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v.22/24
Gift of
Mrs. Mahrholz
Gertrude B.
STANFORD
UNIVERSITY
LIBRARIES
pP 7 25277
u He
‚85 7
V. IR Z ⸗
Ferdinand zes
ausgewählte Schriften.
Volks- und Familien Ausgabe.
Sweiundwanzigster Band.
—
Zweite Auflage.
Leipzig,
Ernſt Keil,
1858.
Der nene Käfer,
— — —
Ein Seitenſtück zu „1813 und „Elba und
Waterloo.‘
Bon
Ferdinand Stolle.
Vive l’Empereur!
Dritter Band.
zweite Auflage
Leipzig,
Ernft Keil
1858,
?
LT
Aufterfiß.
Motto:
„Sieh’ da, die Sonne von Aufterlig!‘
Napoleon.
Erfles Kapitel.
As Napoleon in feiner Barafe zu Boulogne vor
ber Karte von Deutſchland ftand, ſprach er die Worte:
„Wenn oder Feind mir entgegen fommt,
werde ih ihn vernidten, eh’ er die Donau
erreiht, erwartet er mi aber, fo werde
ih ihn zwifhen Ulm und Augsburg über-
raſchen.“
So wie die franzöſiſchen Armeen den Rhein paſ—
ſirt hatten, erließ der Kaiſer folgende Proclamation
en fein Heer, die zugleich als Kriegserfiärung gelten
onnte:
„Soldaten!
„Der Krieg der dritten Coalition hat begonnen.
Die üftreichifche Armee hat den Ian überfchritten,
unfern Verbündeten angegriffen und ihn aus feiner
Hauptftadt vertrieben. Ihr felbit habt in Gewalt-
märſchen zur DVertheidigung unſerer Grenze herbeieilen
müffen. Bereits feid ihr über den Rhein gegangen.
Wir werden nicht eher Halt machen, als bis mir bie
Unabhängigkeit des veutichen Reichs gefichert, unjern
Berbündeten Hülfe gebracht und unfere Angreifer ge-
bemüthigt haben. Wir werben feinen Frieden mehr
8
ohne Bürgſchaft ſchließen, unſere Politik fell nicht
wieder durch unſern Edelmuth beeinträchtigt werden.
„Soldaten, Euer Kaiſer iſt in Eurer Mitte. Ihr
ſeid nur die Avantgarde des großen Volkes. Sollte
es nothwendig ſein, wird es ſich wie ein Mann auf
meinen Ruf erheben, um dieſen neuen Bund, welchen
der Haß und das Gold Englands hervorgerufen haben,
zu ſprengen und zu vernichten.
„Aber, Soldaten, wir haben Gewaltmärſche zu
machen, Beſchwerden und Entbehrungen aller Art zu
ertragen; doch welche Hinderniſſe man uns auch ent—
gegen ſetzen werde, wir werden ſie beſiegen und uns
nicht eher wieder Ruhe gönnen, als bis wir unſere
Adler auf dem Gebiete unſerer Feinde aufgepflanzt
haben.
„Napoleon.“
In der erſten Nacht auf dem linken Rheinufer
ſchlief der Kaiſer in Ettingen, wo er den Souverain
und die Prinzen von Baden empfing. Später reiſte
er nach Ludwigsburg und mard von dem Hofe von
Würtemberg auf das Prachtvollſte empfangen. Bei
biefer Gelegenheit war e8 au, wo die Herzogin von
Würtemberg, eine englifche Brinzeffin, ihren Ber-
wandten ſchrieb, und ihr Erftaunen ausdrückte, daß
Napoleon ein fo angenehmer und artigr Mann
und gar nit die abſcheuliche Garricatur fei, als mel-
hen man ihn in England dargeftellt habe, um das
Volk gegen ihn zu erbittern.
Zu bderfelben Zeit traf Bernadotte mit feinem
Corps und den bairifchen Truppen in Weißenburg
ein. Davouft befand fi in Dettingen, Soult
an ben Thoren von Donauwörth, Ney in Koffingen,
Lannes in Neresheim, Murat mit feiner Reiterei
9
auf gleicher Höhe an ben Ufern der Donau. Demnach
ftanden die Franzofen duch das ftrategifche Meiffer-
werk ihres Feldherrn den Deftreichern, die die Umgegend
von Ulm befest hatten, bereits im Nüden.
Der General Mad, der den Feind von einer
ganz andern Seite her erwartete, eilte jetzt, feine
Truppen, bie bis in die Schluchten des Schwarzwals
bed vorgedrungen waren, von woher die Franzoſen
nad) öſtreichiſcher Anfiht kommen follten, an ſich zu
iehen.
Am fiebenten Detober beginnt das Gefecht.
Marfhall Soult fchlägt zuerft los. Das dftrei-
hifhe Regiment Colloredo, das Donauwörth be-
fest hält, wird dur die Divifion Bandamme ges
worfen. In einem Augenblide ftelt man die Brüde
wieder her, welche die Deftreicher bei ihrem Rückzuge
abgebrochen hatten. Das Corps des Marihall Soult
geht auf das rechte Donauufer.
Murat ift ihm mit feiner Keiterei auf den Yer-
fen gefolgt. Zweihundert Dragoner unter dem Obri-
ſteu Watier fegen ſchwimmend über den Lech, um
fi) der Brüde von Rain zu bemädhtigen. Sie wer-
den Herren ber Brüde, ungeadtet des Widerftandes
eines öſtreichiſchen Cuiraſſierregiments.
Von Rain bricht Murat am folgenden Tage
mit den Diviſionen Klein, Beaumont und Nan—
ſouty auf, um die Straße von Ulm nad Augs-
burg abzufchneiden. Auf feinem Marſche ſtößt er
bei Wertingen auf zwölf öftreihiiche Grenadier—
Bataillone, unterftägt von vier Schwadronen Albrecht
Guiraffiere, die aus Tyrol herbeigeeilt find, um fid
mit den öftreichifchen Streitkräften in Baiern zu ver-
einigen.
Diejes Corps wird eiligft durch eine gejchidte
10
Bewegung des General Nanfouty umringt und ber
Adgriff beginmt auf einmal von allen Seiten. Die
öftreihifchen Bataillene, in einem ungeheuren Quarre
aufgeftelt, und auf den Geiten von vier Cuiraſſier⸗
ſchwadronen geſchützt, leiften zwei Stunden lang ven
träftigften Widerſtand. Endlich werden die Schwa—
bronen zerfireut, das Duarre durchbrochen und in
Unordnung gebradt. Die Franzofen erbeuteten das
gefammte Geſchütz, die Fahnen und machten viertau-
fend Gefangene. Ein Sumpf begünftigte da8 Ent:
fommen der Trümmer des öftreichifchen Corps.
Nach diefer glänzenden Affaire wandte fih Mu-
rat nah Zusmershaufen, mo faft gleichzeitig das
Corps des Marſchall Lannes eintraf, deflen Annähe-
rung die Auflöfung der Deftreicher beeilt hatte.
An demfelben Tage trifft der Kaiſer auf dieſem
Punkte ein, und ſchon hat er den Truppen wohlver-
diente Zeichen feiner Zufriedenheit gegeben.
„Ib weiß, man kann nicht tapferer fein ala Sie,”
fagt er zum General Erelmann, ald viefer ihm die
erbeuteten Fahnen überreichte.
Wie in dem fiebenjährigen Kriege Sriedrid der
Große zu Liffa bei Breslau, fo hatte ber Esca—
drenchef Wuillemy, nur von einem einzigen Mann
begleitet, indem er ſich das Anſehen gab, als würde
er von einem bedeutenden Corps gefolgt, hundert
Oeſtreicher gezwungen, ihre Waffen zu ſtrecken. Na—
poleon nahm den Tapfern unter Beibehaltung ſeines
bisherigen Grades in ſeine Garde auf.
Jede gute und ſchöne That erhält ihren Lohn
Bei der Erſtürmung der Brücke über den Lech, ſieht
ber Unteroffizier Marent, ven fein Hauptmann
Tages zuvor wegen eines Fehlers gegen die Manns—
zucht aus dem Heere geftoßen hatte, daß vieler Difi-
11
zier vom Strome fortgerifjen wird und dem Berfinken
nahe ift. Er fpringt zu Hülfe und rettet ihn. Na:
poleon läßt ſich diefen Soldaten vorftellen.
„Du bift ein braver Mann,” fagte er zu ihm;
„Dein Hauptmann hat Did entlafien, und daran
that er recht; dadurch aber, daß Du ihm das Leben
retteteft, haft Du bewiefen, daß Du feinen Groll
gegen ihn hegſt, und Ihr fein mit einander quitt.
Jedoch von meiner Seite wäre es ungerecht, wenn
ih eine Schuld, die dad Vaterland Dir zu zahlen,
nicht abtragen wollte. Sch erienne Did) zum Regi—
ment3-Quartiermeifter und zum Ritter der Ehren:
legion. Deinem Capitain verdankſt Du aber dieſes
Avancement, gehe daher zu ihm und bevanfe Dich,
er wird Dich fiher umarmen.”
Am zweiten und neunten October waren bie
Heerhaufen des Marfhald Davoujt und General
Marmont auh auf das rechte Donauufer überge
gangen. Die Colonne Soult’s, die Faiferliche Garde
und die Quirafjierivifionen des Generals Haut-
poult befanden fih zu Augsburg Davouſt hielt
Aich ach beſetzt. Zwifchen diefem Drte und Auge-
burg ftand Marmont mit franzöfiihen Divifionen
und ber bataviſchen unter General Dumoncean.
Bernadotte marfhirte über Eichſtädt nad In—
golftandt.
Indeſſen hatte General Mad, der viel zu fpät
gewahr wurde, daß er nächſtens ven den Franzoſen
umringt fein würde, fid) entfchloffen, einen großen
Schlag auszuführen, um die franzöftfhen Heerhaufen
vom linfen Donauufer auf's rechte zurüdzudrängen
und feine Verbindung mit Baiern wieder herzuftellen.
In dieser Abfiht hatte er einen großen Theil
feiner Streitkräfte bei Günzburg zufammengebrängt.
12
während bie nach dem Bodenſee entjendeten Truppen
in Eilmärſchen zurücfehrten. Diefe Bewegung fam
zu ſpät. Marſchall Ney, ver ſich am fehlten October
zu KRoffingen befand, „aber feitven die Donau ent-
lang vorgerüdt war, ließ Günzburg am neunten
Dcteber durch den General Malher angreifen, wäh-
vend er feloft gegen Grünberg flürmte und ven
General Loifon nadı Langenau entſandte.
Erzherzog Ferdinand kam Günzburg zu Hülfe,
aber fein Bemühen- war, vergeblich Die Brüde ward
erobert und die Stellung. mit allem Geſchütz, das fie
vertheidigt hatte, durch die Franzofen genommen.
Zu derfelben Zeit führte Murat Bewegungen
aus, welche den Deftreichern jeden Rüdzug abfchneiden
folten. AS dies Erzherzog Ferdinand gemwahrte,
warf er fich eiligft nah Ulm. Mad felbjt verließ
baftig das Städtchen Burgau, wo er fein Haupt:
quartier hatte, und wo die franzöfifche Keiterei Miene
machte, ihn einzufchließen.
Das Gefecht bei Günzburg foftete ben Deftrei-
ern dritthalbtaufenn Mann.
In, dem Grade, als dieſe erften fiegreichen, durch
das wunderbare Kriegsgenie Napoleon’s, die Pünkt—
lichkeit feiner Generale und perfönliche Bravour feiner
Armee herbeigeführten Ereigniffe, das Bertrauen ver
Franzoſen erhoben, in demjelben Grabe brachten fie
Muthlofigfeit bei der Gegenpartei hervor.
Die Feſtung Menmingen gab das erfte Bei-
fpiel der zahlveihen apitulationen, wodurch Europa
in Erſtaunen gejegt wurde. General Sebaftiani
war am eilften Detober vor dieſem Orte erichienen;
am andern Tage trat Soult mit feinen drei Divi-
fionen dafelbft ein. Nach einer Berennung von vier-
13
undzwanzig Stunden ergab ſich ver Platz. Die ſechs⸗
taufend Mann flarfe Beſatzung ward kriegsgefangen.
Die Offiziere wurben auf ihr Verfprechen, erit nad
ber Auswechlelung wieder Dienfte zu nehmen, in ihre
Heimath entlaffen.
An vemfelben Tage rüdte Bernadotte in Mün⸗
hen ein, wo er achthundert Dann gefangen nahm.
Er war nur wenige Stunden von der Stabt entfernt,
als der öftreichifche General Kienmayer erft Nadı-
riht von feinem Anmarfche erhielt. Der franzöftfche
Marfhall gab ten baterifhen Truppen die Genug-
thuung, zuerft in ihre Hauptſtadt einzurüden.
An das baierifhe Heer hatte Napoleon gleich
beim Beginn des Feldzugs eine Proclamation erlaflen,
worin er fagt:
„Ich babe mid an die Spite meiner Armee ge-
ftelt, um mein Vaterland von deſſen ungeredhten Un-
terbrüdern zu befreien. Ich kenne Eure Tapferkeit
und bin überzeugt, daß ich nach der erſten Schlacht
Euerm Fürften und meinem Volke werde verlünden
fnnen: daß Ihr würdig fein, in den Reihen ber
großen Armee zu fämpfen.”
Die Divifionen des Generald Wrede und bie
franzöfifche Divifion des General Kellermann zogen
unter lauten reudenzurufe der Einwohner durch die
Stadt und verfolgten die Deftreicher, die jenfeit3 ber
Iſar eine Stellung genommen, an dem Punkte, wo
die Straßen von Braunau und Wafferburg zu:
fammenlaufen. General Kienmayer ſetzte nach einem
Kampfe, bei dem er fünfhundert Mann und mehre
Kanonen verlor, feinen Rüdzug feit.
In Ulm wurde indeß die Yage des Generals
Mad immer bevenkliher. Der Kaifer, der ihn nad)
ber Berficherung feiner Armeeberichte in dieſelbe Lage
14
gebracht hatte, wie vor fünf Jahren den General:
Melas, machte fih auf eine zweite Schlaht von
M arengo. gefaft. Ä
Die Nähe einer Schlacht ſchien ihm fo ausge—
macht, daß er fie dem Corps des Generals Mar-
mont durch eine jener Kriegsreden anfündigte, beren
körnige Beredtſamkeit fo vielen Einprud auf den
Solvaten und namentlih den franzöfifhen Soldaten
heroorbringt. Beim Uebergange über die Lech brüde
hatte er von ven Negimentern dieſes Corps einen
Kreis für dieſe Friegerifche Anrede bilden laſſen. Das
Wetter war fürchterlich, der Boden vom Regen fo
erweicht, daß ber Soldat oft bis an die nie in den
Moraft verſank, dazu fiel der Schnee in Maſſen, aber
die Feuerworte des Redners liefen den Soldaten alles
Ungemach vergeffen. Ihr glühender Muth entfprad)
dem Muthe ihres Heldenführers.
Sonach war ein großer Theil ber öſtreichiſchen
Armee durch die Fugen Berechnungen Napoleon’s
und durch die Gewaltmärfche feiner Truppen von
allen Seiten eingefchlofien.
Gleichwohl wagte der öſtreichiſche Oeneraliffimus
nicht, eine Schlacht anzubieten. Da Ulm ein Punkt
war, wo viele Straßen zufammen Liefen, fo hoffte er
vielmehr, feine Divifionen würden auf den verſchie—
denen Straßen entfommen und zum Theil in Tyrol,
zum Theil in Böhmen fid) wieder bilven fünnen.
Diefem Syſteme zu Folge waren am eilften Dec-
tober fünfundzwanzigtaufend Dann aus dem per—
Ihanzten Lager bei Ulm ausgerüdt, in der Abficht,
fih durch Albed, dad General Dupont ſchon be-
fegt hatte, einen Weg zu öffnen.
Diefer General bot fünfundzwanzigtaufend Deft-
reichern mit feiner Divifion von fechätaufendn Mann
15
die Spite. Er zwang fie, umzufehren und machte
funfzehnhundert Gefangene. Als der Kaiſer das Be⸗
nehmen dieſes Corps lobte, ſagte er:
„Corps wie dieſes gerathen über nichts in Er—
ſtaunen. Das neunte leichte, das zweiunddreißigſte,
neunundſechzigſte und ſechsundſiebenzigſte der Linie
waren dabei.“
Dieſe Kunſt, die Berühmtheit an den Namen eines
Regiments zu knüpfen, machte ſie unbeſiegbar und
regte alle andere an, gleiche Auszeichnung zu ver—⸗
dienen.
Napoleon hatte fih in das Hauptquartier des
Marſchalls Ney begeben, um das feindliche Heer noch
enger einzuichließen.
Mit Tagesanbruch, am vierzehnten October, führte
diefer Marſchall die Divifion de8 Generals Loiſon
zum Angriffe ver Brüde von Elchingen. Die Brüde
wurde genommen. Dieſe Stellung warb buch funf-
zehntaufend Deftreicher vertheidigt. ‘Dreimal nad) ein-
ander mufte man angreifen, um beit Gegner zu ver-
treiben. Exft beim dritten Male wurde er in Unordnung
gebracht und in die VBerfchanzungen von Ulm zurüd-
geworfen. Dreitaufend Gefangene und mehre Stüd
Seihüg waren der Preis dieſes beveutenden Tages.
Als Belohnung erhielt fpäter Ney den Titel eines
Herzogs von Eldhingen.
Napoleon betrachtete dad Treffen zw. Eidin-
gen als eine der fchönften Waffenthaten, die je voll-
bracht wurden. Er verlegte fein Hauptquartier auf
dieſes ruhmvolle Schlachtfeld und erließ von da ein
Schreiben an den Senat, um ihn die verichiedenen
eroberten Fahnen zu verehren.
„Der erfte Zwed des Kriegs,“ ſchrieb er bei die—
ſer Gelegenheit, „ift bereit erreicht, der Kurfürſt von
16
Bäiern ift wieder auf feinen Thron gefegt. Die un-
gerechten Angreifer find wie vom Donner gerührt wor-
beu, und id} hoffe mit Gott in kurzer Zeit auch über
meine übrigen Feinde zu triumphiren.“
An demfelben Tage erließ er ein Kreisfchreiben
an die Bilhöfe des Reichs, worin er fie auffor-
berte, ein Tedeum fingen zu lafjen. „Die glänzenden
Siege,” heißt e8 darin, „welche unfere Armeen gegen
den Bund, den der Haß und das Gold Englands
angeftiftet, erfochten haben, verlangen, daß id und
mein Volk Dankfagungen an den Gott der Heere
richten und ihn anflehen, er möge ſtets mit uns
fein.“
Ein öftreihiiches Corps unter General Werned
war glüdlih aus Ulm auf der Straße von Hey-
denheim entlommen. Zu gleicher Zeit hatte Erz:
herzog Ferdinand verfuht Biberach zu erreichen,
aber er fand dieſe Straße duch Marſchall Soult
gefpertt. Gezwungen feinen Marſch zu ändern, hatte
der Erzherzog verfucht, fih mit General Werned
zu vereinigen. Er begab fi daher nur mit einigen
Schwadronen Keiterei nah Aalen. Werned glaubte
fih ſchon außer aller Gefahr, als Murat, ſtets bei
der Hand und ſtets glüdtih, ihn bei dem SDorfe
' Rangenau erreichte und breitaufend ©efangene ab-
nehm. Cine Wagenburg von fünfhundert Wagen
bewegte ſich unter dem Schutze dieſes Generals.
Murat ließ fie durch Die Dragoner-Diviſion unter
General Klein angreifen. Der Wagenzug wurde
genommen. Erzherzog Verbinand, ber in Ne—
resheim angehalten, war felbft nahe daran, von den
Franzoſen überrumpelt zu werben, und hatte nur io
viel Zeit, zu Pferde zu ſteigen und mit der kleinen
%
17
fommen,
Ulms Schidjal ift entſchieden.
Napoleon kommt auf dem Abhange der Ub-
dachung des Mihelsberges an, betrachtet zu feinen
Füßen die Stadt, welche von allen Seiten auf halbe
Kanonenſchußweite von den franzöflihen Stellungen
beherrſcht wird, und fieht das öſtreichiſche Heer in den
Mauern diefes Plates eingeſchloſſen.
Des Kaiſers Abficht ift erfüllt. Er lüßt die Trup-
pen, Die zu weit vorgegangen find, fi zurück,iehen,
ftellt die Ordnung auf allen Bereinigungspuntten her,
und erwartet den Ausgang mit einer wachſamen Ge-
duld, ohne dem Gefchrei feiner Solvaten, welche ben
Sturm verlangen, nachzugeben. Er wünſcht Blut zu
Ihonen, und will lieber duch feine Uebermacht die
Deftreicher zur Uebergabe zwingen, als duch einen
graufamen Entihluß zu gleicher Zeit eine große Stabt
und ein tapfres Heer, das nur durch die Unvorfichtig«
feit feiner Führer in dieſe traurige Lage verfegt wor⸗
ven ift, zu vernichten.
Durd die Ausfiht auf ein Unglüd, weldes dem
von Java glei käme, ſucht er mit dem General
Mad in Unterhandlung zu treten. Er bivuagquirte
fo eben auf einem ſchlechten Feldlager, das fo feucht
war, daß man fi genöthigt ſah, Bretter zu legen,
damit feine Füße nicht im Wafler flünden und er hielt
gerade die Kapitulationdurfunde von Memmingen
in der Hand, als man ihm den Prinzen Morig
Tichtenftein ankündigte, welhen Mad zur Unter-
handlung abgejhidt hatte. Der Prinz warb mit ver-
bundenen Augen vor Napoleon geführt.
Man las in dem öflreihifchen Generale ein Er—
ftaunen, welches deutlich anzeigte, daß weder der Ge⸗
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXII. 2
Anzahl Leute, die ſein Gefolge ausmachten, zu ent⸗
18
neral Mad, noch er felbft an die Anmejenheit tes
Kajfers vor Ulm geglaubt hatte. Er verlangte, daß
man die öftreichifche Armee nad Deftreich zurüdtehren
laſſ
e.
Der Kaiſer konnte ſich, ob dieſes Verlangens, eines
Lächelns nicht enthalten und erwiederte:
„Welchen Grund hätte ich, Ihnen dieſe Bitte zu
gewähren? Binnen einer Woche wird Ihre Armee
ohne alle Bedingung in meiner Gewalt ſein. Sie
hoffen auf das ruſſiſche Heer, das kaum Böhmen er-
reiht hat. Uebrigens wenn ich den Deftreihern freien
Abzug geftatte, wer bürgt mir dafür, daß fie, nad
Bereinigung mit ven Ruſſen, die Waffen gegen mid)
kehren? Ich habe Marengo nicht vergeffen. Ich
ließ Herrn von Melas aud abziehen und zwei Mo-
nate fpäter, ungeachtet des Verſprechens, den Frieden
zu betreiben, mußte Moreau feine Truppen befäm-
pfen. Ueberbies kann man ſich nach dem Verhalten
Ihrer Regierung gegen mic) auf feine Kriegsgeſetze
berufen. Ya, wenn fih in Ulm einer Ihrer Prin-
zen befände, welcher ſich verpflichtete, jo würde ich
feinen orten glauben, indem er verantwortlic Dafür
wäre.
Der Prinz Lichtenftein antwortete, fo gut er
fonnte und betheperte, daß wenn man ihm nicht bie
verlangten Bebingungen geftattete, das Heer Ulm nicht
verlafien würde.
„Ich bewillige Ihnen den Auszug nicht,” erwie-
derte Napoleon; „va ift die Gapitulation Ihres
Generals, der in Memmingen geitanden hat; brin-
gen Sie diefe dem General Mad; und welden Ent-
Ihlug man aud in Ulm faßt, ih will feine anderen
Bedingungen hören. Uebrigens habe ich feine Eile,
je länger er zaubert, deſto fchlimmer wird feine Lage
19
und die allee der Ihrigen. Außerdem trifft morgen
hier das Corps ein, welhes Memmingen blofirt
hat, und dann wollen wir fehen.“
Man begleitete den Fürſten Tichtenftein nad
Ulm zurüd und wartete den Erfolg ab. Noch den-
f jelben Abend fchrieb der General Mad dem Kaiſer
einen ehrfurchts vollen Brief, worin er ſagt, daß ber
einzige Troſt, der ihm in feinem Unglüd bleibe,
- ‚fei, ſich gezwungen zu jehen, mit ihm zu nterhanbeln.
Da es das Schidjal einmal nicht anders wolle, erwarte
er feine Beichlüffe.
Der Kaifer ſchickte Berthier ben andern Mor:
gen nah Ulm mit Berhaltungsbefehlen, der Mars
ſchall kehrte am Abend zurüd und brachte bie Capi⸗
tulation zurüd, durch welche das ganze Beer fi ge-
fangen gab. Es behielt fih vor, mit allen Kriegs⸗
ehren aus ber Feſtung zu ziehen, vor der franzöſiſchen
Armee zu defiliren, die Waffen niederzulegen und nach
Frankreich abzugehen. Die Generäle und Offiziere
erhielten allein die Erlaubniß, in ihre Heimath zu=
rüdzufehren, unter der Bedingung, nicht eher als
nach vorgänglicher Auslieferung der Kriegsgefangenen
Kriegsdienfte zu nehmen.
Am zwanzigiten October ftellte ſich das franzöfi-
fhe Heer auf den Höhen in Schlachtordnung; bie
Trommeln wirbelten, die Muſikbanden fpielten, bie
Thore von Ulm öffneten fi, die öſtreichiſche Armee
rückte ſchweigend aus, befilirte langjam vorüber und
legte Corps für Corps an den bezeichneten Orten die
Waffen nieder.
Diefer Tag lieferte breiunbbreißigtaufenn Mann
in die Gewalt der Franzofen; fechstaufenn Mann
waren u Memmingen, ‚weitaufend zu Wertin-
gen gefangen genommen worben, jo daß der ganze
2*
20
Berlufte der Deiteeiher nahe an funfzigtaufend Mann
betrug, nebft fiebenzig Stüd Gefhüt und dreitauſend
Pferden, womit eine Dragonervivifion, die von Bou⸗
logne zu Fuß gefommen war, beritten gemacht wurde.
Die Geremonie währte faſt den ganzen Tag.
Während der ganzen acht Tage, welde die Franzo en.
por Ulm zubrachten, war das unfreumblichfte Regen:
wetter; biefes Härte fich plöglidy auf, und tie Bffrei-
hifche Armee zog bei ſchönſtem Sonnenfchein aus der,
eitu
ng.
Der Kaiſer hielt während dieſes Ausmarjches auf
einer Kleinen Anhöhe vor ber Fronte feiner Armee.
Ihm zunächſt ftand feine Garde und er felbft war
umringt von einem glänzenden Generalſtabe. in
großes Teuer war angezündet worden. Hier empfing
der Kaiſer die öftreichifehen Generale, fiebzehn an der
Zahl. Er beflagte fih über das Verfahren ihrer
Regierung, welche ihn ohne Kriegserflärung angegrif-
fen habe und fagte: „Diefelbe hätte beſſer gethan,
anftatt Aftaten in europäifche Angelegenheiten zu men-
gen, fih mit mir zu verbinden, um der ruffiichen Ver⸗
größerungsſucht in ven Weg zu treten.“
Während Napoleon, auf feinem Pferde gebüdt
und in der einen Hand über ven Sattellnopf die Zügel
haltend, die andere .auf feine rechte Hüfte ftübenp,
dem Vorübermarſch der öftreihifchen Colonnen zufchaut,
fieht man ihn plöglich die Stine runzeln.
Ein General in feiner Nähe erzählt nämlich feiner
nächſten Umgebung, angeblic, eine von einem Soldaten
feiner Divifion erfundene Anecdote.
„Bor einigen Minuten,” meinte verjelbe, „burd-
fhritt ich die Reihen meiner Solvaten, und als id
fie frage: Nun wie gefallen Euch die Gefangenen ?
21
antwortete mir einer von ihnen: Noch niemals fahen
wir fo viele Boffenreißer auf einmal.”
Der Kaiſer, welcher ein äußerſt feines Gehör hat,
wendet fich bei diefen Werten raſch um.
„Schweigen Sie, mein Herr,” ruft er, „verläums
den Sie nit meine Truppen, welche ftets mit Ta-
pferleit auch Edelſinn zu vereinigen wiſſen.“
Darauf zu feiner Umgebung gewendet, fährt cr
im Tone des tiefften Unwillens fert:
„Bürwahr, man muß fehr wenig Achtung für fich
felbft fühlen, fo unglüdlihe Menfchen noch beleidigen
zu können. Savary, erflären Sie tem General
meinerfeits, daß er ſich entfernen möge.“
Nachdem vie Öftreichifhe Armee die Waffen nie-
bergelegt hatte, zog fie durch ein anderes Thor wie=
ber nad Ulm zuräd, um an ven folgenden Tagen
in einzelnen Colonnen nah Franfreih abgeführt zu
werben.
Vorher noch ließ er die gefangenen Generale, die
ſehr niedergeſchlagen waren, zu ſich beſcheiden. Cr
richtete Troſtesworte an ſie und ſagte unter andern
auch zu ihnen:
„Meine Herren, Ihr Gebieter führt mit mir einen
ungerechten Krieg. Offen geſtanden, ich weiß nicht,
warum ich mich ſchlage und was Ihr Kaiſer eigent-
lich will. Er ſpreche Ein Wort, und bunbertfunfzig-
taufend Maͤnn fehren friedlich zu ihrem heimathlichen
Herde zurück.“
„Sire,“ erwiederte Mad, „ver deutſche Kaifer,
mein Öebieter, ift zu dieſem Kriege von Rußland
gezwungen worben.“
„Sezwungen worden,” entgegnet Napoleon,
auf diefe Worte einen befondern Nachdruck legend;
„it er denn nicht eine Mat?“
22
Am Tage nach der Uebergabe von Ulm lieferte
Murat ein neues glänzendes Gefecht, wobei er gro-
Ken Vortheil davon trug. Ein Theil des großen
öftreihifchen Artillerieparts hat fih nach Nürnberg
gewendet, eskortirt von Mack'ſchen Cuiraſſieren und
andern Reiterabtheilungen. Dieſe Bedeckung wurde
angegriffen und zerſtreut und der ganze Park fiel den
Franzoſen in die Hände.
Nie wurden ſo wichtige Ergebniſſe weniger theuer
erkauft. Es iſt ausgemacht, daß im erſten Theile
des Feldzugs die Zahl der Gebliebenen auf beiden
Seiten außer allem Verhältniſſe ſteht. Die Franzo—
ſen verloren im Ganzen nicht mehr als zweitauſend
Mann.
Dieſe heilige Sparſamkeit des Menſchenlebens war
die Folge des Kriegsſyſtems, das der Kaiſer in dieſem
Feldzuge anwenden konnte. Wenn die Truppen oft
reißend ſchnelle Märſche gemacht hatten, jo befanden
fie fid) gewöhnlih vor dem Kampfe jhon in Stel:
lungen, die über den Erfolg feinen Zweifel Tießen.
Auch fagten die Soldaten unter fib:
„Der Kaifer hat eine neue Art Krieg zu führen
erfunden. Er bediente ſich weit mehr unterer Deine
als unjerer Bayonnette.“
Hätte man die Truppen gefragt, jo würden fie
fi) Tieber öfter gefchlagen haben, als weniger mar-
f&hirt fein. Aber fahen fie ven Starfer im ihrer Mitte,
das fchredlichte Wetter mit ihnen gemeinſchaftlich er»
tragend, wie er manchmal an einem Tage zwölf bis
funfzehn Stunden zurüdlegte, mit ihnen in einem
Dorfe übernacdhtete, während der ſchönſte Palaft zu
Augsburg für feinen Empfang feftlicd bereit ftand:
wie hätten fie fi) da über Anftrengung beflagen fol
- Ien, die ihr großer Feldherr mit ihnen theilte?
23 “
Bei einer folhen Gelegenheit fagte Napoleon
zu einem öftreichifchen Dffizier, der fich wunverte, ihn
fo mit Schmut beredt und von Regen durchnäßt zu
finden:
„Ihr Kaifer hat mich daran erinnern wollen, daß
ih Soldat bin. Er wird mir wenigitend zugeben, daß
ih mein altes Handwerk nicht vergeilen babe.“
Schon am zweiundzwanzigften October war das
durch den Feldzug Gewonnene ungeheuer. Die Zahl
der Gefangenen belief fich über ſechzigtauſend Mann,
unter ihnen neunundzwanzig Generale und zweitaus
fend Offiziere von allen Graden. |
Ein großer Schritt war gefchehen. Frankreich hatte
nit mehr fremden Einfall zu fürchten und außerdem
war im Herzen von Deutichland eine der verbündeten
Mächte faft früher entwaffnet, als die andre ſich mit
ihr vereinigen konnte.
Sein Prophetenwort in der Barafe von Boulogne
war in Erfüllung gegangen: „Wenn fie mid er-
warten, werde ih fie zwifhen Ulm und
Augsburg vernidten!”
Sole an's Werthvolle grenzende Creignifje ver-
dienten einen glänzenden Beweis der Zufriedenheit von
Seiten des Kaifers. Er war zu flug und zu geredt,
um nicht eine fo heilige Schuld auf wärbige Weile
abzutragen. Aus dem Lager von Elchingen erklärte
er, daß der Monat Octeber ftatt eines ganzen Feld—
zugs zählen folle, für Alle, welche zur großen Armee
gehörten, und daß er als folcher zur Abſchätzung der
Sahrgehalte und der Kriegsdienſte aufgeführt werben
folte. Er befahl alle Domainen des Haufes Deft-
reich in Schwaben in Beſitz zu nehmen und belegte
fie mit einer außerorventlichen Kriegsiteuer, deren Er—
trag dem Heere zugehörte.
24
Zu gleicher Zeit erſchien folgende Preclamation:
„Soldaten der großen Armee!
„In vierzehn Tagen haben wir einen Feldzug
beendet. Was wir und vorgenommen, das ift voll«
bracht worden. Wir haben die Truppen des Teindes
aus Baiern vertrieben und unfern Verbündeten wies
der in die Souverainität feiner Staaten eingefekt.
Jene Armee, die fih an unfern Grenzen aufgeftellt
hatte, ift vernichtet. Aber was liegt England daran;
fein Zwed ift erreicht. Wir find nicht mehr zu Bon-
logne und die Hülfsgelver, die es zahlt, werden darum
nicht größer noch Kleiner fein.
„Bon den hunderttaufend Mann, aus denen biefe
Armee beftand, find fechzigtaufennd Mann gefangen.
Sie werden unfere Conferibirten bei den Feldarbeiten
erjegen.. Zweihundert Kanonen, ver ganze Barl,
neunzig ahnen befinden fih in unfrer Gewalt; nur
funfzehntaufend Mann diefer Armee find entfommen.
Solvaten, ich hatte Euch eine große Schlacht ange-
fündigt! Dank fei e8 aber den übeln Combinationen
des Feindes, ich habe viefelben Erfolge ohne dieſelben
Gefahren zu erreichen vermocht, und ein fo großes
Nefultat bat. ung, was in der Geſchichte der Völker
unbegreiflich fcheint, nur zweitaufend Dann Tanıpf-
unfähig gemacht.
„Soldaten, biefer Erfolg ift Euerm grenzenlojen
Bertrauen in Euern Kaiſer, Eurer Geduld in Er—
tragung ter Beſchwerden und Entbehrungen jeder Art,
Eurer feltenen Unerfchrodenheit zuzufchreiben.
„Aber dabei wollen wir nicht ftehen bleiben. Ihr
brennt vor Ungeduld, den zweiten Feldzug zu beginnen.
Wir wollen diefen ruffiihen Armeen, welche das eng⸗
liſche Gold von dem Auferften Ende der Erde herbei—
gezaubert hat, ein gleiches Loos bereiten.
25
„Solvaten, die Ehre des Fußvolkes ift es, die
bei biefem Kampfe namentlich betheiligt ift, denn zum
zweiten Male muß die fhon in der Schweiz und in
Holland entſchiedene Frage zur Entfheidung fommen,
bie Frage: ob bie franzöſiſche Infanterie die erfte
oder zweite in Europa iſt. Dort giebt es feine Ge⸗
nerale, gegen die man fih Ruhm erwerben könnte.
Alle meine Sorge wird fein, den Sieg mit dem we-
nigften Blutverlufte zu gewinnen. Meine Soldaten
find meine Kinder.“
Sonach brach das franzöfifche Heer, die Trümmer
ber öſtreichiſchen Armee vor ſich her treibend, gegen
die Ruſſen auf, deren erſte Colonnen bis an die baie⸗
riſche Grenze vorgerückt waren.
Zweites Rapitel.
Armand war von feinen Wunden, die er bei ber
Bertheivigung des wichtigen Forts Saint Henri,
die ihm aufgetragen worden, erhalten, vollfommen
wieder hergeſtellt. Durch fein heldenmüthiges Be⸗
nehmen, das überall befannt geworben, und dem man
faft einzig bie Erhaltung bes wichtigen Forts verbantte,
war ein © nd allgemeiner Bewunderung gewor-
den. Der Name Moaillebois wurde nur mit hoher
Achtung genannt.
Aber trotz der tung, ja der Ehrfurdt, mit
welder Armand auf Sanct Domingo behandeit
wurde, fo wohnte in feinem Innern doc) noch tiefer
Kummer, denn er wußte nit, ‚wie man im Bater-
*
26
lande und wie der Kaifer von ihm dachte. In des
Letztern Augen mußte ſein Character noch immer im
trübſten Lichte erſcheinen, wenn ſich General Junot
nicht feine Rechtfertigung hatte angelegen fein laſſen;
und von biefem war, troß dem, daß mandes Schiff
aus Frankreich angelangt war, noch immer feine
Nachricht eingetroffen.
Armand war fo eben von einem mehrtägigen
Ausfluge in das Innere der Infel nad) Sanct Do-
mingo zurüdgefehrt, als ihm die Ordre ward, fo-
gleich vor dem General Ferrand zu erjcheinen. Er
beeilte fih, dem Befehle nachzukommen, und erfuhr
auf ſeinem Wege nad der Wohnung des Generals,
daß wieder eim Schiff aus Europa in den Hafen ein-
gelaufen fei.
Als er bei dem Kommandanten in’s Zimmer trat,
kam ihm dieſer hocherfreut entgegen.
„Ich ſchätze mic wahrhaft glücklich,“ begann bie=
- fer, ” ‚Ihnen, mein lieber Maillebois, einen Brief
aus der alten Welt zuftellen zu fönnen, von dem id)
glaube, daß er nichts Unangenehmes enthält. Wollen
Sie mid) vielleiht den Inhalt willen laſſen?“
Er überreichte bei diefen Worten Armand ein
Schreiben, welches mit dem faiferlich königlichen fran-
zöſiſchen Siegel verfehloffen war.
Als der auf's Höchite überrafchte Jüngling das
Schreiben erbrocdhen hatte, glaubte er, feinen Augen
nicht Irauen zu dürfen. Da ſtanden die Worte:
„Hauptquartier der großen Armee.
Ä „Mein lieber Mailfebois!
„Wenn Sie die Ruffen mir wollen hel-
fen in die Wüſte jagen, fo eilen Sie, in Die
Reihen meiner Garde zu treten.
Napoleon.“
27
Armand hielt ſprachlos und zitternd dieſe eigen-
händigen Schriftzüge des Kaiſers in feiner Hand. De.
umarmte ihn der General mit Herzlichkeit.
„Niemand,“ fprad er, „hat diefe Auszeihnung
mehr verdient ald Sie. Es thut mir leid, daß wir
und trennen müflen, aber Sie werben es den Brü⸗
dern an der Donau erzählen, daß wir auf Sanct
Domingo dem franzöfifhen Namen aud feine
Schande machen.”
Hierauf einen Schritt zurüdıretend fuhr er fort:
„Meine Gratulntion dem Herrn Garde-Capi—
tain.“
Armand eilte wie ein Beraufchter nad feinem
Quartier; als er hier anfam, war ihm eine neue
frendige Ueberrafhung bereitet. Der fo lang erfehnte
Drief von Yunot war angelangt und lautete alfo:
„Mein lieber Maillebois!
„Wenn ich Ste fo lange ohne Antwort ließ, fo
war das nicht meine Schuld. Ich bin erft vor einigen
Tagen aus Liffabon im faiferlihen Hauptquartiere ein-
getroffen. Nachdem ich meine offictellen Berichte dent
Kaiſer abgejtattet und er gerade fehr guter Laune war,
benußte ich die günftige Gelegenheit, und ſchenkte ihm
in der Angelegenheit der Frau von Poitiers, wodurch
Sie jo compromittirt und in Ungnade gefallen waren,
den zeinften Wein ein.
„Sie können fih wohl vorftellen, daß Seine Ma⸗
jeſtät bei diefer unerwarteten Relation nicht eben: Das
freundlichfte Gefiht machte. Der Kaiſer gerieth ſo⸗
gar in Zorn und fagte: „wenn er das früher gemußt
hätte, fo würde ih an Ihrer Statt nad) den Antil-
len fpaziert fein.” Als ver erfie Sturm vorüber
war, bat ich natürlih, da er Sie wieder zu Öna-
ben aufnehmen möchte. „ein,“ ermieberte er, „Der
28
Herr Capitain mag fih immer noch einige Zeit mit
ben Schwarzen herumbalgen, damit er männlicher
werde und Fünftig nicht wegen ein paar hübfchen
Mädchenaugen das Leben feines Monarchen und das
Wohl feines Vaterlandes leichtfinnig auf's Spiel
fett.
„Ih malte ihm bemertlih, daß Sie im Gegen-
teil ftetS bemüht gewefen wären, vie Gefahr, welche
von Seiten der Royaliften drohte, von feinem Haupte
abzuwenvden. Napoleon blieb aber unerbittlih, und
ih hatte ſchon einen Troftbrief an Sie aufgefekt,
als höchſt merkwürdiger Weife gleih am folgenden
Zage ein Bericht vom General Ferrand einlief, wor-
in Ihr helvdenmüthiges Verhalten in Betreff ber
Botſchaft nach Cap Henry und Ihre bei den Stür-
men gegen dieſes Fort bewiefene Bravour auf das
Glänzendſte hervorgehoben waren. Als mich der Rai-
fer wieder anfihtig wurde, gab er mir den Bericht
zu leſen. „Diefer Maillebois,“ waren feine
Worte, „ift ein höchſt braver Kerl; das macht ihm fo
leicht Keiner nah. Wenn er nicht zu jung wäre,
würde ich ihm zum Oberftleutnant machen. Aber er
fol zurüdfommen und unter meine Garde treten.”
Hierauf ertbeilte er fogleih den Befehl, daß Gie,
mein. lieber Gapitain, mit Beibehaltung Ihres zeit-
herigen Grades in die Liſten der alten Garde einge-
2 yſchrieben wurben.
„Wie frob war id, meinen wenig erbanlicdhen
Troſthrief vernichten zu können. Alſo eilen Gie,
noch .zu: der glorreihen Affaire anzulangen, wo wir
ben xuffifchen Eisbär auf's Haupt fehlagen werben.
Ihr Benehmen in Betreff Saint Henri’ hat ben
Kaifer außerordentlih für Sie eingenommen. Es er-
29
wartet Sie die freundlichſte Aufnahme und Niemand“
ift mehr erfreut darüber als
*Ihr
treu ergebener
Junot.ꝰ.
Das Einzige, was Armand an dem Briefée ſeie
ned hochgeftellten Freundes nicht gefallen, war, daß
ber General Florentinen mit feiner Sylbe er-
wähnte. Er war eben im Begriff, die beiden fo
werthen BZujhriften nochmals zu überlefen, als ſich
unter feinen Yenftern eine befannte Stimme alfo ver-
nehmen ließ:
„Schwarzes Ungeheuer,” rief die Stimme einem
in ver Nachbarſchaft befchäftigten Neger zu: „Wehr-
wolf, aud Freund, fage mir Scheufal, wo finde ich
ven Eapitain Maillebois, er muß bier in der Ge—
gend wohnhaft fein?
„Da bin ih nun,” brummte e8 weiter, „dem
Schlingel ‘die halbe Erde lang nachgefahren und kann
ihn noch immer nicht ausfindig machen.“
Armand ri das Fenfter auf und erblidte ven
Doctor Bonorand, welder die holprigen Steine
auf- und abjtolperte und entſetzlich auf das fchlechte
Straßenpſtaſter fluchte.
„Doctor, Doctor!” rief erfreut der Jüngling,
„bier herauf.“
Mit diefen Worten eilte er auf die Straße hinab
und bie beiden Freunde fielen fi in die Arme.
„Nun endlich,” rief der Doctor; „aber Teufel,
jeid Ihr ſchwarz geworben,” fuhr er lachend fort,
„Ihr müßt wahrhaftig wieder nad) Europa zurüd,
wolt Ihr nicht le Anrechte auf einen Weißgebornen
verlieren.”
Das Erfte war, daß die Beiden auf Armand’s
30
#
Zimmer angefommen, daß der überglüdliche Jüngling
dem Freunde bie Zuſchriften Napoleon's und Ju—
not's vorlegte.
Bonorand machte große Augen, als er die
7Schrutzüuge des Kaiſers erblickte.
Nun werd' ic doch wieder einmal Recht behal⸗
0 ten,?,fprah er, „daß Ihr unter einem glücklichen
* Steine geboren feiv und daß ein höchft refpectabler
'spiritus familiaris Euch mit Rath und That unfidt-
bar zur Seite fteht. Bon Euren Wunberthaten hab’
ih, feit ich auf der Inſel bin, auch ſchon fo viel
vernommen, daß ich ordentlich in Verlegenheit komme,
wie ih Euch tituliren fol, ob Herr „Bayard“ oder
Herr „St. Georg.“
Armand beftürmte ven Doctor mit fo viel Fra-
gen über Europa und die dafigen Zuftände, daß Bo-
norand im vollften Sinne des Wortes gar nicht zu
Athem kommen konnte.
„Ih bitt' Euch um Gotteswillen,“ rief dieſer
abwehrend, „laßt mich auch einmal an die Reihe des
Fragens kommen; was z. B. iſt das für eine aller-
liebſte mit Citronenbäumen bewachſene Anhöhe? Man
muß von da eine charmante Ausſicht haben. Hat denn
der Berg keinen Namen?“
„Es iſt die Marienhöhe,“ antwortete Armand
kurz; dann fuhr er gleich wieder mit Fragen fort:
„Aber ſagt mir nur, wenn ſeid Ihr denn eigentlich
angekommen, davon habt Ihr mir noch kein Wort
geſagt; wie heißt Euer Schiff? Sind ſonſt Bekannte
mit angelangt? Wie lange gedenkt Ihr auf Do—
mingo zu verweilen? Geht es direct von hier nach
Europa zurück? Wie ſteht der Kaiſer mit den Oeſt—
reihern? Wie viel Zeit habt Ihr gebraucht zur Ueber-
N fahrt? Kommt Ihr von Toulon over Rochefort,
vr
Be
u)
3
oder Havre oder Breft? Seid Ihr mit den Eng»
länbern zufammen getroffen oder ganz unangefodhten
durchgekommen? Nichts von Guifeppe gehört? Der
Barbar hat mir noch nicht gefchrieben. Ich weiß von
früher: Briefichreiben ift feine Sache nicht. Wer com:
mandirt Euer Schiff?“
Bonorand hielt jest Armand den Mund zu.
„Einen Augenblid Geduld,“ ſprach er, feine Brief-
tafche hervorziehend, „ic muß mir dieſes Vragregifter
ein Wenig notiren, fonft mag der Teufel Euch Rebe
ſtehen. Alfo Blagegeift: Die Victoria heißt unfer
.Schiff, auf welchem — aber Armand, ich bitte Euch,
das ließe fi) Alles weit charmanter erzählen, wenn
wir eine Heine Abenppromenade machten, flatt hier
zwifchen den engen vier Wänden, bie mir gegen bie
herrliche Natur draußen gefängnißartig vorkommen,
auf und ab zu rennen.”
„Ich bin Alles zufrieden,“ verſetzte Armand,
„erzählt nur.“
Bonorand ftattete nun, während die beiden ber
mit Drangenwald bewachfenen Marienhöhe zufchritten,
ausführlichen Bericht ab über Alles, was Armand
‚zu wiſſen wünſchte. Daher unterbrad) er häufig feine
Erzählung, um ſich über die herrliche Vegetation bes
Sübens zu erpectoriren.
„Auf mein Anfuchen,” ſprach er, „bin ich einer
Eommiffion von vier Aerzten beigefellt worden, um
die hiefigen Fieberkrankheiten, welche unter unferer
Sarnifon ſolche Verheerungen anrichten, Beobachtungen
anzuftellen. Unfer Aufenthalt ift vorläufig auf vier
Wochen feftgefet.“
„So lange kann ih unmöglich warten,” warf
Armand dazwilchen, „will ich beim Kaifer noch zur
rechten Zeit eintreffen.“
82
„Es ift mir dies fehr angenehm zu hören,” er⸗
wieberte der Doctor; „bin ih Euch nun um bie
halbe Erde nachgefahren, und kaum hab’ ih Euch
erwiſcht, efhappirt Ihr mir. Gleichwohl kann ich
Nichts dagegen fagen, denn es ift allerdings pericu-
lum in mora. Der Kaiſer muß über Kurz oder Lang
mit den Ruſſen zufammentreffen. Ich glaube nicht,
daß der Feldzug von langer Dauer jein wird. Aber
feht mir doch die prächtige Aloe, da müſſen fich doch
unfere europäifhen Gewächshäuſer verfteden.“
„Wie lange habt Ihr Zeit zur Ueberfahrt ge-
braucht?” erkundigte fih Armand zum zweiten Mal
angelegentlih. „Wir find ungefähr ſechs Wochen ge
fahren,” antwottete Bonorand, „die Reife ging von
Rochefort aus. Bon den Rothröden haben wir gar
nichts zu leiden gehabt. Auf der Höhe der Azoren
verfolgten ung eine Zeit lang zwei englifche Fregatten,
fonnten und aber nicht8 anhaben, da unfer Vorſprung
zu groß war. Diefe vortrefflihe Banxia serata da
an der Pinin, muß ih mir Doch etwas genauer in
Augenfhein nehmen, eine folde majeftätiiche Art ift
mir noch gar nicht vorgekommen.“
Donorand fprang zu Armand's nicht gerin-
gem Verdruſſe, der nur immer von Europa erzählt
und feine Fragen beantwortet willen wollte, durch das
Gebüſch, wo in einiger Entfernung die ſchöne Blume
in ſtiller Einfamteit ihre Yarbenpradt entfaltete. Er
fonnte ſich lange nicht losreißen von dem feltenen
Anblid und wollte eben Armand eine botaniiche Vor:
lefung über die üppige Vegetation der Tropenländer
halten, als ihn diefer ungeduldig mit den Worten
unterbrach:
„sh hab' Eud nun ſchon das fünfte Mal ge:
N” ob Ihr keine Nachricht von Guiſeppe erhal-
33
ten; aber fo lange auf Sanct Domingo eine
Blume blüht, werd’ ich wohl vergeblich auf eine Ant:
‘wort warten.“
„Guiſeppe?“ frug Bonorand, von feinem
botanifchen Abflecher zurüdtchrend, „das mag der Him-
mel willen, in welcher Hängematte der fich jchaufelt.
Wahrſcheinlich ſteckt er mit auf der Flotte des Ville-
neuve. Diefe Banxia ift wirklich nicht mit Golde
zu bezahlen.” |
Endlich war e8 Armand gelungen, den fort-
während botanifirenden Freund nad) der Marienhöhe
zu bringen, wo ſich eine in franzöfifchen Geſchmack
eingerichtete Reftauration befand. Er war fehr ver-
gnügt, als die Dunkelheit herein brach, melde Bo-
norand’3 botanifhem Eifer ein Ziel fette. Aber
Armand hatte gleichwohl nicht viel gewonnen, denn
jetzt erſchloß fi das transatlantifche Himmeldgewölbe
mit feinen fremdartigen Sternbildern und Gterngrup-
yen, und der Doctor warb nun Aftronom.
„Ih muß geftehen,” ſprach er, „wie glanzvoll
die, tropifche Vegetation gegen die nord- und fittel-
europäifche hervortritt, fo tft das hinſichtlich des Fir-
maments doch keineswegs der Tal. Unſer nordiſcher
Nachthimmel ift weit fehöner und weit reicher an
Sternen erfter und zweiter Größe.“
„Seht einmal,” fuhr er fort, „ganz am äußerften
Horizonte gudt unfer alter braver großer Bär,
unter dejjen fieben Sternen des Himmelswagens
wir aufgewachlen find, nur mit dem Schwanze ein
Wenig aus dem Meere; ich kenne die Deichfelfterne
gar wohl, e8 ift ver Benetnafh und ver Mizar,
legterer mit feinem Kleinen Begleiter Alcor, dem
Reuterlein, welde aus ver Heimath daher winken,
während der Alioth und der fhöne Dubeh noch
3
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXII.
34
unter dem Meere fteden. Da fteht auch die Caſio—
peia, welche fih von Sanct Domingo bei wei—
tem nicht fo ftattlih ausnimmt, als von der Stern-
warte zu Paris, wo fie im Zenith fteht.”
Erſt als Armand den Doctor wieder nach Haufe
gebracht hatte, Tief diefer fi) bewegen, wieber Rari—
täten aus ber alten Welt mitzutheilen. Ex erzählte
Mancerlei, was für Armand von großem Intereffe
war,
„Da hab’ ih mir auch,” ſprach Bonorand un-
ter andern, „ven neueften Beftand unferer Armeen
zu verjchaffen gewußt, für deſſen Nichtigkeit ih Bürg⸗
Short leiften Tann. Demnach ift jedes Regiment bei
uns dermalen viertauſendzweihundertachtundzwanzig bis
viertaufenbpreihundert Mann” ftarl, worunter vier:
taufendeinhundertachtzig Combattanten. Frankreich be=
fist vermalen neunzig folde Regimenter Tinien-
infanterie. Ein jedes zerfällt in vier Bataillone,
wovon drei in's Feld rüden und eins zur Uebung
der Rekruten in den Beſatzungen zurüd bleibt. Die
leichte Infanterie befteht aus ſiebenund zwan—
zig Negimentern, ebenfalld zu vier Bataillonen.
Diefe hundertfiebzehn Negimenter oder vierhundert-
achtundſechzig Bataillone geben eine Geſammtmacht
von fünfhundertundfiebentaufend Mann Infanterie,
worunter breizehntaufendvierhundertzweiundvierzig Of-
figiere. Die Cavallerie befteht aus achtundſieb—
zig Regimentern, nämlich zwei Carabiniers, zwölf
Cuüraſſier- und zwanzig Dragonerregimentern,
vierundzwanzig Regimentern Jäger zu Pferde,
zehn Uhlanen- und zehn Huſarenregimenter.
Die geſammte Cavallerie iſt einundſiebzigtauſendfünf—
hundert Mann ſtark, worunter zweitauſendzweihun⸗
dertſechsundvierzig Offiziere, vertheilt in dreihundert⸗
35
ſechsundzwanzig Eskadrons. — Die Artillerie zählt
acht Negimenter zu Fuß, ſechs zu Pferd, funfzehn
Compagnien Ouvriers, zwei Bataillone Ponto-
niers, ſechszehn Bataillone Artillerietrain und
neun Compagnien Mineurs. Das Ganze der Armee
beträgt aljo, ohne die italienifhen Truppen, nad) den
officiellen Etats jehshundertzehntaufenpneuns-
hundertſechsundſiebzig Mann, worunter adhtzehn-
taufendvierhundertachtzehn Dffiziere, hundertdreißig
Divifionsgenerale, zweihundertvterzig Brigadegenerale
und hundertvierundzwanzig Adjutants-Commandanten.
Armand bat um das Zettelhen, worauf Bono-
rand fi diefe Notizen aufgezeichnet hatte, denn er
liebte vergleichen Ueberſichte. Der Doctor zog aber
aus feiner vidleibigen unerſchöpflichen Brieftafche eine
der neueften Nummern des Moniteur hervor.
„Daß Napoleon,” begann er, „ven genialen
Gedanken gefaßt hatte, dem tapfern General Deſair
ein würdiges Grab auf dem Gipfel der Alpen zu er-
richten, wird Euch nicht unbekannt fein. Hier nun
babe ic den offictellen Bericht über die großartige
Beifegung des großen Kriegers.“
„D, nur mitgetheilt,” bat Armand dringend,
und ber Doctor las wie folgt:
„Der fterbende Defair Lied dem erften Conful
jagen, er bebaure, für feinen Ruhm nicht Lange genug
gelebt zu haben, und von bdiefem Augenblide an
faßte der Sieger von Marengo den Entſchluß, De—
ſaix's Schidjal und Befcheivenheit zu widerlegen
und feinem Namen die Chrenbezeugungen zu erwei-
jen, die er für fein Leben beſtimmt hatte. eine erfte
Idee war, das Grabmal zu ifoliren, um eine Art
Berehrung an .daffelbe zu Tnüpfen, und es in ber
Stille der ſchwegenden Natur zu errichten, um ben
2%
36
Geift in fich felbft zurüdzuführen, damit ex ſich fam-
melt, weil man fonft nichts Großes zu thun im
Stande ift, und das Gefühl zu fehr zerftreut, jenes
ſchmerzliche Vergnügen der Melancholie nicht gewahrt.
„Diefe Betrachtung beflimmte ven exften Conful,
das Hospitium des großen St. Bernhard zur Grab⸗
ftätte der Afche feined würdigen Lientenantd auszu-
wählen. Hier ift ver höchſte ältefte Webergang über bie
Alpen und bier fteht der Thron des ewigen Winters
von Schnee und Eis, und der einfürmigen Nakur
kündigt nichts den Wechſel der Jahreszeiten an, als
im höchſten Sommer die donnernden Lawinen, bie
Werkzeuge neuer Zerftörung. Hier, wo Alles Schreden
einflößt, die Stille wie das Geräuſch, wo endlich bie
zwei einzigen Zufluchtsorte, in die fih das eben
verbirgt, die Seele durch den Gedanken erfchüttern,
daß fie ewig nur die Wohnung des Schmerzes find.
„Defair felbft fchien bei der Betrachtung ber
eguptifchen Wüften diefe Wahl angedeutet zu haben,
indem er bie Worte öfter wiederholte: „Dieſer
Schauer der Natur ift das Aſyl des Todes und ber
Friede der Gräber.”
„Rad der Schlacht bei Marengo befahl der erite
Conſul ein Denkmal zu errichten, deſſen Größe feine
Anhänglihkeit an Defair und ven Schmerz, mit'wel-
hem er feinen Berluft beehre, bezeugen folle. Der
Kaifer erwartete die Vollendung vejjelben, um es
durch ein militärifches Feſt und duch eine Todten—
feier einzumeihen. Er hatte dazu den Gedächtnißtag
des glorreihen Todes Desjenigen beftimmt, dem es
galt, und er wollte felbft diefe Todtenfeier erhöhen,
dadurch, daß er felbft ven erften Stein zu dem Orab-
male legte. Nachdem er dieſe Ceremonie in ber Ab-
aG verichoben hatte, die Pracht deſſelben zu werherr-
37
lichen, fetten fi) Verhältniffe feinem Entfchluffe ent⸗
gegen und der Kaifer wählte ven MarihallBerthier,
um ihn in feinem Namen auszuführen.
„Der Leichnam de8 General Defair war nad
ber Schlacht bei Marengo nıh Mailand gebradt,
daſelbſt einbalfamirt und in einen bleiernen Sarg ge-
legt worden. Er verblieb in dem Klofter St. An—
gelo, wo man ihn mit der Sorgfalt und Achtung
bewachte, welche folche Leberrefte einflößen. Eine Ab-
theilung vom zwölften Jägerregimente zu Pferde hatte
bie Weifung erhalten, den Sarg, welder ven Leich⸗
nam des Helden barg, bis an den Fuß des großen
St. Bernhard zu begleiten, und eine Abtheilung
vom fünften Linienregimente folgte demſelben bis in
das Hospitium. Hier wurde er bis zum Tage der
Feterlichkeit in der Kirche bewacht. |
„Diefe begann mit einem feierlihen Hochamte,
welchem der Marſchall Berthier, die Generäle
Menou und Roftolan, fo wie die Offiziere ihres
Stabes beimohnten. ’
„Rad der religiöfen Handlung ward der Teich
nam durd) Militärperfonen in die Gruft der Kapelle
getragen, in weldher das Denkmal errichtet iſt. Vier
Stabsoffiziere hielten beim Zuge das Leichentuch. Die
Mufif begann einen Trauermarfh, und nad ber
Veterlichfeit hielt der Marſchall Berthier eine Rede,
worauf jeder Soldat einen Lorbeerzweig in bie Gruft
warf. Eine kriegeriſche Muſik, der ein Flintenfeuer
folgte, endigte diefe erhebende Handlung.
„Aus der Kiche begab man fih nad einem
Circus, der mit Cypreſſen und Fahnen ausgeſchmückt
war, auf welchen letztern jedes Gefecht und jeber
Sieg des Todten eingeftidt waren. In dieſem Circus
hielten die Soldaten kriegeriſche Kampfipiele, wo bie
38
Sieger goldne Münzen mit dem Bilbniffe des Kai-
ſers erhielten. Der Thron Napoleon’8, welden
Berthier einnahm, und die coloffale Büſte von
Defair fanden auf Hügeln.“ .
„Run frag’ ich,“ ſprach Bonorand, nachdem er zu
Ende gelefen, „ob Napoleon nicht die Zeiten des Al:
terthums herauf beſchwört; diefer Mann mag vornehmen
was erwill. Allesträgt den Stempel des Großartigen, und
viele feiner Handlungen athmen eine Poeſie, wovon ſich
unfere heutigen Poeten nie haben Etwas träumen laffen.
„Da ih aber einmal von Poefte ſpreche,“ fuhr
er fort, „So wil ih Eud ein paar recht hübſche
Berslein mittheilen, welche auf den Abmarfch der
Armeen von Boulogne gebichtet find. Unter dem
Titel: „Adieux d’un grenadier aucamp de Boulogne“
circulirte in Paris von einem dafigen Vaudevillendichter
ein Gedicht, deſſen Iette zwei Strophen aljo lauten:
„Sans adieu, peniches, bateaux,
Prames et canonieres.
Qui deviez porter sur les eaux
Nos braves militaires!
Vous, ne soyez pas si contens
Messieurs de la Tamise:
Seulement pour quelques instans
La patrie est remise!
Nous aurons souvenir de vous,
Habitans de Boulogne!
Mais pour le retour garde nous
Du Bordeaux du Bourgogne!
Nous songerons & vos appas;
Aimables Boulonaises:
Les Allemandes ne font pas
Oublier les Frangaises |“
„Gar nicht übel,“ geftand Armand, „bod) befter
Freund, damit wir nicht das Eine über dad Andere
vergefien, wo habt Ihr Euer Domicil aufgefchlagen?“
39
„Vor der Hand,“ erwiederte Bonorand, „im
Gaſthauſe zu Abukir; übrigens bildet Euch ja nicht
ein, mid für heute Nacht los zu werden; id) ver-
fpüre nicht die geringfte Luft, mich in diefer trans.
atlantifchen Finfternig mit den Händen nad) der Stadt
zu greifen. Ic gevenfe meine müden Glieder auf
Euer bequemes Sopha auszuftreden, damit Baſta.“
„Da8 wares ja eben, weshalb ich fragte, und warum
ih Euch bitten wollte,’ ſprach Armand; „wir michen
es wie in Paris, wenn und Konftant erzählte.”
Der Doctor war aufgeftanden und an's Fenſter
getreten. |
„Das ift ja,” ſprach er, „mit einem Male eine
undurchdringliche Finfternifß geworden, man exrfennt
bie Hand vor den Augen nidt, und vor Kurzem noch
leuchteten die Sterne ſo freundlich.“
„Die Witterung wechfelt fehr ſchnell,“ erwieberte
Armand, „und das mag auch ver Grund fein, daß
bie Fieber fo häufig und gefährlich auf Do mingo find.”
„Und wie dad Meer rauſcht,“ fuhr Bonorand
fort, „man bört deutlih, wie es fih an ben Ufer—
felfen briht. Wenn der Conftant wüßte, daß mir
bier fo traulich beiſammen ſitzen, wer weiß, wie tief
der ſchon in Deutſchland drinnen ſteckt.“
„Wenn habt Ihr ihn das letzte Mal geſprochen?“
frug Armaub
„Unmittelbar,“ erwiederte der Doctor, „ehe die
Reife nad) Deutſchlanv ging. Da hat er mir noch
ein paar recht drollige Scenen aus dem Privatleben
des woiters mitgetheilt.“
Das trifft ſich ja charmant,“ lächelte Armand,
„nur heraus damit, theurer Freund, Ihr kommt heut’
einmal nicht los, wenn es Mittheilungen aus ber
alten Welt betrifft. “
40
„Napoleon,“ fprah Bonorand, „hatte im
vorigen Winter den dringenden Bitten des fpanijchen
Botſchafters nachgegeben und verfprocden, auf dem Mas—
fenballe, welchen diefer Diplomat veranftaltet, zu erſchei⸗
nen. Der genannte Diplomat fteht befanntlid wegen
feiner Bälle bei der Parifer vornehmen Welt in hohem
Rufe, denn er verfteht e8 hauptſächlich, von feinem un-
geheuren Reichthum mit Geſchmack Gebrauch zu machen.
zEines Morgens fagte daher der Kaifer zu feis
nem erften Kammerbiener: „Sonftant, ich bin ent-
ſchloſſen, dieſen Abend bei dem fpanifchen Botſchafter
zu tanzen. Sie ſchaffen heut' zehn verſchiedene Anzüge
in das Zimmer, welches der Spanier für mich hat
in Bereitſchaft ſetzen laſſen. Conſtant gehorchte
und begab ſich am Abende mit Seiner Majeſtät zum
Hotel, wo der Maskenball ſtatt finden ſollte. Er
legte dem Kaiſer einen ſchwarzen Domino um, und
gab ſich alle Mühe, die Geſtalt ſeines Herrn ſo un—
kenntlich wie möglich zu machen. Alles lief gut ab,
ungeachtet einer großen Menge von Bemerkungen von
Seiten des Kaiſers über die Abgeſchmacktheit der
Verkleidung, über die ſchlechte Haltung, welche ein
Domino gewähre und dergleichen. Conſtant machte
ihm bemerklich, daß auch die Fußbekleidung unfennt-
lich gemadyt werben müßte, aber Napoleon wollte
ſich dazu unter keiner Bedingung verftehen. Was war
die Folge? Seine Majeſtät wurde ſogleich erkannt,
als Dieſelben in den Saal traten.
„Napoleon geht, wie ſeine Gewohnheit iſt, mit
auf dem Rücken geſchlagenen Händen, gerade auf eine
Maske los und will eine Intrigue anknüpfen; aber
bei der erſten Frage, welche er thut, antwortet man
ihm mit „Sire.“ Verdrüßlich kehrt er um und
fommt wieder zu Conftant. „Sie haben Recht, Con⸗
41
ftant,“ fpridt er, „man hat mich erfannt. Holen
Sie mir Halbftiefeln und einen andern Anzug.“
Conftant holte ihm Halbftiefeln, verkleidet ihn von
Neuem und empfiehlt hauptfählih, die Arme herab-
hängen zu laflen, wenn er nicht auf den erften An-
blick wieder erfannt fein will. Der Raifer verſpricht,
Conſtant's Berhaltungsregeln, wie er fie nennt,
genau in allen Stüden zu befolgen. Aber faum ift
er wieder in den Saal getreten, als auch feine Hände
wieder auf dem Rüden ruhen. Eine Dame flüftert
ihm in's Ohr: „Sire, Sie find erfannt!” Sogleich
läßt er nun die Arme fallen; aber es ift fchon zu
fpät und Jedermann tritt ehrfurchtsvoll zurüd, um
ihm Platz zu machen. Er ehrt nochmals auf fein
Zimmer zurüd, kleidet fid) zum dritten Male um
und verjpricht feierlich, diesmal auf feine Geberden
und feinen Gang Acht zu haben. Er erbietet fich zu
wetten, nicht erkannt zu werben. Diesmal tritt er
in der That in den Saal hinein wie in eine Caſerne,
ſtößt und ſchubt Alles um fich her, das fih in den
Weg ftellt, aber demungeachtet währt es nicht lange,
und wieder flüftert man ihm in's Ohr: „Sire, Sie
find erfannt.” Neue Berlegenheit, neue Verkleidung,
neue Rathſchläge von Seiten Conſtant's, aber int
mer berjelbe Erfolg, bis er enblid das Hotel des
Botfchafter8 mit der feiten Weberzeugung verläßt, daß
er fich nicht verbergen könne und daß der Kaiſer unter
jeder Berkleivung erfennbar fei.
„Am andern Tage erzählte er bei Zafel mehren
Generalen, die er hatte einladen laffen, vie Gefchichte
feiner Metamorphofen und fcherzte viel über feine
Ungeſchicklichkeit. Als er auf die junge Dame zu
fprehen kam, welde ihn am vorigen Abend immer
zuerſt erkannt und gar arg in Derlegenheit geſetzt
42
habe, jagte er: „Sollte man ed glauben, daß ich
nicht habe erfahren können, wer biefe kleine Spitz—
bübin gewejen ?”
„Es war gleihfall8 im vorigen Winter,” fuhr der
Doctor fort, „als die Kaiferin den Wunſch äußerte,
einmal auf den Mastenball im Opernhaufe zu gehen.
Der Kaiſer, den fie bat, fie dahin zu begleiten,
fhlug e8 ihr ab, troß aller zärtlihen Bitten. Es
ift befannt, auf welche anmuthige Weife es Joſe—
phine verfteht, ihre Bitten worzubringen, aber bies-
mal war Alles vergebens. Der Kaifer fagte gerade
heraus, er gehe nicht mit. „ut,“ verſetzte endlich
die Kaiferin fchmollend, „jo befuche ich den Ball ohne
Dich.“ „Wie es beliebt,“ erwieverte Napoleon
und verließ dad Zimmer.
„Am Ubende begab fich die Kaiferin zur beftimm-
ten Stunde auf den Ball. Der Kaiſer, welcher fie
überrafchen wollte, ließ eine ihrer Kammerfrauen ru-
fen, und fih den Anzug Joſephinen's auf das
Genaueſte befchreiben. Hierauf befiehlt er Conftant,
ihn als Domino zu verkleiden und fest fich mit
dem Großmarſchall des Palaftes, mit Berthier
und Konftant in einen Wagen ohne Wappen. So
fuhr die Gefelfhaft zum Maskenball. Als fie anlangen,
toitet e8 große Mühe, Einlaß zu erhalten. Blos
Conſtant giebt fich zu erfennen, und wird um Na⸗
men und Stand feiner Begleiter gefragt. „Oehören
biefe Herren zu Ihnen?“ fragt die Logenſchließerin.
„Sie ſehen es ja,” erwiedert diefer. „Verzeihung, Herr
Conftant,“ entfehuldigt ſich nun die Schliekerin ;
„aber Sie willen, daß an Tagen wie der heutige,
oft Leute ohne Bezahlung fi einzudrängen fuchen.”
Der Kaifer mußte bei diefen Worten laut lachen. End-
lic, treten fie ein und wandeln zu Zweien. Gie ha-
48
ben fi faljhe Namen gegeben. Der Kaifer beißt
Auguft, der Großmarſchall Franz, Berthier
Karl und Conftant Joſeph. Sobald Napo-
Leon einen Domino bemerkt, welcher demjenigen glich,
den ihm vie, Kammerfrau ver Kaiferin befchrieben,
drückt er jedesmal Conſtant ſtark in Arm und fragt:
„Iſt fie es?“ „Nein, ja, nein, Auguft,‘ erwiebert
num der Kammerdiener, der fi) durchaus nicht daran
gewöhnen Tann, den Kaiſer Du zu nennen. Die
beiden Paare drehen fi) eine Zeit lang im Saale um-
ber, durchſuchen alle Eden, Toyers und Logen, ohne
Iofephinen zu entveden. Der Kaiſer geräth in
Deforgniß, wird aber durd) Conftant beruhigt, wel-
Her ihn vorftelt, daß Ihre Majeftät unfehlbar bie
Kleidung gewechſelt habe.
Während man noch fucht, tritt ein Domino auf
Napoleon zu, ver fih an ihn anfchliekt, mit ihm
ſpricht, ihn in Verlegenheit fest und äußerſt zudring⸗
lich wird, fo daß ſich Auguft faum länger halten
Tann. Die Berlegenheit des Kaiſers ſoll höchſt poffir
id gewefen fein. Der Domino, welder viefe Ber:
legenheit bemerkt, verdoppelt nun feine Wige und
Spottreden, bis ex endlich glaubt, es fei an der Zeit
aufzuhören; er verſchwindet plöglih im Masfenge-
wühl. Der Kaifer athmet auf; er ift höchſt aufge⸗
kracht und auf das Empfinplichfte beleidigt. Er hat
genug und verläßt fogleih den Ball.
Als er am folgenden Morgen die Kaiferin erblidt,
fpriht er: „Du warft geftern nicht auf dem Masfen-
balle!“
„Wahrhaftig ich war da,“ erwiedert Joſephine.
„Wie? Nein!“ ruft er.
„Ich verſichere Dich aber, daß ich da geweſen
\
44
bin; und Du, mein Freund, was haft Du den gan-
zen Abend gemacht?”
„Ich habe gearbeitet,” ift die Antwort des Kaifers.
„Das ift doch ſonderbar,“ verfegte Joſephine;
„ich ſah geftern auf dem Balle einen Herrn ber ben
nämlihen Domino und die nämlihe Fußbekleidung
hatte wie Du; ich Habe ihn für Dich gehalten und
daher viel mit ihm gefproden.“
„Jetzt mußte Napoleon laden, al® er inne
ward, daß e8 feine Gemahlin felbft gewejen war, vie
fih die geftrigen Scherze mit ihm erlaubt hatte.
„Die Bermuthung Conſtant's war nämlich ganz
vihtig geweſen und bie Kaiferin war gleich zu An:
fange in einem andern Kleide erfchienen, als in dem
früher beftimmten, weil fie das eritere nicht geſchmack⸗
voll genug gefunden.“
Armand hatte ſich an dieſen und ähnlichen Anec-
doten, welche der Doctor mittheilte, wahrhaft amüſirt,
denn er intereſſirte ſich faſt leidenſchaftlich für Alles,
was unmittelbar die Perſon Napoleon's betraf.
Als daher der Erzähler zu Ende war, dankte er dem—
felben herzlich und bat ihn zugleich, ſalls er noch ähn⸗
liche Geſchichten in Petto habe, damit ja nicht hin⸗
ter dem Berge zu halten, weil ſich dieſelben auf Do—
mingo noch weit angenehmer mit anhörten als ſelbſt
zu Parıs.
Bonorand geftand, daß vor der Hand fein Vor:
rath erjchöpft fei, und Armand drang auch nidt
länger in den Freund, der ſich nad Ruhe zu jehnen
ſchien.
Die nächſtfolgenden Tage verbrachten die beiden
Freunde faſt in ununterbrochener Geſellſchaft mit ein—
ander. Bonorand konnte dem ſüdlichen Himmel
ob ſeiner großartigen Vegetation nicht Lob genug
45
fpenden; er ſprach felbft den Wunſch aus, für immer
bier wohnen zu fönnen, blos feiner übergroßen Liebe
zur Botanif wegen, als ihn plögli eine fleine ge=
fledte Schlange auf ganz andere Meinung brachte.
Der Dottor ging nämlich, wie fi von felbft ver-
fland, täglich botanifiren, froh durch die unwegſam⸗
fien Gründe und fcheute fogar gefährliche Felsparthien
nit. Armand, der ihn faft immer begleitete, warnte
ihn, fih vor einer Art gefledter Schlangen in Acht
zu nehmen, bie fi hier nicht felten vorfänvden und
deren Biß zwar nicht gefährlich, aber doch mehre Tage
lang Schmerzen verurjache.
Bonorand lächelte heipenmüthig.
„Der Wiſſenſchaft zu Ehren,“ ſprach er, „wer
wollie da nach Gefahren fragen und wären ſie noch
ſo drohend.“
Es war nach dieſen kühnen Worten nicht lange
Zeit verftrihen, Bonorand ſtack eben wieder tief:
im Gebüfd und .glaubte eine neue Art Dahlien ent-
deckt zu haben, als er plöglid einen ungeheuren Sat
that, auf den Weg hervorjprang und unter feltfamen
Capreolen umbertanite.
Armand, welder in einiger Entfernung im
Schatten .eined Cocosbaumes gelagert war und in
einem Buche las, kam eiligft herbei, und als er den
Doctor tanzen fah, errieth er fogleich die Urfache,
„Ih bin vergiftet,“ rief Bonorand, „eine
- Schlange hat mid) in die Wade gebiffen; nur fchleu-
nigfte Hülfe kann mich retten.”
Mit dieſen Worten rannte er ſpornſtreichs, ohne
Armand, der ihn zu beruhigen ſuchte, abzuwarten,
nach Hauſe. Hier ergriff er ſogleich die außeror—
dentlichſten Rettungsmittel. Die Wunde war nicht
gefährlich, aber der Verwundete konnte, wegen ſeines
46
gefchwollenen Fußes, mehre Tage das Zimmer nicht
verlaffen. Während viefes Stubenarreftes ließen es
fih die Moskito's ſehr angelegen fein, dem guten
Doctor die Zeit nicht auf das Angenehmfte zu ver-
treiben. Dabei war aud die Hige unerträglid. Kurz,
faum waren act Tage in’8 Land gegangen, ald Bo-
norand Domingo und den transatlantifchen Him-
mel höchſt überbrüffig hatte, und fi) noch weit mehr
nah Europa fehnte als Armand. Ä
Letzterer ging bereit8 mit erfter Gelegenheit nad
ber alten Welt unter Segel, während der Doctor
noch drei Wochen länger auf der Inſel verweilen
mußte. Er ging in bdiefer Zeit wohl noch zumeilen
botanifiren, aber nie anders als in ungeheuer langen
Stiefeln von Elendshaut, und außerdem noch gepan-
zert wie ein Ritter der Vorzeit.
Drittes Kapitel.
In Italien hatte Oeſtreich ſeine Hauptkräfte gegen
Frankreich vereinigt. Aber die Schnelligkeit der Er—
fcheinung der Tranzofen auf deutſchem Grund und
Boden war allen Borausfegungen des öftreihiichen Ka—
binet8 vorangeeilt. '
Kaum hatte fih der Erzherzog Carl zu feinem
Heere begeben, als man ihm befahl, zahlreihe Ba⸗
tatllone davon herzugeben, um fie nad Deutſchland
zu fchiden. Unficher über den Ausgang des ſchon
bei Ulm begonnenen Kampfes, hatte der Erzherzog
a Maffena einen Waffenſtillſtand bis
47
zum achtzehnten Dectober angetragen; und biefer PVor-
ſchlag fagte dem franzöfifhen Generale um fo mehr
zu, als er an der Eifh nur gegen funfzigtaufend
Mann hatte und viefe Frift binreihen fonnte, wenn
auch nicht zur Ankunft, doch zur Annäherung des
Corps, das General Gouvion Saint Cyr aus
Neapel, in Folge des mit der ficilianifhen Majeftät
abgefchlofjenen Neutralitätsvertrags, zuführte.
Maffena’s Kräfte waren vertheilt in ſechs Di-
vifionen Fußvolf, befehligt von den Generalen Du-
hesme, Sardane, Bervier, Partouneaur und
Serras; in drei Divifionen Neiterei unter den Ge:
neralen Bully, Mermet und Espagne Diefe
Bertheilung war Maſſena's Werk, obgleich tbeil-
weife den Angaben des Saifers entfprehend, N a=
poleon hatte nur mittelbare Anweifung gegeben, bie
dem Marfchall völlige Freiheit im Handeln Tiefen.
„Commandirte ih das Heer in Italien,’ fchrieb er an
ben SKriegsminifter, „ſo würde ich bie und die Anorb-
nung treffen.‘
Diefe Thatfache beweiſ't, wie taufenb andere, welche
Küdfichten der Kaifer denen feiner Stellvertreter zeigte,
die Ansprüche auf fein Vertrauen hatten.
Nah Ablauf des Waffenftillitandes erzwang Maf-
fena den Uebergang über die Etſch, troß der herz=
haften Bertheibigung von Seiten der Deftreicher und
machte funfzehnhundert Gefangene. In Folge Des
Befehls aber, jeine Bewegungen nad) denen bed SHee-
res in Deutſchland einzurichten, ftellte Marſchall Maſ⸗
fena fein Vorbringen ein. Erſt eine Woche fpäter
griff er wieder an und brängte die Deftreicher, welche
einen Derluft von zweitaufend Mann erlitten, bis
zum Dorfe Bago zurid,
Erzherzog Carl Hatte bei Caldiero eine furdit-
48
bare Stellung inne. Seine Rechte dehnte ſich bis zum
Dorfe San Pietro, feine Linfe bis zur Etſch.
Seine Referve, weldhe bei Billa Nova lagerte, bes
fland aus vierundzwanzig Örenadierbataillonen und
fünf Neiterregimentern.
Maffena griff auf der ganzen Linie an. Das
Dorf Caldiero wurpe genommen. Jetzt rüdten die
öftreichifchen Neferven vor, desgleichen die franzöfifchen.
Maſſena fiegte. Die Deftreicher wurden bis an ben
Fuß der Feldfchanzen verfolgt, die fie jenfeite Cal⸗
Diero aufgeworfen und ließen über breitaufend Ge—
fangene nebft dreißig Stück Geſchütze in den Händen
der Sranzofen. Erzherzog Carl trug einen Waffen-
ſtillſtand am zur Beerdigung ber Todten.
Durch eine gefhidt ausgeführte Bewegung ber
franzöfifhen Divifion Serras wurde ein Corps von
fünftaufend Deftreihern völlig abgefchnitten und mußte
fi) ergeben. Die Offiziere wurden, wie es in Deutſch⸗
land ‚ver Fall war, auf's Ehrenwort entlaffen.
Dieſes Creigniß, jo wie die unglüdlichen Nach—
richten, welche von der Armee des Generald Mad
aus Deutfhland einliefen, beftimmten den Erzherzog
zum Nüdzuge. Er zog fih durch Montebello nad
Bicenza- zurüd.
Die Franzofen drangen nad) Erftürmung der leg-
ten Etabt, welche der Erzherzog in der Eile hatte
befeftigen Iaffen und woſelbſt man mehre taufend
Mann Gefangene machte, an die Brenta vor, wo
fih ein Kanonenfeuer von einem Ufer zum andern
entjpann, das die ganze Nacht dauerte. Nach Be—
fiegung auch dieſes Widerſtandes und nach dem Ueber—
gang über die Piave ſchienen die Oeſtreicher am
Tagliamento eine feſte Stellung nehmen zu wol-
len. Sechs Regimenter Cavallerie, vier Regimenter
49
Fußvolk und dreißig Kanonen fäumten das linke Ufer
des Fluſſes.
Maffena faßte jegt den Entſchluß, den Erzher⸗
zog zu umgehen, und traf darnach feine Maßregeln.
Letzterer aber errieth dieſe Abfiht und ſetzte feinen
Rückzug auf der Strafe nah Palma Nova fort.
Seitdem fiel zwifchen den feindlichen Heeren fein
ernftliches Gefecht mehr vor. Die Franzoſen bemädh-
tigten fi) der Städte Görz und Trieft, ihre Avant«
garden vor fich hertreibend, welche vereinzelte Haufen
zurüdgebliebener Deftreicher gefangen nahmen.
"Zu berfelben Zeit fand im Rüden des franzöft-
[chen Heeres, das die Deftreiher aus Italien ver-
trieben hatte, auf derfelben Strafe, . die e8 zurldge-
legt, ein bedeutendes Gefecht ftatt. Ein Corps Deft-
reicher, beftehend aus ſtebentauſend Mann Infanterie
und zwölfhundert Xeitern, befehligt vom Prinzen
Rohan, einem franzöfifchen Ausgewanderten, war,
in Folge der Bewegungen der Armee in Deutſchland
unter Napoleon, - abgejchnitten worden und fam von
den Tyroler Bergen in der Abficht herab, die Linie
des framzöfifchen Heeres in Italien zu durchbrechen,
um fi mit dem Erzherzog Carl zu vereinigen.
Nachdem er in Baſſano fünfhundert Tranzofen,
die dortige Befagung, aufgehoben hatte, war Ro⸗
ban nah aftel-Franco gelommen. Unterrichtet
‘davon, daß ein Corps gegen ihn im Anzuge fei, ent-
ſchloß er fih, demſelben zuvorzukommen und griff «8
mit großem Ungeſtüme an. Das franzöfifche Corps
fland unter dem Befehle des eben fo klugen als tapfern
General Reynier. Der Angriff wurde daher kräf⸗
tig erwiedert. Mehrmals erneuert, fand er ſtets noch
. lebhaftern Widerftand und ſchon war Rohan nahe
daran, zurücdgeworfen zu werden, als ein polnijches
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXI. 4
50
Regiment, das General Gouvion Saint Cyr ab⸗
ſchickte, um das ſchon erſchütterte Corps zu umgehen,
auf einmal daſſelbe gänzlich in Unordnung brachte
und ſeine vollſtändige Niederlage bewirkte.
Die Oeſtreicher, von den Franzoſen bis Caſtel⸗
Franco verfolgt, verlangten ſich auf Bedingungen
zu ergeben. Sechstauſend Gefangene, tauſend Pferde,
ſechs Fahnen, zwölf Kanonen und bedeutendes Ge—
päck fielen in die Hände des Siegers. Nur fünftau—
ſend Franzoſen hatten am Kampfe Theil genommen.
Unter den Polen wurde der Bataillonshef Chlo-
pidi vom Oberbefehlshaber mit Auszeichnung ge-
nennt.
Indeſſen reichten die bi8 Klagenfurth vorge-
brungenen Avantgarden dem Corps des Marſchall
Ney, weldes Tyrol inme hatte, die Hand, und fo-
nach bildete das italienifche Heer den äußerten rech—
ten Flügel der großen Armee.
Unmittelbar nad der Uebergabe von Ulm hatte
ber Raifer Napoleon dem Marſchall Nen aufge
tragen, Tyrol zu unterwerfen, doch ihm für dieſe
wichtige Aufgabe nur zwei Divifionen überlaffen.
Der Marfhall brah von Landsberg auf, er-
reichte nach viertägigem Marſche ven befeitigten Punkt
Leuteſch, welcher genommen wurde. Um dur den
Engpaß von Scharnit zu bringen, mußte Ney zu—
vor die gleichnamige Veſte erobern, melde won zwei-
taufend Mann vertheidigt wurde. Die Franzoſen
. Hatten ſenkrecht auffteigende Felſen zu erflettern und
erft die Natur zu befiegen, ehe fie zum echten kom⸗
men fonnten.
Das neunundfechzigfte Negiment, eined von de—
nen, die fih bei Eldhingen am Meiften ausgezeich—
net hatten, wurde mit biefem Wageftüde beauftragt.
——
51
Die Soldaten Tiefen fi) vor der fchredenven Gefahr
nicht einfhüchtern Sie nehmen ihre Zornifter auf
den Kopf, welche ihnen ale Schild gegen die Kugeln
oder vielmehr gegen bie Steine dienen, die bie öft-
reichiſche Beſatzung auf fle herabreguen läßt. Ihre
Bayonnette, die fie in die Felfenrigen einbohren, vie-
nen als Sprofien, um bie Hochebene zu erflinmen,
auf welcher vie Feſtung liegt.
Das tapfere Regiment formirt fi unter bem
fuchtbarften Teuer. Man ſtürmt, und bald ift der
Plat genommen. Nur Hundert zurüdgebliebene Ty—
roler Schüßen werben gefangen genommen; bie Be-
fatung hat die Feſtung geräumt und zieht ſich nad
Innsbruck zurüd.
Der Marfchall, welcher dies vorausgefehen, hatte
aber bereit8 eine Heerabtheilung abgefandt, um bie
Strafe nah Innsbrud abzufchneiden. Die Deft-
reicher kommen an und wollen fi um jeden Preis
durchſchlagen, als ihnen plöglih das neunundfechzigfte
Negiment, welches die Yeftung genommen und auf
dem Fuße gefolgt ift, in den Rüden fällt, fie zwi—
Ihen zwei Feuer bringt und zur Uebergabe zwingt.
Die Franzofen machten actzehnhundert Gefangene
und eroberten funfzehn Kanonen,
Mahal Ney zog in Innsbrud ein, wo er
fechzehntaufend Flinten, große Pulver- und Gejhütes-
vorräthe erbeutete. Hier fand ein das franzöſiſche
Ehrgefühl außerordentlich erhebender Auftritt ftatt.
In einem der früheren Feldzüge der Franzoſen gegen
die Deftreicher hatte das fechsundfiebenzigfte Regiment
zwei ahnen verloren. Durch einen Zufall nun wur—
den diefe beiden ahnen im Zeughaufe von Inn 9-
brud wieder gefunden. Die Nachricht verbreitete ſich
mit Bligesfchnelle unter den Soldaten. Alles ftürzte
&
52
_ herbei, dieſe foftbaren Finblinge, deren Berluft man
fo ſchmerzlich empfunden hatte, zu betrachten und zu
berühren. Marfhal Ney theilt die Freude feiner
Zapfen. Er läßt das Regiment unter die Waffen
treten und giebt ihm mit Feierlichkeit feine alten
Fahnen wieder. Alte und junge Soldaten ſchwören
mit Thränen in den Augen, daß fie taufenpmal lieber
umkommen wollen, als biefe Fahnen zum zweiten
Dale verlieren.
Nach vierundzwanzig Stunden Ruhe bricht der
Marſchall wieder auf, nimmt Botzen und bewirkt
die Vereinigung des Heeres von Italien mit der
großen Armee.
So dringen auf einem ungeheuren Raume ſämmt⸗
liche franzöſiſche Armeen gegen die Kaiſerſtadt Wien
vor. Die fünfundzwanzigtauſend Mann, welche Erz-
herzog Ferdinand noch vor Umgüngelung Ulms
aus diefer Stadt geführt hatte, um mit ihnen längs
der Grenze des fränkiſchen Kreifes Böhmen zu er-
veihen, waren von den Marſchällen Murat und
Lannes nah mehren Gefechten faft gänzlich aufge
vieben worden.
AS Napoleon davon erfuhr, fagte er:
„Das war der Gnadenſtoß. Ich hoffe, man wird
lange Zeit nicht wieder von Deftreihern ſprechen hö—
ven. — Nun, meine Herren Ruſſen, ftehe ich ganz zu
euerm Befehl.“
Obgleich die ruffifche Avantgarde ſchon bis Pa f-
fau vorgebrungen war, fo entſchloß fih doch Ku—
tufow, welcher das erſte große Heer- befehligte, nad)
ben Nachrichten von Ulm, zu einer rüdgängigen
Bewegung, um fid) mit der zweiten Armee unter Ge⸗
neral Burhövden, die noch ziemlich weit zurück
I” zu vereinigen.
53 /
Prinz Murat, welcher mit feiner Cavallerie ftets
der Armee voranftürmte, hatte am neunundzwanzig-
ſten October eine öſtreichiſche Nachhut angetroffen.
Es kam ſogleich zum Gefecht. Eine ruffiide Divi—
fion, die in der Nähe lagerte, zog den Deftreichern
zu Hülfe Die Franzoſen erhalten Succurs durch
eine Divifion vom Corps des Marihall Davouft.
Deftreiher und Rufen werben gefchlagen und mit
Hinterlaffung von einigen hundert Gefangenen in Un-
ordnung zurädgeworfen.
Dies war das erfte Mal, wo in dieſem Feldzuge
Franzoſen und Rufen zufammentrafen.
Am zweiten November befanden fih Bernadotte
in Salzburg, Davouft in Lambach, Soult in
Wels, Tannes in Linz, Marmont umging bie
Stellung an ver Ems.
Napoleon glaubte, die Kuffen würden in St.
Pölten Stand halten, um Wien zu deden. Er ent-
fandte daher den Marfhall Davouſt nah Steyer,
um das feindliche Heer zu umgehen; der Erfolg er:
wies diefe Vorausſetzung als irrig. Kutuſow gab
Wien Preis und ging bei der Brücke von Stein
auf das linke Donauufer über.
Indeß war die Bewegung Davouſt's für die
Franzoſen nicht ohne Nutzen geweſen. Bei Maria—
zell ſtieß er auf ein öſtreichiſches Corps unter Ge—
neral Meerfeld. Nach einem lebhaften Gefechte
blieben viertauſend Gefangene in den Händen der
Franzoſen, ſechzehn Kanonen und drei Fahnen. Der
Reſt des öſtreichiſchen Corps ward zerſtreut und Ge—
neral Meerfeld gezwungen, ſich mit dem Reſte ſei—
ner Reiterei zu retten. Marmont rückte in Leo—
ben ein.
In der Nacht: vom ſiebenten zum achten Novem-
54
ber erſchien der öftreichifche General Giulay, vom
Kaifer Franz abgefhidt, vor Napoleon, um auf
einen Waffenftillftand anzutragen. Diefer Antrag ward
abgewiefen, doch gab der franzöfifche Kaifer dem Ge—
neral an Franz den Zweiten ein Schreiben mit,
worin er fi) zu Unterhandlungen für eine enbliche
Ausgleihung bereit erklärte.
Nachdem Napoleon in Linz Abgeorbnete bes
Senats und einen Beſuch des Königs von Baiern
empfangen hatte, verlegte er fein Hauptquartier nad
der berühmten Abtei Mölk, welde vomantifh an
der Donau gelegen. Am Dreizehnten war er in Gt.
Pölten.
Der Marfhal Mortier, für den der Kaifer ein
neues Corps, beftehend aus den zwei Divifionen Du:
pont und Gazan, gebildet hatte, war bei Linz
über die Donau gegangen, um am linfen Ufer dieſes
Fluſſes hinab zu marfhiren. Der General:Ouartier-
meifter der ruffifchen Armee, die, wie erzählt worden,
bei Stein die Donau überfchritten hatte, war davon
unterrichtet worden, daß ein franzöfifches Corps auf
ber Straße, welde am linken Flußufer - binabläuft,
heranziehe. Er ließ dieſes Corps bis Dürrenftein
vorrüden, in der Hoffnung, es zu umzingeln und
gefangen zu nehmen. Bet der Natur des Bodens
jhien dieſe Hoffnung unausbleiblih in Erfüllung ge-
ben zu müflen. Als die vereinzelte Divifion Gazan
herbeifommt, wird fie ſogleich angegriffen. Sie leiftet
indeß dem Feind einen fo bewunderungswerthen Wi-
berftand, daß fie ihm ſechs Fahnen und fünf Kano-
nen abnimmt. Indeß ift ihre Tage noch immer fehr
mißlich. Der xuffifhe Obergeneral hat hinter den
bufchigen Anhöhen von Dürrenftein ein Heer von
zwölftaufend Mann herangezogen, weldes die fran=
N
55
zöſiſche Divifion abſchneiden und vernichten fol. Mor.
tier: und Gazan fhidten einen Orbonnanzoffizier.
nad dem andern an die Divifion Dupont, welde‘
noch zurüd ift.
Die ruſſiſche Heerfäule, welche die Divifion © a:
zan jest wirfli umgangen hat, marſchirt ihr von
zwei Seiten zugleich entgegen. Es bedurfte nur noch
eines Augenblidd, und vie tapfere Divifion wurde
von der Mafle der Feinde ervrüdt. In dieſer Ver-
legenheit thut ein Obexoffizier, ver Major Henriod,
einen :rettenden Vorſchlag. Er machte nämlich bes
merflih, daß ber obere Weg, auf weldem ver grö-
Bere Theil des ruſſiſchen Heeres anrüdt, ſehr eng
und auf beiven Seiten mit einer Mauer von fünf
Fuß eingefaßt ift; daR eine ungeheure Maſſe von
Menihen auf dieſem Wege ſich prängt, daß wenn
man auf diefe fich wirft, man-fie auf einander ftürzen
fann, fo daß bei dem Drude der beiven Enven auf
die Mitte, eine fürchterliche Unordnung unter dem Feinde
entftehen muß und ein ficherer Erfolg für die Fran—
zofen zu erwarten ift.
Marſchall Mortier faßt den Gedanken auf. ‘Der
Angriff erfolgt auf der Stelle, indem man bie Divi-
fion in Züge abtheilt. Der erfte Zug feuert in Büch—
ſenſchußweite auf die ruſſiſche Heerfäule, dringt als-
Dann mit dem Bayonnette vor, während ein zweiter
und dritter Zug, die immer andere erſetzen, dem Feinde
feine Zeit zur Beſinnung lafjen.
Nach drei Biertelftunden eines fürchterlichen Ge—
metzels ift die Verwirrung unter den Ruſſen fo groß,
daß die Truppen in der Mitte, zerquetfcht durch die
Borhut, die mit Gewalt zurüdvrängt, und durch die
Nachhut, die fie vor fi herdrängt, fein anderes
Mittel haben, als die Mauern rechts und links zu
8
56
erklettern und ſich in wilder Unordnung zu retten.
Die Dunkelheit der Nacht, welche den Franzoſen
günſtig iſt, weil ſie den Feind den wahren Grund
ſeiner Niederlage verbirgt, erlaubt ihm nicht, von
neuem Stellungen zu faſſen. |
Die franzöftfhe Divifion hat Alles, was ſich vor
ihr fand, vernichtet; in die Flucht getrieben und ift in
Dürrenftein eingebrungen, als Major Henriob
auf einmal Kleingewehrfeuer vernimmt. Er rüdt vor
und ein Hagel von Kugeln begrüßt die Spitze feiner
Heerfäule.
„Friſch auf!” ruft er, „ hundertſtes Regiment,
das ſind Ruſſen, keine Schonung!“
Auf diefen franzöfifhen Zuruf antwortet auf der
Stelle ein anderer in berfelben Sprade:
„Wir find von Dupont's Divifion! Seid will-
fommen, wir glaubten Euch Alle gefangen.’
Groß mar der Jubel, als fi die beiden Divi—
fionen wieder vereinigten, von denen die eine nur
burch ein Wunder dem Untergange entgangen war.
Doc diefer glänzende Erfolg war theuer erfauft
worden; die Divifion Gazan hatte zwölfhunbert
Todte, Verwundete und Gefangene und foger brei
Adler, die erften in dieſem Feldzuge, eingebüßt. Der
Berluft der Rufen belief fih auf fünftaufend Mann,
worunter breizehnhundert Gefangene.
Der Kaiſer verfäumte nicht, der Diviſion Gazan
verdiente Lobſprüche zu ertheilen, während er dem
Prinzen Murat, dem nur fortwährenn Wien im
Sinne lag, Vorwürfe machte, feine Befehle nicht be-
folgt und fo mandvrirt zu haben, um den Marſchall
Mortier unterſtützen zu können.
„Mein Wille,“ hatte er Murat durch Berthier
57
ſchreiben laſſen, „ift nit, daß man fid, wie Finder
auf Wien losftürze.‘
Die Armee des General Kutuſow marfdirte
nordwärts nah Brünn, um fich mit der ruffischen
Hauptarmee, welche bei Olmütz angelangt war, zu
- vereinigen. Hier traf auch fpäter ver Kaiſer Aleran-
ber ein.
Nachdem die Ruffen auf diefe Art aus dem Wege
geräumt waren, drang die große Armee gegen Wien
vor. Am eilften November rüdte Murat mit der
Avantgarde daſelbſt ein. Napoleon flug fen
Hauptquartier in dem nahegelegenen Schloſſe Schön:
brunn auf.
So war denn ein großed Ziel errungen, bie
Hauptitadt des öftreihifchen Reichs befand fih in
feinbliher Gewalt. Die Beſetzung Wiens pur
franzöſiſche Truppen ging in aller Ruhe vor fid.
Die Einwohner waren von ihrem Kaifer felbit auf-
gefordert worden, feinen Widerſtand zu leiften, und
die gemäßigten Mafregeln Napoleon's, welder
feinen Soldaten die größte Achtung für Eigenthum
und Perfonen einfhärfte, ftellten das Vertrauen bald
wieder her, fo daß gleih am folgenden Tage alle
Gefhäfte, die faft nur aus Neugierde unterbrochen
worden waren, ungeftört fortgefeßt wurden. Der
deutſche Kaifer hatte fih in's vuffifhe Hauptquartier
begeben.
Ungeheuer waren die Vorräthe, welche durch die
Befisnahme Wiens in die Hände der Franzofen
fielen. Dieſer große Mittelpunft des Reichs enthielt
allein zweitaufenn Stück Geſchütze, hunberttaufend
Flinten, ſechshundert Gentner Pulver, jechshundert-
taufend Stugeln und hundertfechzigtaufend Bomben.!,
Der Erzherzog Carl, anftatt daß er hätte vor-
58
rüden follen, um die Hauptſtadt zu deden, war be=
müht, Ungarn zu erreihen. Sogleih fandte Napo-
leon Truppen nah Preßburg, um eine. Bereini-
gung der öftreichifchritalienifchen Armee mit den Ruſ⸗
fen zu verhindern. Die Marfhäle Marmont und
Mortier hielten die Straßen von Ungarn und Ita= -
lien beſetzt.
Aber trotz dem ſich die Hauptſtadt Oeſtreichs in
Feindes Hand befand, fo war das Schickſal der Mo-
nardhie noch nicht entſchieden. Die beiden ruſſiſchen
Hauptarmeen und die Trünmer der öftreihifhen Ar⸗
mee, breißigtaufend Mann ftark, bezwedten eine Ber-
einigung, um für die zahlreichen Niederlagen Rache
zu nehnten.
Napoleon zögerte keinen Augenblid, mit feinem
Heere gegen den ruffifchen Koloß aufzubrechen.
Viertes Kapitel,
„ Mein Herr kaiſerlich-königlicher Kanonier vom
vierten Regiment, wollen Sie wohl die Gewogenheit
haben und dieſe beiden gewichtigen Scheite da in
den deutſchen Kachelofen ſchieben, ich glaube, das
wird in Betreff eines erhöhten Wärmegrades nicht
ohne Nutzen ſein. Alsdann nehmen Sie wieder Platz
und wir ſprechen weiter.“
Dieſe Worte ſprach Herr Morland, ver Ser-
ggint der Gardegrenadiere, zu dem jungen Napo—
leon Maillebois, dem Artilleriften, welcher gelom=
59
men war, dem Deteranen in feinem Quartier zu
Wien feine Aufwartung zu machen.
Der junge Napoleon war auf der Kriegsfchule
zu Saint Cyr bereits hinlänglich an militairifche
Disciplin gewöhnt, jo daß er fogleih wie ein Blitz
auffuhr, um den Wunfch des Höhergeftellten auf Das
Pünftlichfte in Ausführung zu bringen. Er ſcharrte
mit einer eifernen Krüde die glühenven Kohlen zu-
ſammen, legte trodne Spähne darauf, und auf dieſe
die afl- und kienreichen Holzflüden, dann blied er
durch das fleine Ofenthürlein und bald ftanden bie
Sceite in prafielnder Flamme.
Alls der Sergeant das wohlthuende Gepraflel ver
nahm, ftrih er fih den Bart und fprad: „So ein
deutfcher Ofen ift etwas werth, er ift für dieſen aſch⸗
grauen Novemberhimmel wie gefhaffen. In Egppten
wär er nit an Ort und Stelle.‘
„Da mag’s heiß fein,” fprach der junge Mail-
lebois.
„Das iſt eine von denjenigen Bemerkungen,“ er⸗
wiederte Morland, „die Deiner Einſicht, kaiſerlich⸗
tönigliher Kanonier vom vierten Regiment, zur
Ehre gereihen. Allerdings, es ift fehr heiß in bie-
ſem Lande.” |
„Und in Deutfchland um fo fälter,” verjeßte der
Artillerift. |
„Rotabene, im Winter,” erklärte kenntnißvoll der
Beteran, „bie Sommer bier zu Lande find warın
und mild.“
„Uebrigens,“ fuhr er nah einer Paufe fort,
währenn Napoleon's Blide mit Chrfurdt an fei-
nen Rippen hingen, „fragt der Soldat weder nad)
Sommer noch Winter; alle Jahreszeiten find ihm
60
gleih, wenn es gilt, ‚bie Feinde Frankreichs und des
„ Raiferd zu vernichten.”
„Da, die Ruſſen!“ vief ber Artilleriſt mit Feuer,
„ich wünſchte, ich hätte fie alle wor meinem Sechs—⸗
pfünder, he, das ſollt' eine Luft fein!‘
„Rur Mäfigung, junger Mann,” ftrafte Mor-
land mit ruhiger Weberlegenheit, „nicht Tappen in's
Blaue. Erſt Strategie, Flankenmärſche, Cernirung,
dam cent pièces du canon auf einen Punkt, und es
kommt Keiner davon. Darauf verlaß Dich, mein
Sohn.“
„Wird es denn nicht bald zur Schlacht kommen,
mein Herr Sergeant?“ frug Napoleon.
„Wir wollen ſehen, je nachdem,“ ſprach Mor-
land, fich ſiegesſicher auf dem Sopha ausſtreckend.
„Wie mir geſtern Seine Majeſtät vorkam, ſo ſcheint
Sie mir die Idee zu haben, die Ruſſen gefangen zu
nehmen, wie ein Bolt Staare, und zwar ohne viel
Bataille.“
„Alſo wie bei Ulm die Deftreiche, “ſprach ber
Kanonier.
„Sehr richtig!‘ erwieberte der Veteran, „mie bei
Ulm bie Deftreiher. Die Garde bat in dieſem
nichtsnutzigen, aber glorreihen Feldzuge noch feine
Patrone verſchoſſen. Da liegen wir nun in Wien
und ber Kaifer hat jo zu jagen ganz Deftreih fammt
feiner Armee in der Taſche.“
„Unfere Batterie hat fchon zweimal auf die Ruf
fen gefeuert,” verfette Napoleon.
„Bagatelle,“ grämelte ver Veteran, „hat nichts
zu bedeuten, kann nicht in Betracht gezogen werben
bei einem Feinde, der nicht Stich hält.’
Der alte Grognard, dem es ärgerte, daß fich ber
kaum ver Kriegsfchule entlaufene Artillerift etwas
61
Darauf zu gute zu thun fchien, auf die retirirenden
Ruſſen eine Kanone abgefeuert zu haben, hielt es für
feine Pflicht, dem Quaſirekruten etwas den Daum
auf’8 Auge zu drücken und ihn feine fuborbinicte
Stellung fühlen zu laffen.
„Mein Herr Ffaiferlich-königliher Unterfanonier
vom vierten Regiment,“ begann er, „wollen Sie wohl
gefälligft noch einmal ihr toupirtes Haupt, das fi
troß des Pulverdampfes Ihrer tapfern Batterie ziem-
lih conjerwirt bat, in die Kochröhre ſtecken, und nad-
ſehen, ob mein Töpfchen mit Waller noch nicht zu
brodeln Anftalt trifft?“
Der Unterkanonier that wie ihm geheißen und
berichtete, daß das Waſſer bereits anfange, Blaſen zu
werfen. |
„Schön,“ ſprach Morland und ftopfte ſich eine
Pfeife. Der Xrtillerift, fo wie er dies gewahrte,
fprang fogleih nad einem Fidibuſſe, weldhen er an-
brannte und mit folvatiiher Grandezza und Dienft-
beflijjenheit dem Veteran überreichte.
Dem Grenadier, obfhon er fie vollflommen in
ber Ordnung fand, gefiel diefe Art und Weile an
dem Sohne feines alten Zeltlameraden. Er ließ von
jest daß „Unter“ bei Kanonier jhinweg und nahm
mehr eine väterlihe Haltung gegen den jungen Sol—⸗
daten an,
„Madame Maillebois,“ frug er, feine Pfeife
in Brand ftedenn, „befindet fih doch vollkommen
wohl?“
„sa, mein Here Sergeant,” erwiederte Napo—
leon, „fie litt zwar diefen Herbft etwas am Yieber,
doch ift fie jetzt vollkommen bergeftellt.”
„Freut mic,“ verjeßte der Veteran, „und ber
Herr Vater?“
62
„Ei der ift ummer auf dem Plate,” ſprach der
Kanonier, „ver wäre lieber mit in’8 Feld gezogen.“
„Ich tenne ihn,” meinte der Garbift, „er war
nicht der Leste im Gefecht. Und die Herren Brü-
der?” fuhr er fort.
„Der Armand,” berichtete Napoleon, „hat
e8 noch mit den Schwarzen zu thun uf Sanct
Domingo, und der Guiſeppe ftcht auf dem
Pluto, Schiffscapitain Cosmao, Station Cadir,
welches ein fehöner Hafen ift, an der Südſpitze von
‚ Spanien gelegen.”
Der Kanonier ahnete nicht, daß er mit ben let-
ten Worten wieder eine große Unvorfichtigfeit gegen
den Veteranen fih hatte zu Schulden kommen laffen.
Morland war nämlich gegen Nichts fo empfind-
Ich, al8 gegen jede Art Belehrung, die ihm zu er-
theilen fich ein, jüngerer Militär den Anfchein geben
wollte. Der Veteran war fih nur zu gut bewußt,
daß‘ es mit feiner Schulgelehrjamfeit nicht weit her
war. Machte fih nun ein jüngerer Soldat mit fei-
ner erlernten Weisheit etwas breit, fo fah Morland
darin einen verjtedten Angriff. Darum war ihm auch
Nichts fo verhaft, als die neuern Kriegsfchulen, wo die
jungen Krieger eine eben fo wiſſenſchaftliche wie practi=
ſche Ausbildung erhielten. Dergleihen junge Sol:
daten, hauptfählih wenn fie ihre Kenntniſſe ein we—
nig mit Abfiht blicken Tiefen, waren dem Gardiſten
daher in der Welt nichts weiter, als junge Laffen,
eitle Räſonneurs, Nelintintins, die erft Pulver rie-
hen follten, tie mit ihrer aufgeblafenen Gelahrtheit
feinen Hund vom Ofen Iodten und damit weder das
graue Egypten noch das goldene Italien erobert ha=
ben würden; und fämmtlihe Grognards ftimmten
hierin dem Sergeanten Morland, der in biefer
Pa N
63
Angelegenheit gewöhnlich den Sprecher machte, voll
fommen bei.
Daher konnte der Kanonier mit feiner geographi-
ſchen Definition: „Cadir“, ein fhöner Hafen, an
der Südſpitze Spaniens gelegen,” gar nicht übler an-
fommen, als bei Morland. Zum Unglück mußte
legterer bei der Yahıt nah Egypten durch einen
Sturm jelbft nah Cadir verſchlagen worden fein.
Alfo er, der mit feinen höchft eigenen Füßen auf den
Wällen von Cadir auf und ab promenirt war,
der Intimus des Kaifer Napoleons, er, welder in
Alten, Africa und Europa für Frankreichs Ruhm
gefohhten und in Prari mehr Geographie burchge-
macht hat, als ein Profeflor im längſten Semefter,
mußte ſich jegt von fo einem, faum der Schule ent:
laufenen Relintintin jagen lafien, daß Cadir ein
ſconer Hafen und an der Südſpitze von Spanien
ege.
Er blies eine Zeit lang feinen Ingrimm in gewal-
tigen Rauchwolken von fih. Dann fprah er mit
majeltätiihem Phlegma:
„Als ic eines Tages die Umgegend des ſchönen
Hafens von Cadix durchwanderte, welcher, wie Sie
jehr richtig bemerken, an der Südſpitze von Spanien
liegt, fielen mir die prächtigen Hafelgebüfche auf, vie
bort im reihen Maße wachſen. Der Menih bat
feine Einfälle; ich wollte mir einige Gerten abjchnei-
den und fie meinem Freund Maillebois mit neh-
men, welcher mir immer in den Ohren gelegen, daß
mit feinen Rangen in Merville kein Auskommen
fei. Für Sie, mein Herr, und PVice-Supernumme-
rar-Anhängfel der großen Armee und für Ihr kaum
fihtbares Körperhen wäre damals wohl ein zartes
Birkenreis hinreichend geweſen.“
64
Der Kanonier war wie vom Donner gerührt. Er
fah jett ein, daß er den gewaltigen Tlügelmann ver
alten Garde beleidigt und wußte im erften Schred
nit, wie er den Tehler wieder gut machen jollte,
Es trat eine fehr ſchwüle Paufe ein. Napoleon
fann ängftlid darüber nad), wie er den Erzürnten wie«
der verfühnen könne und ſprach:
„Der Vater hat mir viel von Ihren Seefahrten
erzählt, Herr Sergeant.”
„Ale,“ fuhr Morland vol gerechtem Unwillen
heraus, „mußte man mehr Zaft befiten und mid
niht wie eimen Quintaner belehren wollen. Ber:
ftanden ?
„Das hab’ ih ja auch nicht gewollt, mein Herr
Sergeaut,“ ſprach in bittendem Zone der Kanonier.
„Zelt,“ polterte Morland weiter, „ift eine
Hauptſache beim Soldaten, den lernt man aber nicht
auf der Schulbank. Gelehrte Solvaten find in ber
Welt nichts nüge. Wollen oben hinaus und ftoßen
überall an. Wir fehen’8 an dem Armand, fchwagt
wie ein Papagei allerhand Zeug, deutjch, britifch, was
weiß ich, wußte fi was Rechts damit, num fiht er
unter den Heiden, breitaufend Meilen von hier. Ich
wußte, daß es fo kommen würde.
„Ja,“ fuhr der alte Kriegsmann, nachdem er
feinem Aerger Luft gemacht hatte, um Vieles milder
fort, „wenn ih mir da den Guiſeppe denfe, das
it der Soldat, wie er fein muß, ganz der Alte, wie
er leibt und lebt; hat auch nicht viel gelernt, die
Wiſſenſchaften und confufen Ideen machen ihm ven
Kopf nit ſchwer; hat mir oft erzählt, der wadere
Kerl, wie er von dem Schulmeijter von Merville
immer die meiften Prügel befommen; drum wird audı
was aus ihm. Der geht drauf und dran, wenn's
69
gilt, und wankt und weicht nicht, eben weil er nicht
als gelehrtes Thier vorher lange ſimulirt.“
„Ich bin aud kein Gelehrter,“ geftand ber Ka⸗
nenier, um ſich bei dem Gardiſten wieder etwas in
Sunft zu ſetzen.
„Das wäre ſchon was,” ſprach Morland bei
Weilem ruhiger.
„Und wenn uur die Ruſſen Stand hielten,“ fuhr
Napoleon beberzter fort, „Ihr folltet fehen, Herr
Sergeant, daß ih fo gut wie Guiſeppe mit
drauf gehe.“
„Bei meinem Barte,“ meinte Morland, „wie
. ih den Guiſeppe kenne, viel kühner Muth. Nun,
wir werben fehen.”
„Bei unfern Pıügeleien 'mit den Iungen zu Mer-
ville, * fügte der Kanonier zu größerer Beglaubi-
gung feiner Worte hinzu, „waren Guifeppe und
ih immer die Lebten auf dem Plage.“
„Seht 'mal an,” nidte Morland, „und Mon-
ſieur Armand, der fpielte wohl den VBornehmen ?”
„Als wir unfre Bataillen lieferten,” erzählte Na=
poleon, „war ber ſchon auf dem Lyceum.“
„Ah fo,“ verlegte der Gardiſt, „und lernte deutſch
und arabiſch, penfyloanifh, cannibaliſch und wie bie
verſchiedenen Mundarten alle heißen. Nun, ex kann
nun Spracmeijter werben unter den Schwarzen.“
Der Kanonier, wie lieb er feinen älteften Bruder
hatte, wagte doch nicht die ſchönen Kenntniffe deſſel⸗
ben gegen den ver Gelehrfamfeit abholden Mor-
land in Schuß zu nehmen. Er begnügte fi mit
der Bemerkung, daß e8 Armand an Tapferkeit ge-
wiß nicht fehle.
„Mag aud darnach fein, diefe Tapferkeit, mein
Sohn,“ fprad der Grenadier, „ih weiß, was es
Stolle, fämmtl. Schriften. XXU. 5
66
damit auf fih bat. Weit vom Schuß ift gut Hüt-
ten bauen; nicht wahr? Mußten wir in Eggpten
die Teberfuchfer nicht ftet3 in bie Mitte der Quar⸗
reed nehmen und fie mit unfern guten Bahonnetten
gegen die Damascener der Mamelucken decken? Eſel
und Gelehrte in die Mitte, das war Sprihwort. Das
ift ja eben der Jammer, baß ber Kaifer fo viel auf
dieſes Bolf giebt. Sie rangiren bei ihm ja zum ©a-
tan noch vor der alten Garde.“
Ter Artilerift fand das, Morland zu Sefal-
len, ebenfalls unverantwortlid, Er ging fogar fo
weit, einige bittere Bemerkungen über den Gelehrten-
ftand laut werden zu laſſen und erhob den Krieger⸗
ftand bis zu den Wolfen. Das gefiel dem Be-
teranen.
„Du haft ein Einfehen, mein Sohn,” ſprach er,
„Deine Ideen find Kar und faßlich. Doc ſchwei⸗
gen wir von dieſen Scafsfüpfen, ben. Gelehrten,
ein braver Soldat foll gar nicht fo viel Redens da;
von mahen Sag’ mir lieber, faiferlicher-Fönigli-
her Kanonier vom vierten Regiment, wie Du die
faiferlichebeutihen Mädchen findeft in der Haupt- und
Reſidenzſtadt Wien? Nach meinen bejahrten fna-
fterbartigen Anfichten jcheinen verdammt hübſche Din-
ger da draußen herum zu laufen. Denke Dir, fai-
jerlid: föniglicher Kanonier vom vierten Negimente,
gudt geftern ein höchſt vorzüglicher Lockenkopf mit
ausgemacht ſchönen Augen und einem höchſt ſchätzens⸗
werthen Grübchen im Kinn und einem füperben Lä⸗
cheln zu meiner Thür herein, welche halb offen ſtand
und rief: „Je vous salue, mon cher Sergeant!“
Ale Wetter, vor allen iſtreichiſchen Kanonen bin ich
nicht erſchrocken und wären fie in meiner Taſche los-
gegangen; aber bei dem „je vous salue“ fuhr ich zu—
67
fammen und wußte nicht wie mir gefhah. Ich er-
mannte mic endlich und wollte gegen den ungewohn-
ten Feind Pofto fallen, aber da war er fchon über
alle Berge. Das war eine der Tiebenswürbigften
Heren, die mir in Europa, Afien und Afrika vorge-
kommen; ich war einen Augenblid fogar ſchwach ge=
nug, den Wunſch zu hegen, nod der jungenGarde
anzugehören, obſchon ich dieſe Gelbſchnäbel nicht lei—
den kann.“
Der Kanonier erzählte nun ſeinerſeits, daß ſeine
Wirthstöchter leibhafte Engel wären, nur daß ſie
feine Flügel hätten. Er beneide Armand um fein
Deutia.
„Run was hilft ihm feine gelehrte Büffelei,“
frug Morland, „mitten unter den Kaffern?“
Napoleon bradte das Geſpräch wieder auf bie
Wienerinnen.
„Allerdings,“ geftand der Gardiſt, „Barbarinnen
bleiben fie darum immer im Vergleich zu unfern
Tranzöfinnen; aber ich liebe die Barbarei.“
„Auch die Herren Wiener find ganz foharmante
Leute,” fuhr Morland fort, „vie hätten uns ge=
wiß feinen Krieg erklärt, wenn ed auf fie anfame.
Ein Iuftig, lebensfrohes Voll.
„Waren Sie jhon im Prater, mein Herr Ser-
geant?” frug der Artillerift.
„Noch nicht,‘ erwiederte Morlann.
„Das ift ein Leben, faft wie auf den Barifer
Boulevards,“ erzählte Napoleon.
„Wie gefagt, die Wiener wiffen zu leben,” meinte
der Beteran der alten Garde. „Doch da ift die Nach—
wittagfonne gar verlodend hervorgetreten aus ben
grauen Novembernebeln; wie wär's, wenn wir eine
Heine Promenade madıten? Wollen wir von ber
3 *
68
Parthie fein, mein Herr Kanonier vom vierten Re-
gffuent 2”
Napoleon fand fi außerordentlich gefchmeichelt
durch dieſe Worte des Garbiiten.
„Kann mir nur zur großen Ehre gereichen,” ver-
fegte er, „an Eurer Sere zu wanbeln, mein Herr
Sergeant.”
„Wohlen,“ fuhr der Veteran fort, „jo wollen
wir aufbrechen.”
Die Riefengeftalt Morland's erhob fih jett
vom Sopha. Er z0g eine ganz neue weiße Pique-
weile an, welche unter dem Dunfelblau ver feinen
Uniform ftattlih herworleuchtete, hing feinen Säbel
um und ftülpte die martialifhe Bärmütze auf den
Kopf. Der Kanonier erſchrack ordentlich vor dem ge-
waltigen Kriegsmann. Er mußte aufwärts bliden,
wollte er den kaiferlichen Garpiften in feiner ganzen
Pracht und Herrlichkeit überſchauen.
„Komm, mein Sohn,” ſprach Morland, zum
Kanonier, als er mit feiner Toilette zu Ende war,
und die Beiden fliegen auf die Straße hinab. Na-
poleon wandelte wie ein Knabe neben dem bärtigen
Goliath.
Kaum aber waren die zwei Franzoſen ein paar
Schritte die Gaſſe entlang gegangen, als alsbald ein
Haufe jugendliche Gaſſenbevölkerung daneben her-
trabte.
„Franz, Anton, Joſeph, Stephan,“ mur—
melte es von nllen Seiten, „ſieh 'mal ven großen
Gardemann — ei du mein Gott, iſt der groß — ge—
wiß ein Feldwaibel — nein, ein Offizier — was
denkſt du denn, das iſt der Tambour-Major — ſeht
mal den Bart — und der Kleine daneben — das
69
ift ein Huſar — ich dächte gar, ein Schüge ifi's, —
ein Zirailleur — ei wie freundlich.“
Ale Leute blieben ftehen und fchauten dem in»
tereflanten Baare nadı.
„Seht 'mal, Herr Sergeant,” ſprach der Kano⸗
nier, „die vielen Affihes, die der Kaiſer überall
hat anfchlagen lafjen.”
Morland, der, da er weder lefen noch fchreiben
fonnte, einen großen Widerwillen gegen alles Ge-
Ihriebene und Gedruckte hatte, mochte von ben An-
ſchlagzetteln nichts wiſſen.
„Was wird's fein,“ ſprach er, „Polizeigeſchichten.
„Die Wiener,“ erklärte Napoleon, der die Zet—
tel geleſen hatte, „ſollen ſich hübſch ruhig verhalten
und keinen Spectakel anfangen, und die franzöſiſchen
Soldaten würden die ſtrengſte Disciplin üben, Per—
fonen und Eigenthum heilig achten.”
„Ich begreife nicht,” verfegte Morland, „wozu
man Dinge druden läßt, die fih von felbft ver.
fteben.“
Während fi der Gardegrenadier noch mißbilligend
über diefe gedruckten Maueranfhläge ausſprach, ent=
ftand plötzlich ein außergewöhnliches Hin= und Her-
laufen und aus der Terne erfholl ein taufendftimmi-
ges „Vive l’empereur!“
Der Kanonier gerieth bei dieſem Rufe faft in
eben fo große Aufregung als der Volkshaufe, melcher
über Hals und Kopf der Gegend zuftürzte, von wo
das „Vive l’empereur‘‘ hertönte.
„Der Kaifer, der Kaiſer kommt,“ rief Napo«
leon und wollte ven Sergeanten haftig mit fid) fort-
zehn. |
„Keine Thorheit,“ erwiederte Morland, ohne
feinen Schritt im Geringſten zu verändern, „nad
70
dem Kaiſer zu rennen, ift Sache der Relintinting,
ber jungen Confcribirten und des Civil: bie Garde
wartet, bis er fommt.“
Das Geſchrei warb immer betaãubender. und bald
bog der Kaiſer Napoleon im grauen Ueberrocke und
auf dem Schimmel reitend, nur von Rapp und Sa—
vary gefolgt, um die Straßened. Morland und
ber Sanonier, welchem letstern nicht wenig das Herz
Ihlug, machten jett Halt und ftellten fih parademä⸗
Big zur Seite auf und legten falutivend die Hand an
ihre militäriſche Kopfbededung.
Der Kaiſer kam berangeritten und als er Mor-
land erfchaute, hielt er fein Pferd an. Ein bezau-
berndes Lächeln ſpielte um ſeinen Mund.
„Nun,“ frug er, „mein Herr Grenadier, wie ges
fallen. .wir uns in Wien?”
„Sehr gut, Ew. Majeſtät.“
„Mit Quartier und Verpflegung zufrieden ?”
"pP arfaitement!“
„Was ift der Wirth ?“
„Ein Bäder, Site!”
„Dat er Söhne?”
” ga!“
„Wie viel?“
„Zwei!“
„Dienen jie?”
"Der Eine nur, der Andre hilft in der Werk⸗
ſtatt.“
„Wie mir es den Anſchein hat, ſo frieren der
Herr Morland etwas.“
„Allerdings, Sire, es iſt nicht zum Wärmſten.“
„Mir iſt vollfenmen warm,“ fprach der Kaiſer
auf feinen Oberrock zeigend.
„Das ift ſehr möglich!“
71
Napoleon's Adlerblick fiel jetzt auf ſeinen Na—
mensvetter, den Artilleriſten, welcher kerzengrade, re—⸗
gungslos und mit verhaltenem Athem neben Mor—
land ſtand.
„Parbleu,“ ſprach der Kaiſer, „ut mir recht, da
ſteht ja der Kanonier, Monſieur Maillebois?“
„sa, Ew. Majeſlät,“ erwiederte der Jüngling
und ſchaute etwas ſchüchtern mit ſeinen großen Augen
zu Napoleon auf.
„Aber wie kommt es,“ fuhr erſtrer fort, „ſchon
fo lange im Felde und noch keine Kanone erobert?“
Der Ranonier, ob diefer Trage etwas verdugt,
fhlug beftärzt die Augen nieder und mußte nicht,
was er erwiebern ſollte. Morland ergriff an feiner
Statt dad Wort und fprad:
„Ew. Majeftät, e8 hat es noch nicht hergegeben.“
Der Raifer mußte lachen.
„Run da halte Did dazu, Kanonier,“ ſprach er,
„daß wir Deinem Vater in Merville bald etwas Ge:
fcheutes von Dir vermelden können. Der Armand
wird auch bald zurüdtommen. Das ift ein ganz bra⸗
ver Franzoſe.“
Und zu Morland gewendet:
„Adieu, mein Braver, ein andermal zieh' aber
Deine Capotte an.“
„Sire, es ſoll geſchehen,“ antwortete der Gar—
diſt; und der Kaiſer ritt vorüber.
Kaum aber war er eine Strecke dahin, als der
Kanonier zu toben anfing und in Verwünſchungen
ausbrach, daß es nicht ſchon morgen gegen die Ruſ—
ſen gehe. Er träumte von jetzt an von weiter nichts,
als von Kanonen, die er den Ruſſen abnehmen wollte.
„Beruhige Dich nur, mein Sohn, ſprach Mor⸗
72
‚ Iand, „Seine Majeftät haben das gar nicht fo ernſt⸗
lich gemeint; Du kennſt des Kaifers Art noch nicht.
„Alſo Monfieur Armand kommt audy wieder?“
fuhr er nad einer Pauſe fort, „hm, was man nicht
hören muß! Ich denke, der ftedt, um fi fein vor=
lautes Wefen abzugewöhnen, mitten unter den Kaf—
fen auf St. Domingo? BBegreife nicht, was der
Kaiſer für einen Narren an viefen hupergelehrten
Menſchen gefreffen hat. Aha, ich verftehe, wird
wahrſcheinlich als Dolmetſcher angeftellt werden. Nun,
ih habe nichts Dagegen. — Aber Kanonier, halt’
zum Satan einmal Dein Maul mit Deiner verdammte
ten ruſſiſchen Kanone. Du denkſt wohl, die kann
man fo mir nichts Div nichts in die Taſche ſtecken?
Profit. Da hat Dir doch nun Seine Majeftät einen
Floh in's Ohr geſetzt. Poſſirlich Kerl'chen, Du und
ein ruſſiſches Geſchütz.“
| „Und id muß doch eine Friegen,” ſprach Napo-
leon mit dem Fuße ſtampfend.
„Schweig,“ gebot der Gardegrenabier, „und be=
tradhte mit Ruhe de den Stephans:hurm, einen fol-
hen Thum befommft Du fobalo nicht wieder zu ſe—
ben. Nicht wahr, der ift ein Mein wenig höher als
ber auf ver Marienfiche zu Merville Das will
ih glauben.”
Die Beiden promenirten noch eine geraume Strede,
endlich aber warb dem Gardiſten die Kälte doch zu
fatal.
„Der Kaifer hatte recht,” ſprach er, „ich hätte
follen meine Capotte anziehen. Er jaß wohl ver-
wahrt in feinem Grauen auf dem Echimmel. Doch
ba kommt eine Neftauration gerade recht; komm, Ka=
nonier, wir wollen und darin ein Wenig wärmen
und ftärken, “
73
Dem Napoleon kam diefe Aufforderrng nicht uns
angenehm. Er verfpürte ebenfalls Hunger und Kälte,
wiewohl die zu erobernde ruffifche Kanone ihn weniger
daran hatte venfen laffen.
Fünſtes Kapitel.
Wahrend noch Napoleon im kaiſerlichen Luftfchloffe
zu Schönbrunn, als Gebieter über den größten Theil
des Abendlandes, der halben Welt Gefete dictirt,
und über bie Karte von Mähren gelehnt, vie Armee
des Czaren vor fi) hertreibt, da rollt plößlich, mit—⸗
ten im Sieg und Elüd von Cap Finisterre ein
betäubenver Donnerfhlag daher; Napoleon erhält
die Nachricht von dem Untergange feiner Marine, von
der furchtbaren Seeſchlacht bei Trafalgar.
Der Leſer wird fid) noch der großen Scene ent-
finnen, wo ver Kaifer in Boulogne die Kunde von
feinem Admiral Billeneuve erhielt, welcher, anftatt
im Canal zu erfcheinen, nad dem Hafen von Capir
fegelte, in Folge deſſen Napoleon's großes Unter:
nehmen gegen England fcheiterte.
Der Kaifer hatte im erften Zorne dieſen Admiral
vor ein Kriegegeriht ftellen wollen und felbft fünf
Anklagepunkte gegen ihn aufgefegt. Bereits war fein
Nachfolger ernannt worden und Admiral Rofily er-
hielt den Befehl nah Cadirx abzureifen, um ven
Befehl über die vereinigte franzöſiſch ſpaniſche Flotte
zu übernehmen.
Billeneuve, welcher davon Nachricht erhielt,
74
hoffte dieſer Schmach zu entgehen und felbft des Kai-
jerd Achtung wieder zu gewinnen, wenn er entweber
glüdlih die ganze Flotte nah Toulon bringe, wo-
durch Franfreih die Herrfhaft über das Mittelmeer
erhalten haben würbe, oder, wenn er bie englifche
Flotte, welhe an den füp-fpanifchen Küften freuzte,
ſchlüge. Er ſchätzte fie nämlich für bei weiten nicht
fo ftarf, als fie wirllich war.
Der Admiral diefer Flotte, der große Nelfon,
batte die Vorſicht gehabt, ſtets nur wenige Schiffe
zufammen fehen zu laffen, und darum glaubte fich der
franzöfiihe Admiral dem englifchen weit überlegen.
Der Plan des erftern, für den Fall einer Schlacht,
beftand darin, jedem feindlichen Schiffe ein franzöft-
fches entgegen zu ſetzen und ungefähr ein Dritttheil
feiner Kräfte zurüdzubehalten, um fie auf diejenigen
Punfte zu werfen, die am Heftigften angegriffen wä-
ven und dadurch den Sieg zu entjcheiden. Er theilte
feine Schlachtordnung in drei Geſchwader, jedes zu
fieben Schiffen. Seine ganze Macht beftand aus
dreiunddreißig Schiffen, achtzehn franzöfifchen
und funfzehn fpanifchen.
Admiral Nelfon befehligte fiebenundzwanzig
Schiffe, folglich ſechs weniger als der franzöfifche Ad—
miral. In der vereinigten Flotte beſaßen die Spa—
nier ein Schiff von hundertundzehn Kanonen und
eins von hundertundvierzig, die berühmte la Santa
Trinmidat, die ſtärkſten franzöſiſchen führten nur acht—
zig. Dagegen gebot der engliſche Admiral über drei
Schiffe von hundertundzwanzig und vier von hundert—
undzehn Geſchützen. Daher ward die Ueberlegenheit
der combinirten Flotte in Betreff der Schiffe auf der
andern Seite durch den Kanonenreichthum ſo ziemlich
ausgeglichen; ungerechnet des Nachtheils einer Flotte,
15
aus zwei Nationen zufammengejett, gegen eine Flotte,
die eine Gleichheit der Beftandtheile, Aehnlichkeit der
Schiffsmannſchaft, des Vefehls und der Manöver für
ſich hatte.
Die Admirale beider Flotten hatten ihren Capi⸗
tainen für den Fall einer Schlacht ihre Anweiſungen
gegeben. Nelfon’s Inſtructionen verriethen den
geiſtvollen Mann, der den Kriegswiſſenſchaften neue
Bahnen eröffnet, Villeneuve's Befehle den gewöhn-
lihen Kopf, der fih im Gleife des Hergebrachten
bewegt.
Am vierundzwanzigſten October verließ die com⸗
binirte franzöſiſch-ſpaniſche Flotte den Hafen von Ca—
dir und formirte ihre Schlachtlinie auf der Höhe von
Trafalgar. Kaum hatte fie aber Pofto gefaßt, als
der englifhe Admiral einen Schlachtplan erjann, wel-
her ver gewöhnlichen Kriegsweiſe auf dem Meere
ganz entgegen war. Er theilte feine Flotte in zwei
Divifionen; ven Befehl über die eine, funfzehn Schiffe
ſtark, übertrug er dem Admiral Collingwoob, bie
andere, aus zwölf Schiffen beftehend, commandirte
er perfönlid). In diefer Geftalt rüdte er mit vollem
Winde an, richtete feinen Lauf gegen einige beitimmte
Punfte ver franzöfifch:fpanifhen Schladhtlinie und
fuchte diefelbe zu durchbrechen.
Billeneuve war nicht ber Mann, der dieſem
genialen, aber tolldreiſee Manöver im Stande ge—
weſen wäre, die Stirn zu bieten. Er verſtand es
nicht, ſeine Streitkräfte gleichfalls zu concentriren,
um den furchtbaren Stößen der engliſchen Dreidecker,
die voranſegelten, gewachſen zu ſein. Der engliſche
Angriff hüllte alsbald Meer und Himmel in ſo un—
durchdringliche Rauchwolken und Feuerflammen, der
Donner von nahe an zweitauſend Kanonen rollte
-
76 ge
| Den
fo betäubend über die Wellen, daß Franzofen und
Spanier die eignen Signale ihres Admiralſchiffs we-
der zu fehen noch zu hören vermodten. Ein großer
Theil der allüürten Flotte blieb dem Kampfe fremd,
und vermochte nicht, den bedrohten Punkten zu Hülfe
zu eilen, während die Engländer ihr Ziel unabwend-
bar im Auge, die feindliche Linie bald durchbrochen
“Hatten. So löſte fid) von Seiten der Franzoſen und
Spanier der Kampf alebald in einzelne Gefechte auf,
während Nelſon ftetS nur mit feiner Gefammtmacht
mandvrirte.
Ueberhaupt würden Frankreich und Spanien an
diefem Tage mehr no als das Materielle ihrer See—
macht verloren haben, wenn zebn bis zwölf "Capitaine
aus beiden Nationen nicht durch die fehönften Züge
des Muthes, trog des Verluſtes, doch die Ehre ge-
rettet hätten.
Unter diefen Tapfern verdienen Auszeichnung der
Contreadmiral Magon, die Capitaine Cosmao,
Courége und Camus, die Aomirele Gravina
und Alava; Billeneuve felbft ein eben fo guter
Soldat als fchlehter Anführer, und befonvers bie
beiden Helden viefes Trauertags, die Capitaine Yucas
und Infernet.
Lucas, der Befehlshaber des Redoutable, ei-
ned Schiffes von vierundfiebzig Kanonen, im Kampfe
mit der Victory, einem Schiffe von hunvertund-
zwanzig Kanonen, auf weldem fih Nelfon felbft
befand, bot dem englifchen Admiral einen feiner eben-
bürtigen Gegner dar. Bon beiden Geiten madıt man
verboppelte Anftrengung zum Enten; man zerichmet-
tert fi) durch Geſchütz und Gewehrfener. Alles ver-
ſpricht dem franzöfifhen Capitain: ven Sieg, als das
engliihe Schiff, der Temeraire, von hundertzehn
77
Kanonen, den Redoutable ven der andern Geite
bedrängend, ihm eine wolle Salve giebt, welche auf
einmal zweihundert Dann zum Kampfe unfähig madıt.
Zwiſchen zwei Dreidecker geflemmt, führt das
franzöfifhe Schiff doch in feiner Bertheidigung fort.
Sein großer Maſt ftürzt auf den Téméraire, ihm
folgen die beiden Marſen. Da bricht das Ded des
Kevoutable duch, die Flammen fchlagen hervor, man
Löfcht fie und kämpft weiter. Vergebli rufen bie
Engländer den Eapitain Lucas zu, fich zu ergeben.
Der Held, obſchon verwundet, antwortet auf dieſe
Aufforderung durch die legten Kanonenſchüſſe und das
legte kleine Gewehrfeuer.
Da naht ein drittes englifches Schiff, welches fich
quer vorlegt. Erft jest, da das Schiff unter feinen
Füßen zu verfinfen droht, giebt der. Capitain nad).
Das Glüd erjpart ihn aber, die Flagge zu ftreichen.
Der Sturz des Befanmaftes, an melden vie Flagge
gehißt ift, bezeichnet den Augenblid, wo vie DVerthei-
dDigung aufhören muß. Der Redoutable ergiebt fid.
Bon ſechshundertdreiundvierzig Mann, melde feine
Beſatzung ausmachten, waren fünfhundert zum Kampfe
unfähig, von dreißig Offizieren dreizehn todt und
zehn ſchwer verwundet. Aber diefer Sieg Tam Eng-
land theuer zu ftehen. Er Eoftete ihm feinen größten
Geehelven, ven Horace Nelfon.
Ein anderer Mann, der Seitend der Franzofen
in dieſer furchtbaren Schlacht feinen Namen in das
goldne Bud) ver Gefhichte fchrieb, war Capitain In—
ternet, welder die Intrepide befehligte. “Diefer
heldenmüthige Offizier hielt ſich eine lange Zeit ge-
gen mehre englifche Schiffe und hatte endlich gegen fünf
berjelben zu gleiher Zeit zu kämpfen. In folden
. Augenbliden kann fih der Muth nur durch die Hart-
18
nädigfeit des Widerſtandes verberrlihen. Er verlor
alle Maften, fah an feiner Seite mehr als die Hälfte
feiner Leute fallen, fügte den Englänvern außerordent⸗
lichen Schaden zu, wehrte ſich bis zum legten Augen-
blide, 618 zu dem Punkte, wo das Schiff zu -finfen
begann und ihm fein Schlachtfeld mehr darzubieten
vermochte. .
Billeneuve batte fih ebenfall® ausgezeichnet,
doch als bloßer Sciffscapitain. Als er die drei
Maſten feines Buccentaner nad und nad hatte
ftürzen fehen, wollte er mit feiner Flagge auf ein an-
deres Schiff übergehen, in ber Hoffnung, den Kampf
zu erneuern und vielleicht mit den zehn unverleten
Reſerveſchiffen zu fiegen. Doch felbft diefes Rettungs—
mittel war ihm nicht geftattet. Sein Boot, von
feindlihen Kugeln überjhüttet, wird durch das Zu—
fammenbrechen des Maſtes zerfhmettert. Cr verlangt
vergeblih ein Boot von dem fpanifhen Schiffe Ia
Santa Trinidat. Man verfteht ihn nit und
läßt ihn ohne Hülfe. Angefchmievet an ein Schiff,
das nicht mehr fechten fann, und der übrigen Flotte
unnüg, va er feine Signale geben fann, ift er ver-
dammt, fi) dem Feinde auszuliefern, um nicht ohne“
Amel den Reſt feiner Mannfchaft vernichten zu laſſen.
Um fünf Uhr Nachmittags, die Schlacht hatte we-
gen des nebligen Wetters erft in den Mittagsftunden
begonnen, giebt Admiral Gravina, welcher nad) ber
Sefangennahme Villeneuve's den Oberbefehl über-
nommen und ber felbft fchwer verwundet ift, das Zei—
hen zum Sichwiederſammeln, bringt fünf franzöfijche
Linienſchiffe, ſechs ſpaniſche, fünf Fregatten und zwei
Briggs zuſammen und geht während der Nacht beim
Eingang der Rhede von Cadirx vor Anker.
Der Contreadmiral Dumanoire verläßt mit
79
vier Schiffen, die feinen Theil am Kampfe genom⸗
men, das Schlachtfeld, doch in einer andern Richtung.
Einige Tage darauf wird er auf ber Höhe von Fi-
nisterre vom englifhen Admiral Sir Richard
Strachan mit Uebermacht angegriffen und ift ge-
zwungen, fidy zu ergeben.
Bald nad) ver erften telegraphiſchen Depefche,
welche ven Unglüdstag von Trafalgar dem Raifer
Napoleon verfündete, Tiefen nachſtehende zwei Schrei-
ben aus Cadir ım franzöfifchen Hauptquartiere ein:
„Sadir, den 22. October 1805.
„Unfere vereinigten Flotten, dreiundpreißig Linien-
Ichiffe, fünf Fregatten und zwei Briggs ſtark, unter-
nahmen es, am neunzehnten und zwanzigften October
in See zu gehen, und geftern ſchon gegen Mittag
wurden fie von der engliichen Flotte, beitehend aus
fiebenundzwanzig Linienfchiffen und funfzehn Fregat—
ten angegriffen. Die Schlacht währte den ganzen
Tag und fonnte von unfern Seewachten eine Zeit
‚lang beobachtet werden. Es find nod feine genauen
Berichte eingelaufen. Unfere Linie wurde bald durch
das Admiralſchiff Nelfon’s, dem noch ſechs bis fie-
ben Dreidecker folgten, durchbrochen. Unſere Nieder—
lage ſcheint vollftändig und ohne Beiſpiel. Wir find
ganz in Trauer und allgemeiner Beftärzung. Eilf
unferer Schiffe, vier Fregatten und zwei Briggs yin-
gen heute bei Eingang des Hafens vor Anfer, allein
da e8 den ganzen Tag regnete und der Horizont um:
wölft war, jo haben wir von dem ganzen 1leberrefte,
ber aus zweiundzwanzig Linienfchiffen. und zwei Fre⸗
gatten befteht, nichts entdecken können. Nur fo viel
wiffen wir, daß das eine Linienfhiff, ver Achilles,
geftern nah der Schlacht in die Luft geflogen ift.
80
Man konnte von der Höhe unferer Thürme das
furchtbare Schaufpiel mit anfehen. Die Winde fom-
men aus Süb-Dft, find heftig und ſtürmiſch, und es
ift zu befürchten, daß die Elemente das noch voll-
kommen zerftören werden, was die Kanonen der Eng-
länder übrig gelaflen, indem alle entmaftete Schiffe
ohne Zweifel ftranden, fobald vie Winde, wie ge⸗
wöhnlich, wieder ſüdlich ſtreichen. Unter den zwei—
undzwanzig Schiffen, welche fehlen, befinden ſich auch
die der Admirale Billeneuve, Magon und Du—
manoire, und bie ber zwei fpanifchen Aomirale,
Alava und Cisneros.“
„Cadir, den 25. October 1805.
„Was man von ber vereinigten Flotte hat ver-
nehmen fönnen, befteht in Folgendem:
„Franzöſiſche Schiffe: Der Pluto, Schiffscapi⸗
tain Cosſsmao, ſehr befchädigt eingelaufen, — Der
Indomptable, Schiffscapitain Hubert, beögleichen.
— Der Neptun, Schiffscapitain Meskral, des—
gleihen. — Der Held, Schiffscapitain PBuloni,
veögleihen. — Der Ardonaut, Schiffscapitain
Epron, beögleigen. — Der Algefiras, Contre—
admiral Magon, ganz entmaftet eingelaufen und im
übeln Zuſtande; der Contreadmiral ift umgelonmen,
die Engländer hatten fein Schiff erftiegen und mit
neuer Mannſchaft verfehen, aber eingewilligt, daß es
in die Rhede gefchleppt werde, unter der Bedingung,
felbft nicht als Gefangene betrachtet zu werben. —
Der Buccentaner, gang entmaftet, ſank bei feiner
Einfahrt in die Rhede gänzlich. Er befand ſich gleich—
falls, wie ver Algefiras, in der Gewalt der Englän-
ber, welche ihn unter berfelben Bedingung hierher
brachten. Der Admiral Billeneuve, welder ihn
81
[4
commanbdirte, wurde auf ein englijches Schiff gebracht.
— Der Redoutable, Schiffscapitain Yucas,' fen
Schickſal gänzlich unbefannt.. — Der Intrepide,
Sciffscapitain Infernet, fein Schidjal gänzlich un⸗
befannt. — Der Montblanc, Schiffscapitain Vil⸗
legois, man glaubt ihn verfunfen. — Der Dugnoy
Trouni, fein Schidjal unbelannt. — Der Adil-
les ift in die Luft geflogen. Es heißt, ein Theil
der Mannfchaft fei durch die Engländer gerettet wor—
den, aber man hat tarüber noch feine Gewißheit. —
Der Adler, Schiffscapitain Gourege, ganz ent-
maftet, ging eine Meile ven hier in den Klippen
vor Anker, ohne daß e8 möglich gewefen, ihm Hülfe
zu leiften, und es ift fehr zu befürchten, daß er an
der Küſte fcheitern wird. — Der Jähzornige,
Schiffscapitain Baudain, man glaubt ihn fünf
Meilen von hier verunglüdt. — Der GScipio,
Schiffscapitain Berenger, man fennt fein Schickſal
nicht. — Der Jupiter, Schiffscapitain Billeman-
drin, deögleihen. — Der Greif, desgleichen. —
Die Fregatten: Der Rhein, Hortenfie, Her—
mione, Themis und Cornelia; die Briggs:
der Argus und der Brüderliche, befinden fi auf
ber Rhede. '
„Spaniſche Schiffe: Der heilige Juſtus, Schiffs⸗
capitain Gaſton, übel beſchädigt eingelaufen. —
Der Brander, Schiffscapitain Gaſton, desgleichen
und ganz entmaſtet. — Der Manzanares, Sciffe-
capitain Gafton, im übeln Zuſtande. — Der Prinz
von Afturien, Admiral Gravina, ganz entmaftet
eingelaufen und im fchlimmften Zuftande. Der Ad-
miral ift am Arme ſchwer verwundet, desgleichen ift
feinem Generalmajor das Bein zerjchmettert worben.
— Der heilige Franz von Affifi und Neps
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXU. \
82
tun, ganz entmaftet, famen bis zum ingang ber
Rhede, allein der Sturm machte‘ fie an den Küſten
Sort Maria fcheitern; man fürdtet, daß die Mann—
fhaft ganz zu Grunde gegangen ift. — Die hei-
lige Anno, General d’Alava, ganz entmaftet,
ankerte einige Meilen von hier; eime franzöfifche Fre—
gatte bugfirte fie bi an die Rhede. Diefes Schiff
befand fic, gleihfall8 in den Händen der Engländer,
welhe den General d'Alava megen einer jchweren
Kopfwunde nit auf ihre Schiffe nahmen. — Die
heilige Dreifaltigkeit, General Cisneros;
man hat ziemlihe Gewißheit, taß fie verſunken iſt
— Der heilige Auguftin, man weiß nıcht, wo er iſt.
— Der heilige Jacob, die Bahama, der hei-
lige Johannes Nepomuc befinden fi in ber
Gewalt der Engländer. — Bon dem Scidfale des
heiligen Idelphons, des Monarchen und des
Argonauten weiß man nichts.
„Die Anzahl der Getübteten und Berwundeten auf
ben wieder eingelaufenen Schiffen ift über alle Be-
fhreibung groß. Es ift unbelannt, ob man fchon
eine Zählung vorgenommen hat. Man fah gejtern
die englifche Flotte, ſechsunddreißig Segel ftark, wie
fie ihren Lauf nah der Meerenge nahm; vierzehn
darımter waren entmaſtet. Da die Engländer bie
Schlacht gewonnen, fo fonnten fie auch Diejenigen
Schiffe einfangen, welche fid) während des Kampfes
nicht ergeben hatten, aber fpäter der Uebermacht fei-
nen Widerſtand mehr leiften konnten.
„Nelſon durchbrach unfere Linie auf zwei Punf-
ten, inbem er mit feinen acht Dreideckern eindrang.
Sein Plan war, Unorbnung zu bewirken und das
gelang ihm. Man fjchlug fid) pelotonsweife.. Da
er an guten Matrofen, im Manövriren und an Ge—
ſchütz das Uebergewidht hatte, mußten wir erliegen.‘
85
Dies waren die großen Ergebnifje der Seefhladht
von Trafalgar; in ihr erhielt die franzöfifche Ma—
rine, auf welhe Napoleon fo unermeßlide Sum-
- mer verwandt und fo große Plane gebaut hatte, den
Todesſtoß. Binnen wenigen Stunden wurden jahre-
lange Arbeiten und Anftrengungen ein Raub der
Slammen und der Wellen. Bon jet an fonnte
Frankreich feinem Erbfeinde auf dem Meere nicht
mehr bie Spite ‚bieten.
Die Shlaht von Trafalgar zeigt England
zur See durch dafjelbe Geheimniß fiegreih, das Na—
polesn auf dem Feſtlande anmandte: durch bie
Kunft, den Feind zu errathen und zu täufchen, auf
einigen Punkten ihn durch Maſſen zu erbrüden und
auf ten andern durch gejchidte Bewegungen feine An-
orbnungen unnüg zu maden. Sicher fehlte es den
Sranzofen an Muth nidt. Mit Männern, wie die
Gapitaine Yucas, Infernet und Andre, was
würde ein Admiral aufgerichtet haben, der verftanden
hätte, ein Bonaparte auf ben Meere zu fein?
Aber nie erfaßte wohl ein Unzlück einen Sieger
in jo Staunen erregenven Glücksfällen. Freute ſich
Napoleon, den Palaft der deutſchen Kaifer in
Schönbrunn zu bewohnen, fo war ed nur, weil
dem neuen Gebieter von Wien die Hoffnung, Lon—
Don zu erreihen um fo geficherter erjchten. Und
grade in dem Augenblide, wo die Zukunft ihm in
die Band gegeben. zu fein fcheint, vernichtet ein
Donnerſchlag alle feine Hoffnungen. Sein Schmerz
fommt nur ſeiner Wuth glei. England verfolgt
oh, umgarnt ihn, zerſtört feine Triumphe. Eng—
land verfludt und verabſcheut er dafür.
Sp erjhütternd die Nachricht der großen See—
Ihlaht für Napoleon fein mußte, jo großes Ent-
6
84
züden erregte fie in London. Im die Freude
mifchte fi) aber der gerehte Schmerz über Nelſon's
Tod. Die Anerkennung der Regierung für den gro-
en gefallenen Helven, deſſen letter Tagesbefehl am
Morgen des einundzwanzigften Octobers die eben fo
befannten als erhabenen Worte waren: „England
hofft, daß heute Weder feine Pfliht thue,“
zeigte fi) durch glänzende Beweiſe der Dankbarkeit
für Nelſon's Andenken und gegen feine Yamilie.
England8 großer Zwed war erreiht. Die Be-
forgniß eines fo nahe drohenden Einfall, die Be—
forgniß neuer Seezüge Frankreichs gegen die bris
tiſchen Nebenländer war für lange Zeit befchwichtigt.
Neben der Möglichkeit eines Einfalls in Großbritan-
nien wäre das bloße Einlaufen der franzöfifch-pani-
[hen Flotte in Toulon vernidtend für den engli-
Then Einfluß im Mittelmeere gewejen. GSicilien,
Malta ſelbſt, ftand auf dem Spiele; von jekt er—
fennen gefchloffene und offene Meere nur eine
Flagge ohne Nebenbuhlerin an, die — Flagge von
England.
Sechstes Kapitel,
Sina wandelte Napoleon unter den blätterlofen
Baumgruppen des Gartens von Schönbrunn. Sein.
Fuß rauſchte in dürrem Laube, den geftorbenen Locken
des Frühlings und Sommers von 1805; auf feinere
Stirn thronten nod die Gewitterwolfen des Schlages
von Trafalgar. Schweigend, die Hände auf. dem -
Rüden, ſchritt er die tobtftillen Räume entlang; da
85
trat plötlich Hinter einer Taxushecke ein junger DOffi-
zier der Geegarde hervor. Es war Öuifeppe, wel-
her als Courier die legten Depeſchen des Admirals
Gravina aus Cadir überbracht hatte.
Der Kaiſer hielt feine Schritte an, und den Her—
vorgetretenen ftreng anblidend,; frug er kurz:
„Was wilft Du hier?“
„Sire,“ fprad in feltfam bewegtem Zone der
Iünglirg, „eine Bitte erlaube mir, daß ich ald Ge-
meiner in eins ‘Deiner SLinienregimenter trete. Auf
den treulofen Wellen befiegt, will ich die Scharte auf
dem feſten Lande und unter Deinen Augen wieder
auswetzen.“
Dabei ſchaute Guiſeppe fo treuherzig und kit-
tend zu feinem faiferlihen Herrn auf, daß der Ernt
auf deſſen Stirn in ftilles MWohlwollen überging.
„Nein, mein Sohn,” erwiederte ver Monarch mit
Milde und feine Hand zum Kuffe hinreichend, „piefe
Bitte kann ih Dir nicht gewähren; jet mehr benn
je bedarf ic, der braven Leute für meine Marine.” -
In ven lesten Worten des Kaifers, wie einfach
fie gefprehen wurden, lag gleichwohl ein Schmerz,
der den treuen Guifeppe durch die Seele ſchnitt.
Er drückte ſich eine Thräne aus dem Auge.
„Die verwünſchte Bataille,“ ſprach er halb wei⸗
nerlich, halb zornig, „wie leid thut mir Eure Maje—
ſtät; ;“ aber er ſetzte gleich darauf determinirt hinzu,
„wir verlieren darum den Muth nicht; nicht wahr,
Ew. Majeſtät?“
Napoleon mußte ob dieſer treuherzigen Naive—
tät lächeln:
„Bewahre, mein Sohn, wird ein Franzoſe den
Muth verlieren.“
86
„Aber die fchönen Schiffe” — gab ver ehrliche
Guiſeppe zu bevenfen.
„Sind zum Zeufel, wilft Du jagen,” fuhr ver
Kaifer fort, „da haft Du freilich vecht, aber wach—
fen in unjerm Frankreich nicht herrlihe Eichen-
wälber ?“ |
Guiſeppe fand fih durch dieſe Worte des Kai—
ſers fehr beruhigt und befam allmälig feinen guten,
grabherzigen Humor wieder. Er erfundigte fidh, ob
Morland noch in Wien ftehe.
„rein,“ erwiederte gutmüthig Napoleon, „die
Garde ift bereits ehegeftern nach Mähren aufge-
brochen.“
„Das iſt ſchade,“ geſtand der Jüngling, „ich hätte
ihn gern einmal geſprochen.“
„Gedulde Dich bis zum Frieden,“ ſprach der
Kaiſer, „der nicht lange mehr ausbleiben wird.“
„Und dann noch eine Trage,” fuhr Guiſeppe
etwas ftodend fort, „aber Ew. Majeftät müſſen fie
nicht übel nehmen.“
„Keineswegs,“ lächelte ver Kaiſer.
„Run,“ ſrug jener mit treuherziger Vertraulich—
feit, „wie find denn Em. Majeſtät mit dem Nap
zufrieden?“
„O,“ antwortete Napoleon, „für ven Nap ift
mir nicht bange, der wird feine Sachen fchon ma:
hen.“
„Nun, das ift mir fehr lieb zu hören,” geftand
vie ehrliche Seele; „daß e8 mit dem Armand wie-
ber gut fteht, hab’ ich fchon vernommen.
„Doch jest,“ fuhr er fort, „wil id Em. Mafe-
ftät nicht länger ftören. Verzeihen mir Em. Maje-
ftät, daß id) mir die Freiheit genommen, aber wir
Seeleute denken, der gerade Weg ift ver befte.”
87
Der Kuifer, welcher Characteren, wie folchen von
Guiſeppe ungemein zugethan war, betrachtete den
Süngling mit wahrhaften Wohlmollen.
„Apropos,“ fprad er, „da fällt mir ein, Gui⸗
feppe, daß Du ein recht tüchtiger Reiter bift; melde,
Dich doh binnen einer Stunde im Schloſſe, Du
felft mir einen Brief an die Kaijerin von Frank—⸗
veih überbringen.”
Guiſeppe erſchrack gewaltig bei diefem Auftrage.
„Wie, der Kaiferin von Franfreih?“ frug er
mit Beſorgniß.
„Richt anders,” meinte ver Kaiſer, „Du bift ein
fo braver Kerl dem Feinde gegenüber und fürchteft
Dich wohl gar vor einer Dame?“
„3a, vor dem Feinde,“ verſetzte der Seegarbift,
„das ift etwas andres; aber die Kaiſerin, bedenken
Ew. Majeftät, die Kaiferin, da gehören feine Ma-
nieren dazu, die mir Geebären ganz und gar ab-
gehen.“
„Es wird ſchon gehen, Guiſeppe,“ tröftete ver
Kaifer, „ſag' Du nur, daß ih Dir den Brief ge-
geben, und man wird Dich nicht unfreundlid auf:
nehmen.”
„Run, Ew. Majeftät haben e8 zu verantworten,”
ſprach Guiſeppe, „wenn ich mich ungeſchickt genug
benehme. Lieber wäre mir freilich, ich könnte mit gegen
die Ruſſen.“
Der Kaifer mußte hier laut auflahen und Tehrte
nad) dem Schloffe zurüd. — Bereit nach wenig
Stunden [prengte Guiſeppe mit dem Briefe an bie
Kaiferin durd) das Schlofthor von Schönbrunn.
88
Siebentes Kapitel.
Wahrend noch Napoleon in Schönbrunn weilte
und mehre Tage der Einrichtung einer bürgerlichen
und militairiſchen Regierung für die eroberten Pro—
vinzen widmete, verfolgten ſeine Heercolonnen den
Feind in den vorgeſchriebenen Richtungen.
Am vierzehnten November erreichten Prinz Mu—
rat und Marſchall Lannes die Ruſſen bei Holla—
brunn und erbeuteten hundert beſpannte Wagen.
Am andern Tage, wo eben neue Angriffe erfolgen
ſollten, erſchien als Abgeſandter im franzöſiſchen La-
ger der General Winzingerode und trug auf ei—
nen Waffenſtillſtand an. Demnach verſprachen bie
Ruſſen Mähren zu räumen. Murat willigte ein,
feinen Marſch einzuftellen, aber Napoleon, welcher
einfah, daß es den feindlichen Heerführern blos dar—
um zu thun war, um Zeit zu gewinnen, verweigerte
feine Zuftimmung zu dem Waffenftillitande. Daß ver
Kaiſer auch hierbei volllommen recht gehabt hatte,
geht deutlich aus dem Schreiben hervor, welches
Rutufow in dieſer Angelegenheit an ven Saifer
Alerander richtete, und worinnen es unter andern
hieß: „Sch Hatte blos im Auge, Zeit zu gewinnen,
um das Heer zu retten, und mid von dem Feinde zu
entfernen,”
Den Rückzug des ruſſiſchen Heeres deckte das
Corps des Fürften Bagration. Diefes Corps
fampfte mit großer Bravour gegen die franzöfifche
Uebermacht. Es warb endlich geworfen und ließ acht—
zehnhundert Gefangene und zwölf Kanonen in ben
Händen ber Tranzofen.
89 _
Durch den tapfern Widerftand des Fürften Ba-
gration ward Kutuſow gerettet. Seine Bereini:
gung mit dem zweiten ruffiihen Heere unter Bur⸗
hövden fonnte nicht mehr verhindert werden. Ue—
berhaupt hatte fi) mit einem Male die ganze Sad:
lage der Dinge merkwürdig geänbert. Napoleon
mußte Wien bewachen, die Zugänge von Steiermark
bem Erzherzoge Earl verjchliegen, feine Flanken auf
einem jehr großen Raume vertheidigen, währenn er
vor ſich Heere zufammenftoßen ſah, die ihm jett an
Anzahl überlegen waren. Er forgte indeß für Alles
dieſes. Marmont, deſſen Hauptquartier in Leo—
ben war, beobadıtete das öſtreichiſch-italieniſche Heer,
bag von Maſſena fortwährenn gedrängt wurbe,
Mortier hatte mit den Divifionen Dupont und
Gazan die in Wien zurüdgelaffenen Truppen abge-
löft. Ungarn verſprach unbeweglich zu bleiben, wenn
die franzöfifhe Armee fi) jeder Teindfeligfeit gegen
biefes Land enthalten wollte. Die Neutralität vieler
Nation ward unter vem Vorbehalte angenommen, daß
Preßburg ausgeliefert würde, und Marfhall Da»
vouft ließ diefe Stadt augenblidlich befegen. Eine
Divifion Dragoner zu Fuß, unter dem Befehle von
Baraguay d' Hilliers und eine baierifhe Divifion
hielten die Reſte des Corps des Erzherzogs Ferdi—
nand in Böhmen in Shah. Folglich war Alles
im Rüden und auf den Flanken gefichert und ver
Kaifer hatte in fehr nahen Räumen, mit Ausnahme
eniger Divifionen, die Corps ven Bernapdotte,
Lannes, Soult und Davouſt zu feiner Ber-
fügung.
Bon Znaim aus ha’te er die Reiterei des Ge—
nerald Sebaftiani bei der Verfolgung der Rufen
auf der Brünner Strafe noch funfzehuhundert Ge—
_ 90
fangene gemadt. Napoleon glaubte, daß Brünn,
ein Ort, der eine Belagerung in aller Form auszu⸗
halten vermochte, dem Teinde zum Stütpunft dienen
würde, aber dem war nicht fo. Der Kaiſer Franz
zog fih nad) Olmütz zurüd und ließ die genannte
Stadt ohne DVertheidigung.
ALS die Franzofen in Brünn einrüädten, fanden
fie ſechjig Kanonen vafelbft, dreihundert Centner Pul-
ver und beträchtliche Vorräthe, ſowohl an Getreide
ald an Bekleidungsſtücken aller Art. Napoleon un-
terfuchte die Feſtungswerke. Er befahl, die Feſtung
Spielberg, die den Drt beherrſcht, und“ die ihm
von großer Wichtigkeit zu fein fchien, zu bewaffnen
und mit Lebensmitteln zu verforgen.
Am neunundzwanzigften November verfuchten fech8-
taufend Mann ruſſiſche Reiterei den Vereinigungs-
punft der Straßen von Brünn und Olmüg zu ver-
theidigen. Es erfolgte ein ſcharfes Gavalleriegefecht,
in welchem fi) der Marſchall Beffieres mit vier
Schwadronen der alten Garde auszeichnete. Die
Ruſſen wurden geworfen. Set befanven ſich die bei-
ben einander feindlichen Heere zwilden Brünn und
Olmütz in einer Entfernung von funfzehn Stunden
auseinander.
Stets mit den kriegeriſchen Angelegenheiten für
bie folgenden Tage beihäftigt, verfäumte Napoleon
gleichwohl nicht, auch auf andere Gegenftände fein
Augenmerk zu richten. Bon feinem Hauptquartier zu
Brünn ergeht ver Befehl, daß eine außerorbentliche
Kriegsſteuer von hundert Millionen Franken in Mäh-
ven, Deftreih und den andern von feinen Truppen
bereitö eroberten Provinzen erhoben werde. Unter—
fügt ihn das Glück, fo kann diefe Maßregel eine
ber geheimen oder offenen Friedensbedingungen werben.
91
Der deutſche Kaifer, welcher fchon einigemal Vers
fuhe zu Unterhandlungen mit Napoleon gemacht
hatte, fchicte abermals den General Giulay, dies»
mal von dem Grafen Stadion begleitet, in's fran-
zöflihe Hauptquartier. Der Kaiſer der Franzoſen em-
pfing dieſe Abgeorpneten am fiebenundzwanzigften No—
vember. Da er aber aud diesmal bald einzufehen
glaubte, die Abgefandten bezwedten weiter nichts, als
ihn hinzuhalten, fo verwies er fie an den Herrn von
Talleyrand.
Zu berjelben Zeit mwünfchte ein anderer Agent vor
Napoleon gelaffen zu werden. Es war dies ber
preußiſche Meinifter, ver Graf von Haugwitz. Die
Kriegspartei hatte endlich im Berliner Cabinette bie
Dberhand behalten, Preußen war durch einen Vertrag
vom dritten November dem Bunde von England, Ruß⸗
land und Oeſtreich gegen Frankreich beigetreten. Der
genannte Miniſter folte nun Napoleon das Ulti—
matum der preußischen Negierung überbringen, ward
aber unter verfchiedenen Vorwänden im Hauptquar-
tiere Bernadotte's zu Iglau zurüdgehalten.
Aber aud Napoleon fprad feinen Wunſch nad)
endlicher Ausgleihung und nad Frieden aus. So
wie er erfahren, daß der Staifer Alerander bei fei-
ner Armee eingetroffen war, befahl er feinem Adju—
tanten Savary nad) dem feinvlihen Hauptquartier
abzugehen. und den ruffiihen Monarchen zu begrüßen.
Als der franzöfifche Abgelandte vor Alerander
erihien, muchte dieſer mit der Hand ein Zeichen,
worauf fih alle Anmwejenden entfernten. Savary
war von dem eblen Anftande des jungen Monarchen
überrafht; Alerander zählte damals ſechsundzwan—
319 Jahre. Er hörte bereit8 auf dem linfen Ole
etwas ſchwer und neigte fidy rechts, um zu verfichen,
⸗
92
was man ihm ſagte. Er ſprach langſam, legte auf
bie letzten Sylben Nachdruck, aber im beften Franzö⸗
ſiſch und ohne Accent.
Nachdem Alerander Savary’8 Botſchaft an-
gehört und das Schreiben Napoleons in Empfang
genommen hatte, fagte, er:
„Ich weiß die Handlungsweiſe Ihres Gebieters
richtig zu würdigen. Mit Bedauern babe ich mid
gegen ihn gewaffnet und werde mit dem größten Ver-
gnügen die erfte Gelegenheit ergreifen, ihn davon zu
überzeugen. Er ift feit langer Zeit der Gegenftand
meiner Bewunderung.‘
Nachdem er auf einige andere Gegenflände über-
gegangen war, fuhr er fort:
„Ich werbe jett gehen, um viefes Schreiben zu
burchlefen und Ihnen dann die Antwort zurüd-
bringen.“ |
Mit viefen Worten entfernte er fi) in eines ber
angrenzenden Gemächer. Nach ungefähr einer halben
Stunde kehrte er, ein Schreiben in der Hand haltenb,
zurüd, deſſen Adreſſe er nach unten gelehrt hielt.
In einem ziemlich langen Gefpräh, weldes ſich
jet zwifchen dem ruſſiſchen Kaiſer und dem Abge-
ſandten Napoleon's entfpann, fegt erfterer in einem
etwas dictatoriſch, Doch nicht verlegendem, Tone aus⸗
einander, daß Franfreih, um feine Mäßigung und
gute Gefinnung zu beweifen, nichts weiter zu thun
habe, al8 Alles, was es feit zehn Jahren erfämpft
habe, herauszugeben, fi mit der Ehre begnügend,
das coalirte Europa geichlagen zu haben, welches
dann Frankreichs Croberungsfuht nicht mehr fürd-
ten würde.
»Nach Beendigung dieſes Geſprächs übergab ber
Kaiſer an Savary feine Antwort auf das Schreiben,
93
welches er von Napoleon erhalten hatte; die Adreſſe
noch immer nad) unten gelehrt, fagte er:
„Hier iſt meine Antwort, die Aufſchrift drückt
nicht den Titel aus, den ihr Gebieter in letter Zeit
angenommen hat. Ich lege auf folde Kleinigfeiten
feinen Werth.”
Die Adreſſe lautete: „An das Oberhaupt ber
franzöfifhen Regierung.”
Savary traf Napoleon im Bofthaufe zu Po—
ferig. Er ftattete ihm über Alles Bericht ab, was
er mit dem Kaiſer Alexander verhandelt hatte,
Zugleich) ermangelte er nidt, dem Kaiſer die über-
müthige Bethörung zu jchildern, in welder fich ver
junge General gefiel, welcher ven ruffiihen Monarchen
umgab. Diefe friegsluftige Generalität hatte aller-
dings den Grund für fi, daß fie über ein vereinigt
ruffifch: öftreichifches Heer geboten, welches eine Macht
von meunzigtaufend Streitern bilvete, während Na-
poleon nur fünfundjechzigtaufend entgegen zu ftellen
vermochte,
Drr Raifer verfant nah Savary's Mittheilung
eine Zeit lang in tiefes Nachdenken. Er überdachte
- feine Rage, durchſchaute die ganze Politif feiner Geg-
ner, erinnerte fi, ‚daß Preußen bereit ftehe, jeden
Augenblid mit feiner ganzen Macht gegen ihn auf-
zubredhen.
„Kehren Sie auf der Stelle zu Alexander zu
rück,“ vief er endlich, fih raſch zu feinem. Adjutan-
ten wenvend; „jagen Sie ihm, daß ich eine perjün=
liche Unterredung für ben morgenden XZag vorfchla-
gen laſſe. Eilen Sie, fo ſchnell Sie können.“
Savary flog nad den ruffifhen Vorpoften zu-
rück und befand fi) bald wieder bei Alerander.
Diefer Fürft fhien auch Anfangs wirklich einer Un⸗
94
terredung mit Napoleon nicht abgeneigt, als plötz⸗
lich die Nachricht einlief, daß die Franzoſen retirir-
ten. Napoleon hatte nämlich gefliffentlic eine rüd-
gängige Bewegung befohlen, um dasjenige Terrain
beſetzen zu lafjen, welches er fih zum Sclachtfelve
augerforen. Schon vor einigen Tagen hatte er zu
feinen Marihällen und Generälen gejagt: „Meine
Herren, machen Sie fi) mit diefer Gegend befannt,
dies wird Ihr Schlachtfeld fein!‘
Der ruſſiſche Generalftab, welcher bei Diefem
wohlberedhneten Manöver Napoleon’8 nichts mehr
fürdtete, als die Franzoſen möchten entwiſchen, um-
lagerte feinen Gebieter und brängte ihn zur Schladt.
Vergeben bemühten ſich die äftreichiichen Generäle,
welche Gelegenheit gehabt hatten, den Strategen
Napoleon früher kennen zu lernen, dieſe ſelbſtge—
fällige Glut zu mäßigen. Ihre Mahnung verflang
unerhört. Nach Anficht der Ruſſen, hatten die Deit-
reicher den ganzen Ruhm der Franzoſen begründet.
Alerander ließ fih daher bereven, ag feiner
Statt den Fürften Dolgorudi an Napoleon zu
ſchicken.
Napoleon ging eben in einem ſeiner Infanterie—
bivouaks auf und ab, in deren Mitte er auf einigem
Stroh geſchlafen hatte, als ihm der Abgeſandte Aler-
ander’s gemeldet wurde. Sogleich [prengte er in ge—
ftredtem Galopp nad) den Vorpoſten, jo daß ihm
fein Piket faum zu folgen vermochte. Der Umftand,
daß Napoleon den Fürften auf den Vorpoſten ent-
pfing, welches ver Kaifer fonft nie mit einem Par—
. Iamentair zu thun pflegte, ferner das angeftrengte Ar-
beiten an den Verſchanzungen, jo wie die ganz nahe
aneinander geftellten Doppelwachen: Alles beftärfte
den General-Avjutanten Alexander's in feinem
95
Glauben, die franzöfifhe Armee befände fi in der
mißlichften Lage, |
Der Kaifer flieg vom Pferde und wandelte mit
dem ruffifchen Offizier die Heerftraße auf und nieber.
Die franzöfifchen und ruſſiſchen Vedetten ftanden ein=
ander ganz nahe Nach den erſten Complimenten
ging der Abgefandte des ruffifchen Kaifers ohne Um-
Ihweife auf die politifchen Tragen über. Er fprad)
über Alles mit einem ſchwer zu beichreibenden Weber-
muthe ab und befand fich über die europäifchen In—⸗
terefjen und die Lage des Feftlandes in höchſter Un-
funde. Er redete zum Saifer wie zu ben rufjifchen
Offizieren, welche er durch fein hochfahrendes Weſen
fhon lange in Entrüftung gefeßt hatte. Napoleon
hielt fehr an fi, während Dolgorudi, ſtolz auf
bie Gunſt feines Monarchen und auf die Sendung,
bie ihn in den Stand fette, dem franzöftfchen Kaifer
eine hochmüthige Spradhe hören zu laſſen, an welche
diefer nicht gewohnt wer, ſich darin gefiel, Napo-
leon die verlegenpften Bedingungen zu ftellen. Die
franzöfifhe Armee fhon als gefehlagen anfehend, ver=
langte diefer junge Mann nichts weniger, ald die Ber:
zihtleiftung des Kaiferd auf vie eiferne Krone, bie
Abtretung Belgiens und Italiens. Man kann
benfen, was der Naifer bei diefen Anmuthungen litt.
Doch bezwang er fid. Als Dolgorudi mit feiner
Miſſion zu Ende, "erwiederte Napoleon troden:
„Wenn das Alles ift, was Sie mir zu jagen ha—
ben, jo gehen Sie und melden Sie dem Raifer Aler:
ander, daß ich Feine Ahnungen von folden Zu:
muthungen hatte, als id) venfelben um eine Zufam-
menfunft erſuchte. Ich hatte ihn den Zuftand mei-
ner Armee gezeigt und mid), in Bezug auf die Fries
bensbebingungen, auf feine Billigfeit berufen, Ex
36
bat das nicht gewollt; wohlen, fo werben wir ung
ſchlagen, ich aber waſche meine Hände in Unſchuld.“
. : Der Fürſt ward nach den; ruffiichen Vorpoſten zu-
xüdgebracht, und er verließ Napoleon mit ber feften
Heberzeugung, daß ſich die franzöfiiche Armee am Bor-
abende ihres Unterganges befinve.
Napoleon fehrte nah feinem Hauptquartiere
urück.
„Dieſe Menſchen müſſen wahnſinnig ſein,“ ſprach
er unterwegs zu Savary, „die darauf beſtehen, ich
ſollte Italien aufgeben, während ſie nicht im Stande
ſind, mir Wien zu entreißen. Welche Pläne haben
fie denn? Und was würden fie mit Frankreich an-
gefangen haben, wenn ich gefchlagen worben wäre?
E8 mag egven, wie es Gott gefällt; aber wahrhaf-
tig, bevor noch achtundvierzig Stunden worüber, werde
ich ihnen den Kopf zurecht geſetzt haben.”
Während der Kaifer jo ſprach, ging er zu Fuß
bei dem erften Imfantertepoften vorüber. Er war ge-
reizt und machte feinem Unmuthe dadurch Luft, in-
dem er mit feiner Neitgerte auf die Erdhaufen fchlug,
bie umberlagen. Die Schildwacht, ein alter Soldat,
überhörte ihn, und hatte fi gemächlich hingeſetzt,
um, das Gewehr zwiſchen den Knieen, feine Pfeife
zu ftopfen. Als Napoleon dicht bei ihm worüber
ging, ſah er ihn an und fagte: „Die Ruſſen bilden
fih ein, daß fie nichts zu thun haben, als uns zu
verichlingen.“
Der alte Soldat mifchte ſich fogleih in's Ge—
ſpräch und erwieberte: „Oho, das wird nicht jo leicht
gehen, wir werben uns: die Queer legen.“
Der Kaifer mußte lachen und bekam durch dieſen
Einfall feine gute Laune wieder.
Bereitd? am flebenundzwanzigften November hatte
97
ſich das vereinigte vuffifch-öftreichifhe Heer in fünf
Säulen in Bewegung gefest, um jeine Stellung zu
der bevoritehenden Schlacht zu nehmen. Die beiden
erften flanden unter bem Befehle zweier ruffifchen
Generäle, die zwei lettern commanbirte ber Fürſt
Johann von Lichtenftein, General en Chef ver
öftveihifchen Truppen. Die Referven, zehn Batail⸗
Ione und achtzehn Schwadronen ſtark, folgten unter
dem Großfürſten Conftantin.
Vebelunterrichtet von ver Stellung der Franzoſen
rüdte Kutuſow nur mit großer Vorſicht vor.
Am folgenden Tage erreihte er Wiſchau. Seine
Zuverfiht wuchs in dem Maaße, als er auf dem
Terrain Fortſchritte machte, wohin ihn der Kaifer
Napoleon berufen hatte.
Am neunundzwanzigfien November ſchlug Napo—
leon fein Hauptquartier zwei Stunden vorwärts
Drünn anf einer Höhe auf, weldhe vie Solpaten
ven Raiferhügel nannten. Seine Rechte war an
den See von Moni geſtützt, ver Mittelpunft war
duch fumpfiges Land und hochuferige Bäche gebedt,
Seine Linke, die bis zu einem Bergzuge reichte,
hatte ven Boſenitzberg vor ſich, einen fteilen Berg,
ben er durch eine ftarfe Batterie hatte befeftigen laf-
fen und ihn Santon nannte, weil er an eine ähn-
lie Stellung in Egypten erinnerte. Alle diefe Ver⸗
theidigungsanftalten follten die Ruſſen glauben machen,
daß franzöſiſcher Seits ein Rückzug im Werke ſei.
Ale Maßregeln, die der Kaifer traf, Hatten biefen
Zweck. Murat ließ ein Kleines Corps in die Ebene
vorrüden. Plötzlich aber kehrte es um, gleihjam er⸗
Ihroden über die unermeßlichen Streitlräfte des Fein⸗
bed. So wirkte Alles zufammen, um ben rufflichen
Feldherrn in der fchlechten Operation, die er beſchloſ⸗
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXI. 7
9%
fen Hatte, zur beſtärken. Kutuſow dachte jest allen
8, der Kaifer Napoleon wolle ihm entwifchen.
Am erften December gewahrte der Kaifer von ber
Höhe feines Bivouaks mit unfagbarer Freude, wie bie
enffifche Armee zwei Kanonenſchußweiten von feinen
Berpoften eine Bewegung begann. Mit Blitesfchnelle
errietb der große Welohere ven Plan des Feindes,
welcher ihn umgehen und bie Straße von Wien ab-
ſchneiden wollte,
Napoleon entwarf jet einen ver kühnſten
Iachtpläne, welde vie Kriegsgejchichte fennt, und
wobei alle zeitherige Kriegsregeln verlegt wurben.
Er ſtellte fih nämlich mit feiner Hauptmadht vor
ben Reziczkabach auf und an ben rechten Flügel
hinter denſelben.
Den Oberbefehl über ven linken Tlügel bes
franzöfifchen Heeres übertrug der Kaifer dem Mar—
hal Lannes, über den rehten dem Marſchall
Soult, und das Centrum commanbirte Marfchall
Dernadotte. Die ganze Eavallerie war auf einem
einzigen Punkte vereinigt und fand unter den Be—
fehlen des Marfhall Murat. Der Kaifer felbft mit
feinem treuen Waffengefährten, dem Marſchall Ber-
thier, feinem erſten Aojutanten, dem General-Obri-
fien Junot und feinem ganzen Generaljtabe, befand
fi) bei ver Reſerve, welche aus zehn Bataillonen
feiner Garde und zehn Orenabierbataillonen des Ge—
nerald Oudinot beftand.
Diefe auserlejene Schaar, funfzehntaufend Mann
ſtark, welche allein eine Armee aufwog, ftand in Ba:
taillonscolonnen formirt und in der Entfernung zum
Aufmarſchiren bereit. In den Bwifchenräunen er-
blickte man eine Batterie von vierzig Kanonen, welche
» von der Artillerie der Garde bedient wurbe.
99
Mit diefer Reſerve konnte ſich der, Kaifer. überall
binftürgen, wo es der Aushülfe ober. des Nachdruds
bedurfte.
As Napoleon am Nachmittage des erſten De⸗
cember⸗ von der Höhe ſeines Bivonaks die B
der Ruſſen beobachtete und den Plan des feindlichen
Generals errathen hatte, fprach er zu Berthier ge
- wendet: „Bis morgen Abend ift dieſes Heer mein!“
dichtes Kapitel,
Ar Guiſeppe im Schloßhofe zu Saint Cloud
vom Pferde ftieg, war er bald von mehren zur Hof—
dienerſchaft gehörigen Perfonen umringt, welde fich
nad feinem Begehren erfundigten.
„Ih habe ein Schreiben an Ihre Majeftät bie
Kaiferin zu übergeben,” erwieberte der Jüngling,
„wolen Sie wohl fo gut fein und mir Tagen, mo
ich dieſelbe finde?“
„Für diefen Fall,” verfeßte Einer biefer Leute,
„muß ih Sie bitten, mir dieſes Schreiben zu über-
antworten, damit ih es dem erſten Kammerdiener
Ihrer, Majeftät zuftelle, welcher das Weitere beforgen
wird.’
„Mein Befehl lautet,” ſprach Guifeppe troden,
„ven Brief eigenhändig der Kaiferin zu über
reichen.‘
Der Hofbediente betrachtete mit etwas fpöttifcher
Miene die nicht eben aubienzgemäße Kleidung bes
Subalternoffiziers, welcher laut- feiner aber, das
100
Säreiben unverzüglich zu übergeben, keine Zeit ge-
habt hatte, hofmäßige Toilette zu machen.
„Wollen Sie mir Ihren Brief übergeben,” fuhr
ber‘ Hofbebiente fort, indem ex feine Worte vornehm
betonte, „daß ich ſelbigen dem erſten Kammerdiener
Ihrer Majeſtät überreiche?
Guiſeppe, dem nichts mehr zumivder war, als
dieſes fade, etiquettenmäßig dreſſirte Hofbomeſnitenvolt
und ber ſich gleich über die erſten Worte dieſes Hof-
bedienten geärgert hatte, erwiederte noch kürzer ange-
bunden: '
„Ich babe es Ihnen ſchon einmal erklärt, daß
ih das Schreiben perfünlich zu übergeben habe; fpre-
« heft Sie aljo nicht fo überfläffig, und jagen Sie mir
lieber, wo ich die Katferin finven kann ?“
Der betreßte Bediente warf fih in die Bruft und
ſprach:
„Unter bewandten Umſtänden, mein Herr, —“
„3% frage,“ fuhr Guiſeppe gereizt fort, „ob
Sie mir fagen wollen oder nit, wo id bie Kaiferin
finde ?*
„Mein Herr, unter fo bewandten Umftänden —“
Run, da laffen Sie es bleiben,” verſetzte ber
Seeoffizier grob, fhritt an dem Zornerfiarrten vor:
über und ging dem Hauptportale des Schloſſes zu.
Hier trat ihm ein Höhergeftelltecr der Hofbeamten
entgegen, der den Jüngling gleichfalls nad feinem
Degehren fragte, doch mit Höflichkeit und Anftand.
Guiſeppe erklärte: abermals, daß er einen Brief an
die Kaiferin zu übergeben habe.
„Und dürfte ich wohl fo unbeſcheiden fein,“ ſprach
ber Hofbeamte, „mie die Frage zu erlauben, wer ber
Abſender des Schreibens fei, damit Ihre Majeſtät
die Kaiſerin zuvor davon benachrichtiget werde?“
101
„Der Abfender ift Seine Majeftät der Kaifer,”
erwieberte. Öuifeppe.
Bei diefen Worten zudte der Frager unwillfür-
lich zuſammen. Er war im Augenblid ein gänzlich
veränberted Weſen und feine Höflichkeit ward fait zur
Unterwürfigfeit.
„Dürft id) Sie gehorfamft bitten, näher zu tre⸗
ten, mein ſehr werther Herr Capitain,“ ſprach ber
Beamte, welcher durch dieſe Erhöhung des Grades
dem jungen Offizier eine Schmeichelei zu ſagen
glaubte.
„Bin nur ſimpler Lieutenant,“ verſetzte Gui⸗
ſeppe; jener aber führte den Boten des Kaiſers in
ein ſehr geſchmackvoll decorirtes Gemach.
„Nur einen Augenblick bitte id), ſich hier es ge=
fallen zu laſſen,“ fuhr der Höfliche fort, „ich werde
ſogleich den dienſthabenden Kammerherrn in Keuntniß
ſetzen, damit Sie unverzüglich bei Ihrer Majeſtät
der Kaiſerin vorgelaſſen werden.“
Der Hofbeamte entfernte ſich ſchleunigſt. Gu i⸗
ſeppe ſchaute ihm lächelnd nach.
„Der kleine Corporal,“ ſprach er, „verſteht es
doch meiſterlich, ſich in Reſpect zu ſetzen. Man
braucht blos feinen Namen zu nennen und Alles be-
ginnt zu zittern, und gleichwohl giebt es keinen gü-
tigern Mann wie den Kaiſer. Wer ein gut Gewiſſen
hat, kann ihm getroſt unter die Augen treten und hat
Nichts zu fürchten.“
Nach einer Heinen Viertelftunde kehrte der Hof-
beamte mit dem biemfthabenven Kammerherrn zurück.
Lebterer war ein Mann, der Wohlwollen mit ven
feinften Hofmanieren zu vereinigen verfitand.
„Ihnen ift der ſchöne Beruf geworben, Saint
Cloud mit Freude zu erfüllen,‘ ſprach er mit An-
102
muth, ſich gegen Öuifeppe verbeugend, „Ihre Ma-
jeſtät, unfere verehrte Kaiferin, harrt fchon Lange
auf ein Schreiben Ihres erlaudhten Gemahls. Seine
Majeſtät befindet fich doch im erwünſchteſten Wohlſein?“
„Vollkommen,“ erwiederte Guiſeppe.
„Und unſere ruhmgekrönte Armee, die Beſiegerin
von Oeſtreich?“
„Wird unfehlbar jetzt ſchon Wien verlaſſen ha—
ben und gegen tie Ruſſen aufgebrochen fein,“ ant-
wortete der Offizier.
„Ha, vortrefflih!” rief der Kuammerhere, „pie
Helden ven Ulm verftehen e8 ſogar in Schnee und
Eis Roſen und Lorbeeren zu pflücken.“
Er bat jet Guiſeppe zu folgen, und führte
ihn duch eine Heihe von Sälen und Zimmern nad)
demjenigen Flügel des Schloſſes, welcher nach dem
Garten hinaus ging. Sie traten auf eine Art Al-
tan, von wo eine Treppe nad) dem Garten hinab
führte. -
„Ihre Majeſtät die Kaiſerin,“ fuhr der Kammer—
herr fort, „hat die paar freundlichen Blicke der Mit-
tagsfonne benugt, um fid ein Wenig im Freien zu
ergehen. Wollen Sie gütigjt nur einen Augenblid
hier verziehen, ich eile, jett Ihre Majeſtät von Ihrer
Ankunft fohleunigft in Kenntniß zu ſetzen.“
Er ftieg raſchen Schritte die Stiegen hinab uud
verichwand bald hinter künftlid, vwerjchnittenen Baum—
wänben. Der vorige Hofbeamte nahte ſich jet unter
vielen Büdlingen ven faiferlihen Boten und erkun—
bigte fi neugierig nad) den neueften Angelegenheiten
der Armee. . Er fing nad dem Befinden mehrer fei-
ner Vettern, bie in verſchiedenen Regimentern dien-
ten, welche aber Guiſeppe nicht kannte und daher
keine Auskunft zu geben vermochte, Plötzlich aber
103
fprang der Frager mit dem Ausrufe: „da kommt Ihre
Majeſtät“ zwei Schritte zurlid.
Wirklich bog jest auh Sofephine, ans einem
der GSeitengänge kommend, in die Hauptallee ein.
Sie fam mit aM’ der Anmuth und Orazie, welche
ihr in jo hohem Grade zu eigen, die Allee vaher. -
„3a, Das ift unfere vortreffliche Kaiſerin!“ rief
Guiſeppe ſeltſam bewegt aus; „aber,“ fuhr er
glei, darauf fort, „wer ift denn das himmliſch fchöne
Mäpchen, das ihre zur Seite wandelt?”
Der GHofbeamte, wmeldyer ſich geehrt fühlte, hier
Auskunft geben zu können, antwortete: „Das ift das
Träulein Florentine von Nevers, welches fih im
aufgezeichneten Grade der Gnade Ihrer Majeſtät zu
erfreuen hat.’
„Wie?“ frug Öuifeppe, dec feinen Ohren nicht
zu trauen glaubte, auf das Freudigſte überrafcht,
„Fräulein Slorentine von Nevers, deren Tante,
in ein royaliſtiſches Complott verwidelt, fich vergif:
tet hat?“
„Daſſelbe,“ fuhr der Hofbeamte fort; „durch die
Türfprahe von Madame Junot, der hochgebornen
Gemahlin /des faiferlihen erften Adjutanten und Ge—
neralobriften der Garde, wurde das fchöne, werlaffene
Kind, mit Ihrer Majeftät befannt, welde gleich eine
fothe Vorliebe für das Mädchen empfand, daß fie
daffelbe in ihre Nähe zug und ihm eine mütterliche
Freundin wurde.”
„Nun das kann fih ja gar nit harmanter tref-
fen, ſprach Guiſeppe für fih, „da kann ich doch
endlich Armand's Brief an feine Adreſſe bringen,
den ih nun fchon auf allen leeren mit umherge⸗
ihleppt habe. Aber das muß ich geftehen, Geſchmack
bat der Schlingel.“
104
Der Kammerherr kam jett eiligft zurüd, bat dem
Seeoffizier zu folgen und führte ihn zur Kaiſerin,
worauf er ſich ehrfurchtsvoll zurüdzog. Als der Jüng⸗
fing in das fonnenklare, von himmliſcher Milde über-
ſtrahlte und von Freude verklärte Antlitz Joſephi—
nen's ſah, blendete ihn nicht mehr das Diadem der
Majeftät. Er glaubte eine Heilige vor ſich zu ſchen.
Die Kaiſerin war bei ver Nachricht, daß ein Brief
von Napoleon angelommen fei, jo von Entzücken
ergriffen, daß fie, alle Etiquette vergeflend, bem
Guiſeppe mit freudiger Haft ein paar Schritte ent-
gegen trat.
„Ein Brief von ‚Bonap arte,” vieffie, „o ſchnell,
geben Sie ihn. mir;“ und als Gaif enpe das Schrei=
ben überreicht hatte, fuhr fie fort: „ O ſprechen Sie,
mein Herr, wie geht es Napoleon, iſt er geſund,
iſt er wohl?“
er kann Ew. Majeftät verfihern,“ erwieberte
gerabherzig der Süngling, „daß mir Seine Majeftät
ber Kaiſer nie geſünder vvrgekommen ift, als vor ei=
nigen Tagen, wo ich ihn verlaffen babe, troß aller
Strapazen, die er zu erdulden gehabt hat.“
I warum darf ich ihn nicht pflegen 2“ ſprach
die hohe Frau und eilte nach einem in der Nähe be:
findlichen geheigten Pavillon, um ven Brief des Kai⸗
ſers zu leſen.
Florentine, welche bei der Bufammenfunft Jo⸗
ſephinen's mit Guiſeppe zugegen war, hatte
kaum einen Blick auf den Jüngling geworfen, als ihr
Herz unwillkürlich mit Heftigkeit zu klopfen begann;
denn Guiſeppe konnte in feinen Zügen bie Fa—
milienãhnlichkeit mit feinem Bruder Armand nicht
verlängnen. Sie gerieth daher in ſichtbare Verlegen—
heit, al8 fie fi) mit dem jungen Offiziere allein be=
105
fand. Lebterem erging es wicht beſſer. Er wußte
nicht, mit welcher irdiſchen Mundart er biefes engel-
hafte Weſen anreden ſollte. Enplih faßte er ſich ein
Herz und ſprach nicht ohne Schüchternheit:
„Mein ſchönes Fräulein, auch für Sie hab' ich
ein Brieflein mitgebracht, wenn Sie es nicht übel
nehmen wollen. Es iſt von Armand Maillebois,
meinem Bruder, der Sie fo liebt, und ber jetzt wie—
der nach Europa zurüdgefommen ift.”
Tlorentine, auf biefe Weife von einem jungen,
fremden Offiziere angerebet, gerieth in den erften Au-
genblid in hohe DBeitürzung, die Purpurröthe der
Schaam überſtrönite das holve, jungfräuliche Antlitz.
Sie zitterte und vermochte kein Wort zu erwiedern.
Guiſeppe fuhr fort:
„O, mein ſchönes Fräulein,“ fuhr er in ſeinem
zum Herzen ſprechenden Tone fort, „es iſt ja nichts
Böſes, wenn Sie den Armand lieben, er verdient
es gewiß. Wie wird er ſich freuen, wenn ich ihm
erzähle, daß ich Sie hier gefunden habe; ad), glauben
Sie mir nur, der arme Junge ift gar nicht wieber
ruhig geworben, feit er von Ihnen getrennt war und
über Ihr Schiejal feine Nachricht erhalten konnte.“
Wie bejeligend dieſe Worte in Slorentinen’s
Herzen wieder MHangen, fo war pas Mädchen doch
nit im Stande, dem Bruder ihres Geliebten irgend
eine Sylbe zu erwiedern: und ihre Hand ſträubte fich
aus weiblihen Schaamgefühl und aus Furt, beob-
achtet zu werben, Armand’ Brief, den ihr Gui-
feppe hinhielt, anzunehmen.
„Mein Fräulein,” ſprach Guiſeppe träurig,
„baben Sie den Armand mirffih ganz vergeflen,
daß Sie nicht einmal feinen Brief leſen wollen, ben
er Ihnen gewiß mit blutendem Herzen niederfchrieb ?"
106
„Nein! nein!” vief endlich das Mädchen in ge-
preßtem Zone, indem fie bie eine Hand krampfhaft
über die Bruft hielt, wo das Herz zu zerfpringen
brohte. Dann warf fie ſchüchtern einen Blick umber,
geiff ſchnell nach dem Briefe und verbarg ihn im
Bufentuche.
Die Kaiferin trat jebt aus dem Pavillon und
kam den Gang daher. Sie war no fo voller Freude,
daß fie den aufgeregten Zuftand Florentinen's
nicht bemerkte, welche die Gelegenheit ergriff, ſich
einige Schritte zurückzuziehen.
„Wie danke ich. Shen, mein Herr,” ſprach fie
zu Öuifeppe, „für die freudige Botfchaft, die Sie
mir überbradht haben.
„Wie mir mein Gemahl ſchreibt,“ fuhr fie nad
einer Pauſe und nachdem fih Guiſſeppe wieverholt
dankbar verbeugt hatte, anmuthsvoll fort, „find Eie
der brave Dffizier, der fich bei mehrern Gelegenhei-
ten durch feine Unerfchrodenheit und Tapferkeit fo
aufgezeichnet hat.“
„Habe nur meine Schulvigfeit gethan, Ew. Ma—
jeftät,‘ erwiederte der Jüngling.
„Tapferkeit und Edelſinn,“ ſprach Joſephine
weiter, „ſollen wir Frauen aber beſonders ehren.
Darum empfangen Sie dieſen Ring, den ich Ihnen
im Namen der Damen Frankreichs übermache.“
Mit dieſen Worten zog fie einen koſtbaren Bril-
lantring vom Finger und ihn dem Jüngling, ber be-
fcheiden zögerte, Die werthvolle Gabe anzunehmen,
hinreichend, fuhr fie in freunplichem, huldvollem Zone
fort:
„Immer nehmen Sie, Niemand hat ihn mehr
verdient.”
Der glüdlihe Guiſeppe wußte in der That
107
nit, wo er Worte hernehmen follte, feinen Dank
gebührend auszudräden. Er wollte ſich gern auf ir-
gend eine Art bei der hohen Geberin revangiren und
da fiel ihm ein, daß Joſephinen nichts angeneh-
mer fein könnte, als recht viel von ihrem Gemahl zn
hören. Dies that denn auch der Seeoffizier in ferner
gewohnten gerapherzigen Manier, fo daß bie Kaiferin
fi oft des Lächelns nicht erwehren konnte.
Erft nad, Verlauf einer halben Stunde entfernte
fih der Erzähler, um ein Wenig der Ruhe zu pfle=
gen und alsdann unmittelbar nah Deuiſchland zu—
rüdzufehren. Er verabfchiedete ſich von feiner hoben
Gönnerin und machte auh Florentinen, die fid
unterdeß wieder etwas gefammelt hatte, eine ftumme,
ehrfurchtsvolle Verbeugung. Wie gern er aud) mit
dem ſchönen Mädchen noch ein paar Worte ohne Zeu-
gen geſprochen hätte, um feinen Bruder vielleicht ei-
nen Gruß von ihr zu bringen, fo war dies tod) bei
ber Kürze der Zeit, die ihm vergönnt war, nicht
möglich. Er hatte indeß doch dieſe Genugthuung,
Vlorentinen Armand's Brief zugeflellt und bie
Entvedung gemacht zu haben, daß fein Bruder bei
ihr keineswegs vergefien je. Das war ihn vor ber
Hand genug.
As Guiſeppe nad ver erhaltenen Audienz wie-
der über den Schloßhof fehritt, fo war er diesmal
ber Gegenftand allgemeiner Ehrfurcht umter dem Hof—
perfonale. Im Berlaufe weniger Stunden befand er
fi) bereit® mit einem Antwortsfchreiben der Kaiſerin
an den Kaifer auf dem Wege nah Straßburg.
108
Jeuntes Kapitel.
Lußig loderte das kaiſerliche Wachtfeuer zum grauen
Decemberhimmel empor. Seine Flammen beleuchteten
den Kaiſer Napoleon, wie er in ſeinem grauen
Ueberrockke auf einem Feldſtuhle vor ver dürftigen
Hütte jap, die ihm feine Solvaten aus Stroh
erbaut hatten. . Auf dem gefrornen Boden war bie
Karte von Mähren ausgebreitet und im reife umher
fanden die Marſchälle von Frankreich, denen der
Kaifer die legten Befehle für den morgenden Schlacht:
tag ertheilte.
Der Abend begann hereinzubrehene Die Feuer
der Bivouals erbellten im meilenweiten Umkreiſe püfter
die Gegend. Der Kaifer war aufgeftanden und fohritt,
die Hände auf dem Rüden, bei feinem Feuer eine
Zeit laug auf und nieder. Oft war er damit beichäf-
tigt, die aus den Flammen fpringenden Brände mit
dem Fuße wieder in die Gluth zurüdzufchleudern.
Zuweilen blieb er ftehen und betrachtete aufmerkſam
den Himmel. Diefer war mit Gewölk dvunkel um-
bangen. Einige Mal gelang e8 dem aufgegangenen
Monde, die Wolfen zu durchbrechen und die Gegend
ſchwach zu erleuchten; aber bald verfhwand er wieder °
und die Dunkelheit fanf immer mächtiger hernieber.
Rings umber herrſchte troß der Hunberttaufende,
bie in einem Umfreis von wenigen Stunden auf Ebe—
nen und Hügeln lagerten, große Stille; nur das ein-
tönige Hämmern ber Feldſchmieden vernahm man in
den verfchiedenen Bivouaks.
Napoleon ſprach fo eben mit dem Marſchall
Soult, welchem er das Commando über den rechten
109
Flügel anvertraut hatte, als er plöglich feine Rede
abbrah und zu lauſchen ſchien.
„Hörten Sie nichts?“ frug er den Marſchall,
‚das iſt Hein Gewehrfeuer auf unſerm äußerſten vech⸗
ten Flügel.“
Bei dieſen Worten hielt Jedermann den Athem
an. Wirklich tönten aus weiter, dunkler Abendgegend
taum hörbar einzelne Flintenſchüſſe daher, welche bald
in regelmäßiges Pelotonfeuer übergingen.
„Das ift eine von Davouſt's Divifionen, welche
angegriffen ift,“ fuhr der Kaifer fort; „Savary,
hauen Sie einmal nad‘, was bie Ruſſen vorhaben.”
Der Adjutant verfhwand in der Nacht und Na⸗
poleon jeßte feine Unterhaltung mit den Marſchäl⸗
len fort. Das Gewehrfener hielt noch geraume Zeit
an. Der Kaifer berechnete, vermöge feiner außeror⸗
bentlihen Combinationsgabe, blos aus dem anhalten-
ben Belotonfeuer die Stärke und Abficht des Weindes,
und felbft diejenige feiner Divifionen, welche ange
griffen war.
„Die Ruſſen,“ ſprach er, „haben drei Bataillone
abgeſchickt, um einen feften Punkt gegen unfere äu⸗
Berfte Rechte zu gewinnen, unfehlbar, um von da
aus morgen früh ihren erfien Angriff zu unter
nehmen.“
Nach Berlanf von einer halben Stunde kam ein
Adjutant angefprengt. Er ward fogleih vor Napo-
leon geführt.
„Run werben wir ja hören,” ſprach dieſer.
„Sie, berichtete der Anjutant, „vie Ruſſen ha⸗
ben die Diviflon Legrand, die Avantgarde bes
Marſchall Da vouſt's beim Dorf Salolniz ange
griffen, um auf morgen eine fefte Stellung für ben
Angriff gegen unfern rechten Flügel zu gewinnen ’T..
110
Die Marſchälle und Generäle vrüdten ihr Erſtau⸗
nen aus, wie ber Kaifer alles dies voraus gewußt
babe; ver große Feldherr aber machte mit ver Hand
ein Zeihen, womit er die Generalität verabfchiebete.
„Auf Morgen, meine Herren,“ ſprach er und
Tehrte in feine Hütte zurück, wo er fi) auf ein paar
Bund Stroh ausſtreckte und ſogleich einſchlief.
Nach einiger Zeit kehrte auch Savary zurüd,
welchen Napoleon ausgeſandt hatte. Als er zum
Kaifer geführt wurde, fchlief diefer fo feit, daß ihm
Conſtant Leis am Arme fhütteln mußte, um ihn zu
erweden.
Savary erſtattete faft venfelben Rapport ab wie
der frühere Adjutant, fügte jedoch hinzu, daß, trotz
bem die Ruſſen wiederholt zurdgetrieben worden feten,
fie ihre Bewegung fortjegten.
Auf dieſe Nachricht ſchickte Napoleon fogleich
nah dem Marfhall Soult, ftieg zu Pferde, um in
Perfon fih über ven feinplichen Angriff zu belehren.
Nur von dem genannten Marſchall und zweien
Adjutanten begleitet, vitt er duch bie ſchweigenden
Bivouaks. ALS er bei der Divifion Legraud ankam,
hatten die Kuflen wegen der großen Duntelheit den
Angriff aufgegeben und die frühere Stille war wieder
eingetreten.
Der Raifer näherte ſich fo viel als möglich ven
feindlihen Stellungen, aber bei der Yinfternig war
wenig zu erfennen; nur die bier und da nod klim—
menden niedergebrannten Wachtfeuer bezeichneten bie
ruſſiſchen Linien. Bei einer feiner äußerſten Vedet—
ten hielt er eine Zeit lang ſtill und war bemüht,
fich in ver Dunkelheit zu orientiren. Auch in ben
feindlichen Bivouals herrfchte große Ruhe, nur aus
yweiter Ferne, wo die Garden Alerander's lagerten,
ey
111
flug von Zeit zu Zeit wüftes, tumultuarifches Ge⸗
ſchrei an fein Ohr.
„Die Ruflen feinen guter Dinge, ſprach ber
Kaifer zu Soult, „ic glaube, fie betrinfen ſich ſchon
auf unfern Untergang.”
Er ritt nad diefen Werten die Kette feiner Vor⸗
poften entlang und kehrte nach feinem Bivouak zurüd,
Als er bei den Schildwachen der Garde vorüber kam,
ward er fogleih erkannt. Ein einziges „Vive l’em-
pereur!“ brachte fogleich das ganze Lager in Bewer
gung. Die Soldaten verließen ihre Lagerpläke und
ftinmten enthuftaftiich in ven Auf ein. Bereits hatte
es Mitternacht gefchlagen. Die Armee erinnerte fich,
daß der Jahrestag von Napoleon’s Krönmg are
gebrochen ſei. Sogleich gerietben mehre Compag⸗
nien Garbegrenadiere auf ven ‚Einfall, Strohbündel
auf Stangen zu fleden und anzuzlinden. Dieſes Bei-
fpiel fand Nahahmung, verbreitete fi wie eine feu-
rige Lawine von Bivouak zu Bivouaf, und binnen kur⸗
zer Zeit ftanden fiebzigtaufend Dann in Xeihe und
Glied und brachten ihrem großen Raifer ein flam:
mendes Angebinde. Es war eins der wunberähn-
lichſten und großartigften Schaufpiele, die man fehen
konnte.
Als Napoleon bei dem Bataillone ſeiner Garde
vorbei ging, das den Ehrennamen der „Öranit-
colonne von Marengo“ führte, ſprach ex zu den
alten Granbärten:
„Die Ruſſen wollen unfern vechten Flügel um—
gehen und bieten uns fo ihre Geite. Ich werde
morgen dem euer fern bleiben, wenn Ihr mit ber
gewohnten Tapferkeit Schreden und Verwirrung in
ben feinvlichen Reihen verbreitet; follte aber ver
Sieg einen Angenblid zweifelhaft fein, fo werdet
112
Ihr Euern Kaiſer fich dem dichteſten Kugelregen aus⸗
ſetzen ſehen.“
Auf dieſe Worte trat Morland aus dem Gliede
nnd die Hand ſalutirend an bie Bürmlte legend, er⸗
wiederte er:
„Sie! Du folft nicht nöthig Haben, Dich ber
Gefahr auszufegen; ich verjprede Div im Namen
der Grenadiere der Armee, daß Du blos mit ben
Augen zu- fechten brauchſt, und daß wir Dir bie
Kanonen und Fahnen ver Rufen bringen werben,
um ben ‚Jahrestag Deiner Krönung zu feiern.“
Allmälig erlofh die majeſtätiſche Illumination
und die frühere Stille trat wieder ein. Napoleon
fehrte nad) feiner Hütte zurüd. Er war von ber un-
vermutheten, außerorbentlihen Huldigung auf's Tiefſte
bewegt.
„Die fo eben verlebten Augenbliche,“ ſprach er,
„gehören zu ben fchönften meines Lebens; aber ich
fühle tiefes Bedauern, wenn ich bebenfe, daß ich viele
biefer braven Leute binnen wenig Stunden verlieren
werde. Der Schmerz, den ich darum empfinde, fagt
mir deutlich, daß es meine Kinder find, und ich
glaube, dieſes Gefühl wird mid) noch einmal zum
Kriege untüchtig machen.”
Der Kaijer war eben im Begriff, fich wieder zur
Ruhe zu begeben, als entferntes Pferdegeftampf durch
bie Stille ver Nacht daher tönte, dag von Yugen-
blid zu Augenblid näher kam, plöglid aber mit einem
bumpfen Gekrach fich endigte.
„Da ift Demand geftärgt,“ rief auffahrend ver
Kaifer, „man eile, man ſehe, was e8 gebe.‘
Nach Berlauf weniger Minuten trat ber dienſt⸗
habende Adjutant mit der Melvung ein:
„Sire,“ berichtete er, „ver Gardecapitain Ar⸗
113
mand Maillebois, von ben Antillen kommend,
bittet um die Gnade, Ew. Majeſtät eine Depefche aus
St. Domingo überreichen zu dürfen.
- „Armand Maillebois?“ frug ver Kaiſer über
raſcht, „alſo doch noch vor Thorſchluſſe eingetroffen.
Das muß ich geſtehen! Man führe ben Dfficier
herein.“
Armand, deſſen Pferd von dem unechörten Nitte
unfern von der faiferlichen Barake zu Boden geftürzt
war, jedod ohne den fühnen Neiter zu verlegen, trat
jett ein.
‚Nun, willlonmen in Europa,“ ſprach Napo⸗
leon, „wie ftehen die Sachen auf Domingo ?“
„Die Sahne Frankreichs,“ antwortete Armand,
„webt von einem Ende zum andern.“
„Wirklich ?” frug der Kaifer und fein Geſicht hei⸗
terte fih fihtbar auf, „und Herr Deffalines?“
„Iſt fo gut wie vernichtet,” fuhr - Armand fort;
er überreichte feine Depefche, welche das Weitere bes
richtet.
Nachdem Napoleon gelefen, warb er vollflom-
men guter Laune Er erkundigte fid) jest, wenn
Armand an’s Land geftiegen, und als er die Ant-
wort erhalten, rief er, ob der Kürze ver Zeit, in
welher Armand ven langen Weg zurüdgelegt, ver⸗
wundert:
„Aber wo Teufel, habt Ihr zwei Maillebois
nur das Reiten geleent? Der Guifeppe jagt auch
mit dem Sturmwind um bie Wette.”
„Bir find Normannen, Ew. Majeftät,” verſetzte
der Gefragte.
„Beaumont,” wandte fih jest Napoleon
zum dienſthabenden Adjutanten, „tragen Sie Sorge,
daß der Capitain ein gutes und weiches Lager er⸗
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXI. 8
114
Hhalte. Er wird ber Ruhe bedurfen. Fünf bis ſechs
. Stunden Schlaf werben ihn in den Stand ſetzen, beim
Beginnen der Schlacht die dritte E &cadron der Garbe-
Grenadiere unter General Rapp zu commanbicen. Gute
Nacht, mein braver Capitain.“
Armand Hangen viefe Worte des Raifers, feine
Ruhe betreffend, Außerft augenehm, denn er war zum
Tode ermübet und bebinfte vor Allem der Stärkung
zum 1 beuozfteßenben Kampf.
. Bald ruhte er tief in weichem Hen, Stroh und
Deden und der geſundeſte Schlaf erguidte und ftärkte
feinen ermatteten Körper.
Weiße, geifterhafte Nebel ſanken immer dichter
hernieder. Rings herifchte tiefe Stille. Bald waren
vie Bivouaks beider Heere in tiefe Schleier gehüllt.
Die nächſte Sonne follte über das Schickſal ver Welt
entſcheiden.
Es war die Sonne von — Auſterlitz!
Zehntes Rapitel.
Dos Licht des jungen Tages, bes zweiten Decem-
bers 1805, brach herauf. Roch hüllte ein dichter Ne:
bel alle Bivouafs ein; ; er war fo ſtark, daß man faum
wenige Schritte weit zu fehen vermodte. Weit und
breit herrſchte die tieffte Stile. Niemand hätte denken
follen, daß hinter biejen feuchten Nebelveden Hundert-
tauſende lagerten, daß in diefen grauen Schleiern zahl-
loſe Blitze fchlummerten.
Das franzöſiſche Heer griff zu den Waffen und
115
rüdte mit einer Ordnung wie auf dem Erercierplake
in Colonnen nad den bezeichneten Stellungen. Diefer
einhellige Aufbruch der in Boulogne an bie vollkom⸗
menfte Tactit gewöhnten Armee hatte etwas Ehrfurcht⸗
einflößendes. Man hörte in der Morgenſtille die Be-
fehle der einzelnen Offiziere.
Napoleon, umringt von allen feinen Mar-
fällen, hielt auf ver Höhe feines Bivouals und war-
tete, bis fi der Horizont volllommen aufgehellt haben
wilde. Die Ungebuld der Generale und Soldaten,
bie Schlacht zu beginnen, war groß; ber Kaiſer blich
ganz rubig. |
Da erhob fi ſtrahlend die Sonne zum Jahres⸗
tage Napoleon's, die Nebelveden zerreißen und ber
Ihönfte Wintermorgen beleuchtet die beiden Armeen.
Der Kaifer giebt die letzten Befehle und jeber
Darical fprengt in geftredtem Galopp nad feinem
orp8.
„Soldaten!“ ruft Napoleon, indem er mehre
Negimenter entlang reitet, „wir müſſen den Feldzug
burch einen Donnerfchlag beenden, ver den Stolz un-
ferer Feinde nieverfchmettert.“ |
Alsbald fliegen Hüte und Tſchakos auf die Spigen
der Bayonnette und der Ruf: „Hoc lebe der Kaiſer!“
wird das allgemeine Zeichen zur Schlacht. In bem-
felben Augenblide beginnt die Kanonade auf dem äu-
ßerſten rechten Flügel, welchen bie feindliche Avantgarde
zu umgehen im Begriffe ift; aber eine unerwartete
Bewegung des Marſchall Davouft thut dem Vor⸗
dringen der Ruſſen fehnell Einhalt.
Zu gleicher Zeit fest fih Marſchall Soult in
Bewegung und fucht mit den Divifionen. der Generale
Vandamme und St. Hilaire ben feindlichen rech⸗
8*
\
116
ten Flügel abzufchneiven. Die Kuffen find durch die—
jen kühnen Flankenmarſch überrafcht.
- Bring Murat rüdt mit der gefammten Cavallerie
vor. Der linke Flügel, unter Marfhall Lannes,
al echelonförmig in Regimentscolonnen gegen den
Feind.
Eine furchtbare Kanonade erhebt ſich durch die
ganze Linie. Zweihundert Geſchütze ſpeien Tod und
Betrderben und faſt zweihunderttauſend Menſchen rücken
zum Rieſenkampfe gegen einander.
Noch ſchlägt man ſich keine Stunde, und ſchon iſt
der linke Flügel des Feindes volllommen vom Cen—
trum abgeſchnitten. Er iſt bereits bis Auſterlitz
zurückgedrängt, woſelbſt das Hauptquartier der beiden
Kaiſer ſich befindet.
Während die Bewegungen ruſſiſcher Seits bereits
von Unficherheit zeigen, herrſcht auf der franzöfiichen
Linie die volllommenſte Ordnung. Der Alerblid
Napoleon's wacht über dem ganzen unermeßlichen
Schlachtgemälde.
Die franzöſiſchen Reiterangriffe ſind alle von der
Beſchaffenheit, daß fie zwiſchen den Bataillonen ber:
vorbrechend, im glücklichen Falle dem Feinde außeror⸗
dentlichen Schaden zufügen und im entgegengeſetzten
ſich die geworfenen Schwadronen auf das Fußvollk zu—
rüdziehen können, das ſtets im Vorrücken begriffen iſt.
Werben fie vom Feinde verfolgt, fo geräth dieſer zwi-
ſchen das Kreuzfeuer der Infanterie und findet daſelbſt
größtentheils ſeinen Untergang.
Bald gab es auf Seiten ber Ruſſen und Deft-
reicher Fein einiges Heer nieht, das in einem Sinne
geleitet werben konnte und beffen einzelne Theile ſich
gegenfeitig unterflügt Hätten. Bereits hatten die Stan-
> en bie ® einbrice Schlachtlinie an zwei Orten burd-
117
brochen und die rufjifhen Stellungen wurden von ver-
ſchiedenen Seiten angegriffen.
Am Uebelften für vie Rufen fleht es auf ihrem
linken Flügel aus, ber, wie bereits erwähnt, durch
Marſchall Soult vollkommen abgeſchnitten iſt. Die
franzöſiſche Infanterie ſteht zwiſchen ihm und dem
ruſſiſchen Centrum. Die Kluft wird immer größer
‚und gefahrdrohender. Da verſucht Kuntuſow einen
außerordentlichen Schlag, um eine Vereinigung ſeines
Mitteltreffens mit dem linken Flügel wieder herzu-
ſtellen. Die Schwadronen der ruſſiſchen Gardecavalle⸗
rie donnern heran und werfen ſich auf die franzöſiſche
Infanterie. Zwei Bataillone vom Viertes der Linie,
gegen welche die furchtbare Colonne zuerſt anbrauft,
werben geworfen. und ihr Adler fällt in die Hände
der Ruflen.
Sogleih ruft Napoleon, ver nidt fern ift:
„Delfieres, laß Deine Unbezwingliden
vorrüden !”'
Trompeten ſchmettern. Im Augenblicke ftürzt ſich
der tapfere Rapp an der Spitze der Mamelucken,
zweier. Schwadronen Gardejüger und zweier Schwa⸗
dronen Gardegrenadiere auf die auserleſene Schaar
Alexander's.
Der Kampf der beiden Kaiſergarden zu Pferde
iſt furchtbar. Die Erde dröhnt unter den Hufen
zahlloſer Roſſe. Wild brauſen die Schwadronen über
bie gefrorne Erde gegen einander. Tauſende von
Schwertern flammen im Sonnenlicht. Es entſteht ein
Kampf, Mann gegen’ Mann, wie in ven Schlachten
des Mittelalters. Bald zeigt ſich Verwirrung in den
Geſchwadern der Ruſſen. Sie werden geworfen, ein
Theil zuſammengehauen, ein anderer gefangen genom⸗
men; unter Letztern befindet ſich der Furft Repnin,
118
Dbrift der Kittergarven. Das Regiment des Groß-
fürften Conftantin wird gänzlih vernidtet. Cr
felbft verdankt feine Rettung nur der Schnelligkeit
feines Pferdes.
Bon der Höhe von Aufterlit fehen die beiben
Kaifer die Niederlage ihrer Garden. Sie ſuchen ih-
nen Hülfe zu fenden, da rüdt das franzöfliche Cent⸗
um unter Bernadotte vor. Desgleichen greift
Marſchall Lannes mit dem linken Flügel breimal
an. Alle feine Angriffe find glänzend und ſiegreich.
Seine Cuiraſſierdiviſionen donnern gegen bie feindlichen
Batterien und bemächtigen fich derfelben. Ueber das
feindliche Heer bricht die Verheerung ein.
Es iſt ein Uhr Mittags. Der feinen Augen-
blick zweifelhaft gewefene Sieg ift entſchieden. Na⸗
poleon hat nicht einen Dann feiner Reſerve be⸗
durft. Die zehn Bataillone feiner Garde und die
zehn Grenadierbataillone unter Dubinot, dieſe ganze
erlejene Schaar, umringt von vierzig Kanonen, fteht
noch immer Gewehr beim Fuß, aber murrend, blos
müſſige Zufchauer bei der großen Heldenſchlacht ge-
weſen zu fein, in ver Nähe bes franzöfiſchen Haupt⸗
quartiers.
Biermal hatte die Garde. fih vorwärts zu werfen
verlangt und ihre Murren ſich verboppelt.
Da ift der Kaiſer mit feiner Schlachtenflirn her-
angefprengt und hat donnernd Ruhe geboten.
„Aber Du giebft uns auch niemals etwas zu
thun,“ antwortete bei biefer Gelegenheit ein alter
Grenadier.
In dieſem Augenblicke führt Armand Mail-
lebois, blutend und pulvergefihwärzt und mit zer-
brochenem Säbel den ruſſiſchen Fürften Repnin,
119
ben ‚er mit eigener Hand zum ©efangenen gemacht,
vor Napoleon.
„Sire,“ ruft dieſer General, „Laflen Sie mich er-
fhießen, ich habe alle meine Kanonen verloren.”
„Prinz,” antwortete der Kaifer, „ic achte Ihren
Schmerz, doch kann man durch meine Armee gefchla-
gen werden, ohne aufzuhören, ein braver Militair zu
fin. Maillebois, man gebe dem General feinen
Degen zurüd.” | \
Napoleon reitet ruhig nah der Höhe feines
Bivouaks zurüd und überfhaut mit feiner gewohnten
Schlachtenruhe das furchtbar- majeſtätiſche Schaufpiel,
das ſich vor ihm ausbreitet. Rings in meilenweitem
Umkreiſe nichts als flammende Batterien, Rollen und
Geknatter des Peloton⸗ und Heckenfeuers, donnernde
Cavalleriechargen und ſtürmende Bayonnettangriffe.
Wie der Meiſter über ſein Werk, ſo ſchaut der
große Mann über das Schlachtfeld. Ununterbrochen
kommen Adijutanten und Orbonnangofflziere mit Mel⸗
dungen aus allen Gegenden geflogen und jagen eben
ſo ſchnell mit neuen Verhaltungsbefehlen nach ihren
Corps zuräd.
„Mouſtache,“ ruft der Kaiſer ſeinem in der Nähe
haltenden Cabinetscourier zu, „reiten Sie nad) Paris,
fo ſchnell Sie können und melden Sie ber Kaiferin
Sofephine, daß die Hauptſchlacht gewonnen und der
Feldzug beendigt fer.“
Zu derſelben Zeit werben Couriere an die Fürften
von Baiern, Württemberg und Baden mit der
Siegesnachricht entfenbet.
Allmälig verftummen ‚die. rufliihen und öſtreichi⸗
Shen Batterien. Nur auf dem franzbſiſchen rechten
Flügel dauert bie Kanonade ununterbrochen fort.
Soult und Davouſt drängen bie abgefchnittene
12)
and in völliger Auflöfung begriffene, feindliche Linke
vor fi ber. Die Ruffen werden von Höhe zu Höhe,
von Stellung zu Stellung getrieben, bis fle in einer
Niederung angelangt, bei einem gefrornen See, wo fie
nicht weiter können, Poſto faſſen.
Wieder jagen Adjutanten heran und melden das
Schickſal des feindlichen Corps. Sogleich wendet ſich
der Kaiſer im Sattel und ruft dem Artilleriegeneral
Drouot zu:
„Zwanzig Piecen! En anvant!“
Er verläßt feinen Pla und galoppirt quer über
das Schlachtfeld nah feinem rechten Flügel. Raſſelnd
folgte ihm eine Batlerie von zwanzig Kanonen reiten:
der Artillerie So wie er die Anhöhe erreicht bat,
von wo aus das abgefchnittene Corps und ber See
beftrichen werden können, läßt er auffahren und ab-
pıogen. Ein Theil des ruſſiſchen Corps ift bis mit:
ten auf den gefrornen See zurüdgedrängt.
„Sire,“ fragte Berthier, „joll man fie mit Kar⸗
tätjchen befchießen ?“
„Man muß fie Alle vernichten,” erwiebert troden
der Kaifer.
Sogleich werben die Geſchütze, anftatt auf die in
Unordnung geworfene Maffe, auf die Eisdede gerichtet.
Die Kanonen- und Haubitzkugeln zerreißen viefelbe als-
bald in große, ungeheure Stüde. Ganze Compagnien
fuchen jicdy einen Augenblid auf dieſen unfihern Eis—
ſchollen zu halten, auein bald wird die Lajt zu jchwer,
die Schollen berften und unter dem verzweiflungsvollen
Kampfe gegen Wellen, Ei8 und feindlichen Stugeln
finden unter fürchterlichem Todesgeſchrei mehre taufend
Menſchen ihr Grab.
Während diefer Zeit macht Berthier ven Kaiſer
auf die furchtbare Wirkung der Artillerie gegen den
121
Feind aufmerkſam. Mit halblauter Stimme murmelt
der Kaiſer vor fi hin:
„Ich werbe niemals vergefien, daß ich in biefem
Corps meine Laufbahn begonnen. Die Artillerie wird
künftig die erſte Waffe der franzöfiihen Armee fein.
IH Tann mich jedoch nicht enthalten, das Schickſal
diefer braven, aber unglüdlihen Leute zu beklagen,
welche beſſere und geſchicktere Führer vervient hätten.”
Kaum hatte der Kaifer diefe Worte gefprochen, als
bie Kanonen zu feiner Nedhten verftummen: fie haben
ihren Zweck erreicht. Alles, was ſich auf der Eisdecke
befunden, Menſchen, Roſſe, Kanonen, Deunitionswagen,
ift von der Oberfläche des Waffers verſchwunden, und
in den Abgrund verſunken.
So endigte diefe in den Annalen der Weltgefchichte
ewig denkwürdige Schlacht, in dem dreißigften Bulle:
tin der großen Armee „ein wahrhafter Riefenfamyf,“
von den Soldaten die „Dreikaiſerſchlacht“ oder bie
„Krönungsſchlacht“, von Napoleon aber die Schlacht
bei Aufterliß genannt, welden Namen fie aud) be-
halten bat.
Alles, was von dem Genie eines großen Feld⸗
herrn, von der Pünkılichkeit in der Ausführung feiner
Befehle, von der durchdachteſten Strategie, vollendet⸗
ſten Taktik und endlih von der perfünlichen Bravour
der Soldaten verlangt werden kann, findet ſich in der
Schladt von Aufterlig vereinigt. Wie groß fie
auch in politifcher Bedeutſamkeit vafteht, jo wird
fie dennoh von ver. kriegs wiſſenſchaftlichen Bes
deutſamkeit noch übertroffen.
Unermeßlich ſind die Vortheile und die Beute des
Siegers. Zehntauſend Todte bedecken feindlicher Seits
die Wahlſtadt; zehntauſend ſind theils verſprengt,
theils in den See verſunken. Die Anzahl der Ge—
122
fangenen beläuft fi) auf zwanzigtaufend, darunter Drei
Generallientenants, ſechs Generalmajors, zwanzig Ober-
offiziere und achthundert andere Offiziere von allen
Graden und Waffengattungen. Erbeutet wurben vier-
zig Bahnen, darunter bie der Faiferlich rufjifchen Garde,
fehsundachtzig Kanonen, vierhundert Bulverfarren und
fämmtliches fchweres Fußwerk.
Für Napoleon ift e8 aber nidht-genug zu fiegen.
Ihm liegen noch andere Pflichten ob. Er durcheilt
das Schlachtfeld, beeilt vie Hülfe für die Verwunde⸗
ten, richtet tröftende Worte an fie. Er beſucht die Bi-
vonals, dankt den Solpaten, preißt ihre ſchönen Tha⸗
ten, wünſcht allen Glück, denn alle haben ſich wie
Helden gezeigt.
Als der Kaiſer die verfchienenen Rapporte ber ver-
ſchiedenen Armee-Commandanten durchlas, rief er:
„Ih müßte mehr als menſchliche Kraft beiten,
um alle diefe Braven würdig belohnen zu können.“
Unter denjenigen, weldhe ſich an dieſem denkwür⸗
digen Zage am Meiften ansgeichneien, befanden fich
in dem Corps des Marfhall Lannes, die Divifions-
Generale Suchet und Eafarelli; in dem von
Dernadotte: Rivaud und Drouet; in dem von
Soult: Legrand und ver ehrwürbige greife Saint
Hilaire, der, obſchon beim Beginn ded Kampfes ver-
wunbet, gleichwohl den ganzen Tag auf dem Schlacht⸗
felde aushielt; in dem Corps von Davouft: Friant
und Öuidin. Die Cavallerie-Generale unter Murat
hatten fich ſämmtlich ausgezeichnet. Unter den Adju-
tanten des Kaifers bevedten ih Savary und Rapp
mit Ruhm. Bolbubert allein ftarb an ven Yol-
gen feiner Wunden.
„Ih wünſchte mehr für Sie gethan zu haben,“
ſchrieb dieſer General noch in den legten Augenbliden
123
an Napoleon. „In einer Stunde werbe ich nicht
mehr fein. Ich habe nicht nöthig, Sire, Ihnen meine
Gattin und meine Kinder anzuempfehlen.“
ALS diefer tapfere General ven einer Haubitzkugel,
weile ihm ven Schenkel zerriß, zu Boden geworfen
und die Soldaten herbei eilten, ihn fortzutragen , vief
er denſelben zu:
„gZurüũck, meine Freunde! Erinnert Euch des Ta-
gesbefehls. Erſt nad errungenem Siege werbet Ihr
mid fortſchaffen.“
Der tödtlich verwundete Füflelier ChHarpentier,
vom Einundvierzigſten der Linie, wollte durchaus
wicht zugeben, daß ihn feine Kameraden in's Lazareth
brachten.
„Denkt daran nicht,” ſprach er, „ih will Lieber
auf dem Schlachtfelde ſterben, als unter den Hänben
ber Chirurgen. Zum wenigften bin ich bann ficher,
daß ich nicht ſtückweis begraben werbe,“
Der Grenadier Trigaud vom adhtundvierzigften
Regiment, deſſen Bruft von einer Büchſenkugel durch⸗
bohrt worven war, fragte am Abende bes Tages ben
zu feiner Hülfe berbeigeeilten Arzt, ob er ‚wohl Bis
zum folgenden Zage leben werde? Nach einer aus-
weichenden Antwort bes Letztern, welder ihm bie
Wahrheit nicht fagen wollte, fügte Trigaud mit
philoſophiſcher Ruhe hinzu:
„Verdammt! deut fhon zu ſterben, das iſt ja
wider den Tagesbefehl. Morgen wäre x8 mir gleich⸗
gültig geweſen.“
Der Kaiſer bewilligte den hinterlaſſenen Wittwen
der in der Schlacht gefallenen Generale, Offiziere und
Soldaten Penſionen. Er adoptirte ‚bie Kinder der:
jelben, forgte für deren Erziehung, Unterlommen, jo
wie für die Ausſtattung der Töchter, Alle Berwun-
124
deten erhielten eine breimonatliche Solvzulage, jedoch
empfingen nır Diejenigen, welche fi durch irgend
eine glänzende Waffenthat oder außerordentliche Hand⸗
lung ausgezeichnet hatten, das Kreuz dec Chren-
legion.
Um endlich der ganzen Armee feine hohe Zufrie:
denheit zu beweifen, ließ er nachſtehende Proflamation
in den Tagesbefehl rüden, ven er felbft bictixte:
„Solvaten der großen Armee!
„Ih bin zufrieden mit Eu! Ihr habt an dem
Zage von Aufterlit Alles gerechtfertigt, was id) er- -
warten konnte. Ihr Habt Eure Adler mit unfterbli-
hem Ruhm gekrönt. Eine Armee von hunderttaufend
Mann, von den Kaifern von Rußland und Deftreich
in Perfon befehligt, ift in weniger denn vier Stunden
geivennt, zerftreut und befiegt worben. Was dem Teuer
entflob, ift im See ertrunfen.
„Splvaten! Als das franzöfifcge Volk die Faifer-
liche Krone auf mein Haupt ſetzte, vertraute ich mid)
Euch an, um fie ſtets in jenem Glanze des Ruhms
in erhalten, welcher ihre nur allein in meinen Augen
erthb geben konnte. Und jene eiferne Krone —
durch das Blut fo vieler Franzoſen erobert — woll⸗
ten fie mid, verbindlih machen, auf das Haupt eines
unferer erbittertften Feinde zu ſetzen! ... Berwe-
gene und unfinnige Plane, weldhe Ihr gerade am
Jahrestage der Krönung Eures Kaiferd vernichtet
habt. Ihr Habt Ihnen gezeigt, daß es leichter ift,
ung verhöhnen und Troß bieten, al® uns befiegen zu
können.
„Soldaten! Wenn Alles, was zum Glück und
zur Wohlfahrt unſers theuren Vaterlandes nöthig iſt,
erfüllt fein wird, werde ih Euch nach Frankreich zu=
rüdführen. Dort werdet Ihr der Gegenjtand meiner
125
gem befondern Fürſorge bleiben. Mein Bolt wird
uch mit Freuden wieberfehen und es wird Euch
genügen zu fagen: „ih war mit bei Aufterlig,“
um Euch darauf zu antworten: „Siehe da, ein
Braver?“
Eilſtes Rapitel.
Der Kanonendonner iſt faſt ganz verhallt, nur aus
weiter Ferne tönen noch vereinzelte Schüſſe der fran—
zöſtſchen Avantgarden, welche ununterbrochen die Tküm⸗
mer der geſchlagenen Armeen verfolgen. Der Kaiſer
reitet auf dem Schlachtfelde umher, hier und da vom
Pferde ſteigend, und Verwundeten Troſt und Hülfe
ſpendend, ba ſtellt ſich ihm plötzlich ein Grenadier ſei⸗
ner Garde vor, es iſt Morland, der ſalutirend die
Hand an die Bärmütze legt.
„Was willſt Du, mein Alter?“ fragt Napo⸗
leon gütig.
„Sie, er hat fie!”
„Erklär'. Dich deutliher, Morland, ich verftehe
Dich nicht.“
„Sire,“ fährt ter Grenadier fort, „er hat bie
Kanone, weiß Gott, er hat ſie.“
„Wer hat die Kanone?“
„Der Nap dort!“
Mit dieſen Worten zeigt Morland nach einer
Gruppe Grenadiere, die ſich in einiger Entfernung
um einen ruſſiſchen Zwölfpfünder geſchaart haben.
Der Kaiſer lenkt fein Roß dahin und es bietet ſich
126
ihm der rührendſte Anblid dar. Zehn bis zwölf Gre-
nadiere feiner Garde umringen ſtumm einen Yüngling,
ver bleih und leblos noch bie Lafette eines feindlichen
Geſchützes umklammert hält, das er mit beiſpielloſem
Heldenmuthe erobert hat. Es iſt Napoleon Mail—
lebois, der kleine Kanonier.
Der Kaiſer ſpringt vom Pferde.
„D, mein Kind, mein Kind!“ ruft ex ſchmerzvoll
8, Iſo haſt Du’ meinen Scherz für Ernſt genom-
men! Feldſcheer, ift noch Rettung ?“
Der Wundarzt legt fanft feine Hand an die Bruft
des töbtlich.. Verwundeten.
„Roh ſchlägt leis das Herz,” erwiebert er.
5 er muß mir gerettet werben,“ fährt ber Kai-
fer auf das Tieffte ergriffen fort, indem er niedertniet
und bie bleiche Wange des Jünglings ſtreichelt, „Feld⸗
ſcheer, Du mußt mir ihn retten, auf, eilt nach meinen
Aerzten, er iſt ja mein Taufpathe, ich kenne ſeinen
Vater ganz gut, dieſer diente mir in Egypten.“
Der Kaiſer richtet ſich auf, er ſchaut ſich um im
Kreiſe ſeiner Orenadiere, er ſieht, wie ben alten Ve—
teranen die Thränen in den Bart träufeln, er ver⸗
nimmt das Nühere über die Heldenthat des jungen
Maillebois, fein Auge ftrahlt von ungewöhnlichen
Feuer, fein Antlitz verklärt ſich — er ſchaut über das
winterlihe Schlachtfeld von Aufterlig, über pas
Feld fo vielen Ruhms.
„Ba, Ihr Franzoſen!“ ruft er, „Uhr ſeid doch
das größte Volk der Welt.“
Der Verwundete wird jetzt mit der außerordent⸗
lichſten Sorgfalt von den Grenadieren der alten Garde
nad dem nächſten Bivouak gebracht; Napoleon ſelbſt
begleitet zu Fuß den Zug und trägt Sorge, daß Alles
angewendet wird, den Heldenjüngling zu retten.
127
„Morland,” ſprach der Kaifer zum Gergeanten,
der unmittelbar hinter ihm fchritt, mit leichtem Vor⸗
wurf, „fonnteft Du nicht dem Kinde auseinander
ſetzen, daß es nicht jo ernitlih gemeint war?”
„du, Em. Majeftät,“ entichuldigte ſich Diefer und
die Thränen traten ihm gleihfalld hervor, „ich hab’
e8 wohl gethan. „Närrifher Kerl,“ fagte ich, als
ihm die Kanone gar nicht wieder aus dem Kopfe
wollte, „der Kaifer bat es gar nicht fo ernft gemeint;
aber er war einmal auf bie gottverfluchte Donner-
büchfe verjefien, was kann ih dafür ?“
Napoleon kehrte fchweigend und innerlidhft be-
wegt nad feinem Hauptquartier von Aufterlig zu—
rück; doch kaum hatte er dieſes Dorf erreicht, als ihm
abermals ein Maillebois in ven Weg fam. Es
war Öuifeppe, welcher foeben von Saint Cloud
anlangte und ihm ben Brief der Kaiſerin überreichte.
‚Der Seegardiſt war außer fih und in Verzweiflung,
die große Schlacht verfäumt zu haben. Er made
ven Kaiſer in feiner geradherzigen Weiſe orbentlich
Vorwürfe, daß er ihn nah Frankreich geſchickt, wäh-
rend er der ganzen Armee Gelegenheit gegeben, fich
mit Ruhm zu bededen.
Der Raifer mußte lächeln.
„Du fiehft, Guiſeppe,“ ſprach ee, „bag wir
auch ohne Dich mit den Ruſſen fertig geworven find.
Uebrigens gräme Dich nicht, der Name Maillebois
ift darum nicht vermißt worden und er hat ſich mei-
ner und des Vaterlandes würdig bewiefen. Doc jet
ruhe Did aus. Du folft mir morgen an die Grenze
"Italien reiten und den Maſſena ärgern, indem
Du ihr die Nachricht von unferm großen Siege
überbringft. Sage ihm, daß ic, ſchon breißig Schlach⸗
ten wie dieſe geliefert, aber keine, wo ber Sieg fo
128
glänzend, bie Entjcheivung fo wenig ſchwankend und
das Reſultat fo unermeßlich gewefen wäre,“
In Aufterlig - angelangt, ftieg ber Kaiſer in
einem bem Fürften von Kaunitz, Schwager des
Herrn von Metternich, zugehörigen Schloffe ab und
errichtet hier für dieſe Nacht fein General» Haupt:
gutartier.
Ein großes Teuer war bereit in einem geräumi-
gen Saale des Farterre angezündet und eine Fleine
Tafel vor das Kamin geftellt worden, an welche ſich
Napol eon, um zu diniren, niederließ; denn außer
einem halben Glaſe Punſch, welches er am Morgen
vor Anbruch des Tages getrunken, hatte er die ganze
Zeit über nicht das Geringſte zu ſich genommen.
Indem er eben damit beſchäftigt iſt, ein Stück
Huhn, welches man aufzuwärmen nicht einmal Zeit
gehabt, kalt zu verzehren, macht man ihm die Mel-
dung, Daß einige von den in ber Schlacht gefangen
genommenen Dberoffizieren im Hanptquartiere einge⸗
troffen ſeien.
„Führen Sie dieſelben zu mir,“ ſagt er zu
Savary.
Dies geſchieht. Die Gefangenen, neun an der
Zahl, erſcheinen im Saale. Napoleon empfängt
fie mit Wohlwollen und ift bemüht, ihnen ihr Schid-
fal zu milvern. Derſelbe Dann, welcher ſich jo leicht
über jedes ihm in ten Weg tretende Hinderniß er⸗
zürnen konnte, und der, welcher denjenigen, der ihm
auch nur den geringſten Wiverjtand entgegenfeßte, chne
Unterfchied der Rechte und tes Ranges mit fo viel
Stolz zu behandeln verjtand, war nicht mehr derfelbe,
wenn er fih als Eieger in Gegenwart feiner beſieg⸗
ten Feinde befand. Er tröftete Letztre und diefe Troſt—
ſprüche waren nicht blos der Abglanz einer erheuchel-
131
Bein und ihn dem Grafen Yangeron präjenficend,
ſprach er:
„Trinken Sie, mein Herr es wird dies Ihnen
nur wohl bekommen.“
Als ſich der Graf zum Zeichen der dankb arſten
Annahme mehrmals verbeugte und im Begriffe ſtand,
den Becher an die Lippen zu führen, rief ihm der
Kaiſer mit einem viel ſagenden Blicke zu:
„Einen Augenblick, Herr von Langeron! —
Ich muß Sie darauf aufmerkſam machen, daß es —
franzöſiſcher Wein iſt, Wein aus Burgund,“
fügte er betonend h’nzu.
Ein tiefes Stillſchweigen folgte auf bieie nicht
unedle Rache; wohl verzeihlich einem Souverain, der
ein gegen ihn und fein angeborne® Baterland fim-
pfendes und mit ven Waffen in ver Hand ergriffenes
Landeskind vor fich fieht.
Einige Zeit darauf ergriff Napoleon wieder das
Wort und fagte zu den gefangenen Generälen in je
nem kurzen, jcheinbar unſchlüſſigen Tone, der aber
die Aufmerk amkeit des Angeredeten um fo mehr fej-
felte und den er in ter Regel dann anzunehmen
pflegte, wenn er wollte, daß aud nicht eines jeing
Worte verloren gehe:
„Meine Herren, id) bebaure, daß fo brave Leute
wie Sie, Opfer eines Cabinets, wie des englifchen,
geworten, welches fich nicht ſcheut, die Würde der
Nationen zu compremittiren, indem es die Dienſte
ihrer Alliirten durch Subſidien erhandelt und erkauft.
Jetzt, nachdem mir Ihre Namen bekannt, erkläre ich
Ihnen, daß Sie Alle, mit einer einzigen Ausnahme,
und überall wo Sie heſochten, ehrenvoll daſtehen.“
Nach dieſen Worten machte Napoleon ein Jets
chen und die fremden Generäle wurden entlaſſen.
g*
130
lein der Graf Langeron hatte dieſes Anerbieten
ausgeſchlagen.
Als daher der Kaiſer den Namen dieſes Generals
hörte, warf ſich ſeine Stirn in Falten.
„Diefer iſt beklagenswerther als alle Uebrige,“
ſagte er Halb laut und ſich wieder zu den Gefange—
nen wendend, frug er in ziemlich indifferentem Tone:
„Wer commandirte dieſen Morgen Ihre Armee?“
„Sire, es war der Kaiſer Alerander.”
„Ich fragte Sie nach dem Namen des Generals
en Chef, der die ruſſiſche Armee befehligte,“ wieber-
holte er laut.
Der General Kutuſow, Sire!”
„ab, das ift etwas andres,“ verfegte er nun,
„denn der Kaifer Alerander ift no zu jung, um
die Bewegungen einer fo zahlreichen Armee, wie bie
Ihrige war, zu leiten.“
„Sire,“ erwiederte vefpectvoll der General, in
der Abfiht die Eigenliebe des Siegers vielleicht zu
ſchmeicheln, „Ew. Majeftät find nur einige Jahre äl-
ter als der Kaifer Alexander, mein Gebieter”
— bier hob Napoleon den Kopf empor — „und
dennoch haben Sie ſchon mehr als zwanzig Schlachten
gewonnen.”
„Mein Herr, fagen Cie vierzig,“ unterbrad) ihn
der Kaiſer mit balbem Lächeln, „und Cie werben ſich
nicht täufchen. Ihr Gebieter, da es Ihnen einmal
fo beliebt ihn fo zu bezeichnen, iſt wenigftens acht
Jahre jünger als ich, doch bin ich vielleicht um ein
ganzed Jahrhundert älter als er — freilich ıft er
vr nit in folhe Schule gegangen, wie Sie und
1 „“ —
Damit raſch die Unterhaltung abbrechend, füllte
er einen vor ſich ſtehenden ſilbernen Becher mit
131
Dein und ihn dem Grafen Yangeron präjentirend,
ſprach er:
„Trinken Sie, mein Herr, es wird dies Ihnen
nur wohl befonmen.“
Als fih der Graf zum Zeichen der dankb arſten
Annahme mehrmals verbeugte und im Begriffe ftand,
den Becher an die Lippen zu führen, xief ihm ver
Kaifer mit einem viel fagenren Blide zu:
„Einen Augenblid, Herr von Pangeron! —
Ih mug Eie darauf aufmerfjam machen, daß es —
franzöfifher Wein if, Wein aus Burgund,”
fügte er betonend h'nzu.
Ein tiefes Stillſchweigen folgte auf dieſe nicht
unedfe Rache; wohl verzeihlicdy einen Souverain, der
ein gegen ihn und fein angebornes Vaterland füm-
pfendes und mit ten Waffen in ber Hand ergriffenes
Landeskind vor fich ficht.
Einige Zeit darauf ergriff Napoleon wieder das
Wort und fügte zu den gefangenen Generälen in je-
nem furzen, ſcheinbar unfchlülfigen Tone, der aber
die Aurmerfianıfeit des Angereveten um fo mehr fej-
felte und ven er in der Regel dann anzunehmen
pflegte, wenn er wollte, daß auch nicht eines ſeiner
Worte verloren gehe:
„Meine Herren, ich bedaure, daft fo brave Leute
wie Sie, Opfer eines Cabinets, wie des englifchen,
geworden, welches ſich nicht ſcheut, die Würde der
Nationen zu compremittiren, indem es die Dienſte
ihrer Alliirten durch Subſidien erhandelt und erkauft.
Jetzt, nachdem mir Ihre Namen bekannt, erkläre ich
Ihnen, daß Sie Alle, mit einer einzigen Ausnahme,
und überall wo Sie geſochten, ehrenooll daſtehen.“
Nach dieſen Worten machte Napoleon ein Zei—
den und tie fremden Generäle wurden entlaſſen.
g*
132
Raum hatten fie fi entfernt, als der Kaifer den
firengen Befehl erließ, tag man bie Gefangenen mit
aller ihrem Unglüde gebührenden Schonung und Rüd-
fiht behandele.
Es war nahe an Mitternadt; die auf Recognos-
cirung ausgeſchickten Ordonnanzoffiziere famen mic ber
Meldung zurüd, daß fih der Feind nah Gording
zurüdziehe. Napoleon durchlas alle eingehende
Rapporte.
„Meine Herren,” ſprach er, „meine Meinung iſt,
daß in einem Kriege noch nicht Alles entfchieven ift,
fobalo noch Etwas zu thun übrig bleibt. Cin Sieg
ift dann allemal unvolfftändig, wenn man ihn nod)
vollftändiger machen kann.“
Dem Andjutanten, welder um Berhaltungsbefehle
für ten Marihall Davouft bat, gab er zur Antwort:
„Im gegenwärtigen Falle giebt e8 nur eine
Berhaltungsreget, nur eine Generalsordre. Sagen
Sie ven Marfhall Davouft, er folle dem Yeinde
fo viel Schaden thun als immer möglich. Eilen
Sie!”
Kaum war ver Adjutant Davouſt's davon ge-
jprengt, ald General Ju not — welcher ſich feit fei-
ner Rückkehr aus Portugal fortwährend in der näch—
ſten Nähe des Kaiferd befand — die Ankunft des
Heren von Haugwig, Gefandten des Königs von
Preußen meldete.
„ah, ich erwarte ihn,“ rief Napoleon, „er
trete ein.”
Der Minifter wurde eingeführt und überreichte
dem Kaiſer ein verfiegeltes Papier, das er mit eini-
ger Scwierigfeit aus der Seitentaſche feiner Uniform
zog. Indem Napoleon diefen Brief des Königs
von Preußen in Empfang nahm, Läcelte er, las
133
venfelben zwei Mal, und mit einem Blide, der das
Innerfte bes preufiifchen Sefandten zu durchtringen
ſchien, fagte er, auf ben wieder zufammengefalteten
Brief deutend:
„Herr Baron! Sie fehen hier ein Compliment,
deſſen Adreſſe nur die Umſtände verwechſelt haben. —
Es iſt gut.“
Und mit einer leichten Bewegung des Kopfes, gab
er das Zeichen zum Abſchiede.
„Ich wette,“ ſprach der Kaiſer, nachdem ſich der
Miniſter entfernt hatte, zu ſeinem General - Adjutan-
ten, „daß diefer Mann zwei Briefe in der Ta'che
hatte. Haft Du bemerkt, Junot, wie lange er Zeit
brauchte, um ten herauszufinden, ber das Compliment‘
zu meinem Siege enthielt. In dem andern ftand ges
wig eine geharnifchte Kriegserklärung. Ich würde
wohl gelacht haben, wenn er ſich vergriffen hätte,
Wenn id) ein Xürfe war, fo mußte ich den Herrn
Baron durchſuchen laſſen.“
„Gott ſei Dank, Sire,“ erwiederte Junot,
„man weiß, daß Ew. Majenät fein Türke find.”
„Nun bin ic fehr begierig,“ fuhr der Sailer
auf- und abgehend fort, „was mir morgen ber Rai«
fer von Denreih au fagen haben w:rd, der mid)
durch den Yichtenftein zu einer Unterredung, einige
Meilen von bier, hat einladen laſſen.“
Nach einiger Zeit blieb ver Kaiſer wieder vor
Junot ftehen.
„Apropos, “ fprad er, „da fällt mir ein, daß
wir nus in dem Armand Maillebois nicht ges
täufht haben, das ift ein höchſt braver unge.
Geſtern erft von den Antillen zurüd, hat er heute
unter Rapp wie cin junger Gott gefocdhten und den
132
Raun hatten fie fi ‘entfernt, als ver Kaiſer den
ſtrengen Befehl erließ, daß man die Gefangenen mit
aller ihrem Unglücke gebührenden Schonung und Rück—
fiht behandele.
Es war nahe an Mitternadt; die auf Necognos-
cirung ausgeſchickten Ordonnanzoffiziere famen mic ber
Meldung zurüd, daß fih ver Feind nah Gording
zurüdziebe. Napoleon durchlas alle eingehenve
Kapporte.
„Meine Herren,” ſprach er, „meine Meinung ift,
daß in einem Kriege no nicht Alles entfchieden ift,
fobalo nody Etwas zu thun übrig bleibt. Ein Sieg
ift dann allemal unvolftändig, wenn man ihn nod)
vollftändiger machen kann.“
Dem Adjutanten, welder um Berhaltungsbefehle
für ren Marſchall Davouft bat, gab er zur Antwort:
„Sur gegenwärtigen alle giebt ed nur eine
Berhaltungsreget, nur eine Generalsordre. Sagen
Sie ven Marſchall Davouft, er folle dem Feinde
fo viel Scaven tun als immer möglid. ilen
Sie!“
Kaum war der Adjutant Davouſt's davon ge-
Aprengt, als General Ju not — welder fidy feit fei-
ner Rückkehr aus Portugal fortwährend in der näch—
fien Nähe des Kaifers befand — die Ankunft des
Heren von Haugwitz, Geſandten des Könige von
Preußen melbete.
„ah, ih erwarte ihn,“ rief Napoleon, „er
trete ein.“
Der Minifter wurde eingeführt und überreichte
dem Kaiſer ein verjiegelted® Papier, das er mit eini-
ger Schwierigkeit aus der Seitentaſche feiner Uniform '
309. Indem Napoleon diefen Brief des Königs
von Breufen in Empfang nahm, lächelte er, las
133
venfelben zwei Mal, und mit einem Blide, der das
Innerfte des preußifchen Geſandten zu durchdringen
fhien, fagte er, auf den wieder zufammengefalteten
Brief deutend:
„Herr Baron! Sie fehen hier ein Compliment,
befjen Adreſſe nur die Umſtände verwechſelt haben. —
Es ift gut.”
Und mit einer leichten Bewegung des Kopfes, gab
er das Zeichen zum Abfchieve.
„Ih wette,“ fprad der Kaifer, nachdem fich der
Minifter entfernt hatte, zu feinem General- Adjutan-
ten, „daß diefer Mann zwei Briefe in der Tarche
hatte. Haft Du bemerkt, Junot, wie lange er Zeit
braudte, um ten herauszufinden, der das Sompliment'
zu meinen Siege enthielt. In dem andern ftand ge=
wiß eine geharniſchte Kriegserklärung. Ich würde
wohl gelacht haben, wenn er ſich vergriffen hätte.
Wenn ich ein Türke war, fo mußte ich den Herrn
Baron durchſuchen laſſen.“
„Gott ſei Dank, Sire,“ erwiederte Junot,
„man weiß, daß Ew. Majenät kein Türke ſind.“
„Nun bin ich ſehr begierig,“ fuhr der Kaiſer
auf= und abgehend fort, „was mir morgen ber Rai»
fer von Oenreich zu fagen haben w:rd, der mid
buch den Yichtenfteim zu einer Unterredung, einige
Meilen von hier, hat einladen laſſen.“
Nach einiger Zeit blieb der Kaiſer wieder vor
Junot ſtehen.
„Apropos, “ſprach er, „da fällt mir ein, baß
wir nus in dem Armand Maillebois nicht ge-
täufht haben, das ift ein höchſt braver Junge.
Geftern erft von den Antillen zurüd, hat er heute
unter Rapp wie cin junger Gott gefochten und ben
134
Fürften Reppnin mit eimer Hand gefanzen ge—
nommen.
„Doch,“ fuhr er nach einer Pauſe fort, „er joll
fih nicht über mich zu beflagen haben. Iſt nur erit
Frieden und fiud wir wieder in Frankreich, fol
er fein Püppcden, ver zu Gefallen er fo dumme
Streiche machte, befommen. Ich habe tas Kind einſt⸗
weilen bei Joſephinen in Benflon gegeben; übri»
gend muß das Mädchen bemerkenswerth hübſch und
gut fein, die Kaiferin hat es ganz in ihr Herz ges
ſchlofſen und madt mir viel Rühmens davon.“
„Bräulein von Nevers,“ geftand Innot, „ifl
von wunderbarer Echönheit und engelgutem Herzen.‘
„Ich ſehe wohl, Tachte ver Kaiſer, „was ein
paar ſchöne Augen in aller Unſchuld für Unheil an«
ftiften fünnen, mir ven braven Jungen von feiner
Pfliht abzuleiten. Doch genug davon. Alles ift
vergeben. Armand hat feine Thorheit mich vergeſ⸗
fen maden.
„Meberhaupt,“ fügte Napoleon Hinzu, „id
wüßte nicht, wen ich jo lieb hätte, als dieſe drei
Maillebois, das find Franzoſen, wie fie fein jol-
len. Wenn mir nur ver Kanonier nicht drauf geht.
Denfe Dir, Junot, erobert mir das Kindchea einen
Zwölfpfünder. Du bätteft heut! meine alten Grena—
diere follen weinen fehen. Laß mid nur ein Wenig
zur Ruhe kommen, ich denke mir mit den drei Jun—
gen fhon Etwas aus. Wie gefagt, wenn mir nur
der Ranonier nicht drauf geht, mem Namensoetter.“
Am darauf folgenden Tage, ren dritten Decem-
ber, um adt Uhr Morgens, wo tie Sonne zwar ma—
jeſtätiſch am iftlihen Horizonte, das Thermometer
aber zwölf Grad unter Null ftand, verließ Nap o—
leon das Ruftfhloß des Fürſten Kaunitz, um ji
135
in der Richtung der großen Landftraße nah Holitſch,
in eine noch vor den Vedetten Bernadotte's ges
legene Mühle zu begeben. -&8 war biefer ungefähr
brei und eine halbe franzöfiihe Meile von Aufter-
liß entfernte Ort zum Rendezvous bezeichnet worden.
Der Kaiſer ritt num im Schritt, denn er wollte,
daß feine fämmtlihen Garden ihn dahin begleiteten.
Nachdem er vom Pferde geftiegen, ließ er ein Feld⸗
feuer anzünden, während er felbit, feine Hände in
die Taſchen feines grauen Rocks geftedt, auf dem ge
frornen Boden auf und ab promenirte, oft mit ben
Füßen ftampfend, um fich zu erwärmen.
Die Garde ftand, das Gewehr im Arm, zweis
hundert Schritte dahinter in Schladterdnung und bie
Soldaten ſuchten fih dadurch warm zu maden, daß
fie das Beilpiel ihres Kaifer nachahmten und bie
Füße gegen einander ſchlugen.
Es währte nicht lange, fo melvete man die Ans
funft des öftreihiihen Monarchen, welder in einem
wohlverdedten Wagen anlangte. Er war von den Für-
ften Johann und Mori von Licdtenftein, den
Generälen Kienmayer, Bubna und Gtutter-
heim, fo wie von mehren Oberoffizieren begleitet
welchen ſich eine Eskorte ungarifher Huſaren anſchloß
Dieſe letztre blieb, ebenſo wie die Eskorte der kaiſer⸗
lich-franzöfiihen Generalſtabswache, auf zweihundert
Schritte von tem Zuſammenkunftsplatze zurück. Na⸗
poleon ging dem Kaiſer Franz zu Fuße entgegen
und empfing ihn mit einer Umarmung. Der Prinz
Johann von Lichtenſtein folgte feinem Souverain
bi8 zu den Feuer Napoleon's und hielt fi) da»
jelbft während ver ganzen Unterredung auf. “Der
Marihall Berthier blieb ebenfalls bei Napoleon.
„Sire, verzeihen Sie, begann der franzöſiſche
136
Kaifer, „daß ih Eie auf dieſe Weife empfange, al-
fein dies hier iſt der einzige Palaft, ven ich feit brei
Monaten bewohne.”
Er zeigte dabei auf die rings umher ausgebreitete
Hinterfläche.
„In der That,“ erwiederte der Kaifer Franz,
„Ew. Majeſtät wiſſen fo guten Gewinn aus diejer
Wohnung zu ziehen, daß fie Ihnen gefallen muß.‘
Nah diefen Worten zogen fih Tichtenftein und
Berthier in einige Entfernung zumüd und die bei-
den Monarchen blieben länger al8 zwei Stunven mit
einander allein. Man Tanı über einen Waffenftillftann
überein, in welchen ver öſtreichiſche Kaifer auch den
Kaifer Alerander eingefchloffen wünſchie. Napo—
Leon gab zu bedenken, daß von den Trümmern ver
euffiichen Armee ihm fen Mann entgehen könne;
nichtSdeftoweniger lieg er fi bewegen, den Befehl
abzufchiden, wodurch dem Vordringen feiner Golen-
nen Einhalt gethban und den Ruſſen Zeit gelaffen
wurde, fid) zurüd zu ziehen.
Die beiden Kaifer verließen einander, nachdem fie
fi) nohmal8 umarnıen. Die franzöjiiben und öft:
reihifhen Dffiziere eilten wieder auf ihre Woften.
Man vernahm veutlih, als Napoleon ven Kaiſer
Franz zum Wagen begleitete, von erfterm die Worte:
„sch bewillige Alles, vorausgejegt, dag Cm. Maje—
ſtät. verfpredden, mid) nicht mehr mit Krieg zu über-
ziehen.‘
„Ich verſpreche es Ihnen,’ erwiederte Franz,
„wir werden künftig nur im Frieden leben.‘
Mit diefen Worten ftieg er in feinen Wagen und
Napoleon kehrte zu feinem Bivouak zurüd, in Ge-
danken noch mit dem beichäftigt, was er mit dem
öftreichifchen Kaiſer verhantelt hatte.
137
„Es ift wahrjcheinlich ein Fehler,” ſprach er zu
feiner Umgebung, „daß ich die Ruſſen ziehen laſſe,
ich hätte fie ſämmtlich follen gefangen nehmen. Gleich-
viel, fo werben wenigiten® einige Thränen weniger
fließen.“
Während der ganzen Zeit hatte die Garde forte
während in Schlachtordnung aufmarſchirt geftanden.
Berthier machte den Kaifer darauf aufmerkjam, in-
dem er binburchbliden Tieß, daß ten Leuten unmögs
lid warm fein könne.
„Sie find doch ftets froſtig, Berthier,“ erwie—
berte Napoleon etwas ärgerlih, „ic, kenne das
Mittel, ver Garde warm zu mahen; folgen Sie mir,
mein Herr Marſchall.“
Napoleon nahm jett feine Nichtung gegen bie
beiven Regimenter alte Garde, welde feıt dem An-
genblide des Eintreffens aud nicht einmal ihre Rei-
ben gebrochen hatte. Als er ungefähr noch hundert
Schritte von ihnen entfernt war, ertönte der Ruf:
„Achtung! Präfentirt das Gewehr!” Die Tamboure
fhlugen "den Wirbel, vie beiden Adler neigten ſich
vor der Front der Bataillone. Der Kaiſer griff mit
ber Hand an feinen Hut und grüßte, indem er zu—
gleich feine Edjritte anhielt. Im der Mitte, wenige
Schritte vor ihren Regimentern falutirten die Regi—
mentscommandanten in ber üblichen Weile mit dem
Degen. Napoleon erwiederte viefen Gruß, indem
er zum zweiten Male an feinen Hut greift. Endlich
auf zehn Echritte herangelommen, giebt er den Tam—
bouren das Zeichen zum Aufhören und fi zu ben
Colonnels wendend, welde ſich ihm, die Degen zur
Erde geneigt, nähern, jagt er zu ihmen im Tone eines
guten Humors:
„Meine Herren, wir find hier nicht im Hofe der
138
Zuileaien; ich komme nit, um eine Revüe abzuhal-
ten. Es ift ein Beſuch, den ih Ihnen abftatte,
Laflen Sie vie Leute fih rühren.”
Das Commando „Achtung!“ und „Gewehr ab!“
erſchallt. Die Iange Linie bildet einige Krümmungen
und Geflüfter wird vernehmbar.
Der Kaifer ſpricht einige Minuten mit den beiden
Obriſten; dann fi) wieder gegen die Grenadiere wen-
dend, ruft er: „Achtung! Schultert da8 Gewehr!” Im
Augenblick herrſcht Todtenfchweigen und die Linie ver
Garde fteht wieder in ſchnurgrader Richtung.
Napoleon fchreitet jeßt die Reihen entlang;
dem Einen nidte er, freundlid mit dem Kopfe grü-
gend, zu, zu einem Anbern fagte er: „Guten Tag,
guten Tag!” An die, weldhe er perfönlich kennt,
richtet er einige Worte. Bei den Neueingetretenen
vorüber gehend begnügt er ſich zu fügen: „Out,
gut!” Endlich am äußeriten Flügel des Bataillons
angelommen, wendet er fi) plöglich, inven er näm—
ih Morland bemerkt, der nebft einigen feiner Ca—
meraden das Gewehr zwifhen ven Knieen feit Hält
und fih in die hohl zufammen gefchloffene Hand aus
vollem Halſe haudt:
„Was find das für neue Manieren?‘ fragt Na—
poleon barſch aber freundlich, indem er vie Geſten
des Grenadiers nachahmt. „Wer wird denn jrieven?
Das ift ja gegen meine Verordnung.”
Morland erfaßt fogleich wiener fein Gewehr bei
dem zweiten Laufring, legt vorfdriftmäßig ven klei—
nen Finger der linken Hand an die Naht feier.
Beinkleiver, richtet den Kopf in die Höhe, und ver-
gebens die an dem Schnurrbarte herabhängenden Eis—
zapfen mit der Unterlippe abzuzwiden verſuchend,
139
fieht er dem Kaiſer, ohne ein Wort zu eriwiebern,
ſtarr in's Geſicht.
Und wie vor Kurzem zu Wien, ſpricht der Kaiſer:
„Du frierſt, und mir iſt vollkommen warm.”
Und wieder antwortete der Veteran:
„Das ift fehr möglih!” Doc fügt er Diesmal
mit der ernfthafteften Miene von ber Welt und ohne
feine Stellung zu verändern hinzu:
„Indeſſen tft aber doch auch nicht zu läugnen,
dag vie heutige Kälte ein Wenig ftiht und dann habe
ich auch nicht den Vortheil, fo feuerfeſt und waſ—
ferdicht zu fein wie Em. Majeſtät.“
Napoleon mußte lachen,
„Wohlan,“ ſprach er halb Laut, „in Kurzem follt
Ihr e8 Alle warm haben.‘
„Das wäre auch zu wünſchen,“ brummte DM or-
land.
AS der Kaiſer beim rechten Flügel anlıngte, em—
pfing ihn die Muſik mit der fohönen Arie: „Der
Sieg ift unfer!“
Napoleon blidte Berthier an.
„Kennen Sie diefe Arie?” frug er, „Sie iſt mie
dazu geichaffen, das Herz derer zu wärmen, deren
Singer vor Froſt erſtarrt find.“
Nachdem er hierauf ned einen Augenblid vor
der unbeweglichen, herrlihen Figur des Tambour-
Majors feines erſten Grenadierregiments ftehen ge=
blieben — weldyer Mann aud in ver That in Rüd-
fiht feiner majeffätiſchen Geftalt und des Reichthums
feiner Uniform einem Qurtius zu vergleihen war —
fehrte er, no immer die Hände in ven Rocktaſchen
haltend und ohne ein Wort weiter zu fprechen, zu
dem Teuer feines Bivonaks zurild.
Er ftieg endlid zu Pferde und nur im langfamen
140
Schritte veitend, ſchlug er, gefolgt von einem glän⸗
zenden Generalftabe, den Weg nad Aufterlig ein.
Währenddeß hatte au Die Garde ihre Linien
durchbrochen und war in Bataillons - Colonnen dicht
aufmarſchirt. Mit ven Muſilchören an ihrer GSpite
irat fie unter dem tauſendſtimmigen: „Vive l’em-
pereur!“ den Rückmarſch an.
As Napoleon nah Auſterlitz zurüdgefekrt
war, bictirte er, im gewärmten Saale auf und ab
gehend, einem feiner Secretaire folgendes Decret in
die Feder:
„Ih wünſche, daß die Künfte das Andenken der
geftrigen, für die Geſchichte ver Völker fo wichtigen
Schlacht verewigen. Id) will, daß ſich in der Mitte
de8 Vandome-Platzes meiner geliebten Haupt- und
Refivenzftadt Baris eine Eäule im Style der römi—
fhen des Trajan erhebe, und daR fie ausjchlieglich
nur aus dem Metall der von den Feinden Frankieichs
eroberten Geſchütze gegoffen und aufgerichtet werde.
Ih will, daß diefe bronzene Maſſe en relief bear:
beitet, und durch dieſe fpiralfürmig um fie herum zu
windenden Baereliefd dem Auge des Zufchauers Alles
dargeftelt werte, was tiefer Feldzug, deſſen Beginn
mit der Aufhebung des Yagers ven DBoulegne, und
deſſen Ente mit dem Frieden, den ih zu Wien zu
unterzeichnen gedenfe, zu rechnen ift: ih will, ſage
ih, daß Alles, was dieſer ewig denkwürdige Feldzug
für unjer Vaterland Glorreiches hat, auf dieſe Weife
verewigt werde. Died ijt indeß noch nicht genug;
e8 bleibt mir viel mehr noch übrig, allen meinen
heldenmüthigen Waffenbrüdern meine Erkenntlichkeit
abzuſtatten.“
Und ſich zu dem noch anweſenden Eeneralſtabe
——
| * 141
wendend, ſagte er: „Berthier, ſetzen Sie ſich und
ſchreiben Sie, was ich Ihnen ſagen werde.“
Hier erfolgte das Decret, welches die bereits oben
erwähnten Penſionen für die Wittwen der in dieſem
Feldzuge gefallenen Generale, Offiziere und Soldaten
feſtgeſetzt und für die Erziehung und Verſorgung der
hinterlaſſenen Kinder derſelben Sorge trägt*). Laut
des dritten Artikels erhielten auch die Knaben der
betreffenden Familien das Recht, ihrem zeitherigen Tauf⸗
namen den Namen Napoleon beilegen zu dürfen.
Daſſelbe Tecret verordnet die Jahresfeier ber
Schlacht von Aufterlig mit derjenigen bes faifer-
lichen Krönungsfeftes, gemeinfhaftlih an einem Tage,
nämlid) an dem jedesmaligen erſten Sonntage des
Monats December. ‘
Aber trotz feiner kriegeriſchen und politifchen An-
‚gelegenheiten verlor der große Dann bie an fid) un-
fcheinbarften Interefjen feines Volkes nicht ans ben
Augen. Unmitielbar nad den erwähnten Decreten ließ
er feinem Miniſter de8 Innern alfo fehreiben:
„Mein Herr von Champagny!
„Es erxiftiren in der Nationalbibliothet fehr viel
foftbare Steine. Man fol dieſelben fofort ordnungs—
mäßig an die befjern Graveurd von Paris austhei-
len, tamit fie die verfhiebenen Figuren graviren,
x) Mörtli lautet der besfalfige Artikel allo: „Wir
aboptiren alle Die ven ben in der Schlacht von Auſterlitz
ebliebenen Generälen, Tffizieren, Solbaten binterlafjenen
kinder. Sie jollen alle auf Unſre Koften unterhalten und
erzogen werden; und zwar bie Knaben in Unjerm kaiferlichen
Balais von Rambonuillet, die Tüchter in Unſerm Faijer-
lihen Palais von St. Germain. Die Knaben werben in
ter Folge von Uns verforgt; fo wie Wir die Ausftattung
der Töchter gleichfalls Übernehmen.“
er
149 ö
welche fie darftellen. Die Hälfte des Preifes für,
biefe Arbeiten foll den Künftlern vorausbezahlt wer-
den. Die andere Hälfte follen fie jedoch erſt dann
erhalten, wenn fie. das Werk gänzlich) vollendet und
ben ihnen anvertrauten Steinfchnitt wieder abgeliefert
haben. Died wird die Imbuftrie aufmuntern und
den zahlreihen Kupferſtechern Arbeit verfchaffen, wor-
an e8 ihnen jett fehlt. Hüten Sie fih indeß
ja, irgend einem ber Künftler den ganzen
Betrag der Arbeit im Voraus zu bezahlen;
beun Died wäre der Weg, auf welhen man
von ihnen entweder gar Nihts oder doch
wenigftens nicht viel Gutes erhalten dürfte.
„Dies ift der Zweck dieſes Schreibens und hier-
nächſt, mein ‚Helr von Champagny, bitte ich Gott,
daß er Sie in feinem gnädigen Schub erhalten möge.
„Aus meinem Lager zu Aufterlig, ven 4. De-
cember 18095.
Napoleon.
Nachdem der Kaifer mit Dictiren zu Ende, ließ
er den Ingenieur Sorti rufen, welder dem Haupt—
quartiere, in der Eigenſchaft als Ingenieur der Milt-
tairverbindungen, gefolgt war.
„Mein Herr Ingenieur,“ begann er, nachdem
ber Gerufene eingetreten war, „ed freut mid, Cie
bier zu fehen. Sie haben, als wir nad in Bou=
‚Iogne beifammen waren, doch gut prophezeit. Da:
her jollen Ihnen auch, eingevenf meines Wortes, das
ein Ehrennann ftets hält, und ter Souverain
fol ja ver erfte Ehrenmann feines Reichs fein, die
breißigtaufend Franken für meine Boulogner Barafe
ausgezahlt werben.‘
Auf einen Winf des Kaifers nahm Duroc aus
einem fofferähnlihen, an der Ede mit Kupfer be
U
143
Ihlagenen Mahagonikaſten mehre Rollen, die er auf
den Tiſch legte, an welhen Napoleon ſtand.
„Zehn, zwanzig, dreißig,“ zählte nun dieſer, „ſo
iſt es richtig.“ Dabei brach er eine der Rollen auf,
und bie ſchönſten öſtreichiſ chen Kronenthaler rollten
heraus; er erbrach eine andere, in welcher ruffifche
Goldrubel glänzten.
„Sie fehen, daß ih mein Wort halte,” fügte er
lãchelnd hinzu, „zählen Sie jetzt nach, ob die Summe
richtig iſt.“
Als ſich Sorti mit einer Verbeugung dankerge⸗
benſt zurückzog, erwiederte ihm Napoleon zum Ab-
ſchiede:
„Nicht mir, mein Herr Ingenieur, den Kaiſern
von Oeſtreich und Rußland haben Sie zu danken.“
Der Kaiſer machte mit der Hand ein Zeichen,
welches andeutete, daß er wünſche allein zu fein.
Ale Anweſenden entfernten fih. Napoleon trat an
eines der Fenſter. Draußen leuchteten die Sterne der
prachtoollfften Winternaht. Lange ruhten die Blide
des Kaiſers auf den fieben funkelnden Sternen des
Orion. Endlich ſprach er:
„Laß mir, allmächtiger Gott, dieſe fieben Sterne
noch zu Sonnen von Aufterlig werben und bu
folft in deinem Himmel meine Erde beneiden!“
Am andern Tage warb das Hauptquartier nad
Brünn zurüd verlegt.
144
3wöffles Ip.
Jn einem feſtlich geſchmückten Saale zu Wien gab
das erſte Bataillon des erſten Grenadierregiments der
faijerlihen Garde einen glänzenden Ball, Gäſie von
allen Waffengattungen waren geladen. Morland,
welcher mit zu einem ber Feſtordner erwählt worden,
verfah dieſes Amt mit auferordentlicher Gewiſſenhaf⸗
tigkeit. Seiner neuen Würde fi vollkommen be—
wußt, fchritt cr mit jenem Lächeln im Blicke und
jener freunblih-fanften Bonhommie, die einem Feſt⸗
ordner unerläßlich, die glänzenden Reihen auf und
ab; bier mit Milde bittend, ven Tanzpaaren Plat
zu machen, dort forgfam bethätigt, da; die Damen
weder an Getränken noch an Gonfec: Mangel lit-
ten. Nur wenn er ſich, was jedcech felten geſchah,
in die vom Tanzſaale abgelegenen Rauchzimmer ver:
irrte, wo feine alten Kameraden mit grimmigen Bärten
um die dampfenden Punſchbowlen jagen, blidte zu—
weilen ter ſchlachtergraute Beteran in einem leijen
„heiligen Kreuzbombenbataillon‘‘ hervor, doch ſchnell
erinnerte er ſich wieder ſeiner Würde und verließ
anſtandspoll und mit nachſichtsvollem Bedauern die
unverbeſſerliche Geſellſchaft, welche die qualmende Thon-
pfeife und das gefüllte Punſchglas den reizendſten Syl—
phiden vorzog, die im kerzenerhellten Ballſaale graziös
auf- und niederwogten.
Morland ging heute vorzugsweiſe fein gekleidet.
Sein Haarzopf gereichte ſeinem Friſeur zur wahren
Ehre und verrieth den denkenden Künſtler. Er ver:
mied daher, theils feiner Zoilerte zu Gefallen, theils
145
weil er wußte, was er fidh felbft ſchuldig war, dieſe
geräuſch- und nebelvollen Rauchzimmer.
In einem dieſer Eſtaminets ging es beſonders
laut und lebhaft zu. Hier ſaß der große Tambour⸗
Major, unter dem Namen „der Shah von Per
ſien,“ ober auch Ider große Moor“ bekannt, im
Kreife einer zahlreichen BZuhörerihaft und theilte
Fresko-Anekdoten mit, worin er eine Force beſaß.
Der Shah von Perfien hatte foeben unter
allgemeinem Applaus einen außerorbentlihen Wie
losgelaſſen und ſtrich ſich ſelbſtgefällig ſeinen Rieſen⸗
bart, indem er zur Stärkung ein neues Glas in den
Magen goß. Er warb von den hör- und lachbegie⸗
rigen Kameraden beftürmt fortzufahren.
Dr Shah von Berfien, welcher ſtets über
einen anſehnlichen Anekdotenfond zu disponiren hatte,
fuhr fort:
„Da reitet vorige Woche der Kaiſer durch das
Thor einer Heinen Stadt in Mähren. Er wird feft-
lich empfangen und von der gejammten Stadtpfeifer⸗
Schaft feierlich angeblaſen. Es iſt eine ſehr ſchöne
deutſche Arie, wenn ich nicht irre von Cherubini.
- .„ Blöglih platt der Rapp, der ummittelbar Hinter
Seiner Majeftät reitet, vor Lachen heraus. Der Kleine
Korporal wendet ſich um und fragt: was Rapp
lache? „Die Arie iſt gar zu ſchön,“ verſetzt der
brave General mit thränenden Augen. Der Kaifer
erkundigt fi genauer. Nun erklärt Rapp, ber als
Elſaſſer die deutſche Muſik aus dem Fundamente ver-
fteht, den Text der Arie.”
„Run wie hieß denn der?” frugen neugierig bie
Zuhörer.
„Run der hieß: Bift der befte Bruder aud
nicht.“
Stolte, ſämmtl. Schriften. XXI. 10
146
Allgemeines Gelächter,
„Dan bat den Meinen Korporal,“ fügte ber
Shah von Berfien Hinzu, „noch nie fo lachen
hören, als bei diefer Erklärung Rapp’ 8.“
„Der Rapp hat überhaupt einen ungebeuern
Stein im Brete bei Seiner Majeſtät,“ bemerkte einer
ber Zuhörer.
„Er Toll dem Meinen Corporal felbft manchmal
die Wahrheit geigen,” fprach ein Anderer.
„Wißt Ihr die Gefhichte mit dem „vingt-un?“
fung ver Shah von Perfien.
„Nein, was ift damit?! rief es von allen Seiten.
Der Schah genoß wieder ein Glas zur Stär-
tung und fprad:
„Wenn Ihr die nicht wißt, wißt Ihr nichts.“
„Alſo heraus damit, Shah!” drängte man all-
gemein.
Der Schah, ver feinen ber Heinen Kunftgriffe
vernachläffigte, welche ein recitirender Künftler zu be-
rüdfichtigen bat, um der Aufmerkſamkeit feines Publi—
fums die erforderlihde Spannung zu verleihen, bes
gann zuvor feine Pfeife, die ausgegangen war, im
Brand zu fleden, was lange nicht gelingen wollte, ._- : \
Erſt als die Neugier der Zuhörer auf dem Punkte
fand, in Infurrectionszuftand zu gerathen, erzählte er
wie folgt: Ä
„Diefe Tage fpielt der Kaifer mit Berthier,
Savary, Murat und Rapp vingt-un. Nun muß
man wiflen, daß es dem fleinen SKorporal befon-
den Spaß madt, beim Spiele feine Generäle zu
befhummeln‘ —
„Wie er die Deftreiher und Ruſſen befhummelt
hat,” unterbrady einer der Zuhörer.
147
Der Shah fah den Unterbreder mit einem ma-
jeftätifchen Blide an.
„Wenn ih erzähle, ſprach er, „bitt' ich mir
Ruhe aus.‘
„Sa wohl,” rief e8 von allen Seiten, „man un=
terbrehe den Schah nicht.”
Der Shah, nad) diefer erhaltenen, Satisfaction,
fuhr fort:
„Alſo Seine Majeftät Tiebt e8 beim Spiel, und
namentlich beim vingt-un, feine Generäle zu beſchum⸗
meln. Durch dieſes corriger la fortune ‚befindet ſich
der Kaiſer natürlich ſtets im Vortheil. Diefe Tage
nun fpielte er wieder mit den genannten Generälen
und hat faft das ganze Geld zuſammen gewonnen.
Wohlgefälligen Blicks betrachtet er den vor ihm lie
genden Golohaufen, und um den armen Rapp, ver
wegen feiner Ehrlichkeit am Meiften verloren, nod)
mehr zu ärgern, hält er ihm einen ber gewonnenen
Napoleon’ Hin und fragt: „Nicht wahr, Rapp,
Deine Landsleute, die Deutſchen, haben viefe klei—
nen Napoleon's gern.’ |
„Ja wohl,“ erwiebert der brave General, „lieber
als den großen.“
Allgemeines Lachen und Bravorufen belohnte den
Shah, welder ſich genöthigt fah zur Stärkung ein
frifches Glas zu fih zu nehmen.
‚Run, was jagte denn der Kaifer zu diefer Ant-
wort?” frugen Einige,
„Der Heine Korporal lachte,” ſprach ver Erzäh-
ler, und hat gerufen: „das nenne man beutjche
Gradheit.“
Die luſtige Geſellſchaft, welche in Folge der ge-
nofjenen Getränke immer lärmenver wurbe, ftieß mit
den Gläfern aneinander und brachte em Raifer,
V
148
bann dem General Rapp und drittens dem Schah
von Perfien ein Lebehoch.
Mißbilligend jtedte ob dieſer unaufhörlihen Bi-
vats, die fih mit dem guten Anftande unmöglich
vereinigen Liegen, Morland ven Kopf zur Thüre
herein. Doch bald erkennend, daß bei dieſer Gejell-
ihaft Hopfen und Dal; verloren und daß er fih nur
unnügerweife ärgern würde, wenn er bier zur Ruhe
und Ordnung verweifen wollte, kehrte er nad) ven
feinern Regionen des Ballfeales zurüd, wo er heute
als große Nefpectsperfon in Anfehn ſtand.
Morland batte alle drei Brüder Maillebois
als Gäſte mitgebracht. Der Kanonier war noch nicht
gämlig bergeftellt von jeinen Wunden von Aufter-
lie. Der arme Kleine hatte viel leiden müſſen und
war mehrmald von den Aerzten ſchon aufgegeben ge-
weien. Er trug den Arm noch in der Binde und
mußte auf den Tanz wie auf den Genuß geiftiger
Getränke für diesmal gänzlich verzichten. Gleichwohl
gefiel ſih Nap jehr wohl auf vem Balle; die aner-
fennenden Worte ergrauter Gardegrenadiere ob ſeiner
bewieſenen Bravour, welche 'er heut’ oft zu hören
befam, klangen feinen Ohren gar zu ſüß. Mit dem
Armand, vem Garbefapitain, hatte fi) Morland
fo ziemlich ausgeſöhnt. Er konnte nicht umhin, deſ—
jen heldenmüthigenn Benehmen auf St. Domingo
alle Gerechtigkeit wiederfahren zu laffen. Zudem hatte
Armand nicht unterlaffen, ven braven Alten ein
Wenig die Cour zu machen. Aber wer den Mor-
land heut’ manden GSeufzer foftete, das war Nie—
mand anders, als gerade fein Liebling, ver Gui—
jeppe, welder etwas zu tief in's Glas gegudt, fich
Courage getrunken, gegen die Damen den Galanten
jpielte, wa8 jonft gar nicht feine Art, und vor allen
149
Dingen aufs Tanzen ganz verjeffen war, obſchon er
auch diefe edle Kunft in völlig nüchternem Zuſtande
faft gänzlich vernadläffigtee Was aber nun Das
Schlimmite bei der Suche war: Guiſeppe Hatte vie
weifen Lehren und tieſdurchdachten Kegeln Mor-
land's, welche ihm dieſer in zahllofen Zanzftunden
im Lager zu Boulogne gegeben, auf feinen ftürmi-
ſchen Meerfahrten aud) total vergefſen. Morlanp!s
ganzes Lehrgebände war über den Haufen geworfen,
alle Drefiur dahin, Guiſeppe fprang in feinem
fröhlihen Uebermuthe in den Quarrés number, als
fomme er direct aus ben norbamerifanifchen Urmäl-
dern und habe feine Ahnung von ber höhern Weihe
der- edeln Tanzkunſt, und gleihwohl dachte dieſer
Menſch an fein Aufhören. Auch war ihm gar nicht
beizufommen, denn während der Tanzpaufen ſtak er
in einem Gewühl junger Mädchen. Er hatte fi von
Armand ein paar Tugend deutſche Worte aufſchrei⸗
ben laſſen und fie auswendig gelernt, und damit
wollte er heut’ durchaus fein Glück machen.
Morland hatte fid, wiederholt bei ben haar-
fträubenden Entrechat's feines verwilverten Zöglings
mit Schaudern von ihm abgewanbt.
„Ich habe nie viel auf fein Zanztalent gegeben,”
jprady er für fi, „ihm geht die höhere Weihe gänz-
lich ab, aber diefen Ecandal hätt’ ich mir nie träu-
men laffen ” | |
Zufällig fam ihm der Kanonier in den Weg.
„ut, daß ih Did) treffe, Nap,“ ſprach Mor-
lanp, „mein Sohn, id befhwöre Dich bei der ruf-
fifhen Kanone, die Du mit fo viel Bravour
erobert haft, fuche mir dieſen Seebär, Deinen Bruder
Guiſeppe zu bewegen, daß er einmal vom Tanzen
150
abfleht, er compromittirt ja ganz Frankreich mit fei-
nen Bockſprüngen.“
Der Kanonier, gehorfam wie immer, fuchte eine
Gelegenheit zu erfpähen, ven Guifeppe von dem
Wunſche Morland's in Kenntniß zu fegen. Er
kehrte nach einer Weile zurück.
„Nun, was ſagte denn das tanzluftige Meerunge⸗
heuer?“ frug Morland.
„Er behauptet,“ berichtete Nap, „noch nie mit
folder BVolllommenheit getanzt zu haben und will
zum Beweiſe in ber nächſten Francaife em Solo à
la Pigeon aufführen.”
„Bas will er aufführen?” rief Morland er-
fchroden.
„Ein Solo a la Pigeon,“ wiederholte der Ranonier.
„Kun, er wird mir immer großartiger,” verjeßte
ber Sergeant, „a la Pigeon, das ift ja bie ſchwie—
rigfte Figur, die ſich denken läßt.“
„Ja, und gleichwohl will er ſie tanzen,“ meinte
Nap achſelzuckend, „es hilft gar kein Zureden bei
ihm u
Jet ergriff Morland die auferordentlichiten
Maßregeln, um dieſes Unglüd abzuwenden, das ihm
wirflih unermeßlih ſchien. Er fohidte Unterhändler
über Unterhändler an den Zanzluftigen und fo gelang
e8 endlich auch, den Guiſeppe, ohne dal; e8 das
geringfte Aufjehen verurfachte, aus dem Saale zu
entfernen und ın einem der entfernten Nebengemächer
in friegerifche Geſpräche zu verwideln, über welden
er zu Morland's großem Trofte das Solo a la
Pigeon vergaß.
As der Tanzmeiſter von Boulogne in den
Saal zurüdgelehrt war, athmete er leichter auf, denn
any Telfenlaft hatte fih ihm vom Herzen gewälzt.
151
Er fühlte ſich wieder behaglich und fing alle drei
Schritte die Begegnenden nit ohne Selbſtzufrieden⸗
beit: „Nun, wie finden Sie den Ball? Nicht wahr,
nobel, höchft nobel, A la bonheur!“
Zu Armand, ald er mit diefem zufemmen traf,
ſprach er:
„Wenn fi) Ihr Herr Bruder, der Geeleutenant,
nur nicht in den Sinn kommen laflen wollte, als
Tänzer aufzutreten. Haben Sie denn den Scanbal
nicht geſehen? Solche graufame Pas find mir im
meinem Leben nicht vorgefommen.”
b Armand geſtand, ſeinen Bruder nicht bemerkt zu
haben.
„Uebrigens, wie amuſiren Sie ſich, Herr Capi«
tain?” fubr Morland fort.
Der Gefragte gejtand, daß ihm Herr Morland
ein gröfere® Bergnügen babe bereiten können, als
ihm duch die Einladung zu biefem Bulle gemwor-
ven fei.
„Sa, man muß geftehen,” nidte der Sergennt,
„er ift recht nobel, recht nobel.“
Gleichwohl war e8 Armand, der fi wohl am
Wenigften für dieſe Ballberrlichkeiten intereffirte, da
jeit der himmelvollen Botfchaft, die ihm Guifeppe
aus St. Cloud mitgebradt hatte, ein ganz anderes
Intereſſe fein ganzes Weſen in Anſpruch genommen,
Nur ein quälender Gedanke vergiftete, trotz Junot's
Tröftungen, feine Zage, daß nämlich der Kaifer Flo-
ventinen einem Andern zur Gattin beftimmt haben
fünne.
Während ſich's aber feine Soldaten wohl fein
ließen in den deutſchen Quartieren und ausruhten
von den Strapazen eines bejchwerlichen Feldzuges,
fag Napoleon einfam in feinem Cabinette zu
152
Schönbrunn vor der Karte von Deftreih und
beſtimmte bie neuen Grenzen diefer Monarchie.
Der eintretende Conſtant meldete den Inten—
banten ver kaiſerlichen Antifen, Herm Denon, mel-
cher foeben von Paris angelangt war.
„Er fol kommen,” fprah Napoleon, und glei
barauf trat der Angemeldete in's Cabinet. Er über-
zeichte dem Kaifer das Modell zu mehren Medaillen,
welche zum Andenken des Feldzugs von Aufterlig
geſchlagen werben follten. Die erfte derſelben ftellte
anf ber einen Seite den Kopf Napoleon’s, auf
der andern den franzöfifhen Adler var, welcher ven
englifhen Leoparden gepadt hielt.
„Was fol das bedeuten?” frug ber Kaiſer und
‚ eine Stirn verfinfterte ſich.
„Sie,“ erwiederte der Intendant, „es iſt ber
franzöfifhe Adler, welder mit feinen Fängen ben
Leoparden, ein Emblem des englifhen Wappens,
zerreißt.“
„Niedriger Schmeichler,“ donnerte Napoleon,
die Münze weit von ſich ſchleudernd; „wie können
Sie zu mir ſagen, daß der franzöſiſche Adler den
engliſchen Leoparden zerfleiſcht, da ich jetzt kein Fi—
ſcherboot mehr in See ſchicken kann, ohne daß es die
Engländer hinweg nehmen. Es iſt im Gegentheil
ber engliſche Leopard, der den franzöſiſchen Adler er-
würgt. Laſſen Sie die Medaille ſofort vernichten.“
AUS er auf die Denkmünze kam, welche unmittel-
bar auf die Schlacht von Aufterlig Bezug hatte,
tadelte er gleichfalls die Zeichnung und gebot eine
neue zu fertigen.
„Segen Sie auf die eine Seite,” ſprach er zu
bem zitternden Denon, die Worte: Schladt bei
Aufterliß und das Datum, und auf die andre,
153
bie Adler von Frankreich, Deftreih und Ruß
land. Seien Sie überzeugt, die Nachwelt wirb ben
Sieger ſchon heraus finden.”
Nachdem fi der Intendant der Antifen entfernt
hatte, wünfchte der General Rapp den Raifer zu
ſprechen.
Napoleon's Geſicht erheiterte ſich.
„Gott ſei Dank,“ rief der Monarch, „das iſt
fein Schmeichler Der Brave ſoll kommen.“
Rapp trat ein und erklärte, daß er von ſeinen
Wunden von Auſterlitz vollkommen hergeſtellt ſei
und wünſche, wieder in activen Dienſt zu treten.
„Meinetwegen,“ ſprach der Kaiſer, „ich habe nichts
dagegen. Doch apropos, als ich Dich das letzte Mal
ſah, habe ich Dir mitzutheilen vergeſſen, daß Du
Diviſionsgeneral geworden biſt. Beeile Dich
daher, einen Stern mehr Deinen Epauletten beizu-
fügen.‘
AS fi hierauf der General zum Zeichen feiner
Danfbarkeit verneigte und abtreten wollte, hielt ihn
der Kaifer mit den Worten zuräd:
„Aber Rapp, vor allen Dingen forge dafür, daß
Du nicht immer gleich verwundet wirft; die wie vielſte
Bleſſur ift das nicht ſchon? Das wird ja fonft lächer⸗
lich. Du bift wie der Murat, der auch wie ein
Blinder drauf [os ſtürzt. Dann bift Du gezwungen,
das Bett zu hüten, während wir andern und ganz
wohl befinden. Rapp, fage mir, wärſt Du wirklich
Ihen im Stande ein Wenig zu reifen?”
„Ib bin Alles im Stande, was Em. Majeftät
befehlen !“
„In diefem Wale,” fuhr der Kaifer fort, „wirft
Du Maffena, den id) durch den mittlern Maille-
bois bereits vorläufig über die Affaire von Aufter-
154
litz babe benachrichtigen lafjen, pas Ausführlichere
erzählen. Das wird Did zerſtreuen. Demnädit
fannft Du auch die Wirkung beobachten, weldhen Ein-
brud unfre biefigen Angelegenheiten auf die Italiener
machen. Du wirft morgen abreifen. Alfo auf Wie-
berfehen, mein Herr Divifionsgeneral. Fahren Sie
fort für Ihre Geſundheit zu forgen. Ich erivarte
vor Allem Nachrichten über Ihr Befinden.“
Und die Hand des bievern Generals ergreifend,
und jie wiederholt drückend, fügt er in unnachahmli⸗
chem Zone Hinzu:
„Aden Rapp! Lebe wohl, mein Braver; id
werde Dir fogleih Deine Imftruction zufenden. Er-
warte fie unten im Dienftfaale.”
Eine Stunde darauf erhielt der General nächſt
der von Kaifer ſelbſt dictirten Inftruction ven Gran d⸗
Cordon des Ordens der Ehrenlegion und eine jähr-
liche Rente von zwölftaufend Franken, hypothelariſch
eingetragen auf den Mont-de-Milan.
„Jetzt bin ich aber in ber That neugierig,“ ſprach
Napoleon, nachdem er die Angelegenheiten Rapp's
beforgt, von feinem Site aufftehend, „zu jehen, ob
mein erſtes Garbebataillon, das heute einen Ball
giebt, den Frauen und Mädchen Deftreih8 eben
jo gefährlid ift, wie feinen Männern. Faſt ſollt'
ich es bezweifeln, denn von glatten Gefichtern ift bei
biefen Grenadieren verdammt wenig zu ſpüren.“
Er ließ hierauf Junot rufen und fuhr mit ihm
nad) dem Hotel, wo die ©renadiere des erften Ba—
taillons vom erften Regiment ihren Ball hatten.
Als der Kaifer in ven Saal trat, wirbelten die
Pauken und die Trompeten fehmetterten, und auf das
geräufchuolle Ballleben folgte augenblidlid die ehr—
Du Stille.
Langfamen Schritte, die Hände auf dem Rüden,
durchwandelte Napoleon die Gruppe des Ballpubli-
fums, bier und da ſtehen bleibend und ein Gefpräd
anfnüpfend; überall erblidte er ja alte gute Belannte.
AB er bei Morland vorüber fam, frug er:
„aber Morland, was beveutet das himmtelblaue
Band da im Knuopfloch; Du trägft einen Orden ohne
meine Erlaubniß?“
„Sire, mit Berlaub,“ erwieberte der Garpift, „das
Band beveutet, daß ich mit auf Ordnung zu jehen
habe auf dem Balle.“
„Ah, das ift was anders; aber iſt denn fein
Maillebois auf dem Balle? Ic denke, ihr ſteht
gut mit einander?”
„Sire, alle drei find meine Gäſte.“
„Das ıft brav, das freut mid; aber wo fleden
fie denn?“
Im Augenblide ftanden die drei Brüder wie auf:
marihirt vor Napoleon,
Mit befonvderem Wohlwellen ruhten die Blide des
Kaifers auf den drei Yüngtingen. Der kleine Kanos
nier, mit dem Arm in der Binde, fejfelte zunächft
feine Aufmerkſamkeit. Er erkundigte fih nad) dem
Befinden vejjelben, rieth ihm väterlich, fi) ja zu hal—
teri und den Verordnungen des Arztes fireng nachzu-
fommen. Dann redete er mit Guifeppe und
dann mit Armand einige freundlide Worte. Ex
trat einen Schritt zurüd. Noch einmal überflog fein
Blick voller Güte das Kleeblatt, und er ſprach bie
beveutfamen Worte:
„Wenn die Rojen aufbreden in meinen
Gärten von Malmaifon, dann haltet eud
Drei bereit, ih werde Euch rufen lajfen!”
Napoleon kehrte nach der Mitte des Saals zu⸗
* Gr.
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1. Re 156
* —
ur ar eg:
*
rück, leerte ein Glas Champagner auf das Wohl des
erſten Bataillons vom erſten Regiment ſeiner Garde,
worauf er unter einem donnernden „Hoch lebe ber
Kaiſer!“ ven Ball verlieh.
„Wenn die Roſen aufbrechen in den Gärten von
Malmaiſon?“ frug HA rmand finnend und ge-
dachte Tlorentinens Kin Himmelftrahl zudte
durch feine Bruſt. Da kam Morland mit Eifer
herbei und rief, fich vergnügt die Hände reiben:
„Nun jest werdet Ihr doch einfehen, daß das
ein höchſt nobler Ball fein muß, ven Seine Maje-
flät mit Ihrer Allerhöchſten Gegenwart zu beehren
geruht!”
Deizehntes Kapitel.
Die Friedensunterhandlungen, welde fran:öfiicher
Seits Talleyrand, üftreihifcher Seits der Fürſt
Johann von Lichtenſtein, Graf Stadion und
General Giulay leiteten, begannen, dem Waffenftill-
ſtande von Aufterlig zu Folge, zu Nikolsburg
in Mähren, wurden aber nach Preßburg verlegt,
wo am zweiten Weihnachtsfeiertage 1805 der Friede
zu Stande kam.
Dieſer Friede iſt hauptſächlich darum merkwürdig,
weil kraft deſſelben die weſentliche Veränderung der
deutſchen Reichs-Ver faſſung durch Stiftung des
Rheinbundes und ihre gänzliche Anflöſung vorbe—
reitet wurde.
9 Napoleon trennte die deutſchen Fürſten am
157
Rheine von dem Intereſſe Oeſtreichs und verband fle
enger mit Frankreich, um an ihnen eine Vormauer
gegen künftige Angriffe Oeſtreichs, Preußens und
Rußlands zu haben.
Ter Preßburger Friede ficherte ferner Frankreich
als gänzliches Eigenthum und mit voller Souveraine—
tät alle Herzogthümer, Fürſtenthümer, Herrfchaften
und Territorien jenjeitd der Alpen, welche vor dieſem
Vertrage mit dem franzöft hen Neiche vereinigt ober
duch franzöſiſche Geſetze und Verwaltungen regiert
wurden.
Der Kaifer von Deftreich Teiftete Verzicht auf die—
jenigen Theile der Republik Venedig, welde ihm
durch die Verträge von Campo-Formio und Lu—
neville abgetreten worden waren. Dieje Theile
wurden dem NRönigreihe Italien ceinverleibt. Der
Kaiſer von Deftreih erkannte ferner den Kaiſer Na—
poleon ald König von Italien an.
Baiern und Würtemberg erhielten Königskronen
und wie auch Baden bedeutenden Länderzuwachs.
Deftreih erlitt in feinen deutihen Staaten eine
Verminderung ver Volkszahl von gegen Neunmal:
hunderttaufend Seeden; in Italien belief ſich der
Berluft über zwei Millionen, wodurch vierzehn
Millionen Staatseinkünfte hinweg filen.
Aber wie groß diefer Berluft an Land und Leu—
ten für die öſtreichiſhhe Monarchie war, noch weit
Ihmerzhafter war die Verminderung feiner politifchen
Stellung. Während vorher Deftreih, als Mittelpunkt
Europa's, der Stützpunkt des politifchen Gleichge—
wichts in demfelben zu betrachten, jo warb durch den
Prefburger Frieden dieſes Reich von Italien, bem
Rheine, ver Schweiz und Schwaben gänzlich abge
158
Schnitten und fein Einfluß auf die dentjchen Angeles
genheiten ging auf den franzöflfchen Kaifer über.
Napoleon kündigte diefe für Frankreich fo glän-
zenden Ergebniffe feinen Soldaten in einer Proclama-
tion an, worin er fagte, daß fie, nachdem fie ihren
Kaifer mit ihnen Gefahren und Beſchwerden tbeilen
gefehen, jet ihn, umgeben von jener Größe und je-
nem Glanze erbliden follten, bie dem erften Souve⸗
rain: des erften Volles der Welt gebühre.
„Ich werde,‘ fügte er am Schluffe Hinzu, „in
den erften Tagen des nächſten Mai's ein großes Teft
zu Paris geben. Ihr werbet Euch dort Alle einfin-
den und dann wollen wir dahin gehen, wohin uns
das Glüd unſers Vaterlandes und die Intereffen un-
ſers Ruhms rufen werden.
„Soldaten, der Gedanke, daß ich Euch Alle noch
vor Ablauf von ſechs Monaten um meinen Palaſt ge⸗
ſchaart ſehen werde, rührt mein Herz und ich empfinde
im Voraus die lebhafteſte Freude. Wir werden das
Andenken derjenigen feiern, die in dieſem Feldzuge
auf dem Bette der Ehre gefallen ſind, und die Welt
wird und Alle bereit erblicken, ihr Beiſpiel nachzu—
ahmen, ja noch mehr zu vollbringen, als wir bereits
vollbracht haben, um diejenigen zu zerfchmettern, die
unjere Ehre antaften wollen und ſich durch das be-
ftechende Gold der ewigen Feinde des Feftlandes ver-
führen laſſen.“
Bevor Napoleon Wien verließ, ſprach er zu
den Bewohnern diefer Hauptſtadt:
„Bürger von Wien, id) habe mid) wenig unter
Euch gezeigt, nicht aus Geringfhätung oder eitelm
Hochmuthe, fondern ich wollte Euch in feinem ver
Gefühle beirren,, das Ihr Euerm Fürſten ſchuldig ſeid.
Indem ic) Euch verlaffe, nehmet als ein Gefchent, das
159
Euch meine Achtung beweife, Euer Zeughaus, welches
bie Geſetze des Kriegs zu meinem Cigenthume ges
macht haben, zurück. Bedient Euch befien ſtets zur
Aufrechthaltung der Dronung. Alle Uebel, die dr wi
erbulpet, fhreibt fie dem Unglüde zu, das von einem -*
Kriege unzertrennlih if. Alle Schonung aber, bie
meine Armeen in Eurem Lande bewiejen haben, ver⸗
danft Ihr der Achtung, die Ihr Euch bei mir er
worben habt.’
An demfelben Tage erfchien noch eime zweite
Proclamation, welche die Welt mit dem Wortbruche
des Hofes von Neapel befannt machte, welcher troß
eines zwei Monate vorher mit Frankreich abgejchlof-
jenen Vertrags feine Häfen ben Englänbern und
Ruſſen geöffnet hatte Bourbonen, dieſe ewigen
Beinde Frankreichs, warfen abermals vie Maske ab.
Hier nun ließ fi die Taiferlihe Dictatur vernehmen,
wie e8 einft der Convent gethan. Diefe durch ihre
Energie fo weltberühbmt gewordene Proclamation
lautet alfo:
„Aus dem kaiſerlichen Lager zu Schönbrunn ven
26. December 1805.
„Solvaten !
„Seit zehn Jahren habe ih Alles getban, den
König von Neapel zu retten und er hat Alles ge-
than, ſich in's Verderben zu ftürzen.
„Rah den Schlachten von Dego, Mondovi
und Lodi konnte er mir nur einen ſchwachen Wi-
derſtand entgegenfegen. Ich vertraute dem Worte
dieſes Fürften, benahm mid, ebelmüthig gegen ihn.
„ALS die zweite Coalition auf dem Schlachtfelde
von Marengo geiprengt warb, blieb der König von
Neapel, der diefen ungerechten Krieg zuerft begonnen
und zu Luneville von feinen Berbündeten im
160
Stiche gelaffen worben war, allein und ohne Ver—⸗
ehicung. Er bat und ich verzieh ihm zum zweiten
„Roh vor wenig Minuten ſtandet Ihr vor den
u. Thoren von Neapel. Ich hatte vollgültige Gründe,
ken Vertragsbruch, auf den man fann, zu argwoh«
neu, und die Beleidigungen, die mir angethan wor⸗
ben waren, zu rächen. Abermals war ich evelmüthig ;
ih erkannte die Neutralität von Neapel an, befahl
Euch, diefes Königreich zu räumen, und zum britten
Male war das Haus Neapel gerettet und auf bem
Throne befeftigt.
„Sollen wir zum vierten Male verzeihen? Zum
vierten Male diefem Hof trauen? Nein, nein! Die
Dynaſtie von Neapel hat aufgehört zu re-
gieren! Ihr Dafein ift mit der Ruhe von Europa
und mit der Ehre meiner Krone unvereinbar.
„Splvaten, auf, ftürzt die ſchwachen Bataillone
Diefeg Tyrannen des Meeres, wenn anders fie Euch
erwarten, in die Fluthen. Zeigt der Welt, wie wir
den Bertragsbrud beftrafen. Säumt nicht, mir fund
zu thun, daß ganz Italien meinen Oefegen, oder de—
nen meiner Verbündeten unterworfen, daß das ſchönſte
Land der Erde von dem Einfluffe Englands befreit,
daß die Heiligkeit der Verträge gerächt ift, und daß
die Manen meiner tapfern Soldaten, die, nachdem jie
den Gefahren des Schiffbrudhg, der Wüfte und von
hundert Schlachten entgangen waren, auf ihrer Nüd-
fehr aus Egypten in den ficilianifchen Häfen ermor-
vet wurden, endlich verſöhnt find.“
Napoleon reifte auf der Rückkehr nah Paris
durch Münden, wo er fih emige Tage aufhielt,
um der Vermählung des Prinzen Eugen mit einer
Tochter ded Könige von Baiern beizumohnen. Er
161
ſchrieb aus diefer Hauptftabt an den Senat, um den-
jelben in Kenntnig zu feßen, daß ihm der Prefbur-
ger Friedenstractat bald vorgelegt werden würde.
„Ih wollte,“ hieß e8 in dem Schreiben, „Euch
bie Friedensbedingungen in einer feierlihen Sitzung
in Perfen ankündigen, da id) aber mit dem Könige
von Baiern die Vermählung feines Stieffohnes des
Prinzen Eugen mit ver Prinzeffin Augufte be
ſchloſſen hatte, und zu Münden zu ber Zeit anweſend
war, wo bie Vermählung gefeiert werden ſollte, ſo
fonnte id mir die Freude nicht verfagen, Das junge
Brautpaar, ven weldem beite Theile die Mufter ihres
Geſchlechts find, jelbft zu vereinigen. Meine Ankunft
in der Mitte meined Volkes wird daher um einige
Tage verzögert werden. Diefe Tage werden meinem
Herzen lang vorkommen; aber nachdem id mid un-
aufhörlich ven Pflichten eines Soldaten gewidmet habe,
finde ich eine liebevolle Erholung darin, mich mit ven
Pflichten eines Familienvaters zu befchäftigen.‘‘
So ſchuf die Schlacht von Anjterlig
neue Königreiche und vermiſchte bürger-
lihes und füritlihes Blut, und dies war
ber Anfang jenes Syſtems, wodurd Napo-
leon „Könige zu feinen Schildwadten und
Throne zu jeinen Örenzthärmen machte.“
Während ſich ber Kaifer noch in Baiern aufbielt,
trafen die großen Staatskörper und bie Bevölkerung
von Paris die: außerordentlichſten Vorkehrungen, den
Sieger von Aufterlig würdig zu empfangen.
Das Tribunat mahte den Anfang. Es be-
ſchloß: |
„Dem Helden, der durch feine Wunverthaten das
Lob unmöglid gemacht, einen Beweis der Bewunbe-
Stolle, fämmtl. Schriften. XXII. 11
U Per)
162
rung, der Liebe und Dankbarkeit zu geben, ver fo
unfterblich bleibe, wie fein Ruhm.‘
Am erften Januar 1806 wurden die vierund-
funfzig Fahnen, die der Kaiſer dem Senate ge-
fchenft hatte, von dem Tribunate, im Gefolge ver
Behörden, der Militairmuſik und eines Theils der
Beſatzung von Paris nach dem Lurembourg gebradt.
Der Erzlanzler und alle Minifter waren dafelbit ver-
fammelt. Der Senat, in weldem ter Großwahlherr
ben Vorſitz führte, bezeichnete den Empfang des ruhm-
reihen Geſchenks, das feinen Palaft ſchmücken follte
durch den im Namen bes franzöftfchen Volks gefaßten
Beihluf:
dad ein Triumphdenkmal Napoleon dem
Großen errichtet werde;
daß der Senat Seiner Majeftät, dem Kaiſer,
entgegengehe, um ihm die Bewunderung, Liebe und
Dankbarkeit des franzöfiihen Volles als Huldigung
darzubringen;
Daß das aus Elchingen datirte Schreiben bes
Kaifers an den Genat in marmorne Tafeln eingegra-
ben und diefe im Sitzungsſaale des Senats aufgeftellt
werden follten;
daß man diefem Schreiben ferner eingrabe:
„Dieſe vierundfunfzig ahnen find dem Senate
von dem ZTribunate überbradht worden, Mittwochs,
den erſten Januar 1806.”
Auch die Kathedrale von Paris erhielt ihren An-
theil von den in diefem glorreichen Feldzuge exrbeute-
ten Fahnen. Die erzbiföfliche Geiftlichkeit nahm
diefe Trophäen am Bortal ihrer Kirche mit großem
Pompe in Empfang, worauf fle an dem Bogenge-
wölbe des Tempels aufgehangen wurben.
2.
In
ig,
5 .
163
Alfo endete der neunte Feldzug Napoleon’s,
in welchem die dritte Gonlition eurepäifcher Mächte
gegen Frankreich geiprengt ward. Keiner war glor-
veiher für den Ruhm des großen Feldherrn. In
dieſem neunten Feldzuge fah man wie durch einen
Zauberfhlag binnen fehzig Tagen hundertfunfzigtau-
ſend Franzofen von den Küften des Kanals und aus
der italienischen Halbinfel an die Quellen der Dos
nau, in die Schluchten des Schwarzwaldes, und von
ba bi8 am bie Tarpatifchen Gebirge und die Quellen
ber Weichfel verfegt. Im ihm erblidt man den Kai—
jer der Franzoſen als Eieger über die zwei mächtig-
ften Beherrfcher Des Feſtlandes; in ihm endlich fieht
man, wie ter Kaifer Napoleon feinen Verbündeten
Kronen, jeinen Verwandten fürftlihe Bräute, feinen
Generälen ganze Staaten und feinem Frankreich
Größe, Slanz und unfterblihen Ruhm verleiht.
— — — ——
Vierzehntes Rapitel.
Noch in keinem Frühlinge war wohl die Roſenblüthe
von Armand ſehnſüchtiger erwartet worden, als im
ſchönen Monat Mat 1806. Es verging faſt fein
Tag, wo er nicht nad) dem ſtillen Gärtchen hinabge-
gangen wäre, daß an ſeine Wohnung gränzte und
nach den ſchwellenden Knospen geſpäht hätt bie fh
ven Tag zu Tag mehr rötheten.
Bon Slorentinen, welde noch immer in ber
nächften Umgebung der Kaiferin weilte, hatte er burd)
Junot's Vermittelung wohl einige Male Zufchriften
erhalten, aber die Geliebte zu fehen und zu ſprechen
11*
164
war ihn, troß aller Bemühungen, nicht gelungen.
Wiewehl er nicht begriff, warum man ihm ein Zu-
fammentreffen mit dem Fräulein von Never fo
augenjcheinlich erſchwerte, fo lebte er gleihwehl der
fügen Hoffnung, daß der Katfer, dem Armand’
Liebe nicht unbelannt war, ihm in Betreff einer der:
einftigen Bereinigung mit Florentinen fein Hin-
dernig in den Weg legen werbe.
Der Jüngling ſaß fo eben wieber im ber Laube
bed im reihen Schmude bes Frühlings prangenden
Gartens, als die Gitterthür haſtig aufgeriſſen ward
und ein reichgeſchmůctter Offizier zwiſchen den blühen—
den Beeten daherkam.
Es war Junot, welcher Armand freudig in
die Arme ſchloß.
„Auf, mein Freund,“ rief der General, „in den
Gärten von Malmaifon brechen vie Roſen
auf. Der Kaiſer läßt Euch rufen.“
Armand vernahm freudezitternd dieſe Botſchaft.
Er vermochte in der erſten freudigen Beſtürzung kein
Wort zu erwiedern.
„Aber wo iſt denn der Herr Guiſeppe und der
Kanonier,“ fuhr der kaiſerliche General-Adjutant fort,
„mein Befehl lautet auf alle drei Maillebois.“
Armand fchicte fofort Boten nach feinen zwei Brü-
bern, welche lettere nicht weit von ihm wohnten,
und bald fanden fih auch ter Seeoffizier und Nap
wohlbehalten und en grand tenue ein. Sie waren
beide guter Dinge, nur dem Armand Hlopfte das
Herz etwas.
Es war ein wunderſchöner Vormittag, der Him-
mel blau und fanft, die Lerchen jubelten über ven
grünen Fluren, al8 die Bier in einem flotten Zwei—
gefpann Paris verließen und auf der ſchönen Chauf-
165
fee von Malmaifon dahin fuhren. Schmucke Land—
mädchen, die mit üppigen Kücenkräutern und Blu—
menkörbchen des Weges taher kamen, nidten freundlich
in den Wagen. Nap, der fih nicht wenig darauf
zu Gute that, als gemeiner Kanenier mit einem
jo großen General in einem und demſelben Wagen
zu figen, grüßte freundlich herablaffend; Guiſeppe
Ihien fih um tie Grüße der Blumenmädchen weniger
zu befümmern.
Junot felbft war außerordemlich guter Laune.
Er nedte fih mit Guifeppe, dem er den Vorwurf
machte, daß er fein Herz in Deutjchland bei einer
fhönen Wienerin gelaffen und nun feine eignen
Lantsmänninnen vernadhläffige.
Der Eeeoffizier wollte das nicht zugeben, obſchon
er eingeftand, daß ihn die deutſchen Mädchen, na=
mentlic) wegen ihres natürlichen und treuherzigen
Weſens, fehr gefallen hätten.
Nah einer heitern Fahrt von mehren Stunden
tauchte das in ländlicher Stille gelegene Dralmai-
fon mit feinen uralten Linden und Ulmen in einis
ger Ferne empor. Schon vernahm man die Thurm⸗
uhr des Schloſſes filbern daher Klingen.
Der Oeneraladjutant des Kaiſers, welcher über
den Zwed der Fahrt ein tiefes Echweigen beobachtet
hatte, befahl jegt dem Kutſcher, die Kaflanienallee
zur Linfen einzulenfen und durch den Schloßpark zu
fahren.
Vest, nachdem man dem faiferlihen Luſtorte jo
nahe war, wo ſich gewiß der Kaiſer und die Kaiſe—
rin nebft andern hohen Staatsbeamten befanven, be=
gann aud) den beiden andern Brüdern und nament-
ih dem Kanonier, der die Kaiferin noch nie gejehen
hatte, ein Wenig das Herz zu Elopfen.
166
Der Wagen fuhr jest durch das Parkthor und
hielt vor einem höchſt gefhmadvoll erbauten Garten-
pavillon.
„Da find wir,” rief Junot, durch dee Zeöffne—
ten Schlag ſpringend; „treten wir in den Pavillon,
um uns vom Staube zu reinigen und unſre Toilette
zu reſtauriren.“
Das fanden die Brüder Maillebois gleichfalls
höchſt zweckmäßig.
„Nun, ſo kommt, meine Freunde,“ ſprach der Ge—
neral, nachdem ſie mit der Toilette zu Stande, und
führte die Jünglinge durch die ſchattenreichen, duf—⸗
tenden und mit röthlichem Sande ſauber beſtreuten
Gänge des Parks von Malmaiſon.
Die Brüder blickten ſich von Zeit zu Zeit einan-
der fragend und mit etwas ſchüchternen Bliden an;
auch wagte feiner, fih zu erkundigen, wohin die
Reiſe eigentlich gehe. Sie folgten jchweigend ihrem
hohen Führer. Ä
Nach einer Wanderung von ungefähr zehn Minu—
ten ſprach Junot: „Nun werden wir bald Gefell-
ſchaft finden.“
„Geſellſchaft,“ frug jeder des Kleeblatts ſich ſelbſt,
„was denn für Geſellſchaft?“
Plötzlich wurden Stimmen durch die dichten Baum⸗
wände vernehmbar, die den Brüdern ſo wunderbar
bekannt klangen. Freudig begann allen Dreien das
Herz zu ſchlagen.
Jetzt bog der General mit ſeinen Begleitern um
die Ecke der einen Baumwand. Welch' ein Anblick
bot ſich aber hier dar! Die drei Brüder glaubten
ihren Augen nicht trauen zu dürfen und blieben die
erſten Augenblicke wie angefeſſelt ſtehen. Sie glaub-
ten zu träumen und ſchienen erſt zu erwachen, als ſie
167
mit einem allgemeinen Freudenrufe begrüßt wurden.
Auf einem wunderſchönen grünen Raſenteppich, der
rings von blühenden Schneeballen, Jasmin und lies
berbüfchen eingezaunt war, befand fich eime feitliche
Geſellſchaft von Lauter Lieben und theuern Belannten,
welche ſammt und ſonders den drei Ankömmlingen
unter Jubelruf entgegen eilten.
Da war vorerft Herr Maillebois, Ziergärtner
aus Merville, ſchönſtes angethan mit der Natio-
nalgardenuniform feiner Baterftabt, ferner Mapame
Maillebois, weldhe die Freude, ihre Söhne wieder
zu jehen, um zehn Jahr verjüngt hatte; fie glich
einer hübſchen Frau in den Zwanzigen, gleichfalls in
funfelneuem Sonntagsftante; ferner noch eine Menge
alter guter Bekannter aus Merville; der Kaifer
hatte drei Wagen voll herbeiſchaffen Iaffen; ferner Herr
Morland, Sergeant im erften Grenadierregimente
der kaiſerlichen Garde, mie fih von felbft verfteht,
ausgezeichnet fein gefleivet; fein Haarzopf war bies-
mal ein Meifterftüd an Kunft und Genie. Morland
war der Einzige, der fih von dem allgemeinen Jubel
nit mit hinreißen lief, und nichts vornahm, wo⸗
durch feine Würde als alter Garbift im Geringſten
hätte im falſchen Lichte erfcheinen können. Er fehritt,
als die Reihe an ihn kam, würdevoll auf die drei
Brüder zu und umarmte einen nad dem andern mit
Grandezza. Ferner fanden fih unter der fröhlichen
Gejellihaft vor, der Doctor Bonorand, nod immer
etwas gebräunt von der Sonne der Antillen, der erfte
Kammerbiener Conftant, ver brave General Rapp,
der ſich's vom Kaiſer erpreß ausgebeten, bei dieſem
Familienfeſte zugegen fein zu dürfen, endlich nod
mehre Kameraden von Armand.
Es dauerte circa eine Kleine Stunde, bevor man
168
nur mit den allerunerläglihften Umarmungen zu
Stande war. Lange hatte man wohl nicht fo viel
wahrhaft fröhliche Leute in dem jchattenreihen Parke
von Malmaifon beifammen geſehen. Es war ein
wahrhaft Meines Auferſtehungsfeft. Die guten Bet-
tern, Zanten und Baſen aus Merville fonnten fi
nicht jatt fehen an ven ftattlihen Söhnen des Vaters
Maillebois, die fie zum Theil noch in der Kin-
derkappe umbherlaufen gefehen zu haben ſich erinnerten.
„Sieheft Du, Mütterchen, rief Nap mit inniger
rende, Madame Maillebois wiederholt umar-
mend, „ift es nicht gut, daß ich Kanonier geworben,
na, nicht wahr?”
Rapp, Junot, Bonorand und Gonftant
ſchauten lachenden Herzens in ven fröhlichen Tumult,
während ganz in der Nähe, aber ungefehen, hinter
einer Iaubreiden Baummand ein Heiner Dann in
einem grauen Weberrode ftand, und durch eine Kleine
Deffnung in ver Wand blidenn, an ver allgeneinen
Freude ſich höchlichſt zu ergötzen ſchien. Lange weilte
derjelbe in feinem Verſteck, bis er endlich auf einem
. Ummege nah dem Schloffe, von wo er gekommen,
zurüdfehrte.
Plöglih erfhien ein Kammerdiener, welcher dem
General Ju not ein paar Worte in’d Obr flüjterte.
Diefer winkte Armand und geleitete ihn nad) dem
rechten Flügel des Schlofies, aus welchem eine Glas—
thüre nad) dem Garten führte, Armand folgte un-
‚ter nicht geringem Herzklopfen dem General, ver bie
ſchöne Marmortreppe hinaufſtieg und vu mehre
prachtvolle Gemächer wandelte.
Auf dem ganzen Wege hatte Junvi kein Wort
geſprochen, als ſich aber jest eine große Flügelth üre
aufthat, flüfterte er Armand in's Ohr:
169
„Erſchreckt nicht, jet befcheert der heilige Chrifi.”
Und dem war aud jo. Wer vermödte ned Jüng-
lings felige Ueberraſchung zu fhildan, nachdem er
in den großen, herrlich gejhmüdten Saal getreten.
Da ſaßen auf einer Ditomane die Kaiferin Joſe—
phine und neben ihr Slorentine, in bimmlifcher
Schönheit, gefhmüdt wie eine Braut. So wie die
Kaiferin Armand erfhaute, der mehr tobt als le
bendig in der Mitte des Saales ſtand, bis wohin
ihn der General gebracht hatte, erhob fie ſich, und
Tlorentine zu ihm führend, legte fie die fieberhaft
glühende Hand des reizenden Kindes in feine echte,
indem fie mit ihrer ſonoren fanften Stimme die Worte
ſprach:
„Edelſinnund Tapferkeitempfange hier—
mit den Lohn der treuen Liebe.“
Zugleih war aud der Kaifer durch eine Tapeten-
thür bereingetreten und überreihte Floren tinen ein
Papier mit ven Worten:
„Der Thränen find genug geflofien, gern biete
ih die Hand der Verſöhnung.“
Das Schreiben enthielt bie Begnadigung von Flo⸗
rentinen’3 Oheim, des Grafen ven Nevers, mel-
her von dem Striegögerihte war zum Tode verur-
theilt worden.
Die Liebenden waren auf die Knie gefunfen und
hielten wie betend die Hände empor zu ihren kaiſer⸗
lichen Wohlthätern. Sanft hob ver Kaiſer das felige
Paar empor und mit demfelben in den angrenzenden
Saal tretend, wohin unterdeß die Geſellſchaft aus dem
Parke geführt worden war, ſprach er:
„Fräulein Florentine von Neverd und ter
Gardecapitain Armand Maillebois empfehlen fid
170
den werthen Gäſten von Malmaifon als Berlobte,”
worauf er zu der Kaiferin zurüdfehrte,
Jetzt begann die große Gratulationsſcene, welche
wieder einen anfehnlichen Zeitraum in Anfpruch nahm.
Als Bonorand gratulirte, ſprach er: „Nun werbe
ih doch endlich Hecht behalten, daß Ihr unter einem
glüdlihen Sterne geboren feiv.” Morland, deſſen
Seftalt beim Anblid Florentinen's um vieles län-
ger wurde, murmelte ganz leis in den Bart: „Kreuz:
bombenbataillen, das ift ein feines Mädel, ein
hödhft feines Mädel.“ Die Berwandten und Be-
fannten aus Merville wagten faum die Feine weiße
Hand zu berühren, weldhe ihnen vie fchöne Braut mit
liebevollem Lächeln darbot. Der alte Maillebois,
in ber Nationalgarbeuniform von Merville, macıte
die ehrfurchtsvollſten Büdlinge vor feiner künftigen
Schwiegeitohter und Madame Moaillebois die de—
ooteften Knixe. Die anmefenden Kameraden Ar-
mand’s, fowie ber General Rapp und Freund
Conſtant konnten fid nicht fatt fehen an ber herr-
lihen Erjdheinung Der Kanonier geftend Mor-
land im Bertrauen, ein fo ſchönes Mädchen nod)
nicht gefehen zu haben.
„Run, wie gejagt,” erwieberte viefer leife, „ich
füge Dir, es ift etwas höchſt Nobles.“
Nahdem man mit den Oratulationen zu Ende,
wanderte die Gefelfhaft, auf Junot's Commande,
nah dem in ſchönſter Pracht des Frühlings ftehenden
Garten. Mehre Freundinnen Florentinen’s, Ver—
wandte non Yunot und gleichfalls reizende Mädchen
fhloffen fih an.
In dem einen Theile des Gartens, wo rings um—⸗
ber Tauſende von Gentifolien im Aufbrechen begriffen
waren, ſtand unter einem ſchönen türkiſchen Zelte ein
x
171
auserlejenes Frühſtück aufgetragen. Das Brautpaar
erhielt, wie fi verftand, den Ehrenplat zwifchen
Herrn und Madame Maillebois. Morland faß
neben Guiſeppe und dem Kanonier und dem Ge-
neral Rapp gegenüber. Er prüfte mit SKennerblid
die zahlreichen Etiketten der koſtbaren Weine, fowie
die Unzahl ver auserwählten Gerichte aus der kaiſer—
lichen Küche, und raunte vem Guifeppe in's Ohr:
„Ih muß Euch geftehen, ein höchſt nobles Früb-
ſtück.“
Während des fröhlichen Dejeunüs erſchienen der
Kaiſer und die Kaiſerin bei der glücklichen Geſellſchaft,
ſprachen mit jedem der Anweſenden und kehrten erſt
nach Verlauf einer halben Stunde nach dem Schloſſe
zurück. Namentlich waren die Gäfte aus Merville
ganz bezaubert von der huldwollen Herablafjung ber
taiferlichen Majeſtäten.
Nach dem Frühftüd erging fi die Geſellſchaft in
den fchattenreihen und blüthenvollen Gängen des
Gartens von Malmaifon. Die füren Weine hat-
ten die Herzen aufgejchloffen und einander näher ge-
bracht. Die beengenden Bänder der Etikette löften
fih allmälig. Armand wandelte mit verflärtem
Antlig am Arme der feligen Florentine Er hätte
mit feinem Könige ber Erde getauft. Morland
war von dem duftigen Muskateller aus dem faijer-
lichen Keller ziemlich warm geworben. Er hatte dem
etwas fhüchternen Kanonier ſchon zu wiederholten
Malen gerathen, ein Herz zu fallen und fih umzu—⸗
fehben unter den Töchtern des Landes; die beiden
Goufinen von Junot wären höchſt noble Fräulein,
während er felbft mit Beharrlichkeit und Feinheit Ma-
dame Maillebois die Cnur machte. Er ſchien
wirklich bie Abficht zu haben, feinem alten Zeltcame-
172
raben, dem Siergärtner, troß dem, daß dieſer in ber
Merviller Nationalgarbenunifı im fiegesfiher einher-
ſchritt, für heute aus dem Sattel zu heben. Gui—
ſeppe ernenerte eine Schulbekanntſchaft mit einer
bübfhen Couſine aus Merville Bonorand warb
von Conſtant in ven herrlihen Gemähshäufern
von Malmaifon unthergeführt, während ber alte
Maillebois fih außerordentlich geehrt fühlte, mit
dem tapfern General Rapp auf- und nieverwanteln
und über den egyptiſchen Feldzug vortiefflih discuri—
ven zu fünnen. Die Kameraden Armand's mad)-
ten ed fih zur angenehmen Pflicht, für die Unter-
baltung der beiden Coufinen Junot's, fo wie ter
ehrlichen ZVettern und Muhmen aus M ervilte be-
ſtens zu Iergen, an weldye ſich endlich auch ver Ka⸗
nonier anſchloß.
So war für ſämmtliche Säfte zu Malmaifon
fhönftens geforgt. Zwei Stunden verflogen wie we—
nig Augenblide. Da ließ Junot, der fih in ber
Rolle eines Meaitre de Plaifie beim heutigen Feſte
außerordentlich gefiel und ihr alle Ehre machte, Die
GSejelfhaft wieder zufammen rufen und that, nad)
eingeholter kaiſerlicher Erlaubniß, den Vorſchlag, nad)
feinem zwei Stündden von Malmaifon gelegenen
Gute Montjoie zu fahren, das er vorigen Herbſt
gefauft, neuerdings habe reftauriven lafjen, und da—
jelbit auf das Wohl des Brautpaars ein Glas Cham—
pagner zu trinken; er gebe nämlich viel auf das alte
Sprichwort, wonad) e8 großes Glück für ein neu ein=
gerichtete Haus bedeute, wenn daſſelbe durch ein an
demſelben Tage verlobtes Brautpaar betreten werde.
Die Worte des Generals fanden allgemeinen Bei:
fall und bald fuhr eine ganze Wagenburg hinüber
nad Montjoie. Nach einftündiger, höchſt amufan-
175
ter Fahrt Durch eine lachende Gegend, traten das
ſchloßähnliche Herrnhaus und die ftattlihen Wirth:
fchaftegebäure von Montjoie, reizend am Abhange
einer Hügelfette gelegen, binter einem Raftanienwaloe
bervor und wurden von der Reiſegeſellſchaft mit all-
gemeinem Jubel begrüßt.
Der erfte Wagen, in welchem fih Armand und
Slorentine befanden, fuhr bei dem Portale Des
Herrnhauſes vor, wofelbft fie der alte Majordomus
im Ornate empfing. Das Brautpaar betrat zuerft
das ftattlihe Gebäude.
Kun machte ſich's Junot zur angelegentlichften
Pflicht, feine Säfte mit der Räumlichfeit und ber
Einrihtung feiner ſchönen Befizung befannt zu ma—
ben. Alles befand ſich im beften Zuſtande. Scheuer,
Ställe, Keller und Böden waren gefüllt, fo daß
Morland unummunden geltend, ein jo wohl arran-
girted und höchſt nobles Landgut fei ihm noch nicht
vorgekommen.
„Aber, meine Freunde,“ begann Junot, nach—
dem die Geſellſchaft Alles in Augenſchein genommen,
mit gerechter Bewunderung begrüßt und ſich wieder
in dem ſchönen Saale des Herrnhaufes zujammen
gefunden hatte, „noch nicht Alles haben Sie ge:
jenen, auch eine hiftorifche Merkwürdigkeit birgt mein
Landgut, welche ich der Gnade Seiner Meajeftät ver:
danke.“
Er führte hierauf die erwartungsvollen Zuhörer
ch dem ſchönen Parke. Man war nicht lange ge
Pe KR a En als ſich den erftaunten Bliden eine von ur—
. X v !
"Ulmen umringte Raſenrotunde zeigte, mo auf
— itnen viedeſtal ein ruſſiſcher Zwölf—
174
„erinnert an eine ber ſchönſten und heldenfühniten
Waffenthaten des Feld zugs von Aufterlig. Es ift
jened ruſſiſche Gefhüt, welches der fiebzehnjährige
Napoleon Maillebois, Taiferlih-Fünigliher Ka—
nonier im vierten Regiment erobert hat.“
„Der Taufend, ap, Dein Püppchen,” ſchmun⸗
zelte Morland, „wahrhaftig, das ift nobel vom
Kaifer, daß er das nicht hat mit einfchmelzen laſſen.“
Jetzt gelangte ver Kanonier zu hohen Ehren. Er
ward der Gegenftand ver allgemeinften Bewunderung,
jeine aufßerordentlihe Tapferkeit trat Allen wieber
lebhaft ver Augen. Dean vergaß jelbft eine Zeit
lang das Brautpaar.
„Und jest, meine Freunde,” fuhr Yunot fort,
nachdem man den Zwölfpfünder von allen Ceiten
beſehen und betaftet hatte, „wollen wir auf der Platt:
form des Herrenhauſes, von wo man eine fchüne
Ausfiht Über die Umgegend genießt, die verfprochene
Gefunpheit auf die Brautleute trinken.“
Der General hatte wahr gefproden; von der
Plattform des Herrnhaufes genoß man eine veizende
Ausfiht auf die ganze umliegende Gegend. Man
fonnte von bier das ſchöne Out mit al’ feinen Wal-
dungen, Wiefen, Aedern, Gärten, Teigen, Nebhügeln
* dem dazu gehörigen freundlichen Dörfchen über-
jehen.
Die Sonne, welche ſich bereit8 nach Abend neigte,
ruhte mit Liebe über Berg und Thal und vergolpete
rings die friedliche Landſchaft. Da brachte Junot
ſeinen Toaſt auf das Brautpaar aus, der Cham⸗
pagner perlte und die Gläſer klangen unter, Jubel
aneinander. Na
„Und jest, fuhr der General fort, Lahab' jch
4,.2
175
nod eine Mittheilung ben —
Malmaiſon zu machen.“
Es entftand eine tiefe Stille,
„Dieſes ſchöne Gut,“ ſprach 9
bener Stimme weiter, „das Si
hab’ ich geftern an Seine Mair
König, unfern verehrungswärbigen Monarchen, ver«
fauft, und biefer verfchenft es kraft biefer Urkunde,
die ich hier in der Hand halte, und in dankbarer
Erinnerung und Anerlenntniß für die dem Bater-
lande geleifteten Dienfte, dem Armand Maille-
bois, Gapitain im zweiten Regiment ver Örenabier-
garde zu Pferde, und zwar unter der Bebingung,
daß er bie Hälfte des alljährlichen Ertrags an feine
zwei Brüder, Guifeppe und Napoleon, abtitt,
fo wie aud) dem Nikodemus Morland, Sergeant
im erften Garbegrenadierregimente, eine jährliche Rente
von jehshunbert Franken zahlt und ihm, für den Fall
es dem Veteran bei der Armee nicht mehr gefällt, auf
dem Gute ein anftändiges und freundliches Obdach
einräumt.“
Die Geſellſchaft ſammt und ſonders glaubte, als
Junot geendet, ihren Ohren nicht zu trauen. Die
drei Brüder und das Elternpaar Maillebois wa-
ven fo überraſcht, daß fie kaum einige unverftänbliche
Laute zu ſtammeln vermodten. Nur Morland, den
in ber höchſten Gefahr wie im höchſten Glück nie bie
Faſſung verließ, ſprach die Worte:
„Das nenn id mir nobel!“
Noch ehe die Roſen abgeblüht in den Gärten von
Malmaifon, war fröhliche Hochzeit auf Montjoie.
176
welde bei der Verlobung des
imand Maillebois mit Fräu—
bon Nevers zugegen geweſen,
Morland ließ ſich's nicht
x ng de3 frohen Tages, unun-
terbrochen mit der zuffiichen Kanone zu feuern, bei
welchem Gejhäft er von Guifeppe und Nap eif-
rigſt unterftügt warb.
Als die Gäfte beim glänzenden Hochzeitmahle ver-
fammelt faßen, erſchien ein Taiferliher Page von
Malmaiſon und überbrachte reiche Geſchenke Na—
poleon's und Joſephinen's für Braut und
Bräutigam,
Nie ſah man ein fröhlicheres Hochzeitfeft, die Luft
dauerte bis tief in die Nacht, und nie iſt wohl aus
aufrichtigeren und glüdlicheren Herzen gerufen worden
das welterfchütternde — „Vive l’empereur!“
Ende
i D
D
Drud von Alerander Wiebe in Leipzig.
Ferdinand Stolle's
ausgewäßlte Schriften.
— — — — *
Volks⸗ und Yamilien-Ausgabe.
—
Dreinndgmanzigster Band.
Zweite Auflage
Leipzig,
Ernſt Ketl.
1858.
Je länger je lieber.
Phantafieftüde und Erzählungen
Ferdinand Stolle.
—
Zweiter Band.
Zweite Auflage
Leipzig,
Ernft Keil.
1858.
Inhalt.
— —
Der Menſch denkt, Gott Ienft .
Die Gaftprebigt ...
Die Geifterbefhwörerr. -. - » »
Der Dreilönigsabend... Phantafieſtiick
- Öenwbiber . - ....
Der Menſch denkt, Hott lenkt.
— — —
Erzählung.
Ja, es giebt Unglücksvögel auf der Welt, das iſt
eine ausgemachte Sache, die ſich zu oft beſtätigt hat,
als daß ſie noch einem Zweifel unterliegen ſollte. Es
giebt arme Teufel, die bei aller Thätigkeit, bei aller
Geſchicklichkeit von einem böſen Schickſal verfolgt wer⸗
den, jo daß fie es nie zu Etwas bringen können. Ent-
weder fommen fie ſtets zu früh oder zu fpät, over es
ftellt fich irgend ein anderes Hindernig ihren Vorhaben
in den Weg. Oft wenn fie das langerjehnte Glück
felhft mit beiden Händen ſchon erfaßt haben, kommt
nod ein böfer Genius und entreißt es hohnlachend ven
Armen; oft wenn fie ſchon auf ver Schwelle zum
Himmelreiche ftehen, ſchlägt das ſchadenfrohe Mißgeſchick
die Thüre ihnen vor der Nafe zu und lange, lange
Zeiten vergehen, ehe fih ihnen nur wieder eine ähn=
liche günftige Gelegenheit zeigt.
Ein lebendes Beifpiel von dem Gefagten bot ber
ehrfame Candidat der Theologie, Herr Elias Weit-
haas, welchem in Kurzem fein vierzigfter Geburtstag
bevorſtand. Gott war fein Zeuge, daß der Gute
Alles gethan hatte, was in feinen Kräften ftand, um
einntal dem Ziel und Hauptitreben feines Lebens,
einer Heinen Pfarrftele, mit Ehren vorzuftehen.
Dean mochte feine Cenſuren durchſehen von der Schule
10
bis zur lesten Candidatenprüfung, ex hatte ſtets wohl
beftanden, hatte ftet8 Lob eingeerntet ob feines aus-
dauernden Fleißes und feiner ſoliden Kenntniffe;
aber was half ihm Alles, immer waren Glüdlichere
vorgezogen worden, und fo war der Arme vertröftet
worden bis in fein vierzigftes Jahr, das er nun bald
betreten follte.
Einem Candidaten der Theologie von vierzig
Jahren kann auf diefer Erde wohl kaum am Wohl-
ften zu Muthe fein, zumal wenn er noch eine arme
Mutter und einen Franken Bruder zu ernähren hat
und fein Einkommen auf mühfames Stunvengeben
befhränft if. Bei dem armen Elias war dies ber
Tal. Bon früh bis zum jpäten Abend ſah man ihn
im bäürftigen Fracke die Gaſſen und Gäßchens des
Städtchens Krautberg auf= und ablaufen, aus einer
Familie in die andere, bier im Latein, dort im
Piano, dort in irgend einer andern Elementarwiſſen⸗
Ihaft Unterricht ertheilend. Kam er dann fpät des
Abends als gehetstes Reh todtmüde nad) Haufe, fo
hatte er doch nie vergeſſen, als guter Sohn und
Bruder feinem Mütterhen ein Weißbrötchen oder zur
Vaftenzeit ein paar Bretzeln mitzubringen, womit er
bei den genügfamen Seinen allemal große Freude an⸗
richtete. Dann ftredte er fich behaglich auf das hart-
gepolfterte Sopha und fchlürfte fein Glas Dünnbier
mit einer Behaglichkeit, ale wär’ es eben Kebenfaft.
Der Zufrievene braudt fo wenig, um glüdlih zu
fein, aber oft muß der Arme aud) auf dies Wenige
verzichten.
Es war bereit das fiebenundzwanzigfte Mal, daß
Weithand um ein vor Kurzem erledigtes bürftiges
Pfarrftellden im hohen Gebirge angehalten hatte. Er
mußte zu dieſem Zweck allemal perfünlich nad) der
N
11
Refidenz, und dem Oberconfiftorial= Präfidenten feine
Aufwartung zu machen.
Großblumige Hoffnungen in der Bruft und von
ben fchönften Träumen umgaufelt, machte fih unfer
Candidat auf den Weg.
„Mütterchen,“ Hatte er beim Abſchiede geſchworen,
„wenn ich die Stelle befomme, folft Du den Himmel
auf Erven haben.” Er beichrieb ihr dann bie Ein-
richtung feiner Heinen Wirthſchaft, wie fie ihr eigenes
Stübchen bekommen follte nah dem Garten hinaus,
und alle Sonn- und Feſttage müfje fie ihr Brätchen
haben, anders thue er es gar nit. Der Menfch ift
fo glüdlih in feinen Träumen.
„Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut,” erwie—
terte die fromme Alte auf das begeifterte Gemälde,
das ber gute Sohn vor ihr ausbreitete. „Gehe mit
Gott, mein Sohn, nur feine Wege führen zum
Heile.“
Bald darauf ſehen wir den Candidaten ruhig die
Straße dahin ſchreiten. Der junge Morgenwind
ſpielte in den Zweigen, die Sonne lachte ſo golden
über dem grünen Walde, die Vögelein muſicirten,
und Elias war ganz gottvergrnügt. Eine frohe Ah—⸗
nung fagte ihm, daß er diesmal ben fo oft zurüdge-
legtet Weg nicht vergebens made. War nicht morgen
fein vierzigfter Geburtstag? Gewiß hatte es ver
liebe Gott in feiner Weisheit und Güte fo einge-
richtet, daß fein jahrelang gehegter Wunſch an feinem
Geburtstage in Erfüllung gehen follte. Ein himm-
lifcheres Angebinde fonnte fi) der Gute aud nicht
benfen.
Aber der Menſch denkt und Gott lenkt, das ift feit
Ewigkeit fo geweſen und wird in Ewigkeil ſo bleiben.
Als Weithaas nach zweitägigem Tagemarſche wohlbe⸗
12
halten beim Dberconfiftorial = Präfidenten anlangte,
ward ihm die Todesbotſchaft, dag die Stelle bereits
vergeben. Der glüdlihe Bräutigam der Nichte des
Superintendenten, in deſſen Ephorie die vacante Pfarrei
gehörte, hatte fie erhalten.
Dahin waren nun zum fiebenundzwanzigften Male
die fchönften Hoffnungen und füßen Träume Dahin
war das Stübchen und mit der Ausficht nad) dem
Garten, das Brätchen an Sonn- und Feiertagen. Nicht
fi) jelbft bedauerte der arme Caudidat, aber fein
Mütterhen, die ja mit ihm leiden und darben mußte
in ihren alten Tagen.
Das war ein recht trüber Geburtstag für unfern
- Elias. Er zählte feine paar Grofchen, fie reichten
faum zur Rückreiſe. ine Meine Summe, bie er
Thon jfeit langen Jahren in der Hauptitadt außen
ftehen hatte und die er diesmal einzutreiben fich bie
gewille Hoffnung gemacht hatte, Tonnte er aus dem
einfahen Grunde nicht erhalten, weil fen Schuldner
bereit8 feit längerer Zeit verborben und geftorben.
Died war ein neuer harter Schlag für den Armen.
Nicht für feinen Nuten hatte er das Sümmchen zu
verwenden gehofft. Aber fein Mütterchen braudhte
vet nothwendig ein neues kattunenes Sonntags-—
kleidchen. In dem zeitherigen war fie nun bereits ſeit
funfzehn Jahren gelaufen. Es war ganz vermajchen
und verjchoilen, jo daß es für die Kirche wirklich
nicht mehr gehen wollte Auch der Einkauf eines
hübfchen Halstuhs für den Bruder war fein ftiller
Plan geweſen.
Nun war durch den Tod bes infolventen Schuldners
auch die Hoffnung zu Wafjer geworben. .
Elia8 war jo menjchenfreundlichen Herzens, daß
13
er dem Berftorbenen nicht zürnte, fondern ihn bes
dauerte.
„Der arme Mann,” dachte er bei fih, „er ift
gewiß noch unglüdlicher geweſen al8 Du, er ift in
Kummer und Elend geftorben. Möge es ihm dafür
dort oben recht wohl ergehen.‘
Während unfer vierzigjähriger Candidat alfo voller
Milde und Barmherzigkeit vichtete über einen Uns
glüdlichen, faß er, ganz ermübet von dem Herums
rennen, in der weitläufigen Hauptſtadt und gebeugten
Hauptes bei einem halben Glaſe Braunbier in einer
den Shore zunächſt gelegenen armjeligen Schenk—
wirthichaft.
Er rechnete hin und ber, ob es denn feine Mög-
lichfeit fei, von den wenigen Grofchen etwas zu er-
übrigen, um feiner armen Mutter eine Freude zu
mahen. Es war ihm vecht fehmerzlih, mit unterge-
gangenen Hoffnungen und leeren Händen zugleich nad
Haufe zurüdzufehren.
Aber Elias mochte calculiren und rebuciren, fo viel
„ ex wollte, feine Baarjchaft reichte, wie gefagt, faum,
bie Heimath zu erreichen. Sie war zwei gute Tage—
reifen entfernt und fchon war e8 hoher Nachmittag,
alfo mußte er nothwendig unterwegs zwei Mal über
Nacht bleiben. Er wäre mit feiner Kafje nicht fo ganz
ſchlecht beſtellt geweſen, aber ein neues, völlig unges
ahntes Mißgeſchick hatte fie erſchöpft. Er mußte
nämlich, um nur als Candidat beim Präfidenten an⸗
gemeldet zu werben, zum Beſten einer mohlthätigen
Sammlung acht Groſchen gut Geld erlegen, eine Ab—
gabe, die früher nie beftandeft und von welder er
fein Sterbenswörtchen gewußt hatte Go verblieben
Um nur nod ein Zwanzigkreuger, ein preußiſcher
14
Silbergroſchen und zwei Vierpfenniger, aljo in Summa
mit Agio fieben Groſchen gut Geld.
„Wenn Du auch,“ fuhr er in feiner Berechnung
fort, „auf beide Mittagsmahlzeiten heute und morgen '
verzichtet, jo kannſt du doch nicht umter freiem
Himmel die Naht bleiben; wie leicht fünnte ein Land-
gensd'arm erfcheinen, und als Bagabund behandelt zu
werben, würde einem ehrjamen Candidaten der Theo—
Iogie bei all feiner Unſchuld in ein übles Licht ftellen,
und ein paar Brütchen verfchlingft du doc während
der zwei Tage und einige Schluck Bier find unent-
behrlich, um Kräfte für die Wanderung zu erhalten.
Du bift einmal ein verwöhnter Menſch. Hätteft dir
von Jugend auf mehr Enthaltfamfeit aneignen
ſollen.“
Von den ſieben Groſchen gut Geld verblieben
den Candidaten nah möglichſter Einſchränkung funf-
zehn Pfennige. Hiermit ließen ſich allerdings keine
großen Einkäufe für die geliebten Seinigen bewerf-
ſtelligen.
Während Elias dies bedenkend am Fenſter der
Gaſtſtube ſtand und ſchwermuthvoll nach der Straße
hinausſchaute, ſtieg plötzlich ein großer kühner Gedanke
in ſeiner betrübten Seele auf. Schräg über vom
Wirthshauſe nämlich, in welches der Candidat einge—
treten war, hatte ein Kleidertrödler ſeinen Kramladen
aufgeſchlagen. Da hingen der abgetragenen Kleidungs-
ſtücke in Unzahl: Beinkleider, Röcke, Fracks, Gilets zu
allen Größen und Farben.
„Wie wär's,“ dachte Elias, von Kindes- und
Bruderliebe erfüllt, „da du deinen Frack nun für ge—
raume Zeit nicht mehr unumgänglich nöthig haſt,
indem ſobald eine Vacanz nicht wieder eintreten wird
wenn bu ben ohnedies abgetragenen Alten hier ver⸗
15
faufteft und ein wohlfeileres Kleidungsſtück "dafür an
dich brächteſt? Für den Ueberſchuß könnteſt du dann
deines Herzens Wunſch befriedigen und der Mutter
Kattun zu einem Röckchen erhandeln.“ Die Blide
des guten Sohnes fuchten daher in dem Kleider⸗
Bazar nad) fo einem wohlfeileen Stüd.
Plöglih that Elias einen Freudenfprung in bie
Luft. Richtig, da hing an der Ede ein allerliebftes
Nankingjädhen. Das konnte ein Königreich nicht
often. Da war fein ehrwürbiger langſchößiger Trad
ein Krönungsmantel dagegen. Da mußte er eine
reſpectable Summe herausbefommen.
„Zu einem neuen Trade wird der liebe Gott
auch wieder helfen,” tröftete er fih, „ich befomme
vom nädhften Monat vier neue Clavierftunden beim
Tuchmacher Engelmann; da kann ih das Tuch ab-
klavieren und Engelmann bat ftet8 als Chrift an mir
gehandelt.“
Elias war ſchon im Begriff, ſein halb Glas
Braunbier zu berichtigen und auf den Kleiderhandel
und Kattuneinkauf zu gehen, als ein neues Bedenken
in ihm aufſtieg.
„Aber als ehrſamer Candidat der Theologie,“
frug er ſich, „kannſt du doch unmöglich ſo durch die
weite Welt reiſen? Wenn dir nun Kirchenlicht zu—
fällig begegnet und den dereinſtigen Herrn Confrater
im chineſiſchen Nankingjäckchen einherſtolziren ſieht, muß
er nicht in gerechte Beſorgniß gerathen, daß es mit
meiner Wenigkeit rapple?“
Das war ein höchſt fataler Fall, der ihm da in
den Sinn gekommen.
„Armes Mütterchen,“ ſprach der gute Sohn, „alſo
ſoll aus dem neuen Sonntagsrödchen wirklich nichts
werben. Auf das Stübchen mit der herrlichen Aus⸗
16
fiht nad) dem Garten mußt Du verzichten; auch das
Bräthen an Sonn= und Feſttagen ift Dir in ben
Brunnen gefallen. D, jest fühle ich wahrhaft, was
bittere Armuth zu bedeuten.‘
Er lief verzweiflungsvoll die an Gäften leere
Schenkſtube wiederholt auf und ab.
„Was da,’ rief er endlih, und bekam wieber
frohen Muth, „ich riskire es und verfeile den Frack.
Ih brauche ja nicht auf ver Heerftraße zu bleiben,
wo mir die mebilante Menjchheit aller Augenblide
in den Weg läuft; id) bin ja befannt vingsumber,
ich fchmeide mitten durch, über Berg und Thal, durch
. Wald und Flur, der Chaufjee jo fern als möglich.
Ja, es bleibt beim Nankingjäckchen!“
Eiligft legte er die vier Pfennige für das Bier
auf den Tiſch und war nad) wenigen Sekunden mit
dent Kleivertröbler im Handel verwidelt.
Hier ſank ihm aber anfangs der Muth gewaltig.
Er glaubte feinen Ohren nicht zu trauen. Der Kauf:
mann wollte nämlich noch acht Groſchen heraushaben,
wenn er fein Jäckchen gegen ven Candidatenfrack
herausgebe.
Das hatte der arme, Elias freilich nicht erwartet,
daß fein ihm fo theuer ehrwürdiger Frack nicht ein-
mal einer dürftigen Nanlingjade die Waage halten
folte.
„Aber betrachten Sie aud die Naht,“ fuhr ver
Trödler in feinem gewohnten anpreijenden Zone fort,
„und das Zeug, foldhes giebt’8 heutzutage gar nicht
mehr, Leder ift nicht8 dagegen, und wie wäſcht ſich's!
Ich büße mein eigenes Geld bei dem Handel ein.”
Zugleih maß er den rad des Kandidaten mit einem
Blide, der feine innerfte Empörung ob des altmodifchen
17
Schnittes und des groben abgetragenen Tuchs hin-
Yanglih ausſprach.
„Sehen Sie, das find Fracks,“ ſprach er weiter,
indem er auf mehrere an der Wand hängende Erem-
plare zeigte, „dagegen muß fih Ihr Langſchooß aus
dem fiebenjährigen Kriege verfteden. Wie gefagt, mein
banres Geld feße id) zu, wem ich mid mit acht
Grofchen begnüge; wären Sie einigermaßen von chrift-
licher Gefinnung befeelt, würden Sie mir eine ſolche
Anmuthung gar nicht ftellen und freiwillig noch vier
Groſchen zulegen.
Yet ward es dem Candidaten zu arg. Der
jüdiſche Trödler zog fogar feine chriftliche Geſinnung
in Zweifel, bei ihm, einem ſo gottesfürchtigen Can—
didaten der Gottesgelehrſamkeit! Das war nicht zu
ertragen. Halb Zorn, halb Wehmuth im Herzen
wollte Elias, ohne ein Wort zu erwiedern, davon.
„So warten Sie doch,“ rief ihm der Trödler
nach, „ein Gebot giebt das andere, Thal und Berg
kommen zuſammen, warum wir nicht.“ |
„Nimmermehr!“ antwortete Eliad, „aus unferm
Handel kann auf diefer Welt nichts werben.“
„Ss kommen Sie nur einen Augenblid zurüd,”
fuhr der Trödler drängend fort, „Sie wären der Erfte
nit, mit dem id» nicht nod) Handelseins geworben
wäre.”
Unſchlüſſig zögerte Elias. Endlich Tieß er fid
bewegen, nochmals umzukehren.
„Run, begann der Trödler den Handel von
Neuem, „ih will an Ihnen mein Möglichites thum,
obihon ich nicht weiß, wie ich es bei meiner: Frau
verantworten will. Unter der Bedingung, daß Gie
gegen Jedermann reinen Mund halten, follen Gie
mir nur vier Groſchen herausgeben nächſt dem Trade,
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 2
18
dann will id das herrliche Jäckchen, fo weh mir's
thut, verfchmerzen.”
Der Candidat ergriff bei Diefem Vorſchlag von
Neuem die Flucht und fam auf des Trödlers Bitten
nochmals zurück.
„Sie ſind auch ſchrecklich kurz angebunden,“ ſprach
letzterer. „Unter der Bedingung, daß Sie mich künftig
wieder in Nahrung ſetzen, ſollen Sie mir diesmal
nichts herausgeben.‘ |
Elias konnte fih noch immer nicht zum Handel
entſchließen
„Nun,“ rief der Trödler im verſtellten Tone des
höchſten Erſtaunens, „Sie wollen doch nicht etwa noch
heraushaben ?“
„Allerdings,“ geſtand der Candidat ſtockend, der
durch die Aechtung, die der Handelsmann über fei=
nen Frack ausgeſprochen, an dieſem jelbft ganz irre
geworben.
„Run, Ws ift ſpaßhaft,“ fuhr der Händler iro-
nifch fort, „was verlangen Sie denn?“
„Unter einen Thaler,” ſprach leife Elias, „kann
ih den Frack gegen das Jäckchen nicht abtreten.”
„Was, einen Thaler?!” fchrie bier der
Trödler mit einer Stentorftimme, daß der Candidat
erichraf und ihn bat, nicht for außerordentlich zu
ſchreien.
Da half aber kein Bitten und Zureden. Der
Händler that unermeßlich aufgebracht über ſolches
Verlangen. Doch damit wir dieſe Angelegenheit nicht
zu weit ausſpinnen, das Ende vom Liede war das
Gewöhnliche. Durch beiderſeitiges Nachgeben ward
man endlich dennoch Handelseins. Elias erhielt für
‚ feinen Frack das Nankingjäckchen und ſechzehn Gro—
ſchen ſchlecht Geld, obſchon der Trödler fortwährend
19
ſchwur und betheuerte, daß er gewiſſenlos an Weib
und Rindern handle.
Der Candidat ward nun metamorphofirt. Das
gelbe Nankingjäckchen fand ihm ziemlich poſſirlich zu
feinen jchmwarzen Beinkleivern und ſchwarzer Weite,
Allein da e8 gerade Sommer war, fiel die fonverbare
Tracht nicht weiter auf. In dem benachbarten Ause
ſchnittladen begann Elias nun einen neuen Handel,
faufte für vierzehn und einen halben Groſchen Kattum,
allerdings nicht den feinften, und für brei Grofchen
ein Halstuch für den Bruder.
Himmeljelig wanderte er nach diefen für ihn fo
wichtigen Gefchäften zum Thore hinaus. Er konnte
ſich's zwar nicht verhehlen, daß ihn der Verluft fei-
nes ſoliden Fracks etwas ſchmerzte, das Jäckchen war
auh gar zu luftig, und daß er fo wenig auf feinen
Schwarzen herausbefommen; wenn er aber des Kat—
tung gedachte, des Halstuhs und der Freude, die
er bamit anrichten werde, fo verichwanb jede weh⸗
müthige Empfindung, denn der Himmel einer rühren
den kindlichen Liebe mit al’ feinem Segen ruhte in
feiner Bruft.
Test ging die Reife leichten Schritt auf Feld⸗
wegen zwilchen wogenden Kornfelvdern hindurch, von
Dorf zu Dorf, immer in der Richtung nach feiner
Heimath. Der Abend war fehon hereingebrochen, als
er ein armſeliges Dörfchen erreichte, wo er. zu über-
nachten beſchloß. Jetzt fühlte er recht den Mangel
ſeines Fracks, denn mit einem ſolchen hätte er als
frommer Candidat vielleicht bei dem Ortsgeiſtlichen
Abendimbiß und Nachtherberge gefunden, in feinem
dermaligen Coftüm wagte er aber nicht feine Aufs
wartung zu machen. Ä
Am folgenden Tage fam ihm bie Gegend, wo
2*
20
an den Rainen häufig wilde Himbeeren wuchſen, recht
zu Statten. Er lebte faft den ganzen Tag von nichts
als folhen Beeren, welde ihm nebſt einen Stüd
trocknem Brote herrlich mundeten, und konnte dem
lieben Gott nicht genug danken, daß er eine folche
berrlihe Frucht erichaffen habe zum Nuten und
Frommen der Wanderer, die in den Wirthshäufern
sicht viel aufgehen laſſen konnten, wie dies bei ihm
der Yall war. -
Gegen Mittag des zweiten Tages ſtach die Sonne
gewaltig auf ihn herab. Vergebens fah er fich weit
und breit nach einem jchattigen Plätschen um. Nir-
gends war ein ſolches zu erbliden, nur in der Ferne
winkte ein Dorf. Keuchend und halb verjchniachtet
erreichte er endlich dafjelbe Er frug nad der Schente,
es gab feine im Drte. Er bat in einigen Bauern-
häufern um einen Trunk Waſſer. Man wies ihm
bartherzig die Thür. Endlich in einem ber letten
ward feine Bitte füllt. Er befam für ſechs Pfen-
nige auch ein ſchön Stüd Brot und ein wenig
Butter. Hier denn lagerte fih Elias unter einem
weitfchattennen Nußbaum in’s weiche Gras und ver-
zehrte fein frugales Mittagsbrot. Gaſtlich blicdte das
ftattlihe Pfarrhaus zwifchen hohen Ulmen zu ihm
berüber.
„Sa, wer einen rad hätte,” ſprach Elias, „ber
tönnte vielleicht dort drüben an ftattliher Tafel ſitzen
in gelahrtem Geſpräch mit vem Herrn Pfarrer.” Ein
Seufzer entjtahl fih feiner Bruft, der Arme hatte
nun feit fünf Tagen faft von nichts als trodnem
Brote gelebt. Da fiel aber fein Blid auf das Päd-
hen Kattun, und alles Leid war vergeflen, denn er
gedachte der Freude, die er feiner alten Mutter und
jeinem Franken Bruder bereiten würde,
21
Elias beſchloß während feiner Mittagsmahlzeit,
von nun an fein Nactguartier weiter zu machen,
fondern in einer Strede fortzumandern bis zu feinem
Wohnorte, welcher nicht mehr zu weit entfernt war,
Nachdem er fid, gelabt, geſtärkt und ausgeruht
hatte, fette er wohlgemuth feine Wanderung fort.
Wieder .begann die Sonne zu ftehen, als ihn bald
ein fchattiger -Wald aufnahm. Wer war frober als
unfer Elias, denn hier gab’8 Erd- und Heidelbeeren
in Maſſe. Er z0g den Reft feiner Mittagsmahlzeit
aus der Tafche, welcher ans einem Stück fehwarzen
Brotes beitand, lagerte fid) unter ven hohen Bäumen
und begann unter den Abendlievern der Waldvögel
zu veipern.
Immer länger wurden die Abenpfchatten, immer
tiefer punfelte der Wald. Elias ſchritt die einfame
Haide dahin, der Richtung feiner Heimath nad. Ob—
jhon er fi vor Räubern weiter nicht zu fürchten
hatte, wer hätte ſich auch wollen an ihm bereichern,
fo war er doch nicht ohne Bangen für feinen Kattun
und das gefaufte Halstuch, welche beide Gegenſtände
für ihn Kleinovien von unfhätbaren Werthe waren.
Doch auf Gott vertrauend wandelte er weiter.
Allmälig ward e8 aber imnter finftrer und unferem
Elias, um nit in der Irre herumzulaufen, blieb
nichts übrig, als Halt zu machen und unter einem
alten Nußbaume auf weichen Mooſe fein Nachtquar⸗
tier aufzufchlagen.
Bon dem befchwerlihen Tagemarfche ziemlich er⸗
müdet, fiel Elias bald in einen gefunden feften Schlaf.
Liebliche Traumbilder umgaufelten den Entfchlummer-
ten. Er hatte lange nicht fo füß geträumt wie dieſes
Mal. Eeine Mutter erfchten heiter lächelnd im präch—⸗
tigen Sonntagsſtaate, auch feinen Bruder erichaute
2
er fo froh und lebensluftig, wie er ihn nie im Leben
gefehen.
Vlöglih aber tönte in die rofige Traummelt ein
gellenvder Ton aus der irdiſchen Welt. Ein langge-
haltenes Pfeifen ſcholl durch den Wald. Elias fuhr
erjchredt aus dem Schlafe empor. Bereits graute
ber Morgen. |
Nachdem Elias volllommen munter geworden war,
vernahm er durch die ftile Morgenluft die Schritte
von mehreren Perjonen und das ergreifende Wehklagen
einer Frauenftimme. Aengſtlich barg fih der Candidat
hinter dichtes Gefträuh und erwartete klopfenden
Herzend und mit zurüdgehaltenen Athem ver Dinge,
die da fommen follten.
Die Schritte kamen immer näher, das Wehklagen
ward immer vernehmbarer und mit emporgefträubten
Haaren bemerkte Elias durch eine Feine Deffnung in
dem Geſträuch, wie zwei wild ausfehende Männer ein
händeringendes junges Frauenzimmer, das vergebens
bat und flehte, an einen Baum banden.
Kaum war dies geſchehen und die Gefangene der⸗
maßen mit Stricken befeſtigt, daß ſie ſich nicht rühren
konnte, und ihr Mund mit einem Tuche verbunden,
um das Hülfeſchreien zu verhindern, als ſich die
Männer eilends wieder entfernten, ſo daß von ihren
Schritten bald nichts mehr zu vernehmen war.
Vergebens mühte ſich die Gefeſſelte, ihrer Ban—
den ledig zu werden, wobei ſie ihren ſchrecklichen
Zuſtand nur durch leiſes Wimmern zu verrathen ver—
mochte.
Elias in ſeinem Verſteck ſchaute dieſer erſchüttern—
den Scene eine geraume Zeit zu. Noch immer wußte
er nicht, ob er wache oder träume. Kin feld aufßer-
ordentliches Abentener war dem frienfamen Candida—
nn
23
ten der Theologie in feiner Praxis noch nicht worges
fonımen. Alle Räubergefchichten, die er in feiner
Jugend mit großer Begier gelefen, fie aber fpäter
für Fabelu erkannt hatte, traten wieber vor feine auf-
geregte Phantaſie. Stand vielleicht über den Sternen
gejchrieben, daß er der Ritter und Retter dieſer Ges
noveva werben follte? Cr laufchte lange und gerieth
in einen großen Streit mit fih. Sollte er in feinem
Verſteck ausharren und den Berlauf der Schauerthat
ruhig mit abwarten, denn die finftern Gefellen hatten
es unfehlbar auf das Leben des jungen Frauenzims-
merd abgejehen, oder follte er fi fo leife als mög⸗
lich aus den Staube machen und den gefährlichen
Schauplatz verlafien, oder jollte er endlich wie ein
Recke der Vorwelt hervorftürzen und mit Gefahr fei-
nes Lebens vie Hilflofe Gefangene befreien?
Er wählte lange, bis endlich das herzzerreigende
Gewimmer ver jungen Dame fein Innerftes erſchüt⸗
terte und feinen Muth ftähltee Er laufchte noch eine
geraume Zeit, ob die Räuber nicht etwa wieder nab-
ten, dann kroch er in feiner Nanfingjade hinter dem
Gefträuh hervor, ergriff fein Taſchenmeſſer, durch⸗
ſchnitt die Banden, womit die Gefangene gefefjelt
war, band ihr das Tuch ab, welches ihr den Mund
verdeckte und ergriff mit ihr die Flucht. Elias konnte
ſich in der Folge ſelbſt nicht genug wundern, wie er
mit einem Male zu fo großer Geiſtesgegenwart und
ſolchem Helvdenmuthe gelangt et.
Die Befreite folgte auch ihrem Retter ohne 33-
gern und bald hatten die Beiden das Ende des Wal:
des erreicht. Bon hier war das Städtchen Krautberg,
der Wohnort ded Kandidaten, feine zwei Stunden
mehr entfernt.
Seht erft, nachdem die Flüchtlinge ſich nicht ver-
24 -
folgt ſahen und in einiger Entfernung ein Dorf er-
blidten, athmeten fie etwas freier und Elias gewann
Muße, feine befreite Prinzeffin etwas genauer in
Augenjchein zu. nehmen. Es war ein wunderſchönes
Mädchen von ungefähr achtzehn Jahren in nobelſter
Reiſelleidung. Von ihr aber erfuhr ‚Elias ‚ungefähr
Folgendes: Sie fei die Tochter eines Landedelmanns,
der mehrere Güter in der Umgegend befite und habe
wollen wit ihrer Gejellichafterin nach ver Reſidenz
fahren, woſelbſt ſich ihre Eltern bereits feit einigen
Zagen befänden, um bafelbft einen Familienfeſte bei-
zumohnen. Drei Räuber hätten ſich ihrer mitten im
Walde, durch melden die Straße führe, bemächtigt,
ben Rutfcher vom Bode geftürzt und fie und die Ge—
jellfchafterin tiefer in’8 Gebüſch geſchleppt, wahrſchein⸗
lich, um jie bafelbft zu ermorven. Da habe der Him-
mel ihr in der Perfon des Candidaten einen Retter
. gefandt.
Elias geriety nun in nicht geringe Verlegenheit,
was er mit dem verlaſſenen Fräulein beginnen ſolle.
Er hatte ſich in einem ähnlichen Falle noch nie be—
funden, und je weiter ſich die Beiden von dem Orte
der Gefahr entfernten, deſto größere Schüchternheit
bemächtigte ſich des Candidaten, in welchem ſeine alte
Blödigkeit, dem ſchönen Geſchlechte gegenüber, er-
wachte.
Während er noch mit ſich berathſchlagte, ob er
das Frünlein im wohllöblichen Amte oder bei ber
ſtädtiſchen Polizeibehörde zu weiterer Verfügung ab—
liefern follte, blieb er plüglid) wie vom Donner ge:
rührt ſtehen. Aengſtlich blidte die Gerettete, welche
den Namen Angelika führte, zu ihm auf und wurde
aufs Tieffte bewegt, als fie die hellen Thränen über
die Wangen des Candidaten rollen fah. Der Arme,
25
er hatte bei feinen hochherzigen Nettungswerfe fein
Päckchen Kattun und auch das Tüchlein für den Bru-
ber verloren, welches forgfältig in das Zeug einge»
fhlagen war. Dahın waren nun mit einem Male
all die ſchweren Opfer, welche er ver kindlichen und
brüderlichen Liebe gebracht hatte. Vergebens war ber
ſtattliche Frack für das dürftige Nankingjäckchen da—
hingegeben worden. Vergebens hatte er gehungert,
gedürſtet, gefroren und vergebens war er im vaga⸗
bondenähnlichen Coſtüme durch's Land gepilgert.
Im Anfang wollte er Rechtsumkehrt machen und -
es koſte, mas e8 wolle, fein Päckchen wieder erobern;
aber bei näherm Weberlegen, was follte dann aus dem
Fräulein werden, die er aller Hülfe baar und ledig
zurüdlaffen mußte?
Aber auch Angelifa vang plötlid die Hände und
blidte nad) dem Walde zurüd, ven fie vor Kurzent
verlaffen hatten, denn fie gedachte ihrer Freundin,
die in Räubers Hand zurüdgeblieben war.
Die Beiden machten einige Sekunden Halt. Keins
wußte, weshalb das Andere jo in Verzweiflung ges
rieth, als plöglic Das Gefühl der eigenen Rettung
alle andere Gedanken verbrängte und fie zur eiligften
MWeiterflucht antrieb; denn aus der Tiefe des Waldes
warb wieder das gefährliche Pfeifen vernommen.
Nachdem man wieder eiligen Schritt eine ge—
raume Gtrede zurüdgelegt hatte, wagte Angelifx
ſchüchtern ſich nach der heftigen Bewegung ihres Ret-
ters zu erkundigen. '
Dem Elias fiel das Herz vor die Füße, Er ge:
dachte wieder des verlorenen Kattunpädchene und des
Tuchs und feines armen. Mütterhens und des franfen
Bruders. Die Thränen waren ihm nahe und fo er-
zählte ex offen und treuherzig fo ziemlich feinen gam-
26
zen Lebenslauf, feine fümmerlichen Verhältnife, feine
fiebenundzwanzigfte Bewerbung um ein Pfarftellhen,
jeinen Sradumtaufh und fein trauriges Geſchick in
Betreff des verlorenen Kattuns. Es that dem Armen
ordentlich wohl, fein Herz einmal recht ausjchütten .
zu können; aber während der Mittheilung feines trü=
ben Geſchicks und feiner Leiden bemerkte er nicht, wie
ſich Angelifa wiederholt die Thränen trodnete, Die
ihr unmwilltürlich bei der Mittheilung des Candidaten
hervortraten.
Elias gelangte endlich mit feiner Geretteten noch
in früher Tagesſtunde wohlbehalten in Krautberg an,
wo er fie unmittelbar nad der Wohnung des ihm
befreundeten Pfarrer führte und woſelbſt fie Die
wohlwollendfte Aufnahme fand. Zugleich. machte er
von dem Raubanfalle bei ver ſtädtiſchen Behörde An—
zeige. Die Nachricht Davon verbreitete ſich alsbald
durch das ganze Städtchen, und halb Krautberg, auf
die abenteuerlichſte Art bewaffnet, fette fi alsbald,
Gerichtöperfonen an der Spite, nah dem Walde in
Bewegung, wo die Räuber den herrichaftlihen Wa—
gen angefallen hatten. Auch ſchickte Angelifa einen
Erprejjen an ihre Eltern nad) der Reſidenz.
Der vereinten Anftrengung der braven Krautber—
ger gelang e8 auch, nicht ſowohl vie Gejellfchafterin
Angelifa’8 zu befreien, welche gleihfals an einen
Baum gebunden war, fondern auch der Naubgefellen
habhaft zu werben, die bei dem Anfalle feinen andern
Zwed gehabt hatten, als durch Screden, Drohungen
und Martern aller Art die beiven hilflofen Mädchen
zu dem Geftänpniffe zu bringen, an welhem Orte
Angelifa’8 reicher Vater feine Gelder und Staatspa-
piere verborgen habe. Mean wollte fodann auf dem
Gute einbredhen, wo man einen großen Raub zu voll
27
bringen hoffte, da man erfahren, daß Angelika's Va—
ter noch vor wenig Tagen eine Summe von mehr
als funfzehntaufenn Thalern eingenommen, die fid) noch
auf dem ©ute befinde. Glüdlicherweife warb aber
das Vorhaben ver Böfewichter durch ihre urplößliche
Sefangennahme zu nichte gemacht.
Bereits am andern Tage langte Angelifa’8 Vater
mit Gourierpferden in Krautberg an und umarmte
unter Freudenthränen erft feine Tochter, dann Elias,
welcher mit einem Male Held des Tages geworben
war. Kaum aber hatte er von der tmurigen Lage
des armen Candidaten und feiner Familie Nachricht _
erhalten, als er ſich auf das Edelmüthigſte derjelben
annahın. |
Es waren faum vier Wochen in’d Land gegangen,
fo warb der fchänfte Erdenwunfd unferes Elias er⸗
fült Er erhielt ganz in der Nähe von Lindenthal,
fo hieß das veizend gelegene Gut, wo Angelika's
Familie wohnte, eine einträgliche Pfarrſtelle. Schon
mit herannahendem Herbfte, alle Aefte beugten ſich
vom Segen Gottes tief zur Erde, gab's fröhlichen
Einzug von Eliad und den Seinen in das neue Elis
fium. Das Mütterchen erhielt ihr Stübchen mit der
Ausfiht nah dem Gärten und ihr Brätchen alle
Sonn und Teittage, wie ſich's ver fromme Sohn
geträunt in feinen hoffnungsvollften Stunden. An—
gelifa und ihre aus Näuberhand gerettete Freundin,
jo wie die gefammte gutsherrliche Yamilie zu Linden-
thal, machten ſich's zur angelgentlichften Pflicht, die
Mutter des frommen Pfarrers auf das Sorgſamſte
zu pflegen. Auch ver kranfe Bruder genaß in den
jeßigen glüdlichern Verhältniffen allmälig von feinem
DBruftleiven und fand ald Gärtner in dem ſchönen
Garten zu Lindenthal eine paffende Anftellung; Elias
28
aber fonnte alſonntäglich in herzerhebenden Predigten
dem himmliſchen Vater nicht genug danken für die
Gnade, ſo er erzeigt ihm und den geliebten Seinen.
Der neue Pfarrer war bald der beliebteſte Kanzelredner
in der ganzen Umgegend und wenn er Kirche hielt,
konnte in den heiligen Stäumen fait fein Apfel zur Erbe.
Das Nankingjädchen blieb aber in der Familie
des Pfarrers, der troß feiner Schüchternheit gegen bie
Schönen binnen Jahr und Tag ein herzliebes MWeib-
hen heimführte, das größte Heiligthum. Es lag
wohlverwahrt neben dem Päckchen Kattun, das fih im
. Walde wiedergefunden hatte, und beides erinnerte
den Eliad und die Seinen an die wunderbare Fügung
und Gnade Gottes. Darum hielt auch alljährlich,
wenn der Tag der Rettung wieberfehrte, ber glüdliche
Pfarrer eine begeifterte Predigt Über das alte und
wahre Sprichwort: „Der Menſch denkt, Gott
lenkt!“
Die Jgastpredigt.
Erzählung.
28
aber konnte allfonntäglich in herzerhebenden Predigten
dem himmlischen Bater nit genug danken für die
Gnade, fo er erzeigt ihm und den gelichten Seinen.
Der neue Pfarrer war bald der beliehtefte Kanzelredner
in der ganzen Umgegend und. wenn er Kirche hielt,
fonnte in den heiligen Räumen fait kein Apfel zur Erde.
Das Nankingjäckchen blieb aber in der Familie
des Pfarrers, der troß feiner Schüchternheit gegen bie
Schönen binnen Jahr und Tag ein herzliebes Weib-
hen heimführte, das größte Heiligthum. Es lag
wohlverwahrt neben dem Päckchen Kattun, das fi im
. Balve wiedergefunden hatte, und beides erinnerte
ven Elias und die Seinen an die wunderbare Fügung
und Gnade Gottes. Darum hielt auch alljährlich,
wenn der Tag der Rettung wieberfehrte, der glüdliche
Pfarrer eine begeifterte Predigt über das alte und
wahre Sprihwort: „Der Menſch denkt, Gott
lenkt!“
Die Jgastpredigt.
Erzählung.
©, war mir's denn endlich gelungen; ein langjäh=
riger Lieblingswunfch erfüllt worden, der Brief lag
vor mir; richtig, ed war nichts anders, — ich follte
den vierzehnten Sonntag nad Trinitatis in der freund-
fihen Dorfkirche zu Buchenheim eine Gaftprebigt
halten.
Was hätte ih drum gegeben, Did, verflärte
Mutter, aus dem ftillen Grabe heraufzubejchwören;
es war ja aud Dein fchönfter Wunſch hienieven, mid)
einmal im fchwarzen Previgergewande, mit dem wei—⸗
Ben Priefterfrägelchen auf ver heiligen Kanzel zu fehen,
und recht: glaubensvoll, wie den feligen Vater, das
Wort Gottes ver anbächtigen Gemeinde verfünbigen
zu hören.
Wiederholt durchlas id das Einladungsjchreiben
bes wadern Previgers zu Buchenheim, welches freund
liche Dörfchen fünf Stunden weit von dem Univerſi⸗
tätsorte, wo ich mid) damals befand, in anmuthiger
Gegend ‚gelegen war. Denn man muß willen, daß
ich als gewiſſenhafter Studioſus ver heiligen Gottes-
gelahrtheit nody an den Brüften der alma mäater lag
und im fünften Semefter meines akademiſchen Tri⸗
ennii ftand. Faſt allen meinen befreundeten Commili⸗
tonen war es gelungen, theils in den Stadtkirchen,
theils in den benachbarten Ortſchaften Gaſtpredigten
32
zu erhalten ; fie hatten voll heiligen Eifer das Blaue
vom Himmel herabgedonnert, nur ih, der Unglüds-
vogel, war, troß wiederholten Anſuchens, immer leer
. ausgegangen. Jetzt endlich war aud mir die Arena
geöffnet „ und ich junger Kämpe brauchte nun mein
Licht nicht länger unter den Scheffel zu ftellen, fon-
dern durfte es leuchten laffen vor den Leuten.
Mir war es außerordentlich lieb, daß ich meine
erfte Predigt nicht in eimer der Stadtkirchen zu hal-
ten brauchte. Erſtens, erhielten ſolche junge Schluder,
wie meine Wenigfeit, in der Regel nur die Mittags-
oder Nachmittagspredigten, wo, außer ein Paar al-
ten, halbtauben Weibern, höchſtens ein Paar. fpott=
luſtige Commilitonen, die durch allerhand Gefticula-
tionen den jungen Demofthenes außer Faſſung zu
bringen fuchten, in bie Kirche kamen, und dann hatte
von jeher eine Dorflicche mehr Feierlichfeit für mid,
als die dumpfen hochgewölbten Tempel der ſündhaften
Stadt.
Alfo in nicht ſchwüler, profaifcher Mittags = oder
Nachmittagsſtunde ſollte ich da oben ſtehen unter dem
ſchön verzierten Himmelsdach der Kanzel, ſondern in
ſreundlicher Morgenbeleuchtung Vormittags neun Uhr,
wo das Kirchlein gerüttelt und geſchüttelt voll an-
dächtiger Chriſten, und wo ſelbſt die gnädige Guts—
herrſchaft nicht fehlte.
Mein Lieblingsſpruch: „Selig die da reines Her-
zens find, denn fie werden Gott ſchauen!“ Hatte mir
ald Thema zu meiner Prebigt gedient, bie ih am
vier ehnten Sonntag nad) Trinitatid in ber Kirche zu
Buchenheim zu halten gedachte. Ich Hatte mit Luft
und Liebe daran gejchrieben und zwar felbft ganz er-
baut davon. Was dad Memoriren anbelangte, jo
ftellte ic) meinen Mann, und die Neve glitt mir fo
33
fließend vom Munde, wie einem englifhen Parlaments:
Advocaten.
In den ftillen Möorgenftunvden, wenn bie übrige
Menfchheit noch dem. Schlafe fröhnte, war ich ſchon
auf den Beinen, und in der Meinen Stupdentenwoh-
mung auf- und abfchreitend, ‚veclamirte ich die eimel-
nen Stellen meiner Predigt. Obſchon aller Eitelfeit
fremd, konnte ich doch, nicht umhin, in diefer für mich
jo hochwichtigen Periode mid) des Spiegels zu bebie-
nen und bie erforderlichen Geftitulationen gewiffenhaft
einzuüben.
So war denn der verhängnißolle Sonnabend er-
Schienen, wo ih, mid an einem fchönen Herbftmorgen
auf den Weg machte. Obgleich mich der gaftfreund-
liche Pfarrer zu Buchenheim ſchon den Freitag einge-
Inden hatte, jo wollte ich doch feine Güte nicht zu
jehr in Anfprud nehmen und mich beſcheiden zeigen,
wie es einem ehrſamen Studioſus ber Theologie zu⸗
kommt.
Es war ein herrlicher Morgen, bereits zogen leife
weiße Herbſtnebel über die ſtillen Fluren. In den
Gärtchen an den Häuſern, bei welchen ich vorbeikam,
blühten Aſtern und Sonnenblumen, und die Aeſte der
Obſtbäume neigten ſich furchtbelaftet zur Erde. Mein
Weg führte mi durch lauter gefegnete Gegenden.
Die Fluren, wo noch vor wenig Wochen das goldne
Korn feine Wellen gefchlagen hatte, waren nun ab-
gemähet, weithin ſtrich der Morgenwind über bie
Stoppeln; Schafheerden weideten auf denjelben, wäh-
rend andere Felder von dem fleifigen Landmann von
Neuem überadert wurden. Hier ımb da ftleg ein
Volk Staare auf, das feine Richtung ſtets nad den
Weinbergen und Weingärten nahm, vie ni in eini-
ger Entfernung dahinzogen..
Sto!lTe, fämmtl. Schriften. XXIII. 3
34
Nichts gebt über einen ſchönen, unbewölkten
Herbittag, die ganze Natur athmet eine jo wohl-
thuende Ruhe; weithin tönt die Dorfglode durch die
ftille Gegend und ver Himmel wölbt ſich in fo reinem
Blau über die Schöpfung, wie wir es am ſchönſten
Trühlingstage nicht erbliden. Namentlich find es die
legten jchönen Herbfttage, welde einen wunderjamen
Eindrud auf das Gemüth zurüdlaffen. Es find die
legten freundlichen Jahresgrüße; wenige Wochen, und
jener miloblaue Himmel wird von Schneewolfen ver:
ert.
Nach mehrftündiger Wanderung war die Gegend
etwas gebirgig und es macht wohl Nichts, einen au-
genehmern Eindruck, ald wenn man aus der Ebene
in die blauen Berge hineinfteigt. Bald wanderte ich
ein ſchönes Thal entlang, welches zur Rechten und
Linken von Weinbergen bekränzt warb.
Da ich zwifchen Weinbergen aufgewacdfen und
mein jeliger Vater feldft eine nicht unbedeutende Wein-
anlage bejaß, fo hatte ich mein Xeben“ lang große Paſ⸗
fion für das Weinbergsleben. |
Es gibt gewiß fein zweites Gewächs, das faft
das ganze Jahr über fo viel Sorge und fo viel
Freude gewährt, als der Weinftod. Diefe Beforgniß
und Freude nimmt unmittelbar nach der Weinleſe ih-
ren Anfang. Da gudt der umfihtige Winzer ſchon,
ob der Wein reif wird. Dieſes Reif werden be-
zieht ſich aber nicht auf die Trauben, ſondern auf
das Holz der Reben. Wenn dieſe ein recht braunes
Anfehen befommen haben, fo ift das ein gutes Zei-
hen für das fünftige Sabre. Nun kommt der Win-
ter, da hat denn der Winzer wieder oft mit bejorg=
ter Miene aus dem Fenſter zu fehauen, “wenn es ift
ein übel Ding, wenn nidyt Schnee genug fällt, um
35
dem zur Erde gelegten Weinftod die gehörige Win-
terrede zu geben, und wenn fo genannter Barfroft
eintritt. Am Gefährlichſten ift e8 für den Weinftod,_
wenn er im Winter vom Regen naß wird und uns
mittelbarer Froft darauf fällt, ſo daß Glatteis
erfolgt. |
Iſt der Winter glüclich überſtanden, ſo geht mit
beginnendem Frühling die Sorge von Neuem an,
denn jetzt erſcheinen jene gefürchteten Herren, vor
welchen der Weinbauer allen möglichen Reſpect hab,
die fogenannten Weinmörder. Das find nämlich
größtentheil® kalte Mainächte und Spätfröfte, welche
bie zarten Knospen des Weinftods oft in wenig Nacht⸗
ftunden und mit ihnen die ganze Weinernte vernich-
ten. An der Spite diefer gefürchteten Herren ftehen
Servatius und Pankratius. Mit welder befergter
Miene ſchaut an diefen Tagen des Abends der Win-
zev nach dem Himmel! Iſt dieſer bewölkt, jo ift wei-
ter feine Gefahr zu beforgen, geht aber die Sonne
prachtvoll unter, jo wird fi der Weinbauer nicht
chne Sorge zu Bette Tegen.
Sind die Weinmörder glücklich vorüber, fo geht
eine neue Sorge an. Es fommen nämlich jetzt eine
andere Art bevenflihe Tage für den Weinftod. Da
fteht der Herr Medardus oben an. An diefem Tage
nämlich darf es nicht regnen, denn ein altes Sprüd)-
wert fagt:
Iſt Medarbus naß,
Dann nimmt der Wein ab bis in's Faß.
Iſt Medardus Sonnenſchein,
Wird der Wein geſegnet ſein.
Dieſes Sprüchlein läßt ſich folgendermaßen erklä—
ren: wenn es den Medardustag, welcher den 8. Juni
fällt, regnet, ſo lehrt die Erfahrung, daß, die Regen⸗
36
zeit gewöhnlid) eine Woche währt. Da nun gerade
in diefe Zeit die Weinblüthe fällt, jo kann der Wein
nicht gehörig abblühen, und Nichts iſt werderblicher
für die MWeinernte, als wenn der Wein in der Blüthe
durch Regengeftört wird.
Iſt aber auch viefe Change glüdlih überftanden,
und hat der Wein glüdlich abgeblüht, jo ift man im—
mer noch nicht über den Berg. Tritt jet große Hite
und Tryockenheit ein, fo können die Weinträubchen
wicht wachſen und zunehmen, fonvdern fie bleiben Klein
und unanſehnlich. Läßt es aber die Witterung an
dem Regen nicht fehlen, fo fchwellen die Trauben
fihtbar an, und die grünen Perlen werben immer
. umfangreicher.
Jetzt fommen wir zum lebten Stadium. Es be-
ginnt die Zeit der Weinreife. Dieſe verlangt wieder
ſchlechterdings Sonnenfchein und warmes Wetter. ‘Die
Weintraube fängt jett an zu blauen, in. der Winzer-
fpradhe nennt man dies lautern. Im Weingegenven
ift dies allemal ein fehr frohes Ereigniß. Sorgfältig
durchſpäht der Weinbergbefizer feine Weinanlagen,
und wer zuerft ein Blau ſchillerndes Sternlein ent-
bedt, ver pflegt eine Sahne auf die höchſte Höhe fei-
ned Weinbergs zu pflanzen, oder läßt Böllerfchüffe
weithin durch die Berge hallen; denn es gereicht dem
Weinberge zu nicht geringer Ehre, der zuerft eine
lauternde Traube erbliden läßt.
Wenn nun jet warmer Sonnenſchein eintritt, fo
dag die Trauben ordentlich gekocht werden von dem
Teuer des Himmels, fo entfteht gewiß ein Jahrgang,
an welchen der eigenfinnigfte Weinfchmeder nichts aus-
zujfegen haben wird. Mean erfieht aber aus der gan-
“ zen Mittheilung, wie faft das ganze Jahr hindurch
37
die edle Rebe der Gunft des Himmels anheimge⸗
ſtellt iſt.
Wer vermöchte aber das fröhliche Feſt der Wein-
lefe würdig zu bejchreiben ? Unter Kanonendonner
wird fie gefeiert, weithin ſchallt das fröhliche Lied
der Winzer und ber Winzerinnen. Man eilt hinaus
in die Berge, wo man vor blauen Trauben faft vie
Blätter des Weinftods nicht mehr fieht. Einen er-
quidlichen Anblid gewährt es, wenn ein leichter Nacht-
froſt Über die Berge gegangen ift. Diefer ftreift ge
wöhnlic alle welfenven Blätter von dem Weinftode,
fo dag an diefem nichts mehr zu fehen tft, als der
Weinpfahl, ein paar Reben und ein großer Klumpen
blauer Trauben. Oft füllen zwei oder drei gefegnete
Stöde eine ganze Butte.
Welch ein fröhliches Leben waltet in den Pref-
finden — bier, wo fein Preßzwang ven gepreßten
Trauben ihren Geift entzieht, und wo fein Cenſor
etwas zu fagen hat. Wie labt ver kühle Moft in
ben warmen Herbfttagen, befonders wenn er. purpurn
unmittelbar von der Preſſe kommt.
Die letste Operation, welde vie fröhlihde Wein-
leſe beichließt, ift das fogenannte „Keltern” Da
bringt man den gewonnenen Rebenſaft in bie dun⸗
fein, hochgewölbten Keller, in welden alsbald ein ge=
waltiger Spectafel entjteht, denn der junge Moft
beginnt in Gährung überzugehen und zu braufen. In
diefem Zuſtande wird er in der Weinbergsſprache
„Grauer“ genannt, und er monffirt und beraufcht
dann, wie ber bejte Champagner. —
Alle diefe Weinangelegenheiten gingen mir durch
den Kopf, als ich in dem ſchönen Thale vahinjchritt.
Nach mehrjtündiger Wanderung erreichte ich die höchſt
angenehme Gegend, im welcher Buchenheim gelegen
238
war. Ich konnte mich lange nicht fatt fehen an ben
freundlichen Dörfern, ven zahlreihen Obftallen und
ben wohlgebauten: Gärten, in welchen noch viel ſchöne
Herbftblumen blühten. Das Dorf Buchenheim, wel-
ches ich noch nie gefehen hatte, machte fich allerliebft.
Die freundlichen Wohnhäufer zogen fich wie eine hei=
tere Idylle im Thale entlang. Die Wege waren
wohl erhalten und Alles hatte ein reinliches, gaftliches
Ausfehen, daß mir noch einmal fo wohl zu Muthe
ward. Nichts war mir inımer verhaßter gewejen, als
jene Dörfer, die vermöge der Faulheit ihrer Bewohner
fortwährend im Morafte fteden, und wo bei nafler
Witterung vollends an Fein Fortkommen zu denken if.
Das war nun bei Buchenheim nicht Der Tall.
Das Dorf gli eher freundlichen Meiereien, als ein-
fachen Bauernhäufern.
Ih blieb eine Zeit lang ftehen und beichaute,
auf meineg Stod geftätt, den Ort, wo ich zum
erften Male meinen ſchönen Beruf in Ausübung — *
gen ſollte.
Der ſchlanke Kirchthurm ragte idylliſch aus him—
melhohen Buchen hervor, und dem fernen Seefahrer
kann bei ſtürmender Fahrt der rettende Leuchtthurm
nicht angenehmer erſcheinen, als mir armem Studioſus
Theologiä die zwiſchen Buchen hervorlauſchende Pfarr:
kirche zu Buchenheim.
Unmittelbar an die Kirche grenzte ein gaſtliches
Wohnhaus mit grünen Jalouſien und von alterthüm⸗
fihen Kaftanienbäumen umfchattet. An den geräu-
migen Hofraum, wo Hühner und Tauben ihr behag-
liches Leben führten, ftieß ein allerliebfter Blumen:
garten mit mehren Lauben, von Sonnenblumen um=
wachſen, und an dieſen wieder ein umfangreicher
—
39
Dbitgarten, wo man die zahlreichen Aepfelbäume mit
Stangen geftütt hatte, damit die Aefte unter ber
Laſt der rothen Aepfel nicht brechen möchten.
„Ih will nicht Daniel Leßmüller heißen,” vief -
ih, von frober Ahnung ergriffen, „wenn das wicht
die Wohnung des wadern Pfarrers ift.” Ich brei-
tete meine Hände mit Salbung über das Thal. „So
fet mir gegrüßt, bu herrlicher Hafen, in welchem ich
eingelaufen bin, du ftattliches Kirchlein, in deſſen
heiligem Raume id vie Worte des Herm verkünden
fol, du ftattliches Pfarrhaus, in deſſen Mauern bie
Sottesfurht und Zufrievenheit wohnt, jenes leuch⸗
tende Blumengärtchen, in beffen Laube ich fige, “jene
jchattenreihen Obſtgehege, in welchen ich mit dem
ehrwürbigen Pfarrer im gelehrten Gefpräh auf und
abichreiten werde.”
Nah dem herzlichen Briefe des Pfarrers Yırk-
hard mußte diefer ein vortreffliher Dann fen. Er
war mir von einem meiner beften Freunde auf das
Dringlicäfte empfohlen worden. Darum hatte ich es
allein nur gewagt, mid) mit meinem Geſuch um eine
Gaſtpredigt an ihn zu wenben.
Ich verlangjamte jet meinen Schritt, wandelte
ven Pfad, der von der Anhöhe allmälig in das Thal
hinabführte, in ſüßer Muße dahin, und erreichte ein
Heine Birkenwäldchen, das fih anmuthig an dem
einen Abhange dahinzog.
Ein Gang, welder durch das Gehölz gehauen,
war fo einladend, daß ich mid) nicht enthalten Tonnte,
ihn einzufchlagen. Zu beiden Seiten flüfterte ber
ſtilld Herbſtwind in den Zweigen ver Birken, deren
Lau, für die vorgerlidte Jahreszeit fih noch recht
grün erhalten hatte Nach einiger Wanberung durch
ven ftillen Wald gelangte ich zu einer einen Ro=
’y
40
tunde, auf welcher ſich eine Art Terraſſe erhob, von
welcher aus man eine erquidende Ausficht über das
Thal genof.
Raum hatte ich auf einer der Bänke Plag ge:
nommen, als von ver entgegengefettten Seite ein junger
Mann aus dem Birkenwäldchen hHervortrat. Wir
begrüßten uns gegenfeitig.
„Halt,“ dachte ich, „ver wird dir Auskunft geben
fönnen, ob du Dich vorhin in Betreff ver Pfarrwoh⸗
nung von Buchenheim getäuſcht haft over nicht.“ Der
junge Mann, ber in meinen Jahren ftehen mochte,
kam jet bie Terraffe herauf. Wir kamen bald in’s
Geſpräch mit einander. Ich erfundigte mich, wo bie
Pfarrwohnung des vor mir liegenden Dörfchens ge-
legen fei?
Der junge Mann blidte mit Aufmerkfamfeit mid)
an. „Die jehen Sie,“ antivortete er, „veutlich hinter
den Buchen bervorbliden. Die beiden Tenfter, welche
nad dem Blumengarten herausgeben, und bie zum
Theil von ven Yaloufien bededt find, bezeichnen vie
Stupirftube des Pfarrers Burkhard.” Der Fremb-
fing mußte alfo hierorts ziemlich befannt fein. Mir
war das recht lieb, .venn id) hoffte, von ihm Meh-
reres über bie Perfünlichkeit meines geiftlichen Gaft-
freunde zu erfahren.
„Sie find wohnhaft bier im Orte, verehrter
Herr ?" frug id.
„Das nicht” erwieberte der Unbelannte, „nur auf
Beſuch; ich will morgen Vormittag eine Gaftprebigt
hierſelbſt halten.“
Ich glaubte, nicht recht gehört zu haben, und
frug mit leifer Stimme, in weldyer ſich bie trübggligfte
Berwunderung ausiprad):
„Eine Gaſtpredigt gedenken Sie hier zu. halten?‘
41
Der Unbelannte, der and meinem zweifelnven
Zone ſchließen mochte, al8 traue ih ihm nicht zu,
eine Predigt halten zu können, antwortete:
„Allertings, mein Herr!“
Sogleich zug er ein Manufeript aus der Tafche,
und fid) gegen mich verneigend, ſprach er:
„Sie erlauben, wenn ich mid) entferne und in
die Waldeinſamkeit zurückkehre, da ich mit dem Me-
moriren meiner Predigt noch nicht zu Ende bin.“
„Ei, wäreft Du im Pfefferlande mit fammt Dei:
nee Predigt!“ rief ih uumillfürlid) aus, als mein
Kival im Walde wieder verfchwunden war, und ſtand
ſtarr und fteif, wie aus den Wolfen gefallen, auf
ver Terrafie. „Es ift ja gar nicht möglich,” beru-
higte ih mid. „Wir haben morgen den vierzehnten
nad) ZTrinitatis; da hab’ ich's ja ſchwarz auf weiß,
daß ih an dieſem Tage Bormittags neun Uhr in
der Kirche von Buchenheim die Kanzel befteigen fol.”
Ih holte zu meiner größern Beruhigung ven Brief
des Pfarrers Burkhard hervor, nnd überzeugte mich
von Neuem, daß ih mid) nicht getäufcht habe. Und
gleichwohl, wenn ich an den Unbekannten vadıte, der
jet im Walde umher rannte und an der Predigt,
die er morgen balten wollte, ftudirte, daß ihm der
Kopf rauchte, warb mir höchſt unbehaglic zu Muthe.
Was blieb mir übrig, ich mußte meinen Weg
nad Buchenheim fortfegen. Ich hatte faum das
Birkenwäldchen im Rüden und wandelte den Gärten
des Dorfes zu, als mit einem Male um eine Hede
von Corneliusfirfchen ein zweiter junger Mann bog,
der, in Xectüre vertieft, mir gerade entgegen kam.
Sch glaubte im Anfange, es fei mein Nebenbuh⸗
ler von ver Terraſſe, als ich aber genau hinfchaute,
42
bemerkte ih, daß e8 ein ganz Anderer fei. Er war
länger und ſtärker und trug bunfle® Haar, wäh—
rend die Loden des Nebenbuhlers in's Blonde fchim-
merten.
Der lernbegierige junge Mann war dermaßen in
fein Buch vertieft, dag er mein Daherkommen gar
nicht bemerkte und faft am mich amgerannt wäre,
wenn ich nicht einen Schritt ſeitwärts gethan hätte.
u
Jetzt erft warb der Fremde meiner anfichtig.
Wir begrüßten uns höflihft, und ich, von höchſt über-
flüffiger Neugier geplagt, ywünjchte vor's Leben gern
zu willen, was e8 mit biefem gelehrten Thebaner,
denn dem gelehrten Stande ſchien er unverlennbar
anzugehören, für eine Bewandtniß habe.
Um ein Geſpräch anzuknüpfen, erfundigte ich mic
zuvörderſt, ob dies ver rechte Weg fei, nach der
Pfarrwohnung zu gelangen.
Der Gefragte betrachtete mich mit einiger Ber-
wunderung vom Kopf big zu den Füßen.
„Allerdings,“ war feine Antwort. „Gehen Sie
nur immer fort, und Sie fünnen gar nicht fehlen.”
Ia, er war fo gütig, troß meiner Proteftation,
mid) ein Stüd Wege zurück zu begleiten, bis zu
einem Kreuzwege, wo ich, nach feiner‘ Befürchtung,
mid) doch hätte verirren können.
Ein Wort gab das andere, und fo erfuhr id)
denn, daß das Buch, in welchen er ftudirte, ein Weg-
weifer fei, um ein guter Kanzelredner zu werben.
Ih ward immer aufmerkfamer, als er meiner Neugier
mit den erjchütternden Worten ein Ende machte:
„sh babe wohl Urſache, mid in dem Büchlein
umzuſehen, da ich morgen -VBormittag eine Gaſtpredigt
in hieſiger Pfarrkirche zu halten gedenke.“
Mir ward grün und blau vor den Augen. Ich
N
45
‚glaubte abermals nicht vecht gehört zu haben, und
frug unter leifem Fieberſchauer:
„Eine Gejtpredigt morgen Vormittag?‘
Allerdings, lieber Herr!” erwiederte er gut—
müthig.
Wir waren unter Diefem Geſpräch bei dem Kreiz-
‚wege angelangt. Ex bejchrieb mir jet nochmals ben
Pfad, welden ic) wandeln jollte, empfahl fich höflich
und kehrte in der Richtung zurüd, wo wir hergefom-
men Waren.
Die PVerbeugung, mit welcher ich meinen Dank
‚abftattete, mag ſonderbar ausgefallen fein. Ich habe
ſpäterhin ſelbſt darüber lachen müſſen, aber dazumal
war mir's nicht zum Lachen.
„Will denn die ganze theologiſche Chriftenheit”,
frug ich mich zähneklappernd, „morgen Vormittag in
Buchenheim eine Gaſtpredigt halten?“ Ich zog noch—
mals den Brief des Pfarrers Burkhard hervor. Ich
fing an zu buchſtabiren und laut zu leſen. Da ſtand
ganz deutlich: „Ich habe Ihnen, mein lieber, junger
Freund, die Predigt für den Vormittags-Gottesdienſt
den vierzehnten nach Trinitatis aufgehoben.“ Wenn
man demzufolge in Buchenheim nach dem verbeſſerten
gregorianiſchen Kalender rechnete, jo war auch hier⸗
orts morgen der vierzehnte nach Trinitatis. Was
bat es alſo mit ven beiden Schlingels für Bewanbt-
niß, die mir fo umverhofft in den Weg gekommen
waren? Ein TZerzett konnten wir auf ber Kanzel
nicht fingen.
Ich wanderte jet nur zögernd vorwärts. Mein
fhwacher Verſtand begriff nicht, wie das enden follte.
Hier mußten außerordentlih große Irrthümer zum
Grunde liegen; ich philofophirte aber folgendermaßen,
wodurch ich freilich nicht fehr erbaut ward:
44
„Du bift einmal zum Unglüdsvogel von einem
wibrigen Geſchick auserfehen. Endlich glaubft du -ein-
mal nad) langer flürmifcher Meerfahrt ven Hafen ber
Ruhe erreiht zu haben; du warft ſchon fo nahe, um
den Anfer auszumerfen, ‚im Angefichte der fchönen
grünen Küfte, da nimmt bein Malefilus die Baden
vol und bläft das Scifflein wieder zurüd in das
brandende Meer. Es ſollte nit fein. Es wäre das
Beite, du fehrteft wieder um, ohne das Pfarrhaus
zu betreten, der Himmel weiß, was bein böſer Stern
bir daſelbſt noch für Noth und Sorge bereitet hat.
Du haft wenigftens eine herrliche Promenade gemacht,
durch die ſchöne Herbſtlandſchaft, begnüge dich damit,
Unerfättliher, und fehre heim in bein . bürftiges
Stüblein. Der Wunfh war aud zu fühn und hof-
färtig, bier in ver ſchönen, neugebauten Dorfkirche
bie Kanzel befteigen zu wollen, vor einer fo anfehn=
lihen und gotiesfürdhtigen Gemeinde. Kehre um,
Daniel, der Menfh muß nie zu hoch hinauswollen;
Bercheivenheit ehrt ven treuen Diener des Herrn.
Singt nicht ſchon der herrliche Schiller:
Zwei Blumen blühen für ben weilen Finder;
Sie heißen: Hoffnung und Genuß.
Wer dieſer Blumen eine brach, begehre
Die andre hiefter nicht. — —
Du haft gehofft, Dein Lohn ift abgetragen,
Dein Glaube war Dein zugewognes Glüd.
Ich war jtehen geblieben und ſchaute mit gefal-
teten Händen über die fehöne Gegend dahin. Da
lag fie, vie herrliche Pfarrfiche mit dem ftattlichen
Thurme und in ber fchönften Sonnenbeleudhtung; da
laufchte fo gaftlich das Pfarrhaus mit grünen Jalou—
fien hinter den Buchen hervor; leife bewegte ſich das
45
Wetterfühnlein, von ter milden Herbſtluft bewegt,
auf den Firiten des Hauſes hin und wieder.
Eine Thräne trat mir umwillfürlih in die Augen,
als ih von dieſem ſchönen Thale ımd allen meinen
Hoffnungen Abſchied nehmen folltee Kine geraume
Weile ſtand ih fo unihlüffig, als eine herzhafte
Etimme in mir vernehmbar ward.
„Schäme vih, Daniel Permüller, du biſt ein
rechtskräftig getaufter Chrift und willit verzagen?
Sinv die Wege des Herrn oft nit wunderbar?
Wer kann wiſſen, was es mit den beiden Rivalen
für eine Bewandtnig hat? Es wäre ja felbft nicht
undenfbar, daß fich eine Irrenanftalt in der hiefigen
fhönen Gegend befünde, welcher jene beiden Indivi—⸗
duen ‚angehörten.
„Es iſt ter Menſch! Ih ſchuf in meiner Phan-
tafie lieber zwei Verrüdte, als daß ah meine Hoff-
nung, morgen in Buchenheim zu prebigen, aufgege-
ben hätte.
„Alle unverzagt vorwärts, bald muß fih Das
Räthjel löſen.“
Mit viefen Worten kam ih der Pfarrwehnung
immer näher. Mein Herz podte hörbar an vie
Schwarze Theologenweſte. Ich repetirte zu wieber-
beiten Malen die Anrede, welde ih an den Paftor
Burkhard halten wollte.
Ich weiß nicht, wie es zuging, meine Rebe wollte
nicht vecht flappen. Ich machte demnach Halt und
nahm wir vor, nicht eher einen Schritt vorwärts
zu ſetzen, bevor ih nicht meine Allocution jo firm
herzuſagen vermöchte, wie das Baterunfer.
Während ih noch fo daſtand, ferzengrab und
unbeweglih, und memorirte, näherten ſich leife Fuß⸗
46
tritte, und gleih darauf bog um die Ede, welche
Exlenbüfche bildeten, ein Frauenzimmer.
Es war mein Lebtag mein Yehler, daß ich einen
zu außerorventlichen Reſpect, ja fo zu fagen, Furcht
vor allen Frauensperfonen hatte, namentlid wenn
diefelben jung oder gar hübſch waren. Auf dem
Felde der Galanterie hatte ich's nie zu etwas Reellem
gebracht, ich fpielte da ſtets eine höchſt beflagene-
werthe Rolle. Der Himmel ift mein Zeuge, daß
mir's am Mundwerf nicht gebrach, wenn id auf dem
Papier in einer fruchtbaren Mußeſtunde ven Liebhaber
mit feiner Auserwählten discuriven ließ, aber fobald
mir ein lebendiges Frauenzimmer gegenüber ftand,
waren alle jene ſchönen Redensarten zum Gudud; ich
glih dann einem: Papageno mit dem Schloffe vor
dem Munde. Ic Tonnte mich im ver Regel nicht
auf einen Anfang befinnen.
Daher z0g denn aud) das Srauenzimmer, welches
um das Erlengebüfcd) bog, meine ungetheilte Aufmerf-
famfeit auf fih. So viel ih auf den erften Blid
wahrnahm, gehörte das weiblihe Wefen, welches mir
entgegen kam, den höheren Ständen an, denn e8 trug
einen Strohhut und ein rofafarbenes Kleid. Ferner
bemerkte ih), daß meine Schöne noch nicht zu ben
bejahrten Damen gerechnet werben fonnte. Ihre
Geſtalt war jchlanf und voller Annıuth. Das Antlik
hatte ic) aber in der Berne noch nicht genau beobad)=
ten können.
Stehen bleiben konnte ich aber unter bemandten
Umftänden nicht länger. Meine wohlftylifirte Anrede
an den Pfarrer Burkhard war wieder vein vergeflen.
Ich jchritt langſam vorwärts, und da das junge
Frauenzimmer ebenfalls nicht ftehen blieb, jo lag es
in der Natur der Dinge, daß wir Beide und immer
47
näher fommen mußten. In meinem Innern fümpften
die wibderfprechenpften Gefühle. Ich faßte anfangs
ven Entfchluß, die Fraueusperſonen gar nicht anzublik-
fen, und mit abgewanptem Geficht, als fei id im
Anſchauen der ſchönen Herbſtlandſchaft verfunfen, an
ihr vorüber zu fpazieren. Aber ſogleich tauchte der
Gedanke in mir auf, Daß dies nicht nur als eine
große Grobheit erſcheine, ſondern aud eine ſolche
wirtiih fe. Grüßen mwenigftens mußte ich die mir
Entgegenfommende, over ih hätte für den ungefchlif-
fenften Menfchen in Europa gegolten.
Unter viefen Betradhtungen war ich der Unbe-
fannten bi8 auf wenige Schritte nahe gekommen, aber
wie fie im Gefichte ausfah, wußte ich demungeachtet
noch nicht, denn ich hielt e8 mit der Würde eines
ehrſamen Studioſus ver heiligen Cottesgelahrtheit
für unvereinbar, das Frauenzimmer mehr in Augen-
jhein zu nehmen. Meine Blide waren fortwährend
zu Boden gerichtet geweſen, jetzt aber war es bie
höchſte Zeit, einmal aufwärts zu fchauen, damit ich
nicht in Gefahr liefe, mit der Schönen auf ungebühr-
liche Weife zuſammen zu vennen. |
Sch erhob jofort den Kopf ein wenig, und blidte
mit Schüchternheit gerad aus; aber, heilige Kirchen—
väter, wie warb mir! Welh ein Götterbild nie ge=
ahnter Schönheit ftand vor mir. Ich zog mit aller
Andacht und mit aller Ehrfurcht meinen Hut vom
Kopfe und grüßte das ſchöne Kind, wie ich ungefähr
eine Prozeffion Engel grüßen würde, die aus bem
Himmel kommt und an mir worüberzöge.
Das holde Kind dankte mit einer Himmelsfreund-
lichkeit, daß ich vor Entzüden auf alle Fälle aus ber
Haut gefahren jein würde, wenn ſich ein ſolcher Ac—
tus einigermaßen hätte bemerkitelligen lafien. Wie
48 °
angedonnert war ich nach der Begrüßung ftehen ge=
blieben, und ſchaute unwillfürlih dem entſchwebenden
Engel nah, und wid nicht vom Plate, bis die
holdſelige Erſcheinung meinen Bliden wieder ent-
ſchwunden war. |
Ich mußte wirflih einige Mal umberichauen, ob
ih mi nod in Buchenheim und auf dem Planeten
befände, den man Erde nennt, denn feit der Grü-
fung der unbefannten Huldgöttin Hatte ich wirklich
im Himmel gelebt.
„Ja,“ ſprach ih endlich zu mir, „was helfen
alle Declamationen, Differtationen und Abhandlungen
über Unfterblichkeit, ein Blid in fold ein Himmels-
antlis und man bedarf fie alle nicht mehr. Steht
es da nicht gefchrieben, daß es ein Land giebt, wo
die Engel wohnen? Was brauch’ ich weitere Beweife,
wo mir die Gewißheit Far und deutlich vor Augen
fteht ? Ä
Aber wer war biefe Huldgöttin? Das war eine
Frage, die mich jett auf das Angelegentlichite be=
ſchäftigte. Gehörte fie in dieſes Dorf? O, Buchen-
heim, dann wärft du das beneidenswertheſte ber
Dörfer, die mir je vorgefommen.
Während ih noch hin und her fann, kam eine
Bauernfrau mit einem Korbe den Weg daher, wel-
hen meine Unbelannte gewandelt war.
„ziebe Frau,“ frug ih, mit etwas unficherer
Stimme, „wer war denn das ſchöne Frauenzimmer,
die Ihr begegnet haben müßt?“
Die Gefragte blidte mit etwas Schalfhaftigfeit
zu mir auf.
„Richt wahr,” frug fie, „das ift eine fohmude
Dirne? Ya, Jedermann hat feine Freude daran.‘
49
„Ein Eugel,“ Ten, Al begeiftert ein; „aber wer
iſt fie? Wie heißt fie?‘
„Verſtelle Er fi) nicht,” lachte die Bauernfrau.
„Er ſieht mir nicht darnach aus, daß Er unfern
braven Pfarrer nicht kennen ſollte.“
„Gute Fran, Euren braven Pfarrer kenne ich
wohl, antiwortete ich, „aber —“
Die Frau ſchlug lachend die Hände zuſammen.
„Und will fein Zöchterlein nicht kennen! rief fie;
„das iſt zu ſpaßig, ba, ba, ha!“
„Des Pfarrers Tochter? frug id, und mir warb
ſeltſam zu Muthe, ich wußte ſelber nicht wie,
„Run, wer fol’3 denn anders gewelen fein?‘
frug die Frau; „freilih war e8 Louischen, des Pfar-
vers älteſtes Zöchterlein. IR das nicht ein nettes
Bräutchen ?“
„Bräutchen!“ vief ich zähneklappernd; „wie denn,
was denn Bräutchen?“
„Run, die bald Frau werben ſoll,“ lachte bie
Dänerin.
„Aber um Himmelswillen,” rief ich in Häglichem
Tone, „mit wen ift fie denn Bräutchen?“
„O, Er Schalk!“ meinte die Bauernfran, „hält
Er mic für jo dumm, daß ich nicht wüßte —“
„Ich halte Sie im Geringſten nicht für dumm,
liebe Frau,“ erwiederte ich; „aber was weiß Sie
denn?“
„Nichts da!“ lachte die Bäuerin, „ich ſeh' es ihm
ja an, daß Er mich nur zum Beſten haben will.“
Ich ſchwor hoch und theuer, daß dies durchaus
nicht der Fall ſei, und daß fie ſich doch' näher erklä—
ren möchte.
„J Potztauſend, ich ſeh' es ihm ja an, Er iſt
ja ſelbſt der Bräutigam von Jungfer Louischen!“
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 4
50
„sh der Bräutigam?“
„Run, anders nicht; will Er nicht morgen gaft-
prebigen ?“
„Allerdings, gute Frau, will ich morgen gaſtpredigen!“
„Darum ift Er auch der Bräutigam, denn ber
morgen bier predigt, befommt Louischen zur Frau.’
Ih riß jett wie rafend den Brief des Paftors
Burkhard zum dritten Male hervor. Aber da ſchwamm
Alles vor meinen Augen, die Buchitaben Tiefen wie
Ameifen durcheinander. Doch zugleid) entfiel das
Papier meiner erjtarrten Hand. Kine infernalifche
Leichtigkeit ging in meinem Innern auf.
„Wenn der,” dachte ich bei mir, „Der morgen
bier gaftpredigt, ſich zugleih eine Braut erprevigen
fol, fo bin ich's, troß des Briefs des Paſtors, nicht,
und einer von den feinen Schludern, die im Felde
umberlaufen, erhält die Braut und das Mädel.“
D, id) war außer mir vor Schmerzen und Ber-
zweiflung, und machte ein fo vefperates Gefiht, daß
bie Bäuerin die Hände über'm Kopfe zufammenfchlug
„Scham Er ſich,“ ſprach fie ärgerlich, „ift das
ein Bräutigamsgefiht? Was fol da einft aus dem
Ehemann werben, und was wird Louischen fagen?
Nun, auf Wiederfehen, morgen in der Kirche, ed wird
gerüttelt voll, und Ex wird feine Sade gut machen.‘
Mit diefen Worten nidte fie freundlid und ging ihres
Weges dahin.
„Meine Sache gut machen ?” frug ich mid); „die
Frau bat gut reden. Ich bin zur erbaulichen Stunde
bier angelangt. Ein ſolch Malheur kann mix paffiven,
dem das Brot ſtets auf die gejchmierte Seite fällt.
Du armer Daniel Leßmüller, fo bift du dem hier-
her gefommen, um eimen glüdlihen Rivalen pre—
digen zu hören, und zu fehen, wie er unntittelbar
N
91
nad) der Predigt dem fhönften Mädchen, das id) je
gejehen habe, als Bräutigam um den Hals fällt.‘
Ich ftand wiederum im Begriff, uinzufehren, und
dahin zurüdzugehen, wo id, hergefommen war, als
bie Dorfglode anmuthig zu läuten begann. Ich war
von jeher ein großer Freund von ſchönem Geläut,
und fo hörte ich auch diesmal mit füher Wehmuth
den heiligen Klängen zu.
Aber je länger ich lauſchte, deſto größerer Frie—
den ſank in meine tiefbewegte Bruft. Ich warb wie-
ber fromm und gottergeben. „Du ſollſt,“ ſprach ich
zu mir, „al8 kurzfihtiger Adamsjohn, mit ven We—
gen einer weifen Borfehung nicht rechten. Geh’ ge-
troft in die Pfarre, und mache wenigitend deine Auf-
wartung dem wadern Burkhard. Mag e8 dann wer=
ben, wie e8 will, du haft deine Schulvigfeit gethan,
und dir feine Vorwürfe zu machen.‘
Mit diefen Worten fehritt ich langſam vorwärts,
und erreichte jo endlich den Eingang zur Pfarrwoh⸗
nung. Das Pfarchaus konnte gar nicht nieblicher
gelegen fein. Ueppig ranften fi die Weinreben mit
Trauben behangen, an den Wänden empor. Selbit
der Bogen des Hofthore8 war damit überjponnen.
Ringsumher athmete tiefer Frieden, nur die äußerften
Zweige der alten Buchen bewegten fi) faum bemerf-
bar in der Haren Herbftluft.
Ih ftand jest an dem verhängnißvollen &loden-
ringe ber Hofpforte. Zitternd langte meine Hand
darnach, aber wieberholt ſank fie zurüd, ohne die
mid) anmeldende Glode in Bewegung geſetzt zu haben.
Ich recapitulirte meine Rede nochmals, nahm endlich,
ba fi) die Thüre unmöglich von feldft aufthun konnte,
meine ganze Energie zufammen, und that einen herz=
haften Zug am Glodenringe, 48
52
Laut hörte ih die metallene Schelle wieverhallen,
Hundegebell ertönte, und bald vernahm ich Fußtritte
von innen; bie verhängnißvolle Pforte that fih auf,
und vor mir ſtand ein Feines, blondgelodtes Müp-
chen, mit ven freundlichſten Augen von der Welt.
Ich erfundigte mid) nicht ohne Zagen nah dem
Herrn Pfarrer Burkhard.
Die Kleine nidte freundlih und fprad;:
o „Papa figt in der Laube und ftubirt an der Pre—
digt auf morgen. |
„Das Gotterbarm,” dachte ich bei mir, „nun
will der auch noch predigen; wahrfcheinlich langt der
Herr Generalfuperintenvent und das wohllöbliche Con⸗
fiftorium auch noch an, um in YBuchenheim zum vier-
zehnten nad Trinitatis zu predigen.“
Die Kleine hatte mid) indeß mit ihren llugen
Aeuglein mit Aufmerkſamkeit gemuftert, und nidte
febr freundlich mit dem Köpfchen. „Papa,“ fuhr fie
mit Tiebenswärbiger Unſchuld fort, „wird fich freuen,
Sie hier zu ſehen; wir haben Sie ſchon geftern er-
wartet.”
E83 war rührend mit anzuhören. Die Worte des
Kindes Hangen fo füß wie Engelstöne, aber der Fleine
Springinsfeld wußte nit, was er fprad. Papa
Eonnte ſich ummöglich freuen, ob meiner Ankunft, wie
die Kleine vermeinte; auch war derjenige, den man
Ihon geftern erwartet hatte, wohl jchwerlich jener Da—
niel Legmüller, der ich zu fein die Ehre hatte „Du
eholde, liebenswürdige Unſchuld,“ fprgh ich zu mir,
als ich dem Lodenfopfe nach ver Laube des Gartens
folgte, wo der Papa an feiner Predigt ftudirte, „Kin—
ber und Narren fagen zwar in ver Regel die Wahr-
heit, aber an mir Unglüdsjohn werben ſelbſt alle ge-
prüfte, bewährte Sprihwörter zu Schanden.“
Pas \
53 Br
Es war ein herrlicher Garten, in welchen mid; bie
Kleine führte, er ftand im fchönften Schmude des
Herbftes, überall fruchtbelaftete Obſtbäume, deren Aefte
bie und ta geftüßt waren, und deren rothe Aepfel
appetitlich zwifchen dem Laube herableuchteten. Auf
den wohlgehaltenen Beeten blühten zahllofe Aftern,
Georginen und andere glänzende Herbitblumen. Bal-
ſamiſch duftete die Reſeda, die aromatifche Spide und
Salbey, womit die Beete und Rabatten eingefaßt
waren. Die Laube, in welder der Bfarrer Burk—
hard ſtudirte, war von einem brennenden Walde Sons
nenblumen umgeben.
„Ha, diefes Paradies!” ſprach ich zu mir, ber
ih, wir im Traume, durch die blühenden Gänge
wandelte; „hier läßt ſich's ftubiren, das will ich
glauben.“
Die Kleine Blondine war jett vorausgehüpft und
meldete mich bei Sr. Hocehrwürben. Diefelben tra=
ten mir auch fogleih aus der Laube entgegen.
Das war ja ein charmanter Mann, der Pfarrer
. Burkhard, von fo wohlwollendem Ausfehen, daß man
ſogleich Bertrauen fallen konnte. Mir fiel bei feinem
Anblide ein orbentlicher Stein vom Herzen.
Ich nannte jeßt meinen Namen. Der Ehrwür-
dige breitete feine Hände aus, und umarmte mich wie
ein Vater. Solchen Empfang hatte ich nicht erwar⸗
tet. Wie follte das nur werben mit den beiben
Schwarzröden, die noch draußen in Wald und Flur
umherirrten?
„Seien Sie mir ſchönſtens willkommen, mein lie—
ber, guter Freund!“ begann der Alte; „ich hoffte,
Sie würden ſchon geſtern eintreffen. Hab’ Ihre Pre
digt gelefen, mir aus dem Herzen geſprochen, brav
ee
ausgeführt, Sie werden morgen Ehre damit ein-
legen; freue mid) jelbft darauf.”
Hier muß ich zu näherem Verſtändniß erwähnen,
daß ich eine Abjchrift der von mir zu haltenden Pre-
digt dem Pfarrer Burkhard fchen früher eingefchict
hatte. Ich gerieth daher in nicht geringes Erſtaunen,
als der ehrwürdige Mann, trog den beiven Rivalen,
die mir begegnet waren, und von denen, nad) Aus-
fage der Bauernfrau, der Eine überdies wohlbeftallter
Dräutigam und der Schwiegerfohn in spe des Pajtors
war, gleihwohl von der mir zugefagten Gaftpredigt
am vierzehnten nad) Zrinitatis anfing. Unfehlbar
lag hier ein Irrthum zum Grunde Ich dachte bei
mir: „Nun, die Sache wird fi bald löfen, ſobald
meine zwei Gegner ihre Morgenpromenade geendet
haben.“
Aengftlich lauſchte mein Ohr nach jedem Geklingel
der Hofthürfchelle, denn wenn ber eine Schwarzrock,
dem ich zuerjt begegnete, feine Predigt im Kopfe hatte,
fehrte er unbeftritten zurüd; und bei dem zweiten war
unfehlbar daſſelbe ver Fall, ſobald er fih in feiner
ars concionandi zuredyt gefunden hatte. Ich wagte
nicht, dem Pfarrer mein Reiſeabenteuer wegen ver
beiven ſchwarzen Geſellen mitzutheilen, und er felbft
ſchien von ihrer Anwefenheit nicht die geringfte Ah—
nun, zu haben.
Der wadere Pfarrer gebot jest dem Kleinen Loden-
fopfe, welcher ten Namen Rofalie führte, Yrühftüd
zu bejtellen. Nöschen hüpfte davon, und bald ſtand
das Verlangte auf einem fauber gededten Tiſchchen.
Ich wandelte mit dem Pfarrer in gelehrtem Geſpräch
bie fchönen Gänge auf und ab. Wir fpracen über
Schleiermacher und Bretfhneider, Tholud und Gefe-
nius, Leo und Ruge, Strauß und feine Widerſacher.
59
Burkhard gehörte zu den rationellen Supernaturaliften,
und erfchien mir al8 ein Mann Gottes, wie er fein:
mußte.
„Röschen,“ rief er mit einem Male, „bejorge, daß
noch ein Paar Stühle herbeigefhafft werden, für ben
Tal, dag Herr Linden und Bitterfeld zurüdtehrten;
wir frühjtüden dann in Gemeinſchaft.“
„Alſo doch,” fprach ich zu mir, „das find unbe-
jtritten die beiden Gaſtpredigt- und heirathäluftigen
Candidaten. Heiliger Himmel, wie foll das enden?
Der ehrwürdige Pfarrer hatte diefe Worte kaum
gefprochen, als ſich die Hofthürjchelle von Neuem hören
lieg. Ich blickte dahin, aber wer malt meinen Schreden,
als ich den Schwarzrod von der Terraſſe hereintreten
ab, welcher auch den Weg nad) dem Garten einfchlug.
Als er bei dem Pfarrer und mir angelangt war, faßte
ihn Burkhard bei der Hand und ftellte ihn mir mit
den Worten vor:
„Mein lieber Better, welcher und morgen mit einer
Predigt erfreuen und erbauen wird.“ +
Nun deutlicher konnte ich's nicht haben. Das
alfo war der Glückliche, ver den Vogel abfchießen
follte? Er hatte ſonach doch Recht gehabt, als er auf
der Terraſſe erflärte, daß er hier gaftpredigen wolle.
Nun war e8 noch dazu ein Vetter des Herrn Pfarrers,
alfo hatte ich abermals vergebens gehofft und mid
gefreut. Wahrſcheinlich hatte mich der Pfarrer Burf-
hard nur ſchonen wollen, als er ſich fo günftig über
meine Predigt ausſprach. Ich befand mid in be—
jammernswerther Lage, und ein tiefer Seufzer entwand
ſich meiner Bruft.
Da tönte fehon wieder die verhängnißvolle Hofe
thürjchelle und des Pfarrers reizendes Louischen trat
herein.
a 56
Sobald der Better das ſchöne Mädchen unfichtig
wurde, eilte er ſpornſtreichs den Gartengang entlang
und empfing Louifen mit einer Artigleit und chevale—
resken Manier, die ih dem trodenen Theologen gar
nicht zugetraut hätte.
Da hatte ich's ja klar und faßlich, er war ber
Bräutigam, für welchen die Bäuerin mich angefehen
hatte. Ich ſchaute mit Häglicher Miene ver intereffanten
Empfangsfcene zu, als ſich der Pfarrer Burkhard mit
den Worten zu mit wanbte:
„Laſſen Sie fih nicht irren, mein lieber, junger
Freund, wenn ich Ihnen meinen Better vorhin als
denjenigen worftellte, der morgen hier prebigen Toll.‘
Ich horchte mit geſpitzten Ohren und ber Pfarrer
Burkhard fuhr fort:
„Mein Better ift ein junger talentvoller aber etwas
leichtfertiger Page. Er fchreibt eine vecht brave Predigt,
aber mit dem Memoriven ift e8 bei ihm eine ver-
zweifelte Sache. Bereits vor einem halben Jahre hat
er dadurch nicht nur ſich felbit, jondern auch mir und
der ganzen Gemeine die größten Unannehnlichfeiten
bereitet. Er predigte an meiner Statt, blieb fteden,
wollte extemporiren, fam aber damit nicht fort und
mußte zu nicht geringem Aergerniß der andächtigen
Berfammlung die Kanzel verlaffen. Ich war damals
fo ärgerlich, daß ich mich feit entſchloß, ihn nie wieder
bier prebigen zu laflen; aber er hat mid, ſpäter fo
dringend gebeten, idy möchte ihm erlauben, feinen Fehler
wieder gut zu machen, daß ih nicht umhin konnte,
ihn von Neuem eine Predigt zuzugeftehen. Doch habe
ih meine Mafregeln getroffen, daß ihm eine aber-
malige Blame erfpart werde. Er ift von mir aufge-
fordert worden, fih für morgen mit einer Predigt
bereit zu halten. Da ic aber noch immer befürchten
in
57
muß, daß er feinen Bortrag noch nicht volllommen
im Kopfe hat, jo laffe ih ihm morgen noch nicht
prebigen, ſondern Sie, mein junger Yreund, werben’s
an feiner Statt thun.“
Ich hätte dem ehrwürbigen Pfarrer vor Freuden
um den Hals fallen können, als vie Hofthürfchelle
abermals läutete und ter andere Schwarzrod herein-
trat, der mir vorhin begegnet war. Auch er jchlug
feinen Weg fogleih nad) dem Garten ein und war
bald bei uns angelangt, Wieder erfolgte eine Vor—
ftellung von Seiten des Pfarrers, und wieder ertünten
die Worte: |
„Ein wadrer Kanzelreoner, ver und morgen durch
feinen Vortrag erfreuen und erbauen wird.‘
Ich wußte abermals nicht, was ich denken follte.
Sollte dieſer im Auswenbiglernen gleichfall® nicht fattel-
feft fein, wie der Herr Better? Dies konnte wohl
möglich fein, aber daß ver neuangekommene Schwarz⸗
vod morgen hier eine Predigt halten werde, war aus-
gemacht, denn der Pfarrer Burkhard unterhielt ſich ja
ausführlich darüber mit ihm.
Was mein Erftaunen vermehrte, war, daß als
mid) Burkhard dem Fremden gleichfalls als Gaſtpre⸗
biger für morgen vorftellte, der junge Mann fich nicht
im Geringften darüber verwunderte, fondern das Alles
in der Ordnung zu finden ſchien. Mein jchwacher
Berftand begriff nicht, wie fich dieſe verwidelte Sache
noch auflöfen werde, als mein Rival die Bebauerung
ausfprah, daß er mich morgen nicht hören könne, da
er faſt um biefelbe Zeit ebenfalls zu predigen habe,
Ih fehaute mic ganz verwundert ringsum, ob es viel-
leicht zwei Kirchen im Dorfe gäbe, Tonnte aber nur
eine entbeden.
„Shen fo ergeht e8 mir mit Ihnen,“ fiel ver
58
Pfarrer Burkhard zu dem. Fremben gewendet ein;
„auch ich muß für morgen auf Ihren Vortrag ver-
zichten, da ich zu begierig bin, wie unſer Herr Leß⸗
müller feine Sache machen wird.” Das Rätbiel war
mir jett immer unauflösharer. Ich wagte nicht, mic)
näher zu erkundigen, und war nur froh, daß ich noch
zur Predigt gelangen jollte,: als em Livreebedienter
eilenden Schritte. daher fam und dem Pfarrer Bur-
hard ein Billet überreichte.
Kaum hatte der Empfänger das Brieflein gelejen,
als er fich wieder zu ung mit den Worten wanbte: _
„Das trifft ſich ja harmant; fo eben Ichreibt mir
unfer gnäbiger Herr Graf, daß er ſowohl als jeine
gejammte Familie in unferer Kirche ericheinen werben,
um die Predigt des Herrn Lefmüller zu hören;“ und
zu dem andern Candidaten gewendet, ſprach er: „Sie,
lieber guter Freund, werden dagegen erſucht, ſichs
noch einige Tage auf dem Schloſſe des Herrn Grafen
gefallen zu lafien, um irgend eine Bormittagäftunde
fünftiger Woche felbft zu beftimmen, in welcher Sie
Ihren Vortrag in der Schloßfapelle zu halten ge-
denfen.
„Sie müjjen nämlih wiſſen,“ fette Burkhard
gegen mid) gewendet hinzu, „daß bier mein junger
Freund,“ er zeigte auf den‘ Candidaten, „unferm
gnädigen Grafen als Pfarrer für eine Stelle, die ex
zu vergeben hat, enipfohlen if. Darum follte er denn
morgen vor dem Grafen und feiner Familie in der
hiefigen Scloffayelle eine PBrobeprevigt halten. Da
ih jevoh mit dem Grafen auch über Ihre Predigt
geiprochen habe, jo wünſcht derjelbe auch Sie zu hören,
und wird daher morgen früh mit feinem ganzen
Haufe in ver Dorflirhe erfcheinen, während die Pre-
59
bigt in der Schloßkapelle auf einige Tage verſcho—
ben bleibt.“
Dem Candidaten tönten die Worte des Pfarrer
Burkhard ganz und gar nicht unangenehm, denn es
lebte jih ganz allerliebit im Schlofje und in der gräf-
lichen Familie.
Wie Schuppen fiel e8 mir jebt von den Augen;
wer war frober, ale ih. Nicht blos den Pfarrer
Burkhard und den Candidaten, fondern die ganze
Melt, Lonischen nicht ausgenommen, hätt! ich um—
armen und an's Herz drüden mögen.
Unterveß war Wein angelommen; vie Gläfer
wurden gefüllt und wir tranfen auf das Gelingen
ber Predigt für morgen. Auch Louiſe warb herbei=
gerufen und mir warb das Glück, ihre perfünliche
Belanntichaft zu machen.
Nie hatte ich eim geiftreichere® und ſchöneres
Mäpchen fernen. gelernt; ihr reizender Anblid prügte
fih immer unverlöſchlicher in mein Herz.
„Die oder feine Andere heirathe ich!” ſchwur id)
mir heimlid zu. Ich hatte mich bereits fterblich in
den Engel verliebt. —
Als ih am andern Morgen im fchwarzen Prebi-
gergrwande, die fehneeweißen Prieſterkrägelchen auf
der Bruſt, nicht ohne heiligen Schauer in das Got—
teshaus trat, konnte kein Apfel zur Erde, ſo über—
füllt war die Kirche von Beſuchern. Ich hatte zu⸗
vor einen kleinen Morgenſpaziergang durch die ſtille
Landſchaft gemacht. Es war einer der herrlichſten
Herbſtmorgen, die ich je erlebt hatte. Tauſendfach
ſpiegelte ſich die friſche Morgenſonne, die in aller
Pracht am blauen Himmel ſtand, in den Thauperlen,
die an den Sträuchern und Gräſern zitterten. Die
ſtillen Berge ſtanden in leiſen Nebel gekleidet und
60
über dem ganzen Thale athmete die heilige Stille
des Sonntagmorgend. Dir war fo himmliſch wohl
zu Muthe, ich wandelte gottergeben und gottbefeligt
dahin; wie ein ftillee Segen ruhte der Morgengruß,
welchen ich von Louiſen erhalten Hatte, in meiner
Bruf. Ich verfprach aud Gott, der mir fo viel
Gnade erwiejen hatte, aus vollem Herzen zu danken,
indem ich fein heiliges Wort der andächtigen Gemeine
mit aller Begeifterung zu verkünden gelobte.
Und fo gefhah e8 auch. Nie entfann ich mid,
berebter, gottbegeifterter geſprochen zu haben, als in
jener meiner erften Predigt. Meine Worte, bie vom
Herzen kamen, mußten ja auch zum Herzen gehen.
Dazu warb ih von meinem fonoren Organe beiten
unterftüst. „Selig find, die da reines Herzens find,
denn fie werden Gott ſchauen.“ Dieſe herrliche
Wahrheit verkündete ich freutig der in anbächtiger
Stille laufchenden Gemeine. Wiederholt traten mir
die Thränen in die Augen, fo ergriffen warb id) durch
meine eigene Rede. Ein Gleiches war bei faft allen
meinen Zuhörern der Fall.
Als ich die Kanzel verlaffen und in die Sacriſtei
trat, fam mir der alte Burkharb entgegen, er um—
arımte mic ſchweigend und drüdte einen väterlichen
Kuß auf meine Stirn.
„Wahr geſprochen, mein Sohn,” ſprach er, auf's
Tiefite ergriffen; „Selig, die da reines Herzens find!‘
Gleich nad) der Kirche ließ mid) der Graf zu fich
aufs Schloß rufen. Er erkundigte ſich theilnehmend
nad) meinen Familienverhältniſſen, und als er er—
fuhr, daß ic binnen Jahr und Tag meine Studien
vollendet haben würde, gebot er mir, daß id mid
unmittelbar nah meinen Gramen bei ihm melben
folle.
61
Der ſchönſte Lohn für. meine Predigt ward mir
aber unftreitig zu Theil, als ich nadı dem Pfarrhaufe
zurückkehrte und in Louifen’8 Augen las, daß ich aud)
zu ihrem Herzen gejprochen hatte.
Auf den ſchönen Herbitmorgen folgte ein wo mög-
lid, noch jchönerer Herbſtnachmittag. Wir verbrad)-
ten ihn in dem ſchönen Garten der Pfarrmohnung.
Celbft ver Graf kam eine Stunde lang vom Schloſſe
herüber. Ich mußte ihm verfpredhen, noch im Yaufe
dieſes Jahres nad) Buchenheim zu kommen. Cinige
Weinbauern befchenkten mic mit einem Körbchen von
den erften reifen Trauben ihrer Berge, welche herr=
lihe Früchte von der Pfarrfamilie, dem Candidaten,
dem Herrn Better, welcher feine Predigt noch immer
nicht vollkommen auswendig fonnte, und mir in großer
Heiterkeit verzehrt wurden. Nie in meinem Leben
werde ich jenen vierzehnten Sonntag nad) Trinitatis
vergeſſen.
Reich beſchenkt mit Liebe und Hoffnung kehrte
ich nach der Stadt zurück, und daß ich mein Verſpre—
chen, recht bald wieder nach Buchenheim zu kommen,
nicht unerfüllt ließ, kann ſich der geneigte Leſer wohl
denken. Den dritten Weihnachtsfeiertag predigte ich
bereits das zweite Mal in der freundlichen Dorf—
kirche. Der Zubrang der Landleute war wo möglid)
noch größer, als das erite Mal.
Hatte ich mir aber durch die erſte Predigt die
Liebe Louiſen's erworben, fo. erwarb ich mir durch die
zweite die Hand bes holden Mädchens. Nach unge:
fähr vierzehn Tagen feierten wir die Verlobung.
Mein Eramen ging glüdlih von Statten. Ver—
ſprochenermaßen theilte ich jogleih dem Herm Grafen
die Nachricht davon mit, und binnen anderthalb
Jahren bezog ich die erledigte Pfarrftelle im Dorfe
62
Steinbah, was ungefähr eine Stunde von Buchen—
heim gelegen war, welche der Herr Graf zu vergeben
hatte, und wohin mir meine Rouife, als trautes Che-
gemahl, gern und freudig folge. Mein Lieblings-
ſpruch aber ift allezeit geblieben: „Selig, die da
reines Herzens find, denn fie werden Gott
hauen!“
Der geifferbefhwörer.
1.
Man hatte lange nicht den wohlbeſtallten Förſter
und Hegereiter Jakob Burkhard auf Einſiedel mit ſo
höchſt verdrießlichem Geſichte auf⸗ und abſteigen und
den Dreikönigsknaſter entſetzlicher qualmen ſehen, als
am Abende nach Walpurgis. Die beiden Jägerbur—
chen, welche in der einen Ede ber Kleinen Förfterftube
beim Abendbrote jagen, waren fhon ganz im Dampfe
untergegangen, und Balerie, die reizende Förſters⸗
tochter von fiebzehn Jahren hatte fi mit ihrem
Spinnrade in das äußerſte Fenſter geflüchtet. Dabei
berrfchte tiefe Stille im Gemach, nur von dem ein-
fürmigen Schnurren des Rades der fleigigen Spinnerin
unterbrochen.
Burkhard war jett mit feiner Pfeife zu Ende,
ftopfte eine frifhe umd der Opferdampf ftieg üppiger
auf, denn jemald. Da ward ed dem Mäpchen zu
arg, fie öffnete das Fenſterſchößchen ein Wenig, rieb
fih mit den Solofingern die Veilchenaugen und ſprach
verdrießlich: „Ah, Bater, Du dampfft heute wirklich
fürchterlich.“
„Die verdammten Heren,“ brummte Burkhard,
ohne ſich ftören zu laflen.
Jetzt tauchte die lange Geftalt des einen Jäger⸗
EtolTe, fämmtl. Schriften. XXII’. 5
66
burfhen aus der Wolkenſchicht empor, ſtreckte alle
zehn Finger wie drohend in bie Höhe, und rief in
heiferm warnenden Zone: „Meifter — Frevel —
Frevel — Frevel! —“
„Hätte können die Cholera am Leibe haben,“
fuhr der Raucher fort, „war Balli nicht für ein
Warmbier beforgt.“
„Die Griehen und Römer,” docirte der lange
Salomo Hinter der Dreikönigswolle, „erfundigten ſich
zuvor bei den Paſtoren ihrer Ephorie; dieſe ſchlach⸗
teten Hammel und gudten nad, ob's richtig. “
„Der Paſtor würde mir leuchten, meinte Burk—
hard, „ein Freigeiſt!“
„va iſt's auf anbere Art verjehen worden,” bes
hauptete Salome.
„Naſeweis!“ fuhr hier der Förfter zomig auf.
Auf das Nafeweis verfanf ver lange Salomo
wieder hinter ver Wolfe, aber fein Ohr biieb wach.
„sh Etwas verfehn,” fuhr Burkhard fort, „hatt’
ie nicht den fchönften Kreuzweg gewählt von Europia,
ba zwifchen der Eifenhütte und dem Tännig! Konnt’
ich’8 Sprüchlein nicht wie's Bater Unſer? Du weißt's,
Valli.“
Valerie beſtätigte die Wahrheit und frug, ob er
wirklich Nichts geſehn?
„Ich will nicht lebendig auf zwei Beinen ſtehen,“
betheuerte Burkhard, „wenn ich nur einen Beſenſtiel
geſehn, vielweniger einen completen Beſen mit der
Hexe darauf.“
„Sind wahrſcheinlich gar nicht ausgezogen,“ meinte
die Spinnerin.
„Der Bock iſt dabei geweſen,“ brummte Günther,
der zweite Jägerburſche, „er war den ganzen Tag
unruhig, er ſah übernächtig aus und zerzauſt.“
Ad
67
Salomo erhob fi wieder und ſprach: „Meiſter,
ich denuncire den Kater, er weiß um die Sade. Mehr
ſag' ih nicht.“ Er verfchtwand.
„Der Müllerfrige vor'm Jahre,“ fuhr Burkhard
ingrimmig fort, „Jah wenigftens Funken, auch bie
blieben weg, es ift zum Tollwerden!“
Valerie ward jet ſceptiſch und berief ſich auf dem
Schulmeifter, der die Heren für fabelhafte Individuen
erfläre.
„Aber wir haben's ſchwarz auf weiß,” widerlegte
ärgerlich der Vater, und Salomo ftand auf: „Mam⸗
fellica, e8 fagt ſchon der große greßbritannifche enge
liſche Poeta, der fih auf Bier endigt: Es huſchelt
und rufchelt BVielerlei, jagt er, zwiſchen Himmel und
Erde herum, von dem unfere Philofophie ganz und
gar nichts träumt.“
„Sa, das fagte der Brite,” befräftigte der För⸗
fter, „und die Komödianten in der Stadt beftätigen
e3 Öffentlih und rund heraus, und die zuhörende
Durchlaucht und das höchſte Hofperfonale findet es
in ber Ordnung; ungläubiges Kind!“
„Aud bie Griechen und Römer,” fuhr Salomo
fort, „können ein Liedchen fingen, da ftad Alles voll
von Ueberirbifhen, Geifter und Kobolde von allen
Branchen, in jeder Hafelnuß ſaß einer, in jebem
Baumftrunf, in jedem Telfenloche, fein Apfel konnte
zur Erde, fo voll war's von dem Geziefer.“
‚Nur ih Unglüdliher muß mit Blinpheit ge=
ichlagen fein, und fehe nichts, jammerte Burkhard.
„Ih will's nur geftehen,”. fuhr er nad) einer Pauſe
mit gepreßter Stimme fort, „micht einmal den Kobold
ber Frau Katharine hab’ ich gejehen, den alle Leute
im Dorfe fennen, mit dem die Großmutter feliger
auf ganz vertrauten Fuße gelebt; mögt’8 nun glauben
. 5 *
68
oder nicht, ſelbſt Fein Erdzwerg, wie ſolches Bolt
doch. ſchaarenweis herum Läuft, nicht einmal folh ein .
verächtlicher Knirps ift mir je in den Weg getreten,
und hat mid; eined Blickes oder Wortd gewürdigt.
An einen Heinen Alraun, an ein niebliches Wichtel-
männden, capriziöfen Spukteufel will ih gar nicht
denken.“
Die beiden Jägerburſchen ſeufzten tief, ob ſolches
auserleſenen Mißgeſchicks, und die federſchleußende
Sabine, die alte Magd, ſchlug drei Kreuze.
„Aber morgen kommt der Student,“ N eöftete ſich
Burkhard, „der hat nicht umſonſt Vocabein gelernt,
und im Carzer geſteckt, der iſt bewandert, der giebt
mir ſchon Rath, er hält was auf mich.“
Jetzt that ſich die Thür auf, Nachbars Röschen,
ein Mädchen von Balerien's Alter, ſchlüpfte herein
und nahm Platz neben letzterer.
„Ich komme nur auf ein Sprüngelchen,“ ſprach
ſie feris „„weißt Du's ſchon Valli, und der Herr
Förſter?
„Was denn?“ fragten dieſe mit einem Munde.
„Nun ſtellen Sie ſich vor,“ erzählte Röschen,
„die Kieſewalter's, das reiche geizige Volk, haben das
große Loos gewonnen.“
„Das große Loos?“ riefen Alle und Burkhard
ließ vor Erſtaunen die Pfeife fallen.“
„Hunderttauſend Thaler, fuhr Röschen bekräfti—
gend fort.
„Hunderttauſend Thaler!“ tönte es verwundert
im Echo wieder.
„Aber das geht nicht zu mit rechten Dingen,“
ſprach die Botſchafterin.
„Das glaub' ich,“ nickte Burkhard.
u |
69
„Das wiflen wir beſſer,“ meinte Röschen geheim⸗
nißvoll.
„Hunderttauſend Thaler,“ murmelte der Forrſter,
der vor Verwunderung noch gar nicht zu ſich ſelbſt
kommen konnte.
„Das macht das Mätzchen,“ flüſterte die Nach
barin etwas leife zu Balerien.
„Was für ein Mätschen?” frug ſogleich der Vater,
der das Geflüſter wohl verſtanden.
Nöschen wollte nicht mit ber Sprache heraus,
aber Burkhard nahm ſogleich Platz neben der Ge—
heimnißvollen und fing an zu belagern, zu pouſſiren,
zu flattiren, zu inquiriren. Da kam's heraus. Die
Feſtung ergab ſich „und ſprach: „Aber Herr Förfter,
wenn ein Wort —“ .
„Wie's Grab fo ftumm,” betheuerte dieſer, „aber
nur weiter; welche Bewandniß hat’8 mit dem Mät-
en ?“
„Iſt halb Kobold, halb Eidechſe,“ fuhr Röschen
geheimnißvoll fort, „und wird gefüttert im Neumond.”
„Auch erzählen ſchon die Griechen und Römer,”
fiel Salomo ein, „ven ähnlichen Kreaturen, den:
Sprenen, waren halb Mamſell, halb Hecht.“
„Halt Er's Maul mit den Griechen und Römern,“
ſchrie Burkhard den Antiquar an, und zu Röschen
gewendet, dringend: „Nun?“
„Bringt Nahrung und Geteihen in die Wirth-
ſchaft,“ erzählte dieſe weiter, „aber ter Urian ftedt-
dahinter unmittelbar, holt den Segen und die Sippe
dazu.“
„Und die hunderttauſend Thaler?“ frug der Förſter.
„Iſt Satans Geld,” ſprach die Erzählerin, „zer-
läuft wie Butter in der Sonne und läßt zurüd Heu-
len und Zähneklappern.“
70
„Run, Gott fei Dank,” tröftete ſich Burkhard,
„ich hab’ die Niete auf's Achtel, aber fehen möcht' ich
das Kerlchen.“
„Macht fich rar, verficherte vie Bewanberte, „aber
die Wafchweiber haben's gefehen leibhaftig und fünnen’s
befhwören vorm Amtmann und Gott.”
„Spricht's denn?” forjchte Burkhard weiter.
„Discutirt wie gebrudt,” verſicherte Nöschen, „ver
Paftor muß fich veriteden, beweift den Leuten, daß
zweimal zwei finf und der Teufel ein Eichhörnchen iſt.“
Salomo, der fih mit feinen Citaten nicht mehr
berauswagte, brummte vor fih bin: „bei den Syre⸗
nen war's auch jo, fangen wie nah Noten, ohne
Generalbaß und Alles.“
Burkhard, in der Meinung, Salomo habe etwas
zur Charakteriftil des Mätzchens gemurmelt, ermahnte
the, lauter zu reden. Das gab dem Burſchen Muth,
er erhob ſich«
„Bei den Syrenen,“ ſprach er, „war's accurat
ſo; die Griechen und Römer —“
„Hol' ihn der —,“ fuhr Burkhard getäuſcht auf
und neigte ſich wieder zu Röschen, um Näheres zu
erfahren. Das Mädchen aber warf einen Blick nach
der Wanduhr, erſchrak und rief: „Gute Nacht, Valli,
morgen ein Mehres, Herr Förſter!“
Sie entſchlüpfte. „Zitteraal,“ brummte ärgerlich
der Alte. Dann ging er eine Zeit lang gedankenvoll
in der Stube auf und ab, klopfte die Pfeife aus und
ſprach, wie zu ſeinem Troſte: „Nun, morgen kommt
der Student.“
71
2.
Der Student Sigismund war am folgenden Mor-
gen wohlbehalten angelangt und ſaß bereits mit
Burkhard in der Laube des Gartens beim Frühſtück.
Zu Beiver Verdruß hatte fih auch ein benachbarter
College des Förſters befuchsweife eingefunden, eine
alte ehrliche Haut, welche durch ihre höchſt profaifchen
Broden und Bemerkungen, die fie von Zeit zu Zeit
in das Geſpräch über die Natur der Geifter einfchob,
bie zwei Metaphyſiker nicht wenig annuyirte.
„Dummes Zeug,” brummte Valentin, fo hieß der
College, als der Student, welcher Burkhard ſyſtema⸗
tiſch in die Geheimniſſe des Geifterreichd einweihte,
eben ein geiſtreiches Kapitel über die Sylphiden be—
endigt hatte und ſich an dem Triumphe ſeines Vor—
trags weidete, der ſich auf dem Geſichte feines er⸗
ſtaunten Wirths deutlich genug ausſprach, „dummes
Zeug, an dem luftigen Volke iſt kein wahres Wort;“
dabei that er einen heftigen Schnitt in den vor
ihm ſtehenden Schinken und ſägte ſich ein appetitliches
Stück ab.
„Natürlich,“ ſprach Sigismund, mit mühſam un—⸗
terdrücktem Ingrimme über die fortwährenden Ein⸗
ſchiebſel und allen Eindruck ſtörenden Randglofſen
des Frühſtückenden, „wo der Leib rohen irdiſchen Be⸗
dürfniſſen fröhnt, liegt der Geiſt darnieder in ſchmäh⸗
licher Feſſel und die höhere Welt bleibt ihm ver—
ſchloſſen.“
„Mein Geiſt Liegt weder noch ſteht er,” ant⸗
wortete gelehrt Valentin, „der ſitzt, und zwar im
Kopfe, darüber ſind alle Gelehrten eins, aber mit
dem luftigen Volke da, ich mag die Namen gar nicht
| | 12
in den Mund nehmen, ift nichts, da müßte mir in
meiner langen Praxis aud etwas vorgefommen fein.‘
„Sie find, was man fo zu fagen pflegt,“ warf
der Student in ziemlich verächtlihenm Tone hin, „ein
fimpler Materialift.”
Der Schinfeneffer, welcher viefes Prädikat im
faufmännischen Sinne nahm, fand fich jehr beleibigt,
ward grob und fprad: „Mosje Magifter Lobeſam,
wähl' Er feine Redensarten beifer, ih bin wohlbe-
ftallter Nevierförfter und Hegereiter zu Hammelshaufen,
weiß Er das?!“
„Sancta Simplicitas!““ lächelte mitleivig der Auf-
ſchließer des Geiſterreichs.
Valentin hielt dieſen lateiniſchen Ausruf für ein
Schimpfwort und gerieth noch mehr in Harniſch.
„Ja,“ ſprach er erboſt, „immer red' Er ausländiſch,
glaubt Er, ich verſtehe ſeine Injurien nicht? Ich ver⸗
ftehe fie gar wohl. Ihn fol das —“
Burkhard legte ſich in's Mittel und ftiftete Frie⸗
den. Nach langem Zureden fuhr der Student, in
ſeiner Geiſterſeherei fort, Valentin frühſtückte weiter,
jedoch mit ziemlich ungläubigem Geſicht, aber der Wirth
war ganz Ohr.
Die Lehre über die Waflerniren war abſolvirt,
man kam zu dem Geſchlechte der Erdgnomen, das in
viele Gattungen zerfällt. Die Vorleſung war äußerſt
gelehrt. Burkhard ſchwamm im dritten Himmel, nur
dem Valentin riß ſchon wieder die Geduld. Er ſprang
auf und rief:
„Der Sperber ſoll mich holen, wenn ich all das
Zeug glaube. Wenn ich auch das Petermännchen zu—
gebe, das kleine kurioſe Ding, aber mit dem andern
Volke iſt's nichts.“
„Alſo an das Petermannchen glauben Sie, wohl⸗
—
73
beftallter Herr Hegereiter ?” fragte lachend ber
Student.
„So halb und halb,” geftand diefer zu, „es find
mir gar zu viele glaubwürbige Berichte darüber zu-
gefommen, auch glaubte ich's einmal gefehen zu haben,
ganz im Spätherbft war's.‘
„Wirklich geſehen?“ fuhr Burkhard unwillfürlich
auf, „Du Glüdsfind haft mir davon noch fein Ster-
benswörtchen erzählt!‘
„Ich kann mich auch getäuſcht haben,“ ſprach
Valentin. |
„Mein verehrter Herr Hegereiter,“ fuhr der Stu-
dent fort, „können Sie fi wohl das Petermännchen
natürlich erklären?“
„Das hält fehwer, war Die Antwort.
„Alſo glauben Sie an Uebernatürliches?“ fragte
Sigismund weiter.
„Dan muß wohl,“ erwiederte erſterer.
„Nun da begreif' ich aber nicht,“ meinte der
Student, „warum Sid die Exiſtenz aller der Geiſter,
von denen ih vorhin ſprach, geradezu abläugnen..
- Glauben Sie denn, daß fi das ganze Univerfum
tes Weberirdifchen auf Ihr Petermännden beſchränkt ?“
Balentin, durch Sigismund's Logik in die Enge
getrieben, antwortete ärgerlich, „er befafje ſich nicht
mit ſelchen Lebensfragen.“ Der Eraminator aber
ließ nicht nach, kühlte fein Müthchen und brachte den
armen Hegereiter allmälig zur gelinden Verzweiflung.
Weder vor- nod) rüdwärts könnend fprang der
GSeplagte endlich auf und ſchlug erboft mit dem abge—
Ihälten Schinfenbein auf den Tiſch:
„Und ich glaub’8 doch nicht, das Teufelszeug,“
rief er verftodt, „ift Alles blauer Dunft troß Des
monftration.” Nach dieſem Ultimatum ergriff er jedoch
74
fogleih die Flucht aus der Laube, um nicht von
Neuem auf die logijche Folterbank des Studenten ge=
ſpannt zu werben.
„Gott ſei's gevanft, daß wir ihn Los find,”
ſprach erleichtert Burkhard, rüdte dem Studenten ver-
traulih näher, ſchenkte vie Gläſer voll und ſchien
etwas Wichtiges auf dem Herzen zu haben.
„Sie ſehen an dieſem Subjecte,‘ ſprach Sigis⸗
mund, „wie ungleich die Gaben der göttlichen Einſicht
vertheilt find; während Sie, hochgeehrtefter Herr För⸗
fter, mit fo vegem Sinn begabt, zur Anfhauung der
geheimnigvollen Wunderwelt, ift viefer Idiot fo tief
in die gemeine Thierheit und rohe Sinnlichkeit verfun-
fen, daß das geijtige Princip nie zu nur einiger Ober:
herrſchaft bei ihm gelangen wird.“
„ah, ja wohl,” ſeufzte Burkhard, „am regen
Sinne fehlt mir es nicht, - und gleihwohl bin id
mit Blindheit gefchlagen und fehe nichts, pafjirt mir
nichts.”
„Kommt Zeit, fommt Rath,” tröftete Sigismund
mit vielverheißendem Zone.
„Alſo wäre noch Hoffnung,” frug der Wörfter er⸗
leichtert und ward immer vertrauliher. „Zrinfen
Sie, Herr Candidatus!“
Diefer hob mit Pathos das Glas empor umd
deklamirt:
„Die Geiſterwelt iſt nicht verſchloſſen
Auf, bade Schüler unverdroſſen
Die ird'ſche Bruſt im Morgenroth.“
Burkhard faßte jetzt Muth und rückte mit der
Sprache heraus. „Hochgeehrteſter Herr Candidatus,“
begann er, „in Kurzem wird, wie ich in Erfahrung
gebracht, unſer durchlauchtigſter Herzog mein Revier
mit ſeinem allerhöchſten Beſuche beehren. Ich bin da
75
ſein Factotum und wir ſtreichen durch Dick und
Dünn, nun muß mir ſelbſt der Neid laſſen, ich war
früher ein trefflicher Schütze, die Schwalbe war nicht
zu ſchnell, ich holte fie herunter, das Viergroſchen—
ſtück nit zu Mein, ich padte es auf zweihundert
Schritt, aber das will heutzutage nicht mehr fleden,
fo daß mir fhon das Lettemal Seine Durchlaucht
mit ihrer höchſten Hand auf die Schultern zu Klopfen
geruhten und ſprachen: Burkhard, mit und Beiben
geht es rüdwärts! Ich erſchrak jo darüber, daß ich
zu zittern begann, denn im Geiſte erjchien Die ganze
junge Brut, die faum ‚von der Alademie beim, das
Blaue vom Himmel herunter ſchießt und nach meinem
armfeligen Förſterſtellchen lungert wie der Satan nad
einer armen Seele. Der Herzog, der mein Zittern
bemerkt, lachte und ſprach: Burkhard, ſei Ex fein
Narr, jung bleiben wir einmal nicht. Sehen Sie,
mein hochverehrteſter Herr Candidatus, nun möcht’
ih für’ Leben gern, daß Seine Durchlaucht beim
nächſten Beſuch zu. mir fugten: Burkhard, Er ift ein
ZTeufelöferl, das mad’ ich nicht nad, und daß ich
dreift erwiederte: Ew. Durchlaucht, wollen Ew. Durch⸗
laucht geruben, Ihro höchſteigne Blide da oder dort⸗
hin zu wenben, va freift ein’ Sperber und dort ftößt
ein Raubgeier, wie wär's, ich hol’ ihn? Hol Er
ihn, würde der Herzog fagen. Buff, excellent, und
der Räuber läge zu unjern Füßen. Sehen Sie, mein
geſchätzter Herr Candidatus, da ift mir in meiner
Einfalt die große Idee aufgeftiegen: Wie wär's,
wenn mir durch Geifterhand das Geheimniß offenbar
würde, Freikugeln zu gießen. Verſteht fi, ver
Urian müßte aus dem Spiele bleiben, den brauchen
wir gar nicht, die Geilter find fo gefcheute Leute,
wie Er. Allenfalls wollt! ich mich dazu verjtehen,
16
dem Herrn Urian, weil wir ihm in’8 Handwerk grei-
fen, durch ein monatliches Deputat Wildpret das
Maul zu ſtopfen, und nun, mein verehrteſter Herv
Candidatus, was ſagen Sie zu der koloſſalen Idee?“
| Sigismund machte lange ein ehr nachdenkliches
Geſicht. „Die Sache bat viel Schwierigkeiten, ſprach
er enblich.
„Das glaub’ ih, Werthgeſchätzteſter,“. fiel Burke
hard ein, „aber wer fo intim mit der ganzen Natur=
geſchichte der Geifter, ich follte glauben —“
Der Student ſchwieg lange und in feinem Inner⸗
ften jchien ein Gedanke aufzugeben. Ä
„Rur ein paar Iumpige Kugeln,” fuhr der Fürs
fter fort, „ein wahres Bagatell für die Herren: Gei⸗
fter, fällt ihnen darum feine Perle aus der Krone,
einen alten Mann glüdlich zu machen, ver ſich vier-
sig Jahre lang geplagt für Gott, König und Va⸗
terland.“
„Die Sache verdient der reiflichfſten Weberfegung,”
meinte der Stubdent.
„3a, überlegen Sie, hodhgefhäßter Freund und
Gönner,“ ermahnte ver Freifhüß in spe.
„&s find da zuvor nod) manche Hinderniſſe aus
dem Wege zu räumen.“
„Räumen Sie, räumen Sie, mein lieber Herr
Candidatus, ich helfe,“
„Wenn Sie mir. aufridhtigft an die Hand gehen
wollten, Herr Förfter —
„Mit Leib und Seele,” rief diefer, — „nota bene
Freundchen, der Urian, der Samiel bleibt aus dem
Spiele, mit dem Kerl wil id Nichts zu fchaffen
haben.‘
„Der bleibt hinweg, mie billig,‘ verfiherte Si—
gismund.
17
„un, da gebieten Sie, Freundchen,“ rief er-
leichtert der Fürfter.
„Großer Opfer bedarf es gat nicht,“ meinte das
Freundchen.
„Um ſo beſſer, Candidatchen.“
„Ich baue auf Ihre Mitwirkung und Diseretion,
Herr Förſter.“
„Häuſer, Häuſer, Felſen, Vorgebirge, was Sie
wollen,“ rief dieſer zugeſtehend.
„Sehen Sie,“ rückte der Student näher heran,
„die Sache ließe ſich allenfalls arrangiren.“
„Ich bin Ohr, Candidatchen, weiter —
Dann ift aber Das erfte Bedingniß, daß ich mit
Luft und Liebe an das Werk gehe.“
„Derjteht ſich.“
„Frohen Herzens und frohen Muthes,’ fuhr ver
Student fort.
„Recht und billig.”
„Aber nein Herz ijt betrübt, mein Muth dahin,
tiefer Schmerz wohnt in meinen Innern,” fprad)
Sigismund im bumpfen Tone.
„Muß heraus!‘ entſchied Burkhard fchnell.
„Wird jchwer halten,“ feufzte ver Geifterfundige.
„Valerie verwirft meine Anträge und ich habe bie
redlichſten Abfihten —“
„Schnickſchnack, das Mädel weiß nicht, was es
will.“
„Binnen Jahr und Tag find meine Studien ab-
ſolvirt, an Gönnen fehlt mir's nicht, eine gute
Pfrünvde fann mir nicht entgehen.“
„Weiß es, weiß, werthgeſchätzter Herr Candidat,
aber fie wird ſich beſinnen“
„Wenn ein Wort von Ihnen —“, bat der ver⸗
ſchmähte Ließhaber.
78
„Sie wird ſich beſinnen, das iſt meine Sorge,“
entſchied Fräftig der Förſter.
„Run denn, rief Sigismund auffpringend, „Herr
Vörfter, meine Hand, fo wie ich das Jawort habe,
gehen wir an's Wer.“
„Herzens Candiratchen, “rief entzückt Burkhard—
den Schwiegerſohn in Hoffnung umarmend, „wenn's
weiter nichts if.”
Man fchenkte noch einmal die Släfer voll und.
trank auf glüdlihen Ausgang der Sache.
3.
Balentin war in feinem Aerger nad) dem Sörfter-
haufe zurüd gelehrt. Er traf hier auf Valerien, die
er fogleih in Beihlag nahm.
„Bali,“ fprah er vol frommen Eifers, „Du
bift eim gutes, aufgeflärtes, menſchenfreundliches Kind,
laß Did mit jenem Schlucker nicht ein in der
Laube.“
Valerie ſah ihn fragend an.
„Der iſt voller Lug und Trug,“ fuhr der Er—
mahner fort. „Mich wollt' er auch umgarnen, da
kam er an. Sich an einen ſo aufgeklärten Mann zu
wagen. Er hat's gebüßt.“
Valerie war ganz erſtaunt.
„Laß Dich nicht berücken,“ fuhr Valentin ein—
dringlicher fort, „bleib ein fromm Kind, halt an
Chriſtum, wie ich. Deinen Vater hat er jetzt beim
Kragen, bald ganz, aber ich ſchreie noch ein Wort da⸗
zwifchen, eh’ ihn der Schwarze holt.”
19
„Ihr macht mir bange, Herr Valentin,” ſprach
nicht ohne einige Beklemmung das ſchöne Mädchen.
„Dacht's gleich,“ fuhr jener fort, „die Teufels:
fcartefen,, die jener Yumpacius dem Burkhard gefchidt,
die haben ihn den Kopf verdreht.‘
„Ja wohl,” jeufzte Valerie, „ſeit der Vater über
jenen Büchern fit, ift er ganz umgekehrt.“
„Uber ich fehe hen, wo der ganze Spuf hinaus
will,” ſprach der Forftmann, „o, man ift nicht jo
dumm, als es vielleicht den Anſchein hat.”
„Wo denn hinaus?” frug zaghaft Balerie.
„Sieh'ſt Du, mein aufgewedtes Kind,“ fuhr jener
fort, „daß der Schluder in der Laube an all das
Zeug felbft glaubt, das mag er einem Andern weiß
machen, aber er weiß, 's ift einmal Burkhard's
ſchwache Seite. An dieſe attachirt er ſich und denkt,
hab ich einmal den Alten, kann mir das Mädel nicht
entg gen
alerie that, als verſtände fie den Sprecher nicht.
„Biſt ja ſonſt nicht auf den Kopf gefallen,“
ſprach dieſer ärgerlich, „nun heirathen will Dich der
Mosje, einfältiges Ding, geht aber den krummen
Weg und ſteckt ſich hinter den Alten.“
„Das iſt luſtig,“ lachte das Mädchen, „und darum
die geiſtigen Vorleſungen?“
„Ich finde da gar nichts Luſtiges, Mamſell,“ fuhr
Valentin immer ärgerlicher fort. „Ein Liebhaber,“
ſprach er lauter, „ver den Vater mißbraucht, um die
Tochter zu capern, den fol — ja den fol,“ rief er
erboft, „der Teufel holen. Er kann's hören, der.
Urian von Salamanfa over wo er fonft her iſt.“
„So mäßigt Euch doch,“ bejänftigte Valerie.
Ber Zeugen und Notar jag’ i ich'8, “. fpeftafelte
— — Teufel fol fo einen Amouren holen.“
80
„IH werde ganz böfe, Herr Balentin —“
„Und auch mich will der Kerl chikaniren, der ich
vorgeritten vor Sr. Durchlaucht, fo ein Naſeweis —
nun da fol doch gleich —“
Balerien gelang es endlih, den durch feine eig-
nen Worte in Harnifh Gerathenen, zu beruhigen.
„Hier meine Hand,” ſprach fie, „Ihr follt mich nie
ein freundlich Wort mit dem Studenten fprechen hören.‘
Balentinen aber ſtak der Aerger noch zu tief im
Blute. „Chriftus Gottes Sohn!” rief es, „Ohr
Frauenzimmer, thut mir nicht fo zuverfichtlih, wenn
vom SHeirathen die Rede iſt.“ |
Seht ward das Mädchen böſe und ernft und ent-
fchied entjchloffen: „Eher ftürze ich mich von dem Ei-
chenfelſen in den See, ehe ih dem die Hand gebe.”
„So ſprach die neulich in ver Oper auch,” brummte
Balentin, „zum Glück kam's nicht zum Sprung.”
„Immer fpottet,” ſprach Valerie, „ich halte Wort,
Ihr werdet ſehen.“
Der halb ernfte, halb wehmüthige Ton dieſer
Worte machte den Waidmann aufmerkſam. Er be-
tradhtete das todesmuthige Förfterfind, dann rieb er
fih die Stine, als fänne er über Etwas nad), ward
freundlih, klopfte Balerien auf die Sammetwange,
und fprah: „Muß es ja glauben, Feiner Schelm,
aber wär’ der Johannes nicht, hätt’ ih doch Red.
Nun,” fuhr er fort, „närriſch Ding, brauchſt nicht
roth zu werden, Johannes ift ein lieber Kerl, ächt
und braves Waidmanns-Geblüt, gegen den fich der
Vitzliputzli dahinten verfteden muß.
„Wie Ihr auch wieder ſprecht,“ ftammelte erröthend
das Mädchen. „Ic verftehe Euch gar nicht.”
„Es ift Jammerſchade, daß ich ihn nicht behalten
ne:
. 24453
-_ ade ’
81
konnte,“ fuhr Valentin fort, „der brave Burſche ge—
wann ihn lieb in der erſten Stunde. Alſo das iſt
der ſcharfe Schütze,“ lachte er behaglich, „ver der gu-
ten Valli Herz getroffen; ja das glaub' ich, der
brauchte nicht dem Papa Vorleſung über den Teufel
und ſeine Großmutter zu halten. Nun in Gottes
Namen, da hab’ ich Nichts dagegen — nur der Saf-
fafraß nicht, dieſer Derwiſch. Aber — ift denn das
Mäpdchen geblieben?”
Balerie, als Valentin auf das Evangelium des
Johannes gefommen, war, während jener an feinen
Feuerſtein Feuer ſchlug, unvermerkt entfchlüpft, fo daß
des Waidmanns letzte Declamation nur dem Banko,
dem Hühnerhunde, zu Gute kam, der vor ihm ſaß
und aufmerkſam zuhörte.
4.
Dem betrügeriſchen Studioſus war es bald ge
lungen, durch fein myſtiſches Geſchwätz ben alten
Burkhard völlig auf feine Seite zu bringen. Balen-
tin war nad einen heftigen Streit über feines Col-
legen Leichtgläubigkeit, worin ihm das Wort „Schafs⸗
kopf“ entfloben, im Zorne geſchieden, und die arme
Balerie nun ganz ſchutzlos den wiverlichen Bewerbungen
des Stuventen und ber eben nicht zarten Behandlung
des verblenveten Vaters Preis gegeben.
Es war ein naßfalter, dunkler Abend, Der
Sturm rüttelte unaufhörlich an dem Giebel und den
Fenſterladen der Heinen Förfterwohnung, und in ben
Kronen der hohen Fichten des nahen Waldes heulte
und braufte e8 in wunderlichen Tönen.
Stolle, fämmtl Schriften. XXIII.
82
Sigismund, der feine Gelegenheit unbenutzt ließ,
die Phantafie des Förſters für feine Zwecke zu bear-
beiten, hielt eben wieder eine äußerſt große und fpuf-
hafte Borlefung, worin er von Salome, ver gleihjam
für feinen Famulus gelten konnte, nad) Kräften unter-
ftägt warb.
Der Student mochte noch jo Widerſinniges zu
Markte bringen, Salomo beftätigte es allemal mit
Erfahrungen aus feinem Leben und aus dem ter
Griechen und Römer. Ueberall war er dabei geweſen,
und hatte er ja einmal einen Spuf verfäumt, fo hatte
denjelben doc irgendwo ein Freund genau beobachtet
und ihm darüber genauen Bericht erftattet.
Balerie ſaß mit verweinten Augen in der Ede
beim Spinnrabe.
Eigismund that jet einen Yug aus dem Grog⸗
glafe, fette e8 vor fich hin und horchte mit gejpannter
Aufmerkſamkeit auf das feltfiame Heulen des Sturm-
winds in den Gipfeln der alten Fichten. Burkhard
und Salomo thaten e8 dem Studenten nad) und es
entftand eine tiefe unheimliche Stille im Zimmer,
welche der hohle Ton des Sturmes nur noch unheim—
licher machte.
„Die Sturmgeifter“, begann der Student nad)
einer Paufe, „find dieſe Nacht ſehr geſchäftig, fie haben
etwas im Werke, aber die Stimmen find verworren.”
— Er laufchte weiter und Salomo erhob fi:
„Meifter,” ſprach er, „die Griechen und Römer
fagten bei Iotcher Sturmwirthſchaft, Herr Aeol nimmt
die Baden voll.
Burkhard winkte mit der Hand Ruhe, damit der
Student nicht geftört werde. Nach einer Pauſe fuhr
Letstrer fort, in dumpfen abgebrodhenen Säßen:
„Ein ewiged Ringen und Kämpfen, feine Partei
83
will fich ergeben — vor Mitternaht muß der Kampf
entjchieden fein — der ſchwarze Molo führt feine Fel-
fengeifter herauf, bie feit Ewigkeit .in den Klüften
jchliefen — aber. die höhnifchen, vorlauten Luftgeifter
fahren lachend und pfeifend über die dumpfbrummenden
Riefen. ‚Hört Ihr's nicht, wie fie fich neden, Herr
Förfter ?“
„Es ift mir fo,” meinte diefer und fpannte Ohr
und Phantaſie zugleih an, um in dem veriworrenen
Sturmbraufen den Geiſterlampf zu entdecken.
„Die Brummer,“ commentirte Salomo, „ſind ein
höchſt ungeſchlachtes Volk, die Pfeifer aber deſto ma⸗
litiöſer. Schon die Griechen und Römer —“
„So halt das Maul, wenn id Etwas verſtehen
ſoll,“ zankte Burkhard; „ber Guckuk mag fi da in der
contplicirten Sturmſchlacht zuredht finden, wenn ber
Maulaffe immer dazwiſchen ſchreit.“
" Wieder lanfchte man eine Weile. Da begann der
Student feinen Sermon von Neuem, aber feine Stimme
ward immer bumpfer, feine Rede immer myſtiſcher.
„Burkhard;“ rief er jest auffpringend, und fahte den
Eſſchrodenen krampfhaft beim Arm, „dieſe Nacht bringt
Euch nichts Gutes, die Stimme des Sturmes hat
mir's verrathen.“
„Auch ging der Kater,“ bekräftigte Salomo, „den
ganzen Tag wie vor dem Kopf geſchlagen herum, den
Schwanz wohlweislich eingezogen.”
„Was ift da zu thun,“ fragte erfhroden ver Alte,
„iſt der Geiſter Zorn nicht zu verjühnen ?“
„Drei rothe Striche über vie Thür mit Bocksblut,“
rietb Salome.
Immer fürdhterlicher tobte ver Sturm, die hohen
Fichten krachten und nicht ſelten fiel ein Siegel vom
6
84
Dache des Förſterhauſes. Burkhard warb immer
bänger, er-ergriff bie Hand des Studenten.
„Candidate, was habe ich zu thun,” frug er
angftbellommen, „giebt'8 Tein Mittel?”
„Haltet feft im Glauben zu mir,“ ſprach dieſer,
„das ift jetzt das einzige was ich rathen kann, gegen
zwei vereinte Seelen haben bie Geifter weniger Macht,
und wären fie noch fo ſtark; aber ftill jest, vielleicht
daß mir aus den Stimmen des Sturmes nod ein
Mittel fund thun wird gegen die drohende Gefahr.”
Und wieder laufchte Allee. Der Sturm wäthete
fort. Ein Stamm, ven er im nahen Walde entwur-
zelt hatte, brach jet mit vumpfem Geräuſch zufam-
men, dabei praffelte der Negen ununterbrochen an bie
‚wohlverriegelten Yenfterlaben.
Ein Schauer überlief Burkhard bei bem Toben
der Natur und felbft Balerien, dem muthigen Förſter⸗
— ward es ganz unheimlich zu Muthe. GSigie-
mund lauſchte fort.
Da mit Einemmal ertönte ein Klopfen an ber
Hausthür.
„War das nicht Klopfen?” frug leife und zähnes
Happernd Burkhard.
u wohl,” ſprach Balerie, „wer kann das nur
ein?
„Es war wohl der Sturm,” tröftete ſich der
Vater. Man horchte ſtill.
Da klopfte es wiederholt und ſtärker.
„Um Gotteswillen, Candidate,“ ſtammelte Burk⸗
hard, „ſollten ſchon die Geiſter — aber die ſpectakeln
noch draußen im Walde —“
„Iſt wahrſcheinlich blos eine Deputation,“ meinte
Salomo kreideweis.
85
Und zum Dritten Hopfte und raffelte e8 an ver
wohlverſchloſſenen Thür.
„Es it gewiß ein Reiſender, der fih in bem
Unmetter verlaufen,” ſprach jet muthiger Valerie,
„Salomo mag dody nachfragen.“
‚Ber Heißt ihn fich verlaufen ‚“ verfeßte Burk⸗
hard, „ed wird nicht aufgemacht.“
„Sa, wer beißt ihn fich verlaufen,“ zähneflapperte
Salomo, der nicht viel Luft verſpürte, den fihern Plat
binter dem Tiſche zu verlafien.
„Aber nachfragen möchten wir doch,“ ſprach ber
Student, ven bie Neugierde plagte ob des nächtlichen
Beſuchs. „Sind es die Geifter, fo ift es nicht po—
litiſch, fie jo lange bafeliven zu laffen und ihren Zorn
zu veizen, fie fahren fonft leicht zum Schornftein herz
ein und willen ih zu rächen.”
Wohl wahr,” verfegte zitternd Burkhard, „alfo
nein ' Salomo, nimm ein Licht und frage nad, aber
fet höflich und befcheiven, bie Herren Geifter könnten
Die fonft ven Kopf umdrehen, das Geficht im Naden.”
Salomo griff umwilllürlih nah feinem Kopfe,
. um fi zu überzeugen, ob er noch in ber richtigen
Lage ſäße. „Meifter,” proteftirte er, erjchroden über
den gefährlichen Auftrag, „mich ſchickt nicht, wenn Ihr
ein Unglüd verhüten wollt. Ihr kennt meine Hige,
Ich bin kurz angebunden.”
„So mäßige Dich,“ ermahnte Burkhard, „und
frage nad.“
„Und wenn fo ein bligblauer Geift mir etwa Ser
tifen jagt, Meifter, ich kenne mich da nicht mehr, es
wird nicht gut.”
„Einbildung,“ ſprach der Förſter, „Du gehſt,
Salomo, und befolgſt meinen Befehl. Ich würde
86
es ſelbſt thun,“ wendete er fih zum Studenten,
„wenn ich Thon das Glück gehabt,. mich mit Geiftern
zu unterhalten, aber jo weiß ich mich durchaus nicht
zu benehmen.
„Run, ich erſt,“ verfiherte Salomo, „ich. muß
ihnen ein wahrer Greuel und Scheuel fein, id biu
grob und die Geifter fein, da kann gar nidhts Gutes
berausfommen.”
„Ungehorfamer Burſche, feige Memme, wirſt Du
gehen!“ rief jetzt Burkhard erboſt.
„Immer injuriren Sie, Herr Förſter, ſchlagen
Sie mich braun und blau; daran ſterb ich nicht, ich
vertrage jhon Etwas; das Schmerzensgeld entgeht
mir nicht; Die Kurkoften tragen Sie, Chrenerflärung
obendrein; aber - bei der hochedeln Geifterzunft anfra⸗
gen, das laß ich wohl bleiben, ich kenne mich, ich bin
ein Grobian, fadgrob, wenn's fein muß, und bie
Geiſter verftehen feinen Spaß. Ich ftehe in der Blüthe
meiner Jahre und habe noch feine Luft mich im Rüden
zu beihauen mit verbrehtem Halſe. Ich bin nicht fo
neugierig und habe in meinem Steben nicht verlangt
dahin zu ſehen.“
Das Klopfen und Raſſeln an der Hausthür ward
immer heftiger.
„Da hören Sie's,“ fuhr Salomo fort, „vie luf⸗
tige Gefellfihaft wird immer maffiver. Ohne Hale-
umdrehen geht's nun gar nicht mehr ab. Schon die
Griechen und Römer —“
„So werd’ ich ſelbſt nachfragen,‘ ſprach entfchlof=
fen Balerie, ergriff ihr Lämpchen und eilte nad) ber
Hausflur.
„Ein Blitzmädel,“ brummte Burkhard, und zu
Sigismund gewendet frug er beforgt, „fie werten
dem Nafeweis doc, nichts anhaben?“
87
„An reinen Gemüthern vergreift ſich fein Unfterb-
licher.“
„sa, der thun fie Nichts,“ meinte Salome, fid)
den Angftihweiß von der Stirn trodnend, „da ſind's
vernünftige Leute, generös und galant.”
„Wer Elopft jo ſpät?“ hörte man jett Valerien
fragen, worauf eine männlihe Stimme antwortete,
die man nicht erfannte; das Mädchen aber eilte mit.
Ietlamer Haft zur Stube zurüd nah dem Schlüffel-
unde.
„Dit Du von Sinnen?” rief erfchroden der Vater,
„aufmachen, wer iſt's denn?“
—„gJohannes!“ antwortete Valerie und hatte im
Augenblid ſchon bie Thür geöffnet, durch melde, in
einen Reitermantel gehüllt, eine kräftige Snglinge-
geftalt herein trat.
„Das Teufel, Johannes,“ rief im Tone ber ge=
täuſchten Erwartung, ziemlid) ärgerlich Burkhard, ver
in die Stubenthür getreten war, „moher in fo fpäter
Naht?“
„Ic bitte um Entfehuldigung, Herr Förſter, ob
des nächtlichen Ueberfalls,“ ſprach der Jüngling, ſich
den Regen abſchüttelnd, „ich hatte mich verirrt in der
mir unbekannten Gegend, die Nacht übereilte mich und
ein Gaſthaus oder menſchliche Wohnung war nirgends
zu erblicken.“
„Aber mein Gott,” ſprach Burkhard, „wer wird
fi) auch verlaufen, und um Mitternacht bei gottes=
fürdhtigen Leuten ald Kobold an ver Thür rumoren.
Wir denken nicht anders als die gefammte Höllen-
fhaar will herein. Bei ſolchem Wetter bleibt man
fein zu Haufe und macht feine Landparthien. Ich
beufe, Mosje Johannes fit ganz ehrſam in der Rex’
ſidenz und wartet auf ein Unterflommen.
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. „Richt aus,Bergnügen,” ſprach gefränft der Jüng—
fing, „unternahm id) die Wanderung zu Ihnen, Herr
Förſter, ſondern in Folge dieſes Schreibens des Herrn
Dberforftmeifters.” Damit überreichte er ein Papier,
—** Burkhard mit ziemlichem Unwillen annahm, und
überflog.
"ie ich geahnt,“ ſprach er noch unfreundlicher,
„die großen Herren haben gut zu reven. Ich habe es
Doch Seiner Hochwohlgeboren neulich Ear genug aus—
einandergejeßt, daß ich Feines Gehülfen mehr bebürftig
bin auf meinem Tleinen Revier. Was hilft's, Die gro-
gen Herren geruhen und uns Heinen Seuten bleibt
nichts übrig al8 zu gehorhen. Nun, Er wird der
Ruhe bedürfen,“ fprad er nad einer Paufe etwas
milder, „kann heute mit auf Salomo’3 Kammer jchlafen.
Bali, wern noch etwas Grog im Topfe, gieb e8 dem
nächtlichen Störenfried mit hinauf.”
Balerie war fehr eilig in Befolgung des väter=
lihen Willens. Johannes aber reichte dem Förſter
die Hand: „Herr Förſter,“ ſprach er, in aufrichtigem
und ſchmerzlichem Tone, „ed thut mir wahrhaftig leid,
Euch als fo unwilllommmer Gaft erfcheinen zu müſſen.
Ich ftellte dem Oberforftmeifter auch vor, daß ich un-
längjt bei Euch vergebli um Unterkommen angefragt
und daß Ihr mit Afjiftenten hinlänglich verforgt
wäret; aber Ihr Tennt jelbit ven alten Waidmann, er
läßt ſih nicht gern widerſprechen, in dem was er ſich
einmal in den Kopf geſetzt hat. Nur ein Jahr ſoll
ich mich noch in der Praxis des Forſtweſens ver-
vollkommnen, wo er alsdann für eine Anſtellung ſor
gen will.“
„Ja, da ſitzt gleich eine Anſtellung,“ fuhr Burk—
hard heraus, „die Großen ſind mit ſchönen Worten
ſehr freigebig, aber es bleibt auch bei den ſchönen
89
Worten, zumal jet, wo die Welt von jungen Schludern
wimmelt, die alle in's Brot wollen.”
„Er hält gewiß fein Wort,” ſprach Johannes
warm, „wenn es ihm irgend eine Möglichkeit iſt.“
„Schon gut,” lachte der Förfter, „euch jungem
Volke hängt der Himmel immer voller Geigen, werbet
ſchon andern Sinnes werden; für jest jchlaft wohl.“
„Das wäre hart,“ jeufzte der Jüngling und ver-
lieg in Salomo’8 Begleitung das Zimmer.
Sigismund aber, dem die Theilnahme nicht ent-
gangen, weldhe Valerie für ven Ankömmling verrieth,
blidte ihm giftig nach) und raunte Burkharven zu:
„Herr Hörfter, vor dem nehmt Euch in Acht, fein
Geficht jagt nichts Gutes.“
„Hat aber ein gar ehrlich Geficht,” meinte ber
lte.
„Nehmt Euch in Acht,” wiederholte jener dringend,
„meine Ahnung von vorhin täufchte mich ‚nicht, Diefe
Nacht hat Euch nichts Gutes gebracht.‘
3.
Das Gießen der Freifugeln war glüdlich vorüber
gegangen. Sieben ſchöne Freikugeln lagen wohl ver-
wahrt im gebeimften Fache von Burkhard's Schreib-
tiſche. Täglich ſechsmal, des Vormittags dreimal
und breimal bed Nachmittags, ſah man den Förfter
in das Oberſtübchen fteigen, wo ber verhängnißvolle
Schreibtiſch ſtand, und die Thür jedesmal jorgfältig
hinter fich verſchließen Behutſam und mit Vorſicht
90
eröffnete er das geheime Fach, nahm die merkwürbi-
geu bleiernen Pillen heraus, befah und berody eine
jede; dann: widelte er fie forgfältig wieber in Baum-
wolle und Papier, verfchloß fie und entfernte fick
mit unbeimlichem rauen. So trieb er's drei Tage.
Am vierten trat ter Verſucher zu ihm und flüfterte:
„Wie wärs Burkhard, wenn Du ein fol Kügel-
hen probirteſt? Es bleiben noch ſechs und vollauf,
dem alten Herzog den Daumen auf’8 Auge zu
drücken.“
Der Gedanke war ſüß und lockend, „aber nein,
Burkhard, ſei ein Mann,“ ſprach's in ihm, „nicht neu⸗
gierig, und vergeude nicht die Gottesgabe, Die bir
durd) Geiſtermacht und Güte verliehen ward.” Und
wieder raunte der Verſucher: „Burkhard, die Augen
möcht ich fehen vom Salomo, wenn Du das Blaue
vom Himmel holft; es ift ja nur zur Uebung, bie
‘ Geifter zärnen nicht dareb und der Student erfährt's
nicht. Es ift nur um den Salomo in Refpect zu
halten, ver täglid) naſeweiſer wird und, ein ungläus=
biger Satan, zweifelt, daß Du nod) einen edel Hirſch
erlegen fonnteft rechtskräftig.
Schon zuckte die Rechte des Förſters nach einer
Freikugel, aber er legte ſie wieder hin. Der Verſucher
fuhr fort: „Der Schuß wird bekannt, Salomo hat's
Schweigen nicht gelernt. Der Valentin fühlt ſich ge—
troffen und nimmt den „blinden Heſſen“ zurück; der
Nachbarſchaft nicht zu gedenken.“ Das war zu viel,
Burkhard unterlag. Er holte zitternd fein erprobtes
Jagdgeſchoß, die Freifugel rollte in den Lauf und bald
hörte man Burkhard's Stimme im Hofe: „Salomo,
wo ſteckt der Teufelsbraten?“
Salomo’8 lange Geftalt ward hinter dem Garten»
zaune fichtbar. Seine Hand hielt einen todten Maul—
— —— >
91
wurf emper und rief: „Meifter, dx hab’ ich ven
Schlucker!“
„Laß jetzt das Maulwurfsfangen, mein Salomo,“
ſprach Burkhard iſanft, „wir machen ſelbander einen
Gang durch den Wald.“
„Meiſter, “ fuhr Salomo Hinter dem Zaune fort,
„das nenn’ ich ein Exemplar, der muß Wirthichafts-
fecretair geweſen fein, fo fett ift er.”
„Leg' ihn zu der Übrigen todten Rotte, ich hono=
rire den Schwanz wie feinen, aber jett folge mein
Salome.”
Salono trug den Maulwurf in Prozeſſion nach
ſeiner Kammer und erſchien nach einer Weile mit
dem Jagdgewehr. Die Beiden wanderten dem
Walde zu.
„Ich ſag' Dir, Salomo,“ begann der Förſter, „es
juckt mich heut ordentlich, einmal loszubrennen.“
„'s iſt einem ſo manchmal, ich weiß,“ meinte der
Burſche, „der Menſch hat ſeine Tage, wie's liebe
Vieh. So war's ſchon im Alterthume. Wenn der
Römer am Morgen ſtolperte, ſo ging's fort den gan—
zen Tag; die Butterſemmel fiel auf die geſchmierte
Seite, was er trank lief in die unrechte Kehle und
ein Malheur folgte dem andern.“
„Ich glaube,“ fuhr Burkhard fort, „ich könnte
heut dem knapernden Eichhorn die Nuß aus den Zäh⸗
nen holen.“
„Chriſtens hätt',“ rief Salomo, „Meiſter, was
habt Ihr an der Nuß, packt nur's Horn, kommt die
Nuß mit.“
„Du verſtehſt keine Allegorie,“ erwiederte ärgerlich
der Förſter, „mit fammt Deinen Griechen und Rö—
mern, dem Heidenvolke.“
„Wurden fpäterhin getauft, von Mutterleibe van
92
wie wir,” brummte Salonto, „glaubten an die Drei=
| faltigkeit und den Papſt dazu.”
m \
„Salome, Du weißt, ich ftreite mit Dir nicht
über Dinge, die Du nicht verftehft. Sieb mir jet
ein Ziel, aber ein refpectables.”
Der Burſche ſchaute fi ringsum, und nach einer
Weile: „Meifter, dort der ſchwarze Buchenftumpf, wenn
Ihr dem was anhaben könntet.“
„Schafskopf, ih hab’ Dir gejagt ein refpectables.
Der Buchenftumpf ift ja ein wahrer Babelthurm
„Meifter, ih will Euch was jagen,” hub Salomo
an, „ver Thurmbau zu Babel war doch, bei Lichte
bejehen, ein rechter Schwabenſtreich.“
„Schweig mit Deinen Albernheiten,” fuhr Burk-
hard ärgerlich heraus,
„Sa, die waren's,“ docirte Salomo weiter, „ba
dem lieben Gott in die Karten guden zu wollen,
aber die Strafe fam nad. Die Mauerpolirer redeten
mit einem Male rotbwelih, die Maurer arabiih und
die Handlanger fyracufaniih, fo kam die Confuſion
zu Stande, die Prügelei folgte und der Thurm blieb
Stückwerk.“
Jetzt war Burkhard's Geduld zu Ende. Er faßte
Salomo beim Kragen, ſchüttelte ihn und rief zornig:
„Wird der Satan Ruhe halten und mir ein Ziel
zeigen?“
Der Geſchüttelte hielt wieder Umſchau in der
Waldgegend.
„Meiſter, ſeht Ihr jenen Baum dort mit den drei
Rieſen-Aeſten?“
„Ganz recht!“
„Er ſteht etwas gegen Morgen?“
„Ich ſehe ihn!“
9
„Seine Wurzeln fpringen bier und da aus ber
Erde?“
„Ja doch!“
„Er ſcheint ungefähr ſeine funfzig Jährchen zu
zählen?“
„Satan, was iſt mit dem Baume?“
„Beliebt nur mit Euern Augen den Stamm hin⸗
auf zu ſpazieren. “
„Kun
"Da trefft Ihr auf die drei erwähnten Rieſen⸗
Aeſte.
„Und? —
„Aus dem mittlern Afte ragen zwei mäßige dürre
Zweige wie Heugabeln hervor, Meifter, wo habt Ihr
Eure Brille?“
„Brauche feine, erkenne die Zweige gar wohl.”
„Sie find volllommen dürre.“
„Sehe ſchon!“
„Meifter, ich glaube, die Brille könnte nicht
ſchaden.“
„Denkt der Eſel ich hätte ben Staar, die majeftä-
tifchen Zweige, wer die nicht fehen wollte.”
„Zwiſchen dem einen Zweige und dem Hauptaſte
hat fich ein vorjähriger Tannzapfen eingellemmt.‘
„Den hol’ ich,” rief Burkhard ſchnell refolvirt und
machte ſich ſchußfertig.
„Das wäre ein Meiſterſtück, Meiſter, Ihr wolit
doch nicht?“
„Schweig, Salomo, und hab Acht, wie er fällt
und bring ihn mir.“ -
Der Schuß krachte durch den Wald.
„Mein Salomo bring‘ mir ben Zapfen, “ſprach
Burkhard ſtolz und gnädig.
„Da müßt' ich einen ſangen Arm haben. “.
94
„Wo fiel er hin?“
„Weder in den Himmel noch auf die Erde, er
blieb, wo er war.“
„‚Unmöglic 1
„Meiſter, Ihr habt ja einen ganz andern Aft ge-
teoffen, feht die Splitter, zwei Fuß weit vom Ziel!“
„Aber es ift nicht möglich. IH ſage Nein!“
„Ich Tage Ja.‘
„Und ber Zapfen?“
„Dort ſitzt er wie angenagelt, ja, id) dacht's gleich,
mon ſoll den Himmel nicht verſuchen, wie die Baby⸗
onier.”
„Aber mein Salomo, fo ſchaue doch in Teufels
Namen genau hin,” rief der aus allen Himmeln ge-
follene Waidmann.
„Was hilft das. ‘Der Zapfen bleibt oben, id)
unten, meine Dlide find feine Poften, nicht einmal
Bogeldunft.”
Set warf Burkhard fein Feuerrohr ingrimmig
auf ven Boden, brach in laute Verwünfchungen aus
und rannte wie wahnfinnig bavon.
„Da haben wir den Babylonier, rief der er=
ihrodene Salomo, „er ſpricht ſchon ganz irre, Den
Tannzapfen, ja Profit Mahlzeit.“ Er hob Burkhard's
Jagdgewehr vom Boden auf und eilte dem getäujchten
Freiſchützen nad.
6.
Das Erſte war, als Burkhard nach Hauſe kam,
daß er ohne ein Wort zu verlieren, den erſtaunten
95
Studenten beim Kragen faßte und zu jchütteln
begann.
„Run, was fol das bedeuten?” vief dieſer, und
ſuchte fich loszumachen.
„Teufelsbraten, Ihr habt mich genarrt mit den
Freikugeln,“ ſprach Burkhard ingrimmig, und ſchüttelte
unverdroſſen weiter. „sch habe eine probirt.“
„Und nichts getroffen?” frug Sigismund.
„Zehn Meilen davon, wie konnt ich mic, blamiren
vor Seiner Durchlaucht! Aber ich pade Ihn ſchon.“
Er griff noch herzhafter zu.
„So laßt mid, zum Henker — es war ja ganz
natürlich, dag Ihr nicht treffen konntet.“
„Ganz natürlih, und das fagt Ihr?” frug ver-
wundert Burkhard, und ließ den Studenten fahren.
„Habt Ihr das Berfprechen gehalten,‘ frug jener
„das Ihr mir beim Kugelgießen gabt, unter welcher
Bedingung das Werk nur gelingen konnte?“
Der Förfter rieb fi) finnend und verbrieflich die
Stirm.
„It Valerie feitvem nicht noch ſpröder gegen mich
geworden,” fuhr Erfterer fort, „anftatt daß Ihr fie.
meinen Anträgen willfährlicher machen ſolltet.“
Burkhard ſchwieg betroffen.
„Slaubt Ihr,“ fprah der Student in ernftem“
rügenden Tone, „daß ſich die Geifter warnen laſſen,
daß fie dem Wortbrüchigen ihren Beiftand leihen
werben ?”
„Aber wie ift die Sache wieder gut zu machen,‘
frug nad) einer Baufe Burkhard, der dem Stupenten
niht ganz Unrecht geben konnte, „wie erhalten wir
neue ächte Freikugeln?“
„Erſt müſſen wir die erzürnten Geiſter verſöhnen,
bevor wir von Neuem an das Werk gehen.“
96
„Wodurch verfühnen wir fie?”
„Vor allen Dingen muß jene Perfon aus Dale
rien's Nähe gebracht werben, die allen meinen Beftre-
bungen fo feindlich entgegenftebt. “
„Ihr meint den Johannes?“ frug der Förfter.
„Sp ift e8, er muß entfernt werben.‘
„Das wird Schwer halten, — der ausdrůckliche
Befehl des Oberforſtmeiſters —
Der ausdrückliche Befehl des Oberforſtmeiſters,“
rief jetzt Sigismund mit erhobener Stimme, „kann
Euch nicht zumuthen, daß Ihr einen Mörder in
Eurem Hauſe beherbergt. “
„Sohannes ein Mörder!” vief zum Tod erichroden-
Burkhard.
„Durch Geiſtermacht,“ fuhr erfterer fort, „ift mir
das Berbrechen offenbar worden. Habt Ihr noch
nicht den Brillantring an dem Zeigefinger feiner rech⸗
ten Hand bemerkt?“
„Er iſt mir aufgefallen,“ verſetzte der Förſter.
„Mit dem er ſo geheimnißvoll thut, über deſſen
Erlangung er nie mit der Sprache heraus will?“
„Das iſt wahr,“ ſprach Burkhard mit immer be—
denklicher werdendem Geſicht.
„Nun zu dieſem Schatze iſt er nicht auf rechtem
Wege, gelommen, ein armer Jägerburſche, das begreift
jeber.”
„Er follte aber?” — frug zögernd der Förſter.
„Abgemudt hat er den ‚Eigenthümer,” entſchied
der Student, „forſchet nur genauer nah), Herr För—
jter, e8 kann nicht fehlen und Euer gerechter Ver—
dacht wird zur Gewißheit. Ich habe ihn bereits zu
Dederholten Malen ſondirt, aber mir hält er nicht
tand.“
97
„Da wil ih bald im Klaren fein,” rief Burk—
hard und wollte fort.
„Aber ja vorſichtig,“ mahnte Sigismund, „es
genüge Euch, wenn er das Haus räumt. Alles wird
ſich dann günftiger geftalten.‘
„Und mein voriger Ungeftüm, Herr Candidat —
Eure Hand —”. -
„st vergeſſen,“ rief einſchlagend ver Student,
und der Förfter eilte, um ben vermeintlichen Mörder
ausfindig zu machen.
7.
„Johannes,“ begann Burkhard, als er den Jä—
gerburſchen gefunden, „es gefällt mir Manches nicht
an Dir.“
Johannes ſah ihn fragend an.
„Es iſt mit Dir,“ fuhr erſterer fort, „nicht Alles,
wie es ſein ſollte.“
„Ich verſtehe Euch nicht, Herr Forſter.“
„Wie kommt das Ding da an den Finger?“ Er
zeigte auf Johannes Ring.
Etwas überraſcht erwiederte nach einer Pauſe
der Gefragte: „Ein theures Vermächtniß von theurer
Hand.“
„Der Teufel auch,“ fuhr jetzt Burkhard auf, „wo
iſt der Ring her?“
Johannes ſchaute ihn ernſt an und ſchwieg.
„Du biſt im Felde geweſen,“ polterte jener weiter,
„da weiß man, wie's her geht, ich will Gewißhei,
ob das Ding ehrlich erworben.“
Stolle, fimmtl. Schriften. XXIII. 7
98
„auf folhe Fragen bin id .Eeine Antwort
Ihuldig. |
„Run da haben wir's,“ tobte der Förfter, „wer
ein ehrlich Gewiſſen hat, hält nicht hinter dem Berge.
Ich will's aber heraushaben.”
„Ein Beriprechen bindet mich, Died genüge Euch.“
„Könnte Jeder jagen, Ich will .veinen Wein.‘
„Ein Wort fo viel als taufend, ich kann's Euch
nicht fagen, wenigftend jett nicht, aber fo viel, daß
wir nad dem jeßigen Gefpräcd nicht länger beifam-
men bleiben können.“
„Sehr obligirt,“ fiel Burkhard ſchnell ein, der
froh war, feinen Zweit, die Entfernung Johannes, jo
leicht bewirkt zu haben.
„Ich gebe,“ ſprach ver Burfche, „mir ein Obdach
zu fuchen, wo man freundlicher von mir denkt.“ Cr
blickte noch eine Zeit lang jchmerzlicd auf Burkhard.
„Herr Förſter,“ ſprach er fanft, „nicht Ihr treibt
mich fort, das weiß ih, drum bört mein Abjchievs-
wort, und wenn hr feinem meiner Worte geglaubt,
jo glaubt diefem: Kraut Ihm nit, auf deſſen
Wunfd Ihr mich jett gehen heißt, traut Ihm nicht,
denn jo wahr ein Gott im Himmtel lebt, er meint’8
nicht ehrlich mit Euch.” Mit diefen Worten entfernte
er ſich eilend®.
Burkhard wollte ihm eine Zornrede nachſenden,
aber fie erftarb auf feinen Lippen und für ſich brummte
er: „Ich glaub’8 nit, daß er einen abgemudt hat,
wie ber Sigismund meint, aber richtig iſt's mit dem
Ringe nicht.”
„Kaum hatte er diefe Worte gefprochen, als Sa—
Iomo feinen Kopf zur Thür herein ſteckte: „Meiſter,“
begann er, „8 ift heute Neumond, da trägt's Wich—
telmännchen feinen Sped ein, der Herr Studente
—
99
will's operiren, daß es ſprechen lernt, ich fol dabei
fein.”
„Nun ich wohl nit?“ rief Burkhard faft belei-
digt und ſaß augenblidlid auf feinem alten Steden-
pferde.
Salomo fanı jest vollends zur Thür herein und
docirte: „Eigentlich nieſt's nur, wird's aber operirt,
ſpricht's auch.”
„Wie macht, das Herr Sigismund?“ frug der
Förſter.
„Iſt mir ſelbſt nicht klar,“ erwiederte Salomo,
„aber er kann's und ich glaub's. Da kommt er
ſelbſt.“
Der Student trat in's Gemach und that ſehr
geheimnißvoll. „Hat Ihnen Salomo ſchon das Un—
ternehmen entdeckt?“ frug er wichtig.
„Bin dabei,“ ſprach Burkhard bereitwillig.
„Sobald es dunkelt,“ fuhr Sigismund, nach der
Uhr. ſehend, fort, „können wir aufbrechen.‘
Das Kleeblatt converfirte noch lange auf die ge
wohnte Weife und trat bei einbrechender Dunkelheit
. ven Weg zum Walne an.
„Ich begreife es nicht,” begann Sigismund, „ber
Salomo hat für die Geifterwelt doch eine weit Flarere
Anfhauungsgabe, als Sie, Herr Förſter.“
Burkhard feufzte, Salomo aber fand ſich gefchmei-
helt und ſprach: „Ja, ich hab’ ein aufgemedt Ge—
müth für's Ueberirdiſche, ſchon von Kinvesbeinen an,
mir entgeht Nichts, hätte ſtudiren follen, aber es
gab’8 nicht her.‘
Sie drangen immer tiefer ein. Der Wald ward
unwegſamer, man mußte oft das Gebüſch zurüdbie-
gen, um durchzukommen.
„Was war das?” frug mit einem mr der Stu⸗
100
dent und blieb ftehen, „wir kam's vor, als folge ung
Yemand. Hörten Eie nicht in der Entfermung das
Geſträuch rauchen?“
Alle Drei ftanden ftill, Taufchten und Salome bes
lehrte leife: „Das Wichtelmännchen kann's nicht ge=
wejen fein; das vergreift ſich nicht an Aeſte, feine
Conſtitution iſt fhwählih von Mutterleibe an.“
E83 blieb alles ruhig, nur der Nachtwind fpielte
einfam in den Wipfeln der Fichten. Die Wanderer
fetten ihren Weg fort.
Nah einer Paufe frug der Student: „Salomo,
bört Ihr's nicht trippeln neben uns, ich glaube,
das Wichtelmännhen trägt ſchon, wir ſehen's nur
noch nicht?“
„8 iſt mir fo," gab der Gefragte zurüd, „es
hält ſich dazu, das fleifige Kind.‘
Sigismund blieb abermals ftehn: „San; richtig,
es wippen, ich hör's deutlich, Ihr nicht auch Herr
Förſter?
Dieſer war ganz Ohr, aber vergebens, er ver—
nahm Nichts. Salomo war glücklicher, Alles was
der Student hörte, kam ihm auch ſo vor, ſei es nun,
daß ſeine Phantaſie ihm wirklich Etwas vorſpielte,
oder daß es ſeiner von Sigismund belobten Clair—
voyance und Geiſterſpürkraft fein Dementi geben
wollte; kurz Alles, was jener wahrzunehmen vorgab,
nahm auch er wahr im vergrößerten Maßſtabe. Er
ſtellte ſich hierdurch bei dem Förſter in eine wahr—
haft verehrungswürdige Poſitur, während letztern ſeine
Taub- und Blindheit immer klarer wurde und troſt—
loſer machte.
„Ich hör's ſogar keuchen,“ ſprach Salomo nach
einer Pauſe, „es muß ſchwer geladen haben. Ver—
nehmt Ihr nichts, Herr Förfter ?“
101
Dieſer ſpannte verzweifelt fein Gehörorgan auf
die äußerſte Epite, aber er blieb verwahrloft und
hörte Nichte.
„Das ift mir wirklich bedenklich, ſprach der Stu—
dent und fchritt weiter vor.
„Mir aud),” meinte Salomo, „Ihr feid doch
fonft nit auf den Kopf gefallen, Herr Förſter.“
Man arbeitete ſich noch eine Strede durch das
Geſtrüpp und gelangte an einen freien, ſehr ſumpfi—
gen Ort. Irrlichter fttegen hier von Zeit zu Zeit
auf und nieder.
„Nun, die Irrlichter feht Ihr doch?“ frug Sigis-
mund, der jett halt machte.
„Ei, ja wohl,” rief Burkhard, tief Athem ſchö—
pfend, „ganz brillant.‘
„Iſt ſchon viel gewonnen,” fuhr Erſterer fort.
„Mit den Irrlichtern tft das Männchen intim, da
werdet Ihr's auch jehen, denn hier ift der Drt, wo es
ſichtbarwird.“
„Schon die Griechen und Römer,“ meinte Sa⸗
lomo, „waren hierin weit. Sie fannten die Connai⸗
fancen der Geifter bis in's vierte Glied und die Ge⸗
vatterfchaften obendrein.“
Sigismund fah jest ftill und unverwandt vor fi
hin und rief plögli im Zone ver freudigften Ber-
wunderung: „Ah“
„Ah!“ wiederholte Salomo.
„Bas denn?” frug haftig der Burkhard.
Sigismund: „va kommt's!“
Salomo: „Wahrhaftig, da kommt's!“
Burkhard: „das Wichtelmännchen *
Sigismund: „Und wie freundlich”
Salomo: ‚Nein, das liebe Kerlchen.“
5 \
102
Burkhard (auf die Zehen tretend und ſich die
Augen veibend): „Um Himmelswillen, wo denn?“
Sigismund: „Und wie fih’8 plackt.“
Salomo: Ad, das fchleppt.’
Burkhard (den Salomo jhüttelnd): „Nichtswür—
diger, wirft Du mir's zeigen?”
Sigismund:,‚Butt, Butt, Mäuschen, Mäuschen !"
Salomo: „Couche! Couche! Mäuschen!“
Burkhard (den Salomo noch ingrimmiger packend):
„Ich erwürge Dich, wenn Du mir's nicht zeigſt.“
Salomo: „Laſſen Sie mich los, Sie. haben
einmal feinen Sinn für das Höhere, Mäuschen!
Mäuschen!“
Sigismund: „Jetzt nieft es.“
Salomo (zärtlih): „Helf dir Gott.”
Burkhard (verzweifelt fchreiend): „Profit!
Sigismund: „OD weh, nun haben Sie mir’s er-
ſchreckt.“
Salomo: „So unverſtändig zu ſchreien.“
Ein Geräuſch wie vom Zuſammenſchlagen von
Gebüſch ward in einiger Entfernung wieder vernehm—
bar. Alle Drei hatten es diesmal vernommen. Si—
gismund ging leiſe einige Schritte nach jener Gegend
hin, hielt den Finger in den Mund und pfiff. Alles
blieb ruhig, er kehrte zurück und ſprach: „es war
Nichts.“
„Wahrſcheinlich ein ehrſamer Rehbock,“ bemerkte
der jetzt erſt aus den Händen ſeines Prinzipals be—
freite Salomo, „ein Rehbock, den Euer großartiges
Proſit von dem erſten Schlafe ſcheuchte.“
„Mit dem Männchen iſt aber heute Nichts mehr,“
ſprach der Student, „es iſt ſchüchtern gemacht und
verſchwunden.“
„Verdenk's ihm nicht,“ brummte Salomo, „das
⸗
103
Profit ging ihm durch und durch, es zitterte am gan—
zen Leibe.“
„Alſo geehrter Herr Förfter, Ste haben wirklich
wieder Nichts geſehen?“
„Richt das Geringſte,“ entgegnete dieſer dumpf.
„Wie ſah's den aus, das Ding?“
Sigismund befchrieb und Salomo befcheinigte es.
„3b ſinne vergebens nad,” fuhr Sigismund
fort, „wodurch Ste fi den Haß dieſes Eleinen, fenft
fo friedlichen Geiſtes könnten zugezogen haben, daß
er fih ihnen micht zeigte. Doch vielleicht gelingt
mir's, daß ich heute Nacht ned) ein paar Sumpfgei—
fter ſprechen kann, die gleichfalls am Neumond ficht-
bar find. Sie follen mir Auskunft geben. Alſo fol-
gen Ste mir, Herr Förſter, wir werden hoffentlich
nicht Tange zu juchen brauchen. Und angeführt vom
Studenten wanderten die Waidmänner nad) der Seite
der Landſtraße zu. Sie gelangten abermals auf ei-
nen großen freien Pla. Der Führer orientirte fich,
- fo gut e8 in der Dunkelheit gehen wollte; dann ge=
bot er den beiden Begleitern, ftehen zu bleiben.
„Wir mollen jest hören, ob die Sumpfgeifter
noch wach find und antworten,” ſprach Sigismund.
Er’ pfiff nad der Gegend der Landſtraße zu. Alle
Drei laufchten mit eingehaltenem Athem. Da er-
tönte. alsbald ein Pfeifen zur Antwort aus derjelben
Gegend her.
Salomo umfchlang überglüdlich feinen Prinzipal
mit beiden Armen. ‚Nun, Herr Förfter,” rief er,
„wenn Ihr das nicht gehört habt?“
| „sa, mein Salomo,‘ replftirte diefer, ganz glüd-
ih, und umſchlang mit gleicher Liebe den Jägerbur⸗
ſchen, „diesmal hab’ ich's gehört. Ich fehe, daß ich,
nicht ganz verwahrloft bin.‘
104
Der Student gebot jest ven Umfchlungenen ftehen
zu bleiben und ſich nicht von der Stelle zu rühren; er
werde mit den Sumpfgeiftern Rückſprache nehmen. Er
ging am Waldrande entlang, wo ihm von der entgegen-
gefetten Seite zwei dunkle Geſtalten entgegen kamen.
„Herr Förſter, Herr Förſter,“ rief Salomo leife,
„ſoll mie Gott helfen, da fommen fie, ſeht Ihr?“
„Nicht recht!“
„Da, da, Folgt nur meinem dinger.”
„Wie wär's, wenn wir ein wenig näher träten ?“
ſprach der Kurzfichtige.
„Am Himmelswillen, wo denkt. Ihr Hin, Herr
Förſter, find’8 gleich nur Sumpfgeifter, fo verlangen
fie Reſpect und ehrfurchtsvolles Fernſtehn. Seht,
der Herr Student kommt ihnen immer näher. Er
hat doch raſende Courage.“
„Salus publica!“ rief jetzt Sigismund ven ſich
nähernden Geftalten mit gedämpfter Stimme zu.
„Suprema lex esto!“ tönte e8 zurück. Nach die—
jen Worten eilte man fchnell auf einander zu.
„Aber fage mir, Menſch,“ ſprach der eine Orau-
mantel, „wilft Du uns Alle auf den Hund bringen?
Wir wollen täglich losbrechen und Du liegit hier auf
der Bärenhaut.“
„Nur noch wenige Tage,” beſchwor Sigismund.
„Valerie iſt dann meine Braut und ich bin Euer.“
„Wir ſind gekommen, Dich zu warnen,“ hub die
zweite Geſtalt an. „Es iſt nicht geheuer, Ruppert
fitzt. u
„Verdammt, “rief Sigismund und ſchnalzte mit
den Fingern in die Luft.
„Kein Augenblick iſt zu verlieren,“ drängte die
erſte Geſtalt. |
„Wohlen, vierundzwanzig Stunden noch,“ ſprach
105
nad) einer Baufe der Sturent, „und ich komme.“ Er
redete lange heimlich mit den Unbekannten.
„Nein, Herr Förſter, was fih Herr Sigismund
charmant mit den Sumpfgeiftern unterhält, da möchte
man faft Puft bekommen, felbjt ein Wort hinein zu
reden.“
„Wenn man nur etwas verſtünde,“ meinte dieſer.
„Die Griechen und Römer,“ fuhr Erſtrer fort
— da rauſchte es zum dritten Male in den Zwei—
gen ganz in der Nähe. Salomo war in Einem
Satze auf Burkhard's andrer Seite, welche Poſition
ihm wegen des verdächtigen Rauſchens angemeſſener
ſchien. „Alle Wetter, Herr Förſter,“ rief er leiſe,
„da kommen wohl gar von dieſer Seite auch Sumpf-
geifter ?“
„Burkhard glaubte fi) unter bewanbten Umftän-
dem nicht berufen, mit feinem Leichnam den thenern
Yägerburfchen zu deden, und fprang auf Salomo's
linfe Seite. Diefer wiederholte fein vorige® Manö—
ver und ftand, ehe ſich's der Prinzipal verjah, ihm
wieder zur Linken. Co fpielte may einige Zeit zwei
Mann body, ohne zu bemerken, daß Sigismund’s
Sumpfgeifter wieder im Walde verfchiwunden und Je—
ner zu ihnen zurückkehrte.
In ihre Springübungen "ganz vertieft, hielten fie
den jet herantretenden Studenten für einen Sunpf-
geift und ergriffen beiberfeitig die Flucht, bis fi
Iener zu erkennen gab. Er nahm den ſogleich noch
ganz erichrodenen Burkhard unter den Arm und
raunte ihm zu: „Wie id) geahnet, die Sumpfgeifter
haben mir Alles entdeckt, Eure Saumfeligfeit hin=
ſichtlich Valerien's hat alle Geifter Euch abgewendet
und wenn Ihr nicht vermöget, daß binnen vierund—
zwanzig Stunden das Mädchen meine Braut ift, habt
106
Ihr nicht nur keine Gunft von den unfihtbaren We—
jen zu hoffen, fondern auch al’ ihren Zorn zu fürch—
ten. Die Langmuth derſelben ift erſchöpft. Alfo hab’
ich's aus der Sunipfgeijter eignem Munde.“
„Wenn's meiter nichts ift,“ antwortete Burkhard
erleichterten Herzens, „jo fein getröftet, Herr Can-
didat. Den feinen Gefallen erzeig’ ich den Herren
Geiftern veht gern. Morgen früh ſprech' ih ein
ernſtes Wort mit dem Mädel, und wenn fie mei-
nen väterlichen Worten fein Gehör giebt und fich
den elenden Hans niht aus dem Sinne fchlägt,
{hieß ich meinen Fluch wie eine feharfe Patrone auf
fie ab. Das Hilft, ich verfihere Euch's. Sie be-
finnt fihb und nimmt Vernunft an, ich fenne mein
Blut.“
„Auch drängt die Zeit,” ſprach Sigismund, „da
ich Uebermorgen früh auf einige Zeit verreife.‘
„Ohne Sorgen, Her Schwiegerſohn,“ tröſtete
Vurkhard, „morgen Abend feiern wir die Ver—
lobung.“
„Eingeſchlagen, Herr Förſter!“ rief der Student
und reichte ſeine Hand hin.
„Ein Mann ein Wort,“ erwiederte jener ein—
ſchlagend.
Sigismund mußte jetzt ſeine Unterhaltung mit
den Sumpfgeiſtern ausführlich erzählen, von Salomo
oft unterbrochen. So langte man ziemlich ſpät bei
der Förſterwohnung an.
8.
Der folgende Tag war der ſchrecklichſte in Vale—
rien's Leben. Schon am Abend zuvor hatte Johan—
107
ned fein Bündel gefchnärt und das Förſterhaus ver-
lafjen. Die Liebenden hatten ſich nochmals Treue
gefhworen. Wenn die Notb am Höchſten, ift Got—
tes Hülfe am Nächſten. Dies waren Johannes let-
ten Worte gewejen, und fie fchütten das Mäpchen
vor Verzweiflung in den bald folgenden fürdhterlichen
Stunden. Burkhard hatte nämlich mit dem Frühſten
jeine Bewerbung für Sigismund bei PValerien be—
gonnen. Erft in Güte. Er ftellte ihr vor, wie feine
felige Frau als Mädchen ebenfalls eine Antipathie
gegen ihn gehabt, weil ihr ein Andrer im Kopfe ge
jeflen, in ver Ehe habe ſich das gegeben und fie hät-
ten das glüdlichite Leben geführt. Darauf führte er
dem Mädchen zu Gemüth, wie weit vorzüglicher es fei,
eined Gelehrten Frau zu heißen, ald die eines armen
Sägermannes; er legte ihr an’8 Herz, wie fehr fie
fein Alter erbeitte, wie er ihr ftet8 dankbar dafür fein
werde — furz er erjchöpfte feine ganze Ueberredungs⸗
funft, aber vergebend. Das Mädchen verhehlte ihren
Abſcheu gegen den Studenten nicht, hielt denfelben für
einen Betrüger, der die Schwäche des Vaters miß-
braude und durch feinen Geifterunfinn eine Macht
über ihn zu erlangen ſuche. Das könne gar Fein
gute8 Ende nehmen.
Burkhard, nachdem er mit Güte nicht? ausgerich-
tet und den Grund von Valerien's Abneigung al-
lein in ver Liebe zu dent Johannes erblidte, ging
nun mit Strenge zu Werke, und es erfolgte eine
jener empörenben Tamilienfcenen, die. wir auf dem
Theater und in Romanen oft genug und mit Abjcheu
vorüberziehen fehen, daß der Leſer damit billig ver-
jhont bleiben mag. .
Dalerie, jo weich das Mädchen fonft mar, ſetzte
dem Toben des verblendeten Vaters eine eiferne Fe⸗
108
ftigfeit entgegen. Wüthend trat dieſer endlich vor fie
hin. „Eine halbe Stunde Bedenkzeit noch” ſchrie
er — „dann wähle zwifchen feiner Hand und mei—
nem Fluche.“ Er rannte "aus der Stube, die er
hinter ſich verſchloß; Valerie aber ſank faft bewußtlos
zu Boden.
Ingrimmig ſtürzte der Förſter in den Hof, um
freie Luft zu ſchöpfen. Da kam ihm Sigismund
entgegen: „Es hat ein kleines Tänzchen gegeben,“
ſprach er theilnahmsvoll, „ich lauſchte ein Wenig.“
Burkhard faßte ihn beim Arm. „Herr Candidat,“
rief er, „jetzt müſſen Sie ſie haben oder ich will
nicht Burkhard heißen. Solch unverſchämter Trotz
muß gebrochen werden, will doch ſehen, ob des Va—⸗
ters Wort noch was gilt oder nicht.“
„Ich würde die Sache nicht jo preſſiren,“ ent-
fhuldigte fi) der Student, „wenn id) nicht Morgen
verreifen müßte und vwielleiht fobald nicht zurückkehre.
„Iſt ganz einerlei!“ ſprach Burkhard. „Ich hab’
ihr eine halbe Stunde Bedenkzeit gegeben, dann ſoll,
dann muß ſie gehorchen.“
„Theurer Herr Förſter, wie verbunden bin ich
Euch,“ erwiederte Sigismund, den thätigen Schwie—
gervater in spe zärtlich umarmend, „die Geiſterwelt
wird für mich reichlich vergelten. Ich gehe jetzt,“
fuhr er fort, „auf mein Zimmer um meine Sachen
zur morgenden Abreiſe bereit zu halten. Alſo gut
Glück, Herr Förſter, ſobald es des Bräutigams be—
darf, bin ic) bet der Hand.” Er kehrte in das Wohn-
haus zurüd, während Burkhard wie tol im Hofe auf
und ab lief.
Kaum war die halbe Stunde worüber, als der
Schlüſſel fih im Schloffe drehte und der zärtliche Va⸗
ter in das Gemach Valerien's trat: „Nun,“ frug er
109
halb ingrimmig, halb ironiſch, „hat fit) die Mam—
fell eines Befjern beſonnen?“
Balerie fiel ihn beſchwörend zu Füßen. Er ftieß
fie von fih. „Eutſcheidung will ich,“ fchrie er, „feine
Comödie.“
Das Mädchen lag todtenähnlich am Boden.
„Seine Hand oder meinen Fluch,“ rief der halb
Wahnfinnige mit erhobener Stimme.
Keine Antwort —
Da ergriff unbändiger Zorn den Entmenjchten.
Er hob die Hand auf zum fürditerlihen Schwur und
lud), feine Augen ftarrten geifterhaft, ſchon öffneten
fi) die zudenden Lippen — da ertünte Pferbege-
trampel vor dem Haufe, in demſelben Augenblide
werd die Thür aufgeriffen, Sigismund ftürzte herein,
athemlos und todtenbleih. „Vernichtet dieſe Papiere,”
rief er, „augenblidlih” — er fchleuderte ein Padet
hinter ven Ofen — „ic werde verfolgt.” Er jprang
in die Kammer, von mo ein Fenſter nad) dem Hofe
führte. Landoragoner drangen in's Zinmer. „Er
ift dort hinaus,” rief der Erſte und ftürzte in bie
Kammer. Bewaffnete füllten das Zimmer. Alles
war das Ergebniß weniger Augenblide. -
Hundegebell erſcholl jet im Hofe — Stimmen
riefen — und bald fah man den Studenten . unter
Starker Eskorte bei den -Fenftern vorüber führen.
Faſt bewußtlos ftarrte Burkhard dem Gefangenen
nad) und ſchien gar nicht zu bemerken, wie biefer ihm
mit der Hand zumwinfte, als wolle er ihn an Etwas
erinnern. Valerie aber war auf die Knie gefunfen
zum Gebet. Die letzten Worte des Geliebten waren
ja in Erfüllung gegangen: Wenn die Noth am
Höchſten, iſt Gottes Hülfe am Nächften.
%
110
8
Mehre Stunden fpäter fap Burkhard fehr ver:
ſtimmt auf feiner Stube und Salomo neben ihn,
der Troſt zuſprach.
„Ich ſage Euch,“ verſicherte der Förſter, „ſie iſt
ganz lächerlich, dieſe Arretirung, Herr Sigismund
braucht zu pfeifen und die Sumpfgeiſter befreien ihn
mit Eclat. Wir haben's geſtern geſehen. Und was
ſind das für Kerle, ſo ein elender Landdragoner iſt
ein Storchſchnabel dagegen. Aber wär' ich nur zugegen
geweſen, zum Haus hinaus hätt' ich die rothen Krebſe
geworfen, einen nach den andern. Ich hab' ſo eine
Pique auf die Kerle. Seit ſie in der Gegend ſtehen,
kann man keine Pfeife Taback mehr ruhig in der
Schenke rauchen. Wär' ich nur dageweſen.“
„Was er nur mag verbrochen haben, der Sigis⸗
mund?“ frug nachdenkend der Förſter.
„Verbrochen!“ ſprach Salomo, „was ſoll er ver-
brochen haben? Nichts! weil's ein geſcheuter Menſch
iſt, der mit den Geiſter Du auf Du ſteht. Das
wollen die Großen, die es noch nicht ſo weit gebracht,
nicht leiden. Wahrſcheinlich ſoll er irgend einem
Großwürdenträger ein Privatiſimum über die Sumpf—
geiſter halten; aber was huſten wird er ihnen und
ich verdenk's ihm nicht.“
„Es iſt nur Jammerſchade,“ bemerkte der Förſter
mit Betrübniß, „daß unſere Forſchungen ſo ſchmäh—
lich unterbrochen: find. Wir waren auf jo gutem
Lege.”
„Eine wahre Sünde iſt's,“ fiel Salomo ein.
„Ih war noch viel weiter, als Ihr, Herr Förfter,
Ihr hattet blos Sinn für die Sumpfgeijter; das
111
Wichtelmännchen entging Euch. Wie hoch konnt' ich's
bringen. — O dieſe Landdragoner, hätt id) nur
gleidy einen bei der Hand.‘
„Die Dragoner konnten ohne Ordre Nichts,” be-
lehrte Burkhard — „aber da kommt mir ein guter
Gedanke.” Er ftand auf, ging hinter den Ofen und
hob ein Papierpadet auf. „Richtig,“ ſprach er, „pa
hab’ ich's. Diefes Padet übergab mir Sigismund,
al® er gedrängt ward von den Dragonern.
„Wär' ich nur zu Haus geweſen,“ warf Salomo
fampfmuthig dazwiſchen.
„Wahrſcheinlich enthält's,“ fuhr der Förſter fort,
„die Anmweifung, wie wir uns auch ohne ihn mit.
den Geiſtern zurecht. finden fönnen. Er fagte zwar,
ich ſollte e8 vernichten, aber doch nicht ohne es zuvor
zu leſen.“
„ft ein herrlicher. Menfch, der Sigismund,” bes
merfte gerührt Ealomo, „jorgt für alle Fälle im
Reben.“
Burfharb war eben beihäftigt, das Siegel des
Umſchlags zu löſen, wobei Salomo behülfli war, als
fid) näherndes Pferdegetrampel die Beiden an's Fen-
fter 309.
„Da kommen wieder foldhe verwünjchte YButter-
frebje die Straße daher,” ſprach Salomo, „könnt' ich
Euch Siegelladftangen doch an den Leib!
Geine Rede verftummte aber und fein Geficht
ward um ein Bedeutendes länger, als die Drago-
ner am Forſthauſe hielten, und von den Pferden
ſprangen.
„Ich will jetzt dem Braunen ein wenig Yutter
ſtreuen, Herr Förſter, der gute Kerl wird warten.“
„Bleib' nur bei mir,“ gebot Burkhard, „bin doch
begierig, was dieſe Solbaten vorhaben.“
112
Kaum hatte er biefe Worte gefprodhen, als bie
Thür auffprang und ein Wadhtmeifter mit zwei Ges
meinen herein trat.
„sm Namen des Herzogs, Förſter Burkhard, Ihr
ſeid mein Gefangener!“
Burkhard konnte vor Schred fein Wort hervor:
bringen.
Als Salomo von Gefangennehmung hörte, ſchlich er
leife nach der Thür.
„Paſſirt Niemand,” tönte e8 hier, und ein Dra—
goner vertrat ihm den Weg.
„Wollte nur dem lieben Thierchen, dem Braunen,
ein wenig Hafer ftreuen.‘
„Jetzt nicht,“ entſchied der Thürwächter.
Wie heißt Er?“ wendete ſich der Wachtmeiſter
zu Salomo.
„Ich bin ein gutes Thier,“ zähnklapperte dieſer.
„Wie Er heißt?“ donnerte der Frager.
Salomo konnte ſich in der Angſt auf feinen eig-
nen Namen nicht befinnen. Der Wachtmeifter hielt
dies für Verſtocktheit und ſchnaubte noch ingrimmi-
“ger: „Soll ih Ihn krumm ſchließen laſſen, Ihn Höl—
lenelenıenter? Burkhard Hatte ſich unterdeß ſoweit
erholt, feine8 Burſchen Tauf- und DBaternamen zu
nennen. |
„Alſo Salomo Lambert?” ſprach der Anführer.
„8 ift mir fo,” ſchluchzte Diefer. .
„So führt ihn ab, auch er iſt Arreſtant, und
dieſe Papiere hier, über welche wir die Staatsverrä—
ther betroffen, nehmt ebenfalls mit.“
Die Dragoner thaten wie geheißen.
„Aber himmliſcher Herr Landdragoner,“ jammerte
Salomo, „edler Menſch, der Sie von Ihrer Mutter
mit Schmerzen geboren wurden, bei dieſer Ihrer
113
edeln, braven Mutter beſchwör' ih Sie, was hab’
ih Wegwurf der Menjchheit verbrochen?“
„Auf des. Herzogs Befehl!” gab der Soldat furz
zurüd.
„Aber wie fann fi unfer Durchlauchtigſter Herr
Herzog fo tief erniebrigen,” fuhr Salomo fort, „bis
auf, mid ſchändlichen Kerl fein hohes Auge zu vi.
ten?”
Der Dragoner gebot Ruhe. Unterdeß war aud
Burkhard, dem man blos jo viel Zeit gelafjen, einen
Mantel überzuwerfen, blaß und zerftört angelangt.
Die Caravane fette fich in Bewegung. Salomo mußte
mit fort, wie er ging und ftand.
10,
„Beruhige Dih nur, Valli,“ fprach fanft und
tröftend am folgenden Tage Johannes zur weinenden
Balerie, „es wird fo ſchlimm nicht werden. Binnen
wenig Tagen wird fih’8 ergeben, daß Dein Bater
unſchuldig iſt.“
„Nicht einmal ein Abſchiedswort hab' ich ihm
zurufen können,“ weinte das Mädchen, „ich war bei
Pachters drüben in, Burgdorf, als das Unglück ge—
ſch ah.“
„Ich erfuhr's zum Glück noch geſtern Abend,“
erzählte Johannes, „Du kannſt Dir meinen Schred
venfen um Dich, aber zugleih fprady eine Stimme
im Innern, daß und diefer Sturm Glück bringen
werde.“
„Mir ahnet Schreckliches,“ erwiederte in hoffe
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 8
114
nungslofem Zone DBalerie, „ven alten armen Mann
durch Landdragoner aufgreifen zu Iaffen, als fei er
Räuber und Mörder!”
„Vielleicht, daß er jest von feiner unfeligen
Geifterverblendung geheilt und binfichtlih des Gigis-
mund eines Beſſern belehrt wird,” fprady ver Jüng-
ing, „Penn daß man diefen wegen jeiner Hofus-
pofusmachereien arretirt haben wird, glaube ich nicht,
er hat, fih gewiß Schlimmres zu Schulden kommen
laſſen.“.
Jetzt klopfte es an die Thür und Valentin's Kopf
ward ſichtbar. „Das Haus rein?” frug er im ko⸗
miſchen Tone, „der Nebukadnezar auf und davon?
Ja, die Landdragoner ſind treffliche Geiſterbanner.“
Er kam näher, als aber fein Scherz unbeantwor⸗
tet blieb und er die verweinten Augen Valerien's ge—
wahrte, rief er: „Alle Wetter, was ift das? Dum—
med Zeug, fein gefhent und froh, daß ihr den
Schluder 108 ſeid. Dem Alten wird hoffentlich nun
das Blatt gefchoffen fein? Wo ift er denn?”
Schannes erzählte jest Burkhard's und Salo—
mo's Oefangennehmung.
„Die Möglichkeit!” rief Balentin erfchroden.
„Davon weiß ich fein Wort, blos die von Nebufad=
nezar. Nun, das ift eine charmante Gefchichte, Der
Kerl fitt wegen Landesverrätherei.“
„Mm Gotteswillen!“ ſchrie Valerie.
Johannes winkte dem Borlauten, diefer ließ fich
aber nicht flören und fuhr fort: „Wollte den Durdy-
lauchtigften Herzog vom Throne ftoßen, und fid) bar-
auf fegen, der Burkhard follte wahrſcheinlich Ober-
landjägermeifter werben, aber Salomo, id) bitt! Euch
Salomo, ver Schaafskopf —“
„Burkhard's Arretirung beruht auf einem bloßen
115
Irrthum,“ unterbrach Johannes, — „in wenig Ta—
gen haben wir ihn wieder.”
„Glaub's auch,“ ſprach nad) einer Paufe Valen⸗
tin, „da Schaafskopf Salomo dabei iſt; konnt' auch
mit feinem Poſten zufrieden ſein, die Landjägerei
wär' ſo nichts für ihn — aber zu den Liberalen, den
Krawallern gehört er immer.“
Johannes beſtritt Dies,
Als Valerie ſich gar nicht beruhigen wollte, ge—
rieth endlich Valentin auf die kühne Idee, ſelbſt nach
der Stadt zu gehen, und für Burkhard und Salomo
zu wirken. „Ich fie mich Hinter dem Läufer Lim⸗
burger,» fprach er, „ver ift mir zugethan und bes
Herzogs rechte Hand.”
Balerie befhwor ihn, zu eilen und Johannes
lobte den Entſchluß.
„Den Läufer hat mir Gott eingegeben,” rief der
Helfer in der Noth, nach ſeiner Mütze greifend. „Ich
ſpring' nur einen Gang nach Hauſe. Dann gleich
nach der Stadt.“
Bon ven Segenswünſchen Valerien's begleitet
machte fih Valentin eiligft auf ven Weg.
11.
Der Inquifitionsrichter war in dem Verhör mit
Salomo bi8 zu der Nacht vor der Arretirung gefom-
men. „Ich wiederhole Euch nochmals," ſprach er,
„daß Ihr duch Euer confußes Geſchwätz die Sadıe
nur verſchlimmert. Antwortet mir einfach auf meine
Fragen und der Wahrheit getreu. er waret am
116
- Dienjtag Abend zwifchen neun und zehn Uhr in Be—
gleitung des Förſters Burkhard und des Studenten
Sigismund im Friedewalde, zu weldem Zwecke?“
Salomo: „Herr Sigismund wollte das Wichtel-
männchen operiren, geftvenger Herr Judex.“
Der Richter: (mit Nachdruck) „Wir wiſſen's bef-
fer, Ihr habt eine geheime Unterredung gehabt.‘
Salomv: „Nein, reden konnt's gar nicht, ed war
ja noch nicht operirt, aber genießt hat's.”
Der Richter: (ftrenge) „Werdet Ihr leugnen,
daß eine Unterrevung ftattfand, oder fol ich Zeugen
rufen?“ |
Saloıno, der aus dem ftrengen Zone ſchloß, daß
fein Berbreden in der Unterredung mit Wichtelmänn-
hen beftehe, fiel jest ein fchwerer Stein vom Her:
zen. „Ih will's nur geſtehen,“ ſprach er, „geitven=-
ger Herr Juder, weiß Gott, ich will nicht geſund
bier ftehen, der Schlag fol mid) treffen, wenn id)
das Ding je gefehen over gehört habe, fo wenig wie
der Herr Förſter. Ich that nur fo, Herrn Sigismund zu
Gefallen.” Zugleich fiel ihm ein, daß aud die Un—
terredung mit den Sumpfgeiftern gemeint fein könne,
Hier fühlte er fi eben fo unſchuldig. „Herr Sigis-
mund,” beicdhtete er, „hat lange mit ihnen discurirt,
aber weder ich noch der Herr Förfter, auch ftanven
wir fern und verftanden Nichts, fo geſpitzt wir
Laufchten.”
Nah mehren Kreuz: und Duerfragen, die ber
Inquiſit alle auf feine Weife beantwortete, fchloß der
Richter diesmal das Verhör, indem er für ſich fprad):
„Der Menſch ftellt fi wahrfcheinlih einfältig auf
den Rath anderer, denn von Natur kann man un-
möglich jo verwahrloft fein.“
Salomo ward in's Gefängniß zurüd ‚gebradht.
117
Hier angefonmen, fprah er zum Beau 2 er:
„Kun wird die Gefchichte bald zu Ende fet 0 ich
dem Herrn Juder erzählt, daß weder ich noch ber
Herr Förſter mit Wichtelmännchen und den Sumpf-
geiftern discurirt.“
„Hoh, hoh,“ lachte der Schließer, „mit Demago-
gen geht's nicht fo ſchnell.“
„Mit Demagogen? Was ift das für Bolt?’
„Staatöverräther, murmelte jener.
„Staatsräthe!? Das wär’ eine glänzende Carriere.“
„sa, ſpott' Er nur, e8 wird Ihm vergehn, wenn's
heißt: Kopf ab.”
„Kopf ab? Was denn, wie denn?”
Der Gefängnißwärter würdigte ihm feiner Ant-
wort, ging hinab und ſchob den Riegel vor die Thür.
„Kopf ab? Herr Oefangenwärter, wie hat man
denn dag zu verſtehen?“
Keine Antwort.
„Hochzuverehrender Herr Gefangenwärter!“ ſchrie
Salomo in ſteigender Unruhe.
Todtenſtille.
Salomo hatte jetzt Muße, über den bedenklichen
Ausdruck ſich den ſeltſamſten Grillen hinzugeben.
12.
Nach zwei Tagen kehrte Valentin mit höchſt be⸗
denklichem Geſicht von feiner Expedition aus der Re-
fitenz zurüd. Johannes, der ihn von fern erblidt
hatte, war ihm enlgegengeeilt.
„Liebwertheſter Johannes,“ rief der Wandrer
118
ſchon Dei ‚ „mit unferm Burkhard ſammt dem
enge e Sachen verteufelt ſchlimm.“
„Ich ſag' Euch, verteufelt ſchlimm, der Verrath
liegt am Tage.“
„Nicht möglich!“
„Der Taufer zieht feine Hand ab, der Herzog mag
nichts wiſſen.“
„Erklärt Euch, ich beſchwöre!“
„Werden wohl Beide d'ran glauben müſſen —
der Student wird unfehlbar gerädert.“
Johannes lächelte ungläubig.
„Haben in ber Dienſttagsnacht große Verſamm—
Lung gehalten mit ben Nebelen im Friedewalde, ber
Flurſgu⸗ hat fie belauſcht und verrathen. J
Was ſagt Ihr?“
‚Haben Jeber die brei Finger ber linken Hand
emporgeftredt und gefehworen, die Durchlauchtigſte her-
zogliche Familie und das Geſammtminiſterium kalt zu
machen.“
„Wer hat Euch das Mährchen aufgebunden, Herr
Valentin?“
„Macht mich nicht toll mit Eurer Verſtocktheit,
oder ich werde grob. Die Gerichte haben es ſchwarz
auf weiß. Der Wachtmeiſter hat bei der Arretirung
den Burkhard und Salomo die hochverrätheriſchen
Papiere ſelbſt aus den Händen geriſſen, dieſe haben
Alles verrathen. Geſtern ſind die Beiden bereits in
Ketten und Banden gelegt und für Niemand mehr zu
ſprechen.“
Jetzt ward Johannes ſehr ernſthaft.
„Was die Sache noch verſchlimmert,“ fuhr Va—
lentin fort, „iſt, daß man mit Demagogen jetzt nicht
119
mehr fadelt. Der Herzog jagt fih los. Man ſpricht
ven Standgeriht und rafcher Execution.” |
„Un Himmelswillen,” beſchwor Johannes, „daß
Valerie Nichts von Eurer Nachricht erfährt, e3 würde
fie tödten.“
„Dazu kommt, ſprach jener, „daß der Erbprinz
zuräd ijt, der führt die Sache und will durchaus ein
Exempel ftatuiren.”
„Wie!“ rief Johannes mit Heftigfeit, „ver Exrb-
prinz fügt Ihr?”
„ft zurüd von feiner Tour durch Europa und
wird wenig Federleſens machen.”
„Prinz Ferdinand!“ wiederholte der Yüngling und
fhüttelte Valentin mit beiden Armen.
„Was ift da zu fhätteln, glaubt Ihr's wieder
niht? Ich habe die Equipagen felbft gejehen.”
„Gott fei Dank,” jubelte Yohannes, ven Bot-
ſchafter ftürmifh umarmend. „Vest ſchwört mir, Va—
lerien Nichts zu entveden: ich eile fogleich felbft nad
der Stadt.”
„Steht ab von mir,” ſchrie ängftlih Valentin,
„Ihr erdroffelt mih,” und für ſich fprady er: „das
fehlt noch zu unferm Unglüd, daß ed mit dem zu
rappeln beginnt.” Johannes aber ergriff feinen Arm
und zog den erjchrodenen Valentin jchleunigft nach
dem Forfthaufe, ”.
13.
Bereitd am Bormittage des näcften Tages ſah
man einen fehlanfen, fchmuden Jägersmann befchei=
120
den in einer Ecke bes Vorzimmers zum Audienzge-
mach des Erbprinzen Ferdinand ſtehen und beſcheiden
warien, bis die Reihe unter den zahlreichen Suppli⸗
canten an ihn kommen würde. Win Gecretair bes
Prinzen, dem die ftattliche Geftalt auffiel, trat zu
ibm und fragte nad dem Namen.
„Diele Zeichen hier,“ ſprach Johannes, einen
Brillantring überreichend, „wird mich bei Seiner Ho—
heit legitimiren.“
Der GSecretair betrachtete die funkelnden Diaman-
ten, ward zuvorlommend und verſprach, fo buld als
möglich das Kleinod zu übergeben.
Es währte nicht lange‘ Zeit, warb Johannes in
das Audienzzimmer geführt. Ein hoher fhöner Mann
in ben breißiger Fahren fam ihm entgegen. „Bill-
fommen, Johannes, “ſprach er huldreich, „nun, wie
tituliet man Euch jetzt?“
‚„Alfütent beim Förfter Burkhard,” erwieberte ter
Gefragte unbefangen.
„Wie?“ frug der Prinz verwundert, „noch nicht
im eignen Brote, ich hinterließ Auftrag deshalb dem
Oberforftmeifter.” |
„Es gab noch Aeltere und Verdientere,“ entſchul—
bigte der Jüngling, „nur ein Jahr noch follte ich
warten.”
„Gut,“ ſprach abbrechen der junge Yürft, „ſo
werd' ich forgen. Aber meinen Ning will id auslö-
fen; habt Ihr Euch auf eine Auslöfung beſonnen?“
„Ein Wort von Ew. Hoheit,” ſprach warm Jo—
hannes, „und ich bin zufrieden.‘
„Das wäre?"
„Sin Wort der Fürfprade für den verhafteten
Förſter Burkhard und feines Burſchen Salomo.“
„Beſinnt Euch auf eine andere Auslöſung,“ ent=
-
121 x
£ a a ER
ſchied finfter ver, Iuz Ferdinand; „dag —
ne ch ——— noch beſondere Strenge
anempfohlen.“
„Wenn ich die Beiden,” ſprach Johannes beſchei—
den, ohne ſich einfhüchtern zu laflen, „bes beſchuldig⸗
ten Verbrechens für ſchuldig hielt, würde id mir eine
folhe Bitte nicht erlauben, aber fie find unfchulvig,
Ew. Hoheit — unſchuldig,“ fügte er mit fehöner
Wärme hinzu. Er erzählte hierauf offen und kurz
Burkhard's Verhältniß zu Sigismund. Ueber bes
Prinzen Gefiht floh hierbei einigemal ein leichtes
Lächeln.
„Es ſollte mich freuen,“ begann Letzterer, „wenn
ſich die Sache ſo verhielte, ich werde mich erkundigen
und im günſtigen Falle meine Hand nicht abziehen.”
- „Der Himmel fegne Ew. Hoheit!” rief Jo—
hannes.
„Ich werde Euch rufen laſſen, fo wie ich Ge—
wißheit habe,” verhieß huldvoll der Erbprinz, und
überglüdlich verließ ber Eupplicant das Audienz⸗
zimmer.
„Was hat denn das für eine Bewandtniß mit dem
jungen Jäger, den der Prinz fo in Affection genom—
men?“ frug leife ein Miniſterialſecretair den neben
ihm ſtehenden Kammerherrn.
„Schreibt ſich noch aus letztem Feldzuge her,“
flüfterte diefer zurüd. „Der Prinz war umringt von
feindlichen Neitern, feine Gefangennehmung oder Tod
ſchien unvermeidlich, da hat ihn Diefer junge Mann,
der als freiwilliger Jäger diente, mit Löwenmuthe
glüdlih herausgehauen. Der Öerettete, ber ſtets
fürftlih zu belohnen pflegt, zog feinen eignen Bril⸗
lantring vom Finger und gab ihm dem Jäger mit
dem Verſprechen, ihn zu gelegener Zeit einzulöfen.
122
* ne Zeit fcheint ie: emmen; kaum iſt
* — erſcheint © —— De Pfandgläubiger
und werd. fic) wahrfcheinlich ein artig Sümmchen oder
fettes Aemichen als Auslöſung bedungen haben.“
14.
„Nein, was ſich die Welt erdenkt,“ lamentirte
Salomo in ſeinem Gefängniß, „ich, dem es jederzeit
leid gethan, wenn ich ſollte einem ſchwatzhaften Spatze
den Kopf breit drücken, ſoll unſern Durchlauchtigſten
verehrungswürdigen Herrn Herzog an ſeinen hochhei⸗
ligen, gebenedeieten und geſalbten Corpus gewollt
haben! Und damit ich nicht davon laufe, ſteck' ich
in Ketten über und über. O du verklärte, im himm—
lifchen Teuer ſtrahlende Mutter im Himmel oben,
das hätteft du die wohl dein Leben lang nicht träu-
men laffen, daß dein Salchen es fo weit bringen
würde auf irdiſchem Dornpfade. Eigentlih haben
bie refpectabelften Leute ſchon bei den Griechen und
Römern, Grafen und Herren, in Ketten und Banden
gelegen und nicht gemault, weil ihre Unſchuld doch
Har werden mußte mit der Zeit.’
Salomo fand in diefem Gedanken große Beruhi—
gung. Nach einiger Zeit fuhr er fort: „Was id)
von den Herren Geiftern denken fol, weiß ich nicht,
ih fi’ in Trübſal und feiner greift zu. Bis Mor:
gen ſeh' ich's mit an, läßt man mid, fteden, find
wir geſchieden, ich kündige und bleib’ für mid.“
„Die Geifter,” ſprach er nach einigem Nachden⸗
ten, „find mir überhaupt Nebenvinge, feit ich Des
magoge bin. Iſt doch merkwürdig, bin Demagoge
123
und hab's mein Leben lang nicht gewußt. Wie man
die Kerle nur erfennen kann?’
Der Wärter brachte Die Gefangentoft, Saloımo
erkundigte ſich nach den Demagogen.
„Sind Tauchenichtſe, die das Oberſte zu Unterſt
kehren wollen.“
„Das Oberſte zu Unterſt?“ frug Salomo, „da
ſteigt ja das Blut zu Kopfe.“
„Man ˖ wird ihnen aber ebenfalls das rag zu
- Unterft ehren.” *
„Ihnen? Da ſteck id wohl auch dv |
„Habt Ihr noch Biel auf diefer Welt * ehe
len?” erfundigte ſich jener.
Salomo, der Dies für vertrauliche Zheilnahme
des Wärters an ſeinen häuslichen Geſchäften hielt,
erwiederte ſchnell: „Außerordentlich Viel, lieber Herr
Gefängnißwärter, der halbe Garten bei Burkhard's
ſteht noch ungeraupt, wenn der Fritz nicht dazu thut,
kriechen die Beſtien aus und Alles geht d'runter und
d'rüber.
„So beſtellt Euer Haus,“ gab jener guten Rath.
„Augenblicklich, wenn Ihr mich gütigſt loskup⸗
peln wollt; hab’ einen ſcharfen Blick und bin gebor- .
ner Rauper.”
„Schon nad einem Paftor umgethan?‘ eraminirte
jener.
„Du lieber Gott,” feufzte Salomo, „denke jett
nicht an's Heirathen.“
„Dummkopf, einen Paſtor, der Euch für's Him—
melreich zurecht macht.“
„Das hat noch Zeit,“ tröſtete Salomo, „mein Vater
ſelig ward fünfundſiebzig, der Großvater achtzig, ich
ſtehe in der Blüthe.“
Als der Wärter noch Mehres fragte, daß der
124
Gefangene in feinem Einne beantwortete und auf die
letztern Fragen diefem unverftänplihe Antworten "gab,
that Salomo wieber gelehrt und ſprach: „Herr Ge-
fangenwärter, Ihr ſeid eine Phthia, die felbft vie
Griechen und Römer confus machte, wenn fie nicht
benebelt war.”
Die Pythia rüdte nun mit der Sprache heraus,
ward. Klaxer und fahlicher, Salomo's Gefiht aber län-
üb: MB Hacıe ftiegen allmälig bei überhandneh⸗
nödt perpendikulär empor. "
AMei hafte Sefangenwärter verließ den Gefol⸗
tertent: gerabi da, als diefem alle Schuppen gefallen
waren und bie verzweifelndſte Gewißheit fich feiner
bemächtigt hatte,“ Die hereinbrechende Nacht war die
- graufenhaftefte in dem friedlichen Leben unſers Salomo.
15,
‘Der prinzlihe Einfluß warb in dem Gange ber
Unterfuhung ‚gegen Burkhard und Salomo bald be-
merfbar. Der junge Fürſt hatte fi) jelbft bie Akten
fommen laffen und aus ihnen, jo wie aus anderwei-
tigen Erkundigungen erfehen, daß die Sache wirklich
fo ftand, wie fie Johannes erzählt hatte. Ohne den
Gerichten vorzugreifen, konnten bie beiden des Hoch—
verraths Beſchuldigten freilich nicht ſogleich auf freien
Fuß gefeßt werden und mußten nod) mehre Wochen
im Gewahrſam verharren, doch nahm man ihnen bie
Ketten ab, fie erhielten ein freundliches Verhafts—
lokal und Zohannes, Balerie, Balentin und andere
Bekannte die Erlaubniß, die Gefangenen zu befuchen
und auf baldige Erlöfung zu vertröften.
125
Hier num gelang es Johannes und andern Be-
freundeten, auf dem Wege ver Haren, faßlichen Be-
lehrung den nicht ſowohl Geifterbefeffenen als
vielmehr auf Geifterverfejfenen von feinem Wahne
vollfommen zu heilen. Salomo war fhon früher be=
tehrt, da ihn Wichtelmänndhen und Conforten fehmäh-
lichſt im Stiche gelafien haften. So gingen Beide
geprüft und erleuchtet aus dem Gefängnifje hervor,
das für fie zu einer wohlthätigen Educationsanftalt
geworden war.”
Das fegensreihe Wirken des Prinzen Ferdinand
. gab fih aber bald noch auf andere Weife fund.
Sohannes erhielt die Ernennung als Dberförfter über
fümmtlihe dem Exbprinzen zugehörfge Waldungen.
Burkhard ward penſionirt mit Beibehaltung ſeines
Gehaltes und einer ſehr freundlichen Auszugswoh—
nung unweit des Förſterhauſes feines künftigen Schwie-
gerfohnes Johannes. An feine zeitherige Stelle rüdte
Freund Balentin und verbefierte fih um Vieles.
Desgleihen ward Salomo bedacht und bei Johannes
oortheilhaft placirt.
Unfreunpdlicher geftaftete fih freilich das Schickſal
des Studenten Sigismund, weldhen das Gericht zu
mehrjähriger Gefangenſchaft und als Ausländer zur
Landesverweiſung nach verbüßter Strafzeit verurtheilte.
Indeß verhoffte man von der Gnade des Herzogs in
Betracht der großen Jugend des Verurtheilten, an⸗
ſehnliche Milderung. Was die Landesverweiſung an-
belangt, meinte lächelnd Johannes, als er das Urs
theil erfuhr, ſo kann ſich dieſe Herr Sigismund ge—
fallen laſſen. Die Grenzen des Großherzogthums
waren nämlich von den Geographen faſt mit zu
großer Beſcheidenheit gezogen.
Binnen Jahr und Tag feierten Johannes und
126
Balerie ihre Hochzeit im neuen Förſterhauſe. Der
Erbprinz hatte für ein brillantes Hochzeitgeſchenk ge-
forgt. As man eben fröhlich zu Tiſche ſaß, kam er
felbft auf ein paar Augenblide vom Schloffe herüber,
gratulixte dem Brautpaare, und dem alten Burkhard
auf die Schulter klopfend, frug er: „Nicht wahr,
Herr Förfter, bier unter den fröhlichen Leutchen iſt's
doch beſſer, als unter den heillofen Geiftern, von
tem Ihr nicht einmal Etwas fahet?” _
Der alte Mann war von der unerwarteten Ehre
jo überrafht, daß er Feine Worte. finden fonnte;
Salomo aber, der bereitS etwas weinfröhlid ihm
ſchiefüber ſaß, „fonnte die himmlische Gelegenheit,
feine Gelehrſamkeit und fein Genie in die vortheils
„ baftefte Beleuchtung zu ftellen, unmöglih unbenugt
” vorüber laffen. Trotz Johannes Zuwinken, der für
Salomo's Weinlaune fürdtete, erhob biefer fein
Glas: „Schon die Griehen und Römer,” begann er
„heiratheten fih nie ohne gereimte Anzüglichkeiten.
Hierauf declamirte er:
„Wichtelmännchen, Demagogen,
Niren, die uns oft betrogen,
Samiel, ber ſchwarze Meiſter,
Und zumal die Sumpfgeiſter —
Alle, Alle pereant
Vivat unſer Ferdinand!“
Lachend dankte der Prinz und kehrte ſehr heiter
von den Segenswünſchen der glücklichen Familie und
Hochzeitgäſte begleite, zum Schloſſe zurück. Die
Fröhlichkeit im Hochzeithauſe währte bis tief in die
Nacht, und viele glückliche Jahre folgten dem glück—
lichen Tage.
a
Der Dreikönigsabend.
— —— — —
Phantaſieſtück.
Dis Hütten war ganz verfchneit, im Innern aber
warm und gemüthlih. Im vehnſluhi ſaß ein alter
Mann mit weißem Haar, die Hände andächtig ge—
faltet. Die Mutter las in der Bibel das Kapitel
vom verlorenen Sohn.
„Den Allmächtigen Preis und Dank,“ ſprach der
Alte, als die Vorleferin geenvdet, „wir haben um
feinen verlornen Sohn zu trauern, von Dreien Keis
nen verloren. Noch heute werden wir fie wieder ſe—
ben. Sie haben Alle gefchrieben und verfprocen,
heute zum heiligen Dreifönigsfefte, als dem Jahres:
tage, wo fie von uns ſchieden, wiederzufehren. Sie
find Alle fromm und gut geblieben, uns und fih in
berzliher Liebe zugethan. Nur eine Verjchievenheit
ijt mir aufgefallen. Das ift die Art, in welcher vie
drei Briefe gejchrieben find, worin fie ihre Ankunft
vermelden. Der Xeltefte, ver Arnolpb, fchreibt auf
feines, geglätteted Papier, die Züge find fauber aber
nachläſſig vornehm, der Styl kurz, huldvoll mit fran-
zöſiſchem Anfang und Schluß. Auf dem Siegel be-
merfe ich den zierlihen Abdruck eines Petichaftringes.
Das Gegentheil von Arnolph's Brief ift der des
Hugo. Hier ift feine conventionele Form beobach⸗
tet. Er hat fih nicht einmal eines gewöhnlichen
Briefbogens bedient, das Blatt ſcheint 9 auß einem
Stolle, fämmt!. Söriften. XXIII.
130
Buche geriffen. Der Styl wimmelt von excentrifchen
Erclamationen, Gedankenſtrichen und Ausrufungszei=
hen, ift abgeriffen und die Ideen rollen wild durch—
einander. Seine Liebe zu uns lodert in hellen Flam—
men. Der fonft jo ftille, fromme Knabe muß ein
wilder, aufbraufender Yüngling geworden fein. —
Am Beten hat mir Bernhards Brief gefallen.
Hier ift nichts Excentriſches, nichts Tormelles. Ein
harmonifh ausgebildeter, männlicher, fefter Charac-
tee, glühend für das Edle, aber zugleich befonnen
und mild, giebt fi in jeder Periode fund. Doch
wie dem auch jei, ſchloß der greife Vater, fie find
mir alle Drei glei willlonmen, wie fie dieſem
Herzen gleich nahe ftehen. Mutter, mache den Chrift-
baum zurecht, auf daß ich meinen Söhnen bejcheere,
wie ih es einft gethan, und ift aud) die heilige
Weihnacht worüber, des Vaters Gabe und Segen fom-
men nie zu ſpät.“
Kaum hatte ver Greis dieſe Worte geendet, als
man eimen Reiter beranfprengen hörte, und gleid)
darauf trat ein Offizier der Garde des Königs mit
hohem Anftande in das nievere Gemach. Seine Uni—
form war prachtvoll und feine Manieren verriethen
den erfahrenen Weltmann. Arnolph umarmte Ba-
ter und Mutter. Man jah es, wie er fi ale Mühe
gab, fo herzlich als möglich zu erfeheinen, aber ein
unbefanntes Etwas ließ erfennen, wie fih der An-
fümmling bei der bürftigen Einrichtung der ‚Eltern
unbequem berührt fühlte.
Nun follte er erzählen, wie e8 ihm ergangen,
wie e8 ihm gelungen, fih fo hoch emporzufhwingen? .
Aber Arnolph ging hierauf nicht ein und antiwor-
tete etwas vornehm aber freundlih: „Ach, Liebe El—
tern, Ihr würdet e8 doch nicht faſſen.“
131
Nun folte er erzählen, wie e8 draußen in der
Welt ausfähe?
Wieder waren feine Worte, „ad, liebe Eltern,
Ihr würdet e8 doch nicht fallen.”
„Ob er denn Niht8 von dem Hugo vernommen ?“.
Bei dem Namen Hugo aber ergoß ſich eine
dunkle Röthe über Arnolph's Geficht.
„Nennt mir diefen Namen nicht,” rief er, faum
feines Zornes Meifter, „nennt mir nicht ven Namen
eines Vagabonden, ver feiner hirnverrückten Ideen
wegen gleich einer giftigen Natter geflohen oder beffer
vertilgt werben muß.“ |
„Unſer Sohn!?“ ſchrien entfettt die beiden Alten.
„Leider, daß er's ift,“ ſprach düſter der Offizier,
„ zich nenne ihn ſchon längft nicht mehr Bruder
u ffe, Ihr thut deögleichen und vergeßt, daß er
Euer” Sohn ift.“
„Hat er gemordet oder geraubt?” ſtammelte mit
bebenden Lippen der reis, während die Mutter laut
zu ſchluchzen begann.
„Mehr als dies,” donnerte Arnolph.
„Bollende, Unglücksbote,“ vief der unglüdliche
Bater, „was ift mit unſerm Sohne?“
Der Gardeoffizier ſchwieg eine Weile wie im
Nachdenken verfunfen, dann fuhr er fort: „Wozu bie
Geheimnißkrämerei — ja Euer Sohn ift einer-von
jener verruchten Rotte, Die das ganze Unglüd ber
legten Jahre auf ihrem Gewiſſen hat, vie bereits
vor vierzig Jahren das ſchöne Frankreich vergiftete,
geheiligte Throne ftürzte und frevelhafte Hand an
gejalbte ‚Häupter legte. — Euer Sohn ift ein
Da fprang die Thür auf und herein trat Hugo
in bürftiger, faft bettelhafter Kleidung, bleichen An⸗
| 9%
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gefihts, aber mit Augen, die von ungewöhnlichen
Teuer glänzten. Er ftürzte jogleih dem. Vater und
dann der Mutter zu Füßen und bevedte ihre Hände
mit Küffen und Thränen. Dann ftand er auf und
widelte eine Rolle Gold aus feinen Lumpen.
„Da, rief er, „nehmt hin, meine Eltern und
verjüßt Euch ein paar Tage, 2% man fie mit dem
armfeligen Metall verfüßen fan. Nehmt und ge-
braucht, es ift ehrlich verdient und fein Geufzer,
feine Thräne der Armuth, fein Blut der Unfchuld,
“kein Fluch ruht darauf! Aber,” fuhr er fort, indem
‚er die Aermlichkeit der Hütte flüchtig überflog und
die Zornader auf feiner Stimm fihtbar ſchwoll, „ist
es nicht eine Sünde, daß dieſe ehrlichen Leute, die
ihr ganzed langes Leben der Tugend und Abbeit
weihten, fich jo kümmerlich behelfen müfjen, w
mancher müſſige Schurke feine fetten Glieder wo
auf weiche, goldgewirkte Bolfter ſtreckt?
‚Aber‘ e8 foll anders werben!" fette er nad, ei-
ner Pauſe ingrimmig Hinzu, „Krieg ven Paläſten,
Frieden den Hütten!” Seine Blicke ftreiften wild
umber und trafen auf den Gardeoffizier, der ihn
alsbald erfannt und ſich mit Abſcheu abgemandt hatte.
„Wie, was jeh’ ih!” rief ver Phantaft im höch—
ften Zorne, „mein Bruder im Solde der Tyrannen!
Seht, meine greife Eltern, dieſe rothe Kleidung,” er
zeigte auf bie rothe Uniform des Bruders, „ſo klei—
den die Tyrannen ihre Söldner, damit man das
Dlut der gemorbeten Unſchuld nicht ſehe.“ Noch ein
Strom wilder Erclamationen erfolgte.
Da. konnte fih Arnolph nicht länger halten.
Er trat hervor und fprad mit fchredlichet Kälte:
„Danke es der Stätte, Verruchter, wo Du ftehft,
8
—
- 133
daß nicht mein gutes Piftol die Welt von einem Un-
geheuer befreit.“
„Jeſus Maria!” fchrie die Mutter, ver Greis
aber erhob fi mit feinen legten Kräften, bob die
Hände drohend empor.
„Ungerathene Söhne,” rief ex, „joll ih ven Tag
verfluchen, ter Euch geboren! —“
Da that. fid) die Thür abermals auf und herein
trat ein ſchlicht gekleideter, Fräftiger Dann mit ge—
f&heiteltem braunen Haar und edeln Zügen.
„Fluchet nicht, Vater, den Berirrten,” fprad er.
fanft mit wohllautendem Organ; zu den Brüdern
aber wendete fih Bernhard:
„Iſt das die Ehrfurcht, die Ihr dem Baterhaufe,
bem Tempel Eurer Kindheit ſchuldig fein? Wollt Ihr
bie Ywietracht, die die Welt entzweit, bis in bieje
file Hütte, in dieſes heilige Ajyl tragen? —“
„u bift aud einer von jenem’ halbfchierigen Ge—
ſchlecht,“ rief Hugo, „das weder kalt nod warm ift,
den Mantel nad dem Winde hängt und Niemandem
Feind fein will, fondern ſich gleißnerifch, ſchlangen⸗
artig zwiſchen den Parteien hindurchwindet.“
„Euer beider Feind bin ich,“ ſprach Bernhard
ernſt. „Beider Meinung werde ich bekämpfen mit
dem beſten Blute, denn fie iſt es, welche alles Un-
heil in der Welt erzeugt; aber das hält mich nicht
ab, Euch als Brüder brüderlich die Hand zu reichen
im Hauſe der Kindheit und des Vaters. Vergeßt
wenigſtens für heute Euern politiſchen Glauben, die
kindliche Liebe ſteht über ihn. Wenn Ihr wieder
draußen in ber Welt, breche die Flamme des Hafſes
wieder hervor, die doch nicht eher zu lodern aufhört,
als bis fie gänzlich erlofchen.”
Bernhard ſprach noch lange in mildem, verſöh⸗
134
nendem Tone. Er redete fo rührend zu ihnen, in-
dem er bie Tage der Kindheit, den legten Abend vor
zehn Jahren in ihrem Gedächtniſſe mit freundlichen
Farben auffriſchte, daß wenigftend vor ber Hand bie
feindlichen Brüder Waffenftillftand fchloffen.
Die Züge des Greifes erheiterten ſich fichtbar,
doch ſchied die Wehmuth nicht ganz aus ihnen; er
gebot aber den Chriftbaum anzuzünden, denn es be-
gann bunfel zu werben.
Die Lichtlein flammten wie vor zehn Jahren.
Damals aber ftanden die drei Brüder als Inabenhafte
" Zünglinge vor dem Chriftbaume. Einer hätte das
Leben für ben Andern gelaffen. Heute waren es Ge⸗
falten in jugendlicher kräftiger Männerjchönheit, wo-
bon zwei fi bis zum Tode haften und Beide ge:
meinſchaftlich wieder den Dritten. Und gleichwohl
waren im Grundcharakter alle Drei dieſelben geblie—
ben, alle Drei wollten das Beſſere, aber die Pfade,
auf denen fie wanbelten, Tiefen fich ſcharf entgegen.
Die drei Brüder repräfentirten mit ihren Mei:
nungen die drei Hauptparteien, weldhe die Welt thei-
len. Die beiden Prinzipe, ver Abfolutismus und
die Revolution trafen auch in der niedern Hütte
feindih auf einander, bis es dem wahrhaften
Liberalismus gelang, als verſöhnendes Medium
dazwiſchen zu treten.
Jetzt holte der Vater aus einem alten Schranke
bie Chriftgejchenfe.
„Drei Dinge,“ ſprach er, „hab' id) für Euch auf-
bewahrt zur Feier des heutigen Tages; ein jeder
nehme fid) das, was ihm am Meiſten zuſagt. Hier
iſt Erſtens ein Schwert"
„Mir das!“ rief Hugo fehnell und griff nad ter
%
135
Thönen Waffe. „Unfere Ideen fliegen zu machen,
hilft nichts mehr als ein gutes Schwert.‘
„Zweitens ,” fuhr der Greis fort, „ift hier eine
Pergamentrolle, welhe den Adelsbrief unferer Fa—
milie enthält. Zerrüttete Vermögensumſtände hießen
mid) vor langen Jahren den Adel ablegen und in bie
Berborgenheit zurüdziehen. Ihr wuchſet daher als
Dürgerlihe auf. Wer will das Document?”
„Bieb es mir,” ſprach haſtig der Offizier ber
Garde. „Sind die Throne und mit ihnen das Glüd
der Völker durch ein Mittel zu retten, fo ift es ver
Adel, der nicht genug befeftigt werden fann.”
„Drittens, ſprach der Vater, „it bier ein
Buch, gefüllt ift es mit nüglichen Kenntniſſen und
Weisheit.” Ä
„Das gebt mir, guter Vater,“ ſprach Bern
hard; „venn,” fügte er hinzu, „nur durch weife
Belehrung, Kenntniß, Aufflärung und Bil-
dung fann’s beifer werden auf Erden.“
Alſo befchentt verließen die drei Brüder zwar
friedlich und von Segen der greifen Eltern begleitet
bie Hütte; aber faum waren fie in der geräufchvollen
Welt angelonımen, trat jever unter die Fahnen feiner
Partei zurüd, um ſich, wenn vie Gelegenheit er-
heine, einander auf den Tod zu befehben.
a
genrebiflder.
Die deutſchen Oftern.
Die Naht im Forftbaufe.
Die Toden Germaniens.
Die Schwalbennefterrevolution.
Ein Flug durch's Gebirge.
Die ſächſiſchen Mädchen. .
Eine. Öewitternadt auf dent
Winterberge.
Die deutſchen Oſtern.
E⸗ giebt im deutſchen Jahre zwei Zeiten, die in
ihrem myſtiſchen Nebelgrau jener hochſchottiſchen,
Offian-beſungenen Bergatmoſphäre nicht nachſtehen.
Mit naſſen dunkeln Vorhängen iſt der Novemberhim-
mel umhangen. Geſpenſtiſch werden von den losge⸗
laſſenen Stürmen die feuchten Morgen: und Abend⸗
nebel über todtſtille Fluren und Berge gejagt. Das
feuchte Laub, die geftorbenen Locken des letzten Früh—
lings, raufchen von Zeit zu Zeit empor, ein einfamer
Nabe durchkrächzt den grauen eintönigen Himmel —
es find die Sterbefeufzer des verſcheidenden Jahres.
Die andere geheimnißvolle Nebelzeit ift die ver
Trühlings-Tag= und Nachtgleiche. Die Natur liebt
ihr Erwachen, wie ihren Tod in ahnungreiches Dun⸗
tel zu Heiden. Aber ein ganz anderer Ton als aus
dem grauen Spätherbſte fpricht aus dieſem Frühlings»
Dämmerreiche- : Berraufchen die Novembernebel, fo be=
fheint der Hare kalte Decemberhimmel eine große,
weiße Leiche, us dem Märzgrau dagegen bricht der
Frühling reizend und formengelodt hervor.
Wie der Himmel, fo das Boll, das darunter
wohnt. Ich mußte daher obige Worte vorausfchiden,
140
bevor ih erwähne, daß das deutſche Oſtern in jenes
ahnungsreihe Frühlingsgrau fällt.
Ja, aud wir Deutſchen glauben an eine Auf:
erftehung, an einen Gott der Liebe und Gerechtig-
feit, darum feiern wir unfere Oftern, und die Natur
feiert fie mit und. Gleichzeitig flammt es auf un:
jeren Altären und Bergen. Die bunfeln Winter
träume dort Oben zerrinnen und fiegend tritt bie
Frühlingsfonne in die ſchöne Welt.
Es giebt fein zweites Feſt im Jahre, das fo
ſymboliſch zu uns fprähe, fo einfach, jo tieffinnig,
und nur ein beutfches Gemüth vermag Oſtern in
feiner ahnungsvollen, heiligen Deutung zu verſtehen.
Bedeutſam Flingt die deutſche Dfterglode im Ge-
müthe des Knaben wieder, und wächſt er zum Yüng-
ling heran, wird die Ahnung zur Gewißheit. Aufe
erftehen, Auferftehen, bier und jenfeits, ift das
hohe Lieb ver deutſchen Oftern. .
Wie eine vom Himmel gefüßte Blume wandelt
die Jungfrau zur Kirche, bimmel-bräutlih, mabon-
nenhaft. |
Ih kenne euch, ihr Mabonnenaugen des Oſter—
morgend. Wie oft leuchtetet ihr mir in den dun—
fein Hallen ver Frühkirche. Gläubig hab’ ich Jahre
lang zu euch aufgefhaut und mein Glaube bat mic
nie betrogen.
Wie oft ftand ic) am Pfeiler rechter Hand, wenn
du Süßes Heiligenbild, im alterthiinlichen, feltfam
geſchnitzten Kicchenftuhle ſaßeſt und mit Gott ſprachſt
und feinen Engeln. Hoch über ung Mangen bie
Frühgloden in bie dämmernde Welt. Wo nahmft
du nur bie fhönen rothen Manvelblüthen her’, vie
ftet3 neben dem Büchlein mit goldenem Schnitte
lagen ?
141
Zerfallen mit Kopf und Herz, voll fophiftifcher
Spitfindigfeiten, theologifher Skrupel und Zweifel
war ic) lange Zeit die Kirche geflohen wie ein Kran
kenhaus. Da rief mid einmal mit wunderbarem
Klange die DOfterglode in die ftillen Hallen. Ich
fhaute dih und glaubte wieder an Engel, an einen
Himmel, an Gott und Unfterblichfeit.e Du warft
mein Evangelium. In ihren Loden blühten für un-
fern norbifhen Himmel feltfam rothe Blumen; als
ih mir fie näher betrachtete, waren es rothe Man⸗
delblüthen.
Der Patron der Kirche hatte der Gemeinde ein
treffliches Altarbild zum Geſchenk gemacht. Es war
ein Chriſtuskopf. Von den Altarkerzen mild erleuch—
tet, blickkte er zu der Gemeinde hernieder wie die ver-
ſöhnende Liebe. Auch ſie blickte zu dem Bilde auf
mit Gott vertrauendem hingebendem Auge. Ach, die
ſchöne Sage von Pygmalion iſt auch nur eine ſchöne
Fabel geweſen, ſonſt würde das Altarbild durch die
Himmelsblicke der Beterin Leben bekommen und ſie
davon geführt haben nach ſeiner Heimath.
Ich glaube, es iſt auch geſchehen. Als ich nach
Jahr und Tag wieder am Pfeiler lehnte, ſaß auf
ihrem Platze eine ſchwarzverſchleieree Dame. Auch
das Chriſtusbild war mit Flor umhangen. Eine
erhebende Ahnung. durchzuckte mein Innerſtes. Pro—
phetiſch klangen die Oſterglocken in der Höhe. Ich
folgte der Verſchleieren auf dem Heimwege. Sie
wandelte nach dem Kirchhofe und knieete an einem
Grabe nieder. Auf dem Grabe aber blühten —
ſchöne rothe Mandeln.
142
Die Nacht im JForfihaufe.
Raunſchend ſchlugen die finſtern Fichtenhäupter, vom
Sturme gepeitiht, aneinander. Es war eine Nacht
zum Tollwerben, aber in Deutjchland wird man nicht
jo leicht toll. Unſere treffliche Philofophie, und jever
Deutfhe iſt geborner Philofoph, läßt es nicht zum
Aeußerſten kommen. Wir haben da ein reichhaltiges
Lager von Stopfeufzern und Sprihmwörtern für die
Stunden der Frübjal.
I ftärkte mein burchnäßtes und verzagtes Ge—
müth mit folchen Bonmots, und erreichte auch glüd-
lich eine Förfterwohnung, die mitten im Walde lag.
Die Hunde erhoben ein ſolch entfetsliches Geheul,
als habe man fie vier Wochen lang auf mein theures
Tleifh und Bein faften Iaffen. Ich lebte damals
wirflich der moralifhen Weberzeugung, daß ich vie
Sonne des nächſten Tages nicht erleben würde.
Das Forfthaus, fo viel ich in der Finſterniß ge-
wahren fonnte, war fo alterthümlich-romantiſch, daß
es jeder umfichtigen Theaterdirection als Muſter zu
empfehlen wäre, und die Leute, die mir entgegentra—
ten, konnten ſich getrofl in die Brockhaus'ſche Urania
binden lafien, als abgefchlofiene und abgerundete
Charaktere des Waldbruders Ludwig Tied.
Eine tiefe Bafftimme richtete folgende Apoftrophe
an mid: | |
„Blagt Sie der Satan, Herr Urtan, in dem
Teufelsmetter! Ein Glück für Ihre Lenden, daß
Sultan gefuppelt. Nun, fein Sie fehönftend will-
fommen.‘
143
Der Nimrod, der diefe troftreihen Worte ſprach
war Niemand anders, als der Beherricher des Wal-
des, ber alte Oberförſter 3..., ein ftattlicher
Greis, wie ihn Iffland nicht gebiegener herworbrin-
gen Tonnte,
- Sowie ih nur einigermaßen im Trocknen faß,
brach die Poeſie aus allen Winkeln bervor. Der
Bater des Förfters hatte den fiebenjährigen Krieg
mitgemacht, der Urahne, den breißigjährigen. Ich
lernte dieſen Abend mehr deutſche Geſchichte, als ein
deutſcher Profeſſor im Längften Semefter vorbringt.
MWallenftein und Friedrich der Große wanbelten in
ver Heinen Förſterwohnung leibhaftig auf und ab.
Dabei faß vie ſchöne Spinnerin wie ein leben-
diges Mährchen mir gegenüber. Sie gehörte zu jenen
liebenswürbigen Gazellen, die von Kopf bis Fuß
rofenlaunig und übermuthfröhlih, ſobald aber ein
Fremdling naht, wie erfchrodene Roſen ſich zurüd-
ziehen und die langen feidenen Wimpern tief und
fittig über bie bfühenden Augen herabfallen lafjen.
Meine herzlichen Fragen wurden fhüchtern, fat ein-
filbig beantwortet, und nur felten erhob fi ver
zarte Flor, und ich ſchaute in das reizende Neid) der
Unendlichkeit.
Zur irdiſchen Glückſeligkeit gehört im Grunde
ſehr wenig. Ein gemüthlicher Seſſel und vor uns
eine ftebenzehnjährige Göttin. Ich überlegte eben,
wie dem Jüngling zu Muthe fein müfje, wenn jene
fügen frommen Lippen zu ihm das befannte Wort
„Liebe“ ſprächen, und jene Wunberfterne bazu be=
fenntnißinnig leuchteten, als mid der alte Törfter
mit der Frage unterbrach: „Ob ih den Ali Paſcha
von Janina nicht für einen Höllenhund erkenne?“
Ich erkannte fofort den Ali Paſcha für einen
144
Höllenhund und erftattete Bericht über den Zuftand
der Griechen nad dem neueften Hamburger Correfpon-
benten. Mein Eifer für die heilige Sache machte
mid warm, fo daß ich mich plößlih vom Arme des
Förſters mit Heftigfeit gepadt fühlte: „Mir aus ber
Geele gejprochen, “Doctor, aber werben ſie's aushal-
ten? Der Kapudan ift unterwegs, der fadelt nicht,
der Himmeljalermenter.‘
Ih gerieth immer mehr in's Feuer; der Alte
war ganz Ohr — das Spinnrad ſchwieg und ci
paar Sonnen blidten zu mir auf himmelgroß, e
paar verkündende Welten, daß ih Wahrheit Befprachen,
wie fie gejchrieben fand in meinem Herzen.
Ia, ih hatte wahr gefprochen, Hellas ward frei;
id aber war gefangen und bin es heute noch, gedenke
ich eurer, ihr Sonnen im alten Förfterhaufe.
Die Locken germaniens.
Die deutſche Geſchichte iſt ein ſo verzweifelter Punkt
für den gewiſſenhaften deutſchen Hiſtoriker, daß ſich
einer der letztern vor nicht gar langer Zeit in einem
aparten Aufſatze zu der Anfrage getrieben fand:
Giebt es eine deutſche Geſchichte? Wenn wir
dieſe ſeltſame Sache mit hiſtoriſchem Blute überden-
ken, und von den heutigen toupirten und düpirten
Köpfen aufwärts ſteigen durch die Säcula der Per—
rücken und Panzer bis zu den goldhaarigen Ahnen,
ſo ſtellt fich allerdings das bedenkliche Reſultat, daß
145
es wohl allerlei deutſche Geſchichten giebt, aber
feine deutſche Geſchichte. Nur zweimal findet
eine Ausnahme ſtatt, in zwei ziemlich von einander
liegenden Zeiträumen. Dieſe beiden Ausnahmen er-
eigneten fi, als, das deutſche Volf die Adler und
Legionen der beiden Cäſaren Auguftus und Napoleon
theils erjchlugen, theild aus dem Lande jagten.
Dem Erften dieſer veutjch=gefchichtlihen Mo—
mente, denn ſolche waren es, nur Zornausbrüche,
ging ein feltfamer Alt zuvor, ber für das ganze -
deutfche Volt bis auf ten heutigen Tag von einer
beflagenswerthen ſymboliſchen Vorbeveutung war. Die
Nömer nämlih, klaſſiſchen Andenkens, fchnitten zwar
den unterjochten Deutſchen alle ungehorjamen
Köpfe ab; das hätte fein mögen, wir willen aus
ver Weltgefehichte, daß aus bloßer Kopfabhaderei jel-
ten Großes herausfommt, aber jene toilettenfundigen
Duiriten gingen fpefulativer zu Werke, fie bewirth-
Ihafteten vie ftehen gebliebenen Köpfe als Wollhänp-
ler, fchnitten, ih weiß nicht, ob die Schur, wie beut=
zutage, auf einen bejondern Monat befchränft war,
die goldgelben Flechten ab und ſchickten fie kiſten—
weile als geſuchter Artikel an die römischen Friſeure.
So wurden vie Deutfhen glei beim Beginn ihrer
Geſchichte, im vollſten Sinne des Wortes, ge-
ſchoren.
Nun muß man zugeben, und alle deutſchen Ge-
Ihichten belegen e8, daß der Deutiche einen Spaß
verfteht, fer er ſubtil oder grob, und nicht gleich
wegen jeder Bagatelle zu ven Waffen greift, aber
diefe ſymboliſche Entmannung durch die römische
Sceere war ihm außer Spaß und ftieg in Die ge-
lüfteten Köpfe. Jeder, dem nur goldgelbes Haar
auf dem Scheitel ſproßte, und das war bei jedem
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 10
146
ächten Germanen der Fall, ergrimmte und griff zu
den Waffen. So ward die Sache Nationalangelegen-
heit und barum gelang ver Schlag im Teutoburger
Walde, worüber wir heutzutage und nicht genug ver-
wundern können.
Jenes induftriöfe Haarverſchneiden haben aber bie
Deutfhen Rom nie vergefien, und jo oft in ver Folge
ein Kaiſer nah Italien zug, waren fie bei der Hand
und rächten den Lodenraub mit vandaliſchem Grimme.
Sie mußten bei dieſen höchſt unerfprieglichen Expe-
bitionen zwar oft außer den Haaren auch ven Kopf
laſſen; helvdenhaft kämpfte das Kaiſerhaus ver Hohen-
ftaufen faft feine Lebzeit über im heillofen Welſch-
land, bis e8 feinen legten Kopf auf einem Scaffotte
zu Neapel einbüßte. Ziehen die Deftreicher nicht
ftets mit Cherusfermuthe über ven Bo, wenn in
Italien die Revolutionsglode läutet und blaßen Feier:
abend? Und wer wollte enblih jenen zweitauſend⸗
jährigen zornigen Patriotismus verfennen in dem
Buche des wadern Guſtav Nifolai? Bella Ita-
lia, du haft die goldenen Loden Italiens theuer
bezahlt!
Rom, troß der Niederlage im Teutoburger Wale,
fonnte von feinem Shftem, ven Deutfchen mit der
Scheere in die Haare zu fahren, nicht laſſen. Als
feine Präfecte und Lictoren Nichts mehr zu fchaffen
hatten im deutſchen Lande, erfand e8 die Tonfur
und ſchor abermals mit großer Ruhe einen Theil der
deutfchen Köpfe bis auf die Kopfhaut. Nun hatten
bie Deutfchen wieder viele Jahrhunderte an ven
Glatzen zu Iaboriren, bis Martinus Luther zu
Wittenberg auftrat und als Bratfiſch des ſechs—
zehnten Jahrhunderts den Haarwuchs beförberte
In Folge diefer Haarwuchs beförbernden Lehr
147
Luther's fuhren ſich die Deutſchen wiederum dreißig
Jahre einander ſelbſt in die Haare, worauf unmit—
telbar das Zeitalter der Perrücken begann, unter
welchen man die zerzaußten und zerſchlagenen Häupter
verbarg. Es war eine dürre, unerquickliche Zeit,
voller Bücher- und Puderſtaub, bis Napoleon gegen
bie deutſchen Perrücken zu Felde zog mit Kanonen-
und Dekreten. Da wuchſen den Deutſchen die Haare
wieder, file erhielten Einheit und Manneskraft und
jagten den neuen Auguftus aus dem Lande.
Die deutſchen Turner, welche hierbei rüftig ge—
holfen hatten, ſahen jest wohl ein, daß bie Kraft
des deutſchen Volkes, wie beim feligen Simſon e-
gentlih in den Haaren ruhe, und barum ließen fie
fi) Diefelben jo lang, wie immer möglich machen,
bis fi das neue Inftitut des deutfchen Bundes dieſer
altväterifchen Sitte widerſetzte.
Es find an die zweitaufend Jahre, feit und Nom
die Haare verfehnitt; Die nächtig fchattenden Wälder
von Atgermanien find gelihtet und Mar und nebel-
rein foheint die Sonne über die deutſchen Lande.
Es bat fih darum unfer Haar fichtbar gebräunt,
und die golpgelben Xoden, jene einftige nationale
Kopfbebedung, werben immer feltener. Ueberdies ha-
ben die zahlreichen Beſuche aus aller Herren Ländern
einer jeden wiflenfchaftlihen Unterfuchung hohnſpre⸗
chende Haarverwirrung zurückgelaſſen, jo daß ich be—
zweifele, ob die heutigen Romerinnen noch Verlangen
nach unſeren Locken tragen. Wien hat auch in die—
ſer Hinſicht die Fürſorge übernommen und liefert die
ſchönſten Locken in allen Couleuren für Italien und
Deutſchland.
Dies iſt die Geſchichte der goldgelben Locen Ger⸗
maniens.
10*
148
| Sol ich auch euer gebenfen, ſeidene, zauberhafte
Fäden, die ihr euch weich und zart um die Schläfe
der Töchter Germaniens legt, oder tändelnd herab—
ringelt in reizendem Muthwillen, oder traumhaft um⸗
ſchattet blumenhafte Sonnen ?
Was ſiehſt du wie aus einem goldenen Traume
zu mir auf, ſüßes, blondes Vermächtniß im einfachen
Medaillon, ſeliges Pfand geſtorbener Seligkeiten?
Fern in einem ſchönen Thale von Deutſchland, wo
die Linden duften und die Nachtigallen ſchlagen,
küßteſt du Jahre lang ein frühling⸗-ſchönes Antlitz,
bis die eigene zarte Hand ſelbſtmörderiſch dich löſte
aus dem goldenen Reiche der Schweſtern.
| Schönfter Juniabend meines Lebens, heilige Vor:
feier jenes großen Frühlingsfeſtes, beffen Kerzen in
einer anderen Welt flammen, deſſen Glocken in einer
anderen Welt läuten, aber in geweihten Augenbliden
herüberklingen dur unfere Nebelveden und feuchten
Wolkenſchichten.
Das Abendroth war einſam verblüht hinter Gär⸗
ten und Rebenhügeln; immer tiefer ſank die Welt in
das große ahmungsreiche Grab der Dämmerung. Der
bunte Schmelz der Blumenbeete zerfloß in duftendes
Grau; nur die weißen Lilien leuchteten geifterhaft in
dunflen Räumen, Aber je tiefer der blühende Erden—
farg hinabjanf in das ernfte Reich der Schatten, um
jo flammender und überzeugender entzünbete fi dort
Dben der fonnengeftidte Namenszug Gottes in uns
fterblider Schöne.
Mitten im golobuftenden Dunkel, zwiſchen Blu—
men und Sternen, faß id) an ver Seite Seraphinen’s,
jenes poefiereihen Kindes mit blondſeidenem Haar
und frommen, wunderfhönen Augen. Eine tiefe Sa=
bathſtille ruhte heilig über der nächtlihen Schöpfung.
ED
149
Das Reich der Träume wob finmend feine goldenen
Flore über Glocken und Keldee — Da wanden fid
leife und lind die Töne einer fernen Abenpglode
durd Blätter und Stauden und legten fid) wie Him—
melsgrüße einer ſchönen Welt an unfer Herz. Gie
neigte wunderbar bewegt ihr ſüßes Haupt gegen
meine Bruft und ich hauchte einen leiſen Kuß auf
die ſchöne Stirn.
„O Seraphine,“ flüfterte ich, „‚feligfter Traum mei-
ned Lebens, veizender Gedanke einer ſchoͤnen Welt —“
und id) bat vie Holpfelige, - warum ich fchon fo oft
vergebend gebeten, um eine Rode ihres fchönen
Haars. Sie antwortete nicht und blickte wie eine
träumende Blume nad) dem immer tiefer finfenden
Abenpitern. .
„Er finkt gen. Frankreich,” ſprach ich leiſe, „bald
folg’ ih ihm,” und wiederholte meine Bitte in wei-
chem flehenvden Tone. — Da tünte eine befannte Hof«
thürſchelle.
„Die Eltern ſind zurück,“ ſprach Seraphine,
ſtand ſchnell auf und eilte den Gartengang entlang.
Ich folgte. Im Wohnhaus am Eingang des Gar⸗
tens war es lichthell geworden. Ich trat in den
Salon, wo ich die hein.gekehrten Eltern begrüßte,
und wo das Abendeſſen ſchon bereit ftand.
Letztes heiliges Abendmahl in jenem fchönen deut⸗
Then Frühlinge voller Blumen und Liebe. Zum
letzten Male faß ich gegenüber der reizenden Verkün—
derin einer Unfterblichkeit. Die Römer Hangen an
einander auf meine bereinftige Wiederkehr, aus bem
Ihönen Frankreich. Und als ih mit ihr anklang und:
der Ton fo rein und golden die Luft durchzog wie
ſterbendes Abendroth, verfanf idy zum lebten Dale
in jene feligen Himmel ihrer blauen Augen, und un⸗
150
willkürlich durchklang mich das reizende Lied des herr-
lichen Hoffmann von Fallersleben, das er einſt in
heiliger Stunde gewiß auf eben ſo ſchöne Augen ge—
dichtet hat:
„Ich ſchaute die blaue unendliche See,
Da ward mir im Herzen ſo wohl und ſo weh,
Doch als ich Dein blaues Auge geſehen —
Da, weiß ich ſelbſt nicht, wie mir geſchehen.
Und ob ich die blaue unendliche See
Auch immer und immer wiederſeh';
Das Waſſer immer nur Waſſer bliebe —
Dein Aug’ tit ewig unendliche Liebe,“
Zur Erinnerung an jenen Abend aber bewahr’ ich
eine ber ſchönſten Locken Germaniens, weldhe mir
Seraphine in ein goldgerändertes Stammbucdhblatt
gewidelt, plöglih in die Hand brüdte, als ich ſchwer—
muthvoll ob des bevorftehenden Abſchiedes durch das
geöffnete Fenfter nah dem . nächtlichen, duftenden
Garten hinſchaute. O feliger Augendlid!. — Ich
wollte ihr nadeilen, ihr dankend zu Füßen finken,
aber fie war bereit duch die Glasthür entfchlüpft.
Ih Klingt. Die Thüre war verfchloffen und meine
Dlide trafen nur nod die Himmelsgeftalt im him-
melblauen Kleive, als fie durch bie zweite Thür ent—
ſchwebte.
Es war das letzte Mal. Ich habe ſie nie wieder
geſehen, denn bereits am andern Tage rief ſie ein
Brief an das Sterbebette ihrer weiten entfernten
Tante, welche ſich die letzten Augenblicke durch das
Anſchauen eines Engels verſüßen wollte. Von Tag
zu Tag verſchob ſich meine Abreiſe; Seraphine kehrte
nicht zurück. So mußte ich fort, ohne Gruß und
Kuß von ihr das Vaterland verlaſſen.
Das Poſthorn klang. Fort brauſte der Wagen
auf der Straße nach Frankreich. Auf meiner Bruſt
151
aber ruhte wie ein ftiller Segen das letzte heiligſte
Geſchenk, das ich im Vaterland erhalten — eine
Locke Germaniens.
Die Schwafbennefter - Revotution.
In einem deutſchen Fürſtenthume ereignete ſich der
tragiſche Fall, daß mehre Schwalben, die in einem
Grenzdorfe ihre Neſter bauten, die Baumaterialien
aus dem ausländiſchen Gebiete herüber trugen. Der
Gutsherr, ein Patriot, jo wie er von der Paſcherei
erfuhr, gab den Befehl, vie unverfteuerten Neiter zu
zerſtören. Ein böſes DBeifpiel ververbt gute Sitten,
hatte er gejagt, denn er wußte für Die verwideltiten
Lagen im Leben Sprichwörter.
Die gutsherrliche Erecutiond-Armee fegte ſich fo-
fort gegen die Schwalbennefter in Dewegung; die
Bauern aber, die, wie ihre ſämmtlichen Collegen im
deutfchen Lande, bie Schwalbennefter an den Häufern
für glüdliche Omina erkennen, wollten die Zerftörung
nicht zugeben und fegten fid zur Wehre. Der Guts-
herr, weil er für ſolch' außerordentlichen Fall fein
Sprichwort wußte, Tieß anfpannen, fuhr nach der Re—
ſidenz und flug Lärm. Sogleich behandelte bie
beutfche Preſſe die Heine Revolution mit der ihr ei=
genthümlichen Delikateſſe; aber im Pariſer Temps
las ich ſie bereits mit Kanonen. In das rebellifche
Dorf rüdten Dragoner und verblieben daſelbſt, bis
die Schwalben in die Winterquartiere zogen. _
An folhen Deiniatur-Revolutionen ift die deutſche
152,
Geſchichte neuerer Zeit niht arm. Oſt waren bie
Urſachen noch unbeveutenter als Schwalbenneſter.
Der Gutsherr, welcher ver Schwalbenneſter-Re—
volution ſo determinirt auf den Kopf trat, war Nie—
mand anders als Herr von X...., ber als ſpäterer
Landſtand die Kammeroppoſition vernichtete. Seine
Sprichwörter und Bonmots waren gefürchtet. Mit
einem Sprichwort ſchlug er einmal die ganze Debatte
darnieder, die für das Miniſterium ſchon eine ſehr be—
denkliche Wendung nahm. Die Oppoſition beſchwerte
ſich nämlich über die vielen Cenſurlücken in der in-
ländiſchen periodifhen Preſſe. Man brachte die gra—
virendſten Beweiſe vor. Die Miniſterbank gerieth in
die Enge. Da erhob ſich Herr von &....
„Deine Herren,” rief er, „ich verfichere auf Ehre,
daß mich die GSenfurlüden nie incommodirt haben.
Ich Habe da meine Philofophie und venfe: Was ich
nicht weiß, macht mich nicht heiß “ |
Die rechte Seite fand dieſe Anficht eben fo weile
als beruhigend; das Minifterium ſchöpfte frifchen
Athem, und die Oppofition blieb in der Minorität.
Ich lernte Herrn von X.... einmal in Baden—
Baden perſönlich kennen. Er war der leibhafte Re—
präfentant des Confervativ- Shftemd und Hatte fidh
felbft vortrefflich confervirt. Die Stürme der Revo—
Iution waren ſpurlos über dieſen deutſchen Schädel
dahin gegangen. Seine einzige Sorge beſtand darin,
noch fo lange zu leben, bis den Franzoſen noch et—
was Tüchtiges am Zeuge geflickt wäre. Herr von
X.... hatte nämlich alle Urſache, mit Frankreich un-
zufrieden zu fein. Die Tranzofen hatten naͤch und
nah faft feine ſämmtliche Vetterſchaft todtgefchoflen,
von den Revolutiondkriegen an bis Anno 1815. Er
jelbft zählte mir eine Menge verflärter Couſins auf.
153
„Aber Papa,‘ rief die zehnjährige Anna, die aus-
gegangene Pfeife des Vaters mit einem Fidibus an-
zündend, „wie viel Couſins haft Du nur gehabt? Da
ift der Bobo, der Albrecht, der Hans, der Kasper,
bie ich alle nicht leiden kann, wegen ber abſcheulichen
Schnurrbärte.“
„Einfältig Kind,“ brummte der Alte, „danke
Gott, daß dem Vaterlande noch einige Stützen er-
halten find. Wären jene Helden,“ fügte ex zu mir
gewendet mit leifem Seufzer hinzu, „nicht jo frühzei-
tig gefallen, wer weiß, wie es jett ſtünde.“
„Es wäre Mandyes anders geworden,” gegenre-
dete ich.
„Der Iſegrimm fteht nod vor mir,” fprad der
deutſche Dichter mit ftiller Begeifterung, „ein Pradıt-
junge. Die Geſchichte hätte einen Blücher mehr. Gott
hab’ ihn felig, er hieß eigentlich Morig; aber bie
Familie nannte ihn Iſegrim.“
„Der mag erft einen Echnurrbart gehabt haben,”
rief Anna mit fomifhem Entſetzen.
„Lothringen und Elfaß mit fammt dem Münfter
entgingen ung nicht,“ behauptete der Alte, „pen
ſchmachvollen pariſer Frieden hätte Iſegrimm nimmer
zugegeben.“
Ich betrauerte von Herzen den edlen Ritter.
Ein Flug durch's gebirge.
Wenn man an einem heitern Sommertage eine der
vielen anmuthigen Anhöhen der Dresdner Umgegend
154
erfteigt und die Blide über das weite fhöne Elbthal
dahinſtreifen, fieht man den füblichen Horizont auf
ferne nebelhafte Berge herabſinken. Das find die blau-
grauen Wolfen des Erzgebirges. Märchenhaft weht
es aus jener Gebirgsgegend in das lachende Thal
herüber, und das Erzgebirge allein genießt in der
Phantaſie der Dresdner mehr Kredit, als der blü—
hendſte Maärchenalmanach. Denn in jenen Gebirgen
rauſchen geheimnißvoll die dunkeln Bergwaſſer in un-
ergründlichen, waldumnachteten Tiefen; da ſteigen in
nächtlicher Stille die Silbereimer in die ſchwarzen
Eingeweide der Erde, irren bie Grubenlichter in zwei-
deutigem Nebel, und einſam nur klingt das Glöcklein
der Hüttenwerke durch die todtſtille Gegend. Da blüht
kein Frühling, lacht keine Roſe, da iſt der Gnomen
und Erdgeiſter märchenhaftes Reich und die Armuth
wohnt zwiſchen Silberhaufen. Die einzigen Silber⸗
blicke, die der Himmel den armen Gebirgsbewohnern
| verlieh, heißen Gottvertrauen und Yufrievenheit.
Der Gedanke an das Falte Erzgebirge an einem
heißen Sommertage in Dresden wirkt fo erquidenp,
wie das erfrifchenpfte Glas Erdbeereis bei Baldini
auf der Brühl'ſchen Terraſſe.
Ih ſaß an einem jhönen Sommerabenvde auf ge:
nanntem DVergnügungsorte; die untergehende Sonne,
weldhe kaum eine Hand breit über den Nebenbergen
der Lösnitz ſtand, warf ihren Roſaſchimmier verflä-
rend über das reizende Abendbild. Die Fenſter ver
Loſchwitzer Weinberghäufer ftrahlten in prachtvoller
Erleuchtung, über mir dufteten die Lindenblüthen,
das Mufifforps fpielte das ſüße Duett aus Jeſſonda:
Laßt und dorthin, dorthin ziehen ꝛc., ale plötzlich
ein poetiſcher Freund zu mir trat und mit demoſthe⸗
niſcher Beredtſamkeit mir die Reize eines Flugs durch's
155
hohe Erzgebirge in ven jegigen warmen Sommertagen
auseinander fette.
„Bedenke nur,” rief er begeiftert, „heute noch fiten
wir hier im reizenden, fonnigen Elbthale, inmitten
ver glockenreichen Königitadt, inmitten von füßen Me-
Iodien, leuchtenden Rofen, und morgen-fchon hören
wir die Urquellen rauſchen im hohen Gebirg, fehen
den einfamen Raubvogel über ftarren Felſen kreiſen;
Alles ift todt und erſtorben —
„Das Glöcklein klingt, der Morgen graut,
63 wird im Bergmannsbüttchen laut.‘
Ich laſſe nie gern eine Öelegenheit vorüber, wo
ed gilt, eine poetifhe Idee zu realiſiren. Es find
ſolche Zeiten Stlberblide, und je reiher das Leben
an ihnen, deſto reicher ift das Leben felbft zu nen-
nen. Meine Scrupel und Zweifel waren daher bald
niedergeſchlagen und bereit8 am andern Morgen jelb-
anberten wir frei und glüdlih auf der Straße gen
Freiberg dahin.
Das reizende Tharand ift der lette fünliche
Stern der ſchönen Drespner Umgegend. Darüber
hinaus wird die Gegend waloftiller, ernfter und höher.
Je weiter wir vorwärts fohreiten, deſto mehr Berge
wälzen fid) zwifchen uns und das zurüdgebliebene Elb-
thal. Selbft der Himmel verliert bald fein erquik⸗
kendes Blau, dann noch einige Stunden Wegs, und
hie und ba fleigt die einförmige Rauchſäule der Hüt-
tenwerfe zu den Wolfen. Wir find in das Neid des
Plutus getreten. Das ift aber ein eben fo unlie-
benswürbiger Gott, wie fein Herr Bater Bullen.
Aſchgrau und Echwefelgelb brütet er wie der leibhaf-
tige Geiz über Silberhaufen.
Die Bergftapt Freiberg, acht Stunden von Dres⸗
den, ift jo alt wie bie älteflen ſächſiſchen Spezies,
*
‘
156
\
Hier wird jene Kunft, die Erde auszubeuten, methodiſch
gelehrt; denn hier befindet fi Die berühmte Berg—
alademie, welde von Scholaren aus aller Herren
Ländern befucht wird. Selbſt Spanier jtudirten noch
vor nit langer Zeit hier. Nachdem für Spanien
bie Silberblide Amerika's erloſchen waren, fein Herz
und feine Silberader der neuen Welt mehr für vie
kaſtiliſchen Könige ſchlug und feine Silberflotte mehr
einfief unter dem Donner der Kartbaunen und dem
Hurrah der Equipage in den Hafen von Kadir, ſah
man eined Tages fremde ſüdliche Geftalten mit ftol-
zen Schritten und tieffatholifhen Gefichtern einher-
wandeln in den Straßen eines unfcheinbaren fächft-
[hen Bergſtädtchens. Spanien wollte nämlih nad
dem Berlufte beider Indien in den eigenen Buſen
greifen und aus den Tiefen feiner Sierrad die Gold—
und GSilberquellen fprubeln laſſen in nie gejehener
Schöne. Ich weiß nun nicht, wie weit bie Sache
gediehen ift, doch fheint mir, daß Freund Menpiza-
bal bei den Farliftifchen Händeln die Freiberger Stu—
dien Ivor der Hand habe dahin geftellt fein laffen,
indem er es für gerathener fand, zuvor den fchönen
Hamfterbau der fpanifchen Klöfter bergmännifc zu
bearbeiten.
An der Freiberger Bergakademie lehrte noch vor
wenig Decennien ver große Bergmann Abraham
Werner, der Linne der Unterwelt, und nod) heute
lebt und wirkt ein gefeierter deutſcher Name in ber
fleinen Bergſtadt — der Oberberghauptmann Frei-
here v. Herder, Sohn des Verfaſſers der Ideen zur
Philofophie der Geſchichte ver Menjchheit.
Bevor ih die Bergſtadt, die nächſt ihrer Alter-
thümlicheitt wenig Bemerkenswerthes vorzeigt, ver:
laſſe muß ich noch eines kleinen muſikaliſchen Mei—
157
fterwerfs gevenfen, das innerhalb Freibergd büftern
Mauern gebihtet und in Muſik gefeßt ward. Ic
weiß nit, ob das liebe Mufikftüd: „Der Berg—⸗
mannsgruß,“ Tert von Döring, componirt von
Anader, außerhalb Sachſen fo bekannt und beliebt
ift, wie innerhalb unferer befcheiden gezogenen Grän-
zen. Es erhält dieſes Tonwerk hbauptfählid dadurch
einen eigenthümlichen Reiz, daß Dichtung und Töne
inmitten des Bergwerklebens entſtanden, den Zauber
und den Duft der Berge gleichſam in ſich geſogen
und treu bewahrt haben.
Wenn man von Dresden nach Freiberg heraufge—
wandert ift, denkt man wunder wie hoch man fi
befindet, während fih im Süden neue, höhere Berg-
mafjen gen Himmel wälzgen. Immer öder und trau-
tiger wird die Gegend, die Vegetation ſparſamer, bald
bleibt Flora’8 und Pomona's Reich ganz zurüd, und
man vernimmt nur das einfame Raufchen finjterer
Zannenwälper. |
Wir befchloffen, das gewerbreihe Chemnig,
dieſe Lebenspulsader des Gebirge, rechter Hand lies
gen zu laffen, und wanderten über das freundliche
Bergſtädtchen Annaberg fhnurftrad8 auf jene vom
Himmel verlaffene Gegend zu, die man unter dem
Namen des fähfifhen Sibirien begreift.
Man kann das ſächſiſche Erzgebirge füglih in drei
Gürtel theilen. Aehrengolden wogt e8 auf ben füb-
lichen Abhängen, der üppige Saum ift mit Blumen
durchwirkt, fruchtbeladene Aefte beugen fich im Herbite
zur Erde, und der dankbare Boden nährt den flei=
ßigen Bebauer. Noh baut fi) der Landmann fein
ſolides räumliches Wohnhaus, und die innere Ein-
richtung zeigt von dem behaglichen Auskommen des
Eigenthümers. Aber ein fhneidender Luftzug durch—
158
weht bereit die mittlere Region, und verbietet
mandem veizenden Rinde Floren's, die goldenen Au-
gen aufzuſchlagen. Der Fleiß der Menſchenhand muß
hier nachholen, was der Erdboden verfagt. Uner-
müblih ſchwirrt das Weberfchiffchen in den zahlrei=
hen, großentheils ärmlichen Wohnungen. Tauſend
und abertaufend Hände vegen ſich in gefchäftiger Eile
wie ein Ameifenhaufe, vom armen Pöffelfhmidt und
Korbflechter bis zur blafien Spigenflöpplerin, vie bei
bürftigem Tampenlicht von früh bis zum fpäten Abend
an ihrem funftreihen Gewebe fitt.
Steigen wir aber beherzt noch höher in Die Berge
hinein, in den dritten Gürtel, da ſchweigt als-
bald die Gewerbthätigfeit, das. Fabrikfeben; Alles
wird ftiller, rauher; auf der Erde ift für den Men-
fhen Nichts mehr zu holen, und er fteigt wieder in
die Erde hinab, in das Neich der Gnomen und Me-
tale. Die Hütten werben ärmlicher, die Gefichter
bläffer; die kräftigen Fichten, die muntern Tannen,
die wenig Stunden tiefer im Yanbe noch ſtolz und
. majeftätifc zum Himmel ftreben, verlieren allen Muth
und werben zwergartig. Dürftig nur nod) gebeiht
der einſame Eibifhbaum mit feinen blutrothen Bee-
ven am Wege, enplich erlifcht auch diefer, und fo
weit der Blick troftlos die tobtkalte Gegend burd)-
ftreift, trifft er auf Nichts, als auf einen theilnahm—
Iofen Himmel und graues Elend.
Faſt wie Ironie fieht e8 aus, wenn die armen
Bewohner bier und da auf einem fonnig gelegenen
Bläschen die unfrudhtbare Erde umgewühlt und em
göldenes Saatkorn darin verborgen haben. Ich durch⸗
wanderte vor einigen Jahren im Anfang October
diefe Gegend, da ftand das armfelige Korn mit ſſei—
159
nen feberleichten Aehren noch auf dem Felde und ber
Hafer war noch ganz grün.
Die Armuth in diefer, von allen Göttern ver-
laſſenen Region nimmt von Jahr zu Iahr zu. Beim
angeftrengteften Fleiße verbient jegt — im vollften
Sinne des Worts — eine Spitenflöpplerin nicht
das trodene Brot, denn fie muß ihren Hunger gro-
Bentheil8 mit Kartoffeln ftillen. Dazu kommt
noch, daß der Bergbau immer mehr in Berfall ge-
räth. Auf der Erde Nichts, unter der Erde Nichts,
find die Armen auf den Himmel verwiefen, wovon
fie leider nicht fatt werden. Es ift ein Jammer,
wenn man in ven Gegenden bes höchſten Gebirgs,
in Johann-Georgenſtadt, Eibenftod, Schön—
haide, den blafjen Leivensgeftalten begegnet, die mit
jeltfamer Trauer zu dem durchwandernden Frembling
aufihauen, der von glüdlicheren Himmeln zu erzäh-
len weiß.
Was helfen hier oben in diefer Stiefmutter von
Gegend alle Deflamationen von Heimath, Patriotis⸗
mus und Baterlandsliebe. Der Boden, ber feine
Kinder beim angeftvengteften Fleiße verhungern läßt,
hat auch feinen Anfpruh auf die Liebe berfelben,
und ift irgend deutſchen Landsleuten eine glüdliche
Veberfahrt nach Amerika zu wünfchen, jo find es bie
armen Bewohner des ſächſiſchen Sibirien.
Auf der Grenze zwiſchen Sachſen und Böhmen
beim Dorfe Wildenthal ſteigt ein gigantiſcher Berg
zu den Wolken; es iſt dies der Auersberg, und
wer ihn erſtiegen, kann von Ausſicht erzählen. Man
muß aber einen heitern Nachmittag wählen, denn die
Bormittage find felten von Nebeln frei. Da liegt
ein mächtiges Stüd von Böhmen, wie eine friſch co⸗
lorirte Landkarte, zu unfern Füßen. Ein gut be
160
waffnetes Auge fol die Zinnen von Prag erkennen.
Wenden wir uns, fo überfchweift unſer Blic die bei—
den Falten Gürtel des Exrzgebirge8 und ganz am Ho—
rizonte dämmert in lieber bläulicher Ferne das Reich
der Blumen und feidenen Lüfte Zur Linken breitet
das Bogtland feine reichen Getreidefluren in endloſen
Flächen aus bis zur bairifhen Grenze; rechts aber
verbauen bie himmelhohen böhmifchen Grenzgebirge
fat jede Ausficht.
Auf diefem höchſten Öebirge fanden wir und
fhauten wie Könige auf die große Welt zu unfern‘
Füßen. Dort in weiteſter Ferne, Hinter jenem blaj-
fen Nebelftreif, lag das Elbthal, Dresden, die Iin-
denumblühte Brühl’fche Terraſſe, wo wir noch ehe⸗
geſtern ſaßen, von lieblichen Melodien ummogt. Hier
in ber erhabenen Einfamkeit tünte ein anderer Choral
in den Kronen der bürftigen Tannen. Da unten lag
Schönhaide, eine der traurigften jener ſächſiſch-ſibiri—
ſchen Kolonien mit feinen ärmlichen Hütten voller
Hunger und Elend.
Kalt ftrih der Wind aus Böhmen herüber. Mein
Freund hatte eine Flaſche guten Medoc mit herauf-
gefchleppt. Wir tranfen auf das Wohl der armen
Hüttenbewohner und auf das ſchöne Mitleid, daß es
einfehre in die Paläfte und die Herzen der Neichen.
Klirrend flog die geleerte Flafche in den Abgrund.
Eine Schaar ſchwarzes Geflügel ftieg erfchredt hervor
und umtfreiste mit heiferem Gefchrei unfere Häupter;
der Wind aus Böhmen pfiff ſchneidender; immer un-
heimlicher warb e8 auf ver falten Bergeshöh'. Da
faßte mich der Freund am Arme.
„Laß uns dorthin, dorthin ziehen,
Wo die Blumen fchöner blüh'n.“
fang er, und unter der Spohr’fhen Melodie eilten
wir den Berg herab,
161
Am andern Zage ging die Reiſe zur Poft von
Schneeberg aus, über Stollberg, Chemnig, nad dem
lachenden Elbflorenz, aus dem Winter in den Yrüb-
ling zurüd. —
Die ſächſiſchen Mädchen.
m über ven fraglichen Gegenftand ein unbefange-
nes, philofophifches Urtheil abzugeben, ift ein Haupt-
erforderniß, daß man nicht felbft verliebt if. Da
ih mich, Gott ſei Dank, dermalen in dieſem glüd-
lihen, emancipirten Zuſtande befinde, fo ergreife ich
die fehöne Gelegenheit, und berichte wie folgt:
Die fählifhen Mädchen find ein herrliches Ge-
fchlecht, das ver Tiebe Gott zum Nuten und From⸗
men feiner guten und getreuen Bewohner des confti-
tutionellen Königreichs Sachſen befonderd erfchaffen,
bat, obſchon die königlich ſächſiſchen Mädchen nichts
weniger als conftitutionell gefinnt zu nennen, ba ber
fähfifhe Landtag gleich beim Beginn feiner Situn-
gen die unpolitifche Ungalanterie beging, das reizenve
Gejhleht von feinen Situngen auszufchliegen und
fih feine Gallerie muthwilligerweife zu befloriren.
Es ift ein uralt Bonmot, daß
„in Sachſen die ſchönen Mädchen wachſen.“
Ging ich nun nicht ſo unparteiiſch zu Werke, ließ
ich das Bonmot auf ſich beruhen, und die Welt käme
hinſichtlich der ſächſiſchen Mädchen nie auf's Reine,
aber fo ſtreiche ich das ſchön und ſetze dafür hübſch.
Nah dieſer Variation will id) das Sprichwort be—
ſchwören, falls die Sache zum Prozeſſe kommt. Hier⸗
mit ſoll nun nicht geſagt ſein, als ob in Sachſen
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 11
ı®
162
nicht auch jehr fhöne Mädchen wüchſen, bewahre der
Himmel! Auch leb’ ich der moralifchen Weberzeugung,
daß ſich ꝰ10 Theile meiner Landsmänninnen für ſehr
ſchöne Mädchen halten,
Hätt' ich völlig freie Hand, würd' ich obiges
Bonmot noch auf eine zweite Art variiren und
ſchreiben:
„In Sachſen, wo die herzigen Mädchen wachſen.“
Dies kann ich ſogar auf geographiſchem Wege
beweiſen. Deutſchland oder, wie die Turner wollen,
Teutſchland, oder demagogiſch das deutſche Vaterland,
oder laut der Wiener Congreßakte die deutſchen Bun⸗—
desſtaaten ſind bekanntlich das Herz von Europa;
Sachſen wiederum iſt das Herz von Deutſchland;
kann e8 aber nad) deutſcher Logkik und Fundamental⸗
Philofophie ander Tommen, als daß auf ſolch' her-
zigem Terrain bie ‚meiften herzigen Mädchen wachjen?
Ein ſächſifches Mädchen weiß mit ihrem Heinen Her⸗
zen in der Welt Gottes Nichts anzufangen, als fid)
damit zu verlieben, und das macht das ſüße Kind
eben fo herzig und liebenswürbig,
Indem ich den letzten kühnen Sat nieverjchreibe,
fallen mir die Leipzigerinnen ein, und ich fomme in
nicht geringe Berlegenheit. Daß die Leipzigerinnen
auch ſächſiſche Mädchen, kann ich nicht läugnen und
gleichwohl paßt ta mein Sag nit, daß fie mit ih-
ven diverfen Herzen Nichts anzufangen wüßten, als
fi) zu verlieben. Id) will mid auf gut conftitutios
nellem Wege aus ver Schlinge ziehen und jo Har als
möglich fallen.
Geber Mebiciner, wenn er auch noch nicht pro-
movirt hat, wird mir zugeftehen, daß jedes irdiſche
Mädchen, von andern iſt die Rede nicht, mit zwei
Herzkammern geboren wird. Nun gut, ich mache
163
jet die Nutzanwendung auf die ſächſiſchen Mädchen.
Wenn ich von ihnen im Allgemeinen behaupte, daß
fie mit ihren Herzen .nichtd anzufangen wüßten, als
fih damit zu verlieben, fo fol Das fo viel heißen,
daß fie fih mit beid en Herzlammern verlieben; bie
Leipzigerinnen machen aber eine Ausnahme und ver-
lieben fih blos mit Einer, während die Andere
mit allerhand Contrebanvde, als da find Feronièren,
Spiten, Marabouts, Ballengagements und mit noch
Ihlimmeren Dingen vollgepfropft ift.
Die Leipziger Mädchen find wie ihre vaterländi-
fhen Colleginnen zwar conftitutionelle Staatsbürgerin=
nen, aber liberaler gefinnt. Sie geben dem AYwei=
fammerfyftem den Vorzug. Es ift da ein ewiger
Steit der Intereſſen zwilchen Liebe, Eitelfeit und
Gefalljuht, während die Mädchen in der Provinz
gar nicht wiſſen, daß fie zwei Kammern haben, ba
in beiden nur die Liebe wohnt.
Die Mädchen in ber Provinz, was fol‘ das be-
deuten? Es ift gut, daß mir die Nedensart in den
Weg kam, ic habe mid) lange genug darüber geär=
gert, und erhalte nun Gelegenheit, einmal dem Leip—
ziger Mebermuthe beizufommen.
Die Yeipziger, doch bamit id nicht ungereht
werbe, faft nur das junge Yeipzig, la jeune Leipsic,
wenn e8 auch nicht ganz der Weberzeugung lebt, daR
Leipzig der Mittelpunkt der Erbe und ber Eivilifa-
tion, und daß der liebe Gott den 5400 Meilen lan-
gen Aequator blos erſchaffen hat, damit er fih um
Leipzig drehe, hat ſich feine eigene Geographie ge-
Ihaffen. Nach dieſem Leipziger geographiſchen Kate—
chismus wird das Köni Sachſen eingetheilt:
a) in die Stadt L , inclusive der Kohlgär-
ten und Straßenhaufer, und
®.
.. 164
b) in die Provinz.‘
Alles, was niht Sahne ftatt Rahm fagt, was
nicht zittert und bebert, ſondern nur zittert und
bebt, gehört zur Provinz; das herrliche Dresden im
blühenden Elbthale mit feinen Kunftfhägen, Drespen,
die Haupt- und Reſidenzſtadt, das gewerbliche Chem-
nis mit feinen Fabriken — Alles ift Provinz, hat
neun Zehntheile weniger Anſpruch auf Die ewige
Glückſeligkeit, und Leipzig mit feinen fetten Lerchen
und magern Profeſſuren ift die allmächtig gebietenve
Urbs. |
Doc ich kehre zu meinem Hauptthema, den fädh-
fihen Mädchen, zurüd.
Dir ward Gelegenheit, die ſächſiſche Flora in den
verſchiedenartigſten Jahreszeiten zu beobachten. Wie
manche ſelige Winternacht lehnte ich an einem Pfei-
ler der kerzenflammenden Ballſäle des Hotel de Po—
logne in Leipzig, und ſah die reizenden Guirlanden
des Cotillon an mir vorüberſchweben. Ich habe ſie
geſchaut die liebliche Flora der Leipziger Gewandhaus⸗
concerte, jo wie die freundlichen Blumen der Reſi—
denz, in reizender Verklärung der hundertfach flam—
menden Kerzen, umwogt von den füßejten Melodien
Bellini's. Man befand fih in einem Zauberparke
von Tauſend und Einer Naht; man war beraufcht,
entzüdt, aber nicht — erquidt. Die lieblichen Blu—
men waren eben nichts als Balldamen, und wenn
man am Tage nad dem Ball den blafjen, kränflichen
Geftalten auf der Promenade begegnete, ſchwand vol:
lends alle Poeſie.
Aber es gibt außer Feipzig und Dresden noch
eine andere ſächſiſche Florä, die wie ein duftendes
Veilchengebild in der Stille ihrer Berge und Thäler
165 _
einfam blüht, des eigenen Werthes unbewußt, und
fie ift die Nationalfarbe der ſächſiſchen Mädchen.
O durchwandere nur, geneigter Leſer, an ſchönen
Sommerabenden bie freundlichen fächftfchen Landſtädte,
blicke auf nach den Fenſtern, wo Blumen herabnicken,
und Du wirft hinter den Blumen noch ſchönere Blu—
men verftedt finden; wandle nur vorüber an ben
Steinbänfen vor den Häuſern, wo fie gern vereint
fist die holde nahbarlihe Flora, plaudernd und
Märchen erzählenn, und Du wirft fie oft der glän—
zendften Damengallerie des Ballſaals vorziehen. Kehre
nur ein in den einfam gelegenen Maiereien, den im
Waldesgrün vergrabenen Förfterwohnungen und ben
hinter blühenden Linden verftedten Pfarrhäufern, und
Du wirft erfennen, daß in Sachſen auch Engel blühen,
von denen fein Geograph und felbft der königlich
ſächſiſche ftatiftifche Verein Nichts weiß.
Indem id Dies ſchreibe, überfommt mid) tiefe
MWehmuth, denn ih muß ja deiner gebenfen, un
nennbar füße Blume, die du einfam und vergeſſen
blühft in Sachſens höchftem Gebirg, wo man feinen
Frühling fennt, träg’ der ſchwarze Hüttendampf zum
veröbeten Himmel ftetgt, wo eintönig das Glöckchen
des Bergwerks tönt, und am Weg der Eibiſchbaum
mit feinen vothen Beeren fümmerli nur gebeiht.
GStiegft du herab von deinem Wolkenſitze zu den
Fluren des Frühlings, weld’ ein Blumenregen von
Huldigungen würde Dich begrüßen. So wirft bu
einfam blühen, einfam fterben, und im Eife des Erz-
gebirgd wird bein einfame® Grab fein. Denn bu
bift arm und ein Engel, zwei Eigenfchaften, die voll-
fommen geeignet find, hienieden recht bald vergeflen
zu machen. Bielleicht, daß, wenn bu von binnen
gegangen, die Vollsſage ihren Regenbogenfhimmer _
166
um did breitet, und bu ben wenigen armen Leu—⸗
ten, die dich kannten und als Heine Heilige verehr-
ten, auch fünftig als Heilige erjcheinft und fie ftärfft
im frommen Wandel. Mir ift Nicht von dir ges _
blieben, als ein einfach Lied, das ich fpäter einer
jungen Dame fchentte, der ih oft von bir erzählte
und bie dich innig liebte, weil fie dir ähnlich war.
Obſchon fih die Paar Verſe gebrudt vorfinden, fei
ihnen doch, da fie ein ſächſiſches Mädchen charak—
terifiren, ein Plätzchen gegönnt:
„Doch oben auf den Felſen,
Wohin kein Auge fieht,
In Frühlin —— eine ſchöne
Vergeß'ne Blume blüht.
„Tief unten lacht der Frühling,
Leben der Schweſtern viel!
Es treiben in muntern Zweigen
Die Vögel ihr luſtiges Spiel.
„Die Wolken und die Geier
Achten der Blume nicht,
Es ſchaut kein fre zu Auge
In das fo liebe Geficht
„Kein Schmetterling ungankelt
Das blühend ſchöne Kleid —
Die ganze Welt da unten
Kennt nicht der Blume Leid.
„Das Abendroth iſt verklungen,
Die Sterne blicken herfür —
Die Blume iſt geſtorben —
Es weiß kein Menſch von ihr.“
Der Leſer wird mir übrigens für dergleichen poe—
tiſche Excurſe wenig Dank wiſſen. Ich gehe aber
— 5
167
in mih, werde wieder ftatitiih und beachte wie
folgt:
Unter zehn fähfifhen Mädchen ift eins ſehr
hübſch, eins recht hübſch, drei find Hübfch, drei we—
niger hübſch, zwei gar nicht hübſch. Schön ift
ungefähr das Fünfzigfte und häßlich das Dreigigfte.
Unter zehn ſächſiſchen Mädchen ſind ferner drei
bis vier liebenswürdig, ein Paar ſind angenehm,
die rigen laſſen gleichgültig.
Geiſtreich ſind von Zehn eins oder zwei, ge—
müthreich aber acht.
Naivität iſt ihre Cardinaltugend und Natio⸗
naltypus. Unter zehn befinden ſich wenigſtens ſechs
oder ſieben Naive.
Sich geſchmackvoll zu leiden veiſtehen von
Zehn nur drei oder vier. In Leipzig ändert ſich Dies
Verhältniß, da verſtehen e8 act.
Bon zehn Mäpchen befommen drei ven Mann
ihrer Wahl; ſechs heirathen, um unter die Haube zu
fommen und eine befommt gar feinen Mann.
Nichtsdeſtoweniger find von zehn Chen zwei
glücklich, fünf zufrieden, zwei unzufrieden und nur
eine unglüdlih zu nennen.
Nah viefer Wahrjcheinlichfeitsrechnung, „von der
fi) jeder Lefer, fo er nah Sachſen kommmt, wird
überzeugen können, fei mir noch zu erwähnen erlaubt,
wie man die hübſchen Sachſinnen in der Regel benamt.
Da ftchen nun gleich im erften Gliede die _
Marien. Sind zehn Mädchen beifammen, fteden
gewiß ein oder zwei Marien dagunter; und fonderbar,
ein eigner Segen ruht auf den fächfifchen Marien, es
find *faft fammtlih füße und holde Kinder. Daher
das Lied von Wilhelm Müller von den Lippen man
ches begeifterten Marienliebhabers ertönt:
168
„Maria, möcht' ih Dich begrühen.
Mein Gerz hat ftets Dich To genannt.
Seh" ih ein Hares Bächlein fließen,
Set’ ih mich ftill an feinen Strand;
Maria, riefeln feine Wogen,
Maria fol Dein Namen fein u. ſ. em. “
Nah den Marien kommen die Paulinen.
Auch dieſe find in der Regel vet hübſch; und ich
würde überhaupt bei jever königlich fächfifchen Ge—
vatterfchaft den guten Rath geben, das refpective
ZTöchterlein Marie oder Pauline zu taufen,; es würde
ba gewiß einmal recht hübſch.
Auf die Paulinen folgen die Therefen, diefen
die Sophien, De Luiſen, Henrietten, Ama—
lien, die Julien und Emilien, dieſen die Char—
[otten und Karolinen, die Auguften, Wilhel—
minen und Mathilden. Auch Clärchen giebt’s
"pie Menge, und in Dresden heißt alle Welt Ida.
Beſcheidenheit iſt eine der hervorragendſten Tugen⸗
den meiner ſchönen Landsmänninnen. Sie würden es
nur ungern ſehen, wollte ich dieſes Kapitel, welches
allein über fie handelt, noch weiter fortſpinnen, ob—
ſchon mir der intereſſanteſte Stoff zu Gebote ſtünde,
wo ich Meine über allen Tadel erhabene Beobachtungs-
gabe im glänzendſten Tichte zeigen könnte. Indeß
meine Galanterie ift doch noch größer als meine Au-
toreitelfeit, wa8 gewiß viel jagen will, und indem id)
dem Wunſche der beſcheidenen Schönen” zuvorzufommen
ſuche, fchließe ich dieſen Auffay mit der Bitte an alle
nichtſächſiſchen Leſer, recht bald felbft in mein freund-
liches Heimathland zu kommen und fi von der Wahr-
haftigfeit meiner Ausfagen über vie fächfifchen Mäd—
hen zu überzeugen.
169
Ich lebe und empfehle mid) in der frohen Hoff-
nung, daß fie die Reife nicht gereuen wird.
®
e
Eine gewitternacht auf dem Winterberge.
Es war ein klarer, fröſtelnder Spätherbſtmorgen, als
Martinus Luther, gefeierten Andenkens, feine berühm-
ten Controverfen an die Schloßtirche zu Wittenberg
nagelte. Die Morgenſonne ſchien fo nüchtern über
die Dächer der hurfächfifchen Univerfitätsftant, daß
der Reformator für feinen hochheiligen Zwed gar feine
geeignetere Zeit wählen konnte Der Frühling mit
den blühenden Altären und fterngeftidten Nachtigall
nächten war nicht paſſend für die nüchternen Vernunft-
füge Meifter Martin's; auch der norbdeutjche gluth-
und jchweißreihe Sommer nicht; wohl aber jene
are, leivenfchaftloje Herbftfonne, wo bie Natur das.
blühende Gewand abgeftreift hat, die Sinne unbehel-
ligt läßt, und bie Contemplative erleichtert. Als⸗
nah einigen Wochen die Novembernebel herabfanten,
war die Saat bereit geftreut und in ven langen,
ofenerwärmten Winternädten fand Bürger» und Nit-
tersmann binlänglihde Mufe, über die fünf und neun-
zig Säge nachzudenken. Die Schneevede des Winters
1517 bis 1518 ſchmolz, donnernd trieben die Eis—
fchollen der Elbe gen Norden — da brad die Saat
der Reformation wohl ‚erhalten und ſtark hervor.
Ich weiß nicht, wie lange jenes welterfchütternde
Placat an der Schloßkirche zu Wittenberg angebeftet
1:0
hing; aber heute noch, nach länger denn dreihundert
Jahren, muß ich mic) wundern, wie die damalige Sicher-
heits⸗ und Wohkfahrts-Polizei der guten Univerfitäts-
ſtadt ein ſolches polizeiwidriges Unternehmen fo. ge-
laſſen mit anfehen konnte. Ich Tann mir die Sache
nur daraus erflären, daß die damaligen weltlichen
Behörden, die Fürften, Grafen und Herren gegen den
für ihre höchſt eigenen Gefälle fo verberblichen Ab⸗
laßkram noch weit aufgebrachter waren als Luther
ſelbſt; die heller Denkenden der Univerfität waren
über die Abnormitäten der damaligen katholiſchen
Kirche Längft im Klaren und ber hbausbadene, phan=
taftelofe Sinn des Bürgers zu Wittenberg, einer
Stadt an der vroſaiſchen Elbe, Tieß fih durch bie
Declamatorien Tegel’3 fein X für ein U machen.
Sp war Luther nur das Drgan der damaligen öffent-
lihen Meinung. Er hatte ven Muth, fie auszufpre-
hen und anzufchlagen an ver Schloßkirche zu Witten-
berg am 31. October 1517, und zu vertheidigen vor
Kaifer und Reich in der freien Reichsſtadt Worms. —
Frühlinge famen und gingen. Da verftummten
almälig in Folge jenes verhängnißvollen October-
tages die fatholifchen Gloden in den Domen und
Hallen, die ewigen Lampen erlofchen, die Heiligen-
bilder erbleihten und weinend floh Madonna gen
Süden. Aber auch dort, in den Gebieten ber weithin
raufchenden Donau, in den fröhlihen Thälern von
Dber- und Nieder-Defterreih, in der eifenhaltigen
Steier, wo Italien herüberranft mit feinen blühenden
Armen, und das kernvolle deutſche Wort in melodi-
[chem Wohllaut zerflieht, warb es Iutherlaut und
tageshelle. Lange Zeit fehleuverte der Vatican feine
Dlite gegen ven heraufbrechenden Morgen; fein Reid)
Ihien zu Ende im veutfchen Lande. Da fehlug einer
Tu
171
der römifhen Blige in die Hofburg zu Wien un
zünbete. Das junge beutihe Glaubenslicht warb jett
zur Fenersbrunft. In dreißig blut- und zornvollen
Jahren legte das Haus Habsburg fein religiöfes und
politifches Glaubensbelenntnig nieder. Mancher fatho-
liſche Dom ftürzte zufammen, manches proteitantifche
Bethaus ward gefchleift, und als man fampf= und
biutmüde Frieden ſchloß, theilte fih Luther und der
Papft.in das deutfche Reich. Jener behielt den Nor-
den, biefer den Süden. So ift e8 geblieben bis auf
be heutigen Tag.
Finſter und waldumnachtet erhebt fih auf Böh⸗
mens und Sachſens Grenze ein hoher Berg mit ba—
faltner Kuppe und einer Eichenkrone. Man nennt
ihn den großen Winterberg und er ift einer der
Marktſcheiden zwifchen dem proteftantifchen und katho—
liſchen Deutfchland. Weithin fchweift von bier der
Blick in das walddunkle, tieffatholifhe Böhmen, wo
fie vor Jahrhunderten freudig kämpften und bluteten
für Huß und Luther und jegt gläubig Inieen vor dem
heiligen Nepomuf. Weithin fchweift der Blick auf
der anderen Geite in das lachende proteitantifche Sadı-
fen. Der Gipfel des Berges feldft ift Iutherifh, vom
nahen ſächſiſchen Gränzdorfe tönt einfach und fill
die Slode des reinen Evangeliums. Auf der ent-
gegengefettten Seite des Berges beginnt Sanct Peter’s
Macht. Tief unten im Thale tritt die Elbe aus
Böhmen herüber und fließt nun fort duch Lauter
proteftantifche Länder bis zu ihrer Mündung im
Meere.
Dort oben aber auf der unwirthbaren Höhe, wo
das kleine Winterhaus erbaut ſteht auf kaltem Ba⸗
ſalt, und umrauſcht wird von der einſamen Eichen⸗
gruppe, in deren Zweigen wunderbare Lieder tönen,
172
fehren in den Sommermonaten oft Harfenfpieler ein,
welhe aus Böhmen herüber kommen und bie Befu-
her des Winterberges durch ihr Spiel und ihre Me-
lodien erfreuen. .
Einft hatte mich der Abend übereilt und ich war
genöthigt, im Winterhaufe zu übernachten. Schon
von fern wehte mir durch die Stille des Abends
Harfenlaut entgegen. Die Sonne war hinter einer
vunfeln Wolkenwand untergegangen, und allmälig
verfanfen Städte und Dörfer, Berge und Wälder in
geheimnißvolles Dunkel. In den Kronen der Win-
terberg- Eihen raufchte es märchenhaft. Der Abenb-
himmel umzog fih dunkler und in den kleinen en-
ſtern des Winterhaufes warb es lichthell. ie
Der Wirth kam mir entgegen, blidte nach Abend,
verkündete heut noch ein Kleines Unwetter und wünfchte
mir Glüd, troden das Winterhaus erreicht zu ha
ben. Ich war heute der einzige Gaft und trat in
die damals noch Fleine, aber gemtüthlihe Fremden—⸗
ftube. Zu meiner Bewillfommmung ertönte eine jener
böhmischen Nationalmelodien, in welcher, wie in al-
len flavifchen Liedern, ein jo unendlicher Zauber ruht.
Es war ein Allegro, aber ein Allegro, das durch
Thränen lächelt.
Wer ermißt den abgrumndtiefen Schmerz, der in ben
Mollaccorden jener weithinwohnenden Bölferfchaften
fpridt, die wir Slaven nennen. Sie klagen feit
Sahrhunderten um einen unerſetzbaren Berluft, der fo
groß ift, daß fie ihn nicht auszusprechen wagen in
Worten; aber wenn wir ihre Lieder hören, verftehen
wir ihn. Weih und thränenvoll legen fich dieſe
Klänge an des Deutfhen Bruft, die jo gern theil-
nehmend mitfchlägt bei fremden Leiden.
Noch oftmals werden fi die Berge und Thäler
173
Slavoniend grün Heiden im Schmude des Fruhlinge,
und noch mancher Ring wird den Kern der deutſcheu
Eiche umgürten; aber einſt — dafür bürgt der Geiſt
der Geſchichte, die große ſittliche Weltordnung —
werden jene Molltöne wieder in Dur übergehen, und
der Himmel wird ſich röthen — ich weiß nicht, ob
vor Freude oder von Blut- und Racheflammen.
Das Muſikcorps anf dem Winterberge beſtand aus
einem ziemlich bejahrten Böhmen und feiner Tochter,
einer reizenden Blume aus dem Reiche der Madonna.
Unter den langen dunkeln Wimpern glühte es tief-
katholiſch. Das dunkelſeidene Haar fcheitelte ſich rein
und reizend um dad von Wunderhand gezeichnete
Oval. Die Heine Goldhand flüfterte leid in den
Saiten der Harfe So ſaß fie da, wie ein ſchönes
frommes Legenvenbild der Vorzeit.
D ihr ſchönen frommen Legenvenbilder der allein-
feligmachenden Kirche, ich - bin Proteftant, aber gegen
euch hab’ ich nie proteſtirt. Ich glaube, daß ihr fe-
lg fprehen könnt mit dem ſüßen Munde, und Un—
Ders ichteit verleihen mit den Gewißheit verfündenven
ugen.
Der Wirth auf dem Winterberge hatte wirklich
nicht unrichtig prophezeit. Es war ein Heidenwetter
im Anzug. Schon grollte und pfiff es unheimlich
in ber ringsumher außgebreiteten Felſeneinͤde. Ein
fernes Wetterleuchten fegte die Gegend in momentane
Beleuchtung.
Der Harfner war mit feiner Tochter vor das
Winterhaus getreten. Das Mädchen bielt ängftlich
feinen linken Arm umſchlungen und blidte fchen nad
dem heraufziehenden Gewitter, bei jedem Blitz ihr
Geſicht an der Bruft des Pater verbergend. -
Ein langfamer Donner rollte jetzt durch's Elb⸗
174
thal, bald Sachſen und Böhmen den Beginn des
Nachtgewitters verkündend. Der plötzlich berabfal-
lende Platzregen trieb uns zurück in's Winterhaus.
Der alte Böhme ſtellte ſich ſogleich an's Fenſter und
ſchaute keck hinaus in das großartige Nachtſtück, wäh-
rend das Mädchen zitternd die Perlen des Roſen⸗
kranzes durch die Finger gleiten ließ. Immer wil-
der tobte das Unwetter. Bon Zeit zu Zeit ſtürzte
ein losgeriſſenes Yelsftüd unter pumpfen Donner in
den Abgrund. Seufzend fchlugen die Eichen auf ih-
rem bafaltenen Poflament die naffen Kronen gegen
einander. Rings umher eine Nacht wie vor Er—
Ihaffung der Welt, fortwährend von den goldenen
Bändern der Blige durchſchnitten. Der Donner rollte
ununterbrochen.
ALS aber das Toben der Natur den höchſten Grad
erreicht hatte, das ſchöne Mädchen todtenähnlich zu-
fammengefunfen war, die Wirthsleute, die Bibel in
ber Hand, mit bebenven Tippen daſtanden, und mir
jelbft ganz und gar nicht wohl zu Muthe war, ba
die Blige wie Raketen aus allen Weltgegenden ge=
gen das Winterhaus daherfuhren — Da griff ber alte
Böhme plötlich nad) feiner Harfe. Seine Blicde leuch-
teten, die Töne raufchten und er flimmte an ein ur-
altes böhmifches Volkslied. Es war ein wilder, to=
desmuthiger, flegesfreudiger Schlachtgefang aus dem
Kriege der Huffiten. Der ging aber nit aus
Mol, fondern aus dem kräftigften, frendigften Dur.
Ich hörte deutlich die Trommel Ziska's wirbeln, id)
ſah die Procope hoch zu Roß, vie Eifenkeule in der
Fauſt, voran der ſchwarzen rache- und freiheitglühen-
den Schaaren. E83 war ein heißer, blutiger Drang
und Kampf für Glauben und Vaterland, und je lau—
ter der Donner nieberfchlug in die Felſen und dröh—
175
nend wiberhallte, um fo lauter Hang die Harfe. Ich
hätte nie geglaubt, daß aus diefem fanften Inſtru—
mente foldye Töne zu fchlagen wären.
Aber ver Sturm legte fih, das Gewitter zog
vorüber, nur noch aus der Ferne grollend und leudy
tend, und leifer Fangen die Saiten. Da brach aus
zertiffenen Wolkendeden der Nachthimmel in feiner
ftillen Schöne, und nun perlten die Töne glaubens-
freudig und fiegeöfiher, und gingen über in ben
ewigen Choral des Lutherlieves: „Eine feſte Burg
ift unfer Gott!“
Erſchrocken fprang bei dieſen Klängen das fromm⸗
bejorgte Mädchen auf ven Vater zu, und fuchte ihn
-mit gefalteten Händen zu beſchwören. Zugleich blickte
fie jhen nah mir, den Wirthsleuten und dem ſich
zurückziehenden Gewitter, gleihfam als fürdte fie, es
werde zurüdfehren ob Diefes ketzeriſchen Liedes.
Der Alte Tieß fih aber nicht ftören und fang
laut und begeiftert alle vier Verſe des großen Liebes.
„E83 ift fein Verräther unter uns, mein Kind,” ſprach
er, als er geendet, „und würbe e8 auch verrathen,
ih kann mie nicht helfen; ſchau' ich Gottes Pracht
und Herrlichkeit, da muß ich fie fingen, die alten
herzerquidenben Lieber, und hätte fie auch der fromme
Pater Clemens noch ſo ſtreng verboten.
Das Mädchen ſchüttelte aber ungläubig und trau—
rig das Madomnengeſicht und küßte um fo inniger
das kleine Marienbild, das fie uf der Hand hielt.
Sie wuhte es ja wohl, die Himmelsfönigin war es
gewefen, die das Binterhänschen vor dem Blitz ge-
Ihirmt und das Gewitter ˖ gnäbig hatte vorübergehen
lafien. Der Wirth Happte forgfältig die alte Haus-
bibel zu, in welcher er fi) während des Unwetters
Troft erholt, und ftellt fie ehrfurchtsvoll an den ge-
z
176
wohnten Chrenplag. Er war überzeugt, die Bibel,
dieſes heilige Buch, war es gemwejen, welches ben
Zorn des Himmeld abgewenbet. Ruhig ftellte ber
Harfner feine Harfe in die Ede. Ihm war es Klar,
hätte er nicht das uralte Vaterlandslied angeftimmt,
die Sache konnte ſchlimm werben.
Ih aber trat hinaus in die Sternennadht, wo
des Winter Name in golpnen Yügen leuchtete.
Da unten wohnten fie, die Sachſen, die Böhmen.
Dft befänpften fie fich in dunkelen Schlachten über
ben wahren Gott. Und war es nicht derfelbe Him—
mel, der. über beide. Känder mit gleicher Liebe
herabfintt?
Wie aber das Nachtgewitter nicht ein einziges
Komma verräden konnte in jener goldnen Wahrheit
fchrift dort Oben, fo wird die Wahrheit aud felbit
fiegen über alle Stürme ver Erde, und bereinft nur
Ein Gott, Ein Glauben, Ein Baterland und Ein
Himmel fein hienieven!
Drud von Alexander Wiede in Leipzig.
Ferdinand &tolle's
ausgewählte Schrifler
Bolfs- und Familien= Ausgabe.
Vierandywasyigster Ban.
Zweite Auflage
Leipzig,
Ernfk Keil
1858,
ieher ud Eee
nebft
lebensgefhichtlihen Umriſſen.
— — — —
Von
Ferdinand Stolle.
——
Zweite Auflage.
—
Leipzig,
Ernft Keil.
1858.
3nhbalt —
Sängers Gruß.
Lieder.
I. Was laufen die Leute c. . . .
11. Der Frühling, ift ꝛc. ..
11I O blide dem Frühling x. . . .
IV. Du füße Perlenfpenverin :c.
V. Kennft Du ihn wohl m... ..
vI Nichts hält mich mehr ꝛc.
VI. 93a, wandern duch c. . ..
VII. Es bat ihr reiches zc.
IX. In walbesftiller, grüner ꝛc..
x. Es mwogt das Korn ꝛc..
XI Eben jagt ein Mädchen ꝛc..
XII. Und. als die Nachtigall ze. . .
XIII Die Blume flirbt ꝛc. . ..
XIV. Ein Märchen klingt ꝛꝛc. ...
4
XXVIII.
XXXI.
XXXILI.
XXXIII.
XXXIV.
XXXV.
XXXVI.
XXXVII.
XXXVII.
XXXIX.
XXXX.
XXXXL
XXXXII.
VI
e
Hoch oben auf dem ꝛc. . .
Der Frühling fant ce. . -
Ein dunkler Abendſchatten 2c.
Die Sonn’ ift Shin x. »
Hinter weißen Blüthenbergen 2c.
Es fingt eine Lerche ıc. .
Es duften die Lindenbäume ac.
Es find die alten Sterne ꝛc.
Ob St im. ....
Die Sterne bliden x. -
Der Wind jchon über die ꝛc.
Die Nachtluft weht c. . .
Graue Abenddämmerung ꝛc.
Ich ſchane die dürren ꝛc..
Sitzeſt nun an ꝛc.. ..
Doch was iſt Dir ꝛc. . .
Kennſt Du das ꝛc.
Siehſt Du die Blume ꝛc.
Das braune Nußbaumtifihchen : %.
Es war am Sonntag Morgen ıc.
Und thät der Abend 2c. .
O nimm mid mit ac.
Süße, zauberhafte Blume 2c.
Keine Deputirtenfammer ꝛc.
Sie hat geihmollt &. . . .
Rings von Bergen c. +...
Des Frühlings Roſen ꝛc.
Du bift bie einfame x. . » -
*
.
vn
XXXXIII. Ich glaube, daß Du ꝛc.
XXXXIV. Eh' die Eonne no ꝛc.
XXXXV. Mondenlicht, Hehrenglanz 2c.
XXXXVI Wird. denn nidt . .
XXXXVII Neue Schmerzen, neue Lieder ꝛc.
XXXXVIL. Merathet nur x.
XXXXIX. Nimm hin dies Lied 2c.
L. Dort wo Myrth' und ıc.
LI. Du bift fo triib’ ac. .
LII. In deinen Armen
LIII. Werdet nur nicht ac.
Gedichte.
Brecht auf, brecht auf 2c.
Das PVaterunier.
. Das hohe Kied.
. Bann Sehen wir uns wieder?
Wer nur den lieben Gott läßt walten.
Der Dom. |
Frühlingsahnung. 2» > 2.2.
Sternennadt. - © 2 > 2 22.
Der Lindenbaum. 2. 2 2 22.0
Die Fiſcherhütte... 2 2 2 02.
Das Mädchen am Meere... . . . »
Der beutihe Walzer. 2 2 2 2 2 0.
Erfter Engel. - 2 2 2 2 2 rn
Seite
3
SEIRIERB
& |
BERERERIEBRRBR
VIII
Im Todtenhaus. .
Die Himmelstofe.
Srauenfchöne. . ... ...
Ein Lied für die Waiſen... ..
Erzgebirgiſche Spitzen. . . - ©. FE .
Grimm. . 2 222000. —8
Alte Heimlehr.........
Die ſchönſte Gabee.. 2 2 0 ee.
O könnte mir ein Lied gelingen.
Lebensgeſchichtliche Umriſſe.
Sängers Gruß.
br Knaben und ihr Mädchen alle
Ihr Frohen und Betrübten kommt,
Kommt lauſcht bei meiner Zither Schalle,
Was euch Geliebte freut und frommt.
Für alle bring' ich kleine Lieder,
Der frohen und der ernſten viel;
Ich kehre mit dem Frühling wieder,
Und neu ertönt mein Saitenſpiel.
Mir iſt nicht große Erdenhabe,
Doch meine Laute macht mich reich,
Sie iſt die ſchönſte Gottesgabe
Und keinem Erdengute gleich.
Denn in der Wehmnth leiſen Tönen
Sie liebend zum Betrübten. fpricht,
Sie weint mit ihm, ſucht zu verſöhnen,
Bis fanft fein Schmerz in Thränen van.
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV.
, Serdinom tolles
ausgewäßlle Schriften.
Volks- und Kamilien= Ausgabe.
—
Diernndymangigster Band.
Zweite Yuflage
— —— ——
Leipzig,
Ernf Keil.
1858.
Fieder und Sebichte
nebſt
lebensgeſchichtlichen Umriſſen.
— — — —
. Bon
Ferdinand Stelle.
—
Zweite Auflage
Leipzig,
Ernft Keil.
1858,
Inhalt.
Sängers Gruß.
£ieder.
Was laufen die Leute ꝛc.
Der Frühling, ift zc.
O blicke dem Frühling zc.
Du füße Berlenjpenderin ꝛc.
Kennft Du ihn wohl ıc. .
Nichts hält mich mehr ꝛc.
Ya, wandern durch ꝛe..
Es hat ihr reichftes 2c.
In waldesftiller, grüner ꝛc..
Es wogt das Kom x.
Eben fagt ein Mädchen 2c. .
Und. als die Nachtigall ꝛc..
Die Blume ftirbt ıc. .
Ein Märchen Hingt zu... -»
%
I.
Wns laufen die Leute auf und nieder,
Als brennt’ es an allen Orten?
Der Frühling, der Frühling ift fommen wieder
Die Erde jung geworben.
— Der Frühling ift ein alter reis,
Mit Loden; ſchnee- und filberweiß,
Zählt taufend Jahr und drüber.
Doch hat er ein Herz voll Liebe ſich
Bewahret unveränderlich ;
Und wen er liebt und wen er küßt,
Des Frühlings Alter bald vergißt.
IL.
Der Frühling ift zum Land herein,
Die Glocken Yäuten ihn fegnend ein,
Froh werben alle Betrübten.
Doc wehe, welch ein neuer Schwarm
Kommt da gewandelt, Arm in Arm,
Hilf Himmel, die Berliebten.
III.
O blicke dem Frühling in's Geſicht
Mit Deinen verweinten Augen,
Und wiſſe, Liebchen, daß Thränen nicht
Zur Frühlingsfeier taugen.
Mit Thränen feid doch gleich zur Hand
Ihr Mädchen mit hübſchen Augen,
Könnt ihr das ſüße Himmelspfand
Nicht zu was Beſſerm brauchen?
iv.
Du ſüße Perlenſpenderin,
Die Du Deine Aeuglein nicht ſchoneſt,
Wer iſt es, holde Königin,
Den Du ſo reichlichſt lohneſt?
Perlen und Frühling,
Das laſſ' ich gelten.
Thränen und Frühling,
Da muß ich jchelten.
V.
Kennſt Du ihn wohl den holden Knaben,
Der ewig jung, voll Heiterkeit,
Der liebevoll mit feinen Gaben
Das Herz der Sterblichen erfreut.
7
Im grünen Walde, auf den Auen,
Am blauen Himmel, klar und mild,
Im Neſte, das die Vöglein bauen
Erblickſt Du ſein geliebtes Bild.
Es lächelt freundlich Dir entgegen,
Und heißt Dich froh willkommen ſein,
Und aller künft'gen Tage Segen
Daukſt Du dem Knaben nur allein.
— —
VL
5
Nichts hält mich mehr! Hinaus, Gi“ is Weite!
Mein Hab’ und Gut ift alles wohl beſtellt;
Und jubelnd in der Reife leichtem. Kleide,
Begrüß ih Dich, Du ſchöne Gotteswelt.
O wanbern, wandern, wunberjel’ger Klang,
Der meine ganze Bruft erfüllt,
Der, wie die Blume unter Lenzgeſang,
Mir unaufhaltfam aus. ben Herzen quillt.
VII,
Ja, wandern durch bie große ſchöne Welt,
Durch ihre Blumenranken, Palmenhaine,
Durch ihre Abendſonnen, Mondenjceine,
Dur ihre fturmdurchheulte Mitternacht,
Durch ihre blüthengolpne Frühlingspradt,
8
Durch Thränenfaat, durch Herzen dumpf und trübe,
Durch Herzen voll von Frühling und voll Liebe,
Durch Irrlichtglanz und Nebelſonnenſchein;
Bis fernhin, wo der Morgen grauet,
Der Blick nur Himmelsklarheit ſchauet,
Der Blick im Lichte ſich verliert,
Die Erde ſchon zum Himmel wird.
a. VIY,
x
' r Keiſhſtes Meßgewand
Angethan.
J ße Blüthe an.
Und’ Alles flanımt und duftet auf
Bom großen Hochaltar,
Die Frühlingsgloden läuten ein
Das Ichönfte Feſt im Jahr.
Und mwundervoller Chorgefang
Den Blumendom durchtönt,
Es ift der Lerche Ruf, der uns
Dem Himmel neu verjühnt.
Denn Hochamt iſt's in der Natur,
Und über Berg und Thal
Reicht Gottes ew'ge Liebe ſelbſt
Das heil’ge Abendmahl.
=>
IX.
In walbesitiller, grüner Nacht,
Aus ferichtem Fels, von Moos umgeben,
Da ſpringt hervor, forglos und keck,
Ein junges demantreines Leben.
Der Waldbach iſt's, der bier zuerft
Die ſchöne Gotteswelt begrüßet
Und fröhlich mit Eruftall’nem Blick,
Durch blaue Glockenblumen fließet.
Wie Ichwillt das Moos fo üppig griln, |
Und drängt zur Fluth mit weichem Herze,
Wie fpiegelt fih im Haren Quell
So mande Ihöne Frühlingsterze.
Es ſpielt des Berges reinftes Kind
Mit Blumen, Moofen, grünen Halmen,
Und Farrenfräuter wiegen fich .
Still über ihm wie Keine Palmen.
In grüner Waldeseinfamfeit
Ertönt fo Tieblih fill fein Raufhen —
Gelodt vom holden Klang fieht man
Ein Rehlein aus den Zweigen lauſchen.
10
X.
Es wogt das Korn in grünen Wellen
Ind die Kaftanienbäume Blüh’'n,
Die Buſen junger Roſen ſchwellen
Und Purpur bricht aus Knospengrün.
Vom Apfelbaume tränfelt nieder
Der letzte blutgeſäumte Schnee,
Doch tauſend Blumen ſchickt er wieder
An ſeiner Stelle in die Höh'.
Der Fliederbaum ſteht überhangen
In reicher violetter Pracht,
Kaum kann ein grünes Blatt gelangen
Zum Himmel durch die Blüthennacht.
Es will ſich Alles nun entzünden,
Es bricht hervor aus Grab und Gruft,
Ich weiß mich kaum zurecht zu finden
Bor lauter Blumen, Klang und Duft.
So fteht in königlicher Schöne
Der Frühling da, ein junger Held,
Und jubelnd künden feine Töne,
Daß er die Braut umfangen hält.
Und ich mit meinen Heinen Herzen,
Denkt, liege bier in's Gras geftredt,
Umfeuchtet rings von Frühlingsferzen,
Und halb von Blumen zugededt. .
11
Und ſchau mit feligem Gefichte
In lieber ungeftörter Ruh,
Dem hoben, göttlichen Gedichte,
Der Frühlinghochzeitfeier ‚zu.
xl.
Eben jagt ein Mädchen mir,
Haftig aus dem arten eilend,
Frohe Kunde mir ertbeilend,
Mit gar freudigem Bemüh'n —
Daß die Rojen auferblüh’n!
O dies Wort Hingt hold und ſchön
Wieder durch des Herzens Räume,
Daß ich zaudre nicht und ſäume
Nach dem Garten binzugeh'n.
Ya e8 that ihr füRer Mund
Nur die bolde Wahrheit fund;
Sah die Morgenperlen ſchön
In dem Purpurherzen fteh'n,
Hab’ die ftille Pracht erfchaut,
Rufe jet auch Hell und laut,
Mit gar freudigem Erglüh’n —
Daß die Rofen auferblüh’n!
| Daß die Roſen auferblüh'n!
Töne ſchönes Frühlingswort
Ueber Berg' und Thale fort,
12
Leuchte wie ein Himmeljchein
Sn die Herzen all’ hinein;
Und wo Kummer weilet ſchwer,
Sei ein Troß.von Oben ber,
Flüftre zu betrübtem Sinn — _
Daß die Rofen auferblüh'n!
XII.
Und als die Nachtigall geendet
Im Lindenbaum ihr Ichönftes Lied,
Da ift in ftiler Morgenftunde
Die rothe Role aufgeblüht.
Und trunfen von dem Morgengolbe,
Das durch die grüngn Ranken füllt,
Grüßt fie mit ſchauerndem Errötben
Zum Erftenmal die Ootteswelt.
Da zittert in dem goldnen Auge
Wohl eine Perle filberrein —
Es foll der Dank der Ihönen Blume
Für ihren Himmelsſchöpfer fein.
Und alle Zauber zu vollenden,
Ward ihr auf roſ'ge Stirn gefüßt
Das holde, reizende Geheimniß,
Taß fie nicht weiß, wie Iehön fie ift.
— — — sr r — —
13
XxIII.
Die Blume ſtirbt in dieſer Welt der Mängel,
Ihr Schönes Kleid, es fällt herab zu Staub;
Doch jede Blume wahret ihren Engel,
Der nimmer wird tes Todes Raub.
Drum, was ung an den Kindern Flora’s freut,
Iſt nicht allein ihr Gold- und Silberfleid,
Das ift ihr Engel, der in Mer Pracht,
Aus ihren Augen uns entgegen lacht.
XIV.
Ein Märchen klingt aus alten Zeiten her:
Einſt war die Erde finſter und leer,
Und auf den weiten, dunkeln Au'n
Nur Perlen rings verſtreut zu ſchau'n.
Da brach nach langer Mitternacht hervor
Die Sonne aus des Morgens Thoͤr,
Und ſchnell, gelockt vom himmliſchen Strahl,
Erſchienen die Blumen im Erdenſaal.
Der Perlen mitternächt'ges Heer
Wandert aber ſelbigen Tag's zum Meer,
Und iſt dort — eiferſuchttrunken —
Wo es am Tiefſten, verſunken.
16
„Aennhen von Tharau“ fingen fie,
Wie klingt das Tieblichfte ver Lieber
Mit feiner füßen Melodie
So himmliſch von ben Bergen wicher.
XVIII.
Die Sonn' iſt ſchön und ſtill geſchieden
Im grünen Wald ging ſie zur Ruh,
Und wunderbarer Abendfrieden
Schließt ſanft die Bluͤmenaugen zu.
Die letzten Roſaſchleier ſinken,
Das letzte Abendroth verglüht —
Da tönet durch die Kirchhoflinden
Ein himmelvolles Abendlied.
Die Abendglocken ſind's, die frommen,
Die friedvoll tönen durch das Thal,
Dem Müden wird die Laſt genommen,
In Schlummer ſinkt ſo manche Qual.
Ein Blüthentraum auf Berg und Thalen
Schwebt ſtill und felig auf und ab;
Die Sterne kommen und beftrablen
Ein unermeglih Blumengrab.
17
XIX.
Hinter weißen Blüthenbergen,
Still ummogt von Gold und Duft,
Eingewiegt vom Lieb der Lerchen
Sinft die Sonn’ in ihre Gruft.
Abend ift es nıın geworben,
Und geftorben ift der Tag,
Und die letten golbnen Borten
Sinten-ihrer Fürftin nad).
xX.
Es fingt eine Lerche im Mbenbroth,
Hoch über purpurnen Aehren,
Hoch über Verweſung, Grab und Tod,
In freien glüdlihen Sphären.
Die Welt wird dunkler, die Lerche fingt fort
Sn ſanft verhallendem Liede,
Die Schatten rüden von Ort zu Ort,
Und ringsum athmet der Friebe.
Du große heilige Abendwelt,
Schon blitt es in himmliſchen Räumen,
Und rings auf dunkelfehattendem Feld
Beginnen die Blumen zu träumen.
Etolle, ſämmtl. Schriften. XIV. 2
18
XXIL.
Es duften die Lindenbäume,
In ſtiller Abendzeit,
Und tiefer wird und dunkler
Die Abendeinſamkeit.
Und blick' ich über die Wipfel
Weit in die Nacht hinauf,
Da ſteigen die goldnen Sterne
Aus ihrer Tiefe herauf.
Da drüben rauſcht es im Garten
Wie leiſer Geiſterchor;
Es ſind die weißen Lilien,
Sie fingen ſich Märchen in's Ohr.
Und fühle ſtille Nachtluft,
Die weht an meine Bruſt,
Ich bin mir die Stille des Abends
Mit Innigkeit bewußt.
XXII.
Es ſind die alten Sterne,
Es iſt die alte Pracht,
Wie ſie der alte Meiſter
Am erſten Tag gemacht.
Es ſteht ſechſstauſend Jahre
Das große blaue Haus,
Worin die kleinen Menſchen,
Bald wandeln ein, bald aus.
19
Der Frühling füllt's mit Blumen,
Der Winter weiß mit Schnee,
Ein ewig Kommen, Geben,
Ein ewiges Abe.
Doch bleiben’s die alten Sterne,
Doc bleibt’8 die alte Pracht,
Wie fie der alte Meifter
Am erften Tag gemacht.
8
XXI.
Ob Gott fei, fragft Du? nun wohlan,
Wohlan, den Blid erhoben,
Brennt denn nit Gottes Namenzug
Allabendlich dort Oben?
Er iſt's uralte Teftament,
Daran wir Alle glauben,
Und diefen Himmelsfreibrief kann,
Den kann ung Niemand vauben.
XXIV.
Die Sterne blicken herunter
Die Menſchen blicken hinauf,
Hinauf zu ihnen wünſchen
Wir uns von Jugend auf,
2*
20
Bergebens unſer Wünfchen,
Bergebens unjer Blick,
Die Sterne bleiben am Himmel,
Auf Erden wir zurüd.
Und endlich nad langem Wünjchen
Geh'n wir zu Bett in’s Grab. —
Als ob es gar nichts, ſcheinen
Wie fonft die Sterne herab,
®s ‚
xxv.
Der Wind ſchon über die Stoppel weht,
Ein Bettelkind am Wege ſteht,
In blonden Locken weht der Wind,
Viel Leute geh'n vorüber geſchwind.
Und Mancher wirft mit flücht'gem Blick
In's Händchen ihm ein Pfennigſtück,
Und ſeufzt für ſich, daß Gott erbarm',
Du Knäbelein, wie arm, wie arm!
Ging auch vorbei am Bettelkind,
Langſamen Schrittes, nicht geſchwind,
Schaut ihm in's Auge groß und klar,
Erkannte, wie ſo reich es war.
Ein Himmel ruhte in dem Blick;
O unerforſchliches Geſchick!
So arm, ſo arm, und doch ſo reich —
Im Bettelkleid ein Königreich.
21
XXVI.
Die Nachtluft weht im Haidekraut
Tief in des Waldes Mitte,
Ein feuchter Nebel fällt herab,
Ich fördre meine Schritte.
Zur Rechten und zur Linken rauſcht
Es in den alten Kroͤnn,
Ich wollt’, ih wär im Städtchen ſchon
Wo meine Lieben wohnen.
Dort fommt der Ort, wo Einer fiel
Unlängft in Mörder Hände,
.Da8 Kreuz ift hart am Weg’, ich wollt’
Der Weg’ hätt’ bald ein Ende.
Ich wandre ſtill, die Nacht ift Falt,
Und ewig dehnt die Haide, —
Horch, klingt da plötlich durch den Wald
Nicht Tiebliches Geläute?
Ich bleibe fteh'n, ich Taufche ſtill,
D frohes Wiederfinden,
Die Gloden find e8, die ganz 'nah
Die Heimath mir verkünden.
XXVII.
Graue Abenddämmerung
Und der Sturm iſt .
Tobt und pocht und Mirrt um's Haus,
Reißt noch Alles los.
22
Am Piano faß ich lang,
Sudt’ in Tönen nad,
Doch da war kein Stitchen, das
' Freundlich zu mir ſprach“
In der Sophaede num
Sit’ ich ſtill für mich,
Und im Of elt es
Sp redt innigäg,
Lampe wirft vertraulich frill
Ihren milden Schein;
Alle find no in der Stadt
Und ich bin allein.
Iſt mir doch fo innig wohl ,
Wie dem Dichter ift,
Wenn er Alles nur jo gern
Um ſich ber vergißt.
XxXVIII.
Ich ſchaue die dürren Aeſte,
Das letzte Blatt entflieht,
Dort ſchwebt der letzte Vogel,
Der nach der Heimath zieht.
Die Nebel werden dichter,
Und dunkelſtill das Land,
Der Vorhang iſt gefallen,
Die Kerzen abgebranmt.
23
Das Lied ift verflungen,
Das Schöne Stüd ift aus —
Ich ſteh' nur noch alleine,
Allein im öden Haus.
XXIX.
Siteft nun an dreien Monden,
Hinter Coder und Pandecten
Und vergeffen fcheinft zu haben
Ganz die füße Boefia.
Hat. die Mufe Dich verlaffen?
Laß nur, Coder u und. Pandecten,
Geh’ im’s Freie, gud nach Mädchen,
Und die Muſen wird ſich finden.
XXX.
Doch was ift Dir,
Bift jo trübe,
Iſt's Die Liebe?
Was ift Liebe?
rag, ich Teile,
Und e8 rötbet
Sich die Wange
- Bei ‚Der Gradt; 13% 3
24
XXXI.
Kennſt Du das zarte Spiel der Saiten,
Vom Himmelsvater ſelbſt beſpannt,
Harmoniſch ewig fortzutönen?
Zwei Saiten ſind genug dazu.
Und wenn die Eine Saite klaget,
So weint die andre Schweſter mit;
Und wie im Leid, ſo in der Freude,
Die eine in der andern lebt.
Und wie in einem Augenblicke
Die beiden Saiten einſt beſpannt,
So ſtirbt die Eine und die Andre
Folgt ſterbend der Geliebten bald.
Doch mögen auch die Saiten fpringen,
Was fih vereint, währt ewig fort;
Das Saitenjpiel gehört der Erbe,
Die Harmonie dem Himmel an.
XXXII.
Siehſt Du die Blume in der Locke,
Mit der dır Weſten leiſe ſpielt,
Die Blume mit der blauen Glocke,
Die meine Hand noch heute hielt?
25
Die geftern noch auf felf’ger Krone
In ftarrer. Einfamfeit geblüht,
Und die mir jebt zum füßen Lohne
In ihrer dunkeln Rode glüht?
IXXIII.
Das braune Nußbaumtiſchchen,
Am Blumenfenſter dort,
Auf einem Tritt erhoben,
Das ift, mein Lieblingsort.
Wie oft fit dort die Holde,
Ein Bienen wohl an Fleiß,
Wenn ich vor jel’gem Schauen
Mich nicht zu laſſen weiß.
Da fucht fie oft im Käftchen
Und bringt eiu Buch hervor,
Und dann heift’s: Bitte, bitte,
O leſen Sie was vor.
Gewöhnlich iſt's der Zſchokke,
Ich weiß ſchon, was gefällt;
Dann leſ' ich von dem Flüchtling
In Jura's Felſenwelt.
Oft fragt fie mich gelehrig,
Wenn ihr etwas nicht Harz
Dann bin ich, wie verfteht fich,
Berftänd’ger Commentar.
26
Bei Gott, fo: N io. Jnie,
&o enge
So u
Sah id ei ? Wänden nie,
XXXIV.
Es war ein Sonntag Morgen,
Sie wollte zur Kirche geh'n,
Doch hat ich ſo wunderlieblich
Sie nimmer wohl geſeh'n.
Leis kniſterte s Schühlein am Füßchen,
Es rauſchte das ſeidne Gewand,
Und ſittig ein Tüchlein von Flore
Den blühenden Nacken umwand.
Das Büchlein mit goldenem Schnitte
In der kleinen, niedlichen Hand,
Küßte ſie zum Abſchied die Mutter,
Wo ich auch dabei mit ſtand.
Zu mir aber ſprach himmliſchen Blickes
Das Seelen bezaubernde Kind,
Für Sie will ich heute mit beten,
Weil ein großer Sünder Sie ſind.
27
XXXV.
Und thät der Abend ſinken,
Sitzt ſie am Baches Rand,
Und gibt dem Reh zu trinken
Aus ihrer kleinen Hand.
Und ringsum Blumen blühen,
Sie ſitzt inmitten drin —
Die Abendwölken ziehen,
Still über ihr dahın.
Und ringsum tiefes Schweigen,
Das Mägblein heimmwärts zieht —
Ein Bogel in den Zweigen -
Singt ihr das Abendlied.
XXXVI.
O nimm mich mit, du ſtilles Abendroth,
Ihr Wölkchen mit dem goldenen Gefieder,
O werdet mir zum ſüßen Himmelsboot
Und führet mich zum Liebling meiner Lieder.
Wie glücklich ſeid ihr Wölkchen, ſanft und hold,
Bald ſeid ihr ja bei ihr mik lei en Zlügeln,
Und bald wird ſtill in dir, o Abendßpold,
Ihr ſüßer, liebevoller Blick ſich ſpiegeln.
28
Sn ihrer Laube fit fie dort allein,
Bom grünen Laub des jungen Mai's umzegen —
Ach nur ein Heines Blättchen möcht” ich fein
Um ihre Wange janjt herumgebogen.
XXXVII.
Silße, zauberhafte Blume,
Sag’, wie ift e8 dir gelungen,
Daß du mid, den alten Kämpen
In Bergefienheit gejungen.
Draußen fämpfen meine Brüder
In dem heißen Mittagsftrahle,
Und ich fit’ in füßem Schmadhten
Müßig bier im Frühlingdthale.
XXXVIIT.
Keine Deputirtenfammer
Gibt es, die fich will’ger finde,
Als ih mich gehorfam zeige
Vor dem holden Engelskinde.
Und id bin ein Liberaler,
Der mit Stolz die Freiheit nennt —
Ach, die Freiheit ift entfloben,
Und das Herz ift Präfident.
— — —— un
29
XXXIX.
Sie hat geſchmollt den gauzen Tag,
So lang' die Sonne ſchien —
Doch als die Abendglocke klang,
Da hat ſie mir verzieh'n.
XXXX.
Rings von Bergen eingeſchloſſen,
Ruht ein kleines liebes Thal —
Und es glüht die ſtille Landſchaft
In dem letzten Abendſtrahl.
Gaſtlich blickeu weiße Häuſer
Aus der Zweige dunkeln Grün;
In den Gärten, rings vereinzelt,
Stille Frühlingsblumen blüh'n.
Aber dort am Rebenhügel,
Wo die Fliederlaube glänzt,
Iſt der Ort, wo Erd' und Himmel
Friedlich an einander grenzt,
Dort ja ſteht der ganzen Landſchaft
Einzig wahrhaft Gotteshaus —
Denn ein Engel wandelt dorten
Als Madonna ein und aus.
30
Und die ganze Landſchaft ift ja
Nur der Rahmen, zart und mild,
Für den Engel, und das Ganze
Nur ein hold Mabonnenbild.
XXXXI.
Des Frühlings Roſen leuchten rings ſo ſchön
In unſerm ſtillen, Wald begrenzten Thale,
O zaudre nicht zum Garten hinzugehn
Früh bei des Morgens erſtem heil'gen Strahle.
Noch träumet da in unentweihter Ruh'
Die Roſenwelt die ſchönſte ihrer Stunden,
Da geh' und ſuche, o Geliebte, Du,
Bis Du die ſchönſte Roſe aufgefunden.
Und pflücke ſie und blick' in's Herz ihr tief,
Wo noch des Thanes Wunderperlen hangen,
Und küß' ſie wach, die noch ſo reizend ſchlief,
Von goldnem Traume ſelig hold umfangen.
Und wenn ſie nun ſtill lächelnd Dich beſtrahlt,
So haſt Du in des Frühroths heil'gen Stunden,
Von Deinem Gott im Himmel ſelbſt gemalt,
Ja nur Dein eigen Bildniß aufgefunden.
öl
XXXKIT
Du bift die einfame Balme,
Gepflanzt in's Abendland,
Auf daß Du Kunde gebeit
Bon einem Morgenland.
Doch einfam, unverftanden,
Hoch über Schilf und Moor,
Hebt duldend fi und trauernd
Dein Blumenhaupt empor.
Es ſchwankt mit ſtummem Schmerze
Im nord'ſchen Himmelsraum,
Berfinft allmälig leiſe
In ſeiner Kindheit Traum.
Könnt' ich den Traum belauſchen,
Den Traum vom Morgenland,
Der Dich, Du ſchöne Palme,
Als Botin uns gefgndt.
XXXXIII.
Ich glaube, daß Du ein Engel biſt,
O himmelvoller Glaube,
Mir armen Schiffer auf irdiſchem Meer
Die ölzweigbringende Taube.
Ich glaube, daß Du ein Engel biſt,
Die Sterne müßten lügen,
Der Blumengold auf Frühlingsau'n
Mich heuchleriſch betrügen.
32
Nein, nein, die Blumen lügen nicht,
Die Sterne nicht dort oben,
Die Wahrheit voll, im ew’gen Raum,
Den Weltenjchöpfer loben.
Drum glaub’ ich, daß Du ein Engel bift,
O bimmelvoller Glaube,
Mir armen Schiffer auf irdiſchem Meer
Die ölzweigbringende Taube,
XXXXIV.
Eh’ die Sonne noch im Frührothſcheiue
Wiederum die Fluren neu begrüßt,
Da ertönt mein Klagelied im Haine,
Tönt am Bach, ter durch die Aue fließt.
Schwer und bang in büftern Waldeshallen
Lafle ih das todte Echo jchallen.
Ach, nit Echo, nicht Aue, nicht Hain,
Stillen den Kummer, lindern die Bein.
Nicht im Schatten unter grünen Laube,
Nicht auf ſammt'nen Mooſe find’ ih Ruh.
Seufze ich, jo Flagt die Ningeltaube, *
Girret bang’ ihr trauernd Lied mir zu.
Weile ih an moosumhüllter Quelle,
Trübt fih bald von Thränen ihre Welle.
Ach, niht Duell, nicht Thränen, nicht Hain,
Stillen den Kummer, lindern bie Bein.
33
XXXXV.
Mondenlicht, Aehrenglanz,
Stille Silberpracht,
Und mein Ruh' verlangend Herz
Athmet ſtille Nacht.
Nebel wandeln, Träume zieh'n
In die Blumen ein —
Ruhe, Ruhe thaut herab,
Tief in's Herz hinein.
Sehnt das Herz zum Schlafen ſich —
Bleiche Mondenſchein —
Stiller wird die ſtille Welt,
Und das Herz ſchläft ein.
Elfenſchatten, Blumentraum
Schweben ab und auf —
Elfenſchatten, Blumentraum
Weckt mir es nicht auf.
XXXXVI.
Wird denn nicht
Dem armen Dichter
Bald einmal die
Freude lächeln,
Daß auch 'mal ein
Froh Allegro
Munter durch die
Saiten klimpre?
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV. 3
34
xxxXxVlI.
Neue Schmerzen,
Neue Lieber;
Sagt, was fol ih .
Damit machen?
Bald wohl find’ ic
Den Berleger
Für die Lieber,
Doch die Schmerzen —
Die mag Niemand.
XXXXVII.
Berrathet nur, ihr leiſen Laute,
Mir den Lautenſpieler nicht,
” Der durch euch, o Herzvertraute,
Zu der Heißgeliebten ſpricht.
Will ja, ach, von ihr nichts mehr,
Als ich von der Perl’ im Meer’,
Bon den Stern’ am Himmelsfaale,
Bon der Blum’ im Maienthale,
Herz begabt, verlangen darf.
Daß ich darf, von ihren Reiz umfangen,
Selig ftill an ihren Bliden bangen, ”
Für fie beten, für fie meinen,
Wenn des Unglüds Sterne feheinen,
Und fie lieben, ja fie Tieben,
Lieben jo aus vollem, ganzen Herzen.
35
XXxKIx.
Es rubterja jo lang in mir,
Nie wagt ich es zu ſprechen —
Und jett, ba e8 gefungen Dir,
Muß mir das Auge brechen.
So lang’ die Bruft noch ſtark, blieb fill
Das Lied in ihr verſchloſſen,
Dod da ber Tod fie brechen will,
Iſt es hervorgefprofien.
Blichſt anf den franfen- Sänger hin
Und kannſt ihm nicht verftehen,
Und muß er denn mit trüben Sinn,
Nach feinem‘ Grabe gehen.
Doc fragft Dir nach dem Liebe mich,
Das er für Dich geſchrieben —
So ruf ich nur: Ich liebte Dich,
Und will Did ewig lieben! .
Dies ift mein Lied — o nimm es hin,
&s ift für Dip gelungen,
Mag’ nun die Mufe ewig flieh'n,
So ift doch Dies gelungen. +
- 3”.
56
1.
Dort wo Morth”
Und ihr Bid, ev
Auf dem Bildniß ihrer”
Das bie forgiam treue Hand
Mit der Immortell’ umwand.
Und Di bift fo ſchön, Du Holde,
Wie die Rof’ im Morgengolde, _
Denn es warb Dir, fügen Maid,
Ja das fhönfte Erbentleid.
Und damit kein Himmel fehle,
In der Form die ſchöne Seele,
Und ein Herz, das tief bewegt
Fir den Einzigen ur ſchlägt
Mägdelein, Du Schwergeprüftes,
Mägbelein, Du Gramvertieftes,
Weine nicht mehr, fei nicht trübe —
Gott ja felber ift die Liebe.
[>
Du biſt fo trüb', Dein Athem ſchwer,
Dein Blick weilt erdenwärts;
Gib mir Dein liebes Händchen her,
Erzähl’ mir Deinen Schmerz.
37
Hat man Dir was si Reib'gethan ?
Ich glaub’ es nimmermehrz
Wohl gibt's ber fichen viel,
Der Guten gibt e
Und weil ich denn ein Guter bin,
Wie mir es fagt mein Herz,
Drum Lieben je! Dich neben mic,
Erzähl' mir Deinen Schmerz.
Und kann ic) helfen, hier bie Hand,
Ich helfe Dir vor Al’nz
Und iſt's um guten Rath’, bin ich
Nicht auf den Kopf gefall'n.
Sie hört mic) nicht, fie fieht mich nicht,
Sie will mic nicht verfteh'n.
Das ift nicht fo ein
Muß etwas tiefer geh’n.
Ja, Leutchen, glaubt es —8*
Es iſt kein Dichtertraum,
In unſrer kleinen Menſchenbruſt
Hat eine Welt wohl Raum.
Es ſei nun Freude
Der unſre Bruſt
Doch giüttih iR man RSS beim Schmierz,
Der aus ben Augen: quillt.
Schmerz,
33
um.
In deinen Armen mb füh,. *
Träum’ ich mich, Paradies
Und an bein Herz, bein Eigelberz gelebnt,
Bin id mit Gott und aller Welt berſöhnt.
Die Engel dorten in bes Hinme [8 Hallen,
Sie ftören nicht mich in Der felgen Ruh’,
Denn von. ben Himmliſchen dort oben allen
Liebt mich ja feiner fo wie Du.
m.
Wegket nur nicht ungebulbig
‚der Heinen winz'gen Lieber,
\ ‚die erften grünen Hälmdjen
um jungen Dichterleben.
Mit dem Frühling tommen Veilchen,
Und der Sommer bringt auch Rofen,
—
Gedichte
Brest an, brecht auf, ihr meine guten Lieber,
Wie lange ruht ihr in der trunfnen Bruft!
Du Saitenfpiel ertöne freudig wieder,
Berfünde treu des Sängers Schmerz und Luft.
Und al’ ihr Himmliſchen ſinkt ſegnend nieder,
Daß fih der Sang des Himmels auch bewußt.
So denn vereint als Menjch mit Gott im Bunte,
Geb’ ich, der Sänger, wieder von mir Kunde.
42
Das vaternuſer.
Gedanke aller Gedanken, wertb,
. Dog Unferbfiche Dich benten in Ewigkeit,
Der Du uns zurufft:
„Ein Bater lebt uns über den Geftirnen 1"
Dir, Bater, tönt der Welten Tauz ber Engel Chöre,
Doch überhörft Du nicht das kindliche Lallen
Deſſen, den Du aus Erden formteft, und bie Lifie,
Die zu Deinem Preif’ am Bach erblüht, erfreut Dich.
„Seheiligt werde Dein Name!“
Südlich zu willen alles durch Deinem Hauch Beſeelte,
Das ift Der große Gedanke Deiner größern Liebe.
— Sterblid Gewand’ umhüllt' ihn, den göttlichen Mittler;
Liebend lehrt er, biutend vergab er —
Sterbend fchloß er es auf.
„Daß zu uns fomme Dein Reich!“
Was wir denken, denken werben,
Du dachteſt e8, eh’ Du uns fchufft,
Der Welten Schöpfer, Du biſt's allein,
„Dein Wille gefchehe im Himmel, alfo auch auf Erben.“
u‘
43
Wie Du ſelbſt unendlich, ſo auch
Unendlich Deine Mittel M
„Zu weiſer Entzwei Ye
Mit Himmliſchem Tat die Hinmliſchen
Mit Srbifchem bie Lan
„Muferstägtich Brot gib uns aud) beit.“
Die Stunde flieht — m Du bift nicht mehr,
Vater, was Die ums warft, ſein ſollſt,
Und das irdiſche Gerz
Sucht ſich den irdiſchen Gott.
„Vergib ums unſre Schuld, wie wir vergeben unſern
Säuldigern."
Den Du aus Erben formteft, Getanfen Tieheft,
Fortzubenfen in Ewigkeit,
Dem doch auch Freiheit warb,
Jegliche Straße zu wandeln
„Führ' ihn nicht in Verſuchung, fondern erlöfe ihn von dem
Uebel.“
Wandeln wird er dann, Dich im Herzen,
Dich im Gemüthe, wandeln die Straße
Nah dem Haufe, das viel der Wohnungen birgt,
Und wo Du.thronft, Vater des Lichts,
„Voll der Raſt und ber Herrlichlent von Ewigteit zu
Ewigkeit, Amen.” .
Ernftes Lied ai
Das mich oft
Sanft melodiſch durch die Bit
Das mie Brichen Tem ame Himmels Bei,
Bie die Rat den Than auf Rofen träuft;
Lieb, wer ift bein Sänger? Unbelannt
Zinft du mir aus fernem Wunderland.
Süßes Lied, das in ben Wonne-Strömen
Der erwachten Schöpfung mich umfdroebt,
Das am Abend zaubervoll zum ſchoͤnen
Ganz umflofinen Sternendom mich hebt,
Das in ſchmelzend fühen Liehestänen
Leis ber Bruft der Nachtigall entbebt,
Lieb, wer ift dein Sänger? Unbelannt
Zönft du mir aus fernem Wunderland.
Zröftend Lieb, das in bie Wehrmuthſchale
Bittern Schmerzes milben Honig gieft,
Das uns am umflorten Grabesmale
Sanft die Thräne von ber Wange küßt,
Einft beim Scheiben im Berllärungsftrahle
Als der treufte Führer uns begrüßt;
Lied, du Bürge einer ſchönern Zeit,
Lied, ich nenne dich — Unfterblichteit.
4.)
Wann fchen wir uns wieder?
Zwei Röslein blühten wunderſchön
Im einſam ſtillen Thale,
Von Niemand noch geküßt, geſeh'n,
Als von dem Sonnenſtrahle;
Und weil vereint ſo inniglich
Auf einem Stiele beide,
So liebten ſie auch herzlich ſich
Und theilten Schmerz und Freude.
Da kam ein Jüngling durch den Wald,
Es ſchien, als ob er weine,
Der ſah die Roſen alſobald
Und pflückte ſich die eine.
Weh'! riefen beide Röſelein,
Und blickten traurig nieder,
Mein Schweſterlein, mein Schweſterlein,
Wann ſehen wir uns wieder?
Der Jüngling ſelbſt von Leiden blaß,
Hört’ nicht der Röslein Schmerzen,
Er fehrt zurüd und fieht im Gras
Zwei muntre Vöglein ſcherzen,
46
Da fchleicht er leiſe, Teiler nah’,
Bom Blättergrün umfangen,
Und eh’ ein Böglein ſich's verſah,
War es auch ſchon gefangen.
Bas war das für ein Jammer nicht
Der beiden Krübfingelänger, -
Wie flehten fie, doch hörte nicht
Der liſt'ge Bogelfänger,
Das eine floh fo ängſtiglich
In Zweigen auf und nieber,
Und oft ertönte ſchmerziglich:
Bann fehen wir uns wieber?
Den Sänger und das Röſelein
Im Bufen wohl geborgen,
Naht fi der Knab' dem Liebchen fein,
Am frühen Abfchiedsmorgen.
Nimm bin, rief er, und denke mein,
Wie weit mein Loos mic) triebe,
Der Sänger ftirbt, das Bögelein,
Doch uimmer meine Liebe.
Da weinet laut an feiner Brufl
Sein Liebchen treu ergeben;
D daß des Lebens höchſte Luft
Den berbften Schmerz muß geben
— Die Ölode hallt, das Grau zerflieht,
Der Morgenftern finkt nieder,
Und ach der letzte Ruf er ift:
Wann eben wir uns wieder?
47
Und dur die Schöpfung hört man’ rauſchen
Wie eine große Antwort ber,
Und felig alle Weſen lauſchen
Auf Bergen, TIhälern, Flur und Meer:
„Der Bater, der die Liebe ift,
„Den feine Zungen wirbig nennen,
‚Er wird, was er vereint, gewiß
„Richt wankelmüthig wieder trennen.
„Er ift e8 ja, der Glück und Sehnen
„Gelegt in feiner Weſen Bruft,
„Und was wir unfre Liebe nennen,
„Es ift ja auch des Vaters Luft.
„Drum jchwebe Hoffnung fanft hernieder,
„Das fie die füße Tröftung gibt: .
„Was fih im Staube treu geliebt,
„Das findet fih Dort oben wieder!”
Wer nur den lieben. Sott läßt walten.
| r— \
Ihr Menſchenbrüder, wer ihr ſeid,
Bon jungen und von ulten Jahren,
's ift Keiner, der ba nicht fein Leid,
Nicht hätte feinen Schmerz erfahren.
Auch mein Blid hat oft trüb gefchaut,
Doch immer habe ich's gehalten
Mit jenem Sprude fromm und traut:
Wer nur den lieben Gott läßt walten.
Durch Nebel führet unfre Bahn,
Wir gleichen ganz den armen Blinden,
Es nimmt fih Niemand unirer an.
Die ſchwer ift Da der Weg zu finden,
Da reichet er die Hand uns treu,
O laßt fie nur recht feit uns halten,
Hin führe fie, wohin e8 fei:
Wer nur den lieben Gott läßt walten.
49
Sf glaubet mir, e8 ift fein Wahr,
Millionen haben e8 erfahren,
Wir ihm nur wahrhaft zugetban,
Den thut er wunderbar bewahren.
Nie trog ein aroßes Vaterherz,
Er hät ja immer Wort gehalten,
Ruft darımı freudig bimmelwärts:
Wer nur Did kieben Gott läßt walten.
Das Mutterberz in feel’ger Ruh'
Umfaßt die böchfte Lieb’ im Leben,
Doc liebereicher fein mußt Du,
Der Du die Liebe uns gegeben.
Fühlt drum, vom Tod binweggerafit,
Ein Mutterberz ihr Kind erfalten,
D gib aud ihr zu rufen Straft:
Wer nur den lieben, Gott läßt walten.
. Das Würmchen, ift es. noch fo Hein,
Es darf Dich feinen Vater nennen,
Dod nur wer da von Herzen rein,
Yernt Dich als wahren Vater fennen.
Laß darum uns nod) einmal ſtill
Ergebungsvoll die Hände falten,
Es mag da fommen, was Da will:
Wer nur den lieben Gott läßt walten.
D
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV. 4
Der Dom.
Es ftand ein Dom aus alter Zeit,
Bar hochgerühmet weit und breit,
Man nannte ihn ein Gotteshaus,
Doch ſah's darin nad Gott nicht aus.
Schon lange fiel fein Sonnenichein
Mehr in.das Grabgewölbe ’rein,
Man ſprach von Vater, Geift und. Sohn,
Doch Hang es nur wie Spott und Hohn.
Da trat ein Mann in ſchwarzer Tracht
Herein und ſprach mit Donnermadht,
. Und als er's letzte Wort geſprochen —
Da ift der Dom zufammen gebrochen.
Der kühne Sprecher blieb unverſehrt,
Zum Himmel hielt er die Hand gelehrt —
Und donnernd rollt fein Wort einher:
Allein Gott in der Höh' ſei Ehr'!
53
Sternennadt.
Siehe die Planeten rollen
Um ven Sonnenball, ben’ großen —
Sieh’ den Bau, Ben wundervollen
Hch im Raum, dem grenzenlofen.
Sieh’ die Stern’ im goldnen Strable,
Steigen aus den dunkeln Nächten,
Wie fie hoch am Himmelsjaale
Ihre goldnen Kronen flechten.
Für das Auge, welch' ein Glühen,
Für den Geift, welch' ein Ergötzen —
Diefe Sternenblumen blühen
AM nach ewigen Geleten.
Nie hat der Kometen Glühen,
Die keck duch die Sonnen breden,
Es gewagt, den Harmonien
Seines Weltbaus Hohn zu ſprechen.
52
Und wie die Kinblein der Menſchen
Sich felig freuen am Vorabend
Auf die bunten Lichter des Chriftbaums,
So freuten fi die Keime auf Die große golpne Sonne
Und auf ven blauen Himmel und die Sterne der Nadıt.
Denn es waren ja gar viel ber herrlichen Märchen
Und ver wunderbaren Lieder von ber großen golpnen Sonne
. Und dem blauen Himmel und den Sternen der Nacht
Den Keimen geſungen morben von ihren Müttern
Sn der ewig dunkeln Winternacht.
Drum war fo enblojfer Jubel und entjetlicher Lärmen
Und taujendftimmiges Durdjeinanberrufen in bem bimfeln
Reiche.
Denn es war noch Manches zu fördern und zu ordnen
Für den morgenben' Feſttag, und manch' Keimlein
War noch weit zurück in der Toilette
Für die glänzende Morgenvifite.
— — — — — —
53
Sternennadt.
Siehe die Planeten rollen
Um den Sonnenball, den’ großen —
Sieh’ den Bau, Ben wundervollen
Hoch im Raum, dem grenzenlofen.
Sieh’ die Stern’ im goldnen Strahle,
Steigen aus den dunkeln Nächten,
Wie fie hoch am Himmelsfaale
Ihre goldnen Kronen flechten.
Für Das Auge, welch' ein Glühen,
Für den Geift, welch' ein Ergötzen —
Diele Sternenblumen blühen
AP nad ewigen Geſetzen.
Nie hat der Kometen Glühen,
Die fe durch die Sonnen breden,
Es gewagt, den Harmonien
Seines Weltbaus Hohn zu Tprechen.
-
54
Ueberall in fernfter Fernre,
Wohin noch das Rohr gedrungen,
Haben jelbft die lebten Sterne
Seiner Weisheit Rob gefungen.
Ya, in golbnen Sternenworten.
Nächtlich uns die Botſchaft lohnet —
Daß fern, fern der Erbenpforten
Uns ein weiler Bater wohnet.
Und er bat uns body begnabet,
Aufzuſchau'n zum Sternenihein —
"Denn nur freie Geifter Tabet
- Man zu jolbem Schaufpiel ein.
55
Der Lindenbaum.
Unter'm grünen Lindenbaum
Sind fie zufamm’ gefommen —
Es bat der alte Lindenbaum
Die Schwüre wohl vernommen.
Der Buhle 309 den Berg hinaus,
Sein Herz war voller Sammer,
Das Mägdlein weint die Augen aus
Dabeime in der Kammer.
Der Lindenbaum ein grünes Kleid
Vom Lenze hat befommen,
Darunter fitt Die treue Maid,
Im Herzen tief beflommen.
Wann kehrt er heim, o Lindenbaum?
Das Mägpdlein fragt, das bleiche,
Der alte treue Lindenbaum,
Der ſchüttelte Die Zweige.
56
Der Lindenbaum ein rothes Kleid
Vom Herkfie hat bekommen,
Darunter ſaß die treue Maid
Im Herzeu tief beklommen.
Wann kehrt er heim, o Lindenbaum?
Das Mägdlein fragt, das bleiche,
Der alte treue Lindenbaum,
Der fehüttelte die Zweige.
Das rothe und das grüne Kleid,
Die gehen und die kommen,
Darunter fitt die treue Maid,
Im Herzen tief beklommen.
Wann kehrt er heim, o Lindenbaum?
Das Mägdlein fragt, Das bleiche,
Der alte treue Lindenbaum,
Der fchüttelte Die Zweige.
Ein Bogel floh zum Lindenbaum,
War weit Dahergelommen,
Des Liebften Treubruch bat der Baum
Ausführlih Da vernommen.
Da brady dem Lindenbaum tag Herz
Und ließ die Blätter bangen,
Ihm war des treuen Mägblein Schmerz
Tief in die Bruft gegangen.
57
Der Lindenbaum ein granes Kleid
Bom Tode bat befonmen,
. Darunter ſaß die treue Maid,
Im Herzen tief beflommen.
Wann kehrt er bein, o Lindenbaum?
Das Mägbleiu fragte Teile;
Kein’ Antwort giebt ber Lindenbaum
Auf die gewohnte Weife.
Und Altes fill und dd’ im Raum,
Das todte Laub ſank nieder —
Der alte trete Yindenbaum
Sah feinen Frühling wieder.
Nur ftarre Hefte find zu ſchau'n,
Hoc) Hasterten die Raben —
Der Andenbaum warb umgehan'n,
Das Mägdelein begraben.
58
Die Fiſcherhütte.
„Geh', Knabe, brenn' die Fackel an,
Die Nacht iſt graus und kalt,
Der Vater ſchifft vom fernen Land',
Und naht der Heimath bald.“
Der Knabe brennt die Fackel an,
Geht zu dem Strand hinaus,
Es heult der Sturm, der Regen rauſcht
Und löſcht die Fackel aus.
Der Knabe kehrt zur Hütte heim:
„O Mutter laß mich hier,
Es heult der Sturm, der Regen rauſcht
Und löſcht die Fackel mir.“
„O Schifferblut, o Schifferblut,
Du bift fein Schifferblut!
Was ift dem warmen Scifferblut
Des wilden Sturmes Wuth!“
59
Der Knabe brennt die Fadel an,
Geht zu dem Strand hinaus,
Da beult der Sturm, der Regen raucht
Und löſcht die Fadel aus.
Der Knabe eilt zur Hütte beim:
„D Mutter laß mich hier.
Am Strande fittt ein weißes Weib,
Winkt mit den Händen mir.“
„O Schifferblut, o Schifferbiut,
Du biſt kein Schifferblut!
Dem braven warmen Schifferblut
Das Seefräulein nichts thut.“
Der Knabe brennt die Fackel an,
Geht zu dem Strand hinaus,
Es heult der Sturm, der Regen rauſcht
Und löſcht die Fackel aus.
Der Knabe eilt zur Hütte heim,
„O Mutter komm' zum Meer,
Vom Meere tönet eine Stimm'
Wie die des Vaters her.“
Die Mutter brenut die Fackel an,
Sie brennt die Hütte an.
Da heult der Sturm, da flammt die Gluth,
Und ſteigt zum Himmel an.
„D Schifferblut, o Schifferblut,
Du bift kein Schifferblnt /
Zur Leuchte brennt Die Hlitte nur,
Iſt eine gute Glut.“
Der Vater lenkt bein Flammenſchein
Das Schiff zum fihern Straud.
Umſchifft der Klippen Heer und tritt
Gerettet an das Land.
61
Das Mädchen am Meere.
Das Mägdlein ſitzt am Weltenmeer',
Vom frühen Morgenſchein',
Bis ſpät der Abendſtern erglüht,
Und ſchaut in's Meer hinein.
Und viele Wellen kommen an,
Das Mägdlein fragt fie aus:
Gebt Kunde vom Geliebten mir,
Wann febret er nach Haus?
Do ſtumm ſich nur die Voge bricht,
Schallt feine Antwort ber;
Und mande Zähr’ des Mädchens fließt
In's große Weltenmeer.
Und manches Fiſchlein ſchwimmt heran,
Das Mägdlein fragt es aus:
Gieb Kunde vom Geliebten mir,
Wann ſchiffet ev nach Haus?
62
D Gold» und Silberfiſchlein ſchwimmet
Hin Durch die weite See,
Erzählt ihm feines Liebchens Schmerz,
Und feines Liebchens Weh.
Doch von ven Fifchlein keins verftand
Des Mägbeleins Begehr,
Und wieder manches Thränlein rann
In's große Weltenmeer.
Und viele Schiffe famen an
Vom fernen Engelland,
Doch auf der Schiffe keinem fie
Den Herzgeliebten fand.
So ſaß Das Mägblein Monden lang,
Trug Well’ und Filchlein aus:
Gebt Kunde vom Geliebten mir,
Wann fehret er na Haus?
Und als fie fragt und als fie weint.
Tönt's aus der Tiefe hohl:
Steig, Liebchen, fteig zu mir herab,
Hier ift’8 Dir's gut und wohl.
Und aus dem Ufer tritt zurück
Das große Weltenmeer,
Es öffnet fi ein grünes Thal
Mit einem Blumenbeer.
63
Und in dem Thal am Bade fißt
Des Mädchens Bräutigam,
Er lächelt janft, er winkt jo ſüß —
Das Mädchen zu ihm kam.
O tüdiih Meer, o tückiſch Dieer,
O halt' die Woge an!
Umſonſt, umſonſt die Woge rollt,
Die Woge rollt heran.
Es kehrt zurück das Weltenmeer,
Es vauſcht des Meeres Flut —
Und Blumen, Thal und Mägdelein
In feinem Schooße ruht.
O tückiſch Meer, o tückiſch Dieer,
Was that dir's Mägdelein?
Am dritten Tage warfſt du ſie
Auf kaltes Sandgeſtein.
— Noch manche Welle kommt zum Strand,
Noch manches Fiſchlein her,
Manch Schiff kehrt heim vom Engelland —
Das Mägdlein fragt nicht mehr.
64
Der deutſche Walzer.
In dem Kerfer Lavalette's,
Wo hinab fein Sonnftrahl fiel,
Tönte oft Die ftillen Stunden
Wunderbar ein Flötenſpiel.
War’ doch Ney, der Fürft der Moskwa,
Dort im oberen Gemach.
Der gefangen, rubigbeiter,
So mit ſeiner Flöte ſprach.
Und 'nen alten, alten Walzer,
Aus dem grünen Deutjchland ber,
Herzgewinnend, herzbezwingend
Dieſen liebte er ſo ſehr.
65
Und er fpielt ihn immer wieder,
Wenn er dort am Fenfter ſaß,
Bis auch Lavalett’ nicht wieder
Diejes liebe Stüd vergaß.
Stunden rannen, Tage gingen,
Immer zur gewohnten Zeit
Tönt der Walzer, wird durch diefen
Lavalette's Herz erfreut.
War in feiner dunkeln Zelle
Dieler liebe Freundesgruß
In den langen öden Stunden
Ja der einzige Genuß.
— Mer bord), welch’ ſeltſam Schweigen!
Welche Stille dumpf und, ſchwer —
Iſt die Stunde doch gekommen,
Und der Walzer tönt nicht mehr.
Und es klirrt die Kerferpforte,
Und der Wärter tritt herein;
Und e8 fragt der Freund erbleichend:
„Was muß mit dem Marſchall fein?’
„„Marſchall Ney wird nicht mehr fpielen
„„Mit der Flöte in der Hand;
„„Von ſechs Kugeln wohl getroffen
„„Sank er heute in den Sand.‘
Stolle, fämmtl. Schriften. XXIV. 5
66
Da bricht tem gefang’'nen Freunde
Schmerzlichſt das getrene Herz;
Und des Flötenfpieles Schweigen
Mehret nur ben herben Schmerz.
Und er ruft nad langem Schweigen:
„Eo blieb mir denn nichts von Dir
„Als der alte deutſche Walzer,
I, er ſei geheiligt mir.”
Aber ſeltſam, ob er finnet,
Ob er finnt mit vieler Müh’ —
Ausgeldjchet bleibt für immer
Ihm die Walzermelodie.
Jahre find dahin gegangen,
Yang’ ſchon weilt im freien Land,
In Amerifa’s Gefilten
Yavalett’, geehrt, befannt.
Und er femmt zu teutichen Leuten,
Eine Kirchweih feiern fie,
Horch, zum Tanze um die Linde
Zönt 'ne Walzermelodie.
6.7
Und er bleibt betroffen ftehen,
Lauſcht und lauſchet, finnt und finnt —
Und es wird ihm jeltfam helle,
Zeit und Gegenwart verrinnt.
Und die hellen Thränen rinnen —
’8 wird ihm, wie er nie gefühlt —
Ja, es ift der alte Walzer,
Den im Kerfer Ney geipielt.
Und die erften Thränen weint er
In dem fernen, freien Land,
Wo er jeines Freundes Stimme,
Seinen Walzer wieder fand.
-
5*
68
Erfier Engel.
Biel ward in meiner Kindheit Zeiten
Bon golden Engeln mir erzählt,
Wie fie den lieben Gott begleiten,
Und wie er oft fie ausermwählt,
Zu jchweben zu den Erdenkindern
Und ihre Schmerzen fanft zu lindern.
Und wie ih num fo immer wieber
Bon Engeln hörte ſchön und mild,
Und wie fogar oft füße Lieber
Mir fangen von der Engel Bild,
Da war mein Wunfch, da war mein Fleh’n:
Ad, einen Engel möcht’ ich feh’n.
—
69
Einft hatt’ ich mich verirrt im Haine,
xecht bitterlich,
8 Dämmerſcheine
$-dem Thal’ entwich,
Da reicht ein‘ Mädchen unbefannt
Mir tröftend ihre liebe Hand.
Sie trodnete mir meine Zähren
Und führte fanft mich durch den Wald,
Und lobte die gepflücdten Beeren,
Da jaben wir das Dörfchen bald,
Da ward e8 leicht um meinen Sinn,
Und ernft ſpilch meine Führerin:
„Die Mutter wird nah Dir fich jehnen,
„Denn ſchon erglänzt der Sterne Licht,
„Die Gute laß uns erft verſöhnen,
„Wie es bes frommen Kindes Pflicht,
„And ſprichſt Du, ftetS recht gut zu fein,
„Leg' ich auch ein gut Wort mit ein.“ zirr..
D=
Die Mutter ſah uns ſchon von Weiten,
Wer fennt nicht einer Mutter Schmerz,
Und unter Thränen, unter Freuden
Drüdt fie mid an das treue Herz;
Doch gleih darauf mit trübem Sinn,
Blickt lang und ernft fie auf mich Hin.
er
70
Da final fo Ton wie —
Das Märchen aus bem
„Er hat's Berſprechen mir
„Gtets folgfem, fromm und gui zu fein,
„Ich ſelbſt, ich bitte heut’ für ihn.“
Und als die Worte fie geenbet,
Wunſcht „ſanfte Nacht” ihr frommer Sinn;
Und ſchnell hat fie den Fuß gewenbet,
Eilt fllichtig durch die Fluren Hin.
A, fol ein Mädchen wunberihän .
Hatt' ich im Leben nicht geich’
Wir eilten freudig drauf nach Haufe,
Doc fie, ach fie vergaß ich nicht;
Und als in meine ftille. Klaufe
So freundlich ſchien ver Sterne Echt —
rief ich laut beim Sternenſchein:
el fie muß ein Engel fin!
71
Im Todtenhans.
Im Todtenhaus da fteht ein Sarg,
Aus alten, uralten Zeiten,
Und eine Role liegt barauf;
Was mag das nur bedenten?
Die Role ewig blühend und jchön,
Der Sarg wird immer älter,
Die Roſ' erfüllt mit Roſenduft
Den ſchaurigen Behälter.
Ich fragte ſchon als Kind danach
Es konnte mich Niemand berichten,
Jüngſt ſaß ein Greis an der Kirchhofthür,
Der erzählte Kindern Geſchichten:
.12
„Sin braver Mann ta unten rubt,
„Gr meint’ es mit Gott und Menichen gut,
„rum hat ihm ein Engel, ftill bewegt,
„Die Rofe auf den Sarg gelegt,
„Damit wenn einft mit der Ro)’ in ter Hanb
„Er eingeht in das Himmelsta
„Der Engel unfern braven Mann
„Unter ven vielen Leuten erfennen fann;
„Die Roſ' aber, die ein Engel bricht,
„Die, merfet Euch, verwelfet nicht.“
Ein biondes Mädchen hörte dem Alten mit zu,
‚ Berfigert ihm mit himmliſchen Bliden:
„Gewiß auch Dir wird ein Engel einmal
„Eine ſolche Roſe pflüden.“
73
Die Himmelsrofe.
Ich fing’ Euch von der Roſen ſchönſten Nofe,
Die Sterblichen bejeligend erblübt, |
Die nicht am Bach, nicht in dem fammtnen Mooſe,
Don feinem Sonnenftrahl gelodt, erblüht.
Die in der Unfchuld nur, ver Tugend Schooße
Erhebet und beſeligt das Gemüth.
Es lernt beglückt ein jedes Herz ſie kennen,
Doch iſt es ſchwer mit Namen ſie zu nennen.
Als Knoſpe ſchlummert ſtill, noch unerſchloſſen,
Die Roſe in des Kindes froher Bruſt;
Und von dem Thau des Morgens zart umfloſſen
Iſt ſich das Kind der Roſe unbewußt;
Da hört es bald entzückt von jenem großen
Und lieben Geber Schmerzes und der Luſt,
Da fällt ein Strahl auf die geſchloſſ'ne Blume;
Das erſte Roth erglüht im Heiligthume.
In's Freie eilt der Knab' an Lenzestagen,
Wo eine Welt aus dunkler Erde dringt,
Wo die Natur mit ihren taufend Sprachen
Der Liebe Gottes Tiebend ihn umringt;
Da möchte gern dem Bater Dank er fagen,
Ein fromm Gebet dem lieben Gott er bringt,
Und fieh, von neuem Strahl die Knoſp' umfloffen,
Schwillt ſchöner auf, doch bleibt fie noch geichloffen.
74
Ta weilt am Bab, im Schatten greiier Eichen
Te Jünglinz ſtill une nebt tie Wellen zieb’n:
Ab nirgent will das Dir ſich wieder zeigen,
Tas ibm io bimmliſch ichẽn im Traum eridien:
Une fieb‘, tie Jungfrau tritt aus tunleln Zweigen,
Blidt auf ten Jñugling — Ert’ unt Himmel flich’n —
Sie iſt's, tie gẽttlich ihm erſchien ım Traıme,
Und ſchnell erblüht tie Ref im Herzentraume.
Da tritt ber Mann in jene Gettgefilbe
Der Wiſſenſchaſt mit reiſerm Geifte ein,
Und was be RMugling einft noch Nachtgebilde,
Steht jetzt dem Blick entſchleiert Mar und rein,
Des großen Gottes Weisheit, jeine Milte,
Sie jhant der Mann im hellen Strableufchein,
Er ſchaut im Keime fie, im Weltentanze,
Und jest erft blüht tie Ref im ſchönſten Glanze.
Und wie dem Mann’, fo blühet auch dem Greiſe
Die Rofe, die dem ftillen Herz geweiht,
Beſeligend im rauhen Wintereife,
Wie in des Yenzes holder Blüthenzeit;
Und endet ftill der Wandrer feine Reife,
Da naht ein Engel aus der Ewigfeit, J
Der pflückt die ſchöne Roſe dieſer Erde,
Auf daß ſie eine Himmelsblume werde.
785
Franenſchöne.
Du Wunderbild aus einem ſel'gen Traum,
Wie ihn ein ſel'ger Gott geträumt;
Du Frühlingsgruß aus einer Frühlingswelt
Wie ſie nur über Sternen keimt;
Du Mollaccord der großen Götterharfe;
Du hohes Lied, das die Gewißheit fingt
Don einem Engellande drüben ;
Du Oelblatttaube, Die die Nachricht bringt,
Daß wir dort finden Alles, was wir lieben;
Du Kronjumel, das einft in jel’ger Stunde
Der Himmel ung verpfändete zum Bunde;
Du Blumenurbild alles irdiſch Schönen,
Du Meifterftüd, das Schöpfungswerk zu frönen;
Vergebens fucht Die kühne Phantafie
Nah Sternen, Blumen, Perlen, Bildern,
Ein Göttertraum, wie Dur ift nie
Bon einem Sterblichen zu ſchildern.
Ein Lied für die Waifen.
Zerwaiftes Kint, Tu Ihränenkilt,
Zu Blume fiiler Schmerzen,
Id ſchau' Dich, ta bricht meherfüllt
Ties Liet aus meinem Herzen.
Verwaiſtes Kint, an Thräuen reich,
Ted arm, blutarm an Freuden,
Tu Blüthenihmud beraubter Zweig
In golt nen Frühfingszeiten.
Und taufend Bäumen um Dich her,
Die blüh'n in frohem Triebe,
Denn fiber ihnen Soraen ſchwer
77
Was will das Sehnen in der Bruft,
Die unbelannten Triebe?
Ad, Aermfte, es zieht unbewußt
Euch hin zur Mutterliebe,
Doc weh, vergebens Hopft ihr an,
Das einz’ge Herz von allen, -
Das Euch die Antwort geben Tann
SR längſt in Staub zerfallen.
O Thränen neten mein Geficht,
Ihr armen, armen Kleinen,
Bergelten kann ein Menſch Euch nicht,
Er kann Euch nur beweinen.
Die Blütben brach des Vaters Hand
Aus Eurem jungen Leben,
Um fie Euch einft im Sternenland
Berlärt zurüd zu geben.
Auf ihn vertraut und weint mir nicht,
Ein Bater muß Euch lohnen
Dort oben, wo im Sternenlicht
Die Elternherzen wohnen. \
Erzgebirgife Dyihen.
Beh’ Bewerte! Lichte Binmentzäume
Hingehaucht auf weißen Aetherzrunke,
HM tas Runfiieiß eder war geheime
Unfihtkare Feenhaud im Bunte?
Arabesten, grazienhaft und munter
Lächeln wie ans Jeihtem Nebelflor,
Und doch brechen, ſchau' ich dieſe Wunder,
Nur die hellſten Thränen mir herbor.
Dein geben!’ ich, bleiches Kind der Hütten,
Das Dir manche Mitternacht,
Wenn am Tage Hunger Du gelitten,
Dieſen Schmuck hervorgebracht.
79
Diefer Schmud, der Armuth heil’ge Spenden,
Die Biumen, zart und leicht,
Ad) wenn fie nur reden könnten,
Ward euch wohl das Auge feucht.
Fern in Bergen öd' und Ichaurig,
Dort wo feine Blumen blüh'n.
Sind in Hlitten, ftumm und traurig
Diefe Blumen hier gebieh'n.
Jetzt von Perlen ſtolz umwunden
Sind die Thränen wohl zerfloſſen,
Die in bittern Leidensſtunden
Gram und Elend drauf vergoſſen.
Darum bitte ſtill ich nun,
Mögen dieſe zarten Waaren
Jeder Brüft auf der fie ruh'n,
Frommes Mitleid auch bewahren.
709
Da ſprach ſo fanft wie Sata
„Drum ſei der hent'ge Fehl verzieh'n,
„Ih ſelbſt, ich bitte heut' file ihn.“
Und als die Worte fie geenbet,
Bünjcht „fanfte Nacht” ihr frommer Siun;
Und ſchnell hat fie ben Fuß gewenbet,
Eilt flüchtig durch die Fluren hin.
Ad, ſolch ein Mädchen wunderſchön
Hatt' ich im Leben nicht geieh’
„Stets folgfam,. fromm und gä6 zu fein, =
Wir eilten freudig drauf nach Haufe,
Doch fie, ach ſie vergaß ich nicht;
Und als in meine ftille. Klaufe
So freundlich ſchien der Sterne Licht —
86 rief ich laut beim Sternenfchein:
fie muß ein Engel fein!
71
Im Todtenhans.
Im Todtenhaus da fteht ein Sarg,
Aus alten, uralten Zeiten,
Und eine Roſe Tiegt darauf;
Was mag das nur bedenten?
Die Role ewig blühend und jchön,
Der Sarg wird immer älter,
Die Rof’ erfüllt mit Roſenduft
Den ſchaurigen Behälter.
Ich fragte Ihon ale Kind danach
Es fonnte mich Niemand berichten,
Züngft jaß ein Greis an der Kirchhofthür,
Der erzählte Kindern Geſchichten:
72
„Ein braver Mann da unten ruht,
„Er meint’ es mit Gott und Menſchen gut,
„Drum bat ihm ein Engel, ftill bewegt,
„Die Hofe auf den Sarg gelegt,
„Damit wenn einft mit ber Ro)’ in der Hanb
„Er eingeht in das Himmielela
nDer Engel unfern braven Mann
„Unter den vielen Leuten erkennen kann;
„Die Rof’ aber, die ein Engel bricht,
„Die, merlet Euch, verwellet nicht.“ Fa
Ein blondes Mädchen Körte dem Alten mit zu,
, Berfihert ihm mit hinmliſchen Blicken:
„Gewiß au Dir wirb ein Engel einmal
„Eine ſolche Roſe pflücken.“
73
Die Himmelsrofe.
—
Ich fing’ Euch von der Roſeu ſchönſten Nofe,
Die Sterblichen befeligend erblübt, |
Die nicht am Bach, nicht in dem ſammtnen Moofe,
Bon feinem Sonnenftrahl gelodt, erblüht.
Die in der Unſchuld nur, ver Tugend Schooße
Erhebet und befeligt das Gemüth. \
Es lernt beglüdt ein jedes Herz fie kennen,
Doc ift es ſchwer mit Namen fie zu nennen.
Als Knoſpe ſchlummert fill, noch unerichloffen,
Die Role in des Kindes froher Bruft;
Und von dem Thau des Morgens zart umfloffen
Iſt ſich Das Kind der Roſe unbewußt;
Da hört es bald entzückt von jenem großen
Und lieben Geber Schmerzes und ber Luft,
Da fällt ein Strahl auf die geſchloſſ'ne Blume;
Das erfte Roth erglüht im Heiligthume.
In's Freie eilt der Knab' an Lenzestagen,
Wo eine Welt aus dunkler. Erde dringt,
Wo die Natur mit ihren taufend Sprachen
Der Kiebe Gottes Tiebend ihn umringt;
Da möchte gern dem Bater Dank er jagen,
Ein: fromm Gebet dem lieben Gott er bringt,
Und fieh, von neuem Strahl die Knoſp' umfloffen,
Schwillt ſchöner auf, Doch bleibt fie noch gefchloffen.
\
"U.
Da weilt am Bad, im Schatten greiſer Eichen
Der Yingling fill und fieht die Wellen zich'n;
Ad nirgend will das Bild ſich wieder zeigen,
Das ihm fo himmiiſch Schön im Traum erſchien;
Unb fieß', die Jungfrau teitt aus. buntein Zweigen, B
Blidt auf den Jungling — Ex’ und Himmel flieh'n —
Sie iR’s, die göttlich ihm erſchien im Traume,
Und ſchnell erbluht bie Rof im Herzensraume.
2 tritt ber — in ene Gottgeſilde
J
Des großen Gottes Weispeit, feing Milde, -
Sie ſchaut der, Mann im hellen Strahlenchein
Er ſchaut im Keime fie, im Weltentänge,
Unb jet erſt blubt die Rof’ im fChönften Ganze.
Und wie ben Maun’, fo blühet auch dem Greife
Die Rofe, die dem ftillen Herz geweiht,
Beſeligend im rauhen Wintereife, 5 \
Die in des Lenzes holder Blüthenzeit; J
Und endet ſtill der Wandrer ſeine Reiſe,
Da naht ein Engel aus der Ewigkeit, A
Der pflückt die ſchöne Rofe dieſer Erde,
Auf daß fie eine Himmelsblume werde.
76
Frauenſchöne.
Du Wunderbild aus einem ſel'gen Traum,
Wie ihn ein ſel'ger Gott geträumt;
Du Frühlingsgruß aus einer Frühlingswelt
Wie ſie nur über Sternen keimt;
Du Mollaccord der großen Götterharfe;
Du hohes Lied, das die Gewißheit ſingt
Von einem Engellande drüben;
Du Oelblatttaube, die die Nachricht bringt,
Daß wir dort finden Alles, was wir lieben;
Du Kronjuwel, das einſt in ſel'ger Stunde
Der Himmel uns verpfändete zum Bunde;
Du Blumenurbild alles irdiſch Schönen,
Du Meiſterſtück, das Schöpfungswerk zu krönen;
Vergebens ſucht die kühne Phantaſie
Nach Sternen, Blumen, Perlen, Bildern,
Ein Göttertraum, wie Du iſt nie
Von einem Sterblichen zu ſchildern.
”e
Ein Lied für die Waifen.
Berwaiftes Kind, Du Thränenbilb,
Du Blume fliller Schmerzen,
Ich ſchan' Dich, ba bricht weherfällt
Dies Lieb aus meinem Herzen.
Verwaiſtes Kind, an Thränen reich,
Doch arm, blutarm an Freuden,
Du Blüthenſchmuck beraubter Zweig
In goldnen Frühlingszeiten.
Und taufend Bäumchen um Dich ber,
Die blüh’n in frobem Triebe,
Denn Über ihnen Sorgen jchwer
Ruht ja die Mutterliebe,
O Mutterliebe, ſelig Wort,
Du Schatz von tanſend Schätzen;
Ihr armen blaſſen Kleinen dort
Wer kann Euch den erſetzen?
77
Was will das Sehnen in der Bruſt,
Die unbelannten Triebe?
Ad, Aermfte, es zieht unbewußt
Euch bin zur Mutterliebe.
Doch weh, vergebens Hopft ihr an,
. Das einz’ge Herz von allen, -
Das Euch die Antwort geben kann
St längſt in Staub zerfallen.
O Thränen neben mein Geſicht,
Ahr armen, armen Kleinen,
Bergelten kann ein Menſch Euch) nicht,
Er kann Euch nur beweinen.
Die Blüthen brach des Baters Hand
Ans Eurem jungen Leben,
Um fie Euch einft im Sternenland
Berlärt zurück zu geben.
Auf ihn vertraut und weint mir nicht,
Ein Bater muß Euch lohnen
Dort oben, wo im Sternenlicht
Die Elternberzen wohnen. \
78
Erzgebirgifche Spitzen.
Welch’ Gewerbe! Lichte Blumenträume |
Hingehaucht auf weißem Aethergrunde,
Iſt das Kunftfleiß oder war geheime
Unfichtbare Feenhand im Bunde?
Arabesfen, grazienhaft und munter
Lächeln wie aus leichtem Nebelflor,
Und doch brechen, Schau’ ich diefe Wunder,
Kur die hellſten Thränen mir hervor.
Dein gebenf’ ich, bleiches Kind der Hütten,
Das Du mandhe Mitternacht,
Wenn am Tage Hunger Du gelitten,
Dielen Schmud hervorgebracht.
79
Diefer Schmud, der Armuth beil’ge Spenden,
Die Blumen, zart und leicht,
Ach wenn fie nur reden könnten,
Ward euch wohl das Auge feucht.
Fern in Bergen öd' und ſchaurig,
Dort wo feine Blumen blüh’n.
Sind in Hütten, ftumm und traurig
Diefe Blumen bier gedieh'n.
Jetzt von Berfen ſtolz umwunden
Sind die Thränen wohl zerfloſſen,
Die in bittern Leidensſtunden
Gram und Elend drauf vergoſſen.
Darum bitte ſtill ich nun,
Mögen dieſe zarten Waaren
Jeder Bruͤſt auf der ſie ruh'n,
Frommes Mitleid auch bewahren.
Grimma.
(Ael.: Helft Leutchen mir vom Wagen doch 3c.)
Im Thale, wo die Mulde flieht,
Da ſteht ein Städtchen fein,
Das Niemand wieber gern vergißt,
Der einmal da fehrt ein.
Ihr Alle, Alle kennt es wohl
Und ſeid ihm zugetban —
Drum ſchenkt nur al’ die Gläſer voll
Und ftoßt auf Grimma an,
Es lebte mancher brave Mann
Hier ſchon in alter Zeit.
Und Niemand iſt, der ſagen kann,
Daß es ihm hätt' gereut.
Der Doctor Luther, Gottes Wort,
Der war hier wohl vertraut,
Der holte ſich von Nimbſchen dort
Ja ſeine Jungfer Braut.
Da kam au der Melundton ber
Und ließ fih’8 bene fein;
Ya, jagt er, in ganz Sachſen mehr
Gibt's nicht ſolch Städtelein.
Auch Pater Churfürft Morit war
Dem Stäbdtel gar zu gut,
Drum bracht’ er bier ’ne ganze Schaar
Scholaren unterm Hut.
Bon Hohnſtädt ging der Seume fort
Und ftrampelte zu Fuß,
Bon Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort,
Bis hin nad Syrafus,
Doc felbft wo heiß die Sonne fticht,
Sm tiefen Süpdenland,
Bergaß er dich, mein Grimma, nicht,
Und nicht den Muldenftrand.
Bon Döben, wie ihr alle wißt,
- Da gibt’8 ein „Sud in's Land“
So herrlich als nur eines ift
Im ganzen Sachlenland.
Und auf der Gattersburg, wer fteht
De nicht mit freiem Sinn,
Und fieht, wie ftill die Mulde geht
Zu feinen Füßen hin.
Der liebe Gott hat's liberal
Zwar gut und brav gemacht,
Doc unfer Tiebes Muldenthal,
Abſonderlich bedacht.
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV. 6
Der Frühling ift vol Blumenduft,
Der Herbft von Segen [wer —
Die Nachtigall dazwiſchen ruft —
Und fpredht, was will man mehr? _
In Grimma gibts drum frohe Leut',
Doc gute noch viel mehr,
Auf Grimma’s froh und gute Leut',
Trinkt nun das Släschen leer.
Und fragt mich jemand, ob da blüh'n
Auch Mägdlein hold und fein,
So ſprech' ich, gud’ nur felber hin
Es wird Dich nicht gereu'un.
. 83
*
White’ Heimkehr.
—
Da fteht das alte Vaterhaus,
Bor funfzig Iahren zog ich aus,
Weit in die weite Welt hinaus, '
Ganz arm und jung und ganz allein,
Doch Gott war bei mir, Gott war mein.
Du grauer Giebel, alt und fchmer,
Kennft wohl das frohe Kind nicht mehr,
(E8 ift auch gar jo lange her,)
Das von dem Gärkthen neben an *
Gar oft geblickt zu dir hinan.
u
Wenn unfre Tauben, licht und Weiß,
Did rings umflatterten im Kreis,
Und wenn die Sonne, golden heiß,
Bon Honigbienen ftil umſchwärmt,
Dein altes grünes Dach gewärmt.
Die Heine Bank auch, tief im Gras,
— Was wirft du altes Auge naß? —
Wo oft ich bei der Mutter "aß,
Die lieb mich in die Arme nahm,
Wenn Abends heim der Bater fam.
6*
„ enn inf Bice e ver
84.
Noch immer aus ber Knoſpe bricht, "
Wie einft das ſchöne Blumenlicht,
Das hold und freudig zu ufls fpricht;
Wie bläh’n bie
Doch, die fie pflanzten, ve
Bas Hilft du mir, du Beterhaus,
Der Bater ſchaut nicht mehr: heraus,
Die Mutter trugen fie hinaus;
Das, nützet ums ein. Paradies,
\
Wie zicht —— Fein ſo machtig fort
alle ruht im a
Die alten Linden, ernft und ſchön,
Sie fcheinen wohl mic zu verfieh’n.
>
m
Dort unter Blumen träumen fie,
Die ich vergebens ſuche HER
Dort unit Blumen find’ ich fie —
Dort unter Blumen, hoffe ich,
Find't fih ein Plätzchen auch für mid.
8
Die ſchönſte Gabe.
Wem Gott ein Herz zum Lieben gab,
Dem Schmeaye wie ber fien,
Bol Glauben, von o voll von Hoffen,
Den hat das ft — getroffen,
Dem ward⸗d Bi
h wande
ſich der
be. 6 wird er Wiehl
Diane dem feinetug ü
E er
ihm beut, nimgR er mit Dank,
nit das Gplp der Trauben;
} nie ben Glauben,
Daß Menſchen gut find, rauben,
Die Böſen find ihm ja nur frant.
Und in Fluß di fumen ‚flieht,
Fe wein und
So gleitet ſanft 9 Pen,
Bis, es in Gott, ö
jßpie Ewigtel
[.) könnte mir ein BGE gelingen.
Bie b f
Dan Lege’ i
Wie er in
Ju's
Lebensgeſchichtliche Umriſſe.
Ich bin den achtundzwanzigſten September 1806 in
Dresden geboren. Meine Mutter verlor ich bereits
im vierten, meinen Vater im fiebenten Jahre Ich -
fann mid) daher auf beide, namentlih an vie Mutter,
nur dunkel erinnern. So verlebte ich die früheiten
Jahre meiner Kindheit in den Haufe meines Groß—
vaters Lotzmann, welcher das Vorwerk Schönbrun-
nen in der jeßigen Antonſtadt Dresven befaf. Noch
deutlich entfinne ich mich jener kriegeriſchen Yeiten,
wo die Kriegsvälfer von halb Europa durch Dresden
zogen. Namentlih war e8 dad Jahr 1813, wo ber
Gaſthof meine! Großvaters mit fremden Militär über-
jült war. An einem grauen Märznachmittage erjchie-
nen am Nande der Drespner Haide die eriten Ko—
jaden. Das Dresdner Publikum zog ihnen mit ges
füllten Brandweinflafchen entgegen, wie ich jpäter in
meinem Romane 1813 treu gejchildert habe. Mit den
erften Kofaden war ein herrliches Leben. Da fie große
Kinderfreunde, ftand ich auf beiten Fuße mit ihnen.
Die Söhne des Urals ſetzten midy auf ihre Heinen
Pferde, was mir großes DVergnügen machte. Noch
befier ftand ich mid, aber bei den Herren Offizieren,
die bei meinem Großvater im Quartier lagen. Da
gab es häufig Bonbons und Zuderbregeln, und noch
deutlich kann ich mich erinnern, wie ich dem fpätern
90
faiferlihen General-Adjutanten Benkendorf, der eben-
falls bei uns wohnte, auf den Anieen geritten. In
unſrer Billarvftube ward die Neuftadt von den Fran—
zofen an die Ruſſen übergeben.
Noch ehe der Kriegsfturm über das ſchöne Dres-
den dahın brauſte, erfchien mehrenals in der Woche
bei meinem Großvater, um die einfehrenden und Bier-
trinfenden Honorationen zu amüfiren, ein alter blin=
der Harfner, der damals befannte und beliebte Me-
Iodieen und Lieder fpielte und fang. Mein Lieblings-
lied, das mid) mein ganzes Leben durchklungen und
erwärmt hat, war:
„Wer e8 gut mit Gott und Menſchen meint,
Der fei mein Liebling, ter fei mein Freund!“
Bald erhielt ih vom Großvater felber eine Kleine
Harfe und fang und fpielte mit dem alten blinden
Niklas um die Wette. Auch einiger beliebter Gaflen-
bauer aus jener Zeit entfinne ich mich noch, welche
die damalige Stimmung in Sachſen wiedergeben mö-
gen, 3. B.:
„Wir marihiren nad) Preußen 'nein,
Nehmen Die preußiichen Feftungen ein.“
Ferner:
„Großer Kaĩſer Napeleon,
Verſchreibe uns eine Contribution.“
Ferner:
„Die Franzoſen haben die Schlacht gewonnen,
Es werden beſſere Zeiten kommen.“
Selten iſt wohl ein Kind an Weihnachtheiligen—
abenden jo reich beſchenkt worden, mie der Schreiber
diefer Zeilen in ven früheften Jahren feiner Kindheit.
u
9
ch non Großvater befcheert, ‚von
uch, von mehren unferer Stamm=
terglanz. .
triegerijchen Ereigniffen des
och höre ih den dumpfen
n Franzofen gefprengte Pfei—
fe zufammenbrah. Nachdem
en verlaſſen, warb e8 etwas
währte nicht lange. Wenige
Tage nad ber Lügner Schlacht waren die Rufen
wieder ba und bald darauf die Franzoſen. Da ih
hörte, daß die Ruſſen auf der Retirade begriffen,
Tonnte ich mich nicht genug wundern, wie ritfji
Offiziere noch Billard fpielen konnten. _ F
mir, bei einer Retirade müſſe Alles über, Haft
Kopf bavon Laufen. Eines Tages bemertte ich,
ſich über der Dresdner Heide der ganze Himmel rö-
thete. Es war die Stadt Biſchofswerda, welche von
den Franzofen in Brand geftedt worden war. —
Nun fam die Schlacht bei Baugen. Auf Wagen und
Schiebeböcken wurden die Verwundeten bei unfern
Gafthofe vorübergefahren. Während des Waffenftill-
ftandes war unfer Haus überſchwemmt von Kriegd-
volt und es gab viel zu ſehn. Am Waldeseingang
hatte die junge Garde ein Lager bezogen, das aus
lauter grünen zierlihen Baraden beftand und fi
ganz allerliebſt ausnahm. Auch bei uns lag ji
Garde im Quartier. Da kam denn wiederholt
Mann mit dem Meinen Hütchen vorbei geritten, bei
ſtets eine lange glänzende Suite folgte. Vierwalt
habe ich auf diefe Weife den großen Napoleon gefehen.
Da man allgemein glaubte, daß der Angriff von
Seiten der Allürten auf Dresden vom röhten Elb—
ufer erfolgen werde, wodurch unfere Wohnung alſo
ER
92
mitten aufs Schlachtfeld gerathen
mit einer Tante zu einer befreundeten
Wilsdruffer Gaſſe in Altftad
wohnten wir aud) eine furz
Als durch den Beitritt, Oi
mehr unterlag, daß der Haı
von der Altitabt her drohte
Familie nah) Schöndrunnen
weniger ließ uns eines Sonntag
am damaligen ſchwarzen, jest Bautzuer Thore
ligende fächfifhe Artillerieoffizier, welcher mit meinem
Großvater befreundet war, herausfagen, wir möchten
uns auf das Sclimmfte gefaßt machen und auf bie
Flucht bedacht fein, denn er habe Befehl, jo bald fi
die Alliirten von der Neuftäbter Seite her zeigten, die
Dufer des Neuen Anbaus, die jegige Antonftabt, in
Brand zu fhiegen. Zum Glüd fam es nicht zu bie
ſem Aeußerſten. Noch kann ich mid) des berühmten
Feuerwerts befinnen, das am zehnten Auguft 1813
zur Beier von Napoleon's Geburtstag abgebrannt
wurde. Wegen des bald ablaufenden Waffenftilftan-
des warb nämlich der funfzehnte Auguſt Tage
früher gefeiert. Ein paar Regimenter junge Garde
ſchoſſen Leuchtkugeln.
Bald aber begaun wieder ber furchtbare blutige
Ernjt. Die Donner der Schlacht bei Dresden roll-
ten durch den trüben vegenvollen Himmel. Ned
„erinnere ich mic, der durd) den Nebel von den Räd-
"iger Anhöhen herabbligenden Batterien. Entſetzlich
war das 2008 der zahlreichen Gefongenen, die in alle
Kirchen Dresdens eingefperrt wurden. Das Gäfchen
neben der Neuftädter” Kirche hatte man mit Brettern
verſchlagen und auch diefen Raum mit Gefangenen an-
gefüllt. Zwiſchen den Spalten der einzelnen Bretter
93 i
bettelten Humberte von Händen hervor nad einem
Biſſen Brot.
, Ueberhaupt begann nad) der Dresdner Schlacht
und nad) ben verlornen Schlachten von Yüterbod, an
der Latzbach und bei Culm eine fehr traurige Zeit
für die Bewohner Dresdens. Die Hungerönoth er-
reichte eine furchtbare Höhe. Dabei wüthete das Ner—
venfieber fo ſchrecklich, namentlich in den Hospitälern,
daß ganze Wagen von Todten nah den Kichhöfen
gefahren wurden, wo man fie in große Gruben bes
geub, und um bie Verweſung zu befchleunigen, die ein=
elnen Lagen der Leichname mit Kalt überjchüttete. .
Das Elend ward immer größer. In dem Haufe
ines Iheimg, des unlängft verftorbenen Amts=
fir, tolle, Das unfern von Schönbrunnen gelegen
ein höherer fraugöſiſcher Offizier im Duar—
nes, Tages fah ih, wie die Schildwache vor
Thur mit der Hand in einem Kehrichthaufen
h e ur fic, Einige Brofamen heraus ſuchte. Der
Adjutant dieſes Offiziers mar ein bildſchöner junger
Mann, in welchem ſich das ganze weibliche Perſonale
des Hauſes verliebt hatte; wenigſtens wo ich hinhörte,
watnur von ihm · die Rede. Da kam ein Sonnabend.
Der Abjutant war wie gewöhnlich ausgeritten, fehrte
aber nicht wieder heim. Eine feindliche Kugel hatte
ihn in der Nähe der Dresoner Schifjmühle getöbtet.
Al Gouvion Saint Cyr, welder in Dresden das
Commando führte, ſich durchſchlagen wollte, um ſich
mit ben übrigen franzöfifchen Bejagungen der Elb⸗
feftungen zu vereinigen, erſchien ber höhere Offizier,
ich glaube, er hieß Graf Lynar, vor dem oben ge=
nannten Oheim. Zwei feiner Diener fchleppten einen
ſchweren Koffer. „Fall's kommen Koſach — Alles
Ihr,“ ſpraͤch er in gebrochnem Deutjch, „und komm ich
9
nicht wiever, behalten.” Der Koffer warb nun an
einen der ficherften Orte des Hauſes geſchafft; aber
bereit den folgenden Tag mar der Eigenthümer
wieber da. Den Franzofen war e8 nämlich nicht ge=
lungen, ſich durchzuſchiagen und die Vereinigung zu
bewertftelligen. Nicht ohne anfehnlichen Verfuft rildte
vie Garnifon am Abende in Dresden, das fie anı
Morgen verlafien, wieder ein, und zwar in aller
Stille. In Folge diefes mißlungenen Ausfals ſtieg
aber die Noth wo möglich noch Höher. Das große
Vorwerk Schönbrunnen war ‚enblih mit Einquartie -
zung fo überfüllt, daß gegen ſechshundert Mann in den
Gebäuden Iagen. An eine Bexpflegung. war matiielich
nicht mehr zu denfen, da alle Vorräthe Küng
zehrt waren. Thüren, Beüfterläden und fi
fterrahmen dienten zu Fenrermaterial. Oft "af
mitten in biefer ſehr niebergebeugten‘ Solpatest
erinnere mic des Verſes, der mit IN teil
Miene gefungen ward:
„Mir a Schnaps — nir a Bier
Iſt a miferable Quartier.“
Auf den Neuftäpter Gottesader war die Zerftörung
fo weit gegangen, daß man die Särge aus den Grüf-
ten hofte, die Leichname herauswarf und das Holz
an den Wachtfeuern verbrannte.
Meine großväterliche Familie vermochte es endlich
im eignen Haufe, das vom Erdgeſchoß bis unter's
Dad) von Militair in Beihlag genommen war, nicht
länger auszuhalten. Sie zog in das oben erwähnte
Haus Stolle's, wo in der einzigen Stube, die hier
noch militairfrei war, ‚an ein Dugend Perfonen zu-
ſammen wohnten, da eine befreundete geflüchtete
iterfamilie ſich ebenfalls eingefunden hatte. Oft fehlte
es hier an den nur nothbürftigften Lebensmitteln, da
95
feine Biertelftunde weit die Kojaden eine- Kette bil-
beten und für Dresven feine Zufuhr durchließen. So
mußte au ich, der Liebling des guten Großvaters,
eines Abends hungrig zu Bette gehen, bis noch ganz
fpät eine gute Tee erfchien und mir etwas Eßbares
in den Mund ftopftee Welcher Jubel entjtand daher
in der Heinen enggebrängten Colonie, ald eines Ta—
ges in grauer Abenddämmerung der gute Traugott
fam und unter dem Mantel zwei mächtige .Bauern=
brote hervor langte. Traugott war der Hausfnecht
meines Großvaters und aus einem Dorfe in ber
Dresdner Haide gebürtig. Da auf Schönbrunnen
jegliche Wuthihaftsführung ihr Ende erreicht hatte,
war Traugott nad) feinem Dorfe zurüdgelehrt. Hier
vernahm ber treue Burfche von der Noth feiner Herr
ſchaft, er belud ſich mit zwei großen Brotem;” Ichlid)
mit Lebensgefahr durch die feindlichen Bolten und
langte wohlbehalten mit jenem jo höchſt erwünſchten
Proviant bei und an.
Endlich ſchwieg der böfe Krieg. Als mein Groß:
vater den erlittenen Schaden, für welchen Vergütung
verfprochen war, zufammen rvechnete, fanı vie Summe
von dreizehutaufend Thalern heraus, und da ber alte
Logmann ein durchaus redlicher Mann war, hatte
er gewiß nicht Über die Gebühr angefegt. Die ver-
ſprochene Vergütung ift jedoch nicht erfolgt.
Dereitd im Anfange des Jahres 1814 flarb mein
Großvater, der Gaſthof wurde verpachtet und ich zog
nun zu dem Onfel Stolle, der die verlaffene Waife,
da er felber feine Kinder hatte, an Kinvesftatt an—
nafin und deſſen Namen ich aus Dankbarkeit führe.
Mein Bater felbft hieß Johann Gottlieb Anders
und war früher königlicher Hofpoftillon. Sn do
eines Augenübels ward er penſionirt und lebte int
Io
Haufe feines Schwiegervaters Lotzmann. Er ftarb in
März 1813 am Nervenfieber. Rod) entfinne ich mich,
daß er mir erzählte, wie er oft den alten König von
Sachſen, Friedrich Auguft ven Gerechten, gefahren,
und diefer ihm zugerufen: „Fahr' zu, Anders, daß
und Anton nicht einholt.” Anton war befanntlic
der Bruder des verehrten Fürften und ver fpätere
König Anton. — Ein anderer Scherz meines Vaters
war, daß er häufig zu mir fagte: „Ich heiße alle
Zage anders. Auch ich habe ſchon manche Leute
ftugig gemacht, wenn ich ihnen heilig betheuerte, daß
ich eigentlich" nicht Stelle heiße, fondern Anders.
Nun, wie denn? war die jevesmalige Trage. Nun
Anders! — Mein geliebter Bruder, der zehn Jahre
älter # ih, und der als Militairoberarzt in Zwickau
lebt, Führt letteren Namen.
Der .erfte Schulunterricht begann anfangs in zwei
Sammelfchulen, fpäter auf der Neuftäbter Bürger-
ſchule, die unter der Leitung des hochverbienten und
erſt vor Kurzem verstorbenen Rector Anger ftanp.
Noc jest erinnere id) mid) mit innigem Danfe des
oortrefflichen Unterrichts, den id) auf dieſer Anftalt
genofien. Er ift für meine ganze Lebenszeit von
dauerndem Nachhalt geblieben.
An unfern Garten grenzte ein Stück Feld, das
gewöhnlich mit Kartoffeln beitedt wurde. Sobald
aber dieſe wohlthätige Frucht zur Neife gelangte,
fanden ſich gar häufig nächtlicher Weife Liebhaber ein,
die nicht eben beitrugen, den Segen der Ernte zu
vermehren. Was blieb da übrig? Onkel Stolle und
Ferdel — unter diefer Abkürzung meines Taufnamens
ward ih in frühefter Jugend gerufen — mußten
Nachts machen. Wir bauten und eine Hütte und
bewaffnet mit einem alten Karabiner — die einzige
m‘
97
Neliquie aus dem Franzoſenkriege —, der von Zeit
zu Zeit, um die Kartoffelliebhaber von unjrer Wach—
famfeit außer Zweifel zu laſſen, abyebrannt wurde,
begaben wir und in den milden Spätfommernädten
auf tie Wade. Da zogen denn die ewigen Sterne
in ftiler Pracht von Horizont zu Horizent, und meine
Dlide waren vorzugsweife auf fie gerichtet. Da mein
Dheim in der Sternfunde nicht ganz unerfahren und
ihm eine Anzahl Sterne vem Namen nad bes
fannt waren, fo gewährte diefes Studium bald eine
prächtige Unterhaltung Eine alte Sternfarte von
Bode half weiter, und jo warb ich denn mit dem
Firmament bald ziemlich vertraut, von ber ſchönen
Wege, dem funfelnden Arctur an, bis zu den ir
damals ſehr drollig Flingenden Sternen Zubenel-
genubi, Zubenafhamali, Zubenhafrabi im Bilde der
Wange. Mein ganzes Leben find mir daher jene
Sterne aus der Jugendzeit treue und freundliche Be—
gleiter egblieben. Jede Sternennaht war mir ein
Bud de8 Himmels, worin ih las, und mie ift mir
die Zeit lang geworben, wenn ich in nädhtlicher Stille
unter den Sternen dahin gegangen. Selbſt in mun-
terer Geſellſchaft unterhielt ich mich Lieber mit ben
Begleitern dort Oben, als mit denen auf Erden.
Bor Allem gern theilte ic) meine Gelahrtheit abend⸗
lichen oder nächtlichen Begleitern mit, lehrte fie die
gerade über dem Horizonte befinplichen Planeten Ten-
nen und wie man auf leichte Weife den berühmten
Polarftern oder die Cynofura auffinden könne, und
freute mich ftet8 ungemein, wenn ich den Sinn für
die erhabenfte aller Wiſſenſchaften erwecken konnte.
Eine andere Liebhaberei meines Oheims war der
fröhliche Weinbau, da er ſelber inmitten der Wein—
berge in der Nähe von Meißen aufgewadhſen war.
Stolle, , Tämmtl. Shäriften. XXIV.
98
Diefe PBalfion theilte fih audh mir bald mit. Wir
legten in unferm ziemlich geräumigen Garten Wein-
gelände an und pflanzten Weinftöde, und hatten fo
das ganze Jahr ÜUnfre Freuden und Leiden, doch erftere
weit mehr als lettere. Keine Pflanzen- und Baum—
enltur kann wohl ein mannigfacheres Intereſſe dar-
bieten, al8 der edle Weinbau. Vom feimenven Früh-
linge, wo die erften hoffnungsreidhen Augen hervor⸗
treten, bis zum grauen Spätherbft, wo das Holz reif
wird, weldhe zahlreiche intereffante Montente! Bald
darf es nicht frieren, bald nicht regnen, bald ift wie-
der andauernde ZTrodenheit nicht? nütze. Servatius,
Pankratius, Vitus, Medardus, ale welch gefürchtete
Gäſte ziehen dieſe ſogenannten Weinräuber vorüber.
Wie ſchaut der Blick des beſorgten Weinbauers an den
Vorabenden der genannten Tage zum Himmel, bald
Wolken, bald heiter Wetter herbei wünſchend.
Wir erbauten in unſerm Garten nach einigen
Jahren bald fo viel Weintrauben, daß es nicht mög—
lich war, viefelben zu verzehren, fo viel auch gute
Freunde und die Sperlinge dabei halfen. Da ftieg
in uns der fühne Gedanfe auf, felbft zu prefien und
Wein zu nahen. Welche Götterluft für mich. Ge—
dacht, gethban. Die nächſte Weinlefe ward feierlichft
von mir eröffnet durh drei Schüffe aus dem alten
Karabiner, wo id natürlich fein Pulver gefehont und
tüchtige Pfröpfe drauf gefet hatte. Im erjten Jahre
unfrer Weincultur waren wir nody nicht im Befite
einer Weinpreſſe. Wir halfen uns durch Fäfler, Bret-
ter und Steine, um den ſüßen Moft hervorzupreffen.
Ald wir aber eined Sonntags vom Spaziergange
nah Haufe famen, war unfre funftreihe Mafchinerie
zuſammen gebroden und eine ganze Unterftube mit
1 dem füßen Naß getränkt, jo man Moft nennt. Nichts
99
deſtoweniger erbauten wir dieſes erſte Jahr einen
viertel Eimer Wein. Im nächſten Herbſte wanderte
aber eine hübſche Weinpreſſe in's Haus und wir brach⸗
ten bie Ernte auf drei viertel Eimer. Der Segen
wuchs von Jahr zu Jahr, fo daß wir in einem preis=
würdigen Weinjahre nem Cimer erbauten. Diejer
felöft gewonnene Wein ſchmeckte und ganz vortrefflid,
wenigſtens befam man fein Kopfmeh davon.
Bereits im vierzehnten Jahre, 1820, ſchrieb ich
meine erfte Erzählung, welche ven Titel führte: Karl,
ober*der böfe Hufar. Des Inhalts Tann ich mid,
nicht mehr entfinnen. Zwei Jahre ‚fpäter entſtand das
erſte Geviht, Mutius Scävola, beflen Verfertigung
mic) fehr glücklich machte. Der erfte Vers, ver auf
feine poetiſche Zukunft hinbeutete, lautete:
„Gehüllt in etruriiches Gewand,
Ging Mutius zu Cluſiums König,
Beſeelt aus Liebe zum Vaterland,
Wagt' er für die Freibeit nicht wenig.“
Da ich auf ber neuftäbter Bürgerſchule mit nod ein
paar poetiihen Gemüthern bekannt worden, fo ent
ſtand im Jahre 1823 unter uns ein wahrhaft poeti=
ſcher Wettlampf. Der Eine gab „Myrthenkränze“
heraus, des Andere einen „Freundſchaftsbund“, der
Berfafjer dieſer Lebensſkizze „Wiefenblumen”, alles
poetiſche Wochenblätter, die wir unter den Mitichiilern
circuliren ließen. Endlich vereinigten ſich die zerftreu-
ten Kräfte unter Einer Redaction, und 8. entitand
bie Wochenſchrift „Srühlingsbläthen, ebenfalls
als Meanufeript für Yreunde, das wohl über zwei
"Jahre lang mit ſeltner Beharrlichteit hevamnsgegeben
wurde und zu der Stärke von fünf ziemlich ftaxken
Bänden anwuchs. .
Dftern 1827 bezog id} bie Kreugfiule, pelche da⸗
100
mal® unter der tüchtigen Leitung bes verbienten
Rector Gröbel fland. Die belebenden realiftifchen
Studien der Bürgerſchule wırrden durch das Erlernen
der alten Sprachen faft gänzlich in den Hintergrumb
gedrängt. Ich gab mich legteren mit weit weniger
Liebe hin, als ich bisher Mineralogie, Botanik, Phyſik,
Mathematik getrieben und habe es baher auch mein
Leben lang in den alten Sprachen zu nichts Bedeuten—
dem gebracht. Je weniger aber meine griechifchen und
lateiniſchen Leiftungen der Zufriedenheit ver Lehrer
entfprachen, deſto mehr wurde meinen deutſchen Ar—
beiten Aufmerkſamkeit, Anerkennung und Aufmunte-
rung zu Theil. Namentlid) war e8 der M. Wiliſch,
jest Pfarrer unfern Dresden, der mid in nieiner
Lieblingsneigung ermunterte, und felbft ver ſonſt ftreng
philologifche Gröbel, meine Mangelhaftigfeit in ven
claſſiſchen Studien mit milder Nachſicht überfehend,
ſprach fid) wiederholt freundlic über meine jchwachen
peetifchen Yeiftungen aus, In einer Ausarbeitung,
bie mir als Tertianer aufgegeben wurde und bie den
damaligen griechifchen Freiheitsfampf behandelte, lie—
ferte ih), wo meine Mitfehüler fid) höchſtens auf fünf
bis ſechs Seiten verftiegen, ein complettes melodra—
matiſches Machwerk, acht enggeſchriebene Bogen ſtark,
ein. Hier verfuchte ich mich bereits ſtellenweiſe in
Jamben und ſchloß die erſte Abtheilung mit den von
dem Genius von Griechenland geſprochenen Worten:
D wer den großen, den ſchönen Tag erlebte,
Den Freiheitsmorgen ſähe aus dem Öſten
Emp wölben an dem Himmelszelte!
— Mixer, zu ſchöner Stunde bift
Dir eingeiroffen, zu Großen hat das Schickſal
Dich beſtimmt — mir ſagt's die innre Stimme.
Drum weile, weile auf den Höhen dort,
Und mern ſich friſch belaubt
101
Der Oelbaum, der auf Trümmern trauert,
Und Kreuzesfahnen in den Thälern wehen,
Und nicht mehr winken blutig jene Monde,
Und auf des Mittelmeeres Inſelwelt
Die Freudenfeuer Iuftig zu den Wolfen
Auflodern feitlich in vereinter Gluth,
Und nicht mehr ich in dieſer Halle weile,
Im Thale aber kämpfe für mein Bolt —
Dann ift er da der große Tag der Freude.
Dann gürt’ auch du das Schwert dir um die Lenden
Und hilf ven Kampf für Freiheit ſchön vollenden!“
Es war am 27. April 1826 als ich in der Abenp-
bämmerung mit einem in das Geheimniß eingeweihten
poetifchen Freunde eine ſauber aufs Reine gefdhrie=
bene Erzählung, nebft einem Briefe an die Redaction
der „Abenpzeitung”, worin ich bat, im alle ver
Nichtaufnahme, mir foldhe durch eine Notiz anzuden-
ten, da ich nicht den Muth hatte, meinen Namen zu
nennen, in bie .Arnoldifhe Buchhandlung trug. Ich
und mein Freund glaubten, die Abendzeitung werde
in Entzüden gerathen über. diefe Erzählung, zumal
der Verfaſſer auf jedes Honorar Verzicht leiſtete, als
nad) wenigen Jagen die niederfchmietternde Notiz. er=
Ihien: „Die unterm 27. April eingefchidte Erzählung
kann nicht aufgenommen werden.” Nach einigen Jah—
ven fand ich dieſe Nichtaufnahme ganz in der Orb:
nung, aber damals war fie mir außerm Spaße und
ftürgte mid aus allen meinen Himmeln. Ich war
zurüdgejchredt für geraume Zeit und erſt im Herbfte
jelbigen Jahres wagte ich einen neuen Angriff auf
die „Abendzeitung“, aber diesmal nicht in Proſa, jon=
dern in Gedichten. Und fiehe — wer befchreibt mein
Entzüden — bereitd nad) einigen Tagen befand ſich
eind der Gedichte gedruckt in dein genannten Journal.
Das „Xeben ein Traum” hieß das erfte Kinplein
102
meiner Mufe, welches die Deffentlichfeit erblidte. Nichts
geht einem jungen poetifhen Gemüthe über die Freude,
fi das erfte Mal geprudt zu jehen, an zahlreichen
Drten auszuhängen und von Hunderten und Taufen-
den gelefen zu werben. ch konnte Die nächſtfolgende
Nacht Fein Auge zuthun. "
Bevor id die Univerfität Leipzig bezog,,um bie
Kechte zu ftndiren, nahm ih noch ein halb Jahr
Privatunterricht bei dem wadern M. Beger, dem jegt
fo verdienftuollen Director der Neuftädter Realfchule.
Es war ein wunderfchöner Frühlingstag, als ich
die Heimath verließ und in der fechsfigigen Locomo—
tive. des Lohnkutſchers Winkelmann auf ver Straße
nad) Leipzig dahin ftenerte. Ueber die Blüthen . des
Mais ruhte eine ftille Trauer. Am fünften jelbigen
Monats war der hochbetagte Friedrih Auguft der
Gerechte, der geliebte Vater feines Sachſenlandes zu
feiner Ruhe gegangen, und weithin durch die milde
blaue Frühlingsluft weinten über Stabt und Land
die Glocken dem Heimgegangenen nad. Auch ich hatte
mein Scherflein der Trauer um den geliebten Todten
in einem Gedichte in der „Abendzeitung‘ beigefteuert,
beffen zwei erften Verfe, die mir noch im Gedächtniß,
alfo lauteten:
„Bas weint fo bang die Glode durch die Lüfte,
Das ift nicht Fefttags beiliger Feierflang, .
Wie heißt der Schmerz, der auf des Landmanns Trifte,
Wie im Palaft gleich tief zu Herzen Drang ?
Bergebens haucht der Frühling Blumentüfte,
Bergebens tönt der Lerche Frühgefang;
Nur unter Thränen hör’ das Wort ich fagen:
Den Bater hat man uns zu Grab getragen.
„Der gute Bater war's vom Sachlenlande,
Des treuen Sachſenvolkes treufter Freund,
Der ſechzig. Jahre liebend web die Bande,
Fa N‘
103
Die mit den Seinen ihn fo eng vereint;
Drum Niemand ift, der ihn nicht Vater nannte,
Nicht Thränen dem Dahingeſchiednen weint,
O Bater, wo dir ſolche Thränen fließen
Kann man von Thränen auf bie Liebe ſchließen.“
Das erſte Halbjahr wollte mir es in der Mufen-
ftadt nur wenig gefallen. Es war night das innige
gemüthliche Leben wie in der fehönen Heimathſtadt.
Dazu die troftlo8 ebene Gegen, Fein ſchönes Gloden-
geläut, Tein majeftätiih dahin wallender Elbſtrom
mit feinen Weingebirgen an den Ufern. Wie froh
Hopfte daher das Herz, als die erften Herbſtferien
heran dämmerten und nad einer langen Nachtfahrt
bie heimathlichen Berge bei Meißen aus dem Nebel
traten und die Elbe wieder ihren breiten glänzenden
Rüden zeigte.
In diefen erſten ſchönen Herbſtferien, die id) ganz
der Xectüre und den Muſen widmete, warb ich zuerft
nit Jean Paul befannt. Ich las und befeligte mid)
an defien Hefperus. In dieſelbe Zeit fällt auch vie
Anlegung eined Tagebuches, das ih) ununterbrochen
vierzehn Jahre lang und oft ziemlich ausführlich ge—
führt habe und das ich oft in ftillee Stunde noch
heute mit vielem Intereſſe zur Hand nehme,
Noch ſchöner als Die Herbſtferien waren nach
einem ziemlich proſaiſchen Winter in Leipzig die erſten
Frühlingsferien. Sie wurden durch das Leſen von
Jean Paul's Flegeljahre und deſſen Autographie wahr⸗
haft verklärt. Ich entſinne mich noch, wie ich an einem
wunderſchönen zweiten Pfingſtmorgen, ein Heftlein aus
Jean Paul's Leben in der Taſche, in heiliger Frühe
nad) den nebeldampfenden loſchwitzer Bergen hinaus-
wanderte und an der Hand des größten Lieblings der
Mufen in der reichblühenden Natur ſchwelgte.
104
Der: zweite Winter in Leipzig war weit angeneh-
mer als der erfte. Ich hatte mit noch vier ftudiren-
den dresdner Freunden faft die ganze Manfarbenetage
eined Hauſes auf dem neuen Neumarkt gemiethet, wo
wir, zuweilen in edler Gütergemeinfchaft, ein höchſt
vergnügtes, gemüthliched und poetifches Dafein führ-
ten. Da wir ein Bianoforte befaßen, jo ward ge—
[pielt, gefungen, getanzt, gefochten, Kaffee und Cacdo
gefocht in nicht weniger den fünf Mafchinen, fidelifirt,
Theater gefpielt; aber das edle Jus wollte unter ob-
. woaltenden Umftänden und mannigfachen Zerftreuungen,
wozu zahlreiche Tanzvergnügungen kamen, ebenfo wenig
munden als geveihen. Letzteres jollte erft in den
folgenden Semeftern gefchehen, wo die Messieurs les
cing zu der Meberzeugung gelangten, daß eine lofale
Seperation zwar der Gejelligfeit wenig förderlich, aber
dem ernftern- Studium um fo erfprießlicher fei.
In poetifch= productiver Thätigfeit war in den
erften Univerfitätsjahren, mit Ausnahme einiger Ge—
dichte, gar nicht geworden. Erſt in dem Revolutions-
jahr 1830 erwadte die Mufe von Neuen und id)
jah mid) zum erjten Male auch in ungebundener eve
gedruckt. Es geſchah Dies in der Yeitichrift „Mer—
fur“, welche unter Philippi's Yeitung damals in
Dresden erſchien. Der Aufſatz behandelte in theils
poetifcher, theils humoriftifher Haltung das Leben von
Eibflovenz.
Da id inzwiihen mit Carl Herloßſon, dem
Redactenr des „Cometen“, befreundet worden, arbei—
tete ich für Die genannte Zeitjichrift, jo wie aud für
die „Abendzeitung“, das „Mitternachtblatt” u. a. In
Folge der fählifchen Septemberrewolution erfchien mein
erjtes ſelbſtſtändiges Opus, ein fehr langes Gedicht
unter den Titel: Sachſen und feine Fürſten,
En.
105
Worte des Friedend und der Verſöhnung nad) ftür=
miſcher Zeit. Dieſes Werkchen erjchien bei dem Buch—
bruder Glüd, jo daß ih in Wirklichkeit fagen kann,
“ich habe meine Buchmacherei mit Glüd begonnen. Ich
„erhielt das erfte Honorar, beftehend aus drei Thalern,
für welche ich mir fofort Holz Taufte, denn Die Jahres⸗
zeit war bereits ſehr weit vorgeſchritten.
Nachdem ich Naturrecht bei dem leider zu früh—
verſtorbenen Richter, Geſchichte bei Pölitz und
Wachsmuth, Anthropologie bei Heinroth, Chemie
bei Erdmann, Inſtitutionen und Pandecten bei
Otto, Kirchen- und Lehnrecht bei B. Schilling,
Prozeß bei Günther und einige andere Vorleſungen
gehört hatte, vertheidigte ich unter dem Vorſitze des
verehrten Domherrn Schilling die Theſis: „Actioni
pigneratitiae triginta annis praescribitur“ gegen bie
Gebrüder Nauwerk aus Dresven. Aber trogvem, daß
id mich nicht ohne Eifer der juriftifchen Studien be=
fliffen, lebte in mir doch fein wahrer Beruf für dieſe
Wiſſenſchaft. AU meine Liebe und mein Streben
war literarifchen und hauptſächlich Tchängeiftigen Er—
zeugnijjen zugewendet. Mit großem Mißbehagen er=
fannte mein Pflegevater in Dresven, der mid im
Geiſte ſchon als preiswürdigen Amtsactuarius erblickte,
daß in mir keine rechte Freudigkeit für das Brotſtu—
dium vorhanden ſei. Es entſtanden darüber Diffe—
renzen, deren nächſte Folgen waren, daß mir alle
Subſiſtenzmittel ausblieben und ich zu eignem Erwerb
hingedrängt wurde. Ich emancipirte mich alſo von
der Heimath, hing die Jurisprudenz an den Na—
gel und ſuchte mir durch die Feder mein Brot zu
erwerben. Anfangs ging es freilich etwas knapp,
aber bald machte ſich die Sache. Ich ſchrieb Bro:
Ihüren, zum Theil politiicher Natur, wozu die da⸗
106
maligen aufgeregten weltgefchichtlihen Zuftände hin—
veihenden Stoff darboten. Auch eine Mepftification
erſchien damals von mir, wo ih in einer Broſchüre
nachzuweifen ſuchte, daß die Cholera, welche die Welt-
alarmirte, von ben Jeſuiten geleitet und zu ihren
Zweden benutt werde. Es ift mir heute noch ein
Räthſel, daß die Polizeibehörde damals am dieſem
ganz ernft gehaltenen Schriftchen feinen Anftoß genom-
men. Jetzt, fünfundzwanzig Jahre fpäter, möchte id;
fo Etwas nicht veröffentlichen.
Mein erſtes größeres Werkchen, dad im Jahre
1831 bei Kollmann erjchien, war eine Iyrifche Antho=
logie, unter dem Titel: Blüthen und Perlen,
bie herrlichften der ächten beutfchen Lyrik. Das Jahr
darauf erichien bei bemjelben Berleger eine Samım=
fung dichteriſcher Erzeugniffe in gebundener und ge:
bundener Rede. Sie führte den Namen „Ste la‘
und wurde von der Kritif nicht unfreundlich begeüßit. .
Zu derjelben Zeit erhielt ich die Leitung ver dama—
ligen „Sachſenzeitung“, eine® Blattes, daß ſich Iei-
ber nur zu häufig in Perfönlichkeiten gefallen und
baher feines freundlichen Rufs fi) zu erfreuen hatte.
Ohne meinen Namen dabei zu veröffentlichen, wirkte
id hier mehr negativ, indem ich die Perfönlichkeiten
abzumehren und dadurch dem Blatte eine edlere Hal-
tung zu geben bemüht war. Im Jahre 1833 er-
Ihien abermals eine kleine Novellen- und Gedicht:
ſammlung. Sie führte die Auffhrift: „Naht und
Morgen’, und erfchien bei Otto Wigand. Aud)
an einer literariſchen Jugendſünde follte es nicht feh-
len. Ein Leipziger Buchhändler forderte mih auf,
ein Bud) über das damalige Leipzig zu ſchreiben und
darin fo ſchonungslos wie immer möglic alle Gebre-
hen in das verdiente Licht zu ftellen. Als junger,
u \
107
unerfahrener Seribifar ging ich fofort an die Arbeit
und mancherlei Gerede, fo ih ganz öffentlih in Re—
ftaurationen und Wirthſchaften Hatte erzählen hören,
ſchrieb ih im guten Glauben, daß es die Wahrheit
fei, nieder. Namentlich kamen einige fehr najeweife
Bemerkungen über bie frühere ftäntifche Behörde, die
in Folge der Bewegung des Jahres 1830 abge=
treten war, in dem Buche vor. Die Schrift felbft
ward im Altenburgifchen unter jehr freifinniger Een-
jur gedrudt, aber faum waren acht Bogen fertig, als
der Stadtrath in Leipzig Kenntnig davon erhielt und
den literarifhen Embryo mit Befchlag belegte. Ich
mußte meine jugendliche Unerfahrenheit und Vorlau—
tigfeit mit zehn Thalern büßen und zwar „von Rechts-
wegen”, wie das Urtheil lautete. Ich arbeitete das
Bud Später um und es erfchien bei Otto Wigand
unter dem Titel: „Das Neue Xeipzig Aber ver
Unftern waltete einmal über dieſem Bude. Da es
wünſchenswerth erichten, daß auch das, Dresdner Pu⸗
blikum binfichtli dieſes „Neuen Leipzig's“ in's In—
tereſſe gezogen werde, ſo ſollten eine Anzahl Bogen
der Reſidenzſtadt gewidmet ſein. Ich übertrug dieſe
Arbeit einem Dresdner Landsmanne und Freunde.
Er lieferte den Beitrag unter dem Titel: „Dres den,
eine Kreuzthurminſpiration“, handelte in den
erſten Kapiteln, die ich, da der Druck drängte, flüch-
tig durchlas, in höchſt unfchuldiger Weife über Drespner
Mufif, Geiftlichleit, Mädchen, fo daß ich, ohne das
- Heft ganz zu Ende zu leſen, e8 in die Druderei gab.
Es paffirte auch mwohlbehalten die Cenſur; kaum aber
war das Bud, erfchienen, als der hinkende Bote nach—
kam. Mein Freund hatte nämlich in einem ber fpä-
tern Kapitel, das ich inn Manuferipte gar nicht be
achtet, nachdem er dem ältern Offizierſtande alle An-
108
erfennung zufommen laffen, über den jüngern Offizier-
Stand auf eine Art gefprochen, die ſchlechterdings nicht zu
rechtfertigen war und mich wahrhaft mit Schreden er-
füllte, als id) in Folge des allgemeinen Lärmes end—
id) Die betreffende Stelle im Buche: felber nachlas.
Ich gab zwar in der Leipziger‘ Zeitung die Erklä—
zung, daß die böfe Stelle, die mein Gefühl felber
beleidigte, ohne mein Wiffen und Willen in dem Buche
ftehen geblieben; aber welcher Uneingeweihte konnte
das glauben, da ich auf den Titel ald Herausgeber
genannt und für deſſen Inhalt folglich in jeder Be-
jiehung verantwortlih war. Der arme Genfor, der
wahrfcheinlich mit derfelden Oberflächlichkeit, und wie
ih, feine gefährliche Klippe ahnend, das ſonſt höchſt
unfchuldige Manufcript vurchblättert hatte, verlor fein
Genforamt, und das „Neue Leipzig” felbft warb
verboten.
Es war im Juni des Jahres 1833, ich ſaß le—
fend auf dem literarifchen Muſeum, als Freund Ernft
Drtlepp zu mir trat und mid) benachrichtigte, daß
der befaunte Hofratb Philippi nad Leipzig gezogen,
welcher beabfichtige, ein literariſches Oppefitionsblatt
herauszugeben; er ſuche Mitarbeiter und ich follte
mid) doch daran betheiligen. Ich ging zu Bhilippi
und wir wurden bald befannt. Ich mußte eine Pro-
bearbeit liefern, worauf er mir fofort den „Zei—
tungsboten” übertrug, ein politifches Beiblatt zu
der befannten „Ameiſe“, ‘die er damals herausgab.
Er Ind mich den nächſten Sonntag zu Tiſche und
nach der Mahlzeit gingen wir jpazieren gen Schön=
feld. Hier frug er mich, ob und wie viel id,
Schulden habe? Ich bekannte offenherzig; Die Summe
betrug einige achtzig Thaler. Er fagte, ih folle
ſämmtliche Schuldner zu ihm ſchicken, er wolle die
—
109
Zahlung übernehmen und zu meinem Belten vielleicht
Etwas abhandeln. Wer war -glüdlicher ale ih. Nach
Iahren mit einem Male ganz fehuldenfrei vazuftehen,
welch ein beglüdendes Bewußtjein. In ber That
handelte auch Philippi einen Kleihen Theil der Summe
‚ab, indem er ſofort baar bezahlte, den Gläu—
bigern meine Verhältniſſe vorhielt und fie bat, Nadı=
fiht zu üben. Ich war alfo jett alleiniger Schuldner .
von Philippi, dev mir auch bald hinreichend Gelegen—
heit und Beihäftigung darbot, die. Summe nad und
nad) abzuarbeiten. Kurze Zeit darauf kaufte dieſer
jehr unternehmungsluftige Mann die ehemalige Gö—
ſchen'ſche Druckerei in Grimma und machte mir den
Vorſchlag, ob id) ihn dahin folgen und die Redaction
des „Zeitungsboten” und „Literarifhen Hochwächters“
übernehmen wollte. Der Gedanke, vollkommen jor=
genfrei in dem reizend zwifchen Waldbergen, am Ufer
ver fanftblauen Mulde gelegenen Landſtädtchen zu ver-
leben, hatte etwas ungemein Anziehendes für mid,
Ich jehnte mich aus dem wenig erquidlichen Dafein
in Leipzig heraus und gab daher Philippi meine
Zufage.
Am 11. Februar 1834 in fpäter Abenpftunde
hielt ih in Begleitung eines Schul und Univerfi-
tätsfreundes, dem. ich ebenfalls Beichäftigung in der
Philipprihen Buchhandlung verfehafft hatte, meinen
beſcheidnen Einzug in dem freundlichen Muldenſtädt-—
Ken. Sch wohnte anfangs mit dem erwähnten Freunde
bei Philippi, wie wir auch an feinem Tiſche aßen.
Dald entfaltete fi mir ein nenes, ungemein ange—
nehmes und meiner gemüthlichen Natur ganz entipre=
chende Leben. Ic wurde bald in Familien befreun=
bet, wo e8 nicht an jungen Tiebenswürbigen Mädchen
fehlte. _ Landpartieen wurden veranftaltet, in die Kir—
110
ſchen, in bie neuen Kartoffeln, nad dem romantifchen
Doeben, nah dem anmuthig gelegenen Böhlen, wie
nad. den. alten Ruinen des Klofter Nimbſchen, aus
welhem vor breihundert Jahren. Luther's Gattin, Ka⸗
tharina von Bora, entflohen war. Zur: Winterszeit
fehlte es nicht an Conzert und Tanzvergnügungen,
ſo wie an dramatiſchen Vorſtellungen, die Philippi
. mit vielem Geſchmack und ſeltner Unermüdlichkeit in
der Exholung-Gefellfhaft veranftaltete und wobei ich
wader mithalf. Mein erites Debüt war die Wachtel
in Körner's „Nachtwächter“, weldem Verſuche eine
geraume Reihe von Jahren hindurch noch manche
Rolle, in ver Regel komiſcher Natur, folgte. Sogar
an eine Oper wagten wir und einmal, wo id) noth-
gedrungen einige Stüdlein zu fingen hatte, melde
Aufgabe freilich ganz außerhalb meiner Gefangfräfte
lag. Ich kann mid noch entjinnen, daß, als id
meine Stimme erhob, gleich in der .erften Probe der
gefammte Chor vor Lachen zufammen brad. Zum
Glück war meine Gefangpartie eine fomifche, fo daß
die allgemeine Heiterkeit, welche durch mein noch nie
zuvor gehörte® Singen hervorgebradht wurde, ber
übrigen Aufführung feinen. Eintrag that. Unbeftritten
gehörten die erften Jahre meines Aufenthalt in
Grimma zu den ſchönſten meines Lebende. Das Be—
kanntwerden mit meiner nachmaligen Frau fiel gleid)-
falle in diefe Periode. Ich Fam mir vor, als ſäße
id) in einem weichen warmen gemüthlichen Lerchenneite.
Ueber mir den blauen Himmel und. ringsum nichts
al8 Blumen und Aehren. Im Jahre 1836 Dichtete
id) für das freundliche Städtchen und bie guten und
frohen Menſchen daſelbſt ein „Grimmalied“, das noch
heute nicht veraltet iſt und alljährlich in heitern Krei—
ſen geſungen wird. Ich habe dieſes Lied in die Ge—
111
dichtſammlung, welche dieſem Lebensabriffe voranfteht,
mit aufgenommen. — In dem darauffolgenden Jahre
wagte ich mich das erſte Mal an eine größere Arbeit,
ich verfaßte den geſchichtlichen Roman „1813”, ver
ſeitdem fünf Auflagen erlebte und in mehre fremde
Sprachen überſetzt worden iſt. Ihm folgte 1838 die
Fortſetzung „Elba und Waterloo”, ebenfalls: in drei
Bänden, fowie zwei Bände gefammelte Nowellen und
Erzählungen unter dem Titel „Camelien“. Im Jahre
1839 ftarb mein Landsmann, Freund, Schul- und
Univerfitätsgenoffe, Emil Roth, verjelbe, welchen
id als Corrector und Buchführer zu Philippi gebracht,
und der mit miv am Abende des 11. Gebr. 1834
in Grimma eingewandert war „und fünf_ Jahre lang
das heitere Leben in dem freumbfichen Städtchen nıit
mir getheilt. Ich ſprach an feinem Grabe ein Gedicht,
das noch von mander Familie in Grimma bewahrt
wird, denn der Entfchlafene war vermöge feines even
Charalters und feiner ungemein gefelligen Talente
ſehr beliebt.
Im Jahre 1840 verlobte id mich mit einem gu=
ten, anmutsoollen, geiftreihen unb liebenswürbigen
"Mäpden, das im näcftfolgenden Jahre meine Fran
wurde. he ich aber im Herbfle des Jahres 1841
mir meinen häuslichen Herd gründete, unternahm ich
im Fruhlinge i in Begleitung eines grimmaifchen Freun⸗
des einen a nad Hamburg, wo ich zum erften
Male a e ab.
Nahen meine gefchichtlichen Nomane, „1813,
wie au) „Elba und Waterlon“ einer fo freundlichen
Aufnahme ſich zu exfreitem befam id den
Muth, auf dieſem So war. be
veit im Jahre 18; tbirger“ entjtanven,
— Roman:
welchem der launi⸗
112
„Deutſche Pidwidier“ folgte, worin id die ge=
ſellſchaftlichen Zuſtände einer Eleinen deutſchen Pro—
vinzinalſtadt ſchilderte.
Bon dem leider zu früh verſtorbenet Verleger
meiner erften Romane, Eduard Meißner in Leipzig,
war mir bereitd im Jahre 1839 die Redaction der
Zeitſchrift „Eilpoft für Moden’ übertragen worden,
die ich unter Beihülfe des Schriftftellers 3. Hammer
bi8 zum Tode des Berlegerd 1843 fortführtee Auf
bie deutfchen Pidwidier folgte wieder ein napoleoni-
[her Roman, „Der neue Cäſar“, welder vie Jahre
1804 und 1805 der franzöfifhen Gefchichte behan-
belte. Diefem wieder ein launiger, „Die Erbſchaft
in Kabul”, und biegauf „Napoleon in Egyp-
ten”, ebenfalld in drei Bänden. Zu gleicher Zeit
erfchtenen zwei Bände gejammelte „Kleinere Er-
zählungen.” Ä
Nachdem ih in Folge des Verlegers Tode die
Redaction der „Eilpoft für Moden‘ niedergelegt hatte,
entftand in mir die Idee zur Herausgabe eines po—
pulären Wochenblattes, das die MWeltbegebenheiten auf.
harmlos humoriftifhe und gemeinverftändlihe Weije
zur Anſchauung brädhte, und außerdem dem Gemein—
nüßigen gewidmet fein folte Ich theilte dieſe Idee
dent oben genannten Philippi mit. „Wie wollen Cie
das Blatt benennen?” ug ve. „Den — Dorf
barbier!” war meine Antwort. „Das drud’ id,
entjchied fofort der Chef des Verlags-Comptoir. „Aber
wir müfjen das Blatt möglihit billig geben,” fügte
er hinzu. „Es darf das Jahr nit über einen Thaler
foften”, fprad ih. Wir wurden fofort einig und
ich ging nad) Hanfe, um nich an die Arbeit zu ma—
hen. Hier warb id) denn bald inne, daß, wollte ich
als Dorfbarbier über Politik ſchwatzen, id) eines Däm—
> 4
r 113
pfers bepürfte, ver die etwas zu vorlaute Zunge ftets
in die gehörigen Grenzen zurüd weile. So entſtand
Denn die vor des alten befannten Generald von
Bulverraud), von weldem viele Lefer des Dorfbar⸗
bierd in dem Wahne geftanden, daß es eine lebenbe
Perſönlichkeit; ebenfo wie noch heute Viele ſich
nicht nehmen laſſen, daß die Vignette auf dem Illu—
fteirten Dorfbarbier mein getreues Conterfei fei. Als
ih einmal in Glauchau zu Beſuch war und ıneine
Anwefenheit in einigen benachbarten Dörfern befannt
wörben, waren mehre Landleute in die Stadt gegan-
gen und ‚hatten ſich ganz ernſthaft erfunbigt, ob der
Merr General. auch mit gefommen? Ein ähnlicher
Dal begegnete mir im Jahre 1848 in Komotau, wo
ich ‚dem, gemüthlichen Verbrüderungsfefte mehrer böh-
miſchen“ ung‘: jähhfifchen Grenzſtädte beiwohnte. Ein
alter böhmiſcher Landmann klopfte mid an ven Arm
und frrach ehrlih und theilnehmend: „Wie freuen
wir und, daß Sie gelommen find, aber für den
alten Herren war's doch wohl zu. weit?”
In vemfelben Jahre, wo der „Dorfbarbier” in’s
Leben trat, ward auch mein Sohn, Johannes
Erich, geboren, und zwar den 25. September 1844,
Die Gnade Gottes hat mir dieſes einzige Kind,
trotzdem es in den eilf Jahren daher mancherlei Krank:
heiten überftanden und den Mutter und Baterberzen
oft fehwere Sorgen bereitet — bis heute froh und %
gefund erhalten und lege ich fein leiblih und geiftiges
Wohl auch fernerhin in die Hand des allgütigften
aller Bäter.
Die gefelligen Verhältniſſe in Grimma konnten
aud für mid gls junger Ehemann nicht angenehmer
fein. Die dramatiſchen Vorftelungen in gejelligen
Kreifen hatten ihren Yortgang, zumal meine Frau
Stolle, fämmtl, Schriften. XXIV. 8
114 ’
niht ohne Talent mitwirkte. Wir fpielten in der
Regel für die Armen. Es war ein erſpes lches, Herz
und Geift erquidendes Zufammenleben ME befreun-
deten Familien. re!
In der Abfaffung von Romanen war aber mit
bem Dorfbarbier eine längere Pauſe eingetreten. Ich
—* alle Wochen für gute Laune zu ſorgen, wo
ollte da die Mufe herkommen zu größern, die Phan-
taſie ſehr in Anſpruch nehmenden Arbeiten. Auch
wollte ih nicht, da ich allwöchentlich vor dem Pu⸗
blikum erfchien, letzteres mit meinen Sachen zu fehr
überhäufen. Der „Dorfbarbier” hatte in feiner bei=
tern und harmlofen Art und Weife das Glück zu: ge-®
fallen. Bereits nah Jahr und Tag belief ſich : die
Auflage auf mehre Taufend, ging in ferne, Ligber —
ein Exemplar fogar nah China — ı arb ſich
in Palaſt und Hütte feine Freunde - brachte
er manches Gemeinnügige zu Wege und half man-
hen localen Webelftand befeitigen. So war e8 na—
mentlih das harmloſe Blättchen, welches die abge—
brannte freundlihe Neftauration beim Klofter Nimb-
fhen wieder aufbauen half. Das Minifteriun hatte
befchloffen, daß diefes in Grimma fo beliebte wald—
grüne Afyl aufhören folte, dem ermübeten Wanderer
eine freundliche Einfehr zu fein. Da wandte fid der
Dorfbarbier an alle ehemalige Zöglinge der Grinma’-
Then Landesfchule und brachte feine Bitte um Erhal—
tung der lieben Stätte fo bejcheiden und rührend vor,
daß ſich mehre der Einflußreichftert diefer ehemaligen
Fürſtenſchüler fofort in diefer Angelegenheit an höch—
fter Stelle freundlicd) verwandten und bald gewahrten
die Bewohner Grimma's mit Freude, wie dag Mini—
ftertum wieder ein freundliches Häuschen auf der öden
Brandſtätte erbauen lies.
115
Co währte mein umfrievetes Stillleben, das nur
durch einige, mehr drollige, Streitigkeiten mit dem ehe⸗
maligen hyperorthodorxen ſächſiſchen Volksblatte unter-
brochen wurde, bis in den Spätherbſt 1846. Da
ſchlug der Wehruf des damaligen Nothſtandes im Ge—
birg und Voigtland ſo erſchütternd in die Heimath
des Dorfbarbiers, daß dieſer es für Pflicht hielt, auch
ſein Scherflein zur Linderung des Elends ſeiner armen
Landsleute beizutragen. Er lies eine Sammlung ſei—
ner ausgewählten Gedichte drucken und verkaufte ſie
unter dem Titel: „Ein Weihnachtsbaum, ange-
zündetfürunfre Armen im Gebirge, vom alten
getreuen Dorfbarbier” zum Beften jener Hülfsbepürfti-
gen. Und Gott gab feinen Segen; veihlihe Gaben
gingen, felbft vom fernen Rußland ein, fo daß im
Laufe des fchweren Winter von 47 auf 48 durch
gütige Bermittelung einer hohen Kreisdirection in Zwickau
an über hundert Ortichaften Unterftügung an Geld,
Brot, Gemüfe, Kartoffeln und fonftigen Naturalien
vertheilt werden konnte. Gewiß, iu folden Zeiten
der Prüfung lernt man erſt erfennen, wie fo viele .
gute und barmbherzige Menjchen es giebt, und bie
‚zahlreichen Zuſchriften, von melden bie Liebesgaben
begleitet waren, und die ih mir in vier flarfen Bän—
ven aufbewahrt habe, legen zugleich das ſchöne Zeugniß
nieder, mit welcher Liebe gegeben ward. Bon dem
Weihnachtsbaume, der eine dreifache Auflage erlebte,
wurden gegen viertaufend remplare abgeſetzt,
welhe die Summe von über drittbalbtaufend
Thalern einbrachten. — Im Frühling 1847 regte
der Dorfbarbier die Idee zur Marienftiftung an,
zu welcher. alle Trauen und Mädchen Sachſens auf-
gefordert wurden, die den ſchönen und frommen Na—
nen „Maria führten, und welde ven, Zweck hat,
116
Armen des Gebirgd zur Winterszeit Arbeit und
- Brot zu beihaffen. Auch hier gab der himmlijche
Bater feinen Segen. Wieder floffen reichliche Gaben
von nah und fen, fo daß fich bereit ein nicht un—
anfehnliher Stiftungsfond in den Händen des Fönigl.
ſächſiſchen hohen Cultusminifteriums befindet, welches
die fernere Leitung der Marienftiftung zu übernehmen
die Güte gehabt hat.
Durch ven Weihnachtsbaum aber, wie aud) durch
vie Marienftiftung war der Dorfbarbier mit feiner
Kundſchaft auf beſonders guten Fuß gefommen. Das
zeugten die zahlreichen Ergötlichfeiten, die, von herz=
lichen Zuſchriften begleitet, in Küche und Keller ein-
Tiefen. Sogar vom fernen Leutſchau in Ungarn lang
ten zwölf Flaſchen köſtlichen Tokaiers unter der, Adreife _
„an ven Dorfbarbier” an. Auch Gedichte und kunſt—
reihe Arbeiten von zarter Frauenhand blieben nicht
aus. Bon einem hohen Minifterium des Innern er-
hielt er ein Exemplar der großen filbernen Denkmün—
zen, die in dankbarer Erinnerung an den mit Gottes
und guter Menfchen zurücgelegten Nothitandes geprägt
worden war, nebſt huldvoller Zuſchrift.
So fehlte denn nichts zu meiner ſtillen Zufrieden—
heit. Ich hatte es Ende 1847 ſogar zu einen eig—
nen Häuschen mit Gärtchen und fehönem Gartenhaufe,
freundlich an der Mulve, gelegen, gebradt. Alte,
himmelhohe Birnenbäume, die im Frühling mit Blü-
then, im Herbſt mit fügen Früchten belaben, be—
Tchatteten mein bejcheivenes Dad), und von dem Alten
des Sartenhaufes überfchaute id Gärten, Wiefe, Fluß,
Berg und Wald. Dieſe idyliſche Ruhe follte aber
nur zu bald durch den Donner der Pariſer Yebruar-
revolution unterbrochen werden, wo plötzlich die alte
Welt zufammenbrad).
u
117
Die Bewegung verpflanzte fi) mit Blitesfchnelle
nad) unferm friedlihen Sachſen, und zwar mit fol-
hen Ungeftüm, daß fie mir gar nicht durch die Be—
bürfniffe des Volkes gerechtfertigt und gemacht er=
fhien. Die damaligen Wortführer wollten dem Volke
durchaus glauben machen, e8 befinde ſich höchſt um-
glüdlih und eine tiefe Kluft trenne e8 von feiner
zeitherigen Kegierung. Und dem war nicht jo. Haupt:
ſächlich empörte mic) aber die Gehäfligfeit und Ge—
meinheit, mit welcher man die damaligen Minifter
angriff und ihnen auch nicht das geringfte Gute lies.
Und gleihwohl mußte fi das Heine Sachſen unter
ihnen doch nicht jo ganz unwohl befunden haben, da
unfer Ländchen in Bezug auf das übrige Deutfchland
oft als kleiner Mufteritaat hingeſtellt worden war.
Es fand ſich ſelbſt unter den zeitherigen Lobrednern
der Regierung Niemand, der ein Wort der Verthei—
digung für die abgetretenen Miniſter geſprochen; ich
entſinne mich ſelbſt keines conſervativen Blattes, das
ſich der vom künſtlich angeſtachelten Volkshaß verfolg-
ten Männer angenommen hätte. Hier hielt e8 num
der Dorfbarbier nur für die Pflicht des ehrlichen
Mannes und Zeitungjchreibers — unbeirrt um bie
Stinmung der damaligen fogenannten öffentlichen Mei—
nung — das Volk zu erinnern, in feinem ſtürmiſchen
Freiheitsraufche ver Gerechtigkeit und Billigkeit
nicht zu vergeſſen. Der Dorfbarbier glaubte um fo
unbefangener dies thun zu fünnen, ald er nie ein
Schmeid ler der Regierung gewefen und nie bei irgend
einen Minifter mit einem Geſuch oder einer Bitte ein-
gekommen war. In feinem deshalb an das Volk der
Sachſen erlafjenen Aufrufe hieß e8 unter Andern:
„Wenn wir unfer Staatsleben feit dem Zeitpunfte
feiner Wiedergeburt im Jahre 1830 unparteiiſch über-
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bliden, fo ftoßen wir auf mande bevauerlihe Mip-
griffe der Regierung; aber im Ganzen war biejes
Stantöleben, diefe zwar langfame aber um fo fichre
Entwidlung unjrer conftitutionellen Zuſtände eine
gefegnete. Man vergleiche das Sachſen von jet mit
dem Sachſen vor achtzehn Jahren. Wie oft in den
legtern Jahren prießen wir Sachſen, wenn wir über
unfere Grenzen hinausblidten, und glücklich, in Sach—
fen zu leben. Wollen wir das mannigfache Gute,
das wir der vaterländifchen Gefinnung, den hochach—
tenswerthen Talenten und der oft unermüdlichen Thä-
tigfeit der Männer, die an der Spite unfred Pandes
ftanden, darum ganz vergefjen, weil jie auch zumeilen
irrten? Ein folder Undank ift dem ſächſiſchen Cha-
rakter fremd. Wir wollen nur unparteiifch fein. Wo
find die Finanzen georbneter als in Sachen? Wo
werben im Heermwejen größere Erfparungen, heraus
gejucht als in Sahjen? Wo herrichte in einem deut-
chen Lande weniger Glauben 8zwang als in Sach—
- fen? Und nimmer fann das fächfifche Erzgebirge und
Boigtland dem Minifterium des Innern es ver-
gefien, was lettered im Hungerjahre 47 für die Hüt-
ten der Armuth gethban hat! Das Alles, meine ich,
mußte doch aud) in Erwägung gezogen werden, als
man den Monarchen fort und fort um die Entlafjung
feiner Minifter beftürmte.
„Mag e8 unpolitifch fein, in einer Yeit, wo der
allgenieine Sturm jene Männer von ihren Siben ges
trieben hat, die Stimme für fie zu erheben; aber ich
habe ihre Verdienſte anerkannt in Zeiten des Glücks
und wenn ich fie im Unglück nicht verlaffe und nicht
ſchmähe, jo gefhieht e8 nur darum, weil ich meine
Meberzeugung nicht ändern kann, wie man einen Hand—
ſchuh umwendet. Ich kann um fo mehr jebt für fie
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ſprechen, da id) nie eine Vitte an fie geſtellt, nie um
eine Gunft bei ihnen eingefommen bin.“ Ich warnte
ferner in dieſer Anſprache vor Ueberftürzung und be—
ſchwor das Bol, unerſchütterlich zu halten an O.rd-
nung, Gefeß und Pflicht. Es folle fid nicht ver—
Ioden laffen, durch biendende Theorien, denen der
Boden des Geſetzes nur zu bald unter ven Füßen
ſchwinden müfle. Die Anfprache ſchloß mit den Wor-
ten: „Ich weiß, es ift ein undankbares Gefchäft, bei
großer politifcher Aufregung das Wort für Ruhe,
Ordnung umd Befonnenheit zu ccheben; aber
wo Zeugniß erfordert wird, ift es Pf j
zu geben nad) beſtem Wifjen und Gewilleh.
habe ich hiermit gethan und ftelle das Weit e
Hand Gottes.”
Der Dorfbarbier war in der vermaligen Zeit ber
allgemeinen Aufregung wohl das einzige ſelbſtſtändige
Blatt, das ſich auf obige Art ausfpradh, und da er
zeither immer für ein liberales Blatt gegolten, fo
beſchuldigte man ihm jeßt, daß er die Farbe gewech⸗
ſelt und überhäufte ihn won Eeiten der demokratiſchen
Partei mit bey gemeinften Schmähungen. Er ertrug
dieſe Srifunglet in dem Bewußtjein, nur das Ges
rechte, Gute und Billige gewollt zu haben. Als die
deutſche Bewegung endlich einen immer großartigeren
und nationaleren Stgndpunft einnahm und die Ver—
tveter des Volls in der Paulskirche zufammen traten,
hoffte auch er auf einen neuen Frühling und ſprach
darüber mit derfelben Unbefangenheit, wie ex es früher
gegen die ſächſiſchen Umſturzmänner gethai, feine of-
fene Anerfenmung und Freude ansy und, als in dem
trüben Herbfte, welder "bi off
folgte, die Reaction immer off ihr Haupt
echob, war ex ehrlich gemigy gegen Piefelbe mit glei=
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her Unparteilichfeit in die Echranfen zu treten. Die
Folge davon war, daß er jettt auch Die immer kecker
hervortretenden Freunde der Reaction zu Widerſachern
befam. Jetzt follte er abermals die Farbe gewechſelt
und revolutionär geworden ſein; und gleichwohl war
ſeine ganze politiſche Haltung nur das treue, ehrliche
Bild, worin ſich die gewechſelnden Zeiterſcheinungen
wiederſpiegelten. Fürwahr, wenn der Dorfbarbier im
Laufe des Jahres 1848 ſeine politiſche Farbe ge—
wechſelt hat, ſo iſt es wenigſtens nicht aus eigen—
nützigem Beweggrunde geſchehen, denn er ſtand
ſi uf der Seite der befiegten Partei,
— ‚Seite der Unterdrückten und Unglücklichen.
- Sedermanı wird einſehen, daß, als er im Früh—
jahr ein gut Wort für die geftürzten Minifter ein-
legte und zu Ehrfurcht vor dem Geſetze mahnte, für
ihn eben fo wenig Roſen zu pflüden waren, als tm
Spätherbfte, wo er dafjelbe für die befiegten Demo—
fraten that. Indeß war e8 nicht blos Mitleid, das
ihn zu Gunſten ter Unterdrückten fpvechen lies, fon-
dern Gerechtigkeits- und Billigfeitsgefühl.
Andre, die, als die Sonne für die Bewegungspartei
Ihien, den Wagen der Freiheit götzendieneriſch zogen,
jebald aber die grauen Werfeltage des Unglüds ka—
men, feig und ehrlos den Rüden wandten und bie
vorher angebetete Göttin verläugneten und beſchimpf—
ten, betteten ſich freilich angenehmer als der Dorfbar-
bier, der auch im Unglüd der Freiheit treu blieb;
aber er tauſcht trotzdem nicht mit diejen flugen und
vorſichtigen Leuten.
Sein politiſches Glaubensbekenutniß iſt trotz aller
politiſchen Stürme in den Jahren 1848 und 49 ganz
daſſelbe geblieben, wie er es bereits im Jahre 1847
öffentlich ausgeſprochen, wo es hieß: „Ich gönne
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dem Adel feine hiſtoriſchen Erinnerungen und höhere
Bevorzugung hier und da im Staatsleben, weil das
ber gejellichaftliche Prozeß, welchen ver liebe Gott
als Advokat leitet, fo mit fi gebracht hat. Ich be=
neive ven Wohlhabenden nicht um feine Reichthümer
und wünſche nur, daß er in feinen behaglichen Leben
auch des Armen gevenfe, und überhaupt ein Herz
habe. Ich nütze meiner Zufrievenheit weſentlich da—
dur, daß ich ſtets unter mir blide, wo noch Mils.
lionen meiner Brüder leben, die es lange nicht fo
gut haben wie ih. Daß es in politifchen Dingen
weit beijer fein fünnte als es it, ſehe ih fo gut
ein, wie der entſchiedendſte Demokrat, aber nach mei=
nem Dofürhalten foll fi) der verftändige Marin nicht
dadurch das Leben verbittern, daß er — und hierin
fehlen fo häufig die Herren Demokraten — blos in
Idealen lebt, wie ſchön auf Erden es fein Fünnte,
fondern fol fi) genügen, daß es beſſer werben kann
und das Seine redlich dazu beitragen. Auch halte
ih es für Pflicht, nicht blos die Beitrebungen ver
Dppofitionspartei in den Himmel zu erheben,
fondern auch das Gute, das von der Regierung
ausgeht, gern und freudig anzuerkennen. Wenn ich
Alles, was hienieden nicht nach meinem Kopfe geht,
auf die Spitze ftellen, ſchroffe Prinzipreiterei treiben,
mit aller Welt im Sriege Liegen und fo recht ven
entjchiedenen Demofraten herausbeigen wollte, jo wäre
das meiner friedliebenven, ruhigen Natur zumiber.
Gilt es, gegen Dummheit und Gemeinheit anzufäm-
pen, kann ich fo entfchieven auftreten, wie der befte
Demokrat; aber Gehäffigfeit und Oppofition aus Op—
pofition Liegt nicht in meiner Natur. Ich kann ja
nicht dafür, wie mich der liebe Gott geſchaffen; und
wär’ ich ein ftantenzertrümmernder Politikus oder ein
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glaubenvernichtender Freigeiſt, ſo wär' ich nicht der
gemüthliche Dorfbarbier.
Wie überall hatten auch im freundlichen Grimma
die politiſchen Stürme von 48 und 49 auf die ge—
fellichaftlihen Verhältniffe einen ſehr zerftörenden Ein—
fluß zurüd gelaſſen. Wenn es aud) feine abgejchlof-
jenen politifchen Parteien gab, fo fehlte doch das
alte Bertrauen, man war mißtrauifcher und vorſich—
tiger in Aeußerungen, und die vormärzlide Gemüth-
lichkeit war ganz geſchwunden. Selbſt der Dorfbar-
bier, der doch unmöglich mit der Reaction durch Did
und Dünn gehen fonnte und fi, jo gut es gehen
wollte, eine freimüthige Haltung zu bewahren be=
mühte, galt in manden Kreifen für eine mißliebige
Perſon. Was blieb ihm da übrig? Er zog ſich eben-
falls wie eine Schnede in fein Häuslein zurüd; und
wie der liebe Gott immer forgt, jo wurde ihm bie
verloren gegangene Geſelligkeit durch eine weit ſchönre
Unterhaltung reichlich erfett. Mit einem Male er-
wachte wieder tie alte Yiebe zu dem Studium Der
Sterne und zwar in folhem Grade, daß er wieder
Student wurde und während eines Winters fait all-
mwöcentlid nad) Yeipzig wanderte oder fuhr, und zwar
einzig und allein, um den aſtronomiſchen VBorlefungen
des um die erhabenfte aller Wifjenfchaften fo ver:
dienten Profeffor Dr. d'Arrſt auf der Leipziger Stern=
warte beisumohnen. Schöne Sternfarten, ſo wie be=
lehrende aſtronomiſche Handbücher wurden angeſchafft,
ein neuer ungeahnter Himmel erſchloß ſich, ſo daß er
die Miſerabilitäten der Erde leichter vergeſſen konnte.
Ja ſogar die Muſe zu einem morgenländiſchen drei—
bändigen Roman „die weiße Roſe“, ſo wie zur Her—
ausgabe von zwei Bänden Novellen unter dem Titel
„Frühlingsglocken“ fand ſich wieder ein.
m‘
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Mit Oſtern des Jahres 1851 war mein Dorf-
barbierfontract mit dem zeitherigen Verleger Philippi
abgelaufen, und da ich mich mit leßteren nicht wieder
zu einigen vermochte, jo ging der Dorfbarbier, und
zwar als „illuftrirter”, in ven Verlag meinegisyreint,, +
des, des Buchhändler Ernft Keil in Leipzig über...
Der Geſchäſtskenntniß und aufßerordentliden Thä-
tigfeit„piefed neuen Berlegers gelang es, das Blatt
Binnen einem halben Jahre zu einer Auflage von
zwanzigtaufend Exemplaren zu. bringen. Wie
erfreulich dieſer Aufſchwung aber auch einerfeits für
mich war, ſo blieben doch auch mancherlei Unan—
nehmlichfeiten nicht aus, welche die neue Form und
die große Berbreitung bes gemüthlihen Blattes zu
Folge hatten. Bald Flopfte vie Regierung warnend
an und mahnte zu größerer Rüdfichtnahme ver befte-
henden Berhältniffe, bald flagten Stimmen aus dem
Bolfe, daß der Dorfbarbier zu zahm und nicht mehr
die frühere Friſche beſäße; bald wieder machte es Den
Leuten der Bildermann nicht recht. Ich erfannte mehr
wie je die alte Wahrheit, wie fchwer e8 fei, Allen
zu genügen. Aber was man aud am Dorfbarbier
von dieſer und jener Seite her auszufegen hatte, in
einem Bunte pflichteten ihm Alle bei — ein erhe-
bender Beweis, daß die Menfchen, wenn man an ihr
Herz klopft, weit beffer find, als fie oft im tägfichen
Leben erjcheinen. Sobald nämlich der Dorfbarbier
bittend feine Stimme für arme und hülfbedürftige
Brüder und Schweſtern erhob, floſſen ſtets reichlich
die Gaben der Liebe, fo dag ihm die fchöne Freude
geworben, fett dem Jahre 1848 über fünftaufend
Thaler zu jammeln und den Hütten der Armuth und
des Elends zuzumenden.
Im Herbite 1852 unternahm ih in Begleitung
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eines Freundes eine Dftjeefahrt nad) Kopenhagen, wo
ih mid — troß der zahlreichen Wachen in dem Hofe
dis daniſchen Königsichloffes — nicht enthalten konnte,
läſe, wor mich hinſingend das „Schleswig- Holftein
F ‚meezuagphfungen“ anzuftimmen.
Mit Anfang 1853 trat neben dem Dorfbarbier
i oh ein willenichaftliches, aber zugleich gemeinfaß-
liches, belehrendes und unterhaltennes Blagf in's
Leben. Es war die Idee meines Freundes Keil, und
erhielt den Namen „Gartenlaube“, und iſt ge—
genwärtig unſtreitig das verbreitetſte aller deutſchen
Zeitblätter, denn die Auflage hat die ungemeine
Höhe oo ahtzigtaufend Exemplaren erreicht.
Wieder war es vie Thätigfeit des PVerlegerd, der
feine Mühe und fein Opfer jchente, die geeigneten
Kräfte zu gewinnen, welches dieſes glänzende Enderge—
niß bervorbradhten. Meine Theilnahme an der Gars
tenlaube erftredt fich blos auf die Vrrantwortlich—
feit der darin abgedruckten Auffäte und aufgenom-
menen Illuſtrationen und einigen poetiſchen und no—
velliftifchen Beiträgen.
Im Laufe dejjelben Jahres begann ich die Heraus-
gabe einer Auswahl meiner gefammelten Schriften, die
gelungenften der gefchichtlichen und launigen Romane,
fo wie die befren Novellen, Erzählungen und Gedichte
enthält und mit gegenwärtigen Bande, geſchloſſen iſt.
Das Jahr 1854 brachte das neuefte Kind meiner
Mufe, einen napoleonifchen Noman: „Die Granit—
coloune von Marengo“, in drei Bänden, welder
den welthiftoriichen Zeitraum des franzöfifhen Con—
fulat, den Uebergang über die Alpen und der Schlacht
von Marengo umfaßt und bei A. Schröter in Plauen
erfchienen ift. Ber demfelben Verleger warb aud) eine
Auswahl des Trolligiten aus den früher Yahrgängen
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des Dorfbarbiers in wieberholter Auflage gedruckt. Das
Buch führt ven Titel: „Na da lacht zu oder der
Dorfbarbier in feiner beften Laune.“
Died wären denn vie oberflächlichen Umriſſe mei-
ned Dafeind und Wirfens auf dieſem Erdſtern; und
‚da ich weiter oben mein politisches Glaubensbekenntniß
dargelegt habe, jo wird e8 nicht unpaflend fein, auch
noch meines religiöfen Bekenntniſſes zu gedenken, womit
gegenwärtige Skizze gejchloffen fein möge Ein in-
niges, feljenfeftes Gottvertrauen bat mid) mein ganz.
ze8 Leben hindurch gehoben und geftärkt und tiefe
Ehrfurcht vor dem Heiligen wohnte ftet3 in mir; ob=
ſchon ih, was die Kirche anbelangt, der frerfinnigen
und. vernunftgläubigen Auffaffung und Richtung ans
gehöre. Ich achte und ehre den Glauben eines Je—
ven, fo lange diefer Glaube nicht feinen Mitbruder
des Glaubens halber angreift und mißhandelt. Ich
glaube, daß unfer Verhältniß zu Gott unfer Heiland -
Jeſus Chriftus am wahrheitgetreuejten gelehrt hat.
Wie jo Viele, habe auch ich das Fegefeuer der troft-
Iofen Zweifelfuht Jahre lang durchgemacht und bin
deshalb oft ſehr unglücklich geweſen. Aber ver himm-
liſche Vater erbarmt ſich liebevoll des mit reinem Her-
zen nad) Wahrheit ftrebenven Kindes. Wie Alles in
Gottes herrlicher Weltoronung hat auch diefe Zweifels⸗
periode ihren heiligen Zwed. Sie macht den Gottes⸗
frieven, der aus ihr hervorgeht, nur unantaftbarer gegen
alle innern und äußern Stürme. So habe ich auch
den Frieden gefunden und rufe aus volliter Ueber—
zeugung meines Herzens und Geiſtes:
Gott Dein allmächtig Walten
In Deinem aroßen AU
In taujendfach Geftalten,
Ich ſchau' es überall.
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Wenn fi) Die Keime regen,
Das Roth aus Knospen bridt —
Dein Thun ift lauter Segen,
Dein Gang ift lauter Lit.
Gott, Dein allgütig Walten
vo jedes Menichenherz,
enn wir an Dich nur halten,
Da giebt es feinen Schmerz,
Wenn wir an Dich uns legen,
Da fürchten wir uns nidt —
Dein Thun ift lauter Segen,
Dein Gang tft lauter Fidt.
Gott, Dein allliebend Walten
“ Reicht über's Grab hinaus,
Du wirft Dem Wort. uns halten,
Du führft e8 gut hinaus,
Wenn wir zur Rub’ ung legen
Der Erde Mantel briht —
Dein Thun ift lauter Segen,
Dein Gang ift lauter fict.
‚Gott, Dein getreues Walten,
Es find’t auch uns getreu,
O wol’ uns Dir erhalten,
Drum bleibe ewig neu,
Auf allen unjern wegen,
Die Wahrheit, welche Ipricht:
‚Dein Thun ift lauter Segen,
Dein Gang ift lauter Licht.
Grimma, im März 1855.
Ferdinand Stolle.
Drud von Alerander Wiebe in Leipzig.
5 PT |
fr —IVA | Bine |
3 b105 D15 298 263
v.22/24