar
1796 an, wo eines Frühſtücks bei der eben erwähnten
Prinzeſſin Eliſabeth (unverheiratete Tochter König Auguſts III.,
geb. 1746) Erwähnung geſchieht zu Ehren des „Jubiläums
BR Er:
ihres Bettes;“ dasſelbe war mit Blumen geſchmückt und mit
50 Lichtern erleuchtet.
Am 23. November desſelben Jahres läßt der Vater, Prinz
Max, durch die kleine zweijährige Prinzeſſin Amalie dem Kur-
fürſten von Trier, dem ſchon erwähnten Prinzen Klemens
Wenzel, ebenfalls Sohn Auguſts III., geb. 1739 zu Hubertus⸗
burg, 1763 Biſchof zu Freiſing und Regensburg, 1768 Erz⸗
biſchof von Trier, Verſe überreichen. Der Kurfürſt hatte am
13. in Dresden gefirmt. Derſelbe ſchenkt ihr am 14. Dezember
viele Spielſachen. |
Von den kleinen Feſtlichkeiten, welche vor allem im Haufe
des Prinzen Max beliebt waren, giebt eine Notiz aus dem
Jahre 1798 einen erſten ungefähren Begriff, und zwar berichtet
Prinzeſſin Amalie, wie ſie erwähnt, Einiges ſchon aus dem
Gedächtnis. Es galt nach der Geburt ihres Bruders, des
Prinzen Klemens, den Kirchgang der Prinzeſſin Karoline, ſeiner
und ihrer Mutter zu feiern. Im Garten des kleinen Max⸗
Palais auf der Oſtra-Allee in Dresden hat man die Kinder der
Hausleute zunächſt mit Guirlanden aufgeſtellt und dadurch ein G
(Caroline) bilden laſſen. Die Hautboiſten blieſen dazu. „Während
wir Kinder eine Polonaiſe tanzten, ſangen die Leute meines
Vaters einen Chor; dann hatten ſie ein Topfſchlagen. Müller,
der Lakai, zerſchlug den Topf; ich erinnere mich noch auf den
Hahn, welcher herausflog. Auf der andern Seite ſpielten die
Stallleute Sackſpringen. Die Harfenweiber machten Muſik.“
„Wir Kinder“ möchte wohl nicht allein auf die Kinder des
Prinzen Max zu beziehen ſein, denn die damalige einzige
Schweſter der vierjährigen Prinzeſſin Amalie, Prinzeſſin Marie,
war erſt 2 Jahre alt und der Bruder, Prinz Friedrich Auguſt,
war erſt 1 Jahr; Prinz Klemens war das vierte Kind.
„Die Harfenweiber ſpielten faſt täglich bei uns,“ heißt es
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an einer anderen Stelle, und in der That ſcheinen fie namentlich
während des allſommerlichen Hoflagers in Pillnitz nur ſelten
bei Familienfeſten gefehlt zu haben.
Im ſelben Jahre hat die lebhafte kleine Prinzeſſin einen
Unfall, der nicht ohne eine bleibende Narbe abgelaufen ſein
dürfte. „Am 4. Oktober fiel ich im Wagen in eine Fenſter—
ſcheibe und zerſchnitt mir die Naſe. Der Hofrath Pohle heftete
ſie zuſammen.“
Am 24. Dezember bekommt chere tante (Thereſe, geb.
1767, die zweite Gattin des Prinzen, ſpäteren Königs Anton,
eine Tochter des römiſchen Kaiſers Leopold II.) vom Prinzen
Albrecht (Herzog von Sachſen⸗Teſchen) eine „Uhr von der Arbeit
des Kaiſers Leopold,“ ihres Vaters.
1799 am 6. Januar geſchieht zum erſtenmal des ſeitdem
regelmäßig am heiligen Dreikönigstage wiederkehrenden Bohnen⸗
feſtes Erwähnung. „Die Tante M. A. (Marianne, die unver⸗
heiratet gebliebene jüngſte Tochter des Kurfürſten Friedrich
Chriſtian, geb. 1761) bekam die Bohne und wählte den Fritz zum
Könige. Ich wurde Fee des Hofs und Marie wurde Pimperle.“
„Marionetten⸗Komödien bei Papa“ kommen häufig vor
und ſcheinen große Freude zu bereiten. Unterm 3. Juli findet
eine ſolche Komödie unter dem Namen „Judith“ Erwähnung,
ohne Zweifel eine tragi⸗komiſche Aufführung.
Bald darauf kann die kleine fünfjährige Prinzeſſin über
ihre erſte Schreibeleiſtung berichten. „Die Harfenweiber ſingen
ein vom Papa für die Tante Marianne komponiertes Lied. Ich
gab ihr den Text, von meiner Hand geſchrieben.“
Aber wenn die Marionetten⸗Judith vielleicht noch als eine
Farce vorüberging, ſo läßt eine Notiz vom 24. November
vermuten, daß die fünfjährige Prinzeſſin ſich über andere Dinge,
die ſie hörte, ſchon Gedanken zu machen begann. Es kommt
Da
„die J. B. nach Hofe. Geſchichte ihrer Heirat mit dem alten
Manne, die mich ſehr frappierte.“
Am 1. Januar 1800 nimmt man ſie zum erſtenmale mit
in die Kapelle.
Am 13. Februar giebt es wieder Gelegenheit, einen Kirch⸗
gang der Mutter der Prinzeſſin „im bayriſchen Zimmer“ zu
feiern. „Wir ſtanden mit Guirlanden auf den Fenſterbrettern;
auf dem letzten ſaß die Amme mit der (neugebornen) Nany.
Alles war maskiert und man tanzte.“
Acht Tage darauf giebt es als Nachtrag oder zu Ehren
des Karnevals noch einen kleinen Ball, „wobei wir und die
Damen maskiert waren. Ich war als Königin da, Marie als
Junge, Fritz als Köchin.“
Im Mai jchreitet man zu der Impfung der drei Kinder
Amalie, Marie und Fritz. Die Sache war damals in den
meiſten Städten Deutſchlands etwas Neues. Dr. Jenners
Unterſuchungen über die Kuhpocken⸗-Impfung als Schutz gegen
die Menſchenblattern reichen zwar bis 1775 zurück, und nachdem
er ſich darüber im Jahre 1788 einig geworden war, begann
man hier und da ſelbſtändig mit Impfungen zu experimentieren;
ſo ſchreibt Schiller im Jahre 1788 an Körner, „es find gegen-
wärtig bei 40 Kinder hier (in Weimar) inokuliert, nachdem der
Anfang mit dem Prinzen und der Prinzeſſin gemacht worden;“
erſt 1794 meldet aber Körner auch die Impfung ſeiner Kinder.
Dr. Jenners berühmt gewordenes Experiment mit der
Blattern⸗Impfung des durch Kuhpocken-Impfung ſchon ge⸗
ſchützten Knaben James Phipps datiert noch 2 Jahre ſpäter,
vom Jahre 1796. Es gab heftige Kontroverſen unter den
Arzten jener Zeit, und die beiden großen Nationalbelohnungen
(10,000 und 20,000 Pfund Sterling) waren dem Dr. Jenner
noch nicht zuerkannt worden. Der von dem Prinzen Max in
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betreff ſeiner Kinder gefaßte Entſchluß mochte ſolcher Art nicht
leicht durchzuſetzen geweſen ſein. Man beobachtete denn auch
Abſperrungsmaßregeln, wie ſie jetzt nicht mehr üblich ſind. Die
„Okulierung“ fand im Garten des Max-Palais ſtatt. Zwei
Tage ſpäter kamen die Eltern unter die Fenſter des Gärtner—
hauſes (wo die drei Geimpften alſo Quarantäne halten mußten),
um nach ihnen zu ſehen. Auch die ärztliche Leiſtung galt jeden-
falls für ſehr riskant; denn drei Wochen darauf, als alles
glücklich verlaufen iſt, wird der Arzt, welcher die Impfung be—
ſorgte, Dr. Magnus, vom Kurfürſten mit 2000 Thalern belohnt,
und die kleine Prinzeſſin Amalie darf ihm eine Doſe überreichen,
auf welcher ſich ihr Porträt und das ihrer beiden Leidens—
genoſſen befindet.
Nach weiteren drei Wochen feiert man das glücklich über⸗
ſtandene Ereignis noch durch ein Feſt mit Muſik, Transparents
und Tanz. „Beim Deſſert teilten wir Bonbons aus an Alle,
die uns bei den Blattern beigeſtanden hatten.“
Als dann im folgenden Jahre auch die nächſtgeborenen drei
Geſchwiſter (Klemens, Anna und Johann) glücklich geimpft
worden ſind, läßt der Oberſthofmeiſter Jurkowsky, zur Erinner⸗
ung an die beiden „Inokulationen,“ am Pillnitzer Schloßteiche
ein „Repos“ bauen, das er mit einer franzöſiſchen Inſchrift
verſieht:
Dis au promeneur que tu n’existes, qu'en mémoire
de l’inoculation heureuse etc. etc.
Über den Unterricht, welchen die prinzlichen Kinder ge-
noſſen und ebenſo über die den älteren derſelben allmählich
zugänglich gewordenen Bücher, finden ſich in dem Tagebuch der
Prinzeſſin nur ganz vereinzelte Notizen; aus der erſten Kindheit
gar keine. Da ſie ſowohl, wie ihre ſechs Geſchwiſter — die
Jüngſte war die Prinzeſſin Joſepha — im ſpäteren Leben eine
ſehr vielſeitige und keineswegs oberflächliche Bildung zeigten,
ſo würde ſchon hieraus zu folgern ſein, daß es ihnen nicht an
guter Anleitung gefehlt haben kann. Näheres findet ſich aber
in den Aufzeichnungen des Prinzen, ſpäteren Königs Johann,
welche Dr. J. P. von Falkenſtein in ſeinem Charakterbilde
König Johanns mitteilt, und ſo mag aus dieſer Quelle hier das
Nötige eingeſchaltet werden. „Der Vater,“ ſchreibt Prinz
Johann, „nahm ſich der Erziehung ſeiner ſieben Kinder mit
großer Liebe und Gewiſſenhaftigkeit an und gab uns ſelbſt den
erſten Unterricht im Leſen, Rechnen, Schreiben, ſowie in der
Religion. Noch ſteht in einem Zimmer des Schloſſes, wo alle
Erinnerungen an ihn vereinigt ſind, der Schreibtiſch, ein Ge⸗
ſchenk meiner ſeligen Mutter, an dem jeder von uns ſein Schub⸗
fach mit ſeinem Namenszug bezeichnet hatte und an dem er uns
Unterricht gab.“
Wie innig überhaupt Prinz Max an ſeinen Kindern hing,
mag noch eine Stelle aus dem erſten Briefe darthun, welchen
er ſeinen Söhnen, den Prinzen Johann und Klemens, nach⸗
ſandte, als er ſie im Jahre 1821 nach Italien auf die Reiſe
entlaſſen hatte:
„Ich kann euch gar nicht beſchreiben, was ich empfand, als
ich euren Wagen fortfahren ſah. Ich lief trotz heftigen Regens
ſpazieren, um mich einigermaßen zu beruhigen; nun bin ich alſo
verlaſſen und meine Gedanken folgen, mein ganzes Herz iſt bei
euch. Iſt es doch mein einziger Troſt, daß ich verſichert bin,
von euch geliebt zu werden und daß ihr daher recht oft an
mich denken werdet.“
Hier auch noch die von dem Prinzen Johann gegebene
Charakteriſtik ſeiner Brüder und Schweſtern.
„Eine ſchöne Lichtſeite meiner Kindheit,“ ſchreibt er, „war
der Kreis der Geſchwiſter, der mich umgab. Wir waren drei
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e
Brüder und vier Schweſtern, die faſt immer mit einander waren
und ſich innig liebten. Die innige Freundſchaft, die uns ver-
band, iſt im ganzen Leben unverändert geblieben, denn es kann
keine zuverläſſigere Zuneigung geben als die, welche in den
früheſten Kinderjahren ihren Urſprung hat. Als dem Vorletzten
unter den Geſchwiſtern ſtand mir in jenen früheſten Lebens⸗
jahren meine jüngſte Schweſter Joſepha, ſpäter Königin von
Spanien, am nächſten; geift und phantaſiereich waren beſonders
meine Schweſtern Amalie und Marie Anna, ſpäter Gemahlin
des Großherzogs Leopold von Toscana, und mein älteſter
Bruder Friedrich Auguſt. Meine Schweſter Marie, ſpäter Ge—
mahlin des Großherzogs Ferdinand von Toscana, zeichnete
ſich beſonders durch klaren praktiſchen Verſtand und Fleiß aus.
Am wenigſten hervorragenden Geiſtes war vielleicht mein zweiter
Bruder Klemens, er hatte aber ein gutes, treffliches Herz.“
Soweit dieſe, den Ereigniſſen vorgreifende Einſchaltung.
Bald nach der Geburt des ſiebenten Kindes, der kleinen
Joſepha, am 1. März 1804, wird dieſer glückliche Familienkreis
durch den Tod der Mutter, der Prinzeſſin Karoline, in tiefe
Trauer verſetzt. „Nachmittags,“ ſchreibt Prinzeſſin Amalie,
„als wir eben Stunde beim Pater Löffler hatten, kam die Luk
weinend herein und ſagte uns, daß es ganz ſchlecht mit Mama
gehe. Wir ſtanden ſogleich auf und gingen, um zu beten. Unſere
Leute wurden eins nach dem andern abgerufen, um Mama noch
einmal zu ſehen. Sie brachten alle troſtloſe Nachrichten zurück.
Ich ſperrte mich ins Nebenzimmer, um nichts mehr zu hören.
Endlich ließ die Prinzeſſin Eliſabeth uns alle herüberholen.
Die Thüren des Schlafzimmers ſtanden offen. Wir fanden
Papa, von der Familie umringt, in ſeinem Schlafzimmer. Ich
ahnte, was geſchehen war. Als wir zu ihm traten, ſagte er:
Nehmt die Mutter Gottes zu eurer Mutter.“
= Me
Nach dieſem Trauerfalle geht die Heine Prinzeſſin Amalie
in die Hut der Prinzeſſin Thereſe über, der Gemahlin des
Prinzen Anton. Die Oberhofmeiſterin, verehelichte Marquiſe
Piatti, geb. von Erdmannsdorf, behält jedoch zunächſt noch die
vier Schweſtern gemeinſam in Aufficht und, wie bereits erwähnt,
bleiben die Geſchwiſter im engſten Zuſammenhang, was ſchon
durch den gemeinſchaftlichen Unterricht bedingt iſt.
Das Tagebuch vom folgenden Jahre 1805 ſagt darüber:
„Unſer Leben in dieſem Jahre war ſehr einfach. Um 7 ½ Uhr
Frühſtück mit Papa, dann heilige Meſſe. Um 11 oder 11½
Uhr Promenade mit Papa. Um 1 Uhr Diner bei cher oncle
(Prinz Anton) oder Papa oder der Tante Marianne. Eine
halbe Stunde lang nachher ſich Bewegung machen, meiſt Vogel⸗
ſchießen im Zimmer. Um 5ꝰ Uhr Roſenkranz, dann Kammer⸗
ſpiel bis 7 Uhr, wo wir mit der Tante Thereſe fortgingen und
bei ihr verſchiedene Spiele angaben, oder, wenn der Hof (was
faſt täglich der Fall war) ins Theater ging, Paßſpiel oder
Billard. Blieb Papa vom Theater weg, ſo kochten wir oder
buken oder es war Schachtelſpiel oder Topfſchlagen. Dann Souper
bei cher oncle (Anton) oder Papa oder der Tante Marianne;
bei letzterer waren auch die Damen und Herren des Hofes.
Jeden Freitag war Kammerſpiel. Wir ſpielten bis 7 Uhr
Kaſino mit ein paar Damen; die Übrigen ſaßen mit der Tante
Thereſe an einem Tiſch und arbeiteten.“
Auch hier nichts von den Unterrichtsſtunden, ſo wenig in
bezug auf die Prinzeſſin ſelbſt, wie auf die ihrer nächſtalten
beiden Schweſtern, deren Erziehung in den Händen der Gräfin
Karoline von Lamberg lag. Doch iſt ſchon erwähnt worden, daß
es nicht an Unterricht fehlte, wenn die Prinzeſſin darüber auch
nicht, wie über die vergnüglicheren Dinge erſt Buch führen mochte.
Selbſtverſtändlich hat die heraufziehende Kriegszeit bald darauf
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den geregelten Unterricht öfter und manchesmal auf längere
Zeit in Frage geſtellt, wogegen das Herausreißen aus den glück—
lichen und geſicherten Verhältniſſen des Heimatshauſes und die
Berührung mit Menſchen aus ganz verſchiedenen Ständen die
geiſtige Entwickelung der prinzlichen Kinder zweifellos in nach—
haltigerer Weiſe förderten, als noch ſo emſige Unterweiſung
dies zu thun vermocht hätte.
Mit wenigen Worten ſei hier denn auch der großen welt—
geſchichtlichen Ereigniſſe gedacht, welche ab und zu in das
idylliſche Leben des älteſten und alſo am weiteſten entwickelten
der ſieben Kinder — und das war die Prinzeſſin Amalie —
ihre bedrohlichen Schatten zu werfen begonnen hatten, ohne
freilich noch von ihr begriffen zu werden. Sie war 4 Jahre
alt geweſen, als Napoleon Agypten mit Krieg überzog, als
Nelſon die franzöſiſche Flotte bei Abukir vernichtete, und als
Oſterreich, Rußland, die Pforte, Neapel und England die jo-
genannte zweite Koalition zur Niederwerfung der Napoleoniſchen
Macht ſchloſſen. Im folgenden Jahre werden die Franzoſen
in der Schweiz, in Schwaben und Italien, dort von Oſterreich,
hier von Rußland geſchlagen. Aber Rußland ruft ſeine Truppen
zurück. Es folgt der Zug des auf zehn Jahre zum erſten Konſul
gewordenen Bonaparte über die Alpen. 1800 wird Oſterreich
bei Marengo beſiegt, 1801 iſt Frankreich in Beſitz des linken
Rheinufers, und Oſterreich tritt ihm die Niederlande, den Breis—
gau und Italien bis zur Etſch ab. 1802 ſchließt Frankreich
Frieden mit England und der Pforte. 1804 wird Napoleon J.
Kaiſer der Franzoſen und 1805 auch noch König von Italien. Im
nämlichen Jahre die dritte Koalition gegen Frankreich (England,
Oſterreich, Rußland und Schweden); Erfolgloſigkeit auch
dieſer Koalition; Übergabe Ulms, Gefangennahme der öſter⸗
reichiſchen Armee unter Mack; die Schlacht von Auſterlitz, kläg⸗
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licher Friede zu Preßburg; Bayern und Württemberg erhalten
Gebietszuwachs und werden zu Königreichen erhoben; Baden
wird Großherzogthum. 1806 Errichtung des Rheinbundes und
Auflöſung des Deutſchen Reichs. Schlacht bei Jena und Auer⸗
ſtädt. Niederlage der preußiſchen und der ſächſiſchen Armee.
Über einen großen Teil dieſer welterſchütternden Wand⸗
lungen finden ſich ſchon in den früheſten Tagebuchblättern der
Prinzeſſin Amalie kurze Notizen, und das Kommen und Gehen
der zahlreichen fürſtlichen Verwandten ihres Hauſes, deren
einige durch die Eingriffe der wachſenden Macht Frankreichs
beeinträchtigt oder gar depoſſediert worden waren, mußte denn
auch wohl ſelbſt einem Kindesverſtändniſſe die immer zunehmende
Unſicherheit aller Zuſtände nahelegen. Unter den im Tagebuch
erwähnten fremden Gäſten des kurfürſtlichen Hofes aus jener
Zeit ſind Nelſon und Lord Hamilton zu nennen, ferner Annibale
della Genga (der ſpätere Papſt Leo XII.), Kaiſer Alexander
von Rußland, Guftav IV. von Schweden, über deſſen Beſuch
in Pillnitz es heißt: „Nach dem Eſſen führte man uns zu ihm;
er war ein großer, ſchöner Mann mit einer nur zu langen Naſe.“
Ferner Prinz Louis Ferdinand (für welchen der Kurfürſt, wie
bekannt, eine warme Sympathie hatte), zuerſt 1804 und dann
nochmals am 18. September 1806, alſo kurz vor ſeinem Helden⸗
tode; „er ſpielte bei cher onele ganz herrlich ein Trio von
ſeiner Kompoſition auf dem Pianoforte. Die Kammermuſiker
Tietz und Pallmus begleiteten ihn.“
Es folgt dann der verhängnisvolle Oktober 1806 mit der
Überflutung Sachſens und Preußens durch die ſiegreichen
Rheinbund⸗Armeen. Am 24. Oktober ſieht die kleine Prinzeſſin
die Wachen durch die Bayern beſetzen, am 9. November rücken
die Württemberger ein. Der Hof hatte nach Bautzen überſiedeln
ſollen; man hatte den Kindern ſchon die Reiſekleider angezogen,
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und der kleine Prinz Johann war voll Ungeduld nach einem
Ritt auf den angeblich bei einem Bautzner Müller befindlichen
zahlreichen Eſeln. Aber die überlegene Politik des Siegers von
Jena wußte Mittel und Wege zu finden, das hilflos danieder-
liegende Sachſen dem Rheinbunde einzuverleiben; der Hof blieb
in Dresden.
Es rechtfertigt ſich hier wohl, aus den ſchon erwähnten
Aufzeichnungen eine Stelle einzuſchieben, in welcher Prinz
Johann über ſeine und ſeiner Geſchwiſter Gemütsverfaſſung
berichtet, wie ſie ſieben Jahre ſpäter, alſo im Frühling des
Jahres 1813, ſich zu den inzwiſchen in immer gewaltſameren
Erſchütterungen ihrem jugendlichen Verſtändniſſe nahe getretenen
Weltereigniſſen verhielt.
„Die Hoffnung des deutſchen Volks auf Befreiung vom
fremden Joch,“ ſo ſchreibt Prinz Johann, „drang ſchon hindurch
durch die Schranken des Hoflebens bis zu uns jungen Leuten.
Mit jugendlichem Enthuſiasmus faßten wir dieſe Stimmung
auf und malten die unſerer Meinung nach unzweifelhaften Er-
folge und eine roſige Zukunft uns mit den ſchönſten Farben
aus. Nachrichten aus Dresden, die uns zukamen, unterhielten
dieſe Stimmung, welche vielfach, wenigſtens im Stillen, doch
auch von den älteren Verwandten in Regensburg (dem damaligen
Aufenthalte der ſächſiſchen Königsfamilie) geteilt wurden. Wir
hörten von einem ſogenannten Volksaufſtand gegen den General
Reynier; von der Abſicht der Franzoſen, die Dresdner Brücke
zu ſprengen, worin wir vor allem einen Frevel gegen das
ſchöne Bauwerk und eine große Gefahr für die geliebte Stadt
Dresden erblickten; von dem ſchönen Empfang der herrlichen
alliierten Truppen in Dresden ...“
So ſtand es 1813, nachdem wenigſtens die älteren der
prinzlichen Kinder ſchon nicht mehr dem Kindesalter angehörten.
un
Aber 1806 war Prinz Johann erſt 5 Jahre alt, und auch
die Verfaſſerin des Tagebuchs zählte erſt 12 Jahre, ſo daß in
dem Kreiſe der Kinder des Prinzen Max der ſchwere Druck
jener erſten Napoleoniſchen Zeit ſich wohl kaum anders, als ein
Zuwachs an munterer Bewegung und neuen, wechſelvollen Ein⸗
drücken fühlbar gemacht haben kann.
Im Juli des folgenden Jahres — 1807 — kommt Napo⸗
leon ſelbſt nach Dresden. Murat begleitet ihn. Bald darauf
findet ſich auch Prinz Jerome ein. Die Kinder ſehen Napoleon
von den Schloßfenſtern aus. Prinz Max ſcheint die Ernennung
des Königs zum Könige von Polen ſogleich durch Napoleon
erfahren zu haben. Nous avons donné au Roi de Saxe la
Pologne, lautet die ihm vom Kaiſer gemachte Eröffnung,
„Worte, worüber Papa erſchrak,“ ſchreibt die Prinzeſſin.
Napoleons Aufenthalt in Dresden hat damals nur wenige
Tage gedauert.
1809 paſſiert Bernadotte durch Dresden, wohl auch der
Diviſions⸗General Morand, denn die Prinzeſſin ſchreibt: „Wir
ſahen Madame Morand, eine Polin, welche der General
beim erſten Erblicken zur Frau begehrt und nach wenigen Tagen
geheiratet hatte. Sie war ſehr hübſch.“ Sie hieß, wie man
weiß, Mademoiſelle Paris und hatte das Herz des reſoluten
Generals auf einem Balle in Warſchau in Flammen geſetzt.
Nachdem Bernadotte beim Prinzen Anton geſpeiſt hat,
dürfen ſich auch die Kinder zeigen und der höfliche Franzoſe
ruft aus: „les Princesses! mais elles sont belles!“
Inzwiſchen iſt nach mancherlei Friedensſchlüſſen, die immer
nur als Pauſen in dem ungeheuren Kriegsgetümmel jener Zeit
gelten konnten, Oſterreich wieder zu dem Verſuche geſchritten,
ſein Anſehen mit bewaffneter Hand neu herzuſtellen, und die
Prinzeſſin verräth bei dieſer Gelegenheit, auf welcher Seite ihre
Er
Sympathien find, trotzdem der Rheinbund ihr geliebtes Sachſen
an die Sache Frankreichs gefeſſelt hielt, denn am 25. April 1809
heißt es in dem Tagebuche der fünfzehnjährigen Prinzeſſin:
„Nachricht eines Sieges der Franzoſen über die Sſterreicher.
Meine Verzweiflung!“
Natürlich muß Dresden illuminieren und in der Sonne
des Feuerwerks darf auch das vorſchriftsmäßige N nicht fehlen.
Ein Tedeum in der katholiſchen Kirche dankt dem Himmel für
den Sieg der franzöſiſchen Waffen.
Nicht lange darauf erweiſt ſich aber Dresden als gegen
einen Handſtreich des Herzogs von Braunſchweig nicht mehr
geſichert. Am 13. Juni verläßt daher der königliche Hof die
Reſidenz und begiebt ſich auf die Reiſe nach Frankfurt a. M.
Der Wagen, in welchem die Prinzeſſin ihren Platz hat, kommt
zu Schaden und ein „Kammerwagen“ muß zur Aushilfe dienen.
Die Reiſe geht über Eiſenach und Fulda („ſchönes Schloß des
Fürſtbiſchofs, aber ohne Möbel, da dieſe Napoleon einem ſeiner
Generale geſchenkt hatte“). Im Walde bei Hanau ſollen Maro⸗
deurs ihr Weſen treiben. Man übernachtet daher in Gelnhauſen
und die Lakaien werden bewaffnet. Als Unterkunft für die
Nacht dienen die Wagen und einige leere Kammern. „Ich
ſchlief auf einem umgeſtürzten Stuhl, über welchen Tags darauf
die Prinzeſſin Eliſabeth fiel.“
Aber endlich wird Frankfurt doch erreicht. Unter den Per⸗
ſonen verſchiedener Art, die hier in den Geſichtskreis der Prin—
zeſſin kamen, ſeien erwähnt: der Hofnarr des Kurfürſten von
Mainz, die Prinzeſſin von Naſſau-Uſingen mit ihrer Tochter
(„letztere war ſehr ſonderbar, fie wurde ſpäter verrückt und er-
tränkte ſich“), der Fürſt Primas v. Dalberg, der den Kindern
des Prinzen Max ein kleines Feſt mit Karuſſell und Gouter
veranſtaltet; der Großherzog Ferdinand von Toskana mit ſeinen
4
ee De
drei Kindern, der Prinz Bernhard von Weimar, der Herzog
und die Herzogin von Bayern.
Am 23. Juli wird dem Könige von Sachſen zu Ehren im
Theater die Clemenza di Tito gegeben, und ein dazu gedichteter
Prolog geht der feſtlichen Vorſtellung voraus. Der König iſt
aber nicht zugegen. Von den inneren Widerſprüchen der ihm
aufgezwungenen Politik offenbar ſchmerzlich bedrückt, hält er ſich
zurück, wo ſeine Gegenwart nicht durch unabweisliche Pflichten
geboten iſt, und läßt ſich auch täglich die Meſſe nur auf ſeinem
Zimmer leſen.
Die Oper la Clemenza di Tito, Text von Metaftafio,
Muſik von Naumann, war zum erſtenmale bei der Vermählung
Friedrich Auguſts im Jahre 1769 aufgeführt worden. Dies
iſt die Oper, zu deren „beſſerer und feurigerer Ausarbeitung“
der damals 27 jährige junge Komponiſt in einem Memorial vom
Jahre 1768 ſich vom Kurfürſten zwei Flaſchen Wein per Tag
erbeten hatte, und der große Erfolg des Werkes berechtigt zu
dem Schluß, daß die ihm von dem fürſtlichen Bräutigam be⸗
willigte Sorte nicht etwa Meißner Schattenſeite geweſen fein
wird. Die Clemenza iſt bei verſchiedenen feſtlichen Veranlaſſ⸗
ungen zur Aufführung gelangt, und auch bei der Tafel des gol⸗
denen Hochzeitspaares im Jahre 1819 ſang der Tenoriſt Tibaldi
eine Arie aus dieſer Oper.
Ende Juli trifft die Nachricht ein, daß Sachſen von Feinden
wieder geräumt iſt, und der Hof begiebt ſich über Fulda, Gotha
und Weimar nach Sachſen zurück, doch bleiben die prinzlichen
Kinder während der Monate Auguſt und September in Leipzig,
woſelbſt ihre Bekanntſchaft nach der Seite des bürgerlichen
Elements ſich in ausgiebiger Weiſe erweitert.
Unter den kleinen Feſtlichkeiten, mit denen man ihnen
Freude zu machen ſucht, ſei nur einer erwähnt, die der Kauf⸗
|
nr 72
mann Vollſack veranſtaltet und wobei das Tagebuch außer einer
Menge von Bauernſpielen, Einſiedler-Anſprachen und Dryaden,
auch „dreier ſchönen Mädchen“ gedenkt, die auf (oder in?) der
Mulde ſich als Najaden produzierten.
Das Jahr 1810 ſchließt die Kindheit der Prinzeſſin ab.
Sie iſt jetzt 15 ¼ Jahre alt.
„Am 7. Januar,“ ſo meldet das Tagebuch, „erſchien ich in
der Welt; ging zuerſt zum König, dann zur Kour und abends
ins Apartement, was letzteres nur an jedem Sonntag ſtattfand.
Man trug dazu den manteau. Puteani präſentierte mir alle
Herren.“
Tags darauf iſt die Prinzeſſin zum erſtenmale im Theater
und ſieht die Erſtürmung von Smolensk.
Das Stück gefällt ihr beſſer als die von Mayer kompo⸗
nierte Oper Adelaſia, welche ſie bald darauf ſieht.
Von dieſer Zeit an nimmt das Theater einen weſentlichen
Teil des Tagebuchs ein, ohne daß übrigens in der Regel mehr
als die Titel der von der Prinzeſſin beſuchten Vorſtellungen
angeführt werden.
Vermutlich hat die immer ſchon unter den Kindern des
Prinzen Map üblich geweſene Beſchäftigung mit Sprichwörter⸗
Aufführungen und Komödienſpiel durch Prinzeſſin Amaliens
Theaterbeſuch jetzt neue Nahrung empfangen. Sie ſpielt in
Madame de Genlis enfant gäts die Dorine, dann auch die
Teopiſte in einem „von Papa komponierten“ Stücke St. Eu⸗
ſtache, ſowie ihre Brüder Fritz und Klemens die Söhne der
Teopiſte und ihre Schweſtern Marie und Nany die Schülerinnen
der Teopiſte darſtellen; die Rolle des St. Euſtache hat Prinz
Manx ſelbſt übernommen.
Daß auch die Karnevalszeit im Familienkreiſe nicht un⸗
genützt vorübergeht, verräth eine Notiz vom 26. Januar; da
4 *
= 5
heißt es Maskerade bei chere tante Thereſe: „Nany als Har⸗
lekin, ich als Marktſchreier, Marie als Taſchenſpieler (ſie machte
wirklich einige Kunſtſtückchen), Fritz als Muſikant, Klemens als
Savoyarde, Johannes als Affe, Joſepha als Hund, chere
tante als Führer dieſer Thiere.“
Am 14. April iſt Prinzeſſin Amalie zum erſtenmale bei
der Familientafel, am 19. verrichtet ſie ebenfalls zum erſtenmale
mit der Familie die öſterliche Kommunion, geht auch mit in der
Prozeſſion und hat am 20. in der katholiſchen Kirche die Char⸗
freitags-Betſtunde mit der chere tante „am heiligen Grabe.“
Von namhafteren Perſonen, die ihr in dieſer Zeit zu Geſicht
kommen, ſeien hier nur des Obriſten Tettenborn und des Fürſten
Poniatowski gedacht. Der letztere ſpeiſt häufig bei Hofe.
Im ganzen hatte es damals den Anſchein, als ob nach dem
vielen Kriegsgetöſe die Menſchheit den Verſuch mache, ſich in
ihr Geſchick zu fügen, und als ſei für einige Jahre Ruhe und
Frieden in Ausſicht. Statt Fluchtreiſen beginnen denn auch
wieder Erholungsreiſen. Über einen Ausflug dieſer Art berichtet
die junge Prinzeſſin in etwas eingehenderer Weiſe, als dies
daheim ihre Gewohnheit iſt. Hier ein kurzer Auszug aus ihrem
Journal. a i
ERBETEN
Zweiter Abſchnitt.
Erſte Jugendzeit.
(1810 — 1813.)
. Reiſe, welche die Prinzeſſin in Geſellſchaft ihres
opti und ihrer Tante, des Prinzen Anton und feiner
Gattin, im Mai 1810 macht, hat Carlsbad zum eigent—
lichen Ziel, doch wird vorher ein Aufenthalt von mehreren
Wochen in Prag genommen. Bald nach der Ankunft der Reiſen⸗
den trifft auch Kaiſer Franz in Prag ein, der, nach der Meinung
der Prinzeſſin, ſeinem Bruder, dem Großherzog Ferdinand von
Toscana, täuſchend ähnlich ſieht; wenige Tage ſpäter geſellt ſich
hnen die Kaiſerin Luiſe (Marie Luiſe Beatrix, Prinzeſſin von
Modena, damals 23 Jahre alt, des Kaiſers dritte Gattin),
„eine ſehr hübſche Frau,“ ſowie die Erzherzogin Leopoldine.
Alles Sehenswerte in und um Prag wird nun in Muße durch—
ſtudiert, von dem Zimmer, in welchem einſt der faule Wenzel
und ſein Scharfrichter eingeſperrt waren, bis zu der Höhle, in
welcher ſich der heilige Prokopius verbarg; von dem Grabe
des Ticho de Brahe bis zu dem eines Judenkindes, das getauft
worden war und deshalb, ſo ging im Volke die Sage, von den
Juden getödet worden ſein ſollte; von dem Platze, wo die Erde
ſich öffnete und die „böſe Drahomira“ verſchlang, bis zu dem
Sarge des heiligen Johannes von Nepomuk. Am 20. Mai
wird dieſer Sarg unter großen Feierlichkeiten geöffnet und von
ie
einem Gerüſte aus, das der Kaiſer und feine Gäſte befteigen,
blicken ſie auf den wohlkonſervierten Leichnam des Heiligen.
Das Grab eines Vogels mit Inſchrift im Clammſchen
Garten findet daneben freundliche Beachtung, wogegen die
Deviſe des Gartens: „Refuge contre les importuns,“ den
Beſuchern desſelben etwas anzüglich vorkommt. Nach dem
Geſchmacke der damaligen Zeit fehlt hier auch nicht ein Tempel,
in welchem nachts ſich Mond und Sterne zeigen.
Beiläufig erfährt man das Gewicht der Kaiſerin und ihrer
Gäſte, da eines Tages eine Gelegenheit zum Wiegen benutzt
wird.
Die Kaiſerin wiegt 75 Pfund öſterreichiſch,
chere tante 90 =
cher oncle 119 =
Leopoldine 54 = (ſie war 13 Jahre alt, Tochter
des Kaiſers aus ſeiner zwei⸗
ten Ehe),
*
Gräfin Alfan 149
und die Prinzeſſin ſelbſt 72.
Das Prager Pfund war ungefähr gleich 1 Pfund 3 Lot
Leipziger Gewicht, alſo faſt 10 Prozent ſchwerer, als dieſes.
Abends wird fleißig getanzt, teils im kaiſerlichen Schloſſe,
teils in den Häuſern des Adels, und zwar tanzt man Walzer,
Ekoſſaiſen, Quadrillen, Allemanden und Menuetts. Auch die
Kaiſerin tanzt wohl einmal mit. Übrigens ſind einige dieſer
Bälle für Kinder und für junge Perſonen bis 16 Jahren be⸗
rechnet, welches letztere Alter gerade dasjenige der Prinzeſſin iſt.
Auch die „tempéte“ findet unter den Tänzen jener Zeit Er⸗
wähnung. An einigen Abenden werden Sprichwörter auf⸗
geführt.
N -
In dem Taubſtummen-Inſtitut wird unter anderem den
Methoden nachgefragt, deren man ſich zum Unterrichten der
Taubſtummen bedient. Bemerkenswert in dieſer Beziehung iſt
das Auskunftsmittel, welches beim Eintritt der Dunkelheit be—
nutzt wird, wo alſo die ſonſt übliche Zeichenſprache ihren Dienſt
verſagt: Man ſchreibt den Taubſtummen dann mit dem Finger
auf den Rücken, und dies iſt ihnen verſtändlich.
Im polytechniſchen Salon zeigt man das Modell „einer
Eiſenbahn, auf welcher man ſchwere Laſtwagen mit geringer
Anſtrengung fahren kann.“ Natürlich fehlt noch die Lokomotive.
Im Blinden⸗Inſtitut wird auch das Zimmer beſucht, in
welchem die friſch Operierten weilen. Ein Mann war dort,
deſſen Operation durch Nieſen mißglückte. Man hatte ihm nach
der Operation geſagt, daß er nun auf ewig blind bliebe, und
die Troſtſprüche der mitleidigen jungen Prinzeſſin mögen ſeine
Trauer nur wenig gelindert haben.
Am 4. Juni reiſt der Kaiſer nach Wien zurück und die
ſächſiſchen Herrſchaften fahren nach Karlsbad, wohin ihnen
Tags darauf die Kaiſerin mit der Erzherzogin Leopoldine folgt.
Im Kurſalon ſieht die Prinzeſſin hier Goethe. In ihrer
zumeiſt mehr als lakoniſchen Weiſe berichtet ſie darüber:
„Ich ſah dort einen alten großen ſtattlichen Mann, von
welchem chère tante mir ſagte, daß es der berühmte Goethe
ſei.“ Kein Wort weiter.
Die Kaiſerin ihrerſeits ſorgt für das Vergnügungs-Bedürf⸗
nis ihres Kreiſes durch Ausflüge in die Umgegend und Theater:
ſpiel, wobei ſie ſich ſelbſt beteiligt. So ſpielt ſie in der „ge—
fährlichen Nachbarſchaft“ das Lieschen und in dem „Wirrwar“
die Frau von Langſalm. Der Theaterzettel enthält durchweg
fingierte Namen; ſo heißt die Kaiſerin auf demſelben Madame
Toutpoſſible; Graf Bouquoi, dem die Rolle der Babett zu⸗
.
gefallen iſt, paſſiert für eine Demoiſelle Angſtlich, Graf Chotek
in der Rolle der Doris heißt Mademoiſelle Impertinente ꝛc.
„Der Anfang iſt zwei Stunden vor dem Schluſſe. Das
Orcheſter tacet, weil die Geſellſchaft es nicht bezahlen kann.
Statt mit Geld bezahlt man die Entree mit Geduld und
Nachſicht.“ 5
Als Dekorationen ſcheinen bloße „ſpaniſche Wände“ gedien
zu haben.
Auf der Rückreiſe, welche über Brix und Dux erfolgt, wird
das prächtige Landhaus des Grafen Chotek in Schönhof be⸗
ſucht und auch der ſonderbar ausgeſtattete Garten desſelben in
Augenſchein genommen. Es fehlt dieſem Muſeum von Wunder⸗
lichkeiten weder an unterirdiſchen Gängen, noch an chineſiſchen
Tempeln, Obelisken, Falltreppen, Porzellan⸗überfüllten Pavil⸗
lons, Sarkophagen, Felſen, Waſſerfällen, Fiſcherhütten, goti⸗
ſchen Kapellen mit bunten Glasfenſtern, Dianatempeln 2c.
Im Schloſſe zu Dux ſieht die Prinzeſſin „einen großen
düſtern Saal, auf deſſen Plafond ein Graf Waldſtein mit ſeinen
24 Söhnen vorgeſtellt iſt, wie er dieſe dem Kaiſer zuführt.
Der Kaiſer, welcher jedem Ritter nur geſtattete, ſich von zwei
Knappen begleiten zu laſſen, ſoll ſtutzig geworden ſein, als er
den Grafen Waldſtein mit 72 Mann anrücken ſah, bis er ſich
überzeugte, daß dieſer die Vorſchrift nicht überſchritt, indem
jeder ſeiner Söhne nur zwei Mann zur Begleitung gehabt.“
In Teplitz erwartet die Reiſenden Prinz Max mit den
Geſchwiſtern der Prinzeſſin, und am 19. Juni war man wieder
daheim. |
Von der im Kreiſe des Prinzen Max herrſchenden Lieb⸗
haberei für Sinnſprüche und kleine Feſtlichkeiten iſt ſchon mehr⸗
fach die Rede geweſen. Hier ſei noch der Inſchriften gedacht,
durch welche diesmal die Heimgekehrten in dem Sedlitzer Schloß⸗
>
ni
a
er
garten bewillkommnet wurden. Auf einem Hügel, der mit
Roſen bedeckt war, ſtand zu leſen:
Eure Heimkehr bringt uns Roſen!
Und ebenſo auf einem mit Pensées (Stiefmütterchen) bepflanz⸗
ten Parterre:
Elles vous suivaient partout!
Dazu ſpielten die Hautboiſten:
Où peut on èétre mieux qu’au sein de sa famille!
„Papa wohnte mit uns im Garten,“ heißt es weiter, „wir
ſchoſſen dort nach dem (hölzernen) Vogel, aber arbeiteten auch
viel in der Erde.“
Dieſe Erdarbeiten ſcheinen ebenſo wie das Kochen zu einem
weſentlichen Vergnügen der prinzlichen Kinder gehört zu haben;
es beteiligen ſich die kleinen, wie die ſchon „in der Welt
Erſchienenen“ dabei, und ſo heißt es denn unterm 1. Oktober
1811:
„Wir arbeiteten im Garten an dem Gedächtnis für Jur⸗
kowsky,“ den im November des vorausgegangenen Jahres ver—
ſtorbenen Oberhofmeiſter. 5
Zum erſtenmale kommt in dem Tagebuche jetzt auch eine
Erwähnung dichteriſcher Verſuche vor, und zwar hat ſich der
Bruder Fritz dabei beteiligt. „Fritz und ich,“ heißt es am
Schluß der Sommerſaiſon, „hatten auf dem Garten (Pillnitz)
viel gedichtet. Ich hatte auch die Donna zu komponieren an⸗
gefangen.“
Während deſſen haben die weltgeſchichtlichen Ereigniſſe un—
unterbrochen ihren Fortgang genommen. Napoleon hat ſich
von ſeiner Gattin Joſephine ſcheiden laſſen, Marie Louiſe iſt
Kaiſerin von Frankreich geworden, und durch die Geburt eines
Sohnes, des Königs von Rom, iſt, ſo ſcheint es wenigſtens,
die Thronfolge geſichert. Von der Tiber bis zur Mündung
Be
der Elbe reichen jetzt die Grenzen Frankreichs. Schweden wird
nach dem Ableben des regierenden Königs durch Bernadotte,
dem jetzigen Adoptivkronprinzen, regiert werden und iſt dem
ſogenannten Kontinentalſyſtem einſtweilen ſchon beigetreten.
Rußland hat ſich dagegen von demſelben losgeſagt, und Napo⸗
leons nächſte Aufgabe iſt, es mit Gewalt wieder zu dem Kon⸗
tinentalſyſtem zu bekehren. Im Mai 1812 werden die deutſchen
Fürſten von Napoleon zu einer in Dresden abzuhaltenden
Konferenz zuſammengerufen, welche den Kriegszug gegen Ruß⸗
land zum Gegenſtande haben wird. Auch der Schwiegervater
Napoleons, Kaiſer Franz, muß ſich dazu einfinden.
Prinzeſſin Amalie iſt jetzt 173/ Jahre alt. Was fie über
die äußeren Vorgänge dieſer Tage zu Papier bringt — von
ihrer eignen Gemütsverfaſſung pflegt ſie ja zu ſchweigen — iſt
etwa folgendes:
Während der Monate März und April hat es faſt un⸗
unterbrochen Truppendurchzüge in öſtlicher Richtung gegeben.
Am 8. Mai kommt der Vizekönig von Italien, Prinz Eugen,
nach Pillnitz, reiſt aber am 9. weiter. Am 15. Mai trifft der
Herzog von Weimar, Karl Auguſt, ein, am 16. der Herzog von
Koburg. Der König und die Königin von Sachſen reiſen
Napoleon entgegen.
„Um 10 Uhr abends gingen wir alle zu Kouſine, Prin⸗
zeſſin Auguſte, um die Ankunft des Kaiſers und der Kaiſerin zu
erwarten. Um 11 Uhr hörte man den erſten Kanonenſchuß.
Um 11% kamen fie an, die Kaiſerin mit der Königin, dann
Napoleon mit dem Könige. Goldgeſticktes Reiſekleid der Kaiſerin;
rotes und blaues mit Goldborten ihrer Damen. Die Straße,
durch welche ſie paſſierten, war beleuchtet. Wir empfingen ſie
unten an der Treppe.“
Fr ER
„Am 17. gegen 10 Uhr kam der Großherzog von Würzburg
(die jetzige Würde des depoſſedierten Großherzogs Ferdinand
von Toscana). Um 1 Uhr Viſite der Prinzen beim Kaiſer.
Dann mit den Prinzeſſinnen und Kindern bei der Kaiſerin. Die
Königin von Weſtfalen (Tochter des Königs von Württem⸗
berg) kam nach 11 Uhr an.“
„Am 18. treffen der Kaiſer und die Kaiſerin von Oſterreich
ein. Der Hof empfängt ſie am Wagenſchlage. Der König führt
ſie in ihr Quartier. Napoleon und Marie Louiſe bewohnen
die Paradezimmer.“
„Um 8 Uhr war großes Bankett; die beiden Kaiſerinnen
in der Mitte, Kaiſer Franz neben Marie Louiſe und Napoleon
neben der Kaiſerin von Oſterreich, dann alle anderen nach ihrem
Rang; die ganze Nobleſſe der Tafel gegenüberſtehend.“
Nachher Illumination.
Am 19. Diner bei Napoleon, dann Spiel bei Marie
Louiſe.
Am 20, Ankunft des Erbprinzen von Mecklenburg-
Schwerin. Diner bei Napoleon. Gala-Theater, Kantate zu
Ehren der Gäſte, Muſik von Morlacchi, Worte von Orlandi.
„Er war gar zu Flatteur,“ bemerkt die Prinzeſſin. Darauf ein
paar Szenen aus Sargino von Paer, welcher letztere ſamt ſeiner
Gattin ſeit 1807 in Napoleons Dienſt ſtand, nachdem beide ſeit
1802 wichtige Stützen der Dresdner Oper geweſen waren.
„Am 21. Diner bei Napoleon, mit Papa, der Tante
M. A., Marie und mir, dem Prinzen von Neufchatel und dem
Prinzen von Mecklenburg. Spiel bei der Kaiſerin. Napoleon
ſpielte nie, ſondern ging gewöhnlich die ganze Zeit mit dem
Kaiſer Franz im Saale auf und ab, was alle Herren, die nicht
eben ſpielten, zum Stehen nötigte.“
0 a
So geht es fort. Am 24. kommt Napoleon in die katho⸗
liſche Kirche und hört „die ſehr kurze Meſſe“ des See
von Mecheln. Abends wieder Gala-Theater.
In Betreff des Erzbiſchofs von Mecheln (Dominique Dufour
de Pradt, geb. 1759, geſt. 1844) ſei hier daran erinnert, daß er
um die Zeit dieſer Dresdner Konferenztage auf dem höchſten
Punkte ſeines diplomatiſchen Anſehens ſtand. Napoleon ſchickte
ihn wenige Tage darauf als Geſandter nach Warſchau, wo er
aber den Intereſſen Napoleons gefliſſentlich entgegenarbeitete;
„ohne dieſen Mann,“ rief der Kaiſer ſpäter aus, „würde ich die
Eroberung der Welt vollendet haben.“ — Auch der Prinz oder
Fürſt von Neufchatel und Wagram (Alexander Berthier, Mar⸗
ſchall und Vize-Connetable des franzöſiſchen Kaiſerreichs, geb.
1753) ſtand zu jener Zeit im Zenith ſeiner ruhmreichen Lauf⸗
bahn. Zwei Jahre zuvor hatte er in Wien die Ehre genoſſen,
Napoleon bei deſſen Vermählung mit Marie Louiſe zu ver⸗
treten. Nach dem Falle Napoleons trat er auf die Seite der
Bourbonen und erhielt die Pairswürde, ſowie den Titel eines
Kapitäns der königlichen Garden. „Ich will an dem Narren
Berthier keine andere Rache nehmen, als ihn in der Uniform
eines Gardekapitäns Ludwig des Achtzehnten zu ſehen,“ äußerte
Napoleon, nachdem er aus Elba nach Paris zurückgekehrt war
und dort auch Berthiers reuevolles Eintreffen erwartete. Aber
Berthier kam nicht. Halb verwirrt durch die Erſchütterungen
der letzten Jahre, war er zu ſeinem Schwiegervater, dem Herzog
von Bayern-Birfenfeld, nach Bamberg geflohen, und beim An⸗
blick der dort einziehenden Ruſſen ſtürzte er ſich vom Schloß⸗
balkon herab und ſtarb.
„Am 25. Mai,“ fährt das Tagebuch fort, „Saujagd in
Moritzburg. Bei dem Dejeuner oder Diner in Moritzburg
wurde es Napoleon zu lang und er ſprach plötzlich:
— 61 — 5
„Que l'on serve le dessert!“
was auch erfolgte und die Braten zum Arger der Tante Eliſa—
beth gar nicht ſerviert wurden.“
„Am 26. gegen 11 kam der König von Preußen an und
verbat ſich alle Honneurs. Der König und die Prinzen em—
pfingen ihn unten an der Treppe. Diner bei Napoleon mit
dem König von Preußen und cher oncle und chere tante.“
Die „Auszüge aus den Papieren eines Sachſen“ (des
Generals von Vieth) ſtimmen mit dieſer Darſtellung nicht über—
ein. Danach hätte Generalleutnant von Zeſchau auf eine von
ihm an den König Friedrich Wilhelm gerichtete Anfrage, wegen
etwaigen Verbittens der üblichen Empfangsfeierlichkeiten, die
Antwort erhalten: Da es ſich um keinen Freundſchaftsbeſuch,
ſondern um eine Konferenz handle, müſſe der König dem Könige
Friedrich Auguſt anheimgeben, wie er ihn empfangen werde. —
Es ſei nun trotzdem ein feierlicher Empfang unterblieben, aber
die dadurch entſtandene Verſtimmung des königlichen Gaſtes ſei
„durch das redlich herzliche Benehmen des Königs Friedrich
Auguſt gemildert, ja völlig beſeitigt worden.“ Es wird dann
jene Verſäumnis auf die ſchon bei Kaiſer Franzens Eintreffen
demonſtrativ laut geweſenen Jubelrufe des Volkes und auf das
völlige Unterbleiben derſelben bei Napoleons Einzug zurück—
geführt. — „Die Monarchen,“ wird in jener Schrift hinzu—
gefügt, „erſchienen bei jeder feierlichen Gelegenheit in voller
Militär⸗Uniform, Napoleon am öfterſten in der der Garde—
Chaſſeurs, ſtets in Schuhen und Beinkleidern, ſtehend immer
den Hut unter dem linken Arme, eine Tabaksdoſe in der
Hand.“
„Die Kaiſerin von Oſterreich,“ fährt das Tagebuch der
Prinzeſſin fort, „iſt beſtändig der Gegenſtand beſonderen Inter—
eſſes in der Dresdner Bevölkerung. Vor ihren Fenſtern ſam—
Re
meln ſich die Leute immer in großer Menge. Nach den Diners
pflegt ſie ſich daher auf dem Balkon zu zeigen und, nachdem ſie
die untenſtehenden Leute begrüßt hat, ſich wieder zurückzu⸗
ziehen.“
Am 27. trifft auch der damals ſiebzehnjährige Kronprinz
Friedrich Wilhelm von Preußen ein. Am 28. Fronleichnams⸗
Prozeſſion wie gewöhnlich, „aber ohne Steifröcke, welche ab⸗
geſchafft worden.“ Nach dem Diner nimmt Napoleon Abſchied.
Am 29. morgens 4 Uhr reiſt er ab; ebenſo um 11 der Kaiſer
von Oſterreich und ſeine Gattin. Die Kaiſerin Marie Luiſe
bleibt noch bis zum 4. Juni, und im engen Verkehr mit dem
ihr ja nah verwandten ſächſiſchen Hofe wird von ihr die ſchöne
Umgegend Dresdens fleißig beſucht. Der König von Preußen
und ſein Sohn, der Kronprinz, reiſen ſchon am 30. Mai nach
Berlin zurück. Auf der pirnaiſchen Straße begegnet ihnen der
König von Sachſen. Beide Könige ſteigen aus und haben ein
längeres Geſpräch.
Den Sommer über wird wiederum Teplitz mehrmals be⸗
ſucht. Am 16. September kommt der König von Preußen auf
einige Stunden nach Dresden, zwei Tage nach dem Brande
von Moskau, von dem die Kunde aber exit ſehr viel ſpäter
nach Deutſchland gelangte; mußte Dresden doch noch am
27. September zur Feier des Sieges an der Moskwa illumi⸗
nieren.
Im November verlautet zuerſt Mißliches über den gegen
Rußland unternommenen Feldzug. „Die Spath,“ ſo ſchreibt
die Prinzeſſin, „kam eines Abends zu uns unter dem Vor⸗
wande, uns einen von der Kaiſerin von Frankreich erhaltenen
Shawl zu zeigen, eigentlich aber, um uns von der ſchlechten
Lage der Armee zu unterrichten, mit der ſie ein Offizier bekannt
gemacht hatte.“
1
Am 23. desſelben Monats giebt man im Theater, wohl
um des ominöſen Titels willen, das Stück: „Der Krug geht ſo
lange zu Waſſer, bis er bricht.“
„Am 14. Dezember,“ heißt es dann aber im Tagebuche,
„kam Napoleon früh um 4 Uhr (per Schlitten) in Dresden an.
Der König ließ ſich zum franzöſiſchen Geſandten (Baron de
Serra, im Looſeſchen Hauſe auf der Kreuzſtraße), wo Napoleon
in Dresden abgeſtiegen war, (in der Portechaiſe) tragen, worauf
Napoleon bald abreiſte. „Je m'en vais voir un peu ce qui
se passe chez moi!“ hatte er dem Könige geſagt.“
Am 26. Dezember kommt die Nachricht, daß ſich das Regi—
ment Prinz Johann den Ruſſen gefangen gab; am 17. Februar
folgt eine gleiche Nachricht in bezug auf das Regiment Prinz
Anton. Warſchau iſt im Beſitz der Ruſſen. Mit ihnen ver⸗
bündet, ſuchen die Preußen dem lange getragenen Druck der
Fremdherrſchaft ein Ende zu machen. Am 30. Dezember ſchon
iſt General York zu den Ruſſen übergetreten. Am 3. Februar
1813 erläßt Friedrich Wilhelm III. den Aufruf zur Bildung der
freiwilligen Jägerkorps, am 17. März folgt der Aufruf an Volk
und Heer. — Sehr bald zeigt ſich's, daß Dresden abermals
von den Wechſelfällen des Kriegs zunächſt berührt werden wird.
Schon Mitte Februar werden die Munitionsvorräte von
Dresden nach Torgau geſchafft und ebenſo ſammeln ſich dort
die Reſte der ſächſiſchen Truppen, wie auch die Neuausgehobe—
nen. Nicht minder trifft man Anſtalten, die öffentlichen Kaſſen
und die Kunſtſchätze nach dem Königſtein in Sicherheit zu
bringen.
Wieder wird nun auch der Kreis der prinzlichen Kinder
von den Bedrängniſſen des Kriegs heimgeſucht. Die Ungewiß⸗
heit, ob Dresden verlaſſen werden müſſe, oder nicht, ſo referiert
darüber die Prinzeſſin, hatte mehrere Tage gedauert. Im
> Mn
Schloſſe war das Silbergerät eingepackt und ebenſo hatte man
die Altargeräte der katholiſchen Kirche fortgeſchafft. Ein Reiſe⸗
altar ſtand in Bereitſchaft. Endlich kam die beſtimmte Nach⸗
richt, daß am 22. Februar aufgebrochen werden ſolle.
Se
Dritter Abſchnitt.
uch ine
(Februar bis Juni 1813.)
) efter ſchon hatten die Prinzeſſin und ihre Geſchwiſter
das Reiſegebet gebetet. Dazwiſchen waren immer wieder
„die herkömmlichen Lernübungen, Vergnügungen und
Tagesbeſchäftigungen eingehalten worden. „Wir ſpielten den
Cid und die Adelasie en pantomime,“ hieß es noch am 19.;
„Gruppen der chère tante M. A. mit den Schweſtern.“
Und am 21.: „Wir gingen in die Oper le due burle.
Chöre tante M. A. blieb zu Haufe.‘
Und am 22.: „Wir gingen ins Kammerſpiel, wo ich die
traurigſte Boſton-Partie meines Lebens machte. Uns zu er⸗
heitern, ſtellten wir nachher bei chere tante die Cendrillon vor.“
— Endlich, am 22., wird die Reiſe angetreten. Sie geht über
Herzogswalde, Freiberg und Chemnitz nach Bayern. „Wie
war ich ergriffen,“ ſchreibt die Prinzeſſin beim Überſchreiten
der Grenze am 24. Februar „mein Vaterland zu verlaſſen!“
Immer aber treffen zwiſchen den beängſtigenden Nachrichten
auch noch beruhigende ein, und ſo gelingt es denn den Erziehern
der Prinzen, dem General Forell und dem Baron Weſſenberg,
die allſeitig gedrückte Stimmung durch Beſchäftigen und Zer⸗
ſtreuen der prinzlichen Kinder zu heben. Sobald man in
Baireuth einquartiert worden iſt, werden wieder wie daheim
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a 0
Sprichwörter und Anekdoten aufgeführt, und als die bayeriſche
Gräfin Giech mit ihren zwei Töchtern ihre Aufwartung ge⸗
macht hat, merkt Prinzeſſin Amalie in ihrem Tagebuche an:
„Die Mädchen ſind luſtig, und ich habe viel mit ihnen gelacht.“
Baireuth gefällt ihr überhaupt, nur vermißt ſie einen an⸗
ſtändig großen Fluß, wofür ſie den dortigen Main noch nicht
gelten laſſen mag. Auf der Bühne des geſchloſſenen Opern⸗
hauſes, das ſie beſucht, hat man — wer weiß, ſeit wie lange —
die Dekoration eines Ritterſtücks ſamt der ſervirten Tafel
ſtehen laſſen — ein kleiner charakteriſtiſcher Zug für die damalige
Zeit, die mit ihrem kriegeriſchen Getümmel die Muſen bald hier
bald dort zu Flüchtlingen machte.
Aber auch die lehrreichen Sehenswürdigkeiten der a)
werden nicht verabjäumt.
„Graf Münſter,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „begleitete uns
in die Marmorfabrik, wo ſehr ſchöne Sachen verfertigt werden;
doch alle Freude verging mir, als ich entdeckte, daß die Anſtalt
ein Zuchthaus, und die Arbeiter Verbrecher ſind. Der Gedanke,
unter ſo vielen Übelthätern zu ſein, machte mich ſchaudern und
chere tante auch. In einem Saale wurden Brillengläſer ge⸗
ſchliffen und dort arbeiteten die ſchlimmſten Verbrecher. Ab⸗
ſcheuliche Geſichter. Ich fragte zitternd den Führer: ob auch
Mörder dabei ſeien? Er ſagte mir: Drei... Man führte uns
in den Saal, wo in Wolle gearbeitet wird. Es war als träte man
in ein Grab. Dieſe Leute verziehen den Mund zu keinem
Lächeln . .. Daneben iſt der Saal, in welchem die Frauen
arbeiten. Sie ſpinnen. Frauen von jedem Alter, eine noch ein
halbes Kind, blaß wie der Tod. Beſonders frappierte mich eine
junge Frau, die auf einer Bank ſaß, die Augen kaum aufhob
und von Schmerz ganz verzehrt ſchien. Sie war wohl noch
nicht lange da. Ich atmete auf, als wir heraus waren. — Wir
N
*
gingen in die Kartenfabrik auch in dieſer Anſtalt, und in den
Hof, wo wir die Schlafſtellen ſahen. Die Strohſäcke, auf
welchen die Gefangenen ſchlafen, ſind abſcheulich ſchmutzig. Sie
eſſen nur achtmal des Jahres Fleiſch; des Sonntags Knödel.
Endlich traten wir ganz aus dieſem traurigen Aufenthalt.“
Über einen ihrer Kirchenbeſuche merkt die Prinzeſſin an:
„Nachmittags Kirche, in welcher Pſalmen auf Deulſch ge⸗
ſungen wurden.“
Der König, die Königin und Bringeffin Auguſte waren
von Dresden am 25. Februar abgereiſt, vor der Hand nur nach
Plauen im Vogtlande. Ob und wann die bayeriſche Grenze
überſchritten werden ſollte, das hing von den Kriegsereigniſſen
ab. Kam es dazu, ſo hatten Prinz Anton und Prinz Max mit
den Ihrigen ihr Quartier nach Regensburg zu verlegen. Einſt⸗
weilen blieb man noch in Baireuth. Die berühmte Eremitage
konnte ſolcher Art auch noch in Augenſchein genommen werden,
und Prinzeſſin Amalie giebt über dieſelbe in ihrem Tagebuch
ausführlichen Bericht, doch enthält er nur das ſeitdem von
andern Reiſenden über die Wunderlichkeiten dieſes fürſtlichen
Parks zu öftern Malen Erzählte. — In betreff der oben er⸗
wähnten beiden Brinzen -Erzieher ſei hier noch nachgetragen,
daß General Forell aus einer alten, im Kanton Freiburg an⸗
ſäſſig geweſenen Schweizer-Familie ſtammte, der Neffe des
einſtigen Erziehers Friedrich Auguſts war, und bereits zu An⸗
fang des ſiebenjährigen Krieges in Frankreich Dienſt genommen
hatte, jo daß er jetzt ſchon einigermaßen betagt war. In
Dresden bekleidete er neben ſeiner Erzieherſtelle auch noch den
Poſten eines Kommandanten der ſogenannten Schweizerwache,
die aber nur ihrem Namen nach ſchweizeriſch war und für welche
immer wenigſtens noch ein Schweizer als Kommandant daher
ſchwer entbehrlich war. General Forell hatte die Eigentümlich⸗
5 *
a,
keit, nie mündlich, nur ſchriftlich feine Reprimanden zu erteilen,
war ſehr zeremoniell, wurde aber von den prinzlichen Kindern
geliebt. Domherr Alois Freiherr von Weſſenberg fungierte
neben Forell als Studiendirektor. Er war ein Bruder des
liberalen General-Vikars von Konſtanz und hatte gleich dieſem
tüchtige wiſſenſchaftliche Kenntniſſe und einen weiten Geſichts⸗
kreis. Da er kränklich war, fehlte es ihm häufig an Gleichmut;
dabei lobte er faſt nie. Im Übrigen war ſein Einfluß ein an⸗
regender und bildender.
Am 4. März wird infolge einer Weiſung des Königs
die Reiſe nach Regensburg angetreten, woſelbſt die Ankunft
nachts erfolgt. Die prinzlichen Herrſchaften werden bei einem
jüdiſchen Bankier namens Reichenberger einquartiert und Prin⸗
zeſſin Amalie verſäumt nicht, über die ihr ungewohnte Ein⸗
richtung des jüdiſchen Hauſes das Weſentliche anzumerken.
Beſonders intereſſiert fie ein von chere tante entdecktes Kabinett,
die Lauberhütte, ein auf hölzernen Säulen ruhender Anbau „mit
einem zu öffnenden Dache. Hübſche kryſtallene Kronleuchter
hingen an den Dachbalken und an den Wänden. Reihen von
kryſtallenen Schalen, zwiſchen welchen vertrocknete Blumen ſtaken,
auch Tannenzweige. Vor den Thüren der Zimmer ſind blecherne
Kapſeln befeſtigt, welche die Juden beim Eintritt berühren und
ein Gebet dazu ſprechen. Man ſagt, ihr größter Eid ſei, darauf
zu ſchwören. Hebräiſche Worte ſtehen darauf geſchrieben.“
„Es war ſehr kalt bei uns,“ heißt es am 6., „da die Ae
am Sabbat nicht einheizen.“
Über dieſelbe Familie wird noch angemerkt, ſie habe ein
ſehr ſchönes mit Säulen verziertes Gartenhaus auf der Prome⸗
nade; im Garten ſtehe ein Tempel, in welchem ſich auf braunem
Marmorpoſtament eine weiße Marmorbüſte Keplers befinde.
Am erſten chriſtlichen Oſtertage habe Frau Reichenberger ihren
.
— 69 —
Quartiergäſten Blumen gebracht, der Gemahl ſei aber den
ganzen Tag im Bette geblieben, „um den Meſſias zu erwarten.“
— „Ein hohler Leuchter wurde ihm gebracht, den er öffnete und
die darin ſtehenden Schüſſeln an ſeine Hausleute verteilte.“
Die weiße Frau kommt auch in Regensburg wieder aufs
Tapet. Ein Militär erinnert ſich, ſie im Baireuther Schloß ge—
ſehen und faſt den Tod davon getragen zu haben; einer der
Wagenhalter iſt im Billardzimmer geweſen, als fie durch das⸗
ſelbe ging. „Nun, wir ſind nicht mehr in Baireuth,“ beruhigt
ſich Prinzeſſin Amalie.
Größere Sorgen machen ihr die Nachrichten aus Dresden,
das damals nicht mehr ganz Feſtung und doch auch noch nicht
ganz offene Stadt war, und das die Franzoſen gegen die von
Oſten heranrückenden Ruſſen und Preußen dennoch zu be—
haupten ſich anſchickten. Die Prinzeſſin iſt außer ſich; man
ſchreibt ihr nur „von Bleſſierten, Kranken und Sterbenden.“
Vor Trauer vermag ſie nicht zu eſſen. „Als die Briefe aus
Dresden geleſen wurden, hielt ich mich vor Angſt an einem
Stuhl feſt.“
Es war im Werke, die Elbbrücke zu ſprengen, und man
weiß, wie die Dresdner Bevölkerung ſich durch dieſes Vorhaben
bis zu Handgreiflichkeiten gegen die damit betrauten franzöſiſchen
Mineure hat hinreißen laſſen. Auch im Kreiſe der prinzlichen
Kinder konzentriert ſich mehre Tage lang das ganze Intereſſe
auf die Frage: Wird dies Unerhörte wirklich geſchehen? bis
dann die vollendete Tatſache berichtet wird und alle mit Un⸗
willen erfüllt.
„Mein geliebter Nachtwächter,“ heißt es dazwiſchen, „der
Tags vorher weggeblieben, ließ ſich wieder hören,“ vermutlich
ein Klang, der an das trauliche Rufhorn des Pillnitzer Nacht⸗
wächters gemahnte und Heimat-Gedanken wehmütiger Art
wach rief.
„Ich habe heute morgen ein recht armes Begräbnis ge⸗
ſehen,“ heißt es ein anderes Mal; „der Tote lag unter einem
einfachen ſchwarzen Tuche, aber an 30 Frauen folgten nach und
weinten.“
Mit ſeltſamen Gefühlen mag inmitten der Sorgen und
Angſte dieſer ſchweren Zeit ein Geſchenk empfangen worden ſein,
das die Kaiſerin Marie Luiſe aus Paris ſendete: Einen präch⸗
tigen Spieltiſch für die kleine Prinzeſſin Joſepha.
Dennoch galt es allerdings, die Kinder zu beſchäftigen und
auch die belehrenden Beſuche in und um Regensburg mit an⸗
regenden Zerſtreuungen wechſeln zu laſſen; ſelbſt Prinz Anton
mußte dabei mit helfen, ſo wenig er dazu aufgelegt ſein mochte.
„Cher oncle ſpielte bei chère tante Sprichwörter mit uns,“
heißt es im Tagebuch, „was ſehr amüſant war.“ Baron von
Weſſenberg erſinnt ſogar „ein neues Sprichwörterſpiel.“
Auch Prinz Max fügt ſich den Bitten eines Malers, ihm
zur Erprobung einer abkürzenden Porträtier-Methode einige
Sitzungen zu gönnen, und läßt ſich für den Fürſt-Abt von
St. Emeram, bei welchem er Quartier hat, malen.
„Der Künſtler bedient ſich dazu,“ wie die Prinzeſſin be⸗
richtet, „eines Flors und nimmt durch dieſen die Konturen des
Geſichts.“ Die neue Erfindung wird dann ſofort auch noch zur
Vervollkommnung lebender Bilder verwertet. „Wir machen
Tableaus vor der Camera lueida des Prälaten von Prächt⸗
lingen,“ heißt es im Tagebuche. Ein anderes Mal führt man
Adelheid von Burgau als Pantomime auf; auch ſpielt man
Doktor Fauſtus. |
Unter den vielen Sehenswürdigkeiten Regensburgs, welche
das Tagebuch erwähnt, ſei hier nur der Brücke und auf der⸗
„ =
ee
ſelben der drei ſteinernen Tierbilder gedacht, des Hahns, der
Katze und des Hundes; wie die Prinzeſſin erfährt, ſind es die
Porträts der erſten drei Brückenpaſſanten, durch deren Hinüber⸗
treiben der Baumeiſter den Teufel geprellt haben ſoll, da der
Teufel ſich bei ſeinem Pakt mit dem Baumeiſter nicht ausdrück⸗
lich drei Menſchen als die erſten Paſſanten ausbedungen hatte.
Im Gleichen der Statue eines Maurers auf der nämlichen
Brücke, angeblich eines Schülers des Erbauers des Domturmes.
Dieſer, ſo berichtet die Sage, ſtürzte ſich von dem Turme herab,
aus Verdruß über den Schüler, der den Bau der Brücke früher
beendet hatte, als er, der Meiſter, den Bau des Turmes. Auch
das Standbild des Meiſters iſt auf dem Turme angebracht und
das des Schülers blickt von der Brücke höhnend zu ihm auf.
Über die Volkstracht heißt es: „Die Weiber find hier zu
Lande abſcheulich angezogen. Die Röcke ſind enorm dick und
kurz, ſodaß ſie ganz viereckig ausſehen. Einen dergleichen ſteifen
Latz auf der Bruſt, deſſen Spitzen herausſtehen. Hölzerne Achſeln,
hölzerne Hüften, um ihre Körbe zu tragen, was ſie ganz un—
förmlich macht. Bei manchen hängt ein falſcher Chignon an
der Haube, der oft von anderer Farbe, als die der Haare des
Scheitels iſt.“
Inzwiſchen hat der Übertritt des Königs von Sachſen nach
dem verbündeten Bayern ſtattgefunden und am 30. März nach⸗
mittags 5 Uhr trifft er in Regensburg ein, nachdem durch „einen
Privatſpaß von Gaſſenjungen“ ſchon eine gute Weile vorher
ganz Regensburg auf die Beine gebracht worden war; ſie hatten
ſich nämlich in den Dom geſchlichen und vorzeitig das Signal
zum Läuten aller Regensburger Glocken gegeben.
Zur Begrüßung des ſächſiſchen Monarchen kommt der
König von Bayern mit dem (zweiten Sohn des Königs, dem
achtzehnjährigen) Prinzen Karl am 3. April nach Regensburg
A.
und bleibt bis zum 5. „Er iſt nicht mehr jung,“ merkt die
Prinzeſſin über den König Maximilian Joſeph an, „ſcheint
aber ſehr gut und freundlich; der Prinz Karl iſt ſehr artig und
ganz natürlich.“
Noch geſchieht eines preußiſchen Generals Erwähnung, der
am 15. April dem König Friedrich Auguſt einen Brief über⸗
bringt und am 16. wieder abreiſt; vermutlich die am 9. April
von Friedrich Wilhelm III. aus Breslau an Friedrich Auguſt
gerichtete und durch General von Heiſter überbrachte Aufforder⸗
ung zum Abſchütteln ſeiner Rheinbundpflichten, einer Aufforder⸗
ung, welcher Friedrich Auguſt bekanntlich nicht entſprechen zu
dürfen glaubte, teils weil Sachſen dann bei einem ſiegreichen
Wiedervordringen Napoleons und ſeiner übrigen Rheinbund⸗
Verbündeten um den letzten Reſt ſeiner Selbſtändigkeit kommen
mußte, teils weil ihm eine durch Sachſen verſtärkte Vermittler⸗
rolle Oſterreichs ein minder ſchroffer Weg ſchien, um die Rhein⸗
bundsfeſſeln abzuſtreifen.
„Eines unſerer (Brief-) Pakete,“ heißt es nach dem Ein⸗
treffen von Dresdner Briefen, „iſt in die Hände des Minifters
Freiherrn von Stein gefallen.“
Am 17. verlautet, daß Napoleon die zwei ſächſiſchen
Kavallerie-Regimenter verlangt, welche in Regensburg weilen.
„Wie wird ſich das alles entwirren!“ ruft die Prinzeſſin aus.
In der That hing viel davon ab, ob es gelingen werde,
die von dem König von Sachſen mit dem Kaiſer von Oſterreich
angeknüpften Unterhandlungen zum Abſchluſſe zu bringen, ehe
dem Verlangen Napoleons entſprochen zu werden brauchte.
Einſtweilen ſuchte Friedrich Auguſt der Forderung Napoleons
dadurch zu begegnen, daß er es ſeiner königlichen Würde für
angemeſſen erklärte, ſich nicht ganz von Truppen zu entblößen.
*
Am 19. ſchreibt die Prinzeſſin denn auch: „Die verlangten
Regimenter bleiben zur Eskorte des Königs.“
Daß die Dinge einer raſchen Entſcheidung entgegenreiften,
war dennoch klar. Wohin aber die königlichen Angehörigen
ſich demnächſt zu wenden haben würden, bleibt längere Zeit
eine offene Frage. Oſterreich iſt wegen der von weitem in
Ausſicht genommenen Beteiligung an dem ruſſiſch-preußiſchen
Vorgehen noch zu keinem Entſchluſſe gelangt oder hat ſeine
Rüſtungen noch nicht genügend gefördert. Einſtweilen iſt es
noch neutraler Boden, und ſo ſtehen denn Salzburg, Linz,
Prag abwechſelnd als Reiſeziel in Ausſicht.
Am 20. April reiſt das ſächſiſche Königspaar unter dem
Geläute aller Glocken nach Linz voraus, und tags darauf folgen
die beiden Brüder des Königs mit den Ihrigen.
Die zweite Poſtſtation war Straubing. „Ich hatte mit
Alex (Piatti) ausgemacht,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „daß wir das
Monument der Agnes Bernauer aufſuchen wollten. Es iſt da⸗
bei auch das Monument zweier Frauen, die ſich im Duell ge—
tödet. Aber eine Menge ſächſiſcher Generäle, die wir dort
fanden, hintertrieb es. Das Monument ſoll eine kleine Kapelle
an der Donau ſein, und eine halbe Meile weit dahin zu gehen;
deshalb ließ man uns nicht hin und wir hatten dafür das Ver⸗
gnügen, eine Stunde im Orte zu warten, bis die Wagen ge—
ſchmiert waren. Unſer Weg führte uns nicht einmal über die
Brücke, von welcher Agnes Bernauer hinabgeworfen worden.“
Einigermaßen entſchädigt dafür die an Naturgenüſſen ſo
überreichlich ſpendende Gegend, durch welche die weitere Reiſe
geht, und in deren Beſchreibung die Prinzeſſin ſich wieder als
eine unermüdlich aufmerkſame Beobachterin bekundet. Linz ge—
fällt ihr dann ungemein. „Die Stadt iſt allerliebſt, regelmäßig
gebaut, die Häuſer meiſt ohne (hohe) Dächer nach italienischer
Art. 14
Die Unterkunft erweiſt ſich dagegen diesmal als es
anmutig; ebenſo die Veranſtaltungen zur Verpflegung. „Ich
war entzückt,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „denn das Quartier, eine
Wollenfabrik in der Vorſtadt, bot die prächtigſte Ausſicht auf
die Berge und die Donau. Aber chere tante M. A. hatte für
die Mängel der Wohnung ein ſchärferes Auge und erklärte ſo⸗
fort, hier könne man nicht bleiben. In der That fehlte es für
die Leute an Betten, auch das auswärts von dem Koch bereitete
Diner ließ ſich nicht herbeiſchaffen, ſo daß nach einem Gaſt⸗
hauſe um Hilfe aus der Not geſchickt werden mußte, ein ebenſo
erfolgloſes Auskunftsmittel.“ Und weiter geſteht ſelbſt die
Prinzeſſin trotz ihrer Freude an der ſchönen Ausſicht auf Fluß
und Berge: „Ich hatte den ganzen Tag nichts gegeſſen und
ſtarb vor Hunger. Abbé Matthieu riet mir, von ein paar
ſteinharten Semmeln, die uns geblieben waren, etwas in roten
Wein zu tauchen, was ich that und worauf ich ganz drehend
wurde. Endlich tröſtete uns alle die Suppe. Alex blieb aber
wütend und meinte, wir wären hier wie weggeſetzte Katzen.
Ich bat ihn, bei den Katzen den Plural wegzulaſſen.“
Tags darauf dämmert eine Hoffnung; es heißt: Graf
Marcolini werde den Gäſten der Wollenfabrik ſein ſchönes
Stadtquartier abtreten; allein „de compliment en compli-
ment wird nichts daraus.“ Um ſo gefälliger iſt der Groß⸗
prior von Linz; er ſtellt ſeine Equipage zur Verfügung, und
unter Führung ſeines kundigen Dieners Hans Jürge wird nun
mancher Ausflug unternommen.
Wiederum trifft ein franzöſiſcher Kurier ein und „der Puls
des Königs verrät, daß die Botſchaft keine angenehme ge⸗
weſen iſt.“
e e
Tags darauf, am 25., reiſt der König unter Glockenläuten
und Kanonendonner nach Prag ab, und jetzt erfährt die Prin⸗
zeſſin, Napoleon habe zwar die Reiſe des Königs nach Linz
„nicht getadelt, aber nochmals die zwei Kavallerie-Regimenter
begehrt.“ |
Am 26. begiebt fich das königliche Paar auf die Reiſe nach
Prag. Sie berühren Budweis, wo im Schloſſe des todkranken
Biſchofs, Graf Schafgotſch, auf deſſen Wunſch Nachtquartier
genommen wird; dann kommen ſie nach Könopiſch, wo ſie ſich
der Gaſtlichkeit des Grafen Swirby erfreuen, eines wohlthätigen
alten Hageſtolzen, „der ſo häßlich iſt, daß er ledig geblieben,
weil er überzeugt war, nur ſein Reichtum könne ihm eine Frau
verſchaffen.“
Am 28. wird Prag erreicht, nachdem die Reiſenden kurz
zuvor freudig überraſcht worden waren durch die Begrüßung des
Großherzogs Ferdinand von Würzburg, damals 44 Jahre alt,
verwitwet ſeit 1802. Über ſeine drei Kinder ſchreibt die Prin⸗
zeſſin: „Luiſe iſt wie immer, Thereſe ſchöner geworden, Leopold
(der ſpätere Großherzog von Toscana) iſt gewachſen.“ — Wieder
hat die Kaiſerin von Frankreich eine Sendung gemacht: „Aller-
liebſte Zeuge.“ Ebenſo werden der Prinzeſſin in der Schloß—
Bibliothek zwei prächtige Bücher gezeigt, welche Marie Luiſe der
Bibliothek ſchenkte, ein naturhiſtoriſches Werk und „Le musée
Napoleon.“ | |
Die auch hier wieder ſich darbietende Anregung zu Geſell—
ſchaftsſpielen und kleinen Aufführungen bleibt nicht ohne Früchte.
Die Pantomime „die Danaiden“ wird im großen Schloßſaale
des Hradſchin zum beſten gegeben; ein anderes Mal Iphigenie
in Aulis; dann wieder Heinrich von Burgund und die Locanda.
Auch werden die Muſikſtudien von neuem aufgenommen. Die
RA...
Prinzeſſin hat in ihrem Zimmer ein mit Trompeten⸗ und
Pauken⸗Pedal verſehenes Piano zu ihrer Verfügung.
Unter den zahlreichen Sehenswürdigkeiten, denen wiederum
aufmerkſames Studium geſchenkt wird, ſeien erwähnt: Die
Nachbildung eines Skeletts, die ein Bildhauer für die Kirche
St. Georg auf dem Hradſchin in Stein anfertigen mußte, und
zwar des Skeletts einer von ihm früher ermordeten Perſon in
demſelben Zuſtande, in welchem man ſie bei Entdeckung des
Mordes gefunden hatte. Ferner in der Kirche auf dem Wiſche⸗
rad das Bild des Herzogs Friedrich, den St. Peter geißelt,
ein Traumgeſicht des Herzogs, angeblich durch ſein Einziehen
der Kirchengüter veranlaßt. Dann in dem Clammſchen Garten
das Monument eines Lieblingspferdes („das Gefäß, aus wel⸗
chem es ſpeiſte, iſt oben; vorn ſein Kopf und auf den Seiten
die Sporen“) und eines Sperlings „mit deſſen Bild en bas
relief.“ Endlich ebendaſelbſt zwei Statuen: ein Weib, das
einem Manne einen Korb mit Liebesäpfeln reicht. „Darunter
ſtand vor drei Jahren in franzöſiſchen, deutſchen und böhmiſchen
Verſen eine Inſchrift ungefähr dieſes abſcheulichen Inhalts:
Weib, du reichſt mir Früchte von ſchönem Ausſehen, aber
bitterem Geſchmacke, welche dein Bild find. Dein Außeres iſt
ſchön, aber dein Inneres taugt nicht.
Wir hatten damals darunter geſchrieben:
Dies iſt eine Lüge.
Graf Clamm hatte das gefunden und die Schmähung in
ein Kompliment für die Damen verwandelt.“
Bei den Karmeliterinnen ſieht die Prinzeſſin auf dem Tiſche,
an welchem dieſelben ſpeiſen, einen Totenkopf, und erfährt in
betreff der ſonſtigen Karmeliterregeln, daß die Nonnen täglich
nur während zweier Stunden mit einander ſprechen dürfen, daß
fie niemals Fleiſch und Freitags auch weder Butter noch Eier
eſſen.
Ausflüge in die Umgegend werden diesmal nur ſpärlich
gemacht oder wenigſtens wird vermieden, daß von denſelben
Notiz genommen wird. So iſt die Prinzeſſin eines Abends
mit den Ihrigen in Bubeneg, doch entfernen ſie ſich, ehe das
dort veranſtaltete Feuerwerk beginnt. „Man fand nicht ſchick—
lich, daß wir es ſähen in unſeren jetzigen Verhältniſſen.“
In der That konnte eine Entſcheidungsſchlacht, wie man
aus Sachſen und Thüringen meldete, nicht lange mehr aus⸗
ſtehen, und günſtige, wie ungünſtige Gerüchte — aber was
waren günſtige? — ſchwirrten umher.
Am 2. Mai ſchreibt die Prinzeſſin:
„Man ſagt, Napoleon ſei in Naumburg und die Schlacht
(in der That fand am ſelben Tage die für die Preußen und
Ruſſen ſo verluſtbringende Schlacht bei Lützen ſtatt) kann jetzt
ſchon geſchlagen ſein. Mein Gott! Mit welchem Erfolge? Und
wie viel Blut wird in jedem Falle gefloſſen ſein!“
Und am 4. wieder:
„Ein Kurier brachte die Nachricht, daß Napoleon in Weimar
angekommen ſei, wo er der (herzoglichen) Familie viel Freund—
ſchaft erwieſen und die Herzogin umarmt habe.“
Nach den Memoiren des Herzogs von Raguſa hatte be—
kanntlich Napoleon nach dem Siege von Lützen gegen Duroc
ſich der triumphierenden Worte bedient: „Jetzt bin ich wieder
Herr von Europa!“ Und den Herzog von Weimar hatte er
beauftragt, dem Könige von Sachſen zu melden, Napoleon be—
ſtehe darauf, daß Friedrich Auguſt ſich für oder wider ihn er—
kläre; ſei letzteres der Fall, ſo werde derſelbe alles verlieren.
Am g. hört die Prinzeſſin dann, Napoleon ſei wieder in
Dresden, und der König werde tags darauf um 4 Uhr morgens
— IE
dahin abreiſen müſſen. Wie man weiß, hatte der franzöſiſche
Oberſt von Montesquiou dem Könige ein Ultimatum Napoleons
überbracht, welches dem Könige nur zwei Stunden Bedenkzeit
ließ, nach deren Ablauf Sachſen als erobertes Land 1
werden ſollte.
Am 10. verzögert ſich die Abreise bes Königs bemöch in in
auffälliger Weiſe und der angeſpannte Wagen bleibt ſtunden⸗
lang vor der Thüre ſtehen. Um 9 Uhr morgens endlich reiſt
der König ab.
„Man ſagte uns,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „daß ein un
kommener Kurier und eine Konferenz mit den Miniſtern der
Grund der Verzögerung geweſen ſei. Später erfuhren wir es
beſſer. Der arme König hatte auf entſcheidende Nachricht von
Oſterreich gewartet und dieſe war ausgeblieben. — Es heißt,
daß trotz aller Bitten des Königs Miniſter Senfft ſeine Ent⸗
laſſung begehre und die vakante Stelle des Miniſter Hopfgarten,
die der König ihm geben wolle, ausgeſchlagen. Thielemann
(der Kommandant von Torgau) und Langenau (der ſächſiſche
Unterhändler wegen der Anknüpfung mit Oſterreich) haben auch
ihre Entlaſſung verlangt. Das alles iſt mir ein Rätſel.“
Die Senffts, heißt es weiter, werden ſich in Steiermark
etablieren. Sie haben, um die Reiſe zu beſtreiten, ihre Equi⸗
pagen und viele Effekten verkauft. „Man ſagt, er habe die
Penſion ausgeſchlagen, die der König ihm geben wollte.
Sie nehmen beide die Achtung aller Redlichen mit ſich.“ Be⸗
kanntlich trat Graf Senfft von Pillſach in den öſterreichiſchen
Staatsdienſt über; er ſtarb 1853 in Innsbruck. Langenau iſt
1840 als öſterreichiſcher Feldmarſchallleutnant geſtorben, Thiele⸗
mann 1824 als preußiſcher General.
Unterm 13. Mai kommen Nachrichten nach Prag über die
Ankunft des Königs in Dresden. Er hatte ſich in Teplitz auf⸗
c
— 79 —
gehalten und wieder dann auch in Sedlitz, von wo er endlich
am 12. um 10 Uhr der nicht länger aufſchiebbaren Zuſammen⸗
kunft mit Napoleon entgegenfuhr.
„Napoleon,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „war ihm bis in den
Großen Garten entgegengeritten, von wo ſie beide zu Pferde
ſich nach der Stadt begaben. Der Magiſtrat wollte eine Rede
halten, allein Napoleon unterbrach dieſe und ſprach ſelbſt, den
Bürgern erklärend, welchen Dank ſie dem Könige ſchuldig wären,
daß er zurückgekommen, denn im entgegengeſetzten Falle hätte
er (Napoleon) Sachſen als ein erobertes Land behandelt.“
Am 13. hört die Prinzeſſin, daß mehrere (ſächſiſche) Offiziere
verſchwunden ſeien, vermutlich, um in ruſſiſchen Dienſt zu
treten. | |
Am 20. reift die Königin nach Dresden ab und am 21.
folgen die Prinzen und Prinzeſſinen, erhalten aber unterwegs
die Nachricht, daß ſie vorläufig nur bis Teplitz fahren ſollen.
Sie waren im Geiſte ſchon in der Heimat geweſen. Jetzt, in
Teplitz angelangt, hören ſie täglich Neues über den traurigen
Zuſtand, in dem ſich Dresden und ſo viele Gegenden des ſchwer
heimgeſuchten Landes befinden. Welcher Kontraſt gegen die
friedliche, frühlingsblühende Natur, die ſie umgiebt! „Ach, wie
wird es in unſerm armen Sachſen ausſehen!“ ſeufzt die Prin⸗
zeſſin.
Nach vielen Widerrufen der Gerüchte vom Zuſtandekommen
eines Waffenſtillſtandes erhält man endlich über letztern Gewiß⸗
heit und ſo darf am 10. Juni nach Dresden aufgebrochen
werden. Bald iſt Sachſens Grenze erreicht.
Vierter Abſchnitt.
Wieder daheim.
4 (Juni bis November 1813.)
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N: freute ich mich, als ich Sachſen betrat,“ ſchreibt die
„Prinzeſſin, „all die bekannten Gegenden durchfuhr und
Pillnitz von Weitem ſah, was ich ſo lange wie mög⸗
lich mit den Augen verfolgte. Die Elbe ſchien mir klein gegen
die Donau ... Die Dörfer wimmelten indeſſen von franzö⸗
ſiſchen Truppen. Auf dem Jüdenhofe (in Dresden) ſtanden
Weſtfälinger. Statt der Schweizer war die Leibgarde im
Schloſſe, wo wir abſtiegen. Mehrere Hofdamen erwarteten uns
an der Treppe. Ich war ſo außer mir, daß ich alles umarmte.“
„Und hier ſchließt mein Reiſe⸗Journal,“ fügt fie hinzu;
„Gebe der Himmel, daß ich nie eine Fluchtreiſe mehr zu unter⸗
nehmen brauche!“ Ein Wunſch, der nicht in Erfüllung ging.
Es folgt die traurige Periode, während welcher die ge—
ſcheiterten Verſuche des Königs von Sachſen, ſich den Umſchling⸗
ungen der napoleoniſchen Politik zu entziehen, zwar wiederholt
wurden, aber vergeblich blieben, ſo daß ihn und die Seinen, wie
auch das ganze Land erſt der Sturz des gewaltigen Imperators
von dieſem drückenden und verhängnißvollen Banne befreite.
Einſtweilen reſidiert Napoleon noch in Dresden und macht
ſeine rückſichtslos autokratiſche Gegenwart in jeder Weiſe geltend.
Aus dem Tagebuche der Prinzeſſin iſt folgendes entlehnt.
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Napoleon logierte in dem Marcoliniſchen Palais (dem jetzigen
Krankenhauſe) in der Friedrichſtadt. Um 9 Uhr war lever. Zwei⸗
mal wöchentlich wurden die Prinzen Anton und Max dort ge-
ſehen und den letzteren begleiteten dann ſeine beiden älteſten
Söhne Fritz und Klemens.
Der König ſah Napoleon bald früh, bald nachmittags, aber
auch nicht täglich. Sonntags ließ Napoleon einen Geiſtlichen
zum Meſſeleſen nach dem Marcoliniſchen Palais kommen. „Der
arme Geiſtliche,“ klagt die Prinzeſſin, „mußte aber oft bis nach⸗
mittag warten und zuletzt unverrichteter Dinge fortgehen.“ Man
hatte im Palaisgarten ein kleines Theater gebaut und dasſelbe
mit Dekorationen ausgeſtattet. Anfangs gab man dort Auszüge
aus italieniſchen Opern. Dies gefiel dem Kaiſer aber nicht.
Er ließ daher die Truppe des théatre frangais kommen und
nun wurden kleine franzöſiſche Stücke geſpielt, zu welchen Auf⸗
führungen auch die prinzlichen Kinder eingeladen wurden, ebenſo
die Hofdamen und Herren, bisweilen auch Perſonen aus der
Stadt. Die Vorſtellungen begannen nach Napoleons Diner,
zwiſchen 8 und 9 Uhr. Einmal in der Woche wurde von den
Franzoſen auch im Hoftheater geſpielt. Dann begann man
um 349, Oft ließ Napoleon ſagen, man ſolle auf ihn
nicht warten. Kam er dann doch, ſo nahmen die Akteurs
auf der Bühne, ſobald er in die Loge trat, die Hüte ab
und verbeugten ſich. Das Theater war jedesmal illumi⸗
niert und alle Damen waren in Putz, aber in rundem
Kleide, die Herren in Militär- oder Hof-Uniform. War keine
franzöſiſche Komödie, ſo ſpielte im Hoftheater die Truppe des
Joſef Seconda Operetten. „St. Prix,“ urteilt die Prinzeſſin
in bezug auf die franzöſiſche Truppe, „iſt ein guter Akteur;
er hat viel Würde und gefällt mir eigentlich mehr als Talma,
der ſo ſehr raſt. Mademoiſelle George gilt für ſchön, mir ge—
6
— 8 —
fällt ſie nicht. Sie iſt zu dick, ſchneidet Geſichter und ſingt im
Sprechen. Die Komödien gefallen mir beſſer, als die Trauer⸗
ſpiele. Mademoiſelle Mars iſt vortrefflich. Fleury iſt ſchon
ein wenig alt. Michaud und Baptiſte ſind amüſant. Mademoiſelle
Bourgoing iſt hübſch, ſpielt aber ohne Geiſt. Der Liebhaber
Armand iſt nicht übel.“ inf pi
„Wenn kein Theater iſt,“ fährt die Prinzeſſin fort, „gehen
wir ſpazieren, gewöhnlich mit König und Königin, da die
Pferde von cher oncle und Papa noch in Prag find, da es an
Fourage fehlt. Die Neuſtadt haben wir alle nicht geſehen.
Man ſagt, es ſeien dort fürchterliche Redouten und Paliſaden.
Die Luft ſoll auch nicht gut ſein, da Lazarette dort ſind. Die
Altſtadt ſieht ziemlich wie ſonſt aus, nur ſchmutziger, auch
riecht es bisweilen übel wegen der todten Pferde, welche herum
liegen. Alle Poſten, außer die im Schloſſe, ſind von Franzoſen
beſetzt. Die Stadt wimmelt von Soldaten und alle Häuſer
ſind voll davon. Das Palais im Großen Garten iſt zum
Lazarett verwandelt, ebenſo die Neuſtädter Kaſerne. Das
Herz blutet, wenn man die Bleſſierten ſieht, deren viele man
ſchon auf Karren fortgeſchafft hat. Empörend iſt es, daß die
Kommiſſare dieſe armen Leute vor Hunger und Not ſterben
laſſen und daß ſie, was zur Pflege derſelben gegeben wird,
ſelbſt die Arznei, zu ihrem eigenen Nutzen verkaufen. Man ſieht
viele Bleſſierte, die ſich, faſt ſterbend, auf der Straße herum⸗
ſchleppen und um eine Gabe bitten, die man ihnen aber heimlich
geben muß, ſonſt werden ſie von ihren Kameraden gemißhandelt.
— Die ſchönſten Baumſtämme werden herbeigeſchleppt, um
Paliſaden daraus zu machen. Man hört beſtändig trommeln.
Dresden iſt wieder zur Feſtung geworden. Napoleon ſtreift
häufig in der Gegend herum und läßt, was möglich iſt, be⸗
feſtigen. Er hat einige Felſen ſprengen laſſen, um Wege zu
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bahnen. Es ift zu verwundern, daß die Hungersnot nicht noch
größer. Der Kommandant Durosnel ſoll das Tafelgeld aus⸗
geſchlagen haben und ſucht die Stadt, ſoviel er dunn, zu er⸗
leichtern. 2
Unter den von der franzöſiſchen Truppe aufgeführten
Stücken find zu nennen: Phedre, P'avare, le barbier de
Seville, les etourdis, le N sans le savoir, tartuffe,
la jeunesse de Henri Cing. ragt
Die Verfaſſerin des Tagebuch und ihre Schweſter, 1 7
zeſſin Marie, finden den ihnen auferlegten Zwang, dieſen Auf-
führungen immer beizuwohnen, allmälig läſtig; ſie machen daher
den Verſuch, ſich von den Theaterbeſuchen zu dispenſieren und
laſſen ſich bei Napoleon entſchuldigen. Er nimmt es aber übel,
und ſo müſſen ſie ſich wieder einfinden. Der Prinzeſſin Thereſe
verehrt er mit einem „ſehr artigen Billet“ ein Kupferjtich- Porträt
der Kaiſerin Marie Luiſe.
Mit unglaublicher Geſchwindigkeit macht er bald hier bald
dorthin Ausflüge, bis in die Lauſitz hinein und ebenſo nach
Torgau. Einmal läßt er ſeinen Beſuch plötzlich abends 8 Uhr
bei der Königin anſagen und die ganze königliche Familie muß
ſich daſelbſt einfinden. Als er kommt, verbirgt die Königin
ihm nicht, daß fie ſeinen Beſuch als ein Zeichen anjehe, er
wolle das unglückliche Dresden ſich wieder einmal ſelbſt über-
laſſen. Er verſichert indeſſen, noch nicht abreiſen zu wollen.
Faſt eine Stunde bleibt er „und iſt ſehr luſtig.“ Aber in derſelben
Nacht, um 2½½ Uhr früh (den 25. Juli) fährt er aus dem
Weißen Thore hinaus und kommt für jetzt nicht wieder.
Unter den während ſeiner Anweſenheit in Dresden ge—
weſenen Gäſten iſt der Herzog von Weimar, Prinz Emil von
Darmſtadt und der König Jerome.
6 *
—
Später ſtellt ſich heraus, daß Napoleon nach Mainz gereiſt
iſt und zwar in nur 43 Stunden, eine damals unerhört raſche
Fahrt. Der Kurier, welcher dieſe Nachricht bringt, hat 5 bis 6
Stunden längere Fahrt gehabt.
Aus manchen kleinen Zügen, über welche die Prinzeſſin
berichtet, geht hervor, daß die unſicherer werdende Stellung
Napoleons ſein ſonſt ſo herriſch rückſichtsloſes Benehmen ins
Gegenteil umgeſtimmt hat. Dem Könige bewilligt er auf deſſen
Bitte „etwas Wichtiges“ — man weiß nicht was — und zwar
in „den ſchmeichelhafteſten Ausdrücken.“ Der Stadt Leipzig
erläßt er nicht nur die ihr auferlegte Kontribution; den bereits
bezahlten Teil derſelben erhält ſie auch ſogar zurück.
Die Ungewißheit, ob der bis zum 16. Auguſt vereinbarte
Waffenſtillſtand zum Frieden führen oder wieder von dem
Kriege abgelöſt werden wird, bedrückt einſtweilen alle Gemüter.
„Man ſagt, das Lager vor dem Schwarzen Thore ſei prächtig,“
ſchreibt die Prinzeſſin, „es kann ſein, aber ich mag nichts gern
ſehen, was auf Krieg deutet.“
Am 4. Auguſt früh 10 Uhr iſt Napoleon plötzlich wieder
in Dresden. „Die Glöckchen der Maultiere, welche ſein Gepäck
trugen,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „verkündigten uns jedesmal
ſeine Ankunft, vor welcher wir erſchraken, weil wir gehofft hatten,
der Kriegsſchauplatz werde ſich weiter von Dresden fortziehen.“
Die Maßnahmen, um die Bevölkerung mit ihrem Schickſal
zu verſöhnen und ihr geſunkenes Vertrauen auf ſeine Unüber⸗
windlichkeit zu heben, begannen von neuem. Am 9. iſt fran⸗
zöſiſches Freitheater. Um für möglichſt Viele Platz zu ſchaffen,
ſind die Bänke aus dem Parterre entfernt. Der Hof kommt
nicht in die Vorſtellung und ebenſo auch nicht auf den am ſelben
Abend gegebenen Ball bei dem franzöſiſchen Geſandten Serra.
102 Kanonenſchüſſe verkünden, daß man tags darauf —
1
den 10. — den auf den 15. Auguſt fallenden Napoleonstag
feiern wird.
Um 4 Uhr in der Frühe am 10. abermals 102 Kanonen⸗
ſchüſſe. Nachher Revue über 36,000 Mann Garde, Franzoſen
und Polen. „Das ſchönſte Korps iſt die polniſche Garde. Was
wir vor unſeren Fenſtern vorüberpaſſieren ſahen, war ſehr ſchön;
gut equipiert; ſchöne Pferde. Aber die Franzoſen halten ſich
ſchlecht darauf, obgleich ſie ſehr raſch reiten.“
Nach der Revue ſpeiſen die Truppen an langen Tafeln auf
der Oſtrawieſe und in der Neuſtädter Allee; auch die ſächſiſchen
Soldaten. „Jeder bekam doppelte Portion. Arme Leute! es
freut mich, wenn ſie einen guten Tag haben; ſie leiden ſo viel!“
In der katholiſchen Kirche während deſſen großes Tedeum,
wieder durch Kanonenſchüſſe angekündigt. Vor dem Hochaltar
zwei lange Bänke, auf welchen die Großwürdenträger, Marſchälle,
Generäle und der Geſandte Serra ſitzen; zwiſchen den Bänken,
auf einem Samtfauteuil, der Prinz von Neufchatel. Unter den
Marſchällen auch der ohnlängſt zu dieſer Würde erhobene Fürſt
Poniatowski: „Alles höchſt impoſant.“
Abends 8 Uhr Bankett in dem Paradezimmer mit dem
Thronhimmel. Prinzeſſin Amalie hat ihren Platz neben dem
Fürſten von Neufchatel. Unter der Eſtrade ſteht die ganze
Nobleſſe, die Damen auf der einen, die Herren auf der andern
Seite, und zwar bis zum Schluſſe. Bei dem Anſtoßen auf
des Kaiſers Wohl werden wieder Kanonen gelöſt. „Das ganze
Zimmer zitterte, ſo daß zu befürchten war, es könne noch etwas
herabſtürzen.“ Auch ſchon während des Soldaten-Diners gab
es Kanonenſchießen. „Ich habe nie ſolchen Lärm gehört,“
ſchreibt die Prinzeſſin, „in der Kirche ſind Fenſter davon ge⸗
ſprungen. Die Franzoſen laden fürchterlich, auch ſollen ihre
Kanonen ſtärker als die unjrigen ſein.“
ä
Wie nicht anders zu erwarten war, hatte die auch unter
den ſächſiſchen Truppen im Zunehmen begriffen geweſene Ver⸗
ſtimmung über die Waffenbrüderſchaft mit den Franzoſen unter
dem Eindrucke der feſtlichen Bewirtung ſich, wenn auch nur
vorübergehend, gemildert. Das Tagebuch berichtet über Vivat⸗
rufe, mit denen der Kaiſer bei ſeinem Rundritte durch die Reihen
der obenerwähnten, nach der Revue reichlich traktierten Soldaten
von dieſen begrüßt worden ſei und daß man dabei Gläſer und
Teller in die Luft geworfen habe. Napoleon hatte, als guter
Menſchenkenner, auch die Quartierwirte der Soldaten an dem
Freieſſen mit teilnehmen laſſen, ſowie er auch bereits am Mor⸗
gen beim lever ſich beſonders liebenswürdig mit den Dresdner
Bürgermeiſtern unterhalten hatte, dieſelben Herren, denen er
vor wenig Monaten das Wort abſchnitt, als ſie ihren aus Prag
zurückkehrenden Landesherrn begrüßen wollten.
Am Abend des Napoleon-Tages findet das herkömmliche
großartige Feuerwerk auf der Elbe ſtatt. Den Mittelpunkt
bilden die Namenszüge Napoleons und Marie Luiſens.
Sonderbar machte ſich's dabei, daß zuletzt von allen Seiten
Leuchtkugeln auf die Chiffren fielen und ſie auslöſchten. „Mir
kam es vor,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „wie eine Vorbedeutung.“
Glücklicherweiſe hatten einzig franzöſiſche Feuerwerker die Katz
ſo ominös veranſtaltet.
Da an dieſem letzten Dresdner Glanztage Napoleons außer
den ſchon erwähnten Tafelgenüſſen ſolche auch noch durch
offizielle Diners bei dem Geſandten Serra, bei dem Herzog von
Baſſano, beim Finanzminiſter Daru, bei dem Chef der Garde,
General Friant, und endlich im Hotel de Pologne (das Kouvert
zu einem Napoleondor) zugänglich geweſen ſind, ſo ſchließt die
Prinzeſſin ihren Bericht mit den ironiſchen Worten: „Wenig⸗
ſtens wird heute nicht zu wenig gegeſſen.“
er:
Bald darauf zeigt ſich, daß es dem Kaiſer nur darauf an⸗
gekommen iſt, alle Welt über die bedrohlicher werdende Lage
ſeiner Machthaberſchaft zu täuſchen. Am 12. Auguſt trifft die
Nachricht ein, Preußen habe den Waffenſtillſtand gekündigt,
ebenſo Rußland. Über Oſterreichs Entſchluß fehlt noch Ge—
wißheit. Es wird wahrſcheinlich, daß der Hof Dresden aber—
mals verlaſſen muß. „Cheère tante Eliſabeth,“ ſchreibt die
Prinzeſſin, „bleibt auf jeden Fall in Dresden. Der chere
tante M. A. ift durch eine Konſultation von drei Ärzten erlaubt
worden zu reiſen, da fie nicht die Energie der chère tante
Eliſabeth hat, und ihr Moraliſches, wenn ſie ſich hier allein
ſähe, zu viel leiden würde.“ — „Um 7½ abends,“ heißt es am
13. weiter, „ſagte uns General Forell, daß wir ins Schloß
kommen ſollten, wo wir Napoleon dann bei der Königin ſahen.
Er ſchien wegen der Kaiſerin bekümmert, daß er gegen Dfter-
reich Krieg führen ſollte, und erzählte von den Maßnahmen, die
er getroffen habe, daß es ihr ſchonend beigebracht werde. Zu
chère tante ſagte er:
„La princesse Therese sera fach&e contre moi, parce-
que je fais la guerre à sa famille, mais elle doit y &tre
accoutumèe.“
Worauf ſie erwiderte:
„On ne s’accoutume pas à ces choses la.‘
Als charakteriſtiſch für die Nonchalance, in der er ſich auch
jetzt noch gehen laſſen zu dürfen glaubte, wird der Zuſatz zu
betrachten ſein, er habe, während er jene Worte ſagte, auf einem
Beine geſtanden und mit dem anderen auf einem Stuhle auf⸗
geknieet. |
Inzwiſchen hatte Napoleon noch nicht die Hoffnung auf-
gegeben, Oſterreich von einem kriegeriſchen Vorgehen zurückzu—
— 88 —
halten, bis er mit ſeinen übrigen Gegnern fertig geworden ſein
werde. Nachdem Murat am 14. eingetroffen und der Fürſt
von Neufchatel nach dem Königſtein abgereiſt iſt, dringt Napo⸗
leon in den öſterreichiſchen General Bubna, er möge mit neuen
Vorſchlägen in Eile nach Prag abreiſen. Trotz der Gicht des
Generals muß ſich derſelbe fügen und gelangt denn auch nach
14 Schmerzensſtunden nach Prag.
Aber auf Abwarten der Antwort war es bei dieſem Schach⸗
zuge wohl kaum abgeſehen. Schon am 15. verrät die allſeitig
zunehmende Bewegung, daß Gefahr im Verzuge iſt. Napoleon
findet nicht mehr Zeit, um ſich von dem Könige zu verabſchieden.
Zwiſchen 4 und 5 Uhr nachmittags verläßt er Dresden und fährt
nach dem Königſtein, beſieht dann die Fortifikationen des Lilien⸗
ſteins bei Fackelſchein und trifft morgens um 2 Uhr in Bautzen
ein. Murat wird am 16. durch einen Kurier abgerufen; Cou⸗
lincourt kommt am 16. von Prag zurück, ſpricht nur mit Mar⸗
colini und eilt dann Napoleon nach. Kommandant der inneren
Stadt iſt Durosnel, Kommandant der Truppen iſt Freir
d'Audrada, ein Portugieſe. Man läßt die äußeren Häuſer der
Stadt räumen und vermauert die Fenſter, indem man in der
Vermauerung Schießſcharten herrichtet.
„Gott gebe, daß wir wenigſtens in Dresden bleiben kön⸗
nen!“ ruft die Prinzeſſin inmitten ihrer Angſte und Sorgen.
Dieſer Wunſch iſt in Erfüllung gegangen und mußte in
Erfüllung gehen, denn bei der veränderten Sachlage konnte
Napoleon nicht daran denken, ſeinen Bundesgenoſſen, den König
von Sachſen, von Dresden fort und aus dem Geſichtskreiſe der
franzöſiſchen Generäle zu laſſen. Ohnehin näherte ſich der
Krieg ja immer mehr der ſächſiſchen Reſidenz, und Napoleon
ſelbſt verlegte fein Hauptquartier wieder dahin.
So rückte denn der Tag heran, wo Dresden abermals die
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— 0
Schrecken des Krieges ganz in der Nähe ſehen ſollte. Die
Schlacht von Dresden fand bekanntlich am 26. und 27. Auguſt
ſtatt. Man hat zahlreiche ſachkundige Berichte über den bluti-
gen und für die deutſche Sache wenig günftigen Verlauf der-
ſelben. Das Tagebuch braucht hier nicht im einzelnen berührt
zu werden. Aus der Ferne haben die Kinder des Prinzen
Max vom ſogenannten Feuerboden des Zwingertheaters aus
am 27. Auguſt dem furchtbaren Schauſpiele zugeſehen. Tags
zuvor hatte Prinzeſſin Amalie von den Schloßfenſtern aus einen
Anblick gehabt, der ſich ihrem Gedächtniſſe auch fürs Leben ein⸗
geprägt haben wird: Napoleon zu Pferde an der Dresdner
Brücke haltend und das in einer der Vorſtädte entbrannte Ge⸗
fecht dirigierend. Bei einem vorausgegangenen Beſuche Napo⸗
leons im Schloſſe war ſie von ihm gefragt worden, ob das
Kanonenſchießen ſie erſchrecke, was ſelbſtverſtändlich im hohen
Grade der Fall war und ihrem unzarten Frager von dem ge-
ängſtigten Mädchen wohl kaum noch erſt beſtätigt zu werden
brauchte. Vielleicht freilich wollte Napoleon der Prinzeſſin
Gelegenheit zu einer damals wenigſtens bei den Napoleoniden
herkömmlichen Bravade geben; hat doch auch ſeine Schweſter,
die Gattin des Königs Murat, als ſie 1815 im Golf von
Neapel auf einem engliſchen Kriegsſchiffe Schutz gefunden hatte,
dem Kommandanten desſelben auf ſeine entſchuldigende Bitte:
ſie möge nicht erſchrecken, das Schiff mit dem alten Könige von
Neapel ſei in Sicht und werde gleich mit Kanonenſchüſſen
ſalutiert werden — die ſtolze Antwort gegeben: „Dieſer Schall
iſt der bonapartiſchen Familie weder neu, noch unangenehm.“
Aus den Wochen nach der Schlacht von Dresden nur
einige abgeriſſene Notizen. Beiläufig wird am 18. September
die Plünderung des Sonnenſteins (bei Pirna) durch die Fran⸗
zoſen und die Entfernung der dort in Verwahrſam gehaltenen
Irren erwähnt; ebenſo am 19. die Wegnahme der in Lohmen
gezüchteten königlichen Merinoſchafe durch polniſche Koſaken.
Am 1. Oktober ſtürzt Napoleon (auf der pirnaiſchen Gaſſe)
mit dem Pferde und die zum 2. angeſetzte Revue wird abgeſagt;
erheblichen Schaden ſcheint er aber nicht genommen zu haben.
Inzwiſchen hatten ſich bekanntlich ſchon ſeit ausgang
Auguſt die Verhältniſſe von Tag zu Tag mehr zu Ungunſten
Napoleons gewendet. Bülow war am 23. Auguſt bei Groß⸗
beeren Sieger geblieben, Blücher am 26. Auguſt an der Katz⸗
bach. Am 30. war Vandamme bei Kulm durch Kleiſt geſchlagen
worden, wiederum durch Bülow bei Dennewitz am 6. Sep⸗
tember Ney. Schweden hatte ſich den Verbündeten zugeſellt.
Bayern, weniger eingeengt als Sachſen, bereitete ſeinen Abfall
von der Sache Napoleons vor.
Unter ſolchen Umſtänden hatte der Kaiſer alle Urſache, ſich
der Perſon des Königs von Sachſen immer rückſichtsloſer zu
verſichern. „Am 6. Oktober,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „war
Napoleon bei der Königin, wo wir alle ihn ſahen. Es war
das letzte Mal. Wir erfuhren, daß er den König mit ſich nach
Leipzig führen werde. Wut der chere tante. Miniſter Maret
wurde dem König beigegeben. Den 7. ging der Kaiſer um
6 Uhr mit ſeinen Garden fort, und um 7 Uhr der König, nach⸗
dem er um 5 die heilige Meſſe gehört hatte. Im erſten Wagen
waren König und Königin. Vier Adjutanten zu Wagen, zwei
zu Pferde. Die Leibgarde, polniſche Garde und weſtfäliſche
Soldaten begleiteten den König. Der Herzog von Baſſano
(Maret) folgte. |
Prinz Anton und feine Gattin und ebenſo Prinz Max und
ſeine Kinder blieben in Dresden zurück. Da dasſelbe jetzt hin⸗
reichend befeſtigt war und ſich gegen keine ſtarken feindlichen
Heereskörper zu wehren hatte, ſo war es einſtweilen noch un⸗
Ze 2
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— 91 —
beſtrittener Beſitz der Franzoſen, nahm dadurch aber freilich
ſpäter für die 30,000 Mann Beſatzung den Charakter einer
Mauſefalle an.
Über das in der Stadt herrſchende Elend ſchreibt die Prin—
zeſſin unter anderem:
„Die Krankheiten vermehrten ſich immer mehr. Auf den
Straßen ſah man überall ſterbende Soldaten umherwanken.
Das Orangeriehaus im Zwinger ſtak voll Gefangenen, welche
Mützen, Handſchuhe und was ſie ſonſt als Beutel benutzen
konnten, an Bindfaden herunterließen, um das Mitleid der
Vorübergehenden anzuſprechen. Wir begegneten eines Tages
bei Papas Garten einem jungen Franzoſen, der einen Arm ver-
foren hatte und der mir ſagte, daß er aus dem Spitale heraus-
geſchlichen, weil man dort ſeit drei Tagen kein Brot mehr habe.“
Wie völlig abgeſperrt ſelbſt der Hof durch die Maßnahmen
des franzöſiſchen Stadtkommandanten von den draußen ſich er—
eignenden Dingen war, geht aus einer Notiz hervor, nach
welcher der für Napoleon ungünſtige Ausgang der großen
Schlacht bei Leipzig erſt am 27. Oktober dem prinzlichen Kreiſe,
und zwar auch nur erſt in ungenauen Umriſſen, bekannt wurde.
Ein von Leipzig hergewanderter Handwerker war im Schloſſe
der Überbringer dieſer mündlichen Nachricht geweſen.
Am 3. November kam dann ein offener Brief von dem als
Gefangener nach Preußen gebrachten Könige mit der kurzen
Meldung, daß er geſund und in Berlin ſei.
Am 5. große Bewegung. Die franzöſiſche Garniſon ſucht
in der Freiberger Richtung zu entkommen.
Am 6. muß ſie mit ſtarkem Verluſte nach Dresden zurück.
Prinzeſſin Thereſe beſtimmt durch ihre Fürſprache den öſter—
reichiſchen General Klenau, nicht auf Bedingungen zu beſtehen,
— 92 —
welche Dresden der Gefahr ausſetzen müßten, von den Fran⸗
zoſen bis aufs äußerſte verteidigt zu werden.
Am 11. kapituliert die Garniſon und zieht mit militäriſchen
Ehren aus dem Freiberger Schlage hinaus, wo die Waffen
niedergelegt werden; nur den Offizieren bleibt der Degen.
Bald darauf Einzug der Ofterreicher und Ruſſen. Die Prin⸗
zeſſin und die Ihrigen atmen auf. Sie ahnen noch nicht, daß
jetzt erſt jahrelange Drangſale für ſie im Anzuge ſind. „Es
war ein ſchöner Augenblick,“ ſchreibt ſie, „der aber bald getrübt
wurde.“
Am 17. kommt ein öſterreichiſcher Kurier — General
Schulenburg — um ſeiten des Kaiſers die ſofortige Überſied⸗
lung der noch in Dresden weilenden Mitglieder des königlichen
Hauſes nach Prag anzuraten. Am ſelben Tage bringt die
Dresdner Bürgerſchaft der Prinzeſſin Thereſe eine Serenade
und einen Fackelzug, als Dank für ihre erfolgreichen Bemüh⸗
ungen um eine unblutige Übergabe der ſchwergeprüften Stadt.
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Fünfter Abſchnitt.
In der Fremde.
IN (November 1813 bis Juni 1815.)
l. den Trainpferden des Generals Klenau und einigen
S. Dbsniglichen Pferden — Poſtpferde giebt es nicht —
wird am 19. die Reiſe im Morgengrauen nach Prag
angetreten. Nur die jetzt faſt fiebzigjährige, aber immer zum
Ausharren auf ihrem Poſten ſich berufen fühlende Prinzeſſin
Eliſabeth bleibt zurück. „Die Gegend um Dresden,“ ſchreibt
die Prinzeſſin, „war zur Wüſte geworden, alle Dörfer ab—
gebrannt, alle Bauern entflohen. In Zehiſta ſtand das (vor-
mals Brühlſche) Schloß verödet, nur Stroh lag in den Zimmern
umher. Wir fanden einiges dürre Holz, mit dem wir im
Kamin Feuer machten, denn die Kälte war ſchneidend.“
Das Schloß war Militärſpital geweſen, und die Zimmer
erfüllte ein atemverſetzender Geruch. Nachdem die Pferde aus—
geruht hatten, ging es über Peterswalde langſam weiter. In
Zehiſta waren Koſaken geweſen; jetzt mußten die Reiſenden ſich
mit dem Anblick von Baſchkieren befreunden, „welche ſchiefe
Augen und aufgeſtülpte Naſen haben.“ Auch hier iſt ringsum
alles vom Kriege verwüſtet.
Um 5 Uhr abends wird Teplitz erreicht. Aber die Bran⸗
cards ſind wegen Pferdemangel zurückgeblieben. „Wir hatten
keine Wäſche zum Wechſeln, nicht einmal Taſchentücher. Ich
hüllte mich in Mantel und Shawl, um mich ins Bett zu legen,
weil chère tante den Gaſthofbetten wegen der Epidemie nicht
traute.“
In der Frühe des nächſten Tages geht es nach Prag weiter;
der Himmel iſt noch voll Sternen und die Kälte empfindlich.
Mit wenig Unterbrechungen wird den ganzen Tag gefahren.
Die Landſtraßen ſind faſt überall verdorben. Um Mitter⸗
nacht endlich wird Prag erreicht. Das vor drei Jahren von
den Reiſenden in der Burg bewohnte Quartier nimmt M
wieder auf.
Es beginnen jetzt die Sorgen um das Ergehen Dresdens
von neuem. Die Kapitulation, ſo heißt es, ſoll, als zu günſtig
für die Franzoſen, rückgängig gemacht werden, und man fabelt
von der bevorſtehenden Wiederübergabe der Stadt an die
Franzoſen. General Klenau iſt durch General Chatelet erſetzt
worden. Die Wiederübergabe beſtätigt ſich natürlich nicht.
Von dem Könige, der Königin und ihrer, die Gefangen⸗
ſchaft teilenden Tochter, der Prinzeſſin Auguſte, gehen hin und
wieder kurze Nachrichten aus Berlin ein. Der König hat ſich
ſeine Bibliothek aus Dresden ſchicken laſſen. „Die Prinzeſſin⸗
nen von Preußen beſuchen die Königin bisweilen. Es iſt die
einzige Geſellſchaft der Königin. Abends leſen oder ſtricken die
Königin und Kouſine beim Könige.“ ER
Unter vereitelten Hoffnungen und trüben eie geht
das Jahr zu Ende.
Auch das Jahr 1814 verläuft nicht günſtiger. Wieder
wird erwähnt, die preußiſche Königsfamilie habe für den König
und die Königin „viele Attentions.“ Inſonderheit gedenkt das
Tagebuch, im weiteren Verlauf der Ereigniſſe, in ſolchem Sinne
auch der anteilvollen Haltung des Prinzen Wilhelm, des
Bruders König Friedrich Wilhelm III. Aber was aus Sachſen
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werden wird, bleibt eine offne Frage. Unterm 4. Mai, heißt
es, „der König hat an die Alliirten geſchrieben, aber ſein Brief
iſt, wie die früheren, unbeantwortet geblieben.“ Dann kommt
ein Gerücht auf: Man wolle dem Könige einen Teil des Rhein—
landes geben, und zwar mehr als den Umfang Sachſens; aber
an Sachſen vor allem hängt doch das Herz des Königs und der
Seinigen. „Was hülfe das alles!“ ruft die Prinzeſſin aus.
Dann hat der König den Grafen Görz an den Kaiſer von Ruß⸗
land entſendet, um dieſen zu bitten, einen Ort zu beſtimmen,
an welchem er ihn auf ſeiner Durchreiſe ſprechen könne. Alles
vergebens. Erſt viel ſpäter meldet der König aus Berlin, er
habe den Kaiſer von Rußland daſelbſt beſucht, habe auch den
Beſuch erwidert erhalten und ſei abends mit der Kaiſerin im
Theater bei der Aufführung der Veſtalin geweſen. |
Gleich bei ihrer Ankunft in Prag im vorigen Jahre haben
die Angehörigen des gefangenen Königs aus der Art, wie man
ihnen begegnet ift, das Vorurteil, fie ſeien keine guten Patrio—
ten, herausfühlen können. „Man hält uns hier alle für fran⸗
zöſiſch geſinnt und flieht uns,“ ſchrieb die Prinzeſſin damals.
Daß es für den König ſeit der Überflutung Sachſens durch die
franzöſiſchen und die Rheinbund-Truppen keine Möglichkeit ge⸗
geben habe, ſich, gleich den minder von Napoleons Maßnahmen
umgarnten übrigen Fürſten auf die Seite der Gegner Napo—
leons zu ſtellen, habe der König, wie die Prinzeſſin weiter aus—
führt, auf überzeugende Weiſe in einer Denkſchrift dargethan,
die auch an den Prinzen Max nach Prag gelangt ſei, und deren
Inhalt die Prinzeſſin aufs heftigſte bewegt. So wenig fran—
zöſiſch geſinnt iſt auch in der That die Schreiberin des Tage—
buchs, daß ſelbſt inmitten der immer hoffnungsloſer ſich geſtal—
tenden Lage der Ihrigen ihr die Sorge keine Ruhe läßt, Napo-
leon könne nochmals das Schlachtenglück auf ſeine Seite bringen.
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Als fie die Nachricht von der Ankunft der Alliirten vor Paris
verzeichnet, fügt ſie beſorgt hinzu: „Wenn er ihnen nur nicht
irgend eine Falle ſtellt!“ — „Wenn die Alliirten nur, wo ſie
hinkommen, Lebensmittel finden!“ heißt es ein anderes Mal.
Und wieder: „Als ich abends zu chere tante M. A. kam, hörte
ich einen Freudenſchrei: Napoleon war bei Laon geſchlagen!“
„Der Friede ärgert mich,“ ſchreibt ſie am 12. Juni, „denn
Frankreich bleibt größer, als es war.“
Und ſo vergrämt ſich die Prinzeſſin, indem ſie bald unter
dem Drucke leidet, der auf Sachſen und auf den Ihrigen laſtet,
bald ſich um die vielen treuen Diener härmt, für die nichts
mehr geſchehen kann, bald auch gegneriſche politiſche Maßnahmen
als Ausflüſſe perſönlichen Übelwollens auffaßt und dabei noch
überdies ſich das Recht verkümmert ſieht, in den allſeitigen
Jubel über die deutſchen Siege laut einzuſtimmen.
Vom vielen Weinen haben ihre Augen gelitten; das Leſen
wird ihr ſchwer; eher noch kann ſie ſchreiben. Als am 7. Juli
in Prag große Feſtparade iſt, ſchreibt ſie:
„Es war ein prächtiger Anblick, der mir aber ſo weh that,
daß ich vom Fenſter wegtreten mußte; denn alles freut ſich, für
alle iſt Friede, uns allein verfolgt man.“
„Ich bin ganz kalt, kann nicht weinen,“ ſchreibt ſie am
21. Oktober und hinwieder am 26., als alles für den König
verloren ſein ſollte, „ich habe den ganzen Tag geweint.“ —
„Was ſoll ich thun,“ fragt ſie ein anderes Mal, „wenn die
Familie getrennt wird? Soll ich dann meinen Vater verlaſſen?
Oder eine Tante, die alles für mich gethan hat?“ Daß für
eine zwanzigjährige Jungfrau jeden Tag die gleiche Frage der
Trennung von den Ihrigen durch einen Antrag entſtehen kann,
kommt ihr augenſcheinlich gar nicht in den Sinn. Sie lebt und
webt einzig in teuren Kindheits-Erinnerungen, und jo über⸗
„
wältigt Rührung ſie, als ſie in einer Prager Kirche „O du
Lamm Gottes!“ ganz wie in Dresden ſingen hört.
„Sobald Watzdorf mich geſehen,“ ſchreibt fie am 19. No-
vember, „ſagte er, daß ich am Heimweh leide; und ſo war es
auch. Ich glaubte oft, ich könne den Zuſtand nicht länger
tragen, ich müßte nach Hauſe. In jener Zeit fing ich an, ein
Hämmern im Kopfe zu fühlen.“
Wie groß ihre Unruhe und Aufregung war, geht ſchon aus
dem Umſtande hervor, daß ſie, um wenigſtens etwas für ihren
geliebten Oheim, den König, zu thun, einen Brief an den
Kaiſer von Rußland ſchrieb. Une jeune personne de vingt
ans, Painée de trois frères et trois soeurs, fleht in dieſem
Briefe den Kaiſer an, er möge ſeinen Einfluß zu Gunſten des
Königs geltend machen, que nous cherissons comme notre
pere. Helas! s’il faudrait une victime je me devouerais
volontiers aux malheurs qui menacent ma famille pour
l’en preserver.
Endlich geſtalten ſich die Ausſichten einigermaßen hoff-
nungsvoll. Während der erſten Hälfte des folgenden Jahres
ziehen ſich dann noch die Verhandlungen über den künftigen
Umfang Sachſens in die Länge. Am 3. Juni kommt der König,
der bereits im Februar Friedrichsfelde bei Berlin verlaſſen und
ſich nach Preßburg begeben durfte, nach Prag. Die Prinzeſſin
findet ihn gebeugt und gealtert, ſo daß ihre Freude, den König
wiederzuſehen, ſich ſehr raſch ins Wehmütige verwandelt, aber
ſeine Ruhe und ſein Gleichmut ſtimmen auch ſie bald dankbar,
und die Hoffnung auf ein nahes Wiederſehen der liebgeword⸗
nen alten heimiſchen Umgebung verſcheucht die trüben Betracht-
ungen.
Wenige Tage darauf wird die Rückreiſe wirklich angetreten
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2, BE
und am 7. Juni befinden ſich der König und die Seinigen wieder
auf vaterländiſcher Erde.
„Ich kann nicht ſagen,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „welchen
Eindruck es mir machte, als ich Sachſen betrat. Ich ſchmolz
in Thränen. Ich ſah mein liebes Vaterland wieder, aber unter
welchen Umſtänden!“ Doch wenigſtens mochte der Fleiß des
Landmanns und des Bürgers die zuletzt vor zwei Jahren in
ſo wüſtem Zuſtande und im Beſitze von Koſaken und Baſch⸗
kiren der Prinzeſſin zu Geſicht gekommenen Felder und Wohn⸗
ſtätten wieder leidlich beſtellt und hergerichtet haben. Und auch
an Freudenbezeigungen und herzlichem Willkommen fehlte es
nicht. „Vor jedem Dorfe ſtanden die Bauern mit Sträußen
und Zweigen in den Händen.“ So ging es bis nahe vor die
Stadt, wo eine berittene Bürgergarde ſich an die Spitze des
immer menſchenreicher gewordenen und nun auch noch durch
ein ruſſiſches Ehrengeleite vermehrten Zuges ſtellte. Auf dem
Platze zwiſchen Schloß und Brücke ſtanden die nach damaligem
löblichem Brauche zu Fuß aus Leipzig herübergekommenen
Studenten der Landes-Univerſität. Alles wetteiferte in Be⸗
zeugungen von Freude, Herzlichkeit und Anhänglichkeit und als
ſpät abends die Elbe eine jener glänzenden freiwilligen Illumi⸗
nationen widerſpiegelte, die, wo ein breiter Strom eine Stadt
berührt, mit ſo geringen Mitteln herzuſtellen ſind, da mochte
jeder inmitten ſeiner dankbaren Empfindungen doch auch mit
Grauen der verhaßten Zwang-Illuminationen gedenken, die jo
lange lügneriſcher Weiſe dem traurigen Loſe des Sachſenlandes
zu einem weithin leuchtenden Strahlenglanze von unvergleich⸗
lichem Glücke hatten verhelfen ſollen.
Von den Begegnungen und Umblicken, welche den Geſichts⸗
kreis der Prinzeſſin während des nun beendeten Fernſeins aus
der Heimat erweiterten, ſei hier einiges aus dem Prager Tage⸗
9
buche nachgeholt; ebenſo dasjenige, was zu Schlüſſen auf die
Entwickelung ihrer künſtleriſchen und dichteriſchen Fähigkeiten
berechtigt.
Bis die Verhandlungen über die Zukunft Sachſens ſich
ihrem Ende näherten, waren die Angehörigen des gefangenen
Königs begreiflicherweiſe weder in der Verfaſſung geweſen, um
geſelligen Verkehr zu pflegen, noch galt es wahrſcheinlich für
politiſch unverfänglich, ſich ihnen zu nähern. Damals, als der
Großherzog von Würzburg nach kurzem Verweilen in Prag
mit ſeinen drei Kindern wieder abgereiſt war, klagte die Prin⸗
zeſſin: „So verlieren wir unſeren einzigen geſelligen Umgang.“
Auf ganz kurze Zeit ſprach der Herzog Karl Auguſt von Wei⸗
mar ein, dann auch Prinz Karl von Bayern. Die ruſſiſchen
Großfürſtinnen Katharina und Maria (Schweſtern Kaiſer
Alexanders, die erſtere geboren 1783, Gattin des Prinzen Peter
von Holſtein, die zweite geboren 1786, Gattin des Prinzen
Karl Friedrich von Weimar, des Sohnes und ſpäteren Nach⸗
folgers des Großherzogs Karl Auguſt), welche vorübergehend
in der böhmiſchen Hauptſtadt weilten, die erſtere mit ihrem
Sohne Alexander, mußten natürlich beſucht werden, da das
Los Sachſens weſentlich mit von den Entſchlüſſen des ruſſi⸗
ſchen Zaren abhing und die Beſuche wurden mit Liebens—
würdigkeit erwidert, ſeitens der Großfürſtin Maria ſogar mit
lebhaft ſich äußernder Teilnahme. Da der König (Friedrich VI.)
von Dänemark die Großfürſtin Marie eben zur nämlichen Zeit
beſuchte, als die ſächſiſchen Prinzeſſinnen bei ihr verweilten,
ließ er ſich bald darauf auch bei ihnen melden. Er befand ſich
auf der Reiſe nach dem Wiener Kongreß, wo er für den Ver—
luſt Norwegens Entſchädigung zu erhalten ſuchen wollte, und
er fühlte ſich, wie er ſagte, als „Unglücksgefährte“ des ſäch—
ſiſchen Königs. Die Prinzeſſin beſchreibt ihn als „klein, häß—
7 *
— 100 —
lich und mager, aber dabei nicht unangenehm.“ Von der
Großfürſtin Katharina heißt es: „Sie iſt nicht ſchön, aber
hübſch und weiß;“ von ihrem Sohne: er ſei blauäugig und
blond, ſolle auch gut deutſch reden, habe aber bei dem Beſuch
ſich nur zum Ruſſiſchreden verſtanden.
Der übrige Verkehr beſchränkt ſich auf die kommenden und
gehenden Perſonen aus dem ſächſiſchen Beamten⸗ und Hofkreiſe,
worunter der alte Miniſter Marcolini — welcher in Prag
ſtirbt — und auf die Familien des böhmiſchen Adels, N
derſelbe in oder bei Prag wohnt.
Über die erſte Zuſammenkunft des Kaiſers Franz mit feiner
Tochter nach der Abdankung Napoleons enthält das Tagebuch
eine Notiz aus dem Briefe eines Offiziers, welcher den Kaiſer
Franz begleitete und „jene Entrevue als ſchrecklich“ bezeichnet.
„Im erſten Augenblick waren beide wie Bildſäulen. Da fing
der Kleine an, mit dem Degen des Kaiſers zu ſpielen, worauf
Vater und Tochter weinten.“
Über den Transport Napoleons durch Aix erfährt ſie aus
dem Clamſchen Kreiſe:
„Als der Wagen mit Napoleon ſich der Stadt Aix näherte,
wurde er von einer Truppe Bauern umringt, welche den
„Tyrannen“ ausgeliefert haben wollten. Sie hatten einen
Galgen errichtet, an welchem ein Strohmann hing. Dem
General Koller gelang es endlich, ſie zur Ruhe zu bringen.
„Wohlan, jo geht!“ ſagte ein Bauer, es wird euch nichts
helfen, denn in Aix ſtreiten ſie ſich nur noch, auf welche Art ſie
ihn töten ſollen.“ — Hierauf ſchickte Koller den Clam in die
Stadt, um den Maire zu ſprechen. In der Stadt fand Clam
alles in Alarm; man riß ihn vom Pferde und mißhandelte
ihn, da man ihn für einen franzöſiſchen Offizier hielt. Er rief
— 101 —
beftändig: „Ich bin Sſterreicher! Es lebe der König!“ —
Das frappierte die Vernünftigen. Sie führten ihn zum Maire,
welcher ihnen die Verantwortlichkeit vorſtellte, in welche er
fallen würde, wenn Napoleon ein Unglück begegnete. Der
Maire führte Clam auf den Balkon und ſagte dem Volke, daß
Napoleon an dieſem Tage nicht durch Aix kommen würde,
worauf ſich das Volk zerſtreute. Nun ließ der Maire die
Thore ſchließen, und während der Nacht führte man Napoleon,
welcher Koller gebeten hatte, ihm ſeinen Oberrock zu leihen,
damit er nicht erkannt würde, an der Stadt vorüber.“ —
„O Welt!“ fügt die Prinzeſſin hinzu, eingedenk der Abgötterei,
die man noch vor wenigen Jahren in ihrer Gegenwart mit
demſelben Manne getrieben hatte.
Über die Ankunft der Herzogin von Angoulème in Paris
wird ihr berichtet, die Tochter Marie Antoinettens ſei beim
Wiederbetreten ihres Zimmers in den Tuilerien ohnmächtig
geworden. „Unter den wenigen Koſtbarkeiten, die ſie beſitzt, ſind
die Strumpfbänder, welche ihre Mutter im Temple aus Fäden
geſtrickt, die ſie aus der Tapete gezogen.“
Wie ſchon öfter erwähnt wurde, hatten die Kinder des
Prinzen Max von ihren früheſten Jahren an immer das Glück
genoſſen, in engem Zuſammenhange mit den Erwachſenen ihre
Mußeſtunden zu allerlei wohl angeleiteten Kunſtübungen ver⸗
wertet zu ſehen. Vor allem fehlte es ihnen weder an muſika⸗
liſcher Unterweiſung, noch an Ermunterung, das Erlernte zu
produzieren. Die Prinzen Friedrich Auguſt, Klemens und
Johann hatten VBiolin- Unterricht und ſuchten, ſoweit ihre An—
lagen reichten, bei feſtlichen Gelegenheiten das Ihrige zu leiſten,
wohl nicht immer ohne den Ohren der Hörer etwas an Wohl-
klang ſchuldig zu bleiben, wie ſich denn König Johann noch im
Alter heiteren Sinnes eines Verſes erinnerte, den die Prinzeſſin
— 102 —
Amalie ihm auf Anlaß eines Familienfeſtes zu ſingen gegeben
hatte:
N Nicht ſehr rein ſind meine Töne,
Doch mein kindlich Herze ſpricht ꝛc.
Und ebenſo bezog ſich auf ſein Geigenſpiel wohl die Szene
im dritten Akt des Luſtſpiels „Der Majoratserbe,“ wo Graf
Paul mit ſeinem Kammerdiener Bärmann ein Duo geigt und
nach vielen Mißtönen endlich dahinter kommt, daß er und Bär⸗
mann „eigentlich ſchon vierzig Takte auseinander waren.“
Der Biograph des Königs Johann ſagt: „Zeichnen und
Muſik lehrten ihn Schubert und Schmiedel, wie der König oft
ſcherzend erzählte, ohne allen Erfolg. Was er dennoch in
ſpäterer Zeit von Muſik verſtand, verdankte er ſeiner muſikaliſch
durchgebildeten Schweſter und dem häufigen Hören italieniſcher
Opern.“ 1 01
Das Tagebuch erwähnt demungeachtet häufig auch des
jugendlichen Geigenſpielers Prinz Johann als bei allerlei
Muſik⸗ Aufführungen fleißig mitbeteiligt. So fällt ihm unter
anderem in Prag am 22. Februar 1814 die Aufgabe zu, mit
ſeinem Violinſpiel die Umkleide-Pauſen zwiſchen einem Kotze⸗
bueſchen Luſtſpiele „Der Fluch des Römers“ und zwei Sprich⸗
wörtern auszufüllen, mit denen die prinzlichen Kinder und einige
Geſpielen derſelben den Prinzen Max zu erheitern ſuchten. Es
wird ihnen gelungen ſein, denn der prinzliche Vater hatte an
dergleichen Überraſchungen große Freude und ſelbſt der ſchon
recht hinfällige Miniſter Marcolini lachte ſehr über das in einem
der Sprichwörter verwendete Koſtüm, in dem Prinzeſſin Amalie
ſich mit Federn herausſtaffiert hatte, „die bis an die Decke
reichten.“
Einmal geſchieht eines vom Prinzen Friedrich Auguſt ge⸗
dichteten Sprichworts Erwähnung und ebenſo der Aufführung
— 103 —
desſelben; dann wieder eines Trios, bei welchem derſelbe Prinz,
ſein Bruder Prinz Johann und ihr Muſiklehrer Schmiedel mit⸗
wirkten.
Was Prinzeſſin Amalie betrifft, ſo ſetzte ſie die ſchon in
Pillnitz begonnenen dichteriſchen Verſuche fort, ohne dabei
— was für die Richtung ihres Talents bemerkenswerth iſt —
ihren oft ſo gedrückten Gemütsſtimmungen lyriſchen Ausdruck
zu geben, ohne überhaupt andere dichteriſche Vorwürfe zu
wählen, als ſolche, die mit ihren Geſchwiſtern gemeinſam ver-
wertet werden konnten. Die ſchwere Not der Zeit trat täglich
in empfindlicher Weiſe an die Verfaſſerin des Tagebuchs heran
und ſpiegelte ſich dort, wie ſchon erwähnt, in reichem Maße.
Aber zu lyriſchen Ergüſſen fehlte ihr die Einſamkeit und die
Gewöhnung, ſich in der Einſamkeit von ihren Gefühlen über⸗
fluten zu laſſen.
Gleich anfangs hat man ihr ein hübſches kleines Klavier
in Prag zur Verfügung geſtellt; auch ihre Brüder erhalten eins
und ebenſo findet ſich eins für ihre Schweſtern. Am 1. Januar
1814 bekommt ſie das ſchon erwähnte „ſchöne Pianoforte mit
türkiſcher Muſik“ ſogar zum Eigentum. Im Juni bricht das—
ſelbe aber beim unvorſichtigen Verſchieben zuſammen, und die
Prinzeſſin klagt, dieſer Unfall treffe fie ſchwer, denn ihr In—
ſtrument ſei bis dahin ihr einziges Vergnügen geweſen. Daß
in Prag die zweite Oper der Prinzeſſin „le tre einture“ ent⸗
ſtand — Text von dem Prinzen Max — berechtigt in der Tat
zu dem Schluſſe, daß ſie ihre Zeit fleißig nützte.
Auch dieſe Oper iſt heitern Inhalts, wie denn der Beruf
der ſpätern Luſtſpieldichterin ſich in kleinen Zügen des Humors
bei mehr als einer Gelegenheit anmeldet. So in der Trocken—
heit, mit der fie einmal berichtet, „der Bediente des Pater Syl-
veſter hat auf dem Kirchhof beim Begräbnis einer Stiftsdame
a
die Bekanntſchaft von deren Jungfer gemacht, kann fie aber noch
nicht heiraten, weil dem Totenſchein ſeiner ſeligen Frau noch
der Stempel fehlt.“ — Mit der böhmiſchen Sprache bindet ſie
hin und wieder an, um zu dem Volke, mit dem ſie in Berühr⸗
ung kommt, in ein umgänglicheres Verhältnis zu treten, und in
der Kirche bringt fie die chere tante ins Lachen, indem fie
plötzlich die Antworten für die Litanei gleich den übrigen An⸗
dächtigen böhmiſch herſagt. — Einmal hat ſie eine aus Dresden
eingetroffene Nachricht ungünſtig ausgelegt. „Ich weinte darüber
in der Kirche,“ ſchreibt ſie; „Lolotte, die es ſah, glaubte, ich
habe eine ſchlechte Nachricht erhalten und weinte auch. Ich
glaubte nun dasſelbe von Lolotte, und ſo weinte eine über die
andere, bis nach der heiligen Meſſe ſich der Irrtum aufklärte.“
Übrigens ſchießen „wir vier Schweſtern“ auch mit Wind⸗
büchſen nach der Scheibe; es wird Quadrille geritten und in⸗
mitten der mancherlei Bedrängniſſe und Beklemmungen der Kopf
nach Möglichkeit oben behalten.
Daß daneben die Sprachſtudien — über das Böhmiſche
hinaus — nicht ganz ins Stocken gerathen ſind, beweiſt eine
Anmerkung des Tagebuchs in betreff einer lateiniſchen Predigt,
welche die Prinzeſſin hörte und „leidlich verſtand.“ Es mag
ihr dabei die Übung im Franzöſiſch-Sprechen gerade fo wie
ſpäter ihrem Bruder, dem Prinzen Johann, zu ſtatten gekommen
ſein, der auch auf dem Umwege über das Franzöſiſche zum
Latein gelangte. Sein Biograph jagt, Abbe Silveſtre habe den
Prinzen erſt ſpät im Latein unterwieſen, „davon ausgehend,
daß, wer Franzöſiſch ordentlich gelernt, Lateiniſch leicht lernen
werde, eine Anſicht, die bekanntlich auch in der neueren Zeit,
z. B. im ſogenannten modernen Gymnaſium zu Leipzig, nicht
ohne günſtigen Erfolg Anwendung gefunden hat.“
Von einer mit ihren Brüdern vorgegangenen weſentlichen
— 105 —
Veränderung hatte die Prinzeſſin ſchon in den erſten Tagen
ihres Prager Aufenthalts berichten können: Man hat ihnen
die Zöpfe abgeſchnitten, „zu meiner Freude!“
Nach ihrer Gewohnheit erhalten die Kinder des Prinzen
Max auch diesmal durch das Beſuchen denkwürdiger Orte in
Prag, wie in deſſen Umgebung Gelegenheit, ihren Geſichtskreis
zu erweitern. Hier ſei nur des Beſuchs eines Kloſters der Ur-
ſulinerinnen gedacht, in welchem Prinzeſſin Amalie der Ein⸗
kleidung einer jungen Nonne beiwohnte. In einem Kabinett
wartete die Kloſterbraut, gekleidet in einen „weißen fourreau“
und geſchmückt mit vielen Blumen und Diamanten. Am Arme
trug ſie einen Kranz von gemachten Blumen. Ihre Mutter, eine
Pilſener Bürgersfrau, trug das Bürgerkoſtüm und auf dem Kopfe
eine goldne Haube. „Seit dem 13. Lebensjahre,“ verſicherte
die Mutter, „habe ihre Tochter ſchon den Beruf fürs Kloſter
in ſich gefühlt.“ Unter den Brautjungfern waren zwei Gräfinnen
Schafgotſch und die Braut Chriſti hatte auch eine Schleppen⸗
trägerin. Die eine jener ſehr hübſchen Brautjungfern trug eine
Fackel, die andere das Ordenskleid, die dritte den Schleier und den
Kranz, und ſo gingen ſie dem Zuge voran. Während des Hoch—
amts kommunizierte die Kloſterbraut. Nach dem Schluſſe der
Meſſe fragte der Celebrant ſie: Was ſie begehre? Sie antwortete:
In die Gemeinſchaft der Urſulinerinnen aufgenommen zu werden
und Armut, Keuſchheit und Gehorſam zu geloben. Er dann: Ob
ſie wohl unterrichtet ſei über die Bedeutung ihres Vorhabens?
Sie bejaht die Frage, worauf er ihr etwas darüber vorlieſt.
Nochmals befragt, ob fie bei ihrem Entſchluſſe beharre, wieder-
holt ſie ihr Ja, worauf alle die Muttergottes-Litanei beten.
Dann folgt die Frage, ob ſie ihrer Oberin gehorſam und ihren
Mitſchweſtern gefällig ſein wolle? Nachdem ſie auch dies bejaht
hat, giebt der Celebrant ihr den Namen Maria Emerentiana
— 106 —
von Mariahilf und überantwortet ſie der Oberin als eine neue
Tochter, die er ihrer Sorgfalt vertraue. — Während dieſer
Zeremonie hatte die Braut im Chor an dem offenen Fenſter
geſtanden, das in die Kirche geht, ein blumenbekränztes Kruzifix
in den Händen haltend. Nachdem ſie von den Brautjungfern
hinter einem Schrein umgekleidet worden war, trat ſie im
Nonnenkleide an das nämliche Fenſter und der Prieſter ſetzte
ihr den Kranz auf. Darauf verhüllte man ſie mit dem weißen
Schleier und ſagte ihr, daß ſie nun die Welt vergeſſen müſſe.
Dann dreimaliger Pſalmgeſang. Nun küßt die Nonne der Oberin
und den älteren Nonnen die Hand und umarmt ſie; die jüngeren
umarmt ſie nur. Ein Tedeum ſchließt die Feier.
Eine zweite Nonnenweihe, welcher die Prinzeſſin beiwohnt,
gilt der Tochter des Generals Gottesheim, eines Militärs,
welcher aus der franzöſiſchen Armee in die öſterreichiſche über⸗
getreten iſt. Die junge Nonne erhielt den Namen „Maria
Gabriele von den heiligen drei Königen.“ Dieſer nimmt man
zum Schluß den weißen Schleier ab und verhüllt ſie mit einem
ſchwarzen, wozu noch ein Kranz von weißen Roſen kommt.
Die Schweſtern der „Braut Jeſu“ waren zugegen und weinten
bitterlich; „die jüngſte,“ heißt es, „will auch ins Kloſter, aber es
wird nicht möglich ſein, da ſie am Blutſturz leidet.“ Die vor⸗
ausgegangene Anſprache der Braut ſeitens des Domherrn
ſchildert zunächſt das Glück des Abgeſchiedenſeins von der Welt;
„ſpäter wurde er etwas verworren,“ fährt die Prinzeſſin fort,
„und malte ihr die Welt ſo ſchön aus, daß ich in ihrer Stelle
vielleicht Luſt bekommen hätte, umzukehren.“
Wohin die vielen Wachsfigürchen kommen, welche die
Bauern am Johannistage zum Dank für die Geneſung von
Kindern ſpenden, ermittelt die immer praktiſch den Dingen auf den
Grund gehende Prinzeſſin: Es werden Kerzen daraus gegoſſen.
— 17 —
Bei der Fronleichnam - Prozeffion ſieht fie zum erſtenmale
den böhmischen Brauch, die Monſtranz mit Kränzen zu berühren,
die dadurch, wie angenommen wird, einer Heilwirkung teilhaftig
werden.
Aber zu den mancherlei Dingen gleichgültiger oder inter—
eſſanter Art, für welche die Prinzeſſin offne Augen hatte, ſollte
ſich in Prag auch der Anblick eines Sterbens geſellen. „Als ich
an die Thüre der S. kam,“ heißt es in dem Tagebuche, „hörte
ich laut in der Stube ſprechen. Ich ging hinein. Da hielt ihr
das Dienſtmädchen die geweihte Kerze vor und die Töchter mit
der L. beteten weinend die Litanei vom Herzen Jeſu. Ich betete
mit. Als die Litanei zu Ende ging, warf plötzlich die L. Weih—
waſſer auf das Geſicht der Kranken, die eben verſchieden war.
Es machte mir einen ungeheuren Eindruck, da es die erſte
Perſon war, die ich hatte ſterben ſehen.“
Sechſter Abſchnitt.
Nach wiederhergeſtelltem Siriesen.
(Juni 1815 bis Februar 1819.)
N: Heimkehr der königlichen Familie nach Sachſen ift
bereits, als im Sommer 1815 erfolgt, erwähnt worden.
An dem ſächſiſchen Hofe hatte ſeit langem Einfachheit
geherrſcht. Sie entſprach ſowohl dem Geſchmack des arbeitſam
und häuslich gewöhnten alten Königs, wie dem ſeiner Angehöri⸗
gen. Die allgemeine Not der Kriegszeit hatte in dieſer Richtung
noch weiter einſchränkend gewirkt und ſo vernahm man beiſpiels⸗
weiſe jetzt nicht mehr die Pfeifer, welche ſonſt bei der königlichen
Tafel aufgeſpielt hatten; die meiſten dieſer beſcheidenen Künſtler
waren im Laufe der Kriegszeit dem Typhus erlegen. Im Übrigen
hatte der König während ſeines mehr als fünfzigjährigen Regi⸗
ments das Altherkömmliche lieb und wert gehalten, und wenn
die Zöpfe der kleinen Prinzen auch im Sturme der Zeit hatten
geopfert werden müſſen, ſo beweiſt doch ſchon die Treue, mit
welcher König Friedrich Auguſt bis an ſein ſpätes Lebensende
an den Unvollkommenheiten ſeines Jugendgefährten, des Silber⸗
mannſchen Kielflügels oder Cembalos, feſthielt, während ringsum
das Fortepiano ſeine geräuſchvolle Herrſchaft angetreten hatte,
wie wenig Freude Neuerungen ihm bereiteten.
Auch die Familie des Prinzen Max kehrt daher, ſoweit dies
thunlich iſt, in das alte Gleis zurück, ſo daß die beiden nächſten
— 109 —
Jahrgänge des Tagebuchs wenig Berichtenswertes bieten. Die
zur Armee gegangenen Brüder, die Prinzen Fritz und Klemens,
werden bei ihrer Rückkehr von den Geſchwiſtern mit Muſik und
Gedichten empfangen, Prinzeſſin Amalie gelangt an ihrem
21. Geburtstage durch ihre Geſchwiſter in den Beſitz von
Schillers Gedichten — damals noch ein Ereignis, ſo ſcheint es,
obſchon Prinz Johann auf ſeinen kleinen Reiſen im Jünglings⸗
alter immer einen Band von Schillers Werken bei ſich führte
und ihn ſehr liebte —, man ſingt, dichtet, komponiert, ſpielt im
kleinen Kreiſe Theater und läßt auch das Feſt der heiligen drei
Könige nicht ohne den üblichen Königskuchen vorübergehen, ja
ſogar die jetzt kriegserfahrnen beiden Prinzen finden an dem
Spiele ihrer Kindheit nach wie vor Geſchmack: Als bei dem
Königskuchen der Hoftafel die verſchiedenen Amter zur Verteil—
ung gelangen und Prinz Fritz Artillerie-Kapitän, Prinz Klemens
aber Nudelfabrikant wird, liefert der erſtere dem Bohnenkönige,
dem Baron Weſſenberg, die Zeichnung einer von ihm erfundenen
Kanone ein, während Prinz Klemens ſich mit ſelbſt fabrizierten
Nudeln einſtellt; Prinz Johann, der mit der Admiralswürde
bekleidet wurde, erſtattet den Bericht über eine Seeſchlacht. —
Was die muſikaliſchen Studien der Prinzeſſin Amalie betrifft,
ſo beginnen dieſelben ſich ſeit ihrer Rückkehr von Prag ernſtlich
zu vertiefen. Der königliche Kirchen-Komponiſt Franz Anton
Schubert giebt ihr jetzt faſt täglich von 3 bis 6 Uhr Unterricht.
Schon früher hat das Tagebuch erwähnt, daß die Gewöh—
nung des Königs an regelmäßigen Beſuch des Theaters ihren
Vater, den der König dann gern ebenfalls im Theater ſah, den
Kindern häufig entzog; denn nach altem Herkommen erſchien
daſelbſt während des Winters das königliche Paar allemal
punkt 6 Uhr, begleitet von Prinzeſſin Auguſte und den könig—
lichen Brüdern und deren Gemahlinnen, in ſpäterer Zeit auch
— 110 —
von deren Kindern, ſoweit ſie für das Theater reif waren. Jetzt
ſuchen ſich die jungen Prinzen hin und wieder der Pflicht des
regelmäßigen Theaterbeſuchens zu entziehen, und es gelingt.
General Forell tritt im Jahre 1816 mit einem Ruhegehalt
von 2000 Thaler von ſeinem Poſten bei den Prinzen zurück
und General von Watzdorf rückt in ſeine Stelle. Sämtliche
prinzliche Kinder erfreuen General Forell mit allerlei kleinen
Geſchenken, und er dagegen tritt den Brüdern ſeinen treuen
Hund Boſton ab.
Am 30. November hört Prinzeſſin Amalie die erſte Roſſi⸗
nische Oper — Il turco in Italia — und iſt „entzückt.“
Das Jahr 1817 giebt der Prinzeſſin erwünſchte Gelegenheit,
nach Wien zu kommen, indem Prinz Anton und ſeine Gattin
zur Verlobung der jetzt zwanzigjährigen Erzherzogin Leopoldine
mit dem neunzehnjährigen Prinzen Dom Pedro von Braſilien,
dahin entboten find. Die Abreiſe findet am 10. Februar ſtatt,
und Wien wird am 15. ſpät abends erreicht. „Ich fand den
Kaiſer,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „ſehr gealtert. Die Kaiſerin“ —
Karoline, geb. 1772, die vierte Gemahlin des Kaiſers, älteſte
Tochter des Königs Max L von Bayern, erſt ſeit dem 10. No⸗
vember 1816 Kaiſerin — „iſt häßlich, aber angenehm.“ Den
vierundzwanzigjährigen Kronprinzen Ferdinand bezeichnet ſie
als ſehr hübſch, aber ſehr klein; man würde ihn für fünfzehn⸗
oder ſechzehnjährig halten; „er ſieht ſehr ſchüchtern aus.“
Der Wiener Hof hat ſchon durch die Verſchiedenheit der
dort in Amt und Würden oder im Dienſt ſtehenden Nationali⸗
täten immer etwas Imponierendes gehabt. Gleich der erſte Tag
bietet der jungen Prinzeſſin ein farbenprächtiges Bild dieſer Art,
da die wegen Unwohlſein des Kaiſers verſchoben geweſene Feier
ſeines Geburtstages nachgeholt werden ſoll. Von den Fenſtern
des Kronprinzen ſieht ſie den Einzug des Adels und der Garden
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— 111 —
in die Burg. Zuerſt in ihrem glänzenden National-Koſtüm die
ungariſche Nobelgarde; dann mit Hüten und in Rot mit Gold
die deutſche; faſt ebenſo die Hadſchiere, aber mit Helmen und
Flinten; zuletzt die graue Stäbelwache mit Hüten auf dem Kopfe
und Stöcken in den Händen; ſie gehen in der Burg herum, um
Ordnung zu halten. Nun naht ſich der Oberſtallmeiſter Graf
Trautmannsdorf zu Wagen; vorauf zu Fuß die kaiſerliche
Livree und die Dienerſchaft des Grafen ſamt allen verfüg-
baren Pferden aus den kaiſerlichen Ställen. — Nach der
Meſſe findet die Prinzeſſin dann wieder Gelegenheit, von der
Galerie des großen Speiſeſaals, wo ſie neben der ſpäter ſo
berühmt gewordenen Sängerin Wranitzky Poſto faßt, das
Bankett mit anzuſehen. „Der Kaiſer, die Kaiſerin, alle Erz—
herzöge nach der Rangordnung, endlich auch Henriette und
Leopoldine traten ein und ſetzten ſich, mehr pro forma, als um
zu eſſen, an den Tiſch.“ Während der Tafel iſt Inſtrumental⸗
Muſik, auch werden Arien geſungen. Eine große Menge Zu⸗
ſchauer ſteht hinter den Barrieren. 5
Tags darauf ſieht die Prinzeſſin „den kleinen (ſechsjährigen)
Napoleon, ein allerliebſtes Kind, voll Verſtand; er ſpricht ſchon
leidlich deutſch.“ Dann erfolgt nachmittags der feierliche Einzug
des portugieſiſchen Ambaſſadeurs Marquis Marialva. Eröffnet
wird der Zug durch eine Abteilung Kavallerie, dann folgt ein
Hofwagen mit dem Geſandtſchafts-Sekretär Navarro. Um⸗
ringt von ſeiner glänzend koſtümierten Dienerſchaft und von
Pagen in Gala⸗-Livree zeigt ſich darauf der Marquis ſelbſt in
einem ſechsſpännigen Hofwagen. Kavallerie ſchließt den Zug.
Abends 7 Uhr giebt es einen Jugendball, den der Kronprinz
mit Prinzeſſin Amalie eröffnet.
Am nächſten Tage Zeremonie der feierlichen Werbung.
„Der Kaiſer ſaß unter einem Thronhimmel, von den Hofchargen
— 112 —
umgeben. Marialva (der Ambaſſadeur) war ſehr verlegen, und
Leopoldine, die ihre (Antwort-) Rede den ganzen Abend vorher
memoriert hatte, blieb darin ſtecken. Da das Porträt des
Prinzen (von Braſilien) noch nicht angekommen war, konnte
Marialva es ihr nicht nach dem Brauche überreichen. Der
Kaiſer las ſeine Rede ganz unbefangen vom Blatte herunter.“
Schon auf der Reife hatte die ungewöhnliche Aufgeräumt⸗
heit der Prinzeſſin Thereſe der Verfaſſerin des Tagebuchs
allerlei beſorgliche Vermutungen eingeflößt. Jetzt geſtand ihr
die erſtere, ſie habe den Plan gehabt, Prinzeſſin Amalie mit
dem Kronprinzen Ferdinand zu verheiraten, es zeige ſich jedoch,
daß ihm bereits eine bayeriſche Prinzeſſin beſtimmt ſei. „Ich
antwortete ihr,“ heißt es weiter, „daß ich Gott danke, daß
jener Plan nicht gelungen ſei, da den Kronprinzen zu heiraten
das ſchwerſte Opfer geweſen wäre, das ich meiner Familie hätte
bringen können; und ſie begriff meine Gründe.“
Im Widerſpruch mit der vorhin erwähnten Schüchternheit
des Kronprinzen wird derſelbe auf der Faſtnachtsredoute als
„beſonders geſprächig“ geſchildert, was alle Welt intriguiert
habe, da er die Prinzeſſin Amalie führte und niemand ſie unter
ihrer Maske erkannte. Geheiratet hat der Kronprinz bekanntlich
erſt weit ſpäter — 1831 — und zwar Prinzeſſin Karoline, die
dritte Tochter des Königs Viktor Emanuel von Sardinien.
Von feinem Bruder, dem ſpäteren Reichs verweſer Erzherzog
Johann, empfängt Prinzeſſin Amalie augenſcheinlich einen
minder widerſpruchsvollen Eindruck, denn ſie äußert kurzweg:
Er „imponierte“ mir. |
Sehr fleißig werden während der weiteren Aufenthaltszeit
in Wien und ſpäter auch in Ofen und Peſt wiederum alle
öffentlichen Inſtitute, Sammlungen, Kirchen und Theater be⸗
ſucht und beſchrieben. Im Wiener Polytechnikum ſieht Prin⸗
— 113 —
zeſſin Amalie — vermutlich zum erſtenmal — Gasbeleuchtung.
Im dortigen Waiſenhauſe betrübt ſie's, daß die Mädchen
daſelbſt ſchlecht ausſehen, „da ſie den ganzen Tag die Kleider
und die Wäſche fürs ganze Haus (300 Knaben und 63 Mädchen
ſind dort) nähen müſſen, auch eine ſchwindſüchtige, luftſcheue
Aufwärterin haben.“
Im Palmſonntags⸗Konzert des Burgtheater hört fie
Beethovens Chriſtus am Olberge, ſteht aber vermutlich, wie
überhaupt damals die Mehrzahl der Kunſtfreunde, dem genuß—
vollen Verſtändnis dieſer Muſik noch fern; wenigſtens begnügt
ſie ſich mit der bloßen Erwähnung dieſes Oratoriums, während
3 Roſſinis Tancredi und l’Italiana in Algeria, die damals alle
Welt elektriſirten, ſich auch ihrer beſonderen Bewunderung er—
freuen. Den Schauſpieler Karl und deſſen Frau ſieht ſie im
Käthchen von Heilbronn. Im Eſſex giebt die Titelrolle Lange,
ein ſiebenzigjähriger penſionierter Akteur, „was der Illuſion
ſehr ſchadete.“ Im Leopoldſtädter Theater „amüſiert ſie ſich
ſehr“ an einem Harlekin⸗Ballet: Perſeus und Andromache.
Überhaupt hat ihre gute Laune augenſcheinlich die Nach—
wehen der trüben Jahre mutig überwunden, was nicht aus—
ſchließt, daß auch manche ernſtere Stimmung bei ihr Eingang
findet. So bewegt in der Kapuziner-Gruft die Erinnerung an
die dort beſtattete Kaiſerin Luiſe, bei deren Verweilen in Dresden
die Kinder des Prinzen Max ſo heitere Stunden verlebt hatten,
ſie bis zu Tränen.
Eine ſonderbar geartete Perſönlichkeit lernt ſie in der
Gattin des Palatins von Ungarn (Erzherzog Joſef) kennen.
Dieſelbe genießt nur Thee, verträgt nicht den Geruch von
Fleiſchſpeiſen und beteiligt ſich daher an keiner Mahlzeit. Sie
iſt überdies ſo ſchüchtern, daß ihre Lippen zittern. Dies hindert
nicht, daß ſie ſchön und ſehr liebenswürdig iſt. (Sie muß
S
— 14 —
damals ſchon krank geweſen ſein und ift noch im ſelben Jahre
1817 geſtorben. Sie war eine Tochter des Prinzen Viktor von
Anhalt⸗Bernburg- Schaumburg und die zweite Gattin des
Palatins. Zwei Jahre ſpäter heiratete derſelbe eine Tochter
des Herzogs Ludwig von Württemberg.) |
Bei der Fußwaſchung der zwölf alten Männer und zwölf
alten Weiber in der Burg wäſcht und küßt der Kaiſer jenen,
die Kaiſerin dieſen die Füße, worauf ſie ihnen je einen Beutel
mit 30 Silberlingen ſchenken. Voraus geht die feſtliche Speiſung
der 24 Alten. Hierbei helfen den Majeſtäten die Erzherzöge
und Erzherzoginnen und nicht minder die Herren und Damen
des Hofs. Das älteſte der Weiber war 103 Jahre alt, der
älteſte Mann 94.
Das Sprichwörter-Spielen hat in Wien dem Scharaden⸗
Aufführen Platz gemacht. So wird gegen den Schluß des
Wiener Aufenthalts in einer Soiree bei Bellegarde das Wort
delire als Scharade zum beſten gegeben, nämlich de — zwei
Bauern, welche um das Soldatwerden würfeln — lire — Leſen
der Offizien — und delire: „Die Nina, von der Bombelles
vorgeſtellt, welche dabei das Ombra adorata ſang, ſpäter auch
noch Attitüden machte.“ Gräfin Bombelles, deren in dem Tage⸗
buch öfter Erwähnung geſchieht, war die Gattin des öſterreichi⸗
ſchen Diplomaten Graf Ludwig Philipp Bombelles, welcher nach
ſeiner Verheiratung mit Fräulein Ida Brun aus Kopenhagen,
einer Schweſter der Schriftſtellerin Friederike Brun, als öſter⸗
reichiſcher Geſandter in Dresden ein künſtleriſch ſehr belebtes
Haus machte; ſpäter war er bei den Höfen von Florenz, Modena
und Lucca akkreditiert, dann in London, Turin und in Bern.
Am 24. April wird von den Verwandten und Bekannten
Abſchied genommen. Die Braut des Kronprinzen von Braſilien
erzählt den Scheidenden noch einiges Vertrauliche über die Art,
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EEE
— 15 —
wie ihre Heirat angeſtiftet worden ſei, „Dinge, die uns ſehr
ärgerten,“ ſchließt die Prinzeſſin.
Auch für ihre, der Prinzeſſin Amalie, geplant geweſene
Verheiratung mit dem öſterreichiſchen Kronprinzen, erbietet ſich
eine alte fromme Dame, die Gräfin Schafgotſch, im Kloſter der
Saleſianerinnen, noch einiges zu thun: Sie will täglich für
das Zuſtandekommen dieſer Verbindung Gebete ſprechen. Ohne
Zweifel iſt Prinzeſſin Amalie damit recht wenig einverſtanden,
und ſo bittet Prinzeſſin Thereſe denn die alte Dame ernſtlich,
ſolche Gebete zu unterlaſſen.
Ob etwas Ahnliches zweien kurzen Notizen zu Grunde
liegt, die das Tagebuch mehrere Monate ſpäter enthält, kann
hier nicht unterſucht werden. Sie lauten:
1817 — 24. Juni X X XR Erſte unangenehme Ahnung.
26. Auguſt. Endliche Entſcheidung. R. X X X
Unter dem nämlichen Datum folgen die Worte: „Der
Kurier mit der Entſcheidung wegen Nanys Heirat mit dem
Erzherzog Leopold, dem Thronfolger von Toscana (einem
Jugendfreunde des Prinzen Johann), kam aus Florenz zurück.“
Die Prinzeſſin Anna Karoline, welche unter Nany zu ver-
ſtehen iſt, war die dritte Tochter des Prinzen Max, und daß
ſie vor den beiden älteren Schweſtern zur Ehe begehrt worden
war, konnte die damals dreiundzwanzigjährige Prinzeſſin Amalie
recht wohl mit der Vorahnung erfüllen, es werde ihr nicht mehr
beſchieden ſein, glückliche Gattin zu werden. Doch fehlt, wie
erwähnt, für jene Tagebuch-Notiz der Kommentar. Noch im
Greiſenalter haben Prinzeſſin Amalie und Leopold von Tos—
cana einander innige Freundſchaft bewahrt. Aus einigen der
Briefe Leopolds, die ſich in dem Nachlaſſe der Verfaſſerin des
Tagebuchs gefunden haben, wird ſich weiter unten einzelnes
mitteilen laſſen.
8 *
a
Über die Dresdner Formalitäten bei jener erſten Florentiner
Heirat (November 1817) nur einiges wenige. Zunächſt wird
beim Könige durch den Geſandten Bandelli für den Erbprinzen
Leopold um die Hand der Prinzeſſin Anna in deren Gegen⸗
wart feierlichſt angehalten; dann bei dem Prinzen Max, worauf
letzterer auf ihr Verlangen die Erlaubnis giebt, in die Ver⸗
bindung zu willigen. Nun überreicht ihr Bandelli das Portrait
des Bräutigams in Form einer Broſche, und ſie ſteckt dieſelbe
an, nachdem ſie wiederum die Erlaubnis dazu eingeholt hat.
Zwölf Tage darauf erfolgt per Prokuration — welche dem
Prinzen Friedrich Auguſt übertragen worden iſt — die Ver⸗
mählung. Tags zuvor hat in herkömmlicher Weiſe die Ent⸗
ſagungsfeier ſtattgehabt: Im Audienz-Zimmer ſtand ein Tiſch,
worauf brennende Herzen, das Evangelienbuch und ein Kruzifix.
Miniſter Globig verlas die Entſagungsakte der Prinzeſſin,
ſowohl bezüglich der Nachfolge, als auch der Erbſchaft, außer
im Falle gänzlichen Erlöſchens der königlichen Familie. Die
Prinzeſſin wiederholte den ihr vorgeſagten Eid, wobei ſie drei
Finger der Rechten auf das Herz legte, und ſodann unterſchrieb,
desgleichen Graf Hohenthal als ihr Vormund. — Am Hochzeits⸗
tage ſelbſt verſammelt man ſich wieder im Audienz-Zimmer und
begiebt ſich von dort im langen Zuge in die Schloßkapelle,
wobei Prinzeſſin Amalie als Brautjungfer die Schleppe der
jungen Braut trägt. Am Altar verlieſt der Biſchof dann die
Dispenſation des Papſtes und die Prokurations-Akte, worauf
die Trauung beginnt. Nach dem Wechſeln der Ringe wird
derjenige des Bräutigams von ſeinem Stellvertreter, dem
Prinzen Friedrich Auguſt, dem Superior übergeben, der ihn
für den wirklichen Bräutigam einſiegelt. Tags darauf große
Gala⸗Gratulation, Familientafel, Ordensverleihung. Abends
Feſt⸗Kantate im Theater, italieniſcher Text, Muſik von Karl
— 17 —
Maria von Weber; die Sänger und Sängerinnen in idealen
Koſtümen; darauf la Clemenza di Tito. — Noch einen Tag
ſpäter Abreiſe der Braut und ihres Geleits, unter andern Graf
Vitzthums, dem bis Trient die Verantwortlichkeit für die glück—
liche Ankunft der Prinzeſſin an der Grenze Toscanas obliegt.
Das Jahr 1818 bringt wenig Tagebuch-Notizen von all
gemeinerem Intereſſe; unter dieſen ſind hier erwähnenswert
nur der Brand des Pillnitzer Schloſſes und des berühmten
Venustempels am 1. Mai, das fünfzigjährige Regierungs⸗
Jubiläum des Königs am 15. September und der Tod der
alten Prinzeſſin Eliſabeth am Weihnachtsabend. Über ihr
Sterben ſchreibt die Prinzeſſin: „Ich wollte ſie nur von fern
ſehen, aber ſie winkte mir von weitem und ſagte mir dann ganz
ruhig und mit ſtarker Stimme: Wir werden uns nicht mehr
ſehen. — Entſetzlicher Eindruck, den mir das machte! — Sie
hatte während der Kirchenzeit im Sterben gelegen, ihre Rieſen—
natur ſich aber wieder erholt. Um 5% Uhr nachmittags ſtarb
ſie.“
Chere tante Eliſabeth war, wie früher ſchon bemerkt, im
Jahre 1746 geboren, hatte alſo ein Alter von 72 Jahren er—
reicht. Wenn die Verfaſſerin des Tagebuchs von ihrer Groß—
mutter, der Herzogin von Parma, im Jahre 1803 bei deren
Beſuch in Dresden, jagt: „Sie war eine große, männlich aus—
ſehende Frau; wir Kinder liebten ſie ſehr,“ ſo galt ohne Zweifel
das nämliche von jener Großtante Eliſabeth, und das Beiſpiel
ihrer energiſch angelegten Perſönlichkeit iſt auf die, gleich der Groß—
tante ledig gebliebene Großnichte wohl nicht ohne kräftigenden
Einfluß geweſen. Das Tagebuch iſt voll von kleinen Zügen,
welche Prinzeſſin Eliſabeths reſolutes Weſen deutlich erkennen
laſſen. Sie war es auch, die ſich durch kein noch jo arg bedroh—
liches Kriegswetter aus Dresden vertreiben ließ. Als während—
— 18 —
der Gefangenschaft des Königs alles darauf ankommt, den
Kaiſer von Rußland für die Sache des Königs zu gewinnen,
läßt ſie es nicht an ſachkundigen Weiſungen fehlen, nach welchen
von den in Prag weilenden Angehörigen des Königs in dieſer
Richtung erſprießliche Schritte zu thun ſind; ſie ſcheut aber
auch nicht die Schwierigkeiten, die man ihr macht, als ſie des
Kaiſers ſelbſt habhaft zu werden ſucht, reiſt, als man ihr den
Paß nach Leipzig verweigert, mitten durch das Truppentreiben
ohne Paß nach Leipzig und giebt dort dem Fürſten Repnin auf
ſeine Bitte, ſie möge dem Kaiſer wenigſtens nicht von Politik
reden, zur Antwort: Sie ſei zu alt, um erſt zu lernen, wie man
mit einem Souverän ſpreche, übrigens hieße es nicht von Politik
ſprechen, wenn ſie für ihren Neffen redete. Sie ſetzt dann durch,
daß man dem Miniſter Einſiedel geſtattet, ihren Beſuch bei dem
Kaiſer anzumelden, und als der letztere ſo artig iſt, ihr nun
zuerſt ſeinen Beſuch zu machen, weiß ſie es einzurichten, daß
der Kaiſer auf dem Fenſterbret ihres Zimmers ein ihr von den
Leipziger Studenten überreichtes Gedicht findet, in welchem die—
ſelben ihre Anhänglichkeit an den König ausgeſprochen haben.
Jetzt läßt der Kaiſer die Studenten heraufrufen, und die Prin⸗
zeſſin Eliſabeth hat die Freude, das Gedicht zweimal in Gegen⸗
wart des Kaiſers vortragen zu hören. Dreiviertel Stunden hat
der Kaiſer ihr gewidmet. Die draußen verſammelte Menge zählt
in ſehr gehobener Stimmung die Minuten, und von den be⸗
geiſterten Vivats, welche zuguterletzt ausgebracht werden, fällt
der beherzten alten Dame jedenfalls ein erheblicher Teil zu.
Das Jahr 1819 bringt am 17. Januar zunächſt die feſtlich
begangene goldne Hochzeit des Königspaares — „weder Braut
noch Bräutigam hatten graues Haar“ —, dann wird am
25. Januar die Reiſe nach Italien angetreten, und zwar begleitet
die Verfaſſerin des Tagebuchs wiederum den Prinzen Anton
— 119 —
und feine Gattin, Prinzeſſin Thereſe. Vor allem fteht der Sinn
der Prinzeſſin Amalie natürlich nach Florenz, wo ihre Schweſter
an der Seite des Erbprinzen Leopold dem von ſo vielen ſchweren
Prüfungen heimgeſucht geweſenen Hofe von Toscana wieder
Heiterkeit und Lebensfreudigkeit gegeben hat. Es ſei hier daran
erinnert, daß der im Jahre 1769 geborene und im Alter von
21 Jahren ſeinem Vater in der Regierung gefolgte Großherzog
Ferdinand, nachdem er neun Jahre lang ſich inmitten der all—
ſeitigen franzöſiſchen Vergewaltigung Italiens glücklich behauptet
hatte, im Jahre 1801 auf Toscana Verzicht leiſten mußte. Ein
Jahr darauf ſtarb ihm in Wien ſeine Gattin Luiſe, die Tochter
des Königs Ferdinand I. von Neapel. Mit ſeinen drei Kindern
haben wir ihn ſeitdem in Frankfurt a. M. und in Prag mit der
ſächſiſchen Königsfamilie Verkehr pflegen geſehen. Zuerſt war
ihm durch die Umgeſtaltung der europäiſchen Länderkarte das
1802 neu geſchaffene Kurfürſtentum Salzburg zugefallen; dann
ging durch den Preßburger Frieden 1805 Salzburg an Bayern
und Oſterreich über und Würzburg wurde ihm zu Teil. Erſt
die Schlacht von Leipzig bahnte ihm wieder den Weg über die
Alpen und in ſein Geburtsland, deſſen Regierung ihm dann
durch den erſten Pariſer Frieden zurückgegeben wurde, und aus
deſſen Reſidenz ihn ſeitdem nur der im Jahre 1815 von Murat
unternommene, raſch mißlungene Kriegszug auf kurze Zeit ver—
trieben hatte. Seitdem waren vier Jahre friedlich geordneter
Zuſtände gefolgt. Napoleon ſaß in weiter Ferne auf St. Helena.
Es grollte wohl hier und da noch eine Gewitterwolke. Die ge—
heime Verbindung der Carbonari zählte nach hunderttauſenden
und hielt die Vertreibung der Franzoſen nur erſt für eine Ab-
ſchlagszahlung, welcher weiteres zu folgen habe. In Florenz
war die Stimmung aber eine freudig gehobene und von dieſem
Gefühl war auch der Palazzo Pitti erfüllt.
— 120 —
Vorerſt hatte jedoch das wieder zu Glanz und Sorgloſigkeit
zurückgekehrte Wien den nächſten Anſpruch auf das Intereſſe
und die Empfänglichkeit der ihm von Dresden aus zuſteuernden
Reiſekarawane.
Von der damaligen Beſchaffenheit der Wege in Böhmen
und Mähren und von der ganzen, beſchwerlichen Beförderungs⸗
weiſe jener Zeit giebt wohl einen genügenden Begriff der eine
Umſtand, daß, wie die Prinzeſſin ſchreibt, zuletzt auf jeder
Station, bis Wien endlich erreicht wurde, die Räder der prinz⸗
lichen Wagen ausgebeſſert werden mußten.
Beim Kaiſer ſieht die Prinzeſſin wiederum den kleinen Na⸗
poleon und „bewundert den Verſtand dieſes achtjährigen Kindes,
denn er ſprach wie ein Menſch von 20 Jahren.“ Bei einem
Beſuche der Porzellanfabrik erbietet er ſich ſogleich, ihr das
Merkwürdigſte zu zeigen.
Ein Ball der „größtenteils hübſchen“ Penſionärinnen bei
den Saleſianerinnen, über den die Prinzeſſin berichtet, beginnt
bereits Vormittags 10 Uhr. Die Mädchen ſind alle gleichmäßig
gekleidet; die Freude des Wiederſehens der Eltern — beſonders
die Väter haben nur bei ſeltenen Veranlaſſungen Zutritt —
ſchien der Prinzeſſin das intereſſanteſte.
In der Oper ſieht ſie das Ballet Achilles und bewundert
darin eine neu engagierte, bereits fünfzigjährige Tänzerin,
Mademoiſelle Millera. Roſſinis Othello entzückt ſie. „Die
Muſik iſt herrlich, wie in allen Roſſiniſchen Opern.“ Nicht
minder erfreut ſie die Medea von Cherubini, die ſie für das
Vorbild der „Veſtalin“ hält. Die Sängerin Borgondi ſtellt fie
über die Catalani. Eine Muſikmeſſe von Eibler, die ſie in der
Schloßkirche hört, „iſt ſehr gelehrt, aber weniger melodiſch, als
unſere Dresdner Meſſen.“
Siebenter Abſchnitt.
Erſte italieniſche Reiſe.
(Februar bis Auguſt 1819.)
K. 6. Februar wird Wien verlaſſen und kaum ſind die
Reiſenden jenſeits der Acciſe-Linie, als auch ſchon wieder
die damals herkömmlichen Nöte beginnen; ein Rad ihres
Wagens brennt und man muß nach dem Löſchen noch die Hilfe
des nächſten Dorfſchmiedes beanſpruchen. Die köſtlichen Aus-
blicke, wie ſie die weitere Fahrt bietet, entſchädigen aber reichlich
für alle Reiſeleiden, zu denen unheimliche und ſchmutzige Wirts—
häuſer in Judenburg und Furſach das ihrige beitragen, und
Prinzeſſin Amalie erträgt ſogar mit guter Laune das Ungeſchick
eines Fuhrmanns, der ſie in Greifenberg durch einen ſo niedrigen
Thorweg fährt, daß über ihr das Wagendach zuſammenbricht.
In Tirol, deſſen zierliche und ſaubere Häuſer ihr weit beſſer
als „die elenden Hütten von Illyrien“ gefallen, ſieht ſie im
Wirtshauſe zu Villian eine Braut im roſenfarbnen Mieder und
weißen Rock mit einem Männerhute auf dem Kopfe, die nach
Landesbrauch entführt worden iſt, nämlich dem Bräutigam.
Dies geſchieht ſeitens einiger junger Leute, ſobald beim Hoch—
zeitsſchmaus das Sauerkraut aufgetragen iſt. Man bringt die
Entführte dann in ein anderes Wirtshaus, woſelbſt die Ent—
führer ſich wieder neue Speiſen auftiſchen laſſen. Nach zwei bis
drei Stunden erſcheint der Brautführer, ſtellt ſich erſtaunt, muß
8
wegen unterlaſſener Obacht die Zeche zahlen und führt die
Braut dem Bräutigam wieder zu. Es wäre eine Schande für
die Braut, wenn niemand ſie entführte.
An der ſmaragdgrünen Eiſach entlang geht es dann zwiſchen
hohen Gebirgswänden auf Brixen zu. Die Hüte der Männer
werden ſpitzer, die Sprache wird ein unverſtändlicher Miſch⸗
dialekt, die rauhe Winterluft iſt mildem Fächeln gewichen und
endlich iſt Italien erreicht und Prinzeſſin Amalie ſchläft auf
einem mit Maisſtroh geſtopften Lager, auf welchem ſie ſich wie
auf einem Paradebette vorkommt.
In Verona werden wieder alle Sehenswürdigkeiten mit
Intereſſe in Augenſchein genommen, darunter auch auf dem
Kirchhofe ein ſoeben erſt zu Tage geförderter antiker Sarkophag.
Als aber gleichzeitig Totengebeine in Menge zum Vorſchein
kommen, macht ſich Prinzeſſin Amalie ſchleunigſt aus dem Staube.
Auffallend iſt ihr vor allem der laute Lärm und das laute
Reden in den Straßen, das ſelbſt nachts nicht aufhört.
In Mantua ſieht ſie die Gattin des geſtürzten Imperators
wieder, Marie Louiſe. „Sie iſt vielleicht jetzt weniger hübſch,“
ſchreibt die Prinzeſſin, „aber viel liebenswürdiger. Sie ſprach
mit mir von ihrem Sohne, da ſie wußte, daß ich ihn liebe und
eine Locke von ſeinem Haare abgeſchnitten habe, die ich bewahre.“
In Modena werden die Reiſenden von dem Herzog und
der Herzogin bewillkommnet. „Er gleicht,“ ſchreibt die Prin⸗
zeſſin, „im Häßlichen ſeinen beiden Brüdern, iſt ſehr heiter und
liebenswürdig. Die Herzogin iſt ſehr hübſch und ſcheint ſehr
gutmütig, aber ſehr ſchüchtern. Sie hat ein hübſches kleines
Kind.“ Herzog Franz IV., geb. 1779, ein Sohn des Erzherzogs
Ferdinand von Oſterreich und der einzigen Tochter des letzten
Herzogs aus dem Haufe Eſte, Hercules III., regierte ſeit 1814
und war ſeit 1824 mit Beatrix, der Tochter des Königs Victor
— 123 —
Emanuel von Sardinien vermählt; das hier erwähnte Kind iſt
der im Jahre 1819 geborne, 1846 ſeinem Vater in der Regier⸗
ung gefolgte und 1842 mit einer bayeriſchen Prinzeſſin vermählte
Herzog Franz V. Die beiden Brüder ſeines Vaters ſind die
Erzherzöge Ferdinand und Max von Eſte. Der erſtere war
öſterreichiſcher Feldmarſchall und General-Gouverneur von
Galizien und Siebenbürgen.
Am 16. Februar wird das vorläufige Reiſeziel — Florenz
— erreicht, nachdem die Reiſenden ſchon vor der Stadt von der
jungen Erbprinzeſſin — Nany, der damals zwanzigjährigen
Schweſter Prinzeſſin Amaliens — aufs herzlichſte begrüßt
worden find. „Ich kann nicht ſagen,“ ſchreibt Prinzeſſin Amalie,
„wie ſehr ich mich freute, ſie wiederzuſehen.“
Die Flut des ſchon in Verona der Prinzeſſin ſo lärmend
und nachtwach erſchienenen Karnevals geht in Florenz in noch
höheren Wogen. Auch der Hof beteiligt ſich fleißig daran und
nach dem Theater, woſelbſt meiſtens während eines Zwiſchen—
akts ſoupiert wird, vergnügt man ſich bald hier, bald dort in
Maske und Domino. Auch mittags wird wohl einmal in den
Uffizien in Maske und ſchwarzem Domino promeniert. „Es iſt
höchſt amüſant,“ heißt es, „unter dieſer Menge maskierter und
unmaskierter Menſchen herumzuwandeln. Heiterkeit und Anſtand
herrſchen dort verbunden.“ Ein paar Deutſche, welche das
Deutſchreden der Prinzeſſin und der ſie begleitenden Dame bei
ſolcher Gelegenheit bemerkt hatten, „wollten durchaus entdecken,
wer wir waren,“ gelangten aber nicht dazu.
Am 7. März kommt Kaiſer Franz nach Florenz und wird
von den Seinen wie vom Volke aufs wärmſte empfangen.
Unter den Feſtlichkeiten, die ſich an ſeinen Beſuch knüpften, ſei
eine Apony'ſche Fete erwähnt, in welcher ſich auch der Impro-
viſator Sgricei hören laſſen wollte. Auf Verlangen gab der
— 124 —
Kaiſer ihm ein Sujet — „das der Sappho, in der Hoffnung,
es könne zu keinem Kompliment Anlaß geben. Das letztere
ſchien indeſſen ſchon vorbereitet zu ſein und der Kaiſer mußte
es anhören, worauf Sgricci über die Sappho ein ganzes
Trauerſpiel improviſierte. Es war ſchön, aber lang.“
Ein beſonders prächtiges Feſt wird zu Ehren des Kaiſers
im Palazzo vecchio veranſtaltet, wo man den Saal der
Zweihundert in ein reich beleuchtetes Theater verwandelt hat.
Es wird eine Kantate aufgeführt, „in welcher Tachinardi als
Genius erſchien und die Etrucia aus Freude über des Kaiſers
Ankunft in Ohnmacht fiel. Die Muſik war mittelmäßig.“
Vor allem ſucht die Prinzeſſin aber unter den reichen
Kunſtſchätzen der Stadt heimiſch zu werden und ihr Tagebuch
legt von den dabei empfangenen Eindrücken ausgiebige Rech⸗
nung ab.
Am 31. März wird dann über Siena und Bolzena nach
Rom aufgebrochen. Von der römiſchen Grenze an haben die
Reiſenden vier Bewaffnete als berittene Eskorte, doch giebt an
manchem Orte der zerlumpte Zuſtand der Müßiggänger, welche
ſich um die Wagen ſcharen, berechtigten Grund zu Beſorgniſſen,
zumal man bei S. Lorenzo vecchio, einem früheren Räuber⸗
ſchlupfwinkel, eine Stange in die Lüfte hat ragen ſehen, an
welcher Hände und Füße von Räubern hingen, das Birbanten⸗
tum in dieſer Gegend alſo noch keineswegs ganz der Mythe
angehört. |
Endlich, am 3. April, zeigt ſich aber am Horizonte die
ewige Stadt, „ein herrlicher und ergreifender Anblick.“
Als Abſteigequartier werden den Reiſenden im Vatikan die
Zimmer der Gräfin Mathilde angewieſen. Kaiſer Franz iſt
bereits in Rom. Ihm gilt der erſte Beſuch. Dann holt Kar⸗
dinal Conſalvi (der Verfaſſer des berühmten Motuproprio vom
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— 125 —
6. Juli 1816 und der Vermittler beim Abſchluß der Konkordate
mit Frankreich, Rußland, Preußen ꝛc.) fie zu Pius VII. Der⸗
ſelbe wird von der Prinzeſſin als der liebenswürdigſte, ehr-
würdigſte Greis geſchildert, deſſen Miene einen himmliſchen
Ausdruck hat, und der voll Sanftmut ohne alle Strenge der
von ihm überſtandenen Drangſale gedachte.
Am folgenden Palmſonntag iſt in der päpſtlichen Kapelle
Palmenweihe in Gegenwart des Papſtes, der, auf zwei Geift-
liche geſtützt, in die Kapelle kommt und nur mit Mühe ſich be—
wegt. Rund und rot erſcheint dagegen das Geſicht eines leb—
haften Mannes in mittleren Jahren, des Kardinals Feſch, des
Stiefbruders der Mutter Napoleons.
Unter den Beſuchen, welche Prinz Anton mit Gattin und
Nichte abſtattet, iſt auch der Beſuch bei dem alten, ſeit vier
Jahren blinden König Karl Emanuel von Sardinien, welcher,
ſeitdem er 1802 die Krone niederlegte, im Jeſuiten-Kollegium
wohnt. Er trägt das Ordenskleid, iſt heiter und liebenswürdig.
„Als wir eintraten, maß er die Größe der chere tante, indem
er ihr die Hand auf den Kopf legte. Von cher oncle ſagte er,
er habe ſchon am Tone ſeiner Stimme wahrgenommen, daß
cher onele klein ſei.“
In der ſixtiniſchen Kapelle ſieht Prinzeſſin Amalie das
jüngſte Gericht Michel Angelos und, bezeichnender Weiſe für
ihre milde Denkungsart, findet ſie, inmitten ihrer Bewunderung,
an dem Bilde auszuſetzen, „daß der Heiland in dem Augenblicke
dargeſtellt iſt, wo er die Verdammten verwirft.“ Aber die
Madonna, welche die Gerechten gleichſam unter ihren Schutz
nimmt, macht auf ſie einen deſto tieferen Eindruck.
Das berühmte Miſerere am Mittwoch vor Oſtern ent⸗
ſpricht nicht ihren Erwartungen, gefällt ihr aber bei der Wieder⸗
holung am Gründonnerstage ſchon beſſer. Um ſo mächtiger
— 126 —
wird ſie von der Großheit der Peterskirche ergriffen, und vor
allem imponiert ihr die allerdings unvergleichliche Einfachheit
„mit welcher die Karfreitags-Feier abends endet: Die rieſige
Peterskirche durch ein einziges hellſtrahlendes Kreuz beleuchtet,
das in der Mitte hängt und wie eine himmliſche Erſcheinung in
der Luft ſchwebt, der greiſe Papſt ganz allein am Hauptaltar
knieend, alles ſtill, alles in höchſter Sammlung, nie hat mir
ein Gemälde oder eine Kirchen-Zeremonie ſolchen Eindruck ge⸗
macht.“
Am Sonnabend vor Oſtern nimmt der Papſt Glückwünſche
entgegen. „Er war ſehr guter Laune,“ ſchreibt die Prinzeſſin,
„und ſeine Konverſation höchſt intereſſant. Was für einen
Mann ſeines Alters verwunderlich iſt, iſt, daß er ſich nie
wiederholt.“
Alle in Rom anweſenden Prinzen und Prinzeſſinnen ſpeiſen
im Vatikan zuſammen. Es waren Kaiſer Franz, die Kaiſerin,
Erzherzogin Karoline (die ſpätere Gattin Friedrich Auguſt II.),
der Palatinus, Erbprinz Leopold von Toscana, Prinz Anton,
Prinzeſſin Thereſe, Prinzeſſin Amalie, die Herzogin von Chabe⸗
lais, die Herzogin von Württemberg ſamt deren drei Töchtern,
die Herzogin von Lucca mit zwei Kindern, der Großfürſt Michael
und zwei Prinzen von Holſtein-Auguſtenburg. „Ich ſaß,“ heißt
es am Oſterſonntag, „neben dem (21jährigen) Großfürſten
Michael, der gar nicht liebenswürdig war. Er iſt ſo ernſthaft,
daß er mich verlegen machte.“
Einen überraſchenden Eindruck empfängt die Prinzeſſin beim
Hochamt des erſten Oſtertags, wo, nachdem nur Chorgeſang das
Amt begleitet hat, bei der Wandlung ſich plötzlich ein Quartett
von Waldhörnern hören läßt. Ebenſo unvorbereitet iſt Einzel⸗
nes in den Anordnungen der abends ſtattfindenden äußeren
— 127 —
Illumination der Peterskirche. So um 1 Uhr nachts die wie
durch Zauberſchlag beginnende Pechpfannen-Beleuchtung.
Bei einem am 20. April auf dem Kapitol ſtattfindenden
Feuerwerk hat man dem Kaiſer das Vergnügen bereiten wollen,
dasſelbe zu entzünden, worauf er denn auch eingeht, indem er
ans Fenſter tritt und eigenhändig einen Papier-Adler anzündet.
Derſelbe fliegt ſogleich auf den Platz hinab und ſteckt dort ein
prächtiges Feuerwerk in Brand. Darauf folgt eine von Fiora⸗
vanti komponierte Kantate und dann — mitten unter den An⸗
tiken! — ein Souper, bei welchem ſich beſonders die Britten
bemerkbar machen.
Die Galerien und Sammlungen aller Art werden von der
Prinzeſſin und den Ihrigen in jeder freien Stunde beſucht und
ſtudiert. In den verſchiedenen Paläſten der römiſchen Großen
findet ſie ausnahmslos einen Vorſaal, worin ein Thronhimmel,
unter welchem das Familienwappen hängt, geſchützt durch eine
ringsum ſchließende Barriere. Canova, in deſſen Atelier man
ſie führt, macht ihr den Eindruck eines ſehr beſcheidenen und
angenehmen Mannes. In Thorwaldſens Atelier entzückt ſie
vor allem deſſen „Nacht.“
In der eiſernen Kugel, welche die Kuppel der Peterskirche
abſchließt, fällt es ihr auf, daß dieſer unerträglich heiße Raum
mit einer Reſonanz behaftet iſt, die beim bloßen Sprechen den
Ohren ſchon Schmerz bereitet.
Daß man im Süden die Toten im offenen Sarge durch
die Straßen trägt, gewahrt fie zum erſten Male, als fie neu-
gierig einer langen Prozeſſion von verhüllten Mitgliedern einer
der zahlloſen italieniſchen Brüderſchaften zuſchaut; plötzlich muß
ſie vor Schreck laut aufſchreien, denn der Sarg iſt offen und der
Tote liegt mit unbedecktem Geſicht darin. Die formloſe Art,
mit denen Arme zur letzten Ruhe gebracht werden, lernt ſie in
— 128 —
der Apoſtelkirche kennen. „In Rom iſt kein Kirchhof,“ ſchreibt
ſie, „und alles wird in den Kirchen begraben. Die Leute
nahmen alſo den Sarg, ſchloſſen ihn, banden ihn an Stricke und
warfen ihn in ein Loch am Fußboden, aus welchem man einen
Stein genommen hatte. Wer keinen Sarg bezahlen kann, wird
ohne Sarg hinabgeworfen.“
Über eine Heimfahrt von Tivoli in finſterer Nacht merkt
die Prinzeſſin an, ſie habe die Fahrt mit drei Prinzen gemacht,
welche ſämtlich — ſchliefen.
Selbſtverſtändlich iſt unter denjenigen Perſonen, welche die
Anweſenheit des Kaiſerpaares durch Feſte feiern, der öſterreich⸗
iſche Geſandte Graf Kaunitz nicht zurückgeblieben. Auf einer
ſeiner Soireen hört Prinzeſſin Amalie zum erſten Male Paga⸗
nini und bekennt, nie etwas Vollkommneres an Violinſpiel ver⸗
nommen zu haben. Auf dem darnach folgenden Balle tanzt
ſie mit ihrem Vetter (Leopold?) — „denn ſonſt kannte ich nie⸗
mand“ — eine Ekoſſaiſe und eine Quadrille, erlebt zum Schluß
des Feſtes aber das Abenteuer, daß durch irgend ein Mißver⸗
ſtändniß die Ihren nicht nur ohne ſie nach Hauſe gefahren ſind,
es findet ſich auch weder ihr Shwal, noch ihr Bedienter, noch
ihr Wagen. So muß ſie denn froh ſein, daß Graf Kaunitz
ihr ſeinen Pelz borgt und daß Fürſt Maſſimi die Artigkeit hat,
ſie in ſeinem Wagen nach Hauſe zu bringen.
Am 27. April wird nach Neapel aufgebrochen. Bei Terra⸗
cina bietet ſich ihr zum erſten Male in ihrem Leben der Anblick
des Meeres. Sie kann den Eindruck nicht beſchreiben. In der
That, wer vermag es?
Am 29. April iſt Neapel erreicht, die ſchönſte Stadt, wie
die Prinzeſſin glaubt, die ſie je geſehen hat. „Wir fuhren
gleich ins Schloß,“ heißt es weiter. „Obſchon es Mittag war,
empfingen uns Lakaien mit brennenden Lichtern. Wir gingen
*
— 19 —
ins Vorzimmer des Königs, wo wir kaum eingetreten waren,
als uns ein langer, magerer, alter Mann mit einem offenen
Geſichte entgegenkam. Es war der König ſelbſt“ (Ferdinand I.,
Sohn Karls des Dritten von Spanien, 1751 geboren, 1759
unter Vormundſchaft König von Neapel, 1767 mündig, 1768
mit Marie Karoline, einer Tochter Maria Thereſias, verheiratet,
1815 zum Witwer geworden, 1819 alſo 68 Jahre alt). „Er
führte uns in ſein Zimmer und zeigte uns das Porträt ſeiner
Tochter, der Herzogin von Orleans; dann auf ein anderes Por⸗
trät, das einer ſchönen, weißgekleideten Dame deutend, ſagte er:
„Dieſe iſt auch eine Perſon, die mich ſehr nahe angeht, die Fürſtin
von Partana; ich werde fie holen.“ — Sogleich führte er uns ins
Nebenzimmer und ſagte: ‚Hier iſt meine Gefährtin.“ — Die
Fürſtin Partana,“ fährt das Tagebuch fort, „ſeit vier Jahren
mit dem Könige verheiratet, iſt noch ſehr ſchön und hat eine
elegante Geſtalt, obgleich ſie tief in den Vierzigen iſt. Sie iſt
ſehr liebenswürdig und der König betet ſie an.“ (Sie war eine
geborne Lucia Migliaccio und wurde während ihrer Ehe mit
dem Fürſten von Partana Mutter vieler Kinder. Der König
huldigte ihr ſchon bei Lebzeiten des Fürſten und ließ, nachdem
ſie Witwe geworden und auch ſeine Gattin, die Königin Maria
Karoline, während des Wiener Kongreſſes in Hetzendorf ge—
ſtorben war, ſich mit der verwitweten Fürſtin trauen.) „Wir
gingen von ihr zum Kaiſer, wo ſich die ganze königliche Familie
verſammelte. Der Kronprinz (der ſpätere König Franz I.) und
Prinz Leopold haben beide ganz die offene Gutmütigkeit ihres
Vaters. Die Kronprinzeſſin, Schweſter der Herzogin von Lucca,
iſt von einer rührenden Freundlichkeit. Marie, Frau des Prinzen
Leopold, trägt die Sanftmut auf dem Geſicht gemalt, aber ſie
ſpricht wenig, vielleicht weil ſie etwas taub iſt. Luiſe, älteſte
Tochter des Kronprinzen und ſeit wenig Tagen mit Don Fran⸗
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cisco von Spanien durch Prokuration vermählt, iſt nicht hübſch,
aber ich habe nie eine geſetztere und ſo durchaus nicht ſchüchterne
junge Perſon von vierzehn Jahren geſehen. Sie ſchien viel
geweint zu haben, denn übermorgen ſoll ſie ſich einſchiffen.
Ihre Schweſter Chriſtine (die ſpätere Königin von Spanien)
iſt ſehr hübſch.“
Nach der „ſehr luſtigen“ Mahlzeit beziehen die ſächſiſchen
Gäſte das ihnen in dem ſchönen Kaſino Chiatamone mit der
Ausſicht auf das Meer und den Veſuv angewieſene Quartier,
woſelbſt gleich darauf der Kronprinz mit ſeinen acht Kindern
ſeine Aufwartung macht.
Von den Aufzeichnungen der folgenden Tage nur einiges.
Das Lichtertragen am hellen Tage erweiſt ſich als eine im
Schloſſe übliche Höflichkeitsſitte, die auch für die Prinzen des
Hauſes herkömmlich iſt. Am 1. Mai werden dem Könige eine
Menge aus Blumen hergerichtete Tempelchen verehrt, deren
einige im Innern kleine Springbrunnen haben. Zum Pfingſt⸗
feſte empfängt der König von ſeiner Familie und ſeinen Gäſten
Gratulationen, und zwar gratuliert man um 9½ Uhr morgens
in halber Gala, nachdem ſchon um 4 Uhr in der Frühe Kanonen⸗
ſchüſſe das Pfingſtfeſt verkündet haben, und alle Enkel bringen
ihm zugleich mit ihren Gratulationen Geſchenke. Nach der
Gratulation wirft man ſich in große Gala, denn es wird Cercle
gehalten. Nach dem Cercle geht's in einfacher Kleidung zum
Diner. Wieder in großer Gala dann in das feſtlich beleuchtete
Theater S. Carlo.
Wie wenig in manchen Einzelnheiten das in Neapel herr⸗
ſchende geſellſchaftliche Herkommen mit demjenigen anderer
Reſidenzen harmoniert, nimmt die Prinzeſſin zu ihrer Verlegen⸗
heit in einem Zirkel und Konzert bei dem öſterreichiſchen Ge⸗
ſandten wahr, denn obſchon ſie dort ganz fremd iſt, wird ihr
— a
u a ee
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niemand vorgeſtellt. „Ich half mir,“ ſchreibt fie, „indem ich
mich ſtellte, als erkenne ich einige Damen, die ich geſehen haben
konnte und von denen ich dann Auskunft über ihre Nachbarin-
nen erbat.“
Sehr formlos geht es auch bei einem Balle auf Capo di
Monte zu. Der alte König zieht ſich um Mitternacht zurück,
um zu ſchlafen, erſcheint dann wieder um 5 Uhr, wo man immer
noch bei geſchloſſenen Laden und brennenden Kerzen tanzt, ruft
bon giorno, als Zeichen, daß es des Tanzens nun genug iſt,
und darauf werden die Läden geöffnet und die Lichter gelöſcht.
Ebenſo reitet der alte König „faſt als Bauer gekleidet“ mit
einer langen Stange in der Hand neben dem Wagen des
Kaiſers nach dem waldig gelegenen Jagdſchloſſe Carditello, wo
Pferderennen ſtattfinden ſollen und wo ihn das geputzt im
Grünen lagernde und auf Koſten des Königs eſſende und
trinkende Volk mit freudigen Zurufen empfängt, ihm auch zu⸗
trinkt, worauf er vom Pferde herab mit dem ihm hinauf—
gereichten Glaſe kordialen Beſcheid thut. Im Schloſſe ſelbſt
werden dann die fürſtlichen Gäſte und der Adel an zahlloſen
Tiſchen bewirtet.
Nicht minder populär iſt der König in einer Seiden-Kolonie
nahe bei Caſerta. Er hat dahin die geſchickteſten Seidenarbeiter
des Königreichs kommen laſſen, hat ihnen hübſche Häuſer bauen
llaſſen, hat den noch nicht Vermählten zu Frauen verholfen und
nennt ſich ihr Oberhaupt. Wie man der Prinzeſſin verſichert,
kommen in dieſem von der übrigen Welt geſchiedenen Elyſium
faſt nie Verbrechen vor. Die Fabrik heißt Leucio. Eine ſchöne
Kirche im königlichen Schloſſe gehört dazu, ebenſo eine Schule.
Den königlichen Gäſten werden von ſchmuck gekleideten Weibern
weiße und gelbe Kokons verehrt, worauf die Weiber beim
Klange des Tambourins nicht ohne Grazie die Tarantella zum
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beſten geben. „Der König ſorgt für den Unterhalt aller.“ —
Vermutlich wird, wie ſchon zu Zeiten der Vizekönige, die Krone
ſich gewiſſe Privilegien für die Seidenfabrikation geſichert haben.
Wie ſehr der König ſich darin gefällt, ſeinen Gefühlen für
die Fürſtin von Partana, ſeit 1815 Herzogin von Floridia, in
allerlei zarten Aufmerkſamkeiten Ausdruck zu geben, zeigt ſich
den königlichen Gäſten unter anderem beim Beſuchen des auf
einer Höhe gelegenen, auf den Golf blickenden Luſtſchloſſes
Floridiana, das er der Trägerin dieſes Namens ſchenkte. Vor
dem Schloſſe ließ der König eine Gruppe (Amor und Hymen)
aufſtellen, deren Standpunkt in ſolcher Weiſe gegen die Sonne
verbaut iſt, daß die von Amor gewundene Roſenkette von der
Sonne nur an dem Tage und in der Stunde beſchienen wird,
an welchem und in welcher der König mit jener Dame getraut
wurde.
Von der Caſa dei Poveri macht die Prinzeſſin eine Be⸗
ſchreibung, die als Beleg für die damals herrſchende Liebhaberei
für Erziehungs-Experimente Intereſſe bietet. „Das Gebäude
iſt in zwei Flügel geteilt, der eine für Knaben, der andere für
Mädchen. Kinder von Edelleuten und Bürgern, aber auch auf
der Straße aufgegriffene Kinder werden in dem Inſtitut erzogen.
Die Knaben können dort alles lernen, was ſie wollen: Religion,
Geographie, Geſchichte, Muſik, Tanzen, Fechten und alle Hand⸗
werke. Die Mädchen lernen Sticken und in Korallen arbeiten.
Kinder, welche geſtohlen oder ſonſt etwas verbrochen haben,
werden in dies Haus auf einige Jahre eingeſtellt; ſie ſind von
den anderen aber geſchieden und tragen ein Abzeichen; man
lehrt ſie Handwerke. Die Zöglinge des Inſtituts ſpielten dem
Kaiſer ein hübſches kleines Schauſpiel mit Geſang und Tanz
und hielten dann im Garten ein kleines Militär⸗Manöver. Ein
Taubſtummen⸗ und ein Blinden⸗Inſtitut und ein Spital für
— 133 —
Greiſe ſind mit dieſem Inſtitut verbunden. Wenn das Gebäude
ganz fertig ſein wird, können mehr als 5000 Menſchen darin
wohnen.“ *)
Das Irren-⸗Inſtitut giebt der Prinzeſſin die traurige Ge—
legenheit, Irre aller Art zu ſehen. Einer bildete ſich ein, der
Papſt zu ſein, und teilte unabläſſig Segen aus. Ein junger
Menſch ließ ſeine Stimme ertönen aus Freude über die Nach—
richt, daß ihm feine Geliebte zugeſagt worden — die thatſäch⸗
liche Veranlaſſung ſeines Irrſinns. Zwei Weiber gingen in
erſtaunlichem Putz. Sie ſollten vor Eitelkeit um ihren Verſtand
gekommen ſein.
Über die Behandlungsart der Irren ermittelt die Prin⸗
zeſſin, daß man ihnen keine Arzneien gebe, ſie dagegen zu er—
heitern und zu unterhalten ſuche. Sie machen Muſik, ſpielen
Komödie und Billard und erhalten auch Lektüre. Ob ein Über⸗
raſchungsbad, deſſen Erwähnung geſchieht, zur Erheiterung des
davon Überraſchten dient oder zu der ſeiner Zuſchauer, wird
nicht angegeben. Wie in anderen Irrenhäuſern, fehlt es auch
bier nicht an Raſenden, die man in ihren Betten feſtgebunden
hält. „Mich ſchauderte beſonders im Zimmer der Wütenden,
die auf greuliche Weiſe lachten und ſangen,“ ſchreibt die Prin⸗
zeſſin; „ich war froh, als wir endlich gingen.“
) Das Albergo dei Poveri, auch Seraglio genannt, wird in Karl
Auguſt Mayers „Neapel und die Neapolitaner“ noch ausführlicher be⸗
ſchrieben. Danach war der Bau 1751 unter Karl III. begonnen. Er
ſollte eine Front von 1924 Fuß bekommen, doch hat man es bei 1217 Fuß
bewenden laſſen müſſen, wobei übrigens noch immer Frontreihen von
71 Fenſtern herauskommen; die Höhe beträgt 117 Fuß. Der erwähnte
Reiſende, welcher ſein Buch im Jahre 1840 herausgab, ſchreibt: „Fabrik⸗
herren, denen herangewachſene Mädchen aus dem Armenhauſe zu Ar⸗
beiterinnen übergeben wurden, haben ſie ſo verwildert, ſo unfähig zu
regelmäßiger Thätigkeit gefunden, daß ſie bald wieder entlaſſen werden
mußten. Die Knaben trugen eine Art weißer Uniform und wurden mit
Trommelbegleitung ſpazieren geführt.“
a BR
Überhaupt bekommt fie manches Grauſige zu ſehen. So
iſt ſie in der Kirche S. Domenico maggiore zugegen, als man
— wie es ſcheint, zu Ehren des Kaiſers — einen Sarg öffnet.
In einer andern Kirche (Sta. Trinita) wird der einbalſamierte
Leichnam eines Seneſchalls der Königin Johanna gezeigt.
„Die Arme der Leiche ſind noch ganz wohl erhalten,“ ſchreibt
die Prinzeſſin, „aber das Ganze ſchien mir etwas ekelhaft.“
„Qualen des Tantalus“ ſteht ſie demungeachtet aus, als
zwar ein in der Nähe des Sees Fuſaro entdecktes antikes Grab⸗
gewölbe in Gegenwart des Kaiſers aufgebrochen, aber Niemand
außer den „Antiquaren des Kaiſers“ zum Hinabſteigen in das
geöffnete Grab für geeignet erachtet wird. Das hätte die Prin⸗
zeſſin, wie fie verſichert, am meiſten intereſſiert; jetzt bekommt fie
nur durch die Güte jener Herren von dem unten Gefundenen
Gegenſtände zu ſehen, die fie „ſchon dutzendweiſe in den Muſeen
geſehen hatte.“ — Die vier Zimmer, die man zu Ehren des
Kaiſers in Pompeji ausgräbt, befriedigen die Wißbegier der
Prinzeſſin ſchon beſſer: Gefäße, Lampen, Ohrgehänge, ein
Farbentopf und zwei Gerippe ſind die nicht große, aber immer⸗
hin in eine weitentlegene und denkwürdige Vergangenheit ver⸗
ſetzende Ausbeute.
Die Pompejaniſchen Fresken, jetzt im Muſeum unter⸗
gebracht, befanden ſich damals noch teilweiſe in dem kronprinz⸗
lichen Schloſſe zu Portici. „Die Farben ſind faſt alle ver⸗
blichen,“ klagt die Prinzeſſin.
Da der alte Störenfried, der Veſuv, gerade während des
neapolitaniſchen Aufenthalts des Kaiſers wieder einmal in voller
Arbeit iſt, wird raſch der Plan zu einer Beſteigung des Berges
entworfen, zur großen Freude der Prinzeſſin. In einer ſchönen
Maiennacht ſetzt das Kaiſerpaar ſich denn nach Portici in Be⸗
wegung und Prinzeſſin Amalie hat die Erlaubnis erhalten, die
.
Partie mitzumachen. Von Portici, wohin man zu Wagen ge—
langt iſt, geht die Reiſe auf Eſeln weiter. „Unſere Geſellſchaft,“
ſchreibt die Prinzeſſin, „auf Eſeln reitend, mit Pechfackeln be—
leuchtet und von einer Schar neapolitaniſcher Bauern und
Ciceronen begleitet, die gräßlich ſchrieen, glich einer Karawane.
Man gelangte ſo bis an das Haus des Eremiten. Der Kaiſer
wollte eintreten, aber einige betrunkene Engländer hatten ſich
des Platzes bemächtigt und weigerten ſich, ihn zu räumen, ob-
gleich ſie hinzufügten, daß es ihnen eine Ehre ſein würde, den
Kaiſer darin zu empfangen. Endlich gelang es doch, ſie fort
zu bringen. Nach einer halben Stunde Raſt ritten wir weiter,
als aber der Berg zu ſteil wurde, ließen wir uns auf Seſſeln
bis hinauf tragen. Mir wurde angſt, als ich mich in der Luft
ſchweben ſah, denn die Bauern ſtemmten die Trageſtangen auf
die Achſeln. Alle Augenblicke ſtolperten ſie und ich erkannte,
daß ich mir notwendig die Füße brechen müßte, wenn zwei auf
einmal fielen. Dazu ſchrieen ſie und ſtritten ſich in ihrer neapo⸗
litaniſchen Mundart, was mir nicht eben Mut machte. Bei
alledem hatte ich noch die Kraft, den vor mir lagernden Krater
zu bewundern, der jeden Augenblick ungeheure Feuerſträuße von
glühenden Steinen auswarf. Ein Lärmen wie von einem
Kanonenſchuß ging jeder Eruption voran. Endlich wurde ge—
halten. Die Herren, die ſämtlich zu Fuß gegangen, waren noch
zurückgeblieben, und ich folgte zu Fuß der Kaiſerin, die mir
weit voran war, in Mitte eines Dutzends Bauern, welche
Räubern glichen; aber es ſind gute Leute. Ich erreichte bald
die Kaiſerin, und wir verweilten wohl eine Stunde lang auf
der Bergſpitze, dem Krater gegenüber, der die herrlichſten Ex⸗
ploſionen machte. Immer derſelbe unterirdiſche Knall und nach
dieſem ein Feuerſtrauß, der ſich bisweilen bedeutend hoch in die
Luft erhob und ſich über den Berg hinab ergoß. Unter uns
— 136 —
dampften Wolken von Rauch, die aus verſchiedenen Offnungen
hervordrangen und ſehr warm, faſt erſtickend waren. Auf der
entgegengeſetzten Seite des Veſuvs fing auf den Spitzen der
Apenninen der Tag zu grauen an. Zugleich verbreiteten die
Sterne und der halbe Mond ein blaſſes Licht. Endlich ging
die Sonne auf, die Nebel ſchwanden und wir erblickten unter
uns das Meer, Capri, Iſchia, Procida, Portici und Neapel —
es war ein herrliches Schauſpiel!“
Weitere Ausflüge galten den Ruinen von Päſtum, dem
königlichen Jagdſchloſſe Perſano mit ſeinem Geſtüt und ſeinem
30 Miglien umfaſſenden Park, dann auch der Solfatara und
den zahlreichen ſonſtigen oft beſchriebenen Sehenswürdigkeiten
des Golfufers. Zwei Kriegsſchiffe, ein engliſches und ein
amerikaniſches, werden ebenfalls beſucht. Da aber jedes der⸗
ſelben für ſchicklich hält, dem Kaiſer zu Ehren 101 Kanonen⸗
ſchüſſe abzufeuern, ſo iſt der Genuß, den das Kennenlernen der
intereſſanten Einrichtungen dieſer Waſſerfeſtungen bietet, ein
nur mäßiger. Auch das Geſchrei, das vor allem die Weiber
aus dem Volke in der Kirche des heiligen Januarius verführen,
damit das tags zuvor ſchon geſchehene Wunder — das Flüſſig⸗
werden ſeines Blutes — ſich (zu Ehren des Kaiſers?) wieder⸗
hole, beeinträchtigt die Freude an den ſonſtigen volkstümlichen
Seiten der feſtlichen Prozedur. Dieſelbe ſcheint nicht in Gegen⸗
wart des Hofes zum Ziele gelangt zu ſein, wenigſtens erwähnt
das Tagebuch nur dieſes Verſuchs einer Wiederholung und fügt
hinzu, daß der Prieſter endlich das Aufhören der Gebete an⸗
geſagt habe, worauf die Weiber in lautes Weinen ausgebrochen
ſeien. a
Unter den vielen Theatervorſtellungen, über welche be⸗
richtet wird, ſei nur derjenigen vom 9. Mai gedacht, die in dem
rieſig großen Theater S. Carlo ſtattfand. Man führte zu
— 137 —
Ehren des Kaiſers eine Kantate und ein Ballet auf, dem ſich
ein Bild anreihte, „den Kaiſer und den König vorſtellend,
welche ſich die Hand reichten. Zugleich, während Vivatrufe
und Applaus erſchallten, waren wie durch einen Zauberſchlag
alle Logen mit Guirlanden geſchmückt und durch eine Offnung.
im Plafond flogen unzählige Exemplare von Gedichten zu
Ehren des Kaiſers ins Parterre.“ Das Ballet Orlando
furioſo, welches folgte, verunglückte einigermaßen durch die
Widerſpenſtigkeit des Hippogryphen; derſelbe „war ſo ſtätiſch,
daß Aſtolfo zu Fuß über die Wolken nach dem Monde wan-
deln mußte. Im Augenblicke, wo die fränkiſchen Ritter Karl
dem Großen huldigten, wurde die öſterreichiſche Nationalhymne
geſpielt.“ |
Am 1. Juni wird Neapel verlaſſen und die Prinzeſſin
trennt ſich mit Thränen von dem ſchönen Golf und der ihr lieb
E gewordenen königlichen Familie, auf deren Wiederſehen ſie nicht
hoffen zu dürfen glaubt.
Noch einmal begrüßt ſie am folgenden Tage von Mola di
Gͤgaeta aus das weithin ſichtbare Wahrzeichen des Golfs, den
| 1 rauchumhüllten Veſuv.
N Am 3. Juni zeigen ſich dann von weitem wieder andere
lliebgewonnene Bekannte: die Peterskuppel und der Lateran,
| 2 und bald darauf öffnen ſich den Reiſenden die gajtlichen Quar⸗
tiere im Quirinal.
Der diesmalige Aufenthalt in Rom dauert nur wenige
Tage, doch wird die kurze Zeit fleißig ausgenützt und früher
Verſäumtes nachgeholt. Bei Lampenbeleuchtung ſieht die Prin-
zeſſin die Antiken des Vatikans und vermag nicht auszudrücken,
wie das ſcheinbare Lebengewinnen dieſer ſchönen Bildwerke, in⸗
mitten des tiefen, nur von dem Geplätſcher der Fontänen unter⸗
— 138 —
brochenen Stillſchweigens, ſie ergreift. Im Übrigen befindet ſich
Rom gerade in jenen Tagen in der herkömmlichen Aufregung,
in welche das Bekanntwerden einer neuen Kardinalswahl die
ewige Stadt damals noch zu verſetzen pflegte. Diesmal iſt der
neue Kardinal kein Geringerer als der öſterreichiſche Erzherzog
Rudolph. Es giebt alſo auch hier, wie in Neapel, Kanonaden
und Feuerwerke.
Am 6. Juni wird dann in der Kapelle des Quirinals eine
vollkommene Ablaßbulle verleſen und der Papſt giebt den Segen.
Darauf Nachmittags das uralte Volksfeſt der Piazza navona,
die ſogenannte Corſa dei Fantini. Als die Reiſenden abends
zum Papſte gehen, der ihnen prächtige Roſenkränze ſchenkt, „iſt
der arme alte Herr ſehr froh, daß das Rennen ohne Unfall
vorübergegangen, da man ihm die Erlaubnis, es abzuhalten,
gleichſam abgepreßt hat, denn das Volk hängt leidenſchaftlich
an dieſem Vergnügen. Ins Ohr erzählte man ſich, daß bei der
Probe ein paar den Hals gebrochen, was aber dem Papſte
ſorgfältig verheimlicht worden.“
Am 8. Juni wird die Rückreiſe nach Florenz angetreten.
Sie geht über Viterbo, Terni, Spoleto, Aſſiſi, Perugia und
Arezzo. Am 10. abends erreicht man Florenz, woſelbſt in der
Meridiana abgeſtiegen wird. Auch in Florenz geben volks⸗
tümliche Rennen den Reiſenden erwünſchte Gelegenheit, die
Bevölkerung der Stadt und der Umgebung in feſtlichem Schmucke
zu ſehen. Am Vorabend des Johannestages finden auf der
Piazza Santa Maria novella das ſogenannte Palio dei Cocchi
ſtatt, ein Rennen mit antiken Wagen. „Die Kutſcher, welche
dieſe vier Wagen führten, waren antik gekleidet und trugen ſo
wie die Pferde die Farbe ihres Wagens. Alle dieſe Wagen
gehören demſelben Herrn und der Sieger iſt im Voraus be⸗
ſtimmt, damit keine Rivalität ſtattfindet. Indes war doch der
— 19 —
beſtimmte Sieger an dieſem Tage dumm genug, ſich überwinden
zu laſſen.“
Am Johannestage folgt die ſogenannte Corſa dei Barberi
vor der Porta al Prato, ein Pferderennen, bei welchem der
Sieger Geld unter das Volk verteilen muß, weshalb jeder am
Rennen Beteiligte ſich einen reichen Patron ſichert, der im Fall
des Sieges dieſe Spende hergiebt. Wie bei dem Wagenrennen
iſt der Hof in Gala bei dem Pferderennen anweſend, und der
Großherzog empfängt durch Kanonenſchüſſe ein nur ihm ver⸗
ſtändliches Zeichen vom Turme des Palazzo vecchio über den
als Sieger von ihm bekannt zu Gebenden, worauf er die Liſte
der Pferde vom Balkon unter das Volk wirft. Der Corſa
vorausgegangen war ein beſonders brillanter Korſo, bei dem
alle Pracht- Equipagen und Livreen von Florenz paradierten.
„Fürſt Borgheſe hatte ſeine Hausleute einzeln in ſeine Wagen
verteilt, um dieſe alle ans Licht zu bringen.“
Die Theater werden, wie überall in jener Zeit, auch in
Florenz von den Opern Roſſinis faſt ausſchließlich beherrſcht,
und allabendlich führt man in der Pergola die Cenerentola auf,
im Teatro nuovo den Barbiere di Seviglia, erſtere mit aus—
gezeichneter, letzteren mit nicht genügender Beſetzung. Hier⸗
durch erklärt ſich's wohl, daß die Prinzeſſin nur die Muſik der
Cenerentola beifällig erwähnt, während die des Barbiere ihr
„das Mittelmäßigſte“ dünkt, was Roſſini geſchrieben habe.
Die Oper eines jungen Komponiſten namens Barolini,
welche die Prinzeſſin aufführen ſieht, wirkt ſchon dadurch be—
fremdlich, daß die Rollen des Achill und des Ulyſſes durch
Damen beſetzt ſind.
Eine Verzögerung der Abreiſe wird durch das Erkranken
der Prinzeſſin gegen den Schluß des Juni veranlaßt. Acht
Tage lang liegt ſie bewußtlos. Nach und nach kehren ihre
— 10 —
Kräfte zurück, doch kann ſie ihre Pflegeeltern nicht heimbegleiten.
Dieſelben reiſen am 19. Juli, bald nach dem Kaiſerpaare, über
Mailand und Venedig zurück. Gleich der Prinzeſſin ſind drei
Perſonen von dem prinzlichen Dienſtperſonal erkrankt und
müſſen zurückbleiben, und ebenſo ſchwebt die junge Erzherzogin
Karoline (die ſpätere erſte Gattin König Friedrich Auguſts II.)
infolge eines Nervenfiebers einige Zeit lang in Lebensgefahr.
Am 8. Auguſt verläßt die Prinzeſſin Florenz, nachdem ſie
zu ihrer raſcheren Geneſung vierzehn Tage lang in Peggio
Imperiale zugebracht hat, und erreicht, über Bologna, Modena
und Reggio, am 10. abends Parma. Mit ihr reiſen nach
Dresden ihre Schweſter „Nany“ und deren Gatte, der Erbprinz
Leopold von Toscana. In Parma wird ihr die Freude zu
teil, mit ihrer Schweſter im Kloſter der Urſulinerinnen die ehr⸗
würdige Schweſter ihrer verſtorbenen Mutter kennen zu lernen.
„Sie iſt groß,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „und noch ſo ſchön, daß
ſie die größte Schönheit ihrer Zeit geweſen ſein muß, wie die⸗
jenigen auch beſtätigen, die ſie in ihrer Jugend gekannt haben.“
Von Merkwürdigkeiten ſieht die Prinzeſſin in Parma nur
die Wiege des Königs von Rom, ein Meiſterwerk franzöſiſcher
Goldarbeiterkunſt, aus Perlmutter; dann auch die prächtige
Lapislazuli⸗Toilette, welche die Stadt Paris der Kaiſerin Marie
Luiſe zur Hochzeit geſchenkt hatte.
Auf der Weiterreiſe nach Verona beſuchen die Reiſenden
das in Marie Luiſens Beſitz übergegangene Schloß Colorno,
welches früher dem Großvater der Prinzeſſin, dem Herzog von
Parma, gehörte, und faſt immer von ihm bewohnt wurde. In
dem Mittelſaale des Schloſſes befindet ſich eine Statue Marie
Luiſens von Canova.
Über Verona, Trient, Botzen und Brixen geht es dann in
das Herz Tyrols hinein, deſſen Schönheiten zu beſchreiben, der
— 141 —
Prinzeſſin ſchier unmöglich dünken will. In Kufſtein ſtellt ſich
der junge Fürſt Taxis den Reiſenden vor, um ſie im Auftrage
des Königs von Bayern nach Tegernſee einzuladen. Der Um-
weg dahin erfordert indeſſen mehr Zeit, als die Reiſenden ver—
fügbar haben, ſo daß auf die Annahme der Einladung verzichtet
werden muß und die Fahrt auf München fortgeſetzt wird.
Dieſelbe verlängert ſich aber doch durch den Umweg über
Roſenhain, angeblich wegen einer ſchadhaften Brücke auf der
direkten Route, vielleicht wohl eher auf Veranſtaltung jenes
flürſtlichen Boten, denn in München angekommen und mit
Schweſter und Schwager in einem Hotel abgeſtiegen, hat die
Prinzeſſin die Überraſchung, einen etwa fünfzigjährigen Mann
im Frack und mit einem Sterne auf der Bruſt in ihr Zimmer
treten und ohne ein Wort zu ſagen, auf ſie zu marſchieren zu
Sehen. „Ich wußte nicht,“ ſchreibt fie, „was ich aus ihm
machen ſollte, bis er endlich zu ſprechen anfing und ſagte: ‚Er-
kennen ſie mich denn nicht? Ich bin der Bruder ihrer Tante.“
— Es war der König ſelbſt, der von Tegernſee herübergekom—
men war.“ (Maximilian Joſeph, 1799 zur Regierung gelangt,
war der Bruder der Gattin Friedrich Auguſts I., der Kurfürſtin
Maria Amalia, gebornen Prinzeſſin von Pfalz - Zweibrüden.)
„Er führte mich ſogleich zu Nany, wo ich die Königin mit ihren
Töchtern Eliſe und Amalie (die ſpäteren Gattinen König
Friedrich Wilhelms IV. und König Johanns) fand. Die
Königin (Karoline Friederike Wilhelmine, Tochter des Erb—
prinzen Karl Ludwig von Baden, die zweite Gattin des Königs)
iſt groß, noch immer ſchön und ſehr liebenswürdig. Ihre
älteren Zwillingstöchter ſind allerliebſt und ſehen ſich ſo
ähnlich, daß man ſie kaum unterſcheiden kann.“ — Einander
nicht ähnlich, ſchreibt die Prinzeſſin an einer anderen Stelle,
ſeien die jüngeren Zwillingsſchweſtern Sophie und Marie (die
— 12 —
ſpäteren Gattinnen des Erzherzogs Franz Karl und des Königs
Friedrich Auguſt II. in zweiter Ehe); von den beiden Prin⸗
zeſſinnen Luiſe (die jetzige Herzogin Max in Bayern, Mutter
der Kaiſerin Eliſabeth von Oſterreich) und Karoline ſcheine die
erſtere viel Verſtand und die letztere viel Anmut zu haben.
Die Umquartierung nach dem lieblichen Luſtſchloſſe Nym⸗
phenburg folgt dieſem königlichen Beſuche auf dem Fuße, der
Aufenthalt iſt aber nicht wohl ausdehnbar, da die Vermählung
der bald ſechzehnjährigen Prinzeſſin Joſepha mit dem Könige
von Spanien (Ferdinand VII., geb. 1784) nahe bevorſteht.
Am 24. Auguſt werden die Reiſenden in Freiberg durch
die Gegenwart der ihnen entgegengereiſten Geſchwiſter und des
Prinzen Max überraſcht, und noch am ſelben Tage langt man
in Dresden an.
| Achter Abſchnitt.
Zweite italieniſche Reiſe.
(1820 bis 1821.)
2 (fi Teil der Dresdner Feierlichkeiten war ſchon vorüber,
3 vor allem der große Aufzug des ſpaniſchen Ambaſſadeurs
3 Ceralbo. Auch hier war der bereits Ende Mai ſchriftlich
eingegangenen und am 2. Juni zuſagend beantworteten Werbung
acht Tage ſpäter eine offizielle Werbung ſeitens des Ambaſſa⸗
1 deurs gefolgt, und dann hatte am 21. Auguſt jener nochmalige
Aufzug desſelben Würdenträgers mit der noch zeremonielleren
Werbung und die Überreichung einer Broche mit dem Porträt
1 des Bräutigams ſtattgefunden. Die Braut war bei dieſer Ge—
7 legenheit von dem Ambaſſadeur ſpaniſch angeſprochen worden
und hatte ihm ſpaniſch zu antworten gehabt.
4 Am 26. folgt nun die Unterzeichnung des Ehevertrags, am
28. die Entſagungszeremonie und die Trauung, wobei der
Bräutigam durch den hochbetagten König Friedrich Auguſt ver-
treten wird, und Prinzeſſin Amalie wieder der Braut die
Schleppe trägt; am 29. iſt bei der jungen Königin von Spanien
große Gala und Kour, und in beſonderer Audienz gelangen
unter Ceralbos Führung die anweſenden Spanier zum Hand—
kuß mit Kniebeugung; nachher Verleihung des Luiſen-Ordens
ſeitens der jungen Königin von Spanien an die Königin von
Sachſen und an diejenigen ſächſiſchen Prinzeſſinnen, welche den
— 14 —
Orden noch nicht beſitzen. Bankett, Gala-Theater und endlich
Ball beim ſpaniſchen Ambaſſadeur beſchließen den Reigen.
Wie dies bei dem Prinzen Max ſelbſtverſtändlich war,
hatte neben dieſem zeremoniellen Teil aber auch die gemütliche
Seite ihr Recht verlangt. Der Kreis der Kinder des Prinzen
Max war für wenige Tage einmal wieder vollzählig. Deſſen
galt es ſich zu freuen, und zwar in der Weiſe, wie das Aus⸗
drücken ſolcher Empfindungen den Kindern des Prinzen und
ihm ſelbſt immer natürlich geweſen war. „Um 6 Uhr,“ ſchreibt
die Prinzeſſin Amalie, nachdem ſie die Ehevertrags-Zeremonie
und das übliche Beſehen des Trouſſeau erwähnt hat, „gingen
wir in Papas Garten, wo Marie, Fritz und Joſepha ein kleines
Vaudeville zu Ehren der Nany aufführten. Es war darin ſehr
rührend das letzte Liedchen aus dem Vaudeville, das wir zu
Nanys Hochzeit aufgeführt hatten, angebracht. Es hatte den
Wunſch ausgeſprochen, uns hier wieder alle vereint zu ſehen,
was nun der Fall war, aber freilich zum letztenmal im Leben,
wie ſich vorausſehen ließ,“ vorausſehen, inſofern Spaniens große
Entlegenheit und die hohe Stellung, zu welcher die jüngſte
Tochter des Prinzen Max berufen worden war, die Hoffnung
ausſchloß, ſie werde je ihre Heimat wieder beſuchen können.
Ein Amor deklamiert dann ein von Richard Rooß verfaßtes
Gedicht mit Chorbegleitung und darauf „lud man Joſepha ein,
an die Stelle, wo der Amor geſtanden hatte, einen Granat⸗
baum zu pflanzen, was ſie auch that. Das Bäumchen,“ ſetzt
Prinzeſſin Amalie hinzu, „hat allem Froſte widerſtanden neun
Jahre lang, aber kurz bevor ſie ſtarb, ging es ein.“
Nach der Abreiſe der jungen Königin von Spanien bleiben
die Florentiner Geſchwiſter noch bis zum 13. Oktober in Dresden
und ſind ſolcher Art auch bei der am 7. Oktober 1819 voll⸗
zogenen Vermählung des Prinzen Friedrich Auguſt — damals
— 145 —
22jährig — mit der 18jährigen Erzherzogin Karoline, Tochter
des Kaiſers Franz I., zugegen, wobei Prinzeſſin Amalie
wiederum als Kranzjungfer ihres Amtes waltet.
Aus der erſten Hälfte des folgenden Jahres (1820) iſt eine
Notiz zu berühren, welche eine der größeren Muſikkompoſitionen
der Prinzeſſin betrifft. Unterm 27. April erwähnt das Tage⸗
buch nämlich der Generalprobe der Americana, welche tags
darauf im engen Kreiſe als Konzert aufgeführt wurde, und
dazu bemerkt die Verfaſſerin: „Es war meine erſte Kom—
1 poſition mit Orcheſter und ſelbſt inſtrumentiert.“
3 Der Herbſt dieſes Jahres bringt eine zweite Reiſe nach
Italien, diesmal unter Führung des Prinzen Max, den feine
Tochter Amalie und Marie begleiten. Zunächſt wird auf Schloß
Banz beim Herzog Wilhelm von Bayern, dem Schwiegervater
des unglücklichen Berthier, welchem in der Kirche von Banz
ein Denkmal errichtet iſt, eine kurze Raſt gemacht; der etwa
ſechzigjährige Herzog erſcheint der Prinzeſſin „auffallend häß⸗
lich, aber voll Verſtand und ſehr liebenswürdig;“ dann ver⸗
weilt man flüchtig in Eichſtädt; „die Familie des Herzogs
von Leuchtenberg,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „vier Töchter und
zwei Söhne, iſt allerliebſt.“ (Joſephine, geb. 1807, ſpäter Ge⸗
mahlin des Königs Oskar von Schweden; Eugenie, geb. 1808,
ſpäter Gemahlin des regierenden Herzogs von Hohenzollern-
Hechingen; Amalie, geb. 1812, ſpäter Gemahlin des Kaiſers
Dom Pedro von Braſilien; Theodolinde, geb. 1814, ſpäter
Gemahlin des Grafen Wilhelm von Württemberg; Karl Auguſt
Eugen Napoleon, geb. 1810, ſpäter Gemahl der Königin Donna
Maria von Portugal; Max Eugen Joſeph Napoleon, geb. 1817,
ſpäter Gemahl der Großfürſtin Marie von Rußland.) Darauf
beſuchen die Reiſenden in Neuburg die Herzogin von Zweibrücken
(Maria Amalia, Schweſter des Kurfürſten, ſpäteren Königs
10
— 146 —
Friedrich Auguſt I., ſeit 1795 verwitwet und im Jahre 1820
63 Jahre alt), die ſich eine kleine Muſikkapelle unter Direktion
eines talentvollen Leutnants hält, — „man exekutierte mehrere
hübſche Opernſtücke, aber der Geſang war gräßlich“ —; und end⸗
lich wird für einige Tage in Schloß Nymphenburg bei München
Station gemacht. „Den Kronprinzen“ (Ludwig), ſchreibt die
Prinzeſſin, „hätte ich nicht wiedererkannt; er iſt mager und von
Blattern zerriſſen, aber recht liebenswürdig.“
Über Innsbruck, Brixen und Treviſo geht es dann nach
Venedig, das die Reiſenden abends erreichen. „Die Sonne ging
eben unter und der Mond auf. Links erhoben ſich Gewitter⸗
wolken und Blitze durchſchnitten die Luft. Hinter uns lagen
die Alpenſpitzen mit Schnee bedeckt, und da es um die Zeit des
Ave Maria war, fingen alle Glocken in Venedig an zu läuten.
Es war ein prächtiger Augenblick.“ Nachdem in den nächſten
Tagen alle Sehenswürdigkeiten mußevoll in Augenſchein ge⸗
nommen worden ſind, wird über Padua, Verona, Parma,
Modena, Bologna weiter gereiſt und am 26. Oktober gelangen
die Reiſenden an ihr Ziel: Florenz, um daſelbſt diesmal einen
fünfmonatlichen Aufenthalt zu nehmen.
Dorthin kommt bald darauf auch der greiſe König von
Neapel, gefolgt von ſeiner Gattin, der ſchon erwähnten Gräfin
Floridia. Es war bekanntlich eine Art Fluchtreiſe, veranlaßt
durch die revolutionären Bewegungen, welche während der
zweiten Hälfte des Jahres 1820 nach dem Beiſpiele Spaniens
auch Sizilien und Neapel mit ſolcher Heftigkeit ergriffen hatten,
daß der Regierung die Bewilligung einer Konſtitution und einer
Menge von unerfüllbaren Reformzuſagen abgerungen worden
war. Der Laibacher Monarchen⸗Kongreß war jetzt das weitere
Ziel der Reiſe des Königs; es galt, die Wiederherſtellung der
alten Zuſtände mittels öſterreichiſcher Waffengewalt von dem
— 147 —
Kongreſſe zu erreichen, was dann ja auch geſchehen iſt. „Ich
war ſehr gerührt über den Empfang des guten alten Mannes,
den ich vor zwei Jahren ſo glücklich geſehen hatte,“ ſchreibt die
Prinzeſſin, und freilich hatte König Ferdinand ſeit dem Sturze
des franzöſiſchen Regiments im Jahre 1815, trotz zahlreicher
kleinerer Erſchütterungen ſeines patriarchaliſch abſoluten Regier⸗
ungsſyſtems, verhältnismäßig glückliche Jahre verlebt und ſich
auch der Liebe eines großen Teils ſeiner Unterthanen erfreut,
während von nun an bis zu ſeinem Tode im Jahre 1825 die
Notwendigkeit, ſich auf fremde Truppen zu ſtützen, ſein Leben
verbitterte.
| Im März 1821 langt der König mit feiner Gattin auf der
Rückreiſe von Laibach wieder in Florenz an und bezieht den
Palazzo Crocelli. „Ich ſah dort die Gräfin Floridia,“ ſchreibt
die Prinzeſſin, „auch ihre Tochter Marianna, die ſich ſeit zwei
Jahren ſehr verſchönert hat, und ihre Enkelin Lucia, Tochter
des Geſandten Partanna. Der König hatte aus Laibach zwei
junge Bären mitgebracht, die einen abſcheulichen Lärm machten...“
Als ob es in dem immer lauten und jetzt inmitten der politiſchen
Wirren jedenfalls beſonders lauten Neapel noch weiterer Lärm⸗
macher bedürfe! Aber der alte König war mit dem neapoli⸗
taniſchen Volke am beſten fertig geworden, ſo lange er den
kindlichen Seiten desſelben Beſchäftigung gegeben hatte, und ſo
mochte er auch die beiden Bären in der Hoffnung mit ſich führen,
vielen dadurch eine Freude zu bereiten. Minder harmlos ſieht
man die Weltlage in Florenz an. „Die Unruhe,“ ſchreibt die
Prinzeſſin an einer anderen Stelle, „begann von neuem. Die
Nachrichten von Turin und Mailand waren nichts weniger als
befriedigend.“ In der That weiß auch die Prinzeſſin von Mord⸗
plänen der Ultras zu erzählen, und über die von den Carbonari
„zum Tode Verurteilten“ erfährt ſie mit Schrecken durch den
10 *
an
ebenfalls nach Florenz gekommenen Prinzen Leopold von Neapel,
daß dieſer auf der betreffenden Liſte ſchon den ſiebenten Platz
einnehmen ſoll.
Inzwiſchen waren öſterreichiſche Truppen in großer Zahl
dem Süden zugezogen und hatten zum Teil Florenz berührt.
„Mir wurde das Herz ſchwer,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „als ich
dieſe Durchzüge ſah, denn ſie erinnerten mich an das unglück⸗
liche Jahr der Dresdner Schlacht.“
Florenz, deſſen Bevölkerung von der allgemeinen politiſchen
Erregung jener Zeit ja verhältnismäßig nur ſchwach berührt
worden iſt, wird dagegen während des Karnevals 1821 durch
eine plötzliche ſchwere Erkrankung des Großherzogs in Beſtürz⸗
ung verſetzt, und zwar in um ſo größere, als auch der Kron⸗
prinz die Folgen eines langen ſchleichenden Fiebers noch nicht
verwunden hat. „Ich kann den Schrecken nicht beſchreiben, der
die ganze Stadt ergriff,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „in einem
Augenblick waren alle Masken verſchwunden, an deren Stelle
man Soldaten ſah, und im Hauſe ſchwamm alles in Thränen.
In allen Kirchen wurden Gebete gehalten.“ Dann, als der
Großherzog außer Gefahr iſt, verwandelt ſich die allgemeine
Trauer in Freude und die Kirchen bringen Dankfeſte ohne Zahl.
Um in dieſer Schilderung nicht eine bloß der Prinzeſſin
und dem Palazzo Pitti gehörige Auffaſſung zu finden, wird
man ſich erinnern müſſen, daß Toscana in der That für das
beſtregierte und glücklichſte Land des noch nicht geeinigten Italien
galt und gelten durfte. Sein Regenerator war bekanntlich
Großherzog Leopold geweſen, der ſpätere deutſche Kaiſer, der
zwar in letzterer Stellung viele freifinnige Einrichtungen feines
verſtorbenen Bruders, Kaiſer Joſefs II., mäßigen oder auch
ganz außer Wirkſamkeit ſetzen mußte, ſeine frühere toscaniſche
Regierung aber auf einer ſo trefflichen Grundlage baſiert hatte,
— 149 —
daß ſein im Jahre 1790 zur Regierung gelangter Sohn
Ferdinand III., in dem liberalen Geiſte ſeines Vaters fort-
arbeitend, des unbezweifelten Glückes genoß, inmitten der übrigen
chabtiſchen Zuſtände der italieniſchen Halbinſel ein zufriedenes
Volk zu regieren. Den Einheits-Patrioten Italiens konnte
damit freilich nicht gedient ſein, und es fehlte nicht an Stimmen,
welche im Jahre 1799 die endliche Zertrümmerung dieſer ver⸗
hältnismäßig idylliſchen Zuſtände bejubelten, obſchon weder das
Königreich Etrurien, zu welchem Toscana geſchlagen wurde,
noch im Jahre 1807 das Aufgehen Toscanas in Frankreich als
franzöſiſche Provinz den Hoffnungen jener Patrioten entſprachen.
Auch ward der Pariſer Friede, welcher dem Großherzoge die
Rückkehr in ſein geliebtes Toscana nach fünfzehnjährigem
Wanderleben wieder ermöglichte, wie erwähnt, als der Abſchluß
einer traurigen Zeit der Vergewaltigungen und Beraubungen
von dem ganzen Volke begrüßt. |
Somit wird die Prinzeſſin wohl nur das Richtige gejagt
haben, wenn ſie von der lebhaften und allſeitigen Freude be⸗
richtet, welche im Jahre 1821 die Geneſung des Großherzogs
erregte.
Man hatte allerdings, was dieſe Stimmung noch beein⸗
fluſſen mußte, erſt kurz zuvor den Großherzog im Begriff ge—
ſehen, ſeinem ſeit faſt zwanzig Jahren verwitweten Hausweſen
eine neue Herrin zu geben. Das Tagebuch berichtet über jenes
Vorhaben: Etwa 14 Tage nach dem neuen Jahre, alſo etwa
einen Monat vor ſeiner Erkrankung, ſei der Großherzog eines
Tages plötzlich nach Piſa gereiſt, vorgeblich, um zu jagen;
„indes ahnte ich ein Geheimnis,“ fährt die Prinzeſſin fort,
„und betrog mich nicht, denn tags darauf bekam Papa einen
Brief vom Großherzog, in welchem dieſer förmlich um die Hand
von Marie anhielt. Vierundzwanzig Stunden ſpäter gab Marie
— 150 —
ihr Jawort, das ſogleich nach Piſa geſchickt wurde. Nach drei
Tagen Abweſenheit kam der Großherzog zurück.“ Er war da⸗
mals 52 Jahre alt, ſeine Braut 25.
Während nun, nachdem er völlig wieder geneſen, die Vor⸗
bereitungen zu der Vermählung getroffen werden, rückt die
Oſterzeit heran, für welche Prinz Max mit ſeinen beiden
Töchtern und dem Gatten der jüngeren, dem Erbgroßherzog,
ſich in Rom angemeldet hat. Damit verknüpfen ſich einige
andere Ausflüge. Zunächſt wird ein Abſtecher nach Fieſole,
Lucca, Piſa und Livorno gemacht. Das Tagebuch berichtet
über alles Sehenswerte und erwähnt dabei auch der Karthauſe
bei Piſa. Es befinden ſich in derſelben nur noch eine kleine
Anzahl armer Mönche, die, wie die Prinzeſſin meint, am Not⸗
wendigſten Mangel leiden, da ſie ihre Einkünfte verloren haben,
wogegen das Gebäude ſelbſt, reich mit Marmor und mit Fresken
ausgeſtattet, einem prächtigen Palaſte gleicht. Nach kurzem
Aufenthalte wiederum in Florenz, wird dann nach Rom auf⸗
gebrochen. In San Quirico, auf dem Gute des Erzbiſchofs
von Siena, nehmen die Reiſenden Teil an einer großen Ge⸗
ſellſchaft, bei welcher eine Nichte des Erzbiſchofs die Honneurs
macht. Erquicklich ſcheint die Sache aber nicht geweſen zu fein,
denn es fehlte in den weiten Zimmern an Kaminen, es herrſcht
„eine fürchterliche Kälte“ und vor Müdigkeit wird die Prinzeſſin
wieder einmal „ganz drehend.“ Auf der Weiterfahrt nach Rom
beginnen dann auch die Beläſtigungen durch Bettler den Reiſen⸗
den fühlbar zu werden; Prinzeſſin Marie, welche dieſe Eigenart
des Kirchenſtaats zum erſtenmale kennen lernt, iſt nicht wenig
erſchreckt, als eine Bettlerin ihr, „wahrſcheinlich, um ihr einen
Ring abzuziehen,“ faſt den Finger abreißt. Ein anderer Zu⸗
dringlicher ſtellt ſich mit den Worten „povero matto‘‘ ſelber
als Irrſinniger vor.
— 151 —
Am 29. März erreichen die Reiſenden Rom und beziehen
ein Quartier im Corſo. Dasſelbe erweiſt ſich als ſo behaglich,
daß Prinz Heinrich von Preußen (geb. 1781, Großmeiſter des
preußiſchen Johanniter⸗Ordens), der die Reiſenden beſucht, ſich
vornimmt, nachdem ſie Rom verlaſſen haben werden, für alle
Folgezeit Beſchlag darauf zu legen. Bis zu ſeinem Tode hat
er es dann auch nicht wieder in andere Hände kommen laſſen.
An andern fürſtlichen Perſonen befinden ſich zur diesmaligen
Oſterfeier in Rom, außer dem alten Könige von Neapel ſamt
der Gräfin Floridia, der Kronprinz von Bayern und Prinz
Chriſtian von Dänemark nebſt ſeiner „eben ſo ſchönen, wie gut⸗
| mütigen“ Gattin, einer auguſtenburgiſchen Prinzeſſin. (Karoline
Amalie, die zweite Gattin des Prinzen, ſpätern Königs
Chriſtian VIII., nachdem ſeine erſte Ehe mit der Prinzeſſin
Charlotte von Mecklenburg-Schwerin im Jahre 1812 gelöſt
worden war.) |
Den Papſt findet die Prinzeſſin gebeugter, aber faft heiterer,
als vor zwei Jahren; freilich bietet ſich ihm beim Oſterſegen,
vom Balkon der Peterskirche aus, der Blick auf 10,000 öſter⸗
reichiſche Soldaten, ſo daß von den unruhigen Köpfen des
Kirchenſtaates für jetzt nichts mehr zu fürchten iſt. Dem Prinzen
Max verehrt er ein lebendiges Oſterlamm, eines der beiden im
März nach altem Herkommen von dem Papſte geſegneten und
dann in einem Nonnenkloſter weiter verpflegten Lämmer. Das
andere iſt für die Oſtertafel des Papſtes beſtimmt. Ein drittes,
wenn auch kein vom heiligen Vater geſegnetes, kommt der
Prinzeſſin bei dem Gaſtmahle, welches der König von Neapel
den in Rom verweilenden Fürſtlichkeiten giebt, zu Geſicht; es
ſteht, in ganzer Figur gebraten, auf der Tafel, und ein Biſchof
weiht dasſelbe gleich den übrigen Speiſen. „Alles, was Land
und Meer an Speiſen erzeugt,“ meint die Prinzeſſin, „war auf
— 152 —
dieſe Tafel gebracht.“ Aber auch ein lebendiges Nachſpiel fehlte
nicht. „Nach Tiſche wurden die Laibacher Bären produziert, fe
meldet die Prinzeſſin, „und ſchrieen fürchterlich.“ |
Genußreichere Stunden verleben die Reiſenden in den
Kunſtſammlungen, über welche das Tagebuch ausführlich be⸗
richtet, wobei die vom Kardinal Feſch angelegte überreiche
Gemälde⸗Galerie nur das Bedauern erregt, daß ein kurzer
Aufenthalt in Rom zu ihrem Studium nicht die nötige Muße
gönnt, obſchon bei weitem nicht alle Bilder aufgehängt werden
konnten. In der an die Herzogin v. Chabelais verkauften Villa
Lucian Bonapartes ſieht die Prinzeſſin eine von Canova ge⸗
arbeitete Büſte von dem Vater Napoleons, welche dem Kaiſer
ſehr ähnlich ſieht.
Unter den Fremden, welche die Prinzeſſin atem lernt, iſt
die Herzogin von Devonſhire, deren große Gelehrſamkeit ſich
mit einem ganz einfachen Betragen aufs Beſte verbindet. (Eliſa⸗
beth Hervey, Tochter des vierten Grafen von Briſtol, ſeit 1811
Witwe des Herzogs William von Devonſhire, in Rom ſeit 1815,
woſelbſt ſie einen glänzenden Kreis von Künſtlern, Schrift⸗
ſtellern und Archäologen um ſich verſammelte und im Jahre
1824 ſtarb.) Sonderbar erſcheint es der Prinzeſſin, daß ein
Engländer, der ſich im Beſitz der Villa des Rafael befindet, den
Zutritt zu derſelben den prinzlichen Beſuchern wohl zwar ge⸗
ſtattet, aber keine Engländer einläßt. Das Rätſel ſoll ſich da⸗
durch löſen, daß ſeine lebhafte Parteinahme für die vielgeſchmähte
Prinzeſſin von Wales ihn mit ſeinem Vaterlande verfeindet
hat. Dieſelbe, bekanntlich als Prinzeſſin Karoline von Braun⸗
ſchweig 1768 geboren, eine Nichte Georg III. von England,
hatte 1795 den ſittenloſen Prinzen von Wales, ſpätern
König Georg IV., geheiratet, der ſich aber ſchon im folgenden
Jahre, nachdem die Prinzeſſin ihm eine Tochter, die ſpätere
N — 153 —
Gattin des Königs Leopold von Belgien, geboren hatte, von
ihr trennte und im Laufe der Zeit einen Ehebruchs-Prozeß
gegen ſie veranlaßte, der die öffentliche Meinung Europas und
vor allem Englands auf Grund der gegenſeitigen Anklagen der
beiden Gatten peinlichſt beſchäftigte, bis der Tod der Prinzeſſin
im Auguſt 1821 — des Jahres dieſes Reiſeabſchnitts — den
ärgerlichen Zwiſt endete.
E Von ſonſtigen erwähnenswerten Erlebniſſen der Verfaſſerin
des Tagebuchs ſei noch der ominöſen Nachbarſchaft einer Guil⸗
lotine gedacht, die eines Tages unweit des prinzlichen Quartiers
und innerhalb des Sehkreiſes desſelben auf der Piazza del
Popolo unverhofft daſteht. Eine Blechbüchſe, auf welcher ein
Totenkopf gemalt iſt, wird von Haus zu Haus getragen, damit
man Geld für die Exequien des zu Enthauptenden — eines
Moörders — hineinſtecke. „Glücklicherweiſe fuhren wir fort,“
ſchreibt die Prinzeſſin, „waren den ganzen Morgen abweſend,
und als wir nach Hauſe kamen, war ſchon alles vorüber.“
Minder neu war der Prinzeſſin das Begegnen von Toten
in offenen Särgen. Gleich die erſte diesmal von ihr betretene
Kirche Roms, S. Lorenzo in Lucina, bietet ihr einen ſolchen,
4 vor zwei Jahren ihr noch erſchreckend geweſenen Anblick. „Zahl⸗
reiche Kerzen brannten in einer kleinen Kapelle. Ich ſah dahin
und erblickte einen Sarg, in welchem eine Frau lag, ſo ſchön
und jung, daß ſelbſt der Tod ſie nicht entſtellt hatte. Es war
die Frau eines Advokaten, achtzehn Jahre alt, elf Monate nach
ihrer Verheiratung geſtorben.“
Auch eine Kinderleiche kommt ihr zu Geſicht. Nächſt dem
ponte rotto ſieht ſie eine Prozeſſion von kleinen weißgekleideten
Kindern vor einem Hauſe halten. Man ſagt ihr, es ſeien
Waiſenkinder, die ein Kind abholten, um es in die Kirche zu
tragen. Bald darauf kommt aus dem Hauſe ein Mann, der
— 154 —
einen kleinen toten, als Kloſtergeiſtlichen gekleideten Knaben auf
den Armen trägt. Er legt ihn auf eine weiß und gold ge⸗
ſchmückte Bahre und die Waiſenkinder tragen ſie in die nächſte
Kirche.
Endlich lernt die Prinzeſſin noch eine Sitte kennen, die
mit dem Oſterfeſt zuſammenhängt. Beim Beſuch des Gartens
der Paſſioniſten, worin die einzige Palme der ewigen Stadt zu
ſehen iſt, gewahrt fie in den Alleen eine Anzahl weltlich ge⸗
kleideter Herren und erfährt, daß es Bürger von Rom ſeien,
die in dieſem Kloſter „Reträte“ halten, um ſich auf das Oſter⸗
feſt vorzubereiten.
Am 26. April trifft Prinz Max mit ſeinen beiden Töchtern
wieder in Florenz ein. Am 5. Mai unterſchreibt die Prinzeſſin
Braut die übliche Entſagungs-Akte. Die Trauung ſoll Tags
darauf ſtattfinden, doch ſtand der Heirat, wie Prinzeſſin Amalie
es humoriſtiſch ausdrückt, noch ein Hindernis entgegen: Das
Brautkleid war nicht da. Man hatte geglaubt, es in Paris
anfertigen laſſen zu müſſen, und der Pariſer Lieferant hatte
nicht Wort gehalten. Was war zu thun? Ein Florentiner Kleid
aus drap d' argent mit Goldfranzen konnte ja zur Not auch für
ſtandesgemäß gelten. In einem ſolchen wurde Prinzeſſin Marie
alſo getraut. „Ich habe Marie nie ſo ſchön geſehen, als in
ihrem Brautſtaate,“ ſchreibt in herzlicher Selbſtvergeſſenheit die
Schweſter. Diesmal ſcheint ſie aber nicht als Brautjungfer
fungiert zu haben. Die „Renaud,“ ſo meldet das Tagebuch,
ſteht am Altar hinter der Prinzeſſin. Als die letztere das Ja⸗
wort ausgeſprochen hat, tritt an die Stelle jener ſächſiſchen
Hofbedienſteten die nunmehrige Oberſthofmeiſterin, Fürſtin
Roſpiglioſi, und nimmt der jungen Großherzogin Schleier und
Handſchuhe ab. — Hernach iſt in drei Zimmern des Palaſt
Pitti großer Cercle, wobei Prinzeſſin Amalie, wie ſie erwähnt,
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— 155 —
ſich unter der Menge verliert und endlich durch eine Bekannte
zu den Ihrigen zurückgebracht wird. Ein großes Zeremonien⸗
Scocuper beſchließt den anftrengenden Tag. „Wir waren alle
ſo müde,“ klagt die Prinzeſſin, „daß wir uns nicht regen
konnten.“
Am folgenden Tage großes Diner, wobei ganz kleine
4 Knaben, welche die Schüſſeln kaum heben konnten, als Pagen
bedienen und die Prinzeſſin in Sorge ſetzen, fie werde mit be⸗
gioſſenem Kleide heimkommen. Die darauf folgende Gala-Vor⸗
ſtellung zeichnet ſich durch den Umſtand aus, daß, wie das
Pariſer Brautkleid, jo auch die beſtellte Hochzeits- Oper nicht
fertig geworden iſt. Man giebt alſo eine alte Oper von Paer,
Griſelda, freilich ein etwas ominöſes Sujet für die feſtliche
Veranlaſſung.
Schöner geſtaltet ſich das Abendfeſt, welches die Stadt
ö Florenz am 1. Mai für die Bevölkerung der Stadt wie der
Umgebung arrangiert hat. Die Leute aus dem Volke und die
Bauern in ihrem beſten Putze haben den ganzen Platz vor der
Akademie zu ihrer Verfügung. Die weiten Räume der Akademie
dagegen, aufs Schönſte geſchmückt und beleuchtet, dienen den
übrigen Klaſſen der Geſellſchaft zum Tummelplatz. Es wird
drinnen wie draußen viel getanzt, und man ſieht auch Masken,
trotzdem kein Karneval iſt. Bis 2 Uhr morgens wird Prin-
zeſſin Amalie des bunten Treibens nicht müde.
Inzwiſchen iſt ein Brief des Königs Friedrich Auguſt ein-
getroffen; dieſer Brief enthält eine Mahnung zu ſchleuniger
Heimkehr und ſo muß ſchon am 13. Mai geſchieden werden.
Prinzeſſin Amalie bittet ihre beiden zurückbleibenden Schweſtern,
es mit dem Abſchied am Abend vor der Abreiſe genug ſein zu
laſſen, „denn es iſt ſo traurig, Perſonen, die man liebt, neben
dem Wagen ſtehen zu ſehen, der uns fortführt;“ ſie fügen ſich
— 16 —
auch der ſchweſterlichen Bitte. Aber wenigſtens den Vater noch
in ſein Quartier (den Pallazzo Vecchio) zu begleiten, läßt
ſich Prinzeſſin Anna, die Gattin des Erbprinzen Leopold, nicht
nehmen, und als Prinz Max dort, von Rührung überwältigt,
ein Ende machen will, kniet ſie vor ihm nieder und er giebt ihr
noch ſeinen Segen. „Ich war von dieſen Gemütsbewegungen
ganz erſchöpft,“ ſchreibt Prinzeſſin Amalie.
Über Parma, Trieſt, Innsbruck und Nürnberg kehrten Prinz
Max und ſeine Tochter Amalie am 26. Mai wieder nach
Dresden zurück. 5
FFT
S
Neunter Abſchnitt.
Die [panifche Reiſe.
(1824 bis 1825.)
115 weitere Jahrgänge des Tagebuchs 1820/23 haben
nur lediglich Vorgänge am Dresdner Hofe, ſowie Er-
lebniſſe des weit verzweigten Familienkreiſes zum Inhalt.
Mit Ausnahme der Verfaſſerin des Tagebuchs ſind ſämtliche
Töchter des Prinzen Max verheiratet; wie hier rekapituliert
werden mag: Prinzeſſin Marie (geb. 1796) an den Groß⸗
herzog Ferdinand III. von Toscana, Prinzeſſin Anna (Nany,
geb. 1799) an den Erbprinzen Leopold von Toscana, Prinzeſſin
Jioſepha (geb. 1803) an den König Ferdinand VII. von Spanien.
Von den Söhnen des Prinzen Map iſt Prinz Friedrich Auguſt ſeit
dem Herbſt 1819 mit der Erzherzogin Karoline, Tochter des Kaiſers
Franz I. vermählt; der Zweitälteſte, Prinz Klemens, welcher, wie
ſchon früher berichtet, im Jahr 1821 mit Prinz Johann nach Italien
reiſte, erkrankte auf dieſer Reiſe in Piſa und ſtarb daſelbſt im
Januar 1822 im Alter von 24 Jahren. Unverheiratet iſt noch
Prinz Johann, heiratet aber im November desſelben Jahres
Prinzeſſin Amalie, Tochter des Königs Maximilian I. von
Bayern, wobei die Verfaſſerin des Tagebuchs wiederum der
Braut die Schleppe trägt.
Es iſt bekannt, daß dieſe Ehe, welche über fünfzig Jahre
dauerte, eine überaus glückliche geweſen iſt; nur wenige Kon⸗
— 158 —
venienz⸗Ehen mögen ſich jo harmoniſch geſtaltet und ein jo
nachahmungswertes Beiſpiel für weite Kreiſe gegeben haben.
Wie gut für ihn gewählt worden war, ahnte der Prinz aber
nicht, als ihm gleich nach dem Tode ſeines ältern Bruders
Klemens in Piſa die Weiſung zukam, er möge nun aus Gründen
den Rückweg über München nehmen. Gewiß hat die Botſchaft
nicht ſo barſch gelautet, wie die Heirats-Ordre, die einſt König
Friedrich Wilhelm I. ſeinem Sohne Fritz zukommen ließ, als
er für denſelben die Prinzeſſin Eliſabeth Chriſtine von Braun⸗
ſchweig beſtimmte, nämlich: „Sie iſt modeſte und eingezogen;
ſo müſſen die Frauen ſein; ſie iſt nit häßlich, auch nit ſchön;
ſie iſt ein gottesfürchtiges Menſch. Gott gebe ſeinen Segen.“
— Aber eben erſt in Italien in den Geſchmack des Reiſens
gekommen und voll von neuen und ſeinen Geiſt lebhaft be⸗
ſchäftigenden Eindrücken, erblickte Prinz Johann in einem jo
frühen Feſtbannen in die Ehe — er war erſt 21 Jahre alt —
nichts als den Verzicht auf Bewegungsfreiheit und Weltblick.
So ſchreibt er denn aus Piſa an ſeine Schweſter Amalie im
Tone humoriſtiſcher Verzweiflung: „Du kannſt Dir immer
das Ballkleid zu meiner Hochzeit machen laſſen, denn mir auch,
fürcht' ich, ſoll bald die Krone abgehauen werden. Über zwei
Jahre werde ich es wohl nicht hinausziehen; nur nicht eher;
das wäre wirklich mich und das arme Schlachtopfer unglücklich
machen; man muß doch erſt ganz Mann werden, ehe man ans
Heiraten denkt.“ Drei Monate ſpäter hatten ſich die Beſorg⸗
niſſe des Prinzen in ihr Gegenteil umgeſtimmt; „der 13. März
1822,“ ſchreibt er in ſeinen Memoiren, „war einer der wichtigſten
Tage in meinem Leben: Ich betrat zum erſtenmale das mir
ſpäter ſo lieb gewordene königliche Schloß in München,“ und
er giebt einen begeiſterten Bericht von den ſchönen Tagen, die
er dort verlebte, wie ihn denn auch nur ſeine Schüchternheit
— 19 —
zurückhielt, ſofort mit feiner Werbung herauszutreten. — Alle
dieſe Vermählungen ſind von ziemlich gleichartigen Zeremonien
begleitet. Wie Prinzeſſin Joſepha in Dresden per Prokura ge-
traut worden iſt, ſo auch die Erzherzogin Karoline in Wien und
jetzt Prinzeſſin Amalie von Bayern in München. In Wien
war Erzherzog Rudolf der Vertreter des Bräutigams, in
München iſt es Prinz Karl von Bayern. Der Bewillkommnungs⸗
Beſuch, welchen der Bräutigam der auf der Reiſe zu ihm be⸗
griffenen Braut abzuſtatten hat, der aber noch nicht bezwecken
darf, dem Reſt der Reiſe nun einen gemeinſamen Charakter zu
geben, wurde bei Gelegenheit der Prokura-Verheiratung der
Erzherzogin Karoline von Prinz Friedrich Auguſt in Teplitz
abgeſtattet. Wie es ſcheint, hatte ſich der Bräutigam Hoffnung
gemacht, ſeiner Braut ohne allzu ſteifes Zeremoniell begegnen
zu dürfen, und er war daher, wie das Tagebuch verſichert, „in
Verzweiflung,“ daß cher oncle Anton ihn nach der Weiſung
des Königs dahin begleiten ſolle. „Er lief deshalb zum Könige,
aber ohne Erfolg.“ Prinz Anton war aber glücklicherweiſe
weniger Mann der Etikette, als der König, und wußte ſeine
Gegenwart unbemerkbar zu machen. Der Bräutigam kommt
denn auch abends „ſelig“ von Teplitz zurück. — Es iſt bekannt,
daß die glücklichen Auſpizien dieſes Bundes durch ein ſchweres
Körperleiden der jungen Erzherzogin leider getrübt wurden —
das Tagebuch muß häufig von Krampfanfällen berichten —
wie denn auch die Königin Karoline nach zwölfjähriger Ehe
kinderlos geſtorben iſt. Sie hat nur das einunddreißigſte Jahr
erreicht. — Die Braut des Prinzen Johann wird dem ihr ent—
gegen geſandten ſächſiſchen General-Leutnant von Watzdorf in
Plauen „übergeben,“ wie der techniſche Ausdruck lautet; dann,
nachdem ſie in Chemnitz angelangt iſt, begrüßt ihr Bräutigam
ſie, diesmal jedenfalls ohne allzu einengende Förmlichkeiten,
— 160 —
denn außer dem prinzlichen Vater war die Verfaſſerin des
Tagebuchs mit nach Freiberg gereiſt und ſorgte ohne Zweifel
für ein Abdämpfen der Etikette⸗Vorſchriften; endlich, am
folgenden Tage, findet unter Kanonendonner der feierliche Ein⸗
zug der Prinzeſſin⸗Braut ſtatt: Ihr Bräutigam empfängt ſie
am Fuße der Schloßtreppe und ſie begiebt ſich zunächſt zum
Könige, „wo die ganze Familie verſammelt war und ſich nach
dem Range ſetzte. Die Oberhofmeiſter und Oberhofmeiſterinnen,“
führt das Tagebuch gewiſſenhaft fort, „ſetzten die Stühle.
Dann beſuchte die Braut die Prinzeſſinnen und wurde darauf
von den Prinzen beſucht. Um 7 Uhr abends begab ſich alles
zur Königin, welche der Braut den Kranz aufſetzte.“ Es folgt
die Einſegnung in der Kapelle und danach das Bankett; „der
männliche Hofadel,“ heißt es ſchließlich, „bediente, zog ſich aber
zurück, nachdem der König zu trinken begehrt hatte.“
Unter den zahlreichen Gäſten, die auf kürzere Zeit in
Pillnitz oder Dresden am Hofe verweilen, ſeien hier erwähnt
der Kronprinz Oskar von Schweden (geb. 1799, Sohn Berna⸗
dottes), Prinz und Prinzeſſin Wilhelm von Preußen ſamt
deren Kindern Adalbert, Eliſabeth und Waldemar, der
König von Preußen, der König und die Königin von
Bayern mit deren Töchtern Sophie und Marie, Erzherzog
Franz, Herzog Karl von Braunſchweig und die Herzogin von
Cumberland (Schweſter des Herzogs Karl von Mecklenburg,
zuerſt verheiratet mit dem Prinzen Lud. Frd. Karl von Preußen,
nach deſſen Tode mit dem Prinzen Fr. Wilh. von Solms,
geſt. 1814, dann mit dem Herzog von Cumberland, ſpäterem
König Ernſt Auguſt von Hannover) mit deren Tochter Prinzeſſin
Solms; auch der Verfaſſer des Sketch book, Washington
Irving, beſucht den Prinzen Johann, der einen Kreis von
litterariſch anregenden Männern um ſich zu verſammeln beginnt.
K
— 161 —
Bei Prinz Friedrich Auguſt, welcher im Sommer des Jahres
1824 am rechten Elbufer in Wachwitz ſich eine liebliche Sommer-
Reſidenz geſchaffen hat, wird fleißig mufiziert, öfter unter Hin⸗
zuziehung C. M. von Webers, unter anderm akkompagniert
3 Weber beim Prinzen am Klavier eine Aufführung des Don
Juan als Konzert. Namhaftere muſikaliſche Kräfte, welche die
5 Verfaſſerin des Tagebuchs in dieſen Jahren bei Hof-Konzerten,
; im Theater oder in kleinerem Kreiſe hört, find unter anderen
8
5
5
3
%
die von Goethe in Weimar leidenſchaftlich bewunderte Pianiſtin
Szimanowska und die ſchon erwähnte Sängerin Kraus-Wra⸗
nitzth. Unter den damals teils in Dresden, teils auf dem
Linckeſchen Bade aufgeführten Stücken ſeien hier genannt Fidelio,
Zauberflöte, Don Juan, der Freiſchütz (erſte Aufführung am
26. Januar 1822), Euryanthe, Prezioſa, Minna von Barnhelm,
Prinz von Homburg, Goethes Iphigenie mit dem Wolfſchen
x Ehepaar, Sappho mit Fräulein Pfeiffer, der ſpäteren Frau Birch⸗
1 Pfeiffer, und die Ahnfrau, welche letztere „wenig Beifall fand.“
Tiieck lieſt am 23. November 1823 bei der Prinzeſſin Auguſte,
über deren muſikaliſche Begabung, beiläufig bemerkt, der Kom—
poniſt des Freiſchütz ſehr günſtig urteilte und deren Briefe,
gleich denen ihres Vaters, des Königs Friedrich Auguſt, ſich
durch Klarheit, Sicherheit und fließende Handſchrift auszeichnen.
Ein (ſeitdem in den Geſamtwerken veröffentlichtes) Drama der
Prinzeſſin Amalie, „der Krönungstag,“ wird als Überraſchung
für die Verfaſſerin am 5. Juli 1823 von Hoſfſchauſpielern auf
dem kleinen Theater im Prinzen-Palais dargeſtellt. „Die ganze
Familie,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „außer dem Könige, war
dabei.“
An Trauerfällen, welche den Verwandten- und Bekannten⸗
kreis der Prinzeſſin Amalie betreffen, ſind zu verzeichnen der
Tod des Großherzogs Ferdinand von Toscana (18. Juni 1824,
11
— 162 —
nach nur dreijähriger Ehe mit der Prinzeſſin Marie von Sachſen),
der Tod des alten Exkönigs Karl Emanuel von Sardinien, der
Herzogin von Lucca, des Herzogs von Leuchtenberg, des Papſtes
Pius VII., des Prinzen Eugen von Württemberg; auch für
Ludwig XVIII., die Herzogin von Bourbon, den Großfürſten
Konſtantin und die Königin Karoline von England wird Trauer
angelegt.
Vor allem der Tod des Großherzogs Ferdinand hat jeden⸗
falls die Verfaſſerin des Tagebuchs tief bekümmert, nicht allein,
weil ihre Schweſter Marie dadurch zur Witwe wurde, auch aus
eigener Sympathie für den Verſtorbenen und ſeinen jetzt zur
Regierung berufenen Sohn, deſſen Briefe, wie ſchon erwähnt,
bis in ſeine ſpäten Lebensjahre Zeugnis ablegen von warmer
Freundſchaft für die Prinzeſſin. So ſchreibt Leopold von
Toscana bald nach dem Tode ſeines Vaters: „Beſte Amalie,
Du teileſt meinen Schmerz; ich wollte Dir ſchreiben, konnte
nicht; die erſten Tage war es unmöglich, ich war gänzlich ab⸗
geſpannt. Glaube nicht, ich habe Dich vergeſſen, nicht getraut,
Du würdeſt an mich denken. Ich bin®jehr zu bedauern. Viele
haben gewünſcht, zu regieren; ich nie. Die Art, wie ich dazu
kam, die traurigſte. Mein Vater geht mir zwar mit einem
großen Beiſpiel voran; aber welche Laſt auf einem jungen
Manne von 27 Jahren, wo nicht Eifer aber Klugheit nötig.
Marie, die arme Marie, wird in mir ſtets einen Sohn finden,
der ihre Tugenden ſchätzt, ſich in ihre Umſtände denkt und immer
die wenigen Mittel aufbieten wird, ihr Unglück zu mildern.“
Große Sorgen hat die königliche Familie wegen der ſpani⸗
ſchen Wirren ausgeſtanden. Schon zur Zeit, als die jugend⸗
liche Prinzeſſin Joſepha dem König Ferdinand VII. vermählt
worden war, hatte die Hoffnung auf eine endliche Beruhigung
der ſeit den Napoleoniſchen Kriegen leidenſchaftlich erregten Ge⸗
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müter keine ſonderlich haltbaren Stützen gehabt. Das ſchöne
Land beherbergte eine Menge extremer Parteien, und ihre
Gegenſätze auszugleichen, erwies ſich, je länger, je mehr, als ein
Ding der Unmöglichkeit. Nachdem gute und ſchlechte Mittel ihren
Dienſt verſagt hatten, führte die damals nicht mehr neue Theorie
des Intervenierens im November 1822 auf dem Veroneſer Kon⸗
greß zu den Beſchlüſſen, welche im Jahre 1823 den Einmarſch
von 100,000 Mann franzöſiſcher Truppen zur Folge hatten.
Dieſelben waren ohne Mühe mit dem Widerſtande der Gegner
dieſer Einmiſchung fertig geworden, hatten auch die Gefahren,
von denen der ſpaniſche Thron unmittelbar bedroht war, vor der
Hand abgewehrt, vermochten aber nicht zu hindern, daß die
unterlegenen Parteien nur auf das Ende der Intervention war-
teten, um von neuem loszubrechen. Noch im Dezember 1824
mußte daher der Rückmarſch des auf 22,000 Mann reduzierten
franzöſiſchen Heeres von neuem auf günſtigere Zeiten vertagt
werden.
In den Spätſommer desſelben Jahres fallen die Vor⸗
bereitungen zu einer Reiſe nach Spanien, auf welcher Prin⸗
zeſſin Amalie ihren Vater begleiten ſoll. Eine kleine ſpaniſche
Bibliothek verdankt ſie ſeit längerem der Güte ihrer Schweſter,
der Königin Joſepha. Dann hat ſie auch beim Profeſſor Fromm
in Dresden ſpaniſchen Unterricht genommen, Studien, die durch
Prinzeſſin Amaliens Fertigkeit im Franzöſiſchen und Italieniſchen
ſehr erleichtert worden ſind. 5
Am 2. Oktober 1824 wird aufgebrochen. Die Reiſe geht
über München, Verona, Parma zunächſt nach Florenz, wo bis
zum 3. November die drei Schweſtern und Prinz Max mit dem
Gatten der jüngeren Schweſter in Erinnerung an den Groß⸗
herzog Ferdinand, ſeinen wenige Monate früher verſtorbenen
Vater, wehmütige Stunden genießen. Dann geht es über
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Lucca, wo die Familie des Herzogs von Lucca fie begrüßt,
nach Genua. Auf dem Wege dahin wird das Städtchen
Lorenza paſſiert, „wo die Fenſterrahmen und Thürpfoſten alle
von Marmor ſind.“ Bei Spezzia erfreuen ſich die Reiſenden
des lang entbehrten Blickes aufs blaue Meer. Unweit Genua
in der königlichen Villa zu Recco finden ſie die verwitwete
Königin Thereſe von Sardinien, eine Tochter doͤs Erzherzogs
Ferdinand, mit ihren beiden Töchtern „Marianne, welche bis
zum Verwechſeln ihrer Zwillingsſchweſter, der Herzogin von
Lucca, gleicht, und Chriſtine, welche, obgleich noch ein Kind,
eine noch hübſchere und geiſtreichere Phyſiognomie als ihre
Schweſter hat. Die Königin iſt eine für ihr Alter noch ſchöne
Frau. Ihr Organ bezeugt, daß ſie aus dem Hauſe Eſte ſtammt.“
— Nachdem tags darauf in Genua die Reiſenden die Gäſte des
Königspaares geweſen ſind und die Kunſtſchätze Genuas in
Augenſchein genommen haben, wenden ſie ſich nach Turin,
wo der Prinz Karl Albert von Savoyen-Carignan und ſeine
Gattin ſie abends ins Theater führen und wo unter anderm
ein Ballet, betitelt Macbeth und Zelmire, geboten wird, „in
welchem man Macbeth zur Veränderung in einen Türken ver⸗
wandelt hatte,“ vermutlich wegen der damals gereizten Stimm⸗
ung gegen Tunis, das erſt vor wenigen Jahren von der Forder⸗
ung eines Tributs für den ſardiniſchen Seehandel abgeſtanden
war und eben jetzt neue Anſprüche erhoben hatte. In betreff
des Königs Karl Felix wird daran zu erinnern ſein, daß die
Revolution von 1821 ſeinen ältern Bruder Viktor Emanuel J.
zur Abdankung genötigt hatte, daß aber Karl Felix die Nach⸗
folgeſchaft erſt antreten konnte, nachdem durch ruſſiſche und
öſterreichiſche Intervention die durch die Carbonari proklamierte
Regierung des Prinzen Karl Albert von Savoyen⸗Carignan,
welche dieſer auch angetreten hatte, niedergeworfen worden
— 165 —
war. Sein Verhalten in dieſer Angelegenheit ließ eine ver—
ſchiedenartige Auslegung zu; er war ſowohl den Carbonari,
wie auch dem Könige Karl Felix verdächtig geworden und er—
hielt erſt im Jahre 1823 die Erlaubnis, ſich in Turin aufzu⸗
halten. Durch den Tod des Königs Karl Felix gelangte er
bekanntlich 1831 zur nunmehr unbeſtrittenen Regierung, entſagte
derſelben aber 1849 nach der Schlacht von Novara. Seine
Gattin war eine Tochter des Großherzogs Ferdinand von
Toscana; ſein zweiter Sohn, der Herzog von Genua, heiratete
Prinzeſſin Eliſabeth, Tochter des Königs Johann und Mutter
der jetzigen Königin von Italien. Mit der ſächſiſchen Königs⸗
familie war Karl Albert ſelbſt bereits durch ſeine Mutter bluts⸗
verwandt, indem dieſelbe der morganatiſchen Ehe des Herzogs
Karl von Kurland (dritten Sohnes des Königs Auguſt III.)
und der polniſchen Gräfin Franziska Kraſinsky entſtammte.
Er ſowohl, wie ſeine Schweſter Maria Eliſabeth, die ſpätere
Gattin des Erzherzogs Rainer, ſind denn auch in Dresden
erzogen worden. — Zur Charakteriſtik der ſardiniſchen Zuſtände
im Jahre 1824, in deſſen November der dortige Aufenthalt des
Prinzen Max und der Verfaſſerin des Tagebuchs fällt, ſei des
im folgenden Jahre herausgekommenen ſardiniſchen Edikts ge—
dacht, welches für die Erlaubnis zum Erlernen von Leſen und
Schreiben den Nachweis eines Vermögens von 1500 Lire ver-
langte. Politiſche Geſpräche werden während dieſes Beſuchs
daher ohne Zweifel vorſichtig vermieden worden ſein. — Nach⸗
dem derſelbe beendigt war, ging es über Suza bergan zum Mont
Cenis. Drei Stunden über Suza hinaus wird für die Nacht
in dem Mönchskloſter Raſt gemacht, wo Pius VII., als ihn
die Franzoſen gefangen nach Frankreich führten, tötlich erkrankte
und die letzte Olung empfing. Die Prinzeſſin erinnert ſich hier
lebhaft der aus dem Munde des alten Papſtes gehörten
Be
Schilderung dieſer Erkrankung und wie er jein ohnmächtiges
Zuſammenbrechen angeſichts des ihn begrüßenden Kloſterabts
als den peinlichſten Augenblick ſeines Lebens bezeichnete. —
Das Nachtquartier wird übrigens durch den Umſtand beein⸗
trächtigt, daß wegen heftigen Sturmes keiner der Kloſterkamine
geheizt werden kann, ſo daß die Reiſenden ſehr von der Kälte
leiden.
Im weiteren Verfolg der Fahrt wird Chambery paſſiert,
ebenſo Lyon und Vienne, wo Prinz Map ein ſtarkes Unwohl⸗
ſein zu beſtehen hat, und wo „Piatti mit ſeinem großen Stern
für den König von Preußen gehalten wird.“ Nach Rouſſillon
beginnt das Blumenſchmücken der Poſtillons und der Pferde,
ſowie in den kleineren franzöſiſchen Städten überhaupt der An⸗
blick fürſtlicher Perſonen den Leuten ein beſonders unterhalten⸗
der Zeitvertreib iſt, mehr noch vermutlich als in Italien und
Deutſchland, wo in jener Zeit wieder ſo viele Souveräne oder
fürſtliche Verwandte fortwährend unterwegs waren. Neu ſind
der Verfaſſerin des Tagebuchs Inſchriften wie die folgenden,
erſt ſpäter als Reklameform auch in unſere Tae über⸗
gegangenen: |
N’allez pas plus loin! On est bien logé ici! ete.
Auch die franzöſiſche Höflichkeit und Dienſtfertigkeit ſtechen
von den Sitten der ihr ſchon bekannteren Nationen merklich ab.
Eine Wirtin in Pont St. Esprit glaubt jenen beiden natio⸗
nalen Eigenſchaften am beſten Rechnung zu tragen, indem ſie,
als Prinzeſſin Amalie mit ihr arglos auf den Balkon des
Wirtshauſes hinaustritt, den unten verſammelten Neugierigen
zuruft — als ſtelle fie ihren hohen Gaſt dem Städtchen vor —:
„La princesse!“ }
In Nismes hat man im Volke ſchon einen etwas klareren
Begriff von der Herkunft der fürſtlichen Reiſenden und dem
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Ziele ihrer Fahrt, zumal auch Prinzeſſin Joſepha auf ihrem
Wege nach Spanien durch dieſe Gegenden gekommen iſt. Da
man hier von dem Wirrwar in Spanien nicht bloß von Hören⸗
ſagen Kenntnis hat, vermutet man denn auch in gut bürgerlicher
Weiſe: der Zweck der Reiſe des Prinzen Max laufe darauf
hinaus, ſeine Tochter wieder mit ſich nach Hauſe zu nehmen,
und eine Frau beſchwört den Prinzen dringend, dies ja zu thun,
was er freilich nicht verſprechen kann.
In dem Städtchen Mezi, wo die Reiſenden, um in ihr
Quartier zu kommen, einen Pferdeſtall paſſieren müſſen, werden
ſie durch das Gerücht erſchreckt, ein Kurier der jungen Königin
habe ſich ſoeben friſche Pferde geben laſſen, um ihrem Vater die
Weiterreiſe zu widerraten. Glücklicherweiſe ſtellt ſich heraus,
daß der angebliche Kurier ein Kaufmann war, der, um raſch
Pferde zu erhalten, den Leuten in Mezi Wind vormachte.
Auch hier, wie in Nismes und Montpellier, ſind die hohen
Reiſenden das große Tagesereignis. Um nur in den Straßen
durchzukommen, hat die Prinzeſſin ſich in Montpellier von
ihrem Wirte am Arme führen laſſen, obſchon der Mann „einen
recht ſchmutzigen Überrock anhatte.“ In Nismes bitten die
Nichten des Kommandanten um die Erlaubnis, ein paar Damen
vorſtellen zu dürfen, und führen ſtatt deren „die Hälfte der
weiblichen Nismer Population“ ihr aufs Zimmer. Daß bei
allen dieſen Erlebniſſen die Verfaſſerin des Tagebuchs guter
Laune bleibt, ja ſich ſehr gut amüſiert, verſteht ſich von ſelbſt.
Als Toulouſe ſchon in Sicht iſt, kommt eine Staffette mit
der Meldung, der Magiſtrat habe Ordre gegeben, die hohen
Reiſenden in dem Hotel einzuquartieren, zu welchem der Über-
bringer dieſer behördlichen Verfügung den Weg zeigen werde.
Prinz Max traut aber der Sache nicht, da er bereits ander—
weitig Quartier beſtellen ließ, und das Ganze entpuppt ſich
— 168 —
auch in der That als die Spekulation eines fürſtenbedürftigen
Hoteliers. Willkommener iſt eine andere Begrüßung kurz vor
Toulouſe: Herr von Uchtritz, der damalige ſächſiſche Geſandte
in Paris, findet ſich ein. Er hat für Prinzeſſin Amalie etwas
in petto und verehrt es ihr tags darauf bei ihrer Abreiſe: einen
neuen Roman und — ein Pfund Tabak. Es war noch die
Zeit, wo eine Schnupftabaksdoſe in Damenhänden nicht für
deplaziert galt, wenn auch das weibliche Geſchlecht dem Tabak
nicht mehr ſo fleißig zuſprach, als zur Zeit der Kurfürſtin Marie
Antonie, die eine ſo große Paſſion dafür hatte, daß ihrem Erſt⸗
gebornen ihr Tabak in die kleinen Augen kam. Wenn man in
dem Nachlaßverzeichnis Brühls den von ihm auf Vorrath
hinterlaſſenen Schnupftabak für 200 Thaler aufgeführt findet,
ſo muß man daraus allerdings ſchließen, daß dieſes Reizmittel
damals für ſchwer entbehrlich galt. Der alte Fritz und ebenſo
Napoleon haben es bekanntlich auch nicht miſſen können.
Die Nähe der Pyrenäen ſoll, wie man den Reiſenden auf
dem Wege nach Bayonne verſichert, Räubereien ſehr unter⸗
ſtützen; namentlich wird vor Hunden gewarnt, die auf das
Anfallen der Wagenpferde abgerichtet ſeien. Die Sache iſt der
Prinzeſſin nicht gerade unglaublich, und als jenſeits des Flüß⸗
chens Adour im Abenddunkel unter Donner und Blitz ein finſtrer
Hohlweg paſſiert werden muß, ehe die begleitenden Wagen nach⸗
kommen können, giebt es einige Beängſtigungen. Bayonne
wird aber glücklich erreicht, wenn auch die Scheiben der Wagen⸗
fenſter, um dieſe zu öffnen, eingeſchlagen werden müſſen, ſo ſehr
ſind die Rahmen von den Regengüſſen verquollen. Briefe und
Geſchenke der jungen Königin, mit denen ein Abgeſandter der⸗
ſelben, der Marquis Valmediano, den Prinzen und ſeine Tochter
in Bayonne begrüßt, vervollſtändigen die Beruhigung und
ſtimmen für die nun jenſeits der Bidaſoa-Brücke zu ge⸗
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— 1
wärtigenden neuen und bunten Eindrücke zu freudiger Empfäng⸗
lichkeit.
Am 25. November wird die Grenze überſchritten, und die
Prinzeſſin glaubt ſchier in einen anderen Weltteil und in ein
anderes Weltalter verſetzt zu ſein. Ganz Yrun ift auf den
Beinen, kanoniert, ruft Vivat, ſchwenkt die Hüte, hängt Teppiche
aus den Fenſtern. Alle Zivil-, Militär- und geiſtlichen Be⸗
hörden werden von dem Marquis vorgeſtellt und die Prinzeſſin
redet ſpaniſch, daß ihr „der Angſtſchweiß ausbricht.“
Wie erregt die Gemüter ſind, erfährt man auf der Weiter⸗
reiſe, denn ein junger franzöſiſcher Offizier hält es nicht für
4 unſchicklich, faſt eine ganze Poſtſtation lang, mit der Hand auf
dem Wagenſchlage neben dem Wagen des Prinzen Max reitend,
dem letzteren Ratſchläge für den König von Spanien auf den
Weg zu geben, — „was mich amüſierte, was den Papa aber
ungeduldig machte.“
Von nun an werden in jedem Dorfe, welches die Reiſenden
berühren, von den in ihre langen ſchwarzen Mäntel gekleideten
Alkalden feierliche Anſprachen gehalten. Die Alkalden tragen
ein weißes Stäbchen in den Händen und der Prinz hat dieſes
Stäbchen mit zuſtimmender Miene zu berühren, als Zeichen,
daß er es in guten Händen wiſſe.
Auch mit Tänzen werden die Reiſenden bewillkommnet.
In Toloſa tanzen zwölf weißgekleidete Knaben mit Reifen in
den Händen, dann Männer mit dicken Stöcken und führen mit
deren Hilfe allerlei Tanzfiguren aus. In Bibriesca giebt's eine
Art Shawltanz von Männern, die mit bunten Tüchern be—
hangen ſind. Ein Harlekin iſt ihnen geſellt, begleitet die
Reiſenden mit ſeinen Kapriolen dann auch bis zur Kirchenthür
und nachher von dort wieder zurück. In Valladolid beteiligen
ſich auch junge Mädchen am Tanz. Sie, wie ihre Tänzer,
— 170 —
halten blumenumwundene Reifen in den Händen und führen
gemeinſam unter den Taktſchlägen des Tambourin „eine Art
Seize“ aus. — Kaſtagnetten werden nur bei Gelegenheit eines
Theaterbeſuchs in Valladolid erwähnt.
In den Kirchen ſieht die Prinzeſſin die Frauen meiſt in
einen langen ſchwarztafftenen Schleier gehüllt, der von beiden
Seiten bis an die Kniee hinabhängt, die ſogenannte Mantilla.
Sie läßt das Geſicht frei. Die Kapa der Männer dagegen iſt
ein weiter Mantel, deſſen einer Zipfel über die Achſel geſchlagen
wird.
Die höher geſtellten Perſonen, mit welchen ſich die Reiſen⸗
den näher berühren, ſind ihnen zum Teil ſchon von früher her
bekannt, doch befinden ſich einige derſelben im Zuſtande der
Verbannung aus der Hauptſtadt, unter ihnen der dadurch be⸗
ſonders bedrückte Marquis Ceralbo. Wie jener franzöſiſche
Offizier die politiſchen Maßnahmen des Königs von Spanien
durch den Schwiegervater desſelben zu korrigieren hoffte, ſo
fehlt es auch ſeitens der in Ungnade Gefallenen nicht an ver-
wandten Bemühungen; unter anderen verwendet ſich ein junges
Mädchen für ihren noch nicht „purifizierten“ Bräutigam, deſſen
Sache alſo noch in der Schwebe iſt. Da die Prinzeſſin ſpäter
erwähnt, die junge Fürbitterin ſei ſeine Frau geworden, ſo iſt
wohl die nachgeſuchte Verwendung nicht ohne Erfolg geblieben.
Ausdrücklich erwartet wird ſolche Fürbitte nach ſpaniſcher Sitte
in Fällen, wie deren einen das Tagebuch aus Olmedo berichtet:
Es handelt ſich um einen Soldaten, welcher in ſeiner Not
Lebensmittel entwendete und dafür zum Strick verurteilt worden
iſt — auf Diebſtahl ſtand damals in Spanien Todesſtrafe —,
den man aber noch nicht gehängt hat, um dem durchreiſenden
Prinzen Gelegenheit zum Vermitteln eines Gnadenakts zu geben.
Natürlich iſt der Prinz gern einverſtanden, daß man dem Manne
— 171 —
das Leben laſſe, und ſo expediert der Marquis Valmediano
denn ſchleunigſt einen Kurier an den König, der ſeinerſeits eben—
falls mit Vergnügen einwilligt.
Einen damals viel genannten Mann, den kriegeriſchen
Pfarrer Merino, der den franzöſiſchen und den Konſtitutions⸗
Krieg mitgemacht hat, lernt die Prinzeſſin in Bribiesca kennen.
Sie ſchildert ihn als einen mageren, aber kräftigen Mann von
40 bis 50 Jahren. Er ſieht bäuriſch aus, ſpricht einen ihr un⸗
verſtändlichen Dialekt und wird auch noch wegen ſeines geringen
Ernährungs- und Schlafbedürfniſſes als eine Merkwürdigkeit
betrachtet. Angeblich genügt ihm nachts eine einzige Stunde
Schlaf. |
In der großen und Schönen Stadt Burgos, wo ein unter
Bäumen am Ufer des Arlanzon im Graſe ſtehender weißer
Sarkophag für das Grab des Cid gilt, lernt die Prinzeſſin zum
erſtenmal die beſondere Tonfülle der ſpaniſchen Kirchenorgeln
kennen. Ein geiſtliches Lied wird mit Orgelbegleitung im Dom
geſungen, und ſie glaubt, nie früher eine ergreifendere Kirchen—
muſik gehört zu haben.
Dieſe Stadt bietet den Reiſenden auch noch einen Augen⸗
genuß eigener Art: Der Marktplatz iſt ihretwegen, als ſie im
Morgengrauen abreiſen, hell erleuchtet, obſchon die Sonne dem
Aufgange nahe iſt.
Durchweg auf der ganzen Fahrt werden die Reiſenden
durch die Kälte und den Mangel an Schutz gegen dieſelbe be—
läſtigt. In dem Nachtquartier eines eingeſchneiten Städtchens
unweit der ſchneebedeckten Sierra gilt es, ſtatt mit Ofen oder
Kaminen, ſich mit Kohlenbecken zu behelfen; noch ſchlimmer
haben es freilich die Soldaten, welche vor den Zimmern der
Reiſenden im kalten Korridor ſchlafen müſſen, angeblich um die
fehlenden Thürſchlöſſer zu erſetzen.
— 172 —
Als am 3. Dezember endlich der Gipfel der Bergſtraße und
damit die Grenze zwiſchen Alt- und Neu⸗Caſtilien erreicht iſt,
ſchlägt die Stunde, wo Vater und Tochter ſich wiederſehen
ſollen: Zwei Gala⸗Wagen rollen, von Reitern begleitet, heran,
der neben dem Wagen des Prinzen reitende ſpaniſche Offizier
ruft: „La reina!“ und kurz darauf umarmen ſich die lange
getrennt Geweſenen. Prinzeſſin Amalie ſchreibt: „Die Freude
des Wiederſehens kann niemand beſchreiben.“ Die junge
Königin iſt, ſeit ſie ihr Heimatland verließ, noch gewachſen; ſie
hat ſich im Geſicht nicht verändert, ihre Stimme iſt aber eine
andere geworden, und Deutſch ſpricht ſie faſt gebrochen. Mit
ihr gekommen iſt nicht zwar der König — den hält die Gicht
im Eskurial zurück —, aber die Infanten und Infantinnen
haben ſich eingefunden. Die Prinzeſſin giebt in wenigen
Strichen das Signalement derſelben:
„Der Infant Don Carlos iſt weder auffallend häßlich, wie
man geſagt hatte, noch ſchön. Sein Außeres hat durchaus
nichts Auffallendes, und er trägt einen ſehr großen Schnurr⸗
bart. Das Geſicht feiner Frau (Francesca d'Aſſiſi, Prinzeſſin
von Portugal, geb. 1800) hat ſehr von Blattern gelitten. Die
ſchönſte dieſer Prinzeſſinnen iſt die Infantin M. Thereſa, Prin⸗
zeſſin von Beira, obgleich ſie ſehr braun iſt; ſie hat regelmäßige
Züge und einen außerordentlich ſanften Ausdruck. Don Fran⸗
cisco iſt dick geworden, was ihm übel läßt, ſeiner Frau (Luiſe,
Prinzeſſin von Sizilien) ſteht es gut; ſie iſt weit luſtiger, als
ſie in Neapel war. Donna Tereſa war ſchwarz gekleidet, die
anderen Infantinnen in ſehr ſchreienden Farben, mit Sternen
und Ordensbändern. Ihre Kleider ſchienen mir etwas antik
gemacht.“
Der König grüßt vom Fenſter herab, als der Zug ins
Eskurial fährt, wo zunächſt die Kirche beſucht wird. Man hat
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— 13 —
zur beſonderen Ehrenbezeigung die große Hauptthüre der Kirche
aufgethan, die nämliche, welche den Infanten nur einmal im
Leben und einmal nach dem Tode geöffnet wird. Die Prin-
zeſſin vergleicht dieſe Kirche an Schönheit und Großartigkeit mit
der Peterskirche Roms.
Über den nach dem Schluß des Tedeums von den Reiſen—
den begrüßten König ſagt ſie:
„Er gleicht keinem ſeiner Porträts vollkommen. Er iſt dick
und hat eine ganz auffallend hervorſtehende Unterlippe. Er iſt
ſehr lebhaft und hat dabei eine außerordentliche Gutmütigkeit.“
Als ſich die königliche Familie ſpäter einmal in der Schloß-
Apotheke wiegen läßt, ſtellt ſich heraus, daß der König der Ge—
wichtigſte von allen iſt — er wog 229 Pfund — Prinzeſſin
Amalie dagegen die Leichteſte — ihr fehlen noch zwei Pfund
am Zentner.
Zehnter Abſchnitt.
. Königin Joſepha.
eber die Art, wie Prinzeſſin Joſepha ſich in ihre ſchwie⸗
he Stellung als Königin von Spanien gefunden hat,
enthält das Tagebuch nichts Näheres, doch geben einige
der im Nachlaſſe der Prinzeſſin Amalie enthaltenen Briefſchaften
Anhaltpunkte für die Annahme, daß die bei ihrer Verheiratung
erſt 16 Jahre alt geweſene Prinzeſſin, ganz im Gegenſatz zu
ihrer Nachfolgerin, der Königin Chriſtine, in dem ihr frem⸗
den Kreiſe durch Anſpruchsloſigkeit und Fügſamkeit ſich die all⸗
gemeine Zuneigung zu erwerben wußte und daß ſie für das
Entbehren ihrer heimiſchen Angehörigen und der Heimat ſelbſt
Troſt und Erſatz fand in dem Bewußtſein, durch redliche Pflicht-
erfüllung den Ihrigen Beruhigung und Freude bereiten zu
können. So erwähnt denn auch ein an Prinzeſſin Amalie in
Madrid gerichteter Dresdner Brief der Prinzeſſin Auguſte aus
dem Jahre 1825, augenſcheinlich als Wiederholung der des⸗
fallſigen brieflichen Mitteilungen der in Madrid noch Ver⸗
weilenden „die glückliche häusliche Lage der Joſepha.“ Aller⸗
dings war König Ferdinand wohl kaum im Stande, durch
geiſtige oder körperliche Reize Intereſſe einzuflößen, weniger
wegen vorgerückter Jahre — er zählte, als er zum dritten Male
heiratete, erſt 35 — als ſeiner ganzen zwar gutartigen, aber
unbedeutend beanlagten Natur nach. Dagegen verkörperte ſich
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— 175 —
in ihm ein ſehr belangreiches Stück der ſpaniſchen Geſchichte;
er hatte viel Trauriges erlebt, war in den Händen bald dieſer,
bald jener Partei geweſen, galt den kirchlich Geſinnten für den
Hort ihres Glaubens, den nach Ruhe und Frieden Verlangen—
den für den Wiederherſteller alter guter Zeiten und konnte von
dieſer Seite wohl die innige Teilnahme einer jungen Lebens⸗
gefährtin erwecken, deren Kindheit von ehrfürchtigen Gefühlen
für die nämlichen Lebensgüter und Lebensziele erfüllt geweſen
war. So erklärt ſich's auch, daß die junge Gattin ihre Em-
pfindungen für ihn hin und wieder ſogar poetiſch einkleidete.
Hier ſind einige Strophen aus einem längeren Gedichte, das
ihr die Sorge um ſein Leben eingab, als er zur Unterdrückung
einer revolutionären Schild-Erhebung in die Provinz ziehen
mußte:
„Die Stunde naht, wir müſſen bald uns trennen,
Leb' wohl, mein teurer Ferdinand!
Um dich den Retter deines Volks zu nennen,
Bringſt du dies Opfer deinem Vaterland!
So eile denn und ſpende Heil und Segen,
Wo Haß und Mord die blut'ge Geißel ſchwingt,
Und Gott geleite dich auf deinen Wegen,
Damit dir ganz das blut'ge Werk gelingt.
Wenn auch mein Auge thränenſchwer ſich ſenket
Und banger Schmerz der Gattin Bruſt bedrückt,
So lebt ein Gott, der unſer Schickſal lenket,
Der uns erhebt und huldvoll auf uns blickt.
Zu dir, o Vater, ich mich bittend wende,
Und deine Huld fleh ich inbrünſtig an:
Schenk ihm die Kraft, daß er die Leiden ende
Und vorwärts ſchreite auf der hohen Herrſcherbahn!“
Und der Schluß lautet:
„Die ſchöne Zeit des goldnen Alters kehre wieder,
Beglückt ſei König, Volk und Vaterland!
Dein Auge, Vater, ſchaue gnädig auf uns alle nieder,
Und nur der Tod trenn' unſ'rer Liebe feſtes Band!“
EN.
So faßt die junge Gattin in ihrer Begeifterung für die
dem Könige obliegende Miſſion einen der vielen Waffengänge
auf, zu denen ihn der Streit über die alte Frage nötigte: Ob
Spanien ein Verfaſſungsſtaat werden dürfe oder nicht?
Und als der König nun fortgezogen iſt, ſchreibt ſie an ihre
Schweſter, Prinzeſſin Amalie: „Jetzt ſollteſt du erſt meinen
Anzug ſehen! Denn da ich keinem ſterblichen Menſchen zu ge-
fallen habe, ziehe ich einen „Schöps“ an, werfe mir ein Hals⸗
tüchel kreuzweiſe um, ſtecke es an, und wenn ich ausgehe, ſetze
den älteſten Schebas-Deckel auf — da haſt du auch inmitten
der Betrübnis etwas zu lachen.“
Ein andres Mal ſchreibt ſie:
„Wegen Promenaden bin ich zum Teil Deiner Meinung;
ich beſchäftige mich lieber zu Hauſe. Aber Theater, Tanzen
und andere dergleichen Narrenpoſſen, da iſt mir doch eine Pro⸗
menade lieber, beſonders in einem einſamen Orte mit ganz
bekannten Menſchen und ohne Etikette.“
Und wieder in bezug auf die damals gerade in Madrid
graſſierende „Scharadenwut“:
„Ich finde, man muß dergleichen Wüte in der Geſellſchaft
zu erhalten ſuchen, weil dadurch Ehrabſchneidung und andere
nachteilige Geſpräche verhindert werden.“
Daß die Prinzeſſin für das Wort Wut ſich hier einen
Plural zurecht macht, iſt nicht auf ihr anderweitig erwähntes
Verlernen ihrer Mutterſprache zurückzuführen. Zwiſchen den
Kindern des Prinzen Max hatten ſich brieflich allerlei launige
Ausdrücke eingebürgert, und vor allem Prinzeſſin Joſepha muß
in denſelben ein Mittel gefunden haben, um beim Korreſpon⸗
dieren mit den Ihrigen ſich aus ihrer ſpaniſchen Umgebung in
die liebe ferne Heimat und in ihre Kindheit zurück zu verſetzen.
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So ſchreibt ſie ſtatt Hals: Halſung, ſtatt Schnupfen: Schnupf⸗
ung, ſtatt ſie reiſte ab: ſie entdieh, ſtatt gereiſt: gediehen:
„Wir ſind von Toledo zurückgediehen,
Doch war es ein horribles Herumziehen,
Denn um nicht wie die Gans zurückzugehn,
Muß man alles Merkwürdige ſehn.“
Auch bleiben Hauptwörter oft gefliſſentlich weg; ſie ſchreibt
von „einem körperlichen“ („Eid“ bleibt weg), „einem horribeln“
(„Eindruck“ wird fortgelaſſen). Manche Wörter finden auch
abſichtlich in einer Bedeutung Verwendung, die ſie nicht haben.
„Liebſtes Ampſch! (Amalie). Edelmut für Edelmut. Du
ſchreibſt mir, ich ſchreibe dir ...“
Und wieder:
„Holdes Ampſch! Du biſt doch ſehr edel geworden. Wäh⸗
rend der Revolution hatten wir uns alle verunedelt, weil es ſo
gewiß dumm war, indem man doch nicht von dem reden konnte,
was einem auf dem Herzen lag.“
Die Revolution — beſonders ſind einige Auftritte aus dem
Anfang des Jahres 1824 gemeint — hat der jungen Königin
aber doch allzu grauenhafte Stunden bereitet, als daß ſie bei
deren Schilderung nicht auf die ihr ſonſt zur Gewohnheit ge—
wordene Schreibweiſe verzichten ſollte, ſelbſt ihre ſonſt übliche
Unterſchrift „Dein Kind“ ändert ſich in „Deine Dich liebende
Joſepha.“
„Von den Inſulten des 19. Februar erlaubt manches die
Schicklichkeit nicht zu erzählen,“ heißt es einmal mit bezug auf
jene Schreckenstage, und als ſpäter ihr Leben und das Leben
ihres Gatten durch den Kampf, den er gegen die Verfaſſungs—
partei führte, verwirkt ſchien, hat ſie gefürchtet, „ohne Hilfe der
Religion zum Blutgerüſt zu müſſen.“ In einem längeren
Briefe verſucht ſie dann, ſich über die mit ihr vorgegangenen
12
— 178 —
Veränderungen klar zu werden, wobei ſie unwillkürlich ihr
Thema nach Art der Kanzelredner zu gliedern ſucht.
„Sacedon, 18. Juli (1824).
Mir ſcheint, ich werde in dir das alte Ampſch, du aber in
mir nicht das alte Kind (wieder-) finden. Ich war immer etwas
abgeſchmackt, jetzt aber bin ich's vollends geworden ſeit der Re⸗
volution, und jetzt bin ich wieder etwas aufgelebt, aber die erſte
Zeit konnte ich mich auch gar nicht gewöhnen, wieder mit
Menſchen umzugehen und hatte ſo eine gewiſſe Leere in meinem
Innern, welche (wie) ich glaube von drei Urſachen herkommt:
1. daß ein großes, (wenn-) auch überſtandenes Leiden einem
anfangs eine gewiſſe Traurigkeit hinterläßt, weil das Gemüt
an dieſe gewöhnt (tft); 2. weil die durch große Leiden geſpannte
Einbildung nur mit Mühe in ihre natürliche Lage zurückkehrt;
3. weil man in glücklichen Umſtänden und (nach) Erlangung
deſſen, was man heftig wünſchte, deſto deutlicher die Nichtigkeit
irdiſcher Dinge erkennt, welches diesmal jedoch nicht dieſe Leere
hinterließ, wenn man dabei an den Triumph der Religion und
der gerechten Sache dachte, denn das gehört nicht zu dem
Irdiſchen.“
Sie fügt hinzu: Sie habe „von Jugend an eine über⸗
ſpannte Einbildung und nicht den heiterſten Charakter gehabt.“
„Du weißt, daß ich immer das Horribelſte von der Familie
war,“ ſchreibt ſie bald darauf, „obgleich mich viertehalb Jahre
der Leiden etwas gezähmt haben.“
Dieſe viertehalb Jahre der Leiden wird man vornehmlich
auf die politiſchen Angſte beziehen müſſen, von denen kaum ein
einziges Jahr ihrer Ehe frei geweſen war, daneben auf ihre
Sehnſucht nach den fernen Lieben, gewiß auch auf das Verſagt⸗
bleiben von Mutterfreuden, ein weſentlicher Dämpfer auf den
i
n
— 179 —
Saiten ihres ſonſt, wie es ſcheint, nicht gerade auf mehr als
auf herzlicher Freundſchaft beruhenden, aber wenigſtens von
Anfeindungen freien ehelichen Glücks.
Als aus ſolcher Stimmung hervorgegangen erklärt ſich auch
das alles romantiſchen Schmuckes entbehrende Bild, das ſie in
einem ihrer Briefe von dem Könige, ihrem Gatten, entwirft:
„Ich hoffe,“ ſchreibt ſie, „er wird dir gefallen, er iſt auch luſtig
(wie Du) und ſehr gut und natürlich, und ob er gleich ernſthaft
zu ſein weiß, wenn es nötig iſt, ſo unterhält er ſich doch auch
mit Kindereien, als Kiſten aufmachen, Sachen arrangieren. Jetzt
iſt er, Gott ſei Dank, ganz wohl.“
Daß er am Briefſchreiben kein Vergnügen fand, wird nicht
erwähnt, doch beweiſen es die in dem Nachlaß der Prinzeſſin
Amalie vorhandenen Briefe. Obſchon ſpaniſch geſchrieben, alſo
dem Schreiber keine übermäßige Anſtrengung zumutend, ſind
ſie doch nie länger als eine halbe Seite.
Bezeichnend für das anſpruchsloſe Weſen der jungen
Königin iſt ein kleiner Zug, der in einem wenige Monate vor
ihrem frühen Tode geſchriebenen Briefe zu Tage tritt. Der
König hat einen Lieblingshund, namens Regalado. Derſelbe iſt
krank geweſen, hat ſterben wollen, iſt aber doch nicht „krepiert“
und ſchläft nun in demſelben Zimmer, in welchem ſie und der
König ſchlafen. Ihren Widerwillen gegen dieſe Hundenachbar⸗
ſchaft einzugeſtehen, hat ſie nicht vermocht. Aber während der
Nacht überkommt derſelbe ſie ſo ſtark, daß ſie ſpäter darüber
ſchreibt: „Ich gab mich geheimer Verzweiflung preis und —
denke dir die Dummheit, ſage es aber niemandem — ich heulte!
— Und ich fürchte mich (doch) gar nicht, habe nur jo einen ge⸗
heimen Abſcheu.“
Der enge Zuſammenhang des ſpaniſchen Königtums mit
der katholiſchen Kirche und Geiſtlichkeit wird weiter unten noch
12*
— 10 —
mehrfach zu berühren ſein. Obſchon die Vorſchriften der Religion
bei der Erziehung der Kinder des Prinzen Max nicht als etwas
bloß Außerliches und Beiläufiges aufgefaßt worden waren, hat
Prinzeſſin Joſepha doch offenbar als Königin ſich noch tiefer
in die katholiſche Atmoſphäre des ſpaniſchen Hofs eingelebt, als
es den Gewohnheiten der Heimat entſprach, und ſo gelangt ſie
dahin, bei der Lektüre einzelner ihr von Prinzeſſin Amalie ein⸗
geſandter Manuffripte hier und da Einſpruch zu erheben.
„Ich wurde damit fertig,“ ſchreibt fie, „die „Eliſabeth“ den
Schnudis vorzuleſen (Spitzname für diejenigen ihrer Umgebung,
mit denen ſie dergleichen deutſche Lektüre vornehmen konnte).
Ich finde aber, daß darin ſo außerordentlich viel von dem
Schickſal die Rede iſt, daß es einen jammert; man hat nicht
mehr Hände genug, um auf die Bruſt zu ſchlagen. Manchmal
klingts, als ob es der blanke Atheiſt komponiert hätte.“
Übrigens verlangt ſie dennoch nach weiterer Lektüre.
„Mesru“ komme nächſtens an die Reihe, meldet ſie; auch bittet
ſie um die „Geiſtergeſchichte.“
Bei Anlaß einer ſpäteren kritiſchen Auslaſſung ſchließt ſie:
Prinzeſſin Amalie möge in ihren Komödien nicht die kleinſten
(moraliſchen) Fehler paſſieren laſſen, ohne daß darüber Strafe
verhängt werde oder daß dieſelben doch ordentlicher Tadel treffe.
Dies erinnert an die Strenge Don Pedros in Calderons
„Drei Vergeltungen in einer“ und iſt ſchon ſtark ſpaniſch.
Wie es die damaligen Zuſtände mit ſich brachten, wird denn
auch ein großer Teil ihrer Zeit durch kirchliche Pflichten in An⸗
ſpruch genommen.
„Hier in Aranjuez,“ ſchreibt ſie, „iſt gewöhnlich früh Beten,
heilige Meſſe, Frühſtücken, Friſieren, Promenade, Betrachtung
und andere Gebete, geiſtliche Leſung während der Friſur. Nach⸗
mittags Sticken, Promenade, Gebete (Betlichter), Leben des
se 1 Be PF * J *
— 11 —-
heiligen Ferdinand, Roſenkranz, abends Beten, Souper,
Schlafengehen.“
Was das Sticken betrifft, ſo bezieht ſich dasſelbe auf eine
Altardecke, deren Anfertigung öfter als „immer mehr vorſchrei—
tend“ erwähnt wird.
„Jetzt machen wir,“ heißt es ein anderes Mal, „die Novena
zum heiligen Pasqual, welche ſehr hübſch iſt; übrigens,“ fügt
ſie hinzu, indem ſie auf die unter den Geſchwiſtern gebräuchliche
ſinnverſchiebende Schreibweiſe zurückgreift, „übrigens iſt das
Leben etwas dumm.“
Auch der regelmäßige Briefſchluß: „Bete für mich und die
Intentionen,“ iſt ohne ſprachlichen Geheimſchlüſſel nicht wohl
verſtändlich, wennſchon einmal ein Zuſatz folgt, der zu der An⸗
nahme berechtigt, der Ausdruck Intentionen beziehe ſich auf die
Zurückführung Andersgläubiger in den Schoß der allein jelig-
machenden Kirche. Dieſer Zuſatz lautet, „beſonders für eine
gewiſſe Proteſtantin, welche, wie ich hoffe, ſich bekehren wird;
empfehle es auch anderen guten Seelen.“
Zum Schluſſe aus einem der letzten Briefe der jo früh Ver—
ſtorbenen eine Stelle, die in rührender Weiſe ihr Heimweh er—
kennen läßt:
„Ihr Glücklichen,“ ſo antwortet ſie am 22. April 1829 auf
die Meldung der Prinzeſſin Amalie, es werde wieder eine Reiſe
nach Florenz projektiert, wo die zwei Schweſtern, die verwit-
wete und die regierende Großherzogin, beſucht werden ſollten,
„Ihr Glücklichen hofft alſo Schweſtern zu ſehen! Ach, wann
werde ich einmal wieder eines von der Familie zu ſehen be—
kommen! Manchmal kommt mir es vor, als ob nie ...“
Drei Wochen, nachdem ſie dieſer trüben Ahnung Ausdruck
gegeben hatte, war die junge Königin nicht mehr unter den
— 182 —
Lebenden, und ſchon im letzten Monate desſelben Jahres ward
ihr in der Perſon Maria Chriſtinas eine Nachfolgerin gegeben.
So viel zum beſſeren Verſtändnis der Tagebuch-Notizen
Prinzeſſin Amaliens; auf einige dieſer, das Leben am ſpaniſchen
Hofe betreffenden Notizen kann nun weiter eingegangen werden.
Sie datieren bekanntlich aus dem Winter 1824/25.
Um 4 Uhr wird zu Tiſch gegangen und zwar nehmen auch
der kleine ſechsjährige Karlos, Sohn des Infanten Don Karlos
(des ſogenannten Prätendenten, geb. 1788, Bruders des Königs),
und ebenſo Donna Tereſas Sohn, der dreizehnjährige Sebaſtian,
an dem Mahle Teil. „Dasſelbe beginnt mit 4 bis 5 Suppen;
dann folgt geröſteter Reis mit geſchnittenem Schinken; darauf
das Cocido oder Olla potrida; dann Rindfleiſch mit Würſten,
Erbſen und verſchiedenen anderen Acceſſorien zuſammengekocht,
und endlich noch 6 bis 8 verſchiedene Gerichte, zum Teil auf
franzöſiſche Art zubereitet. Der Butterteig, z. B. der Fleiſch⸗
Paſteten, iſt immer mit Zucker verſüßt. Dieſe Speiſen werden
täglich aufgetragen. Jedes bietet von der Schüſſel, welche vor
ihm ſteht, den Übrigen an und legt davon auf Begehren vor,
fo daß die Mahlzeit ſchnell vorüber geht. — Tafelmuſik machen
Hautboiſten.“ |
Auffallend iſt der Prinzeſſin die Art, wie ſich die Mit-
glieder der königlichen Familie unter einander begrüßen. Sie
nennen einander bloß bei Namen, ohne irgend etwas hinzu zu
fügen. „Treten viele auf einmal ein, ſo klingt das wie eine
Litanei.“
An den folgenden Tagen ißt man ſchon um 2 Uhr und die
Prinzeſſin bemerkt, man könne bei dieſen Diners im tiefſten
Fee e
MM
— 183 —
Negligee erſcheinen, die Infantinnen zumeiſt in gewickelten
Haaren; auch warte niemand auf die übrigen, bediene ſich viel-
mehr ohne alle Umſtände.
Abends ißt man nicht in Geſellſchaft, ſondern beliebig auf
ſeinem Zimmer.
Die nächſten Tage, welche die Reiſenden im Eskurial ver—
leben, gelten dem Studium dieſer merkwürdigſten aller Re⸗
ſidenzen. Von dem Felſenſitze, welcher Philipp II. zum behag⸗
lichen Ausblicke auf die allmähliche Entwickelung des gigantiſchen
Bauwerks diente, der Silla de Felipe, wird die köſtliche Fernſicht
genoſſen. Sie reicht bis Madrid. Um die 40 Höfe des in der
Form eines Roſtes konſtruierten Geſamtbaues zu überſchauen,
wird die Kuppel der Eskurial-Kirche beſtiegen und die Reiſenden
empfangen den Eindruck, als ſehen ſie auf eine ganze Stadt
hinab, deren Nebengebäude wieder einen Flecken für ſich bilden,
während tiefer unten das eigentliche Dorf Eskurial liegt.
Intereſſe erregen auch die zahlreichen Werkſtätten in den Höfen
des Eskurials, da für das Kloſter, wie für die Bedürfniſſe der
übrigen Bewohner alles nötige in dieſen Werkſtätten gearbeitet
wird; dann die ausgedehnten Wirtſchaftsgebäude, die Mühle
u. A.; mehr noch in der großartigen Kirche deren 42 Altäre und
die Orgel, die wie ein ganzes Orcheſter ſo volltönig klingt und
dabei doch ſanft zum Herzen ſpricht; nicht minder die Klofter-
bibliotheken mit ihren wertvollen Manuffripten, die Sammlung
der verbotenen Bücher; in dem Aufbewahrungs-Saale der
koſtbaren Meßgewänder eine Holzfigur, welche den heiligen
Michael darſtellt und von der die Sage geht, die Verfertigerin
dieſes Kunſtwerks habe ihren Gatten als den vom Erzengel
bezwungenen Teufel dargeſtellt, ihre eigenen Geſichtszüge aber
in denen des heiligen Michael verewigt; endlich die Gruft der
Könige und die der Infanten, bei welcher letztern ſich ein Be—
— 184 —
hältnis befindet, beſtimmt, die Infanten⸗Leichen zu beherbergen,
bis dieſelben unter dem beſchleunigenden Einfluß von herab⸗
tropfendem Waſſer vollſtändig verweſt ſind. Hier werden auch
diejenigen vor ihren Gatten geſtorbenen Königinnen aufbewahrt,
welche Söhne haben, deren aber noch keiner zur Regierung ge-
langte. Geſchieht dies, ſo kommt die betreffende Königin gleich⸗
zeitig mit ihrem Gatten in das Pantheon; andernfalls findet
ſie ihre letzte Ruhe gleich den kinderloſen Königinnen in der
Infanten⸗Gruft.
Das Pantheon iſt eine ganz runde, mit Marmor aus⸗
gelegte Gruftkapelle, in deren Mitte ein Kronleuchter hängt.
Rings an den Wänden ſind Niſchen in verſchiedene Fächer ge—
teilt, in welchen Marmorſärge ſtehen. Zehn derſelben ſind noch
leer, „und es graute mich faſt,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „zu
ſehen, wie der König ſeinen eigenen Sarg betrachtete.“ — Neun
Jahre ſpäter nahm ihn derſelbe auf.
Es iſt übrigens im Eskurial auch für Zerſtreuungen ge⸗
ſorgt. Man hat Hofichaufpieler und ein hübſches kleines Theater,
auf deſſen Bühne ſehr luſtige Stücke geſpielt und ſo Bolero wie
Fandango getanzt werden.
Nach zehntägigem Verweilen im Eskurial werden die
Reiſenden in feierlichem Aufzuge nach Madrid geführt, wobei
unterwegs Räuber die letzten Hofwagen an paſſend entlegener
Ortlichkeit ausplündern. Der Empfang ſeitens der Madrider
Bevölkerung entbehrt nicht der ſüdlichen Lebhaftigkeit, wie manche
politiſche Erſchütterungen auch kaum halb überſtanden ſind und
wie endloſe Parteifehden die nächſte Zukunft auch noch in ihrem
Schoße birgt; und nicht nur die nächſte. Daß die Hauptſtadt
ſich noch unter fremder Vormundſchaft befindet, tritt beſonders
grell zu Tage, als am 14. Dezember, einen Tag nach der
Rückkehr der königlichen Familie in die Reſidenz, die Beſatzung
— 15 —
von Madrid unter dem Schloß - Balkon defiliert, auf welchem
die königliche Familie an der Seite der königlichen Gäſte dieſem
Schauſpiel zuſieht: Es ſind nicht bloß ſpaniſche, ſondern auch
franzöſiſche und Schweizer-Regimenter, welche vorüberziehen.
Von dieſem Balkon des hochgelegenen Schloſſes überblickt
man rechts das ganze Thal des Manzanares.
Das Quartier der Prinzeſſin Amalie iſt das von der ver⸗
ſtorbenen Königin Luiſe (Marie Luiſe von Parma, Mutter
Ferdinand VII.) einſt bewohnte. Seine Fenſter gehen auf einen
breiten Gang, der den ganzen Schloßhof umgiebt, ſo daß nur
wenig Licht in die Zimmer gelangt. Auch ſind die Fenſter nicht
nur mit eiſernen Stangen verſehen; der untere Teil der Fenſter
iſt noch nach Kloſterſitte mit Holz vergittert, eine dem Orient
entlehnte Abſperrungsart, welche die Prinzeſſin auf die Ver⸗
mutung bringt, auch in Spanien ſeien die alten Könige manch⸗
mal eiferſüchtig geweſen.
Unter den Sonderbarkeiten in der Zimmer-Einrichtung der
Königin Joſepha wird ein Kronleuchter in ihrem Schlafzimmer
erwähnt. Derſelbe iſt nicht nur Kronleuchter, ſondern auch
Spiel⸗Uhr, und eine Anzahl goldne Vögel, welche dem Kunſt—
werk als Zierrat dienen, beginnen zu ſingen, ſobald die Stunde
ſchlägt.
Die Wohnung des Königs iſt ziemlich einfach möbliert.
Eins der Zimmer jedoch ſchmücken fünf ſchöne Gemälde von
Raphael Mengs, darunter eine Kreuzabnahme. In einem
Kabinett hängt u. a. das Porträt des verſtorbenen Königs
Karl IV., der dem alten Könige von Neapel, ſeinem Bruder,
vollkommen gleicht. Daneben iſt jenes Balkonzimmer, zu welchem
hinauf bei der Revolution vom 19. Februar das Volk auf
Leitern zu gelangen verſuchte.
— 186 —
Wenn der König ausfährt, trägt er immer Uniform, und
alle Damen, ſelbſt die nicht mehr jungen, ſind in bloßen Haaren
und mit Blumen coiffirt. Hinter dem Wagen des Königs folgt
derjenige des Don Karlos mit ſeiner Familie; ſelbſt das jüngſte
Kind mit der Amme darf nicht fehlen. Hierauf Don Fran⸗
cisco mit ſeiner Frau und endlich Donna Tereſa mit ihrem
Sohne. Hofchargen und Hofdamen ſchließen den Zug, welchem
Wachen vorauf reiten. Der König empfängt auf der Schloß⸗
treppe eine Menge Bittſchriften und giebt genau Acht, daß er
keinen Bittſteller überſieht. Prinzeſſin Amalie hat dann das
Amt, ſie zuſammen zu legen.
Vierzig Kapläne bedienen die Schloßkapellen. Geiſtliche
ſind auch vorzugsweiſe die bei den Hofkonzerten fungierenden
Sänger, doch ſind ſie meiſtens ſchon ältlich und haben wenig
Stimme. „Der beſte Sänger iſt ein Geiſtlicher, Domingo
Andres, der durch einen hohen Grad von Kunſt erſetzt, was er
durch das Alter an Stimme verloren hat; ein anderer, Alvarez,
ſingt durch die Fiſtel die Sopranpartien; Lopez, ein Weltlicher,
ſingt das Buffo mit wenig Stimme ſehr hübſch; der alte
Torelles kann, obgleich ein guter Muſiker, ohne Zähne nur
wenig leiſten.“ Die Inſtrumentalkapelle wird von der Prin⸗
zeſſin gelobt, inſonderheit der Geiger Rosquellas und der
Waldhorniſt Trotta. |
Unter den Hofbedienfteten find die ſogenannten Duenas
zu erwähnen, „eine Art von weiblichen Kammerherren, die in
der Antichambre der Königin ſitzen und die Beſuche anſagen.
Da ſie vorzugsweiſe mit Männern verkehren müſſen, hatte man
ſie von auffallender Häßlichkeit ausgewählt.“
Elfter Abſchnitt.
Weiteres über Spanien.
N, damalige Madrid bezeichnet das Tagebuch als groß,
ſchön und freundlich. Es hat wenig große Paläſte,
keine merkwürdigen Kirchen, aber dafür auch wenig
ärmliche Häuſer. Die Stadt liegt auf einer Höhe und zeichnet
ſich beſonders durch ihre vielen blauen Kirchenkuppeln aus.
Die Fenſter haben eiſerne Balluſtraden, ebenſo die Glasthüren.
Die Umgegend entbehrt des landſchaftlichen Reizes, vor allem
im Winter.
Wie in Neapel, bringt es die geſellſchaftliche Sitte nicht
mit ſich, daß ſich die Herren den Damen förmlich präſen⸗
tieren laſſen. Die Prinzeſſin lernt daher die Namen nur weniger
Perſonen des Hofkreiſes kennen.
In den Kirchen Spaniens fehlen im allgemeinen ſo Bänke
wie Sitze, ſo daß man zumeiſt ſteht. „Knieet der Hof, ſo muß
alles knieen oder, wie die meiſten Frauenzimmer thun, auf den
eignen Füßen ſitzen.“ Nur die Königin hat an ihrem Betſtuhl
eine Bruſtlehne, auf welche ſie die Arme legt. „Wir anderen
knieen ganz frei.“ Noch einige, den Fremden auffallende
ſpaniſche Abſonderlichkeiten mögen hier aus dem Tagebuche an—
geführt werden. So finden ſich in dem ſchönſten Frauenkloſter,
das die Prinzeſſin je irgendwo geſehen hat — es iſt ein Sale—
ſianerinnenkloſter — weder Kamine, noch auch nur Kohlen⸗
becken, ſo daß bei eintretender Kälte die Nonnen ohne allen
— 18 —
Schutz gegen dieſelbe find. Madrid hat aber kalte Winter, und
erſt am 4. April weiß das Tagebuch von einigen grünen Bäu⸗
men zu melden. Wenige Tage zuvor hat es in S. Ildefonſo
noch ſo ſtark geſchneit, daß Schneeſchaufler die Wege frei machen
mußten. Bei den Barfüßerinnen giebt es im ganzen Kloſter
nur eine zum Sitzen Berechtigte: die Oberin; alle Nonnen
kauern auf dem Eſtrich. In einem Damenſtift, welches die
Prinzeſſin in Toledo beſucht, ſieht ſie ein Fräulein, welches von
ihrem 7. bis zu ihrem 70. Jahre das Haus nicht verlaſſen hat,
und erfährt, daß alle in dem Stift Weilenden ſich bei Strafe
der Ausſtoßung dieſelbe Enthaltſamkeit auferlegen. Dabei hat
das Stift nicht einmal einen Garten, ſondern nur eine ver⸗
gitterte Blumenterraſſe. Nur wenn der König nach Toledo
kommt, dürfen dieſe Eingeſperrten — vermutlich um ihn zu
ſehen — ins Freie. Bei alledem geht es ihnen gut. Das
Stift liegt hoch und luftig, und da alles gratis gegeben wird,
jo ſteht es nie leer. — Die Weihe des Biſchofs von Urgel ge-
ſchieht, während die Reiſenden in Madrid weilen, unter Mit⸗
wirkung eines ſechsjährigen Knaben, des kleinen Infanten
Karlos, der als Pate des Biſchofs fungiert. — Bei der Über⸗
reichung des Kardinalshutes an den Erzbiſchof von Toledo,
welche im Auftrage des Papſtes durch den König erfolgt, hat
ein ſpaniſcher Geiſtlicher eine ſehr lange lateiniſche Schrift ab⸗
zuleſen und, „nach Anſicht der Gelehrten,“ entledigt er ſich
dieſes Geſchäfts in ſo wunderlich klingender Mundart, daß
der Ernſt der feierlichen Handlung darunter erheblich leidet.
„Wir alle,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „kämpften mit dem Lachen,
bis endlich Monſignore vor dem Altare losbrach, welchem wir
dann alle nachfolgten.“ — An ihrem Geburtstage überreicht
die Königin bei der Opferung während der Frühmeſſe dem
Geiſtlichen einen Teller mit Geld. Am heiligen Dreikönigs⸗
N
*
r
— 19 —
tage opfert ſeinerſeits der König drei goldne Kelche. „Diele
Opferung,“ merkt die Prinzeſſin an, „iſt indeſſen bloße Bere-
monie, denn die Kelche ſind jährlich dieſelben.“ — Bei den für
den verſtorbenen König Karl IV. gehaltenen Exequien fehlt der
König und überhaupt der Hof, indem es für unſchicklich gilt,
den Exequien eines Vaters, Gemahls oder Bruders beizuwoh—
nen. Für ſehr ſchicklich gilt es hingegen, bei Gelegenheiten, wo
man in Deutſchland etwa einen Blumenſtrauß ſenden würde
— alſo bei Geburtstags- Gratulationen ꝛc. — Eßwaren zu
ſchicken. „So bekamen wir oft Käſe, Zuckerwaren, Fiſche,“
ſchreibt die Prinzeſſin. Die alte Herzogin von Benevento ſchickt
ihr ſogar eine Schüſſel mit Karviol in Butter.
„Es ſcheint ſpaniſcher Geſchmack zu ſein,“ bemerkt die
Prinzeſſin bei einer andern Gelegenheit, „die Armut mit dem
Luxus in Kontraſt zu ſtellen,“ und ſie beſchreibt ein eben da⸗
mals fertig gewordenes Häuschen, la Caſa del Pobre, wodurch
man dem Garten des Luſtſchloſſes Retiro neuen Reiz zu geben
geglaubt hat. „Es iſt mit Baumrinde belegt, vorn daran ein
ärmlicher Stall, in welchem, täuſchend nachgeahmt, eine Eſelin
mit ihrem Eſelchen und ein Mutterſchwein mit ihren Jungen
liegt. In dem Häuschen ſelbſt iſt ein dürftig eingerichtetes
Stübchen. Eine alte Frau ſitzt ihrem einfältigen Sohne gegen—
über und ſpinnt. Ihr kranker Mann liegt daneben am Boden
auf einem Bette. Sowie man eintritt, ſteht die Frau auf und
macht ein Kompliment, und der Kranke richtet ſich in ſeinem
Bette empor, was wirklich zum Erſchrecken iſt. Links ſteht ein
Soldat bei einem Schranke Wache, in welchem man, wenn man
ihn öffnet, einen kleinen Mohren in reicher Tracht ſich über eine
Stange ſchwingen ſieht. Hat man die elende zerbrochene Treppe
erſtiegen, ſo kommt man in zwei niedliche, höchſt elegant ein—
gerichtete Kabinette.“
— 190 —
Hat man hier Krankheit und Armut zur Augenweide ge⸗
macht, ſo wird bei der Speiſung von neun armen alten Weibern
am Vorabend des Palmſonntags und ebenſo bei der Grün⸗
donnerstags⸗Speiſung und Fußwaſchung von zwölf alten Män⸗
nern ein Luxus entwickelt, der einer kaum geringeren Gefühls⸗
verirrung entſpringt. Dort iſt die Königin die Spendende, hier
ſpendet der König. Der Marmorſaal des Schloſſes iſt voll
Zuſchauer, für die königliche Familie und deren hohe Gäſte iſt
eine Tribüne erbaut. Vorauf geht bei der erſteren Feierlichkeit
eine Händewaſchung, wobei die Königin mit zugreift. Nachdem
dann das bezügliche Evangelium geleſen worden, ſetzen ſich die
neun armen Weiber an eine Tafel. Jetzt bringen die Cama⸗
riſtinnen Speiſen; die Hofdamen nehmen ſie ihnen ab und
überreichen ſie der Königin; dieſe ſetzt ſie auf die Tafel, über⸗
giebt ſie aber gleich darauf der Camarera mayor, die ſie
wiederum einem Kammerdiener zuſtellt, der ſie in einen Korb
ſetzt, um jedem der Weiber einen ſolchen gefüllten Korb ins
Haus zu ſchicken. Jedes derſelben erhält ſolcher Art dreißig
Gerichte, fünfzehn aus der Küche, fünfzehn aus der Kon⸗
ditorei.
Gänz ähnlich geht es bei der Speiſung der zwölf Greiſe zu
und beide Male werden ſchließlich auch noch Stücke Tuch ver⸗
abreicht. Nur ſcheint bei der Männerſpeiſung der Zutritt ein
minder beſchränkter zu ſein, ſo daß, wie die Prinzeſſin ſchreibt,
„der Lärmen ungeheuer war. Umſonſt ſchlug der Patriarch,
Stillſchweigen gebietend, in die Hände, umſonſt rief der König
ſelbſt: „Callad!“ unter die Menge — man glaubte, das Meer
toben zu hören.“
Im Gegenſatz zu jener Sitte, wobei die beteiligten Haupt⸗
perſonen ſich zu Tiſche ſetzen und überreichlich bedient werden,
um doch ungeſättigt wieder aufzuſtehen, paſſiert das letztere
8
zu
eee ee
— 191 —
während der Krankheit, welche den König eine Zeitlang zu
ausnahmsweiſer Diät verurteilt, den Nebenperſonen: Der König
1 ſpeiſt allein, aber die ganze königliche Tiſchgeſellſchaft bildet die
Zuſchauerſchaft; eine halbe Stunde ſpäter kommt auch für ſie
dann die Sättigungszeit.
Und wieder, wenn jener Lärm in Gegenwart des noch
überdies leidenden Königs auf geringen Reſpekt vor ſeiner durch
die Wechſelfälle der Zeit freilich vielfach bloßgeſtellten Perſon
ſchließen läßt, ſo wird derſelben bei anderen Gelegenheiten eine
faſt aſiatiſche Verehrung erwieſen. „Was mir in Spanien auf-
fiel,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „iſt, daß nicht allein die Menſchen
vor dem Könige knieen, ſondern auf dieſe Zeremonie ſind ſogar
die Zugochſen abgerichtet und beugen die Kniee, ſobald er vor—
übergeht. So er aber im Frack gekleidet iſt und die Königin
die Mantille trägt, bewegen ſich beide unter der Menge wie
Privatleute.“
Bei dem Feſte der Ordensritter Karls III. — in welche
Gemeinſchaft Prinz Max und vier andere Herren eines Tages
feierlich aufgenommen werden — giebt es Gelegenheit, noch ein
anderes Gruß⸗Zeremoniell zu beobachten: Die weltlichen Ritter,
lauter ältliche Herren, machen der Königin und den Prinzeſſinnen
ein altkaſtilianiſches „Damen-Kompliment“ — „manche dieſer
Komplimente fielen ſehr drollig aus“ — und dieſe Komplimente
werden nicht erwidert; hinwieder grüßt der den Zug der Ritter
beſchließende König nicht, wird aber dafür durch eine Verbeug—
ung von den Damen begrüßt. Die Koſtüme ſind überaus
prächtig. Die Großkreuze tragen einen langen blauſamtenen,
mit Silberſternen beſäten Mantel, einen blauen Hut mit weißer
Feder, ein bläulich weißes taftenes Unterkleid, einen weißen
gefalteten Kragen, weißſeidene Strümpfe und Schuhe. Ahnlich,
aber minder reich iſt das Ritterkoſtüm, und ihr Hut iſt weiß,
— 192 —
ihre Feder blau. Der König als Großmeiſter trägt das präch⸗
tigſte Koſtüm. Die Geiſtlichen machen jenes Damen-Kompli⸗
ment nicht mit, tragen auch kein Ordenskleid, nur das Ordens⸗
band. Das abzulegende Gelübde verpflichtet zum Leben und
Sterben in der katholiſchen Religion und zur Verteidigung
der (damals noch nicht zum Dogma erhobenen) unbefleckten
Empfängnis.
Hier mag auch jener ſonderbaren Zeremonie Erwähnung
geſchehen, die mit dem Privilegium, eine Höflichkeit zu verſagen,
zuſammenhängt. Zwei Herren ſind zu Granden erklärt worden,
der eine infolge feines Aufrückens zu dem Oberhaupte ſeiner
Familienſippe, der andere, ein Ordensgeneral, durch Ernenn⸗
ung. Die Königin ſitzt in größtem Putz auf einem Lehnſtuhl,
umgeben von ihren Hofdamen und den Granden. Die beiden
neuen Granden werden ihr nacheinander vorgeführt, knieen und
halten eine kurze Anrede, worauf die Königin mit den Worten:
Cubridos (bedeckt euch) ihnen die Erlaubnis giebt, in Gegen⸗
wart der Majeſtäten von nun an, gleich den übrigen Granden,
das Haupt nicht zu entblößen.
In Übereinſtimmung mit dieſer Ausnahmeſtellung der
ſpaniſchen Granden — ſie reden einander mit Du an — wer⸗
den einzig aus den Reihen ihrer Gattinnen die ſpaniſchen Hof⸗
damen gewählt, wohingegen die eine Stufe tiefer ſtehenden
Camariſtas („ein Mittelding zwiſchen Hofdame und Kammer⸗
dienerin an deutſchen Höfen“) Töchter von Adeligen, aber nicht
von Granden ſind.
Die Wagen der letzteren behalten noch immer die altüber⸗
lieferte Form, wie ſie in manchen Ländern den königlichen Gala⸗
wagen noch eigen iſt. Sie ſind aber nichts weniger als prächtig
und dafür ſehr ſchwerfällig. Vor allem zeigen ſie ſich im Prado.
Hier iſt es, wie der Prinzeſſin berichtet wird, wo die ſchöne
— 193 —
Welt namentlich auch Liebesanknüpfungen macht. „Da die
Mädchen in Madrid nicht anders zum Vorſchein kommen, als
in der Kirche oder auf dem Prado im Wagen ihrer Eltern, ſo
gehen heiratsluſtige Männer auf dieſe Promenade, ſehen in die
Wagen, verlieben ſich, ziehen den Hut vor den Mädchen ab
und wiederholen den nächſten Tag dasſelbe Manöver, bis ſie
zu bemerken glauben, daß ſie genehm ſind. Dann treten ſie
mit dem Antrage vor, ohne noch mit der Erwählten ein Wort
geſprochen zu haben. Das Organ der Mädchen, um ihren
Liebhabern zu antworten, iſt der Fächer, den eine Madriderin
immer in der Hand führt, und deſſen Bewegungen für den Ein-
* geweihten alles nur Mögliche ausdrücken: Gewogenheit, Zorn,
Eiferſucht ice. Man erzählte mir, daß auf dieſe Weiſe Brouil—
kerien und Verſöhnungen vor ſich gingen, und daß auch in der
Kirche dieſe telegraphiſche Konverſation nichts Seltenes iſt. In
ſehr großer Bewegung habe ich die Fächer dort freilich oft ge—
ſehen.“
Die Poſt wird übrigens auch als Vermittlerin von Liebes-
händeln nicht verſchmäht. Sie muß vor allem viele anonyme
Briefe befördern, und der Dreikönigstag giebt dieſer Sitte
eine gewiſſe Weihe. An dieſem Tage iſt es Brauch, in den
geſelligen Zirkeln Namen beiderlei Geſchlechts auf Zettel zu
ſchreiben, gereimte Liebeserklärungen ſeitens der Herren und
Antworten ſeitens der Damen dazu zu legen und nun die Namen
paarweiſe hervor zu ziehen (was man tirar en estucho nennt),
ſo daß der Zufall fügt, wer anhält und um wen angehalten
wird, und ebenſo wie Antrag und Antwort lauten. Die Prin⸗
zeſſin, deren Name mit dem des Kaiſers von Rußland heraus-
kam, erhält quasi von „einem royaliftiichen Volontär“ infolge
deſſen einen anonymen Brief, und ebenſo erhalten faſt alle
Perſonen der Suite des Prinzen Max und der Prinzeſſin
13
anonyme Briefe, „die nicht eben mit Komplimenten gefüllt
ſind.“
Über die Bildung der beſſer geſtellten Geſellſchaft enthält
die Prinzeſſin ſich eines Urteils; nur einmal läßt ſie erraten,
daß die Anſprüche nicht allzu hoch geſtellt werden dürfen, indem
ſie die Marquiſe Ceralbo, deren Familie in Ungnade gefallen
iſt, als eine liebe alte Dame auszeichnet, die eine feinere Bild⸗
ung beſitze, als die gewöhnlichen ſpaniſchen, bei Hofe erſcheinen⸗
den Damen.
Charakteriſtiſch für das Durcheinander von altertümlichen
Prärogativen und modernen Bedürfniſſen iſt der Geſchmack des
Adels an Überſetzungen franzöſiſcher Melodramen, welche das
Abend⸗Repertoire des Theaters de la Cruz bietet, während die
von Handwerkern beſuchten 5 Uhr-Vorſtellungen ſich auf Cal⸗
deron ſtützen.
Volkstümlichen Urſprungs und alten Datums ſind ſolcher
Art auch zweifellos die mancherlei poſſenhaften Elemente, welche
einigen kirchlichen Prozeſſionen beigemiſcht ſind und von denen
noch weiter die Rede ſein wird.
Von der in höheren Kreiſen herrſchenden Liebhaberei für
abſonderliche Kontraſte geſchah bereits bei Gelegenheit der Caſa
del Pobre Erwähnung. Ahnliche Spielereien findet die Prin⸗
zeſſin in den Gärten ſo ziemlich aller von ihr beſuchten Luſt⸗
ſchlöſſer, und auch in den ſonſtigen vornehmeren Gärten ſtößt
ſie auf verwandtes; ſo bei der Herzogin von Benevento und bei
dem Herzog von Infantado. Der erſteren gehört die Beſitzung
Alamada, die ſie mit ſehr großen Koſten ganz nach eigner Grille
einrichtete. In dem ausgedehnten Garten giebt es u. a. einen
Teich mit einer Cypreſſen-Inſel, auf welcher ein Sarkophag
ſteht. Dieſer iſt während des Krieges zu Anfang dieſes Jahr⸗
hunderts aus dem Begräbnisplatze in Gibraltar geraubt worden
— 1% —
und gehörte zu einer engliſchen Familiengruft. Man fährt auf
dem Teiche weiter und gelangt an einen, von einer Duodez—
Batterie beſchützten Miniaturhafen. Hinter dieſem iſt ein Sol-
datenpavillon. Tief im Gebüſch verſteckt liegt eine Einſiedelei.
In einer Zelle derſelben ruht auf einer Matte ein junger Eremit,
zu ſeinen Füßen ein Hund. Auf der Bank daneben ein halb
zerriſſenes Buch über die — Rechtskunde. In einer Kapelle
hinter der Zelle ſitzt ein Greis und treibt ebenfalls juriſtiſche
Studien. Neben der Einſiedelei ſieht man ein bemooftes Grab,
deſſen Inſchrift beſagt, daß der Bruder Arſen nach den Stürmen
des Lebens hier die Ruhe ſeines Herzens gefunden habe. Wie
ihm dies gerade auf dem Wege juriſtiſcher Studien gelungen ift,
wird nicht weiter erläutert. — In demſelben Garten ſieht man
auch eine Caſa del Pobre, worin die Armut einer ganzen
Familie möglichſt naturgetreu zur Schau geſtellt iſt, um gleich
daneben durch die Annehmlichkeiten des Reichtums kontraſtirt zu
werden: Einen eleganten Salon, ein Karuſſel, eine Schaukel,
eine Voliere mit dreißig der ſchönſten Pfauen ce. In dem
Garten des Herzogs von Infantado herrſcht der nämliche Un—
geſchmack, ſogar die Einſiedelei und die Armenhütte ſind wieder
da, ſo daß man annehmen muß, die Anlage dieſer Gärten habe
ſich aller Abweichungen von der Regel zu enthalten. Zu dieſer
gehören unter anderem noch eine „wegen ihrer Natürlichkeit
wirklich ſchauerliche“ Automatengruppe — eine Bäuerin und
ihr Sohn in dem Garten des Luſtſchloſſes Moneloa — dann
in dem Garten der Caſa de la Reina das Haus eines Soldaten;
und ſo noch ein paar ähnliche Kunſterzeugniſſe, die auf Er—
ſchrecken des Uneingeweihten berechnet ſind.
Dahin möchte auch eine Veranſtaltung in Aranjuez zu
rechnen ſein, auf welche die Prinzeſſin humoriſtiſch nur mit
einem Gedankenſtrich hindeutet. In der ſehr ſchmucken und
13 *
— 196 —
luxuriöſen Caſa del Labrador — deren Titel wieder eine Attrappe
fein zu ſollen ſcheint, denn Arbeiter- Automaten fehlen hier, das
Haus iſt ein kleines Schatzkäſtlein — hat man einen Salon mit
vier Kaminen ausgeſtattet. Einer derſelben iſt heizbar; „die
andern drei laſſen ſich wie Schränke öffnen und man findet
darin einen Betſtuhl, einen Schreibtiſch und —.“ Derſelbe un⸗
ausſprechliche Gegenſtand bildet, wie es ſcheint, in einem
Theaterſtück, welches die Prinzeſſin aufführen ſieht, die ſtark
belachte Pointe; vielleicht Anklänge an Molières Malade ima-
ginaire oder die Quelle desſelben. Über die Schauſpielkunſt
der Spanier findet ſich in dem Tagebuche mehrmals die Be⸗
merkung, ſie ähnle mehr der deutſchen als der franzöſiſchen. Im
ganzen macht das Theater auf die Prinzeſſin den Eindruck, als
habe es die ihm einſt ſo reichlich zu Teil gewordene Gunſt der
Spanier verloren; jedenfalls gehört es nicht zu den faſt täg⸗
lichen Unentbehrlichkeiten des Hofs, wie dies in Florenz der
Fall war, wo faſt Abend für Abend während einem oder einem
paar Akten im Theater verweilt wurde, obſchon man faſt immer
die nämlichen Opern und Ballette gab. Solcher Art wird
ſeitens der Prinzeſſin auch nur über wenige Stücke Buch geführt.
Darunter im Eskurial „ein ſehr luſtiges Stück“ Sordo por
Convenieneia, dem nach Fandango- und Bolero-Intermezzo
„ein drolliges Nachſpiel,“ la Estatua, folgt. Im Madrider
Theater de la Cruz „ein auf Joſephas Geburtstag verfaßtes
Gelegenheitsſtück la Ninfa de Sajonia, in welchem zuletzt gräß⸗
liche Porträts der königlichen Familie zum Vorſchein kamen.
Hierauf folgte ein Drama aus der engliſchen Geſchichte: Dios
proteje à los Reyes. Dann Bolero und Fandango und zum
Schluß: Las astucias estudiantinas, ein echt ſpaniſches Sainete
oder Nachſpiel, unſinnig und wie ich glaube, meiſt extemporiert.“
In Valenzia endlich „El Duque de Sajonia, die Geſchichte
pe
2 ” a a
— 197 —
Kaiſer Karls und der Kurfürſten Johann Friedrich und Moritz.
Johann Friedrich war der Held des Stückes und hatte mit
ſeiner Gemahlin eine altſpaniſche Eiferſuchtsſzene. Moritz war
der Böſewicht, faſt eine Art von Meuchelmörder.“ Man hatte
gewiß den ſächſiſchen Herrſchaften eine rechte Freude bereiten
wollen und war nur in bezug auf die Erneſtiniſche und Alber-
tiniſche Linie mit ſeinem Weihrauch an einen falſchen Altar ge-
raten.
Über die kirchlichen Feſte und Gebräuche iſt noch einiges
nachzutragen. Am Weihnachtsabend, deſſen häuslichen Feſt⸗
charakter Spanien nicht kennt, iſt auf der Plaza mayor Chriſt⸗
markt. Man verkauft Süßigkeiten aus Andaluſien, in Schach-
teln Kirſchen, „ungeheure Tambourins mit gräßlichen Porträts
des Königs, rotbemalte an Stangen befeſtigte Schweinsblaſen,
über welche Saiten geſpannt ſind, um ihnen mittels eines kleinen
Bogens fürchterliche Töne zu entlocken.“ Um 9 Uhr abends
beginnt die Mette und iſt erſt nach / 2 Uhr morgens zu Ende.
Jenen Jahrmarktsgenüſſen entſprechend hat man, ſo ſcheint es,
die Wirkung der ſogenannten Weihnachts-Villancicos aufzu⸗
faſſen, „ſpaniſche Volkslieder, die zum Teil hundert Jahre alt
ſind. Die Muſik iſt meiſt angenehm und originell, aber die
Worte ſind oft unſinnig und nach unſern deutſchen Begriffen
für den Gegenſtand unpaſſend.“ — Das Dreikönigsfeſt wird
„gleichſam als Namenstag aller Könige gefeiert.“ — Der
Opferung von drei goldnen Kelchen ſeitens des Königs geſchah
ſchon Erwähnung. Der letztere überreicht ſie dem Patriarchen
knieend. — Das Feſt des heiligen Antonius bringt großes
Leben in das ärmlichere Stadtviertel Madrids. Dort liegt die
Kirche des Schutzpatrons der Haustiere. Durch ein Kirchen⸗
fenſter wird den ganzen Tag Segen und geweihter Hafer aus⸗
geteilt. Kühe, Schafe, Eſel, Maultiere, alle mit Blumen oder
— 18 —
bunten Quaſten geſchmückt, werden vorbeigetrieben. Dazu ver⸗
kaufen die Bäcker panecillos de S. Antonio. Die am Palm⸗
ſonntag verwendeten Palmzweige ſind ſehr lang und überdies
noch an Stöcke befeſtigt. Die für die königliche Familie be-
ſtimmten ſind mit Florblumen geſchmückt und ſehen wie
Bäumchen aus. Sie bleiben während der ganzen ſtillen Woche
auf dem Schloßbalkon ausgeſtellt. Am ſogenannten krummen
Mittwoch (krumm, weil die Richter Jeſu das Recht krümmten)
werden in den Kirchen bei dem letzten Miſerere allmählich
die Lichter ausgelöſcht, ſo daß alles ganz finſter bleibt. Am
Gründonnerſtag iſt wie in Rom fo auch in Madrid das Hoch⸗
würdige in allen Kirchen ausgeſetzt. „Eine große Menſchen⸗
maſſe wogte auf den Gaſſen, wo Waſſer zum Verkaufe aus⸗
geboten wurde und kleine Jungen mit Ratſchen ſchnurrend
umherliefen.“ Dies erinnert an die Ratſchen, Knarren und
Klöppeln, mit denen früher in vielen katholiſchen Ortſchaften die
Schulknaben ſich an der Kirche verſammelten, um damit lärmend
die Straßen zu durchziehen; in einigen Gegenden Böhmens
und der Schweiz beſchloſſen oder beſchließen heute noch auch
die Kirchendiener die Mittwochs-, Gründonnerstags- und Kar⸗
freitags-Gebete mit ähnlichem Lärm, der an das Gepolter der
Kriegsknechte bei Jeſu Gefangennahme gemahnen ſoll und jenen
Metten den Namen Pumper- oder Rumpelmetten eingetragen
hat; vielerwärts ließen auch die Kirchenbeſucher ſelbſt es an
lärmendem Umherſtoßen von Stühlen und Bänken nicht fehlen.
In dem Tagebuche aus Spanien iſt nichts darüber zu finden.
Dort iſt in den Kirchen Ernſt und Würde vorwiegend. Die
dritte Lamentation am Karfreitag wurde mit Waldhorn⸗
begleitung geſungen. „Man kann kaum etwas Vollendeteres
hören,“ ſchreibt die Prinzeſſin. Und ähnlich urteilt ſie über faſt
alle ſpaniſche Kirchenmuſik. Den Eindruck der im Eskurial
— 199 —
gehörten Litanei ſtellt ſie bedeutend über den, welchen in Rom
das Sixtiniſche Miſerere auf ſie hervorbrachte.
Am Gründonnerstag ſitzen bei den Armenbüchſen Damen,
welche ſich ſtundenweiſe ablöſen. Am Sonnabend vor Oſtern
iſt nachmittags kein Gottesdienſt. Schon um ½ 12 wird beim
Gloria wie in Rom der Vorhang von den in Erwartung der
Auferſtehung verhüllten Bilder weggezogen. Voraus ging die
Feuerweihe und eine ganz eigenartige Hymne von Trillern,
die ſogenannte Angelica. — In der Kirche de la Soledad
werden am 3. Oſtertag an dem glänzend beleuchteten Hoch—
altar die Kerzen während des vierzigſtündigen Gebets von ſechs
einander ablöſenden Männern gehalten. Auch Prinz Max be-
teiligt ſich dabei. Die Prinzeſſin hört während deſſen eine
Predigt, deren Thema die Ermordung Marats durch Charlotte
Corday iſt, nicht gar ſo verwunderlich, da die ſpaniſchen
Marats ohne Zweifel nach dem Wunſch des Redners jenes
Ende mit Schrecken ſich zur Warnung dienen laſſen ſollen.
Die nahe Beziehung der königlichen Familie zu allen kirch—
lichen Handlungen tritt unter anderm auch bei einem Herkommen
zu Tage, das die Prinzeſſin am erſten Oſtertage kennen lernt.
Sie empfängt nämlich gleich den übrigen Familienmitgliedern
von dem Könige eine Kerze zugeſandt. Dieſe Kerzen hat er
am Tage Lichtmeß von der Prieſterſchaft erhalten; er hat ſie
darauf dem Kloſter von Pardo verehrt, woſelbſt ſie dann am
heiligen Grabe gebrannt haben und endlich an ihn zurückgelangt
ſind, damit er ſie unter die königliche Familie verteile. — Nicht
minder bezeichnend für den auch äußerlich immer augenfällig
erhaltenen Zuſammenhang von Kirche und Königtum in Spanien
iſt es, daß der König häufig, z. B. bei der Meſſe im Dom zu
Aranjuez, ſeinen Platz im Chor der Domherren hat und nicht,
gleich den übrigen, die königliche Tribüne benützt. Beiläufig
— 200 —
bemerkt, begleiten in dieſem Dom während des Segens ſechs
Fagottiſten, in der Nähe des Altars ſtehend, den Geſang.
Um mit dem muſikaliſchen Teile abzuſchließen, ſei hier er⸗
wähnt, daß in Toledo die Domherren dem Könige ein kleines
Konzert geben, wobei ſie „recht hübſche royaliſtiſche Lieder ſingen,
nachdem zuvor das Orcheſter über Erwarten gut die Tankred⸗
Ouverture geſpielt hat.“ Was die Muſikliebhaberei des Königs
betrifft, ſo iſt ihm nur heitre Muſik willkommen, und er ſetzt
dadurch den Konzertmeiſter oft in Verlegenheit. „Als einſt ein
komiſches Muſikſtück mit einer nota ferma anfing, rief er ſchon
entſetzt hombres! weil er dachte, es beginne ein Adagio. Das⸗
ſelbe geſchah, als einſt mein Stabat mater aufgeführt wurde,
und ich mußte ihn daran erinnern, daß ein Stabat mater doch
unmöglich luſtig ſein könne.“ Bei alledem hört er gern Muſik,
weshalb auch während ſeiner Krankheit abends oft Konzerte
neben ſeinem Schlafzimmer veranſtaltet werden. Prinzeſſin
Amalie wirkt zuweilen in denſelben mit, ebenſo M. Tereſa,
welcher das Tagebuch eine ſchöne Stimmhöhe und ziemlich viel
Methode nachrühmt, und Donna Francisca, die eine recht ſchöne
Altſtimme hat.
Während der Theater-Vorſtellungen gönnt ſich der König
gern ab und zu in einem Seiten-Kabinett eine Erholungs⸗
Zigarre, hat aber dem Vergnügen des Rauchens im Schloſſe
auch ein Auskunftsmittel abgewonnen, um politiſche Rückſichten
hin und wieder beiſeite zu ſchieben. „Zu dieſer Rauchgeſell⸗
ſchaft in dem Kabinette El despacho,“ ſchreibt die Prinzeſſin,
„ladet der König Herren aus verſchiedenen Ständen und es
ſoll geſchehen ſein, daß Männer, die als noch nicht purifiziert
bei Hofe öffentlich nicht erſcheinen durften, in dem despacho
mit dem Könige rauchten; ſo ſehr wird dieſer Zirkel als Privat⸗
ſache betrachtet.“ — Als der König gegen das Ende des Januar
— 201 —
ernſtlich erkrankt — die Arzte haben ihn vergebens mit Ge-
frornem und Bier zu kurieren geſucht — ſetzt ihm fein alter
Diener Perico — eine Art Spaßmacher — ſo lange zu, bis
der König den noch nicht purifizierten Dr. Caſtello rufen läßt,
der ihn auch glücklich wieder herſtellt.
Wie ſchwierig die Lage der namhafteren Männer in jenen
Jahren des fortwährenden politiſchen Witterungswechſels ge—
weſen iſt, wird dem Leſer des Tagebuchs ſehr lebendig ge—
wärtig durch die Zuſätze, welche das traurige Ende ſo mancher
damals der Prinzeſſin im Glanze der königlichen Gunſt nahe
getretenen Perſonen nachtragen. So ſtellt ſich ihr im Eskurial
ein Mann von einigen dreißig Jahren mit den Worten vor je
suis le general Bessières. Er iſt als Bedienter eines vor-
nehmen Herrn nach Spanien gekommen, hat ſich dort durch
Königsdienſte emporgeſchwungen und in der letzten Revolution
vor allem Gelegenheit gefunden, ſeine Treue für die königliche
Sache zu bethätigen. „Wenige Monate nach unſerer Rückkehr,“
fo lautet der Zuſatz, „iſt er als Chef eines karliſtiſchen Auf-
ſtandes erſchoſſen worden.“ — Ein nicht viel beſſeres Ende
nimmt die Laufbahn des Erzbiſchofs Inzanga von Toledo, den
die Prinzeſſin als „einen höchſt liebenswürdigen, treuherzigen
alten Mann“ in Toledo kennen lernte und der ihr und dem
Prinzen Max wertvolle Geſchenke machte. Als Karliſt ver-
dächtigt, ſtarb dieſer Greis bald nach dem Tode des Königs
vor Schreck in dem Augenblicke, als man in den erzbiſchöflichen
Palaſt eindrang, um ſeinen Sekretär zu verhaften, vorausſichtlich
mit der Hoffnung auf den Fund kompromittierender Korreſpon⸗
denzen. — Über ein anderes Opfer der politiſchen Wirren heißt
es: „Der General Queſeda kam zu uns. Er iſt ſtark und
unterſetzt, ein Mann zwiſchen 40 und 50 Jahren, von ſehr
feinem Tone, ſpricht gut franzöſiſch, hat aber eine tiefe Furche
8
zwiſchen den Augenbrauen, die ihm etwas Düſtres giebt.“ „Er
endigte ſpäter,“ lautet der Zuſatz, „ſehr unglücklich, vom Volke
faſt in Stücke gehauen, ohne daß man ihm, wie er bat, Zeit
ließ, ſeine Seele zu bedenken.“ — Baron Eroles, der während
der Revolution eine hervorragende gut königliche Rolle geſpielt
hat, gehört auch zu den Perſonen von Bedeutung, welche die
Prinzeſſin am Hofe ſieht. Ihn ſchützt gegen die Möglichkeit,
nochmals in den Vordergrund der Politik zu treten, ſeine herab-
gekommene Geſundheit. Es heißt, man habe ihm damals Gift
beigebracht; jedenfalls iſt er von Zeit zu Zeit wie betäubt, hat
ſchielende Augen und iſt ſehr häßlich. — Endlich lernt ſie auch
noch den Oberſt Minio kennen, „einen kleinen, ſtarken Mann
mit offnem, freundlichem Geſicht,“ welcher als Hauptmann auf
der Reiſe nach Cadix die Ermordung der königlichen Familie
verhinderte und durch die fortwährenden Wechſelfälle der
ſpaniſchen Zuſtände dennoch bald darauf für „etwas kompro⸗
mittiert“ galt, ſo daß er erſt um ſeine Purifikation einkommen
mußte. Ob ſpäter auch bei ihm eine Wendung zum Übeln
eintrat, bleibt unerwähnt.
Die zahlreichen Kunſtſchätze der königlichen Schlösser, ſowie
der Kirchen können hier, trotzdem die Prinzeſſin ſie in ihrem
Tagebuche mit ſchöner Anſchaulichkeit beſchreibt, übergangen
werden, da dieſelben heute ſchon beſſer und allgemeiner bekannt
ſind, als dies damals der Fall geweſen iſt. Von den ſpaniſchen
Gemälden empfängt ſie im allgemeinen einen ſo günſtigen Ein⸗
druck, daß ſie ihre Wanderung durch die Säle des Muſeums,
nachdem ſie auch die Tizians und Andrea del Sartos und vor
allem Raphaels berühmte Kreuztragung in der italieniſchen Ab⸗
teilung bewunderte, mit den Worten ſchließt: „Nach meinem
Gefühle verloren die ſpaniſchen Gemälde durch den Vergleich
mit den italieniſchen gar nichts.“ — Faſt unüberſehbar ſind
— 203 —
die Anſtalten des Gewerb- und Kunſtfleißes, in denen die
Prinzeſſin ihre Kenntniſſe zu bereichern bemüht iſt; und ihre
Beſchreibungen legen Zeugnis ab von der Sicherheit und Leichtig—
keit, mit der ſie ſich zu orientieren verſtand, ſo daß in der
königlichen Land- und Seekarten-Druckerei, in der Teppich- und
Gobelin⸗Fabrik, in der Spiegel⸗Fabrik, in der Münze, in der
Tapeten⸗Fabrik und in den vielen übrigen königlichen induſtriellen
Unternehmungen das Weſentlichſte des Betriebs von ihr mit
Klarheit erfaßt wird. Unter den von ihr beſuchten öffentlichen
Pflege-Anſtalten fällt ihr in dem Taubſtummen⸗Inſtitut der
hohe Grad von Deutlichkeit der Ausſprache auf, zu welchem es
die Zöglinge der Madrider Anſtalt bringen. Sie vermutet, daß
die ſpaniſche Sprache in dieſer Beziehung beſonders günſtige
Bedingungen biete, und hat in keiner andern von ihr beſuchten
Taubſtummen⸗Anſtalt etwas Ahnliches zu hören bekommen. —
über das Madrider Narrenhaus bemerkt ſie, dasſelbe ſei groß,
lliege in ſchöner Gegend und habe zwei geſonderte Terraſſen,
für die Männer die eine, für die Weiber die andere. „Es
waren wenig Narren da und dieſe viel ruhiger, als die Neapoli⸗
taniſchen. Eine Frau, welche mir mit Gewalt um den Hals
fallen wollte, erſchreckte mich ein wenig; ſie glaubte, die Tante
des Papſtes zu ſein. Ein alter Geiſtlicher ſang und lachte
immerwährend. Ein andrer Mann trat feierlich vor den König
und erklärte ihm, daß der König nunmehr nichts weiter zu be—
ſorgen habe, denn ſein (des Narren) Tribunal ſei jetzt das einzige
in Spanien, da es überhaupt nur zwei Gerichtshöfe gebe, den
irdiſchen und den himmliſchen, von welchem letztern wir freilich
nichts verſtänden. Auf die Erwähnung des Wärters, daß er
— jener Mann — der heilige Geiſt ſei, erwiderte er, weder
geſchmeichelt noch beleidigt Un poco mas (etwas mehr). Ein
Raſender trat an ſein Gitterfenſter und fragte: Ob niemand
— 204 —
eines Auges bedürfe. Er habe deren 40 für Blinde verfertigt
und müſſe nun nach Rußland reiſen, um die Ruſſen zu taufen.
— Wir hielten uns glücklicherweiſe nicht lange an dieſem Orte
des Jammers auf.“
Einem Stiergefechte beizuwohnen kann ſich die Prinzeſſin
nicht entſchließen; ſie hört von ihren Leuten, welche ſich unter
die Zuſchauer eines der kleineren Stiergefechte, der ſogenannten
Novillos, wagten, daß ſich bei dieſen jeder Mann nach Belieben
beteiligen kann und daß unter anderm Körbe ohne Boden, in
denen ſo ein Amateur ſteckte, benutzt wurden, um auf ungefähr⸗
liche Weiſe mit dem Stier anzubinden. Schleuderte der zornige
Stier dann den Korb in die Luft, ſo machte ſich der Held des
Schabernacks vergnüglich aus dem Staube. Pferde, Eſel und
Hunde, die man auch wohl ins Gefecht führte, kamen ſchlimmer
dabei weg.
Noch minder fühlte ſich die Prinzeſſin verſucht, die in
Madrid häufig ſich bietende Gelegenheit zum Beiwohnen von
Hinrichtungen zu benutzen. Wie ſchon erwähnt, wurde Stehlen
damals in Spanien mit dem Tode beſtraft. Hatte der zum
Tode Verurteilte eine Braut, ſo ſegnete die Kirche das Paar
kurz vor der Hinrichtung ein, damit die Braut das Recht hatte,
ſeinen Namen zu führen, wie es ſcheint, ein Recht, auf welches
trotz der entehrenden Strafe Wert gelegt wurde. Die letzten
Tage brachte der arme Sünder in einer dazu beſtimmten Kapelle
zu und empfing dort die Tröſtungen der Kirche. — Prinz
Max und Prinzeſſin Amalie pflegten täglich die Puerta al Sol
und den Prado zum Ziele ihrer Spaziergänge zu machen, und
da hier gerade der Zug mit dem armen Sünder vorbeipaſſierte,
ſo benachrichtigte man ſie immer bei Zeiten von dem Bevor⸗
ſtehen einer Hinrichtung, damit ſie an ſolchen Tagen dieſe Gegend
meiden konnten.
2 N TG
— 205 —
| Wie in Dresden, pflegte Prinz Max auch in Madrid, wie
ſchon erwähnt, gepudert, aber barhaupt zu gehen und den Hut
in der Hand zu tragen. Nicht ſelten wurden daher er und ſeine
Tochter, trotz ihres ſogenannten Inkognito-Koſtüms, der Mittel⸗
punkt zahlreicher Gaffer, und namentlich erwies ſich die Schul—
jugend einmal als beſonders beharrlich in dem Begleiten des
ihr befremdlich unſpaniſch ſcheinenden Paars. Im ganzen zeigt
ihnen die Madrider Bevölkerung aber viel Sympathie, und die
Wäſcherinnen am Manzanares, ein lärmendes Völkchen, das
die Prinzeſſin mit den Pariſer dames de la halle rangiert,
will, wie ſchon erwähnt, über das Barhauptgehen des Prinzen
eines Tags, als die Februar⸗Sonne bereits tüchtig brennt, ſich
gar nicht beruhigen und beſtürmt ihn mit gutherzigen Warnungen.
Je nach der Bedeutung oder der Bedeutungsloſigkeit des Tags
wird übrigens auch hier die Toilettenfrage mit großer Gewiffen-
haftigkeit geregelt. So iſt am Joſephstage — dem Namenstage
der Königin — große Gala; die Prinzeſſinnen ſind in „reiche
manteaux gekleidet, deren Schleppen bis zum Wagen von
Ddbberſten getragen werden,“ was Prinzeſſin Amalie, der bisher
nur Kadetten ſolchen Dienſt leiſteten, „in die fürchterlichſte Ver⸗
legenheit jetz“ und abends um 8 Uhr iſt man noch immer in
E Gala; „mit den Schleppen angethan (welche die Infantinnen
aus beſonderer Attention für meine Schweſter nicht hatten ab⸗
legen wollen), führten wir unſer Konzert auf.“
Ganz ungeniert geht es dagegen zu, wenn der Hof eine
3 Landpartie macht, dann ſetzen ſich König und Königin mit
Kamariſtas und ſonſtigen Hofleuten in denſelben großen Wagen,
der für 13 Perſonen Platz hat; man trägt ſpaniſches Koſtüm,
ſpannt 7 Mauleſel vor und fort rollt das bäuriſche Gefährt
nach dem Luſtſchloſſe Sarzuela. Wie es ſelbſtverſtändlich, liegt
i die Konverſation dann, trotz der königlichen Gegenwart, nicht
— 206 —
in Feſſeln. Aus Rückſicht für die Gäſte wird zwar mehr Fran⸗
zöſiſch als Spaniſch geſprochen, doch fehlt es auch nicht an
dieſem, und das zu Prinz Max und Prinzeſſin Amalie ge⸗
hörende Perſonal ergeht ſich zwiſchendurch in deutſchen oder
ſächſiſchen Gedankenaustauſchen, ſo daß „eine babyloniſche
Sprachenverwirrung“ entſteht.
Einige dieſer Ausflüge geſchehen nur in Begleitung der
prinzlichen Suite und des Marquis Valmediano; jo der vier⸗
tägige Ausflug nach San Ildefons und Segovia, der am
24. Februar mit einem argen Schneegeſtöber endet. „Wir
reiſten am 21. Februar um 7 Uhr morgens ab,“ ſchreibt die
Prinzeſſin, „man fährt ziemlich nah am Eskurial vorbei, durch
Steinwüſten, in welchen hier und da immergrüne Steineichen
ſtehen. Die Straße iſt ſehr befahren und wir begegneten einer
Menge Kärrner, meiſt Valenzianer, welche mit ihren, von fünf
oder ſechs hintereinander gehenden Maultieren gezogenen
Karren ganz Spanien durchſtreichen. Wir fuhren mit Colleras,
ſo nennt man die mit bunten Quaſten und Glöckchen behangenen
Maulthiere, welche auf folgende ſonderbare Art gelenkt werden.
Vorn auf dem ganz niedrigen Bock ſitzt der Mayoral, ein Bauer
in rundem Hute, unter welchem er meiſt ein buntes Schnupf⸗
tuch um den Kopf gebunden hat. Dieſer Mayoral hält die
Zügel, mit welchen er aber bloß die beiden hinteren Maul⸗
tiere lenken kann. Mit den übrigen wird die Sache geſprächs⸗
weiſe abgethan. Jedes Maultier hat ſeinen Namen, und ſomit
wird beſtändig mit großem Geſchrei und unter Peitſchenknallen
der Valeroſa, Lucera, Coronela, Pulia ꝛc. ihre Pflicht aus⸗
einandergeſetzt. Jedesmal, wenn ein Maulthier bei Namen
angerufen wird, was ſo viel heißt, als daß der Mayoral in
begriff ſteht, zu ſchlagen, ſchreit der Zagal: dejala! dejala!
als begehre er Gnade für das Tier. Dieſer Zagal iſt ein Junge,
— 207 —
oft noch halb Kind, ſitzt neben dem Mayoral auf einem noch
niedrigeren Sitz, als dieſer, und muß, ſobald die Tiere nicht
nach Wunſch gehen, herabſpringen, dieſe bei den Zügeln faſſen
und oft eine ganze Strecke lang laufend ſie nach ſich ziehen.
Man fährt mit den Colleras ſogar bergauf raſend ſchnell. Von
Mitleid mit den Thieren oder ſelbſt nur mit dem Zagal iſt bei
dem Mayoral nicht die Rede.“
Der Weg nach San Ildefonſo oder la Granja geht an dem
Spitzbubendorfe Torre ladrones vorbei, von deſſen 50 Seelen,
wie es heißt, immer 30 dem Diebshandwerk obliegen ſollen.
Das Städtchen San Ildefonſo ſelbſt liegt auf einem Hügel,
„mitten in einer ziemlich angenehmen Aue,“ und das königliche
Schloß macht mit ſeinen zwei hohen, blauen Türmen einen
freundlichen Eindruck. Die ſchönen ſchattenreichen Alleen und ebenſo
j die berühmten Waſſerkünſte find oft beſchrieben worden. Vor
aallem großartig erſcheint der Prinzeſſin der Anblick der Waſſer—
künſte von dem aus immer grünen Hecken gebildeten ſogenannten
„Salon“ aus, der nach acht Richtungen hin das Auge durch
ebenſo viele mächtige Alleen auf acht herrliche Marmor-Baſſins
hinleitet, jedes mit einer Marmorgruppe geſchmückt. Die der
Andromeda wetteifert mit derjenigen der Latona an Pracht.
Andromeda ſteht inmitten des Baſſins an einen Felſen ge—
ſchmiedet. Über ihr ſchwebt das Ungeheuer. Seegötter und
Meerungetüme ruhen verſtreut zwiſchen Felſen im Kreiſe. Die
Latona⸗Sage bewährt ſich als ein für die Anlage eines plaſtiſch
geſtalteten Brunnens nicht minder günſtiges Kunſtmotiv. In
der Mitte des Baſſins ſitzt die Göttin auf einem Felſen, rings
um ſie her Fröſche — die von ihr in ſolche verzauberten Hirten
— und zwar ſpritzen ſie Waſſer in ſolcher Menge gegen Latona,
daß dieſelbe wie von einer Kryſtallglocke umhüllt erſcheint.
Am folgenden Tage wird „die kleine, aber impoſante Stadt
— 208 —
Segovia“ beſucht, nicht ohne daß auch die königliche Münze,
die königliche Merino⸗Tuch⸗Fabrik und der Alcazar in Augen⸗
ſchein genommen worden; der letztere, ein feſtungsartiges kleines
auf einem Hügel liegendes Gebäude ſteht leer, da das darin
untergebracht geweſene Militär-Inſtitut ohne Lehrer iſt; ſie
haben ſich politiſch kompromittiert. | |
Zurückgekehrt nach San Ildefonſo, verſäumen die unermüd⸗
lichen Reiſenden nicht, ſich noch am ſelben Tage in die Geheim⸗
niſſe der berühmten Glas-Fabrik von San Ildefonſo einweihen
zu laſſen, die übrigens nur „ein weit minder klares Glas, als
das böhmiſche“ zu Wege bringt, und dann wird tags darauf
mit Sammlung das Schloß in ſeinen Einzelheiten durch⸗
gemuſtert, in demſelben vor allem die von der Königin Chriſtine
von Schweden zuſammengebrachten Kunſtſchätze, die man für
San Ildefonſo ſpäter erwarb. — Beiläufig wird auch noch ein
Abſtecher nach dem in einer Wüſte liegenden, ſchier von der
Welt abgeſchnittenen Schloſſe Rio frio gemacht, angeblich dem
Modell des Schloſſes von Madrid; „die Zimmer ſind weder
tapeziert noch möbliert und niemand, als ein Inſpektor, be⸗
wohnt das Schloß. Es iſt nicht zu begreifen, warum man mit
jo großen Koſten das ſchöne Gebäude eben dahin geſetzt hat.“
Ein zweiter Ausflug hat Aranjuez und Toledo zum Ziel,
doch iſt er zugleich der Anfang der Heimreiſe, wenn auch das
Geleit des königlichen Paares und der königlichen Angehörigen
den Abſchied von dem der Prinzeſſin lieb gewordenen Madrid
in etwas erleichtert. Am 8. April nachmittags wird auf⸗
gebrochen. Die Fahrt bis Aranjuez dauert 6 Stunden, anfangs
geht fie durch eine öde Gegend, dann beginnt Dliven- und
Reben⸗Kultur. „Aranjuez liegt in einem weiten Thale; man
fährt, ehe man ans Schloß kommt, durch einen großen Park
mit ſchönen ſchlanken Bäumen. Der Tajo fließt an dem Schloſſe
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— 209 —
vorüber. Er iſt wie ein Kanal zwiſchen Mauern eingeſchloſſen.
Man paſſiert ihn auf einer ſchönen ſteinernen Brücke. Das
Schloß iſt ungeheuer groß, aber freundlich und elegant gebaut.“
— „Im ganzen,“ heißt es an einer andern Stelle, „ſchien mir
die Gegend nicht eben romantiſch. Der rieſige Garten iſt eine
Art künſtliche Gegend zu nennen.“
In Toledo, das am folgenden Tage beſucht wird, empfangen
unter anderm die Herren von der heiligen Hermandad das
königliche Paar und ſeine Gäſte. Dieſelbe ſoll, wie man der
Prinzeſſin berichtet, nur noch in Toledo exiſtieren; als die
wißbegierige Prinzeſſin aber Aufſchluß über das Weſen der
heiligen Hermandad erbittet, zeigt ſichs, daß ſich nur noch der
Name in der Kenntnis der braven Leute von Toledo erhalten
hat; es ſei eben die heilige Hermandad, lautet allenthalben der
lakoniſche Beſcheid. — Beſſer berichtet man ihr in der berühmten
Klingenfabrik von Toledo über alle die Prozeduren, die das
Metall geduldig durchmachen muß, bis es in der Form einer
Klinge die Biegſamkeit einer Weidenrute erlangt. — Hier in
Toledo lernt die Prinzeſſin auch den Rieſentanz kennen, der
wiederum das volkstümliche Vorbild für manche Ballet-Epiſoden
unſerer modernen Bühnen geweſen zu ſein ſcheint, wie uralt er
ſelber auch fein mag. „Wir waren kaum zu Haufe (im erz—
biſchöflichen Palais),“ ſchreibt die Prinzeſſin, „als man vor
den Fenſtern des Palaſtes den Rieſentanz vorzubereiten begann.
Die Rieſen wurden langſam herbeigeſchafft. Es ſind dies ſieben
koloſſale Schreckensgeſtalten, vier männliche und drei weibliche,
dreimal ſo hoch, als der längſte Mann. Zwei von dieſen
Figuren ſind Mohren, zwei in aſiatiſcher Tracht. Zwei in alt⸗
modiſchen Hofkleidern, alle ſechs als Repräſentanten der in
alter Zeit bekannten Weltteile. Der einzige Herr ohne Dame
ſoll der — Cid fein. Außerdem giebt es auch noch Riejen-
14
— 210 —
finder, Knaben, ungefähr in Manneslänge, mit unförmlichen
Köpfen und gräßlichen Perrücken; dann noch ein Ungeheuer
mit einem Rüſſel (die Tarasca genannt, Emblem der Ketzerei),
auf deſſen Rücken eine kleine weibliche Figur ſitzt (unter dem
Namen Anna Bolena bekannt). Um ½4 ging der Tanz an.
Nach dem Takt einer höchſt einförmigen Muſik bewegten ſich
die Rieſenpaare; dann auch der Cid. Endlich fing das Un⸗
geheuer mit der Anna Bolena an vorzurücken. Es ſtreckte den
Hals vorwärts, öffnete den Rachen und ſchnappte nach den
Zuſchauern, welche ſchreiend und lachend entſprangen, während
die Anna Bolena auf ſeinem Rücken konvulſiviſch herumtanzte.“
— Fragt man nach dem Zuſammenhange, der zwiſchen Anna
Bolena und dem Cid oder den drei Weltteilen der älteren
Geographie beſteht, ſo wird man einen ſolchen ſchwerlich zu
ermitteln vermögen. Vermutlich ſtammt die Perſonifizierung
der Ketzerei durch die unglückliche zweite Gemahlin Heinrich VIII.
aus der Zeit, wo die ſpaniſche Geiſtlichkeit die Verſtoßung ſeiner
erſten Gemahlin, Katharina von Aragonien, als eine inſonder⸗
heit Spanien und die ſpaniſche rechtgläubige Kirche beleidigende
Maßnahme bekämpfte, wodurch ihr die Nachfolgerin jener
ſpaniſchen Prinzeſſin zum Inbegriff des Ketzertums werden
mochte. Sehr alten Urſprungs iſt auch die ſogenannte Meſſe
nach „musarabiſchem Ritus,“ die noch in einer eigens dazu be⸗
ſtimmten Kapelle des Doms von Toledo geleſen wird; einzig
in dieſer Kapelle darf ſie überhaupt geleſen werden und zwar
„zum Andenken,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „daran, daß von Zeit
der Beſitznahme Toledos durch die Mauren bis zu jener der
Wiedereroberung dieſer Stadt durch chriſtliche Könige, eine
chriſtliche Gemeinde ſich hier erhalten hatte, welcher in ihrer
Abgeſchiedenheit die während deſſen in allen übrigen chriſtlichen
Gemeinden vorgenommenen Anderungen an den Zeremonien
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— 21 —
des Meßopfers unbekannt geblieben waren. Die musarabiſche
Meſſe beginnt mit den rührendſten Stellen aus den Pſalmen;
hierauf folgt das Gloria, die Epiſtel, das Evangelium, das
Paternoſter. Nach der Wandlung wird das Credo gebetet,
wobei der Geiſtliche die heilige Hoſtie in der Hand hält. Man
lieſt kein zweites Evangelium, und die heilige Hoſtie wird kurz
vor der Zeremonie in ſieben Stücke zerbrochen.“
Am 14. April abends ſind die Reiſenden „nach einer
fürchterlich heißen Fahrt“ wieder in Aranjuez, wo die Bäume
dennoch erſt teilweiſe grün ſind, ein auch bekanntlich am Golf
Neapels den Nordländer befremdlich anmutendes Maßhalten
der Vegetation, das ſehr auffällig abſticht von der Voreiligkeit,
mit welcher ſich unter kühleren Himmelsſtrichen die Geſträuche
und wohl auch einzelne Bäume unter dem trügeriſchen Einfluffe
einiger warmen Februar- oder März⸗ Wochen belauben.
Von den bis zur Abreiſe noch in Augenſchein genommenen
Sehenswürdigkeiten ſei hier nur die königliche Stuterei erwähnt.
„In einer Reitbahn wurde dort den einjährigen Füllen das
Zeichen von Aranjuez eingebrannt. Die Geſchicklichkeit und
Kühnheit der dabei Beſchäftigten iſt außerordentlich. Zuerſt
führt man ein altes Pferd herein, welchem gleich eine Menge
Fla.üllen folgt. Nun wird eine an einem Stabe befeſtigte Schlinge
um den Fuß des erſten beſten Füllen geworfen und dieſes dann
zu Boden gedrückt. Manche Füllen wehren ſich gewaltig und
ſchleppen die Menſchen, die fie am Schweife oder an den Ohren
4 feſt zu halten ſuchen, weit mit ſich fort. Sind ſie endlich zu
Boden gerungen, ſo wird ihnen mit dem heißen Eiſen das
7 Zeichen eingebrannt, worauf man ihnen die Mähne ſcheert
und ſie gehen läßt. Von dieſem Augenblicke an find fie ganz
ruhig.“
Am 20. April rüſten der Prinz und die Prinzeſſin ſich mit
14*
— 212 —
ihren Leuten zur Abreiſe. Schon tags zuvor hatte die Infantin
Luiſe der Prinzeſſin „eine goldne Toilettenſchachtel mit dem Ab⸗
bilde ihres Armes und einen Ring mit ihren Haaren“ geſchenkt;
Don Karlos und die beiden zum Beſuche in Spanien weilenden
portugieſiſchen Infantinnen hatten ihr Familienporträts verehrt;
der König war überaus herzlich geweſen und hatte zum Prinzen
Max mit bewegter Stimme geſagt: „Je vous aime comme
mon père; je voudrais que vous fussiez mon père.“ Man
wird dieſe Worte um ſo eher für den wirklichen Ausbruch eines
tief erregten Gefühls nehmen, wenn man der tödlichen Feind-
ſchaft gedenkt, zu welcher einſt der allmächtige Herzog von
Alcudia das Mißtrauen beider Eltern des Königs gegen
dieſen, den damaligen Kronprinzen, zu entflammen gewußt
hatte. — Prinz Max ſeinerſeits konnte bei dem Abſchiede ſchon
deshalb nicht ohne Ergriffenheit bleiben, weil er ſich ſagen
mußte, daß er ſeine Tochter Joſepha in dieſem Leben wieder⸗
zuſehen kaum hoffen durfte. Und ſo wurde denn, als Vater
und Tochter am Morgen des Reiſetages einander zum letzten
Male umarmten, vor Rührung kein Wort geſprochen. Die
Prinzeſſin ſchreibt: „Papa fiel beim Hinausgehen faſt die
Treppe hinab, da ihm Thränen in den Augen ſtanden. Ich
hatte glücklicherweiſe noch Kraft genug, um ihn zu halten.“
In der That hat die Königin Joſepha, wie erwähnt, die
Ihrigen nicht wiedergeſehen. Schon vier Jahre ſpäter iſt ſie
nach zehnjähriger Ehe geſtorben, worauf König Ferdinand jene
vierte Ehe ſchloß, auf welche die ſpäteren bekannten Familien⸗
und Parteifehden zurück zu führen ſind.
Zwölfter Abſchnitt.
8 Nach VNVaris.
N: Rückreiſe, welche unter Eskorte angetreten wurde, und
bei welcher der Marquis Valmediano ſich wieder aller
Mühwaltungen aufs Sorglichſte unterzog — „das täg—
liche Briefſchreiben für den an den König abzufertigenden Kurier
fällt ihm ſchwer“ — ging über Toboſo, wo die Prinzeſſin
„viele Windmühlen, aber wenig ſchöne Duleineen“ ſieht, und
berührt dann Albacete, wo zehn bis zwölf Männer vom Thore
an ſich dem prinzlichen Wagen geſellen und ihm vortanzen.
Sie ſind weiß gekleidet, in einer ganz der arabiſchen ähnlichen
Tracht, tragen blumenumwundene hohe Mützen und halten die
Enden bunter, an einer Stange befeſtigter Bänder in den Hän⸗
den. Was ſie beim Klange einer Trommel und einer Pfeife
an Figuren aufführen, ſcheint den verwandten Tänzen unſrer
Ballets geglichen zu haben. Dirigiert wird das Ganze aber
durch einen Mann, der ein karrikiert altfränkiſches Hofkleid trägt
und einen Stock in der Hand ſchwingt, deſſen Knopf eine kleine
Mohrengeſtalt darſtellt. Auch in Almanſa erweiſt man den
Reiſenden allerlei Aufmerkſamkeiten, doch iſt die Prinzeſſin
durch die Reiſe ſo ermüdet, daß ſie bei der Vorführung der
ſtädtiſchen Honoratioren vor Schläfrigkeit ihre „Reiſeſchürze“
abzunehmen vergißt. Im Gegenſatz zu dem bisher in den
königlichen Schlöſſern genoſſenen Raumüberfluſſe muß man ſich
— 214 —
diesmal für die Nacht mit einem einzigen Zimmer behelfen, das
freilich zwei Alkoven hat. In dem einen ſchläft Prinz Max,
in dem andern die Prinzeſſin, und in dem Zimmer ſelbſt ſchlafen
die Leute des Prinzen.
Auf dem Wege nach Valenzia bekommt die Vegetation ein
ausgeſprochen ſüdlicheres Anſehen; der Kaktus wächſt baum⸗
hoch; Feigen⸗, Dattel- und Olbäume gedeihen aufs Üppigfte;
ganze Felder ſind mit niedrig gehaltenen Weinſtöcken beſtellt
und mit Reihen von Aloe eingefaßt. Die Männer tragen grobe
weiße Hemden, die unterhalb eines Hüftengürtels bis ans
Schienbein hinabreichen und zugleich Hemd und Hoſe bilden.
Über die Achſel hängt ihnen ein Stück bunten Tuchs, das ſie
bald als Halstuch, bald, beim Tragen von Laſten, als Kopf⸗
kiſſen benützen. Jenſeits des Jucar nimmt die Gegend einen
noch reicheren Charakter an. Wie in einem wohlgepflegten
Garten von Maulbeer⸗, Zitronen-, Orangen-, Palmbäumen
und Silberpappeln liegt der Flecken Alberique mit ſeinen bläu⸗
lichen moſcheenartigen Kuppeln da. In regelmäßige Vierecke
geteilt und ſorglich unter Waſſer geſetzt, kochen Reisfelder in
der Sonne. |
Ehe der Jucar paſſiert wurde, haben die Reiſenden,
während die Fähre ihre Wagen hinüberbrachte, bei ſchallender
Militärmuſik in einem Zelte Raſt gemacht und ſich an den
Huldigungen einer Anzahl feſtlich geputzter Damen und Herren
erfreut. Nun ſie beim Sonnenuntergang die Stadt Valenzia
erreichen, wo bereits ihnen zu Ehren Militär am Thore auf⸗
marſchiert iſt, müſſen ſie ſich's gefallen laſſen, in Galawagen
zu ſteigen und ſo den Neugierigen der loyalen Stadt ein Schau⸗
ſpiel zu bieten. Die Straßen, meiſtens lang und eng und voll
altertümlicher, oft häßlicher Gebäude, deren Dächer flach ſind,
muten die Reiſenden einigermaßen wie eine Brandſtätte an.
— 215 —
Beim Dunkelwerden kommt aber, nach dem Vorbeidefilieren von
Militär und Royaliſten⸗Volontärs, dem allſeitigen demonſtrativ
herzlichen Tücherſchwenken noch ein glänzendes Feuerwerk zu
Hilfe, das zwar die Reiſenden durch einige reſpektwidrig ihnen
faſt auf die Köpfe niederſchwirrende Raketenſtöcke in Gefahr
bringt, ſchließlich aber doch, ohne Schaden angerichtet zu haben,
zu Ende geht. Der folgende Tag bringt Kirchliches. Zunächſt
wird der vor drei Jahrhunderten verſtorbene heilige Luis Beltran
den Reiſenden gezeigt; er liegt in einem gläſernen Sarge und
„iſt etwas vertrocknet, aber ganz unverſehrt.“ In der alter⸗
tümlichen, reichvergoldeten Domkirche, wohin mit Militärmuſik
in großer Prozeſſion gezogen wird, empfangen ſie dann den
Segen des achtzigjährigen Erzbiſchofs, „der dem verſtorbenen
Papſte Pio VII. gleicht“, und nehmen die für ſie am Altar
ausgeſtellten vorzüglichſten Reliquien in Augenſchein. Um
12 Uhr halten ſie Kour, ſpeiſen dann mit dem Biſchofe von
Mexiko und andern Würdenträgern zu Mittag und genießen
darauf den Anblick einer echt nationalen Prozeſſion, deren
Charakteriſtiſches, wie ſchon bei frühern Veranſtaltungen ver-
wandter Art, die poſſierliche Seite derſelben iſt. Es iſt die
ſogenannte Prozeſſion des heiligen Vicente Ferrer und dieſelbe
iſt ihnen zu Liebe auf dieſen Tag verſchoben worden. Den
Zug eröffnen zwei Männer mit Kronen auf den Köpfen und
ſehr langen Bärten. Ihnen folgen zahlreiche andre mit Fahnen,
an deren Stangen Statuen von Heiligen befeſtigt ſind. Dieſe
Stangen balancieren ſie auf dem Kinn und auf der Unterlippe.
Dann erſcheinen Gigantones, „noch ſcheußlicher als die Toleda—
niſchen, die Rieſendamen en téte naissante mit Blumen in den
Haaren; die Rieſenkinder führten eine Art Quadrille auf.“
Hiermit iſt der komiſche Teil der Prozeſſion zu Ende, ohne daß
es der Prinzeſſin gelungen zu ſein ſcheint, den Sinn dieſer
— 216 —
Vorführung zu ergründen — vielleicht ging er, wie in Toledo
die eigentliche Bedeutung der heiligen Hermandad, den Nach⸗
gebornen im Laufe der Jahrhunderte verloren. — Was weiter
folgt, unterſcheidet ſich nicht von den ſonſt herkömmlichen kirch⸗
lichen Prozeſſionen, und fo reiht ſich Ernſtfeierliches unmittel-
bar an das Burleske.
Am Abend bietet das Theater von Valenzia den hohen
Reiſenden das ſchon erwähnte abſonderliche Drama El duque
de Sajonia mit dem „Böſewichte“ Moritz von Sachſen.
Von den übrigen Sehenswürdigkeiten Valenzias ſei hier
nur noch das Porträt des Generals Elio erwähnt, der während
der Revolution erdroſſelt wurde. Die Prinzeſſin beſchreibt ihn
nach dem, wie es heißt, ſprechend ähnlichen Bilde, als einen
blaſſen, hagern Mann mit dem Ausdrucke von Ruhe und 58
ſchaffenheit.
Die ſpitzen, hohen Strohdächer der Bauerhäuſer in der
Umgegend Valenzias finden ihr Pendant in allerlei ähnlich
ſpitzdachigen Grabmonumenten, welche den dörflichen Kirchhöfen
der Provinz ein befremdliches Anſehen geben, ebenſo wie die
ſämtlich moſcheenartigen blauen Kuppelkirchen, neben denen
häufig ein viereckiger Glockenturm ſteht. In den Kirchen der
Provinz ſieht man über dem Altar ſtatt eines Altarbildes oft
viele kleine Bilderchen, die in ein reichvergoldetes Altarblatt
eingefügt und von dieſem umrahmt ſind.
Die Bäuerinnen Valenzias ſind weiß von Teint und der
Mehrzahl nach ſchön; ſie tragen weiße Mantillen, was ihnen
ſehr gut ſteht.
Über die Bergfeſte Tarragona hinaus ändert ſich das
Koſtüm abermals. Die Frauen tragen ſchwarze, auf dem
Hinterkopfe befeſtigte Hauben, von welchen ein Stück breites
Band auf die Stirne herabfällt; dazu großglockige Ohrringe.
— 217 —
Die Männer zeichnen ſich durch rote Mützen aus, deren Zipfel
über die Schulter herabhängen; ſtatt bloß in Hemden zu gehen,
tragen ſie Hemden, Jacken und Hoſen.
So geht die Reiſe unter immer wechſelnden Bildern und
Eindrücken in der Richtung auf die franzöſiſche Grenze weiter,
und in Barcelona beginnt ſchon wieder die Schattenſeite und
Bedingung des für jetzt in Spanien herrſchenden Friedens ſich
deutlicher zu zeigen: die Stadt liegt voll franzöſiſcher Truppen
und im Hafen flaggt die franzöſiſche Flotte.
Auch hier wird von der Prinzeſſin auf die Volkstracht
geachtet. Die Frauen tragen weiße Mantillen und kämmen das
Haar aus dem Geſicht. Bei den Männern fällt ihr eine eigen-
tümliche pantoffelartige Fußbekleidung auf, Schuhe, die bloß die
Spitzen der Zehen bedecken, auf den Seiten den Fuß faſt ganz
frei laſſen und ſehr reich gearbeitet ſind, ſo daß man gern auf
den Strumpf verzichtet.
Mit Tanz hatte man den Reiſenden die ſteile Einfahrt in
Tarragona zu verſchönern geſucht; hier darf es zwar auch nicht
an Tanz fehlen, aber die Nähe Frankreichs übt ihren Einfluß
in der Richtung auf das künſtleriſch Abgemeſſene. Man hat
dem königlichen Schloſſe gegenüber eine weite Tanzbühne auf-
gerichtet. Auf dieſer produzieren ſich nach einander Spanier,
Franzoſen, Deutſche und — Türken. In einem langen prächtigen
Zuge ſind ſie über den Platz vor dem Schloſſe dahergekommen,
maskiert, mit Fackeln in den Händen. In ihrer Mitte ein
achtſpänniger Triumph-Wagen, auf welchem friedlich neben
einander drei reich gekleidete weibliche Geſtalten thronen:
Spanien, Frankreich und Sachſen; eine vierte auf dem Rückſitze
gab ſich durch die Mauerkrone als die Stadt Barcelona zu
erkennen. Einen ſehr lieblichen Tanz in Masken führten dann,
nachdem ſie auf der Bühne gelandet, die Spanier auf; die
— 218 —
Franzoſen — Männer und Weiber in glänzenden Rüſtungen
— folgten mit einer graziöſen Amazonen⸗Schlacht; dann exe⸗
kutierten die Deutſchen einen ſchönen, kräftigen Kriegertanz; und
zuguterletzt, damit auch der nationalen Freude an Späßen ihr
Recht werde, machten die Türken Purzelbäume und voltigierten
über Tiſche und Stühle.
Auf der Weiterreiſe längs dem Meere „in wahrhaft para⸗
dieſiſcher Gegend“ gelangen die Reiſenden nach Gerona und
Figueras und erreichen am letzten April unterhalb der fran⸗
zöſiſchen Pyrenäenfeſtung Villa Gardia die Grenze. Hier ändert
ſich plötzlich alles: Menſchen und Dinge. Die roten Mützen
verwandeln ſich in Hüte, die Mantillen in weiße Hauben, die
von Ort zu Ort an verwunderlicher Höhe und Weite zunehmen.
Statt der Teppiche ſieht man weiße Fahnen. Sprache, Be⸗
nehmen, alles iſt anders geworden.
Freilich unterſtützt den günſtigen Eindruck, welchen die
Reiſenden von dem mittäglichen Frankreich empfangen, die
liebliche Jahreszeit. „Wie herrlich ſchien mir jetzt die Gegend,
die ich im Herbſte ziemlich gleichgiltig betrachtet hatte,“ ſchreibt
die Prinzeſſin. Überall ſchmettern Nachtigallen, alles grünt
und blüht, und der Segen langer Friedensjahre ſpricht aus der
ringsum gartenartig gepflegten Natur. Die Fahrt geht über
Narbonne, Carcaſſonne, Toulouſe, Auch, Agen, reinliche, ſchmucke
Städte, die von ſchönen, ſchattigen Alleen eingefaßt ſind und
deren Umgebung auch durch den Wechſel von freundlichen Land⸗
häuſern, ernſten Schlöſſern mit altfranzöſiſchen Gärten und
hochgetürmten Burgtrümmern ſich hier und da zu bunter
Mannigfaltigkeit ſteigert. Am Ufer der Garonne ſtellt ſich den
Reiſenden der Präfekt von Bordeaux vor, Mr. de Hauſſet, der
ſpätere Miniſter Karl X., und empfiehlt ihnen, ſich zur Weiter⸗
reiſe bis Bordeaux des für 200 Paſſagiere Raum bietenden
— 219 —
Dampfboots le duc d'Angoulème zu bedienen, welcher Ein—
ladung gern entſprochen wird. Dampfſchiffe waren damals noch
nichts alltägliches. Das Tagebuch bezeugt dies, denn, von
der Ungewöhnlichkeit dieſes Verkehrsmittels frappiert, verſagt
die Verfaſſerin ſich's nicht, das neue Weltwunder wie folgt zu
beſchreiben: „Inmitte des Schiffs erhebt ſich die ſehr hohe,
eiſerne Eſſe, durch welche der Rauch der im Schiffsraume
ſtehenden, immer glühenden Ofen aufſteigt. Oft ſprühen Funken
aus dieſer Eſſe. Wir fuhren ſehr ſchnell.“ Eine weitere moderne
Erfindung, der Telegraph, ermöglicht den Reiſenden den Genuß
eines Raſttags in Bordeaux, indem Prinz Max ſonſt, um ſeinen
ihm bis Paris entgegengereiſten Sohn, den Prinzen Fritz, nicht
beſorgt zu machen, ſich verpflichtet geglaubt hätte, am verab—
redeten Tage in Paris einzutreffen. Natürlich handelte es ſich
nur erſt um optiſches Telegraphieren, und zwar durch Ver—
mittlung des Präfekten, denn die Benutzung dieſes Mittels be—
ſchleunigten Nachrichtgebens war noch ein Privilegium der
Regierung.
Im Theater hat die Prinzeſſin Gelegenheit, das franzöſiſche
Opern⸗Publikum als nicht gerade nachſichtig kennen zu lernen.
„Man gab die Oper Guliſtan,“ ſchreibt ſie; „der erſte Sänger
ſchien mir nicht übel, mißfiel aber dem Publikum, und als er
mitten in einer Arie ſich räuſperte, entſtand ungeheures Gelächter
und hundert Stimmen ahmten ſein Räuſpern nach.“ Vielleicht
trug die Abweſenheit der Damen im Auditorium die Schuld
an der eingeriſſenen Rückſichtsloſigkeit. Sie beſuchten das
Theater nicht gern, wie die Prinzeſſin ſchreibt, weil die allzu—
großen Logen die Abſonderung in kleinere, nah bekannte Gruppen
erſchwerten. N
Bis hierher hat das ſpaniſche Geleit ſich nicht von den
hohen Reiſenden getrennt. Jetzt übernimmt der franzöſiſche
— 220 —
Präfekt die Sorge um ihre Beförderung und Unterhaltung.
Der Weg geht über Cublac und Angoulème. In letzterer lieblich
gelegenen, teils auf einer Höhe, teils am Fuße derſelben ge—
bauten Stadt erhält die Prinzeſſin Gelegenheit einem jungen
Mädchen einen wichtigen Dienſt zu leiſten, ihr nämlich behilflich
zu ſein, nicht gegen Wunſch und Willen im Kloſter zu bleiben.
Mademoiſelle de Caſſarés heißt die junge, unter die Urſuline⸗
rinnen geratene Dame. Sie hat zum Kloſterleben nicht die
mindeſte Anlage und erſehnt irgend eine Verſorgung, welche
ihr die Welt wieder erſchließen könnte. Glücklicherwerweiſe
unterſtützt die Oberin die Wünſche des Fräuleins, ſo daß Prin⸗
zeſſin Amalie verſprechen darf, womöglich Rat zu ſchaffen.
Wie ein ſpäterer Zuſatz beſagt, iſt ihr dies in der That
gelungen und zwar vermittels der Frau von Üchtriß, welche
die Herzogin von Orleans für das kloſtermüde junge Mädchen
zu intereſſieren gewußt hat. Die Prinzeſſin ſah Mademoiſelle
de Caſſarés im Laufe der Jahre außerhalb des Kloſters wieder,
und ſie hatte ſchließlich auch noch die Befriedigung, daß ſich die
aus dem Kloſterbann Erlöſte verheiratete.
In Cublacs Nachbarſchaft hatten die Reiſenden das Felſen⸗
ſchloß beſucht, welches die Sage mit Roland und mit den
Haimonskindern in Beziehung bringt. In Angouleme ſehen
ſie Trümmer neuerer Art: Eine während der großen Revolution
bis auf den Grund verwüſtete, einſt ſehr umfangreich geweſene
Kirche, deren winzige Reſte, ſoweit ſie erhalten ſind, noch zum
Gottesdienſte benutzt werden. Aber wenn dieſe Überbleibſel
einer welterſchütternden Geſchichtsperiode und nicht minder der
Anblick des einundneunzigjährigen Biſchofs Gavais, der alle
jene Stürme miterlebte, das fröhliche Geſicht der rings im
Frühlingsſchmucke prangenden Landſchaft einigermaßen ver⸗
düſtern wollen, ſo bläſt die Militär⸗Muſik während der heiligen
— 21 —
Meſſe faſt ironisch dazu die traurige Weiſe „mich fliehen alle
Freuden!“ und die Prinzeſſin findet ohne Zweifel, wie ſchon
in Spanien, daß man, um ſich friſch empfängliche Sinne auf
Reiſen zu bewahren, den bunten Wechſel aller Dinge, ohne ihm
grillenhaft nachzugrübeln, hinnehmen muß, wie er ſich eben
giebt.
Allen dieſen Städten rühmt ſie einen ihnen in auffallender
Weiſe eignen Reiz nach: ſchöne öffentliche Promenaden.
Eine Woche lang haben die Reiſenden jetzt ſchon Franf-
reich durchſtrichen, nachdem anderthalb Wochen nötig geweſen
waren, um ſie nur wieder aus dem ſchönen Spanien heraus⸗
kommen zu laſſen, und immer liegt Paris noch in weiter Ferne.
Aber als man über das wegen ſeiner Meſſerfabriken berühmte
Städtchen Chatellerault hinausgelangt iſt, winkt bald auch von
Weitem die mächtige Kathedrale von Tours, und nun kommt
f 4 enthält.
atemlos der Präfekt diefer Stadt „aus großer Attention“ mit
der Botſchaft herangeſprengt: Prinz Fritz ſei auch ſoeben in
Tours angekommen. Daß es auf eine freudige Überraſchung
abgeſehen war, iſt dem Präfekten augenſcheinlich ganz entgangen.
Glücklicherweiſe hat auch die Vorfreude ihren Wert und ſo ge—
ſtaltet ſich das Wiederſehen der ſo lange getrennt Geweſenen
nicht minder fröhlich.
Daß man am nächſten Tage, als die jetzt Vereinten die
heilige Meſſe hören, während derſelben durch die Regiments⸗
muſik faſt das ganze matrimonio segreto exekutieren läßt, mag
dem zerſtreuten Präfekten nicht minder zu danken geweſen ſein,
wenn ſchon das Tagebuch ſich aller desfallſigen Vermutungen
Von der lieblich an der Loire gelegenen, durch eine lange
ſtattliche Hauptſtraße ausgezeichneten Stadt Tours geht die
Reiſe nun immer nahe dem Fluſſe fort. Zierliche Landhäuſer
— 222 —
mit ſauberen blauen Dächern deuten auf Wohlſtand, und die
hier und da von felſigen Höhen herabblickenden alten Schlöſſer
— unter ihnen Amboiſe — beginnen an Ereigniſſe denkwürdiger
Art aus den Zeiten der Glaubenskämpfe zu erinnern. Drüben
die in Trümmern liegende Brücke bezeichnet die Stelle, wo
Heinrich IV. auf dem Punkte war, von den Soldaten der Ligue
gefangen genommen zu werden, und jetzt gewahrt man auch
das verrufene Schloß Blois, das für ein Neſt von Erinner⸗
ungen aus jener Zeit der Schrecken gelten kann. Es iſt oft
beſchrieben worden, und man weiß, daß ſeine vier Flügel auch
in baulicher Beziehung von hohem Intereſſe ſind; ein Graf von
Blois baute den älteſten, die andern drei fügten im Laufe der
Zeit Franz I., Ludwig XII. und Gaſton d' Orleans hinzu.
„Eine altertümliche Wendeltreppe,“ ſchreibt die Prinzeſſin,
„führt zunächſt in den Wachtſaal, dann in das Betſtübchen und
das Zimmer der Marie von Mediei. In letzterem zeigte man
uns das Fenſter, aus welchem dieſe Königin ſtieg, um der Ge-
fangenſchaft zu entfliehen. In der Salle des états bemerkte ich
den Fleck, wo der (nun zugemauerte) Kamin ſtand, an welchem
der Herzog von Guiſe ſich wärmte, als man ihn zu Heinrich III.
(zum Tode) rief. Die Wendeltreppe vor der Thür des Königs,
auf welcher der unglückliche Herzog ermordet wurde, iſt ver-
mauert. Mit Schauder betrat ich das kleine Gewölbe der
Oubliettes, in deſſen Mitte ein tiefes Loch zu ſehen iſt, in
welches man die Gefangenen warf, die ſodann auf unten
befeſtigten Meſſern ihren Tod fanden. Nahe hierbei iſt ein
Gefängnis. Dem Lichte iſt es ganz unzugänglich und dabei ſo
klein, daß man darin nicht liegen kann. In dieſem war der
Herzog von Guiſe gefangen.“
Die nächſte große Stadt auf dem Wege nach Paris iſt
Orleans, auf deren Marktplatz die Jungfrau von Orleans ein
— 223 —
bronzenes Denkmal hat, „nachdem man ſie bei Lebzeiten der
i Wut ihrer Feinde preisgegeben hatte.“ Da die Bourbonen
jetzt am Regimente ſind, hält ſie eine weiße Fahne in der Hand,
welche ſie aber ohne Zweifel im Laufe der wechſelnden Zeiten
mit andersfarbigen Fahnen vertauſchen wird.
Auf der letzten Poſtſtation vor Paris machen die Reiſenden
die Bekanntſchaft der dames de la halle. Eine Anzahl der-
ſelben hat ſich von ihren Fiſchen getrennt, um den hohen Herr—
ſchaften Blumenſträuße zu überreichen, wobei ſie „baren Un⸗
ſinn mit wahrhaft komiſcher Würde und erhabnen, oft poetiſchen
Ausdrücken“ zu verbinden wiſſen. Die ihnen dafür von der
prinzlichen Dienerſchaft geſpendete klingende Belohnung mochte,
wie die Prinzeſſin vermutet, einer dieſer Damen nicht ſplendid
genug ſcheinen, was ſie in folgendem Bombaſt zu verſtehen gab:
„Monseigneur! On ne suit pas du tout vos ordres, et ils
sont pourtant aussi justes que votre belle àme.“
Die hohen Reiſenden beabſichtigten ihr Inkognito zu be-
wahren, was aber nicht hinderte, daß ſie in ihrem Hotel (de
Castille, Rue Richelieu) bereits einen königlichen Kammer⸗
herrn wartend fanden, der ſie im Namen Karls X. auf den
folgenden Tag nach St. Cloud einlud.
Paris hat ſeit dem Jahre, aus welchem die Pariſer Auf—
zeichnungen des Tagebuchs datieren, ſehr viele Umwälzungen
über ſich ergehen laſſen müſſen. Die meiſten, die Stadt ſelbſt
betreffenden, waren Verbeſſerungen, ſo daß an den Schmutz, den
die Prinzeſſin in den Pariſer Straßen, neben der erfreulichen
Verkehrs⸗Ungeniertheit, in erſter Linie erwähnt, ein heutiger
Reiſender fast nicht mehr zu glauben vermag. Was der Fremde
jedoch heute dort an Kunſtwerken und merkwürdigen Gebäuden,
ſowie an Naturſchönheiten bewundert, war auch zu jener Zeit
ſchon größtenteils vorhanden. Das hierüber anderweitig oft
— 224 —
genug Erzählte und Berichtete macht die Mitteilung der
darauf bezüglichen Aufzeichnungen des Tagebuchs überflüſſig.
Auch was die Theater damals an Kunſtgenüſſen boten, kann
hier bis auf weniges übergangen werden. Neu war in jenen
Tagen Aubers Mason (Maurer und Schloſſer), und Nourrit
als Mason wie Mademoiſelle Pradher als Türkin fanden
großen Beifall. — Mademoiſelle Mars, deren Tochter ſchon
damals auf dem pere la chaise ruhte, hatte ihren bekanntlich
bis in ihr achtes Lebensjahrzehnt erfolgreich durchgeführten
Widerſtand gegen die Verheerungen des Alters mit Energie be-
gonnen und ſpielte trotz ihrer fünfzig Jahre jugendliche Rollen.
„Die Stelle in der Jeunesse de Henri V., wo der Liebhaber
zu ihr ſagt: „On n'est pas plus jolie!“ wurde beklatſcht, und
wirklich mit Recht,“ urteilt die Prinzeſſin, „denn ſie ſah ſehr
hübſch aus. Sie hat ſich ſeit 1813 womöglich im Spiele noch
vervollkommnet, iſt aber bei weitem nicht mehr ſo gut von ihrer
Umgebung unterſtützt. Armand, der noch mit ihr ſpielte, hat
ſeit 1813 viel verloren.“ In der großen Oper hört die Prin⸗
zeſſin zum erſtenmale Gluckſche Muſik, leider nur den Schluß
des Orpheus, findet aber an den Darſtellern kein Gefallen.
„Sie ſchrieen ſehr ſtark und ſpielten im Geſchmack der franzöſiſchen
Tragödie, wanden ſich und krümmten ſich gewaltig.“ — Ent⸗
zückt iſt ſie dagegen von den Leiſtungen der kleinen Truppe
der Varietés, unter denen ſie Potier und Brunet auszeichnet.
Dieſe Truppe ſieht ſie denn auch bei Hof ſpielen, und zwar
giebt man Le conscrit und Le beneficier. „Es iſt nicht
möglich,“ ſchreibt die Prinzeſſin über Potier, „komiſcher, natür⸗
licher und dabei weniger trivial zu ſpielen, als dieſer Schau⸗
ſpieler, der das Lachen und Weinen der Zuſchauer ganz in ſeiner
Gewalt hat. Der gute alte König lachte recht von Herzen, ob⸗
gleich er ſonſt der Zerſtreuungen dieſer Welt ziemlich über⸗
— 225 —
drüſſig ſcheint und feine Abende meiſt bei einer Partie Reverſé
zubringt.“
Über den Beſuch in St. Cloud ſchreibt die Prinzeſſin
weiter:
„Wir wurden in einen ſehr eleganten Saal geführt und
wenige Augenblicke ſpäter rief man uns zum Könige. Die
Gräfin Damas, Schwiegermutter des Miniſters des Äußern,
begleitete mich, um mich (da wir in Paris inkognito waren) zu
präſentieren. Der König empfing uns ſehr freundſchaftlich. Er
erinnert mich im Jüngeren ſehr an unſern Großonkel, beſonders
an den Herzog Albert (zu Sachſen-Teſchen, Bruder Maria
Joſephas, der Mutter Ludwigs XVI., Ludwigs XVIII. und
Karls X.). Wir gingen darauf zu dem Dauphin (Herzog von
. Angouleème, geb. 1775) und zu den Prinzeſſinnen. Der
Dauphin iſt nicht ſchön, geht gebückt, ſieht faſt älter aus als
ſein Vater und iſt beim erſten Auftreten ſehr verlegen; dann
aber hat er etwas recht Gutmütiges und Natürliches. Die
Dauphine (Herzogin von Angoulème, Maria Thereſia Charlotte,
Tochter Ludwigs XVI., geb. 1778) iſt für ihr Alter noch
eine ſchöne Frau, eine majeſtätiſche Geſtalt, etwas Männliches,
ſehr liebenswürdig, aber ernſt; ich bin jetzt mit ihr noch ein
wenig ſchüchtern. Ein allerliebſtes Weſen iſt die Ducheſſe de
Berry (Marie Karoline, geb. 1798, Tochter des Königs beider
N Sizilien, Franz I.). Sie iſt nicht eben hübſch (fie hat die
öſterreichiſche Phyſiognomie), aber dabei jo lebhaft, heiter und
* angenehm, daß ſie allen, die ſie ſehen, gefallen muß. Rührend
itt ihre Gefälligkeit und Aufmerkſamkeit für den alten Schwieger-
vater, der ſich aber auch in ihrer Geſellſchaft zu verjüngen ſcheint.
Ihre Kinder (Luiſe Marie Thereſe von Artois, geb. 1819, und Henri,
| . Herzog von Bordeaux, geb. 1820, ſieben Monate nach der Er⸗
mordung des Herzogs von Berry) find ſehr niedlich, beſonders
15
— 226 —
die Tochter; der kleine Bordeaux ſpricht noch wenig. — In
den Zimmern der Dauphine fiel mir ein Bild auf: Ein junges
Mädchen (die Dauphine) knieet, ganz in Thränen aufgelöſt,
neben einem Grabhügel, auf welchem ein einfaches ſchwarzes
Kreuz ſteht. — Wir aßen ganz allein beim Könige, eine Ehre,
die bis jetzt, außer Perſonen aus regierenden Häuſern, nur noch
zwei Männern, zu teil geworden iſt: Metternich und Welling⸗
ton.“ Gegen das frühere ſtrenge Zeremoniell des franzöſiſchen
Hofs allerdings ein großer Abſtand. Ein Berichterſtatter, den
der Rheiniſche Antiquarius zitiert, hat les trois princes
royaux de Saxe et de Pologne noch à la table du premier
maitre de Thôtel in Verſailles beköſtigen ſehen, weil das Hof-
zeremoniell verbot, daß ſie ſelbſt auch nur mit der Dauphine,
ihrer Schweſter, an derſelben Tafel ſpeiſten, von dem König
ganz zu geſchweigen.
Bei dem Beſuche, welchen die Reiſenden dem kleinen Trianon
von Verſailles abſtatten, giebt das Tagebuch die Beſchreibung
eines Miniatur-Dorfs, das einigermaßen dem damals in den
Gärten von Spaniens Luſtſchlöſſern üblich geweſenen Genre
von Überraſchungs- Spielereien geglichen zu haben ſcheint. An
einem Miniatur⸗Bache maleriſch gelegen, breitet ſich das Dörf—
chen in behaglicher Fülle aus; ein Kirchlein, eine Mühle, die
Wohnung des Pfarrers, das Haus des Gutsherrn — nichts
iſt vergeſſen.
Eine heimiſche Saite klingt wiederum im Gemüt der Prin⸗
zeſſin an, als ſie im Grand Trianon vor dem Porträt der 1805
verſtorbenen Komteſſe d' Artois (der Gemahlin Karls X., Maria
Thereſia von Savoyen) ſteht; „ganz wie unſere ſelige Tante
Marianne!“ ruft ſie aus.
Unter den zahlreichen Perſonen, welche den hohen Reiſenden
ihre Aufwartung machen, iſt auch Fürſt Taillerand. Die Prin⸗
Deen
— ** —
zeſſin ſtellt über ihn folgendes kurze Signalement aus: „Er
hat ein Paar kleine blitzende Augen, und es iſt wohl nicht leicht
möglich, häßlicher zu ſein.“
Über ein Diner in Neuilly beim Herzog von Orleans, dem
ſpäteren König Louis Philipp, damals 52 Jahre alt, heißt es:
„Um 5 Uhr (am 12. Mai) fuhren wir nach Neuilly. Man
kann ſich nicht leicht eine liebenswürdigere Familie als die des
Herzogs denken. Er ſelbſt erſchien einige Augenblicke ſpäter,
als die übrigen, denn da er Papa in Uniform hatte kommen
ſehen, ließ er ſich raſch umkleiden. Er ſcheint das Bild eines
liebenden Familienvaters, ein großer ſtarker Mann mit kleinen
klugen Augen, einer nicht eben ſchönen, aber geiſtreichen und
ſehr angenehmen Phyſiognomie — franzöſiſche Liebenswürdigkeit.
Aus ſeinem Betragen gegen die Herzogin (Marie Amelie, da⸗
mals 43 Jahre alt, Tochter Ferdinand IV., Königs beider
Sizilien) ſcheint hohe Achtung und dankbare Erinnerung, daß
ſie ihn wählte, als er arm und flüchtig war, hervorzuleuchten.
Die Herzogin, eine durchaus erzherzogliche Geſtalt (ihre Mutter
war eine Tochter Maria Thereſias), verbindet den feinſten Ton
mit einer außerordentlichen Gutmütigkeit. Sie hat unendlich
viel von chère tante Thereſe (der Tochter Kaiſer Leopolds).
Ihre acht Kinder ſind fröhlich und wohlerzogen. Der älteſte
Sohn Chartres hat eine offne ehrliche Miene. Weniger hübſch
iſt ſein Bruder Nemours; der kleine Joinville mit dunklen
Haaren und großer Munterkeit iſt allerliebſt. Den Kreis ſchließt
Mademoiſelle d'Orleans (Adelaide, geb. 1777), Schweſter des
Herzogs. Ich war ſehr neugierig, ſie zu ſehen, da Frau von
Genlis ihrer ſo oft erwähnt, und ich fand, daß ſie von ihr nicht
zu viel geſagt hat. Mademoiſelle d' Orleans iſt nicht mehr jung,
groß und ſtark, etwas braun, und iſt wohl nie ſchön geweſen,
aber es iſt kaum möglich Verſtand, Herzensgüte und Anſpruchs-⸗
15*
— 228 —
loſigkeit in höherem Grade zu vereinigen. Sie beſchäftigt ſich
mit der Erziehung ihrer Nichten und ſoll ihnen ſelbſt Unter⸗
richt auf der Harfe geben. Die beiden älteren, Luiſe und Marie,
fand ich ſpäter Gelegenheit, zu ſprechen. Sie ſind wohlerzogen
und graziös, ohne eben ſchön zu ſein. Sie werden, wie die
Herzogin mir ſagte, bald eine Reträte anfangen, um ſich auf
ihre erſte Kommunion vorzubereiten.“
Es kommen dann noch einige Nachtiſch-Gäſte, darauf folgt
ein kleines Konzert mit Donzelli, Levaſſeur und den Damen
Cinti und Schiaſotti und erſt nach Mitternacht wird auf⸗
gebrochen. „Wir hatten einen höchſt angenehmen Abend zu⸗
gebracht,“ ſchließt der Bericht; „man fühlt ſich ſo wohl unter
dieſen Menſchen.“
Die Kirche Ste. Genevieve — das jetzige Pantheon —
giebt bald darauf Gelegenheit, die wieder zur Herrſchaft gelangte
Bourbonen-Dynaſtie auch in monumentaler Weiſe verherrlicht
zu ſehen. Eben waren die Plafond-Bilder dieſer Kirche, die ja
bei jedem Wechſel des Regiments auch ihre Beſtimmung wechſelt,
fertig geworden: Die in den Wolken ſchwebende heilige Geno⸗
veva als Patronin der Stadt; anbetend zu ihr aufblickend
Clodwig und die heilige Clothilde, Karl der Große und Hilde⸗
gard, der heilige Ludwig und Margarethe von Provence, endlich
Ludwig XVIII., die Dauphine und der Herzog von Bordeaux.
Bei der Herzogin von Berry, die den ſächſiſchen Gäſten
ein Diner in den Tuileries giebt und bei dieſer Gelegenheit die
Prinzeſſin mit einer kleinen Doſe und einer Taſſe, worauf ihr
Landhaus Rosni, beſchenkt, ſieht die Verfaſſerin des Tagebuchs
ein Porträt des Herzogs von Berry, deſſen Ermordung im
Jahre 1820 damals noch friſch in aller Gedächtnis war, wenn⸗
ſchon die politiſche Bedeutung ſeines Todes durch die Geburt
des Herzogs von Bordeaux abgeſchwächt erſchien. „Ich ſah
— 229 —
ein Porträt des armen due de Berry in Lebensgröße,“ ſchreibt
die Prinzeſſin, „der aber von etwas plumper Geſtalt und wenig
diſtinguirtem Außern muß geweſen ſein.“
Von ſonſtigen Perſonen der königlichen Familie erwähnt
die Prinzeſſin noch des Herzogs von Bourbon Condé, „einen
ſehr alten und ſtillen Mann, der ſehr gebeugt ausſieht.“ Mit
dieſem Greiſe iſt bekanntlich die Linie Bourbon-Conds erloſchen.
Er ward am 27. Auguſt 1830 erhängt in ſeinem Zimmer ge⸗
funden. Ob er ſich ſelbſt das Leben genommen hat, darüber
iſt lange geſtritten worden; Zweifel daran waren nie ganz zu
unterdrücken. Er war 1756 geboren, heiratete Luiſe Marie
Thereſe Mademoiſelle d'Orleans, welche ihm 1772 den Herzog
von Enghien gebar. In zweiter Ehe — die erſte war 1780
gelöſt worden — lebte er mit einer Brittin. Sie und der
junge Herzog von Aumale waren feine Erben. Militäriſcher
Sinn und ariſtokratiſcher Stolz waren ſeine hervorragendſten
Eigenſchaften.
In der Deputierten⸗Kammer ſieht Prinzeſſin Amalie unter
andern den General Foy, „der einem Italiener gleicht und
deſſen Geſicht etwas Geniales hat;“ er ſtarb im ſelben Jahre;
dann Benjamin Conſtant, „ſchon alt, mit halb blondem, halb
grauem Haar, klein, etwas ſtark, ſehr gelaſſen;“ ebenſo Miniſter
Villele, „klein, braun, nicht diſtinguirt, ſehr lange Naſe.“ Von
Rednern hört fie Caſemir Perier, der über die ſchlechte Be—
ſchaffenheit der Landſtraßen donnert. Die „Fürſtin von Wagram“
(Witwe Berthiers), welche der Prinzeſſin an der Tafel des
Grafen Bray vorgeſtellt wird, ſchildert ſie als „ſehr liebens—
würdig und mit ganz franzöſiſcher Tournüre, auch von ſchöner
Geſtalt, aber häßlich von Geſicht.“
Auf dem Kirchhofe Pere la chaise werden die Reiſenden
von einem Manne herumgeführt, der fie für Proteſtanten hält
— 230 —
und ſich daher angelegen ſein läßt, ihnen alle Gräber von
Proteſtanten zu zeigen; daneben weiß die Prinzeſſin ſelbſt
herauszufinden, was Intereſſe verdient. Auch dieſe Sehens⸗
würdigkeit der Seine-Metropole iſt oft beſucht und beſchrieben
worden. Die Gräber Abaelards und Heloiſes, Deslisles,
Molieres, La fontaines, Grétrys und Mehuls feſſeln die Teil-
nahme der Prinzeſſin nicht minder, wie das Denkmal Labé⸗
doyeres, der erſchoſſen wurde, weil er zu Napoleon überging,
und deſſen weinende Gattin mit ihrem Kinde auf dem Relief
des Denkmals abgebildet iſt, dazu die Worte geſetzt ſind:
L’amour pour mon fils peut seul me retenir à la vie. Auf
Neys Grab, welchem feine Anhänglichkeit an den Kaifer gleich-
falls das Leben koſtete, vermißt die Prinzeſſin ſo Stein wie
Inſchrift. Bei Erwähnung der zahlreichen andern dort beſtatteten
Marſchälle und in Sonderheit des Grabmals von Marſchall
Davouſt ſchreibt fie, alter, böſer Zeiten gedenkend, „es machte
mir doch einen ſonderbaren Eindruck, die letzte ſtille Ruheſtätte
dieſer Leute zu ſehen, von welchen noch vor wenigen Jahren
ganz Europa ſprach.“
Einer der berühmteſten Marſchälle Napoleons, Marſchall
Soult, hat, wie bekannt, bei Gelegenheit ſeiner Kämpfe gegen
Wellington in Spanien und Portugal noch Muße gefunden,
aus den dortigen Schlöſſern und Kirchen ſich eine Privatſamm⸗
lung erleſener Kunſtſchätze zuſammen zu ſtellen. Die Prinzen
und die Prinzeſſin werden jetzt von ihm ſelbſt in ſeiner Ge⸗
mälde- Galerie umhergeführt und er übernimmt auch die Er⸗
klärung der Meiſterwerke. Die Prinzeſſin beſchreibt ihn als
„einen großen, ſtarken, ältlichen, ſehr artigen Mann.“
Dreizehnter Abſchnitt.
Die Rückreiſe.
3 G
{ An 17. Mai wird über Raincy — deſſen ſchöner Park
> damals dem Herzog von Orleans gehörte — die Rückreiſe
a angetreten und über Meaux, Verdun und Metz fortgeſetzt.
Bei St. Avold kommen die Reiſenden an einem mit Gebüſchen
beſtandenen Höhenzuge vorbei, der „schon ganz vaterländiſch
aausſieht.“ Man fängt an, deutſche Hausſchilder wahrzunehmen
und hört bald nur noch deutſch reden. Dann geht's, kurz
vor Saarbrücken, nach Deutſchland hinein. Sofort beginnt es
der Prinzeſſin gemütlich zu werden, allerdings auf Koſten des
Comforts. Über das für die Reiſenden ſich öffnende Quartier
in Saarbrücken ſchreibt ſie: „Durch die Küche gelangten wir in
unſere Wohnungen.“ Eine Galerie geht rings um den Hof
des Gaſthauſes, „ſo daß man wie von einer Theatergalerie
herab dem Treiben der Küchengrazien zuſehen konnte.“ Die—
ſelben glaubten übrigens, für ein gekröntes Haupt den Spieß
zu drehen und das Hackmeſſer zu ſchwingen, „denn es hatte ſich
das Gerücht verbreitet,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „wir führten
den König von Spanien mit uns, und ſo fragte ein Mann den
Hofrat Erdmann: Sind Sie Se. Excellenz der König von
Spanien?“
Durch den Anblick von Storchneſtern auf hohen Stangen
mitten in den Feldern werden die Reiſenden erfreut, als ſie die
Saar paſſiert haben, nicht minder durch Wälder von Schwarz⸗
holz — „die erſten ſeit ſieben Monaten.“ Dagegen proteſtiert
die Prinzeſſin vergebens unweit Kirchheim-Poland gegen die }
Kapriolen eines der ihrem Wagen vorgeſpannten deutſchen
Pferde, das nie früher im Geſchirr ging und ſeinen Kollegen
endlich richtig verführt, ſamt Wagen, Prinzeſſin und Papagei,
— die Übrigen waren zu Fuß vorauf — querfeldein in ein
Haferfeld einzubiegen, wo ſich die beiden Roſſe glücklicherweiſe
ſo wohl fühlen, daß die geängſtigten Paſſagiere ſich aus dem
Wagen retten können. Ebenſo gnädig läuft gleich darauf die
Attacke eines Truthahns ab, der die in einen Bauerhof geflüchtete
Prinzeſſin und ihren Papagei in einer heftigen Zorneswallung
aus demſelben wieder vertreiben will.
Weiter gehts über Alzey ins ſchöne Rheinthal, wo im fernen
Odenwalde „der Ritter Rothſtein ſpukt;“ bei Mainz wird der
Rhein paſſiert und ſo gelangt man unter freudigem Beachten
der ſaubern Dörfer und des zunehmenden Wohlſtandes nach
dem behäbigen Frankfurt, deſſen verſchönerte Straßen die Prin⸗
zeſſin freilich kaum wiedererkennt, wennſchon fie ſich beim Er-
blicken des Sandhofs dankbar „des guten Fürſt-Primas er⸗
innert, der uns, als wir Kinder waren, dort ein Feſt gab.“
Im Römer beſchleicht ſie unter den hiſtoriſchen Denkmälern des
Kaiſerſaales, beim Anblick der Kapſel einer ägyptiſchen Mumie,
die Frage, ob dieſelbe etwa „als Symbol des deutſchen Reichs“
gelten ſolle? — Vor einem Bilde des Fürſten Metternich ſieht
ſie den Kröſus Frankfurts Thränen der Rührung vergießen.
Aber trotz dieſem „ſeinem Gönner,“ wie er den Fürſten nennt,
dargebrachten Dankbarkeitstribut faßt die Prinzeſſin das Ver⸗
hältnis, in welchem der alte Millionär zu ſeinem eigenen Midas⸗ 4
tum ſteht, als ein halb humoriſtiſches auf: „Sein Reichtum
ſcheint ihn mehr zu amüſieren, als daß er ihn ſtolz macht.“
r EVEN:
— 233 —
In Gotha wird der Herzogin-Witwe ein Beſuch in ihrem
Gartenſchloſſe abgeſtattet — die letzte Übriggebliebene ihres
Hauſes. Sie ſcheint der Prinzeſſin „ruhig und ergeben in ihr
trauriges Schickſal.“ In Weimar begrüßen die Reiſenden „die
liebe, alte Herzogin“ und empfangen den Beſuch des Groß—
herzogs, den ſie ſehr gealtert finden.
Am 26. Mai 1825 gelangen ſie abends nach dem traulichen
Pillnitz zurück. |
Hier haben inzwiſchen die von dem König gehegten Pläne
wegen einer Wiederverheiratung des 66 jährigen Prinzen Max
feſtere Geſtalt gewonnen, und im November des nämlichen
Jahres bekommt Prinzeſſin Amalie in der Prinzeſſin Marie
Luiſe von Parma, Tochter des Königs Ludwig von Etrurien,
eine Stiefmutter. Dieſelbe iſt erſt 23 Jahre alt, demnach acht
Jahre jünger, als Prinzeſſin Amalie. Da ſie eine geſchickte
Klavierſpielerin und Sängerin iſt, ſo findet die Verfaſſerin des
Tagebuchs ſpäter häufig Gelegenheit, über gemeinſam veran—
ſtaltete Aufführungen und über gemeinſames Muſiküben zu be—
richten. Wie es in der Art der Luſtſpiel-Dichterin liegt, entgeht
ihr übrigens auch nicht ein drolliger Zug, der bei dem erſten
Eintreffen der jungen Stiefmutter dem monotonen Begrüßungs—
Zeremoniell einige Lebendigkeit giebt. „Als die Königin ſie (die
Prinzeſſin Luiſe) umarmte,“ heißt es im Tagebuche, „blieben
ſie mit den Locken an einander hängen — was die Bekannt—
ſchaft erleichterte.“ Die Schleppe der Braut trägt wiederum
Prinzeſſin Amalie.
Aus dem nächſten Jahre (1826) iſt einer in Gegenwart der
Prinzeſſin Amalie und des Prinzen Johann im Hoftheater vor—
fallenden Demonſtration zu erwähnen. Ein Teil der Dresdner
— 234 —
Kritiker hatte ſich über die Aufführungen Calderonſcher Stücke
als unzeitgemäß geäußert. Viele Theaterbeſucher teilten dieſe
Anſicht und pochten am 8. Januar die am 2. Januar ſchon 1
mißfällig aufgenommene „Dame Kobold“ ſo lärmend aus, daß
die Aufführung unterbleiben mußte.
Häufig beſucht der Hof jetzt das kleine Theater am Linder
ſchen Bade. Schon feit geraumer Zeit hat Weber, trotz Mor⸗
lacchis Einſpruch, auch die italienische Truppe dahin gebracht,
ſich für dieſe dürftigen Räume nicht als zu vornehm zu halten.
Sein im Juni 1826 aus England gemeldeter Tod verſetzt alles
in Trauer.
Im Januar des folgenden Jahres (1827) beginnt die eiſerne
Geſundheit des alten Königs ins Wanken zu kommen. Die
Prinzeſſin ſieht ihn faſt nur noch, wenn er in ſeiner Sänfte aus
dem Schloſſe durch den brückenartigen Verbindungsgang in die
Kirche getragen wird. Am 26. April fährt er wieder auf die
Jagd, verfällt aber am 2. Mai in einen lethargiſchen Schlaf,
erhält am ſelben Tage die letzte Olung, am 4. vom Biſchof die
General-Abſolution und ſtirbt am 5. „Ich ging noch einmal
ins Schlafzimmer, um ihn zu ſehen,“ ſchreibt die Prinzeſſin,
„er war unverändert und eine ſchöne Leiche.“
Seit ſeinem fünfzigjährigen Regierungsjubiläum waren
neun Jahre verſtrichen. Das plötzliche Ende einer ſo langen,
noch dazu durch ſtrenges Feſthalten an überkommene Formen
charakteriſierten Regierung mußte manche Beſorgniſſe wachrufen.
Die Prinzeſſin empfängt denn auch von der allgemeinen
Beſtürzung bei dem nun eingetretenen Tode des hochbetagten
Königs den Eindruck, als habe „alles den Kopf verloren.“
Dies beſchränkt ſich aber augenſcheinlich nur auf die nächſte Um⸗
gebung. Die Zivil- und Militärbehörden begeben ſich in her⸗
kömmlicher Weiſe zu dem Thronfolger, dem greiſen Prinzen
r
—
— 235 —
Anton, der wohl kaum noch geglaubt haben wird, die Krone
tragen zu müſſen, und leiſten ihm den Eid der Treue.
Im Laufe der nächſten Monate zeigt ſich denn auch, daß
die Veränderung vor der Hand keine tieferen Erſchütterungen
in ihrem Gefolge zu haben braucht. Im Oktober wird im
Paradeſaal des königlichen Schloſſes ſeitens der Stände ge—
huldigt; ebenſo in der (damaligen) Bildergalerie ſeitens der
Stadt. Im ſelben Monate aber erkrankt während der Leipziger
Huldigungen daſelbſt die eben erſt Königin gewordene chere
tante Thereſe in bedenklicher Weiſe. Prinzeſſin Amalie erbittet
und erhält die Erlaubnis, nach Leipzig reiſen und ſie pflegen zu
dürfen. Der Zuſtand der Kranken verſchlimmert ſich aber immer
mehr, und am 7. November entſchläft ſie in Gegenwart ihres
Gatten und ihrer Nichte. Sie war 40 Jahre vermählt und
wurde 60 Jahre alt.
Schon im nächſten Jahre (am 15. November 1828) folgt
ihr die verwitwete Königin Marie Amalie Auguſte, im Alter
von 73 Jahren. Und wieder ein Jahr ſpäter (am 17. Mai
1829) endet, wie erwähnt, in Madrid die jüngſte Tochter des
Prinzen Mar ihren Lebenslauf.
So vielen Trauerfällen ſteht am Dresdner Hofe glücklicher—
weiſe das frohe Ereignis der Geburt eines Prinzchens gegen—
über, nachdem das erſte Kind, welches die Prinzeſſin Johann
ihrem Gatten nach fünfjähriger Ehe gebar, ein Töchterchen ge—
weſen iſt. Das für die Thronfolge ſo bedeutſame Ereignis der
Geburt eines Prinzen wird um die Mitternachtſtunde des
23. April 1828 nicht nur durch Kanonendonner gefeiert, ſondern
mitten auf der Dresdner Elbbrücke veranſtaltet eine heiter an—
gemutete Geſellſchaft auch noch ein allſeitiges Champagner—
Traktement. Der König und Prinzeſſin Amalie ſind am 24.
Paten und halten den kleinen Prinzen über die Taufe, durch
— 236 —
welche er den Namen Albert empfängt. Die übrigen Paten ſind
Königin Thereſe von Bayern, Karl von Lucca, Kronprinz und 4
Kronprinzeſſin von Preußen und Prinz Karl von Bayern.
Abends iſt Galatheater. Man ſpielt die Jungfrau von Orleans
mit Fräulein Gley in der Titelrolle und mit Emil Wan 1
als König.
Ein anderes im Tagebuch verzeichnetes Ereignis, aber eins,
das für die königliche Familie leicht hätte verhängnisvoll werden
können, gehört noch in die Zeit der Huldigungen mit ihren
Aufregungen: Nachdem man eben in Schandau ein großes
Diner eingenommen hatte, das die Königin gab, ſtellte ſich
heraus, daß ein Verrückter dasſelbe zubereitet hatte — der neue
königliche Koch! Angſt und Teilnahme haben ſich bei dieſer
Nachtiſch-Kunde jedenfalls die Wage gehalten, bis das allſeitige
Ausbleiben irgendwelcher Vergiftungsſymptome geſtattete, die
Teilnahme für den plötzlich um ſeinen Verſtand Gekommenen
allein walten zu laſſen.
Ein andrer, nur geringfügiger Unfall, der aber doch Zeit⸗
lebens der Prinzeſſin Amalie am Kopfe eine ſchmerzhafte kem⸗
pfindung hinterlaſſen hat, — in der Dresdner katholiſchen Kirche
das Zuwerfen der Tribünenthür im Augenblick, als ſie zu den
Exequien der Königin in die Tribüne trat, — wird von ihr auf
Rechnung der doppelten Schleier geſchrieben, welche vorſchrifts⸗
mäßig zum Trauerzeremoniell gehörten und hinter denen man
ſchier nichts von den Dingen um ſich ſehen konnte. Als Beitrag
zu andern kulturhiſtoriſchen Studien dieſer Art ſei hier erwähnt,
daß in den erſten Stunden nach dem Tode des alten Königs
folgende Trauer-Außerlichkeiten beachtet werden mußten: Es ö
wurde von den Damen (da man in Pillnitz war) „für einſtweilen
Halbtrauer angelegt; den Herren wurden Fracks und Pantalons I 0
erlaubt.“ Später bei den Vigilien für den König heißt es
— 237 —
dann: „Wir trugen Tuchkleider und doppelte Schleier.“ Am
7. Oktober — fünf Monate nach dem Tode des Königs —
folgt die Notiz: „Die Trauer wechſelte. Die Damen trugen
ſeidne Kleider mit ſchwarzem Krepp.“ Und endlich, was die
Trauer auf dem Lande betrifft: „Die Trauer für den König
wurde in Pillnitz nur in grauer Farbe getragen.“ Als die
Königin⸗Witwe geſtorben iſt, heißt es: „Die Männer trauern
in rauhem Tuch und Pleureuſen, die Damen in Tuch und
großem Schleier, aber ohne Schneppe, welche abgeſchafft iſt.“
Bevor von der nächſten italieniſchen Reiſe der Prinzeſſin
das Weſentliche mitgeteilt wird, ſei hier noch einiger Beſucher
gedacht, die in dieſer Zeit am ſächſiſchen Hofe einſprachen und
ebenſo der bedeutenderen Künſtler, welche die Prinzeſſin zu
ſehen oder zu hören Gelegenheit hatte. Unter letzteren waren
Paganini, Reißiger, der in Webers Stelle gerückt war, und
Hummel, der unter anderm über ein ihm von dem Könige
aufgegebenes Thema, die Romanze aus Iſolina, auf dem Flügel
phantaſierte. Tieck las öfter bei dem Prinzen Johann und
ebenſo bei Prinzeſſin Auguſte.
In den „Erinnerungen einer alten Dresdnerin“ hat Frau
Börner-Sandrini auch der von Prinzeſſin Amalie damals
oft veranſtalteten muſikaliſchen Abende gedacht, bei denen
außer einigen Künſtlern Prinzeſſin Amalie, Prinz Friedrich
Auguſt (angenehmer Baß, anmutige Geſangsweiſe, Mieckſchs
Methode) und Prinzeſſin Luiſe (die zweite Gattin des Prinzen
Max) mitwirkten. Der letzteren wird eine kräftige Altſtimme
und echt italieniſche Methode nachgerühmt. Sie hatte „dunkle
Locken, blitzende Augen und ſüdliche, ſcharf gezeichnete Züge,
war zierlich von Geſtalt und von ſtets heiterer ſprudelnder Leb—
haftigkeit.“ Prinzeſſin Thereſe, die ſpätere Königin, über
deren Ableben oben berichtet worden iſt, erſchien zu jener Zeit
— 238 —
zumeiſt „in ſchwerſeidner Robe, ein Federhütchen auf den zier⸗
lich geordneten, weißen Löckchen, die zarten, reich mit Ringen
geſchmückten Finger mit einer leichten Handarbeit beſchäftigt.
Prinz Friedrich (Auguſt) in blauem Rock mit blanken Knöpfen
und dem Stern. Die Prinzen Anton und Max in dunklem
Hofkleid, Kniebeinkleider, ſeidene Strümpfe, Schnallenſchuhe,
den Claquehut unterm Arm. Prinzeſſin Amalie faſt immer in
einfacher grauer Seide.“
Hier mögen noch einige Bemerkungen Platz finden, die
auf König Friedrich Auguſt des Gerechten Regierungszeit
zurückgreifen und ſeine Sonderſtellung neben dem Kreiſe des
Prinzen Max charakteriſieren, nicht minder ſein vermutliches
Verhältnis zu den muſikaliſchen und dichteriſchen Arbeiten der
Prinzeſſin Amalie.
Der Zuſchnitt des Hoflebens war, ſo lange König Fried—
rich Auguſt lebte, ſoweit nicht ökonomiſche Rückſichten Einfluß
übten, völlig unverändert geblieben. Dem ſtrengen Zeremoniell
war jedoch, wie erwähnt, in den prinzlichen Kreiſen immer ein
heiter geſelliger Verkehr zur Seite gegangen. Wenn der König
ſich aus Gewohnheit von dieſem ferngehalten hatte, ſo mochte
er doch inſonderheit durch ſeine muſikaliſchen Neigungen mit den
Beſchäftigungen verwandter Art, die in den prinzlichen Kreiſen
gepflegt wurden, immer in einem gewiſſen Zuſammenhange ge⸗ 4
blieben ſein. Mit ſeiner Gattin, ſeiner Tochter, mit Prinz
Anton, Prinzeſſin Thereſe und anderen hat König Friedrich
Auguſt, wie Profeſſor Fürſtenau dies nachweiſt, wenigſtens bis !
zum Jahre 1813 oft und viel muſiziert. Faſt alle bedeuten⸗
deren Erſcheinungen auf dem Gebiete der damaligen Konzert⸗
und Kammermuſik wurden für ihn vierhändig arrangiert. Er
benutzte bis an ſein Lebensende jenen von Silbermann ver⸗
fertigten ſogenannten Kielflügel (Cembalo), deſſen ſchon gedacht
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— 239 —
worden iſt, und ebenſo einen Flügel mit Tangenten-Mechanik,
verbunden mit einer Orgel. „Im Ganzen,“ ſagt Fürſtenau,
„urteilten ihm näherſtehende Perſönlichkeiten dahin, daß es ihm
bei ſeinem Spiele hauptſächlich darauf angekommen ſei, das
innerſte Weſen der ihm ſympathiſchen Muſikſtücke zu erkennen.
Noch in den letzten Jahren ſeines Lebens hatte er ſtets mehre
Partituren von Kirchenkompoſitionen und Opern auf ſeinem
Zimmer und beſchäftigte ſich gern damit. In der letzten Oſter—
woche noch ſpielte er eine Meſſe von Hummel. Die Oper
Il Croeiato in Egitto von Meyerbeer war die letzte, welche er
durchnahm. — Es iſt oft behauptet worden, der treffliche Fürſt
habe Mozarts Meiſterwerke nicht erkannt und geſchätzt. Dies
iſt übertrieben, namentlich hinſichtlich der Kammermuſik des
Meiſters. Dieſe, die Klaviermuſik wenigſtens, war faſt voll⸗
ſtändig in ſeinem Beſitz und iſt viel von ihm geſpielt worden.
Von den Opern ſind Cosi fan tutte und II flauto magico in
italieniſcher Sprache auf der königlichen Bühne zuerſt 1791 und
1794 gegeben worden. Don Giovanni und Le Nozze di
Figaro erſchienen allerdings erſt nach der Reorganiſation 1814
und 1815 auf der Hofbühne. Friedrich Auguſts Sittenſtrenge
ſoll Anſtoß an dem Texte dieſer Opern genommen haben. Da⸗
für ſpricht allerdings das Vorhandenſein zweier Opern in der
königlichen Muſikalienſammlung, welche die Titel Il ratto
punito und Gli amanti folletti führen und auch zur Aufführ⸗
ung gekommen ſind. Dieſelben ſind aus lauter Muſikſtücken
Mozarts zuſammengeſetzt, zum großen Teil aus Don Juan
und Figaros Hochzeit. — König Friedrich Auguſt komponierte
auch in ſeinen früheren Jahren, namentlich Kirchenmuſiken. Er
ließ ſolche vom Kapellmeiſter Schuſter abſchreiben, damit es
nicht bekannt werde, von wem die Sachen ſeien. Sichere
Tradition bezeichnet zwei Kirchenkompoſitionen, die jetzt noch
— 240 —
in der katholiſchen Hofkirche aufgeführt werden, als von ihm
herrührend. Es find dies ein Salve regina, welches bei ſeiner
Beſtattung zuerſt geſungen wurde und ſeit dieſer Zeit bei jeden
Beiſetzung eines Mitgliedes des königlichen Hauſes zur Auf⸗
führung kommt, ſowie eine Veſper, welche an den erſten Feier⸗
tagen zu Weihnachten, Oſtern und Pfingſten von der königlichen
Kapelle geſpielt wird.“
Wenn Prinzeſſin Amalie über die erſte Aufführung ihres
Schauſpiels „Der Krönungstag“ (Juli 1823) in ihren Tage⸗
buchnotizen ſagt: „Die ganze Familie, außer der König,
war dabei,“ ſo wird auch hier König Friedrich Auguſt, wie bei
ſeinen eignen, hinter Schuſters Notenſchrift verſteckten Kom⸗
poſitionen, ohne Zweifel Bedenken gegen ein Heraustreten in
die Offentlichkeit gehabt haben, ſei es, daß er darin ein Ver⸗
wiſchen der Scheidelinie zwiſchen Sphären erblickte, die geſondert
bleiben ſollten, ſei es, daß er aus Beſcheidenheit ſich und ſo auch
ſeiner Nichte die Fähigkeit, über bloß Dilettantiſches hinaus
etwas zu leiſten, nicht zutraute. Um ſo höher iſt es anzu⸗
ſchlagen, daß er ſich offenbar lediglich darauf beſchränkte, durch
ſein Fernbleiben ſein Verhältniß zu dieſen Verſuchen zu erkennen
zu geben, d. h. der ihnen ſeitens des Prinzen Max gewordenen
fortwährenden Aufmunterung den Zügel vorſichtiger Reſerve
anzulegen. Dies drängte den produktiven Trieb der Prinzeſſin
freilich etwas zurück, hat aber denſelben keineswegs ertötet,
vielmehr mit dazu beigetragen, daß ſie ſich über ihre eigentliche
Begabung klarer wurde. Nachdem, wie ſchon in der Einleitung
erwähnt, das erſte öffentlich, wenn auch anonym aufgeführte
Stück „Die Abenteuer der Thorenburg“ nicht angeſprochen
hatte, ward unter ſolchen Umſtänden jene durch den Prinzen
Johann als Überraſchung für feine Schweſter veranſtaltete
Aufführung des „Krönungstages“ zu einer Angelegenheit des
— 241 —
engſten Familienkreiſes gemacht. Nach dem Tode des Königs
lag es nahe, mit dieſen Stücken aus der bisher beobachteten
Reſerve nach und nach herauszutreten, hatte die Prinzeſſin doch
nicht dilettantiſchen Zeitvertreib bei ihren Arbeiten im Auge,
ſondern ernſtes dichteriſches Schaffen, das ſich des Rechts be—
wußt war, Lob oder Tadel wie jeder andere aus innerem
Drange Produzierende herausfordern zu dürfen. Die in Folge
deſſen veranſtalteten öffentlichen Aufführungen des Krönungs⸗
tages und der beiden Dramen Mesru finden in der Lebensſkizze
weitere Erwähnung.
16
Vierzehnter Abſchnitt.
er Die ſpäteren Jahre.
Ne die Wirkung dieſer Aufführungen auf die Dichterin
ſelbſt enthält das Tagebuch nichts. Sofern die weitern
Arbeiten der Prinzeſſin aber als Maßſtab für ihr Urteil
über ihre eigene Befähigung und das derſelben zuſagendſte
Gebiet dienen können, hat ſie von nun an der Romantik ent⸗
ſagt und ſich der Luſtſpielſphäre zuzuwenden für richtig gehalten.
Die Tagebuchnotizen über die bald darauf von der Brin-
zeſſin angetretene Reiſe nach Italien erwähnen zum erſtenmale
etwas von ihrer dahin zielenden ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit,
nämlich der unterwegs und in Italien von ihr geſchriebenen
Dramen, jedenfalls eine Folge der durch die Aufführungen
neu erwachten ſchöpferiſchen Luſt, die nun von der Hoffnung
beflügelt war, Bühnenfertiges und Aufführungswürdiges zu
Stande zu bringen.
Ihre Schweſter Marie, die verwitwete Großherzogin von
Toscana, welche ſeit dem Juli in Dresden zum Beſuch geweſen
war, begleitete die Prinzeſſin. Am 21. September 1829 wurde
abgereiſt und am 30. ward Florenz erreicht, woſelbſt ihre
Schweſter Nany mit ihrem Gatten, dem vormaligen Erb-
prinzen, jetzigen Großherzog Leopold, und ihren drei Kindern
ihnen den herzlichſten Empfang bereitete. Prinzeſſin Maria
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— 243 —
Chriſtine, die mit dem „altgewordenen“ Könige von Neapel
und ſeiner Gattin bald darauf in Florenz Beſuch machte, und
die, wie erwähnt, noch im ſelben Jahre die Gattin des im Mai
verwitweten Königs von Spanien wurde, wird von der Prin⸗
zeſſin als „ſehr hübſch und ganz der Sandrini ähnlich“ be—
zeichnet, einer damals ſehr beliebten italieniſchen Sängerin an
der Dresdner Oper. Welchen tiefgreifenden Einfluß dieſe
unternehmungsluſtige vierte Gattin Ferdinands VII. auf die
Geſchicke Spaniens gehabt hat, iſt bekannt. Man ſchildert ſie
als lebhaft, geiſtreich, und ſagt ihr nach, die Jagd ſei ihre
Leidenſchaft geweſen. Das immer lakoniſch gehaltene Tagebuch
begnügt ſich in ihrem Betreff mit einer kleinen, aber anſchaulich
wirkenden Notiz: „Bei der Abreiſe der neapolitaniſchen Gäſte ſitzt
das Königspaar im Fond einer Spazier-Chaiſe, Chriſtine aber,
ihrem männlich gearteten Naturell entſprechend, ſchwingt ſich
auf den Rückſitz, obſchon derſelbe nicht einmal eine Lehne hat.“
Nicht unintereſſant iſt eine Reihe von Notizen, welche die
Stellung des großherzoglichen privaten Theater-Perſonals
charakteriſieren. Dasſelbe beſteht faſt ganz aus im großherzog—
lichen Schloſſe gebornen Nachkommen von Hofbedienfteten.
Am 1. Oktober fährt der Hof nach Poggio a Cajano und am
3. iſt daſelbſt ein Feſt im Park zu Ehren des Großherzogs,
wobei die verwitwete Großherzogin Ferdinand als Flora und
ihre Schweſter, die Gattin des regierenden Großherzogs
Leopold, als Prieſterin ſamt ihren beiden älteren Kindern
mitwirken, unterſtützt von zwei Damen des Privat-Theaters,
von vielen als kleine Liebesgötter koſtümierten Bauerknaben, von
dem Singechor, der Muſikkapelle und von Schloßleuten, welche
Bauertänze aufführen. „Um 6 Uhr war Diner, dann ein kleiner
Ball, bei welchem die Kammerleute und Offizianten auch figu—
rierten.“ — Am 4. ſpielt man II Colonello und l’Impressario
16 *
— 244 —
Faluppa. „Die Akteurs waren Leute aus dem Hauſe: Gamba⸗
corti und ſeine Tochter, die Fiorani, und Luiſe Boiti. Letztere
und ihre Schweſter Anina tanzten ein Ballet la Pianella per-
duta.“ Gambacorti iſt ein Hofkoch; welchem Beruf die ge⸗
nannten Damen, wenn ſie nicht im Dienſte Thalias oder Ter⸗
pſichores beſchäftigt waren, obzuliegen hatten, verſchweigt leider
das Tagebuch. — Am 6. Aufführung der Oper Inganna felice,
wobei zwei Söhne des Kammerdieners Novelli die Partie des
Buffo und des Herzogs ſingen. Am 7. abends „Ball mit den
Kammerleuten und Offizianten, aus welchen auch das Orcheſter
beſtand. Bei der Monterina zog das Orcheſter voraus und
wir tanzten ſo ins andere Zimmer.“ — Am 14. fährt der Hof
mit einigen Gäſten abermals nach Cajano. Abends ſingt der
Koch Gambacorti als Magnifico in Roſſinis Cenerentola. Aber
auch im Orcheſter ſcheint er verwendbar zu ſein, denn am 16.
iſt Ball, „auf welchem zuletzt die Mutter Boiti und Gamba⸗
corti, den man aus dem Orcheſter holte, mittanzen mußten.“
Am 18. fungiert der Tauſendkünſtler wieder in Goldonis Vedova
scaltra als Arlecchino. Am 19. Oktober giebt der Großherzog
„ſämtlichen Akteurs“ ein großes Frühſtück in Cajano auf dem
ſogenannten Parchetto. „Wir ſelbſt frühſtückten im Schweizer⸗
häuschen,“ ſchreibt die Prinzeſſin, „und auf beiden Seiten
desſelben ſtanden große Tiſche, einer für die, welche in Oper
und Ballet, der andere für die, welche im Schauſpiel mitgewirkt
hatten. Man war in 14 Wagen heraufgefahren. Nach dem
Frühſtück fuhr man in Gondeln auf dem Kanal. In einer |
derſelben ſaß das Geſangsperſonal und fang hübſche Chöre.“
Acht Tage ſpäter heißt es: „Faſanenjagd. Alle Jäger waren
auf einem Schiffe, und wir mit den Nicht-Jägern auf einem
andern. Dann folgten zwei Schiffe mit dem Theaterperſonal,
welches aus Dankbarkeit zu allen dieſen Feſten eingeladen wurde.“
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Daß es bei ſolchen Vergünſtigungen mit dem Standes-
unterſchiede nicht ſtreng genommen werden konnte, iſt ſelbſt—
verſtändlich. Vor allem ein Tänzchen muß für unverfänglich
gegolten haben. So heißt es denn auch wieder am 28.: „Abends
wurde getanzt und im Großvatertanz holten wir die Muſikanten
aus dem Orcheſter und tanzten zuletzt die Notenpulte über den
Haufen.“ — Man wird hierbei freilich nicht vergeſſen dürfen,
daß jenſeits der Alpen zwiſchen Hoch und Niedrig, und vor
allem zwiſchen Herrn und Diener, der Verkehr weit zutrau-
licher iſt, als diesſeits der Alpen. Somit ſind die geſellſchaft—
lichen Formen in Italien oben und unten denn auch weniger
unterſchieden, wobei offenbar auf beiden Seiten mehr Gewinn
als Einbuße iſt. Über die Fortſetzung jener fröhlichen Cajano⸗
Tage braucht hier nur noch geſagt zu werden, daß, nachdem
noch ein gemeinſamer Ausflug nach Pietra marina, dem höchſten
Berge der Gegend, gemacht worden iſt, „wobei alles ritt,“ die
theatraliſchen Vorſtellungen am 29. mit der Cenerentola ihr
Ende erreichen. Die Mariotti ſoll dann herausgerufen werden.
Aber als der Vorhang wieder aufgeht, ſteht das ganze Theater—
perſonal im Koſtüm um ein L gruppiert, den Anfangsbuch⸗
ſtaben des großherzoglichen Namens. Nun iſt als Gegenleiſtung
noch eine Nachfeier nötig, nämlich tags darauf ein Frühſtück,
bei welchem von der Truppe ein Chor zu Ehren des Direktors
derſelben geſungen wird. Die Verſe dazu hat Prinzeſſin Amalie
gedichtet. Ebenſo iſt ein Gaſt des Großherzogs auf den Pe—
gaſus geſtiegen, und ſein gedrucktes Sonett wird in vielen
Exemplaren „während wir auf des Direktors Geſundheit trinken,“
umhergeſtreut. Abends iſt Tombola für die ganze in Cajano
vergnügt beiſammen geweſene Geſellſchaft, in welcher „die Herren
und Damen“ (vom Hofe und die Gäſte) Spielſachen gewinnen,
die Akteurs aber Beutel mit Geld und die Aktricen Bracelets,
— 246 —
Ketten oder Kleider. Zuguterletzt wieder Tanz. — Vor jener
Schluß⸗Oper Cenerentola ſind noch andere Dilettanten bei dem
Kunſtprogramm des Hofs beteiligt worden: Die Handwerker
aus Prato. „Es iſt die Erholung dieſer Leute, des Sonntags
Muſikſtücke einzuüben,“ ſchreibt die Prinzeſſin. Eine Anzahl
ernſter Geſangsſtücke dieſer Art haben ſie denn auch bei jener
Gelegenheit zu Gehör gebracht.
Es iſt aus dem Tagebuche nicht erſichtlich, ob das vor—
nehmlich aus den Hofbedienſteten und deren Kindern rekrutierte
Theater- und Orcheſter-Perſonal auch in der Reſidenz in dieſer
Eigenſchaft verwendet wurde, oder ob es einzig in den kleinen
Theatern der Luſtſchlöſſer ſeine Kunſtleiſtungen produzierte. Im
Zuſammenhange mit den Aufführungen in den Theatern Alſieri,
Cocomero, Nuovo und Pergola kommen die Namen Gamba⸗
corti, Boiti ꝛc. nicht vor. Hier erwähnt das Tagebuch die
Qualität der dargebotenen Kunſtgenüſſe auch zumeiſt in wärmeren
Betonungen; „herrlich geſpielt,“ „ſuperb geſungen,“ ſind oft
vorkommende Belobungen, mit denen Veſtris, Coſelli, Guilia
Griſi und andre ausgezeichnet werden.
Einige Male lautet die Zenſur freilich auch nicht beifällig.
In dem Ballet Eufemio ſpringt ein Tänzer im Augenblicke des
Sterbens „wie ein Karpfen in die Höhe, ſo daß, als er endlich
tot war, ein Ah! der Zufriedenheit durch den Saal ging.“
Neben dieſen Aufführungen bietet die Saiſon noch eine
Anzahl muſikaliſcher und theatraliſcher Produktionen in dem
Haufe des öſterreichiſchen Geſandten Bombelles und in dem
des Lord Burgherth. Erſterer unterhält, wie ſchon zur Zeit
ſeiner beliebten Abendzirkel in Dresden, ſeine Gäſte vorwiegend
mit franzöſiſchen Luſtſpielen, Farcen und Proverbes, wobei Graf
Bombelles ſelbſt und die Gräfin Orloff, eine frühere Schau⸗
ſpielerin, beſonders Verdienſtliches leiſten; das Haus des Lord
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Burgherth, damals jedenfalls ein Magnet für alle Italien be—
ſuchenden Engländer — 60 derſelben ſind in Florenz bei Hofe
vorgeſtellt — iſt der Populariſierung der von dem Lord kompo—
nierten Opern (Fedra u. a.) gewidmet, doch ſpielt Lady Burg—
herth auch ihren Part in italieniſchen Farcen und die Kinder
des Hauſes tanzen kleine Ballets. Der Lord hat auch geiſtliche
Muſik geſchrieben; eine derſelben, eine Meſſe, wird in einer
Kirche aufgeführt; „ſehr ſchön, aber zu lang,“ lautet das Urteil
der Verfaſſerin des Tagebuchs.
Wenn Graf Orloff ſich in Bewegung ſetzt, vor allem, wenn
dies im Theater geſchieht, wo nicht jeder ihn kennt, marſchiert
ein Kammerdiener vor ihm auf, um mit den Flüſterworten „le
Comte Orloff!“ zu warnen, man möge achtgeben, nicht unter
ſeinen Stelzfuß zu geraten. Mindere Vorſicht braucht Fürſt
Borgheſe den achthundert Gäſten gegenüber zu nehmen, die er
in ſeiner prächtigen Gemälde-Galerie zu einem Ball geladen
hat, denn er geht ihnen ganz aus dem Wege und hält ſich
lediglich im Vorhauſe auf, außer Stande, die mit den Acht-
hundert in ſeine paradieſiſchen Räume eingezogene Hitze zu er—
tragen.
Getanzt wird übrigens bis in den ſchönen Monat Mai
hinein, und Prinzeſſin Amalie läßt keinen Zweifel darüber, daß
ſie die Beteiligung an dieſer heitern Mühwaltung keineswegs
den Italienern allein überließ. Bei Lucheſini tanzt fie Kotillon
und Großvatertanz, „bis der helle Tag in den Saal ſcheint“,
und erſt um 5 Uhr morgens kommt ſie nach Hauſe, eine würdige
Enkelin der tanzfreudigen Kurfürſtin Marie Antonie. Den von
ihr verehrten Roſſini ſoll ſie einmal bei dem muſikaliſchen Lord
kennen lernen. Der Maeſtro iſt aber, wie es ſcheint, dem ihm
durch Lord Burgherths Aufführung zugedachten Genuſſe vor—
ſichtig aus dem Wege gegangen, und ſo begiebt die Prinzeſſin
— 248 —
ſich denn enttäuſcht raſchmöglichſt nach Hauſe. Dagegen hat ſie
in demſelben Hauſe „eine recht angenehme Frau,“ die vielgenannte
ehemalige Miß Patterſon kennen gelernt, Prinz Jeromes erſte
Gattin, die bekanntlich auf Napoleons Befehl von ihm ge⸗
ſchieden worden war. Auch ſieht ſie den damals einundzwanzig⸗
jährigen Louis Napoleon in ſeiner Theaterloge, ohne freilich
zu ahnen, daß er vom Schickſal beſtimmt ſei, dereinſt wider
Willen Deutſchland zu einigen.
Von den übrigen zahlreichen namhafteren Perſonen, welche
in den Geſichtskreis der Prinzeſſin Amalie kommen, ſei nur
noch des Prinzen Alexander von Württemberg gedacht, der
ſpäter durch ſeine Gedichte und durch ſein inniges Verhältnis
zu Lenau allgemeiner bekannt geworden iſt, mehr noch durch
Heines Album⸗Blatt:
„Kaum trafen wir uns auf derſelben Station, herzliebſter Prinz Alexander,
Da bläſt zur Abfahrt der Poſtillon und bläſt uns ſchon auseinander.“
An die kurioſen Einfälle des Fürſten Putiatin in Zſchach⸗
witz bei Dresden wird die Prinzeſſin bei dem Beſuch einer nahe
an der Guercia gelegenen Villa erinnert, doch ſcheint der
Himmel von Toscana die Richtung aufs Verwunderliche, wo
ſie einmal vorhanden iſt, zu noch vollerer Blüte zu entfalten,
als derjenige Sachſens. Das Gebäude der Villa ſelbſt iſt
chineſiſch. Ein Obelisk ſteht davor. Auf dem Dache ſitzt Dante.
Der Hauptſaal iſt wie das Innere eines Schiffs ausgemalt.
Das Bett ſpielt die Orgel ꝛc.
Uebrigens giebt es auch noch andere Dresdner Remini⸗
ſcenzen: die Schweſtern verſuchen ſich einmal wieder in der
Kochkunſt. „Mißratene Verſuche von Chriſtſtollen,“ klagt das
Tagebuch am 24. Dezember 1829.
Daß die Prinzeſſin während ihres diesmaligen Florentiner
Aufenthalts dichteriſch thätig geweſen iſt, hat ſchon Erwähnung
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gefunden. Unterm 4. Februar 1830 heißt es: „Ich fing an,
„Pflicht und Liebe“ zu ſchreiben.“ Dann wieder am 19. März
„ich ſchrieb den Theſeus“ und endlich, am 18. April, „ich ſchrieb
in Caſtello die Fürſtenbraut.“
Über die übermütig heitre Poſſe Theſeus (eigentlich Theſeus
und Ariadne) wird in der Lebensſkizze näheres mitgeteilt
werden, ebenſo über die Fürſtenbraut. Pflicht und Liebe iſt
ein zweiaktiges Schauſpiel. Die Tochter eines geſtürzten und
landesverwieſenen Miniſters hat, ohne Kenntnis von ihren, wie
ſie meint, verſtorbenen Eltern und deren trübem Geſchick, ſich
mit demjenigen Manne verlobt, der gefälſchte Briefe benutzte,
um jenen Sturz zu Stande zu bringen und ſelbſt Miniſter zu
werden. Am Tage, wo die Hochzeit ſein ſoll, wagt ſich der
Landesverwieſene verkleidet in die Nähe ſeiner Tochter. Sie
erfährt alles und willigt ein, ihrem Verlobten zu entſagen.
Dieſer, längſt von Reue gefoltert, begiebt ſich zum Fürſten und
bekennt ſeine Schuld. Er wird auf ſeine Güter verbannt, wohin
ihm nun doch die Braut mit Einwilligung des Vaters folgt, da
letzterer einſieht, daß der eigentliche Schuldige ein käufliches
Subjekt geweſen, welches jenen, jetzt Bereuenden umgarnte.
— Das Stück iſt ſpannend und voll dramatiſchen Lebens, läßt
aber den Eindruck zurück, als gehe die Verfaſſerin mit dem
Umgarnten zu gelinde ins Gericht. — Es ſei hier eingeſchaltet,
daß die im Nachlaſſe der Prinzeſſin befindlichen 117 Briefe
Theodor Hells vornehmlich litterariſch-, künſtleriſch- und geſell⸗
ſchaftlich-berichtenden Inhalts ſind und daß ſie, ſoweit ſie die
Dramen der Prinzeſſin betreffen, ſich auf Ratſchläge bühnen⸗
techniſcher Art beſchränken. So werden zu dem Luſtſpiele
Kapitän Firnewald ſehr viele Abgangsänderungen vorgeſchlagen;
ebenſo veranlaßt Th. Hell die Zuſammenziehung der vieraktigen
Stücke „Der alte Herr“ und „Der Brief aus der Schweiz,.“
— 30 —
jedes in zwei Akte; dem Luſtſpiele „Alter und Jugend“ wird
auf ſeinen Rat der anſprechende Titel „Tante Sibylle“ ge⸗
geben, einem andern Stücke der minder anſprechende Titel „Der 1
Mörder,“ infolge deſſen Hofrat Hell nachträglich berichten
muß: „Bei der Aufführung nahm das Publikum anfangs die
Sache zu ernſt.“ Über den „Unentſchloſſenen“ macht er ſehr
ausführliche Ausſtellungen und im „Vetter Heinrich“ wird der
Rolle des Schwindlers Stellani durch ihn die geheimnisvolle
Seite gewahrt. Seine große Routine kam der Prinzeſſin jeden⸗
falls zu Statten, wenn es ihm auch verſagt war, ſie dichteriſch
zu inſpirieren.
Die Rückreiſe wird am 23. Mai angetreten, und zwar hat
Prinzeſſin Amalie die Freude, von ihren beiden Schweſtern,
der Großherzogin und der Großherzogin Witwe, ganz bis in
die Heimat begleitet zu werden. Am 9. Juni erreichen die drei
Schweſtern Dresden.
Prinzeſſin Amalie iſt ſeitdem noch ſechsmal in Italien
geweſen, 1831, 1836/37, 1839, 1841/42, 1846, 1851/52.
Gereiſt iſt ſie faſt alljährlich: Zu vielen Malen nach Wien,
zweimal nach Lindau, einmal nach Straßburg; einmal auch nach
Berlin, als Schluß eines längeren Ausflugs, auf welchem ſie
Hamburg, Lübeck, Stralſund und die Inſel Rügen kennen lernte.
Ihre Tagebücher legen Zeugnis ab von der unvermindert ge—
bliebenen Friſche ihrer Empfänglichkeit, ſo für Menſchen wie
für Dinge, für Naturſchönheiten wie für Kunſtſchätze und Kunſt⸗
leiſtungen. In der nicht ganz kurzen Periode, während welcher
ihre Luſtſpiele auf allen deutſchen Bühnen zum eiſernen Be⸗
ſtande des Repertoirs gehörten, war ihr Eintreffen an einem
Orte, wo ſich ein Theater befand, nicht ſelten das Signal zum
Aufführen eines oder mehrer ihrer Stücke. So gab man,
während die Prinzeſſin 1840 Potsdam beſuchte, ihr Luſtſpiel
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Kapitän Firnewald und 1841 während ihres Aufenthalts in
Wien die Stieftochter, den Zögling und den Bibliothekar, eben-
daſelbſt aber 1847 den Vetter, den Schützling, den Landwirt
und den Majoratserben. Im gleichen gab man ihr zu Ehren
häufig Aufführungen von Überſetzungen ihrer Stücke, z. B. im
Florentiner Fräulein-Inſtitut: La sposa della capitale ꝛc.
Hatte dieſe Zeit für ſie, wie nicht zu bezweifeln iſt, manches
Erfreuliche, ſo ward andrerſeits doch auch durch Todesfälle im
Laufe der Jahre der Kreis ihrer Lieben mehr und mehr ge—
lichtet, und bei der Herzlichkeit, mit der ſie ihnen angehangen
hatte, mußte ihre natürliche Heiterkeit dadurch manchen Dämpfer
erfahren. 1832 ſtarb in Florenz ihre geliebte Schweſter, die
Großherzogin Anna von Toscana, 1836 in Pillnitz ihr Pflege—
vater, der einundachtzigjährige König Anton, 1838 in Dresden
ihr innigverehrter Vater, Prinz Max; 1854 verlor ihr Bruder,
der allbeliebte König Friedrich Auguſt, auf einer Reiſe in Tirol
das Leben; 1857 erlag in Rom Prinzeſſin Luiſe, die zweite
Gattin des Prinzen Max; und im Laufe der nächſten zehn
Jahre wurden fünf Töchter des Königs Johann aus dieſem
Daſein abgerufen, drei derſelben in der Fremde, wohin ſie nicht
lange vorher als Neuvermählte gezogen waren.
Wie erwähnt, iſt Prinzeſſin Amalie auch nach dem Tode
ihrer Schweſter Anna noch häufig in Florenz geweſen, wo ſie
faſt ſo heimiſch geworden war, wie in Dresden ſelbſt, und wo—
ſelbſt die zweite Gattin des Großherzogs Leopold alles that,
um der Prinzeſſin Amalie, wie deren Schweſter, der verwitweten
Großherzogin Marie, Erſatz zu bieten für die durch den Tod
Abgerufene. Jene Wiederverheiratung, die zu einer ſehr glück—
lichen und reich mit Kindern geſegneten Ehe führte, hatte der
Großherzog aus Rückſichten auf die Thronfolge nicht lange
hinausſchieben dürfen. An Prinzeſſin Amalie, ſeine langjährige
— 252 —
Vertraute, ſind die nachſtehenden Zeilen gerichtet, durch die er
ſie nach dem zu Endegehen des Trauerjahrs von ſeinem Vor⸗
haben benachrichtigt. „Es wurde entſchieden,“ ſchreibt er, „daß
ich die Prinzeſſin Antoinette von Neapel heiraten werde, nach
allem, was ich weiß, eine gute Wahl . . . Pflicht war es und
ich hoffe mit Vertrauen auf eine ruhige Zukunft.“ Im Hinblick
auf ſeine verſtorbene Gattin fügt er hinzu: „Viele Thränen
ſind noch gefloſſen der Erinnerung einer teuren Freundin, die
die ſchöne Zeit der Jugendjahre mit mir teilte und das Herz
erwärmte und den Geiſt belebte und das Wenige ſchuf, was ich
jetzt bin. Meine Seele iſt ihr dankbar und das Andenken der
Guten wird ewig leben.“ Ein Jahr ſpäter, als die Entbindung
der Großherzogin Antoinette bevorſtand, ſchreibt er: „Möge
Gott uns einen Sohn ſchenken zur Befriedigung vieler Wünſche
und mir den Mut zu ſtärken, in meiner Laufbahn raſcher fort⸗
zugehen . . . Gott ſtärke mich, meine Pflicht zu thun und meine
wenigen Fähigkeiten für das Land anzuwenden.“ Die Hoff⸗
nung, daß gleich das erſte Kind ein Sohn ſein werde, erwies
ſich als eitel, es kam eine Tochter. Aber ſchon im Jahre darauf
konnte der Großherzog ſeiner Freundin melden: „Gott ſchenkte
mir einen Sohn,“ bei den damaligen zerfahrnen Zuſtänden
Italiens für die gerade in Toscana ſo zahlreichen Gegner radi⸗
kaler politiſcher Umgeſtaltungen jedenfalls ein Ereignis ſehr be⸗
ruhigender Art, wie der Großherzog denn auch im Sinne dieſer
Anſchauung hinzufügt: „Erſchrecklich traurig war bis dahin die
ungewiſſe Zukunft meines geliebten Landes,“ und gleichzeitig
ſchildert er die Mutter des Kindes, die Großherzogin Antoinette,
als „ein recht gutes, natürliches, liebendes Weſen.“ — Als im
Jahre 1838 Prinz Johann bei ihm zu Beſuch geweſen iſt,
ſchließt der Großherzog einen darüber handelnden Brief an
Prinzeſſin Amalie mit den Worten: „Gott ſchenke ihm Glück
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und Zufriedenheit in ſeinem Kreiſe, mir ſeine Gnade zu dem
ſchweren Amte, das mir obliegt.“ Im Jahre 1840 hat die
Nachkommenſchaft die Zahl ſieben erreicht, darunter ein zweiter
Sohn. „Jetzt haben wir ſieben Kinder,“ ſchreibt der Groß—
herzog; „Gott erhalte fie und gebe uns Mittel, fie gut zu er-
ziehen.“ Ein Jahr ſpäter find die Reihen ſchon wieder beträcht-
lich durch den Tod gelichtet und er klagt, in S. Lorenzo ruhen
bereits „vier geliebte Leichen, die liebend um mich waren.“
Das hier Mitgeteilte mag noch durch einige Auszüge aus
den ſpätern, an Prinzeſſin Amalie gerichteten Briefen des Groß—
herzogs Leopold ergänzt werden, da der Ton dieſer Briefe,
beſſer faſt, als es Briefe der Prinzeſſin ſelbſt vermöchten, die
Faſſung und die Ergebung in das Unvermeidliche charakteriſiert,
welche, je länger deſto mehr, auch der Prinzeſſin eigen geworden
waren. Daß die Heiterkeit dabei in ihrer Natur lag, mochte
der zur Melancholie neigenden Gemütsart des Großherzogs im
Verkehr mit ſeiner alternden Jugendfreundin beſonders wohl
thun. So kommen in einem ſeiner Briefe aus dem Jahre 1842,
wo Prinzeſſin Amalie in Florenz geweilt hatte, die Worte vor,
„du brachteſt Troſt und der kleinen neapolitaniſchen Kolonie
einen wahren Lebensgeiſt, deren ſie bedürfen.“ Seiner Schweſter
Thereſe (der Königin von Sardinien), die im Jahre 1855 aus
dem Leben ſchied, gedenkt der Großherzog mit den Worten:
„Sie war nicht bloß eine gute, herzlich liebende Schweſter, ſie
war auch eine gute, zarte und einſichtsvolle Mutter und eine gut—
mütige, edle und wohlthätige Königin.“ — „Anna“ (die vierte
Tochter des Prinzen Johann, heißt es in einem anderen Briefe
von 1855, „hat das Herz meines Sohnes ganz gewonnen,“
und im Jahre 1858 ſchreibt er, „alle lieben Anna wegen ihrer
Herzensgüte.“ Man weiß, daß dieſer glückliche Bund ſchon im
Februar des nächſten Jahres durch den Tod gelöſt wurde.
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Im ſelben Jahre brachen über den jetzt 62 jährigen Groß⸗
herzog die Heimſuchungen herein, welche der öſterreichiſche
Krieg gegen das mit Frankreich alliirte Sardinien vor allem
über das Haus Toscana bringen mußte. Nachdem der Groß⸗
herzog zu Gunſten ſeines Sohnes einer Stellung entſagt hatte,
in welcher er ſeit langem nur durch das Bewußtſein über⸗
nommener Pflichten feſtgehalten worden war, ſchreibt er aus
Schlackenwerth an Prinzeſſin Amalie: „Es iſt mir nicht unſert⸗
wegen, aber (wegen) des Landes, welchem ich mein Leben, all'
meine Liebe und Thatkraft gewidmet, und welches jetzt ſo ſchwer
mitgenommen iſt. Mein Gebet iſt, für mich zu vertrauen auf
Gottes Beiſtand, und nicht zu fündigen für die andern, die
mir Übles gethan .. . Jetzt bin ich ruhig auf dieſem meinem
Gute unter guten, ruhigen, anhänglichen und folgſamen Leuten.“
Noch einmal kommt er Ende desſelben Jahres auf den mit ihm
und den Seinen vorgegangenen Umſchwung zurück. „Verbannt,“
ſchreibt er, „vertrieben ohne Schuld; aber Gott weiß warum,
und unſere Loſe ſind in den Händen eines weiſen und gütigen
Vaters.“ Und unter dem beſchwichtigenden Zureden der Prin-
zeſſin ſöhnt ſich der entthronte Fürſt ſchon in kurzer Zeit jo voll⸗
kommen mit der bürgerlichen Schlichtheit ſeines neuen Daheims
aus, daß er im September 1860 auch von ſeiner „neapolitani⸗
ſchen Kolonie“ günſtiges berichten kann; „meine Frau,“ verſichert
er, „findet ſich ſehr gut in deutſche Sitten und erkennt das viele
Gute, was doch in dieſen Ländern gediegener und häuslicher ſich
bewährt. Man muß die Deutſchen näher kennen lernen, um ſie
zu ſchätzen. Meine Kinder,“ ſetzt er hinzu, „reden jetzt ziemlich
gut deutſch.“ — „Das Politiſche überlaſſe ich der Vorſehung,“
heißt es in einem Briefe vom Jahre 1861, und er freut ſich, von
ſeinen Eltern zur Arbeit angehalten worden zu ſein; in Unthätig⸗
keit müßte er verkümmern. „Ich muß,“ ſchreibt er Anno 1864,
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„aus vielen Gründen Gott danken, daß er väterlich für mich ge—
ſorgt hat. Er hat mich einer ſchweren, gefahrvollen Verantwort—
ung enthoben, welche ich nicht mehr die Kraft hatte zu tragen.“
Wie ſichs von ſelbſt verſteht, hielt Prinzeſſin Amalie darauf,
ihrem Freunde auch hin und wieder ein Liebeszeichen zu ſenden,
das nicht bloß in Worten beſtand. So erfreut ſie auf ſeinen
Vorſchlag ihn mit Karoline Pichlers ſeiner Zeit berühmt und auch
damals dem jungen Erbprinzen lieb geweſenen Roman Aga⸗
thokles, in welchem er „Erinnerung an gute und ſchöne Jahre“
zu finden hofft; ebenſo mit Herders Cid. Vor allem ſcheint
ſie ſich aber das Recht erobert zu haben, ihm alle Weihnacht
einen warmen Schlafrock zu ſpenden. Der Dank iſt dann immer
die Herzlichkeit ſelbſt. „Die gute Freundin,“ ſchreibt er aus
Brandeis am zweiten Weihnachtstag Anno 1866, „hat meiner
weißen Haare und der rauhen böhmiſchen Winter gedacht, als
ſie mir den weichen, warmen Schlafrock ausſuchte. Jeden Tag,
wenn ich früh oder abends deſſen Wohlthat fühle, denke ich an
die Gute, die ich in früher Jugend gekannt, und die unverändert
durch Zeit und Prüfungen dieſelbe blieb.“ Und auch gegen die
zuweilen an ihn herankommenden Anwandlungen, weniger
wohl der Sehnſucht nach der Pracht des Florentiner Hoflebens,
als des Mißmuts über das kurze Gedächtnis der Menſchen, für
die er gearbeitet und die Laſt der Regierung gewiſſenhaft ge—
tragen hat, auch gegen ſolche Stimmungen und Verſtimmungen
kämpft der greiſe Fürſt redlich an. „Ich war,“ ſchreibt er um
die Weihnachtszeit 1867, „in den beſten Jugend- und Mannes⸗
jahren ſo glücklich, wie kaum einer nur ſein kann, ſo kann ich
mich nicht beſchweren, wenn mich Unglück betroffen.“ Heimweh
nach dem blauen Himmel Italiens hat ſich dann ohne Zweifel
dem Herzensbedürfniſſe geſellt, als guter Katholik vor ſeinem
Scheiden aus dieſer Welt noch einmal am Grabe des heiligen
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Petrus zu beten. Im Dezember 1869 — wenige Wochen vor
ſeinem Ableben — ſendet er der alten Freundin aus Rom in
ſehr gehobener Stimmung ein letztes Schreiben. Wie viele Er⸗
innerungen mochten auf dem Wege dahin durch ſeine Seele ge⸗
zogen ſein! „Von weitem,“ heißt es in dem Briefe, „hatte ich
die Küſte der Inſeln Toscanas geſehen ...“
Aus dem letzten Lebensviertel der Freundin des Groß⸗
herzogs Leopold, der Prinzeſſin Amalie, iſt noch der traurigen
Periode ihres Erblindens Erwähnung zu thun. Im Anfang
der Fünfziger Jahre begann die Sorge um ihr Augenlicht be⸗
ängſtigend zu werden. Wie ſehr dasſelbe im Abnehmen be⸗
griffen war, beweiſt vor allem die immer undeutlicher werdende
Schrift des Tagebuchs. Die Jahrgänge 1853 bis 1856 ſind
großenteils nahezu unleſerlich. Als die Zeit der Operation
heranrückt, werden die Zeilen ſchief und krumm und auf mancher
Seite finden nur noch zwei oder drei Zeilen Platz. „Es geht
ſchlecht mit meinen Augen,“ heißt es im Juni 1853. „Wie wird
es im Herbſte ſein? Komme, was Gott will.“ Im folgenden
Jahre ſchreibt ſie unterm 23. Mai: „Auf dem Rückweg rannte ich
das Chaiſenhaus (auf dem Dresdner Altmarkt) an und ſtürzte
hin.“ Wieder ein Jahr ſpäter heißt es unterm 4. Mai aus Lindau:
„Ich ſah den Bahnhof für eine Allee an.“ Im ſelben Jahre
— im November — findet endlich in Leipzig die Operation
ſtatt. Sie dauerte für jedes Auge nur "a Minute und beide
Augen hatten eine Lichterſcheinung. Tags darauf wird das
linke aber von einer heftigen Entzündung ergriffen und ver⸗
fällt infolge derſelben rettungslos der Blindheit. Fünf Monate
lang bleibt die Prinzeſſin in Leipzig, fortwährend der ärztlichen
Pflege bedürftig. Endlich iſt wenigſtens die Sehkraft des rechten
Auges geſichert. Sie kehrt nach Dresden zurück und begiebt
ſich von dort an den Bodenſee. Bei ihrer Ankunft in Lindau
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— 257 —
ſchreibt ſie, der wiedergewonnenen Freude am deutlichen Aus—
und Umblicken genießend, „erſt jetzt bemerkte ich, daß Lindau
auf einer Inſel liegt.“ Und im Juli, bald darauf, „ich ſah zum
erſtenmale wieder Sterne am Himmel.“
In einem der Stücke der Prinzeſſin ſagt ſchweren Herzens
der alte verabſchiedete Diener Karl: „In der Jugend hängt der
Menſch an der ganzen Welt, im Mannesalter an einem Lande
und als Greis an einem Hauſe.“ Dieſe Zeit war allmählich
auch für Prinzeſſin Amalie gekommen. Sie hatte einſt ihre,
der freundlichen Seite des Lebens zugekehrte Geiſtes- und Ge⸗
müts richtung mit dem Pſeudonym A. Serena gut charakteriſiert
und wie anmutig waren die Worte geweſen, mit denen ſie die
aufs Nichtheiraten ſich gefaßt machende, ehrliche und treffliche
Antonie im „Siegelring“ ſich mit dem Unabänderlichen abfinden
läßt: „J nun, man ſieht wohl bisweilen um ſich her, und da
denkt man denn: Das wäre ſo übel nicht! — oder: Wenn das
anginge! — Aber dann denkt man wieder: 's geht nicht an!
Da bringt man ſich die Locken in Ordnung und iſt ſo heiter
wie zuvor.“
Jetzt war ihr wohl zwar das demütige Sich-Ergeben in
die Ratſchlüſſe der Vorſehung geblieben, aber die Sonne der
Heiterkeit verbarg ſich mehr und mehr hinter Wolken. Schon
die politiſchen Erſchütterungen der dreißiger Jahre unbefangen
zu würdigen, war ihr ſchwer geweſen. Das Jahr 1848 und
nun gar 1866 vermochte ſie nur noch von der düſterſten Seite
anzuſehen. Gleich der Königin-Witwe Marie hielt fie, wäh—
rend 1866 das Kriegswetter über Dresden dahinbrauſte, tief
traurig in der von den Preußen beſetzten Stadt aus. Und
doch blickt ihr menſchenfreundliches Gemüt auch ſelbſt zwiſchen
den unerquicklichen Dingen hervor, die es im Tagebuche an—
zumerken giebt. Kaum iſt der Feind eingerückt und nimmt
17
.
Quartier im königlichen Schloſſe, jo ſchreibt die Prinzeſſin auch
ſchon, wie um ihren Verdruß ſelbſt zu beſchwichtigen: „Es
ſollen gute Leute ſein, Rheinländer und Landwehr, welche ganz
erſchöpft angekommen.“ Man erlaubt ihr nicht mehr, Briefe
fortzuſchicken, aber ſie findet, daß General Herwarth, der ſich
bei der Königin-Witwe und bei Prinzeſſin Amalie vorſtellt,
doch im Grunde „ein ſehr anſtändiger Mann“ iſt. Nicht minder
ſcheint ihr General von Schack „ein guter alter Militär,“ und
„gefällt ihr wohl;“ ja, als die Nachricht verlautet, er werde
Dresden verlaſſen, „thut es allen leid.“
Und nun mußte ſie auch noch den Anfang des ſiebenziger
Krieges erleben. Man weiß, wie allgemein in Deutſchland da⸗
mals die Beſorgnis war, dem erſten franzöſiſchen Anprall werde
nicht zu widerſtehen ſein und erſt nach und nach werde die
Tüchtigkeit der deutſchen Truppen und ihrer Heerführer alles
doch noch zum Siege wenden. Prinzeſſin Amalie hatte als
Kind erfahren, daß ſolche Hoffnungen trügen konnten. Wieder
war es ein Napoleon, von dem ſie Deutſchland bedroht ſah.
Was Wunder, wenn das Herz der Greiſin vor Angſt und
Zagen zu brechen drohte.
Am 28. Juli ſchreibt ſie in ihr Tagebuch: „Um 8 Uhr ſah
ich Georg mit ſeiner Frau in einem Kahne über die Elbe fahren
und dann den Wagen beſteigen. Ich glaubte wirklich zu ſterben,
jo ergriffen war ich. ... Wenn Gott nicht hilft ...“
Am ſelben Tage heißt es: „Abſchied unſres Albert ...“
1 Jiebensskige,
Wiederabdruck aus dem erſten Bande der im Jahre 1873 im Verlag von
B. Tauchnitz in Leipzig erſchienenen Geſammt⸗Ausgabe der dramatischen
Werke von Prinzeſſin Amalie.
17*
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A. 24. Februar 1834 wurde im Palais der königlichen
„ Prinzeſſinnen zu Berlin ein Schauſpiel gegeben, welches
ungewöhnlich warme Aufnahme fand. Der Name des
Verfaſſers war nicht genannt worden. Mit Verwunderung er-
fuhr man bald darauf, daß dieſes ſchlichte, bürgerliche Bühnen⸗
ſpiel von einer Fürſtentochter geſchrieben ſei.
Faſt vierzig Jahre ſind ſeitdem verſtrichen. Jenem erſten
Stücke folgten die Braut aus der Reſidenz, der Oheim, die
Fürſtenbraut, der Landwirt und noch manche andere Dichtungen
ernſten wie heitern Inhalts. Sie haben die Runde über faſt
alle deutſchen Bühnen gemacht, und ein Teil dieſer dramatiſchen
Schöpfungen erfreut ſich des Rufes gern geſehener Repertoir—
ſtücke noch heute, nun die ſinnige Spenderin dieſer Muſengaben
nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Ihrem Andenken ſind die folgenden Aufzeichnungen ge—
widmet. Sie leiten eine Geſamtausgabe ein, welche aus dem
ſchriftſtelleriſchen Nachlaſſe der hohen Verewigten durch vier
noch ungedruckt geweſene Bühnenſtücke vermehrt worden iſt.
Leider hat ſich unter dieſem Nachlaſſe keine Niederſchrift
gefunden, welche unmittelbare Einblicke in das innere Leben
und den dichteriſchen Entwicklungsgang der Prinzeſſin Amalie
geſtattete. Auch Briefe liegen nicht vor. Der Verſuch einer
Charakteriſtik hat ſich demnach in beſcheidenen Grenzen zu halten,
den heiter ⸗ernſten, wohlwollenden, klugen und rechtſchaffenen
— 262 —
Zügen, aus denen das deutſche Publikum ſich ſelbſt im Laufe
der Zeit ein Bild der Verfaſſerin von „Lüge und Wahrheit“
zuſammenwob, nur eine beſtimmtere Beleuchtung zu geben.
Zu ſolchem Zwecke wird es ſich empfehlen, zuvor mit
einigen Worten an die Großeltern der Prinzeſſin, den Kur⸗
fürſten Friedrich Chriſtian und die Kurfürſtin Marie Antonie
zu erinnern, da das kunſtſinnige Beiſpiel derſelben, wie auf
andre ihrer hohen Nachkommen, ſo auch auf die Verfaſſerin von
Lüge und Wahrheit in beeinfluſſender Weiſe nachgewirkt hat.
Vor allem die Kurfürſtin, eine bayeriſche Prinzeſſin, ge⸗
hörte zu jenen Perſönlichkeiten hochbegabter Art, deren Talente
wert ſind, ſich zu vererben. Marie Antonie wird von ihren
Zeitgenoſſen als eine der anziehendſten Perſönlichkeiten des
vorigen Jahrhunderts geſchildert. Ohne ſchön zu ſein, feſſelte
ſie in ungewöhnlichem Grade durch Geiſt, Lebendigkeit und
reizvoll geniale Ungebundenheit. Mit Friedrich dem Großen,
welchen ſie 1769 und 1770 in Potsdam beſuchte, unterhielt ſie
einen Briefwechſel. Einem ihrer Söhne, dem ſpäteren König
Anton, diktierte ſie in franzöſiſcher Sprache ein Heft über „die
Grundſätze der chriſtlichen Moral.“ Dasſelbe hat ſich erhalten
und giebt, wie verſichert wird, von ihrem vorurteilsfreien
Geiſte das günſtigſte Zeugnis. Haſſe und Porpora unterrich⸗
teten ſie in Kompoſition und Geſang. Der Muſiker Charles
Burney, welcher ſie 1772 in Nymphenburg ſingen hörte, rühmte
ihrem Vortrage edlen Geiſt nach, und verglich ihre Weiſe mit
derjenigen großer Sänger aus den beſten alten Zeiten. Sie
dichtete und komponierte unter anderm zwei Opern: „Talestri,
Regina delle Amazzone“ und „Il Trionfo della Fedeltà,“
bei welchen ſie dem Vorbilde Metaſtaſios und Haſſes folgte.
Auch war von ihr der Text des in der Dresdner Hofkirche am
Oſterſonnabend 1750 zuerſt aufgeführten Haſſeſchen Oratoriums
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*
*
— 263 —
„La Conversione di S. Agostino.“ Sie war unter dem
Namen Ermelinda Talèa zum Mitgliede der arkadiſchen
Akademie in Rom ernannt worden, bemühte ſich während des
ſiebenjährigen Krieges in anſtrengendſter Weiſe um den Schutz
der Dresdner Kunſtſchätze, war eine Gönnerin des Malers
Raphael Mengs — deſſen Paſtellbilder des kurfürſtlichen
Paares die Dresdner Gemäldegalerie aufbewahrt —, übte Ein-
fluß auf die Gründung der Dresdner Kunſtakademie und teilte
mit dem Kurfürſten das lebhafte Intereſſe für die archäologi—
ſchen Briefe, welche Winckelmann für die Lektüre ſeiner beiden
hohen Gönner aus Neapel ſchrieb. Welchen Wert Windel-
mann ſelbſt auf dieſe fördernde Teilname gelegt hat, geht am
deutlichſten aus einem Briefe hervor, in welchem er den plötz—
lichen Tod des Kurfürſten beklagt. „Ich weiß nicht,“ ſchreibt
er am 4. Januar 1764, „was ich zum neuen Jahre wünſchen
kann, da nichts zu hoffen iſt nach dem Falle des Prinzen, den
Gott zum Heile ſeines Volkes nur gezeigt hat. Geſtern haben
wir dieſe Nachricht erhalten, die mir wie ein Schwert durch
Mark und Bein gegangen iſt. Unerſetzlicher Verluſt!“ Und
wie ſehr dieſe kunſtſchützende Richtung von der verwitweten
Kurfürſtin noch feſtgehalten wurde, dafür zeugen die Worte,
welche Friedrich der Große ihr am 10. September 1767 ſchrieb:
„Protégez les (arts) toujours, Madame. La gloire, que
ces arts donnent, est préférable à la plus illustre naissance
comme au plus haut dégré d’elevation, on les hommes
puissent monter. Les aimer, les protéger, et les cultiver
comme V. A. R., c’est avoir acquis un merite personnel,
le seul que l’on estime et que l'on revere dans les
princes.‘“
Die Kinder dieſes kunſtliebenden Paares — unter ihnen
der Vater der Prinzeſſin Amalie — folgten dem Beiſpiele ihrer
— 264 —
Eltern, namentlich in bezug auf die Pflege der Muſik. Der
älteſte Prinz, der ſpätere König Friedrich Auguſt I., war ein
leidenſchaftlicher Bewunderer der italieniſchen Muſik, die ſich
denn auch bis an ſein Lebensende ſeines fördernden Schutzes
erfreute. Er beſaß gründliche muſikaliſche Kenntniſſe, und von
ſeinen eignen Kompoſitionen wird noch jetzt an jedem erſten
Feiertage hoher Feſte eine Veſpermuſik in der katholiſchen Kirche
zu Dresden aufgeführt. Sein Bruder, Prinz Anton, der ſpätere
König dieſes Namens, betrieb neben ſeinem Lieblingsfache, der
Genealogie, ebenfalls mit Eifer und Geſchick das Studium der
Tonkunſt und übte lange Zeit als Komponiſt, Sänger und
leicht zugänglicher Kunſtförderer mannigfach belebenden und
bildenden Einfluß. Mehr als fünfzig Manuſkript⸗Bände feiner
Kompoſitionen befinden ſich in dem Beſitze der königlichen
Muſikalienſammlung. — Prinz Max endlich, der Vater der
Prinzeſſin Amalie, liebte neben der Muſik auch die Poeſie; er
ſang und komponierte nicht nur, er verſuchte ſich auch mit Glück
in größern Gelegenheitsdichtungen. — Nicht minder iſt der
jüngſten Schweſter dieſer Prinzen, Marie Anna, als einer
fähigen Sängerin und Pianiſtin zu gedenken.
Prinzeſſin Amalie wurde am 10. Auguſt 1794 zu Dresden
im Palais des Prinzen Max, ihres Vaters, geboren.
Bereits im Alter von zehn Jahren verlor ſie ihre Mutter
Karoline Marie Thereſe, eine Prinzeſſin aus dem Hauſe Parma.
Ihre weitere Erziehung leitete ſeitdem die Gemahlin des Prinzen
Anton, Maria Thereſia, Tochter des Kaiſers Leopold. Die⸗
ſelbe zeichnete ſich durch Eigenſchaften des Herzens aus und
erwiderte die kindliche Zuneigung der jungen Prinzeſſin um ſo
inniger, als ihre eignen Kinder ihr ſämtlich in jugendlichem
Alter durch den Tod entriſſen worden waren. Auch kam ihr
klar auf das Reale gerichteter Verſtand ihrem Pfleglinge
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— 265 —
zweifellos zu ſtatten. Dagegen hatte Prinzeſſin Maria Thereſia
weniger entſchiedene Neigung für Kunſt und Wiſſenſchaft, als
dies den Überlieferungen des ſächſiſchen Hofes gemäß war. Die
dichteriſchen Anlagen der jungen Prinzeſſin Amalie haben daher
einer kundigen Anleitung entbehrt.
Auch auf ſie übte dagegen einen um ſo lebhafteren Einfluß
die damals am ſächſiſchen Hofe vorwiegend gewordene Be—
günſtigung des muſikaliſchen Elementes. Wie aus einer Mono-
graphie hervorgeht, welche der Kammermuſikus Profeſſor
M. Fürſtenau über die muſikaliſchen Leiſtungen der Prinzeſſin
verfaßt hat, war der Kapellmeiſter Joſeph Schuſter ſelbſt ihr
| Lehrer. Sie fang und ſpielte Klavier, verſuchte ſich auch bald
in eignen Kompoſitionen. Aus ihrem 16. oder 17. Jahre
ſtammt ſogar ſchon eine kleine Oper; Prinz Max hatte den
Text dazu geſchrieben und der Kammermuſikus Franz Dunkel
half beim Anfertigen der Partitur. Im engeren Hofkreiſe iſt
dieſe Oper unter dem Titel „Una donna“ damals aufgeführt
worden.
In Prag, wohin, wie bekannt, der ſächſiſche Hof im
Februar 1813 überſiedelte, iſt dann auf Grund eines Librettos
des Prinzen Max die zweite Oper der Prinzeſſin: „Le tre
Cinture“ entſtanden. Die Partitur dazu iſt von der Hand
Aloys Johann Woitiſcheks, eines gediegenen Prager Muſikers,
welcher der Prinzeſſin daſelbſt beratend zur Seite ſtand. Auch
komponierte die Prinzeſſin im Laufe der folgenden Jahre, nach⸗
dem der ſächſiſche Hof wieder nach Dresden zurückgekehrt war,
noch die Opern: „Le Nozze funeste“ (1816), „Il Prigioniere“
(1817), „L’Americana‘ (1820), „Elvira“ (1821), „Elisa ed
Ernesto“ (1823), „La Fedeltä alla prova“ (1826), „Vec-
chiezza e Gioventù“ (1828), „Il figlio pentito“ (1831), „I
Marchesino‘ (1833), „La Casa disabitata“ (1835), ſowie
— 266 —
auch eine Anzahl Kantaten und kleinere Geſangsſtücke, zumeiſt
mit Unterlegung ſelbſtgedichteter italieniſcher Texte.
Alle dieſe Arbeiten, denen ſich andre, von den Brüdern,
dem Vater und dem Oheim der Prinzeſſin herrührende, größere
und kleinere Kunſtſchöpfungen geſellten, kamen im engern Hof⸗
kreiſe teils ſzeniſch, teils nur am Klavier zur Aufführung, zum
größten Teil unter geſanglicher Mitwirkung der jungen Prinzen
Friedrich Auguſt und Klemens, ſowie der Prinzeſſin Marie
Anna, Marie und der Prinzeſſin Amalie ſelbſt, während Prinz
Johann ſich vorzugsweiſe bei rein dramatiſchen Vorſtellungen
beteiligte. |
Für ſzeniſche Aufführungen dieſer Art war im Prinzen⸗
palais eine kleine Bühne errichtet; nicht minder gab es eine
ſolche im alten Pillnitzer Karuſſellgebäude, dem jetzigen könig⸗
lichen Orangeriehauſe daſelbſt. Prinz Max und Prinz Anton,
der Vater und der Oheim der jungen Prinzen und Prinzeſſin⸗
nen, bezeigten für dieſe mit großem Eifer betriebenen theatrali⸗
ſchen Vergnügungen ein warmes Intereſſe. Auch wohnten die
Gemahlin des Königs Friedrich Auguſt I. und feine Tochter,
Prinzeſſin Auguſte, den Aufführungen häufig bei. Wie zwang⸗
los es in Pillnitz dabei herging, erhellt aus dem Umſtande, daß
ſich die Pillnitzer Dörfler als Zuſchauer einfinden durften; auch
wurde es durchaus nicht übel vermerkt, wenn ihre Anteilnahme
ſich einmal etwas laut und ungeberdig vernehmbar machte.
Im Gegenteil fand namentlich Prinz Anton in ſeiner volks⸗
tümlichen Weiſe an dieſer Komödie in der Komödie ſogar be—
ſondres Vergnügen und ſelbſt nach ſeiner Thronbeſteigung
dauerte dieſes patriarchaliſche Verhältnis unbeirrt fort.
Da die ſo ungewöhnliche dramatiſche Routine der Prin⸗
zeſſin Amalie in dieſen vielſeitigen künſtleriſchen Einwirkungen
ihre vornehmliche Erklärung findet, ſo mag hier auf eine Art
— 267 —
von Feſtkalender hingewieſen werden, welcher in der ſchon er—
wähnten Fürſtenauſchen Schrift nachgeleſen werden kann ).
Den koſtſpieligen und rauſchenden Luſtbarkeiten einer verklunge-
nen Zeit waren einfachere, aber ſinnigere gefolgt. Sie gingen
Hand in Hand mit ernſten Studien, die über das Maß fürſt⸗
licher Liebhabereien, wie die Folgezeit gelehrt hat, weit hinaus⸗
griffen, und dienten nicht nur zu heitrer Erholung vom ſtrengen
Dienſte des Lernens, ſondern auch zum dankbaren und freudi-
gen Bewußtwerden der Segnungen eines reichen und beglückten
Familienkreiſes.
Die Operntexte der Prinzeſſin waren, wie man bemerkt
haben wird, ſämtlich italieniſch, auch ſcheinen, als ihr lebhaftes
Intereſſe für Muſik allmählich hinter dasjenige für ſchöne
Litteratur zurückzutreten begann, die Werke romaniſchen Ur⸗
ſprungs noch eine gute Weile von ihr bevorzugt worden zu
ſein. Sowohl die Schöpfungen italieniſcher, wie diejenigen
ſpaniſcher Dichter gehörten lange Zeit zu ihrer Lieblingslektüre,
und ihre Überſetzungen aus jener Übergangsperiode find Nad)-
dichtungen ſpaniſcher Dramen und Romanzen.
Daß nahe verwandtſchaftliche Beziehungen ihren Reiſen
zum öfteren die Richtung nach dem Süden gaben, kam hinzu,
um jene Neigung zu begünſtigen. Im Jahre 1825 war Prin⸗
zeſſin Amalie in Begleitung ihres Vaters nach Madrid gereiſt,
wo ſie mehrere Monate bei ihrer jüngſten Schweſter Joſepha
verweilte, der Gattin des Königs Ferdinand VII. Zehn Male
beſuchte ſie auch Italien, das letzte Mal im Jahre 1851, immer
mit hoher Befriedigung. Vor allem hing ihr Herz an Toscana,
wo ihre Schweſtern Marie Anna und Marie, die eine als Ge—
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) Die muſikaliſchen Beſchäftigungen der Prinzeſſin Amalie, Herzogin
zu Sachſen. Dresden 1874. R. v. Zahns Verlag.
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— 268 —
mahlin des Großherzogs, die andre als Gattin des Erbprinzen
eine zweite Heimat gefunden hatten.
Übrigens waren ja, wie bekannt, alle Gemüter in den
erſten Jahrzehnten dieſes Jahrhunderts von Sympathien für
das Land Mignons und faſt mehr noch für dasjenige Ximenes
in ungewöhnlichem Grade erregt und erfüllt. An die Thätigkeit
Tiecks und der beiden Schlegel braucht hier nur erinnert zu
werden. Calderon, Moreto, Lope de Vega wurden fleißig über-
ſetzt und vielſeitig bewundert. Weber ſelbſt, obſchon der Hort
deutſcher Muſik, trug ſich mit Opernplänen, welche Pizarro, Don
Juan d' Auſtria, Columbus, den Cid zum Mittelpunkte hatten.
Prezioſa war der allgemeine Liebling.
Dennoch hatte ſich ſchon in jugendlichen Jahren bei der
Prinzeſſin Amalie das Bedürfnis geltend gemacht, Empfind⸗
ungen, welche einfach dem Herzen entſtrömten, in der Mutter⸗
ſprache auszudrücken. Unter den Kompoſitionen des Prinzen
Anton aus dem bewegten Jahre 1815, wo der ſächſiſche Hof
wieder in die Heimat zurückkehrte, finden ſich mehrere deutſche
Gelegenheitsdichtungen der Prinzeſſin von echt nationalem Ge⸗
präge, unter ihnen „Der frohe Tag,“ „Unſer Fritz,“ „Von
Amalie und Anton,“ „Der Huſar“ u. a.
Daß die Prinzeſſin wenige Jahre ſpäter als Schülerin dem⸗
jenigen Meiſter näher trat, an deſſen Namen — ſeit der Be⸗
gründung der Dresdner deutſchen Oper, im Jahre 1816 —
alle auf den Sieg der deutſchen Tonkunſt gerichteten Hoffnungen
ſich knüpften, bleibt unter den damaligen Zeitverhältniſſen ein
nicht minder bedeutſames Zeichen. Denn Karl Maria von
Webers gefährlichſte Gegner, Morlacchi in Dresden, Spontini
in Berlin, ſtanden noch in wohlbefeſtigtem Anſehen und erfreuten
ſich mächtigſter Gönnerſchaft.
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— 269 —
Wie ſehr nun auch der grunddeutſche Zug im Gemüt der
Prinzeſſin Amalie ſpäter offenkundig geworden iſt, ihr reich—
haltiger litterariſcher Nachlaß aus der erſten Periode ihrer
größeren dramatiſchen Dichtungen läßt deutlich erkennen, daß
ihr Genius, unklar über ſeinen eigentlichen Beruf, noch ſuchend
ſchwankt zwiſchen den Nachwirkungen ſprachlich fremdländiſcher
Gewöhnungen und jenem inneren Zuge rein nationaler Art.
Ihr Dichten italieniſcher Textbücher und ihr Komponieren nach
italieniſchen Vorbildern wird daher einſtweilen nur durch den
Verſuch abgelöſt, italieniſche, ſpaniſche, oder überhaupt aus
fernen Zonen entnommene Stoffe zu dramatiſieren. Auf dieſe
Weiſe entſtehen unter anderem: „Der Zauberſpruch,“ ein mit
übernatürlichen Eingriffen durchwobenes, ſpaniſch koſtümiertes
Schauspiel; „Elvira,“ ein mauriſches Trauerſpiel; „Graf von
Toulouſe,“ ein franzöſiſch koſtümiertes Schauſpiel; „Zwei Nächte
auf dem Kaſtell Franco,“ wiederum ein Trauerſpiel mit ſpani⸗
ſchem Hintergrunde; „Zulika,“ ein großes orientaliſches Luſt—
ſpiel; endlich zwei deutſche Ritterſtücke: „Eliſabeth,“ ein Trauer-
ſpiel, und „Die Witwe,“ ein Schauspiel. Auch ſtammen aus
dieſer Zeit und zwar wieder mit orientaliſchem Hintergrunde:
„Der Krönungstag,“ ein Schauſpiel in fünf Aufzügen, und
„Mesru,“ ebenfalls ein Schauſpiel, aber ein aus zwei Teilen
beſtehendes, jeder Teil zu fünf Aufzügen.
Mit Ausnahme des Trauerſpieles „Eliſabeth,“ welches in
Proſa geſchrieben iſt, haben alle dieſe Stücke eine metriſche
Form, zumeiſt den reimloſen fünffüßigen Jambus. Sie ent⸗
behren einer glänzenden Sprache, und ſind faſt ganz ohne den
Schmuck des bildlichen Ausdrucks; ebenſo verſchmähen ſie, wo
ein Zauber zu Hilfe gerufen wird, den eigentlichen Apparat des
Zauberſpiels. Nicht minder verlegen ſie, wo ſie das Gebiet des
Tragiſchen ſtreifen, die verbrecheriſche That gern in die Ver—
— 70 —
gangenheit, und beſchäftigen ſich mehr mit den Folgen des Ver⸗
brechens, als mit deſſen Entſtehen und Vollbringen.
Daneben feſſeln dieſe Stücke aber auch wieder durch unver⸗
kennbare Schönheiten. Die Perſonen haben wirkliches Leben,
ſie empfinden richtig und intereſſieren; ja, in einigen Partieen
dieſer Dramen, z. B. in den erſten Aufzügen der „Zwei Nächte
auf dem Schloſſe Kaſtell Franco“ iſt die dramatiſche Bewältig⸗
ung des unheimlichen Stoffes eine ſo große, daß man ſich an⸗
fangs faſt der Täuſchung hingiebt, ein vollſtändiges Meiſter⸗
werk vor ſich zu haben.
Noch eines Stückes muß hier gedacht werden, da es das
erſte Drama der Prinzeſſin iſt, welches auf der königlichen Hof⸗
bühne zur Aufführung gelangte. Es hieß „Die Abenteuer der
Thorenburg,“ und wurde unter fremdem Namen, ohne Beifall
zu finden, gegeben. Dieſer Mißerfolg trug die Schuld, daß
jene anderen zahlreichen Stücke, obſchon ſie keineswegs Buch⸗
dramen ſein wollten, und die hingebende Arbeit mancher Jahre
erforderten, im Pulte der Verfaſſerin verſchloſſen blieben. Die
als Überraſchung veranſtaltete Aufführung des „Krönungs⸗
tages,“ im Jahre 1823, war keine öffentliche. Sie fand im
Prinzenpalais ſtatt. Aber die Darſteller waren Mitglieder des
Hoftheaters. Der gute Erfolg gab der Prinzeſſin den Mut, in
eine weitere Aufführung, die des „Mesru,“ zu willigen. Hof⸗
ſchauſpieler führten im Jahre 1825 den erſten Teil im Prinzen⸗
palais auf, ein Jahr ſpäter den zweiten Teil im Palais beim
Prinzen Johann. 1828 kamen der „Krönungstag“ und dann
die beiden Teile des „Mesru,“ in gleicher Weiſe beſetzt, in
Pillnitz zur Aufführung. Und endlich brachte das Dresdner
Hoftheater im folgenden Jahre den „Krönungstag“ zur öffent⸗
lichen Vorſtellung.
Als diejenigen rein dramatiſchen Arbeiten, welche bereits
5
.
7
I.
b
1
in allen litterariſchen Charakteriſtiken über die Verfaſſerin von
„Lüge und Wahrheit“ als ihre Erſtlingswerke erwähnt worden
ſind, und ſomit ſeit langem der Litteraturgeſchichte angehören,
haben der „Krönungstag“ und „Mesru“ in der gegenwärtigen
Geſamtausgabe ihren Platz gefunden. Ihnen iſt ein Schauſpiel
in fünf Aufzügen, „Der Graf von Beaujolois,“ zugeſellt worden,
da ſich dasſelbe bei glücklicher dramatiſcher Abrundung durch
eine reine, poetiſche Wirkung auszeichnet. Außerdem wurden
noch „Die Täuſchungen“ beigefügt, ein kleines Proſa-Luſtſpiel,
das unlängſt, bei Gelegenheit der goldenen Hochzeit des Königs
Johann, im Dresdner Hoftheater zur Darſtellung kam.
Die Verfaſſerin ſelbſt hat übrigens einige ihrer Proſaſtücke,
bbſchon dieſelben zur Aufführung gelangten (3. B. den in München
und Dresden aufgeführten „Mörder“), in die Ausgabe ihrer
„Original⸗ Beiträge zur deutſchen Schaubühne“ nicht aufge⸗
nommen; dieſe ſind denn auch der Geſamtausgabe nicht ein⸗
gefügt worden.
Aus den vorſtehenden Nachweiſen über den litterariſchen
Nachlaß der Prinzeſſin iſt ſchon erſichtlich, daß ſie, bevor ihr
Talent ſeinen Schwerpunkt fand, unermüdlich und in einer
großen Menge von Richtungen das dramatiſche Gebiet durch—
ſchweifte. Zum Zwecke kleinerer, raſch improviſierter Beluſtig—
ungen im Kreiſe ihrer Geſchwiſter verſuchte fie ſich ſelbſt im
Burlesken, und, wie in allen übrigen dramatiſchen Formen, ſo
auch in dieſer keineswegs ohne Geſchick. Beſonders ergötzlich
iſt unter dieſen raſch hingeworfenen Produkten einer übermütigen
Stunde die Poſſe „Theſeus und Ariadne.“ Die ſchöne Tochter
des Königs Minos zählt darin bereits 40 Jahre, iſt aber immer
noch ledig, „denn Prinzen ſind jetzt ſelten.“ Sie läßt ſich daher
von Theſeus, welcher auch ſchon mit 55 Jahren beſchwert iſt,
entführen, hat aber das Unglück, unterwegs in einem Gaſthauſe
— 272 —
von ihm im Stiche gelaſſen zu werden, da im gemeinſamen
Reiſewagen Theſeus ſein Herz an ihre Kammerjungfer Phädra
verloren hat, und er letztere nun wiederum der entführten
Ariadne entführen muß. Der Wirt des Gaſthauſes erbarmt
ſich jedoch der Verlaſſenen, und da er ſich bald als Gott Bacchus
ſelber entpuppt, welcher auf die Erde kam, um den Weinfälſchern
durch billige Preiſe das Geſchäft zu verderben, ſo ſchenkt Ariadne
ihm raſch getröſtet Herz und Hand.
Man ſieht, um gute Einfälle war die Verfaſſerin auch auf
dieſem Gebiete nicht in Verlegenheit.
In ſo vielſeitiger Weiſe ſchaffend und geſtaltend vollendete
Prinzeſſin Amalie mit raſtloſem Fleiße ein dramatiſches Gebilde
nach dem andern, für das, was in ihr lebte, Form und Aus⸗
druck immer von neuem ſuchend und, nach ihrer eigenen Ab⸗
ſchätzung, immer von neuem nicht findend. Endlich traf ſie in
dem Schauſpiele „Lüge und Wahrheit“ auf die wirkliche Metall⸗
ader ihres poetiſchen Schachtes.
Das Stück wurde im Jahre 1833 an das Berliner Hof-
theater eingeſandt, wie es ſcheint völlig anonym, da die Prin⸗
zeſſin, nach ſo langer freiwilliger Zurückhaltung von der Bühne,
vor allem ein völlig unbefangenes Urteil über ihr Stück wün⸗
ſchen mußte; ſelbſt der Name A. Heiter hätte aber ſeit den vorge⸗
dachten Aufführungen des „Krönungstages“ und des „Mesru,“
für jenen Zweck nicht mehr dienen können, wie dieſer Name
denn auch auf keinem Theaterzettel von „Lüge und Wahrheit,“
und ebenſowenig auf einem der ſpäteren Stücke wieder vor⸗
kommt. Am 24. Februar des folgenden Jahres, zur Geburts⸗
tagsfeier der Prinzeſſin von Mecklenburg, gelangte das Stück
dann, wie ſchon erwähnt, im Palais der königlichen Prinzeſſinnen
zur Aufführung, und drei Tage ſpäter gab man es im könig⸗
— 273 —
lichen Schauſpielhauſe. Fräulein von Hagn ſpielte die Julie,
Fräulein Erck die Friederike, Grua den Franz Willmer.
Die Aufnahme war ſeitens des Publikums eine ungemein
günſtige, die Kritik verhielt ſich maßvoll zuſtimmend. Die
Mehrzahl der deutſchen Bühnen beeilte ſich, das Stück ungeſäumt
zur Aufführung zu bringen.
Fragt man heute nach den Gründen für den unzweifelhaft
großen Erfolg jenes einfachen und anſpruchsloſen Schauſpiels,
ſo muß man ſich vergegenwärtigen, wie wenigen der damals
dem deutſchen Publikum gebotenen Stücke gerade dieſe ſchätzens⸗
werten Eigenſchaften nachzurühmen waren. In der That befand
ſich das deutſche Theater im Anfange der dreißiger Jahre in
der mißlichen Lage, weder ſelbſt ſich beſtimmter Kunſtrichtungen
bewußt zu ſein, noch auch der allgemeinen Geſchmacksverwirrung
Widerſtand leiſten zu können. Nachdem man ein Jahrhundert
zuvor die ſentimentale Komödie mit ihren Selinden, Cephiſen
und Orgons bewundert, dann dem Schwertgeraſſel der Ritter-
ſtücke entzückt gelauſcht, und endlich mit den Stürmern und
Drängern ſich in dem friſchen Luftzuge der Regelloſigkeit tapfer
getummelt hatte, war man einerſeits auf die große Heerſtraße
des Spießbürgerlichen abgelenkt, andererſeits tief in das Laby⸗
rinth des moraliſch Lockeren hineingeraten, hatte dazwiſchen
den Weimarſchen Verſuchen zur Verwirklichung einer idealen
Bühne mit gutem Willen zugeſehen, auch periodiſch in den
Meiſterwerken jener Zeit Labſal und Erhebung gefunden, war
aber endlich, von dem Glanze der romantiſchen Schule geblendet
und nach allen Richtungen zugleich aufgeregt, unter dem Zauber
talentvoller Mimen dahin gelangt, alles in buntem Durchein⸗
ander auf ſich wirken zu laſſen, und kaum noch das Gute von
dem Schlechten zu unterſcheiden.
18
— 274 —
Das damalige Chaos kann wohl nicht beſſer anſchaulich
gemacht werden, als mit den Worten Tiecks in ſeiner „Vogel⸗
ſcheuche,“ einer ſatiriſchen Novelle, welche im Jahre 1835, alſo
bald nach den erſten Erfolgen von „Lüge und Wahrheit“ er⸗
ſchien und welche ſelbſt Raupachs zweifelhafte Verdienſte noch
als einen Segen pries. „Denn,“ ſo heißt es dort, „wie ſchlimm
ſtände es wohl um die deutſche Bühne, wenn Raupach nicht mit
ſeinen hiſtoriſchen Dramen durchgedrungen wäre! Wir hätten
gar nichts anderes mehr als Jockos, Melodramen mit Tableaus,
Feuerwerk und Maſchinen, Ballete und jene Fratzen von den
Pariſer Vorſtädten, die unſere ſchlechten Überſetzer ſich aus den
Händen reißen, immer in der Eil' an die elendeſten geraten
und ſie in ein ſo ſtümperhaftes Deutſch umſetzen, daß die Schul⸗
knaben es beſſer als Exerzitium machen müßten. Faſt alle Re⸗
giſſeure unſerer Theater, Sekretäre, viele Schauſpieler, alle dieſe
ſchreiben und überſetzen, und welche Armſeligkeiten es ſind, weiß
jeder, der ſich irgend um die Bühne kümmert ...“
Inmitten ſo ungeſunder Zuſtände, die vor allem ſeit der
Julirevolution durch jene unklaren Sympathien für alles Fran⸗
zöſiſche ſtark beeinflußt worden waren, mußte das Schauſpiel
„Lüge und Wahrheit“ in ſeiner ſchlichten, ungeſuchten Sprache
und mit ſeinem guten, ſittlichen Kern wie ein Biſſen kräftigen
Hausbrotes munden, deſſen würzigen Geſchmack der Gaumen
über all dem Naſchwerk ſchier vergeſſen hatte. Im Verhältnis
zu ſeiner erſten großen und allſeitigen Wirkung hat dies Drama
übrigens nur eine mäßige Anzahl Aufführungen erlebt; auch
beſteht es trotz ſeiner vielen liebenswürdigen Seiten nicht den
Vergleich mit manchen ſpäteren Arbeiten der Prinzeſſin. Sein
großes Verdienſt bleibt, daß es den Geſchmack des Publikums
zur Beſinnung rief. Es hatte den Verſuch unternommen, ohne
Moralpredigen und ohne Rührungsmittel, einzig durch das
1
— 275 —
zu Worte kommen laſſen richtiger Empfindungen einem an ſich
nicht bedeutenden Stoffe Kunſtwirkungen reiner und veredelnder
Art abzugewinnen. Und der Verſuch war gelungen.
Durch den Erfolg ermuntert, wandte Prinzeſſin Amalie
ſich von nun an ausſchließlich dieſer Kunſtgattung zu, und ihre
beſten Werke ſtammen aus dieſer Periode. Wie ſehr dieſelbe
ſie beglückt haben muß, läßt ſich ohne Mühe nachempfinden.
Bis in ihr 40. Jahr hatte ihr ſchöpferiſcher Drang ſich in immer
neuen Aufgaben, und doch ohne volle innere Befriedigung, ab-
gemüht. Jetzt auf einmal durfte ſie an ihren dichteriſchen Beruf
glauben. Mit dem ihr anvertrauten Pfunde zu wuchern, mußte
ihr nun zur eigenſten Herzensſache werden. Großer und guter
Wirkungen auf dem endlich gewonnenen Arbeitsfelde war ſie
fähig, daran durfte ſie nicht mehr zweifeln. Aber ihre Jugend
war bereits dahin und ihrem dichteriſchen Schaffen konnte nur
noch eine kurze Spanne Zeit zugemeſſen ſein. Aus ſolcher Selbſt—
erkenntnis, welcher freilich die Freude an immer neuen Beſtätig⸗
ungen des erſten großen Gelingens jede trübe Färbung nehmen
mochte, iſt die Fülle der dramatiſchen Schöpfungen zu erklären,
welche, von den glücklichſten Eingebungen ihrer Muſe begünſtigt,
nun in ſchneller Reihenfolge entſtanden. Noch im Jahre 1834
erſchien: „Die Braut aus der Reſidenz;ö“ dann 1835: „Der
Verlobungsring“ und „Der Oheim;“ 1836: „Die Fürſten⸗
braut,“ „Der Landwirt,“ „Der Zögling,“ „Das Fräulein vom
Lande;“ 1837: „Der Unentſchloſſene,“ „Vetter Heinrich,“
„Der Pflegevater;“ 1838: „Die Unbeleſene,“ „Der Majorats⸗
erbe;“ 1839: „Die Stieftochter;“ 1840: „Kapitän Firnewald;“
1841: „Die Heimkehr des Sohnes,“ „Der alte Herr;“ 1843:
„Der Siegelring,“ „Regine;“ endlich 1845: „Der Brief aus
der Schweiz.“ In dieſer Reihenfolge wenigſtens ſind vorge—
nannte 20 Stücke in Berlin, Potsdam und Charlottenburg zur
18 *
1
Darſtellung gelangt, zumeiſt allen anderen Bühnen voran. Das
Münchener Hoftheater führte im ganzen 14 Stücke der Prin⸗
zeſſin Amalie auf, darunter zwei in Berlin nicht gegebene:
„Pflicht und Liebe“ (1839) und „Der Mörder“ (1845). Das
Hofburgtheater in Wien brachte 11 jener 20 Stücke zur Dar⸗
ſtellung. Auf dem Dresdner Hoftheater erſchienen außer dem
mehrerwähnten „Krönungstag,“ den „Abenteuern der Thoren⸗
burg,“ den unlängſt gegebenen „Täuſchungen“ und einer muſi⸗
kaliſchen Poſſe: „Die Siegesfahne,“ in allem 24 Stücke der
Prinzeſſin, darunter 19 von jenen 20 Stücken („Kapitän Firne⸗
wald“ wurde hier nicht gegeben), und ferner: „Fräulein Sy⸗
bille,“ „Der Mörder“ und „Ottfelds Erben,“ ſowie eine von
Borrom. von Miltitz komponierte Oper: „Der Condottiere,“
deren Text die Prinzeſſin verfaßt hatte. Alle übrigen deutſchen
Theater eigneten ſich von den Schau- und Luſtſpielen an, was
den Kräften ihres Perſonals irgend entſprach. Nicht minder
gingen dieſe Stücke teils auf die Bühnen, teils in die Litteratur
des Auslandes über. So veröffentlichte die bekannte engliſche
Schriftſtellerin Mrs. Anna Jameſon, welche ſich damals in
Weimar aufhielt, eine Überſetzung von „Lüge und Wahrheit,“
„Der Oheim,“ „Der Zögling,“ „Die Fürſtenbraut,“ „Vetter
Heinrich.“ Sechs der andern Stücke wurden im Jahre 1848
ins Engliſche anonym übertragen, und in Boſton erſchien eine
Überſetzung des „Verlobungsrings.“ Auch in die dramatiſche
Litteratur der Ruſſen, Ungarn und Italiener haben einige der
Stücke ihren Weg gefunden, und in Paris glaubte ein ſpekula⸗
tiver Kopf dem Ruhme der fremden Bühnendichterin wenigſtens
dadurch ſeinen Tribut darbringen zu ſollen, daß er unter dem
Namen der Prinzeſſin Amalie eigene Machwerke aufführen ließ.
Es hat ſich aus jener Zeit unter den Papieren der Prinzeſſin
ein Exemplar des Pariſer Vert-Vert erhalten, welches das
ne en; (Ar
— 277 —
franzöſiſche Publikum auf das neue Geſtirn unter anderm in
folgender humoriſtiſcher Weiſe aufmerkſam macht.
„La Saxe,“ ſo heißt es in dieſem Artikel, „est le pays des
femmes eelebres, les dames y sont mille fois plus avancces
qu'en France; elles boivent de la bière et mangent de la
choucroüte comme un grenadier du grand Frederic; elles
commandent la charge en douze temps comme Clara Wen—
del, qui était nee à Drèsde, et éerivent presque toutes des
drames aussi fantastiques que ceux de Goòthe et de Za-
charias Werner. La princesse Amelie est un Faust en
corset lac& et en jupons...
Les titres des principales pieces de la royale drama-
turge pourront donner une idée de sa manière; la premiere
livraison contiendra deux drames et un vaudeville, qui
sentent leur fantastique d’une lieue. Le premier drame
s’appelle „La Lune et le Damné““: une &clipse joue le
prineipale röle; le second, écrit à la manière de Burgher,
est intutil& ‚‚l’Ame en peine:“ le heros, qui est une fan-
töme, se brüle trois fois la cervelle; le vaudeville a pour
titre „le Rouet de Marguerite“: le docteur Faust y danse
sur la corde roide comme Alcide Tousez, et Mephisto-
pheles y chante de charmans couplets de circonstance sur
les chemins de fer.
On nous fait esperer que ces divers ouvrages seront
reprösentes cet hiver sur le theätre de M. de Castellane.“
Dieſe Notiz ſtammt aus dem Jahre 1837. Wie es ſcheint,
hat das Theater des M. de Caſtellane ſich mit den angekündigten
Stücken indeſſen nicht gerade beeilt, oder im Lärm der großen
Stadt hat man ſich um die Quelle dieſer angeblichen Prin⸗
zeſſinnen⸗Dramen nicht näher bekümmert. Erſt drei Jahre
ſpäter, als auf dem Theätre du Gymnase dramatique die
— 278 —
Aufführung eines beſonders anſtößigen Stückes — es hieß:
„une femme charmante“ — den Kritiker Jules Janin zu
einer verwunderten Rüge über die Muſe der hohen Verfaſſerin
veranlaßt hatte, kam der Betrug zu Tage. Ein mit der deutſchen
Litteratur vertrauter Franzoſe, Mr. Pitre-Chevalier, beſorgte
nun eine franzöſiſche Überſetzung von: „Lüge und Wahrheit,“
und der „Braut aus der Reſidenz.“ Die Pariſer Preſſe nahm
keinen Anſtand, durch ſehr günſtige Beſprechung der Stücke jenen
häßlichen Namensmißbrauch nach Möglichkeit gut zu machen,
und ein vom Februar 1841 datierter Brief des Überſetzers weiß
ſchon von zahlreichen Aufführungen zu berichten. Eine im
Jahre 1843 von Louis Schwörer in London verfaßte franzö⸗
ſiſche Überſetzung der Originalbeiträge für die deutſche Schau⸗
bühne ſamt dem Supplementbande ſcheint Manufkript geblieben
zu ſein. Dagegen erſchien eine franzöſiſche Überſetzung der
„Fürſtenbraut“ von Henri Jouffroy ſchon im Jahre 1839 in
Leipzig.
Allgemein äußerte ſich bei dieſer Berührung des Auslandes
mit den dramatiſchen Arbeiten der Prinzeſſin neben der Be⸗
wunderung vor allem einige Verwunderung. Daß eine Prin⸗
zeſſin, und überdies eine ſächſiſche Prinzeſſin, im Stande geweſen
ſei, mit ſolcher Kenntnis Verhältniſſe und Beziehungen zu
ſchildern, die ihr doch notwendigerweiſe am allerfernſten liegen
mußten, erklärte z. B. Mrs. Jameſon geradezu für ein Rätſel.
Denn die ſächſiſche Hofetikette, fügt ſie ganz richtig hinzu, ſei
während der erſten Jugendzeit der Prinzeſſin Amalie eine über⸗
aus ſtrenge geweſen. Zwiſchen Hof und Bürgertum habe eine
Scheidewand der abſchließendſten Art beſtanden. Kaum ſei es
den kleinen Prinzeſſinnen erlaubt geweſen, zu Fuß zu gehen,
und als endlich in dieſer Hinſicht einige Nachſicht geübt worden
ſei, habe eines der Prinzeßchen ſich als eine beſondere Ver⸗
wer Be Di a 4
ec = u en = TE r
— 279 —
günſtigung die Erlaubnis erbeten, einmal über die ſchöne Brücke
zu ſpazieren, die es ſo lange ſchon ſehnſüchtig vom Schloſſe aus
beäugelt. Dagegen ſei freilich an die großen Wandlungen zu
erinnern, welche der Krieg dieſen Verhältniſſen bereitet habe;
an die dem königlichen Oheim der Prinzeſſin zweimal auferlegte
Nötigung, ſeine Staaten zu verlaſſen, an ſeine Gefangenſchaft,
überhaupt an die Erſchütterung ſo vieler europäiſcher Throne,
alles Ereigniſſe ſo mächtig auf- und umrüttelnder Art, daß es
vielleicht weniger zu verwundern ſei, wie die Prinzeſſin, vom
12. bis zum 23. Lebensjahre in ſolcher Weiſe von der rauhen
Wirklichkeit berührt, für dieſe die Augen weit geöffnet habe, als
daß ihre Muſe ſich dadurch nicht auf den Weg der großen
Staatsaktionen und der gewaltigen tragiſchen Konflikte habe
leiten laſſen.
In ſolcher und ähnlicher Weiſe ſuchte das Ausland ſich mit
der ungewöhnlichen Erſcheinung dieſer Arbeiten abzufinden,
nicht allerdings ohne dabei in den Irrtum zu verfallen, die
Prinzeſſin habe in ihren Stücken vorwiegend das deutſche
bürgerliche Alltagsleben geſchildert. Mrs. Jameſon z. B. iſt
ſo ſehr in dieſer Annahme befangen, daß ſie ihre Überſetzung
als eine Studie zur Kenntnis des deutſchen social life bezeichnet,
und in ihrer dialogiſierten Vorrede dem Einwurfe, Vieles in
dieſem social life werde in England aber nicht gefallen, mit
der Antwort begegnet: Sie wende ſich auch gar nicht an den
Geſchmack des engliſchen Publikums, ſondern an deſſen Neugier
und Wißbegier, und die Frage laute nicht: „Wie ſoll im täg—
lichen, häuslichen Leben das weibliche und das männliche Ge—
ſchlecht in England ſich behaben?“ ſondern vielmehr: „Wie
geſchieht dies in Deutſchland?“
Das klingt für uns Deutſche nicht ſehr verbindlich. Ohne
Zweifel bezieht es ſich vornehmlich auf die Erörterungen, die
— 280 —
in vielen dieſer Stücke beim Heiraten über den Geldpunkt an⸗
geſtellt werden. Sie entſprechen, wie bekannt, nicht den Durch⸗
ſchnittsgewohnheiten des deutſchen Bürgerſtandes, mußten aber
vor allem in England befremden, wo der Regel nach keine
Ausſteuer gegeben wird.
Übrigens iſt die oben angedeutete Annahme: „Die Grund⸗
lage für die dramatiſchen Arbeiten der Prinzeſſin ſei das bürger⸗
liche Leben in Deutſchland“ keineswegs eine nur im Auslande
verbreitete Anſicht. Im Gegenteil iſt ſie überhaupt die her-
kömmliche, und noch einer der unlängſt erſchienenen Nekrologe
der Prinzeſſin bediente ſich wörtlich der eben citierten Be⸗
zeichnung.
Ein Blick in die Perſonenregiſter der Stücke genügt, um
jene Auffaſſung als eine in ihrer Allgemeinheit unrichtige er⸗
kennen zu laſſen. Von den ſämtlichen im Druck erſchienenen
Stücken der Prinzeſſin bewegen ſich nur 3 in rein bürgerlichen
Verhältniſſen: „Lüge und Wahrheit,“ „Die Heimkehr des
Sohnes“ und „Die Pflegetochter.“
In 4 weiteren Stücken, „Der Oheim,“ „Die Braut aus
der Reſidenz,“ „Vetter Heinrich“ und „Der Siegelring,“ miſcht
ſich Adeliges und Bürgerliches.
Die ſämtlichen übrigen Stücke beſchäftigen ſich mit Vor⸗
gängen in adeligen oder fürſtlichen Kreiſen.
Wie kommt es nun, daß man in Bauſch und Bogen die
Stücke der Prinzeſſin Amalie für bürgerlich anzuſehen pflegt?
Der Grund, ſo ſcheint es, liegt darin, daß die Verfaſſerin
die Standesunterſchiede als ſolche bei den Motiven ihrer Dramen
völlig ignoriert.
Nie iſt in ihnen von einer beſonderen Standesehre die
Rede, nie kommt der Ausruck vor: „Wir ſind der erſte Stand;“
und ebenſo iſt keinem Bürgerlichen ein bitteres Wort gegen den
r Ben 132
— 281 —
Adel in den Mund gelegt. Solcher Art bringt Prinzeſſin
Amalie in allen ihren Stücken, zum großen Vorteile derſelben,
die beſſeren Regungen des menſchlichen Herzens zu Ehren, ohne
die verſchiedenen Stände ſondernd auseinander zu halten, und
ohne zu fragen, ob Vorurteil oder Erfahrung nicht gegen die
von ihr gewählten Vertreter dieſer oder jener Eigenſchaft hier
und da Einſpruch erheben. In einer ungemein liebenswürdigen
Umſchreibung der Wirklichkeit führt ſie uns zu Gemüt, wie in
einem gegebenen Falle der gute Vater, der treue Freund, das
ſinnige Mädchen handeln ſollten, und das gelingt ihr in einer
fo deutſchen, herzlichen Weiſe, daß jeder Stand eigene, wohl-
bekannte Züge zu erkennen glaubt und den Perſonenzettel
darüber vergißt.
Daß dieſe Methode der Prinzeſſin, trotz ihrer beiſpielloſen
Treue im Porträtieren des dienenden Perſonals, doch not—
wendigerweiſe von einer photographiſchen Wiedergabe des
deutſchen Alltagslebens abſieht, iſt in Vorſtehendem bereits
dargethan. Gewiß liegt aber gerade in dieſem Hinausheben
der Gegenſtände aus der Sphäre derjenigen Zuſtände, welche
durch das Hervortreten der Standesunterſchiede verſtimmend
getrübt werden, das Geheimnis der harmoniſchen, künſtleriſchen
Beleuchtung, welche die meiſten Stücke der Prinzeſſin aus⸗
zeichnet.
In demſelben Maße freilich, wie der hier angedeutete Ver—
zicht auf eine jo weſentliche Seite der geſellſchaftlichen Bezieh—
ungen den Stücken zu ſtatten kam, ſchränkt derſelbe ihr Gebiet
auch ein. Es iſt nicht zu verkennen, daß mit dem Vermeiden
eines allzu individuellen Kolorits ſich im Proſaluſtſpiel das
Feld des Darſtellbaren in ſchwieriger Weiſe verengt, zumal
wenn wohlberechtigte weibliche Scheu noch ſelbſtbeſchränkend
hinzukommt; denn wie manche Seite des menſchlichen Lebens
— 232 —
entzieht ſich, wenn nicht der weiblichen Kenntnis, ſo doch der
weiblichen Wiedergabe, und wie viele dichteriſche Erfolge giebt
es, die nur dem Dichter erlaubt ſind, während ſich die Dichterin
ihrer kaum zu erfreuen vermöchte. Berückſichtigt man dieſe er⸗
ſchwerenden Umſtände, und bedenkt man, wie dieſelben in ſo
hoher Stellung ſich noch mit verdoppeltem Drucke geltend
machen mußten, ſo gelangt man erſt zu einer richtigen Würdig⸗
ung der von der Prinzeſſin erzielten Wirkungen.
Noch heute ſind ſie nicht verklungen. „Dem Landwirt,“
„dem Oheim,“ „der Braut aus der Reſidenz,“ „dem Majorats⸗
erben“ wohnen Vorzüge inne, die trotz aller Umſtimmungen
des Geſchmacks und der Gewöhnungen ihnen nach wie vor eine
dankbare Aufnahme ſichern. Auch für „Vetter Heinrich“ bedarf
es wenig mehr, als eines geeigneten Vertreters des Stellani,
um den dauernden Wert dieſes dem Leben ſorgfältig abgelauſchten
Charakterbildes immer wieder ins rechte Licht zu ſtellen. Be⸗
ſonders übertrifft aber „Die Fürſtenbraut“ alle Dichtungen
verwandter Art durch eine ſo große Unmittelbarkeit der An⸗
ſchauung und ein ſo feines Verſtändnis für die dabei in Szene
geſetzten Verwickelungen, daß ſich die Aufführung dieſes Stückes
jederzeit dort empfiehlt, wo ſich nicht nur die Rolle des ſchönen
Fräuleins von Wallenbach, ſondern auch die der Prinzeſſin⸗
Braut paſſend beſetzen läßt. Allem Anſcheine nach hat man
die letztere Rolle zumeiſt Darſtellerinnen gegeben, welche zwar
zu repräſentieren wußten, aber von den Reizen des Fräuleins
völlig in den Schatten geſtellt wurden. Nichts kann dem Stücke
nachteiliger ſein. Nur eine auch äußerlich günſtig ausgeſtattete
Prinzeſſin-Braut giebt einige Gewähr für die dauernde Be⸗
kehrung ihres hohen Geliebten und verhilft dem Stücke zu einem
wohlthuenden Abſchluſſe.
Von den mancherlei eigentümlichen Herzensergüſſen, in
a Sl Ban AED na DE ann nt) 7.
„f
— 283 —
welchen zu Zeiten einzelne ihrer dankbarſten Bewunderer ſich
gegen die Verfaſſerin Luft machten, hat vielleicht keiner ihr
mehr Freude bereitet, als die folgende Zuſchrift, welche ſie unter
ihren Papieren aufbewahrte:
Dresden, den 17. Januar 1836.
Empfangen Ihro königliche Hohheit meinen wärmſten Dank
für das geſtern geſehene Luſtſpiel — Der Oheim — das mir
mehr Thränen entlockt hat, als manches geprieſene auf Kothur⸗
nen gehende Trauerſpiel.
Gerade ſo wünſchte ich ſchreiben und handeln zu können.
Dieſe wenigen Worte ſind der Erguß der reinſten Wahrheit
und meiner innigſten Überzeugung.
Ein Zuſchauer von der Galerie.
Das nämliche Luſtſpiel gab einem Berliner Arzte Veran⸗
laſſung, ſich in einer anonymen Broſchüre über die Verdienſte
einer Arbeit zu äußern, welche den Stand der Arzte wieder
auf der Bühne zu Ehren bringe, nachdem derſelbe ſeit Moliere
nur bitteren Verunglimpfungen preisgegeben geweſen ſei.
Glücklicher noch als dieſe und andere gutgemeinte Dankes—
äußerungen ſtimmte die Verfaſſerin ohne Zweifel das Gefühl,
daß neben der dichteriſchen Befriedigung und dem ſittlich guten
Einfluſſe ihrer Bühnenſpiele, ihr durch die Erträgniſſe ihrer
Muſe auch die Möglichkeit geworden war, ihrem Mildthätig-
keitstriebe einigermaßen genug zu thun. Wie wenig oder wie
viel bei der damaligen Rechtsunſicherheit des ſchriftſtelleriſchen
Eigentums ihre dramatiſchen Revenüen betragen haben mögen
— unverkürzt ſind dieſelben ihren Armen zu Gute gekommen,
und mit Recht betonte kurz nach ihrem Tode ein warmer Nach⸗
ruf aus ſchauſpieleriſcher Feder, daß, wenn man die Prinzeſſin
— 284 —
nach ihrer Mildthätigkeit Mate wollte, man ſie für eine
der reichſten Fürſtinnen hätte halten müſſen.
Sn allem bis hierher über die Prinzeſſin Gusen
nen haben ihre dichteriſchen Werke von ihrem Bilde weder ge—
trennt werden können, noch ſollen. Um dem letzteren die größt⸗
mögliche Deutlichkeit zu geben, wird das hier und da ſchon
flüchtig Berührte mit den wenigen Zügen zuſammenzufaſſen ſein,
welche zu ſolchem Zwecke noch verfügbar ſind.
In ihrer Jugend war Prinzeſſin Amalie, obſchon von un⸗
anſehnlichem Wuchs, doch, um ihres ſchönen Auges willen,
von anziehender Erſcheinung. Ein Ol-Porträt, welches Maler
Geyer in ihrem neunzehnten Lebensjahre malte, und in welchem
freilich ſein Pinſel die Wirklichkeit wohl etwas verſchönern zu
müſſen glaubte, zeigt ein edel geformtes Antlitz, das aus großen
hellbraunen Augen klug und offen ins Leben blickt, und deſſen
vielleicht etwas ſcharfes Profil durch die halbe en face Richtung
des Kopfes auf glückliche Weiſe gemildert erſcheint. Der Fleiſch⸗
ton iſt warm, das lichtbraune Haar umgiebt die Schläfen in
reicher Fülle.“
Wie bekannt, war Prinzeſſin Amalie die einzige Tochter
des Prinzen Max, welche unvermählt blieb. Man ſagt, ſie
habe nicht ohne Neigung heiraten wollen, und da der Zug
ihres Herzens nicht mit den Forderungen ihrer Stellung zu 7
vereinbaren geweſen ſei, habe ſie verzichtet.
In dem erſten Teile des Schauſpiels „Mesru“ kommen
die Worte vor:
„Der Majeſtät des Thrones habe ich
Von Kindheit an ins Auge blicken dürfen —
Sie konnte mich nicht reizen, noch mich blenden.“
*) Es wurde von der gegenwärtigen Beſitzerin desſelben, Fräulein
M. L. Pichler in Dresden, gütigſt für die Anfertigung des beigegehen a
Holzſchnittes zur Verfügung geſtellt.
— 285 —
Was hier die Fürſtentochter Timantia ausſpricht, ſind
zweifellos die eigenſten Empfindungen der Prinzeſſin Amalie
geweſen. Und augenſcheinlich dem nämlichen Ideenkreiſe ent—
lehnt iſt jene Stelle des zweiten Teils, wo die königliche Mutter
den Plan einer Verbindung ihres Neffen mit ihrer Tochter
aufgiebt:
„Doch möcht' ich dieſe, meine einz'ge, nicht
Um ſolches Wunſches willen dem Geſchick
Der Fürſtentöchter unterwerfen, nicht
Das Glück mißgönnen ihr, das ich genoß —:
Liebe und Pflicht auf gleichem Weg zu finden.“
Daß aber eine Jungfrau das Endziel weiblichen Glückes
auch in anderer Sphäre als einzig in der Ehe ſuchen ſolle,
ſpricht Prinzeſſin Amalie wohl am ſchönſten und einfachſten in
den Worten aus, mit welchen — im „Siegelringe“ — ſich
Antonie gegen Günther wendet:
Antonie: Es giebt ja andres Glück im Leben, als nur das der Liebe.
Günther: Und welches?
Antonie: Freude an fremdem Glück.
Was die jugendliche Antonie hier mit einer Faſſung äußert,
die ſich über den Schmerz des Reſignierens ſelber zu täuſchen
ſucht, das hat Prinzeſſin Amalie je länger deſto mehr zum
Grundton ihrer Lebensanſchauung gemacht, und aus manchem
ihrer Worte geht hervor, wie ſie namentlich in dem Glücke
ihrer Geſchwiſter und in der Geſchwiſterliebe überhaupt Erſatz
für anderes ihr Verſagte fand; auch iſt die Antigone des
Sophokles unter den Werken der Alten immer ihr Liebling ges
blieben.
Es bleibt noch die äußere Art, wie ihre Stücke entſtanden,
zu beſprechen. In jugendlichen Jahren, zur Zeit als die Prin-
zeſſin mit ihren Brüdern und Schweſtern fleißig Komödie
ſpielte, rühmte man ihrem Spiele große Lebendigkeit und
Sicherheit nach. In derſelben, raſch den Kern der Sache
— 286 —
treffenden Art entſtanden ſchon ihre früheſten, aber auch ihre
ſpäteren Komödien. Die Prinzeſſin war eine Vormittags⸗
Arbeiterin, und in heller Vormittagsſtimmung wurden jene
biederen Väter, jene ſchüchternen Werber, jene gutherzigen
Mädchen, jene unbeirrbar rechthaberiſchen alten Diener und
Dienerinnen geſchaffen, die ſeitdem ſo oft beim Lampenlicht der
Bühne das deutſche Publikum ergötzten und rührten. War ein
Stück glücklich zum Schluſſe gelangt, dann mußte Frau Brandt,
ihre treue Kammerdienerin — faſt könnte man ſagen: Ver⸗
traute — das erſte Auditorium für dasſelbe abgeben, nach der
beſcheidenen Verſicherung der Hörerin: Nur um der Prinzeſſin
Gelegenheit zu bieten, im Lautleſen ſich ſelbſt über ihre Arbeit
vollends klar zu werden, während es wohl nicht minder der
Zweck der Verfaſſerin war, von vornherein ſich eines ehrlichen
und naturwüchſigen Urteils zu verſichern. Daß die Gutmütig⸗
keit ſo der Dichterin wie des Auditoriums es mit dem Abſtrafen
der Schuldigen nicht immer ſtrenge nahm, hatte wenig zu ſagen.
Für allzu belohnende Verzeihungen, wie ſie dem reuigen Mi⸗
niſter Graf Winterſtein in „Pflicht und Liebe“ zu Teil werden,
und wie ſie ſchon in „Lüge und Wahrheit“ über Juliens arge
Wahrheitsumgehungen glimpflich weghalfen, entſchädigte reich⸗
lich das gleichzeitige Glücklichwerden unterdrückter Verdienſt⸗
voller und verkannter Braver, und das deutſche Publikum pflegte
dieſem Verdikt ſeine Zuſtimmung nicht zu verſagen.
Was die Art betrifft, wie die Prinzeſſin Menſchen und
Dinge ſtudierte, ſo wäre ohne Zweifel viel von ihrem freudigen
Ausnutzen jeder Gelegenheit zum Erweitern ihres Geſichts⸗
kreiſes zu erzählen. So z. B. war ſie beim Ausbruch der
Mai⸗Revolution eben im Begriff, mit der Prinzeſſin Auguſte
die Reſidenz zu verlaſſen, als ihr Wagen an einer Straßenecke
vorüber kam, wo ein ſehr ungeberdiger Mann von einer um⸗
r ine 2 la al Lin Be u Zu Sn a
— 287 —
geſtürzten Bude herab zu einer großen Menge Volkes mit
heftigen Worten redete. Prinzeſſin Auguſte hatte alle Mühe,
zu verhindern, daß Prinzeſſin Amalie nicht anhalten ließ; gar
zu gerne hätte ſie dem Manne eine Weile zugehört, und daß
ſie wenigſtens Zeit genug erübrigt habe, um ſich die ganze
Szene deutlich einzuprägen, pflegte ſie bei Erzählung dieſes
Abenteuers nicht unerwähnt zu laſſen.
Mit welcher Herzensgüte ſich ihre Luſt an den unzeremo⸗
niellen Seiten des Lebens paarte, davon erhielt unter anderm
ein Soldat eine Probe. Derſelbe — ein muſikaliſcher Dilet-
tant — ſtand eines Tages vor einem der Gemächer der Prin—
zeſſin im Taſchenberg-Palais auf dem Poſten. Er hatte be—
merkt, daß ſich in einem der Zimmer ein Flügel befand, und
ihn gelüſtete nicht wenig, einmal ein prinzliches Inſtrument
dieſer Art zu verſuchen. Prinz Anton und ſeine Gemahlin
waren ausgefahren. Von dem Vorhandenſein einer Adoptiv-
tochter mochte der Mann nichts wiſſen. Diener ließen ſich auch
nicht ſehen. Offenbar war niemand zu Hauſe und er im ganzen
Stockwerk allein. Er ſtellte daher ſein Gewehr draußen an die
Wand, ſchlich über die Schwelle und begann in beſter Laune
einen Tanz herunterzuſpielen. — Prinzeſſin Amalie, welche
ſonſt in einem der anſtoßenden Zimmer über ihren Büchern zu
ſitzen pflegte, war wirklich nicht zu Hauſe. Wohl aber hörte
den kecken Muſikanten mit Entrüſtung eine in der Nähe be—
ſchäftigte Dienerin, nötigte ihn zu ſchleunigem Rückzuge und
ſtattete der bald darauf heimkehrenden Prinzeſſin pflicht⸗
ſchuldigen Rapport über den Eindringling ab. Mit welcher
Angſt derſelbe draußen ſeine Stunde zu Ende geſtanden haben
mag, läßt ſich denken. Der Mann iſt indeſſen ohne alle Strafe
durchgekommen, und erſt Jahre darauf hat die Prinzeſſin den
Vorfall lachend im Kreiſe der Ihren zum Beſten gegeben.
— 288 —
Wirklich dichteriſcher Anleitung entbehrte die Prinzeſſin wie
in ihrer Jugend, ſo auch in der ſpäteren Zeit ihrer Thätigkeit,
während es allerdings fraglich iſt, ob ihr mit Rat und guten
Lehren genützt worden wäre. Was Hofrat Winkler (Theodor
Hell) beim Durchſehen derjenigen Stücke, welche ſie ihm mit⸗
teilte, als Randgloſſe bemerkte oder ſonſtwie vortrug, iſt, ſoweit
ſeine Briefe darüber ein Urteil geſtatten, nicht gar weit über die
rein bühnentechniſche Seite hinausgegangen. Mit Tieck ſtand
die Prinzeſſin in keinem Zuſammenhange, obſchon ſie ihn einige
Male als Vorleſer hörte und ihn als ſolchen hochſchätzte. Auch
zu den litterariſch gebildeten Männern, welche Prinz Johann
— der ihr am innigſten naheſtehende ihrer Brü-
der — in früher Zeit um ſich zu verſammeln pflegte, trat die
Prinzeſſin in keine Beziehung.
Um ſo lieber verkehrte ſie mit Büchern. Sie hatte, ſo
lange ihre Augen es geſtatteten, keine Vorleſerin, da ſie nur
beim Selbſtleſen ganz bei der Sache ſein zu können glaubte,
eine natürliche Folge ihrer regen Phantaſie. Über dem leb⸗
haften Spiel der letzteren pflegte ſie auch wohl auf Spazier⸗
fahrten ihre Umgebung zu Zeiten ganz zu vergeſſen, und zumeiſt
gingen landſchaftliche Schönheiten ſpurlos an ihr vorüber (ſ. da⸗
gegen S. J), während jede Begegnung mit Perſonen, gleich⸗
viel welcher Art, ihre Beobachtungsluſt ſofort wach rief. In⸗
gleichen war ſie für bildende Kunſt nicht leicht zu erwärmen,
und die Kunſtſchätze Italiens ſind der Prinzeſſin Amalie, trotz
ihrer vielen Reiſen dahin, nie zu wirklichen Vertrauten geworden
(ſ. desgleichen S. 4); vor allem in Florenz, wo ſie ſo oft
und gern verweilte, wird ſie ihre glücklichſten Stunden nicht in
der dortigen „Tribüne,“ ſondern im Kreiſe ihrer kleinen Nichten
und Neffen verlebt haben, für welche ihr Märchen⸗Erfindungs⸗
talent ſich als nahezu unerſchöpflich erwies. Auch hat ſie dieſen
.. ·¹ ô. r 1 1
— 289 —
dankbaren Hörern zu liebe eine Reihe ſelbſterfundener Märchen
aufs Papier geworfen; dieſelben find jedoch Manufkript geblieben.
So bei ihren Lieben in der Fremde weilend, oder daheim
die Winter im Dresdner Prinzenpalais, die Sommer teils am
ſchönen Elbufer in Pillnitz, teils auf den übrigen Landſitzen
ihres königlichen Bruders zubringend, eine Tröſterin der Ihrigen
in mancher ſchweren Zeit, ein Hort verſchämter Dürftiger, eine
Chriſtin im beſten Sinne des Wortes — ſo iſt Prinzeſſin
Amalie in ſtiller Zurückgezogenheit gealtert. Im Laufe der
Zeit hatten ihre ſchwächer werdenden Augen ihr mehr und mehr
Sorge bereitet. Allmählich entwickelte ſich der graue Star, und
im Jahre 1851 ereilte ſie das traurige Schickſal des Erblindens.
Sie trug es mit Ergebung und hoffendem Vertrauen. Im
Jahre 1855 konnte durch Profeſſor Dr. Coccius in Leipzig der
Verſuch einer Operation gemacht werden. Derſelbe gab wenig-
ſtens dem einen Auge der Prinzeſſin die Sehkraft wieder.
Noch fünfzehn Jahre war es ihr vergönnt, ſich dankbaren
Herzens dieſes köſtlichen Geſchenkes zu freuen.
Im Spätſommer des denkwürdigen Kriegsjahres 1870
nahmen ihre Kräfte jedoch in merklicher Weiſe ab, und am
18. September umnachtete ſich ihr von neuem die Welt, dies—
mal ohne daß menſchliche Kunſt ſie ihr wieder zu erhellen ver—
mochte — die ſinnige Prieſterin der Muſen hatte von dieſer
wild erregten Erdenbühne Abſchied genommen.
Daß auch ſie dazu beigetragen hat, in einer freudenarmen
Zeit dem deutſchen Volke die Stirn zu glätten, den Glauben
an ſeine eigene Güte und Tüchtigkeit in ihm zu befeſtigen und
die edleren Regungen ſeiner Bruſt ihm ſelber wert zu machen
— dieſes Verdienſt wird ihr unvergeſſen bleiben und ihrem
Namen ein dankbares Andenken ſichern.
Drudfehler = Berichtigung.
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Karoline. 5
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Von dem Herausgeber der „Memoiren“ iſt vor Kurzem erſchienen:
Die Somofierra.
Roman aus dem ſpaniſchen Bühnenleben.
Von
Nobert Waldmüller (E. Duboc).
In gediegener, eleganter Ausſtattung.
Broſchirt 4 4,50. Sehr elegant gebd. 5,40.
daft verſtanden, den Inhalt kunſtſchön a eng das Werden und Kämpfen der Heldin
n vertraulicher Weiſe auf den Gipfel zu
änden wir hinter einer durchſichtigen Glaswand und ſchauten ungeſehen mitten hinein
eben dem feinen pſychologiſchen Reiz, welchen der Einblick in das Wollen und Werben
einer weiblichen Seele voll Adel und Wahrhaftigkeit gewährt, find es die ſpaniſchen Heim ⸗
lichkeiten, welche in der Erzäblung der Somoſierra anziehen. Im weſentlichen ſind ja die
Spanier noch heutzutage fo, wie fie bier geſchildert werden: Noch immer iſt germaniſche
Heldenehre und arabiſche Tücke und Sinnlichkeit auf dem Boden, welchen ſchon die Cultur
des Alterthums bebaute, nicht ausgeglichen. (Prof. Dr. Frz. v. Löber.)
Levy & Müller, Verlagsbuchhandlung in Stuttgart.
Edelwitha.
Die Achüpſung des Edelweiß.
Eine Alpenerzählung in ſieben Geſängen.
Von
Julius Zähler.
ONinia tur- Ausg abe.
Eleg. gebd. „u 2,50.
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Ein wunderbübiches, ſinniges Märchenbild aus der Alpenwelt, das namentlich junge
Mädchen mit großem Vergnügen leſen werden. (Victoria.)
Ein elegant ausgeſtattetes Bändchen mit Goldſchnitt, präfentiert ſich dieſes kleine
Buch als eine gefällige Erſcheinung, deren poetiſcher Gehalt, in Jamben gekleidet.
men anfpeißt. de Beach kan ie ng ber eee. Feſtgeſchenken und ſei für
eiten eachtung unſerer Leſer empfohlen.
er 12 , . (Berl. Fremdenblatt.)
C. C. Meinhold & Söhne, Verlagsbuchhandlung in Dresden.
Die geleſenſte Zeitſchrift für die heranwachſende Jugend
iſt die
Redaktion: H. Stiehler.
Artiſtiſche Leitung: Wilh. Claudius.
Diefe Seitſchrift beginnt mit Neujahr 1883 ihren 21. Jahr:
gang; monatlich erfcheint ein Heft von 32 Seiten Text mit
zahlreichen Illuſtrationen und einem Farbendruckbilde zum
Dreife von 40 Pf.
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Redaktion und Verlagshandlung ſind beſtrebt, der Jugend das
zu bieten, was ihr frommt: Erzählungen anerkannt tüchtiger Jugend⸗
ſchriftſteller, Schilderungen aus der Natur- und Länderkunde, ge⸗
ſchichtliche Auſſätze und Lebensbeſchreibungen berühmter Männer
und Frauen, Preisaufgaben, Rätſel u. ſ. w.
Frei von gelehrtem Wuſt giebt die „Kinderlaube“ das von ihr
Dargebotene in einer anregenden, unterhaltenden Form; ſie tritt
ergänzend und vermittelnd da ein, wo der an die Lehrpläne gebun⸗
denen Schule Halt! geboten iſt; es iſt den Eltern nicht immer möglich,
die Lektüre der Jugend zu überwachen und eine Grenze da zu ziehen,
wo das Zuviel anfängt; die „Kinderlaube“ hält alles das fern,
was die ſittliche und Herzensbildung zu ſtören geeignet iſt, ſie be—
lehrt in unterhaltender Weiſe und iſt deshalb von vielen Jugend⸗
bildnern als ein Mittel zur Unterſtützung des Hauſes und der
Schule empfohlen.
Sie tritt in den neuen Jahrgang mit dem feſten Willen, ſich
ſolcher Empfehlungen immerdar wert zu zeigen.
Alle Buchhandlungen und Poſtanſtalten nehmen Beſtellungen an.
Die Verlagsbuchhandlung:
E. E. Meinhold & Söhne in Dresden.
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
DD Duboc, Edouard
801 Aus den Memoiren einer
S41D83 Fürstentochter
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