Skip to main content

Full text of "Ausgewaehlte Schriften"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 














v.22/24 













Gift of 


Mrs. Mahrholz 






Gertrude B. 






STANFORD 
UNIVERSITY 
LIBRARIES 









pP 7 25277 
u He 
‚85 7 
V. IR Z ⸗ 


Ferdinand zes 
ausgewählte Schriften. 


Volks- und Familien Ausgabe. 


Sweiundwanzigster Band. 


— 


Zweite Auflage. 


Leipzig, 
Ernſt Keil, 
1858. 


Der nene Käfer, 


— — — 


Ein Seitenſtück zu „1813 und „Elba und 
Waterloo.‘ 


Bon 


Ferdinand Stolle. 


Vive l’Empereur! 


Dritter Band. 


zweite Auflage 


Leipzig, 
Ernft Keil 
1858, 


? 


LT 


Aufterfiß. 


Motto: 
„Sieh’ da, die Sonne von Aufterlig!‘ 
Napoleon. 


Erfles Kapitel. 


As Napoleon in feiner Barafe zu Boulogne vor 
ber Karte von Deutſchland ftand, ſprach er die Worte: 

„Wenn oder Feind mir entgegen fommt, 
werde ih ihn vernidten, eh’ er die Donau 
erreiht, erwartet er mi aber, fo werde 
ih ihn zwifhen Ulm und Augsburg über- 
raſchen.“ 

So wie die franzöſiſchen Armeen den Rhein paſ— 
ſirt hatten, erließ der Kaiſer folgende Proclamation 
en fein Heer, die zugleich als Kriegserfiärung gelten 
onnte: 


„Soldaten! 


„Der Krieg der dritten Coalition hat begonnen. 
Die üftreichifche Armee hat den Ian überfchritten, 
unfern Verbündeten angegriffen und ihn aus feiner 
Hauptftadt vertrieben. Ihr felbit habt in Gewalt- 
märſchen zur DVertheidigung unſerer Grenze herbeieilen 
müffen. Bereits feid ihr über den Rhein gegangen. 
Wir werden nicht eher Halt machen, als bis mir bie 
Unabhängigkeit des veutichen Reichs gefichert, unjern 
Berbündeten Hülfe gebracht und unfere Angreifer ge- 
bemüthigt haben. Wir werben feinen Frieden mehr 


8 


ohne Bürgſchaft ſchließen, unſere Politik fell nicht 
wieder durch unſern Edelmuth beeinträchtigt werden. 

„Soldaten, Euer Kaiſer iſt in Eurer Mitte. Ihr 
ſeid nur die Avantgarde des großen Volkes. Sollte 
es nothwendig ſein, wird es ſich wie ein Mann auf 
meinen Ruf erheben, um dieſen neuen Bund, welchen 
der Haß und das Gold Englands hervorgerufen haben, 
zu ſprengen und zu vernichten. 

„Aber, Soldaten, wir haben Gewaltmärſche zu 
machen, Beſchwerden und Entbehrungen aller Art zu 
ertragen; doch welche Hinderniſſe man uns auch ent— 
gegen ſetzen werde, wir werden ſie beſiegen und uns 
nicht eher wieder Ruhe gönnen, als bis wir unſere 
Adler auf dem Gebiete unſerer Feinde aufgepflanzt 
haben. 

„Napoleon.“ 


In der erſten Nacht auf dem linken Rheinufer 
ſchlief der Kaiſer in Ettingen, wo er den Souverain 
und die Prinzen von Baden empfing. Später reiſte 
er nach Ludwigsburg und mard von dem Hofe von 
Würtemberg auf das Prachtvollſte empfangen. Bei 
biefer Gelegenheit war e8 au, wo die Herzogin von 
Würtemberg, eine englifche Brinzeffin, ihren Ber- 
wandten ſchrieb, und ihr Erftaunen ausdrückte, daß 
Napoleon ein fo angenehmer und artigr Mann 
und gar nit die abſcheuliche Garricatur fei, als mel- 
hen man ihn in England dargeftellt habe, um das 
Volk gegen ihn zu erbittern. 

Zu bderfelben Zeit traf Bernadotte mit feinem 
Corps und den bairifchen Truppen in Weißenburg 
ein. Davouft befand fi in Dettingen, Soult 
an ben Thoren von Donauwörth, Ney in Koffingen, 
Lannes in Neresheim, Murat mit feiner Reiterei 


9 


auf gleicher Höhe an ben Ufern der Donau. Demnach 
ftanden die Franzofen duch das ftrategifche Meiffer- 
werk ihres Feldherrn den Deftreichern, die die Umgegend 
von Ulm befest hatten, bereits im Nüden. 

Der General Mad, der den Feind von einer 
ganz andern Seite her erwartete, eilte jetzt, feine 
Truppen, bie bis in die Schluchten des Schwarzwals 
bed vorgedrungen waren, von woher die Franzoſen 
nad) öſtreichiſcher Anfiht kommen follten, an ſich zu 
iehen. 

Am fiebenten Detober beginnt das Gefecht. 

Marfhall Soult fchlägt zuerft los. Das dftrei- 
hifhe Regiment Colloredo, das Donauwörth be- 
fest hält, wird dur die Divifion Bandamme ges 
worfen. In einem Augenblide ftelt man die Brüde 
wieder her, welche die Deftreicher bei ihrem Rückzuge 
abgebrochen hatten. Das Corps des Marihall Soult 
geht auf das rechte Donauufer. 

Murat ift ihm mit feiner Keiterei auf den Yer- 
fen gefolgt. Zweihundert Dragoner unter dem Obri- 
ſteu Watier fegen ſchwimmend über den Lech, um 
fi) der Brüde von Rain zu bemädhtigen. Sie wer- 
den Herren ber Brüde, ungeadtet des Widerftandes 
eines öſtreichiſchen Cuiraſſierregiments. 

Von Rain bricht Murat am folgenden Tage 
mit den Diviſionen Klein, Beaumont und Nan— 
ſouty auf, um die Straße von Ulm nad Augs- 
burg abzufchneiden. Auf feinem Marſche ſtößt er 
bei Wertingen auf zwölf öftreihiiche Grenadier— 
Bataillone, unterftägt von vier Schwadronen Albrecht 
Guiraffiere, die aus Tyrol herbeigeeilt find, um fid 
mit den öftreichifchen Streitkräften in Baiern zu ver- 
einigen. 

Diejes Corps wird eiligft durch eine gejchidte 


10 


Bewegung des General Nanfouty umringt und ber 
Adgriff beginmt auf einmal von allen Seiten. Die 
öftreihifchen Bataillene, in einem ungeheuren Quarre 
aufgeftelt, und auf den Geiten von vier Cuiraſſier⸗ 
ſchwadronen geſchützt, leiften zwei Stunden lang ven 
träftigften Widerſtand. Endlich werden die Schwa— 
bronen zerfireut, das Duarre durchbrochen und in 
Unordnung gebradt. Die Franzofen erbeuteten das 
gefammte Geſchütz, die Fahnen und machten viertau- 
fend Gefangene. Ein Sumpf begünftigte da8 Ent: 
fommen der Trümmer des öftreichifchen Corps. 

Nach diefer glänzenden Affaire wandte fih Mu- 
rat nah Zusmershaufen, mo faft gleichzeitig das 
Corps des Marſchall Lannes eintraf, deflen Annähe- 
rung die Auflöfung der Deftreicher beeilt hatte. 

An demfelben Tage trifft der Kaiſer auf dieſem 
Punkte ein, und ſchon hat er den Truppen wohlver- 
diente Zeichen feiner Zufriedenheit gegeben. 

„Ib weiß, man kann nicht tapferer fein ala Sie,” 
fagt er zum General Erelmann, ald viefer ihm die 
erbeuteten Fahnen überreichte. 

Wie in dem fiebenjährigen Kriege Sriedrid der 
Große zu Liffa bei Breslau, fo hatte ber Esca— 
drenchef Wuillemy, nur von einem einzigen Mann 
begleitet, indem er ſich das Anſehen gab, als würde 
er von einem bedeutenden Corps gefolgt, hundert 
Oeſtreicher gezwungen, ihre Waffen zu ſtrecken. Na— 
poleon nahm den Tapfern unter Beibehaltung ſeines 
bisherigen Grades in ſeine Garde auf. 

Jede gute und ſchöne That erhält ihren Lohn 
Bei der Erſtürmung der Brücke über den Lech, ſieht 
ber Unteroffizier Marent, ven fein Hauptmann 
Tages zuvor wegen eines Fehlers gegen die Manns— 
zucht aus dem Heere geftoßen hatte, daß vieler Difi- 


11 


zier vom Strome fortgerifjen wird und dem Berfinken 
nahe ift. Er fpringt zu Hülfe und rettet ihn. Na: 
poleon läßt ſich diefen Soldaten vorftellen. 

„Du bift ein braver Mann,” fagte er zu ihm; 
„Dein Hauptmann hat Did entlafien, und daran 
that er recht; dadurch aber, daß Du ihm das Leben 
retteteft, haft Du bewiefen, daß Du feinen Groll 
gegen ihn hegſt, und Ihr fein mit einander quitt. 
Jedoch von meiner Seite wäre es ungerecht, wenn 
ih eine Schuld, die dad Vaterland Dir zu zahlen, 
nicht abtragen wollte. Sch erienne Did) zum Regi— 
ment3-Quartiermeifter und zum Ritter der Ehren: 
legion. Deinem Capitain verdankſt Du aber dieſes 
Avancement, gehe daher zu ihm und bevanfe Dich, 
er wird Dich fiher umarmen.” 

Am zweiten und neunten October waren bie 
Heerhaufen des Marfhald Davoujt und General 
Marmont auh auf das rechte Donauufer überge 
gangen. Die Colonne Soult’s, die Faiferliche Garde 
und die Quirafjierivifionen des Generals Haut- 
poult befanden fih zu Augsburg Davouſt hielt 
Aich ach beſetzt. Zwifchen diefem Drte und Auge- 
burg ftand Marmont mit franzöfiihen Divifionen 
und ber bataviſchen unter General Dumoncean. 
Bernadotte marfhirte über Eichſtädt nad In— 
golftandt. 

Indeſſen hatte General Mad, der viel zu fpät 
gewahr wurde, daß er nächſtens ven den Franzoſen 
umringt fein würde, fid) entfchloffen, einen großen 
Schlag auszuführen, um die franzöftfhen Heerhaufen 
vom linfen Donauufer auf's rechte zurüdzudrängen 
und feine Verbindung mit Baiern wieder herzuftellen. 

In dieser Abfiht hatte er einen großen Theil 
feiner Streitkräfte bei Günzburg zufammengebrängt. 


12 


während bie nach dem Bodenſee entjendeten Truppen 
in Eilmärſchen zurücfehrten. Diefe Bewegung fam 
zu ſpät. Marſchall Ney, ver ſich am fehlten October 
zu KRoffingen befand, „aber feitven die Donau ent- 
lang vorgerüdt war, ließ Günzburg am neunten 
Dcteber durch den General Malher angreifen, wäh- 
vend er feloft gegen Grünberg flürmte und ven 
General Loifon nadı Langenau entſandte. 

Erzherzog Ferdinand kam Günzburg zu Hülfe, 
aber fein Bemühen- war, vergeblich Die Brüde ward 
erobert und die Stellung. mit allem Geſchütz, das fie 
vertheidigt hatte, durch die Franzofen genommen. 

Zu derfelben Zeit führte Murat Bewegungen 
aus, welche den Deftreichern jeden Rüdzug abfchneiden 
folten. AS dies Erzherzog Ferdinand gemwahrte, 
warf er fich eiligft nah Ulm. Mad felbjt verließ 
baftig das Städtchen Burgau, wo er fein Haupt: 
quartier hatte, und wo die franzöfifche Keiterei Miene 
machte, ihn einzufchließen. 

Das Gefecht bei Günzburg foftete ben Deftrei- 
ern dritthalbtaufenn Mann. 

In, dem Grade, als dieſe erften fiegreichen, durch 
das wunderbare Kriegsgenie Napoleon’s, die Pünkt— 
lichkeit feiner Generale und perfönliche Bravour feiner 
Armee herbeigeführten Ereigniffe, das Bertrauen ver 
Franzoſen erhoben, in demjelben Grabe brachten fie 
Muthlofigfeit bei der Gegenpartei hervor. 

Die Feſtung Menmingen gab das erfte Bei- 
fpiel der zahlveihen apitulationen, wodurch Europa 
in Erſtaunen gejegt wurde. General Sebaftiani 
war am eilften Detober vor dieſem Orte erichienen; 
am andern Tage trat Soult mit feinen drei Divi- 
fionen dafelbft ein. Nach einer Berennung von vier- 


13 


undzwanzig Stunden ergab ſich ver Platz. Die ſechs⸗ 
taufend Mann flarfe Beſatzung ward kriegsgefangen. 
Die Offiziere wurben auf ihr Verfprechen, erit nad 
ber Auswechlelung wieder Dienfte zu nehmen, in ihre 
Heimath entlaffen. 

An vemfelben Tage rüdte Bernadotte in Mün⸗ 
hen ein, wo er achthundert Dann gefangen nahm. 
Er war nur wenige Stunden von der Stabt entfernt, 
als der öftreichifche General Kienmayer erft Nadı- 
riht von feinem Anmarfche erhielt. Der franzöftfche 
Marfhall gab ten baterifhen Truppen die Genug- 
thuung, zuerft in ihre Hauptſtadt einzurüden. 

An das baierifhe Heer hatte Napoleon gleich 
beim Beginn des Feldzugs eine Proclamation erlaflen, 
worin er fagt: 

„Ich babe mid an die Spite meiner Armee ge- 
ftelt, um mein Vaterland von deſſen ungeredhten Un- 
terbrüdern zu befreien. Ich kenne Eure Tapferkeit 
und bin überzeugt, daß ich nach der erſten Schlacht 
Euerm Fürften und meinem Volke werde verlünden 
fnnen: daß Ihr würdig fein, in den Reihen ber 
großen Armee zu fämpfen.” 

Die Divifionen des Generald Wrede und bie 
franzöfifche Divifion des General Kellermann zogen 
unter lauten reudenzurufe der Einwohner durch die 
Stadt und verfolgten die Deftreicher, die jenfeit3 ber 
Iſar eine Stellung genommen, an dem Punkte, wo 
die Straßen von Braunau und Wafferburg zu: 
fammenlaufen. General Kienmayer ſetzte nach einem 
Kampfe, bei dem er fünfhundert Mann und mehre 
Kanonen verlor, feinen Rüdzug feit. 

In Ulm wurde indeß die Yage des Generals 
Mad immer bevenkliher. Der Kaifer, der ihn nad) 
ber Berficherung feiner Armeeberichte in dieſelbe Lage 


14 


gebracht hatte, wie vor fünf Jahren den General: 
Melas, machte fih auf eine zweite Schlaht von 
M arengo. gefaft. Ä 

Die Nähe einer Schlacht ſchien ihm fo ausge— 
macht, daß er fie dem Corps des Generals Mar- 
mont durch eine jener Kriegsreden anfündigte, beren 
körnige Beredtſamkeit fo vielen Einprud auf den 
Solvaten und namentlih den franzöfifhen Soldaten 
heroorbringt. Beim Uebergange über die Lech brüde 
hatte er von ven Negimentern dieſes Corps einen 
Kreis für dieſe Friegerifche Anrede bilden laſſen. Das 
Wetter war fürchterlich, der Boden vom Regen fo 
erweicht, daß ber Soldat oft bis an die nie in den 
Moraft verſank, dazu fiel der Schnee in Maſſen, aber 
die Feuerworte des Redners liefen den Soldaten alles 
Ungemach vergeffen. Ihr glühender Muth entfprad) 
dem Muthe ihres Heldenführers. 

Sonach war ein großer Theil ber öſtreichiſchen 
Armee durch die Fugen Berechnungen Napoleon’s 
und durch die Gewaltmärfche feiner Truppen von 
allen Seiten eingefchlofien. 

Gleichwohl wagte der öſtreichiſche Oeneraliffimus 
nicht, eine Schlacht anzubieten. Da Ulm ein Punkt 
war, wo viele Straßen zufammen Liefen, fo hoffte er 
vielmehr, feine Divifionen würden auf den verſchie— 
denen Straßen entfommen und zum Theil in Tyrol, 
zum Theil in Böhmen fid) wieder bilven fünnen. 

Diefem Syſteme zu Folge waren am eilften Dec- 
tober fünfundzwanzigtaufend Dann aus dem per— 
Ihanzten Lager bei Ulm ausgerüdt, in der Abficht, 
fih durch Albed, dad General Dupont ſchon be- 
fegt hatte, einen Weg zu öffnen. 

Diefer General bot fünfundzwanzigtaufend Deft- 
reichern mit feiner Divifion von fechätaufendn Mann 


15 


die Spite. Er zwang fie, umzufehren und machte 
funfzehnhundert Gefangene. Als der Kaiſer das Be⸗ 
nehmen dieſes Corps lobte, ſagte er: 

„Corps wie dieſes gerathen über nichts in Er— 
ſtaunen. Das neunte leichte, das zweiunddreißigſte, 
neunundſechzigſte und ſechsundſiebenzigſte der Linie 
waren dabei.“ 

Dieſe Kunſt, die Berühmtheit an den Namen eines 
Regiments zu knüpfen, machte ſie unbeſiegbar und 
regte alle andere an, gleiche Auszeichnung zu ver—⸗ 

dienen. 
Napoleon hatte fih in das Hauptquartier des 
Marſchalls Ney begeben, um das feindliche Heer noch 
enger einzuichließen. 

Mit Tagesanbruch, am vierzehnten October, führte 
diefer Marſchall die Divifion de8 Generals Loiſon 
zum Angriffe ver Brüde von Elchingen. Die Brüde 
wurde genommen. Dieſe Stellung warb buch funf- 
zehntaufend Deftreicher vertheidigt. ‘Dreimal nad) ein- 
ander mufte man angreifen, um beit Gegner zu ver- 
treiben. Exft beim dritten Male wurde er in Unordnung 
gebracht und in die VBerfchanzungen von Ulm zurüd- 
geworfen. Dreitaufend Gefangene und mehre Stüd 
Seihüg waren der Preis dieſes beveutenden Tages. 
Als Belohnung erhielt fpäter Ney den Titel eines 
Herzogs von Eldhingen. 

Napoleon betrachtete dad Treffen zw. Eidin- 
gen als eine der fchönften Waffenthaten, die je voll- 
bracht wurden. Er verlegte fein Hauptquartier auf 
dieſes ruhmvolle Schlachtfeld und erließ von da ein 
Schreiben an den Senat, um ihn die verichiedenen 
eroberten Fahnen zu verehren. 

„Der erfte Zwed des Kriegs,“ ſchrieb er bei die— 
ſer Gelegenheit, „ift bereit erreicht, der Kurfürſt von 


16 


Bäiern ift wieder auf feinen Thron gefegt. Die un- 
gerechten Angreifer find wie vom Donner gerührt wor- 
beu, und id} hoffe mit Gott in kurzer Zeit auch über 
meine übrigen Feinde zu triumphiren.“ 

An demfelben Tage erließ er ein Kreisfchreiben 
an die Bilhöfe des Reichs, worin er fie auffor- 
berte, ein Tedeum fingen zu lafjen. „Die glänzenden 
Siege,” heißt e8 darin, „welche unfere Armeen gegen 
den Bund, den der Haß und das Gold Englands 
angeftiftet, erfochten haben, verlangen, daß id und 
mein Volk Dankfagungen an den Gott der Heere 
richten und ihn anflehen, er möge ſtets mit uns 
fein.“ 

Ein öftreihiiches Corps unter General Werned 
war glüdlih aus Ulm auf der Straße von Hey- 
denheim entlommen. Zu gleicher Zeit hatte Erz: 
herzog Ferdinand verfuht Biberach zu erreichen, 
aber er fand dieſe Straße duch Marſchall Soult 
gefpertt. Gezwungen feinen Marſch zu ändern, hatte 
der Erzherzog verfucht, fih mit General Werned 
zu vereinigen. Er begab fi daher nur mit einigen 
Schwadronen Keiterei nah Aalen. Werned glaubte 
fih ſchon außer aller Gefahr, als Murat, ſtets bei 
der Hand und ſtets glüdtih, ihn bei dem SDorfe 

' Rangenau erreichte und breitaufend ©efangene ab- 
nehm. Cine Wagenburg von fünfhundert Wagen 
bewegte ſich unter dem Schutze dieſes Generals. 
Murat ließ fie durch Die Dragoner-Diviſion unter 
General Klein angreifen. Der Wagenzug wurde 
genommen. Erzherzog Verbinand, ber in Ne— 
resheim angehalten, war felbft nahe daran, von den 
Franzoſen überrumpelt zu werben, und hatte nur io 
viel Zeit, zu Pferde zu ſteigen und mit der kleinen 


% 


17 


fommen, 

Ulms Schidjal ift entſchieden. 

Napoleon kommt auf dem Abhange der Ub- 
dachung des Mihelsberges an, betrachtet zu feinen 
Füßen die Stadt, welche von allen Seiten auf halbe 
Kanonenſchußweite von den franzöflihen Stellungen 
beherrſcht wird, und fieht das öſtreichiſche Heer in den 
Mauern diefes Plates eingeſchloſſen. 

Des Kaiſers Abficht ift erfüllt. Er lüßt die Trup- 
pen, Die zu weit vorgegangen find, fi zurück,iehen, 
ftellt die Ordnung auf allen Bereinigungspuntten her, 
und erwartet den Ausgang mit einer wachſamen Ge- 
duld, ohne dem Gefchrei feiner Solvaten, welche ben 
Sturm verlangen, nachzugeben. Er wünſcht Blut zu 
Ihonen, und will lieber duch feine Uebermacht die 
Deftreicher zur Uebergabe zwingen, als duch einen 
graufamen Entihluß zu gleicher Zeit eine große Stabt 
und ein tapfres Heer, das nur durch die Unvorfichtig« 
feit feiner Führer in dieſe traurige Lage verfegt wor⸗ 
ven ift, zu vernichten. 

Durd die Ausfiht auf ein Unglüd, weldes dem 
von Java glei käme, ſucht er mit dem General 
Mad in Unterhandlung zu treten. Er bivuagquirte 
fo eben auf einem ſchlechten Feldlager, das fo feucht 
war, daß man fi genöthigt ſah, Bretter zu legen, 
damit feine Füße nicht im Wafler flünden und er hielt 
gerade die Kapitulationdurfunde von Memmingen 
in der Hand, als man ihm den Prinzen Morig 
Tichtenftein ankündigte, welhen Mad zur Unter- 
handlung abgejhidt hatte. Der Prinz warb mit ver- 
bundenen Augen vor Napoleon geführt. 

Man las in dem öflreihifchen Generale ein Er— 
ftaunen, welches deutlich anzeigte, daß weder der Ge⸗ 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXII. 2 


Anzahl Leute, die ſein Gefolge ausmachten, zu ent⸗ 


18 


neral Mad, noch er felbft an die Anmejenheit tes 
Kajfers vor Ulm geglaubt hatte. Er verlangte, daß 
man die öftreichifche Armee nad Deftreich zurüdtehren 
laſſ 


e. 

Der Kaiſer konnte ſich, ob dieſes Verlangens, eines 
Lächelns nicht enthalten und erwiederte: 

„Welchen Grund hätte ich, Ihnen dieſe Bitte zu 
gewähren? Binnen einer Woche wird Ihre Armee 
ohne alle Bedingung in meiner Gewalt ſein. Sie 
hoffen auf das ruſſiſche Heer, das kaum Böhmen er- 
reiht hat. Uebrigens wenn ich den Deftreihern freien 
Abzug geftatte, wer bürgt mir dafür, daß fie, nad 
Bereinigung mit ven Ruſſen, die Waffen gegen mid) 
kehren? Ich habe Marengo nicht vergeffen. Ich 
ließ Herrn von Melas aud abziehen und zwei Mo- 
nate fpäter, ungeachtet des Verſprechens, den Frieden 
zu betreiben, mußte Moreau feine Truppen befäm- 
pfen. Ueberbies kann man ſich nach dem Verhalten 
Ihrer Regierung gegen mic) auf feine Kriegsgeſetze 
berufen. Ya, wenn fih in Ulm einer Ihrer Prin- 
zen befände, welcher ſich verpflichtete, jo würde ich 
feinen orten glauben, indem er verantwortlic Dafür 
wäre. 

Der Prinz Lichtenftein antwortete, fo gut er 
fonnte und betheperte, daß wenn man ihm nicht bie 
verlangten Bebingungen geftattete, das Heer Ulm nicht 
verlafien würde. 

„Ich bewillige Ihnen den Auszug nicht,” erwie- 
derte Napoleon; „va ift die Gapitulation Ihres 
Generals, der in Memmingen geitanden hat; brin- 
gen Sie diefe dem General Mad; und welden Ent- 
Ihlug man aud in Ulm faßt, ih will feine anderen 
Bedingungen hören. Uebrigens habe ich feine Eile, 
je länger er zaubert, deſto fchlimmer wird feine Lage 


19 


und die allee der Ihrigen. Außerdem trifft morgen 
hier das Corps ein, welhes Memmingen blofirt 
hat, und dann wollen wir fehen.“ 

Man begleitete den Fürſten Tichtenftein nad 
Ulm zurüd und wartete den Erfolg ab. Noch den- 

f jelben Abend fchrieb der General Mad dem Kaiſer 

einen ehrfurchts vollen Brief, worin er ſagt, daß ber 
einzige Troſt, der ihm in feinem Unglüd bleibe, 

- ‚fei, ſich gezwungen zu jehen, mit ihm zu nterhanbeln. 
Da es das Schidjal einmal nicht anders wolle, erwarte 
er feine Beichlüffe. 

Der Kaifer ſchickte Berthier ben andern Mor: 
gen nah Ulm mit Berhaltungsbefehlen, der Mars 
ſchall kehrte am Abend zurüd und brachte bie Capi⸗ 
tulation zurüd, durch welche das ganze Beer fi ge- 
fangen gab. Es behielt fih vor, mit allen Kriegs⸗ 
ehren aus ber Feſtung zu ziehen, vor der franzöſiſchen 
Armee zu defiliren, die Waffen niederzulegen und nach 
Frankreich abzugehen. Die Generäle und Offiziere 
erhielten allein die Erlaubniß, in ihre Heimath zu= 
rüdzufehren, unter der Bedingung, nicht eher als 
nach vorgänglicher Auslieferung der Kriegsgefangenen 
Kriegsdienfte zu nehmen. 

Am zwanzigiten October ftellte ſich das franzöfi- 
fhe Heer auf den Höhen in Schlachtordnung; bie 
Trommeln wirbelten, die Muſikbanden fpielten, bie 
Thore von Ulm öffneten fi, die öſtreichiſche Armee 
rückte ſchweigend aus, befilirte langjam vorüber und 
legte Corps für Corps an den bezeichneten Orten die 
Waffen nieder. 

Diefer Tag lieferte breiunbbreißigtaufenn Mann 
in die Gewalt der Franzofen; fechstaufenn Mann 
waren u Memmingen, ‚weitaufend zu Wertin- 
gen gefangen genommen worben, jo daß der ganze 

2* 


20 


Berlufte der Deiteeiher nahe an funfzigtaufend Mann 
betrug, nebft fiebenzig Stüd Gefhüt und dreitauſend 
Pferden, womit eine Dragonervivifion, die von Bou⸗ 
logne zu Fuß gefommen war, beritten gemacht wurde. 

Die Geremonie währte faſt den ganzen Tag. 
Während der ganzen acht Tage, welde die Franzo en. 
por Ulm zubrachten, war das unfreumblichfte Regen: 
wetter; biefes Härte fich plöglidy auf, und tie Bffrei- 
hifche Armee zog bei ſchönſtem Sonnenfchein aus der, 

eitu 


ng. 

Der Kaiſer hielt während dieſes Ausmarjches auf 
einer Kleinen Anhöhe vor ber Fronte feiner Armee. 
Ihm zunächſt ftand feine Garde und er felbft war 
umringt von einem glänzenden Generalſtabe. in 
großes Teuer war angezündet worden. Hier empfing 
der Kaiſer die öftreichifehen Generale, fiebzehn an der 
Zahl. Er beflagte fih über das Verfahren ihrer 
Regierung, welche ihn ohne Kriegserflärung angegrif- 
fen habe und fagte: „Diefelbe hätte beſſer gethan, 
anftatt Aftaten in europäifche Angelegenheiten zu men- 
gen, fih mit mir zu verbinden, um der ruffiichen Ver⸗ 
größerungsſucht in ven Weg zu treten.“ 

Während Napoleon, auf feinem Pferde gebüdt 
und in der einen Hand über ven Sattellnopf die Zügel 
haltend, die andere .auf feine rechte Hüfte ftübenp, 
dem Vorübermarſch der öftreihifchen Colonnen zufchaut, 
fieht man ihn plöglich die Stine runzeln. 

Ein General in feiner Nähe erzählt nämlich feiner 
nächſten Umgebung, angeblic, eine von einem Soldaten 
feiner Divifion erfundene Anecdote. 

„Bor einigen Minuten,” meinte verjelbe, „burd- 
fhritt ich die Reihen meiner Solvaten, und als id 
fie frage: Nun wie gefallen Euch die Gefangenen ? 


21 


antwortete mir einer von ihnen: Noch niemals fahen 
wir fo viele Boffenreißer auf einmal.” 

Der Kaiſer, welcher ein äußerſt feines Gehör hat, 
wendet fich bei diefen Werten raſch um. 

„Schweigen Sie, mein Herr,” ruft er, „verläums 
den Sie nit meine Truppen, welche ftets mit Ta- 
pferleit auch Edelſinn zu vereinigen wiſſen.“ 

Darauf zu feiner Umgebung gewendet, fährt cr 
im Tone des tiefften Unwillens fert: 

„Bürwahr, man muß fehr wenig Achtung für fich 
felbft fühlen, fo unglüdlihe Menfchen noch beleidigen 
zu können. Savary, erflären Sie tem General 
meinerfeits, daß er ſich entfernen möge.“ 

Nachdem vie Öftreichifhe Armee die Waffen nie- 
bergelegt hatte, zog fie durch ein anderes Thor wie= 
ber nad Ulm zuräd, um an ven folgenden Tagen 
in einzelnen Colonnen nah Franfreih abgeführt zu 
werben. 

Vorher noch ließ er die gefangenen Generale, die 
ſehr niedergeſchlagen waren, zu ſich beſcheiden. Cr 
richtete Troſtesworte an ſie und ſagte unter andern 
auch zu ihnen: 

„Meine Herren, Ihr Gebieter führt mit mir einen 
ungerechten Krieg. Offen geſtanden, ich weiß nicht, 
warum ich mich ſchlage und was Ihr Kaiſer eigent- 
lich will. Er ſpreche Ein Wort, und bunbertfunfzig- 
taufend Maͤnn fehren friedlich zu ihrem heimathlichen 
Herde zurück.“ 

„Sire,“ erwiederte Mad, „ver deutſche Kaifer, 
mein Öebieter, ift zu dieſem Kriege von Rußland 
gezwungen worben.“ 

„Sezwungen worden,” entgegnet Napoleon, 
auf diefe Worte einen befondern Nachdruck legend; 
„it er denn nicht eine Mat?“ 


22 


Am Tage nach der Uebergabe von Ulm lieferte 
Murat ein neues glänzendes Gefecht, wobei er gro- 
Ken Vortheil davon trug. Ein Theil des großen 
öftreihifchen Artillerieparts hat fih nach Nürnberg 
gewendet, eskortirt von Mack'ſchen Cuiraſſieren und 
andern Reiterabtheilungen. Dieſe Bedeckung wurde 
angegriffen und zerſtreut und der ganze Park fiel den 
Franzoſen in die Hände. 

Nie wurden ſo wichtige Ergebniſſe weniger theuer 
erkauft. Es iſt ausgemacht, daß im erſten Theile 
des Feldzugs die Zahl der Gebliebenen auf beiden 
Seiten außer allem Verhältniſſe ſteht. Die Franzo— 
ſen verloren im Ganzen nicht mehr als zweitauſend 
Mann. 

Dieſe heilige Sparſamkeit des Menſchenlebens war 
die Folge des Kriegsſyſtems, das der Kaiſer in dieſem 
Feldzuge anwenden konnte. Wenn die Truppen oft 
reißend ſchnelle Märſche gemacht hatten, jo befanden 
fie fid) gewöhnlih vor dem Kampfe jhon in Stel: 
lungen, die über den Erfolg feinen Zweifel Tießen. 
Auch fagten die Soldaten unter fib: 

„Der Kaifer hat eine neue Art Krieg zu führen 
erfunden. Er bediente ſich weit mehr unterer Deine 
als unjerer Bayonnette.“ 

Hätte man die Truppen gefragt, jo würden fie 
fi) Tieber öfter gefchlagen haben, als weniger mar- 
f&hirt fein. Aber fahen fie ven Starfer im ihrer Mitte, 
das fchredlichte Wetter mit ihnen gemeinſchaftlich er» 
tragend, wie er manchmal an einem Tage zwölf bis 
funfzehn Stunden zurüdlegte, mit ihnen in einem 
Dorfe übernacdhtete, während der ſchönſte Palaft zu 
Augsburg für feinen Empfang feftlicd bereit ftand: 
wie hätten fie fi) da über Anftrengung beflagen fol 
- Ien, die ihr großer Feldherr mit ihnen theilte? 


23 “ 


Bei einer folhen Gelegenheit fagte Napoleon 
zu einem öftreichifchen Dffizier, der fich wunverte, ihn 
fo mit Schmut beredt und von Regen durchnäßt zu 
finden: 
„Ihr Kaifer hat mich daran erinnern wollen, daß 
ih Soldat bin. Er wird mir wenigitend zugeben, daß 
ih mein altes Handwerk nicht vergeilen babe.“ 

Schon am zweiundzwanzigften October war das 
durch den Feldzug Gewonnene ungeheuer. Die Zahl 
der Gefangenen belief fich über ſechzigtauſend Mann, 
unter ihnen neunundzwanzig Generale und zweitaus 
fend Offiziere von allen Graden. | 

Ein großer Schritt war gefchehen. Frankreich hatte 
nit mehr fremden Einfall zu fürchten und außerdem 
war im Herzen von Deutichland eine der verbündeten 
Mächte faft früher entwaffnet, als die andre ſich mit 
ihr vereinigen konnte. 

Sein Prophetenwort in der Barafe von Boulogne 
war in Erfüllung gegangen: „Wenn fie mid er- 
warten, werde ih fie zwifhen Ulm und 
Augsburg vernidten!” 

Sole an's Werthvolle grenzende Creignifje ver- 
dienten einen glänzenden Beweis der Zufriedenheit von 
Seiten des Kaifers. Er war zu flug und zu geredt, 
um nicht eine fo heilige Schuld auf wärbige Weile 
abzutragen. Aus dem Lager von Elchingen erklärte 
er, daß der Monat Octeber ftatt eines ganzen Feld— 
zugs zählen folle, für Alle, welche zur großen Armee 
gehörten, und daß er als folcher zur Abſchätzung der 
Sahrgehalte und der Kriegsdienſte aufgeführt werben 
folte. Er befahl alle Domainen des Haufes Deft- 
reich in Schwaben in Beſitz zu nehmen und belegte 
fie mit einer außerorventlichen Kriegsiteuer, deren Er— 
trag dem Heere zugehörte. 


24 


Zu gleicher Zeit erſchien folgende Preclamation: 
„Soldaten der großen Armee! 

„In vierzehn Tagen haben wir einen Feldzug 
beendet. Was wir und vorgenommen, das ift voll« 
bracht worden. Wir haben die Truppen des Teindes 
aus Baiern vertrieben und unfern Verbündeten wies 
der in die Souverainität feiner Staaten eingefekt. 
Jene Armee, die fih an unfern Grenzen aufgeftellt 
hatte, ift vernichtet. Aber was liegt England daran; 
fein Zwed ift erreicht. Wir find nicht mehr zu Bon- 
logne und die Hülfsgelver, die es zahlt, werden darum 
nicht größer noch Kleiner fein. 

„Bon den hunderttaufend Mann, aus denen biefe 
Armee beftand, find fechzigtaufennd Mann gefangen. 
Sie werden unfere Conferibirten bei den Feldarbeiten 
erjegen.. Zweihundert Kanonen, ver ganze Barl, 
neunzig ahnen befinden fih in unfrer Gewalt; nur 
funfzehntaufend Mann diefer Armee find entfommen. 
Solvaten, ich hatte Euch eine große Schlacht ange- 
fündigt! Dank fei e8 aber den übeln Combinationen 
des Feindes, ich habe viefelben Erfolge ohne dieſelben 
Gefahren zu erreichen vermocht, und ein fo großes 
Nefultat bat. ung, was in der Geſchichte der Völker 
unbegreiflich fcheint, nur zweitaufend Dann Tanıpf- 
unfähig gemacht. 

„Soldaten, biefer Erfolg ift Euerm grenzenlojen 
Bertrauen in Euern Kaiſer, Eurer Geduld in Er— 
tragung ter Beſchwerden und Entbehrungen jeder Art, 
Eurer feltenen Unerfchrodenheit zuzufchreiben. 

„Aber dabei wollen wir nicht ftehen bleiben. Ihr 
brennt vor Ungeduld, den zweiten Feldzug zu beginnen. 
Wir wollen diefen ruffiihen Armeen, welche das eng⸗ 
liſche Gold von dem Auferften Ende der Erde herbei— 
gezaubert hat, ein gleiches Loos bereiten. 


25 


„Solvaten, die Ehre des Fußvolkes ift es, die 
bei biefem Kampfe namentlich betheiligt ift, denn zum 
zweiten Male muß die fhon in der Schweiz und in 
Holland entſchiedene Frage zur Entfheidung fommen, 
bie Frage: ob bie franzöſiſche Infanterie die erfte 
oder zweite in Europa iſt. Dort giebt es feine Ge⸗ 
nerale, gegen die man fih Ruhm erwerben könnte. 
Alle meine Sorge wird fein, den Sieg mit dem we- 
nigften Blutverlufte zu gewinnen. Meine Soldaten 
find meine Kinder.“ 

Sonach brach das franzöfifche Heer, die Trümmer 
ber öſtreichiſchen Armee vor ſich her treibend, gegen 
die Ruſſen auf, deren erſte Colonnen bis an die baie⸗ 
riſche Grenze vorgerückt waren. 


Zweites Rapitel. 


Armand war von feinen Wunden, die er bei ber 
Bertheivigung des wichtigen Forts Saint Henri, 
die ihm aufgetragen worden, erhalten, vollfommen 
wieder hergeſtellt. Durch fein heldenmüthiges Be⸗ 
nehmen, das überall befannt geworben, und dem man 
faft einzig bie Erhaltung bes wichtigen Forts verbantte, 
war ein © nd allgemeiner Bewunderung gewor- 
den. Der Name Moaillebois wurde nur mit hoher 
Achtung genannt. 

Aber trotz der tung, ja der Ehrfurdt, mit 
welder Armand auf Sanct Domingo behandeit 
wurde, fo wohnte in feinem Innern doc) noch tiefer 
Kummer, denn er wußte nit, ‚wie man im Bater- 


* 


26 


lande und wie der Kaifer von ihm dachte. In des 
Letztern Augen mußte ſein Character noch immer im 
trübſten Lichte erſcheinen, wenn ſich General Junot 
nicht feine Rechtfertigung hatte angelegen fein laſſen; 
und von biefem war, troß dem, daß mandes Schiff 
aus Frankreich angelangt war, noch immer feine 
Nachricht eingetroffen. 

Armand war fo eben von einem mehrtägigen 
Ausfluge in das Innere der Infel nad) Sanct Do- 
mingo zurüdgefehrt, als ihm die Ordre ward, fo- 
gleich vor dem General Ferrand zu erjcheinen. Er 
beeilte fih, dem Befehle nachzukommen, und erfuhr 
auf ſeinem Wege nad der Wohnung des Generals, 
daß wieder eim Schiff aus Europa in den Hafen ein- 
gelaufen fei. 

Als er bei dem Kommandanten in’s Zimmer trat, 
kam ihm dieſer hocherfreut entgegen. 

„Ich ſchätze mic wahrhaft glücklich,“ begann bie= 
- fer, ” ‚Ihnen, mein lieber Maillebois, einen Brief 
aus der alten Welt zuftellen zu fönnen, von dem id) 
glaube, daß er nichts Unangenehmes enthält. Wollen 
Sie mid) vielleiht den Inhalt willen laſſen?“ 

Er überreichte bei diefen Worten Armand ein 
Schreiben, welches mit dem faiferlich königlichen fran- 
zöſiſchen Siegel verfehloffen war. 

Als der auf's Höchite überrafchte Jüngling das 
Schreiben erbrocdhen hatte, glaubte er, feinen Augen 
nicht Irauen zu dürfen. Da ſtanden die Worte: 

„Hauptquartier der großen Armee. 
Ä „Mein lieber Mailfebois! 

„Wenn Sie die Ruffen mir wollen hel- 
fen in die Wüſte jagen, fo eilen Sie, in Die 
Reihen meiner Garde zu treten. 

Napoleon.“ 


27 


Armand hielt ſprachlos und zitternd dieſe eigen- 
händigen Schriftzüge des Kaiſers in feiner Hand. De. 
umarmte ihn der General mit Herzlichkeit. 

„Niemand,“ fprad er, „hat diefe Auszeihnung 
mehr verdient ald Sie. Es thut mir leid, daß wir 
und trennen müflen, aber Sie werben es den Brü⸗ 
dern an der Donau erzählen, daß wir auf Sanct 
Domingo dem franzöfifhen Namen aud feine 
Schande machen.” 

Hierauf einen Schritt zurüdıretend fuhr er fort: 

„Meine Gratulntion dem Herrn Garde-Capi— 
tain.“ 

Armand eilte wie ein Beraufchter nad feinem 
Quartier; als er hier anfam, war ihm eine neue 
frendige Ueberrafhung bereitet. Der fo lang erfehnte 
Drief von Yunot war angelangt und lautete alfo: 

„Mein lieber Maillebois! 

„Wenn ich Ste fo lange ohne Antwort ließ, fo 
war das nicht meine Schuld. Ich bin erft vor einigen 
Tagen aus Liffabon im faiferlihen Hauptquartiere ein- 
getroffen. Nachdem ich meine offictellen Berichte dent 
Kaiſer abgejtattet und er gerade fehr guter Laune war, 
benußte ich die günftige Gelegenheit, und ſchenkte ihm 
in der Angelegenheit der Frau von Poitiers, wodurch 
Sie jo compromittirt und in Ungnade gefallen waren, 
den zeinften Wein ein. 

„Sie können fih wohl vorftellen, daß Seine Ma⸗ 
jeſtät bei diefer unerwarteten Relation nicht eben: Das 
freundlichfte Gefiht machte. Der Kaiſer gerieth ſo⸗ 
gar in Zorn und fagte: „wenn er das früher gemußt 
hätte, fo würde ih an Ihrer Statt nad) den Antil- 
len fpaziert fein.” Als ver erfie Sturm vorüber 
war, bat ich natürlih, da er Sie wieder zu Öna- 
ben aufnehmen möchte. „ein,“ ermieberte er, „Der 


28 


Herr Capitain mag fih immer noch einige Zeit mit 

ben Schwarzen herumbalgen, damit er männlicher 
werde und Fünftig nicht wegen ein paar hübfchen 
Mädchenaugen das Leben feines Monarchen und das 
Wohl feines Vaterlandes leichtfinnig auf's Spiel 
fett. 

„Ih malte ihm bemertlih, daß Sie im Gegen- 
teil ftetS bemüht gewefen wären, vie Gefahr, welche 
von Seiten der Royaliften drohte, von feinem Haupte 
abzuwenvden. Napoleon blieb aber unerbittlih, und 
ih hatte ſchon einen Troftbrief an Sie aufgefekt, 
als höchſt merkwürdiger Weife gleih am folgenden 
Zage ein Bericht vom General Ferrand einlief, wor- 
in Ihr helvdenmüthiges Verhalten in Betreff ber 
Botſchaft nach Cap Henry und Ihre bei den Stür- 
men gegen dieſes Fort bewiefene Bravour auf das 
Glänzendſte hervorgehoben waren. Als mich der Rai- 
fer wieder anfihtig wurde, gab er mir den Bericht 
zu leſen. „Diefer Maillebois,“ waren feine 
Worte, „ift ein höchſt braver Kerl; das macht ihm fo 
leicht Keiner nah. Wenn er nicht zu jung wäre, 
würde ich ihm zum Oberftleutnant machen. Aber er 
fol zurüdfommen und unter meine Garde treten.” 
Hierauf ertbeilte er fogleih den Befehl, daß Gie, 
mein. lieber Gapitain, mit Beibehaltung Ihres zeit- 

herigen Grades in die Liſten der alten Garde einge- 


2 yſchrieben wurben. 


„Wie frob war id, meinen wenig erbanlicdhen 
Troſthrief vernichten zu können. Alſo eilen Gie, 
noch .zu: der glorreihen Affaire anzulangen, wo wir 
ben xuffifchen Eisbär auf's Haupt fehlagen werben. 
Ihr Benehmen in Betreff Saint Henri’ hat ben 
Kaifer außerordentlih für Sie eingenommen. Es er- 


29 


wartet Sie die freundlichſte Aufnahme und Niemand“ 
ift mehr erfreut darüber als 
*Ihr 
treu ergebener 
Junot.ꝰ. 

Das Einzige, was Armand an dem Briefée ſeie 
ned hochgeftellten Freundes nicht gefallen, war, daß 
ber General Florentinen mit feiner Sylbe er- 
wähnte. Er war eben im Begriff, die beiden fo 
werthen BZujhriften nochmals zu überlefen, als ſich 
unter feinen Yenftern eine befannte Stimme alfo ver- 
nehmen ließ: 

„Schwarzes Ungeheuer,” rief die Stimme einem 
in ver Nachbarſchaft befchäftigten Neger zu: „Wehr- 
wolf, aud Freund, fage mir Scheufal, wo finde ich 
ven Eapitain Maillebois, er muß bier in der Ge— 
gend wohnhaft fein? 

„Da bin ih nun,” brummte e8 weiter, „dem 
Schlingel ‘die halbe Erde lang nachgefahren und kann 
ihn noch immer nicht ausfindig machen.“ 

Armand ri das Fenfter auf und erblidte ven 
Doctor Bonorand, welder die holprigen Steine 
auf- und abjtolperte und entſetzlich auf das fchlechte 
Straßenpſtaſter fluchte. 

„Doctor, Doctor!” rief erfreut der Jüngling, 
„bier herauf.“ 

Mit diefen Worten eilte er auf die Straße hinab 
und bie beiden Freunde fielen fi in die Arme. 

„Nun endlich,” rief der Doctor; „aber Teufel, 
jeid Ihr ſchwarz geworben,” fuhr er lachend fort, 
„Ihr müßt wahrhaftig wieder nad) Europa zurüd, 
wolt Ihr nicht le Anrechte auf einen Weißgebornen 
verlieren.” 

Das Erfte war, daß die Beiden auf Armand’s 


30 


# 

Zimmer angefommen, daß der überglüdliche Jüngling 
dem Freunde bie Zuſchriften Napoleon's und Ju— 
not's vorlegte. 

Bonorand machte große Augen, als er die 

7Schrutzüuge des Kaiſers erblickte. 
Nun werd' ic doch wieder einmal Recht behal⸗ 
0 ten,?,fprah er, „daß Ihr unter einem glücklichen 
* Steine geboren feiv und daß ein höchft refpectabler 
'spiritus familiaris Euch mit Rath und That unfidt- 
bar zur Seite fteht. Bon Euren Wunberthaten hab’ 
ih, feit ich auf der Inſel bin, auch ſchon fo viel 
vernommen, daß ich ordentlich in Verlegenheit komme, 
wie ih Euch tituliren fol, ob Herr „Bayard“ oder 
Herr „St. Georg.“ 

Armand beftürmte ven Doctor mit fo viel Fra- 
gen über Europa und die dafigen Zuftände, daß Bo- 
norand im vollften Sinne des Wortes gar nicht zu 
Athem kommen konnte. 

„Ih bitt' Euch um Gotteswillen,“ rief dieſer 
abwehrend, „laßt mich auch einmal an die Reihe des 
Fragens kommen; was z. B. iſt das für eine aller- 
liebſte mit Citronenbäumen bewachſene Anhöhe? Man 
muß von da eine charmante Ausſicht haben. Hat denn 
der Berg keinen Namen?“ 

„Es iſt die Marienhöhe,“ antwortete Armand 
kurz; dann fuhr er gleich wieder mit Fragen fort: 
„Aber ſagt mir nur, wenn ſeid Ihr denn eigentlich 
angekommen, davon habt Ihr mir noch kein Wort 
geſagt; wie heißt Euer Schiff? Sind ſonſt Bekannte 
mit angelangt? Wie lange gedenkt Ihr auf Do— 
mingo zu verweilen? Geht es direct von hier nach 
Europa zurück? Wie ſteht der Kaiſer mit den Oeſt— 
reihern? Wie viel Zeit habt Ihr gebraucht zur Ueber- 

N fahrt? Kommt Ihr von Toulon over Rochefort, 


vr 
Be 
u) 


3 


oder Havre oder Breft? Seid Ihr mit den Eng» 
länbern zufammen getroffen oder ganz unangefodhten 
durchgekommen? Nichts von Guifeppe gehört? Der 
Barbar hat mir noch nicht gefchrieben. Ich weiß von 
früher: Briefichreiben ift feine Sache nicht. Wer com: 
mandirt Euer Schiff?“ 

Bonorand hielt jest Armand den Mund zu. 

„Einen Augenblid Geduld,“ ſprach er, feine Brief- 
tafche hervorziehend, „ic muß mir dieſes Vragregifter 
ein Wenig notiren, fonft mag der Teufel Euch Rebe 
ſtehen. Alfo Blagegeift: Die Victoria heißt unfer 
.Schiff, auf welchem — aber Armand, ich bitte Euch, 
das ließe fi) Alles weit charmanter erzählen, wenn 
wir eine Heine Abenppromenade machten, flatt hier 
zwifchen den engen vier Wänden, bie mir gegen bie 
herrliche Natur draußen gefängnißartig vorkommen, 
auf und ab zu rennen.” 

„Ich bin Alles zufrieden,“ verſetzte Armand, 
„erzählt nur.“ 

Bonorand ftattete nun, während die beiden ber 
mit Drangenwald bewachfenen Marienhöhe zufchritten, 
ausführlichen Bericht ab über Alles, was Armand 
‚zu wiſſen wünſchte. Daher unterbrad) er häufig feine 
Erzählung, um ſich über die herrliche Vegetation bes 
Sübens zu erpectoriren. 

„Auf mein Anfuchen,” ſprach er, „bin ich einer 
Eommiffion von vier Aerzten beigefellt worden, um 
die hiefigen Fieberkrankheiten, welche unter unferer 
Sarnifon ſolche Verheerungen anrichten, Beobachtungen 
anzuftellen. Unfer Aufenthalt ift vorläufig auf vier 
Wochen feftgefet.“ 

„So lange kann ih unmöglich warten,” warf 
Armand dazwilchen, „will ich beim Kaifer noch zur 
rechten Zeit eintreffen.“ 


82 


„Es ift mir dies fehr angenehm zu hören,” er⸗ 
wieberte der Doctor; „bin ih Euch nun um bie 
halbe Erde nachgefahren, und kaum hab’ ih Euch 
erwiſcht, efhappirt Ihr mir. Gleichwohl kann ich 
Nichts dagegen fagen, denn es ift allerdings pericu- 
lum in mora. Der Kaiſer muß über Kurz oder Lang 
mit den Ruſſen zufammentreffen. Ich glaube nicht, 
daß der Feldzug von langer Dauer jein wird. Aber 
feht mir doch die prächtige Aloe, da müſſen fich doch 
unfere europäifhen Gewächshäuſer verfteden.“ 

„Wie lange habt Ihr Zeit zur Ueberfahrt ge- 
braucht?” erkundigte fih Armand zum zweiten Mal 
angelegentlih. „Wir find ungefähr ſechs Wochen ge 
fahren,” antwottete Bonorand, „die Reife ging von 
Rochefort aus. Bon den Rothröden haben wir gar 
nichts zu leiden gehabt. Auf der Höhe der Azoren 
verfolgten ung eine Zeit lang zwei englifche Fregatten, 
fonnten und aber nicht8 anhaben, da unfer Vorſprung 
zu groß war. Diefe vortrefflihe Banxia serata da 
an der Pinin, muß ih mir Doch etwas genauer in 
Augenfhein nehmen, eine folde majeftätiiche Art ift 
mir noch gar nicht vorgekommen.“ 

Donorand fprang zu Armand's nicht gerin- 
gem Verdruſſe, der nur immer von Europa erzählt 
und feine Fragen beantwortet willen wollte, durch das 
Gebüſch, wo in einiger Entfernung die ſchöne Blume 
in ſtiller Einfamteit ihre Yarbenpradt entfaltete. Er 
fonnte ſich lange nicht losreißen von dem feltenen 
Anblid und wollte eben Armand eine botaniiche Vor: 
lefung über die üppige Vegetation der Tropenländer 
halten, als ihn diefer ungeduldig mit den Worten 
unterbrach: 

„sh hab' Eud nun ſchon das fünfte Mal ge: 

N” ob Ihr keine Nachricht von Guiſeppe erhal- 


33 


ten; aber fo lange auf Sanct Domingo eine 
Blume blüht, werd’ ich wohl vergeblich auf eine Ant: 
‘wort warten.“ 

„Guiſeppe?“ frug Bonorand, von feinem 
botanifchen Abflecher zurüdtchrend, „das mag der Him- 
mel willen, in welcher Hängematte der fich jchaufelt. 
Wahrſcheinlich ſteckt er mit auf der Flotte des Ville- 
neuve. Diefe Banxia ift wirklich nicht mit Golde 
zu bezahlen.” | 

Endlich war e8 Armand gelungen, den fort- 
während botanifirenden Freund nad) der Marienhöhe 
zu bringen, wo ſich eine in franzöfifchen Geſchmack 
eingerichtete Reftauration befand. Er war fehr ver- 
gnügt, als die Dunkelheit herein brach, melde Bo- 
norand’3 botanifhem Eifer ein Ziel fette. Aber 
Armand hatte gleichwohl nicht viel gewonnen, denn 
jetzt erſchloß fi das transatlantifche Himmeldgewölbe 
mit feinen fremdartigen Sternbildern und Gterngrup- 
yen, und der Doctor warb nun Aftronom. 

„Ih muß geftehen,” ſprach er, „wie glanzvoll 
die, tropifche Vegetation gegen die nord- und fittel- 
europäifche hervortritt, fo tft das hinſichtlich des Fir- 
maments doch keineswegs der Tal. Unſer nordiſcher 
Nachthimmel ift weit fehöner und weit reicher an 
Sternen erfter und zweiter Größe.“ 

„Seht einmal,” fuhr er fort, „ganz am äußerften 
Horizonte gudt unfer alter braver großer Bär, 
unter dejjen fieben Sternen des Himmelswagens 
wir aufgewachlen find, nur mit dem Schwanze ein 
Wenig aus dem Meere; ich kenne die Deichfelfterne 
gar wohl, e8 ift ver Benetnafh und ver Mizar, 
legterer mit feinem Kleinen Begleiter Alcor, dem 
Reuterlein, welde aus ver Heimath daher winken, 
während der Alioth und der fhöne Dubeh noch 

3 


Stolle, ſämmtl. Schriften. XXII. 


34 


unter dem Meere fteden. Da fteht auch die Caſio— 
peia, welche fih von Sanct Domingo bei wei— 
tem nicht fo ftattlih ausnimmt, als von der Stern- 
warte zu Paris, wo fie im Zenith fteht.” 

Erſt als Armand den Doctor wieder nach Haufe 
gebracht hatte, Tief diefer fi) bewegen, wieber Rari— 
täten aus ber alten Welt mitzutheilen. Ex erzählte 


Mancerlei, was für Armand von großem Intereffe 


war, 

„Da hab’ ih mir auch,” ſprach Bonorand un- 
ter andern, „ven neueften Beftand unferer Armeen 
zu verjchaffen gewußt, für deſſen Nichtigkeit ih Bürg⸗ 
Short leiften Tann. Demnach ift jedes Regiment bei 
uns dermalen viertauſendzweihundertachtundzwanzig bis 
viertaufenbpreihundert Mann” ftarl, worunter vier: 
taufendeinhundertachtzig Combattanten. Frankreich be= 
fist vermalen neunzig folde Regimenter Tinien- 
infanterie. Ein jedes zerfällt in vier Bataillone, 
wovon drei in's Feld rüden und eins zur Uebung 
der Rekruten in den Beſatzungen zurüd bleibt. Die 


leichte Infanterie befteht aus ſiebenund zwan— 


zig Negimentern, ebenfalld zu vier Bataillonen. 
Diefe hundertfiebzehn Negimenter oder vierhundert- 
achtundſechzig Bataillone geben eine Geſammtmacht 
von fünfhundertundfiebentaufend Mann Infanterie, 
worunter breizehntaufendvierhundertzweiundvierzig Of- 
figiere. Die Cavallerie befteht aus achtundſieb— 
zig Regimentern, nämlich zwei Carabiniers, zwölf 


Cuüraſſier- und zwanzig Dragonerregimentern, 


vierundzwanzig Regimentern Jäger zu Pferde, 
zehn Uhlanen- und zehn Huſarenregimenter. 
Die geſammte Cavallerie iſt einundſiebzigtauſendfünf— 
hundert Mann ſtark, worunter zweitauſendzweihun⸗ 
dertſechsundvierzig Offiziere, vertheilt in dreihundert⸗ 


35 


ſechsundzwanzig Eskadrons. — Die Artillerie zählt 
acht Negimenter zu Fuß, ſechs zu Pferd, funfzehn 
Compagnien Ouvriers, zwei Bataillone Ponto- 
niers, ſechszehn Bataillone Artillerietrain und 
neun Compagnien Mineurs. Das Ganze der Armee 
beträgt aljo, ohne die italienifhen Truppen, nad) den 
officiellen Etats jehshundertzehntaufenpneuns- 
hundertſechsundſiebzig Mann, worunter adhtzehn- 
taufendvierhundertachtzehn Dffiziere, hundertdreißig 
Divifionsgenerale, zweihundertvterzig Brigadegenerale 
und hundertvierundzwanzig Adjutants-Commandanten. 

Armand bat um das Zettelhen, worauf Bono- 
rand fi diefe Notizen aufgezeichnet hatte, denn er 
liebte vergleichen Ueberſichte. Der Doctor zog aber 
aus feiner vidleibigen unerſchöpflichen Brieftafche eine 
der neueften Nummern des Moniteur hervor. 

„Daß Napoleon,” begann er, „ven genialen 
Gedanken gefaßt hatte, dem tapfern General Deſair 
ein würdiges Grab auf dem Gipfel der Alpen zu er- 
richten, wird Euch nicht unbekannt fein. Hier nun 
babe ic den offictellen Bericht über die großartige 
Beifegung des großen Kriegers.“ 

„D, nur mitgetheilt,” bat Armand dringend, 
und ber Doctor las wie folgt: 

„Der fterbende Defair Lied dem erften Conful 
jagen, er bebaure, für feinen Ruhm nicht Lange genug 
gelebt zu haben, und von bdiefem Augenblide an 
faßte der Sieger von Marengo den Entſchluß, De— 
ſaix's Schidjal und Befcheivenheit zu widerlegen 
und feinem Namen die Chrenbezeugungen zu erwei- 
jen, die er für fein Leben beſtimmt hatte. eine erfte 
Idee war, das Grabmal zu ifoliren, um eine Art 
Berehrung an .daffelbe zu Tnüpfen, und es in ber 
Stille der ſchwegenden Natur zu errichten, um ben 

2% 


36 


Geift in fich felbft zurüdzuführen, damit ex ſich fam- 
melt, weil man fonft nichts Großes zu thun im 
Stande ift, und das Gefühl zu fehr zerftreut, jenes 
ſchmerzliche Vergnügen der Melancholie nicht gewahrt. 

„Diefe Betrachtung beflimmte ven exften Conful, 
das Hospitium des großen St. Bernhard zur Grab⸗ 
ftätte der Afche feined würdigen Lientenantd auszu- 
wählen. Hier ift ver höchſte ältefte Webergang über bie 
Alpen und bier fteht der Thron des ewigen Winters 
von Schnee und Eis, und der einfürmigen Nakur 
kündigt nichts den Wechſel der Jahreszeiten an, als 
im höchſten Sommer die donnernden Lawinen, bie 
Werkzeuge neuer Zerftörung. Hier, wo Alles Schreden 
einflößt, die Stille wie das Geräuſch, wo endlich bie 
zwei einzigen Zufluchtsorte, in die fih das eben 
verbirgt, die Seele durch den Gedanken erfchüttern, 
daß fie ewig nur die Wohnung des Schmerzes find. 

„Defair felbft fchien bei der Betrachtung ber 
eguptifchen Wüften diefe Wahl angedeutet zu haben, 
indem er bie Worte öfter wiederholte: „Dieſer 
Schauer der Natur ift das Aſyl des Todes und ber 
Friede der Gräber.” 

„Rad der Schlacht bei Marengo befahl der erite 
Conſul ein Denkmal zu errichten, deſſen Größe feine 
Anhänglihkeit an Defair und ven Schmerz, mit'wel- 
hem er feinen Berluft beehre, bezeugen folle. Der 
Kaifer erwartete die Vollendung vejjelben, um es 
durch ein militärifches Feſt und duch eine Todten— 
feier einzumeihen. Er hatte dazu den Gedächtnißtag 
des glorreihen Todes Desjenigen beftimmt, dem es 

galt, und er wollte felbft diefe Todtenfeier erhöhen, 
dadurch, daß er felbft ven erften Stein zu dem Orab- 
male legte. Nachdem er dieſe Ceremonie in ber Ab- 


aG verichoben hatte, die Pracht deſſelben zu werherr- 


37 


lichen, fetten fi) Verhältniffe feinem Entfchluffe ent⸗ 
gegen und der Kaifer wählte ven MarihallBerthier, 
um ihn in feinem Namen auszuführen. 

„Der Leichnam de8 General Defair war nad 
ber Schlacht bei Marengo nıh Mailand gebradt, 
daſelbſt einbalfamirt und in einen bleiernen Sarg ge- 
legt worden. Er verblieb in dem Klofter St. An— 
gelo, wo man ihn mit der Sorgfalt und Achtung 
bewachte, welche folche Leberrefte einflößen. Eine Ab- 
theilung vom zwölften Jägerregimente zu Pferde hatte 
bie Weifung erhalten, den Sarg, welder ven Leich⸗ 
nam des Helden barg, bis an den Fuß des großen 
St. Bernhard zu begleiten, und eine Abtheilung 
vom fünften Linienregimente folgte demſelben bis in 
das Hospitium. Hier wurde er bis zum Tage der 
Feterlichkeit in der Kirche bewacht. | 

„Diefe begann mit einem feierlihen Hochamte, 
welchem der Marſchall Berthier, die Generäle 
Menou und Roftolan, fo wie die Offiziere ihres 
Stabes beimohnten. ’ 

„Rad der religiöfen Handlung ward der Teich 
nam durd) Militärperfonen in die Gruft der Kapelle 
getragen, in weldher das Denkmal errichtet iſt. Vier 
Stabsoffiziere hielten beim Zuge das Leichentuch. Die 
Mufif begann einen Trauermarfh, und nad ber 
Veterlichfeit hielt der Marſchall Berthier eine Rede, 
worauf jeder Soldat einen Lorbeerzweig in bie Gruft 
warf. Eine kriegeriſche Muſik, der ein Flintenfeuer 
folgte, endigte diefe erhebende Handlung. 

„Aus der Kiche begab man fih nad einem 
Circus, der mit Cypreſſen und Fahnen ausgeſchmückt 
war, auf welchen letztern jedes Gefecht und jeber 
Sieg des Todten eingeftidt waren. In dieſem Circus 
hielten die Soldaten kriegeriſche Kampfipiele, wo bie 


38 


Sieger goldne Münzen mit dem Bilbniffe des Kai- 
ſers erhielten. Der Thron Napoleon’8, welden 
Berthier einnahm, und die coloffale Büſte von 
Defair fanden auf Hügeln.“ . 

„Run frag’ ich,“ ſprach Bonorand, nachdem er zu 
Ende gelefen, „ob Napoleon nicht die Zeiten des Al: 
terthums herauf beſchwört; diefer Mann mag vornehmen 
was erwill. Allesträgt den Stempel des Großartigen, und 
viele feiner Handlungen athmen eine Poeſie, wovon ſich 
unfere heutigen Poeten nie haben Etwas träumen laffen. 

„Da ih aber einmal von Poefte ſpreche,“ fuhr 
er fort, „So wil ih Eud ein paar recht hübſche 
Berslein mittheilen, welche auf den Abmarfch der 
Armeen von Boulogne gebichtet find. Unter dem 
Titel: „Adieux d’un grenadier aucamp de Boulogne“ 
circulirte in Paris von einem dafigen Vaudevillendichter 
ein Gedicht, deſſen Iette zwei Strophen aljo lauten: 


„Sans adieu, peniches, bateaux, 
Prames et canonieres. 

Qui deviez porter sur les eaux 
Nos braves militaires! 

Vous, ne soyez pas si contens 
Messieurs de la Tamise: 
Seulement pour quelques instans 

La patrie est remise! 


Nous aurons souvenir de vous, 
Habitans de Boulogne! 

Mais pour le retour garde nous 
Du Bordeaux du Bourgogne! 

Nous songerons & vos appas; 
Aimables Boulonaises: 

Les Allemandes ne font pas 
Oublier les Frangaises |“ 


„Gar nicht übel,“ geftand Armand, „bod) befter 
Freund, damit wir nicht das Eine über dad Andere 
vergefien, wo habt Ihr Euer Domicil aufgefchlagen?“ 


39 


„Vor der Hand,“ erwiederte Bonorand, „im 
Gaſthauſe zu Abukir; übrigens bildet Euch ja nicht 
ein, mid für heute Nacht los zu werden; id) ver- 
fpüre nicht die geringfte Luft, mich in diefer trans. 
atlantifchen Finfternig mit den Händen nad) der Stadt 
zu greifen. Ic gevenfe meine müden Glieder auf 
Euer bequemes Sopha auszuftreden, damit Baſta.“ 

„Da8 wares ja eben, weshalb ich fragte, und warum 
ih Euch bitten wollte,’ ſprach Armand; „wir michen 
es wie in Paris, wenn und Konftant erzählte.” 

Der Doctor war aufgeftanden und an's Fenſter 
getreten. | 

„Das ift ja,” ſprach er, „mit einem Male eine 
undurchdringliche Finfternifß geworden, man exrfennt 
bie Hand vor den Augen nidt, und vor Kurzem noch 
leuchteten die Sterne ſo freundlich.“ 

„Die Witterung wechfelt fehr ſchnell,“ erwieberte 
Armand, „und das mag auch ver Grund fein, daß 
bie Fieber fo häufig und gefährlich auf Do mingo find.” 

„Und wie dad Meer rauſcht,“ fuhr Bonorand 
fort, „man bört deutlih, wie es fih an ben Ufer— 
felfen briht. Wenn der Conftant wüßte, daß mir 
bier fo traulich beiſammen ſitzen, wer weiß, wie tief 
der ſchon in Deutſchland drinnen ſteckt.“ 

„Wenn habt Ihr ihn das letzte Mal geſprochen?“ 
frug Armaub 

„Unmittelbar,“ erwiederte der Doctor, „ehe die 
Reife nad) Deutſchlanv ging. Da hat er mir noch 
ein paar recht drollige Scenen aus dem Privatleben 
des woiters mitgetheilt.“ 

Das trifft ſich ja charmant,“ lächelte Armand, 

„nur heraus damit, theurer Freund, Ihr kommt heut’ 
einmal nicht los, wenn es Mittheilungen aus ber 
alten Welt betrifft. “ 


40 


„Napoleon,“ fprah Bonorand, „hatte im 
vorigen Winter den dringenden Bitten des fpanijchen 
Botſchafters nachgegeben und verfprocden, auf dem Mas— 
fenballe, welchen diefer Diplomat veranftaltet, zu erſchei⸗ 
nen. Der genannte Diplomat fteht befanntlid wegen 
feiner Bälle bei der Parifer vornehmen Welt in hohem 
Rufe, denn er verfteht e8 hauptſächlich, von feinem un- 
geheuren Reichthum mit Geſchmack Gebrauch zu machen. 
zEines Morgens fagte daher der Kaifer zu feis 
nem erften Kammerbiener: „Sonftant, ich bin ent- 
ſchloſſen, dieſen Abend bei dem fpanifchen Botſchafter 
zu tanzen. Sie ſchaffen heut' zehn verſchiedene Anzüge 
in das Zimmer, welches der Spanier für mich hat 
in Bereitſchaft ſetzen laſſen. Conſtant gehorchte 
und begab ſich am Abende mit Seiner Majeſtät zum 
Hotel, wo der Maskenball ſtatt finden ſollte. Er 
legte dem Kaiſer einen ſchwarzen Domino um, und 
gab ſich alle Mühe, die Geſtalt ſeines Herrn ſo un— 
kenntlich wie möglich zu machen. Alles lief gut ab, 
ungeachtet einer großen Menge von Bemerkungen von 
Seiten des Kaiſers über die Abgeſchmacktheit der 
Verkleidung, über die ſchlechte Haltung, welche ein 
Domino gewähre und dergleichen. Conſtant machte 
ihm bemerklich, daß auch die Fußbekleidung unfennt- 
lich gemadyt werben müßte, aber Napoleon wollte 
ſich dazu unter keiner Bedingung verftehen. Was war 
die Folge? Seine Majeſtät wurde ſogleich erkannt, 
als Dieſelben in den Saal traten. 

„Napoleon geht, wie ſeine Gewohnheit iſt, mit 
auf dem Rücken geſchlagenen Händen, gerade auf eine 
Maske los und will eine Intrigue anknüpfen; aber 
bei der erſten Frage, welche er thut, antwortet man 
ihm mit „Sire.“ Verdrüßlich kehrt er um und 
fommt wieder zu Conftant. „Sie haben Recht, Con⸗ 


41 


ftant,“ fpridt er, „man hat mich erfannt. Holen 
Sie mir Halbftiefeln und einen andern Anzug.“ 
Conftant holte ihm Halbftiefeln, verkleidet ihn von 
Neuem und empfiehlt hauptfählih, die Arme herab- 
hängen zu laflen, wenn er nicht auf den erften An- 
blick wieder erfannt fein will. Der Raifer verſpricht, 
Conſtant's Berhaltungsregeln, wie er fie nennt, 
genau in allen Stüden zu befolgen. Aber faum ift 
er wieder in den Saal getreten, als auch feine Hände 
wieder auf dem Rüden ruhen. Eine Dame flüftert 
ihm in's Ohr: „Sire, Sie find erfannt!” Sogleich 
läßt er nun die Arme fallen; aber es ift fchon zu 
fpät und Jedermann tritt ehrfurchtsvoll zurüd, um 
ihm Platz zu machen. Er ehrt nochmals auf fein 
Zimmer zurüd, kleidet fid) zum dritten Male um 
und verjpricht feierlich, diesmal auf feine Geberden 
und feinen Gang Acht zu haben. Er erbietet fich zu 
wetten, nicht erkannt zu werben. Diesmal tritt er 
in der That in den Saal hinein wie in eine Caſerne, 
ſtößt und ſchubt Alles um fich her, das fih in den 
Weg ftellt, aber demungeachtet währt es nicht lange, 
und wieder flüftert man ihm in's Ohr: „Sire, Sie 
find erfannt.” Neue Berlegenheit, neue Verkleidung, 
neue Rathſchläge von Seiten Conſtant's, aber int 
mer berjelbe Erfolg, bis er enblid das Hotel des 
Botfchafter8 mit der feiten Weberzeugung verläßt, daß 
er fich nicht verbergen könne und daß der Kaiſer unter 
jeder Berkleivung erfennbar fei. 

„Am andern Tage erzählte er bei Zafel mehren 
Generalen, die er hatte einladen laffen, vie Gefchichte 
feiner Metamorphofen und fcherzte viel über feine 
Ungeſchicklichkeit. Als er auf die junge Dame zu 
fprehen kam, welde ihn am vorigen Abend immer 
zuerſt erkannt und gar arg in Derlegenheit geſetzt 


42 
habe, jagte er: „Sollte man ed glauben, daß ich 
nicht habe erfahren können, wer biefe kleine Spitz— 
bübin gewejen ?” 

„Es war gleihfall8 im vorigen Winter,” fuhr der 
Doctor fort, „als die Kaiferin den Wunſch äußerte, 
einmal auf den Mastenball im Opernhaufe zu gehen. 
Der Kaiſer, den fie bat, fie dahin zu begleiten, 
fhlug e8 ihr ab, troß aller zärtlihen Bitten. Es 
ift befannt, auf welche anmuthige Weife es Joſe— 
phine verfteht, ihre Bitten worzubringen, aber bies- 
mal war Alles vergebens. Der Kaifer fagte gerade 
heraus, er gehe nicht mit. „ut,“ verſetzte endlich 
die Kaiferin fchmollend, „jo befuche ich den Ball ohne 
Dich.“ „Wie es beliebt,“ erwieverte Napoleon 
und verließ dad Zimmer. 

„Am Ubende begab fich die Kaiferin zur beftimm- 
ten Stunde auf den Ball. Der Kaiſer, welcher fie 
überrafchen wollte, ließ eine ihrer Kammerfrauen ru- 
fen, und fih den Anzug Joſephinen's auf das 
Genaueſte befchreiben. Hierauf befiehlt er Conftant, 
ihn als Domino zu verkleiden und fest fich mit 
dem Großmarſchall des Palaftes, mit Berthier 
und Konftant in einen Wagen ohne Wappen. So 
fuhr die Gefelfhaft zum Maskenball. Als fie anlangen, 
toitet e8 große Mühe, Einlaß zu erhalten. Blos 
Conſtant giebt fich zu erfennen, und wird um Na⸗ 
men und Stand feiner Begleiter gefragt. „Oehören 
biefe Herren zu Ihnen?“ fragt die Logenſchließerin. 
„Sie ſehen es ja,” erwiedert diefer. „Verzeihung, Herr 
Conftant,“ entfehuldigt ſich nun die Schliekerin ; 
„aber Sie willen, daß an Tagen wie der heutige, 
oft Leute ohne Bezahlung fi einzudrängen fuchen.” 
Der Kaifer mußte bei diefen Worten laut lachen. End- 
lic, treten fie ein und wandeln zu Zweien. Gie ha- 


48 


ben fi faljhe Namen gegeben. Der Kaifer beißt 
Auguft, der Großmarſchall Franz, Berthier 
Karl und Conftant Joſeph. Sobald Napo- 
Leon einen Domino bemerkt, welcher demjenigen glich, 
den ihm vie, Kammerfrau ver Kaiferin befchrieben, 
drückt er jedesmal Conſtant ſtark in Arm und fragt: 
„Iſt fie es?“ „Nein, ja, nein, Auguft,‘ erwiebert 
num der Kammerdiener, der fi) durchaus nicht daran 
gewöhnen Tann, den Kaiſer Du zu nennen. Die 
beiden Paare drehen fi) eine Zeit lang im Saale um- 
ber, durchſuchen alle Eden, Toyers und Logen, ohne 
Iofephinen zu entveden. Der Kaiſer geräth in 
Deforgniß, wird aber durd) Conftant beruhigt, wel- 
Her ihn vorftelt, daß Ihre Majeftät unfehlbar bie 
Kleidung gewechſelt habe. 

Während man noch fucht, tritt ein Domino auf 
Napoleon zu, ver fih an ihn anfchliekt, mit ihm 
ſpricht, ihn in Verlegenheit fest und äußerſt zudring⸗ 
lich wird, fo daß ſich Auguft faum länger halten 
Tann. Die Berlegenheit des Kaiſers ſoll höchſt poffir 
id gewefen fein. Der Domino, welder viefe Ber: 
legenheit bemerkt, verdoppelt nun feine Wige und 
Spottreden, bis ex endlich glaubt, es fei an der Zeit 
aufzuhören; er verſchwindet plöglih im Masfenge- 
wühl. Der Kaifer athmet auf; er ift höchſt aufge⸗ 
kracht und auf das Empfinplichfte beleidigt. Er hat 
genug und verläßt fogleih den Ball. 

Als er am folgenden Morgen die Kaiferin erblidt, 
fpriht er: „Du warft geftern nicht auf dem Masfen- 
balle!“ 

„Wahrhaftig ich war da,“ erwiedert Joſephine. 

„Wie? Nein!“ ruft er. 

„Ich verſichere Dich aber, daß ich da geweſen 


\ 


44 


bin; und Du, mein Freund, was haft Du den gan- 
zen Abend gemacht?” 

„Ich habe gearbeitet,” ift die Antwort des Kaifers. 

„Das ift doch ſonderbar,“ verfegte Joſephine; 
„ich ſah geftern auf dem Balle einen Herrn ber ben 
nämlihen Domino und die nämlihe Fußbekleidung 
hatte wie Du; ich Habe ihn für Dich gehalten und 
daher viel mit ihm gefproden.“ 

„Jetzt mußte Napoleon laden, al® er inne 
ward, daß e8 feine Gemahlin felbft gewejen war, vie 
fih die geftrigen Scherze mit ihm erlaubt hatte. 

„Die Bermuthung Conſtant's war nämlich ganz 
vihtig geweſen und bie Kaiferin war gleich zu An: 
fange in einem andern Kleide erfchienen, als in dem 
früher beftimmten, weil fie das eritere nicht geſchmack⸗ 
voll genug gefunden.“ 

Armand hatte ſich an dieſen und ähnlichen Anec- 
doten, welche der Doctor mittheilte, wahrhaft amüſirt, 
denn er intereſſirte ſich faſt leidenſchaftlich für Alles, 
was unmittelbar die Perſon Napoleon's betraf. 
Als daher der Erzähler zu Ende war, dankte er dem— 
felben herzlich und bat ihn zugleich, ſalls er noch ähn⸗ 
liche Geſchichten in Petto habe, damit ja nicht hin⸗ 
ter dem Berge zu halten, weil ſich dieſelben auf Do— 
mingo noch weit angenehmer mit anhörten als ſelbſt 
zu Parıs. 

Bonorand geftand, daß vor der Hand fein Vor: 
rath erjchöpft fei, und Armand drang auch nidt 
länger in den Freund, der ſich nad Ruhe zu jehnen 
ſchien. 

Die nächſtfolgenden Tage verbrachten die beiden 
Freunde faſt in ununterbrochener Geſellſchaft mit ein— 
ander. Bonorand konnte dem ſüdlichen Himmel 
ob ſeiner großartigen Vegetation nicht Lob genug 


45 


fpenden; er ſprach felbft den Wunſch aus, für immer 
bier wohnen zu fönnen, blos feiner übergroßen Liebe 
zur Botanif wegen, als ihn plögli eine fleine ge= 
fledte Schlange auf ganz andere Meinung brachte. 

Der Dottor ging nämlich, wie fi von felbft ver- 
fland, täglich botanifiren, froh durch die unwegſam⸗ 
fien Gründe und fcheute fogar gefährliche Felsparthien 
nit. Armand, der ihn faft immer begleitete, warnte 
ihn, fih vor einer Art gefledter Schlangen in Acht 
zu nehmen, bie fi hier nicht felten vorfänvden und 
deren Biß zwar nicht gefährlich, aber doch mehre Tage 
lang Schmerzen verurjache. 

Bonorand lächelte heipenmüthig. 

„Der Wiſſenſchaft zu Ehren,“ ſprach er, „wer 
wollie da nach Gefahren fragen und wären ſie noch 
ſo drohend.“ 

Es war nach dieſen kühnen Worten nicht lange 
Zeit verftrihen, Bonorand ſtack eben wieder tief: 
im Gebüfd und .glaubte eine neue Art Dahlien ent- 
deckt zu haben, als er plöglid einen ungeheuren Sat 
that, auf den Weg hervorjprang und unter feltfamen 
Capreolen umbertanite. 

Armand, welder in einiger Entfernung im 
Schatten .eined Cocosbaumes gelagert war und in 
einem Buche las, kam eiligft herbei, und als er den 
Doctor tanzen fah, errieth er fogleich die Urfache, 

„Ih bin vergiftet,“ rief Bonorand, „eine 
- Schlange hat mid) in die Wade gebiffen; nur fchleu- 
nigfte Hülfe kann mich retten.” 

Mit dieſen Worten rannte er ſpornſtreichs, ohne 
Armand, der ihn zu beruhigen ſuchte, abzuwarten, 
nach Hauſe. Hier ergriff er ſogleich die außeror— 
dentlichſten Rettungsmittel. Die Wunde war nicht 
gefährlich, aber der Verwundete konnte, wegen ſeines 


46 


gefchwollenen Fußes, mehre Tage das Zimmer nicht 
verlaffen. Während viefes Stubenarreftes ließen es 
fih die Moskito's ſehr angelegen fein, dem guten 
Doctor die Zeit nicht auf das Angenehmfte zu ver- 
treiben. Dabei war aud die Hige unerträglid. Kurz, 
faum waren act Tage in’8 Land gegangen, ald Bo- 
norand Domingo und den transatlantifchen Him- 
mel höchſt überbrüffig hatte, und fi) noch weit mehr 
nah Europa fehnte als Armand. Ä 

Letzterer ging bereit8 mit erfter Gelegenheit nad 
ber alten Welt unter Segel, während der Doctor 
noch drei Wochen länger auf der Inſel verweilen 
mußte. Er ging in bdiefer Zeit wohl noch zumeilen 
botanifiren, aber nie anders als in ungeheuer langen 
Stiefeln von Elendshaut, und außerdem noch gepan- 
zert wie ein Ritter der Vorzeit. 


Drittes Kapitel. 


In Italien hatte Oeſtreich ſeine Hauptkräfte gegen 
Frankreich vereinigt. Aber die Schnelligkeit der Er— 
fcheinung der Tranzofen auf deutſchem Grund und 
Boden war allen Borausfegungen des öftreihiichen Ka— 
binet8 vorangeeilt. ' 

Kaum hatte fih der Erzherzog Carl zu feinem 
Heere begeben, als man ihm befahl, zahlreihe Ba⸗ 
tatllone davon herzugeben, um fie nad Deutſchland 
zu fchiden. Unficher über den Ausgang des ſchon 
bei Ulm begonnenen Kampfes, hatte der Erzherzog 

a Maffena einen Waffenſtillſtand bis 


47 


zum achtzehnten Dectober angetragen; und biefer PVor- 
ſchlag fagte dem franzöfifhen Generale um fo mehr 
zu, als er an der Eifh nur gegen funfzigtaufend 
Mann hatte und viefe Frift binreihen fonnte, wenn 
auch nicht zur Ankunft, doch zur Annäherung des 
Corps, das General Gouvion Saint Cyr aus 
Neapel, in Folge des mit der ficilianifhen Majeftät 
abgefchlofjenen Neutralitätsvertrags, zuführte. 

Maffena’s Kräfte waren vertheilt in ſechs Di- 
vifionen Fußvolf, befehligt von den Generalen Du- 
hesme, Sardane, Bervier, Partouneaur und 
Serras; in drei Divifionen Neiterei unter den Ge: 
neralen Bully, Mermet und Espagne Diefe 
Bertheilung war Maſſena's Werk, obgleich tbeil- 
weife den Angaben des Saifers entfprehend, N a= 
poleon hatte nur mittelbare Anweifung gegeben, bie 
dem Marfchall völlige Freiheit im Handeln Tiefen. 
„Commandirte ih das Heer in Italien,’ fchrieb er an 
ben SKriegsminifter, „ſo würde ich bie und die Anorb- 
nung treffen.‘ 

Diefe Thatfache beweiſ't, wie taufenb andere, welche 
Küdfichten der Kaifer denen feiner Stellvertreter zeigte, 
die Ansprüche auf fein Vertrauen hatten. 

Nah Ablauf des Waffenftillitandes erzwang Maf- 
fena den Uebergang über die Etſch, troß der herz= 
haften Bertheibigung von Seiten der Deftreicher und 
machte funfzehnhundert Gefangene. In Folge Des 
Befehls aber, jeine Bewegungen nad) denen bed SHee- 
res in Deutſchland einzurichten, ftellte Marſchall Maſ⸗ 
fena fein Vorbringen ein. Erſt eine Woche fpäter 
griff er wieder an und brängte die Deftreicher, welche 
einen Derluft von zweitaufend Mann erlitten, bis 
zum Dorfe Bago zurid, 

Erzherzog Carl Hatte bei Caldiero eine furdit- 


48 


bare Stellung inne. Seine Rechte dehnte ſich bis zum 
Dorfe San Pietro, feine Linfe bis zur Etſch. 
Seine Referve, weldhe bei Billa Nova lagerte, bes 
fland aus vierundzwanzig Örenadierbataillonen und 
fünf Neiterregimentern. 

Maffena griff auf der ganzen Linie an. Das 
Dorf Caldiero wurpe genommen. Jetzt rüdten die 
öftreichifchen Neferven vor, desgleichen die franzöfifchen. 
Maſſena fiegte. Die Deftreicher wurden bis an ben 
Fuß der Feldfchanzen verfolgt, die fie jenfeite Cal⸗ 
Diero aufgeworfen und ließen über breitaufend Ge— 
fangene nebft dreißig Stück Geſchütze in den Händen 
der Sranzofen. Erzherzog Carl trug einen Waffen- 
ſtillſtand am zur Beerdigung ber Todten. 

Durch eine gefhidt ausgeführte Bewegung ber 
franzöfifhen Divifion Serras wurde ein Corps von 
fünftaufend Deftreihern völlig abgefchnitten und mußte 
fi) ergeben. Die Offiziere wurden, wie es in Deutſch⸗ 
land ‚ver Fall war, auf's Ehrenwort entlaffen. 

Dieſes Creigniß, jo wie die unglüdlichen Nach— 
richten, welche von der Armee des Generald Mad 
aus Deutfhland einliefen, beftimmten den Erzherzog 
zum Nüdzuge. Er zog fih durch Montebello nad 
Bicenza- zurüd. 

Die Franzofen drangen nad) Erftürmung der leg- 
ten Etabt, welche der Erzherzog in der Eile hatte 
befeftigen Iaffen und woſelbſt man mehre taufend 
Mann Gefangene machte, an die Brenta vor, wo 
fih ein Kanonenfeuer von einem Ufer zum andern 
entjpann, das die ganze Nacht dauerte. Nach Be— 
fiegung auch dieſes Widerſtandes und nach dem Ueber— 
gang über die Piave ſchienen die Oeſtreicher am 
Tagliamento eine feſte Stellung nehmen zu wol- 
len. Sechs Regimenter Cavallerie, vier Regimenter 


49 


Fußvolk und dreißig Kanonen fäumten das linke Ufer 
des Fluſſes. 

Maffena faßte jegt den Entſchluß, den Erzher⸗ 
zog zu umgehen, und traf darnach feine Maßregeln. 
Letzterer aber errieth dieſe Abfiht und ſetzte feinen 
Rückzug auf der Strafe nah Palma Nova fort. 

Seitdem fiel zwifchen den feindlichen Heeren fein 
ernftliches Gefecht mehr vor. Die Franzoſen bemädh- 
tigten fi) der Städte Görz und Trieft, ihre Avant« 
garden vor fich hertreibend, welche vereinzelte Haufen 
zurüdgebliebener Deftreicher gefangen nahmen. 

"Zu berfelben Zeit fand im Rüden des franzöft- 
[chen Heeres, das die Deftreiher aus Italien ver- 
trieben hatte, auf derfelben Strafe, . die e8 zurldge- 
legt, ein bedeutendes Gefecht ftatt. Ein Corps Deft- 
reicher, beftehend aus ſtebentauſend Mann Infanterie 
und zwölfhundert Xeitern, befehligt vom Prinzen 
Rohan, einem franzöfifchen Ausgewanderten, war, 
in Folge der Bewegungen der Armee in Deutſchland 
unter Napoleon, - abgejchnitten worden und fam von 
den Tyroler Bergen in der Abficht herab, die Linie 
des framzöfifchen Heeres in Italien zu durchbrechen, 
um fi mit dem Erzherzog Carl zu vereinigen. 

Nachdem er in Baſſano fünfhundert Tranzofen, 
die dortige Befagung, aufgehoben hatte, war Ro⸗ 
ban nah aftel-Franco gelommen. Unterrichtet 
‘davon, daß ein Corps gegen ihn im Anzuge fei, ent- 
ſchloß er fih, demſelben zuvorzukommen und griff «8 
mit großem Ungeſtüme an. Das franzöfifche Corps 
fland unter dem Befehle des eben fo klugen als tapfern 
General Reynier. Der Angriff wurde daher kräf⸗ 
tig erwiedert. Mehrmals erneuert, fand er ſtets noch 
. lebhaftern Widerftand und ſchon war Rohan nahe 
daran, zurücdgeworfen zu werden, als ein polnijches 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXI. 4 


50 


Regiment, das General Gouvion Saint Cyr ab⸗ 
ſchickte, um das ſchon erſchütterte Corps zu umgehen, 
auf einmal daſſelbe gänzlich in Unordnung brachte 
und ſeine vollſtändige Niederlage bewirkte. 

Die Oeſtreicher, von den Franzoſen bis Caſtel⸗ 
Franco verfolgt, verlangten ſich auf Bedingungen 
zu ergeben. Sechstauſend Gefangene, tauſend Pferde, 
ſechs Fahnen, zwölf Kanonen und bedeutendes Ge— 
päck fielen in die Hände des Siegers. Nur fünftau— 
ſend Franzoſen hatten am Kampfe Theil genommen. 
Unter den Polen wurde der Bataillonshef Chlo- 
pidi vom Oberbefehlshaber mit Auszeichnung ge- 
nennt. 

Indeſſen reichten die bi8 Klagenfurth vorge- 
brungenen Avantgarden dem Corps des Marſchall 
Ney, weldes Tyrol inme hatte, die Hand, und fo- 
nach bildete das italienifche Heer den äußerten rech— 
ten Flügel der großen Armee. 

Unmittelbar nad der Uebergabe von Ulm hatte 
ber Raifer Napoleon dem Marſchall Nen aufge 
tragen, Tyrol zu unterwerfen, doch ihm für dieſe 
wichtige Aufgabe nur zwei Divifionen überlaffen. 

Der Marfhall brah von Landsberg auf, er- 
reichte nach viertägigem Marſche ven befeitigten Punkt 
Leuteſch, welcher genommen wurde. Um dur den 
Engpaß von Scharnit zu bringen, mußte Ney zu— 
vor die gleichnamige Veſte erobern, melde won zwei- 
taufend Mann vertheidigt wurde. Die Franzoſen 

. Hatten ſenkrecht auffteigende Felſen zu erflettern und 
erft die Natur zu befiegen, ehe fie zum echten kom⸗ 
men fonnten. 

Das neunundfechzigfte Negiment, eined von de— 
nen, die fih bei Eldhingen am Meiften ausgezeich— 
net hatten, wurde mit biefem Wageftüde beauftragt. 


—— 


51 


Die Soldaten Tiefen fi) vor der fchredenven Gefahr 
nicht einfhüchtern Sie nehmen ihre Zornifter auf 
den Kopf, welche ihnen ale Schild gegen die Kugeln 
oder vielmehr gegen bie Steine dienen, die bie öft- 
reichiſche Beſatzung auf fle herabreguen läßt. Ihre 
Bayonnette, die fie in die Felfenrigen einbohren, vie- 
nen als Sprofien, um bie Hochebene zu erflinmen, 
auf welcher vie Feſtung liegt. 

Das tapfere Regiment formirt fi unter bem 
fuchtbarften Teuer. Man ſtürmt, und bald ift der 
Plat genommen. Nur Hundert zurüdgebliebene Ty— 
roler Schüßen werben gefangen genommen; bie Be- 
fatung hat die Feſtung geräumt und zieht ſich nad 
Innsbruck zurüd. 

Der Marfchall, welcher dies vorausgefehen, hatte 
aber bereit8 eine Heerabtheilung abgefandt, um bie 
Strafe nah Innsbrud abzufchneiden. Die Deft- 
reicher kommen an und wollen fi um jeden Preis 
durchſchlagen, als ihnen plöglih das neunundfechzigfte 
Negiment, welches die Yeftung genommen und auf 
dem Fuße gefolgt ift, in den Rüden fällt, fie zwi— 
Ihen zwei Feuer bringt und zur Uebergabe zwingt. 
Die Franzofen machten actzehnhundert Gefangene 
und eroberten funfzehn Kanonen, 

Mahal Ney zog in Innsbrud ein, wo er 
fechzehntaufend Flinten, große Pulver- und Gejhütes- 
vorräthe erbeutete. Hier fand ein das franzöſiſche 
Ehrgefühl außerordentlich erhebender Auftritt ftatt. 
In einem der früheren Feldzüge der Franzoſen gegen 
die Deftreicher hatte das fechsundfiebenzigfte Regiment 
zwei ahnen verloren. Durch einen Zufall nun wur— 
den diefe beiden ahnen im Zeughaufe von Inn 9- 
brud wieder gefunden. Die Nachricht verbreitete ſich 
mit Bligesfchnelle unter den Soldaten. Alles ftürzte 

& 


52 


_ herbei, dieſe foftbaren Finblinge, deren Berluft man 
fo ſchmerzlich empfunden hatte, zu betrachten und zu 
berühren. Marfhal Ney theilt die Freude feiner 
Zapfen. Er läßt das Regiment unter die Waffen 
treten und giebt ihm mit Feierlichkeit feine alten 
Fahnen wieder. Alte und junge Soldaten ſchwören 
mit Thränen in den Augen, daß fie taufenpmal lieber 
umkommen wollen, als biefe Fahnen zum zweiten 
Dale verlieren. 

Nach vierundzwanzig Stunden Ruhe bricht der 
Marſchall wieder auf, nimmt Botzen und bewirkt 
die Vereinigung des Heeres von Italien mit der 
großen Armee. 

So dringen auf einem ungeheuren Raume ſämmt⸗ 
liche franzöſiſche Armeen gegen die Kaiſerſtadt Wien 
vor. Die fünfundzwanzigtauſend Mann, welche Erz- 
herzog Ferdinand noch vor Umgüngelung Ulms 
aus diefer Stadt geführt hatte, um mit ihnen längs 
der Grenze des fränkiſchen Kreifes Böhmen zu er- 
veihen, waren von den Marſchällen Murat und 
Lannes nah mehren Gefechten faft gänzlich aufge 
vieben worden. 

AS Napoleon davon erfuhr, fagte er: 

„Das war der Gnadenſtoß. Ich hoffe, man wird 
lange Zeit nicht wieder von Deftreihern ſprechen hö— 
ven. — Nun, meine Herren Ruſſen, ftehe ich ganz zu 
euerm Befehl.“ 

Obgleich die ruffifche Avantgarde ſchon bis Pa f- 
fau vorgebrungen war, fo entſchloß fih doch Ku— 
tufow, welcher das erſte große Heer- befehligte, nad) 
ben Nachrichten von Ulm, zu einer rüdgängigen 
Bewegung, um fid) mit der zweiten Armee unter Ge⸗ 
neral Burhövden, die noch ziemlich weit zurück 


I” zu vereinigen. 


53 / 


Prinz Murat, welcher mit feiner Cavallerie ftets 
der Armee voranftürmte, hatte am neunundzwanzig- 
ſten October eine öſtreichiſche Nachhut angetroffen. 
Es kam ſogleich zum Gefecht. Eine ruffiide Divi— 
fion, die in der Nähe lagerte, zog den Deftreichern 
zu Hülfe Die Franzoſen erhalten Succurs durch 
eine Divifion vom Corps des Marihall Davouft. 
Deftreiher und Rufen werben gefchlagen und mit 
Hinterlaffung von einigen hundert Gefangenen in Un- 
ordnung zurädgeworfen. 

Dies war das erfte Mal, wo in dieſem Feldzuge 
Franzoſen und Rufen zufammentrafen. 

Am zweiten November befanden fih Bernadotte 
in Salzburg, Davouft in Lambach, Soult in 
Wels, Tannes in Linz, Marmont umging bie 
Stellung an ver Ems. 

Napoleon glaubte, die Kuffen würden in St. 
Pölten Stand halten, um Wien zu deden. Er ent- 
fandte daher den Marfhall Davouſt nah Steyer, 
um das feindliche Heer zu umgehen; der Erfolg er: 
wies diefe Vorausſetzung als irrig. Kutuſow gab 
Wien Preis und ging bei der Brücke von Stein 
auf das linke Donauufer über. 

Indeß war die Bewegung Davouſt's für die 
Franzoſen nicht ohne Nutzen geweſen. Bei Maria— 
zell ſtieß er auf ein öſtreichiſches Corps unter Ge— 
neral Meerfeld. Nach einem lebhaften Gefechte 
blieben viertauſend Gefangene in den Händen der 
Franzoſen, ſechzehn Kanonen und drei Fahnen. Der 
Reſt des öſtreichiſchen Corps ward zerſtreut und Ge— 
neral Meerfeld gezwungen, ſich mit dem Reſte ſei— 
ner Reiterei zu retten. Marmont rückte in Leo— 
ben ein. 

In der Nacht: vom ſiebenten zum achten Novem- 


54 


ber erſchien der öftreichifche General Giulay, vom 
Kaifer Franz abgefhidt, vor Napoleon, um auf 
einen Waffenftillftand anzutragen. Diefer Antrag ward 
abgewiefen, doch gab der franzöfifche Kaifer dem Ge— 
neral an Franz den Zweiten ein Schreiben mit, 
worin er fi) zu Unterhandlungen für eine enbliche 
Ausgleihung bereit erklärte. 

Nachdem Napoleon in Linz Abgeorbnete bes 
Senats und einen Beſuch des Königs von Baiern 
empfangen hatte, verlegte er fein Hauptquartier nad 
der berühmten Abtei Mölk, welde vomantifh an 
der Donau gelegen. Am Dreizehnten war er in Gt. 
Pölten. 

Der Marfhal Mortier, für den der Kaifer ein 
neues Corps, beftehend aus den zwei Divifionen Du: 
pont und Gazan, gebildet hatte, war bei Linz 
über die Donau gegangen, um am linfen Ufer dieſes 
Fluſſes hinab zu marfhiren. Der General:Ouartier- 
meifter der ruffifchen Armee, die, wie erzählt worden, 
bei Stein die Donau überfchritten hatte, war davon 
unterrichtet worden, daß ein franzöfifches Corps auf 
ber Straße, welde am linken Flußufer - binabläuft, 
heranziehe. Er ließ dieſes Corps bis Dürrenftein 
vorrüden, in der Hoffnung, es zu umzingeln und 
gefangen zu nehmen. Bet der Natur des Bodens 
jhien dieſe Hoffnung unausbleiblih in Erfüllung ge- 
ben zu müflen. Als die vereinzelte Divifion Gazan 
herbeifommt, wird fie ſogleich angegriffen. Sie leiftet 
indeß dem Feind einen fo bewunderungswerthen Wi- 
berftand, daß fie ihm ſechs Fahnen und fünf Kano- 
nen abnimmt. Indeß ift ihre Tage noch immer fehr 
mißlich. Der xuffifhe Obergeneral hat hinter den 
bufchigen Anhöhen von Dürrenftein ein Heer von 
zwölftaufend Mann herangezogen, weldes die fran= 


N 


55 


zöſiſche Divifion abſchneiden und vernichten fol. Mor. 
tier: und Gazan fhidten einen Orbonnanzoffizier. 
nad dem andern an die Divifion Dupont, welde‘ 
noch zurüd ift. 

Die ruſſiſche Heerfäule, welche die Divifion © a: 
zan jest wirfli umgangen hat, marſchirt ihr von 
zwei Seiten zugleich entgegen. Es bedurfte nur noch 
eines Augenblidd, und vie tapfere Divifion wurde 
von der Mafle der Feinde ervrüdt. In dieſer Ver- 
legenheit thut ein Obexoffizier, ver Major Henriod, 
einen :rettenden Vorſchlag. Er machte nämlich bes 
merflih, daß ber obere Weg, auf weldem ver grö- 
Bere Theil des ruſſiſchen Heeres anrüdt, ſehr eng 
und auf beiven Seiten mit einer Mauer von fünf 
Fuß eingefaßt ift; daR eine ungeheure Maſſe von 
Menihen auf dieſem Wege ſich prängt, daß wenn 
man auf diefe fich wirft, man-fie auf einander ftürzen 
fann, fo daß bei dem Drude der beiven Enven auf 
die Mitte, eine fürchterliche Unordnung unter dem Feinde 
entftehen muß und ein ficherer Erfolg für die Fran— 
zofen zu erwarten ift. 

Marſchall Mortier faßt den Gedanken auf. ‘Der 
Angriff erfolgt auf der Stelle, indem man bie Divi- 
fion in Züge abtheilt. Der erfte Zug feuert in Büch— 
ſenſchußweite auf die ruſſiſche Heerfäule, dringt als- 
Dann mit dem Bayonnette vor, während ein zweiter 
und dritter Zug, die immer andere erſetzen, dem Feinde 
feine Zeit zur Beſinnung lafjen. 

Nach drei Biertelftunden eines fürchterlichen Ge— 
metzels ift die Verwirrung unter den Ruſſen fo groß, 
daß die Truppen in der Mitte, zerquetfcht durch die 
Borhut, die mit Gewalt zurüdvrängt, und durch die 
Nachhut, die fie vor fi herdrängt, fein anderes 
Mittel haben, als die Mauern rechts und links zu 


8 


56 


erklettern und ſich in wilder Unordnung zu retten. 
Die Dunkelheit der Nacht, welche den Franzoſen 
günſtig iſt, weil ſie den Feind den wahren Grund 
ſeiner Niederlage verbirgt, erlaubt ihm nicht, von 
neuem Stellungen zu faſſen. | 

Die franzöftfhe Divifion hat Alles, was ſich vor 
ihr fand, vernichtet; in die Flucht getrieben und ift in 
Dürrenftein eingebrungen, als Major Henriob 
auf einmal Kleingewehrfeuer vernimmt. Er rüdt vor 
und ein Hagel von Kugeln begrüßt die Spitze feiner 
Heerfäule. 

„Friſch auf!” ruft er, „ hundertſtes Regiment, 
das ſind Ruſſen, keine Schonung!“ 

Auf diefen franzöfifhen Zuruf antwortet auf der 
Stelle ein anderer in berfelben Sprade: 

„Wir find von Dupont's Divifion! Seid will- 
fommen, wir glaubten Euch Alle gefangen.’ 

Groß mar der Jubel, als fi die beiden Divi— 
fionen wieder vereinigten, von denen die eine nur 
burch ein Wunder dem Untergange entgangen war. 

Doc diefer glänzende Erfolg war theuer erfauft 
worden; die Divifion Gazan hatte zwölfhunbert 
Todte, Verwundete und Gefangene und foger brei 
Adler, die erften in dieſem Feldzuge, eingebüßt. Der 
Berluft der Rufen belief fih auf fünftaufend Mann, 
worunter breizehnhundert Gefangene. 

Der Kaiſer verfäumte nicht, der Diviſion Gazan 
verdiente Lobſprüche zu ertheilen, während er dem 
Prinzen Murat, dem nur fortwährenn Wien im 
Sinne lag, Vorwürfe machte, feine Befehle nicht be- 
folgt und fo mandvrirt zu haben, um den Marſchall 
Mortier unterſtützen zu können. 

„Mein Wille,“ hatte er Murat durch Berthier 


57 


ſchreiben laſſen, „ift nit, daß man fid, wie Finder 
auf Wien losftürze.‘ 

Die Armee des General Kutuſow marfdirte 
nordwärts nah Brünn, um fich mit der ruffischen 
Hauptarmee, welche bei Olmütz angelangt war, zu 
- vereinigen. Hier traf auch fpäter ver Kaiſer Aleran- 
ber ein. 

Nachdem die Ruffen auf diefe Art aus dem Wege 
geräumt waren, drang die große Armee gegen Wien 
vor. Am eilften November rüdte Murat mit der 
Avantgarde daſelbſt ein. Napoleon flug fen 
Hauptquartier in dem nahegelegenen Schloſſe Schön: 
brunn auf. 

So war denn ein großed Ziel errungen, bie 
Hauptitadt des öftreihifchen Reichs befand fih in 
feinbliher Gewalt. Die Beſetzung Wiens pur 
franzöſiſche Truppen ging in aller Ruhe vor fid. 
Die Einwohner waren von ihrem Kaifer felbit auf- 
gefordert worden, feinen Widerſtand zu leiften, und 
die gemäßigten Mafregeln Napoleon's, welder 
feinen Soldaten die größte Achtung für Eigenthum 
und Perfonen einfhärfte, ftellten das Vertrauen bald 
wieder her, fo daß gleih am folgenden Tage alle 
Gefhäfte, die faft nur aus Neugierde unterbrochen 
worden waren, ungeftört fortgefeßt wurden. Der 
deutſche Kaifer hatte fih in's vuffifhe Hauptquartier 
begeben. 

Ungeheuer waren die Vorräthe, welche durch die 
Befisnahme Wiens in die Hände der Franzofen 
fielen. Dieſer große Mittelpunft des Reichs enthielt 
allein zweitaufenn Stück Geſchütze, hunberttaufend 
Flinten, ſechshundert Gentner Pulver, jechshundert- 
taufend Stugeln und hundertfechzigtaufend Bomben.!, 

Der Erzherzog Carl, anftatt daß er hätte vor- 


58 


rüden follen, um die Hauptſtadt zu deden, war be= 
müht, Ungarn zu erreihen. Sogleih fandte Napo- 
leon Truppen nah Preßburg, um eine. Bereini- 
gung der öftreichifchritalienifchen Armee mit den Ruſ⸗ 
fen zu verhindern. Die Marfhäle Marmont und 
Mortier hielten die Straßen von Ungarn und Ita= - 
lien beſetzt. 

Aber trotz dem ſich die Hauptſtadt Oeſtreichs in 
Feindes Hand befand, fo war das Schickſal der Mo- 
nardhie noch nicht entſchieden. Die beiden ruſſiſchen 
Hauptarmeen und die Trünmer der öftreihifhen Ar⸗ 
mee, breißigtaufend Mann ftark, bezwedten eine Ber- 
einigung, um für die zahlreichen Niederlagen Rache 
zu nehnten. 

Napoleon zögerte keinen Augenblid, mit feinem 
Heere gegen den ruffifchen Koloß aufzubrechen. 


Viertes Kapitel, 


„ Mein Herr kaiſerlich-königlicher Kanonier vom 
vierten Regiment, wollen Sie wohl die Gewogenheit 
haben und dieſe beiden gewichtigen Scheite da in 
den deutſchen Kachelofen ſchieben, ich glaube, das 
wird in Betreff eines erhöhten Wärmegrades nicht 
ohne Nutzen ſein. Alsdann nehmen Sie wieder Platz 
und wir ſprechen weiter.“ 

Dieſe Worte ſprach Herr Morland, ver Ser- 
ggint der Gardegrenadiere, zu dem jungen Napo— 
leon Maillebois, dem Artilleriften, welcher gelom= 


59 


men war, dem Deteranen in feinem Quartier zu 
Wien feine Aufwartung zu machen. 

Der junge Napoleon war auf der Kriegsfchule 

zu Saint Cyr bereits hinlänglich an militairifche 
Disciplin gewöhnt, jo daß er fogleih wie ein Blitz 
auffuhr, um den Wunfch des Höhergeftellten auf Das 
Pünftlichfte in Ausführung zu bringen. Er ſcharrte 
mit einer eifernen Krüde die glühenven Kohlen zu- 
ſammen, legte trodne Spähne darauf, und auf dieſe 
die afl- und kienreichen Holzflüden, dann blied er 
durch das fleine Ofenthürlein und bald ftanden bie 
Sceite in prafielnder Flamme. 
Alls der Sergeant das wohlthuende Gepraflel ver 
nahm, ftrih er fih den Bart und fprad: „So ein 
deutfcher Ofen ift etwas werth, er ift für dieſen aſch⸗ 
grauen Novemberhimmel wie gefhaffen. In Egppten 
wär er nit an Ort und Stelle.‘ 

„Da mag’s heiß fein,” fprach der junge Mail- 
lebois. 

„Das iſt eine von denjenigen Bemerkungen,“ er⸗ 
wiederte Morland, „die Deiner Einſicht, kaiſerlich⸗ 
tönigliher Kanonier vom vierten Regiment, zur 
Ehre gereihen. Allerdings, es ift fehr heiß in bie- 
ſem Lande.” | 

„Und in Deutfchland um fo fälter,” verjeßte der 
Artillerift. | 

„Rotabene, im Winter,” erklärte kenntnißvoll der 
Beteran, „bie Sommer bier zu Lande find warın 
und mild.“ 

„Uebrigens,“ fuhr er nah einer Paufe fort, 
währenn Napoleon's Blide mit Chrfurdt an fei- 
nen Rippen hingen, „fragt der Soldat weder nad) 
Sommer noch Winter; alle Jahreszeiten find ihm 


60 


gleih, wenn es gilt, ‚bie Feinde Frankreichs und des 
„ Raiferd zu vernichten.” 

„Da, die Ruſſen!“ vief ber Artilleriſt mit Feuer, 
„ich wünſchte, ich hätte fie alle wor meinem Sechs—⸗ 
pfünder, he, das ſollt' eine Luft fein!‘ 

„Rur Mäfigung, junger Mann,” ftrafte Mor- 
land mit ruhiger Weberlegenheit, „nicht Tappen in's 
Blaue. Erſt Strategie, Flankenmärſche, Cernirung, 
dam cent pièces du canon auf einen Punkt, und es 
kommt Keiner davon. Darauf verlaß Dich, mein 
Sohn.“ 

„Wird es denn nicht bald zur Schlacht kommen, 
mein Herr Sergeant?“ frug Napoleon. 

„Wir wollen ſehen, je nachdem,“ ſprach Mor- 
land, fich ſiegesſicher auf dem Sopha ausſtreckend. 
„Wie mir geſtern Seine Majeſtät vorkam, ſo ſcheint 
Sie mir die Idee zu haben, die Ruſſen gefangen zu 
nehmen, wie ein Bolt Staare, und zwar ohne viel 
Bataille.“ 

„Alſo wie bei Ulm die Deftreiche, “ſprach ber 
Kanonier. 

„Sehr richtig!‘ erwieberte der Veteran, „mie bei 
Ulm bie Deftreiher. Die Garde bat in dieſem 
nichtsnutzigen, aber glorreihen Feldzuge noch feine 
Patrone verſchoſſen. Da liegen wir nun in Wien 
und ber Kaifer hat jo zu jagen ganz Deftreih fammt 
feiner Armee in der Taſche.“ 

„Unfere Batterie hat fchon zweimal auf die Ruf 
fen gefeuert,” verfette Napoleon. 

„Bagatelle,“ grämelte ver Veteran, „hat nichts 
zu bedeuten, kann nicht in Betracht gezogen werben 
bei einem Feinde, der nicht Stich hält.’ 

Der alte Grognard, dem es ärgerte, daß fich ber 
kaum ver Kriegsfchule entlaufene Artillerift etwas 


61 


Darauf zu gute zu thun fchien, auf die retirirenden 
Ruſſen eine Kanone abgefeuert zu haben, hielt es für 
feine Pflicht, dem Quaſirekruten etwas den Daum 
auf’8 Auge zu drücken und ihn feine fuborbinicte 
Stellung fühlen zu laffen. 

„Mein Herr Ffaiferlich-königliher Unterfanonier 
vom vierten Regiment,“ begann er, „wollen Sie wohl 
gefälligft noch einmal ihr toupirtes Haupt, das fi 
troß des Pulverdampfes Ihrer tapfern Batterie ziem- 
lih conjerwirt bat, in die Kochröhre ſtecken, und nad- 
ſehen, ob mein Töpfchen mit Waller noch nicht zu 
brodeln Anftalt trifft?“ 

Der Unterkanonier that wie ihm geheißen und 
berichtete, daß das Waſſer bereits anfange, Blaſen zu 
werfen. | 
„Schön,“ ſprach Morland und ftopfte ſich eine 
Pfeife. Der Xrtillerift, fo wie er dies gewahrte, 
fprang fogleih nad einem Fidibuſſe, weldhen er an- 
brannte und mit folvatiiher Grandezza und Dienft- 
beflijjenheit dem Veteran überreichte. 

Dem Grenadier, obfhon er fie vollflommen in 
ber Ordnung fand, gefiel diefe Art und Weile an 
dem Sohne feines alten Zeltlameraden. Er ließ von 
jest daß „Unter“ bei Kanonier jhinweg und nahm 
mehr eine väterlihe Haltung gegen den jungen Sol—⸗ 
daten an, 

„Madame Maillebois,“ frug er, feine Pfeife 
in Brand ftedenn, „befindet fih doch vollkommen 
wohl?“ 

„sa, mein Here Sergeant,” erwiederte Napo— 
leon, „fie litt zwar diefen Herbft etwas am Yieber, 
doch ift fie jetzt vollkommen bergeftellt.” 

„Freut mic,“ verjeßte der Veteran, „und ber 
Herr Vater?“ 


62 


„Ei der ift ummer auf dem Plate,” ſprach der 
Kanonier, „ver wäre lieber mit in’8 Feld gezogen.“ 

„Ich tenne ihn,” meinte der Garbift, „er war 
nicht der Leste im Gefecht. Und die Herren Brü- 
der?” fuhr er fort. 

„Der Armand,” berichtete Napoleon, „hat 
e8 noch mit den Schwarzen zu thun uf Sanct 
Domingo, und der Guiſeppe ftcht auf dem 
Pluto, Schiffscapitain Cosmao, Station Cadir, 
welches ein fehöner Hafen ift, an der Südſpitze von 

‚ Spanien gelegen.” 

Der Kanonier ahnete nicht, daß er mit ben let- 
ten Worten wieder eine große Unvorfichtigfeit gegen 
den Veteranen fih hatte zu Schulden kommen laffen. 
Morland war nämlich gegen Nichts fo empfind- 
Ich, al8 gegen jede Art Belehrung, die ihm zu er- 
theilen fich ein, jüngerer Militär den Anfchein geben 
wollte. Der Veteran war fih nur zu gut bewußt, 
daß‘ es mit feiner Schulgelehrjamfeit nicht weit her 
war. Machte fih nun ein jüngerer Soldat mit fei- 
ner erlernten Weisheit etwas breit, fo fah Morland 
darin einen verjtedten Angriff. Darum war ihm auch 
Nichts fo verhaft, als die neuern Kriegsfchulen, wo die 
jungen Krieger eine eben fo wiſſenſchaftliche wie practi= 

ſche Ausbildung erhielten. Dergleihen junge Sol: 
daten, hauptfählih wenn fie ihre Kenntniſſe ein we— 
nig mit Abfiht blicken Tiefen, waren dem Gardiſten 
daher in der Welt nichts weiter, als junge Laffen, 
eitle Räſonneurs, Nelintintins, die erft Pulver rie- 
hen follten, tie mit ihrer aufgeblafenen Gelahrtheit 
feinen Hund vom Ofen Iodten und damit weder das 
graue Egypten noch das goldene Italien erobert ha= 
ben würden; und fämmtlihe Grognards ftimmten 
hierin dem Sergeanten Morland, der in biefer 


Pa N 


63 


Angelegenheit gewöhnlich den Sprecher machte, voll 


fommen bei. 

Daher konnte der Kanonier mit feiner geographi- 
ſchen Definition: „Cadir“, ein fhöner Hafen, an 
der Südſpitze Spaniens gelegen,” gar nicht übler an- 
fommen, als bei Morland. Zum Unglück mußte 
legterer bei der Yahıt nah Egypten durch einen 
Sturm jelbft nah Cadir verſchlagen worden fein. 
Alfo er, der mit feinen höchft eigenen Füßen auf den 
Wällen von Cadir auf und ab promenirt war, 
der Intimus des Kaifer Napoleons, er, welder in 
Alten, Africa und Europa für Frankreichs Ruhm 
gefohhten und in Prari mehr Geographie burchge- 
macht hat, als ein Profeflor im längſten Semefter, 
mußte ſich jegt von fo einem, faum der Schule ent: 
laufenen Relintintin jagen lafien, daß Cadir ein 
ſconer Hafen und an der Südſpitze von Spanien 
ege. 

Er blies eine Zeit lang feinen Ingrimm in gewal- 
tigen Rauchwolken von fih. Dann fprah er mit 
majeltätiihem Phlegma: 

„Als ic eines Tages die Umgegend des ſchönen 
Hafens von Cadix durchwanderte, welcher, wie Sie 
jehr richtig bemerken, an der Südſpitze von Spanien 
liegt, fielen mir die prächtigen Hafelgebüfche auf, vie 
bort im reihen Maße wachſen. Der Menih bat 
feine Einfälle; ich wollte mir einige Gerten abjchnei- 
den und fie meinem Freund Maillebois mit neh- 
men, welcher mir immer in den Ohren gelegen, daß 
mit feinen Rangen in Merville kein Auskommen 
fei. Für Sie, mein Herr, und PVice-Supernumme- 
rar-Anhängfel der großen Armee und für Ihr kaum 
fihtbares Körperhen wäre damals wohl ein zartes 
Birkenreis hinreichend geweſen.“ 


64 


Der Kanonier war wie vom Donner gerührt. Er 
fah jett ein, daß er den gewaltigen Tlügelmann ver 
alten Garde beleidigt und wußte im erften Schred 
nit, wie er den Tehler wieder gut machen jollte, 
Es trat eine fehr ſchwüle Paufe ein. Napoleon 
fann ängftlid darüber nad), wie er den Erzürnten wie« 
der verfühnen könne und ſprach: 

„Der Vater hat mir viel von Ihren Seefahrten 
erzählt, Herr Sergeant.” 

„Ale,“ fuhr Morland vol gerechtem Unwillen 
heraus, „mußte man mehr Zaft befiten und mid 
niht wie eimen Quintaner belehren wollen. Ber: 
ftanden ? 

„Das hab’ ih ja auch nicht gewollt, mein Herr 
Sergeaut,“ ſprach in bittendem Zone der Kanonier. 

„Zelt,“ polterte Morland weiter, „ift eine 
Hauptſache beim Soldaten, den lernt man aber nicht 
auf der Schulbank. Gelehrte Solvaten find in ber 
Welt nichts nüge. Wollen oben hinaus und ftoßen 
überall an. Wir fehen’8 an dem Armand, fchwagt 
wie ein Papagei allerhand Zeug, deutjch, britifch, was 
weiß ich, wußte fi was Rechts damit, num fiht er 
unter den Heiden, breitaufend Meilen von hier. Ich 
wußte, daß es fo kommen würde. 

„Ja,“ fuhr der alte Kriegsmann, nachdem er 
feinem Aerger Luft gemacht hatte, um Vieles milder 
fort, „wenn ih mir da den Guiſeppe denfe, das 
it der Soldat, wie er fein muß, ganz der Alte, wie 
er leibt und lebt; hat auch nicht viel gelernt, die 
Wiſſenſchaften und confufen Ideen machen ihm ven 
Kopf nit ſchwer; hat mir oft erzählt, der wadere 
Kerl, wie er von dem Schulmeijter von Merville 
immer die meiften Prügel befommen; drum wird audı 
was aus ihm. Der geht drauf und dran, wenn's 


69 


gilt, und wankt und weicht nicht, eben weil er nicht 
als gelehrtes Thier vorher lange ſimulirt.“ 

„Ich bin aud kein Gelehrter,“ geftand ber Ka⸗ 
nenier, um ſich bei dem Gardiſten wieder etwas in 
Sunft zu ſetzen. 

„Das wäre ſchon was,” ſprach Morland bei 
Weilem ruhiger. 

„Und wenn uur die Ruſſen Stand hielten,“ fuhr 
Napoleon beberzter fort, „Ihr folltet fehen, Herr 
Sergeant, daß ih fo gut wie Guiſeppe mit 
drauf gehe.“ 

„Bei meinem Barte,“ meinte Morland, „wie 
. ih den Guiſeppe kenne, viel kühner Muth. Nun, 
wir werben fehen.” 

„Bei unfern Pıügeleien 'mit den Iungen zu Mer- 
ville, * fügte der Kanonier zu größerer Beglaubi- 
gung feiner Worte hinzu, „waren Guifeppe und 
ih immer die Lebten auf dem Plage.“ 

„Seht 'mal an,” nidte Morland, „und Mon- 
ſieur Armand, der fpielte wohl den VBornehmen ?” 

„Als wir unfre Bataillen lieferten,” erzählte Na= 
poleon, „war ber ſchon auf dem Lyceum.“ 

„Ah fo,“ verlegte der Gardiſt, „und lernte deutſch 
und arabiſch, penfyloanifh, cannibaliſch und wie bie 
verſchiedenen Mundarten alle heißen. Nun, ex kann 
nun Spracmeijter werben unter den Schwarzen.“ 

Der Kanonier, wie lieb er feinen älteften Bruder 
hatte, wagte doch nicht die ſchönen Kenntniffe deſſel⸗ 
ben gegen den ver Gelehrfamfeit abholden Mor- 
land in Schuß zu nehmen. Er begnügte fi mit 
der Bemerkung, daß e8 Armand an Tapferkeit ge- 
wiß nicht fehle. 

„Mag aud darnach fein, diefe Tapferkeit, mein 
Sohn,“ fprad der Grenadier, „ih weiß, was es 

Stolle, fämmtl. Schriften. XXU. 5 


66 


damit auf fih bat. Weit vom Schuß ift gut Hüt- 
ten bauen; nicht wahr? Mußten wir in Eggpten 
die Teberfuchfer nicht ftet3 in bie Mitte der Quar⸗ 
reed nehmen und fie mit unfern guten Bahonnetten 
gegen die Damascener der Mamelucken decken? Eſel 
und Gelehrte in die Mitte, das war Sprihwort. Das 
ift ja eben der Jammer, baß ber Kaifer fo viel auf 
dieſes Bolf giebt. Sie rangiren bei ihm ja zum ©a- 
tan noch vor der alten Garde.“ 

Ter Artilerift fand das, Morland zu Sefal- 
len, ebenfalls unverantwortlid, Er ging fogar fo 
weit, einige bittere Bemerkungen über den Gelehrten- 
ftand laut werden zu laſſen und erhob den Krieger⸗ 
ftand bis zu den Wolfen. Das gefiel dem Be- 
teranen. 

„Du haft ein Einfehen, mein Sohn,” ſprach er, 
„Deine Ideen find Kar und faßlich. Doc ſchwei⸗ 
gen wir von dieſen Scafsfüpfen, ben. Gelehrten, 
ein braver Soldat foll gar nicht fo viel Redens da; 
von mahen Sag’ mir lieber, faiferlicher-Fönigli- 
her Kanonier vom vierten Regiment, wie Du die 
faiferlichebeutihen Mädchen findeft in der Haupt- und 
Reſidenzſtadt Wien? Nach meinen bejahrten fna- 
fterbartigen Anfichten jcheinen verdammt hübſche Din- 
ger da draußen herum zu laufen. Denke Dir, fai- 
jerlid: föniglicher Kanonier vom vierten Negimente, 
gudt geftern ein höchſt vorzüglicher Lockenkopf mit 
ausgemacht ſchönen Augen und einem höchſt ſchätzens⸗ 
werthen Grübchen im Kinn und einem füperben Lä⸗ 
cheln zu meiner Thür herein, welche halb offen ſtand 
und rief: „Je vous salue, mon cher Sergeant!“ 
Ale Wetter, vor allen iſtreichiſchen Kanonen bin ich 
nicht erſchrocken und wären fie in meiner Taſche los- 
gegangen; aber bei dem „je vous salue“ fuhr ich zu— 


67 


fammen und wußte nicht wie mir gefhah. Ich er- 
mannte mic endlich und wollte gegen den ungewohn- 
ten Feind Pofto fallen, aber da war er fchon über 
alle Berge. Das war eine der Tiebenswürbigften 
Heren, die mir in Europa, Afien und Afrika vorge- 
kommen; ich war einen Augenblid fogar ſchwach ge= 
nug, den Wunſch zu hegen, nod der jungenGarde 
anzugehören, obſchon ich dieſe Gelbſchnäbel nicht lei— 
den kann.“ 

Der Kanonier erzählte nun ſeinerſeits, daß ſeine 
Wirthstöchter leibhafte Engel wären, nur daß ſie 
feine Flügel hätten. Er beneide Armand um fein 
Deutia. 

„Run was hilft ihm feine gelehrte Büffelei,“ 
frug Morland, „mitten unter den Kaffern?“ 

Napoleon bradte das Geſpräch wieder auf bie 
Wienerinnen. 

„Allerdings,“ geftand der Gardiſt, „Barbarinnen 
bleiben fie darum immer im Vergleich zu unfern 
Tranzöfinnen; aber ich liebe die Barbarei.“ 

„Auch die Herren Wiener find ganz foharmante 
Leute,” fuhr Morland fort, „vie hätten uns ge= 
wiß feinen Krieg erklärt, wenn ed auf fie anfame. 
Ein Iuftig, lebensfrohes Voll. 

„Waren Sie jhon im Prater, mein Herr Ser- 
geant?” frug der Artillerift. 

„Noch nicht,‘ erwiederte Morlann. 

„Das ift ein Leben, faft wie auf den Barifer 
Boulevards,“ erzählte Napoleon. 

„Wie gefagt, die Wiener wiffen zu leben,” meinte 
der Beteran der alten Garde. „Doch da ift die Nach— 
wittagfonne gar verlodend hervorgetreten aus ben 
grauen Novembernebeln; wie wär's, wenn wir eine 


Heine Promenade madıten? Wollen wir von ber 
3 * 


68 


Parthie fein, mein Herr Kanonier vom vierten Re- 
gffuent 2” 

Napoleon fand fi außerordentlich gefchmeichelt 
durch dieſe Worte des Garbiiten. 

„Kann mir nur zur großen Ehre gereichen,” ver- 
fegte er, „an Eurer Sere zu wanbeln, mein Herr 
Sergeant.” 

„Wohlen,“ fuhr der Veteran fort, „jo wollen 
wir aufbrechen.” 

Die Riefengeftalt Morland's erhob fih jett 
vom Sopha. Er z0g eine ganz neue weiße Pique- 
weile an, welche unter dem Dunfelblau ver feinen 
Uniform ftattlih herworleuchtete, hing feinen Säbel 
um und ftülpte die martialifhe Bärmütze auf den 
Kopf. Der Kanonier erſchrack ordentlich vor dem ge- 
waltigen Kriegsmann. Er mußte aufwärts bliden, 
wollte er den kaiferlichen Garpiften in feiner ganzen 
Pracht und Herrlichkeit überſchauen. 

„Komm, mein Sohn,” ſprach Morland, zum 
Kanonier, als er mit feiner Toilette zu Ende war, 
und die Beiden fliegen auf die Straße hinab. Na- 
poleon wandelte wie ein Knabe neben dem bärtigen 
Goliath. 

Kaum aber waren die zwei Franzoſen ein paar 
Schritte die Gaſſe entlang gegangen, als alsbald ein 
Haufe jugendliche Gaſſenbevölkerung daneben her- 
trabte. 

„Franz, Anton, Joſeph, Stephan,“ mur— 
melte es von nllen Seiten, „ſieh 'mal ven großen 
Gardemann — ei du mein Gott, iſt der groß — ge— 
wiß ein Feldwaibel — nein, ein Offizier — was 
denkſt du denn, das iſt der Tambour-Major — ſeht 
mal den Bart — und der Kleine daneben — das 


69 


ift ein Huſar — ich dächte gar, ein Schüge ifi's, — 
ein Zirailleur — ei wie freundlich.“ 

Ale Leute blieben ftehen und fchauten dem in» 
tereflanten Baare nadı. 

„Seht 'mal, Herr Sergeant,” ſprach der Kano⸗ 
nier, „die vielen Affihes, die der Kaiſer überall 
hat anfchlagen lafjen.” 

Morland, der, da er weder lefen noch fchreiben 
fonnte, einen großen Widerwillen gegen alles Ge- 
Ihriebene und Gedruckte hatte, mochte von ben An- 
ſchlagzetteln nichts wiſſen. 

„Was wird's fein,“ ſprach er, „Polizeigeſchichten. 

„Die Wiener,“ erklärte Napoleon, der die Zet— 
tel geleſen hatte, „ſollen ſich hübſch ruhig verhalten 
und keinen Spectakel anfangen, und die franzöſiſchen 
Soldaten würden die ſtrengſte Disciplin üben, Per— 
fonen und Eigenthum heilig achten.” 

„Ich begreife nicht,” verfegte Morland, „wozu 
man Dinge druden läßt, die fih von felbft ver. 
fteben.“ 

Während fi der Gardegrenadier noch mißbilligend 
über diefe gedruckten Maueranfhläge ausſprach, ent= 
ftand plötzlich ein außergewöhnliches Hin= und Her- 
laufen und aus der Terne erfholl ein taufendftimmi- 
ges „Vive l’empereur!“ 

Der Kanonier gerieth bei dieſem Rufe faft in 
eben fo große Aufregung als der Volkshaufe, melcher 
über Hals und Kopf der Gegend zuftürzte, von wo 
das „Vive l’empereur‘‘ hertönte. 

„Der Kaifer, der Kaiſer kommt,“ rief Napo« 
leon und wollte ven Sergeanten haftig mit fid) fort- 
zehn. | 

„Keine Thorheit,“ erwiederte Morland, ohne 
feinen Schritt im Geringſten zu verändern, „nad 


70 


dem Kaiſer zu rennen, ift Sache der Relintinting, 
ber jungen Confcribirten und des Civil: bie Garde 
wartet, bis er fommt.“ 

Das Geſchrei warb immer betaãubender. und bald 
bog der Kaiſer Napoleon im grauen Ueberrocke und 
auf dem Schimmel reitend, nur von Rapp und Sa— 
vary gefolgt, um die Straßened. Morland und 
ber Sanonier, welchem letstern nicht wenig das Herz 
Ihlug, machten jett Halt und ftellten fih parademä⸗ 
Big zur Seite auf und legten falutivend die Hand an 
ihre militäriſche Kopfbededung. 

Der Kaiſer kam berangeritten und als er Mor- 
land erfchaute, hielt er fein Pferd an. Ein bezau- 
berndes Lächeln ſpielte um ſeinen Mund. 

„Nun,“ frug er, „mein Herr Grenadier, wie ges 
fallen. .wir uns in Wien?” 

„Sehr gut, Ew. Majeſtät.“ 
„Mit Quartier und Verpflegung zufrieden ?” 

"pP arfaitement!“ 

„Was ift der Wirth ?“ 

„Ein Bäder, Site!” 

„Dat er Söhne?” 

” ga!“ 

„Wie viel?“ 

„Zwei!“ 

„Dienen jie?” 

"Der Eine nur, der Andre hilft in der Werk⸗ 
ſtatt.“ 

„Wie mir es den Anſchein hat, ſo frieren der 
Herr Morland etwas.“ 

„Allerdings, Sire, es iſt nicht zum Wärmſten.“ 
„Mir iſt vollfenmen warm,“ fprach der Kaiſer 
auf feinen Oberrock zeigend. 
„Das ift ſehr möglich!“ 


71 


Napoleon's Adlerblick fiel jetzt auf ſeinen Na— 
mensvetter, den Artilleriſten, welcher kerzengrade, re—⸗ 
gungslos und mit verhaltenem Athem neben Mor— 
land ſtand. 

„Parbleu,“ ſprach der Kaiſer, „ut mir recht, da 
ſteht ja der Kanonier, Monſieur Maillebois?“ 

„sa, Ew. Majeſlät,“ erwiederte der Jüngling 
und ſchaute etwas ſchüchtern mit ſeinen großen Augen 
zu Napoleon auf. 

„Aber wie kommt es,“ fuhr erſtrer fort, „ſchon 
fo lange im Felde und noch keine Kanone erobert?“ 

Der Ranonier, ob diefer Trage etwas verdugt, 
fhlug beftärzt die Augen nieder und mußte nicht, 
was er erwiebern ſollte. Morland ergriff an feiner 
Statt dad Wort und fprad: 

„Ew. Majeftät, e8 hat es noch nicht hergegeben.“ 

Der Raifer mußte lachen. 

„Run da halte Did dazu, Kanonier,“ ſprach er, 
„daß wir Deinem Vater in Merville bald etwas Ge: 
fcheutes von Dir vermelden können. Der Armand 


wird auch bald zurüdtommen. Das ift ein ganz bra⸗ 


ver Franzoſe.“ 

Und zu Morland gewendet: 

„Adieu, mein Braver, ein andermal zieh' aber 
Deine Capotte an.“ 

„Sire, es ſoll geſchehen,“ antwortete der Gar— 
diſt; und der Kaiſer ritt vorüber. 

Kaum aber war er eine Strecke dahin, als der 
Kanonier zu toben anfing und in Verwünſchungen 
ausbrach, daß es nicht ſchon morgen gegen die Ruſ— 
ſen gehe. Er träumte von jetzt an von weiter nichts, 
als von Kanonen, die er den Ruſſen abnehmen wollte. 

„Beruhige Dich nur, mein Sohn, ſprach Mor⸗ 


72 


‚ Iand, „Seine Majeftät haben das gar nicht fo ernſt⸗ 
lich gemeint; Du kennſt des Kaifers Art noch nicht. 

„Alſo Monfieur Armand kommt audy wieder?“ 
fuhr er nad einer Pauſe fort, „hm, was man nicht 
hören muß! Ich denke, der ftedt, um fi fein vor= 
lautes Wefen abzugewöhnen, mitten unter den Kaf— 
fen auf St. Domingo? BBegreife nicht, was der 
Kaiſer für einen Narren an viefen hupergelehrten 
Menſchen gefreffen hat. Aha, ich verftehe, wird 
wahrſcheinlich als Dolmetſcher angeftellt werden. Nun, 
ih habe nichts Dagegen. — Aber Kanonier, halt’ 
zum Satan einmal Dein Maul mit Deiner verdammte 
ten ruſſiſchen Kanone. Du denkſt wohl, die kann 
man fo mir nichts Div nichts in die Taſche ſtecken? 
Profit. Da hat Dir doch nun Seine Majeftät einen 
Floh in's Ohr geſetzt. Poſſirlich Kerl'chen, Du und 

ein ruſſiſches Geſchütz.“ 
| „Und id muß doch eine Friegen,” ſprach Napo- 
leon mit dem Fuße ſtampfend. 

„Schweig,“ gebot der Gardegrenabier, „und be= 
tradhte mit Ruhe de den Stephans:hurm, einen fol- 
hen Thum befommft Du fobalo nicht wieder zu ſe— 
ben. Nicht wahr, der ift ein Mein wenig höher als 
ber auf ver Marienfiche zu Merville Das will 
ih glauben.” 

Die Beiden promenirten noch eine geraume Strede, 
endlich aber warb dem Gardiſten die Kälte doch zu 
fatal. 

„Der Kaifer hatte recht,” ſprach er, „ich hätte 
follen meine Capotte anziehen. Er jaß wohl ver- 
wahrt in feinem Grauen auf dem Echimmel. Doch 
ba kommt eine Neftauration gerade recht; komm, Ka= 
nonier, wir wollen und darin ein Wenig wärmen 
und ftärken, “ 


73 


Dem Napoleon kam diefe Aufforderrng nicht uns 
angenehm. Er verfpürte ebenfalls Hunger und Kälte, 
wiewohl die zu erobernde ruffifche Kanone ihn weniger 
daran hatte venfen laffen. 


Fünſtes Kapitel. 


Wahrend noch Napoleon im kaiſerlichen Luftfchloffe 
zu Schönbrunn, als Gebieter über den größten Theil 
des Abendlandes, der halben Welt Gefete dictirt, 
und über bie Karte von Mähren gelehnt, vie Armee 
des Czaren vor fi) hertreibt, da rollt plößlich, mit—⸗ 
ten im Sieg und Elüd von Cap Finisterre ein 
betäubenver Donnerfhlag daher; Napoleon erhält 
die Nachricht von dem Untergange feiner Marine, von 
der furchtbaren Seeſchlacht bei Trafalgar. 

Der Leſer wird fid) noch der großen Scene ent- 
finnen, wo ver Kaifer in Boulogne die Kunde von 
feinem Admiral Billeneuve erhielt, welcher, anftatt 
im Canal zu erfcheinen, nad dem Hafen von Capir 
fegelte, in Folge deſſen Napoleon's großes Unter: 
nehmen gegen England fcheiterte. 

Der Kaifer hatte im erften Zorne dieſen Admiral 
vor ein Kriegegeriht ftellen wollen und felbft fünf 
Anklagepunkte gegen ihn aufgefegt. Bereits war fein 
Nachfolger ernannt worden und Admiral Rofily er- 
hielt den Befehl nah Cadirx abzureifen, um ven 
Befehl über die vereinigte franzöſiſch ſpaniſche Flotte 
zu übernehmen. 

Billeneuve, welcher davon Nachricht erhielt, 


74 


hoffte dieſer Schmach zu entgehen und felbft des Kai- 
jerd Achtung wieder zu gewinnen, wenn er entweber 
glüdlih die ganze Flotte nah Toulon bringe, wo- 
durch Franfreih die Herrfhaft über das Mittelmeer 
erhalten haben würbe, oder, wenn er bie englifche 
Flotte, welhe an den füp-fpanifchen Küften freuzte, 
ſchlüge. Er ſchätzte fie nämlich für bei weiten nicht 
fo ftarf, als fie wirllich war. 
Der Admiral diefer Flotte, der große Nelfon, 
batte die Vorſicht gehabt, ſtets nur wenige Schiffe 
zufammen fehen zu laffen, und darum glaubte fich der 
franzöfiihe Admiral dem englifchen weit überlegen. 
Der Plan des erftern, für den Fall einer Schlacht, 
beftand darin, jedem feindlichen Schiffe ein franzöft- 
fches entgegen zu ſetzen und ungefähr ein Dritttheil 
feiner Kräfte zurüdzubehalten, um fie auf diejenigen 
Punfte zu werfen, die am Heftigften angegriffen wä- 
ven und dadurch den Sieg zu entjcheiden. Er theilte 
feine Schlachtordnung in drei Geſchwader, jedes zu 
fieben Schiffen. Seine ganze Macht beftand aus 
dreiunddreißig Schiffen, achtzehn franzöfifchen 
und funfzehn fpanifchen. 
Admiral Nelfon befehligte fiebenundzwanzig 
Schiffe, folglich ſechs weniger als der franzöfifche Ad— 
miral. In der vereinigten Flotte beſaßen die Spa— 
nier ein Schiff von hundertundzehn Kanonen und 
eins von hundertundvierzig, die berühmte la Santa 
Trinmidat, die ſtärkſten franzöſiſchen führten nur acht— 
zig. Dagegen gebot der engliſche Admiral über drei 
Schiffe von hundertundzwanzig und vier von hundert— 
undzehn Geſchützen. Daher ward die Ueberlegenheit 
der combinirten Flotte in Betreff der Schiffe auf der 
andern Seite durch den Kanonenreichthum ſo ziemlich 
ausgeglichen; ungerechnet des Nachtheils einer Flotte, 


15 


aus zwei Nationen zufammengejett, gegen eine Flotte, 
die eine Gleichheit der Beftandtheile, Aehnlichkeit der 
Schiffsmannſchaft, des Vefehls und der Manöver für 
ſich hatte. 

Die Admirale beider Flotten hatten ihren Capi⸗ 
tainen für den Fall einer Schlacht ihre Anweiſungen 
gegeben. Nelfon’s Inſtructionen verriethen den 
geiſtvollen Mann, der den Kriegswiſſenſchaften neue 
Bahnen eröffnet, Villeneuve's Befehle den gewöhn- 
lihen Kopf, der fih im Gleife des Hergebrachten 
bewegt. 

Am vierundzwanzigſten October verließ die com⸗ 
binirte franzöſiſch-ſpaniſche Flotte den Hafen von Ca— 
dir und formirte ihre Schlachtlinie auf der Höhe von 
Trafalgar. Kaum hatte fie aber Pofto gefaßt, als 
der englifhe Admiral einen Schlachtplan erjann, wel- 
her ver gewöhnlichen Kriegsweiſe auf dem Meere 
ganz entgegen war. Er theilte feine Flotte in zwei 
Divifionen; ven Befehl über die eine, funfzehn Schiffe 
ſtark, übertrug er dem Admiral Collingwoob, bie 
andere, aus zwölf Schiffen beftehend, commandirte 
er perfönlid). In diefer Geftalt rüdte er mit vollem 
Winde an, richtete feinen Lauf gegen einige beitimmte 
Punfte ver franzöfifch:fpanifhen Schladhtlinie und 
fuchte diefelbe zu durchbrechen. 

Billeneuve war nicht ber Mann, der dieſem 
genialen, aber tolldreiſee Manöver im Stande ge— 
weſen wäre, die Stirn zu bieten. Er verſtand es 
nicht, ſeine Streitkräfte gleichfalls zu concentriren, 
um den furchtbaren Stößen der engliſchen Dreidecker, 
die voranſegelten, gewachſen zu ſein. Der engliſche 
Angriff hüllte alsbald Meer und Himmel in ſo un— 
durchdringliche Rauchwolken und Feuerflammen, der 
Donner von nahe an zweitauſend Kanonen rollte 


- 


76 ge 

| Den 

fo betäubend über die Wellen, daß Franzofen und 
Spanier die eignen Signale ihres Admiralſchiffs we- 
der zu fehen noch zu hören vermodten. Ein großer 
Theil der allüürten Flotte blieb dem Kampfe fremd, 
und vermochte nicht, den bedrohten Punkten zu Hülfe 
zu eilen, während die Engländer ihr Ziel unabwend- 
bar im Auge, die feindliche Linie bald durchbrochen 
“Hatten. So löſte fid) von Seiten der Franzoſen und 
Spanier der Kampf alebald in einzelne Gefechte auf, 
während Nelſon ftetS nur mit feiner Gefammtmacht 
mandvrirte. 

Ueberhaupt würden Frankreich und Spanien an 
diefem Tage mehr no als das Materielle ihrer See— 
macht verloren haben, wenn zebn bis zwölf "Capitaine 
aus beiden Nationen nicht durch die fehönften Züge 
des Muthes, trog des Verluſtes, doch die Ehre ge- 
rettet hätten. 

Unter diefen Tapfern verdienen Auszeichnung der 
Contreadmiral Magon, die Capitaine Cosmao, 
Courége und Camus, die Aomirele Gravina 
und Alava; Billeneuve felbft ein eben fo guter 
Soldat als fchlehter Anführer, und befonvers bie 
beiden Helden viefes Trauertags, die Capitaine Yucas 
und Infernet. 

Lucas, der Befehlshaber des Redoutable, ei- 
ned Schiffes von vierundfiebzig Kanonen, im Kampfe 
mit der Victory, einem Schiffe von hunvertund- 
zwanzig Kanonen, auf weldem fih Nelfon felbft 
befand, bot dem englifchen Admiral einen feiner eben- 
bürtigen Gegner dar. Bon beiden Geiten madıt man 
verboppelte Anftrengung zum Enten; man zerichmet- 
tert fi) durch Geſchütz und Gewehrfener. Alles ver- 
ſpricht dem franzöfifhen Capitain: ven Sieg, als das 
engliihe Schiff, der Temeraire, von hundertzehn 


77 


Kanonen, den Redoutable ven der andern Geite 
bedrängend, ihm eine wolle Salve giebt, welche auf 
einmal zweihundert Dann zum Kampfe unfähig madıt. 

Zwiſchen zwei Dreidecker geflemmt, führt das 
franzöfifhe Schiff doch in feiner Bertheidigung fort. 
Sein großer Maſt ftürzt auf den Téméraire, ihm 
folgen die beiden Marſen. Da bricht das Ded des 
Kevoutable duch, die Flammen fchlagen hervor, man 
Löfcht fie und kämpft weiter. Vergebli rufen bie 
Engländer den Eapitain Lucas zu, fich zu ergeben. 
Der Held, obſchon verwundet, antwortet auf dieſe 
Aufforderung durch die legten Kanonenſchüſſe und das 
legte kleine Gewehrfeuer. 

Da naht ein drittes englifches Schiff, welches fich 
quer vorlegt. Erft jest, da das Schiff unter feinen 
Füßen zu verfinfen droht, giebt der. Capitain nad). 
Das Glüd erjpart ihn aber, die Flagge zu ftreichen. 
Der Sturz des Befanmaftes, an melden vie Flagge 
gehißt ift, bezeichnet den Augenblid, wo vie DVerthei- 
dDigung aufhören muß. Der Redoutable ergiebt fid. 
Bon ſechshundertdreiundvierzig Mann, melde feine 
Beſatzung ausmachten, waren fünfhundert zum Kampfe 
unfähig, von dreißig Offizieren dreizehn todt und 
zehn ſchwer verwundet. Aber diefer Sieg Tam Eng- 
land theuer zu ftehen. Er Eoftete ihm feinen größten 
Geehelven, ven Horace Nelfon. 

Ein anderer Mann, der Seitend der Franzofen 
in dieſer furchtbaren Schlacht feinen Namen in das 
goldne Bud) ver Gefhichte fchrieb, war Capitain In— 
ternet, welder die Intrepide befehligte. “Diefer 
heldenmüthige Offizier hielt ſich eine lange Zeit ge- 
gen mehre englifche Schiffe und hatte endlich gegen fünf 
berjelben zu gleiher Zeit zu kämpfen. In folden 
. Augenbliden kann fih der Muth nur durch die Hart- 


18 


nädigfeit des Widerſtandes verberrlihen. Er verlor 
alle Maften, fah an feiner Seite mehr als die Hälfte 
feiner Leute fallen, fügte den Englänvern außerordent⸗ 
lichen Schaden zu, wehrte ſich bis zum legten Augen- 
blide, 618 zu dem Punkte, wo das Schiff zu -finfen 
begann und ihm fein Schlachtfeld mehr darzubieten 
vermochte. . 

Billeneuve batte fih ebenfall® ausgezeichnet, 
doch als bloßer Sciffscapitain. Als er die drei 
Maſten feines Buccentaner nad und nad hatte 
ftürzen fehen, wollte er mit feiner Flagge auf ein an- 
deres Schiff übergehen, in ber Hoffnung, den Kampf 
zu erneuern und vielleicht mit den zehn unverleten 
Reſerveſchiffen zu fiegen. Doch felbft diefes Rettungs— 
mittel war ihm nicht geftattet. Sein Boot, von 
feindlihen Kugeln überjhüttet, wird durch das Zu— 
fammenbrechen des Maſtes zerfhmettert. Cr verlangt 
vergeblih ein Boot von dem fpanifhen Schiffe Ia 
Santa Trinidat. Man verfteht ihn nit und 
läßt ihn ohne Hülfe. Angefchmievet an ein Schiff, 
das nicht mehr fechten fann, und der übrigen Flotte 
unnüg, va er feine Signale geben fann, ift er ver- 
dammt, fi) dem Feinde auszuliefern, um nicht ohne“ 
Amel den Reſt feiner Mannfchaft vernichten zu laſſen. 

Um fünf Uhr Nachmittags, die Schlacht hatte we- 
gen des nebligen Wetters erft in den Mittagsftunden 
begonnen, giebt Admiral Gravina, welcher nad) ber 
Sefangennahme Villeneuve's den Oberbefehl über- 
nommen und ber felbft fchwer verwundet ift, das Zei— 
hen zum Sichwiederſammeln, bringt fünf franzöfijche 
Linienſchiffe, ſechs ſpaniſche, fünf Fregatten und zwei 
Briggs zuſammen und geht während der Nacht beim 
Eingang der Rhede von Cadirx vor Anker. 

Der Contreadmiral Dumanoire verläßt mit 


79 


vier Schiffen, die feinen Theil am Kampfe genom⸗ 
men, das Schlachtfeld, doch in einer andern Richtung. 
Einige Tage darauf wird er auf ber Höhe von Fi- 
nisterre vom englifhen Admiral Sir Richard 
Strachan mit Uebermacht angegriffen und ift ge- 
zwungen, fidy zu ergeben. 

Bald nad) ver erften telegraphiſchen Depefche, 
welche ven Unglüdstag von Trafalgar dem Raifer 
Napoleon verfündete, Tiefen nachſtehende zwei Schrei- 
ben aus Cadir ım franzöfifchen Hauptquartiere ein: 


„Sadir, den 22. October 1805. 

„Unfere vereinigten Flotten, dreiundpreißig Linien- 
Ichiffe, fünf Fregatten und zwei Briggs ſtark, unter- 
nahmen es, am neunzehnten und zwanzigften October 
in See zu gehen, und geftern ſchon gegen Mittag 
wurden fie von der engliichen Flotte, beitehend aus 
fiebenundzwanzig Linienfchiffen und funfzehn Fregat— 
ten angegriffen. Die Schlacht währte den ganzen 
Tag und fonnte von unfern Seewachten eine Zeit 
‚lang beobachtet werden. Es find nod feine genauen 
Berichte eingelaufen. Unfere Linie wurde bald durch 
das Admiralſchiff Nelfon’s, dem noch ſechs bis fie- 
ben Dreidecker folgten, durchbrochen. Unſere Nieder— 
lage ſcheint vollftändig und ohne Beiſpiel. Wir find 
ganz in Trauer und allgemeiner Beftärzung. Eilf 
unferer Schiffe, vier Fregatten und zwei Briggs yin- 
gen heute bei Eingang des Hafens vor Anfer, allein 
da e8 den ganzen Tag regnete und der Horizont um: 
wölft war, jo haben wir von dem ganzen 1leberrefte, 
ber aus zweiundzwanzig Linienfchiffen. und zwei Fre⸗ 
gatten befteht, nichts entdecken können. Nur fo viel 
wiffen wir, daß das eine Linienfhiff, ver Achilles, 
geftern nah der Schlacht in die Luft geflogen ift. 


80 


Man konnte von der Höhe unferer Thürme das 
furchtbare Schaufpiel mit anfehen. Die Winde fom- 
men aus Süb-Dft, find heftig und ſtürmiſch, und es 
ift zu befürchten, daß die Elemente das noch voll- 
kommen zerftören werden, was die Kanonen der Eng- 
länder übrig gelaflen, indem alle entmaftete Schiffe 
ohne Zweifel ftranden, fobald vie Winde, wie ge⸗ 
wöhnlich, wieder ſüdlich ſtreichen. Unter den zwei— 
undzwanzig Schiffen, welche fehlen, befinden ſich auch 
die der Admirale Billeneuve, Magon und Du— 
manoire, und bie ber zwei fpanifchen Aomirale, 
Alava und Cisneros.“ 


„Cadir, den 25. October 1805. 

„Was man von ber vereinigten Flotte hat ver- 
nehmen fönnen, befteht in Folgendem: 

„Franzöſiſche Schiffe: Der Pluto, Schiffscapi⸗ 
tain Cosſsmao, ſehr befchädigt eingelaufen, — Der 
Indomptable, Schiffscapitain Hubert, beögleichen. 
— Der Neptun, Schiffscapitain Meskral, des— 
gleihen. — Der Held, Schiffscapitain PBuloni, 
veögleihen. — Der Ardonaut, Schiffscapitain 
Epron, beögleigen. — Der Algefiras, Contre— 
admiral Magon, ganz entmaftet eingelaufen und im 
übeln Zuſtande; der Contreadmiral ift umgelonmen, 
die Engländer hatten fein Schiff erftiegen und mit 
neuer Mannſchaft verfehen, aber eingewilligt, daß es 
in die Rhede gefchleppt werde, unter der Bedingung, 
felbft nicht als Gefangene betrachtet zu werben. — 
Der Buccentaner, gang entmaftet, ſank bei feiner 
Einfahrt in die Rhede gänzlich. Er befand ſich gleich— 
falls, wie ver Algefiras, in der Gewalt der Englän- 
ber, welche ihn unter berfelben Bedingung hierher 
brachten. Der Admiral Billeneuve, welder ihn 


81 
[4 

commanbdirte, wurde auf ein englijches Schiff gebracht. 
— Der Redoutable, Schiffscapitain Yucas,' fen 
Schickſal gänzlich unbefannt.. — Der Intrepide, 
Sciffscapitain Infernet, fein Schidjal gänzlich un⸗ 
befannt. — Der Montblanc, Schiffscapitain Vil⸗ 
legois, man glaubt ihn verfunfen. — Der Dugnoy 
Trouni, fein Schidjal unbelannt. — Der Adil- 
les ift in die Luft geflogen. Es heißt, ein Theil 
der Mannfchaft fei durch die Engländer gerettet wor— 
den, aber man hat tarüber noch feine Gewißheit. — 
Der Adler, Schiffscapitain Gourege, ganz ent- 
maftet, ging eine Meile ven hier in den Klippen 
vor Anker, ohne daß e8 möglich gewefen, ihm Hülfe 
zu leiften, und es ift fehr zu befürchten, daß er an 
der Küſte fcheitern wird. — Der Jähzornige, 
Schiffscapitain Baudain, man glaubt ihn fünf 
Meilen von hier verunglüdt. — Der GScipio, 
Schiffscapitain Berenger, man fennt fein Schickſal 
nicht. — Der Jupiter, Schiffscapitain Billeman- 
drin, deögleihen. — Der Greif, desgleichen. — 
Die Fregatten: Der Rhein, Hortenfie, Her— 
mione, Themis und Cornelia; die Briggs: 
der Argus und der Brüderliche, befinden fi auf 
ber Rhede. ' 

„Spaniſche Schiffe: Der heilige Juſtus, Schiffs⸗ 
capitain Gaſton, übel beſchädigt eingelaufen. — 
Der Brander, Schiffscapitain Gaſton, desgleichen 
und ganz entmaſtet. — Der Manzanares, Sciffe- 
capitain Gafton, im übeln Zuſtande. — Der Prinz 
von Afturien, Admiral Gravina, ganz entmaftet 
eingelaufen und im fchlimmften Zuftande. Der Ad- 
miral ift am Arme ſchwer verwundet, desgleichen ift 
feinem Generalmajor das Bein zerjchmettert worben. 
— Der heilige Franz von Affifi und Neps 


Stolle, ſämmtl. Schriften. XXU. \ 


82 


tun, ganz entmaftet, famen bis zum ingang ber 
Rhede, allein der Sturm machte‘ fie an den Küſten 
Sort Maria fcheitern; man fürdtet, daß die Mann— 
fhaft ganz zu Grunde gegangen ift. — Die hei- 
lige Anno, General d’Alava, ganz entmaftet, 


ankerte einige Meilen von hier; eime franzöfifche Fre— 


gatte bugfirte fie bi an die Rhede. Diefes Schiff 
befand fic, gleihfall8 in den Händen der Engländer, 
welhe den General d'Alava megen einer jchweren 
Kopfwunde nit auf ihre Schiffe nahmen. — Die 
heilige Dreifaltigkeit, General Cisneros; 
man hat ziemlihe Gewißheit, taß fie verſunken iſt 
— Der heilige Auguftin, man weiß nıcht, wo er iſt. 
— Der heilige Jacob, die Bahama, der hei- 
lige Johannes Nepomuc befinden fi in ber 
Gewalt der Engländer. — Bon dem Scidfale des 
heiligen Idelphons, des Monarchen und des 
Argonauten weiß man nichts. 

„Die Anzahl der Getübteten und Berwundeten auf 
ben wieder eingelaufenen Schiffen ift über alle Be- 
fhreibung groß. Es ift unbelannt, ob man fchon 
eine Zählung vorgenommen hat. Man fah gejtern 
die englifche Flotte, ſechsunddreißig Segel ftark, wie 
fie ihren Lauf nah der Meerenge nahm; vierzehn 
darımter waren entmaſtet. Da die Engländer bie 
Schlacht gewonnen, fo fonnten fie auch Diejenigen 
Schiffe einfangen, welche fid) während des Kampfes 
nicht ergeben hatten, aber fpäter der Uebermacht fei- 
nen Widerſtand mehr leiften konnten. 

„Nelſon durchbrach unfere Linie auf zwei Punf- 
ten, inbem er mit feinen acht Dreideckern eindrang. 
Sein Plan war, Unorbnung zu bewirken und das 
gelang ihm. Man fjchlug fid) pelotonsweife.. Da 
er an guten Matrofen, im Manövriren und an Ge— 
ſchütz das Uebergewidht hatte, mußten wir erliegen.‘ 


85 


Dies waren die großen Ergebnifje der Seefhladht 
von Trafalgar; in ihr erhielt die franzöfifche Ma— 
rine, auf welhe Napoleon fo unermeßlide Sum- 

- mer verwandt und fo große Plane gebaut hatte, den 

Todesſtoß. Binnen wenigen Stunden wurden jahre- 
lange Arbeiten und Anftrengungen ein Raub der 
Slammen und der Wellen. Bon jet an fonnte 
Frankreich feinem Erbfeinde auf dem Meere nicht 
mehr bie Spite ‚bieten. 

Die Shlaht von Trafalgar zeigt England 
zur See durch dafjelbe Geheimniß fiegreih, das Na— 
polesn auf dem Feſtlande anmandte: durch bie 
Kunft, den Feind zu errathen und zu täufchen, auf 
einigen Punkten ihn durch Maſſen zu erbrüden und 
auf ten andern durch gejchidte Bewegungen feine An- 
orbnungen unnüg zu maden. Sicher fehlte es den 
Sranzofen an Muth nidt. Mit Männern, wie die 
Gapitaine Yucas, Infernet und Andre, was 
würde ein Admiral aufgerichtet haben, der verftanden 
hätte, ein Bonaparte auf ben Meere zu fein? 

Aber nie erfaßte wohl ein Unzlück einen Sieger 
in jo Staunen erregenven Glücksfällen. Freute ſich 
Napoleon, den Palaft der deutſchen Kaifer in 
Schönbrunn zu bewohnen, fo war ed nur, weil 
dem neuen Gebieter von Wien die Hoffnung, Lon— 
Don zu erreihen um fo geficherter erjchten. Und 
grade in dem Augenblide, wo die Zukunft ihm in 
die Band gegeben. zu fein fcheint, vernichtet ein 

Donnerſchlag alle feine Hoffnungen. Sein Schmerz 
fommt nur ſeiner Wuth glei. England verfolgt 

oh, umgarnt ihn, zerſtört feine Triumphe. Eng— 
land verfludt und verabſcheut er dafür. 

Sp erjhütternd die Nachricht der großen See— 
Ihlaht für Napoleon fein mußte, jo großes Ent- 

6 


84 


züden erregte fie in London. Im die Freude 
mifchte fi) aber der gerehte Schmerz über Nelſon's 
Tod. Die Anerkennung der Regierung für den gro- 
en gefallenen Helven, deſſen letter Tagesbefehl am 
Morgen des einundzwanzigften Octobers die eben fo 
befannten als erhabenen Worte waren: „England 
hofft, daß heute Weder feine Pfliht thue,“ 
zeigte fi) durch glänzende Beweiſe der Dankbarkeit 
für Nelſon's Andenken und gegen feine Yamilie. 
England8 großer Zwed war erreiht. Die Be- 
forgniß eines fo nahe drohenden Einfall, die Be— 
forgniß neuer Seezüge Frankreichs gegen die bris 
tiſchen Nebenländer war für lange Zeit befchwichtigt. 
Neben der Möglichkeit eines Einfalls in Großbritan- 
nien wäre das bloße Einlaufen der franzöfifch-pani- 
[hen Flotte in Toulon vernidtend für den engli- 
Then Einfluß im Mittelmeere gewejen. GSicilien, 
Malta ſelbſt, ftand auf dem Spiele; von jekt er— 
fennen gefchloffene und offene Meere nur eine 
Flagge ohne Nebenbuhlerin an, die — Flagge von 
England. 


Sechstes Kapitel, 


Sina wandelte Napoleon unter den blätterlofen 
Baumgruppen des Gartens von Schönbrunn. Sein. 
Fuß rauſchte in dürrem Laube, den geftorbenen Locken 
des Frühlings und Sommers von 1805; auf feinere 
Stirn thronten nod die Gewitterwolfen des Schlages 
von Trafalgar. Schweigend, die Hände auf. dem - 
Rüden, ſchritt er die tobtftillen Räume entlang; da 


85 


trat plötlich Hinter einer Taxushecke ein junger DOffi- 
zier der Geegarde hervor. Es war Öuifeppe, wel- 
her als Courier die legten Depeſchen des Admirals 
Gravina aus Cadir überbracht hatte. 

Der Kaiſer hielt feine Schritte an, und den Her— 
vorgetretenen ftreng anblidend,; frug er kurz: 

„Was wilft Du hier?“ 

„Sire,“ fprad in feltfam bewegtem Zone der 
Iünglirg, „eine Bitte erlaube mir, daß ich ald Ge- 
meiner in eins ‘Deiner SLinienregimenter trete. Auf 
den treulofen Wellen befiegt, will ich die Scharte auf 
dem feſten Lande und unter Deinen Augen wieder 
auswetzen.“ 

Dabei ſchaute Guiſeppe fo treuherzig und kit- 
tend zu feinem faiferlihen Herrn auf, daß der Ernt 
auf deſſen Stirn in ftilles MWohlwollen überging. 

„Nein, mein Sohn,” erwiederte ver Monarch mit 
Milde und feine Hand zum Kuffe hinreichend, „piefe 
Bitte kann ih Dir nicht gewähren; jet mehr benn 
je bedarf ic, der braven Leute für meine Marine.” - 

In ven lesten Worten des Kaifers, wie einfach 
fie gefprehen wurden, lag gleichwohl ein Schmerz, 
der den treuen Guifeppe durch die Seele ſchnitt. 
Er drückte ſich eine Thräne aus dem Auge. 

„Die verwünſchte Bataille,“ ſprach er halb wei⸗ 
nerlich, halb zornig, „wie leid thut mir Eure Maje— 
ſtät; ;“ aber er ſetzte gleich darauf determinirt hinzu, 
„wir verlieren darum den Muth nicht; nicht wahr, 
Ew. Majeſtät?“ 

Napoleon mußte ob dieſer treuherzigen Naive— 
tät lächeln: 

„Bewahre, mein Sohn, wird ein Franzoſe den 
Muth verlieren.“ 


86 


„Aber die fchönen Schiffe” — gab ver ehrliche 
Guiſeppe zu bevenfen. 

„Sind zum Zeufel, wilft Du jagen,” fuhr ver 
Kaifer fort, „da haft Du freilich vecht, aber wach— 
fen in unjerm Frankreich nicht herrlihe Eichen- 
wälber ?“ | 

Guiſeppe fand fih durch dieſe Worte des Kai— 
ſers fehr beruhigt und befam allmälig feinen guten, 
grabherzigen Humor wieder. Er erfundigte fidh, ob 
Morland noch in Wien ftehe. 

„rein,“ erwiederte gutmüthig Napoleon, „die 
Garde ift bereits ehegeftern nach Mähren aufge- 
brochen.“ 

„Das iſt ſchade,“ geſtand der Jüngling, „ich hätte 
ihn gern einmal geſprochen.“ 

„Gedulde Dich bis zum Frieden,“ ſprach der 
Kaiſer, „der nicht lange mehr ausbleiben wird.“ 

„Und dann noch eine Trage,” fuhr Guiſeppe 
etwas ftodend fort, „aber Ew. Majeftät müſſen fie 
nicht übel nehmen.“ 

„Keineswegs,“ lächelte ver Kaiſer. 

„Run,“ ſrug jener mit treuherziger Vertraulich— 
feit, „wie find denn Em. Majeſtät mit dem Nap 
zufrieden?“ 

„O,“ antwortete Napoleon, „für ven Nap ift 
mir nicht bange, der wird feine Sachen fchon ma: 
hen.“ 

„Nun, das ift mir fehr lieb zu hören,” geftand 
vie ehrliche Seele; „daß e8 mit dem Armand wie- 
ber gut fteht, hab’ ich fchon vernommen. 

„Doch jest,“ fuhr er fort, „wil id Em. Mafe- 
ftät nicht länger ftören. Verzeihen mir Em. Maje- 
ftät, daß id) mir die Freiheit genommen, aber wir 
Seeleute denken, der gerade Weg ift ver befte.” 


87 


Der Kuifer, welcher Characteren, wie folchen von 
Guiſeppe ungemein zugethan war, betrachtete den 
Süngling mit wahrhaften Wohlmollen. 

„Apropos,“ fprad er, „da fällt mir ein, Gui⸗ 
feppe, daß Du ein recht tüchtiger Reiter bift; melde, 
Dich doh binnen einer Stunde im Schloſſe, Du 
felft mir einen Brief an die Kaijerin von Frank—⸗ 
veih überbringen.” 

Guiſeppe erſchrack gewaltig bei diefem Auftrage. 

„Wie, der Kaiferin von Franfreih?“ frug er 
mit Beſorgniß. 

„Richt anders,” meinte ver Kaiſer, „Du bift ein 
fo braver Kerl dem Feinde gegenüber und fürchteft 
Dich wohl gar vor einer Dame?“ 

„3a, vor dem Feinde,“ verſetzte der Seegarbift, 
„das ift etwas andres; aber die Kaiſerin, bedenken 
Ew. Majeftät, die Kaiferin, da gehören feine Ma- 
nieren dazu, die mir Geebären ganz und gar ab- 
gehen.“ 

„Es wird ſchon gehen, Guiſeppe,“ tröftete ver 
Kaifer, „ſag' Du nur, daß ih Dir den Brief ge- 
geben, und man wird Dich nicht unfreundlid auf: 
nehmen.” 

„Run, Ew. Majeftät haben e8 zu verantworten,” 
ſprach Guiſeppe, „wenn ich mich ungeſchickt genug 
benehme. Lieber wäre mir freilich, ich könnte mit gegen 
die Ruſſen.“ 

Der Kaifer mußte hier laut auflahen und Tehrte 
nad) dem Schloffe zurüd. — Bereit nach wenig 
Stunden [prengte Guiſeppe mit dem Briefe an bie 
Kaiferin durd) das Schlofthor von Schönbrunn. 


88 


Siebentes Kapitel. 


Wahrend noch Napoleon in Schönbrunn weilte 
und mehre Tage der Einrichtung einer bürgerlichen 
und militairiſchen Regierung für die eroberten Pro— 
vinzen widmete, verfolgten ſeine Heercolonnen den 
Feind in den vorgeſchriebenen Richtungen. 

Am vierzehnten November erreichten Prinz Mu— 
rat und Marſchall Lannes die Ruſſen bei Holla— 
brunn und erbeuteten hundert beſpannte Wagen. 
Am andern Tage, wo eben neue Angriffe erfolgen 
ſollten, erſchien als Abgeſandter im franzöſiſchen La- 
ger der General Winzingerode und trug auf ei— 
nen Waffenſtillſtand an. Demnach verſprachen bie 
Ruſſen Mähren zu räumen. Murat willigte ein, 
feinen Marſch einzuftellen, aber Napoleon, welcher 
einfah, daß es den feindlichen Heerführern blos dar— 
um zu thun war, um Zeit zu gewinnen, verweigerte 
feine Zuftimmung zu dem Waffenftillitande. Daß ver 
Kaiſer auch hierbei volllommen recht gehabt hatte, 
geht deutlich aus dem Schreiben hervor, welches 
Rutufow in dieſer Angelegenheit an ven Saifer 
Alerander richtete, und worinnen es unter andern 
hieß: „Sch Hatte blos im Auge, Zeit zu gewinnen, 
um das Heer zu retten, und mid von dem Feinde zu 
entfernen,” 

Den Rückzug des ruſſiſchen Heeres deckte das 
Corps des Fürften Bagration. Diefes Corps 
fampfte mit großer Bravour gegen die franzöfifche 
Uebermacht. Es warb endlich geworfen und ließ acht— 
zehnhundert Gefangene und zwölf Kanonen in ben 
Händen ber Tranzofen. 


89 _ 

Durch den tapfern Widerftand des Fürften Ba- 
gration ward Kutuſow gerettet. Seine Bereini: 
gung mit dem zweiten ruffiihen Heere unter Bur⸗ 
hövden fonnte nicht mehr verhindert werden. Ue— 
berhaupt hatte fi) mit einem Male die ganze Sad: 
lage der Dinge merkwürdig geänbert. Napoleon 
mußte Wien bewachen, die Zugänge von Steiermark 
bem Erzherzoge Earl verjchliegen, feine Flanken auf 
einem jehr großen Raume vertheidigen, währenn er 
vor ſich Heere zufammenftoßen ſah, die ihm jett an 
Anzahl überlegen waren. Er forgte indeß für Alles 
dieſes. Marmont, deſſen Hauptquartier in Leo— 
ben war, beobadıtete das öſtreichiſch-italieniſche Heer, 
bag von Maſſena fortwährenn gedrängt wurbe, 
Mortier hatte mit den Divifionen Dupont und 
Gazan die in Wien zurüdgelaffenen Truppen abge- 
löft. Ungarn verſprach unbeweglich zu bleiben, wenn 
die franzöfifhe Armee fi) jeder Teindfeligfeit gegen 
biefes Land enthalten wollte. Die Neutralität vieler 
Nation ward unter vem Vorbehalte angenommen, daß 
Preßburg ausgeliefert würde, und Marfhall Da» 
vouft ließ diefe Stadt augenblidlich befegen. Eine 
Divifion Dragoner zu Fuß, unter dem Befehle von 
Baraguay d' Hilliers und eine baierifhe Divifion 
hielten die Reſte des Corps des Erzherzogs Ferdi— 
nand in Böhmen in Shah. Folglich war Alles 
im Rüden und auf den Flanken gefichert und ver 
Kaifer hatte in fehr nahen Räumen, mit Ausnahme 
eniger Divifionen, die Corps ven Bernapdotte, 
Lannes, Soult und Davouſt zu feiner Ber- 
fügung. 

Bon Znaim aus ha’te er die Reiterei des Ge— 
nerald Sebaftiani bei der Verfolgung der Rufen 
auf der Brünner Strafe noch funfzehuhundert Ge— 


_ 90 
fangene gemadt. Napoleon glaubte, daß Brünn, 
ein Ort, der eine Belagerung in aller Form auszu⸗ 
halten vermochte, dem Teinde zum Stütpunft dienen 
würde, aber dem war nicht fo. Der Kaiſer Franz 
zog fih nad) Olmütz zurüd und ließ die genannte 
Stadt ohne DVertheidigung. 

ALS die Franzofen in Brünn einrüädten, fanden 
fie ſechjig Kanonen vafelbft, dreihundert Centner Pul- 
ver und beträchtliche Vorräthe, ſowohl an Getreide 
ald an Bekleidungsſtücken aller Art. Napoleon un- 
terfuchte die Feſtungswerke. Er befahl, die Feſtung 
Spielberg, die den Drt beherrſcht, und“ die ihm 
von großer Wichtigkeit zu fein fchien, zu bewaffnen 
und mit Lebensmitteln zu verforgen. 

Am neunundzwanzigften November verfuchten fech8- 
taufend Mann ruſſiſche Reiterei den Vereinigungs- 
punft der Straßen von Brünn und Olmüg zu ver- 
theidigen. Es erfolgte ein ſcharfes Gavalleriegefecht, 
in welchem fi) der Marſchall Beffieres mit vier 
Schwadronen der alten Garde auszeichnete. Die 
Ruſſen wurden geworfen. Set befanven ſich die bei- 
ben einander feindlichen Heere zwilden Brünn und 
Olmütz in einer Entfernung von funfzehn Stunden 
auseinander. 

Stets mit den kriegeriſchen Angelegenheiten für 
bie folgenden Tage beihäftigt, verfäumte Napoleon 
gleichwohl nicht, auch auf andere Gegenftände fein 
Augenmerk zu richten. Bon feinem Hauptquartier zu 
Brünn ergeht ver Befehl, daß eine außerorbentliche 
Kriegsſteuer von hundert Millionen Franken in Mäh- 
ven, Deftreih und den andern von feinen Truppen 
bereitö eroberten Provinzen erhoben werde. Unter— 
fügt ihn das Glück, fo kann diefe Maßregel eine 
ber geheimen oder offenen Friedensbedingungen werben. 


91 


Der deutſche Kaifer, welcher fchon einigemal Vers 
fuhe zu Unterhandlungen mit Napoleon gemacht 
hatte, fchicte abermals den General Giulay, dies» 
mal von dem Grafen Stadion begleitet, in's fran- 
zöflihe Hauptquartier. Der Kaiſer der Franzoſen em- 
pfing dieſe Abgeorpneten am fiebenundzwanzigften No— 
vember. Da er aber aud diesmal bald einzufehen 
glaubte, die Abgefandten bezwedten weiter nichts, als 
ihn hinzuhalten, fo verwies er fie an den Herrn von 
Talleyrand. 

Zu berjelben Zeit mwünfchte ein anderer Agent vor 
Napoleon gelaffen zu werden. Es war dies ber 
preußiſche Meinifter, ver Graf von Haugwitz. Die 
Kriegspartei hatte endlich im Berliner Cabinette bie 
Dberhand behalten, Preußen war durch einen Vertrag 
vom dritten November dem Bunde von England, Ruß⸗ 
land und Oeſtreich gegen Frankreich beigetreten. Der 
genannte Miniſter folte nun Napoleon das Ulti— 
matum der preußischen Negierung überbringen, ward 
aber unter verfchiedenen Vorwänden im Hauptquar- 
tiere Bernadotte's zu Iglau zurüdgehalten. 

Aber aud Napoleon fprad feinen Wunſch nad) 
endlicher Ausgleihung und nad Frieden aus. So 
wie er erfahren, daß der Staifer Alerander bei fei- 
ner Armee eingetroffen war, befahl er feinem Adju— 
tanten Savary nad) dem feinvlihen Hauptquartier 
abzugehen. und den ruffiihen Monarchen zu begrüßen. 

Als der franzöfifche Abgelandte vor Alerander 
erihien, muchte dieſer mit der Hand ein Zeichen, 
worauf fih alle Anmwejenden entfernten. Savary 
war von dem eblen Anftande des jungen Monarchen 
überrafht; Alerander zählte damals ſechsundzwan— 
319 Jahre. Er hörte bereit8 auf dem linfen Ole 
etwas ſchwer und neigte fidy rechts, um zu verfichen, 


⸗ 


92 


was man ihm ſagte. Er ſprach langſam, legte auf 
bie letzten Sylben Nachdruck, aber im beften Franzö⸗ 
ſiſch und ohne Accent. 

Nachdem Alerander Savary’8 Botſchaft an- 
gehört und das Schreiben Napoleons in Empfang 
genommen hatte, fagte, er: 

„Ich weiß die Handlungsweiſe Ihres Gebieters 
richtig zu würdigen. Mit Bedauern babe ich mid 
gegen ihn gewaffnet und werde mit dem größten Ver- 
gnügen die erfte Gelegenheit ergreifen, ihn davon zu 
überzeugen. Er ift feit langer Zeit der Gegenftand 
meiner Bewunderung.‘ 

Nachdem er auf einige andere Gegenflände über- 
gegangen war, fuhr er fort: 

„Ich werbe jett gehen, um viefes Schreiben zu 
burchlefen und Ihnen dann die Antwort zurüd- 
bringen.“ | 

Mit viefen Worten entfernte er fi) in eines ber 
angrenzenden Gemächer. Nach ungefähr einer halben 
Stunde kehrte er, ein Schreiben in der Hand haltenb, 
zurüd, deſſen Adreſſe er nach unten gelehrt hielt. 

In einem ziemlich langen Gefpräh, weldes ſich 
jet zwifchen dem ruſſiſchen Kaiſer und dem Abge- 
ſandten Napoleon's entfpann, fegt erfterer in einem 
etwas dictatoriſch, Doch nicht verlegendem, Tone aus⸗ 
einander, daß Franfreih, um feine Mäßigung und 
gute Gefinnung zu beweifen, nichts weiter zu thun 
habe, al8 Alles, was es feit zehn Jahren erfämpft 
habe, herauszugeben, fi mit der Ehre begnügend, 
das coalirte Europa geichlagen zu haben, welches 
dann Frankreichs Croberungsfuht nicht mehr fürd- 
ten würde. 

»Nach Beendigung dieſes Geſprächs übergab ber 
Kaiſer an Savary feine Antwort auf das Schreiben, 


93 


welches er von Napoleon erhalten hatte; die Adreſſe 
noch immer nad) unten gelehrt, fagte er: 

„Hier iſt meine Antwort, die Aufſchrift drückt 
nicht den Titel aus, den ihr Gebieter in letter Zeit 
angenommen hat. Ich lege auf folde Kleinigfeiten 
feinen Werth.” 

Die Adreſſe lautete: „An das Oberhaupt ber 
franzöfifhen Regierung.” 

Savary traf Napoleon im Bofthaufe zu Po— 
ferig. Er ftattete ihm über Alles Bericht ab, was 
er mit dem Kaiſer Alexander verhandelt hatte, 
Zugleich) ermangelte er nidt, dem Kaiſer die über- 
müthige Bethörung zu jchildern, in welder fich ver 
junge General gefiel, welcher ven ruffiihen Monarchen 
umgab. Diefe friegsluftige Generalität hatte aller- 
dings den Grund für fi, daß fie über ein vereinigt 
ruffifch: öftreichifches Heer geboten, welches eine Macht 
von meunzigtaufend Streitern bilvete, während Na- 
poleon nur fünfundjechzigtaufend entgegen zu ftellen 
vermochte, 

Drr Raifer verfant nah Savary's Mittheilung 
eine Zeit lang in tiefes Nachdenken. Er überdachte 
- feine Rage, durchſchaute die ganze Politif feiner Geg- 
ner, erinnerte fi, ‚daß Preußen bereit ftehe, jeden 
Augenblid mit feiner ganzen Macht gegen ihn auf- 
zubredhen. 

„Kehren Sie auf der Stelle zu Alexander zu 
rück,“ vief er endlich, fih raſch zu feinem. Adjutan- 
ten wenvend; „jagen Sie ihm, daß ich eine perjün= 
liche Unterredung für ben morgenden XZag vorfchla- 
gen laſſe. Eilen Sie, fo ſchnell Sie können.“ 

Savary flog nad den ruffifhen Vorpoften zu- 
rück und befand fi) bald wieder bei Alerander. 
Diefer Fürft fhien auch Anfangs wirklich einer Un⸗ 


94 


terredung mit Napoleon nicht abgeneigt, als plötz⸗ 
lich die Nachricht einlief, daß die Franzoſen retirir- 
ten. Napoleon hatte nämlich gefliffentlic eine rüd- 
gängige Bewegung befohlen, um dasjenige Terrain 
beſetzen zu lafjen, welches er fih zum Sclachtfelve 
augerforen. Schon vor einigen Tagen hatte er zu 
feinen Marihällen und Generälen gejagt: „Meine 
Herren, machen Sie fi) mit diefer Gegend befannt, 
dies wird Ihr Schlachtfeld fein!‘ 

Der ruſſiſche Generalftab, welcher bei Diefem 
wohlberedhneten Manöver Napoleon’8 nichts mehr 
fürdtete, als die Franzoſen möchten entwiſchen, um- 
lagerte feinen Gebieter und brängte ihn zur Schladt. 
Vergeben bemühten ſich die äftreichiichen Generäle, 
welche Gelegenheit gehabt hatten, den Strategen 
Napoleon früher kennen zu lernen, dieſe ſelbſtge— 
fällige Glut zu mäßigen. Ihre Mahnung verflang 
unerhört. Nach Anficht der Ruſſen, hatten die Deit- 
reicher den ganzen Ruhm der Franzoſen begründet. 

Alerander ließ fih daher bereven, ag feiner 
Statt den Fürften Dolgorudi an Napoleon zu 
ſchicken. 

Napoleon ging eben in einem ſeiner Infanterie— 
bivouaks auf und ab, in deren Mitte er auf einigem 
Stroh geſchlafen hatte, als ihm der Abgeſandte Aler- 
ander’s gemeldet wurde. Sogleich [prengte er in ge— 
ftredtem Galopp nad) den Vorpoſten, jo daß ihm 
fein Piket faum zu folgen vermochte. Der Umftand, 
daß Napoleon den Fürften auf den Vorpoſten ent- 
pfing, welches ver Kaifer fonft nie mit einem Par— 
. Iamentair zu thun pflegte, ferner das angeftrengte Ar- 
beiten an den Verſchanzungen, jo wie die ganz nahe 
aneinander geftellten Doppelwachen: Alles beftärfte 
den General-Avjutanten Alexander's in feinem 


95 


Glauben, die franzöfifhe Armee befände fi in der 
mißlichften Lage, | 

Der Kaifer flieg vom Pferde und wandelte mit 
dem ruffifchen Offizier die Heerftraße auf und nieber. 
Die franzöfifchen und ruſſiſchen Vedetten ftanden ein= 
ander ganz nahe Nach den erſten Complimenten 
ging der Abgefandte des ruffifchen Kaifers ohne Um- 
Ihweife auf die politifchen Tragen über. Er fprad) 
über Alles mit einem ſchwer zu beichreibenden Weber- 
muthe ab und befand fich über die europäifchen In—⸗ 
terefjen und die Lage des Feftlandes in höchſter Un- 
funde. Er redete zum Saifer wie zu ben rufjifchen 
Offizieren, welche er durch fein hochfahrendes Weſen 
fhon lange in Entrüftung gefeßt hatte. Napoleon 
hielt fehr an fi, während Dolgorudi, ſtolz auf 
bie Gunſt feines Monarchen und auf die Sendung, 
bie ihn in den Stand fette, dem franzöftfchen Kaifer 
eine hochmüthige Spradhe hören zu laſſen, an welche 
diefer nicht gewohnt wer, ſich darin gefiel, Napo- 
leon die verlegenpften Bedingungen zu ftellen. Die 
franzöfifhe Armee fhon als gefehlagen anfehend, ver= 
langte diefer junge Mann nichts weniger, ald die Ber: 
zihtleiftung des Kaiferd auf vie eiferne Krone, bie 
Abtretung Belgiens und Italiens. Man kann 
benfen, was der Naifer bei diefen Anmuthungen litt. 
Doch bezwang er fid. Als Dolgorudi mit feiner 
Miſſion zu Ende, "erwiederte Napoleon troden: 

„Wenn das Alles ift, was Sie mir zu jagen ha— 
ben, jo gehen Sie und melden Sie dem Raifer Aler: 
ander, daß ich Feine Ahnungen von folden Zu: 
muthungen hatte, als id) venfelben um eine Zufam- 
menfunft erſuchte. Ich hatte ihn den Zuftand mei- 
ner Armee gezeigt und mid), in Bezug auf die Fries 
bensbebingungen, auf feine Billigfeit berufen, Ex 


36 


bat das nicht gewollt; wohlen, fo werben wir ung 
ſchlagen, ich aber waſche meine Hände in Unſchuld.“ 
. : Der Fürſt ward nach den; ruffiichen Vorpoſten zu- 
xüdgebracht, und er verließ Napoleon mit ber feften 
Heberzeugung, daß ſich die franzöfiiche Armee am Bor- 
abende ihres Unterganges befinve. 

Napoleon fehrte nah feinem Hauptquartiere 


urück. 

„Dieſe Menſchen müſſen wahnſinnig ſein,“ ſprach 
er unterwegs zu Savary, „die darauf beſtehen, ich 
ſollte Italien aufgeben, während ſie nicht im Stande 
ſind, mir Wien zu entreißen. Welche Pläne haben 
fie denn? Und was würden fie mit Frankreich an- 
gefangen haben, wenn ich gefchlagen worben wäre? 
E8 mag egven, wie es Gott gefällt; aber wahrhaf- 
tig, bevor noch achtundvierzig Stunden worüber, werde 
ich ihnen den Kopf zurecht geſetzt haben.” 

Während der Kaifer jo ſprach, ging er zu Fuß 
bei dem erften Imfantertepoften vorüber. Er war ge- 
reizt und machte feinem Unmuthe dadurch Luft, in- 
dem er mit feiner Neitgerte auf die Erdhaufen fchlug, 
bie umberlagen. Die Schildwacht, ein alter Soldat, 
überhörte ihn, und hatte fi gemächlich hingeſetzt, 
um, das Gewehr zwiſchen den Knieen, feine Pfeife 
zu ftopfen. Als Napoleon dicht bei ihm worüber 
ging, ſah er ihn an und fagte: „Die Ruſſen bilden 
fih ein, daß fie nichts zu thun haben, als uns zu 
verichlingen.“ 

Der alte Soldat mifchte ſich fogleih in's Ge— 
ſpräch und erwieberte: „Oho, das wird nicht jo leicht 
gehen, wir werben uns: die Queer legen.“ 

Der Kaifer mußte lachen und bekam durch dieſen 
Einfall feine gute Laune wieder. 

Bereitd? am flebenundzwanzigften November hatte 


97 


ſich das vereinigte vuffifch-öftreichifhe Heer in fünf 
Säulen in Bewegung gefest, um jeine Stellung zu 
der bevoritehenden Schlacht zu nehmen. Die beiden 
erften flanden unter bem Befehle zweier ruffifchen 
Generäle, die zwei lettern commanbirte ber Fürſt 
Johann von Lichtenftein, General en Chef ver 
öftveihifchen Truppen. Die Referven, zehn Batail⸗ 
Ione und achtzehn Schwadronen ſtark, folgten unter 
dem Großfürſten Conftantin. 

Vebelunterrichtet von ver Stellung der Franzoſen 
rüdte Kutuſow nur mit großer Vorſicht vor. 

Am folgenden Tage erreihte er Wiſchau. Seine 
Zuverfiht wuchs in dem Maaße, als er auf dem 
Terrain Fortſchritte machte, wohin ihn der Kaifer 
Napoleon berufen hatte. 

Am neunundzwanzigfien November ſchlug Napo— 
leon fein Hauptquartier zwei Stunden vorwärts 
Drünn anf einer Höhe auf, weldhe vie Solpaten 
ven Raiferhügel nannten. Seine Rechte war an 
den See von Moni geſtützt, ver Mittelpunft war 
duch fumpfiges Land und hochuferige Bäche gebedt, 
Seine Linke, die bis zu einem Bergzuge reichte, 
hatte ven Boſenitzberg vor ſich, einen fteilen Berg, 
ben er durch eine ftarfe Batterie hatte befeftigen laf- 
fen und ihn Santon nannte, weil er an eine ähn- 
lie Stellung in Egypten erinnerte. Alle diefe Ver⸗ 
theidigungsanftalten follten die Ruſſen glauben machen, 
daß franzöſiſcher Seits ein Rückzug im Werke ſei. 
Ale Maßregeln, die der Kaifer traf, Hatten biefen 
Zweck. Murat ließ ein Kleines Corps in die Ebene 
vorrüden. Plötzlich aber kehrte es um, gleihjam er⸗ 
Ihroden über die unermeßlichen Streitlräfte des Fein⸗ 
bed. So wirkte Alles zufammen, um ben rufflichen 
Feldherrn in der fchlechten Operation, die er beſchloſ⸗ 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXI. 7 


9% 
fen Hatte, zur beſtärken. Kutuſow dachte jest allen 
8, der Kaifer Napoleon wolle ihm entwifchen. 

Am erften December gewahrte der Kaifer von ber 
Höhe feines Bivouaks mit unfagbarer Freude, wie bie 
enffifche Armee zwei Kanonenſchußweiten von feinen 
Berpoften eine Bewegung begann. Mit Blitesfchnelle 
errietb der große Welohere ven Plan des Feindes, 
welcher ihn umgehen und bie Straße von Wien ab- 
ſchneiden wollte, 

Napoleon entwarf jet einen ver kühnſten 

Iachtpläne, welde vie Kriegsgejchichte fennt, und 
wobei alle zeitherige Kriegsregeln verlegt wurben. 
Er ſtellte fih nämlich mit feiner Hauptmadht vor 
ben Reziczkabach auf und an ben rechten Flügel 
hinter denſelben. 

Den Oberbefehl über ven linken Tlügel bes 
franzöfifchen Heeres übertrug der Kaifer dem Mar— 
hal Lannes, über den rehten dem Marſchall 
Soult, und das Centrum commanbirte Marfchall 
Dernadotte. Die ganze Eavallerie war auf einem 
einzigen Punkte vereinigt und fand unter den Be— 
fehlen des Marfhall Murat. Der Kaifer felbft mit 
feinem treuen Waffengefährten, dem Marſchall Ber- 
thier, feinem erſten Aojutanten, dem General-Obri- 
fien Junot und feinem ganzen Generaljtabe, befand 
fi) bei ver Reſerve, welche aus zehn Bataillonen 
feiner Garde und zehn Orenabierbataillonen des Ge— 
nerald Oudinot beftand. 

Diefe auserlejene Schaar, funfzehntaufend Mann 
ſtark, welche allein eine Armee aufwog, ftand in Ba: 
taillonscolonnen formirt und in der Entfernung zum 
Aufmarſchiren bereit. In den Bwifchenräunen er- 
blickte man eine Batterie von vierzig Kanonen, welche 


» von der Artillerie der Garde bedient wurbe. 


99 


Mit diefer Reſerve konnte ſich der, Kaifer. überall 
binftürgen, wo es der Aushülfe ober. des Nachdruds 
bedurfte. 

As Napoleon am Nachmittage des erſten De⸗ 
cember⸗ von der Höhe ſeines Bivonaks die B 

der Ruſſen beobachtete und den Plan des feindlichen 
Generals errathen hatte, fprach er zu Berthier ge 
- wendet: „Bis morgen Abend ift dieſes Heer mein!“ 


dichtes Kapitel, 


Ar Guiſeppe im Schloßhofe zu Saint Cloud 
vom Pferde ftieg, war er bald von mehren zur Hof— 
dienerſchaft gehörigen Perfonen umringt, welde fich 
nad feinem Begehren erfundigten. 

„Ih habe ein Schreiben an Ihre Majeftät bie 
Kaiferin zu übergeben,” erwieberte der Jüngling, 
„wolen Sie wohl fo gut fein und mir Tagen, mo 
ich dieſelbe finde?“ 

„Für diefen Fall,” verfeßte Einer biefer Leute, 
„muß ih Sie bitten, mir dieſes Schreiben zu über- 
antworten, damit ih es dem erſten Kammerdiener 
Ihrer, Majeftät zuftelle, welcher das Weitere beforgen 
wird.’ 

„Mein Befehl lautet,” ſprach Guifeppe troden, 
„ven Brief eigenhändig der Kaiferin zu über 
reichen.‘ 

Der Hofbediente betrachtete mit etwas fpöttifcher 
Miene die nicht eben aubienzgemäße Kleidung bes 
Subalternoffiziers, welcher laut- feiner aber, das 


100 


Säreiben unverzüglich zu übergeben, keine Zeit ge- 
habt hatte, hofmäßige Toilette zu machen. 

„Wollen Sie mir Ihren Brief übergeben,” fuhr 
ber‘ Hofbebiente fort, indem ex feine Worte vornehm 
betonte, „daß ich ſelbigen dem erſten Kammerdiener 
Ihrer Majeſtät überreiche? 

Guiſeppe, dem nichts mehr zumivder war, als 
dieſes fade, etiquettenmäßig dreſſirte Hofbomeſnitenvolt 
und ber ſich gleich über die erſten Worte dieſes Hof- 
bedienten geärgert hatte, erwiederte noch kürzer ange- 
bunden: ' 

„Ich babe es Ihnen ſchon einmal erklärt, daß 
ih das Schreiben perfünlich zu übergeben habe; fpre- 

« heft Sie aljo nicht fo überfläffig, und jagen Sie mir 
lieber, wo ich die Katferin finven kann ?“ 

Der betreßte Bediente warf fih in die Bruft und 
ſprach: 

„Unter bewandten Umſtänden, mein Herr, —“ 

„3% frage,“ fuhr Guiſeppe gereizt fort, „ob 
Sie mir fagen wollen oder nit, wo id bie Kaiferin 
finde ?* 

„Mein Herr, unter fo bewandten Umftänden —“ 

Run, da laffen Sie es bleiben,” verſetzte ber 
Seeoffizier grob, fhritt an dem Zornerfiarrten vor: 
über und ging dem Hauptportale des Schloſſes zu. 

Hier trat ihm ein Höhergeftelltecr der Hofbeamten 
entgegen, der den Jüngling gleichfalls nad feinem 
Degehren fragte, doch mit Höflichkeit und Anftand. 
Guiſeppe erklärte: abermals, daß er einen Brief an 
die Kaiferin zu übergeben habe. 

„Und dürfte ich wohl fo unbeſcheiden fein,“ ſprach 
ber Hofbeamte, „mie die Frage zu erlauben, wer ber 
Abſender des Schreibens fei, damit Ihre Majeſtät 
die Kaiſerin zuvor davon benachrichtiget werde?“ 


101 


„Der Abfender ift Seine Majeftät der Kaifer,” 
erwieberte. Öuifeppe. 

Bei diefen Worten zudte der Frager unwillfür- 
lich zuſammen. Er war im Augenblid ein gänzlich 
veränberted Weſen und feine Höflichkeit ward fait zur 
Unterwürfigfeit. 

„Dürft id) Sie gehorfamft bitten, näher zu tre⸗ 
ten, mein ſehr werther Herr Capitain,“ ſprach ber 
Beamte, welcher durch dieſe Erhöhung des Grades 
dem jungen Offizier eine Schmeichelei zu ſagen 
glaubte. 

„Bin nur ſimpler Lieutenant,“ verſetzte Gui⸗ 
ſeppe; jener aber führte den Boten des Kaiſers in 
ein ſehr geſchmackvoll decorirtes Gemach. 

„Nur einen Augenblick bitte id), ſich hier es ge= 
fallen zu laſſen,“ fuhr der Höfliche fort, „ich werde 
ſogleich den dienſthabenden Kammerherrn in Keuntniß 
ſetzen, damit Sie unverzüglich bei Ihrer Majeſtät 
der Kaiſerin vorgelaſſen werden.“ 

Der Hofbeamte entfernte ſich ſchleunigſt. Gu i⸗ 
ſeppe ſchaute ihm lächelnd nach. 

„Der kleine Corporal,“ ſprach er, „verſteht es 
doch meiſterlich, ſich in Reſpect zu ſetzen. Man 
braucht blos feinen Namen zu nennen und Alles be- 
ginnt zu zittern, und gleichwohl giebt es keinen gü- 
tigern Mann wie den Kaiſer. Wer ein gut Gewiſſen 
hat, kann ihm getroſt unter die Augen treten und hat 
Nichts zu fürchten.“ 

Nach einer Heinen Viertelftunde kehrte der Hof- 
beamte mit dem biemfthabenven Kammerherrn zurück. 
Lebterer war ein Mann, der Wohlwollen mit ven 
feinften Hofmanieren zu vereinigen verfitand. 

„Ihnen ift der ſchöne Beruf geworben, Saint 
Cloud mit Freude zu erfüllen,‘ ſprach er mit An- 


102 


muth, ſich gegen Öuifeppe verbeugend, „Ihre Ma- 
jeſtät, unfere verehrte Kaiferin, harrt fchon Lange 
auf ein Schreiben Ihres erlaudhten Gemahls. Seine 
Majeſtät befindet fich doch im erwünſchteſten Wohlſein?“ 

„Vollkommen,“ erwiederte Guiſeppe. 

„Und unſere ruhmgekrönte Armee, die Beſiegerin 
von Oeſtreich?“ 

„Wird unfehlbar jetzt ſchon Wien verlaſſen ha— 
ben und gegen tie Ruſſen aufgebrochen fein,“ ant- 
wortete der Offizier. 

„Ha, vortrefflih!” rief der Kuammerhere, „pie 
Helden ven Ulm verftehen e8 ſogar in Schnee und 
Eis Roſen und Lorbeeren zu pflücken.“ 

Er bat jet Guiſeppe zu folgen, und führte 
ihn duch eine Heihe von Sälen und Zimmern nad) 
demjenigen Flügel des Schloſſes, welcher nach dem 
Garten hinaus ging. Sie traten auf eine Art Al- 
tan, von wo eine Treppe nad) dem Garten hinab 
führte. - 
„Ihre Majeſtät die Kaiſerin,“ fuhr der Kammer— 
herr fort, „hat die paar freundlichen Blicke der Mit- 
tagsfonne benugt, um fid ein Wenig im Freien zu 
ergehen. Wollen Sie gütigjt nur einen Augenblid 
hier verziehen, ich eile, jett Ihre Majeſtät von Ihrer 
Ankunft fohleunigft in Kenntniß zu ſetzen.“ 

Er ftieg raſchen Schritte die Stiegen hinab uud 
verichwand bald hinter künftlid, vwerjchnittenen Baum— 
wänben. Der vorige Hofbeamte nahte ſich jet unter 
vielen Büdlingen ven faiferlihen Boten und erkun— 
bigte fi neugierig nad) den neueften Angelegenheiten 
der Armee. . Er fing nad dem Befinden mehrer fei- 
ner Vettern, bie in verſchiedenen Regimentern dien- 
ten, welche aber Guiſeppe nicht kannte und daher 
keine Auskunft zu geben vermochte, Plötzlich aber 


103 


fprang der Frager mit dem Ausrufe: „da kommt Ihre 
Majeſtät“ zwei Schritte zurlid. 

Wirklich bog jest auh Sofephine, ans einem 
der GSeitengänge kommend, in die Hauptallee ein. 
Sie fam mit aM’ der Anmuth und Orazie, welche 
ihr in jo hohem Grade zu eigen, die Allee vaher. - 

„3a, Das ift unfere vortreffliche Kaiſerin!“ rief 
Guiſeppe ſeltſam bewegt aus; „aber,“ fuhr er 
glei, darauf fort, „wer ift denn das himmliſch fchöne 
Mäpchen, das ihre zur Seite wandelt?” 

Der GHofbeamte, wmeldyer ſich geehrt fühlte, hier 
Auskunft geben zu können, antwortete: „Das ift das 
Träulein Florentine von Nevers, welches fih im 
aufgezeichneten Grade der Gnade Ihrer Majeſtät zu 
erfreuen hat.’ 

„Wie?“ frug Öuifeppe, dec feinen Ohren nicht 
zu trauen glaubte, auf das Freudigſte überrafcht, 
„Fräulein Slorentine von Nevers, deren Tante, 
in ein royaliſtiſches Complott verwidelt, fich vergif: 
tet hat?“ 

„Daſſelbe,“ fuhr der Hofbeamte fort; „durch die 
Türfprahe von Madame Junot, der hochgebornen 
Gemahlin /des faiferlihen erften Adjutanten und Ge— 
neralobriften der Garde, wurde das fchöne, werlaffene 
Kind, mit Ihrer Majeftät befannt, welde gleich eine 
fothe Vorliebe für das Mädchen empfand, daß fie 
daffelbe in ihre Nähe zug und ihm eine mütterliche 
Freundin wurde.” 

„Nun das kann fih ja gar nit harmanter tref- 
fen, ſprach Guiſeppe für fih, „da kann ich doch 
endlich Armand's Brief an feine Adreſſe bringen, 
den ih nun fchon auf allen leeren mit umherge⸗ 
ihleppt habe. Aber das muß ich geftehen, Geſchmack 
bat der Schlingel.“ 


104 


Der Kammerherr kam jett eiligft zurüd, bat dem 
Seeoffizier zu folgen und führte ihn zur Kaiſerin, 
worauf er ſich ehrfurchtsvoll zurüdzog. Als der Jüng⸗ 
fing in das fonnenklare, von himmliſcher Milde über- 
ſtrahlte und von Freude verklärte Antlitz Joſephi— 
nen's ſah, blendete ihn nicht mehr das Diadem der 
Majeftät. Er glaubte eine Heilige vor ſich zu ſchen. 
Die Kaiſerin war bei ver Nachricht, daß ein Brief 
von Napoleon angelommen fei, jo von Entzücken 
ergriffen, daß fie, alle Etiquette vergeflend, bem 
Guiſeppe mit freudiger Haft ein paar Schritte ent- 
gegen trat. 

„Ein Brief von ‚Bonap arte,” vieffie, „o ſchnell, 
geben Sie ihn. mir;“ und als Gaif enpe das Schrei= 
ben überreicht hatte, fuhr fie fort: „ O ſprechen Sie, 
mein Herr, wie geht es Napoleon, iſt er geſund, 
iſt er wohl?“ 

er kann Ew. Majeftät verfihern,“ erwieberte 
gerabherzig der Süngling, „daß mir Seine Majeftät 
ber Kaiſer nie geſünder vvrgekommen ift, als vor ei= 
nigen Tagen, wo ich ihn verlaffen babe, troß aller 
Strapazen, die er zu erdulden gehabt hat.“ 

I warum darf ich ihn nicht pflegen 2“ ſprach 
die hohe Frau und eilte nach einem in der Nähe be: 
findlichen geheigten Pavillon, um ven Brief des Kai⸗ 
ſers zu leſen. 

Florentine, welche bei der Bufammenfunft Jo⸗ 
ſephinen's mit Guiſeppe zugegen war, hatte 
kaum einen Blick auf den Jüngling geworfen, als ihr 
Herz unwillkürlich mit Heftigkeit zu klopfen begann; 
denn Guiſeppe konnte in feinen Zügen bie Fa— 
milienãhnlichkeit mit feinem Bruder Armand nicht 
verlängnen. Sie gerieth daher in ſichtbare Verlegen— 
heit, al8 fie fi) mit dem jungen Offiziere allein be= 


105 


fand. Lebterem erging es wicht beſſer. Er wußte 
nicht, mit welcher irdiſchen Mundart er biefes engel- 
hafte Weſen anreden ſollte. Enplih faßte er ſich ein 
Herz und ſprach nicht ohne Schüchternheit: 

„Mein ſchönes Fräulein, auch für Sie hab' ich 
ein Brieflein mitgebracht, wenn Sie es nicht übel 
nehmen wollen. Es iſt von Armand Maillebois, 
meinem Bruder, der Sie fo liebt, und ber jetzt wie— 
der nach Europa zurüdgefommen ift.” 

Tlorentine, auf biefe Weife von einem jungen, 
fremden Offiziere angerebet, gerieth in den erften Au- 
genblid in hohe DBeitürzung, die Purpurröthe der 
Schaam überſtrönite das holve, jungfräuliche Antlitz. 
Sie zitterte und vermochte kein Wort zu erwiedern. 
Guiſeppe fuhr fort: 

„O, mein ſchönes Fräulein,“ fuhr er in ſeinem 
zum Herzen ſprechenden Tone fort, „es iſt ja nichts 
Böſes, wenn Sie den Armand lieben, er verdient 
es gewiß. Wie wird er ſich freuen, wenn ich ihm 
erzähle, daß ich Sie hier gefunden habe; ad), glauben 
Sie mir nur, der arme Junge ift gar nicht wieber 
ruhig geworben, feit er von Ihnen getrennt war und 
über Ihr Schiejal feine Nachricht erhalten konnte.“ 

Wie bejeligend dieſe Worte in Slorentinen’s 
Herzen wieder MHangen, fo war pas Mädchen doch 
nit im Stande, dem Bruder ihres Geliebten irgend 
eine Sylbe zu erwiedern: und ihre Hand ſträubte fich 
aus weiblihen Schaamgefühl und aus Furt, beob- 
achtet zu werben, Armand’ Brief, den ihr Gui- 
feppe hinhielt, anzunehmen. 

„Mein Fräulein,” ſprach Guiſeppe träurig, 
„baben Sie den Armand mirffih ganz vergeflen, 
daß Sie nicht einmal feinen Brief leſen wollen, ben 
er Ihnen gewiß mit blutendem Herzen niederfchrieb ?" 


106 


„Nein! nein!” vief endlich das Mädchen in ge- 
preßtem Zone, indem fie bie eine Hand krampfhaft 
über die Bruft hielt, wo das Herz zu zerfpringen 
brohte. Dann warf fie ſchüchtern einen Blick umber, 
geiff ſchnell nach dem Briefe und verbarg ihn im 
Bufentuche. 

Die Kaiferin trat jebt aus dem Pavillon und 
kam den Gang daher. Sie war no fo voller Freude, 
daß fie den aufgeregten Zuftand Florentinen's 
nicht bemerkte, welche die Gelegenheit ergriff, ſich 
einige Schritte zurückzuziehen. 

„Wie danke ich. Shen, mein Herr,” ſprach fie 
zu Öuifeppe, „für die freudige Botfchaft, die Sie 
mir überbradht haben. 

„Wie mir mein Gemahl ſchreibt,“ fuhr fie nad 
einer Pauſe und nachdem fih Guiſſeppe wieverholt 
dankbar verbeugt hatte, anmuthsvoll fort, „find Eie 
der brave Dffizier, der fich bei mehrern Gelegenhei- 
ten durch feine Unerfchrodenheit und Tapferkeit fo 
aufgezeichnet hat.“ 

„Habe nur meine Schulvigfeit gethan, Ew. Ma— 
jeftät,‘ erwiederte der Jüngling. 

„Tapferkeit und Edelſinn,“ ſprach Joſephine 
weiter, „ſollen wir Frauen aber beſonders ehren. 
Darum empfangen Sie dieſen Ring, den ich Ihnen 
im Namen der Damen Frankreichs übermache.“ 

Mit dieſen Worten zog fie einen koſtbaren Bril- 
lantring vom Finger und ihn dem Jüngling, ber be- 
fcheiden zögerte, Die werthvolle Gabe anzunehmen, 
hinreichend, fuhr fie in freunplichem, huldvollem Zone 
fort: 

„Immer nehmen Sie, Niemand hat ihn mehr 
verdient.” 

Der glüdlihe Guiſeppe wußte in der That 


107 


nit, wo er Worte hernehmen follte, feinen Dank 
gebührend auszudräden. Er wollte ſich gern auf ir- 
gend eine Art bei der hohen Geberin revangiren und 
da fiel ihm ein, daß Joſephinen nichts angeneh- 
mer fein könnte, als recht viel von ihrem Gemahl zn 
hören. Dies that denn auch der Seeoffizier in ferner 
gewohnten gerapherzigen Manier, fo daß bie Kaiferin 
fi oft des Lächelns nicht erwehren konnte. 

Erft nad, Verlauf einer halben Stunde entfernte 
fih der Erzähler, um ein Wenig der Ruhe zu pfle= 
gen und alsdann unmittelbar nah Deuiſchland zu— 
rüdzufehren. Er verabfchiedete ſich von feiner hoben 
Gönnerin und machte auh Florentinen, die fid 
unterdeß wieder etwas gefammelt hatte, eine ftumme, 
ehrfurchtsvolle Verbeugung. Wie gern er aud) mit 
dem ſchönen Mädchen noch ein paar Worte ohne Zeu- 
gen geſprochen hätte, um feinen Bruder vielleicht ei- 
nen Gruß von ihr zu bringen, fo war dies tod) bei 
ber Kürze der Zeit, die ihm vergönnt war, nicht 
möglich. Er hatte indeß doch dieſe Genugthuung, 
Vlorentinen Armand's Brief zugeflellt und bie 
Entvedung gemacht zu haben, daß fein Bruder bei 
ihr keineswegs vergefien je. Das war ihn vor ber 
Hand genug. 

As Guiſeppe nad ver erhaltenen Audienz wie- 
der über den Schloßhof fehritt, fo war er diesmal 
ber Gegenftand allgemeiner Ehrfurcht umter dem Hof— 
perfonale. Im Berlaufe weniger Stunden befand er 
fi) bereit® mit einem Antwortsfchreiben der Kaiſerin 
an den Kaifer auf dem Wege nah Straßburg. 


108 


Jeuntes Kapitel. 


Lußig loderte das kaiſerliche Wachtfeuer zum grauen 
Decemberhimmel empor. Seine Flammen beleuchteten 
den Kaiſer Napoleon, wie er in ſeinem grauen 
Ueberrockke auf einem Feldſtuhle vor ver dürftigen 
Hütte jap, die ihm feine Solvaten aus Stroh 
erbaut hatten. . Auf dem gefrornen Boden war bie 
Karte von Mähren ausgebreitet und im reife umher 
fanden die Marſchälle von Frankreich, denen der 
Kaifer die legten Befehle für den morgenden Schlacht: 
tag ertheilte. 

Der Abend begann hereinzubrehene Die Feuer 
der Bivouals erbellten im meilenweiten Umkreiſe püfter 
die Gegend. Der Kaifer war aufgeftanden und fohritt, 
die Hände auf dem Rüden, bei feinem Feuer eine 
Zeit laug auf und nieder. Oft war er damit beichäf- 
tigt, die aus den Flammen fpringenden Brände mit 
dem Fuße wieder in die Gluth zurüdzufchleudern. 
Zuweilen blieb er ftehen und betrachtete aufmerkſam 
den Himmel. Diefer war mit Gewölk dvunkel um- 
bangen. Einige Mal gelang e8 dem aufgegangenen 
Monde, die Wolfen zu durchbrechen und die Gegend 
ſchwach zu erleuchten; aber bald verfhwand er wieder ° 
und die Dunkelheit fanf immer mächtiger hernieber. 

Rings umber herrſchte troß der Hunberttaufende, 
bie in einem Umfreis von wenigen Stunden auf Ebe— 
nen und Hügeln lagerten, große Stille; nur das ein- 
tönige Hämmern ber Feldſchmieden vernahm man in 
den verfchiedenen Bivouaks. 

Napoleon ſprach fo eben mit dem Marſchall 
Soult, welchem er das Commando über den rechten 


109 


Flügel anvertraut hatte, als er plöglich feine Rede 
abbrah und zu lauſchen ſchien. 

„Hörten Sie nichts?“ frug er den Marſchall, 
‚das iſt Hein Gewehrfeuer auf unſerm äußerſten vech⸗ 
ten Flügel.“ 

Bei dieſen Worten hielt Jedermann den Athem 
an. Wirklich tönten aus weiter, dunkler Abendgegend 
taum hörbar einzelne Flintenſchüſſe daher, welche bald 
in regelmäßiges Pelotonfeuer übergingen. 

„Das ift eine von Davouſt's Divifionen, welche 
angegriffen ift,“ fuhr der Kaifer fort; „Savary, 
hauen Sie einmal nad‘, was bie Ruſſen vorhaben.” 

Der Adjutant verfhwand in der Nacht und Na⸗ 
poleon jeßte feine Unterhaltung mit den Marſchäl⸗ 
len fort. Das Gewehrfener hielt noch geraume Zeit 
an. Der Kaifer berechnete, vermöge feiner außeror⸗ 
bentlihen Combinationsgabe, blos aus dem anhalten- 
ben Belotonfeuer die Stärke und Abficht des Weindes, 
und felbft diejenige feiner Divifionen, welche ange 
griffen war. 

„Die Ruſſen,“ ſprach er, „haben drei Bataillone 
abgeſchickt, um einen feften Punkt gegen unfere äu⸗ 
Berfte Rechte zu gewinnen, unfehlbar, um von da 
aus morgen früh ihren erfien Angriff zu unter 
nehmen.“ 

Nach Berlanf von einer halben Stunde kam ein 
Adjutant angefprengt. Er ward fogleih vor Napo- 
leon geführt. 

„Run werben wir ja hören,” ſprach dieſer. 

„Sie, berichtete der Anjutant, „vie Ruſſen ha⸗ 
ben die Diviflon Legrand, die Avantgarde bes 
Marſchall Da vouſt's beim Dorf Salolniz ange 
griffen, um auf morgen eine fefte Stellung für ben 
Angriff gegen unfern rechten Flügel zu gewinnen ’T.. 


110 


Die Marſchälle und Generäle vrüdten ihr Erſtau⸗ 
nen aus, wie ber Kaifer alles dies voraus gewußt 
babe; ver große Feldherr aber machte mit ver Hand 
ein Zeihen, womit er die Generalität verabfchiebete. 

„Auf Morgen, meine Herren,“ ſprach er und 
Tehrte in feine Hütte zurück, wo er fi) auf ein paar 
Bund Stroh ausſtreckte und ſogleich einſchlief. 

Nach einiger Zeit kehrte auch Savary zurüd, 
welchen Napoleon ausgeſandt hatte. Als er zum 
Kaifer geführt wurde, fchlief diefer fo feit, daß ihm 
Conſtant Leis am Arme fhütteln mußte, um ihn zu 
erweden. 

Savary erſtattete faft venfelben Rapport ab wie 
der frühere Adjutant, fügte jedoch hinzu, daß, trotz 
bem die Ruſſen wiederholt zurdgetrieben worden feten, 
fie ihre Bewegung fortjegten. 

Auf dieſe Nachricht ſchickte Napoleon fogleich 
nah dem Marfhall Soult, ftieg zu Pferde, um in 
Perfon fih über ven feinplichen Angriff zu belehren. 

Nur von dem genannten Marſchall und zweien 
Adjutanten begleitet, vitt er duch bie ſchweigenden 
Bivouaks. ALS er bei der Divifion Legraud ankam, 
hatten die Kuflen wegen der großen Duntelheit den 
Angriff aufgegeben und die frühere Stille war wieder 
eingetreten. 

Der Raifer näherte ſich fo viel als möglich ven 
feindlihen Stellungen, aber bei der Yinfternig war 
wenig zu erfennen; nur die bier und da nod klim— 
menden niedergebrannten Wachtfeuer bezeichneten bie 
ruſſiſchen Linien. Bei einer feiner äußerſten Vedet— 
ten hielt er eine Zeit lang ſtill und war bemüht, 
fich in ver Dunkelheit zu orientiren. Auch in ben 

feindlichen Bivouals herrfchte große Ruhe, nur aus 
yweiter Ferne, wo die Garden Alerander's lagerten, 


ey 


111 


flug von Zeit zu Zeit wüftes, tumultuarifches Ge⸗ 
ſchrei an fein Ohr. 

„Die Ruflen feinen guter Dinge, ſprach ber 
Kaifer zu Soult, „ic glaube, fie betrinfen ſich ſchon 
auf unfern Untergang.” 

Er ritt nad diefen Werten die Kette feiner Vor⸗ 
poften entlang und kehrte nach feinem Bivouak zurüd, 
Als er bei den Schildwachen der Garde vorüber kam, 
ward er fogleih erkannt. Ein einziges „Vive l’em- 
pereur!“ brachte fogleich das ganze Lager in Bewer 
gung. Die Soldaten verließen ihre Lagerpläke und 
ftinmten enthuftaftiich in ven Auf ein. Bereits hatte 
es Mitternacht gefchlagen. Die Armee erinnerte fich, 
daß der Jahrestag von Napoleon’s Krönmg are 
gebrochen ſei. Sogleich gerietben mehre Compag⸗ 
nien Garbegrenadiere auf ven ‚Einfall, Strohbündel 
auf Stangen zu fleden und anzuzlinden. Dieſes Bei- 
fpiel fand Nahahmung, verbreitete fi wie eine feu- 
rige Lawine von Bivouak zu Bivouaf, und binnen kur⸗ 
zer Zeit ftanden fiebzigtaufend Dann in Xeihe und 
Glied und brachten ihrem großen Raifer ein flam: 
mendes Angebinde. Es war eins der wunberähn- 
lichſten und großartigften Schaufpiele, die man fehen 
konnte. 

Als Napoleon bei dem Bataillone ſeiner Garde 
vorbei ging, das den Ehrennamen der „Öranit- 
colonne von Marengo“ führte, ſprach ex zu den 
alten Granbärten: 

„Die Ruſſen wollen unfern vechten Flügel um— 
gehen und bieten uns fo ihre Geite. Ich werde 
morgen dem euer fern bleiben, wenn Ihr mit ber 
gewohnten Tapferkeit Schreden und Verwirrung in 
ben feinvlichen Reihen verbreitet; follte aber ver 
Sieg einen Angenblid zweifelhaft fein, fo werdet 


112 


Ihr Euern Kaiſer fich dem dichteſten Kugelregen aus⸗ 
ſetzen ſehen.“ 

Auf dieſe Worte trat Morland aus dem Gliede 
nnd die Hand ſalutirend an bie Bürmlte legend, er⸗ 
wiederte er: 

„Sie! Du folft nicht nöthig Haben, Dich ber 
Gefahr auszufegen; ich verjprede Div im Namen 
der Grenadiere der Armee, daß Du blos mit ben 
Augen zu- fechten brauchſt, und daß wir Dir bie 
Kanonen und Fahnen ver Rufen bringen werben, 
um ben ‚Jahrestag Deiner Krönung zu feiern.“ 

Allmälig erlofh die majeſtätiſche Illumination 
und die frühere Stille trat wieder ein. Napoleon 
fehrte nad) feiner Hütte zurüd. Er war von ber un- 
vermutheten, außerorbentlihen Huldigung auf's Tiefſte 
bewegt. 

„Die fo eben verlebten Augenbliche,“ ſprach er, 
„gehören zu ben fchönften meines Lebens; aber ich 
fühle tiefes Bedauern, wenn ich bebenfe, daß ich viele 
biefer braven Leute binnen wenig Stunden verlieren 
werde. Der Schmerz, den ich darum empfinde, fagt 
mir deutlich, daß es meine Kinder find, und ich 
glaube, dieſes Gefühl wird mid) noch einmal zum 
Kriege untüchtig machen.” 

Der Kaijer war eben im Begriff, fich wieder zur 
Ruhe zu begeben, als entferntes Pferdegeftampf durch 
bie Stille ver Nacht daher tönte, dag von Yugen- 
blid zu Augenblid näher kam, plöglid aber mit einem 
bumpfen Gekrach fich endigte. 

„Da ift Demand geftärgt,“ rief auffahrend ver 
Kaifer, „man eile, man ſehe, was e8 gebe.‘ 

Nach Berlauf weniger Minuten trat ber dienſt⸗ 
habende Adjutant mit der Melvung ein: 

„Sire,“ berichtete er, „ver Gardecapitain Ar⸗ 


113 


mand Maillebois, von ben Antillen kommend, 
bittet um die Gnade, Ew. Majeſtät eine Depefche aus 
St. Domingo überreichen zu dürfen. 

- „Armand Maillebois?“ frug ver Kaiſer über 
raſcht, „alſo doch noch vor Thorſchluſſe eingetroffen. 
Das muß ich geſtehen! Man führe ben Dfficier 
herein.“ 

Armand, deſſen Pferd von dem unechörten Nitte 
unfern von der faiferlichen Barake zu Boden geftürzt 
war, jedod ohne den fühnen Neiter zu verlegen, trat 
jett ein. 

‚Nun, willlonmen in Europa,“ ſprach Napo⸗ 
leon, „wie ftehen die Sachen auf Domingo ?“ 

„Die Sahne Frankreichs,“ antwortete Armand, 
„webt von einem Ende zum andern.“ 

„Wirklich ?” frug der Kaifer und fein Geſicht hei⸗ 
terte fih fihtbar auf, „und Herr Deffalines?“ 

„Iſt fo gut wie vernichtet,” fuhr - Armand fort; 
er überreichte feine Depefche, welche das Weitere bes 
richtet. 

Nachdem Napoleon gelefen, warb er vollflom- 
men guter Laune Er erkundigte fid) jest, wenn 
Armand an’s Land geftiegen, und als er die Ant- 
wort erhalten, rief er, ob der Kürze ver Zeit, in 
welher Armand ven langen Weg zurüdgelegt, ver⸗ 
wundert: 

„Aber wo Teufel, habt Ihr zwei Maillebois 
nur das Reiten geleent? Der Guifeppe jagt auch 
mit dem Sturmwind um bie Wette.” 

„Bir find Normannen, Ew. Majeftät,” verſetzte 
der Gefragte. 

„Beaumont,” wandte fih jest Napoleon 
zum dienſthabenden Adjutanten, „tragen Sie Sorge, 
daß der Capitain ein gutes und weiches Lager er⸗ 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXI. 8 


114 


Hhalte. Er wird ber Ruhe bedurfen. Fünf bis ſechs 
. Stunden Schlaf werben ihn in den Stand ſetzen, beim 
Beginnen der Schlacht die dritte E &cadron der Garbe- 
Grenadiere unter General Rapp zu commanbicen. Gute 
Nacht, mein braver Capitain.“ 

Armand Hangen viefe Worte des Raifers, feine 
Ruhe betreffend, Außerft augenehm, denn er war zum 
Tode ermübet und bebinfte vor Allem der Stärkung 
zum 1 beuozfteßenben Kampf. 

. Bald ruhte er tief in weichem Hen, Stroh und 
Deden und der geſundeſte Schlaf erguidte und ftärkte 
feinen ermatteten Körper. 

Weiße, geifterhafte Nebel ſanken immer dichter 
hernieder. Rings herifchte tiefe Stille. Bald waren 
vie Bivouaks beider Heere in tiefe Schleier gehüllt. 
Die nächſte Sonne follte über das Schickſal ver Welt 
entſcheiden. 


Es war die Sonne von — Auſterlitz! 


Zehntes Rapitel. 


Dos Licht des jungen Tages, bes zweiten Decem- 
bers 1805, brach herauf. Roch hüllte ein dichter Ne: 
bel alle Bivouafs ein; ; er war fo ſtark, daß man faum 
wenige Schritte weit zu fehen vermodte. Weit und 
breit herrſchte die tieffte Stile. Niemand hätte denken 
follen, daß hinter biejen feuchten Nebelveden Hundert- 
tauſende lagerten, daß in diefen grauen Schleiern zahl- 
loſe Blitze fchlummerten. 

Das franzöſiſche Heer griff zu den Waffen und 


115 


rüdte mit einer Ordnung wie auf dem Erercierplake 
in Colonnen nad den bezeichneten Stellungen. Diefer 
einhellige Aufbruch der in Boulogne an bie vollkom⸗ 
menfte Tactit gewöhnten Armee hatte etwas Ehrfurcht⸗ 
einflößendes. Man hörte in der Morgenſtille die Be- 
fehle der einzelnen Offiziere. 

Napoleon, umringt von allen feinen Mar- 
fällen, hielt auf ver Höhe feines Bivouals und war- 
tete, bis fi der Horizont volllommen aufgehellt haben 
wilde. Die Ungebuld der Generale und Soldaten, 
bie Schlacht zu beginnen, war groß; ber Kaiſer blich 
ganz rubig. | 

Da erhob fi ſtrahlend die Sonne zum Jahres⸗ 
tage Napoleon's, die Nebelveden zerreißen und ber 
Ihönfte Wintermorgen beleuchtet die beiden Armeen. 

Der Kaifer giebt die letzten Befehle und jeber 
Darical fprengt in geftredtem Galopp nad feinem 

orp8. 


„Soldaten!“ ruft Napoleon, indem er mehre 
Negimenter entlang reitet, „wir müſſen den Feldzug 
burch einen Donnerfchlag beenden, ver den Stolz un- 
ferer Feinde nieverfchmettert.“ | 

Alsbald fliegen Hüte und Tſchakos auf die Spigen 
der Bayonnette und der Ruf: „Hoc lebe der Kaiſer!“ 
wird das allgemeine Zeichen zur Schlacht. In bem- 
felben Augenblide beginnt die Kanonade auf dem äu- 
ßerſten rechten Flügel, welchen bie feindliche Avantgarde 
zu umgehen im Begriffe ift; aber eine unerwartete 
Bewegung des Marſchall Davouft thut dem Vor⸗ 
dringen der Ruſſen fehnell Einhalt. 

Zu gleicher Zeit fest fih Marſchall Soult in 
Bewegung und fucht mit den Divifionen. der Generale 


Vandamme und St. Hilaire ben feindlichen rech⸗ 
8* 


\ 


116 


ten Flügel abzufchneiven. Die Kuffen find durch die— 
jen kühnen Flankenmarſch überrafcht. 

- Bring Murat rüdt mit der gefammten Cavallerie 
vor. Der linke Flügel, unter Marfhall Lannes, 
al echelonförmig in Regimentscolonnen gegen den 
Feind. 

Eine furchtbare Kanonade erhebt ſich durch die 
ganze Linie. Zweihundert Geſchütze ſpeien Tod und 
Betrderben und faſt zweihunderttauſend Menſchen rücken 
zum Rieſenkampfe gegen einander. 

Noch ſchlägt man ſich keine Stunde, und ſchon iſt 
der linke Flügel des Feindes volllommen vom Cen— 
trum abgeſchnitten. Er iſt bereits bis Auſterlitz 
zurückgedrängt, woſelbſt das Hauptquartier der beiden 
Kaiſer ſich befindet. 

Während die Bewegungen ruſſiſcher Seits bereits 
von Unficherheit zeigen, herrſcht auf der franzöfiichen 
Linie die volllommenſte Ordnung. Der Alerblid 
Napoleon's wacht über dem ganzen unermeßlichen 
Schlachtgemälde. 

Die franzöſiſchen Reiterangriffe ſind alle von der 
Beſchaffenheit, daß fie zwiſchen den Bataillonen ber: 
vorbrechend, im glücklichen Falle dem Feinde außeror⸗ 
dentlichen Schaden zufügen und im entgegengeſetzten 
ſich die geworfenen Schwadronen auf das Fußvollk zu— 
rüdziehen können, das ſtets im Vorrücken begriffen iſt. 
Werben fie vom Feinde verfolgt, fo geräth dieſer zwi- 
ſchen das Kreuzfeuer der Infanterie und findet daſelbſt 
größtentheils ſeinen Untergang. 

Bald gab es auf Seiten ber Ruſſen und Deft- 
reicher Fein einiges Heer nieht, das in einem Sinne 
geleitet werben konnte und beffen einzelne Theile ſich 

gegenfeitig unterflügt Hätten. Bereits hatten die Stan- 
> en bie ® einbrice Schlachtlinie an zwei Orten burd- 


117 


brochen und die rufjifhen Stellungen wurden von ver- 
ſchiedenen Seiten angegriffen. 

Am Uebelften für vie Rufen fleht es auf ihrem 
linken Flügel aus, ber, wie bereits erwähnt, durch 

Marſchall Soult vollkommen abgeſchnitten iſt. Die 
franzöſiſche Infanterie ſteht zwiſchen ihm und dem 
ruſſiſchen Centrum. Die Kluft wird immer größer 
‚und gefahrdrohender. Da verſucht Kuntuſow einen 
außerordentlichen Schlag, um eine Vereinigung ſeines 
Mitteltreffens mit dem linken Flügel wieder herzu- 
ſtellen. Die Schwadronen der ruſſiſchen Gardecavalle⸗ 
rie donnern heran und werfen ſich auf die franzöſiſche 
Infanterie. Zwei Bataillone vom Viertes der Linie, 
gegen welche die furchtbare Colonne zuerſt anbrauft, 
werben geworfen. und ihr Adler fällt in die Hände 
der Ruflen. 

Sogleih ruft Napoleon, ver nidt fern ift: 

„Delfieres, laß Deine Unbezwingliden 
vorrüden !”' 

Trompeten ſchmettern. Im Augenblicke ftürzt ſich 
der tapfere Rapp an der Spitze der Mamelucken, 
zweier. Schwadronen Gardejüger und zweier Schwa⸗ 
dronen Gardegrenadiere auf die auserleſene Schaar 
Alexander's. 

Der Kampf der beiden Kaiſergarden zu Pferde 
iſt furchtbar. Die Erde dröhnt unter den Hufen 
zahlloſer Roſſe. Wild brauſen die Schwadronen über 
bie gefrorne Erde gegen einander. Tauſende von 
Schwertern flammen im Sonnenlicht. Es entſteht ein 
Kampf, Mann gegen’ Mann, wie in ven Schlachten 
des Mittelalters. Bald zeigt ſich Verwirrung in den 
Geſchwadern der Ruſſen. Sie werden geworfen, ein 
Theil zuſammengehauen, ein anderer gefangen genom⸗ 
men; unter Letztern befindet ſich der Furft Repnin, 


118 


Dbrift der Kittergarven. Das Regiment des Groß- 
fürften Conftantin wird gänzlih vernidtet. Cr 
felbft verdankt feine Rettung nur der Schnelligkeit 
feines Pferdes. 

Bon der Höhe von Aufterlit fehen die beiben 

Kaifer die Niederlage ihrer Garden. Sie ſuchen ih- 
nen Hülfe zu fenden, da rüdt das franzöfliche Cent⸗ 
um unter Bernadotte vor. Desgleichen greift 
Marſchall Lannes mit dem linken Flügel breimal 
an. Alle feine Angriffe find glänzend und ſiegreich. 
Seine Cuiraſſierdiviſionen donnern gegen bie feindlichen 
Batterien und bemächtigen fich derfelben. Ueber das 
feindliche Heer bricht die Verheerung ein. 
Es iſt ein Uhr Mittags. Der feinen Augen- 
blick zweifelhaft gewefene Sieg ift entſchieden. Na⸗ 
poleon hat nicht einen Dann feiner Reſerve be⸗ 
durft. Die zehn Bataillone feiner Garde und die 
zehn Grenadierbataillone unter Dubinot, dieſe ganze 
erlejene Schaar, umringt von vierzig Kanonen, fteht 
noch immer Gewehr beim Fuß, aber murrend, blos 
müſſige Zufchauer bei der großen Heldenſchlacht ge- 
weſen zu fein, in ver Nähe bes franzöfiſchen Haupt⸗ 
quartiers. 

Biermal hatte die Garde. fih vorwärts zu werfen 
verlangt und ihre Murren ſich verboppelt. 

Da ift der Kaiſer mit feiner Schlachtenflirn her- 
angefprengt und hat donnernd Ruhe geboten. 

„Aber Du giebft uns auch niemals etwas zu 
thun,“ antwortete bei biefer Gelegenheit ein alter 
Grenadier. 

In dieſem Augenblicke führt Armand Mail- 
lebois, blutend und pulvergefihwärzt und mit zer- 
brochenem Säbel den ruſſiſchen Fürften Repnin, 


119 


ben ‚er mit eigener Hand zum ©efangenen gemacht, 
vor Napoleon. 

„Sire,“ ruft dieſer General, „Laflen Sie mich er- 
fhießen, ich habe alle meine Kanonen verloren.” 

„Prinz,” antwortete der Kaifer, „ic achte Ihren 
Schmerz, doch kann man durch meine Armee gefchla- 
gen werden, ohne aufzuhören, ein braver Militair zu 
fin. Maillebois, man gebe dem General feinen 
Degen zurüd.” | \ 

Napoleon reitet ruhig nah der Höhe feines 
Bivouaks zurüd und überfhaut mit feiner gewohnten 
Schlachtenruhe das furchtbar- majeſtätiſche Schaufpiel, 
das ſich vor ihm ausbreitet. Rings in meilenweitem 
Umkreiſe nichts als flammende Batterien, Rollen und 
Geknatter des Peloton⸗ und Heckenfeuers, donnernde 
Cavalleriechargen und ſtürmende Bayonnettangriffe. 

Wie der Meiſter über ſein Werk, ſo ſchaut der 
große Mann über das Schlachtfeld. Ununterbrochen 
kommen Adijutanten und Orbonnangofflziere mit Mel⸗ 
dungen aus allen Gegenden geflogen und jagen eben 
ſo ſchnell mit neuen Verhaltungsbefehlen nach ihren 
Corps zuräd. 

„Mouſtache,“ ruft der Kaiſer ſeinem in der Nähe 
haltenden Cabinetscourier zu, „reiten Sie nad) Paris, 
fo ſchnell Sie können und melden Sie ber Kaiferin 
Sofephine, daß die Hauptſchlacht gewonnen und der 
Feldzug beendigt fer.“ 

Zu derſelben Zeit werben Couriere an die Fürften 
von Baiern, Württemberg und Baden mit der 
Siegesnachricht entfenbet. 

Allmälig verftummen ‚die. rufliihen und öſtreichi⸗ 
Shen Batterien. Nur auf dem franzbſiſchen rechten 
Flügel dauert bie Kanonade ununterbrochen fort. 
Soult und Davouſt drängen bie abgefchnittene 


12) 


and in völliger Auflöfung begriffene, feindliche Linke 
vor fi ber. Die Ruffen werden von Höhe zu Höhe, 
von Stellung zu Stellung getrieben, bis fle in einer 
Niederung angelangt, bei einem gefrornen See, wo fie 
nicht weiter können, Poſto faſſen. 

Wieder jagen Adjutanten heran und melden das 
Schickſal des feindlichen Corps. Sogleich wendet ſich 
der Kaiſer im Sattel und ruft dem Artilleriegeneral 
Drouot zu: 

„Zwanzig Piecen! En anvant!“ 

Er verläßt feinen Pla und galoppirt quer über 
das Schlachtfeld nah feinem rechten Flügel. Raſſelnd 
folgte ihm eine Batlerie von zwanzig Kanonen reiten: 
der Artillerie So wie er die Anhöhe erreicht bat, 
von wo aus das abgefchnittene Corps und ber See 
beftrichen werden können, läßt er auffahren und ab- 
pıogen. Ein Theil des ruſſiſchen Corps ift bis mit: 
ten auf den gefrornen See zurüdgedrängt. 

„Sire,“ fragte Berthier, „joll man fie mit Kar⸗ 
tätjchen befchießen ?“ 

„Man muß fie Alle vernichten,” erwiebert troden 
der Kaifer. 

Sogleich werben die Geſchütze, anftatt auf die in 
Unordnung geworfene Maffe, auf die Eisdede gerichtet. 
Die Kanonen- und Haubitzkugeln zerreißen viefelbe als- 
bald in große, ungeheure Stüde. Ganze Compagnien 
fuchen jicdy einen Augenblid auf dieſen unfihern Eis— 
ſchollen zu halten, auein bald wird die Lajt zu jchwer, 
die Schollen berften und unter dem verzweiflungsvollen 
Kampfe gegen Wellen, Ei8 und feindlichen Stugeln 
finden unter fürchterlichem Todesgeſchrei mehre taufend 
Menſchen ihr Grab. 

Während diefer Zeit macht Berthier ven Kaiſer 
auf die furchtbare Wirkung der Artillerie gegen den 


121 


Feind aufmerkſam. Mit halblauter Stimme murmelt 
der Kaiſer vor fi hin: 

„Ich werbe niemals vergefien, daß ich in biefem 
Corps meine Laufbahn begonnen. Die Artillerie wird 
künftig die erſte Waffe der franzöfiihen Armee fein. 
IH Tann mich jedoch nicht enthalten, das Schickſal 
diefer braven, aber unglüdlihen Leute zu beklagen, 
welche beſſere und geſchicktere Führer vervient hätten.” 

Kaum hatte der Kaifer diefe Worte gefprochen, als 
bie Kanonen zu feiner Nedhten verftummen: fie haben 
ihren Zweck erreicht. Alles, was ſich auf der Eisdecke 
befunden, Menſchen, Roſſe, Kanonen, Deunitionswagen, 
ift von der Oberfläche des Waffers verſchwunden, und 
in den Abgrund verſunken. 

So endigte diefe in den Annalen der Weltgefchichte 
ewig denkwürdige Schlacht, in dem dreißigften Bulle: 
tin der großen Armee „ein wahrhafter Riefenfamyf,“ 
von den Soldaten die „Dreikaiſerſchlacht“ oder bie 
„Krönungsſchlacht“, von Napoleon aber die Schlacht 
bei Aufterliß genannt, welden Namen fie aud) be- 
halten bat. 

Alles, was von dem Genie eines großen Feld⸗ 
herrn, von der Pünkılichkeit in der Ausführung feiner 
Befehle, von der durchdachteſten Strategie, vollendet⸗ 
ſten Taktik und endlih von der perfünlichen Bravour 
der Soldaten verlangt werden kann, findet ſich in der 
Schladt von Aufterlig vereinigt. Wie groß fie 
auch in politifcher Bedeutſamkeit vafteht, jo wird 
fie dennoh von ver. kriegs wiſſenſchaftlichen Bes 
deutſamkeit noch übertroffen. 

Unermeßlich ſind die Vortheile und die Beute des 
Siegers. Zehntauſend Todte bedecken feindlicher Seits 
die Wahlſtadt; zehntauſend ſind theils verſprengt, 
theils in den See verſunken. Die Anzahl der Ge— 


122 


fangenen beläuft fi) auf zwanzigtaufend, darunter Drei 
Generallientenants, ſechs Generalmajors, zwanzig Ober- 
offiziere und achthundert andere Offiziere von allen 
Graden und Waffengattungen. Erbeutet wurben vier- 
zig Bahnen, darunter bie der Faiferlich rufjifchen Garde, 
fehsundachtzig Kanonen, vierhundert Bulverfarren und 
fämmtliches fchweres Fußwerk. 

Für Napoleon ift e8 aber nidht-genug zu fiegen. 
Ihm liegen noch andere Pflichten ob. Er durcheilt 
das Schlachtfeld, beeilt vie Hülfe für die Verwunde⸗ 
ten, richtet tröftende Worte an fie. Er beſucht die Bi- 
vonals, dankt den Solpaten, preißt ihre ſchönen Tha⸗ 
ten, wünſcht allen Glück, denn alle haben ſich wie 
Helden gezeigt. 

Als der Kaiſer die verfchienenen Rapporte ber ver- 
ſchiedenen Armee-Commandanten durchlas, rief er: 

„Ih müßte mehr als menſchliche Kraft beiten, 
um alle diefe Braven würdig belohnen zu können.“ 

Unter denjenigen, weldhe ſich an dieſem denkwür⸗ 
digen Zage am Meiften ansgeichneien, befanden fich 
in dem Corps des Marfhall Lannes, die Divifions- 
Generale Suchet und Eafarelli; in dem von 
Dernadotte: Rivaud und Drouet; in dem von 
Soult: Legrand und ver ehrwürbige greife Saint 
Hilaire, der, obſchon beim Beginn ded Kampfes ver- 
wunbet, gleichwohl den ganzen Tag auf dem Schlacht⸗ 
felde aushielt; in dem Corps von Davouft: Friant 
und Öuidin. Die Cavallerie-Generale unter Murat 
hatten fich ſämmtlich ausgezeichnet. Unter den Adju- 
tanten des Kaifers bevedten ih Savary und Rapp 
mit Ruhm. Bolbubert allein ftarb an ven Yol- 
gen feiner Wunden. 

„Ih wünſchte mehr für Sie gethan zu haben,“ 
ſchrieb dieſer General noch in den legten Augenbliden 


123 


an Napoleon. „In einer Stunde werbe ich nicht 
mehr fein. Ich habe nicht nöthig, Sire, Ihnen meine 
Gattin und meine Kinder anzuempfehlen.“ 

ALS diefer tapfere General ven einer Haubitzkugel, 
weile ihm ven Schenkel zerriß, zu Boden geworfen 
und die Soldaten herbei eilten, ihn fortzutragen , vief 
er denſelben zu: 

„gZurüũck, meine Freunde! Erinnert Euch des Ta- 
gesbefehls. Erſt nad errungenem Siege werbet Ihr 
mid fortſchaffen.“ 

Der tödtlich verwundete Füflelier ChHarpentier, 
vom Einundvierzigſten der Linie, wollte durchaus 
wicht zugeben, daß ihn feine Kameraden in's Lazareth 
brachten. 

„Denkt daran nicht,” ſprach er, „ih will Lieber 
auf dem Schlachtfelde ſterben, als unter den Hänben 
ber Chirurgen. Zum wenigften bin ich bann ficher, 
daß ich nicht ſtückweis begraben werbe,“ 

Der Grenadier Trigaud vom adhtundvierzigften 
Regiment, deſſen Bruft von einer Büchſenkugel durch⸗ 
bohrt worven war, fragte am Abende bes Tages ben 
zu feiner Hülfe berbeigeeilten Arzt, ob er ‚wohl Bis 
zum folgenden Zage leben werde? Nach einer aus- 
weichenden Antwort bes Letztern, welder ihm bie 
Wahrheit nicht fagen wollte, fügte Trigaud mit 

philoſophiſcher Ruhe hinzu: 

„Verdammt! deut fhon zu ſterben, das iſt ja 
wider den Tagesbefehl. Morgen wäre x8 mir gleich⸗ 
gültig geweſen.“ 

Der Kaiſer bewilligte den hinterlaſſenen Wittwen 
der in der Schlacht gefallenen Generale, Offiziere und 
Soldaten Penſionen. Er adoptirte ‚bie Kinder der: 
jelben, forgte für deren Erziehung, Unterlommen, jo 
wie für die Ausſtattung der Töchter, Alle Berwun- 


124 


deten erhielten eine breimonatliche Solvzulage, jedoch 
empfingen nır Diejenigen, welche fi durch irgend 
eine glänzende Waffenthat oder außerordentliche Hand⸗ 
lung ausgezeichnet hatten, das Kreuz dec Chren- 
legion. 

Um endlich der ganzen Armee feine hohe Zufrie: 
denheit zu beweifen, ließ er nachſtehende Proflamation 
in den Tagesbefehl rüden, ven er felbft bictixte: 

„Solvaten der großen Armee! 

„Ih bin zufrieden mit Eu! Ihr habt an dem 
Zage von Aufterlit Alles gerechtfertigt, was id) er- - 
warten konnte. Ihr Habt Eure Adler mit unfterbli- 
hem Ruhm gekrönt. Eine Armee von hunderttaufend 
Mann, von den Kaifern von Rußland und Deftreich 
in Perfon befehligt, ift in weniger denn vier Stunden 
geivennt, zerftreut und befiegt worben. Was dem Teuer 
entflob, ift im See ertrunfen. 

„Splvaten! Als das franzöfifcge Volk die Faifer- 
liche Krone auf mein Haupt ſetzte, vertraute ich mid) 
Euch an, um fie ſtets in jenem Glanze des Ruhms 
in erhalten, welcher ihre nur allein in meinen Augen 

erthb geben konnte. Und jene eiferne Krone — 
durch das Blut fo vieler Franzoſen erobert — woll⸗ 
ten fie mid, verbindlih machen, auf das Haupt eines 
unferer erbittertften Feinde zu ſetzen! ... Berwe- 
gene und unfinnige Plane, weldhe Ihr gerade am 
Jahrestage der Krönung Eures Kaiferd vernichtet 
habt. Ihr Habt Ihnen gezeigt, daß es leichter ift, 
ung verhöhnen und Troß bieten, al® uns befiegen zu 
können. 

„Soldaten! Wenn Alles, was zum Glück und 
zur Wohlfahrt unſers theuren Vaterlandes nöthig iſt, 
erfüllt fein wird, werde ih Euch nach Frankreich zu= 
rüdführen. Dort werdet Ihr der Gegenjtand meiner 


125 


gem befondern Fürſorge bleiben. Mein Bolt wird 
uch mit Freuden wieberfehen und es wird Euch 
genügen zu fagen: „ih war mit bei Aufterlig,“ 
um Euch darauf zu antworten: „Siehe da, ein 

Braver?“ 


Eilſtes Rapitel. 


Der Kanonendonner iſt faſt ganz verhallt, nur aus 
weiter Ferne tönen noch vereinzelte Schüſſe der fran— 
zöſtſchen Avantgarden, welche ununterbrochen die Tküm⸗ 
mer der geſchlagenen Armeen verfolgen. Der Kaiſer 
reitet auf dem Schlachtfelde umher, hier und da vom 
Pferde ſteigend, und Verwundeten Troſt und Hülfe 
ſpendend, ba ſtellt ſich ihm plötzlich ein Grenadier ſei⸗ 
ner Garde vor, es iſt Morland, der ſalutirend die 
Hand an die Bärmütze legt. 

„Was willſt Du, mein Alter?“ fragt Napo⸗ 
leon gütig. 

„Sie, er hat fie!” 

„Erklär'. Dich deutliher, Morland, ich verftehe 
Dich nicht.“ 

„Sire,“ fährt ter Grenadier fort, „er hat bie 
Kanone, weiß Gott, er hat ſie.“ 

„Wer hat die Kanone?“ 

„Der Nap dort!“ 

Mit dieſen Worten zeigt Morland nach einer 
Gruppe Grenadiere, die ſich in einiger Entfernung 
um einen ruſſiſchen Zwölfpfünder geſchaart haben. 
Der Kaiſer lenkt fein Roß dahin und es bietet ſich 


126 


ihm der rührendſte Anblid dar. Zehn bis zwölf Gre- 
nadiere feiner Garde umringen ſtumm einen Yüngling, 
ver bleih und leblos noch bie Lafette eines feindlichen 
Geſchützes umklammert hält, das er mit beiſpielloſem 
Heldenmuthe erobert hat. Es iſt Napoleon Mail— 
lebois, der kleine Kanonier. 

Der Kaiſer ſpringt vom Pferde. 

„D, mein Kind, mein Kind!“ ruft ex ſchmerzvoll 

8, Iſo haſt Du’ meinen Scherz für Ernſt genom- 
men! Feldſcheer, ift noch Rettung ?“ 

Der Wundarzt legt fanft feine Hand an die Bruft 
des töbtlich.. Verwundeten. 

„Roh ſchlägt leis das Herz,” erwiebert er. 

5 er muß mir gerettet werben,“ fährt ber Kai- 
fer auf das Tieffte ergriffen fort, indem er niedertniet 
und bie bleiche Wange des Jünglings ſtreichelt, „Feld⸗ 
ſcheer, Du mußt mir ihn retten, auf, eilt nach meinen 
Aerzten, er iſt ja mein Taufpathe, ich kenne ſeinen 
Vater ganz gut, dieſer diente mir in Egypten.“ 

Der Kaiſer richtet ſich auf, er ſchaut ſich um im 
Kreiſe ſeiner Orenadiere, er ſieht, wie ben alten Ve— 
teranen die Thränen in den Bart träufeln, er ver⸗ 
nimmt das Nühere über die Heldenthat des jungen 
Maillebois, fein Auge ftrahlt von ungewöhnlichen 
Feuer, fein Antlitz verklärt ſich — er ſchaut über das 
winterlihe Schlachtfeld von Aufterlig, über pas 
Feld fo vielen Ruhms. 

„Ba, Ihr Franzoſen!“ ruft er, „Uhr ſeid doch 
das größte Volk der Welt.“ 

Der Verwundete wird jetzt mit der außerordent⸗ 
lichſten Sorgfalt von den Grenadieren der alten Garde 
nad dem nächſten Bivouak gebracht; Napoleon ſelbſt 
begleitet zu Fuß den Zug und trägt Sorge, daß Alles 
angewendet wird, den Heldenjüngling zu retten. 


127 


„Morland,” ſprach der Kaifer zum Gergeanten, 
der unmittelbar hinter ihm fchritt, mit leichtem Vor⸗ 
wurf, „fonnteft Du nicht dem Kinde auseinander 
ſetzen, daß es nicht jo ernitlih gemeint war?” 

„du, Em. Majeftät,“ entichuldigte ſich Diefer und 
die Thränen traten ihm gleihfalld hervor, „ich hab’ 
e8 wohl gethan. „Närrifher Kerl,“ fagte ich, als 
ihm die Kanone gar nicht wieder aus dem Kopfe 
wollte, „der Kaifer bat es gar nicht fo ernft gemeint; 
aber er war einmal auf bie gottverfluchte Donner- 
büchfe verjefien, was kann ih dafür ?“ 

Napoleon kehrte fchweigend und innerlidhft be- 
wegt nad feinem Hauptquartier von Aufterlig zu— 
rück; doch kaum hatte er dieſes Dorf erreicht, als ihm 
abermals ein Maillebois in ven Weg fam. Es 
war Öuifeppe, welcher foeben von Saint Cloud 
anlangte und ihm ben Brief der Kaiſerin überreichte. 
‚Der Seegardiſt war außer fih und in Verzweiflung, 
die große Schlacht verfäumt zu haben. Er made 
ven Kaiſer in feiner geradherzigen Weiſe orbentlich 
Vorwürfe, daß er ihn nah Frankreich geſchickt, wäh- 
rend er der ganzen Armee Gelegenheit gegeben, fich 
mit Ruhm zu bededen. 

Der Raifer mußte lächeln. 

„Du fiehft, Guiſeppe,“ ſprach ee, „bag wir 
auch ohne Dich mit den Ruſſen fertig geworven find. 
Uebrigens gräme Dich nicht, der Name Maillebois 
ift darum nicht vermißt worden und er hat ſich mei- 
ner und des Vaterlandes würdig bewiefen. Doc jet 
ruhe Did aus. Du folft mir morgen an die Grenze 
"Italien reiten und den Maſſena ärgern, indem 
Du ihr die Nachricht von unferm großen Siege 
überbringft. Sage ihm, daß ic, ſchon breißig Schlach⸗ 
ten wie dieſe geliefert, aber keine, wo ber Sieg fo 


128 


glänzend, bie Entjcheivung fo wenig ſchwankend und 
das Reſultat fo unermeßlich gewefen wäre,“ 

In Aufterlig - angelangt, ftieg ber Kaiſer in 
einem bem Fürften von Kaunitz, Schwager des 
Herrn von Metternich, zugehörigen Schloffe ab und 
errichtet hier für dieſe Nacht fein General» Haupt: 
gutartier. 

Ein großes Teuer war bereit in einem geräumi- 
gen Saale des Farterre angezündet und eine Fleine 
Tafel vor das Kamin geftellt worden, an welche ſich 
Napol eon, um zu diniren, niederließ; denn außer 
einem halben Glaſe Punſch, welches er am Morgen 
vor Anbruch des Tages getrunken, hatte er die ganze 
Zeit über nicht das Geringſte zu ſich genommen. 

Indem er eben damit beſchäftigt iſt, ein Stück 
Huhn, welches man aufzuwärmen nicht einmal Zeit 
gehabt, kalt zu verzehren, macht man ihm die Mel- 
dung, Daß einige von den in ber Schlacht gefangen 
genommenen Dberoffizieren im Hanptquartiere einge⸗ 
troffen ſeien. 

„Führen Sie dieſelben zu mir,“ ſagt er zu 
Savary. 

Dies geſchieht. Die Gefangenen, neun an der 
Zahl, erſcheinen im Saale. Napoleon empfängt 
fie mit Wohlwollen und ift bemüht, ihnen ihr Schid- 
fal zu milvern. Derſelbe Dann, welcher ſich jo leicht 
über jedes ihm in ten Weg tretende Hinderniß er⸗ 
zürnen konnte, und der, welcher denjenigen, der ihm 
auch nur den geringſten Wiverjtand entgegenfeßte, chne 
Unterfchied der Rechte und tes Ranges mit fo viel 
Stolz zu behandeln verjtand, war nicht mehr derfelbe, 
wenn er fih als Eieger in Gegenwart feiner beſieg⸗ 
ten Feinde befand. Er tröftete Letztre und diefe Troſt— 
ſprüche waren nicht blos der Abglanz einer erheuchel- 


131 


Bein und ihn dem Grafen Yangeron präjenficend, 
ſprach er: 

„Trinken Sie, mein Herr es wird dies Ihnen 
nur wohl bekommen.“ 

Als ſich der Graf zum Zeichen der dankb arſten 
Annahme mehrmals verbeugte und im Begriffe ſtand, 
den Becher an die Lippen zu führen, rief ihm der 
Kaiſer mit einem viel ſagenden Blicke zu: 

„Einen Augenblick, Herr von Langeron! — 
Ich muß Sie darauf aufmerkſam machen, daß es — 
franzöſiſcher Wein iſt, Wein aus Burgund,“ 
fügte er betonend h’nzu. 

Ein tiefes Stillſchweigen folgte auf bieie nicht 
unedle Rache; wohl verzeihlich einem Souverain, der 
ein gegen ihn und fein angeborne® Baterland fim- 
pfendes und mit ven Waffen in ver Hand ergriffenes 
Landeskind vor fich fieht. 

Einige Zeit darauf ergriff Napoleon wieder das 
Wort und fagte zu den gefangenen Generälen in je 
nem kurzen, jcheinbar unſchlüſſigen Tone, der aber 
die Aufmerk amkeit des Angeredeten um fo mehr fej- 
felte und den er in ter Regel dann anzunehmen 
pflegte, wenn er wollte, daß aud nicht eines jeing 
Worte verloren gehe: 

„Meine Herren, id) bebaure, daß fo brave Leute 
wie Sie, Opfer eines Cabinets, wie des englifchen, 
geworten, welches fich nicht ſcheut, die Würde der 
Nationen zu compremittiren, indem es die Dienſte 
ihrer Alliirten durch Subſidien erhandelt und erkauft. 
Jetzt, nachdem mir Ihre Namen bekannt, erkläre ich 
Ihnen, daß Sie Alle, mit einer einzigen Ausnahme, 
und überall wo Sie heſochten, ehrenvoll daſtehen.“ 

Nach dieſen Worten machte Napoleon ein Jets 
chen und die fremden Generäle wurden entlaſſen. 

g* 


130 


lein der Graf Langeron hatte dieſes Anerbieten 
ausgeſchlagen. 

Als daher der Kaiſer den Namen dieſes Generals 
hörte, warf ſich ſeine Stirn in Falten. 

„Diefer iſt beklagenswerther als alle Uebrige,“ 
ſagte er Halb laut und ſich wieder zu den Gefange— 
nen wendend, frug er in ziemlich indifferentem Tone: 

„Wer commandirte dieſen Morgen Ihre Armee?“ 

„Sire, es war der Kaiſer Alerander.” 

„Ich fragte Sie nach dem Namen des Generals 
en Chef, der die ruſſiſche Armee befehligte,“ wieber- 
holte er laut. 

Der General Kutuſow, Sire!” 

„ab, das ift etwas andres,“ verfegte er nun, 
„denn der Kaifer Alerander ift no zu jung, um 
die Bewegungen einer fo zahlreichen Armee, wie bie 
Ihrige war, zu leiten.“ 

„Sire,“ erwiederte vefpectvoll der General, in 
der Abfiht die Eigenliebe des Siegers vielleicht zu 
ſchmeicheln, „Ew. Majeftät find nur einige Jahre äl- 
ter als der Kaifer Alexander, mein Gebieter” 
— bier hob Napoleon den Kopf empor — „und 
dennoch haben Sie ſchon mehr als zwanzig Schlachten 
gewonnen.” 

„Mein Herr, fagen Cie vierzig,“ unterbrad) ihn 
der Kaiſer mit balbem Lächeln, „und Cie werben ſich 
nicht täufchen. Ihr Gebieter, da es Ihnen einmal 
fo beliebt ihn fo zu bezeichnen, iſt wenigftens acht 
Jahre jünger als ich, doch bin ich vielleicht um ein 
ganzed Jahrhundert älter als er — freilich ıft er 
vr nit in folhe Schule gegangen, wie Sie und 
1 „“ — 

Damit raſch die Unterhaltung abbrechend, füllte 
er einen vor ſich ſtehenden ſilbernen Becher mit 


131 


Dein und ihn dem Grafen Yangeron präjentirend, 
ſprach er: 

„Trinken Sie, mein Herr, es wird dies Ihnen 
nur wohl befonmen.“ 

Als fih der Graf zum Zeichen der dankb arſten 
Annahme mehrmals verbeugte und im Begriffe ftand, 
den Becher an die Lippen zu führen, xief ihm ver 
Kaifer mit einem viel fagenren Blide zu: 

„Einen Augenblid, Herr von Pangeron! — 
Ih mug Eie darauf aufmerfjam machen, daß es — 
franzöfifher Wein if, Wein aus Burgund,” 
fügte er betonend h'nzu. 

Ein tiefes Stillſchweigen folgte auf dieſe nicht 
unedfe Rache; wohl verzeihlicdy einen Souverain, der 
ein gegen ihn und fein angebornes Vaterland füm- 
pfendes und mit ten Waffen in ber Hand ergriffenes 
Landeskind vor fich ficht. 

Einige Zeit darauf ergriff Napoleon wieder das 
Wort und fügte zu den gefangenen Generälen in je- 
nem furzen, ſcheinbar unfchlülfigen Tone, der aber 
die Aurmerfianıfeit des Angereveten um fo mehr fej- 
felte und ven er in der Regel dann anzunehmen 
pflegte, wenn er wollte, daß auch nicht eines ſeiner 
Worte verloren gehe: 

„Meine Herren, ich bedaure, daft fo brave Leute 
wie Sie, Opfer eines Cabinets, wie des englifchen, 
geworden, welches ſich nicht ſcheut, die Würde der 
Nationen zu compremittiren, indem es die Dienſte 
ihrer Alliirten durch Subſidien erhandelt und erkauft. 
Jetzt, nachdem mir Ihre Namen bekannt, erkläre ich 
Ihnen, daß Sie Alle, mit einer einzigen Ausnahme, 
und überall wo Sie geſochten, ehrenooll daſtehen.“ 

Nach dieſen Worten machte Napoleon ein Zei— 


den und tie fremden Generäle wurden entlaſſen. 
g* 


132 


Raum hatten fie fi entfernt, als der Kaifer den 
firengen Befehl erließ, tag man bie Gefangenen mit 
aller ihrem Unglüde gebührenden Schonung und Rüd- 
fiht behandele. 

Es war nahe an Mitternadt; die auf Recognos- 
cirung ausgeſchickten Ordonnanzoffiziere famen mic ber 
Meldung zurüd, daß fih der Feind nah Gording 
zurüdziehe. Napoleon durchlas alle eingehende 
Rapporte. 

„Meine Herren,” ſprach er, „meine Meinung iſt, 
daß in einem Kriege noch nicht Alles entfchieven ift, 
fobalo noch Etwas zu thun übrig bleibt. Cin Sieg 
ift dann allemal unvolfftändig, wenn man ihn nod) 
vollftändiger machen kann.“ 

Dem Andjutanten, welder um Berhaltungsbefehle 
für ten Marihall Davouft bat, gab er zur Antwort: 

„Im gegenwärtigen Falle giebt e8 nur eine 
Berhaltungsreget, nur eine Generalsordre. Sagen 
Sie ven Marfhall Davouft, er folle dem Yeinde 
fo viel Schaden thun als immer möglich. Eilen 
Sie!” 

Kaum war ver Adjutant Davouſt's davon ge- 
jprengt, ald General Ju not — welcher ſich feit fei- 
ner Rückkehr aus Portugal fortwährend in der näch— 
ſten Nähe des Kaiferd befand — die Ankunft des 
Heren von Haugwig, Gefandten des Königs von 
Preußen meldete. 

„ah, ich erwarte ihn,“ rief Napoleon, „er 
trete ein.” 

Der Minifter wurde eingeführt und überreichte 
dem Kaiſer ein verfiegeltes Papier, das er mit eini- 
ger Scwierigfeit aus der Seitentaſche feiner Uniform 
zog. Indem Napoleon diefen Brief des Königs 
von Preußen in Empfang nahm, Läcelte er, las 


133 


venfelben zwei Mal, und mit einem Blide, der das 
Innerfte bes preufiifchen Sefandten zu durchtringen 
ſchien, fagte er, auf ben wieder zufammengefalteten 
Brief deutend: 

„Herr Baron! Sie fehen hier ein Compliment, 
deſſen Adreſſe nur die Umſtände verwechſelt haben. — 
Es iſt gut.“ 

Und mit einer leichten Bewegung des Kopfes, gab 
er das Zeichen zum Abſchiede. 

„Ich wette,“ ſprach der Kaiſer, nachdem ſich der 
Miniſter entfernt hatte, zu ſeinem General - Adjutan- 
ten, „daß diefer Mann zwei Briefe in der Ta'che 
hatte. Haft Du bemerkt, Junot, wie lange er Zeit 
brauchte, um ten herauszufinden, ber das Compliment‘ 
zu meinem Siege enthielt. In dem andern ftand ges 
wig eine geharnifchte Kriegserklärung. Ich würde 
wohl gelacht haben, wenn er ſich vergriffen hätte, 
Wenn id) ein Xürfe war, fo mußte ich den Herrn 
Baron durchſuchen laſſen.“ 

„Gott ſei Dank, Sire,“ erwiederte Junot, 
„man weiß, daß Ew. Majenät fein Türke find.” 

„Nun bin ic fehr begierig,“ fuhr der Sailer 
auf- und abgehend fort, „was mir morgen ber Rai« 
fer von Denreih au fagen haben w:rd, der mid) 
durch den Yichtenftein zu einer Unterredung, einige 
Meilen von bier, hat einladen laſſen.“ 

Nach einiger Zeit blieb ver Kaiſer wieder vor 
Junot ftehen. 

„Apropos, “ fprad er, „da fällt mir ein, daß 
wir nus in dem Armand Maillebois nicht ges 
täufht haben, das ift ein höchſt braver unge. 
Geſtern erft von den Antillen zurüd, hat er heute 
unter Rapp wie cin junger Gott gefocdhten und den 


132 


Raun hatten fie fi ‘entfernt, als ver Kaiſer den 
ſtrengen Befehl erließ, daß man die Gefangenen mit 

aller ihrem Unglücke gebührenden Schonung und Rück— 
fiht behandele. 

Es war nahe an Mitternadt; die auf Necognos- 
cirung ausgeſchickten Ordonnanzoffiziere famen mic ber 
Meldung zurüd, daß fih ver Feind nah Gording 
zurüdziebe. Napoleon durchlas alle eingehenve 
Kapporte. 

„Meine Herren,” ſprach er, „meine Meinung ift, 
daß in einem Kriege no nicht Alles entfchieden ift, 
fobalo nody Etwas zu thun übrig bleibt. Ein Sieg 
ift dann allemal unvolftändig, wenn man ihn nod) 
vollftändiger machen kann.“ 

Dem Adjutanten, welder um Berhaltungsbefehle 
für ren Marſchall Davouft bat, gab er zur Antwort: 

„Sur gegenwärtigen alle giebt ed nur eine 
Berhaltungsreget, nur eine Generalsordre. Sagen 
Sie ven Marſchall Davouft, er folle dem Feinde 
fo viel Scaven tun als immer möglid. ilen 
Sie!“ 

Kaum war der Adjutant Davouſt's davon ge- 
Aprengt, als General Ju not — welder fidy feit fei- 
ner Rückkehr aus Portugal fortwährend in der näch— 
fien Nähe des Kaifers befand — die Ankunft des 
Heren von Haugwitz, Geſandten des Könige von 
Preußen melbete. 

„ah, ih erwarte ihn,“ rief Napoleon, „er 
trete ein.“ 

Der Minifter wurde eingeführt und überreichte 
dem Kaiſer ein verjiegelted® Papier, das er mit eini- 
ger Schwierigkeit aus der Seitentaſche feiner Uniform ' 
309. Indem Napoleon diefen Brief des Königs 
von Breufen in Empfang nahm, lächelte er, las 


133 


venfelben zwei Mal, und mit einem Blide, der das 
Innerfte des preußifchen Geſandten zu durchdringen 
fhien, fagte er, auf den wieder zufammengefalteten 
Brief deutend: 

„Herr Baron! Sie fehen hier ein Compliment, 
befjen Adreſſe nur die Umſtände verwechſelt haben. — 
Es ift gut.” 

Und mit einer leichten Bewegung des Kopfes, gab 
er das Zeichen zum Abfchieve. 

„Ih wette,“ fprad der Kaifer, nachdem fich der 
Minifter entfernt hatte, zu feinem General- Adjutan- 
ten, „daß diefer Mann zwei Briefe in der Tarche 
hatte. Haft Du bemerkt, Junot, wie lange er Zeit 
braudte, um ten herauszufinden, der das Sompliment' 
zu meinen Siege enthielt. In dem andern ftand ge= 
wiß eine geharniſchte Kriegserklärung. Ich würde 
wohl gelacht haben, wenn er ſich vergriffen hätte. 
Wenn ich ein Türke war, fo mußte ich den Herrn 
Baron durchſuchen laſſen.“ 

„Gott ſei Dank, Sire,“ erwiederte Junot, 
„man weiß, daß Ew. Majenät kein Türke ſind.“ 

„Nun bin ich ſehr begierig,“ fuhr der Kaiſer 
auf= und abgehend fort, „was mir morgen ber Rai» 
fer von Oenreich zu fagen haben w:rd, der mid 
buch den Yichtenfteim zu einer Unterredung, einige 
Meilen von hier, hat einladen laſſen.“ 

Nach einiger Zeit blieb der Kaiſer wieder vor 
Junot ſtehen. 

„Apropos, “ſprach er, „da fällt mir ein, baß 
wir nus in dem Armand Maillebois nicht ge- 
täufht haben, das ift ein höchſt braver Junge. 
Geftern erft von den Antillen zurüd, hat er heute 
unter Rapp wie cin junger Gott gefochten und ben 


134 


Fürften Reppnin mit eimer Hand gefanzen ge— 
nommen. 

„Doch,“ fuhr er nach einer Pauſe fort, „er joll 
fih nicht über mich zu beflagen haben. Iſt nur erit 
Frieden und fiud wir wieder in Frankreich, fol 
er fein Püppcden, ver zu Gefallen er fo dumme 
Streiche machte, befommen. Ich habe tas Kind einſt⸗ 
weilen bei Joſephinen in Benflon gegeben; übri» 
gend muß das Mädchen bemerkenswerth hübſch und 
gut fein, die Kaiferin hat es ganz in ihr Herz ges 
ſchlofſen und madt mir viel Rühmens davon.“ 

„Bräulein von Nevers,“ geftand Innot, „ifl 
von wunderbarer Echönheit und engelgutem Herzen.‘ 

„Ich ſehe wohl, Tachte ver Kaiſer, „was ein 
paar ſchöne Augen in aller Unſchuld für Unheil an« 
ftiften fünnen, mir ven braven Jungen von feiner 
Pfliht abzuleiten. Doch genug davon. Alles ift 
vergeben. Armand hat feine Thorheit mich vergeſ⸗ 
fen maden. 

„Meberhaupt,“ fügte Napoleon Hinzu, „id 
wüßte nicht, wen ich jo lieb hätte, als dieſe drei 
Maillebois, das find Franzoſen, wie fie fein jol- 
len. Wenn mir nur ver Kanonier nicht drauf geht. 
Denfe Dir, Junot, erobert mir das Kindchea einen 
Zwölfpfünder. Du bätteft heut! meine alten Grena— 
diere follen weinen fehen. Laß mid nur ein Wenig 
zur Ruhe kommen, ich denke mir mit den drei Jun— 
gen fhon Etwas aus. Wie gefagt, wenn mir nur 
der Ranonier nicht drauf geht, mem Namensoetter.“ 

Am darauf folgenden Tage, ren dritten Decem- 
ber, um adt Uhr Morgens, wo tie Sonne zwar ma— 
jeſtätiſch am iftlihen Horizonte, das Thermometer 
aber zwölf Grad unter Null ftand, verließ Nap o— 
leon das Ruftfhloß des Fürſten Kaunitz, um ji 


135 


in der Richtung der großen Landftraße nah Holitſch, 
in eine noch vor den Vedetten Bernadotte's ges 
legene Mühle zu begeben. -&8 war biefer ungefähr 
brei und eine halbe franzöfiihe Meile von Aufter- 
liß entfernte Ort zum Rendezvous bezeichnet worden. 

Der Kaiſer ritt num im Schritt, denn er wollte, 
daß feine fämmtlihen Garden ihn dahin begleiteten. 
Nachdem er vom Pferde geftiegen, ließ er ein Feld⸗ 
feuer anzünden, während er felbit, feine Hände in 
die Taſchen feines grauen Rocks geftedt, auf dem ge 
frornen Boden auf und ab promenirte, oft mit ben 
Füßen ftampfend, um fich zu erwärmen. 

Die Garde ftand, das Gewehr im Arm, zweis 
hundert Schritte dahinter in Schladterdnung und bie 
Soldaten ſuchten fih dadurch warm zu maden, daß 
fie das Beilpiel ihres Kaifer nachahmten und bie 
Füße gegen einander ſchlugen. 

Es währte nicht lange, fo melvete man die Ans 
funft des öftreihiihen Monarchen, welder in einem 
wohlverdedten Wagen anlangte. Er war von den Für- 
ften Johann und Mori von Licdtenftein, den 
Generälen Kienmayer, Bubna und Gtutter- 
heim, fo wie von mehren Oberoffizieren begleitet 
welchen ſich eine Eskorte ungarifher Huſaren anſchloß 
Dieſe letztre blieb, ebenſo wie die Eskorte der kaiſer⸗ 
lich-franzöfiihen Generalſtabswache, auf zweihundert 
Schritte von tem Zuſammenkunftsplatze zurück. Na⸗ 
poleon ging dem Kaiſer Franz zu Fuße entgegen 
und empfing ihn mit einer Umarmung. Der Prinz 
Johann von Lichtenſtein folgte feinem Souverain 
bi8 zu den Feuer Napoleon's und hielt fi) da» 
jelbft während ver ganzen Unterredung auf. “Der 
Marihall Berthier blieb ebenfalls bei Napoleon. 

„Sire, verzeihen Sie, begann der franzöſiſche 


136 


Kaifer, „daß ih Eie auf dieſe Weife empfange, al- 
fein dies hier iſt der einzige Palaft, ven ich feit brei 
Monaten bewohne.” 

Er zeigte dabei auf die rings umher ausgebreitete 
Hinterfläche. 

„In der That,“ erwiederte der Kaifer Franz, 
„Ew. Majeſtät wiſſen fo guten Gewinn aus diejer 
Wohnung zu ziehen, daß fie Ihnen gefallen muß.‘ 

Nah diefen Worten zogen fih Tichtenftein und 
Berthier in einige Entfernung zumüd und die bei- 
den Monarchen blieben länger al8 zwei Stunven mit 
einander allein. Man Tanı über einen Waffenftillftann 
überein, in welchen ver öſtreichiſche Kaifer auch den 
Kaifer Alerander eingefchloffen wünſchie. Napo— 
Leon gab zu bedenken, daß von den Trümmern ver 
euffiichen Armee ihm fen Mann entgehen könne; 
nichtSdeftoweniger lieg er fi bewegen, den Befehl 
abzufchiden, wodurch dem Vordringen feiner Golen- 
nen Einhalt gethban und den Ruſſen Zeit gelaffen 
wurde, fid) zurüd zu ziehen. 

Die beiden Kaifer verließen einander, nachdem fie 
fi) nohmal8 umarnıen. Die franzöjiiben und öft: 
reihifhen Dffiziere eilten wieder auf ihre Woften. 
Man vernahm veutlih, als Napoleon ven Kaiſer 
Franz zum Wagen begleitete, von erfterm die Worte: 
„sch bewillige Alles, vorausgejegt, dag Cm. Maje— 
ſtät. verfpredden, mid) nicht mehr mit Krieg zu über- 
ziehen.‘ 

„Ich verſpreche es Ihnen,’ erwiederte Franz, 
„wir werden künftig nur im Frieden leben.‘ 

Mit diefen Worten ftieg er in feinen Wagen und 
Napoleon kehrte zu feinem Bivouak zurüd, in Ge- 
danken noch mit dem beichäftigt, was er mit dem 
öftreichifchen Kaiſer verhantelt hatte. 


137 


„Es ift wahrjcheinlich ein Fehler,” ſprach er zu 
feiner Umgebung, „daß ich die Ruſſen ziehen laſſe, 
ich hätte fie ſämmtlich follen gefangen nehmen. Gleich- 
viel, fo werben wenigiten® einige Thränen weniger 
fließen.“ 

Während der ganzen Zeit hatte die Garde forte 
während in Schlachtordnung aufmarſchirt geftanden. 
Berthier machte den Kaifer darauf aufmerkjam, in- 
dem er binburchbliden Tieß, daß ten Leuten unmögs 
lid warm fein könne. 

„Sie find doch ftets froſtig, Berthier,“ erwie— 
berte Napoleon etwas ärgerlih, „ic, kenne das 
Mittel, ver Garde warm zu mahen; folgen Sie mir, 
mein Herr Marſchall.“ 

Napoleon nahm jett feine Nichtung gegen bie 
beiven Regimenter alte Garde, welde feıt dem An- 
genblide des Eintreffens aud nicht einmal ihre Rei- 
ben gebrochen hatte. Als er ungefähr noch hundert 
Schritte von ihnen entfernt war, ertönte der Ruf: 
„Achtung! Präfentirt das Gewehr!” Die Tamboure 
fhlugen "den Wirbel, vie beiden Adler neigten ſich 
vor der Front der Bataillone. Der Kaiſer griff mit 
ber Hand an feinen Hut und grüßte, indem er zu— 
gleich feine Edjritte anhielt. Im der Mitte, wenige 
Schritte vor ihren Regimentern falutirten die Regi— 
mentscommandanten in ber üblichen Weile mit dem 
Degen. Napoleon erwiederte viefen Gruß, indem 
er zum zweiten Male an feinen Hut greift. Endlich 
auf zehn Echritte herangelommen, giebt er den Tam— 
bouren das Zeichen zum Aufhören und fi zu ben 
Colonnels wendend, welde ſich ihm, die Degen zur 
Erde geneigt, nähern, jagt er zu ihmen im Tone eines 
guten Humors: 

„Meine Herren, wir find hier nicht im Hofe der 


138 


Zuileaien; ich komme nit, um eine Revüe abzuhal- 
ten. Es ift ein Beſuch, den ih Ihnen abftatte, 
Laflen Sie vie Leute fih rühren.” 

Das Commando „Achtung!“ und „Gewehr ab!“ 
erſchallt. Die Iange Linie bildet einige Krümmungen 
und Geflüfter wird vernehmbar. 

Der Kaifer ſpricht einige Minuten mit den beiden 
Obriſten; dann fi) wieder gegen die Grenadiere wen- 
dend, ruft er: „Achtung! Schultert da8 Gewehr!” Im 

Augenblick herrſcht Todtenfchweigen und die Linie ver 
Garde fteht wieder in ſchnurgrader Richtung. 

Napoleon fchreitet jeßt die Reihen entlang; 
dem Einen nidte er, freundlid mit dem Kopfe grü- 
gend, zu, zu einem Anbern fagte er: „Guten Tag, 
guten Tag!” An die, weldhe er perfönlich kennt, 
richtet er einige Worte. Bei den Neueingetretenen 
vorüber gehend begnügt er ſich zu fügen: „Out, 
gut!” Endlich am äußeriten Flügel des Bataillons 
angelommen, wendet er fi) plöglich, inven er näm— 
ih Morland bemerkt, der nebft einigen feiner Ca— 
meraden das Gewehr zwifhen ven Knieen feit Hält 
und fih in die hohl zufammen gefchloffene Hand aus 
vollem Halſe haudt: 

„Was find das für neue Manieren?‘ fragt Na— 
poleon barſch aber freundlich, indem er vie Geſten 
des Grenadiers nachahmt. „Wer wird denn jrieven? 
Das ift ja gegen meine Verordnung.” 

Morland erfaßt fogleich wiener fein Gewehr bei 
dem zweiten Laufring, legt vorfdriftmäßig ven klei— 
nen Finger der linken Hand an die Naht feier. 
Beinkleiver, richtet den Kopf in die Höhe, und ver- 
gebens die an dem Schnurrbarte herabhängenden Eis— 
zapfen mit der Unterlippe abzuzwiden verſuchend, 


139 


fieht er dem Kaiſer, ohne ein Wort zu eriwiebern, 
ſtarr in's Geſicht. 

Und wie vor Kurzem zu Wien, ſpricht der Kaiſer: 
„Du frierſt, und mir iſt vollkommen warm.” 

Und wieder antwortete der Veteran: 

„Das ift fehr möglih!” Doc fügt er Diesmal 
mit der ernfthafteften Miene von ber Welt und ohne 
feine Stellung zu verändern hinzu: 

„Indeſſen tft aber doch auch nicht zu läugnen, 
dag vie heutige Kälte ein Wenig ftiht und dann habe 
ich auch nicht den Vortheil, fo feuerfeſt und waſ— 
ferdicht zu fein wie Em. Majeſtät.“ 

Napoleon mußte lachen, 

„Wohlan,“ ſprach er halb Laut, „in Kurzem follt 
Ihr e8 Alle warm haben.‘ 

„Das wäre auch zu wünſchen,“ brummte DM or- 
land. 

AS der Kaiſer beim rechten Flügel anlıngte, em— 
pfing ihn die Muſik mit der fohönen Arie: „Der 
Sieg ift unfer!“ 

Napoleon blidte Berthier an. 

„Kennen Sie diefe Arie?” frug er, „Sie iſt mie 
dazu geichaffen, das Herz derer zu wärmen, deren 
Singer vor Froſt erſtarrt find.“ 

Nachdem er hierauf ned einen Augenblid vor 
der unbeweglichen, herrlihen Figur des Tambour- 
Majors feines erſten Grenadierregiments ftehen ge= 
blieben — weldyer Mann aud in ver That in Rüd- 
fiht feiner majeffätiſchen Geftalt und des Reichthums 
feiner Uniform einem Qurtius zu vergleihen war — 
fehrte er, no immer die Hände in ven Rocktaſchen 
haltend und ohne ein Wort weiter zu fprechen, zu 
dem Teuer feines Bivonaks zurild. 

Er ftieg endlid zu Pferde und nur im langfamen 


140 


Schritte veitend, ſchlug er, gefolgt von einem glän⸗ 
zenden Generalftabe, den Weg nad Aufterlig ein. 

Währenddeß hatte au Die Garde ihre Linien 
durchbrochen und war in Bataillons - Colonnen dicht 
aufmarſchirt. Mit ven Muſilchören an ihrer GSpite 
irat fie unter dem tauſendſtimmigen: „Vive l’em- 
pereur!“ den Rückmarſch an. 

As Napoleon nah Auſterlitz zurüdgefekrt 
war, bictirte er, im gewärmten Saale auf und ab 
gehend, einem feiner Secretaire folgendes Decret in 
die Feder: 

„Ih wünſche, daß die Künfte das Andenken der 
geftrigen, für die Geſchichte ver Völker fo wichtigen 
Schlacht verewigen. Id) will, daß ſich in der Mitte 
de8 Vandome-Platzes meiner geliebten Haupt- und 
Refivenzftadt Baris eine Eäule im Style der römi— 
fhen des Trajan erhebe, und daR fie ausjchlieglich 
nur aus dem Metall der von den Feinden Frankieichs 
eroberten Geſchütze gegoffen und aufgerichtet werde. 
Ih will, daß diefe bronzene Maſſe en relief bear: 
beitet, und durch dieſe fpiralfürmig um fie herum zu 
windenden Baereliefd dem Auge des Zufchauers Alles 
dargeftelt werte, was tiefer Feldzug, deſſen Beginn 
mit der Aufhebung des Yagers ven DBoulegne, und 
deſſen Ente mit dem Frieden, den ih zu Wien zu 
unterzeichnen gedenfe, zu rechnen ift: ih will, ſage 
ih, daß Alles, was dieſer ewig denkwürdige Feldzug 
für unjer Vaterland Glorreiches hat, auf dieſe Weife 
verewigt werde. Died ijt indeß noch nicht genug; 
e8 bleibt mir viel mehr noch übrig, allen meinen 
heldenmüthigen Waffenbrüdern meine Erkenntlichkeit 
abzuſtatten.“ 

Und ſich zu dem noch anweſenden Eeneralſtabe 


—— 
| * 141 


wendend, ſagte er: „Berthier, ſetzen Sie ſich und 
ſchreiben Sie, was ich Ihnen ſagen werde.“ 

Hier erfolgte das Decret, welches die bereits oben 
erwähnten Penſionen für die Wittwen der in dieſem 
Feldzuge gefallenen Generale, Offiziere und Soldaten 
feſtgeſetzt und für die Erziehung und Verſorgung der 
hinterlaſſenen Kinder derſelben Sorge trägt*). Laut 
des dritten Artikels erhielten auch die Knaben der 
betreffenden Familien das Recht, ihrem zeitherigen Tauf⸗ 
namen den Namen Napoleon beilegen zu dürfen. 

Daſſelbe Tecret verordnet die Jahresfeier ber 
Schlacht von Aufterlig mit derjenigen bes faifer- 
lichen Krönungsfeftes, gemeinfhaftlih an einem Tage, 
nämlid) an dem jedesmaligen erſten Sonntage des 
Monats December. ‘ 

Aber trotz feiner kriegeriſchen und politifchen An- 
‚gelegenheiten verlor der große Dann bie an fid) un- 
fcheinbarften Interefjen feines Volkes nicht ans ben 
Augen. Unmitielbar nad den erwähnten Decreten ließ 
er feinem Miniſter de8 Innern alfo fehreiben: 

„Mein Herr von Champagny! 

„Es erxiftiren in der Nationalbibliothet fehr viel 
foftbare Steine. Man fol dieſelben fofort ordnungs— 
mäßig an die befjern Graveurd von Paris austhei- 
len, tamit fie die verfhiebenen Figuren graviren, 


x) Mörtli lautet der besfalfige Artikel allo: „Wir 
aboptiren alle Die ven ben in der Schlacht von Auſterlitz 
ebliebenen Generälen, Tffizieren, Solbaten binterlafjenen 
kinder. Sie jollen alle auf Unſre Koften unterhalten und 
erzogen werden; und zwar bie Knaben in Unjerm kaiferlichen 
Balais von Rambonuillet, die Tüchter in Unſerm Faijer- 
lihen Palais von St. Germain. Die Knaben werben in 
ter Folge von Uns verforgt; fo wie Wir die Ausftattung 
der Töchter gleichfalls Übernehmen.“ 


er 
149 ö 


welche fie darftellen. Die Hälfte des Preifes für, 
biefe Arbeiten foll den Künftlern vorausbezahlt wer- 
den. Die andere Hälfte follen fie jedoch erſt dann 
erhalten, wenn fie. das Werk gänzlich) vollendet und 
ben ihnen anvertrauten Steinfchnitt wieder abgeliefert 
haben. Died wird die Imbuftrie aufmuntern und 
den zahlreihen Kupferſtechern Arbeit verfchaffen, wor- 
an e8 ihnen jett fehlt. Hüten Sie fih indeß 
ja, irgend einem ber Künftler den ganzen 
Betrag der Arbeit im Voraus zu bezahlen; 
beun Died wäre der Weg, auf welhen man 
von ihnen entweder gar Nihts oder doch 
wenigftens nicht viel Gutes erhalten dürfte. 

„Dies ift der Zweck dieſes Schreibens und hier- 
nächſt, mein ‚Helr von Champagny, bitte ich Gott, 
daß er Sie in feinem gnädigen Schub erhalten möge. 

„Aus meinem Lager zu Aufterlig, ven 4. De- 
cember 18095. 

Napoleon. 

Nachdem der Kaifer mit Dictiren zu Ende, ließ 
er den Ingenieur Sorti rufen, welder dem Haupt— 
quartiere, in der Eigenſchaft als Ingenieur der Milt- 
tairverbindungen, gefolgt war. 

„Mein Herr Ingenieur,“ begann er, nachdem 
ber Gerufene eingetreten war, „ed freut mid, Cie 
bier zu fehen. Sie haben, als wir nad in Bou= 
‚Iogne beifammen waren, doch gut prophezeit. Da: 
her jollen Ihnen auch, eingevenf meines Wortes, das 
ein Ehrennann ftets hält, und ter Souverain 
fol ja ver erfte Ehrenmann feines Reichs fein, die 
breißigtaufend Franken für meine Boulogner Barafe 
ausgezahlt werben.‘ 

Auf einen Winf des Kaifers nahm Duroc aus 
einem fofferähnlihen, an der Ede mit Kupfer be 


U 


143 


Ihlagenen Mahagonikaſten mehre Rollen, die er auf 
den Tiſch legte, an welhen Napoleon ſtand. 

„Zehn, zwanzig, dreißig,“ zählte nun dieſer, „ſo 
iſt es richtig.“ Dabei brach er eine der Rollen auf, 
und bie ſchönſten öſtreichiſ chen Kronenthaler rollten 
heraus; er erbrach eine andere, in welcher ruffifche 
Goldrubel glänzten. 

„Sie fehen, daß ih mein Wort halte,” fügte er 
lãchelnd hinzu, „zählen Sie jetzt nach, ob die Summe 
richtig iſt.“ 

Als ſich Sorti mit einer Verbeugung dankerge⸗ 
benſt zurückzog, erwiederte ihm Napoleon zum Ab- 
ſchiede: 

„Nicht mir, mein Herr Ingenieur, den Kaiſern 
von Oeſtreich und Rußland haben Sie zu danken.“ 

Der Kaiſer machte mit der Hand ein Zeichen, 
welches andeutete, daß er wünſche allein zu fein. 
Ale Anweſenden entfernten fih. Napoleon trat an 
eines der Fenſter. Draußen leuchteten die Sterne der 
prachtoollfften Winternaht. Lange ruhten die Blide 
des Kaiſers auf den fieben funkelnden Sternen des 
Orion. Endlich ſprach er: 

„Laß mir, allmächtiger Gott, dieſe fieben Sterne 
noch zu Sonnen von Aufterlig werben und bu 
folft in deinem Himmel meine Erde beneiden!“ 

Am andern Tage warb das Hauptquartier nad 
Brünn zurüd verlegt. 


144 


3wöffles Ip. 


Jn einem feſtlich geſchmückten Saale zu Wien gab 
das erſte Bataillon des erſten Grenadierregiments der 
faijerlihen Garde einen glänzenden Ball, Gäſie von 
allen Waffengattungen waren geladen. Morland, 
welcher mit zu einem ber Feſtordner erwählt worden, 
verfah dieſes Amt mit auferordentlicher Gewiſſenhaf⸗ 
tigkeit. Seiner neuen Würde fi vollkommen be— 
wußt, fchritt cr mit jenem Lächeln im Blicke und 
jener freunblih-fanften Bonhommie, die einem Feſt⸗ 
ordner unerläßlich, die glänzenden Reihen auf und 
ab; bier mit Milde bittend, ven Tanzpaaren Plat 
zu machen, dort forgfam bethätigt, da; die Damen 
weder an Getränken noch an Gonfec: Mangel lit- 
ten. Nur wenn er ſich, was jedcech felten geſchah, 
in die vom Tanzſaale abgelegenen Rauchzimmer ver: 
irrte, wo feine alten Kameraden mit grimmigen Bärten 
um die dampfenden Punſchbowlen jagen, blidte zu— 
weilen ter ſchlachtergraute Beteran in einem leijen 
„heiligen Kreuzbombenbataillon‘‘ hervor, doch ſchnell 
erinnerte er ſich wieder ſeiner Würde und verließ 
anſtandspoll und mit nachſichtsvollem Bedauern die 
unverbeſſerliche Geſellſchaft, welche die qualmende Thon- 
pfeife und das gefüllte Punſchglas den reizendſten Syl— 
phiden vorzog, die im kerzenerhellten Ballſaale graziös 
auf- und niederwogten. 

Morland ging heute vorzugsweiſe fein gekleidet. 
Sein Haarzopf gereichte ſeinem Friſeur zur wahren 
Ehre und verrieth den denkenden Künſtler. Er ver: 
mied daher, theils feiner Zoilerte zu Gefallen, theils 


145 


weil er wußte, was er fidh felbft ſchuldig war, dieſe 
geräuſch- und nebelvollen Rauchzimmer. 

In einem dieſer Eſtaminets ging es beſonders 
laut und lebhaft zu. Hier ſaß der große Tambour⸗ 
Major, unter dem Namen „der Shah von Per 
ſien,“ ober auch Ider große Moor“ bekannt, im 
Kreife einer zahlreichen BZuhörerihaft und theilte 
Fresko-Anekdoten mit, worin er eine Force beſaß. 

Der Shah von Perfien hatte foeben unter 
allgemeinem Applaus einen außerorbentlihen Wie 
losgelaſſen und ſtrich ſich ſelbſtgefällig ſeinen Rieſen⸗ 
bart, indem er zur Stärkung ein neues Glas in den 
Magen goß. Er warb von den hör- und lachbegie⸗ 
rigen Kameraden beftürmt fortzufahren. 

Dr Shah von Berfien, welcher ſtets über 
einen anſehnlichen Anekdotenfond zu disponiren hatte, 
fuhr fort: 

„Da reitet vorige Woche der Kaiſer durch das 
Thor einer Heinen Stadt in Mähren. Er wird feft- 
lich empfangen und von der gejammten Stadtpfeifer⸗ 


Schaft feierlich angeblaſen. Es iſt eine ſehr ſchöne 


deutſche Arie, wenn ich nicht irre von Cherubini. 


- .„ Blöglih platt der Rapp, der ummittelbar Hinter 
Seiner Majeftät reitet, vor Lachen heraus. Der Kleine 


Korporal wendet ſich um und fragt: was Rapp 
lache? „Die Arie iſt gar zu ſchön,“ verſetzt der 
brave General mit thränenden Augen. Der Kaifer 
erkundigt fi genauer. Nun erklärt Rapp, ber als 
Elſaſſer die deutſche Muſik aus dem Fundamente ver- 
fteht, den Text der Arie.” 
„Run wie hieß denn der?” frugen neugierig bie 
Zuhörer. 
„Run der hieß: Bift der befte Bruder aud 
nicht.“ 


Stolte, ſämmtl. Schriften. XXI. 10 


146 

Allgemeines Gelächter, 

„Dan bat den Meinen Korporal,“ fügte ber 
Shah von Berfien Hinzu, „noch nie fo lachen 
hören, als bei diefer Erklärung Rapp’ 8.“ 

„Der Rapp hat überhaupt einen ungebeuern 
Stein im Brete bei Seiner Majeſtät,“ bemerkte einer 
ber Zuhörer. 

„Er Toll dem Meinen Corporal felbft manchmal 
die Wahrheit geigen,” fprach ein Anderer. 

„Wißt Ihr die Gefhichte mit dem „vingt-un?“ 
fung ver Shah von Perfien. 

„Nein, was ift damit?! rief es von allen Seiten. 

Der Schah genoß wieder ein Glas zur Stär- 
tung und fprad: 

„Wenn Ihr die nicht wißt, wißt Ihr nichts.“ 

„Alſo heraus damit, Shah!” drängte man all- 
gemein. 

Der Schah, ver feinen ber Heinen Kunftgriffe 
vernachläffigte, welche ein recitirender Künftler zu be- 
rüdfichtigen bat, um der Aufmerkſamkeit feines Publi— 
fums die erforderlihde Spannung zu verleihen, bes 
gann zuvor feine Pfeife, die ausgegangen war, im 


Brand zu fleden, was lange nicht gelingen wollte, ._- : \ 


Erſt als die Neugier der Zuhörer auf dem Punkte 
fand, in Infurrectionszuftand zu gerathen, erzählte er 
wie folgt: Ä 

„Diefe Tage fpielt der Kaifer mit Berthier, 
Savary, Murat und Rapp vingt-un. Nun muß 
man wiflen, daß es dem fleinen SKorporal befon- 
den Spaß madt, beim Spiele feine Generäle zu 
befhummeln‘ — 

„Wie er die Deftreiher und Ruſſen befhummelt 
hat,” unterbrady einer der Zuhörer. 


147 

Der Shah fah den Unterbreder mit einem ma- 
jeftätifchen Blide an. 

„Wenn ih erzähle, ſprach er, „bitt' ich mir 
Ruhe aus.‘ 

„Sa wohl,” rief e8 von allen Seiten, „man un= 
terbrehe den Schah nicht.” 

Der Shah, nad) diefer erhaltenen, Satisfaction, 
fuhr fort: 

„Alſo Seine Majeftät Tiebt e8 beim Spiel, und 
namentlich beim vingt-un, feine Generäle zu beſchum⸗ 
meln. Durch dieſes corriger la fortune ‚befindet ſich 
der Kaiſer natürlich ſtets im Vortheil. Diefe Tage 
nun fpielte er wieder mit den genannten Generälen 
und hat faft das ganze Geld zuſammen gewonnen. 
Wohlgefälligen Blicks betrachtet er den vor ihm lie 
genden Golohaufen, und um den armen Rapp, ver 
wegen feiner Ehrlichkeit am Meiften verloren, nod) 
mehr zu ärgern, hält er ihm einen ber gewonnenen 
Napoleon’ Hin und fragt: „Nicht wahr, Rapp, 
Deine Landsleute, die Deutſchen, haben viefe klei— 
nen Napoleon's gern.’ | 

„Ja wohl,“ erwiebert der brave General, „lieber 
als den großen.“ 

Allgemeines Lachen und Bravorufen belohnte den 
Shah, welder ſich genöthigt fah zur Stärkung ein 
frifches Glas zu fih zu nehmen. 

‚Run, was jagte denn der Kaifer zu diefer Ant- 
wort?” frugen Einige, 

„Der Heine Korporal lachte,” ſprach ver Erzäh- 
ler, und hat gerufen: „das nenne man beutjche 
Gradheit.“ 

Die luſtige Geſellſchaft, welche in Folge der ge- 
nofjenen Getränke immer lärmenver wurbe, ftieß mit 
den Gläfern aneinander und brachte em Raifer, 

V 


148 


bann dem General Rapp und drittens dem Schah 
von Perfien ein Lebehoch. 

Mißbilligend jtedte ob dieſer unaufhörlihen Bi- 
vats, die fih mit dem guten Anftande unmöglich 
vereinigen Liegen, Morland ven Kopf zur Thüre 
herein. Doch bald erkennend, daß bei dieſer Gejell- 
ihaft Hopfen und Dal; verloren und daß er fih nur 
unnügerweife ärgern würde, wenn er bier zur Ruhe 
und Ordnung verweifen wollte, kehrte er nad) ven 
feinern Regionen des Ballfeales zurüd, wo er heute 
als große Nefpectsperfon in Anfehn ſtand. 

Morland batte alle drei Brüder Maillebois 
als Gäſte mitgebracht. Der Kanonier war noch nicht 
gämlig bergeftellt von jeinen Wunden von Aufter- 
lie. Der arme Kleine hatte viel leiden müſſen und 
war mehrmald von den Aerzten ſchon aufgegeben ge- 
weien. Er trug den Arm noch in der Binde und 
mußte auf den Tanz wie auf den Genuß geiftiger 
Getränke für diesmal gänzlich verzichten. Gleichwohl 
gefiel ſih Nap jehr wohl auf vem Balle; die aner- 
fennenden Worte ergrauter Gardegrenadiere ob ſeiner 
bewieſenen Bravour, welche 'er heut’ oft zu hören 
befam, klangen feinen Ohren gar zu ſüß. Mit dem 
Armand, vem Garbefapitain, hatte fi) Morland 
fo ziemlich ausgeſöhnt. Er konnte nicht umhin, deſ— 
jen heldenmüthigenn Benehmen auf St. Domingo 
alle Gerechtigkeit wiederfahren zu laffen. Zudem hatte 
Armand nicht unterlaffen, ven braven Alten ein 
Wenig die Cour zu machen. Aber wer den Mor- 
land heut’ manden GSeufzer foftete, das war Nie— 
mand anders, als gerade fein Liebling, ver Gui— 
jeppe, welder etwas zu tief in's Glas gegudt, fich 
Courage getrunken, gegen die Damen den Galanten 
jpielte, wa8 jonft gar nicht feine Art, und vor allen 


149 


Dingen aufs Tanzen ganz verjeffen war, obſchon er 
auch diefe edle Kunft in völlig nüchternem Zuſtande 
faft gänzlich vernadläffigtee Was aber nun Das 
Schlimmite bei der Suche war: Guiſeppe Hatte vie 
weifen Lehren und tieſdurchdachten Kegeln Mor- 
land's, welche ihm dieſer in zahllofen Zanzftunden 
im Lager zu Boulogne gegeben, auf feinen ftürmi- 
ſchen Meerfahrten aud) total vergefſen. Morlanp!s 
ganzes Lehrgebände war über den Haufen geworfen, 
alle Drefiur dahin, Guiſeppe fprang in feinem 
fröhlihen Uebermuthe in den Quarrés number, als 
fomme er direct aus ben norbamerifanifchen Urmäl- 
dern und habe feine Ahnung von ber höhern Weihe 
der- edeln Tanzkunſt, und gleihwohl dachte dieſer 
Menſch an fein Aufhören. Auch war ihm gar nicht 
beizufommen, denn während der Tanzpaufen ſtak er 
in einem Gewühl junger Mädchen. Er hatte fi von 
Armand ein paar Tugend deutſche Worte aufſchrei⸗ 
ben laſſen und fie auswendig gelernt, und damit 
wollte er heut’ durchaus fein Glück machen. 

Morland hatte fid, wiederholt bei ben haar- 
fträubenden Entrechat's feines verwilverten Zöglings 
mit Schaudern von ihm abgewanbt. 

„Ich habe nie viel auf fein Zanztalent gegeben,” 
jprady er für fi, „ihm geht die höhere Weihe gänz- 
lich ab, aber diefen Ecandal hätt’ ich mir nie träu- 
men laffen ” | | 

Zufällig fam ihm der Kanonier in den Weg. 

„ut, daß ih Did) treffe, Nap,“ ſprach Mor- 
lanp, „mein Sohn, id befhwöre Dich bei der ruf- 
fifhen Kanone, die Du mit fo viel Bravour 
erobert haft, fuche mir dieſen Seebär, Deinen Bruder 
Guiſeppe zu bewegen, daß er einmal vom Tanzen 


150 


abfleht, er compromittirt ja ganz Frankreich mit fei- 
nen Bockſprüngen.“ 

Der Kanonier, gehorfam wie immer, fuchte eine 
Gelegenheit zu erfpähen, ven Guifeppe von dem 
Wunſche Morland's in Kenntniß zu fegen. Er 
kehrte nach einer Weile zurück. 

„Nun, was ſagte denn das tanzluftige Meerunge⸗ 
heuer?“ frug Morland. 

„Er behauptet,“ berichtete Nap, „noch nie mit 
folder BVolllommenheit getanzt zu haben und will 
zum Beweiſe in ber nächſten Francaife em Solo à 
la Pigeon aufführen.” 

„Bas will er aufführen?” rief Morland er- 
fchroden. 

„Ein Solo a la Pigeon,“ wiederholte der Ranonier. 

„Kun, er wird mir immer großartiger,” verjeßte 
ber Sergeant, „a la Pigeon, das ift ja bie ſchwie— 
rigfte Figur, die ſich denken läßt.“ 

„Ja, und gleichwohl will er ſie tanzen,“ meinte 
Nap achſelzuckend, „es hilft gar kein Zureden bei 
ihm u 


Jet ergriff Morland die auferordentlichiten 
Maßregeln, um dieſes Unglüd abzuwenden, das ihm 
wirflih unermeßlih ſchien. Er fohidte Unterhändler 
über Unterhändler an den Zanzluftigen und fo gelang 
e8 endlich auch, den Guiſeppe, ohne dal; e8 das 
geringfte Aufjehen verurfachte, aus dem Saale zu 
entfernen und ın einem der entfernten Nebengemächer 
in friegerifche Geſpräche zu verwideln, über welden 
er zu Morland's großem Trofte das Solo a la 
Pigeon vergaß. 

As der Tanzmeiſter von Boulogne in den 
Saal zurüdgelehrt war, athmete er leichter auf, denn 


any Telfenlaft hatte fih ihm vom Herzen gewälzt. 


151 


Er fühlte ſich wieder behaglich und fing alle drei 
Schritte die Begegnenden nit ohne Selbſtzufrieden⸗ 
beit: „Nun, wie finden Sie den Ball? Nicht wahr, 
nobel, höchft nobel, A la bonheur!“ 

Zu Armand, ald er mit diefem zufemmen traf, 
ſprach er: 

„Wenn fi) Ihr Herr Bruder, der Geeleutenant, 
nur nicht in den Sinn kommen laflen wollte, als 
Tänzer aufzutreten. Haben Sie denn den Scanbal 
nicht geſehen? Solche graufame Pas find mir im 
meinem Leben nicht vorgefommen.” 

b Armand geſtand, ſeinen Bruder nicht bemerkt zu 
haben. 

„Uebrigens, wie amuſiren Sie ſich, Herr Capi« 
tain?” fubr Morland fort. 

Der Gefragte gejtand, daß ihm Herr Morland 
ein gröfere® Bergnügen babe bereiten können, als 
ihm duch die Einladung zu biefem Bulle gemwor- 
ven fei. 

„Sa, man muß geftehen,” nidte der Sergennt, 
„er ift recht nobel, recht nobel.“ 

Gleichwohl war e8 Armand, der fi wohl am 
Wenigften für dieſe Ballberrlichkeiten intereffirte, da 
jeit der himmelvollen Botfchaft, die ihm Guifeppe 
aus St. Cloud mitgebradt hatte, ein ganz anderes 
Intereſſe fein ganzes Weſen in Anſpruch genommen, 
Nur ein quälender Gedanke vergiftete, trotz Junot's 
Tröftungen, feine Zage, daß nämlich der Kaifer Flo- 
ventinen einem Andern zur Gattin beftimmt haben 
fünne. 

Während ſich's aber feine Soldaten wohl fein 
ließen in den deutſchen Quartieren und ausruhten 
von den Strapazen eines bejchwerlichen Feldzuges, 
fag Napoleon einfam in feinem Cabinette zu 


152 


Schönbrunn vor der Karte von Deftreih und 
beſtimmte bie neuen Grenzen diefer Monarchie. 

Der eintretende Conſtant meldete den Inten— 
banten ver kaiſerlichen Antifen, Herm Denon, mel- 
cher foeben von Paris angelangt war. 

„Er fol kommen,” fprah Napoleon, und glei 
barauf trat der Angemeldete in's Cabinet. Er über- 
zeichte dem Kaifer das Modell zu mehren Medaillen, 
welche zum Andenken des Feldzugs von Aufterlig 
geſchlagen werben follten. Die erfte derſelben ftellte 
anf ber einen Seite den Kopf Napoleon’s, auf 
der andern den franzöfifhen Adler var, welcher ven 
englifhen Leoparden gepadt hielt. 

„Was fol das bedeuten?” frug ber Kaiſer und 
‚ eine Stirn verfinfterte ſich. 

„Sie,“ erwiederte der Intendant, „es iſt ber 
franzöfifhe Adler, welder mit feinen Fängen ben 
Leoparden, ein Emblem des englifhen Wappens, 
zerreißt.“ 

„Niedriger Schmeichler,“ donnerte Napoleon, 
die Münze weit von ſich ſchleudernd; „wie können 
Sie zu mir ſagen, daß der franzöſiſche Adler den 
engliſchen Leoparden zerfleiſcht, da ich jetzt kein Fi— 
ſcherboot mehr in See ſchicken kann, ohne daß es die 
Engländer hinweg nehmen. Es iſt im Gegentheil 
ber engliſche Leopard, der den franzöſiſchen Adler er- 
würgt. Laſſen Sie die Medaille ſofort vernichten.“ 

AUS er auf die Denkmünze kam, welche unmittel- 
bar auf die Schlacht von Aufterlig Bezug hatte, 
tadelte er gleichfalls die Zeichnung und gebot eine 
neue zu fertigen. 

„Segen Sie auf die eine Seite,” ſprach er zu 
bem zitternden Denon, die Worte: Schladt bei 
Aufterliß und das Datum, und auf die andre, 


153 


bie Adler von Frankreich, Deftreih und Ruß 
land. Seien Sie überzeugt, die Nachwelt wirb ben 
Sieger ſchon heraus finden.” 

Nachdem fi der Intendant der Antifen entfernt 
hatte, wünfchte der General Rapp den Raifer zu 
ſprechen. 

Napoleon's Geſicht erheiterte ſich. 

„Gott ſei Dank,“ rief der Monarch, „das iſt 
fein Schmeichler Der Brave ſoll kommen.“ 

Rapp trat ein und erklärte, daß er von ſeinen 
Wunden von Auſterlitz vollkommen hergeſtellt ſei 
und wünſche, wieder in activen Dienſt zu treten. 

„Meinetwegen,“ ſprach der Kaiſer, „ich habe nichts 
dagegen. Doch apropos, als ich Dich das letzte Mal 
ſah, habe ich Dir mitzutheilen vergeſſen, daß Du 
Diviſionsgeneral geworden biſt. Beeile Dich 
daher, einen Stern mehr Deinen Epauletten beizu- 
fügen.‘ 

AS fi hierauf der General zum Zeichen feiner 
Danfbarkeit verneigte und abtreten wollte, hielt ihn 
der Kaifer mit den Worten zuräd: 

„Aber Rapp, vor allen Dingen forge dafür, daß 
Du nicht immer gleich verwundet wirft; die wie vielſte 
Bleſſur ift das nicht ſchon? Das wird ja fonft lächer⸗ 
lich. Du bift wie der Murat, der auch wie ein 
Blinder drauf [os ſtürzt. Dann bift Du gezwungen, 
das Bett zu hüten, während wir andern und ganz 
wohl befinden. Rapp, fage mir, wärſt Du wirklich 
Ihen im Stande ein Wenig zu reifen?” 

„Ib bin Alles im Stande, was Em. Majeftät 
befehlen !“ 

„In diefem Wale,” fuhr der Kaifer fort, „wirft 
Du Maffena, den id) durch den mittlern Maille- 
bois bereits vorläufig über die Affaire von Aufter- 


154 


litz babe benachrichtigen lafjen, pas Ausführlichere 
erzählen. Das wird Did zerſtreuen. Demnädit 
fannft Du auch die Wirkung beobachten, weldhen Ein- 
brud unfre biefigen Angelegenheiten auf die Italiener 
machen. Du wirft morgen abreifen. Alfo auf Wie- 
berfehen, mein Herr Divifionsgeneral. Fahren Sie 
fort für Ihre Geſundheit zu forgen. Ich erivarte 
vor Allem Nachrichten über Ihr Befinden.“ 

Und die Hand des bievern Generals ergreifend, 
und jie wiederholt drückend, fügt er in unnachahmli⸗ 
chem Zone Hinzu: 

„Aden Rapp! Lebe wohl, mein Braver; id 
werde Dir fogleih Deine Imftruction zufenden. Er- 
warte fie unten im Dienftfaale.” 

Eine Stunde darauf erhielt der General nächſt 
der von Kaifer ſelbſt dictirten Inftruction ven Gran d⸗ 
Cordon des Ordens der Ehrenlegion und eine jähr- 
liche Rente von zwölftaufend Franken, hypothelariſch 
eingetragen auf den Mont-de-Milan. 

„Jetzt bin ich aber in ber That neugierig,“ ſprach 
Napoleon, nachdem er die Angelegenheiten Rapp's 
beforgt, von feinem Site aufftehend, „zu jehen, ob 
mein erſtes Garbebataillon, das heute einen Ball 
giebt, den Frauen und Mädchen Deftreih8 eben 
jo gefährlid ift, wie feinen Männern. Faſt ſollt' 
ich es bezweifeln, denn von glatten Gefichtern ift bei 
biefen Grenadieren verdammt wenig zu ſpüren.“ 

Er ließ hierauf Junot rufen und fuhr mit ihm 
nad) dem Hotel, wo die ©renadiere des erften Ba— 
taillons vom erften Regiment ihren Ball hatten. 

Als der Kaifer in ven Saal trat, wirbelten die 
Pauken und die Trompeten fehmetterten, und auf das 
geräufchuolle Ballleben folgte augenblidlid die ehr— 


Du Stille. 





Langfamen Schritte, die Hände auf dem Rüden, 
durchwandelte Napoleon die Gruppe des Ballpubli- 
fums, bier und da ſtehen bleibend und ein Gefpräd 
anfnüpfend; überall erblidte er ja alte gute Belannte. 
AB er bei Morland vorüber fam, frug er: 

„aber Morland, was beveutet das himmtelblaue 
Band da im Knuopfloch; Du trägft einen Orden ohne 
meine Erlaubniß?“ 

„Sire, mit Berlaub,“ erwieberte der Garpift, „das 
Band beveutet, daß ich mit auf Ordnung zu jehen 
habe auf dem Balle.“ 

„Ah, das ift was anders; aber iſt denn fein 
Maillebois auf dem Balle? Ic denke, ihr ſteht 
gut mit einander?” 

„Sire, alle drei find meine Gäſte.“ 

„Das ıft brav, das freut mid; aber wo fleden 
fie denn?“ 

Im Augenblide ftanden die drei Brüder wie auf: 
marihirt vor Napoleon, 

Mit befonvderem Wohlwellen ruhten die Blide des 
Kaifers auf den drei Yüngtingen. Der kleine Kanos 
nier, mit dem Arm in der Binde, fejfelte zunächft 
feine Aufmerkſamkeit. Er erkundigte fih nad) dem 
Befinden vejjelben, rieth ihm väterlich, fi) ja zu hal— 
teri und den Verordnungen des Arztes fireng nachzu- 
fommen. Dann redete er mit Guifeppe und 
dann mit Armand einige freundlide Worte. Ex 
trat einen Schritt zurüd. Noch einmal überflog fein 
Blick voller Güte das Kleeblatt, und er ſprach bie 
beveutfamen Worte: 

„Wenn die Rojen aufbreden in meinen 
Gärten von Malmaifon, dann haltet eud 
Drei bereit, ih werde Euch rufen lajfen!” 

Napoleon kehrte nach der Mitte des Saals zu⸗ 





* Gr. 
—— En 7 
De". x 
u DE ;. B 
1. Re 156 
* — 
ur ar eg: 
* 


rück, leerte ein Glas Champagner auf das Wohl des 

erſten Bataillons vom erſten Regiment ſeiner Garde, 

worauf er unter einem donnernden „Hoch lebe ber 

Kaiſer!“ ven Ball verlieh. 

„Wenn die Roſen aufbrechen in den Gärten von 
Malmaiſon?“ frug HA rmand finnend und ge- 
dachte Tlorentinens Kin Himmelftrahl zudte 
durch feine Bruſt. Da kam Morland mit Eifer 
herbei und rief, fich vergnügt die Hände reiben: 

„Nun jest werdet Ihr doch einfehen, daß das 
ein höchſt nobler Ball fein muß, ven Seine Maje- 
flät mit Ihrer Allerhöchſten Gegenwart zu beehren 
geruht!” 


Deizehntes Kapitel. 


Die Friedensunterhandlungen, welde fran:öfiicher 
Seits Talleyrand, üftreihifcher Seits der Fürſt 
Johann von Lichtenſtein, Graf Stadion und 
General Giulay leiteten, begannen, dem Waffenftill- 
ſtande von Aufterlig zu Folge, zu Nikolsburg 
in Mähren, wurden aber nach Preßburg verlegt, 
wo am zweiten Weihnachtsfeiertage 1805 der Friede 
zu Stande kam. 

Dieſer Friede iſt hauptſächlich darum merkwürdig, 
weil kraft deſſelben die weſentliche Veränderung der 
deutſchen Reichs-Ver faſſung durch Stiftung des 
Rheinbundes und ihre gänzliche Anflöſung vorbe— 
reitet wurde. 


9 Napoleon trennte die deutſchen Fürſten am 


157 


Rheine von dem Intereſſe Oeſtreichs und verband fle 
enger mit Frankreich, um an ihnen eine Vormauer 
gegen künftige Angriffe Oeſtreichs, Preußens und 
Rußlands zu haben. 

Ter Preßburger Friede ficherte ferner Frankreich 
als gänzliches Eigenthum und mit voller Souveraine— 
tät alle Herzogthümer, Fürſtenthümer, Herrfchaften 
und Territorien jenjeitd der Alpen, welche vor dieſem 
Vertrage mit dem franzöft hen Neiche vereinigt ober 
duch franzöſiſche Geſetze und Verwaltungen regiert 
wurden. 

Der Kaifer von Deftreich Teiftete Verzicht auf die— 
jenigen Theile der Republik Venedig, welde ihm 
durch die Verträge von Campo-Formio und Lu— 
neville abgetreten worden waren. Dieje Theile 
wurden dem NRönigreihe Italien ceinverleibt. Der 
Kaiſer von Deftreih erkannte ferner den Kaiſer Na— 
poleon ald König von Italien an. 

Baiern und Würtemberg erhielten Königskronen 
und wie auch Baden bedeutenden Länderzuwachs. 

Deftreih erlitt in feinen deutihen Staaten eine 
Verminderung ver Volkszahl von gegen Neunmal: 
hunderttaufend Seeden; in Italien belief ſich der 
Berluft über zwei Millionen, wodurch vierzehn 
Millionen Staatseinkünfte hinweg filen. 

Aber wie groß diefer Berluft an Land und Leu— 
ten für die öſtreichiſhhe Monarchie war, noch weit 
Ihmerzhafter war die Verminderung feiner politifchen 
Stellung. Während vorher Deftreih, als Mittelpunkt 
Europa's, der Stützpunkt des politifchen Gleichge— 
wichts in demfelben zu betrachten, jo warb durch den 
Prefburger Frieden dieſes Reich von Italien, bem 
Rheine, ver Schweiz und Schwaben gänzlich abge 


158 


Schnitten und fein Einfluß auf die dentjchen Angeles 
genheiten ging auf den franzöflfchen Kaifer über. 

Napoleon kündigte diefe für Frankreich fo glän- 
zenden Ergebniffe feinen Soldaten in einer Proclama- 
tion an, worin er fagte, daß fie, nachdem fie ihren 
Kaifer mit ihnen Gefahren und Beſchwerden tbeilen 
gefehen, jet ihn, umgeben von jener Größe und je- 
nem Glanze erbliden follten, bie dem erften Souve⸗ 
rain: des erften Volles der Welt gebühre. 

„Ich werde,‘ fügte er am Schluffe Hinzu, „in 
den erften Tagen des nächſten Mai's ein großes Teft 
zu Paris geben. Ihr werbet Euch dort Alle einfin- 
den und dann wollen wir dahin gehen, wohin uns 
das Glüd unſers Vaterlandes und die Intereffen un- 
ſers Ruhms rufen werden. 

„Soldaten, der Gedanke, daß ich Euch Alle noch 
vor Ablauf von ſechs Monaten um meinen Palaſt ge⸗ 
ſchaart ſehen werde, rührt mein Herz und ich empfinde 
im Voraus die lebhafteſte Freude. Wir werden das 
Andenken derjenigen feiern, die in dieſem Feldzuge 
auf dem Bette der Ehre gefallen ſind, und die Welt 
wird und Alle bereit erblicken, ihr Beiſpiel nachzu— 
ahmen, ja noch mehr zu vollbringen, als wir bereits 
vollbracht haben, um diejenigen zu zerfchmettern, die 
unjere Ehre antaften wollen und ſich durch das be- 
ftechende Gold der ewigen Feinde des Feftlandes ver- 
führen laſſen.“ 

Bevor Napoleon Wien verließ, ſprach er zu 
den Bewohnern diefer Hauptſtadt: 

„Bürger von Wien, id) habe mid) wenig unter 
Euch gezeigt, nicht aus Geringfhätung oder eitelm 
Hochmuthe, fondern ich wollte Euch in feinem ver 
Gefühle beirren,, das Ihr Euerm Fürſten ſchuldig ſeid. 
Indem ic) Euch verlaffe, nehmet als ein Gefchent, das 


159 


Euch meine Achtung beweife, Euer Zeughaus, welches 
bie Geſetze des Kriegs zu meinem Cigenthume ges 
macht haben, zurück. Bedient Euch befien ſtets zur 
Aufrechthaltung der Dronung. Alle Uebel, die dr wi 
erbulpet, fhreibt fie dem Unglüde zu, das von einem -* 
Kriege unzertrennlih if. Alle Schonung aber, bie 
meine Armeen in Eurem Lande bewiejen haben, ver⸗ 
danft Ihr der Achtung, die Ihr Euch bei mir er 
worben habt.’ 

An demfelben Tage erfchien noch eime zweite 
Proclamation, welche die Welt mit dem Wortbruche 
des Hofes von Neapel befannt machte, welcher troß 
eines zwei Monate vorher mit Frankreich abgejchlof- 
jenen Vertrags feine Häfen ben Englänbern und 
Ruſſen geöffnet hatte Bourbonen, dieſe ewigen 
Beinde Frankreichs, warfen abermals vie Maske ab. 
Hier nun ließ fi die Taiferlihe Dictatur vernehmen, 
wie e8 einft der Convent gethan. Diefe durch ihre 
Energie fo weltberühbmt gewordene Proclamation 
lautet alfo: 

„Aus dem kaiſerlichen Lager zu Schönbrunn ven 
26. December 1805. 

„Solvaten ! 

„Seit zehn Jahren habe ih Alles getban, den 
König von Neapel zu retten und er hat Alles ge- 
than, ſich in's Verderben zu ftürzen. 

„Rah den Schlachten von Dego, Mondovi 
und Lodi konnte er mir nur einen ſchwachen Wi- 
derſtand entgegenfegen. Ich vertraute dem Worte 
dieſes Fürften, benahm mid, ebelmüthig gegen ihn. 

„ALS die zweite Coalition auf dem Schlachtfelde 
von Marengo geiprengt warb, blieb der König von 
Neapel, der diefen ungerechten Krieg zuerft begonnen 
und zu Luneville von feinen Berbündeten im 


160 


Stiche gelaffen worben war, allein und ohne Ver—⸗ 
ehicung. Er bat und ich verzieh ihm zum zweiten 


„Roh vor wenig Minuten ſtandet Ihr vor den 


u. Thoren von Neapel. Ich hatte vollgültige Gründe, 


ken Vertragsbruch, auf den man fann, zu argwoh« 
neu, und die Beleidigungen, die mir angethan wor⸗ 
ben waren, zu rächen. Abermals war ich evelmüthig ; 
ih erkannte die Neutralität von Neapel an, befahl 
Euch, diefes Königreich zu räumen, und zum britten 
Male war das Haus Neapel gerettet und auf bem 
Throne befeftigt. 

„Sollen wir zum vierten Male verzeihen? Zum 
vierten Male diefem Hof trauen? Nein, nein! Die 
Dynaſtie von Neapel hat aufgehört zu re- 
gieren! Ihr Dafein ift mit der Ruhe von Europa 
und mit der Ehre meiner Krone unvereinbar. 

„Splvaten, auf, ftürzt die ſchwachen Bataillone 
Diefeg Tyrannen des Meeres, wenn anders fie Euch 
erwarten, in die Fluthen. Zeigt der Welt, wie wir 
den Bertragsbrud beftrafen. Säumt nicht, mir fund 
zu thun, daß ganz Italien meinen Oefegen, oder de— 
nen meiner Verbündeten unterworfen, daß das ſchönſte 
Land der Erde von dem Einfluffe Englands befreit, 
daß die Heiligkeit der Verträge gerächt ift, und daß 
die Manen meiner tapfern Soldaten, die, nachdem jie 
den Gefahren des Schiffbrudhg, der Wüfte und von 
hundert Schlachten entgangen waren, auf ihrer Nüd- 
fehr aus Egypten in den ficilianifchen Häfen ermor- 
vet wurden, endlich verſöhnt find.“ 

Napoleon reifte auf der Rückkehr nah Paris 
durch Münden, wo er fih emige Tage aufhielt, 
um der Vermählung des Prinzen Eugen mit einer 
Tochter ded Könige von Baiern beizumohnen. Er 


161 


ſchrieb aus diefer Hauptftabt an den Senat, um den- 
jelben in Kenntnig zu feßen, daß ihm der Prefbur- 
ger Friedenstractat bald vorgelegt werden würde. 

„Ih wollte,“ hieß e8 in dem Schreiben, „Euch 
bie Friedensbedingungen in einer feierlihen Sitzung 
in Perfen ankündigen, da id) aber mit dem Könige 
von Baiern die Vermählung feines Stieffohnes des 
Prinzen Eugen mit ver Prinzeffin Augufte be 
ſchloſſen hatte, und zu Münden zu ber Zeit anweſend 
war, wo bie Vermählung gefeiert werden ſollte, ſo 
fonnte id mir die Freude nicht verfagen, Das junge 
Brautpaar, ven weldem beite Theile die Mufter ihres 
Geſchlechts find, jelbft zu vereinigen. Meine Ankunft 
in der Mitte meined Volkes wird daher um einige 
Tage verzögert werden. Diefe Tage werden meinem 
Herzen lang vorkommen; aber nachdem id mid un- 
aufhörlich ven Pflichten eines Soldaten gewidmet habe, 
finde ich eine liebevolle Erholung darin, mich mit ven 
Pflichten eines Familienvaters zu befchäftigen.‘‘ 

So ſchuf die Schlacht von Anjterlig 
neue Königreiche und vermiſchte bürger- 
lihes und füritlihes Blut, und dies war 
ber Anfang jenes Syſtems, wodurd Napo- 
leon „Könige zu feinen Schildwadten und 
Throne zu jeinen Örenzthärmen machte.“ 

Während ſich ber Kaifer noch in Baiern aufbielt, 
trafen die großen Staatskörper und bie Bevölkerung 
von Paris die: außerordentlichſten Vorkehrungen, den 
Sieger von Aufterlig würdig zu empfangen. 

Das Tribunat mahte den Anfang. Es be- 
ſchloß: | 

„Dem Helden, der durch feine Wunverthaten das 
Lob unmöglid gemacht, einen Beweis der Bewunbe- 

Stolle, fämmtl. Schriften. XXII. 11 


U Per) 


162 


rung, der Liebe und Dankbarkeit zu geben, ver fo 
unfterblich bleibe, wie fein Ruhm.‘ 

Am erften Januar 1806 wurden die vierund- 
funfzig Fahnen, die der Kaiſer dem Senate ge- 
fchenft hatte, von dem Tribunate, im Gefolge ver 
Behörden, der Militairmuſik und eines Theils der 
Beſatzung von Paris nach dem Lurembourg gebradt. 
Der Erzlanzler und alle Minifter waren dafelbit ver- 
fammelt. Der Senat, in weldem ter Großwahlherr 
ben Vorſitz führte, bezeichnete den Empfang des ruhm- 
reihen Geſchenks, das feinen Palaft ſchmücken follte 
durch den im Namen bes franzöftfchen Volks gefaßten 
Beihluf: 

dad ein Triumphdenkmal Napoleon dem 
Großen errichtet werde; 

daß der Senat Seiner Majeftät, dem Kaiſer, 
entgegengehe, um ihm die Bewunderung, Liebe und 
Dankbarkeit des franzöfiihen Volles als Huldigung 
darzubringen; 

Daß das aus Elchingen datirte Schreiben bes 
Kaifers an den Genat in marmorne Tafeln eingegra- 
ben und diefe im Sitzungsſaale des Senats aufgeftellt 
werden follten; 

daß man diefem Schreiben ferner eingrabe: 

„Dieſe vierundfunfzig ahnen find dem Senate 
von dem ZTribunate überbradht worden, Mittwochs, 
den erſten Januar 1806.” 

Auch die Kathedrale von Paris erhielt ihren An- 
theil von den in diefem glorreichen Feldzuge exrbeute- 
ten Fahnen. Die erzbiföfliche Geiftlichkeit nahm 
diefe Trophäen am Bortal ihrer Kirche mit großem 
Pompe in Empfang, worauf fle an dem Bogenge- 
wölbe des Tempels aufgehangen wurben. 





2. 
In 
ig, 

5 . 


163 


Alfo endete der neunte Feldzug Napoleon’s, 
in welchem die dritte Gonlition eurepäifcher Mächte 
gegen Frankreich geiprengt ward. Keiner war glor- 
veiher für den Ruhm des großen Feldherrn. In 
dieſem neunten Feldzuge fah man wie durch einen 
Zauberfhlag binnen fehzig Tagen hundertfunfzigtau- 
ſend Franzofen von den Küften des Kanals und aus 
der italienischen Halbinfel an die Quellen der Dos 
nau, in die Schluchten des Schwarzwaldes, und von 
ba bi8 am bie Tarpatifchen Gebirge und die Quellen 
ber Weichfel verfegt. Im ihm erblidt man den Kai— 
jer der Franzoſen als Eieger über die zwei mächtig- 
ften Beherrfcher Des Feſtlandes; in ihm endlich fieht 
man, wie ter Kaifer Napoleon feinen Verbündeten 
Kronen, jeinen Verwandten fürftlihe Bräute, feinen 
Generälen ganze Staaten und feinem Frankreich 
Größe, Slanz und unfterblihen Ruhm verleiht. 


— — — —— 


Vierzehntes Rapitel. 


Noch in keinem Frühlinge war wohl die Roſenblüthe 
von Armand ſehnſüchtiger erwartet worden, als im 
ſchönen Monat Mat 1806. Es verging faſt fein 
Tag, wo er nicht nad) dem ſtillen Gärtchen hinabge- 
gangen wäre, daß an ſeine Wohnung gränzte und 


nach den ſchwellenden Knospen geſpäht hätt bie fh 


ven Tag zu Tag mehr rötheten. 

Bon Slorentinen, welde noch immer in ber 
nächften Umgebung der Kaiferin weilte, hatte er burd) 
Junot's Vermittelung wohl einige Male Zufchriften 
erhalten, aber die Geliebte zu fehen und zu ſprechen 

11* 


164 


war ihn, troß aller Bemühungen, nicht gelungen. 
Wiewehl er nicht begriff, warum man ihm ein Zu- 
fammentreffen mit dem Fräulein von Never fo 
augenjcheinlich erſchwerte, fo lebte er gleihwehl der 
fügen Hoffnung, daß der Katfer, dem Armand’ 
Liebe nicht unbelannt war, ihm in Betreff einer der: 
einftigen Bereinigung mit Florentinen fein Hin- 
dernig in den Weg legen werbe. 

Der Jüngling ſaß fo eben wieber im ber Laube 
bed im reihen Schmude bes Frühlings prangenden 
Gartens, als die Gitterthür haſtig aufgeriſſen ward 
und ein reichgeſchmůctter Offizier zwiſchen den blühen— 
den Beeten daherkam. 

Es war Junot, welcher Armand freudig in 
die Arme ſchloß. 

„Auf, mein Freund,“ rief der General, „in den 
Gärten von Malmaifon brechen vie Roſen 
auf. Der Kaiſer läßt Euch rufen.“ 

Armand vernahm freudezitternd dieſe Botſchaft. 
Er vermochte in der erſten freudigen Beſtürzung kein 
Wort zu erwiedern. 

„Aber wo iſt denn der Herr Guiſeppe und der 
Kanonier,“ fuhr der kaiſerliche General-Adjutant fort, 
„mein Befehl lautet auf alle drei Maillebois.“ 
Armand fchicte fofort Boten nach feinen zwei Brü- 
bern, welche lettere nicht weit von ihm wohnten, 
und bald fanden fih auch ter Seeoffizier und Nap 
wohlbehalten und en grand tenue ein. Sie waren 
beide guter Dinge, nur dem Armand Hlopfte das 
Herz etwas. 

Es war ein wunderſchöner Vormittag, der Him- 
mel blau und fanft, die Lerchen jubelten über ven 
grünen Fluren, al8 die Bier in einem flotten Zwei— 
gefpann Paris verließen und auf der ſchönen Chauf- 


165 


fee von Malmaifon dahin fuhren. Schmucke Land— 
mädchen, die mit üppigen Kücenkräutern und Blu— 
menkörbchen des Weges taher kamen, nidten freundlich 
in den Wagen. Nap, der fih nicht wenig darauf 
zu Gute that, als gemeiner Kanenier mit einem 
jo großen General in einem und demſelben Wagen 
zu figen, grüßte freundlich herablaffend; Guiſeppe 
Ihien fih um tie Grüße der Blumenmädchen weniger 
zu befümmern. 

Junot felbft war außerordemlich guter Laune. 
Er nedte fih mit Guifeppe, dem er den Vorwurf 
machte, daß er fein Herz in Deutjchland bei einer 
fhönen Wienerin gelaffen und nun feine eignen 
Lantsmänninnen vernadhläffige. 

Der Eeeoffizier wollte das nicht zugeben, obſchon 
er eingeftand, daß ihn die deutſchen Mädchen, na= 
mentlic) wegen ihres natürlichen und treuherzigen 
Weſens, fehr gefallen hätten. 

Nah einer heitern Fahrt von mehren Stunden 
tauchte das in ländlicher Stille gelegene Dralmai- 
fon mit feinen uralten Linden und Ulmen in einis 
ger Ferne empor. Schon vernahm man die Thurm⸗ 
uhr des Schloſſes filbern daher Klingen. 

Der Oeneraladjutant des Kaiſers, welcher über 
den Zwed der Fahrt ein tiefes Echweigen beobachtet 
hatte, befahl jegt dem Kutſcher, die Kaflanienallee 
zur Linfen einzulenfen und durch den Schloßpark zu 
fahren. 

Vest, nachdem man dem faiferlihen Luſtorte jo 
nahe war, wo ſich gewiß der Kaiſer und die Kaiſe— 
rin nebft andern hohen Staatsbeamten befanven, be= 
gann aud) den beiden andern Brüdern und nament- 
ih dem Kanonier, der die Kaiferin noch nie gejehen 
hatte, ein Wenig das Herz zu Elopfen. 


166 


Der Wagen fuhr jest durch das Parkthor und 
hielt vor einem höchſt gefhmadvoll erbauten Garten- 
pavillon. 

„Da find wir,” rief Junot, durch dee Zeöffne— 
ten Schlag ſpringend; „treten wir in den Pavillon, 
um uns vom Staube zu reinigen und unſre Toilette 
zu reſtauriren.“ 

Das fanden die Brüder Maillebois gleichfalls 
höchſt zweckmäßig. 

„Nun, ſo kommt, meine Freunde,“ ſprach der Ge— 
neral, nachdem ſie mit der Toilette zu Stande, und 
führte die Jünglinge durch die ſchattenreichen, duf—⸗ 
tenden und mit röthlichem Sande ſauber beſtreuten 
Gänge des Parks von Malmaiſon. 

Die Brüder blickten ſich von Zeit zu Zeit einan- 
der fragend und mit etwas ſchüchternen Bliden an; 
auch wagte feiner, fih zu erkundigen, wohin die 
Reiſe eigentlich gehe. Sie folgten jchweigend ihrem 
hohen Führer. Ä 

Nach einer Wanderung von ungefähr zehn Minu— 
ten ſprach Junot: „Nun werden wir bald Gefell- 
ſchaft finden.“ 

„Geſellſchaft,“ frug jeder des Kleeblatts ſich ſelbſt, 
„was denn für Geſellſchaft?“ 

Plötzlich wurden Stimmen durch die dichten Baum⸗ 
wände vernehmbar, die den Brüdern ſo wunderbar 
bekannt klangen. Freudig begann allen Dreien das 
Herz zu ſchlagen. 

Jetzt bog der General mit ſeinen Begleitern um 
die Ecke der einen Baumwand. Welch' ein Anblick 
bot ſich aber hier dar! Die drei Brüder glaubten 
ihren Augen nicht trauen zu dürfen und blieben die 
erſten Augenblicke wie angefeſſelt ſtehen. Sie glaub- 
ten zu träumen und ſchienen erſt zu erwachen, als ſie 


167 


mit einem allgemeinen Freudenrufe begrüßt wurden. 
Auf einem wunderſchönen grünen Raſenteppich, der 
rings von blühenden Schneeballen, Jasmin und lies 
berbüfchen eingezaunt war, befand fich eime feitliche 
Geſellſchaft von Lauter Lieben und theuern Belannten, 
welche ſammt und ſonders den drei Ankömmlingen 
unter Jubelruf entgegen eilten. 

Da war vorerft Herr Maillebois, Ziergärtner 
aus Merville, ſchönſtes angethan mit der Natio- 
nalgardenuniform feiner Baterftabt, ferner Mapame 
Maillebois, weldhe die Freude, ihre Söhne wieder 
zu jehen, um zehn Jahr verjüngt hatte; fie glich 
einer hübſchen Frau in den Zwanzigen, gleichfalls in 
funfelneuem Sonntagsftante; ferner noch eine Menge 
alter guter Bekannter aus Merville; der Kaifer 
hatte drei Wagen voll herbeiſchaffen Iaffen; ferner Herr 
Morland, Sergeant im erften Grenadierregimente 
der kaiſerlichen Garde, mie fih von felbft verfteht, 
ausgezeichnet fein gefleivet; fein Haarzopf war bies- 
mal ein Meifterftüd an Kunft und Genie. Morland 
war der Einzige, der fih von dem allgemeinen Jubel 
nit mit hinreißen lief, und nichts vornahm, wo⸗ 
durch feine Würde als alter Garbift im Geringſten 
hätte im falſchen Lichte erfcheinen können. Er fehritt, 
als die Reihe an ihn kam, würdevoll auf die drei 
Brüder zu und umarmte einen nad dem andern mit 
Grandezza. Ferner fanden fih unter der fröhlichen 
Gejellihaft vor, der Doctor Bonorand, nod immer 
etwas gebräunt von der Sonne der Antillen, der erfte 
Kammerbiener Conftant, ver brave General Rapp, 
der ſich's vom Kaiſer erpreß ausgebeten, bei dieſem 
Familienfeſte zugegen fein zu dürfen, endlich nod 
mehre Kameraden von Armand. 

Es dauerte circa eine Kleine Stunde, bevor man 


168 


nur mit den allerunerläglihften Umarmungen zu 
Stande war. Lange hatte man wohl nicht fo viel 
wahrhaft fröhliche Leute in dem jchattenreihen Parke 
von Malmaifon beifammen geſehen. Es war ein 
wahrhaft Meines Auferſtehungsfeft. Die guten Bet- 
tern, Zanten und Baſen aus Merville fonnten fi 
nicht jatt fehen an ven ftattlihen Söhnen des Vaters 
Maillebois, die fie zum Theil noch in der Kin- 
derkappe umbherlaufen gefehen zu haben ſich erinnerten. 

„Sieheft Du, Mütterchen, rief Nap mit inniger 
rende, Madame Maillebois wiederholt umar- 
mend, „ift es nicht gut, daß ich Kanonier geworben, 
na, nicht wahr?” 

Rapp, Junot, Bonorand und Gonftant 
ſchauten lachenden Herzens in ven fröhlichen Tumult, 
während ganz in der Nähe, aber ungefehen, hinter 
einer Iaubreiden Baummand ein Heiner Dann in 
einem grauen Weberrode ftand, und durch eine Kleine 
Deffnung in ver Wand blidenn, an ver allgeneinen 
Freude ſich höchlichſt zu ergötzen ſchien. Lange weilte 
derjelbe in feinem Verſteck, bis er endlich auf einem 
. Ummege nah dem Schloffe, von wo er gekommen, 
zurüdfehrte. 

Plöglih erfhien ein Kammerdiener, welcher dem 
General Ju not ein paar Worte in’d Obr flüjterte. 
Diefer winkte Armand und geleitete ihn nad) dem 
rechten Flügel des Schlofies, aus welchem eine Glas— 
thüre nad) dem Garten führte, Armand folgte un- 
‚ter nicht geringem Herzklopfen dem General, ver bie 
ſchöne Marmortreppe hinaufſtieg und vu mehre 
prachtvolle Gemächer wandelte. 

Auf dem ganzen Wege hatte Junvi kein Wort 
geſprochen, als ſich aber jest eine große Flügelth üre 
aufthat, flüfterte er Armand in's Ohr: 


169 


„Erſchreckt nicht, jet befcheert der heilige Chrifi.” 

Und dem war aud jo. Wer vermödte ned Jüng- 
lings felige Ueberraſchung zu fhildan, nachdem er 
in den großen, herrlich gejhmüdten Saal getreten. 
Da ſaßen auf einer Ditomane die Kaiferin Joſe— 
phine und neben ihr Slorentine, in bimmlifcher 
Schönheit, gefhmüdt wie eine Braut. So wie die 
Kaiferin Armand erfhaute, der mehr tobt als le 
bendig in der Mitte des Saales ſtand, bis wohin 
ihn der General gebracht hatte, erhob fie ſich, und 
Tlorentine zu ihm führend, legte fie die fieberhaft 
glühende Hand des reizenden Kindes in feine echte, 
indem fie mit ihrer ſonoren fanften Stimme die Worte 
ſprach: 

„Edelſinnund Tapferkeitempfange hier— 
mit den Lohn der treuen Liebe.“ 

Zugleih war aud der Kaifer durch eine Tapeten- 
thür bereingetreten und überreihte Floren tinen ein 
Papier mit ven Worten: 

„Der Thränen find genug geflofien, gern biete 
ih die Hand der Verſöhnung.“ 

Das Schreiben enthielt bie Begnadigung von Flo⸗ 
rentinen’3 Oheim, des Grafen ven Nevers, mel- 
her von dem Striegögerihte war zum Tode verur- 
theilt worden. 

Die Liebenden waren auf die Knie gefunfen und 
hielten wie betend die Hände empor zu ihren kaiſer⸗ 
lichen Wohlthätern. Sanft hob ver Kaiſer das felige 
Paar empor und mit demfelben in den angrenzenden 
Saal tretend, wohin unterdeß die Geſellſchaft aus dem 
Parke geführt worden war, ſprach er: 

„Fräulein Florentine von Neverd und ter 
Gardecapitain Armand Maillebois empfehlen fid 


170 


den werthen Gäſten von Malmaifon als Berlobte,” 
worauf er zu der Kaiferin zurüdfehrte, 

Jetzt begann die große Gratulationsſcene, welche 
wieder einen anfehnlichen Zeitraum in Anfpruch nahm. 
Als Bonorand gratulirte, ſprach er: „Nun werbe 
ih doch endlich Hecht behalten, daß Ihr unter einem 
glüdlihen Sterne geboren feiv.” Morland, deſſen 
Seftalt beim Anblid Florentinen's um vieles län- 
ger wurde, murmelte ganz leis in den Bart: „Kreuz: 
bombenbataillen, das ift ein feines Mädel, ein 
hödhft feines Mädel.“ Die Berwandten und Be- 
fannten aus Merville wagten faum die Feine weiße 
Hand zu berühren, weldhe ihnen vie fchöne Braut mit 
liebevollem Lächeln darbot. Der alte Maillebois, 
in ber Nationalgarbeuniform von Merville, macıte 
die ehrfurchtsvollſten Büdlinge vor feiner künftigen 
Schwiegeitohter und Madame Moaillebois die de— 
ooteften Knixe. Die anmefenden Kameraden Ar- 
mand’s, fowie ber General Rapp und Freund 
Conſtant konnten fid nicht fatt fehen an ber herr- 
lihen Erjdheinung Der Kanonier geftend Mor- 
land im Bertrauen, ein fo ſchönes Mädchen nod) 
nicht gefehen zu haben. 

„Run, wie gejagt,” erwieberte viefer leife, „ich 
füge Dir, es ift etwas höchſt Nobles.“ 

Nahdem man mit den Oratulationen zu Ende, 
wanderte die Gefelfhaft, auf Junot's Commande, 
nah dem in ſchönſter Pracht des Frühlings ftehenden 
Garten. Mehre Freundinnen Florentinen’s, Ver— 
wandte non Yunot und gleichfalls reizende Mädchen 
fhloffen fih an. 

In dem einen Theile des Gartens, wo rings um—⸗ 
ber Tauſende von Gentifolien im Aufbrechen begriffen 
waren, ſtand unter einem ſchönen türkiſchen Zelte ein 


x 


171 


auserlejenes Frühſtück aufgetragen. Das Brautpaar 
erhielt, wie fi verftand, den Ehrenplat zwifchen 
Herrn und Madame Maillebois. Morland faß 
neben Guiſeppe und dem Kanonier und dem Ge- 
neral Rapp gegenüber. Er prüfte mit SKennerblid 
die zahlreichen Etiketten der koſtbaren Weine, fowie 
die Unzahl ver auserwählten Gerichte aus der kaiſer— 
lichen Küche, und raunte vem Guifeppe in's Ohr: 
„Ih muß Euch geftehen, ein höchſt nobles Früb- 
ſtück.“ 


Während des fröhlichen Dejeunüs erſchienen der 
Kaiſer und die Kaiſerin bei der glücklichen Geſellſchaft, 
ſprachen mit jedem der Anweſenden und kehrten erſt 
nach Verlauf einer halben Stunde nach dem Schloſſe 
zurück. Namentlich waren die Gäfte aus Merville 
ganz bezaubert von der huldwollen Herablafjung ber 
taiferlichen Majeſtäten. 

Nach dem Frühftüd erging fi die Geſellſchaft in 
den fchattenreihen und blüthenvollen Gängen des 
Gartens von Malmaifon. Die füren Weine hat- 
ten die Herzen aufgejchloffen und einander näher ge- 
bracht. Die beengenden Bänder der Etikette löften 
fih allmälig. Armand wandelte mit verflärtem 
Antlig am Arme der feligen Florentine Er hätte 
mit feinem Könige ber Erde getauft. Morland 
war von dem duftigen Muskateller aus dem faijer- 
lichen Keller ziemlich warm geworben. Er hatte dem 
etwas fhüchternen Kanonier ſchon zu wiederholten 
Malen gerathen, ein Herz zu fallen und fih umzu—⸗ 
fehben unter den Töchtern des Landes; die beiden 
Goufinen von Junot wären höchſt noble Fräulein, 
während er felbft mit Beharrlichkeit und Feinheit Ma- 
dame Maillebois die Cnur machte. Er ſchien 
wirklich bie Abficht zu haben, feinem alten Zeltcame- 


172 

raben, dem Siergärtner, troß dem, daß dieſer in ber 
Merviller Nationalgarbenunifı im fiegesfiher einher- 
ſchritt, für heute aus dem Sattel zu heben. Gui— 
ſeppe ernenerte eine Schulbekanntſchaft mit einer 
bübfhen Couſine aus Merville Bonorand warb 
von Conſtant in ven herrlihen Gemähshäufern 
von Malmaifon unthergeführt, während ber alte 
Maillebois fih außerordentlich geehrt fühlte, mit 
dem tapfern General Rapp auf- und nieverwanteln 
und über den egyptiſchen Feldzug vortiefflih discuri— 
ven zu fünnen. Die Kameraden Armand's mad)- 
ten ed fih zur angenehmen Pflicht, für die Unter- 
baltung der beiden Coufinen Junot's, fo wie ter 
ehrlichen ZVettern und Muhmen aus M ervilte be- 
ſtens zu Iergen, an weldye ſich endlich auch ver Ka⸗ 
nonier anſchloß. 

So war für ſämmtliche Säfte zu Malmaifon 
fhönftens geforgt. Zwei Stunden verflogen wie we— 
nig Augenblide. Da ließ Junot, der fih in ber 
Rolle eines Meaitre de Plaifie beim heutigen Feſte 
außerordentlich gefiel und ihr alle Ehre machte, Die 
GSejelfhaft wieder zufammen rufen und that, nad) 
eingeholter kaiſerlicher Erlaubniß, den Vorſchlag, nad) 
feinem zwei Stündden von Malmaifon gelegenen 
Gute Montjoie zu fahren, das er vorigen Herbſt 
gefauft, neuerdings habe reftauriven lafjen, und da— 
jelbit auf das Wohl des Brautpaars ein Glas Cham— 
pagner zu trinken; er gebe nämlich viel auf das alte 
Sprichwort, wonad) e8 großes Glück für ein neu ein= 
gerichtete Haus bedeute, wenn daſſelbe durch ein an 
demſelben Tage verlobtes Brautpaar betreten werde. 

Die Worte des Generals fanden allgemeinen Bei: 
fall und bald fuhr eine ganze Wagenburg hinüber 
nad Montjoie. Nach einftündiger, höchſt amufan- 





175 


ter Fahrt Durch eine lachende Gegend, traten das 
ſchloßähnliche Herrnhaus und die ftattlihen Wirth: 
fchaftegebäure von Montjoie, reizend am Abhange 
einer Hügelfette gelegen, binter einem Raftanienwaloe 
bervor und wurden von der Reiſegeſellſchaft mit all- 
gemeinem Jubel begrüßt. 

Der erfte Wagen, in welchem fih Armand und 
Slorentine befanden, fuhr bei dem Portale Des 
Herrnhauſes vor, wofelbft fie der alte Majordomus 
im Ornate empfing. Das Brautpaar betrat zuerft 
das ftattlihe Gebäude. 

Kun machte ſich's Junot zur angelegentlichften 
Pflicht, feine Säfte mit der Räumlichfeit und ber 
Einrihtung feiner ſchönen Befizung befannt zu ma— 
ben. Alles befand ſich im beften Zuſtande. Scheuer, 
Ställe, Keller und Böden waren gefüllt, fo daß 
Morland unummunden geltend, ein jo wohl arran- 
girted und höchſt nobles Landgut fei ihm noch nicht 
vorgekommen. 

„Aber, meine Freunde,“ begann Junot, nach— 
dem die Geſellſchaft Alles in Augenſchein genommen, 
mit gerechter Bewunderung begrüßt und ſich wieder 
in dem ſchönen Saale des Herrnhaufes zujammen 
gefunden hatte, „noch nicht Alles haben Sie ge: 
jenen, auch eine hiftorifche Merkwürdigkeit birgt mein 
Landgut, welche ich der Gnade Seiner Meajeftät ver: 
danke.“ 

Er führte hierauf die erwartungsvollen Zuhörer 
ch dem ſchönen Parke. Man war nicht lange ge 


Pe KR a En als ſich den erftaunten Bliden eine von ur— 
. X v ! 





"Ulmen umringte Raſenrotunde zeigte, mo auf 
— itnen viedeſtal ein ruſſiſcher Zwölf— 


174 


„erinnert an eine ber ſchönſten und heldenfühniten 
Waffenthaten des Feld zugs von Aufterlig. Es ift 
jened ruſſiſche Gefhüt, welches der fiebzehnjährige 
Napoleon Maillebois, Taiferlih-Fünigliher Ka— 
nonier im vierten Regiment erobert hat.“ 

„Der Taufend, ap, Dein Püppchen,” ſchmun⸗ 
zelte Morland, „wahrhaftig, das ift nobel vom 
Kaifer, daß er das nicht hat mit einfchmelzen laſſen.“ 

Jetzt gelangte ver Kanonier zu hohen Ehren. Er 
ward der Gegenftand ver allgemeinften Bewunderung, 
jeine aufßerordentlihe Tapferkeit trat Allen wieber 
lebhaft ver Augen. Dean vergaß jelbft eine Zeit 
lang das Brautpaar. 

„Und jest, meine Freunde,” fuhr Yunot fort, 
nachdem man den Zwölfpfünder von allen Ceiten 
beſehen und betaftet hatte, „wollen wir auf der Platt: 
form des Herrenhauſes, von wo man eine fchüne 
Ausfiht Über die Umgegend genießt, die verfprochene 
Gefunpheit auf die Brautleute trinken.“ 

Der General hatte wahr gefproden; von der 
Plattform des Herrnhaufes genoß man eine veizende 
Ausfiht auf die ganze umliegende Gegend. Man 
fonnte von bier das ſchöne Out mit al’ feinen Wal- 
dungen, Wiefen, Aedern, Gärten, Teigen, Nebhügeln 
* dem dazu gehörigen freundlichen Dörfchen über- 
jehen. 

Die Sonne, welche ſich bereit8 nach Abend neigte, 
ruhte mit Liebe über Berg und Thal und vergolpete 
rings die friedliche Landſchaft. Da brachte Junot 
ſeinen Toaſt auf das Brautpaar aus, der Cham⸗ 
pagner perlte und die Gläſer klangen unter, Jubel 
aneinander. Na 

„Und jest, fuhr der General fort, Lahab' jch 


4,.2 










175 


nod eine Mittheilung ben — 
Malmaiſon zu machen.“ 
Es entftand eine tiefe Stille, 
„Dieſes ſchöne Gut,“ ſprach 9 
bener Stimme weiter, „das Si 
hab’ ich geftern an Seine Mair 
König, unfern verehrungswärbigen Monarchen, ver« 
fauft, und biefer verfchenft es kraft biefer Urkunde, 
die ich hier in der Hand halte, und in dankbarer 
Erinnerung und Anerlenntniß für die dem Bater- 
lande geleifteten Dienfte, dem Armand Maille- 
bois, Gapitain im zweiten Regiment ver Örenabier- 
garde zu Pferde, und zwar unter der Bebingung, 
daß er bie Hälfte des alljährlichen Ertrags an feine 
zwei Brüder, Guifeppe und Napoleon, abtitt, 
fo wie aud) dem Nikodemus Morland, Sergeant 
im erften Garbegrenadierregimente, eine jährliche Rente 
von jehshunbert Franken zahlt und ihm, für den Fall 
es dem Veteran bei der Armee nicht mehr gefällt, auf 
dem Gute ein anftändiges und freundliches Obdach 
einräumt.“ 
Die Geſellſchaft ſammt und ſonders glaubte, als 
Junot geendet, ihren Ohren nicht zu trauen. Die 
drei Brüder und das Elternpaar Maillebois wa- 
ven fo überraſcht, daß fie kaum einige unverftänbliche 
Laute zu ſtammeln vermodten. Nur Morland, den 
in ber höchſten Gefahr wie im höchſten Glück nie bie 
Faſſung verließ, ſprach die Worte: 

„Das nenn id mir nobel!“ 






Noch ehe die Roſen abgeblüht in den Gärten von 
Malmaifon, war fröhliche Hochzeit auf Montjoie. 









176 


welde bei der Verlobung des 
imand Maillebois mit Fräu— 
bon Nevers zugegen geweſen, 
Morland ließ ſich's nicht 
x ng de3 frohen Tages, unun- 
terbrochen mit der zuffiichen Kanone zu feuern, bei 
welchem Gejhäft er von Guifeppe und Nap eif- 
rigſt unterftügt warb. 

Als die Gäfte beim glänzenden Hochzeitmahle ver- 

fammelt faßen, erſchien ein Taiferliher Page von 
Malmaiſon und überbrachte reiche Geſchenke Na— 
poleon's und Joſephinen's für Braut und 
Bräutigam, 
Nie ſah man ein fröhlicheres Hochzeitfeft, die Luft 
dauerte bis tief in die Nacht, und nie iſt wohl aus 
aufrichtigeren und glüdlicheren Herzen gerufen worden 
das welterfchütternde — „Vive l’empereur!“ 


Ende 


i D 
D 
Drud von Alerander Wiebe in Leipzig. 





Ferdinand Stolle's 
ausgewäßlte Schriften. 


— — — — * 


Volks⸗ und Yamilien-Ausgabe. 


— 


Dreinndgmanzigster Band. 


Zweite Auflage 


Leipzig, 
Ernſt Ketl. 
1858. 


Je länger je lieber. 


Phantafieftüde und Erzählungen 


Ferdinand Stolle. 


— 


Zweiter Band. 


Zweite Auflage 





Leipzig, 
Ernft Keil. 
1858. 


Inhalt. 


— — 


Der Menſch denkt, Gott Ienft . 

Die Gaftprebigt ... 
Die Geifterbefhwörerr. -. - » » 
Der Dreilönigsabend... Phantafieſtiick 
- Öenwbiber . - .... 


Der Menſch denkt, Hott lenkt. 


— — — 


Erzählung. 


Ja, es giebt Unglücksvögel auf der Welt, das iſt 
eine ausgemachte Sache, die ſich zu oft beſtätigt hat, 
als daß ſie noch einem Zweifel unterliegen ſollte. Es 
giebt arme Teufel, die bei aller Thätigkeit, bei aller 
Geſchicklichkeit von einem böſen Schickſal verfolgt wer⸗ 
den, jo daß fie es nie zu Etwas bringen können. Ent- 
weder fommen fie ſtets zu früh oder zu fpät, over es 
ftellt fich irgend ein anderes Hindernig ihren Vorhaben 
in den Weg. Oft wenn fie das langerjehnte Glück 
felhft mit beiden Händen ſchon erfaßt haben, kommt 
nod ein böfer Genius und entreißt es hohnlachend ven 
Armen; oft wenn fie ſchon auf ver Schwelle zum 
Himmelreiche ftehen, ſchlägt das ſchadenfrohe Mißgeſchick 
die Thüre ihnen vor der Nafe zu und lange, lange 
Zeiten vergehen, ehe fih ihnen nur wieder eine ähn= 
liche günftige Gelegenheit zeigt. 

Ein lebendes Beifpiel von dem Gefagten bot ber 
ehrfame Candidat der Theologie, Herr Elias Weit- 
haas, welchem in Kurzem fein vierzigfter Geburtstag 
bevorſtand. Gott war fein Zeuge, daß der Gute 
Alles gethan hatte, was in feinen Kräften ftand, um 
einntal dem Ziel und Hauptitreben feines Lebens, 
einer Heinen Pfarrftele, mit Ehren vorzuftehen. 
Dean mochte feine Cenſuren durchſehen von der Schule 


10 


bis zur lesten Candidatenprüfung, ex hatte ſtets wohl 


beftanden, hatte ftet8 Lob eingeerntet ob feines aus- 


dauernden Fleißes und feiner ſoliden Kenntniffe; 
aber was half ihm Alles, immer waren Glüdlichere 
vorgezogen worden, und fo war der Arme vertröftet 
worden bis in fein vierzigftes Jahr, das er nun bald 
betreten follte. 

Einem Candidaten der Theologie von vierzig 
Jahren kann auf diefer Erde wohl kaum am Wohl- 
ften zu Muthe fein, zumal wenn er noch eine arme 
Mutter und einen Franken Bruder zu ernähren hat 
und fein Einkommen auf mühfames Stunvengeben 
befhränft if. Bei dem armen Elias war dies ber 
Tal. Bon früh bis zum jpäten Abend ſah man ihn 
im bäürftigen Fracke die Gaſſen und Gäßchens des 
Städtchens Krautberg auf= und ablaufen, aus einer 
Familie in die andere, bier im Latein, dort im 
Piano, dort in irgend einer andern Elementarwiſſen⸗ 
Ihaft Unterricht ertheilend. Kam er dann fpät des 
Abends als gehetstes Reh todtmüde nad) Haufe, fo 
hatte er doch nie vergeſſen, als guter Sohn und 
Bruder feinem Mütterhen ein Weißbrötchen oder zur 
Vaftenzeit ein paar Bretzeln mitzubringen, womit er 
bei den genügfamen Seinen allemal große Freude an⸗ 
richtete. Dann ftredte er fich behaglich auf das hart- 
gepolfterte Sopha und fchlürfte fein Glas Dünnbier 
mit einer Behaglichkeit, ale wär’ es eben Kebenfaft. 
Der Zufrievene braudt fo wenig, um glüdlih zu 
fein, aber oft muß der Arme aud) auf dies Wenige 
verzichten. 

Es war bereit das fiebenundzwanzigfte Mal, daß 
Weithand um ein vor Kurzem erledigtes bürftiges 
Pfarrftellden im hohen Gebirge angehalten hatte. Er 
mußte zu dieſem Zweck allemal perfünlich nad) der 


N 


11 


Refidenz, und dem Oberconfiftorial= Präfidenten feine 
Aufwartung zu machen. 

Großblumige Hoffnungen in der Bruft und von 
ben fchönften Träumen umgaufelt, machte fih unfer 
Candidat auf den Weg. 

„Mütterchen,“ Hatte er beim Abſchiede geſchworen, 
„wenn ich die Stelle befomme, folft Du den Himmel 
auf Erven haben.” Er beichrieb ihr dann bie Ein- 
richtung feiner Heinen Wirthſchaft, wie fie ihr eigenes 
Stübchen bekommen follte nah dem Garten hinaus, 
und alle Sonn- und Feſttage müfje fie ihr Brätchen 
haben, anders thue er es gar nit. Der Menfch ift 
fo glüdlih in feinen Träumen. 

„Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut,” erwie— 
terte die fromme Alte auf das begeifterte Gemälde, 
das ber gute Sohn vor ihr ausbreitete. „Gehe mit 
Gott, mein Sohn, nur feine Wege führen zum 
Heile.“ 

Bald darauf ſehen wir den Candidaten ruhig die 
Straße dahin ſchreiten. Der junge Morgenwind 
ſpielte in den Zweigen, die Sonne lachte ſo golden 
über dem grünen Walde, die Vögelein muſicirten, 
und Elias war ganz gottvergrnügt. Eine frohe Ah—⸗ 
nung fagte ihm, daß er diesmal ben fo oft zurüdge- 
legtet Weg nicht vergebens made. War nicht morgen 
fein vierzigfter Geburtstag? Gewiß hatte es ver 
liebe Gott in feiner Weisheit und Güte fo einge- 
richtet, daß fein jahrelang gehegter Wunſch an feinem 
Geburtstage in Erfüllung gehen follte. Ein himm- 
lifcheres Angebinde fonnte fi) der Gute aud nicht 
benfen. 

Aber der Menſch denkt und Gott lenkt, das ift feit 
Ewigkeit fo geweſen und wird in Ewigkeil ſo bleiben. 
Als Weithaas nach zweitägigem Tagemarſche wohlbe⸗ 


12 


halten beim Dberconfiftorial = Präfidenten anlangte, 
ward ihm die Todesbotſchaft, dag die Stelle bereits 
vergeben. Der glüdlihe Bräutigam der Nichte des 
Superintendenten, in deſſen Ephorie die vacante Pfarrei 
gehörte, hatte fie erhalten. 

Dahin waren nun zum fiebenundzwanzigften Male 
die fchönften Hoffnungen und füßen Träume Dahin 
war das Stübchen und mit der Ausficht nad) dem 
Garten, das Brätchen an Sonn- und Feiertagen. Nicht 
fi) jelbft bedauerte der arme Caudidat, aber fein 
Mütterhen, die ja mit ihm leiden und darben mußte 
in ihren alten Tagen. 

Das war ein recht trüber Geburtstag für unfern 
- Elias. Er zählte feine paar Grofchen, fie reichten 
faum zur Rückreiſe. ine Meine Summe, bie er 
Thon jfeit langen Jahren in der Hauptitadt außen 
ftehen hatte und die er diesmal einzutreiben fich bie 
gewille Hoffnung gemacht hatte, Tonnte er aus dem 
einfahen Grunde nicht erhalten, weil fen Schuldner 
bereit8 feit längerer Zeit verborben und geftorben. 
Died war ein neuer harter Schlag für den Armen. 
Nicht für feinen Nuten hatte er das Sümmchen zu 
verwenden gehofft. Aber fein Mütterchen braudhte 
vet nothwendig ein neues kattunenes Sonntags-— 
kleidchen. In dem zeitherigen war fie nun bereits ſeit 
funfzehn Jahren gelaufen. Es war ganz vermajchen 
und verjchoilen, jo daß es für die Kirche wirklich 
nicht mehr gehen wollte Auch der Einkauf eines 
hübfchen Halstuhs für den Bruder war fein ftiller 
Plan geweſen. 

Nun war durch den Tod bes infolventen Schuldners 
auch die Hoffnung zu Wafjer geworben. . 

Elia8 war jo menjchenfreundlichen Herzens, daß 


13 


er dem Berftorbenen nicht zürnte, fondern ihn bes 
dauerte. 

„Der arme Mann,” dachte er bei fih, „er ift 
gewiß noch unglüdlicher geweſen al8 Du, er ift in 
Kummer und Elend geftorben. Möge es ihm dafür 
dort oben recht wohl ergehen.‘ 

Während unfer vierzigjähriger Candidat alfo voller 
Milde und Barmherzigkeit vichtete über einen Uns 
glüdlichen, faß er, ganz ermübet von dem Herums 
rennen, in der weitläufigen Hauptſtadt und gebeugten 
Hauptes bei einem halben Glaſe Braunbier in einer 
den Shore zunächſt gelegenen armjeligen Schenk— 
wirthichaft. 

Er rechnete hin und ber, ob es denn feine Mög- 
lichfeit fei, von den wenigen Grofchen etwas zu er- 
übrigen, um feiner armen Mutter eine Freude zu 
mahen. Es war ihm vecht fehmerzlih, mit unterge- 
gangenen Hoffnungen und leeren Händen zugleich nad 
Haufe zurüdzufehren. 

Aber Elias mochte calculiren und rebuciren, fo viel 
„ ex wollte, feine Baarjchaft reichte, wie gefagt, faum, 
bie Heimath zu erreichen. Sie war zwei gute Tage— 
reifen entfernt und fchon war e8 hoher Nachmittag, 
alfo mußte er nothwendig unterwegs zwei Mal über 
Nacht bleiben. Er wäre mit feiner Kafje nicht fo ganz 
ſchlecht beſtellt geweſen, aber ein neues, völlig unges 
ahntes Mißgeſchick hatte fie erſchöpft. Er mußte 
nämlich, um nur als Candidat beim Präfidenten an⸗ 
gemeldet zu werben, zum Beſten einer mohlthätigen 
Sammlung acht Groſchen gut Geld erlegen, eine Ab— 
gabe, die früher nie beftandeft und von welder er 
fein Sterbenswörtchen gewußt hatte Go verblieben 
Um nur nod ein Zwanzigkreuger, ein preußiſcher 


14 


Silbergroſchen und zwei Vierpfenniger, aljo in Summa 
mit Agio fieben Groſchen gut Geld. 

„Wenn Du auch,“ fuhr er in feiner Berechnung 
fort, „auf beide Mittagsmahlzeiten heute und morgen ' 
verzichtet, jo kannſt du doch nicht umter freiem 
Himmel die Naht bleiben; wie leicht fünnte ein Land- 
gensd'arm erfcheinen, und als Bagabund behandelt zu 
werben, würde einem ehrjamen Candidaten der Theo— 
Iogie bei all feiner Unſchuld in ein übles Licht ftellen, 
und ein paar Brütchen verfchlingft du doc während 
der zwei Tage und einige Schluck Bier find unent- 
behrlich, um Kräfte für die Wanderung zu erhalten. 
Du bift einmal ein verwöhnter Menſch. Hätteft dir 
von Jugend auf mehr Enthaltfamfeit aneignen 
ſollen.“ 

Von den ſieben Groſchen gut Geld verblieben 
den Candidaten nah möglichſter Einſchränkung funf- 
zehn Pfennige. Hiermit ließen ſich allerdings keine 
großen Einkäufe für die geliebten Seinigen bewerf- 
ſtelligen. 

Während Elias dies bedenkend am Fenſter der 
Gaſtſtube ſtand und ſchwermuthvoll nach der Straße 
hinausſchaute, ſtieg plötzlich ein großer kühner Gedanke 
in ſeiner betrübten Seele auf. Schräg über vom 
Wirthshauſe nämlich, in welches der Candidat einge— 
treten war, hatte ein Kleidertrödler ſeinen Kramladen 
aufgeſchlagen. Da hingen der abgetragenen Kleidungs- 
ſtücke in Unzahl: Beinkleider, Röcke, Fracks, Gilets zu 
allen Größen und Farben. 

„Wie wär's,“ dachte Elias, von Kindes- und 
Bruderliebe erfüllt, „da du deinen Frack nun für ge— 
raume Zeit nicht mehr unumgänglich nöthig haſt, 
indem ſobald eine Vacanz nicht wieder eintreten wird 
wenn bu ben ohnedies abgetragenen Alten hier ver⸗ 


15 


faufteft und ein wohlfeileres Kleidungsſtück "dafür an 
dich brächteſt? Für den Ueberſchuß könnteſt du dann 
deines Herzens Wunſch befriedigen und der Mutter 
Kattun zu einem Röckchen erhandeln.“ Die Blide 
des guten Sohnes fuchten daher in dem Kleider⸗ 
Bazar nad) fo einem wohlfeileen Stüd. 

Plöglih that Elias einen Freudenfprung in bie 
Luft. Richtig, da hing an der Ede ein allerliebftes 
Nankingjädhen. Das konnte ein Königreich nicht 
often. Da war fein ehrwürbiger langſchößiger Trad 
ein Krönungsmantel dagegen. Da mußte er eine 
reſpectable Summe herausbefommen. 

„Zu einem neuen Trade wird der liebe Gott 
auch wieder helfen,” tröftete er fih, „ich befomme 
vom nädhften Monat vier neue Clavierftunden beim 
Tuchmacher Engelmann; da kann ih das Tuch ab- 
klavieren und Engelmann bat ftet8 als Chrift an mir 
gehandelt.“ 

Elias war ſchon im Begriff, ſein halb Glas 
Braunbier zu berichtigen und auf den Kleiderhandel 
und Kattuneinkauf zu gehen, als ein neues Bedenken 
in ihm aufſtieg. 

„Aber als ehrſamer Candidat der Theologie,“ 
frug er ſich, „kannſt du doch unmöglich ſo durch die 
weite Welt reiſen? Wenn dir nun Kirchenlicht zu— 
fällig begegnet und den dereinſtigen Herrn Confrater 
im chineſiſchen Nankingjäckchen einherſtolziren ſieht, muß 
er nicht in gerechte Beſorgniß gerathen, daß es mit 
meiner Wenigkeit rapple?“ 

Das war ein höchſt fataler Fall, der ihm da in 
den Sinn gekommen. 

„Armes Mütterchen,“ ſprach der gute Sohn, „alſo 
ſoll aus dem neuen Sonntagsrödchen wirklich nichts 
werben. Auf das Stübchen mit der herrlichen Aus⸗ 


16 


fiht nad) dem Garten mußt Du verzichten; auch das 
Bräthen an Sonn= und Feſttagen ift Dir in ben 
Brunnen gefallen. D, jest fühle ich wahrhaft, was 
bittere Armuth zu bedeuten.‘ 

Er lief verzweiflungsvoll die an Gäften leere 
Schenkſtube wiederholt auf und ab. 

„Was da,’ rief er endlih, und bekam wieber 
frohen Muth, „ich riskire es und verfeile den Frack. 
Ih brauche ja nicht auf ver Heerftraße zu bleiben, 
wo mir die mebilante Menjchheit aller Augenblide 
in den Weg läuft; id) bin ja befannt vingsumber, 
ich fchmeide mitten durch, über Berg und Thal, durch 
. Wald und Flur, der Chaufjee jo fern als möglich. 
Ja, es bleibt beim Nankingjäckchen!“ 

Eiligft legte er die vier Pfennige für das Bier 
auf den Tiſch und war nad) wenigen Sekunden mit 
dent Kleivertröbler im Handel verwidelt. 

Hier ſank ihm aber anfangs der Muth gewaltig. 
Er glaubte feinen Ohren nicht zu trauen. Der Kauf: 
mann wollte nämlich noch acht Groſchen heraushaben, 
wenn er fein Jäckchen gegen ven Candidatenfrack 
herausgebe. 

Das hatte der arme, Elias freilich nicht erwartet, 
daß fein ihm fo theuer ehrwürdiger Frack nicht ein- 
mal einer dürftigen Nanlingjade die Waage halten 
folte. 

„Aber betrachten Sie aud die Naht,“ fuhr ver 
Trödler in feinem gewohnten anpreijenden Zone fort, 
„und das Zeug, foldhes giebt’8 heutzutage gar nicht 
mehr, Leder ift nicht8 dagegen, und wie wäſcht ſich's! 
Ich büße mein eigenes Geld bei dem Handel ein.” 
Zugleih maß er den rad des Kandidaten mit einem 
Blide, der feine innerfte Empörung ob des altmodifchen 


17 


Schnittes und des groben abgetragenen Tuchs hin- 
Yanglih ausſprach. 

„Sehen Sie, das find Fracks,“ ſprach er weiter, 
indem er auf mehrere an der Wand hängende Erem- 
plare zeigte, „dagegen muß fih Ihr Langſchooß aus 
dem fiebenjährigen Kriege verfteden. Wie gefagt, mein 
banres Geld feße id) zu, wem ich mid mit acht 
Grofchen begnüge; wären Sie einigermaßen von chrift- 
licher Gefinnung befeelt, würden Sie mir eine ſolche 
Anmuthung gar nicht ftellen und freiwillig noch vier 
Groſchen zulegen. 

Yet ward es dem Candidaten zu arg. Der 
jüdiſche Trödler zog fogar feine chriftliche Geſinnung 
in Zweifel, bei ihm, einem ſo gottesfürchtigen Can— 
didaten der Gottesgelehrſamkeit! Das war nicht zu 
ertragen. Halb Zorn, halb Wehmuth im Herzen 
wollte Elias, ohne ein Wort zu erwiedern, davon. 

„So warten Sie doch,“ rief ihm der Trödler 
nach, „ein Gebot giebt das andere, Thal und Berg 
kommen zuſammen, warum wir nicht.“ | 

„Nimmermehr!“ antwortete Eliad, „aus unferm 
Handel kann auf diefer Welt nichts werben.“ 

„Ss kommen Sie nur einen Augenblid zurüd,” 
fuhr der Trödler drängend fort, „Sie wären der Erfte 
nit, mit dem id» nicht nod) Handelseins geworben 
wäre.” 

Unſchlüſſig zögerte Elias. Endlich Tieß er fid 
bewegen, nochmals umzukehren. 

„Run, begann der Trödler den Handel von 
Neuem, „ih will an Ihnen mein Möglichites thum, 
obihon ich nicht weiß, wie ich es bei meiner: Frau 
verantworten will. Unter der Bedingung, daß Gie 
gegen Jedermann reinen Mund halten, follen Gie 
mir nur vier Groſchen herausgeben nächſt dem Trade, 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 2 


18 


dann will id das herrliche Jäckchen, fo weh mir's 
thut, verfchmerzen.” 

Der Candidat ergriff bei Diefem Vorſchlag von 
Neuem die Flucht und fam auf des Trödlers Bitten 
nochmals zurück. 

„Sie ſind auch ſchrecklich kurz angebunden,“ ſprach 
letzterer. „Unter der Bedingung, daß Sie mich künftig 
wieder in Nahrung ſetzen, ſollen Sie mir diesmal 
nichts herausgeben.‘ | 

Elias konnte fih noch immer nicht zum Handel 
entſchließen 

„Nun,“ rief der Trödler im verſtellten Tone des 
höchſten Erſtaunens, „Sie wollen doch nicht etwa noch 
heraushaben ?“ 

„Allerdings,“ geſtand der Candidat ſtockend, der 
durch die Aechtung, die der Handelsmann über fei= 
nen Frack ausgeſprochen, an dieſem jelbft ganz irre 
geworben. 

„Run, Ws ift ſpaßhaft,“ fuhr der Händler iro- 
nifch fort, „was verlangen Sie denn?“ 

„Unter einen Thaler,” ſprach leife Elias, „kann 
ih den Frack gegen das Jäckchen nicht abtreten.” 

„Was, einen Thaler?!” fchrie bier der 
Trödler mit einer Stentorftimme, daß der Candidat 
erichraf und ihn bat, nicht for außerordentlich zu 
ſchreien. 

Da half aber kein Bitten und Zureden. Der 
Händler that unermeßlich aufgebracht über ſolches 
Verlangen. Doch damit wir dieſe Angelegenheit nicht 
zu weit ausſpinnen, das Ende vom Liede war das 
Gewöhnliche. Durch beiderſeitiges Nachgeben ward 
man endlich dennoch Handelseins. Elias erhielt für 
‚ feinen Frack das Nankingjäckchen und ſechzehn Gro— 
ſchen ſchlecht Geld, obſchon der Trödler fortwährend 


19 


ſchwur und betheuerte, daß er gewiſſenlos an Weib 
und Rindern handle. 

Der Candidat ward nun metamorphofirt. Das 
gelbe Nankingjäckchen fand ihm ziemlich poſſirlich zu 
feinen jchmwarzen Beinkleivern und ſchwarzer Weite, 
Allein da e8 gerade Sommer war, fiel die fonverbare 
Tracht nicht weiter auf. In dem benachbarten Ause 
ſchnittladen begann Elias nun einen neuen Handel, 
faufte für vierzehn und einen halben Groſchen Kattum, 
allerdings nicht den feinften, und für brei Grofchen 
ein Halstuch für den Bruder. 

Himmeljelig wanderte er nach diefen für ihn fo 
wichtigen Gefchäften zum Thore hinaus. Er konnte 
ſich's zwar nicht verhehlen, daß ihn der Verluft fei- 
nes ſoliden Fracks etwas ſchmerzte, das Jäckchen war 
auh gar zu luftig, und daß er fo wenig auf feinen 
Schwarzen herausbefommen; wenn er aber des Kat— 
tung gedachte, des Halstuhs und der Freude, die 
er bamit anrichten werde, fo verichwanb jede weh⸗ 
müthige Empfindung, denn der Himmel einer rühren 
den kindlichen Liebe mit al’ feinem Segen ruhte in 
feiner Bruft. 

Test ging die Reife leichten Schritt auf Feld⸗ 
wegen zwilchen wogenden Kornfelvdern hindurch, von 
Dorf zu Dorf, immer in der Richtung nach feiner 
Heimath. Der Abend war fehon hereingebrochen, als 
er ein armſeliges Dörfchen erreichte, wo er. zu über- 
nachten beſchloß. Jetzt fühlte er recht den Mangel 
ſeines Fracks, denn mit einem ſolchen hätte er als 
frommer Candidat vielleicht bei dem Ortsgeiſtlichen 
Abendimbiß und Nachtherberge gefunden, in feinem 
dermaligen Coftüm wagte er aber nicht feine Aufs 
wartung zu machen. Ä 

Am folgenden Tage fam ihm bie Gegend, wo 

2* 


20 


an den Rainen häufig wilde Himbeeren wuchſen, recht 
zu Statten. Er lebte faft den ganzen Tag von nichts 
als folhen Beeren, welde ihm nebſt einen Stüd 
trocknem Brote herrlich mundeten, und konnte dem 
lieben Gott nicht genug danken, daß er eine folche 
berrlihe Frucht erichaffen habe zum Nuten und 
Frommen der Wanderer, die in den Wirthshäufern 
sicht viel aufgehen laſſen konnten, wie dies bei ihm 
der Yall war. - 

Gegen Mittag des zweiten Tages ſtach die Sonne 
gewaltig auf ihn herab. Vergebens fah er fich weit 
und breit nach einem jchattigen Plätschen um. Nir- 
gends war ein ſolches zu erbliden, nur in der Ferne 
winkte ein Dorf. Keuchend und halb verjchniachtet 
erreichte er endlich dafjelbe Er frug nad der Schente, 
es gab feine im Drte. Er bat in einigen Bauern- 
häufern um einen Trunk Waſſer. Man wies ihm 
bartherzig die Thür. Endlich in einem ber letten 
ward feine Bitte füllt. Er befam für ſechs Pfen- 
nige auch ein ſchön Stüd Brot und ein wenig 
Butter. Hier denn lagerte fih Elias unter einem 
weitfchattennen Nußbaum in’s weiche Gras und ver- 
zehrte fein frugales Mittagsbrot. Gaſtlich blicdte das 
ftattlihe Pfarrhaus zwifchen hohen Ulmen zu ihm 
berüber. 

„Sa, wer einen rad hätte,” ſprach Elias, „ber 
tönnte vielleicht dort drüben an ftattliher Tafel ſitzen 
in gelahrtem Geſpräch mit vem Herrn Pfarrer.” Ein 
Seufzer entjtahl fih feiner Bruft, der Arme hatte 
nun feit fünf Tagen faft von nichts als trodnem 
Brote gelebt. Da fiel aber fein Blid auf das Päd- 
hen Kattun, und alles Leid war vergeflen, denn er 
gedachte der Freude, die er feiner alten Mutter und 
jeinem Franken Bruder bereiten würde, 


21 


Elias beſchloß während feiner Mittagsmahlzeit, 
von nun an fein Nactguartier weiter zu machen, 
fondern in einer Strede fortzumandern bis zu feinem 
Wohnorte, welcher nicht mehr zu weit entfernt war, 

Nachdem er fid, gelabt, geſtärkt und ausgeruht 
hatte, fette er wohlgemuth feine Wanderung fort. 
Wieder .begann die Sonne zu ftehen, als ihn bald 
ein fchattiger -Wald aufnahm. Wer war frober als 
unfer Elias, denn hier gab’8 Erd- und Heidelbeeren 
in Maſſe. Er z0g den Reft feiner Mittagsmahlzeit 
aus der Tafche, welcher ans einem Stück fehwarzen 
Brotes beitand, lagerte fid) unter ven hohen Bäumen 
und begann unter den Abendlievern der Waldvögel 
zu veipern. 

Immer länger wurden die Abenpfchatten, immer 
tiefer punfelte der Wald. Elias ſchritt die einfame 
Haide dahin, der Richtung feiner Heimath nad. Ob— 
jhon er fi vor Räubern weiter nicht zu fürchten 
hatte, wer hätte ſich auch wollen an ihm bereichern, 
fo war er doch nicht ohne Bangen für feinen Kattun 
und das gefaufte Halstuch, welche beide Gegenſtände 
für ihn Kleinovien von unfhätbaren Werthe waren. 
Doch auf Gott vertrauend wandelte er weiter. 

Allmälig ward e8 aber imnter finftrer und unferem 
Elias, um nit in der Irre herumzulaufen, blieb 
nichts übrig, als Halt zu machen und unter einem 
alten Nußbaume auf weichen Mooſe fein Nachtquar⸗ 
tier aufzufchlagen. 

Bon dem befchwerlihen Tagemarfche ziemlich er⸗ 
müdet, fiel Elias bald in einen gefunden feften Schlaf. 
Liebliche Traumbilder umgaufelten den Entfchlummer- 
ten. Er hatte lange nicht fo füß geträumt wie dieſes 
Mal. Eeine Mutter erfchten heiter lächelnd im präch—⸗ 
tigen Sonntagsſtaate, auch feinen Bruder erichaute 


2 


er fo froh und lebensluftig, wie er ihn nie im Leben 
gefehen. 

Vlöglih aber tönte in die rofige Traummelt ein 
gellenvder Ton aus der irdiſchen Welt. Ein langge- 
haltenes Pfeifen ſcholl durch den Wald. Elias fuhr 
erjchredt aus dem Schlafe empor. Bereits graute 
ber Morgen. | 

Nachdem Elias volllommen munter geworden war, 
vernahm er durch die ftile Morgenluft die Schritte 
von mehreren Perjonen und das ergreifende Wehklagen 
einer Frauenftimme. Aengſtlich barg fih der Candidat 
hinter dichtes Gefträuh und erwartete klopfenden 
Herzend und mit zurüdgehaltenen Athem ver Dinge, 
die da fommen follten. 

Die Schritte kamen immer näher, das Wehklagen 
ward immer vernehmbarer und mit emporgefträubten 
Haaren bemerkte Elias durch eine Feine Deffnung in 
dem Geſträuch, wie zwei wild ausfehende Männer ein 
händeringendes junges Frauenzimmer, das vergebens 
bat und flehte, an einen Baum banden. 

Kaum war dies geſchehen und die Gefangene der⸗ 
maßen mit Stricken befeſtigt, daß ſie ſich nicht rühren 
konnte, und ihr Mund mit einem Tuche verbunden, 
um das Hülfeſchreien zu verhindern, als ſich die 
Männer eilends wieder entfernten, ſo daß von ihren 
Schritten bald nichts mehr zu vernehmen war. 

Vergebens mühte ſich die Gefeſſelte, ihrer Ban— 
den ledig zu werden, wobei ſie ihren ſchrecklichen 
Zuſtand nur durch leiſes Wimmern zu verrathen ver— 
mochte. 

Elias in ſeinem Verſteck ſchaute dieſer erſchüttern— 
den Scene eine geraume Zeit zu. Noch immer wußte 
er nicht, ob er wache oder träume. Kin feld aufßer- 
ordentliches Abentener war dem frienfamen Candida— 


nn 


23 


ten der Theologie in feiner Praxis noch nicht worges 
fonımen. Alle Räubergefchichten, die er in feiner 
Jugend mit großer Begier gelefen, fie aber fpäter 
für Fabelu erkannt hatte, traten wieber vor feine auf- 
geregte Phantaſie. Stand vielleicht über den Sternen 
gejchrieben, daß er der Ritter und Retter dieſer Ges 
noveva werben follte? Cr laufchte lange und gerieth 
in einen großen Streit mit fih. Sollte er in feinem 
Verſteck ausharren und den Berlauf der Schauerthat 
ruhig mit abwarten, denn die finftern Gefellen hatten 
es unfehlbar auf das Leben des jungen Frauenzims- 
merd abgejehen, oder follte er fi fo leife als mög⸗ 
lich aus den Staube machen und den gefährlichen 
Schauplatz verlafien, oder jollte er endlich wie ein 
Recke der Vorwelt hervorftürzen und mit Gefahr fei- 
nes Lebens vie Hilflofe Gefangene befreien? 

Er wählte lange, bis endlich das herzzerreigende 
Gewimmer ver jungen Dame fein Innerftes erſchüt⸗ 
terte und feinen Muth ftähltee Er laufchte noch eine 
geraume Zeit, ob die Räuber nicht etwa wieder nab- 
ten, dann kroch er in feiner Nanfingjade hinter dem 
Gefträuh hervor, ergriff fein Taſchenmeſſer, durch⸗ 
ſchnitt die Banden, womit die Gefangene gefefjelt 
war, band ihr das Tuch ab, welches ihr den Mund 
verdeckte und ergriff mit ihr die Flucht. Elias konnte 
ſich in der Folge ſelbſt nicht genug wundern, wie er 
mit einem Male zu fo großer Geiſtesgegenwart und 
ſolchem Helvdenmuthe gelangt et. 

Die Befreite folgte auch ihrem Retter ohne 33- 
gern und bald hatten die Beiden das Ende des Wal: 
des erreicht. Bon hier war das Städtchen Krautberg, 
der Wohnort ded Kandidaten, feine zwei Stunden 
mehr entfernt. 

Seht erft, nachdem die Flüchtlinge ſich nicht ver- 


24 - 

folgt ſahen und in einiger Entfernung ein Dorf er- 
blidten, athmeten fie etwas freier und Elias gewann 
Muße, feine befreite Prinzeffin etwas genauer in 
Augenjchein zu. nehmen. Es war ein wunderſchönes 
Mädchen von ungefähr achtzehn Jahren in nobelſter 
Reiſelleidung. Von ihr aber erfuhr ‚Elias ‚ungefähr 
Folgendes: Sie fei die Tochter eines Landedelmanns, 
der mehrere Güter in der Umgegend befite und habe 
wollen wit ihrer Gejellichafterin nach ver Reſidenz 
fahren, woſelbſt ſich ihre Eltern bereits feit einigen 
Zagen befänden, um bafelbft einen Familienfeſte bei- 
zumohnen. Drei Räuber hätten ſich ihrer mitten im 
Walde, durch melden die Straße führe, bemächtigt, 
ben Rutfcher vom Bode geftürzt und fie und die Ge— 
jellfchafterin tiefer in’8 Gebüſch geſchleppt, wahrſchein⸗ 
lich, um jie bafelbft zu ermorven. Da habe der Him- 
mel ihr in der Perfon des Candidaten einen Retter 
. gefandt. 

Elias geriety nun in nicht geringe Verlegenheit, 
was er mit dem verlaſſenen Fräulein beginnen ſolle. 
Er hatte ſich in einem ähnlichen Falle noch nie be— 
funden, und je weiter ſich die Beiden von dem Orte 
der Gefahr entfernten, deſto größere Schüchternheit 
bemächtigte ſich des Candidaten, in welchem ſeine alte 
Blödigkeit, dem ſchönen Geſchlechte gegenüber, er- 
wachte. 

Während er noch mit ſich berathſchlagte, ob er 
das Frünlein im wohllöblichen Amte oder bei ber 
ſtädtiſchen Polizeibehörde zu weiterer Verfügung ab— 
liefern follte, blieb er plüglid) wie vom Donner ge: 
rührt ſtehen. Aengſtlich blidte die Gerettete, welche 
den Namen Angelika führte, zu ihm auf und wurde 
aufs Tieffte bewegt, als fie die hellen Thränen über 
die Wangen des Candidaten rollen fah. Der Arme, 


25 


er hatte bei feinen hochherzigen Nettungswerfe fein 
Päckchen Kattun und auch das Tüchlein für den Bru- 
ber verloren, welches forgfältig in das Zeug einge» 
fhlagen war. Dahın waren nun mit einem Male 
all die ſchweren Opfer, welche er ver kindlichen und 
brüderlichen Liebe gebracht hatte. Vergebens war ber 
ſtattliche Frack für das dürftige Nankingjäckchen da— 
hingegeben worden. Vergebens hatte er gehungert, 
gedürſtet, gefroren und vergebens war er im vaga⸗ 
bondenähnlichen Coſtüme durch's Land gepilgert. 

Im Anfang wollte er Rechtsumkehrt machen und - 
es koſte, mas e8 wolle, fein Päckchen wieder erobern; 
aber bei näherm Weberlegen, was follte dann aus dem 
Fräulein werden, die er aller Hülfe baar und ledig 
zurüdlaffen mußte? 

Aber auch Angelifa vang plötlid die Hände und 
blidte nad) dem Walde zurüd, ven fie vor Kurzent 
verlaffen hatten, denn fie gedachte ihrer Freundin, 
die in Räubers Hand zurüdgeblieben war. 

Die Beiden machten einige Sekunden Halt. Keins 
wußte, weshalb das Andere jo in Verzweiflung ges 
rieth, als plöglic Das Gefühl der eigenen Rettung 
alle andere Gedanken verbrängte und fie zur eiligften 
MWeiterflucht antrieb; denn aus der Tiefe des Waldes 
warb wieder das gefährliche Pfeifen vernommen. 

Nachdem man wieder eiligen Schritt eine ge— 
raume Gtrede zurüdgelegt hatte, wagte Angelifx 
ſchüchtern ſich nach der heftigen Bewegung ihres Ret- 
ters zu erkundigen. ' 

Dem Elias fiel das Herz vor die Füße, Er ge: 
dachte wieder des verlorenen Kattunpädchene und des 
Tuchs und feines armen. Mütterhens und des franfen 
Bruders. Die Thränen waren ihm nahe und fo er- 
zählte ex offen und treuherzig fo ziemlich feinen gam- 


26 


zen Lebenslauf, feine fümmerlichen Verhältnife, feine 
fiebenundzwanzigfte Bewerbung um ein Pfarftellhen, 
jeinen Sradumtaufh und fein trauriges Geſchick in 
Betreff des verlorenen Kattuns. Es that dem Armen 
ordentlich wohl, fein Herz einmal recht ausjchütten . 
zu können; aber während der Mittheilung feines trü= 
ben Geſchicks und feiner Leiden bemerkte er nicht, wie 
ſich Angelifa wiederholt die Thränen trodnete, Die 
ihr unmwilltürlich bei der Mittheilung des Candidaten 
hervortraten. 

Elias gelangte endlich mit feiner Geretteten noch 
in früher Tagesſtunde wohlbehalten in Krautberg an, 
wo er fie unmittelbar nad der Wohnung des ihm 
befreundeten Pfarrer führte und woſelbſt fie Die 
wohlwollendfte Aufnahme fand. Zugleich. machte er 
von dem Raubanfalle bei ver ſtädtiſchen Behörde An— 
zeige. Die Nachricht Davon verbreitete ſich alsbald 
durch das ganze Städtchen, und halb Krautberg, auf 
die abenteuerlichſte Art bewaffnet, fette fi alsbald, 
Gerichtöperfonen an der Spite, nah dem Walde in 
Bewegung, wo die Räuber den herrichaftlihen Wa— 
gen angefallen hatten. Auch ſchickte Angelifa einen 
Erprejjen an ihre Eltern nad) der Reſidenz. 

Der vereinten Anftrengung der braven Krautber— 
ger gelang e8 auch, nicht ſowohl vie Gejellfchafterin 
Angelifa’8 zu befreien, welche gleihfals an einen 
Baum gebunden war, fondern auch der Naubgefellen 
habhaft zu werben, die bei dem Anfalle feinen andern 
Zwed gehabt hatten, als durch Screden, Drohungen 
und Martern aller Art die beiven hilflofen Mädchen 
zu dem Geftänpniffe zu bringen, an welhem Orte 
Angelifa’8 reicher Vater feine Gelder und Staatspa- 
piere verborgen habe. Mean wollte fodann auf dem 
Gute einbredhen, wo man einen großen Raub zu voll 


27 


bringen hoffte, da man erfahren, daß Angelika's Va— 
ter noch vor wenig Tagen eine Summe von mehr 
als funfzehntaufenn Thalern eingenommen, die fid) noch 
auf dem ©ute befinde. Glüdlicherweife warb aber 
das Vorhaben ver Böfewichter durch ihre urplößliche 
Sefangennahme zu nichte gemacht. 

Bereits am andern Tage langte Angelifa’8 Vater 
mit Gourierpferden in Krautberg an und umarmte 
unter Freudenthränen erft feine Tochter, dann Elias, 
welcher mit einem Male Held des Tages geworben 
war. Kaum aber hatte er von der tmurigen Lage 
des armen Candidaten und feiner Familie Nachricht _ 
erhalten, als er ſich auf das Edelmüthigſte derjelben 
annahın. | 

Es waren faum vier Wochen in’d Land gegangen, 
fo warb der fchänfte Erdenwunfd unferes Elias er⸗ 
fült Er erhielt ganz in der Nähe von Lindenthal, 
fo hieß das veizend gelegene Gut, wo Angelika's 
Familie wohnte, eine einträgliche Pfarrſtelle. Schon 
mit herannahendem Herbfte, alle Aefte beugten ſich 
vom Segen Gottes tief zur Erde, gab's fröhlichen 
Einzug von Eliad und den Seinen in das neue Elis 
fium. Das Mütterchen erhielt ihr Stübchen mit der 
Ausfiht nah dem Gärten und ihr Brätchen alle 
Sonn und Teittage, wie ſich's ver fromme Sohn 
geträunt in feinen hoffnungsvollften Stunden. An— 
gelifa und ihre aus Näuberhand gerettete Freundin, 
jo wie die gefammte gutsherrliche Yamilie zu Linden- 
thal, machten ſich's zur angelgentlichften Pflicht, die 
Mutter des frommen Pfarrers auf das Sorgſamſte 
zu pflegen. Auch ver kranfe Bruder genaß in den 
jeßigen glüdlichern Verhältniffen allmälig von feinem 
DBruftleiven und fand ald Gärtner in dem ſchönen 
Garten zu Lindenthal eine paffende Anftellung; Elias 


28 


aber fonnte alſonntäglich in herzerhebenden Predigten 
dem himmliſchen Vater nicht genug danken für die 
Gnade, ſo er erzeigt ihm und den geliebten Seinen. 
Der neue Pfarrer war bald der beliebteſte Kanzelredner 
in der ganzen Umgegend und wenn er Kirche hielt, 
konnte in den heiligen Stäumen fait fein Apfel zur Erbe. 
Das Nankingjädchen blieb aber in der Familie 
des Pfarrers, der troß feiner Schüchternheit gegen bie 
Schönen binnen Jahr und Tag ein herzliebes MWeib- 
hen heimführte, das größte Heiligthum. Es lag 
wohlverwahrt neben dem Päckchen Kattun, das fih im 
. Walde wiedergefunden hatte, und beides erinnerte 
den Eliad und die Seinen an die wunderbare Fügung 
und Gnade Gottes. Darum hielt auch alljährlich, 
wenn der Tag der Rettung wieberfehrte, ber glüdliche 
Pfarrer eine begeifterte Predigt Über das alte und 
wahre Sprichwort: „Der Menſch denkt, Gott 
lenkt!“ 


Die Jgastpredigt. 


Erzählung. 


28 


aber konnte allfonntäglich in herzerhebenden Predigten 
dem himmlischen Bater nit genug danken für die 
Gnade, fo er erzeigt ihm und den gelichten Seinen. 
Der neue Pfarrer war bald der beliehtefte Kanzelredner 
in der ganzen Umgegend und. wenn er Kirche hielt, 
fonnte in den heiligen Räumen fait kein Apfel zur Erde. 
Das Nankingjäckchen blieb aber in der Familie 
des Pfarrers, der troß feiner Schüchternheit gegen bie 
Schönen binnen Jahr und Tag ein herzliebes Weib- 
hen heimführte, das größte Heiligthum. Es lag 
wohlverwahrt neben dem Päckchen Kattun, das fi im 
. Balve wiedergefunden hatte, und beides erinnerte 
ven Elias und die Seinen an die wunderbare Fügung 
und Gnade Gottes. Darum hielt auch alljährlich, 
wenn der Tag der Rettung wieberfehrte, der glüdliche 
Pfarrer eine begeifterte Predigt über das alte und 
wahre Sprihwort: „Der Menſch denkt, Gott 
lenkt!“ 


Die Jgastpredigt. 


Erzählung. 


©, war mir's denn endlich gelungen; ein langjäh= 
riger Lieblingswunfch erfüllt worden, der Brief lag 
vor mir; richtig, ed war nichts anders, — ich follte 
den vierzehnten Sonntag nad Trinitatis in der freund- 
fihen Dorfkirche zu Buchenheim eine Gaftprebigt 
halten. 

Was hätte ih drum gegeben, Did, verflärte 
Mutter, aus dem ftillen Grabe heraufzubejchwören; 
es war ja aud Dein fchönfter Wunſch hienieven, mid) 
einmal im fchwarzen Previgergewande, mit dem wei—⸗ 
Ben Priefterfrägelchen auf ver heiligen Kanzel zu fehen, 
und recht: glaubensvoll, wie den feligen Vater, das 
Wort Gottes ver anbächtigen Gemeinde verfünbigen 
zu hören. 

Wiederholt durchlas id das Einladungsjchreiben 
bes wadern Previgers zu Buchenheim, welches freund 
liche Dörfchen fünf Stunden weit von dem Univerſi⸗ 
tätsorte, wo ich mid) damals befand, in anmuthiger 
Gegend ‚gelegen war. Denn man muß willen, daß 
ich als gewiſſenhafter Studioſus ver heiligen Gottes- 
gelahrtheit nody an den Brüften der alma mäater lag 
und im fünften Semefter meines akademiſchen Tri⸗ 
ennii ftand. Faſt allen meinen befreundeten Commili⸗ 
tonen war es gelungen, theils in den Stadtkirchen, 
theils in den benachbarten Ortſchaften Gaſtpredigten 


32 


zu erhalten ; fie hatten voll heiligen Eifer das Blaue 
vom Himmel herabgedonnert, nur ih, der Unglüds- 
vogel, war, troß wiederholten Anſuchens, immer leer 
. ausgegangen. Jetzt endlich war aud mir die Arena 
geöffnet „ und ich junger Kämpe brauchte nun mein 
Licht nicht länger unter den Scheffel zu ftellen, fon- 
dern durfte es leuchten laffen vor den Leuten. 

Mir war es außerordentlich lieb, daß ich meine 
erfte Predigt nicht in eimer der Stadtkirchen zu hal- 
ten brauchte. Erſtens, erhielten ſolche junge Schluder, 
wie meine Wenigfeit, in der Regel nur die Mittags- 
oder Nachmittagspredigten, wo, außer ein Paar al- 
ten, halbtauben Weibern, höchſtens ein Paar. fpott= 
luſtige Commilitonen, die durch allerhand Gefticula- 
tionen den jungen Demofthenes außer Faſſung zu 
bringen fuchten, in bie Kirche kamen, und dann hatte 
von jeher eine Dorflicche mehr Feierlichfeit für mid, 
als die dumpfen hochgewölbten Tempel der ſündhaften 
Stadt. 

Alfo in nicht ſchwüler, profaifcher Mittags = oder 
Nachmittagsſtunde ſollte ich da oben ſtehen unter dem 
ſchön verzierten Himmelsdach der Kanzel, ſondern in 
ſreundlicher Morgenbeleuchtung Vormittags neun Uhr, 
wo das Kirchlein gerüttelt und geſchüttelt voll an- 
dächtiger Chriſten, und wo ſelbſt die gnädige Guts— 
herrſchaft nicht fehlte. 

Mein Lieblingsſpruch: „Selig die da reines Her- 
zens find, denn fie werden Gott ſchauen!“ Hatte mir 
ald Thema zu meiner Prebigt gedient, bie ih am 
vier ehnten Sonntag nad) Trinitatid in ber Kirche zu 
Buchenheim zu halten gedachte. Ich Hatte mit Luft 
und Liebe daran gejchrieben und zwar felbft ganz er- 
baut davon. Was dad Memoriren anbelangte, jo 
ftellte ic) meinen Mann, und die Neve glitt mir fo 


33 


fließend vom Munde, wie einem englifhen Parlaments: 
Advocaten. 

In den ftillen Möorgenftunvden, wenn bie übrige 
Menfchheit noch dem. Schlafe fröhnte, war ich ſchon 
auf den Beinen, und in der Meinen Stupdentenwoh- 
mung auf- und abfchreitend, ‚veclamirte ich die eimel- 
nen Stellen meiner Predigt. Obſchon aller Eitelfeit 
fremd, konnte ich doch, nicht umhin, in diefer für mich 
jo hochwichtigen Periode mid) des Spiegels zu bebie- 
nen und bie erforderlichen Geftitulationen gewiffenhaft 
einzuüben. 

So war denn der verhängnißolle Sonnabend er- 
Schienen, wo ih, mid an einem fchönen Herbftmorgen 
auf den Weg machte. Obgleich mich der gaftfreund- 
liche Pfarrer zu Buchenheim ſchon den Freitag einge- 
Inden hatte, jo wollte ich doch feine Güte nicht zu 
jehr in Anfprud nehmen und mich beſcheiden zeigen, 
wie es einem ehrſamen Studioſus ber Theologie zu⸗ 
kommt. 

Es war ein herrlicher Morgen, bereits zogen leife 
weiße Herbſtnebel über die ſtillen Fluren. In den 
Gärtchen an den Häuſern, bei welchen ich vorbeikam, 
blühten Aſtern und Sonnenblumen, und die Aeſte der 
Obſtbäume neigten ſich furchtbelaftet zur Erde. Mein 
Weg führte mi durch lauter gefegnete Gegenden. 
Die Fluren, wo noch vor wenig Wochen das goldne 
Korn feine Wellen gefchlagen hatte, waren nun ab- 
gemähet, weithin ſtrich der Morgenwind über bie 
Stoppeln; Schafheerden weideten auf denjelben, wäh- 
rend andere Felder von dem fleifigen Landmann von 
Neuem überadert wurden. Hier ımb da ftleg ein 
Volk Staare auf, das feine Richtung ſtets nad den 
Weinbergen und Weingärten nahm, vie ni in eini- 
ger Entfernung dahinzogen.. 

Sto!lTe, fämmtl. Schriften. XXIII. 3 


34 


Nichts gebt über einen ſchönen, unbewölkten 
Herbittag, die ganze Natur athmet eine jo wohl- 
thuende Ruhe; weithin tönt die Dorfglode durch die 
ftille Gegend und ver Himmel wölbt ſich in fo reinem 
Blau über die Schöpfung, wie wir es am ſchönſten 
Trühlingstage nicht erbliden. Namentlich find es die 
legten jchönen Herbfttage, welde einen wunderjamen 
Eindrud auf das Gemüth zurüdlaffen. Es find die 
legten freundlichen Jahresgrüße; wenige Wochen, und 
jener miloblaue Himmel wird von Schneewolfen ver: 

ert. 

Nach mehrftündiger Wanderung war die Gegend 
etwas gebirgig und es macht wohl Nichts, einen au- 
genehmern Eindruck, ald wenn man aus der Ebene 
in die blauen Berge hineinfteigt. Bald wanderte ich 
ein ſchönes Thal entlang, welches zur Rechten und 
Linken von Weinbergen bekränzt warb. 

Da ich zwifchen Weinbergen aufgewacdfen und 
mein jeliger Vater feldft eine nicht unbedeutende Wein- 
anlage bejaß, fo hatte ich mein Xeben“ lang große Paſ⸗ 
fion für das Weinbergsleben. | 

Es gibt gewiß fein zweites Gewächs, das faft 
das ganze Jahr über fo viel Sorge und fo viel 
Freude gewährt, als der Weinftod. Diefe Beforgniß 
und Freude nimmt unmittelbar nach der Weinleſe ih- 
ren Anfang. Da gudt der umfihtige Winzer ſchon, 
ob der Wein reif wird. Dieſes Reif werden be- 
zieht ſich aber nicht auf die Trauben, ſondern auf 
das Holz der Reben. Wenn dieſe ein recht braunes 
Anfehen befommen haben, fo ift das ein gutes Zei- 
hen für das fünftige Sabre. Nun kommt der Win- 
ter, da hat denn der Winzer wieder oft mit bejorg= 
ter Miene aus dem Fenſter zu fehauen, “wenn es ift 
ein übel Ding, wenn nidyt Schnee genug fällt, um 


35 


dem zur Erde gelegten Weinftod die gehörige Win- 
terrede zu geben, und wenn fo genannter Barfroft 
eintritt. Am Gefährlichſten ift e8 für den Weinftod,_ 
wenn er im Winter vom Regen naß wird und uns 
mittelbarer Froft darauf fällt, ſo daß Glatteis 
erfolgt. | 

Iſt der Winter glüclich überſtanden, ſo geht mit 
beginnendem Frühling die Sorge von Neuem an, 
denn jetzt erſcheinen jene gefürchteten Herren, vor 
welchen der Weinbauer allen möglichen Reſpect hab, 
die fogenannten Weinmörder. Das find nämlich 
größtentheil® kalte Mainächte und Spätfröfte, welche 
bie zarten Knospen des Weinftods oft in wenig Nacht⸗ 
ftunden und mit ihnen die ganze Weinernte vernich- 
ten. An der Spite diefer gefürchteten Herren ftehen 
Servatius und Pankratius. Mit welder befergter 
Miene ſchaut an diefen Tagen des Abends der Win- 
zev nach dem Himmel! Iſt dieſer bewölkt, jo ift wei- 
ter feine Gefahr zu beforgen, geht aber die Sonne 
prachtvoll unter, jo wird fi der Weinbauer nicht 
chne Sorge zu Bette Tegen. 

Sind die Weinmörder glücklich vorüber, fo geht 
eine neue Sorge an. Es fommen nämlich jetzt eine 
andere Art bevenflihe Tage für den Weinftod. Da 
fteht der Herr Medardus oben an. An diefem Tage 
nämlich darf es nicht regnen, denn ein altes Sprüd)- 
wert fagt: 

Iſt Medarbus naß, 

Dann nimmt der Wein ab bis in's Faß. 
Iſt Medardus Sonnenſchein, 

Wird der Wein geſegnet ſein. 

Dieſes Sprüchlein läßt ſich folgendermaßen erklä— 
ren: wenn es den Medardustag, welcher den 8. Juni 
fällt, regnet, ſo lehrt die Erfahrung, daß, die Regen⸗ 


36 


zeit gewöhnlid) eine Woche währt. Da nun gerade 
in diefe Zeit die Weinblüthe fällt, jo kann der Wein 
nicht gehörig abblühen, und Nichts iſt werderblicher 
für die MWeinernte, als wenn der Wein in der Blüthe 
durch Regengeftört wird. 

Iſt aber auch viefe Change glüdlih überftanden, 
und hat der Wein glüdlich abgeblüht, jo ift man im— 
mer noch nicht über den Berg. Tritt jet große Hite 
und Tryockenheit ein, fo können die Weinträubchen 
wicht wachſen und zunehmen, fonvdern fie bleiben Klein 
und unanſehnlich. Läßt es aber die Witterung an 
dem Regen nicht fehlen, fo fchwellen die Trauben 
fihtbar an, und die grünen Perlen werben immer 
. umfangreicher. 

Jetzt fommen wir zum lebten Stadium. Es be- 
ginnt die Zeit der Weinreife. Dieſe verlangt wieder 
ſchlechterdings Sonnenfchein und warmes Wetter. ‘Die 
Weintraube fängt jett an zu blauen, in. der Winzer- 
fpradhe nennt man dies lautern. Im Weingegenven 
ift dies allemal ein fehr frohes Ereigniß. Sorgfältig 
durchſpäht der Weinbergbefizer feine Weinanlagen, 
und wer zuerft ein Blau ſchillerndes Sternlein ent- 
bedt, ver pflegt eine Sahne auf die höchſte Höhe fei- 
ned Weinbergs zu pflanzen, oder läßt Böllerfchüffe 
weithin durch die Berge hallen; denn es gereicht dem 
Weinberge zu nicht geringer Ehre, der zuerft eine 
lauternde Traube erbliden läßt. 

Wenn nun jet warmer Sonnenſchein eintritt, fo 
dag die Trauben ordentlich gekocht werden von dem 
Teuer des Himmels, fo entfteht gewiß ein Jahrgang, 
an welchen der eigenfinnigfte Weinfchmeder nichts aus- 
zujfegen haben wird. Mean erfieht aber aus der gan- 
“ zen Mittheilung, wie faft das ganze Jahr hindurch 


37 


die edle Rebe der Gunft des Himmels anheimge⸗ 
ſtellt iſt. 

Wer vermöchte aber das fröhliche Feſt der Wein- 
lefe würdig zu bejchreiben ? Unter Kanonendonner 
wird fie gefeiert, weithin ſchallt das fröhliche Lied 
der Winzer und ber Winzerinnen. Man eilt hinaus 
in die Berge, wo man vor blauen Trauben faft vie 
Blätter des Weinftods nicht mehr fieht. Einen er- 
quidlichen Anblid gewährt es, wenn ein leichter Nacht- 
froſt Über die Berge gegangen ift. Diefer ftreift ge 

wöhnlic alle welfenven Blätter von dem Weinftode, 
fo dag an diefem nichts mehr zu fehen tft, als der 
Weinpfahl, ein paar Reben und ein großer Klumpen 
blauer Trauben. Oft füllen zwei oder drei gefegnete 
Stöde eine ganze Butte. 

Welch ein fröhliches Leben waltet in den Pref- 
finden — bier, wo fein Preßzwang ven gepreßten 
Trauben ihren Geift entzieht, und wo fein Cenſor 
etwas zu fagen hat. Wie labt ver kühle Moft in 
ben warmen Herbfttagen, befonders wenn er. purpurn 
unmittelbar von der Preſſe kommt. 

Die letste Operation, welde vie fröhlihde Wein- 
leſe beichließt, ift das fogenannte „Keltern” Da 
bringt man den gewonnenen Rebenſaft in bie dun⸗ 
fein, hochgewölbten Keller, in welden alsbald ein ge= 
waltiger Spectafel entjteht, denn der junge Moft 
beginnt in Gährung überzugehen und zu braufen. In 
diefem Zuſtande wird er in der Weinbergsſprache 
„Grauer“ genannt, und er monffirt und beraufcht 
dann, wie ber bejte Champagner. — 

Alle diefe Weinangelegenheiten gingen mir durch 
den Kopf, als ich in dem ſchönen Thale vahinjchritt. 
Nach mehrjtündiger Wanderung erreichte ich die höchſt 
angenehme Gegend, im welcher Buchenheim gelegen 


238 


war. Ich konnte mich lange nicht fatt fehen an ben 
freundlichen Dörfern, ven zahlreihen Obftallen und 
ben wohlgebauten: Gärten, in welchen noch viel ſchöne 
Herbftblumen blühten. Das Dorf Buchenheim, wel- 
ches ich noch nie gefehen hatte, machte fich allerliebft. 
Die freundlichen Wohnhäufer zogen fich wie eine hei= 
tere Idylle im Thale entlang. Die Wege waren 
wohl erhalten und Alles hatte ein reinliches, gaftliches 
Ausfehen, daß mir noch einmal fo wohl zu Muthe 
ward. Nichts war mir inımer verhaßter gewejen, als 
jene Dörfer, die vermöge der Faulheit ihrer Bewohner 
fortwährend im Morafte fteden, und wo bei nafler 
Witterung vollends an Fein Fortkommen zu denken if. 

Das war nun bei Buchenheim nicht Der Tall. 
Das Dorf gli eher freundlichen Meiereien, als ein- 
fachen Bauernhäufern. 

Ih blieb eine Zeit lang ftehen und beichaute, 
auf meineg Stod geftätt, den Ort, wo ich zum 
erften Male meinen ſchönen Beruf in Ausübung — * 
gen ſollte. 

Der ſchlanke Kirchthurm ragte idylliſch aus him— 
melhohen Buchen hervor, und dem fernen Seefahrer 
kann bei ſtürmender Fahrt der rettende Leuchtthurm 
nicht angenehmer erſcheinen, als mir armem Studioſus 
Theologiä die zwiſchen Buchen hervorlauſchende Pfarr: 
kirche zu Buchenheim. 

Unmittelbar an die Kirche grenzte ein gaſtliches 
Wohnhaus mit grünen Jalouſien und von alterthüm⸗ 
fihen Kaftanienbäumen umfchattet. An den geräu- 
migen Hofraum, wo Hühner und Tauben ihr behag- 
liches Leben führten, ftieß ein allerliebfter Blumen: 
garten mit mehren Lauben, von Sonnenblumen um= 
wachſen, und an dieſen wieder ein umfangreicher 


— 





39 


Dbitgarten, wo man die zahlreichen Aepfelbäume mit 
Stangen geftütt hatte, damit die Aefte unter ber 
Laſt der rothen Aepfel nicht brechen möchten. 

„Ih will nicht Daniel Leßmüller heißen,” vief - 
ih, von frober Ahnung ergriffen, „wenn das wicht 
die Wohnung des wadern Pfarrers ift.” Ich brei- 
tete meine Hände mit Salbung über das Thal. „So 
fet mir gegrüßt, bu herrlicher Hafen, in welchem ich 
eingelaufen bin, du ftattliches Kirchlein, in deſſen 
heiligem Raume id vie Worte des Herm verkünden 
fol, du ftattliches Pfarrhaus, in deſſen Mauern bie 
Sottesfurht und Zufrievenheit wohnt, jenes leuch⸗ 
tende Blumengärtchen, in beffen Laube ich fige, “jene 
jchattenreihen Obſtgehege, in welchen ich mit dem 
ehrwürbigen Pfarrer im gelehrten Gefpräh auf und 
abichreiten werde.” 

Nah dem herzlichen Briefe des Pfarrers Yırk- 
hard mußte diefer ein vortreffliher Dann fen. Er 
war mir von einem meiner beften Freunde auf das 
Dringlicäfte empfohlen worden. Darum hatte ich es 
allein nur gewagt, mid) mit meinem Geſuch um eine 
Gaſtpredigt an ihn zu wenben. 
Ich verlangjamte jet meinen Schritt, wandelte 

ven Pfad, der von der Anhöhe allmälig in das Thal 
hinabführte, in ſüßer Muße dahin, und erreichte ein 
Heine Birkenwäldchen, das fih anmuthig an dem 
einen Abhange dahinzog. 

Ein Gang, welder durch das Gehölz gehauen, 
war fo einladend, daß ich mid) nicht enthalten Tonnte, 
ihn einzufchlagen. Zu beiden Seiten flüfterte ber 
ſtilld Herbſtwind in den Zweigen ver Birken, deren 
Lau, für die vorgerlidte Jahreszeit fih noch recht 
grün erhalten hatte Nach einiger Wanberung durch 
ven ftillen Wald gelangte ich zu einer einen Ro= 


’y 


40 


tunde, auf welcher ſich eine Art Terraſſe erhob, von 
welcher aus man eine erquidende Ausficht über das 
Thal genof. 

Raum hatte ich auf einer der Bänke Plag ge: 
nommen, als von ver entgegengefettten Seite ein junger 
Mann aus dem Birkenwäldchen hHervortrat. Wir 
begrüßten uns gegenfeitig. 

„Halt,“ dachte ich, „ver wird dir Auskunft geben 
fönnen, ob du Dich vorhin in Betreff ver Pfarrwoh⸗ 
nung von Buchenheim getäuſcht haft over nicht.“ Der 
junge Mann, ber in meinen Jahren ftehen mochte, 
kam jet bie Terraffe herauf. Wir kamen bald in’s 
Geſpräch mit einander. Ich erfundigte mich, wo bie 
Pfarrwohnung des vor mir liegenden Dörfchens ge- 
legen fei? 

Der junge Mann blidte mit Aufmerkfamfeit mid) 
an. „Die jehen Sie,“ antivortete er, „veutlich hinter 
den Buchen bervorbliden. Die beiden Tenfter, welche 
nad dem Blumengarten herausgeben, und bie zum 
Theil von ven Yaloufien bededt find, bezeichnen vie 
Stupirftube des Pfarrers Burkhard.” Der Fremb- 
fing mußte alfo hierorts ziemlich befannt fein. Mir 
war das recht lieb, .venn id) hoffte, von ihm Meh- 
reres über bie Perfünlichkeit meines geiftlichen Gaft- 
freunde zu erfahren. 

„Sie find wohnhaft bier im Orte, verehrter 
Herr ?" frug id. 

„Das nicht” erwieberte der Unbelannte, „nur auf 
Beſuch; ich will morgen Vormittag eine Gaftprebigt 
hierſelbſt halten.“ 

Ich glaubte, nicht recht gehört zu haben, und 
frug mit leifer Stimme, in weldyer ſich bie trübggligfte 
Berwunderung ausiprad): 

„Eine Gaſtpredigt gedenken Sie hier zu. halten?‘ 


41 


Der Unbelannte, der and meinem zweifelnven 
Zone ſchließen mochte, al8 traue ih ihm nicht zu, 
eine Predigt halten zu können, antwortete: 

„Allertings, mein Herr!“ 

Sogleich zug er ein Manufeript aus der Tafche, 
und fid) gegen mich verneigend, ſprach er: 

„Sie erlauben, wenn ich mid) entferne und in 
die Waldeinſamkeit zurückkehre, da ich mit dem Me- 
moriren meiner Predigt noch nicht zu Ende bin.“ 

„Ei, wäreft Du im Pfefferlande mit fammt Dei: 
nee Predigt!“ rief ih uumillfürlid) aus, als mein 
Kival im Walde wieder verfchwunden war, und ſtand 
ſtarr und fteif, wie aus den Wolfen gefallen, auf 
ver Terrafie. „Es ift ja gar nicht möglich,” beru- 
higte ih mid. „Wir haben morgen den vierzehnten 
nad) ZTrinitatis; da hab’ ich's ja ſchwarz auf weiß, 
daß ih an dieſem Tage Bormittags neun Uhr in 
der Kirche von Buchenheim die Kanzel befteigen fol.” 
Ih holte zu meiner größern Beruhigung ven Brief 
des Pfarrers Burkhard hervor, nnd überzeugte mich 
von Neuem, daß ih mid) nicht getäufcht habe. Und 
gleichwohl, wenn ich an den Unbekannten vadıte, der 
jet im Walde umher rannte und an der Predigt, 
die er morgen balten wollte, ftudirte, daß ihm der 
Kopf rauchte, warb mir höchſt unbehaglic zu Muthe. 

Was blieb mir übrig, ich mußte meinen Weg 
nad Buchenheim fortfegen. Ich hatte faum das 
Birkenwäldchen im Rüden und wandelte den Gärten 
des Dorfes zu, als mit einem Male um eine Hede 
von Corneliusfirfchen ein zweiter junger Mann bog, 
der, in Xectüre vertieft, mir gerade entgegen kam. 

Sch glaubte im Anfange, es fei mein Nebenbuh⸗ 
ler von ver Terraſſe, als ich aber genau hinfchaute, 


42 


bemerkte ih, daß e8 ein ganz Anderer fei. Er war 
länger und ſtärker und trug bunfle® Haar, wäh— 
rend die Loden des Nebenbuhlers in's Blonde fchim- 
merten. 

Der lernbegierige junge Mann war dermaßen in 
fein Buch vertieft, dag er mein Daherkommen gar 
nicht bemerkte und faft am mich amgerannt wäre, 


wenn ich nicht einen Schritt ſeitwärts gethan hätte. 


u 


Jetzt erft warb der Fremde meiner anfichtig. 
Wir begrüßten uns höflihft, und ich, von höchſt über- 
flüffiger Neugier geplagt, ywünjchte vor's Leben gern 
zu willen, was e8 mit biefem gelehrten Thebaner, 
denn dem gelehrten Stande ſchien er unverlennbar 
anzugehören, für eine Bewandtniß habe. 

Um ein Geſpräch anzuknüpfen, erfundigte ich mic 
zuvörderſt, ob dies ver rechte Weg fei, nach der 
Pfarrwohnung zu gelangen. 

Der Gefragte betrachtete mich mit einiger Ber- 
wunderung vom Kopf big zu den Füßen. 

„Allerdings,“ war feine Antwort. „Gehen Sie 
nur immer fort, und Sie fünnen gar nicht fehlen.” 

Ia, er war fo gütig, troß meiner Proteftation, 
mid) ein Stüd Wege zurück zu begleiten, bis zu 
einem Kreuzwege, wo ich, nach feiner‘ Befürchtung, 
mid) doch hätte verirren können. 

Ein Wort gab das andere, und fo erfuhr id) 
denn, daß das Buch, in welchen er ftudirte, ein Weg- 
weifer fei, um ein guter Kanzelredner zu werben. 
Ih ward immer aufmerkfamer, als er meiner Neugier 
mit den erjchütternden Worten ein Ende machte: 

„sh babe wohl Urſache, mid in dem Büchlein 
umzuſehen, da ich morgen -VBormittag eine Gaſtpredigt 
in hieſiger Pfarrkirche zu halten gedenke.“ 

Mir ward grün und blau vor den Augen. Ich 


N 


45 


‚glaubte abermals nicht vecht gehört zu haben, und 
frug unter leifem Fieberſchauer: 

„Eine Gejtpredigt morgen Vormittag?‘ 
Allerdings, lieber Herr!” erwiederte er gut— 
müthig. 

Wir waren unter Diefem Geſpräch bei dem Kreiz- 
‚wege angelangt. Ex bejchrieb mir jet nochmals ben 
Pfad, welden ic) wandeln jollte, empfahl fich höflich 
und kehrte in der Richtung zurüd, wo wir hergefom- 
men Waren. 

Die PVerbeugung, mit welcher ich meinen Dank 
‚abftattete, mag ſonderbar ausgefallen fein. Ich habe 
ſpäterhin ſelbſt darüber lachen müſſen, aber dazumal 
war mir's nicht zum Lachen. 

„Will denn die ganze theologiſche Chriftenheit”, 
frug ich mich zähneklappernd, „morgen Vormittag in 
Buchenheim eine Gaſtpredigt halten?“ Ich zog noch— 
mals den Brief des Pfarrers Burkhard hervor. Ich 
fing an zu buchſtabiren und laut zu leſen. Da ſtand 
ganz deutlich: „Ich habe Ihnen, mein lieber, junger 
Freund, die Predigt für den Vormittags-Gottesdienſt 
den vierzehnten nach Trinitatis aufgehoben.“ Wenn 
man demzufolge in Buchenheim nach dem verbeſſerten 
gregorianiſchen Kalender rechnete, jo war auch hier⸗ 
orts morgen der vierzehnte nach Trinitatis. Was 
bat es alſo mit ven beiden Schlingels für Bewanbt- 
niß, die mir fo umverhofft in den Weg gekommen 
waren? Ein TZerzett konnten wir auf ber Kanzel 
nicht fingen. 

Ich wanderte jet nur zögernd vorwärts. Mein 
fhwacher Verſtand begriff nicht, wie das enden follte. 

Hier mußten außerordentlih große Irrthümer zum 
Grunde liegen; ich philofophirte aber folgendermaßen, 
wodurch ich freilich nicht fehr erbaut ward: 


44 


„Du bift einmal zum Unglüdsvogel von einem 
wibrigen Geſchick auserfehen. Endlich glaubft du -ein- 
mal nad) langer flürmifcher Meerfahrt ven Hafen ber 
Ruhe erreiht zu haben; du warft ſchon fo nahe, um 
den Anfer auszumerfen, ‚im Angefichte der fchönen 
grünen Küfte, da nimmt bein Malefilus die Baden 
vol und bläft das Scifflein wieder zurüd in das 
brandende Meer. Es ſollte nit fein. Es wäre das 
Beite, du fehrteft wieder um, ohne das Pfarrhaus 
zu betreten, der Himmel weiß, was bein böſer Stern 
bir daſelbſt noch für Noth und Sorge bereitet hat. 
Du haft wenigftens eine herrliche Promenade gemacht, 
durch die ſchöne Herbſtlandſchaft, begnüge dich damit, 
Unerfättliher, und fehre heim in bein . bürftiges 
Stüblein. Der Wunfh war aud zu fühn und hof- 
färtig, bier in ver ſchönen, neugebauten Dorfkirche 
bie Kanzel befteigen zu wollen, vor einer fo anfehn= 
lihen und gotiesfürdhtigen Gemeinde. Kehre um, 
Daniel, der Menfh muß nie zu hoch hinauswollen; 
Bercheivenheit ehrt ven treuen Diener des Herrn. 
Singt nicht ſchon der herrliche Schiller: 

Zwei Blumen blühen für ben weilen Finder; 
Sie heißen: Hoffnung und Genuß. 

Wer dieſer Blumen eine brach, begehre 

Die andre hiefter nicht. — — 

Du haft gehofft, Dein Lohn ift abgetragen, 
Dein Glaube war Dein zugewognes Glüd. 


Ich war jtehen geblieben und ſchaute mit gefal- 
teten Händen über die fehöne Gegend dahin. Da 
lag fie, vie herrliche Pfarrfiche mit dem  ftattlichen 
Thurme und in ber fchönften Sonnenbeleudhtung; da 
laufchte fo gaftlich das Pfarrhaus mit grünen Jalou— 
fien hinter den Buchen hervor; leife bewegte ſich das 


45 


Wetterfühnlein, von ter milden Herbſtluft bewegt, 
auf den Firiten des Hauſes hin und wieder. 

Eine Thräne trat mir umwillfürlih in die Augen, 
als ih von dieſem ſchönen Thale ımd allen meinen 
Hoffnungen Abſchied nehmen folltee Kine geraume 
Weile ſtand ih fo unihlüffig, als eine herzhafte 
Etimme in mir vernehmbar ward. 

„Schäme vih, Daniel Permüller, du biſt ein 
rechtskräftig getaufter Chrift und willit verzagen? 
Sinv die Wege des Herrn oft nit wunderbar? 
Wer kann wiſſen, was es mit den beiden Rivalen 
für eine Bewandtnig hat? Es wäre ja felbft nicht 
undenfbar, daß fich eine Irrenanftalt in der hiefigen 
fhönen Gegend befünde, welcher jene beiden Indivi—⸗ 
duen ‚angehörten. 

„Es iſt ter Menſch! Ih ſchuf in meiner Phan- 
tafie lieber zwei Verrüdte, als daß ah meine Hoff- 


nung, morgen in Buchenheim zu prebigen, aufgege- 
ben hätte. 


„Alle unverzagt vorwärts, bald muß fih Das 
Räthjel löſen.“ 

Mit viefen Worten kam ih der Pfarrwehnung 
immer näher. Mein Herz podte hörbar an vie 
Schwarze Theologenweſte. Ich repetirte zu wieber- 
beiten Malen die Anrede, welde ih an den Paftor 
Burkhard halten wollte. 

Ich weiß nicht, wie es zuging, meine Rebe wollte 
nicht vecht flappen. Ich machte demnach Halt und 
nahm wir vor, nicht eher einen Schritt vorwärts 
zu ſetzen, bevor ih nicht meine Allocution jo firm 
herzuſagen vermöchte, wie das Baterunfer. 

Während ih noch fo daſtand, ferzengrab und 
unbeweglih, und memorirte, näherten ſich leife Fuß⸗ 


46 


tritte, und gleih darauf bog um die Ede, welche 
Exlenbüfche bildeten, ein Frauenzimmer. 

Es war mein Lebtag mein Yehler, daß ich einen 
zu außerorventlichen Reſpect, ja fo zu fagen, Furcht 
vor allen Frauensperfonen hatte, namentlid wenn 
diefelben jung oder gar hübſch waren. Auf dem 
Felde der Galanterie hatte ich's nie zu etwas Reellem 
gebracht, ich fpielte da ſtets eine höchſt beflagene- 
werthe Rolle. Der Himmel ift mein Zeuge, daß 
mir's am Mundwerf nicht gebrach, wenn id auf dem 
Papier in einer fruchtbaren Mußeſtunde ven Liebhaber 
mit feiner Auserwählten discuriven ließ, aber fobald 
mir ein lebendiges Frauenzimmer gegenüber ftand, 
waren alle jene ſchönen Redensarten zum Gudud; ich 
glih dann einem: Papageno mit dem Schloffe vor 
dem Munde. Ic Tonnte mich im ver Regel nicht 
auf einen Anfang befinnen. 

Daher z0g denn aud) das Srauenzimmer, welches 
um das Erlengebüfcd) bog, meine ungetheilte Aufmerf- 
famfeit auf fih. So viel ih auf den erften Blid 
wahrnahm, gehörte das weiblihe Wefen, welches mir 
entgegen kam, den höheren Ständen an, denn e8 trug 
einen Strohhut und ein rofafarbenes Kleid. Ferner 
bemerkte ih), daß meine Schöne noch nicht zu ben 
bejahrten Damen gerechnet werben fonnte. Ihre 
Geſtalt war jchlanf und voller Annıuth. Das Antlik 
hatte ic) aber in der Berne noch nicht genau beobad)= 
ten können. 

Stehen bleiben konnte ich aber unter bemandten 
Umftänden nicht länger. Meine wohlftylifirte Anrede 
an den Pfarrer Burkhard war wieder vein vergeflen. 
Ich jchritt langſam vorwärts, und da das junge 
Frauenzimmer ebenfalls nicht ftehen blieb, jo lag es 
in der Natur der Dinge, daß wir Beide und immer 


47 


näher fommen mußten. In meinem Innern fümpften 
die wibderfprechenpften Gefühle. Ich faßte anfangs 
ven Entfchluß, die Fraueusperſonen gar nicht anzublik- 
fen, und mit abgewanptem Geficht, als fei id im 
Anſchauen der ſchönen Herbſtlandſchaft verfunfen, an 
ihr vorüber zu fpazieren. Aber ſogleich tauchte der 
Gedanke in mir auf, Daß dies nicht nur als eine 
große Grobheit erſcheine, ſondern aud eine ſolche 
wirtiih fe. Grüßen mwenigftens mußte ich die mir 
Entgegenfommende, over ih hätte für den ungefchlif- 
fenften Menfchen in Europa gegolten. 

Unter viefen Betradhtungen war ich der Unbe- 
fannten bi8 auf wenige Schritte nahe gekommen, aber 
wie fie im Gefichte ausfah, wußte ich demungeachtet 
noch nicht, denn ich hielt e8 mit der Würde eines 
ehrſamen Studioſus ver heiligen Cottesgelahrtheit 
für unvereinbar, das Frauenzimmer mehr in Augen- 
jhein zu nehmen. Meine Blide waren fortwährend 
zu Boden gerichtet geweſen, jetzt aber war es bie 
höchſte Zeit, einmal aufwärts zu fchauen, damit ich 
nicht in Gefahr liefe, mit der Schönen auf ungebühr- 
liche Weife zuſammen zu vennen. | 

Sch erhob jofort den Kopf ein wenig, und blidte 
mit Schüchternheit gerad aus; aber, heilige Kirchen— 
väter, wie warb mir! Welh ein Götterbild nie ge= 
ahnter Schönheit ftand vor mir. Ich zog mit aller 
Andacht und mit aller Ehrfurcht meinen Hut vom 
Kopfe und grüßte das ſchöne Kind, wie ich ungefähr 
eine Prozeffion Engel grüßen würde, die aus bem 
Himmel kommt und an mir worüberzöge. 

Das holde Kind dankte mit einer Himmelsfreund- 
lichkeit, daß ich vor Entzüden auf alle Fälle aus ber 
Haut gefahren jein würde, wenn ſich ein ſolcher Ac— 
tus einigermaßen hätte bemerkitelligen lafien. Wie 


48 ° 


angedonnert war ich nach der Begrüßung ftehen ge= 
blieben, und ſchaute unwillfürlih dem entſchwebenden 
Engel nah, und wid nicht vom Plate, bis die 
holdſelige Erſcheinung meinen Bliden wieder ent- 
ſchwunden war. | 

Ich mußte wirflih einige Mal umberichauen, ob 
ih mi nod in Buchenheim und auf dem Planeten 
befände, den man Erde nennt, denn feit der Grü- 
fung der unbefannten Huldgöttin Hatte ich wirklich 
im Himmel gelebt. 

„Ja,“ ſprach ih endlich zu mir, „was helfen 
alle Declamationen, Differtationen und Abhandlungen 
über Unfterblichkeit, ein Blid in fold ein Himmels- 
antlis und man bedarf fie alle nicht mehr. Steht 
es da nicht gefchrieben, daß es ein Land giebt, wo 
die Engel wohnen? Was brauch’ ich weitere Beweife, 
wo mir die Gewißheit Far und deutlich vor Augen 
fteht ? Ä 
Aber wer war biefe Huldgöttin? Das war eine 
Frage, die mich jett auf das Angelegentlichite be= 
ſchäftigte. Gehörte fie in dieſes Dorf? O, Buchen- 
heim, dann wärft du das beneidenswertheſte ber 
Dörfer, die mir je vorgefommen. 

Während ih noch hin und her fann, kam eine 
Bauernfrau mit einem Korbe den Weg daher, wel- 
hen meine Unbelannte gewandelt war. 

„ziebe Frau,“ frug ih, mit etwas unficherer 
Stimme, „wer war denn das ſchöne Frauenzimmer, 
die Ihr begegnet haben müßt?“ 

Die Gefragte blidte mit etwas Schalfhaftigfeit 
zu mir auf. 

„Richt wahr,” frug fie, „das ift eine fohmude 
Dirne? Ya, Jedermann hat feine Freude daran.‘ 


49 


„Ein Eugel,“ Ten, Al begeiftert ein; „aber wer 
iſt fie? Wie heißt fie?‘ 

„Verſtelle Er fi) nicht,” lachte die Bauernfrau. 
„Er ſieht mir nicht darnach aus, daß Er unfern 
braven Pfarrer nicht kennen ſollte.“ 

„Gute Fran, Euren braven Pfarrer kenne ich 
wohl, antiwortete ich, „aber —“ 

Die Frau ſchlug lachend die Hände zuſammen. 

„Und will fein Zöchterlein nicht kennen! rief fie; 
„das iſt zu ſpaßig, ba, ba, ha!“ 

„Des Pfarrers Tochter? frug id, und mir warb 
ſeltſam zu Muthe, ich wußte ſelber nicht wie, 

„Run, wer fol’3 denn anders gewelen fein?‘ 
frug die Frau; „freilih war e8 Louischen, des Pfar- 
vers älteſtes Zöchterlein. IR das nicht ein nettes 
Bräutchen ?“ 

„Bräutchen!“ vief ich zähneklappernd; „wie denn, 
was denn Bräutchen?“ 

„Run, die bald Frau werben ſoll,“ lachte bie 
Dänerin. 

„Aber um Himmelswillen,” rief ich in Häglichem 
Tone, „mit wen ift fie denn Bräutchen?“ 

„O, Er Schalk!“ meinte die Bauernfran, „hält 
Er mic für jo dumm, daß ich nicht wüßte —“ 

„Ich halte Sie im Geringſten nicht für dumm, 
liebe Frau,“ erwiederte ich; „aber was weiß Sie 
denn?“ 

„Nichts da!“ lachte die Bäuerin, „ich ſeh' es ihm 
ja an, daß Er mich nur zum Beſten haben will.“ 

Ich ſchwor hoch und theuer, daß dies durchaus 
nicht der Fall ſei, und daß fie ſich doch' näher erklä— 
ren möchte. 

„J Potztauſend, ich ſeh' es ihm ja an, Er iſt 
ja ſelbſt der Bräutigam von Jungfer Louischen!“ 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 4 


50 


„sh der Bräutigam?“ 

„Run, anders nicht; will Er nicht morgen gaft- 
prebigen ?“ 

„Allerdings, gute Frau, will ich morgen gaſtpredigen!“ 

„Darum ift Er auch der Bräutigam, denn ber 
morgen bier predigt, befommt Louischen zur Frau.’ 

Ih riß jett wie rafend den Brief des Paftors 
Burkhard zum dritten Male hervor. Aber da ſchwamm 
Alles vor meinen Augen, die Buchitaben Tiefen wie 
Ameifen durcheinander. Doch zugleid) entfiel das 
Papier meiner erjtarrten Hand. Kine infernalifche 
Leichtigkeit ging in meinem Innern auf. 

„Wenn der,” dachte ich bei mir, „Der morgen 
bier gaftpredigt, ſich zugleih eine Braut erprevigen 
fol, fo bin ich's, troß des Briefs des Paſtors, nicht, 
und einer von den feinen Schludern, die im Felde 
umberlaufen, erhält die Braut und das Mädel.“ 

D, id) war außer mir vor Schmerzen und Ber- 
zweiflung, und machte ein fo vefperates Gefiht, daß 
bie Bäuerin die Hände über'm Kopfe zufammenfchlug 

„Scham Er ſich,“ ſprach fie ärgerlich, „ift das 
ein Bräutigamsgefiht? Was fol da einft aus dem 
Ehemann werben, und was wird Louischen fagen? 
Nun, auf Wiederfehen, morgen in der Kirche, ed wird 
gerüttelt voll, und Ex wird feine Sade gut machen.‘ 
Mit diefen Worten nidte fie freundlid und ging ihres 
Weges dahin. 

„Meine Sache gut machen ?” frug ich mid); „die 
Frau bat gut reden. Ich bin zur erbaulichen Stunde 
bier angelangt. Ein ſolch Malheur kann mix paffiven, 
dem das Brot ſtets auf die gejchmierte Seite fällt. 
Du armer Daniel Leßmüller, fo bift du dem hier- 
her gefommen, um eimen glüdlihen Rivalen pre— 
digen zu hören, und zu fehen, wie er unntittelbar 


N 


91 


nad) der Predigt dem fhönften Mädchen, das id) je 
gejehen habe, als Bräutigam um den Hals fällt.‘ 

Ich ftand wiederum im Begriff, uinzufehren, und 
dahin zurüdzugehen, wo id, hergefommen war, als 
bie Dorfglode anmuthig zu läuten begann. Ich war 
von jeher ein großer Freund von ſchönem Geläut, 
und fo hörte ich auch diesmal mit füher Wehmuth 
den heiligen Klängen zu. 

Aber je länger ich lauſchte, deſto größerer Frie— 
den ſank in meine tiefbewegte Bruft. Ich warb wie- 
ber fromm und gottergeben. „Du ſollſt,“ ſprach ich 
zu mir, „al8 kurzfihtiger Adamsjohn, mit ven We— 
gen einer weifen Borfehung nicht rechten. Geh’ ge- 
troft in die Pfarre, und mache wenigitend deine Auf- 
wartung dem wadern Burkhard. Mag e8 dann wer= 
ben, wie e8 will, du haft deine Schulvigfeit gethan, 
und dir feine Vorwürfe zu machen.‘ 

Mit diefen Worten fehritt ich langſam vorwärts, 
und erreichte jo endlich den Eingang zur Pfarrwoh⸗ 
nung. Das Pfarchaus konnte gar nicht nieblicher 
gelegen fein. Ueppig ranften fi die Weinreben mit 
Trauben behangen, an den Wänden empor. Selbit 


der Bogen des Hofthore8 war damit überjponnen. 


Ringsumher athmete tiefer Frieden, nur die äußerften 
Zweige der alten Buchen bewegten fi) faum bemerf- 
bar in der Haren Herbftluft. 

Ih ftand jest an dem verhängnißvollen &loden- 
ringe ber Hofpforte. Zitternd langte meine Hand 
darnach, aber wieberholt ſank fie zurüd, ohne die 
mid) anmeldende Glode in Bewegung geſetzt zu haben. 
Ich recapitulirte meine Rede nochmals, nahm endlich, 
ba fi) die Thüre unmöglich von feldft aufthun konnte, 
meine ganze Energie zufammen, und that einen herz= 
haften Zug am Glodenringe, 48 


52 


Laut hörte ih die metallene Schelle wieverhallen, 
Hundegebell ertönte, und bald vernahm ich Fußtritte 
von innen; bie verhängnißvolle Pforte that fih auf, 
und vor mir ſtand ein Feines, blondgelodtes Müp- 
chen, mit ven freundlichſten Augen von der Welt. 

Ich erfundigte mid) nicht ohne Zagen nah dem 
Herrn Pfarrer Burkhard. 

Die Kleine nidte freundlih und fprad;: 

o „Papa figt in der Laube und ftubirt an der Pre— 
digt auf morgen. | 

„Das Gotterbarm,” dachte ich bei mir, „nun 
will der auch noch predigen; wahrfcheinlich langt der 
Herr Generalfuperintenvent und das wohllöbliche Con⸗ 
fiftorium auch noch an, um in YBuchenheim zum vier- 
zehnten nad Trinitatis zu predigen.“ 

Die Kleine hatte mid) indeß mit ihren llugen 
Aeuglein mit Aufmerkſamkeit gemuftert, und nidte 
febr freundlich mit dem Köpfchen. „Papa,“ fuhr fie 
mit Tiebenswärbiger Unſchuld fort, „wird fich freuen, 
Sie hier zu ſehen; wir haben Sie ſchon geftern er- 
wartet.” 

E83 war rührend mit anzuhören. Die Worte des 
Kindes Hangen fo füß wie Engelstöne, aber der Fleine 
Springinsfeld wußte nit, was er fprad. Papa 
Eonnte ſich ummöglich freuen, ob meiner Ankunft, wie 
die Kleine vermeinte; auch war derjenige, den man 
Ihon geftern erwartet hatte, wohl jchwerlich jener Da— 
niel Legmüller, der ich zu fein die Ehre hatte „Du 
eholde, liebenswürdige Unſchuld,“ fprgh ich zu mir, 
als ich dem Lodenfopfe nach ver Laube des Gartens 
folgte, wo der Papa an feiner Predigt ftudirte, „Kin— 
ber und Narren fagen zwar in ver Regel die Wahr- 
heit, aber an mir Unglüdsjohn werben ſelbſt alle ge- 
prüfte, bewährte Sprihwörter zu Schanden.“ 


Pas \ 


53 Br 


Es war ein herrlicher Garten, in welchen mid; bie 
Kleine führte, er ftand im fchönften Schmude des 
Herbftes, überall fruchtbelaftete Obſtbäume, deren Aefte 
bie und ta geftüßt waren, und deren rothe Aepfel 
appetitlich zwifchen dem Laube herableuchteten. Auf 
den wohlgehaltenen Beeten blühten zahllofe Aftern, 
Georginen und andere glänzende Herbitblumen. Bal- 
ſamiſch duftete die Reſeda, die aromatifche Spide und 
Salbey, womit die Beete und Rabatten eingefaßt 
waren. Die Laube, in welder der Bfarrer Burk— 
hard ſtudirte, war von einem brennenden Walde Sons 
nenblumen umgeben. 

„Ha, diefes Paradies!” ſprach ich zu mir, ber 
ih, wir im Traume, durch die blühenden Gänge 
wandelte; „hier läßt ſich's ftubiren, das will ich 
glauben.“ 

Die Kleine Blondine war jett vorausgehüpft und 
meldete mich bei Sr. Hocehrwürben. Diefelben tra= 
ten mir auch fogleih aus der Laube entgegen. 

Das war ja ein charmanter Mann, der Pfarrer 
. Burkhard, von fo wohlwollendem Ausfehen, daß man 
ſogleich Bertrauen fallen konnte. Mir fiel bei feinem 
Anblide ein orbentlicher Stein vom Herzen. 

Ich nannte jeßt meinen Namen. Der Ehrwür- 
dige breitete feine Hände aus, und umarmte mich wie 
ein Vater. Solchen Empfang hatte ich nicht erwar⸗ 
tet. Wie follte das nur werben mit den beiben 
Schwarzröden, die noch draußen in Wald und Flur 
umherirrten? 

„Seien Sie mir ſchönſtens willkommen, mein lie— 
ber, guter Freund!“ begann der Alte; „ich hoffte, 
Sie würden ſchon geſtern eintreffen. Hab’ Ihre Pre 
digt gelefen, mir aus dem Herzen geſprochen, brav 





ee 


ausgeführt, Sie werden morgen Ehre damit ein- 
legen; freue mid) jelbft darauf.” 

Hier muß ich zu näherem Verſtändniß erwähnen, 
daß ich eine Abjchrift der von mir zu haltenden Pre- 
digt dem Pfarrer Burkhard fchen früher eingefchict 
hatte. Ich gerieth daher in nicht geringes Erſtaunen, 
als der ehrwürdige Mann, trog den beiven Rivalen, 
die mir begegnet waren, und von denen, nad) Aus- 
fage der Bauernfrau, der Eine überdies wohlbeftallter 
Dräutigam und der Schwiegerfohn in spe des Pajtors 
war, gleihwohl von der mir zugefagten Gaftpredigt 
am vierzehnten nad) Zrinitatis anfing. Unfehlbar 
lag hier ein Irrthum zum Grunde Ich dachte bei 
mir: „Nun, die Sache wird fi bald löfen, ſobald 
meine zwei Gegner ihre Morgenpromenade geendet 
haben.“ 

Aengftlich lauſchte mein Ohr nach jedem Geklingel 
der Hofthürfchelle, denn wenn ber eine Schwarzrock, 
dem ich zuerjt begegnete, feine Predigt im Kopfe hatte, 
fehrte er unbeftritten zurüd; und bei dem zweiten war 
unfehlbar daſſelbe ver Fall, ſobald er fih in feiner 
ars concionandi zuredyt gefunden hatte. Ich wagte 
nicht, dem Pfarrer mein Reiſeabenteuer wegen ver 
beiven ſchwarzen Geſellen mitzutheilen, und er felbft 
ſchien von ihrer Anwefenheit nicht die geringfte Ah— 
nun, zu haben. 

Der wadere Pfarrer gebot jest dem Kleinen Loden- 
fopfe, welcher ten Namen Rofalie führte, Yrühftüd 
zu bejtellen. Nöschen hüpfte davon, und bald ſtand 
das Verlangte auf einem fauber gededten Tiſchchen. 
Ich wandelte mit dem Pfarrer in gelehrtem Geſpräch 
bie fchönen Gänge auf und ab. Wir fpracen über 
Schleiermacher und Bretfhneider, Tholud und Gefe- 
nius, Leo und Ruge, Strauß und feine Widerſacher. 


59 


Burkhard gehörte zu den rationellen Supernaturaliften, 
und erfchien mir al8 ein Mann Gottes, wie er fein: 
mußte. 

„Röschen,“ rief er mit einem Male, „bejorge, daß 
noch ein Paar Stühle herbeigefhafft werden, für ben 
Tal, dag Herr Linden und Bitterfeld zurüdtehrten; 
wir frühjtüden dann in Gemeinſchaft.“ 

„Alſo doch,” fprach ich zu mir, „das find unbe- 
jtritten die beiden Gaſtpredigt- und heirathäluftigen 
Candidaten. Heiliger Himmel, wie foll das enden? 

Der ehrwürdige Pfarrer hatte diefe Worte kaum 
gefprochen, als ſich die Hofthürjchelle von Neuem hören 
lieg. Ich blickte dahin, aber wer malt meinen Schreden, 
als ich den Schwarzrod von der Terraſſe hereintreten 
ab, welcher auch den Weg nad) dem Garten einfchlug. 
Als er bei dem Pfarrer und mir angelangt war, faßte 
ihn Burkhard bei der Hand und ftellte ihn mir mit 
den Worten vor: 

„Mein lieber Better, welcher und morgen mit einer 
Predigt erfreuen und erbauen wird.“ + 

Nun deutlicher konnte ich's nicht haben. Das 
alfo war der Glückliche, ver den Vogel abfchießen 
follte? Er hatte ſonach doch Recht gehabt, als er auf 
der Terraſſe erflärte, daß er hier gaftpredigen wolle. 
Nun war e8 noch dazu ein Vetter des Herrn Pfarrers, 
alfo hatte ich abermals vergebens gehofft und mid 
gefreut. Wahrſcheinlich hatte mich der Pfarrer Burf- 
hard nur ſchonen wollen, als er ſich fo günftig über 
meine Predigt ausſprach. Ich befand mid in be— 
jammernswerther Lage, und ein tiefer Seufzer entwand 
ſich meiner Bruft. 

Da tönte fehon wieder die verhängnißvolle Hofe 
thürjchelle und des Pfarrers reizendes Louischen trat 
herein. 


a 56 


Sobald der Better das ſchöne Mädchen unfichtig 
wurde, eilte er ſpornſtreichs den Gartengang entlang 
und empfing Louifen mit einer Artigleit und chevale— 
resken Manier, die ih dem trodenen Theologen gar 
nicht zugetraut hätte. 

Da hatte ich's ja klar und faßlich, er war ber 
Bräutigam, für welchen die Bäuerin mich angefehen 
hatte. Ich ſchaute mit Häglicher Miene ver intereffanten 
Empfangsfcene zu, als ſich der Pfarrer Burkhard mit 
den Worten zu mit wanbte: 

„Laſſen Sie fih nicht irren, mein lieber, junger 
Freund, wenn ich Ihnen meinen Better vorhin als 
denjenigen worftellte, der morgen hier prebigen Toll.‘ 

Ich horchte mit geſpitzten Ohren und ber Pfarrer 
Burkhard fuhr fort: 

„Mein Better ift ein junger talentvoller aber etwas 
leichtfertiger Page. Er fchreibt eine vecht brave Predigt, 
aber mit dem Memoriven ift e8 bei ihm eine ver- 
zweifelte Sache. Bereits vor einem halben Jahre hat 
er dadurch nicht nur ſich felbit, jondern auch mir und 
der ganzen Gemeine die größten Unannehnlichfeiten 
bereitet. Er predigte an meiner Statt, blieb fteden, 
wollte extemporiren, fam aber damit nicht fort und 
mußte zu nicht geringem Aergerniß der andächtigen 
Berfammlung die Kanzel verlaffen. Ich war damals 
fo ärgerlich, daß ich mich feit entſchloß, ihn nie wieder 
bier prebigen zu laflen; aber er hat mid, ſpäter fo 
dringend gebeten, idy möchte ihm erlauben, feinen Fehler 
wieder gut zu machen, daß ih nicht umhin konnte, 
ihn von Neuem eine Predigt zuzugeftehen. Doch habe 
ih meine Mafregeln getroffen, daß ihm eine aber- 
malige Blame erfpart werde. Er ift von mir aufge- 
fordert worden, fih für morgen mit einer Predigt 
bereit zu halten. Da ic aber noch immer befürchten 


in 


57 


muß, daß er feinen Bortrag noch nicht volllommen 
im Kopfe hat, jo laffe ih ihm morgen noch nicht 
prebigen, ſondern Sie, mein junger Yreund, werben’s 
an feiner Statt thun.“ 

Ich hätte dem ehrwürbigen Pfarrer vor Freuden 
um den Hals fallen können, als vie Hofthürfchelle 
abermals läutete und ter andere Schwarzrod herein- 
trat, der mir vorhin begegnet war. Auch er jchlug 
feinen Weg fogleih nad) dem Garten ein und war 
bald bei uns angelangt, Wieder erfolgte eine Vor— 
ftellung von Seiten des Pfarrers, und wieder ertünten 
die Worte: | 

„Ein wadrer Kanzelreoner, ver und morgen durch 
feinen Vortrag erfreuen und erbauen wird.‘ 

Ich wußte abermals nicht, was ich denken follte. 
Sollte dieſer im Auswenbiglernen gleichfall® nicht fattel- 
feft fein, wie der Herr Better? Dies konnte wohl 
möglich fein, aber daß ver neuangekommene Schwarz⸗ 
vod morgen hier eine Predigt halten werde, war aus- 
gemacht, denn der Pfarrer Burkhard unterhielt ſich ja 
ausführlich darüber mit ihm. 

Was mein Erftaunen vermehrte, war, daß als 
mid) Burkhard dem Fremden gleichfalls als Gaſtpre⸗ 
biger für morgen vorftellte, der junge Mann fich nicht 
im Geringften darüber verwunderte, fondern das Alles 
in der Ordnung zu finden ſchien. Mein jchwacher 
Berftand begriff nicht, wie fich dieſe verwidelte Sache 
noch auflöfen werde, als mein Rival die Bebauerung 
ausfprah, daß er mich morgen nicht hören könne, da 
er faſt um biefelbe Zeit ebenfalls zu predigen habe, 
Ih fehaute mic ganz verwundert ringsum, ob es viel- 
leicht zwei Kirchen im Dorfe gäbe, Tonnte aber nur 
eine entbeden. 

„Shen fo ergeht e8 mir mit Ihnen,“ fiel ver 


58 


Pfarrer Burkhard zu dem. Fremben gewendet ein; 
„auch ich muß für morgen auf Ihren Vortrag ver- 
zichten, da ich zu begierig bin, wie unſer Herr Leß⸗ 
müller feine Sache machen wird.” Das Rätbiel war 
mir jett immer unauflösharer. Ich wagte nicht, mic) 
näher zu erkundigen, und war nur froh, daß ich noch 
zur Predigt gelangen jollte,: als em Livreebedienter 
eilenden Schritte. daher fam und dem Pfarrer Bur- 
hard ein Billet überreichte. 

Kaum hatte der Empfänger das Brieflein gelejen, 
als er fich wieder zu ung mit den Worten wanbte: _ 

„Das trifft ſich ja harmant; fo eben Ichreibt mir 
unfer gnäbiger Herr Graf, daß er ſowohl als jeine 
gejammte Familie in unferer Kirche ericheinen werben, 
um die Predigt des Herrn Lefmüller zu hören;“ und 
zu dem andern Candidaten gewendet, ſprach er: „Sie, 
lieber guter Freund, werden dagegen erſucht, ſichs 
noch einige Tage auf dem Schloſſe des Herrn Grafen 
gefallen zu lafien, um irgend eine Bormittagäftunde 
fünftiger Woche felbft zu beftimmen, in welcher Sie 
Ihren Vortrag in der Schloßfapelle zu halten ge- 
denfen. 

„Sie müjjen nämlih wiſſen,“ fette Burkhard 
gegen mid) gewendet hinzu, „daß bier mein junger 
Freund,“ er zeigte auf den‘ Candidaten, „unferm 
gnädigen Grafen als Pfarrer für eine Stelle, die ex 
zu vergeben hat, enipfohlen if. Darum follte er denn 
morgen vor dem Grafen und feiner Familie in der 
hiefigen Scloffayelle eine PBrobeprevigt halten. Da 
ih jevoh mit dem Grafen auch über Ihre Predigt 
geiprochen habe, jo wünſcht derjelbe auch Sie zu hören, 
und wird daher morgen früh mit feinem ganzen 
Haufe in ver Dorflirhe erfcheinen, während die Pre- 


59 


bigt in der Schloßkapelle auf einige Tage verſcho— 
ben bleibt.“ 

Dem Candidaten tönten die Worte des Pfarrer 
Burkhard ganz und gar nicht unangenehm, denn es 
lebte jih ganz allerliebit im Schlofje und in der gräf- 
lichen Familie. 

Wie Schuppen fiel e8 mir jebt von den Augen; 
wer war frober, ale ih. Nicht blos den Pfarrer 
Burkhard und den Candidaten, fondern die ganze 
Melt, Lonischen nicht ausgenommen, hätt! ich um— 
armen und an's Herz drüden mögen. 

Unterveß war Wein angelommen; vie Gläfer 
wurden gefüllt und wir tranfen auf das Gelingen 
ber Predigt für morgen. Auch Louiſe warb herbei= 
gerufen und mir warb das Glück, ihre perfünliche 
Belanntichaft zu machen. 

Nie hatte ich eim geiftreichere® und ſchöneres 
Mäpchen fernen. gelernt; ihr reizender Anblid prügte 
fih immer unverlöſchlicher in mein Herz. 

„Die oder feine Andere heirathe ich!” ſchwur id) 
mir heimlid zu. Ich hatte mich bereits fterblich in 
den Engel verliebt. — 

Als ih am andern Morgen im fchwarzen Prebi- 
gergrwande, die fehneeweißen Prieſterkrägelchen auf 
der Bruſt, nicht ohne heiligen Schauer in das Got— 
teshaus trat, konnte kein Apfel zur Erde, ſo über— 
füllt war die Kirche von Beſuchern. Ich hatte zu⸗ 
vor einen kleinen Morgenſpaziergang durch die ſtille 
Landſchaft gemacht. Es war einer der herrlichſten 
Herbſtmorgen, die ich je erlebt hatte. Tauſendfach 
ſpiegelte ſich die friſche Morgenſonne, die in aller 
Pracht am blauen Himmel ſtand, in den Thauperlen, 
die an den Sträuchern und Gräſern zitterten. Die 
ſtillen Berge ſtanden in leiſen Nebel gekleidet und 


60 


über dem ganzen Thale athmete die heilige Stille 
des Sonntagmorgend. Dir war fo himmliſch wohl 
zu Muthe, ich wandelte gottergeben und gottbefeligt 
dahin; wie ein ftillee Segen ruhte der Morgengruß, 
welchen ich von Louiſen erhalten Hatte, in meiner 
Bruf. Ich verfprach aud Gott, der mir fo viel 
Gnade erwiejen hatte, aus vollem Herzen zu danken, 
indem ich fein heiliges Wort der andächtigen Gemeine 
mit aller Begeifterung zu verkünden gelobte. 

Und fo gefhah e8 auch. Nie entfann ich mid, 
berebter, gottbegeifterter geſprochen zu haben, als in 
jener meiner erften Predigt. Meine Worte, bie vom 
Herzen kamen, mußten ja auch zum Herzen gehen. 
Dazu warb ih von meinem fonoren Organe beiten 
unterftüst. „Selig find, die da reines Herzens find, 
denn fie werden Gott ſchauen.“ Dieſe herrliche 
Wahrheit verkündete ich freutig der in anbächtiger 
Stille laufchenden Gemeine. Wiederholt traten mir 
die Thränen in die Augen, fo ergriffen warb id) durch 
meine eigene Rede. Ein Gleiches war bei faft allen 
meinen Zuhörern der Fall. 

Als ich die Kanzel verlaffen und in die Sacriſtei 
trat, fam mir der alte Burkharb entgegen, er um— 
arımte mic ſchweigend und drüdte einen väterlichen 
Kuß auf meine Stirn. 

„Wahr geſprochen, mein Sohn,” ſprach er, auf's 
Tiefite ergriffen; „Selig, die da reines Herzens find!‘ 

Gleich nad) der Kirche ließ mid) der Graf zu fich 
aufs Schloß rufen. Er erkundigte ſich theilnehmend 
nad) meinen Familienverhältniſſen, und als er er— 
fuhr, daß ic binnen Jahr und Tag meine Studien 
vollendet haben würde, gebot er mir, daß id mid 
unmittelbar nah meinen Gramen bei ihm melben 
folle. 


61 


Der ſchönſte Lohn für. meine Predigt ward mir 
aber unftreitig zu Theil, als ich nadı dem Pfarrhaufe 
zurückkehrte und in Louifen’8 Augen las, daß ich aud) 
zu ihrem Herzen gejprochen hatte. 

Auf den ſchönen Herbitmorgen folgte ein wo mög- 
lid, noch jchönerer Herbſtnachmittag. Wir verbrad)- 
ten ihn in dem ſchönen Garten der Pfarrmohnung. 
Celbft ver Graf kam eine Stunde lang vom Schloſſe 
herüber. Ich mußte ihm verfpredhen, noch im Yaufe 
dieſes Jahres nad) Buchenheim zu kommen. Cinige 
Weinbauern befchenkten mic mit einem Körbchen von 
den erften reifen Trauben ihrer Berge, welche herr= 
lihe Früchte von der Pfarrfamilie, dem Candidaten, 
dem Herrn Better, welcher feine Predigt noch immer 
nicht vollkommen auswendig fonnte, und mir in großer 
Heiterkeit verzehrt wurden. Nie in meinem Leben 
werde ich jenen vierzehnten Sonntag nad) Trinitatis 
vergeſſen. 

Reich beſchenkt mit Liebe und Hoffnung kehrte 
ich nach der Stadt zurück, und daß ich mein Verſpre— 
chen, recht bald wieder nach Buchenheim zu kommen, 
nicht unerfüllt ließ, kann ſich der geneigte Leſer wohl 
denken. Den dritten Weihnachtsfeiertag predigte ich 
bereits das zweite Mal in der freundlichen Dorf— 
kirche. Der Zubrang der Landleute war wo möglid) 
noch größer, als das erite Mal. 

Hatte ich mir aber durch die erſte Predigt die 
Liebe Louiſen's erworben, fo. erwarb ich mir durch die 
zweite die Hand bes holden Mädchens. Nach unge: 
fähr vierzehn Tagen feierten wir die Verlobung. 

Mein Eramen ging glüdlih von Statten. Ver— 
ſprochenermaßen theilte ich jogleih dem Herm Grafen 
die Nachricht davon mit, und binnen anderthalb 
Jahren bezog ich die erledigte Pfarrftelle im Dorfe 


62 


Steinbah, was ungefähr eine Stunde von Buchen— 
heim gelegen war, welche der Herr Graf zu vergeben 
hatte, und wohin mir meine Rouife, als trautes Che- 
gemahl, gern und freudig folge. Mein Lieblings- 
ſpruch aber ift allezeit geblieben: „Selig, die da 
reines Herzens find, denn fie werden Gott 
hauen!“ 


Der geifferbefhwörer. 


1. 


Man hatte lange nicht den wohlbeſtallten Förſter 
und Hegereiter Jakob Burkhard auf Einſiedel mit ſo 
höchſt verdrießlichem Geſichte auf⸗ und abſteigen und 
den Dreikönigsknaſter entſetzlicher qualmen ſehen, als 
am Abende nach Walpurgis. Die beiden Jägerbur— 
chen, welche in der einen Ede ber Kleinen Förfterftube 
beim Abendbrote jagen, waren fhon ganz im Dampfe 
untergegangen, und Balerie, die reizende Förſters⸗ 
tochter von fiebzehn Jahren hatte fi mit ihrem 
Spinnrade in das äußerſte Fenſter geflüchtet. Dabei 
berrfchte tiefe Stille im Gemach, nur von dem ein- 
fürmigen Schnurren des Rades der fleigigen Spinnerin 
unterbrochen. 

Burkhard war jett mit feiner Pfeife zu Ende, 
ftopfte eine frifhe umd der Opferdampf ftieg üppiger 
auf, denn jemald. Da ward ed dem Mäpchen zu 
arg, fie öffnete das Fenſterſchößchen ein Wenig, rieb 
fih mit den Solofingern die Veilchenaugen und ſprach 
verdrießlich: „Ah, Bater, Du dampfft heute wirklich 
fürchterlich.“ 

„Die verdammten Heren,“ brummte Burkhard, 
ohne ſich ftören zu laflen. 

Jetzt tauchte die lange Geftalt des einen Jäger⸗ 

EtolTe, fämmtl. Schriften. XXII’. 5 


66 


burfhen aus der Wolkenſchicht empor, ſtreckte alle 
zehn Finger wie drohend in bie Höhe, und rief in 
heiferm warnenden Zone: „Meifter — Frevel — 
Frevel — Frevel! —“ 

„Hätte können die Cholera am Leibe haben,“ 
fuhr der Raucher fort, „war Balli nicht für ein 
Warmbier beforgt.“ 

„Die Griehen und Römer,” docirte der lange 
Salomo Hinter der Dreikönigswolle, „erfundigten ſich 
zuvor bei den Paſtoren ihrer Ephorie; dieſe ſchlach⸗ 
teten Hammel und gudten nad, ob's richtig. “ 
„Der Paſtor würde mir leuchten, meinte Burk— 
hard, „ein Freigeiſt!“ 

„va iſt's auf anbere Art verjehen worden,” bes 
hauptete Salome. 

„Naſeweis!“ fuhr hier der Förfter zomig auf. 

Auf das Nafeweis verfanf ver lange Salomo 
wieder hinter ver Wolfe, aber fein Ohr biieb wach. 

„sh Etwas verfehn,” fuhr Burkhard fort, „hatt’ 
ie nicht den fchönften Kreuzweg gewählt von Europia, 

ba zwifchen der Eifenhütte und dem Tännig! Konnt’ 
ich’8 Sprüchlein nicht wie's Bater Unſer? Du weißt's, 
Valli.“ 

Valerie beſtätigte die Wahrheit und frug, ob er 
wirklich Nichts geſehn? 

„Ich will nicht lebendig auf zwei Beinen ſtehen,“ 
betheuerte Burkhard, „wenn ich nur einen Beſenſtiel 
geſehn, vielweniger einen completen Beſen mit der 
Hexe darauf.“ 

„Sind wahrſcheinlich gar nicht ausgezogen,“ meinte 
die Spinnerin. 

„Der Bock iſt dabei geweſen,“ brummte Günther, 
der zweite Jägerburſche, „er war den ganzen Tag 
unruhig, er ſah übernächtig aus und zerzauſt.“ 


Ad 


67 


Salomo erhob fi wieder und ſprach: „Meiſter, 
ich denuncire den Kater, er weiß um die Sade. Mehr 
ſag' ih nicht.“ Er verfchtwand. 

„Der Müllerfrige vor'm Jahre,“ fuhr Burkhard 
ingrimmig fort, „Jah wenigftens Funken, auch bie 
blieben weg, es ift zum Tollwerden!“ 

Valerie ward jet ſceptiſch und berief ſich auf dem 
Schulmeifter, der die Heren für fabelhafte Individuen 
erfläre. 

„Aber wir haben's ſchwarz auf weiß,” widerlegte 
ärgerlich der Vater, und Salomo ftand auf: „Mam⸗ 
fellica, e8 fagt ſchon der große greßbritannifche enge 
liſche Poeta, der fih auf Bier endigt: Es huſchelt 
und rufchelt BVielerlei, jagt er, zwiſchen Himmel und 
Erde herum, von dem unfere Philofophie ganz und 
gar nichts träumt.“ 

„Sa, das fagte der Brite,” befräftigte der För⸗ 
fter, „und die Komödianten in der Stadt beftätigen 
e3 Öffentlih und rund heraus, und die zuhörende 
Durchlaucht und das höchſte Hofperfonale findet es 
in ber Ordnung; ungläubiges Kind!“ 

„Aud bie Griechen und Römer,” fuhr Salomo 
fort, „können ein Liedchen fingen, da ftad Alles voll 
von Ueberirbifhen, Geifter und Kobolde von allen 
Branchen, in jeder Hafelnuß ſaß einer, in jebem 
Baumftrunf, in jedem Telfenloche, fein Apfel konnte 
zur Erde, fo voll war's von dem Geziefer.“ 

‚Nur ih Unglüdliher muß mit Blinpheit ge= 
ichlagen fein, und fehe nichts, jammerte Burkhard. 
„Ih will's nur geftehen,”. fuhr er nad) einer Pauſe 
mit gepreßter Stimme fort, „micht einmal den Kobold 
ber Frau Katharine hab’ ich gejehen, den alle Leute 
im Dorfe fennen, mit dem die Großmutter feliger 
auf ganz vertrauten Fuße gelebt; mögt’8 nun glauben 

. 5 * 


68 


oder nicht, ſelbſt Fein Erdzwerg, wie ſolches Bolt 
doch. ſchaarenweis herum Läuft, nicht einmal folh ein . 
verächtlicher Knirps ift mir je in den Weg getreten, 
und hat mid; eined Blickes oder Wortd gewürdigt. 
An einen Heinen Alraun, an ein niebliches Wichtel- 
männden, capriziöfen Spukteufel will ih gar nicht 
denken.“ 

Die beiden Jägerburſchen ſeufzten tief, ob ſolches 
auserleſenen Mißgeſchicks, und die federſchleußende 
Sabine, die alte Magd, ſchlug drei Kreuze. 

„Aber morgen kommt der Student,“ N eöftete ſich 
Burkhard, „der hat nicht umſonſt Vocabein gelernt, 
und im Carzer geſteckt, der iſt bewandert, der giebt 
mir ſchon Rath, er hält was auf mich.“ 

Jetzt that ſich die Thür auf, Nachbars Röschen, 
ein Mädchen von Balerien's Alter, ſchlüpfte herein 
und nahm Platz neben letzterer. 

„Ich komme nur auf ein Sprüngelchen,“ ſprach 
ſie feris „„weißt Du's ſchon Valli, und der Herr 
Förſter? 

„Was denn?“ fragten dieſe mit einem Munde. 

„Nun ſtellen Sie ſich vor,“ erzählte Röschen, 
„die Kieſewalter's, das reiche geizige Volk, haben das 
große Loos gewonnen.“ 

„Das große Loos?“ riefen Alle und Burkhard 
ließ vor Erſtaunen die Pfeife fallen.“ 

„Hunderttauſend Thaler, fuhr Röschen bekräfti— 
gend fort. 

„Hunderttauſend Thaler!“ tönte es verwundert 
im Echo wieder. 

„Aber das geht nicht zu mit rechten Dingen,“ 
ſprach die Botſchafterin. 

„Das glaub' ich,“ nickte Burkhard. 


u | 


69 


„Das wiflen wir beſſer,“ meinte Röschen geheim⸗ 
nißvoll. 

„Hunderttauſend Thaler,“ murmelte der Forrſter, 
der vor Verwunderung noch gar nicht zu ſich ſelbſt 
kommen konnte. 

„Das macht das Mätzchen,“ flüſterte die Nach 
barin etwas leife zu Balerien. 

„Was für ein Mätschen?” frug ſogleich der Vater, 
der das Geflüſter wohl verſtanden. 

Nöschen wollte nicht mit ber Sprache heraus, 
aber Burkhard nahm ſogleich Platz neben der Ge— 
heimnißvollen und fing an zu belagern, zu pouſſiren, 
zu flattiren, zu inquiriren. Da kam's heraus. Die 
Feſtung ergab ſich „und ſprach: „Aber Herr Förfter, 
wenn ein Wort —“ . 

„Wie's Grab fo ftumm,” betheuerte dieſer, „aber 
nur weiter; welche Bewandniß hat’8 mit dem Mät- 

en ?“ 
„Iſt halb Kobold, halb Eidechſe,“ fuhr Röschen 
geheimnißvoll fort, „und wird gefüttert im Neumond.” 

„Auch erzählen ſchon die Griechen und Römer,” 
fiel Salomo ein, „ven ähnlichen Kreaturen, den: 
Sprenen, waren halb Mamſell, halb Hecht.“ 

„Halt Er's Maul mit den Griechen und Römern,“ 
ſchrie Burkhard den Antiquar an, und zu Röschen 
gewendet, dringend: „Nun?“ 

„Bringt Nahrung und Geteihen in die Wirth- 
ſchaft,“ erzählte dieſe weiter, „aber ter Urian ftedt- 
dahinter unmittelbar, holt den Segen und die Sippe 
dazu.“ 

„Und die hunderttauſend Thaler?“ frug der Förſter. 

„Iſt Satans Geld,” ſprach die Erzählerin, „zer- 
läuft wie Butter in der Sonne und läßt zurüd Heu- 
len und Zähneklappern.“ 


70 


„Run, Gott fei Dank,” tröftete ſich Burkhard, 
„ich hab’ die Niete auf's Achtel, aber fehen möcht' ich 
das Kerlchen.“ 

„Macht fich rar, verficherte vie Bewanberte, „aber 
die Wafchweiber haben's gefehen leibhaftig und fünnen’s 
befhwören vorm Amtmann und Gott.” 

„Spricht's denn?” forjchte Burkhard weiter. 
„Discutirt wie gebrudt,” verſicherte Nöschen, „ver 
Paftor muß fich veriteden, beweift den Leuten, daß 
zweimal zwei finf und der Teufel ein Eichhörnchen iſt.“ 

Salomo, der fih mit feinen Citaten nicht mehr 
berauswagte, brummte vor fih bin: „bei den Syre⸗ 
nen war's auch jo, fangen wie nah Noten, ohne 
Generalbaß und Alles.“ 

Burkhard, in der Meinung, Salomo habe etwas 
zur Charakteriftil des Mätzchens gemurmelt, ermahnte 
the, lauter zu reden. Das gab dem Burſchen Muth, 
er erhob ſich« 

„Bei den Syrenen,“ ſprach er, „war's accurat 
ſo; die Griechen und Römer —“ 

„Hol' ihn der —,“ fuhr Burkhard getäuſcht auf 
und neigte ſich wieder zu Röschen, um Näheres zu 
erfahren. Das Mädchen aber warf einen Blick nach 
der Wanduhr, erſchrak und rief: „Gute Nacht, Valli, 
morgen ein Mehres, Herr Förſter!“ 

Sie entſchlüpfte. „Zitteraal,“ brummte ärgerlich 
der Alte. Dann ging er eine Zeit lang gedankenvoll 
in der Stube auf und ab, klopfte die Pfeife aus und 
ſprach, wie zu ſeinem Troſte: „Nun, morgen kommt 
der Student.“ 


71 


2. 


Der Student Sigismund war am folgenden Mor- 
gen wohlbehalten angelangt und ſaß bereits mit 
Burkhard in der Laube des Gartens beim Frühſtück. 
Zu Beiver Verdruß hatte fih auch ein benachbarter 
College des Förſters befuchsweife eingefunden, eine 
alte ehrliche Haut, welche durch ihre höchſt profaifchen 
Broden und Bemerkungen, die fie von Zeit zu Zeit 
in das Geſpräch über die Natur der Geifter einfchob, 
bie zwei Metaphyſiker nicht wenig annuyirte. 

„Dummes Zeug,” brummte Valentin, fo hieß der 
College, als der Student, welcher Burkhard ſyſtema⸗ 
tiſch in die Geheimniſſe des Geifterreichd einweihte, 
eben ein geiſtreiches Kapitel über die Sylphiden be— 
endigt hatte und ſich an dem Triumphe ſeines Vor— 
trags weidete, der ſich auf dem Geſichte feines er⸗ 
ſtaunten Wirths deutlich genug ausſprach, „dummes 
Zeug, an dem luftigen Volke iſt kein wahres Wort;“ 
dabei that er einen heftigen Schnitt in den vor 
ihm ſtehenden Schinken und ſägte ſich ein appetitliches 
Stück ab. 

„Natürlich,“ ſprach Sigismund, mit mühſam un—⸗ 
terdrücktem Ingrimme über die fortwährenden Ein⸗ 
ſchiebſel und allen Eindruck ſtörenden Randglofſen 
des Frühſtückenden, „wo der Leib rohen irdiſchen Be⸗ 
dürfniſſen fröhnt, liegt der Geiſt darnieder in ſchmäh⸗ 
licher Feſſel und die höhere Welt bleibt ihm ver— 
ſchloſſen.“ 

„Mein Geiſt Liegt weder noch ſteht er,” ant⸗ 
wortete gelehrt Valentin, „der ſitzt, und zwar im 
Kopfe, darüber ſind alle Gelehrten eins, aber mit 
dem luftigen Volke da, ich mag die Namen gar nicht 


| | 12 


in den Mund nehmen, ift nichts, da müßte mir in 
meiner langen Praxis aud etwas vorgefommen fein.‘ 

„Sie find, was man fo zu fagen pflegt,“ warf 
der Student in ziemlich verächtlihenm Tone hin, „ein 
fimpler Materialift.” 

Der Schinfeneffer, welcher viefes Prädikat im 
faufmännischen Sinne nahm, fand fich jehr beleibigt, 
ward grob und fprad: „Mosje Magifter Lobeſam, 
wähl' Er feine Redensarten beifer, ih bin wohlbe- 
ftallter Nevierförfter und Hegereiter zu Hammelshaufen, 
weiß Er das?!“ 

„Sancta Simplicitas!““ lächelte mitleivig der Auf- 
ſchließer des Geiſterreichs. 

Valentin hielt dieſen lateiniſchen Ausruf für ein 
Schimpfwort und gerieth noch mehr in Harniſch. 
„Ja,“ ſprach er erboſt, „immer red' Er ausländiſch, 
glaubt Er, ich verſtehe ſeine Injurien nicht? Ich ver⸗ 
ftehe fie gar wohl. Ihn fol das —“ 

Burkhard legte ſich in's Mittel und ftiftete Frie⸗ 
den. Nach langem Zureden fuhr der Student, in 
ſeiner Geiſterſeherei fort, Valentin frühſtückte weiter, 
jedoch mit ziemlich ungläubigem Geſicht, aber der Wirth 
war ganz Ohr. 

Die Lehre über die Waflerniren war abſolvirt, 
man kam zu dem Geſchlechte der Erdgnomen, das in 
viele Gattungen zerfällt. Die Vorleſung war äußerſt 
gelehrt. Burkhard ſchwamm im dritten Himmel, nur 
dem Valentin riß ſchon wieder die Geduld. Er ſprang 
auf und rief: 

„Der Sperber ſoll mich holen, wenn ich all das 
Zeug glaube. Wenn ich auch das Petermännchen zu— 
gebe, das kleine kurioſe Ding, aber mit dem andern 
Volke iſt's nichts.“ 

„Alſo an das Petermannchen glauben Sie, wohl⸗ 


— 


73 


beftallter Herr Hegereiter ?” fragte lachend ber 
Student. 

„So halb und halb,” geftand diefer zu, „es find 
mir gar zu viele glaubwürbige Berichte darüber zu- 
gefommen, auch glaubte ich's einmal gefehen zu haben, 
ganz im Spätherbft war's.‘ 

„Wirklich geſehen?“ fuhr Burkhard unwillfürlich 
auf, „Du Glüdsfind haft mir davon noch fein Ster- 
benswörtchen erzählt!‘ 

„Ich kann mich auch getäuſcht haben,“ ſprach 
Valentin. | 

„Mein verehrter Herr Hegereiter,“ fuhr der Stu- 
dent fort, „können Sie fi wohl das Petermännchen 
natürlich erklären?“ 

„Das hält fehwer, war Die Antwort. 

„Alſo glauben Sie an Uebernatürliches?“ fragte 
Sigismund weiter. 

„Dan muß wohl,“ erwiederte erſterer. 

„Nun da begreif' ich aber nicht,“ meinte der 
Student, „warum Sid die Exiſtenz aller der Geiſter, 
von denen ih vorhin ſprach, geradezu abläugnen.. 
- Glauben Sie denn, daß fi das ganze Univerfum 

tes Weberirdifchen auf Ihr Petermännden beſchränkt ?“ 

Balentin, durch Sigismund's Logik in die Enge 
getrieben, antwortete ärgerlich, „er befafje ſich nicht 
mit ſelchen Lebensfragen.“ Der Eraminator aber 
ließ nicht nach, kühlte fein Müthchen und brachte den 
armen Hegereiter allmälig zur gelinden Verzweiflung. 

Weder vor- nod) rüdwärts könnend fprang der 
GSeplagte endlich auf und ſchlug erboft mit dem abge— 
Ihälten Schinfenbein auf den Tiſch: 

„Und ich glaub’8 doch nicht, das Teufelszeug,“ 
rief er verftodt, „ift Alles blauer Dunft troß Des 
monftration.” Nach dieſem Ultimatum ergriff er jedoch 


74 


fogleih die Flucht aus der Laube, um nicht von 
Neuem auf die logijche Folterbank des Studenten ge= 
ſpannt zu werben. 

„Gott ſei's gevanft, daß wir ihn Los find,” 
ſprach erleichtert Burkhard, rüdte dem Studenten ver- 
traulih näher, ſchenkte vie Gläſer voll und ſchien 
etwas Wichtiges auf dem Herzen zu haben. 

„Sie ſehen an dieſem Subjecte,‘ ſprach Sigis⸗ 
mund, „wie ungleich die Gaben der göttlichen Einſicht 
vertheilt find; während Sie, hochgeehrtefter Herr För⸗ 
fter, mit fo vegem Sinn begabt, zur Anfhauung der 
geheimnigvollen Wunderwelt, ift viefer Idiot fo tief 
in die gemeine Thierheit und rohe Sinnlichkeit verfun- 
fen, daß das geijtige Princip nie zu nur einiger Ober: 
herrſchaft bei ihm gelangen wird.“ 

„ah, ja wohl,” ſeufzte Burkhard, „am regen 
Sinne fehlt mir es nicht, - und gleihwohl bin id 
mit Blindheit gefchlagen und fehe nichts, pafjirt mir 
nichts.” 

„Kommt Zeit, fommt Rath,” tröftete Sigismund 
mit vielverheißendem Zone. 

„Alſo wäre noch Hoffnung,” frug der Wörfter er⸗ 
leichtert und ward immer vertrauliher. „Zrinfen 
Sie, Herr Candidatus!“ 

Diefer hob mit Pathos das Glas empor umd 
deklamirt: 

„Die Geiſterwelt iſt nicht verſchloſſen 
Auf, bade Schüler unverdroſſen 
Die ird'ſche Bruſt im Morgenroth.“ 

Burkhard faßte jetzt Muth und rückte mit der 
Sprache heraus. „Hochgeehrteſter Herr Candidatus,“ 
begann er, „in Kurzem wird, wie ich in Erfahrung 
gebracht, unſer durchlauchtigſter Herzog mein Revier 
mit ſeinem allerhöchſten Beſuche beehren. Ich bin da 


75 


ſein Factotum und wir ſtreichen durch Dick und 
Dünn, nun muß mir ſelbſt der Neid laſſen, ich war 
früher ein trefflicher Schütze, die Schwalbe war nicht 
zu ſchnell, ich holte fie herunter, das Viergroſchen— 
ſtück nit zu Mein, ich padte es auf zweihundert 
Schritt, aber das will heutzutage nicht mehr fleden, 
fo daß mir fhon das Lettemal Seine Durchlaucht 
mit ihrer höchſten Hand auf die Schultern zu Klopfen 
geruhten und ſprachen: Burkhard, mit und Beiben 
geht es rüdwärts! Ich erſchrak jo darüber, daß ich 
zu zittern begann, denn im Geiſte erjchien Die ganze 
junge Brut, die faum ‚von der Alademie beim, das 
Blaue vom Himmel herunter ſchießt und nach meinem 
armfeligen Förſterſtellchen lungert wie der Satan nad 
einer armen Seele. Der Herzog, der mein Zittern 
bemerkt, lachte und ſprach: Burkhard, ſei Ex fein 
Narr, jung bleiben wir einmal nicht. Sehen Sie, 
mein hochverehrteſter Herr Candidatus, nun möcht’ 
ih für’ Leben gern, daß Seine Durchlaucht beim 
nächſten Beſuch zu. mir fugten: Burkhard, Er ift ein 
ZTeufelöferl, das mad’ ich nicht nad, und daß ich 
dreift erwiederte: Ew. Durchlaucht, wollen Ew. Durch⸗ 
laucht geruben, Ihro höchſteigne Blide da oder dort⸗ 
hin zu wenben, va freift ein’ Sperber und dort ftößt 
ein Raubgeier, wie wär's, ich hol’ ihn? Hol Er 
ihn, würde der Herzog fagen. Buff, excellent, und 
der Räuber läge zu unjern Füßen. Sehen Sie, mein 
geſchätzter Herr Candidatus, da ift mir in meiner 
Einfalt die große Idee aufgeftiegen: Wie wär's, 
wenn mir durch Geifterhand das Geheimniß offenbar 
würde, Freikugeln zu gießen. Verſteht fi, ver 
Urian müßte aus dem Spiele bleiben, den brauchen 
wir gar nicht, die Geilter find fo gefcheute Leute, 
wie Er. Allenfalls wollt! ich mich dazu verjtehen, 


16 


dem Herrn Urian, weil wir ihm in’8 Handwerk grei- 
fen, durch ein monatliches Deputat Wildpret das 
Maul zu ſtopfen, und nun, mein verehrteſter Herv 
Candidatus, was ſagen Sie zu der koloſſalen Idee?“ 
| Sigismund machte lange ein ehr nachdenkliches 
Geſicht. „Die Sache bat viel Schwierigkeiten, ſprach 
er enblich. 

„Das glaub’ ih, Werthgeſchätzteſter,“. fiel Burke 
hard ein, „aber wer fo intim mit der ganzen Natur= 
geſchichte der Geifter, ich follte glauben —“ 

Der Student ſchwieg lange und in feinem Inner⸗ 
ften jchien ein Gedanke aufzugeben. Ä 

„Rur ein paar Iumpige Kugeln,” fuhr der Fürs 
fter fort, „ein wahres Bagatell für die Herren: Gei⸗ 
fter, fällt ihnen darum feine Perle aus der Krone, 
einen alten Mann glüdlich zu machen, ver ſich vier- 
sig Jahre lang geplagt für Gott, König und Va⸗ 
terland.“ 

„Die Sache verdient der reiflichfſten Weberfegung,” 
meinte der Stubdent. 

„3a, überlegen Sie, hodhgefhäßter Freund und 
Gönner,“ ermahnte ver Freifhüß in spe. 

„&s find da zuvor nod) manche Hinderniſſe aus 
dem Wege zu räumen.“ 

„Räumen Sie, räumen Sie, mein lieber Herr 
Candidatus, ich helfe,“ 

„Wenn Sie mir. aufridhtigft an die Hand gehen 
wollten, Herr Förfter — 

„Mit Leib und Seele,” rief diefer, — „nota bene 
Freundchen, der Urian, der Samiel bleibt aus dem 
Spiele, mit dem Kerl wil id Nichts zu fchaffen 
haben.‘ 

„Der bleibt hinweg, mie billig,‘ verfiherte Si— 
gismund. 


17 


„un, da gebieten Sie, Freundchen,“ rief er- 
leichtert der Fürfter. 

„Großer Opfer bedarf es gat nicht,“ meinte das 
Freundchen. 

„Um ſo beſſer, Candidatchen.“ 

„Ich baue auf Ihre Mitwirkung und Diseretion, 
Herr Förſter.“ 

„Häuſer, Häuſer, Felſen, Vorgebirge, was Sie 
wollen,“ rief dieſer zugeſtehend. 

„Sehen Sie,“ rückte der Student näher heran, 
„die Sache ließe ſich allenfalls arrangiren.“ 

„Ich bin Ohr, Candidatchen, weiter — 

Dann ift aber Das erfte Bedingniß, daß ich mit 
Luft und Liebe an das Werk gehe.“ 

„Derjteht ſich.“ 

„Frohen Herzens und frohen Muthes,’ fuhr ver 
Student fort. 

„Recht und billig.” 

„Aber nein Herz ijt betrübt, mein Muth dahin, 
tiefer Schmerz wohnt in meinen Innern,” fprad) 
Sigismund im bumpfen Tone. 

„Muß heraus!‘ entſchied Burkhard fchnell. 

„Wird jchwer halten,“ feufzte ver Geifterfundige. 
„Valerie verwirft meine Anträge und ich habe bie 
redlichſten Abfihten —“ 

„Schnickſchnack, das Mädel weiß nicht, was es 
will.“ 

„Binnen Jahr und Tag find meine Studien ab- 
ſolvirt, an Gönnen fehlt mir's nicht, eine gute 
Pfrünvde fann mir nicht entgehen.“ 

„Weiß es, weiß, werthgeſchätzter Herr Candidat, 
aber fie wird ſich beſinnen“ 

„Wenn ein Wort von Ihnen —“, bat der ver⸗ 


ſchmähte Ließhaber. 


78 


„Sie wird ſich beſinnen, das iſt meine Sorge,“ 
entſchied Fräftig der Förſter. 
„Run denn, rief Sigismund auffpringend, „Herr 
Vörfter, meine Hand, fo wie ich das Jawort habe, 
gehen wir an's Wer.“ 

„Herzens Candiratchen, “rief entzückt Burkhard— 
den Schwiegerſohn in Hoffnung umarmend, „wenn's 
weiter nichts if.” 

Man fchenkte noch einmal die Släfer voll und. 
trank auf glüdlihen Ausgang der Sache. 


3. 


Balentin war in feinem Aerger nad) dem Sörfter- 
haufe zurüd gelehrt. Er traf hier auf Valerien, die 
er fogleih in Beihlag nahm. 

„Bali,“ fprah er vol frommen Eifers, „Du 
bift eim gutes, aufgeflärtes, menſchenfreundliches Kind, 
laß Did mit jenem Schlucker nicht ein in der 
Laube.“ 

Valerie ſah ihn fragend an. 

„Der iſt voller Lug und Trug,“ fuhr der Er— 
mahner fort. „Mich wollt' er auch umgarnen, da 
kam er an. Sich an einen ſo aufgeklärten Mann zu 
wagen. Er hat's gebüßt.“ 

Valerie war ganz erſtaunt. 

„Laß Dich nicht berücken,“ fuhr Valentin ein— 
dringlicher fort, „bleib ein fromm Kind, halt an 
Chriſtum, wie ich. Deinen Vater hat er jetzt beim 
Kragen, bald ganz, aber ich ſchreie noch ein Wort da⸗ 
zwifchen, eh’ ihn der Schwarze holt.” 


19 


„Ihr macht mir bange, Herr Valentin,” ſprach 
nicht ohne einige Beklemmung das ſchöne Mädchen. 

„Dacht's gleich,“ fuhr jener fort, „die Teufels: 
fcartefen,, die jener Yumpacius dem Burkhard gefchidt, 
die haben ihn den Kopf verdreht.‘ 

„Ja wohl,” jeufzte Valerie, „ſeit der Vater über 
jenen Büchern fit, ift er ganz umgekehrt.“ 

„Uber ich fehe hen, wo der ganze Spuf hinaus 
will,” ſprach der Forftmann, „o, man ift nicht jo 
dumm, als es vielleicht den Anſchein hat.” 

„Wo denn hinaus?” frug zaghaft Balerie. 

„Sieh'ſt Du, mein aufgewedtes Kind,“ fuhr jener 
fort, „daß der Schluder in der Laube an all das 
Zeug felbft glaubt, das mag er einem Andern weiß 
machen, aber er weiß, 's ift einmal Burkhard's 
ſchwache Seite. An dieſe attachirt er ſich und denkt, 
hab ich einmal den Alten, kann mir das Mädel nicht 
entg gen 

alerie that, als verſtände fie den Sprecher nicht. 

„Biſt ja ſonſt nicht auf den Kopf gefallen,“ 
ſprach dieſer ärgerlich, „nun heirathen will Dich der 
Mosje, einfältiges Ding, geht aber den krummen 
Weg und ſteckt ſich hinter den Alten.“ 

„Das iſt luſtig,“ lachte das Mädchen, „und darum 
die geiſtigen Vorleſungen?“ 

„Ich finde da gar nichts Luſtiges, Mamſell,“ fuhr 
Valentin immer ärgerlicher fort. „Ein Liebhaber,“ 
ſprach er lauter, „ver den Vater mißbraucht, um die 
Tochter zu capern, den fol — ja den fol,“ rief er 
erboft, „der Teufel holen. Er kann's hören, der. 
Urian von Salamanfa over wo er fonft her iſt.“ 

„So mäßigt Euch doch,“ bejänftigte Valerie. 

Ber Zeugen und Notar jag’ i ich'8, “. fpeftafelte 
— — Teufel fol fo einen Amouren holen.“ 






80 


„IH werde ganz böfe, Herr Balentin —“ 

„Und auch mich will der Kerl chikaniren, der ich 
vorgeritten vor Sr. Durchlaucht, fo ein Naſeweis — 
nun da fol doch gleich —“ 

Balerien gelang es endlih, den durch feine eig- 
nen Worte in Harnifh Gerathenen, zu beruhigen. 
„Hier meine Hand,” ſprach fie, „Ihr follt mich nie 
ein freundlich Wort mit dem Studenten fprechen hören.‘ 

Balentinen aber ſtak der Aerger noch zu tief im 
Blute. „Chriftus Gottes Sohn!” rief es, „Ohr 
Frauenzimmer, thut mir nicht fo zuverfichtlih, wenn 
vom SHeirathen die Rede iſt.“ | 

Seht ward das Mädchen böſe und ernft und ent- 
fchied entjchloffen: „Eher ftürze ich mich von dem Ei- 
chenfelſen in den See, ehe ih dem die Hand gebe.” 

„So ſprach die neulich in ver Oper auch,” brummte 
Balentin, „zum Glück kam's nicht zum Sprung.” 

„Immer fpottet,” ſprach Valerie, „ich halte Wort, 
Ihr werdet ſehen.“ 

Der halb ernfte, halb wehmüthige Ton dieſer 
Worte machte den Waidmann aufmerkſam. Er be- 
tradhtete das todesmuthige Förfterfind, dann rieb er 
fih die Stine, als fänne er über Etwas nad), ward 
freundlih, klopfte Balerien auf die Sammetwange, 
und fprah: „Muß es ja glauben, Feiner Schelm, 
aber wär’ der Johannes nicht, hätt’ ih doch Red. 
Nun,” fuhr er fort, „närriſch Ding, brauchſt nicht 
roth zu werden, Johannes ift ein lieber Kerl, ächt 
und braves Waidmanns-Geblüt, gegen den fich der 
Vitzliputzli dahinten verfteden muß. 

„Wie Ihr auch wieder ſprecht,“ ftammelte erröthend 
das Mädchen. „Ic verftehe Euch gar nicht.” 

„Es ift Jammerſchade, daß ich ihn nicht behalten 


ne: 
. 24453 
-_ ade ’ 


81 


konnte,“ fuhr Valentin fort, „der brave Burſche ge— 
wann ihn lieb in der erſten Stunde. Alſo das iſt 
der ſcharfe Schütze,“ lachte er behaglich, „ver der gu- 
ten Valli Herz getroffen; ja das glaub' ich, der 
brauchte nicht dem Papa Vorleſung über den Teufel 
und ſeine Großmutter zu halten. Nun in Gottes 
Namen, da hab’ ich Nichts dagegen — nur der Saf- 
fafraß nicht, dieſer Derwiſch. Aber — ift denn das 
Mäpdchen geblieben?” 

Balerie, als Valentin auf das Evangelium des 
Johannes gefommen, war, während jener an feinen 
Feuerſtein Feuer ſchlug, unvermerkt entfchlüpft, fo daß 
des Waidmanns letzte Declamation nur dem Banko, 
dem Hühnerhunde, zu Gute kam, der vor ihm ſaß 
und aufmerkſam zuhörte. 


4. 


Dem betrügeriſchen Studioſus war es bald ge 
lungen, durch fein myſtiſches Geſchwätz ben alten 
Burkhard völlig auf feine Seite zu bringen. Balen- 
tin war nad einen heftigen Streit über feines Col- 
legen Leichtgläubigkeit, worin ihm das Wort „Schafs⸗ 
kopf“ entfloben, im Zorne geſchieden, und die arme 
Balerie nun ganz ſchutzlos den wiverlichen Bewerbungen 
des Stuventen und ber eben nicht zarten Behandlung 
des verblenveten Vaters Preis gegeben. 

Es war ein naßfalter, dunkler Abend, Der 
Sturm rüttelte unaufhörlich an dem Giebel und den 
Fenſterladen der Heinen Förfterwohnung, und in ben 
Kronen der hohen Fichten des nahen Waldes heulte 
und braufte e8 in wunderlichen Tönen. 

Stolle, fämmtl Schriften. XXIII. 


82 


Sigismund, der feine Gelegenheit unbenutzt ließ, 
die Phantafie des Förſters für feine Zwecke zu bear- 
beiten, hielt eben wieder eine äußerſt große und fpuf- 
hafte Borlefung, worin er von Salome, ver gleihjam 
für feinen Famulus gelten konnte, nad) Kräften unter- 
ftägt warb. 

Der Student mochte noch jo Widerſinniges zu 
Markte bringen, Salomo beftätigte es allemal mit 
Erfahrungen aus feinem Leben und aus dem ter 
Griechen und Römer. Ueberall war er dabei geweſen, 
und hatte er ja einmal einen Spuf verfäumt, fo hatte 
denjelben doc irgendwo ein Freund genau beobachtet 
und ihm darüber genauen Bericht erftattet. 

Balerie ſaß mit verweinten Augen in der Ede 
beim Spinnrabe. 

Eigismund that jet einen Yug aus dem Grog⸗ 
glafe, fette e8 vor fich hin und horchte mit gejpannter 
Aufmerkſamkeit auf das feltfiame Heulen des Sturm- 
winds in den Gipfeln der alten Fichten. Burkhard 
und Salomo thaten e8 dem Studenten nad) und es 
entftand eine tiefe unheimliche Stille im Zimmer, 
welche der hohle Ton des Sturmes nur noch unheim— 
licher machte. 

„Die Sturmgeifter“, begann der Student nad) 
einer Paufe, „find dieſe Nacht ſehr geſchäftig, fie haben 
etwas im Werke, aber die Stimmen find verworren.” 
— Er laufchte weiter und Salomo erhob fi: 

„Meifter,” ſprach er, „die Griechen und Römer 
fagten bei Iotcher Sturmwirthſchaft, Herr Aeol nimmt 
die Baden voll. 

Burkhard winkte mit der Hand Ruhe, damit der 
Student nicht geftört werde. Nach einer Pauſe fuhr 
Letstrer fort, in dumpfen abgebrodhenen Säßen: 

„Ein ewiged Ringen und Kämpfen, feine Partei 


83 


will fich ergeben — vor Mitternaht muß der Kampf 
entjchieden fein — der ſchwarze Molo führt feine Fel- 
fengeifter herauf, bie feit Ewigkeit .in den Klüften 
jchliefen — aber. die höhnifchen, vorlauten Luftgeifter 
fahren lachend und pfeifend über die dumpfbrummenden 
Riefen. ‚Hört Ihr's nicht, wie fie fich neden, Herr 
Förfter ?“ 

„Es ift mir fo,” meinte diefer und fpannte Ohr 
und Phantaſie zugleih an, um in dem veriworrenen 
Sturmbraufen den Geiſterlampf zu entdecken. 

„Die Brummer,“ commentirte Salomo, „ſind ein 
höchſt ungeſchlachtes Volk, die Pfeifer aber deſto ma⸗ 
litiöſer. Schon die Griechen und Römer —“ 

„So halt das Maul, wenn id Etwas verſtehen 
ſoll,“ zankte Burkhard; „ber Guckuk mag fi da in der 
contplicirten Sturmſchlacht zuredht finden, wenn ber 
Maulaffe immer dazwiſchen ſchreit.“ 

" Wieder lanfchte man eine Weile. Da begann der 
Student feinen Sermon von Neuem, aber feine Stimme 
ward immer bumpfer, feine Rede immer myſtiſcher. 
„Burkhard;“ rief er jest auffpringend, und fahte den 
Eſſchrodenen krampfhaft beim Arm, „dieſe Nacht bringt 
Euch nichts Gutes, die Stimme des Sturmes hat 
mir's verrathen.“ 

„Auch ging der Kater,“ bekräftigte Salomo, „den 
ganzen Tag wie vor dem Kopf geſchlagen herum, den 
Schwanz wohlweislich eingezogen.” 

„Was ift da zu thun,“ fragte erfhroden ver Alte, 
„iſt der Geiſter Zorn nicht zu verjühnen ?“ 

„Drei rothe Striche über vie Thür mit Bocksblut,“ 
rietb Salome. 

Immer fürdhterlicher tobte ver Sturm, die hohen 
Fichten krachten und nicht ſelten fiel ein Siegel vom 

6 


84 


Dache des Förſterhauſes. Burkhard warb immer 
bänger, er-ergriff bie Hand des Studenten. 
„Candidate, was habe ich zu thun,” frug er 
angftbellommen, „giebt'8 Tein Mittel?” 

„Haltet feft im Glauben zu mir,“ ſprach dieſer, 
„das ift jetzt das einzige was ich rathen kann, gegen 
zwei vereinte Seelen haben bie Geifter weniger Macht, 
und wären fie noch fo ſtark; aber ftill jest, vielleicht 
daß mir aus den Stimmen des Sturmes nod ein 
Mittel fund thun wird gegen die drohende Gefahr.” 

Und wieder laufchte Allee. Der Sturm wäthete 
fort. Ein Stamm, ven er im nahen Walde entwur- 
zelt hatte, brach jet mit vumpfem Geräuſch zufam- 
men, dabei praffelte der Negen ununterbrochen an bie 
‚wohlverriegelten Yenfterlaben. 

Ein Schauer überlief Burkhard bei bem Toben 

der Natur und felbft Balerien, dem muthigen Förſter⸗ 
— ward es ganz unheimlich zu Muthe. GSigie- 
mund lauſchte fort. 

Da mit Einemmal ertönte ein Klopfen an ber 
Hausthür. 

„War das nicht Klopfen?” frug leife und zähnes 
Happernd Burkhard. 

u wohl,” ſprach Balerie, „wer kann das nur 
ein? 


„Es war wohl der Sturm,” tröftete ſich der 
Vater. Man horchte ſtill. 

Da klopfte es wiederholt und ſtärker. 

„Um Gotteswillen, Candidate,“ ſtammelte Burk⸗ 
hard, „ſollten ſchon die Geiſter — aber die ſpectakeln 
noch draußen im Walde —“ 

„Iſt wahrſcheinlich blos eine Deputation,“ meinte 
Salomo kreideweis. 


85 


Und zum Dritten Hopfte und raffelte e8 an ver 
wohlverſchloſſenen Thür. 

„Es it gewiß ein Reiſender, der fih in bem 
Unmetter verlaufen,” ſprach jet muthiger Valerie, 
„Salomo mag dody nachfragen.“ 

‚Ber Heißt ihn fich verlaufen ‚“ verfeßte Burk⸗ 
hard, „ed wird nicht aufgemacht.“ 

„Sa, wer beißt ihn fich verlaufen,“ zähneflapperte 
Salomo, der nicht viel Luft verſpürte, den fihern Plat 
binter dem Tiſche zu verlafien. 

„Aber nachfragen möchten wir doch,“ ſprach ber 
Student, ven bie Neugierde plagte ob des nächtlichen 
Beſuchs. „Sind es die Geifter, fo ift es nicht po— 
litiſch, fie jo lange bafeliven zu laffen und ihren Zorn 
zu veizen, fie fahren fonft leicht zum Schornftein herz 
ein und willen ih zu rächen.” 

Wohl wahr,” verfegte zitternd Burkhard, „alfo 
nein ' Salomo, nimm ein Licht und frage nad, aber 
fet höflich und befcheiven, bie Herren Geifter könnten 
Die fonft ven Kopf umdrehen, das Geficht im Naden.” 

Salomo griff umwilllürlih nah feinem Kopfe, 
. um fi zu überzeugen, ob er noch in ber richtigen 
Lage ſäße. „Meifter,” proteftirte er, erjchroden über 
den gefährlichen Auftrag, „mich ſchickt nicht, wenn Ihr 
ein Unglüd verhüten wollt. Ihr kennt meine Hige, 
Ich bin kurz angebunden.” 

„So mäßige Dich,“ ermahnte Burkhard, „und 
frage nad.“ 

„Und wenn fo ein bligblauer Geift mir etwa Ser 
tifen jagt, Meifter, ich kenne mich da nicht mehr, es 
wird nicht gut.” 

„Einbildung,“ ſprach der Förſter, „Du gehſt, 
Salomo, und befolgſt meinen Befehl. Ich würde 


86 


es ſelbſt thun,“ wendete er fih zum Studenten, 
„wenn ich Thon das Glück gehabt,. mich mit Geiftern 
zu unterhalten, aber jo weiß ich mich durchaus nicht 
zu benehmen. 

„Run, ich erſt,“ verfiherte Salomo, „ich. muß 
ihnen ein wahrer Greuel und Scheuel fein, id biu 
grob und die Geifter fein, da kann gar nidhts Gutes 
berausfommen.” 

„Ungehorfamer Burſche, feige Memme, wirſt Du 

gehen!“ rief jetzt Burkhard erboſt. 
„Immer injuriren Sie, Herr Förſter, ſchlagen 
Sie mich braun und blau; daran ſterb ich nicht, ich 
vertrage jhon Etwas; das Schmerzensgeld entgeht 
mir nicht; Die Kurkoften tragen Sie, Chrenerflärung 
obendrein; aber - bei der hochedeln Geifterzunft anfra⸗ 
gen, das laß ich wohl bleiben, ich kenne mich, ich bin 
ein Grobian, fadgrob, wenn's fein muß, und bie 
Geiſter verftehen feinen Spaß. Ich ftehe in der Blüthe 
meiner Jahre und habe noch feine Luft mich im Rüden 
zu beihauen mit verbrehtem Halſe. Ich bin nicht fo 
neugierig und habe in meinem Steben nicht verlangt 
dahin zu ſehen.“ 

Das Klopfen und Raſſeln an der Hausthür ward 

immer heftiger. 
„Da hören Sie's,“ fuhr Salomo fort, „vie luf⸗ 
tige Gefellfihaft wird immer maffiver. Ohne Hale- 
umdrehen geht's nun gar nicht mehr ab. Schon die 
Griechen und Römer —“ 

„So werd’ ich ſelbſt nachfragen,‘ ſprach entfchlof= 
fen Balerie, ergriff ihr Lämpchen und eilte nad) ber 
Hausflur. 

„Ein Blitzmädel,“ brummte Burkhard, und zu 
Sigismund gewendet frug er beforgt, „fie werten 
dem Nafeweis doc, nichts anhaben?“ 


87 


„An reinen Gemüthern vergreift ſich fein Unfterb- 
licher.“ 

„sa, der thun fie Nichts,“ meinte Salome, fid) 
den Angftihweiß von der Stirn trodnend, „da ſind's 
vernünftige Leute, generös und galant.” 

„Wer Elopft jo ſpät?“ hörte man jett Valerien 
fragen, worauf eine männlihe Stimme antwortete, 
die man nicht erfannte; das Mädchen aber eilte mit. 
Ietlamer Haft zur Stube zurüd nah dem Schlüffel- 
unde. 

„Dit Du von Sinnen?” rief erfchroden der Vater, 

„aufmachen, wer iſt's denn?“ 
—„gJohannes!“ antwortete Valerie und hatte im 
Augenblid ſchon bie Thür geöffnet, durch melde, in 
einen Reitermantel gehüllt, eine kräftige Snglinge- 
geftalt herein trat. 

„Das Teufel, Johannes,“ rief im Tone ber ge= 
täuſchten Erwartung, ziemlid) ärgerlich Burkhard, ver 
in die Stubenthür getreten war, „moher in fo fpäter 
Naht?“ 

„Ic bitte um Entfehuldigung, Herr Förſter, ob 
des nächtlichen Ueberfalls,“ ſprach der Jüngling, ſich 
den Regen abſchüttelnd, „ich hatte mich verirrt in der 
mir unbekannten Gegend, die Nacht übereilte mich und 
ein Gaſthaus oder menſchliche Wohnung war nirgends 
zu erblicken.“ 

„Aber mein Gott,” ſprach Burkhard, „wer wird 
fi) auch verlaufen, und um Mitternacht bei gottes= 
fürdhtigen Leuten ald Kobold an ver Thür rumoren. 
Wir denken nicht anders als die gefammte Höllen- 
fhaar will herein. Bei ſolchem Wetter bleibt man 
fein zu Haufe und macht feine Landparthien. Ich 
beufe, Mosje Johannes fit ganz ehrſam in der Rex’ 
ſidenz und wartet auf ein Unterflommen. 


88 


. „Richt aus,Bergnügen,” ſprach gefränft der Jüng— 
fing, „unternahm id) die Wanderung zu Ihnen, Herr 
Förſter, ſondern in Folge dieſes Schreibens des Herrn 
Dberforftmeifters.” Damit überreichte er ein Papier, 
—** Burkhard mit ziemlichem Unwillen annahm, und 
überflog. 

"ie ich geahnt,“ ſprach er noch unfreundlicher, 

„die großen Herren haben gut zu reven. Ich habe es 
Doch Seiner Hochwohlgeboren neulich Ear genug aus— 
einandergejeßt, daß ich Feines Gehülfen mehr bebürftig 
bin auf meinem Tleinen Revier. Was hilft's, Die gro- 
gen Herren geruhen und uns Heinen Seuten bleibt 
nichts übrig al8 zu gehorhen. Nun, Er wird der 
Ruhe bedürfen,“ fprad er nad einer Paufe etwas 
milder, „kann heute mit auf Salomo’3 Kammer jchlafen. 
Bali, wern noch etwas Grog im Topfe, gieb e8 dem 
nächtlichen Störenfried mit hinauf.” 

Balerie war fehr eilig in Befolgung des väter= 
lihen Willens. Johannes aber reichte dem Förſter 
die Hand: „Herr Förſter,“ ſprach er, in aufrichtigem 
und ſchmerzlichem Tone, „ed thut mir wahrhaftig leid, 
Euch als fo unwilllommmer Gaft erfcheinen zu müſſen. 
Ich ftellte dem Oberforftmeifter auch vor, daß ich un- 
längjt bei Euch vergebli um Unterkommen angefragt 
und daß Ihr mit Afjiftenten hinlänglich verforgt 
wäret; aber Ihr Tennt jelbit ven alten Waidmann, er 
läßt ſih nicht gern widerſprechen, in dem was er ſich 
einmal in den Kopf geſetzt hat. Nur ein Jahr ſoll 
ich mich noch in der Praxis des Forſtweſens ver- 
vollkommnen, wo er alsdann für eine Anſtellung ſor 
gen will.“ 

„Ja, da ſitzt gleich eine Anſtellung,“ fuhr Burk— 
hard heraus, „die Großen ſind mit ſchönen Worten 
ſehr freigebig, aber es bleibt auch bei den ſchönen 


89 


Worten, zumal jet, wo die Welt von jungen Schludern 
wimmelt, die alle in's Brot wollen.” 

„Er hält gewiß fein Wort,” ſprach Johannes 
warm, „wenn es ihm irgend eine Möglichkeit iſt.“ 
„Schon gut,” lachte der Förfter, „euch jungem 
Volke hängt der Himmel immer voller Geigen, werbet 
ſchon andern Sinnes werden; für jest jchlaft wohl.“ 

„Das wäre hart,“ jeufzte der Jüngling und ver- 
lieg in Salomo’8 Begleitung das Zimmer. 

Sigismund aber, dem die Theilnahme nicht ent- 
gangen, weldhe Valerie für ven Ankömmling verrieth, 
blidte ihm giftig nach) und raunte Burkharven zu: 

„Herr Hörfter, vor dem nehmt Euch in Acht, fein 
Geficht jagt nichts Gutes.“ 

„Hat aber ein gar ehrlich Geficht,” meinte ber 

lte. 


„Nehmt Euch in Acht,” wiederholte jener dringend, 
„meine Ahnung von vorhin täufchte mich ‚nicht, Diefe 
Nacht hat Euch nichts Gutes gebracht.‘ 


3. 


Das Gießen der Freifugeln war glüdlich vorüber 
gegangen. Sieben ſchöne Freikugeln lagen wohl ver- 
wahrt im gebeimften Fache von Burkhard's Schreib- 
tiſche. Täglich ſechsmal, des Vormittags dreimal 
und breimal bed Nachmittags, ſah man den Förfter 
in das Oberſtübchen fteigen, wo ber verhängnißvolle 
Schreibtiſch ſtand, und die Thür jedesmal jorgfältig 
hinter fich verſchließen Behutſam und mit Vorſicht 


90 


eröffnete er das geheime Fach, nahm die merkwürbi- 
geu bleiernen Pillen heraus, befah und berody eine 
jede; dann: widelte er fie forgfältig wieber in Baum- 
wolle und Papier, verfchloß fie und entfernte fick 
mit unbeimlichem rauen. So trieb er's drei Tage. 
Am vierten trat ter Verſucher zu ihm und flüfterte: 
„Wie wärs Burkhard, wenn Du ein fol Kügel- 
hen probirteſt? Es bleiben noch ſechs und vollauf, 
dem alten Herzog den Daumen auf’8 Auge zu 
drücken.“ 

Der Gedanke war ſüß und lockend, „aber nein, 
Burkhard, ſei ein Mann,“ ſprach's in ihm, „nicht neu⸗ 
gierig, und vergeude nicht die Gottesgabe, Die bir 
durd) Geiſtermacht und Güte verliehen ward.” Und 
wieder raunte der Verſucher: „Burkhard, die Augen 
möcht ich fehen vom Salomo, wenn Du das Blaue 
vom Himmel holft; es ift ja nur zur Uebung, bie 


‘ Geifter zärnen nicht dareb und der Student erfährt's 


nicht. Es ift nur um den Salomo in Refpect zu 
halten, ver täglid) naſeweiſer wird und, ein ungläus= 
biger Satan, zweifelt, daß Du nod) einen edel Hirſch 
erlegen fonnteft rechtskräftig. 

Schon zuckte die Rechte des Förſters nach einer 
Freikugel, aber er legte ſie wieder hin. Der Verſucher 
fuhr fort: „Der Schuß wird bekannt, Salomo hat's 
Schweigen nicht gelernt. Der Valentin fühlt ſich ge— 
troffen und nimmt den „blinden Heſſen“ zurück; der 
Nachbarſchaft nicht zu gedenken.“ Das war zu viel, 
Burkhard unterlag. Er holte zitternd fein erprobtes 
Jagdgeſchoß, die Freifugel rollte in den Lauf und bald 
hörte man Burkhard's Stimme im Hofe: „Salomo, 
wo ſteckt der Teufelsbraten?“ 

Salomo’8 lange Geftalt ward hinter dem Garten» 
zaune fichtbar. Seine Hand hielt einen todten Maul— 


— —— > 


91 


wurf emper und rief: „Meifter, dx hab’ ich ven 
Schlucker!“ 

„Laß jetzt das Maulwurfsfangen, mein Salomo,“ 
ſprach Burkhard iſanft, „wir machen ſelbander einen 
Gang durch den Wald.“ 

„Meiſter, “ fuhr Salomo Hinter dem Zaune fort, 
„das nenn’ ich ein Exemplar, der muß Wirthichafts- 
fecretair geweſen fein, fo fett ift er.” 

„Leg' ihn zu der Übrigen todten Rotte, ich hono= 
rire den Schwanz wie feinen, aber jett folge mein 
Salome.” 

Salono trug den Maulwurf in Prozeſſion nach 
ſeiner Kammer und erſchien nach einer Weile mit 
dem Jagdgewehr. Die Beiden wanderten dem 
Walde zu. 

„Ich ſag' Dir, Salomo,“ begann der Förſter, „es 
juckt mich heut ordentlich, einmal loszubrennen.“ 

„'s iſt einem ſo manchmal, ich weiß,“ meinte der 
Burſche, „der Menſch hat ſeine Tage, wie's liebe 
Vieh. So war's ſchon im Alterthume. Wenn der 
Römer am Morgen ſtolperte, ſo ging's fort den gan— 
zen Tag; die Butterſemmel fiel auf die geſchmierte 
Seite, was er trank lief in die unrechte Kehle und 
ein Malheur folgte dem andern.“ 

„Ich glaube,“ fuhr Burkhard fort, „ich könnte 
heut dem knapernden Eichhorn die Nuß aus den Zäh⸗ 
nen holen.“ 

„Chriſtens hätt',“ rief Salomo, „Meiſter, was 
habt Ihr an der Nuß, packt nur's Horn, kommt die 
Nuß mit.“ 

„Du verſtehſt keine Allegorie,“ erwiederte ärgerlich 
der Förſter, „mit fammt Deinen Griechen und Rö— 
mern, dem Heidenvolke.“ 

„Wurden fpäterhin getauft, von Mutterleibe van 


92 


wie wir,” brummte Salonto, „glaubten an die Drei= 


| faltigkeit und den Papſt dazu.” 


m \ 


„Salome, Du weißt, ich ftreite mit Dir nicht 
über Dinge, die Du nicht verftehft. Sieb mir jet 
ein Ziel, aber ein refpectables.” 

Der Burſche ſchaute fi ringsum, und nach einer 
Weile: „Meifter, dort der ſchwarze Buchenftumpf, wenn 
Ihr dem was anhaben könntet.“ 

„Schafskopf, ih hab’ Dir gejagt ein refpectables. 
Der Buchenftumpf ift ja ein wahrer Babelthurm 

„Meifter, ih will Euch was jagen,” hub Salomo 
an, „ver Thurmbau zu Babel war doch, bei Lichte 
bejehen, ein rechter Schwabenſtreich.“ 

„Schweig mit Deinen Albernheiten,” fuhr Burk- 
hard ärgerlich heraus, 

„Sa, die waren's,“ docirte Salomo weiter, „ba 
dem lieben Gott in die Karten guden zu wollen, 
aber die Strafe fam nad. Die Mauerpolirer redeten 
mit einem Male rotbwelih, die Maurer arabiih und 
die Handlanger fyracufaniih, fo kam die Confuſion 
zu Stande, die Prügelei folgte und der Thurm blieb 
Stückwerk.“ 

Jetzt war Burkhard's Geduld zu Ende. Er faßte 
Salomo beim Kragen, ſchüttelte ihn und rief zornig: 
„Wird der Satan Ruhe halten und mir ein Ziel 
zeigen?“ 

Der Geſchüttelte hielt wieder Umſchau in der 
Waldgegend. 

„Meiſter, ſeht Ihr jenen Baum dort mit den drei 
Rieſen-Aeſten?“ 

„Ganz recht!“ 

„Er ſteht etwas gegen Morgen?“ 

„Ich ſehe ihn!“ 


9 


„Seine Wurzeln fpringen bier und da aus ber 
Erde?“ 

„Ja doch!“ 

„Er ſcheint ungefähr ſeine funfzig Jährchen zu 
zählen?“ 

„Satan, was iſt mit dem Baume?“ 

„Beliebt nur mit Euern Augen den Stamm hin⸗ 
auf zu ſpazieren. “ 


„Kun 

"Da trefft Ihr auf die drei erwähnten Rieſen⸗ 
Aeſte. 

„Und? — 

„Aus dem mittlern Afte ragen zwei mäßige dürre 
Zweige wie Heugabeln hervor, Meifter, wo habt Ihr 
Eure Brille?“ 

„Brauche feine, erkenne die Zweige gar wohl.” 

„Sie find volllommen dürre.“ 

„Sehe ſchon!“ 

„Meifter, ich glaube, die Brille könnte nicht 
ſchaden.“ 

„Denkt der Eſel ich hätte ben Staar, die majeftä- 
tifchen Zweige, wer die nicht fehen wollte.” 

„Zwiſchen dem einen Zweige und dem Hauptaſte 
hat fich ein vorjähriger Tannzapfen eingellemmt.‘ 

„Den hol’ ich,” rief Burkhard ſchnell refolvirt und 
machte ſich ſchußfertig. 

„Das wäre ein Meiſterſtück, Meiſter, Ihr wolit 
doch nicht?“ 

„Schweig, Salomo, und hab Acht, wie er fällt 
und bring ihn mir.“ - 

Der Schuß krachte durch den Wald. 

„Mein Salomo bring‘ mir ben Zapfen, “ſprach 
Burkhard ſtolz und gnädig. 

„Da müßt' ich einen ſangen Arm haben. “. 


94 
„Wo fiel er hin?“ 


„Weder in den Himmel noch auf die Erde, er 
blieb, wo er war.“ 

„‚Unmöglic 1 

„Meiſter, Ihr habt ja einen ganz andern Aft ge- 
teoffen, feht die Splitter, zwei Fuß weit vom Ziel!“ 

„Aber es ift nicht möglich. IH ſage Nein!“ 

„Ich Tage Ja.‘ 

„Und ber Zapfen?“ 

„Dort ſitzt er wie angenagelt, ja, id) dacht's gleich, 
mon ſoll den Himmel nicht verſuchen, wie die Baby⸗ 
onier.” 

„Aber mein Salomo, fo ſchaue doch in Teufels 
Namen genau hin,” rief der aus allen Himmeln ge- 
follene Waidmann. 

„Was hilft das. ‘Der Zapfen bleibt oben, id) 
unten, meine Dlide find feine Poften, nicht einmal 
Bogeldunft.” 

Set warf Burkhard fein Feuerrohr ingrimmig 
auf ven Boden, brach in laute Verwünfchungen aus 
und rannte wie wahnfinnig bavon. 

„Da haben wir den Babylonier, rief der er= 
ihrodene Salomo, „er ſpricht ſchon ganz irre, Den 
Tannzapfen, ja Profit Mahlzeit.“ Er hob Burkhard's 
Jagdgewehr vom Boden auf und eilte dem getäujchten 
Freiſchützen nad. 


6. 


Das Erſte war, als Burkhard nach Hauſe kam, 
daß er ohne ein Wort zu verlieren, den erſtaunten 


95 


Studenten beim Kragen faßte und zu jchütteln 
begann. 

„Run, was fol das bedeuten?” vief dieſer, und 
ſuchte fich loszumachen. 

„Teufelsbraten, Ihr habt mich genarrt mit den 
Freikugeln,“ ſprach Burkhard ingrimmig, und ſchüttelte 
unverdroſſen weiter. „sch habe eine probirt.“ 

„Und nichts getroffen?” frug Sigismund. 

„Zehn Meilen davon, wie konnt ich mic, blamiren 
vor Seiner Durchlaucht! Aber ich pade Ihn ſchon.“ 
Er griff noch herzhafter zu. 

„So laßt mid, zum Henker — es war ja ganz 
natürlich, dag Ihr nicht treffen konntet.“ 

„Ganz natürlih, und das fagt Ihr?” frug ver- 
wundert Burkhard, und ließ den Studenten fahren. 

„Habt Ihr das Berfprechen gehalten,‘ frug jener 
„das Ihr mir beim Kugelgießen gabt, unter welcher 
Bedingung das Werk nur gelingen konnte?“ 

Der Förfter rieb fi) finnend und verbrieflich die 
Stirm. 

„It Valerie feitvem nicht noch ſpröder gegen mich 
geworden,” fuhr Erfterer fort, „anftatt daß Ihr fie. 
meinen Anträgen willfährlicher machen ſolltet.“ 

Burkhard ſchwieg betroffen. 

„Slaubt Ihr,“ fprah der Student in ernftem“ 
rügenden Tone, „daß ſich die Geifter warnen laſſen, 
daß fie dem Wortbrüchigen ihren Beiftand leihen 
werben ?” 

„Aber wie ift die Sache wieder gut zu machen,‘ 
frug nad) einer Baufe Burkhard, der dem Stupenten 
niht ganz Unrecht geben konnte, „wie erhalten wir 
neue ächte Freikugeln?“ 

„Erſt müſſen wir die erzürnten Geiſter verſöhnen, 
bevor wir von Neuem an das Werk gehen.“ 


96 


„Wodurch verfühnen wir fie?” 

„Vor allen Dingen muß jene Perfon aus Dale 
rien's Nähe gebracht werben, die allen meinen Beftre- 
bungen fo feindlich entgegenftebt. “ 

„Ihr meint den Johannes?“ frug der Förfter. 

„Sp ift e8, er muß entfernt werben.‘ 

„Das wird Schwer halten, — der ausdrůckliche 
Befehl des Oberforſtmeiſters — 

Der ausdrückliche Befehl des Oberforſtmeiſters,“ 

rief jetzt Sigismund mit erhobener Stimme, „kann 
Euch nicht zumuthen, daß Ihr einen Mörder in 
Eurem Hauſe beherbergt. “ 

„Sohannes ein Mörder!” vief zum Tod erichroden- 
Burkhard. 

„Durch Geiſtermacht,“ fuhr erfterer fort, „ift mir 
das Berbrechen offenbar worden. Habt Ihr noch 
nicht den Brillantring an dem Zeigefinger feiner rech⸗ 
ten Hand bemerkt?“ 

„Er iſt mir aufgefallen,“ verſetzte der Förſter. 

„Mit dem er ſo geheimnißvoll thut, über deſſen 
Erlangung er nie mit der Sprache heraus will?“ 

„Das iſt wahr,“ ſprach Burkhard mit immer be— 
denklicher werdendem Geſicht. 

„Nun zu dieſem Schatze iſt er nicht auf rechtem 
Wege, gelommen, ein armer Jägerburſche, das begreift 
jeber.” 

„Er follte aber?” — frug zögernd der Förſter. 

„Abgemudt hat er den ‚Eigenthümer,” entſchied 
der Student, „forſchet nur genauer nah), Herr För— 
jter, e8 kann nicht fehlen und Euer gerechter Ver— 
dacht wird zur Gewißheit. Ich habe ihn bereits zu 
Dederholten Malen ſondirt, aber mir hält er nicht 

tand.“ 


97 


„Da wil ih bald im Klaren fein,” rief Burk— 
hard und wollte fort. 

„Aber ja vorſichtig,“ mahnte Sigismund, „es 
genüge Euch, wenn er das Haus räumt. Alles wird 
ſich dann günftiger geftalten.‘ 

„Und mein voriger Ungeftüm, Herr Candidat — 
Eure Hand —”. - 

„st vergeſſen,“ rief einſchlagend ver Student, 
und der Förfter eilte, um ben vermeintlichen Mörder 
ausfindig zu machen. 


7. 


„Johannes,“ begann Burkhard, als er den Jä— 
gerburſchen gefunden, „es gefällt mir Manches nicht 
an Dir.“ 

Johannes ſah ihn fragend an. 

„Es iſt mit Dir,“ fuhr erſterer fort, „nicht Alles, 
wie es ſein ſollte.“ 

„Ich verſtehe Euch nicht, Herr Forſter.“ 

„Wie kommt das Ding da an den Finger?“ Er 
zeigte auf Johannes Ring. 

Etwas überraſcht erwiederte nach einer Pauſe 
der Gefragte: „Ein theures Vermächtniß von theurer 
Hand.“ 

„Der Teufel auch,“ fuhr jetzt Burkhard auf, „wo 
iſt der Ring her?“ 

Johannes ſchaute ihn ernſt an und ſchwieg. 

„Du biſt im Felde geweſen,“ polterte jener weiter, 
„da weiß man, wie's her geht, ich will Gewißhei, 
ob das Ding ehrlich erworben.“ 

Stolle, fimmtl. Schriften. XXIII. 7 


98 


„auf folhe Fragen bin id .Eeine Antwort 
Ihuldig. | 

„Run da haben wir's,“ tobte der Förfter, „wer 
ein ehrlich Gewiſſen hat, hält nicht hinter dem Berge. 
Ich will's aber heraushaben.” 

„Ein Beriprechen bindet mich, Died genüge Euch.“ 

„Könnte Jeder jagen, Ich will .veinen Wein.‘ 

„Ein Wort fo viel als taufend, ich kann's Euch 
nicht fagen, wenigftend jett nicht, aber fo viel, daß 
wir nad dem jeßigen Gefpräcd nicht länger beifam- 
men bleiben können.“ 

„Sehr obligirt,“ fiel Burkhard ſchnell ein, der 
froh war, feinen Zweit, die Entfernung Johannes, jo 
leicht bewirkt zu haben. 

„Ich gebe,“ ſprach ver Burfche, „mir ein Obdach 
zu fuchen, wo man freundlicher von mir denkt.“ Cr 
blickte noch eine Zeit lang jchmerzlicd auf Burkhard. 
„Herr Förſter,“ ſprach er fanft, „nicht Ihr treibt 
mich fort, das weiß ih, drum bört mein Abjchievs- 
wort, und wenn hr feinem meiner Worte geglaubt, 
jo glaubt diefem: Kraut Ihm nit, auf deſſen 
Wunfd Ihr mich jett gehen heißt, traut Ihm nicht, 
denn jo wahr ein Gott im Himmtel lebt, er meint’8 
nicht ehrlich mit Euch.” Mit diefen Worten entfernte 
er ſich eilend®. 

Burkhard wollte ihm eine Zornrede nachſenden, 
aber fie erftarb auf feinen Lippen und für ſich brummte 
er: „Ich glaub’8 nit, daß er einen abgemudt hat, 
wie ber Sigismund meint, aber richtig iſt's mit dem 
Ringe nicht.” 

„Kaum hatte er diefe Worte gefprochen, als Sa— 
Iomo feinen Kopf zur Thür herein ſteckte: „Meiſter,“ 
begann er, „8 ift heute Neumond, da trägt's Wich— 
telmännchen feinen Sped ein, der Herr Studente 


— 


99 


will's operiren, daß es ſprechen lernt, ich fol dabei 
fein.” 

„Nun ich wohl nit?“ rief Burkhard faft belei- 
digt und ſaß augenblidlid auf feinem alten Steden- 
pferde. 

Salomo fanı jest vollends zur Thür herein und 
docirte: „Eigentlich nieſt's nur, wird's aber operirt, 
ſpricht's auch.” 

„Wie macht, das Herr Sigismund?“ frug der 
Förſter. 

„Iſt mir ſelbſt nicht klar,“ erwiederte Salomo, 
„aber er kann's und ich glaub's. Da kommt er 
ſelbſt.“ 

Der Student trat in's Gemach und that ſehr 
geheimnißvoll. „Hat Ihnen Salomo ſchon das Un— 

ternehmen entdeckt?“ frug er wichtig. 

„Bin dabei,“ ſprach Burkhard bereitwillig. 

„Sobald es dunkelt,“ fuhr Sigismund, nach der 
Uhr. ſehend, fort, „können wir aufbrechen.‘ 

Das Kleeblatt converfirte noch lange auf die ge 
wohnte Weife und trat bei einbrechender Dunkelheit 
. ven Weg zum Walne an. 

„Ich begreife es nicht,” begann Sigismund, „ber 
Salomo hat für die Geifterwelt doch eine weit Flarere 
Anfhauungsgabe, als Sie, Herr Förſter.“ 

Burkhard feufzte, Salomo aber fand ſich gefchmei- 
helt und ſprach: „Ja, ich hab’ ein aufgemedt Ge— 
müth für's Ueberirdiſche, ſchon von Kinvesbeinen an, 
mir entgeht Nichts, hätte ſtudiren follen, aber es 
gab’8 nicht her.‘ 

Sie drangen immer tiefer ein. Der Wald ward 
unwegſamer, man mußte oft das Gebüſch zurüdbie- 
gen, um durchzukommen. 

„Was war das?” frug mit einem mr der Stu⸗ 


100 


dent und blieb ftehen, „wir kam's vor, als folge ung 
Yemand. Hörten Eie nicht in der Entfermung das 
Geſträuch rauchen?“ 

Alle Drei ftanden ftill, Taufchten und Salome bes 
lehrte leife: „Das Wichtelmännchen kann's nicht ge= 
wejen fein; das vergreift ſich nicht an Aeſte, feine 
Conſtitution iſt fhwählih von Mutterleibe an.“ 

E83 blieb alles ruhig, nur der Nachtwind fpielte 
einfam in den Wipfeln der Fichten. Die Wanderer 
fetten ihren Weg fort. 

Nah einer Paufe frug der Student: „Salomo, 
bört Ihr's nicht trippeln neben uns, ich glaube, 
das Wichtelmännhen trägt ſchon, wir ſehen's nur 
noch nicht?“ 

„8 iſt mir fo," gab der Gefragte zurüd, „es 
hält ſich dazu, das fleifige Kind.‘ 

Sigismund blieb abermals ftehn: „San; richtig, 
es wippen, ich hör's deutlich, Ihr nicht auch Herr 
Förſter? 

Dieſer war ganz Ohr, aber vergebens, er ver— 
nahm Nichts. Salomo war glücklicher, Alles was 
der Student hörte, kam ihm auch ſo vor, ſei es nun, 
daß ſeine Phantaſie ihm wirklich Etwas vorſpielte, 
oder daß es ſeiner von Sigismund belobten Clair— 
voyance und Geiſterſpürkraft fein Dementi geben 
wollte; kurz Alles, was jener wahrzunehmen vorgab, 
nahm auch er wahr im vergrößerten Maßſtabe. Er 
ſtellte ſich hierdurch bei dem Förſter in eine wahr— 
haft verehrungswürdige Poſitur, während letztern ſeine 
Taub- und Blindheit immer klarer wurde und troſt— 
loſer machte. 

„Ich hör's ſogar keuchen,“ ſprach Salomo nach 
einer Pauſe, „es muß ſchwer geladen haben. Ver— 
nehmt Ihr nichts, Herr Förfter ?“ 


101 


Dieſer ſpannte verzweifelt fein Gehörorgan auf 
die äußerſte Epite, aber er blieb verwahrloft und 
hörte Nichte. 

„Das ift mir wirklich bedenklich, ſprach der Stu— 
dent und fchritt weiter vor. 

„Mir aud),” meinte Salomo, „Ihr feid doch 
fonft nit auf den Kopf gefallen, Herr Förſter.“ 

Man arbeitete ſich noch eine Strede durch das 
Geſtrüpp und gelangte an einen freien, ſehr ſumpfi— 
gen Ort. Irrlichter fttegen hier von Zeit zu Zeit 
auf und nieder. 

„Nun, die Irrlichter feht Ihr doch?“ frug Sigis- 
mund, der jett halt machte. 

„Ei, ja wohl,” rief Burkhard, tief Athem ſchö— 
pfend, „ganz brillant.‘ 

„Iſt ſchon viel gewonnen,” fuhr Erſterer fort. 
„Mit den Irrlichtern tft das Männchen intim, da 
werdet Ihr's auch jehen, denn hier ift der Drt, wo es 
ſichtbarwird.“ 

„Schon die Griechen und Römer,“ meinte Sa⸗ 
lomo, „waren hierin weit. Sie fannten die Connai⸗ 
fancen der Geifter bis in's vierte Glied und die Ge⸗ 
vatterfchaften obendrein.“ 

Sigismund fah jest ftill und unverwandt vor fi 
hin und rief plögli im Zone ver freudigften Ber- 
wunderung: „Ah“ 

„Ah!“ wiederholte Salomo. 

„Bas denn?” frug haftig der Burkhard. 

Sigismund: „va kommt's!“ 

Salomo: „Wahrhaftig, da kommt's!“ 

Burkhard: „das Wichtelmännchen * 

Sigismund: „Und wie freundlich” 

Salomo: ‚Nein, das liebe Kerlchen.“ 


5 \ 


102 


Burkhard (auf die Zehen tretend und ſich die 
Augen veibend): „Um Himmelswillen, wo denn?“ 

Sigismund: „Und wie fih’8 plackt.“ 

Salomo: Ad, das fchleppt.’ 

Burkhard (den Salomo jhüttelnd): „Nichtswür— 
diger, wirft Du mir's zeigen?” 

Sigismund:,‚Butt, Butt, Mäuschen, Mäuschen !" 

Salomo: „Couche! Couche! Mäuschen!“ 

Burkhard (den Salomo noch ingrimmiger packend): 
„Ich erwürge Dich, wenn Du mir's nicht zeigſt.“ 

Salomo: „Laſſen Sie mich los, Sie. haben 
einmal feinen Sinn für das Höhere, Mäuschen! 
Mäuschen!“ 

Sigismund: „Jetzt nieft es.“ 

Salomo (zärtlih): „Helf dir Gott.” 

Burkhard (verzweifelt fchreiend): „Profit! 

Sigismund: „OD weh, nun haben Sie mir’s er- 
ſchreckt.“ 

Salomo: „So unverſtändig zu ſchreien.“ 

Ein Geräuſch wie vom Zuſammenſchlagen von 
Gebüſch ward in einiger Entfernung wieder vernehm— 
bar. Alle Drei hatten es diesmal vernommen. Si— 
gismund ging leiſe einige Schritte nach jener Gegend 
hin, hielt den Finger in den Mund und pfiff. Alles 
blieb ruhig, er kehrte zurück und ſprach: „es war 
Nichts.“ 

„Wahrſcheinlich ein ehrſamer Rehbock,“ bemerkte 
der jetzt erſt aus den Händen ſeines Prinzipals be— 
freite Salomo, „ein Rehbock, den Euer großartiges 
Proſit von dem erſten Schlafe ſcheuchte.“ 

„Mit dem Männchen iſt aber heute Nichts mehr,“ 
ſprach der Student, „es iſt ſchüchtern gemacht und 
verſchwunden.“ 

„Verdenk's ihm nicht,“ brummte Salomo, „das 


⸗ 


103 


Profit ging ihm durch und durch, es zitterte am gan— 
zen Leibe.“ 

„Alſo geehrter Herr Förfter, Ste haben wirklich 
wieder Nichts geſehen?“ 

„Richt das Geringſte,“ entgegnete dieſer dumpf. 
„Wie ſah's den aus, das Ding?“ 

Sigismund befchrieb und Salomo befcheinigte es. 

„3b ſinne vergebens nad,” fuhr Sigismund 
fort, „wodurch Ste fi den Haß dieſes Eleinen, fenft 
fo friedlichen Geiſtes könnten zugezogen haben, daß 
er fih ihnen micht zeigte. Doch vielleicht gelingt 
mir's, daß ich heute Nacht ned) ein paar Sumpfgei— 
fter ſprechen kann, die gleichfalls am Neumond ficht- 
bar find. Sie follen mir Auskunft geben. Alſo fol- 
gen Ste mir, Herr Förſter, wir werden hoffentlich 
nicht Tange zu juchen brauchen. Und angeführt vom 
Studenten wanderten die Waidmänner nad) der Seite 
der Landſtraße zu. Sie gelangten abermals auf ei- 
nen großen freien Pla. Der Führer orientirte fich, 
- fo gut e8 in der Dunkelheit gehen wollte; dann ge= 
bot er den beiden Begleitern, ftehen zu bleiben. 

„Wir mollen jest hören, ob die Sumpfgeifter 
noch wach find und antworten,” ſprach Sigismund. 
Er’ pfiff nad der Gegend der Landſtraße zu. Alle 
Drei laufchten mit eingehaltenem Athem. Da er- 
tönte. alsbald ein Pfeifen zur Antwort aus derjelben 
Gegend her. 

Salomo umfchlang überglüdlich feinen Prinzipal 
mit beiden Armen. ‚Nun, Herr Förfter,” rief er, 

„wenn Ihr das nicht gehört habt?“ 
| „sa, mein Salomo,‘ replftirte diefer, ganz glüd- 
ih, und umſchlang mit gleicher Liebe den Jägerbur⸗ 
ſchen, „diesmal hab’ ich's gehört. Ich fehe, daß ich, 
nicht ganz verwahrloft bin.‘ 


104 


Der Student gebot jest ven Umfchlungenen ftehen 
zu bleiben und ſich nicht von der Stelle zu rühren; er 
werde mit den Sumpfgeiftern Rückſprache nehmen. Er 
ging am Waldrande entlang, wo ihm von der entgegen- 
gefetten Seite zwei dunkle Geſtalten entgegen kamen. 

„Herr Förſter, Herr Förſter,“ rief Salomo leife, 
„ſoll mie Gott helfen, da fommen fie, ſeht Ihr?“ 

„Nicht recht!“ 

„Da, da, Folgt nur meinem dinger.” 

„Wie wär's, wenn wir ein wenig näher träten ?“ 
ſprach der Kurzfichtige. 

„Am Himmelswillen, wo denkt. Ihr Hin, Herr 
Förſter, find’8 gleich nur Sumpfgeifter, fo verlangen 
fie Reſpect und ehrfurchtsvolles Fernſtehn. Seht, 
der Herr Student kommt ihnen immer näher. Er 
hat doch raſende Courage.“ 

„Salus publica!“ rief jetzt Sigismund ven ſich 
nähernden Geftalten mit gedämpfter Stimme zu. 

„Suprema lex esto!“ tönte e8 zurück. Nach die— 
jen Worten eilte man fchnell auf einander zu. 

„Aber fage mir, Menſch,“ ſprach der eine Orau- 
mantel, „wilft Du uns Alle auf den Hund bringen? 
Wir wollen täglich losbrechen und Du liegit hier auf 
der Bärenhaut.“ 

„Nur noch wenige Tage,” beſchwor Sigismund. 
„Valerie iſt dann meine Braut und ich bin Euer.“ 

„Wir ſind gekommen, Dich zu warnen,“ hub die 
zweite Geſtalt an. „Es iſt nicht geheuer, Ruppert 
fitzt. u 

„Verdammt, “rief Sigismund und ſchnalzte mit 
den Fingern in die Luft. 

„Kein Augenblick iſt zu verlieren,“ drängte die 
erſte Geſtalt. | 

„Wohlen, vierundzwanzig Stunden noch,“ ſprach 





105 


nad) einer Baufe der Sturent, „und ich komme.“ Er 
redete lange heimlich mit den Unbekannten. 

„Nein, Herr Förſter, was fih Herr Sigismund 
charmant mit den Sumpfgeiftern unterhält, da möchte 
man faft Puft bekommen, felbjt ein Wort hinein zu 
reden.“ 

„Wenn man nur etwas verſtünde,“ meinte dieſer. 

„Die Griechen und Römer,“ fuhr Erſtrer fort 
— da rauſchte es zum dritten Male in den Zwei— 
gen ganz in der Nähe. Salomo war in Einem 
Satze auf Burkhard's andrer Seite, welche Poſition 
ihm wegen des verdächtigen Rauſchens angemeſſener 
ſchien. „Alle Wetter, Herr Förſter,“ rief er leiſe, 
„da kommen wohl gar von dieſer Seite auch Sumpf- 
geifter ?“ 

„Burkhard glaubte fi) unter bewanbten Umftän- 
dem nicht berufen, mit feinem Leichnam den thenern 
Yägerburfchen zu deden, und fprang auf Salomo's 
linfe Seite. Diefer wiederholte fein vorige® Manö— 
ver und ftand, ehe ſich's der Prinzipal verjah, ihm 
wieder zur Linken. Co fpielte may einige Zeit zwei 
Mann body, ohne zu bemerken, daß Sigismund’s 
Sumpfgeifter wieder im Walde verfchiwunden und Je— 
ner zu ihnen zurückkehrte. 

In ihre Springübungen "ganz vertieft, hielten fie 
den jet herantretenden Studenten für einen Sunpf- 
geift und ergriffen beiberfeitig die Flucht, bis fi 
Iener zu erkennen gab. Er nahm den ſogleich noch 
ganz erichrodenen Burkhard unter den Arm und 
raunte ihm zu: „Wie id) geahnet, die Sumpfgeifter 
haben mir Alles entdeckt, Eure Saumfeligfeit hin= 
ſichtlich Valerien's hat alle Geifter Euch abgewendet 
und wenn Ihr nicht vermöget, daß binnen vierund— 
zwanzig Stunden das Mädchen meine Braut ift, habt 





106 


Ihr nicht nur keine Gunft von den unfihtbaren We— 
jen zu hoffen, fondern auch al’ ihren Zorn zu fürch— 
ten. Die Langmuth derſelben ift erſchöpft. Alfo hab’ 
ich's aus der Sunipfgeijter eignem Munde.“ 

„Wenn's meiter nichts ift,“ antwortete Burkhard 
erleichterten Herzens, „jo fein getröftet, Herr Can- 
didat. Den feinen Gefallen erzeig’ ich den Herren 
Geiftern veht gern. Morgen früh ſprech' ih ein 
ernſtes Wort mit dem Mädel, und wenn fie mei- 
nen väterlichen Worten fein Gehör giebt und fich 
den elenden Hans niht aus dem Sinne fchlägt, 
{hieß ich meinen Fluch wie eine feharfe Patrone auf 
fie ab. Das Hilft, ich verfihere Euch's. Sie be- 
finnt fihb und nimmt Vernunft an, ich fenne mein 
Blut.“ 

„Auch drängt die Zeit,” ſprach Sigismund, „da 
ich Uebermorgen früh auf einige Zeit verreife.‘ 

„Ohne Sorgen, Her Schwiegerſohn,“ tröſtete 
Vurkhard, „morgen Abend feiern wir die Ver— 
lobung.“ 

„Eingeſchlagen, Herr Förſter!“ rief der Student 
und reichte ſeine Hand hin. 

„Ein Mann ein Wort,“ erwiederte jener ein— 
ſchlagend. 

Sigismund mußte jetzt ſeine Unterhaltung mit 
den Sumpfgeiſtern ausführlich erzählen, von Salomo 
oft unterbrochen. So langte man ziemlich ſpät bei 
der Förſterwohnung an. 


8. 


Der folgende Tag war der ſchrecklichſte in Vale— 
rien's Leben. Schon am Abend zuvor hatte Johan— 


107 


ned fein Bündel gefchnärt und das Förſterhaus ver- 
lafjen. Die Liebenden hatten ſich nochmals Treue 
gefhworen. Wenn die Notb am Höchſten, ift Got— 
tes Hülfe am Nächſten. Dies waren Johannes let- 
ten Worte gewejen, und fie fchütten das Mäpchen 
vor Verzweiflung in den bald folgenden fürdhterlichen 
Stunden. Burkhard hatte nämlich mit dem Frühſten 
jeine Bewerbung für Sigismund bei PValerien be— 
gonnen. Erft in Güte. Er ftellte ihr vor, wie feine 
felige Frau als Mädchen ebenfalls eine Antipathie 
gegen ihn gehabt, weil ihr ein Andrer im Kopfe ge 
jeflen, in ver Ehe habe ſich das gegeben und fie hät- 
ten das glüdlichite Leben geführt. Darauf führte er 
dem Mädchen zu Gemüth, wie weit vorzüglicher es fei, 
eined Gelehrten Frau zu heißen, ald die eines armen 
Sägermannes; er legte ihr an’8 Herz, wie fehr fie 
fein Alter erbeitte, wie er ihr ftet8 dankbar dafür fein 
werde — furz er erjchöpfte feine ganze Ueberredungs⸗ 
funft, aber vergebend. Das Mädchen verhehlte ihren 
Abſcheu gegen den Studenten nicht, hielt denfelben für 
einen Betrüger, der die Schwäche des Vaters miß- 
braude und durch feinen Geifterunfinn eine Macht 
über ihn zu erlangen ſuche. Das könne gar Fein 
gute8 Ende nehmen. 

Burkhard, nachdem er mit Güte nicht? ausgerich- 
tet und den Grund von Valerien's Abneigung al- 
lein in ver Liebe zu dent Johannes erblidte, ging 
nun mit Strenge zu Werke, und es erfolgte eine 
jener empörenben Tamilienfcenen, die. wir auf dem 
Theater und in Romanen oft genug und mit Abjcheu 
vorüberziehen fehen, daß der Leſer damit billig ver- 
jhont bleiben mag. . 

Dalerie, jo weich das Mädchen fonft mar, ſetzte 
dem Toben des verblendeten Vaters eine eiferne Fe⸗ 


108 


ftigfeit entgegen. Wüthend trat dieſer endlich vor fie 
hin. „Eine halbe Stunde Bedenkzeit noch” ſchrie 
er — „dann wähle zwifchen feiner Hand und mei— 
nem Fluche.“ Er rannte "aus der Stube, die er 
hinter ſich verſchloß; Valerie aber ſank faft bewußtlos 
zu Boden. 

Ingrimmig ſtürzte der Förſter in den Hof, um 
freie Luft zu ſchöpfen. Da kam ihm Sigismund 
entgegen: „Es hat ein kleines Tänzchen gegeben,“ 
ſprach er theilnahmsvoll, „ich lauſchte ein Wenig.“ 
Burkhard faßte ihn beim Arm. „Herr Candidat,“ 
rief er, „jetzt müſſen Sie ſie haben oder ich will 
nicht Burkhard heißen. Solch unverſchämter Trotz 
muß gebrochen werden, will doch ſehen, ob des Va—⸗ 
ters Wort noch was gilt oder nicht.“ 

„Ich würde die Sache nicht jo preſſiren,“ ent- 
fhuldigte fi) der Student, „wenn id) nicht Morgen 
verreifen müßte und vwielleiht fobald nicht zurückkehre. 

„Iſt ganz einerlei!“ ſprach Burkhard. „Ich hab’ 
ihr eine halbe Stunde Bedenkzeit gegeben, dann ſoll, 
dann muß ſie gehorchen.“ 

„Theurer Herr Förſter, wie verbunden bin ich 
Euch,“ erwiederte Sigismund, den thätigen Schwie— 
gervater in spe zärtlich umarmend, „die Geiſterwelt 
wird für mich reichlich vergelten. Ich gehe jetzt,“ 
fuhr er fort, „auf mein Zimmer um meine Sachen 
zur morgenden Abreiſe bereit zu halten. Alſo gut 
Glück, Herr Förſter, ſobald es des Bräutigams be— 
darf, bin ic) bet der Hand.” Er kehrte in das Wohn- 
haus zurüd, während Burkhard wie tol im Hofe auf 
und ab lief. 

Kaum war die halbe Stunde worüber, als der 
Schlüſſel fih im Schloffe drehte und der zärtliche Va⸗ 
ter in das Gemach Valerien's trat: „Nun,“ frug er 


109 


halb ingrimmig, halb ironiſch, „hat fit) die Mam— 
fell eines Befjern beſonnen?“ 

Balerie fiel ihn beſchwörend zu Füßen. Er ftieß 
fie von fih. „Eutſcheidung will ich,“ fchrie er, „feine 
Comödie.“ 

Das Mädchen lag todtenähnlich am Boden. 

„Seine Hand oder meinen Fluch,“ rief der halb 
Wahnfinnige mit erhobener Stimme. 

Keine Antwort — 

Da ergriff unbändiger Zorn den Entmenjchten. 
Er hob die Hand auf zum fürditerlihen Schwur und 
lud), feine Augen ftarrten geifterhaft, ſchon öffneten 
fi) die zudenden Lippen — da ertünte Pferbege- 
trampel vor dem Haufe, in demſelben Augenblide 
werd die Thür aufgeriffen, Sigismund ftürzte herein, 
athemlos und todtenbleih. „Vernichtet dieſe Papiere,” 
rief er, „augenblidlih” — er fchleuderte ein Padet 
hinter ven Ofen — „ic werde verfolgt.” Er jprang 
in die Kammer, von mo ein Fenſter nad) dem Hofe 
führte. Landoragoner drangen in's Zinmer. „Er 
ift dort hinaus,” rief der Erſte und ftürzte in bie 
Kammer. Bewaffnete füllten das Zimmer. Alles 
war das Ergebniß weniger Augenblide. - 

Hundegebell erſcholl jet im Hofe — Stimmen 
riefen — und bald fah man den Studenten . unter 
Starker Eskorte bei den -Fenftern vorüber führen. 
Faſt bewußtlos ftarrte Burkhard dem Gefangenen 
nad) und ſchien gar nicht zu bemerken, wie biefer ihm 
mit der Hand zumwinfte, als wolle er ihn an Etwas 
erinnern. Valerie aber war auf die Knie gefunfen 
zum Gebet. Die letzten Worte des Geliebten waren 
ja in Erfüllung gegangen: Wenn die Noth am 
Höchſten, iſt Gottes Hülfe am Nächften. 


% 


110 


8 


Mehre Stunden fpäter fap Burkhard fehr ver: 
ſtimmt auf feiner Stube und Salomo neben ihn, 
der Troſt zuſprach. 

„Ich ſage Euch,“ verſicherte der Förſter, „ſie iſt 
ganz lächerlich, dieſe Arretirung, Herr Sigismund 
braucht zu pfeifen und die Sumpfgeiſter befreien ihn 
mit Eclat. Wir haben's geſtern geſehen. Und was 
ſind das für Kerle, ſo ein elender Landdragoner iſt 
ein Storchſchnabel dagegen. Aber wär' ich nur zugegen 
geweſen, zum Haus hinaus hätt' ich die rothen Krebſe 
geworfen, einen nach den andern. Ich hab' ſo eine 
Pique auf die Kerle. Seit ſie in der Gegend ſtehen, 
kann man keine Pfeife Taback mehr ruhig in der 
Schenke rauchen. Wär' ich nur dageweſen.“ 

„Was er nur mag verbrochen haben, der Sigis⸗ 
mund?“ frug nachdenkend der Förſter. 

„Verbrochen!“ ſprach Salomo, „was ſoll er ver- 
brochen haben? Nichts! weil's ein geſcheuter Menſch 
iſt, der mit den Geiſter Du auf Du ſteht. Das 
wollen die Großen, die es noch nicht ſo weit gebracht, 
nicht leiden. Wahrſcheinlich ſoll er irgend einem 
Großwürdenträger ein Privatiſimum über die Sumpf— 
geiſter halten; aber was huſten wird er ihnen und 
ich verdenk's ihm nicht.“ 

„Es iſt nur Jammerſchade,“ bemerkte der Förſter 
mit Betrübniß, „daß unſere Forſchungen ſo ſchmäh— 
lich unterbrochen: find. Wir waren auf jo gutem 
Lege.” 

„Eine wahre Sünde iſt's,“ fiel Salomo ein. 
„Ih war noch viel weiter, als Ihr, Herr Förfter, 
Ihr hattet blos Sinn für die Sumpfgeijter; das 


111 


Wichtelmännchen entging Euch. Wie hoch konnt' ich's 
bringen. — O dieſe Landdragoner, hätt id) nur 
gleidy einen bei der Hand.‘ 

„Die Dragoner konnten ohne Ordre Nichts,” be- 
lehrte Burkhard — „aber da kommt mir ein guter 
Gedanke.” Er ftand auf, ging hinter den Ofen und 
hob ein Papierpadet auf. „Richtig,“ ſprach er, „pa 
hab’ ich's. Diefes Padet übergab mir Sigismund, 
al® er gedrängt ward von den Dragonern. 

„Wär' ich nur zu Haus geweſen,“ warf Salomo 
fampfmuthig dazwiſchen. 

„Wahrſcheinlich enthält's,“ fuhr der Förſter fort, 
„die Anmweifung, wie wir uns auch ohne ihn mit. 
den Geiſtern zurecht. finden fönnen. Er fagte zwar, 
ich ſollte e8 vernichten, aber doch nicht ohne es zuvor 
zu leſen.“ 

„ft ein herrlicher. Menfch, der Sigismund,” bes 
merfte gerührt Ealomo, „jorgt für alle Fälle im 
Reben.“ 

Burfharb war eben beihäftigt, das Siegel des 
Umſchlags zu löſen, wobei Salomo behülfli war, als 
fid) näherndes Pferdegetrampel die Beiden an's Fen- 
fter 309. 

„Da kommen wieder foldhe verwünjchte YButter- 
frebje die Straße daher,” ſprach Salomo, „könnt' ich 
Euch Siegelladftangen doch an den Leib! 

Geine Rede verftummte aber und fein Geficht 
ward um ein Bedeutendes länger, als die Drago- 
ner am Forſthauſe hielten, und von den Pferden 
ſprangen. 

„Ich will jetzt dem Braunen ein wenig Yutter 
ſtreuen, Herr Förſter, der gute Kerl wird warten.“ 

„Bleib' nur bei mir,“ gebot Burkhard, „bin doch 
begierig, was dieſe Solbaten vorhaben.“ 


112 


Kaum hatte er biefe Worte gefprodhen, als bie 
Thür auffprang und ein Wadhtmeifter mit zwei Ges 
meinen herein trat. 

„sm Namen des Herzogs, Förſter Burkhard, Ihr 
ſeid mein Gefangener!“ 

Burkhard konnte vor Schred fein Wort hervor: 
bringen. 

Als Salomo von Gefangennehmung hörte, ſchlich er 
leife nach der Thür. 

„Paſſirt Niemand,” tönte e8 hier, und ein Dra— 
goner vertrat ihm den Weg. 

„Wollte nur dem lieben Thierchen, dem Braunen, 
ein wenig Hafer ftreuen.‘ 

„Jetzt nicht,“ entſchied der Thürwächter. 

Wie heißt Er?“ wendete ſich der Wachtmeiſter 
zu Salomo. 

„Ich bin ein gutes Thier,“ zähnklapperte dieſer. 

„Wie Er heißt?“ donnerte der Frager. 

Salomo konnte ſich in der Angſt auf feinen eig- 
nen Namen nicht befinnen. Der Wachtmeifter hielt 
dies für Verſtocktheit und ſchnaubte noch ingrimmi- 
“ger: „Soll ih Ihn krumm ſchließen laſſen, Ihn Höl— 
lenelenıenter? Burkhard Hatte ſich unterdeß ſoweit 
erholt, feine8 Burſchen Tauf- und DBaternamen zu 
nennen. | 

„Alſo Salomo Lambert?” ſprach der Anführer. 

„8 ift mir fo,” ſchluchzte Diefer. . 

„So führt ihn ab, auch er iſt Arreſtant, und 
dieſe Papiere hier, über welche wir die Staatsverrä— 
ther betroffen, nehmt ebenfalls mit.“ 

Die Dragoner thaten wie geheißen. 

„Aber himmliſcher Herr Landdragoner,“ jammerte 
Salomo, „edler Menſch, der Sie von Ihrer Mutter 
mit Schmerzen geboren wurden, bei dieſer Ihrer 


113 


edeln, braven Mutter beſchwör' ih Sie, was hab’ 
ih Wegwurf der Menjchheit verbrochen?“ 

„Auf des. Herzogs Befehl!” gab der Soldat furz 
zurüd. 
„Aber wie fann fi unfer Durchlauchtigſter Herr 
Herzog fo tief erniebrigen,” fuhr Salomo fort, „bis 
auf, mid ſchändlichen Kerl fein hohes Auge zu vi. 
ten?” 


Der Dragoner gebot Ruhe. Unterdeß war aud 
Burkhard, dem man blos jo viel Zeit gelafjen, einen 
Mantel überzuwerfen, blaß und zerftört angelangt. 
Die Caravane fette fich in Bewegung. Salomo mußte 
mit fort, wie er ging und ftand. 


10, 


„Beruhige Dih nur, Valli,“ fprach fanft und 
tröftend am folgenden Tage Johannes zur weinenden 
Balerie, „es wird fo ſchlimm nicht werden. Binnen 
wenig Tagen wird fih’8 ergeben, daß Dein Bater 
unſchuldig iſt.“ 

„Nicht einmal ein Abſchiedswort hab' ich ihm 
zurufen können,“ weinte das Mädchen, „ich war bei 
Pachters drüben in, Burgdorf, als das Unglück ge— 
ſch ah.“ 

„Ich erfuhr's zum Glück noch geſtern Abend,“ 
erzählte Johannes, „Du kannſt Dir meinen Schred 
venfen um Dich, aber zugleih fprady eine Stimme 
im Innern, daß und diefer Sturm Glück bringen 


werde.“ 


„Mir ahnet Schreckliches,“ erwiederte in hoffe 
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 8 


114 


nungslofem Zone DBalerie, „ven alten armen Mann 
durch Landdragoner aufgreifen zu Iaffen, als fei er 
Räuber und Mörder!” 

„Vielleicht, daß er jest von feiner unfeligen 
Geifterverblendung geheilt und binfichtlih des Gigis- 
mund eines Beſſern belehrt wird,” fprady ver Jüng- 
ing, „Penn daß man diefen wegen jeiner Hofus- 
pofusmachereien arretirt haben wird, glaube ich nicht, 
er hat, fih gewiß Schlimmres zu Schulden kommen 
laſſen.“. 

Jetzt klopfte es an die Thür und Valentin's Kopf 


ward ſichtbar. „Das Haus rein?” frug er im ko⸗ 


miſchen Tone, „der Nebukadnezar auf und davon? 
Ja, die Landdragoner ſind treffliche Geiſterbanner.“ 

Er kam näher, als aber fein Scherz unbeantwor⸗ 
tet blieb und er die verweinten Augen Valerien's ge— 
wahrte, rief er: „Alle Wetter, was ift das? Dum— 
med Zeug, fein gefhent und froh, daß ihr den 
Schluder 108 ſeid. Dem Alten wird hoffentlich nun 
das Blatt gefchoffen fein? Wo ift er denn?” 

Schannes erzählte jest Burkhard's und Salo— 
mo's Oefangennehmung. 

„Die Möglichkeit!” rief Balentin erfchroden. 
„Davon weiß ich fein Wort, blos die von Nebufad= 
nezar. Nun, das ift eine charmante Gefchichte, Der 
Kerl fitt wegen Landesverrätherei.“ 

„Mm Gotteswillen!“ ſchrie Valerie. 

Johannes winkte dem Borlauten, diefer ließ fich 
aber nicht flören und fuhr fort: „Wollte den Durdy- 
lauchtigften Herzog vom Throne ftoßen, und fid) bar- 
auf fegen, der Burkhard follte wahrſcheinlich Ober- 
landjägermeifter werben, aber Salomo, id) bitt! Euch 
Salomo, ver Schaafskopf —“ 

„Burkhard's Arretirung beruht auf einem bloßen 


115 


Irrthum,“ unterbrach Johannes, — „in wenig Ta— 
gen haben wir ihn wieder.” 

„Glaub's auch,“ ſprach nad) einer Paufe Valen⸗ 
tin, „da Schaafskopf Salomo dabei iſt; konnt' auch 
mit feinem Poſten zufrieden ſein, die Landjägerei 
wär' ſo nichts für ihn — aber zu den Liberalen, den 
Krawallern gehört er immer.“ 

Johannes beſtritt Dies, 

Als Valerie ſich gar nicht beruhigen wollte, ge— 
rieth endlich Valentin auf die kühne Idee, ſelbſt nach 
der Stadt zu gehen, und für Burkhard und Salomo 
zu wirken. „Ich fie mich Hinter dem Läufer Lim⸗ 
burger,» fprach er, „ver ift mir zugethan und bes 
Herzogs rechte Hand.” 

Balerie befhwor ihn, zu eilen und Johannes 
lobte den Entſchluß. 

„Den Läufer hat mir Gott eingegeben,” rief der 
Helfer in der Noth, nach ſeiner Mütze greifend. „Ich 
ſpring' nur einen Gang nach Hauſe. Dann gleich 
nach der Stadt.“ 

Bon ven Segenswünſchen Valerien's begleitet 
machte fih Valentin eiligft auf ven Weg. 


11. 


Der Inquifitionsrichter war in dem Verhör mit 
Salomo bi8 zu der Nacht vor der Arretirung gefom- 
men. „Ich wiederhole Euch nochmals," ſprach er, 
„daß Ihr duch Euer confußes Geſchwätz die Sadıe 
nur verſchlimmert. Antwortet mir einfach auf meine 
Fragen und der Wahrheit getreu. er waret am 


116 


- Dienjtag Abend zwifchen neun und zehn Uhr in Be— 
gleitung des Förſters Burkhard und des Studenten 
Sigismund im Friedewalde, zu weldem Zwecke?“ 

Salomo: „Herr Sigismund wollte das Wichtel- 
männchen operiren, geftvenger Herr Judex.“ 

Der Richter: (mit Nachdruck) „Wir wiſſen's bef- 
fer, Ihr habt eine geheime Unterredung gehabt.‘ 

Salomv: „Nein, reden konnt's gar nicht, ed war 
ja noch nicht operirt, aber genießt hat's.” 

Der Richter: (ftrenge) „Werdet Ihr leugnen, 
daß eine Unterrevung ftattfand, oder fol ich Zeugen 
rufen?“ | 

Saloıno, der aus dem ftrengen Zone ſchloß, daß 
fein Berbreden in der Unterredung mit Wichtelmänn- 
hen beftehe, fiel jest ein fchwerer Stein vom Her: 
zen. „Ih will's nur geſtehen,“ ſprach er, „geitven=- 
ger Herr Juder, weiß Gott, ich will nicht geſund 
bier ftehen, der Schlag fol mid) treffen, wenn id) 
das Ding je gefehen over gehört habe, fo wenig wie 
der Herr Förſter. Ich that nur fo, Herrn Sigismund zu 
Gefallen.” Zugleich fiel ihm ein, daß aud die Un— 
terredung mit den Sumpfgeiftern gemeint fein könne, 
Hier fühlte er fi eben fo unſchuldig. „Herr Sigis- 
mund,” beicdhtete er, „hat lange mit ihnen discurirt, 
aber weder ich noch der Herr Förfter, auch ftanven 
wir fern und verftanden Nichts, fo geſpitzt wir 
Laufchten.” 

Nah mehren Kreuz: und Duerfragen, die ber 
Inquiſit alle auf feine Weife beantwortete, fchloß der 
Richter diesmal das Verhör, indem er für ſich fprad): 
„Der Menſch ftellt fi wahrfcheinlih einfältig auf 
den Rath anderer, denn von Natur kann man un- 
möglich jo verwahrloft fein.“ 

Salomo ward in's Gefängniß zurüd ‚gebradht. 


117 





Hier angefonmen, fprah er zum Beau 2 er: 
„Kun wird die Gefchichte bald zu Ende fet 0 ich 
dem Herrn Juder erzählt, daß weder ich noch ber 
Herr Förſter mit Wichtelmännchen und den Sumpf- 
geiftern discurirt.“ 

„Hoh, hoh,“ lachte der Schließer, „mit Demago- 
gen geht's nicht fo ſchnell.“ 

„Mit Demagogen? Was ift das für Bolt?’ 

„Staatöverräther, murmelte jener. 

„Staatsräthe!? Das wär’ eine glänzende Carriere.“ 

„sa, ſpott' Er nur, e8 wird Ihm vergehn, wenn's 
heißt: Kopf ab.” 

„Kopf ab? Was denn, wie denn?” 

Der Gefängnißwärter würdigte ihm feiner Ant- 
wort, ging hinab und ſchob den Riegel vor die Thür. 

„Kopf ab? Herr Oefangenwärter, wie hat man 
denn dag zu verſtehen?“ 

Keine Antwort. 

„Hochzuverehrender Herr Gefangenwärter!“ ſchrie 
Salomo in ſteigender Unruhe. 

Todtenſtille. 

Salomo hatte jetzt Muße, über den bedenklichen 
Ausdruck ſich den ſeltſamſten Grillen hinzugeben. 


12. 


Nach zwei Tagen kehrte Valentin mit höchſt be⸗ 
denklichem Geſicht von feiner Expedition aus der Re- 
fitenz zurüd. Johannes, der ihn von fern erblidt 
hatte, war ihm enlgegengeeilt. 

„Liebwertheſter Johannes,“ rief der Wandrer 


118 


ſchon Dei ‚ „mit unferm Burkhard ſammt dem 
enge e Sachen verteufelt ſchlimm.“ 


„Ich ſag' Euch, verteufelt ſchlimm, der Verrath 
liegt am Tage.“ 

„Nicht möglich!“ 

„Der Taufer zieht feine Hand ab, der Herzog mag 
nichts wiſſen.“ 

„Erklärt Euch, ich beſchwöre!“ 

„Werden wohl Beide d'ran glauben müſſen — 
der Student wird unfehlbar gerädert.“ 

Johannes lächelte ungläubig. 

„Haben in ber Dienſttagsnacht große Verſamm— 
Lung gehalten mit ben Nebelen im Friedewalde, ber 
Flurſgu⸗ hat fie belauſcht und verrathen. J 

Was ſagt Ihr?“ 

‚Haben Jeber die brei Finger ber linken Hand 
emporgeftredt und gefehworen, die Durchlauchtigſte her- 
zogliche Familie und das Geſammtminiſterium kalt zu 
machen.“ 

„Wer hat Euch das Mährchen aufgebunden, Herr 
Valentin?“ 

„Macht mich nicht toll mit Eurer Verſtocktheit, 
oder ich werde grob. Die Gerichte haben es ſchwarz 
auf weiß. Der Wachtmeiſter hat bei der Arretirung 
den Burkhard und Salomo die hochverrätheriſchen 
Papiere ſelbſt aus den Händen geriſſen, dieſe haben 
Alles verrathen. Geſtern ſind die Beiden bereits in 
Ketten und Banden gelegt und für Niemand mehr zu 
ſprechen.“ 

Jetzt ward Johannes ſehr ernſthaft. 

„Was die Sache noch verſchlimmert,“ fuhr Va— 
lentin fort, „iſt, daß man mit Demagogen jetzt nicht 


119 


mehr fadelt. Der Herzog jagt fih los. Man ſpricht 
ven Standgeriht und rafcher Execution.” | 

„Un Himmelswillen,” beſchwor Johannes, „daß 
Valerie Nichts von Eurer Nachricht erfährt, e3 würde 
fie tödten.“ 

„Dazu kommt, ſprach jener, „daß der Erbprinz 
zuräd ijt, der führt die Sache und will durchaus ein 
Exempel ftatuiren.” 

„Wie!“ rief Johannes mit Heftigfeit, „ver Exrb- 
prinz fügt Ihr?” 

„ft zurüd von feiner Tour durch Europa und 
wird wenig Federleſens machen.” 

„Prinz Ferdinand!“ wiederholte der Yüngling und 
fhüttelte Valentin mit beiden Armen. 

„Was ift da zu fhätteln, glaubt Ihr's wieder 
niht? Ich habe die Equipagen felbft gejehen.” 

„Gott fei Dank,” jubelte Yohannes, ven Bot- 
ſchafter ftürmifh umarmend. „Vest ſchwört mir, Va— 
lerien Nichts zu entveden: ich eile fogleich felbft nad 
der Stadt.” 

„Steht ab von mir,” ſchrie ängftlih Valentin, 
„Ihr erdroffelt mih,” und für ſich fprady er: „das 
fehlt noch zu unferm Unglüd, daß ed mit dem zu 
rappeln beginnt.” Johannes aber ergriff feinen Arm 
und zog den erjchrodenen Valentin jchleunigft nach 
dem Forfthaufe, ”. 


13. 


Bereitd am Bormittage des näcften Tages ſah 
man einen fehlanfen, fchmuden Jägersmann befchei= 


120 


den in einer Ecke bes Vorzimmers zum Audienzge- 
mach des Erbprinzen Ferdinand ſtehen und beſcheiden 
warien, bis die Reihe unter den zahlreichen Suppli⸗ 
canten an ihn kommen würde. Win Gecretair bes 
Prinzen, dem die ftattliche Geftalt auffiel, trat zu 
ibm und fragte nad dem Namen. 

„Diele Zeichen hier,“ ſprach Johannes, einen 
Brillantring überreichend, „wird mich bei Seiner Ho— 
heit legitimiren.“ 

Der GSecretair betrachtete die funkelnden Diaman- 
ten, ward zuvorlommend und verſprach, fo buld als 
möglich das Kleinod zu übergeben. 

Es währte nicht lange‘ Zeit, warb Johannes in 
das Audienzzimmer geführt. Ein hoher fhöner Mann 
in ben breißiger Fahren fam ihm entgegen. „Bill- 
fommen, Johannes, “ſprach er huldreich, „nun, wie 
tituliet man Euch jetzt?“ 

‚„Alfütent beim Förfter Burkhard,” erwieberte ter 
Gefragte unbefangen. 

„Wie?“ frug der Prinz verwundert, „noch nicht 
im eignen Brote, ich hinterließ Auftrag deshalb dem 
Oberforftmeifter.” | 

„Es gab noch Aeltere und Verdientere,“ entſchul— 
bigte der Jüngling, „nur ein Jahr noch follte ich 
warten.” 

„Gut,“ ſprach abbrechen der junge Yürft, „ſo 
werd' ich forgen. Aber meinen Ning will id auslö- 
fen; habt Ihr Euch auf eine Auslöfung beſonnen?“ 

„Ein Wort von Ew. Hoheit,” ſprach warm Jo— 
hannes, „und ich bin zufrieden.‘ 

„Das wäre?" 

„Sin Wort der Fürfprade für den verhafteten 
Förſter Burkhard und feines Burſchen Salomo.“ 

„Beſinnt Euch auf eine andere Auslöſung,“ ent= 


- 


121 x 

£ a a ER 

ſchied finfter ver, Iuz Ferdinand; „dag — 
ne ch ——— noch beſondere Strenge 





anempfohlen.“ 

„Wenn ich die Beiden,” ſprach Johannes beſchei— 
den, ohne ſich einfhüchtern zu laflen, „bes beſchuldig⸗ 
ten Verbrechens für ſchuldig hielt, würde id mir eine 
folhe Bitte nicht erlauben, aber fie find unfchulvig, 
Ew. Hoheit — unſchuldig,“ fügte er mit fehöner 
Wärme hinzu. Er erzählte hierauf offen und kurz 
Burkhard's Verhältniß zu Sigismund. Ueber bes 
Prinzen Gefiht floh hierbei einigemal ein leichtes 
Lächeln. 

„Es ſollte mich freuen,“ begann Letzterer, „wenn 
ſich die Sache ſo verhielte, ich werde mich erkundigen 
und im günſtigen Falle meine Hand nicht abziehen.” 
- „Der Himmel fegne Ew. Hoheit!” rief Jo— 
hannes. 

„Ich werde Euch rufen laſſen, fo wie ich Ge— 
wißheit habe,” verhieß huldvoll der Erbprinz, und 
überglüdlich verließ ber Eupplicant das Audienz⸗ 
zimmer. 

„Was hat denn das für eine Bewandtniß mit dem 
jungen Jäger, den der Prinz fo in Affection genom— 
men?“ frug leife ein Miniſterialſecretair den neben 
ihm ſtehenden Kammerherrn. 

„Schreibt ſich noch aus letztem Feldzuge her,“ 
flüfterte diefer zurüd. „Der Prinz war umringt von 
feindlichen Neitern, feine Gefangennehmung oder Tod 
ſchien unvermeidlich, da hat ihn Diefer junge Mann, 
der als freiwilliger Jäger diente, mit Löwenmuthe 
glüdlih herausgehauen. Der Öerettete, ber ſtets 
fürftlih zu belohnen pflegt, zog feinen eignen Bril⸗ 
lantring vom Finger und gab ihm dem Jäger mit 
dem Verſprechen, ihn zu gelegener Zeit einzulöfen. 


122 


* ne Zeit fcheint ie: emmen; kaum iſt 

* — erſcheint © —— De Pfandgläubiger 

und werd. fic) wahrfcheinlich ein artig Sümmchen oder 
fettes Aemichen als Auslöſung bedungen haben.“ 












14. 


„Nein, was ſich die Welt erdenkt,“ lamentirte 
Salomo in ſeinem Gefängniß, „ich, dem es jederzeit 
leid gethan, wenn ich ſollte einem ſchwatzhaften Spatze 
den Kopf breit drücken, ſoll unſern Durchlauchtigſten 
verehrungswürdigen Herrn Herzog an ſeinen hochhei⸗ 
ligen, gebenedeieten und geſalbten Corpus gewollt 
haben! Und damit ich nicht davon laufe, ſteck' ich 
in Ketten über und über. O du verklärte, im himm— 
lifchen Teuer ſtrahlende Mutter im Himmel oben, 
das hätteft du die wohl dein Leben lang nicht träu- 
men laffen, daß dein Salchen es fo weit bringen 
würde auf irdiſchem Dornpfade. Eigentlih haben 
bie refpectabelften Leute ſchon bei den Griechen und 
Römern, Grafen und Herren, in Ketten und Banden 
gelegen und nicht gemault, weil ihre Unſchuld doch 
Har werden mußte mit der Zeit.’ 

Salomo fand in diefem Gedanken große Beruhi— 
gung. Nach einiger Zeit fuhr er fort: „Was id) 
von den Herren Geiftern denken fol, weiß ich nicht, 
ih fi’ in Trübſal und feiner greift zu. Bis Mor: 
gen ſeh' ich's mit an, läßt man mid, fteden, find 
wir geſchieden, ich kündige und bleib’ für mid.“ 

„Die Geifter,” ſprach er nach einigem Nachden⸗ 
ten, „find mir überhaupt Nebenvinge, feit ich Des 
magoge bin. Iſt doch merkwürdig, bin Demagoge 


123 


und hab's mein Leben lang nicht gewußt. Wie man 
die Kerle nur erfennen kann?’ 

Der Wärter brachte Die Gefangentoft, Saloımo 
erkundigte ſich nach den Demagogen. 

„Sind Tauchenichtſe, die das Oberſte zu Unterſt 
kehren wollen.“ 

„Das Oberſte zu Unterſt?“ frug Salomo, „da 
ſteigt ja das Blut zu Kopfe.“ 

„Man ˖ wird ihnen aber ebenfalls das rag zu 
- Unterft ehren.” * 

„Ihnen? Da ſteck id wohl auch dv | 

„Habt Ihr noch Biel auf diefer Welt * ehe 
len?” erfundigte ſich jener. 

Salomo, der Dies für vertrauliche Zheilnahme 
des Wärters an ſeinen häuslichen Geſchäften hielt, 
erwiederte ſchnell: „Außerordentlich Viel, lieber Herr 
Gefängnißwärter, der halbe Garten bei Burkhard's 
ſteht noch ungeraupt, wenn der Fritz nicht dazu thut, 
kriechen die Beſtien aus und Alles geht d'runter und 
d'rüber. 

„So beſtellt Euer Haus,“ gab jener guten Rath. 

„Augenblicklich, wenn Ihr mich gütigſt loskup⸗ 
peln wollt; hab’ einen ſcharfen Blick und bin gebor- . 
ner Rauper.” 

„Schon nad einem Paftor umgethan?‘ eraminirte 
jener. 

„Du lieber Gott,” feufzte Salomo, „denke jett 
nicht an's Heirathen.“ 

„Dummkopf, einen Paſtor, der Euch für's Him— 
melreich zurecht macht.“ 

„Das hat noch Zeit,“ tröſtete Salomo, „mein Vater 
ſelig ward fünfundſiebzig, der Großvater achtzig, ich 
ſtehe in der Blüthe.“ 

Als der Wärter noch Mehres fragte, daß der 





124 


Gefangene in feinem Einne beantwortete und auf die 
letztern Fragen diefem unverftänplihe Antworten "gab, 
that Salomo wieber gelehrt und ſprach: „Herr Ge- 
fangenwärter, Ihr ſeid eine Phthia, die felbft vie 
Griechen und Römer confus machte, wenn fie nicht 
benebelt war.” 
Die Pythia rüdte nun mit der Sprache heraus, 
ward. Klaxer und fahlicher, Salomo's Gefiht aber län- 
üb: MB Hacıe ftiegen allmälig bei überhandneh⸗ 
nödt perpendikulär empor. " 
AMei hafte Sefangenwärter verließ den Gefol⸗ 
tertent: gerabi da, als diefem alle Schuppen gefallen 
waren und bie verzweifelndſte Gewißheit fich feiner 
bemächtigt hatte,“ Die hereinbrechende Nacht war die 
- graufenhaftefte in dem friedlichen Leben unſers Salomo. 






15, 


‘Der prinzlihe Einfluß warb in dem Gange ber 
Unterfuhung ‚gegen Burkhard und Salomo bald be- 
merfbar. Der junge Fürſt hatte fi) jelbft bie Akten 
fommen laffen und aus ihnen, jo wie aus anderwei- 
tigen Erkundigungen erfehen, daß die Sache wirklich 
fo ftand, wie fie Johannes erzählt hatte. Ohne den 
Gerichten vorzugreifen, konnten bie beiden des Hoch— 
verraths Beſchuldigten freilich nicht ſogleich auf freien 
Fuß gefeßt werden und mußten nod) mehre Wochen 
im Gewahrſam verharren, doch nahm man ihnen bie 
Ketten ab, fie erhielten ein freundliches Verhafts— 
lokal und Zohannes, Balerie, Balentin und andere 
Bekannte die Erlaubniß, die Gefangenen zu befuchen 
und auf baldige Erlöfung zu vertröften. 


125 


Hier num gelang es Johannes und andern Be- 
freundeten, auf dem Wege ver Haren, faßlichen Be- 
lehrung den nicht ſowohl Geifterbefeffenen als 
vielmehr auf Geifterverfejfenen von feinem Wahne 
vollfommen zu heilen. Salomo war fhon früher be= 
tehrt, da ihn Wichtelmänndhen und Conforten fehmäh- 
lichſt im Stiche gelafien haften. So gingen Beide 
geprüft und erleuchtet aus dem Gefängnifje hervor, 
das für fie zu einer wohlthätigen Educationsanftalt 
geworden war.” 

Das fegensreihe Wirken des Prinzen Ferdinand 
. gab fih aber bald noch auf andere Weife fund. 
Sohannes erhielt die Ernennung als Dberförfter über 
fümmtlihe dem Exbprinzen zugehörfge Waldungen. 
Burkhard ward penſionirt mit Beibehaltung ſeines 
Gehaltes und einer ſehr freundlichen Auszugswoh— 
nung unweit des Förſterhauſes feines künftigen Schwie- 
gerfohnes Johannes. An feine zeitherige Stelle rüdte 
Freund Balentin und verbefierte fih um Vieles. 
Desgleihen ward Salomo bedacht und bei Johannes 
oortheilhaft placirt. 

Unfreunpdlicher geftaftete fih freilich das Schickſal 
des Studenten Sigismund, weldhen das Gericht zu 
mehrjähriger Gefangenſchaft und als Ausländer zur 
Landesverweiſung nach verbüßter Strafzeit verurtheilte. 
Indeß verhoffte man von der Gnade des Herzogs in 
Betracht der großen Jugend des Verurtheilten, an⸗ 
ſehnliche Milderung. Was die Landesverweiſung an- 
belangt, meinte lächelnd Johannes, als er das Urs 
theil erfuhr, ſo kann ſich dieſe Herr Sigismund ge— 
fallen laſſen. Die Grenzen des Großherzogthums 
waren nämlich von den Geographen faſt mit zu 
großer Beſcheidenheit gezogen. 

Binnen Jahr und Tag feierten Johannes und 


126 


Balerie ihre Hochzeit im neuen Förſterhauſe. Der 
Erbprinz hatte für ein brillantes Hochzeitgeſchenk ge- 
forgt. As man eben fröhlich zu Tiſche ſaß, kam er 
felbft auf ein paar Augenblide vom Schloffe herüber, 
gratulixte dem Brautpaare, und dem alten Burkhard 
auf die Schulter klopfend, frug er: „Nicht wahr, 
Herr Förfter, bier unter den fröhlichen Leutchen iſt's 
doch beſſer, als unter den heillofen Geiftern, von 
tem Ihr nicht einmal Etwas fahet?” _ 

Der alte Mann war von der unerwarteten Ehre 
jo überrafht, daß er Feine Worte. finden fonnte; 
Salomo aber, der bereitS etwas weinfröhlid ihm 
ſchiefüber ſaß, „fonnte die himmlische Gelegenheit, 
feine Gelehrſamkeit und fein Genie in die vortheils 
„ baftefte Beleuchtung zu ftellen, unmöglih unbenugt 
” vorüber laffen. Trotz Johannes Zuwinken, der für 
Salomo's Weinlaune fürdtete, erhob biefer fein 
Glas: „Schon die Griehen und Römer,” begann er 
„heiratheten fih nie ohne gereimte Anzüglichkeiten. 
Hierauf declamirte er: 

„Wichtelmännchen, Demagogen, 
Niren, die uns oft betrogen, 
Samiel, ber ſchwarze Meiſter, 
Und zumal die Sumpfgeiſter — 


Alle, Alle pereant 
Vivat unſer Ferdinand!“ 


Lachend dankte der Prinz und kehrte ſehr heiter 
von den Segenswünſchen der glücklichen Familie und 
Hochzeitgäſte begleite, zum Schloſſe zurück. Die 
Fröhlichkeit im Hochzeithauſe währte bis tief in die 
Nacht, und viele glückliche Jahre folgten dem glück— 
lichen Tage. 


a 


Der Dreikönigsabend. 


— —— — — 


Phantaſieſtück. 


Dis Hütten war ganz verfchneit, im Innern aber 
warm und gemüthlih. Im vehnſluhi ſaß ein alter 
Mann mit weißem Haar, die Hände andächtig ge— 
faltet. Die Mutter las in der Bibel das Kapitel 
vom verlorenen Sohn. 

„Den Allmächtigen Preis und Dank,“ ſprach der 
Alte, als die Vorleferin geenvdet, „wir haben um 
feinen verlornen Sohn zu trauern, von Dreien Keis 
nen verloren. Noch heute werden wir fie wieder ſe— 
ben. Sie haben Alle gefchrieben und verfprocen, 
heute zum heiligen Dreifönigsfefte, als dem Jahres: 
tage, wo fie von uns ſchieden, wiederzufehren. Sie 
find Alle fromm und gut geblieben, uns und fih in 
berzliher Liebe zugethan. Nur eine Verjchievenheit 
ijt mir aufgefallen. Das ift die Art, in welcher vie 
drei Briefe gejchrieben find, worin fie ihre Ankunft 
vermelden. Der Xeltefte, ver Arnolpb, fchreibt auf 
feines, geglätteted Papier, die Züge find fauber aber 
nachläſſig vornehm, der Styl kurz, huldvoll mit fran- 
zöſiſchem Anfang und Schluß. Auf dem Siegel be- 
merfe ich den zierlihen Abdruck eines Petichaftringes. 
Das Gegentheil von Arnolph's Brief ift der des 
Hugo. Hier ift feine conventionele Form beobach⸗ 
tet. Er hat fih nicht einmal eines gewöhnlichen 
Briefbogens bedient, das Blatt ſcheint 9 auß einem 

Stolle, fämmt!. Söriften. XXIII. 


130 


Buche geriffen. Der Styl wimmelt von excentrifchen 
Erclamationen, Gedankenſtrichen und Ausrufungszei= 
hen, ift abgeriffen und die Ideen rollen wild durch— 
einander. Seine Liebe zu uns lodert in hellen Flam— 
men. Der fonft jo ftille, fromme Knabe muß ein 
wilder, aufbraufender Yüngling geworden fein. — 
Am Beten hat mir Bernhards Brief gefallen. 
Hier ift nichts Excentriſches, nichts Tormelles. Ein 
harmonifh ausgebildeter, männlicher, fefter Charac- 
tee, glühend für das Edle, aber zugleich befonnen 
und mild, giebt fi in jeder Periode fund. Doch 
wie dem auch jei, ſchloß der greife Vater, fie find 
mir alle Drei glei willlonmen, wie fie dieſem 
Herzen gleich nahe ftehen. Mutter, mache den Chrift- 
baum zurecht, auf daß ich meinen Söhnen bejcheere, 
wie ih es einft gethan, und ift aud) die heilige 
Weihnacht worüber, des Vaters Gabe und Segen fom- 
men nie zu ſpät.“ 

Kaum hatte ver Greis dieſe Worte geendet, als 
man eimen Reiter beranfprengen hörte, und gleid) 
darauf trat ein Offizier der Garde des Königs mit 
hohem Anftande in das nievere Gemach. Seine Uni— 
form war prachtvoll und feine Manieren verriethen 
den erfahrenen Weltmann. Arnolph umarmte Ba- 
ter und Mutter. Man jah es, wie er fi ale Mühe 
gab, fo herzlich als möglich zu erfeheinen, aber ein 
unbefanntes Etwas ließ erfennen, wie fih der An- 
fümmling bei der bürftigen Einrichtung der ‚Eltern 
unbequem berührt fühlte. 

Nun follte er erzählen, wie e8 ihm ergangen, 
wie e8 ihm gelungen, fih fo hoch emporzufhwingen? . 
Aber Arnolph ging hierauf nicht ein und antiwor- 
tete etwas vornehm aber freundlih: „Ach, Liebe El— 
tern, Ihr würdet e8 doch nicht faſſen.“ 


131 


Nun folte er erzählen, wie e8 draußen in der 
Welt ausfähe? 

Wieder waren feine Worte, „ad, liebe Eltern, 
Ihr würdet e8 doch nicht fallen.” 

„Ob er denn Niht8 von dem Hugo vernommen ?“. 

Bei dem Namen Hugo aber ergoß ſich eine 
dunkle Röthe über Arnolph's Geficht. 

„Nennt mir diefen Namen nicht,” rief er, faum 
feines Zornes Meifter, „nennt mir nicht ven Namen 
eines Vagabonden, ver feiner hirnverrückten Ideen 
wegen gleich einer giftigen Natter geflohen oder beffer 
vertilgt werben muß.“ | 

„Unſer Sohn!?“ ſchrien entfettt die beiden Alten. 

„Leider, daß er's ift,“ ſprach düſter der Offizier, 
„ zich nenne ihn ſchon längft nicht mehr Bruder 
u ffe, Ihr thut deögleichen und vergeßt, daß er 
Euer” Sohn ift.“ 

„Hat er gemordet oder geraubt?” ſtammelte mit 
bebenden Lippen der reis, während die Mutter laut 
zu ſchluchzen begann. 

„Mehr als dies,” donnerte Arnolph. 

„Bollende, Unglücksbote,“ vief der unglüdliche 
Bater, „was ift mit unſerm Sohne?“ 

Der Gardeoffizier ſchwieg eine Weile wie im 
Nachdenken verfunfen, dann fuhr er fort: „Wozu bie 
Geheimnißkrämerei — ja Euer Sohn ift einer-von 
jener verruchten Rotte, Die das ganze Unglüd ber 
legten Jahre auf ihrem Gewiſſen hat, vie bereits 
vor vierzig Jahren das ſchöne Frankreich vergiftete, 
geheiligte Throne ftürzte und frevelhafte Hand an 
gejalbte ‚Häupter legte. — Euer Sohn ift ein 





Da fprang die Thür auf und herein trat Hugo 
in bürftiger, faft bettelhafter Kleidung, bleichen An⸗ 
| 9% 


132 


gefihts, aber mit Augen, die von ungewöhnlichen 
Teuer glänzten. Er ftürzte jogleih dem. Vater und 
dann der Mutter zu Füßen und bevedte ihre Hände 
mit Küffen und Thränen. Dann ftand er auf und 
widelte eine Rolle Gold aus feinen Lumpen. 

„Da, rief er, „nehmt hin, meine Eltern und 
verjüßt Euch ein paar Tage, 2% man fie mit dem 
armfeligen Metall verfüßen fan. Nehmt und ge- 
braucht, es ift ehrlich verdient und fein Geufzer, 
feine Thräne der Armuth, fein Blut der Unfchuld, 
“kein Fluch ruht darauf! Aber,” fuhr er fort, indem 
‚er die Aermlichkeit der Hütte flüchtig überflog und 
die Zornader auf feiner Stimm fihtbar ſchwoll, „ist 
es nicht eine Sünde, daß dieſe ehrlichen Leute, die 
ihr ganzed langes Leben der Tugend und Abbeit 
weihten, fich jo kümmerlich behelfen müfjen, w 
mancher müſſige Schurke feine fetten Glieder wo 
auf weiche, goldgewirkte Bolfter ſtreckt? 

‚Aber‘ e8 foll anders werben!" fette er nad, ei- 
ner Pauſe ingrimmig Hinzu, „Krieg ven Paläſten, 
Frieden den Hütten!” Seine Blicke ftreiften wild 
umber und trafen auf den Gardeoffizier, der ihn 
alsbald erfannt und ſich mit Abſcheu abgemandt hatte. 

„Wie, was jeh’ ih!” rief ver Phantaft im höch— 
ften Zorne, „mein Bruder im Solde der Tyrannen! 
Seht, meine greife Eltern, dieſe rothe Kleidung,” er 
zeigte auf bie rothe Uniform des Bruders, „ſo klei— 
den die Tyrannen ihre Söldner, damit man das 
Dlut der gemorbeten Unſchuld nicht ſehe.“ Noch ein 
Strom wilder Erclamationen erfolgte. 

Da. konnte fih Arnolph nicht länger halten. 
Er trat hervor und fprad mit fchredlichet Kälte: 
„Danke es der Stätte, Verruchter, wo Du ftehft, 





8 


— 


- 133 


daß nicht mein gutes Piftol die Welt von einem Un- 
geheuer befreit.“ 

„Jeſus Maria!” fchrie die Mutter, ver Greis 
aber erhob fi mit feinen legten Kräften, bob die 
Hände drohend empor. 

„Ungerathene Söhne,” rief ex, „joll ih ven Tag 
verfluchen, ter Euch geboren! —“ 

Da that. fid) die Thür abermals auf und herein 
trat ein ſchlicht gekleideter, Fräftiger Dann mit ge— 
f&heiteltem braunen Haar und edeln Zügen. 

„Fluchet nicht, Vater, den Berirrten,” fprad er. 
fanft mit wohllautendem Organ; zu den Brüdern 
aber wendete fih Bernhard: 

„Iſt das die Ehrfurcht, die Ihr dem Baterhaufe, 
bem Tempel Eurer Kindheit ſchuldig fein? Wollt Ihr 
bie Ywietracht, die die Welt entzweit, bis in bieje 
file Hütte, in dieſes heilige Ajyl tragen? —“ 

„u bift aud einer von jenem’ halbfchierigen Ge— 
ſchlecht,“ rief Hugo, „das weder kalt nod warm ift, 
den Mantel nad dem Winde hängt und Niemandem 
Feind fein will, fondern ſich gleißnerifch, ſchlangen⸗ 
artig zwiſchen den Parteien hindurchwindet.“ 

„Euer beider Feind bin ich,“ ſprach Bernhard 
ernſt. „Beider Meinung werde ich bekämpfen mit 
dem beſten Blute, denn fie iſt es, welche alles Un- 
heil in der Welt erzeugt; aber das hält mich nicht 
ab, Euch als Brüder brüderlich die Hand zu reichen 
im Hauſe der Kindheit und des Vaters. Vergeßt 
wenigſtens für heute Euern politiſchen Glauben, die 
kindliche Liebe ſteht über ihn. Wenn Ihr wieder 
draußen in ber Welt, breche die Flamme des Hafſes 
wieder hervor, die doch nicht eher zu lodern aufhört, 
als bis fie gänzlich erlofchen.” 

Bernhard ſprach noch lange in mildem, verſöh⸗ 


134 


nendem Tone. Er redete fo rührend zu ihnen, in- 
dem er bie Tage der Kindheit, den legten Abend vor 
zehn Jahren in ihrem Gedächtniſſe mit freundlichen 
Farben auffriſchte, daß wenigftend vor ber Hand bie 
feindlichen Brüder Waffenftillftand fchloffen. 

Die Züge des Greifes erheiterten ſich fichtbar, 
doch ſchied die Wehmuth nicht ganz aus ihnen; er 
gebot aber den Chriftbaum anzuzünden, denn es be- 
gann bunfel zu werben. 

Die Lichtlein flammten wie vor zehn Jahren. 
Damals aber ftanden die drei Brüder als Inabenhafte 
" Zünglinge vor dem Chriftbaume. Einer hätte das 
Leben für ben Andern gelaffen. Heute waren es Ge⸗ 
falten in jugendlicher kräftiger Männerjchönheit, wo- 
bon zwei fi bis zum Tode haften und Beide ge: 
meinſchaftlich wieder den Dritten. Und gleichwohl 
waren im Grundcharakter alle Drei dieſelben geblie— 
ben, alle Drei wollten das Beſſere, aber die Pfade, 
auf denen fie wanbelten, Tiefen fich ſcharf entgegen. 

Die drei Brüder repräfentirten mit ihren Mei: 
nungen die drei Hauptparteien, weldhe die Welt thei- 
len. Die beiden Prinzipe, ver Abfolutismus und 
die Revolution trafen auch in der niedern Hütte 
feindih auf einander, bis es dem wahrhaften 
Liberalismus gelang, als verſöhnendes Medium 
dazwiſchen zu treten. 

Jetzt holte der Vater aus einem alten Schranke 
bie Chriftgejchenfe. 

„Drei Dinge,“ ſprach er, „hab' id) für Euch auf- 
bewahrt zur Feier des heutigen Tages; ein jeder 
nehme fid) das, was ihm am Meiſten zuſagt. Hier 
iſt Erſtens ein Schwert" 

„Mir das!“ rief Hugo fehnell und griff nad ter 


% 


135 


Thönen Waffe. „Unfere Ideen fliegen zu machen, 
hilft nichts mehr als ein gutes Schwert.‘ 

„Zweitens ,” fuhr der Greis fort, „ift hier eine 
Pergamentrolle, welhe den Adelsbrief unferer Fa— 
milie enthält. Zerrüttete Vermögensumſtände hießen 
mid) vor langen Jahren den Adel ablegen und in bie 
Berborgenheit zurüdziehen. Ihr wuchſet daher als 
Dürgerlihe auf. Wer will das Document?” 

„Bieb es mir,” ſprach haſtig der Offizier ber 
Garde. „Sind die Throne und mit ihnen das Glüd 
der Völker durch ein Mittel zu retten, fo ift es ver 
Adel, der nicht genug befeftigt werden fann.” 

„Drittens, ſprach der Vater, „it bier ein 
Buch, gefüllt ift es mit nüglichen Kenntniſſen und 
Weisheit.” Ä 

„Das gebt mir, guter Vater,“ ſprach Bern 
hard; „venn,” fügte er hinzu, „nur durch weife 
Belehrung, Kenntniß, Aufflärung und Bil- 
dung fann’s beifer werden auf Erden.“ 

Alſo befchentt verließen die drei Brüder zwar 
friedlich und von Segen der greifen Eltern begleitet 
bie Hütte; aber faum waren fie in der geräufchvollen 
Welt angelonımen, trat jever unter die Fahnen feiner 
Partei zurüd, um ſich, wenn vie Gelegenheit er- 
heine, einander auf den Tod zu befehben. 


a 


genrebiflder. 


Die deutſchen Oftern. 

Die Naht im Forftbaufe. 

Die Toden Germaniens. 

Die Schwalbennefterrevolution. 
Ein Flug durch's Gebirge. 

Die ſächſiſchen Mädchen. . 


Eine. Öewitternadt auf dent 
Winterberge. 


Die deutſchen Oſtern. 


E⸗ giebt im deutſchen Jahre zwei Zeiten, die in 
ihrem myſtiſchen Nebelgrau jener hochſchottiſchen, 
Offian-beſungenen Bergatmoſphäre nicht nachſtehen. 
Mit naſſen dunkeln Vorhängen iſt der Novemberhim- 
mel umhangen. Geſpenſtiſch werden von den losge⸗ 
laſſenen Stürmen die feuchten Morgen: und Abend⸗ 
nebel über todtſtille Fluren und Berge gejagt. Das 
feuchte Laub, die geftorbenen Locken des letzten Früh— 
lings, raufchen von Zeit zu Zeit empor, ein einfamer 
Nabe durchkrächzt den grauen eintönigen Himmel — 
es find die Sterbefeufzer des verſcheidenden Jahres. 

Die andere geheimnißvolle Nebelzeit ift die ver 
Trühlings-Tag= und Nachtgleiche. Die Natur liebt 
ihr Erwachen, wie ihren Tod in ahnungreiches Dun⸗ 
tel zu Heiden. Aber ein ganz anderer Ton als aus 
dem grauen Spätherbſte fpricht aus dieſem Frühlings» 
Dämmerreiche- : Berraufchen die Novembernebel, fo be= 
fheint der Hare kalte Decemberhimmel eine große, 
weiße Leiche, us dem Märzgrau dagegen bricht der 
Frühling reizend und formengelodt hervor. 

Wie der Himmel, fo das Boll, das darunter 
wohnt. Ich mußte daher obige Worte vorausfchiden, 


140 


bevor ih erwähne, daß das deutſche Oſtern in jenes 
ahnungsreihe Frühlingsgrau fällt. 

Ja, aud wir Deutſchen glauben an eine Auf: 
erftehung, an einen Gott der Liebe und Gerechtig- 
feit, darum feiern wir unfere Oftern, und die Natur 
feiert fie mit und. Gleichzeitig flammt es auf un: 
jeren Altären und Bergen. Die bunfeln Winter 
träume dort Oben zerrinnen und fiegend tritt bie 
Frühlingsfonne in die ſchöne Welt. 

Es giebt fein zweites Feſt im Jahre, das fo 
ſymboliſch zu uns fprähe, fo einfach, jo tieffinnig, 
und nur ein beutfches Gemüth vermag Oſtern in 
feiner ahnungsvollen, heiligen Deutung zu verſtehen. 

Bedeutſam Flingt die deutſche Dfterglode im Ge- 
müthe des Knaben wieder, und wächſt er zum Yüng- 
ling heran, wird die Ahnung zur Gewißheit. Aufe 
erftehen, Auferftehen, bier und jenfeits, ift das 
hohe Lieb ver deutſchen Oftern. . 

Wie eine vom Himmel gefüßte Blume wandelt 
die Jungfrau zur Kirche, bimmel-bräutlih, mabon- 
nenhaft. | 

Ih kenne euch, ihr Mabonnenaugen des Oſter— 
morgend. Wie oft leuchtetet ihr mir in den dun— 
fein Hallen ver Frühkirche. Gläubig hab’ ich Jahre 
lang zu euch aufgefhaut und mein Glaube bat mic 
nie betrogen. 

Wie oft ftand ic) am Pfeiler rechter Hand, wenn 
du Süßes Heiligenbild, im alterthiinlichen, feltfam 
geſchnitzten Kicchenftuhle ſaßeſt und mit Gott ſprachſt 
und feinen Engeln. Hoch über ung Mangen bie 
Frühgloden in bie dämmernde Welt. Wo nahmft 
du nur bie fhönen rothen Manvelblüthen her’, vie 
ftet3 neben dem Büchlein mit goldenem Schnitte 
lagen ? 


141 


Zerfallen mit Kopf und Herz, voll fophiftifcher 
Spitfindigfeiten, theologifher Skrupel und Zweifel 
war ic) lange Zeit die Kirche geflohen wie ein Kran 
kenhaus. Da rief mid einmal mit wunderbarem 
Klange die DOfterglode in die ftillen Hallen. Ich 
fhaute dih und glaubte wieder an Engel, an einen 
Himmel, an Gott und Unfterblichfeit.e Du warft 
mein Evangelium. In ihren Loden blühten für un- 
fern norbifhen Himmel feltfam rothe Blumen; als 
ih mir fie näher betrachtete, waren es rothe Man⸗ 
delblüthen. 

Der Patron der Kirche hatte der Gemeinde ein 
treffliches Altarbild zum Geſchenk gemacht. Es war 
ein Chriſtuskopf. Von den Altarkerzen mild erleuch— 
tet, blickkte er zu der Gemeinde hernieder wie die ver- 
ſöhnende Liebe. Auch ſie blickte zu dem Bilde auf 
mit Gott vertrauendem hingebendem Auge. Ach, die 
ſchöne Sage von Pygmalion iſt auch nur eine ſchöne 
Fabel geweſen, ſonſt würde das Altarbild durch die 
Himmelsblicke der Beterin Leben bekommen und ſie 
davon geführt haben nach ſeiner Heimath. 

Ich glaube, es iſt auch geſchehen. Als ich nach 
Jahr und Tag wieder am Pfeiler lehnte, ſaß auf 
ihrem Platze eine ſchwarzverſchleieree Dame. Auch 
das Chriſtusbild war mit Flor umhangen. Eine 
erhebende Ahnung. durchzuckte mein Innerſtes. Pro— 
phetiſch klangen die Oſterglocken in der Höhe. Ich 
folgte der Verſchleieren auf dem Heimwege. Sie 
wandelte nach dem Kirchhofe und knieete an einem 
Grabe nieder. Auf dem Grabe aber blühten — 
ſchöne rothe Mandeln. 





142 


Die Nacht im JForfihaufe. 


Raunſchend ſchlugen die finſtern Fichtenhäupter, vom 
Sturme gepeitiht, aneinander. Es war eine Nacht 
zum Tollwerben, aber in Deutjchland wird man nicht 
jo leicht toll. Unſere treffliche Philofophie, und jever 
Deutfhe iſt geborner Philofoph, läßt es nicht zum 
Aeußerſten kommen. Wir haben da ein reichhaltiges 
Lager von Stopfeufzern und Sprihmwörtern für die 
Stunden der Frübjal. 

I ftärkte mein burchnäßtes und verzagtes Ge— 
müth mit folchen Bonmots, und erreichte auch glüd- 
lich eine Förfterwohnung, die mitten im Walde lag. 
Die Hunde erhoben ein ſolch entfetsliches Geheul, 
als habe man fie vier Wochen lang auf mein theures 
Tleifh und Bein faften Iaffen. Ich lebte damals 
wirflich der moralifhen Weberzeugung, daß ich vie 
Sonne des nächſten Tages nicht erleben würde. 

Das Forfthaus, fo viel ich in der Finſterniß ge- 
wahren fonnte, war fo alterthümlich-romantiſch, daß 
es jeder umfichtigen Theaterdirection als Muſter zu 
empfehlen wäre, und die Leute, die mir entgegentra— 
ten, konnten ſich getrofl in die Brockhaus'ſche Urania 
binden lafien, als abgefchlofiene und abgerundete 
Charaktere des Waldbruders Ludwig Tied. 

Eine tiefe Bafftimme richtete folgende Apoftrophe 
an mid: | | 

„Blagt Sie der Satan, Herr Urtan, in dem 
Teufelsmetter! Ein Glück für Ihre Lenden, daß 
Sultan gefuppelt. Nun, fein Sie fehönftend will- 
fommen.‘ 


143 


Der Nimrod, der diefe troftreihen Worte ſprach 
war Niemand anders, als der Beherricher des Wal- 
des, ber alte Oberförſter 3..., ein ftattlicher 
Greis, wie ihn Iffland nicht gebiegener herworbrin- 
gen Tonnte, 

- Sowie ih nur einigermaßen im Trocknen faß, 
brach die Poeſie aus allen Winkeln bervor. Der 
Bater des Förfters hatte den fiebenjährigen Krieg 
mitgemacht, der Urahne, den breißigjährigen. Ich 
lernte dieſen Abend mehr deutſche Geſchichte, als ein 
deutſcher Profeſſor im Längften Semefter vorbringt. 
MWallenftein und Friedrich der Große wanbelten in 
ver Heinen Förſterwohnung leibhaftig auf und ab. 

Dabei faß vie ſchöne Spinnerin wie ein leben- 
diges Mährchen mir gegenüber. Sie gehörte zu jenen 
liebenswürbigen Gazellen, die von Kopf bis Fuß 
rofenlaunig und übermuthfröhlih, ſobald aber ein 
Fremdling naht, wie erfchrodene Roſen ſich zurüd- 
ziehen und die langen feidenen Wimpern tief und 
fittig über bie bfühenden Augen herabfallen lafjen. 
Meine herzlichen Fragen wurden fhüchtern, fat ein- 
filbig beantwortet, und nur felten erhob fi ver 
zarte Flor, und ich ſchaute in das reizende Neid) der 
Unendlichkeit. 

Zur irdiſchen Glückſeligkeit gehört im Grunde 
ſehr wenig. Ein gemüthlicher Seſſel und vor uns 
eine ftebenzehnjährige Göttin. Ich überlegte eben, 
wie dem Jüngling zu Muthe fein müfje, wenn jene 
fügen frommen Lippen zu ihm das befannte Wort 
„Liebe“ ſprächen, und jene Wunberfterne bazu be= 
fenntnißinnig leuchteten, als mid der alte Törfter 


mit der Frage unterbrach: „Ob ih den Ali Paſcha 


von Janina nicht für einen Höllenhund erkenne?“ 
Ich erkannte fofort den Ali Paſcha für einen 


144 


Höllenhund und erftattete Bericht über den Zuftand 
der Griechen nad dem neueften Hamburger Correfpon- 
benten. Mein Eifer für die heilige Sache machte 
mid warm, fo daß ich mich plößlih vom Arme des 
Förſters mit Heftigfeit gepadt fühlte: „Mir aus ber 
Geele gejprochen, “Doctor, aber werben ſie's aushal- 
ten? Der Kapudan ift unterwegs, der fadelt nicht, 
der Himmeljalermenter.‘ 

Ih gerieth immer mehr in's Feuer; der Alte 
war ganz Ohr — das Spinnrad ſchwieg und ci 
paar Sonnen blidten zu mir auf himmelgroß, e 
paar verkündende Welten, daß ih Wahrheit Befprachen, 
wie fie gejchrieben fand in meinem Herzen. 

Ia, ih hatte wahr gefprochen, Hellas ward frei; 
id aber war gefangen und bin es heute noch, gedenke 
ich eurer, ihr Sonnen im alten Förfterhaufe. 


Die Locken germaniens. 


Die deutſche Geſchichte iſt ein ſo verzweifelter Punkt 
für den gewiſſenhaften deutſchen Hiſtoriker, daß ſich 
einer der letztern vor nicht gar langer Zeit in einem 
aparten Aufſatze zu der Anfrage getrieben fand: 
Giebt es eine deutſche Geſchichte? Wenn wir 
dieſe ſeltſame Sache mit hiſtoriſchem Blute überden- 
ken, und von den heutigen toupirten und düpirten 
Köpfen aufwärts ſteigen durch die Säcula der Per— 
rücken und Panzer bis zu den goldhaarigen Ahnen, 
ſo ſtellt fich allerdings das bedenkliche Reſultat, daß 


145 


es wohl allerlei deutſche Geſchichten giebt, aber 
feine deutſche Geſchichte. Nur zweimal findet 
eine Ausnahme ſtatt, in zwei ziemlich von einander 
liegenden Zeiträumen. Dieſe beiden Ausnahmen er- 
eigneten fi, als, das deutſche Volf die Adler und 
Legionen der beiden Cäſaren Auguftus und Napoleon 
theils erjchlugen, theild aus dem Lande jagten. 

Dem Erften dieſer veutjch=gefchichtlihen Mo— 
mente, denn ſolche waren es, nur Zornausbrüche, 
ging ein feltfamer Alt zuvor, ber für das ganze - 
deutfche Volt bis auf ten heutigen Tag von einer 
beflagenswerthen ſymboliſchen Vorbeveutung war. Die 
Nömer nämlih, klaſſiſchen Andenkens, fchnitten zwar 
den unterjochten Deutſchen alle ungehorjamen 
Köpfe ab; das hätte fein mögen, wir willen aus 
ver Weltgefehichte, daß aus bloßer Kopfabhaderei jel- 
ten Großes herausfommt, aber jene toilettenfundigen 
Duiriten gingen fpefulativer zu Werke, fie bewirth- 
Ihafteten vie ftehen gebliebenen Köpfe als Wollhänp- 
ler, fchnitten, ih weiß nicht, ob die Schur, wie beut= 
zutage, auf einen bejondern Monat befchränft war, 
die goldgelben Flechten ab und ſchickten fie kiſten— 
weile als geſuchter Artikel an die römischen Friſeure. 
So wurden vie Deutfhen glei beim Beginn ihrer 
Geſchichte, im vollſten Sinne des Wortes, ge- 
ſchoren. 

Nun muß man zugeben, und alle deutſchen Ge- 
Ihichten belegen e8, daß der Deutiche einen Spaß 
verfteht, fer er ſubtil oder grob, und nicht gleich 
wegen jeder Bagatelle zu ven Waffen greift, aber 
diefe ſymboliſche Entmannung durch die römische 
Sceere war ihm außer Spaß und ftieg in Die ge- 
lüfteten Köpfe. Jeder, dem nur goldgelbes Haar 
auf dem Scheitel ſproßte, und das war bei jedem 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 10 


146 


ächten Germanen der Fall, ergrimmte und griff zu 
den Waffen. So ward die Sache Nationalangelegen- 
heit und barum gelang ver Schlag im Teutoburger 
Walde, worüber wir heutzutage und nicht genug ver- 
wundern können. 

Jenes induftriöfe Haarverſchneiden haben aber bie 
Deutfhen Rom nie vergefien, und jo oft in ver Folge 
ein Kaiſer nah Italien zug, waren fie bei der Hand 
und rächten den Lodenraub mit vandaliſchem Grimme. 
Sie mußten bei dieſen höchſt unerfprieglichen Expe- 
bitionen zwar oft außer den Haaren auch ven Kopf 
laſſen; helvdenhaft kämpfte das Kaiſerhaus ver Hohen- 
ftaufen faft feine Lebzeit über im heillofen Welſch- 
land, bis e8 feinen legten Kopf auf einem Scaffotte 
zu Neapel einbüßte. Ziehen die Deftreicher nicht 
ftets mit Cherusfermuthe über ven Bo, wenn in 
Italien die Revolutionsglode läutet und blaßen Feier: 
abend? Und wer wollte enblih jenen zweitauſend⸗ 
jährigen zornigen Patriotismus verfennen in dem 
Buche des wadern Guſtav Nifolai? Bella Ita- 
lia, du haft die goldenen Loden Italiens theuer 
bezahlt! 

Rom, troß der Niederlage im Teutoburger Wale, 
fonnte von feinem Shftem, ven Deutfchen mit der 
Scheere in die Haare zu fahren, nicht laſſen. Als 
feine Präfecte und Lictoren Nichts mehr zu fchaffen 
hatten im deutſchen Lande, erfand e8 die Tonfur 
und ſchor abermals mit großer Ruhe einen Theil der 
deutfchen Köpfe bis auf die Kopfhaut. Nun hatten 
bie Deutfchen wieder viele Jahrhunderte an ven 
Glatzen zu Iaboriren, bis Martinus Luther zu 
Wittenberg auftrat und als Bratfiſch des ſechs— 
zehnten Jahrhunderts den Haarwuchs beförberte 

In Folge diefer Haarwuchs beförbernden Lehr 


147 


Luther's fuhren ſich die Deutſchen wiederum dreißig 
Jahre einander ſelbſt in die Haare, worauf unmit— 
telbar das Zeitalter der Perrücken begann, unter 
welchen man die zerzaußten und zerſchlagenen Häupter 
verbarg. Es war eine dürre, unerquickliche Zeit, 
voller Bücher- und Puderſtaub, bis Napoleon gegen 
bie deutſchen Perrücken zu Felde zog mit Kanonen- 
und Dekreten. Da wuchſen den Deutſchen die Haare 
wieder, file erhielten Einheit und Manneskraft und 
jagten den neuen Auguftus aus dem Lande. 

Die deutſchen Turner, welche hierbei rüftig ge— 
holfen hatten, ſahen jest wohl ein, daß bie Kraft 
des deutſchen Volkes, wie beim feligen Simſon e- 
gentlih in den Haaren ruhe, und barum ließen fie 
fi) Diefelben jo lang, wie immer möglich machen, 
bis fi das neue Inftitut des deutfchen Bundes dieſer 
altväterifchen Sitte widerſetzte. 

Es find an die zweitaufend Jahre, feit und Nom 
die Haare verfehnitt; Die nächtig fchattenden Wälder 
von Atgermanien find gelihtet und Mar und nebel- 
rein foheint die Sonne über die deutſchen Lande. 
Es bat fih darum unfer Haar fichtbar gebräunt, 
und die golpgelben Xoden, jene einftige nationale 
Kopfbebedung, werben immer feltener. Ueberdies ha- 
ben die zahlreichen Beſuche aus aller Herren Ländern 
einer jeden wiflenfchaftlihen Unterfuchung hohnſpre⸗ 
chende Haarverwirrung zurückgelaſſen, jo daß ich be— 
zweifele, ob die heutigen Romerinnen noch Verlangen 
nach unſeren Locken tragen. Wien hat auch in die— 
ſer Hinſicht die Fürſorge übernommen und liefert die 
ſchönſten Locken in allen Couleuren für Italien und 
Deutſchland. 

Dies iſt die Geſchichte der goldgelben Locen Ger⸗ 
maniens. 

10* 


148 


| Sol ich auch euer gebenfen, ſeidene, zauberhafte 
Fäden, die ihr euch weich und zart um die Schläfe 
der Töchter Germaniens legt, oder tändelnd herab— 
ringelt in reizendem Muthwillen, oder traumhaft um⸗ 
ſchattet blumenhafte Sonnen ? 

Was ſiehſt du wie aus einem goldenen Traume 
zu mir auf, ſüßes, blondes Vermächtniß im einfachen 
Medaillon, ſeliges Pfand geſtorbener Seligkeiten? 
Fern in einem ſchönen Thale von Deutſchland, wo 
die Linden duften und die Nachtigallen ſchlagen, 
küßteſt du Jahre lang ein frühling⸗-ſchönes Antlitz, 
bis die eigene zarte Hand ſelbſtmörderiſch dich löſte 
aus dem goldenen Reiche der Schweſtern. 
| Schönfter Juniabend meines Lebens, heilige Vor: 

feier jenes großen Frühlingsfeſtes, beffen Kerzen in 
einer anderen Welt flammen, deſſen Glocken in einer 
anderen Welt läuten, aber in geweihten Augenbliden 
herüberklingen dur unfere Nebelveden und feuchten 
Wolkenſchichten. 

Das Abendroth war einſam verblüht hinter Gär⸗ 
ten und Rebenhügeln; immer tiefer ſank die Welt in 
das große ahmungsreiche Grab der Dämmerung. Der 
bunte Schmelz der Blumenbeete zerfloß in duftendes 
Grau; nur die weißen Lilien leuchteten geifterhaft in 
dunflen Räumen, Aber je tiefer der blühende Erden— 
farg hinabjanf in das ernfte Reich der Schatten, um 
jo flammender und überzeugender entzünbete fi dort 
Dben der fonnengeftidte Namenszug Gottes in uns 
fterblider Schöne. 

Mitten im golobuftenden Dunkel, zwiſchen Blu— 
men und Sternen, faß id) an ver Seite Seraphinen’s, 
jenes poefiereihen Kindes mit blondſeidenem Haar 
und frommen, wunderfhönen Augen. Eine tiefe Sa= 
bathſtille ruhte heilig über der nächtlihen Schöpfung. 


ED 


149 


Das Reich der Träume wob finmend feine goldenen 
Flore über Glocken und Keldee — Da wanden fid 
leife und lind die Töne einer fernen Abenpglode 
durd Blätter und Stauden und legten fid) wie Him— 
melsgrüße einer ſchönen Welt an unfer Herz. Gie 
neigte wunderbar bewegt ihr ſüßes Haupt gegen 
meine Bruft und ich hauchte einen leiſen Kuß auf 
die ſchöne Stirn. 

„O Seraphine,“ flüfterte ich, „‚feligfter Traum mei- 
ned Lebens, veizender Gedanke einer ſchoͤnen Welt —“ 
und id) bat vie Holpfelige, - warum ich fchon fo oft 
vergebend gebeten, um eine Rode ihres fchönen 
Haars. Sie antwortete nicht und blickte wie eine 
träumende Blume nad) dem immer tiefer finfenden 
Abenpitern. . 

„Er finkt gen. Frankreich,” ſprach ich leiſe, „bald 
folg’ ih ihm,” und wiederholte meine Bitte in wei- 
chem flehenvden Tone. — Da tünte eine befannte Hof« 
thürſchelle. 

„Die Eltern ſind zurück,“ ſprach Seraphine, 
ſtand ſchnell auf und eilte den Gartengang entlang. 
Ich folgte. Im Wohnhaus am Eingang des Gar⸗ 
tens war es lichthell geworden. Ich trat in den 
Salon, wo ich die hein.gekehrten Eltern begrüßte, 
und wo das Abendeſſen ſchon bereit ftand. 

Letztes heiliges Abendmahl in jenem fchönen deut⸗ 
Then Frühlinge voller Blumen und Liebe. Zum 
letzten Male faß ich gegenüber der reizenden Verkün— 
derin einer Unfterblichkeit. Die Römer Hangen an 
einander auf meine bereinftige Wiederkehr, aus bem 
Ihönen Frankreich. Und als ih mit ihr anklang und: 
der Ton fo rein und golden die Luft durchzog wie 
ſterbendes Abendroth, verfanf idy zum lebten Dale 
in jene feligen Himmel ihrer blauen Augen, und un⸗ 


150 


willkürlich durchklang mich das reizende Lied des herr- 
lichen Hoffmann von Fallersleben, das er einſt in 
heiliger Stunde gewiß auf eben ſo ſchöne Augen ge— 
dichtet hat: 

„Ich ſchaute die blaue unendliche See, 

Da ward mir im Herzen ſo wohl und ſo weh, 

Doch als ich Dein blaues Auge geſehen — 

Da, weiß ich ſelbſt nicht, wie mir geſchehen. 

Und ob ich die blaue unendliche See 

Auch immer und immer wiederſeh'; 

Das Waſſer immer nur Waſſer bliebe — 

Dein Aug’ tit ewig unendliche Liebe,“ 

Zur Erinnerung an jenen Abend aber bewahr’ ich 
eine ber ſchönſten Locken Germaniens, weldhe mir 
Seraphine in ein goldgerändertes Stammbucdhblatt 
gewidelt, plöglih in die Hand brüdte, als ich ſchwer— 
muthvoll ob des bevorftehenden Abſchiedes durch das 
geöffnete Fenfter nah dem . nächtlichen, duftenden 
Garten hinſchaute. O feliger Augendlid!. — Ich 
wollte ihr nadeilen, ihr dankend zu Füßen finken, 
aber fie war bereit duch die Glasthür entfchlüpft. 
Ih Klingt. Die Thüre war verfchloffen und meine 
Dlide trafen nur nod die Himmelsgeftalt im him- 
melblauen Kleive, als fie durch bie zweite Thür ent— 
ſchwebte. 

Es war das letzte Mal. Ich habe ſie nie wieder 
geſehen, denn bereits am andern Tage rief ſie ein 
Brief an das Sterbebette ihrer weiten entfernten 
Tante, welche ſich die letzten Augenblicke durch das 
Anſchauen eines Engels verſüßen wollte. Von Tag 
zu Tag verſchob ſich meine Abreiſe; Seraphine kehrte 
nicht zurück. So mußte ich fort, ohne Gruß und 
Kuß von ihr das Vaterland verlaſſen. 

Das Poſthorn klang. Fort brauſte der Wagen 
auf der Straße nach Frankreich. Auf meiner Bruſt 


151 


aber ruhte wie ein ftiller Segen das letzte heiligſte 
Geſchenk, das ich im Vaterland erhalten — eine 
Locke Germaniens. 


Die Schwafbennefter - Revotution. 


In einem deutſchen Fürſtenthume ereignete ſich der 
tragiſche Fall, daß mehre Schwalben, die in einem 
Grenzdorfe ihre Neſter bauten, die Baumaterialien 
aus dem ausländiſchen Gebiete herüber trugen. Der 
Gutsherr, ein Patriot, jo wie er von der Paſcherei 
erfuhr, gab den Befehl, vie unverfteuerten Neiter zu 
zerſtören. Ein böſes DBeifpiel ververbt gute Sitten, 
hatte er gejagt, denn er wußte für Die verwideltiten 
Lagen im Leben Sprichwörter. 

Die gutsherrliche Erecutiond-Armee fegte ſich fo- 
fort gegen die Schwalbennefter in Dewegung; die 
Bauern aber, die, wie ihre ſämmtlichen Collegen im 
deutfchen Lande, bie Schwalbennefter an den Häufern 
für glüdliche Omina erkennen, wollten die Zerftörung 
nicht zugeben und fegten fid zur Wehre. Der Guts- 
herr, weil er für ſolch' außerordentlichen Fall fein 
Sprichwort wußte, Tieß anfpannen, fuhr nach der Re— 
ſidenz und flug Lärm. Sogleich behandelte bie 
beutfche Preſſe die Heine Revolution mit der ihr ei= 
genthümlichen Delikateſſe; aber im Pariſer Temps 
las ich ſie bereits mit Kanonen. In das rebellifche 
Dorf rüdten Dragoner und verblieben daſelbſt, bis 
die Schwalben in die Winterquartiere zogen. _ 

An folhen Deiniatur-Revolutionen ift die deutſche 


152, 


Geſchichte neuerer Zeit niht arm. Oſt waren bie 
Urſachen noch unbeveutenter als Schwalbenneſter. 

Der Gutsherr, welcher ver Schwalbenneſter-Re— 
volution ſo determinirt auf den Kopf trat, war Nie— 
mand anders als Herr von X...., ber als ſpäterer 
Landſtand die Kammeroppoſition vernichtete. Seine 
Sprichwörter und Bonmots waren gefürchtet. Mit 
einem Sprichwort ſchlug er einmal die ganze Debatte 
darnieder, die für das Miniſterium ſchon eine ſehr be— 
denkliche Wendung nahm. Die Oppoſition beſchwerte 
ſich nämlich über die vielen Cenſurlücken in der in- 
ländiſchen periodifhen Preſſe. Man brachte die gra— 
virendſten Beweiſe vor. Die Miniſterbank gerieth in 
die Enge. Da erhob ſich Herr von &.... 

„Deine Herren,” rief er, „ich verfichere auf Ehre, 
daß mich die GSenfurlüden nie incommodirt haben. 
Ich Habe da meine Philofophie und venfe: Was ich 
nicht weiß, macht mich nicht heiß “ | 

Die rechte Seite fand dieſe Anficht eben fo weile 
als beruhigend; das Minifterium ſchöpfte frifchen 
Athem, und die Oppofition blieb in der Minorität. 

Ich lernte Herrn von X.... einmal in Baden— 
Baden perſönlich kennen. Er war der leibhafte Re— 
präfentant des Confervativ- Shftemd und Hatte fidh 
felbft vortrefflich confervirt. Die Stürme der Revo— 
Iution waren ſpurlos über dieſen deutſchen Schädel 
dahin gegangen. Seine einzige Sorge beſtand darin, 
noch fo lange zu leben, bis den Franzoſen noch et— 
was Tüchtiges am Zeuge geflickt wäre. Herr von 
X.... hatte nämlich alle Urſache, mit Frankreich un- 
zufrieden zu fein. Die Tranzofen hatten naͤch und 
nah faft feine ſämmtliche Vetterſchaft todtgefchoflen, 
von den Revolutiondkriegen an bis Anno 1815. Er 
jelbft zählte mir eine Menge verflärter Couſins auf. 


153 


„Aber Papa,‘ rief die zehnjährige Anna, die aus- 
gegangene Pfeife des Vaters mit einem Fidibus an- 
zündend, „wie viel Couſins haft Du nur gehabt? Da 
ift der Bobo, der Albrecht, der Hans, der Kasper, 
bie ich alle nicht leiden kann, wegen ber abſcheulichen 
Schnurrbärte.“ 

„Einfältig Kind,“ brummte der Alte, „danke 
Gott, daß dem Vaterlande noch einige Stützen er- 
halten find. Wären jene Helden,“ fügte ex zu mir 
gewendet mit leifem Seufzer hinzu, „nicht jo frühzei- 
tig gefallen, wer weiß, wie es jett ſtünde.“ 

„Es wäre Mandyes anders geworden,” gegenre- 
dete ich. 

„Der Iſegrimm fteht nod vor mir,” fprad der 
deutſche Dichter mit ftiller Begeifterung, „ein Pradıt- 
junge. Die Geſchichte hätte einen Blücher mehr. Gott 
hab’ ihn felig, er hieß eigentlich Morig; aber bie 
Familie nannte ihn Iſegrim.“ 

„Der mag erft einen Echnurrbart gehabt haben,” 
rief Anna mit fomifhem Entſetzen. 

„Lothringen und Elfaß mit fammt dem Münfter 
entgingen ung nicht,“ behauptete der Alte, „pen 
ſchmachvollen pariſer Frieden hätte Iſegrimm nimmer 
zugegeben.“ 

Ich betrauerte von Herzen den edlen Ritter. 


Ein Flug durch's gebirge. 


Wenn man an einem heitern Sommertage eine der 
vielen anmuthigen Anhöhen der Dresdner Umgegend 


154 


erfteigt und die Blide über das weite fhöne Elbthal 
dahinſtreifen, fieht man den füblichen Horizont auf 
ferne nebelhafte Berge herabſinken. Das find die blau- 
grauen Wolfen des Erzgebirges. Märchenhaft weht 
es aus jener Gebirgsgegend in das lachende Thal 
herüber, und das Erzgebirge allein genießt in der 
Phantaſie der Dresdner mehr Kredit, als der blü— 
hendſte Maärchenalmanach. Denn in jenen Gebirgen 
rauſchen geheimnißvoll die dunkeln Bergwaſſer in un- 
ergründlichen, waldumnachteten Tiefen; da ſteigen in 
nächtlicher Stille die Silbereimer in die ſchwarzen 
Eingeweide der Erde, irren bie Grubenlichter in zwei- 
deutigem Nebel, und einſam nur klingt das Glöcklein 
der Hüttenwerke durch die todtſtille Gegend. Da blüht 
kein Frühling, lacht keine Roſe, da iſt der Gnomen 
und Erdgeiſter märchenhaftes Reich und die Armuth 
wohnt zwiſchen Silberhaufen. Die einzigen Silber⸗ 
blicke, die der Himmel den armen Gebirgsbewohnern 
| verlieh, heißen Gottvertrauen und Yufrievenheit. 

Der Gedanke an das Falte Erzgebirge an einem 
heißen Sommertage in Dresden wirkt fo erquidenp, 
wie das erfrifchenpfte Glas Erdbeereis bei Baldini 
auf der Brühl'ſchen Terraſſe. 

Ih ſaß an einem jhönen Sommerabenvde auf ge: 
nanntem DVergnügungsorte; die untergehende Sonne, 
weldhe kaum eine Hand breit über den Nebenbergen 
der Lösnitz ſtand, warf ihren Roſaſchimmier verflä- 
rend über das reizende Abendbild. Die Fenſter ver 
Loſchwitzer Weinberghäufer ftrahlten in prachtvoller 
Erleuchtung, über mir dufteten die Lindenblüthen, 
das Mufifforps fpielte das ſüße Duett aus Jeſſonda: 
Laßt und dorthin, dorthin ziehen ꝛc., ale plötzlich 
ein poetiſcher Freund zu mir trat und mit demoſthe⸗ 
niſcher Beredtſamkeit mir die Reize eines Flugs durch's 


155 
hohe Erzgebirge in ven jegigen warmen Sommertagen 
auseinander fette. 

„Bedenke nur,” rief er begeiftert, „heute noch fiten 
wir hier im reizenden, fonnigen Elbthale, inmitten 
ver glockenreichen Königitadt, inmitten von füßen Me- 
Iodien, leuchtenden Rofen, und morgen-fchon hören 
wir die Urquellen rauſchen im hohen Gebirg, fehen 
den einfamen Raubvogel über ftarren Felſen kreiſen; 
Alles ift todt und erſtorben — 

„Das Glöcklein klingt, der Morgen graut, 
63 wird im Bergmannsbüttchen laut.‘ 

Ich laſſe nie gern eine Öelegenheit vorüber, wo 
ed gilt, eine poetifhe Idee zu realiſiren. Es find 
ſolche Zeiten Stlberblide, und je reiher das Leben 
an ihnen, deſto reicher ift das Leben felbft zu nen- 
nen. Meine Scrupel und Zweifel waren daher bald 
niedergeſchlagen und bereit8 am andern Morgen jelb- 
anberten wir frei und glüdlih auf der Straße gen 
Freiberg dahin. 

Das reizende Tharand ift der lette fünliche 
Stern der ſchönen Drespner Umgegend. Darüber 
hinaus wird die Gegend waloftiller, ernfter und höher. 
Je weiter wir vorwärts fohreiten, deſto mehr Berge 
wälzen fid) zwifchen uns und das zurüdgebliebene Elb- 
thal. Selbft der Himmel verliert bald fein erquik⸗ 
kendes Blau, dann noch einige Stunden Wegs, und 
hie und ba fleigt die einförmige Rauchſäule der Hüt- 
tenwerfe zu den Wolfen. Wir find in das Neid des 
Plutus getreten. Das ift aber ein eben fo unlie- 
benswürbiger Gott, wie fein Herr Bater Bullen. 
Aſchgrau und Echwefelgelb brütet er wie der leibhaf- 
tige Geiz über Silberhaufen. 

Die Bergftapt Freiberg, acht Stunden von Dres⸗ 
den, ift jo alt wie bie älteflen ſächſiſchen Spezies, 

* 


‘ 


156 


\ 


Hier wird jene Kunft, die Erde auszubeuten, methodiſch 
gelehrt; denn hier befindet fi Die berühmte Berg— 
alademie, welde von Scholaren aus aller Herren 
Ländern befucht wird. Selbſt Spanier jtudirten noch 
vor nit langer Zeit hier. Nachdem für Spanien 
bie Silberblide Amerika's erloſchen waren, fein Herz 
und feine Silberader der neuen Welt mehr für vie 
kaſtiliſchen Könige ſchlug und feine Silberflotte mehr 
einfief unter dem Donner der Kartbaunen und dem 
Hurrah der Equipage in den Hafen von Kadir, ſah 
man eined Tages fremde ſüdliche Geftalten mit ftol- 
zen Schritten und tieffatholifhen Gefichtern einher- 
wandeln in den Straßen eines unfcheinbaren fächft- 
[hen Bergſtädtchens. Spanien wollte nämlih nad 
dem Berlufte beider Indien in den eigenen Buſen 
greifen und aus den Tiefen feiner Sierrad die Gold— 
und GSilberquellen fprubeln laſſen in nie gejehener 
Schöne. Ich weiß nun nicht, wie weit bie Sache 
gediehen ift, doch fheint mir, daß Freund Menpiza- 
bal bei den Farliftifchen Händeln die Freiberger Stu— 
dien Ivor der Hand habe dahin geftellt fein laffen, 
indem er es für gerathener fand, zuvor den fchönen 
Hamfterbau der fpanifchen Klöfter bergmännifc zu 
bearbeiten. 

An der Freiberger Bergakademie lehrte noch vor 
wenig Decennien ver große Bergmann Abraham 
Werner, der Linne der Unterwelt, und nod) heute 
lebt und wirkt ein gefeierter deutſcher Name in ber 
fleinen Bergſtadt — der Oberberghauptmann Frei- 
here v. Herder, Sohn des Verfaſſers der Ideen zur 
Philofophie der Geſchichte ver Menjchheit. 

Bevor ih die Bergſtadt, die nächſt ihrer Alter- 
thümlicheitt wenig Bemerkenswerthes vorzeigt, ver: 
laſſe muß ich noch eines kleinen muſikaliſchen Mei— 


157 


fterwerfs gevenfen, das innerhalb Freibergd büftern 
Mauern gebihtet und in Muſik gefeßt ward. Ic 
weiß nit, ob das liebe Mufikftüd: „Der Berg—⸗ 
mannsgruß,“ Tert von Döring, componirt von 
Anader, außerhalb Sachſen fo bekannt und beliebt 
ift, wie innerhalb unferer befcheiden gezogenen Grän- 
zen. Es erhält dieſes Tonwerk hbauptfählid dadurch 
einen eigenthümlichen Reiz, daß Dichtung und Töne 
inmitten des Bergwerklebens entſtanden, den Zauber 
und den Duft der Berge gleichſam in ſich geſogen 
und treu bewahrt haben. 

Wenn man von Dresden nach Freiberg heraufge— 
wandert ift, denkt man wunder wie hoch man fi 
befindet, während fih im Süden neue, höhere Berg- 
mafjen gen Himmel wälzgen. Immer öder und trau- 
tiger wird die Gegend, die Vegetation ſparſamer, bald 
bleibt Flora’8 und Pomona's Reich ganz zurüd, und 
man vernimmt nur das einfame Raufchen finjterer 
Zannenwälper. | 

Wir befchloffen, das gewerbreihe Chemnig, 
dieſe Lebenspulsader des Gebirge, rechter Hand lies 
gen zu laffen, und wanderten über das freundliche 
Bergſtädtchen Annaberg fhnurftrad8 auf jene vom 
Himmel verlaffene Gegend zu, die man unter dem 
Namen des fähfifhen Sibirien begreift. 

Man kann das ſächſiſche Erzgebirge füglih in drei 
Gürtel theilen. Aehrengolden wogt e8 auf ben füb- 
lichen Abhängen, der üppige Saum ift mit Blumen 
durchwirkt, fruchtbeladene Aefte beugen fich im Herbite 
zur Erde, und der dankbare Boden nährt den flei= 
ßigen Bebauer. Noh baut fi) der Landmann fein 
ſolides räumliches Wohnhaus, und die innere Ein- 
richtung zeigt von dem behaglichen Auskommen des 
Eigenthümers. Aber ein fhneidender Luftzug durch— 


158 


weht bereit die mittlere Region, und verbietet 
mandem veizenden Rinde Floren's, die goldenen Au- 
gen aufzuſchlagen. Der Fleiß der Menſchenhand muß 
hier nachholen, was der Erdboden verfagt. Uner- 
müblih ſchwirrt das Weberfchiffchen in den zahlrei= 
hen, großentheils ärmlichen Wohnungen. Tauſend 
und abertaufend Hände vegen ſich in gefchäftiger Eile 
wie ein Ameifenhaufe, vom armen Pöffelfhmidt und 
Korbflechter bis zur blafien Spigenflöpplerin, vie bei 
bürftigem Tampenlicht von früh bis zum fpäten Abend 
an ihrem funftreihen Gewebe fitt. 

Steigen wir aber beherzt noch höher in Die Berge 
hinein, in den dritten Gürtel, da ſchweigt als- 
bald die Gewerbthätigfeit, das. Fabrikfeben; Alles 
wird ftiller, rauher; auf der Erde ift für den Men- 
fhen Nichts mehr zu holen, und er fteigt wieder in 
die Erde hinab, in das Neich der Gnomen und Me- 
tale. Die Hütten werben ärmlicher, die Gefichter 
bläffer; die kräftigen Fichten, die muntern Tannen, 
die wenig Stunden tiefer im Yanbe noch ſtolz und 
. majeftätifc zum Himmel ftreben, verlieren allen Muth 
und werben zwergartig. Dürftig nur nod) gebeiht 
der einſame Eibifhbaum mit feinen blutrothen Bee- 
ven am Wege, enplich erlifcht auch diefer, und fo 
weit der Blick troftlos die tobtkalte Gegend burd)- 
ftreift, trifft er auf Nichts, als auf einen theilnahm— 
Iofen Himmel und graues Elend. 

Faſt wie Ironie fieht e8 aus, wenn die armen 
Bewohner bier und da auf einem fonnig gelegenen 
Bläschen die unfrudhtbare Erde umgewühlt und em 
göldenes Saatkorn darin verborgen haben. Ich durch⸗ 
wanderte vor einigen Jahren im Anfang October 
diefe Gegend, da ftand das armfelige Korn mit ſſei— 


159 


nen feberleichten Aehren noch auf dem Felde und ber 
Hafer war noch ganz grün. 

Die Armuth in diefer, von allen Göttern ver- 
laſſenen Region nimmt von Jahr zu Iahr zu. Beim 
angeftrengteften Fleiße verbient jegt — im vollften 
Sinne des Worts — eine Spitenflöpplerin nicht 
das trodene Brot, denn fie muß ihren Hunger gro- 
Bentheil8 mit Kartoffeln ftillen. Dazu kommt 
noch, daß der Bergbau immer mehr in Berfall ge- 
räth. Auf der Erde Nichts, unter der Erde Nichts, 
find die Armen auf den Himmel verwiefen, wovon 
fie leider nicht fatt werden. Es ift ein Jammer, 
wenn man in ven Gegenden bes höchſten Gebirgs, 
in Johann-Georgenſtadt, Eibenftod, Schön— 
haide, den blafjen Leivensgeftalten begegnet, die mit 
jeltfamer Trauer zu dem durchwandernden Frembling 
aufihauen, der von glüdlicheren Himmeln zu erzäh- 
len weiß. 

Was helfen hier oben in diefer Stiefmutter von 
Gegend alle Deflamationen von Heimath, Patriotis⸗ 
mus und Baterlandsliebe. Der Boden, ber feine 
Kinder beim angeftvengteften Fleiße verhungern läßt, 
hat auch feinen Anfpruh auf die Liebe berfelben, 
und ift irgend deutſchen Landsleuten eine glüdliche 
Veberfahrt nach Amerika zu wünfchen, jo find es bie 
armen Bewohner des ſächſiſchen Sibirien. 

Auf der Grenze zwiſchen Sachſen und Böhmen 
beim Dorfe Wildenthal ſteigt ein gigantiſcher Berg 
zu den Wolken; es iſt dies der Auersberg, und 
wer ihn erſtiegen, kann von Ausſicht erzählen. Man 
muß aber einen heitern Nachmittag wählen, denn die 
Bormittage find felten von Nebeln frei. Da liegt 
ein mächtiges Stüd von Böhmen, wie eine friſch co⸗ 
lorirte Landkarte, zu unfern Füßen. Ein gut be 


160 


waffnetes Auge fol die Zinnen von Prag erkennen. 
Wenden wir uns, fo überfchweift unſer Blic die bei— 
den Falten Gürtel des Exrzgebirge8 und ganz am Ho— 
rizonte dämmert in lieber bläulicher Ferne das Reich 
der Blumen und feidenen Lüfte Zur Linken breitet 
das Bogtland feine reichen Getreidefluren in endloſen 
Flächen aus bis zur bairifhen Grenze; rechts aber 
verbauen bie himmelhohen böhmifchen Grenzgebirge 
fat jede Ausficht. 

Auf diefem höchſten Öebirge fanden wir und 
fhauten wie Könige auf die große Welt zu unfern‘ 
Füßen. Dort in weiteſter Ferne, Hinter jenem blaj- 
fen Nebelftreif, lag das Elbthal, Dresden, die Iin- 
denumblühte Brühl’fche Terraſſe, wo wir noch ehe⸗ 
geſtern ſaßen, von lieblichen Melodien ummogt. Hier 
in ber erhabenen Einfamkeit tünte ein anderer Choral 
in den Kronen der bürftigen Tannen. Da unten lag 
Schönhaide, eine der traurigften jener ſächſiſch-ſibiri— 
ſchen Kolonien mit feinen ärmlichen Hütten voller 
Hunger und Elend. 

Kalt ftrih der Wind aus Böhmen herüber. Mein 
Freund hatte eine Flaſche guten Medoc mit herauf- 
gefchleppt. Wir tranfen auf das Wohl der armen 
Hüttenbewohner und auf das ſchöne Mitleid, daß es 
einfehre in die Paläfte und die Herzen der Neichen. 

Klirrend flog die geleerte Flafche in den Abgrund. 
Eine Schaar ſchwarzes Geflügel ftieg erfchredt hervor 
und umtfreiste mit heiferem Gefchrei unfere Häupter; 
der Wind aus Böhmen pfiff ſchneidender; immer un- 
heimlicher warb e8 auf ver falten Bergeshöh'. Da 
faßte mich der Freund am Arme. 

„Laß uns dorthin, dorthin ziehen, 

Wo die Blumen fchöner blüh'n.“ 
fang er, und unter der Spohr’fhen Melodie eilten 
wir den Berg herab, 


161 


Am andern Zage ging die Reiſe zur Poft von 
Schneeberg aus, über Stollberg, Chemnig, nad dem 
lachenden Elbflorenz, aus dem Winter in den Yrüb- 
ling zurüd. — 


Die ſächſiſchen Mädchen. 


m über ven fraglichen Gegenftand ein unbefange- 
nes, philofophifches Urtheil abzugeben, ift ein Haupt- 
erforderniß, daß man nicht felbft verliebt if. Da 
ih mich, Gott ſei Dank, dermalen in dieſem glüd- 
lihen, emancipirten Zuſtande befinde, fo ergreife ich 
die fehöne Gelegenheit, und berichte wie folgt: 

Die fählifhen Mädchen find ein herrliches Ge- 
fchlecht, das ver Tiebe Gott zum Nuten und From⸗ 
men feiner guten und getreuen Bewohner des confti- 
tutionellen Königreichs Sachſen befonderd erfchaffen, 
bat, obſchon die königlich ſächſiſchen Mädchen nichts 
weniger als conftitutionell gefinnt zu nennen, ba ber 
fähfifhe Landtag gleich beim Beginn feiner Situn- 
gen die unpolitifche Ungalanterie beging, das reizenve 
Gejhleht von feinen Situngen auszufchliegen und 
fih feine Gallerie muthwilligerweife zu befloriren. 

Es ift ein uralt Bonmot, daß 

„in Sachſen die ſchönen Mädchen wachſen.“ 

Ging ich nun nicht ſo unparteiiſch zu Werke, ließ 
ich das Bonmot auf ſich beruhen, und die Welt käme 
hinſichtlich der ſächſiſchen Mädchen nie auf's Reine, 
aber fo ſtreiche ich das ſchön und ſetze dafür hübſch. 
Nah dieſer Variation will id) das Sprichwort be— 
ſchwören, falls die Sache zum Prozeſſe kommt. Hier⸗ 
mit ſoll nun nicht geſagt ſein, als ob in Sachſen 

Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIII. 11 


ı® 


162 


nicht auch jehr fhöne Mädchen wüchſen, bewahre der 
Himmel! Auch leb’ ich der moralifchen Weberzeugung, 
daß ſich ꝰ10 Theile meiner Landsmänninnen für ſehr 
ſchöne Mädchen halten, 

Hätt' ich völlig freie Hand, würd' ich obiges 
Bonmot noch auf eine zweite Art variiren und 
ſchreiben: 

„In Sachſen, wo die herzigen Mädchen wachſen.“ 

Dies kann ich ſogar auf geographiſchem Wege 
beweiſen. Deutſchland oder, wie die Turner wollen, 
Teutſchland, oder demagogiſch das deutſche Vaterland, 
oder laut der Wiener Congreßakte die deutſchen Bun⸗— 
desſtaaten ſind bekanntlich das Herz von Europa; 
Sachſen wiederum iſt das Herz von Deutſchland; 
kann e8 aber nad) deutſcher Logkik und Fundamental⸗ 
Philofophie ander Tommen, als daß auf ſolch' her- 
zigem Terrain bie ‚meiften herzigen Mädchen wachjen? 
Ein ſächſifches Mädchen weiß mit ihrem Heinen Her⸗ 
zen in der Welt Gottes Nichts anzufangen, als fid) 
damit zu verlieben, und das macht das ſüße Kind 
eben fo herzig und liebenswürbig, 

Indem ich den letzten kühnen Sat nieverjchreibe, 
fallen mir die Leipzigerinnen ein, und ich fomme in 
nicht geringe Berlegenheit. Daß die Leipzigerinnen 
auch ſächſiſche Mädchen, kann ich nicht läugnen und 
gleichwohl paßt ta mein Sag nit, daß fie mit ih- 
ven diverfen Herzen Nichts anzufangen wüßten, als 
fi) zu verlieben. Id) will mid auf gut conftitutios 
nellem Wege aus ver Schlinge ziehen und jo Har als 
möglich fallen. 

Geber Mebiciner, wenn er auch noch nicht pro- 
movirt hat, wird mir zugeftehen, daß jedes irdiſche 
Mädchen, von andern iſt die Rede nicht, mit zwei 
Herzkammern geboren wird. Nun gut, ich mache 


163 

jet die Nutzanwendung auf die ſächſiſchen Mädchen. 
Wenn ich von ihnen im Allgemeinen behaupte, daß 
fie mit ihren Herzen .nichtd anzufangen wüßten, als 
fih damit zu verlieben, fo fol Das fo viel heißen, 
daß fie fih mit beid en Herzlammern verlieben; bie 
Leipzigerinnen machen aber eine Ausnahme und ver- 
lieben fih blos mit Einer, während die Andere 
mit allerhand Contrebanvde, als da find Feronièren, 
Spiten, Marabouts, Ballengagements und mit noch 
Ihlimmeren Dingen vollgepfropft ift. 

Die Leipziger Mädchen find wie ihre vaterländi- 
fhen Colleginnen zwar conftitutionelle Staatsbürgerin= 
nen, aber liberaler gefinnt. Sie geben dem AYwei= 
fammerfyftem den Vorzug. Es ift da ein ewiger 
Steit der Intereſſen zwilchen Liebe, Eitelfeit und 
Gefalljuht, während die Mädchen in der Provinz 
gar nicht wiſſen, daß fie zwei Kammern haben, ba 
in beiden nur die Liebe wohnt. 

Die Mädchen in ber Provinz, was fol‘ das be- 
deuten? Es ift gut, daß mir die Nedensart in den 
Weg kam, ic habe mid) lange genug darüber geär= 
gert, und erhalte nun Gelegenheit, einmal dem Leip— 
ziger Mebermuthe beizufommen. 

Die Yeipziger, doch bamit id nicht ungereht 
werbe, faft nur das junge Yeipzig, la jeune Leipsic, 
wenn e8 auch nicht ganz der Weberzeugung lebt, daR 
Leipzig der Mittelpunkt der Erbe und ber Eivilifa- 
tion, und daß der liebe Gott den 5400 Meilen lan- 
gen Aequator blos erſchaffen hat, damit er fih um 
Leipzig drehe, hat ſich feine eigene Geographie ge- 
Ihaffen. Nach dieſem Leipziger geographiſchen Kate— 
chismus wird das Köni Sachſen eingetheilt: 

a) in die Stadt L , inclusive der Kohlgär- 

ten und Straßenhaufer, und 





®. 


.. 164 

b) in die Provinz.‘ 

Alles, was niht Sahne ftatt Rahm fagt, was 
nicht zittert und bebert, ſondern nur zittert und 
bebt, gehört zur Provinz; das herrliche Dresden im 
blühenden Elbthale mit feinen Kunftfhägen, Drespen, 
die Haupt- und Reſidenzſtadt, das gewerbliche Chem- 
nis mit feinen Fabriken — Alles ift Provinz, hat 
neun Zehntheile weniger Anſpruch auf Die ewige 
Glückſeligkeit, und Leipzig mit feinen fetten Lerchen 
und magern Profeſſuren ift die allmächtig gebietenve 
Urbs. | 

Doc ich kehre zu meinem Hauptthema, den fädh- 
fihen Mädchen, zurüd. 

Dir ward Gelegenheit, die ſächſiſche Flora in den 
verſchiedenartigſten Jahreszeiten zu beobachten. Wie 
manche ſelige Winternacht lehnte ich an einem Pfei- 
ler der kerzenflammenden Ballſäle des Hotel de Po— 
logne in Leipzig, und ſah die reizenden Guirlanden 
des Cotillon an mir vorüberſchweben. Ich habe ſie 
geſchaut die liebliche Flora der Leipziger Gewandhaus⸗ 
concerte, jo wie die freundlichen Blumen der Reſi— 
denz, in reizender Verklärung der hundertfach flam— 
menden Kerzen, umwogt von den füßejten Melodien 
Bellini's. Man befand fih in einem Zauberparke 
von Tauſend und Einer Naht; man war beraufcht, 
entzüdt, aber nicht — erquidt. Die lieblichen Blu— 
men waren eben nichts als Balldamen, und wenn 
man am Tage nad dem Ball den blafjen, kränflichen 
Geftalten auf der Promenade begegnete, ſchwand vol: 
lends alle Poeſie. 


Aber es gibt außer Feipzig und Dresden noch 
eine andere ſächſiſche Florä, die wie ein duftendes 
Veilchengebild in der Stille ihrer Berge und Thäler 


165 _ 


einfam blüht, des eigenen Werthes unbewußt, und 
fie ift die Nationalfarbe der ſächſiſchen Mädchen. 

O durchwandere nur, geneigter Leſer, an ſchönen 
Sommerabenden bie freundlichen fächftfchen Landſtädte, 

blicke auf nach den Fenſtern, wo Blumen herabnicken, 
und Du wirft hinter den Blumen noch ſchönere Blu— 
men verftedt finden; wandle nur vorüber an ben 
Steinbänfen vor den Häuſern, wo fie gern vereint 
fist die holde nahbarlihe Flora, plaudernd und 
Märchen erzählenn, und Du wirft fie oft der glän— 
zendften Damengallerie des Ballſaals vorziehen. Kehre 
nur ein in den einfam gelegenen Maiereien, den im 
Waldesgrün vergrabenen Förfterwohnungen und ben 
hinter blühenden Linden verftedten Pfarrhäufern, und 
Du wirft erfennen, daß in Sachſen auch Engel blühen, 
von denen fein Geograph und felbft der königlich 
ſächſiſche ftatiftifche Verein Nichts weiß. 

Indem id Dies ſchreibe, überfommt mid) tiefe 
MWehmuth, denn ih muß ja deiner gebenfen, un 
nennbar füße Blume, die du einfam und vergeſſen 
blühft in Sachſens höchftem Gebirg, wo man feinen 
Frühling fennt, träg’ der ſchwarze Hüttendampf zum 
veröbeten Himmel ftetgt, wo eintönig das Glöckchen 
des Bergwerks tönt, und am Weg der Eibiſchbaum 
mit feinen vothen Beeren fümmerli nur gebeiht. 
GStiegft du herab von deinem Wolkenſitze zu den 
Fluren des Frühlings, weld’ ein Blumenregen von 
Huldigungen würde Dich begrüßen. So wirft bu 
einfam blühen, einfam fterben, und im Eife des Erz- 
gebirgd wird bein einfame® Grab fein. Denn bu 
bift arm und ein Engel, zwei Eigenfchaften, die voll- 
fommen geeignet find, hienieden recht bald vergeflen 
zu machen. Bielleicht, daß, wenn bu von binnen 
gegangen, die Vollsſage ihren Regenbogenfhimmer _ 


166 


um did breitet, und bu ben wenigen armen Leu—⸗ 
ten, die dich kannten und als Heine Heilige verehr- 
ten, auch fünftig als Heilige erjcheinft und fie ftärfft 
im frommen Wandel. Mir ift Nicht von dir ges _ 
blieben, als ein einfach Lied, das ich fpäter einer 
jungen Dame fchentte, der ih oft von bir erzählte 
und bie dich innig liebte, weil fie dir ähnlich war. 
Obſchon fih die Paar Verſe gebrudt vorfinden, fei 
ihnen doch, da fie ein ſächſiſches Mädchen charak— 
terifiren, ein Plätzchen gegönnt: 


„Doch oben auf den Felſen, 
Wohin kein Auge fieht, 
In Frühlin —— eine ſchöne 
Vergeß'ne Blume blüht. 


„Tief unten lacht der Frühling, 
Leben der Schweſtern viel! 
Es treiben in muntern Zweigen 
Die Vögel ihr luſtiges Spiel. 


„Die Wolken und die Geier 
Achten der Blume nicht, 
Es ſchaut kein fre zu Auge 
In das fo liebe Geficht 


„Kein Schmetterling ungankelt 
Das blühend ſchöne Kleid — 
Die ganze Welt da unten 
Kennt nicht der Blume Leid. 


„Das Abendroth iſt verklungen, 
Die Sterne blicken herfür — 
Die Blume iſt geſtorben — 
Es weiß kein Menſch von ihr.“ 


Der Leſer wird mir übrigens für dergleichen poe— 
tiſche Excurſe wenig Dank wiſſen. Ich gehe aber 


— 5 


167 


in mih, werde wieder ftatitiih und beachte wie 
folgt: 

Unter zehn fähfifhen Mädchen ift eins ſehr 
hübſch, eins recht hübſch, drei find Hübfch, drei we— 
niger hübſch, zwei gar nicht hübſch. Schön ift 
ungefähr das Fünfzigfte und häßlich das Dreigigfte. 

Unter zehn ſächſiſchen Mädchen ſind ferner drei 
bis vier liebenswürdig, ein Paar ſind angenehm, 
die rigen laſſen gleichgültig. 

Geiſtreich ſind von Zehn eins oder zwei, ge— 
müthreich aber acht. 

Naivität iſt ihre Cardinaltugend und Natio⸗ 
naltypus. Unter zehn befinden ſich wenigſtens ſechs 
oder ſieben Naive. 

Sich geſchmackvoll zu leiden veiſtehen von 
Zehn nur drei oder vier. In Leipzig ändert ſich Dies 
Verhältniß, da verſtehen e8 act. 

Bon zehn Mäpchen befommen drei ven Mann 
ihrer Wahl; ſechs heirathen, um unter die Haube zu 
fommen und eine befommt gar feinen Mann. 

Nichtsdeſtoweniger find von zehn Chen zwei 
glücklich, fünf zufrieden, zwei unzufrieden und nur 
eine unglüdlih zu nennen. 

Nah viefer Wahrjcheinlichfeitsrechnung, „von der 
fi) jeder Lefer, fo er nah Sachſen kommmt, wird 
überzeugen können, fei mir noch zu erwähnen erlaubt, 
wie man die hübſchen Sachſinnen in der Regel benamt. 

Da ftchen nun gleich im erften Gliede die _ 
Marien. Sind zehn Mädchen beifammen, fteden 
gewiß ein oder zwei Marien dagunter; und fonderbar, 
ein eigner Segen ruht auf den fächfifchen Marien, es 
find *faft fammtlih füße und holde Kinder. Daher 
das Lied von Wilhelm Müller von den Lippen man 
ches begeifterten Marienliebhabers ertönt: 


168 


„Maria, möcht' ih Dich begrühen. 
Mein Gerz hat ftets Dich To genannt. 
Seh" ih ein Hares Bächlein fließen, 
Set’ ih mich ftill an feinen Strand; 
Maria, riefeln feine Wogen, 

Maria fol Dein Namen fein u. ſ. em. “ 


Nah den Marien kommen die Paulinen. 
Auch dieſe find in der Regel vet hübſch; und ich 
würde überhaupt bei jever königlich fächfifchen Ge— 
vatterfchaft den guten Rath geben, das refpective 
ZTöchterlein Marie oder Pauline zu taufen,; es würde 
ba gewiß einmal recht hübſch. 


Auf die Paulinen folgen die Therefen, diefen 
die Sophien, De Luiſen, Henrietten, Ama— 
lien, die Julien und Emilien, dieſen die Char— 
[otten und Karolinen, die Auguften, Wilhel— 
minen und Mathilden. Auch Clärchen giebt’s 

"pie Menge, und in Dresden heißt alle Welt Ida. 


Beſcheidenheit iſt eine der hervorragendſten Tugen⸗ 
den meiner ſchönen Landsmänninnen. Sie würden es 
nur ungern ſehen, wollte ich dieſes Kapitel, welches 
allein über fie handelt, noch weiter fortſpinnen, ob— 
ſchon mir der intereſſanteſte Stoff zu Gebote ſtünde, 
wo ich Meine über allen Tadel erhabene Beobachtungs- 
gabe im glänzendſten Tichte zeigen könnte. Indeß 
meine Galanterie ift doch noch größer als meine Au- 
toreitelfeit, wa8 gewiß viel jagen will, und indem id) 
dem Wunſche der beſcheidenen Schönen” zuvorzufommen 
ſuche, fchließe ich dieſen Auffay mit der Bitte an alle 
nichtſächſiſchen Leſer, recht bald felbft in mein freund- 
liches Heimathland zu kommen und fi von der Wahr- 
haftigfeit meiner Ausfagen über vie fächfifchen Mäd— 
hen zu überzeugen. 


169 


Ich lebe und empfehle mid) in der frohen Hoff- 
nung, daß fie die Reife nicht gereuen wird. 
® 


e 


Eine gewitternacht auf dem Winterberge. 


Es war ein klarer, fröſtelnder Spätherbſtmorgen, als 
Martinus Luther, gefeierten Andenkens, feine berühm- 
ten Controverfen an die Schloßtirche zu Wittenberg 
nagelte. Die Morgenſonne ſchien fo nüchtern über 
die Dächer der hurfächfifchen Univerfitätsftant, daß 
der Reformator für feinen hochheiligen Zwed gar feine 
geeignetere Zeit wählen konnte Der Frühling mit 
den blühenden Altären und fterngeftidten Nachtigall 
nächten war nicht paſſend für die nüchternen Vernunft- 
füge Meifter Martin's; auch der norbdeutjche gluth- 
und jchweißreihe Sommer nicht; wohl aber jene 
are, leivenfchaftloje Herbftfonne, wo bie Natur das. 
blühende Gewand abgeftreift hat, die Sinne unbehel- 
ligt läßt, und bie Contemplative erleichtert. Als⸗ 
nah einigen Wochen die Novembernebel herabfanten, 
war die Saat bereit geftreut und in ven langen, 
ofenerwärmten Winternädten fand Bürger» und Nit- 
tersmann binlänglihde Mufe, über die fünf und neun- 
zig Säge nachzudenken. Die Schneevede des Winters 
1517 bis 1518 ſchmolz, donnernd trieben die Eis— 
fchollen der Elbe gen Norden — da brad die Saat 
der Reformation wohl ‚erhalten und ſtark hervor. 

Ich weiß nicht, wie lange jenes welterfchütternde 
Placat an der Schloßkirche zu Wittenberg angebeftet 


1:0 


hing; aber heute noch, nach länger denn dreihundert 
Jahren, muß ich mic) wundern, wie die damalige Sicher- 
heits⸗ und Wohkfahrts-Polizei der guten Univerfitäts- 
ſtadt ein ſolches polizeiwidriges Unternehmen fo. ge- 
laſſen mit anfehen konnte. Ich Tann mir die Sache 
nur daraus erflären, daß die damaligen weltlichen 
Behörden, die Fürften, Grafen und Herren gegen den 
für ihre höchſt eigenen Gefälle fo verberblichen Ab⸗ 
laßkram noch weit aufgebrachter waren als Luther 
ſelbſt; die heller Denkenden der Univerfität waren 
über die Abnormitäten der damaligen katholiſchen 
Kirche Längft im Klaren und ber hbausbadene, phan= 
taftelofe Sinn des Bürgers zu Wittenberg, einer 
Stadt an der vroſaiſchen Elbe, Tieß fih durch bie 
Declamatorien Tegel’3 fein X für ein U machen. 
Sp war Luther nur das Drgan der damaligen öffent- 
lihen Meinung. Er hatte ven Muth, fie auszufpre- 
hen und anzufchlagen an ver Schloßkirche zu Witten- 
berg am 31. October 1517, und zu vertheidigen vor 
Kaifer und Reich in der freien Reichsſtadt Worms. — 

Frühlinge famen und gingen. Da verftummten 
almälig in Folge jenes verhängnißvollen October- 
tages die fatholifchen Gloden in den Domen und 
Hallen, die ewigen Lampen erlofchen, die Heiligen- 
bilder erbleihten und weinend floh Madonna gen 
Süden. Aber auch dort, in den Gebieten ber weithin 
raufchenden Donau, in den fröhlihen Thälern von 
Dber- und Nieder-Defterreih, in der eifenhaltigen 
Steier, wo Italien herüberranft mit feinen blühenden 
Armen, und das kernvolle deutſche Wort in melodi- 
[chem Wohllaut zerflieht, warb es Iutherlaut und 
tageshelle. Lange Zeit fehleuverte der Vatican feine 
Dlite gegen ven heraufbrechenden Morgen; fein Reid) 
Ihien zu Ende im veutfchen Lande. Da fehlug einer 


Tu 


171 


der römifhen Blige in die Hofburg zu Wien un 
zünbete. Das junge beutihe Glaubenslicht warb jett 
zur Fenersbrunft. In dreißig blut- und zornvollen 
Jahren legte das Haus Habsburg fein religiöfes und 
politifches Glaubensbelenntnig nieder. Mancher fatho- 
liſche Dom ftürzte zufammen, manches proteitantifche 
Bethaus ward gefchleift, und als man fampf= und 
biutmüde Frieden ſchloß, theilte fih Luther und der 
Papft.in das deutfche Reich. Jener behielt den Nor- 
den, biefer den Süden. So ift e8 geblieben bis auf 
be heutigen Tag. 

Finſter und waldumnachtet erhebt fih auf Böh⸗ 
mens und Sachſens Grenze ein hoher Berg mit ba— 
faltner Kuppe und einer Eichenkrone. Man nennt 
ihn den großen Winterberg und er ift einer der 
Marktſcheiden zwifchen dem proteftantifchen und katho— 
liſchen Deutfchland. Weithin fchweift von bier der 
Blick in das walddunkle, tieffatholifhe Böhmen, wo 
fie vor Jahrhunderten freudig kämpften und bluteten 
für Huß und Luther und jegt gläubig Inieen vor dem 
heiligen Nepomuf. Weithin fchweift der Blick auf 
der anderen Geite in das lachende proteitantifche Sadı- 
fen. Der Gipfel des Berges feldft ift Iutherifh, vom 
nahen ſächſiſchen Gränzdorfe tönt einfach und fill 
die Slode des reinen Evangeliums. Auf der ent- 
gegengefettten Seite des Berges beginnt Sanct Peter’s 
Macht. Tief unten im Thale tritt die Elbe aus 
Böhmen herüber und fließt nun fort duch Lauter 
proteftantifche Länder bis zu ihrer Mündung im 
Meere. 

Dort oben aber auf der unwirthbaren Höhe, wo 
das kleine Winterhaus erbaut ſteht auf kaltem Ba⸗ 
ſalt, und umrauſcht wird von der einſamen Eichen⸗ 
gruppe, in deren Zweigen wunderbare Lieder tönen, 


172 


fehren in den Sommermonaten oft Harfenfpieler ein, 
welhe aus Böhmen herüber kommen und bie Befu- 
her des Winterberges durch ihr Spiel und ihre Me- 
lodien erfreuen. . 

Einft hatte mich der Abend übereilt und ich war 
genöthigt, im Winterhaufe zu übernachten. Schon 
von fern wehte mir durch die Stille des Abends 
Harfenlaut entgegen. Die Sonne war hinter einer 
vunfeln Wolkenwand untergegangen, und allmälig 
verfanfen Städte und Dörfer, Berge und Wälder in 
geheimnißvolles Dunkel. In den Kronen der Win- 
terberg- Eihen raufchte es märchenhaft. Der Abenb- 
himmel umzog fih dunkler und in den kleinen en- 
ſtern des Winterhaufes warb es lichthell. ie 

Der Wirth kam mir entgegen, blidte nach Abend, 
verkündete heut noch ein Kleines Unwetter und wünfchte 
mir Glüd, troden das Winterhaus erreicht zu ha 
ben. Ich war heute der einzige Gaft und trat in 
die damals noch Fleine, aber gemtüthlihe Fremden—⸗ 
ftube. Zu meiner Bewillfommmung ertönte eine jener 
böhmischen Nationalmelodien, in welcher, wie in al- 
len flavifchen Liedern, ein jo unendlicher Zauber ruht. 
Es war ein Allegro, aber ein Allegro, das durch 
Thränen lächelt. 

Wer ermißt den abgrumndtiefen Schmerz, der in ben 
Mollaccorden jener weithinwohnenden Bölferfchaften 
fpridt, die wir Slaven nennen. Sie klagen feit 
Sahrhunderten um einen unerſetzbaren Berluft, der fo 
groß ift, daß fie ihn nicht auszusprechen wagen in 
Worten; aber wenn wir ihre Lieder hören, verftehen 
wir ihn. Weih und thränenvoll legen fich dieſe 
Klänge an des Deutfhen Bruft, die jo gern theil- 
nehmend mitfchlägt bei fremden Leiden. 

Noch oftmals werden fi die Berge und Thäler 


173 


Slavoniend grün Heiden im Schmude des Fruhlinge, 
und noch mancher Ring wird den Kern der deutſcheu 
Eiche umgürten; aber einſt — dafür bürgt der Geiſt 
der Geſchichte, die große ſittliche Weltordnung — 
werden jene Molltöne wieder in Dur übergehen, und 
der Himmel wird ſich röthen — ich weiß nicht, ob 
vor Freude oder von Blut- und Racheflammen. 

Das Muſikcorps anf dem Winterberge beſtand aus 
einem ziemlich bejahrten Böhmen und feiner Tochter, 
einer reizenden Blume aus dem Reiche der Madonna. 
Unter den langen dunkeln Wimpern glühte es tief- 
katholiſch. Das dunkelſeidene Haar fcheitelte ſich rein 
und reizend um dad von Wunderhand gezeichnete 
Oval. Die Heine Goldhand flüfterte leid in den 
Saiten der Harfe So ſaß fie da, wie ein ſchönes 
frommes Legenvenbild der Vorzeit. 

D ihr ſchönen frommen Legenvenbilder der allein- 
feligmachenden Kirche, ich - bin Proteftant, aber gegen 
euch hab’ ich nie proteſtirt. Ich glaube, daß ihr fe- 
lg fprehen könnt mit dem ſüßen Munde, und Un— 
Ders ichteit verleihen mit den Gewißheit verfündenven 

ugen. 

Der Wirth auf dem Winterberge hatte wirklich 
nicht unrichtig prophezeit. Es war ein Heidenwetter 
im Anzug. Schon grollte und pfiff es unheimlich 
in ber ringsumher außgebreiteten Felſeneinͤde. Ein 
fernes Wetterleuchten fegte die Gegend in momentane 
Beleuchtung. 

Der Harfner war mit feiner Tochter vor das 
Winterhaus getreten. Das Mädchen bielt ängftlich 
feinen linken Arm umſchlungen und blidte fchen nad 
dem heraufziehenden Gewitter, bei jedem Blitz ihr 
Geſicht an der Bruft des Pater verbergend. - 

Ein langfamer Donner rollte jetzt durch's Elb⸗ 


174 


thal, bald Sachſen und Böhmen den Beginn des 
Nachtgewitters verkündend. Der plötzlich berabfal- 
lende Platzregen trieb uns zurück in's Winterhaus. 
Der alte Böhme ſtellte ſich ſogleich an's Fenſter und 
ſchaute keck hinaus in das großartige Nachtſtück, wäh- 
rend das Mädchen zitternd die Perlen des Roſen⸗ 
kranzes durch die Finger gleiten ließ. Immer wil- 
der tobte das Unwetter. Bon Zeit zu Zeit ſtürzte 
ein losgeriſſenes Yelsftüd unter pumpfen Donner in 
den Abgrund. Seufzend fchlugen die Eichen auf ih- 
rem bafaltenen Poflament die naffen Kronen gegen 
einander. Rings umher eine Nacht wie vor Er— 
Ihaffung der Welt, fortwährend von den goldenen 
Bändern der Blige durchſchnitten. Der Donner rollte 
ununterbrochen. 

ALS aber das Toben der Natur den höchſten Grad 
erreicht hatte, das ſchöne Mädchen todtenähnlich zu- 
fammengefunfen war, die Wirthsleute, die Bibel in 
ber Hand, mit bebenven Tippen daſtanden, und mir 
jelbft ganz und gar nicht wohl zu Muthe war, ba 
die Blige wie Raketen aus allen Weltgegenden ge= 
gen das Winterhaus daherfuhren — Da griff ber alte 
Böhme plötlich nad) feiner Harfe. Seine Blicde leuch- 
teten, die Töne raufchten und er flimmte an ein ur- 
altes böhmifches Volkslied. Es war ein wilder, to= 
desmuthiger, flegesfreudiger Schlachtgefang aus dem 
Kriege der Huffiten. Der ging aber nit aus 
Mol, fondern aus dem kräftigften, frendigften Dur. 
Ich hörte deutlich die Trommel Ziska's wirbeln, id) 
ſah die Procope hoch zu Roß, vie Eifenkeule in der 
Fauſt, voran der ſchwarzen rache- und freiheitglühen- 
den Schaaren. E83 war ein heißer, blutiger Drang 
und Kampf für Glauben und Vaterland, und je lau— 
ter der Donner nieberfchlug in die Felſen und dröh— 


175 


nend wiberhallte, um fo lauter Hang die Harfe. Ich 
hätte nie geglaubt, daß aus diefem fanften Inſtru— 
mente foldye Töne zu fchlagen wären. 

Aber ver Sturm legte fih, das Gewitter zog 
vorüber, nur noch aus der Ferne grollend und leudy 
tend, und leifer Fangen die Saiten. Da brach aus 
zertiffenen Wolkendeden der Nachthimmel in feiner 
ftillen Schöne, und nun perlten die Töne glaubens- 
freudig und fiegeöfiher, und gingen über in ben 
ewigen Choral des Lutherlieves: „Eine feſte Burg 
ift unfer Gott!“ 

Erſchrocken fprang bei dieſen Klängen das fromm⸗ 
bejorgte Mädchen auf ven Vater zu, und fuchte ihn 
-mit gefalteten Händen zu beſchwören. Zugleich blickte 
fie jhen nah mir, den Wirthsleuten und dem ſich 
zurückziehenden Gewitter, gleihfam als fürdte fie, es 
werde zurüdfehren ob Diefes ketzeriſchen Liedes. 

Der Alte Tieß fih aber nicht ftören und fang 
laut und begeiftert alle vier Verſe des großen Liebes. 
„E83 ift fein Verräther unter uns, mein Kind,” ſprach 
er, als er geendet, „und würbe e8 auch verrathen, 
ih kann mie nicht helfen; ſchau' ich Gottes Pracht 
und Herrlichkeit, da muß ich fie fingen, die alten 
herzerquidenben Lieber, und hätte fie auch der fromme 
Pater Clemens noch ſo ſtreng verboten. 

Das Mädchen ſchüttelte aber ungläubig und trau— 
rig das Madomnengeſicht und küßte um fo inniger 
das kleine Marienbild, das fie uf der Hand hielt. 
Sie wuhte es ja wohl, die Himmelsfönigin war es 
gewefen, die das Binterhänschen vor dem Blitz ge- 
Ihirmt und das Gewitter ˖ gnäbig hatte vorübergehen 
lafien. Der Wirth Happte forgfältig die alte Haus- 
bibel zu, in welcher er fi) während des Unwetters 
Troft erholt, und ftellt fie ehrfurchtsvoll an den ge- 


z 


176 


wohnten Chrenplag. Er war überzeugt, die Bibel, 
dieſes heilige Buch, war es gemwejen, welches ben 
Zorn des Himmeld abgewenbet. Ruhig ftellte ber 
Harfner feine Harfe in die Ede. Ihm war es Klar, 
hätte er nicht das uralte Vaterlandslied angeftimmt, 
die Sache konnte ſchlimm werben. 

Ih aber trat hinaus in die Sternennadht, wo 
des Winter Name in golpnen Yügen leuchtete. 

Da unten wohnten fie, die Sachſen, die Böhmen. 
Dft befänpften fie fich in dunkelen Schlachten über 
ben wahren Gott. Und war es nicht derfelbe Him— 
mel, der. über beide. Känder mit gleicher Liebe 
herabfintt? 

Wie aber das Nachtgewitter nicht ein einziges 
Komma verräden konnte in jener goldnen Wahrheit 
fchrift dort Oben, fo wird die Wahrheit aud felbit 
fiegen über alle Stürme ver Erde, und bereinft nur 
Ein Gott, Ein Glauben, Ein Baterland und Ein 
Himmel fein hienieven! 


Drud von Alexander Wiede in Leipzig. 


Ferdinand &tolle's 
ausgewählte Schrifler 


Bolfs- und Familien= Ausgabe. 


Vierandywasyigster Ban. 


Zweite Auflage 


Leipzig, 
Ernfk Keil 
1858, 





ieher ud Eee 


nebft 


lebensgefhichtlihen Umriſſen. 


— — — — 


Von 


Ferdinand Stolle. 


—— 


Zweite Auflage. 


— 





Leipzig, 
Ernft Keil. 
1858. 





3nhbalt — 


Sängers Gruß. 
Lieder. 


I. Was laufen die Leute c. . . . 
11. Der Frühling, ift ꝛc. .. 
11I O blide dem Frühling x. . . . 
IV. Du füße Perlenfpenverin :c. 


V. Kennft Du ihn wohl m... .. 


vI Nichts hält mich mehr ꝛc. 
VI. 93a, wandern duch c. . .. 
VII. Es bat ihr reiches zc. 

IX. In walbesftiller, grüner ꝛc.. 

x. Es mwogt das Korn ꝛc.. 

XI Eben jagt ein Mädchen ꝛc.. 
XII. Und. als die Nachtigall ze. . . 
XIII Die Blume flirbt ꝛc. . .. 
XIV. Ein Märchen klingt ꝛꝛc. ... 

4 


XXVIII. 


XXXI. 
XXXILI. 


XXXIII. 


XXXIV. 
XXXV. 
XXXVI. 
XXXVII. 


XXXVII. 
XXXIX. 
XXXX. 
XXXXL 
XXXXII. 


VI 
e 


Hoch oben auf dem ꝛc. . . 
Der Frühling fant ce. . - 
Ein dunkler Abendſchatten 2c. 
Die Sonn’ ift Shin x. » 
Hinter weißen Blüthenbergen 2c. 
Es fingt eine Lerche ıc. . 

Es duften die Lindenbäume ac. 
Es find die alten Sterne ꝛc. 


Ob St im. .... 


Die Sterne bliden x. - 

Der Wind jchon über die ꝛc. 
Die Nachtluft weht c. . . 
Graue Abenddämmerung ꝛc. 
Ich ſchane die dürren ꝛc.. 
Sitzeſt nun an ꝛc.. .. 
Doch was iſt Dir ꝛc. . . 
Kennſt Du das ꝛc. 

Siehſt Du die Blume ꝛc. 


Das braune Nußbaumtifihchen : %. 


Es war am Sonntag Morgen ıc. 


Und thät der Abend 2c. . 

O nimm mid mit ac. 

Süße, zauberhafte Blume 2c. 
Keine Deputirtenfammer ꝛc. 
Sie hat geihmollt &. . . . 
Rings von Bergen c. +... 
Des Frühlings Roſen ꝛc. 

Du bift bie einfame x. . » - 


* 


. 


vn 


XXXXIII. Ich glaube, daß Du ꝛc. 
XXXXIV. Eh' die Eonne no ꝛc. 
XXXXV. Mondenlicht, Hehrenglanz 2c. 
XXXXVI Wird. denn nidt . . 


XXXXVII Neue Schmerzen, neue Lieder ꝛc. 


XXXXVIL. Merathet nur x. 
XXXXIX. Nimm hin dies Lied 2c. 
L. Dort wo Myrth' und ıc. 
LI. Du bift fo triib’ ac. . 
LII. In deinen Armen 
LIII. Werdet nur nicht ac. 


Gedichte. 


Brecht auf, brecht auf 2c. 

Das PVaterunier. 

. Das hohe Kied. 

. Bann Sehen wir uns wieder? 

Wer nur den lieben Gott läßt walten. 

Der Dom. | 
Frühlingsahnung. 2» > 2.2. 
Sternennadt. - © 2 > 2 22. 

Der Lindenbaum. 2. 2 2 22.0 

Die Fiſcherhütte... 2 2 2 02. 
Das Mädchen am Meere... . . . » 

Der beutihe Walzer. 2 2 2 2 2 0. 
Erfter Engel. - 2 2 2 2 2 rn 


Seite 
3 


SEIRIERB 


& | 


BERERERIEBRRBR 


VIII 


Im Todtenhaus. . 
Die Himmelstofe. 
Srauenfchöne. . ... ... 
Ein Lied für die Waiſen... .. 


Erzgebirgiſche Spitzen. . . - ©. FE . 
Grimm. . 2 222000. —8 


Alte Heimlehr......... 


Die ſchönſte Gabee.. 2 2 0 ee. 


O könnte mir ein Lied gelingen. 


Lebensgeſchichtliche Umriſſe. 


Sängers Gruß. 


br Knaben und ihr Mädchen alle 

Ihr Frohen und Betrübten kommt, 
Kommt lauſcht bei meiner Zither Schalle, 
Was euch Geliebte freut und frommt. 


Für alle bring' ich kleine Lieder, 
Der frohen und der ernſten viel; 
Ich kehre mit dem Frühling wieder, 
Und neu ertönt mein Saitenſpiel. 


Mir iſt nicht große Erdenhabe, 
Doch meine Laute macht mich reich, 
Sie iſt die ſchönſte Gottesgabe 

Und keinem Erdengute gleich. 


Denn in der Wehmnth leiſen Tönen 

Sie liebend zum Betrübten. fpricht, 

Sie weint mit ihm, ſucht zu verſöhnen, 

Bis fanft fein Schmerz in Thränen van. 
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV. 


,  Serdinom tolles 
ausgewäßlle Schriften. 


Volks- und Kamilien= Ausgabe. 


— 


Diernndymangigster Band. 


Zweite Yuflage 


— —— —— 


Leipzig, 
Ernf Keil. 
1858. 


Fieder und Sebichte 


nebſt 


lebensgeſchichtlichen Umriſſen. 


— — — — 


. Bon 


Ferdinand Stelle. 


— 


Zweite Auflage 





Leipzig, 
Ernft Keil. 
1858, 


Inhalt. 


Sängers Gruß. 


£ieder. 


Was laufen die Leute ꝛc. 
Der Frühling, ift zc. 

O blicke dem Frühling zc. 
Du füße Berlenjpenderin ꝛc. 
Kennft Du ihn wohl ıc. . 
Nichts hält mich mehr ꝛc. 
Ya, wandern durch ꝛe.. 
Es hat ihr reichftes 2c. 


In waldesftiller, grüner ꝛc.. 


Es wogt das Kom x. 


Eben fagt ein Mädchen 2c. . 
Und. als die Nachtigall ꝛc.. 


Die Blume ftirbt ıc. . 


Ein Märchen Hingt zu... -» 


% 





I. 


Wns laufen die Leute auf und nieder, 

Als brennt’ es an allen Orten? 

Der Frühling, der Frühling ift fommen wieder 
Die Erde jung geworben. 


— Der Frühling ift ein alter reis, 
Mit Loden; ſchnee- und filberweiß, 
Zählt taufend Jahr und drüber. 
Doch hat er ein Herz voll Liebe ſich 
Bewahret unveränderlich ; 

Und wen er liebt und wen er küßt, 
Des Frühlings Alter bald vergißt. 


IL. 


Der Frühling ift zum Land herein, 
Die Glocken Yäuten ihn fegnend ein, 
Froh werben alle Betrübten. 

Doc wehe, welch ein neuer Schwarm 
Kommt da gewandelt, Arm in Arm, 
Hilf Himmel, die Berliebten. 


III. 


O blicke dem Frühling in's Geſicht 
Mit Deinen verweinten Augen, 

Und wiſſe, Liebchen, daß Thränen nicht 
Zur Frühlingsfeier taugen. 

Mit Thränen feid doch gleich zur Hand 
Ihr Mädchen mit hübſchen Augen, 
Könnt ihr das ſüße Himmelspfand 
Nicht zu was Beſſerm brauchen? 


iv. 
Du ſüße Perlenſpenderin, 
Die Du Deine Aeuglein nicht ſchoneſt, 
Wer iſt es, holde Königin, 
Den Du ſo reichlichſt lohneſt? 


Perlen und Frühling, 
Das laſſ' ich gelten. 
Thränen und Frühling, 
Da muß ich jchelten. 


V. 


Kennſt Du ihn wohl den holden Knaben, 
Der ewig jung, voll Heiterkeit, 

Der liebevoll mit feinen Gaben 

Das Herz der Sterblichen erfreut. 


7 


Im grünen Walde, auf den Auen, 
Am blauen Himmel, klar und mild, 
Im Neſte, das die Vöglein bauen 
Erblickſt Du ſein geliebtes Bild. 


Es lächelt freundlich Dir entgegen, 
Und heißt Dich froh willkommen ſein, 
Und aller künft'gen Tage Segen 

Daukſt Du dem Knaben nur allein. 


— — 


VL 


5 


Nichts hält mich mehr! Hinaus, Gi“ is Weite! 
Mein Hab’ und Gut ift alles wohl beſtellt; 

Und jubelnd in der Reife leichtem. Kleide, 

Begrüß ih Dich, Du ſchöne Gotteswelt. 


O wanbern, wandern, wunberjel’ger Klang, 
Der meine ganze Bruft erfüllt, 

Der, wie die Blume unter Lenzgeſang, 
Mir unaufhaltfam aus. ben Herzen quillt. 


VII, 


Ja, wandern durch bie große ſchöne Welt, 
Durch ihre Blumenranken, Palmenhaine, 
Durch ihre Abendſonnen, Mondenjceine, 
Dur ihre fturmdurchheulte Mitternacht, 
Durch ihre blüthengolpne Frühlingspradt, 


8 


Durch Thränenfaat, durch Herzen dumpf und trübe, 
Durch Herzen voll von Frühling und voll Liebe, 
Durch Irrlichtglanz und Nebelſonnenſchein; 

Bis fernhin, wo der Morgen grauet, 

Der Blick nur Himmelsklarheit ſchauet, 

Der Blick im Lichte ſich verliert, 

Die Erde ſchon zum Himmel wird. 


a. VIY, 
x 


' r Keiſhſtes Meßgewand 
Angethan. 






J ße Blüthe an. 


Und’ Alles flanımt und duftet auf 
Bom großen Hochaltar, 

Die Frühlingsgloden läuten ein 
Das Ichönfte Feſt im Jahr. 


Und mwundervoller Chorgefang 
Den Blumendom durchtönt, 
Es ift der Lerche Ruf, der uns 
Dem Himmel neu verjühnt. 


Denn Hochamt iſt's in der Natur, 
Und über Berg und Thal 

Reicht Gottes ew'ge Liebe ſelbſt 
Das heil’ge Abendmahl. 


=> 


IX. 


In walbesitiller, grüner Nacht, 

Aus ferichtem Fels, von Moos umgeben, 
Da ſpringt hervor, forglos und keck, 
Ein junges demantreines Leben. 


Der Waldbach iſt's, der bier zuerft 
Die ſchöne Gotteswelt begrüßet 

Und fröhlich mit Eruftall’nem Blick, 
Durch blaue Glockenblumen fließet. 


Wie Ichwillt das Moos fo üppig griln, | 
Und drängt zur Fluth mit weichem Herze, 

Wie fpiegelt fih im Haren Quell 
So mande Ihöne Frühlingsterze. 


Es ſpielt des Berges reinftes Kind 
Mit Blumen, Moofen, grünen Halmen, 
Und Farrenfräuter wiegen fich . 

Still über ihm wie Keine Palmen. 


In grüner Waldeseinfamfeit 

Ertönt fo Tieblih fill fein Raufhen — 
Gelodt vom holden Klang fieht man 
Ein Rehlein aus den Zweigen lauſchen. 


10 


X. 


Es wogt das Korn in grünen Wellen 
Ind die Kaftanienbäume Blüh’'n, 
Die Buſen junger Roſen ſchwellen 
Und Purpur bricht aus Knospengrün. 


Vom Apfelbaume tränfelt nieder 

Der letzte blutgeſäumte Schnee, 

Doch tauſend Blumen ſchickt er wieder 
An ſeiner Stelle in die Höh'. 


Der Fliederbaum ſteht überhangen 

In reicher violetter Pracht, 

Kaum kann ein grünes Blatt gelangen 
Zum Himmel durch die Blüthennacht. 


Es will ſich Alles nun entzünden, 

Es bricht hervor aus Grab und Gruft, 
Ich weiß mich kaum zurecht zu finden 

Bor lauter Blumen, Klang und Duft. 


So fteht in königlicher Schöne 
Der Frühling da, ein junger Held, 
Und jubelnd künden feine Töne, 
Daß er die Braut umfangen hält. 


Und ich mit meinen Heinen Herzen, 
Denkt, liege bier in's Gras geftredt, 
Umfeuchtet rings von Frühlingsferzen, 
Und halb von Blumen zugededt. . 


11 


Und ſchau mit feligem Gefichte 
In lieber ungeftörter Ruh, 
Dem hoben, göttlichen Gedichte, 
Der Frühlinghochzeitfeier ‚zu. 


xl. 


Eben jagt ein Mädchen mir, 
Haftig aus dem arten eilend, 
Frohe Kunde mir ertbeilend, 

Mit gar freudigem Bemüh'n — 
Daß die Rojen auferblüh’n! 


O dies Wort Hingt hold und ſchön 
Wieder durch des Herzens Räume, 
Daß ich zaudre nicht und ſäume 
Nach dem Garten binzugeh'n. 


Ya e8 that ihr füRer Mund 

Nur die bolde Wahrheit fund; 
Sah die Morgenperlen ſchön 

In dem Purpurherzen fteh'n, 
Hab’ die ftille Pracht erfchaut, 
Rufe jet auch Hell und laut, 

Mit gar freudigem Erglüh’n — 
Daß die Rofen auferblüh’n! 


| Daß die Roſen auferblüh'n! 
Töne ſchönes Frühlingswort 
Ueber Berg' und Thale fort, 


12 


Leuchte wie ein Himmeljchein 

Sn die Herzen all’ hinein; 

Und wo Kummer weilet ſchwer, 
Sei ein Troß.von Oben ber, 
Flüftre zu betrübtem Sinn — _ 
Daß die Rofen auferblüh'n! 


XII. 


Und als die Nachtigall geendet 
Im Lindenbaum ihr Ichönftes Lied, 
Da ift in ftiler Morgenftunde 
Die rothe Role aufgeblüht. 


Und trunfen von dem Morgengolbe, 
Das durch die grüngn Ranken füllt, 
Grüßt fie mit ſchauerndem Errötben 
Zum Erftenmal die Ootteswelt. 


Da zittert in dem goldnen Auge 
Wohl eine Perle filberrein — 

Es foll der Dank der Ihönen Blume 
Für ihren Himmelsſchöpfer fein. 


Und alle Zauber zu vollenden, 
Ward ihr auf roſ'ge Stirn gefüßt 
Das holde, reizende Geheimniß, 
Taß fie nicht weiß, wie Iehön fie ift. 


— — — sr r — — 


13 


XxIII. 


Die Blume ſtirbt in dieſer Welt der Mängel, 
Ihr Schönes Kleid, es fällt herab zu Staub; 
Doch jede Blume wahret ihren Engel, 

Der nimmer wird tes Todes Raub. 


Drum, was ung an den Kindern Flora’s freut, 
Iſt nicht allein ihr Gold- und Silberfleid, 

Das ift ihr Engel, der in Mer Pracht, 

Aus ihren Augen uns entgegen lacht. 


XIV. 


Ein Märchen klingt aus alten Zeiten her: 
Einſt war die Erde finſter und leer, 

Und auf den weiten, dunkeln Au'n 

Nur Perlen rings verſtreut zu ſchau'n. 


Da brach nach langer Mitternacht hervor 
Die Sonne aus des Morgens Thoͤr, 

Und ſchnell, gelockt vom himmliſchen Strahl, 
Erſchienen die Blumen im Erdenſaal. 


Der Perlen mitternächt'ges Heer 
Wandert aber ſelbigen Tag's zum Meer, 
Und iſt dort — eiferſuchttrunken — 

Wo es am Tiefſten, verſunken. 


16 


„Aennhen von Tharau“ fingen fie, 
Wie klingt das Tieblichfte ver Lieber 
Mit feiner füßen Melodie 

So himmliſch von ben Bergen wicher. 


XVIII. 


Die Sonn' iſt ſchön und ſtill geſchieden 
Im grünen Wald ging ſie zur Ruh, 
Und wunderbarer Abendfrieden 
Schließt ſanft die Bluͤmenaugen zu. 


Die letzten Roſaſchleier ſinken, 
Das letzte Abendroth verglüht — 
Da tönet durch die Kirchhoflinden 
Ein himmelvolles Abendlied. 


Die Abendglocken ſind's, die frommen, 
Die friedvoll tönen durch das Thal, 

Dem Müden wird die Laſt genommen, 
In Schlummer ſinkt ſo manche Qual. 


Ein Blüthentraum auf Berg und Thalen 
Schwebt ſtill und felig auf und ab; 

Die Sterne kommen und beftrablen 

Ein unermeglih Blumengrab. 


17 


XIX. 


Hinter weißen Blüthenbergen, 
Still ummogt von Gold und Duft, 
Eingewiegt vom Lieb der Lerchen 
Sinft die Sonn’ in ihre Gruft. 


Abend ift es nıın geworben, 
Und geftorben ift der Tag, 
Und die letten golbnen Borten 
Sinten-ihrer Fürftin nad). 


xX. 


Es fingt eine Lerche im Mbenbroth, 
Hoch über purpurnen Aehren, 

Hoch über Verweſung, Grab und Tod, 
In freien glüdlihen Sphären. 


Die Welt wird dunkler, die Lerche fingt fort 
Sn ſanft verhallendem Liede, 

Die Schatten rüden von Ort zu Ort, 

Und ringsum athmet der Friebe. 


Du große heilige Abendwelt, 

Schon blitt es in himmliſchen Räumen, 
Und rings auf dunkelfehattendem Feld 
Beginnen die Blumen zu träumen. 


Etolle, ſämmtl. Schriften. XIV. 2 


18 


XXIL. 


Es duften die Lindenbäume, 
In ſtiller Abendzeit, 
Und tiefer wird und dunkler 
Die Abendeinſamkeit. 


Und blick' ich über die Wipfel 
Weit in die Nacht hinauf, 
Da ſteigen die goldnen Sterne 
Aus ihrer Tiefe herauf. 


Da drüben rauſcht es im Garten 
Wie leiſer Geiſterchor; 

Es ſind die weißen Lilien, 

Sie fingen ſich Märchen in's Ohr. 


Und fühle ſtille Nachtluft, 

Die weht an meine Bruſt, 

Ich bin mir die Stille des Abends 
Mit Innigkeit bewußt. 


XXII. 


Es ſind die alten Sterne, 
Es iſt die alte Pracht, 

Wie ſie der alte Meiſter 
Am erſten Tag gemacht. 


Es ſteht ſechſstauſend Jahre 
Das große blaue Haus, 
Worin die kleinen Menſchen, 
Bald wandeln ein, bald aus. 


19 


Der Frühling füllt's mit Blumen, 
Der Winter weiß mit Schnee, 
Ein ewig Kommen, Geben, 

Ein ewiges Abe. 


Doch bleiben’s die alten Sterne, 
Doc bleibt’8 die alte Pracht, 
Wie fie der alte Meifter 

Am erften Tag gemacht. 


8 
XXI. 


Ob Gott fei, fragft Du? nun wohlan, 
Wohlan, den Blid erhoben, 

Brennt denn nit Gottes Namenzug 
Allabendlich dort Oben? 


Er iſt's uralte Teftament, 
Daran wir Alle glauben, 
Und diefen Himmelsfreibrief kann, 
Den kann ung Niemand vauben. 


XXIV. 


Die Sterne blicken herunter 
Die Menſchen blicken hinauf, 
Hinauf zu ihnen wünſchen 
Wir uns von Jugend auf, 
2* 


20 


Bergebens unſer Wünfchen, 
Bergebens unjer Blick, 

Die Sterne bleiben am Himmel, 
Auf Erden wir zurüd. 


Und endlich nad langem Wünjchen 
Geh'n wir zu Bett in’s Grab. — 
Als ob es gar nichts, ſcheinen 
Wie fonft die Sterne herab, 


®s ‚ 
xxv. 


Der Wind ſchon über die Stoppel weht, 
Ein Bettelkind am Wege ſteht, 

In blonden Locken weht der Wind, 

Viel Leute geh'n vorüber geſchwind. 


Und Mancher wirft mit flücht'gem Blick 
In's Händchen ihm ein Pfennigſtück, 
Und ſeufzt für ſich, daß Gott erbarm', 
Du Knäbelein, wie arm, wie arm! 


Ging auch vorbei am Bettelkind, 
Langſamen Schrittes, nicht geſchwind, 
Schaut ihm in's Auge groß und klar, 
Erkannte, wie ſo reich es war. 


Ein Himmel ruhte in dem Blick; 

O unerforſchliches Geſchick! 

So arm, ſo arm, und doch ſo reich — 
Im Bettelkleid ein Königreich. 


21 


XXVI. 


Die Nachtluft weht im Haidekraut 
Tief in des Waldes Mitte, 

Ein feuchter Nebel fällt herab, 
Ich fördre meine Schritte. 


Zur Rechten und zur Linken rauſcht 
Es in den alten Kroͤnn, 

Ich wollt’, ih wär im Städtchen ſchon 
Wo meine Lieben wohnen. 


Dort fommt der Ort, wo Einer fiel 
Unlängft in Mörder Hände, 

.Da8 Kreuz ift hart am Weg’, ich wollt’ 
Der Weg’ hätt’ bald ein Ende. 


Ich wandre ſtill, die Nacht ift Falt, 

Und ewig dehnt die Haide, — 

Horch, klingt da plötlich durch den Wald 
Nicht Tiebliches Geläute? 


Ich bleibe fteh'n, ich Taufche ſtill, 
D frohes Wiederfinden, 

Die Gloden find e8, die ganz 'nah 
Die Heimath mir verkünden. 


XXVII. 


Graue Abenddämmerung 

Und der Sturm iſt . 

Tobt und pocht und Mirrt um's Haus, 
Reißt noch Alles los. 


22 


Am Piano faß ich lang, 

Sudt’ in Tönen nad, 

Doch da war kein Stitchen, das 
' Freundlich zu mir ſprach“ 


In der Sophaede num 
Sit’ ich ſtill für mich, 
Und im Of elt es 
Sp redt innigäg, 


Lampe wirft vertraulich frill 
Ihren milden Schein; 

Alle find no in der Stadt 
Und ich bin allein. 


Iſt mir doch fo innig wohl , 
Wie dem Dichter ift, 

Wenn er Alles nur jo gern 
Um ſich ber vergißt. 


XxXVIII. 


Ich ſchaue die dürren Aeſte, 
Das letzte Blatt entflieht, 
Dort ſchwebt der letzte Vogel, 
Der nach der Heimath zieht. 


Die Nebel werden dichter, 
Und dunkelſtill das Land, 
Der Vorhang iſt gefallen, 
Die Kerzen abgebranmt. 


23 


Das Lied ift verflungen, 
Das Schöne Stüd ift aus — 
Ich ſteh' nur noch alleine, 
Allein im öden Haus. 


XXIX. 


Siteft nun an dreien Monden, 
Hinter Coder und Pandecten 
Und vergeffen fcheinft zu haben 
Ganz die füße Boefia. 


Hat. die Mufe Dich verlaffen? 
Laß nur, Coder u und. Pandecten, 
Geh’ im’s Freie, gud nach Mädchen, 
Und die Muſen wird ſich finden. 


XXX. 


Doch was ift Dir, 
Bift jo trübe, 
Iſt's Die Liebe? 
Was ift Liebe? 
rag, ich Teile, 
Und e8 rötbet 
Sich die Wange 
- Bei ‚Der Gradt; 13% 3 


24 


XXXI. 


Kennſt Du das zarte Spiel der Saiten, 
Vom Himmelsvater ſelbſt beſpannt, 
Harmoniſch ewig fortzutönen? 

Zwei Saiten ſind genug dazu. 


Und wenn die Eine Saite klaget, 
So weint die andre Schweſter mit; 
Und wie im Leid, ſo in der Freude, 
Die eine in der andern lebt. 


Und wie in einem Augenblicke 

Die beiden Saiten einſt beſpannt, 
So ſtirbt die Eine und die Andre 
Folgt ſterbend der Geliebten bald. 


Doch mögen auch die Saiten fpringen, 
Was fih vereint, währt ewig fort; 
Das Saitenjpiel gehört der Erbe, 

Die Harmonie dem Himmel an. 


XXXII. 


Siehſt Du die Blume in der Locke, 
Mit der dır Weſten leiſe ſpielt, 

Die Blume mit der blauen Glocke, 
Die meine Hand noch heute hielt? 


25 


Die geftern noch auf felf’ger Krone 
In ftarrer. Einfamfeit geblüht, 
Und die mir jebt zum füßen Lohne 
In ihrer dunkeln Rode glüht? 


IXXIII. 


Das braune Nußbaumtiſchchen, 
Am Blumenfenſter dort, 

Auf einem Tritt erhoben, 

Das ift, mein Lieblingsort. 


Wie oft fit dort die Holde, 
Ein Bienen wohl an Fleiß, 
Wenn ich vor jel’gem Schauen 
Mich nicht zu laſſen weiß. 


Da fucht fie oft im Käftchen 
Und bringt eiu Buch hervor, 
Und dann heift’s: Bitte, bitte, 
O leſen Sie was vor. 


Gewöhnlich iſt's der Zſchokke, 

Ich weiß ſchon, was gefällt; 
Dann leſ' ich von dem Flüchtling 
In Jura's Felſenwelt. 


Oft fragt fie mich gelehrig, 
Wenn ihr etwas nicht Harz 
Dann bin ich, wie verfteht fich, 
Berftänd’ger Commentar. 


26 


Bei Gott, fo: N io. Jnie, 


&o enge 
So u 
Sah id ei ? Wänden nie, 


XXXIV. 


Es war ein Sonntag Morgen, 
Sie wollte zur Kirche geh'n, 
Doch hat ich ſo wunderlieblich 
Sie nimmer wohl geſeh'n. 

Leis kniſterte s Schühlein am Füßchen, 
Es rauſchte das ſeidne Gewand, 
Und ſittig ein Tüchlein von Flore 
Den blühenden Nacken umwand. 


Das Büchlein mit goldenem Schnitte 
In der kleinen, niedlichen Hand, 
Küßte ſie zum Abſchied die Mutter, 
Wo ich auch dabei mit ſtand. 


Zu mir aber ſprach himmliſchen Blickes 
Das Seelen bezaubernde Kind, 

Für Sie will ich heute mit beten, 

Weil ein großer Sünder Sie ſind. 


27 


XXXV. 


Und thät der Abend ſinken, 
Sitzt ſie am Baches Rand, 
Und gibt dem Reh zu trinken 
Aus ihrer kleinen Hand. 


Und ringsum Blumen blühen, 
Sie ſitzt inmitten drin — 
Die Abendwölken ziehen, 
Still über ihr dahın. 


Und ringsum tiefes Schweigen, 
Das Mägblein heimmwärts zieht — 
Ein Bogel in den Zweigen - 
Singt ihr das Abendlied. 


XXXVI. 


O nimm mich mit, du ſtilles Abendroth, 
Ihr Wölkchen mit dem goldenen Gefieder, 
O werdet mir zum ſüßen Himmelsboot 

Und führet mich zum Liebling meiner Lieder. 


Wie glücklich ſeid ihr Wölkchen, ſanft und hold, 
Bald ſeid ihr ja bei ihr mik lei en Zlügeln, 
Und bald wird ſtill in dir, o Abendßpold, 

Ihr ſüßer, liebevoller Blick ſich ſpiegeln. 


28 


Sn ihrer Laube fit fie dort allein, 

Bom grünen Laub des jungen Mai's umzegen — 
Ach nur ein Heines Blättchen möcht” ich fein 

Um ihre Wange janjt herumgebogen. 


XXXVII. 


Silße, zauberhafte Blume, 

Sag’, wie ift e8 dir gelungen, 
Daß du mid, den alten Kämpen 
In Bergefienheit gejungen. 


Draußen fämpfen meine Brüder 
In dem heißen Mittagsftrahle, 
Und ich fit’ in füßem Schmadhten 
Müßig bier im Frühlingdthale. 


XXXVIIT. 


Keine Deputirtenfammer 

Gibt es, die fich will’ger finde, 
Als ih mich gehorfam zeige 
Vor dem holden Engelskinde. 


Und id bin ein Liberaler, 

Der mit Stolz die Freiheit nennt — 
Ach, die Freiheit ift entfloben, 

Und das Herz ift Präfident. 


— — —— un 


29 


XXXIX. 


Sie hat geſchmollt den gauzen Tag, 
So lang' die Sonne ſchien — 
Doch als die Abendglocke klang, 
Da hat ſie mir verzieh'n. 


XXXX. 


Rings von Bergen eingeſchloſſen, 
Ruht ein kleines liebes Thal — 
Und es glüht die ſtille Landſchaft 
In dem letzten Abendſtrahl. 


Gaſtlich blickeu weiße Häuſer 

Aus der Zweige dunkeln Grün; 
In den Gärten, rings vereinzelt, 
Stille Frühlingsblumen blüh'n. 


Aber dort am Rebenhügel, 

Wo die Fliederlaube glänzt, 

Iſt der Ort, wo Erd' und Himmel 
Friedlich an einander grenzt, 


Dort ja ſteht der ganzen Landſchaft 
Einzig wahrhaft Gotteshaus — 
Denn ein Engel wandelt dorten 
Als Madonna ein und aus. 


30 


Und die ganze Landſchaft ift ja 
Nur der Rahmen, zart und mild, 
Für den Engel, und das Ganze 
Nur ein hold Mabonnenbild. 


XXXXI. 


Des Frühlings Roſen leuchten rings ſo ſchön 
In unſerm ſtillen, Wald begrenzten Thale, 

O zaudre nicht zum Garten hinzugehn 

Früh bei des Morgens erſtem heil'gen Strahle. 


Noch träumet da in unentweihter Ruh' 
Die Roſenwelt die ſchönſte ihrer Stunden, 
Da geh' und ſuche, o Geliebte, Du, 

Bis Du die ſchönſte Roſe aufgefunden. 


Und pflücke ſie und blick' in's Herz ihr tief, 
Wo noch des Thanes Wunderperlen hangen, 
Und küß' ſie wach, die noch ſo reizend ſchlief, 
Von goldnem Traume ſelig hold umfangen. 


Und wenn ſie nun ſtill lächelnd Dich beſtrahlt, 
So haſt Du in des Frühroths heil'gen Stunden, 
Von Deinem Gott im Himmel ſelbſt gemalt, 

Ja nur Dein eigen Bildniß aufgefunden. 


öl 


XXXKIT 


Du bift die einfame Balme, 
Gepflanzt in's Abendland, 
Auf daß Du Kunde gebeit 
Bon einem Morgenland. 


Doch einfam, unverftanden, 
Hoch über Schilf und Moor, 
Hebt duldend fi und trauernd 
Dein Blumenhaupt empor. 


Es ſchwankt mit ſtummem Schmerze 
Im nord'ſchen Himmelsraum, 
Berfinft allmälig leiſe 

In ſeiner Kindheit Traum. 


Könnt' ich den Traum belauſchen, 
Den Traum vom Morgenland, 
Der Dich, Du ſchöne Palme, 
Als Botin uns gefgndt. 


XXXXIII. 


Ich glaube, daß Du ein Engel biſt, 

O himmelvoller Glaube, 

Mir armen Schiffer auf irdiſchem Meer 
Die ölzweigbringende Taube. 


Ich glaube, daß Du ein Engel biſt, 
Die Sterne müßten lügen, 
Der Blumengold auf Frühlingsau'n 
Mich heuchleriſch betrügen. 


32 


Nein, nein, die Blumen lügen nicht, 
Die Sterne nicht dort oben, 

Die Wahrheit voll, im ew’gen Raum, 
Den Weltenjchöpfer loben. 


Drum glaub’ ich, daß Du ein Engel bift, 
O bimmelvoller Glaube, 

Mir armen Schiffer auf irdiſchem Meer 
Die ölzweigbringende Taube, 


XXXXIV. 


Eh’ die Sonne noch im Frührothſcheiue 
Wiederum die Fluren neu begrüßt, 

Da ertönt mein Klagelied im Haine, 

Tönt am Bach, ter durch die Aue fließt. 
Schwer und bang in büftern Waldeshallen 
Lafle ih das todte Echo jchallen. 

Ach, nit Echo, nicht Aue, nicht Hain, 
Stillen den Kummer, lindern die Bein. 


Nicht im Schatten unter grünen Laube, 
Nicht auf ſammt'nen Mooſe find’ ih Ruh. 
Seufze ich, jo Flagt die Ningeltaube, * 
Girret bang’ ihr trauernd Lied mir zu. 
Weile ih an moosumhüllter Quelle, 

Trübt fih bald von Thränen ihre Welle. 
Ach, niht Duell, nicht Thränen, nicht Hain, 
Stillen den Kummer, lindern bie Bein. 


33 
XXXXV. 


Mondenlicht, Aehrenglanz, 
Stille Silberpracht, 

Und mein Ruh' verlangend Herz 
Athmet ſtille Nacht. 


Nebel wandeln, Träume zieh'n 
In die Blumen ein — 

Ruhe, Ruhe thaut herab, 

Tief in's Herz hinein. 


Sehnt das Herz zum Schlafen ſich — 
Bleiche Mondenſchein — 

Stiller wird die ſtille Welt, 

Und das Herz ſchläft ein. 


Elfenſchatten, Blumentraum 
Schweben ab und auf — 
Elfenſchatten, Blumentraum 
Weckt mir es nicht auf. 


XXXXVI. 


Wird denn nicht 
Dem armen Dichter 
Bald einmal die 
Freude lächeln, 
Daß auch 'mal ein 
Froh Allegro 
Munter durch die 
Saiten klimpre? 


Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV. 3 


34 


xxxXxVlI. 


Neue Schmerzen, 

Neue Lieber; 

Sagt, was fol ih . 
Damit machen? 

Bald wohl find’ ic 
Den Berleger 

Für die Lieber, 

Doch die Schmerzen — 
Die mag Niemand. 


XXXXVII. 


Berrathet nur, ihr leiſen Laute, 
Mir den Lautenſpieler nicht, 

” Der durch euch, o Herzvertraute, 
Zu der Heißgeliebten ſpricht. 


Will ja, ach, von ihr nichts mehr, 
Als ich von der Perl’ im Meer’, 
Bon den Stern’ am Himmelsfaale, 
Bon der Blum’ im Maienthale, 

Herz begabt, verlangen darf. 

Daß ich darf, von ihren Reiz umfangen, 
Selig ftill an ihren Bliden bangen, ” 
Für fie beten, für fie meinen, 

Wenn des Unglüds Sterne feheinen, 
Und fie lieben, ja fie Tieben, 

Lieben jo aus vollem, ganzen Herzen. 





35 


XXxKIx. 





Es rubterja jo lang in mir, 
Nie wagt ich es zu ſprechen — 
Und jett, ba e8 gefungen Dir, 
Muß mir das Auge brechen. 


So lang’ die Bruft noch ſtark, blieb fill 
Das Lied in ihr verſchloſſen, 

Dod da ber Tod fie brechen will, 

Iſt es hervorgefprofien. 


Blichſt anf den franfen- Sänger hin 
Und kannſt ihm nicht verftehen, 

Und muß er denn mit trüben Sinn, 
Nach feinem‘ Grabe gehen. 





Doc fragft Dir nach dem Liebe mich, 
Das er für Dich geſchrieben — 

So ruf ich nur: Ich liebte Dich, 

Und will Did ewig lieben! . 


Dies ift mein Lied — o nimm es hin, 
&s ift für Dip gelungen, 

Mag’ nun die Mufe ewig flieh'n, 

So ift doch Dies gelungen. + 


- 3”. 








56 


1. 
Dort wo Morth” 










Und ihr Bid, ev 
Auf dem Bildniß ihrer” 
Das bie forgiam treue Hand 
Mit der Immortell’ umwand. 


Und Di bift fo ſchön, Du Holde, 
Wie die Rof’ im Morgengolde, _ 
Denn es warb Dir, fügen Maid, 
Ja das fhönfte Erbentleid. 


Und damit kein Himmel fehle, 
In der Form die ſchöne Seele, 
Und ein Herz, das tief bewegt 
Fir den Einzigen ur ſchlägt 


Mägdelein, Du Schwergeprüftes, 
Mägbelein, Du Gramvertieftes, 
Weine nicht mehr, fei nicht trübe — 
Gott ja felber ift die Liebe. 


[> 


Du biſt fo trüb', Dein Athem ſchwer, 
Dein Blick weilt erdenwärts; 

Gib mir Dein liebes Händchen her, 
Erzähl’ mir Deinen Schmerz. 


37 


Hat man Dir was si Reib'gethan ? 


Ich glaub’ es nimmermehrz 
Wohl gibt's ber fichen viel, 
Der Guten gibt e 


Und weil ich denn ein Guter bin, 
Wie mir es fagt mein Herz, 

Drum Lieben je! Dich neben mic, 

Erzähl' mir Deinen Schmerz. 


Und kann ic) helfen, hier bie Hand, 
Ich helfe Dir vor Al’nz 

Und iſt's um guten Rath’, bin ich 
Nicht auf den Kopf gefall'n. 


Sie hört mic) nicht, fie fieht mich nicht, 
Sie will mic nicht verfteh'n. 

Das ift nicht fo ein 
Muß etwas tiefer geh’n. 





Ja, Leutchen, glaubt es —8* 
Es iſt kein Dichtertraum, 

In unſrer kleinen Menſchenbruſt 
Hat eine Welt wohl Raum. 





Es ſei nun Freude 
Der unſre Bruſt 
Doch giüttih iR man RSS beim Schmierz, 
Der aus ben Augen: quillt. 


Schmerz, 


33 
um. 


In deinen Armen mb füh,. * 
Träum’ ich mich, Paradies 

Und an bein Herz, bein Eigelberz gelebnt, 
Bin id mit Gott und aller Welt berſöhnt. 


Die Engel dorten in bes Hinme [8 Hallen, 
Sie ftören nicht mich in Der felgen Ruh’, 
Denn von. ben Himmliſchen dort oben allen 
Liebt mich ja feiner fo wie Du. 


m. 
Wegket nur nicht ungebulbig 
‚der Heinen winz'gen Lieber, 
\ ‚die erften grünen Hälmdjen 
um jungen Dichterleben. 


Mit dem Frühling tommen Veilchen, 
Und der Sommer bringt auch Rofen, 


— 


Gedichte 


Brest an, brecht auf, ihr meine guten Lieber, 

Wie lange ruht ihr in der trunfnen Bruft! 

Du Saitenfpiel ertöne freudig wieder, 
Berfünde treu des Sängers Schmerz und Luft. 


Und al’ ihr Himmliſchen ſinkt ſegnend nieder, 
Daß fih der Sang des Himmels auch bewußt. 
So denn vereint als Menjch mit Gott im Bunte, 
Geb’ ich, der Sänger, wieder von mir Kunde. 


42 


Das vaternuſer. 


Gedanke aller Gedanken, wertb, 
. Dog Unferbfiche Dich benten in Ewigkeit, 
Der Du uns zurufft: 

„Ein Bater lebt uns über den Geftirnen 1" 


Dir, Bater, tönt der Welten Tauz ber Engel Chöre, 
Doch überhörft Du nicht das kindliche Lallen 

Deſſen, den Du aus Erden formteft, und bie Lifie, 
Die zu Deinem Preif’ am Bach erblüht, erfreut Dich. 
„Seheiligt werde Dein Name!“ 


Südlich zu willen alles durch Deinem Hauch Beſeelte, 
Das ift Der große Gedanke Deiner größern Liebe. 

— Sterblid Gewand’ umhüllt' ihn, den göttlichen Mittler; 
Liebend lehrt er, biutend vergab er — 

Sterbend fchloß er es auf. 

„Daß zu uns fomme Dein Reich!“ 


Was wir denken, denken werben, 
Du dachteſt e8, eh’ Du uns fchufft, 
Der Welten Schöpfer, Du biſt's allein, 
„Dein Wille gefchehe im Himmel, alfo auch auf Erben.“ 


u‘ 


43 


Wie Du ſelbſt unendlich, ſo auch 
Unendlich Deine Mittel M 
„Zu weiſer Entzwei Ye 

Mit Himmliſchem Tat die Hinmliſchen 
Mit Srbifchem bie Lan 
„Muferstägtich Brot gib uns aud) beit.“ 








Die Stunde flieht — m Du bift nicht mehr, 

Vater, was Die ums warft, ſein ſollſt, 

Und das irdiſche Gerz 

Sucht ſich den irdiſchen Gott. 

„Vergib ums unſre Schuld, wie wir vergeben unſern 
Säuldigern." 


Den Du aus Erben formteft, Getanfen Tieheft, 

Fortzubenfen in Ewigkeit, 

Dem doch auch Freiheit warb, 

Jegliche Straße zu wandeln 

„Führ' ihn nicht in Verſuchung, fondern erlöfe ihn von dem 
Uebel.“ 


Wandeln wird er dann, Dich im Herzen, 

Dich im Gemüthe, wandeln die Straße 

Nah dem Haufe, das viel der Wohnungen birgt, 

Und wo Du.thronft, Vater des Lichts, 

„Voll der Raſt und ber Herrlichlent von Ewigteit zu 
Ewigkeit, Amen.” . 


Ernftes Lied ai 
Das mich oft 


Sanft melodiſch durch die Bit 

Das mie Brichen Tem ame Himmels Bei, 
Bie die Rat den Than auf Rofen träuft; 
Lieb, wer ift bein Sänger? Unbelannt 
Zinft du mir aus fernem Wunderland. 





Süßes Lied, das in ben Wonne-Strömen 
Der erwachten Schöpfung mich umfdroebt, 
Das am Abend zaubervoll zum ſchoͤnen 
Ganz umflofinen Sternendom mich hebt, 
Das in ſchmelzend fühen Liehestänen 

Leis ber Bruft der Nachtigall entbebt, 

Lieb, wer ift dein Sänger? Unbelannt 
Zönft du mir aus fernem Wunderland. 


Zröftend Lieb, das in bie Wehrmuthſchale 


Bittern Schmerzes milben Honig gieft, 
Das uns am umflorten Grabesmale 
Sanft die Thräne von ber Wange küßt, 
Einft beim Scheiben im Berllärungsftrahle 
Als der treufte Führer uns begrüßt; 

Lied, du Bürge einer ſchönern Zeit, 

Lied, ich nenne dich — Unfterblichteit. 


4.) 


Wann fchen wir uns wieder? 


Zwei Röslein blühten wunderſchön 
Im einſam ſtillen Thale, 

Von Niemand noch geküßt, geſeh'n, 
Als von dem Sonnenſtrahle; 

Und weil vereint ſo inniglich 

Auf einem Stiele beide, 

So liebten ſie auch herzlich ſich 

Und theilten Schmerz und Freude. 


Da kam ein Jüngling durch den Wald, 
Es ſchien, als ob er weine, 

Der ſah die Roſen alſobald 

Und pflückte ſich die eine. 

Weh'! riefen beide Röſelein, 

Und blickten traurig nieder, 

Mein Schweſterlein, mein Schweſterlein, 
Wann ſehen wir uns wieder? 


Der Jüngling ſelbſt von Leiden blaß, 
Hört’ nicht der Röslein Schmerzen, 
Er fehrt zurüd und fieht im Gras 
Zwei muntre Vöglein ſcherzen, 


46 


Da fchleicht er leiſe, Teiler nah’, 
Bom Blättergrün umfangen, 

Und eh’ ein Böglein ſich's verſah, 
War es auch ſchon gefangen. 


Bas war das für ein Jammer nicht 
Der beiden Krübfingelänger, - 

Wie flehten fie, doch hörte nicht 

Der liſt'ge Bogelfänger, 

Das eine floh fo ängſtiglich 

In Zweigen auf und nieber, 

Und oft ertönte ſchmerziglich: 
Bann fehen wir uns wieber? 


Den Sänger und das Röſelein 

Im Bufen wohl geborgen, 

Naht fi der Knab' dem Liebchen fein, 
Am frühen Abfchiedsmorgen. 

Nimm bin, rief er, und denke mein, 
Wie weit mein Loos mic) triebe, 

Der Sänger ftirbt, das Bögelein, 
Doch uimmer meine Liebe. 


Da weinet laut an feiner Brufl 
Sein Liebchen treu ergeben; 

D daß des Lebens höchſte Luft 
Den berbften Schmerz muß geben 
— Die Ölode hallt, das Grau zerflieht, 
Der Morgenftern finkt nieder, 

Und ach der letzte Ruf er ift: 
Wann eben wir uns wieder? 


47 


Und dur die Schöpfung hört man’ rauſchen 
Wie eine große Antwort ber, 
Und felig alle Weſen lauſchen 
Auf Bergen, TIhälern, Flur und Meer: 
„Der Bater, der die Liebe ift, 
„Den feine Zungen wirbig nennen, 
‚Er wird, was er vereint, gewiß 
„Richt wankelmüthig wieder trennen. 


„Er ift e8 ja, der Glück und Sehnen 
„Gelegt in feiner Weſen Bruft, 

„Und was wir unfre Liebe nennen, 

„Es ift ja auch des Vaters Luft. 

„Drum jchwebe Hoffnung fanft hernieder, 
„Das fie die füße Tröftung gibt: . 

„Was fih im Staube treu geliebt, 
„Das findet fih Dort oben wieder!” 


Wer nur den lieben. Sott läßt walten. 


| r— \ 


Ihr Menſchenbrüder, wer ihr ſeid, 

Bon jungen und von ulten Jahren, 

's ift Keiner, der ba nicht fein Leid, 

Nicht hätte feinen Schmerz erfahren. 

Auch mein Blid hat oft trüb gefchaut, 

Doch immer habe ich's gehalten 

Mit jenem Sprude fromm und traut: 

Wer nur den lieben Gott läßt walten. 


Durch Nebel führet unfre Bahn, 

Wir gleichen ganz den armen Blinden, 

Es nimmt fih Niemand unirer an. 

Die ſchwer ift Da der Weg zu finden, 

Da reichet er die Hand uns treu, 

O laßt fie nur recht feit uns halten, 

Hin führe fie, wohin e8 fei: 

Wer nur den lieben Gott läßt walten. 


49 


Sf glaubet mir, e8 ift fein Wahr, 

Millionen haben e8 erfahren, 

Wir ihm nur wahrhaft zugetban, 

Den thut er wunderbar bewahren. 

Nie trog ein aroßes Vaterherz, 

Er hät ja immer Wort gehalten, 

Ruft darımı freudig bimmelwärts: 

Wer nur Did kieben Gott läßt walten. 


Das Mutterberz in feel’ger Ruh' 

Umfaßt die böchfte Lieb’ im Leben, 

Doc liebereicher fein mußt Du, 

Der Du die Liebe uns gegeben. 

Fühlt drum, vom Tod binweggerafit, 

Ein Mutterberz ihr Kind erfalten, 

D gib aud ihr zu rufen Straft: 

Wer nur den lieben, Gott läßt walten. 


. Das Würmchen, ift es. noch fo Hein, 
Es darf Dich feinen Vater nennen, 
Dod nur wer da von Herzen rein, 
Yernt Dich als wahren Vater fennen. 
Laß darum uns nod) einmal ſtill 
Ergebungsvoll die Hände falten, 
Es mag da fommen, was Da will: 
Wer nur den lieben Gott läßt walten. 


D 


Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV. 4 


Der Dom. 


Es ftand ein Dom aus alter Zeit, 
Bar hochgerühmet weit und breit, 
Man nannte ihn ein Gotteshaus, 
Doch ſah's darin nad Gott nicht aus. 


Schon lange fiel fein Sonnenichein 
Mehr in.das Grabgewölbe ’rein, 

Man ſprach von Vater, Geift und. Sohn, 
Doch Hang es nur wie Spott und Hohn. 


Da trat ein Mann in ſchwarzer Tracht 
Herein und ſprach mit Donnermadht, 
. Und als er's letzte Wort geſprochen — 
Da ift der Dom zufammen gebrochen. 


Der kühne Sprecher blieb unverſehrt, 

Zum Himmel hielt er die Hand gelehrt — 
Und donnernd rollt fein Wort einher: 
Allein Gott in der Höh' ſei Ehr'! 


53 


Sternennadt. 


Siehe die Planeten rollen 

Um ven Sonnenball, ben’ großen — 
Sieh’ den Bau, Ben wundervollen 
Hch im Raum, dem grenzenlofen. 


Sieh’ die Stern’ im goldnen Strable, 
Steigen aus den dunkeln Nächten, 
Wie fie hoch am Himmelsjaale 

Ihre goldnen Kronen flechten. 


Für das Auge, welch' ein Glühen, 
Für den Geift, welch' ein Ergötzen — 
Diefe Sternenblumen blühen 

AM nach ewigen Geleten. 


Nie hat der Kometen Glühen, 

Die keck duch die Sonnen breden, 
Es gewagt, den Harmonien 
Seines Weltbaus Hohn zu ſprechen. 


52 


Und wie die Kinblein der Menſchen 
Sich felig freuen am Vorabend 
Auf die bunten Lichter des Chriftbaums, 
So freuten fi die Keime auf Die große golpne Sonne 
Und auf ven blauen Himmel und die Sterne der Nadıt. 
Denn es waren ja gar viel ber herrlichen Märchen 
Und ver wunderbaren Lieder von ber großen golpnen Sonne 
. Und dem blauen Himmel und den Sternen der Nacht 
Den Keimen geſungen morben von ihren Müttern 
Sn der ewig dunkeln Winternacht. 


Drum war fo enblojfer Jubel und entjetlicher Lärmen 
Und taujendftimmiges Durdjeinanberrufen in bem bimfeln 


Reiche. 
Denn es war noch Manches zu fördern und zu ordnen 
Für den morgenben' Feſttag, und manch' Keimlein 
War noch weit zurück in der Toilette 
Für die glänzende Morgenvifite. 


— — — — — — 


53 


Sternennadt. 


Siehe die Planeten rollen 

Um den Sonnenball, den’ großen — 
Sieh’ den Bau, Ben wundervollen 
Hoch im Raum, dem grenzenlofen. 


Sieh’ die Stern’ im goldnen Strahle, 
Steigen aus den dunkeln Nächten, 
Wie fie hoch am Himmelsfaale 

Ihre goldnen Kronen flechten. 


Für Das Auge, welch' ein Glühen, 
Für den Geift, welch' ein Ergötzen — 
Diele Sternenblumen blühen 

AP nad ewigen Geſetzen. 


Nie hat der Kometen Glühen, 

Die fe durch die Sonnen breden, 
Es gewagt, den Harmonien 

Seines Weltbaus Hohn zu Tprechen. 


- 


54 


Ueberall in fernfter Fernre, 
Wohin noch das Rohr gedrungen, 
Haben jelbft die lebten Sterne 
Seiner Weisheit Rob gefungen. 


Ya, in golbnen Sternenworten. 
Nächtlich uns die Botſchaft lohnet — 
Daß fern, fern der Erbenpforten 


Uns ein weiler Bater wohnet. 


Und er bat uns body begnabet, 

Aufzuſchau'n zum Sternenihein — 
"Denn nur freie Geifter Tabet 

- Man zu jolbem Schaufpiel ein. 


55 


Der Lindenbaum. 


Unter'm grünen Lindenbaum 
Sind fie zufamm’ gefommen — 
Es bat der alte Lindenbaum 
Die Schwüre wohl vernommen. 


Der Buhle 309 den Berg hinaus, 
Sein Herz war voller Sammer, 

Das Mägdlein weint die Augen aus 
Dabeime in der Kammer. 


Der Lindenbaum ein grünes Kleid 
Vom Lenze hat befommen, 
Darunter fitt Die treue Maid, 
Im Herzen tief beflommen. 


Wann kehrt er heim, o Lindenbaum? 
Das Mägpdlein fragt, das bleiche, 
Der alte treue Lindenbaum, 

Der ſchüttelte Die Zweige. 


56 


Der Lindenbaum ein rothes Kleid 
Vom Herkfie hat bekommen, 
Darunter ſaß die treue Maid 
Im Herzeu tief beklommen. 


Wann kehrt er heim, o Lindenbaum? 
Das Mägdlein fragt, das bleiche, 
Der alte treue Lindenbaum, 

Der fehüttelte die Zweige. 


Das rothe und das grüne Kleid, 
Die gehen und die kommen, 
Darunter fitt die treue Maid, 
Im Herzen tief beklommen. 


Wann kehrt er heim, o Lindenbaum? 
Das Mägdlein fragt, Das bleiche, 
Der alte treue Lindenbaum, 

Der fchüttelte Die Zweige. 


Ein Bogel floh zum Lindenbaum, 
War weit Dahergelommen, 

Des Liebften Treubruch bat der Baum 
Ausführlih Da vernommen. 


Da brady dem Lindenbaum tag Herz 
Und ließ die Blätter bangen, 

Ihm war des treuen Mägblein Schmerz 
Tief in die Bruft gegangen. 


57 


Der Lindenbaum ein granes Kleid 
Bom Tode bat befonmen, 

. Darunter ſaß die treue Maid, 
Im Herzen tief beflommen. 


Wann kehrt er bein, o Lindenbaum? 
Das Mägbleiu fragte Teile; 

Kein’ Antwort giebt ber Lindenbaum 
Auf die gewohnte Weife. 


Und Altes fill und dd’ im Raum, 
Das todte Laub ſank nieder — 

Der alte trete Yindenbaum 

Sah feinen Frühling wieder. 


Nur ftarre Hefte find zu ſchau'n, 
Hoc) Hasterten die Raben — 

Der Andenbaum warb umgehan'n, 
Das Mägdelein begraben. 


58 


Die Fiſcherhütte. 


„Geh', Knabe, brenn' die Fackel an, 
Die Nacht iſt graus und kalt, 
Der Vater ſchifft vom fernen Land', 
Und naht der Heimath bald.“ 


Der Knabe brennt die Fackel an, 

Geht zu dem Strand hinaus, 

Es heult der Sturm, der Regen rauſcht 
Und löſcht die Fackel aus. 


Der Knabe kehrt zur Hütte heim: 

„O Mutter laß mich hier, 

Es heult der Sturm, der Regen rauſcht 
Und löſcht die Fackel mir.“ 


„O Schifferblut, o Schifferblut, 
Du bift fein Schifferblut! 

Was ift dem warmen Scifferblut 
Des wilden Sturmes Wuth!“ 


59 


Der Knabe brennt die Fadel an, 

Geht zu dem Strand hinaus, 

Da beult der Sturm, der Regen raucht 
Und löſcht die Fadel aus. 


Der Knabe eilt zur Hütte beim: 
„D Mutter laß mich hier. 

Am Strande fittt ein weißes Weib, 
Winkt mit den Händen mir.“ 


„O Schifferblut, o Schifferbiut, 
Du biſt kein Schifferblut! 

Dem braven warmen Schifferblut 
Das Seefräulein nichts thut.“ 


Der Knabe brennt die Fackel an, 

Geht zu dem Strand hinaus, 

Es heult der Sturm, der Regen rauſcht 
Und löſcht die Fackel aus. 


Der Knabe eilt zur Hütte heim, 
„O Mutter komm' zum Meer, 
Vom Meere tönet eine Stimm' 
Wie die des Vaters her.“ 


Die Mutter brenut die Fackel an, 

Sie brennt die Hütte an. 

Da heult der Sturm, da flammt die Gluth, 
Und ſteigt zum Himmel an. 





„D Schifferblut, o Schifferblut, 
Du bift kein Schifferblnt / 

Zur Leuchte brennt Die Hlitte nur, 
Iſt eine gute Glut.“ 


Der Vater lenkt bein Flammenſchein 
Das Schiff zum fihern Straud. 
Umſchifft der Klippen Heer und tritt 
Gerettet an das Land. 


61 


Das Mädchen am Meere. 


Das Mägdlein ſitzt am Weltenmeer', 
Vom frühen Morgenſchein', 

Bis ſpät der Abendſtern erglüht, 
Und ſchaut in's Meer hinein. 


Und viele Wellen kommen an, 
Das Mägdlein fragt fie aus: 
Gebt Kunde vom Geliebten mir, 
Wann febret er nach Haus? 


Do ſtumm ſich nur die Voge bricht, 
Schallt feine Antwort ber; 

Und mande Zähr’ des Mädchens fließt 
In's große Weltenmeer. 


Und manches Fiſchlein ſchwimmt heran, 
Das Mägdlein fragt es aus: 

Gieb Kunde vom Geliebten mir, 

Wann ſchiffet ev nach Haus? 


62 


D Gold» und Silberfiſchlein ſchwimmet 
Hin Durch die weite See, 
Erzählt ihm feines Liebchens Schmerz, 
Und feines Liebchens Weh. 


Doch von ven Fifchlein keins verftand 
Des Mägbeleins Begehr, 

Und wieder manches Thränlein rann 
In's große Weltenmeer. 


Und viele Schiffe famen an 
Vom fernen Engelland, 

Doch auf der Schiffe keinem fie 
Den Herzgeliebten fand. 


So ſaß Das Mägblein Monden lang, 
Trug Well’ und Filchlein aus: 

Gebt Kunde vom Geliebten mir, 
Wann fehret er na Haus? 


Und als fie fragt und als fie weint. 
Tönt's aus der Tiefe hohl: 

Steig, Liebchen, fteig zu mir herab, 
Hier ift’8 Dir's gut und wohl. 


Und aus dem Ufer tritt zurück 
Das große Weltenmeer, 
Es öffnet fi ein grünes Thal 
Mit einem Blumenbeer. 


63 


Und in dem Thal am Bade fißt 
Des Mädchens Bräutigam, 

Er lächelt janft, er winkt jo ſüß — 
Das Mädchen zu ihm kam. 


O tüdiih Meer, o tückiſch Dieer, 
O halt' die Woge an! 
Umſonſt, umſonſt die Woge rollt, 
Die Woge rollt heran. 


Es kehrt zurück das Weltenmeer, 
Es vauſcht des Meeres Flut — 
Und Blumen, Thal und Mägdelein 
In feinem Schooße ruht. 


O tückiſch Meer, o tückiſch Dieer, 
Was that dir's Mägdelein? 

Am dritten Tage warfſt du ſie 
Auf kaltes Sandgeſtein. 


— Noch manche Welle kommt zum Strand, 
Noch manches Fiſchlein her, 

Manch Schiff kehrt heim vom Engelland — 
Das Mägdlein fragt nicht mehr. 


64 


Der deutſche Walzer. 


In dem Kerfer Lavalette's, 
Wo hinab fein Sonnftrahl fiel, 
Tönte oft Die ftillen Stunden 
Wunderbar ein Flötenſpiel. 


War’ doch Ney, der Fürft der Moskwa, 
Dort im oberen Gemach. 

Der gefangen, rubigbeiter, 

So mit ſeiner Flöte ſprach. 


Und 'nen alten, alten Walzer, 
Aus dem grünen Deutjchland ber, 
Herzgewinnend, herzbezwingend 
Dieſen liebte er ſo ſehr. 


65 


Und er fpielt ihn immer wieder, 
Wenn er dort am Fenfter ſaß, 
Bis auch Lavalett’ nicht wieder 
Diejes liebe Stüd vergaß. 


Stunden rannen, Tage gingen, 
Immer zur gewohnten Zeit 

Tönt der Walzer, wird durch diefen 
Lavalette's Herz erfreut. 


War in feiner dunkeln Zelle 
Dieler liebe Freundesgruß 
In den langen öden Stunden 
Ja der einzige Genuß. 


— Mer bord), welch’ ſeltſam Schweigen! 
Welche Stille dumpf und, ſchwer — 
Iſt die Stunde doch gekommen, 
Und der Walzer tönt nicht mehr. 


Und es klirrt die Kerferpforte, 
Und der Wärter tritt herein; 
Und e8 fragt der Freund erbleichend: 
„Was muß mit dem Marſchall fein?’ 


„„Marſchall Ney wird nicht mehr fpielen 

„„Mit der Flöte in der Hand; 

„„Von ſechs Kugeln wohl getroffen 

„„Sank er heute in den Sand.‘ 
Stolle, fämmtl. Schriften. XXIV. 5 


66 


Da bricht tem gefang’'nen Freunde 
Schmerzlichſt das getrene Herz; 
Und des Flötenfpieles Schweigen 
Mehret nur ben herben Schmerz. 


Und er ruft nad langem Schweigen: 
„Eo blieb mir denn nichts von Dir 
„Als der alte deutſche Walzer, 

I, er ſei geheiligt mir.” 


Aber ſeltſam, ob er finnet, 

Ob er finnt mit vieler Müh’ — 
Ausgeldjchet bleibt für immer 
Ihm die Walzermelodie. 


Jahre find dahin gegangen, 
Yang’ ſchon weilt im freien Land, 
In Amerifa’s Gefilten 

Yavalett’, geehrt, befannt. 


Und er femmt zu teutichen Leuten, 
Eine Kirchweih feiern fie, 

Horch, zum Tanze um die Linde 
Zönt 'ne Walzermelodie. 


6.7 


Und er bleibt betroffen ftehen, 

Lauſcht und lauſchet, finnt und finnt — 
Und es wird ihm jeltfam helle, 

Zeit und Gegenwart verrinnt. 


Und die hellen Thränen rinnen — 
’8 wird ihm, wie er nie gefühlt — 
Ja, es ift der alte Walzer, 

Den im Kerfer Ney geipielt. 


Und die erften Thränen weint er 
In dem fernen, freien Land, 
Wo er jeines Freundes Stimme, 
Seinen Walzer wieder fand. 


- 


5* 


68 


Erfier Engel. 


Biel ward in meiner Kindheit Zeiten 
Bon golden Engeln mir erzählt, 
Wie fie den lieben Gott begleiten, 
Und wie er oft fie ausermwählt, 

Zu jchweben zu den Erdenkindern 
Und ihre Schmerzen fanft zu lindern. 


Und wie ih num fo immer wieber 

Bon Engeln hörte ſchön und mild, 

Und wie fogar oft füße Lieber 

Mir fangen von der Engel Bild, 

Da war mein Wunfch, da war mein Fleh’n: 
Ad, einen Engel möcht’ ich feh’n. 


— 


69 


Einft hatt’ ich mich verirrt im Haine, 

xecht bitterlich, 

8 Dämmerſcheine 
$-dem Thal’ entwich, 

Da reicht ein‘ Mädchen unbefannt 

Mir tröftend ihre liebe Hand. 






Sie trodnete mir meine Zähren 

Und führte fanft mich durch den Wald, 
Und lobte die gepflücdten Beeren, 

Da jaben wir das Dörfchen bald, 

Da ward e8 leicht um meinen Sinn, 
Und ernft ſpilch meine Führerin: 


„Die Mutter wird nah Dir fich jehnen, 
„Denn ſchon erglänzt der Sterne Licht, 
„Die Gute laß uns erft verſöhnen, 
„Wie es bes frommen Kindes Pflicht, 
„And ſprichſt Du, ftetS recht gut zu fein, 
„Leg' ich auch ein gut Wort mit ein.“ zirr.. 
D= 


Die Mutter ſah uns ſchon von Weiten, 
Wer fennt nicht einer Mutter Schmerz, 
Und unter Thränen, unter Freuden 
Drüdt fie mid an das treue Herz; 
Doch gleih darauf mit trübem Sinn, 
Blickt lang und ernft fie auf mich Hin. 







er 


70 


Da final fo Ton wie — 
Das Märchen aus bem 
„Er hat's Berſprechen mir 
„Gtets folgfem, fromm und gui zu fein, 
„Ich ſelbſt, ich bitte heut’ für ihn.“ 






Und als die Worte fie geenbet, 

Wunſcht „ſanfte Nacht” ihr frommer Sinn; 
Und ſchnell hat fie den Fuß gewenbet, 

Eilt fllichtig durch die Fluren Hin. 

A, fol ein Mädchen wunberihän . 

Hatt' ich im Leben nicht geich’ 


Wir eilten freudig drauf nach Haufe, 
Doc fie, ach fie vergaß ich nicht; 
Und als in meine ftille. Klaufe 

So freundlich ſchien ver Sterne Echt — 
rief ich laut beim Sternenſchein: 
el fie muß ein Engel fin! 


71 


Im Todtenhans. 


Im Todtenhaus da fteht ein Sarg, 
Aus alten, uralten Zeiten, 

Und eine Role liegt barauf; 

Was mag das nur bedenten? 


Die Role ewig blühend und jchön, 
Der Sarg wird immer älter, 

Die Roſ' erfüllt mit Roſenduft 
Den ſchaurigen Behälter. 


Ich fragte ſchon als Kind danach 

Es konnte mich Niemand berichten, 
Jüngſt ſaß ein Greis an der Kirchhofthür, 
Der erzählte Kindern Geſchichten: 


.12 


„Sin braver Mann ta unten rubt, 
„Gr meint’ es mit Gott und Menichen gut, 
„rum hat ihm ein Engel, ftill bewegt, 

„Die Rofe auf den Sarg gelegt, 

„Damit wenn einft mit der Ro)’ in ter Hanb 
„Er eingeht in das Himmelsta 

„Der Engel unfern braven Mann 
„Unter ven vielen Leuten erfennen fann; 
„Die Roſ' aber, die ein Engel bricht, 
„Die, merfet Euch, verwelfet nicht.“ 


Ein biondes Mädchen hörte dem Alten mit zu, 
‚ Berfigert ihm mit himmliſchen Bliden: 
„Gewiß auch Dir wird ein Engel einmal 
„Eine ſolche Roſe pflüden.“ 


73 


Die Himmelsrofe. 


Ich fing’ Euch von der Roſen ſchönſten Nofe, 

Die Sterblichen bejeligend erblübt, | 

Die nicht am Bach, nicht in dem fammtnen Mooſe, 
Don feinem Sonnenftrahl gelodt, erblüht. 

Die in der Unfchuld nur, ver Tugend Schooße 
Erhebet und beſeligt das Gemüth. 

Es lernt beglückt ein jedes Herz ſie kennen, 

Doch iſt es ſchwer mit Namen ſie zu nennen. 


Als Knoſpe ſchlummert ſtill, noch unerſchloſſen, 
Die Roſe in des Kindes froher Bruſt; 

Und von dem Thau des Morgens zart umfloſſen 
Iſt ſich das Kind der Roſe unbewußt; 

Da hört es bald entzückt von jenem großen 

Und lieben Geber Schmerzes und der Luſt, 

Da fällt ein Strahl auf die geſchloſſ'ne Blume; 
Das erſte Roth erglüht im Heiligthume. 


In's Freie eilt der Knab' an Lenzestagen, 

Wo eine Welt aus dunkler Erde dringt, 

Wo die Natur mit ihren taufend Sprachen 

Der Liebe Gottes Tiebend ihn umringt; 

Da möchte gern dem Bater Dank er fagen, 

Ein fromm Gebet dem lieben Gott er bringt, 

Und fieh, von neuem Strahl die Knoſp' umfloffen, 
Schwillt ſchöner auf, doch bleibt fie noch geichloffen. 


74 


Ta weilt am Bab, im Schatten greiier Eichen 

Te Jünglinz ſtill une nebt tie Wellen zieb’n: 

Ab nirgent will das Dir ſich wieder zeigen, 

Tas ibm io bimmliſch ichẽn im Traum eridien: 

Une fieb‘, tie Jungfrau tritt aus tunleln Zweigen, 
Blidt auf ten Jñugling — Ert’ unt Himmel flich’n — 
Sie iſt's, tie gẽttlich ihm erſchien ım Traıme, 

Und ſchnell erblüht tie Ref im Herzentraume. 


Da tritt ber Mann in jene Gettgefilbe 

Der Wiſſenſchaſt mit reiſerm Geifte ein, 
Und was be RMugling einft noch Nachtgebilde, 
Steht jetzt dem Blick entſchleiert Mar und rein, 
Des großen Gottes Weisheit, jeine Milte, 

Sie jhant der Mann im hellen Strableufchein, 
Er ſchaut im Keime fie, im Weltentanze, 

Und jest erft blüht tie Ref im ſchönſten Glanze. 


Und wie dem Mann’, fo blühet auch dem Greiſe 
Die Rofe, die dem ftillen Herz geweiht, 
Beſeligend im rauhen Wintereife, 

Wie in des Yenzes holder Blüthenzeit; 

Und endet ftill der Wandrer feine Reife, 

Da naht ein Engel aus der Ewigfeit, J 
Der pflückt die ſchöne Roſe dieſer Erde, 

Auf daß ſie eine Himmelsblume werde. 


785 


Franenſchöne. 


Du Wunderbild aus einem ſel'gen Traum, 
Wie ihn ein ſel'ger Gott geträumt; 

Du Frühlingsgruß aus einer Frühlingswelt 
Wie ſie nur über Sternen keimt; 

Du Mollaccord der großen Götterharfe; 

Du hohes Lied, das die Gewißheit fingt 
Don einem Engellande drüben ; 

Du Oelblatttaube, Die die Nachricht bringt, 
Daß wir dort finden Alles, was wir lieben; 
Du Kronjumel, das einft in jel’ger Stunde 
Der Himmel ung verpfändete zum Bunde; 
Du Blumenurbild alles irdiſch Schönen, 
Du Meifterftüd, das Schöpfungswerk zu frönen; 
Vergebens fucht Die kühne Phantafie 

Nah Sternen, Blumen, Perlen, Bildern, 
Ein Göttertraum, wie Dur ift nie 

Bon einem Sterblichen zu ſchildern. 





Ein Lied für die Waifen. 


Zerwaiftes Kint, Tu Ihränenkilt, 
Zu Blume fiiler Schmerzen, 

Id ſchau' Dich, ta bricht meherfüllt 
Ties Liet aus meinem Herzen. 


Verwaiſtes Kint, an Thräuen reich, 
Ted arm, blutarm an Freuden, 
Tu Blüthenihmud beraubter Zweig 
In golt nen Frühfingszeiten. 


Und taufend Bäumen um Dich her, 
Die blüh'n in frohem Triebe, 
Denn fiber ihnen Soraen ſchwer 


77 


Was will das Sehnen in der Bruft, 
Die unbelannten Triebe? 

Ad, Aermfte, es zieht unbewußt 
Euch hin zur Mutterliebe, 


Doc weh, vergebens Hopft ihr an, 
Das einz’ge Herz von allen, - 
Das Euch die Antwort geben Tann 
SR längſt in Staub zerfallen. 


O Thränen neten mein Geficht, 

Ihr armen, armen Kleinen, 

Bergelten kann ein Menſch Euch nicht, 
Er kann Euch nur beweinen. 


Die Blütben brach des Vaters Hand 
Aus Eurem jungen Leben, 

Um fie Euch einft im Sternenland 
Berlärt zurüd zu geben. 


Auf ihn vertraut und weint mir nicht, 
Ein Bater muß Euch lohnen 

Dort oben, wo im Sternenlicht 

Die Elternherzen wohnen. \ 


Erzgebirgife Dyihen. 


Beh’ Bewerte! Lichte Binmentzäume 
Hingehaucht auf weißen Aetherzrunke, 
HM tas Runfiieiß eder war geheime 
Unfihtkare Feenhaud im Bunte? 


Arabesten, grazienhaft und munter 
Lächeln wie ans Jeihtem Nebelflor, 

Und doch brechen, ſchau' ich dieſe Wunder, 
Nur die hellſten Thränen mir herbor. 


Dein geben!’ ich, bleiches Kind der Hütten, 
Das Dir manche Mitternacht, 

Wenn am Tage Hunger Du gelitten, 
Dieſen Schmuck hervorgebracht. 


79 


Diefer Schmud, der Armuth heil’ge Spenden, 
Die Biumen, zart und leicht, 

Ad) wenn fie nur reden könnten, 

Ward euch wohl das Auge feucht. 


Fern in Bergen öd' und Ichaurig, 
Dort wo feine Blumen blüh'n. 
Sind in Hlitten, ftumm und traurig 
Diefe Blumen hier gebieh'n. 


Jetzt von Perlen ſtolz umwunden 
Sind die Thränen wohl zerfloſſen, 
Die in bittern Leidensſtunden 

Gram und Elend drauf vergoſſen. 


Darum bitte ſtill ich nun, 

Mögen dieſe zarten Waaren 
Jeder Brüft auf der fie ruh'n, 
Frommes Mitleid auch bewahren. 






709 


Da ſprach ſo fanft wie Sata 





„Drum ſei der hent'ge Fehl verzieh'n, 
„Ih ſelbſt, ich bitte heut' file ihn.“ 


Und als die Worte fie geenbet, 

Bünjcht „fanfte Nacht” ihr frommer Siun; 
Und ſchnell hat fie ben Fuß gewenbet, 

Eilt flüchtig durch die Fluren hin. 

Ad, ſolch ein Mädchen wunderſchön 
Hatt' ich im Leben nicht geieh’ 


„Stets folgfam,. fromm und gä6 zu fein, = 


Wir eilten freudig drauf nach Haufe, 

Doch fie, ach ſie vergaß ich nicht; 

Und als in meine ftille. Klaufe 

So freundlich ſchien der Sterne Licht — 

86 rief ich laut beim Sternenfchein: 
fie muß ein Engel fein! 


71 


Im Todtenhans. 


Im Todtenhaus da fteht ein Sarg, 
Aus alten, uralten Zeiten, 

Und eine Roſe Tiegt darauf; 

Was mag das nur bedenten? 


Die Role ewig blühend und jchön, 
Der Sarg wird immer älter, 

Die Rof’ erfüllt mit Roſenduft 
Den ſchaurigen Behälter. 


Ich fragte Ihon ale Kind danach 

Es fonnte mich Niemand berichten, 
Züngft jaß ein Greis an der Kirchhofthür, 
Der erzählte Kindern Geſchichten: 


72 


„Ein braver Mann da unten ruht, 
„Er meint’ es mit Gott und Menſchen gut, 
„Drum bat ihm ein Engel, ftill bewegt, 
„Die Hofe auf den Sarg gelegt, 
„Damit wenn einft mit ber Ro)’ in der Hanb 
„Er eingeht in das Himmielela 
nDer Engel unfern braven Mann 
„Unter den vielen Leuten erkennen kann; 
„Die Rof’ aber, die ein Engel bricht, 

„Die, merlet Euch, verwellet nicht.“ Fa 


Ein blondes Mädchen Körte dem Alten mit zu, 
, Berfihert ihm mit hinmliſchen Blicken: 

„Gewiß au Dir wirb ein Engel einmal 
„Eine ſolche Roſe pflücken.“ 


73 


Die Himmelsrofe. 


— 


Ich fing’ Euch von der Roſeu ſchönſten Nofe, 

Die Sterblichen befeligend erblübt, | 

Die nicht am Bach, nicht in dem ſammtnen Moofe, 
Bon feinem Sonnenftrahl gelodt, erblüht. 

Die in der Unſchuld nur, ver Tugend Schooße 
Erhebet und befeligt das Gemüth. \ 

Es lernt beglüdt ein jedes Herz fie kennen, 

Doc ift es ſchwer mit Namen fie zu nennen. 


Als Knoſpe ſchlummert fill, noch unerichloffen, 
Die Role in des Kindes froher Bruft; 

Und von dem Thau des Morgens zart umfloffen 
Iſt ſich Das Kind der Roſe unbewußt; 

Da hört es bald entzückt von jenem großen 

Und lieben Geber Schmerzes und ber Luft, 

Da fällt ein Strahl auf die geſchloſſ'ne Blume; 
Das erfte Roth erglüht im Heiligthume. 


In's Freie eilt der Knab' an Lenzestagen, 

Wo eine Welt aus dunkler. Erde dringt, 

Wo die Natur mit ihren taufend Sprachen 

Der Kiebe Gottes Tiebend ihn umringt; 

Da möchte gern dem Bater Dank er jagen, 

Ein: fromm Gebet dem lieben Gott er bringt, 

Und fieh, von neuem Strahl die Knoſp' umfloffen, 
Schwillt ſchöner auf, Doch bleibt fie noch gefchloffen. 


\ 
"U. 

Da weilt am Bad, im Schatten greiſer Eichen 

Der Yingling fill und fieht die Wellen zich'n; 

Ad nirgend will das Bild ſich wieder zeigen, 

Das ihm fo himmiiſch Schön im Traum erſchien; 

Unb fieß', die Jungfrau teitt aus. buntein Zweigen, B 

Blidt auf den Jungling — Ex’ und Himmel flieh'n — 

Sie iR’s, die göttlich ihm erſchien im Traume, 

Und ſchnell erbluht bie Rof im Herzensraume. 


2 tritt ber — in ene Gottgeſilde 





J 
Des großen Gottes Weispeit, feing Milde, - 
Sie ſchaut der, Mann im hellen Strahlenchein 
Er ſchaut im Keime fie, im Weltentänge, 
Unb jet erſt blubt die Rof’ im fChönften Ganze. 


Und wie ben Maun’, fo blühet auch dem Greife 
Die Rofe, die dem ftillen Herz geweiht, 
Beſeligend im rauhen Wintereife, 5 \ 
Die in des Lenzes holder Blüthenzeit; J 
Und endet ſtill der Wandrer ſeine Reiſe, 

Da naht ein Engel aus der Ewigkeit, A 

Der pflückt die ſchöne Rofe dieſer Erde, 

Auf daß fie eine Himmelsblume werde. 





76 


Frauenſchöne. 


Du Wunderbild aus einem ſel'gen Traum, 
Wie ihn ein ſel'ger Gott geträumt; 

Du Frühlingsgruß aus einer Frühlingswelt 
Wie ſie nur über Sternen keimt; 

Du Mollaccord der großen Götterharfe; 

Du hohes Lied, das die Gewißheit ſingt 
Von einem Engellande drüben; 

Du Oelblatttaube, die die Nachricht bringt, 
Daß wir dort finden Alles, was wir lieben; 
Du Kronjuwel, das einſt in ſel'ger Stunde 
Der Himmel uns verpfändete zum Bunde; 
Du Blumenurbild alles irdiſch Schönen, 
Du Meiſterſtück, das Schöpfungswerk zu krönen; 
Vergebens ſucht die kühne Phantaſie 

Nach Sternen, Blumen, Perlen, Bildern, 
Ein Göttertraum, wie Du iſt nie 

Von einem Sterblichen zu ſchildern. 


”e 


Ein Lied für die Waifen. 


Berwaiftes Kind, Du Thränenbilb, 
Du Blume fliller Schmerzen, 

Ich ſchan' Dich, ba bricht weherfällt 
Dies Lieb aus meinem Herzen. 


Verwaiſtes Kind, an Thränen reich, 
Doch arm, blutarm an Freuden, 
Du Blüthenſchmuck beraubter Zweig 
In goldnen Frühlingszeiten. 


Und taufend Bäumchen um Dich ber, 
Die blüh’n in frobem Triebe, 

Denn Über ihnen Sorgen jchwer 
Ruht ja die Mutterliebe, 


O Mutterliebe, ſelig Wort, 

Du Schatz von tanſend Schätzen; 
Ihr armen blaſſen Kleinen dort 
Wer kann Euch den erſetzen? 


77 


Was will das Sehnen in der Bruſt, 
Die unbelannten Triebe? 

Ad, Aermfte, es zieht unbewußt 
Euch bin zur Mutterliebe. 


Doch weh, vergebens Hopft ihr an, 
. Das einz’ge Herz von allen, - 
Das Euch die Antwort geben kann 
St längſt in Staub zerfallen. 


O Thränen neben mein Geſicht, 

Ahr armen, armen Kleinen, 

Bergelten kann ein Menſch Euch) nicht, 
Er kann Euch nur beweinen. 


Die Blüthen brach des Baters Hand 
Ans Eurem jungen Leben, 

Um fie Euch einft im Sternenland 
Berlärt zurück zu geben. 


Auf ihn vertraut und weint mir nicht, 
Ein Bater muß Euch lohnen 

Dort oben, wo im Sternenlicht 

Die Elternberzen wohnen. \ 


78 


Erzgebirgifche Spitzen. 


Welch’ Gewerbe! Lichte Blumenträume | 
Hingehaucht auf weißem Aethergrunde, 

Iſt das Kunftfleiß oder war geheime 
Unfichtbare Feenhand im Bunde? 


Arabesfen, grazienhaft und munter 
Lächeln wie aus leichtem Nebelflor, 

Und doch brechen, Schau’ ich diefe Wunder, 
Kur die hellſten Thränen mir hervor. 


Dein gebenf’ ich, bleiches Kind der Hütten, 
Das Du mandhe Mitternacht, 

Wenn am Tage Hunger Du gelitten, 
Dielen Schmud hervorgebracht. 


79 


Diefer Schmud, der Armuth beil’ge Spenden, 
Die Blumen, zart und leicht, 

Ach wenn fie nur reden könnten, 

Ward euch wohl das Auge feucht. 


Fern in Bergen öd' und ſchaurig, 
Dort wo feine Blumen blüh’n. 
Sind in Hütten, ftumm und traurig 
Diefe Blumen bier gedieh'n. 


Jetzt von Berfen ſtolz umwunden 
Sind die Thränen wohl zerfloſſen, 
Die in bittern Leidensſtunden 

Gram und Elend drauf vergoſſen. 


Darum bitte ſtill ich nun, 

Mögen dieſe zarten Waaren 
Jeder Bruͤſt auf der ſie ruh'n, 
Frommes Mitleid auch bewahren. 


Grimma. 


(Ael.: Helft Leutchen mir vom Wagen doch 3c.) 


Im Thale, wo die Mulde flieht, 

Da ſteht ein Städtchen fein, 

Das Niemand wieber gern vergißt, 
Der einmal da fehrt ein. 

Ihr Alle, Alle kennt es wohl 

Und ſeid ihm zugetban — 

Drum ſchenkt nur al’ die Gläſer voll 
Und ftoßt auf Grimma an, 


Es lebte mancher brave Mann 

Hier ſchon in alter Zeit. 

Und Niemand iſt, der ſagen kann, 
Daß es ihm hätt' gereut. 

Der Doctor Luther, Gottes Wort, 
Der war hier wohl vertraut, 

Der holte ſich von Nimbſchen dort 
Ja ſeine Jungfer Braut. 


Da kam au der Melundton ber 
Und ließ fih’8 bene fein; 

Ya, jagt er, in ganz Sachſen mehr 
Gibt's nicht ſolch Städtelein. 

Auch Pater Churfürft Morit war 
Dem Stäbdtel gar zu gut, 

Drum bracht’ er bier ’ne ganze Schaar 
Scholaren unterm Hut. 


Bon Hohnſtädt ging der Seume fort 
Und ftrampelte zu Fuß, 

Bon Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, 
Bis hin nad Syrafus, 

Doc felbft wo heiß die Sonne fticht, 
Sm tiefen Süpdenland, 

Bergaß er dich, mein Grimma, nicht, 
Und nicht den Muldenftrand. 


Bon Döben, wie ihr alle wißt, 
- Da gibt’8 ein „Sud in's Land“ 
So herrlich als nur eines ift 
Im ganzen Sachlenland. 
Und auf der Gattersburg, wer fteht 
De nicht mit freiem Sinn, 
Und fieht, wie ftill die Mulde geht 
Zu feinen Füßen hin. 


Der liebe Gott hat's liberal 
Zwar gut und brav gemacht, 
Doc unfer Tiebes Muldenthal, 
Abſonderlich bedacht. 
Stolle, ſämmtl. Schriften. XXIV. 6 


Der Frühling ift vol Blumenduft, 
Der Herbft von Segen [wer — 
Die Nachtigall dazwiſchen ruft — 
Und fpredht, was will man mehr? _ 


In Grimma gibts drum frohe Leut', 
Doc gute noch viel mehr, 

Auf Grimma’s froh und gute Leut', 
Trinkt nun das Släschen leer. 

Und fragt mich jemand, ob da blüh'n 
Auch Mägdlein hold und fein, 

So ſprech' ich, gud’ nur felber hin 
Es wird Dich nicht gereu'un. 


. 83 


* 


White’ Heimkehr. 


— 


Da fteht das alte Vaterhaus, 

Bor funfzig Iahren zog ich aus, 

Weit in die weite Welt hinaus, ' 

Ganz arm und jung und ganz allein, 
Doch Gott war bei mir, Gott war mein. 


Du grauer Giebel, alt und fchmer, 
Kennft wohl das frohe Kind nicht mehr, 
(E8 ift auch gar jo lange her,) 

Das von dem Gärkthen neben an * 
Gar oft geblickt zu dir hinan. 


u 
Wenn unfre Tauben, licht und Weiß, 
Did rings umflatterten im Kreis, 
Und wenn die Sonne, golden heiß, 
Bon Honigbienen ftil umſchwärmt, 
Dein altes grünes Dach gewärmt. 


Die Heine Bank auch, tief im Gras, 
— Was wirft du altes Auge naß? — 
Wo oft ich bei der Mutter "aß, 
Die lieb mich in die Arme nahm, 
Wenn Abends heim der Bater fam. 

6* 


„ enn inf Bice e ver 


84. 
Noch immer aus ber Knoſpe bricht, " 
Wie einft das ſchöne Blumenlicht, 
Das hold und freudig zu ufls fpricht; 
Wie bläh’n bie 
Doch, die fie pflanzten, ve 





Bas Hilft du mir, du Beterhaus, 
Der Bater ſchaut nicht mehr: heraus, 
Die Mutter trugen fie hinaus; 
Das, nützet ums ein. Paradies, 


\ 


Wie zicht —— Fein ſo machtig fort 


alle ruht im a 


Die alten Linden, ernft und ſchön, 
Sie fcheinen wohl mic zu verfieh’n. 


> 
m 


Dort unter Blumen träumen fie, 

Die ich vergebens ſuche HER 

Dort unit Blumen find’ ich fie — 
Dort unter Blumen, hoffe ich, 

Find't fih ein Plätzchen auch für mid. 


8 
Die ſchönſte Gabe. 


Wem Gott ein Herz zum Lieben gab, 
Dem Schmeaye wie ber fien, 
Bol Glauben, von o voll von Hoffen, 
Den hat das ft — getroffen, 
Dem ward⸗d Bi 


h wande 
ſich der 
be. 6 wird er Wiehl 


Diane dem feinetug ü 
E er 










ihm beut, nimgR er mit Dank, 
nit das Gplp der Trauben; 

} nie ben Glauben, 
Daß Menſchen gut find, rauben, 

Die Böſen find ihm ja nur frant. 






Und in Fluß di fumen ‚flieht, 
Fe wein und 
So gleitet ſanft 9 Pen, 
Bis, es in Gott, ö 

jßpie Ewigtel 






[.) könnte mir ein BGE gelingen. 


Bie b f 
Dan Lege’ i 


Wie er in 
Ju's 





Lebensgeſchichtliche Umriſſe. 





Ich bin den achtundzwanzigſten September 1806 in 
Dresden geboren. Meine Mutter verlor ich bereits 


im vierten, meinen Vater im fiebenten Jahre Ich - 


fann mid) daher auf beide, namentlih an vie Mutter, 
nur dunkel erinnern. So verlebte ich die früheiten 
Jahre meiner Kindheit in den Haufe meines Groß— 
vaters Lotzmann, welcher das Vorwerk Schönbrun- 
nen in der jeßigen Antonſtadt Dresven befaf. Noch 
deutlich entfinne ich mich jener kriegeriſchen Yeiten, 
wo die Kriegsvälfer von halb Europa durch Dresden 
zogen. Namentlih war e8 dad Jahr 1813, wo ber 
Gaſthof meine! Großvaters mit fremden Militär über- 
jült war. An einem grauen Märznachmittage erjchie- 
nen am Nande der Drespner Haide die eriten Ko— 
jaden. Das Dresdner Publikum zog ihnen mit ges 


füllten Brandweinflafchen entgegen, wie ich jpäter in 


meinem Romane 1813 treu gejchildert habe. Mit den 
erften Kofaden war ein herrliches Leben. Da fie große 
Kinderfreunde, ftand ich auf beiten Fuße mit ihnen. 
Die Söhne des Urals ſetzten midy auf ihre Heinen 
Pferde, was mir großes DVergnügen machte. Noch 
befier ftand ich mid, aber bei den Herren Offizieren, 
die bei meinem Großvater im Quartier lagen. Da 
gab es häufig Bonbons und Zuderbregeln, und noch 
deutlich kann ich mich erinnern, wie ich dem fpätern 


90 


faiferlihen General-Adjutanten Benkendorf, der eben- 
falls bei uns wohnte, auf den Anieen geritten. In 
unſrer Billarvftube ward die Neuftadt von den Fran— 
zofen an die Ruſſen übergeben. 

Noch ehe der Kriegsfturm über das ſchöne Dres- 
den dahın brauſte, erfchien mehrenals in der Woche 
bei meinem Großvater, um die einfehrenden und Bier- 
trinfenden Honorationen zu amüfiren, ein alter blin= 
der Harfner, der damals befannte und beliebte Me- 
Iodieen und Lieder fpielte und fang. Mein Lieblings- 
lied, das mid) mein ganzes Leben durchklungen und 
erwärmt hat, war: 

„Wer e8 gut mit Gott und Menſchen meint, 
Der fei mein Liebling, ter fei mein Freund!“ 


Bald erhielt ih vom Großvater felber eine Kleine 
Harfe und fang und fpielte mit dem alten blinden 
Niklas um die Wette. Auch einiger beliebter Gaflen- 
bauer aus jener Zeit entfinne ich mich noch, welche 
die damalige Stimmung in Sachſen wiedergeben mö- 
gen, 3. B.: 


„Wir marihiren nad) Preußen 'nein, 
Nehmen Die preußiichen Feftungen ein.“ 


Ferner: 
„Großer Kaĩſer Napeleon, 
Verſchreibe uns eine Contribution.“ 
Ferner: 


„Die Franzoſen haben die Schlacht gewonnen, 
Es werden beſſere Zeiten kommen.“ 
Selten iſt wohl ein Kind an Weihnachtheiligen— 
abenden jo reich beſchenkt worden, mie der Schreiber 
diefer Zeilen in ven früheften Jahren feiner Kindheit. 


u 


9 







ch non Großvater befcheert, ‚von 
uch, von mehren unferer Stamm= 
terglanz. . 
triegerijchen Ereigniffen des 
och höre ih den dumpfen 
n Franzofen gefprengte Pfei— 
fe zufammenbrah. Nachdem 
en verlaſſen, warb e8 etwas 
währte nicht lange. Wenige 
Tage nad ber Lügner Schlacht waren die Rufen 
wieder ba und bald darauf die Franzoſen. Da ih 
hörte, daß die Ruſſen auf der Retirade begriffen, 
Tonnte ich mich nicht genug wundern, wie ritfji 
Offiziere noch Billard fpielen konnten. _ F 
mir, bei einer Retirade müſſe Alles über, Haft 
Kopf bavon Laufen. Eines Tages bemertte ich, 
ſich über der Dresdner Heide der ganze Himmel rö- 
thete. Es war die Stadt Biſchofswerda, welche von 
den Franzofen in Brand geftedt worden war. — 
Nun fam die Schlacht bei Baugen. Auf Wagen und 
Schiebeböcken wurden die Verwundeten bei unfern 
Gafthofe vorübergefahren. Während des Waffenftill- 
ftandes war unfer Haus überſchwemmt von Kriegd- 
volt und es gab viel zu ſehn. Am Waldeseingang 
hatte die junge Garde ein Lager bezogen, das aus 
lauter grünen zierlihen Baraden beftand und fi 
ganz allerliebſt ausnahm. Auch bei uns lag ji 
Garde im Quartier. Da kam denn wiederholt 
Mann mit dem Meinen Hütchen vorbei geritten, bei 
ſtets eine lange glänzende Suite folgte. Vierwalt 
habe ich auf diefe Weife den großen Napoleon gefehen. 
Da man allgemein glaubte, daß der Angriff von 
Seiten der Allürten auf Dresden vom röhten Elb— 
ufer erfolgen werde, wodurch unfere Wohnung alſo 










ER 














92 






mitten aufs Schlachtfeld gerathen 
mit einer Tante zu einer befreundeten 

Wilsdruffer Gaſſe in Altftad 

wohnten wir aud) eine furz 

Als durch den Beitritt, Oi 

mehr unterlag, daß der Haı 

von der Altitabt her drohte 

Familie nah) Schöndrunnen 

weniger ließ uns eines Sonntag 

am damaligen ſchwarzen, jest Bautzuer Thore 
ligende fächfifhe Artillerieoffizier, welcher mit meinem 
Großvater befreundet war, herausfagen, wir möchten 
uns auf das Sclimmfte gefaßt machen und auf bie 
Flucht bedacht fein, denn er habe Befehl, jo bald fi 
die Alliirten von der Neuftäbter Seite her zeigten, die 
Dufer des Neuen Anbaus, die jegige Antonftabt, in 
Brand zu fhiegen. Zum Glüd fam es nicht zu bie 
ſem Aeußerſten. Noch kann ich mid) des berühmten 
Feuerwerts befinnen, das am zehnten Auguft 1813 
zur Beier von Napoleon's Geburtstag abgebrannt 
wurde. Wegen des bald ablaufenden Waffenftilftan- 
des warb nämlich der funfzehnte Auguſt Tage 
früher gefeiert. Ein paar Regimenter junge Garde 
ſchoſſen Leuchtkugeln. 

Bald aber begaun wieder ber furchtbare blutige 
Ernjt. Die Donner der Schlacht bei Dresden roll- 
ten durch den trüben vegenvollen Himmel. Ned 
„erinnere ich mic, der durd) den Nebel von den Räd- 
"iger Anhöhen herabbligenden Batterien. Entſetzlich 
war das 2008 der zahlreichen Gefongenen, die in alle 
Kirchen Dresdens eingefperrt wurden. Das Gäfchen 
neben der Neuftädter” Kirche hatte man mit Brettern 
verſchlagen und auch diefen Raum mit Gefangenen an- 
gefüllt. Zwiſchen den Spalten der einzelnen Bretter 















93 i 
bettelten Humberte von Händen hervor nad einem 
Biſſen Brot. 

, Ueberhaupt begann nad) der Dresdner Schlacht 
und nad) ben verlornen Schlachten von Yüterbod, an 
der Latzbach und bei Culm eine fehr traurige Zeit 
für die Bewohner Dresdens. Die Hungerönoth er- 
reichte eine furchtbare Höhe. Dabei wüthete das Ner— 
venfieber fo ſchrecklich, namentlich in den Hospitälern, 
daß ganze Wagen von Todten nah den Kichhöfen 
gefahren wurden, wo man fie in große Gruben bes 
geub, und um bie Verweſung zu befchleunigen, die ein= 
elnen Lagen der Leichname mit Kalt überjchüttete. . 
Das Elend ward immer größer. In dem Haufe 

ines Iheimg, des unlängft verftorbenen Amts= 

fir, tolle, Das unfern von Schönbrunnen gelegen 

ein höherer fraugöſiſcher Offizier im Duar— 

nes, Tages fah ih, wie die Schildwache vor 

Thur mit der Hand in einem Kehrichthaufen 

h e ur fic, Einige Brofamen heraus ſuchte. Der 

Adjutant dieſes Offiziers mar ein bildſchöner junger 

Mann, in welchem ſich das ganze weibliche Perſonale 

des Hauſes verliebt hatte; wenigſtens wo ich hinhörte, 

watnur von ihm · die Rede. Da kam ein Sonnabend. 

Der Abjutant war wie gewöhnlich ausgeritten, fehrte 
aber nicht wieder heim. Eine feindliche Kugel hatte 
ihn in der Nähe der Dresoner Schifjmühle getöbtet. 
Al Gouvion Saint Cyr, welder in Dresden das 
Commando führte, ſich durchſchlagen wollte, um ſich 
mit ben übrigen franzöfifchen Bejagungen der Elb⸗ 
feftungen zu vereinigen, erſchien ber höhere Offizier, 
ich glaube, er hieß Graf Lynar, vor dem oben ge= 
nannten Oheim. Zwei feiner Diener fchleppten einen 
ſchweren Koffer. „Fall's kommen Koſach — Alles 
Ihr,“ ſpraͤch er in gebrochnem Deutjch, „und komm ich 









9 











nicht wiever, behalten.” Der Koffer warb nun an 
einen der ficherften Orte des Hauſes geſchafft; aber 
bereit den folgenden Tag mar der Eigenthümer 
wieber da. Den Franzofen war e8 nämlich nicht ge= 
lungen, ſich durchzuſchiagen und die Vereinigung zu 
bewertftelligen. Nicht ohne anfehnlichen Verfuft rildte 
vie Garnifon am Abende in Dresden, das fie anı 
Morgen verlafien, wieder ein, und zwar in aller 
Stille. In Folge diefes mißlungenen Ausfals ſtieg 
aber die Noth wo möglich noch Höher. Das große 
Vorwerk Schönbrunnen war ‚enblih mit Einquartie - 
zung fo überfüllt, daß gegen ſechshundert Mann in den 
Gebäuden Iagen. An eine Bexpflegung. war matiielich 
nicht mehr zu denfen, da alle Vorräthe Küng 
zehrt waren. Thüren, Beüfterläden und fi 
fterrahmen dienten zu Fenrermaterial. Oft "af 
mitten in biefer ſehr niebergebeugten‘ Solpatest 
erinnere mic des Verſes, der mit IN teil 
Miene gefungen ward: 
„Mir a Schnaps — nir a Bier 
Iſt a miferable Quartier.“ 

Auf den Neuftäpter Gottesader war die Zerftörung 
fo weit gegangen, daß man die Särge aus den Grüf- 
ten hofte, die Leichname herauswarf und das Holz 
an den Wachtfeuern verbrannte. 

Meine großväterliche Familie vermochte es endlich 
im eignen Haufe, das vom Erdgeſchoß bis unter's 
Dad) von Militair in Beihlag genommen war, nicht 
länger auszuhalten. Sie zog in das oben erwähnte 
Haus Stolle's, wo in der einzigen Stube, die hier 
noch militairfrei war, ‚an ein Dugend Perfonen zu- 
ſammen wohnten, da eine befreundete geflüchtete 
iterfamilie ſich ebenfalls eingefunden hatte. Oft fehlte 









es hier an den nur nothbürftigften Lebensmitteln, da 


95 


feine Biertelftunde weit die Kojaden eine- Kette bil- 
beten und für Dresven feine Zufuhr durchließen. So 
mußte au ich, der Liebling des guten Großvaters, 
eines Abends hungrig zu Bette gehen, bis noch ganz 
fpät eine gute Tee erfchien und mir etwas Eßbares 
in den Mund ftopftee Welcher Jubel entjtand daher 
in der Heinen enggebrängten Colonie, ald eines Ta— 
ges in grauer Abenddämmerung der gute Traugott 
fam und unter dem Mantel zwei mächtige .Bauern= 
brote hervor langte. Traugott war der Hausfnecht 
meines Großvaters und aus einem Dorfe in ber 
Dresdner Haide gebürtig. Da auf Schönbrunnen 
jegliche Wuthihaftsführung ihr Ende erreicht hatte, 
war Traugott nad) feinem Dorfe zurüdgelehrt. Hier 
vernahm ber treue Burfche von der Noth feiner Herr 
ſchaft, er belud ſich mit zwei großen Brotem;” Ichlid) 
mit Lebensgefahr durch die feindlichen Bolten und 
langte wohlbehalten mit jenem jo höchſt erwünſchten 
Proviant bei und an. 

Endlich ſchwieg der böfe Krieg. Als mein Groß: 
vater den erlittenen Schaden, für welchen Vergütung 
verfprochen war, zufammen rvechnete, fanı vie Summe 
von dreizehutaufend Thalern heraus, und da ber alte 
Logmann ein durchaus redlicher Mann war, hatte 
er gewiß nicht Über die Gebühr angefegt. Die ver- 
ſprochene Vergütung ift jedoch nicht erfolgt. 

Dereitd im Anfange des Jahres 1814 flarb mein 
Großvater, der Gaſthof wurde verpachtet und ich zog 
nun zu dem Onfel Stolle, der die verlaffene Waife, 
da er felber feine Kinder hatte, an Kinvesftatt an— 
nafin und deſſen Namen ich aus Dankbarkeit führe. 

Mein Bater felbft hieß Johann Gottlieb Anders 
und war früher königlicher Hofpoftillon. Sn do 
eines Augenübels ward er penſionirt und lebte int 


Io 


Haufe feines Schwiegervaters Lotzmann. Er ftarb in 

März 1813 am Nervenfieber. Rod) entfinne ich mich, 

daß er mir erzählte, wie er oft den alten König von 

Sachſen, Friedrich Auguft ven Gerechten, gefahren, 

und diefer ihm zugerufen: „Fahr' zu, Anders, daß 

und Anton nicht einholt.” Anton war befanntlic 
der Bruder des verehrten Fürften und ver fpätere 

König Anton. — Ein anderer Scherz meines Vaters 

war, daß er häufig zu mir fagte: „Ich heiße alle 

Zage anders. Auch ich habe ſchon manche Leute 

ftugig gemacht, wenn ich ihnen heilig betheuerte, daß 

ich eigentlich" nicht Stelle heiße, fondern Anders. 

Nun, wie denn? war die jevesmalige Trage. Nun 
Anders! — Mein geliebter Bruder, der zehn Jahre 

älter # ih, und der als Militairoberarzt in Zwickau 

lebt, Führt letteren Namen. 

Der .erfte Schulunterricht begann anfangs in zwei 
Sammelfchulen, fpäter auf der Neuftäbter Bürger- 
ſchule, die unter der Leitung des hochverbienten und 
erſt vor Kurzem verstorbenen Rector Anger ftanp. 
Noc jest erinnere id) mid) mit innigem Danfe des 
oortrefflichen Unterrichts, den id) auf dieſer Anftalt 
genofien. Er ift für meine ganze Lebenszeit von 
dauerndem Nachhalt geblieben. 

An unfern Garten grenzte ein Stück Feld, das 
gewöhnlich mit Kartoffeln beitedt wurde. Sobald 
aber dieſe wohlthätige Frucht zur Neife gelangte, 
fanden ſich gar häufig nächtlicher Weife Liebhaber ein, 
die nicht eben beitrugen, den Segen der Ernte zu 
vermehren. Was blieb da übrig? Onkel Stolle und 
Ferdel — unter diefer Abkürzung meines Taufnamens 


ward ih in frühefter Jugend gerufen — mußten 
Nachts machen. Wir bauten und eine Hütte und 
bewaffnet mit einem alten Karabiner — die einzige 


m‘ 


97 


Neliquie aus dem Franzoſenkriege —, der von Zeit 
zu Zeit, um die Kartoffelliebhaber von unjrer Wach— 
famfeit außer Zweifel zu laſſen, abyebrannt wurde, 
begaben wir und in den milden Spätfommernädten 
auf tie Wade. Da zogen denn die ewigen Sterne 
in ftiler Pracht von Horizont zu Horizent, und meine 
Dlide waren vorzugsweife auf fie gerichtet. Da mein 
Dheim in der Sternfunde nicht ganz unerfahren und 
ihm eine Anzahl Sterne vem Namen nad bes 
fannt waren, fo gewährte diefes Studium bald eine 
prächtige Unterhaltung Eine alte Sternfarte von 
Bode half weiter, und jo warb ich denn mit dem 
Firmament bald ziemlich vertraut, von ber ſchönen 
Wege, dem funfelnden Arctur an, bis zu den ir 
damals ſehr drollig Flingenden Sternen Zubenel- 
genubi, Zubenafhamali, Zubenhafrabi im Bilde der 
Wange. Mein ganzes Leben find mir daher jene 
Sterne aus der Jugendzeit treue und freundliche Be— 
gleiter egblieben. Jede Sternennaht war mir ein 
Bud de8 Himmels, worin ih las, und mie ift mir 
die Zeit lang geworben, wenn ich in nädhtlicher Stille 
unter den Sternen dahin gegangen. Selbſt in mun- 
terer Geſellſchaft unterhielt ich mich Lieber mit ben 
Begleitern dort Oben, als mit denen auf Erden. 
Bor Allem gern theilte ic) meine Gelahrtheit abend⸗ 
lichen oder nächtlichen Begleitern mit, lehrte fie die 
gerade über dem Horizonte befinplichen Planeten Ten- 
nen und wie man auf leichte Weife den berühmten 
Polarftern oder die Cynofura auffinden könne, und 
freute mich ftet8 ungemein, wenn ich den Sinn für 
die erhabenfte aller Wiſſenſchaften erwecken konnte. 

Eine andere Liebhaberei meines Oheims war der 
fröhliche Weinbau, da er ſelber inmitten der Wein— 
berge in der Nähe von Meißen aufgewadhſen war. 
Stolle, , Tämmtl. Shäriften. XXIV. 


98 


Diefe PBalfion theilte fih audh mir bald mit. Wir 
legten in unferm ziemlich geräumigen Garten Wein- 
gelände an und pflanzten Weinftöde, und hatten fo 
das ganze Jahr ÜUnfre Freuden und Leiden, doch erftere 
weit mehr als lettere. Keine Pflanzen- und Baum— 
enltur kann wohl ein mannigfacheres Intereſſe dar- 
bieten, al8 der edle Weinbau. Vom feimenven Früh- 
linge, wo die erften hoffnungsreidhen Augen hervor⸗ 
treten, bis zum grauen Spätherbft, wo das Holz reif 
wird, weldhe zahlreiche intereffante Montente! Bald 
darf es nicht frieren, bald nicht regnen, bald ift wie- 
der andauernde ZTrodenheit nicht? nütze. Servatius, 
Pankratius, Vitus, Medardus, ale welch gefürchtete 
Gäſte ziehen dieſe ſogenannten Weinräuber vorüber. 
Wie ſchaut der Blick des beſorgten Weinbauers an den 
Vorabenden der genannten Tage zum Himmel, bald 
Wolken, bald heiter Wetter herbei wünſchend. 

Wir erbauten in unſerm Garten nach einigen 
Jahren bald fo viel Weintrauben, daß es nicht mög— 
lich war, viefelben zu verzehren, fo viel auch gute 
Freunde und die Sperlinge dabei halfen. Da ftieg 
in uns der fühne Gedanfe auf, felbft zu prefien und 
Wein zu nahen. Welche Götterluft für mich. Ge— 
dacht, gethban. Die nächſte Weinlefe ward feierlichft 
von mir eröffnet durh drei Schüffe aus dem alten 
Karabiner, wo id natürlich fein Pulver gefehont und 
tüchtige Pfröpfe drauf gefet hatte. Im erjten Jahre 
unfrer Weincultur waren wir nody nicht im Befite 
einer Weinpreſſe. Wir halfen uns durch Fäfler, Bret- 
ter und Steine, um den ſüßen Moft hervorzupreffen. 
Ald wir aber eined Sonntags vom Spaziergange 
nah Haufe famen, war unfre funftreihe Mafchinerie 
zuſammen gebroden und eine ganze Unterftube mit 

1 dem füßen Naß getränkt, jo man Moft nennt. Nichts 


99 


deſtoweniger erbauten wir dieſes erſte Jahr einen 
viertel Eimer Wein. Im nächſten Herbſte wanderte 
aber eine hübſche Weinpreſſe in's Haus und wir brach⸗ 
ten bie Ernte auf drei viertel Eimer. Der Segen 
wuchs von Jahr zu Jahr, fo daß wir in einem preis= 
würdigen Weinjahre nem Cimer erbauten. Diejer 
felöft gewonnene Wein ſchmeckte und ganz vortrefflid, 
wenigſtens befam man fein Kopfmeh davon. 

Bereits im vierzehnten Jahre, 1820, ſchrieb ich 
meine erfte Erzählung, welche ven Titel führte: Karl, 
ober*der böfe Hufar. Des Inhalts Tann ich mid, 
nicht mehr entfinnen. Zwei Jahre ‚fpäter entſtand das 
erſte Geviht, Mutius Scävola, beflen Verfertigung 
mic) fehr glücklich machte. Der erfte Vers, ver auf 
feine poetiſche Zukunft hinbeutete, lautete: 

„Gehüllt in etruriiches Gewand, 

Ging Mutius zu Cluſiums König, 

Beſeelt aus Liebe zum Vaterland, 

Wagt' er für die Freibeit nicht wenig.“ 
Da ich auf ber neuftäbter Bürgerſchule mit nod ein 
paar poetiihen Gemüthern bekannt worden, fo ent 
ſtand im Jahre 1823 unter uns ein wahrhaft poeti= 
ſcher Wettlampf. Der Eine gab „Myrthenkränze“ 
heraus, des Andere einen „Freundſchaftsbund“, der 
Berfafjer dieſer Lebensſkizze „Wiefenblumen”, alles 
poetiſche Wochenblätter, die wir unter den Mitichiilern 
circuliren ließen. Endlich vereinigten ſich die zerftreu- 
ten Kräfte unter Einer Redaction, und 8. entitand 
bie Wochenſchrift „Srühlingsbläthen, ebenfalls 
als Meanufeript für Yreunde, das wohl über zwei 
"Jahre lang mit ſeltner Beharrlichteit hevamnsgegeben 
wurde und zu der Stärke von fünf ziemlich ftaxken 
Bänden anwuchs. . 

Dftern 1827 bezog id} bie Kreugfiule, pelche da⸗ 


100 


mal® unter der tüchtigen Leitung bes verbienten 
Rector Gröbel fland. Die belebenden realiftifchen 
Studien der Bürgerſchule wırrden durch das Erlernen 
der alten Sprachen faft gänzlich in den Hintergrumb 
gedrängt. Ich gab mich legteren mit weit weniger 
Liebe hin, als ich bisher Mineralogie, Botanik, Phyſik, 
Mathematik getrieben und habe es baher auch mein 
Leben lang in den alten Sprachen zu nichts Bedeuten— 
dem gebracht. Je weniger aber meine griechifchen und 
lateiniſchen Leiftungen der Zufriedenheit ver Lehrer 
entfprachen, deſto mehr wurde meinen deutſchen Ar— 
beiten Aufmerkſamkeit, Anerkennung und Aufmunte- 
rung zu Theil. Namentlid) war e8 der M. Wiliſch, 
jest Pfarrer unfern Dresden, der mid in nieiner 
Lieblingsneigung ermunterte, und felbft ver ſonſt ftreng 
philologifche Gröbel, meine Mangelhaftigfeit in ven 
claſſiſchen Studien mit milder Nachſicht überfehend, 
ſprach fid) wiederholt freundlic über meine jchwachen 
peetifchen Yeiftungen aus, In einer Ausarbeitung, 
bie mir als Tertianer aufgegeben wurde und bie den 
damaligen griechifchen Freiheitsfampf behandelte, lie— 
ferte ih), wo meine Mitfehüler fid) höchſtens auf fünf 
bis ſechs Seiten verftiegen, ein complettes melodra— 
matiſches Machwerk, acht enggeſchriebene Bogen ſtark, 
ein. Hier verfuchte ich mich bereits ſtellenweiſe in 
Jamben und ſchloß die erſte Abtheilung mit den von 
dem Genius von Griechenland geſprochenen Worten: 


D wer den großen, den ſchönen Tag erlebte, 
Den Freiheitsmorgen ſähe aus dem Öſten 

Emp wölben an dem Himmelszelte! 

— Mixer, zu ſchöner Stunde bift 

Dir eingeiroffen, zu Großen hat das Schickſal 
Dich beſtimmt — mir ſagt's die innre Stimme. 


Drum weile, weile auf den Höhen dort, 
Und mern ſich friſch belaubt 





101 


Der Oelbaum, der auf Trümmern trauert, 

Und Kreuzesfahnen in den Thälern wehen, 

Und nicht mehr winken blutig jene Monde, 

Und auf des Mittelmeeres Inſelwelt 

Die Freudenfeuer Iuftig zu den Wolfen 

Auflodern feitlich in vereinter Gluth, 

Und nicht mehr ich in dieſer Halle weile, 
Im Thale aber kämpfe für mein Bolt — 

Dann ift er da der große Tag der Freude. 

Dann gürt’ auch du das Schwert dir um die Lenden 
Und hilf ven Kampf für Freiheit ſchön vollenden!“ 


Es war am 27. April 1826 als ich in der Abenp- 
bämmerung mit einem in das Geheimniß eingeweihten 
poetifchen Freunde eine ſauber aufs Reine gefdhrie= 
bene Erzählung, nebft einem Briefe an die Redaction 
der „Abenpzeitung”, worin ich bat, im alle ver 
Nichtaufnahme, mir foldhe durch eine Notiz anzuden- 
ten, da ich nicht den Muth hatte, meinen Namen zu 
nennen, in bie .Arnoldifhe Buchhandlung trug. Ich 
und mein Freund glaubten, die Abendzeitung werde 
in Entzüden gerathen über. diefe Erzählung, zumal 
der Verfaſſer auf jedes Honorar Verzicht leiſtete, als 
nad) wenigen Jagen die niederfchmietternde Notiz. er= 
Ihien: „Die unterm 27. April eingefchidte Erzählung 
kann nicht aufgenommen werden.” Nach einigen Jah— 
ven fand ich dieſe Nichtaufnahme ganz in der Orb: 
nung, aber damals war fie mir außerm Spaße und 
ftürgte mid aus allen meinen Himmeln. Ich war 
zurüdgejchredt für geraume Zeit und erſt im Herbfte 
jelbigen Jahres wagte ich einen neuen Angriff auf 
die „Abendzeitung“, aber diesmal nicht in Proſa, jon= 
dern in Gedichten. Und fiehe — wer befchreibt mein 
Entzüden — bereitd nad) einigen Tagen befand ſich 
eind der Gedichte gedruckt in dein genannten Journal. 
Das „Xeben ein Traum” hieß das erfte Kinplein 


102 


meiner Mufe, welches die Deffentlichfeit erblidte. Nichts 
geht einem jungen poetifhen Gemüthe über die Freude, 
fi das erfte Mal geprudt zu jehen, an zahlreichen 
Drten auszuhängen und von Hunderten und Taufen- 
den gelefen zu werben. ch konnte Die nächſtfolgende 
Nacht Fein Auge zuthun. " 

Bevor id die Univerfität Leipzig bezog,,um bie 
Kechte zu ftndiren, nahm ih noch ein halb Jahr 
Privatunterricht bei dem wadern M. Beger, dem jegt 
fo verdienftuollen Director der Neuftädter Realfchule. 

Es war ein wunderfchöner Frühlingstag, als ich 
die Heimath verließ und in der fechsfigigen Locomo— 
tive. des Lohnkutſchers Winkelmann auf ver Straße 
nad) Leipzig dahin ftenerte. Ueber die Blüthen . des 
Mais ruhte eine ftille Trauer. Am fünften jelbigen 
Monats war der hochbetagte Friedrih Auguft der 
Gerechte, der geliebte Vater feines Sachſenlandes zu 
feiner Ruhe gegangen, und weithin durch die milde 
blaue Frühlingsluft weinten über Stabt und Land 
die Glocken dem Heimgegangenen nad. Auch ich hatte 
mein Scherflein der Trauer um den geliebten Todten 
in einem Gedichte in der „Abendzeitung‘ beigefteuert, 
beffen zwei erften Verfe, die mir noch im Gedächtniß, 
alfo lauteten: 


„Bas weint fo bang die Glode durch die Lüfte, 
Das ift nicht Fefttags beiliger Feierflang, . 
Wie heißt der Schmerz, der auf des Landmanns Trifte, 
Wie im Palaft gleich tief zu Herzen Drang ? 

Bergebens haucht der Frühling Blumentüfte, 

Bergebens tönt der Lerche Frühgefang; 

Nur unter Thränen hör’ das Wort ich fagen: 

Den Bater hat man uns zu Grab getragen. 


„Der gute Bater war's vom Sachlenlande, 
Des treuen Sachſenvolkes treufter Freund, 
Der ſechzig. Jahre liebend web die Bande, 


Fa N‘ 


103 


Die mit den Seinen ihn fo eng vereint; 

Drum Niemand ift, der ihn nicht Vater nannte, 
Nicht Thränen dem Dahingeſchiednen weint, 

O Bater, wo dir ſolche Thränen fließen 

Kann man von Thränen auf bie Liebe ſchließen.“ 


Das erſte Halbjahr wollte mir es in der Mufen- 
ftadt nur wenig gefallen. Es war night das innige 
gemüthliche Leben wie in der fehönen Heimathſtadt. 
Dazu die troftlo8 ebene Gegen, Fein ſchönes Gloden- 
geläut, Tein majeftätiih dahin wallender Elbſtrom 
mit feinen Weingebirgen an den Ufern. Wie froh 
Hopfte daher das Herz, als die erften Herbſtferien 
heran dämmerten und nad einer langen Nachtfahrt 
bie heimathlichen Berge bei Meißen aus dem Nebel 
traten und die Elbe wieder ihren breiten glänzenden 
Rüden zeigte. 

In diefen erſten ſchönen Herbſtferien, die id) ganz 
der Xectüre und den Muſen widmete, warb ich zuerft 
nit Jean Paul befannt. Ich las und befeligte mid) 
an defien Hefperus. In dieſelbe Zeit fällt auch vie 
Anlegung eined Tagebuches, das ih) ununterbrochen 
vierzehn Jahre lang und oft ziemlich ausführlich ge— 
führt habe und das ich oft in ftillee Stunde noch 
heute mit vielem Intereſſe zur Hand nehme, 

Noch ſchöner als Die Herbſtferien waren nach 
einem ziemlich proſaiſchen Winter in Leipzig die erſten 
Frühlingsferien. Sie wurden durch das Leſen von 
Jean Paul's Flegeljahre und deſſen Autographie wahr⸗ 
haft verklärt. Ich entſinne mich noch, wie ich an einem 
wunderſchönen zweiten Pfingſtmorgen, ein Heftlein aus 
Jean Paul's Leben in der Taſche, in heiliger Frühe 
nad) den nebeldampfenden loſchwitzer Bergen hinaus- 
wanderte und an der Hand des größten Lieblings der 
Mufen in der reichblühenden Natur ſchwelgte. 


104 


Der: zweite Winter in Leipzig war weit angeneh- 
mer als der erfte. Ich hatte mit noch vier ftudiren- 
den dresdner Freunden faft die ganze Manfarbenetage 
eined Hauſes auf dem neuen Neumarkt gemiethet, wo 
wir, zuweilen in edler Gütergemeinfchaft, ein höchſt 
vergnügtes, gemüthliched und poetifches Dafein führ- 
ten. Da wir ein Bianoforte befaßen, jo ward ge— 
[pielt, gefungen, getanzt, gefochten, Kaffee und Cacdo 
gefocht in nicht weniger den fünf Mafchinen, fidelifirt, 
Theater gefpielt; aber das edle Jus wollte unter ob- 

. woaltenden Umftänden und mannigfachen Zerftreuungen, 
wozu zahlreiche Tanzvergnügungen kamen, ebenfo wenig 
munden als geveihen. Letzteres jollte erft in den 
folgenden Semeftern gefchehen, wo die Messieurs les 
cing zu der Meberzeugung gelangten, daß eine lofale 
Seperation zwar der Gejelligfeit wenig förderlich, aber 
dem ernftern- Studium um fo erfprießlicher fei. 

In poetifch= productiver Thätigfeit war in den 
erften Univerfitätsjahren, mit Ausnahme einiger Ge— 
dichte, gar nicht geworden. Erſt in dem Revolutions- 
jahr 1830 erwadte die Mufe von Neuen und id) 
jah mid) zum erjten Male auch in ungebundener eve 
gedruckt. Es geſchah Dies in der Yeitichrift „Mer— 
fur“, welche unter Philippi's Yeitung damals in 
Dresden erſchien. Der Aufſatz behandelte in theils 
poetifcher, theils humoriftifher Haltung das Leben von 
Eibflovenz. 

Da id inzwiihen mit Carl Herloßſon, dem 
Redactenr des „Cometen“, befreundet worden, arbei— 
tete ich für Die genannte Zeitjichrift, jo wie aud für 
die „Abendzeitung“, das „Mitternachtblatt” u. a. In 
Folge der fählifchen Septemberrewolution erfchien mein 
erjtes ſelbſtſtändiges Opus, ein fehr langes Gedicht 
unter den Titel: Sachſen und feine Fürſten, 


En. 


105 


Worte des Friedend und der Verſöhnung nad) ftür= 
miſcher Zeit. Dieſes Werkchen erjchien bei dem Buch— 
bruder Glüd, jo daß ih in Wirklichkeit fagen kann, 
“ich habe meine Buchmacherei mit Glüd begonnen. Ich 
„erhielt das erfte Honorar, beftehend aus drei Thalern, 
für welche ich mir fofort Holz Taufte, denn Die Jahres⸗ 
zeit war bereits ſehr weit vorgeſchritten. 

Nachdem ich Naturrecht bei dem leider zu früh— 
verſtorbenen Richter, Geſchichte bei Pölitz und 
Wachsmuth, Anthropologie bei Heinroth, Chemie 
bei Erdmann, Inſtitutionen und Pandecten bei 
Otto, Kirchen- und Lehnrecht bei B. Schilling, 
Prozeß bei Günther und einige andere Vorleſungen 
gehört hatte, vertheidigte ich unter dem Vorſitze des 
verehrten Domherrn Schilling die Theſis: „Actioni 
pigneratitiae triginta annis praescribitur“ gegen bie 
Gebrüder Nauwerk aus Dresven. Aber trogvem, daß 
id mich nicht ohne Eifer der juriftifchen Studien be= 
fliffen, lebte in mir doch fein wahrer Beruf für dieſe 
Wiſſenſchaft. AU meine Liebe und mein Streben 
war literarifchen und hauptſächlich Tchängeiftigen Er— 
zeugnijjen zugewendet. Mit großem Mißbehagen er= 
fannte mein Pflegevater in Dresven, der mid im 
Geiſte ſchon als preiswürdigen Amtsactuarius erblickte, 
daß in mir keine rechte Freudigkeit für das Brotſtu— 
dium vorhanden ſei. Es entſtanden darüber Diffe— 
renzen, deren nächſte Folgen waren, daß mir alle 
Subſiſtenzmittel ausblieben und ich zu eignem Erwerb 
hingedrängt wurde. Ich emancipirte mich alſo von 
der Heimath, hing die Jurisprudenz an den Na— 
gel und ſuchte mir durch die Feder mein Brot zu 
erwerben. Anfangs ging es freilich etwas knapp, 
aber bald machte ſich die Sache. Ich ſchrieb Bro: 
Ihüren, zum Theil politiicher Natur, wozu die da⸗ 


106 


maligen aufgeregten weltgefchichtlihen Zuftände hin— 
veihenden Stoff darboten. Auch eine Mepftification 
erſchien damals von mir, wo ih in einer Broſchüre 
nachzuweifen ſuchte, daß die Cholera, welche die Welt- 
alarmirte, von ben Jeſuiten geleitet und zu ihren 
Zweden benutt werde. Es ift mir heute noch ein 
Räthſel, daß die Polizeibehörde damals am dieſem 
ganz ernft gehaltenen Schriftchen feinen Anftoß genom- 
men. Jetzt, fünfundzwanzig Jahre fpäter, möchte id; 
fo Etwas nicht veröffentlichen. 

Mein erſtes größeres Werkchen, dad im Jahre 
1831 bei Kollmann erjchien, war eine Iyrifche Antho= 
logie, unter dem Titel: Blüthen und Perlen, 
bie herrlichften der ächten beutfchen Lyrik. Das Jahr 
darauf erichien bei bemjelben Berleger eine Samım= 
fung dichteriſcher Erzeugniffe in gebundener und ge: 
bundener Rede. Sie führte den Namen „Ste la‘ 
und wurde von der Kritif nicht unfreundlich begeüßit. . 
Zu derjelben Zeit erhielt ich die Leitung ver dama— 
ligen „Sachſenzeitung“, eine® Blattes, daß ſich Iei- 
ber nur zu häufig in Perfönlichkeiten gefallen und 
baher feines freundlichen Rufs fi) zu erfreuen hatte. 
Ohne meinen Namen dabei zu veröffentlichen, wirkte 
id hier mehr negativ, indem ich die Perfönlichkeiten 
abzumehren und dadurch dem Blatte eine edlere Hal- 
tung zu geben bemüht war. Im Jahre 1833 er- 
Ihien abermals eine kleine Novellen- und Gedicht: 
ſammlung. Sie führte die Auffhrift: „Naht und 
Morgen’, und erfchien bei Otto Wigand. Aud) 
an einer literariſchen Jugendſünde follte es nicht feh- 
len. Ein Leipziger Buchhändler forderte mih auf, 
ein Bud) über das damalige Leipzig zu ſchreiben und 
darin fo ſchonungslos wie immer möglic alle Gebre- 
hen in das verdiente Licht zu ftellen. Als junger, 


u \ 





107 


unerfahrener Seribifar ging ich fofort an die Arbeit 
und mancherlei Gerede, fo ih ganz öffentlih in Re— 
ftaurationen und Wirthſchaften Hatte erzählen hören, 
ſchrieb ih im guten Glauben, daß es die Wahrheit 
fei, nieder. Namentlich kamen einige fehr najeweife 
Bemerkungen über bie frühere ftäntifche Behörde, die 
in Folge der Bewegung des Jahres 1830 abge= 
treten war, in dem Buche vor. Die Schrift felbft 
ward im Altenburgifchen unter jehr freifinniger Een- 
jur gedrudt, aber faum waren acht Bogen fertig, als 
der Stadtrath in Leipzig Kenntnig davon erhielt und 
den literarifhen Embryo mit Befchlag belegte. Ich 
mußte meine jugendliche Unerfahrenheit und Vorlau— 
tigfeit mit zehn Thalern büßen und zwar „von Rechts- 
wegen”, wie das Urtheil lautete. Ich arbeitete das 
Bud Später um und es erfchien bei Otto Wigand 
unter dem Titel: „Das Neue Xeipzig Aber ver 
Unftern waltete einmal über dieſem Bude. Da es 
wünſchenswerth erichten, daß auch das, Dresdner Pu⸗ 
blikum binfichtli dieſes „Neuen Leipzig's“ in's In— 
tereſſe gezogen werde, ſo ſollten eine Anzahl Bogen 
der Reſidenzſtadt gewidmet ſein. Ich übertrug dieſe 
Arbeit einem Dresdner Landsmanne und Freunde. 
Er lieferte den Beitrag unter dem Titel: „Dres den, 
eine Kreuzthurminſpiration“, handelte in den 
erſten Kapiteln, die ich, da der Druck drängte, flüch- 
tig durchlas, in höchſt unfchuldiger Weife über Drespner 
Mufif, Geiftlichleit, Mädchen, fo daß ich, ohne das 
- Heft ganz zu Ende zu leſen, e8 in die Druderei gab. 
Es paffirte auch mwohlbehalten die Cenſur; kaum aber 
war das Bud, erfchienen, als der hinkende Bote nach— 
kam. Mein Freund hatte nämlich in einem ber fpä- 
tern Kapitel, das ich inn Manuferipte gar nicht be 
achtet, nachdem er dem ältern Offizierſtande alle An- 


108 


erfennung zufommen laffen, über den jüngern Offizier- 
Stand auf eine Art gefprochen, die ſchlechterdings nicht zu 
rechtfertigen war und mich wahrhaft mit Schreden er- 
füllte, als id) in Folge des allgemeinen Lärmes end— 
id) Die betreffende Stelle im Buche: felber nachlas. 
Ich gab zwar in der Leipziger‘ Zeitung die Erklä— 
zung, daß die böfe Stelle, die mein Gefühl felber 
beleidigte, ohne mein Wiffen und Willen in dem Buche 
ftehen geblieben; aber welcher Uneingeweihte konnte 
das glauben, da ich auf den Titel ald Herausgeber 
genannt und für deſſen Inhalt folglich in jeder Be- 
jiehung verantwortlih war. Der arme Genfor, der 
wahrfcheinlich mit derfelden Oberflächlichkeit, und wie 
ih, feine gefährliche Klippe ahnend, das ſonſt höchſt 
unfchuldige Manufcript vurchblättert hatte, verlor fein 
Genforamt, und das „Neue Leipzig” felbft warb 
verboten. 

Es war im Juni des Jahres 1833, ich ſaß le— 
fend auf dem literarifchen Muſeum, als Freund Ernft 
Drtlepp zu mir trat und mid) benachrichtigte, daß 
der befaunte Hofratb Philippi nad Leipzig gezogen, 
welcher beabfichtige, ein literariſches Oppefitionsblatt 
herauszugeben; er ſuche Mitarbeiter und ich follte 
mid) doch daran betheiligen. Ich ging zu Bhilippi 
und wir wurden bald befannt. Ich mußte eine Pro- 
bearbeit liefern, worauf er mir fofort den „Zei— 
tungsboten” übertrug, ein politifches Beiblatt zu 
der befannten „Ameiſe“, ‘die er damals herausgab. 
Er Ind mich den nächſten Sonntag zu Tiſche und 
nach der Mahlzeit gingen wir jpazieren gen Schön= 
feld. Hier frug er mich, ob und wie viel id, 
Schulden habe? Ich bekannte offenherzig; Die Summe 
betrug einige achtzig Thaler. Er fagte, ih folle 
ſämmtliche Schuldner zu ihm ſchicken, er wolle die 


— 


109 


Zahlung übernehmen und zu meinem Belten vielleicht 
Etwas abhandeln. Wer war -glüdlicher ale ih. Nach 
Iahren mit einem Male ganz fehuldenfrei vazuftehen, 
welch ein beglüdendes Bewußtjein. In ber That 
handelte auch Philippi einen Kleihen Theil der Summe 
‚ab, indem er ſofort baar bezahlte, den Gläu— 
bigern meine Verhältniſſe vorhielt und fie bat, Nadı= 
fiht zu üben. Ich war alfo jett alleiniger Schuldner . 
von Philippi, dev mir auch bald hinreichend Gelegen— 
heit und Beihäftigung darbot, die. Summe nad und 
nad) abzuarbeiten. Kurze Zeit darauf kaufte dieſer 
jehr unternehmungsluftige Mann die ehemalige Gö— 
ſchen'ſche Druckerei in Grimma und machte mir den 
Vorſchlag, ob id) ihn dahin folgen und die Redaction 
des „Zeitungsboten” und „Literarifhen Hochwächters“ 
übernehmen wollte. Der Gedanke, vollkommen jor= 
genfrei in dem reizend zwifchen Waldbergen, am Ufer 
ver fanftblauen Mulde gelegenen Landſtädtchen zu ver- 
leben, hatte etwas ungemein Anziehendes für mid, 
Ich jehnte mich aus dem wenig erquidlichen Dafein 
in Leipzig heraus und gab daher Philippi meine 
Zufage. 

Am 11. Februar 1834 in fpäter Abenpftunde 
hielt ih in Begleitung eines Schul und Univerfi- 
tätsfreundes, dem. ich ebenfalls Beichäftigung in der 
Philipprihen Buchhandlung verfehafft hatte, meinen 
beſcheidnen Einzug in dem freundlichen Muldenſtädt-— 
Ken. Sch wohnte anfangs mit dem erwähnten Freunde 
bei Philippi, wie wir auch an feinem Tiſche aßen. 
Dald entfaltete fi mir ein nenes, ungemein ange— 
nehmes und meiner gemüthlichen Natur ganz entipre= 
chende Leben. Ic wurde bald in Familien befreun= 
bet, wo e8 nicht an jungen Tiebenswürbigen Mädchen 
fehlte. _ Landpartieen wurden veranftaltet, in die Kir— 





110 


ſchen, in bie neuen Kartoffeln, nad dem romantifchen 
Doeben, nah dem anmuthig gelegenen Böhlen, wie 
nad. den. alten Ruinen des Klofter Nimbſchen, aus 
welhem vor breihundert Jahren. Luther's Gattin, Ka⸗ 
tharina von Bora, entflohen war. Zur: Winterszeit 
fehlte es nicht an Conzert und Tanzvergnügungen, 
ſo wie an dramatiſchen Vorſtellungen, die Philippi 
. mit vielem Geſchmack und ſeltner Unermüdlichkeit in 
der Exholung-Gefellfhaft veranftaltete und wobei ich 
wader mithalf. Mein erites Debüt war die Wachtel 
in Körner's „Nachtwächter“, weldem Verſuche eine 
geraume Reihe von Jahren hindurch noch manche 
Rolle, in ver Regel komiſcher Natur, folgte. Sogar 
an eine Oper wagten wir und einmal, wo id) noth- 
gedrungen einige Stüdlein zu fingen hatte, melde 
Aufgabe freilich ganz außerhalb meiner Gefangfräfte 
lag. Ich kann mid noch entjinnen, daß, als id 
meine Stimme erhob, gleich in der .erften Probe der 
gefammte Chor vor Lachen zufammen brad. Zum 
Glück war meine Gefangpartie eine fomifche, fo daß 
die allgemeine Heiterkeit, welche durch mein noch nie 
zuvor gehörte® Singen hervorgebradht wurde, ber 
übrigen Aufführung feinen. Eintrag that. Unbeftritten 
gehörten die erften Jahre meines Aufenthalt in 
Grimma zu den ſchönſten meines Lebende. Das Be— 
kanntwerden mit meiner nachmaligen Frau fiel gleid)- 
falle in diefe Periode. Ich Fam mir vor, als ſäße 
id) in einem weichen warmen gemüthlichen Lerchenneite. 
Ueber mir den blauen Himmel und. ringsum nichts 
al8 Blumen und Aehren. Im Jahre 1836 Dichtete 
id) für das freundliche Städtchen und bie guten und 
frohen Menſchen daſelbſt ein „Grimmalied“, das noch 
heute nicht veraltet iſt und alljährlich in heitern Krei— 
ſen geſungen wird. Ich habe dieſes Lied in die Ge— 


111 


dichtſammlung, welche dieſem Lebensabriffe voranfteht, 
mit aufgenommen. — In dem darauffolgenden Jahre 
wagte ich mich das erſte Mal an eine größere Arbeit, 
ich verfaßte den geſchichtlichen Roman „1813”, ver 
ſeitdem fünf Auflagen erlebte und in mehre fremde 
Sprachen überſetzt worden iſt. Ihm folgte 1838 die 
Fortſetzung „Elba und Waterloo”, ebenfalls: in drei 
Bänden, fowie zwei Bände gefammelte Nowellen und 
Erzählungen unter dem Titel „Camelien“. Im Jahre 
1839 ftarb mein Landsmann, Freund, Schul- und 
Univerfitätsgenoffe, Emil Roth, verjelbe, welchen 
id als Corrector und Buchführer zu Philippi gebracht, 
und der mit miv am Abende des 11. Gebr. 1834 
in Grimma eingewandert war „und fünf_ Jahre lang 
das heitere Leben in dem freumbfichen Städtchen nıit 
mir getheilt. Ich ſprach an feinem Grabe ein Gedicht, 
das noch von mander Familie in Grimma bewahrt 
wird, denn der Entfchlafene war vermöge feines even 
Charalters und feiner ungemein gefelligen Talente 
ſehr beliebt. 

Im Jahre 1840 verlobte id mich mit einem gu= 
ten, anmutsoollen, geiftreihen unb liebenswürbigen 
"Mäpden, das im näcftfolgenden Jahre meine Fran 
wurde. he ich aber im Herbfle des Jahres 1841 
mir meinen häuslichen Herd gründete, unternahm ich 
im Fruhlinge i in Begleitung eines grimmaifchen Freun⸗ 
des einen a nad Hamburg, wo ich zum erften 
Male a e ab. 

Nahen meine gefchichtlichen Nomane, „1813, 
wie au) „Elba und Waterlon“ einer fo freundlichen 
Aufnahme ſich zu exfreitem befam id den 
Muth, auf dieſem So war. be 


veit im Jahre 18; tbirger“ entjtanven, 
— Roman: 








welchem der launi⸗ 


112 


„Deutſche Pidwidier“ folgte, worin id die ge= 
ſellſchaftlichen Zuſtände einer Eleinen deutſchen Pro— 
vinzinalſtadt ſchilderte. 

Bon dem leider zu früh verſtorbenet Verleger 
meiner erften Romane, Eduard Meißner in Leipzig, 
war mir bereitd im Jahre 1839 die Redaction der 
Zeitſchrift „Eilpoft für Moden’ übertragen worden, 
die ich unter Beihülfe des Schriftftellers 3. Hammer 
bi8 zum Tode des Berlegerd 1843 fortführtee Auf 
bie deutfchen Pidwidier folgte wieder ein napoleoni- 
[her Roman, „Der neue Cäſar“, welder vie Jahre 
1804 und 1805 der franzöfifhen Gefchichte behan- 
belte. Diefem wieder ein launiger, „Die Erbſchaft 
in Kabul”, und biegauf „Napoleon in Egyp- 
ten”, ebenfalld in drei Bänden. Zu gleicher Zeit 
erfchtenen zwei Bände gejammelte „Kleinere Er- 
zählungen.” Ä 

Nachdem ih in Folge des Verlegers Tode die 
Redaction der „Eilpoft für Moden‘ niedergelegt hatte, 
entftand in mir die Idee zur Herausgabe eines po— 
pulären Wochenblattes, das die MWeltbegebenheiten auf. 
harmlos humoriftifhe und gemeinverftändlihe Weije 
zur Anſchauung brädhte, und außerdem dem Gemein— 
nüßigen gewidmet fein folte Ich theilte dieſe Idee 
dent oben genannten Philippi mit. „Wie wollen Cie 
das Blatt benennen?” ug ve. „Den — Dorf 
barbier!” war meine Antwort. „Das drud’ id, 
entjchied fofort der Chef des Verlags-Comptoir. „Aber 
wir müfjen das Blatt möglihit billig geben,” fügte 
er hinzu. „Es darf das Jahr nit über einen Thaler 
foften”, fprad ih. Wir wurden fofort einig und 
ich ging nad) Hanfe, um nich an die Arbeit zu ma— 
hen. Hier warb id) denn bald inne, daß, wollte ich 
als Dorfbarbier über Politik ſchwatzen, id) eines Däm— 


> 4 


r 113 


pfers bepürfte, ver die etwas zu vorlaute Zunge ftets 
in die gehörigen Grenzen zurüd weile. So entſtand 
Denn die vor des alten befannten Generald von 
Bulverraud), von weldem viele Lefer des Dorfbar⸗ 
bierd in dem Wahne geftanden, daß es eine lebenbe 
Perſönlichkeit; ebenfo wie noch heute Viele ſich 
nicht nehmen laſſen, daß die Vignette auf dem Illu— 
fteirten Dorfbarbier mein getreues Conterfei fei. Als 
ih einmal in Glauchau zu Beſuch war und ıneine 
Anwefenheit in einigen benachbarten Dörfern befannt 
wörben, waren mehre Landleute in die Stadt gegan- 
gen und ‚hatten ſich ganz ernſthaft erfunbigt, ob der 
Merr General. auch mit gefommen? Ein ähnlicher 
Dal begegnete mir im Jahre 1848 in Komotau, wo 
ich ‚dem, gemüthlichen Verbrüderungsfefte mehrer böh- 
miſchen“ ung‘: jähhfifchen Grenzſtädte beiwohnte. Ein 
alter böhmiſcher Landmann klopfte mid an ven Arm 
und frrach ehrlih und theilnehmend: „Wie freuen 
wir und, daß Sie gelommen find, aber für den 
alten Herren war's doch wohl zu. weit?” 

In vemfelben Jahre, wo der „Dorfbarbier” in’s 
Leben trat, ward auch mein Sohn, Johannes 
Erich, geboren, und zwar den 25. September 1844, 
Die Gnade Gottes hat mir dieſes einzige Kind, 
trotzdem es in den eilf Jahren daher mancherlei Krank: 
heiten überftanden und den Mutter und Baterberzen 
oft fehwere Sorgen bereitet — bis heute froh und % 
gefund erhalten und lege ich fein leiblih und geiftiges 
Wohl auch fernerhin in die Hand des allgütigften 
aller Bäter. 

Die gefelligen Verhältniſſe in Grimma konnten 
aud für mid gls junger Ehemann nicht angenehmer 
fein. Die dramatiſchen Vorftelungen in gejelligen 
Kreifen hatten ihren Yortgang, zumal meine Frau 

Stolle, fämmtl, Schriften. XXIV. 8 


114 ’ 


niht ohne Talent mitwirkte. Wir fpielten in der 
Regel für die Armen. Es war ein erſpes lches, Herz 
und Geift erquidendes Zufammenleben ME befreun- 
deten Familien. re! 

In der Abfaffung von Romanen war aber mit 
bem Dorfbarbier eine längere Pauſe eingetreten. Ich 
—* alle Wochen für gute Laune zu ſorgen, wo 
ollte da die Mufe herkommen zu größern, die Phan- 
taſie ſehr in Anſpruch nehmenden Arbeiten. Auch 
wollte ih nicht, da ich allwöchentlich vor dem Pu⸗ 
blikum erfchien, letzteres mit meinen Sachen zu fehr 
überhäufen. Der „Dorfbarbier” hatte in feiner bei= 
tern und harmlofen Art und Weife das Glück zu: ge-® 
fallen. Bereits nah Jahr und Tag belief ſich : die 
Auflage auf mehre Taufend, ging in ferne, Ligber — 
ein Exemplar fogar nah China — ı arb ſich 
in Palaſt und Hütte feine Freunde - brachte 
er manches Gemeinnügige zu Wege und half man- 
hen localen Webelftand befeitigen. So war e8 na— 
mentlih das harmloſe Blättchen, welches die abge— 
brannte freundlihe Neftauration beim Klofter Nimb- 
fhen wieder aufbauen half. Das Minifteriun hatte 
befchloffen, daß diefes in Grimma fo beliebte wald— 
grüne Afyl aufhören folte, dem ermübeten Wanderer 
eine freundliche Einfehr zu fein. Da wandte fid der 
Dorfbarbier an alle ehemalige Zöglinge der Grinma’- 
Then Landesfchule und brachte feine Bitte um Erhal— 
tung der lieben Stätte fo bejcheiden und rührend vor, 
daß ſich mehre der Einflußreichftert diefer ehemaligen 
Fürſtenſchüler fofort in diefer Angelegenheit an höch— 
fter Stelle freundlicd) verwandten und bald gewahrten 
die Bewohner Grimma's mit Freude, wie dag Mini— 
ftertum wieder ein freundliches Häuschen auf der öden 
Brandſtätte erbauen lies. 
















115 


Co währte mein umfrievetes Stillleben, das nur 
durch einige, mehr drollige, Streitigkeiten mit dem ehe⸗ 
maligen hyperorthodorxen ſächſiſchen Volksblatte unter- 
brochen wurde, bis in den Spätherbſt 1846. Da 
ſchlug der Wehruf des damaligen Nothſtandes im Ge— 
birg und Voigtland ſo erſchütternd in die Heimath 
des Dorfbarbiers, daß dieſer es für Pflicht hielt, auch 
ſein Scherflein zur Linderung des Elends ſeiner armen 
Landsleute beizutragen. Er lies eine Sammlung ſei— 
ner ausgewählten Gedichte drucken und verkaufte ſie 
unter dem Titel: „Ein Weihnachtsbaum, ange- 
zündetfürunfre Armen im Gebirge, vom alten 
getreuen Dorfbarbier” zum Beften jener Hülfsbepürfti- 
gen. Und Gott gab feinen Segen; veihlihe Gaben 
gingen, felbft vom fernen Rußland ein, fo daß im 
Laufe des fchweren Winter von 47 auf 48 durch 
gütige Bermittelung einer hohen Kreisdirection in Zwickau 
an über hundert Ortichaften Unterftügung an Geld, 
Brot, Gemüfe, Kartoffeln und fonftigen Naturalien 
vertheilt werden konnte. Gewiß, iu folden Zeiten 
der Prüfung lernt man erſt erfennen, wie fo viele . 
gute und barmbherzige Menjchen es giebt, und bie 


‚zahlreichen Zuſchriften, von melden bie Liebesgaben 


begleitet waren, und die ih mir in vier flarfen Bän— 
ven aufbewahrt habe, legen zugleich das ſchöne Zeugniß 
nieder, mit welcher Liebe gegeben ward. Bon dem 
Weihnachtsbaume, der eine dreifache Auflage erlebte, 
wurden gegen viertaufend remplare abgeſetzt, 
welhe die Summe von über drittbalbtaufend 
Thalern einbrachten. — Im Frühling 1847 regte 
der Dorfbarbier die Idee zur Marienftiftung an, 
zu welcher. alle Trauen und Mädchen Sachſens auf- 
gefordert wurden, die den ſchönen und frommen Na— 
nen „Maria führten, und welde ven, Zweck hat, 


116 


Armen des Gebirgd zur Winterszeit Arbeit und 

- Brot zu beihaffen. Auch hier gab der himmlijche 
Bater feinen Segen. Wieder floffen reichliche Gaben 
von nah und fen, fo daß fich bereit ein nicht un— 
anfehnliher Stiftungsfond in den Händen des Fönigl. 
ſächſiſchen hohen Cultusminifteriums befindet, welches 
die fernere Leitung der Marienftiftung zu übernehmen 
die Güte gehabt hat. 

Durch ven Weihnachtsbaum aber, wie aud) durch 
vie Marienftiftung war der Dorfbarbier mit feiner 
Kundſchaft auf beſonders guten Fuß gefommen. Das 
zeugten die zahlreichen Ergötlichfeiten, die, von herz= 
lichen Zuſchriften begleitet, in Küche und Keller ein- 
Tiefen. Sogar vom fernen Leutſchau in Ungarn lang 
ten zwölf Flaſchen köſtlichen Tokaiers unter der, Adreife _ 
„an ven Dorfbarbier” an. Auch Gedichte und kunſt— 
reihe Arbeiten von zarter Frauenhand blieben nicht 
aus. Bon einem hohen Minifterium des Innern er- 
hielt er ein Exemplar der großen filbernen Denkmün— 
zen, die in dankbarer Erinnerung an den mit Gottes 
und guter Menfchen zurücgelegten Nothitandes geprägt 
worden war, nebſt huldvoller Zuſchrift. 

So fehlte denn nichts zu meiner ſtillen Zufrieden— 
heit. Ich hatte es Ende 1847 ſogar zu einen eig— 
nen Häuschen mit Gärtchen und fehönem Gartenhaufe, 
freundlich an der Mulve, gelegen, gebradt. Alte, 
himmelhohe Birnenbäume, die im Frühling mit Blü- 
then, im Herbſt mit fügen Früchten belaben, be— 
Tchatteten mein bejcheivenes Dad), und von dem Alten 
des Sartenhaufes überfchaute id Gärten, Wiefe, Fluß, 
Berg und Wald. Dieſe idyliſche Ruhe follte aber 
nur zu bald durch den Donner der Pariſer Yebruar- 
revolution unterbrochen werden, wo plötzlich die alte 
Welt zufammenbrad). 


u 





117 


Die Bewegung verpflanzte fi) mit Blitesfchnelle 
nad) unferm friedlihen Sachſen, und zwar mit fol- 
hen Ungeftüm, daß fie mir gar nicht durch die Be— 
bürfniffe des Volkes gerechtfertigt und gemacht er= 
fhien. Die damaligen Wortführer wollten dem Volke 
durchaus glauben machen, e8 befinde ſich höchſt um- 
glüdlih und eine tiefe Kluft trenne e8 von feiner 
zeitherigen Kegierung. Und dem war nicht jo. Haupt: 
ſächlich empörte mic) aber die Gehäfligfeit und Ge— 
meinheit, mit welcher man die damaligen Minifter 
angriff und ihnen auch nicht das geringfte Gute lies. 
Und gleihwohl mußte fi das Heine Sachſen unter 
ihnen doch nicht jo ganz unwohl befunden haben, da 
unfer Ländchen in Bezug auf das übrige Deutfchland 
oft als kleiner Mufteritaat hingeſtellt worden war. 
Es fand ſich ſelbſt unter den zeitherigen Lobrednern 
der Regierung Niemand, der ein Wort der Verthei— 
digung für die abgetretenen Miniſter geſprochen; ich 
entſinne mich ſelbſt keines conſervativen Blattes, das 
ſich der vom künſtlich angeſtachelten Volkshaß verfolg- 
ten Männer angenommen hätte. Hier hielt e8 num 
der Dorfbarbier nur für die Pflicht des ehrlichen 
Mannes und Zeitungjchreibers — unbeirrt um bie 
Stinmung der damaligen fogenannten öffentlichen Mei— 
nung — das Volk zu erinnern, in feinem ſtürmiſchen 
Freiheitsraufche ver Gerechtigkeit und Billigkeit 
nicht zu vergeſſen. Der Dorfbarbier glaubte um fo 
unbefangener dies thun zu fünnen, ald er nie ein 
Schmeid ler der Regierung gewefen und nie bei irgend 
einen Minifter mit einem Geſuch oder einer Bitte ein- 
gekommen war. In feinem deshalb an das Volk der 
Sachſen erlafjenen Aufrufe hieß e8 unter Andern: 

„Wenn wir unfer Staatsleben feit dem Zeitpunfte 
feiner Wiedergeburt im Jahre 1830 unparteiiſch über- 


118 


bliden, fo ftoßen wir auf mande bevauerlihe Mip- 
griffe der Regierung; aber im Ganzen war biejes 
Stantöleben, diefe zwar langfame aber um fo fichre 
Entwidlung unjrer conftitutionellen Zuſtände eine 
gefegnete. Man vergleiche das Sachſen von jet mit 
dem Sachſen vor achtzehn Jahren. Wie oft in den 
legtern Jahren prießen wir Sachſen, wenn wir über 
unfere Grenzen hinausblidten, und glücklich, in Sach— 
fen zu leben. Wollen wir das mannigfache Gute, 
das wir der vaterländifchen Gefinnung, den hochach— 
tenswerthen Talenten und der oft unermüdlichen Thä- 
tigfeit der Männer, die an der Spite unfred Pandes 
ftanden, darum ganz vergefjen, weil jie auch zumeilen 
irrten? Ein folder Undank ift dem ſächſiſchen Cha- 
rakter fremd. Wir wollen nur unparteiifch fein. Wo 
find die Finanzen georbneter als in Sachen? Wo 
werben im Heermwejen größere Erfparungen, heraus 
gejucht als in Sahjen? Wo herrichte in einem deut- 
chen Lande weniger Glauben 8zwang als in Sach— 

- fen? Und nimmer fann das fächfifche Erzgebirge und 
Boigtland dem Minifterium des Innern es ver- 
gefien, was lettered im Hungerjahre 47 für die Hüt- 
ten der Armuth gethban hat! Das Alles, meine ich, 
mußte doch aud) in Erwägung gezogen werden, als 
man den Monarchen fort und fort um die Entlafjung 
feiner Minifter beftürmte. 

„Mag e8 unpolitifch fein, in einer Yeit, wo der 
allgenieine Sturm jene Männer von ihren Siben ges 
trieben hat, die Stimme für fie zu erheben; aber ich 
habe ihre Verdienſte anerkannt in Zeiten des Glücks 
und wenn ich fie im Unglück nicht verlaffe und nicht 
ſchmähe, jo gefhieht e8 nur darum, weil ich meine 
Meberzeugung nicht ändern kann, wie man einen Hand— 
ſchuh umwendet. Ich kann um fo mehr jebt für fie 


m \ 


119 


ſprechen, da id) nie eine Vitte an fie geſtellt, nie um 
eine Gunft bei ihnen eingefommen bin.“ Ich warnte 
ferner in dieſer Anſprache vor Ueberftürzung und be— 
ſchwor das Bol, unerſchütterlich zu halten an O.rd- 
nung, Gefeß und Pflicht. Es folle fid nicht ver— 
Ioden laffen, durch biendende Theorien, denen der 
Boden des Geſetzes nur zu bald unter ven Füßen 
ſchwinden müfle. Die Anfprache ſchloß mit den Wor- 
ten: „Ich weiß, es ift ein undankbares Gefchäft, bei 
großer politifcher Aufregung das Wort für Ruhe, 
Ordnung umd Befonnenheit zu ccheben; aber 
wo Zeugniß erfordert wird, ift es Pf j 
zu geben nad) beſtem Wifjen und Gewilleh. 

habe ich hiermit gethan und ftelle das Weit e 
Hand Gottes.” 

Der Dorfbarbier war in der vermaligen Zeit ber 
allgemeinen Aufregung wohl das einzige ſelbſtſtändige 
Blatt, das ſich auf obige Art ausfpradh, und da er 
zeither immer für ein liberales Blatt gegolten, fo 
beſchuldigte man ihm jeßt, daß er die Farbe gewech⸗ 
ſelt und überhäufte ihn won Eeiten der demokratiſchen 
Partei mit bey gemeinften Schmähungen. Er ertrug 
dieſe Srifunglet in dem Bewußtjein, nur das Ges 
rechte, Gute und Billige gewollt zu haben. Als die 
deutſche Bewegung endlich einen immer großartigeren 
und nationaleren Stgndpunft einnahm und die Ver— 
tveter des Volls in der Paulskirche zufammen traten, 
hoffte auch er auf einen neuen Frühling und ſprach 
darüber mit derfelben Unbefangenheit, wie ex es früher 
gegen die ſächſiſchen Umſturzmänner gethai, feine of- 
fene Anerfenmung und Freude ansy und, als in dem 
trüben Herbfte, welder "bi off 
folgte, die Reaction immer off ihr Haupt 
echob, war ex ehrlich gemigy gegen Piefelbe mit glei= 









120 


her Unparteilichfeit in die Echranfen zu treten. Die 
Folge davon war, daß er jettt auch Die immer kecker 
hervortretenden Freunde der Reaction zu Widerſachern 
befam. Jetzt follte er abermals die Farbe gewechſelt 
und revolutionär geworden ſein; und gleichwohl war 
ſeine ganze politiſche Haltung nur das treue, ehrliche 
Bild, worin ſich die gewechſelnden Zeiterſcheinungen 
wiederſpiegelten. Fürwahr, wenn der Dorfbarbier im 
Laufe des Jahres 1848 ſeine politiſche Farbe ge— 
wechſelt hat, ſo iſt es wenigſtens nicht aus eigen— 
nützigem Beweggrunde geſchehen, denn er ſtand 
ſi uf der Seite der befiegten Partei, 
— ‚Seite der Unterdrückten und Unglücklichen. 
- Sedermanı wird einſehen, daß, als er im Früh— 
jahr ein gut Wort für die geftürzten Minifter ein- 
legte und zu Ehrfurcht vor dem Geſetze mahnte, für 
ihn eben fo wenig Roſen zu pflüden waren, als tm 
Spätherbfte, wo er dafjelbe für die befiegten Demo— 
fraten that. Indeß war e8 nicht blos Mitleid, das 
ihn zu Gunſten ter Unterdrückten fpvechen lies, fon- 
dern Gerechtigkeits- und Billigfeitsgefühl. 
Andre, die, als die Sonne für die Bewegungspartei 
Ihien, den Wagen der Freiheit götzendieneriſch zogen, 
jebald aber die grauen Werfeltage des Unglüds ka— 
men, feig und ehrlos den Rüden wandten und bie 
vorher angebetete Göttin verläugneten und beſchimpf— 
ten, betteten ſich freilich angenehmer als der Dorfbar- 
bier, der auch im Unglüd der Freiheit treu blieb; 
aber er tauſcht trotzdem nicht mit diejen flugen und 
vorſichtigen Leuten. 

Sein politiſches Glaubensbekenutniß iſt trotz aller 
politiſchen Stürme in den Jahren 1848 und 49 ganz 
daſſelbe geblieben, wie er es bereits im Jahre 1847 
öffentlich ausgeſprochen, wo es hieß: „Ich gönne 


A 






121 


dem Adel feine hiſtoriſchen Erinnerungen und höhere 
Bevorzugung hier und da im Staatsleben, weil das 
ber gejellichaftliche Prozeß, welchen ver liebe Gott 
als Advokat leitet, fo mit fi gebracht hat. Ich be= 
neive ven Wohlhabenden nicht um feine Reichthümer 
und wünſche nur, daß er in feinen behaglichen Leben 
auch des Armen gevenfe, und überhaupt ein Herz 
habe. Ich nütze meiner Zufrievenheit weſentlich da— 
dur, daß ich ſtets unter mir blide, wo noch Mils. 
lionen meiner Brüder leben, die es lange nicht fo 
gut haben wie ih. Daß es in politifchen Dingen 
weit beijer fein fünnte als es it, ſehe ih fo gut 
ein, wie der entſchiedendſte Demokrat, aber nach mei= 
nem Dofürhalten foll fi) der verftändige Marin nicht 
dadurch das Leben verbittern, daß er — und hierin 
fehlen fo häufig die Herren Demokraten — blos in 
Idealen lebt, wie ſchön auf Erden es fein Fünnte, 
fondern fol fi) genügen, daß es beſſer werben kann 
und das Seine redlich dazu beitragen. Auch halte 
ih es für Pflicht, nicht blos die Beitrebungen ver 
Dppofitionspartei in den Himmel zu erheben, 
fondern auch das Gute, das von der Regierung 
ausgeht, gern und freudig anzuerkennen. Wenn ich 
Alles, was hienieden nicht nach meinem Kopfe geht, 
auf die Spitze ftellen, ſchroffe Prinzipreiterei treiben, 
mit aller Welt im Sriege Liegen und fo recht ven 
entjchiedenen Demofraten herausbeigen wollte, jo wäre 
das meiner friedliebenven, ruhigen Natur zumiber. 
Gilt es, gegen Dummheit und Gemeinheit anzufäm- 
pen, kann ich fo entfchieven auftreten, wie der befte 
Demokrat; aber Gehäffigfeit und Oppofition aus Op— 
pofition Liegt nicht in meiner Natur. Ich kann ja 
nicht dafür, wie mich der liebe Gott geſchaffen; und 
wär’ ich ein ftantenzertrümmernder Politikus oder ein 


122 


glaubenvernichtender Freigeiſt, ſo wär' ich nicht der 
gemüthliche Dorfbarbier. 

Wie überall hatten auch im freundlichen Grimma 
die politiſchen Stürme von 48 und 49 auf die ge— 
fellichaftlihen Verhältniffe einen ſehr zerftörenden Ein— 
fluß zurüd gelaſſen. Wenn es aud) feine abgejchlof- 
jenen politifchen Parteien gab, fo fehlte doch das 
alte Bertrauen, man war mißtrauifcher und vorſich— 
tiger in Aeußerungen, und die vormärzlide Gemüth- 
lichkeit war ganz geſchwunden. Selbſt der Dorfbar- 
bier, der doch unmöglich mit der Reaction durch Did 
und Dünn gehen fonnte und fi, jo gut es gehen 
wollte, eine freimüthige Haltung zu bewahren be= 
mühte, galt in manden Kreifen für eine mißliebige 
Perſon. Was blieb ihm da übrig? Er zog ſich eben- 
falls wie eine Schnede in fein Häuslein zurüd; und 
wie der liebe Gott immer forgt, jo wurde ihm bie 
verloren gegangene Geſelligkeit durch eine weit ſchönre 
Unterhaltung reichlich erfett. Mit einem Male er- 
wachte wieder tie alte Yiebe zu dem Studium Der 
Sterne und zwar in folhem Grade, daß er wieder 
Student wurde und während eines Winters fait all- 
mwöcentlid nad) Yeipzig wanderte oder fuhr, und zwar 
einzig und allein, um den aſtronomiſchen VBorlefungen 
des um die erhabenfte aller Wifjenfchaften fo ver: 
dienten Profeffor Dr. d'Arrſt auf der Leipziger Stern= 
warte beisumohnen. Schöne Sternfarten, ſo wie be= 
lehrende aſtronomiſche Handbücher wurden angeſchafft, 
ein neuer ungeahnter Himmel erſchloß ſich, ſo daß er 
die Miſerabilitäten der Erde leichter vergeſſen konnte. 
Ja ſogar die Muſe zu einem morgenländiſchen drei— 
bändigen Roman „die weiße Roſe“, ſo wie zur Her— 
ausgabe von zwei Bänden Novellen unter dem Titel 
„Frühlingsglocken“ fand ſich wieder ein. 


m‘ 





123 


Mit Oſtern des Jahres 1851 war mein Dorf- 
barbierfontract mit dem zeitherigen Verleger Philippi 
abgelaufen, und da ich mich mit leßteren nicht wieder 
zu einigen vermochte, jo ging der Dorfbarbier, und 





zwar als „illuftrirter”, in ven Verlag meinegisyreint,, + 





des, des Buchhändler Ernft Keil in Leipzig über... 
Der Geſchäſtskenntniß und aufßerordentliden Thä- 
tigfeit„piefed neuen Berlegers gelang es, das Blatt 
Binnen einem halben Jahre zu einer Auflage von 
zwanzigtaufend Exemplaren zu. bringen. Wie 
erfreulich dieſer Aufſchwung aber auch einerfeits für 
mich war, ſo blieben doch auch mancherlei Unan— 
nehmlichfeiten nicht aus, welche die neue Form und 
die große Berbreitung bes gemüthlihen Blattes zu 
Folge hatten. Bald Flopfte vie Regierung warnend 
an und mahnte zu größerer Rüdfichtnahme ver befte- 
henden Berhältniffe, bald flagten Stimmen aus dem 
Bolfe, daß der Dorfbarbier zu zahm und nicht mehr 
die frühere Friſche beſäße; bald wieder machte es Den 
Leuten der Bildermann nicht recht. Ich erfannte mehr 
wie je die alte Wahrheit, wie fchwer e8 fei, Allen 
zu genügen. Aber was man aud am Dorfbarbier 
von dieſer und jener Seite her auszufegen hatte, in 
einem Bunte pflichteten ihm Alle bei — ein erhe- 
bender Beweis, daß die Menfchen, wenn man an ihr 
Herz klopft, weit beffer find, als fie oft im tägfichen 
Leben erjcheinen. Sobald nämlich der Dorfbarbier 
bittend feine Stimme für arme und hülfbedürftige 
Brüder und Schweſtern erhob, floſſen ſtets reichlich 
die Gaben der Liebe, fo dag ihm die fchöne Freude 
geworben, fett dem Jahre 1848 über fünftaufend 
Thaler zu jammeln und den Hütten der Armuth und 
des Elends zuzumenden. 

Im Herbite 1852 unternahm ih in Begleitung 


124 


eines Freundes eine Dftjeefahrt nad) Kopenhagen, wo 
ih mid — troß der zahlreichen Wachen in dem Hofe 
dis daniſchen Königsichloffes — nicht enthalten konnte, 
läſe, wor mich hinſingend das „Schleswig- Holftein 


F ‚meezuagphfungen“ anzuftimmen. 


Mit Anfang 1853 trat neben dem Dorfbarbier 
i oh ein willenichaftliches, aber zugleich gemeinfaß- 
liches, belehrendes und unterhaltennes Blagf in's 
Leben. Es war die Idee meines Freundes Keil, und 
erhielt den Namen „Gartenlaube“, und iſt ge— 
genwärtig unſtreitig das verbreitetſte aller deutſchen 
Zeitblätter, denn die Auflage hat die ungemeine 
Höhe oo ahtzigtaufend Exemplaren erreicht. 
Wieder war es vie Thätigfeit des PVerlegerd, der 
feine Mühe und fein Opfer jchente, die geeigneten 
Kräfte zu gewinnen, welches dieſes glänzende Enderge— 
niß bervorbradhten. Meine Theilnahme an der Gars 
tenlaube erftredt fich blos auf die Vrrantwortlich— 
feit der darin abgedruckten Auffäte und aufgenom- 
menen Illuſtrationen und einigen poetiſchen und no— 
velliftifchen Beiträgen. 

Im Laufe dejjelben Jahres begann ich die Heraus- 
gabe einer Auswahl meiner gefammelten Schriften, die 
gelungenften der gefchichtlichen und launigen Romane, 
fo wie die befren Novellen, Erzählungen und Gedichte 
enthält und mit gegenwärtigen Bande, geſchloſſen iſt. 

Das Jahr 1854 brachte das neuefte Kind meiner 
Mufe, einen napoleonifchen Noman: „Die Granit— 
coloune von Marengo“, in drei Bänden, welder 
den welthiftoriichen Zeitraum des franzöfifhen Con— 
fulat, den Uebergang über die Alpen und der Schlacht 
von Marengo umfaßt und bei A. Schröter in Plauen 
erfchienen ift. Ber demfelben Verleger warb aud) eine 
Auswahl des Trolligiten aus den früher Yahrgängen 





125 


des Dorfbarbiers in wieberholter Auflage gedruckt. Das 
Buch führt ven Titel: „Na da lacht zu oder der 
Dorfbarbier in feiner beften Laune.“ 

Died wären denn vie oberflächlichen Umriſſe mei- 
ned Dafeind und Wirfens auf dieſem Erdſtern; und 
‚da ich weiter oben mein politisches Glaubensbekenntniß 
dargelegt habe, jo wird e8 nicht unpaflend fein, auch 
noch meines religiöfen Bekenntniſſes zu gedenken, womit 
gegenwärtige Skizze gejchloffen fein möge Ein in- 
niges, feljenfeftes Gottvertrauen bat mid) mein ganz. 
ze8 Leben hindurch gehoben und geftärkt und tiefe 
Ehrfurcht vor dem Heiligen wohnte ftet3 in mir; ob= 
ſchon ih, was die Kirche anbelangt, der frerfinnigen 
und. vernunftgläubigen Auffaffung und Richtung ans 
gehöre. Ich achte und ehre den Glauben eines Je— 
ven, fo lange diefer Glaube nicht feinen Mitbruder 
des Glaubens halber angreift und mißhandelt. Ich 
glaube, daß unfer Verhältniß zu Gott unfer Heiland - 
Jeſus Chriftus am wahrheitgetreuejten gelehrt hat. 
Wie jo Viele, habe auch ich das Fegefeuer der troft- 
Iofen Zweifelfuht Jahre lang durchgemacht und bin 
deshalb oft ſehr unglücklich geweſen. Aber ver himm- 
liſche Vater erbarmt ſich liebevoll des mit reinem Her- 
zen nad) Wahrheit ftrebenven Kindes. Wie Alles in 
Gottes herrlicher Weltoronung hat auch diefe Zweifels⸗ 
periode ihren heiligen Zwed. Sie macht den Gottes⸗ 
frieven, der aus ihr hervorgeht, nur unantaftbarer gegen 
alle innern und äußern Stürme. So habe ich auch 
den Frieden gefunden und rufe aus volliter Ueber— 
zeugung meines Herzens und Geiſtes: 


Gott Dein allmächtig Walten 
In Deinem aroßen AU 

In taujendfach Geftalten, 

Ich ſchau' es überall. 


126 


Wenn fi) Die Keime regen, 

Das Roth aus Knospen bridt — 
Dein Thun ift lauter Segen, 
Dein Gang ift lauter Lit. 


Gott, Dein allgütig Walten 
vo jedes Menichenherz, 

enn wir an Dich nur halten, 
Da giebt es feinen Schmerz, 
Wenn wir an Dich uns legen, 
Da fürchten wir uns nidt — 
Dein Thun ift lauter Segen, 
Dein Gang tft lauter Fidt. 


Gott, Dein allliebend Walten 

“ Reicht über's Grab hinaus, 
Du wirft Dem Wort. uns halten, 
Du führft e8 gut hinaus, 
Wenn wir zur Rub’ ung legen 
Der Erde Mantel briht — 
Dein Thun ift lauter Segen, 
Dein Gang ift lauter fict. 


‚Gott, Dein getreues Walten, 

Es find’t auch uns getreu, 

O wol’ uns Dir erhalten, 

Drum bleibe ewig neu, 

Auf allen unjern wegen, 

Die Wahrheit, welche Ipricht: 
‚Dein Thun ift lauter Segen, 
Dein Gang ift lauter Licht. 


Grimma, im März 1855. 


Ferdinand Stolle. 


Drud von Alerander Wiebe in Leipzig. 








5 PT | 
fr —IVA | Bine | 
3 b105 D15 298 263 
v.22/24