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Gift of
Mrs. Gertrude B. Mahrholz
STANFORD
UNIVERSITY
LIBRARIES
ä
PT 2527
Sc 6
/85’]
v, le /8
Ferdinund rad 5
ausgewählte Schriften
— — —
Volks- und Familien-Ausgabe.
Sehsyehnter Em.
Zweite Auflage
Leipzig,
Ernft Keil.
1858.
Meossofen
— — — —
Rovellen und Erzählungen
von
Ferdinand Stolle.
— —
Aueiter Cheil.
— |
Zweite Auflage,
Leipzig,
Ernſt Keil,
1858,
Die Nofe von Segovia.
Launige Erzählung.
1.
SH lange die civilifirte Welt fteht, und das ift fo
lange nicht her, da fie dieſes Prädicat erſt durch bie
wohllöblihen Poſtämter und Zeitungserpebitionen an
fi) gebracht Hat, jo lange ein anfehnlicher Theil des
löblihen Poſtperſonals das Gegentheil vom Poſtpa—
pier, und die Lungen der Briefträger pulfiven in of-
ficieller Haft, ift von legteren noch feiner mit folcher
Sehnfucht erwartet worden, als der Briefträger Jacob
Flügel vom Studenten Johannes am heiligen Car—
pafinstage.
Bereit3 feit einer halben Stunde, denn Johannes
wußte genau, wenn die gebirgifche Poſt bei gutem
‘oder böfem Wetter eintreffen mußte, hatte dieſer fei=
nen Kopf in die warme Atmosphäre der Gaffe hin-
aus gefteckt, wie in ein wohlthuendes Bad. Daß die—
fen Morgen ein wunderfchöner Frühlingstag aufges
blüht war, das ſchien ihm klar; wiewohl er von den
blauen Frühlingswellen, die unter Lerchengefang über
Giebel und Dächer dahinwogten, nicht das Geringfte
gewahr murbe, weil er Nichts davon jah. Selbft dem
Heinen Gilberftreifen über fi), aus dem wie aus
einem Himmmelsriffe Licht und Luft in die winterfeuchte
Gaſſe herabftrömte, fonnte er ohne Gefahr den Briefe
träger zu verpaffen, Feiner Betrachtung widmen. Wäre
—
8
[
nicht Pofttag geweſen, jo würde fi Johannes unbe-
ftritten auf den Oberboden des Haufed begeben. ha=
ben, wo die Hafenfelle des Hutmachers hingen, und
wo er wenigften® fo viel Himmel zu ſehen befam,
als er brauchte für feine Bruft. Daran war heut
nicht zu denken.
Für die Späherblicke des Studenten nach dem
Briefträger konnte es aber diesmal nichts Aerger—
liches geben, als der Erker des Nachbarhauſes, der
wie ein Glasſchrank weit in die Gaſſe hineingebaut
war. Johannes fonnte zwar hindurch fehn und
that's au, aber e8 half ihm Nicht und daran war
eine Gevatterfchaft ſchuld. Die Erferfürftin war Pathe
und ließ ſich frifiren. Das gefanmte dienende Pu-
blikum, ver Frifenr an der Spitze, tanzte in gejchäf-
tiger . Eile wie die ‚Kinder Ifrael um das ferzengrad-
fisende Steipbild. Moſes konnte fi) vor zweitaufend
Fahren über ſolche Heidengräuel nicht mehr ärgern
als Johannes.
Indeß gelang ihm nad langen vergeblichen Ver⸗
ſuchen ein entjcheivender Blick zwifchen den Erferpu-
biifum hindurch, und zwar mitten durch eine majeftätifche
Haarpuffe, die foeben unter ver Meifterhanp des
Friſeurs emporgeftiegen war.
Die Crferfürjtin, die feine Ahnung hatte, daß
die fühnen Windungen ihres Haupthaard dem Stu—
benten als Lorgnette dienten, nad) dem Briefträger
zu guden, blieb ruhig figen, und fo warb dem Jo—
hannes endlich die Freude, am äußerften Ende der
Straße einen gelben Punft zu entveden, der aber
fogleich wieder unſichtbar wurde.
‚Wenn das nicht Flügel war, will ich nicht Jo—
hannes heißen,‘ rief der Student und tanzte in der
Stube. herum; denn jet konnte er ſich ſchon einige
9
feine Fenfterferien erlauben, da er mit dem Laufe
des Briefträgerd genau befannt war. Flügel brauchte
wenigftend eine Biertelftunde, ehe er wie eine Maus
die Schluchten und Gemächer des Frenzel'ſchen Haus
ſes, in weldhem er unfihtbar geworben, durchfahren
hatte. Johannes allein kannte fieben ftudirende In—
quilinen daſelbſt, vie alle auf Geld Tungerten und
in Flügeln den Gefegneten des Herm verehrten.
Indeß litt es unfern Freund nicht allzulange im
Stübhen; er lag bald wieder im Fenſter und ſah
durch die Puffe, welche unterdeß zwei ebenbürtige
Colleginnen erhalten hatte. Da ſah er, wie ſo eben
zwei lange Landsmannſchafter mit rothen Mützen, die
Briefcouverts® in der Hand, aus dem Frenzel'ſchen
Haufe ftürzten und der Poft zu. Ein Haufe Mani:
häer trampelte hinter drein. Ein paar Burfchen-
Ihafter folgten. Endlich erfchien Flügel felbft, wie
ein Gott, der Segen fpenbet, Hoffnungen vernichtet.
Dreizehn hoffnungslofe Phyfiognomien, auf denen fid)
ſämmtlich getäufchte Erwartung malte, wurden jeßt
in den Fenſtern ber vierten Etage fihtbar und fahen
den Davoneilenden trübjeligen Blickes nad).
Indeß mußten die Beobachtungen, die Johannes
durch den Erfer und Buffe angeftellt hatte, nicht. bei=
fällig bemerft worden fein, denn mit einem Male
fenfte ji eine graue Wand herab; und wenn Jo—
hannes nit die Kunft verſtand, um die Ede zu je
hen, ftand es ſchlimm. Er tobte und verwünfchte ven
Erferbau und lobte e8, daß Feine ſolchen Glasſchränke
mehr geduldet würden. Er befam num Slügel nicht
eher wieder zu Geficht, als bis dieſer durch Die end-
Iojen zwei -Häuferreihen ſich durchfreſſen und ganz
nahe war, wozu es noch einer ſchönen Zeit bedurfte.
Johannes benubte dieſe, um ſeine Habſeligkeiten vol—
10
lends zufammen zu paden, und dem verehrten Leſer
kann zugleich vertraut werben, warum Johannes grade
heut auf dem Briefträger fo erpicht war.
Die Sache war diefe. Der Onkel unſers Jo—
hannes, ein Mann an Herzlichkeit, Biederkeit und
Humor, wie e8 wenige giebt, hatte ein höchſt roman-
tiſch gelegnes Waldſchloß ererbt; und da die Lage
deſſelben fo wunderfhön und die Gegend jo roman
tisch, daſſelbe mit feiner Bamilie feit Kurzem für be—
vorjtehenden Frühling und Sommer bezogen; den
Neffen aber bereits gelegentlih einladen lafjen, die
bevorftehenden Frühlingsferien bei ihm zuzubringen, -
und heute follte denn die officiele Einladung erfolgen,
nebft erklecklichem Viaticum.
Johannes, nachdem er noch ein paar juriſtiſche
Wälzer in den Torniſter geſchoben, eilte wieder an's
Fenſter und hatte den Moment ſo gut getroffen,
daß er nicht lange zu warten brauchte, als Flügel
aus dem Nachbarhauſe ſchief über herauſstrat. Dieſer
ſo wie er unſern Freund, der auch der ſeinige war,
anſichtig wurde, ſchwenkte ſeine Mütze hoch in der
Luft, und verſchwand gleich wieder in der angren—
zenden Tabadshandlung.
Dieſes Mützenmanöver war aber ein Außerft gün—
jtiges Phänomen für Iohannes, der fi Flügeln zum
lebendigen Telegraphen abgerichtet hatte Ihm blieb
jest nichts Eiligeres zu thun, als ever und Tinte
zum Quittiren hervorzuſuchen; und bald trat der
Gejegnete des Herrn in's Zimmer.
Der Brief des Oheims, den zu Johannes frohem
Schreck mehre Louisd'ore begleiteten, lautete aber wie
folgt:
„Mein guter Hans!
„Laß Alles ſtehen und liegen und komm zu uns.
’ 44
Wir können des Frühlings nicht Herr werden. Du
mußt helfen. Wir freuen uns Alle fehr auf Did.
Aber um fiel zu leben, mußt Du Di für dieſe
Ferien zu folgenden Bedingungen verftehen:
A, Den Yuriften auszuziehen.
B. Seine homöopathifhe Kur anzufangen.
C. Keine Journale zu Iefen.
D. Did nicht zu verlieben.
„Ohne diefe Bedingungen halte ich ein poetiſch-
humoriſtiſches Leben für nicht denkbar und ein foldyes
wollen wir führen. Bring doch einen guten Freund
mit. Wo möglih fo ein Stüd Poet; Du verftehft
mid ſchon. In unfrer Gegend findet er Futter, und
ih) hab es für's Leben gern, wenn ſich die Leute ber
herrlichen Natur freuen. Ale grüßen herzlih und
mahnen zur Eile. Oben an fteht j
. Dein alter Onkel.”
As Poftfeript waren nody folgende Worte von
niedliher Mädchenhand gejchrieben:
„Wir fürchten und ganz entſetzlich in dem alten
Schloſſe. Helfen Sie uns ja recht balo, lieber Vetter,
gegen die Gefpenfter kämpfen.
Pauline.
Zugleih im Namen der Mutter
und Schweſter Maria.”
Das Erfte, was Johannes nah Durdlefung des
Briefs vornahm, war,. daß er fi) wie der böſe Feind
über den Tornifter warf und mit einem Griffe zwei
corpulente Panvectenhefte herausrig. Meiſters Cri-
minal- und Biener's Prozeß folgten. in jchönes
Kirchenheft mit diverſen Schwänzen ereilte daſſelbe
Geſchick. So, rief er erleichtert auffpringend, ift der
Yurift ausgezogen. Der Onkel hat ganz Net, wie
konnte mir's einfallen, den Frühling auf dem Lande
12
dur dieſe Wälzer zu entweihen. Cr griff wieder
nad) dem Driefe und las: „Keine homöopathifdhe Kur
anzufangen.” Ich verftehe, ver Onkel hat einen treff-
lihen Wein im Keller, wer ba nicht trinft, iſt nicht
fein Mann.
Drittens: ‚Keine Journale zu leſen.“ Das iſt
freilich ſchlimm. Geſtern erſt hab ich ein halb Dutzend
ſchöner Gedichte in die Zeitung für elegante Welt
geſchickt, die gewiß bald erſcheinen werden, und wo
durch ich mich bei den Damen in Buchenfels zu in—
finuiven hoffte. Närriſcher Ontel.
Viertens: „Sic nicht zu verlieben.‘
Diefe Worte ſprach Iohannes etwas leife wor ſich
hin. Eine leichte Wolfe floh dabei über das ſchöne
Geſicht.
Nachdem Johannes auf dieſe Art das Schreiben
commentirt, machte er ſich nah dem im ‚Briefe er-
wähnten Freunde auf den Weg.
2.
Der Student Eginhard jchritt fo eben, Heine's
Keifebilder in der Hand, mit großen Schritten im
Zimmer auf und ab und declamirte:
„Britannia, dir gehört Das Meer; aber das Meer
hat nicht Waſſer genug, um abzuwafchen die Schande,
Die der große Todte dir fterbend vermacht hat.“
Da ftürmte Johannes herein, den Brief des On-
feld in der Hand. ‚Da lies, Beſter,“ rief er, und
hielt dem Deflamator den Brief hin. Diefer aber
ließ ſich nicht ftören und fuhr fort:
„Nach langen Jahren noch werden die Stnaben
Granfreih8 fingen und jagen von ver fihredlichen
13
Haſtfreundſchaft des Bellerophen, und wenn dieſe
Spott- und Thränenliever binüberflingen über den
tanal, giebt e8 fein Britannien mehr.“
„Nimm Bernunft an und höre mid,“ beſchwor
ohannes; aber Eginhard gerieth nur noch mehr in's
feuer, und rief mit erhobener Stinme:
„Und Sanct Helena ift das heilige Grab, wohin
ve Völker des Orients und Occidents wallfahrten in
untgewimpelten Schiffen und fih ſtärken an ven
haten des weltlihen Heilands, ver gelitten unter
Sir Hudſon Lowe, wie es gejchrieben fteht in den
vangelien des Las Cafes, Omeara und Antomardıi.
höttliher Heine!“
Cr ſank erſchöpft in, den Seſſel. Johannes er⸗
udigte ſich jetzt, ob der Raptus vorüber? Aber
tt der Antwort tönte es dumpf: „Wie e8 gefchrie-
n fteht in den Evangelien des Las Caſes, Omeara
dw Antomarchi. Göttliher Heine! Doch glei
rauf ſprang Eginhard wieder auf und fiel dem Jo—
mes um den Hals.
„Weißt Tu e8 fon,” rief er, „ein neuer Band
n Heine iſt erſchienen!“ — „Ta weiß id) nod)
sured,“ ſprach Johannes, und reichte den Brief bin.
„Böttliher Heine!” murmelte Eginhard vor fid
ı und begann Das Schreiben zu lefen; aber kaum
tte er es überflogen, als er mut beiden Armen den
eund erfaßte und zu walzen begann.
Johannes, mit der drolligen Art Eginhard's wohl
annt, walzte mit, bis der Enthuſiaſt nach Yuft
tappend ausrief: „Das ift übergöttlich. Wenn
en wir?“
„Lieber heut al8 morgen.‘
„Auf der Stelle, Theuerftr! Das wird eine
mmlishe Romantif. Die Coufinen, find fie hübſch?“
A
„O ja, recht hübſch.“
„Natürlich, Pauline heißt die holdſelige Schrei—
berin; alle Paulinen ſind wunderhübſch; ich habe
noch feine häßliche gekannt. Und Maria! O engel-
gleicher Name —
„Maria möcht' ich Dich begrüßen
Mein Herz hat ſtets Dich ſo genannt!“
„Armer Wilhelm Müller,“ fuhr der Enthuſiaſt in
Wehmuth übergehend fort, „er hat dieſen ſchönen
Frühlingstag nicht erlebt. Aber er ſoll leben. Komm
Freund, wir bringen ihm einen Becher in Orlando's
geifterreidher Tiefe. Wir haben es ja lange nid
daran gewendet. Wein, Freude und dazwiſchen ein
"Klang der Wehmuth und Erinnerung an heimgegan=
gene Lieben — wir lieben e& ja Beide.“
Johannes ließ ſich das heute nicht zwei Mal fa
gen, und wenn e8 dem Leſer gefällig, fo Hettern wir
ein wenig mit hinab zu Orlando.
3.
Orlando's weltberühmter Weinkeller beſtand aus
zwei Abtheilungen, wovon die erſtere das Forum
hieß. Hier war es wohnlich, hell und gemüthlich.
Hier ſaßen an den langen polirten und zierlich mit
Wachsleinwand überzogenen Tiſchen die Advokaten,
die in einem Viertelſtündchen einen Termin in dem
nahegelegenen Rathhaus abzuwarten hatten; die Me=
diziner, die auf ihren Krankenbeſuchen zufällig. an
der verführerifchen Kelleröffnung vorbeigeführt wur-
den; die Chirurgen, die fih Courage tranfen zur be-
vorftehenden Operation, und Canditaten, die dafjelbe
thaten, wegen des heutigen Examen; Sthaufpieler,
15
je tie Probe verfäumt; Studenten, die mit lobene-
verthem Eifer in die Panvdecten gerannt, aber vom
eltfjam lächelnden Famulus erfahren, daß die Frau
Gemahlin des Pandectarius eines Söhnleins genefen;
Dekonomen der Umgegend, tie Hafer und Wolle zur
Stadt gebracht; Aefthetiler, Polititer und jchöne Gei—
ter von Profeſſion.
Berge von Zeitungen aus allen Weltgegenven
vom ſächſiſchen Trompeter bis zum Moniteur Ottoman
yurden alle Tage wie heut aufgeſchüttet und ver-
hlungen. Zuweilen floh die gejellige .Wechfelrere
sie Schmetterlinge über die Gefellihaft, zumeilen wie:
er gab es ſtürmiſche Debatten. Alle politiiche, veligiöfe
nd Titerariihe Farben und Parteien waren vertreten.
Nur an gewiſſen Tagen herrichte Zoptenftille,
5 der Abjolute ruhig neben vem Radicalen, der
Supernaturalift ruhig neben den Nationalen, ver
[lopath ruhig neben dem Jünger Hahnemann’s, und
ian vernahm nur ein allgemeines Eſſen, wie bei ven
yeufchredfen, die man auch nicht zu ſehen braudıt,
m von ihrer begleitenden Nähe und ihrem Appetite
berzeugt zu fein. Dieſes merkwürdige Phänomen
md aber allemal an folben Tagen jtatt, wo Herr
Irlando feine neu angelangten Brüden, Sprotten,
achſe und feinen veliciöfen Cheſterkäſe im Tageblatte
ngekündigt hatte.
Links ab vom Foro führte aber ein ſchmaler,
unkler Gang zu einer kleinen mit Eiſen beſchlagenen
hür. Nur ganz entfernt vernahm man hier noch
m Lärm des Forum. Gin düſtres Yämpchen be=
uchtete Die dunfle Pforte Das war der Eingang
ir zweiten Abtheilung des Kellers, das heilige
zrab genannt. That fih die Pforte auf, fo fah
tan in die finftere Felſenſchlucht hinein, durch welche
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eine ſchmale Treppe zum tiefunterften Keller führte.
Hier Lagen in dunkler, geheimnißvoller Stille vie
Cabinetsftüde des Orlando, in langen Stüden. Was
die Sonne vor langen, langen Jahren gekocht Hatte
auf fernen weinfröhlicyen Hügeln, ruhte ſtill und hei-
lig in den gediegnen Stüdfäffern. Hier lagerten bie
Ihweren dunklen Ungarweine, die golonen Perlen des
Rheingaus, die flammenden Italiener und ver ölige,
dunfelfarbige Ausbruch des glühenden Hispaniens.
Eginhard und Johannes, die Bruft voll Himmel
und der Eine überdies drei wahrhafte Louisd'ors in
der Zafche, hatten eben im Sonnenlichte geſchworen,
einmal einen Ducaten nicht anzufehen und lebenpi-
gen Leibes hinabzufahren zum Grabe.
„E83 ift nut Jammerſchade,“ meinte Eginhard im
Hinabklettern, „daß ih Hauf's Rathskeller nicht zu
mir geſteckt habe,“ und Hans beſtellte eine Flaſche
Pedro Ximenes. Zwei Wachskerzen erleuchteten dü—
ſter die todte Weingruft; der dunkle Spanier flammte
und duftete; die Römer klangen an einander.
„Den heimgegangenen Lieben, begann Johannes
anftoßend, „und allen guten Meenfchen, vie dort oben .
wandeln in Freud’ und Schmerz!”
„Und in Specie,” fügte Eginhard hinzu „Dein
Onkel nebft den Holden Coufinen. Unſre Landsmann
Ihafter würden jagen: es ift ein Pradhtphilifter.
Jetzt aber, Hans, beſchwör' ih Did, vor allen Din-
gen und mit allem Ernſte unfre poetifhe Situation
gehörig zu überlegen. Man muß fid) verfelben nur
vecht bewußt werden. Bedenke, da zwei Etagen tief
im Eingeweide der Erde bei Kerzenlicht und gefüllten
Bechern. Ueber uns trampelt die Profa herum wie
toll, und über diefer jubeln vie Lerchen im himmli-
ihen Blau. Sonft überall Frühling, die Blumen
47
Liegen ellenvif auf ven Fluren. Wir hören und fehen
von alle dem Nichts. Aber mein dunkler PBararedes
erzählt mir dafür von femer fernen fonnigen Heimath
im Tieblichen Xereß, Abſeits der großen Straße liegt
das freundliche Städtchen in heiterer Stille. Nur
felten verirrt ſich ein Reiſender dahin wegen der
Räuberbanden in den andaluſiſchen Gebirgen. Aber
wer einmal dort geweſen, ber erzählt wie aus Tau⸗
jend und einer Naht von den herrlihen Bodegas,
ven großen Weinfathebralen von Keved. Da ftehen
in ſymmetriſcher Ordnung die Fäſſer zu taufenden,
und langjam wandelt man auf und ab, madıt von
Zeit zu Zeit Halt und fest ſich rittlings auf ein
Faß, wie der alte Silen. Dann foftet man den
ſüßen Pararedes, den duftigen Muskatello und jene
unvergleichlihen bunfelfarbigen Weine, die wohl ein
halb Jahrhundert erlebt und deren Duft allein ein
todtkrankes Weinküferherz vom Tode erweden könnte.
Während außerhalb Alles von der glühenden Hitze
Spaniens verfentt wird, herrfcht in den Bodegas eine
ewige erquidende Kühle Stoß an, Hand, Spanien
lebe!"
„Aber das freie Spanien,‘ fiel Diefer mit Wärme
ein, „Das freie Spanien, auf dem fein Blut, feine
Thränen und Flüche ermorbeter Mauren, Inkas und
Niederländer laſten. Unglückliches Land, unglüdliche
Sonne, die diefe goldne Fluth kochte.“
„Ppolitifire nur nicht gleich,” ſprach Eginhard,
„wir figen ja nicht im Foro. Aber Du haft Recht,
ih bin Spanien aud nicht grün. War das ver-
wünſchte Land nicht, Der große aifer lebte noch und
wir riefen heute noch Vive l’empereur! Nun fei nicht
böfe,“ fuhr er, Johannes die Hand hinreichend, fort;
„ich kenne ja wohl Dich Republikaner; aber ich kann
Stolle, fämmtl. Schriften. XL" 2
18
mir einmal nicht helfen. Denke nur, Kaiſer ver großen
Nation.”
„Die große Nation war feine freie Nation,“
erwiederte Johannes ernft- „Aber unter dem liebens-
würdigen Juftes- Milieu, den Doctrinaird und wie fie
alle heißen, da ift fie e8 wohl, he? Jetzt aber, befter
Hans, laß uns vor allen Dingen unfere Reife über-
legen. Ich darf gar nicht daran denlen. Wann brechen
wir denn auf?“
„Am Schönften wär" es,“ meinte Johannes, „des
Abends. Wir gehen die Racht hindurch, da die Tage
fo warn find.”
„Göttlicher Gedanke,” rief Eginhard, „himmliſche
Banderung. Rings Abenblauten frievliher Dörfer,
heimfehrende Heervengloden. Das Abendroth glüht,
bie heiligen Sterne ziehen herauf, wir immer barun-
ter hinweg. Zur Rechten und Linken träumende und
buftende Blumen. Wir hindurch unter Sang und
Klang. Dann feimt der Morgen. Die erfte Lerdhe
fingt ihr frommes Meorgenliev am dunfeln Himmel.
Bald bliden wir in das brennende Morgenroth und
wandern bireft hinein. Die Sonne fteigt herauf, wir
immer vorwärts Bis neun oder zehn Uhr; dann Sieſte
gehalten in irgend einem fchattig gelegenen Dorfe.
Apropos, Dein Onkel fammt Coufinen haben wohl
noch feine Ahnung von Heine?”
„Wohl ſchwerlich,“ Tächelte Johannes.
„Da muß ich das Bud, der Lieber noch einfaden,“
entſchied Eginhard. „Bruder, es wird himmliſch. Das
war fhon immer mein Wunjch, einmal einen Yrühling
zu verleben, in herrlicher Gegend, poetifch, hamoriſiſch
unter guten frohen Menſchen.“
49
4.
O meine Leſer, ich hoffe, es iſt keiner unter Euch,
der nicht einen Haufen duftender Frühlingsabende in
der Bruſt trüge, ſei's in der Erinnerung, ſei's in
der Hoffnung. Ich bitte Euch, fucht einen der ſchön—
ften heraus, jo Ende Mai, ungefähr acht Tage vor
der Himmelfahrt, wo ber tief fehattende Flieder, mit
violetten Trauben überhangen, fteht, wo vie Alazien
ihre Silberblüthen angezündet und die Kaftanien ihre
Chriftbäumden des Mai's. Schon feimt der erfte
Purpurblid in den Buſen der Roſen. Die Sonne
ift gejunfen, die Lerchen fingen ihr nad im Abenb-
roth. Aus der Ferne einjames Abenplauten, fonft
Alles fill und Heilig. Nur die von der Sonne ver-
laffenen Blüthen trauern und duften inniger vor Liebe
und Sehnfudht.
Dann provozir' ih an Euch, erleuchtete Häupter,
die Ihr hinter Alten, Kranfenbetten und feichenpre-
dDigten thut und fchaffet, was Eure Amtes, blidt
einmal zurüd durch einige Decennien, in bie Seit,
wo Ihr unbeweibt, aus froher Bruft das „Gaudeamus“
fanget, in ven Aubitorien und Karzern Euch enuyirtet,
am Ende des Halbjahres aber froh und felig hinaus
zoget eines Abends in den Frühling, in bie Heimath;
— Ihr werdet ein Auge zubrüden, wenn fid) unfre
Wanderer bereit8 innerhalb des ſtädtiſchen Polizei—
diſtrikts, wo alles Rauchen bei harter Strafe verboten
war, ihre Cigarren angezündet und himmelglücklich
dahin felbanderten.
Eyinhard hätte die ganze Welt umarmen mögen
und grüßte Alles, was ihm in den Weg fam; Hübjche
und Häßliche, Belannte und Unbefannte, Jung und
20
At, daß Johannes in gerechtes Exftaunen gerieth über
ſolche Bekanntſchaft.
„Wachſen denn Deine Bekannten aus der Erde
hervor?“ fragte er, der aus Höflichkeit die Mütze nicht
auf den Kopf bragpte.
„Sind 'alles herzensgute Leute,” verficherte Egin-
hard, „fieh, ſieh!“ — Ein wunberliebliches Mäd⸗
chen ſchlüpfte ſo eben freundlichſt, doch ehrerbietig
gegrüßt, mit einer Purpurglut auf dem Geſichtchen,
vorüber.
„Wer war denn der Engel?“ fragte Johannes.
„Ein göttliches Kind!“
„Wer war ſie denn?“
„Ich weiß es nicht.“
Jetzt wurde es Johannes außer'm Spaße. Er
zankte und ſchwor, lieber vorauszutraben, als ſich hier
vor den Leuten blamiren zu laſſen.
„Ein göttliches Kind!“ rief Eginhard in beglückter
Erinnerung und ehrerbietig ſenkte ſich ſeine Mütze vor
einem alten Invaliden, der ganz verklärt dankte.
Johannes begann jetzt zu traben. Eginhard hin-
terdrein und fo gelangten fie zum äußern Thore. Yeb-
terer that hier einen ungeheuern Sprung in’8 Freie,
ſchüttelte fih, drehte fih um, fchlug drei Kreuze gegen
die Stadt und erklärte:
„Diefe drei Kreuze gelten nicht euch, holde Kinder
mit den Blumengefihtern, nicht euch, Prachtphililter,
bie ihr den Bruder Studio unter die Arme greift,
nicht euch, fivele Kneipiers, die ihr nicht fogleih wegen
eines foliden Pumpus das hochweife Uniwerfitätsgericht
in Feuer und Flammen fegt, fondern leviglid euch
heimtückiſche Schnurren und Pedells, die ihr uns das
Leben, vie holde freundliche Gewohnheit des Dafeins
24
verbittert, dir romantifhem Karzer und euch, ſaure
Linfen des Convikts.“
Während Eginhard feine drei Kreuze erklärte,
blickte auch Johannes, auf feinen Wanderjtab gelehnt,
in die Straßen zurüd. Eine leife Wehmuth zog über
das reizende Geficht, eine Thräne fehien nicht fern, als
Eginhard zu zanken anfing, daß Johannes dem Abend-
roth den Rüden zufehre.
„Was baft Du noch an dem Neſte?“ frug er,
und die Zwei wanderten in den Abendhimmel hinein,
„Iſt Doch, als für Dir ein Liebchen drinnen im Stein-
haufen, in Thränen und Schmerz. Wie müßt id)
thun; Larifari. Andre Städtchen, andre Mädchen.
Mein Herz ift groß, da fümen ein paar Dutend
himmliſche Kinder Cotillon tanzen und thun es aud).
Nur feine Königin erwählt,; da bin ich ftrenger Re—
publifaner.” |
Der Sprecher verbreitete ſich jetzt wetter über feine
Herzensangelegenheiten, über fein Glüd bei den Da .
men, wo er gewöhnlid nicht ermangelte, tüchtig auf-
zufchneiden. Mit feiner Herzensrelation zu Ende, blieb
er plöglich ftehen, ftütste fid) auf feinen Stab und
Ihalt auf Johannes: „Großer Menſch,“ hob er an,
„es ift nicht auszuhalten mit Dir, bift fo hübſch und
noch nicht einmal ein Heines Liebeshändelhen. Sieh,
wie allerliebft e8 wär’, wenn wir fo in Compagnie
unfre Herzen vermietheten an niedliche Inwohnerinnen.
Das iſt ungemein praftifch, gleiche Liebe, gleiches In—
terefje. Aber was it mit Dir anzufangen, - Nova
Zemblianer, Eisbär, Kiejelherz.“
Yohannes fchien etwas erwiedern zu wollen, doch
ſchwieg er und fragte nad einer Baufe: „Glaubſt Du
denn bei allen Deinen Liebfchaften wahrhaft geliebt zu
haben?“
22
„Wie,“ rief Eginhard, „ich nicht geliebt? Heiliges
Abendroth, ich nicht geliebt! Hans, fol ih Dir Hi-
jtorien erzählen? In feinem Romane kann's toller
hergeben, als in meiner erften wahren Liebe. Mein
Herz war ein Vulkan. Jetzt iſt's ausgebrannt; und
was ich Dir vorhin von meinen Liebſchaften erzählte,
it bloße Verzweiflung.”
„Bloße Verzweiflung?!
„Sa, Berzweiflung mit Philofophie vermiſcht.“
War's denn eine gkädliche oder unglüdliche Liebe?
fragte Johannes.
„Eine unglüdliche,” tönte es dumpf.
„Und haft mir hie davon erzählt?”
Eginhard fiel feinem Reiſegenoſſen um den Hals.
„D Hans,” rief er, „laß mid weinen, an treuer
Freundesbruſt heiße Thränen weinen; aber — Hans
ih beſchwöre Did — reife alte, kaum verharrichte
Wunden nicht auf — laß mich fchweigen.” Den Jo—
hannes, der das Weſen feines Freundes nur zu gut
fannte, war lange nicht fo romantiſch zu Muthe, ale
legterer glauben mochte. Er war überzeugt, daß es
mit diefer unglüdlichen Liebe nicht viel auf ſich habe;
erfüllte aber Eginhard's Wunfh und fragte nicht
weiter.
Diefer dankte gerührt mit den Worten:
Laß diefen Blick und Händedruck Dir fagen,
Was unausiprechlich iſt.“
Unterveß brach die Dämmerung tiefer herein und
dichtere Flore ſanken auf den geftorbenen Abend herab.
Eginhard fprad noch viel über Liebe, Tod und Un—
fterblichfeit, al8 in der Ferne ein erleuchtetes Haus
fihtbar ward, und bald darauf Töne von Tanzmuſik
durch die Stille des Abends baherwehten. ‘Diele
23
Zanzmufif gab Eginhard wieder vollauf Stoff zu me
lancholiſchen Betrachtungen.
„Keine Muſik,“ ſprach er, „hat fo etwas wehmüthig
Ergreifendes als Tanzmufit, welcher man einfam von
fern zuhört. ' E8 Liegt ein eigener Charakter in Diefen
Tönen. Es ift, als ftünde ver ferne Zuhörer body
über dem Irdifchen und als ftaunte er gleihfam auf
das finnverwirrende Treiben herab, deſſen Nichtigkeit
ihm jetzt erft recht klar würde.“
Alsbald erreihten unfere Freunde den Tummelplat
ber Luft. Es war ein Iuftiges Lanpvölfchen, das hier
eine Hochzeit feierte. Johannes beftellte fich einen fri-
ſchen Trunk und fette fih in eine Laube am Haufe,
in welche ter Abenpftern lieblich ſtrahlte. Eginhard
war bald im Gedränge verſchwunden.
Der Abend war wunderſchön und frühlingswarm.
Rings träumende Blumen, duftende Stille. Immer
goldener tauchten einſame Sterne aus den Tiefen des
Himmels herauf und nur der etwas wüſte Lärm des
Gaſthauſes, die grellen Töne der Tanzmuſik ſtörten
die Harmonie des Abends.
Johannes wandelte den Gang am Hauſe entlang
und trat in den nächtlichen Garten.. Hier war es ftil-
ler und heiliger. ine Heine Terraffe von duftenden
lieder umwachſen, erhob fih im Hintergrunde, und
leiſe, damit er die goldenen und filbernen Gloden und
Kelche nicht aufwede, ftieg Johannes hinauf und über-
ſchaute die nächtliche Gegend.
Aber bald wandten fich meine Blide nad) ver Ge—
gend, die er daher gewandert, und 'weilten lange da—
ſelbſt. War es die Wonne des Abends oder eine
andere Duelle im Innern des Jünglings, daß ihm
eine Thräne in die Augen trat. Den Lippen aber
entfchwebte ein füßes Geheimniß, das bisher wie ein
24
Räthſel tief in feiner Bruft geruht hatte — der Name
— Eugenie,
Dem aufmerfjamen Leſer wird jetzt hoffentlich über
unſern Johannes ein Licht aufgegangen ſein. Hatte
ver heitere Frühlingsmorgen, wo er nad) dem Brief⸗
träger fpähete, das Dejeuner bei Orlando nichts ver
rathen, der Abſchied am Thore nur ahnen lafjen, fo
fonnte er doch am tiefſchattenden Abend, wo die Sehn⸗
ſucht, dieſe füge blafle Tochter der Unfterblichkeit,
ftärfer duftet, wie die Nachtviole, nicht verborgen blei-
ben, daß auch in feinem Herzen ein holdes Bild lebte,
daß vielleicht Die Liebe ihre erjten golpnen Funken hin⸗
eingeworfen hatte. Gleichwohl ſchien e8 nur dus erfie
Srühlingsahnen, das erſte Sehnen der Knospe zur
Sonne. Wie ein ſeliges Morgenroth war Eugznien’s
Bud vorüber geſchwebt. Ob er ſie felbit je wieder
zu ſehen hoffen konnte, das war der ſüße Schmerz
feines Innern. War das Mädchen nicht auf der
Durchreife begriffen geweſen?
Aber dich, heilige Stunde des erſten Findens, des
erjten jeligen Himmelsblickes in jene Welt, ver erften
fihern Gewißheit von einem Engellauve, von einer Un-
fterblichkeit — dich hatte er empfunden.
Johannes mußte lange nach Eginhard fuchen und
fand ihn endlich mitten unter ven Tanzenden, ein lieb⸗
liches Landmädchen am Arme, Iuftig dahin walzend.
„Sreif zu, Hans,” rief der Tänzer ſchon von
ferne; „lerne das Glück ergreifen.“
Aber Johannes war gar nicht zum Tanzen aufgelegt,
und mußte nur im Stillen den Freund belächeln, der
noch vor Kurzem ſo pathetiſch über die Nichtigkeit alles
Irdiſchen, über Tod und Unſterblichkeit deklamirt hatte.
Endlich gelang es ihm, Eginhard zum Weiterwandern
zu bewegen.
. 25
„Wir hätten immer noch ein Weilchen bleiben fün-
nen, meinte letterer; „wer den Augenblid ergreift, ift
ver rechte Mann. Es war ein nette® Rind, meine
Tänzerin; fie hat nod) zwei Schweitern und einen Bru⸗
der. Ihr Gütchen Liegt zwei Stunden von bier. Ihr
Bräutigam will mit ber Hochzeit nicht länger als ein
Jahr warten; ich verdenk's ihm nicht.“
Eginhard ſprach noch Vieles über die Familien—
angelegenheiten ſeiner Tänzerin, und dem Johannes
war es ein Räthſel, wie fein Freund ſogleich mit Gott
und aller Welt befannt ımb vertraut werben fünnte.
Er befragte ihn darum.
„Wie ich. e8 anfange, lachte dieſer, „nun das giebt
- fid) von- felbft. +Mein Motto ift: Traurig mit den
Trauernden, froh mit den Fröhlichen. Da kann e8 gar
nicht fehlen. Man ſchickt fich in die Zeit und Umftände
und fieht feine Leute an. Freilich mit einer Vorleſung
über Zod und Unfterblichkeit darf ich auf einem Tanz⸗
fanle nicht fommen. Hätteft auch) em Wenig mit Tdn-
nen herumfpringen, num werde ich im Laufen früher
cabuf werben als Du.”
Immer goldener brach die Nacht herein. Die
Freunde blieben oft ftehen, fid) am herrlichen Sternen-
himmel zu orientiren. Eginhard deklamirte:
„Die Sterne, die dort oben wimmeln,
Sind Himmel, jagt man, fel'ger Luft —
Der jeligfte von allen Himmeln,
Das ift der Himmel in der Bruft.
Es ift Jammerſchade,“ fuhr er fort, „Daß ber
herrliche Schmidt von Yübed fo wenig befannt ift. Ich
habe feine Lieder daheim; fie find ein wahres Yabfal.
Wo nur der Gute die Mufe herbefommt; fo ich nicht
irre, iſt er beim Rechnungsfache in vabeck angeſtelt;
Ziffern und Poeſie!“
26
Die Wanderer famen wieder auf die Sterne zu
fprehen. Johannes belehrte den Freund, wie man
ſchnell und leicht den Polarftern finden könne; man
dürfe nur die beiven hinterften Radſterne des großen
"Wagens als Lineal gebrauchen und von biefen auf-
wärts eine gerade Linie in Gedanken ziehen, fo fei ver
erfte helle Stern, auf den man ftoße, der Polarftern
oder die Cynoſura.
Eginhard ärgerte fih, daß viele Theologen ven
Leuten vorſchwatzten, auf den Sternen wohnten reine
Geiſter, körperloſe Eſſentialia, da von folden doch
Millionen in einem Fingerhute Platz hätten und feine
Drionen und Milchſtraßen dazu brauchten.
5.
Halb von finſtern Waldungen, halb von Weinberg⸗
ketten und fröhlichen Saaten umgrenzt, ſtreckte das alte
Schloß Buchenfels ſeine grauen, epheuumrankten Stein⸗
maſſen mit allem Trotze einer ehemaligen Raubburg
in die blaue Frühlingsluft. Wie wohl der eine Theil
des Schloſſes faſt ganz unbewohnbar war, ſo gewährte
doch der andere, der ſein Daſein einer weit ſpäteren
Zeit verdankte, einen recht angenehmen Sommerauf—⸗
enthalt. Gleichwohl wollte ſich der weibliche Theil
der Familie Wertheim mit dem alterthümlichen Ge⸗
bäube, mit feinen hohen Gemädern, dunkeln Kreuz-
gängen, Wenbeltreppen und unergründlichen Yeljen-
fellern ganz und gar nicht befreunben, wie jehr man
fonft der mittelalterlihen Romantik im Walter Scott
zugethan war.
Der unbewohnte ältere Flügel des Schlofjes ftand
vollends im Berruf, und es unterlag gar feinem Ywei-
27
fel, daß er vom Grunde bis zum Giebel voller Ahn-
frauen, Kobolve, Zwerge, Teuerfpeiern und Rettenflirrer
wimmele. War e8 doch felbft der weiblichen Neugier
noch nicht gelungen, das Füßchen einer fchönen Be—
wohnerin von Buchenfels nach dem Bibliothefenfaale,
bem noch am beften gehaltenen Gemache des alten
Schloſſes zu lenken und dem räthfelhaften alten Bi—
bliothefar einen Beſuch abzuftatten.
Wie ein altes Inventarienftüd war biefer einzige
Bewohner des alten Flügeld von einem Befiter auf
den andern fortgeerbt und endlich an den alten wadern
Wertheim gelangt. Laut Teitamentsflaufel erhielt ex
freie Wohnung, Koft, nebft einem kleinen Jahrgehalte
‚ von dem jedesmaligen Beſitzer.
Bergebens hatte ihm Wertheim einen wohnlicheren
und freundlicheren Aufenthalt im neuen Scloßtheile
angeboten; vergebend war er oft zur herrichaftlichen
Tafel eingeladen worden; der Bibliothekar wußte fi
immer zu entfchuldigen und endlich hatte man den alten
Sonderling gehen Laffen.
Aber eben dieſes zurüdhaltende, menſchenſcheue
Berhalten des Mannes gab dem ſchönen Publiko Stoff
zu taufenverlet abenteuerlihen und romantiſchen Ber-
muthungen; und Signor Baſilico, dies war fein Name,
war nothwendigerweiſe Niemand anderes als der Ober-
bireftor und Regiffeur von alle den Ahnfrauen, Ko—
bolden, Gnomen und Sprühteufeln. Ein fchwarzer
Kater, eine höchſt myſtiſche Perfon und fteter Be—
gleiter des Bibliothekars, war nicht geeignet, Die
- Bermuthungen des fehönen Publikums in Zweifel zu
ftellen. |
Der geneigte Leſer, jo er das erſte Kapitel dieſer
außerordentlihen Hiftorte mit Andacht ftudirt hat,
wird fi) über die Beſtandtheile des ſchönen Publi=
\
28.
kums auf Buchenfeld nicht lange den Kopf zerbreden.
Sie waren in der Welt Niemand anderes, als vie
Berfaflerin des niedlichen Poſtſeripts im Briefe an
Sohannes, die wunberliebliche fiebzehnjährige Pauline
und die reizende Marie, die zwei Jahre ältere Schwe-
ſter. Auch die Mutter des ſchönen Schweiterpaures,
Wertheim's trefflihe Gattin und Hausfrau und des
Paftors fehr hübſche Camilla müfjen mit vollem Rechte
hierher gerechnet werben.
Die antiquariihen, heralpifchen und artiftifchen
Unterfuhungen des alten Schloßtheiles waren daher
mit Recht auf die Ankunft der courageufen Muſenſöhne
aufgefchoben worden. . Daxließe ſich eher etwas rigfi-
ven, hatte Bauline gemeint.
„Ro fie nur bleiben,‘ frug dieſe eines Tages beim
Nachmittagsfaffee, der auf dem Bulfone des Schlofjes
eingenommen ward, von wo man bie erguidende Aus-
fiht über das große ſchöne Thal genoß; „Du baft
den Brief gewiß wieder liegen laſſen, liebes Vä—
terchen 2°
„Schweig,“ zankte Wertheim in feiner drolligen
Manier, indem er die Tabafswolfen in vie blaue Luft
blies, „Legen lajlen? Wünſcht Jemand, daß der Hans
da wäre, bin ich's. Der berrlihe Junge, hab’ ihn
faft anderthalb Jahre nicht gejehen. Ihr ſeid's gar
nicht werth, daß er die fchöne Werienzeit unferer Ein-
fievelet zum Opfer bringt. Er thut es auch blos mir
zu Liebe.“
„Wie doch die Zeit vergeht,” ſprach finnend Die
Mutter. „Du befuchteft nody die Schule, Baulıne,
als er und das letzte Mal befuchte, und Marie war
nicht lange vorher confirmirt worden.‘
„Iſt vafend im vie Höhe geſchoſſen,“ bemerkte
29
stheim, „ih ſprach ihn das legte Mal, als ic
& feine Univerſitätsſtadt reiſte.“
„sb tann mih nicht viel auf ihn befinnen,“
ste Pauline.
„DO, ec fteht noch vor mir,“ ſprach Marie, „mit
Raftanienloden; er war immer fo janft und ſchüch—
. Cr iſt gewiß recht hübſch geworden.”
„3a, aber ur nicht gleich Berliebend angefangen,
. Seufzer und Mondſchein,“ proteitirte der Alte, in
w Zone, der zu gutmüthig Hang, ald daß er hätte
ugen können, „das wäre mir: Da wollen wir vie
I vernünftiger anwenden.” .
„Beruhige Dich, Väterhen, lachte Marie, „das
e ja zu tragiſch.“
„Bor mir bat er auch Ruhe, entſchied Pauline .
ı deflamirte mit Pathos:
u „Ruhig werd' ich ihn ericheinen,
Ruhig geben ſeh'n.
Seiner Augen ſtilles Weinen
Kann ich nicht verſteh'n.“
Alle mußten lachen. Nur der Vater brummte für
2 „babt gut Lachen, va die Gefahr nicht da iſt.“
b.
Es lebt ein Weib im Norden,
Ein ſchönes Weib, königlich ſchön;
Die hobe Cypreſſengeſtalt
Umſchließt ein lüſtern weißes Gewand;
Die dunkle Lockenfülle,
J Wie eine ſelige Nacht, ergießt ſich
Von dem hoben, flechtengekrönten Haupte.
Sie ringelt ſich träumeriſch ſüß
Um das ſüße blaſſe Antlig,
Und aus dem füßen blafien Antliß,
Groß und gewaltig, ſtrahlt ein Auge
Wie eine ſchwarze Sonne.
30
„Jetzt frag’ und beſchwör' ich Dich, Beſter,“ fragte
Eginhard den Johannes, mit dem er in dem fchönen
Frühlings-Nachmittage dahin wanderte, „wo finveft Du
vom feligen Hiob, dem Urahn aller Poeten, bis auf
heute eine Dame einfacher, malerifcher, himmlifcher ge⸗
zeichnet, als in biefen wenigen Worten des göttlichen
Heine ?"
Sohannes, der nicht unbelefen war, begann jett zu
citiven, aber mit fehlechtem Erfolge. Welch’ Herrliche
poetiſche Gemälde weibliher Schönheiten er vorbrachte,
‘ fie waren dem Freunde nicht® gegen die obige Heine’:
She Zeichnung. Unglüdlicherweife gerietb der Citant
auch auf Fouqué's Corona, und begann mit dem be=
fannten Berfe:
„Sa dieſe finftern braunen, dunkeln Loden ꝛc.“
Der Gedanke an douquẽ brachte den Heineaner in
Harniſch.
„Schweig mir von dieſem Ritter von der trau⸗
rigen Geſtalt,“ rief er. „War er es nicht, der 1815
den in ſein Reich zurückgekehrten Napoleon nicht als
Kaiſer anerkennen wollte? O armes Poetlein. Wo
tauſend und aber tauſend Herzen zum Himmel jubel⸗
ten und freudig bluteten für den Dann der Yahrtau-
jende, den weltlichen Heiland, da will ſich der Herr
Baron ein romantifches Air geben, fchlägt fih in die
Bruft und erklärt, er werbe biefen Dann nicht aner=
fennen. O Lächerlichkeit, und das will ein Dichter fein ?
Aber man braucht nur einen Blick auf feine Verſe zu
werfen, um von biefem verbreiteten Irrthume zurüd- |
zufommen.‘
Johannes, obſchon er an des Freundes Hyperbeln
gewöhnt war und aud wußte, daß fie bei Weitem
nicht fo gemeint waren, konnte doch dergleichen ober=
-
31
flächliche Abfprecherei nicht leiden. Er nahm ſich daher
des Barons mit Wärme an, ohne ein großer Verehrer
feiner Poefie zu fein.
Da Eginhard ſchon aus Vorurtheil gegen Fouqué
wenig von ihm geleſen hatte, wie überhaupt die com=
plette und gründliche Lectüre eines Schriftftellere, wenn
er nicht fein Liebling war, nit zu feinen ftarken
Seiten gehörte, fo ward e8 Johannes leicht, ihm feine
Abſprecherei tüchtig fühlen zu laffen. Eginhard ließ
fi) indeß fein graues Haar wachſen.
„Da fällt mic gleich,” ſprach Johannes am Schluffe
feiner Strafpredigt, „ein recht Liebes Liedchen von Fou⸗
que ein, das, wie Klein und unfcheinbar es fcheint, ven
Dichter gewiß von keiner unliebenswürdigen Seite zeigt.’
Er recitirte:
„Das iſt ber wohlbetannte Flieder,
Hier ſaß ich oft, ein frohes Kind,
Und ſtammelte die erſten Lieder
Gewiegt von Träumen hell und lind.
„Das Glück, auf ungeſtümer Well
Entfloh'n mir in des Sturms Gebraus,
Such' ich an der geliebten Stelle; —
Ach, Alles ſieht viel anders aus.
„Die kleine Bank iſt weggenommen,
Hochauf wuchs das Geſträuch umher,
Und mag ich ſelbſt auch wiederkommen,
Doch kommt das frohe Kind nicht mehr.“
„Was da,“ entgegnete Eginhard, „eine Schwalbe
macht keinen Sommer. Indeß was wahr iſt, iſt wahr.
Das Kedchen iſt nicht übel. Den Napoleon hätte aber
der Baron demungeachtet anerkennen ſollen. Guter
Hans, willſt Du mir wohl die Verſe wiederholen,
damit ich ſie lerne.“
Johannes that es.
32
„Und mag ich felbft auch wieberlommen,
Doch kommt das frohe Kind nicht mehr‘
wiederholte Eginhard mit Ausprud deflamirend. „Ein
himmlifches Lied!“ rief er entzüdt. „Hans, warum
haft Du mir das fo lang verfchwiegen?. Wie, das
fonnteft Du Deinem Freunde thun? Bei Gott, dus
war fein Meijierftreih, Oetavio!“
Sohannes mußte laden und fragte, ob er mit
Fouqué ansgeföhnt fer?
„sa, aber, befter Hans,” war die Antwort, „ven
Kaifer Napoleon nicht anzuerfennen — ich bitte Di!“
Indeß ging die Reife vorwärts. Aber je näher
die Treunde dem Ziele ihrer Wanderung kamen, deſto
reizenber ward die Gegend. Immer üppiger und blü-
hender quoll die Vegetation. ine Heine Anhöhe lag
vor ihnen. Sie ward im Sturm erflettert.
„Ab!“ riefen Beide mit Einem Munde, als fie
die Höhe erftiegen hatten, und ihre Blicke entzüct
über das große herrlihe Thal fchweifen Tiefen, das
in aller Pracht des Frühlings vor ihnen ausgebreitet
lag. Da wogten die grünen Kornfluren, von filber-
nen Bächen, Obſt-Alleen und freundlichen Meiereien
durchſchnitten. Der Horizont bildete eine Kette von
Weinbergen und dunklen Waldımgen.
„Wie ſchön, o Gott, if deine Welt gemacht,
Wenn fie dein Licht umfliekt.
An Engeln fehlt's ihr nur, und nicht an Pracht,
Daß fie fein Himmel iſt!“
deflamirte Eginhard, während fi) Johannes nicht fatt
ſehen konnte an dem herrlihen Panorama.
„Schau nur die göttliche Burg, jubelte der er-
ftere, „bvert in der Ferne am Waldesrande, Tinker
Hand, wie altersgrau, dunkeltrogig und kühn. Das
33
nenn’ ih Romantik, Aber wie weit haben wir noch
bis Buchenfels ?“ |
„Nach Ausſage des Mannes von vorhin,‘ erwie⸗
derte Johannes, „vier Stünd
„Das ift ewig Schade,“ Hlagte Eginhard, „da liegt
e8 nicht in dieſem binmlifchen Thale, ſondern jemfeite
jenen Weinbergen oder hinter dem Walde” -
Ein Landmädchen kam des Weges daher.
„Du, Schätschen,” rief Eginhard, „wie heißt denn
bie Burg oder das Schloß dort, was Du ſiehſt links
beim Walde ꝰ
„Die Buche,“ war die Antwort.
„Die Buche?“ fragte Eginhard. „Dunkel iſt der
Rede Sinn, erkläre Dich deutlicher, ſchönes Kind.“
„Nun Buchenfels,“ belehrte die Bäuerin, „wenn
Er es ſo genau wiſſen will.“
„Buchenfels!“ rief Eginhard, ſprang auf Johannes
zu, umarmte dieſen und gallopirte mit ihm, trag feines
Widerftrebens, ven Hügel hinab. „Buchenfels! Haft
Du's gehört?” wiederholte er, unten angelommen.
„Freilich,“ entgegnete Johannes ziemlich ärgerlich;
„aber was muß das Mädchen denken?“
„Ras kümmert und das einfältige Ding,“ lachte
Eginhard; „aber jett laß uns allen Ernſtes überlege,
wie wir der Burg beifommen.”
„Wie denn beifommen ?“ fragte Johannes.
„O simplicitas!“ zankte Eginhard, „würde es
denn nicht zu proſaiſch und alltäglich herauskommen,
wenn wir auf dem gewöhnlichen, breitgetretenen Wege,
den jeder Philiſter in ſeiner Verſtocktheit dahin trottirt,
zum Schloſſe gelangten? Das iſt Nichts für Genies,
wie wir ſind. Wir müſſen uns eine Entführung aus
den Ritterzeiten denken. Du biſt der Knappe, ich der
Ritter; oder meinetwegen umgekehrt. So faſſen wir
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVI. 3
34
bie Burg im Rüden, vielleiht durch den Schloßpark,
falls einer da ift.”
„And werden von der Dienerfchaft entvedt, und .
als Spitbuben durchgebläut,“ Sprach Johannes.
„Um jo beſſer,“ erwiederte Eginhard. „Da giebt
es Föftliche Abenteuer, voller Kampf, Heroismus und
höchſt romantischer Entdedungsjcenen.‘
„der von den Hunden gepadt.“
„Rod ſchöner,“ ſprach der Enthufiaft, „fo müſſen
die Burgfräuleins Charpie zupfen für unſere Wunden.”
Als ſich Johannes auf ‚ale dergleichen romantiſche
Excentricitäten nicht einlaffen wollte, ſprach Eginhard
mit traurigem Pathos:
„D Hans, Du bift der löwenkühne Jüngling nicht,
Der in Alcala von mir Mſchied nahm,
Zu Dent ein unterbrüdtes Heldenvolk mich ſendet.
Sp verſprich mir wenigſtens,“ fuhr er nad) einer Paufe
fort, „nicht fo barbarifch fortzufchreiten, als ob bie
Burg davon Tiefe, ſondern ganz piano, damit wir nicht
am hellerlichten Tage im Hafen der Glüdfeligfeit ein-
laufen. Am Tage, Hans, bevenfe, welche Proja!
Dämmerung muß es wenigftens fein. Am Liebften
freilich wäre mir Mitternadht.‘
„Da bin ich gern dabei,“ geftand Johannes.
„Wenn wir fie beim Abendeſſen überrafchen fünnten,
müßte e8 herrlichen Spaß geben.”
„Es wird ganz himmliſch,“ jubelte Eginhard, „fo
eben ſchlug ed vier Uhr. in der Dorffiche da drüben.
Drei Stündchen bis zum Schloſſe find es höchſtens.
Wir machen fünf daraus. So wird es paffen.”
Und fie fehritten wohlgemuth dahin. R
35
7.
Marie und Pauline waren von einem Spazier⸗
gange in die Walderdbeeren zurückgekehrt.
„Sieh mal die. fhönen Beeren, . Mutter,” rief
Pauline, ihr Körbchen hinhaltend, Die. folen uns
fhmeden zur Abenpmahlzeit.”
„Und immer noch feine Nachricht won den Afabe-
mikern?“ brummte der Bater.
„Wir haben uns die Augen audgegudt, die Straße
entlang,“ ſprach Marie.
„Begreife nicht, wo fie bleiben,“ murrte Wertheim,
„der Frühling ift fo ſchön, daß e8, weiß Gott, um
jede Stunde Schade iſt.“
„Geduld, Väterchen,“ ſprach Pauline, „ich will den
Herren ſchon den Tert leſen.“
„Der Hans ift doch ſo ein Stück Poet,“ fuhr der
Alte fort, „und die ſind auf den Frühling in der
Kegel verſeſſen.“
„Da macht er wohl Gedichte?“ fragte Pauline.
„Sehr ſchöne,“ ſprach die Mutter, „ich beſitze ſelbſt
einige.“
„O die mußt Du uns zeigen,“ riefen die beiden
Mädchen.
„Iſt ja ein wahres Genie,“ fügte Pauline hinzu.
„Ja wohl, ein Herzengjunge ift es,“ erwieberte der
Vater. „Nur eind will mir nit an ihm gefallen.
Er giebt auf Napoleon nichts.”
„Auf unfern Liebling!“ rief eifrig Pauline, „nun
das wollen wir doch ſehen.“
„Wirſt ihn aud) nicht befehren,‘ ſprach der Vater.
„Die zu Liebe, VBäterchen, wirb er den Kaifer ſchon
anerkennen,“ tröftete Marie, 3x
’
36
„Da kennſt Du ihn übel,” war Wertheim’s Ant-
wort. „Hans ift eingefleiſchter Republikaner. Ein
zweiter Cato.“
„Ein Republikaner, was iſt denn das für ein
Ding?“ frug Pauline.
„Der keinen König haben will, “ belehrte Marie.
„Alſo eine Königin?“
„Auch nicht,“ lachte der Vater.
„Auch nicht,“ fuhr Pauline fort, „was will er
denn ?
„Ueberhaupt gar keinen Fürſten, das Volk ſoll ſich
ſelbſt regieren.“
„Närriſche Anſichten!“
„Ja wohl, mein Paul,“ ſprach der Vater und ſtrich
mit Wohlgefallen die ſeidenen Locken aus dem blühen-
den Antlis ſeines Lieblings, „da haft Du ſehr Redt.
Ic Iobe mir ven Napoleon, vor dem hatte man Re—
jpect; aber wie fieht e8 in einer Republif aus!“
Wenn Wertheim fein jüngftes Töchterlein Paul
nannte, war er abfonderlid) guter Laune, wie wohl
das fchöne Kind dieſe Abbreviatur ihres Namens gar
nicht leiden konnte.
„Der Abend wird wunderſchön,“ ſprach Marie, die
an das Fenſter getreten war, „vie wäre ed, wenn wir
zu Abend im Parke fpeiften ?“
„Ein himmliſcher Gedanke, fiel Pauline ein, „o
Bäterchen, nit wahr, Du biſt noch gar nicht müde?“
„Welche Zumuthung,“ ſprach abwehrend der Papa,
„ſo weit hinabzuklettern und dann wieder herauf.“
„Wir führen Dich,“ ſchmeichelte der Liebling, „denk
nur, wie hübſch es ſich an dem ſchönen Abend dort
unten effen muß. Die Walderdbeerkaltſchale fol ung
vortrefflich munden.“
„Was ihr Kinder einem das Leben ſauer macht,“
97
ſprach der Vater, der feinen Lieben nie einen billigen
Wunſch abſchlug, wie bitterböfe er ſich zuweilen auch
ftellte. „Vorher aber laßt mich mein Abenppfeifchen
in Ruhe rauchen beim Paſtor. Ich fehide Euch die
Camilla zur Geſellſchaft.“ |
„Du bift und bleibjt unfer gutes Väterchen,“ ju-
belte Pauline; und alle. Anftalten zum Souper im
Grünen wurden getroffen.
8.
Die Dämmerung brach allmälig herein. Der Tiſch
im Parh war gevedt, aber der Papa konnte fih vom
Paftor nicht fortfinden und die Mutter ließ ſich eben-
falls nicht blicen. Unterdeß ſaßen vie drei Mäpchen
-plaudernd und foherzend auf einer Raſenbank an der
Parkmauer. | \
„Denn fie nicht bald kommen,” ſprach Marie, in
das verbleichende Abendroth blidend, „könnte unfer
einem. ordentlich bange werden hier in der Einſamkeit.
Unter uns,” fuhr fie geheimnißvoll fort, „ſoll's aud)
im Barf nicht ganz richtig fein.”
„Wie denn ſo?“ fragte Pauline, die in der Mitte
faß, neugierig und ängftlid, und erfaßte von jeder der
Nachbarinnen eine Hand. |
„sa,“ erzählte Marie, „Fritz, der Jäger, will neu-
lich des Nachts eine weiße Geftalt mit blutrother
Tadel hier haben umherwandeln ſehen.“
„Das iſt der uralte Graf Bodo,“ erklärte Camille,
leife und geheimnißvoll, „ver bier begraben liegt und
wegen der vielen Miffethaten, die er im Leben began-
gen hat, im Grabe feine Ruhe finden kann.“
„Was, wo liegt er begraben?“ fuhr Pauline auf,
„um's Himmelöwillen, mach' mir nicht Angft, Camilla.”
38
„Gleich hier neben ver Laube,” verficherte dieſe.
„Das fehlte noch,” drängte Pauline, „kommt,
fommt!“
Camilla, von Natur beberzter und indifferenter
gegen Geſpenſter, ſuchte die Freundin zu beruhigen
und zurüdzuhalten. „Er geht nur des Nachts um,”
fprach fie, „jegt nicht.“
„Wird Dich nicht fragen,” fiel Pauline ein.
Marie fuhr aber mit einem Male vom Site auf:
„Habt Ihr nichts gehört?” frug fie zähneklappernd.
„Um Gotteswillen, was denn?” rief die Schwefter.
„Es ſcharrt an ver Parkwand.“
„Was ſoll denn ſcharren?“ lachte Camilla, und
alle drei horchten ſtill auf.
„Himmliſcher Freund,” rief von außen eine Stimme,
„And wär’ die Mauer höher als bie Jungfrau,
Die feit ewig grau verfchleiert fit,
ih muß hinauf.” Zugleich vernahm man das Geränfd
eined von außen Emporkfletternden und alsbald warb
Eginhard’8 Kopf über ver Mauer fichtbar.
„D, warum enteilen Eie, ſchöne Damen? rief er,
den davon laufenden Mädchen nad; und zu Johannes,
der ziemlich ärgerlich unten an ver Mauer ftand: „Himm⸗
liſche Kinder, ſag' ih Dir, wahre Gazellen, ſo viel ich
in der Dämmerung wahrnehmen kann.”
Johannes zankte und’ rief, daß Eginhard wieder
herabflettern follte; dieſer aber trieb taufenderlei Kurz⸗
weil. „Die erfte Baftion ift Schon erobert,” ſprach er,
„der Feind hat fich unftreitig in's Schloß zurüdgezogen.”
Er recognoscirte die Localität des Schloßparks.
„Das muß ehedem eine Art Bärenzwinger geweſen
ſein,“ meinte er, „hier mag es ſonſt ſchön gebrummt
haben. Jetzt ſind leider die guten Bären todt und
keine Gefahr mehr vorhanden; wo drei hübſche Mäd—
39
hen haufen, iſt's mit der Bärfchaft aus. ch werde
daher getrojten Muths hinabflettern. Er hatte dieſe
Worte faum gefprochen, als er fie ausführte und fich
bald im Schloßparke befand. Hier entdeckte er die
Laube und den fauber gededten Tiſch.
„Heureka, Joanne,“ rief er dem außerhalb fluchend
Auf- und Abjchreitenden zu, „herrliche Entdeckungen,
die Abenpmahlzeit iſt erobert. Ia, nur Muth, und
der Menjc kann es weit bringen. Deliciöfe Erdbeeren,
Johannes, armer Schluder, ver Du am Rande des
Himmelreichs aufs und abrennit. Spring in’s Teu—
felenamen herein. Wir können nicht beffer aufgehoben
fein. Lerne das Glüd ergreifen.
„Willſt Du immer weiter ſchweifen,
Sieh, das Gute liegt fo nah. —
Hans, bift doch noch da?“
Johannes war fo ärgervoll, daß er feine Antwort
gab.
„Hang,“ rief Eginhard wiederholt, „biſt mir doch
nicht eſchappirt?“
„Seh nicht von mir, Mar — bleib bei mir.
Den! Dir nur diefe übericdifche Nomantif, hier Dei—
nen Freund im Bärenzwinger; e8 hat Alles jo etwas
Derzaubertes, wie in einem Mährchen von Ludoviko
Lied. Dieſe niedliche Abendtafel, von welcher unter-
nehmende Ritter die ſchönen Burgfräuleins vertrieben
haben. Wo ſeid Ihr Hin, holde Blumen, reizende
- Öenien meines Dafeins? Aber wo Ihr Euch verbergt,
mein liebeglühend Herz wird Euch entveden, und menn
ein Riefe oder Molody Euch bewacht, jo werbe ic) ihn
tödten und Euch befreien, und die Schönſte und Tu-
gendhaftefte führ' ich heim als trautes Ehegemahl, auf
Ritterehr' und Ritterſchwur.“
40
Dieſe poetiſchen und hochromantiſchen Expectoratio⸗
nen wurden übrigens plötzlich auf ziemlich proſaiſche Weiſe
unterbrochen. Vom Schloſſe her wurden Stimmen laut
und ein raſendes Hundegebell ducchicholl vie Luft. Nach
dem energifchen Baſſe, in welchem dieſe Hunde bellten,
war auf tüchtige Bullenbeißer zu ſchließen.
„Sultan, Paſcha, faß!“ tönte es immer näher und
ſchon vernahm man, wie die gefeſſelten Beſtien durch
die Geſträuche brachen.
Eginhard ſuchte jet in ſchnellſten Sätzen die Mauer-
ſtelle zu erreichen, wo er herabgeklettert war. Er be—
mühte ſich, mit der außerordentlichſten Behändigkeit
emporzuklimmen, aber bereits ſaß ihm der Paſcha auf
den Ferſen und packte den Flüchtling an den Schößen
des altdeutſchen Rockes.
„Halt,“ rief eine Stimme, „oder ich gebe Feuer.“
Dabei knackte ein Hahn auf ſo verdächtige Weiſe, daß
Eginhard den entfernteſten Gedanken an eine Flucht
aufgab. Er blieb daher kerzengerade, mit dem Ge—
ſichte gegen die Mauer gekehrt, ſtehen. Der Paſcha,
ein echter Wolfsfänger, war ihm nämlich mit den
Vorderpfoten auf die Achſeln geſprungen und hielt den
Romantiker fo energiſch am dockkragen, daß er ſich
nicht rühren, ja den Kopf nicht einmal ein wenig ſeit⸗
wärts biegen fonnte. Unterdeß kam auch Sultan her-
angebrauſt und faßte Eginhard von vorn. So ſtand
er vollends eingemauert.
„Wer ſeid Ihr, was wollt Ihr hier?“ fuhr die
Stimme im barſchen Tone fort.
„Ach, hochverehrteſter Herr Schloßcaſtellan oder
Oberförſter, oder wer Ihr ſonſt ſeid,“ lamentirte
Eginhard, „ruft nur die kannibaliſchen Beſtien zurüd,
ih will Euch gern Rede ftehen. Ich bin ber fried-
fertigfte Menſch, ven die Sonne bejcheint.“
ui .
„Sultan, Paſcha,“ gebot die Stimme, die Vader
biegen los und Eginhard erhielt fo viel Freiheit, mes
nigſtens Rechtsumkehrt zu machen. Bor ihm ftand, fo
viel der Student in der Dunkelheit gewahren fonnte,
ein alter Waidmann, der ihn nicht mit den freundfich-
fies Blicken muſterte.
Unterdeß war Johannes, der außerdem ben Spef-
tafel vernommen, auf ver Mauer erfchienen und wollte
dem Freund zu Hülfe eilen. So wie aber ver Waib-
mann den zweiten Feind erblidte, hieß es wieder:
„Alons, Sultan, Paſcha!“ und Eginhard ſtand wie-
der wie angenagelt. Die Beftien hielten ihn brüder-
üb umarmt. Seine Lage war nicht die angenehmite
und felbft nicht ohne Gefahr, denn wer wollte e8 dem
Sultan verargen, wenn er e8 in ber Dunkelheit nicht
ſo genau nahm und fein Zahn im WDienfteifer etwas
die Haut ritzte. Trotz feiner precairen Lage, konnte
Eginhard doch nicht die Gewohnheit Laffen, mit dich—
terifchen Citaten um fi) zu werfen. Er rief daher
Johannes zu:
„Zurid, Du retteft den Freund nicht mehr,
Den Tod erleidet er eben,
So rette das eigene Leben.“
Johannes, der jet die fchlimme Lage des Freun—
ve8 erkannte, ſprach jo vernünftig zum alten Waid-
mann, daß diefer abermals die Hunde zurüdrief. So—
bald ſich Eginhard befreit ſah, unterfuchte er vor
allen Dingen feine Garderobe und vifitiete fi am
ganzen Leibe, ob er wirklih mit heiler Haut ven
Höllenhunden entkommen jei.
„Das nenn’ ich Abenteuer, ſprach er, „aber
mein Rod hat dermaßen büßen müſſen, daß ich mid)
in ihm bei feinen vernünftigen Menfchen ſehen laffen
kann. Romantik war bei ver Sache, aber wenn fein
" 42
Schneider hier zu Lande, ſoll ſie der Teufel holen,
und dieſer Schneider muß überdies ein durchtriebener
und mit allen Hunden gehetzter Mann ſein, wenn er
die Wirkungen von Herrn Sultans Klauen einiger-
mapen unfenntlih zu machen gedenkt.“
Der Waidmann gebot jet dem Sprecher zu folgen,
und dem Johannes, fi) unverweilt zu entfernen; ver
Weg zum Schloffe führe nicht über die Mauer.
„Du' ſiehſt jest, Hans,“ rief Eginhard dem Freunde
zu, „daß ich jett thun mug, was ich nicht laſſen
fann. eb’ ‚wohl, in einer andern Welt fehen wir
ung wieder.”
- Damit folgte er, rechts und links von Sultan und
Paſcha eskortirt, dem voranjchreitenden Waidmann.
).
Eginhard's Ueberfall hatte die ganze Schloßbe-
wohnerfhaft in Alarm gebracht; am Meiſten die drei
Mädchen, über welche ver erfte Sturm hereingebrodyen
war. Wertheim war eiligft aus der nahegelegenen
Wohnung des Paftors geholt worden. Letzterer felbft
folgte, mit einem Stode bewaffnet. Die drei Mäd—
chen, vie Mutter, nebft ven weiblichen Dienftperfonale
hatten ſich unter ven Echuß der beiden Diener Wert-
heim's begeben, welde Frig, der Sohn des alten
Waidmanns, kommandirte. Letzterer felbft hatte ſich's
nicht nehmen laſſen, mit den beiden Wolfsfängern und
einer guten Doppelbüchſe den bedrohten Park zu re—
cognosciren.
Als Wertheim und der Paſtor angelangt waren,
concentrirte ſich die große Armee in dem blauen
Saale, von wo man die nächſte Umgebung des
43,
v
Schloſſes am Bequemften überſehen konnte. Fritz,
durch das Hundegebell aufmerkſam gemacht, ſchickte
feinem Vater noch den unternehmenden Benedir zum
Succurs. Diefer begegnete dem alten Wörter gerade
‘am Eingange des Parks, wie er mit dem Xrreftanten
zurüdfehrte.
Eginhard ward jett vor dem Schloßheren gebracht.
Er Tannte den Charakter Wertheim's aus Johannes
Mittheilung und begann folgendermaßen:
„Großmächtiger Beherricher dieſes Schloffes. Zwei
irrende Ritter, die zeither an den Brüften der Alma
Mater gelegen, und von denen der eine bermalen
noch im Nebel und Zwielicht umberirrt und wahr-
fcheinlich den legitimen Eingang zu diefer Burg nicht
finden fann, waren fir bevorftehenden Frühling der
Milch der ſchönen Willenfchaften überdrüffig gemor-
den, und Haben dem gemäß für gut befunden und
beſchloſſen, ihr Hauptquartier auf die Ferienzeit in
vorliegendem Schloffe aufzufchlagen, oder aud in ir-
gend einem Oartenhäuschen, da die Nächte nicht Falt,
fintemal die Weinmörder alleſammt glücklich vorüber
find. Die Urkunde, vermöge welcher wir und dieſes
Rechts bedienen, befiten wir ſchwarz auf weiß vom
weitregierenden Negentenhaufe dieſes Schloſſes eigen=
hänbig unterfchrieben und ſteckt, wenn id) nicht irre,
im Ränzlein befagten Ritters, der noch in der Irre
umberläuft. Da wir den verwachfenen und ſich weit
dahinfhlängelnden Fahrweg, welcher zur Burg führt,
als befliffene Studioſen der freien Künfte einzujchla=
gen gerechten Anftoß nahmen, fintemalen denſelben all
fündhaft Vieh und die gefammte Philiſterſchaft ein-
her trottirt, aud) Herr Johannes als einftiger Rechts-
praftifant und Verfechter ver menſchlichen und gött—
lichen Gerechtigkeit ſchon ſich frühzeitig daran gewöh—
.44
nen wollte, alle krummen Wege zu meiden und nur
den geraden zu wandeln, fo blieb uns nach wohlbe-
dachtem Dafürhalten nichts übrig, als unfern Einzug
duch den Park zu halten. Indeß waren die Anfich-
ten der Menfchen verfchievden von Anbeginn, wie ſchon
in der Bibel zu leſen; fo fam es, daß biefer wür-
dige Oberforftmeifter, thätigft unterftügt von zweien
feiner würbigjten Scholaren, unjerm weiſen Plane
entgegen trat, indem ex die eben erwähnten Vierbeine
mie gefchäftig unter die Arme ſchickte. Doc nie fol
uns ein Unglück zur Verzweiflung, nie ein Glück zum
Taumel bringen, das ift meine Marime; gelang aud)
unfer hochherziger Entſchluß nicht, ich hatte gehofft,
mein Lohn iſt abgetragen, mein Glaube war mein:
zugewogenes Glück. Gegen das Schickſal kämpfen
Götter ſelbſt vergebens, was will ein Studioſus, der
erſt im dritten Semeſter ſteht, noch ein magrer Ham⸗
mel iſt, vor Ihren ſeligen Herrlichkeiten voraus haben.“
Uebrigens ſchloß er feine Anrede und verneigte ſich mit
republikaniſcher Grandezza:
„Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni!“
Wertheim erkannte bald, wen er vor ſich hatte.
Er war außerordentlich erfreut, umarmte Eginhard
herzlichſt und erkundigte ſich angelegentlich nad) Jo⸗
hannes.
„Die Götter wiſſen's, wo er umherirrt,“ ſprach
der Muſenſohn, „bis auf die Parkmauer iſt er ge—
kommen, dort hab' ich ihn ſtehen ſehen, ſo lang er
war. Was weiter mit ihm geſchehen, weiß ich nicht,
denn ich ſchritt folgſam zwiſchen Sultan und Paſcha.“
„Allons, auf Ihr Leute,“ commandirte ſogleich
Wertheim, „ſucht mir meinen Vetter auf, der Weg
zum Schloſſe iſt für den Unbekannten nicht leicht zu
45
finden, zudem bricht die Dunkelheit immer mehr
herein.” Ä
Eginhard ward aber von dem Alten unter ven Arm
genommen und nach dem blauen Saale geführt, wo
das weibliche Perfonal noch immer angftooll dem Aus-
gang des großen Abenteuers entgegenjah.
„Hier bring ih) den kühnen Mauerſtürmer,“ Lachte
er, den Studenten vorftellend, „es it der Freund
und Begleiter unſers Gans, der fogfeich felbft erſchei⸗
nen wird.“
Den Damen fiel ſämmtlich ein großer Stein vom
Herzen. Ihre Beklommenheit ging in große Freude
über.
Eginhard bat jet in feiner launigen Manier um
Berzeihung wegen des Schredens,
„Wer fonnte auch glauben,” entſchuldigte er fich,
„daß Hinter der alten Druiden= Mauer unmittelbar
der Himmel angehe, wo die Engel leibhaftig aufs .
und abwandeln. Daß ich übrigens für das Himmel-
reich noch lange nicht genug geläutert bin, ift mir
Har geworben; bie vierbeinigen Satane mit den türfı-
ſchen Prädikaten machten fih unmittelbar nach meiner
Einfahrt über mich her.”
Eginhard, als er dies ſprach, konnte indeß nod)
feineswegs herausbefommen, welche Mühe er ſich aud)
gab, ob die anmefenden Damen wirflih fo hübſch
feien, daß fie das Prädikat Engel verdienten; denn
ed war ziemlid) dunkel geworben, und der Befehl
Wertheim's, Licht herbei zu fchaffen, fam Ihm fehr
gelegen. Zugleich befann er ſich auf feine zerzaufte
Garverobe. Er fuhr convulfivifch mit der Hand nad
feinen Rockſchößen. Hier machte er die überaus be-
trübende Entdeckung, daß der Paſcha wahrhaft unver=
antwortlich gewirtbichaftet hatte. in artiges Stüd
46
feines Tach, der Türke hatte den Rachen vollgenom—
men, ſchlotterte um ſeine Waden. Er beſchloß daher,
die wenigen dunkeln Augenblicke zu benutzen, knipp
den herabhängenden Fetzen vollends ab und ſchob ihn
in die Taſche. Zugleich erſuchte er das Publikum,
ſich auf einen anderweitigen Schrecken vorzubereiten,
ſobald das Licht kommen werde. Sie würden näm—
lich einen halb aufgefreſſenen Menſchen erblicken, lobte
die Racker, daß ſie in ihm keinen Wolf erkannt, weil
er dann unfehlbar noch weit ſchlimmer davon gekom—
men fein würde. Endlich erfchien Xicht und es wur
den verjchievenartige Entdeckungen gemacht. Eginhard
gewahrte nämlich, daß die Couſinen allerliebſte Mäd—
chen ſeien, was ihn ganz glücklich machte; die Cou—
ſinen ihrerſeits, nachdem ſie die äußere Perſönlichkeit
des Studenten recht angenehm gefunden hatten, rich—
- teten ihre Aufmerkfamfeit auf ven zerzauften altveut=
Then Rod. Eginhard felbft gewann endlich Muſe,
über feine Kleidung Unterfuchungen und Betrachtungen
anzuftellen. Er gebervete ſich dabei fo poſſirlich, daß
die Mädchen in lautes Lachen ausbrachen.
Wertheim ward indeß immer beforgter wegen dem
Johannes. Er ging vdemjelben ein Stüd vor das
Schloßthor entgegen. Zum Glück braudte er bier
nicht allzulange zu warten und das ausgeſchickte Kom-
mando esfortirte alsbald den vermißten theuern Neffen
in feine Arnıe.
Nun ward Leben im Schloffe Für die Abenpd-
mahlzeit im Parfe war es zu ſpät geworben. Die—
jelbe ward daher in dem geräumigen und freundlichen
Speifezimmer zubereitet und bald ſaß Allee an ber
wohlbejetten Tafel.
Das Mahl mar gerade Fein ſokratiſches zu nen-
nen, aber ih hätte mögen babei fein. Johannes
47
Herz von ſo vielen befreundeten Herzen begrüßt, konnte
nicht genug pulſiren zum Gegengruß. Dabei ſaß
ihm ein leibhafter Engel aus dem Himmelsland nicht
ſechs Handſpannen gegenüber. Er hatte oft in ſeinen
Ausarbeitungen Engel mit einander discuriren laſſen,
er ſprach da wohl ſelbſt mit, und im beſten Styl;
diesmal konnte er ſich durchaus auf keinen Anfang
beſinnen. Er hatte bereits jedem Vögelchen, in dem
Familienneſte ſeinen herzigen Imbiß vorgelegt, nur
Marie war leer ausgegangen. Dabei ſaß ihm der
verwünſchte Spruch, der Cavalier ſoll die Dame un—
terhalten, wie ein böfer Feind im Nacken. Er fuhr
vergeblich in feinen Gehirnkammern nach einem ſchmack—
haften Körnchen umher, das er dem Engelfinde vor-
legen könnte. Er rannte verzweifelt am jenfeitigen
Ufer auf und ab, um eine taugliche Stelle zu erſpähen,
zum Webergange in eine Converjation; er fand feine
Brüden, nit einmal ein Iumpiges Bret.
Eginhard, der weiter oben an der Tafel ſaß, lebte
im dritten Himmel und ahnte nicht von ber ftillen
Berzweiflung feines Freundes. Er ließ ununterbrochen
feine launigen Knallbonbons fpringen und feine humo-
riſtiſchen Leuchtkugeln fteigen, daß es Allen eine Luft
war, nur für Johannes nicht, der im Stillen den
Redfeligen von Herzen beneidete.
Eginhard war ganz der Mann für Wertheim.
Die Beiden waren auch ſchon ſo vertraut, daß es
Johannes ein Räthſel war, wie das ſo ſchnell habe
zugehen können. Sie ſaßen bereits über Napoleon,
und der eine war über den andern entzückt, als ſie
die herrliche Entdeckung machten, daß der Kaiſer ihr
beiderſeitiger Abgott ſei. Wenn Wertheim hier und
da an ſeinem Gotte noch etwas auszuſetzen fand, ſo
48
war das Wafler auf vie Mühle Eginhard's. Diefer,
in feiner gewohnten Eraltation vertheivigte Napoleon
in allen Dingen. Selbft wo die unparteiifhe Ge⸗
Ihichte gegen ihn ſprach, machte er den Aovofaten.
Bei aller Bolitit vergaß 'er aber auch vie Galanterie
nicht. Pauline, die neben ibm faß, überfchättete er
mit drolligen Artigfeiten und Aufmerffamteiten, and der
Frau vom Haufe wußte er bei einem jeden aufgetra-
genen Gericht eine neue Schmeichelei zu jagen.
Unterdeß hatte ſich Johannes nach langer veiflicher
Ueberlegung auf einen pafjenden Anfang befonnen, um
mit Fräulein Marien in Converfation zu treten. Das
Mädchen ſprach fo eben mit ihrem Nachbar, dem Pa-
ftor Amold, und Johannes erhielt Muſe, das von
Meifterhand gezeichnete Profil zu beobachten. Aber er
profitirte in feiner bevrängten Lage wenig davon, jon-
dern recapitulirte feine wohlftudirte Apoftrophe und
wartete nun, bis die Sonne wieder voll werden würde.
Dies währzte nicht lange. Marie wendete ſich mit
einem leifen Lächeln und Erröthen wieder zur Tafel,
Johannes faßte fi ein Herz und begann. Im An—
fang drehte fi das Gefpräd allerdings nur um alle
tägliche Gegenftände. Aber bald machte fih die Sache
Iharmant. Johannes Selbftvertrauen ftieg, feine Rede
warb unbefangener, natürlicher, fein ſchönes Organ
wohltönenvder. Marie blieb feine Antwort fchuldig.
Sie war eben fo geiftreihh und angenehm unterhaltend
als Schön. Der Züngling ſchwamm im dritten Him-
mel. Er begriff gar nit, wie ein fo Heines unbe—
deutendes Mäpchen, wie er fie vor mehreren Jahren
hatte kennen lernen, in fo kurzer Zeit babe zu einem
vollendeten Engel werben künnen.
Sie erzählte intereflant von den alten Schloß—
theile, von der räthjelhaften Erjcheinung des alten
9:
Bihliothefars Baſiliko, und wie fie und die Schweiter
e8 noch nicht Über fich Hätten gewinnen Fünnen, bie
uralten, fat feit einem Jahrhunderte verlajjenen Ge—
mächer zu betreten. Es habe Alles fo ein myſtiſches,
geſpenſtiſches Ausſehen. Man hätte ſich daher lange
auf die Ankunft des Couſins gefehnt, un genaue
Unterfuhung über das verfchollene Gebäude anzuftel-
len, denn neugierig wären fie jehr auf die innere
Einrichtung deſſelben. |
Pauline, die einiges von der Rede der Schweiter
vernonmen hatte, ſchilderte die unheimliche Romantik
des alten Schloffes mit noch lebhaftern Farben, fo
dag auch Eginhard, der fo eben ftrategifch und mili—
täriſch dem alten Wertheim auseinanderfette, daß Na-
poleon bei Leipzig eigentlich) gar nicht .gejehlagen worden
jet, aufmerkffam und ganz Ohr für die Sache ward.
„Während ‚morgen mein Rod einer radicalen Res
ftauration unterliegt,“ ſprach er, „werd' ich in meiner
Interimd-Forcejade, an der ohnehin nicht viel ver-
Ioren ift, wie ein Schornfteinfeger alle Schluchten,
Keller und Winkel des Zauberſchloſſes durchfahren und
ale Memorabilien zu Tage fördern. Ueber den my—
ſtiſchen Baſiliko will ih bald im Klaren fein.”
„Nur an den fehwarzen Kater vergreifen Sie fid)
nicht,“ warnte Pauline, „ver ift Durch und durch
behert.“
„Pauline,“ ſtraften die Aeltern, „wer wird ſo
abergläubiſch reden.“ Eginhard aber nahm ſich ſeiner
ſchönen Nachbarin eifrigſt an; und Pauline ſelbſt
wußte, was ſie wußte. Wenigſtens bewies ihr un—
gläubig ſchüttelndes Köpfchen, daß es mit dem Kater
nicht richtig ſei.
„Ich habe es ſehr gern,“ ſprach Eginhard, „wenn
ſich die Damen ein wenig fürchten wor Geiſter mund.
Stolle, fünmtl. Schriften. XVI. 4
50
Geſpenſter, es Heivet fie allerliebft. Ich felbft, ſeit
ih Scelling, Schubert und Yuftinus Körner ftubire,
bin nicht ohne Geifterglauben. Es ift mir feit der
Zeit jo mancherlei duch den Kopf gefahren und fagt
nicht ſelbſt unſer hochverehrter Shafefpeare:
„Es giebt Vieles zwiſchen Himmel und Erde,
„Wovon ſich unfre Philoſophie Nichts träumen läßt:
Sohannes wandte fid) an Marien und fragte, ob
fie auch an Geifter glaube?
„Barum nicht?” ermwieberte das ſchöne Mädchen,
„der Geifterglaube hat für midy eher etwas Erheben-
des als Abfchredendes. Beſonders wohlthuend ift für
mid) ‚vie Lehre von den Seelen geliebter Abgejchie-
dener, welche uns, gleichjam wie Genien, unfichtbar
umjchweben, uns warnen, beſchützen vor Gefahren und
tröften im Unglück.“
„Gern trete ich auch dieſer jchönen Lehre bei,“
Iprad) Johannes; „wenn fie aud) nur Dichtung, ſo ruht
doch ein fehr poetifcher Zauber darin.”
Eginhard ‚war indeß mit einer einzigen Species
von Geiftern, den erwähnten Genien, nicht zufrieden;
er behauptete, die Anzahl ver Geiſier ſei Legion, die
ſich auf ſehr verſchiedene Weiſe der geplagten Menſch—
heit manifeſtirten. Uebrigens ſei nur dem reinen Ge—
müth, das mit einem leicht reizbaren Nervenſyſtem
begabt ſei, es verſtattet, mit Geiſtern zu communi—
ciren und Unterhaltung mit ihnen zu pflegen. Bei
ihm felbjt fei e8 noch nicht der Fall geweſen. Er
wiſſe fih die Averfion der Geifter vor ihm gar nicht
zu erklären. Entweder fei er nicht fromm genug,
oder für das Iuftige DVolf zu maffv. Am guten
Willen fehle es nicht, denn nichts wäre ihm lieber,
als mit ein Paar tüchtigen reſpektabeln Geiftern ein=
mal in Converfation zu treten. Er habe hierin ent-
4
54
ſchiedenes Malheur, jedem Menjchen fei im Leben
einmal etwas Webernatürliches paffirt, ihm noch nicht.
Er ſei ein wahrer Geifterbanner, wo er hinkomme,
ergriffe das fonderbare Geſchlecht die Flucht; und
falls ſich dergleichen in den Mauern von Buchenfels
vorfinden ſollte, werde er bald reine Wirthſchaft ge-
macht haben.
Die Rede Fam jetzt auf den alten, räthſelhaften
Bibliothekar.
„Denken Sie nur,“ ſprach Pauline zu Eginhard,
„von dem weiß kein Menſch, wie alt er eigentlich iſt;
alle Leute aus dem Dorfe, ſie mögen zurückdenken,
ſo viel ſie wollen, haben ihn als Signor Baſiliko
gekannt, und zwar nicht älter und nicht jünger als
er jetzt iſt. Man erzählt von einem Fläſchchen Le—
bensefjenz, bie er felbjt bereite. Da jchnapje er zu=
weilen und das verleihe ihm Lebensdauer und Kraft
auf viele Jahre. Mebrigens iſt es ein höchſt mürri-
ſcher Kauz. Wenn id) manchmal in der Gegend des
alten Schloßtheild promenirte, um mir das alte Ges
bäude wenigftend von Außen zu bejehen, kam aud
gleich das finftre Geficht des Bibliothefars zum Vor—
fchein und blickte mich ordentlich mit drohender Miene
an, daß id allemal die Fluht ergriff. Wenn der
etwas zu befehlen hätte, der jagte und gewiß über
alle Berge”
„Wenn ich mur bie ſchönen rothen Blumen einmal
in der Nähe ſehen dürfte,“ ſprach Marie, „die in dem
Garten des Bibliothekars blühen, das iſt ein ſeltſam,
wunderbares Roth, das fernen Himmeln angehören ſoll;
wenigſtens entſinne ich mich unter unſern heimathlichen
Blumen dieſer Farbe nicht.“
„Ja, denken Sie nur,“ fuhr Pauline eifrig fort,
„er hat auch ſeinen eigenen Garten, un da wollte,
52
ich's Niemandem gerathen haben, vemfelben in die Nähe
zu fommen, noch viel weniger ihn zu betreten. Und
wie ſchön mag's darin ausfehen. Da blühen die herr-
lichſten, jeltenften Blumen aus allen fünf Welttheilen,
aber man fieht nichts davon; denn der hohe, lebendige
Zaun, der den Garten einſchließt, ift fo Did und un—
durchſichtig, wie die dichte Stadtmauer. Neulich habe
ih und Marie von unſerm Schloßthürmchen ein Flei-
nes Stückchen vom Garten überfehen. Ad, da blü-
beten wunderfchöne, rothe Blumen. Gott mag wiflen,
was nod hinter dem alten Schlofje ftedt, welches uns
den übrigen Garten verbirgt. Da follen, wie in dem
Mährchen des Morgenlandes, goldene und filberne Lau-
ben ftehen, und auf ven verzauberten Bäumen ſich
Ihöne, fremdartige Vögel, in herrlichem Parbenglanze
wiegen; alle Blumen follen wie ſchöne bittende Men—
Ihenaugen zum Beichauer emporblicken.“
Eginhard war ganz Hingeriffen von ſolch hochpoe—
tiſcher Romantik. Er ſchwur, einen Luftballon zu bauen,
und über das Blumeneden con amore dahin zu fehiffen.
„Ei, da nehmen Sie mich auch mit, rief Bauline.
Eginhard deflamirte mit galanter Verbeugung:
„Willſt Du in meinem Himmel mit mir leben,
So oft Du kommſt, er ſoll Dir offen ſtehn.“
Der alte Wertheim war bei Paulinen's poetiſcher
Beſchreibung des fabelhaften Gartens ſehr gefaßt ge—
blieben. Er erklärte, daß ſich Baſiliko allerdings viel
mit Botanik beſchäftige und ſehr ſchöne ausländiſche
Blumen erziehe. Mit den ſilbernen und einzelnen
Lauben und curioſen Vögeln ſei es aber nichts. Er
wäre ſelbſt einmal im Garten geweſen, und habe
nichts Außergewöhnliches gefunden, als was man in
jedem ſorgfältig gepflegten Ziergarten vorfinde.
53
„Nichts da,” proteftirte Eginhard, „wir laſſen
uns fo bobe Romantik nicht proſaiſch hinwegdisputi⸗
ven, Mit dem Bibliothekar iſt es nicht richtig,
Fräulein Pauline bat ganz redt. Da ftedt mehr
dahinter, als fih unfre PBhilofophie träumen läßt.
Den Bafilifo hat und der Himmel gegeben. Ein
fol myſtiſches Individuum follte eigentlih in ' jenem
Schloſſe fteden, welches einigermaßen Anſpruch auf
Romantik macht. Ich komme indeß der Sache auf bie
Spur, das verfpredhe ih. Wir müflen in's Klare
fommen, welche Bewanbtnig e8 mit dem räthjelhaften
Manne hat.” |
„sc finde gar nichts Räthſelhaftes,“ ſprach Wert-
heim, „Bafilifo ift ein Sonderling und Mifanthrop,
wie e8 viele giebt. Daß er die Dinger da nicht in
den arten läßt, finde ih in der Ordnung; was
verfiehen die Mädchen von Botanik. Es ift blos Neu-
gier, die fie jo begierig nad) dem Garten macht, in
welchem fich ihre Phantafie die fabelhafteften Dinge
vorftellt; und wenn er biefe eitle Begier nicht befrie-
digen will, kann ich's ihm nicht vervenfen. Cut alter
Mann, der am Rande des Grabes fteht, hat feine
Grillen, die man ihm hingehen läßt. Wenn aber
Freund Eginhard glaubt, der Bibliothefar werde für
ihn zugänglicher fein, als für uns Webrige, fo int
er fih. Ich bin überzeugt, daß wir von ihm wäh—
rend der Anwejenheit der Meufenföhne wenig oder
gar nichts werden zu fehen befommen.“
„sch gebe mid für einen vacirenden Botaniker
ans,” ſprach Eginhard, „Kunſtgenoſſen haben gewöhn⸗
lich einen größern Stein im Brete, als die übrigen
profanen Menſchenkinder. Ich krieg ihn ſchon.“
„Sie müſſen uns aber dann auch erzählen,“ fiel
54
Pauline eifrig ein, „und genauen Bericht erftatten
über alles Wunderbare, was Sie gejehen haben.”
„Unbeſorgt, mein Fräulein, tröftete der Mufen-
fohn, „ich gebe ein Buch darüber heraus, unter dem
Titel: „Höchftwichtige Auffchlüffe über Geifterglauben
und Gefpenfterfurcdht ‚oder der nievergebonnerte Freis
geift, zur Belehrung und Beſſerung für Alle, die ſich
noch mit Scrupeln und Zweifeln plagen. Leipzig,
im Jahre ber Aufklärung”; und fange gleich mit ver
zweiten Auflage an, das giebt der Sadıe ein größe⸗
red Ausſehen.“
„Eginhard wird uns ſchönes Beug weiß machen,”
lachte Johannes, „was der ſich einbilvet, glaubt er
und ſchwört Stein und Bein darauf.”
Wertheim theilte jetzt ver Geſellſchaft vie ange
nehme Nachricht mit, daß in wenig Tagen nody mehr
Beſuch auf Buchenfels eintreffen werde. Die beiden
Beſitzer der angrenzenden Güter, Bodo und Alfred, zwei
junge lebensluftige Männer, die fchon lange einen
Beſuch verſprochen hätten.
„Das iſt herrlich,” rief Pauline, „nun werben ge⸗
wiß auch die längft verabreveten Barthien in der Um—
gegend einmal zu Stande kommen.“
„Kein Tag fol unbenutt dahin gehen,‘ verficherte
der Vater, „ich hab’ mir's überlegt; wir gehen ftrate-
gifh zu Werke wie Napoleon, machen unjere PBarthien
nad) der Landkarte und jeden Tag nad) einer andern
Himmelsgegend.“
„Das ſoll ein Feſt werden,“ ſprach Pauline, „bis
jetzt ging es ſo ſtill her, daß unſre Stimmen im
Schloßhofe laut wiederhallten. Vier junge Herren
werden ſchon Leben in die Sache bringen. Mir iſt
nur bange, daß bei dem Spektakel die alten Mauern
55
zufammenfallen und unfern guten Bafilifo mit allen
jeinen Geheimniffen. unter ihrem Schutte begraben.”
„Für dieſen tragifhen Fall,“ tröftete Eginhard,
„ſetz' ich mich, ein zweiter Scipio, auf die Ruinen
und ſinge unſterbliche Lieder auf die Vergänglichkeit
alles Irdiſchen. Es giebt Nichts, dem man nicht
eine poetiſche Seite abgewinnen könnte. Uebrigens,“
fügte er hinzu, „iſt mir an der Ankunft der beiden
Herren Ritter nicht viel gelegen. Hans und meine
Wenigkeit werden nun all' unſere Liebenswürdigkeit
zuſammen nehmen müſſen, um von ven beiden galan—
ten Ankömmlingen nicht aus dem Sattel gehoben zu
werden.“
„Unbeſorgt,“ platzte Pauline naiv und unbefangen
heraus, „wir bleiben den Muſen getreu.“
„Wenn nur erſt mein alltdeutſcher patriotiſcher
Rock wieder ganz wäre,“ ſprach Eginhard, „alsdann
möchte Alles ſein wie es wollte. Uebrigens iſt es
morgen mein Erſtes, die beiden Packer, Herrn Sul-
tan und Paſcha, die mir in der Dämmerung . wie
Heine Elephanten vorgelommen find, bei Tage zu be—
ſehen.“
„Es find die friedlichſten Thierchen von der Welt,“
verficherte Pauline, „ich kann mit ihnen machen was
ih will.” .
„D ja,“ erwiederte Eginhard, „auf Freundſchaft
foheinen fie ſich zu verftehen, denn fie hielten alle
Beide mich brüderlih umarmt.“
Eginhard trug jest fein Rencontre mit dem Ober-
forftmeifter, wie er ihn nannte, mit vielem Humor
vor, daß die ganze Gefellihaft viel zu lachen hatte.
Endlich blie8 der alte Wertheim zum Aufbruch, weil
es fpät geworben und die Mufenföhne gewiß ermüdet
fein mwürben.
56
Johannes und Eginhard verficherten mit klaren,
lachenden Augen das Gegentheil.
„Ich gehöre zu den fogenannten Nachtlampen,“
ſprach letterer; „auf das zu frühe Aufftehen geb’ ic)
nicht. Musis aurora amica, das ift ganz ſchön; aber
des Abends, nach vollbrachtem Tagewerk nod) ein paar
Stündchen zu. verplaudern im freundlich gejelligen
Kreife, darüber geht Nichte. Im diefen ftillen Abend⸗
ftunden ift man ſich feiner weit klarer bewußt, als
im Lärme des nüchternen Tages, und aufgewedter zur
Converfation. Schiller dachte accurat jo, und hat
ganz Recht, wenn er jagt:
„Ein halbes Dutend guter Freunde höchſtens
„Um einen Heinen runden Tiſch, ein Gläschen
„Zofaierwein und ein vernünftiges Geſpräch .
„So lieb’ ich's.“
Das war aud) Wertheim's Philoſophie. Er Tief
daher noch ein paar Flaſchen Markobrunner auftragen.
Den Damen warb es frei geftellt, ob fie noch auf:
bleiben wollten. Pauline hatte große Luft, aber ein
Winf der Mutter belehrte fie, daß e8 Zeit zum Schlafen-
gehen fei; fie hätten überdies morgen alle Hände voll
zu thun wegen des angelommenen und noch bevorite-
henden Bejuches. .
Kaum hatten fid) die Damen entfernt, als Wert»
heim und bie beiden Studenten die Stühle näher zu=
jammenrüdten, der Paftor, obgleich er den folgenden
Zag zu predigen hatte, blieb auch noch und fo floß
bei dem perlenden Weine und unter intereffanten Ge—
ſprächen ein Stündchen der Nacht nad) dem andern
vorüber.
„Einmal fei nicht immer,“ tröftete Eginhard, und
fo blieb man beifammen bi8 die Lerche den keimenden
Morgen verkündete,
57
10.
Die Sonne ftand bereit3 hoch am Himmel, -als
Eginhard von jeinem Lager fprang und den Kopf in
den herrlihen Morgen hinausſteckte. Die Landſchaft
lag wie ein frifches, duftendes Gemälde ausgebreitet.
Bon dem Schlafzimmer, welches den zwei Muſen ein-
geräumt war, genoß man die erquidenpfte Ausficht.
Eginhard's Jubel und Lärmen Tieß auch Iohannes
an feinen weitern Schlaf denken. Er fprang auf und
ſchaute gleichfalls entzüdt in die Landſchaft.
„Ich frage Did nur,” ſprach Eginhard, ver fich
an ber reichen Gegend nicht fatt fehen konnte, „mir
anfrihtig zu jagen, ob wir wirklich noch auf Erben
leben oder bereits lebendigen Leibe gen Himmel ge-
fahren find. . Seit geftern Abend ift mir Alles zu fa=
belbaft. Deine Coufinen find ja eingeborne Engel,
gar feine irdiſchen Mädchen. Ich habe jchen geftern
Abend einen dreifachen Harniſch um mein Herz gelegt.
Wie foll das bei hellem Sonnenlichte werden?”
Er ftredte den Kopf wieder zum Fenſter hinaus:
„Ein himmliſcher Morgen, wie erquict Alles. Die
Naht hat recht gemeint, daß fie ihre Blumen ver-
lafjen mußte; fieh nur, Hang, die Millionen Thränen,
in welchen fi) die Morgenjonne jpiegelt.
„Das Schloß ift nicht von geſtern;“ fuhr er, fid)
die nächſte Umgebung betrachtend, fort. „Die alten
Mauern haben ihre paar Jährchen gejehen. Aber auf
den Kopf gefallen war der Erbauer nicht. Er konnte
fi) feinen ſchönern Punkt wählen in ver ganzen Ges
gend. Ob's nur ein Raubritter gewejen iſt. Ich
glaub’8 nicht, fo kühn und frei heraus baute dieſe
Art nicht. Wenn wir nur eine Chronik auftreiben
58
Eönnten, da jchrieb ich einen Ritterroman, wo man
die Romantit mit Händen greifen folltee Hans, fo
tief in der Poefie haben wir noch nicht geftedt. Ein
uraltes Schloß, ein räthfelhafter Bibliothekar, ein gaft-
licher und Humoriftifcher Burgherr, berrlihe Burg:
fräuleins, Köftliher Wein, Frühling, erquidende Aus-
fiht und Ferien; ich will den Menſchen fehen, ver da
nicht poetifh würde.” »
Johannes erkundigte fi, welche von den Coufinen
Eginhard am Meijten gefalle.
„Ich bin in beide verliebt, theuerfter Freund, und
zwar in allem Ernſte; Du weißt, mein Herz ift groß
und hat für Biele Kaum. Himmlifche Kinder. Wie
gefagt, ih muß mich verwahren mit dreifachem Pan-
zer, fonft bin ich verloren für die ganze Ferienzeit und
verpaffe den ganzen Frühling.”
Nad einer Baufe fuhr er fort:
„Wenn doch Die biedern Ritter, bie auf morgen
ihren Beſuch angefündigt haben, in dem Lande vers
blieben, wo ver herrliche Pfeffer wählt. Ich verfichere
Dir, Hans, die Sache kann ſchlimm werden. Wenn
diefe Junker unfere Burgfräuleind abjpenftig machen,
Hans, da kennſt Du mid, da bin ich fürchterlich.
Ohne Blut geht es nicht ab. Wir Mufen dürfen
ung von der Ariftofratie nicht werfen laſſen. Nur
Einer kommt lebendig vom Plate.”
„Sprich nicht abgeſchmackt,“ verwies Johannes,
„ich hoffe, daß Du ſo viel Vernunft haſt und im
Hauſe der Gaſtfreundſchaft nicht unnöthigerweiſe Hän⸗
del ſuchſt.“
„Aber, beſter Freund,“ erwiederte Eginhard, „wir
können doch unmöglich, ohne aus der Haut zu fah—
ren, mit anſehen, wie dieſe irrenden Ritter unſern Da⸗
men den Hof machen? In ſolchen Angelegenheiten bin
59
ich fürchterlich, und auf ein paar Kannen Blut kommt
mir's nicht an.”
Chriſtine, das Dienſtmädchen, frug jetzt, ob die
beiden Herren den Frühkaffee auf ihrem Zimmer oder
im Garten unter der Linde zu trinken wünſchten.
„Hans,“ ſprach Eginhard, „das iſt eigentlich eine
Injurie, die und Dein braver Onkel in dieſer Alter-
native fagen läßt. Er weiß, daß wir poetifche Ge-
müther find und das Freie und Grüne lieben. Aller:
dings, Schätzchen,“ wandte er ſich zu dem Mädchen,
„teinten, wir im Garten und werden ſogleich er-
ſcheinen.“
„Guten Morgen, Couſinchen,“ rief jetzt Johannes
zum Beufiee hinaus, denn Pauline hüpfte fo eben durch
ennfeilifer ‚ tönte e8 lachend herauf und bas
Mädchen ſchabte ein Rübchen.
„ale Wetter,” frug Eginhard, „mit wem disku—
rirſt Du denn? — Ach es ift der Paul, das Him-
melskind im Roſakleide. — Du Glüdlicher, Du ſteckſt
fon total in den Kleidern. Ich kann mid) vor dem
eingebornen Engel nicht einmal ſehen laſſen.“
Eginhard hatte nur ein Fein wenig bie grüne
Gardine hinweggeſchoben und blidte hinab.
„Sieh nur das Himmelskind,“ fuhr er fort, „ver
liebe Gott muß feine Freude haben über ſolch' ein
Mädchen; wie es über den weichen Raſenteppich tän-
zelt. Ad du Heiner Tiebenswürdiger Affe. Es geht
doch in der Welt nicht über eine ſolche flebenzehnjährige
Göttin, zumal an einem ſchönen Frühlingsmorgen.
Das iſt Poeſie! Das Roſakleid ſteht ihr reizend.“
Johannes mahnte zum Aufbruch. Eginhard konnte
ſich aber von der anmuthigen Erſcheinung nicht 108-
reißen. Mit einemmale begann er aber entſetzlich zu
60
lamentiren, zu fluchen und zu verzweifeln, daß Johan⸗
nes ganz beforgt nach der Urſache fragte. Eginhard
hatte fich exit jett auf feinen Rod und den Fläglichen
- Zuftand deſſelben bejonnen. Er lief jammernd und
verwänjchend im Zimmer auf und ab,
„Das ift wahr,” rief er einmal über das andere,
„ich bin einmal zum Unglüde geboren. Es hätte
können ſchön werden; e8 follte nicht fein. Ohne gan-
zen Rock, was ift da auszurichten. Geftern Abend
mochte e8 gehen; da war e8 dunkel und von ber Bes
fcheerung nichts zu ſehen. Jetzt aber iſt's Tag, bie
Some hat feit Erſchaffung der Welt nicht jo Hell
geſchienen. Was helfen die herrlichen Geſchöpfe da
unten, wenn idy mid) vor ihnen nicht ſehen laſſen
fann in einem anftändigen Rode. Als Centunkulus
mag ih nicht auf Buchenfels umberfpazieren. Ich)
begreife nicht, wie ih das Unglüd geftern Abend auf
vie leichte Achfel habe nehmen und noch Wit daräber
machen können. Was hilft jest Nomantif, Biblio-
thefar, Frühling, Liebe und ſchöne Ausficht, an dem
vermalebeiten zerfletfchten Rode berftet alle Poeſie, und
wäre fie von Apollo jelbft, von allen Muſen und Gra—
zien präparirt und rekommandirt.“
Johannes tröftete und ging in ven Vorjaal nah
dem Kleiverfchranfe, um zu fehen, ob das Corpus
delicti wirklich unrettbar verloren, oder durch Funft-
reihe Hand zu reftauriven wäre „Im ſchlimmſten
Valle ziehft Du meinen Frack an, der ift ganz anſtän⸗
Dig und wirb Did ‚gut kleiden. u
Eginhard, der in dumpfem Schweigen dageſeſſen,
ſprang jetzt auf.
„Schweig mir,” rief er, „von dieſer niederträch⸗
tigen Tracht, eher will ich in Hemdärmeln meine
Aufwartung machen, als in dieſem Non plus ultra
61
alles Ungeſchmacks, wie eine Bachſtelze umberzufpaziereit.
Schon ver gute Jean PBaub hat ſich fein Lebtag dars
über geärgert. Er nennt den rad einen Schwalbens
fhwanz und hat ganz Recht.
„Ich hole den Altveutfchen,” ſprach Johannes,
‚vielleicht ift Rettung” Eginhard hatte aber alle
Hoffnung aufgegeben. „Ich entfinne mid) ja ganz beut-
lich,” ſprach er verzweifelt, „wie ic) geftern Abend
in meinem fatanifchen Webermuthe ein ganzes großes
Stüd vollends abgefnaupelt und in Die Taſche geftedt
habe. -An dem Rode ift Hopfen und Malz verloren,
die Beſtie ift nod nit einmal bezahlt.” Darauf
fprady er dumpf für ſich Hin:
„Hin ift hin — verloren ift verloren,
Stirb hin, ftirb Hin in Nacht und Graus,
D wär’ ich nie geboren.‘
Johannes war indeß mit dem Ueberzieher zurüd-
gekehrt. Er betrachtete ihn oben und unten, vorn
und hinten mit gerechter Bewunderung.
„Was fehlt denn Deinem Rocke?“ fragte er, „ich
ſehe ja nicht die geringſte Verletzung. Es iſt das
unverſehrte Prachtſtück von geſtern.“
Eginhard ſah jetzt auch hin und ſein entzücktes
Erſtaunen erreichte den höchſten Grad.
„Iſt denn das mein Altdeutſcher?“ Fragte er feis.
nen Augen kaum trauend.
„Kein anderer,” lachte Johannes, „gute Genien
haben über ihn gewaltet. Während wir in guter Ruh'
gelegen, haben vie gejchicten Hände meiner Eoufinen
oder der Näherin den Schaden, ver übrigens lange |
nicht fo bedeutend gewejen ift, wie Du Dir vorge:
ftellt haft, auf Das Unmerklichſte gut gemacht. Du
bift den meiblihen unfichtbaren guten Engeln zu.
großem Danfe verpflichtet.‘
62
Eginhard, welcher noch immer feinen Rod an
allen Orten befah und vifitirte, ſchwur jet Stem
und Bein, das könnten feine menfchlihen Hände fo
unfichtbar genäht haben. Es müßten ſchlechterdings
Heinzelmännden im Schloſſe ihr fegensreiches Wirken
treiben.
„Entfinnft Du Dich nicht, Hans, wie der originelle
Kopiſch in Berlin, der auch unfer neueftes Lieblings-
lied, den Bater Noch,. gedichtet hat, jo allerliebft von
ven nieblichen, fleißigen Kerlchens ſingt?“
Er ſang:
„Wie war zu Köln es doch vordem,
Mit Heinzelmännchen ſo bequem!
Denn war man faul: — man legte ſich
Hin auf die Bank, und pflegte 9
Da kamen bei Nacht,
Ehe man's gedacht,
Die Männlein und ſchwärmten
Und klappten und lärmten,
Und ruften
Und zupften,
Und hüpften und trabten
Und putten und ſchabten —
Und eb’ ein Faulpelz noch erwadt,
War all’ fein Tagwerk bereit3 gemacht.
-Einft hatt’ ein Schneider große Bein:
Der Staaterod follte fertig fein;
Warf hin das Zeug und legte ſich
Hin auf das Ohr und pflegte ſich.
Da ſchlüpften fie friſch
An den Schneidertiſch;
Und ſchnitten und rückten,
Und nahten und ſtickten,
Und faßten
Und paßten
Und ftrichen und gudten,
Und zupften und rudten —
Und eh’ mein Schneiderlein erwacht,
War Bürgermeifterd Rod gemacht.”
«
‘
63
„Juchhe, auch mein Röcklein ift wieder fauber und
nett, als kam e8 erft vom Schneider her.”
AS die Beiden herabftiegen zum Garten, kam
‚ihnen der alte Wertheim, entgegen.
„eEin herrlicher Morgen,“ ſprach er, ben zwei
Zünglingen die Hand ſchüttelnd, „Sammerfchabe, daß
wir ein koſtbar Stück verſchlafen haben; bin auch
nicht lange aus den Federn.“
Der Kaffee unter der Linde war ſervirt. Die
Schloßfrau nebſt den beiden anmuthigen Töchtern fan-
den ſich ein.
Eginhard ſtellte jetzt dankbare Unterſuchungen an
wegen des Wunders, das ſich dieſe Nacht mit ſeinem
Rocke zugetragen hatte, Da fam e8 heraus, daß Pau-
line mit ihrer Heinen Meifterhand die gute Fee gewe⸗
ſen war. Sie hatte ſich das Kleidungsſtück in aller
Frühe herabholen laſſen, und die Reſtauration mit
bewunderungswürdiger Geſchicklichkeit vollendet.
Eginhard wäre ſeiner reizenden Erretterin für's
Leben gern um ven Hals gefallen, wenn ſich dies
einigermaßen hätte bewerfftelligen laſſen.
Marie, welche im violetten Kleive ging, fam dem
Sohannes im Sonmenlichte wieder fo überirdiſch vor,
daß er abermald um Worte verlegen war, das be-
zaubernde Weſen anzureben.
Nach eingenommenem Kaffee ſchlug Wertheim fei-
nen beiden Gäſten einen Spaziergang vor, um fie
mit der nädıften Umgebung des Schloſſes bekannt zu
machen. Der Vorſchlag ward gern angenommen, und
ſo wandelten die Drei, nachdem ſich Johannes und
Eginhard von den Damen verabſchiedet, in der fro—
heſten Stimmung in den ſchönen Morgen hinein.
Man gelangte zu dem alten, halbverfallenen Schloß-
theile. In die meiften Gemächer ſchien der blaue
64
Maienhimmel und ver Ephen war armdick durch die
offenen Fenſter hineingewachſen. Nur ein Heiner Theil
dieſes alten Gebäudes war noch bewohnbar, und da
eben refidirte der Bibliothelar.
Johannes fragte den Onfel, ob dieſe verfallenen
Gemächer nicht wieder zu reflauriren wären.
.e „Wohl kaum,” war die Antwort, „fie find Ruinen,
und Koften und Mühe wären vergebens aufgewendet.
Dean bat 'mir wiederholt gerathen, den alten Gtein-
haufen vollends abtragen zu laffen, aber ich habe mich
nod immer nicht Dazu entfchliegen können.“
„Um's Himmelswillen,” rief Eginhard, „abtragen,
jo eine Prachtruine, ich begreife nicht, wie man jo
‚einen profaifhen Gedanken geben kann. Nein, da muß
Alles ftehen bleiben, mie es fteht. ine jo herrliche
Ruine, fo ein ehrwürdiges Aktenſtück aus dem Mlittel-
alter, ift heutzutage, wo der Rauch der Fabriken alle
- DBlüthen des Frühlings [hwärzt und man vor dem
Scnaufen ver Dampfmafchinen fein eigen Wort nicht
mehr hört, nicht mit Golde zu bezahlen.‘
Die Wanderer ftiegen in dem alten Gebäude Trepp
auf, Trepp ab. Eginhard ſtellte Iauter mittelalterliche
Betrachtungen an. Er meinte, in fo einem alten
Schloſſe fünne man in einer Stunde mehr veutjche
Geſchichte lernen, als bei Yuden im längiten Semeſter.
Dean gelangte in ein Heines, finfteresg Gewölbe.
„Das war die ehenalige Marterfammer,' erklärte
Werthein, „wenn diefe ftummen Mauern erzählen
fönnten, würden wir Gott nicht genug danken fün-
nen, im neunzehnten Jahrhundert zu leben.”
„Das neunzehnte Jahrhundert hat aud) feine Mar—
tern,“ meinte Eginhard, „weit finnreiher als vie al-
ten Ritter; den großen Mann der Weltgejchichte, a la
Prometheus auf einen Felfen zu ſchmieden und einen
65
Geier Daneben: zu feen, eines ſolchen Verbrechens
und eine ſolche Marter hat ſich das Mittelalter nicht
zu Schulden kommen laſſen.“
In dem dunkeln Gewölbe fanden ſich mehre Trüm⸗
mer ehemaliger Marterwerkzeuge. Eginhard betrach⸗
tete Alles mit Kennerblick. Er war in ver altdeut⸗
fhen Criminalpflege ‚ziemlih zu Haufe, erklärte vie
Wirkungen der verfchievenen Inſtrumente und fragte
Johannes, ob er fih zum Zeitvertreibe an dem ſchö—
nen Yrühlingsmorgen nit ein wenig martern lafien
wollte?
Der Gefragte verfpürte Feine Luft hierzu, und
man ftieg lächelnd in den innern Hof des alten Schlofjes.
Hier ſtand ein uralter, Blech umfangreicher, hoher,
cylinderförmiger Thurm. Eginhard lief mehre Male
um ihn herum, ohne einen Eingang zu finden.
„Ale Wetter,” xief er, „eine Thür muß doch da
fein, wie fann man fonft hinein.” Er machte noch
einmal die Runde und fland ganz erftaunt.
„Die Bauleute,” ſprach er, „müſſen präjumirt
haben, daß Die Bewohner ihon darin gejtedt haben,
da fie die Thüre vergeſſen.“
Man betrachtete pas ſeltſame Gebäude von unten
bi8 oben. Da bemerkte enplid Johannes eine wer:
mauerte Thür body oben, und man 309 ven ſehr fol-
gerichtigen Schluß, daß- ver Thurm vermittelft einer.
Zugbrüde mit dem Schloſſe in Berbindung geftanden
haben müſſe.
Nun war Eginhard wieder ſehr neugierig, was
wohl drinnen ſtecken möge. Wertheim konnte hierüber
keine Auskunft geben.
Da muß ich wiſſen,“ ſprach ſchnell reſolvirt der
Aterthumsforfcher, zog den Rod aus und begann wie
eine Gemfe, von Fuge zu Fuge empor zu klimmen.
Stoffe, ſämmtl. Schriften. XV. 5
66
Das überall hervorſproſſende Gejträuche diente zur
bequemen Handhabe.
Bergebend war das Abmahnen von Seiten Wert-
hein’8 und Johannes. Eginhard hatte bald das Ende
erreicht und ftand wohlgemuth body cben auf ber
Thurmmauer.
„Oben wär' ich,“ ſprach er, „eine herrliche Aus
ſicht. Wenn hier der Thurmwart logirt hat, war das
Kerlchen nicht dumm. Man kann Meilen weit in's
grüne Land ſchauen.“ Hierauf ſang er:
„Kleinhänſel ſchau auf,
Was trappelt im Thal?
Kommt Wadermann an?
„Aber binfichtlih des Thurmbauches bin ich nicht.
im Klaren. Iſt er hohl, oder was tft darinıten. Es
fieht verwünſcht finfter aus. Die Sonne ſcheint nur
ein Stüdchen hinein.
„Der Menſch verſuche bie Götter nicht,
Und begehre nimmer und nimmer zu fchauen,
Was fie gnädig bededen mit Nacht und Grauen.
„Bas da, ih will nicht vergehens heraufgekrochen
ſein. Wohlan!
„Ich bringe Euch Kunde,
Was ich ſah auf des Meeres tiefunterftem Grunde‘
Damit begann er an ber inmwenbigen Geite des
Thurms binabzuffettern.
„Er muß von Sinnen fein,” rief Wertheim, „in -
den Schlund Hinabzufteigen. Johannes tröftete; er
‚war bergleihen Stückchen an Eginhard gewohnt,
und wußte, baß biefer int Klettern die Geſchicklich—
feit eines Gemfenjägers beſaß.
Plöglih hörte man Eginhard im Innern bes
Thurmes entfeglich fluchen. „Die Kraniche des Ibicus,“
67
“rief er, „verdammtes Gefhwirr und Geſumme;“ und
faft zu gleicher Zeit flatterte ein Schwarm eulenar-
tige8 Geflügel, ob des unerwarteten Beſuches im
Schlafe geftört, mit wibrigem Gefchrei zum Thurme
hinaus,
Eginhard fluchte fortwährend und ftieg immer tie-
fer. Nun mochte aber das Gezweig nicht mehr halt-
bar genug fein, denn man hörte von außen, wie er
plöglic vollends hinabrutjchte.
Jetzt ward Wertheim bange.
„Da haben wir die Beſcheerung,“ rief er, „er iſt
vollends binabgefahren, wie will er wieder hinauf?
Ich werde ein paar Quadern herausheben müflen, da⸗
mit der Tollfühne gefegneten Auszug halten kann.‘
Johannes mußte laut auflachen und freute fich,
daß Eginhard einmal für feinen VBorwig anf jo drol⸗
fige Weife beftraft wurde. Er fragte den Thurmbe—
wohner mit lauter Stimme, wie er fich befinde und
welche antiquarifche Entdeckungen er bereit gemacht
habe.
Anstatt der Antwort tönte herauf:
„Süße, freundliche Gewohnheit des Daſeins und
Wirkens, von dir ſoll ich ſcheiden! Wenn ich) wenig-
ſtens eine Laterne hätte, mein Unglüd bei Lichte zu
fehen. Hier herrſcht eine Nacht, wie in der ewigen
Verdammniß. Ich kann die Sterne fehen, fo tief ift
der Keller. Was hilft mir das. Und eine Kälte ift
hier, wie auf Spitbergen, wo die Eisbären über-
müthig werden. Wäre ich doch lieber in ven Him—
mel gefahren, als in das verdammte Eisloch, das ber
Zeufel in feinem Zorne erſchaffen hat.‘
„Ei, jo fahre doch wieber zu Tage, wadrer Berg-
mann,‘ vief Johannes,
„Das tft. bald gejagt,” zanfte es un Thurme,
” . %
68
„doch ſobald nit gethban. Ihr habt gut ratben
draußen in der warmen Welt, wo die Mücken fpie-
Ien und Schmetterlinge gaufeln. Ic hab’ e8 mit
andern Beſtien zu thun. Ih will nicht lebendigen
Leibes herabgefahren fein zur Hölle, wenn ich' nicht
einem Schock Nattern, Molden, Salamandern und
Draden auf ven Kopf getreten habe. Der Satan
hole ſolche Romantik. Menſch bleibt Menſch.“
Unter dieſen abgebrochenen Monologen ſtolperte er
fortwährend über große Steine, die den Boden des
Thurmes bedeckten, und zankte ſich mit Schlangen
und Ungeheuern, die ihm ſeine Phantaſie vormalte.
„Ich wünſchte,“ fuhr er fort, „daß die alten
Deutſchen, dieſe Blondins, ihr Genie und Geld zu
was Beſſerem angewandt hätten, als ſolche höchſt ab-
geihmadte und überdies geſchmackloſe Babelthürme
aufzuführen. Ic ſehe gar feinen Zweck, den dieſe
elenden Steinkoloſſe haben konnten, weder in militä⸗
riſcher noch politiſcher Hinſicht. Es war in manchen
Dingen ein bornirtes Volk, dieſe Deutſchen. Das
wird einem klar, ohne daß man den Luden zu leſen
braucht, und mir jetzt abſonderlich, obſchon es um
mich ſtockfinſter iſt wie in Egypten zur Zeit der
Landplage.“
Nachdem Eginhard vergebens mehrmals an den
innern Thurmwänden umbergetappt war, ohne einen
Anhaltepunft zum Aufwärtsfteigen zu finden, ward
er demüthig und begann gute Worte zu geben.
„Hans, befter Hans,“ rief er, „Liebling meiner
Seele, wenn Du Deinen treuen Freund nod) einmal um⸗
armen willft auf dieſer ſchönen Welt, fo wirf etwas
herab in den Abgrund, ein Stüd Strid oder Strid-
leiter, daß ich etwas erfaflen und auferftehen kann
von den Todten. Aber hab Acht, daß der Hanf gut
69
gedreht und das Ankertau nicht zerreißt, fonft kann
ich ven Hals brechen auf die bequemfte Art, ohne daß
Jemand etwas davon gewahr wird. Erſt nad Jah—
ren wird mein moderndes Gebein Kunde geben von
meinem tragifchen Ende.” |
Johannes war nad) dem Schloſſe zurückgeeilt und
fehrte mit Bendir, dem Diener Wertheim’s, zurüd,
welcher eine Stridleiter nachſchleppte. Unterdeß warb
. aber dem Lebendigbegrabenen die Zeit lang; doch
verlor er feinen guten Humor nicht; und Wertheim,
wie unangenehm ihm das Eginhard ſche Unternehmen
war, mußte oft über die Monologe, welche der Thurm⸗
bewohner hielt, laut lachen.
„Ich lebe unbeſtritten,“ fuhr letzterer fort, „im
zwölften Jahrhundert nad) ver Geburt unſers Herrn
und Heilands, ſo lange kann dieſe Babelfeſte ſtehen;
denn die Sonne ber ſpätern Jahrhunderte hat nicht
im dieſe Tiefe geleuchtet.. Wo bleibt denn Hans ?
Wenn ih noch lange bier unten verweile, thaue id)
im eben nicht wieder auf. Ueberdies habe td) wie
Laakoon mit Ditern und Schlangen zu fampfen. Die
Unzahl Flevermäufe fommt nit in Betracht. Ic)
wünſchte ich wär eine Da hätt ich Flügel und
fönnte emporfteigen in himmlische Regionen. Daß der
Menſch das Fliegen noch nicht erfunden hat, ift aud
eine Schande. Die Adam'- und Eva’fche Nachkom—
menfhaft hat viertaufend Jahre Zeit gehabt, über
die Suche nadyzudenfen, und Nichts herausgebracht,
obſchon täglich die Geſchlechter der leichtbeſchwingten
Vogel vor der Naſe herumfliegen und das Ding vor—
machen. Nein, wir wollen mit unſrer Weisheit um
Himmelswillen nicht dicke thun, ſonſt braucht ich nicht
in dieſem Eisloche zu ſtecken und mich mit den
Schlangen und Kröten herum zu zanken. Hu, das
?
70
mag bier Kribbeln und wibbeln; es ift gut, daß ich
von der erlauchten. Geſellſchaft nichts fehe; aber es
mag auf dem Meereögrunde nicht fehauerlicher her-
gehen. Wie es Schiller's Taucher zu Muthe gewefen,
ift mir jest klar, obſchon ih in vollkommner Nacht
lebe. Wenn ich nur nicht blind werde, falls mit je
noch das Glück wird, in's freundliche Leben, auf bie
ſchöne, Lichte, warme, wonnige Erde zurüd zu ehren.
Ruhe, was rafchelte da wieder. Die vier, fünf-,
feh8- und taufenpbeinigen Ureinwohner dieſer Gruft
mögen allerdings über meine Höllenfahrt Augen ma='
hen. Eine ſolche Erſcheinung ift ihnen feit ven Rö—
merzeiten nicht geworben. Ihre fpätefte Nachkommen⸗
Ihaft wird fih noch mit gefpisten Ohren davon er-
zählen. Aber Hans, alle Wetter, wo bleibt er? Ich
bin ja noch nicht tobt, daß man fich nicht mehr um
mich befümmert.”
Wertheim rief ihm von außen Muth und Aus—
dauer zu. Nur ein paar Minuten follte er fich ge«
dulden, und e8 würde Rettung kommen.
„O das war die Stimme eined Engel,” tünte
es als Antwort aus dem Thurme, „eines Engels, der
im warmen Sonnenfcheine wandelt und mein edler
Gaſtfreund ift.
„Mitten durch's Heulen und Klappern der Hölle,
Dur den grimmigen, teufliichen Hohn,
Erkannt' ich den ſüßen, den Liebenden Ton.
„3a, ich ſagt's immer, der Ton der menſchlichen
Stimme hat etwas wunderbar Erfreuendes, hauptſäch⸗
lich für Staubgeborne, die ſich in meiner dermaligen
Lage befinden.”
Nach einer Paufe rief e8 wieder:
„O braver Mann, braver Mann zeige Did),
Schon naht das Berberben fih fürchterlich.
74
„Das Otterngezücht wird immer revolutionairer.
Wo dränge ſich heutzutage die Revolution nicht ein,
ſelbſt dahin, wo keine Sonne ſcheint. Aber noch bin
ich hier der gewaltige Napoleon und halte die ganze
raſchelnde und ziſchende Unterwelt in Schach.“
Dem Johannes war es jetzt gelungen, die Thurm⸗
mauer emporzuklimmen und die Strickleiter nach ſich
zu ziehen. Er ſtand oben und rief in die Tiefe:
„Muth, ver Retter naht, aufgepaßt, ich laſſe bie
Himmelsleiter hinab.”
Er fenfte fie in den Schlund; das eine Ende
biieb aber am Gefträud hängen und gelangte nicht
bi8 zu Eginhard. Diefer tappte in der Finſterniß
vergeben? nad dem Xettungsfeile umher. Johannes
war nun genöthigt, die Leiter wieder heraufzuziehen,
Er ſ ah kein ander Mittel, ſie für den Freund erreich⸗
bar zu machen, ald wenn er einen Stein an das un⸗
tere Ende befeftigte. Died verurfachte wieder Aufent-
halt. Eginhard wollte verzweifeln. Es warb ihm,
bei feiner erregbaren Phantafie immer gewiller, daß
die Thurmgruft zu feiner Todtengruft werden würde.
Er jammerte:
„So muß id denn verlaffen fterben,
‚ Hier unter Schlangenbrut verderben.‘ r
Sohannes und Wertheim tröfteten aus Leibes—
kräften. Der Letztere ſchickte bereits nach Arbeitern,
um ein paar Quadern aus der Thurmmauer heraus
bauen zu laſſen, falls die Verſuche mit der Stridlei=
ter nicht gelingen ſollten.
Johannes ſenkte jet die mit einem tüchtigen
Steine befchwerten Rettungsſtricke abermals in die
Tiefe. Voran ſpazierte eine Laterne. Die Geſträuche
leiſteten jetzt keinen Widerſtand mehr. So ſchwebte
die Rettungsmaſchine immer tiefer.
12
Als Eginhard den Rettungsftern berabfchweben
fah, befam er wieder Muth. °
„Se, mir willfommen, ſtrahlendes Geftirn der
Dberwelt,” rief er; und ertunpigte fi zugleich, ob bie
Stridleiter gehörig befeftigt fei ?
„Unbeſorgt,“ antwortete Johannes, „ſpute Did
nur, daß wir Dich bald im Lichte haben.“
Bei dem Thurmbewohner bedurfte es dieſer Auf-
forderung nicht. So wie er den Stein erreichte, zog
er ihn vollends herab und band ihn von der Leiter los.
„Eigentlich ſollt' ich jetzt,“ ſprach er, „noch einige
antiquariſche, hiſtoriſche Unterſuchungen anſtellen über
das Inuere dieſes räthſelhaften Thurms, damit ich
wenigſtens für die Wiſſenſchaft nicht vergebens hier
unten campirt habe. Im, Betracht der Nova Zembla⸗
Atmoſphäre aber will ich mir dieſe Forſchung für ein
andres Mal vorbehalten.“
Er leuchtete mit der Laterne ein klein Wenig
umher und war eben im Begriff, an der Strickleiter
emporzuklimmen, als er das Heft eines alten Schwer⸗
tes entdeckte, das aus den Steintrümmern hervorragte.
„Heureka,“ rief er, „und ſollt' ich das Sonnen—
licht mein Lebtag nicht wieder ſehen, dieſen außer⸗
ordentlichen Fund kann ich nicht zurücklaſſen.“ Er zog
und zerrte ſo lange, bis er die Waffe glücklich erobert
hatte. Mit dieſem für ihn unſchätzbaren Funde trat
er ſeine Himmelfahrt an und gelangte nach einigen
Beſchwerlichkeite mit ſammt dem Schwerte glücklich
auf die obere Thurmmauer, wo ihn Johannes lachend
bewillkommte und Wertheim ihn ein freudiges „Glück
auf!“ zurief.
„Jetzt wirſt Du mir endlich zugeſtehen,“ ſprach
er, vor Froſte ſich ſchüttelnd, „daß ſolch' ein außeror⸗
7” Abenteuer, wie ich beſtanden habe, nicht
13
alle Tage vorkommt. Du wirft zugeitehen, daß Cou-
. rage dazu gehört, ſich lebendigen Leibes, in der Blüthe
der Jahre in ein Schlangengrab zu betten. Aber,
fügte er triumphirend hinzu, „Muth belohnt fi, fieh
die8 Schwert und ſchweige. Ein folder Fund ges
ſchieht nicht alle Tage. Ich fühlte wohl, als ich in
der Finſterniß ſaß, daß ich auf einer untergegangenen
Heldenwelt herumtrat. Das Schwert ift Beweis, daß
e8 vor Jahrhunderten furchtbar hier zugegangen if.
Ich fchreibe ein Programm über diefen Flamberg, das
ſich gewafchen haben fol. O ihr Götter, welch ein
Fund, unter dreiunddreißig Meillionen Deutfchen war
- id der Auserwählte, der ihn aus Nacht und Trüm-
mern zu Tage fördern und die Alterthumskunde be=
reichern follte.” Während Johannes die Stridleiter
wieder heraufzog, überlegte Eginhard, wie er fein
Schwert glücklich auf die Erde bringen fünnte,
„Du'wirfſt e8 hinab,” ſprach Johannes, „es wird
nicht zerfpringen.“
„Du fprichft, wie Du es verftehft,” zankte Egin-
hard, welchen es nicht wenig ärgerte, daß der Freund
jeine Antiquität fo en bagatelle behandelte. Ich be-
darf nothwendiger Weife eines guten Seils, um die
Waffe wohlbehalten niederzulajien. Zwiſchen die Zähne
kann ich's nicht "nehmen, wie Horatius Cocles.‘
„Johannes entgegnete: „Was ift hier für Beden—
fen, wir merfen die Stridleiter nady außen. Der da
zuerſt hinabiteigt, nimmt's mit.‘
Diefen Vorſchlag lieg fih Eginhard gefallen, und
da er beifer zu klettern verftand, als Johannes, fo
übergab er die verroftete Reliquie deinfelben; band
fie ihm mit väterlicher Sorgfalt auf die Seele, damit
fie feinen Schaden erleibe.
Endlich waren die zwei Mufenfühne zur großen
74
Freude Wertheim's auf ebener Erde angelangt. Egin—
hard ward von dem Alten mit Lobeserhebungen ob
ſeines Muthes überhäuft, welche er ſich auch gern ge—
fallen ließ.
Hatte dieſer, als er noch im Thurme ſteckte, über
das Furchtbare ſeines Aufenthaltes ſich in ſeiner ge—
wohnten Uebertreibung gefallen, ſo trieb er es jetzt,
wo keine Gefahr mehr vorhanden, womöglich noch
ſchlimmer. Er beſchrieb ausführlich die verſchiedenen
Gattungen der Schlangen und der übrigen Ungethüme,
die ſämmtlich nach ſeinem Blute gelechzt hätten.
Ahmte ihr verſchiedenartiges Geziſch und Gepfeife
nad, daß Wertheim und Johannes ſich oft des lau—
ten Lachens nicht enthalten, und dem Erzähler wegen
feiner drolligen Manier nicht bös werben fonnten,
wenn er auch zuweilen beveutend fabelhaft erzählte.
Das Spaßhaftefte an der Sache war, daß Eginhard
an alles das Unerhörte, was er erlebt haben wollte,
auch wirklich glaubte und feit überzeugt davon war.
Das aufgefundene Schwert, ein Lichtblid feines Le—
bens, wie er e8 nannte, gab ihm Stoff, die übertrie-
benfte Hypotheſe aufzuftellen. Im Anfange jollte es
ein: Frankenſchwert fein und da Buchenfels innerhalb
des alten Sachſens lag, mußte es nothwendigerweife
aus den Zeiten Karl's des Großen herrühren; ja ber
Alterthümler wollte fogar einige untrüglide Merk—
male daran wahrnehmen, welde ihm nicht undeutlich
anzeigten, Daß es jenem großen Kaifer wohl felbft
angehört haben könnte.
Unter folchen antiquarifhen rörterungen kehrte
man zum: Schloßgarten zurüd, wo die Fürſorge der
ſchönen gaftfreundliden Damen unter der großen
Linde ein höchſt appetitliches Frühſtück bereitet hatten.
Lieblich glänzten die banken Weingläfer im Morgen-
75
lichte. Pauline bewillfommte die Anfommenden und
Eginhard Hatte nichts Eiligeres zu thun, als feine
Thurmfghrt in Erinnerung zu bringen. Er ſchloß
feine groteske Schilderung mit den Worten, daß von
ſolch einer außerordentlichen Romantik ſelten ein
Sterblicher eine Ahnung habe.
„Was verſtehen Sie den eigentlich unter Ro⸗
mantik,“ fragte treuherzig Pauline, „Sie gebrauchen
dieſen Ausbru für ſo verſchiedenartige Situationen,
daß ich mir ſchon den Kopf zerbrochen habe über die
eigentliche Bedeutung dieſes Wortes?“
„Allerdings, ſchönes Fräulein,” belehrte Egin-
hard, „ſind der Zuſtände ſehr viele, die wir mit der
Benennung Romantik bezeichnen. Wandeln wir durch
ein lachendes Thal, das ein klarer Bach durchrieſelt,
Vergißmeinnicht und blaue Schlüſſelblumen bekränzen
ſein Ufer und munteres Laub ſpiegelt ſich in den
Silberwellen, während rings auf blumenreichen Hü—
geln und grünen Wieſen der Horizont herabſinkt, ſo
rufen wir einmal über das andere: „Gott wie ro⸗—
mantifh!” Wird die Gegend ernfter, treten an bie
. Stelle des freundlihen Laubholzes finitere Tannen⸗
wälder, wachſen Felſen empor, wild und waldumnach—
tet, erftirbt der Blumen Schmelz, der Wiefen fanftes
Grün, beginnt der Waldbach zu rauchen, verftummt
ber Vögel Geſang, und zieht nur ein einfamer Raub-
vogel in den hohen Wolfen feinen |pionirenden Kreis —
„Huh!“ rufen wir, „wie tief romantih!”" — & -
it. Spätherbit Abend, einfame Nebel fchleichen über
erftorbene Gefilde, der verfpätete Wanderer legt einen
ſchnellern Schritt ein, vor völliger Nacht vie befreun-
bete Heimath zu erreihen; der Abendwind weht das
legte Laub von entblätterten Aeften, und Alles wird
nebelhafter, ungewiffer, dunkler, unheimlicher, — auch
16
für dieſen Zuſtand wifjen wir bald eine Bezeichnung
und nemen ihn — „romantiſch.“ — Glänzt der
Bolmond in der Sommernadht, hält die Natur den
Odem an, nur in der Silberpappel flüftert wie Ge—
fpenfter der leife Nachtwind, und fern im Parfe tönt
der Springbrunnen in einförmigem Rauſchen, bie
eilfte Stunde klingt von der Dorffiche, in beren
Fenſtern ſich der Vollmond ſpiegelt — ad), ſeufzen
wir ſchwärmeriſch, wie — „romantiſch!“ — Die
moosumhüllten, epheuumſponnenen Burgtrümmer ruhen
im Abendroth, melancholiſch zirpt ein Heimchen in
dem todten Geſtein, unter dem Berge aber treibt der
Hirt die friedliche Heerde unter frommem Abendliede
nach den wohlverwahrten Ställen, melodiſch lautet
dazu die Abendglocke — auch dies nennen wir wieder
— „romantiſch.“ — Dumpf bricht ſich das dun-
kelgrüne Meer an Schottlands Telfenfüfte, geheimniß-
voll rauſchen die Wogen, ein Fiſcher figt am Ufer,
ber ſich fingend Nee windet, die Nacht bricht herein,
bie Lichte des weit in die See hinausgebauten Leucht-
thurms werden angezündet, in ver nahen Fiſcher—
hütte Eniftert auf dem Herde die Iuftige Flamme, ein
ſüßes Kind, mit holdſeligem Antlig (Eginhard machte
bier eine artige Verbeugung gegen Paulinen, wofür
er aber von ihr ein bitterböfes Geſicht befam) fett
beforgt das Waffer über vie Gluth zum erwärmenden
Thee für den Vater, der noch heute Abend von ber
See zurüd erwartet wird, auch dies Bild nennen wir
— „romantiſch.“ — Ein tief goldener Himmel
wölbt fi) über Orangenhaine, über eine üppige fiid-
liche Vegetation. In der Ferne glänzt der Spiegel
bes Meeres. Am wildverwacfenen Pfade erhebt ſich
ein einfam Madonnenbild. Ringsumher aber lagern
zexlumpte, ſchwarzbraune Gefellen, mit markirten Ge-
77
ſichtern und mord- und beuteluſtigen Blicken, es ſind
Räuber aus den Abruzzen, aber Gegend und Räuber
— „tief romantiſch.“ — Leiſer ſchmelzender Gui—
tarrenton tönt aus einem Garten am Quadalquivir,
wo die Granatbäume blühen und rothe Mandeln,
und fehnfüchtig erklingt die Romanze zum fpanifchen
tieftatholifchen Himmel, abermald — „romantiſch.“
Es follte mir nicht ſchwer werden, noch eine große
Anzahl Bilder anzureuten, die an fib ganz verfcie:
den, und gleihwehl zu dem Ausrufe „wie romantiſch“
zwingen, und wir jehen Daraus, wie umfaſſend dieſes
Wort feiner Bedeutung nad), und wie fchwierig daſ⸗
jelbe erſchöpfend zu definiren ft. Wenn nennt man
eine Gegend romantiſch? Wenn fie recht „lie blich“
eriheint? Weniger. Cine fruchtbare Ebene? Noch
weniger. Schöne blühende Gärten? Noch weniger.
Wogende Kornfelter, otlpenbe Kirih- Alleen? Auch
nicht. Run, zum Guckuk, wo ftedt vie Romantik?
Eine Gegend nennt man vomantifh, wenn ihr Bild
eine poetifhe Anſchauung zurüdläßt, wenn eine poe—
tiſche Idee aus demſelben zu und fpricht, wenn wir
duch die Anſchauung überhaupt in poetiſche Stim—
mung verjegt werden. Ueberjegen läßt fib das Wort
„romantiſch“ nicht, weder durch anmuthig, veizend,
lieblich, prachtvoll, noch dergleihen. Nur ein Wort
giebt es, das man allenfall® für romantijch ge:
brauden fönnte, obſchon es bei weitem nicht er:
Ihöpfend if, — das iſt das Wort „maleriih.” Cine
romantische Gegend, mag fie nun anmuthig, lieblich,
veizend, oder nicht fein, maleriſch iſt fie ftets, und
malerifhe Gegenden find in der Regel — ro—
mantiſch.“
Pauline, die ſehr aufmerkſam zugehört hatte, fragte
jetzt, als Eginhard mit ſeiner Vorleſung zu Ende war:
78
„Sie nannten vorhin Ihr Eingefperrtfein im Thurme
auch romantiſch; das war dod nicht malgrifch?“
„Allerdings,“ geftand der Gefragte ein, „ic für
meine Perfon gehe freier zu Werke und nenne aud)
Zuftände romantifh, die es ftreng genommen nicht
find. Sie haben recht, meine Situation im Thurm .
überftieg faft die Romantit, fie war grotesf, Diefer
Ausdruck iſt bezeichnender.
„O Königin,“ fuhr er nach einer Pauſe fort, als
ihm Pauline feinen Römer wieder gefüllt hatte, „das
Leben ift doch ſchön, zumal wenn man unmittelbar
vorher in offenbarer Todesgefahr gefchwebt hat und
jet beim vollen Pokale fitt, credenzt von einer rei-
zenden Ganymeda, rings von Blumen umblüht, in
Ihönfter Morgenbeleuhtung. Herr Wertheim, kennen
Sie das neue Weinlied, gedichtet von Kopiſch, in
Muſik geſetzt von Reißiger ?“
Als der Gefragte verneinte, rief Eginhard: „Wie?
Das herrliche Lied kennen Sie nicht? Und Sie auch
nicht, ſüßes Kind?“
Paulme ſchüttelte das Lockenköpfchen.
„Wirklich nicht? Nun da muß ich's ſingen.“
Und im ſchönen ſonoren Bariton begann er:
„Als Noah aus dem Kaſten war,
Da trat zu ihm der Herre dar,
Der roch des Noä Opfer fein
Und ſprach: Ich will dir gnädig ſein,
Drum weil du ſo ein treues Haus,
So bitt' dir ſelbſt die Gnade aus.
„Da ſprach der Noah: Lieber Herr,
Das Waſſer ſchmeckt mir gar nit ſehr,
Dieweil darin erſäufet ſind
All ſündhaft Vieh und Menſchenkind;
Drum möcht' ich armer, alter Mann
Ein anderweit Getränke ha'n.
79
„Da griff der Herr in's Paradies
Und gab ihm einen Weinftod ſüß,
Und ſprach: Den follft du pflegen jehr!
Und gab ihm guten Rath und Lehr’,
Und wies ibm Alles fo und jo;
Der Noah warb ohn' Maßen froh.
„Und rief zufammen Weib und Kind,
Dazu fein ganzes Haudgefind;
langt Weinberg rings um fich herum,
er Noah war fürwahr nit dumm,
Baut Keller dann und preßt den Wein,
Und füllt ihm gar in Fäffer ein.
„Der Noah war ein frommer Dann,
Stach ein Faß nach dem andern an,
Und trank e8 aus zu Gottes Chr;
Das macht ihm eben fein Beſchwer;
Und tranf, nachdem die Sündfluth war,
Dreibundert noch und fünfzig Jahr.”
Eginhard that Hierbei einen tüchtigen Schlud.
Pauline Elatfchte die Händchen zufammen und rief ein=
mal über das andere: „Allerliebft! Allerliebſt!“ Für
Wertheim .aber mar das Lied nicht mit. Golve zu be=
zahlen. Er verjette fi) ganz in die behagliche Lage
feines Urahns und wiederholte fingend brummend:
„Dreihundert noch und fünfzig Jahr!‘
Es lag in diefen Worten für Wertheim, der fick
gern nody manches Yährchen der ſchönen Erbe zu freuen
und mandes Fläſchchen auszuftechen wünfchte, etwas
fehr Beruhigendes.
„Paul,“ entſchied er daher ſogleich, „dieſes Lied
aller Lieder ſchreibſt Du mir auf. Das lern' id aus—
wendig, partout, wie ſchlecht es mit meinem Gedächt—
niſſe auch ſteht.“
8b bin noch nicht zu Ende,” fuhr Eginhard
fort; „nun kommt erſt die gute Lehre.“ Er ſchenkte
80
fi) fein Glas wieder voll, hob es mit behutjamen
Bliden empor und fang: —
„Sin Hunger Mann bieraus erficht,
Taf Weingenuß ihm jchabet nicht;
Und item, daß ein guter Chrift
In Wein niemalen Waſſer gießt,
Dieweil darin erſäufet ſind
All ſündhaft Vieh und Menſchenkind.“
Von nun an hörte man den alten Wertheim faſt
den ganzen Tag halb laut vor ſich hinſingen:
„Dieweil darin erſäufet ſind
All ſündhaft Vieh und Menſchenkind.“
Und Eginhard mußte ihm oft die einzelnen Verſe
wiederholen, damit er fie dem Gedächtniſſe einpräge.
II.
Die beiden Nachbarn Wertheim's, Bodo und Al—
bert, waren wohlbehalten angelangt auf Buchenfels,
und wie feindſelig ihnen Eginhard Anfangs geſinnt
war, hatte er ſich doch bald dermaßen mit ihnen aus⸗
geſöhnt, daß ſie die herzlichſte Freundſchaft ſchloſſen.
Das große Souper, welches Wertheim den Mu—
ſenſöhnen zu Ehren beſchloſſen hatte, war nach dem
eigenen Willen der letztern bis auf die Ankunft der
beiden Ritter verſchoben worden.
Mau war ſo eben vou einer Landparthie heimge—
kehrt, der Abend war ſchon hereingebrochen und in
dem großen Saale ſtand die Abendtafel geſchmackvoll
gedeckt. Alle befanden ſich in der fröhlichſten Laune;
Eginhard hatte wieder zu hunderterlei Scherzen Ver—
anlaſſung gegeben. Seine Thurmfahrt bot noch Stoff
zu den mannigfachſten Neckereien. Er gerieth jedes⸗
$1: ‚
mal in Harniſch, wenn man ſeinen außerordentlichen
Abenteuern, die er in ſeiner Gefangenſchaft erlebt
haben wollte, nicht unbebingten Glauben und Bewun⸗
derung ſchentte, oder die Sache überhaupt nicht grotesk
und romantifch genug fand. |
Wertheim trieb zur Tafel. Eginhard kam wieder
neben PBaulinen, feinen Lieblinge zu fiten. Es war
eine herrliche Frühlingsnacht, der Abenpftern war fo
eben Hinter blühenden Bergen untergegangen; alle:
Fenſter ſtanden offen und die balfamifhe Nachtluft
wehte herein. Die Gläſer Hangen an ver Tafelrımde.
Man ftieß an, auf den gaftfreumplichen Wirth und
feine trefflihe Gattin, auf ven Couſin Johannes, . die
benadybarten Säfte; Eginhard wußte für Alle aller-
liebſte vwerfivicirte Toaſte; er war unerjchöpflih, und’
die Heiterkeit nahm immermehr überhand. Da Flingte
Albert an fein Glas, zum ‚Zeichen, daß er un Gehör
bitte. Alles ſchwieg il, bis auf Eginhard; der eben
Paulinen, die dem Napoleon nicht vergeben Tonnte,
daß er in das garftige Rußland Hinausgezogen, hifto=
riſch und politifch bewies, wie dem Kaifer nichts An—⸗
deres Übirg geblieben je. Er wäre nicht Napoleon
gewejen, hätte er dieſen Zug in dad, Eisland, bie
"größte Epopee der Weltgefhichte, nicht unternommen.
Blos die Philifter, die Nichts verftänden, machten
ihm einen Fehler daraus.
„Ruhe!“ commandirte Iohannes,. der Eginhard
gegenüber ſaß und deutete auf Albert. Der Napo-
leonift war aber dermaßen von feinem Oegenftande
ergriffen, daß er noch immer leife vor fid) hin Dispu-
tirte und auf die Worte des Sprecherd nicht fonder=
lich achtet. Dieſe lauteten aber alfo:
„Ich ſehe mid) genöthigt, zu meiner und meines.
Freundes Schande zu geftehen, daß uns beide nächſt
Stolle, fämmtl. Schriften. XVI. 6
82
dem Verlangen, unſern hochverehrten Wirth und bie
lieben Seinen in ihrer Beſitzung zu begrüßen, nod
ein andrer, allerdings nur egoiftiicher Grund nach dem
Buchenfel getrieben bat. Unfer langjähriger Wunſch
ift nämlich ‚erfüllt worven, ver Wunſch, dieſe Hallen
einmal betreten zu bürfen, woran bei Lebzeiten des
menſchenfeindlichen vorigen Beſitzers nicht zu denken
war. Und deshalb hoffen wir auch enplich über bie
wunderbare Sage Aufſchluß zu erhalten, über jene
jeltjame geifterartige Erſcheinung, die in diefen Mauern
umgehen ſoll, über .vie berühmte wunderſchöne Roſe
von. Segovia.”
Eginhard, ver fo eben eine. gewiertheilte Cotellete
mit der Gabel angefpießt hatte und zum Munde füh-
ren wollte, ließ jie bei dieſer außerorbentlichen Nach⸗
richt unberührt auf ven Teller zurüdfallen, und ver .
Mund, den er zur Empfangnahme bereits geöffnet
hatte, blieb ob ſolcher übernatürlihen Romantik gera-
bezu offen ftehen. Ex felbit ſaß ftarr und fteif da.
Auch auf die übrige Gefellihaft, mit Ausnahme
Wertheim’8 und des anmefenven Paftors, hatten Al-
bert's Worte. großen Eindruck gemacht. Alle ſaßen ſtill
da in großer Erwartung.
Da erhob ſich Wertheim:
„Sie haben da, verehrter Freund,“ begann er,
„ein Capitel zur Sprache gebracht, das ich den Mei⸗
nigen aus feinem andern Grunde zeither verſchwiegen
habe, als um die ohnedies furchtſamen Gemüther nicht
noch mehr in Schrecken zu ſetzen. Da es indeß kein
Geheimniß mehr iſt, ſo will ich auch nicht länger hinter
dem Berge halten und reinen Wein einſchenken, we⸗
nigſtens ſo viel ich von der Sache weiß. Allerdings
geht eine Sage von Buchenfels, daß in ſeinen Mauern
von Zeit zu Zeit ſich ein ſchönes geifterartiges Grauen:
— 83
bild blicken laſſe, welches man allgemein mit dem Na-
men der Rofe von Segovia belegt.“
„Ben Segovid “ fragte Johannes, „alfo aus
Spanien?"
„Allerdings, erzählte Wertheim weiter, „ver Ahn-
herr dieſes Schloffes, ein Abenteurer, ver Ferdinand
dem Katholifhen gegen die Mauren zu Hülfe zog, fol
ſich das jchöne gefangene Maurenfind vom fpanifchen
König als einzigen Lohn für geleiftete Dienfte erbeten,
e8 mit nach Deutichland und zwar hierher auf ven
Buchenfel® gebracht haben. Aber des Norvens falter,
trauriger Himmel habe die jchöne Tochter des Südens
nie wieder lächeln ſehen. Unendliche Sehnfucht habe
fie erfaßt nad ihrer Heimath, nad) ihren Lieben und
den Gejpielinnen ihrer Jugend. Da wäre enblidy ihr
Herr und Gebieter über diefe fortwährenne Wehmuth,
und weil fie ihm feine aufgeprungene Liebe nicht habe
erwiedern können, 688 und zornig geworben und habe
fie gequält mit allerhand Martern, denn das arme
Mädchen war jeine Sclavin. Dieſe aber war folder
Behandlung nicht gewöhnt, denn fie war in Segovia
die Tochter eines Königs und ihre zarter Fuß hatte
nur auf perfiihen Teppichen geruht, und ihre Heine
Hand hatte nur zu winfen gebraudyt, und eine Anzahl
Dienerinnen waren bereit geweien, ihre Befehle in
Ausführung zu bringen. Lett follte fie auf Buchen—
fels die Dienfte einer niedern Dienerin verrichten,
denn Herr Ruppert, jo hieß der Ahnherr, Hatte zu
ihr geſagt; „wenn Du nicht mein Licbchen fein willit,
jo fei meine Magd.“ Da ift aber das arme Mädchen
von Tag zu Tag ſichtbar bläſſer geworden, und die im
ganzen Maurenreiche gefeierte Roſe von Segovia
bat ſich alsbald kaum mehr ähnlich geſehen. Ruppert,
nachdem auch ſeine barbariſche Härte ihm „its ge=
Gr
84 .
holfen, ift noch aufgebradhter geworden und hat das
arme Kind enplih gar in ven Thurm werfen laffen,
wo fie elendiglich umgekommen fein fol.“ |
„Was, in den Thurm?“ rief Eginhard in höd:
fter Extafe, „da hab' ich ja auch geftedt; da mußte
das himmlische Kind umfommen, das ift gewiß; fie
ift unftreitig von den dafelbft befinplihen Schlangen
getöbtet worden.“
Mit welcher gefpannten Aufmerkſamkeit man auch
der interefianten Erzählung Wertheim's zugehört hatte,
jo brachte Eginhard's leidenſchaftliche Unterbrechung
doch unwillkürliches Lachen hervor. Mean bebadhte,
welche außerordentliche Senſation der Gedanke in den
Enthuſiaſten hervorbringen müſſe, mit einer jo hoch⸗
romantiſchen Perſon, wie die von ganz Spanien wegen
ihrer Schönheit gefeierten Roje von Segovia in ein
und demſelben Thurme geftedt zu haben. Ä
Wertheim ftellte e8 in Zweifel, ob das Mädchen
in den Thurm, wo Eginharb eingefahren, umgekom⸗
men fei. Es wäre viel wahrfcheinlicher, daß fie Rup⸗
pert in das eigentliche, jet ganz verfallene Burgver-
lies habe fperren laſſen. Eginhard aber wollte das
um feinen Preis zugejtehen und ſchwur hoch und theuer,
morgen mit erftem Tageslichte, e8 koſte was es wolle,
und felbft auf die Gefahr hin, von den Schlangen
gefreffen zu werden, nochmals hinabzufahren und nähere
Nachforſchungen über die Roje von Segovia anzuftellen.
Wertheim fuhr in feiner Erzählung fort:
„Seit dem Tode des Mädchens geht aber ‚vie Sage,
daß es in diefen Mauern des Nachts als Gejpenft um=
bergehe, und die fie gefehen zu haben vorgeben, ver-
fihern, daß ihr Geift in verfelben Schönheit und Ju
genpfülle erjcheine, wegen welcher das Mäbchen von
ihren maurifchen Zeitgenofjen jo bewundert worden.
85
Zuweilen fingt fie maurifche Lieder, voller fehrifüchti-
ger Wehmuth nad den Granat- und Manvelbäumen
Segovia’8 und nah ben golonen Wellen des Gua—
dalquivir. Dean erzählt von Beifpielen, wo herzhafte
Leute fih ihr genaht und fie angerebet haben. Da
fol fie jeden einen goldnen Apfel voll bezaubernden
Duftes geſchenkt haben. Die Empfänger, die ſich nicht
enthalten konnten, dieſen Apfel: aufzufpeifen, ſ ollen
bald geftorben fein.“
„Natürlich,“ fiel Eginhard ganz ernfthaft ein,
„ſolche Geifterfrüchte können Sterblichen unmöglich
gut bekommen; aber möcht' es werden wie es wollte,
wenn ich ſo einen Apfel von dem himmlifch-ſchonen
Kinde erhalten könnte, ich wäre außer mir vor Ent—
zücken. Solche außerordentliche Romantik wiederfährt
nicht jedem Sterblichen. Wenn ich nur wenigſtens an
einem Sonntage geboren wäre, hätte ich eher Hoff-
nung mit diefer Roſe von Segovia in Connerion zu
treten. Sonntagsfinder haben in dieſer Hinficht etwas
voraus. So aber bin ic verwahrloft, ein blinder
Heffe, und muß in meiner verbumpften Thierheit auf
alle romantifhe Clairvoyance verzichten. Es iſt zum
Verzweifeln.“
„Wer wird ſo abergläubig ſein,“ ſtrafte Pauline.
„Abergläubig!“ verſetzte Eginhard, „Sie ſind
wohl ein Freigeiſt, mein Paulinchen, der alles Ueber—
irdiſche hinwegleugnen will; nein, meine Theuerſte,
da haben andre Leute daran geglaubt als meine We—
nigfeit; die größten Genies der Weltgefehichte, Julius
Cäfar, Napoleon nicht ausgenommen. rfterer war
nur zuletzt mit Blindheit gefchlagen. Die Idus des
Märzes find befannt, und hätte er den verhängniß-
vollen Traun ver Calpurnia nur einigermaßen beher⸗
86
zigt, würbe er nicht nöthig gehabt haben, jich brei-
undzwanzig Löcher in den Leib ftoßen zu laſſen.“
Jetzt ergriff auch der rationale Paſtor das Wort
und zog gegen Eginhard zu Felde. Diefer ließ fich
indeß nicht fogleich fchlagen, und citirte eine folche
Menge Thatfachen, die für ihn fprachen, daß man ob
‚ feiner Belefenheit in diefem Gebiete erftaunen mußte.
Endlich fragte ihn Marie, ob er wirklich glaube, daß
die Roſe von Segovia jegt noch umher wandle?
„Warum nicht?“ erwiederte der Gefragte, „die
Chroniken find an Beiſpielen von ſolchen Burggeiſtern
nicht arm. Wenigſtens wünſchte ich von Herzen, das
ſchöne Kind zu ſprechen.“
„Eſſen Sie nur keinen Apfel von ihr, warnte
Pauline.
Wertheim, der jetzt fürchtete, daß von Eginhard' 8
Geifterglauben auch die Mädchen zu ſehr angeftedt
werben Könnten, erklärte, daß er die Sage von der
Roſe von Segovia gewiß nicht fo ausführlid) mitge-
theilt haben würde, wenn er nicht feft überzeugt wäre,
dag man darin ein .hübfches poetifches Ammenmähr= .
chen erkenne.
Eginhard hielt ſich von ber Unentbehelichteit eines
ſolchen intereffanten Geiftes für ein altes Schloß be-
reits fo überzeugt, daß er Wertheim auf drollige Art
Borwürfe machte, wie er den Sprud fo dürr proſaiſch
für ein Ammenmährchen erklären könne.
„Ihr Schloß ift, inchufive ver Roſe von Segovia,“
behauptete er, „unter Brüdern einige Taufend Thaler
mehr werth. Cine foldhe interefjante geifterhafte Ac—
quifition macht nicht ein jedes. Ich ließe mir's ge-
fallen, wenn die Erſcheinung in einem unanfehnlichen
Zwerge oder einer bejahrten Ahnfrau beftänve, ſolch
Volk findet man aller Orten, aber fo ein wunderſchö⸗
_
87
ned Königskind aus den Königshallen ver Alhambra
ift mit allen Schägen der Welt nicht zu bezahlen.‘
Er kam auf die alte maurifche Herrlichkeit zu ſprechen.
„Bir Brofailer und Eifenbahnactionäre des neunzehnten
Jahrhunderts,“ ſprach er, „haben gar feine Ahnung
von jener untergegangenen Pracht und Herrlichkeit. Da
hab’ ih vor Kurzem in einem englifchen Tafchenbuche
Anfichten von der Alhambra gefehen. Wer da nicht
in Feuer und Flammen geräth, muß am Aichermitt- .
woch geboren fein. Gegen viefe Königeburg ift Alles
nichts, was erhabene Baukunſt je hervorgebracht hat.
Lange Jahre noch nad) dem Untergange des Mauren-
reihe, ald die Inguifition in Grenada ſchon nad
Herzensluft maffacrixte, konnten die getauften Mauren
der alten Herrlichkeit nicht vergeflen, ſobald die pracht-
vollen Zinnen ver Alhambra im Golde der Abenb-
fonne leuchteten. Johannes felbft hat die Sache gar
Fr übel befungen. Hans, wie heißt glei ‘Dein
ied ?“
„Die unbeveutenden Berje find ver Rede nicht
werth, bemerkte dieſer.
Eginhard verband ſich aber mit Paulinen und Ma-
rien, jo daß Johannes nach langem Wiperftreben nicht
umbin fonnte, fein Pied vorzutragen. Es lautete:
„In den Straßen von Grenada
Wird es ftill und fommernädtig,
Und zur Abend = Hora jchreitet
Dort der graue Mönch bedächtig;
Der Morisco fieht ihn nicht —
Alhambra glänzt im Abenplicht.
„Und der Priefter Flucht gewaltig
Und verwünſcht die Heidenlehren,
Und er ſucht zum reinen Glauben
Die Verſtockten zu belehren;
Der Morisco hört ihn nicht —
Alhambra glänzt im Abendlicht.
58
„Rauſchend fällt ver Silberftrahl
Sn das Marmorbeden nieder,
Und an der geweihten Duelle
Kniet ner Maurenknabe nieder; .
Chriſtenwaſſer fühlt ihn nicht —
Alhambra glänzt im Abendlicht.
„Duftend läßt der Mandelbaum
Rothe Blüthen nieberfallen,
Und aus tiefem Thalesgrunde
Todeswürd'ge Lieder jchallen;
-Aus dem Aug’ die Thräne bricht —
Alhambra flammt im Abendlicht.“
Eginhard erhob ſein goldgefülltes Glas:
„Alhambra flammt im Abendlicht! Du ſollſt leben,
Johannes!“ Alle Gläſer klangen aneinander.
„Wer übrigens einen wahren Begriff,” fuhr Egin-
hard fort, „von jener untergegangenen Poeſie haben
will, der muß die ſpaniſch-mauriſchen Romanzen von
Heine: leſen: U
„In dem Dome von Cordova
Stehen dreizehnhundert Säulen,
Dreizehnhundert Rieſenſäulen
Tragen die gewalt'ge Kuppel.
Man bedenke, dreizehnhundert Säulen in einem ein-
zigen Dome! Und die Hauptfache, aus jenen hoch—
poetifhen Zeiten ein fchönes Königsfind hier im
Schloſſe. Der Gedanke ift zu überirdiſch. Und daß
ih dabei fein kann, der ich doch in's Gefchlecht ver
Unglüdsvögel gehöre.“
Das Geſpräch kam wieder auf die Roſe von Segovia.
„Den Gedanfen gab mir Gott ein,” fuhr Egin-
hard plöglih auf, „ver Bibliothekar, jener myſteriöſe
Mann, muß um die Sache willen. Ich glaube, das
ift aud) fo eine Art Burggeift, da er fih vor Nieman-
ven bliden läßt. Ich bin diefe Tage wie ein Narr
89
ihm zu Gefallen gelaufen; Alles vergebens. Wenn id
nur wiffen follte, wie das Geſpenſt eigentlich ausſieht?“
„Er trägt einen langen, langen aſchgrauen Rod,”
befchrieb Pauline, „der faft wie ein Kaftan bis auf
bie Knöchel herabfällt, und eine Perrüde von gleicher
Farbe.“
„Ganz recht,“ gab Eginhard zu, „das iſt der Ha⸗
bit für dergleichen unheimliches Perſonale. Iſt er lang
oder Hein?“
„Mehr Hein,” war die Antwort, „und feine Heinen
grauen, tiefliegenven Augen haben etwas Umheimli
„Run fteht er vor mir, wie er leibt und [ebt, “
ſprach Eginhard, „aber jo viel ift gewiß, daß mich fein
Menſch von Buchenfels fortbringt, bevor ich nicht die
nähere Bekanntſchaft dieſes höchſt räthjelhaften Kauzes
gemacht habe.“
„Das kann uns nur angenehm ſein,“ lachte Wert⸗
heim, „da werden wir lange uns Ihres Beſuchs zu
erfreuen haben. Ich glaube ſchwetlich, daß er, ſo lange
Gäſte im Schloſſe ſind, ſichtbar wird. Wie ich vorher
ſagte, hat er ſich ſeit der Ankunft der Muſenſöhne
augenfällig zurückgezogen.“
„Sonſt bekamen wir ihn wenigſtens alltäglich ein
paar Mal des Abends zu ſehen, ſobald die Sonne
untergegangen war,“ erzählte Marie.
„Die graue Geſtalt in Abendbeleuchtung,“ ſprach
Eginhard, „muß ſich romantiſch ausgenommen haben.’
„Und ſtets marſchirte der ſchwarze Kater neben
ihm,“ fuhr Marie fort, „der ſeinen Herrn wie ein
Schatten folgt.“
« ,„Selbft dieſe myſtiſche Beſtie hab’ ich noch nicht
geſehen,“ ärgerte ſich Eginhard, „es iſt impertinent
und zum Todtärgern.“
„Wenn aber Jemand aus der Familie dieſen felt-
90
famen Bibliothekar befuchen will,“ fragte Bodo, „kann
er doch nicht geradezu ‚den Eintritt verweigern ?
„Das allerdings nicht," ſprach Wertheim, „ic
ſelbſt bin zwei Mal bei ihm gemwejen; aber er fcheint
vergleichen Beſuche nicht zu leben, und da bie Meini-
gen fein großes Verlangen nad der Belanntfchaft des
menſchenfeindlichen Mannes tragen, fo find wir ihm
ſämmtlich nicht weiter beicäwerlich gefallen.”
„Die Wohnung des Signor Baſilico,“ bemerkte
Bodo, „ſoll hinfichtlih der feltenen antiquarifchen Alter-
thümer bie intereflantefte im ganzen Schloſſe ſein.“
„Wirklich?“ fiel Eginhard ein, „ei, verehrteſter
Herr Wertheim, da ſollte eigentlich ein ernftes Wort
von. Ihnen aus’ die Pforten dieſes eleufinifhen Tem⸗
pels öffnen. Wer weiß, melde intereffanten antiqua⸗
riſchen Schätze wir vorfänden, die außerdem für immer
unbekannt bleiben, und durch welche die Wiſſenſchaft
gewiß ſehr bereichert werben könnte.“
„Rur ungern würde id) mich hierzu entſchließen,“
entgegnete Wertheim, „ver feltfame Mann fteht am
Ende feiner Tage, fat am Grabesrande, warum ihm
feine letzten Tage noch durch unzeitige Neugier ver-
bittern ?
„Am Grabesrande?“ fragte Eginhard, „Das glaube
fonft Jemand; Leute dieſes Schlages leben in die
Millionen; der fieht uns Alle begraben, eines nad)
dem andern; bat er nicht fchon mehr DBefiker von
Buchenfeld überlebt? Und ift er nicht wie ein Fami—
lienftüd von einem auf den andern fortgeerbt? Die
älteften Leute, fie mögen zurückdenken, fo weit fie wol:
en, können ſich nicht entfinnen, ihn anders gejehen
zu haben. Und gejegt, er muß ja einmal daran, fo
getönt er gewiß aus Mifgunft und Menſchenhaß
les, was die Menſchen erfreuen und belehren könnte.
9
Das ift die Marime aller tiefer außergewöhnlichen
Berjonen.”
„Vielleicht gelingt es,” tröftete Wertheim, „ven
Alten durch Güte und Nachficht zu gewinnen und ihn
menfchenfreundlicher und gefelliger zu ftimmen.”
„Run, wenn ich feiner nur erft anfichtig werben
könnte,“ meinte Eginhard, „ich will meine ganze Ge-
Iehrfamteit, Liebenswürdigkeit, Weltweisheit und Be⸗
redtſamkeit concentriren, und einen wahrhaften Sturm
auf die alte zähe Feftung unternehmen.‘
Es ward einftimmig befchlofien, die erfte” Gelegen-
heit hierzu zu ergreifen und beftmöglichft zu benutzen.
[4
12.
AS Eginhard und Johannes nad ihrem Schlaf:
zimmer gegangen waren, konnte erfterer durchaus nicht
einjchlafen. Die Roſe von Segovia Tag ihm fort:
während im Kopf. In einer folh hochromantiſchen
Situation hatte er fih neh niemals befunten. Mit
dem Geifte eines der fchönften Märchen des unterge-
gangenen Maurenreichs unter ein und demſelben Dache
zu Iogiren, fo body hatten fich feine höchſten phanta-
ftiihen Wünfche noch nicht verftiegen. Cr überlegte
bei fih, falls ihm die Roje von Segovia erſchiene,
mit welcher poetifchen Apoſtrophe, und in welcher
Mundart er fie anreven wolle. Im Arabifchen war
er allerdings nicht zu Haufe. Indeß tröftete er fid),
daß fie während ihres Aufenthaltes in Deutichland
doch · etwas von der deutichen Sprache profitirt haben
würde, und im Altveutichen leiftete er etwas, das
war er fid) bewußt. Auch ſprach die Präafinntion für
ihn, daß ein geläuterter Geift die irdiſchen Exrpecto-
92
rationen verftehen müffe, wie der liebe Gott, zu dem
‘-- man in jeder Sprache reven Tann.
Bon dergleihen Phantafien alarmirt, warf er fid
auf feinem Lager umher, während Johannes bereits
geraume Zeit in tiefem Schlafe lag Der Mond
ſchien hell in’s Zimmer, die Nacht war jchön und
frühlingsmarm. Er hielt e8 daher für gerathener,
aufzuftehen und ein wenig zum Tenfter hinaus zu
ſchauen.
Die nächtliche Gegend lag wie am Tage. Kein
Lüftchen rührte ſich, nur vom Parke herauf tönte das
leiſe Rauſchen einer Cascade. Eginhard war ſehr
poetiſch geſtimmt. Er recitirte leiſe für ſich folgende
Verſe aus Goethe's unübertrefflichem Mondſcheinliede:
„Fülleſt wieder Buſch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Löſeſt endlich auch einmal
Meine Seele ganz.
„Breiteſt über mein Geſicht
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Ueber mein Geſchick.
„Selig, wer ſich vor der Welt
Ohne Haß verichließt,
Einen Freund am Buſen hält,
Und mit dem genießt,
„Was von Menjhen nicht gewußt
Oder nicht bedacht, i
Durch das Labyrinth der Bruft
Wandelt in ver Nacht.“
Plöglidh nahm eine wunberfeltiame Erſcheinung
bie Aufmerkſamkeit Eginhard's auf das Außerorbent-
lichfte in Anſpruch. Er rieb ſich die Augen und jah
nad) dem alten Schloſſe, rieb fie fi abermals und
ſah abermals dahin. Er faßte fi endlich beim Kopfe
93
und ſchüttelte diefen, in der Meinung, daß er träume
und nicht vecht ſähe. Es half nichts. Hoch oben auf
den Zinnen des alten Schlofjes wandelte im Mond⸗
ſchein eine weiße, geifterhafte Geftalt.
Eginhard ſprang jegt zu Johannes Bett und rüt-
telte diefen am Arme. Der Schläfer aber war nicht
zu ermuntern, brunmmte ein wenig und fchlief weiter.
Eginhard hatte feinen Augenblid zu verlieren und
jchlüpfte wieder an's Fenſter.
Das geifterhafte Weſen ſtand jetzt am äußerften
Abhange der Thurmzinne. Yu feinen Füßen gähnte
ein furchtbarer Abgrund. Einen Schritt und die Ge⸗
ftalt, wenn fie fterblih war, ftürzte zerfchmettert in
die Telfen des Schloßbergs. Eginhard's Haare flan-
den ſämmtlich kerzengerad empor. Er wagte nicht zu
athmen, noch ſich von der Stelle zu rühren. Er war
fo aufgeregt, daß allmälig vor feinen Augen Alles
zu tanzen anfing. Dennoch gewahrte er fo viel, daß
die weiße Geftalt ein Mädchen mit langen dunkeln
Loden fe. Es fchien, als blide fie wie träumend
und lächeln nad dem Monde, der in voller Rlar-
beit am Himmel ftand. Plötzlich wendete fie ſich,
und ſchwebte den fürchterlichen Abhang entlang und
verfchwand Hinter einer Thurmmauer.
Eginhard, dem der Angſtſchweiß in großen Tropfen
auf der Stine ftand, ſchöpfte jet Athem und konnte
fi) noch immer nicht überzeugen, ob er die Erſchei⸗
nung wirklich gejehen oder nur geträumt habe. Er
rüttelte abermals an Johannes und ſchlich zum Fen⸗
fter zurüd. Das geifterhafte Märchen war verichwuns
den, dafür trieb ein anderes Phänomen fein Haupt-
haar zu Berge, und feine Kinnbaden fingen zu wir-
bein an. Der alte Bibliothefar, ganz in der Tracht,
wie Pauline ihn bezeichnet, kam zu einem Yronton-
9%
fenfter herausgeftiegen, wanbelte gleichfalls auf ver
Zinne des Schloffes umber und verſchwand hinter
derſelben Mauer, wo das geifterhafte Mäpchen uns
fihtbar geworben. .
Setzt ſtürzte fich Eginhard, wie vom Fieber ge⸗
packt, abermals auf den fchlafennen Johannes un
rüttelte fo lange, bi8 dieſer völlig wach wurbe. ,
„Um's Himmelswillen,“ vaunte jener leife, mit
gepregter Stimme, „vie Rofe von Segovia, komm
ſchnell!“
„Wer?“ fragte der Erwachende, noch halb jchlaf-
trunken.
„Die Roſe von Segovia, nur ſchnell,“ drängte
Eginhard.
„Einfältiges Zeug,“ brummte Johannes mißmu⸗
thig, „haſt wieder einmal phantaſirt.“ Damit legte
er fih auf die andere Seite und ſchlief wieder ein.
Der Geifterfeher war indeß von Neuem an das
Fenſter geeilt; aber weber vie weiße Dame, noch der
Bibliothefar kamen wieder zum Vorſchein. Die Nacht
blieb ftil und mondhell wie zuvor. Degt begann es
Eginhard nad) den auferorventlihen Erlebniffen in
der nächtlihen Einfamkeit unheimlich zu werden. An -
Schlaf war nit zu denfen. Darum begann er zum
britten Mal an Johannes zu rütteln.
Diefer warb bei dieſer fortwährenden Störung
noch ungehaltener, und Eginhard mochte zehn Mal
Stein und Bein ſchwören und Ehre und Geligfeit
vermetten, bie berühmte Roſe von Segovia geſehen
zu haben, er fand zu feiner nicht geringen Pein an
Johannes einen profaifchen Ungläubigen. Dem Gei—
fterfeher konnte gar nichts Fataleres wiederfahren, als
dieſe ſtoiſche Apathie und Indolenz des Freundes.
Er bereute jetzt bitterlich, letzteren zumeilen etwas fa-
95
beihafte Dinge vorerzählt zu haben, die feinen Kre⸗
bit als Referenten allerdings bedeutend untergraben
hatten. Nun mußte er in Wahrheit eine außeror-
dentliche Erſcheinung erleben und hatte das Unglück,
daß Johannes die Eadye nicht glaubte.
Daß das fchwarzlodige Mädchen in ver Welt Nie-
mand anders gemwejen fei, als die berühmte Roſe von
Cegovia, dafür hätte er fi unbedenklich an's Kreuz
nageln laffen. Nun kam der myſtiſche Bibliothelar
dazu, der mitten in ber Nacht zum Tsrontonfenfter
herausftieg und auf ber Schhäzinne auf und abpro⸗
menirte. Es war Eginhard jetzt gleichfall® Max,
daß die zwei Individuen, die Roje von Segovia und
der Bibliothekar in geheimer Wahlverwandtichaft fte-
hen müßten. Daher alfo das räthjelhafte Wejen und
Benehmen des Signor Baſilico. Es fiel ihm wie
Schuppen von den Augen. Hatte er nicht die Bei-
den im höchfteigner Perfon auf dem alten Schloffe
herumfteigen jehen? Der Bibliothefar war unfehlbar
auh ein Geift. Gin Menſch von Fleiſch und Blut
hätte bei ver gefährlichen Crpeditiom, zehn Mal das
Genick gebrochen. Eo war denn Eginhard's längſt
gehegter Wunſch endlich in Erfüllung gegangen. Er
hatte überirdiſchen Weſen vis à vis geſtanden, ſie mit
ſeinen zwei geſunden Augen, bei völlig klarem Selbſt—
bewußtſein erſchaut; aber er fühlte ſich durch dieſen
Blick in's Geiſterreich keineswegs wohlthuend ange-
ſprochen; das erſte Rencontre war zu ergreifend gewe—
ſen. Wenn die Beiden auf ebener Erde einherſpa—
iert wären, würde es ihn weniger angegriffen haben;
pflegen es fleiſch- und blutgeborne Menſchenkinder
gleichfalls zu machen; aber auf dem Giebel des alten
Schloſſes, wo ſich ver erfahrenſte Kater kaum hinge—
traut, ſolche handgreifliche Beweiſe von einer Geiſter—
96
welt mußten ben vertrodnetften Philifter erjchüttern,
wie viel mehr einen Eginhard, ver ſolch' wachſames
Ohr und Auge für alles Uebernatürliche hatte.
Wie gejagt, die Geifternifion war ihm durchaus
nicht befommen, und nachdem er noch einen furchtſa⸗
men Blid nah dem verhängnißoollen Schloßdache ge-
worfen hatte, fuchte er zähneklappernd und fieberfrö⸗
ſtelnd das Lager, zog die Bettdecke weit über den
Kopf und bemühte ſich, an andre Dinge zu denken;
aber das ſchwarzlockige Mädchen und ber graue Bi-
bfiothefar fanden fortwährend Ferzengerade vor ihm,
und an Schlaf war nicht zu denken. Erſt gegen
Morgen fiel er in einen fieberifhen Halbſchlummer,
deſſen er fich gleichfalls nicht lange zu erfreuen hatte,
Johannes war früh auf und zanfte vor Eginhard's
Bett, dag er ihm in voriger Nacht fo wenig Ruhe
gelaffen babe.
Der Geifterfeher erwachte, rieb ſich die Augen,
und als er gewahrte, daß es vollfommen Tag, fprang
er in einem Sqtze aus dem Bette und nad) dem Fen—
fter, durch welches er die vorige Nacht geſchaut hatte.
Er machte große Augen. Da lag das alte Schloß
in der ſchönſten Morgenbeleuchtung, ganz wie er es
im Mondſchein gejehen hatte Daffelbe Yrontonfen-
fer, viefelbe alte graue Mauerblende, hinter welchen
die Rofe von Segovia und der Bibliothefar waren
unfichtbar geworden. Es war alfo fein Traum, feine
Sinnestäufchung geweſen. Er fchaute lange mit ftar-
rem Blicke nad) der verhängnigvollen Schloßzinne,
dann warf er fi dem Johannes an die Bruft.
„Hans, vief er, „ed war die furchtbarfte Nacht
meines Lebens. Du mußt in einem magifchen Schlafe
gelegen haben, fnoft würdeſt Du durch mein Kütteln
97
volllommen wach geworben ſein. ‘Die außerordentliche
Erſcheinung war Dir vielleicht nicht befchieben.”
.„Das glaub' ich auch, erwieverte Johannes, „Du
allein warft der Auserwählte, darum hätteft Du mic
können immer rubig fchlafen laſſen. Ich weiß Dir
wahrlich feinen Dank für das barbarifche Rütteln und
Schuͤtteln.“
„Spotte nur,“ ſprach Eginhard gereizt, „wenn
Du geſchaut, was ich erſchaut habe, würde Dir der
Spott vergehen.“
„Nun, was iſt es denn eigentlich geweſen?“
fragte Johannes, „das in dieſer Nacht Vordeklamirte
hab' ich rein vergeſſen“
„Schlimm genug,“ murrte Eginhard, „und ein
Beweis mehr, daß ein magiſcher Schlaf Dich umfan⸗
gen hielt.“
Er erzählte nun ausführlich, bis in das kleinſte
Detail, die nächtliche Erſcheinung; ſchwor dabei ſo
hoch und theuer, daß ein andrer als Johannes die
Sache nicht bezweifelt haben und unfehlbar in ge=
rechtes Erftaunen gerathen fein würde. ‘Diefer aber
blieb fehr ruhig, ſah zum Fenfter hinaus und pfiff
ein Morgenlienchen.
Eginhard bradıte dieſe ſtoiſche Gelaſſenheit bei
einer jo höchſt romantiſchen Angelegenheit, vie er
überdies felbjt erlebt hatte und die er mit nicht ge=
ringer Ekſtaſe vortrug, zur gelinden Berzweiflung.
Erpackte endlich den Freund und fehüttelte ihn kon—
vulſiviſch.
„Seelenloſes Amphibium,“ ſchrie er, „Du glaubft
es alſo wirklich nicht?“
„Rein, lächelte ver Gefragte, „übrigens bitt ich
Dich freundſchaftlichſt, Dein nächtliches Rütteln und
Schyütteln nicht bei hellem Tageslichte zu wiederholen.”
Stolle, fämmtl. Schriften, XVI. 7
98
„Und wenn ich Ehr' und Geligfeit zum Pfande
einſetze,“ fuhr Eginhard pe bergweijeinb fort, und fchät-
tefte. unterbrochen
„Thu' mir den n Oefeflen, “ſprach Johannes,
„and laß los, ich wärbe die Sache für ein Phanta⸗
ſtebild erffäten, wern fie ber nüchternſte Kantianer
erzählte, gefehweige bei Dir, dem alle Tage etwas
Hochromantifches vor der Nafe umherläuft.“
Eginhard ließ erſchöpft los.
„Das fehlt zu meinem Pe “ Tenfzte er, „jett
hab’ ich wirklich einmal Geifter geſchaut, man kann
fie gar wicht dentlicher zu Geſicht befommen — nun
glaubt’8 der Kannibale —*
„Uebrigens,“ bemerkte Johannes lächelnd, „will
ih Dir rathen, mit Deiner Geiſtererſcheinung vorſich⸗
tiger zu Werke zu gehen, hübſch reinen Mund zu hal⸗
ten gegen Jedermann im Hauſe; Du würdeſt Dich
unnöthiger Weiſe dem Spotte ausſetzen.“
„Nun da will ich doch gerädert ſein und zwar
von unten herauf, wenn ich von dieſer im Gebiete
ber Geiſterwelt fo hochwichtigen Geſchichte nicht ſpreche,
jo lange ich eine Lunge habe. Eine ſolche Felfenlaſt
mag ich nicht auf dem Herzen behalten. Ich „aa, glaube,
ich lebte nicht acht Tage, wenn ich mich darüber nicht
ſattſam erpectoriren dürfte.“
‚Aber jo überlege doch nur,” gegenvedete Johan⸗
ne, „daß Du nur lebhaft geträumt haft; «8 ift auch
ganz natürlich, wir haben geftern den langen lieben
Abend von Nichts geſprochen als von ber Rofe von
Segovia. Du jelbft warſt ordentlich verliebt m das
Ihöne Maurenkind und ganz exaltirt von meines On-
kels mahrchenhafter Relation. Es wäre ein Wunder,
wenn Du nicht bei Deiner aufgeregteh Phantaſie da=
von geträumt haben ſollteſt; nnd daß der Menſch
99
ãußerſt tebhaft tränmen Tamı, jo daß ber Traum faft
vem wachen Zuſtande gieichrommt, darüber haft Dar
mir weh) dieſer Tage eine ausfliheliäe Berlefung ge⸗
| „öde, Frennd,“ brach jetzt Eginhard los, ch
bitte Dich, ſchone meine vunge; chikanire, aͤrgere mich
nach Herzensluſt, es ſei Div alles erlaubt, mur gieb
mir nicht für einen Traum aus, was ich mit zwei,
Gott ſei Daitk, ganz gefunden Augen, feine andert⸗
halbhundert Schritt, in der herrlichſten Mondenbeleuch⸗
tung klar und deutlich gefehen habe.”
„Glaube jeber, was ihm beliebt,“ ſprach enblich
Johannes, „wir. wollen uns nicht darüber flreiten,
Du weißt, daß ich über vergleihen Dinge proſaiſcher
doeute.“ |
Eginhard Tonnte ſich aber Über des Freundes Un⸗
glauben nicht zufrieden geben; und kaum war bie
Geſellſchäft von geftern beim Kaffee verfammelt, ale‘
Eginhard, troß Johannes wiederholten. Abreven, ſein
nächtlihes Abenteuer mit dem ihm eigenthiümlichen
Feuer vorgetragen hatte,
Wäre Eginhard's Erzählung von einem weniger
erältieten Gemüthe euögegengen, fo hätte fie unftrei=
fig eine weit größere Wirkung hervorgebracht. Man
fannte ‚aber Eginharb’s Baffion für alles Hochroman⸗
tiſche und Uebernatürliche, darum nahm man auch die
Mondſcheinviſion für nichts mehr als ein Mährchen.
Der Erzähler war außer ſich, daß die Senſation bei
ſeiner Mittheilung nicht ſtärker war. Er ließ ſich in-
deß nicht abſchrecken und malte fein Abenteuer noch—
mals fo ausführlich und ver Wahrheit getreu aus,
daß man endlich, faſt mehr aus Gefälligkeit denn aus
Meberzeugung, daran zu glauben vorgab. Pauline.
und Marie erfhienen noch am Gliusigfien,
4100
Eginhard meinte, er komme ſich vor, wie Kas—
Tandra, die Helliebenve, melde auch Dinge gejehen
bätte, an bie die profaifhe Welt nicht. habe glauben
wollen. Auch fühle er ſich fo unglüdlic wie die Tro-
jenerin. Seine Ruhe ſei dahin. Die Geifter, bie
ſich zeither ſichtbar von ihm zurückgezogen, hätten es
nun wahrſcheinlich auf ihn abgeſehen, um die frühere
Vernachlaſſigung gut zu machen. Er wiſſe ihnen fei-
nen Dank dafür. Er hätte fich ohne fie weit befier
befunden. Doch wolle er fich feine Injurien gegen
fie erlauben, fie ftellten leicht ein Bein, denn die
Rache ver Geifter fei furchtbar und kenne feine Gren-
zen. Ueber dieſes Kapitel könne er entfegliche Bei-
Tpiele erzählen.
Um dem Geſpräch eine andere Wendung zu ge=
ben, jchlug. Herr Wertheim für den Nachmittag‘ einen
Spaziergang nad der Haivemühle vor, vie ein hal⸗
bes Stündchen von Buchenthal in einem reizenden
Thale gelegen war.
13.
Eginhard ſowohl als Bodo, Albert und Iohan-
nes hatten fich alle erbenflihe Mühe gegeben, des
räthjelhaften Bibliothekars anfichtig zu werden. Es
war Alles vergebens geweſen; und da es Wertheim
nicht gebilligt haben würde, fo hatte man e8 aud
vermieden, ben geraben Weg einzujchlagen und gleich⸗
fam mit Gewalt in Baftlico’8 Wohnung einzubringen.
„hr werdet mir nun allmälig zugeſtehen,“ ſprach
Eginhard, als Bodo und Johannes von einem aber-
maligen mißlungenen Verſuche verſtimmt zurückkamen,
„daß ich im jemer verhängnißvollen Mondſcheinnacht
recht geſehen habe; den Bibliothekar bekommt Ihr am
404
Tage nicht zu fehen, der ſpaziert nur Nachts auf
dem Dache. : Wer vergleichen nächtliche Promenaden
fiebt, pflegt fih in. der Regel bei Sonnenſchein zu⸗
mchugiehen. Ih verdenk's ihm nicht. Er hat das
ſchönſte Mädchen des alten Maurenreichs bei ſich, die
ihm wahrſcheinlich mit ihrem ſüßen Munde die lieb⸗
lichten Mährchen erzählt. Unter ſolchen beneidenswer⸗
then: Verhältniſſen ging ich auch nicht aus.“
Bon dem Garten des Signor Bafilico konnte man
gleichfalls nichts zu ſehen befommen. Die jungen
Freunde ‚hatten alle Bodenkämmerchen des neuer
Schloſſes durchklettert, durch jede Dachlufe gefpäht.
Es war Mles vergebens. Ein paar Beete ſchöner
rother Blumen war die einzige Ausbeute. Was hin⸗
ter der Mauern des alten Schloffes, die den Garten
hauptſächlich verdedten, für feltene Blumengeſchlechter
. blühten, mochte der Himmel willen.
Was Übrigens Egiuhard's Geifterfeherei betraf,
hatte er feit jener verhängnißvollen Mondſcheinnacht
alle Obſervationen forgfältig vermieden. Er mochte
mit diefen Nachtgefpenftern, die auf himmelhohen Dä=
ern einherfpazierten, nichts zu fchaffen haben. Seine
Philofophie dabei war dieſe: Was nüßen mir meine
Geifterbeobadytungen, ich habe nichts Davon und fomme
obendrein um meine Ruhe. Was hülfe es, wenn alle
himmlischen Heerichaaren auf dem alten Schloffe ein=
berftiegen, die verftodte Melt glaubte e8 nit, und
ih hätte den Aerger. Eginhard vermied es daher,
vor dem Schlafengehen aus ven Fenſter zu fehen und
Sternbetrachtungen anzuftellen. Konnte er nicht ein=
fchlafen, unterhielt er fih mit Johannes und hielt
diefen durch fortwährendes Geſpräch wach. Erhielt
er feine Antwort mehr auf wiederholte Fragen, jo
war bies ein Zeichen,. daß Johaunnes fchlafe oder zu
&
402
Schlafen wünſche. Dann hielt es Eginhard ebenfalls
für gerathen, dem Beiſpiele des Freundes zu folgen,
zog Das Oberbett über ben Kopf und fchlief ein.
Kurz, er mochte in ftodfinfterer Nacht mit Geiftern
nichts zu thun haben.
Wie vorfihtig ſich aber Eginhard während ber
Nacht benahm, um fo couragäfer zeigte er ſich bei
Tage, wo die freundlide Sonne bed am Himmel
fand, und jo kam endlich bei ihm ein wohldurch⸗
dachter Plan zur Reife; nämlich. vem Bibliothekar,
ohne Vowiſſen von Jemand, energiſch zu Leibe zu
gehen. Sein Borhaben beftand darin, irgend einen
günftigen Augenblid zu ergreifen, und es koſte, mas
e8 wolle, über die mehre Klaftern hohe VBerzäunung
zu Tlettern, welche ven geheimnißvollen Blumengarten
des Signor Bafllico umſchloß. Seine Fertigkeit im
Klettern mußte ihm hier zu Statten kommen. Die
Hauptfache war nur, durch forgfältiges Recognosciren
eine pafiende Stelle zu eripähen, und für das Unter-
nehmen einen Zeitpunkt zu erwählen, wo die Familie
Wertheim auf einer Landparthie begriffen.
Diefe großartige Idee befchäftigte ihn außeror⸗
dentlih. Was die Stelle der Gartenwand betraf,
hatte er eine ſolche bald ausfindig gemacht; jett galt
es, eine Liſt zu erfinnen, allein im Schloffe bleiben
. zu dürfen, während Johannes, Bodo und Albert, nebit
Wertheim’ auswärts wären. Er ſann lange bin
und ber. Sich krank zu ftellen, war verbädtig und
daher gefährlich. Er beichloß alſo, bei ver nächſten
Parthie in die Umgegend, unter irgend einem Vor—
wande vorauszueilen, ſich alsdann irgendwo verſteckt
zu halten, bis die befreundete Karawane vorüber jet,
und dann im geſtrecktten Laufe zurüdzufehren ‚und ſein
Unternehmen in's Werk zu ſetzen. Die Gelegenheit
403
fand fih bald. Es war ein herrlicher Nachmitt
Wertheim hatte einen Ausflug nad dem aubert
Stunden entfernten Moritzberge vorgeſchlagen, von
wo man eine noch ſchönere Ausſicht über die gaunze
Gegend genoß ala felbft in Buchenfels. Als vie Ge⸗
jellſchaft den Weg antrat, war Eginhard fchon eine
Strede voraus. Gr gab vor, voraudzutaben, damit
die Wirthsleute bei Dem Deritberge auf die Ankunft
der Gäfte vorbereitet wären und einige Erfriihung auf
ven Berg fchaffen möchten.
„So bleib doch bei ung,” rief dem Boraneilenven
Johannes nach, „wir werben nicht umlommen vor
Hunger und Durft;” aber Eginhard ließ ſich nicht
abhalten und kaum glaubte cr ven Rachfolgenven aus
dem Geficht zu fein, als er in ein Birkengehölz linls
einbog und fich darin verborgen hielt.
Plaudernd und lachend zogen die Spaziergänger
vorüber, nicht ahnen, daß ber Eginhard Feine zchn
Schritt hinter dem Birkengrün verftedt wäre. Diefer
aber, wie es den Weg frei glaubte, machte rechtsum⸗
lehrt und eilte nach Buchenfels zurüd.
Unbemerft, denn faft das ganze Tienftperfonale
war auf dem Felde befchäftigt, fchlih er fih nah
der bewußten Gartenwand. Cr fand bald die geeig-
nee Stelle, bejahl feine Seele allen Heiligen und
begann emporzullettern. Tas wollte Anfangs nicht
‚ gläden, die Wand war jteil und verzweifelt Hoc).
Eginhard ließ ſich indeß nicht abjchreden, wiederholte
ſeine Verſuche, und ſo glückte es ihm endlich, ſo
weit ſich empor zu arbeiten, daß er mit dem Kopfe
dem obern Ende der Wand glei fam. Das half
ihm aber noch nicht viel, denn lettere war ſehr breit.
Er mußte noch einen Schritt höher. Es glüdte, nun
lonnte er einen anjehnlihen Theil des Gartens über-
10%
hauen. Da blühte c8 allerdings überall wundervoll.
Geltfame, fremde Blumen keuchteten auf ven fauber
gepflegten Beeten; e8 war ihm, als athme er wilb-
fremde Düfte- aus einem Garten des Morgenlandes.
Bögel mit brennenver Farbenpracht wiegten fich hier
und da auf ven blühenden Zweigen. Eine feltiame
Stille weilte über dem kleinen blühenden Baradiefe.
Eginhard konnte fich nicht fatt ſehen an ber reizen-
ven. Flora. Es warb ihm wunderbar zu Muthe.
„Wenn es mit biefem morgenländifchen Garten,”
ſprach er für fi, „nicht feine übernatürlihe Be-
wandtniß hat, will ich nicht gejund hier über ber
Baumwand ſtehen.“ Vergebens aber forfehte er nad)
dem Schöpfer aller dieſer wunderbaren Herrlichkeiten,
nad dem Bibliothefar. Er unterfuhte auch die Lo—
falität des Gartens, wie er mit dem alten Schloffe
zufemmenhing und begriff nicht, wie man überhaupt
in venfelben gelangen fünne, da er nirgends einen
Eingang wahrnahm.
„Mein Standpunkt,“ fprach er für fi, „it nicht
mit Golde zu bezahlen. Was würden Marie und
Pauline und ſelbſt Johannes darum geben, wenn. fic
fol einen Blid in das Reich ver Wunderwelt thun
fönnten. Ich habe die Sache Hug angefangen. Wäh—
rend die ganze Hausgenoſſenſchaft in der Sonnenhike
nah dem einfältigen Moritzberge keucht, jchwebe ich
bier ganz behaglich und ſchaue Wunder über Wunber.
Aber was Hilft mir's. Ich mug dieſe Myſterien
wieder für mich behalten; erftens glaubt mir die ver-
ftocte Welt nichts, und dann darf ich nicht einmal
befannt werden laflen, daß ih wider Wertheim's
Willen die Baumwand erklettert habe, um den räth-
jelhaften Signor Bafilico in bie Karten zu fehen.
Ih bin--in. Schlimmer Lage. Faſt möchte ich wün—
408
ſchen, nichts Außerordentliches gefchaut zu haben, denn
diefe wunterbaren Blumen und Vögel werden mir
das Herz abbrüden, wenn ich das Alles für mich be-
halten muß.‘
Er überflog nochmal® tie ganze innere Einrich⸗
tung des Gartens. Plötzlich entftand ein feltfames
Hin⸗ und Herhüpfen der Bügel, tie, wie Eginhard
jet wahrnahm, mit goldenen Kettchen an die Xefte
befeftigt: waren. ‘Der Beobachter jtutte und machte
große Augen bei der wunderbaren Regſamkeit. Tas
reizende Geflügel ward immer unruhiger. Doch ein
außerordentliher Schreden bemächtigte fich plößlich des
Beobachters; er glaubte feinen Augen nicht zu trauen,
— hinter einer blühenden Rofenhede trat tie —
Roje von Segovia hervor und fam den Gartengang
daher. Es war viefelbe Geſtalt aus der Mondſchein⸗
naht. Wieder einfach weiß gefleivet und lange dunkele
Loden.
Eginhard war ob diejer Erſcheinung fo erichroden,
daß er mit dem Fuße von feinem Poſtamente abglei-
tete. Hätte er fih mit den Händen nicht an einen
feften Baumaft geflammert, würde er unrettbar bergab
gefahren fein. Bergebeng vifitirte er, mit den Füßen
hin⸗ und bertaftend, nad den früheren Sachen
Seine, Page warb immer gefährliher. Er geſtikulirte
mit den Fügen wie ein Gehängter. Gleichwohl
wünſchte er die Roſe von Segovia uch ein Weilchen
zu beobachten. Er ftredte daher ven Kopf fo hoch als
möglid empor. Ta fah er eben noch, wie das weiße
Mädchen hinter einer Laube von blühentem Jasmin
verfchwand. Zugleich gewahrte er, wie der berüchtigte
ſchwarze Kater dem Hauptgang entlang galoppirte und
der Bibliothelar mit einem langen filbernen Stabe in
den Garten trat. Eginhard, der ven glänzenden Etab
496
für eine Flinte hielt, zog den Kopf ſchnell zurück und
haranguirte mit den Füßen verzweifelt nach einem
Stützpunkte. Gr hatte genug geſehen und wünſchte
von Herzen gern den feſten, Ken Erdboden wieder
unter ſeinen Füßen zu haben. ‚ war e8 die Haft
feiner Bewegungen, oder bie Unfihentet feiner Viſita⸗
tion, ex konnte den früheren Stützyunkt und Gteighä-
gel nicht wieder finden. Go hing er num zwiſchen
Himmel und Erde, in ber gefährlichiten Bofition; beun
fo wie er los ließ, ging die Reife
„Mit bebächt'ger Schnelle
Bom Hummel durch die Welt zur Hölle,“
Er berechnete jetzt, daß er die Sache für Die Ränge
nicht aushalten inne, denn fein Körper, an ſich nicht
zu den ätheriſchſten gehörend, er wog einhunbert-
ſechzig Pfund fähfifch, ward von Minute zu Minute
ſchwerer. Eginhard vwerwünfchte jet feine nafemweife
Klettere.
„Wär' ich doch,” dachte er, „als ordnungsliebender
Staatsbürger mit den andern geſcheuten Leuten, bie
fih nicht auf ſolche excentrifche Klettereien einlaffen,
hinausgepilgert nad) dem herrlichen Moritzberge. Die
ſitzen wahrſcheinlich gegenwärtig unter grünen fehat-
tigen Lauben, erquiden ſich durch trefflicden Rahm und
genießen bie fchönfte Auaficht, während ich Unglücklicher
vie Ausficht habe, zur Hölle zu fahren, wie ein Ber-
brecher am jüngften Gerichte.
„Unter mir liegt es Berge tief
In purpurner Finfterniß da.”
„Ohne einen Beinbruch Inun es jett gar nicht
abgehen, wenn ich den Hals nieht dazu breche. Um
Hülfe rufen Darf ich nicht, da wär ich geliefert. Dar
Bibliothekar ſchöſſe mich mit feiner verzweifelten
407
Windbüchſe, oder was er für ein Ding in der Hand
hat, wie einen Sperling herab. Er braucht nur,
wenn's in aller Stille hergeben foll, mit einer Lanze,
wie deren im der Rüſtkammer zu Dutenden hängen,
durch die Baumwand zu ftechen, und ich falle ab, wie
ein wurmftichiger Apfel. Reif bin ich überbied, zum
Untergange nämlich, und es gefchieht mir recht, wer
beit mich mit Geiftern anbinden. Es geht überhaupt
nit mit rechten Dingen zu. Mein Fußgeſtelle wäre
fonft nicht hinweggezaubert. Ich bin eigentlich weit
fhlimmer daran, als ein ordentlih Gehängter, ber
braucht nicht fo lange zu zappeln und fpaziert bald
in die Ewigleit.“
Koch einmal vifitirte er convulſiviſch mit ven Fuß⸗
zeben nad dent Schwerpunkte; und da ed aud) dies
mel ohne Erfolg war, beichlich ihn Wehmuth und
Reſignation.
„Wer hätte das geglaubt,” fuhr er in feinem Ge-
danlengeſpräche fort, „daß ich hier in der Blüthe mei-
ner Jahre fo ſchmachvoll, in fo unäfthetijcher Pofitur
meinen Untergang finden würte, Hätte noch Vieles
vor auf dieſer ſchönen Welt. Die Wege des Herrn
find wunderbar. Aber wer fi in Gefahr begiebt,
. lommt darın um, iſt ein altes Spridwort. Es iſt
Shave, daß mir die Wahrheit dieſer goldenen Lehre
erſt jetzt volllommen Har wird, wo ſie mir nichts mehr
hilft. Säße ich doch auf dem Miorigberge und tränfe
meinen guten Rahm. Turh Scharen wird man Hug.
Wir Deutihen haben fchöne Sprichwörter. Auf mic,
den dem Untergange Geweihten, erleiden fie leider feine
Anwendung mehr. Hätte fie früher beherzigen follen,
jetzt iſt's zu ſpät.“
Eginhard überlegte, ob nicht irgend eine Rettung
möglich ſei.
408
„Entweder,“ ſprach er, „ich bleibe ruhig hängen,
bis der Himmel irgend ein Menſchenkind vorbeiführt,
oder ich fteige weiter, auf die Gefahr, daß ver Bi-
bliothefar auf mich ſchießt. Erfteres möcht” ich frei-
lich fein Biertelftännchen länger aushalten, denn mir
it es, als ob von Minute zu Minute eine unficht-
bare Hand ein Pfundgemidht mehr mir an die Füße
bände. Alfo wird das Gerathenfte lem, ich ſteige
vorwärts.”
Er begann fofort mit dem einen Arme auf-
wärts zu greifen, da brady aber der Aft, melden er
mit der Hand erfaßt hatte‘, wodurch ein lautes Ge—
praſſel entitand.
„Was war das, Eugenie, haft Du nichts gehört?“
fragte in heiferer Stimme ber Signor Baſilico.
Das ſchöne Mädchen, welches fo eben mehren ber
auf und abhüpfenden Vögeln Yutter ſtreute zeigte
nach der Seite, wo Eginhard hing.
—„Gewiß der böſe Baummard, der unter unſern
Tauben ſolche Verheerung angerichtet hat,“ ſprach der
Bibliothekar, „wo iſt mein Taſchenterzerol.“
Eginhard, der mit geſpitztem Ohre Alles deutlich
vernommen hatte, erkannte jetzt, daß ſein letztes
Stündlein gekommen war.
„Adje Welt,“ rief er verzweifelt, ließ den Ret⸗
tungsaſt los und rutſchte mit Blitzesſchnelle die Baum⸗
wand herab. Die Fahrt lief indeß ſo glücklich ab,
daß er allerdings etwas zerzauſt, doch auf ſeine bei-
den Füße zu ftehen kam. Diefe aber waren fo un-
fiher geworden, daß er Tängelang auf ben Rafen
hinfiel. Er befann fi hier nicht lange, war wie ber
Blig wieder auf, und Tief, was er laufen konnte, dem
Schloſſe zu. Erft auf dem Schloßhofe glaubte er ſich
4109
jo ziemlih in Sicherheit und außerhalb der Schuß:
weite des jaghluftigen Bibliothekars.
So wie er fih einigermaßen vom Schred er:
holt hatte, gewann er Muße, über fein außerordent⸗
liches Abenteuer nachzudenken. Jetzt hatte er alfo
die Rofe von Segovia nicht blos in Mondſcheinbe⸗
leuchtung, ſondern bei hellem Tage gefehen. Das
ſollte auch Sinnentäufchung gewejen fein? Er wußte
übrigens jeßt nicht, was er beginnen, ob er der Ge⸗
felfchaft auf dem Morigberge nachlaufen oder im
Schloſſe verbleiben ſollte. Letzteres hielt ex nicht für
ratbfam; fo mutterfeel allein, wer konnte willen, ob
nicht der belaufchte Bibliothekar im Begriff ſtand,,
einige Brigaden überirbiiche Geifter gegen ihn aus-
zufenden, um ven Frevler, ber es gewagt, über die
Baumwand in das Heiligthum zu fehen, energifch zu
üchtigen.
Er machte ſich daher auf den Weg nach dem
Moritzberge. In ſeinem Innern ſah es desperat aus.
Er befand ſich in verzweifelter Lage. Wie, dieſes
außerordentliche Erlebniß, dieſen handgreiflichen Be—
weis von der Roſe von Segovia ſollte er für ſich
behalten? Das war unmöglich, ſelbſt auf die Gefahr
hin, daß der Bibliothekar die geſammte Geiſterwelt
gegen ihn loslies.
Er hatte immer gelefen, daß die Geifter mit
GSterblihen gerade dann am Unerbittlichiten verfahren,
wenn lettere jo unvernünftig find und gemachte Ent-
deckungen aus dem Geifterreiche ausplaudern.
„SH bin wahrhaft zu meinem Unglüd in dies
Schloß gekommen,“ ſprach er für ſich, „ver Himmel
weiß, ob ich lebendigen Leibes davon komme, ſobald
die Ferien zu Ende find. In welch höchſt verwidelte
Conflicte mit einer unfihtbaren Welt bin ich gera=
410
ten. Das Befte wär’ allerdings, ich fagte fein Ster⸗
benswort von den: wunderbaren Erſcheimengen und
behielt Alles für mid, die Geiſter fänden fi dann
weniger compromittirt und profanirt, und würden
Rüueckſicht nehmen. Aber eine ſolche Saft anf dem
Herzen tragen, das halt’ ein Andrer aus. I ſchwa⸗
cher Sterblicher vermag's nit. Dem Johannes we⸗
nigſtens, biefem ungläubigen Thomas, muß ich einen
Wirt geben. Er wid die Gefchichte zwar wieder
nicht glauben, aber ih kaun mich doch ein Wenig
letht mm’8 Herz reden. Verzweifelte Geſchichten; die
ädchen dürfen allerdings nichts von der Kletterei
erfahren, die würden nicht reinen Mund halten, und
ich Hätte es bei Wertheim verſchüttet auf alle Zeiten;
aber Hans, viefes Fiſchblut muß ich ein Wenig in's
Feuer bringen.”
Unter dieſen und ähnlihen Monologen langte
Eginhard wohlbehalten auf dem Meorigberge an. Die
Geſellſchaft war bereit aufgebrochen und hatte ven.
Weg nad dem nahegelegenen Hammerwerke eingefihle-
gen. Eginhard trabte nach und fand die Geſuchten
in einem höchſt anmuthigen Thale, auf einer üppigen, -
‚ verh mit Blumen geſchmückten Wiefe gelagert.
Eginhard ward jest zur allgemeinen Rechenfchaft
gezogen und mit freunpfchaftlihen Borwürfen über-
häuft. Er gab vor, fi verirrt zu haben, indem er
einen nähern Weg nad) dem Morjsberge habe gehen
wollen.
Albert, der Eginhard's Citirwuth ſchon mehre
Male drollig nachgeahmt hatte, trat mit ernftem ge⸗
mefjenen Schritt auf ihn zu, legte die Hand auf
Eginhard's Kopf und ſprach „emahnend: :
Geht des Kanonenballs —— Lauf,
414
Din — — —2 zum Mei
a bieie folgt
De Safe La er Thöler freiem Rrümmen,
Umgeht das Hehrenfelb, ben Rebenhügel,
Des Eigenthums gemeflne Grenzen ebrent,
So führt fie ſpäter, fiher doch zum Ziel.“
Alles mußte laden. Eginhard fand aud feine
gute Laune wieder; nur wenn er an ben Bibliothe-
far nd die Rofe von Segovia Dachte, ward er nach⸗
deecklich und unruhig. Es drängte ihn, wenigftens
gegen Johannes das Herz auszuſchütten, und er fuchte
fortwährend nach einer Gelegenheit, ven Freund allein
zu ſprechen. Diefe fand ſich bald, Johannes ſchien
Nee Eginhard etwas emtdeden zu wollen. Wis fie
allein waren, fafte einer ven andern haftig beim
Arme.
„Freund,“ fragte Johannes ziemlich aufgeregt,
„haft Du nicht bemerkt, wie Bodo Marien auffallend
„Mnd das Kind ſcheint es ſich gern gefallen zu
(nffen.“
„Verdenk's ihm nicht,“ bemerkte Eginhart, „Bobo
ift ein tapfrer Mann. Das lieben die Mädchen.”
„So,“ fragte der Andre gevehnt,. „vor ein paar
Tagen ſprach man ja ganz anters, von Duell, Blut
und Tod.”
„ah, Hans,” fiel Eginhard ein, „laß jest berfei
irdiſche Angelegenheiten, ich habe Dir unterm Siegel
der Berfchwiegenheit wichtigere Dinge anzuvertrauen.‘
„Bir bürfen’s nicht zugeben,” fuhr Johannes, der
anf des Freundes Wort gar nicht gehört hatte, auf-
geregter fort, ‚wir bürfen uns bie Couſinen micht
kapern laſſen. Wir haben nähere Anſprüche.“
142
„Mein Gott,” ſprach Eginhard, „mas ift es um
fo ein armes gebredhliches irbifches Mädchen, leihe
mir Dein Ohr für eine höhere Welt.“
„Narrenspoſſen,“ gegenredete Johannes ärgerlich,
„ſchlag Dir einmal die Hirngeſpinnſte aus dem Kopfe,
wir dürfen uns nicht werfen laſſen von dieſer über—
müthigen Nitterfchaft. Ich intereffire mich, für Ma—
rien, ih will Dir’ nur geftehen, Du mußt. mir fe-
fundiren, falls ih mit meinem Nebenbuchler zufammen
komme; Bodo iſt un angebunden und gerirt ſich,
als wäre er halber Bräutigam. Dieſe eitle Selbft=
gefälfigfeit empört mich.“
„Hör einmal,” ſprach nun Eginhard ebenfalls ge-
reizt, „wenn Du fo verächtlih Alles für Hirnge-
fpinnft ertlärft, was ich mit eignen Augen gejehen
und mit eignen Ohren gehört habe, jo kommen wir
felber vorher zufammen; ich mag ſolche Reden nicht
länger dulden. Hör!’ mich alfo aufmerkſam an.”
„Bor allen Dingen,” fiel Iohannes ein, „laß
ung eine Politik erfinnen, wie wir dieſen egoiftifchen
Cavalier aus dem Sattel heben. Wenn es ein geift-
reicher, intereffanter junger Mann wäre, hätt’ ich ge-
gen eine Liaiſon mit Marien nicht das Geringfte; aber
ih ſchwöre Dir, Eginhard, er verbient dieſen Engel
nicht ; beim Himmel, er verbient ihn wicht, und mir
ift’8 unbegreiflich, wie das Mädchen feine flachen Ge-
fpräche mit anhören und an feinen faden Galanterien
Geſchmack finden Tann.“
„Aber fo laß mid doch nur zu Worte kommen,”
verſetzte Eginhard, „ich habe fo eben die — Rofe
von Segovia —“
„Schweig mit Deinen Phantafien, “ſprach Jo—
hannes, „und denk' an reellere Dinge.“
„Wenn ich Dir aber bei Allem, was heilig iſt,
143
zuſchwöre,“ fuhr jener fort, „daß ich das Geſpenſt
, ‚wie es leibt und lebt, am hellerlichten
e —
En bift ein Phantaſt,“ entgegnete ungeduldig
Johannes.
Was, Phantaſt,“ fuhr Eginhard eifrig fort, „hör
mich in's Teufels Namen an, nur viefe Gefälligkeit
erzeige mir, und ich bin in Deinen Liebesaffairen
mit Leib und Ceele Dein. Denf’ nur, ich weiß be-
reits, wie die Roſe von Segovia heißt; fie heißt —
Eugenie.”
„Wie?“ fragte Johannes in feltiamem Tone und
eine leife Verklärung floh über fein Geficht
„Iſt zwar fein mauriſcher Name,” fuhr Eginhard
fort, „nicht einmal ein Ipanifcher, aber das thut nichts,
kurz, ih habe es mit meinen eignen zwei atufiſch
gebauten Ohren gehört, wie ſie der alte geſpenſtiſche
Bibliothekar im langen, grauen Rocke „Eugenie“
gerufen hat.”
Johannes war immer aufmerfjamer geworben und
Eginhard mußte erzählen.
Als der Referent an die Beſchreibung der Roſe
von Segovia ſelbſt kam, ihre Geſtalt, Antlitz und
Tracht näher ausmalte, ward Johannes unruhiger.
Er lief mehre Male in ſeltſamer Gemüthsſtimmung
auf und ab.
Für Eginhard war es ein nicht geringer Triumph,
daß der ſonſt jo indifferente, ungläubige Freund ein—
mal ein ſo großes Intereſſe an ſeiner wunderbaren
Erzählung nahm.
„Nun,“ fragte er, als er mit ſeiner Erzählung
zu Ende war, mit ſtiller Genugthuung, „das iſt
wohl Alles Nebel und Einbildung? Wenn auch Alles
dafür ſpräche, mein zerzauſter Rock gewiß Pie Da,
Stolle, ſämmtliche Schriften. XVI.
114
man kann's noch fehen, hier ift noch ein ziemlicher
Defect, für deſſen Ausbeflerung ich heute noch bedacht
fein muß.”
Johannes beſchwor aber Eginhard, von dem Er-
lebten um's Himmelswillen gegen Jedermann zu ſchwei⸗
gen. ‚Er verfprach heilig und theuer, nun felbft mit-
zuwirken und Alles aufzubieten, dem fonverbaren Ge—
heimniſſe auf die Spur zu kommen.
„Bon, ſprach Eginhard, fi vergnügt die Hände
veibend, „ſtehſt Du mir bei, werd’ ih Dich nicht im
Stiche lafjen. Ich werde Deinen Nebenbubhler fogleic)
zu Leibe gehen, Du haft ganz recht, die himmelſchöne
Marie ift nicht für folh einen übermüthigen, einge-
bilveten Krautjunker.“
„Laß nur,” ſprach Johannes jekt um Vieles
ruhiger, „und wiederhol' mir lieber die Beſchreibung
ber Rofe von Segovia.”
Eginhard Tief fid Dies nicht zweimal fagen, und
referirte von Neuem das auferorventlihe Erlebnif.
„Ich verfihere Dir, Hans,” ſchloß er, „das Wunder-
bare, Geifterhafte an diefer Erjcheinung
„war fo riefengroß, |
daß ich mich recht als Zwerg erkennen mußte.‘
Sohannes war fehr nachdenkend geworben; Egin-
hard aber verficherte, daß ihm ein wahrer Felsblock
vom Herzen fei, ſeit er das Geheinmiß dem Freunde
mitgetheilt und nicht allein daran zu ſchleppen habe.
„Was find das wieder für Geheimniſſe?“ rief
Pauline, die herbeigefprungen kam.
Eginhard hätte für's Peben gern auch fie in die
wunderbare Angelegenheit eingeweiht, aber ein Winf
von Johannes gebot ihm Stillſchweigen.
„ Die Andern find ſchon voraus,‘ mahnte das Mäd—
‘den, „wir bürfen nicht zaudern. Die Reife geht zum
8
445
Waſſerfalle. Der Buter hat ſchon einen Boten nad)
der Mühle vorausgefchidt, damit der Müller aus fei-
nem großen Teiche Waſſer abläßt; der Waldhach ift
bei der warmen Witterung ganz ausgetrodnet und ein
Waſſerfall ohne Waffer ift ein „non ens“. Nicht
wahr, fo heißt es im Lateiniſchen?“
„Paulinchen könnte alle Tage die Univerfität be=
ziehen,’ lachte Eginhard, „fie ift geborene Römerin.“
‚Die Drei wanderten ver Geſellſchaft nach; Eginhard
ſcherzend mit Baulinen, Johannes ftill in ſich gefehrt.
Ad man die PVorausgegangenen einholte, ging
Bodo wieder an Marien's Seite. Dem Johannes ſchien
dies jet ziemlich gleichgültig, aber Eginhard, der
durch das vorhergegangene Zwiegeſpräch erſt auf das
Verhältniß aufmerkſam geworben, ärgerte fi über
diefe8 Hofmachen von. Seiten des Ritters.
„Johannes hat Recht, ſprach er zu ſich, „ich hab's
nicht ungern, wenn fih ein Engel den Hof machen
läßt, aber der Cicisbeo muß darnach fein. Hier ift
das nicht der Fall. Bodo ift nicht ver Mann, der eine
folhe Blume zu würdigen verftände. Ich begreife nicht,
wie das geiftreihe Mädchen dieſem faden Gewäſch jo
aufmerffam zuhören kann, als verfünde der Junker
das Evangelium der ewigen Glüdjeligfeit. Das duld'
ich nicht und ſpringe dazwiſchen.“ Und mit einem Sage
war er an Marien's undrer Seite.
Das Gefpräd des Pärchens ſchien foeben eine
ziemlich fentimentale Richtung genommen zu haben.
„Das fehlte noch“ ſprach Eginhard für fid), und
- warf humorijtifche Knallerbſen und Schwärmer zwiſchen
die Beiden. Bodo verwünfchte den unmillfommenen
Begleiter in's Pfefferland; dieſer aber ließ ſich nicht
ftören und perfiflirte einen fentimentalen Liebhaber fo
treffend und fo poffirlih, daß Marien und dem Junker
416
nichts übrig blieb, als die Sentimentalität auf ein
andermal zu werjchieben und auf ven Scherz einzugehen.
Der Abend war hereingebrohen. Mean befchlof,
zum Morigberge zurückzukehren und ben Meondesaufgang
dafelbft zu erwarten.
Auf der Kuppe bed Berges ſelbſt erhob ſich eine
Terraſſe, von wo man die herrlichſte Ausſicht über die
Gegend genoß. Hier ward Platz genommen, während
der Abendſtern i immer tiefer ſank. Eginhard declamirte:
„Dom Vaterland
So fern, ſo fern,
Hat mich erkannt
Der Abendſteru.
„Wie freut es mich,
Dich hier zu ſehn,
Du kannſt, nicht ich,
Zum Liebchen gehn.
„Wenn ich nicht irre,“ fuhr er fort, „ſteht dies
Liedchen in dem Roman „der Jude“ vom wackern
Spindler, wo ſich's Jedermann abſchreiben kann, dem's
gefällt. Es gehört zu meinen Favoritftückchen.“
Der Tag verglomm. Die Schatten der Däm—
merung ſanken tiefer. Die Sterne traten funkelnder
hervor. Es war ein reizender Abend. Die Geſellſchaft
hatte auf den Bänken rings umber Pla genommen.
Bodo faß wieder neben Marien; Eginhard, ver durch
ven herrlichen Abend felbft wieder poetifch geſtimmt
war, hatte ed nicht verhindern können. Er ſuchte fo-
eben der Gefellfchaft zu beweifen, daß diefe Dämme-
rung, dieſes zweifelhafte Zwielicht, dieſes feltjame
Schwanfen zwiihen Tag und Nacht eigentlid das
wahre Urelement der Romantik fei.
„Mebrigens hat dieſes Abenddämmerreich,“ fuhr
er fort, „dieſes Erfterben des Tages, Niemand berr-
447
j
licher gefehtbert, als der Hocdh= und Gnofmeife aller
Poeſie auf Erden, unfer Wolfgang Goethe, in ven
wenigen Zeilen:
„Dämm'rung fenkte ſich von Oben,
Schon iſt alle Nähe fern;
Nur noch ſtill emporgehoben
Holden Lichts der Abendſtern.
Alles ſchwankt in's Ungewiſſe,
Nebel ſchleichen in die Höh';
Schwarzvertiefte Finfterniffe
Wiederipiegelnd, ruht der See.
„Da im öftlihen Bereiche
Ahn' ih Mondenglanz und Gluth,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächſten Fluth;
Durch. bewegte Scattenipiele
Zittert Luna's Zauberichein,
Und durch's Auge jchleicht die Kühle
Sänftigend in's Herz hinein.‘
Kaum hatte Eginhard diefe Worte gefprocdhen, als
auch der Mond in mildem Glanze hinter dem Walde
hervortrat. Aller Blicke mweilten mit- ftillem Wohl:
gefallen auf der ſchönen Kugel. In. Marien’8 Auge
glänzte eine Thräne; Bodo wollte die herabfallenve
von der ſchönen Wange küſſen. Das Mädchen bog
ſich aber verſchämt zurüch; ſo bekam nur die ſchöne
Hand den Kuß.
Eginhard, als er bemerkte, daß es wieder gar
zärtlich ‚hinter ihm zugehe, erſuchte Bodo, ein Gedicht
auf den Mond zum Beſten zu geben. Ein fühlenver
Süngling, meinte er, müſſe vergleichen zu Dugenben,
wenn aud nit im Kopfe, bod) in der Taſche. haben.
Dodo erklärte, dag er einen folden Vorrath leider
entbehre.
„Das iſt Schade,” ſprach Eginhard, „ich bin über—
zeugt, Sie würden ihn mit vielem Ausdrucke vortra—
448 .
v
gen. Man befindet ſich nicht immer in ber geeigneten
Stimmung. Die Mondſcheinſtimmung ift eine beſon⸗
dere Art.“
„Da Sie fo in den Mond- und Mondſchein-
“ Angelegenheiten bewanbert find,” ſprach Pauline, „jo
könuten Sie uns eine Mondvorlefung halten, die Ge—
legenheit kann fich nicht beſſer darbieten.“
Die Webrigen waren ſämmtlich Paulinen's Mei-
nung und drangen auf eine Borlefung.
Eginhard jpielte bei ſolchen Oelegenheiten nicht
den Spröden; er verfprad daher, fi fo kurz als
möglich zu faſſen, nahm eine theatralifhe Pofitur an
und begann:
„Der Mond, hochverehrte Zuhörer, auch Yuna oder
Selene genannt, ſpielt im Leben der Menjchen eine
hochwichtige Rolle. — Bor allen Dingen fommt er mir
vor, wie ein alter treuer Bebienter in ber großen
Menjchenfamilie Während des glänzenden Beſuches
der Frau Sonne, die Aller Aufmerkſamkeit auf ſich
zieht, tritt er ganz zurüd oder blidt ganz leis und
Thüchtern vom Außerften Horizente herauf. Sobald
aber der vornehme Beſuch abgefahren, fommt er zu=
traulicher und freundlicher näher, und Jedermann hat
ihn gern von Jugend auf und immerdar. Was man
ver ftrahlenden Tagesfürjtin nicht vertraut: Thränen,
Seufzer, Geſtändniſſe und Herzensergießungen, beim
guten, verjchwiegenen Monde weiß man fie wohl auf-
gehoben. Wie viele Dummheiten er mit anſehen muß,
er bleibt immer freundlich und mild.
„Die Poeten ſehen ihn übrigens nicht ſo proſaiſch
an, "als ein gewöhnliches Menſchenkind. Während leg-
teres ihn fchlechtweg „Mond“ titulirt, haben fie weit
geihmadvollere Benennungen. Da heißt es: „Tanfte
Luna,” „holde Selene” „leuchtende Blume der Nacht“
119 |
und dergleichen, und dabei ſeufzen fie und machen
Gedichte. — Wenn der Mond ein Landſtand wäre, ſo
gehörte er gewiß nicht zur Oppofition, denn eine folde
Toleranz, wie er feit Adam und Eva gegen die Boeten
an ven Tag gelegt hat, davon kann wohl feine De-
putirtenfanmer auf Erden ein ähnliches Beifpiel aufs
weijen‘ |
„Der Mond ift ferner der ältefte Gevatter. Wie
unzählige Male hat er Gevatter geſtanden; denn wie
oft ift er nicht in ftiller Mitternacht zum Zeugen von
Liebesſchwüren und Liebesbetheuerungen angerufen
worden.
„Unſer Freund behauptet ferner in allen unſern
Kalendern einen Haupt- und Ehrenplatz. Allwöchentlich
kann er ſich abkonterfeit ſehen; bald ſchwarz, bald roth,
bald als Sichel en profil, bald bausbäckig en fage.
„Wer bedürfte des Mondes nicht! Der Landmann,
der Arzt, der Apothefer, der Schifffahrer, der Wein-
bauer, die Wafchfrau. Jeder Here ift er unentbehrlich);
und ohne ven Mond gäbe e8 feine Mondfüchtigen.
„Trotz dent iſt die Menfchheit noch nicht im Kla—
ren, ob der Mond eigentlich eine Frau oder ein Mann
ift. Die Griechen und Römer machten ihn zur Madame
und ſprachen gar zärtlich zu ihr. Die Deutſchen hal—
ten ihn für einen Mann und ſagen:
„Guter Mond, du gehſt jo ſtille ꝛc. und
Es kann ja nicht Alles ſo bleiben
Hier unter dem wechſelnden Mond.
„In dieſen beiden Mondſcheinverſen wollen übrigens
ſcharfſichtige Philoſophen die erſten Keime der deutſchen
revolutionären Propaganda erblicken.
„Nämlich in dem „guter Mond, du gehſt fo ſtille“
fol ein Vorwurf Liegen, daß es gar nicht vorwärts
mit ihn und alle den will, was er auf Erben bee
120
ſcheint, und in der Kotzebue'ſchen Phraſe fpricht fid)
das Prinzip ded Mouvement Har und offen aus; ein
neuer Beweis, wie unrecht der phantaftifche Schwärmer,
der Stubiofus Sand, hatte, ‚ven Verfaſſer todt zu
ftechen und hiermit zugleich dem deutſchen Luſtſpiele
den Todesſtoß zu verſetzen.
„Auch die Türken ſind große Mondliebhaber, ha⸗ |
ben fih ein Stüd abgefehnitten und in ihre Yahnen
genäht und auf ihre Minarets geftedt. Es wäre je-
doch eine ſehr voreilige Behauptung, wenn man deshalb
die Mufelmänner für fentimentale Leute halten wollte.
In Deutfchland unter den Lindenbäumen, da ift bei
Mondſchein die Sentimentalität mit Händen zu greifen.
„Am brutaliten aber verfahren die Aftronomen mit
dem guten Monde. Die fpredien, er fer nichts als
eine große Schlade und fehen ihn über die Adyfel an,
weil er fo verftändig ift, fich nicht wie ein Teuerrad |
um fid) felbft zu drehen. Nichts als himmelhohe Fel-
fen gäbe e8 da, fein Teuer und fein Wafler. Den
noch hatte ein deutſcher Sternguder es ſo weit gebracht,
die Wachtparade auf dem Monde aufmarſchiren zu
fehen, nach allen Regeln der Taktik. Wir wollen die
Wahrheit vahingeftellt jein laſſen, daß aber der Mond
bewohnt ift, unterliegt feinem Zweifel, denn wer hätte
den — Mann im Monde nicht gefehen!“
Eginhard war mit feinem Meondcollegio zu Ende
und man brach auf, um nad Buchenfels zurüdzu-
ehren. Der Heimweg war wunderfhön. Bodo umgirrte
Marien wie immer und Eginhard contrecarrirte ihm
durch humoriſtiſche Bemerkungen und Einſchiebſel in
Einem fort. Bauline, das kluge Kind, hatte alsbald
die Sache durchſchaut und mußte oft laut lachen, wäh-
rend Bobo fih im Innern gelobte, den Störenfried
‚mit nächſter Gelegenheit Hals und Beine zu brechen.
421
So langte nıan nad) anderthalb Stündchen wohl- |
behalten auf dem Schloſſe an. _
- 14.
In Johannes war feit Eginhard's Erzählung von
der Roſe von Segovia eine große Beränderung vor-
gegangen. Er war fidhtbar ernfler und nachdenklicher
geworden. Weber feinem Gefichte ruhte eine leife Schwer⸗
muth. Wiewohl er in Gejellichaft heiter und aufge-
räumt wie fonft erichten, jo konnte er doch, ſobald er
allein war, feine innere Stimmung nicht verbergen.
Eine Thräne trat dann nicht felten in feine Augen
und ber Name „Eugenia“ durchbebte fein Innerſtes
wie ein feliger Schauer. Cine magijche Gewalt zog
ihn fort und fort nach den Mauern des alten Schlofies.
Am liebſten befuchte er allein vie alterthümlichen, halb⸗
zerfaflenen Hallen. Da war kein Winkel, ven er nicht
unterfucht, fein Keller, wo er nicht hinabgeſtiegen wäre.
In die Wohnung des Bibliothefard zu gelangen, war
ihm übrigens noch nicht gelungen.
Eines Morgens, rofige Träume waren in der ver-
gangenen Nacht ihm vorübergezogen, hatte er ſich be=
reitd früh aufgemacht nach dem alten Cchloffe. Wieder
flieg er die Wendeltreppen auf und ab, wieder fuchte
er vergebens nach einem Punfte, von wo man den
Garten des Bibliothefars hätte überfhauen können.
Er fletterte in die dumpfen Seller hinab, und da er
fein Licht mit fi) genommen, tappte er lange in der
Finſterniß umher. Bald war er jo weit in die Gei-
tengänge vorgedrungen, daß aud der ſchwache Licht⸗
ftrahl erloſch, der durch die Deffnung bereinfiel, durch
welche er herabgeftiegen war. Er tappte mit den Hän=
4122
“ den vor ſich greifend immer weiter. “Die unterirdiſchen
Gänge Freuzten fih; bald wußte er nicht, follte er
vorwärts oder rückwärts. Er tappte in Einem fort.
Der Gang fhien fein Ende zu nehmen. So viel ev.
fi) entjann, war er früher in.eine jo lange Halle
nie gefommen. Er war unfchlüffig, ob er weiter gehen
ſollte. Da indeß der Gang, wie alles Menſchenwerk,
body ein Ende haben mußte, fo beſchloß er, muthig
fertzuwandern. So währte e8 wieder eine geraume
Zeit. Die Nacht blieb undurchdringlich. Auch war es
Nkalt und eine Todtenſtille. Man hörte ein Sandkorn
fallen, Nach einiger Zeit bemerkte er, wie ſich ver
Gang wieder in zwei andere Gänge theilte, von denen
der eine fi rechts, der andere links wendete. Er
überlegte einige Secunden, welchen er einfchlagen jollte.
„Ber links und rechts muß man das Rechte wählen,‘
ſprach er zu fi und wanderte ven Gang zur Rechten.
Hier ging's wieder in die Ewigkeit.
„Der verwünfchte Gang,“ brummte der unter-
irdiſche Wanverer, „muß doch einmal ein Ende haben!
Wahrſcheinlich hat er für die einftigen Ausfälle over
zur Flucht aus der Burg gebient und mündet in irgend
einem veizend und verftect gelegenen Thale.“
In diefer Hoffnung tappte er getroft vorwärts.
Endlich gelang es ihm, das Ende des Labyrinths zu
erreichen, aber darum feinen Ausgang. Johannes ftand
mit einemmale vor einer falten feuchten Mauer. Er
vifitirte, fo gut es gehen wollte, die Localität, und
mächte die höchſt unangenehme Entvedung, daß bier
die Welt nicht ſowohl mit Bretern vernagelt, als mit
energifhen Quadern vermanert fe. Er mochte nad)
allen Richtungen hintaften, überall ftieß er auf ftei-
nernen Widerſtand. Vergebens forfchte er nad) einer
Oeffnung. Es war gewiß, der Gang hatte hier fein
123 —
Ende erreicht. Mit der Mündung im fchönen früh—
Iingewarmen Thale war es ſonach nihte und unferm
Troglodyten blieb nichts übrig, als umzulehren und
fi) denjelben Weg zurüdzugreifen, ven er gekommen
war. Seine Lage war nit Die angenehmite. Wer
tonnte willen, ob er fi eben fo glücklich wieder her⸗
ausfand, wie er hineingerathen war! Wie bald fonnte
dieſes oder jenes uralte unterirdifche Gemäuer, ob des
ungewohnten Beſuchs erfchroden, zufammenjtürzen, ihn
erfchlagen, oder in ewige Nadıt begraben. Reine Seele
auf der Dberwelt wußte von feiner unterirdiſchen Cr:
„Es ijt gut,” ſprach Johannes, „dag Freund Egin-
hard nicht von der Parthie ift, wieviel Geifter, Schlan⸗
gen und Kobolde wäre er bereits anfichtig geworben,
und weld. ein Miferere würde er über den hödhft
romantifhen Yal anftimmen, ven Ausgang mit Qua—
dern vermauert zu finden.”
Johannes hatte jest glüdlih die Stelle wieder
erraht, wo fi der Hauptgang rechts und linke in
zwei Arme theiltee Die rechte Hand hatte ihn aljo
diesmal, doch betrogen. Gr war ſchon im Begriffe,
weiter vorwärts zu marjchiren, als ihm der Gedanke
fam, nichts ununterfucht zu laſſen, vielleicht führe der
Iinfe Gang dennoch in's Freie.
Er beſann ſich nicht lange und befuhr den linken
Schacht. Dieſer war indeß mit weit größern Schwie⸗
rigkeiten zu paſſiren. Aller Augenblicke ſtieß ſein Fuß
an anſehnliche Steine, die am Boden lagen. Er ſprach
ſich Muth ein, räumte die Steine aus dem Wege oder
kletterte darüber und drang mit vieler Energie weiter.
Nach Johannes Berechnung war dieſer Gang bei
Weitem länger als der vorige. Er war ſchon eine
geraume Zeit vorwärts gedrungen, ohne das Ende zu
"412%
erreichen. Die im Wege liegenden Steine wurden
immer zahl- und umfangreicher.
„Wenn das fo fortgeht,“ ſprach der Unterirdiſche,
„und id) feinen Ausgang finde, komme ich vor Mittag
nicht wieder an's Tageslicht. Ich war bisher immer
jo vorfichtig, eine Laterne anzuzünden, wenn ich in
“diefe unwirthbaren Keller herabftieg und heute gerade
mußte ic, fie vergeffen. In dieſe Gegend, mo id)
mich dermalen befinde, hat ſich ficher feit Jahrhun—
derten fein menfchlicher Fuß verirrt. Eginhard wird
fid) wundern, wenn er aufwacht und mein Bett leer
findet. Der Himmel weiß, welches Mährchen ver fich
erdenft über mein plögliches Verjchwinden und wie
Wertheim's in Furcht und Bangen gefett werben.
Ich will nody hundert Schritt vordringen und wenn
ber verwünjchte Gang fein Ende nimmt und fi
„Die Küfte nicht zeigen will,
tehr’ ih auf alle Fälle um.
Unter foldyen Gefpräcden tappte, kroch und ftolperte
er immer weiter.
„Nach meiner Berechnung,“ fuhr er fort, „muß
ic) bereit3 eine halbe Stunde von Buchenfeld entfernt
fein. Unter dem alten Schloffe wenigftens befinde ich
mid) nicht mehr, das ift gewiß. Es wäre ein heil-
lofer Rüdzug, wenn das Loch hier gleichfalls mit un⸗
gefchlachten Quadern verftopft wäre.”
Nah feiner Meinung mußte er jeßt die hundert
Schritte zurlicdgelegt haben. Er ruhte ermübet aus,
denn die beftändige Kletterei über die Steinhaufen war
ſehr beichwerlih. Rings herrſchte Todtenſtille. Er
hatte fih auf einen mädtigen Stein geſetzt und mit
dem Rüden an die Wand gelehnt. Hier überfann er
feine feltfiame Situation.
. 425
„Mit Eginhard zu reden,” fprady er, „befinde ich
mich in einer höchſt romantifchen Yage, obfchen ich von
der Romantik ver lauter Finfternig nichts ſehe.“
Er ſtrengte fein ganzes Hörorgen an. Da — o
Himmelsruf aus ſchön'rer Welt — tönte der erfreuenbe
Geſang einer Lerche. Sein ganzes Wejen war freudig
ergriffen. Er berechnete jest, dag der Gang nicht zu
tief unter der Erde dahin führe und ficher eın Aus-
gang aufzufinden fei.
Er drang mit neuen Muthe vorwärts. Der Yer-
henruf fam näher; aber je weiter er vorwärts Hlet-
texte, defto unmegfjamer ward tie Paflage, fe daß er
zu fürdten anfing, der Gang werde am Ausgange
ganz zufammengefallen und verjchüttet fein.
Eben war er bemüht, ein neues Felſenſtück zu
überffettern, als ihm ein wunderbar belebender Haud)
entgegen wehte. Er athmete mit Wohlbehagen viele
reine Luft, welche aus irgend einer Oeffnung von der
Dberwelt herablomnıen mußte. Neue Hoffnung belebte
ihn; doc blieb die Finfternig Diefelbe. Der belebenve
. Zuftftrahl ward aber immer erquidenvder, Johannes
immer freudiger.
„Eginhard,“ ſprach er, „würde rufen:
„Rapp, Rapp, ich witt're Morgenluft!
Plöglih drang ein goldener Lichtftrahl in die Fin—
fterniß, daß der unterirdifche Wanderer, der fo lange
in der Nacht gelebt hatte, geblenvet ven Blid abwärts
wenden mußte. So wie er fid) etwas an das Licht
. gewöhnt hatte, ging die Reife weiter, und jo ward ihm
endlich die Freude, ven Ausgang der Höhle zu entveden.
Derfelbe war mit dichten Geſträuche bewachlen,
und die goldene Sonne blidte in bezaubernder Schöne
durch das grüne Laub; anfehnliche Felſenſtücke lagen
126
vor der Mündung des Ganges, wie vor dem heiligen
Grabe.
Johannes überwand, dem Ziele ſo nahe, die letzten
Schwierigkeiten, überkletterte den Felſen am Ausgange
und ſprang jubelnd in Gottes ſchöne Welt.
Er war äußerſt neugierig, an welchem Orte er
eigentlich das Licht wieder erblickt haben würde; aber
wie groß war ſein Erſtaunen, als er umherſchaute,
und über ſeinem Haupte die grauen Felſenmauern des
alten Schloſſes emporſtiegen.
„Bin ich behert?“ fragte er ſich, „nad meiner
unterirdifchen Wanderung muß ich wenigftend eine
hälbe Stunde von bier entfernt fein. ‘Der Gang
fann doc nicht wie eine Spiralfeder um fich felbft
gelaufen fein. Meines Erachtens führte er immer
gerad’ aus.” \
Gleichwohl war e8 nicht anders. Als fih Iohan-
ned indeß genauer umfchaute, gewahrte er mit felt-
famem Gefühl, daß er fih in dem — Garten des
Bibliothefare befand. Kaum wagte er weiter zu fchrei-
ten. Der ganze Garten mit feinen wunderbaren,
fremdartigen Kräutern und Blumen ruhte in heiliger
Morgenpradht. Ueberall zitterten Thauperlen auf Blät-
tern und Ranfen. Der eine Theil des Gartens bil-
dete eine Art englifchen Park. Hohe Pinien und
Lerchenbäume, untermifcht mit frembartigem Buſchwerk,
bauten einfame Schattengänge. „Johannes wanbelte
den einen entlang.
Er war feltfam bewegt, als er in dieſem geheim-
nigvollen Gehege, das fo oft der Gegenftand feiner
Neugier und feiner Geſpräche geweſen war, langſam
dahin ſchritt. Er glaubte fi) nah feiner langen
nächtlichen Wanderung in eme andere Welt verſetzt;
denn felbft die fremden Pflanzen dufteten jo morgen-
127
ländiſch, daß es ihm zu Muthe war, als befände er
fid) in Tanfend und Einer Nacht.
Plöglih blieb er regungslos ftehen und hielt hoch⸗
flopfenden Herzens ten Athen an. Es war ihm,
als vernähme er hinter der grünen Taruswand leife
Fußtritte. Gewiß, er hatte fid) nicht getäufcht und
um einen mächtigen Strauch blühender Hortenfien bog
die — Rofe von Segovia. Lie ging wie ge
wöhnlidy ganz weiß; um ven blendenden Nacken floß
wie Nebelhaudy ein blauer Florſhawl, das Yodenhaupt
war mit einem andern Shawl turbanartig ummunben ;
nichtö deſtoweniger rollten mehre der ſchwarzen Yoden
auf vie blendende Schulter herab.
Die reizende feenartige Erſcheinung hielt ein Bud)
„in der Hant. So wie fie den Jüngling erblidte,
ftieß fie unwilllürtih einen Schrei aus -und wollte
entfliehen. Johannes aber hielt wie betend die Hände
gefaltet und rief mit Tönen unendlicher Yiebe: „Eu—
genie!“
Das Mädchen winkte mit der Hand; in dem rei—
zenten Antlige malten ſich Yiebe und Furcht.
„Flieht, flieht,‘ rief fie und winfte ängſtlich mit
‚der Hand, dag er umkehren ſollte.
„sh fliehen?‘ ſprach Johannes, und eine hohe
Röthe umfloß fein Antlig, „jest, wo ih Dich, Licht
meines Yebend, gefunden ? Nimmermehr!“
Flieht,“ wiederholte immer ängftliher Eugenie,
„mein Oheim wird fogleid) hier fein. “
„Ich weiche nicht, vief der Jüngling begeiftert,
„fett id) Did) wieder erichaut,
- Das Schöne Mädchen ftand in reizender Verwir—
rung, ihr Buſen pochte ſtürmiſch; fie mußte nicht,
ollte fie fliehen oder bleiben.
„Dies ift alfe der Hafen und das Aſyl und ber
4128
Wunſch ‘Deined Herzens,‘ fragte in zweifelndem Zone
der Jüngling, „dieſe abgefchievene Einfamfet? Eu—
genie, fei offen, ich beichwöre Dih! Du bift eine
Gefangene, komm, folge mir, ich führe Dich zurüd
in’8 Leben, in die Welt.‘
„Wer jagt Dir, flüfterte faum hörbar das Mäp-
den, „daß ich eine Gefangene; — ich bin glücklich,“
ſprach fie leife und ihr ſchönes Auge ruhte eine Se—
funde lang auf Johannes; „gewiß, vecht glüdlich.‘
„Süßes, wunderbares, heiliges Kind, vief in
überftrömendem Gefühle feines Herzens der Iüngling,
zog die Hand Eugenien's an feine Lippen und hauchte
einen Ruß darauf; „jet offen, entvede Dich mir, wirft
Du wider Deinen Willen in dieſer Hlofterartigen Ein—
ſamkeit zurüdgehalten? Vertraue mir, mein Blut und
Leben für. Dich)! Gedenke des Sonnenuntergangd auf
Belvedere; Du fagteft mir nicht, wohin Du gingeft,
und doch hab’ ich Dich gefunden. Ich mußte Dich
ja finden! Dieſe heilige Gewißheit glühte fortwährend
in mir wie ein himmlifches Feuer und fiehe, fie hat mid
nicht betrogen. Eugenie, kennſt Du diefe Blume?‘
Ee zeigte ihr eine verwelkte blaue Glocke.
„Wie ein füRes, befeligendes Vermächtniß,“ fuhr
Johannes fort, „hat dieſes koſtbare Gefchenf auf mei-
nem Herzen gerubt. Ich habe es treulich bewahrt, wie
meine Liebe zu Dir. Darum vertraue mir, Eugenie;
Du bift nicht heiter. Wer wagt es, dieſes Himmels:
auge zu trüben?“
Das Mädchen hatte von Zeit zu Zeit Tchüchtern
durch die grünen Zweige nad) dem alten Schloſſe ge:
blickt. Sie legte den Finger an den Mund, winfte
dem Juüngling und jchlüpfte durch einen Geitengang
nad dem abgelegenern Theile des Parks. Johannes
folgte ihr, die Bruft voll taufend Himmel,
429
15.
Nach einigen Tagen ſah man den alten Wertheim
mit Signor Bafilico in des letztern Garten im leb—
haften Geſpräche aufs und abgehen.
„sh kann Euer Verfahren hinfichtlih Eugenien,“
ſprach Wertheim, „durchaus nicht mißbilligen. Ihr
habt wie ein zweiter Vater an dem Mädchen gehan-
delt. Es war Hug, daß Ihr fie von der ſchwachen
Tante, wo fie den Bewerbungen des hochgeftellten
MWüftlingd preisgegeben war, hinwegnahmt und in
biefe Einfamkeit begrußt. Hier allerdings würde fie
völlig unbefannt geblieben fein, wenn nicht Euer eig-
ned geheimnißvolles Weſen die Neugier der Meinigen
vorzugsweiſe auf Euch und Cure nächte Umgebung
gelenkt und die Liebe felbft durch Die Unterwelt in
das flille Paradies gebrungen wäre. Mein Neffe,
Sohannes, einer der bieberften und rechtſchaffenſten
jungen Männer, und der aud font nicht auf den
Kopf gefallen ift, lernte das Mädchen auf feiner Hier-
herreife kennen, verliebte ſich fterblih in fie, um
wenn nicht Alles trügt, ift auch ſie ihm nicht abge=
neigt. Ich vertrete Vaters Stelle bei dem Jüngling,
ver felbft elternlos in der Welt fteht und habe gegen
dieſe Liebe durchaus nichts. Sie ift mir im Gegen-
theil Lieb, weil vergleichen einen Jüngling von man-
hen Berirrungen zurüdhält. Was der Himmel zu-
femmenfügt, fol der Menſch nicht fcheiden; und fo=
bald Johannes in das bürgerliche Leben eingetreten
ift, mag es in Gottes Namen ein Paar geben, es
joU mic Herzlich freuen. Wie ih Eure Nichte habe
fennen lernen, kann man einem Manne gar feine
beſſere Frau wünſchen. Bis dahın wird Eugenie an
meinen beiden Töchtern liebevolle Schweitern finden.”
Stolle, fümmtl. Schriften. XVI. I
130
Der Bibliothefar hatte nicht ohne fichtbare Be—
wegung der Rede Wertheim’s zugehört. Er erfaßte
deſſen Hand.
„Theuerſter Mann,” fprad) er, „Ihr habt da aud)
meinen Herzenswunſch ausgeſprochen. ugenie, das
unſchuldige, aufrichtige Kind, hatte auch mir ben
Eindrud nicht verheimlidht, den Johannes Bild auf
fie gemacht hatte. Wohl hat mir das manche ſchwere
Stunde gefoftet, zumal ich mit Schreden in dem einen
der beiden Mufenföhne alsbald benjenigen erfaunte,
ver für Eugenien's Ruhe jo gefährlich war. War
mir's daher zu verbenfen, wenu ich mid) feit der An—
funft der jungen Männer noch forgfältiger zurüdzog?
Darum mein menjchenfeindliches Benehmen, das mir
in Eurer Familie fo oft zum Vorwurf. gemacht wor—
den if. IH hatte meinen guten Grund. Gefteht
jelbft, wozu hätte eine Liebjchaft der beiden jungen
Leute führen follen, für den Fall Iohannes nicht der
edle Mann war, wie Ihr ihn mir gefchilvert habt?
Wohl hat mid das Mädchen oft fchmerzlich gedauert,
wenn fie mit thränenvden Augen bat, ein wenig aufßer-
halb ihres engbegrenzten Aſyls ſich ergehen zu Dürfen,
und ich ihr dieſen billigen Wunſch abfchlagen mußte.”
„Nun, die Zeit der Prüfung ift vorüber, trö-
ftete Wertheim, „Eugenie kann wenigftens in unfere-
fleine ftille Familienwelt zurückkehren.“
Dei Bibliothefar ſchien noch etwas auf dem Her—
zen zu haben, das er Wertheim zu vertrauen wünjchte,
er hatte immer gezögert. Endlich ergriff er die Hand
des Schloßherrn.
„Roh eins, edler Herr,” ſprach er nit ohne
Bellommenbeit, „muß ich Euch vertrauen. Es war
noch ein zweiter Grund vorhanden, der mich beftimmte,
Eugenien unter meine jpecielle Aufficht zu ftellen, das
431
Mädchen litt nämlich feit einiger Zeit am Somnam—
bulismus. Meiner Kur und Pflege ift es jet, Gott
ſei Dank, gelungen, dieſes Uebel zu heilen, Seit
dem letten Vollinond, wo fie zum letzten Male ihre -
nächtliche Wanderung antrat, haben mir nichts mehr
zu befürchten,‘ |
Wertheim horchte hoch auf.
„Wie,“ rief er, „jo Hatte Freund Eginhard doch
recht geſehen, als er uns von der Geiſtererſcheinung
auf den Zinnen des alten Schloſſes erzählte? Er hat
uns lange genug damit ‚in den Ohren gelegen, aber
da er fortwährend nur von der Roſe von Segovia
ſprach, glaubten wir, daß ihm feine aufgeregte Phan-
tafie einen Streich gefpielt habe. So erflärt ji ja
Alles natürlich.”
„Es giebt ja feine Wunder,” antwortete Bafilico, .
„als die Wunder Gottes, die wir täglih an jedem
feiner Gejchöpfe wahrnehmen fönnen, ohne daß wir
uns in. das phantaftifche Gebiet ber Geſpenſter zu
verſteigen brauchen. Für diesmal aber, edler Herr,“
fügte er bittend hinzu, „wäre mein Wunſch, daß jene
nächtliche Erſcheinung die Roſe von Segovia verblei—
ben möchte. Eugenie weiß ſelbſt nichts von ihrem
Traumwandeln, und es könnte wenigſtens jetzt von
ſchädlicher Einwirkung ſein, wenn ſie davon erführe.
Möge das Geheimniß unter uns Beiden verbleiben,
und erſt ſpäter, wenn keine Gefahr mehr vorhanden,
veröffentlicht werden, und mit der Wahrheit die letzte
Spur der wunderbaren „Roſe von Segovia“ ver—
ſchwinden.“
„Freund Eginhard,“ lächelte Wertheim, „wird
uns dafür allerdings wenig Dank wiſſen, aber es
kann ihm nur von Nutzen ſein, wenn er ſieht, wie
ſich Alles natürlich auflöſt.“ 9x
‚432.
Johannes und Eugenie famen jeßt den Gang da—
‚ber. Es mar ein wunberfhönes Paar. In ihren
Blicken leuchtete die Verklärung der erften Liebe.
Signor Bafilico war von jegt an durchaus nicht
ber menfchenjcheue, wortfarge Dann mehr; im Ge—
gentheil war er recht heiter und fogar froh gelaunt.
Er führte Werthein und Johannes durch feine
ſchöne Blumenwelt, erflärend und belehrend als gründ-
licher Botaniker und tiefer Kenner der Natur.
Auh Eugenie, die geiftreihe Schülerin ihres
Oheims, war nicht unbewandert in der Blumenfunde,
and Iohannes hatte in feinem Leben noch fein jo
himmliſches Collegium gehört, als hier im arten
des Bibliothefard von den Lippen des geliebten Mäd—
hend.
| Sie ftanden eben bei einer blühenden Aloe und
ſchauten mit ſtummer Bewunderung in das glühende
Tarbenmeer der Niefenblume, als eine Stimme, wie
aus ven Wolken herab, rief:
„Dreiundſiebzigſter Beweis, daß Buchenfels von
den Sorben erbaut, fpäterhin von den Deutjchen er-
obert, wieder verloren, und abermals erobert wor=
den. Hier dieſe echt ſlaviſche Streitart ift der drei—
undfiebzigfte Beweiß und überdies ein höchſt ſchla—
gender.”
Es war Eginhard, welcher, feit fih die Pforten
des geheimnißvollen Schlofjes geöffnet, wie eine Maus
in allen Gemächern und Winkeln des uralten Gebäu-
des umherfuhr und nad Antiquitäten ſuchte. Sein
Kopf gute ganz oben am Giebel des Schloſſes wohl-
gemuth heraus und ſchwang in ver Rechten triumphi-
rend eine alte Streitart.
„Es unterliegt gar feinem Zweifel,” docirte er
herunter, „daß dieſe brave Waffe feine acht hundert
133
Jährchen auf ten Rüden hat. Ic möchte willen,
wen fie alles auf den Kopf getippt hat. Wo die an-
pochte, wuchs fein Gras wierer. Uebrigens ift es
febr betrübend, daß ich troß aller Nahforfchungen
nicht herausbekommen habe, ob vie heutigen Schloß⸗
befiger von den Sorben abftammen oder ob es echte
Germanen find. Paulinen’3 blonde Haare beweifen
gar nichts. Alle deutſchen Hiftorifer ſtimmen über-
ein, daß wir in dieſem Punkte in völliger Duntel-
heit tappen. Setbft bei manchen erlauchten und ur⸗
alten deutſchen Fürftenfamilien, wie zum Beifpiel bei
dem Haufe Wettin weiß man nicht, ob es rein ger:
manifher Abkunft if. Bei uns nichtfürftlichen Per-
fonen ift die Sache noch weit ſchwieriger. Das macht
wir vielen Kummer. Ich münfchte, ich wär’ in Fran—
fen oder wenigftens in Thüringen geboren, da wüßt'
ih Doch, woran id wär’; jo werte ich in Ungewiß-
beit tappen und mid) fchließlich zeitlebens in's Grab
legen, ohne zu willen, ob idy mid als Elave ober
Germane hineinlege.“
Johannes und Eugenie achteten nicht viel auf die
antiquariſchen und genealogiſchen Lamentationen Egin—
hard's und wandelten ſtill ſelig die Blumenbeete ent-
lang. Bald traten auch Albert und Bodo, Marie
und Pauline in den Garten. Die zwei Märchen eil-
ten ſogleich auf tie Schöne Eugente zu, und umarm-
ten fie mit ſchweſterlicher Yiebe.
Johannes hatte jetst im Geringften nichts mehr
gegen Bodo's und Marien's Yiebe einzuwenden; ja
er fah es ſogar nicht ungern, daß fid) Albert für
Baulinen intereffirte; er war felbft zu glüdlid durch
den Beſitz Eugenien's, als dag er andern nicht ein
gleiches Glück hätte gönnen fellen.
134
16.
Johannes faß am Fenſter und zeichnete Das herr-
liche Vandſchaftsbild, das von einem Nachmittagsge-
witter koſtbar erfrifcht, in aller Anmuth wor ihm aus=
gebreitet lag. Eginhard ging mit vperfchränften Ar—
men und fehnellen Schritten in dem geräumigen Zim—
ner auf und ab.
„Da haben wir bie Beſcheerung, “ſprach er” in
abgebrechenen Sätzeu, „nun find wir total aus dem
Felde geſchlagen. Schöne Geichichten. Der Bodo
und Deine Coufine Nummer Eins find jo gut wie
DBrant und Bräutigam, und bereits pouffirt der Al-
bert den Paul nach Herzensluft. Die Galle möcht'
einem in's Blut treten, wenn man dieſe Paarſchaften
mit anfieht. Du haft wenigftend die Roſe von Ge:
govia; unter uns, ich beneide Dich nicht, aber - ich,
was bleibt mir? 5?
„Ward mir denn fein Herz gegeben,
Bin ih nicht auh Mädchen gut;
Immer ohne Liebe leben
Wäre wahrlih Höllengluth.
„Es ist zum Verzweifeln! Während id) mid) ab—
mühe und die Wiffenfchaft bereichere durch Auffinden
ver feltenften antiquariihen Schäte, während ich mie
ein Bergmann arbeite in den Schadhten des verwünſch-
ten alten Schloſſes, von Boden zu Boden fteige wie
eine Fahrmaus, verliebt fid’8 unter mir, daß es einem
grün und blau vor den Augen wird.
„Aber ich weiß, was ih thus,” ſprach er ſich
ſelbſt tröſtend, „ich werfe meinen Gnadenblick auf vie
arme verlaffene Camilla, des Paſtors Tüchterlein. Tas
ift ein himmliſches Kind. Ich habe mid) geftern char-
435
mant nit ihr unterhalten. Die liebe ich und beis
rathe ih, oder feine auf ter ganzen Welt. Cie tt
mir zehn Mal lieber als Teine überirdiſche Roſe von
Segovia oder Eugenia, oder wie fie getauft iſt; ich
glaube übrigens gar nit, daß fie getauft iſt, fie
ſtammt ja von den Muſelmännern ab, vie taufen die
Leute nicht; ward geberen ver Gott weiß wie viel
Jahrhunderten und ift dermalen ein eilt; zwar
hübſch, Geihmad muß man Tir laſſen, aber man
fieht ihr das Geifterbafte gleih an. Ta lob’ ih mir
Camilla, mit der weiß ib, woran ich bin, die ward
geboren vor fiebzehn Jahren, im Kirchenbuche ſteht's
ſchwarz auf weiß, von leiblichen, chriſtlichen und got:
tesfürchtigen Eltern, hat Fleiſch und Blut wie alle
bübfchen irdiſchen Mädchen und läuft nicht Des Nachts
auf den Dächern umber, ſondern bleibt rubig in ihrem
Bette.”
„Schweig mit Teinen Abgejhmadtheiten, ſprach
Johannes ziemlich ärgerlich, „und mach' Dich mit
Deiner Geiſterſeherei nicht noch lächerlicher, als es
ſchon der Fall iſt.“
„Geiſterſeherei? Gleichviel,“ entgegnete Eginhard,
„was ich geſehen habe, hab' ich geſehen, aber ſtaarblind
bin ich, Gott ſei Dank, noch nicht, und das alte
Schloß kann id im hellen Mondſchein auch noch er=
kennen, und auch den, der darauf umhermarſchirt.
Und daß es die Roſe von Segovia war mit ſammt
ihrem aſchgrauen Herrn Onkel; wenn ich Alles jo ge-
nau wüßte, wär's gut.“ Johannes antwortete gar
nicht mehr.
Eginhard fuhr brummend fort:
„Dieſe Roſe von Segovia möcht' ich nicht zur
Frau haben, und wenn man mir ſonſt was böte.
Was nützt mir denn eine Frau, die allnächtig ſechs
136
Sagen hoch zum Dachfenſter hinausſteigt mit allen
Schornſteinen und Geiſtern, und nur nicht mit ihrem
Ehegemahl converſirt. Behüte mich der Himmel, ein
ordentlich gebornes Mädchen heirathe ich, das nicht
in die Jahrhunderte hineinlebt, ſondern wenn ihr
Stündlein gekommen iſt, fich hinlegt und hübſch zu
Aſche wird, wie ſich's gebührt. Darum paßt Camilla
ganz herrlich für mich; ich glaube, daß fie diefe herr—
lichen Eigenſchaften beſitzt. Ich werde von nun an
die antiquariſchen Unterſuchungen einſtweilen auf ſich
beruhen laſſen, mich mehr concentriren und ihr den
Hof mit Syſtem machen. Ich werde dieſe herrliche
Perle erobern und alsdann weit eher zu beneiden ſein
als Du mit Deinem ſchwarzlockigen Mameluckenkinde.“
17.
Das Ende der Ferienzeit war herangenaht; Al—
bert und Bodo bereits vor längerer Zeit nach ihren
Gütern abgereiſt; doch kamen ſie oft nach Buchenfels
zum Beſuch. Das zärtliche Verhältniß des erſtern
zu Marien, des letztern zu Paulinen, ſchien immer
unauflöslicher zır werden. Johannes lebte wie im
Himmel an der Seite feiner angebeteten Eugenie;
und Eginhard, feinem Vorſatze getreu, hatte ſich ent-
ſchieden in Camilla verliebt.
Es war am Tage der Himmelfahrt, als man das
Abſchiedsfeſt gefeiert; denn die ſchon mehrmal verfcho-
bene Abreife der Mufenföhne war für den folgenden
Tag auf das Entſchiedenſte feftgejegt worden. Der
Abend war wunderſchön, die Schöpfung ftand in reich—
fter Pradht des Frühlinge. Schon flug das Korn
grüne Wellen, die Kaftanien blühten, bie weißen
437
Akazien leuchteten, und in ven YBufen ter Rofen
feimte ver erſte Purpurblick der Liebe.
Johannes ftand im ftummen Entzäden auf dem
Balkone des Schloffes, und überfhaute das frühlings-
volle Panorama. Eginhard trat zu ihm und ſprach
im dumpfen Tone:
„Heute haben wir Himmelfahrt und morgen Höl-
lenfahrt. Hand, ih ſchwöre e8 Dir bei allen Göt-
tern: ter Ober- und Unterwelt, daß ih den Katzen⸗
jammer nad vdiefem Himmelsleben nicht überlebe.
Uebrigens“ fette er zu feinem Trofte hinzu, „daß ich
mich "von jest wie ein böfer Feind auf mein Brot⸗
flubium, die edle Theologiam ftürze, und alle Allo-
tria vor der Hand dahin geftellt fein laffe, damit ich
e8 bald zu. etwas Neellem bringe, Amt und Würbe
erhalte. und meine bimmelsgute und jchöne Camilla
heimführen kann als trautes Eheweib, ift auch gewiß.”
Johannes lobte den Entſchluß und verfpradh ein
Gleiches.
„Wer den Shaß im Herzen trägt,” fuhr Egin-
hard fort, „wird nidht verfumpfen in der todten Dog-
matik und unerquidlichen Kirchengeſchichte. Es bleibt
dabei, ich beftelle mir einen längern Rod und werde
Philiſter.“
„Aber nur im akademiſchen Sinne,“ fiel Johannes
nicht ohne Wärme ein, „dem Philiſter im Leben ein
donnerndes Pereat.“
„Ja wohl,“ rief Eginhard,
„Pereant die Philiſter,
Ihre Gevattern und ihre Geſchwiſter,
Die Luckſer und Mucſer und Pfennigfuchſer,
Die Mucker und Achſelzucker,
Die Agio- und Taxendrucker,
Die Linſenwähler und Zinſenzähler,
Die Couponsſchneider und Hungerleider;
4138
Pereant die Philifter,
Ihre Gevattern und ihre Geſchwiſter!
„Diele meinft Du doch?“
„Allerdings, antwortete Johannes, „Das aller-
liebſte Philifterpereat ift übrigens nicht von Deiner
Weisheit, jondern vdm Hoffmann von Tallersleben,
der e8 einmal bei einer feftlichen Gelegenheit als Toaſt
ausbrachte.“
„Gab's auch nicht als von mir aus,“ ſprach
Eginhard, machte aber einen ehrfurchtsvollen Sprung
zur Rechten, denn ſo eben trat Eugenie auf den Bal—
fon und, lud mit bezaubernder Freundlichkeit die bei—
ben Jünglinge zur Abendmahlzeit.
„Das iſt wahr,” meinte Eginhard, als ſich Eu—
genie wieder entfernt hatte, „ſie iſt überirdiſch ſchön.
Uuter ver kalten deutſchen Sonne, glaub’ ih, kann
ein ſolches Mädchen gar nicht geboren werven. Wenn
Du der Camilla nichts verräthft, will ih Dir ein
Gedicht mittheilen, das ich auf Deine Schöne in ho-
hem poetifchen Erguſſe gedichtet habe.”
„Auf Eugenien?” fragte Johannes lächelnd.
„Auf Niemand anderes,” war die Antwort; „per.
Frauen Schönheit muß man huldigen, wo man fie
findet. Wart’ ein wenig, id) habe vie Verſe bei’mir.“
„Ein ander Mal,” ſprach Johannes und wollte den
Balkon verlafien. Eginhard hielt ihn aber am Arme
feft und beclamirte:
„Du Wunderbild aus einem ſel'gen Traum,
Wie ihn ein ſel'ger Gott geträumt:
Du Srühlingsgruß aus einer Frühlingswelt,
Wie ge nur über Sternen feimt;
Du Mollaccord der großen Götterharfe,
Du hobes Lied, das die Gewißheit fingt
Bon einem Engellanbe drüben;
Du Oelblatttaube, Die ung Nachricht bringt,
139
Daß wir dort finden Alles was wir lieben;
Tu Kronjumel, das einft in fel'ger Stunde
Der Himmel uns verpfändete zum Bunde;
Du Blumenurbild alles ird ſchen Schönen,
Du Meifterjtüd, das Schöpfungswert au krönen! —
Bergebens jucht die kühne Pbantaſie
Nah Sternen, Blumen, Perlen, Bildern,
Ein Göttertraum, wie Du, ift nie
Bon einem Eterblihen zu ſchildern.“
„Recht brav,” lobte Iohannes, „wenn aud etwas
überfhwenglid, und eilte voran.
„un wird er bald einfehen,“ fagte Eginhard für
fih, „daß ich allenfalld auch meinen Vers zu Stande
bringe, wenn ich mir die Sache einigermaßen angele-
gen fein laſſe. Uebrigens, trog allem dieſen poeti=
fhen Summſumm, möcht’ ich die Roſe von Segovia
nicht zur rau. Die Dahpromenaden kann ich bei
aller bezaubernden Schönheit nicht vergefjen.‘
Er folgte den Johannes nad dent Speiſeſaal.
Zum legten Male ſaßen heut die Freunde und
Freundinnen beifammen in dem befannten freundlichen
Lokale, wo fie in den fchönen Frühlingstagen fo viele
“ frohe Stunden verlebt hatten. Auch Albert und Bodo
waren angelangt zum Abfchiensmahle.
Der Bibliothefar, welhen Alle, mit Ausnahme
Eginhard's, der ihn auf vem Dache gejehen und
darum nicht traute, wahrhaft lieb gewonnen hatten,
fehlte jetzt neſbſt Eugenien nie mehr an Wertheim’s
: Tafel und unterhielt die Geſellſchaft durch ſeine emi-
nente Belefenheit, vie bei ihm nicht todtes Willen
war, auf das Angenehniite.
Den vier Mädchen, auch Camilla befand jih an
der Tafel, war aber diesmal keineswegs fehr freudig.
zu Muthe. Sie gedachten der Einſamkeit auf Bu—
140
chenfels, wenn die Yünglinge abgereift fein würden
und jagten dies laut.
Dem Johannes und Eginhard lag der Abſchied
nicht minder ſchwer auf der Bruft.
„Wenn das gelehrte Net,” ſprachLetzterer, „ic
meine unſre Akademie, nur nicht fo gar weit von
Buchenfels entfernt läge, da fönnten wir unter ber
Hand einen Abftecher riskiren; aber drei Tageteifen iſt
kein Spaß.“
„Hätten wir Eifenbahnen, wie in England, “ ſprach
Johannes, „ſo wär's ein ſolcher.“
„Ein abermaliger Beweis,“ meinte Eginhard, „daß
des großen Kaiſers Untergang ein Weltunglüd war.
Lebte der noch, führen wir längſt mit Eifen und
Dampf. Uebrigens iſt's fo auch gut. Iſt Europa
mit Eifenbahnen überfponnen, hat alle Entfernung
und damit alle Poefie ihr Ende. Ich lobe mir bie
alten guten Poftwagen des heiligen vömifch= deutfchen
Reichs. Wenn da ein Familienvater von Hannover
nach Göttingen reifte oder von Dresden nad) Leipzig,
machte er vorher fein unumftoßbares Teſtament, nahm⸗
Abſchied von ſeiner lieben Familie, als ging's direct
nach Beſſarabien oder nach Tombuktu. Da gab's
noch Poeſie und Straßenräuber.“
„Da bin ich andrer Meinung,“ gegenredete Jo—
hannes, „und derſelben ſind die trefflichſten Dichter
unſrer Zeit. Wie poetiſch beſingt ver herrliche Ana—
ſtaſius Grün die Eiſenbahnen. Der findet keine Proſa,
ſondern hohe Poeſie in dieſer weltgeſchichtlichen Er⸗
findung und noch vor Kurzem las id in ben Ges
Dichten des genialen Magyarenfindes Karl Bed bie
eben jo wahren als ſchönen Berfe:
„Eiſen du bift zahm geworben ;
Sonft gemohnt, mit wilden Dröhnen
Ak
Hinzumwettern, hinzumorden —
Ließeſt endlich Dich verſöhnen!
Magſt nicht mehr dem Tode dienen,
Liebſt am Leben feſt zu bangen,
Und auf deinen ſpröden Schienen
Wird ein Hochzeitfeſt begangen.
„Hört Ihr donnern bie Karoſſen?
Deutſche Länder ſitzen drinnen,
Halten brünſtig ſich umſchloſſen,
Wie fie koſen! Wie fie minnen!
Und des Glödleins helles Klingen
Sagt uns, daß die Paare kamen
Und die Woltenpfaffen fingen
Drauf ein donnernd dDumpfes Amen.
„Raſend rauchen rings die Räder,
Rollend, grollend, ſtürmiſch braufent,
Tief im innerften Geäder ’
Kämpft der Zeitgeift freiheitsbrauſend
Stemmen Steine ſich entgegen,
Reibt er fie zu Staub zulammen,
Semen Fluch und feinen Segen
Speit er aus in Raub und Flammen.‘
„sit das derſelbe Karl Bed, fragte Eginhard
begeiftert, „welcher fingt:
„Da liegt vor mir die Bibel aufgeichlagen,
Bon bellen Thränen wird mein Aug’ erhellt,
Daß fih der Menſch jo lang, fo lang getragen
Mit Trümmern einer längft gejuntnen Welt.
„Wie fih die Bilder wild und düſter treiben
Dur mein Gewitter ſchwüles, trübes Haupt;
Sa, eine neue Bibel will ich fchreiben,
An die ein zweifelndes Jahrhundert glaubt.
- „Ein großes’ Kreuz erhebe fih auf Erden,
Ein Kreuz, wohin der Jude gläubig zieht,
Ein Kreuz, woran die Heiden felig werben,
Bor dem der Teufel jelber nicht entflieht.
„Verſchloſſen liegt das Wort im Schrein der Xippe,
Bis daß fich’8 ringe zu der That hinauf;
142
So rubte ftill das Kinblein in der Krippe,
Und göttlich Welt erlöfend wacht es auf.
„Ein präcdtiger Kerl,” fuhr Eginhard fort, „nun
fol mir ein Philifter jagen, daß unfre Zeit nicht
auch ihre trefflihen Lyriker hat. Anaftafius, Zed—
u ig, Freiligrath, Lenau, Moſen, welch reicher Ster-
nenhimmel. Julius Moſen abſonderlich iſt mein Pieb-
ling. Der kommt mir gleich nach Heine, und ſeine
Gedichtſammlung unmittelbar nach dem Buche der
Lieder. Moſen's Lieder ſind Magnetſteine, die man
nicht ſowohl auf der Bruſt als in der Bruſt tragen
ſoll, um von ihrer wunderthätigen Kraft allgewaltig
überzeugt zu werden. Moſen's Muſe iſt ein wunder:
ſchönes Waldmädchen mit dunkeln blitzenden Augen
und gottberedtem Munde. Der Quell ihrer Lieder iſt
ein Geſundbrunnen im hohen Gebirg, wo er ſich an—
fangs wild und donnernd herabſtürzt, im tiefen.
Grunde umfchatteter Thäler. fließt, fpäter aber her—
vorkommt aus der Waldnacht, durch Wiefen und Blu-
men filberflar dahinrieſelt, mit herabnidenden Ver—
gifgmeinnichten und blauen Schlüffelblumen foft, und
wunberfüße, zartgoldne Mährchen erzählt aus feiner
Waldeinſamkeit. Kann e8 wohl ein zarteres, hinge-
hauchteres Liedchen geben, als die drei Verſe: Ä
„Das Neh gudt an die Kleinen,
Die ſchliefen Die ganze Nacht,
Ich habe bei den Meinen
Den ganzen Schlaf verwacht.
„Die Weinreb’ hat die Ohren
Zum Fenfter ’rein gethan,
Sie hat fein Wort verloren,
Sie fing zu blühen an.
„Der Mond wollt’ endlich jcheiden, -
Weiß nicht, wie mir geſcheh'n —
⸗
143
Den Blumen und uns Beiden
Voll Waſſer die Augen ſteh'n.
„Selbſt bei Heine und Goethe iſt mir ſolche
Zartheit nicht vorgekommen. Ferner das herrliche
Frühlingslied:
„O, Apfelbaum, was iſt es wohl mit dir?
Wo willſt du noch mit allen Blüthen hin?
Ser Apfelbaum, wo ftehet hin bein Sinn?
{lift tu dich denn in dieſen rothen Gluthen
Pit einem Male ganz und gar verbluten?
„In Blüthenwogen brauft ein Bienenſchwarm,
ae Engeldho sgelang in meiner Bruft;
fteht der Baum und finnt mit ftiller Luft,
“ it er wieder in fo jel’gen Stunden
Sein Heimathland, das Paradies, gefunden.
„Run muß man wieder den Dichter hören in
feinen Schwert: und Kriegsliedern. Welche Kraft
und welde Flammen: in feinen einfachen, körnigen
Boltshiever, fein Andreas Hofer, jein Tambour von
" Namur, fein Trompeter an ber Katzbach. Wie ge
fagt, in meiner Liebe fteht er als Lyriker unmittel=
bar neben Heine, was viel jagen will, denn ver Ver—
faffeer ver Reifebilder kann feinen enthufiaftifchern
Berehrer finten, ald meine Wenigkeit. Moſen's per-
fünlihe Bekanntſchaft hab’ ich bereitd vor mehrern
Iahren gemacht. Als ic, ihn im vorigen Winter in
Dresden, wo er als Advokat practicirt, beſuchte,
machten wir häufige Spaziergänge in die Umgegend.
Auf einem verfelben theilte er mir eine wunderjchöne
Anefoote von Marſchall Ney mit. Ich bearbeitete fie
als Gedicht, und da fie Moſen für nicht mißlungen
erflärte, habe icy fie abdrucken laſſen.“
„Dom Marſchall Ney,” rief Wertheim, „vem Für—
jten von der Moskwa, dem Bravſten der Braven,
100
amice! Heraus damit!
444
Eginhard ließ ſich nicht lange nöthigen und de—
klamirte:
„In dem Kerker Lavalette's,
Wo hinab kein Sonnſtrahl fiel,
Tönte oft in ſtillen Stunden
Wunderbar ein Flötenſpiel.
„War's doch Ney, der Fürſt der Moskwa,
Dort im oberen Gemach,
Der gefangen, ruhig=beiter
So mit feiner Flöte ſprach.
„Und nen alten, alten Walzer
Aus dem grünen Deutichland ber,
Herzgewinnend, herzbezwingend,
Diefen liebt er gar zu ehr.
„Und er fpielt ihn immer wieder,
Wenn er dort am Fenſter faß,
Bis auch Lavalette nicht wieder
Diejes holde Stüd vergaß.
„Stunden rannen, Tage gingen,
Immer zur gewohnten Zeit
Tönt der Walzer, wird durch biefen
Lavalette’8 Herz erfreut.
„War in feiner dunkeln Zelle
Diefer liebe Freubensgruß,
In den einfamreihen Stunden
Ya der einzige Genuß.
„Aber horch, welch feltfam Schweigen,
Welche Stille, dumpf' und ſchwer;
Iſt die Stunde doch gekommen —
Und der Walzer — tönt nicht mehr.
„Und es klirrt die Kerferpforte,
Und der Wärter tritt berein,
Und e8 fragt ber Freund erbleichend,
Was muß mit dem Marichall fein?
„„Marſchall Ney wird nicht mehr fpieleu
Mit der Flöte in ber Hand,
Bon ſechs Kugeln wohl getroffen
Stürzt’ er heute in den Sand.‘
Ak
„Da bricht dem getreuen Freunde
Schmerzlih das getreue Herz,
Und des Flötenipieles Schweigen
Mehret nur den tiefen Schmerz.
„Und er ruft nach bumpfem Schmerze:
So verblieb mir nichts von Dir,
Als der alte deutſche Walzer,
O er ſei geheiligt mir.
„Aber feltfam ob er finnet,
Ob er finnt mit vieler Müh —
Ausgelöfchet bleibt für immer
Ihm bie Walzermelobie.
„Jahre find dahin gegangen,
| Lang ſchon weilt im freien Land,
' In Amerika's Gefilden
E Lavalette geehrt, befannt.
„Und er kommt zu deutſchen Leuten,
Eine Kirhweih feiern fie —
och, zum Tanze um bie Linde
önt 'ne Walzermelobie.
„Und er bleibt betroffen fteben,
Lauſcht und laufchet, Kumt und ſinnt;
Und e8 wird ihm feltiam belle,
Zeit und Gegenwart verrinnt.
.. em,‘ Pan
„Und die hellen Thränen perlen,
's wird ihm, wie er nie gefühlt —
Ya, es ift der alte Walzer,
Den im Kerker Ney geipielt.
„Und die erften Thränen weint er
Sn dem fernen freien Land,
Wo er feines Freundes Stimme,
Seinen Walzer wiederfand.”
„richt übel,“ vecenfirte Iohannes, als Eginhard
peenvet hatte, „doch würde das Gedicht gewonnen
Stolle, fämmtl. Schriften. XVI. 10
1&6
haben, wenn der Name des Flötenjpielers im Anfang
nicht genannt wäre. Die Spannung des Xejerd oder
Zuhörerd würde erhöht und die Wirkung ergreifender
geweſen fein.”
„Iſt denn die Geſchichte wahr?“ fragte Pauline,
„Wenigſtens wird fie dafür gehalten,” ſprach
Eginhard; „Doch ift die Wahrheit in folden Din
gen nicht die Hauptjahe, wenn nur die „bee ans
ſprechend ift.“
„Das Gedicht können Sie mir auch da laſſen,“
bat Wertheim.
„Es kann nur ſchmeichelhaft für mich ſein,“ e er⸗
wiederte lächelnd der Verfaſſer.
„Ich hab' überhaupt,“ fuhr Wertheim fort, „durch
den Beſuch der Muſenſöhne einen wahren Schatz von
Gedichten erhalten, die mich ſämmtlich innig anſpre—
chen. Ich könnte einen Muſenalmanach herausgeben.
Uebrigens bitt' ich mir aus, daß der alte Onkel auch
künftig in dieſem Punkte nicht vergeſſen bleibt. Wenn
etwas Hübſches erſcheint, daß ich's bekomme. Ihr
kennt ja beiderſeitig meinen Geſchmack.“
Johannes und Eginhard verſprachen, dem wackern
Gaſtfreunde alle wichtige Erſcheinungen im Gebiete
der neueſten metriſchen Poeſie getreulich mitzutheilen.
„Ueberhaupt,“ bemerkte Eginhard, „iſt es eine
Hauptſache, hübſch in Correſpondenz mit einander zu
verbleiben; an mir wenigſtens ſoll's nicht fehlen.“
Man verſprach ſich, unter einander regelmäßig in
Briefwechſel zu treten.
Man blieb dieſen letzten Abend noch lange bei
einander. Eugenie, welche eine wunderſchöne Stimme
beſaß, trug mehre reizende Lieder unter Pianoforte⸗
begleitung vor. Nie hatten die Freunde die Goethe’=
chen Lieder, in Mufif gefett von Reichard, fo be-
147
zaubernd gefunven, als viefen Abend. Den Preis
aber trugen die zwei Verſe von Heine davon:
„Ein Fichtenbaum ftebt einfam
Im Norden auf kalter Höh';
Ihn fchläfert, mit weißer Dede
Umbüllen ihn Eis und Schnee.
„Er träumt von einer Palme,
Die fern im Morgenland
Einfam und fchweigend tranert
Auf brennender Felſenwand.
„Das ift in ter That das Lied aller Yieder,“
rief Eginhard begeiftert, „und wenn der göttliche
Heine feine Silbe weiter gefchrieben hätte, als viele
acht Zeilen, wär’ er darum einer der größten Dichter.”
„Auch Kotzebue's ſchönes Geſellſchaftslied: „Es
kann ja nicht immer fo bleiben ꝛc.“ ward im Chore
gefungen.
„sh kann's dem fantaftifhen, exaltirten Sand
mein Leben lang nicht vergeflen,” ſprach Eginhard, als
man zu Ende war, „daß er den guten Kogebue todt⸗
geftochen bat; ſei es auch nur des herrlichen Liedes
wegen, das wir fo eben gejungen haben. Ich mag
den Kotzebue nicht in allen Dingen in Schuß neh—
men, aber wer ein jolches Lied dichten fonnte, ift
fiber fein böfer Menſch geweſen. Ich laſſe mir das
nicht nehmen.“
Auch Wertheim ftimmte ihm hierin bei.
„Es war der unluftigfte Streid,“ fuhr exfterer
fort, „unfern beften Luſtſpieldichter todt zu ftechen; und
ih kann dem todten Etatsrath nicht gram fein, was
‚man ihm aud) Alles hat zur Laſt gelegt. Ich ver—
danke ihm mein Leben kang zu viel heitre Stunden
und frohe Theaterabende. Wenn er ja a ver⸗
1
\
148
dient bat, jo hat er ihn einzig deshalb verbient,
weil er den Napoleon lächerlich gemacht hat.“
„Mir aus der Seele geſprochen,“ fiel Wertheim
ein; „aber der Todte würde jeßt, wo die Leivenfchaft
verraudht ift, auch anders fingen und fagen.“
Wertheim und Eginhard waren wieder auf ihr
Lieblingsthema auf den großen Kaifer gefommen, wäh-
vend ſich die übrige Gefellfhaft in Paare abgefondert
hatte. Camilla hörte voller Andacht den Apotheofen
zu, die Eginhard zur Berherrlihung Napoleon’d zum
Beiten gab.
Sp kam Mitternadht heran, bevor fich die Geſell⸗
[haft trennte. Der lebte Zoaft galt einem einftigen
rohen Wiederfehen. Alle Gläſer Elangen wie Glocken
an einander und der Feuerwächter verfündete die zmölfte
Stunde.
17.
Die ganze Familie Wertheim, Signor Bafılico
und Eugenie, jo wie Albert und Bodo, hatten den.
zwei Mufenfühnen das Geleit gegeben bis zum Gaft-
haus, das den Namen „Schönbrunnen” führte, und
ungefähr anderthalb Stunden von Buchenfeld gelegen
war. Der Morgen war wunderfchön, die Lerchen
jubelten, Wald und Fluren dufteten erquidend; nur ,
in den Herzen der Abſchiednehmenden jah es nicht
heiter aus. Manches Thränlein ftand in den Augen
der Mädchen, felbft der alte Wertheim mußte fich vie
Augen trodnen, als der herbe Augenblid ver Tren—
nung gelommen war. Johannes und Eginhard ſtell—
ten fid) gefeßter, als fie waren.
„Lebt wohl, ihr Lieben alle,“ rief Eginhard mit
bewegter Stimme, drückte nochmals Allen die Hand,
„ohne Trennung fein Wiederſehen!“
169
Ald er Wertheim die Hand reichte, band er die⸗—
fem wieverhelt auf die Seele, das alte Frankenſchwert,
welches er im Thurme gefunden, ja mit nächfter Ges
legenheit und wohlverwahrt nachzuͤſenden.
Johannes ſchaute noch einmal in Eugenien’3 blu-
menhafte Augen, bauchte den Abſchiedskuß auf vie
ſchöne weiße Hand, welche zitternd in der feinen rubte,
und fortwanderten die Jünglinge, während die’ Zu—
rücbleibenden lange nachſchauten, bis die Wanderer
hinter den wogenvden Korm= und Weizenfluren ver-
ſchwnnden waren. Dann kehrten auch fie langſam
und wortlarg nad Buchenfeld zurüd.
- Die beiden Freunde wanderten eine geraume Zeit
ſchweigend neben einander. Jeder war in feine Ge⸗
danken und Träume verfunfen. Als fie eine Anhöhe
erreicht hatten, blieben fie ftehen und jchauten lange
auf das Frühlingsthal zurüd, wo fie gewiß bie fchön-
ſten Stunden ihres Lebens verlebt hatten.
| Johannes breitete fehnend feine Arme nad) der
theuern Gegend aus. Noch Tonnte man das liebe
Buchenfeld in einiger Entfernung deutlich erkennen.
„Srühling und Liebe,” rief er, „wie reich habt
ihr uns in diefem Thale mit euern duftendſten Roſen
befrängt.“
„sa, Srühling und Liebe,” feufzte Eginhard, „und
nun heißt's Pandekten und Prozeß, und bei mir,
Eregefe und Kirchenväter. in erbauliches Quiproquo.
Aber was nicht zu ändern ift, tft nicht zu ändern.
Post nubila Phoebus; per aspera ad astera.“
Auch er ftredte die Arme über die blühende Ge—
gend und ſprach:
„Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten ZTriften,
Ihr traulich ftillen Thäler, lebet wohl.‘
450
Und immer weiter. ging die Reife durch binhende
Alleen und wogende Getreidefluren.
Johannes war ſehr weich geſtimmt.
„Willſt Du mein letztes Lied hören,“ fragte er
den dahin ſchreitenden Eginhard, „das ich im lieben
Buchenthal gedichtet habe?“
„3a wohl, mein Haus,” ſprach ter nicht weniger
fentimentaf geſtimmte Freund, „es ſoll mich ſtärken,
wie Manna in der Wüſte. Kommt etwa bie‘ Role
von Segevia darin vor?”
„Es iſt ein bloßes Frühlingslied,“ antwortete
Johames „„treu der Natur nachgemalt.“ Er begann:
„Es wogt das Korn in grünen Wellen
Und die Kaſtanienbäume blüh’n,
Die Bufen junger Roſen jchwellen,
Und Purpur bridt aus Knospengrün.
„Vom Apfelbaume träufelt nieder
Der letzte blutgefärbte Schnee;
Doc taufend Blumen ſchickt er wieber
An feiner Stelle in die Höh'.
„Der Fliederbaum fteht überhangen
In reicher violetter Pracht;
Kaum kann ein grünes Blatt gelangen
Zum Himmel dur die Blüthennadt.
„Es will fi Alles nun entzünben,
Es bricht hervor aus Grab und Gruft,
Ich weiß mich faum zurehtzufinden
Bor lauter Blumen, Klang und Duft.
„So —1— in königlicher Schöne
Der hling da, ein junger Held,
Und — künden ſeine Töne,
Daß er die Braut umfangen hält.
„Und ich mit meinen kleinen Herzen,
Denkt, liege hier in's Gras geſtreckt,
Umleuchtet rings von Frühlingskerzen
Und halb von Blumen zugedeckt.
484
„Und ſchau' mit Ieligem Gefichte
In lieber, ungeftörter Kuh,
Dem bohen göttlichen Gedichte,
Des Frühlings Hochzeitsfeier zu.“
„Das Liedchen gefällt mir ſehr,“ ſprach Egin⸗
hard, „Du haſt die jetzige Blüthenzeit treu wieder
gegeben. Ach, theurer Hans, aber bedenke, daß wenn
wir dieſes Tempe, dieſes Friedensthal, wo die Ges
nien der Liebe zwiſchen Blumen wandeln, im Rüden
haben, auch Du die Poefie an ven Nagel hängen
mußt, wie meine Wenigfet. Es ift fchredlih, aber
es ift fo. D, hochehrwürdigen Kirchenväter, erleuchtete
Häupter, nehmt mich auf in eure Schatten der Bor-
welt und begrabt mid für die nächſte Zeit hinter
Schweinsleder und Bücherftaub, daß ich vergefle, es
habe einen Frühling und eine Liebe gegeben.” _
Die Freunde waren jegt auf derfelben Höhe an—
gelangt, von wo fie vor ungefähr vier Wochen fo über-
felig herabgaloppirten. Hier machten fie Raſt, um fi
zum letten Male an der herrlichen Gegend zu laben.
Wie damals glänzten die Zinnen von Buchenfels
gaftlich daher und mahnten an all die herrlichen da⸗
felbft verlebten Stunden.
„Wenn es feine Erinnerung gäbe,“ ſprach Jo⸗
hannes, „was wäre das Leben!“
„Sa,“ fiel Eginhard ein, „was wäre überhaupt
die ganze Unfterblichkeit, die ganze. himmliſche Selig-
feit, ohne Rüderinnerung.”
„Mag's uns nun noch fo trüb’ und troden er—
gehen,“ fuhr Johannes fort, „ein Nüdblid in bie
himmelsvolle Vergangenheit wird uns ſtärken und er-
quiden wie der Duft der Hyacinthe.“
„sa wohl,” geftand Eginhard, „mag's nun wer-
den wie’! will:
0
152
„Ein Augenblid verlebt im Parabiefe
Wird nie zu theuer mit dem Tod bezahlt.‘
Und die Jünglinge ftanden noch lange und jchau-
ten über das blühende Even; und nody einmal ftred-
ten fie ſegnend die Arme über die duftende Landſchaft,
dann umarmten- fie fih, küßten ſich — und fort
ging’s, den Berg hinab, aus dem ftillen Reiche der
Liebe und Poefie in das der Profa und des ftaubi=
gen, unerquicklichen Alltagsleben®.
| ‚18
Es waren drei Jahre vergangen. Wieder ruhte
der Frühling in, aller Pracht auf den Höhen und
Zhälern von Buchenfeld. In dem Schloffe jelbft aber
gab es ein außerordentlich reges und fröhliches Leben.
Hallen und Säulen waren mit Blumen- und Laub-
guirlanden feſtlich geſchmückt; ſchon den ganzen Nad-
mittag tönten liebe, freundlihe Mufifftüde aus dem _
dichten Raubgrün des Schloßparls, wo ein Muſikchor
aus dem benachbarten Städtchen poftirt mar. Man
hatte den alten Wertheim lange nicht jo heiter und
gefhäftig gejehen, und überall gab’8- lachende, heitere
Geſichter.
Man gewahrte bald, daß auf dem Schloſſe etwas
Außerordentliches vorgehe, und dieſes Außerordentliche
beſtand in nichts Anderm, als in der Doppelhochzeit
des Johannes und Eginhard mit Eugenien und Ca—
millen. Beide junge Männer waren bereits ſeit zwei
Jahren nach brillantem Examen in's bürgerliche Le—
ben übergetreten, und vor nicht langer Zeit hatte er-
fterer die Beftallung als Gerichtshalter auf einem be-
nachbarten bedeutenden Gute, und letterer die vacante
Paftorftele in einem zwei Stunden von Buchenfels
153
entfernten freundlich gelegenen Dorfe erhalten. Der
Einfluß des wadern Wertheim war bierbei allerdings
nicht zu verkennen geweſen.
Und heute war Hochzeit. Albert und Bodo hat-
ten fidy mit ihren beiden lieben Frauen, Marien und
Paulinen (die feftliche Hochzeit derſelben war bereits
"vor anderthalb Jahren gefeiert worden), ſchon früh:
zeitig eingefunden. Es war ein Leben, als folle ix-
gend ein Kaifer oder König feinen Einzug halten.
Der Abenpftern ſtand in verklärender Schöne über
den Bergen. Die Abendtafel war im Grünen errid)-
tet; uralte blühende Linden bauten ein duftendes Laub⸗
dach. Die zahlreichen bunten Lampen gewährten eine
magiſche Beleuchtung. Die Töne des Orcheſters klan⸗
gen bezaubernd durch die ſtille Abendluft.
An der Tafelrunde ſelbſt war ein außerordentlich
heiteres und fröhliches Leben. Auf allgemeines Ver⸗
langen hatte Wertheim nur die vertrauteften Yreunde
und Belannten zum Tefte geladen. Darum konnte ſich
bie wahre Freude der Herzen um fo ungeftörter aus=
ſprechen. Johannes und Eginhard faßen an den Eh—
renplägen ber Tafel in ftiller Seligkeit neben ihren
Neuvermählten und hatten häufige Nedereien zu hören.
Eginhard war über den einftigen fonmambülen
. Zuftand Eugenien’8 längft belehrt worden; die Erfchei-
nung auf dem Schloßdache hatte ſich ihm natürlich
erflärt und er erblidte in der Braut des Freundes
kein gefpenftifches Wefen mehr. Ueberhaupt ließ er
ſich durch feine lebhafte Phantafie nicht mehr in dem
Grade hinreigen wie früher. Er war ruhiger und
gejetster geworben, ohne daß dadurch fein guter Humor
und feine joviale Laune im ©eringften verloren hatte.
Wertheim hatte heute ven beften Ausbrudy aus fei=
‚nem Keller zum Beten gegeben. Lieblich duftete das
1534
flüſſige Gold in den Pokalen. Immer mehr ſchloſſen
ſich die Herzen auf, immer beredter wurden die Zungen.
Da erhob ſich Eginhard, gebot die Becher zu füllen,
ſintemal er noch einen Toaſt auszubringen habe. Man
that, wie er befohlen, eine allgemeine Stille erfolgte.
„Wir haben nun,“ begann er, „alle Welt hoch—
leben. laſſen, aber wie der Menſch immer undankbar
gegen ſeine größten Wohlthäter iſt, ſo haben auch wir
. eine Hauptperſon bei unſern Toaſten vergeſſen. Wenn
ich nämlich das Facit ziehe und als exacter Philoſoph
unterſuche, wem wir eigentlich den heutigen Feſttag
und Alles, was Liebes darum und daran hängt, zu
verdanken haben, ſo ſtellt ſich uns ein holdes Kind
dar, das allerdings ſchon vor vierhundert Jahren ge—
lebt hat; denn geſtehen wir es nur, ohne die — Roſe
von Segovia würde unſer Hans da ſchwerlich die nähere
Bekanntſchaft ſeiner dermaligen lieben Frau gemacht
haben, und die Götter mögen es wiſſen, was aus mir
Phantaſten geworden wäre. Als vor drei Jahren jeder
der verehrten Herren feine Roſe auf Buchenfels gefun-
ven hatte, ging auch ih mit mir ernftlich zu Rathe
und probirte das Sprichwort, wer da fucht, der findet ;
fo babe auch ich mein herzliches Nöfelein gefunden.
Hier ſitzt es, Jedermann kann e8 jehen. Ein Philo:
ſoph und ein dankbar Gemüth foll aber nie das eine
über das andere vergeffen. Darum rufe ich jett aus
vollem Herzen: Es lebe das reizende Königskind, möge
es aus feinem Himmel lächelnd auf den unfern her-
abfhauen — e8 lebe vie Rofe von Segovia!”
Die Trompeten fehmetterten, die Gläfer klangen;
man umarmte und küßte fid}; und der Abendftern, ver
fo eben hinter Buchenwäldern lächelnd unterging, hatte
lange feine fo glüdlihen und feligen Menfchen er:
ſchaut, wie heute.”
Epiphanias.
Erzählung.
1534
flüſſige Gold in den Pokalen. Immer mehr ſchloſſen
ſich die Herzen auf, immer beredter wurden die Zungen.
Da erhob ſich Eginhard, gebot die Becher zu füllen,
fintemal er noch einen Toaft auszubringen habe. Man
that, wie er befohlen, „eine allgemeine Stille erfolgte.
„Dir haben nun,” begann er, „alle Welt hoch—
leben laſſen, aber wie der Menſch immer undankbar
gegen feine größten Wohlthäter iſt, jo haben aud wir
‚ eine Hauptperjon bei unſern ZToaften vergeffen. Wenn
ih nämlich das Facit ziehe und als exacter Philoſoph
unterſuche, wem wir eigentlich den heutigen Feſttag
und Alles, was Liebes darum und daran hängt, zu
verdanken haben, ſo ſtellt ſich uns ein holdes Kind
dar, das allerdings ſchon vor vierhundert Jahren ge—
lebt hat; denn geſtehen wir es nur, ohne die — Roſe
von Segovia würde unſer Hans da ſchwerlich die nähere
Bekanntſchaft ſeiner dermaligen lieben Frau gemacht
haben, und die Götter mögen es wiſſen, was aus mir
Phantaſten geworden wäre. Als vor drei Jahren jeder
der verehrten Herren feine Roſe auf Buchenfels gefun-
den hatte, ging auch ich mit mir ernftlicd zu Rathe
und probirte das Sprichwort, wer da fucht, der findet;
fo habe auch ich mein herzliches Aöfelein gefunden.
Hier figt e8, Jedermann kann es fehen. Ein Bhilo-
ſoph und ein danfdar Gemüth foll aber nie das eine
über das andere vergeffen. Darum rufe ich jekt aus
vollem Herzen: Es lebe das reizende Königskind, möge
e3 aus feinem Himmel lächelnd auf ven unfern her—
abfhauen — e8 lebe die Roſe von Segovia!”
Die Trompeten fehmetterten, die Gläfer Fangen;
man umarmte und küßte ſich; und der Abendſtern, der
fo eben hinter Buchenwälvdern lächelnd unterging, hatte
lange feine fo glüdlihen und feligen Menfchen er-
ſchaut, wie heute.”
Epiphanias.
Erzählung.
In majeſtätiſcher Winterpradht ftarrten die hoben
Firnen des St. Gotthard. MWeithin, fo weit das
Auge reichte, erblidte man nichts als eine Einöde
von Felſen und Eis. Die höchſten Spigen des ge—
waltigen Gebirgsfammes ſchimmerten in der gewohn-
ten rofenrothen Berflärung und warfen endloſe Schatten
auf die tieferliegenven Gegenden. Eine hehre Stille,
wie fie nur den Wüften Afrila’8 und den Savanıen
Nordamerila’8 eigenthümlich, ruhte über der verfteis
nerten Gegend. Die Sonne fanf pradhtvoll und in
den Thälern dunkelte der Abend.
Der alte Bater Nicodemus, ein noch rüftiger Sieb:
ziger, weit und breit berühmt durch feine Kenntniß
der Heilfraft der Alpenfräuter, durch feine guten Leh—
ven im Glück und ftärkende Troftfprüdhe im Unglüd,
faß auf dem gewohnten Plate am wohlerwärmten
Dfen und hatte ein Kapitel der Bibel, aus welchem
heiligen Buche er allfonntäglih mit lauter Stimme
und ohne Brille feiner frommen und ſchönen Tochter
Marie und feinem Enkel, dem Heinen Martin, vor-
zulejen pflegte, beendet. Hell und vernehmlich klang
die Vesperglode des Neujahrstages aus dem unfern
gelegenen Dörfchen Liebethal. Die Wohnung des
alten Kräuterfammlers lag einfam am Fuße des großen
158
Adlerfteins, deſſen ſchneebedeckter Gipfel nur bei ganz
heiterm Himmel zu erkennen war.
Die untergehende Sonne vergolvete in bimmlifcher
Schöne die erhabenen Feljenzinnen, deren Wiederſchein
in das fonntäglih aufgeputte Stüblein des Kräuter—
ſammlers berabfiel.
Das fromme Abendlauten und bdiefe ftille Verklä-
rung des Hüttchens erfüllte mit heiligem Danfgefühle
ben Greis.
„Marie,“ ſprach er fanft, „nimm bie lebte ber
von frommer Hand geweihten Kerzen und trage fie
zur Kirche. Sieh, wie der liebe Gott die Firnen ent-
zündet mit himmlischen Teuer, da foll der dankbare
Menſch nicht zurücdbleiben. Geh, meine Tochter, mit
Gott wird ja wieder Rath und bis Oftern ift e8 lang;
wenn wir jparjam. find, erübrigen wir fchon einige
neue Lichtlein, die wir anzünden am heiligen Feſte zur
Ehre des Herrn.”
„Gern, guter Vater,” erwieberte die fchöne Marie .
und ſtrich die feidenen Loden von der Stim, „dafür
wird uns bie Mutter Gottes auch gnädig fein.“
Nicodemus antwortete: „Die Mutter Gottes ift
Allen gnädig, die ihr vertrauen.”
Und Martinchen, am Dfen gelagert, rief:
„Horch, Großvater, wie Die efehene Wurzel praſ⸗
jelt; fie hat mir auch gar weibliche. Mühe gemacht,
bevor ich fie geftern aus ver Telfenfpalte herauszu-
bringen vermochte.”
Marie hatte die letzte Kerze aus dem Schränkchen
genommen und ſchaute hinaus nach dem dunkler wer-
denden Abend.
„Gott, Vater,“ ſprach das Mädchen, „hörft Du
nicht, es ſchlug fünf im Dorfe und Andreas wollte
ſchon in der vierten Stunde bei ung fein, “
159
„Er, wird ſich haben ein Gläschen einſchenken
Iaffen von ver guten Mutter Marthe im Alpenhorn;
da findet ſich's, daß junge Burſche eins plaudern
beim herzerfreuenden Wein; und gewiß wirft Du es
dem Andreas nicht verargen; hat er doch den ganzen
Bormittag mit feinem treuen Picas gearbeitet wie ein
Bergmann, um ben verjchütteten Wanderer zu Tage
zu fördern.”
„Sanz wohl,” entgegnete Marie, „aber fol nicht
heute unfere Verlobung fein? Da kenne ic Andreas
zu gut, daß er blos deshalb ſäumen follte, um in der
Schenke ein Glas in froher Geſellſchaft zu leeren.“
Ei, fieh doch, Großvater,” rief plöglih Mar-
‚ ber an's Fenſter getreten war, „wie ber
Schnabel des Adler lang geworden.” Dabei fchaute
er aufwärts, wo fid) eine ungeheure Schneelaft weit.
über die Kuppe des Adlerſteins hervorgebeugt hatte.
„„Das ift kein gutes Zeichen, mein Sohn,“ erwie-
berte der Greis, „ver Adler, wenn er zu weit herab:
Schaut, bat dem Thale nie Segen gebradt. Doch
vertrauen wir Gott. Er wohnt über den Lawinen.”
„So möge die Mutter Gottes, ſprach Fromm
Marie, „unfere letzte Kerze empfangen; ich trage fie
zur Kirche.‘
„So iſt e8 vet, meine Tochter,” erwiederte Ni=
codemus, „eine Kerze zu Ehren des Herrn bat nie
vergebens gebrannt.‘
„Vielleicht,“ fügte das ſchöne Mädchen halblaut
hinzu, „daß mir unterwegs der Andreas begegnet.‘
„Er hat mir ein herrliches Ammonshorn verjpro-
chen, jubelte Martinchen, „und wenn Andreas etwas
verfpridyt, fo hält er Wort.
Marie eilte mit der geweihten Kerze durch die
Thalſchlucht nad) der Kirche des Dorf. Das Ge-
460
\
läute der Vesper war verſtummt; die Schatten fenf-
ten fih dunkler in die Thäler, aber drohend und
finfter ſchwebte die gewaltige Schneemaſſe des Aofer-
fteind über ihrem Haupte.
Das Maͤdchen hatte noch nicht bie erſten Häufer
des Dorfs erreicht, als ihre Geliebter, der in der Ge—
gend befannte und hochgerühmte Gemfenjäger, ihr
entgegenfam. Aber der Gang des Jünglings war
unſicher, und als er näher kam, zeigte ſich's, Daß er
an mehren Stellen des Körpers: mit Tüchern verbuns
. den war.
„Gott!“ rief erbleichend Marie, als ſie Andreas
erkaumte, „was iſt Dir geſchehen?“
„Aengſtige Dich nicht, Marie,“ erwiederte lächelnd
der Jüngling, „ich bin nur ein wenig von den hart—
herzigen Felszacken zugerichtet worden, als ich meinen
Picas vom Untergange rettete.
„Denke Dir,“ fuhr Andreas mit Eifer fort, „das
edle Thier hat heute nicht weniger denn drei Ver—
ſchüttete mit wahrhaft bewundernswürdiger Beharrlich-
feit aufgefharrt. Doch beim dritten Begrabenen ftürzte
der Retter felbft in die unergründfiche Tiefe, und er
war verloren, wenn ich nicht felbft alle Kräfte aufbot
zu feiner Rettung.”
„Aber des Thieres wegen fonnteft Du felbft zu
Grunde gehen,” ftrafte ſanft Marie; „doch wo ijt
Picas ?
„Ich habe ihn am Alphorne zurüdgelafen bei der
Mutter Marthe. Der arme Kerl ift übel zugerichtet.‘
Andreas begleitete: feine Marie auf dem frommen
Wege zur Kirche. Sie braten bie geweihte Kerze
der Mutter Gottes und kehrten Hand in Hand nad
der Wohnung des alten Nicodemus zurüd.
Schon war e8 dunkel im Thale, aber die Alpen:
161
t
häupter ſtrahlten noch im goldenen Glanze. Er
prachtvolles Schauſpiel. Ueber dunkler Nacht drohn⸗
ten die Goldberge in Majeſtät, während meilenweit
Todtenſchweigen herrſchte. Die ſpärlichen Waldungen,
fo wie die Häuſer des Dorfes Liebethal waren mit
hohem Schnee bevedt, denn der Winter hatte mehr
als gewöhnlich fein eifiges Haupt gejchüttelt.
Als Andreas und Maria am Fuße des Aolerjteins
vorbei famen, blieb eriterer ftehen; ängftlih umflam-
merte. das Mädchen den Arm des Geliebten und
Ichnute ſcheuen Blickes hinauf nach der fürchterlichen
„Die Adlernaſe,“ ſprach der Jüngling, „deutet
nichts Gutes; fönnten wir den Vater nicht vermögen,
daR er auf einige Tage nad) Liebethal zieht 9“
„Wire wollen ihn bitten”, verfette Marie, „aber
ih glaube nicht, daß er ficb bewegen läßt.“
Nod immer ſaß der alte Nicovemus in feinem
Lehnftuhl und belehrte den aufhorchenden Martin
über die verjchtevenen SHeillräfte der Alpenfräuter,
während legterer bejorgt war, daß das Teuer im
Dfen niht ausgehe. Daun erzählte ver Alte von
den benachbarten Thälern, wo im Sommer tie gol-
denen Blumen blühen, während die Gletſcher mit
ewigem Eiſe bededt find, wo in freundlichen Gärten
ſeidene Lüfte wehen, während hoch darüber auf den
Felſen alles Leben erſtarrt. Er erzählte von den ein-
fadhen und ftrengen Sitten und der Freiheitsliebe ver
Borelten und ven alten helvenvollen Kämpfen, und
wie das Schweizerwolf nur dann groß und unbezwing-
lid) fei, wenn e8 zufammenhalte und alle tZwietracht
unter ſich vergeſſe.
Martinchen lauſchte lernbegierig der weiſen Rede,
als Andreas und Marie in's Gemach traten.
Stolle, ſämmtl. Schriſten. XVI. 11
162
Nicht ohne Beforgnig war Andreas an das Fen-
fter getreten und betrachtete nochmal® Die drohende
Schneemaſſe.
„Guter Vater,“ ſprach er endlich zu Nicodemus,
„wär's nicht beſſer, wenn Ihr Euch auf einige Tage
nad) Liebethal überſiedelte? Der Adler ſieht mir
bedenklich aus, ich traue dem Alten nicht, daß er uns
eine Löwin auf den Hals ſchickt; er wird über kurz
oder lang ſein Gefieder ſchütteln. u
„Die Löwin des Ablers,“ verſetzte ruhig der
Greis, „haben wir nicht zu fürchten; es wäre nicht
die erſte, die ich erlebte; ſie ſpringt vorſichtig über
unſre Wohnung hinweg, ohne nur den Firſt zu be—
rühren.“
„Aber drohende blickte noch feine in's Thal,“
bemerkte Andreas,
„D mein Vater,” bat die fchöne Marie mit ge=
falteten Händen, „mißachte nicht feine Worte; aud)
mir ift der Adler noch nie fo fürchterlich erjchienen.
Wie bald find wir drüben im ficher gelegenen Xiebe-
thal; beim frommen Bater Arnold wirft Du die
Freunbfichfte Aufnahme finden. Wir führen Dich, da-
mit Dir die Wanderung nicht bejchwerlid) wird.”
„Ihr Kleingläubigen und Verzagten,“ ftrafte der
Greis mit ſanftem Vorwurfe, „was kümmert uns bie
Lawine? Wölbt ſich darüber nicht der heilige Him-
mel in ewiger Keine, wo Gott wohnt, unjer Schöpfer
und Erhalter? Seid Ihr nicht gekommen, Eure Ver⸗
lobung zu feiern? Iſt dies nicht eine heilige Hand-
lung, wo Gottes Liebe jegnend über uns weilt?
Soll ih mit dem erften Tage des Jahres die fett
fießzig Iahren bewohnte Hütte verlafjen ?“
„So wollen wir bleiben,” antwortete leife Ma:
vie, und die Familie nahm Pla um ben riefigen
163
Dfen, in deſſem Bauche eine gemüthlihe Flamme
praffelte, welche turd) das Gemad eine mwohlthuende
ärme verbreitete.
„Martinchen,“ ſprach Nicodemus, „gehe einmal
hinaus in die Kammer und bringe Nummer Zehn.“
Zugleich befahl der Sräuterfammler, den Topf
mit kochendem Waſſer aus dem Teuer zu holen, weld
Geſchäft Andreas verrichtete. Hierauf goß Nicodemus
ans der Fruftallnen Flaſche, die mit einer Zehn be—
zeichnet war, und die Martin aus der Kammer ge
bracht hatte, eine dunkle Flüſſigkeit, welche fich brau=
ſend mit dem Waffer vermifchte und biefem eine gold-
gelbe Farbe verlieh. Ein erquidentes Arom durch—
duftete das Gemach. Die wohlrichende und Iiebliche
Eſſenz hatte Nicodemus vor Jahren felbft gefertigt
aus dem Berghonig, und bios bei hohen feitlichen
Gelegenheiten wurde das foftbare Getränf bereitet.
Andreas und Marie legten die Hände in einander
und ver Alte ſprach den Cegen, während ver Heine
Martin ein auf die feierlihe Handlung Bezug ha—
bendes Gebet aus einem alten Gebetbudye vorlas.
Nach beendigter eier Hangen die grünen Römer,
in welchen das Brautgetränf dampfte, wie Glocken
an einander.
„Möge Euer Leben,“ ſprach Nicodemus, „eben ſo
rein klingen und bereinſt verklingen, wie der Ton
dieſer Gläſer.“
„Nicht ohne Grund,“ fuhr er nach einer Pauſe
fort, „hab' ich den heutigen Tag zu Eurer Verlo—
bung gewählt. Am erſten Tage des Jahres iſt das
GEemüth reiner geſtimmt und empfindlicher für erhe—
bende Handlungen. Ich habe e8 immer geliebt, wich—
tige Angelegenheiten auf dieſen Tag zu verlegen.
Mit dem lebten Tage des alten Jahres pflegt man
11
16h
feine Rechnungen abzufchliegen und zieht einen neuen
Menjhen an. Immer hab’ idy mir daher gemwünfcht,
wenn Gott einmal über mich gebieten follte, daß ex
mid) in den erften Tagen des neuen Jahres abrufe.“
„Ei, guter Vater, verfeßfe Andreas, „wer, wird
am Tage einer Berlobung vom Tode ſprechen; ſeht
nur, Ihr habt meine Marie ganz traurig geftimmt
durch Eure Rede. Der Bater im Himmel wird es
wohl meinen mit und, und Euch noch mandjes Jahr
rüftig erhalten zum Heile aller Kranken und Hülfs-
bedürftigen.“
„Wie Gott will, erwiederte Nicodemus mit from=
mer Ergebung; „doch muß ich geſtehen, möcht' ich
gern noch ein paar Jährchen der Zeuge Eures Glücks
ſein, denn bin ich auch allen Menſchen gut, ſo ſeid
Ihr Beiden mir abſonderlich an's Herz gewachſen.
Doch Martin, mein Enkel, fahre fort im zweiten
Kapitel von der Geburt unſeres Herrn; wie oft ich
auch die heiligen Worte vernommen, kann ich doch
nie ſatt werden, ſie zu hören;“ und der Knabe las
weiter,
„Da Jeſus geboren war zu Bethlehem im jüdi—
Then Lande, zur Zeit des Königs Herodes, fiehe, da
famen die Weifen vom Morgenlande gen Ierufalem
und fpraden:
„Wo ift der nengeborene König der Juden? Wir
haben feinen Stern gefehen im Morgenlande und find
gekommen, ihn anzubeten.
„Da das der König Herodes hörte, erſchrak er
und mit ihm ganz Jeruſalem.
„Und ließ verſammeln alle hohen Prieſter und
Schriftgelehrten unter dem Volke und erforſchte von
ihnen, wo Chriſtus ſollte geboren werden.
„Und ſie ſagten ihm, zu Bethlehem im jüdiſchen
165
Lande; denn alfo ftehet gefährieben durch den Pro-
pheten:
„And du Bethlehem im jüdiſchen Lande bift mit
nichten die fleinfte unter den Fürften Juda, denn aus
die fol mir fommen der Herzog, ver über mein BolE
Iſrael ein Herr fei.
„Da berief Herodes die Weifen heimlih und er-
lernte mit Fleiß von ihnen, wann der Stern erfdhie=
nen wäre,
„Und wies fie gen Bethlehem und ſprach: Ziehet
hin und forſchet fleigig nad den Kindlein und wenn
Ihr es findet, fo faget mir's wieder, daß ih aud
fomme und es anbete.
„Als fie nun den König gehöret hatten, zogen
-fie bin und fiche, der Stern, den fie im Morgenlande
gefehen hatten, ging ver ihnen her, bis daß er fam
und ftand oben über, da das Kinplein war.
„Da fie den, Stern fahen, wurden fie hod) erfreut.
„Und gingen in das Haus und fanden das Kind—
lein mit Maria feiner Mutter und fielen nieder und
beteten e8 an und thaten ihre Schätze auf und
ſchenkten ihm Gold, Weihraud) und Myrrhen.“ —
„Um Gottes Willen, was war das?“ rief auf—
ſpringend Marie und ward bleich wie der Tod.
Ein ferner dumpfer Donner rollte grollend durch die
Berge.
„Eine Lawine kaum zwei Stunden von hier,“
antwortete Andreas, der aus dem Gemach ſtürzte.
Der ſchönſte Sternenhimmel wölbte ſich über den
Felſen. Rings herrſchte Todtenſtille; man konnte ein
Sandkorn fallen hören. Der ferne Donner war
verſtummt.
Andreas ſchaute mit erhöhter Beſorgniß nach dem
Adlerſteiee. Da war es ihm, als habe ſich die
166
Schneewand bedeutend geſenkt. Der Jüngling eilte
in die Hütte zurück.
„Um aller Heiligen Willen, beſter Vater,“ be—
ſchwor er, „laſſet uns nach Liebethal flüchten, wir
ſind keinen Augenblick ſicher, lebendig begraben zu
werden. Wenn mich nicht Alles trügt, hat ſich die
furchtbare Schneewand mehrere Fuß weit herüberge⸗
beugt.“
„Es iſt zu ſpät,“ erwiederte Nicodemus, „iſt Ge—
fahr vorhanden, ſo würden bei der Stille der Nacht
unſere Schritte hinreichen, die ſchlafende Löwin zu
wecken. Wir find in Gottes Hand, meine Kinder;
u‘
Martin, ſchlag die heiligen Blätter wieder auf und
lied weiter.”
Der Knabe war nod) fo erfchroden, daß er gar
fein Wort hervorzubringen vermochte. Sonad) ergriff
Andreas die Bibel und fuhr fort:
„Und Gott befahl ihnen im Traum, daß fie fic
nicht wieder zu Herodes lenken. {Ind zogen durch
einen andern Weg in ihr Lund.
„Da fie aber hinweg gezogen waren, fiehe da er-
Ichien der Engel des Herrn dem Joſeph im Traum
und ſprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und
feine Mutter zu dir und fliehe in Egyptenland und
bleibe allva, bis ih dir fage: denn es iſt vorhanden,
dag Herodes das Kindlein ſuche, dafjelbe unzubringen.
„Und er ftand auf und nahm das Kindlein und
feine Mutter zu fih bei ver Nacht und entwich in
Egyptenland. |
„Und blieb allda, bis nad dem Tode Herodes.
Auf daß erfüllt würde, das der Herr durch den Pro-
pheten gejagt hat, Der da Ipricht: Aus Egypten
habe id, meinen Sohn gerufen.’ —
Kaum hatte der Borlefer diefe Worte geſprochen,
167
als ein neuer Donner durch das Thal rollte. An—
breas Ihlug unmwillfürlih vie Bibel zu; Marie, war
auf die Knie gefunfen und flehete mit aufgehobenen,
zitternden Armen, daß der Allmächtige fie vor ver
furdtbar drohenden Gefahr gnädig bewahre. Der
Heine Martin bielt frampfhaft Andreas’ Knie um-
Hammert und bie Angft preßte ihm Thränen hervor;
nur der alte Nicovemus im Cilberhaupte blieb wie
ein Weiſer ver Vorzeit ruhig und gefaßt in feinem
Lehuftuhl fiten. Nicht eine Miene des ehrwiürbigen
Antliges hatte jich verzogen. Mit dem Bewußtſein
eines Frommen ſprach er, Gott ‚ergeben:
„Laßt vie Donner rollen, die Lawinen fürzen !
Mächtiger ald Donner und Lawinen ift der Gott ber
Welten, der es gut meint mit allen feinen Ge—
ſchöpfen.“
Andreas war abermals vor die Hütte getreten und
ſchaute mit bangendem Herzen umher in ber nädhıt-
lichen Schöpfung. Da thronte ringsum die fehauer-
liche Teljeneinfamtet. Die Lichtlein von Yiebethal
waren erlofhen Nur in dem Kirchthurm flimmerte
das Fenſter des wachhabenden Thürmers, welcher bei
vernehmbaren Bergfällen und Lawinen forgjam auf:
horchte, ob Gefahr drohe, wo er fogleih das Glöd-
fein hell und Hülfe rufend durch das Thal er—
klingen ließ.
Andras ſchaute aufwärts, ſeine Beſorgniß ging
in Entſetzen über. Die Schneewand hatte ſich aber:
mals geſenkt und ſchwebte in fürchterlicher Höhe ver—
derbenvoll über der Hütte des Kräuterſammlers.
Noch immer ſaß der alte Nicodemus in ſeinem
Lehnſtuhl. Einſam brannte die Lampe auf dem alten
Tiſche von Nußbaum. Andreas ſchaute ſich noch ein-
mal rings um in der ſchweigenden Natur. Ueberall
168 J
herrſchte Todtenftille: Der Jüngling kehrte in vie
Hütte zurüd und war bemüht, die Verlobte fo wie
den Heinen Martin zu tröften, obſchon fein Inner-
fte8 von der bangften Beforgnig erfüllt war. Seine
einzige Hoffnung war die Ausfage des erfahren
Nicodemus, welcher ſchon mehrere Lawinen des Adler—
ſteins erlebt hatte, die alle in bedeutender Höhe über
die Hütte hinweggerollt waren, ohne dieſelbe zu
verletzen.
Das herzerfreuende Getränk, welches der Kräuter-
ſammler bereitet hatte, verſcheuchte indeß auf kurze
Zeit die trüben Ahnungen, welche die Bruſt der jün—
gern Leute erfüllten.
„Das neue Jahr ſoll leben,“ ſprach Nicodemus,
indem er von Neuem ſein Glas erhob und mit ſei—
nen Lieben anklang, „möge es Freud' oder Leid in
ſeinem Schooße bergen; Gott meint es immer gut
mit ſeinen Kindern in Freud' wie im Leid.“
Wie Glocken klangen die Gläſer an einander —
da begann das Häuschen in ſeinen Grundfeſten zu
erbeben, die Lampe ſtürzte um, Marie und Martin
wurden zu Boden geworfen — eine der gewaltigſten
Lawinen war donnernd von dem Gipfel des Adler—
fteind herniedergerollt und hatte die Wohnung des
Kräuterſammlers häuſerhoch unter dem Schneegebirge
begraben.
Erſt nad) einer langen fürchterlichen Pauſe hatte
fih Andreas in foweit erholt, tie Größe des Un-
glücks zu unterſuchen.
„Wir ſind lebendig begraben,“ ſprach er in ver—
zweiflungsvollem Zone; dann war er bemüht, die ohn-
mächtige Braut in’8 Leben zurüd zu rufen.
„Gott ift ja nicht mit begraben,“ erwieberte- der
fromme, glaubensfefte Nicodemus, „feine Allmacht und
169
feine Güte ift fo groß, wie vordem, darum geziemt
ung nicht zu verzweifeln; juchen wir vie Stärke der
Lawine zu erforfhen. Wenn wir die Hände nicht
zaghaft in den Schoß legen, ift noch immer Hoff:
nung vorhanten, daß wir uns herausarbeiten. Biel-
leiht wird aud) Hülfe von Außen.“
Dem Andreas gelang es endlich, die Lampe wie-
der anzuzünden. Cr unterfuchte die Thür und Die
mit Moos verwahrten Yenfter, aber vergebens war
fein Bemühen, die letztern zu öffnen, mit folcher Te-
ftigfeit hatte fi Die Schneemaffe von Außen ange-
‚lehnt. Der ES chornftein war zufammengebrüdt, der
Ofenrauch fand feinen Ausweg und erfüllte das In=
nere mit erftidender Atmofphäre. Man war genöthigt,
das Teuer auszugieken.
Andreas arbeitete mit Riefenfraft, um die Thüre
frei zu machen. Auch der alte Nicodemus und Mars
tin legten eifrig Hand an. Aber vergeblid) war ihre
Anftrengung. Nach mehrftündiger Arbeit ermatteten
ihre Kräfte, kraftlos ſanken ihre Arme. Es blieb
nichts übrig, als für heute vie Ruhe zu fuchen. Ein
unrubiger, unerquidlicher, von böfen Träumen gequälter
Schlummer umfing die Verſchütteten.
Als die Heine ſchwarzwälder Wanduhr vie Stun-
den des jungen Morgens verfünvete, erquidte fein
Strahl des Tages die unter hoher Schneedede Begra-
benen. Indeß ließ man e8 an neuen Anftrengungen
‚ nicht fehlen. So gelang es aud), einen ziemfich lan-
gen Gang durch den Schnee nad) der Richtung zu gra=
ben, in welcher man hoffte, am Kürzeſten in's freie
zu gelangen.
In trauriger Oede verflog der zweite Januar.
Wieder ſank außerhalb die Nacht herniever und bie
Sterne traten hervor, ohne daß die lebendig Begra—
470
benen davon verfpürten. Nur die Wanduhr belehrte
fie, in welcher Tageszeit fie lebten.
Am dritten Tage ward der Zuftand der Unglüd-
lichen immer verzweifelte. Das Del war zu Ende,
die Lampe drohte zu erlöſchen und die letzte Kerze
hatte Marie am Neujahrstage der Mutter Gottes in
Liebethal zum Opfer gebradt. Kraft, Muth und
Hoffnung entwichen der Bruft Marien's und Martin’s ;
nur Andreas arbeitete unverbroffen weiter und ver
alte Nicodenus vertraute mit alter Glaubensficherheit
auf Gott den allgütigen Vater. War diefer es nicht
- gemwejen, der ihn jo manches Mal auf feinem langen
gefahrvollen Lebenswege aus der augenfcheinlichiten '
Zodesgefahr gerettet hatte? Feſt ftand fein Vertrauen,
daß ihm Gott auch diesmal aus ver gegenwärtigen
- fürdterlihen Rage erretten werde.
Andreas war am vierten Tage ziemlich weit auf
feinem unterirbifchen Gange vorgebrungen, aber wie
oft er laufchte und fein Gehör anſtrengte, um einen
hoffnungsvollen Ton aus der Oberwelt zu vernehmen,
Alles blieb ftumm und die Kräfte des Jünglings
nahmen von Stunde zu Stunde ab; ſchon begann
Mangel an Lebensmitteln fühlbar zu werben. Nico-
demus hatte am Sylveſtertage den Heinen Vorrath
faft ganz erfhöpft und an hülfsbevürftige Arme ver
Umgegend vertheilt.
- Nad) einer dritten langen qualvollen Nacht erſchien
der vierte Tag. Immer mehr ſchwand ven Unglüd-
lichen die Hoffnung, gerettet zu werden. Rings herrſchte
tiefe Stille und Finfternig, denn das Del war ver:
zehrt und die Lampe geraume Zeit erlofchen. Ver—
gebend tönten die tröftenden Worte des nod) immer
glaubensfrommen Nicodemus. Er rieth den Andreas,
vom Durchgraben abzuftehen, weil er nutlos feine
474
Kräfte verfchwende, ohne Mittel zu haben, ſich wie-
der zu ſtärken; denn, je weiter der unermüdliche Iüng-
ling verdrang, deito größere Streden des Schnee
ganges brachen hinter ihm zuſammen.
Marie und Martin lagen in einem faſt bewußt⸗
loſen Zuſtande, welder in ven Tod übergehen mußte,
wenn miht bald Rettung nabte. . Der geringe Vor—
rath von Yebensmitteln war faft ganz aufgezehrt.
Immer fparfamer mußten die Brojamen zugenſen
werden.
Der vierte Tag verſtrich. Kein rettender Engel
erſchien. Es war, als habe Gott feine Hand von den
Unglüdlichen abgezogen. Am Abend wurde die Rede
des alten Nicodemug leiſer. Der alte Dann hatte
jeit vierundzwanzig Stunden nur ein paar getrodnete
Drotrinden gegeijen.
„Meine guten Kinder,” ſprach der Greid, „wenn
nicht bald der Allgütige ſich unfrer erbarmt, werden
wie in Kurzem ausgelitten haben. Verbittert Euch
die legten Stunden nicht durch mutzloſe Verzweiflung.
Unerforfhlih und hart find oft die Prüfungen des
himmliſchen Vaters, aber gleihwohl geziemt feinen
Kindern nicht, frevelhaft zu murren und ſich zu ver-
jündigen, fondern ergebungsvell die Hände zu falten
und zu bitten, daß er ung nicht verlaſſe in der bit—
terften Stunte hienieden. Zwar weiß ich nicht, wo
durch wir einen jo qualvollen Untergang verdient ha—
ben, wenigjtend bin id) mir feiner böfen That be—
wußt, aber was der Herr über uns beſchloſſen hat,
möge erfüllt werden, geheiligt ſei ſein Name.“
Mit dem fünften Tage erreichte die Noth eine
furchtbare Höhe. Jetzt vermochte ſelbſt Nicodemus
nicht mehr zu tröften. Er faß ftill und Gott erge-
ben in einer Ede des dunfeln Gemachs, wo er we-
472
nigften® vor Kälte gefhüst war. Die paar Lebens:
mittel waren bi8 auf einige Broſamen aufgezehrt;
Andreas kratzte mit feinen letten Kräften einiges
Moo8 von den Hüttenfenftern und fuchte damit fei-
nen Hunger zu ftilen. -
Auch der fünfte Tag verftrih. Hunger und Trüb-
fal hatten den höchſten Grad erreidht. Die Verzweif-
fung war in jenes bumpfe Hinbrüten übergegangen,
welches dem Tode unmittelbar vorherzugehen pflegt.
Niemand gedachte mehr, die fleine Wanduhr aufzu=
ziehen. Niemand wußte mehr, an weldem Tage und
in welcher Stunde man lebe.
Ein Todtenſchweigen herrichte, al8 der Morgen
des ſechſten Tages, des großen Neujahr oder des Fe—
ſtes Epiphanias, heranbrad. . In einem dem Tode
ähnlichen Zuftande lagen Marie, Martin und felbft
der alte Nicodemus gab fein Zeichen des Lebens von id).
Da raffte Andreas, der noch das klarſte Bewußt-
fein ſich erhalten, feine letten Kräfte zuſammen ünd
ſchlich mit größter Anftvengung aus der Hütte, um
noch einmal in dem Schneegange zu laufchen, ob
vielleicht Kettung nahe.
Der unglüdlihe Jüngling gelangte mit vieler
Mühe bis zu der Gtelle, weldhe eingeftürzt war.
Hier fanf er ermattet und halb ohnmächtig nieder.
Eine geraume Zeit mochte er gelegen haben, als
plöglih wie im Traume befannte® Hunvegebell an
fein Ohr tönte. Andreas erwachte. Er laufchte und
lauſchte mit aller Anftrengung. Das Hundegebell Tam
näher, und wenn den Berfchütteten nicht Alles trog,
fo war e8 die Stimme feines treuen Pikas, welde
aus der Oberwelt in das dunfle Grab herabtünte,
Neue Hoffnung -und neue Lebenskraft erwachten in
der Bruft des Jünglings, welcher feine Ceele bereits
x
473
Gott empfohlen hatte, und verlieh dem ermatteten
Körper eine wunderbare Stärke. Er raffte fih auf
und fehrte nad) der Hütte zurüd, um feinen Lieben
die Himmelsbotſchaft der nahen Rettung zu verfün-
den. Andreas kannte fein getreues Thier zu gut, als
dag er nicht Hätte follen große Hoffnung fchöpfen;
denn Picad war mit einem wunderbaren Inſtinet be=
gabt und vermochte einen Verſchütteten in bedeutender
Tiefe aufzufpüren.
Bei dem Worte Rettung erwahten auh Marie
und Martin aus ihrem todtähnlichen Hinbrüten. Gie
folgten mit Nicodemus, der ein lautes Gebet ſprach,
dem voranjchreitenden Andreas und lauſchten mit
Hopfendem Herzen, ob fich die Töne aus der Ober-
welt von Neuem vernehmen liegen. Doc Alles war
- wieder ftil geworden.
Eine endloſe halbe Stunde verjtrih. Rings Tod—
tenjchweigen; ſchon begann von Neuem die Verzweif-
lung fid) der Unglüdlihen zu bemächtigen, als plöß-
lid) von einer andern Seite her und diesmal bebeu-
tend näher das Gebell des treuen Hundes vernehm—
bar ward. Zugleich vernahm man ferned dumpfes
Stimmengeräufh. Einzelne Rufe tönten in die Tiefe.
Die Berjchütteten glaubten ihre Namen zu hören und
Andreas gab fi) alle mögliche Mühe, mit feiner aller=
dings geſchwächten Stimme zu antworten, aber feine
Worte fehienen nicht vernommen zu werden.
Plöglih ertönte in großer Nähe ein fonverbares
Geräuſch. Es gli) dem Murren eined Hundes, ber
zugleich emfig bemüht war, fid) mit den Vorderpfoten
durch den Schnee zu mühlen.
Eine felige Ahnung durchzuckte Andreas, als das
jeltfame Geräufc immer näher kam. Er tröftete die
472
nigftend vor Kälte gefhütt war. Die paar Yebens-
mittel waren bis auf einige Broſamen aufgezehrt;
Andreas kratzte mit feinen lebten Kräften einiges
Moos von den Hüttenfenftern und ſuchte damit ſei—
nen Hunger zu ftillen. -
Auch der fünfte Tag verftrih. Hunger und Trüb-
ſal hatten den höchſten Grad erreicht. Die Verzweif-
lung war in jenes dumpfe Hinbrüten übergegangen,
welches dem Tode unmittelbar vorherzugehen pflegt.
Niemand gedachte mehr, die fleine Wanduhr aufzu=
ziehen. Niemand wußte mehr, an welchem Tage und
in welder Stunde man lebe.
Ein Todtenfhweigen herrfchte, als der Morgen
des jechften Tages, des großen Neujahrs oder des Fe⸗
ſtes Epiphanias, heranbrach. In einem dem Tode
ähnlichen Zuſtande lagen Marie, Martin und ſelbſt
der alte Nicodemus gab kein Zeichen des Lebens von ſich.
Da raffte Andreas, ver noch das klarſte Bewußt-
fein fid) erhalten, feine letten Kräfte zufammen und
ſchlich mit größter Anftrengung aus der Hütte, um
noch einmal in dem Schneegange zu laufen, ob
vieleicht Rettung nahe.
Der unglüdlihe Jüngling gelangte mit vieler
Mühe bis zu der Stelle, welche eingeftürzt war.
Hier fanf er ermattet und halb ohnmächtig nieder.
Eine geraume Zeit mochte er gelegen haben, ale
plöglicd) wie im Traume bekanntes Hundegebell an
fein Ohr tönte. Andrea erwachte. Er laujchte und
laufchte mit aller Anftrengung. Das Hundegebell kam
näher, und wenn den Berfchütteten nicht Alles trog,
fo war es die Stimme feines treuen Pikas, melde
aus der Oberwelt in das dunfle Grab herabtönte.
Neue Hoffnung -und neue Lebenskraft erwachten in
der Bruft des Jünglings, welcher feine Ceele bereits
\
473
Gott empfohlen hatte, und verlieh dem ermatteten
Körper eine wunderbare Stärke. Cr raffte fih auf
und fehrte nah der Hütte zurüd, um feinen Lieben
die Himmelsbotſchaft der nahen Rettung zu verfün-
den. Andreas fannte jein getreued Thier zu gut, als
dag er nit hätte follen große Hoffnung ſchöpfen;
venn Picad war mit einem wunderbaren Inftinct be-
gabt und vermochte einen Berjchütteten in bedeutender
Tiefe aufzufpüren.
Dei dem Worte Rettung erwachten auch Marie
und Martin aus ihrem todtähnlichen Hinbrüten. Gie
folgten mit Nicodemus, der ein lautes Gebet ſprach,
dem voranfchreitenden Andreas und laufchten mit
Hopfendem Herzen, ob fi die Töne aus der Ober-
welt von Neuem vernehmen Tiefen. Doc Alles war
- wieder ftill geworden.
Eine endloſe halbe Stunde verftrih. Rings Tod—
tenfchweigen; ſchon begann von Neuem die Berzweif-
lung fid) der Unglücklichen zu bemächtigen, ale plöß-
lid von einer andern Seite her und diesmal bedeu-
tend näher das Gebell des treuen Hundes vernehm=
bar ward. Zugleich vernahm man fernes dumpfes
Stimmengeräufd). Einzelne Rufe tönten in die Tiefe,
Die Berfchütteten glaubten ihre Namen zu hören und
Andreas gab ſich alle mögliche Mühe, mit feiner aller=
dings gefchwächten Stimme zu antworten, aber feine
Worte fehienen nicht vernommen zu werben.
Plöglid) ertönte in großer Nähe ein ſonderbares
Geräuſch. Es gli dem Murren eined Hundes, ver
zugleid, emfig bemüht war, fid) mit den Vorderpfoten
dur den Schnee zu wühlen.
Eine felige Ahnung durchzuckte Andreas, als das
jeltfjame Geräufh immer näher kam. Cr tröftete Die
17
Seinigen und — feine Ahnung hatte ihn nicht be—
trogen, da8 Bellen erfcholl jet wenige Fuß tief.
„Picas, Picas,“ Iodte Andreas, und glei) darauf
arbeitete fid) der Gerufene bis zu ven Berfchütteten
durd. Das Thier war außer fid) vor Freude. Es heulte
und fehrie, war aber auch gleich wieder verfchwunden.
Andreas war auf, die Kniee geſunken. Thränen
des feligften Entzückens entrollten feinen Augen.
„Run werden wir bald ven Tag erbliden, meine
‚ Lieben!” rief ver überglüdliche Düngling; „Picas war
da und arbeitet fi eben wieder durch den Schnee.
Er ift unfer Retter.”
Wirklich vernahm man aud bald das freubige
Gebell des treuen Hundes. Das Eluge Thier leitete
die nachgrabenden Liebethaler auf die rechte Spur.
Immer näher kamen die Retter. Bald vernahmen
. and, fie die Stimme des Andreas, und nad Berlauf
einer Heinen Stunde durchbrach das erfte Grabfcheit
von außen die ſchwache Schneewand, welche den Be-
grabenen das Yicht des Tages verbarg.
Ein allgemeiner Ruf des Entzüdens erſcholl durch
die zahlreich verfammelten braven Bewohner von Lie—
bethal, welche bereits jeit Neujahr, mo die Lawine
des Molerfteind gefallen war, Tag und Nacht mit
Unermüplichfeit gearbeitet hatten. Aber alle Mühe
diefer guten Leute würde vergeblid und die Ver—
jchütteten einem unvermeidlichen Tode preisgegeben
geweſen ſein, wenn nicht das treue Thier die rechte
Stelle ausfindig gemacht und den Weg gezeigt hätte,
denn die Lawine hatte faſt das ganze Thal thurm—
hoch verjchüttet.
Spaten und Wurfjchippen wurden wmeggemorfen
und alle die rüftigen Arbeiter fielen auf die Kniee,
als der ehrmürdige Nicodemus mit Marien, Martın
475
und dem braven Andreas dem Grabe entftieg. “Die
Sloden in Liebethal Iauteten zum Auferftehungs-
morgen.
In Proceſſion wurden die Geretteten nad) dem
Dorfe gebracht, deſſen ganze Bewohnerſchaft entgegen
wallfahrtete. In dem wohlgewärmten Gemeindehaufe
hatte die Gemeinde Alles aufgeboten, um bie Sart-
geprüften zu feiern und zu erfreuen: Der wilrbige
Prediger des Orts hielt eine Rede, worin er befon-
der8 den Umſtand hervorhob, daß die Perjchiltteten
am Feſte der Erſcheinung Chrifti, an Epiphanias,
das Licht der Welt wieder erblickt hätten.
Der alte Nicodemus, deſſen Gottvertrauen ihn
nicht getäuſcht hatte, fiel auf die Kniee. Seinem
Beiſpiel folgte die ganze Gemeinde und laut wieder—
holte man die Worte des begeifterten Beters: „Ges
heiliget jei dein Name!”
Der Ruhm des getreuen Picas, jo wie die fei-
densgeſchichte der verjchütteten Familie, verbreiteten
fi in der ganzen Gegend. Von allen Orten liefen
Geſchenke und milde Gaben ein, jo daß Nicodemus
bald in ven Stand gejegt war, eine neue Wohnung
und zwar am einem ficherern Orte zu bauen. Blieb
doch ſelbſt eine vecht ſtattliche Ausjtener für Die
ſchöne Marie übrig, melde von ihrem geliebten An—
dreas im nächſtfolgenden Frühling als liebes Eheweib
heimgeführt ward.
Es mar eine fröhliche Hochzeit, als der Schnee
gefhmolzen, die Thäler wieder grünten und die Sen—
nen mit ven läutenden Heerven nad) den Bergen zo—
gen. Im ganzen Thale, nah und fern, nahm man
den herzlichften Antheil; der alte Nicodemus fühlte
fi) um viele Jahre jünger und Martinchen that fi)
nicht wenig zu Gute auf das rothe Band, das ihm
4176
zur Hochzeit geſchenkt warden, und welches auf ſei—
nem Hute ftattlich flatterte. Marie war nie ſchöner
und Andreas nie glücklicher. Der getreue Picas,
welcher bei dem Freudenfeſte feine unbedeutende Rolle
jpielte, war ein Gegenftand allgemeiner Bewunderung
und Liebe. Seit langen Zeiten hatte e8 feine jo
fröhliche Hochzeit gegeben. Der alte Nicodemus lebte
noch mandes Jahr. Die ſchöne Wohnung aber, bie
ihm und feiner Familie von den milden Gaben ge=
baut worden war, führt noch heutzutage den Namen
— Epiphanias,
Drud von Alerander Wiede in Leipzig.
Ferdinund Stolle's |
ausgewählte Schriften.
Volks- und Familien= Ausgabe.
Siehzehnter Band.
Zweite Auflage
Leipzig,
Ernft Keil,
1858.
Die
Erbſchaft in Kabul.
Komiſcher Roman
von
Serdinand Stelle.
Motto:
Trinke Wein im eg zu Kabul und laß
den Becher umpergefn ohn' Unterlaß;
denn es ift zuglei ein Berg, ein See,
eine Stadt, ein Garten und eine Wülte.
(Kaifer Babur's Lommentarien.)
Erſter Band.
Leipzig,
Ernft Keil,
1858.
Die Erbſchaft in Rabul.
Komiſcher Roman,
Erfies Kapitel.
&; begab fi am Sonnabende, den drei und zwans
zigften April 18.., daß in Nummer 16 des Nieber-
roßlaer Wochenblattes folgende Belanntmahung zu
fefen war: '
Belanntmadhung.
Nachdem ver Hofmaler Seiner Majeftät des Könige
von Kabul, Haſſan-ben-Mullah, ehedem Balthafar
Drollinger genannt, Sohn des in Niederroßla ver⸗
ftorbenen Peter Drollinger, nad Anzeige de groß-
britannifchen Conſulats der freien Reichs- und Han-
belsftadt Hamburg, neuerdings in Kabul mit Hinter-
laſſung eines Teftaments und eines Codicills mit
Tode abgegangen, fo wird dieſes mit der Bedeutung
zur Öffentlichen Kenntnig gebradht, daß, wenn binnen
ſechs Wochen Niemand auf die Eröffnung obgedachter
letztwilliger Verfügung anträgt, diefelbe vorgenommen
oder fonft den Geſetzen gemäß verfahren werden wird.
Stadtgeriht Nieverroßla, den zwanzigften April 18..
Iacoby, Stadtrichter.“
Seit dem letten großen Sommerwafler, mo bie
hart an den Stadtgärten dahinfließende Loſſa halb
8
Nieverropla unter Wafler fette und bedeutenden Scha-
den anrichtete, wußten fi die Bewohner der genann⸗
ten Stadt keines Ereigniſſes zu entfinnen, welches
einen fo tiefgehenven Eindruck auf Geift und Herz
bervorgebradht hätte, als diefes in Nummer .16 des
Wochenblattes publicirte Actenftüd.
DBalthafar Drollinger — Hofmaler —
Kabul — Teftament; die waren die Markfteine
und Signalflaggen, über welche hinaus das Gefpräd,
fo ein Collegium (wozu befammtlih nur drei gehören)
Nieverroßlaer zufanımentrafen, ſich felten verirrte. Zu—
gleich hielt e8 jeder angefeffene, wie nicht angeſeſſene
Familienvater für Pflicht, über befagten Balthafar
Drollinger umfangreiche genenlogifche Forfehungen an-
zuftellen, und dabei im Stillen das Spinngewebe ber
eignen, wenn auch zeither vernadhläffigten Sippe fo
weit als möglich auszufpannen, in der Hoffnung, daß
fih darin eine Kabul'ſche Erbfliege fange.
Gemeinfame Beftrebungen, fo fie ein und daſſelbe
Ziel verfolgen, vermögen viel, das lehrt die Ge—
ſchicht; und fo war e8 auch noch vor Ablauf ber
nächſten Woche in Niederrofla eine ausgemachte Sache,
daß Peter Drollinger, Thonpfeifenverfertiger, ven acht⸗
zehnten Juli 17.. an Xeberverhärtung, acht und funf-
zig Jahre alt, in der Webergaffe verfchieven und den
zwanzigften h. m. in der Stille auf dem Friephofe
zu Unfrer lieben Frauen zur Erde beftattet worden
fi. Er hatte einen jüngern Bruder Johannes und
einen fünfzehnjährigen Sohn Balthafar, ven Hofma-
ler, binterlaffen. Johannes ftarb als Pfarrer eines
Meinen, zwei Stunden von Niederroßla gelegenen
Dorfes; feine Wittwe und ein Sohn lebten noch ge-
genwärtig in Nieverroßla. Erftere erwarb fi ihr
Brot mühfam duch Unterricht Heiner Mädchen in
9
Nähen und Striden, während der einundzwanzigjäh-
rige Gamaliel beim Advocaten Eifenbeiß Bogen fchrieb.
Was den Hofmaler felbft betraf, jo war es ver
raftlofen Unterfuchungsbehörde zu Nieberroßla, weldye
nicht weniger ald die ganze Stadt und Umgegend in
fih faßte, gelungen, gleihfalls als unantaftbare Wahr-
heit herauszubringen, daß Balthafer beim Tode fei-
ned Vaters bei dem Bürger und Bentlermeifter Ham⸗
ger in Lehre geftanden, anftatt aber zu beuteln, mit
der Reißkohle überall umbergefahren, alle Wände ver-
unreinigt, Panther und Leoparden, Störche und Stieg-
fige, Gras und Laubwerk aller Orts angebracht, Ge—
fellen und Nachbarſchaft unverkennbar auf Thüren und
Mauerwerk geworfen zur Aergerniß aller beſſerdenken⸗
den Bürger. Nur der Peichtfinn habe darüber lachen
und fi erluftiren können. Endlich fei ver kecke
Burfche über den eignen Meifter gerathen, welcher
fh an einem ſchönen Morgen auf frifchgefirnißter
Sartenplanfe hinter blühendem lieder, auf einem
ſtillen Oertchen figend, leibesgroß erblidt und heraus-
gefunden. Dies habe aber dem Faſſe den Boden
ausgeftogen; Hamger habe nah einem umfünglichen
Hafelrohre gejuht, Balthaſar aber die Schlägerei nicht
abgewartet, fondern fei auf und davon gelaufen in
die weite Welt,
Bon diefer Zeit an verſchwand mit dem Conter-
fei des Beutlerd an der Gartenplanke das Andenken
an Balthafar in Nieverrofla, und ward erjt auf An-
frag Großbritanniend und Irlands vermittelft Num—
mer Sechszehn des Wochenblatts wieder in dem es
dächtniffe der Bürger und Einwohner hervorgerufen.
Der in Kabul zu ven Todten gegangene Hofmaler
hielt in Niederroßla feine Auferftehung.
Diefelbe Nummer Sechszehn des Wochenblatts, ob-
0
\
fhon fie auf daſſelbe graufliegende Papier geprudt
war wie Die andern, warb zur befruchtenden Früh—
Iingswolte für Gamaliel und’ feine Mutter Felicitas.
Der Borfegen träufte auf das Paar bernieber.
Mutter und Sohn waren zeither als Nullen ver
Kieverroßlaer Geſellſchaft überfehen worden. Seit dem
breiundzwanzigften April war das anders. Die erfte
Onadenfpende, melde als warmer Sprübregen herab-
wehte, erreichte Madame Drotlinger beim Bädermeifter
Stus, wo fie gewöhnlid am Sonnabend Nadhmittag
ihre Heine Wochenrechnung zu berichtigen pflegte. Stut
behauptete, fie fei zu ängftlih im Bezahlen, er nicht
dei Mann, der vechtichaffne Leute mahne und gab —
eine bejondere Auszeichnung — eine Franzbrezel zu.
Um viefelbe Zeit lobte Eifenbeiß das erfte Deal
Gamaliel's Reinſchrift eines Pachtvertrags und fam
auf das Teſtament, deſſen Eröffnung er nicht auf die
lange Bank zu ſchieben rieth.
„Das aſiatiſche Straußenei,“ ſprach er, „iſt ſo
gut wie im Sad, ſobald die Sache einigermaßen an—
gegriffen wird. Sollte Erblaffer Flaufen machen, wer-
fen wir die Paſtete um und ſuccediren ab intestato;
die pars legitima zieht nicht, fo viel ſag' ich.“
Gamaliel als frommer Sohn, blos die Nothdurft
der Mutter im Auge, ſtammelte wonnefchüchtern: „Ach,
ein Sonntagsrödckhen für die Gute, wenn's das ab—
würfe! Wir lechzen darnach ſeit Jahren.”
Eiſenbeiß gerieth einigermaßen in Berlegenheit, ob
er feinem Schreiber mit „ft Er” — over „Sind
Sie” — antworten folltee Er half fih inveß als
gewandterr Man und fprah: „Sind wir” — ein
Narr wollte er fagen, befann ſich aber und fügte
fhonend bei — „nicht unflug! Ein Sonntagsröck⸗
11
chen, das verlohnte ſich; wo ſich England einmenge⸗
lirt, handelt ſich's nicht um taube Nüſſe. Der Hofr
ne hat fi was Erkleckliches erpinjelt. So viel
ag’ ich.“
Nächſt dem guten und fchönen Gamaliel und fei-
ner frommen Mutter, weldye zunähft am Stamme
rubten, hatten ſich noch verſchiedene andere Niederroß⸗
(ner, denen e8 gelungen war, eme ziemlich vielgras
dige Verwandtſchaft mit Peter Drollinger’s ſeliger
Wittwe ausfindig zu machen, unter dem Schatten des
hoffnungsvollen Erbſchaftsbaums gelagert.
Unter der ſo urplötzlich, wie nach einem warmen
Gewitterregen aus der Erde hervorgewachſenen Vet⸗
terſchaft, die vor dem ſtadtgerichtlichen Proclam keine
Ahnung von ihrer gegenſeitigen Exiſtenz gehabt, und
fih deshalb jest einander ganz erftaunt anfah, that
fi) der Wirth zur Stadt Magpeburg, Athanafins
Lagemann, am lauteften hervor. Er kam feit dem
breiundzwanzigften April wenig mehr nach Haufe,
und ſchwur auf allen Schenfftätten und Kreuzwegen,
unbefümmert, ob es Jemand zu wiſſen wünfche ober
nit, daß ihn mit dem feligen Peter eine feltene
Seelenharmonie verbunden; er habe feinen ganzen
Pfeifenbedarf von dem Drollinger entnommen, wel-
her letttere die Pipen bei ihm abgetrunfen. Nichts
fei rührender geweſen als biefe Freundſchaft; fie fei
zum Spridwort geworben in der Nachbarſchaft umd
felbft dem Pöbel aufgefallen, welcher feine Verwun⸗
derung unverhofen in den Worten: „ſolche Saufbrü-
der kommen ſobald nicht wieder, ausgefprochen, ob=
ſchon hierunter nur ein gemeinihaftliher Schnaps zu
verſtehen geweſen. Diefe Treue belohne fih jest; er
hoffe von dem dankbaren Sohne im Teftamente ge:
bübrend bedacht zu fein, denn Balthafar habe um
12
die rührenne Freundſchaft feines Vaters Kenntnif
gehabt.
Nicht weniger Hoffnung auf ein gefegnete® Ge—
dächtniß im Kabul'ſchen Teſtamente machte fih Frau
Urſula, verwittwete Glaſermeiſterin Kluge; deren Mut-
ter der fiebzehnjährige Balthaſar vor ſeinem Davon⸗
laufen, wahrſcheinlich aus vetterlicher Aufmerkſamkeit,
bedeutend den Hof gemacht, und dabei zugleich ihren
Hof an all ſeinen Wänden mit kühnen Pinſelſtrichen
bereichert hatte.
Dergleichen roſenrothe Jugenderinnerungen, erklärte
auch Frau Urſula mit pſycholegiſchem Scharfblick, ver-
gäßen fih auf dem Sterbebette nit, und habe Herr
- Haffan-ben-Mullah einmal an Niederroßla gedacht, fo
ftünde ihre Frau Mutter felig oben an.
Die drei Freier, welche vermalen mit Eifer am
Zriumphwagen der jungen koketten Wittwe zogen,
und wo jeder nadı Kräften bemüht war, ven andern
vom Bode zu werfen und nöthigenfalls zu würgen,
hörten ſolche Rede nicht ungern, obſchon fie im Chore
ſchwuren und betheuerten, daß große Erbfchaft den
Werth der Wittib und ihre Liebe zu derjelben nicht
zu erhöhen vermöchte. Gleichwohl vernoppelten fie
ihre Anftrengung, und jeder ftrebte aus Leibeskräften,
Sologaul am Wagen zu werben. |
Große Hoffnung auf die Erbfchaft baute auch der
Schaufpieldirector und SHelvenfpieler Hanno, welcher
mit feiner ambulanten Truppe zufälliger Weile in
Nieverroßla gaftirtee Er hatte fünf Weiber gehabt;
wovon ihm drei geftorben und zwei davon gelaufen
waren. In Folge des angeftrengteften Nachdenkens
brachte er heraus, daß feine zweite werblichene Frau
die Pfarrerswittwe Felicitas ‘Drollinger, bei welcher
jein kleines, jett ebenfall® verftorbenes Töchterlein
43
Amanda in die Stride gegangen, zuweilen Frau
Muhme genamt. Hanno theilte dieſe erfreuliche
Entvedung fofort dem Meubleur Hantufh mit, be
welchem er feine einzige Walddecoration verfeßt hatte,
verwied auf die aflatifhe Erbſchaft und verlangte,
daß jener den Wald herausgebe. Hantuſch war kein
Sanguinifer, und jchüttelte über des Directors erb-
Ihaftlihe Muthmaßungen ungläubig ven viden Kopf.
Hanno führte indeß das „rau Muhme” dem Zweif-
ler ernftlih zu Gemüth, fo dag Hantnſch Einfehen
befam und die Decoration bis zur Teftamentseräff-
nung aus dem Arreft gab. ‘Dem Director fam dies
ſehr gelegen, und er konnte nun den Wald bei Her-
mannftadt, ein Kaſſenſtück, in Scene fegen, wie er
längft gewünſcht.
Ein andermeitiger Niederroßlaer, welcher auf die
Erbſchaft ſpeculirte, aber ruhig und ohne Leidenſchaft,
war ber Factor in ber Buchdruckerei, Herr Süßemild
mit Namen, ein langer, dünner, fteifer, blafler und
femmelblonver Knabe in den mittlern Dierzigern.
Seine Anſprüche waren nicht meiter her, als die des
Lagemann, der Klugin und des Hanno; darım fagte
er gelafien: „wir warten es ab.’
Wir kommen jest zum legten Erpectanten, dem
Magifter Betterlein, Quartus an der Stadtſchule,
einem Heinen drolligen Männchen, der in feinen jun-
gen Jahren Frankreich, die Schweiz und Oberitalien
bereift und nun bereits feit dreißig Jahren von dem
Ertrage diefer Reife zehrte. Dreißig Jahre lang er-
zählte er in Nieverroßla von feinen ehemaligen Wan-
derungen und war nod immer nicht zu Ende, denn
fo wie e8 das Gefpräh einigermaßen gab, fam er
darauf zurüd. Daffelbe war der Fall, ald Nummer
16 des Wochenblatts viel Stoff zur Unterhaltung gab.
Ark
[|
„Ein curiofer Fall,“ ſprach der Kleine, „als ich
eines Tags von Montpellier nad) Marſeille wanverte,
‚teaf ih mit einem Handwerksburſchen zufammen, ver
mir von einer ähnlichen Erbſchaft in feiner Familie
erzählte. Es wäre übrigens gar nicht fo übel, wenn
fih einmal eine ſolche aſiatiſche Lachtaube in unferm
guten Niederroßla nieverließ und goldne Eier legte;
namentlih wär's den armen Schulleuten zu gönnen.‘
Eifenbeigen’8 Menfchen- und Nächftenliebe vergaß
ſich am dreiundzwanzigften April nad Tiſche jo weit,
daß er feinem Schreiber, nachdem er den mundirten
Pachtcontract überflogen und belobt, für heute Yeier-
‚abend gab, obſchon die Uhr erft auf Nachmittag halb
Bier wies.
„Dan bearbeite die Frau Mama,” gab er dem
Samaliel auf ven Weg, „vaß fie fih von ihrem
Rechte nichts wergiebt; feine Hand breit; das india-
niſche Vogelneſt fann ihr nicht entgehen mit Rumpf
und Stiel, fein Federchen darf fehlen, oder e8 müßte
feine Gerechtigkeit hienieden geben; fo viel fag’ id).
„Mebrigens verliere man nicht Kopf und Herz,“
fuhr der alte Praftitus fort, „wenn Aliens Schäße
blinfen, man wolle nicht verfhwigen um Taumel bes
Wohllebend, daß ich es zeither war, der Brot gab.”
„9, nimmer, nimmer,‘ betbeuerte Gamaliel; jein
janftes Auge ſchwamm in Wonne und das Herz wur
voll von Freude und Frühling.
„Dan hat manchen Bod geſchoſſen,“ meinte Ei—
jenbeiß, „ich nahm's nicht genau; Dankbarkeit it
eine hriftlihe Tugend, man ergebe fich im Freien,
ed ift noch früh am Zage, die Jahreszeit paſſabel;
Trühlingswind ſtimmt die Bruſt gelinde und ermun-
tert das Herz zu dankbaren Gefühlen; ich muß mich
nod) plagen.‘
15
Das fchmerzte Gamaliel, er bat, daß es ihm er-
laubt jet, fih auch mit zu plagen.
‚ein,‘ erwieberte der Alte, „man laufe fi ein-
mal aus, Bergluft erfrifcht das Blut, macht die Glie—
der gelenkig, jtärkt die Geſundheit; man wird mir's
in fpätern Zeiten noch danken.“
Dem Oamaliel, welchem Alles, was der Doctor
Eiſenbeiß ſprach, Befehl war, eilte fehg und leicht,
obſchon er Hundert Himmel in der Bruft trug, dem
Thore zu. Für den Glüdlichen ift Einſamkeit wohl:
thätig; die Nachmittagsferien konnten dem Schreiber
daher nicht gelegener kommen.
Schon blidte die Frühling athmende Landſchaft
durh den Thortunnel, die Lerchen da draußen fangen
fo. verheißend, al8 ein Gedanke ven Yüngling am Rod-
fragen padte und ftehen hieß: e8 war der Gedanke an
Felicitas. Gamaliel hatte mit der Guten über bie
Erbſchaftsangelegenheit noch mit feiner Silbe geſprochen.
Der Pachtcontract hielt ihn feit der frühften Morgen
ſtunde am Pulie feit. „Dem Doctor, ſprach der gute
Eohn für fi, „wird's nichts verfchlagen, wenn ich
jpäter venne und vorher mit der Mutter Rückſprache
nehme. Ich kann die Freudenlaſt allein fo nicht fort:
bringen, und muß ein paar Kiften Goloperlen abwer-
fen der Mutter in's Haus.”
Je länger er darüber nachſann, deſto vechtichaffner
erfchien ihm viele Anfiht. Sie fiegte auch und er
ſchwenkte vermittelft eined Quergäßchens links vom
Trühlinge ab und ftürmte nad) der Wachsbleiche, fo
hieß die Häuferreihe, wo Yelicitas beim Horndrechsler
BZiegenbalg, einem gottesfürdhtigen Manne, zur Miethe
wohnte. Auf dem Wege dahin hatte ver Schreiber
viel Freudigerſtickendes auszuftehen. ‘Da die Straßen-
pflafterung in Nieverrofla nie recht gedeihen wollte,
486
jo hatte Gamaliel zu ſchwimmen und zu waten. Der
halbe Winter lag überall noch im Wege und befand
ſich eben noch in völliger Auflöfung. Unfer Held jah
fi) daher genöthigt, wie ein verfolgter Gemsbock von
einem trodnen Fledchen zum andern zu fpringen. Da-
bei warb er häufig begratulixt wie am Neujahrstage,
was viel Aufenthalt und viel haflige Freude verur-
ſachte. Bei der Nidels-, eigentlich Nikolaikirche, ſtak
er eben bis an die Waden im Morafte und würde
vielleicht einem fanften Fluche freien Lauf gelafjen haben,
hätte er ſich nicht in fo heiliger Nähe des Gotteshau-
je8 befunden, als er plößlid) fogar vom Himmel herab
angerevet ward. Er fehaute aufwärts und entvedte
ben Kopf des Calcanten und Pulfanten Schnuphafe,
der aus einem Schalllohe bes Thurmes herab gratu-
lirte und den Segen fprad).
„Das Poẽem kommt morgen in Arbeit, verhieß
Schnuphafe, der bei jedem freudigen Ereigniß, fo einem
Nieverroßlaer paffirte, mit einem Carmen vorfuhr.
„Aber jagen Sie mir, gefhägter Herr Drollinger, wie
Ihr edler Herr Vetter nah Kabul avancirt ift und
überdies nad) Hof? Er wird doch der Augsburgijchen
Confeffion treu geblieben fein ? Was meinen Sie, Herr
Drollinger ? Der Herr Superintendent ſoll heut Mit-
tag bei dem „Haſſan-ben-Mullah“ jehr nachdenklich
mit dem Kopfe geſchüttelt haben.“
Gamaliel ward durdy diefe Rede in üble Lage ver-
ſetzt. Während er mit den Füßen immer tiefer in den
Sumpf fant, follte er nah dem Schallloche hinauf
dem lauſchenden Calcanten die Glaubensfeftigkeit feines
Betters außer Zweifel ftellen.
Er ſprach mit Wärme über den Zeftator, den er
nur nad den Ausfagen feiner Mutter kannte und be=
ruhigte Schnuphafen und ſich durch die Worte, daß
47
bei dem künſtleriſchen Hofmaler ein Renegatenthum
nicht denkbar, noch viel weniger glaubbar je. Es
würde ihn dann ein böfes Gewiſſen ficher nicht an
das chriftlich = proteftantifche Niederroßla in feinem leß-
ten Willen, welches ja Fein egoiftiicher, ’ fonvern ein
moralifher und heiliger fei, haben denken lajien.
Schnuphaſe, weldem viefer Grund einleuchtete,
nidte Beifall aus der Höhe und zog den Kopf zurüd;
Gamaliel that dafjelbe mit feinen zwei Füßen, die er
wie Delmübhlenjtampfer aus dem Sumpfe hob, und
begann wieder zu jpringen, ver Wachöbleiche zu.
Er wollte jo eben mit ſtürmendem Herzen in die
Stube und der Mutter um den Hals fallen, als er
den Zugang zu dem Gegenftande feiner Zärtlichkeit
durch nicht weniger denn ein Dutend theilnehmender
Nachbarinnen verrammelt fand, die fi ſämmtlich aus
Theilnahme für das freudige Geſchick der Wittwe
Drollinger, obſchon es Sonnabend war, zum Kaffee
eingeladen hatten. Mit Zaubenfanftmuth ſaß Telici-
tas inmitten der geſprächigen Nachbarſchaft und theilte
der gefräßigen weiblichen Neugier, welche jedes Wort
vom Munde wegichnappte, die fchon zehnfach wieder:
holten dürftigen biographiſchen Notizen über den Hof:
maler mit; wie derſelbe fie und ihren jeligen Mann
in Ringethat beſucht, ehe er in die weite Welt ge—
gangen, und ſich mehre Tage bei ihnen aufgehalten
habe. Seit jener Zeit ſei ihr aber nicht die geringſte
Nachricht von ihm wieder zu Ohren gekommen, ſo
daß ſie ihn endlich als todt betrauert. Das Schönſte
aber hierbei, wie ſie dem Lehrling ihren einzigen treu
bewahrten Sparducaten auf den Weg gegeben und
ihm gerathen, nicht wieder zum Beutler zurüdzufeh-
ven, fondern fein Glück im Zeichnen zu verſuchen, und
ihm für, diefen Zwed einen Empfehlungsbriet an canen
Stolle, fämmtl. Schriften. XVII. 2
18
entfernt verwandten Seichnenlehrer in der Stadt über-
macht, verichwieg fi.
Der weibliche Convent fand fi durch dergleichen
wenig erichöpfenden Mittheilungen nicht ganz beruhigt
und erging ſich in Hypotheſen, wie der davon gelau-
fene Beutlerlehrling nah Kabul gefommen und Hof-
maler geworben; eine Frage, welche halb Niederrofla,
den Bürgermeifter und den Genat nicht ausgenom⸗
men, mehre Nächte lang unruhige Träume machte.
Der gute Sohn, als er „piefe Fülle der Ge-
ſchichte“ erfchaute, prallte erfchredt zurüd und fuhr in
die Kühe, wo er nah Bürſte und Wichfe ſuchte.
Während er mit erfterer verzweifelt hin und wieder
fuhr und fi wieder auf glänzenden Fuß zu feten
bemüht war, burdzudten Freudenblitze fein Gehirn
und Herz. Der weiblihe Senatusfrequend am Scheu—
ertage fchien ihm von vorzüglicher Vorbedeutung.
. Die Nahbarinnen waren ihm jammt und ſonders
Sybillen, welche Segen und Freude prophezeiten.
„Es fällt gewiß außer dem Sonntagsrddchen noch
was ab,” fprad er wichfend und Treudentropfen fie-
len aus den blauen Wunderaugen; er gedachte der
mit Armuth kämpfenden Mutter. „Es find ja die
angefehenften Frauen drinnen,” fuhr er fort, „pie kom⸗
men nicht wegen einer Bagatelle.“
Während Gamaliel in der Küche wichfte und
weinte, ging’8 über ihn her im Frauencolleg, chrift-
lich und liebreich. Sein plößliches Erſcheinen und
Verſchwinden hatte die Aufmerkſamkeit auf ihn gelenkt
und die Rede auf ihn gebracht. Man überfahb dem
boffnungsreihen Erben menfchenfreundlih das fahrige
Weſen und ließ feiner madonnenhaften Schöne gebüh-
vende Anerkennung wiverfahren. Wir biejenigen, wel-
N
x
19
hen heirathbare Töchter zu Haufe ſaßen, war der
Sohn der Wittwe Ideal. Felicitas jelbft athmete in
ſtiller Mutterfeligfeit das Lob des Sohnes ein und
pries fein Herz unparteilih und wahr.
Gamaliel war unterdeß mit feiner Parterretoilette
zu Stande, er hätte, was den Glanz feiner Stiefeln
anlangte, als Hufarenrittmeifter oder als Küraffier
getroft auf dem Hofballe ericheinen künnen. Er ftedte
jest den Kopf vorfihtig in die Röhre des Kochofeng,
welcher zugleih die Stube wärmte, um heraus zu
befommen, ob vie weiblihe Nachbarfchaft feine An—
ftalt treffe, in den Schooß ihrer refpectiwen Familien
zurüdgufehren, aber das unaufhörlihe Taſſengeklirr
ließ ſobald an feinen Aufbruch venfen und die gejel-
fige Unterhaltung war noch im beften Gange.
„Diefe Kaffeegeſchichte,“ ſprach er, behutſam ſei⸗
nen Himmelsglobus aus dem Krater zurückziehend,
„kommt mir eigentlich fatal, obſchon er von frohſter
Vorbedeutung iſt. Ich läge gern an ihrer klopfenden
Bruſt und wir bauten Luftſchlöſſer, himmelhoch. Ich
will noch bis hundert zählen, wenn die Nachbarſchaft
bis dahin das Feld nicht räumt, lauf' ich ohn' Wei-
teres in die Berge und unter Die Lerchen, nah Ei-
ſenbeißen's Wunſch und Gebot.“
Gamaliel war mit hundert zu Ende und gab noch
funfzig zu; aber vie Kaffeenifite dachte an feinen Auf-
bruch. Er ward ungeduldig und machte fid) marjch-
„Sin Weiberdiskur ift ſobald nicht tobt zu ma-
hen, fprad) er, „das Mühlenwerf treibt noch Iuftig
und id) kann die halbe Welt umlaufen, ehe die zur
Ruhe und nah Haufe kommen.‘
Er vrüdte die Thür in's Schloß und wollte fo
eben durch das Hinterthor, welches durch gan arten
20
nah ven Bergen führte, die Flucht ergreifen, ald ihm
Felicitas, welche, um ihn zu fuchen, auf einen Au-
genblid vie Gejellihaft verlaſſen hatte, entgegentrat.
‚Ad, Mutter!” war ver einzige Ausruf, mit wel-
chem Gamafiel der Geliebten an’e Herz eilte.
Felicitas ſprach fanft und ruhig: „Mein guter
Sohn, überlag Did nicht zu fehr einer Hoffnung,
die eben jo leicht zerfließen kann, als fie vielleicht
trügend aufgeftiegen iſt.“
„Beſtes Mutterchen,“ ſchwur der Glückliche, „va
ſteckt was dahinter, vielleicht viel, ach viel; ver Doc⸗
tor (Eiſenbeiß nämlich) ſagt's auch. Cr meint, Eng-
land befaſſe ſich nicht mit Lappalien. ‚Mutter, Mut⸗
ter, Du wirſt wieder glücklich werden.“
„Bin ih denn nicht glüdlih, wenn Gama gut
bleibt und mid, immer liebt?“ frug Felicitas, ven
ſchönen Sohn mit Mutterſeligkeit anblickend, „gleich⸗
wohl will ich gern geſtehen, daß es mir große Freude
machen würde, wenn der Himmel uns, wenn auch
nm eine ffeine Gabe, beſcheerte — Tu könnteſt
Dir vielleicht manch' gutes Buch kaufen, was ich ſo
wünſche.“
„Erſt ein Sonntagsröckchen, Mutterchen,“ eiferte
der Schreiber.
„Aber willſt Du nicht mit in die Stube kommen?
Man hat Dich einmal geſehen und ed war viel Nach—
frage nah Dir.“
Samaliel, ver fib bei diefem Berlangen wie ein
wildes Thier vorfam, das vor eine glänzenve und
ftaunende Verfammlung geführt werben jollte, hob
beſchwörend alle zehn Finger in die Höhe, indem er
zugleid auf Eiſenbeißen's Urlaub und Wunſch pochte,
der ihn in die Berge trieb.
Felicitas, welche ihren Sohn kannte, lächelte und
31
brang nicht weiter in ihn, ermahnte ihn nur, zum
Abendſüppchen wieder da zu fein, wo fie auch ein
Glas Glühwein bereit halten wollte.
„Du biſt und bleibft meine Engelsmutter,” jubelte
Gamaliel, „aber jetzt leb’ wohl, damit ich nod ein
Stüd Eonne erhaſche; fie kann nicht mehr hoch über
den Bergen ftehen.‘
Er ftürmte fort und Felicitas kehrte nach bem
‚ Kaffeezimmer zurüd.
Zweites Kapitel.
Use grünen Knospen hing die Abendfonne, ein
leuchtender Gedanke Gottes in der ſchönen Welt. Der
blaue Fluß athmete leicht und heiter durch das früh-
lingſchauernde Thal. Seine Haren Wellen drängten
fofend und nedend gegen bie weichen ſchwellenden
Ufer. Ueberall brach es he.vor golden und grün.
Die Luft war ftill und mild; aus den erwärmten
Wiejenboden blickte hier und da ein blaues Veilchen
oder Crocusglöckchen; Lerchengeſang durchklang den
blauen Himmel.
Gamaliel wallfahrtete den Fluß zur Rechten in
die nahen Abendberge, hinter welchen die Besper
glocke eines naheliegenden Dorfs den morgenden Sonn=
tag verkündete. Er blieb oft ſtehen und ſchaute vom
Uferrande in die weichen ſtillen Wellen, in denen ſich
das hohe Ufergras und fno8penfchtellendes Erlenge-
büſch wieberfpiegelte.
Der Menfh ift erft dann Menfh im ſchönen
22
Sinne diefed Worts, und Gott und der Natur und
feiner wahrhaft werth, wenn er gefund, die Bruft
vol Frieden, ven Bli beruhigt auf der Welt ruhen
läßt. Verklärt dann noch eine heilige Freude fein
Herz, fo entfchwebt er bereits der Erde und die Räth-
jel des Lebens beginnen ſich zu löſen. Die Liebe trägt
ihn empor, der Glaube wird zur überzeugenden Ge—
wißheit, die von dem Gebraufe des Lebes übertäub-
ten Wahrheiten tönen wie Glocken ſchönrer Welten
an das geiftige Ohr und er ift eine Zeit lang für
geftorben zu betrachten. Diefer Zuſtand würde für
immer - fortvauern und in erhöhterm Grade, wenn
in folhen Augenbliden die Todeshand leife die Bruft
berührte und das irdiſche Herz ftillftehen ließ, damit
das himmlische freier pulfire. Der Menſch kann aber
eine anfehnlihe Dofis Himmelsfreude, jo wie viel
Ervenleid ertragen, ohne daran zu ſterben; doc bringt
er von folder Sternenfahrt tet? einen Straus himm=
lifcher Blumen’ mit, deren Duft ihn noch lange unter
den feuchten Wolkenſchatten und Erdſchollen erquiden
und — bie ihn nicht zu Schanden werden lafjen im
irdifhen Gomorrha. Aehnliche Ausbeute gewährt ſchon
eine Flucht in die Einfamfeit, wenn's dem Flüdht-
ling nämlih wahrer Emft um die Einſamkeit ift,
theils um fih die Wunden, die er in der Yebens-
Thlaht erhalten, zu verbinden und Balfam zu fam-
meln für die Heilung, theild um als forgjamer Haus
vater mit feiner verjchiedenen Inwohnerſchaft Rechnung
abzufchließen. Jever Menſch trägt ſein Bethanien in
fih, wo er den Bater und den Sohn finden und
jpredhen kann, er mag fchulobelaftet oder im weißen
Gewande der Unſchuld, heiteren oder weinenden Her-
zend eintreten; doch wird der Vater der Liebe den
Schuldbelaſteten und Weinenden eher vorlaflen. Nur
23
das Herz felber muß der Menſch mitbringen, jonft
wird er erftens fein Bethanien, ſondern ein Schirke
und Elend oder gar eine Löwenhöhle, und zweitens
feinen Vater und drittens feinen Sohn finden. Es
entfchuldige fich übrigens Niemand, er fet Hausbe-
figer oder Miethbewohner oder Aftermiether, daß im
Logis fein Ort zu haben zur ftillen Einkehr, oder
daß die Gefellen und Lehrburſchen zu jehr hämmer-
ten und Mägde und Kinder rumorten. Er ſuche nur
und er wird finden, Bethanien ift für den wahrhaft
Suchenden näher als. die Kirche, in weldhe er gepfarrt
ift, und ein einfach Gebet kann zum Abendmahle werben.
Gamaliel wandelte wie jeder Menſch zwiſchen Him-
mel und Erde, am Knospen umhangenen Loffaufer;
nur daß ihm der Himmel ein folder auch war und
die Erde die Vorhalle. Die Schatten der Abenb-
berge lagen weit im Thale dahin. Schon wateten
feine Füße im Dunkel, während Bruft und Kopf noch
flammeumflofjen emporragten. Er begann jett zu
galoppiren, um die einige hundert Schritte entfernte
Marienhöhe zu erreihen, von wo er fchon oft einfa=
mer Zeuge des Sonnenuntergang® gewefen war.
„Eine junge Mutter, den Säugling im Arm, einen
Regenbogen, einen Sonnenuntergang, einen Veſuvaus⸗
bruh mit dem Buſen von Neapel, die Alpen, die
Nordſee, die Dresoner Gallerie, die Pyramiden, einen
amerifanifchen Urwald, den Syrius, die Petersfirche,
das find alles Dinge,“ ſprach Gamaliel oft zu fich,
„die man nicht oft genug fehen kann.“
Es gefiel ihm daher feine andre Bank, die Ofen-
bank in Winterabenvden nicht ausgenommen, mehr, als
die einfache Bretbanf, welde am Stamme des alten
Lindenbaums auf der Marienhöhe zur Beobachtung
des Sonnenuntergang ſehr zweckmäßig angebradt
424
war. Man konnte von hier ſitzend und mit dem
Rücken an den Lindenſtamm gelehnt, das glänzende
Schauſpiel auf das Bequemſte mit anſehen, ohne daß
man einen Kreuzer Sitz- und Sehgeld zu entrichten
gezwungen gewejen wäre, obſchon eine blecherne Büchſe
mit der Weberfchrift: „Zur PVerfchönerung der Ma—
rienhöhe” oberhalb des ehrwürbigen Baums angena=
gelt war.
Gamaliel hatte e8 feinem Galopp zu verdanfen,
daß er gerade auf dem Belvedere anlangte, al$ die -
Sonne untergehen wollte Er war fo erfreut bar-
über, daß er mit bloßem ‘Dank diesmal nicht durch—
zufommen fürdhtete und fi zu Leiſtungen verpflichtet
hielt. Demzufolge rollte, gleihfam als Sonnenopfer,
der Kreuzer für das morgende Frühſtücksbrotchen in
die Verſchönerungsbüchſe. Er fiel tief, und der Fall
Hang hohl, ein Zeichen, daß bie zeitherigen Beſucher
der Höhe nicht eben rothſchildmäßig ſich aufgeführt
hatten, welches Gamaliel ſchmerzte.
Für ſeinen Kreuzer genoß aber der leutſelige Geber
eins der großartigſten und koſtbarſten Schauſpiele, das
dem Menſchenauge und. Menſchengeiſte vorgeführt wer-
den kann. Die Sonne ging hinter einer mit Birken
bewachſenen Anhöhe unter, die erſt vorige Nacht in
Folge eines warmen Gewitterregens mit dem erſten
zarten Grün war bekleidet worden, und verſank ſo
unter Lerchengeſang und Abendlauten in das jung-
fräulichite Brautbett. Es gewährte einen hinmlifchen
Anblid, wie der frifhgrüne Birkenwald immer gold-
ner wurde und im euer aufzugeben fehlen, und wie
die untergehende Sonne ihr Ylammengewand über
ſämmtliche Abendberge breitete.
„So ſtirbt ein großer Menſch,“ ſprach Gamaliel,
deſſen holdſeliges Antlitz in Einem fort nach Abend
25
ſchaute, „er ſcheidet, wie er gelebt, groß, herrlich und
ftil, um einer neuen Welt als Morgenſonne aufzu-
gehen.“
Der Rofaduft der geftorbenen Blume durchzog aber
noch lange den blauen großen Dom; immer tiefer
binter die Berge ſank ver leuchtende Tag und bie
leis nachſchleichende Nacht warf einen Flor nad dem
antern über den letzten rothen Saum der Abenpberge.
Dämmerung hüllte. Flur und Wald in geheimnißrei«
ches Dunkel, und der Abenpftern, welcher fhon im
bleihen Mantel der Abenpröche ſchwach gefchimmert
hatte, trat fiegend hervor.
„Die Welt,” fuhr Gamaliel auf feiner Breter-
bank fort, „kann eigentlich gar nicht herrlicher einge:
richtet fein als fie es ift. Kaum hat uns das ftrah-
lende Tagsgeſtirn verlaffen, fo bredien neue Erben
und Sonnen aus dem Weltenabgrunde empor, und
verfünden die Allmacht Gottes überzeugenver als ver
blendende Tag. Mit dem Menfchen ift e8 ebenfo.
Erft nad dem Sonnenuntergange des Lebens treten
die Sterne der Unfterblichkeit in himmliſcher Schöne
hervor, und erleuchten freudig und glaubenshell das
Schattenthal des Todes. Ich begreife daher nicht, wie
der Menſch, jo er nicht gemüthskrank oder bös, und
als leßterer ift er auch nur franf und fann und wird
gefunden, ven Tod fo kohlſchwarz, erpfahl und knochen—
beinig finden kann, daß ver Gedanke daran ihm fchon
Zittern und Zähneflappern erregt. Das fid) abängfti-
gende Bolf ſollte doch mr aufpajjen und einfehen |
lernen, wie der liebe Gott Alles aufbietet, die Yebens-
fuftigen an das Sterben zu gewöhnen; er läßt jie
alle Abende einfchlafen und den nächſten Morgen neu-
geftärft und Iuftig aus dem Bette |pringen. Wenn
der Tod bequemer eingerichtet wäre, als er es ift, fo
26
würde das Ervenland über furz over lang eine Wüſte
werden, und jeder Schuljunge nad erhaltener Kopf-
nuß das Zeitliche abjchütteln und verklärt den Ster⸗
nen zuſchweben.“
Gamaliel philoſophirte noch geraume Zeit, wäh-
rend der Sternenhimmel fidy über ihn immer pradt-
voller aufſchloß. Die Luft z0g frühlingswarm über
die Berge und die ſchlummernden Knospen.
„Ich wünſcht', ich wäre ein Keim,” fuhr der Phi—
lofoph fort, „und könnte morgen früh, wenn bie
Sonne über die Berge .teigt, hervorbrehen und die
Herzblättchen auseinanderfalten im Schöpfungsfaal.
Die Sonne und der blaue Himmel muß fi prächtig
ausnehmen nad) der langen Winternadht in feuchter
Erve. Auch eine Lerche möcht” ich jein, die fieht Alles
von Oben mit an, oder die grüne Fichte auf hohem
Gebirg’, oder die Alpenblume, oder die demantreine
Duelle, die aus ummaldetem Felögeftein bricht und
viele8 Andere. Vor der Hand danf ih aber dem
lieben Gott von Herzen, daß ich bin, wozu er mid)
gemacht hat.” Er gedachte bier an feine Mutter, an
die Erbfchaft und an ven Slithwein, der ihn zu Haufe
erwartete,
„Wenn der Glühwein nicht wäre,‘ meinte der Schrei-
ber, „und die erbfchaftlichen Angelegenheiten, jo weiß
ih nicht, ob ich nicht noch ein halb Stündchen hier
figen bliebe und dem finfenden Abenpftern zufchaute;
ih habe ihn lange nicht in foldher Pracht geſehen.“
Samaliel war jegt aufgeftanden und überjchweifte
nochmals die int Dunkel ruhende Erde, auf welde ver
reihe Sternenhimmel herabſchaute.
„Das muß ein außerordentlicher Frühling werben,“
ſprach der Yüngling, indem er den Heimweg antrat,
„wenn die warme Witterung anhält, ift in ein paar
27
Tagen Alles grün, fo weit das Auge reiht, die Knos—
pen liegen ellendid auf Berg und Thal. Ich laufe
dann fiher alle Tage in's Weite und nehme Mutter-
hen mit. Unterdeß löſt ver weife Kath die Erb-
Ichaftsfiegel, und da fällt gewiß Etwas ab. Ich darf
nicht recht darüber nachdenken, wie das jchön werden
kann. Man hat mit dem Frühling vollauf zu thun
und erbichaftet dazu. Ich werde den lieben Gott bit-
ten, daß er mir tragen hilft oder die Schultern recht
kräftig macht, damit ich unter der Laft nicht erliege.
„Wenn nur von der afiatifchen Hinterlafienfchaft
bes guten Onkels nad) Abzug der Sportuln, des
mütterlihen Sonntagskleidchens jo viel übrig bliebe,
rechnete Gamaliel auf dem Heimmege, „daß ich den
Matthiſſon und Stein's Erdbeſchreibung an mid) bringen
könnte. In der Geographie war ih vom jeher fein
Held; jo kann man mic umbringen, ih weiß nicht
zu fügen, wo das gefegnete Kabul liegt, ob es ein
Königreih oder Kaiſerthum, ob man dafelbft einen
einzigen Gott anbetet oder mehre, und ob daſelbſt
die Menjchheit in Kaftanen oder Oberröden und Fracks
einherfchreitet.. Ich will nicht ſchlimm denken von mei-
nem Nächſten, aber ich glaube, der Herr Bürgermeifter
ſchwebt hierüber gleichfalls im Dufter, und ift die Frage,
ob es Eifenbeiß weiß. Alfo eine emfichtsoolle Geo—
graphie paßte ſchon lange für meine Umſtände. Sie
war feit je ein „tiefgefühltes Bedürfniß“ für mid, wie
die Herren Buchhändler in ihren Bekanntmachungen
zu jagen pflegen. Mit Matthiffon’& herrlihen Ge—
dichten ift ein Gleiches der Fal. Mit ihnen muß
fi) der Frühling noch einmal fo ſchön durchleben laf-
jen. Ich werde mic gern mit der fleinen Ausgabe
begnügen, die nicht zu theuer if. Für zwanzig gute
Groſchen erhält man den ganzen reihen Strauß Ge—
28
dichtblumen fammt fauberm Titelblatt und Inhalts—
verzeihnig. Es ift doch was Schönes um die Buch—
druderfunft. Sollte Kabul was Erkleckliches abwerfen,
würde vielleicht gar zum erften Bande der Schiller'-
ſchen Gedichte Rath, ven zweiten befitt die Mutter
noch aus der Hinterlaffenfchaft des guten Vaters. Ei,
wollt’ id) dann der Felicitas vorlefen, Sie hört gar
zu gern wad Schönes. Auch der Vater hat ihr ehe-
dem oft vorgelefen in Ringethal, wie fie mir erzählt.
Dod nicht unbefcheiden will id) in meinen Wünſchen
fein; wenn's nur vor der Hand den’ Stein abwirft,
Matthiffon und Schiller bleiben dann für fpätere Zei-
ten. Man muß nicht Alles auf einmal haben.“ |
Samaliel zog, einen Sternenhimmel über ſich und
einen zweiten in der Bruft, jubelnd durch's Thor, und
erreichte wohlgemuth die Parterrewohnung feiner Mut:
ter. Borfichtig laufchte er zuvor an den gejchlofjenen
Fenſterläden, ob ſich nicht eine der nachmittäglichen
Kaffeetauben noch verhalten und der guten Mutter in
die Ohren girre. Aber fie fchienen fänmtlic nad)
ihren Neftern zurückgekehrt; es war ftill und dem
Schreiber fiel ein großer Stein vom Herzen. Er
ftürmte nun ſelbſt mit großer Haft in's mütterliche
.Neſt. Der Glühweinduft durchzog würzig das rein-
liche Stübchen, und verfette den intretenden in
Eckſtaſe.
„Mütterchen,“ betheuerte er, „es funkelt über dem
Dache eine Sternenwelt, um die uns die Engel im
Himmel beneiden müſſen, aber, erzähle mir jetzt vor
allen Dingen ebenfalls von Balthaſern und ſag' mir,
wo Kabul liegt und welche Verfaſſung dieſes Fand
hat. Ju unferm geographiſchen Kalender ſteht kein
Wort darüber, das weiß ich, ſonſt wüßt' ich's. Uebri—
gens kann ich mich, bei Licht beſehen, ich hatte an
29
dieſen Fall gar nicht gedacht, über die. Erbſchaft nicht
einmal recht freuen; es ift eine wahrhaft üble Ein-
rihtung, daß bei einer Erbſchaft allemal Jemand
zuvor gefterben fein muß; und diesmal noch dazu ein
jo naher Verwandter.“
„Du baft vet, mein Gama,“ erwiederte Felici—
tas, „auch hab’ ih mid nicht eben gefreut; ich
hielt mir die Himmelsbotſchaft dagegen, wenn ver Bal-
tbafar ſelbſt plötzlich heimgekehrt wäre nad) Nieder-
roßla. So ift er gejtorben unter fremden Menſchen,
im fernen Alien, in der Blüthe feiner Jahre, und
hat noch im Tode unfrer liebend gedacht.“
Gamaliel trodnete ſich eine Thräne; die Mutter
fuhr fort: „Sch fehe ihn noch vor mir den jungen
hübfchen Burfchen mit dein weichen geringelten Haar
und den heitern, muthigblidenden Augen, wie er, das
NRänzlein auf dem Rüden, Abfchied nahm, und dahin
wanderte die alte Kaftanienallee, und immer ftehen
blieb und zurüdblidte und mit dem blauen Tafchen-
tüchlein Lebewohl winfte, bis er hinter einem blühen-
ben Weizenfelde verſchwand. Du warft damals erft” |
wenige Monate alt und lagſt nody in der Wiege.
Baltbafar konnte fih an Div nicht fatt fehen und
ſchwur, wenn er's einmal zu etwas Reellem brächte,
wollte er Alles mit Div theilen.‘
„Der Gute,” ſchluchzte Gamaliel, „o daß er lebte,
wie wollt’ ich ihm lieben. Was helfen jet alle Reich—
thümer Aſiens, da er ung feldft entrifien. Hat er
denn auch gar nicht einmal gejchrieben ?‘
„gen eriten und legten Brief, erwiederte Felici—
ta8, „erhielt ih aus der Reſidenz, wo ih ihn an
einen geſchickten Zeichnenlehrer empfohlen hatte. Dort
machte er die Belanntichaft eines Funftliebenden Eng:
länder, dem er nad) Italien folgte. Seit diefer Zeit
30
vernahm ich feine Silbe wieber, fo daß ich ihn ſchon
längſt als tobt betrauerte. Hoffentlich ft es ihm
aber, und namentlid in ven letten Jahren, recht
wohl ergangen.
„Ach,“ meinte Gamaliel, „einen guten Menſchen
kann es gar nicht bös ergehen, denn er hat ja ſtets
den lieben Gott auf ſeiner Seite; aber Du haſt mich,
Mutterchen, wirklich ganz traurig geſtimmt, und je
mehr wir erben, um ſo wehmüthiger werde ich ſein.“
„Du mußt hier auch erwägen,“ verſetzte die ſanfte
Mutter, „daß, wenn uns der fromme Wille des
Heimgegangenen Etwas beſcheert haben ſollte, wir
die Gabe eines guten Menſchen nicht mit Schmerzen
empfangen, denn er wollte uns ja eine Freude damit
bereiten. Uebrigeng, ” fügte fie lächelnd hinzu, „wird
unſer Geſpräch faft fomifh, da es über eine Exb-
Ihaft handelt, die wahtfcheinlih im Monde Tiegt.
Wie ih dem feligen Balthafar in feiner Jugend fen-
nen lernte, fo fehien er mir nit von dem Tempera—
mente, Reichthümer anzuhäufen. Wir wollen uns da—⸗
her in unfern Erwartungen nicht zu hoch verſteigen
und die Erbfchaftsangelegenheit ftil auf ſich beruhen
laſſen. Hat uns der Himmel Etwas zugedadit, ei,
wir nehmen es mit großem Danke; doch glaube ich,
nod immer, daß der gute Balthafar, der fchon in
feiner Jugend aus froher Laune und Luftigen Stüd-
leins zufammengefeßt war und gar zu gern vie Leute
nedte, fi) einen Scherz gemacht, um das gute Nie-
berroßla, ‚dem er nie zugethan war, fo zu fagen in
den April zu ſchicken.“
Gamaliel erblaßte, fein Erbſchaftshimmel mit
fammt der Stein’fchen Geographie, dem Meatthiffon
und Schiller, ſtürzten bet den mütterlihen Worten
plöglih zufammen; nur Eiſenbeißen's Ausfagen biel-
ten ihn in Etwas aufrecht.
„Aber follte,” frug er, „das gewaltige England
zu dergleichem Stüdlein feine Hand bieten?“
"Felicitas vieth, den Ausgang ruhig abzuwarten.
Der Sohn theilte jeßt des Doctors Anficht und
Kath mit, die Sache nicht auf die lange Bank zu
Ihieben und auf Teftamentsöffnung anzutragen.
» ‚Ren, mein Gama,” verfegte die Mutter, „wir
wollen; nichts übereilen, jondern Alles ftil feinen Gang
gehen laſſen. Je eifriger wir nad) dem bis jegt nur
iheinbaren Glücke ftrebten, um fo niederſchlagender
wärbe eine Enttäufhung und um fo größer der öffent-
lihe Spott und die Schadenfreude fein.
Der Sohn nahm fi zwar bie mütterliche Rede
zu Herzen, im Innern aber war er noch ftark im
Glauben an die Erbſchaft. „Eifenbeiß,” ſprach er zu
fih, „verfteht fi) auf folde Dinge, der würbe bie
Sache lange nicht fo ernithaft genommen und mir
bereit8 halb Pier Uhr Urlaub gegeben haben, wenn
nichts dahinter ſtäke.“
Er begann alſo mit ziemlicher Hoffnungsfröhlid-
feit, obſchon er ſich hütete, feine großen Entwürfe
hinfichtlic) des Bücherankaufs der Mutter mitzuthei- .
len, ven belebenden Glühwein zu fchlürfen, welchen
ihm Felicitas darreichte. Da trat ihm aber, faum
hatte.er eine halbe Taſſe hinunter,- das Herz wieder
auf Die Junge, und er mar eben im Begriff, bie
fühnften Luftjchlöffer auf dem noch uneröffneten Te—
fiamente aufzubauen, als fid) die Thür öffnete und
ber große Geograph von Niederrofla, der Gottesfa-
fienvorfteher, Chriftian Henody, ein Bud, unter dem
Arme, eintrat. Er nahm fofort auf dem bargebote-
nen Stuhle Plot, und begann, die Geographie auf-
ſchlagend, in feiner ununterbrochenen eintünigen Re—
bemeife:
„Es dürfte ſicher von außergewöhnlichem Intereſſe
ſein, Etwas von den Forſchungen zu vernehmen, ſo
ich über das aſiatiſche Staatengebiet Kabul, welches
dermalen Alt und Jung außergewöhnlich beſchäftigt,
angeſtellt, in Erfahrung zu bringen. Nach ange—
ſtrengtem Studium und mühſamer Quellenforſchung
iſt es mir gelungen, über beſagtes Kabul, auch Ka—
buliſtan oder Afghaniſtan genannt, zu berichten wie folgt:
„Dieſes Königreich, ehedem zu Perſien gehörig,
umfaßt einen Flächenraum von dreizehntauſend Qua—
dratmeilen, iſt von hohen ſchneebedeckten Gebirgsket—
ten durchzogen, von denen einige bie Höhe von zwan—
zigtaufend Fuß erreichen. "Der Hauptfluß ift der In—
bus. Es gibt zahlreihe Steppen, doch aud) viele
fruchtbare üppige Gegenden, zahllofe Gärten, worin
die orientaliihe Frucht⸗ und Blumenwelt in reicher
Pracht gedeiht. Die Zahl der Eingebornen beläuft
fih auf vierzehn Millionen, und fie find fehr ver-
ſchiedenen Stammes, den Perſern und Hindus ver-
wandt, theil® völlige Nomaden, theild® in Städten
und Dörfern wohnend, und. Halbnomaden, die nur
eine Zeit lang im Jahre umherziehen. Viehzucht und
Aderbau find Hauptbefchäftigungen, doch finvet ſich
in den Städten auch einiger Kunftfleig. Die Bewoh—
ner find kriegeriſch, roh und räuberifh, aber gaftfrei,
befcheiden, freimüthig und ohne Tüde, von Yarbe
gelb und braun. Sehr merkwürdig ift alljährlich vie
Regenzeit, Munfun geheißen, welde vier Monate
dauert und das ganze Land überjchwenmt. Ihr Her:
annahen wird dur große Wolfenmaflen angekündigt,
welche dem indischen Ocean entfteigen, und je näher
fle heraufkommen, immer ſchwärzer werben. Der
33
Munfun tritt gewöhnlich während der Nacht ein und
wird ſtets von einen furdhtbaren Ungewitter begleitet,
wovon fid) derjenige, welcher viefelben Himmelserſchei⸗
nungen blos unter gemäßigten Himmelsftrichen ges
wohnt ift, feine Borftellung zu machen im Stande
it. Unter Sturmgeheul leuchten die Blite mehre
Stunden lang ohne alle Unterbredung. Zuweilen er-
hellen fie nur die Wolfen des nahen Horizent, doch
plöglih enthüllen fie Die fernften Gebirge, während
die zunächft gelegene Gegend von tiefer Nacht be-
pet bleibt; doch im nächſten Augenblid fteht auch
biefe wieder in jonnenhafter Berklärung. Der “Don
ner rollt in Einem fort durch die fernen Gebirge,
und wird nur zuweilen durch nähere Schläge über-
täubt, welche das Ohr urplöglic mit fo furdhtbarem
Krachen erfüllen, dag auch die unerfchrodenpfte Seele
davon erjhättert wird. Endlich ſchweigt der Donner
und man vernimmt nur nod dad Getöne des unauf-
hörlich herabfallenven Regens und das Raufchen der
anjchwellenden Ströme. Der folgende Tag gewährt
einen traurigen Anblid. Der Regen ftürzt noch im—
mer in Strömen nieder und verftattet faum den An-
blick der verfinfterten Gefilde. Die Flüffe ſind ange-
ſchwollen und getrübt, und reißen Zäune, Heden und
die Meberbleibfel des Feldbaues mit fi) fort, den man
während ver bürren Jahreszeit in den Betten getrie-
ben hat. Nach einigen Tagen klärt fi) der Himmel
auf, und wie dur einen Zauber umgeichaffen, bietet
die Natur einen ganz veränderten Anblid dar. Bor
dem Gewitter find die Felder rings verborrt, vers .
brannt,; nirgends erblidt man ein grüne® Blatt;
feine Wolfe unterbriht die vollfommenfte Reinheit
des Himmels; der Dunſtkreis ift mit Staub geſchwän—
gert,. wodurch -entfernte Gegenftände wie durch einen
Stolle, fammtl. Schriften XVIT, 3
34
Nebel, und die Sonne felbft trüb gefärbt erfcheinen.
Glühende Luft, weht wie aus einem Ofen und erhigt
Hk, Eifen, Steine felbft im Schatten zu einem
außerorventlihen Grave. Unmittelbar vor dem Mun-
fun tritt eine noch erftidendere Winpftille ein. Aber
faum ift die erſte Heftigkeit des Gewitters vorüber,
fo fieht man die Erde weit und breit mit üppigem
Grün bevedt; die Flüffe ftrömen in prächtigen, ru=
bigen Wellen. Die Luft ift rein und entzüdenp un
dev Himmel mit malerifhen Wolfen gefhmüdt. Cs
ift diefe Umwandlung, 'al® wenn man aud dem
tiefften Winter plötzlich in den prachtvollſten Früh—
ling träte.‘
Gamaliel war von der Befchreibung dieſer mor⸗
genländifchen Naturzauberei, welche der Gottesfaften-
vorfteher aus einer alten Neifebejchreibung ableierte,
fo bingerifien, daß er gar nicht bemerkte, wie ihm
Henoh nad) und nah den ganzen Glühwein weg-
trant, Er glühte ohnehin ſchon; die Flammen feiner
Phantafie durchloderten fchöpferiich das Gehirn. Er
malte ſich eine ſolche afghaniftiihe Gewitternacht in
furchtbar ſchöner Pradt. Er fah die ferne Bergfette
im GSilberlichte des Blitzes ftehen, vernahm vie erd—
erfchütternden Donnerjchläge, das Raufchen des Re—
gend, das MWogen der Ströme. Begeiftert umarmte
er die gleichfall8 mit großem Intereſſe zuhörende Fe—
licita8, indem er ausrief: „Mutterhen, jo etwas zu
erleben, der glüdjelige Balthaſar!“ —
Der Gottesfaftenvorfteher, nachdem er den Reſt
des Glühweins in feine Schale gegofjen und empfin=
dungslos ausgefchlürft hatte, fuhr fort:
„Einen außergewöhnlichen Einprud follen aud) die
Gebirge von Kabuliſtan gewähren, worüber es aljo
heißt: Weit über hundert Meilen fchauen die Ge:
%
=
birge Afghaniftans über die Länder. Weber ven ſchnee—
bebedften Ketten ragen nod Pils von großer Höhe
und Pracht empor, die mit erftaunenswürbiger Kühn-
beit zu den Wolken ſtreben. Diefe mit ewigen
Schnee bevedten Höhen, vie feierliche ungeftörte Ein-
jamleit, und ber Gedanke, daß dieſe Berge von zahl:
ofen Völlerſchaften gefehen werden, erfüllt das Ge—
müth mit Bewunderung und einem Grftaunen, Das
nicht zu befchreiben iſt.“
„Ih wollt's,“ plate der Schreiber heraus, feine
Augen leuchteten und er begann zu befchreiben: „Seht
wie fie glühen, einem Goldgebirge vergleichbar, über
welches noch königliche Pyramiden leuchtend empor⸗
fteigen, obfehon die Sonne längft zur Ruhe gegangen
und tiefe Schatten tie Palmenhaine und vie Blu:
men in Gärten und Thälern decken. in warmer,
blüthenfchwerer Frühlingsabend ruht über ber Sand-
ſchaft, die einem arten Gottes vergleihbar , Die
Strahlen der Abenpfonne durchziehen wie Glodentöne
die Lilienbeete, die Rofenfelder; Bienen fummen in
den weißen Orangenblüthen, und die Pfirfichbäume an
Häufern und Geländern wollen fi verbluten. Hier
und da wanbelt gottbefeligt die ſchöne ftille Geftalt
eines Perferd durch das reihe Paradies und fchaut
der ſcheidenden Sonne nad. Die Luft koſet mil,
weich wie Seide über die Blumen, während leifer
Donnerton, wie aus andern Welten kommend, von
Zeit zu Zeit in den Frühling hereinbricht. Cs iſt
der Donner der Lawinen, die in ben öftlichen Gebir⸗
gen ununterbrochen in rie Tiefen rollen.“
Felicitas reichte dem begeiſterten Seher und Spre-
cher lächelnd die Hand, während Henoch unverdroſſen
mit dem Theelöffel auf dem Ankergrunde des Glüh—
weinfänndhens hin und wieberfuhr, um 1g ber letz⸗
36
ten Feuchtigkeit zu bemächtigen. Er begriff nicht,
was Gamaliel fo eigentlich ‚wollte, und beichloß, vef-
fen Gefafel durch einige ruhige ftatiftifche Notizen ein
Ziel zu jeßen.
„Die Hauptitadt Kabul, beganı er, nachven er
fi von ver Unergiebigkeit des Kännchens - fattfam
überzeugt hatte, „it .in einer höchft veizenden Thal:
ebene am Fuße des Hindukuſch gelegen und zählt
achtzigtaufend Einwohner. Die Stadt ift der Erd—
beben wegen nur von Holz gebaut, wichtig aber ale
einer der Haupthandelöpläge Aſiens, wo die verfchie-
venften Nationen Vorder- und Hinterindiend zufan-
mentreffen und unter dem Schube des Regenten, der
hier wohnt, völlige Sicherheit und NReligionsfreiheit
genießen. Der große Bazar befteht aus einer ſechs⸗
hundert Fuß langen und breißig Fuß kreiten Säu—
lenhalle.“
„Himmel, ſo ein Bazar,“ rief Gamaliel wieder,
„dieſer Reichthum, dieſe leuchtende Pracht, dieſe Per—
len, dieſer Purpur, dieſe ſeidenen Stoffe, dieſe
Shawls; Mutterchen, wenn ich einmal dahin komme,
bringe ich Dir einen echten Shawl mit, um den Dich
ganz Niederroßla und Umgegend beneiden ſoll.“
„Das ſoll mich freuen,“ ſcherzte Felicitas, „wenn
Du nur ſchon dort wärſt.“
Der Gotteskaſtenvorſteher hielt hier als berühm—
ter Geograph für ſeine Pflicht, die Kurzſichtigen auf
die Beſchwerlichkeit und die Gefahr, im Morgenlande
fortzukommen, aufmerkſam zu machen; zugleich gab er
die Länge der Reiſe zu bedenken.
„Bis nach Kabul iſt kein Katzenſprung,“ ſprach
er gelehrt, „das iſt wohl weiter als man denkt; nur
außergewöhnlicher Anſtrengung mag es gelingen, bis
dahin vorzudringen; auch iſt daſelbſt als Chriften-
37
menſch nichts zu profitiren, der Muſelmann führt da
8 große Wort und läßt Niemanden auffommen.
Daß e8 den Balthafar gelungen, ift mir ein außer⸗
gewöhnliches Räthfel; auch würde es ihn als fimpler
„Drollinger” nicht gelungen ſein, hätte er nicht den
richtigern Namen Haflan-benMullah angenommen.‘
„Bas heißt das wohl?“ frug Gamaliel raſch.
Henoch, der diesmal auch als Linguift ſich nicht
werjen laflen wollte, erwiederte mit Geiftesgegenwart:
„Haflan-ben-Mullah ift das deutſche Drollinger.“
Gamaliel wollte dieſe Verſion nicht recht glaub-
bar finden, wodurch Henoch, der ſich darüber ärgerte,
bewogen ward, um ſo hartnäckiger auf ſeiner Mei—
nung zu beſtehen. Er würde ſeine geographiſchen
Mittheilungen über Kabul unſtreitig noch länger aus
gevehnt haben, wenn Felicitas das Glühweinkännchen
von Neuem gefüllt hätte; dem Gotteskaſtenvorſteher
war ed nämlich troß feines gelehrten Bortrags nicht
entgangen, daß in der Ofenröhre ein -Zöpflein ftand,
in welches ſich feine Phantafie einigen Reſerveglüh—
wein träumte. Sein Glaube hatte ihn diesmal nicht
betrogen; es befand ſich wirklich ein ganz kleiner Reft
des würzigen Getränfs noch in dem Topfe; aber wie
intereflant die Wittwe die geographifchen Mitthei=
lungen gefunden hatte, und wie großen Danf fie dent
Gottesfaftenvorfteher dafür fehuldig war, fo konnte fie
e8 gleihwohl nicht über fidy gewinnen, ihrem Eohne,
auf den bis jett faum ein mäßiges Täflein gefom-
men, aud den fleinen Reſt zu entziehen und ihn dem
geographiichen Saufaus vorzufeßen.
Henoch, nachdem er eine Zeit lang auf frifche
‚ Füllung des geleerten Luftballons gelauert und dabei
bedeutſame Blide nad der Dfenröhre geworfen, be
Ihäftigte fi endlih mit dem Aufbruch. Cr verhiek,
38
falls fi) die Erbſchaft, wie er nicht zweifele, ver-
Lohne, nähern Aufſchluß über ben ergiebigen afiati-
ihen Landſtrich. Oamaliel dankte mit Wärme und
verhieß glänzende Erfenntlichfeit unmittelbar nach ver
Teftamentseröffnung.
Der Gottesfaftenvorfteher entfernte fi), während
der erregbare, phantafiereihe Jüngling, ven halben
Drient im Kopfe, das Stüblein auf- und abſchritt.
Er ſchaute noh immer die blühenden Ebenen und
glänzenden Gärten, vernahm ven Donner ver Lawi-
nen und ſprach darüber mit Feuer und Leben.
Als Felicitas ihm die Neige des Glühweins vor-
ſetzte und fanfte Vorwürfe machte, daß er fih nicht
tapferer eingejchenft, während e8 Herr Henoch daran
nit habe fehlen Lafjen, da bemerkte der Enthuſiaſt
jegt erft, daß ihm der Gottesfaftenvorfteher fein Lieb-
lingsgetränk bis auf breiviertel Taffe, fo viel betrug
ver Reft, weggejoffen hatte. Er lebte indeß viel zu
ſehr im Morgenlande, als daß er den Berluft ver
abendländiſchen Leckerei hätte jchmerzlih empfinven
ſollen. Er meinte, Henod babe fein Guthaben - für
die geographifche Mittheilung lange nicht abgetrunfen.
Er ſei demfelben zu großem Danke verpflichtet, und
man müſſe ihn wahrhaftig bevenfen, wenn's die Erb—
ſchaft einigermaßen hergebe.
Velicitad bat ihn wiederholt, ſich nicht zu großen
Erwartungen hinzugeben; eine Enttäufchung ſei dann
um fo empfindliher; Gamaliel aber Tieß ſich's nicht
nehmen, daß der König von Kabul ein Funftliebender
Monard) fei, welcher feine Hof= und Leibmaler gewiß
gut bonorirt habe. Er befchrieb hierauf, wie ver ſe—
Tige Haflan-ben-Mullah als wohlhabender Bürger und
Hausbeſitzer, vielleicht gar Stadtverordneter, denn
man fchäge im Morgenlande abenvländifche Intellis
39
genz hoch, in feinem prächtigen Garten vor der Stadt
gefeflen, und der Mond im Morgen aufgegangen jei.
„Das Geräufch der nahen Stadt ift verſtummt,“
ſprach er, „einfam raufchen die Kaskaden in Baltha⸗
far’8 Garten, ver filberne Waſſerſtrahl fällt eintönig
in die Marmorbaffins zurüd. Der Mond blidt durch
Lorbeergebüfch über die hohe Gartenmauer, in ben
dunfleren Parthieen des Gartens fchimmern weiße Li-
lien und goldleuchtende Rofen ruhen im Mooſe. Leife
jpielt die Nacıtluft in den hohen Pinien, und dort
oben ziehen die Sterne des Morgenlandes. Bon dem
unfern gelegenen Minaret verkündet der Wächter bie
Stunde, weldhe die Menfchen zur tiefen Ruhe mahnt;
aber nody immer fit der Hofmaler vor feinem jchlan-
fen Kiosf, der ummucert wird von Weinranken,
Pfirfih- und Granatbäumen, voll ſüßer ftrotenber
Früchte, die im Verein mit perfifchen Rofen koftbar
zwifchen dem dunkeln Laube bervorbliden. “Der golone
Halbmond auf der hohen von Marmorfäulen getrage-
nen Kuppel leuchtet weit in die ftille mondhelle Nacht
hinaus. Ein ächter Kaſchemirſhawl umſchlingt Hals
und Bruft des Hofmalerd. Neben ihn liegen bie
Lieder des Hafis in ver Urfprade. Balthafar bat
den ganzen Abend von ver berühmten, viel befunge-
nen Nacdhtigalbraut gelefen. Jetzt hat er fich’8 bequem
gemacht, und: ruht nachläſſig auf ver weichen Otto-
mane und feine Blicke weilen auf der milden nädht-
lichen Landſchaft. Er verfinft in tiefes Sinnen. Ver⸗
gangenheit und Zukunft, Morgenland und Abenpland
ziehen magiſch an feinem Geifte vorüber, er gebentt
an Deutichland, an deſſen Burgtrümmer, wie fie, auf
Fichten umkränzten Höhen, im Abendſcheine ſchim—
mern; er gedenkt an Niederroßla, wie ed friedlich in
ven Walpbergen liegt und die fanfte Loſſa ſich durch's
40
Thal zieht; er gedenkt, wie er einft beutelte bei Mei—
ftir Hamger, und wie er biefen abfonterfeit hatte
hinter dem Holderbuſch — da fniftert leis ein zarter
Trauenfuß im Sande, und. die fchünfte Orientalin
biegt um die blühende Jasminwand. Es iſt die
Gattin des glücklichen Hofmalers, die einzige Tochter
und der Augapfel irgend eines Großen im Sande;
darum duldete e8 Leßterer auch, daR Balthafar, wie
einft der Graf von Gleichen, die reizende Melechſala
zum Chriftenthum befehrte und dann ehelichte. Da
un Rabul, wie der Gottesfaftenvarfteher darthat, voll-
kommene Religionsfreibeit herriht, jo wird die Be—
fehrung und Taufe weiter feinen großen Schwierig-
feiten unterlegen haben, wie außerdem in den muhante-
daniſchen Ländern der Fall if. Balthafar eilt dem
geliebten Weibe entgegen, und die Beiden betrachten in
Gemeinfhaft die herrliche Nacht. Die jchöne Gattin
erzählt, von leifem Guitarrenflange begleitet, vie
ſchönſten Märchen aus Perfien, dem reihen Wun—
verlande, während der Hofmaler von Zeit zu Zeit
auffteht, um durch das im Kiosk aufgeftellte fieben-
füßige Zelefeoop Mond und Planeten zu beobachten.
Der Marmorboven des Kiosk ift mit weichen perfi=
jhen Zeppichen belegt; eine Ampel von Milchglas
verbreitet eine wohlthuende Helle, während der Duft
des Ffoftbaren Roſenöls den ftilen Raum durchzieht.‘
Samaliel würde das Ende feiner orientalifchen
Phantafien jo bald nicht gefunden haben, hätte nicht
der Nachtwächter Benediet unmittelbar unter den Fen—
ftern fo urfräftig in fein Horn geftoßen, daß Felici—
ta8 ordentlih erjchredt auffuhr und der Drientalift
jählings unterbrodyen wurde.
„Was fällt dem Benedict ein?” frug die Mutter,
und Gamaliel geftand gleichfalls, fo erfchütternn habe
&
er den Nachwächter noch nie duten hören. Benedict
hatte übrigens feinen guten Grund, al® er unter den
Tenftern der Wittwe fo beherzt in’8 Horn ftieß. Die
große Neuigfeit des Tages war auch ihm, dem treuen
Wächter der Nacht, nicht unbelannt geblieben; er
hoffte durch ein außerordentliches Blaſen fid) den rei=
hen Erben und den zugleich frommen und wohlthä-
tigen Menjchen bemerkbar zu maden und zu infinui-
ven. Diefe Abficht unterlag feinem Zweifel, da Be—
nedict nad) feinen erfchütternden Schladhtenruf unmit-
telbar laut und vernehmlicd ein fronmes Lied an-
flimmte, worin von Gottes wunderbaren Fügungen
die Rede war, und daß man ded Nothleivdenden nicht
vergefien folle, wenn uns der Himmel mit Segen
überfchütte.
Telicitae, da fie den Zwed des frommen Geſangs
leiht errieth, ward eben deshalb weniger ergriffen
davon, als e8 wohl außerdem der Fall geweſen fein
würde; aber Gamaliel fühlte fid) tee dem, daß ihm
der nächtliche Herold aus dem Garten bei Kabul nad)
Niederroßla geblafen hatte, hoch erbaut durch das
Lied. Bei ihm verfehlte die nachtwächterliche Politik
ihre Abficht keineswegs.
„Nächſt Henochen,“ fprah er, „Sollten wir den
Benedict billig bedenken. Er verdiente es noch mehr
als der Gottesfaftennorfteher; denn erftens ift er arm,
und zweitend Nachtwächter; ein Nachtwächter aber, der
unähnlid den andern glüdlihen Sterbliden auf des
Lebens fchönfte Hälften, auf den blauen lichten Tag,
die goldne Sonne, das erquidende Grün der Erbe
verzichten muß, und in ewiger Nacht wandelt, in un-
unterbrochener Eintönigfeit die Straßen auf und ab
teottirt, hat vor Allem Anfpruh auf unjre Milde.
Er fang nur fchöne, erhebende Wahrheit, daß der
42
Wohlhabende des Bedürftigen ſich chriſtlich erbarme,
und ein gut Lied ſoll man immer zu Herzen
nehmen.“
„Wohl, mein Gama,“ erwiederte die ſanfte Feli—
citas, „es iſt gewiß ein himmliſches Gefühl, Armen
wohl zu thun; wir gehören nur ſelbſt zu den Be—
dürftigen.“
„So wir Nahrung und Kleidung haben, lafjet
uns genügen,” ſprach Gamaliel eifrig und bibelfeft;
doh in demſelben Augenblide bejann er fih, daß.
feine gute Mutter eined Sonntagsfleive® jo gar be-
dürftig fei und Recht habe, wenn fie fih zu den
Bedürftigen rechne. . Er ſchwieg daher über dieſes
Kapitel und kam wieder auf die Beſchwerlichkeit des
Nahtwächterpoftend zu ſprechen. Felicitas benutzte
gleichfalls den vernommenen Wächterruf, um den Sohn
an das Schlafengehen zu mahnen.
Gamaliel kletterte folgſam vie ſchmalen Boden⸗
treppen nach ſeinem Himmelbette empor, welches ſei⸗
nen Namen mit der That führte, denn unter allen
Betten im Hauſe ſtand es dem Himmel am Nächſten.
Vor dem Einſchlafen kehrte er noch einmal in den
blühenden Garten nach Kabul zurüd, woſelbſt er ſich
im Traume mit dem Befiger, dem Hofmaler und def-
fen reizender Gemahlin ſcharmant unterhielt, obſchon
er bei Tage gegen Frauenzimmer, feine Mutter aus—
genommen, die Schüchternheit jelbft war.
43
Drittes Kapitel.
Da Wirth der Stadt Magveburg, Herr Athanafius
Lagemann, fowie der Schaufpieldirector und Helven-
jpieler Hanno theilten hinfichtlih der Teftamentseröff-
nung keineswegs die Anſicht der Wittwe Drollinger
und beitanden auf fofortige Publicirung. Es war
Beiden unmöglih, bis zu dem von dem Gericht feft-
gejegten Zermin ſich in Geduld zu faſſen. Yagemanı
zehrte fichtbar ab, daß es felbit feiner Yrau, einer
gebornen Grümpfer, trog ihrer Kurzſichtigkeit auffiel.
Dei Hanno woaltete nicht geringeres Intereſſe vor,
hinſichtlich der Kabul'ſchen Erbſchaftsangelegenheit in's
Reine zu kommen. Er hatte ſich bei dem geringen
Kunftfinne der Niederroßlaer und der daraus erklär⸗
baren ſchlechten Einnahme nebjt zwei Xiebhabern,
einem polternden Alten, einem zärtlihen Bater, fammt
der Primadonna, einer Anftandedame, einer Mutter
und einer zweiten Tiebhaberin, den - Souffleur nicht
ausgenommen, wie ein Holzbock mit Familie ein- und
feftgefreffen. Nur der Böfewiht und der Mafchinen-
meifter, beides ein paar Geizhammel, welche ihre Zeche
allabendlich berichtigten, waren flott geblieben. Selbft
ber dreimal bei befegtem Hauje gegebene vidbelaubte
Wald bei Herrmannftadt war nicht im Stande gewe-
jen, die Truppe in's Trodne zu bringen. Dazu war
die Conceſſion mit Nächſtem abgelaufen, und fein
Menſch fonnte es Herrn Hanno verargen, wenn er
mit Sehnſucht nad) dem verheißenden Erbſchaftsbaume
Ihaute, in der Hoffnung, Daß ihn wegen feiner zwei-
ten todten Frau auch ein Granatapfel zugedacht fein
möchte, und zwar, je eher je lieber, denn es war bei
‚ihm wirflid periculum in mora. Hanno vergegen-
44
wärtigte ſich jetzt erſt recht die Tugenden feiner ver—
ſtorbenen Frau, und ward jetzt erſt gewahr, welchen
Schatz er in die Erde gelegt, da ihm noch aus ihrem
Grabe ein Fruchtbaum emporwuchs. Er fühlte ſich
in dieſer Stimmung vollkommen aufgelegt, den Ham—
let zu fpielen.
Leider aber verliefen ſich die Verwandtſchaftsgrade
Lagemann's wie des Heldenfpielers in fo unſcheinbare
Nuancen, daß das Stadtgericht zu Niederroßla Be—
denken trug, ihrem dringlichen Anſuchen um Eröffnung
des afiatiichen Teftamentes nachzukommen.
Die Beiden hielten daher wieberholt gemeinfchaft-
Ihe Berathung, wie, dem Uebel abzuhelfen ſei, die
fi) jedoch allzeit nur rath- und troftlos endete,
„Haben Sie c8 denn wirklich mit der Gans ver-
jugt?” erfundigte fi Hanno nad einigen Tagen,
im höchſten Unmuth, ale man wieder rathſchlagend
beiſammen ſaß.
„Und ob! gab Lagemann eifrig zurück, „ein fol-
ches Vieh wird gar nicht wieder ausgebrütet unter
biefer Sonne. Ich hatte es für bie Thier- und Ge—
werbeausftellung in Rageburg beitimmt, wo mir die
Prämie nicht entgehen fonnte. Das Thier hat mir
in acht Wochen einen Gewürzladen aufgefreffen, einen
halben Sentner Hanmerfchlag obendrein, ich hab’ e8
mit eigner Hand genubelt, um meiner Sadıe gewiß
zu fein. Die ganze Gans war zulegt eine lebenvige
Leber. Was half’, fie mußte unfrer Verabredung
gemäß daran und fpazierte zum Stadtrichter. Diejer
Belial fchidte mir das todte Beeſt aber noch felbige
Stunde mit der fpigigen Bemerkung zurüd, daß er
Präſente nicht Liebe.”
„Ha,“ ‚rief der Helvenfpieler aufgebracht, „ich
werde den Actenwurm in einem Drohbriefe zu ver—
-
45
ſtehen geben, daß man ihn vom hohen Cothurn herab
vernichten wird.“
„ah, gab Lagemann ärgerlich zurück, „ver kiim-
mert ſich viel um Ihren hohen Cothurn, der ift wohl
in feinem Leben in fein Theater gekommen.“
Rathlos blidte Hanne abermals vor fih hin und
Berzweiflung überlam ihn. Seine ftille Wuth ging
endlich in Toben über. Er ſchwur, den Stadtrichter
vor's Quartier zu rüden, fo er das Teftament nicht
in den nächſten Tagen eröffne. „Was hilft mir der
Mammon in fünf Wochen,” rief er, „bis dahin kann
ih fünfundzwanzig Mal verhungern.‘
- Der Birth zur Stadt Magpeburg fehüttelte bei
Hanno’3 desperatem Entſchluß, dem Städtrichter vor's
Quartier zu rüden, abermals das Haupt.
„Mit Gewalt richten Sie gar nichts aus,” ſprach
er, „was meiner fanften Gans nicht gelang, wird
Ihrer Vehemenz noch weit weniger gelingen. Ich
ſehe ſchon,“ fette er nad) einer Paufe feufzend Hinzu,
„wir werben uns müjjen in Geduld fafjen, wie ſchwer
es wird.”
„Ich nicht,” fchrie der Helvenfpieler, und rannte,
jih vor die Stirn fohlagend, das Zimmer auf und
ab, gleihjam, ale wollte er einen guten Gedanken
aus dem Kopfe pochen.
,„Ihre raſende Desperation bringt uns nicht wei:
ter,“ ſprach Lagemann, der fid) vor den großartigen,
hochtragiſchen Geſten des Heldenſpielers ordentlich zu
fürchten begann.
„Ich könnte den Ocean vergiften, daß ſie den Tod
aus allen Quellen ſaufen!“ declamirte Hanno leiden=
ſchaftlich.
„Warum nicht gar,“ meinte Lagemann erſchrocken,
„da müßten ja wir beide auch mit dran.“
”
46
„Es müßte- eine Wolluſt fein, mit Div auf ein
Rad geflochten zu werben,“ fuhr ver Helvenfpieler
fort und padte ven Wirth zur Stadt Magdeburg
frampfhaft an beiden Schultern.
Diefer fuhr entfeßt empor und ſchaute Hanno's
rollende Auge. Er glaubte nicht anders, als ber
Schaufpieler ſei verrüdt geworden, und fuchte ihn mit
fanfter Rede zu beruhigen.
‚Aber jo moberiren Sie fih doch,“ bat er, „was
hilft das mit dem Kopfe gegen die Wand; was ein—
mal nicht zu ändern, iſt nicht zu ändern; ein chriſt⸗
lich Gemüth muß ſich zu finden wiſſen.“ |
„Armfelige Vernünftelei,“ radotirte der dramatı=
ſche Kimftler, und ſchritt mit verfchränften Armen
das Zimmer auf und ab.
„Unſer Her Stadtrichter,“ fuhr Yagemann beru—
higend fort, „ift einmal ein geftrenger Herr, der eract
auf die Staatögefege hält.‘
„Ha, dieſe Staatskunſt, wie veracht' ich fie,” mur-
melte Hanno; doc) plöglih blieb er ftehen und
ſchaute lange vor fih Hin. „Doch was jeh ich,“
fuhr er fort, „ein Gedanke, groß und herrlich, wie
ein leuchtender Meteor springt aus dem ftaunenden
Gehirn.”
„Das wäre?“ ſprach Lagemann.
„Du biſt im Trocknen, Rolſer,“ rief nun der
Heldenſpieler, den Wirth zur Stadt Magdeburg ftür-
miſch umarmend. „Wir wandern Arm in Arm zu
meiner Muhme, Madame Drollinger, und bewegen
das Weib, daß es auf Teftamentseröffnung beftehe.
Ihr kann e8 der fatanifche Stadtrichter nicht abichla=
gen, denn ihre Anfprüche auf das Erbtheil Liegen
fonnentlar.”
?agemann ſchlug fi) vor die Stimm. „O Ein:
47
falt!“ rief er, „iſt man doch zuweilen mit Blindheit
geſchlagen. Es gibt ja gar kein einfacheres Mittel,
um zum Ziele zu gelangen. Die Pfarrerswittwe ift
eine fanfte und gefällige Frau, fie wird ſich's zum
Bergnügen machen, unſerm Wunſche zu entipreden.
Da ſchmeckt ein Trunk drauf, Herr Hanno.“
Der Schaufpielvirector, durch feinen glüdlichen
Gedanken ftolz gemacht, nahm Lagemann's Vorſchlag
wegen des Trunks gnädig an. Man kam überein,
nad) genommener Stärkung ſich jogleich nad) der Be-
haufung der Wittwe auf den Weg zu maden.
As Gamaliel am nächſten Morgen wieder bei
Eifenbeiß eintrat, war biefer wo möglich noch gefprä=
‘higer ale Tags "vorher.
„Wie ih in Erfahrung gebracht habe, ſprach
er, „hungern noch Mehre nad der Kabul’fchen Hin-
terlaffenfchaft, armfelige Schluder, deren Verwandt⸗
haft mit dem Erblaſſer faum nad kanoniſchem Rechte
m Betracht gezogen werben Tann. Sollte dieſes Volt
Späne maden, bin id da.”
Der Sohn ber Wittwe, alle Menſchen nah fid.
beurtheilend und für Engel haltend, erwiederte daher
in Betracht ver Späne unfchulpsvol, felig und ſchüch—
ken: „Ich glaube kaum!“
„Beſſer bewahrt als bellagt, “fuhr Eiſenbeiß eif⸗
rig fort, „ſo viel ſag' ich.“
„Das iſt wahr,“ geſtand Gamaliel beherzter.
„Hat Ihre Frau Mutter ſchon auf Publication
des Teſtaments angetragen?“
| Dem fimpeln Schreiber begann zu ſchwindeln, als
er fih von feinem Prinzipal, zu dem er nie ohne
bie größte Ehrfurcht aufzufchauen vermochte, per Sie:
48
angerevet hörte. “ Er hätte dem großen Marne lie=
‚ bend zu Füßen fallen können; und es ſchmerzte ihn
über ale Maaßen, auf die Frage eine verneinende
Antwort geben zu mülfen.
Der alte Juriſt, dem ein ſolches fremdländiſches
Teſtament in jeiner Praris noch nicht vorgefommen,
war äußerſt begierig auf deſſen Inhalt, und er
wünfchte daher fehnlih, daß die Eröffnung jo bald
als möglich vorgenommen - werde.
„Ih begreife Ihre Frau Mutter nicht,” fuhr er
fort, „in folden Angelegenheiten kann man nicht
raſch genug zu Werke gehen, das fag’ ich.“
„Sa wohl, fehr richtig,” geftand Gamaliel.
„Stellen ‚Sie es Ihrer Frau Mutter vor, fagen
Sie nur, ich hätte es geſagt.“
Gamaliel legte betheuernd die Hand aufs Herz.
Er verſprach hoch und feierlich, fein Möglichſtes zu
thun. Im Innern gelobte, er fich, mit feurigen Zun—
gen zu feiner Mutter zu fprechen, um fie, dem Wun- '
ſche Eijenbeigen’® gemäß, zur Teſtamentseröffnung zu‘
bewegen.
Der Yurift nidte ‚zufrieden mit dent Kopfe und
mollte nad) jeinem Erpeditionsgitter zurücdtehren, als
er nod) einmal umfehrte und fich zu Gamaliel wendete.
„Noch eins,“ ſprach er, „da Ihrer im Teftamente
Ihres Herrn Betterd unfehlbar gedacht ift, jo wird
e8 gut fein, wenn Sie einen Henfel haben, wo man
Sie anfaßt.“
Der Angeredete, welcher feinen Prinzipal night
verftand, warf einen ſchüchternen Blid auf feine Fi—
gur, der zu fragen ſchien, wo wehl ein Henkel anzu=
bringen ſei.
„Ih meine,” fuhr Eifenbeiß fort, „es wird nicht
ungerathen jein, wenn Sie fünftig einen Titel
® ' 49
führen, worauf heutzutage die Welt viel giebt; damit
es bei der Teſtamentsvorleſung nicht heißt: „Der Erbe,
Herr Gamaliel Drollinger, Schreiber bei Doctor Eiſen—
beiß. Sie ſind von jetzt an mein Secretair.“
Der zeitherige Schreiber haſchte, ob dieſer unver—
ſchämten Standeserhöhung ganz berauſcht, convulſiviſch
nach der rechten Hand des alten Jurispractikus, um
ſie liebend an ſein klopfendes Herz zu drücken. Aber
Eiſenbeiß gab dies nicht zu. Da er, nach des jungen
Mannes heftiger Bewegung zu ſchließen, befürchtete,
dieſer verbinde in Gedanken mit dem Gecretariat
auch eine Gehaltserhöhung, ſo fügte er ausdrücklich
hinzu: „Auf Ihre zeitherige Beſoldung hat der neue
Titel jedoch keinen Einfluß, die Zeiten ſind zu miſe—
rabel, die Gelder gehen wahrhaft erbarmungswürdig
ein.“
Gamaliel ſtammelte, daß davon ja ſchlechterdings
keine Rede ſein könne, er komme prächtig aus; worauf
er einen abermaligen Dankesanlauf nehmen wollte.
Eiſenbeiß aber wendete dieſen von ſich ab, indem er
an das Mundum eines Actenſtücks mahnte, das er gern
bald zu haben wünſchte.
Der neugebadene Secretair ftürzte dienſtbefliſſen
nad) feinem Schreibtiiche, und begann die Arbeit mit
unglaublidiem Eifer. Da bemerkte er aber alsbald,
je refoluter er die Sache vornahm, zu nicht geringem
Schred, daß das Mundiren dem Gecretair gar nicht
jo gut von der Hand gehen wollte, wie früher dem
fimpeln Schreiber. Die Buchſtaben ftanden gar nicht
fo ftil_ wie ehedem, ſondern tanzten höchſt auffülliger
Weile hin und wieder; er bemerfte mit Schreden,
daß feine Hand zitterte und aller drei Zeilen ver-
ſchrieb er fi auf fo unverantwortliche Weife, daß er
das Actenftüd immer wieder vorn anfangen mußte.
Stolle, fämmtl. Schriften. XVil. &
50
Endlich, als gar nichts zu Stande kommen wollte,
geriet) er ordentlih in Angft; er hielt fi für ver-
wahrloft und bebert, und begriff nicht, wie das fünftig.
werben folle, wenn ver fieberhafte Zuſtand nicht nach⸗
laſſe.
Er ſchrieb im Schweiße ſeines Angeſichts, der
Boden brannte unter ſeinen Füßen. Einen jolchen
Zuftand hatte er nie empfunden. Er wünfchte fich
weit hinweg vom Schreibpulte, hinaus unter freien
Himmel, in die Berge und vor Allem zu feiner Mutter,
um ber Geliebten fein Herz auszuſchütten. Er dantte
daher feinem Schöpfer, al8 vom nahen Rathhausthurme
die Erlöſungsſtunde herüberſchlug. Mit Schmerz über-
blickte er das Wenige, was fertig geworben war, und
. auch Diefes gereichte ihm als Secretair zu durchaus
feiner Ehre, da er als Schreiber weit Beſſeres geleiftet
zu haben ſich bewußt war.
In der Hoffnung, daß der Nachmittag, wo er
wieder zu Berftande gekommen zu fein hoffte, ein gün-
ſtigeres Refultat liefern werde, padte er fo ſchleunig
wie möglich feine Papiere zufammen und ergriff die
Flucht mit einer Schnelligkeit, als ob der Kopf brenne.
Er eilte, wie Henoch, wenn er ihn gefehen, gelagt
haben würde, in außgergewöhnlidhen Schritten und
Sprüngen nad) Haufe; Niemandem ſonderlich Rede
ftehend, wie doch fonft feine Art war, und trat erhitt
und feuchend mit ven Worten bei Felicitas in's Zimmer:
„Mutter, ich bin Secretair!”
Da Madame Drollinger ob diefer Botſchaft gefaßter
blieb, als der Herr Sohn verhofft hatte, fo wäre er
ob diefer Ruhe, die mit feinem freudigen Enragement
ſeltſam contraftirte, faft bös geworben.
„Mutter,“ wiederholte er mit leuchtenden Augen,
„haft Du es gehört, ich bin Secretair geworben ?“
51
‚„‚ Allerdings, mein Sohn,” erwiederte Yelicitas,
„aber da weiß ich fo viel, wie zuvor.“
Der glüdlihe Sohn verbreitete fih num eines
Ausführlichern über fein außerorventliches Avancement,
wie er e8 nannte, wobei er nicht ermangelte, die Hod)-
berzigfeit des Doctor Eifenbeiß in den Himmel zu
heben.
Die kluge Felicitas, welche ven Charakter des Doctors
kannte, ſah fogleih ein, daß an der Stanveserhöhung
bie zu verhoffende Erbichaft wohl die größte Schuld
trage; gleichwohl ließ fie ſich nichts merken und theilte
mütterlich die Freude des Sohnes.
Nachdem aber ver Herr Secretair den Freuden—
becher über die glüdlihe Mutter Hinlänglich geleert zu
haben glaubte, begann er, der Aufforderung von Seiten
Eiſenbeißen's gemäß, mit demofthenifcher Beredtſamkeit
fein Belehrungswerf, um Felicitas für die Teſtaments⸗
eröffnung zu ftimmen.
„Mutter,“ xief er, „wen Du nicht ſofort zum
Herrn Stadtrichter eilft und auf Publication antraͤgſt,“
kann das ganze Erbe im Meere verſinken, wo es am
Tiefſten iſt. Wahrhaftig, fein Augenblick iſt zu ver-
lieren. Der Doctor iſt ganz meiner Meinung und muß
das verſtehen.“
Felicitas, die nicht begriff, worin die große Gefahr
liegen ſolle, wenn man dem Geſetze ruhig ſeinen Lauf
laſſe, die in des Doctors indirecter Aufforderung nur
eitle Neugier erkannte, und welche allen Anſchein zu
vermeiden wünſchte, als könne ſie es mit der Erbſchaft
nicht erwarten, da ſie überhaupt nicht wußte, ob
ihr Name im fraglichen Teſtamente auch verzeichnet
ſei, ſchlug wiederholt die Stürme ab, welche der
von Dankbarkeit und Hochachtung begen, Eiſenbeiß
52
beftochene Gamaliel gegen ihre. Willensfeftigfeit unter-
nahın.
Der neugebadene GSecretair lief verzweifelt hin und
wieder; er fühlte mit Schmerz, wie wenig er feinem
neuen Posten Ehre made und daß feine Sarriere als
Charge d'affaires des Doctor Eifenbeiß nicht eben
glanzvoll und mit großen Refultaten fich eröffne.
Während Gamaliel ala Miffionair und Heiden—
befehrer feines Prinzipald vergebens arbeitete und ob
ber- mütterlichen Standhaftigkeit, die er für entfeglichen
Eigenfinn hielt, ordentlich wuthig ward, Fam ihm
plöglih und unerwartet Succurs von Außen. Der
Wirth zur Stadt Magdeburg und der Helvenfpieler
fliegen eilfertig unter den Fenſtern vorüber und traten
gerade in dem Augenblide in das Zimmer, als ver
Secretair mit dem Schwure, daß er fi dem Doctor
nicht mehr unter die Augen getraue, feine letste Patrone
auf die fanfte, aber beharrliche Felicitas verfchoflen
hatte.
VLagemann fiel fogleih mit der Thür in's Haus
und fam um die Erlaubniß ein, im Namen ver
Wittwe dem Stadtgerichte zufegen zu bürfen, richtete
indeß fo wenig aus, wie der Gecretair, welcher, feiner
abgefchlagenen Attafen eingedenk, ſich grollenb hinter
den Ofen zurückgezogen hatte. Jetzt fuhr Hanno
vor, aber wider Erwarten ſanft und weich; er ver—
ſprach ſich glänzendere Reſultate, wenn er die ver-
wandtſchaftlichen Sympathieen der Wittwe heraufbe—
ſchwöre und begann ſogleich von ſeiner zweiten Frau,
deren Tugenden er eben ſo in den Himmel hob, wie
er: den Verluſt der Unerſetzbaren beklagte. Felicitas
entſann ſich gar bald der ehemaligen Prima Donna
und ſprach ihr aufrichtiges Bedauern über das früh—
zeitige Dahinſcheiden der wackern Frau aus. Der
m.
=
53
tiefgebeugte Wittwer wollte in Wehmuth zerfließen als
er ſolche Theilnahme entvedte, von der er das Beite
verhoffte. Um feines Sieges gewiß zu fein, trodnete
er ſich wiederholt die Augen, daß jelbft dem hinter
dem Ofen vergrollenden Secretair weih um's Herz
wurde, während der Magbeburger Wirth verftodt ver
rührenden Scene zufchaute.
„sh verlor in der Seligen,” fuhr Felicitas fort,
„nicht allein eine nahe Verwandte, ſondern auch eine
bewährte Freundin.“
„Wer weiß,“ ſchluchzte der Schauſpieldirector, der
vor innrer Wonne, welche dieſe Worte in ihm her-
vorbrachten, denn auf nahe Verwandtſchaft hatte er
im Traume nicht gerechnet, jetı feinen lauten Schmerz
nicht länger zu bänbigen vermochte; - „Sie verloren
eine nahe, theure Berwandte, ih eine — Gattin;
eine Mutter,” fette er mit ergreifender Stimme
Hinzu, „wie fie felten wieder gefunden werden wirb
hienieven.” Er ließ nad diefen Worten in unaus-
ſprechlichem Schmerze ven Kopf langjam auf die Bruft
finfen.
Ber dem erfhütternnen Worte Mutter erkun—
digte fi die Wittwe ſogleich mit noch regerem' In=
tereffe nach der Heinen Amanda, der fie das Gtriden
gelehrt.
Hanno antwortete nicht, er ſtellte ſich ſprachlos
und zeigte mit einer ausdrucksvollen Pantomime zum
Himmel.
Felicitas verſtand ihn, fragte nicht weiter, ſondern
_langte ebenfalls, um eine Thräne zu verbergen, nad)
"ihrem Tafchentuhe. Es entftand eine minutenlange,
aber ergreifende Stille; nur der Secretair, welden.
die Barmherzigkeit, die er am Weh feiner Mitmen-
jhen nahm, aus feinem Schmoll- und Grollwinkel
54
bervorgetrieben hatte und der fi der Kleinen noch
reht wohl zu entfinnen vermochte, unterbrach die
Baufe durch Seufzer. Lagemann war höchſt ſeltſam
zu Muthe, als er ſich ſo urplötzlich unter allgemeine
Rührung verſetzt ſah. Er rutſchte wiederholt auf
ſeinem Stuhle hin und wieder; doch verſprach er ſich
von den Thränen der Madame Drollinger nur Gün-
ſtiges. Dieſe Hoffnung hielt ihn aufrecht und be—
wahrte ſeine gemeſſene Haltung. Er fand es bei
ſolcher allgemeinen Trübſal für angemeſſen, auf ſeinem
Geſichte gleichfalls die Trauerflagge aufzuziehen, in der
Hoffnung, damit eher in den Hafen ſeiner Wünſche
einzulaufen.
„Wenn es jetzt der Comödiant nur einigermaßen
geſcheit anfängt,“ ſprach er zu ſich, „kann uns die
Wittib nicht entgehen. Sie iſt windelweich und ein
getührtes Weib ſchlägt keine Bitte ab. Ich werde
mich daher wohl hüten, dieſe herrliche Rührung zu
unterbrechen.“
Felicitas war die Erſte, welche ſich in ihrem
Schmerze ſo weit erholte, über Krankheit und Ableben
von Mutter und Tochter nähere Erkundigungen ein—
zuziehen.
Der von Gatten- und Baterfchmerz übermannte
Helvenfpieler braudyte geraume Zeit, bevor er mit-
theilungsfähig wurde. Er gab ven troftlofen Gatten
mit ſolcher Birtuofität, daß felbft Yagemann, an Frau
und Kinder denkend, endlich nicht gleichgültig zu blei-
ben vermochte. In wohlberechneten abgebrodjenen
Sätzen theilte der Künſtler erft das Abſcheiden feiner
zweiten Frau, alsdann die Himmelfahrt Amanden’s
mit. „Dieſe zwei harten Schläge,” fügte er hinzu,
„hätten ihn fast ſechs Monate breterunfähig gemadht,
wodurch feine finanziellen Kräfte außerordentlich er-
55
ſchöpft worden wären, fo daß er fi bis zu biefer
Stunde noch nicht habe erholen können.”
Gamaliel, dem ein ſolches Mufter von Gatten
und Bater noch nicht vorgefommen war, konnte fi
nit enthalten, hervorzutreten und die Hand des Be—
Magenswerthen zu erfaflen.
„Wohl find fie dunkel, die Wege der Vorſehung,“
fprad er mit fohöner Wärme, „zuweilen follten wir
fogar irre werden an eimen Leiter dort oben; doch
gerade in foldhen böjen Stunden müfjen wir die Hand
des Allvaterd um fo inniger fefthalten. Sie wird ung
buch Nacht und Wolfen über Klippen und Abgründe
wieder in einen heiligen Gottesfaal führen, wo wir
al die Geliebten wiederfinden, die wir in dem Dunkel
des Lebens verloren.‘
„Ein erhebender Glaube,” geftand Hanno, tief
"Athen holend, der dur die Worte des Secretairs
wahrhaft geftärft zu fein ſchien.
„O nicht blos Glaube, Gewißheit, Gewißheit,“
fiel Gamaliel mit Eifer ein.
„a, wer das wüßte, feufzte der Schaufpielbivector,
und fpielte leife den Sceptifer.
Sobald das Geſpräch auf Religion und Unfterb-
lichkeit kam, gerieth der Secretair allemal in's Feuer;
traf er nun noch dazu mit einem Gemüthe zufommen,
das ſich mit Zweifeln quälte, fo loderte die edelſte
Begeifterung duch fein ganzes Weſen. In feinen
reinen Herzen flammte ein ſo kindlicher, befeligenver
und unerjchütterliher Glaube an Gott, Himmel und
Unfterblichfeit, daß er ſchon mandem vom Schickſal
Gebeugten und an einer ewigen Gerechtigkeit Ver—
zweifelnden zum rettenden Engel geworden war. Ga—
maliel nahm ſich auch des zweifelnden Schauſpieldi—
rectors ſogleich mit Liebe an und ſprach zu dem
56
‚gebeugten und verbüfterten Herzen wahr und fchön.
Leider aber verfehlte fein apoftolifcher Eifer bei Hanno
feinen Zweck durchaus, denn der Schaufpieldirector
Dachte weder an Gott noch Unfterblichfeit, worüber
fi) Gamaliel fo herrlich ausließ, fondern an die Ver:
- wandtichaftsgrade feiner- verftorbenen Frau. Ste waren
ihm vor der Hand weit wichtiger, als die Glaubens—
anfihten des Secretairs. Gleichwohl vernahm er
ſcheinbar mit wahrer Andacht und Erbauung die
Rede des frommen Jünglings, um erhoben und ge-
ftärkt won dem Geiftlichen wieder auf's Weltliche über-
gehen zu können.
Dem Wirth zur Stadt Magdeburg, wie ſehr er
auch der allgemeinen Rührung mit unterlegen war,
wollte Gamaliel's Vortrag, obſchon er andächtig zuhörte,
gleichfalls nicht behagen. Er fürchtete, der zweifelnde
Hanno werde fih in einen langwierigen Diskur über
Religiofa verwideln und ganz ben Zweck des Hierjeins
vergefien.
„Wenn der Comödiant,“ ſprach er für fih, „nur
das einzige Mal den guten Einfall hätte, und feinen
Schmerz infoweit moderirte, un wegen der Teftaments-
eröffnung anzubohren. Eine fo günftige Gelegenheit
fommt fobald nicht wieder. Wenn er die Sache nicht
ganz einfältig anfängt, fo fönnen wir bereit morgen
wiffen, woran wir find.‘
Gamaliel hatte unterdeß wie ein Peter von Amiens
gegen die unfelige Zweifelfucht, dieſer Feindin alles
inneren Friedens, dieſer Sünde- und Todgebärerin,
geſprochen und er lebte der ſchönen Ueberzeugung,
dem Director, wie Lagemann, das Himmelreich auf-
geſchloſſen zu "haben, denn Beide fchwiegen und fchie=
nen von der Wahrheit feiner Worte überzeugt und
befiegt. Hanno mußte fihtbar Troft gefchöpft haben,
57
benn feine Augen waren wieter troden und er be-
gann leife und vorjichtig Madame Drollinger wegen
ver Verwandtſchaft mit feiner feligen rau zu viſitiren.
Ueber die Familienverhältniſſe der Dahingeſchiedenen
wußte er ſo viel wie nichts; es war ihm nur noch
exinnerlich, daß ſie eine geborene Seekrebs geweſen.
Mit dieſem Seekrebs wollte er jetzt ſein Glück ver-
ſuchen; er warf ihn der Wittwe vor, in der Hoff-
nung, daß fie anbeigen werde. Dies geſchah auch.
Felicitas erging ſich fogleih in genenlogijhe Aue-
einanderfegungen, und Hanno entdedte mit Entzüden,
wie wenige Sprofjen fie von einander ftünvden. ‘Der
Seekrebs that wirklich Wunder, denn die Wittwe be-
grüßte und befeligte plötzlich den Heldenfpieler mit
dem Namen Better. Auch der Secretair freute ſich
innigft der neuen Berwandtihaft und ward orbentlich
ftolz, einem fo großen Bühnenfünftler durch die Bande
bes Bluts fo nahe zu ftehen.
Lagemann hingegen ward feinerfeits wahrhaft
eiferfükhtig ob Hanno’ genealogifhen Avancement.
Er beneidete ihn von Herzen um die Vetterjchaft,
die er zeither nur für eine Renommifterei gehalten. Ex
befürchtete, der verwünfchte Seekrebs werde fih auf
unverantwortlice Weife in die Erbſchaft einfneipen
und fuhr in der Eile in der gefammten gens Lage-
manniana umher, ob er nicht auch ein foldyes Meer-
gewürm auftreiben könne, mweldes ihn dem Stamm-
baume der Drollingr um ein Erfreuliches näher
brächte. Er zählte daher der Pfarrerswittwe ein
ganzed Namensregifter vor, deren Beſitzer jedoch zu
feinem Leidweſen nicht für legitim und fuccefjionsfähig
anerkannt wurden. Lagemann blieb zulegt in der
Welt nichts übrig, als fein Pfeifenhandel und fein
gemeinfchaftlihes Schnapfen mit dem verftorbenen
58
Peter Drollinger. Gleichwohl war ſein Glaube, daß
der dankbare Sohn in ſeinem Teſtamente hierauf
Rückſicht genommen haben werde, größer als ſein
Glaube über die Fortdauer nach dem Tode, welchen
zu ſtärken der Secretair ſich ſo viel Mühe gegeben
hatte. -
Hanno, welcher zeither Arm in Arm mit Lage—
mann gewandelt war, trennte fi) von dem Hotelier,
ba er jet als Vetter der hoffnungsreihen Erbin auf
eigenen Füßen fortzulommen hoffte. Der verlafjene
Wirth zur Stadt Magveburg glaubte, um feine Erb-
anwartichaft nad) Kräften zu documentiren, bie zärt-
he Freundſchaft mit Peter Drollinger in das um:
zmweifelhaftefte Licht zu fegen, bei welcher Erzählung
det von Felicitas gevetterte Hanno ein bemitleidendes
Lächeln ob der Nichtigfeit der Lagemann'ſchen Erb-
anſprüche wicht zu ımterbrüden vermochte. Selbſt
Madame Drollinger fehüttelte bei den Hoffnungen des
Magdeburgers wiederholt zmeifelnd den Kopf. Nur
Gamaliel, welcher die befcheivenen Wünfche der Sterb-
lihen gern erfüllt jah, gejtand, wenn der Sohn um
das zarte Verhältnig gewußt, e8 feinen Zweifel unter-
liege, daß Herr Lagemann im letten Willen locirt
fei. Der Hotelier fand ſich durch den menfchenfreund
lichen Ausſpruch des jungen einſichtsvollen Mannes,
dem er ſolchen Speenreihthum gar nicht zugetraut
hatte, weit mehr erquidt, als durch deſſen vorige
Slaubenspredigt. Sein dankbares Gemüth ergriff -
zugleich die Gelegenheit, den Secretair aus Erfennt-
Iihfeit zum Truthahnſchmauſe auf nächſten Mittwoch
einzuladen, eine Ehre, weldie Gamaliel zeither in
Niederroßla nod nicht widerfahren war.
Der Secretair fühlte fi) duch den Truthahn jo
geichmeichelt, daß er in feinem Herzen dem Wirth
59
zur Stadt Magdeburg einen der eriten Pläte im
Teftamente wünſchte.
Aber jemehr Yagemann den jungen Drollinger
in's Herz ſchloß, um fo erbofter ward er gegen ben
Helvenfpieler, der ihn gar nicht mehr berüdjichtigte
und al’ jeine Aufmerkſamkeit nur der ſchönen Muhme,
wie er Felicitas nannte, zufommen ließ. Zugleich
begriff er nicht und, ärgerte fi, daß der Breterfönig
fein Avancement nicht benuge und auf die Teftamentd-
eröffnung losfteure.
Der umfichtige Tirector würde dieſem Wunfche
des Magdeburger, der auch der feine war, gerne
nachgekommen fein, wenn er nicht hätte exit bei Fe—
licita8 das erforverlihe Terrain gewinnen wollen, um
eined glüdlihen Erfolges deſto ficherer zu jein. Er
entfaltete daher feine ganze Liebenswürdigkeit, die ihm
als darſtellender Künſtler im Helvenfache zu Gebote
ftand. Dies würde ihn jedoch faun zum Zwecke
geführt haben, denn Felicitas war feine rau, Die
ſich leicht blenden lieg, hätte er nicht mit ziemlicher
Difenheit feine finanziellen Beängftigungen und bie
bringliche Nothwendigkeit feiner Abreiſe der gutherzigen
Wittwe zu Gemüthe geführt.
AS Hanno den Sturm wegen der teftamentari=
jhen Publicatien eröffnete, jo fiel auch Yagemann
und dem Gecretair, leßterem wegen Eiſenbeiß, ein
gewaltiger Stein vom Herzen. Cie ftanden aus
Neibesfräften dem voranfchreitenden Helvenfpieler bet,
welcher im Namen feiner ganzen darbenven Truppe
tapfer voranſchritt.
Felicttas, von fo viel Etreitfräften zu gleicher
Zeit und mit ausdauernder Hartnäckigkeit angegriffen,
ergab fih endlich und ertheilte dem dramatiſchen
Better in ihrem Namen die Erlaubniß, auf Tejtoments-
‘
60
-
eröffnung anzutragen, welche ihr als der nächſten
Anverwandten des Kabul'ſchen Exrblaffers von Seiten
bes Gerichts nicht verweigert werden konnte.
Viertes Kapitel.
Der Gotteskaſtenvorſteher Henod in feinen außer-
gewöhnlichen Forſchungen über das Erbland Kabul
unermüdlich, glaubte nichts Angelegentlicheres thun zu
müſſen, als fih auch zur jungen Wittwe Urjula zu
begeben, zu deren Freiern er gehörte, um fi) durch
gelehrte Mittheilung über das fabelhafte Reich gleich-
falls eine Stufe in den Himmel zu erbauen. Urfula
hatte zeither feine geographiſchen roberungen, auf
die er fi nicht wenig zu Gute that, ziemlih en
bagatelle behandelt, bei Kabul hoffte er indeß, da
dahin auc der Blid der verwittweten Glafermeifterin
mit Sehnfuht gerichtet war, werde das eine Aus-
nahme erleiden. ” |
Henoh hatte zu feinem großen Leidweſen nod
mit zwei unerträglichen Nebenbuhlern bei Frau Urfula
zu kämpfen, welche ihm, was vie Geographie betraf,
nicht im Geringften gewachſen waren. Er begriff
überhaupt nit, wie bie eingebildete Donna an
‚den rohen Späßen des ungeſchlachten Sprigen- und
Schlauchfabrikanten Auerhahn, ſowie an dem aufßer-
gewöhnlichen Phlegma und ver geiftigen Beſchränktheit
des Papiermüller Grimbart Gefallen und Amufement
finden fönne Während Auerhahn fein Freiwerber⸗
amt auf eine ſehr polternde, fede und verwogne Art
61
betrieb, fo dag er von der Wittwe nur mit Mühe in
den Schranken ver äußern Zucht gehalten werben
konnte, ſaß Grimbart, die Hände über dem Bauche
gefaltet, in ftummer Bewunderung und Icheinbarer
Refignation vor dem ſchönen Bilde. Auerhahn ver-
achtete geradezu feine beiten Nebenbuhler und fürchtete
weder den Geographen, noch den PBapiermüller. Er
ſchritt mit vollkommener Siegesficherheit einher und
lebte der feften Weberzeugung, dag ihm das fchmude
Weib nicht entgehen könne.
Frau Urfula, nad Art aller Goquetten, verbarb
es mit feinem der drei Anbeter und gab jedem Hoff:
nung, ohne daß es ihr in den Sinn gefonmen wäre,
diefe Hoffnung zu erfüllen. Es fchmeichelte fie un-
gemein, folde Männer bei der Stadt vor ihrem
Triumphwagen zu erbliden; gleihwohl waren fie ihr
alle drei zu alt.
Der Gotteskaftenvorfteher und der Bapiermüller,
fd fie bei der Wittib zufammentrafen, was fehr häufig
der Tall war, vertrugen ſich pafjabel; Grimbart
hörte, die Hände wie gewöhnlid, über dem gravitäti—
{hen Bauch gefaltet, mit großer Ruhe Henoch's Geo—
grapbie mit an, fiel darüber gewöhnlich in einen
fanften Schlummer, welchen Umftand der Gottesfaften-
vorfteher benutte, der Frau Urfula fein Herz zu er—
öffnen. Sobald jedoch Auerhahn in’® Zimmer trat,
hatte der Friede ein Ende. Namentlich konnte Henoch
ven Spriten: und Schlauchfabrifanten nicht erfehen.
Der Geograph dankte daher dem Himmel und
allen Heiligen, al8 er bei der Wittwe in's Zimmer
trat und nur den Papiermüller vorfand, welder be-
reitd in jenem träumerifhen Zuſtande, der einem ge=
funden Schlafe voranzugehen pflegt, mit gefalteten
Händen im gewohnten Lehnftuhle ſaß.
62
Urſula verbarg das Gähnen ihres Tieblihen Mun-
des mit dem Tafchentuche, wie fie des Gottesfaften-
vorſtehers anſichtig wurde. Dieſer aber begann mit
einem zärtlichen Bücklinge wie folgt:
„Inſonderheit geſchaͤtzte Fran Urſula, es dürfte
mein diesmaliger geographiſcher Vortrag von außer-
gewöhnlichem Intereſſe für Hochdieſelben ſein, da er
über ein Land ſich ausführlich verbreitet, aus welchem
für ſämmtliche Drollinger'ſche Erben eine außerge—
wöhnliche Glücksſonne emporgeſtiegen iſt.“
Alles was die Erbſchaft anlangte, war für Urſula
von großer Wichtigkeit. Sie hieß daher Herrn Henoch
mit einem Blicke willkommen, der den Gotteskaſten⸗
vorfteher in den dritten Himmel erhob. Er hoffte
diesmal mit Sicherheit, ven Sprigen- und Schlaud;-
fabrifanten aus dem Sattel zu heben und ſprach fo
gelehrt wie möglidy über Kabul und Afghaniftan.
Nachdem er Lage und Grenzen, Ylüffe und Gebirge
dieſes afiatifchen Reichs mit Genauigkeit beftimmt und
dabei eine Menge fremdländiſcher und kauderwelſch
klingender Namen citirt hatte, unterbrady ihn bie
etwas ungeduldige Urfula mit der Frage, cb nichts
von "den Hofmaler in dem Buche ftehe? Henoch
ſprach fein außergewöhnliches Bedauern aus, vdiesmal-
ihren Wunſch nicht erfüllen zu können, fintenal von
Privaten in einem bloßen Handbuche der Geographie
kaum die Rede ſein könne.
„Sprechen denn die Leute in Kabul beutjch ?“
„Ei, wo denken Sie hin, Verehrteſte,“ lächelte
gelehrt der Gotteskaſtenmann, „ein weit ſchwierigeres
Idiom wird da geredet, als hier zu Lande.“
„Verſtehen Sie denn die fremde Sprache?“
„Dermalen noch nicht, aber ich hoffe mit der
Zeit —“
63
„Verſteht fie denn der Herr Stadtrichter?“
„Wohl noch weniger,‘ verſetzte Henoch, „ich habe
nie gehört, daß er in afiatiihen Meundarten zu Haufe
wäre.”
„Aber mein Himmel,” fuhr die Wittwe fort,
„wie will man denn erfahren, was im Teftamente
ſteht, und dieſes ift gewiß in fabulifcher Sprache
geſchrieben.“
Der Geograph hatte hieran wahrhaftig nicht ge—
dacht und erwiederte: „Der Fall wäre wirklich außer⸗
gewöhnlich, doch hoffe ich, der Herr Hofmaler hat für
eine beutfche Ueberjegung geforgt.”
„Das gebe Gott,“ fprady Urfula, und Henod
fuhr fort:
„Das ganze Königreich wird in fiebenundzwanzig
Provinzen oder Gebiete getheilt, deren beveutenbfte
von einem Hakim beherrfcht werden. Letztere giebt
e8 achtzehn und ihre Namen find: Herat, Yarra,
Candahar, Ghasni, Kabul, Bamican, Ghore-
band, Dſchella labad, Laghman, Peſchawar,
Dera Ismael, Chan, Dera Ghaſi Chan,
Schikapor, Sewi, Sind, Kaſchmir, Tſchotſch,
Haſareh, Leia um Multan.“
Der Papiermüller fiel bei dieſer geographiſchen
Mittheilung vollkommen in Schlaf; auch der Wittwe
kam ein herzhafteres Gähnen an. Henoch aber, der
einmal im Zuge, ließ ſich nicht irre machen.
„Das ganze Einkommen des Kabul'ſchen Reiche
in ruhigen Zeiten,“ fuhr er fort, „kann beinahe auf
drei Crors Rupien veranſchlagt werden; aber hier-
von wird ein Eror an halb unterjochte Fürften ab-
gelafien, die zufrieden find, ihr Einkommen als eine
Bewilligung vom Könige zu beziehen. Das wirkliche
64
Einkommen dürfte ſonach ſich nicht ganz auf zwei
Cror belaufen.“
„Wie viel iſt denn ein Cror?“ frug unmuthig
Urſula, der die Beſchreibung von Kabul nach gerade
immer ennuyanter wurde.
„Das ſteht freilich nicht hier,“ bedauerte der
Vorleſer; „es iſt dies eine außergewöhnliche Nach⸗
läſſigkeit von Seiten des ſonſt höchſt gelehrten Herrn
Verfaſſers; doch gedulden Sie ſich nur kurze Zeit,
ich werde mir all' erdenkliche Mühe geben, über be—
ſagte Crors nähern Aufſchluß zu erhalten und Ihnen
das Reſultat fofort mitzutheilen.‘
„Incomodiren Sie fi) nicht,“ verjetste die Wittwe,
„dieſe Kabul'ſchen Crors ſind mir im höchſten Grade
gleichgültig, wirklich unausſprechlich gleichgültig. Aber
find wir noch nit zu Ende, Herr Gottesfaften-
vorfteher ? |
„Muß nody um flein Wenig Geduld und Auf-
metffamfeit bitten,” verſetzte dieſer; „das Wichtigſte
kommt ſo eben, die Rechtspflege.“
„Daß Gott, die Rechtspflege,“ ſeufzte Unfula.
Henod) Tieg fi) durch dieſen Seufzer in feinem
Bortrage nicht ftören und ſprach: „In den Städten
wird die Yuftiz von dem Kadi, den Muftis, dem
Amini Mekhemeh und dem Doroghai Adaulat
verwaltet. Die ftreitige Sache wird nach den Vor—
Ihriften der Schirra verhandelt, welche zuweilen
durch die Beitimmungen des Puſchtunwalli mobi:
ficirt werden.‘
Grimbart ſchnarchte wie ein Dachs. Urſula hatte
das Fenſter geöffnet und fchaute, ein Liedchen ſum—
mend, nach der Straße hinaus, wo diesmal zu ihrer
nicht geringen Freude der Sprigen- und Schlaud:
fabrifant daher fchritt und gerade auf das Haus zu-
65
fam. Um von ber unerträglichen geographifchen Lection
befreit zu werben, nidte Urſula Herrn Auerhahn fo
freundlich und einladend zu, daß dieſer feine Schritte
verdoppeln mit erhöhter Siegesficherheit in die Haus-
thür einlief.
Henoch verbreitete fi) eben mit außergemöhnlicher
Gelehrfamteit über die Organifation der kabuliftifchen
Armee, die erin Durahner, Gholami Schahs,
Karra Nokars und in die Dawatallab eintheilte,
als Auerhahn, ohne vorher anzuklopfen, haſtig in das
Zimmer trat und auf den Gegenſtand, der vor ſeinen
Augen Gnade gefunden, zueilte.
Beim Anblicke des Spritzen- und Schlauchfabri—
kanten, der ihm gar nicht ungelegener kommen konnte,
ſchlug der Gotteskaſtenvorſteher mit einem Seufzer
ſein Buch zu; denn jetzt war bei dem Aufruhr, den
dieſer liebende Unhold verübte, an eine weitere Auf:
merkſamkeit nicht zu denken. Auerhahn zog auch ſo—
gleich ein grimmiges Geſicht, als er des Geographen
anſichtig wurde.
„Schon wieder die verdammten Charteken,“ ſuhr
er ihn rauh an, „Sie wiſſen doch, daß Sie damit
die Leute zum Raſendwerden langweilen.“
Die Wittwe, ſchon zufrieden, über die Kabul'ſche
Juſtizpflege und Heerverfaſſung nichts mehr hören zu
dürfen, ſprach beſänftigend: „Der Vortrag war nicht
unintereſſant, da er das unbekannte Land beſchrieb,
wo mein guter Vetter, der Herr Hofmaler, lange
Zeit ſich aufhielt.“
„Und über welches Sie, Herr Auerhahn,“ fügte
Henoch gereizt hinzu, „ſich unfehlbar in bedeutender,
außergewöhnlicher Finſterniß und Unkenntniß befinden.
Doch,“ fuhr er ſich mäßigend fort, „ver wahrhafte
Chriſt fol nicht Uebles mit Ueblem vergelten; ich
Stolle, fämmtl. Schriften. XVII. 5
66
bin daher gar nicht abgeneigt, auch Ihnen über be—
ſagtes aſiatiſches Ländergebiet, das für uns Nieder⸗
roßlaer und namentlich für die verehrten Erben des
ſeligen Herrn Drollinger neuerdings von fo außerge⸗
wöhnlicher Wichtigkeit geworben, einiges Licht aufzu⸗
ſtecken, welches Ihr Inneres recht wohlthätig erleuch—
ten und erwärmen dürfte.“
' Fran Urſula erfchraf ob dieſer Propofition und
fie fah ven Sprigen- und Schlauchfabrikanten bittend
an, daß er auf ſolche unerträgliche VBorlefung nicht
eingehen möge.
Letzterer wußte ſich den Blick der Wittwe nicht
recht zu erflären. Er glaubte anfangs, Urſula wolle
ihn bereden, daß er fi dem Geographen füge und
gerieth) im Kampf mit fi. Gleihwohl war feine
Averfion vor allem gelehrten Weſen fo groß, daß er
es nicht über fi) zu gewinner vermochte, vem Wun-
ſche der Angebeteten nachzukommen. Er ſchlug daher
dem Gotteskaſtenvorſteher ſeine Propoſition rund ab.
Ein heimlicher Händedruck der Wittwe belohnte ihn.
Auerhahn, durch ſolche unerwartete Gunſtbezeugung
kühn gemacht, ergriff nun Gelegenheit, ſeinen ganzen
Ingrimm gegen die Gelehrten, nichtsnutziges Volt,
wie er ſie nannte, loszulaſſen. Er ſchritt ſcheltend
im Zimmer auf und ab. In ſeinem Eifer packte er
den ſchlafenden Grimbart an der Achſel und rüttelte
ihn unverantwortlich.
„Nicht wahr, Papiermüller,“ rief er, „mit dem
gelehrten Grimskram lockt man keinen Hund unter dem
Dfen hervor?“
„Bewahre Gott,“ ſtammelte der Erwachte, ſich
ſchlaftrunken die Augen reibend, ohne zu wiſſen, wo⸗
von die Rede ſei.
67
„Da hören Sie's,“ ſprach Auerhahn zu Henoch,
„der Papiermüller bezeugt's gleichfalls.‘
„Grimbart weiß nicht, was er ſpricht,“ entgegn
der Gotteskaſtenvorſteher, „er iſt noch halb im Schlafe,
ſonſt würde er als Mann von Einſicht nicht gegen
ſein eigenes Intereſſe ſprechen; ohne Gelehrſamkeit
und Literatur brauchten wir auch kein Papier. Dies
müſſen Sie doch zugeben, Herr Grimbart?“
„Sehr wahr,“ erwiederte der Phlegmatiker und
gähnte entſetzlich.
„Verſchlingen Sie mich nur nicht,“ ſprach Henoch.
„Poſſen,“ brummte der Spritzen- und Schlaud)-
fabrikant, „unbedrucktes Makulatur verrichtet's auch.”
Da er aber das Geſpräch über Gelehrſamkeit
überdrüſſig bekam, drehte er ſich mit grob chewaleres-
fer Nonchalance einigemal auf dem Stiefelabſatze
herum, trat keck zu Urſula und ſie in die Wangen
kneipend, frug er: „Nun, ſchmucke Wittib, wenn ma—
hen wir Hochzeit?”
Henoch erftarrte über dieſes unzarte Benehmen
und über die indecente Frage, welche fein keuſches
Ohr erröthen machte. Er hoffte, Urfula werde den
Berwegenen derb heimfchiden; die Wittwe beugte ſich
aber blos fchamroth über ihren Spinnroden und
meinte, folde Rede könne fie bei ihrer Armuth nur
für Spott halten, der Herr Sprigen- und Schlauch-,
fabrifant denfe ficher an Fein Heirathen.
Auerhahn that jet einen rafenden Schwur, daß
ex die beiten Abfichten babe, und jede Verzögerung
nur ihr zur Laft falle. Ihre Armuth kümmere ihn
" den Gudud; feine Sprigen und Schläuche gingen
jettt bis nach Amerika und brächten fo viel ein, daß
beide herrlich und in Freuden leben rennen, Sie
" *
Mm
68
brauche zu winken und das Schwein für den Hoch—
zeitſchmaus folle noch heute. in den Stall.
5 Dem Öottesfaftenvorfteher warb bei biefem beter-
mintrten Heirathsantrage nicht ganz wohl zu Muthe.
„Die Weiber,“ fprad er für fih, „find ein an fid
außergewöhnlich ſchwaches Gefchlecht, ſobald ernſtlich
von Heirathen die Rede iſt. Ich hätte das bedenken
und anſtatt von der Geographie doch mehr von der
Hochzeit ſprechen ſollen. Der rohe Auerhahn ſcheint
bei all' ſeiner Unwiſſenheit hier ein gewiſſes Inſtinet
zu beſitzen. Indeſſen verhoffe ich denn doch, daß
Frau Urſula nicht ſo ſchnell zu beſiegen ſein wird.
Sie hat die Auswahl unter Dreien und wird ſich
deshalb mit Recht bedenken, eh' ſie ihre Freiheit
verkauft.“ |
Henoch ſchien nicht ganz unrichtig philofophirt zu
haben; die junge Wittwe, obſchon fie dem Fabrifan-
ten keineswegs die Hoffnung nahm, wollte fid) doch
aud zu feinem Verſprechen, noch vielweniger zu einem
Eheverlöbniß verftehen, wie fehr auch Auerhahn in fie
drang, mit welch' glänzenden Farben er feinen
Sprigen= und Schlauchhandel vor Augen führte. Ur-
fula hoffte in ihrem Innerften gar fehr auf die Erb—
Ihaft. Hatte fie Exblaffer anſehnlich bedacht, jo war
ihr Wille, mit den drei Freiern weniger Umſtände
zu maden und biefelben, je nad den Umſtänden,
gänzlich abzudanfen, denn ihr Herz hatte ſich einen
weit jüngern Schag erforen. Es war dies der hüb-
ſche Zinngießergejelle Florian, "ver tägli in der ge=
genüberliegenden. Werkftätte feines Meifters von früh
bi8 Abends unverdroſſen arbeitete und in feiner Un—
ſchuld und Einfalt nicht ahnete, welchen Einprud er
auf die junge Frau hervorgebracht hatte.
Urfula, um den unternehmenden Auerbahn bei
.s
69
feinen fühnen Bewerbungen um ihre Gunft in ge=
bührenden Schranfen zu halten, verwies ihn auf das
beſcheidene Benchmen Henoch's und des Puapiermüllers,
welch lettrer unverbroffen in feinem Lehnftuhle ſchlief.
Der Gottesfaftenvorfteher fühlte ſich ſehr seihmeichelt
durch diefe Anerkennung feines Verdienſtes. Er gab
auf verblümte Weile zu verftehen, daß mahrhafte
Bildung der Frauen nie zubringlid werde, und er
feierte wirklich einen Heinen Triumph über Auerhahn.
Seine Eitelfeit flüfterte ihm zu, daß er im Grunde
‚ doch der am meiften Begünftigte unter den brei Frei—
ern fei. Der Spritzen- und Schlauchfabrikant aber
gerieth in Wuth und tobte. Nur mit Mühe gelang
e8 der Wittwe, ihn zu befänftigen. Um ihn auf
andre Gedanken zu bringen, leitete fie das Geſpräch
auf die Kabul'ſche Erbſchaft.
„Darüber,“ meinte Auerhahn, noch immer unge
halten und mürriſch, „werden wir bald in’s Klare
fommen und erfehen, daß der afiatifhe Narr und
ofpinfel ganz Niederroßla fammt dem hochweiſen
tabtrath und insbeſondere alle die einfältigen Leute
in den April gefchidt hat, welche ſich Etwas zu erben
einbildeten.“
Frau Urſula machte ein bitterböſes Geſicht und
nahm ſich feſt vor, mit dem ungalanten Freiersmann
vierundzwanzig Stunden lang zu ſchmollen. Sie
würde noch weit böſer auf ihn geworden ſein, hätte
ſie ſeinen Unmuth nicht ſeiner Eiferſucht auf Henoch
zur Laſt gelegt, eine Männeruntugend, die von den
Weibern am Leichteſten verziehen wird.
Der Gotteskaſtenmann erkundigte ſich von wegen
des „bald in's Klare kommen,“ da bis zur Teſta—
mentseröffnung noch faſt ganzer fünf Wochen hin ſeien.
„Madame Drollinger,“ berichtete Auerhahn,
m
70
„wahrſcheinlich weil ſie glaubt, in dem fabelhaften
Teſtamente obenan zu ſtehen und es nicht erwarten
kann, zur reihen Frau zu werden, hat ven lächer—
lichen Einfall gehabt, auf ſoforlige Publication an⸗
zutragen.“
Urſula brannte vor Nengier um Näheres über
dieſe für ſie ſo wichtige Angelegenheit; gleichwohl
ſiegte der weibliche Schmollgeiſt und ſie frug nicht
weiter. Dafür that's der Gotteskaſtenmann um ſo
ergiebiger.
Auerhahn's Anfichten ‚über die Erbfchaft klangen
eben nicht erbaulih für die hoffende Wittwe. „Ich
laſſe mic todt ſchlagen,“ ſprach der Schlauchfabrikant
in ſeiner polternden Redeweiſe, „es iſt alles blauer
Dunſt, Lug und Trug. Dem Drollinger lag's ſchon
als Beutlerjunge im Blute, die Leute zu foppen. Ein
ſolcher davongelaufener Schlingel will Hofmaler ge—
worden ſein! Es iſt zu lächerlich, dem Publikum
ſolche Märchen aufzubinden. — Der Betrug liegt
übrigens vollkommen am Tage; denn ich will's nur
geſtehn, es giebt gar kein Kabul in dieſer Welt, noch
weit weniger einen König von Kabul, bei dem ein
Hofmaler angeſtellt wäre.“
Henoch erſchrak über ſolche außerordentliche wiſ—⸗
ſenſchaftliche Verwahrloſung, welche eins der angeſe—
henſten und wahlarrangirteſten aſiatiſchen Königreiche
mir nichts dir nichts aus der Geographie ſtrich. Er
ſchlug ſofort feine Erdbeſchreibung auf, um Auer—
hahn eines Beſſern zu belehren, als ihn dieſer mit
den Worten anfuhr: „Ihre Charteken machen mich
nicht dumm; es ſteht viel gedruckt, an dem kein wahr
Wort iſt.“
Er ſchüttelte bei dieſen Worten Grimbarten wie—
za
der aus dem Schlafe und frug: „Nicht wahr, Pa-
piermüller, e8 giebt gar kein Kabul?“
„Bewahre Gott,“ ftammelte viefer ſchlaftrunken
und fi) die Augen reiben.
„Da hören Sie es, Muger Mann,” ſprach ver
Schlauchfabrikant zu Henoch.
Urſula blickte ängſtlich und fragend zu Letz—
term auf. |
Der Gotteskaftenvorfteher wollte verzweifeln. „Und
wenn,“ rief er erboft, „ver gefammte Rath und bie
gefammte Bürgerjhaft und die ganze Umgegend, ade—
lige und bürgerliche Gutsbeſitzer, es läugnen, ein Ka—
bul giebt's. Mag's mit der Erbſchaft, mit dem Hof:
maler eine Bewandtniß haben, welde es will, aber
ein Kabul giebt's, jo gewiß am Tage die Sonne
ſcheint, ſo gewiß die Erde rund ift, fo gewiß ich He=
noch beige und Gotteskaftenvorfteher bin.“
Er ſchlug fein Bud auf und las laut und ver:
nehmlih: „Kabul, auch Afghaniftan oder Kabuliften,
umfaßt einen Flächenraum von ſechszehntauſend Qua⸗
tratmeilen, dehnt ſich tief in das Hindukuſch- und
- Himalaja= Gebirge und begriff ehedem felbft einen
Theil von Indien. In Often erheben fid) drei Berg⸗
fetten, welche —“
„Narrenspoſſen,“ unterbrach ihn der Spriten- und
Schlauchfabrikant, „das Papier iſt geduldig; morgen
iſt Teſtamenteröffnung, da werden aller Welt die
Schuppen von den Augen fallen.“
„Und ob das Teſtament morgen oder über's Jahr
eröffnet wird,“ beharrte Henoch, „ein Kabul giebt's.
Ic begreife nicht,” wandte er ſich nicht ohne Heftig⸗
- feit- zu Orimbart, „wie Sie, als gebilveter Mann,
ſo etwas bezweifeln können.“
„Ich ?“ frug der Papiermüller, „bewahre Gott.“
72
„Er weiß niht, was er ſpricht,“ behauptete
Auerhahn. |
„Das glaub’ ih auch,“ meinte Henoch.
| Srimbarten Tieß e8 fehr ruhig, was der eine be-
hauptete und der andere glaubte. Er fchlief bald
abermal8; während die beiden andern Treier wieder
, daran dachten, fich ihrer Herzenskönigin, der jungen
Wittib, in angenehmen Lichte zu zeigen.
Fünftes Kapitel. .
Der Helvenfpieler Hanno hatte nad feinem Beſuche
bei Felicitas nichts Angelegentlicheres zu thun, ale
auf das Stadtgeriht zu gehen und als Bevollmäch—
figtee der verwittweten Drollinger auf fchleunigfte
Eröffnung des afiatiihen Teſtaments anzutragen. Er
erhielt Die Refolution, daß die Publication in den
Bormittagsftunden bes nächſtfolgenden Tages den Ge-
fegen gemäß vorgenommen werden folle.
Es war kaum eine Stunde verftrihen, als ganz
Niederroßla von dem hochwichtigen Ereigniß Kennt-
niß hatte. Bon den erleuchteten Vätern der Stadt
herab bis zum Schufterlehrling fprad Niemand von
etwas Anvderm, als dem Teftamente. Die biverfen
Erben waren die Helden des Tages, der Unterhaltung,
der Schmeichelee und des heimlichen Neives. Der
Schauſpieldirector ließ ſich wie ein heidnifher Gott be
räudern und nahm die Weihrauchſpenden großmü-
thig entgegen. Seiner gefammten Truppe, den total
infolventen Soufleur nicht ausgenommen, ward ein
73
anberweitiger achttägiger Credit eröffnet. Der Wirth
zur Stadt Magdeburg hatte feine Gaftitube noch nie
von Beſuchern fo, überfüllt gejehn, ald am Abenve
jene® Tages, an weldem ber unternehmende Hanno
auf Teftamentseröffnung gebrungen hatte. Nicht nur
fammtlide Stammgäfte waren angelangt, ſondern aud
eine große Anzahl folder Niederroßlaer, die man in
der Regel jonft nie am öffentlichen Orten zu erbliden
pflegte. Manche Ehefrau hatte diesmal ihre Averfion
gegen das Schenfenleben zu befänpfen gewußt und
dem Eheherrn Urlaub ertheilt, auf daß er Kundſchaft
einziehe bei Lagemann. Letztrer ſelbſt betrachtete die—
jen aufßererdentlihen Zulauf als einen Vorſegen des
Teftaments und ſchritt, hoffnungsreich, fi) Die Hände
reibend, liebevoll lächelnd als gefeierter Mann unter
feinen Gäften auf und ab, überall Rede ftehenn, Aus-
funft ertheilend und dabei das feltene Freundſchafts⸗
band, welches ihn und den feligen Peter Drollinger
vereint, in ven Himmel erhebend. Mehre ver Stamm-
gäfte benugten fogleih vie Gelegenheit, ven Hotelier
auf die unvermeidliche Berbinplichkeit eines zu geben-
den Schmaufes, fall er, wie nicht zu bezweifeln ftehe,
im ZTeftamente bedacht ſei, aufmerffam zu machen.
Lagemann flüfterte dann jedem, ver ihn wegen des
Schmauſes anging, verſtändniß-innig in’d Ohr: „Wir
trinfen Eins zufammen, aber ganz unter uns, ein
Weinen fag’ ich, das fobald nicht wieder gefunden
wird.” Hierdurch bejchwichtigte er die Einzelitimmen
und verhinderte, daß fie Coalition machten, wo er
leicht hätte zu einem Gratisſchmauſe gezwungen wer—
ven fünnen. So dachte aber Jeder, er fei der all:
einige Beneidenswerthe, auf welchen der Segen ber
Erbſchaft überfliege und hütete fich, auf einem großen
Feſtin zu beftehen.
Th
Magiſter Vetterlein, dem es gleichfalls gelungen
war, eine entfernte Verwandtſchaftsſproſſe zur Familie
Drolinger ausfindig zu machen, traktirte feine Ouar-
taner in den geographifchen Lectionen mit bejondrer
Borliebe faft nur mit Afien, obfhon dem Stunden-
plane gemäß über das deutſche Königreih Hannover
"zu beridhten war. Unmittelbar nah der befannten
ftadtgerichtlihen Belanntmahung im Wochenblatte
war er mit einem Sprunge von der Landdroſtei Lüne—
burg nah Alien übergefeßt, wo er, unterftügt won
feiner wißbegierigen Jugend, unermüdlich nach dem
gefegneten Kabul forfchte.
Die gute Felicitas wußte fih, nachdem ihr Man-
dator, der dramatifche Künftler, auf Zeitamentseröff-
nung angetragen hatte, vor guten Freunden und Be—
fannten nit mehr zu lafien. Ihr kurz zuvor noch
jo wenig befuchtes Stühchen warb von Befuchern
nicht leer; und fie hatte alle Gelegenheit, die Men—
Ihen in ihren verſchiedenen Schwachheiten fennen zu
lernen. Man überpurzelte fih in Aufmerkſamkeiten
gegen eine Frau, die man zeither nur über die Ach—
jeln angejeben hatte. Die Freundlichkeit und Freund:
Thaftlichkeit ging fo weit, daß fie felbft dem Secre—
tair, obſchon er alle Menfchen für halbe Engel hielt,
etwas verdächtig vorkam. ‘
„Mutter,“ ſprach er, „und wenn ich Alles glaube,
jo glaube ich nicht, daß es allen ven Leuten jo um's
Herz ift, wie fie thun.“
Felicitas lächelte und erwieberte: „Laß unfre. Erb-
ihaftshoffnungen in Nichts zerfließen und Du wirft
jeben, wie einfam unſer Stübchen bald wieder fein
wird.”
Gamaliel verfegte traurig: „Aber das ift nicht
Ihön von den Leuten.”
15
„Die Welt ift nicht anders, mein Gama,“ ſprach
Felicitas, „darum hab’ ich auch nur mit Außerftem
Widerſtreben meine Einwilligung wegen der Eröffnung
gegeben. Sollte, wie ich fürchte, die ganze Sache
auf einen Scherz hinauslaufen, jo werde ich meine
Boreiligfeit gewiß theuer genug zu bezahlen haben.“
„Wo denkſt Du bin, Meütterchen,“ antwortete
ber Sohn; „auf dem Todtenbette vergeht dem Luſtig⸗
fien der Scherz. Auch meint Eiſenbeiß, daß hinter
der Sauce wohl mehr ftede, als man vermuthe.‘
Neuer Beluh aus der Nachbarſchaft unterbrach
dieſes Geſpräch, welches oft auf viefe Art zwifchen
Mutter und Sohn geführt wurde. —
Den geographifchen Verdienſten des Gottesfaften-
vorfteher Henoch war es endlicd gelungen, fihb Bahn
zu brechen und gebührende Anerkennung zu erlangen.
Henoch gehörte in den Tagen unmittelbar vor der
Zeftamentseröffnung zu Niederroßla unter die geſuch—
ten Artiel. Er feierte Triumph auf Triumph. “Die
erſten Patrizierfamilien riffen fih um den Mann. Wie
Dienen ſog man die Worte über Kabul von feinem
Munde. Zweimal fogar ward er zum regierenden
Bürgermeifter entboten, um Auskunft zu geben, ba
Seine Eminenz, wie e8 in dem Charakter großer
Männer liegt, offen geftand, aus feiner Schulzeit ber
fih nur Dufter auf Kabul befinnen zu fünnen. Henoch
verließ ganz beraufcht von der Ehre, dem geftrengen
Bürgermeijter ein Licht aufgeftekt zu haben, die Woh—
nung befjelben, und warb vom Hochmuthsteufel hier:
durch dermaßen befeflen, daß er den ihm begegnenden
und grüßenden Bürgern faum zu danken vermochte,
Urſula träumte in den zwei legten Nächten vor
ber teftamentarifchen Publication von nichts als Gold⸗
und GSilberfäden, türkiſchen Shawlen, Perlen und
76
wohlriehenden Specereien, unter welden Herrlichkei⸗
ten der geliebte Zinngießer ald junger Türke auf und
ab wandelte. Die drei Freier erjchienen in weniger
vortheilhaften Coſtüme; der Papiermüller als Yaul-
thier, der Spriten= und Schlauchfabrikant als Tollern-
der Puter und Henoch al® graue Feldmaus. Urſula
fühlte fi) daher am Morgen des Entſcheidungstages
von den theil® vofigen, theil® beängjtigenden Träumen
ganz abgemattet. Gleichwohl verfehlte fie nicht, fid)
fobald als möglih in Staat zu werfen, um der Ge—
richtsſitzung als hoffende und eroberungsluftige Erbin
in Perſon beizumohnen.
Sp war denn endlich der große Tag herbeige-
fommen und bie enticheidende Stunde, wo der Inhalt
des Kabul'ſchen Teftaments veröffentliht werden follte,
hatte gefchlagen. Außer Velicitas, die durch Herrn
Hanno vepräfentirt ward, hatten ſich ſämmtliche Erb-
erfpectanten, Lagemann nicht ausgenommen, obſchon
er höchftens durch die Noah'ſche Familie mit dem ſe—
ligen Drollinger verwandt war, eingefunden und harr-
ten mit verhaltenem Athen der Dinge, die da kommen
ſollten. Boran faß Frau Urfula, troß der unrubigen
Nächte ſchönſtens geputt, und coquettirte, jo gut es
Drt, Zeit und Umſtände erlauben wollten, mit dem
jungen Stadtgerihtsacceffiften, der vor Kurzem erſt
die Univerſität verlaſſen und durch ſein ſtudentiſches
Weſen die Blicke und Aufmerkſamkeit der ſchönen
Niederroßlaerinnen int hohen Grade auf ſich zog. Zu—
nächſt der jungen Wittwe hatte Hanno, dem ſeit ſei—
nes Beſuchs bei Felicitas, wo ihm eine ſo erwünſchte
Vetterſchaft in den Schooß gefallen, der Kamm ge—
waltig geſchwollen war und der ſich bei dem heutigen
17
Drama für den Hauptacteur hielt, eine höchſt fünft-
lerifche plajtifhe tellung eingenommen. Durd eine
gewifje angenommene vornehme Nonchalance hoffte er
den Stadtrichter Jacoby, einen etwas abgefchloffenen
und gemejlenen Mann, der nicht viel Worte machte,
aber Alles mit Harem, ruhigen Blute überfchäute, zu
ärgern, weil diefer ihm die Zejtamentseröffnung früs-
her mit kurzen Worten abgefchlagen und jelbft durch
Lagemann's großlebrige Gans nicht zu beftechen ge-
wejen war. Der Präjes des Stabtgerihts nahm je=
doch nad feinem Erjcheinen von der funftreihen Pan⸗
tomimit des Heldenſpielers, wovon ſich Yebtrer viel
verſprach, Feine Notiz.
Neben dem colojjalen Hanno nahm ſich das Heine
und dünne Figürlein des Duartus gar pofjirlidh aus.
Während des Bühnenfünftlers Füße weit in dem Ge—
richtsfale dahin lagen, erreichten BVetterlein’8 Beinchen
" faum den Fußboden. Der Kleine firirte mit ange—
ftrengter Aufmerkſamkeit alle die Präliminarien, Die.
von Seiten des Gerichts zur Eröffnung des Kabul’
Ichen Teftaments getroffen wurden.
Hinter Vetterlein's Kopfe vagte ein langes blaſſes
Gefiht mit ziemlich indifferenten Zügen hervor, wel-
ches dem blonden Factor aus der Druderei angehörte.
Süßmilch hatte von feinem Prinzipal Urlaub erhalten,
damit er der merkwürdigen Gerichtsfigung beiwohne.
Neben ihm harıte Gamaliel in banger fehüchter-
ner Erwartung auf den Ausgang der Dinge. Ob—
ſchon Felicitas es nicht gewünfcht hatte, daß er bei
der Teitamentseröffnung zugegen jei, fo hatte ihn doch
Eifenbeiß mit dem gemefjenen Befehle auf's Stabt-
gericht gejagt, daß er ihm (dem Doctor) unmittelbar
nad beendigter Sigung Bericht abftatte über den
Ausgang der Sache. Der Secretair hatte Eifenbeißen
78.
‘ mit ver Hand geloben müffen, vom Rathhauſe direct
nach der Expedition zurückzukehren.
Gamaliel empfand vor allem ohrigfeitlichen We-
fen eine fo aufßerorventlihe Scheu, daß er nur mit
angftflopfendem Herzen das Gerichtslocal betrat. Es
Ionnte einem Verbrecher, der zum Tode verurtheilt
werben follte, nicht ımheimlicher zu Muthe fein, als
ihm.. Bergebens fprad er fihb Muth ein und juchte
in fi den Gedanken zu befeftigen, daß er ja nicht
als Mifjethäter, jondern als hoffnungsreiher Erbe
vor den Schranken erjcheine; ein leiſes Zähneklappern
war bemungeachtet nicht ganz zu unterbrüden, und
von Zeit zu Zeit lief, wie man zu fagen pflegt, ihm
der Tod über den Naden. Er grüßte mit Ehrfurcht
den Gerichtsdiener, welchen vie Thür öffnete und wollte
den befcheivenften Sit unter den für die Erben be-
ftimmten Plätze einnehmen, nämlicdy den der Thür am
nächſten, als ihm Hanno, der fein Eintreten bemerft,
näher winfte und auf den Stuhl hinter fih und ber
jungen Wittwe zeigte. Gamaliel rüdte diefer Auf:
forderung des fünftlerifchen Vetters zu Folge aud
wirklich einige Plätze vorwärts, aber bis hinter die
Ihöne junge Frau wagte er ſich nicht, weil ihm das
zu unbejcheiden dünkte. Hanno winkte abermals und
abermal® avancirte der Secretair, jo daß er endlich
neben dem Yactor und hinter VBetterlein und dem
Directorial= Better zu fiten fam. Frau Urfula, wel-
her Hanno’ wieverholtes Winken nicht entgangen
war, wandte fi plöglih mit ihrem Geſicht zu Ga—
maliel und flüfterte mit reizender Vertraulichkeit: „Sie
fürchten fi wohl vor mir?“
Der Secretair ward ganz voth bei dieſer Frage,
und konnte ſich ſchlechterdings auf nichts befinnen,
was er darauf hätte erwievern ſollen. Er ftammelte .
N
9
etwas Unverftänpliches, welches wahrſcheinlich befagen
wollte, daß er ſich nicht fürchte; aber zu verfteben
war's nit. Urſula hatte jet mit ihrer Coquetten-
baftigfeit zwei Punkte zu beftreichen, den einen vor⸗
wärts, wo der Stabtgerichtsacceffiit faß, und etwas
zur Linken, bi8 wohin ver ſchöne und erbichaftsreiche
Gamaliel auf Hanno’8 wieverholtes Winfen vorge=
rüdt war. Urſula machte daher eine Rechtsachtel-
ſchwenkung und wendete ihr Yodenktöpfchen bergeftalt,
daß fie dem Xcceffiften hinter feinem Gitter en face,
und dem Secretaiv des Doctor Eiſenbeiß en profil,
zu figen fan.
Gamaliel hatte, außer vor Eiſenbeiß und ber
Obrigkeit, in diefer Welt vor Niemanden größern
Reſpect, als vor einem weiblihen Individuum, Das
in feinen beften Jahren, nämlich im fechszehnten bis
zum ſechs und breißigften ftand, einen Refpect, wel-
her um fo höher ftieg, je mehr der Secretair bie
Bemerkung machte, : daß das Individuum zugleich
hübſch ſei. Im diefem Falle geftattete er ſelten ei-
nen Unterjhied zwifchen einer ſolchen Hübfchheit und
einem Engel.
Frau Urſula war ihm alſo aud) eine Art Engel,
obſchon er über ihre Coquetterie Mancherlei hatte
munkeln hören. Cr begriff gar nicht, wie dieſes rei-
zende Profil, nach welchem er von Zeit zu Zeit einen
verftohlnen Blid warf, nicht einem eben fo fehönen
Herzen und einer eben jo edlen Seele angehören folle.
Bei diefen antbropologifchen und philanthropiſchen
Betrachtungen ftörte ihn Niemand fo jehr wie Lage
mann, welcher dem Secretair fortwährend Etwas in's
Ohr zu zifcheln Hatte und nit müde ward, dem
jungen Manne feine Freundſchaft zu verfichern -
Der Birth zur Stadt Magveburg, obſchon ihn
80
fein justus titulus berechtigte, auf den Erbftühlen
Platz zu nehmen, hatte fi) gleihwohl unter die hof:
ende Erbſchaar einzufhmuggeln gewußt und unmit-
telbar hinter Gamaliel Pofto gefaßt. Er glaubte fteif
und feſt, wenn aud nicht im Teſtamente, doch in
einen Codicille oder Xegate vom dankbaren Sohne
feines ſeligen Freundes bedacht zu fein.
Lagemann war ftet8 jehr vepfeliger Natur, und
ba er diesmal feinen andern Abzugsfanal für feine .
Suade fand, als den vor ihm fißenden Secretair, und
laute8 Reden in der Gerichtsſtube unzuläffig war, jo
wisperte er fortwährend feinem Vordermanne zu und
filtrirte demjelben ununterbrochen al’ feine Hoffnun-
gen, Befürchtungen, Ahnungen, gehabten Träume, fo
wie eine umſtändliche Kritif des im Vordergrunde
jeßhaften Erbperfonals zu.
Gamaliel hatte fhon alle Mittel aufgeboten, dem
unermüblihen Schwäter auf zarte Weife zu erfen-
nen zu geben, wie unangenehm ihm das bejtändige
Gewisper fei, und felbft wiederholt fein Geficht in
die verbrießlichften Falten gelegt und es dem Hotelier
bingehalten. Diefer aber verftand dergleichen Andeu⸗
tungen nicht und dachte an fein Aufhören.
„Sehen Sie pur die Ölaferwittwe, fuhr er
wispernd fort, „it Ihnen in Ihrem Leben ein coquet-
tere8 Weib vorgelommen? Wie fie den Kopf dreht,
das gilt nur Ihnen. Die Frau hat e8 auf Sie ab-
gejehen; nehmen Sie ſich in Acht.‘
Der Secretair erſchrak, obſchon er den wahren
Sinn des Geflüfters nicht verftand. Er begriff nicht,
wofür. er ſich in Acht nehmen follte, warf wieder
einen verjtohlnen Blick nah der gefährlihen Stelle,
und traf gerade in die fehönen Augen der Wittwe,
die zufällig nach ihm hinblidte. Dem Secretair ward
5
ganz wunderbar zu Muthe bei dieſem DBlide, und er
flug fchleunigft das Auge zur Erbe.
„Ste müſſen das Weib gar nicht anguden,” fuhr
der Hintermann fort, „ſonſt laufen Cie in Gefahr;
Sie wären der Erfte nicht.”
Während Gamaliel noch darüber nachdachte, wie
die warnenden Worte des Magveburgers eigentlich zu
verftehen ſeien, rief die Stimme des Gerichtspieners
durch die balbgeöffnete Thür: „Der Herr Stadt-
richter!“ Gleich darauf thaten fich beide Flügel weit
auf, der Chef des Stadtgerichts trat in's Gemach,
und ſchritt ernft nad) feinen Sefjel beim Seſſionstiſch.
As er an dem Erbpublilum grüßen vorüberging,
erhob fich dieſes fämmtlich zur Erwiederung; nur ver
Helvenfpieler blieb figen und nidte blos ein Wenig
mit dem Kopfe. Jacoby ſchien diefe Unhöflichkeit nicht
zu beadhten und ging, jo wie er Pla genommen, zur
Sache über.
Eine Todtenftille verbreitete fich jetst über die An—
wejenden, dag man ven Fall eined Sandforns hätte
hören können. Nach ven üblichen Yormalien und ale
die Unverleßbarfeit der Tejtamentsfiegel von Ceiten
der Erben war anerfannt worden, eröffnete Jacoby den
legten Willen des ſeligen Haffansben-Mullah, über:
reichte ihn dem beiſitzenden Actuarius, welcher aufftand
und zu lefen begann wie folgt:
„Kabul, den zwölften des Ramaſan im... . Jahre
der Hegira.“
Bei diefen Worten fühlte ſich der Secretair von
Lagemann auf die Schulter geklopft. Wahrſcheinlich
wollte er fi) diber die ihm unbekannte Hegira Aus—
funft erbitten; Gamaliel aber, vefjen ganze Aufmerf-
ſamkeit auf den Inhalt des Teſtaments gerichtet und
Stolle, fämmtl. Schriften. XVII. 6
82 ,
deſſen Geduld hinſichtlich Lagemann's erfchöpft war,
gab durch einen umwilligen Ruck zu verftehen, daß er
ihn ungefchoren laſſen ſollte. |
Ä Der Stadtgerichtsactuar Kiefewetter, fo hieß das
vorleſende Individuum, fuhr fort:
„sn nachfolgenden Blättern babe ich, Haſſan-ben
Mullah, ehedem Balthafar Drollinger geheißen, Hof-
maler, fo wie auch Hofchirurg Seiner Majeftät des
Könige von Kabul, in Gegenwart des ehrmwürbigen
Kadi Abdulla, fo wie des nicht minder ehrwürbigen
Amini Mekhemed meinen Ietten Willen theil® eigen-'
händig nievergefchrieben, theil® durch den verpflichteten
Gerichtöfchreiber, Mulk Hiffer, nieverfchreiben laſſen.
„Nachdem ich vie milothätigen Anftalten der Haupt-
und Reſidenzſtadt des Königreichs Kabul, wo mid
Gott gefegnet und. wofelbft ich viele frohe und glüd-
lihe Jahre verlebt, in dankbarer Anerkennung genügend
bedacht zu haben glaube, fo iſt mein Wille und Gebot,
daß die wenigen Ueberbleibfel meiner zeitlichen Glücks—
- güter einigen Bewohnern Nieverroßla’s, einem Städtchen
im Kreisdirectionsbezirke Waldenburg, des deutſchen
Fürſtenthums X. X. gelegen, deren ich mich gleichfalls
in dankbarer Anerkennung nad) Jahren noch erinnere,
zu Gute fommen mögen, falls nämlich die reſpectiven
Erben die Frachtipefen von Kabul bis Niederrogla
aus eignen Mitteln zu beftreiten gewilligt find. Ich
muß mir jedoch hierbei die Bemerkung erlauben und
bitten, mehr auf die Gefinnung des Gebers, als auf
den Werth ver Gabe zu fehen, da lettere überhaupt
nur als ein Kleines Andenken an den bavongelaufenen
Beutlerjungen zu betrachten find, da ihr Werth mit
dem Toftfpieligen Porto allerdings in feinem Vergleiche
e t 4
Das hoffende Erbpublifum begann fid) von den
83
Worten „wenigen Weberbleibfel” an bis zu
dem „da der Werth mit dem koftfpieligen
Borto in feinem Bergleih zu bringen iſt“
gegenſeitig mit feltfamen Gefühlen und noch feltjamern
Gefichtern anzufchauen. Der Helvenfpieler fiel unmill-
fürlic aus feiner chewalercsfen Poſition, Urfula vergaß
“ ihre Soquetterie, und Lagemann flüfterte dem innerlich)
erzitternden Gamaliel in's Ohr: „ic hab's faſt geahnt,
daß der Kabul'ſche Hallunfe uns fammt und ſonders
zum Narren gehabt hat.”
Kiefewetter las weiter:
„Demzufolge vermache ic) nachverzeichneten fieben
Perfonen oder deren refpectiven Erben nad)verzeichnete
Gegenftände aus meiner Hinterlafjenfcdaft.
I. „Dem ehrfamen Bürger und Beutlermeifter
Elias Lucas Harnifh, meinem ehemaligen Yehrherm
. oder deſſen Erben, cedire ich andurch die Krone meines
zoologifhen Gabinets, nämlich ven nad der neuen
indifhen Methode ausgeftopften Seehund, melden
ih mit eigener Hand erlegt und der in ber einen
Niſche meines Gartenpavillons aufgeftellt if. Ich
verbinde mit dieſem Geſchenke den wohlgemeinten
Zwed, dem ehrſamen Elias Lucas Harnifh, welcher
mich ob meiner Malerei oft einen Seehund gejcholten,
einen bilplihen Begriff von einem richtigen Seehunde
beizubringen und ihn zugleidh zu überzeugen, daß
zwiſchen mir und ber genannten Beftie noch ein wefent-
licher Unterfchiev obwaltet.”
Ueber das ernſte Gefiht des Stadtrichters floh
faum bemerfbar ein leifes Lächeln, während dem erb=
Ihaftlihen Publikum durchaus nicht lächerlich zu Muthe
war. Kieſewetter fuhr fort:
II. „Vermache ich dem Armenpfleger Franz
Lange, der ſich meiner braven Eltern A} chriſtlich
84
annahm, daß er die todtkranfe Mutter wegen rüditän-
diger Miethe auf die Straße werfen wollte, den eijer-
nen ‚zugefpigten refpectablen Pfahl, auf weldyen die
tabuliftifchen Spitzbuben gejpießt werden, worauf fie
dann in der Somne braten, und ben ich vor Kurzem.
zu dieſem Behufe erft vom biefigen Kapidſchi Baſchi
mit ſchwerem Gelde erhanvelt habe.“
II. „Cedire id) dem tapfern Schulmeifter, Ono-
phrius Zeh, meinem" einftigen Educationsrathe und
Pädagogen in dankbarer Erinnerung der zahllofen
Büffe, Hiebe, Kopfnüffe, Pfötchen und ähnlicher Er-
munterungsmittel, ein ächtes Bambusrohr mit filber-
nem Griff, wie foldes fic Fein Paſcha zu ſchämen
braucht, und ein foldes in Niederroßla nit zum
zweiten Mal gefunden werden dürfte.“
IV. „Dem DBettelvoigte Tobias Mütze, da wir
beide nie unter einen Hut zu bringen waren, vermache
ich meinen kabuliſtiſchen Doctorhut, welchen ich mir in
Ermangelung einer mediziniſchen Facultät zu Afgha—
niſtan, nad) einer deſperaten Bruchoperation am Hof—
koche, Hadſchi Baba, mit eigner Hand auf den Kopf
geſetzt habe.“
V. „Der Jungfer Salome, welche während meiner
Beutlerlehrzeit in der Dachſtube des Harniſchen Hau—
ſes ſeßhaft und vor lieber langer Weile nichts zu
thun wußte, als mic beim Meiſter anzuſchwärzen,
Heftimme ich ein Straußenei von anjehnlihem Um-
fange, zu gefälligem Ausbrüten. Sollte Jungfrau
bereit8 in ben Himmlifhen Saal eingejchritten fein,
fo bleibt der refpectiven Nachkommenſchaft die Brütung
überlaſſen.“
VL „Dem Bäder Breitkopf, über welchen in
Nieverrogla ftete Klage megen zu leichten Brotes
war, vermace ic ein Dutzend von denjenigen Nä—
85
geln, womit von der hiefigen Bäderinnung diejenigen
Meifter mit ven Ohren an ihre eignen Hausthüren
genagelt werden, welche der gejetlihen Brottare nicht
nachkommen. Auch folgt ein Töpfchen Honig bei,
womit ein ſolcher ſpitzbübiſcher Teigaffe in warmem
Sonnenſtrahle angepinſelt wird, zur allgemeinen Be—
luſtigung und Leckerei benachbarter Bremen und Hor-
niffen.“
Während um den einen Mundwinkel des Stabt-
richters ein faft ununterbrodhenes Lächeln zudte, war
dem Erbpublilum mit Schreden klar geworben, daß
e8 auch diesmal, wie früher fo mancher ehrfamer
Niederroßlaer von dem Hofmaler total genarrt worden
ſei. Dem Helvenfpieler war aller Muth gefunfen.
Jetzt half ihm auch die neuerworbene Betterfchaft
"nichts, die ihn zeither fo hochfahren gemacht; er ließ
ſchlaff und zerfnirfcht die Hände bangen, ohne auf
eine künſtleriſche Plaftif weiter Rüdfiht zu nehmen.
Bei Urſula fant das Köpfchen gleichfall8 wie bei
einem Röslein, welches man zu begießen vergeilen hat.
Acceffift und Gamaliel waren ihr nichts mehr, und
die drei bejahrten Freier ftiegen um hundert Prozent.
Betterlein feufzte unaufhörlich, während bei dem
Secretair des Doctor Eifenbeiß die Thränen fehr nahe
ftanden. Am Gefaßteften blieb der Factor. Sein Ge—
fiht blieb fich fo ziemlich gleih, nur daß er häufiger
als gewöhnlich eine Prife zu nehmen pflegte.
Bei Lagemann wollte die angeborne Ruſticität
fogar in laute Schelt- und Drohmworte gegen den
Hofmaler ausbrechen, als der Stadtrichter ob des
ungebührlihen Gebrummes mit feftem, ernſtem Blide
aufſchaute und zur Ruhe verwies, während Kieſe—
wetter, nachdem er wieder die Brille zurechtgerüdt,
im Teftamente fortfuhr:
86
„Endlich hinterlaffe ich
VII. „Dem Gafetier, Athanaſius Lagemann (der
Genannte fuhr hier wie behert in die Höhe, und
ftarrte mit aufgeriffenem Ohr und Auge wie bewußt-
los vor ſich hin), welcher einſt als Hühneraugen⸗
operateur in Niederroßla Furore machte, und in be
ſoffner Stunde mir faſt die Mittelzehe hinwegſchnitt,
an welcher Operation ich ſechs Wochen lang zu hinken
hatte, und wofür ihm mein ſel'ger Vater überdies
fünf Dutzend Pfeifen als Honorar verehren mußte,
für künftige Operationen aus meinem chirurgiſchen
Beſteck nachverzeichnete werthvolle Gegenſtände:
a) Sharp's Bruchmeſſer;
by) Klemm’s fünfförmige Rachenpolypenzange;
ce) Mureaux Mandelzange;
dd) Leber's Führungsſtäbchen;
) Benoit's Lippenhalter;
f) Ohle's Kranichſchnabel;
g) Theden's Rachenpolypen-Unterbinder;
h) Gerangot's Mundſchraube;
i) Percy's Sedaceumnadel;
k) Knauer's Schlundſchiebzange;
)) Savigny's Steisfiſtelmeſſer, und endlich
m) ein Etui zum Ohrlochſtechen.“
Der Wirth zur Stadt Magdeburg hatte während
des Borlefens der chirurgifchen Inſtrumente beſtändig
in ftiller Hoffnung gelebt, daß auf die für ihn jo
nutzloſen Gegenſtände noch eine Kifte holländiſche
Ducaten, oder eine Schachtel voll Perlen und Ebel:
geſtein, was ſich allenfalls des Herbeiſchaffens nach
Niederroßla verlohne, folgen werde; da aber mit dem
„Etui zum Ohrſtechen“ der kabuliſtiſche Segen ſeine
Endſchaft erteicht hatte, ſetzte ſich Lagemann mit
einem Ausdrucke wieder nieder, der ſelbſt in einem
87
Iaunigen Romane, wie vorliegender, nicht namhaft
gemacht werden fann.
Kiefewetter las weiter:
„Dies ift mein Teitament oder letter Wille, ben
ih in Beifein des ehrwürbigen Kabi Abdullah, fo
wie des nicht minder ehrwürdigen Amini Mekhemed
theil® eigenhändig niedergefchrieben, theils buch ben
verpflichteten Gerichtsfchreiber Mulk Hiffar habe nieder⸗
ſchreiben laſſen.
„Sollten mir in der Folgezeit noch etwaige erb⸗
ſchaftliche Gedanken durch den Sinn fahren, fo follen
fie codicillariſch dieſem meinem Teſtamente beigefügt,
doch erft den fiebenten Tag nach Eröffnung des Öegen-
wärtigen, ven Perfonen, fo e8 angeht, von Seiten
des Gerichts mitgetheilt werben.”
Der Stadtrichter, nachdem er einen Blid auf den
pappernen Wandkalender warf, erhob fih und ſchloß
die Situng mit den Worten: „Da dem mitgetheilten
Zeftamente ein Codicill in ber That beiliegt, fo werben
die Anweſenden erfucht, zu anberweitiger Publication
den fünften Mai Vormittags halb eilf Uhr an hiefiger
Gerichtsſtelle ſich einzufinden.“
Sechftes Kapitel.
Ungefähr drei Stunden Wegs aufwärts von dem
freundlichen Niederroßla, im höhern Gebirg, war in ein⸗
ſamer aber romantiſcher Gegend das Schloß Friedrichs⸗
hof gelegen, welches vor nicht zu langer Zeit ein
franzöſiſcher Graf Morand, der als ergebener Anhänger
88
Napoleon’8 auf der bourbonifhen Proſcriptionsliſte
‚von 1815 mit verzeichnet ftand, angefauft hatte.
Hier lebte der aus ſeinem Baterlande Berwiefene im
ehrenvollen Exil, abgefchieden von der Welt, nur im
Ungange mit feinen beiden Kindern, dem adıtund-
‚jwanzigjährigen Victor, ver zehn Jahre jüngern Klo—
'tilde, dem Pfarrer aus dem nahgelegenen Dörfchen
Friedberg, Leopold mit Namen, einen für einen Land—
prediger fehr gebilveten,, freifinnigen, aber nichtöbefto-
weniger äußerſt gottesfürhtigen Manne, und feinem
‚alten bewährten Diener und Kriegskameraden, Sean
‚Jaqued aus der Normandie. Morand gehörte mit zu
‚ven zahlreichen Kriegemännern jener Zeit, welde in
dem Kaifer der Franzoſen ihren Gott verehrten, nur
daß bei unfe erm Grafen die jeltene Ausnahme Itatt-
fand, den im Glück angebeteten Helden aud im Un-
- glüd treu geblieben zu fein,
WMit Napoleon’s abermaligem Sturze nad) dem
furzen aber glänzenden Zeitraume ber hundert Tage,
ſah auch Morand feine Laufbahn für beendigt an.
Mit dem Abtreten feines Helden von der großen
Schaubühne erfchien ihm der politifche Zuſtand Euro-
pa’8 verwahrloft, und namentlich widerte ihn das
neue Regiment feines Vaterlandes an. ern war e8
daher, daß ihm fein einfam gelegenes veutfches Eril
die Heimath hätte wünſchenswerth machen follen;
im Gegentheil fand er fih, nachdem er fajt fein
halbes Leben im Felde und unter Waffenlärm ver-
bracht, durch dieſe Stille und Abgefchloffenheit recht
wohlthuend berührt. Bewandert in den mathemati-
ſchen Wiffenichaften, und nicht unbelefen in der ge-
Ihichtlichen und fchöngeiftigen Literatur. der Franzoſen
und Deutfchen, beichäftigte er fich viel mit Lectüre,
während er im vertrauten Geſpräch gern die große
89
Napoleon'ſche Vergangenheit, welcher er felbft mit an-
gehörte, vorüberziehen lieg. Mit dem Pfarrer Leopold
disputirte er auch wohl gern über philoſophiſche und
religiöfe Gegenſtände; während zwilhen ihm und
feinem Sohne Victor, Frankreich, der franzöfiiche
Charakter, die franzöfifche Geſchichte und franzöſiſche
Berhältniffe faft den alleinigen Gegenftand der Unter-
haltung bilveten; wo die beiden jedoch felten einexlei
Meinung waren.
Victor, von einer deutſchen Mutter, einer Sachſin
geboren, und auf veutfhen Schulen und Iniverfitäten
gebilvet,. legte zu ſeines Vaters großem Leidweſen
eine entſchiedene Abneigung gegen Frankreich und allem
überrheinifchen Wefeh an den Tag. Sein ernfter Sinn
fonnte nie an der franzöfifhen Dberflächlichfeit und
Flatterhaftigkeit Geſchmack finden, während bie bei
jenem Volke jo häufig vorkommende Yrivolität und
Berhöhnung alles Heiligen feinem ftreng ſittlichen
Charakter im höchſten Grade zuwider waren.
Ein reizendes Gemiſch deutſcher Anmuth und fran=
zöſiſcher Grazie bot die jugendliche Klotilde dar. Ein
engelhaftes Gemüth in feltener Vollendung weiblicher
Form. Da fie die Mutter früh verloren, jo hing fie
mit unenplicher Liebe an dem Vater, während ihr der
Bruder für das Ideal eines jungen Mannes galt.
Kaum dürfte ein Gefchwifterpaar gefunden werben,
bei weldem ein größerer Einflang der Gemüther
ftattgefunden hätte. Der Biene glei, die fih vom
Blumenftaube nährt, jog das Mädchen die milden -
Reden und Lehren von Munde des Bruders, welcher
feinerjeits fi an der reinen, ſchönen Seele in idealer
Form erquidte.
Es war an einem Nachmittage; ein warmer leifer
Frühlingsregen fprühte befruchtend auf die knospen—
-
. 90
reiche Erde herab. Hier und da blähten zeitige Kirſch-
und Birnenbäume; in dem Garten von Friedrichshof
ſchwellten die Purpuraugen der Pfirſichen; Lerchenge⸗
fang durchtönte die ftille Luft; Klotilde war zu ihrer
Freundin Hermine, der Tochter des Previgers, auf
die nahgelegene Pfarrwohnung hinüber gegangen —
als Morand, Victor und Leopold nah aufgehobener
Mittagstafel noch bei einer Flafche alten Rheinweins
im - vertrauten Geſpräche beifammen faßen. Das
Speifezimmer, werin fih die Drei befanden, ging.
nady den Walpbergen hinaus, die in einiger Ent-
fernung anmuthig emporftiegen, und von welchen
frühlingsvoller Vogelgeſang herübertönte. Die Tyenfter
ſtanden offen. Erquidender Duft flieg aus dem Garten
herauf.
Die auf dem Tifche Tiegenben vor Kurzem einge-
troffenen politiihen Zeitungen, welche über bie Wort
ſchritte der reactionairen Partei in Frankreich, über
bie biutigen Unterbrüdungen des hier und da auf-
tauchenden Bonapartismus, Über den revolutionären
Geiſt Deutſchlands, Fialiens und ber pyrenãiſchen
Halbinſel berichtelen, hatten dem Geſpräch eine ſehr
ernſte Richtung gegeben. Es war eine längere Pauſe
eingetreten; ein jeder ſchien mit feinen eignen Ge—
danken beſchäftigt. Vietor ſtand mit verſchränkten
Armen am Fenſter und ſchaute nach den Bergen hin-
aus; der General rauchte fill feine Cigarre, während
Leopold mit der Gabel auf feinen Defertteller Figuren
beſchrieb. Da trat Iean Jaques in's Zimmer und
meldete, daß fo eben ein. junger fhöner Mann von
Niederroßla angelangt fei, welcher dem Herrn General
einen Brief eigenhändig zu libergeben habe.
Morand befahl, daß der Ueberbringer hereintomme,
und bald darauf trat Gamaliel in's Zimmer, welder
9
von Doctor Eifenbeiß, vem Rechtsanwalte des Gene-
rals, erfucht worden, ein Schreiben, das fiber eine
Grenzftreitigfeit berichtete, perfönlih zu übergeben.
Gamaliel erfüllte vergleichen Aufträge, die über Land
gingen, fehr gern, darum hatte er auch als neucreirter
Gecretair fein Bedenken getragen, fi dieſes Auf-
trags zu unterziehen, obfhon er aus Unbelanntfchaft
mit der vornehmen Welt den Beſuch bei hochgeftellten
Leuten nicht ſehr liebte.
Nicht ohne Wohlgefallen ruhten die Blide des
Generals, des Sohnes und des Predigerd auf dem
ſchönen Jünglinge, der in tieffter Beſcheidenheit am
Eingange ftehen blieb und fih in dem eleganten
Zimmer nicht vorwärts gefrante.
- Morand trat freundlih auf ihn zu, nahm ben
Brief in Empfang, und bot dem Schlichternen einen
Stuhl an, worauf Gamaliel erft nach wieberbolter -
Einladung Bla nahm. Bictor ſchenkte ein Glas
mit Wein voll und reichte e8 mit folder Herzlichkeit
den Gecretair dar, daß dieſer ganz bezaubert ‚von
folder Güte und Herablaffung ward, und nicht wußte,
wie er entſprechend genug danken follte. Er glaubte
nit anders, als in einem Feenſchloſſe angelangt
zu fein. |
„O wie gut find Sie,” ſprach er zu Victor, der
ihm wie der Engel Gabriel erſchien.
„Wie befindet ſich mein guter Doctor?“ frug der
General.
Gamaliel war ſehr froh, bier eine recht befriedi⸗
gende Antwort geben zu können.
„Vortrefflich,“ erwiederte er; und fügte muthiger
hinzu: „Und wer ſollte das nicht beim jetzigen Auf⸗
erſtehungsfeſt!“
92
Der General ſchien ihn hier nicht recht zu ver—
stehen, der Secretair bemerfte e8 und fügte etwas
leiſer Hinzu: „Ich meine, weil Alles jo grün wird
und die Lerchen ohne Unterfaf fingen.”
„Sie find gewiß ein rechter Naturfreund ?” frug
ber alte Krieger.
Gamaliel, welcher nicht begriff, wie Jemand fein
Raturfreund fein fönne, und warum er allein eine
Ausnahme machen folle, entgegnete mit einem eignen
zum Mi ſprechenden Tone: „Das iſt jeder gute
Menſch.“
„Wohl wahr,“ verſetzte der General, den dieſe
Antwort innig anſprach; „nur ein. böſes, verſtocktes
Gemüth kann die Pracht Gottes ohne Theilnahme
‚betrachten.‘
Diefe Worte waren Waffer auf Gamaliel's Mühle.
Er erwieverte mit Wärme und ziemlicher Unbefangen-
beit: „Ein böfes Gemüth ift nur krank, und zu
feiner Heilung bietet Gott unabläffig die Hand, und
läßt niht nad), bis es wieder genefen und feinen
Frühling anlächelt. Ich glaube auch, daß der himm—
liſche Vater feine Blumen für foldhe Leidende am
Scönften blühen läßt, damit endlich die Herzen auf:
und die Augen übergehen. ı
Jetzt war auch Leopold mit fichtbarem Intereſſe
näher getreten und geftand, daß dies ein eben fo
Ihöner als beſeligender Glaube fei.
Das Geipräd ward. immer wärmer und intere|=
fanter. Der Secretair ließ unbefangen fein ſchönes,
liebevolle Herz leuchten, feine Rede erhob fid) nicht
felten zu poetifher Höhe; die große Schüchternheit
hatte ſich verloren; er ſchien ganz vergeflen zu haben,
daß er begeiftert zu einem vornehmen Manne ſpreche.
Aber gerade dieſes ſich Gehenlaſſen gewährte dem
93
ſchönen Jünglinge in den Augen der Anweſenden
einen erhöhten Reiz. Man fchien gar nicht begreifen
zu können, wie der profaifhe Advocat Cifenbeiß zu
ſolch einem hochpoetiihen Briefträger gekommen ſei.
Samaliel, der wie im Himmel lebte, fühlte ſich
wiederholt die Hand geprüdt und warb um biogra=
phiſche Mittheilungen erfucht, die ihm vollends aller
Herzen gewannen; denn bie Liebe zu feiner Mutter.
Felicitas verlich feiner ſchöͤnen Seele einen wunder:
baren Glanz.
Der General befand fih in fo wohliger Stim⸗
nung, daß er Champagner bringen lief. Dean ftieß
die Gläſer aneinander und ließ ven Frühling leben,
vie nächte Roſenblüthe und tranf auf ein gefegnetes
Weinjahr. Der Secretair, welder in feinem Leben
feinen Champagner getrunken hatte, begann gleich
nah dem eriten Glaſe von den ungewohnten Weine
zu glühen. Cr glaubte gar nit mehr auf Erden
zu leben, fo leicht, jo himmelvoll fühlte er jih. Er
begann über Unfterblichkeit zu Iprechen, die ihm, wie
‚er behauptete, nody nie jo unumftößlich gewiß erichienen,
als in der gegenwärtigen Stunde.
Auch der Himmel that das Seine, um den vier
glüdlihen Menfchen das Yeben fo bezanbernd wie
möglich zu machen. Der leife Regen hatte die früh—
lingſchlummernde Landſchaft wunderbar erquidt; das
filbergraue Gewölk begann ſich zu theilen, und bier
und da bradh ein Stück blauer Himmel hindurch;
nur über dem Walde im Often ſtand unbeweglich
eine dichte graue Wand. Allmälig warn das Gewölk
dünner und Lichter, und die Nachmittagsfonne trat
fiegend hervor, Berg und Thal himmliſch erleuchtenn;
über den Wald aber z0g ſich ein Regenbogen von
941
ſeltener Schöne. Darunter ſangen die Lerchen, und
friſches, erquickendes Grün blickte überall hervor.
Aus den Fenſtern des Speiſezimmers genoß man
mit ſtummem Entzücken das koſtbare Frühlingsbild;
dem Secretair ſtanden bie Thränen in den Augen;
er entfann ſich nie einer fo wahrhaft feligen Stim-
mung, und kam daher immer. wieder auf die Unfterb-
lichkeit zurück, deren Gewißheit in ſchönen Momenten
mit leuchtenden Lettern in ſeinem Innern brannte.
Hohe Seligkeit ſcheint aber den armen Gterb-
lichen hienieden nie auf lange Zeit verliehen zu fein;
fie ſoll wahrjheinlih nur ein Vorgeſchmack des Him-
meld fein, da fie für die Dauer die irdiſche Hülle
brechen würde. Die verflärte Seele dürfte in folchen
Momenten feinen Augenblid Bedenken tragen, auf
und davon zu flattern, den Sternen zu, wenn fie
nicht von Fleiſch und Blut centnerweis umklammert
und auf Erden zurüdgehalten würde. Dem Gecretair
erging’8 fein Haar befier. Seine himmliſche Stim-
mung ward plötzlich durch zwei Bedenklichkeiten geftört,
bie an ſich nicht der Rede werth waren, an Gamaliel’s
Bruft aber wie Geier fraßen.
Je mehr ſich nämlich die Nachmittagsſonne den
Abenpbergen näherte, deſto nagender warb beim Secre-
tair der Gedanke, daß er ganzer drei und brei
viertel Stunde von Niederroßla entfernt fei, und daß
er längft den Heimmeg hätte antreten follen, anftatt
- bier als Fürft zu leben. Er gedachte mit Schreden,
wie Telicitad in Sorge und Bangen gerathen werbe,
wenn er nicht zur beftimmten Zeit eintreffe. Indeß
baute er, ſobald nur der Abſchied, an weldhen er nicht
ohne Wehmuth dachte, überſtanden fein würde, auf
jeine Füße. Im auspauerndem Doublirfchritt hoffte
er das Berfäuntte einigermaßen nachzuholen.
95
Eine andere Bedenklichkeit fiel ihm aber noch weit
ſchwerer auf's Herz, als der Gedanke an die Weite
des Heimwegs. Er überlegte nämlich, wie er fo
gaftfreundlich aufgenommen worden fei von dem Herrn
General und Sohu, wie cr Rheinwein und felbft
Champagner getrunfen, und daß es unter ſolchen
Umftänden unerläßlich fer, ſich als Weltmann und
ſplendid zu zeigen gegen die Dienerſchaft. Er erinnerte
fih, irgenpwo fogar vernommen zu haben, daß in
manchen Häufern die Berienung nur ſpärlich Yohn
erhalte, und hauptfächlih auf die Douceure ange-
wieſen fei.
Während diefer Betrachtungen, die fich ihm, je
mehr er darüber nachſann, als unerfchütterliche Wahr-
heiten herausſtellten, vifitirte und fummirte er mit
geheimem Graufen verftohlen vie Baarfchaft feiner
rechten Hofentafche, die ihm für einen Bedienten mit
Ihönem hochrothen Kragen durchaus unzureichend er⸗
ſchien. Wieverholt ließ er die fünf Kupferlinge, die
auf zwei halbe Krüge Bier und ein Stück Butter
und Brot während des Heimmarfches berechnet waren,
durch die Finger gleiten. Er mochte zählen fo viel
er wollte, die Baarichaft in der rechten Hofentafche
wollte nicht zunehmen, und daß im linken Sade und
in den beiden Weftenbehältern nichts ſtack, wußte er
genau, denn er konnte über den Stand feines Per:
mögens allezeit prompte Rechenschaft geben.
Diefe vertracte Doucenrangelegenheit, die ihin zum
Glück ganz fpät in den Sinn gefommen, denn außer-
dem hätte ihm fein Tropfen Wein gefchmedt, um—
hing die ganze Frühlingslandſchaft mit einem trüben
Schleier, und verlieh feinem Benehmen wieder einige
Befangenheit.
Er begriff bereits fo wel von der großen Welt,
' 96
’
ba er einen hochadeligen Bedienten nicht mit Kupfer-
geld abfpeifen könne, und hätte er zwei Scheffel voll
Dreis und Bierlinge- befeffen. Das wäre gegen alle
Delicatefje gemejen. Er fann demnach hin und wieder,
wie er ſich ohne Dementi aus dieſer gefahrvollen Lage
zu ziehen. vermöchte.
„Ein nobles Trinfgelb, “ſprach er für ſich, „geht
der Dienerſchaft über Alles, und giebt man nicht
drauf und drein, ſo iſt das Bolt im Stande, unfer-
einen bei der Herrichaft in böfes Licht zu fegen. Es
find mir Beifpiele davon erzählt worden. Mir aber
wäre das äußerſt fchmerzhaft. Ich bin mit fo außer:
ordentlicher Generofität aufgenommen worden. 8
bleiben nur in der Welt nur zwei Auswege, will id)
mid, nicht blamiren. Entweder ich laffe dem Roth—
fragen meine Uhr zum Iinterpfanve, die ich bei näch—
ſter ſchicklicher Gelegenheit einlöfe, oder ich fprede
ftolz; und abgebrohen: „Werde mid abfinden das
nächte Mal!” wo id dann die Summe durch einen
Erprejien unter verſiegelter Adreſſe an den Herrn
Domeſtik gelangen Laffe.
Hinfichtlih des Zurücklaſſens der Uhr ftiegen aber
alsbald neue Zweifel im’ Gehirne unferes Secretairs
empor.
„Sie it von Tombak,“ fuhr er mit ſich berathend
fort, „und gebt nur, fobald fie geſchüttelt wird; ein
bloße8 Zierrath, denn als Uhr entfpricht fie ihrem
Zwecke ſchlecht. Dies könnte Anftoß geben; aljo beiier,
ih lafie e8 bei der vornehmen furzabgebrodenen Ver—
heißung; der Rothkragen kann mir doch nicht in die
Tafche fehen und wiflen, ob nicht Gold oder unver-
äußerlihe Scauftüde darin fteden. Ich kann das
Courant bereits verausgabt haben, in Wirthshäufern,
an Bettler, wer weiß es?“
97
Den Secretaiv warb wieder leicht und groß um's
Herz, als er dieſe peinlihe Angelegenheit bei fi
auf's Heme gebracht hatte. Die Radmittagslannfchaft
verflärte fi von Neuem, und er wide ganz ber
frohe Menſch wieder geworden fein, Hätte ihn nicht
bie immter tiefer fintenne Sonne mehr benn je an
den Aufbruch gemahnt.
Er recapitulirte fo eben bei fih, wie ver fchid-
lihe Anlauf zur Netivade zu nehmen fei, ald ver
General fih mit den gaftfreimblicyen Worten an ihn
wandte: „Sie könnten heut' bei uns vorlieb nehmen,
lieber Drollinger, wie find einmal fo froh. bei ein⸗
ander; ich laffe Sie morgen früh nach Niederroßla
zurüdf „.
Wie überraſchend und jchmeichelhaft dieſes Aner-
bieten für Gamaliel war, fo konnte er es gleichwohl
nicht annehmen, weil er feiner Mutter durch ein nächt⸗
liches Ausbleiben vie unruhvollſten Stunden bereitet
haben würde. Er jtellte dies offenherzig vor um
bat inftändig, auf jein Dableiben nicht länger zu be-
jtehen, daß es ihm fchmerzhaft genug jei, den liebrei-
hen Wunſch nicht erfüllen zu können.
‚Wohlen, verjette Morand , ‚jo behalten wir
ed uns für ein ander Mal vor, aber ohne ein Feines
Besperbrot dürfen Sie nicht von dannen. Sie fah-
ven in meinem Wagen zurüd und meine flinfen Brau-
nen werben Ihr Verſäumniß wieder einbringen. Wir
bleiben noch zwei Stimbchen beiſammen, und Sie follen
gleichwohl noch zeitig genug in Niederroßla eintreffen;
eben ſchlägt es fünf Uhr.“
Zugleich befahl der General einem Diener, daß
um ſieben Uhr die grüne Chaiſe vorfahren ſolle.
Gegen ſolche Liebenswürdigkeit, wie fie Gamaliel
in ſeinem Leben bei einem ſteinfremden Manne nicht
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII. 7
98:
vorgefommen war, ließ ſich nichts einwenden. Man
nahm nad) einiger Zeit wieder Plag zur Einnahme
des Besperbroted, während draußen die Abendland
haft in immer fehöner Beleuchtung trat.
Das Gejpräh ward wieder fehr belebt und be-
rührte die mannigfachſten Gegenftänve, als der Pre=
biger Leopold daſſelbe plöglih mit ven Worten un—
terbrah: „Apropos, lieber Drollinger, da fallt mir
bei Ihrem Namen fo eben ein, find Site nicht bei
der berühmten Kabul’ichen Erbſchaft betheiligt, die in
diefen Tagen in Nieverroßla ſolches Auffehen erregt
hat? Wenn ich nicht irre, kommt der Name ‘Drol-
finger in der ftabtgerichtlihen Belanntmachung vor.”
In Gamaliel’8 Freudenbecher hätte Niemand einen
herbern Wermutbstropfen werfen können, ald der Pre-
diger mit dieſer Frage, während die beiden Morand's
bei ven Worten: Kabul'ſche Erbſchaft fi einan-
ver betroffen anſahen und ſehr gefpannt fehienen, ein
Weiteres zu vernehmen.
Der Secretair theilte nun ziemlich betrübt mit,
wie fein feliger DVetter fih unfehlbar nur einen
Scherz mit den Niederroßlaern gemacht habe; das Te—
ftament bedenke Perfonen, die nicht im Entfernteften
zu den Erben gehörten, und überdies auf eine Art,
daß der Schabernad veutli vor Augen liege. Zu
größrer Evidenz feiner Behauptung führte er ven
teftirten ausgeftopften Seehund, den fabuliftiichen Doc-
torhut, das Straußenei zum Ausbrüten, und nod)
einige der Zeftamentsclaufeln an.
„Und dieſes Teftament jollte wirklich aus Kabul
ftammen, dajelbft verfaßt fein?” frug Victor mit großer
Theilnahme. Ä
„Es unterliegt die8 wohl feinem Zweifel, ver-
ſetzte Gamaliel, „pa diefe legtwillige Verfügung durch
99
das britifche Gonfulat felbft anhero gelangt ift, wel=
ches zugleich die Aechtheit des Actenftüds verbürgt.“
„Seltfam, höchſt ſeltſam,“ rief Victor noch immer
ſehr bewegt; „aber wie ift denn Ihr Herr Better
nah Kabul gekommen?“
„Darüber können wir durchaus feine Auskunft
geben,” geftand der GSecretair.
„And wirklich Hofmaler fol er geweſen fein?”
fuhr Bictor fort.
„Dies beftätigt der Berftorbene eigenhändig im
Teſtamente.“
Victor, nachdem er wieder einen ſeltſamen Blick
auf ſeinen Vater geworfen, war aufgeſtanden und
ging in Gedanken das Zimmer auf und ab. Ga=
maliel, weldyer vie Aufregung der beiden Morand's
gar nicht bemerkte, erzählte unbefangen weiter:
„Dem Teftamente liegt zwar noch ein Codicill
bei, das dem Wunfche des Teſtators zufolge erft acht
Tage nach Eröffnung des Teftamentes publicirt wer-
ben foll, aber was ift von einem Codicill zu hoffen,
wo der eigentliche legte Wille nur Scherz treibt?
„Die Hoffnung, aus dem Morgenlande erbidhaf-
ten zu wollen,” fuhr er nad) einer Paufe, als wolle
er ſich felbft tröften, fort, „war auch zu vermefjen.”
„Und diefe Copicilleröffnung,” frug Victor weiter,
„wann wird fie vor fi) gehen ?”
„Der Publicationstermin ift auf Uebermorgen an-
geſetzt,“ antwortete Gamaliel.
Der junge Morand fchien noch Mehres fragen
zu wollen, als Jean Jaques mit der Meldung in's
Zimmer trat, daß der Wagen vorgefahren ſei. Zu—
gleih ſchlug es fieben Uhr auf dem Thürmchen des
Herrnhauſes.
Draußen ruhte der ſchönſte Frühlings abend auf
7
100
Berg und Thal; alle Wolfen hatten ſich verzogen ;
in reinem Blau athmete der Himmel, und die tief-
gefunfene Sonne warf ihre rothen Strahlen verflä-
vend über die junge Frühlingslandſchaft. Noch im:
mer fangen die Lerchen, und im benachbarten Dorfe
tönten die Abendgloden.
Man leerte die Gläſer auf baldige Wiederſehen;
Gantaliel gejtand offenberzig (er hätte beinahe ge—
[hworen, wenn er blo8 feinem überftrömenven Her-
zen Gehör gegeben), daß er heut die fchöniten Stun—
den feined Dafeind verlebt babe. Beim Aufbrucde fah.
er ſich vergeblich nach einem dienſtbaren Geifte um, den
er hätte wegen des Trinkgeldes vertröften können.
Er konnte zu feinem derfelben hingelangen, ohne ven
General, oder Victor, over den Prediger, in deren
Mitte er fi) fortwährend befand, über den Haufen
zu werfen. Erſt als er mit Jean Jaques Hülfe in
ven Wagen kletterte, begannen feine Verheißungen,
deren Wirkung er freilich nicht wahrnehmen konnte,
da er zu fehr mit der immern Einrichtung der Equi—
page beihäftigt war. Es ftiegen in ihm abermals
Zweifel und Bedenken auf, ob es nicht fehicklicher ſei,
wenn er fi als eine fo unbedeutende Perſon rüd-
wärts fee; zugleich überlegte er jedoch, daß er ja
mutterjeelallein kutſchire, und wie es da lächerlidy fe,
verkehrt duch die Welt zu fahren. Der genojjene
Champagner that das Seine und beftärkte ihn in
diefer Anficht, daher er mit großem Muthe im Yond
Platz nahm; er empfahl fich höflich dem Jean Jaques,
nidte ununterbrochen nach dem Schloſſe hinüber, wo
jeine Gaftfreunde durch die Glasthüre auf ven Bal-
fon getreten waren, und genoß jest erſt Muſe, über
den heutigen märchenhaften Nachmittag Betrachtungen
anzuftelen. In einem fo prächtigen Wageu hatte er
404
fein Leben lang nicht gefeflen. Wie dus im Innent
Alles jo ſchön und bequem eingeridhtet'war, jo weich
und elaftih. Es ſaß fi königlich im diefer Equi-
page, gegen weldye vie zwei Niederroßlaer Gevatter-
futfchen und der Einfpänner des Doctor Eifenbeiß.
ſchlechterdings nicht in Vergleich zu bringen waren.
„Die Menfchheit,“ ſprach er für fih, „hat es doch
außerordentlich weit gebracht in der Eleganz und Be—
quemlichkeit.“
Um den vornaufſitzenden Kutſcher nicht als ein
Menſch zu erſcheinen, der durch plötzlichen Glücks—
wechſel ſtolz und ſtumm geworden, ergriff er die Ge—
legenheit, ſich nach dem ungefähren Preiſe der Caroſſe
zu erkundigen.
„Sp ein Wagen mag Geld koſten,“ ſprach er.
„Dieſer bier,” erwiederte Niklas, fo hieß der Kut—
ſcher, „geht an; aber die neue Chaiſe, die in der
Remiſe ſteht; ich weiß nicht, ob Sie dieſelbe
kennen —“
Gamaliel geſtand ſeine Unkenntniß.
„Dieſe iſt unter Brüdern ihre Achthundert werth.“
„Um Himmelswillen,“ rief Gamaliel, „dafür be—
kommt man ein ganzes Haus in Niederroßla.“
„Mag wol ſein,“ verſetzte der Wagenlenker; „die
Sattlerarbeit beträgt allein über anderthalbhundert,
das Geſtelle ıft direct von London.”
„Allerdings“ geſtand der Secretär, „der Trand-
port über's Meer, per ift foftfpielig, aber achthun—
dert —“
„Sleihwohl ift mir der Grüne lieber,‘ meinte
Niklas, „Das Feder- und Räderwerk ift leicht und
flinf; finden Sie das nicht?“
„Es fährt ſich wie im Himmel,” verſetzte Gama—
liel, mit Niklas Meinung vollfommen einverftanden ;
402
„man begeift gar nicht, wie man fo leicht und an-
genehn vorwärts kommt.“
Niklas, der fih in dem Lobe feines Fuhrwerks
jelbft gejchmeichelt fühlte, ließ die zwei Braunen noch
herzhafter auftreten, fo daß die Frühlingsabendland-
Ihaft zu beiden Geiten wie im Fluge vorüberzog.
Er hoffte, daß fein Paflagier hierdurch Gelegenheit
nehmen werde, feine Aufmerkſamkeit auch dem ſchmuck—
gehaltenen, vortrefflihen Roßgeſpann, Niklas Stolz,
zufommen zu laffen. Der Secretair verſtand aber jo
viel wie gar nichts von Pferden und Pferdezucht;
auch ermangelte ihm dafür aller Sinn. Eine alte
Krafe, fo fie nur mit vier Beinen begabt war und
an einigermaßen vorwärts konnte, galt ihm eben jo
viel, wie ein arabifh Vollblut. Seine Anfprüde an
ein Pferd waren wirflid außerordentlich bejcheiden.
Es fiel ihm daher im Geringſten nicht ein, über die
ftolzauftretenden Roſſe des Generald Morand ein
Wort zu verlieren. Seine Seele war wieder bei ſei—
nen edeln Wirthen in Friedrichshof, und nebenbei
jhwelgte fie in dem goldnen Frühlingsabende zur
Rechten und Linken.
Niklas, dem es als etwas Undenkbares erſchien,
daß einem Gaſte ſeiner Herrſchaft der Namen der
zwei vorantrabenden Braunen unbekannt ſein ſollte,
und der gar zu gern ſeine Lieblinge in das Bereich
des Discours gezogen hätte, begann nach einiger Zeit,
da ſein Paſſagier keine Anſtalt traf, auf die Vorzüge
ſeiner Vierfüßler anzuſpielen.
„Für die Pallas und den Hector,“ ſprach er,
„ſind meinem, gnädigen Herrn vor ungefähr vierzehn
Tagen hundertundzwanzig Friedrichsd'or in Golde vom
Burgdorfer Baron geboten worden, aber er giebt fie
403
nicht; und Niemand verdenkt ihm pas; fo ein Paar
befommt er fobald nicht wieder.”
Der Secretair des Advocaten Eifenbeiß, fo eben
poetiih verzüdt in Anſchauung des rofigen Abenpge-
wölfes, fuhr bei Niklas Anrede aus feinem goldnen
Traume empor. Cr hielt, da furz vorher von Ca-
roffen des Generals die Rede war, die Pallas wie
den Hector gleichfalls für vergleihen Locomotiven,
und pflichtete, um dem braven Niklas nicht zu nabe
zu treten, jeinen Anfichten wegen des Nichtverfaufs .
bei, obſchon er nicht recht einfah, wozu der General
einer folhen Wagenburg benöthigt fei.
„Ste find faum fieben Jahre alt,“ fuhr der Aut-
ſcher fort.
„So? ſprach Gamaliel gutmüthig.
„Und gut dreffirt
„Das will ic glauben,” erwiederte der Paſſagier,
obſchon er wiederum nicht recht begriff, was am Wa-
gen zu breifiren jet.
„Laufen in die Millionen,” erzählte Niklas wohl-
gefällig weiter. N
„Eine vortrefflihe Eigenfchaft,“ belobte der Se-
eretair.
„Der Hector hat fogar einen Wolfsbiß.“
„Merkwürdig,“ erjtaunte der Secretair, „und wo
ift er dazu gefommen ?‘
„Do in Polen,‘ war die Antwort.
„Aha,“ ſprach Gamaliel, dem ein glüdlicher Ge—
danke Fam,” „ver Herr General bevienten fich ferner
in der ruffiihen Campagne.“
‚Mein, lachte Niklas, „da war wohl an den bra-
ven Hector noch nicht zu denken.‘
Gamaliel begriff jett in der That nicht, wie es
gefommen, daß der Wagen des Generald Morand von
404
einem Wolfe angebiſſen worden ji. Er ließ indeß
bie Sache auf ſich berufen, und frug, ob der Biß
den Wagen ſtark beſchädigt habe?
„Den Wagen ganz und gar nicht!“
„Ni cht 1.
‚Hector lief damals gewiß frank und frei umher,“
ſprach Niflas.
Dem Secretair ging enblih ein Licht auf, wen
wohl der Schwager unter Hector und Pallas verftan-
. ven habe. Er jchämte fi, fo widerſinnige Fragen
gethan zu haben, und glaubte fein Verſehen nur da—
burd) wieder gut machen zu können, wenn er bie Zus
genven der vierfüßigen griedifchen Göttin und des
vierfüßigen trejanifchen Helden aus Leibesfräften her-
ausſtrich. Niklas fühlte fih dadurch fehr angenehm
berührt, und begann eine erſchöpfende bippologifche
Abhandlung, welder Gamaliel anfangs zwar mit
großer Aufmerfſamkeit zubörte, die ihn endlich aber
doch zu umfangreid, erſchien. Namentlich ward feine
Aufmerfjanfeit durch einen Gegenftand abgelenft, ver
allerdings geeignet war, ben andächtigſten Zuhörer
über Pferbeweisheit abtrünnig zu machen. Als näm—
ih der Wagen langſam einer Anhöhe emporfuhr,
traten plößlid zwei mit ftäptifcher Aumuth gefleivete
Frauenzimmer aus einem hellgrünen Birkenwäldchen,
und famen des Weges daher. Gamaliel machte fo-
gleich die äußerſt richtige Bemerkung , daß bie beiden
Wanderinnen nod) dem jugendlichen Alter angehören
müßten, denn Die zwei Damen waren Niemand an-
ders als Klotilde Morand und des Pfarrers Tüchter-
lein Hermine, welche fo eben von einem länblichen
Spaztergange nad dem Schlofje heimfehrten.
Als Klotilde das väterlihe Geſchirr und den Ni—
klas auf dem Bode erfannte, blieb fie ftehen und vie
4095
Hand gegen die eben untergehende Sonne haltend,
bemühte fie fi, des im Wagen Sitzenden anfichtig
zu werden, un der Hoffnung, einen aud ihr befann-
ten Freund ihres Vaters zu erbliden.
Das Mäpchen, um ihre reizende Erfcheinung in
bie Ichönfte Beleuchtung zu ftellen, konnte gar keinen
glüdlidyeren Moment treffen, als den, wo Gamaliel
an ihr vorüberfuhr. Bon ven Strahlen der Abenb-
fonne zauberhaft umklungen, ftand fie in roſenrother
Berklärung wie der Engel einer ſchönern Welt. ‘Der
Secretair des Doctor Eifenbeiß hatte nur einen Blid
auf die himmlifhe Erfheinung am Wege gethan, und
feine Ruhe war mit einem Schlage dahin. Cr
empfand plötlich einen ſolchen urfräftigen Stih im
Herzen, daß er faft bewußtlos in den Fond zurüdfanf
und darüber das Grüßen vergaß, worin ihn doch
Niklas mit gutem Beiſpiele voranging.
Der Wagenlenfer war durch das plößliche Er—
feinen der jungen Gräfin felbit überrafcht, daß er
jein Pfervefapitel mit den Worten ſchloß: „Ja, es tft
was ſchönes um ein tavellofes Pferd ; ich fünnte mein
« Leben dafür lafien, aber fo ein ſchmuck Mädchen hat
aud) feine Meriten.”
„Um Gotteswillen,” ſtammelte der von Schüß
Amor rechtskräftig erlegte Gamaliel, jo er wieder
zur Befinnung fam, „wer war denn das himmliſch reis
zende Weſen?!“
„Ei, kennen Sie unfer ſchönes gnädiges Fräulein
nicht,“ ſchmunzelte der Gefragte; „und ftehen jo gut
uit dem gnädigen Bern; nicht wahr, das it ein
Mädel, Bombenelement! und nicht ein Fünfchen Stolz;
wir beide ftehen auf beftem Fuße; jie fpricht nie an=
ders zu mir, ald „mein guter Niklas.“
est ward dem Paſſagier fein Kutfcher ordentlich
206
zu einem Stüd heiliger Perfon, da er in der Nähe
eines foldhen Engels wohnte, und überdies mit dem—
felben, feiner Ausfage nah, auf gutem Fuße ftand.
„Ja, wer die einmal befommt,” fuhr Niklas red⸗
felig fort, „ver kann lachen, ver braucht feine Hand
mehr anzurühren auf dieſer Welt. Man fchätt ven
Alten auf feine dreimalhundert Taufend; zwei Kinder
find nur da; der gnäd’ge Herr Graf, Gott verleihe
ihm ein langes Leben, es iſt der befte Herr unter
der Sonne; aber lange wird er's auch nicht treiben ;
die Sampagnen haben ihn den Knar gegeben, dann
ft Tildchen die reichite Erbin.
Niklas büßte ob dieſer legten Mittheilungen, weil
fie den gräflichen Engel blos als reiche Parthie fehil-
derte, und dem Gecretatr zu egoiftifch- vorfam, von
feinem Heiligenfchimmer etwas ein.
Gamaliel befand fich Übrigens in höchſt verzwei-
felter Lage. Er hätte ſich mögen den Kopf einftoßen
vor Wuth, wenn nit das Innere der Kutſche mit
weichem Polſter ausgefchlagen geweſen wäre. Er über-
dachte nämlich jetzt jeine herfulifche Grobheit, ven
himmliſchen Seraph, ver fo nah’ am Wege geſtanden
und überdies, wie er ja gejehen, in ven Wagen hin-
eingeſchaut hatte, nicht gegrüßt zu "haben.
„Ein ſolch' grobes, ungefchliffenes Betragen,“ wet-
terte er, „ist ſicher noch nicht wagewefen, jo lange die
Welt ſteht. Was foll die ghäd' ge Gräfin von mir
denken? Allerdings kann ſie in Betracht ziehen, daß
ich ſie nicht gekannt habe; aber als Grobian, als
Menſch ohne alle Bildung erſchein' ich ihr immerhin.
Ein vernünftiger Mann grüßt jede Dante, mit der er
in jo nahe Berührung kommt, auch wenn er nicht
gerade das Glück ihrer nähern Bekanntſchaft genießt.
Der Teufel muß in dem verhängnigvollen Augenblide
407
in mich gefahren fein, daß ih den Dedel nicht vom
Kopfe bringen konnte. Ich bin der höflichite Menſch
in ganz Nieverroßla, der jede Creatur grüßt, die von
einem Weibe geboren ift, und werde gleichwohl zum
radicalen Grobian, ald mir das erftemal in meinem
Leben ein Engel in den Weg tritt.“
Dem Secretair war lange nichts fo außerm Spaße
gewefen, als die Bernadhläffigung, die er ſich gegen
bie Tochter feines Gaftfreundes hatte zu Schulven
kommen laflen.
Die gefhäftige Phantafie malte ihm fehr bereit-
willig und ausführlih, wie Klotilde bei ihrer Heim-
funft über feine Grobheit ausführlichen Bericht ab-
ftatten und in weldem höchſt ungünjtigen und undank-
baren Lichte er feinen edeln Gaſtgebern erjcheinen müſſe.
Er wurde endlich) ganz wild ob ber wiaufgefor-
derten Phantafien, legte fi) in den Fond zurüd und
mochte von der Welt nichts mehr willen. Der ftille
Trühlingsabenn, der warm und duftend herabſank,
der himmliſche Abenpftern, der bereits ſchwach über
den Abendbergen zu Ihimmern begann, war ihm nichts.
Er wollte weder etwas hören noch fehen, während
das Gift von Amors ſcharfem Pfeile in feinem Her—
zen immer tiefer fraß.
Wie übrigend das weiſe Geſchick, fo über dem
Leben und Treiben des Menſchen maltet, es immer
fo einzurichten pflegt, daß jedes Malheur in der Re—
gel auch ein Glück im Gefolge hat, fo bewahrte das
bumpfe inpolente Hinbrüten, mit welchem ber ver-
liebte Secretair in der einen Wagenecke lag, ihn vor
einem andern Uebel, welches er außerdem nicht min-
der ſchmerzlich als feine Unböflichkeit gegen vie junge
Gräfin empfunven haben würde.
Die. Straße, auf welcher das muthige Geſpann da-
I08
hin braufte, hatte nämlich zumeilen Dorfichaften mit
lachenden Wirthshausfchildern zu paffiren. Gamaliel
würde ed nun in jeder andern Stimmung für uner
läßlich erachtet haben, bei einem viefer Schilde Halt
zu machen und dem Kutſcher einen erquidenden Labe—
trunk reihen zu laſſen; denn er war von Natur au«
ßerordentlich ſpendabel. In melde Pönitenz würde
er aber bei dem Gedanken an feine kupferne Baar:
Ihaft verſetzt worden fein! Er hätte wahre Todesangft
ausgeftanden. Diesmal entging er verfelben, da fein
‚Inneres ob feiner Grobheit noch zu empört und fein
Sinn davon erfüllt war. Die lodenden Schilder flo-
gen daher, ohne ihren Zwed zu erreichen, an feinem
Geſichte vorüber. Gleichwohl ſollte er hinſichtlich ſei—
ner fünf Kupferlinge noch eine kurze, aber harte Prü—
fung zu beſtehen haben.
Das Fuhrwerk mochte ungefähr noch ein Stünd-
hen von Niederroßla entfernt fein, es war unterdeß
dunkler geworden, am tiefblauen Himmel leuchteten
wunderſchön die Sterne der Frühlingsnacht; doch ver
Gecretair, nody immer voller Groll und Liebe, adıtete
ihrer nicht; dafür begann ihn ein Stern zu intereffi-
ren, der in geringer Entfernung vor ihm an ber
Straße plöglid aufging und einen ziemlih trüben
Schein umbherwarf. Der Secretair machte alsbald die
besperate Entdedung, daß ed die Yampe des Chauf-
jeehaufes ſei und ein Weiterfahren durch den officiel-
len Balfen, der ſich quer über die Straße gelegt,
unmöglid gemacht werde, fofern man nicht britthalb
Silbergroſchen Weggeld erlege. Das hatte nod) ge-
fehlt, um das Maaß von Gamaliel's Mißgeſchick voll
zu machen. Wieder fuhr die Hand des Paſſagiers
convulfivifch in die rechte Hoſentaſche und controlirte
die Kupferlinge. Die unfruchtbaren Kreuzer hatten
409
aber nicht gehedt, e8 waren wicht mehr und nicht we—
niger als in Friedrichshof, nämlich fünf Stück.
Gamaliel begriff viesmal wirklich nicht, welch' ein
Ende dieſer neue Unfall, an den ex nicht im Entfern-
tejten gedacht, nehmen werde. Eine Menge Pläne
burchzucten bligartig fein fibrivendes Gehen, einer
abenteuerliher al8 der andre Erſt wollte er fi
ſchlafend jtellen wie ein Todter, unaufmedbar, troß
alles Rufens von Seiten Niklas und Des Gelverein-
nehmers, in der Hoffnung, der Schwager werde enb-
lich ſo viel Conduite befommen, die Summe, welche
feine eigenen pecuniären Kräfte überftieg, zu verlegen.
„aber, überlegte er auf der andern Seite, „wenn
Niklas in der Hoffnung eines ſplendiden Trinkgelds
ſelbſt nichts zu jich geftect hat, fo wird man alle num
denkbaren Belebungsverjuche mit mir vornehmen, man
wird fein Mittel unverfuht laffen, mi in's wache
qualvole Daſein zurüd zu rufen; und nach meiner
gezwungenen Auferjtehung werde ih um fo blamirter
daftehen, infolvent, als Bankeroteur.“
„Beſſer wäre e8, fuhr er nach einer Pauſe fort,
während die verwünſchte Chauffeefternichnuppe immer
näher fam, „ich entdedte mich dem Niklas und pumpte
ihn an. Der gerade Weg bleibt immer der bejte und
das kann einem Prälaten paffiren, daß er einmal
ohne Geld fährt.‘
Kaum hatte er diefen Gedanken gefaßt, als ſchon
wieder eine neue Idee geflogen fan.
„Das Gerathenfte unter obwaltenden Umftänven
wäre,” rieth dieſe, „du ftiegft vor dem Chauffeehaufe
aus und liefſt das Stündlein zu Fuße nad ber
Stadt, während zugleich Niklas und ben Roſſen ein
tüchtig Stüd Weg eripart würde.
Diefe neue Motion, die fein erfinderiſch Genie
a‘
4140
$
aufftellte, ehren ihm aller Weberlegung werth; bevor
ex fie jedoch in alle ihre Theile zerlegt und einen je-
den berfelben mit Weisheit erwogen, waren Pallas
und Hector bereit8 beim Chauffeehausfirins und dem
Wegbalken angelangt, welcher letztere ſich fofort auf
Niklas ausprüdliches Peitſchengeknall in die Höhe zu
leiern, begann.
Jetzt blieb dem zu Tode erſchrockenen Secretair, der
ſich dem Zollhauſe noch gar nicht ſo nahe geglaubt
batte, nichts übrig, als zu dem erften Mittel feine
Zuflucht zu nehmen und in einen bärenmäßigen Schlaf
zu fallen. Um ven Niflas über feinen Zuſtand außer
allen Zweifel zu ſetzen, begann er ſogar höchſt ver-
nehmlic zu ſchnarchen. Dazu hatte er die Augen
feft zugebrüdt und mochte ſchlechterdings von nichts
mehr wiffen. Das Schnarren und Krächzen des He—
bebaums ging dem Schläfer duch Mark und Bein.
Nach feiner Berechnung mußte jett der Martergalgen
die Eulminationshöhe erreicht haben, die Paffage frei
und der entſcheidende Moment, nämlich der des Zah—
lens, gefommen fen. Gamaliel rührte ſich nit un
Ihnarchte aus Leibeskräften. Dabei war fein Ohr
wachſam wie ein Eifenbahnwärter. Er vernahm jekt,
wie Niklas, dem der Hebebaum nicht jchnell genug
ſich erhob, zu fluchen begann.
„Das währt allemal eine Ewigkeit,“ raiſonnirte der
gräflihe Wagenlenfer, „eh' Ihr den verfluchten Balfen
in die Höhe bringt; wie lange ſoll ich warten ?
„Daß Gott,” erfeufzte der Secretair, „nun wird
Niklas grob; der bevenft nicht, daß fein Paflagier
zahlungsunfähig ift; alfo fortgeſchnarcht.“
„Guten Abend,“ tönte jett die Stimme des Gel-
bereinnehmer8 aus dem Fenſter herüber.
Niklas zog an und das Fuhrwerk braufte dahin.
144
Der Secretair wußte nicht, wie ihm geſchah, als die
Sache fo in Frieden und beifpiellos wohlfeil ablief.
Erft nachdem er bereits eine anſehnliche Strede vie
Einnahme hinter fi) hatte, wälzte ſich die Felſenlaſt
von feiner Bruſt, fein Schnarchen ward leifer und er
begann aus feinem Todtenſchlafe zu erwadhen.
Wenn Gamaliel von dem Fixum, welches ber
General Morand mit der fürſtlichen Chauffeeeinnahme
hinſichtlich des Weggeldes abgefchloffen, gewußt hätte,
jo würde er fich feine Angft und fein forcirtes Schnar-
hen allerdings haben erſparen können. Niklas, nadı=
dem er bemerkte, daß fein Paflagier aus feinem Rie⸗
ſenſchlafe wieder erwacht, fette ihn felbft darüber in
Klarheit.
Es ſchlug auf der Frauenkirche von Niederroßla
gerade halb Neun, als Hector und Pallas, welche
den Weg von Friedrichshof nach der Stadt in un-
glaublich kurzer Zeit zurückgelegt hatten, durch's Stabt-
thor trabten..
Siedentes Kapitel.
Die Schickſalſchläge müfjen hart fommen, bevor ver
Menſch alle Hoffnung verliert, fo ſaß auch das Ka—
bul'ſche Erbpublikum pünktlich acht Tage nad der
Teftamentseröffnung wieder auf jeinem Plate im
Stadtgeriht und hoffte auf das Codicill. Allerdings
waren die Erwartungen diesmal gemäßigter. Denn
hatte fi) das Teftament fehon als taube Nuß erwiefen,
was war vom Codicill zu hoffen? Ein Erbe klammert
ſich indeß wie der Ertrinfende an einen Strohhalm.
442
Hanno's Uebermuth hatte ſich vollfommen gelegt,
fein Credit war durch die gerichtliche Publication wor
acht Tagen, trog feiner Vetterfchaft zur Wittwe Drol-
linger, außerordentlich erjchüttert worden. Geine
Truppe befand fih in gährenver Bewegung ; fein pol-
ternder Alter war mit der zärtlihen Mutter bereits
bei Nacht und Nebel auf und davon gegangen. Der
Helvenfpieler dachte alfo bei‘ der heutigen Sejfion an
feine mimiſch⸗plaſtiſchen Abfchweifungen, um den Stabt-
rihter zu choquiren, fondern ſaß befcheiden, wie an—
dre vernünftige Menjchen, auf feinem Stuhle in
banger, zweifelvoller Erwartung der Dinge, die das
Codicill mit fi bringen würde, Ihm blieb, für den
Tall der kabuliftifche Teſtator in feiner ebenjo wun-
derlichen als unfruchtbaren Methode zu legiven fort-
fuhr, gleichfalls nichts. übrig, al8 den Fußtapfen ſei—
ned polternden Alten zu folgen und das funftver-
wahrlojte Niederroßla bei nächtliher Weile zu verlafjen.
Frau Urfula, deren Köpfchen ſich fonft nad allen
Himmelsgegenden bewegte, jaß gleichfalls, obſchon jie
in einem funfelnagelneuen Häubchen prangte, ziemlich)
gejet auf ihrem Stuhl. Nur von Zeit zu Zeit
warf fie einen Blick nah dem Acceſſiſten, währen
Gamaliel diesmal weniger von ihr berüdfichtigt ward.
Auch ihre Erbhoifnung jtand nur wenige Grave über
dem Gefrierpunfte; fie war daher ihren drei Freiern,
dem Sprisen- und Schlaucdhfabrifanten, dem ottes-
faftenvorfteher, fo wie dem Papiernüllee die vergan—
gene Woche weit liebenswürdiger vorgefommen als
gewöhnlid. Auerhahn hatte ob feiner kabuliſtiſch—
teftamentlihen Prophezeihung einen bedeutenden Sieg
davon getragen.
Betterlein hoffte, daß der liebe Gott, deſſen wun=
derbare Führungen er namentlich auf jeinen Reifen
113
kennen gelernt hatte, einen armen Schulmann im Co—
dicille gewiß nicht vergeſſen werbe.
Der Factor ſchnupfte nachvenklid und Gamaliel,
der von dem neugierigen Eiſenbeiß abermals in bie
teftamentlihe Seffion getrieben worden war, ſaß, in
fügen Träumen, in welchen Klotilden's bimmlifche Ge⸗
ftalt aufs und nieverfchwebte, verſunken, wieder unmit-
telbar vor Lagemann.
Legterer war unter allen Erbſchaftlern mit ber
größten Hoffnung ausgeftattet. Er gab fih ganz
dem wohlthuenden Gedanken hin, daß der kabuliftifche
Zeitator im Codicille einfehen würde, wie wenig ihm
(Lagemann) mit ven ftechenden im Teſtamente ver-
machten Inſtrumenten gedient fei. Ueberhaupt glaubte
der Hotelier vor den anweſenden Erben viel voraus
zu haben, da ihrer ja mit feinem Worte im Xefta-
ment Erwähnung gefchehen, während er namentlich
aufgeführt und in Betracht ver übrigen Legatare am
Brillanteften weggefommen ſei.
Das Intereſſe der Nieverroßlaer hatte hinfichtlich
der afiatiichen Erbſchaft feit acht Jagen beveutend
abgenommen. Der Hofmaler galt für einen Narren
und Winpbeutel, wofür er ſchon früher in Niever-
roßla befannt war, und Henoch's geographijche Mit⸗
theilungen janfen von Zag zu Tag im Werthe. Mit
den Erben warb weit geringeres Aufbeben gemacht,
ihre Freundſchaft weniger geſucht und die Beſuche bei
ber Wittwe Drollinger erlitten eine fichtbare Abnahme.
Kur Eifenbeig meinte kopfſchüttelnd, mit dieſem Te—
jtamente ſei das Lied unmöglich zu Ende.
Felicitas fchien fo ziemlich Alles vorausgejehen zu
haben und ertrug daher die unfruchtbaren Ergebnifje
der Teftamentseröffnung mit faft heiterm Muthe, wel-
Stolle, fämmtl, Schriften. XVII. 5.
411%
hen Gamaliel, dem fo viele Hoffnungen in den Brun-
nen gefallen waren, nicht begreifen fonnte.
Wieder rief der Gerichtöpiener durch die halbge-
öffnete Thür: „per Herr Stadtrichter!“ Wieder fehritt
Jacoby ernft grüßend nad) dem Seſſionstiſch, wieder
entftand die lautlofe Stille, wieder erhob fih auf
des Stadtrichters Wink Kiefewetter und begann zu
leſen wie folgt:
. „Da mir, dem Haſſan-ben-Mullah, ehedem Bal-
thaſar Drollinger genannt, in Betreff meiner Hinter-
laſſenſchaft wirklich dich den Sinn gefahren, daß
mir außer den Gegenftänden, wo über ich in meinem |
Teftamente bereits verfügt, durch die Güte der Vor—⸗
fehung noch anderweitig Glücksproſamen verleihen
worden, fo verorbne ich — die Gefpanntheit des Erb⸗
publifums erreichte hier einen auferorbentlichen Grab
—. wie folgt:
„Erſtens ſollen vom laufenden Jahre an am je
desmaligen Weihnachtsheiligenabend zehn Arme der
Stadt Niederroßla ein jeder eine gute Pelzmütze mit
Ohrenklappen, desgleichen ein paar Fuchsklauen ſo
wie eine Klafter fünfviertelelliges Floßholz, wie jol-
ches auf der Loſſa geflößt wird, erhalten. Die Ber-
theilung geſchieht durch bie Armenbehörne. Wenn ein
Armer das Beneficium drei Jahre hindurch genoffen,
fo muß er auf das. vierte zum Beſten eines andern
Bedürftigen verzichten und hat erft im fünften Jahre
wieder Anſpruch, jo er nämlih von der Behörde für
wärbig befunden wird. Die benöthigten Fonds —
tauſend holländiſche Dukaten — find von ber Nie-
Berroßlaer Armenverforgungscommiffion bei Siebecke
5 Comp. in Hamburg gegen Quittung zu erheben,
—æ anzulegen und von den Zinſen
die bekkeffende Spende zu beſtreiten. Sollte ſich ein
45
Ueberſchuß herausſtellen, jo ift folcher zur Verſchö—
nerung ber freundlichen Promenaden Niederroßla’s zu
verwenden.“
Bei den Worten „tauſend holländiſche Ducaten“
zuckte es gleich einem galvaniſchen Schlage durch die
lebende und mit verhaltenem Athem zuhörende Erb⸗
mafſſe. Lagemann war fo wenig Meiſter feiner lei⸗
denſchaftlichen Bewegungen, daß er dem unmittelbar
vor ihm ſitzenden Secretair des Doctor Eiſenbeiß
einen heftigen Stoß in die linke Seite verjettte. Der
vorleſende Kieſewetter ſelbſt gerieth bei der bedeutenden
Summe einigermaßen aus dem Concepte; die Brille
verſchob ſich auf ſeiner Naſe und er war genöthigt,
ſie erſt zurecht zu rücken, bevor er weiter leſen konnte.
„Zweitens (lautete es im Kabul'ſchen Codicille)
ſollen in den Wintermonaten von Michaelis bis Oſtern
zehn anderweitige Arme von Niederroßla allſonn⸗ und
fefttäglih eine kräftige und fchmadhafte Mittagsmahl⸗
zeit (beftehend aus Suppe, Braten, abwechjelnd mit
Tleifh und Gemüfe) erhalten. Die Auswahl unter
ben betreffenden Armen wird die Frau Baftorin, Te-
licitas Drollinger over deren Nachkommen — hier
fühlte Gamaliel wieder Lagemann’s Fauft im Rüden
— zu übernehmen die Güte haben. Sollte aber,
was mir fehr leid wäre, weder Madame Drollinger
noch irgend Jemand am Leben fen — hier richteten
fi) wohlwollend Aller Blide und namentlih die von
Frau Urſula auf den zeither wenig beachteten Cecre-
tair, auf deſſen Rüden Lagemann wie ein Trommel-
haſe arbeitete, daß ſich Gamaliel, der wie Hiob ge=
litten endlich Ihmerzhaft ummanbte und ven Magde⸗
burger bat, ſich doch in ſeiner Freude einigermaßen
zu moberiren — fo Bat die Niederroßlaer Armenver-
forgungsbehörbe die Auswahl unter ven ma, fo
146
wie die weitere Beſorgung zu übernehmen. Die Spei—
fung ſelbſt wird. vem Rathskellerpachter unter der Be⸗
dingung, für gutes und nicht zu theures Eſſen zu
ſorgen, überlaſſen.“
„Der ſelige Herr Vetter,“ raunte hier Lagemann
dem mit ãußerſter Spannung aufhorchenden Secretair
ärgerlich in's Ohr, „bleibt doch ein Schlingel; konnte
er ‚nicht der Stadt Magdeburg die Speiſung zumen-
den, allmo fein jel’ger Vater, mein Freund, tagtäglich)
einfehrte und die Pipen abfehnapfte. Der Kellerwirth
wird die Armencommiffion ſchön barbiren, die Sup-
pen will ich fehen und den Braten, daß Gott erbarm'!“
Der Actuarius fuhr fort:
„Die benöthigten Fonds — zweitaufend Stüd
holländiſche Ducaten — ſind von der Niedertoßlar—
Armenverſorgungsbehörde bei Siebecke und Comp. i
Hamburg gegen Quittung zu erheben, ſofort —*
thekariſch anzulegen und von den Zinſen vie betref⸗
fende Spende zu beſtreiten. Sollte ſich ein Ueberſchuß
herausſtellen, ſo ſoll er zur Verſchönerung der Ma—
rienhöhe, von wo man die ſchöne Ausſicht über das
Loſſathal genießt und won wo ih oft den Sonnenun=
tergang bewunbert habe, verwendet werben.“
Wie ſüß auch die bedeutenden Geldſummen, welche
Erblafjer bei Siebede und Comp. in Hamburg des
ponirt hatte, in den Ohren der Erben wiederflangen,
da fie auf fehr großen Reichthum des verjtorbenen
Hofmalers Hindeuteten, fo beflagte man doch, mit
Ausnahme Gamaliel's, allgemein, daß Erblaſſer auf
Koſten der rechtmäßigen Erben in Betreff des armen
Geſindels ſolche Verſchwendung getrieben. Nur die
Hoffnung, daß das Codicill ſein Glückshorn auf ſie
in einem verhältnißmäßig um fo höhern Grave aus—
ſchütten werde, ließ ihre Mißbilligung nur durch Mur—
447
/
ren laut werben. Der SHelvenfpieler, welchem ver
Kamm außerordentlich ſchwoll, begann ſich bereits wier
der zu ſtrecken. Unter tauſend Ducaten konnte ihn,
in Betracht der Vetterſchaft mit Felicitas, der ſel'ge
Hofmaler gar nicht gedacht haben. Das ſtand feſt.
Frau Urſula ertheilte im Innern ihren drei Freiern
den Abſchied und fühlte unerwartetes Herzklopfen für
den jungen ſchönen Secretair des Doctor Eifenbeif:
Betterlein lächelte verflärt. Der Factor überlegte im
Stillen, während er nachdenklich eine Prife nahm,
ob nicht irgendwo eine Druderei zu verkaufen, und
Lagemann meinte, nachdem das Bettelvolf fo über-
reich bedacht fei, verhoffe er, daß die Reihe endlich
an Leute fommen werde, die mehr Anfprucd hätten.
Nur Gamaliel fühlte fih durd den Gedanken, daß
jeine Mutter eine Wohlthäterin Bebürftiger geworden,
jo glücklich, daß er an ein größeres Glück vor ver
Hand nicht dachte.
„Drittens,“ fuhr Kiefewetter in der Codicillvor—
Iefung fort, „find funfzehnhundert Ducaten bei Sies
bede und Comp. in Hamburg zu dem Zwecke nieber-
gelegt, daß von dem Ertrage diefer Summe breißig
Thaler alljährlich als Prämien unter ſittſame und
fleißige Schüler der Stadtſchule von Niederroßla ver=
theilt werden. Der Reſt iſt auf ein Kleines Welt zu
verwenden, welches alljährlih am ZXrinitatisfefte der
Schuljugend auf der Schütenwiefe gegeben werben
fol, und hat die ehrfame Geiftlichkeit für Erhebung
und Anlegung der Summe, fo wie für Verwendung
ber Zinfen nad) obgedachter Willensmeinung gefälligit
zu verfügen.
„sn der Hoffnung, daß dieſe meine wohlwollen-
den Gefinnungen für Niederroßla's Hülfsbedürftige
jo wie für deſſen Schuljugend freundlich mögen an=
-
” B
118
erkannt werden und "daß der Himmel dieſen meinen
letztwilligen Verfügungen feinen Segen gebe, ift aud)
diefes in Gegenwart des ehrfamen Kadi Abdullah, fo
wie des nicht minder. ehrwürbigen Amini Mekhemed
abgefaßte Codicill hiermit geſchloſſen und durch meine
Namensunterſchrift bekräftigt.“
Mitt dieſen Worten faltete Kieſewetter das Papier,
woraus er vorgelefen, zuſammen, entwarf ein kurzes
Protocol, nad deſſen Mittheilung der Stabtrichter
die- Sibung aufhob und das Gerichtszimmer verließ.
Die Erbmaſſe ſah ſich ob dieſes ſo unerwarteten
und allerdings höchſt troſtloſen Schluſſes gegenſeitig
mit offenem Munde und ſtarren Blicken an. Es
währte eine geraume Zeit, eh’ man ſich in fo weit
erholte, um an ein Aufftehen und Nachhauſegehen zu
denfen. Man fchien fi) gar nicht darein finden zu
fönnen, daß die berühmte Erbſchaftsſache ſchon zu
Ende fei. Kiefewetter, der achſelzuckend hervorgetreten
war, verhehlte feineswegs, daß er eined ganz andern
Ausgangs ſich gewärtig gewejen wäre. Indeß pflege
ed mit ſolchen fremdländiſchen Tejtamenten in der Re—
gel jo zu gehen.
Eine wahrhaft troftlofe Figur fpielte der Schau—
fpieldivector. Seine ganze Geftalt fchien unter ver
Laſt des Mißgeſchicks zufammen zu bredien. Er mur-
melte erfterbend aus Don Carlos: „So herabgeftürzt
aus allen meinen Himmeln!” Dann erfundigte er fid)
bei dem Stadtgerichtsactuar, ob ſolch' ein gottvergeffe-
nes, ruchloſes Tejtament nicht umzuftürzen fer?
Kiefewetter zuckte wieder mit ven Achfeln und
meinte, daß Teftamenten, in welchen eine pia causa
bedacht, nicht gut beizufommen fei.
„Ich werde Alles aufbieten,” verſetzte Hanno in-
grimmig, „dieſes Codicill, welches alle Verwandtſchafts—
119
grade fo bimmeljchreiend mit Füßen tritt, zu ver⸗
nichten. Es kann und darf in unferm aufgeflärten,
gerechtigfeitsliebenden Lande feine Kraft haben. Was
fünmert ung die Zeugenfchaft des elenden Mekhemed
und wie der andere Ejel heißt; das find blinde Hei⸗
den, die den Teufel wifjen, was Rechtens. Nein, dies
Codicill kann nicht gelten; die in Hamburg beponirten
Summen müflen unter die rechtskräftigen Erben ver-
theilt werden. Ich laſſe nicht nah, und ſoll ich bis
zum Fürften geben,” hierauf rief ’er:
„Ih muß fie haben die Stabt Stralfund |
„Und wär’ fie mit Ketten am Himmel geſchloſſen!“
Während ver Helvenfpieler auf dieſe Art radotirte
‘ und mit Öewaltftreihen jchwanger ging, hatte Frau
Urſula ihr Taſchentüchlein hervorgezogen und hielt es
zierlih vor die Augen. Sie wußte, daß eine junge
hübfhe Wittwe in Thränen dem Männerauge eine
abſonderlich interejfante Erjcheinung gewähre. Sogar
Kieſewetter, dieſer trodene Actenwurm, konnte ſolchen
Anblick nicht ertragen und begann zu tröſten.
„Iſt denn wirklich keine Hoffnung, Herr Actuar?“
frug Urſula leiſe, dringend und mit thränendem Auge;
„o entziehen Sie einer unglücklichen, in Thränen ge—
badeten Wittwe Ihren hülfreichen Rath und Beiſtand
nicht.“
Kieſewetter, der ſich wie ein Zappelmann vorkam,
zog von Neuem die Achſeln in die Höhe.
Urſula hatte den Heldenſpieler vom Teſtamentum⸗
werfen ſprechen hören. Sie hielt dieſes Mittel für
zweckmäßig und weiſe und klopfte deshalb bei Kieſe—
wetter an.
„Da iſt wenig Hoffnung,“ entgegnete dieſer; „ja
wenn die Armenverſorgungsbehörde und die Geiftlich-
feit nicht dahinter ftäden, aber we dieſe beiven Be—
[
120
hörden im Spiele find, da ift Alles vergebens, bie
geben nichts heraus und wenn ſich alle Advocaten ber
Welt die Köpfe einrennten.”
Das vorgelejene Codicill hatte auf das Erbpubli-
fum einen nod weit ungünftigern Eindruck hervorge⸗
bracht, als felbft das Teſtament. Dort war doch
nur die Rede von geringfügigen Gegenftänven, vie
in Betracht ber Frachtſpeſen vollends allen Werth
verloren; im Codicill hingegen kamen holländiſche
Ducaten zur Sprache, die im unfernen Hamburg zu
erheben und deren Anmut und Liebenswürbigfeit man
aud in Niederrofla zu fchägen wußte. PViertaufenv-
fünfhundert holländische Ducaten hatte der Hofmaler
deponirt, welche, wenn fie unter bie ſechs hoffenven
Erben, Lagemann inbegriffen, verhältnigmäßig wären
vertheilt worden, einen eben doch einigermaßen zus.
frievdengeftellt haben würben; jo aber fam bie ganze
bedeutende Summe einzig und allein den Armen und
der Schuljugend zu Gute, ohne daß die geſammte Erb—
ihaar einen Asper erhielt.
„Wenn id) wenigſtens die Abfütterung des Bet—
telvolkes erhalten hätte,“ ſprach Lagemann voller In=
grimm, „wollt' id) nichts fagen, e8 wäre Wenig,
aber Etwas; ver Hofmaler ift in meinen Augen en
Schuft.“
Gamaliel, der des Magdeburgers Ingrimm ver—
nahm, bat ihn, ſich zu moderiren, da er und ſeine
Frau Mutter, die doch ſo nahe verwandt wären, ja
auch nichts bekommen hätten.
Aber Lagemann, der von keinem Bedenken Etwas
wiſſen wollte, erwiederte mit Heftigkeit: „Ich nehme
mein Wort nicht zurück, der Hofmaler hat als Schuft
an mir gehandelt. Wenn ich an der Stelle Ihrer
Frau Mutter wäre, ließ ih mir die Suppen- und
ae
Bratengelver auszahlen und theilte fie mit dem hier
verfammelten Erbperſonale; es wäre dies zugleich
hriftich und rathfam, ein wahres Werl der Gerech⸗
tigkeit und Barmberzigfeit; dem Bettelwolfe taugt ein
guter Fraß fo nichts, es wird übermüthig, vie Poli-
zei kommt nicht mehr durch und die Revolution ift
fertig. Ich zahle aus diefem beherzigenswerthen Grunde
aud) fo wenig als möglid) Armenfteuer.“
Der Secretair fchauberte bei Lagemann's Bor:
Ihlage und führte ihm das Inmoralifche deſſelben wor
Augen; der Hotelier jchimpfte aber gottesläfterlih. Er
bebauerte nichts mehr, als daß der Erblafjer bereits
verblichen fei, fonft veifte er mit Inächfter Gelegenheit
nad) Kabul, rückte ihm vor's Duartier und jjchlüge
ihn mit jedem Hiebe einen Knochen entzwei. Es folle
biefem Himmelſakramenter nicht wieder in den Sinn
fommen, ehrliche Leute, Bürger und Hausbefiter an
der Nafe herumzuführen.
Während aber die Exrbfchaftler- mit höchſt zerichla=
‚genem Gemüthe aus der Seffion nad) Haufe zogen
und wo fie hinfamen, überall Berrübnig zur Schau
trugen, Härten fih die Phyfiognomien von zwei fehr
umfangreichen Claſſen der menſchlichen Gefellihaft in
Nieverroßla auf, nämlih die der Armen und ber
Schuljugend. Der Jubel Hang durch alle Gafjen und
Häufer. Jeder der zahlreichen Armen, Krüppel und
Lahme jahen ſich bereit8 zum nächſten Weihnachtshei—
ligenabende in der ſtattlichen Pelzmütze mit wohl⸗
thuenden Ohrenklappen, ſo wie in wintertrotzenden
Fuchsklauen einherſchreiten und im traulichen Stüb—
hen hinter dem warmen Ofen ſitzen, oder Sonn= und
Veiertags ihr gewürziged Süpplein und belicaten Bra—
ten fohmaufen, obſchon nur zwanzig‘ Auserwählten
dieſe unverhoffte Wohltbat zu Theil werben konnte.
4
022
Nichtsdeſtoweniger ſah die gefammte Armenjchaft vem
nächſten Winter mit frohem Muthe entgegen und feg-
nete den eveln Hofmaler Hafjan-ben-Mullah; zugleich
beſchloß ein jeder, der auf das Kabul'ſche Suppen⸗
und Bratenflipendium Anwartſchaft zu haben ver-
. meinte, der vielvermögenden Felicitas feine Aufwar-
{
tung zu maden, von deren Sanftmuth und Güte man
das DBefte erwartete. * .
Die gefammte Schuljugend freute fih auf das
nicht allzuferne ZTrinitatisfeft. und ließ zu ihres eignen
Quartus nicht geringer Betrübniß den Kabul'ſchen
Hofmaler hoch leben.
Die übrige Bürger und Einwohnerfchaft konnte
die. mildthätigen Gefinnungen des Balthafar Drollin-
ger nicht genug loben, obſchon man nicht recht einſah,
warm ber Kabulifte feine eigne in bürftigen Um—
ſtänden lebende Tante nicht mit einem Legate bedacht,
da er ihrer doch ausdrücklich im Kopitille erwähnt
hatte. Die übrigen Erbſchaftler fanden übrigens mit -
ihren Klagen wenig Anklang in der Stadt, da ihre
Erbanſprüche von geringem Belang jchienen.
Lagemann wie Hanno ſahen ſich daher genüthigt,
ihren Grimm gegenfeitig gegen einander auszulaffen.
Niemand mochte auf ihre Verwünfchungen hören und
Etwas darauf geben. Die Zwei riefen brennenden
Schwefelregen und Höllenbrand auf vie Seele des
verstorbenen Erblafjerd herab und wurden zugleich
über den ſchwarzen Plan einig, das Codicill umzu-
ſtürzen und der Armenverforgungsbehörde fo wie dem
Glerus die‘ holländifchen bei Siebede und Comp. nie-
dergelegten Ducaten, wie fie ſich ausbrüdten, aus ven
Klauen zu rüden.
Mit den Hotelier und dem Heldenſpieler ſympa—
thifirte vorzüglich der noch am Leben befinpliche Theil
183
der Kabul'ſchen Teſtamentserben; nämlich der Bäder
Dreitfopf, der fid) beim Brotbaden zuweilen noch
immer nicht in die gefetlihe Taxe finden Tonnte und
dem daher das Padet Spindenagel nebjt dem omind-
jen Honigtopfe von Haffan-ben-Mullah zugedacht war,
und der Armenpfleger Lange, der im Teſtamente für
des Spießens würdig erklärt worden mar.
Die- beiden. Teitamentsclaufeln, in welchen ver jo
eben genannten zwei Individuen gedacht war, hatten -
übrigens das Gute, daß man von Polizei wegen dem
Bäder ftrenger auf's Gewicht jah und dem harther⸗—
zigen Armenpfleger mehr Menſchlichkeit anempfahl.
Felicitas, melde nie große Hoffnung auf bie Ka—
bul’fche, Erbſchaft gefetst hatte und die nur ihres Ga⸗
maliel wegen es vielleicht gern gefehen hätte, wenn
ihr eine kleine Summe zugeflofjen "wäre, fühlte fich
durd dem ihr im Cobicill gewordenen Auftrag, ver
ihrem mildthätigen Serzen innigſt wohlthat, für die
untergegangene Erbhoffnung vollfommen entſchädigt.
Es gewährte ihr der Gedanke, daß in ihre Hand das
Wohl fo manches Hülfsbenürftigen gegeben fei, einen
befeligenvden Genuß. Die Gute bedachte indeß nicht,
welch' ein fjchiwierige und unbanfbares Geſchäft ihr
geworden und der verblichene Erblafjer hatte daran
wahrſcheinlich felbft am Wenigften gedacht. Bereits
am Nachmittag vefjelben Tages, nachdem das Kodicill
Bormittagd war ‚veröffentlicht worden, wimmelte es
in dem Stübchen der Wittwe voll zudringliden und
unverfhämten Bettelvolfes, welches ſämmtlich ein jäm-
merliches Klaggejchrei erhob, in ber Hoffnung, "von
Felicitas unter die zehn Suppenftipendiaten aufgenom-
men zu werben. Gamaliel, den man felbjt auf ver
Erpedition des Doctor Eiſenbeiß aufgeſucht hatte,
führte ein ganze® Rudel Hülfsbedürftiger hinter ſich -
12
her, um fie ſeiner Mutter zu empfehlen. Wie er-
Ihraf er aber, als er zu Haufe fchon Alles über
füllt fand.
Die Wittwe fuchte endlich Die ungebetenen Säfte
dadurch loszuwerden, daß fie die Namen Aller auf einen
Zettel fchrieb. Sie erklärte hierauf, daß fie fih nad
den nähern Umftänden eines eben erfundigen und
alsdann die Auswahl unter ben ' Berürftigften und
Würdigſten mit der möglichften Gewiflenhaftigfeit tref-
fen würde.
Die drei Freier der Frau Urfula hatten in den
nächſten Tagen nad Bekannwerdung bes Codicills
nicht wenig durch die Launen der jetzt hoffnungslo—
jen Erbin zu leiden; namentlid befam Henoch als
Mitglied ver ducatenfreffenben Armenbehörde einen
ſchweren Stand.
Auerhahn, welcher fo eben den tragifomifchen Aus-
gang der Kabul'ſchen Erbangelegenheit erfahren hatte,
war ftehenden Fußes zur Wittwe geeilt, um den Triumph.
feiner Divinationsgabe zu feiern. War doch von je
feine Rede gemejen, daß fi) Yrau Urſuka von wegen
biefer fremdländiſchen Erbſchaft vergebend alarmire.
Gleichwohl hatte e8 ihm außerordentlich gefallen, daß
der Hofmaler Armuth und Schuljugend jo großmüs
thig bedacht, und er ließ fi) darüber aus,
„Das ift gewiß,” ſprach er, „ein adıtbarer Kerl
bleibt der Balthafar Drollinger, ſolchen Edelmuth
hätt ich ihm nicht zugetraut. Daß für Sie nichts
abfiel, Frau Urfula, und für den Lagemann und für
den Comödianten, und wie fie alle heißen, bie dar—
nad) lungerten, das wußt' ih; aber daß der Hof
maler jo nobel für die Bebürftigen geforgt hat, das
hätt! ich mein. Seel’ nicht geglaubt und das freut
mid) doppelt.‘
123
Daß fih Auerhahn durch dergleichen Anfichten und
menjhenfreundliher Bemerkungen bei ber Wittwe
nicht eben infinuirte, wird man ohne Betheuerung
glauben; Urſula verhehlte auch feineswegs ihren In-
grimm und meinte leivenjhaftlih, wenn er fie nicht,
befjer zu unterhalten verjtehe, jo verzichte fie vecht
gern auf feine Beſuche und feine Unterhaltung.
Auerhahn bemerkte, daß er zu weit gegangen, gab
als kluger Feldherr nad) und meinte, es fei ihm au-
Gerordentlich Lieb, dag Urſula im Kabul'ſchen Teſta—
mente übergangen ; fie würde außerdem nur ſtolz und
berfärtig geworben jein.
„Gewiß nicht,“ verficherte die Wittwe in gemäßig-
terem Zone.
„Es iſt leichter, daß ein Kameel durch em Nabel-
öhr che, * citirte der Sprigenfabrifant, „als daß ein
Keicher in's Himmelveih komme. Reichthum hat nie
Gutes gebracht; ich bin für vie ſchmucke Wittwe ent
brannt und nicht für ihr Geld; id) würde fie heira-
then, wenn —“ hier that er zur Belräftigung einen
desperaten Schwur — „wenn ihre ſämmtliche Habe
in nichts als einem Hemde bejtünde, ja ſelbſt ohne
legtered würde ich feinen Augenblid Bedenken tragen,
ihr meine Hand zu bieten.“
Der Gottesfaftenvorjteher wandte ſich mit Abjcheu
ab ob folder unzüchtiger Redensarten und Fran Ur—
jula ſchlug verfhämt die Augen niever. Auerhahn,
dem die Wittwe in ihrer Verſchämtheit und Züchtig-
feit doppelt reizend erjchien, breitete die Arme aus
und marſchirte jehr zärtlich auf ven Gegenſtand feiner
Neigung zu. Urfula, die ihn ankommen Jah, flüd-
tete fofettivend hinter den gottesfürdhtigen Henoch,
den fie beſchwor, ihre Weiblichkeit vor der Zudring⸗
lichkeit Auerhahn's zu ſchützen. Henoch, von dem guten (
426
Zwede begeiftert, that's und trat mit moralifchen Apo-
ſtrophen dem Sprigen- und Schlauchfabrilanten ent-
gegen, wie weiland der Papft dem Barbarenkönig.
Auerhahn, der dur die Flucht der Wittwe nur
Hoch mehr für ihre Reize entflammt warb, ſchob ben
Sittenprediger mit den Worten: „Ad, hof Gie der
—“ unjanft auf die Seite und bemächtigte fich des
leicht zu erhaſchenden Gegenftandes, welcher zu fchreien
begann. Der Oottesfaftenmann fonnte folde babylo-
niſch⸗ſodoinitiſche Greuel, wie er ſich ausdrückte, un=
möglich länger mit anfehen; er hielt für das Beſte,
um Frau Urſula's unſchud vor den Angriffen Auer-
hahn's zu retten, in das Geſchrei der Wittwe tapfer
mit einzuftimmen. Er begann ein wahres Zetermor-
dio, jo daß ber unternehmende Liebhaber feine Beute,
nachdem er ihr einen Kuß auf die Wange gebrüdt,
fahren ließ und alles Ernftes ven Gotteskaſtler fragte,
ob es mit ihm vapple? -
Während ſich die Beiden noch über bie Grenz⸗
linien des Anſtandes herum disputirten und wie weit
ein gebildeter Mann gegen ein anftändiges. Frauen-
- zimmer gehen dürfe, wälzte fi der Papiermüller durch
bie. Thüre und jofort zu Frau Urfula,, bie ſchmollend
am Fenſter ſaß, und die er höchlich betomplimentirte
und begratulicte wegen ber Erbſchaft.
Als Grimbart bemerkte, wie ſich das Geſicht der
Wittwe immer finſtrer ob ſeiner Gratulation verzog,
denn Urſula vermeinte, der Papiermüller treibe ſeinen
Scherz mit ihr, ſo glaubte er, ſeine Beglückwünſchung
nicht klar und faßlich vorgetragen zu haben und be—
gann daher laut und volltönend: „O du geſegnete
Perle des Orients, kabuliſtiſcher Paradiesvogel, Zucker⸗
ftengel von Afghaniſtan und Generalerbin des groß-
mogul'ſchen Hof⸗, Leib- und Magenmalerd —“ wo-
3
127 7
durch es ihm endlich gelang, die Erzür! von ihrem
Plage am Fenfter vollends zu vertreiben.
Auerhahn padte den Gratulanten bei din Schul-
tern, jchüttelte ihn und ſprach: „Papiermüller, biſt
Du bei Sinnen, treibft Du Deinen Spott mit Frau
Urſula?“
Grimbart wandte ſich um und blickte verdutzt den
Spriten- und Schlauchfabrikanten in's Geſicht. „Iſt
fie denn nicht der Generalerbe?“ frug er.
Es ergab ſich jettl, dag ein Spaßvogel mit dem
leihtgläubigen Papiermüller fi einen Scherz gemacht,
und ihm gerade das Gegentheil von dem berichtet
hatte, was das Codicill befagte.
Die Wittwe, obſchon fie heut keineswegs Urſache
hatte, mit ihren Freiern zufrieden zu fein, war doch
politifch genug, ihren Unmuth nicht gar zu laut wer⸗
den zu laſſen. Sie glaubte ſich vielmehr größern
Nuten zu verfehaffen, wenn fie ihre Anbeter aus-
forfchte, was fie wohl zu einer Teſtamentsumſtoßung
meinten, und ging, was dieſes Kapitel anlangte, ziem-
lid) muverholen mit der Sprache heraus. Henoch, als
Mitglied der Armenverforgungsbehörbe, erſchrak außer-
gewöhnlich ob jolcher dem wohlthätigen Codicille feind-
lichen Geſinnungen; Auerhahn, welcher der Armuth
gleichfalls zugethan war, erklärte geradezu den Willen
des Hofmalers für unumftoßbar und verurtheilte im
Boraus Jedermänniglich, der es wagen würbe, bie
frevelnde Hand nad) ſolchem „geweihten” Gute aus-
zuftreden, zur Bezahlung ſämmtlicher Prozeßkoſten.
Grimbart, ebenfall® um feine Meinung befragt, ftellte
ben philofophiihen Sag auf, daß Reichthum nicht
glüdlih mache und Armengut abſonderlich feinen Se—
‚gen bringe
ar Diefe feierlichen erg Aufprüche wirk⸗
3. un
128
ten nicht eben rofenfarben auf die Laune der Wittwe,
welche fich jet, nachdem eine abermalige Hoffnung
(denn auf den unternehmenden Auerhahn hatte. Ur—
jula Stüde gebaut) in ven Brunnen gefallen war, '
weniger rückſichtsvoll äußerte Namentlich war fie
auf den Spritenfabrilanten aufgebracht, welcher ihr
hundertmal Schuß und Trutz zugeſchworen und eidig-
lid) gelobet, Jedem unwiverrufliih Hals und Nüd-
grat zu brechen, ver ihre Rechte ‘zu beeinträchtigen
fih nur entfernt in den Sinn kommen laffe Sie
fonnte jett niht umbin, den Bergeklichen auf fpitige
Weife auf feine Schwüre aufmerkſam zu machen. Auer:
hahn, ver aber in gewiffen Dingen feinen Spaß ver-
ftand und vermeinte, wie dem aud war, er jolle der
Wittwe mit Rath und That bei dem Umfturze des
Codicills, das er nicht allein für gerecht, fondern auch
für höchſt evelfinnig hielt, behäflich fein, vergaß feine
erotiſche Stellung zu Urſula gänzlih und ward grob.
Dies hatte noch gefehlt, um der von ihren Freier
jo wenig unterftügten Wittwe die Gegenwart ihrer
drei Anbeter vollends unerträglich zu machen. Sie
erflärte daher geradezu, daß fie einen Beſuch abzu=
ftatten habe und begab ſich in’3 Nebenzimmer, um
ein Umſchlagetuch umzuwerfen. Der Gotteskaftenmann
verstand fogleih den Winf und empfahl fih. Er be—
Dachte, daß auch feine Gegenwart in ter Geffion der
Armenverforgungsbehörde von Nöthen ſei, um über
die jo erfreuliche kabuliſtiſche Erbſchaftsangelegenheit
eines Weitern. zu berathen. Auerhahn brummte von
Weiberlaunen und fuchte gleichfall® nach ferner Mütze.
Nur der Papiermüller, der fo eben erſt recht gemäch—
Ich im gewohnten Lehnftuhl Pla genommen hatte,
fonnte nicht begreifen, was der urplögliche Aufbrud)
feiner beiden Nebenbuhler zu bedeuten habe. „Im
129
Grunde war ihm diefes Fortgehen nicht unangenehm.
Er konnte jet um jo ungeftörter Frau Urjula an-
jehen und verfelben durch Blide, mit Worten befaßte
er fih nit gerne, zu verftehen geben, wie hod) fie
bei ihm ſtehe. Er erjchraf daher nicht wenig, als
die Wittib veifemäßig mit Hut und Umſchlagetuch
aus der Seitenthür trat und ihm zu verftehen gab,
dag er Stuhl und Stube zu räumen habe.
Das war für Grimbarten viel verlangt. Er war
fo eben nach mander Befchwerlichkeit im Hafen ver
Xiebe eingelaufen und hatte im umfriedeten Lehnſtuhl
Anfer geworfen, und fellte, faun warm geworben,
bereit wieder aufbrehen. Der Papiermüller jtellte
daher an Frau Urfula die nit unbillige Propofition,
fie möge ihn fiten laſſen im Polſterſtuhle, bis zu
ihrer Heimkehr; er wolle fi) dafür verbindlich machen,
feinen Sig nit zu verlaffen; die Blide nicht wiß-
begierig umherſchweifen, ſondern einfältiglih auf feinen
gefalteten Händen ruhen zu laffen.
Urfula ſchien fehr ungehalten ob dieſer Petition
und begriff nicht, wie der Papiermüller ſolch un—
moralifches Berlangen ftellen Tünne.
Grimbart ſeinerſeits begriff wieder nicht, worin
die Immoralität zu juchen fei, wenn man jo un
ſchuldsvoll wie ein neugeboren Kind eine Zeit lang
ruhig in einem Polfterftuhle ſitze. Es kam hierüber
zu einem fleinen philofophifchen Disput, wo ſich's
denn leider jehr bald heraus ftellte, daß ver Papier-
müller der Dialektif feiner Gegnerin nicht gewachſen
war. Bon ven fchlagenben Gründen der moralifchen
Witte immer mehr in die Enge getrieben, hielt es
Grimbart endlich für vathfam, feinen bequemen Sig
lieber aufzugeben, als ſich Länger in unfruchtbaren
Theorien mit ber. dialectifivenden Frau zu eerhöpfen:
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII.
4
430
Er ſchob und förderte unter großer Anftrengung und
unter mandem Seufzer feinen eignen Leichnam in bie
Höhe und trat nicht eben mit der zufriedenften Miene
den Rüdzug an.
„Ein andermal,” gab ihm Urfula noch den guten
Rath auf den Weg, „laßt Euch nicht ſolch albernes
Zeug weiß machen, wie heut wegen ver Erbſchaft.“
Der Papiermüller, von Natur fehr gutmüthig,
bedankte fi) ob des guten Raths und bewegte ſich
dabei langfam aus dem Haufe, worauf ihm die Wittwe
nad einer Heinen Weile folgte.
Achtes Kapitel.
Der Frühling war in’8 Land gezogen, fein blühend
Gewand ruhte auf Berg und Thal. Im den Wald—
bergen jchlugen die Nachtigallen; Fliever und Afazien
flanden in reicher Blüthe und wie ein blaues Band
zog fid) die Loſſa durch die Landſchaft.
In dem Herrenhaufe zu Friedrichshof ftanden alle
Venjter offen und der Frühling hing reich und ſchwer
herein. Blumenduft umzog Schloß und Garten. Im
Parke, ver unmittelbar an den Garten ftieß, herrſchte
fröhliches Leben. Tinten, Grasmüden ſchmetterten
um die Wette. Bon den Wiefen tönte Glodenflang
ver Schaaf- und Rinderheerden und von den Bergen
erſcholl die Art des rüftigen Holzhauers.
Es war ein wunderſchöner Frühlingspormittag,
als Morand, feine Meerihaumpfeife pampfend, in dem
Hauptgange feines Parts, welcher einen fühlen und
431
angenehmen Schatten bot, langſam auf und ab wan-
delte, oft ftehen bleibend und mit feiner Tochter
Iprechend, die ein Buch in’ der Hand an feiner Seite
ging. Das Geſpräch des alten Krieger war nicht
jelten von heftigen Geftifulationen begleitet. Hatte
er eine Yeit lang geſprochen, dann beveutete er das
Mädchen, daß es weiter leſe; denn er pflegte häufig
den Commentar des vworgetragenen Autors abzugeben.
Hente war der Alte abfonderlih in Aufregung,
der alte Schlachtengott blittte gewaltig aus dem noch
feurigen, von dunkeln Augenbrauen überbujchten Auge.
Klotilde trug aus einer vor Kurzem erfchienenen
Gefchichte des großen Jahres Eintaufendachthundert-
vreizehn Die Kataſtrophe von Dresden vor, welcher
Morand an der Seite des Kaifers in Perſon bei-
gewohnt hatte. Zuweilen nidte er Beifall, wenn der
Berfafler treu und wahr erzählte, oft gerietb ex in
Teuer, wenn die Erinnerung an die helvenfühne Yeit
von Neuem vor feine Seele trat; doch finfter umzog
fih feine Stirn, ſobald der Erzähler fi) partetifch
zeigte oder gar den Mann des Jahrhunderts in
Schatten zu ftellen wagte.
Bater und Tochter waren jett zu einer veizend
gelegenen Laube gekommen, die am, Eingange bes
Parks gelegen und reich mit blauen und weißen %lie-
vertrauben umhangen war. Hier nahm der General
Platz, zündete fih von Neuem den Meerſchaumkopf
an, ber ihn im Eifer des Geſprächs ausgegangen war,
und erjuchte Klotilden, in ber Lectüre fortzufahren.
Da wurden Schritte im Gange vernehmbar und
Victor, welcher fo eben von Niederroßla zurüdfehrte,
trat in die Laube.
Der General, ver bei der Rückkehr des Sohnes
eine Zeit lang das Kriegsleben vergaß, „rfundigte
{
132
fih fogleih nah der Kabul'ſchen Erbſchaft, worauf
Victor Alles mittheilte, was er von dieſer feltfamen
Begebenheit, welche die Morand'ſche Yamilie aus:
nehmend bejchäftigte, erfahren hatte. Er erzählte exft
von dem Hauptteftamente und deſſen humoriftifchen Le—
gaten, welche dem General zwar ſchon durch Gamaliel
befannt waren, und alsdann von dem armen= und
ſchuljugendfreundlichen Codicille; und wie die Hoff-
nung aller berjenigen, welche ven meiften Anſpruch
auf die fremdländiſche Hinterlaſſenſchaft zu haben ge-
glaubt, gänzlich zu Waller geworden wäre.
„Wie,“ erkundigte fi der General verwundert,
„auch Felicitas und unſer wadrer Gamaliel find leer
ausgegangen ?“
„Es ſcheint unglaublich,“ erwiederte Victor, „na⸗
mentlich da der Wittwe Drollinger in dem Codicill
ausdrücklich gedacht' und ihr die Auswahl derjenigen
Armen übertragen ift, welche künftig gefpeift werben
follen, und gleihwohl ift es nicht andere. Man
wundert jid) auch in Niederroßla allgemein darüber und
die gute Felicitas wird von Vielen wahrhaft bedauert.
Weit mehr als die erbichaftlihen Verfügungen
ſelbſt ſchien dem General indeß die Perfon des Erb-
laſſers zu intereffiven. Er frug daher wieberholt, ob
Victor nicht erfahren, wie der Maler nad) Kabul
gekommen ſei, in welchen Berhältnifien er vajelbft
gelebt und ob er verheirathet gemwejen oder nicht.
„Darüber,“ gab Victor zur Antwort, „blieb mein
Nachforſchen völlig vergeblich.”
Aus dieſem und namentlih aus dem folgenden
Geſpräche des Vaters mit dem Sohne, warb fo ziem-
lich deutlih der Grund erfichtlih, warum fi bie
Familie Morand in folhem Grade für den Rabul’-
Ihen Zeftator intereſſirte. Bor einer längern Reihe
133
von Jahren hatte fi auf dem Schloffe von Morand's
Schwiegervater der romantiſche Fall ereignet, daß ein
junger deutſcher Künftler, der als Portraitmaler eines
bedeutenden Rufs genoß, zu dem Zwecke, die freiherr-
liche Familie zu portraitiren, eine längere Zeit auf
Wildenfels, jo hieß das Schloß, verlebte, fi mit
allem Teuer der Jugend und Schwärmerei des Künft-
ler8 in die reizende Olivia, die jüngere Schwefter
von Morand’8 nahmaliger Gattin, verliebte. Das.
Schickſal wollte es, daß die Leidenfchaft des jungen
Malers nicht unerwiedert blieb. Da zu einer Ver—
bindung bei dem Adelſtolze der Familie nicht Die
entferntefte Hoffnung vorhanden war, jo faßte das
lebende Paar, der allmächtigen Leidenſchaft erliegenp,
den- fühnen Entfhluß, zu fliehen. Gie festen ihr
Borhaben während einer flürmifchen Naht in's Werk
und erreichten unangefodhten und wohlbehalten Ham—
burg, wo ein Kauffahrteifahrer fo eben im Begriffe
ftand, nad) Oftindien unter Segel zu gehen. Bal-
thafar hatte ſich Empfehlungsbriefe an den Gouver—
neur von Bombay zu verſchaffen gewußt. Bald
befanden fich die Flüchtlinge auf offner See. Dlivia
hatte von Hamburg aus die Ihrigen von ihrem Vor—
haben, dem Geliebten ihre Hand zu reichen, in
Kenntniß geſetzt. Mehrere fpätere Schreiben, die aus
Ditindien eintrafen, gaben die Kunde, daß fi das.
junge Paar nad dem Ritus der englifhen Kirche
hatte einfegnen laffen und in recht glüdlichen Ver—
hältnifjen lebe. Alle Bemühungen von Geiten der
Berwandten Dlivia’s, fie zur Rückkehr in's Baterland
zu bewegen, blieben erfolglos. Nach jpätern Nach⸗
richten hatten ſich die jungen Eheleute unter engliſchem
Schutze nach Kabul, der Hauptſtadt von Afghaniſtan,
begeben, wo Balthafar am Hofe des Könige als
13%
. Maler und Heilfünftler im größten Anfehen ftand,
und bedeutende Neihthümer erwarb. Späterhin aber
blieben, da bei dem Seekriege Englands und Trank:
reichs an eine Correſpondenz mit jenen fernen Ländern
nicht zu denken war, alle weitern Nachrichten aus
und man wußte nicht, was aus Balthajfar und feiner
jungen Gattin geworben war.
Dan kann fih alfo wohl venfen, von welchem
Intereffe es für die Morand'ſche Yamilie fein mußte,
als man plöglih von einem Teftamente Kunde erhielt,
welches ein deutſcher Hofmaler in Kabul hinterlaffen
hatte. Es unterlag feinem Zweifel, daß ver Zeftator
Niemand anders als der geniale Maler fein könne,
welcher Dlivien entführt; auch ſtimmte die humoriftifche
Abfaſſung der [egtwilligen Verfügung ganz mit ver
“ eigenthümlichen Art und Weife, wie man fie an dem
jungen Maler auf Wildenfel® Gelegenheit gehabt
fennen zu lernen, volllommen überein.
Daß Herr Haſſan-ben-Mullah nicht unwermögend
geftorben, ging aus den anfehnlichen Legaten hervor,
die er zum Bellen ver Armen und der Schuljugend
von Niederroßla ausgejett hatte, aber was mar aus
feiner Gattin, der emft jo wunderfchönen, Tieblichen
Dlivia geworden? War fie noch am Leben und in
welchen Verhältniffen Iebte fie, nachdem der Tod ihr
denjenigen entriffen, dem zu Xiebe fie in vie ferne,
fremde Welt gefolgt war? Olivia, die wegen ihres
engelhaften Herzens und ihrer ftet3 vofigen Laune
allzeit der Liebling ihrer Yamilie gewefen, warb aud)
ſpäterhin noch immer von den Ihrigen geliebt, und
man nahm das lebhaftefte Intereffe an dem reizenden
Flüchtling. Wären nicht die Friegerifchen Zeiten da=
zwifchen gefommen, jo würde man gewiß das Aeußerſte
verjuht haben, die Entflohenen zur Heimfehr in’s
135
Baterland zu bewegen; fo aber war, wie erwähnt,
alle Communication zur See durdy den Krieg unmög-
lich gemacht.
Große Hoffnung, um Näheres über den Teftator
zu erfahren, fetten vie beiven Morand's auf das
Hamburger Haus Siebede und Comp., bei welchem
die anfehnlichen Legate für Nieverroßla’8 Arme und
Schuljugend niedergelegt worden waren, und 'man
befhloß fofort, ſich desfalls mit den genannten
Handelshaufe in Eorrefpondenz zu fegen.
Neuntes Jtapitel.
Nie hat der Clerus zu Niederroßla, ſo wie die da⸗
ſige Armenverſorgungsbehörde eine Sache mit größerm
Eifer angegriffen, als die Kabul'ſche Erbſchaft. Man
entwickelte eine Thätigkeit, die ihres Gleichen ſuchte.
Gleich in der erſten Conferenz kam man ohne große
Debatten dahin überein, ven Hamburger Geldlachs
in thunlichſter Schnelle in ven Hafen von Nieverroßla
einlaufen zu laffen. Der Herr Superintenvent, welcher
es vor der Hand dahin geftellt fein Tieß, ob Teftator
in Kabul als rechtgläubiger proteftantifcher Chrift
(ein Caſus, der ihn noch Tags vorher jchwere Sorge
gemacht) geftorben oder in den Himmel des Propheten
Muhamed's eingezogen fei, hatte ein umfangreiches,
mit Bibelftellen und Gefangbuchverfen reich verziertes
Sendſchreiben an Herrn GSiebede und Comp. in
Hamburg aufgefett, das er in der Konferenz mit
Rührung vortrug und weldes ſich des allgemeinften
4136
Beifalls zu erfreuen hatte. Nur der Stabtrichter
ſchien, trog daß es fehr fromm in dem apoftolifchen
Hirtenbriefe hHerging, "die Rührung des Cuperinten-
benten und ver VBerfammlung nicht zu theilen. Er
nahm die Epiftel mit nad) Haufe, änderte fie gänzlich
um, und gab fie mit nächfter Gelegenheit nach Ham—
burg auf die Bolt.
Zange ſah man in Niederrofla einer Poft nicht
mit größerem Intereſſe entgegen als der hannövert-
ſchen, welche die Hanıburger Briefſchaften überbrachte
und die alle Wochen am Donnerftage eintraf. Den
Sonnabend hatte der Stadtridter den Brief an
Siebede und Comp. zur Poft gegeben und wenn das
Hamburger Haus unmittelbar wiedergefchrieben, wie
man zu Niederroßla fiher erwartete, mußte die Ant=
wort bereit8 den nächſten Donnerftag eintreffen.
se näher der verhängnißvolle Termin rüdte, um
jo größer warb die Anzahl ber Zweifler. Hat der
Hofmaler, hieß es, die rechtmäßigen Erben gefoppt,
fo wird’8 der Armendirection und der Geiftlichfeit
nicht beffer ergehen. Unter dem zweifelnden Publico
ftanden wieder Lagemann und der Schaufpieler oben
an. Die Beiden hatten ihren ſchwarzen Plan, das
Teftantent umzuſtoßen, fo lange vertagt, bis fie auch
der Sache gewiß wären, daß es wirklich etwas ums
zuſtoßen gebe. Hanno, deſſen Truppe nach und nach
in alle Welt gegangen und ſich wie ein treuloſer
Bienenſtock von ihrem Weiſer getrennt hatte, lebte
unterdeß zechfrei bei Lagemann, ver blos in dem
Falle Zahlung verlangte, wenn dem Heldenſpieler der
Umſturz des Teſtaments gelänge. Der Magdeburger
hatte ſeinen Freundſchaftsbund mit Hanno blos auf
die Zeit der erbſchaftlichen Ausgleichung geſchloſſen.
Fiel vom Erbſchaftsbaume nichts ab und erwieſen
137
ih die hoffnungsvollen Blüthen al8 taub, fo waren
die Beiden gefchiedene Leute. Lagemann hatte das
jeinem Mitftreiter gegen Kabul im Bertrauen offenbart
und der andre die Sache vollfommen in der Ordnung
gefunden.
„Bor der Hand,“ hatte der Magdeburger geftan-
den, „ift meine Liebe zu Euch das Große nicht, denn
daß Ihr jeden Tag, den Gott werden läßt, Eure
langen Beine in der jeßigen nahrungslofen Zeit unter
meinen Tiſch ſteckt, kann meine Affection und Leiden-
ſchaft für Euch nicht erhöhen. Bedenkt dies und
greift, unfere gemeinfchaftlihe Sache mit Ernſt an,
ih traue Eurer Einfiht und Eurem Geſchick etwas
zu; ein Comödiant ift im Intriguiren gefchidter, als
ein andrer ehrliher Menſch. Erft wenn Ihr das
Teftament umgeftogen habt, fo daß ein Theil der
Kabul'ſchen Ducaten in unſre Taſche rollt, fühle ich,
daß ich wahrhafte Liebe zu Euch fallen, ja daß ich
Euch inbrünftig verein fünnte, wohin ich's bis jet
noch nicht gebracht. Es ft auch natürlich, jede Liebe
will ihren Grund haben.“ |
Hanno verſprach das Möglichfte.
„Der Gedanke an Eure Liebe, Tagemann,” ſprach
er nicht ohne Pathos, „reicht allein hin, mi zu dem
Außerordentlichſten zu begeiftern, jelbft wenn mein
eigner Vortheil niht mit im Spiele wäre. Wenn
nur,” fügte er etwas nachdenflicher hinzu, „pie Ducaten
wirklich vorhanden find.‘
„Ich glaube doch, tröftete der Hotelier, „obſchon
ich öffentlich das Gegentheil behaupte und ven Zweif-
ler fpiele. Siebede und Comp. fünnen nicht ganz
aus der Luft gegriffen fein. Freilich,” fügte er, nad)
einer Panſe feufzend Hinzu, „ſollten wir auch diesmal
genarrt fein, jo dürfte unſre beiverfeitige Freund:
138
ſchaft einen Stoß erleiden, der nicht fo leicht wieder
ungeſchehen zu machen wäre. Der Mittagstiſch wäre
das erfte Opfer, welches fallen müßte.‘
„sch fehe das ein,” gab ver liberale Hanno zu,
„obſchon nad den Lehren aller Jahrhunderte wahre
Freundſchaft fich erjt in der Noth bewährt.”
„Das find Uebergelahrtheiten,“ entgegnete Lagemann,
„ausjchweitende bizarre Lehren, die einen rechtfchaffenen
Mann, wie Unfereinen, ruiniren würden. Ich hab’
e8 ſchon gejagt, Liebe und Freundſchaft wollen ihren
folivden Grund haben;. im vorliegenden Falle befteht
diefer aus Ducaten.“
Der Helvenfpieler vecitirte nit ohne Wehmuth:
„Am Golde hängt,
Nach Golde —*
Doch Alles.“
„Und iſt auch nicht mehr als recht und billig,“
meinte der Hotelier; „eine von der Natur höchſt ſchätz⸗
bare Einrichtung. Vergegenwärtigt Euch einen Menjchen
ohne Ducaten und mit Ducaten, weldy ein himmel-
großer Unterjchied.”
„Allerdings,“ jeufzte Hanno, welcher die Wahrheit
dieſes Lagemann'ſchen Ausſpruches an feiner eignen
Perſon in der ganzen Kraft erkannte.
„Ihr feid jett,” fuhr der Magdeburger, um feinen
Ausſpruch gründlich zu motiviren, fort, „ein verdüſtert
Gemüth, welch ein Menſch wäret Ihr z. B. im Beſitze
von hundert Ducaten?“
„Sehr wahr,“ geſtand Hanno, tief ergriffen.
„Darum,“ ſchloß der Hotelier ſeine Rede mit der
Nutzanwendung, „ſpannt Euere Einbildungskraft an,
erdenkt etwas, ein Mittel, einen Ausweg, einen Angriff
auf das Codicill, daß wir es ummerfen zu unjerm
Heile.“
439
Der Helvenfpieler verfprach fein Möglichſtes.
„Stopft Euh auch den Magen nicht zu voll,”
fügte Lagemann Hinzu; „das erfchwert das Denfen,
und verfehludt nicht fo unverantwortlic viel- Lager-
bier, das kann Euch nicht gedeihen. Ihr umnebelt
das Gehirn, unnöthigerweife zehrt Ihr mid arm und
Euch bringt Ihr um die Gedanken. Mäßigkeit ift
eine Löblihe Tugend für Jung und Alt und nament-
lich für einen Künftler, wo Genie die Hauptfache.”
Hanno, weldyer alle Urfache hatte, den Magdeburger
beim Guten zu erhalten, weil fonft feine Wohnung
und Koft gefährvet waren, wollte feinem Gaftgeber
weiß maden, daß er feiner Stimme wegen nicht viel
mehr als ein Sanarienvogel verzehre. Sein Eſſen fei
nicht der Rede werth.
Anstatt aber durch die vorgeblihe Diät. Lagemann
zu beruhigen, gerieth dieſer erſt vecht in's Teuer.
„Ein folder Sanarienvogel, rief er, „ſoll nod) geboren
werden; Ihr wolltet unfehlbar einen Strauß oder
Lämmergejer als Beifpiel anführen. Da wollt! id
nichts gejagt haben.”
„Indeß,“ fuhr er fich jelbft beherrichenn fort,
„wir wollen uns nicht weiter ereifern; daß Euer Bauch
zu den umfangreichften gehört in ganz Niederroßla,
das lehrt die Erfahrung, die paar Tage werden hof-
fentlih zu überftehen fein. Mir war's, ale ih auf
Euern unverwüftlichen Appetit zu fprechen kam, aud
zunächft mehr um Euern Geift zu thun, von weldem
die Erbichaftserlangung abhängt. Ich bin ja nicht
der Mann, der Alles auf die Goldwaage legt. Fallen
mir ein paar Schock Ducaten in den Sad, will id
gern vergefien, was Euer Minotaurusichlund meiner
Küche für Schaden gethan. Der Donnerftag wird's ent-
ſcheiden, ob ich umfonft geftopft habe oder nicht. Wenn
140
eine Vergeltung exiftirt, jo kann es diefe unmöglich
zugeben, daß ich Euch ohne Belohnung chriſtlich quartirt
und traktirt. Darum hoffe idy immer, der Himmel
hilft und das Codicill zertrümmern und wirft und ein
artig Stüd davon zu.“ |
Die Sonne des berühmten Donnerftags war end—
lid aufgegangen. Yagemann, welcher die Nacht zuvor
kauderwelſch Zeug geträumt und ſehr viel auf Träume
gab, konnte mit ſich nicht recht in's Klare kommen,
ob die verworrenen Traumgebilde auf Glück ober
Unglüd veuteten. Er blätterte unermüdlich in feinem
Traumbdenter, vem Peter Waldmann, und zog ſelbſt
wiederholt feine Ehe- nnd Bettgenoffin, Madame
Lagemann, zu Rathe.
Mit nicht geringer Erwartung hatte der Superin-
tendent und Doctor der Theologie, fo wie die geſammte
Armenverforgungsbehörde ihr Lager verlafjen; denn
heute mußte fich die große Frage, weldye den Nieder-
roßlaern fo viel Stoff zum Nachdenken gab, entſcheiden;
die verhängnißvolle Frage, ob der Kabul'ſche Hofmaler
und Operateur es ernftlih im Codicill gemeint und
bie breitaufendfünfhundert Ducaten wirflih in Hamburg
vorhanden mwären.
Diejenigen Armen, welde in größter Hoffnung
auf Das Suppen: und Belzmütenjtipenbium lebten,
und ihre Anzahl war nicht gering, wallfahrteten bereits
bei früher Tageszeit zum Conjtitutionsthore hinaus,
durch welches die hannöverfche Poft anlangen mußte,
um zu erfahren, ob der Bieripänner, ver halb adıt
Uhr eintraf, wirflih den Kabuffchen Erbfad bei ſich
führe. Hätte die Stadtſchule nicht bereits um ſieben
Uhr ihren Anfang genommen, ſo würde unbezweifelt
441
aud) die bei der Erbmafje gleichfalls betheiligte Schul:
jugend ſich der Armuth angejchloffen und die ‘Pilger:
ihaft angetreten haben. An ihrer Statt ſah man
mehre Haus- und Grundbeſitzer, die der Neugier eben
fo wenig zu widerftehen vermochten, der Poft entgegen
zu wallfahrten und fich zugleich des ſchönen Frihlings-
morgens zu erfreuen.
Endlich Jah man in der Ferne Staub aufwirbeln;
vier rüftig daher trabende Schimmel wurben füchtbar,
hinter welchen unmittelbar die ducatenſchwere Poftkutfche
rollte. |
. Wie eine Lawine ſchloß ſich die vorausgeeilte Ar-
muth dem Wagen an, veffen nebenher trabende Be—
gleitung, je näher das Fuhrwerf dem Stadtthor fam,
immer größer wurde In dem Poftwagen ſaß nur
ein einziger Paſſagier, ein hannöverifcher Lanpftand,
welcher auf einer Yerienreife ‚begriffen war, um ſich
von den lanbtäglihen Strapazen zu erholen. Das
außerhalb einhertrottirende Vol hielt den Poftinfaffen
für ven eigentlichen Teſtamentsexecutor und ermangelte
nicht, ihm die gebührende Ehrfurcht durch fortwähren-
des Grüßen und Mützenſchwenken an ven Tag zu
legen. Der Landftand, welcher dieſe unverhoffte Hul-
digung jeiner parlamentarifchen Berühmtheit zu Gute
hielt, obſchon er während der ganzen Seffion feine zehn
Worte von fi) gegeben, dankte gerührt.
Der Poſtillon begriff gar nicht, was dieſe feier—
liche Einholung, die ihm in Nieverroßla nie vorge—
fommen war, zu bebeuten habe Er bekam allmiälig
jelbft den höchſten Reſpect vor feinem Paſſagier, den
er für einen im Incognito reifenden Prinzen ober
fonftigen Potentaten hielt. In der Hoffnung eines
"um jo fplenvivern Trinkgelds trieb er die Roſſe zu
142
größerer Eile an, fo daß Das nebenher feuchende Publikum
faum nachzufommen vermochte.
Bon Zeit zu Zeit tünte dem rothfragigen Wagen-
lenfer das Wort Ducaten in's Ohr; dies beftärkte ihn
nur mehr in feinem erfveulichen Verdachte. Endlich
ſchlug, weil fih das Wort „Ducaten“ zu oft wieber-
holte, ein Gedanfenblig durch fein Gehirn, daß er
unfehlbar Rothſchild in eigner Perfon kutſchiere,
und er trieb, von diefem Gedanken begeiftert, die Roſſe
zu anßerordentlichem Trabe an, daß die nebenan galop-
pirende Armuth und jugendliche Gaſſenbevölkerung als-
bald wie mürber Zunder, wie reife Birnen und Pflaumen
abfielen und zurüdblieben.
Im Pofthaufe hatte ſich unterdeß der Herr Supe-
rintendent und ein Comite der Armenverforgungsbehörbe
eingefunvden, welche erwartungswoll der Ankunft der
gebenebeiten hannöverſchen Poft entgegen fahen. Lage:
mann trank bereits in dem ber Poſt gegenüberliegenden
Liqueurlaben den fiebenten Bittern, um fi für alle
Fälle zu fatteln und allen großen Creignifien gefaßt
entgegen fehen zu. können.
Endlich rafjelte der hoffnungsreiche Poftillon mit
jeinem hannöverſchen Landftande vor und ward von
einem Volkshaufen, der fih vor dem Poſthauſe ver—
jammelt hatte, jubelnd empfangen. Das Landtagslicht
gerieth jest im nicht geringe Verlegenheit. Es be=
fürdtete, die Magiſtraten der Stadt würden ihn un-
fehlbar mit wohlgewählten Revensarten befomplimen-
tiven. Beredtſamkeit jelber aber war nie diejenige
Eigenfhaft, womit ihn die Mutter Natur reichlich
begabt hatte Er verdankte diefer Bernadhläffigung
unfehlbar feine Wahl zum hannöverſchen Landtagsab⸗
geordneten, und er beichloß daher, ein nobles Incog=
nito zu beobachten, indem er fi fo tief wie möglich)
143
in die Ecke des Wagens zurückbog, ſo daß er von der
ſchau⸗ und ducatenluſtigen Menge nicht mehr geſehen
werben Fonnte. |
Letztere, welche nicht anders vermeint hatte, als
ber Hamburger Teitamentserecutor, für biefen warb
ber Landſtand allgemein gehalten, werde bei der .Poft
außfteigen und golpftrenend aufs und niederwandeln,
ward ziemlich ungehalten, als der Fremde weder etwas
von fid) hören noch jehen ließ, auch würde man
unfehlbar feinen Unmuth noch lauter zu erkennen
gegeben haben, wenn nicht das Perrüdenhaupt Des
Superintendenten jo wie bie Habichtönafe des zum
Armencomite gehörigen Viceconſuls, welche beide Por⸗
trait8 am Boftfenfter fichtbar wurden, vie loyalen
Niederroßlaer in den Schranken der Gefetmäßigfeit
gehalten hätten. Die Büften der beiden hohen Nota=,
bilitäten nahmen alsbald in noch erhöhterm Grade das
Intereſſe des vor der Poft verfammelten Publikums
in Anfprud, da man bemerkte, wie ſich die beiven
Profils, nämlid das des Superintenventen und Das
des PViceconfuls, die ſich gegenfeitig anfahen, auffallend
verfinfterten. Bald darauf erſchien der Poftillon mit
nody weit finfterern Geſichte als das ver beiben
hoben Häupter und begann die Pferde, welche auf
ber Station gewechjelt wurben, auszujpannen. Er
hatte nämlih aus dem Paſſagierbuche erjehen, daß
er keineswegs Rothſchild, jondern einen fimpeln
Herrn Gundelfinger aus YBurtehude gefahren, welcher
auch nicht die geringfte Anftalt zu irgend einem ZTrinf-
gelde treffe.
Weit gerechtere Urfache zur Betrübniß hatten aber
ber Herr Superintendent und bie verehrlihe Armen-
behörde, denn Herr Siebede und Comp. hatte weder
geantwortet noch die Kabulfchen Ducaten geſchickt.
444
Der Doctor der Theologie ſah ſich in die traurige
Nothwendigkeit verſetzt, feine nächſte Predigt total umt-
zuändern, denn er hatte in vielen Stellen unverholen
auf die menfchenfreundlichen Geſinnungen des feligen
Hofmalers angefpielt.
Mit Blitesfchnelle verbreitete fi) Da8 Gerücht von
der zu Waller gewordenen Erbſchaft in Niederroßla.
Lagemann traf die Todesbotſchaft gerade, als er bis
zum zehnten Bittern worgerüdt war. Ihm ward im
erften Augenblide jo unwohl, daß er fich nieverjegen
mußte und fein Wort hervorzubringen vermochte, Erſt
nad) und nad) ftellte ſich der Redefluß wieder ein und
ergoß fih in einen wahren Strom von Berwünfchungen
über den todten Hofmaler. Der Magveburger ward
diesmal von vielen Seiten auf das Rräftigfte unterftütt,
namentlich ließ e8 die Belzmügen beraubte Armuth an
weidlichem Schimpfen nicht fehlen.
Der hannöverſche Landſtand, in welchem man vor
wenig Minuten noch einen glückbringenden Engel
Gabriel frohlockend begrüßt, erhielt gleichfalls ſein ge—
meſſen Theil von dem allgemeinen Unwillen. Bei
ſeiner Einfahrt ein Gegenſtand der Freude und des
Entzückens, begleitete ihn Haß und Verfolgung bei
der Ausfahrt. Unter Schimpfen und Schreien der
getäuſchten Schuljugend rollte der Burtehuder durch's
Thor.
„Ich habe jetzt den Beweis in Händen, “ſprach
er zu ſich, als ihm Niederroßla ein Stück im Rücken
lag, „daß in der Welt nichts wankelmüthiger iſt als
Volksgunſt, und werde bei der nächſten landtäglichen
Seſſion nicht ermangeln, darauf hinzudeuten. Bei
meiner Ankunft ward ich vergöttert und zum Abſchiede
fehlte nicht viel, man hätte mich geſteinigt. O be—
thörtes Volk!“
146
In Niederroßla ſelbſt bedurfte es einer geraumen
Zeit, bevor ſich die Gemüther beruhigten. Daß die
ſo erquickende und erwärmende Ausſicht auf Suppen,
Braten, Holz, Fuchsklauen und Pelzmützen zu Grunde
gegangen, erregte großes Herzeleid; ſelbſt der Herr
Superintendent und Doctor der Theologie kehrte
äußerſt tiefſinnig nach ſeiner Wohnung zurück. Mit
dem Comité der Armenbehörde war ein Gleiches der
Fall.
Der Zorn gegen den Hofmaler erreichte den höch—
ſten Grad. Einige fanatiſche Bettelweiber waren nicht
übel gewillt, nach Kabul aufpubrechen und das Grab⸗
mal des Berftorbenen zu zerftören und zu verumreinigen.
Binnen vierundzwanzig Stunden ‚hatte ſich indeß
die Aufregung: fo weit gelegt, daß man es nicht
mehr der Mühe werth hielt, ven betrügerifchen Haf-
janzben-Mullah in ven Mund zu nehmen. Die vad-
Iuftige Frauenſchaar Hatte in Betracht ihrer jchlecht-
beftellten Beſchuhung gleichfalls ihre kabuliſtiſchen Rei—
fepläne auf günftigere Zeiten verfchoben und Alles
trat in Nieverroßla in das gewohnte Bett der Unter-
haltung zurüd. Bon dem Hofmaler war bald feine
Rede mehr. Man hatte die ganze Zeit daher zu viel
über ihn gefproden und war es endlich überprüffig
geworben, hauptfählih da Die ganze Erbangelegeneit
ein jo Shmähliches Ende genommen.
Gleihwohl war die Kabul'ſche Erbangelegenheit
no nicht zu Ende, ſondern follte erſt vecht ihren
Anfang nehmen und Nieverroßla mehr denn je in
außerordentlihe Aufregung verfegen.
Stolle, ſämmtl. Schriften XVII. 10
146
Zehntes Kapitel,
&; war brei Tage fpäter, als fi in ben Straßen
Niederroßla's eine feit den lebten Kriegsjahren nicht
gefehene Erſcheinung bliden Tieß, nämlidy ein reiten-
der Poftbote, welcher vom Thore direct feinen Weg
nach der Wohnung des Stadtrichters nahm, woſelbſt
er abſtieg und mit einem gewichtigen Felleifen unter'm
Arme bei Jacoby eintrat.
Die Nachrichten von diefem außerordentlichen Er—
eigniß verbreiteten ſich mit Bligesfchnelle in der Stadt.
Alles ftedte die Köpfe zufammen und man munfelte
fonderbare Dinge. Vergeſſene Geſchichten vom Hof-
maler und Kabul kamen wierer zum Borfchein. Man
erfchöpfte fih in Bermuthungen. Hauptfählic war
der ſchwere Muntelfad der Staffette der Gegenftand
allgemeinen Nachdenkens.
Die Spannung in Nieverroßla erreichte indeß den
höchſten Grad, als man ungefähr ein halb Stündchen
nad) Ankunft des berittenen Fremdlings den Herrn
Superintendenten ſchwitzend nad; dem Haufe Jacoby's
eilen fahb, mehre Deputirte der Armencommilfion,
jo wie da8 Gerichtsperſonal eilten gleichfalls herbei.
Es fand eine Conferenz ftatt, die faſt zwei Stunden
währte und welche die Niederroßlaer, weil fie nichts
davon erfuhren, zur Verzweiflung brachte.
Lagemann, zu welchem die Kunde am Erſten ge-
derungen, konnte e8 in feiner Behanfung nicht länger
aushalten; eine Unruhe jonvergleihen hatte fich feines
ganzen Weſens bemächtigt. Er mußte fort, in's
Freie, friſche Luft ſchöpfen. Er war eben im Br
147
griffe, dieſen Vorſatz in Ausführung zu bringen, als
Hanno, welcher in Folge der zu Grunde gegangenen
Erbſchaft bereits ſeit zwölf Stunden gefaſtet hatte,
athemlos durch die Thüre und ihm in die Arme ſtürzte.
„Ste find da!” waren ‚die einzigen Worte, bie
ber Heldenfpieler zu ſtammeln vermochte.
Der Hotelier padte den Künftler krampfhaft und
frug geichfalls athemlos: „Um's Himmelswillen, wer
denn?“ |
„Die Ducaten!” ftöhnte Hanno und ſank erſchöpft
in einen Seſſel.
Lagemann faltete andächtig die Hände „Ich
ſehe,“ fprad er, „ver Himmel wil’s, daß ih Euch
nicht umfonft gefüttert habe.“
„Und daß ich nicht verhungere!“
„Erzählt, ich beſchwöre,“ rief der Magdeburger.
Hanno, bei dem der Appetit alle andern Intereſſen
verbrängte, erwieberte: „Exit etwas Maſſives, etwas
Schinken, oder Preßwurſt, falten Braten, was da ift.”
Lagemann eilte felbft in die Küche und trug auf,
jo viel der Tifch zu tragen vermochte. Dann faßte
er neben dem efjenden Schaufpieler Pofto, diefer follte
jett Ausführliches mittheilen, aber Hanno brauchte
feine Sprachwerkzeuge zu nützlichern Angelegenheiten
für feinen Magen. Er aß unbeſchreiblich und fah ven
auf Kohlen fitenden Hotelier blos kauend an.
Lagemann rutſchte verzweiflungsvell auf und nie
ber. Da er fah, daß der hungernde Hanno an fein
Aufhören dachte, überfam ihn die Neue, fo reichlich
aufgetragen zu haben, und er wollte eine Schüſſel
nad der andern wieder hinwegtragen. Der Künftler
buldete dieß indeß nicht, und umklammerte fo viel
Speifebehälter, als ihn möglih war. Dabei jchüttete
er unermüdlich neue Nahrung jenen örehwerfgengen
10*
148
zum Zermalmen vor, ohne daß Lagemann ein Wort
aus dem Eſſer herauszubringen vermochte.
„Ihr müßt wahrhaft vom Freßkrampfe befallen
ſein,“ meinte endlich der Magdeburger, „ein ſolcher
Appetit iſt mir bei einem vernünftigen Menſchen noch
nicht vorgekommen.“
„Nur wenig Geduld,“ preßte der Heldenſpieler
ziemlich unarticulirt hervor, denn ſein Rachen, der
einem Amalgamirwerke glich, ward nicht leer und an
‚eine verſtehbare Rede nicht zu denken. Dabei ſäbelte
er von Neuem ein ſolch unüberſehbar Stück von
dem Schinken los, daß Lagemann die Haare zu Berge
ſtiegen.
„Mich muß der Leibhaftige geplagt haben,“ ſprach
er für ſich, „dieſem Belial meine. halbe Vorrathskam—
mer vorgeſetzt zu haben. Es geſchah in der erſten
freudigen Ueberraſchung; ich fange an zu argwohnen,
das unerſättliche Tigerthier hatte es nur auf einen
fetten Imbiß abgeſehen, und frißt ſich wie die Rie—
ſenſchlange bei mir auf ſechs Wochen voll.“
Als der Heldenſpieler ununterbrochen fortaß, ohne
feinen harrenden und verlangenden Gaſtgeber die ge.
ringjten Notizen wegen der Kabul’fhen Ducaten mit-
zutheilen, ward Yagemann wuthig. Er wollte wenig-
ftend die Schinkenſchüſſel vor neuen Angriffen in
Eicherheit bringen und faßte darnach, aber Hanno
fuhr fo desperat und morbfunkelnden Auges mit dem
Icharfen Mefjer nach der zugreifenvden Fauſt, daß ver
Magpeburger feine Rechte fchleunigft zurückzog und die
Schüſſel unangetaftet ließ.
„Der Kerl ift gar fein Menfch mehr, dachte er
fhaudernd bei fi), „Der morbet wegen einer Kalbs—
feule. Mit Strenge ift bier nichts auszurichten, ich
glaube, dieſe Hyäne ift im Stande und fieht mid,
4149.
jo id ihr Etwas aus den Zähnen rüde, in ihrer" ER-
brunft für einen leibhaftigen Schinken an und ſchnei—
det mid, lebendigen Xeibes an. Ich muß fehen, daß
ih den Bielfraß auf gütlihem Wege beikomme.“
„Aber fagt mir um aller Heiligen Willen, Lieber
Hanno,” begann Lagemann, „hat denn Euer werth-
gefhätter Magen nicht bald genug?”
Der Helvenfpieler, weldyer fo eben einen Schin—
fenfnochen mit Rieſenkraft zerfnadte und ſich "mit
Wolluft des nährenden Marktes bemächtigte, ſchüttelte
den Kopf.
„Das muß ich geftehn,” fuhr Lagemann fort, „ic
wollte alle bezahlenden Säfte, die bei mir einfehrten,
erfreuten fid) eines fo umfangreichen Magens und ges
jegneten Appetites. Ich wäre ein reicher Mann.”
„Glaub's,“ verfetste wieder höchſt unverſtändlich
Hanno.
„Wie, glaub’8?” frug der Magbveburger, „aber
bei Euch muß ich zum armen Manne werden, . wenn
Ihr Eurer Freßraferei nicht bald Einhalt thut.“
Diefe Worte mochten dem Heldenſpieler feiner
Antwort werth feheinen, denn er erwiederte nichts dar—
auf und af.
Lagemann hielt’3 jett nicht länger aus, er ſprang
anf und Tief verzweifelnd die Stube auf und ab,
Hanno’n ftörte Died nicht.
Obſchon fi) der Magdeburger vorgenommen, fein
Unglüd mit Faſſung und ald Mann zu tragen und
den Meſſerbewaffneten nicht weiter zu veizen, jo konnte
er es doc nicht über fich gewinnen, an den uner-
müdfichen Freffer die fpite Frage zu richten, „ob er
wohl ein Hamfter fer, der für die Wintermonate
eintrage?“
Als der Heldenſpieler auch dieſe Anfrage keiner
450
Berückſichtigung für nöthig erachtete, Tief Lagemann
bie Galle vollends über. Er beabfichtigte einen neuen
Angriff auf die nod ziemlich unberührte Schüffel mit
Schweinsknöchelchen. Dieſe hatte fih aber der Künit-
ler erpreß zun Deſſert auserfehen. Als gewandter
echter entdedte er ſogleich des Magdeburgers böfen
Angriffsplan. Diefer faßte nämlid in einiger Ent—
fernung förmlich Pofto, um als Yämmergeier auf bie
Schweinsknöchelchen herabzuftoßen und fie mit fammt
der Schüffel in den Lüften davon zu führen Hanno
war im Abjchlagen von dergleichen Angriffen nicht
unbewandert. ALS daher Lagemanı auf die Schüflel
Charge machte, pflanzte der Künftler Taltblütig feine
mefjerbewaffnete Rechte wie ein Bajonnet auf dem be-
drohten Punkte auf, und ließ den Feind nicht zus
greifen. Der Magveburger mußte ſich wüthend zurüd-
ziehen; Hanno aß ruhig weiter, das bedrohte Außen
werk war vor der Hand gerettet.
Der unglüdliche. Hotelier, welder won Neuem
zornvol das Zimmer auf und abrannte, drohte end—
lich mit Magiftrat, Polizei und Nachtwächtern. Er
beſchuldigte den Helvenfpieler geradezu eines Attentats
auf feine Berfon.
„Mordanfall im eignen Logis,” ſprach er, „wird,
glaub’ ich, doppelt hart geftraft. Es ift ein großer
Unterfchied, ob man im Freien oder im Haufe an—
gefallen wird.‘
Der Efjer befümmterte ſich wenig um dergleichen
juriftifche Apmonitionen. Er ftand fo eben bei ven
Scmeinsfnöchelden, in deren Zermalmen fein Gebiß
wieder Gelegenheit fand, ſich in all feiner Gebiegen-
heit und Energie zu zeigen.
Lagemann, ver verzweiflungsvoll hinter dem Eſſer
auf und nieder ftieg und dabei wüthende Blide nad)
151
den bereits geleerten Schüffeln und Zellern ſchoß,
fonnfe, als er auch die Schweinsfnöchelhen in dem
Schlunde bes Künftlerd verſchwinden jah, feines Arms
nicht länger Meifter werden und gab im Vorbeigehen
dem ungebetenen Gafte mit dem linken Ellenbogen
einen herzhaften Puff, worauf er einen unverzüglicyen
Sprung that, in der Furt, der gepuffte Eſſer könne
ſich raſch umwenden. Diefer aber, viel zu fehr mit
feinem Minifterium des Vordern befchäftigt, befüm-
merte fi) wenig um die angegriffene Rückſeite, wo
er weder Mund noch Schlund befaß, und duldete ge-
laſſen Lagemann's Unbill. Letzterer, als er gewahrte,
wie ihm ſeine Handlungsweiſe ſo für voll ausging,
bekam Muth, auf dem betretenen Wege fortzufahren.
Er defilirte leis auftretend abermals bei Hanno's
Rücken vorbei und carambulirte denſelben diesmal mit
dem rechten Ellenbogen. Er wußte in dem diesma—
ligen Stoße feinen Ingrimm ganz beſonders zu mar—
kiren. Der Eßkünſtler nahm auch dieſe zweite Affront
gelaſſen hin. Vielleicht dachte er, daß dergleichen Er—
ſchütterungen der Verdauung zuträglich ſeien.
Sobald man ein Vergehen nicht beſtraft, wird
der Verbrecher in der Regel verwegener. Dies war
auch bei Lagemann der Fall. Er ließ es bald nicht
bei einem Puffe mehr bewenden, ſondern duplirte und
triplirtee; und als Hanno, noch immer mit ben
Schweinsknöchelchen befehäftigt, ſchlechterdings an feine
Bertheivigung dachte, fo arbeitete er enblih als Hof-
paufer mit beiden Fäuften auf dem breiten Rücken
des Heldenſpielers umher, feine Wirbel zumeilen durd)
urfräftige Knieſtöße unterjtügend.
Dieſes Lagemann'ſche Pedalconzert ward aber dem
Heldenſpieler, zumal er am Ende des Deſſerts ſtand
und ſein Appetit geſtillt war, und da die Stöße per—
152
petuirlich auf diejenige Stelle von des Künftlers leib-
lichen Gegenden berechnet waren, wo das Rüdgrat
fein Ende erreichte, endlich ftörend. Er wandte fidh
nm und drohte dem zurädprallenden Mufitus mit
einem Schinkenknochen, deſſen Fleiſchmaſſen er bereits
feinen Verdauungswerkzeugen überliefert hatte. Da
der Magdeburger nicht zu erreichen war, fo begnügte
ſich Hanno mit einem Lufthiebe. Zugleich fagte er:
„fett wären wir.‘
Lagemann’s Ingrimm legte ſich fichtbar, als er
vernahm, der Vielfraß habe die Sprache wieber er-
halten. Er bemühte fih, den Berluft, welchen er
durch den beifpiellofen Appetit des Künftlers erlitten,
nad) Kräften zu verfchmerzen, und kam näher.
Der. gejättigte Hanno war ein ganz anderer Menſch
al® der hungernde und eſſende. Cr fam dem Hote-
lier ordentlid, liebenswärbig vor.
„So vernehmt das Außerordentliche,” begann er,
indem er ſich behaglih den Bauch firih, und mit
einem felbft gefchnitten Zahnſtocher vie Weberbleibjel
der Mahlzeit aus den verſchiedenen Felsſpalten und
Schluchten feines Gebiſſes zu Tage förderte, „es hat
feine Ridhtigfeit mit dem Hofmaler.“
„Und die Ducaten?” fiel Lagemann haftig ein.
„Liegen fauber gerollt und gepadt beim Stabt-
richter.“
„Und ſollen wirklich dem Pöbel und der Schul—
jugend zum Opfer fallen?“
„Laut Codicill allerdings.“
„Ich hoffe, Hamnno, Ihr habt mich nicht umſonſt
arm gefreſſen und verhelft mir zu dem Meinigen durch
Euern anſchläglichen Kopf.“
„Ich habe gedacht, ich denke und werde denken,“
conjugirte der Heldenſpieler.
153
„Das ift rechtſchaffen, aber pas Refultat Eures
Gedachten und derzeitigen Denkens?“
„Seht dahin, Daß wir auf gerichtlichem- Wege
dem Codicille nicht beikommen.“
„Mich rührt der Schlag, was nützt mir's da,
Euern unergründlichen Magen wie einen Torniſter
geſtopft zu haben?” |
„Ich denke doch.”
„Se? Erklärt Euch faßlicher.“
„Allerdings iſt dann erforderlich, daß wir von
dem Gedanken ausgehen, vie Kabul'ſchen Ducaten ge-
hören ung als rechtmäßigen Erben.”
„Wer zweifelt daran, wir haben doch zehnmal
größres Recht, als der Pöbel und die Schulbuben.”
„Dann müſſen wir uns jelbft helfen.”
„Unbeftritten, felber ift ver Dann.
„Aber, Lagenann, e8 gehört Muth dazu und
Geiftesgegenwart.” |
„Muth? Hm! Nun fo viel wird fi ſchon noch
erübrigen laffen, um zu unferm Eigenthum zu ges
langen.“
„Schlägt mein Plan fehl, fo fpazieren wir beide
— wißt Ihr wohin?” |
„Nun wohin denn?“
„In's Zuchthaus!”
„Gehorſamer Diener, ic bedank' mid) ſchönſtens.“
„Ich danke auch, darum, denke ich, ift das
Beſte —“
„Wir laſſen die Sache ihren Gang gehen, die Ka—
bul'ſchen Ducaten ſcheinen uns einmal nicht beſtimmt.“
Wuielfraß, wenn Ihe nichts Beſſeres -auscalculirt
habt, veut mich der Biſſen Brot, ven Ihr bei mir
verfchlungen. So viel konnt’ ich allenfall3 felber aus⸗
difteliren.“
45%
Hanno verfiel hier plöglich in Schweigen und ftrid)
fih den Bauch, welche Manipulation ihm wohlzu—
thun ſchien. Lagemann fchaute höchſt ärgerlich dieſem
Beginnen zu. |
„Ihr wollt wohl Eure guten Gedanken aus dem
Bauche ftreihen,” frug. er, „va wird freilich nicht
viel Gejcheutes herausfommen, obſchon, dem Appetit
nah zu jchliegen, Euer Magen in vortrefflidiem Zu:
ftande fi) befinden muß. Doch daß wir nicht eins
in's andere reden, ijt denn Euer Mittel, ver Ducaten
habhaft zu werden, wirklich fo vesperat, daß große
Gefahr dabei vorhanden?”
„Es iſt nicht anders,” gab Hanno zur Antwort,
„am unfers Eigenthuns habhaft zu werden, bleibt
nichts übrig, als daß —“
„Nun, als dag —“ erkundigte ſich der Hotelier
angelegentlic.
„Aber, Lagemann, jo ein Wort über Eure Lip—
pen. —“
Lagemann ſchwur aus Leibesfräften.
„Aber Eure Schwüre,” zweifelte der Heldenfpieler,
„fann ic) darauf bauen? Lagemann, wenn Ihr ein
Räufhchen habt, pflegt Ihr nicht zu willen, was
Ihr ſprecht.“
Der Magveburger begann fi jet zu vermalebeien,
daß weder im beraufchten noch nüchternen Zuſtande
Jemand ein Wort erfahren jolle.
„Wohlen,“ Hub nun Hanno geheinmißvoll an,
„um zu unfern Cigenthume zu gelangen, bleibt nichts
übrig, als daß —“ hier ftodte der Sprecher aber-
mals und wollte mit der Sprache nicht heraus.
„Ss fpreht doch, zum Satan,” drängte Lage—
mann, „ich bin auf Alles gefaßt.‘
„Es bleibt nichts übrig, fuhr der andre fort,
155
„als dag wir und der Ducaten auf — verfteht mich
wohl — auf directem Wege verfichern.“
„panit bin id) vollfommen einverftanvden,” ver-
jetste der Hotelier, „der gerade Weg bleibt der befte.“
Bertrauungsvoller fuhr der SHelvenfpieler fort:
„Wir müfjen uns unferes Eigenthums verfichern, ohne
daß Jemand groß davon erfährt, fo ganz in der Stille.”
| „Es ift Dies eine edle Befcheidenheit, die uns fein
Menſch verargen wird,‘ meinte Lagemann.
„Wo möglich in nächtlicher Stille,” fügte
Hanno bei.
„Ein guter Zweck nimmt auf feine Tageszeit
Rückſicht,“ verfette der Magdeburger.
„sh ſehe, Daß Ihr einen anfchläglichen Kopf
habt,” ſprach der andre weiter, „aljo rund heraus.”
„Rund heraus,” munterte Lagemann auf.
„Bir müfjen die Kabul’fchen Ducaten — ftehlen.”
„Hm,“ erwiederte der Hotelier, ver ein derglei—
hen moraliſches Mittel geahnt zu haben fchien, „fteh-
len wollt’ id) e8 nicht nennen, wenn wir unfer Ei—
genthum auf geheimnißvolle Weife in Befit nehmen.”
„Allerdings, geſtand Hanno, „der Ausprud iſt
etwas bizarr.“
„Es ift eine volllommen rechtmäßige Handlung,
obſchon fie der kurzfichtigen Welt anders erjcheinen
dürfte.‘
Ufer Recht ift fo lauter wie Gold,“ ſprach der
Künftler, „daß es die Gerichte nicht anerfennen, mas
fönnen wir dafür?“
„Aber — aber —“ begann jetzt Lagemann mit
einem ſchweren Seufzer.
Hanno erkundigte ſich nach der Urſache des Seufzers.
„Wenn wir erwiſcht werden.“
„Freilich, erwiſchen dürfen wir uns nicht laſſen.“
756
„Hanno, die Sache will überlegt fein.”
„Das will fie, allerdings.“
„Das Rifico ift ungeheuer.‘
„Der Lohn nicht minder.
„Ich wäre ruinirt auf Pebengzeit,” fuhr ver Ho=
telier fort, „bin Bürger und Hausbefiter und ftehe
auf dem Sprunge, Stadtverorbneter zu werben.”
„Mit diefer Charge,” meinte Hanno, „würde ſich
allerdings unfer gerechtes Vorhaben in Betracht ver
rückſichtsloſen Welt wenig vereinbaren.”
Lagemann ward immer bedenklicher. Endlich klopfte
er bei Hanno an, ob diefer nidht allein das Wagniß
auf fi) nehmen wollte Seine (Lagemann’8) Danf-
barfeit würde ungeheuer fein.
Die Beiden faßen noch lange über dieſem wichti—
gen Kapitel bei einander. Der böſe Wille war va,
aber ver erforverlihe Muth fehlte.
Eitftes Kapitel,
Dis Scidfal hatte es gewollt, daß tie Bewohner
von Niederroßla durch die Kabul'ſche Erbfrage zum
dritten und legten Male aufgerüttelt werden follten
und zwar diesmal auf eine Art und Weife, bei wel:
cher weder die Pelzmügen und Fuchsklauen bepürftige
Armuth, noch das Haupt der Stadt, der geftrenge
Herr Bürgermeifter Sebaftian Flaminius, jo wie bie
gefammte Senatorenſchaft gleichgültig zu bleiben ver-
mochten.
Die Herren Siebede und Comp., bei welchen die
157
im Kabul'ſchen Govicille erwähnte Ducatenfumme vom
Hofmaler wirklich niedergelegt worden war, hatten es
für ficherer erachtet, befagte Summe nicht durch die
hannöver'ſche Poft, fondern durch einen erpreflen Bo—
ten nad) Niederroßla gelangen zu laſſen. Diefer be-
beutenden Geldſendung lag aber noch eine anderweitige
teftamentarifche Verfügung bei, die vom Erblaſſer
wenige Tage vor feinem Dahinfcheiden felbft aufge-
fett worden war und dem Wunfche des PVerfaffers
gemäß durch ven Stabtridhter, nad) vorhergängiger
gerichtlicher Vorladung, den betreffenden Erben mitge-
tbeilt werben follte.
Alfo während noch die beiden Biedermänner Hanno
und Lagemann mit dem moralifchen Internehmen
Ihwanger gingen, fi, ihres rechtmäßigen Eigenthums,
wie fie ed nannten, auf möglichſt geräuſchloſe Art zu
verfichern, erjchien im Wochenblatte won Seiten bes
Stadtrichters eine abermalige VBorladung an die Drol-
linger’ihen Erben, ſich an Gerichtsftelle einzufinden
und der Eröffnung eines anderweitigen Codicills ge=
wärtig fein.
Wie na einem warmen Yrühlingsregen, jo ho=
ben ſich die zeither gefunfenen Häupter der Drollin-
ger’ihen Erbihaar wieder empor. Selbſt der Helden—
jpieler und der Magveburger faßten für den Fall, daß
fie int zweiten Codicill rechtſchaffen bedacht wären,
den hochherzigen Entſchluß, ihren geräufchlojen Plan
aufzugeben.
Bereit nad) drei Tagen faß Jedermann wieder
hoffnungsreicher denn je auf feinem gewohnten Plage
im Stadtgericht; Frau Urfula im nagelneuen Häub-
hen, ihre wohlwollenden Blicke zwifchen dem umgit-
terten Acceffiften und Gamaliel theilnd. Hanno
ſtreckte ſich fihtbar und Lagemann faß Tampfbereit
158
hinter dem Cecretair, entweder feine Freude oder fein
Leidweſen auf jenes Rüden laut werben zu lafien.
Abermals ſteckte der Gerichtsviener den Kopf durch
die halbgeöffnete Thür und rief: „der Herr Stadt—
richten,” und fo wie legtrer auf feinem Stuhle Platz
genommen, und einige einleitende Worte vorangefchict
hatte, begann auf feinen Wink Kiefewetter zu lejen
wie folgt: -
„Da fih nah Abfendung der drei Ducatenfäd-
lein an Siebede und Comp. in Hamburg in meiner
Hinterlaffenfchaft noch einige Activa vorgefunden, und
ic) diefelben gern nad bejtem Wiſſen und Gewiſſen
an den Mann gebracht wünfchte, fo ift mein Wille,
daß felbige allen folchen Perfonen in Nieverroßla zu
Gute gehen, welche, wenn aud) im entfernten Grade,
mit mir eine Verwandtſchaft nadyzumeifen im Stande
find.”
As wenn ver heilige Geift fein Licht über die
Erbſchaftler ausgegoffen, faßen bei diefen Worten des
Actuarius Kiefewetter ſämmtliche Auditores mit leuch-
tendem Antlit da; e8 fehlten nur die üblichen Flämm—
hen über den Köpfen. Lagemann felbft war fo er-
griffen, daß er feine höchliche Ueberrafhung dem Se—
eretair durch einen freundſchaftlichen Puff mitzutheilen
vergaß, wie fonjt feine Art war. Seine Hand war
gelähmt, fein Mund ftand offen.
„Demnach,“ fuhr Kiefewetter fort, „it men Wille
und Gebot, daß Felicitas Drollinger, meine nicht ge—
nug zu verehrende Frau Tante, ald General- oder
Univerfalerbin fuccedire. Sollte jie ſich bereits an dem-
jenigen Orte befinden, wohin fie eigentlich gehört,
nämlih im Himmel, fo folgt ihr Ehemann und ihre
Nachkommenſchaft im Erbſchaftsrechte.“
Jetzt wandte ſich die lebendige Erbmaſſe mit einem
‚159
Nude nad) dem Secretair um, während ihn Lage:
mann von hinten krampfhaft anbohrte, fo daß Ga-
maliel vor Seelenfreudigfeit und Rückenſchmerz aus
der Haut zu fahren vermeinte.
„Felicitas Drollinger,” hieß es im Codicille weiter,
„erbt aus meiner hinterlaffenen Baarjchaft. vie Summe
von achttauſend holländischen Ducaten unter nachſte—
henden Bedingungen, woven die erjte unerläßlich ift,
„Eritens: Cie endet einen ihrer Söhne, wo
möglih den Erſtgebornen, den jungen Gamaliel, in
Perſon nah Kabul, damit er vie Erbichaft erhebe.
Die erforderlihen Gelder zur bequemen und anftän-
digen Hin- und Zurüdreife wird ihm Herr Siebede
und Comp. in Hamburg aushändigen. Collte jedod)
feiner meiner Herren Coufind am Xeben fein, oder
denſelben, was ich nicht hoffen will, die erforderliche
Courage abgehen, jo muß leider meine gute Tante
nit einem Abfindungsquantum von ber Hälfte ber
Erbfumme vorlieb nehmen, die ihr gegen Quittung
von dem oft erwähnten Hamburger Haufe ſofort aus-
gezahlt werben fol.
„Zweitens: Sollte jedoch Herr Gamaliel oder
einer feiner Brüder den erforverlihen Muth in ſich
verfpüren, die allerdings etwas langwierige Keife an—
zutreten, fo follen ihm die achttauſend ‚bei ven Ge—
rihten zu Kabul beponirten Ducaten ungefchmälert
ausgezahlt werden. Dafür bürgt ſowohl vie Gered)-
tigfeitSliebe des afghaniftifchen Volkscharakters, jo wie
ber noble Sinn des Königs, wie auch die Garantie
des englifchen Confulats. Iſt aber der Herr Neveu
mit den Goldſäcken Afghaniſtans glücklich in Nieder—
roßla wieder eingetroffen, ſo ſtelle ich als zweite Be—
dingung, daß ſich Frau Felicitas Drollinger, wo mög—
lich das ein Stündchen von der Stadt freundlich
1.60
zwifchen den Bergen gelegene Gütchen Ciebeneichen
anfauft und dem rechten Flügel, vefjen Fenſter nad)
dem Buchenwalde hinausgehen, zur behaglichen Woh—
nung für eine oder zwei Perfonen einrichtet. Wenn
ed die Berhältnijje geftatten, jo fol fie wo möglich
jelbft nach Siebeneihen ziehen. Da wird ſich eines
Tags ein junger Wanderer einfinden und einen Brief
von mir vorzeigen. Diefen Wandrer foll fie freund-
lich aufnehmen, bewirthen und beherbergen, fo lange,
bis fpäter vieleicht noch Jemand dazu ſich findet.
Uebrigens bat fih Herr Gamaliel Drollinger oder
derjenige feiner Brüder, der die Reife nah Kabul
anzutreten gefonnen ift, innerhalb acht Tagen beim
Stadtgeriht zu Niederroßla zu melden und feine des-
falfige Entfchliegung abzugeben.“
Der fonft fo befcheidene und ſchüchterne Secretair
erhob fich jett mit leuchtendem Antlig: „ein Wort jo
viel als taufend, ich reife!” rief er mit großer Ent-
ſchiedenheit.
„Bravo!“ munterte Lagemann auf, „ich fahre mit;
Ihr ſeid dann billig und tretet fünf Prozent von der
Erbſchaft ab, für die Gefahr, das Waſſer hat feine
Balken, man kann caput gehen.” .
Die Erbſchaftsmaſſe blickte mit unglaublichen In—
tereſſe bald auf Gamaliel, der noch immer helden—
kühn daſtand, bald auf Kieſewettern; nach Letzterm in
der Hoffnung, ob nach dem reichen Segen der Feli—
citas nicht auch für ſie etwas Erkleckliches vom Erb—
ſchaftsbaume abfallen werde.
Der Actuar aber bedeutete vor der Hand Gama—
lieln, daß er feinen Entſchluß ſchriftlich beim Stadt—
gericht einzureichen habe.
Der Secretair ſetzte ſich und ward von Lagemann
angetrommelt. „Es bleibt bei den fünf Prozent;“
461
raunte letzterer, „uhr dürft Euch dem treuloſen
Meere allein nicht anvertrauen. Ein Begleiter iſt
unerläßlich, id) habe Erfahrung mit fremden Völkern
umzugehen, ward im leßten Kriege mit- ven Stofaden
immer am Beften fertig.‘
Riefewetter las weiter:
„Ferner leben noch in freundlicher Erinnerung aus
meiner Knabenzeit zu Niederroßla die Muhme Sigis—
munde, eine geborne Seekrebs —
„Das war meine Frau,‘ vief hier Hanno auffah-
rend, fo lang er war; „fie ftarb als mein vechtmäßig
Eheweib, ich fann den Zodtenjchein beibringen von
Mutter und Tochter.”
Der Actuarius winkte, und gab pantomimiſch zu
verftchen, daß ‚dergleichen Erklärungen hierher nicht
gehörten, und fuhr fort:
„Sollte fid) befagte Sigismunde Seekrebs bei Er—
Öffnung dieſer leßtwilligen Verfügung noch unter den
Lebenden befinden, jo erhält fie durch dieſes mein
Codicill das Recht, einen PVertrauten nad Stabul zu
jenden und Die ihr beftimmten fünfhundert Stüf Du—
caten in Empfang zu nehmen. Die Koften der Hin=
und Zurüdreife find vermöge eines Atteftes des Stabt-
raths zu Niederroßla gleichfalls bei Siebecke und Comp.
zu erheben.“
„Als rechtmäßiger Erbe meiner Frau, “ſprach der
Heldenſpieler zu ſich, „kann mir die in Kabul depo—
nirte Summe nicht entgehen; ſie iſt freilich ein wah—
rer Pappenſtiel gegen das Erbtheil der Felicitas, aber
in meinen Verhältniſſen nicht zu verachten, ſelbſt wenn
ich mich den Gefahren der Seereiſe ausſetze.“
Herr Hanno bedachte freilich nicht, daß die Worte
des Codicills: „ſollte ſich beſagte Sigismunde
Seekrebs bei Eröffnung dieſer lebtpilligen
1
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII.
162.
Verfügung noch unter den Lebenden befin-
“den,” auf feine Perfon durchaus feine Anwendung .
zuliegen. |
Nichtsdeſtoweniger ward der Künftler von feinem
zeitherigen Cumpan und erbfchaftlicen Schidfals- und
Leidensgenoſſen Lagemann wahrhaft beneivet.
„Da fieht man,” veflectirte diefer, „wie das Schid-
jal ungerecht waltet; diefer Hanno, den id, gefüttert
und logirt, deſſen Herz voll ift von allerhand ſchwar—⸗
zen Ränfen und Schwänfen, defjen Tugend gegen die
meinige gar nicht in Betracht kommen fann, dieſer
Menſch erbfchaftet und weiß gar nicht, wie er dazu
fommt, während ih noch immer am bloßen Hoff-
nungsknochen nage und mir die Zähne lahm kaue.
Freilich wenn ich fünf Frauen gehabt, wovon id) drei
zu Tode geärgert und zwei mir davon gelaufen,
könnt' ich vielleiht auch Ducaten erben; jo hab’ id)
mid) zeitlebens mit einer Einzigen begrügt, von ber
es, obſchon fie ſchlecht fieht und fehwer hört, nod)
jett nicht den Anfchein hat, als vb fie der liebe Herr-
gott zu fih nehmen wollte, die Grümpler find ein-
mal ein unverwüftliches Geſchlecht.“
Während Lagemanı dergleichen unerfreuliche Be—
trachtungen anftellte, fiel abermals ein goldner Apfel
vom Kabul'ſchen Erbſchaftsbaume einem der anmejen-
den Ajpiranten in den Schooß, und zwar einem, bei
dem man c8 am Wenigften erwartet hätte, nämlich
dent langen blaffen, hagern Factor Süßmilch, für
deſſen Wohlfahrt fi) der Hofmaler wahrhaft zu in-
terejfiren ſchien. Der Druder war nur fehr entfernt
mit Erblaffern verwandt, aber vie beiden waren
Schulnahbarn gewejen und Balthafar verdankte feinen
erſten Zeichnenunterricht, durch den er fpäter hauptfäch-
lich fein Glück begründete, dem jungen Süßmilch, der
163 Ä
ſich auf die uneigennügigfte Weife feines lernbegieri-
gen Schüler angenommen, welcher ihm fpäter aller-
dings über ven Kopf wuchs. Dies hatte der Hof—
maler nicht vergeffen und dem Factor taufend Duca-
ten ausgefetst, jedoch unter derſelben Beringung, daß
er fie perfönli in Kabul erhebe, wozu ihm vie er-
forderlichen Neifegelver bei Siebede und Comp. in
Hamburg angewiejen waren.
, Man hatte nie Herrin Süßmilch eine fo beijpiel-
‚ Ioje Brife nehmen jehen, al8 bei Nennung feines Na—
mend und der taufend Ducaten. Weniger jchien
ihm das perjünliche Erjcheinen zu behagen, denn dem
Factor war das Waſſer als ein eben fo unficheres
wie falſches Element befannt.
Der Actuarius fchüttelte rüftig meiter, in Folge
welcher Anftrengung endlich auch für Frau Urſula
und den Magiſter Vetterlein, für jeden Theil fünf—
hundert Ducaten abfielen, jedoch ebenfalls unter der
Bedingung der Selbſterhebung; der Wittib war es
nachgelaſſen, einen Mandatar zu ſchicken, aber Vet—
terlein ſollte, wie die übrigen Legatare, nach Aſien.
Noch immer ſaß Lagemann mit klopfendem Herzen
und geſpitzten Ohren hinter dem begüterten Gamaliel
und lauſchte, ob bei dem geſegneten Mannaregen ſein
dürſtend Gebiet endlich nicht auch befruchtet werde,
als Kieſewetter folgendermaßen zu leſen fortfuhr:
„Jetzt wüßte ich nicht, mit wem ich in Nieder—
roßla irgend noch verwandt oder wem ich ſonſt eine
Erkenntlichkeit ſchuldig wäre —“ ob folder unver—
antwortlichen Vergeßlichkeit ſeufzte Lagemann außer⸗
ordentlich. —
„Ich ſinne und ſinne, aber vergebens,“ hieß es
im Teſtamente weiter.
Der Wirth zur Stadt Magdeburg ſthhnte laut
464
° und vernehmlicdh, gleihfam als wolle er dem Teftator
feine im Codicill vergeilene Perſon in's Gedächtniß
rufen.
„Demnach mag,“ fuhr der teſtirende Hofmaler fort,
„der noch verbleibende Reſt meines baaren Vermögens,
ungefähr in zweitauſend Ducaten beſtehend, einer An—
zahl braver aber hülfsbedürftiger Familien in Kabul,
welcher Stadt ich den größten Theil meiner zeitlichen
Habe verdanke, durch gleichmäßige Vertheilung zu
Gute kommen und habe ich die desfallſigen Verfü—
gungen bei dem ehrwürdigen Mekemeh Doſt-Raya
hierſelbſt niedergelegt.“
Sämmtliche Erben fanden das nur recht und bil-
lich, nur Hanno und Frau Urſula, welche ihr Erb—
theil durch die kabuliſtiſche Armuth auf unverantwort-
liche Weiſe geſchmälert glaubten, ſchienen ſehr unzu—
frieden damit.
„Das Bettelvolk in Europa und Aſien,“ brummte
der Heldenſpieler, „ſcheint dem Hofmaler doch aus—
nehmend am Herzen zu liegen, unſtreitig aus ehema—
licher Verwandtſchaft; aber wie fommen die rechtmä-
Bigen Erben dazu? Ich werde deshalb bei einem
Rechtskundigen Nachfrage halten.”
Kiefewetter fuhr im Codiecille leſend fort:
„Sp wäre denn über meine fämmtlihe Baarfchaft
nach beftem Wiſſen und Gewifjen verfügt ; meine lie—
gende Habe, über die ih, nad den bier beftehenven -
GSefegen, nah meinem Tode nicht verfügen Tann,
fällt dem ftäntifchen Fiskus anheim. Was meine
Mobiliar = Hinterlafjenfhaft anlangt, jo hat ein be-
jonder8 bei den Gerichtsbehörden zu Kabul niederge—
legtes Codicill beftimmt; ſämmtliches bewegliches Ver—
mögen wird an den Meiſtbietenden verkauft und der
Ertrag dem Ermeſſen der Magiſtratsbehörden gemäß
165
zum Beten milder Stiftungen anheimgeftellt. Nur.
über einen Gegenftand von Werth hab’ ich mir
freie Dispofition vorbehalten. Diefer Gegenftand be-
fteht in einem drei Fuß langen Krofodille von
gebiegenem Golde, mit großem Fleiße von dem erften.
Goldſchmiede Kabuls gearbeitet. Ich Hatte dieſes
feltene, an Werth auf dreitaufend Ducaten gejchätte
Kunftwerk den Derwifchen der Abdallah-Moſchee für
den Xall zugefichert, wenn es ihnen durch ihr Gebet
. gelänge, mid) von meiner legten langwierigen Krank—
heit zu befreien und mir die Geſundheit wieder zu
geben. Da nun mein Tod bewiefen, daß ihr Gebet
nichts gefruchtet, fo haben jene Derwifche aud auf
das Krokodill feinen weitern Anſpruch und es ift da⸗
her mein Wille, daß dieſes ſaüber gearbeitete Thier
dem kunſtſinnigen Magiftrate meiner Vaterſtadt Nie=
vderroßla zu Gute komme und zwar auf Diefe Art,
- daß der Herr Bürgermeifter ein Drittel und die übri=
en Senatoren zwei Dritttheile des goldenen Unge—
—* percipiren. Es ſoll zum Nutzen und From—
men eines hochweiſen Raths geſchlachtet, das heißt,
wenn ſich kein Käufer findet, eingeſchmolzen und par—
zellirt werden. Zugleich ſtelle ich aber hierbei noch
die unerläßliche Bedingung, daß der hochweiſe Rath
zu Niederroßla ein Membrum aus ſeiner Mitte wähle,
welches das Thier in Perſon in Kabul in Empfang
nimmt und nach Hauſe geleitet. Wäre dies nicht der
Fall, ſo würden dennoch die Derwiſche ſuccediren.
Auch iſt ein hochweiſer Rath gehalten, die Reiſe- und
Transportkoſten aus eignen Mitteln zu beſtreiten, da
Herr Siebecke und Comp. in Hamburg hierzu mit
den erforderlichen Fonds nicht verſehen iſt.
„Hiermit geſchieht mein letzter Wille und ich bitte
zu Gott, daß ven biverfen Erben das ihnen zuge= ‘
166
dachte Erbtheil, jo wie dem hochweiſen Rathe von
Nieverrofla das Krokodill vet wohl befommen möge. |
„Kabul, den 8. des Moharem des Jahres...
Hebgira.
Haffan-ben-Mullah, Hofmaler.’
Der ſonſt fo ernfte Stadtrichter konnte fich bei
dem Krokodillvermächtniß wiederum eines Lächeln nicht
enthalten, während die Erben, Gamaliel ausgenom=
men, den Magiftrat um das golpne Thier von Her-
zen beneiveten. Lagemann befand fi im troftlofer
Desperation.
„Wenn nir ber Hofmaler, “ſprach er, „wenig=
ſtens einen golpnen Sperling oder eine Art Fleder—
maus oder jo was vermacht, ich hätte die Liebe ge—
fehen; vie DBeftie, - wenn fie maffiv, war doc ihre
funfzig Ducaten unter Brüdern werth. Ein jo un-
danfbares hofmalendes Gemüth, das des beiten Freun—
des ſeines Vaters nicht gedenft, während er dem
Rathe höchſt überflüffiger Weife ein ganzes Krokodill
in den Rachen fchiebt, ift mic noch gar nicht vorge-
fommen. Ich wünjchte, dieſer golone Rader verfünfe
im Meere, wo c8 am Tiefiten und das Crbichafts-
heer dazu. |
In diefem Augenblide befann er fid) aber, daß
er wegen der fünf Prozente jelbjt mitfahren wolle ;
er nahm feinen übereilten Wunſch zurüd und be
ſchäftigte fih) vor der Hann mit dem glüdjeligen Ga—
maliel, der am Ziele aller feiner Wünſche ftand, und
welchen er ſich fortwährend als Reiſecumpan aufprang.
Der Secretair, der über eine fo wichtige Angele-
genheit ohne ſeine Meutter nicht ſogleich ein Pactum
abjchliegen, in ver Freude ſeines Herzend auch dem
Hotelier Feine abjchlägige Antwort geben wollte, jagte:
167
„aber, Herr Lagemann, Ihre Wirthſchaft, Ihr ange-
brachtes Geſchäft, bedenken Sie!“
„Iſt meine Sache,“ fiel der Magdeburger eifrig
ein, „ohne mich geht's fort, die Nahrung iſt jetzt 's
Große nicht, meine Frau verricht's. Da Sie mir
zehn Prozeut der Erbſchaft gewähren, hoff' ich den
Schaden ertragen zu können; bekomme überdies die
Welt zu ſehen und mache Erfahrung. Um letzteres
iſt mir's eigentlich, nach Golde ſteht mein Sinn we—
niger; Geld macht nicht glücklich, aber Erfahrung,
Bildung, Weltſchau.“
Der Seecretair erſchrack, als Lagemann von den
zehn Prozenten wie von einer ausgemachten Sache
ſprach. Er gab nicht ohne Befangenheit zu bedenken,
daß er zuvor doch mit ſeiner Frau Mutter, als der
eigentlichen Erbin, wegen ber gewünſchten Tantième
und der Mitfahrt Rüdipradye nehmen müffe.
Lagemann erflärte dies für überflüflig.
„Ihre Frau Mutter,” ſprach er, „wird Gott dan-
fen, 'wenn ein erfahrmer Mann für jo Billige Sie
begleitet, fo mutterfeelallein fünnen und dürfen wir
Sie nit fort laſſen. Bon Nieverrofla bis Kabul
iſt fein Katzenſprung, fragen Sie Henoch, der hat es
ſchwarz auf weiß. Die Reife ift nicht ohne Gefahr;
in Alten ift die Polizei nit jo auf den Beinen wie
bei ung; man hat einen Schnitt in die Kehle, einen
Strick am Halfe, ohne daß man weiß, woher er
eigentlidy kommt; die Aſiaten befigen hierin Fertig—
feit; der wilden Elephanten, geftreiften Panther und
des wilden Viehs nicht zu gedenken; man wirb ge-
freffen, verfchwindet von der Erde mit Haut umb
Haar und fein Hahn kräht darum, weder ein afiati-
ſcher noch europäiſcher; ich begreife nicht, . wie der
Hofmaler jo durchgekommen if. Die zehn Prozent
168 |
find ein Spottgeld; ich Hoffe, Ihre Frau Mutter denkt
billig und legt was zu; funfzehn, ja zwanzig, wäre
nicht übermäßig, die Gefahren find darnach. Ich ver-
laſſe Weib und Kind Ihretwegen, Haus und Hof,
Kundſchaft und Alles; am den Abſchied darf: ic nicht
denen, ev frißt mir das, Herz ab, ih fühl's und
meine Frau wird's würgen, fie tann ſich den Knacks
holen zeitlebens.“
Dem Secretair ward immer übler zu Muthe. Er
fürchtete, Lagemann, deſſen Tugend er für feinen un-
erfteiglichen Felſen hielt, könne fpäterhin auf Ver—
ſprechungen von Seiten feiner pochen, an vie er felbft
im Entfernteften nicht gedacht. Gamaliel ſchob daher
angelegentlih überall feine Mutter dazwiſchen; doch
der Hotelier nahm die Mitfahrt und die Prozente ale
eine ausgemachte Sache an.
Während die Beiden nody über vie orientalijche
Erpebition unterhandelten, fühlte ſich Oamaliel auf
die Achjel geklopft. Er wande fih um und. blidte in
bie Schönen Augen der Wittib, welche vecht ſchmachtend
zu ihm aufſchauten.
„Vetter,“ flötete das ihöne. Weib, „nicht wahr,
Ihr nehmt Euch einer aymen verlaffenen Wittwe an?“
Der Secretair wollte die Frage jo eben heilig be-
theuern, als Urjula fortfuhr: „Und beforgt meine
Angelegenheiten in Kabul? Da Ihr einmal die Ketje
macht, ift e8 Euch ein Kleines, mein geringes Erb—
theil zu erheben. Ich erjpare die Spejen und weiß
das Meine in fichern Händen.“
Tagemann, welcher zwei Fliegen mit einem Schlage
zu erlegen hoffte, erbot ſich ſogleich zum Beſten ber
Wittwe zur Fahrt nah Dftindien. Sein Erbieten
ward indeß jehr entjchieven zurückgewieſen.
„Nicht wahr, Better, fuhr Urſula zu Gamaliel
169
gewendet mit vieler Wärme fort, „Ihr erzeigt dieſe
Gefälligkeit einer armen Wittwe?“ |
Der Ceeretair, obfhon er faft zwei Jahre bei
einem Juriſten ſchrieb, wußte ſich in dergleichen civil⸗
vehtlihen Aufträgen durchaus nicht zu benehmen.
Er geftand dies offen. Lagemann befräftigte es; bie
Wittwe ſprach aber: „Ich unterfchreibe eine Vollmacht,
eine unumſchränkte Vollmacht, va ſchwinden alle Weit-
läufigfeiten und Schwierigkeiten.”
Gamaliel bob fo tief Athem, daß es faſt wie ein
Seufzer Hang. Er gedachte ver eignen Geſchäfte, die.
auf ihn ruhten und denen. ev fi) kaum gewachſen
fühlte, und follte nun auch als Mandatar für andre
wirfen. Er verſprach indeß fein Möglichites, ohne
die Sache gewiß zu machen, aber Urfula nahm, wie
Tagemann, Alles für abgemacht an.
Die diesmalige Heimkehr der Erben aus der
ftabtgerichtlihen Seffion gli einem Triumphzuge.
Die Nachricht von dem reichen Erbſegen hatte fid)
‚ mit Bligesfchnelle verbreitet. Es entſtand ein fürm=
licher Volksauflauf vor dem Rathhauſe. Namentlich
„war Gamaliel ein Gegenftand des allgemeinften In—
tereſſes und heintlichen Neides. Lagemann ſchritt ftolz
an ſeiner Seite.
Der Secretair wußte nicht, wie er nach Hauſe
kam. Er hielt Alles für einen Traum und mußte
ſich wiederholt den Kopf reiben, um zu unterſuchen,
ob er wirklich auf Erden wandle. Er war unver—
mögend, auf alle die Fragen, die von den angeſehen—
ſten Leuten unterwegs an ihm gerichtet wurden, Ant-
wort zu ertheilen. Lagemann that’8 an feiner Statt
um fo ergiebiger. Der glüdliche Erbe hatte jo voll-
fommen den Kopf verloren, daß er jelbft vergaß, dem
Doctor Eifenbeig Bericht abzuftatten, wie er doch ver:
470 ,
Iprochen hatte. Ihn drängte e8, vor allen Dingen
jeiner Mutter an den Hals zu fallen. Er lieh fid
daher auf lange Auseinanderfegungen während des
Heimwegs nicht ein, fondern drängte vorwärts.
Als er.auf der Wachsbleiche bei Meifter Ziegen-
balg’8 Haufe anlangte, fah er bereits einen großen
Knäuel Menfchheit vor feiner Wohnung verfammelt.
Aus der Ferne rüdte der Stadtmuſikus Kranich, wel-
her die Gelegenheit zu einem paſſenden Stänpchen
nie verfäumte, mit feinem Chor in jubelndem Ge—
ſchwindmarſch, von der jämmtlichen jugenplichen Gaf-
fenbevölferung umringt, eiligft heran. Noch nie hatte
man in Nieverroßla eine ſolche Aufregung gejehen.
Zwoölſtes Kapitel.
Desgteichen hatte e8 wohl nie eine lebhaftere Sitzung
im Rathscollegio zu Nieverroßla gegeben, als diejenige
war, welche unmittelbar nad Bekanntwerdung Des
zweiten Codicills ftattfand und die Herbeifchaffung des
goldnen Krokodills aus Afghaniftan betraf. Mehre
Senatoren, wadre Handwerker und Pabrifanten, hats
ten jelbft ven berühmten Lorenzkircher Jahrmarkt in
die Schanze gefchlagen, um der hochwichtigen Sitzung
beizumohnen.
Das Rathscollegium zu Niederroßla beftand außer
dem bereit8 oben erwähnten Bürgermeifter Sebajtian
Flaminius aus folgenden ſechs, theils befolveten,
theils gehaltlofen Senatoren oder Rathmännern, näm-
lich dem Rathsactuar Zeifig, dem Quchbereiter, und
-
4174
Kämmereiverwalter Tambour, dem Horndrechsler Mate,
auch der Baumeiſter genannt, weil ihm die Sorge
der ſtädtiſchen Bauten oblag, ferner aus dem Mützen⸗
macher Kabel, dem Tabad- und Cigarenhändler Ger-
fterberger und dem Drabtzieher Schlimper.
Es währte lange, ehe man zum Siben, gejchweige
zum Delibriven fam. - Kabel, ver Mützenmacher, ein
Sanguinifer, welcher überdies bei der Nadricht von
dem Krokodil, wovon auch ihm eine Parcelle zufal-
len follte, in aller Haft und. Freude eine Flaſche
Rothwein getrunfen, umarmte, mit Ausnahme des
Bürgermeifterd , welcher noch nicht zugegen war, ben
fammtlihen Rath und ſchwur feierlichſt, daß, wenn
man das Krokodil chriftlih theile, und ihm feinen
Theil nicht zu knapp zumefje, er das Pfeifergäßchen,
worin man bei nafjer Witterung zum Erbarmen bid
an die Knie einfinke, zum Ruhm Niederroßla's auf
eigne Koften pflaftern laſſen wolle. Dann verficherte
er jedem feiner Gollegen feiner befondern Freundſchaft
und Gönnerfchaft und umarmte die Rathöverfamm-
lung zum zweiten Male, der Reihe nad).
Der Goldwerth des Krokodills war faft der allei-
nige Gegenſtand des Geſprächs; Tambour, der um=
fihtige Kämmerer, ſchlug vor, das Thier einem Könige
anzubieten, der bezahle außer dem Gehalte aud bie
Kunft und man braude es nicht einzufchmelgen.
Schlimper, ver Drahtzieher und Patriot, war der
Meinung, das morgenländifhe Erbe der Stadt zu
verehren, als Denkmal hochherziger Begeifterung dee
Rathes gegen feine Bürgerſchaft. Nur in Zeiten der
höchften Noth folle für's Beſte ver Stadt zum Kro-
fodille die Zuflucht genommen werben. Die übrigen
Rathönitgliever wollten aber von folh einem Dent-
mal hochherziger Begeifterung ſchlechterdings nichts
172
willen. Dagegen fchlug man dem Patristen vor,
wenn er für feine Berfon auf feine Portion Krokodill
verzichten und diefelbe feinen Collegen abtreten wolle,
jo wäre man nicht abgeneigt, ſolche Enthaltfamteit
mit großem Danke anzunehmen. Kabel, noch immer
umarmungsluftig, fiel dem Drahtzieher zum dritten
Male um den Hals und flehte,- feine Portion Kroko—
bill ihm zu überlaffen, er wolle fie wohl anwenden.
Schlimper mochte fih aber nur unter der Bedingung
zu einer Reſignation hinfichtlicy feines Erbtheild ver-
ftehen, wenn das Krofodill mit Haut und Haar zu
einem gemeinnüßigen Zwecke verwendet werde.
„Aber mein Gott,“ erwiederte Mate der Käm—
merer, „kann e8 denn einen gemeinnüßigern Zweck
überhaupt geben, als wenn der Reichthum uns zu
Gute kommt? Wir find das Haupt der Stadt, müf-
jen denken, forgen und berathichlagen für dieſelbe.
Was zu unferm Beten gefhieht, geſchieht auch zum
Beften der Stadt und ift gemeinnützig.“
Schlimpern ausgenommen waren fämntlidye Nath-
männer mit des Kämmerers Ausſpruch einverftanden;
da trat der Bürgermeifter aus feinem Kloſet, wofelbft
er von demjenigen Theile des Kabul'ſchen Codicills,
worin von ihm, feinen Senatoren und dem Kroko—
bille die Rede war, eine Abjchrift genommen.
Sp wie das Haupt der PVerfammlung fidhtbar
wurde, trat fofort eine bemerfensmwerthe Stille ein.
Selbſt der Mützenmacher that feinen Yieblofungen
Einhalt. Der Bürgermeifter ging fogleid) zur Sache
über, weshalb er die außergewöhnliche Verfammlung
ausgefchrieben, und las nad einigen einleitenven
Worten wie folgt:
„Nur über einen Gegenftand von Werth habe ich,
Haflanzben-Mulluh, mir freie Dispofitton vorbehalten.
473
Diefer Gegenſtand befteht in einem brei Fuß langen
Krofodille von gediegenem Golde, mit großem Fleiße
von dem erjten Goldſchmiede Kabuls gearbeitet. Ich
hatte dieſes ſeltene, an Werth auf (hier erhob ver
Borlefer bejonders feine Stimme) dreitauſend Ducaten
gejhätte Kunftwerf den Derwifchen der Abpallah-
Moſchee für den Sal zugefichert, daß fie e8 durch ihr
Gebet dahin brädten, mid von meiner legten, lang—
wierigen Krankheit zu befreien und mir die Gefund-
heit wieder zu geben. Da nun mein Tod bewiefen,
daß ihr Gebet nichts gefruchtet, fo haben jene Der-
wiſche auch auf das Krokodill feinen weitern Anſpruch
und e8 ift mein Wille, daß dieſes fauber gearbeitete '
Thier (die nun folgenden Worte wußte Herr Seba⸗
ftian Flaminius wieder ausnehmend zu betonen, wäh-
rend die Rathmänner fich einander mit gravitätifchen
Blicken anfchauten) dem Funftfinnigen Magiftrate
meiner Vaterſtadt Niederroßla zu Gute fomme; und
zwar auf diefe Art, daß der Herr (hier verneigten
fi) ſämmtliche Senatoren) Bürgermeiſter ein Drit-
tel (diefes Drittel marfirte Herr Ylaminius fehr
vernehmlich) und die übrigen Senatoren zwei Drittel
des goldenen Ungeheuer percipiren. Es fol zum
Nuten und Frommen eine hochweiſen Raths ge-
ſchlachtet, das heißt, wenn ſich fein Käufer findet, ein-
geſchmolzen und parcellivt werden. Zugleich ftelle ich
aber hierbei noch die unerläßliche Bedingung, daß
(hier ward der Bürgermeifter wieder fehr laut und
vernehmlich) der hochweiſe Kath zu Niederroßla ein
Membrum aus feiner Mitte wähle, welches das Thier
in Perſon in Kabul in Empfang nehme und nad
Haufe begleite. Wäre dies nicht der Fall, jo wür—
den dennoch die Derwifche fucceniven. Auch fol ein
hochweifer Rath gehalten fein, die Reife und Trans⸗
N
174
J
portkoſten aus eignen Mittelr zu beſtreiten, da Herr
Siebede und Comp. mif den hierzu erforderlichen
Fonds nicht verfehen, wie bei den andern Legataren
der Fall ift.”
Die Rathmänner hatten den leßten Theil der Vor—
lefung mit weit weniger Vergnügen vernommen, als
den erſtern, und es trat, nachdem der Bürgermeifter
geendet, eine große Pauſe ein, welche allgenteines Nach-
denken zu verrathen fchien. Herr Slaminius fuhr fort:
„Deine Herren,” ſprach er, „wie groß das Glüd
it, fo uns auf fo unerwartete Weife durch dieſe Erb⸗
ſchaft zu Theil geworden, und zu wie hohem Danke
fie uns gegen den edeln Haſſan-ben-Mullah verpflich-
tet, fo ſehen Sie doh auf der andern Geite ein,
daß die Acquifition des Erbtheild nicht mit geringen
Schwierigkeiten verbunden: iſt.“
„Das jehen wir,” geſtanden die Senatoͤren mit
Einem Munde.
,So viel iſt eins,“ fuhr dus Haupt der Bürger-
Ihaft fort, „einer aus un'ver Mitte muß nah Kabul,
ſonſt fuccediren die Derwiſche.“
„Sonſt fuccediren die Derwiſche,“ erwiederten bie
Rathmänner im Chor.
„Und das Dürfen wir nun und nimmer zugeben,‘
vief Flaminius energiſch.
„Nun und nimmer!“ tönte es eben ſo herzhaft
rings um den Seſſionstiſch.
„Aber wer ſoll reiſen? Das iſt die Frage!“
„Das iſt die Frage,“ antwortete der Chor.
„Gern würde ich mich ſelbſt zur Weltfahrt ent—
ſchließen, “ fuhr der Bürgermeiſter fort, „wenn es
das allgemeine Beite gilt, ftehe ic) nie zurück, das ift
befannt; aber meine Stellung als Conſul dirigeng,
die mannigfacen Wirren in unfern ftäbtifchen Anges
475
legenheiten, vie nie fo verwidelt ſich herausſtellten
wie in der Gegenwart, machen meine perfönliche An-
wejenheit mehr denn je unerläßlich. Sie werben dies
einfehen, meine Herren Senatoren.”
Obſchon es faft Fein Einziger einfah, jo hatte
man doch nicht den Muth, es gerade heraus zu fagen.
„Auch“ fcheint mir,” ſprach Flaminius weiter, „daß
Erblaſſer, dem aus jeiner Jugendzeit die hiefigen
Berhältniffe nicht. unbefannt find, unter dem „Mem—
drum” nur einen der Herrn Senatoren verftanden
hat. Bei feiner Borliebe für Nieverroßla, die ſich
jo offenfundig herausftellt, ft fait als gewiß anzu—
nehmen, daß es nicht in feinem Willen gelegen, dieſe
geliebte Stadt auf längere Zeit ihres Hauptes zu
berauben.‘'
Den Senatoren ſchien dies einzuleuchten, fie er=
wieberten nichts. |
„Alſo bitte ich, die wichtige Sache zur Entfchei-
„ung zu bringen, es ift feine Zeit zu verlieren, wenn
wir dieſes Jahr noch zum Ziele gelangen wollen.
Ic, lebe noch immer in der froben Hoffnung, daß
fi) einer unter uns aus freien Stüden zur Reiſe
entſchließen wird. Site ift nicht ohne Annehmlichkeit.
Man befommt ein groß Stüd Welt zu fehen, erhält
Gelegenheit, die mannigfachften Sitten und Gebräuche
fennen zu lemen. Der glüdlihe Voyageur bevenfe,
was er nad jeiner Heimfehr erzählen kann, abgejehen
von dem ganz bejondern Verdienſte, das er fi) um
das gefammte Rathscollegium erwirbt.“
Die frohe Hoffnung des Herrn Bürgermeiſters
ſchien indeß nit in Erfüllung zu gehen und die er-
wähnten Annehmlichkeiten der Reife feinen ermun—
ternden Anklang zu finden. Vergebens überfchauten
die Blide des Flaminius ver Reihe nad die Rath—
476
männer und fie verweilten mit fichtbarem Wohlmwollen
auf dem Baumeifter.
„Mate, . begann das Bürgerhaupt in anerfen-
nendem und ermunterndem Tone, „Ihr habt Euch
in fehwierigen Fällen immer zu benehmen gewußt,
fein mit allen Nationen ausgelommen zur Zeit der
Einquartierung; dieſe Reiſe nad Kabul ift eigentlich
ganz für Euren unternehmenven Geift geichaffen. An
Eurer Stelle Tieß ich mir fie nicht nehmen. Ich bin
überzeugt, daß ſämmtliche Herren Collegen verfelben
Anficht find.”
‚Sa wohl,“ tönte es aus einem Munde, „Mate
muß nad Kabul.”
Mate ſelbſt war. ganz andrer Meinung.
„Ich bin der einftige Mate nicht mehr, ſprach
er ablehnenp, „ver fich ehedem mit Kofafen und Balch-
firen und Kriegsvolk aus aller Herren Länder her-
umgeftritten, die Jahre, das Gemeinwohl, die fojt-
jpieligen Bauten, das jeige Lagerbier haben ihren,
nachtheiligen Einfluß auf meine Conftitution nicht
verfehlt. Ich käme wicht nad England, geſchweige
nach Kabul.“
„Nichts iſt aber ſtärkender ale Seeluft,“ gab
Flaminius zu bedenken, „vielleicht daß eine ſolche Er—
holungsreiſe auf Eure Geſundheit recht wohlthätig
wirkt. Man hat Beiſpiele. Wollet dies wohl über—
legen, Herr Baumeiſter.“
„Und ſollte es mich meinen Antheil am Kroko—
dille koſten,“ erklärte Matze, „mich bringt keine Macht
der Erde auf meine alten Tage aus Niederroßla. Ich
habe mich genug geplagt mein Leben lang, daß ich keine
Luſt habe, mich zu guterletzt von einem Wallfiſche
verſchlingen zu laſſen.“
„Oh, oh,“ mahnte der Bürgermeiſter, „von ſol⸗
477
-
Gefahr kann ja die Rede gar nicht fein, fo viel ich
mid aus meinen naturgefchichtlihen Forſchungen ent-
finne, tragen die Wallfiſche nah Menfchenfleich weit
weniger Gelüfte, als davon gefabelt wird.”
„Sie werben bei einem hochlöblichen Stabtrath
von Niederroßla nit erft um Erlaubniß einkommen,“
brummtee der Baumeifter für fih. Darauf erwiederte
er laut: „Thut's der Wallfiſch nicht, fo giebt's der
andern Beitien in Menge, die einen friedlichen See—
fahrer nah dem Leben tradhten. Nein, ic habe ber
Prüfungen des Lebens genug beitanden und will Ruhe
haben; aber da ift unfer verehrter College, der Herr
Kämmerer Tanıbour, den fehe ih e8 an, daß er ſich
die ehrenvolle Expedition nicht wird nehmen laſſen.“
Auf diefe Worte richteten ſich die Blide des gefammten
Rathscollegiums auf Tambour, welcher nicht wenig
erihraf, fo plöglich der Gegenftand der allgemeinen
Aufmerkſamkeit zu werben. Noch bei weiten mehr aber
gerieth er in Beftürzung, als ihn Flaminius folgender:
maßen anredete: |
„Mate hat nicht Unrecht, in ver That, Euer
feuriger Blick kann ſich nicht verleugnen. Da ſchlum—
mern Thaten dahinter, die unſrer Stadt zum Ruhme
gereichen werden. Auch ſpricht Euer kriegeriſcher unter—
nehmender Name insbeſondere für die morgenländiſche
Expedition. Der Name Tambour hat etwas Erjchiit-
terudes.“ | |
Das Rathscollegium ftimmte, mit Ausnahme des
Kämmerer, hier wieder vollflommen bei; dieſer aber
jtredte beide Arme beſchwörend gegen feine Collegen
aus und flehte, feiner ſchwangern Frau und feiner
fünf lebendigen Würmer zu gevenfen, die in ihm ven
einzigen Ernährer verlören, falls er auf ver Reife
umkomme. An Muth fehle: es ihm nicht 8 zeige
Stoffe, ſämmtl. Schriften. XVII.
178
allerdings fein Blid, aber‘ bie Femilienpflichten gingen
ihm über Alles. Er ſchlage aber Schlimpern vor, der
ſei bekannt als Patriot und habe überdies keine Kinder.
Die allgemeine Aufmerkfamkeit lenkte fich jetzt auf
‚ven Drahtzieher. Diefer blieb ſehr ruhig und erklärte,
wegen fo einer precären Erbſchaft veife er nich zehn
Meilen per Poſt, gejhweige um bie halbe Erde herum
nah Kabul. Es jei die große Frage, ob die Kabuliften
einen Pfifferling , herausgäben. Wenn man auch mit
ben Leben davon komme, ſicher nicht ohne große Nafe,
an der man zeitlebens zu tragen habe. Ihm gelte
niht nah großem Mammon, jo viel er mit feiner
Grau. brauche, habe er; die orientaliihe Exrbichaft laſſe
ihn daher ſehr gleichgültig, wielweniger daß er fid
ihrethalber follte der geringften Gefahr ausſetzen.
„Kabel, der Mützenmacher,“ ſchloß er, „würde ſich weit
eher zur Reife eignen. Gr ift lebensluſtig. ſieht fich
gern in der Welt un, hat pa Gelegenheit, Erfahrungen
zu machen und berühmt zu werben.
Jegt wurde der Mützenmacher der Brennpunkt, der
Aller Augen auf ſich 308.
„Faſt möchte ich es als einen Fingerzeig Des Schick—
ſals anſehen,“ ſprach der Bürgermeiſter, „daß ſich unſer
verehrter College Kabel zur Reiſe entſchlöſſe. Kabel
und Kabul, welch' wunderſamer Zuſammenklang. In
der That, ich bin erſtaunt.“
Der Mützenmacher, welchem bei der Anmuthung
zur morgenländiſchen Fahrt aller Weinrauſch verflog,
begann aus Leibeskräften zu proteſtiren und geberdete
ſich weit verzweifelter als alle feine Vorgänger. Seine
Averſion gegen die Seereiſe war außerordentlich und
das Antlitz des Bürgermeiſters ward immer beſorgter.
Die Anzahl der nach Kabul zu entſendenden Raths-
mitglieder ward immer geringer. Es verbleiben nur
179
nod) zwei, der igarrenfabrifant Gerftenberger und
der Rathsactuar Zeifig, Hinfichtlih derer umu noch
ungewiß war, ob fie die Neifenverfion der Uebrigen
theilten.. Als man bei Gerftenberger anflopfte, warb
der Mann orventlih grob und frug, ob man fein
wohlangebradhtes Gſchäft ruiniren wolle, indem man
ihn nad Kabul ſchicke. Seine Anwejenheit ſei unent-
behrlich und felbft für den Fall, daß das ganze Krofopill
fein Eigenthum werde, könne er fich feinen Schritt
vom Haufe entfernen. oo.
„Aber, meine Herren,” begann mit großer Betrübniß
der Bürgermeifter, „da e8 eine unwiderruflice Teſta—
mentsflaufel ift, daß Einer aus unfrer Mitte nach
Aſien wallfahrtet, jo ſehe ich nicht ein, wie Da8 werden
ſoll und wie wir die jchöne Erbichaft, die und doch
Allen recht wohl thun würde, acquiriren wollen?‘
Seine Blide ſchweiften während dieſer Rede weh-
müthig über die Berfammlung und firirten’fid, enplich
auf Zeifig, der zeither zähneklappernd, an feiner Protgfoll-
fever fauend, vagefeflen hatte. Wie ein gefahrdrohendes
Donnerwetter war ihm vie ganze Verhandlung zeither
erfchienen. Er hatte ven Bli wiederholt herabfahren
und von der Collegenſchaft abprallen ſehen. Sein Inſtinkt
al8 geborner Unglücksvogel fagte ihm gleich im Anfang,
daß der Wetterftrahl zu guterlegt ihn treffen und zer-
malmen werbe.
Wie der Unglüdlihe geahnet, fo gefhah es; Fla—
minius richtete jet feine Rede an jeinen Actuar,
einem Manne, ver halb aus Aengftlichleit und halb
aus Höflichkeit zufammengejeßt war, ver äußerſt felten
und feinem geftrengen Principal, dem Bürgermeifter,
nie widerſprach; deſſen Stellung faft ganz vom Raths⸗
collegio abhängig und der daher gezwungen war,
fih faft ſelaviſch dem Willen beffelben, „zu fügen,
1;
180
Zefig war ein herzensbraver Mann; er trat Nie:
mandenr in den Weg und erfüllte feine Pflichten mit
feltener Redlichkeit und Berufstreue; aber er war
unbefannt mit der Welt und ihrem ſchnöden Treiben.
Sein ganzes Leben lang war er, mit Ausnahme feines
Aufenthalts auf der Akademie, nicht drei Meilen weit
über das Weichbild feiner Vaterſtadt Nieverroßla hin—
ausgefommen. Ueberdies gehörte Zeifig auch noch zu
ven fogenannten Unglücksvögeln, denen felten Etwas
gelang und die überall mit dem Heinen malitiöfen
Dämon der Fehlſchlagungen zu kämpfen hatten. Na—
'mentlih war Died mit dem Actuar im Punkte der
Liebe der Tall gewefen, immer hatte er, obfehon bie
redlichſten Abfichten im Bufen führend, einem Glüd-
lichern nachftehen müſſen und war daher Junggeſelle
geblieben zeitlebens. Yu ihm aber wandte fidh, nach—
dem das geſammte Rathscollegium auf die Reife nad
Kabul verzichtet, der regierende Bürgermeifter und ſprach
folgendermaßen:
„Senator, begann er, „ich bin überzeugt, ein ges
ehrted Collegium ift allgemein damit einverftanden,
wenn ih Sie für die jo ehrenvolle wie fruchtbringende
Reife nad) Kabul auserlefe.“
Zeifig ſah ven Blitzſtrahl nieverzuden, erwiederte
niht8 und man vernahm nur einen tiefen Geufzer,
welcher der großen Scene ein eignes romantiſches Co—
lorit verlieh.
„Senator,“ fuhr Flaminius fort, „je länger ich
darüber nachvenfe, um fo überzeugenver ftellt fih mir
der Gedanke, dag Niemand nıehr geeignet zu dieſer
Weltfahrt fein dürfte.‘
Der Actuar ſeufzte.
„Sie find unverheirathet,” ſprach der Bürger-
meifter weiter, „fein Weib und Kind weint vereint an
184
Ihrem Grabe, felbft wenn e8 das Unglüd’ wollte, daß
Sie von den Wellen verfchlungen würden.”
Zeifig Jah fich im Geifte bereits auf tiefem Meeres--
grunde ausgeftredt liegen, zwiſchen Korallen und Meer—
gewürm, angefreflen von Haififchen.
„Sie find Yurift und zur gerichtlichen Empfang-
nahme des Krokodills weit geeigneter, als die übrigen.
Herren Senatoren. Ihnen werden die Rabuliften in
Kabul fo leicht Fein X für ein U maden. Das bin.
ich überzeugt. Was fagen Sie, meine Herren?”
Das fammtlihe Collegium mit Ausnahme des
Actuars war der Anficht des Bürgermeiſters. Indeß
erfundigte ſich Schlimper, weg denn unterdeg bie
Actuariatsgejchäfte übernehmen follte.
Zeifig athmete bei diefer Frage in Etwas auf, er
hielt ſich für unentbehrlich.
„Wie überhäuft ic) aucd mit Gefchäften bin,‘ er-
wieberte Flaminius, „fo werbe ich einftweilen als Actuar
fungiren. Was thut man nicht dem allgemeinen Beten
zu Gefallen! Die Saden von geringem Belang kann
Pomfel, der Rathsfchreiber, übernehmen. Ex hat fo
nur müßige Zeit.“ |
„Dann erlaube ich mir aber,” fuhr Schlimper
fort, „no in Erwägung zu bringen, daß, da bie
Reife nah Kabul feine Kleinigkeit if, dem Reiſenden,
der ſich für uns alle aufopfert, eine beſondere Grati—
fication zu Theil werde, und trage darauf an, falls
fi) Herr Zeifig noch zur Wafferfahrt entfchließt, ihm
bie Tantieme am Krokodil um fünf, Prozent zu ver-
größern.” |
„Exit müſſen wir das Thier ſehen,“ entſchied der
Bürgermeijter, „um nad der desfallfigen Größe zu
urtheilen, ob Jeder Etwas ven feiner pars legitima
abzugeben im Stande ift over nit. Eine weit _
182
gewichtigere Frage jedoch ift es, welche jet unfer an=
geftrengtes Nachdenken in Anſpruch nimmt, nämlich die
gemeinjchaftlihe Aufbringung der Atzungskoſten für
den Actuar, fo wie für Emballage und Fracht des
ererbten Unthiers, da Erblaſſer bei Siebede und Comp.
dafür eine Summe niederzulegen bebauerlicher Weife
Anftand genommen hat.”
Beifig, der die ganze Zeit daher dagefefien hatte
wie ein Vogel jeines Namens, der beregnet ift, gerieth,
Da er bereit von den Asungstoften Iprechen hörte und
vernehmen mußte, wie man feine Abfahrt als ausge-
machte Sache verhanple, in file Wuth, die ihn alle
Rüdfihten gegen den, Bürgermeifter und eim hohes
Collegium aus den Augen verlieren ließen. Er, ber
fein Leben lang faum aus dem Weichbilde Riederroßla 8
herausgelommen, follte mit Einemmale halb um die
Welt und wieder retour fahren, und noh dazu in
Begleitung eines Krokodills. In feinem fanften Ge-
müth kochten Wehmuth, Angft und Zorn mit einander.
Endlich Tief der Topf über und ber Gequälte plagte
mit weinerliher Stimme die Worte hervor: „Aber
ih mag nicht nad Kabul!”
„Suter Senator,” erwiederte Flaminius väterlich,
„Sie weihen von der Hauptjache ab.“
Der liberale Schlimper, der gern Oppofition
madte, meinte, gezwungen fünne ein conftitutioneller
Staatsbürger nicht werden. Wenn Zeiſig natürliche
Averfion habe vor Afien, jo jolle man die ererbte
Beltie, und beitünde fie auch aus Perlen und Edel—
geitein, fahren laſſen.
Der Bürgermeifter, dem fein Dritttheil im Kopfe
herumging, fpannte, um die Oppofition nicht zu reizen
und hartnädiger zu machen, gelindere Saiten auf.
„Der Rathsactuar Zeifig, Wohlgeboren,‘ ſprach
483
er, „wird durch fortgefeßtes Nachdenken zu der Anficht
gelangen, daß eine fchönere Gelegenheit, Ruhm umd
Reichthum zu erwerben, fich nicht fo leicht wieder dar⸗
bietet. Ich werde ald ganz beſondre Anerkennung
feiner Verdienſte ihm ein beſondres Kapitel in unfrer
ſtädtiſchen Chronif einräumen. Nah Iahrhunderten
wird fein Name genannt und gefeiert werden von ben
nachwachſenden Entelgefchlechtern.” |
Sclimper wollte ſich mit dieſer Perfpective nicht
ganz einverftanden erflären. „Die nachwachſenden
Enkelgeſchlechter,“ meinte er, ‚können für Zeifig des-
halb von weniger Belang fein, da er nicht verhei-
rathet iſt.“
„Ja wohl,“ ſeufzte der Actuar, „auch fühl' ich
mich durchaus nicht geneigt, noch in den Stand der
heiligen Ehe zu treten.“
„Aber gerade dieſe Eheloſigkeit,“ gab Flaminius
zu bedenken, „macht den Senator geſchickt zur Reiſe.
Wir Andern alle würden Weib und Kinder in herz—
zerreißendem Jammer zurüdlaffen. Bon wem bat
Zeifig Urlaub zu nehmen? Einzig und allein von ung,
und werden wir folchen in Gnaden nicht vorenthalten.
- Sollte ihm etwas Menfchlihes begegnen; er kann ge-
troft in's befjere Jenſeits eingehn, denn auf Erden für
wen hat er zu forgen? Bei uns Andern verhalten fich
die Umſtände ganz gegentheilig, Sie jehen das ein,
meine Herren Senatoren?”
Alle jahen e8 ein; nur Schlimper war mit feiner
Dppofition nicht todt zu machen. „Ich halte. e8,”
ſprach er, „mit den Geifte einer conftitutionellen Ver—
fafjung, deren fi) unfer Land Gott fei Dank zu er-
freuen hat, ſchlechterdings unvereinbar, Jemanden, der
nicht abſonderlich Luft dazu verfpürt, in ein fteinfrembes
Land zu fchiden, wo Gefahren der mannigfachften
18% .
Art feiner warten. Und went wir hundert golone
Krokodille erbten, was find fie gegen ein Weenfchenleben,
gegen das Wohl und Wehe eines conftitutionellen
Staatsbürger8?"
Flaminius replicirte: „Bon einem Zwange Tann
hier nicht die Rede fein, aber went wir unſern ver=
ehrten Actuar auf die glänzenden Vortheile aufmerkſam
zu nahen und bemühen, jo ihm aus der aftatifchen
Fahrt zu Theil werden, fo liegt das feineswegs außer
dem Bereiche conftitutioneller Gefinnung und Gejeb-
gebung. Ich hoffe, daß dies auch Ihre Anficht ift,
meine Herten Senatoren.”
„Vollkommen,“ nidten die Andern und warfen dem
unermübdlihen Opponenten, der mit foldhem Eifer gegen
ihr Interefie ſprach, nicht eben die freundlichſten Blicke
zu. Schlimper ließ ſich indeß nicht irre machen und
fuhr fort, feine coriftitutionellen Anfichten in Anjehen
zu erhalten. Zeifig felbft verhielt fich fehr leivend.
Nach feinem vorigen desperaten Auftreten ſchien feine
moralifche Kraft gebrohen. Das Collegium beſchloß
daher, der Actuar folle vierundzwarnzig Stunden
Bedenkzeit erhalten, worauf man eines Weitern zu
verfügen gedenke. Man kam wieder auf die Atzungs-
foften und berechnete, wie hoch wohl der Krofodill-
transport von Kabul bis Nieverroßla ſich belaufen
werde. Mit Screden hatte man in Erfahrung ges
bracht, daß ver Hofmaler für jeden der übrigen
Erben ein Reiſegeld von zweihundert Ducaten
niedergelegt hatte. Berechnete man nun aud, daß
Zeifig, bei deſſen weichem Charalter man bie
Bereitiwlligkeit zur Fahrt als gewiß vorausſetzte,
äußerft mäßig lebe, indem er nicht felten des Mittags
einen halben Häring verzehre und alſo bei weiten
nicht zweihundert Ducaten brauche wie die andern
185
Freffer, fo gab wieder der Transport des Erbthiers
‚zu ben mannigfachſten Bermuthungen, Befürchtungen
und Erörterungen Beranlaffung. Auch bei biefer Ver—
handlung machte ſich Schlimper wieder als äußerſt
unbequemer Opponent bemerkbar. Als nämlich von
Zeiſig's Frugalität und dem halben Häringe die Rede
war, meinte ber Horndrechsler: „Ein Geſandter des
Raths zu Niederroßla dürfe nicht als Dredfreifer durch
bie Welt fahren; im Gegentheil er müſſe vide thun, -
Geld aufgehen und fich fehen laſſen, dies verlange
die Ehre der Corporation, weldhe er vepräfentire;
zwei Bouteillen Achten Aheinwein täglich, was ſei
das; ferner gut Frühftüd; fünf Gänge Mittag und
breit zu Abend; das fei unerläßlih, Seeluft zehre.
Die Ehre gehe über Alles. Der Zeifig müſſe als
Adler nad) dem Morgenlande flattern und königlich
leben, jelbft auf die Gefahr hin, daß er das Krofopill
aufzehre.“
Das übrige Collegium, ven Bürgermeifter nicht
ausgenommen, war mit biefen hochfliegenden Anfichten
des liberalen Schlimper’8 ganz und gar nicht einver-
ftanden. Effen und Trinken, hieß es, made nicht
ben Mann, plögliche Unmäßigfeit könne ſogar nach—
theilig werben, namentlich in füdlichen Gegenden. “Der
Actuar jei des Weins ungewohnt und fein Freund
von Leckereien.
Während man fi über Zeiſig's Appetit herum—
ſtritt, ſaß der Actuar ſelbſt ganz willenlos in ftilles
Hinbrüten verfunfen auf feinem Plage. Die Ge—
fahren der morgenländifchen Fahrt zogen in drohenden
. Bildern feinem verbüfterten Gemüthe worüber, welches
lettere ſelbſt durch Schlimper's in Ausficht geftellten
feinen Weine und leckern Mahlzeiten nicht zu er—
heitern war.
⁊ 186
Flaminius brachte endlich in Vorſchlag, daß wenn
jedes Mitglied des Stadtraths funfzehn Thaler er—
lege, die Koſten der Hin- und Herfahrt des Actuar
mit ſammt des Krokodills hinlänglich gedeckt zu ſein
ſchienen.
Der Baumeiſter warf die Frage auf, ob Zeiſig
gleichfalls gehalten jein follte, als Rathsmitglied und
Erbe die Reiſebeiſteuer zu entrichten?
„Warum nicht,“ erwieberte ber Bürgermeifter, „ge-
niept er nicht die Annehmlichkeiten der Reife? Tauſend
andre Unverheirathete würden fih um bie Gelegenheit
reißen, fo vieler Herren Länder zu ſehen.“
Diefe Antwort gab dem Horndrechsler wieder allen
Anlaß, die heftigfte Oppofition zu erneuern. Er ſprach
fih auf's Entjchievenfte gegen diefe Ungerechtigkeit aus
und dann aud) behauptete er, daß mit funfzehn Tha—
lern pro Perſon ſchlechterdings nichts auszurichten fei.
Funfzig Thaler müfle der Mann wenigſtens zahlen
und der Herr Bürgermeiſter hundert.
Dieſe letztere ihn betreffende Zumuthung war dem
Conſul Flaminius außerm Spaße.
„Wie jo hundert?” frug er im Zone des uns
willigften Erftaunens.
„Sehr einfach,” erwiederte Schlimper, „weil Hoch—
biefelben aud ein Drittel der fogenannten Erbmaſſe
percipiren und wir andern uns mit zwei Dritteln
begnügen müſſen.“
Diefed Argument schien den übrigen Beifigern jo
einleuchtend, daß ſich Diesmal der Dpponent eines
allgemeinen Beifalls erfreute.
Man vebattirte noch geraume Zeit, ohne zu einem
erwänfchten Nefultate zu gelangen. Schlimper warb
endlich ungeduldig und erflärte alle Verhandlungen
über den Koftenpunft für unnüß, da der Actuar Zeifig
187
jeine Bevenkzeit noch nicht überftanden. Bis dahın
laſſe fi nod gar fein gültiger Beſchluß fallen. Das
Collegium fah die Wahrheit des Gefagten ein und
die Sitzung ward aufgehoben. j
Dreizehntes Kapitel.
Trot des reichen Erkſegens, der in Niederroßla ein-
gezogen war, gab’8 doch überall Streit und Zwietracht.
Borerft im Haufe der Felicitas, melde ihren Sohn
ſchlechterdings nicht nah Kabul laffen und fih gern
mit der Hamburger Abfindungsfumme begnügen wollte.
Gamaliel träumte hingegen Tag und Nacht von nichts
als Palmen und Lotusblumen, Perlen und Goldſand.
Er hatte ale Welt auf feiner Seite, darunter die
gewichtigften Autoritäten, wie den Doctor Eiſenbeiß,
welcher gejagt hatte: „Wie ungern ih Sie einbüße,
lieber Cecretair, fo liegt doch die Nothwendigkeit Ihrer
Reife jo Har vor, daß ich Ihnen im Geringften in
Ihrem Glüde nicht hinderlic fein mag.”
Gamaliel hatte die Worte des Doctor zehnmal
feiner Frau Mutter zu Gemüthe geführt, aber immer
vergebens, und außerdem eine Beredtſamkeit gegen
die Hartnädige entfaltet, die oft zur poetifchen Höhe
jtieg. |
„Ich wäre gebranpmarkt für Ewigkeit,“ rief er
eines Tages aus, „wenn ich nicht die himmlifche Ges
legenheit benußte, das ſchöne Morgenland zu jehen,
jondern philifterhaft in Niederroßla auf der Scholle
kleben bliebe.” j
188
„Es haben Millionen glädlid und zufrieden ge=
lebt, ohne das Morgenland gefehen zu haben,” er-
wiederte ruhig die Mutter.
„Aber wo ſich eine ſolche Gelegenheit darbietet, iſt
es Sünde, von ihr ‚feinen Gebrauch zu machen.“
„Es kann zugleich eine Gelegenheit fein, auf Ab-
wege zu gerathen und ven Untergang herbeizuführen.”
„Ein junger Menſch muß fid) verfuchen.‘‘
„Aber nicht Gott verfuchen, ſchnöden Mammons
halber.‘ -
„Hätte ber „Hofmaler wie Du gedacht, ſo erbten
wir gar nichts.“
„Was Einem glückt, kann Hunderten mißglücken.“
Der weltfahrtluſtige Gamaliel, nachdem er mit
all' ſeiner Beredtſamkeit nichts ausgerichtet, ſtand auf
dem Punkte, an ſeiner eignen Mutter zum Rebellen
zu werden, da that ſich die Thür auf und der Wirth
zur Stadt Magdeburg, Herr Lagemann, trat in's
Zimmer.
Der Secretair, obſchon Lagemann ſein Freund
nicht war, trug ihm die zwiſchen ihm und ſeiner Mutter
obſchwebende Streitfrage zur Begutachtung vor.
Dem Hotelier klangen die verweigernden Worte
ber Wittwe ſüß wie Honigjeim, denn er fah ben
Grund wohl ein, warum Madame Drollinger ihren
Einzigen nicht mutterfeelallein in die fremde Welt
ichiden wollte. Er hoffte daher, daß wenn er fi
für feine Perfon als Keifegefährte und erfahrner Mann
gegen billige Prozente anbiete, würde Felicitas mit
gefüßten Händen fein Erbieten "annehmen.
Yagemann ging daher, feiner eignen Natur zus
wieder, einmal jehr ruhig und feiner Meinung nad) jehr
vhiloſophiſch zu Werke. Er ſprach von den mannig-
fachen Gefährlichkeiten einer ſolchen Reife und ſtimmte
189
Madame Drollinger binfihtlid ihrer Abneigung, ben
. Sohn jo ohne allen Schuß reifen zu laffen, voll
fommen bei. Endlich fam er auf den Zwed feines
Beſuchs, nämlich auf die Begleitung feinerfeits und
die Prozente.
Der Hotelier hätte fi) übrigens den weiten Um⸗
weg und die vielen Worte in gewählten Nevensarten
erfparen fünnen, denn Felicitas jah ſehr bald ein, wo
Lagemann hinaus wollte. Sein wohlüberdachter Kriegs:
plan hatte daher nicht den geringften Erfolg. Lieber
würde Madame Drollinger ihren Sohn allein in Die
weite Welt geſchickt haben, als in Begleitung dieſes
eigenmüßigen und gemeinen Mannes.
„Nein, lieber Lagemann,“ ſprach fie mit ernftem-
Kopfihütteln, „und wenn alle Schäße Indiens unter
der Bedingung mein fein follten, daß mir dieſelben
durch einen Familienvater herbeigefchafft würben, fo
wollte ich lieber auf alles Geld und Gut verzichten,
ehe ih das zugäbe, ehe meinetwegen ein Verjorger
von Weib und Kind Gefahr lief. Ich würde wäh-
rend der ganzen Reife feine ruhige Stunde haben
und die ſchreckhafteſten Phantafien würden ſich meiner
Geele bemächtigen. Sollte aber gar das nicht außer
dem Bereiche des Unwahrjcheinlichen Tiegende Unglüd
fi) ereignen, daß mein Abgefandter umkäme, fo wäre
e8 für immer um die Ruhe meiner Tage gejchehen.
Borwürfe und Gewifjensbiffe würden mich ununter-
brochen peinigen und der Gedanke an die unglüdliche
Familie, die ih um den Pater gebracht, den Reit
meined Lebens vergiften.“
„Beite Madame Drollinger,” erwiederte Lage-
mann, „ver Tod fann unfereinen auch zu Haufe am
eignen Herde überraſchen, und wie gern begiebt man
4190
fih in Gefahr, wenn es das Wohl unfrer Familie
betrifft.”
„Zugeſtanden, “verſetzte Frau Felicitas, „nur mag
ich nicht die Schulp von Jemandes Untergange auf
dem Herzen tragen.“
„Da kann wohl von keiner Schuld die Rede ſein,
wenn ſich der Abgeſandte aus freiwilliger Entſchließung
zur Reiſe erbietet.“
„Iſt wohl möglich, aber ich habe hier meine eignen
Grundſätze, lieber Lagemann, in denen ich mich nicht
wankend machen laſſe.“
Der Secretair, welcher dem zeitherigen Geſpräche
mit großem Intereſſe gefolgt war, gab ſein Mißfallen
an den letzten Worten ſeiner Mutter durch ein ver—
nehmbares Brummen zu erkennen.
Lagemann benutzte dieſe aufrühreriſchen Töne, bie
ihm ſehr ermunternd klanget, zu einem neuen An—
griff auf den harten Sinn der Madame Drollinger,
ward aber mit gleich unerwünſchtem Erfolge zurüd-
gewiefen.
In dem Wirthe zur Stadt Magdeburg, nachdem
er ſah, daß all’ feine Bemühungen fruchtlos blieben,
fiegte endlich die urfprüngliche Natur; er wurde grob
und verließ die Wohnung der Wittwe nicht in der
beften Laune. Auch Oamaliel griff nad) feiner Mütze
und eilte wuthig in bie Berge.
Lagemann war kaum die Wachsbleiche entlang
geihritten, als er bie lange Geſtalt des Helvenfpielers
erblictte, ver fo eben von einem Aovofaten fam, wo
er bie traurige Gewißheit erhalten, daß mit feiner
Kabul'ſchen Erbſchaft nichts fei, denn der Buchftabe
bes Codicills laute Har und. veutlih, daß das Legat
nur dann von Gültigkeit fer, wenn Madame Hanno,
geborne Seekrebs, bei Eröffnung des letten Willens
191
noch am Leben fe. Da dieſes nun wicht der Fall,
jo habe Herr Hanno für feine Perfon nicht ven ge-
ringiten Anſpruch.
Der Helvenfpieler, nachdem er dieſe wahrhaft nieder-
Ihlagende Erfahrung gemacht, wandelte mit ziemlich
gefenktem Haupte feines. Wegs, als er plößlich feinen
Namen rufen hörte. Er ſah fihb um und erblidte
den gleichfalls um die Erbſchaftshoffnung betrogenen
Wirth zur Stadt Magdeburg, welcher mit höchſt des⸗
peraten Geſichtszügen auf ihn zuſchritt.
In Lagemann's Augen galt Hanno noch für einen
gemachten Mann, denn er ahnete nicht, daß es mit
deſſen Erbfſchaftsanſpruchen ſo miſerabel ſtehe. Er
überwand ſeine zeither gefühlte Averſion gegen den
inſolventen Bühnenkünſtler und begann ihm den Hof
zu machen, in der Hoffnung, ſich dadurch eines Theils
der Hanno'ſchen Erbſchaft zu verſichern.
Dem Bühnenkünſtler, der ſogleich erkannte, wie
hier der Haaſe laufe, ging unerwartet in dem Magde—
burger ein neuer Hoffnungsſtern auf. Er faßte ſo—
gleich den Entſchluß, von der für ihn ſo wohlthätigen
Unkenntniß des Hoteliers den möglichſten Nutzen zu
ziehen. Er nahm daher die freundſchaftliche Annäherung
von Seiten Tagemann’ 8 ziemlich fühl entgegen, worauf
diefer um Vieles wärmer wurde.
Das von Neuem offerirte Logis fo wie comfortable
Beföftigung war der erfte Freundſchaftsſchuß, den Lage—
mann auf den vermeintlichen kabuliſtiſchen Erbtheilhaber
abdrückte. Hanno wich jchonend aus, war einfylbig,
zurüdhaltend, indirect ablehnend, wodurch Lagemann,
ber fchon fürdhtete, der Erbe könne mit feinen fünf-
hundert Ducaten im „wilden Manne,“ jeinem Tod—
feinde, einfahren, nur verfeffener auf ihn wurde. Er
überfchüittete den Heldenſpieler mit Gunftbezeugimgen
\
4192
und brachte es endlich, wiewohl nad vieler Mühe,
dahin, daß Hanno wenigjtend verſprach, wieder ‘bei
ihm zu efin. Die Wohnung fonnte er troß aller
Ueberrevungsgabe nicht durchſetzen.
Mit Schmerz hatte Lagemann wiederholt die Be—
merfung gemacht, daß "fein Begleiter Miene mache,
von ihm loszukommen. Er ſchloß hieraus, daß Hanno,
der nach feiner Berechnung jett ein gejuchter Mann
war, anderweite Verbindung anzufnüpfen im Begriffe
ftehe. Um ihn alfo mit unauflöslichen Ketten an
feine Perfon zu fchliegen, gab er feinem Herzen einen
gewaltfamen Stop. Er riß ſich felbft, nach heftigen
innern Kampfe, zu einer That hin, welche ex im Leben
nicht für möglich gehalten hätte. Als er nämlich mit
Hanno an eine Gaſſenecke gelangt war, und dieſer
wieder Miene nıachte, zu echappiren, faßte er den
Helvenfpieler frampfhaft am Arme.
„Hanno,“ raunte er leife und vertrauungsvoll,
„wenn Ihr Geld braudt —“
Wie Orgelton und Ölodenflang tönte dieſes in-
haltſchwere Wort in des Heldenſpielers Gehörorgane
wieder. Doch war er ſchlau genug und ließ ſich von
ſeinem Wohlbehagen nicht das Geringſte merken. Er
ſtellte ſich gerührt von folder Freundſchaft, machte ſich
ſanft los, drückte Lagemann vielſagend die Hand und
verſchwand mit den wohlwollenden Worten „danke
wirklich“ in ein Seitengäßchen.
Dem Madeburger war es "gar nicht recht, daß
ihm der Künſtler ſo zeitig entwiſchte. Er war auf
Jedermann eiferſüchtig, dem Hanno in's Garn laufen
könnte. Doch tröſtete er ſich damit, daß der Kabul'ſche
Erbe ihm freundſchaftlich die Hand gevrüdt. Er be—
ſchloß, jeine Freundſchaftsofferten, jobald er nad) Haufe
füme, in erhöhterem Grade fortzufegen. .
193
„Der Satan mag willen,” ſprach er zornig für
ji, „wer bereit8 die Angel nad) Hanno ausgewor-
fen, denn daß er felbft auf das angebotene Darlehn
Verzicht Teiftete, läßt mih das Aergſte befürchten.
Es ift Doch eine verworfene, eigennüßige Welt; vor
dem Codicille wollte fein Menſch etwas ‚von dem
Komddianten wiffen; id) war der einzige, der mit
ihn in Verkehr ftand und ihn fütterte; er wäre längft
verhungert, war ih nicht, und jet reißt man fi
um den Kerl. Ich muß wirklich das Aeußerſte auf:
bieten, um ihn zu erhalten. Ex ift leichtfinnig und
achtet das Geld nicht. Ich bin überzeugt, es ift
mit ihm fein übel Gefhäft zu machen Wenn ich
ihm hundert Ducaten binzähle, ift er im Stande,
mir das ganze Erbtheil abzutreten. Baar Geld lacht.
Ich muß fehen, was zu thun ift; aber da iſt aud
nöthig, daß ich ſchleunig dazu thue, fonft fallt er -
irgend einem Schnapphahne, wie wir leider die Menge
haben, in die Hände.
Mit diefen Worten eilte der edle Lagemann gra=
den Weges nad feiner Wohnung, um fo viel Gelb
bereit zu legen, als er zu brauden glaubte, um mit
dem Helvenfpieler, wie ev meinte, ein Gefchäftchen zu
machen.
daft um viefelbe Zeit ald Lagemann bei Felicitas
fih als Mentor Gamaliel's anbot, hatte Frau Urfula
ihre Noth mit den drei Freien, welche fie mit aller
Gewalt nah Kabul treiben wollte, zu welcher weit-
läufigen Reife aber feiner die geringfte Neigung ver-
ſpürte. Da es bei Oamaliel bei der fortwährenven
Weigerung feiner Mutter, ihn von ſich zu laffen, im-
mer unmahrjcheinlicher wurde, ob er vie orientalifche
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII. 13
194
Fahrt überhaupt unternehmen werde, ſo hatte ſich Frau
Urſula in ihrer Bedrängniß an ihre Anbeter gewandt.
Mit dem Papiermüller war gleich gar nichts an-
zufangen, bei dem war Hopfen und Malz verloren.
Seine jonft nit ergiebige Phantafie war bei dem
Gedanken an eine foldhe Reiſe außerordentlich fpen-
babel und malte ihm alle erdenkbaren Gefahren, Men-
ſchenfreſſer, Feueranbeter, fabelhafte Götterthiere aus
der Offenbarung Johannis, drei» und fiebenköpfige
Ungeheuer mit ven colofjalften Schwänzen, der Erd⸗
beben und Vulkanausbrüche nicht zu gedenken.
Auerhahn, den das zweite Codicill äußerſt mali—
tiös geftimmt hatte, weil dadurch feine Divinations-
gabe eine große Niederlage erlitten, ſprach ſich noch
ungeberbiger über die Zumuthung aus, nad) einem
Lande unter Segel zu gehen, deſſen Exiſtenz er gar
nicht zugeftand. Er begab fid) hinter feine Spriten
und Schläuche in Sicherheit und meinte, fein ange:
brachtes Gefhäft könne er wegen ber paar lumpigen
Ducaten nicht vernegligiren.
Der Gotteskaftenvorfteher, welcher auf feinen Karten
den Weg nach Kabul ausgerechnet hatte, erichraf ob
der enormen Weite. Ex behauptete, daß wer nicht
geographifche Kenntniſſe beſitze, ſich won jold einer
Reife ſchlechterdings feinen Begriff machen fünne.
Urjula ließ fein Mittel unverfudht, ihren Anbe—
tern die Vortheile einer ſolchen morgenländifchen Neife
in gehöriges Licht zu ſetzen.
„Es unterliegt feinem Zweifel,“ ſprach fie zu
Auerhahn, „daß Ihre Sprigen und Schläudye in Ka—
buliftan eine völlig unbelannte Erfindung find. Sie
können fpielend ein Gefhäft machen, fo glänzend wie
fein früheres, abgefehen von dem Ruhme, ein Wohl:
thäter jener Gegenden zu werben. Wer meiß wie Die
495
Dinge kommen, Sie werden von Seiner Majeftät von
Kabul mit Orden geſchmüdt, ja gendelt.”
„Wo die Engländer ihre Naſe hingeſteckt,“ erwie—
derte der erfahrene Auerhahn, „da fehlt's weder an
Spritzen noch an Schläuchen; das muß ich beſſer wif-
ſen. Dieſes Volk concurrirt mit Gott und aller Welt
und es bleibt ein ewiger Jammer, daß Napoleon mit
dieſen H— nicht fertig geworden und ſie zu allen
Teufeln gejagt hat.“
Nachdem Urſula erkannt hatte, daß Auerhahn ſelbſt
durch ſeine Spritzen und Schläuche nicht zu bewegen
war, die Kabul'ſche Reiſe anzutreten, wandte ſie ſich
an ben Gottesfaftenmann, welchen fie zu verftehen
gab, wie viel die Wilfenfchaft gewinnen würde, menn
ein in der Geographie jo erfahrener Mann die Fahrt
unternähme.
„Ich wage hier allerdings nicht zu widerſprechen,“
verfette Henoch, „aber gerade weil ich in der Geo—
graphie nicht ganz unbewandert bin, erfenne ich die
außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die es mit dieſer
Weltfahrt auf ſich hat, und zwar klarer als irgend
ein andrer.
Nachdem Urſula alle Regiſter gezogen, um in ih—
ren Anbetern die Reiſeluſt zu erwecken, nahm ſie zu
dem letzten Mittel ihre Zuflucht, ſie bot auf verblümte
Weiſe ihr Herz und ihre Hand demjenigen an, der
ihr die fünfhundert Ducaten von Kabul herbeiholen
wiürbe,
Henody wandelte bei dieſer Propofition, deren
Sinn er allein erfannt zu haben fid) fehmeichelte, ein
außergewöhnlicher Heroismus an. Er fah die Mög-
Iichfeit,, feine Nebenbuhlee mit einem Schlage aus
dem Sattel zu heben. Zugleich aber bedachte er auch,
wie lange Zeit er zur Reife nöthig habe, unterdeß
1
196
wären Auerhahn und der Papiermüller Hahn im
Korbe. Auf eine junge heirathsluftige Wittwe feien
feine Häufer zu bauen. Während er (Henoch) auf
hoher See mit den Wellen kämpfe und mit wibrigen
Winden und Seeungeheuern, hätten vie beiven Yurüd-
bleibenden die bequemfte Mufe, das Herz ber Frau
Urfula zu belagern, zu ftürmen und enblich zu erobern.
Es konnte ſich vielleicht gerade ber traurige Fall er-
eignen, daß wenn er nad) taufenverlei außergemöhn-
lichen Abenteuern enplih aus dem Morgenlande heim-
fehre, er gerade zu dem Momente eintreffe, wo Auer-
hahn mit der Wittwe Hochzeit mache, wie zu ben
‚Zeiten der Kreuzzüge öfter vorgelommen fei und ven
Boeten häufig Stoff zu den rührendſten Romanzen
gegeben habe. Alſo auch die Ausſicht auf der—
einſtigen ſüßen Minneſold konnte den Gotteskaſten-
vorſteher nicht bewegen, den trauten heimathlichen
Herd von Niederroßla zu verlaſſen und gen Kabul
zu fteuern.
Auerhahn, welder den Sinn von Urfula’s ver-
blünten Heirathsofferten endlich ebenfalls heraus be-
kam, erwiederte auf feine gewohnte unzarte Weile:
„Was da, wenn Sie mid) heirathen wollen, wozu
das lange Brimbarium; id bin fein eigennüßiger
Freier, der nad) Gelb und Gut geht; aud ohne die
Kabul'ſchen Ducaten follen Sie e8 ganz leidlich bei
mir haben. Eine Huge Grau, wie Sie, wird Thon
mit mir auszufommen willen, wenn ich auch nicht
alle Zeit zu den Yeinften gehöre.”
Frau Urfula that bei diefen Worten wieder fehr
böfe und im Grunde war fie es aud. Sie begriff
nit, nachdem ihre Freier jo wenig ritterlihen und
galanten Sinn an ven Tag gelegt, wie fie ihres Erb-
theild auf die am wenigſten koſtſpielige Weife hab—
497
haft werden ſolle. Es blieb ihr jet nur noch der
Ausweg, fih an PVetterlein und ven Factor Süßmilch
zu wenden, welche feſt entſchloſſen waren, bie Reife:
nad dem Oriente anzutreten.
Gamaliel hatte, wie wir geſehen, nach Lagemann's
Niederlage bei Madame Drollinger ſeine Mütze ergrif—
fen und war in höchſt desperater Stimmung hinaus
in die Berge gelaufen. Hier grünte Alles wunder—
ſchön und Grasmücken ſangen im Gebüſch. Aus dem
tiefern Walde herüber tönte die Stimme des Guckucks.
Der Secretair hörte ihn dieſes Jahr zum erſten Mal,
und begann ſogleich zu zählen Er bradite e8 auf
dreiundzwanzig, was ihn ziemlich heiter ſtimmte. |
Nach einiger Zeit fuhr der Secretair fort: „Was
hilft es, daß wir plöglich reich geworden find, bin ich.
venn deshalb froher geworden? Der ganze ſchöne
Frühling geht mir zu Grunde, wenn id) nicht reifen
darf. Vergebens blüht Alles umber und die Vöglein
jhmettern, daß man möchte taub werden, aber Herz
und Gemüth ift verftimnt und vernimmt nichte.“
Während dieſer mifanthropifchen Betrachtungen wa—
tete Samaliel durch Gras und Blumen längſt des
Fahrwegs, welcher nad) Friedrichshof führte. Es war
biefe Richtung feit einiger Zeit fein Lieblingsfpazier=
gang. Wenn er aus dem Stadtthore trat, ſchlug er
ihn fast unmwilltürlih ein. Dann ſchwebte wohl zu=
weilen vor feiner entzüdten Phantafie das Bild ber
veizenden Klotilde wie eine Engelserſcheinung vorüber,
und er vergaß Kabul, Erbſchaft und Alles und lebte
blos in Kiückerinnerung an jenen feenhaften Augen-
blid, wo er die Tochter de8 Generals vom Abend-
xothe umklungen wie eine Heine Heilige erſchaut hatte.
198
Die zeitherigen Erbangelegenheiten hatten dem Se—
cretair nicht erlaubt, feinen Beſuch auf Friedrichshof
zu wiederholen, wie jehr fein Herz jenen Morgenber-
gen zuſchlug. Seit er in Erfahrung gebradt, daß
ein eingeborner Engel dafelbft wohne, dachte er nur
mit Zagen an einen abermaligen Beſuch. Er erin-
nerte jid mit Cchredien an feine Grobheit, das ihn
anfchauende Fräulein nicht begrüßt zu haben, und be-
griff nicht, wie er fih mit einer Entſchuldigung
herausfinden jollte, wenn er Klotilden auf Friedrichs—
hof vorgeftellt wurde. Mit Dienerfhaft und Kutjcher
war er wegen des Trinkgelds in’s Reine Er hatte
fih ſehr honnet abgefunden und fomit eine jchmere
Laft von der Bruft gewählt. Dafür lag der Gedanke
an feine Grobheit wie ein Vorgebirge auf ihm.
As er fo mit fich felbft unzufrieden dahin wan—
belte, ward plöglich feine Aufmerkjamfeit durch einen
Wagen rege gemacht, der eiligft die Strafe daher
rollte. Der Secretair, weldyer ziemlich leuteſcheu war
und namentlih, wenn er fih im Frühlinge erging,
gern ungeftört war, wollte fo eben in's büftre Ge—
büſch flüchten, als er feinen Namen rufen hörte Er
blieb ftehen und erfannte mit freudigem Schreden ven
jungen Bictor, welder in dem Wagen daher Fam.
Auf dem Kutjcherfige thronte der bekannte Niklas.
Samaliel, von der Tarantel der Höflichkeit ge=
jtohen, machte augenblidlich rechtsumkehrt und eilte
fpornftreih8 den Wagen zu, welder anhielt. Er
mußte fofort einfteigen und ward von dem jungen
Morand mit freundfchaftlihen Vorwürfen in Menge
überhäuft, daß er jo wenig Wort gehalten und Fried—
richshof nicht wieder bejucht habe.
Der Cecretair entjchuldigte fi mit feinen Erb—
angelegenheiten, worauf ihm Victor mit der Frage
499
in die Rede fiel: „Wiffen Sie ſchon, daß auch ich die
Reife nach Kabul mitmache?“
Das hatte noch gefehlt, um Herrn Drollinger
gegen feine Frau Mutter vollends in Rebellion zu
jegen. Er Hagte Victor fein außerorventliches Miß⸗
geihie, troß feiner Sehnfuht nad dem Morgenlanve
in Nieverroßla verbleiben zu müflen.
„Das ift allerdings Jammerſchade,“ klagte ver
junge Morand, „id hatte auf Ihre Geſellſchaft ſo
ſchöne Hoffnung gebaut.“
Dem Secretair waren die Thränen nahe. Er
faßte im Innern den verzweifelnden Entſchluß, wie
der ſelige Hofmaler auf und davon zu laufen.
„Ich werde ſelbſt mit Ihrer Frau Mutter pres
chen, tröftete Victor, „wir wpllen fogleich bei ihr
vorfahren, vielleiht, dag mir's gelingt, viefelbe für
Ihre Abreife geneigter zu ſtimmen.“
Gamaliel verfprah fih von Victor's Einfluffe auf
Felicitas allerdings mehr als von dem Lagemanm's,
und er begleitete ziemlich hoffnungsreich den Sohn
des Generals nach der Stadt zurück.
Als ſich das Fuhrwerk über das ſehr holprige
Pflaſter von Niederroßla dahin bewegte, fuhr‘ ver
Hohmuthstenfel in den Secretair und er wiünfchte,
daß ihm fo viel Bürgerfchaft und Honorationen wie
möglich begegnen möchten, um ihn in einer fo glän«
zenden Equipage und an der Seite eines ftattlichen
und vornehmen Herrn figen zu jehen. Er grüßte
bereit8 mit Anftand und mit einer leichten ariftocre-
tischen Hanpbewegung, die er Victor abgelaufcht hatte,
die Entgegenfommenven, welche ſämmtlich ftehen blie-
ben und verwunderungs- und ehrfurchtsvoll dem ba-
hinfahrenden Secretair nachſchauten.
Als das Fuhrwerk in die Straße einbog, in wel-
200
her die Stadt Magdeburg lag, begegnete man Yage-
mann, weldher jo glüdlih geweſen, bes Selvenfpie-
lers wieder habhaft zu werben und eben bemüht war,
ber vermeintlichen Kabul'ſchen Erbengel, welcher große
Unluft und Wiperftreben heuchelte, mit Gewalt nad)
feinem Gafthaufe zu fuhrwerten.
Den beiden Biedermännern blieb der Mund weit
offen ſtehen, als fie den Secretair hob zu Wagen
daher kommen fahen. Hanno erinnerte ſich fogleich
der Betterfhaft und grüßte ganz familiär, was Ga—
maliel in eimas fatal war. Er befürchtete, Victor
inne argwohnen, er ftehe mit dieſem Strohmian,
deſſen comöbiantenhafte® Aeußere auf feinen großen
innern Gehalt fliegen ließ, auf intimem Fuße, was
feinesmegs der Tall war.
„Es ift der junge Franzoſe von Friedrichshof,“
ſprach Lagemann, als der Wagen vorüber war, „ba
fieht man gleih, was eine Erbſchaft thut. Früher
fah man den ärmlichen Schreiber nicht über die Adh-
jeln an und jest fährt man mit ihm in demfelben
Wagen. D die Welt liegt im Argen, Hanno, ebler
Menfchenfreund, Ihr habt mir's immer nicht glauben
wollen. Und diefe Morand's hätten’8 wahrlich nicht
nöthig, fiten im Golde bis über die Ohren. Pfui
über fold) eigennügiges Gefindel; da lob' ih mir den
fimpeln Bürgersmann,
„Hanno,” fuhr der Hotelier fort, als man bei
dem Gaſthaus angelangt war, „thut mir nur ben
Gefallen und benehmt Euch, als ob Ihr zu Haufe
wäret; Ihr würdet mich zu tief Fränfen, fo Ihr die
geringften Umstände machen wollte. Betrachtet mein
Beſitzthum wie das Eurige; unter wahren Freunden
darf fein befondres Eigenthum ftattfinden. Das ift
mein Grundſatz von jeher gewejen. et aber wol-
204
len wir vor allen Dingen meinen nenangelangten
Scharlachberger verfuchen; Freund, ein Weinden, ſag'
ih; ein ſolches wächſt fobalb nicht wieder. Wenn Ihr
nicht tapfer zufprecht, habt Ihr's mit mir zu thin.“
Mit diefen Worten faßte Lagemann den Helven-
ſpieler freundſchaftlichſt unterm Arm und zog ihn durch
die Thür ſeines Gaſthauſes. Hanno, obſchon es in
ſeinem Innern jubelte, folgte ſcheinbar gezwungen und
mit höchſt verdroſſenem Geſichte.
Als Victor und Gamaliel bei Madame Drollinger
vorfuhren, trat ſoeben der Stadtrichter aus dem Hauſe,
welcher mit der Wittwe eine lange Unterredung gehabt.
Vierzehntes Rapitel.
Die große Expedition nach dem Morgenlande war
endlich beſchloſſen. Felicitas hatte ſich durch den
Stadtrichter, den ſie als einen kenntnißreichen und ge—
wiſſenhaften Mann kannte und achtete, wie durch den
jungen Morand, welcher ſich Gamaliel als Reiſege—
fährte anbot, bewegen laſſen, ihrem Sohne die Er—
laubniß zur Reiſe nach Kabul zu ertheilen.
Desgleichen war es einem hochmögenden und wei—
ſen Rath von Niederroßla gelungen, den Rathsactnar
Zeiſig, ob dieſer ſchon ſeinen Tod vor Augen ſah und
deshalb ſein Teſtament niedergeſchrieben, für die Welt⸗
fahrt zu gewinnen Da aber Zeiſig rund heraus er-
klärt hatte, daß er für feine Perfon allein fih nicht
getraue, das Krokodill ganzbeinig nad) Niederroßla
zu bringen, fo hatte ein hoher Rath in feiner Weis—
202
heit zu bejchliegen gerubt, ihm einen Schug- und
Zrußgefährten beizugejellen; und dieſer beſtand aus
Niemandem anders, als aus dem Athanaſius Yage-
mann, welcher fi feine Mühe hatte vervrießen laj-
fen, dieſes Amt zu erlangen. mei fette Schweine
jo groß wie Heine Ochſen, waren gefällt worben, umt
den Senat für das Lagemann'ſche Reiſeproject gün—
fig zu fiimmen. Mit ihrem Blute war der Bund
befiegelt worden, welcher ven Hotelier und Zeiſig auch
in fernen Welttheilen vereinen follte Nicht ohne
Grund war der Magdeburger fo erpiht auf Kabul.
Er lebte nämlich — Hanno hatte feine Rolle mei-
fterhaft gefpielt — nod) immer ſtarr und fteif in dem
bezaubernden Irrthum, daß der Helvenfpieler über
fünfhundert Ducaten zu Disponiren habe; auch war
e8 Lagemann gelungen, von dieſer Summe bereits
einen anfehnlichen Theil fich zu verfihern. Die Wirths-
hausrechnung des Künftlers- belief ſich allein auf funf-
zig Ducaten, ver Magdeburger ſchonte troß der Freund-
Ihaft feine Kreide; funfzig Stüd (ſämmtlich bejchnit-
ten, Lagemann hatte mehrere Nächte mit der Teile ges
arbeitet) waren Hanno baar unter der Beringung
vom Hotelier überantwortet worden, daß er ihm ba=
für zweihundert von der Erbjumme abtrete. Nur nad
langem Wiperftreben und unter ver heiligen Berfiche-
rung, daß ihm das Meſſer an der Kehle ftehe (wie
dem auch jein mochte), war der Heldenſpieler zu be-
wegen gewejen, den wucherifchen Accord abzujchliegen.
Gleichwohl verblieben ihm nad) Lagemann's Meinung
noch immer zweihundert Ducaten, welche dem gelddür—
ftenden Sinne des Magdeburgers gewaltig in die Au-
gen ftachen, fo daß er mit Hanno in abermalige Un—
techandlung trat. Er bot noch funfzig Stüd für
Ueberlaffung des gefammten Exbtheild ; ob dieſes Ge—
203
bots aber ftellte fich der Künftler außerordentlich ent-
rüftet, jo daß er lange nicht zu befänftigen war. Sa-
gemann meinte, ein Freund dürfe dem andern nicht
jedes Wort auf die Goldwaage legen; aber Hanno,
fortwährend aufgebracht gab zu verftehen, daß er nad
ſolchem ſchändlichen Gebote nicht übel gewillt fet,
bie ganze Freundſchaft aufzuheben. Jetzt ward bem
Hotelier Angft und er legte nody zwanzig Ducaten
zu. Hanno beftand ſchlechterdings auf Zweihundert.
Lagemann beſchwor ihn bei feiner Freundſchaft, ob
er foldhe Forderung vor feinem Gewiſſen und vor
dem bereinftigen Richter zu verantworten vermüge?
Hanno behauptete, es verantworten zu fünnen, aber
Lagemann wollte darum nicht zahlen. Mean ftritt
lange und wieder. Lagemann appellirte fortwährend
an die Freundſchaft, ver Künſtler Desgleichen.
Ein Sprichwort fagt: „Berg und Thal kom—
men zujammen” So ward aud mit ven beiben
Diedermännern.
Der Handel war geſchloſſen, am nädften Tage
zahlte Lagemann, nachdem er die Nacht vorher wie-
der auf wahrhaft unverantwortliche Art gerafpelt, acht⸗
zig Stüd, wahre Schmetterlinge, und Hanno ſtrich
fie feufzend ein, nachdem er vorher vermittelit eines
Ichriftlihen Documents das Kabul'ſche Erbe feiner
verjtorbenen Frau, geborene Seekrebs, an Herrn Atha⸗
naſius abgetreten hatte.
Im Beſitze dieſer Ceſſionsurkunde hatte nun der
Hotelier nichts Angelegentlicheres zu thun, als den Se⸗
nat mittelſt eines doppelten Schweinemords zu ſeinem
Gunſten zu ſtimmen und ihn zu beſtürmen, daß es
ihm erlaubt ſei, dem Actuariats-Botſchafter als At—
tahe nad) Kabul zu folgen. Er glaubte, wenn er als
ein Stüd diplomatifchsoffictelle Perſon in Le
204
anlange, er die Erbſchaft mit weniger Schwierigkeiten
werde erheben können ald außerdem.
Der Senat, da Lagemann auf feine anderweitige
Bergütung Anſpruch machte und Zeifig ohne Beglei-
ter ſchlechterdings nicht reifen wollte, überdies gerührt
buch das fette Opfer, trug fein Bedenken, dem Ho-
telier das Amt eines Attache in Gnaden zu be=
willigen.
Alſo Lagemann fuhr mit nach Kabul, das ſtand
feſt. Aber auch Hanno fuhr mit und das verhielt
fih alfo. Frau Urſula, nachdem ſowohl Gamaliel,
als auch ihre drei Anbeter das Geſuch, das ihr zu-
fallende Erbtheil in Kabul zu erheben, abgelehnt, rich—
tete ihre Blide auf Hanno, welder ihr allerdings alle
erforderlichen Eigenſchaften für eine langwierige Reife
zu befigen jchien, nur daß er etwas dyarlatanmäßig
erfchien und ihm daher weniger zu trauen war. In—
deß da ſich auch Vetterlein und der Yartor auf das
Mandat nicht einließen, blieb feine andre Wahl. Sie
trug aljo dem Helvenfpieler ihr Anliegen vor, wel-
ches auch ohne weiteren Widerſpruch beftens acceptirt
wurde. Dem Künftler fam die morgenländifche Fahrt
höchſt erwünſcht. Er bedachte, daß er im PVaterlande
fo nichts mehr nütze; außerden war er an ein unfte-
te8 Leben gewöhnt und liebte das Abenteuerliche.
Demnad) ‘machten ſich in Niederroßla nachverzeidh-
nete Perfonen zum Aufbruche nah Kabul fertig: Ga—
maliel Drolinger in Begleitung des jungen Pictor
Morand; Hanno als Mandatar der verwittweten Ur—
jula Klugin; der Quartus Betterlein und der Factor
Süßmilch; und endlic der Rathsactuar Zeifig nebft
feinem Attaché und Mentor Athanafius Lagemann;
leßtere zwei jvectaliter beauftragt, das goldne Kroko—
205
bill, welches ein hochweifer Rath ererbet, wohlbehalten
nad) Nieverroßla zu transportiren.
Die Reifeanftalten, welde von den verjchiedenen
Individuen getroffen wurden, gehörten zu dem Außer-
ordentlichten, wad man in Nieverroßla je erlebt hatte.
Die ganze Stadt nahm durd Rath und That Theil
an der Ausrüftung. Zeifig ward auf Magiftratsun-
foften völlig neu befleivet und zwar mit einem \walfer-
dichten Stoffe, deſſen Erfindung unferm Jahrhundert
zur Ehre gereiht. Außerdem erhielt er ein Futteral
für den ganzen Körper von Ölanzleinwand nebft einem
Schifferhut, auf weldem das Stadtwappen von Nie
berroßla in erhabner Arbeit prangte. Dieſes Wap-
pen beitand in einem Dchjenfopfe mit nur einem
Horne und verbanfte feine Entſtehung einer höchſt
merkwürdigen Begebenheit. Es war im grauen Al-
terthume, als Niederroßla nur noch den Rang eines
Marktfledens einnahm, von einem benachbarten NRaub-
ritter belagert und hart berennt worden. Die Belager-
ten befaßen nur noch einen Ochfen und dieſer follte
eben gejchladhtet werden, als beim jetigen Conſtitu—
tionsthore ein mörberliher Lärm entjteht. Der Feind
ift eingedrungen und ftürmt mordend die Straße ent-
lang. Der Megger, der den Ochſen tödten foll, ver-
liert ob des außerordentlichen Mordio den Kopf und
ſchlägt blind darauf los, anftatt aber die Stim des
Stierd zu treffen, zertrümmert er ihm das rechte Horn.
Der Ochſe, von folder Handlung empört, reißt fich
108, ftürmt zum Schlachthauſe hinaus und zufälliger-
weife dem ftürmenvden Feinde entgegen. Nachdem er
nicht weniger denn ein Dutend der eingedrungenen
Raubritter über den Haufen geworfen, eilt er durch's
Thor in's Freie. Der Feind, durch dieſes völlig un—
erwartete Ereigniß in Schreden gejeßt — denn nad)
206
damaligen Anſichten fonnte das wiüthende Beeſt mit
nur einem Horne Niemand ander8 als ver Beelzebub
fein, ergreift die Flucht. Die Nieverroßlaer, refolute
Leute wie immer, benugen den glüdlichen Umftand,
werfen das Thor zu und halten fi fo lange, bi
faiferlicher Erſatz berbeieilt. Wegen feiner tapfern
Gegenwehr warb Niederroßla zur Stadt erhoben und
in dankbarer Erinnerung an den Ochſen, das wohl-
getroffne Portrait deffelben mit einem Horne in das
neue Stadtwappen aufgenommen. Dieſes venn trug
der Rathsactuar Zeifig bei feinem Zuge nad Afgha—
niftan auf feinem ladirten Schifferhute. Der Hut,
fo wie der ganze vom Magiftrat gefchaffte Habit war,
wie der Brautjtaat- einer Prinzeffin, acht Tage, lang
unter dem Rathhauſe zu Jedermanns Anficht und
Bewunderung ausgeftellt.
Dei Factor Süßmilch, ein für feine Gefunpheit
jehr bejorgter Mann, hatte fi einen Wamms und
Beinkleiver von Baumwolle anfertigen laſſen. Er
beabfichtigte damit drei Fliegen mit Einem Schlage
todt zu machen. Erſtens follte ihn dieſes neue Kleid,
für den Fall er das. Unglüd habe, in's Waſſer zu
fallen, jo lange auf der Oberfläche erhalten, bis Hülfe
fäme, alsdann gegen die etwaigen Pfeile der Indianer
hüten und drittens vor den Nachtheilen eines jchnel-
len ZTemperaturwechjeld bewahren. Als Süßmilch in
dieſem feltfamen Koſtüme feinen Probeausgang hielt,
vermochte man den Mann nicht wieder zu erfennen.
Seine dünne Figur war angejchwollen wie die eines
DBürgermeifters.
In nicht minder baroder Tracht erſchien Lage—
mann. Er fand Zeiſig's Slanztaffet eben jo unpaſſend
wie Süßmildy’8 Baumwolle und erfchten daher in der
Tracht eines ehemaligen Yanzenfnechts, faſt gänzlich
207
in grobgegerbtem Rindsleder mit Pidelhaube und
einer Art blechernen Bruftharnifh, worauf gleichfalls
das Nieverroßlaer Stadtwappen zu fehen war. Er
hielt Tegteres für unentbehrlih, da er im der diplo—
matiſchen Eigenſchaft eines Attache ber Niederroßlaer
Geſandtſchaft reiſte. Sein kriegeriſcher Anblick im—
ponirte faſt noch mehr als Süßmilch's Baumwollen-
habit, namentlich fand ſich die Schuljugend ſehr alar-
mirt dadurch.
Vetterlein's Reiſecoſtüm beftand aus einen ziem—⸗
lich ungeſchlachten Tüffelrock, der bis auf die Knö—
chel herabreichte und die kleine Figur des Quartus
ganz verſchlang. Wenn er bei unfreundlichem Wetter
den Kragen in die Höhe ftülpte, fo war vom Schul⸗
manne nichts zu erbliden und e8 gab nur einen wan-
delnden Rod, höchſtens, daß die Duafte der Sad-
müte, vom Winde hin und wieder bewegt, ein We—
nig hervorragte. Betterlein wußte fi) trotzdem, daß
er in dem Node total verſchwunden war, doch recht
gut zurecht zu finden. Er fchaute durch eins der
oberen Knopflöcher wie durch eine Schießſcharte. Ob—
ſchon er nun vermittelſt ſeines Tüffels gegen den Re—
gen vollkommen geſchützt war, ſo ermangelte er doch
nie ohne Regenſchirm auszugehen, welch' letzterer ſich
ſogleich entfaltete, ſobald ein dunkles Wölkchen am
Horizonte emporſtieg. In dieſem Aufzuge hatte er
in ſeinen früheren Jahren Deutſchland, die Schweiz
und einen Theil Frankreichs durchwandert und dieſe
Bekleidungsart ſehr praktiſch gfunden. Deshalb ſtand
ſein Entſchluß feſt, auch Afghaniſtan im Tüffel und
in Begleitung des Regenſchirms zu beſuchen.
Hanno's Garderobe war die einfachſte. Er beſaß
eine ziemliche Fertigkeit im Umſchlagen und im Fal—
tenwurfe des Carbonarimantels. Alle Helden in Män—
208
teln ftellte ev ſehr maleriſch vermittelt feines Carbo-
naris, dieſes Solitairs feiner Theatergarderobe, dar.
Leider mußte er aber bereits ſeit Zeit auf dieſe Um—
ſchlagevirtuoſität verzichten, da der Mantel in Gefell-
ihaft des Waldes von Hermannftadt beim Meubleur
Hantuſch verſetzt ftand und erft neuerdings durch Ver—
mittlung des Attahe in den Beſitz des Eigenthünters
zurüdgefehrt war. Im diefen Mantel, ſchwur ver
Held, fei er unbefiegbar und getraue fich, ein zweiter
Alerander, Alten zu erobern.
So war die Ausrüftung der Nieverroßlaer Afgha⸗
nen bis in's geringfügigſte Detail vorgerückt und der
Tag der Abreiſe auf Dienſtags den breiundzwanzig-
flen Juni angefegt, ungefähr zehn Wochen nad ber
erbichaftlihen Bekanntmachung im Wochenblatte.
Ende des erften Bandes.
Drud von Alerander Wiede in Leipzig.
208
teln ftellte er jehr maleriſch vermittelft feines Carbo-
naris, dieſes Solitaird feiner Thentergarverobe, dar.
Leider mußte er aber bereits feit Zeit auf dieſe Um—
Ichlagevirtuofität verzichten, da der Mantel in Gefell-
Ihaft des Waldes von Hermannftant beim Meubleur
Hantuſch verſetzt ſtand und erft neuerbings durch DVer-
mittlung des Attadhe in den Beſitz des Eigenthümers
zurüdgelehrt war. In diefen Mantel, ſchwur ver
Held, fei er unbefiegbar und getraue ſich, ein zweiter
Ülerander, Alien zu erobern. ,
Sp war die Ausrüftung der Nieverroßlaer Afgha⸗
nen bis in's geringfügigſte Detail vorgerückt und der
Tag der Abreiſe auf Dienſtags den dreiundzwanzig-
ſten Juni angeſetzt, ungefähr zehn Wochen nad) ver
erbihaftlihen Bekanntmachung im Wochenblatte,
Ende des erften Bandes,
Drud von Alerander Wiede in Leipzig.
Fabian Stule's
ausgewäßlte Schriften.
Bolls- und Familien= Ausgabe.
Adztzehuter Band.
—
Zweite Auflage.
Leipzig,
Ernft Keil.
1858,
Die
Erbichaft in Kabul.
— — ——
Komiſcher Roman
von
Serdinand Stolle.
— —
Aweiter Band.
— —
Zweite Auflage,
Leipzig,
Ernft Ketl.
1858.
Die Erbſchaft in Kabul.
Komiſcher Roman.
Erfies Kapitel.
In einem jener blühenden Thäler Afghaniſtans, wo
der Granatbaum in feltener Schöne blüht und das
Waizenkorn hundertfältige Frucht treibt, da wo ber
jchnellfließende Kabul in ven gewaltigen Indus mün⸗
bet, unfern ver ftarfbefeftigten Stabt Attok, deren
Binnen und Minaret3 hinter Citronenwäldern hervor-
laufchten, im Rüden ven majeſtätiſchen Himalaya mit
feinen himmeldrohenden und mit ewigem Schnee be-
deckten Gipfeln, jaß im: Garten feines Gaſtfreundes
unter einer Laube blühenber Akazien ein Mann in
ben vierziger Jahren, gekleidet in das fliegende Ge—
wand der Afghanen und auf den Haupte einen Turban
von Rafchemir. "
Unmittelbar neben ihm hatte auf reichem, golddurch⸗
wirftem Teppiche eine zweite Geftalt in Afghanentracht
Pla genommen, ungefähr zehn Jahre älter als vie
eben erwähnte, welche mit ächt moslemſcher Ruhe
und unerſchütterlichem Ernſte die Wolken ſeiner langen
Pfeife zu den rothen Blüthen emporſteigen ließ.
Betrachtete man die Geſichtszüge dieſer beiden
Männer genauer, ſo war bei dem älteren die aſiatiſche
Abkunft nicht zu verkennen, während der andre höch—
ftend die dunklere Gefichtsfarbe mit den Bewohnern
Irans und Turans gemein hatte. Beide waren in
“8
N
tiefe8 Schweigen verfunfen, der ältere verfolgte behag-
Ih das blaue Gewölke feines Knaſters, das in felt-
famen Kreifen und Ringen emporitieg, während bie
Blicke des jüngern mit Wohlgefallen auf den Minarets
von Attok ruhten, die im Abendfcheine immer .röther
zu glühen begamıen.
Tiefe Stille ruhte über der Gegend, nur von fern
vernahm man das Naufchen des Kabul, als ſich plöß-
lih ein Abendwind erhob und die Luft mit himmliſchem
Aroma erfüllte.
„Bei Gott,“ nahm jetzt der Vierziger das Wort,
indem er mit Entzůcken die lieblichſten Düfte einathmete,
„das ift Wohlgeruch aus den Gärten des Paradiefes.
Bas find das für Blumen, Ismael, wären es bereits
die Vorboten Hindoftans gu
„Der Abendwind geht über die Veilhengefilde von
Peſchawer,“ erwiederte der Gefragte, „8 ift das Guli
peigamber, die Roſe des Propheten, wie man fie weder
in Border» noch Hinterafien kennt. Hörteft Du,
Haſſan-ben-Mullah, nie von dem wunderbaren Dufte
dieſer Veilchenfluren, die das Herz erfüllen mit unnenn=
barer Wonne und berühmt find im Lande Zuran, fo
weit die Echneegipfel leuchten des Himalaya?“
„Wohl vernahm ich oft von der gefeierten Roſe
des Propheten, verſetzte Haflan, „wenn ich an Som=
merabenden den Erzählern zuhörte in den Straßen
von Kabul oder unter den fchattigen Tamarisfen auf
und niederwallfahrtete im Königsgarten des Timur
Schah; dod ihren Duft hab’ ich nie gefoftet bis zu
diefer Stunde.”
„Es ift der legte Grup,” ſprach Ismael, „welchen
Afghaniftan Dir fendet, mög’ er nie Deinem Ge—
dächtniß entichwinden, Haflan-ben-Mullah, mein
9
Heimatheland wird dann im liebliher Erinnerung in
Deiner Seele fortleben.“
„Es wird dies aud) ohne die Beildhen von Peſchawer,“ u
verſetzte Haffan, der feiner innern Bewegung nur mit
Mühe Meifter ward; „glaubft Du, Ismael, daß man
ein Land wieder vergißt, wo man Gaftfreundfchaft
und Liebe in reihem Maaße fand? Du weißt, daß
viele Worte und Declamationen nicht meine Sache find,
aber hier bein Abfchiede an der Grenze Deines Landes
mag ich e8 wohl geftehen, daß die Jahre und Stunden,
die ich, obſchon taufend Meilen von ver deutſchen
Heimath, unter Euch verlebte. die glüdlichften meines
Lebens waren; und wenn nicht das Licht meines Lebens
in Euren Thälern erloſchen wäre, und id) das Theuerſte
unter Euern Rofen hätte begraben müljen, würde ich
wohl ſchwerlich an eine Heimfehr nad) dem Abend—
lande gedacht haben.‘
„Und wer foll fünftig die Roſen begießen,” frug
Ismael, nicht ohne Wehmuth, „vie auf dem Grabe
der weißen Perle wachſen?“
„Das ſollſt Du thun, geprüfter Freund, erwie—
derte Haſſan, indem er dem Frager die Hand mit
einem Blicke reichte, aus welchem ungeheuchelter Schmerz
und Liebe ſprach.
„Beim Propheten,“ betheuerte Ismael, „Du haſt
keinen Unrechten gewählt; ſobald die erſten Frühlings—
küſſe die finſtte Stirn des Hindukuſch berühren, und
ſeine erſten Lawinen in die Thäler rollen, ſoll von
meiner Hand gepflegt, die Schlummerſtätte in ſtiller
Roſenpracht erblühn, die weiße Perle vom Paradieſe
hernieder lächeln.“
Nach einer Pauſe längern Schweigens fügte er
mit ſchmerzlichem Unwillen die Worte hinzu: „Gleich—
wohl hätteft Du nit davon gehen follen.”
40
„Alter Freund,‘ ermiederte Haſſan, ter wieder
feine gewohnte Ruhe gefunden hatte, „Du wirft es
nicht übel deuten, aber feit dent Heimgange meiner
Dlivia iſt e8 mir felbft unter den Blumen Kabuls
einfam geworden und wenn der Abend in der Verne
fommt, ſehnt ſich jeder Menſch nach der Heimath.“
„Will's glauben,” verfegte Ismael, „obichon id)
nicht begreife, wie e8 eine ſchönre Heimath geben könne,
als die Aprifofenthäler der Duranen.“
„Auch im deutſchen Lande blühen die Aprifofen,”
erwiederte Haſſan-ben-Mullah, „wenn "feine Thäler
auch nicht in dem Grade leuchten und duften wie das
Flußgebiet des Kabul.“
„Uebrigens,“ fuhr er nad) einiger Zeit in Nach—
denken verjunfen fort, „möge mid) der Himmel be=
wahren, daß ich meine Heimfehr einmal bereue. Dann
wäre mir felbft die Rückkehr in die Thäler der Duranen
abgeſchnitten.“
„Allerdings,“ geſtand Ismael, „für Kabul biſt Du
geſtorben und begraben in Ewigkeit, und darum eben
begreife ich bis dieſe Stunde nicht, was Dich zu dem
freiwilligen und gefährlichen Tode und Begräbniſſe
bewegen konnte. Ich glaube nimmer, daß der König
Deiner Heimkehr in's Vaterland Hinderniſſe in den
Weg gelegt haben würde.“
„Doch, doch,“ erwiederte Haſſan, „wie hoch ich
in ſeiner Gunſt ſtand, ſo überwog ſeine Sorge für
ſeinen Leib, den ich als Arzt behandelte, alle andern
Rückſichten.“ |
Als Ismael hier zweifelnd den Kopf ſchüttelte, zog
Haſſan ein Papier hervor, das er dem Freunde mit
den Worten überreichte: „Wenn Du in meine Worte
Bedenken feßeft, jo wird hoffentlich diefe Schrift Deine
Zweifel bejeitigen.“
LE Be
Das Manufeript enthielt die Abjchrift eines eigen-
- händigen Brief des Königs von Kabul, ſchon von
längerer Zeit her datirt, an feinen erften Minifter,
worin lettrer unter Androhung der ftrengften Ahnung
aufgefordert ward, auf Haffan-ben-Mullah das ftrengfte
Auge zu haben und ver Fleinften Reife deſſelben, welche
eine Auswanderung zum Zweck haben könnte, die un=
überfteiglichften Hinderniffe in den Weg zu legen.
Im ſchlimmſten Falle war der Miniſter bevoll-
mächtigt, die äußerſte Gewalt anzumenben.
„Diele polizeiliche Aufſicht,“ ſprach Haflan, „hab’
ich mir gefallen laffen, fo lange Dlivia am “eben,
nad) ihrem Scheiden warb mir dergleichen Bewachung
um jo unerträglicher.‘
„Wenn dem fo tft,” erwieberte Ismael, „kann ich
Deinen freiwilligen Tod nur loben; gleichwohl bleiben
mir Deine ſonderbaren teftanentlihen Verordnungen
ein Räthſel. Warum follen denn Deine Erben ihr
Erbe in eigner Perſon in Kabul erheben?“
„Weil dies die einzige Bedingung,” verjette Haſſan,
„unter der mir verftattet war, Gelder dem Auslande
zuzumenben.‘
„Sonderbare Grille des Königs,” brummte Is—
mael, „er hofft wahrſcheinlich durch Deine Erben Dich
jelbft zu erſetzen.“
ü „Ss viel id mich der Perfünlichkeit diefer Erben
noch entjinne,” meinte Haffan, „dürfte Seine Miajeftät
weniger gewillt fein, ihre Abfahrt unter polizeiliche
Aufſicht zu ftellen. Ich nehme meinen leiblichen Vetter
aus. Doc, diefer tft bedacht, auch wenn er die Reiſe
nah Kabul nicht antritt.”
„Ich glaube überhaupt nicht,“ ſprach Ismael,
„daß ſich einer der Erben auf ven Weg macht; die
Länge und Beſchwerlichkeit der Reife ift unabjehbar.”
42
„Man kann nicht wiſſen,“ erwiederte Haflın, „vie
Gier nad Gelde verleiht dem Furchtſamſten Muth
und begeiftert zu größten Anftrengungen. Wie dem
jei; ich habe für meine Angehörigen Alles gethan,
was in meinen Kräften ftand. Sollte einer oder ber
andere nah Kabul kommen, fo ift er Dir, treu be=
währter Freund, ohne deſſen evelmüthige Unterftügung
ich meinen langgenährten Plan der Flucht nicht hätte
in Ausführung bringen können, empfohlen.‘
„gen Wunſch iſt mein Befehl,” ſprach Ismael,
„es ſoll mir große Freude gewähren, Dir auch in
der Ferne gefällig zu ſein. Wie ungern ich Dich
ſcheiden ſehe, ſo erkenne ich doch, daß Du Did.
unter Deinem Volke, das Deinem Geiſte näher ſteht
und Deinem Herzen vertrauter iſt, wohler befinden
mußt als ſelbſt in der Hofburg zu Kabul. Darum
hab’ ich Deinen Plan zur Flucht nie mißbilligt. Ge—
denfe meiner alle Jahre einigemal, ich werde ‘Deiner
täglich gedenken und nimmer vergeffen, daß ich vieles
Willen, welches mich über nein Volt erhebt und zu
hohem Anfehen gebracht hat, lediglich Deiner weiſen
Belehrung verdanke. Wäre ih einige Jahrzehnte
jünger, dann würd’ ih mit Div ziehen nad) Deiner
Heimath, dem deutfchen Lande, mehre Jahre daſelbſt
verweilen und mid) unterrichten mit allen Kräften
und in folden Dingen, in welden mein Volt noch
zurück fteht. Kehrte ih dann wieder nad Aighaniftan,
jollte mein Wirken ein gejegnetes fein, denn id) würde
das Erlernte gern mittheilen, allen denjenigen, welchen
an anderweitiger Erfenntnig gelegen wäre. So aber
bin ich zu alt und will mich gern begnügen mit dem,
was ich Deinen Lehren verdanke.“
Während Ismael noch ſprach, bogen fid) auf der
einen Seite der Laube die Zweige auseinander, ein
13
blühender Mädchenkopf, deſſen glänzendes Haupthaar
in kunſtreichen Flechten herahfiel, ward ſichtbar und
eine Silberſtimme frug: „Störe ich wohl?“
„Nur näher, Olivia,“ erwiederte lächelnd Haſſan—
ben-Mullah und winkte mit der Hand, „Du ſtörſt uns
im Geringſten nicht.“
Ein zwölfjähriges reizendes Geſchöpf in männliche
Afghanentracht gekleidet, hüpfte jetzt in die Laube und
ließ ſich neben ſeinem Vater nieder.
„Herrliche Nachrichten,“ jubelte die Kleine, „der
Gaſtfreund Runſchid läßt Dir ſagen, Väterchen, daß
die Karawane des Mirza Osman heut Morgen an—
gelangt iſt und am Ufer des Indus lagert. Sie geht
direct nach Lahora und beut uns die ſchönſte Gelegen—
heit, das britiſche Gebiet zu erreichen.“ |
Der edle Runſchid, ein wohlhabender Handels-
herr von Attok, dem der herrliche Yandjig, wo Die
gegenwärtige Scene fpielte, angehörte, und welcher
bereit8 ſeit Jahren mit Haffan-ben-Mullahb auf be—
freundetem Fuße lebte, trat jett herein und bejtätigte
die Ausfage Olivia's.
„Ihr Könnt nicht ficherer reiſen,“ ſprach er, „als
mit Osman, der mein Freund ift und mit dem ich
Euretwegen bereit8 gefprodyen habe. Bon. der ganzen
Karawane kennt Euh Niemand, denn fie fommt
direct von Bukarah und har Kabul nicht berührt,
jondern ihren Weg über Kandahar genommen. Alfo
entfhlagt Euch jeder Beſorgniß. Doc jetzt kommt,
bie Sonne will eben verjcheiden und das Abendeſſen
harret.“
Freudig ſprang Haſſan-ben-Mullah von ſeinem
Sitze auf und folgte in Begleitung ſeiner Tochter
und des ehrlichen Ismael dem Gaſtfreunde in deſſen
reizend gelegenen und im morgenländiſchen Geſchmacke
14
erbauten Gartenpavillon. Man genoß von hier bie
feltenfte Ausfiht über die prachtuolle Gegend rings
umher. Die untergehende Sonne färbte die reiche
Landſchaft mit ihren rothen Tinten. Fern in Often
bliste hier una da der goldne Spiegel des Indus
durd Palmen und Tamarisken, welche malerifch die
beiden Ufer beichatteten. In blauen Duft verliefen
fi) in der Ferne die Gebirge von Hindoftan, während
die ftolzen gewaltigen Mafjen des nahen Himalaya
in prachtvoller Beleuchtung thronten.
„Aber jetzt erzähle mir vor allen Dingen, Freund,”
begann Runſchid, nachdem man beim Mahle Plat
genommen hatte, „wie it Div Deine Flucht ge=
Iungen? Was mir Ismael von Deinem vorgebliden
Ableben erzählt, Klingt faft wie ein Märchen Sche-
hezerades.“
„Und gleichwohl hat er nur die Wahrheit ge—
ſprochen,“ erwiederte lächelnd Haſſan. „Nachdem ich
erkannt, daß mir kein Mittel blieb, aus der Haupt—
ſtadt und der Gewalt des Fürſten zu kommen, ward
ich krank, dann immer kränker, machte mein Teſta—
ment nach allen Regeln Eurer Geſetzgebung und ſtarb
endlich ſanft und ſelig in den Armen meiner Tochter
Olivia und in Gegenwart Ismael's, welcher alsdann
mein Begräbniß beſorgte und zwar auf eine ſo weiſe
Art, daß ich gleich in der nächſten Nacht wieder zum
Leben erwachen und in Begleitung Olivia's die Flucht
ergreifen konnte. Ismael hatte die ganze Sache mit
ſo viel Umſicht geleitet, daß mich ganz Kabul bereits
wohlbehalten im himmliſchen Paradieſe angelangt glaubt,
während ich mich derzeit noch ſehr behaglich im irdi—
ſchen befinde und nichts mehr bedaure, als daß ich mich
nun bald gezwungen ſehe, von meinen zwei treueſten
Freunden Afghaniſtans zu trennen.“
in
15
Auch der wackre Runſchid war viel zu evelfinnig,
als daß er feinem Freunde zu feiner gelungenen Be—
freiung nit von Herzen hätte Glück wünſchen jollen,
obihon aud er wie Ismael bie Heimreife dallan's
aufrichtig bedauerte.
„Wohlan!“ ſprach er, „es hat ſo ſein ſollen und
der Wille Allah's geſchehe! Wir wollen uns aber die
letzten Stunden des Beiſammenſeins nicht durch thö—
richten Trübſinn verbittern. Zum Letztenmale athmet
Ihr heute die Luft Afghaniſtans, zum Letztenmale weilt
Euer Fuß auf ſeinem Boden; ſo mögen auch ſeine
edelſten Früchte zum Lebewohl Euern Gaumen legen.
Runſchid erhob ſich bei diefen Worten und z0g
den Vorhang, der vor einer nilchenartigen Marmorz
halle herabfloß. Da leuchteten und bufteten im
goldnen Schalen die koftbarften Früchte Afghaniftans:
Aprikofen von Kabul, auf vierzehn verfchievene Arten
zubereitet; Sranatäpfel von Ghizin, Feigen von Kan—
dahar und Melonen von Peſchawer.
Haſſan und Olivia ſo wie Ismael, welche ſelbigen
Tag eine geraume Strecke Wegs zu Fuß zurückgelegt
hatten und deshalb nicht ohne Eßluſt waren, ließen
ſich's trefflich ſchmecken und erfreuten ſich dabei der
wunderherrlichen Abendlandſchaft, die nach und nach
immer tiefer in die Schatten der Nacht hinabſank.
Schon ruhte tiefe Dunkelheit in Thälern und Schluchten,
aber noch immer glühten die Gipfel des Himalaya in
unſterblichem Glanze.
Plötzlich hallte ein Kanonenſchuß von den Wällen
Attoks herüber. Haſſan blickte befremdet auf und
Olivia klammerte ſich ängſtlich an den Arm des Vaters,
denn ſie fürchtete nicht anders, als an der Grenze
Afghaniftand von dem Fürſten von Kabul noch auf-
gehalten zu werben und hielt den Donner für ein
46
Signal, welches ihre Flucht anßeige. Runſchid aber
lächelte, als. gr die Furt des Mädchens gewahrte.
„E83 gilt der Karawane Osman's,“ ſprach er
beruhigend, „pie fo eben bei ben gelben Wellen des
Indus anlangt und deren Ankunft ſtets buch einen
Kanonenſchuß fignalifirt wird.‘
- Die Freunde blieben nod einen großen Theil ber
Nacht bei einander. Man verabrevete die Art und
Weife, wie man fünftig von Zeit zu Zeit in Corre-
fponvenz treten wolle, und verfant dabei in Rüd-
efinnerung vergangener Zeiten. Olivia war .in bie
blüthenpuftende Nacht hinaus auf den Balkon getreten,
weldher nah dem Garten hinaus ging. Dort am Fuße
jene8 Gebirges, hinter weldem die Sonne fhlafen
gegangen war und deſſen Höhen im letten Abenprothe
glühten, ruhte das edelſte Meutterherz, das für fie
fo früh zum Letztenmale jchlagen ſollte. Dlivia war
faum neun Jahr alt, als die Mutter fchlafen ging
unter die Blumen von Kabul. Sie hatte feine andre
Heimath gefannt, als das fchöne, Thal am Fuße des
Hindukuſch, wo die Aepfelbäume jo ſchön und fo voll
blühen, daß fie oft wie im Schnee in herabgefallenen
Blüthen watete; und gleihwehl wollte e8 ihr doch
nie heimathlich werben in dem ſchönen Lande; fie fah
ihre ſchöne und gute Mutter zu oft weinen unter
ihrem Lieblingsbaume im Garten zu Kabul und viele
Thränen galten alle ver fernen Heimath im deutſchen
Lande. Die Heine Olivia hatte zu oft und zu viel
aus Alterlihem Munde erzählen hören von vieler
fernen deutſchen Heimath, als dag nicht auch in ihrer
Bruſt eine wachſende Sehnfuht nach jenem Abend—
lande hätte erwachen ſollen. Sie betrachtete daher ihre
nächtliche Flucht an der Seite des Vaters wie eine
17
Befreiung aus einem Kerfer, in welchem fie nur ei-
nen Schatz zurückließ, das Grab ihrer Mutter.
Die Mondesfichel leuchtete bereits eine Hand breit
über den Gebirgen Hindoftans, als die Freunde, dem
Gebote des Propheten ungeachtet, das man überhaupt
bei Abfchievsfeten weniger zu berüdfichtigen pflegte,
zum Letztenmale die Becher mit dem muskatnußduf⸗
tenden Kabulwein an einander Flingen ließen. Man
Ihwur ſich ewige Freundſchaft und vergaß dabei nicht,
die holde „Roſenknospe,“ fo hieß Olivia, bei ven
Afghanen hoch leben zu laflen.
ALS die Morgenfonne fi) von Neuem in den rau-=
ſchenden Wellen des Indus badete, verließen Haffan-
ben-Mullah in Begleitung feiner Tochter, von jeßt
in Hindutradht gekleidet, die Blumengeftade Afghani-
ſtans und gingen nad) Hindoften über, wo fie fich
als fromme Pilger, welde auf einer Betfahrt nad)
Katufir begriffen, der Karawane’ von Bulhara ans
ſchloſſen.
Zweites Rapitel.
Noch einer ziemlich abenteuerlichen Fahrt, bei wel—
cher ſich die große Weltunkenntniß des Rathsactuar
Zeiſig beſonders auf ergötzliche Weiſe kund gab, war
das Niederroßla-Kabul'ſche Erbheer, unter Anführung
des jungen Morand vermittelſt des königlich hannö—
ver'ſchen Poſtwagens glüdlih und mwohlbehalten in der
freien Reichs- und Hanſeſtadt Hamburg angelangt und
in einem Gafthaufe unfern des Hafens abgeftiegen.
Stolle, fänmtl. Schriften. XVII. 2
18
Gamaliel's Herz, zeither von dem Abjchiebe bei
Felicitas, die er in feinem Leben das erfte Mal ver-
ließ und vom Heimweh etwas beengt, athmete wieder
frei und groß und fein Auge leuchtete begeiftert, als
der Maftenwald der großen Handelsſtadt vor ihm auf-
flieg und das geräufchuolle Leben eines großartigen
Verkehrs von allen Orten ber an fein Ohr ſchlug.
Alles war ihm neu, fremd, außerordentlich. Victor,
‚welcher Hamburg bereit8 von früher her kannte, über-
nahm das Amt des icerone und kaum hatte man
einigermaßen Xoilette gemacht, al® die beiden jungen
Männer bereits die geräufchvollen Straßen Hamburgs
entlang wanbelten.
Weit weniger behaglich fühlte fi, mit Ausnahme
Betterlein’8 und des Heldenſpielers, der übrige Theil
der Reiſegeſellſchaft; Lagemann, die Hanno'ſche Ab-
tretungsurfunde fortwährend bei ſich tragend, warb
von quälenver Ungewißheit gepeinigt, ob ihm Siebede
und Komp. vie Keifefpefen zahlen würden oder nicht.
Im legten Falle war er übel dran; dann mußte er
für die Ueberfahrt und Belöftigung felbft forgen,
denn feine Würde als Attaché brachte ihm feinen
rothen Heller. Der Rath zu Nieverroßla hatte ſich
nicht zu der geringften Entihädigung verftanden. Ein
Mann wie der Wirth zur Stadt Magdeburg fieht fid)
aber für alle Fälle vor. So wie fid vie Gelegen-
heit günftig zeigte, 309 er feinen diplomatischen Chef,
den Actuar, auf die Seite und führte ſeditiöſe Reden
gegen den Rath von Niederroßla.
„Eine ſolche Knickerei ift noch nicht dageweſen,“
begann er, „ich erhalte als Attaché keinen Kreuzer,
und Sie mit Ihren dreihundert Gulden, die man be—
willigt hat, wie wollen Sie auskommen in drei Welt—
theilen; bedenken Sie die Länge des Wegs, die Em—
19
ballage des Krokodills; ein ſolches Thier will ver-
padt fein, daß ſich's nicht abſtößt, die Steuern und
Gaben, die darauf haften, die Ausfuhr- und Grenzzölle.“
Zeifig zudte, vie Achſeln. „ES will eingetheilt
fein,“ ſprach er; „indeß hoff ich in Betracht meines
mäßigen Appetits, meiner frugalen Koft —“
„Was da,” eiferte Ragemann, „kommen Sie nur
aufs Meer, da effen Sie für zehn Mann; Geeluft
zehrt.“
Der Actuar ſchauderte, wenn er an's Meer dachte.
„Ihr Reiſegeld,“ fuhr ver Hotelier fort, „ift ver-
frefien, eh’ wir um Afrika herumfahren.“ .
„Das wolle Gott verhüten!” feufzte Zeiſig.
„Dann liegen Sie krumm und hungern bi8 Kabul.”
„Wer vermöchte dies auszuhalten.‘
„Ich für meine Perſon wenigftend nicht,” fprad)
Lagemann; „es tft übrigens eine Sünd' und Schande,
die eigne Gefandtichaft verhungern zu laffen, troß ber’
brillanten Erbſchaft.“
Zeifig fühlte die Wahrheit dieſer Worte, doch war
er viel zu loyal, um feine Beiftimmung laut werben
zu laffen. Ä |
„Nie find diplomatiihe Perjonen jo gegen alles
Völkerrecht behandelt worden,” fuhr der Magdeburger
mit gefteigertem Ingrimm fort, .,‚eine ganze Geſandt—
Ihaft dem Hungertode Preis zu geben, es ift him—
melſchreiend!“
Der Actuarius ſchwieg und ſeufzte.
Lagemann hielt denſelben jetzt für reif, einen An—
griff auf deſſen Rechtlichkeit zu wagen.
„Unter bewandten Umſtänden,“ ſprach er, „gebeut
die eiſerne Nothwendigkeit, daß wir uns ſelbſt Recht
ſchaffen.“
Zeiſig ſchrak zuſammen und lauſchte Fra? wo
20
fein Attaché mit dieſen gefährlichen Reden hinaus-
wolle.
‚Wenn alle Stränge reißen ‚“ erklärte der Hotelier,
„ſchlagen wir der golpnen Beſtie den Kopf ab oder
den Schwanz, verkeilen die Maſſe und ftillen unjern
Hunger. Das Rathscollegium mag fih mit dem
Rumpfe begnügen.”
Sih am anvertrauten Gute zu Ivergreifen, mar
dem Actuar eines der außerorventlichiten Verbrechen,
und er verhehlte feine Averfion gegen vergleichen Ge—
finnungen dem Wirthe zur Stadt Magdeburg nicht.
Diefer kümmerte ſich aber wenig um die Zeifig’Iche
Averfion und fuchte dem revlihen Manne zu bewei-
fen, daß Noth Eifen bredhe, wie viel weniger menſch⸗
lihe Satungen. Uebrigens verlöre europäiſche Ge-
feßgebung in fremden Zonen ihre Kraft.
Die Lagemann’fche Dialectif wollte indeß bei dem
ehrlichen Actuar nicht anſchlagen. Er blieb feit bei
feiner Ehrfurcht Hinfichtlidy anvertrauten Gutes. „Das
vefpective Krokodill,“ behauptete er mit vieler Beharr-
lichkeit, „müſſe unverlegt an allen feinen Theilen
einem hochweiſen Rathe von Niederroßla überantwor-
tet werden.”
„Aber Sie haben doch,“ warf Lagemann ei,
„als Senatömitglied jo gut Antheil am Krokodill wie
die andern. Wenn Sie fih alfo ein Stüf in Er-
mangelung andrer Subfivien abjchlagen und verfref=
fen, geht’8 ja von dem Ihrigen.“
„Wenn ſchon,“ meinte Zeifig, „aber ih will mid
eher felbft aneſſen, als die Integrität des mir anver-
trauten Gutes verlegen.”
Da Lagemann fah, daß dem gemiffenhaften Be—
amten nicht beizufommen fei, ftand er von jeinen
Derfuhungen und Angriffen vor der Hand ab. Er
21
wollte paflendere Gelegenheit abwarten und hoffte da=
her viel vom erften Seeſturm, wo er dem Gewiſſen
des äÄngftlichen Zeiſig's einen Träftigern Schlag bei-
zubringen vermteinte.
| Ein weit ruhigere® und behaglicheres Dafein als
der Hotelier führte Hanno in Hamburg. Der größte
Theil der Lagemann’fchen Ducaten ftaf kunſtreich ver=
wahrt in einem ledernen Gürtel, welchen er Tag und
Naht um feinen Leib trug. Er hatte fich lange nicht
fo wohlhabend und forgenfret gefühlt wie dermalen.
In der Heimath fonnte er e8 nie zu Etwas bringen,
er hatte daher an ihr nichts zu verlieren; vielleicht
daß ihm fein Glück im Morgenlanve blühte, Ob er
mit dem erhobenen Erbtheile der Frau Urfula nad)
Niederroßla zurüdfehren oder mit diefev Summe
durchgehen und fih in Hindoſtan habilitiren und eine
reihe Nabobtochter heirathen folle, darüber war er
wit fih noch nicht vollfommen im Klaren. Vor der
Hand ließ er die Zukunft auf fich beruhen und genoß
der freundlichen Gegenwart.
Betterlein’8 Beſchäftigung war ungemein amüjan-
ter. Er Hatte ſich vom Wirthe einen Stadtplan ge-
liehen, mit deſſen Hülfe er das Ctraßenlabyrinth
durchzog. Sobald er irre ward, z0g er den Grund—
riß aus der Taſche, trat in die erfte befte Hausflur
und orientirte fich.
Sehr ſchlimm erging e8 ihm in Altona. Im
einem öffentlichen Garten, ber nicht eben von dem
gewählteften Publitum beſucht wurde, wo aber bie
Preife für Speifen und Getränke jehr billig geftellt
waren, jah Vetterlein eine Tages dem Kegelfchieben
zu: Als großer Freund diefes Spiels nahmen die hier
üblichen hohen Kegel und colofjalen Kugeln feine
volle Aufmerkſamkeit in Anſpruch und ed wandelte
22
ihm die Luft an, an einer Parthie Theil zu nehnten,
. damit er dereinfl in der Heimath erzählen könne,
auch mit Hanfenten Kegel gefehoben zu haben. ‘Der-
gleichen Reifexbenteuern war ex fehr zugethan. Bet-
terlein erfundigte fich demnach bei einem Individuum,
das gleichfalls ver Kegelei zufchaute, zu welchem Preiſe
Das Spiel bier gejhoben würde und ob e8 wohl er-
laubt fei, Antheil zu nehmen? Wußte es nun der
Angerevete nicht bejjer oder wollte er dem Frager,
weil dieſer ſich jo amgelegentlih nad) dem “reife des
Spiels erfundigte, einen Heinen Schabernad fpielen,
furz er gab zur Antwort, daß bier das Kegelgeld
die Sauptfadhe ſei.
„Das kann den Kopf nicht koſten,“ dachte Vetter—
lein bei fih, und überrechnete in Gedanken den Preis
des Parthiegeldes in Niederroßla. Zugleich ward hier⸗
durch jeine Luft mitzufchieben fo groß, daß er dem
Haufen der Kegelanten immer näher trat und auf Be-
fragen eines ver legtern, ob er Antheil nehmen wolle,
feine Zuftimmung gem ertheilte.
Das Spiel begann, gewährte aber Jedermann
mehr Vergnügen, als unferm Quartus, deſſen Fleine
Figur zu den ungeheuern Kugeln in gar feinem Ver—
hältniffe ftand. Um nur einen foldhen zwölfzolligen
Globus in die Höhe zu ‚heben, bevurfte Betterlein
jeiner gejanımten zwei Arme, was den athletifchen
Hanjeaten, weldye jfämmtlih ver arbeitenden Klaſſe
angehörten, pojfirlih vorfam. Der Erfolg feines
Schiebens war feiner Kraftlofigkeit vollkommen ange «
meſſen. Die matte Kugel erreihte nur mit Mühe
ihr Ziel und war jelten im Stande, ein oder zwei
Kegel umzuwerfen, während die übrigen Mitjpielenden
em Honneur nad dem andern jchoben. Die Spiel:
art brachte e8 mit fih, dag der Mann vier Kugeln
23
unmittelbar hinter einander zu fehieben hatte. Bereits
bei der zweiten jchwitte Vetterlein wie ein Hammel-
braten und bei der vierten, die in der Regel nie ihr
Ziel erreichte, war er halb tobt.
„Es ift mein Glück,“ dachte er bei ſich, „daß es
blo8 um's Parthiegeld geht, dieſes werd’ ich aber lei-
der diesmal wohl bezahlen müſſen. Wer heißt mid
mitſchieben. Ein folder Plack beim Kegeln ift mir
noch gar nicht worgefommen. In Nieverroßla koſtet
bie Parthie acht Pfennige, bei dieſen vierundzwanzig-
pfündigen Kugeln kann fie leicht auf zwei Schillinge
fommen. , Ein eben fo theures wie ſaures Bergnügen.
Dafür kann ich aber auch dereinſt erzählen, mit ächten
Hamburger Söhnen Kegel geſchoben zu haben.“
Das Spiel mwährte ziemlich lange. Vetterlein,
welcher bald feine Arme nicht mehr fühlte, befam es
höchlich überdrüßig. Endlich ging's zu Ende. Der
Rechnungsführer zog über die ſchwarze Tafel einen
energiſchen Strich und ſummirte den gegenſeitigen
Verluſt und Gewinn. Am Uebelſten kam Vetterlein
hinweg. Er hatte netto neunzig Point verloren. Als
er gewahrte, wie die verlierenden Mitſpieler nach Gelde
ſuchten, zog er auch ſeufzend ſeinen Beutel und zum
Tafelrechner hervortretend, frug er, wie hoch ſich ſein
Beitrag zum Parthiegelde belaufe?
„Das Kegelgeld,“ erwiederte der Gefragte, „haben
die Gewinnenden zu tragen.“
Fil dachte der Quartus, „iſt das eine verkehrte
Welt,“ und er frug ſchmunzelnd, „demnach hätt' ich
nichts zu entrichten ?“
„O ja,” fuhr ver Andre fort, „Sie ftehen juft
hod an der Kreide. Sehen Sie hier neunzig Point,
den Point zu einem halben Schilling, beträgt fünf:
und vierzig Schillinge.“
24
„Ach, Sie ſcherzen,“ verſetzte Vetterlein, welcher
wirklich glaubte, Jener treibe ſeinen Spaß mit ihm.
„Uebrigens kommen Sie noch billig hinweg,“
tröſtete der Anſchreiber, „in Betracht Ihres Malheurs
haben wir das kleine Spiel geſchoben.“
Vetterlein, nachdem er mit Zähneklappern inne
geworden, daß es ſich hier wirklich um fünfundvierzig
Schillinge handle, die er zu bezahlen habe, wünſchte
nichts mehr, als die Kunſt zu befigen, ſich unſichtbar
zu machen. Da ihm aber für dieſe ſo wohlthätige
Operation der unentbehrliche Zauberring mangelte, ſo
wollte er mit dem Tafelrechner in Unterhandlung
treten und einen billigen Accord abſchließen. Er bot
fünf Schillinge und gab zu bedenken, daß er als
Fremder die hohe Spieltare nicht gekannt und in
der Meinung geftanden, es gehe blos um's Parthie-
geld. Mit fünf Schillingen glaube er fein Mitfchie-
ben honnet genug bezahlt zu haben.
Der Rechnungsführer flüfterte jet einigen ber
Mitipielenden ein paar Worte ın’8 Ohr, die aber zum
Schrecken Betterlein’®, weldyer den Bewegungen Des
Eontroleurd Angftlih folgte, niht gut aufgenommen
wurden. Plötzlich entftannd ein Gemurmel und eine
rohe Stimme, die einem Matrofen, einem der Haupt-
gewinner, angehörte, rief laut und vernehmlidh: „Wenn
der Hund nicht bezahlt, fol er feinen ganzen Knochen
nad) Haufe bringen.‘
Der entſetzte Vetterlein zweifelte feinen Augenblid,
daß unter der erwähnten Thierart Niemand anders
als er zu verftehen fei. Fieberfroſt durchſchauerte fein
bedrohtes Gebein, und da ihm die Unverlegtheit
feines kleinen Körpers doch lieber war als die fünf-
undvierzig Schillinge, jo zahlte er diefe enorme Sum—
me, wofür er in Niederroßla einen ganzen Sommer
25
Kegel fchieben konnte, und verkeß die theure und
gefährliche Wirthſchaft fo fchnell, als ihn feine klei—
. nen Beinden zu tragen vermocdten. Er hatte ob der
ausgeftandenen Angft dermaßen ven Kopf verloren,
daß er wiederholt den Grundriß aus der Tafche zie-
ben mußte, um ſich nah Haufe zu finden. Yugleich
gelobte er ſich mit einem hochheiligen Eide, bevor er
niht nach Niederroßla zurüdgefehrt fei, nie wieder
eine Segelfugel anzurühren.
Auf eine ganz andre Art als die Uebrigen ver= |
brachte der lange blonde Factor feine Zeit in Ham—
burg. Er wahr in eine Liebfchaft mit feinem Man-
farden vis-a-vis verwidelt und fpielte den ſchmach—
tenden Schäfer mit aller Zartheit eines idealiſch Lie—
denden. Wenn dem Schwärmer das heiß erjehnte
Glück wirklic) zu Theil geworben wäre, den Gegen—
ftand feiner Verehrung in die Nähe zu betrachten, fo
ift kaum zu bezweifeln, daß fein Liebeswahnfinn
einige Abkühlung erlitten haben würde. Die Ange—
betete, eine PBojamentirerstochter, die fih vom Locken—
verfertigen ernährte, ftand bereit im vierten Jahr—
zehnt, war podennarbig und alles mögliche: außer
hübſch. Die verkebten Demonftrationen des unver-
hoffte Anbeter8 wurden von ihr nur zu bald be—
merkt und es warb ihr ganz wunverbar zu Muthe,
in ihrem Lebensfommer nod die lang vermißte Lie—
besfonne aufgehen zu ſehen. Für ihre Umſtände
fonnte fie feinen beſſern Berehrer finden, als den
bünnhaarigen blonden Factor, welcher zu feinem und
ihrem Glüde ziemlich ſchlecht ſah. Auh ihr Fam
Süßmilch alsbald verflärt und ivealifch vor.
Daß das Glück der Menſchen hauptſächlich in ber
Idee, in der Einbilvdung beruht, fehen wir an dem
Nieverrofilaer Factor und der Hamburger Pofamen-
26
tirertochter. Beide waren felig und machten den- erften
Curſus der Liebe in al’ ven Kleinen roſenrothen
Atomen und Überzuderten Brojamen durch, wie zwan-
jig Jahre jüngere Leute. Eine ideale Liebe braucht
erjtaunlich wenig zu ihrem Leben und Gebeihen. Ein
Rouleauaufziehen, ein Fenfteraufmachen, ein Blumen-'
topf, das find für fie alles Dinge und erotifche Tele-
graphen von der höchften Wichtigfeit. Auch zwifchen
dem Factor und feinem vierzigjährigen Gegenüber
entſpann fich ein foldhes ſymboliſches Kreuzfeuer. Die
Lodenfabrifantin ftellte einige Blumenftöde an's Fen—
fter, welche fie häufig zu begießen pflegte, wobei fie
fi) mit Sentimentalität gebervete.e Dem Factor ent-
gingen nun ob feines kurzen Geſichts zwar die fei=
nern Nuancen diefer weiblichen Kofetterie, aber fein
verliebter Inſtinct witterte Doch fo viel, daß das
fleigige Blumenbegießen feinen abjonverlichen Hafen
habe. Der wonnige Gedanke, daß er wohl jelbjt ver
Hafen fei, fihraubte feine Liebe und Seligkeit zur
aufßerorventlihen Höhe.
Hiermit hätte ſich Süßmilch, wenn er gefcheut ge-
wejen wäre, begnügen follen, aber ein Berliebter ift
nie ganz gejhent. Der Factor ging weiter und legte
fid), wahrjcheinlid” aus Nahahmungstrieb, gleichfalls
auf die Gärtnerei. Dies hätte fein mögen, aber aud)
hiermit war der blaffe Blondin nicht zufrieden. Die
Liebe macht fühn und verwegen. Demzufolge ließ er
ih Papier, Tinte und Feder geben und ſchrieb mit
vieler Kunft und mit drei Zoll langen Buchftaben
die beventungsvollen Worte: „Welch ein himmlifches
Vergnügen iſt nicht Die Liebe!!!“ Die legten drei
Ausrufungszeichen waren von einer wahren. riefigen
Größe. Mit entzücktem Schauer las Aurikula, fo
hieß vie Pofamentirertochter, die großartige Fractur
27
des verliebten. Factors, und fie befhloß, das ſuße
Bekenntniß nicht unerwiedert zu laſſen. Ein Stock
mit brennender Liebe, den ſie unmittelbar darauf vor
das Fenſter ſchob, follte ſymboliſch andeuten, daß die
Flammen der Liebe auch in ihrem ſchwachen Herzen
gezündet hätten.
Süßmilch, der ſich hinter ſeinen Hortenſien wie
ein Luchs gelagert hatte und mit verhaltenem Athem
. auf den Erfolg lauſchte, den feine Fractur in der
Manſarde gegenüber bervorbringen würde, war außer
fih vor Entzüden, als er die urplöglihe Blumenaus-
ftelung gewahrte, die mit feinem Papierzettel in zu
auffallendem Rapporte ftand, als daß er biefelbe nicht
hätte auf fich beziehen laffen. Nur aus der Blumen-
art ſabſt konnte er wegen feiner Kurzfichtigfeit nicht
ganz Hug werden. Bald ſchienen e8 ihm Roſen, bald
Levkoien. Er mußte hierüber in's Klare kommen,
dies ftand feft; der Gegenſtand war von zu großer
Wichtigkeit. Liebe macht erfinderifh. Er entjann fich,
daß ver Wirth ein ziemlich langlaufiges papiernes
Perfpectivo befige, vermittelft welchem er und ſeine
Säfte oft die Schiffe im Hafen zu beobachten pfleg=
ten. Nach viefem für Süßmilch's Zuſtände jo wohl-
thätigen Inftrumente erwachte jett fein Berlangen.
Der Factor Kletterte fofort ein Stockwerk tiefer nad
ber allgemeinen Gaftftube, wo er wußte, daß ber
Guder ein Stüd des Inventariums ausmade. Süß-
mild) entdedte auch alsbald ven Gegenftand feiner
Sehnſucht, welcher ihn in den Liebeshimmel einführen
ſollte, und ftürzte wie ein Lämmergeier auf ven Ge—
genftand feiner Begierde, und war im Nu damit
verſchwunden.
Nie hat wohl ein Aſtronom ſein Obſervatorium
mit größrer Glückſeligkeit beſtiegen, als der Factor
28
das Manſardenſtübchen. Auf der Sternwarte anges
langt, traf er fagleih Anftalten, dem Xelefcope vie
jenige Richtung zu geben, um feine Benus in mög—
lichſt vollem Lichte zu exrbliden. Damit aber feine
aftronomishen Beſtrebungen gegenüber nicht bemerkt
würden, faßte er ganz im Hintergrunde Poſto, wobei
ihm die altertbümlihe durchbrochene Bauart des Ka—
chelofens vortreffliche Dienſte Lleiftete.
Ausgerüſtet, alle Himmel zu ergründen, that er er
jetzt mit wonneſchauerndem Herzen einen verhängniß⸗
vollen Blick durch das Rohr, das er, um ber Po—
ſamentirertochter jo nah’ wie möglich zu Tommen, aus⸗
nehmend verlängert hatte. Aber wie ſehr ward ſeine
Erwartung getäuſcht, als er in eine undurchdringliche
Nacht ſchaute. Er guckte eine Zeit lang mit dem
rechten, dann mit dem linken Auge, dann wieder mit
dem rechten; immer dieſelbe eghptifche Finſterniß.
Blind war er nicht, denn er ſah außerdem alle Ge—
genftände,, alſo mußte der Fehler an dem Rohre lie
gen. Süßmilch ſchob daſſelbe ein Stüd zujammen.
Alles umfonft. Liebe und Noth machen indeß erfin=
beriih. Der Factor ftellte jet genauere Forſchungen
über vie Eigenthümlichkeiten feines Teleſcops an und
war jo glüdlih, vie Urſache von deſſen gänzlicher
Undurkhfichtigfeit zu ermitteln. Bor dem Dcularglafe
nämlich befand fich ein Heiner Schieber, um daſſelbe
vor dem einbringenden Staube zu ſchützen. Süß—
mild knaupelte mit Behnrrlichkeit jo lange, bis ex bie
Finſterniß bejeitigt. Jetzt begannen die Objervationen
von Neuem; leider mit bemfelben jchlechten Crfolge
iwie früher, Der Factor machte die Bemerkung, daR
auh das untere Glas mit einem Schieber verjehen
ſei. Auch dieſer warb endlich befeitigt, das Rohr
fo weit wie möglid) ausgeſchoben und der entſcheidende
99
Blick follte gefchehen. Neues Mißgeſchick; Süßmilch
fhaute in ein Nebelmeer ; alle obfervirten Gegenftänbe
floffen coloffal und chaotiſch durcheinander! Der neue
-Herfchel hob und förderte jetzt mit Unermüdlichkeit,
um das Inftrument feiner Gefichtsfraft conform zu
ftellen. Seinen PBrobirftein bildete hierbei eine unfern
befindliche Teuereffe. Endlich hatte er alle Hinver-
niffe bejiegt und ver Weg zu feinem -Himmelreiche
ftand offen. Es galt jegt nur, das rechte Tenfter
unter den vielen gegenüberliegenden zu treffen. Süß—
mild zitterte wor freudiger Haft. Das Rohr irrte
unficher bin und wieder und haſchte endlich ein Yen-
fter, welches es fefthielt. Aber weld ein Sturzbad
für den glühenven Liebhaber! Sein Auge erblidte
ganz deutlich ein altes ſcheußliches Weib, das jo eben
ungefhent und im tiefiten Neglige ein Bedürfniß
verrichtete, welches freilich Niemand anders für fie
verrichten konnte.
Der Factor prallte ſchaudernd und ſchamhaft zu=
rüd und begriff nicht, wie bie Unverfhämtheit einer
Srauensperfon jo weit gehen könne. Er bedachte frei-
lich nicht, daß jenes unerfreuliche Geſtirn nicht ahnen
fonnte, ſich telefcopifh im feinem unauffchieblichen
Geſchäft firirt zu fehen.
Süßmilh, durch dieſes abſchreckende Phänomen
nachdenklich gemacht, entvedte endlich, daß er ein
ganzes Stockwerk zu tief gerathen fe. Er beſchloß
alfo vorfichtiger zu Werke zu gehen, vifirte abermals
und mit Ruhe, jedoch ohne auf ein erwänfchteres
Refultet zu ftoßen. Sein Rohr ertappte diesmal
ein Fenſter, hinter weldem es gleichfalls nicht eben
poetifh Herging. in übelausfehennes Individuum
ftand im Begriff, fi einen Nafenpolnpen aus-
Ihneiven zu laſſen. Als Vorkur war daffelbe gerade
30
befhäftigt, einige Nafenbäver zu nehmen. Wie bei
einem Wallfifche ftieg der Waflerftrahl aus dem Ge—
ruchsorgan egıpor, worauf ſich der anwejende Chirurg
anſchickte, das Uebel an der Wurzel anzufaflen. Süß:
mild) wartete die Operation felbft nicht ab, fonvern
lenkte den Sternguder abermals ſchaudernd abwärts.
Dur die zwei Behlfahrten war er übrigens weile
geworden und richtete jein Geſchoß zum dritten Male
jo glüdlih, daß er diesmal wirklich in's Schwarze
traf, nämlih in das erfehnte Fenſter der Geliebten.
Die brennende Liebe, welche weithin leuchtete, kündigte
den Treffer an. Aber welches Mißgeſchick, eben als
ber Factor im Begriffe ftand, in den Hintergrund
jeines Himmelreih8 einzubringen, fenkte fich ein graues
Gewölf herab, das aus Iinnenem Zeuge beftand und
nichts anders als ein Rouleau war.
Süßmilh hatte in der That mit allen Hinder-
niffen der Aftronomie zu kämpfen; denn nichts wirkt
auf Beobachtungen nadıtheiliger, als eine graue Wand,
weldje ven Himmel bevedt.
Der Factor gerietd in eine wahrhaft exaltirte
Stimmung, ob dieſes neuen und völlig unerwarteten
Malheurs. Seine Phantafie geriethb in Wallung, ob=
ſchon das bei ihm felten ver Fall war; aber die Sadı-
lage war ver Art, daß auch eine höchſt proſaiſche
Natur fi hinter der grauen Wand Allerlei zu denken
vermochte.
Endlih ſchnarrte das Kouleau wieder aufwärts
und die Pofamentiertochter erſchien bei offenem Fen—
fter nad) forgfältig geordneter Toilette in aller Pracht
und Herrlichkeit.
Der Factor, welcher wie ein Luchs auf feine Beute
lauerte, erſchrak ob des unverhofften Sonnenaufgang
dermaßen, daß er mit dem Teleſcop wieder die Rich—
31
tung verlor. Er fuhr gitternd eine lange Zeit um—
her, bevor er der brennenden Liebe wieder habhaft
wurde, worauf er aber ſogleich losſchoß und der An-
gebeteten an den Hals fiel. Bei näherer Befichtigung
fühlte fi) fein Eifer indeß auffallend ab. Er machte
die Entvedung, daß er ſich geirrt habe, benn die
Trauensperfon gegenüber entſprach keineswegs dem
Ideal, das in feiner Phantafie Pofto gefaßt hatte.
Obſchon dieſes alternde Geficht gleichfalls verſchwen—
deriſch von Locken umwogt wurde, jo fonnte daſſelbe
doch unmöglich dem ſtattlichen Lockenkopfe angehören,
der die ganze Zeit daher ſein Herz in Affection ge—
nommen hatte. Es war unbeftritten eine ältere
Schweſter, oder, was dem Factor weit wahrfcheinlicher
erichien, die Frau Mutter.
Dem aufmerkffamen Yactor mit feinem Teleſcop
entging nicht die geringfte Bewegung der Frau Mut-
ter und er fonnte fi oft eines mißbilligenden Kopf-
ſchüttelns wicht erwehren. Sie gebervete fih ja wie
ein achtzehnjährigs Mädchen. Er bevauerte fein
Seal, das ihm bei einer ſolchen gefallfüchtigen Mut-
ter feineswegs gut aufgehoben ſchien. Plötzlich ward's
ihm aber außer'm Spaße. Wenn ihm nicht alles trog,
jo warf die Frau Mutter verliebte Kußhändchen herüber ;
zugleich befeftigte fie an die bremnenve Liebe einen
Zettel, worauf der Factor ganz deutlich buchftabirte:
Mein Herz [hlägt einzig nur für Did, fü-
Ber Fremdling!
„Das Weib ift verrüdt,” ſprach Süßmilch ganz
aufgebracht und ftellte fofort feine nicht eben beloh-
nenden aftrongmifhen Beobachtungen ein. „Eine fo
gewiffenlofe Mutter ift mir noch gar nicht vorgekom—
men; die will mid der einzigen Tochter abtrünnig
0
32
machen. O Sitten, Sitten, wie tief feid ihr hier und
da geſunken!“ |
Wie oft auch der Yactor |päterhin mit dem Te—
Iefcope feinen zeitherigen Himmel durdyftöberte, fo war
er doch nie wieder fo glüdlih, fein Ideal ausfindig
zu machen. Immer erfchaute er nur die Frau Mut-
ter, deren Anblick und grobe Kofetterie ihm nachgerade
höchſt verhaßt wurden, jo daß er endlich die Forichun-
gen auf ſich beruhen Tief.
Als Victor und Gamaliel nad einem Ausfluge
in den Hafen in ihr Gafthaus zurüdgefehrt waren,
fanden fie eine ſchriftliche äußerſt verbindliche Einla-
dung zum Mittagseffen in Eppendorf bei Herrn Sie—
bede und Comp. vor. Aber niht blos die beiven
Genannten waren geladen, dieſelbe Ehre wurde aud)
dem übrigen Kabul'ſchen Erbperſonal zu Theil, wel-
ches deshalb in faſt convulſiviſche Bewegung gerieth.
Die Firma Siebede und Comp. war berühmt in ganz
Hamburg und e8 galt für eine nicht geringe Aus—
zeihnung, namentlich für Kleinftäbter wie Lagemann,
‚ Zeifig, Detterlen, Süßmilch und Hanno, in einem
jo vornehmen Haufe zu Gaſte gezogen zu werben,
obwohl letzterer fortwährend renommirte,\ bei Fürften
und Grafen zu Mittag gefpeilt zu haben.
Die Hauptfrage des größten Theil der Geladenen
betraf vor allen Dingen eine paſſende Garderobe.
Faſt ſämmtliche Coſtüms der Niederroßlaer waren
wohl auf eine ſtrapazirende Seereiſe, aber nicht für
ein Erſcheinen in einem glänzenden Salon, wie der
bei Siebecke und Comp. berechnet. Vetterlein hielt
ſich noch für am Geborgenſten, denn er gedachte ſeines
ſchwarzen Candidatenfracks, den er als weiſer Mann
für alle Fälle ſeinem Felleiſen einverleibt hatte; Ga—
maliel ward von Victor ſtattlich und geſchmackvoll
33
ausjtaffirt; aber für bie Uebrigen ſtand's ſchlimm. Am
Uebelften war unftreitig Zeiſig daran, welder einen
hochweifen Kath von Nieverroßla repräſentiren jollte
und deſſen Exteurieur duchaus nicht zum Beſten be-
ftellt war. In feinem wafjerdichten Coftüm konnte er
doch unmöglich bei Siebede und Comp. feine Aufs
wartung machen, das ſah man allgemein ein, und
gleichwohl erlaubten feine ſpärlichen Diäten, bei welchen
auf Garderobengelder nicht im Geringſten Rückſicht
genommen worden war, durchaus keine Ertraausgaben.
Hanno, welcher in Garderobenangelegenheiten aus
ſeiner Heldenlaufbahn her nicht ganz ohne Praxis
war, ſchaffte endlich Rath. Er trieb einen Juden auf,
welcher ein ganzes Bund ſchwarze Fracks von den
verſchiedenſten Umfängen herbei hockte.
„In einem ſchwarzen Fracke,“ erklärte ver Helven-
fpieler, „kommt man durch die ganze Welt. Auf die
Beinkleiver kommt weniger an; der rad iſt Haupt-
ſache, ohne ihn ift ein Auftreten in der Gefellichaft
nicht denkbar. Ich babe ‚daher eine Parthie Diefes
unentbehrlidden und unſchätzbaren Kleidungsſtücks in
Entreprife genommen. Gegen ein angemeffenes Aegui-
valent bin ich gern erbötig, Jedermänniglich zu befraden
nnd nöthigenfall® auch fonft bei der Toilette behülflich
zu fein. Kleider machen Leute, dieſes Sprüchwort ift
in Kraft getreten, fobald der Engel Adam und Eva
mit dem feurigen Schwerte aus dem Paradieſe ge-
jagt hatte. In Hamburg und namentlih in fo einem
vornehmen Haufe, wie Giebede und Comp. wird
hauptſächlich darauf geſehn. Laſſet Euch das gefagt
fein, bevenfet, daß die genannte Firma die Reiſegelber
auszahlt und mit aller Aufmerkfamkeit will behandelt
fein.”
Abſonderlich waren c8 die Testen Worte ber
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVIII. 3
n
34
—
Hanno'ſchen Rede, welche ihren Eindruck nicht verfehlten.
Lagemann lag außerordentlich viel daran, ſich bei
Siebecke und Comp. in Gunſt zu ſetzen; denn wer konnte
wiffen, fo er Das genannte Handelshaus nicht bei Gutem
erhielt, ob Herr Siebede dann geneigt war, die Eeffion
der Hanno'ſchen Erbquote anzuerkennen. Er machte
baher einen verzweifelten Ausfall auf das Gewiſſen
des Rathsactuars, damit dieſes auf Koften des Krofo-
dills faſhionable Kleidung ſchaffe.
Zeiſig befand ſich in verzweifelter Lage; auf ber
einen Seite hatte er den hartnäckigen Verſucher abzu=
wehren, auf der andern ängftete ihn das ftandesgemäße
Ericheinen bei Siebede.
Der Wirth zur Stadt Magdeburg verfehlte nicht,
die Einbildungsfraft des Niederroßlaer Botſchafters
durch Schreckbilder aller Art in Bangen und Angſt zu
verſetzen.
„Wenn wir nicht weltbürgerlich coſtumirt bei
Siebecke erſcheinen,“ ſprach er, „ſo riskiren wir das
Aeußerſte. Der gewaltige Kaufmann hält's für Ver—
nachläſſigung und Affront und iſt im Stande, uns
und einem hochweiſen Rathe die goldne Beſtie trotz
allen teſtamentariſchen Verfügungen vor der Naſe hin—
weg zu ſchnappen. Seine Verbindungen mit Kabul
ſind vehement. Er hat dort mehr zu ſagen, als der
Teſtator, welcher überdies ein todter Mann iſt. Wir
müſſen hier nothwendigerweiſe die Wurſt nach der
Speckſeite werfen, und nobel auftreten, unſerer hohen
Miſſion, jo wie deni großen Renommé Herrn Siebecke's
würdig. Ein abgetragener Frack reicht hier nicht aus,
ein Mittagseſſen bei Siebecke verlangt mehr.“
Kleinlaut erkundigte ſich Zeiſig, was wohl Alles
benöthigt ſei und wie hoch ſich ver desfallſige Koften-
betrag belaufen möge.
35
„Brad, Hofe, Gilet, Kaftor,” rechnete Lagemann,
„Summa Summarum vierzig Neichsthaler; darunter
getraue ich mir's nicht herzuſtellen.“
Zeiſig ſchauderte. Der Hotelier fuhr fort:
„Eigentlih fellten wir zwei als Diplomaten aud)
noch in ſchwarzſeidenen Strümpfen und Schuhen,
lestere wo möglich mit goldenen Schnallen, erſcheinen;
die Diplomatie trampelt nicht in Cuiraſſierſtiefeln ein-
ber, ſondern tritt fein leife auf, faum hörbar; aber ich
hoffe, daß e8 Herr Siebede als aufgeflärter Mann fd
fireng nicht nehmen wird. -
Zeifig wußte feinem Leibe feinen Rath. Lagemann
that ven Vorſchlag, die benöthigte Summe vorzufchießen,
wenn der Actuar als Entihädigungsquantum dem
Krofodille ein Bein abjhlagen wolle.“
Bei Zeifig empörte ſich alles Rechtsgefühl ob dieſes
Vorſchlags; er wies daher Lagemann's Zumuthung
trotz ſeiner bedrängten Lage entſchieden zurück.
„Ich begreife aber nicht,“ ſprach der Attache, „was
Euch eine Pfote ſo an's Herz gewachſen iſt; das Beeſt
behält ja immer noch deren genug.‘
„Aber, mein Gott,’ erwiederte Zeifig, ängftlich
und weinerlich, „ſie find nun einmal daran; wer fann
dafür und Trevel wäre e8, nur eine Klaue zu ent⸗
wenden.“
„Wenn aber durch den Verluſt einer einzigen
Pfote das geſammte Ungeheuer zu retten iſt, wie im
gegenwärtigen Falle,“ gegenredete Lagemann; „ſchneidet
man doch dem Menſchen Arm und Beine ab, um
Kopf und Rumpf zu erhalten, welch letztere doch immer
die Hauptſachen bleiben.‘
Trotz diefer politifch-mebicinifchen Beweisführungen
wollte der gewiflenhafte Zeifig von einer Operation
»
36
des Krokodills im Lagemann'ſchen Sinne noch immer
nichts wiſſen.
Der Magdeburger, im Geiſte fortwährend ſpecu⸗
lirend, ſchlug dem Nieverroßlaer Charge d'Affaires
einen andern Ausweg vor. Er verfprac fi und den
Actuar hoffähig zu machen und aus dem beiten Kleider⸗
magazin zu equipiven, ‚wem ihm dieſer einen Theil
feiner Krokodillquote abtrete. Zeiſig, von ber Noth
getrieben, zeigte ſich diefem Vorſchlage nicht ganz ab-
geneigt, worauf Lagemann ohne eine Definitiverflärung
des Nieverroßlaer Geſandten abzuwarten, unmittelbar
nad) ver zumächft gelegenen Kleiverhandlung eilte, von
wo er alsbald beladen zurückkehrte. Er vechnete, daß
wenn er Zeifig die Kleider nur erſt anprobirt habe,
biefer nicht mehr zurück könne und daß er alsdann
feine Beringungen nad) Belieben ftellen könne. So
geſchah's auch. Lagemann Kleivete den Actuar eigen-
händig und mit vieler Dienftbeflifienheit an und
gab auf die fortwährenden Anfragen, wie viel er
(Zeifig) von feinem Krokodillantheile ikm abtreten folle,
die allezeit ausmeichende Antwort: „Das findet fich,
guter Actuar.“
Nachdem der Lettere durch Lagemann's unglanb-
liche Behendigkeit fo plötzlich volllommen metamorpho-
firt daftand und der ſchlaue Magdeburger nicht er-
mangelte, in wahrem Hymenton das magnifigue Ex—
terieur de3 Herrn Actuar zum Himmel zu erheben, fo
erwachte endlich auch in Zeifig der alte Adam, ver
Actuar ward eitel. Lagemann fchleppte in der Eile
alle Spiegel zufanmen, die er aufzutreiben vermochte,
und fein Lob des neuen Gewands erreichte eine ercen=
trifehe Höhe.
Zeifig wandelte nicht ohne GSelbitgefälligfeit vor
den vortheilhaft geftellten Spiegeln auf und ab; er
37
erkannte die große Wahrheit, daß Kleider Leute machen,
in vollem Umfange an. Namentlid) war e8 der une
meßlihe Bufenftreif, der wie ein Schneegebirge auf
feiner Bruft empor ftieg, welcher fich feines bejonvern
Wohlgefallens zu erfreuen hatte. . |
„Koh nie ſah ich einen jchönern Mann,” fuhr
Lagemann, ben Actuar fortwährenn vom Kopf bie
zum Fuße mufternd und bier unb da die legte Hand
anlegend, lobpreiſend fort; „ned nie war ein Diplomat
vortheilhafter coftümirt. Den will ich fehen, ber vor
diefen majeftätifchen Frackſchößen, vor dieſer geblumten
Weite, vor diefem Matador aller Bufenftreifen nicht
in tieffter Ehrfurcht erftarrt und in ſprachloſer Bewun-
derung aufſchaut.“
Je wohlthuenver Zeifig dieſe Hyperbeln berührten,
um fo mehr fühlte fi) der Actuar angetrieben, nad)
dem ungeführen Preife ber trefflihen Kleivung von
Neuem zu fragen; aber Lagemann ließ ihm nicht zu
Worte fommen und fuhr fort:
„Ich bin feft überzeugt, daß wenn Ihr in dieſem
Coftüm Eure Aufwertung dem Beherrſcher von Kabul
zu machen nicht verabjäumet, dieſer das ganze Teſta—
ment zu Euren Gunften über den Haufen wirft. Laßt
Euch umarmen, gefegneter Actuar, als alleiniger
Krofodillarius; ich Kenne dann Euer Herz, melces
fid) erinnern wird, wem es biefes Glück zunächſt zu
danken.“ |
Der gewiflenhafte Zeifig, welchem ſchon Augft ward,
er könne durch feinen Kleiwerlurus feinen Collegen das
Erbtheil ſchmälern, ſprach die beruhigende Ueberzeugung
aus, daß ſich ſeine Majeftät won Kabul, durch bloße
Aenferlichfeiten in feinem Gerechtigfeitsfinne nicht werde
irre machen laſſen.
„Aber wolltet Ihr wohl, lieber Lagemann, mir
38
jet die Kaufſumme dieſes werthoollen Anzugs, bie
Ihr einftweilen zu verlegen vie Güte habet, envlich
notificiren —“
„Wenn ich nicht ganz genau wüßte,“ fuhr Lagemann,
ohne auf Zeiſig's Anfrage im Geringften einzugehen,
apologiftifch fort, „daß Ihr der Rathsactuar von
Niederroßla wäret, ich‘ erfennte Euch nicht.“
„Ich liebe Ordnung und Bünktlichleit in ſolchen
Dingen —“
„Ein englifher Lord muß fich verſtecken; dieſe
edle Haltung, dieſe Tournure —
„Es iſt um Lebens und Sterbens willen —” ..
„Siebede und Comp. find weg, wem Ihr morgen
erfcheint; wenn ich Alles fo genau wüßte —“
„Ich hoffe, Ihr laßt Euch nicht unbillig finden —
„su Hanno's Fracke wäret Ihr geliefert lebens,
ein Grabebitter ift nicht® Dagegen. Ich muß mic
feldft Toben ob ver glüdlichen Idee, Euch total zu
metamorphofiren —“
„Bagatelle für die Erhabenheit der Idee und ven
Habit obendrein, Ihr cedirt mir für hundert Ducaten
Krokodillmaſſe; dann bezahl ich felbft noch das Trink—
geld für ven Schneiverjungen, welcher die Kleider her-
geſchafft hat.”
„Hundert Ducaten Krokodillmaſſe,“ hauchte der
Actuar erfterbend, „guter Lagemann, Ihr beliebt zu
ſcherzen!“
„Hundert Ducaten, was iſt das für einen Mann,
ber ein ganzes GSechstheil von dem goldnen Mino-
taurus ererbt; das find höchſtens ein paar Schuppen,
gegen meine großartige Idee, Euch zu einem neuen
Menfchen gemacht zu haben.‘
Der Actuar ſah dies ein, aber gleichwohl erſchien
ihm die verlangte Summe zu enorm. Er ftand Schon
\ 39
im Begriff, auf ven ganzen Anzug zu verzichten, als
Lagemann fortfuhr: KR —* —** daß
Ihr in Euerer damaligen Garderobe den Zweck der
Reiſe vollkommen verfehlt. Glaubt Ihr, daß die
Bewohner Kabuls nicht ebenfalls Ambition beſitzen,
daß ſie wollen honorirt ſein und auf Etiquelte und
vorzüglich auf ſtandesgemäße Kleidung ſehen? Mir
kann's gleich ſein, ob Ihr von meinem großmüthigen
Darlehn Gebrauch machen wollt oder nicht, ich behalte
mein Geld, und weiß was ich habe, beſſer iſt immer,
ih habe, als ich hätte.‘ |
In Zeifig’d Innerm kämpfte e8 gewaltig. Die
Befürchtung, ohne Lagemann's Habit nicht durch bie
Belt zu kommen, ward immer gewifler, fo daß er
endlich nicht umhin konnte, auf das wucheriſche Geſchäft
einzugehen.
Seufzend ftellte Zeifig die Ceffion aus, die der
undhriftlihe Attache fogleih feiner Brieftafche einver-
leibte, wo bereit8 die Hanno'ſche Anweifung ſtak.
Am folgenden Tage fuhren Nachmittags drei Uhr
zwei elegante Equipagen mit betregter Dieuerſchaft vor,
welche Herrn Siebede und Comp. angehörten und bes
jtimmt waren, das Kabulheer und den jungen Morand,
der Herren Siebede bereits brieflich bekannt, zum Diner
nach Eppendorf zu transportiren. Bevor die Nieder-
roßlaer mit ihrer Toilette zu Stande gefommen, hatte
ed einer enormen Zeit bevurft; der ganze Tag, von
frühem Morgen an, war darauf gegangen.
40
Dritt ePxapitet.
Der ‚Kauffahrteifahrer, welcher die Erbſchaar nad)
Bombay überfchiffen follte, war ein Englänver und
hieß der Habicht. Der Kapitain nannte ſich John
Bovens, der Schiffsarzt Dr. Barring und der Ober-
ftenermann Hobhouſe. Die Kajliten der Paſſagiere
waren mit möglichiter Bequemlichkeit und felbft nicht
ohne Luxus ausgeftattet. Siebecke und Comp. hatten
alle Sorge getragen, den Niederroßlaern die Meerfahrt
fo comfortabel wie möglich zu machen. |
Es waren denjelben drei Kajüten eingeräumt, zwei
kleinere und eine größere. Von letzterer nahmen der
Factor, der Quartus und Hanno Beſitz, während ſich
in die andern beiden Bictor und Gamaliel und Zeiſig
mit feinem Attahe Lagemann theilten. Außerdem gab
es noch einen Sakon, der zum gemeinfamen VBerjamnt-
lungsorte, ſo wie zum Speifelocale diente. Einige ab-
feit8liegende Paflagierfajüten ſtanden noch leer, von
denen es hieß, daß ihre Bewohner erſt in Cuxhafen
an Bord kommen würden. |
Der Augenblid der Abfahrt rüdte immer näher;
noch erhoben fid, die Thürme Hamburgs in ftolzer
Majeſtät, noch ertönte ringsumher das geränfchoolle
Leben des Hafens; ſämmtliche Nieverroßlaer, nachdem
ihre Gepäck an Bord gebracht worben war, hatten fid)
auf dem Verdecke verfammelt und fehauten ven An—
ftalten zur Abreife zu, welde alle Matrojen in bie
eilfertigfte Bewegung feste. Sie mußten fid) oft
manchen Puff der Schiffsmannſchaft gefallen laſſen,
wenn fie zu unvorfidhtig den mit Seilen, Segeln und
Stangen befhäfttgten Arbeitern in den Weg famen.
4
Namentlich weh Yagemann ununterbroden von der
einen Seite des Verdecks zur andern gejagt, jo daß
er fi endlich fluchend in die Kajüte flüchtete.
faß bereit Zeifig im höchſt niebergeichlagener Stim-
mung. Ihm war äußerſt weichli zu Muthe, Das
Heimweh begann. fi) feiner zu bemächtigen.
„Ach,“ feufzte er für fih, „fähe ich doch licher
hinter meinen lieben Actentife auf dem Rathhauſe
zu Nieberroßla, over nad überſtandener Erpebitions-
zeit unter ven fühlen Schießhauslinven bei einem Kruge
Dünnbier.“
In diefer trüben Gemüthsftimmung war e8 orbent-
lich mohlthätig fir Zeifig, daß er in Lagemann einen
Geſellſchafter bekam. E8 war wenigftens eine befannte
Seele aus dem Nieberroflaer Friedensthale, obſchon
der Attahe für feine Perjon nichts weniger als für
den Frieden geftimmt war. Cr jchimpfte über alle
Maßen auf die Mateofen, welche ihm fo übel mit-
geipielt hatten und ſchwur, das Berbed nicht eher
wieder zu betreten, als bis e8 von den groben Un—
holden geräumt fei.
„Actuar,“ fuhr er nad einer Baufe fort, „wie
wär's, wenn wir ein Fläſchchen jelbander ausjtächen ?
Ihr ſcheint mir auch nicht ver heiterfte und der Wein
erfreut des Menfchen Herz. Vielleicht, daß ich bie
mannigfaltigen PBüffe, fo ich erhalten habe, und ben
Aerger darüber hinunterjpäle. Actuar, gebt Euerm
Herzen einen Stoß, bebenft, daß wir ſo jung nicht
wieder zuſammen kommen.“
Zeiſig war, ſeine pecuniären Verhältniſſe in Ueber⸗
legung ziehen, im Geringſten nicht aufgelegt, auf
Lagemann’8 Vorſchlag einzugehen ; auh war feine
melandolifhe Stimmung für's Poculiren gar nicht
geeignet; der Attacke ließ indeß nicht nad, fehaffte
42
ſelbſt eine Flaſche Rothwein herbei ind die Gläſer
gen an einander.
+ „Das Krofodill ſoll leben!“ ſprach er, fein Glas
an den Mund bringend; aber in vemjelben Augen-
blide ertönte ein Kanonenfhuß, welder das Signal
zur Abfahrt gab, worüber ver Attahe bermaßen
erſchrak, doß die Hälfte des Rothweins ſeiner Weſte
zu Gute kam.
Zeiſig, der ſehr an Kurzfichtigkeit litt, und wel-
chen der Donner nicht weniger erſchreckt hatte, glaubte
im erſten Augenblide, als er das purpurne Gilet
Lagemann's gewahrte, derſelbe habe einen Blutſturz
bekommen und ſchrie kläglich nach Hülfe. Das ener-
giſche Fluchen des Begoſſenen belehrte ihn indeß, daß“
die Lebensgefahr des Magdeburgers nicht gar zu
groß war.
„Wir wollen jetzt ein wenig friſche Luft ſchöpfen.“
ſprach Lagemann, nachdem er die Flaſche faſt allein
ausgetrunken, „und uns umſchauen. Wir können gar
nicht weit mehr vom Meere ſein.“
Der Actuar ſchauderte, wenn er an das Meer
dachte, von welchem er ſchon aus früher Jugendzeit
gehört zu haben ſich erinnerte, daß es keine Balken
habe. Unterdeß wurden die Schwankungen des Schiffs
immer beträchtlicher. Der Attaché, welcher ſich ſo
eben auf dem Wege nah der Kajlitentreppe befand,
und weldhem der Weindunft auch feinen fichern Halt-
punft verlieh, verlor das Gleichgewicht und fiel
birectement auf den Bauch, wo er im Anfange fi) der
ſchrecklichen Anficht Hingab, es hab’ ihn der Schlag
getroffen, weshalb er entfetlich zu lamentiren begann.
Zeiſig, aufs Höchfte erfchroden und von Nädhftenliebe
getrieben, wollte dem am Boden Liegenven zu Hülfe
ſpringen, als er gleichfalls in's Schwanken gerieth und
43
unvermögend, ſich auf Nen Füßen zu erhalten, auf
feinen Attaché zu liegen kam.
„Mein Gott,“ ſeufzte Lagemann, „was fällt Euch
ein und wie ſpielt Ihr einem Unglücklichen mit!“
„Ach,“ jammerte der zu oberſt Liegende, welcher
ſchlechterdings nicht begreifen konnte, wie er fo un-
verſehens zu Falle gekommen, „wir ſind gewiß ſchon
auf dem hohen Meere und der Sturm iſt losgebrochen.“
„Das ift aber nicht möglih, wir findyıfa. kaum
eine Stunde von Hamburg fort! Das müßte ja mit
GSiebenmeilenftiefeln gegangen fein.”
„Es wird leider. nicht anders ſein,“ verſetzte Zeifig,
der zitternd auf des Magdeburgers Leichnam. liegen
blieb, ohne die geringfte Anftalt zu treffen, ſich wieder
zu erheben.
„Aber fo fteht wenigftens auf, ih kann faum ein
Glied rühren.“
„Das Schwanfen ift fo bedeutend,“ gegenrebete
Zeifig, „daß man ſich auf eignen Füßen nicht zu er-
halten vermag. Ä
„Das mag Alles fein, aber Ihr könnt mir doch
nicht zumuthen, daß ich Euch zeitlebens ald Matratze
diene?“
Der Actuar fah das Billige, das in dem Ver⸗
langen feines Attache’3 lag, volllommen ein. Er richtete
ih alfo nicht ohne Mühe empor, und fam wieder
auf feine Füße zu ftehen; doch kaum war ihm Dies
gelungen, als ein abermaliger Stoß ihn von Neuem
zu Fall brachte; er fiel auf feine Hände und bildete
die Figur eines vierfüßigen Thieres. '
Lagemann, welcher fi untervep an allen Theilen
feines Körpers betaftet und die erfreuliche Entdeckung
gemacht hatte, daß er diesmal vom Schlage noch ver-
ihont geblieben, ward fogleid wieder übermüthig. _
24
Er erblickte Zeiſig in unm ibarer Nähe neben Rh
und fprah: „Ihr ftürzt ja wie ein Nußſack einmal
Aber das andere; ich begreife nicht, wie Ihr Kabul
erreichen. wollt, fo Ihr ein Glas Wein nicht ver-
tragen könnt.“
„Ih bin die Nüchternbeit ſelbſt ,“ betheuerte der
Actuar, „wer kann für Seeſturm.“
„ab da Seeſturm,“ behauptete Yagemdun, „fein
Lüfte rret ſich. Das müßte mit fonberbaren
Dingen“ zugehen, wenn man micht aufrecht ftehen
könnte.“ |
Er richtete fich fofort mit Mühe empor, dody kaum
glaubte er das Gleichgewicht gefunden zu haben, als
ein abermaliger Ruck des Schiffs ihm in biejelbe
Stellung warf, in welcher fi Zeiſig befand.
Der Actuar, welcher ven neuen Fall hörte, drehte
den Kopf und erblidte feinen Attache gleichfall® auf
allen Bieren poftirt.
„Es it keine Möglichleit, aufrecht zu ſtehen,“
ſprach Lagemann, „ſolche Stöße verträgt fein Menſch.
Das wirft ein Vieh um.”
„Ih mein’3 auch,” erwiederte der Actuar.
„Wir wollen bis zur Stajütentreppe vorkriechen,“
Ihlug Lagemann vor, „vielleiht daß die von oben
hereindringende Luft uns ſtärkt.“
Zeifig pflichtete Beifall und man trat auf Händen
und Füßen fi) vorwärts bewegend die Wanderung
an. Unterwegs ſprach der Attahe: „Eine Geereije
ift doch mit großen Widermärtigfeiten verknüpft. Wer '
“weiß, wie e8 mit unjeren übrigen Landsleuten und
Keifegefährten ſteht. Wenn die auf dem Verdecke
geblieben find, hat fie der Sturm unfehlbar in's Meer
geſchleudert. Es war ein guter Gedanke von mir,
daß ih Euch zum Weintrinfen animirte. Ihr mwäret
45
höchſt wahrſcheinlich gleichfalls hinaufgeklettert und läget
im Meere. Wollet das bedenken, Actuar!“
Zeiſig war bemüht, das Gegentheil zu behaupten,
aber Lagemann ließ ihn nicht zu Worte kommen.
„Mein Gott, ſchweigt!“ ſprach er, „es unterliegt
feinem Zweifel, Ihr wäret längft über Bord, jo ich
Euch nit durch Wein an die Kajüte gefeflelt. Ihr
könnt mich getroft als den Erretter Eures Lebens be=
trachten. Wollet das wohl beherzigen, Actuar!“
Unter dieſem Zwiegeſpräch waren die beiden Bier:
füßler an der Treppe, welche nach dem Verdeck führte,
wohlbehalten angelangt.
„Hier geht's hinauf,” ſprach der Attache, „Actuar,
wie ift Euch?‘
„Gar nicht zum Beſten, “ ſeufzte dieſer, „wenn
ich bedenke, daß ich bis nach Kabul ſo fortkriechen
ſoll.“
„Das ſollt Ihr nicht,“ belehrte Lagemann, „der
Menſch gewöhnt ſich mit der Zeit an Alles. Zuletzt
iſt's ihm egal, ob er auf dem Lande oder Schiffe
lebt.“
„Aber wir ſind ſchon zu bejahrt,“ gab Zeiſig mit
Trauer zu bedenken, „als daß wir dergleichen Strapazen
lange aushalten ſollten. Ich bin wie zerſchlagen und
es iſt mir auch ſonſt gar nicht recht.“
„So?“ verſetzte Lagemann, „bei mir findet juſt
das Gegentheil ſtatt, ich fühle Rieſenkraft in meinen
Muskeln. Freilich, Ihr waret von jeher kein Held.
Ich wünſche Niemand etwas Böſes, aber daß Ihr
Kabul nicht erreicht, wenn ich Alles ſo gewiß wüßte —“
Zeiſig ſtieß bier einen außerordentlichen Seuf-
zer aus.
„Es wäre daher nur eines weiſen Mannes würdig,“
fuhr Lagemann fort, „wenn Ihr für den Fall Eures
46
Todes mir die Vollmacht ausftelltet, an Eurer Etatt
das Krokodill zu erheben.
Dem Actuar warb bei dem fortwährenden Schwan-
fen immer unmwohler. Es überfam ihm ein Gefühl,
wie er nie empfunden zu haben ſich erinnerte. Schon
vermochte er Feine Antwort mehr zu geben.
Lagemann, welcher aus Zeiſig's Schweigen ſchloß,
daß dieſer hinfichtlicdy einer Vollmacht volllommen ein-
verftanden fei, fuhr im dunkeln Sciffsraume fort,
dem Nieverroßlaer Rathsbotſchafter leidenſchaftlich zu⸗
zuſetzen.
„Ihr verdient einen wahrhaften Gotteslohn, “ſprach
er, „wenn Ihr ſo bald als möglich an's Werk geht,
ich werde für Feder, Tinte und Papier ſorgen. Wir
ſind Alle ſterblich —
Der Actuar fühlte das Inhaltreiche dieſer letztern
Worte nie inniger, als in ſeinem gegenwärtigen
Zuſtande.
„Mod vor dem Mittagseſſen,“ fuhr ver Attaché
fort, „wollen wir das Inſtrument auffegen.”
Der Gedanke an das Mittagseflen erfüllte den
Actuar vollends mit Grauſen.
Lagemann, der im Stillen bereit berechnete, wie
viele Prozente vom Krokodille ihm bei Zeifig’8 Ab—
leben wohl zufallen könnten und ver fogar nicht übel
Luft hatte, das ganze Ungethüm zu unterfchlagen und
in feinem Nuten zu verwenden, warb auf eine höchſt
merfwürdige Weife in feiner innern Speculation unter=
brochen.
Am obern Eingange der Kajütentreppe zeigte ſich
nämlich ein langer dunkler Gegenſtand, der plötzlich
mit ſeltener Rapidität die Stufen herabfuhr und auf
den ſpeculativen Lagemann zu reiten kam. Es war
Niemand anders als der Factor Süßmilch, welcher
47
e8 vermöge feiner langen Beine auf dem Ihaufelnder
Verdeck nicht Länger auszuhalten vermochte und in
dem unteren Schiffsraume Schug ſuchte. Zufällig
rutſchte er auf der oberften Stufe aus, welches feine
fo urplötzliche Hinabfahrt und feinen originellen Sit
auf Lagemann's Rüden zur Folge hatte,
„Alle Wetter,‘ — * letzterer, „welches Ungethüm
reitet denn auf mir?“
Süßmilch, der trotz der curiofen und überrafchen-
ven Fahrt nicht alle Beſinnung verloren hatte, er—
wiederte: „Ich bin es.“
„Da weiß ich jo viel wie Zuvor,” meinte ber als
.Rappe fungirende Lagemann.
„Der Factor Süßmilch,“ gab jet ber Reiter
nähere Auskunft.
„Wer heißt Euch zun Teufel auf mir reiten ?“
„Die Allgewalt der Umftänbe, guter Lagemann,
ih bin an der Herabfahrt fo wie an dem Ritte fo
unſchuldig wie ein neugeboren Kind.“
„Aber nicht fo leicht wie folh ein Wurm, das
ſpür' ich,“ replicirte Lagemann, „ich wette, Ihr habt
mir Schaden gethan, das kann Euch theuer zu ftehen
fommen. Wenn Ihr mich zum Krüppel geritten, lege
ih jofort Beſchlag auf Euer Kabul'ſches Erbtheil.“
Der Factor erfchrat bei diefen Worten dermaßen,
daß er wie verfteinert auf dem Magveburger ſitzen
blieb. Dieſer fchrie verzweifelt:
„So fteigt zum Satan endlich von mir herunter!
Bin ic denn verdammt, heut’ aller Welt zur Unter-
lage zu dienen?“
Diefe energifchen Worte fattelten den Reiter ab.
Lagemann fchöpfte frifchen Athem, als neues Unge—
mad) von oben über ihn hereinbrah. in triefendes
Gewand flog herab, welches ven Attaché total über«
48
deckte, ſo daß er eine Zeit lang weder Etwas ſah
noch hörte. Zu gleicher Zeit kam Hanno die Kajüten⸗
ſtiege fluchend herabgeklettert. Dieſer hatte bisher in
ſeinem Carbonari gewickelt und maleriſch an die eine
Bruſtwehr gelehnt allen Schwankungen des Schiffs
kühnlich Trotz geboten. Er träumte ſich nämlich in
die Stelle des Hannibal, wie dieſer, Italien, die Wiege
ſeines Ruhms, verlaſſend, unter Verwünſchungen nach
ſeinem Vaterlande zurückkehrte. Plötzlich ward aber
feine Hannibalsrolle auf ziemlich unbequeme Art unter-
drohen. Eine Welle ſchlug über Bord und weichte
den Helvenfpieler bi8 auf die Haut eim. Dieſer fuchte
jest in's Trockne zu fommen und flüchtete nad ver .
Kajütenthür. Da die Stiege, melde von bier nad)
den untern Räumen führte, zu ſchmal war, um mit
dem Garbonari bequem binabfteigen zu können, fo
warf er den Mantel voran. Dies war aljo das
naſſe Gewand, welches Lagemanı auf eine Zeit lang
Hören und Sehen benahm. ‘Der Helvenfpieler, welcher
feinem vorangeflognen Mantel folgte, erhöhte die am
Tuße der Kajütentreppe entjtandene Verwidelung um
Dieles. Er griff im Dunkeln vor allen Dingen nad)
feinem Carbonari, in welchem ſich aber der unglüd-
liche Lagemann bereit3 dermaßen verfangen hatte, daß
er von Hanno an einem Beine mit in die Höhe ge=
zogen wurde. Der Attache fehrie Zetermordio, aber
e8 Hang nur dumpf, weil dad Gewand den Schall
dämpfte.
Der Helpdenfpieler, welcher im Anfang nicht anders
vermeinte, als e8 wolle fi ein Anderer feines vecht-
mäßigen Eigenthums bemächtigen, zerrte mit einer
Vehemenz am Carbonari, daß er den wie in einem
Zaubermantel verwidelten Magdeburger faft das rechte
Bein ausrenkte. Letzterer begann jet zu brüllen,
49
und Hanno ahnte den Yufammenhang. Er erkannte
Lagemann’d Stimme und beichloß ſogleich, die präch—
tige Gelegenheit nicht unbenutt zu laſſen, um an
dem verhaßten Magdeburger einmal ungeftraft fein
Müthchen zu Fühlen. Er gedachte der zahliofen De—
müthigungen, bie er fid in Nieverroßla von der Hab-
fuht Lagemann's hatte gefallen laſſen müfjen; wie
mandyen Xerger und Groll er gezwungen gewefen ein-
zufchluden. Diesmal fonnte er urkräftige Rache neh-
men, denn ber Berhaßte lag wie in einen Knäuel
gewidelt wehrlos zu feinen Füßen.
Der Helvenfpieler gab ſich alſo das Anfehen, als
betradhte er den Eniballirten für einen Dieb feines
Mantel, ohne zu ahnen, wer wohl darin fteden
fünne. Demzufolge erhob er ein gräßlich Donner-
wetter und ein wahrer Strom von Flüchen und
Schimpfworten ging aus feinem Munde,: welche
ſämmtlich gegen den Mantelinfajjen gerichtet waren
und dieſem ben Untergang anfünveten. Zu gleicher
Zeit begann von Seiten des Helvenfpielers ein merf-
würdiges Kneten, Puffen und Stoßen, orventlid me-
thodiſch wie in einem türkfchen Babe; denn glaubte
Hanno mit der einen Seite fertig zu fein, wanbte
er den bereit halbtodten Klumpen um und die Arbeit
begann von neuem. Während deſſen entfloß folgende
abgebrodyene und berechnete Rede feinem Munde:
„Bart, Du verdammter Bootsknecht, ih will Dir
Deinen Diebefinn austreiben! Es ift gut, daß man
mid) vor Dir gewarnt hat. Wie, kaum hab’ id) Das
Schiff betreten und ſchon wilft Du mid beftehlen?
Ei, Du Hallunfe! Wart, fobald ih Di hinlänglid)
gegerbt habe, überliefere ic) Di Deinem Herrn, dem
Gapitain, welcher Di kielholen wird. Er iſt es
4
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII. '
50
meinen fämmtlihen Landsleuten und Reifegefährten
Ihuldig, daß er an Dir ein Erempel ftatuirt.”
Lagemann vernahm im Anfang die von zahlrei=
hen Puffen begleiteten Worte des Helvenfpielers und
erfannte mit Entfegen, in weldem für ihn fo un=
glüdlihen Irrthum Hanno fi) befand. Er ftrengte
daher feine letzten Kräfte an, feinen Peiniger die Au—
gen zu Öffnen und zu bemeifen, daß er nicht der bie-
bifhe Bootsknecht, ſondern der Wirth zur Stadt Mag-
deburg fei; aber ver Helvenfpieler war viel zu eifrig
mit Prügeln beſchäftigt, als daß er auf die überbies
höchſt unverftänplihen Reclamationen Lagemann's
hätte Rückſicht nehmen ſollen. Er fuhr in ſeiner Loh—
gerberarbeit unermüdlich fort und ließ von dem un—
glücklichen Attaché nicht eher ab, als bis dieſer keinen
Arm mehr zu rühren im Stande und ed im Innern.
des Carbonari bedenklich fill geworben war.
„Ganz todt will ich ihn nicht ſchlagen,“ ſprach
Hanno zu fih, „obihon es die Canaille vervient hätte;
ih vernehme feinen Yaut mehr, er dürfte vor ber
Hand genug haben.“
Mit viefen Gedanken begann er den Carbonari
zu fohütteln, wo denn endlich der halbtodte Lagemann
herausfiel. Der Gemißhandelte lag am Boden und
rührte fich nicht.
„Jetzt fol Dich erſt der Capitain in's Gebet neh—
men,“ ſprach Hanno, noch immer den Unwiſſenden
ſpielend, „ich gehe ihn zu holen.“
Der Heldenſpieler entfernte ſich, aber nicht um
John Bovens zu requiriren, ſondern um ſich nach
einem Kruge Waſſer umzuſehen, denn ver Magdebur⸗
ger ſchien wirklich mehr todt als lebendig. Hanno
kehrte alsbald mit einem mit Waſſer gefüllten Waſch—
51
beden zurüd, welches er ohne Umftände dem Halb:
ohnmädhtigen über den Kopf fıhüttete.
In Folge diefer hydropathiſchen Kur fehrte Lage-
mann in’8 Leben zurüd, war aber nidht im Stande,
ein. Glied zu rühren. Er ächzte und feufzte erbar—
mungswürdig.
Der Factor, welcher lange nicht hatte in Erfahrung
bringen können, welcher hölliſche Kobold über den
unglücklichen Lagemann gekommen, denn er hatte in
der Dunkelheit nur die ununterbrochenen Püffe und
des Magdeburgers entſetzliches Lamento vernommen,
wagt ſich jetzt, nachdem es ſtiller geworden, mit einer
brennenden Laterne hervor, die er in feiner Rrivat-
fajüte angezündet, und gewährte der tragifhen Scene
eine eigenthümliche Beleuchtung.
Da lag ver unglüdlihe Lagemann, ausgeftredt
auf dem Boden, fo lang er war, und ſchien won Gott
und Welt nichts mehr willen zu wollen. Zeifig, be=
reits von der Seekrankheit ergriffen, war in einen
Winfel gefrohen und befand fi in einem eben fo
verzweifelten Zuſtande. Unwohlfein und Todesangſt
jchüttelten abwechjelnd fein Gebein. Sein Untergang
war ihm noch niemals fo gewiß gemejen, wie diesmal.
Entweder, dachte er ſchaudernd bei fih, du würgſt
dich jelber zu Tode oder wirft gewürgt, wie gegen=
wärtig der unglüdliche Yagemann, ver jo eben unter
Mörverhand feufzte. Zeifig glaubte in allem Ernite,
das Schiff wäre von Seeräubern erobert, welche nun
maflacrirten nach Herzensluft.
Nachdem Süßmilch mit. der Laterne den Ort des
Schredend näher beleuchtet hatte, ereignete fidh eine
große Scene. Der Helvenfpieler machte nänilich Die
Entvedung, daß er ftatt des biebifchen Bootsknechts
Lagemann fo übel mitgefpielt hatte.
52
„Was Teufel, Lagemann, fein Ihr's?“ rief ex
im Tone des höchſten Erftaunens, „ih babe Euch
wahrhaft für einen ‚ganz “andern gehalten. Ei, das
thut mir leid, da jeid Ihr einmal vecht unſchuldig zu
einer Tracht Schläge gekommen.‘
„Mörder, hauchte der Attaché erfterbenn und
wandte den Kopf abwärts. Die Scene würde von
hoher Tragik geweſen fein, wenn nicht in bemjelben
Angenblide, als Lagemann das pathetiihe Wort
„Mörder hauchte, beim Actuar im Winkel die See-
frantheit zum Ausbruch gelommen wäre.
Bei dem neuen ſeltſamen Geräuſch, welches bie
Zeiſig'ſchen Eruptionen hervorbrachten, hielt der Fac—
tor die Laterne höher und man fonnte nun bie ganze
Wahlſtatt überfchauen, auf welder die Geſandtſchaft
des hochweifen Raths zu Niederrofla ausgejtredt lag.
Hanno legte jest ſelbſt Hand an, den halbtodten
Wirth zur Stadt Magdeburg nad feiner Kajüte zu
Ihaffen, aud) trug er Sorge, daß dem Actuar ber bei
Seekrankheiten unentbehrlihe Napf gereicht wurde.
Während folhe Morpgefchichten im Innern des
Schiffs fid) zutrugen, waren Victor und Gamaliel
nicht vom Verdeck gekommen. Die Beiden fonnten
ji) ‚nicht fatt fehen, wie die grünen Ufer immer wei—
ter zurüdtraten, die Elbe ein meerartiges Anfehen
gewann und die Wellen immer höher fchlugen. Die
zahlveihen SKauffartheifahrer, melde ven günftigen
Wind benugend, ebenfall® im Hamburger und Alto=
naer Hafen die Anfer gelichtet hatten, gewährten ein
herrliches Schauſpiel. Der Habicht überholte eine
Drigg und einen Schooner nad) dem andern, jo daß
er endlich die gefammte Hamburg Altonaer Flotte im
Rücken hatte und alle Segel entfaltend, ftelz voran—
rauſchte.
53
Jetzt erſt, nachdem er fih ‚an der Spike aller
anderen Schiffe Jah, ließ John Bovens mit Voltern
und Commandiren nad; fein mürriſch Gefiht nahm
eine zufriedene Miene an und die Hände auf dem
Rücken und Die Cigarre im Munde fchaute ev nicht
ohne Wohlbehagen, wie alle feine Herren Collegen
hinter ihm zurüdblieben. Er ward jett auch gejprä=
iger und war fo artig, den jungen Morand und
Samaliel auf .eine Flaſche Conftantiawein in feine
Kajüte einzuladen. Mit vielem Vergnügen nahnıen
bie Öenannten die Einladung an und bald befand
man ſich in dem geräumigen und außerorbentlid) com-
fortabel eingerichteten Cabinete des Schiffführers, wo
man au einem jauber fervirten Tiihe Plag nahm,
welder an dem einen Kajütenfenfter angebradht war,
und von wo nian einer freien Ausſicht über die uns
geheure Wafferflähe genoß. Der Conftantia funfelte
und duftete, und die fauber geichliffenen Gläſer klan—
gen an einander auf das Wohl des gaftlichen Wirthe.
Sir John's Geliebte war die dampfende Punfch-
bowle oder aud) eine ächte Havanna-Cigarre.
- Immer majeftätifcher ‚erhoben fid) draußen Die
grünen Wellen. Der Himmel war trübe, von Zeit
zu Zeit vernahm man von Verdecke her die Stimme
des Oberbootsmanns, welcher ven in dem Tauwerke
hangenden Matrofen Befehle zurief. Auf dem Ber-
dee befand fi von den Exrbfahrern Niemand als
Betterlein, der ſich fortwährend übte, mit feinen klei—
nen Beinen von einer Bruftwehr zur andern zu lau:
fen, um fih au die Schwankungen des Schiffs zu
gewöhnen. Dabei plagte er fortwährend den Ober
bootsmann, oder wer ihm in ven Weg fanı, um ven
Namen dieſes oder jenes Orts, der fid) an den Ufern
54
der Elbe zeigte, welche er forgfältig in feine Brief:
taſche notirte.
„sn Sarhafen,” fprah Sir John unter Anderm,
„werden wir eine ziemlich ſonderbare Geſellſchaft an
Bord befommen, auf die ich wirklich neugierig bin;
einen todten Braminen und deſſen lebendige Frau,
die mit dem Yeichnam ihres wor Kurzem auf einer
Reife durch Europa verflorbenen Ehemannes nad In-
dien zurüd will, um venfelben vafeldft zu verbrennen
und, wie man jagt, fich desgleichen, wie es der gute
Ton bei den Hinpufrauen verlangt. Der Schugherr
dieſes halblebendigen und halbtodten Ehepaars iſt
ſeltſamerweiſe ein Türke, ein vertrauter Freund des
Verſtorbenen, welcher in der Gegend von Delhi ſeß—
haft und den Braminen auf feinen Reiſen fortwährend
begleitete. Die Dienerſchaft wiederum befteht aus zwei
Negern ans Schegambien, Tohu und Bohu mit Na-
men, So wenigitend befagt mein Schifferbuh. Zu—
gleich wird darin anbefohlen, die Wittwe mit der
möglichſten Aufmerkſamkeit zu behandeln, da fie einen
enormen Weberfahrtspreis bezahlt hat; auch ſoll Herr
Abdullah, jo heift der Moslem, die Frau feines ver-
ftorbenen Freundes mit dem eiferfüchtigen Auge eines
Liebhaber bewachen und in diefem Punkte durchaus
keinen Spaß verftehen.‘
„Das kann eine höchft interefjante, aber aud)
eben fo langmeilige Sache werden,” meinte Victor.
„Wie angenehm es ifl, eine Meerfahrt in Gefellichaft
einer interejfanten Dame zu machen, um-jo ennuyan-
ter ift e8, wenn biefelbe bejtändig von Argusangen
bewacht wird, jo daß man ihr nicht nahen darf.”
„Die Wittwe ift wohl. jehr ſchön?“ frug Ga—
naliel.
„It mir dermalen noch völlig unbekannt,“ erwie—
! 55
derte Sir John, „venn im Schifferbuche fteht nichts
darüber. Auch bezweifle ih, ob wir darüber je in's
Klare kommen dürften; fie wird wohl mehr als einen
Schleier übergezogen haben, wenn fie fih ja einmal
öffentlich jehen läßt.‘
„Wiſſen denn die übrigen Paflagiere,‘. erfundigte
fih Bieter, „von den neuen Reifegefeliſchafternꝰ Es
. wäre wohl wünſchenswerth, fie gleichfalls über die
r: . Eigenthümlichkeit dieſer Leute in Kenntniß zu ſetzen,
7. Bamit nicht etwa einer unferer guten Niederroßlaer
- im Gefahr läuft, mit Herrn Abdullah feindlich zufam-
men zu treffen.‘ |
„Ich bin fo eben im Begriff, die Herren darüber
in Kenntniß zu ſetzen.“ Er begab fi, von Gamaliel
und Victor gefolgt, nad der Salonfajüte Hier fah
es ziemlich trübfelig aus. Hanno lag auf einem ber
Divans lang ausgeftredt und ſchnarchte nach Herzens-
luft, während der Yactor, ſich über alle Maßen lang-
weilend, in einer gegenüber befindlichen Ede jaß. Mur
Betterlein war auf den Füßen und damit befchäftigt,
die Notizen, welche er über die zahlreihen Kirchthürme
auf der Reife daher auf feine Pergamenttafel verzeich-
net, vermittelft ſchwarzer Zinte in fein Tagebuch über-
zutragen und zu verewigen.
Zeiſig und der Attache waren gar nicht anweſend.
Sie befanden ſich in der bejammernswertheſten Lage
in ihrer Separatkajüte, der erſtre mit den Wirkungen
der Seekrankheit kämpfend, der andere an den zahl-
reihen Püffen des Helvenfpielers Taborirend. Beide
Hagten ſich von Zeit zu Zeit ihre Roth.
Die Ankunft des Capitains brachte etmas Leben
in den Salon. Hanno warb gewedt, ber Factor
fam aus feinem Winkel und Betterlein war ganz
Ohr. Man vernahm mit vielem Intereffe die Mähr
56
von der feltjamen Reiſegeſellſchaft. Sir John fchärfte -
wiederholt die Berhaltungsmaßregeln ein, weldhe man
gegen dieſe Aſiaten und Afrikaner zu beobachten habe
und hob hauptſächlich das Verbot hervor, die Bra—
minin auf irgend eine Art zu beläftigen, weil man
fih) außerdem großer perfönliher Gefahr ausſetze, da
die Eiferfuht der Türken eine bekannte Sache ſei.
Zugleich erhielt der Factor den Auftrag, den Actuar
jo wie Lagemann mit dem Stande der Dinge bekannt
zu machen.
Betterlein betheuerte feierlich, daß er dem Herrn
Abdullah Feine Veranlaſſung zur Eiferfuht geben
werde; aud Süßmilch verſprach Mäßigung und Ent:
haltſamkeit; nur bei Hanno war's nicht ganz richtig.
Er nahm ſich feft wor, bei erfter Gelegenheit ver
Braminin unter den Schleier zu guden und erklärte
dies, nachdem ſich der Capitain entfernt hatte, laut.
Sehen muß ich ſie,“ ſprach er, „und wenn der
Großſultan mit allen Muſelmännern Wache hielte;
vielleicht läßt ſich ſelbſt ein intereſſanter Liebeshandel
anſpinnen. Das wäre kein übler Zeitvertreib auf der
Meerfahrt, die mir nachgrade ennuyant wird.“
Vetterlein und der Factor konnten die Courage
des Heldenſpielers nicht genug bewundern.
„Nein,“ verſetzte Vetterlein, indem er ſich aus
Süßmilch's Doſe eine Priſe nahm, „das wäre meine
Paſſion nicht, mich mit ſolch' einem wildfremden
Fraueuzimmer einzulaſſen. Man weiß da nie, wie
weit man gehen ſoll, und wie leicht kann man mit
dem eiferſüchtigen Türken in unangenehme Berührung
kommen.“
„Vor mir hat die Braminin Ruhe,“ erklärte der
Factor, „und wäre es die Prinzeſſin Turandot in
N
44
57
hoher Perfon. Es ift mit ſolchen Leuten nicht gut
Kirſchen eſſen.“
Hanno belächelte die kleinbürgerlichen Anſichten
des Quartus und des Factors.
„Freilich,“ meinte er, „in der Liebe muß man
etwas wagen. Che man ſich's verfieht, kann man
den Dold des eiferfüchtigen Türken zwilchen ven
Rippen haben; doch darin befteht eben ver ſüße Reiz,
der Sauber.‘
„Wo bier der ſüße Reiz und Zauber zu ſuchen
it,“ meinte Betterlein kopfſchüttelnd, „wenn man
ſo unverſehens angebohrt wird, begreife ich ſchlechter—
dings nicht.“
„Ich auch nicht,“ geſtand der Factor.
„Sancta simplicitas,“ lachte Hanno, „der Zauber
ruht eben in der Gefahr; die ſüßeſten Früchte der
Liebe gedeihen nur am Abgrunde, wo man ſie mit
Gefahr des Lebens pflücken muß.“
„Das ſind überſpannte Anſichten,“ ſprach Suß⸗
milch.“
„Ja wohl, im höchſten Grade überſpannt,“ fügte
der Quartus hinzu.
Dem Heldenſpieler, den es ärgerte, daß ſich die
Proſa ſeiner beiden Erbcollegen zu feiner poetiſchen
Anſchauung nicht zu erheben vermochte, ward ſehr
abſprechend. |
„Mit folhen verwahrloften, unglüdlihen Geſchö—
pfen, wie Ihr,“ verfeste er, „denen nie jener befeli=
gende Slodenton, jo man Liebe nennt, erflungen,
deren winterödes Herz nie won einem Strahle dieſer
Weltenſonne erwärmt worden iſt, läßt ſich über einen
ſo erhabenen Gegenſtand allerdings nicht disputiren.“
Vetterlein und Süßmilch, welche in Betracht des
Mundwerks und Phraſenthums dem Heldenſpieler kei—
4
58°
neswegs gewachſen waren, ‚glaubten ſich gegen Han
no's Imfinuationen nicht befjer revangiren zu können,
‚als wenn fie feine erotiſchen Abdfichten Auf die Bra—
minin geradezu für unmoralifh und als dem Chri-
ftenthum für zuwider erflärten. Vetterlein ging nod)
weiter und citirte das alte Tejtament, wo Moſes
ausdrücklich gefagt babe: a ſollſt nicht begehren
a deines Nächſien Weib u. ſ. w.
Jett warb der Helvenjpieler freigeiſtiſch und lä⸗
chelte mitleidig. „Beſchränkte Schulanſichten,“ ſprach
er, „was geht mich das alte und das neue Teſtament
an! Die Vernunft, welche nicht am todten Buchſta—
ben klebt, iſt mein Leitſtern. Die Vernunftreligion
iſt die einzig wahre, und die ſagt mir andere Dinge,
als in der Bibel ſtehen.“
Vetterlein und Süßmilch, beides ſtrenggläubige
Chriſten, ſchauderten ob ſolcher frivolen Anſichten.
Der Quartus ließ ſich's hauptſächlich angelegen ſein,
dem Freigeiſt in's Gewiſſen zu reden. Er mahnte
den Heldenſpieler an das Sterbeſtündlein und gab ſich
viel Mühe, ihn zu bekehren. Hanno blieb indeß ſehr
gefaßt und begann endlich zu gähnen.
„Was das Sterbeſtündlein anlangt,“ ſprach er,
„jo muß man's abwarten, jvor der Hand will id
mein Cchlafftündlein abhalten, in weldem mid) ber
Capitain geftürt hat. Es geht nichts über Die Be—
quemlichkeit.‘‘
Mit viefen Worten fehrte er zu feinem Kajüten—
Divan zurüd, wo er ſich mit vielem Behagen fo lang
als möglich ausjtredte.
Der Factor flüſterte dem Quartus achſelzuckend
in's Ohr: „'s iſt ein Comödiant.“
„Wahr, wahr!“ ſeufzte Vetterlein.
Süßmilch begab ſich jetzt nach der diplomatiſchen
59
Kajüte, wo die Nieverroßlaer Rathsgeſandtſchaft her-
bergte, um ſich feines Auftrags wegen der Braminin
zu entledigen. Bevor er eintrat, hatte fich zwifchen
Lagemann, der wieder etwas zu fich gefommen, ob=
fhon er fein Glied zu rühren vermochte, und Zei-
fig, der fortwährend an der Seekrankheit Titt, fol-
gendes Geſpräch entjponnen.
Lagemann. Actuar!
Keine Antwort.
Lagemann (nach einer Pauſe). Rathsactuar!
Zeifig (giebt nur durch einen Seufzer zu erkennen,
daß er den Auf vernommeıt.)
Lagemann. Was hat denn eine weife Gejek-
gebung für eine Strafe auf !venjenigen Verbrecher ge=
jegt, der einen unfchuldigen Menſchen halb zu Tode
pufft und ftögt? Denkt einmal nah, Actuar, und
theilt mir Eure Anficht mit.
Zeifig (mit gepreßter Stimme, in verwidel-
ter Fall.
Tagemann. Ich finde bier gar nichts Ver—
wideltes. Das Verbrechen kann gar nicht Harer am
Tage liegen. Was fteht für eine Strafe darauf?
Zeifig (ächzt und giebt Feine Antwort.)
Lagemann (nad einer Paufe, während welder er
auf Antwort gewartet). Welche Strafe, Actuar? Denkt
doch ein wenig nad)!
Zeifig (fortwährend ächzend).
Lagemann. Aus Euerm ewigen Geächze werd’
ih nicht Hug. Seid ein Mann!
Zeifig. Ih — kann — nidt.
Lagemann. Narrenspofien! Der Menſch vermag
viel, wenn er will.
Zeifig. Ich nid!
60
Lagemann. Iſt denn ein ähnlicher Tall in
Eurer Praris nie vorgefommen ?
Zeifig. Wüßte nicht.
Tagemann. Belinnet Euch nur. Ich dächte,
an Prügeleien zu Nieverroßla wäre nie Mangel ge=
weſen, namentlich zur Kirmeßzeit.
Zeifig. Unterfchienliche Mal.
Lagemann. Alſo wie ſtrafte das Gericht den
Miſſethäter?
Zeiſſig (vermag wegen einer abermals nahenden Ka—
taftrophe der Seekrankheit feine Antwort zu geben.)
Tagemann. Das ift wahr, ein miferablerer
Rechtsanwalt ift mir noch nicht vorgefommen. Ac—
tuar, jo gebt doch Antwort! (Bei Zeifig fam fo eben
die Rataftrophe zum Ausbruche und zwar auf ziemlich hör—⸗
bare Weile.)
Tagemann. Daß Gott, da geht’8 ſchon wieder
08. So mäßiget Euch doch zum Satan, Ihr bringt
ja feinen ganzen Darm nad) Kabul.
Zeifig befand fi) nicht in den Umpftänden, daß
er zu großen Replifen aufgelegt geweſen wäre. Er
glaubte den Geift aufgeben zu müſſen. Die Welt
war ihm nichts. Die Natur fette ihren Reinigungs—
proceß fort.
„Ihr feid wirklich unerſchöpflich,“ verſetzte Lage—
„mann, „ich begreife nicht, wo es herkommt. Ein aus—
genommener Hering iſt nichts gegen Euch. Ihr ge—
hört fürwahr zu den Naturſpielen.
Zeiſig, welchem für kurze Zeit etwas leichter um's
Herz geworden war, geſtand in einem freien Augen—
blicke, daß wenn die Krankheit nicht bald nachließe,
er daraufginge. Solches Würgen halte er nicht län—
ger aus.
Dem Attaché klangen dieſe Worte nicht unange⸗
u
61
nehm. Er verfprah fih große PVortbeile, falls er
allein das Krokodill in Empfang zu nehmen und nad)
Nieverroßla zu transportiven habe. Er verwünjcte
daher den Heldenſpieler in Die tief unterfte Hölle, weil
ihn diefer in einen Zuſtand verfegt hatte, in welchem
er verhindert war, von Zeiſig's Krankheit den mög—
lichſten Nutzen zu ziehen.
„Wenn ich Euch nur den Kopf halten könnte,
guter Actuar,“ Sprach der Attaché, „es ift Dies ein
Liebespienft, den ich meinem Todfeinde, um wie viel
weniger nicht Euch, leiſten würde. Ihr glaubt alſo
wirklich, Diesmal nicht Davon zu kommen?“ “
„Es geht jetzt etwas befjer, meinte ver Actuar
mit ſchwacher Stimme.
„Das it blos ſcheinbar,“ erwieverte Lagemann,
„vie Winpftile vor dem Sturme, die der Himmel
dem Menfchen aus feinem andern Grunde befcheert,
als damit er in Ruhe fein Haus beftellen und feine
legtwilligen Verfügungen treffen kann.“
„Ich fpüre aber wahrhafte Erleichterung, hielt der
Actuar entgegen.
„Alles ſcheinbar,“ beharrte Lagemann. „Wie ſoll's
denn mit Eurer Portion Krokodill gehalten werden,
guter Actuar, für den al, wie zu erwarten fteht,
Ihr das Zeitliche gefegnet? Ich fellte meinen, Diefes
fünne mir, ald Eurem Erſatzmann, keineswegs entge-
ben? Freilich wäre das Beſte, wenn Ihr Euch durch
ein paar Zeilen damit einverftanvden erflärtet. Es
würde große, fpätere Weitläufigkeiten erjparen. Wie
meint Ihr nicht auch, guter Actuar?“
Der gute Actuar meinte aber vor der Hand gar
nichts. Es bereitete fih in feinen Eingeweiden ein
neuer Zornausbruch der Seekrankheit vor, welches ver
Kranke mit Wehmuth inne ward.
62
„Später ein Mehreres,“ hauchte er erfterbend und
brachte feinen Kopf wieder in diejenige Yage, um ber
Natur den Prozeß zu erleichtern.
„Denn ic) auf den Beinen wäre,” fpradh er für
fih, „ſollte mir's gar nicht fchwer werden, ven halb—
todten Zeifig zur Unterfchrift einer letztwilligen Ber-
fügung zu vermögen. Der Mann kann abſtehen wie
ein Karpfen.”
Der Attahe vaffte daher feine ganze Kraft zu=
jammen und fhleppte fih auf Händen und Füßen zu
einem Stuhle in der Ede, worauf Schreibzeug und
Papier lag; er verfaßte in der Eile eine Abtretungs-
urfunde und froh mit tiefer zum kranken Yeifig, ber
bereit8 wieder zu würgen begann.
„Wenn er nur diesmal nody nicht darauf geht,“
dachte Lagemann, und tappte voller Barmherzigkeit
nach Zeiſig's Kopfe, um ihn zu halten. Der Attaché
warb indeß für dieſe Dienftleiftung von Seiten bes
Actuars übel bevient. Letzterer, ob der unerivarteten
Hülfe ordentlicd erfchroden, wandte raſch den Kopf,
ſah feinen Helfer einige Augenblide mit jeltfam ver-
zerrtem Gefiht an, und wenn Yagemann der Kaijer
gewejen, er fonnte ihn nicht fchonen. Die Natur
wirkte zu gewaltig.
Der Attahe, auf den Händen und Füßen über-
haupt nicht taftfeit, fiel bei dem urfräftigen Schuife
total über den Haufen wie ein wohlgetroffener Hirſch.
Erſt nah einer ziemlichen Pauſe erholte er ſich wie-
ber und begann entjeßlih zu fluchen. Mit großem
Verdruſſe gemwahrte er, wie aud die Abtretungsur=
funde verunrveinigt und. vollkommen unbrauhbar ge-
worden war.
„Ihr fein ein Schw —, Actuar, das Ihr's wißt,“
ſuhr er grob heraus, „ich begreife überhaupt nicht,
63
wie Ihr dieſe nieverträchtige Krankheit hierunten ab-
halten fünnt. Das ftinft ja wie die Peltilenz; vie
ganze Kajüte wird verpeftet, man kann vie Cholera
befommen.”
Zeifig vernahm wenig von der Lagemann’schen
Zornreve. Er war viel zu fehr mit fid) ſelbſt be=
ſchäftigt.
Der Attaché ſuchte jetzt die Thüre zu gewinnen,
um die Folgen des Zeiſig'ſchen unpoetiſchen Attentats
von ſeinem Leichname zu entfernen, als zur rechten
Zeit der Factor hereintrat, um die beiden Niederroß—
laer Diplomaten binfihtlich der Braminin, des eifer-
ſüchtigen Herrn Abdullah und der beiden Mohren,
Tohu und Bohu, in Kenntniß zu fegen.
„Gott Lob,” ſprach Lagemann, als er des Fac—
tor8 anfihtig wurde, „daß fi eine Mienfchenfeele
bliden läßt in unferm Elend. Der Actuar iſt ganz
caduc. In feiner Nähe ift fein Weilen mehr. Sorgt
doc dafür, werthgeſchätzter Factor, daß ich ein Beden
mit friſchem Waffer erhalte Ihr jeht, daß ih faum
auf allen PVieren vorwärts kann.“
Süßmilch war viel zu chriſtlich gefinnt, als daß
er den Wunjch des Attache’s nicht augenblidlich hätte
erfüllen ſollen. Er kehrte in Kurzem mit einem Napf
frifchen Waſſers zurüd.
„E8 wurde mir auch ſchon wiederholt unangenehm
zu Muthe,” meinte er, „aber jo fchlimm wie Zeifig
hat mir die Wafferfahrt nicht mitgefpielt.”
„Ich befände mic, fiher auch vollkommen wohl,“
erwiederte Lagemann, „meine Natur verträgt Etwas,
aber die Hanno'ſche Behandlung würde bie burabelite
Gonftitution zu Grunde richten.”
Der gewillenhafte Factor erkundigte ſich jekt, ob
fih Zeiſig ſowohl wie fein Attahe in demjenigen
64
‘
geijtesfreien Zuſtande bejänden, um tie Mittheilung,
fo er zu eröffnen habe, anhören zu können.
„Was meine Berfon anbelangt, erwiederte Lage—
mann, „kann id Alles vernehmen; erzählt alio ge=
troft, werther Factor, was Ihr auf vem Herzen habt,
ih halte unterdeß meine Reinigung.”
Die Mittheilung Süßmilch's, namentlich als die—
ſer auf die Braminin zu ſprechen kam, gewann für
Lagemann ein ſolches Intereſſe, daß er wiederholt
den Mund offen behielt.
„Hauptſächlich,“ fuhr der gewiſſenhafte Factor
fort, „habt Ihr Euch zu hüten, ven Herrn Abpullah
nicht Beranlafiung zur Eiferfucht zu geben, ver Herr
Gapitain läßt Euch dies ausdrücklich jagen.”
Lagemann, defjen Geift fortwährend fpeculirte und
ver fi ſchon al8 einen Begünftigten ver verfchleierten
Braminin träumte, wobei er fih ein artiges Sümm—
hen zu machen gedachte, erwiederte: „Aber, beiter
Factor, wer fann für fein Herz. Wir find alle Men—
jhen. Ich jeße den Fall, die Braminin faßt Paſſion
zu einem ven ung?’
„Dann muß uns der Gedanke, daß wir Chrijten
find,” erwiererte Süßmilch, „auf dem Pfade ver Tu—
gend erhalten.“
„Das iſt bald gejagt,” meinte der Attache, „ich
denke auch chriftlih, aber tie Ausführung iſt ſchwer.“
„Der Aublid des ſcharfgeſchliffenen Dolchs, wel-
hen Abdullah ftets bei fich führt,‘ meinte Süßmilch,
„dürfte ung gewiß vie Abwege verleiven, wenn es
Religion und Glaube nicht thut. Auch follen, laut
Sir John's Ausjage, die beiden Mohren Tohu und
Bohu beſtens drefjirt fein, denjenigen ſofort zu wür—
gen, ver es wagen wollte, feine Blicke zur Braminin
zu erheben.“
—
65
„Und diefe Frau,“ frug der Attaché ungläubig,
„zeift mit dem Cadaver ihres todten Eheherrn nad)
Dftindien, um fi dort in Gemeinſchaft mit ihm ver-
brennen zu laſſen?“
5 ° „So verlangt e8 die Sitte der Hindufrauen, gab
ver Factor zur Antwort.
„Und fie ift jung, liebenswürdig und reich?“ er-
kundigte ſich Lagemann.
„So ſagt man,” verſetzte Süßmilch.
„Factor,“ rief der Attachè in Extaſe, „das dürfen
wir nicht zugeben!“
„Aber wie wollen wir es denn hindern, wenn es
einmal der unabänderliche Beſchluß der Frau iſt?“
„Factor,“ fuhr Lagemann immer aufgeregter fort,
„das dürfen wir nicht zugeben, partout nicht zugeben,
und ſollten wir die ſchöne Dame ſelbſt heirathen.“
„Wie ſelbſt heirathen?“ frug Süßmilch verwun-
dert, „ſeid Ihr denn nicht ſchon im Beſitze einer
Frau?“
„Leider,“ ſeufzte der Magdeburger und gedachte
der gebornen Grümpler; „aber was thut man nicht,
um Jemanden vom Flammentode zu erretten.“
Der Factor verhehlte ſeine gerechte Mißbilligung
nicht, daß auch Hanno unchriſtliche Abſichten gegen die
Braminin zu hegen ſcheine, welche Mittheilung Lage-
mann ſehr unwirſch ſtimmte.
„Dieſer Belial,“ ſprach er zu ſich, „kommt mir
überall in den Weg; die Glaſermeiſterin konnte auch
einen geſcheutern Einfall haben, als dieſen Menſchen
nach Kabul zu ſchicken. Daß er mir hinſichtlich der
Braminin in die Quere kommt, ſeh' ich im Voraus.
Wenn ich den Kerl nur unfhäblich machen könnte.“
Während Lagemann noch darüber naclann, auf
Stolle, ſämmtl. Schriften. ZVIN.
66
weiche Weile letzteres zu beiwerfitelligen fei, ging Das
Schiff im Hafen von Cuxhafen vor. Anfer.
ur
Viertes Kapitel.
Ungefahr ſeit acht Tagen befand ſich die Niederroßlaer
Erbſchaar auf dem Meere. Die unerbittliche allge—
waltige Seekrankheit hatte na und nad) das geſammte
Perjonale dermaßen in Anſpruch genommen, daß man
alles Andere darüber vergaß:
Die aſiatiſch⸗-afrikaniſche Reiſegeſellſchaft hielt ſich
ihrerſeits eben fo zurückgezogen in ihrem abgeſchloſſenen
Sciffsraume; die Niederroßlaer wurden die Anweſen⸗
heit derſelben kaum gewahr. Die Braminin jelbft
hatte noch feiner, auch nur einen Augenblick lang, ge-
ſehen. Sie war mitten in der Nacht auf's Schiff ge-
bracht worden und hatte feitvem ihre Kajüte nicht ver-
laſſen. Die lange Geftalt des Türken, jo wie bie
Herren Tohu und Bohu wollte Betterlein zwar eines
Abends in der Dämmerung auf dem Berbede haben
auf» und abjpazieren fehen, eine weitere Auskunft über
vie räthjelhaften Paſſagiere vermochte er aber nicht zu
geben. Wo ver Kaften mit dem eingemachten tobten
Draminen fland, wußte Niemand. Ä
Diefer lethargiſche Zuſtand, in melden ſich Das
Erbheer befann, währte eine geraume Zeit. Gamaliel
und Bictor, welche ben biätetifchen Vorſchriften, bie
ihnen Doctor Barring hinſichtlich des Seeübels gege-
ben hatte, genau nachgefommen waren, befanden: fid)
am erften wieder auf den Füßen und erfreuten ſich
—
67
weit eher ihrer Geſundheit, als die übrige Geſellſchaft.
Namentlich hatte die Krankheit, was man nicht hätte
glauben follen, den Fräftigen Heldenfpieler hart mitge-
nommen. Er mußte fein zeitheriges wahrhaft fchwel-
gerifches Leben und die zahliofen Diätfehler jehr theuer
bezahlen, denn er lag weit länger barnieder als Die
übrigen Leidensgenoſſen; ja die Seekrankheit ging bei
ihm fogar in ein langwieriges Fieber über, das ihn
ganzlidh an das Bett feffelte.
Nächſt Gamaliel und Victor war Lagemann troß
des bereit auf der Elbe beftandenen Malheurs ver
erfte, welcher wieder nıunter war: Das fortwährende
Unwohlfein Hanno's trug wejentlic zu feiner Wieder-
herftellung bei, denn die Freude über des Gegners
Mißgeſchick wirkte wahrhaft wohlthätig und reecre—
irend.
Sp wie der Magbeburger einigermaßen auf feinen
Fügen zu ftehen vermochte, vegte ſich fogleidy aud) Der
Speculationdgeift- in ihm. Die Braminin, welche ihm
feine Phantafie eben jo ſchön als reich vormalte, war
der Brennpunkt feiner Aufmerkſamkeit. Er calculirte
wie folgt: „Eh' ſich,“ dachte er, „vie Frau ihrem topten
Mann zu Gefallen mit Haut und Haar verbrennt, ift
fie zu Mlem fähig. Eine junge ſchöne Frau fürchtet
fi zehnmal ärger vor dem Feuer als eine alte. Ich
fenne die Weiber. Wenn fih’8 hier wirklich um's
Berbrennen handelt, jo müßte ih nicht Lagemann
heißen over hier ift ein. Sümmchen zu verbienen. -
„Wenn ich nur ein Junggeſell oder Wittwer wäre,
fuhr er in feiner Berechnung fort, „trüg' ih ihr auf
der Stelle meine Hand an; gelte ich nach ihren Be—
griffen auch gerade für feine glänzende Parthie, fo
muß mir dody jeder Unparteiifche zugeftehen, daß ich
noch immer beiler als der Scheiterhaufen bi. Ich
68
wollte fie meinetwegen aud blos zum Schein heirathen,
wenn -fid’8 anders thun ließe, und mit Ausnahme
der Vermögensverwaltung auf alle Rechte des Che-
heren verzichten. Wenn man diefe billigen Bedingungen
ber rau nur begreiflih machen könnte, ich bin
überzeugt, fie greift zu; wer kommt gern in ben
Flammen um?”
Hier bedachte aber ver ſpeculirende Attahe der
Niederroßlaer Geſandtſchaft, daß er bereits verheirathet
fei und feufzte tief.
„Ein Weib,” fprad er, „kann doch zuweilen zu
einem wahren Beineifen werden. Was gab’ ich drum,
wär’ ich jest Wittwer oder geſchieden! Nun figt mir
die geborne Grümpler daheim und ftört meine jchönften
Pläne Ich muß verfuchen, da es fih als Ehemann
nit gut will thun laffen, mid der Braminin auf
andre Art gefällig zu erweifen, und zwar je eher je
Yieber, bevor der ſataniſche Hanno wieder bergeftellt ift
und mir dazwilchen kommt.“
Nach einiger Meberlegung fuhr der Attadhe fort:
„Daß Hanno hart und feit liegt, betrachte ich als em
wahrhaftes Gejchent des Himmels. Es iſt die gerechte
Strafe für den meuchelmörveriihen Angriff, ven er
gegen mein Leben unternahm. Vielleicht geht der Böfe-
wicht darauf. Es wäre eine Wohlthat für die Menfch-
heit. Was nüßt er denn? An vergleichen Subjecten
verliert die Welt nichts.‘
Während ſich Kagemann dergleichen menjchenfreund-
lichen Gedanken in Betreff des Helvenfpielers hingab,
fhlih der lange Factor, von der überſtandenen See—
krankheit noch ganz angegriffen und geſchwächt in die
Kajüte. Sein Geſicht, das ſich nie einer blühenden
Farbe erfreute, glich dem eines Todten.
—
‚69
„Wit Ihr es ſchon?“ flüfterte er mit heiferer
Stimme.
„Was denn?” erkundigte ſich ver Attaché.
„Mit dem Hanno geht's ſichtbar zu Ende.“
„Wirklich?“ frug Lagemann, ſich vergnügt die
Hände reibend, „erzählt doch, guter Factor.“
„Man glaubt nicht, daß er den Abend erleben
wird.“ |
„Vortrefflich,“ jubelte ver Magdeburger im Innern.
Laut erwieberte er: „Wir find alle fterblidh, guter
Factor, was will der Helvenfpieler voraushaben ?%
„Aber jo jung,” gab Süßmildy zu bedenken.
„Der Tod fragt darnach nicht, belehrte Lagemann,
„auch Fol ſich's jung am Beſten fterben. Man hat
da nicht viel zu verlieren, ift noch nicht zu fehr an's
Leben gewöhnt.”
„Es ftirbt aber Niemand gern,” verfette der Factor,
„ſei er jung oder alt.”
„Geb' e8 zu, Lieber Süßmilch, aber offen geftan=
den, wenn der Tod einmal ein Opfer von uns ver-
langt, jo finde ich es ordentlich rechtſchaffen gedacht
von ihm, wenn er den Helvenfpieler angelt. Gefteht
jelbft, guter Factor, welche Ausfichten, welche Sarrieren
fiehen dem Hanno offen. Nichts gelernt, feinen
Tonds in Händen, was beginnen, wovon in Zukunft
leben? Sein bischen Exbtheil hat er mir fchrift-
lih abgetreten und die Summe, die er dafür er-
‚halten, wer weiß, wo fie bereit$ die vier Winde
haben.” _
„Ein wenig loder ift er,” geftand ber Factor.
„Ein wenig loder,” rügte Lagemann, „ver lieder-
lichfte Strid, der mir je vorgekommen. Bactor, wenn
ich reden wollte —' |
„Pit, mahnte Süßmilch hriftlich, „er wird's nicht
f
70
lange mehr treiben. Von Sterbenden lat uns nicht
Uebels reden.“ |
„Ihr habt Recht,” geſtand der Attaché, „fahre er
in Frieden, obſchon er es um mich nicht verdient hat.
Der eine Arm thut mir heut nod)- weh von den Miß⸗
handlungen unter dem Carbonari.”
„S eht, “ erwiederte der ſanfte dactor, „Dafür muß
ec nun in jener Welt Rechnung ablegen.”
Iſt auch nicht mehr als billig,‘ meinte Lagemann;
„alſo * ſteht wirklich wacklig, guter Factor?“
Wie geſagt,“ antwortete dieſer, „der Doctor
Barring gibt ihm keinen Tag mehr.“
Der Attaché begann ſich bei diefen Worten wie-
ber vergnügt Die Hände zu veiben; er bedachte, wie
ihm jet hinſichtlich der reichen und ſchönen Braminin
Niemand im Wege ftehe. Deshalb ward er aud nach—
ihtig und menfchenfreundlicd gegen ben ſterbenden
Hanno.
„Er fahre in Frieden,“ fprad er mit Salbung,
„wir wollen ihm als Freund und Landsmann die
müden Augen zuprüden und mit einem ftillen Bater-
unfer in's Meer werfen. Mich foll er dereinſt nicht
unter feinen Anklägern finden, obſchon id) die Erin—
nerung an feine Mißhandlung fobald nicht verſchmerze.“
Der gutgeartete Factor freute fid) ob dieſer chrijt=
lichen Gefinnungen des Magdeburgers ungemein und
ſprach: „Das iſt edel gedacht von Eud, Yagemann,
und der Lohn dafiir wird nicht ausbleiben.“
Der Gedanfe an Lohn wirkte noch ergreifender
auf Lagemann's menfchenfreundliches Gemüth. Der
Atahe ward ordentlich weich, gejtinmt bei dem Ge—
Danfen an Hanno's Tod.
„Sa, ich vergebe Dir, befreiter Geiſt“ fprad er
nicht ohne jhwärmerifhen Bathos, „ſchwinge Dich
—
7A
ungenirt empor, von pen Schladen ver Exde gereinigte
Binde, Dein Lagemann verzeiht Dir, Dein Lagemann
trägt Dir nichts nach in Die Ewigkeit!
„Ich glaube,“ wandte ſich der Attaché zum Factor,
„dergleichen Geſinnungen önnen mir nur Segen bringen;
was meint Ihr?"
„Nichts iſt gewiſſer,“ verſicherte der ſtrenggläubige
Süßmilch.
„Ich glaube ſogar,“ fuhr Lagemann begeiftert und
mit thränenvollem Auge fort, „daß wenn ich die mör—
derlichen Püffe und Stöße, ſo ich unter dem Carbonari
erhielt, mit Bruderliebe vergebe, ſie mir noch zu yimm⸗
liſchen Roſen erblühen.“
„Ich glaube es nicht nur, ich bin es feſt überzeugt,
betheuerte ber Factor, der ebenfalls immer gerührter
ward.
„Ach, das wäre herrlich,“ ſchwärmte der Strache,
„vielleicht auf Erden fchon, was meint hr, guter
Süßmilch?“ u
„Wenn auch auf Erden nicht, vereint gewiß.”
‚Rein, nein,” fuhr Lagemann verflärt fort, „hienieden
Thon, Ahnung fagt mir’s, ich athme ſchon den himm⸗
lichen Duft.” |
„Man hat wiele Beiſpiele,“ geftand ver Factor,
„daß gute Thaten ihren Lohn ſchon hienieden fandzn. “
„So wird's auch bei mir fein, ich fühl's,“ riefbder
Magdeburger, yſterbender Hanno, Deine Sünden ſind
Dir vergeben!“
Auf dieſen ergreifenden Ausruf folgte eine feierliche
Pauſe, welche der Gemüthsſtimmung Lagemann's und
Süßmilch's vollkommen angemeſſen war. Sie ward
indeß ſehr bald durch den Eintritt des Dieners von
Doctor Barring unterbrochen, welcher Lagemann ſchleu⸗
nigſt zum Sterbelager des Heldenſpielers beſchied.
12
„Er wird ohne meine Berzeihung nicht erfterben
können,“ fprad der Attadhe, „ich eile, fie ihm zu
bringen, um ver kämpfenden Seele den Himübergang
zu erleichtern.”
„but dies; thut dies, edler Fremd,” mahnte der
Factor mit frommem Cifer, „und der Himmel wird
Euren Gang jegnen.”
„Das wird er, rief Lagemann vergebungsluftig,
und folgte dem Diener zum Lager des Rranfen.
Mit Hanno ſtand's wirklich mijerabel, das Fieber
hatte ihn dermaßen mitgenommen, daß er Auferft
ſchwach war und faum zu reden vermochte Er fühlte,
daß e& mit ihm zu Ende gehe und wollte daher vor-
her fein Gewiſſen erleichtern.
„Lagemann,“ ſprach er mit leiſer Stimme, „ich
habe mich ſchwer an Euch verſündigt.“
„Weiß ed, weiß e8,” erwiederte der Attache, „em-
pfinde die Folgen noch), fobald ich die Arme ausftrede,
die Gelenke find wie gebrodhen. Aber, Hanno, vergeben
fol der Chriſt; ſeht, ich thue es; fterbt deshalb ge-
teoft, ich wollte erft auf Schmerzensgeld antragen und
Euern Nachlaß mit Beihlag belegen laſſen, aber id)
thu's nicht.“
Wie nahfihtig fi) Lagemann in diefen Worten.
auc vernehmen ließ, fo fchienen fie doch feinen beru-
higenden Eindruck auf den Kranken hervorzubringen.
Im Gegentheil verbüfterte fi deſſen Antlig fihtbar.
„Ihr meint wahrfcheinlich die Carbonarigeſchichte?“
frug er leife.
„Allerdings, die meine ich,” erwieberte der Attache,
„und ich ſollte meinen, ich hätte Grund dazu.“
„Mein Gott,“ feufzte der Helvenfpieler, „das war
ja ein eitler Scherz, den ſich ein Freumd gegen den
andern erlauben darf.”
am \
73
Der Magdeburger glaubte feinen Ohren nicht zu
trauen.
„En Scherz,” rief er, und ſchon drohte ihn die
chriſtliche Sanftmuth, mit welcher er zu dem Kranken
getreten war, zu verlaſſen, „Ihr phantaſirt unſtreitig,
ſonſt wollt ich Euch antworten.“
„Ib babe mich weit ſchlimmer an Euch ver—
gangen,“ fuhr Hanno fort.
„Was?“ ſchrie Lagemann entſetzt, „noch ſchlim—
mer vergangen? Hanno, bedenkt, was Ihr ſprecht,
noch ſchlimmer vergangen? Ihr habt doch nicht
Meuchelmördergedanken? Hanno, ich beſchwöre Euch,
hier am Rande des Grabes, was wollt Ihr damit
ſagen: ſchlimmer vergangen d!⸗
Der Kranke ward auffallend ſchwächer, daß er
nicht zu antworten vermochte. er Attaché gerieth
in unbeſchreibliche Angſt. Er befürchtete ſchon, der
Heldenſpieler möchte unverſehens in die beſſere Welt
gehen und faßte ihn deshalb am Arme.
„Bei Ewigkeit und Weltgericht, Hanno, redet,“
rief er dringend, „Ihr dürft mir nicht abfahren, be—
vor Ihr mir nicht Euren Anſchlag gegen mein Leben
entdeckt habt.“
Der Heldenſpieler, durch Lagemann's angſtvolle
Ekſtaſe, die ihm wie furchtbare Beſchwörung klang,
angeſtachelt, raffte alle ſeine Kräfte zuſammen und
erwiederte:
„Gegen Euer Leben hab' ich mich weniger ver-
gangen, wohl aber gegen Euern Geldbeutel.“
Das Wort Geldbeutel griff den Magdeburger noch
weit jchmerzhafter in die Seele, als felbft das Be—
fenntniß eines Meuchelmords es gethan haben würde.
„Gerechter Himmel,” rief er, „mas werd' ich ver-
nehmen! Hannd zebet, ſprecht, beim ewigen Welt-
1%
gericht mit breitaufend Poſaunen und fiebenhundert
Erzengeln, ſprecht.“
Dem Spreder lief bei dieſer Beſchwörung ber
Schweiß ſtromweiſe von der Stimme. Der Helden-
fpieler ward- immer ſchwächer. Sein Haupt ſank Eraft-
108 in's Kiffen. Lagemann fprang herbei, fchüttelfe
das Kiffen auf, um dem Sterbenven feine Tage und
das Sprechen zu erleichtern.
Hanno ftöhnte.
„Mein Gott,“ eiferte Lagemann, „verfchwendet
Eure Kräfte Doch nicht mit unnützem Geftöhn, das
verfteht Fein Menſch, ſondern benutzt ben noch vor-
räthigen Athem zum Sprechen.”
Es trat jetzt eine höchſt verhängnigvolle Pauſe
ein, in welcher ſich der Heldenſpieler etwas zu er—
holen ſchien. Lagemann athmete neu auf, fein Herz
arbeitete wie ein Schmiedehammer.
„Macht's kurz,” drängte der Magdeburger, „Ihr
habt mich beftohlen, habt das Geld vergraben, wo
liegt's, wie hoch beläuft fi) die entwendete Summe;
nur raſch, ehe ver Tod Euch die diebiſche Gurgel
zuſchnürt. |
„sn melden Münzforten habt Ihr den Raub be-
gangen,” fuhr der unermüdliche Examinator fort; „die
Summe muß fid) auf das Außerordentlichite belaufen,
font würde Euer Gewiſſen nicht erwacht fein.“
Das wiederholte Schütteln von Hanno's Haupte
zeigte, daß fih Lagemann in feiner Vermuthung
wegen des Raubes irre, Der Attache wußte jet nicht,
wo ihm der Kopf ftand. Er rang rathlos die Hände
und rief fortwährend: „daß mir unglüdjeligen Mann
dies Unglück noch paffiven mußte. Wer hätte das
gedacht ?“ | |
75
Doctor Barring, welcher jetzt in die Kajüte trat,
erjuchte den verzweifelnden Lagemann, daß er Sid
moderire und den Zuſtand des SKranfen durch fein
eraltirtes Weſen nicht verfchlimmere.
„Was da,” lärmte Lagemann, „meinetwegen Tann
ex fterben, wenn's ihm beliebt, aber der Mifiethäter
fol mie zuvor befennen, welcher Frevelthat er fi
gegen mich ſchuldig gemacht hat.”
Auf diefe, die höchſte Gefühlloſigkeit verrathenden
Worte, faßte der Doctor ohne weitere Umftände ben
Üttache bei dem’ einen Ohre und führte ihn, troß
alles Sträubens zur Thür hinaus, die er hinter ihm
zuſchloß. Ob viefer Behanplung gerieth aber Lage—
mann außer ſich; er tobte wie ein Beſeſſener, er
Ihinpfte auf den Doctor und den Helvenfpieler über
alle Magen und rüttelte mit folher Vehemenz an ber
Kajütenthür um Einlaß, daß der ganze untere Schiffe-
raum in Aufruhr gerieth. Ja er lief in feiner blin-
den Wuth aller Orts umber, ald wolle er die ganze
Schiffsmannſchaft zu Hülfe rufen.
Plötzlich fühlte fid) der Tumultant von vier ner-
vigen Fäuften gepadt, weldhe ihn mit Rieſenmacht in
die Höhe hoben und forttrugen. Sein verzweifelter
Hülferuf Half ihm zu nichts, denn die cine Fauſt
hielt ihm die Kchle zu. Dem Attache verging Hören
und Sehen während dieſes unerwarteten Transports.
As er wieder zu ſich Fam, lag er auf dem Fußboden
einer ganz fremden Kajüte, in derem Hintergrunde
der Türke Abpullah in finſtrer Majeftät thronte. Un—
mittelbar zu Lagemann's Seiten fnieten Tohu und
Bohu, welche ven hülflos Ausgeſtreckten nicht eben
mit den lieblichſten Blicken beäugelten.
Der Magdeburger befand ſich in einer höchſt un-
angenehmen Lage. Gr fchauderte, wenn er in bie
76
zwei fchwarzen, ‚grinzenden Larven fchaute, deren Augen
fortwährend auf ihn gerichtet waren.
„Bas fol mit mir gefchehen, wadre Männer?‘
frug er leife.
Die Larven antworteten einige kauderwelſche Worte,
die Lagemann durchaus nicht verftand und feirten un-
heimlich. Dabei fchauten fie von Zeit zu Zeit nad)
Abdullah, als erwarteten fie Befehle von demfelben.
Dem Attache, dem feine harte, horizontale Rage
allmälig unbequem ward, wollte fi) jest mit halbem
‚Leibe emporrichten, ward aber jedesmal von Tohn -
wieder auf den Rüden gelegt. Nach kurzer Zeit wie=
derholte er feinen Verſuch, ver jedoch zu bemfelben
Refultate führte.
Da dem Atache weiter kein Leids gefhah, fo
gewann er endlich Muße, über dieſe fonderbare
Behandlungsweiſe nachzudenken und Betrachtungen
anzuftellen. Er fand bald, daß ſich feine ausgeftredte
Lage mit der Würde eines Attache’8 der Nieber-
roßlaer Rathsgeſandtſchaft nicht gut vereinbaren laſſe.
Darum berief er fih auf feine diplomatiſche Stellung
und ließ ſogar einige Bemerkungen von Berlegung
des Völkerrechts fallen.
Trotz diefer mannigfahen Reclamationen feirten
ihn Tohu und Bohu ununterbrochen an.
Lagemann dachte endlih, da man nicht die ge-
ringfte Anftalt zu feiner Befreiung traf, von dieſer
völkerrechtswidrigen Gefangenhaltung den Eapitain in
Kenntniß zu fegen, er drohte fogar, laut um Hülfe zu
rufen, wenn man ihn nicht unverzüglich aufftehen Lafle.
Das waren aber in den Ohren ber beiden Afrikaner,
weldye von dem Niederroßlaer Dialect ebenfo wenig
verstanden, als Lagemann von den Sprachen Afrika’s,
höchſt überflüffige Redensarten.
77
Dem Magdeburger ging enplih die Geduld aus.
As er jah, daß feine Drohungen nichts fruchteten,
begann er fie in's Werk zu führen und rief laut um
Hülfe Aber faum war der verhängnißvolle Auf
feinem Munde entfloben, als Tohu's ſchwarze Fauft
wie ein Blitz nach feiner Kehle fuhr und fo heftig
zugriff, daß der Attahe zu erftiden vwermeinte Zu—
gleih blitte in Bohu's Hand ein haaricharfer Dolch,
deſſen Spite direct nach des Magveburgers klopfendem
Herzen gerichtet war.
Diefe Demonftrationen reichten vollflommen bin,
Lagemann's Schreien vor der Hand Einhalt zu thun.
Er lag ftill wie eine Maus, nur daß beim Anblid
des Dolches feine Haare emporftiegen. Wie ruhig er
übrigens da lag, um fo gewaltiger ftürmte es in
jenem Innern. Er begann zu fürchten, daß es Ab-
dullah und die zwei fehwarzen. Ungethüme auf fein
Leben fünnten abgejehen haben, nur begriff er nicht,
zu welchen Zwecke. Raubſucht konnte unmöglich zu
Grunde liegen, denn was hätte man ihm vauben
wollen, und bloßer Blutdurſt konnte e8 auch nicht
fein, dann würde man nicht fo lange mit ihm fadeln.
Oder follte Abdullah eime Ahnung von Lagemann's
Abfichten auf die Braminin haben? Im legten Falle
war der Magpeburger allervings geliefert. ‘Doc wo
wollte der eiferfüchtige Türke hiervon Kunde haben,
da der Attache ſich Hinfichtlich der Braminin nicht
laut geäußert hatte?
Es blieb dem auf dem Rücken Liegenden in ber
Welt nichts übrig, als die Sache abzuwarten. Dazu
brauchte es aber eine ziemliche Zeit, denn Abpullah,
welder mit unbefchreiblihen Phlegma feine lange
Pfeife dampfte, ging fehr lange mit ſich zu Rathe,
18
bevor er Befehl ertheilte, was weiter mit dem Attaché
vorzunehmen fei.
Lesterer gab ſich indeß feinerfeitS ſehr nieber-
ſchlagenden Betracdhtimgen hin. Er dachte wieder an
Hanne umd zerbrady ſich vergeblih den Kepf, auf
welche Art diefer ihn wohl beitohlen ober übervor-
theilt haben könnte.
„Den Gelobentel nannte er ausbrüdlich,” ſprach
Lagemann für fihb, „und gleihwohl will mid ver
Helvenfpieler nicht beftohlen haben. Da werde ein
Andrer Hug. Am Ende hat der Kerl blos phantafirt
und id) habe mich vergeblich abgeängſtet.“
Diefer lebte Gedanke wirkte fo wohlthätig auf
den Attaché, daß er einmal recht vernehmlich. Athem
Ichöpfte.
Der Ton dieſes tiefen Athmens Hang aber dem
Tohu wieder verdächtig; er befürdhtete, ver Magde—
burger wolle abermals nad Hülfe rufen und ſchob
demfelben feine Hand fo energiih unter bie Kinn—
baden, daß ihm ver Angſtſchweiß aus allen Poren
drang, während ſich Bohu's Dolchſpitze der arbeitenden
Bruft des Attahe um ein Bedeutendes näherte.
„Gott im Himmel, man wird doch noch athment
können,“ dachte Lagemann. „Eine ſolche Tortur ift
mir in dieſem Leben noch nicht vorgekommen.“
Sobald der Magdeburger wie todt da lag und
nicht den geringſten Laut von ſich gab, ließ Tohu
mit der Hand los und Bohu zog den Dolch etwas
zurück. Lagemann wagte jetzt kaum mehr aufzublicken.
Er ergab ſich ſchweren Herzens in ſein unvermeidliches
Schickſal, welches ihn in die Gewalt der Mohren
geliefert hatte.
„Sollte ich denn von Niemandem vermißt wer—
L Wü dachte er bei fih; „man ift wahrſcheinlich mit
79
dem fterbenden Hanno beihäftigt und denkt gar nicht
an mid, oder man glaubt mih auf einem gemiljen
Drte beſchäftigt; aber fo lange Zeit, wie ich bereits
hier liege, braucht ein gefunder Menjch nicht. Wenn
der Zeifig Herz und Kopf auf dem rechten Flecke
hätte, müßte ih längſt befreit fein; es ift wirklich
unverantwortlid), jeinen Attahe fo lange außer Acht
zu laſſen. Zeiſig iſt ein erbärmlicher Kerl, ihm zu
Gefallen könnte ich längſt gejchlachtet und zu Wurft
verarbeitet fein.‘
Lagemann wagte nad) einiger Zeit die Augen ein
Hein wenig aufzufchlagen. Der lang vermißte Licht⸗
glanz wirkte aber dermaßen auf feine Gefichtsnerven,
daß ihm ein Neiz zum Nießen anfam. Der Attache
fühlte die nahende Erplofion, die ihn jedoch mit Angft
und Grauen erfüllte Es war vorauszufehen, daR |
fobald ver Funfen in feiner Nafe gezündet und bie
erfchütternde Kataſtrophe erfolgte, Tohu und Bohn
wieder wie behert zufahren und dem Niefer die‘ un-
entbehrlichfte Lebensluft abſchneiden würden. Lage—
mann, um alſo der Eruption zuvorzukommenund
den Zündſchwamm in ſeiner Naſe zu erſticken, ſchnitt
die außerordentlichſten Geſichter, die nur ein Menſch
hervorzubringen im Stande ift. , Selbft Tohu'n und
Bohu’n kamen dieſe phyſiognomiſchen Studien des
Magveburgers fo neu und eigenthümlich vor, daß fie
vor Wolluft bald fih, bald den am Boden liegenden
Grimafier anfahen.
Indeß wie fehr auch Lagemann mit all feinen
Sefihtsmusfeln und aus Neibesfräften bemüht war,
den frabbelnden Funken todt zu machen, bie Nafe.
bald hoch empor ftülpte, wie ein Kameelbudel, bald
wieder fie ganz aus feiner Phyſiognomie vertilgte,
bald zufpitte, bald aufblähte, es half Alles nichts, bie
80
Natur ging ihren Gang, die Explofion entlud ſich
nur um jo vollfräftiger.
Wie der Attache befürchtet hatte, jo gefchah es;
faum brannte feine Naſe los, fühlte er auch Die
ſchwarzen Fäuſte an ver Gurgel und die Dolchſpitze
kitzelte diesmal fühlbar auf feiner Bruft.
Das Desperate Niefen Lagemann's war aber
außerdem noch von anderen Folgen begleitet. Herr
Abdullah, welcher die ganze Zeit über, gleichfam in
ein Meer von Gedanken vertieft, mit unterfchlagenen
Beinen auf feinem Poften im Hintergrunde. gethront
hatte, ward durch das andgezeichnete Niefen feines
Gefangnen aus einer Contemplative aufgewedt. Cr
ſchien jett erit feinen Entſchluß zu faflen, was mit
dem Niefer anzufangen fe. Nach feinen türkifchen
Begriffen hatte Lagemann allerdings den Tod verbient,
denn diefer Giaur hatte Die Frechheit: gehabt, in das
Bereich feiner Kajüten zu dringen und einen vafenven
Lärm zu vollführen. Wirklich war der Attache auch
in feiner Aufgeregtheit ob des Hanno'ſchen Todten-
bettbefenntniffes und über des Doctors fo furz ange-
bundene Entfernungsweife fo unvorfichtig geweien, in
das abgejchlofjene Schiffsterrain der Türken förmlich
einzubrechen und ein Morbhalloh daſelbſt anzuftimmen.
Faſt zu fpät erinnerte er fid jest mit geheimem
Grauſen an das wiederholte Verbot des Capitains,
ja das Bereich des Abdullah nicht zu betreten, weil
er dann (Sir Yohn) felbft für das Leben des vor-
wigigen Pafjagiers nicht ftehen könne.
Dieſes Verbot, welches alsbald mit Tlammen-
lettern des ewigen Gerichts in Lagemann's Innerm
zu leuchten begann, ließ ihn das Gefahrvolle feiner
Lage in feiner ganzen Größe erfennen.
— Alſo Abdullah war durch das gewaltſame Nieſen
81
—
Lagemann's aus feinem angeſtrengten Nachdenken auf-
gewacht und er gab nun feinen Denkvermögen die—
jenige Richtung, welche die Beitrafung des fredhen Ein-
dringlings zunächſt zum Zwecke hatte.
Auf ſeine Handbewegung ſprang Tohu auf und
erwartete mit gebeugtem Haupte und mit über der
Bruſt gekreuzten Armen die Befehle ſeines Gebieters.
Der Mohr mußte vortrefflich abgerichtet ſein, denn
Abdullah machte blos eine Wendung mit dem Kopfe
und fogleidh wußte Tohu, moran er war. Er eilte
nad) einem Wandſchränkchen, aus welchem er eine Art
rothwollene Schlafmütze hervorlangte, die vermittelſt
einer Schnur wie ein Tabacksbeutel zuſammengezogen
werden konnte. Mit dieſem ſeltſamen Kleidungsſtücke
in der Hand kniete er bei Lagemann und zog das—
jelbe dem Attahe über den Kopf, wie fehr tiefer
auch durd) energiſches Hin- und Herwadeln feine un-
beftreitbare Abneigung gegen derartige Bedeckung zu
erfennen gab. Die rothe Mütze ward vermitteljt der
Schnur unter dem Kinn ziemlich feſt zuſammenge—
bunden, fo daß des Magdeburger Kopf gänzlich in
dent wollenen Beutel ftaf, was ſich ſehr poſſirlich
ausnahm.
Lagemann war aber ob biefer auffäligen Kopf-
umfleivung nichts weniger als poffirlih zu Muthe.
Er verfuchte nochmals um Hülfe zu rufen, aber die
ſtraff angezogene Zwangsmütze dämpfte dermaßen je—
den Laut, daß der Attaché ſich hätte die Lunge aus
dem Leibe ſchreien können, man würde nichts ver-
nommen haben. Zugleich beraubte ihn der nichts-
würbige rothe Beutel feiner jfämmtlihen Organe und
reduzirte ihn auf den allgemeinen Gefühlsfinn. Er
ſah, hörte, roch und fchmedte nicht? mehr von ver
Aupenwelt. Wenn er die Augen öffnete, lag Alles
Stolle, fämmtl. Schriften. XVII.
82
wie dem Schiller'ſchen Taucher in „purpurner Finfter-
niß.“ Er durfte über feine Lage gar nicht nachden—
fen, wollte er nicht rein des Teufels werden. Sein
fterbliher Leihnam war völlig in die Gewalt des
türkiſchen Unholds gegeben. Man konnte ihm jekt
den Bauch aufjchneiden, ihn ordentlich ausſchlachten
wie einen Faſtnachtshammel, er konnte für folche Ope-
ration gar nicht bequemer und einladender baliegen;
er mußte ſich Alles gefallen laſſen. In feinem Leben
hatte der Magdeburger nicht fo viel Angſtſchweiß ge-
Ihwitt al® unter der rothen Mütze. Der ganze Kopf
ftaf in einem warmen Bade. Sein fibrirendes Denf-
vermögen durchfloh in der Eile alle türfifchen Ge-
ſchichten, die er je gelefen, um wo möglich dem eigent-
lichen Zwecke der rothen Müte auf die Spur zu
fommen. Er entfann fi) wohl von der mörberifchen
feivenen Schnur gelefen zu haben, aber nie von joldy
einem baummollenen Beutel.
„Wer weiß,” raunte ihm feine aufgeregte Phan-
tafte zu, „wir leben jeßt in einer erfindungsreichen
Zeit, aud die Zürfen werben nicht zurüdgeblieben
jein und haben ihre Fortichritte gemacht, ſei's aud)
nur in Morbinftrumenten. Diefe Kopfzwangsjade
gehört umftreitig unter die Marterwerfzeuge der neue=
ften Zeit.‘
Diefe wenig troftreihen Reflexionen, welche ver
philofophirende Lagemann unter feiner Müte anftellte,
wurden plößlid unterbrochen und feine Ideenfolge er-
hielt eine andere Richtung, als er gewahrte, daß ihm.
einer der Mohren, ob e8 Zohu oder Bohn, vermochte
er nicht zu enträthſeln, begann die Stiefeln auszu-
ziehen. |
Die Schlüffe, welche Das denkende Weſen in Ya-
gemann’d umftricten Kopfe aus dieſem Gtiefelaus-
83
ziehen folgerte, waren überrafchenn, aber Feineswegs
befriedigend. Der Attache begriff ſchlechterdings den
Zweck nicht, er mochte fünnliren fo viel er wollte.
Als die .‚Stiefeln herunter waren und e8 auch über
die Etrümpfe herging, glaubte Tagemann mit Sicher-
heit die Behauptung aufftellen zu dürfen, daß es zu—
nächſt auf feine nadten Füße abgefehen fei. Im Grunde
war ihm dies nicht ganz unlieb ; e8 war doch immer
beffer, als wenn Abdullah unmittelbar beim Halfe
angefangen hätte,
Die Füße des Attach waren, Danf der uner-
müpdlihen Behendigkeit Tohrs „und Bohu's, bald
Iplitterfafennadt wie fie dee Herr Gott erſchaffen. Ihr
Inhaber aber befand fih in äußerſter Spannung,
was man wohl mit feinen Läufen anfangen werde.
Plöglicd, fühlte fih das Rothhaupt von mehren
Fäuſten nicht eben auf die ſanfteſte Weife mit dem
ganzen Leibe emporgehoben und auf eine erhöhete
Ebene gelegt. Dieſe Erhöhung jchien ihn aber von
durchaus feiner guten Vorbedeutung zu fein. Lage—
mann fam fi) vor wie ein Opferlamm auf einem
heidniſchen Altar; er befürchtete jeden Augenblid, daß
man einige energifche Fleiſchergriffe nad) feiner Kehle
thun und den Dolch, welchen Bohu bei fih trug, ihn
fanft zwifchen die Rippen fehieben wilrbe.
Nichts ift bei einer ſolchen Execution, wie fie der
Attaché zu beftehen hatte, peinlicher al8 die Langſam—
feit, womit die Erecutoren zu Werke gehen. Nach
Lagemann's Erhöhung trat wieder eine ziemlich lange
Paufe ein, wo man den Rothklopf ruhig Liegen ließ,
ohne ihm das geringfte Weh zuzufügen. Letzteres
fügte fid) der Magdeburger aber felbft zu, indem er
ben ausfchweifennften Phantafien erlag. & „De jebes
a
84
Geräuſch der Außenwelt nur ſehr unvollkommen zu
ſeinen rothverbrämten Ohren gelangte, jo muthmaßte
er die ſchaudererregendſten Dinge. Bald klang es
ihm, als ſchiebe man einen hohlen Topf heran und
nichts war gewiſſer, als daß man ihm. das Blut
ablafjen wollte, bald wieder war's als fchleife man
Meſſer.
Nach derlei traurigen Vermuthungen griffen enb-
lich wieder ein paar barbariſche Fäuſte nach Lagemann's
entblößten Füßen und zogen dieſelben in die Höhe.
Dies war eine äußerſt verdächtige Demonſtration für
den Attache.
„Das Gott erbattn ,“ krächzte er unter dem rothen
Beutel, „fie hängen mid an den Beinen auf.”
So fhlimm, wie Lagemann befürditete, follte es
nicht werden. Die Mohren legten feine Füße nur
auf eine Art Geftelle, fo daß fie ein Stüd in bie
Luft zu Stehen famen. In dieſer nicht ganz beque=
nıen Yage mußte ſich's der Attache wieder eine ziem-
lihe Zeit gefallen laffen, bevor man weiter vorwärts
ſchritt. Die türkifche Nechtspflege ſcheint fi) am deut—
ſchen Prozeßgange ein Mufter genommen zu haben.
Lagemann glid in feiner fonverbaren Lage einer
Schnecke, weldye ihre Fühlhörner weit von fich ftredt;
bei ihm nämlich vertraten die ausgefpreizten Beine
die Stelle der Fühlhörner. Wirklich war aud fein
Gefühl, da ihm die übrigen vier Sinne abgingen,
lediglich auf feine zwei Beine beſchränkt. Auf viejen
entblößten und bedrohten Theil hatte er feine unge=
theilte Aufmerkſamkeit concentrirt. Ä
Nach einiger Zeit vernahm der erwartungsvolle
Lagemann ein fonderbares Geflapper, als wenn Je—
mand ein Bund Stöde irgendwo hervorlangte. Gleid)
darauf aber hätte er vor Schmerz laut aufjchreien
85
x
mögen, wenn ihm nicht bie rothe Müte daran gehin-
dert. Es war ihm nämlih, als ob man mit einer
glühenden Kohle einen Strih über feine entblößte
vechte Fußſohle zöge. Mit einem Zetermordio hinter
dent Beutel wollte er fchleunigft das eine angeftrichene
- Sühlhorn einziehen, aber nervige Fäuſte griffen in
das Snieegelenf und vereitelten das eben nicht unbillige
Beitreben.
Ehe nody der Attahe ob dieſes höchſt unzarten
und echttürfifchen Verfahrens hinreichende Betrachtung
anzuftellen vermochte, erhielt das Iinfe Bein ebenfalls
feinen feurigen Strich. Abermaliger Verſuch zum
Zurüdziehen. Abermaliger Griff in das Kniegelenk.
Der ausgefpreizte Magveburger glaubte jetzt alles
Ernſtes, dag man ihn mit glühenden Eiſen auf den
Fußſohlen gebrandmarkt habe, aber fein fonft richti-
ges Gefühl täujchte ihm diesmal dennoch. ‚ Der feurige
Strich, der nad) Lagemann's Meinung von einem
glühenven Eifen herrührte, war nur die Folge eines
Stodhiebes, und die ganze Prozedur, die man mit
dent Attahe vornahm, -war nichts weiter als die im
der Türkei fo beliebte Baftonade.
Lagemann vereinigte jet wirklich Geſicht, Gehör,
Geruch und Geſchmack in ſeinem Fußgeſtell, um der
höchſt unangenehmen Sache auf die Spur zu kommen;
aber bei jedem neuen Streiche fuhr ſein Ich wie be—
ſeſſen aus dem beklagenswerthen Theile zurück.
Tohu und Bohu verrichteten ihr Strafamt mit
einer Accurateſſe, die nichts zu wünſchen ließ. Sie
bearbeiteten die unglücklichen Fußſohlen mit Kunſt
und Geſchick, ſo daß ſie bei dem ſiebenten Schlage
bereits zu bluten anfingen.
Lagemann wollte ſchier aus der Haut fahren ob
dieſes kannibaliſchen Schmerzes. Sein rothes Haupt
S6
fuhr verzweifelt bin und wieder, während fi bie.
Mohren nit im Geringften in ihrer Arbeit flören
ließen. Die Schläge folgten nicht willkürlich auf ein-
ander, ſondern methodiſch in abgemefjenen Pauſen,
gleichſam um den Patienten Zeit zu laffen, über die
Operationen nachzudenken.
Sp währte die Marter eine gute halbe Stunde.
Lagemann hatte ſich bereit hundertmal den Zob ge-
wünjcht und ftellte fogar convulſiviſche Verſuche an,
fi mit den eigenen Händen zu erwürgen; aber vie
wahfamen Mohren verhinderten jedes derartige At-
tentat, indem fie die felbjtmörberifhen Fäuſte auf
Lagemann's eigener Bruft zufammenbanden. Sie tha=
ten dies wahrjcheinlic auch zu ihrem eignen Velten,
denn der Gefolterte focht todtverachtend mit den Ar=
men in der Luft und theilte nicht eben ſanfte Schläge
und Stöße aus.
Wie indeß in der Welt jedes Ding fein Ende
hat, fo gefhah’8 auch mit der türkifchen Execution.
Nachdem vie unglüdlichen Fußſohlen dermaßen zuge-
richtet waren, daß ihr Beſitzer unter vierzehn Tagen
an fein Auftreten denken fonnte, band man den Ge—
folterten lo8, ohne jedoch die rothe Kappe zu lüften;
wieder griffen die gewaltigen Arme zu, und trugen
den Attache davon. Außerhalb des Bereichs von Ab-
dullah ward er auf den Boten gelegt und ihm die
rothe Müte abgezogen. Auch vergriff man fic kei—
neswegs an feinem Eigenthum, jondern legte Stiefeln
und Strümpfe gewilfenhaft neben ihm nieder.
Sobald der Attaché einigermaßen wieder zu fid)
fom, begann er zunädft Unterfuchungen über feine
_ eignen Füße anzuftellen, wobei er jedoch Die aller=
traurigſten Erfahrungen machte. Wie Pumpenſtiefeln
waren ſie aufgeſchwollen und er begriff gar nicht, wie
87
er fie je wieder zum Gehen werde benutzen können.
Eines ſolch' nieberträdhtigen Schmerzes wußte er fid)
in feinem ganzen Leben nicht zu erinnern. Er war
nicht vermögen, ſich von der Stelle zu rühren. Wo
ihn Tohu und Bohu hingelegt, da lag er. Er gli
ganz Braun dem Bären, nachdem dieſen fein Neffe
Keinede beim Bauer NRüfteviel fo übel mitgefpielt.
Der Factor war der Erfte, welcher ihn in dieſer be=
dauerungswürbigen Lage vorfand. Süßmilch flug
Lärm und bald hatten fih fämmtliche Niederroßlaer
mit Ausnahme Hanno’8 um den übelzugerichteten
. Zandsnıann verfammelt.
Sünftes Kapitel.
Die Lagemann'ſche Baſtonade bildete eine geraume
Zeit den Gegenſtand des Geſprächs auf dem Schiffe.
Während Steuermann und Matroſen berſten wollten
vor Laden, erfüllten ſich die Gemüther des Raths—
aetuars, Sußmilch's und Vetterlein's mit Grauen und
Entſetzen. Mit ſcheuen Blicken nur betrachtete man
das Terrain des blutgierigen Türken und hütete ſich
wohl, demſelben im Entfernteſten zu nahe zu kommen.
Der Magdeburger lag nicht weniger denn acht
Tage und acht Nächte auf einem Flecke. Er ver-
mochte von feinen Füßen nicht ven geringften Ge—
braud zu machen. In feinem Gemüthe ſah's höchſt
beöparat aus. So wie er einigermaßen zu ftehen ver-
mochte, eröffnete er eine energifche Conferenz mit Zei⸗
fig, welche Letzterem keineswegs erbaulich klang.
‘u
88
„Stülpen Sie Ihren Hut mit dem Ochſenkopfe
determinirt auf den Kopf,“ ſprach er zum Actuar „und
rücken Sie dem Türken vor's Quartier. Sie dürfen
ſolche Schmach nicht auf ſich ſitzen laſſen, partout
nicht; bedenken Sie, daß in meiner Berfon das ge⸗
fammte Nieverroglaer Rathscollegium bundsföttifch be=
leidigt, fo wie da8 gefammte Bölferreht mit Füßen
getreten it. Ih bin Ihr Attahe und integrivender
Theil der Niederroßlaer Geſandtſchaft. Sie find durch
meine Baſtonade eben fo beleidigt, als hätten Cie
dieſelbe jelbft erhalten.“
„sh würde ob folder Mißhandlung unfehlbar
den Geift aufgegeben haben,“ geftand zagend der Actuar.
„Weichen wir nicht von der Hauptfrage ab,” er-
wiederte Lagemann ärgerlich, „Suchen Sie Ihren Hut
mit dem Stadtwappen und verlangen Sie Aubienz
und Satisfaction vom Türken.“
„Ich bezweifle nur,‘ gab Zeifig zu bebenfen, „ob
Herr Abdullah in der Heraldik fo weit vorgefchritten
fein dürfte, unfer Stadtwappen zu erfennen und zu
reſpectiren.“
„Nennen Sie das türkiſche Ungeheuer nicht Herr,
ſondern Hund,“ eiferte Lagemann, „er verdient kei—
nen civiliſirten Namen. Befeſtigen Sie oberhalb des
Ochſenkopfs die Landescocarde, ich hoffe, die reſpectirt
er. Behalten Sie aber den Hut auf dem Kopfe,
wenn Sie mit dem Satan ſprechen, damit er Wap⸗
pen und Cocarde ſieht; auch imponirt das mehr.“
„Aber den Fall geſetzt,“ frug Zeiſig, „ver Mujel-
mann refpectirt Wappen und Cocarde nicht, was dann,
lieber Lagemann?“
„Bas dann?“ fpottete der Attache, „Sie müffen
fid) der vielen Bebenklichkeiten entſchlagen; Cie brin=
a“ es jonft im Leben zu nichts. Bedenken Sie, daß
89
Sie ald Diplomat durch die Welt fahren, deſſen Ber-
. Ton gebeiligt iſt.“ Ä |
„Aber wenn Abdullah davon Feine Notiz nimmt,
wie er dies bei Ihnen als meinem Attaché bewies
fen hat?‘
„Ich wünſchte, Sie ſäßen im Pfefferlande mit
Ihren ewigen „aber's!“ Sein Sie dod nur ein Ein-
zigesmal ein Mann,“
„Aber, ich befürchte nur, daß mid) gerade dieſes
Einzigemal wenn auch nicht ven Kopf doch die Füße
foften kann
„Pollen, die Wuth des Türken hat fih an mei-
ner Perſon hinlänglich geſättigt.“
„Sie kann auch wilder geworden ſein.“
„Wohlan, ſo bluten Sie für's Vaterland, wie
ich geblutet habe, und wir behalten uns Regreß und
Schmerzensgeld vor, ſobald wir an's Land ſteigen.“
„Ich wollte im Nothfalle wohl bluten,“ verſetzte
Zeiſig, „aber ich fürchte, ich halte es nicht aus.“
„Einbildung, Sie haben nicht viel Fleiſch auf
dem Leibe, eine Baſtonade iſt für Sie ein Kinderſpiel.
Es iſt bei Ihnen gar nichts abzuſchlagen.“
„Ich weiß, was ich weiß,“ beharrte der Actuar,
der ſchlechterdings keine Neigung in ſich verſpürte,
Herrn Abdullah wegen der Lagemann'ſchen Baſtonade
zur Rede zu ſtellen, „ich kenne meine Natur, eine
ſolche türkiſch-orientaliſche Behandlungsweiſe hält mein
Körper nicht aus.”
Lagemann war fehr aufgebradht, als der Nieder-
roßlaer Gefandte ſich zu einem Beſuche beim Türken
durchaus nicht verftehen wollte. Er hatte einen bop-
pelten Zwed, daß er Zeifig jo angelegentlich antrieb,
dem Abdullah, wie er fid) ausprüdte, vor's Duartier
zu rüden. Erſtens hoffte er, daß fi der Mufel:
90
mann Doch vielleicht bewegen Taflen könnte, feine bar-
barifhe Handlungsweife gegen den Attache einzufehen
und um weitres Aufſehen zu vermeiden, einen Beutel
mit türkischen Piaftern als Schmerzensgeld herauszu-
rüden. Diefe Hoffnung war indeß bei Lagemann,
wie er den Türken kennen zu lernen Gelegenheit ge:
habt hatte, ſehr ſchwach. Weit größre Hoffnung baute
er auf den andern Zweck ber Zeiſig'ſchen Miffion,
hämlich, daß der Actuar gleichfalls abbajtonadet wer-
ben möge. Der edle Magdeburger erfreute ſich nämlich
einer jo ſchönen Seele, daß er alle Ueble, fo ihm
widerfuhr, auch andern gönnt. Nichts war ihm da—
ber unerträglicher als der Gedanke, allein die türkifche
Zortur haben überftehen zu müfjen. Bon Herzen gern
hätte er dem Heldenfpieler, dem Duartus und Factor,
furz jedermann ein ähnliches fchmerzreiches Abenteuer
gewünſcht.
Während Lagemann noch bemüht war, den Nie—
derroßlaer Rathsbotſchafter für einen Beſuch bei Ab⸗
dullah geneigt zu ſtimmen, trat der lange Factor mit
der Nachricht in's Gemach, daß Hanno jetzt außer
Gefahr ſei. Das letzte Mittel des Doctor Barring
habe vortrefflich angeſchlagen und die gefährliche Kriſis
ſei glücklich überſtanden.
„Unkraut verliert ſich nicht,“ dachte Lagemann bei
ſich, doch war er froh, daß Hanno geneſe. Er hoffte
nun baldigſt hinter das Geheimniß zu kommen, wo-
mit ihn der todtkranke Heldenjpieler jo gepeinigt hatte.
Da feine Beredtſamkeit bei Zeifig wegen des Beſuchs
beim Türken ohne allen Erfolg blieb, jo wandte er
ſich an den Factor, damit diefer es dem Actuar gleich-
falls begreiflih mache, wie nothwendig und der Würde
Niederroßla's angemefjen es fei, wenn Zeifig dem Ab—
dullah vor's Quartier rücke.
g1
Die Discuffion wegen einer AYurebeftellung des
Abdullah ward plöglih auf eine höchſt energifche
Weile unterbrochen. Alle drei Disputanten fielen mit
einem Schlage die Länge nad auf ven Boden. Als man
in ſoweit wieder zu fi gelommen war, um über das
Die und Warum einer fo unerwarteten Niederlage
Betrachtungen anzuftellen, vernahm man ein wahres
Donmergepolter auf dem obern Verdeck und in dem—
jelben Moment fam Betterlein wie in der Luft durch
die Kajütenthür hereingeflogen.
Es hatte ſich plöglich ein Orkan erhoben und eine
Riefenwelle das Schiff auf die Seite geworfen. . Der
Himmel umzog fi fchwärzer und das Toben bes
Sturmed ward bedeutend. Es war das erjte Unmet-
ter, welches den Habicht auf feiner Fahrt ereilte und
erichien den Niederroßlaern in feiner ganzen unge—
wohnten Furchtbarkeit.
Zu dem Orfane hatte fih, um das Schaufpiel
des Schredens vollitändig zu machen, ein Gewitter
gejellt und die vom Sturm gepeitfchten und Donner
durchrollten Wafjerberge gewährten einen fürchterlich
majeftättfchen Anblid. Die tieffinftre Nacht ward von
den flammenvden Bligen* von Secunde zu Secunde
fonnenhaft verklärt.
Der Capitain Sir John erſchien jest in feiner
Heldengröße. Mit einer Ruhe, als gelte ed einem
unbedeutenden Manöver auf ftilem Meere, ertheilte
er jeine Befehle. Seine Stimme durdhpreng Sturm,
Donner und Wellengebraus und ob alle bewegliche
Sachen auf dem Schiffe über und untereinander ftürz-,
ten, ob Tod und Verderben von allen Seiten herein-
zubrechen drohten, behielt er dennoch all ſeinen Gleich—
muth, ja ſeinen Humor wie beim ſchönſten Wetter.
„Wenn der Sturm ſo anhält,“ meinte er in ge-
90
mann boch vielleicht bewegen Tafien könnte, feine bar-
barifche Handlungsweife gegen den Attache. einzufehen
und um weitres Auffehen zu vermeiden, einen Beutel
mit türkifchen Piaftern als Schmerzensgeld herauszu-
rüden. Diefe Hoffnung war indeß bei Lagemann,
wie er den Türken kennen zu lernen Gelegenheit ge-
habt hatte, fehr ſchwach. Weit größre Hoffnung baute
er auf den andern Zweck der Zeifig’ihen Miffion,
hämlid), daß der Actuar gleichfalls abbaſtonadet wer-
den möge. ‘Der edle Magdeburger erfreute fid) nämlich
einer jo fchönen Seele, daß er alles Ueble, fo ihm
widerfuhr, aud) andern gönnte. Nichts war ihm da=
her unerträglicher als der Gedanke, allein die türfifche
Zortur haben überftehen zu müſſen. Von Herzen gern
hätte er dem Helvenfpieler, dem Duartus und Factor,
furz jedermann ein ähnliches fchmerzreiches Abenteuer
gewünſcht.
Während Lagemann noch bemüht war, ven Nie⸗
derroßlaer Rathsbotſchafter für einen Befuc bei Abe
dullah geneigt zu ſtimmen, trat der lange Factor mit
der Nachricht in's Gemach, daß Hanno jetzt aufer
Gefahr je. Das legte Mittel des Doctor Barring
habe vortrefflich angejchlagen und die gefährliche Krifis
jei glüdlid, überftanden.
„Unkraut verliert ſich nicht,’ dachte Lagemann bei
ſich, dod war er froh, daß Hanno genefe. Er hoffte
nun baldigft Hinter das Geheimnig zu fommen, wo=
mit ihm der todtkranke Heldenſpieler ſo gepeinigt hatte.
Da ſeine Beredtſamkeit bei Zeiſig wegen des Beſuchs
beim Türken ohne allen Erfolg blieb, ſo wandte er
ſich an den Factor, Damit dieſer es dem Actuar gleich-
falls begreiflich mache, wie nothwendig und der Würde
Niederroßla's angemefjen es fei, wenn Zeifig dem Ab—
bullah vor’8 Quartier rücke.
91
Die Discuffion wegen einer AYuredeftellung des
Abdullah ward plöglih auf eine höchſt emergifche
Weiſe unterbrochen. Alle drei Disputanten fielen mit
einem Schlage die Länge nad) auf den Boden. Als mun
in foweit wieder zu fi gefommen war, um über das
Wie und Warum einer jo unerwarteten Niederlage
Betrachtungen anzuftellen, vernahm man ein wahres
Donnergepolter auf dem obern Verdeck und in dem—
felben Moment kam Betterlein wie in der Luft durch
bie Kajütenthür heveingeflogen.
Es hatte ſich plötlich ein Orkan erhoben und eine
Riefenwelle das Schiff auf die Seite geworfen. . Der
Himmel umzog ſich fchwärzer und das Toben bes
Sturmes ward bedeutend. Es war das erjte Unwet—
ter, welches den Habicht auf feiner Fahrt ereilte und
erſchien den Niederroflaern in feiner ganzen unge-
wohnten Furchtbarkeit.
Zu dem Orkane hatte fih, um das Schaufpiel
des Schredens vollſtändig zu machen, ein Gewitter
geſellt und die vom Sturm gepeitſchten und Donner
durchrollten Waſſerberge gewährten einen fürchterlich
majeſtätiſchen Anblick. Die tieffinſtre Nacht ward von
den flammenden Blitzen von Secunde zu Secunde
ſonnenhaft verklärt.
Der Capitain Sir John erſchien jetzt in ſeiner
Heldengröße. Mit einer Ruhe, als gelte es einem
unbedeutenden Manöver auf ſtillem Meere, ertheilte
er ſeine Befehle. Seine Stimme durchdreng Sturm,
Donner und Wellengebraus und ob alle bewegliche
Sachen auf dem Schiffe über und untereinander ſtürz⸗
ten, ob Tod und Verderben von allen Seiten herein-
zubrechen drohten, behielt er dennoch all feinen Gleich—
mutb, ja feinen Humor wie beim fhönften Wetter.
„Denn der Sturm jo anhält,” meinte er in ge-
92
mächlichem Gonverfationstone zu Victor, als biefer
fih bei ihm nah dem Stande der Dinge und ber
Größe der Gefahr erkundigte, „jo kann fi unfer Koch
die Abenpmahlzeit erfparen, wir fonpiren alsdann nicht
fowohl auf dem Meeresgrunvde, als werben vielmehr
joupirt von Fiſchen und Meergewürm.“
Als ſich ſo eben eine weiße, geiſterhafte und ver—
derbenſchwangere Welle dem Schiffe näherte, ſagte er:
„Wenn Ihr den Tod noch nicht geſchaut habt von
Angeſicht zu Angeſicht, ſo ſieht er aus wie dieſe Welle,
welche ſehr Uebles im Sinne führt.“
Zugleich donnerten wieder ſeine Befehle im wun—
derlichen Kauderwelſch; von Neuem fuhren die Ma—
troſen wie behert auf und nieder und gaben dem
Schiffe eine ſolche Richtung, daß die gefahrdrohende
Welle nicht ihre ganze Gewalt an dem Schiffe ent-
laden konnte.
Auch Gamaliel hatte ſich auf's Verdeck herausge-
wagt, hielt eine Strickleiter umklammert und ließ ſich
willenlos mit dem Schiffe auf- und abſchleudern.
Auf Victor's Anfrage, ob er und Drollinger nicht
etwas helfen könnten, ſchüttelte Sir John den Kopf.
„Jetzt noch nicht,“ ſprach er, „ſobald das Schiff
keinen Leck bekommt, hat es keine Noth; aber wir
müſſen alle Augenblicke befürchten, daß die Planken
berſten und das Waſſer den untern Schiffsraum füllt.
Dann könnt Ihr pumpen, ſo viel Ihr Luſt habt. Ich
werde vor der Hand in den Kajüten die Pumpen an—
legen laſſen. Die Paflagiere müſſen in den zweiten
Schifferaum hinab. Falls Ihr Euch hier oben nicht
gefallt, würde ich gleichfalls vathen, in den ficherern
obwohl unbequemern Gewahrfan des zweiten Dede
Euch zu verfügen.”
Samaliel und Bictor erklärten, bein Capitain
93
aushalten zu wollen, während Leßterer einigen Mar
teofen den Befehl ertheilte, die Kajüten ver Nieder-
roßlaer zu räumen.
Lagemann, Zeifig, ver Factor und Betterlein be=
fanden ſich ebenfall® in feinem beneidenswerthen Zu—
ftande. Sie glaubten ſämmtlich, daß ihr letztes
Stündlein gekommen ſei und waren über alle Maßen
demüthig und gottesfürchtig.
Als die Matroſen eintraten, die Kajute zu ränu⸗
men, lagen alle Vier brüberlidh umarmt wie ber
Rattenfönig auf dem Boden. Obſchon unter obwal-
tenden Umftänden Jedem das Lachen hätte vergehen
jollen, jo brachen die rohen Schiffeleute doch in ein
unmäßiges Gelächter aus, als fie die Nieverroßlaer
in jo herzbrechenper Umarmung erblidten.
Die am Boden Liegenden ſchöpften neuen Athem,
und neue Hoffnung zog in die angſterfüllte Bruſt,
als ſie die Bootsleute ſo urkräftig lachen hörten. Sie
ſchloſſen daraus, daß die Gefahr vorüber ſei.
„Wie fteht’g denn mit dem Sturm und Gemit-
ter?” erfundigte fi) Lagemann, welcher zuerit die
Spradye wieder erhielt.
„Voxtrefflich,“ war die Antwort, „wenn das Un-
wetter jo forttobt,. find wir um Mitternadht al’ int
Himmel.” |
„Diefes Unglüd wolle doch ein grundgütiger Gott
verhüten! vief der Attache ſchaudernd und die An—
dern ftimmten ein.
„Ho, ho,“ verſetzte ein Matrofe, „it das ein fo
großes Unglück, bald in den Himmel zu kommen?’
„Dir ftehen ſämmtlich in ven beiten Jahren,“
gab Lagemann zu bevenfen.
„Was da,” lachten vie Bootsleute, „‚geitorben
04
muß einmal fein, ob ein paar Jahr früher over Tpä-
ter, kommt auf eins heraus.” |
Die Nieverroßlaer, auf der Erbicdhaftsreife begrif-
fen, gingen von andern Prinzipien aus. Sie modh=
ten vom Tode fchlechtervings nichts willen, am we⸗
nigftend Lagemann. Cr klagte, daß er aufs Ableben
noch gar nicht vorbereitet fei.
Die Matrofen ließen fih auf feine weitere philo=-
ſophiſche Auseinanderjegung über Tod und Unfterb-
lichkeit ein, ſondern mahnten die Niederroßlaer, auf-
zufiehen und die Kajüte zu verlaſſen.
- ‚Aber wo jollen wir denn bin?” frug Lagemann
zähneklappernd.
„Ein Stockwerk tiefer,“ war die Antwort.
„Aber warum will man und hier vertreiben?“ er-
fundigte ſich der Attache meiter.
„Damit Ihr nicht den Pumpen im Wege ſeid,“
erwieberte ein Matroſe.
„Weh, jo dringt wohl das Waſſer ſchon ein?”
„Es wird nicht lange dauern und wir haben alle
Schiffsräume voll.‘
Die Nieverroßlaer wurden bei dieſer Rede wieder
von Entjegen gepadt; gleihwohl rührten fie ſich nicht
von der Stelle.
„Alone, erhebt Euch,“ commandirten die Boot8-
leute, „wollt Ihr bis zum jüngften Tage hier Liegen?‘
Der menſchliche Rattenfönig fette fich jet etwas
in Bewegung, aber er war mit feinen acht Armen und
Füßen dermaßen in einander verwachſen, daß es viel
Mühe machte, ven Knäuel aus einander zu bringen.
Die Matrofen machten nicht viel Umftände, fon-
dern padten einen nad den andern, fehüttelten fo
lange, bi8 die Mebrigen abfielen, trugen ihn aus ber
Kajüte und ſchoben ven Halbbewußtlofen durch eine
®
95
Tallthüre wie einen Geföpften, auf vie Gefahr hin,
daß er Arm und Beine bredhe, in den untern Raum,
wo er mit ziemlichem Geräuſch auf den Boden fiel.
Lagemann, als er hinabtransportirt wurde, be=
faß noch fo viel ©eiftesgegenwart, den Matrofen ihr
gewiffenlofes Fluchen zu Gemüthe zu halten.
„Wenn Ihr von Eurem rafenden Gefluche nicht
ablaßt,“ ſprach ev, „To iſt's kein Wunder, dag wir
allefanınıt zu Grunde gehen. So moderirt Euch doch
in Etwas und bedenkt, daß Ihr Chriften ſeid.“
„Was räjonnirt die Landratte,“ tönte e8 zur Ant-
wort, „Ichlagt ihr den Hirnſchädel ein, fo fie muckt.“
Lagemann hielt e8 nad) diefer Aeußerung für ans
gemeflener, dem rohen Schiffsvolke feine moralifchen
Zumuthungen weiter zu ftelen. Er verſchwand gleich
darauf in der Tiefe und fiel auf Zeiſig, welder als
matter Karpfen bereits unten am Boden lag.
Auf den Attaché folgte Vetterlein. Dieſer glaubte
in der Angft feined Herzens, er folle über Bord ge=
worfen werben, um das Schiff flott zu machen. Kr
firampelte daher aus Leibesfräften, als er von einem
der hanpfeften Matrojen in die Höhe gehoben ward,
aber feine Widerfpenftigfeit vermochte nicht® gegen bie
höhere phufifche Gewalt. Er fam auf Lagemann zu
liegen, welcher entſetzlich aufſchrie, als er noch ein
andres lebende Weſen auf fich verfpürte.
Gebt Fam die Reihe an den Factor, welcher dem
dunkeln Gefchic feiner Landsleute und Gefährten folgte
und in dem dunkeln Sciffsraum krochen nun bie
vier Niederroßlaer wie Krebje auf und nieder, beftän-
dig einander in den Weg kommend und einander
anftogend.
Durch die Fahrt in die Tiefe waren fie, big auf
Zeifig, welcher ven Geift aufzugeben vermeinte, ſo f
96.
ziemlid) wieder zu ſich gelommen und führten unter⸗
irdiſche Geſpräche.
„Wenn wir nur wenigſtens ein Licht hätten,“
ſprach der Attaché, „daß wir unſer Unglück etwas
beleuchten könnten, ſo tappt man in Egypten wie
zur Zeit der Finſterniß; ſeid Ihr das, Factor?“
Mit dieſen Worten hatte er ein Bein gefaßt und
wußte nicht, wen es zugehörte. Betterlein meldete
fih als Eigenthümer, indem er es zurüd und an
ſich zog.
„Heiliger Himmel,“ ſchrie plötzlich eine Stimme,
welche dem Factor angehörte, „mir lief ſo eben ein
Mühlrad über ven Leib. Ich bin ganz breit gedrückt.“
„Poſſen,“ tröjtete Lagemann, „wo fol ein Mühl-
rad herfommen? Dergleichen gibt's nicht auf Schiffen.” .
Süßmilch hatte fo ganz unrecht nidht, nur irrte
er fich in dem Gegenſtande, der ihm über den Bauch
gerollt war. Diefer beftand in einem Faſſe mit Spi-
ritus, welches bei jeder ftarfen Schwankung des Schiffe
von der einen Wand zur andern rollt. Es mar das
einzige Mobiliar in dem ftocfinjtern Raume.
Betterlein, des unnüten Herumkriechens auf Hän—
den und Füßen (ein aufrechtes Gehen war wegen ber
niedrigen Dede, an welcher man jeven Augenblid mit
dem Kopfe anjtieg und wegen bes unerhörten Schwan=
fen des Schiffs unmöglich) überbrüßig, hatte fih in
eine Ecke geflüchtet, wo er fi) an eine eiferne Klam—
mer anhielt und außftredte, um ein wenig Ruhe zu
genießen. Leider follte ihm dieſe nicht lange zu Theil
werben. Er fühlte ſich plöglid won einem feiner Un—
glüdsgefährten an den Haaren gezauft und auf höchſt
Ihmerzhafte Art an der Naſe gezwidt. Er that mit
dem Kopfe einen energiſchen Ruck rückwärts und
machte den Landsleuten Vorwürfe, daß man ſich
977 —E
in ſolchen Stunden der Gefahr dergleichen Scene \
erlaube,
„Ih war's nicht, * vertheidigte ſich ver Factor,
welcher vor allen Dingen trachtete, den vermeintlichen
Mühlftein aus dem Wege zu befommen, ver nun be-
- vet? zweimal an ihn angerollt und ihm fat vie
Seele aud dem Leibe gepreßt hatte.
„sh auc nicht,” feufzte Yeifig aus einer ent-
fernten Ede des Raums, wo er wie ein Häufchen
Unglück zufammengefauert ſaß.
| Betterlein, welcher troß dieſer Zufiherungen von
Neuem an den Haaren gezwidt wurde, richtete nun
ſeine mißbilligende Rede an Lagemann.
„Daß Ihr doch,“ ſchalt er, „Eure Schabernacken
nie laſſen könnt, Lagemann. Es iſt dies ein rechter
Schattenpunkt in Eurem Charakter.“
Der Attaché, welcher ſich nie ſo unſchuldig gefühlt
wie diesmal, betheuerte aus Leibeskräften, daß ihm
ein Schabernack nicht entfernt in den Sinn gekommen
ſei. Er habe mit eigner Noth zu kämpfen.
Vetterlein wußte jetzt nicht, was er denken ſollte.
Alle Welt verſicherte ihre Unſchuld und gleichwohl
zauſte es ihn hartnäckig in den Haaren, ſobald er
den Kopf ausſtreckte. Um ſich nun handgreiflich zu
überzeugen, daß es Niemand anders als der boshafte
Magdeburger ſein könne, griff er bei abermaligem
Zauſen raſch über ſich, um die Hand des Miſſethäters
zu erhaſchen und ihn in flagranti zu ertappen. Aber
mit Entfeßen fuhr er zurüd, als er eine lebendige
Ratte padte, die ihn noch dazu in ben Finger biß.
Der Duartus erhob ein Zetermordio ob biefer Ent-
dedung und traf fofort Anftalt, die Schiffswand zu
verlaffen und wieder nach der Mitte zu fteuern.
In demfelben Augenblide fühkte —* Fa Zeifig
Stolle, ſämmtl. Schriften XVII,
98
angefreffen und zwar an dem Theile feines Körpers,
ter beim Nieverfauern faft den Fußboden berührte.
Er feste fi ebenfalls fo fchleunig wie möglid in
Dewegung und froh der Mitte zu, wo er mit Vet—
terlein, feinem Rattenleivensgefährten, fopflings zu-
fammenftieß. Die beiden tauſchten eben ihre bittern
Erfahrungen aus, als auch Lagemann hinreichende
Beranlaffung fand, in ein Zetermordio auszubrechen.
Das Rad des Schickſals, die Spiritustonne, welche
bin und wieder follernd, fchon den Factor fo übel
mitgejpielt, hatte auch ihn erreicht und war ihm Direct
über die Hinterfüße gegangen.
Es kann wohl faum eine troftlofere Lage gedacht
werden, als diejenige war, in welcher fich die vier
unglüdlichen Niederroßlaer befanden. Keinen Augen
blit fiher, wie neuwafchnes Linnenzeug von dem ge=
füllten Spiritusfaffe gerollt und lebendigen Leibes von
den Ratten angefreflen zu werden, glichen fie wirklich
ven Berdammten im unterften Höllenpfuhl.
Indeß kann ver Menſch Unglaublicyes ertragen,
bevor er total verzweifelt und aus der Haut führt.
Die Niederroßlaer Tieferten den Beweis. Cie ftreng-
ten ihre gefammten Geiftesfräfte an, um fi aus ber
unerträglichen Lage zu befreien.
Lagemann that ven Vorſchlag, fid) wieder zu con=
zentriven, zu umfchlingen und als Vereinsförper dem
Ungemad die Stirn zu bieten.
„Es tft Dies das Befte, mas wir thun können,”
ſprach er, „wir fchlagen dann mit vereinten Kräften
die Angriffe der Ratten ab und legen uns als Vor—
gebirge dem umherrollenden Gegenftande, der nad)
meinem Dafürhalten fein Mühlftein, ſondern eine ge-
füllte Tonne ift, in den Weg.”
„Wäre ed nicht gerathener,‘ gab der Factor zu
99
bevenfen, „wir juchten wieder die Oberwelt zu ge=
winnen? Ich will Lieber im Maſtkorbe fchaufeln, auf
die Gefahr Hin, in's Meer zu fallen, als in dieſer
Morphöhle länger verweilen.”
„Es ift dies auch meine Meinung,‘ verfetste ber
Duartus; „die Ratten fcheinen von beifpiellofem Ap-
petite, und unfereind hat, was ben Leib anbelangt,
nicht viel zuzuſetzen.“
Auch der Actuar pflüfterte bei.
Der praftifche Lagemann erwiederte: „Ihr ſprecht,
wie Ihr es verſteht. Unferm Kalle nad zu fchließen,
müffen wir ein halbdutzend Ellen in die Tiefe gefahren
fein. Die Fallthür ift zugeichlagen, feine Stiege
führt nad) der Oberwelt; zudem herrſcht hier eine Fin—
fterniß, daß man die Hand vor den Augen nicht fieht.
An ein Entkommen ift unter ſolchen Umftänvden nicht
zu gedenken. Alſo vereinigen wir uns; Bruſt an
Bruſt trägt fi das Mißgeſchick Leichter.“ J
Die Rede Lagemann's fand Anklang und man be—
ſchloß, ſeinen Vorſchlag in Ausführung zu bringen.
Dies war aber nicht ſo leicht. Von allen Seiten
kroch man zwar gegen einander, aber die heftigen
Schwankungen des Schiffe, jo wie die rückſichtslos
auf- und niederrollende Tonne erjchwerten eine Ber-
einigung. Jeder griff in der Dunkelheit um fi), um
wo möglich einen Landsmann zu erhaſchen. Endlich
thaten die weitaußgreifenden Arme des Factors einen
Fang. Es war der Actuar. Sogleich annoncirte
Süßmilch das glückliche Ereigniß mit den Worten:
„Wir haben uns.“
Ber?” frug Lagemann in die Nacht.
„Ich und Zeiſig,“ war die Antwort.
„Haltet feſt an einander,“ rieth der Attaché und
ſteuerte dem Orte zu, von woher der Ruf erflungen
1
100
war. Nach ziemlich langen Umhertappen . gelang es
ihm, die Bereinigung zu bewerfftelligen.
„Seid umſchlungen, theure Landsleute,“ ſprach
er, „jetzt ſoll uns nichts mehr trennen. Schlagt die
Arme um einander brüderlich.“
Jetzt fehlte nur noch Betterlein. Dieſer irrte als
detachirtes Corps einſam in dem weiten Raume um—
her und jammerte über alle Maßen, daß er der Ge—
fährten nicht habhaft werden konnte.
„Quartus, wo ſteckt Ihr?” frug Lagemann.
„Hier,“ tönte es kläglich aus entfernter Ecke.
„Kriecht dem Schalle nach.“
Vetterlein befolgte dieſen Rath. So kam endlich
die Quadrupelallianz zu Stande. |
„wenn jest die Tonne kommt,“ ſprach der um—
fichtige Attahe, „fo wollen wir uns bemühen, ber=
jelben babhaft zu werden. Wir nehmen das Beeſt
alsdann in die Mitte und verhindern das Auf- und
Niederrollen.“ |
Diefen lettern Borfchlag Lagemann's auszuführen
war nut vielen Schwierigkeiten verbunden. Die Tonne
fam angeprallt, aber eh’ man ihrer habhaft werben
konnte, war fie ſchon wieder zurüdgerollt. Ihr An-
lauf erjchütterte aber jevesmal das Duarre gewaltig
und ließ höchſt unangenehme Empfindungen zurüd.
Es bedurfte geraume Zeit, bevor man das wider—
ſpenſtige Locomotiv zwifhen Süßmilch's und Zeiſig's
Leichnam dermaßen placirt hatte, daß ein Weiterrollen
verhindert wurde. Neben den zwei Genannten waren
Vetterlein und Lagemann gelagert.
Der Factor fand ſich nach einiger Zeit Mr der
Bemerkung veranlaft, daß ſich's Feineswegs bequem
liege. Auch Zeifig pflichtete feufzend bei. Der At«
r\ tache tröftete. In Betracht der umherrollenden Tonne
101
liege man wie im Himmel. Süßmilch konnte dieſem
Ausfpruche nicht beipflichten.
„Für bie Länge, “ſprach er, „halt ich's nicht
aus, Was meinen Sie, Actuar?”
„Bei mir dürfte derfelbe Val eintreten,” gab
dieſer zurüd, Ä
„Bir wechſeln fpäter,” verhieß Lagemann.
„Das ift höchſt wünſchenswerth und zwar je eher
je lieber,“ meinte der Yactor, „mein Arm, dev zu-
nächſt liegt, ift bereit mürbe.“ Ä
Die Ratten, welche bei dem Bereinigungswerfe
der Niederroglaer ſich etwas zurüdgezogen hatten,
fehrten wieder, al8 man ruhiger lag. Auf den um-
glüdlihen Quartus, an deſſen Perrüde fie abſonder—
lichen Geſchmack gefunden, geſchah wieder ver erfte
Angriff. Vetterlein ſchrie wie ein Geſpießter un,
hieb mit Todesveradhtung um fih. -
Dieſe energifchen Ausfälle ftörten indeß Die gefrä-
ßigen Beſtien diesmal weniger. Sie überfletterten
ben Kleinen Körper Betterlein’®, welcher mit auferor-
dentlicher Vehemenz nad) allen Seiten ausfchlug, fo
dag er dem Factor fehr befchwerlih fiel, ver auch
nicht ermangelte, feine höchſte Mißbilligung ob folcher
Strapazen auszufprechen. Betterlein befand ſich in-
deß keineswegs in der Lage, auf Süßmilch's Mip-
ſtimmung Rüdficht zu nehmen. Der Zweck, die Rat—
ten abzufchütteln, ging ihm. über Alles, Wirklich
gelang ihm dies aud durch gewaltiame Anftrengung;
aber vie Folge davon war, daß die langgeſchwänzte
Ratte über den Factor herfiel.
Süßmilch, von zwei Seiten angegriffen, der Spi-
vitustonne und ben Ratten, geriet in aufßerorbent-
liche Extaſe. Er wälzte in ver erften Verzweiflung
das Spiritusfaß geradezu Zeifig auf den Peib. Die:
402
jer glaubte nicht anders, als ein Welttheil läge auf.
ihm; er nahm feine legten Kräfte zufammen und
beförberte vermöge eined ausdrucksvollen Katzenbuckels,
er lag nämlich auf dem Bauch, die nicht eben be—
neidenswerthe Weltkugel auf Lagemann, über welchen
ſie hinweg wieder in's Freie rollte, um ihr voriges
läſtiges Spiel von Neuem zu beginnen.
So war es einem halben Dutzend Ratten gelun-
gen, das Niederroßlaer Ouarre total zu fprengen; denn
ein „Leder war jett auf die Vertheidigung feiner eige-
nen Perſon bedacht. Es entitand nım em entjeßli-
her Fauſtkampf, der zwar zunächſt gegen die Schiffs-
ratten berechnet war, aber mandyer ver zahllofen
Püffe traf auch Unſchuldige.
Das Mißgeſchick vol zu machen, begann num die
Tonne wieder ihr hölliſches Weſen und bohrte bald
biefen bald jenen ber bemitleidenswerthen Niederroß-
Lxer in den Grund.
An ein feſtes Zufanımenhalten ver Unglüdsgefähr-
ten war nicht mehr zu denken. Lagemann, welcher
fi) bei der Bereinigung noch am Beſten befunden
hatte, brachte die Centralifationsfrage wieder in An—
vegung, fand aber feinen Anklang. Die Ueberrum—
pelung der Tonne, wie verteufelt unbequem fie war,
fürchtete man weniger als den Angriff der unheimli—
dien gefhwänzten Säfte, welde mit unermüplicher
Deharrlichfeit ihren Hunger zu ftilen fuchten.
Es war, wie bereits erwähnt, ftodfinfter in dem
Schiffsraume, worin die Nieverroßlaer eingefperrt
waren. Demzufolge ereignete fich die grauliche Er—
Iheinung, daß die Augen der Ratten wie Heine Lich-
ter leuchteten. Lagemann, nachdem er dieſe Bemer—
fung gemacht, trat mit feinen großen Ctiefeln wie
103
befefjen nad den Feuerfunken und gab den Anvern
den guten Rath, feinem Beiſpiele zu folgen.
Jetzt glich der. Schiffsraum einer Del- und Walk—
mühle. Jeder ſprang vell Eifer nad) den lichten
Punkten, um fie auszupugen. Oft verlor man darü—
ber das Gleihgewiht und fiel die Länge lang auf
den Boden. Zuweilen unterbrach auch bie rollende
Tonne die Springübungen, indem fie diefen oder jenen
die Beine unter dem Leibe hinweg nahm.
Die vier Niederroflaer Erbfahrer vollführten einen
wahrhaften bethlehemitifchen Kindermord unter der
egyptifchen Landplage; alle Mittel waren erlaubt ge=
gen die gefräßige Thierart. Der fonft fo fanfte Zeifig
arbeitete mit einer Wuth an dem Bernichtungswerfe,
die man feinem chrijtlichen Gemüthe gar nicht zuge—
traut hätte. Der Factor als Rattenvertilger war fein
Menſch mehr, er gerirte fih als Wolf in einer Läm—
merheerde. Betterlein knipſte mit einem colofjalen
Appartementſchlüſſel, den er ftetS bei fich trug, wie
die Schulknaben nach Pfirfichlernen, nach den illumi—
nirten Rattenföpfen, während Lagemann wie ein Win-
zer in der Weinkufe mit feinen Dragonerftiefeln auf
und nieder trat. Aud Die Tonne trug durch ihre
unermüdliche Beweglichkeit zum Untergange der Rat:
ten bei.
Solchen vereinten Bemühungen fonnte der Sieg
niht ausbleiben. Die gefhwänzten Gäfte wurden
nad) einer radicalen Niederlage total in die Flucht
geihlagen, jo daß die Niederroflaer endlich Luft be=
fomen und ihre Aufmerkſamkeit wieder der Tonne zu=
wenden fonnten.
Lagemann war hier wieder derjenige, ber durch
feinen weifen Rath bedeutenden Einfluß auf feine
Gefährten gewann. Er flug vor, des Faſſes fi
10%
zu bemädhtigen und nachzuſehen, welde Flüſſigkeit dar-
innen aufbewahrt fei. Fände fi etwas Geniekba-
red vor, jo wolle man fich recht fatt trinken und den
Ueberreft auslaufen laſſen. Es Tiege fih ja an ben
Fingern abzählen, daß eine leere Tonne weit leichter
zu bewältigen fei, als eine gefüllte. Was vie Sünb-
fluth anlange, vie entftehen könne, jo würde fih in
dem weiten Raume ſchon irgend eine Deffnung vor-
finden, wo die Näffe ablaufen könne, aud würden
ba die vielen Rattenleihname hinweggeſpült. Dieſe
Rede fand allgemeinen Beifall. Man bemunderte das
Genie und Denkvermögen des Attaché's; ſelbſt der
gereifte und welterfahrene Betterlein bekam Refpect
vor der geiftigen Größe des Magveburgers, benn auf
alle dieſe Vorſchläge wäre er in feiner Weisheit nicht
gelommeen.
Man ftellte fefort wieder Jagd auf die Tonne
on. Da man fie nicht fah, fo mußte man ihrem
. Donnergepolter nachtappen. Bei diefen nächtlichen An—
griffen ward Lagemann einmal, der Factor dreimal,
Betterlein fünfmal und der unglüdlicye Zeifig neun-
mal von dem follernden Ungeheuer über ven Haufen
gerannt.
Berheerend wie eine Lawine rollte das Spiritus-
faß durch den dunkeln Raum, rülkſichtslos Alles nie=
derreißend, was fi in den Weg ftelltee Endlich
wollte e8 der Zufall, daß fie in ihrem Laufe durch
die Körper des Actuars und Betterlein’d, welche über
einander am Boden lagen, gehemmt wurbe. Lage—
mann fchloß fogleih aus der PBaufe, die nad dem
Donnergepolter eingetreten war, daß jet ein günſti—
ger Moment fei, des ungeberbigen Yeindes habhaft
zu werden. Betterlein’8 Signalruf fam ihm hierbei
zu ftatten.
105
„Hier liegt fie,” rief der Quartus.
„Wo denn, wo?” frug Lagemanı.
Der am Boden Liegende erhöhte feine Stimme
und wieberholte: „Hier, hier!“
Setzt vermochte fi) der Magdeburger einigermaßen
‚zu orientiven. Er tappte über todte Ratten nad) ber
Gegend hin, wo Betterlein feine Stimme erhob.
„Endlich hab’ ich fie,” rief der Attahe trium-
phirend und war fogleid jo vorfihtig, die Tonne auf
den Boden zu ftellen, jo daß fie vom nun an weni—
ger Luſt zum Davonlaufen befam.
Der unermüblihe Lagemann vifitirte jet nad)
dem Spundlode. Das war aber mit folder Accu—
rateffe verwahrt, daß ohne die nöthigen Inftrumente
ein Eindringen nicht möglich war.
„Bir werben müffen den Boden einfchlagen,“
meinte der Attahe; „aber womit? das ift die Frage.”
Betterlein mußte den Appartementsichlüffel hergeben,
mit welchem er die Ratten vor den Kopf geworfen.
Lagemann bediente ſich mit ſolchem Eifer dieſes we—
nig brauchbaren Inſtruments, bis zu Aller Leidweſen
der Bart abbrach.
„Nun ſind wir nicht beſſer daran als zuvor,“
meinte er. „Wer wagt es, hinaufzuklettern, um viel⸗
leicht mit den Füßen den Boden zu zertrümmern?
Nach meinem Dafürhalten könnte das der Quartus
vermöge ſeiner kleinen Statur am Beſten bewerkſtelli⸗
gen. Wir andern Alle würden zu heftig mit dem
Kopfe anſtoßen.“
Die Niederroßlaer, mit Ausnahme Vetterlein's,
waren ſämmtlich der Anſicht Lagemann's. Der Quar—⸗
tus proteſtirte heftig gegen den Vorſchlag.
„Wir halten Euch,“ beruhigte der Attaché.
„Aber wenn ich durchfahre, kann ich einen Knacks
406
davon tragen zeitlebens,” gab Betterlein zu bedenken.
„sn der Tonne kann auch Del ſtecken.“
„Es riecht nah Spiritus,” betheuerte Lagemann.
„Gleichviel, ih danke.” |
„Aber ich begreife nicht,“ meinte der. Sactor, im
Finſtern mit dem Kopfe ſchüttelnd, „wie Ihr Euch
einer jo gemeinnütigen Unternehmung entziehen könnt.
Hätte mid die Natur nicht fo geftredt erjchaffen,
würde ich feinen Augenblid Bedenken tragen, dem
Gemeinwohl dieſes Opfer zu bringen.”
Auch dieſe factorlihe Ermahnung wollte feine
Früchte bringen und Betterlein fi zu dem Empor—
Klettern auf die Tonne nicht verftehen.
Diefe höchſt unfruchtbaren Verhandlungen wurden
plöglid auf ſehr unfanfte Weife unterbrochen. Eine
heftige Schwantung des Schiffs, wo dieſes mit Blitzes⸗
jchnelle von einem Wogenberge in den Meeresabgrund
gefchleudert wurde, warf alle vier Delibrirenden im
Augenblide mit ſammt der Tonne über den Haufen.
Sie hatten fih kaum von ihrem Schred etwas
erholt, als ein neues Ereigniß ihre Aufmerkjamteit
in Anfpruh nahm Die Yallthüre, durd welche fie
jünmtli von den rohen Matrofen herabgeworfen
worden waren, that fih auf und es erfolgte ein neuer
dumpfer Fall.
Lagemann war jehr begierig, wer wohl der neue
Scidfalsgefährte fein möge, und ob man von ihm
nicht Nachricht erhalten könne, wie e8 auf ber Ober
welt hergehe. Er kroch fofort nad) der Richtung hin,
wo jeiner Berechnung nad der Herabgeworfene liegen
mußte, welcher ſich indeß nicht rührte und feinen Laut
von fid) gab.
„Der hat unfehlbar feinen Tod gefunden,” dachte
der Attahe, „es iſt auch fein Wunder, bier ben
N \
107
Hals nicht zu brechen, und id) begreife nicht, wie wir
vier fo glüdlich davon gekommen find.“
AS. der Magdeburger jo weit auf Händen und
Füßen vorwärts gebrungen war, daß er glaubte, dem
neuen Ankömmling ziemlich nahe zu fein, rief er:
„Heda, guter Freund, wer ſeid Ihr und wie ſteht's
oben auf dem Schiffe?“
Ein tiefes Seufzen war bie einzige Antwort.
„Ihr habt Euch gewiß Schaden gethan beim Her-
abfallen?“ erkundigte ſich der Attahe und ftellte fich
ſehr theilnehmend.
„Ich bin der unglückliche Hanno,” tönte es zus
rück, „den man auf barbariſche Weiſe aus ſeinem
Bett geriſſen und in dieſe Mordhöhle geworfen hat.“
Dem Magdeburger war dies Zuſammentreffen gar
nicht unlieb. Es war das erſte Mal, daß ihm wie—
der Gelegenheit ward, ſich mit dem Heldenſpieler zu
unterhalten. Ex beſchloß fogleih', den günſtigen Mo-
“ment zu benuten und in Hanno zu bringen, daß er
ihn: das Geheimniß wegen des Betrugs entvede, wel-
ches dem Attache die ganze Yeit über wie eine Cent-
nerlaft auf der Bruſt gelegen. Der SHelvenfpieler,
nachdem er Lagemann an ber Sprache erlannt, war
aber keineswegs aufgelegt, Beichte zu fißen oder viel-
mehr zu liegen.
„En andermal, Lagemann,“ erwiederte er mit
matter Stimme, „wenn ich vollkommen bergeftellt bin,
‚ jet wird mir das Neben zu fauer.“
„Barum wollt Ihr aber das Geheimniß auf die
lange Bank fchieben,” fuhr der Attache dringend fort;
„ſo Ihr auf Eure Wieverherftellung wartet, erfahr'
ich's im Leben nicht, denn daß Ihr nicht wieder auf:
fommt und Daraufgeht, iſt ausgemacht.”
M
108
„Der Arzt hat große Hoffnung, hielt Hanno da—⸗
gegen, „auch ift mir feit einigen Tagen beſſer.“
„Einbildung,“ erwiederte der Attaché, „‚voreilige
Phantaſiegebilde. Ich gebe auf Eure Wiederherſtel⸗
lung keinen Heller. Alſo beichtet; erleichtert Herz
und Gewiſſen durch aufrichtiges Bekenntniß, es iſt um
Lebens und Sterbenswillen. Um wie viel habt Ihr
mich denn eigentlich beſtohlen oder betrogen, und wie
war das bei meiner Wachſamkeit möglich? Was habt
Ihr mit dem unrechten Gute angefangen? Habt Ihr's
ſchon verthan oder vergraben? Schenkt mir reinen
Wein ein, Hanno, bedenkt die Sterbeftunde, die Euch
näher fteht, als ihr meint.‘
Um feiner Rede mehr Eindrud zu verfchaffen,
war Lagemann dem am Boden liegenden Helvenjpie-
ler ganz nahe gekrochen, fo daß er zu feinem Miß-
gefhik gerade unter vie Fallthür gerathen mar.
Plöglih that fih diefe von Neuem auf, ein neues
Schlachtopfer flog herab und kam höchſt ſeltſamerweiſe
auf den Attahe zu fißen.
Diefem konnte, während er dem verftedten Hanno
in's Gewiſſen redete, gar nichts Fataleres paſſiren,
als dieſer unerwartete Ritt. Er ſchüttelte und bäumte
ſich, aber der Reiter ſaß ſattelfeſt.
Hanno, welcher das Geräuſch des Herabfahrens
vernommen und welchem Lagemann's Anftgengungen,
bes ungebetenen Ritter ledig zu werben, nicht ent=
gingen, erfundigte fid) nad) dem neuen Ankömmling.
„Der Teufel mag willen, was das für ein Kerl
iſt,“ erwiederte der berittene Attache, der ob feines
Obermanns immer aufgebradhter wurde und bie außer-
ordentlichſten Anftrengungen traf, den beharrlichen
Reiter abzufatteln.
Der Ritter ſchien ſich übrigens auf feinem Plate
109
dermaßen zu gefallen, daß er Gegenanitalten traf, das
widerfpenftige Roß zur Ruhe zu bringen. Er fuhr
Lagemann mit ein paar Niefenfäuften nad der Kehle
und brüdte fo vehement, daß der Berittene ſchier
vermeinte, aus der Haut zu fahren. Wenn ihn nicht
Alles trog, fo hatte er mit dieſem SKehlgriffe bereits
in der türkiſchen Kajüte Bekanntſchaft gemacht. Er
argwohnte ſogleich nicht ohne Fieberſchauer, daß Tohu
oder Bohu als Alp auf ihm'fite, und er täuſchte ſich
nicht. Es war Bohu, welder auf Befehl ſeines
Herrn den Matrofen hatte follen zur Hand gehen,
aber venfelben nur im Wege gewefen und von ihnen
als unbraudhbare Möbel entfernt und in den untern
Schifferaum zu den Nieverroßlgern geworfen wor—
‚ben war.
Etwas afrilanifches Gemurmel fette e8 dem angit-
Ihwigenden Attaché vollends außer Zweifel, und er
machte jett ald Roß keine Sprünge und Paraden
mehr, jondern war lammfromm geworben, in ber
Hoffnung, der Schwarze werde enbli von ſelbſt
abſteigen.
Dies geſchah auch nach einiger Zeit, Bohu ver:
ließ Lagemann und kroch weiter vorwärts, wo er
alsbald mit den übrigen Niederroßlaern Belanntfchaft
machte, was zu eigenthümlichen Scenen Beranlaf-
jung gab.
Suerft ftieß der Afrikaner auf den Factor, wel⸗
cher ihn für Lagemann hielt und ſich nach dem Hel—
denſpieler erkundigte, von deſſen Ankunft er Kenntniß
erhalten hatte. Bohu gab keine Antwort; da ihm
aber das Umherkriechen auf dem Boden zu unbequem
war, ſo beſchloß er wieder den Ritt zu verſuchen und
beftieg den Factor.
Süßmilch, ven Schwarzen noch immer für Lage—
410
mann haltend, drückte unverholen feine Mißbilligung
über ſolches Verfahren aus,
„Welche Unbilligkeit,“ ſprach er, „Lagemann, ich
bin doch nicht Euer Pferd, fteigt ab; der Aufenthalt
hierjelbft ft an fi) nicht angenehm, und dieſe Laft!
Mein Gott, wie ſchwer ſeid Ihr, ich hätt! Euch gar
nicht für fo gewichtig gehalten. So fteigt doch ab!
Es ift jegt feine Zeit zum Scherz. Ich bitte, La—
gemann.“
Der vermeintlihe Lagemann Tieß ſich durch Des
Factors Abmahnung nicht irre und abwendig machen,
jo daß enbli dem fanften Süßmilch bie Geduld aus—
ging und er ebenfalls zu courbetiven begann Dies
würde ihn: indeß wenig Nuten gebraht haben, wenn
ihm diesmal nicht die Tonne zu Hülfe gelommen
wäre. Sie machte einen energijhen Angriff gegen
den Factor, warf ihn um, fo daß Bohu das Gleich—
gewicht verlor und von dem Rüden Süßmildh’8 herabfiel.
Plöglih vernahm man die nah Hülfe rufende
Stimme Zeiſig's. Das Unglück war jett über den
Actuar hereingebrohen und er dem umhergreifenden
Mohren in die Zange gerathen. Sein richtiger In-
ftinft fagte ihm glei, daß ſolche barbarifche Griffe
unmöglich von europäiſchen Fäuften herrühren könnten.
Bohu ſchlug mit feinen Klauen wie mit Enterhafen
in Zeiſig's Schultern. Letzterer witterte die unheim=
liche Nähe und ſchrie entſetzlich.
Lagemann ſchloß aus dieſem Geſchrei ſehr folge—
richtig, daß der Afrikaner ſeinen diplomatiſchen Chef
erwiſcht habe.
„Mag er ſehen, wie er loskommt,“ dachte er bei
ſich, „ich menge mich nicht darein.“ Er verſuchte
hierauf wieder mit Hanno in Converſation zu treten,
Aal
wozu aber dieſer nicht die geringfte Luft verjpürte,
da er fid zu ſchwach und abgefpannt fühlte, |
Süßmilch, welder aus Zeiſi'gs Hülferuf vermu-
thete, Daß der jchabenfrohe Lagemann ihn ebenfalls
beftiegen habe, ſprach ernſtlich dem Attahe in's Ge—
wiſſen. Vetterlein waͤr derjenige, welcher dem Schreier
zu Hülfe kroch, um zu fühlen (zu ſehen war nichts),
was es gebe. Ihm ward aber ein übler Lohn für
feine Dienſtgefälligket. Der Mohr packte ven Heran-
friehenven anı Rodfragen und zog ihn mit ungeftü-
mer Zärtlichkeit an ſich.
Jetzt ward auch der Quartus mit Graufen inne,
daß noch ein andres nicht aus Niederroßla abitam-
mendes Weſen im finftern Raume ſich einherbewege.
Wäre er nicht ein ſo aufgeklärter Mann geweſen, ſo
würde er unfehlbar an den Teufel in Perſon geglaubt
haben, denn die Fauſt, die ihn am Rockkragen ge—
faßt hatte, ſchien ihn mit Klauen begabt. Er ſchüt—
telte alfo aus Leibeskräften, um loszulommen, aber
dem Schwarzen mochte es Spaß machen, mit ben
Niederroßlaern fein Spiel zu treiben. Er prefte den
Quartus mit Innigfeit an fi) wie einen Sohn und
Inusperte ihn mit, feinen diden aufgeworfenen Lippen
nah afrifanifcher Zärtlicyfeitsfitte über das ganze
eſicht.
Vetterlein ſchrie entſetzlich. Er glaubte, der un—
ſichtbare Unhold, in welchem er jetzt gleichfalls den
Afrikaner ahnte, wolle ihn anfreſſen.
Ob dieſes außerordentlichen Zetermordio's ward
Bohu ungeduldig. Er ſtellte fein Knuspern ein, nach⸗
dem er dem Quartus nochmals kräftig in die Naſe
geblafen‘, welches für Vetterlein eine ſehr unangenehme
Empfindung hervorbrachte, und warf ihn unwillig von
ſich. Das war dem Quartus recht lieb. Er betaſtete
12
fh am ganzen Körper und nachdem er noch Alles
‚beifammen fand, war er zufrieven, mit blauem Auge
davon gekommen zu jein. J
Zeiſig, da er vermöge ‚einer belegten Stimme
weniger fehrie ald der Quartuß, batte noch geraume
Zeit mit den Zärtlichfeiten Bohu's zu kämpfen. Er
war in feinem Leben nicht jo geherzt worden wie
jet. auf dem atlantifhen Ocean im finftern Schiife-
raume.
Bon den fünf Niederroflaern hatte jet jeder
feine Noth. Hanno war nody halb krank, der Attache
mühte fich vergebens, den Helvdenfpieler zum Geftänpniß
zu bringen. Süßmilch kämpfte raſtlos mit der Tonne,
die. er durchaus zum Steben zu bringen verjuchte.
Betterlein froh ruhlos umher, fortwährend in Furcht,
feinem afrifanifchen Liebhaber in vie Arme zu gera-
then; und Zeifig wußte fih vor den fonderbaren Yieb-
fojungen Bohu's nicht zu retten. Der Schwarze hatte
ben Actuar, nicht ohne Wivderftreben von Seiten des
Lettern, auf den Rüden gelegt und frabbelte ihn
mit einer eigenthümlichen Geſchicklichkeit am ganzen
Leibe von oben bis unten. In jeder andern Lage
würde Zeifig gegen diefe Operation nichts eingewenbet
haben, denn fie that ihm wohl, aber immer jchwebte
er in der Angft, das feltfame Manöver fünne leicht
mit einen Öurgeleinvrüden endigen. Sein Herz pochte
daher jedesmal lauter, wenn die Hände Bohu's fid)
dem Halſe näherten.
Diefe mannichfache Trübfal der Niederroßlaer Lei=
densgefährten follte indeß plößli durch eine neue
allgemeine Noth verdrängt werben, gegen welche alle
zeither überftandenen Mühfeligfeiten und Drangjale
in gar feine Betrachtung kommen fonnten.
Es war nämlich Zeifig, welcher, auf dem Nüden
413
ausgeftredt Tiegend und von Bohu ſich frottiren Taf-
ſend, zuerjt die Bemerkung machte, daß es ihm jchiene,
als werde der Fußboden etwas feudht. Hanno, der
gleichfalls ausgeftredt lag, fand fi) alsbald zu der—
jelben Bemerkung veranlaft. Lagemann, der jet um:
herfriehend die Sache ernftlicher unterfuchte, meinte,
es müſſe hereinregnen.
Bald war die Aufmerkſamkeit ſämmtlicher Erb⸗
ſchafter auf dieſe neue und unerwartete Erſcheinung
gerichtet. Zeiſig, der es mit dem Rücken in der Näſſe
nicht länger auszuhalten vermochte, hatte ſich frei—
willig den Liebkoſungen Bohu's entzogen und nahm
ſeine frühere Stellung als Vierfüßler ein.
Unterdeſſen wuchs das Waſſer auffällig in dem
Schiffsraume und mit ihm die Angſt der eingefperr-
ten Niederroßlaer. Lagemann's Hypotheſe wegen des
Hereinregnend fand gar feinen Anklang; der Attache
glaubte jelbit nicht daran. Es war nur zu gewiß,
daß das Schiff bei dem fortwährennen Hin- und
Herwerfen einen Led befommen. Der wachſende Tu-
mult in den obern Räumen verkündete gleichfalls nichts
Gutes,
Wirklich befand ſich das Schiff aud in beveuten-
ver Gefahr. Noch immer war Meer und Himmel in
undurchdringliche Nacht gehüllt, nur momentan von den
Bligen flammend gefpalten. Die Wellen tobten mit
unermüdlicher Wuth gegen das Gebäu von Menfchen-
hand, welches kaum zu wiberftehen vermochte.
Gleich den eifrigften Matroſen arbeiteten Victor
und Oamaliel an den Pumpen, denn bereit8 hatte
das Schiff mehrere Lecks erhalten. Die zwei jungen
Männer wurden plöglih nad ber Kajüte des Capi-
tains berufen und ihre Plätze durch ein paar Boots—
leute erſetzt. Als fie zu Sir John in’s Gemad tra=
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVII. i
ik
ten, jegte dieſer ſo eben feinen Fräftigen Namenszug
unter eine Schrift, welche er aufgefett hatte. Man
merkte dem alten Seehelven den furchtbaren Inhalt
dieſes Schreibens im Geringften nicht an. Er hatte
eine Said Champagner entlorkt und die Gläfer gefüllt.
„Einen Schlud zur Stärkung,” fprad er, die
ſchäumenden Gläfer präfentivend. „Die Gefahr ift
darnach. Wenn der Himmel nicht Zeichen und Wun-
ver thut, halten wir uns feine Stunde mehr. Ich
habe daher das Schickſal des Habichts kurz zu Pa-
pier gebracht und bitte um größrer Glaubhaftigkeit
halber um Eure beiberfeitige Unterſchrift. Das Do:
cument wird in einer Iuftleeren, hermetiſch verfchloffe-
nen Flaſche aufbewahrt. Es ſoll der Bote unfers
Untergangs an die Ueberlebenven fein.” ,
Samaliel wie Victor war nit wohl zu Muthe
bei diefen Worten des Capitains. In blühender Ju—
gend und Geſundheit lag das Leben nod fo rofig
und Iodend vor ihnen, Dazu der Gedanke an bie in
der Heimath zurücgelaffenen Lieben. Gleichwohl fiegte
in beiden Jünglingen der moraliihe Muth und fie
unterzeichneten mit ziemlich fichrer Hand ihre Namen.
Als man die Kajüte verlaffen hatte, ſchien das
Unwetter feinen höchſten Grab erreicht zu haben. Zau-
und Segelwerf waren zerriffen und man war genöthigt,
die Maften zu kappen. Mehrere der Bootsleute hat-
ten, das Fruchtloje ihrer Anftrengungen einjehend,
fih auf die Knie geworfen und erhoben im frampf-
haften Gebet die Arme zum Himmel, wurben aber
fogleich wieder von dem wachſamen Capitain an ihre
Poften getrieben.
Bictor und Gamaliel arbeiteten mit dem Muthe
ver Berzweiflung, ven fteten Untergang vor Augen.
Aber mit der Zeit fhwanden auch ihre Kräfte.
445
Woge an MWoge donnerte gegen das Schiff. Eine
ſchien eiferfüchtig auf die andere, daß ihr die Beute
entgehen fünne. Wilder als je heulte der Sturm durd)
die Waſſerwüſte. Ununterbrochen rollte der Donner
und die Blitze flammten ohn' Unterlaf.
: Da im Augenblid der höchſten Gefahr, ale das
Waſſer in den Räumen troß ber übermenfchlichen
Anftrengung von Seiten der Matrofen immer höher
ftieg und das Schiff jeden Augenblid zu finfen drohte,
erjhien von Blitzen umleuchtet Die hohe Geftalt des
Abdullah, an feiner Hand die ſchöne Blume Hindo-
ftans geleitend. Raſch fehritten die Beiden nach dem
Borbertheil des Kauffahrers.
Wie das MWefen einer ſchönern Welt leuchtete von
bimmliihem Feuer verflärt die edle Frauengeſtalt am
äußerſten Ende des Schiffs. Weithin wehte ihr blen-
dend weißer Schleier in die Nacht. Ste hatte ihre
Arme erhoben, als wollte fie die tobenden Elemente
beſchwören. Sämmtlihde Matroſen ftürzten auf die
Kniee; fie glaubten an die Erfeheinung eines Geiftes
und hielten ihre legte Stunde für gekommen. Gama-
fiel und Bictor, welcher mit dent Erdenleben abge-
Ihloffen, für die Fahrt in's unbekannte Jenſeits fich
brüderlich umfchlungen hielten, fühlten ſich wunderbar
erhoben durch bieje überirdiſche Erfeheinung. - Sie er-
Ihien ihnen wie der frühlingsvolle Führer nad) dem
Lande jenfeitd der Gräber.
Da nahte fich ſchwarz und. verhängnißvoll eine
Rieſenwelle; weißer Schnee kräuſelte voran; ſie kam
näher und näher, ward größer und größer, jetzt
himmelhoch; ein herzzerreißender Schrei — und Schiff
und Mannſchaft verſanken in die Tiefe des Meeres. —
8 *
AM
416
Sechstes Kapitel.
Einſam rauſchte der Abendwind in den hohen Pal—
men ded Borgebirge® St. Anna auf der Weftküfte
von Afrika, wo unfern des Strandes, am Cingange
eines Gummiwaldes, , die Schiffbrüdhigen des Habichts
ihre dürftigen Hütten aufgefchlagen hatten.
Jene Niefenwelle, welche die Unglüdlichen in ih-
rem Schooße verbarg, hatte zugleich das Gute gehabt,
das Schiff zwiſchen Klippen zu werfen, wo es ſich
fo Lange zu halten vermochte, bis Matrofen und Paf-
jagiere die Nettungsboote beftiegn. in andrer
glüdliher Stern wollte e8, daß das Kontinent von
Afrika nicht entfernt war und den bis zum Tod er-
Ihöpften Mannfchaften, nach beifpiellofen Anftrengun-
gen, die Landung geftatteten. Nur zwei Menfchen-
leben waren Beute ded empörten Elements geworben,
ein Matrofe und ein Schiffsjunge, während fammt-
liche Niederroßlaer, felbft der noch halbfranfe Hanno,
fo wie Herr Abdullah nebft der fchönen Braminin
und Tohu und Bohu, glüdli das Land erreicht
hatten.
Es würde vorliegende Gefchichte zu weit ausjpin-
nen, wollte man das eben fo außerordentliche wie ge—
jährliche Abenteuer, das die Nieverroßlaer in Gejell-
ſchaft Bohu's bei dem eindringenden Wafler in ih—
vem höchſt incomfortaben Schiffsraume zu beftehen
hatten, ausführlicher bejchreiben. Nur fe viel ſei er-
wähnt, daß bei dem Wachſen der Flüffigfeit einer
auf den andern zu fleigen bemüht war, um dem Er—
trinfen zu entgehen; daß Lagemann, jeve KRüdficht
der Humanität verlegend, Alle8 in Grund und Bo-
447
den trat, um nur feine theure Perfon im Trodnen
zu erhalten; wie der Kleine Betterlein bie beflagens=
wertheite Rolle fpielte, der lange Factor aber ver-
möge feiner langen Figur von Schickſal am Meiften
begünftigt wurde. Bei alledem würden die guten tm
zweiten Schiffsraume befindlihen Niederroßlaer eines
elendiglichen Todes gejtorben fein, wenn nicht Victor
und Gamaliel als ihre Retter erichienen wären. Bon
den Matroſen gedachte Niemand der Eingejperrten,
jelbjt der Capitain fchien ihrer vergeffen zu haben,
als im höchſten Augenblide der Gefahr, wo das
Waller in den unteren Räumen immer höher ftieg,
Morand und Drollinger, wie von einem Gedanken
ergriffen, nad) dem zweiten Ded hineilten, bie Fall⸗
thüre öffneten und eine Leiter hinabließen.
Den Niederroßlaern ging das Waſſer bereits an
den Nabel, Vetterlein ragte nur als Büſte aus der
Fluth.
Kaum hatten die Schiffbrüchigen das Land be—
treten, als die Matroſen ſogleich Hand anlegten, eine
Anzahl Hütten aufzubauen, wozu der in der Nähe
gelegene Gummiwald hinlänglich Material bot. Zu
gleicher Zeit trat eine Art Kriegsrath zuſammen, um
über die Frage zu belibriren, was unter obwaltenden
Umftänden zu thun fe. Das berathende Collegium
beftand aus dem Sapitain, den Doctor Barring, dem
Hochbootsmann und einigen der älteften und erfah-
renften Matrofen. Aud) Abdullah und Victor wur-
ben dazu gezogen, während Gamaliel bejchäftigt war,
feinen Landsleuten Troſt zuzufprechen, die von allen:
moraliihen Muthe verlaflen, in der niedergefchlagen-
ften Stimmung in einiger Entfernung unter bem
Schatten einiger Maulbeerbäume fich gelagert hatten.
Selbft Lagemann jhien auf afrifanifhem Grund und
418
Boden gar nicht der Alte mehr. Er lag, von Gott
und Welt nichts willen wollend, lang ausgeftredt im
Sande und verwünfchte den Speculationsgeift, ver
ihn nad) fernen Rändern getrieben. Der Rathsactuar
mochte Tieber gar nichts denken, er machte die Bemer⸗
fung, daß er fid in einem foldhen unangeftrengten
Zuftande am Leiplichften befinde. Der Factor und
Betterlein, welche es in ihrer Philofophie noch nicht
bi8 zu diefem Zeiſig'ſchen nichtventenden Höhepunft
gebracht hatten und fid noch mit Scrupeln und Zwei—
teln aller Art über. Gegenwart und Zukunft plagten,
befanden fich deshalb auch weit miferabler. Die Zu—
funft gähnte wie ein ſchwarzes Todesthor vor ihnen
und ber Gedanfe daran entprefte ihnen mehr wie
einen Seufzer. Hanno's Lage konnte noch für Die
ryafjabelfte gelten. Bon ver Landluft fühlte er fid)
als Reconvalescent wunderbar geftärft, und wenn er
an das dachte, was er durch den Schiffbruch verlo-
ren, fo ließ fih dieſer Berluft ertragen. Hatte er
doch ſelbſt fein beveutenpftes Mobiliarvermögen, den
Carbonari, gerettet, welcher ihn jet als Schattendach
gegen den Sonnenbrand, jo wie als Schuß gegen bie
kalte Nachtluft trefflidh zu Statten fam. Die Duca⸗
tenwurſt trug er beftändig um ven Leib, desgleichen
die gerichtliche Vollmacht der verwittweten Glaſermeiſter
Kluge zu Erhebung der Kabul'ſchen Erbſchaft.
Die Blume Hindoftans, ſobald fie das Land be=
treten, war auf Abdullah's Winf tief verjchleiert nad
einem unfern gelegenen Palmenhain gebracht worden,
wo Tohu und Bohu ſogleich bemüht waren, eine Hütte
für fie zu erbauen.
Dafür war fein Mangel an buntfarbigem Geflü-
gl aller Art, deſſen eintöniges ſchrillendes Geſchrei
mit feinem glänzendem Farbenſchmuck in vollem Wi-
A
449
derſpruche fand. Ein noch weit unheimlicheres Ge:
fühl als dieſes Vögelgefchrei erregte aber namentlich)
bei den Nieverroßlaern das Geheul der zahlreichen
Schakals, die fi) des Nachts ziemlich fnahe heran:
wagten. Dieſes unheimliche Gefühl erreichte feinen
höchſten Grad und ging in gelindes Hanrfträuben
über, als fih im nahen Gebirg das Gebrüll eines
Löwen vernehmen’ lieh. .
Wenn die Nieverroßlaer, die alle zufammen eine
und dieſelbe Hütte bewohnten, während der Nacht
ſolche außergewöhnliche afrifanifhe Töne hörten und
entjegt mit den Köpfen zufammen fuhren, wie bie
Schafe beim Wetterleuchten, jo konnten fie nicht genug
ver lieben Heimath und des gebenebeiten Nieverroßla
gevenfen, wo Jahr aus Jahr ein nur Das fanfte Ge-
brüll einer frommen Kuh und das friedliche Geblök
eine? Hammeld oder das muntre Gebell eined wach—
famen Hofhundes und im Frühling herzerquidenver
Bogelgefang durch die Lüfte tönt.
„Dieſes Afrika,” behauptete Lagemann, welchen
fo eben ein Moskito auf die Nafe geftochen hatte,
ohne daß er deſſelben hätte habhaft werden können,
„muß der Herrgott wirklich in feinem Zorn erjchef-
fen haben.” _ '
„Es ift das unerträglichite Land, das mir je vor-
gefommen ift,“ vwerficherte der Factor, der gleichfalls
auf der Moskitojagd begriffen und von den Stichen
diefer beläftigenden Infectenart ganz wuthig geworben
war; „bei „und zu Haufe moleftiren höchſtens bie
Stechfliegen; aber ihre Stiche find wahrhaftes Zuder-
leden gegen dieſe afritanifche Wespen, die man zum
Ueberflug nicht einmal erhafchen kann, um feine Wuth
auszulaſſen.“
„Ich habe die kleinſte Oeffnung verſtopft,“ ſprach
420
der Attahe, „und begreife nicht, wie die Beſtien
hereingefommen find, e8 muß ein ganzer Schwarm
‚fein. Das ſummt wie m einem Bienenftode.‘
„Ih begreife nicht, meinte Süßmilch, „wie bie
Andern bei dieſem Gefurre fchlafen können. Ich bin
nit im Stande, ein Auge zuzuthun.‘
„Ich aud nicht,” verſetzte Lagemann; „aber fie
follen gleidy munter werben, ich fehe nicht ein, warum
wir Zwei allein wachen.“
Er begann mit diefen Worten dem Helvenfpieler,
dem Quartus und Zeifig fo determinirt auf ven Füßen
herumzutreten, daß der Eine fluchend, die Andern
ächzend aus dem Schlafe emporfuhren.
„Was giebt's?“ erkundigte fi) Hanno.
„Ein Löwe, ganz in der Nähe,“ log Lagemann,
und bewirkte dadurch, daß Vetterlein in der Ecke, wo
er lag, ſich wie eine Ringelraupe zuſammenrollte und
unter ſeinen Tüffel verkroch.
Hanno wollte des Magdeburgers Ausſage keinen
Glauben beiſtimmen, weil außerdem die ausgeſtellten
Wachen Lärm gemacht haben würden.
„Ich habe das Unthier deutlich mit ſeiner Rie—
ſennaſe an der Hüttenthür ſchnobern gehört,“ log der
Attache weiter; „vie Wachen haben unfehlbar geſchla—
fen oder find bereits zerriſſen.“
Außer Lagemann und dem Factor, weldjer des
Magdeburgers Worten am menigften Glauben bei—
maß, laufchte Alles mit verhaltenem Athen und
flopfendem Herzen. Aber man vernahm von dem
Löwen nichts; deftomehr von dem unerträglichen Ge—
fumme der Muskito's, welchen es vermöge ihrer Sta—
hel gelang, alsbald die Aufmerkſamkeit der Nieder:
roßlaer von dem Wüftenkönige ab= und ihrer bei wet-
tem Heinern Perſon zuzuwenden.
„in
124
Die Geplagten litten außerordentlich; Hanno wurbe
ganz raſend. Der Schmerz der Stihwunde ward durch
ben Ingrimm vermehrt, dag man des Stechers nie
habhaft werben konnte. Der Factor ohrfeigte fih in
Einem fort, in ber Hoffnung, eine folche geflügelte
Beitie auf dem Kopf zu treffen, aber er traf gewühn-
lid nur feinen Baden. Zeifig hatte den Kopf bis
tief in die Schultern eingezogen und fuchte die Mos—
fito’8 dadurch von fih abzuhalten, daß er fortwäh-
rend in die Luft blies, welches bei feiner eben nicht
burabeln Bruft feine Kleinigkeit war.
Am Meiften unter den Nieverroglaern hatte aber
der Quartus auszuftehen. Wie bereits erwähnt, war
biefer in den äußerſten Winfel der Hütte gefrochen
und hatte fi) unter feinen Züffel verborgen. Leider
aber wollte e8 das Mißgefchid, daß fid) einer Der ge—
flügelten Duälgeifter unter dem Kalmud gefangen
hatte, Nun hätte man allerdings glauben jollen,
Betterlein würde ſich des böfen Teindes haben be-
mächtigen können, aber der Fang wollte dem Quar—
tus fchlehterdings nicht gelingen. Bergebens fuhr er
mit der Hand zahllofe Mal nad) dem Gejurre, das
von feinem rechten Ohr. nicht hinwegzubringen war.
Die Sadhe kam dem Ouartus endlich jo rväthfel-
haft vor, daß er eine Zeit lang in der Meinung
ftand, es fünne gar fein Inſect fein, was da jurre,
jondern der Fehler müffe in feinen Gehörorgan lie—
gen. Er fürdtete fogar, fi im Gehirn etwas ges
Iprengt zu haben. Diefe Furcht trat indeß bei ven
fortwährenden Stihen, die er im Gefiht auszuhalten
hatte, in den Hintergrund und warb ganz befeitigt,
als das Moskito vorzugsweile die Nafe zum Angriffs-
punkte erwählt hatte. Jetzt glaubte Betterlein, ex
bürfe nur zulangen, und er fchnappte wie ein routi—
122
nirter Fliegenfänger nad dem Inſect; aber auch dies⸗
mal war es feine Möglichkeit, befſelben habhaft zu
werden. Der Quartus ſah ſich —8** genöthigt, den
Tüffel zu lüften, wodurch aber das Unglück nur ver-
größert wurde, denn jett ſtak fein Kopf wie in einem
Bienenfhwarm. Im diefer verzweifelten Lage erfun-
tigte er fi) bei den übrigen Leidensgefährten, wie
fie e8 wohl anfingen, um bes unausftehlichen Gezie—
fer8 los zu werben. Zeiſig, welcher feinen Athem
zum Blafen brauchte, konnte. dem Frager nicht dienen,
jo gern er fonft gefällig war; Süßmilch, ver das
Unzwedmäßige feiner Obrfeigen endlich) einfahb, wußte
feinen Rath; dem Helvenfpieler war es endlich durch
einige kühne Faltenwürfe ſeines Carbonari gelungen,
die Moskito's auf einen Augenblick von ſich zu ver—
ſcheuchen. Er benutzte den günſtigen Moment und
fuhr mit der Geſchwindigkeit einer Maus unter fei-
nen Mantel, den er ſo geſchickt zu wideln verftand,
daß ihm fein Beißer bekommen konnte. Keine Macht
der Erde würde ihn vermodht haben, fein Gewand
zu lüften, um Red’ und Antwort zu ſtehen; aud)
hatte er Vetterlein's Anfrage hinter feiner dreifachen
Tuchwand nicht verftanden. Lagemann hatte ſich wie
ein Ameifenlöwe mit dem Kopfe in den Sand gegra=
ben und war vellfommen fpradhlos.
Betterlein wiederholte feine Anfrage und erhielt
endlid vom Factor den guten Rath, ftill zu halten
und es mit Geduld abzuwarten, bis ſich Die Beftien
"did und fatt gefoffen hätten. Wie wenig diefe Worte
annehmlich klangen, fo beſchloß der Quartus dennoch
einen Verſuch zu wagen und hielt den Kopf mit
einer ſtoiſchen Ruhe den Moskito's hin, in der Hoff:
nung, das Geziefer werde nach gelöſchtem Durfte wie
Blutigel abfallen.
123
Aber ſolche unerfättliche Beftien waren. dem Ouar-
tus in feiner Lebenspraris noch nicht worgefommen.
Die Mosfito’s, welche fi jett ganz ungeftört fühl-
ten, concentrirten fat ihre ganze Heeresmacht am
Kopfe Betterlein’d. Diefer litt wie ein Hiob und
zog die Grauſen erregenpften Geſichter. Als ſich aber
der Appetit der Moskito's aud gar nicht fättigen
wollte, konnte er's nicht länger aushalten und er be-
gann wieder wie früher zu fchütteln und mit ben
Armen zu fechten.
„Das war ein verzweifelter Rath, Factor, ben
Ihre mir gegeben,” ſprach er, „ic, werde dieſe Nacht
mein Lebetag nicht vergeijen. Ich hab’ mid doch ums
gejehen in der Welt, war in Pranfreih und ber
Schweiz, aber folhe Bein Hab’ ich nie erlitten.“
„Ih aud nicht,” antwortete der Factor in dum—
pfem Zone, denn er ſtak mit dem Kopfe in einer
Art Budelmüte, die er von einem Matrojen erhan=
delt hatte,
„Eure Stimme jcheint mir etwas belegt,‘ erfun=
digte ſich BVetterlein, fortwährend mit den Moskito's
kämpfend, „Ihr ſprecht ſonſt fonorer.”
„Ih ſpreche durch die Pudelmütze,“ tönte es aber-
mals wie Grabeston.
„Das iſt etwas anderes,“ meinte der Quartus,
„gewiß wegen des afrikaniſchen Geziefers, von wel—
chem ich derzeit noch nicht begreifen kann, zu welchem
Zwecke es der liebe Herrgott eigentlich geſchaffen hat.“
„Die Wege der Vorſehung ſind dunkel,“ ſprach
der Factor.
„Allerdings,“ geſtand Vetterlein, „und zuweilen
auch etwas läſtig; es iſt das nicht in Abrede zu ſtel—
len. Fühlt Ihr denn Linderung durch die Mütze?“
„Es paſſirt!“
124
„Wie tief ſitzt ſie denn?“
„Bis unter's Kinn.“
„Das laß ich gelten, da müßt Ihr wie im dim⸗
mel wohnen, Factor.“
„Es läßt ſich halten.‘
„Bedenkt mich, der ich den Ungethümen völlig
bloß geſtellt bin; wenn ich nur auch Etwas über den
Kopf zu ziehen hätte.“
Der Factor wußte hier keinen Rath und ſchwieg.
„Run möcht' ich aber un alles in der Welt wife
ien, fuhr Betterlein nad, einer Weile fort, „was fo
ausdauernd ſchnaufte; das kann doch unmöglid ein
Menſch ſein?“
Zeiſig nämlich blies noch immer gegen bie Mos⸗
kito's, aber bei weitem nicht mehr mit ſolcher Vehe—
menz wie früher; der Athem war ihm faſt ganz aus—
gegangen und ſein Blaſen glich mehr einem Röcheln.
„Das klingt ja,“ fuhr Vetterlein fort, „als ob
ein Menſch im Sterben läge. Seid Ihr's, Actuar,
der ſo beharrlich keucht?“
„Leider!“
„Gebricht's Euch an Athem?“
„Allerdings!“
„Aber dergleichen Töne hab' ich ſonſt nicht von
Euch vernommen?“
Zeiſig erklärte den Grund ſeines Keuchens, worauf
Vetterlein ebenfalls zu blaſen anfing.
„Es hilft nicht viel,“ meinte der Rathsactuar.
„Das merk' ich,“ erwiederte der Quartus, welcher
trotz alles Blaſens der Moskito's nicht los wurde.
Noth macht erfinderiſch. Vetterlein nahm endlich
wieder die Zuflucht zu ſeinem Tüffel, unter welchem
er ſich diesmal mit ſo viel Geſchick verkroch, ſich der—
maßen zuſammen ringelte und ſo vorſichtig alle Oeff—
<<
-425
nungen verftopfte, daß es feinem Moskito möglid)
war einzubringen. Obſchon feine Lage nicht zu den
comfortabelften gehörte, fo dünkte fi ver Quartus
dennody in Abraham's Schoof.
Bis auf Zeifig waren jetzt alle Nieverroßlaer vor -
den Mosfito’8 untergebracht. Der Actuar, welder
endlich einſah, daß, wenn er fo fort blafebalkte, er.
fi) die gefammte Lebensluft aus dem Leibe pumpe,
ſuchte fih endlich dadurch zu helfen, daß er fein
Antlig mit Erdmaſſen bevedte, die er aus dem Fuß—
boden bergwerkte. Ueber die Ohren ftriegelte er fo
viel Haare, als er von diefem Artikel aufzubringen
vermochte. Die Hände ſchob er nah vollbradhtem
Begräbniß feines Kopfes in bie Hofentafhen. So
lag er auf dem Rücken ausgejtredt wie ein Halbbe-
grabener mit dem Gefiht unter kühler Erde, und
wenn er aud) das verdächtige Gefurre ver Moskito's
noch deutli genug und oft ganz nahe an feinem
Ohre vernahm, fo war er dod vor ihren Stidhen jo
ziemlich gefichert. Zeiſig glich außer feiner Tage auch
noch dadurch einem Todten, daß er unter feiner Exb-
frufte ſich fo ftill wie ein Mäuschen verhielt; denn
immer fürdhtete er, das Erdreich könne, namentlich)
was feine incruftirte Nafe anbelange, herabfallen und
die Moskito's einen neuen Angriffspunft erhalten;
an ein auf die Seite Iegen war gar nicht zu geben-
fen. Er mußte in feiner verfteinerten Lage regungs-
108 verharren. Nichts deſtoweniger fand er feinen
dermaligen Zuftand gegen den vorigen, wo feine Lun—
gen wie Schmiedebälge gearbeitet hatten, wahrhaft bes
neidenswerth.
126 \
Siedentes Kapitel.
Wahrend ſich die Geſandtſchaft der Schiffbrüchigen,
worunter Victor und Gamaliel, unter Beſchwerden al⸗
ler Art durch die Wüſte nach dem Senegal und der
daſelbſt gelegenen franzöſiſchen Factorei durchzuſchla—
gen ſuchte, befanden ſich die Zurückgebliebenen nicht
eben in der angenehmſten Lage. Namentlich hatten
die Niederroßlaer mit vielen Unannehmlichkeiten zu
kämpfen. Bald war es die unerträgliche Hitze, bald
die Moskito's, bald Schlangen und anderes afrika⸗—
nifches Ungeziefer, das fie beläftigte.e Um das Mif-
geſchick vollzumachen, hatte ein tropifher Wirbelwind
ihnen die Barade über den Köpfen hinweg entführt,
fo daß fie plößlich unter freien Himmel faßen.
„Das muß ich geftehen,“ meinte Lagemann, als
alle fünf Erbichafter dicht gefhaart um ein Teuer
lagen und ihren Hunger mit Datteln und wilden
Melonen ftillten, „ein niederträchtigeres Land als die-
jes Afrika ift mir weit und breit nicht vorgefommen;
e8 fehlt nur, daß ein feuerfpeiender Berg feinen Rachen
aufthut oder dad Meer austritt und und hinweg-
ſchwemmt.“
„Weder in Frankreich noch in der Schweiz iſt mir
Aehnliches vorgekommen,“ verſicherte der Quartus.
Lagemann fuhr fort, ſich auf äußerſt gehäſſige Art
über Afrika zu äußern. Er machte ſeinem Verdruſſe
durch eine Menge Schimpfwörter Luft, und ſchien
trotz feiner ſtarken Ausdrücke bei feinen Leidensgenoſ⸗
ſen Anerkennung zu finden; nur im Geſichte Hanno's
gab ſich eine höchſt abſprechende Miene bei den Wor—
ten des Attache’s Fund. Dieſer, der den Heldenſpie—
427
ler feit der Carbonarigeſchichte nicht erjehen konnte,
ärgerte ſich Über dieſe abſprechende Miene.
„Ihr ſcheint nicht ganz meiner Meinung zu ſein,
Heldenſpieler?“ frug er.
„Jedes Land hat feine Vorzüge und feine Schat—
tenſeiten,“ erwiederte Hanno mit Philofophie.
„Vorzüge?“ lachte Lagemann, „da möchte man
wohl eine Laterne anzünden, um dieſe zu finden.“
Hanno behielt den [pöttiihen Zug um den Mund,
welchen Lagemann nicht leiden konnte, bei. Sein
ganzer Habitus ſchien zu fagen: „Wie fanıı der Blinde
von der Farbe ſprechen.“ ‚ Yagemann ward dadurch
nur aufgebrachter.
„Nun, gelehrter Mann, “ frug er fpigig, „Io
nennt ung doch einige Vorzüge; wir find Alle begie-
rig.“ Betterlein, Süßmild und Zeifig drückten ſämmt—
(id ihre gejpannte Erwartung nady ven Vorzügen
Afrika's aus.
„Zu viel reden macht ungeſund,“ antwortete
Hanno geheimnißvoll und ließ ſich über Die Vorzüge
weiter nicht aus. - Der neugierige und argmöhnifche
Attahe warb aber jest nur um fo verſeſſener darauf.
Der Heldenſpieler war aufgeftanden und wanderte,
die Hände auf dem Rüden, wie in tiefe8 Simmen
verloren, am Strande auf und ab. Lagemann fprang
auf, eilte ihm nad and erfaßte feinen Arm. — Die
Beiden promenicten lange im Geſpräche bin und
wieder.
„Hanno,“ begann der Magdeburger, „Landsmann
und Freund, Ihr habt etwas auf dem Herzen, Euer
edles deutſches Geſicht kann ſich nicht verftellen. Ein
Plan durchkreuzt Euer Inneres, ich ſehe ed. Seid
offen, in fremden Landen thut Offenheit wohl, ent-
deckt Euh mir. Wollen wir vielleicht die. Braminin f
128
beftehlen? Sie muß anfehnlihen Schmud beſitzen; fie
iſt jett oft allein, der Türke macht häufige Parthien
in's Pand und fehrt erft ſpät zurüd. Was nützt der
Frau der Bettel?“
Hanno ſchaute den Sprecher mit einem Blide an,
groß, gebieterifch und ſtolz, welcher zu fragen fchien:
„zu weldyer Schanbthat willit Du mid) verleiten, Elen-
der?” aber Lagemann ließ fi dadurch nicht irre
machen.
„Thut doch nicht fo tugendlich, Hanno,” ſprach
er vertraulich, „wir kennen uns ja; Ihr nehmt's von
Altare.”
Der Helvenfpieler wollte ob dieſer Infinnation im
Gefühl feiner Würde aufbraufen, aber er gedachte an
den Betrug, den er felbft an dem Magpeburger ver=
übt und begann fid) zu mobderiren.
„Es mag Euch diesmal hingehen,‘ ſprach er,.
„aber hütet Euch, mid auf Ähnliche Art zu reizen.
Wenn Jemand meine Ehre angreift, dann bin ich fein
Menih mehr — “ |
„Ss tft es eine andre Speculation,” fuhr ber
Attache fort,” „vie Euch im Kopfe umhergeht. Schüt-
tet Euren beſchwerten, forgenvollen Buſen aus, fehüt-
tet aus, Hanno, in die Arme der Freundſchaft. Was
wolltet Ihr mit den Vorzügen dieſes elenven Landes
fagen? Ihr verbandet einen geheimen Sinn mit dieſer
Rede, ih ſah's Euch an, leugnet nit. Ihr habt
eine Entdeckung gemacht.“
„Allerdings,“ tönte es inhaltsſchwer.
„Wirklich?“ rief Lagemann erfreut, „ſeht, bin ich
nicht ein Schlaukopf, der den Leuten die Gedanken
aus dem Geſichte lieſt?“
„Wenn ich mich ganz auf Eure Verſchwiegenheit
verlaſſen könnte, Lagemann —
4129
„Hanno, Ihr beleidigt mich; ein Todter, ein Fiſch
find ein Schwäter gegen mid.“
„Wohlen, fo vernehmt und eritaunt —“
Der Magdeburger fpannte feine Ohrmusfeln mit
einer Vehemenz an, als wollte er das Gras wachſen
hören. Da indeß der Helvenjpieler, wie das zu Zei—
ten feine Gewohnheit war, nad ven Worten „ver=
nehmt und erftaunt” eine große Paufe eintreten ließ,
ward der angeftrengte Hörer ungebuldig und fagte:
„Wenn ich aber erftaunen jol, muß ich aud) was zu
erſtaunen haben.“
„Rad zuverläjjigen Nachrichten,” begann ver
Helvenfpieler mit nachdrucksvoller aber etwas gepämpf-
ter Stimme, „Sollen ungefähr brei Stunden von
hier —“
Hier ſchien dem Sprecher wieder der Athen aus-
gegangen zu fein, jo daß ſich Lagemann zu der Frage
veranlaßt fand: „Nun, drei Stunden von hier, was
it denn ba?“
„Da follen,“ fuhr der geheimnißvolle Berichter-
ftatter fort, „die Goldſtücke wie Kiefelfteine umher—
liegen.”
Das Erfte, was Lagemann vomahn, nachdem
er ob dieſer aufßerordentlihen Kunde Hanno’8 wieder
etwas zu ſich felbit gekommen war, war, daß er’ fidh
nady dem ziemlich umfangreichen Sade umſah, dem
einzigen Mobiliarverniögen, welches er aus dem Schiff⸗
bruche gerettet hatte.
„Es entſteht nun billig die Frage, ob wir eine
Excurſion nach dem Goldlande wagen?“ fuhr ver
Helbenfpieler fort.
„Und ob!“ rief leivenfhaftlid der Magdeburger, °
von Hanno's Worten wie behert. „Aber Silentium!
fonft fchaufelt uns die übrige Rotte ven Mammon
Stolle, fämmtl. Schriften. XVIII. 9
a
4130
vor der Nafe hinweg. Wenn ih nur wüßte, wo
mein Reiſeſack hingerathen wäre. Ich glaube, Zeifig
hat ſich deſſelben als Kopffiffen bemächtigt. Wart’,
ih will Dich lehren, Did) an fremdem Eigenthume
zu vergreifen.”
„Freilich,“ gab Hanno nach einer Pauſe zu beven-
fen, „die Sache ift nicht ohne alle Gefahr.“
„Poſſen, Gefahr,” meinte Lagemann leichtfertig,
‚wo ſoll Gefahr herfommen ?“
„Löwen, Panther, Klapperſchlangen.“
„Allerdings,“ verſetzte der Attaché erſchrocken,
„an dieſe Beſtien hab' ich in der erſten Rage nicht
gedacht.“
„Auch ſollen ſich in der Goldprovinz nicht ſelten
wilde Negerſtämme zeigen!“
„Das wäre der Teufel,“ brummte Lagemann
nachdenklich. Furcht und Golddurſt begannen einen
kurzen, aber entſcheidenden Kampf, in welchem letzte—
rer die Oberhand behielt.
„Hanno, deutſcher Jüngling, Zierde Deines Ba-
terlantes, groß als Menſch und Künftler,” rief ver
Magdeburger eraltirt, „wir magen e8, bie Löwen
werden nicht gleich beifen! Man darf dieſes Bolf
übrigens nur ftarr anfehen, jo ergreift es die Flucht.
Bedenkt, hofinungsvoller junger Mann, daß und das
Gold im ganzen Leben nicht wieder fo vor die Nafe
gelegt wird.‘
„Das iſt wahr,“ geſtand ver Helbenjpieler, „eine
jo günftige ‚Gelegenheit möchte fi) fo leicht nicht wie=
ber finden.‘
„Kabul ift noch weit,“ fuhr der Attachs Teiden-
ſchaftlich fort; „wer weißt, ob wir je hinfommen. Hier
haben wir's bequemer. Alſo zugelangt, wir find ein-
mal in Afrika.”
431
„Wohlen, ic bin dabei,” ſprach Hanno, „aber
— Lagemann — redliche Theilung.“
„Ein Schuft, wer eine Unze veruntreut,“ ſchwur
der Magdeburger aus Leibeskräften.
Indeß fuhr ihm doch trotz ſeiner Aufgeregtheit
ein höchſt nüchterner und proſaiſcher Gedanke durch
den Kopf; nämlich wie, wenn der ſpitzbübiſche Hanno
nur eine Falle gelegt hätte; er gedachte dabei ſeiner
Drangſale unter dem Carbonari.
Lagemann ward durch dieſen Gedanken dermaßen
abgekühlt, daß er vorerſt nähere Erörterungen über
das Ob und Wie des Goldlandes anſtellte.
Der Heldenſpieler nannte jetzt ſeinen Gewährs—
mann, den Matroſen Hiob, mit welchem er auf ziem—
lich vertrautem Fuße ſtand.
„Aber warum,“ examinirte der plötzlich ſehr zwei—
felhaft gewordene Attaché weiter, „warum gebt denn
Hiob nicht ſelbſt und lieſt ſich die Mütze voll ?“
„Laut Ordre des Capitain darf Keiner das Lager
auf tauſend Schritte verlaſſen.“
„So wären wir die einzigen Glücklichen,“ frug
Lagemann, „die von der ſchönen Gelegenheit Ge—
brauch machen könnten?“
„Außer dem Türken allerdings.“ |
Jetzt ging dem Attahe ein Licht auf. Er mußte
nun, was deſſen einfame Landparthien zu bebeiten
hatten. Zugleich floh ein neuer leuchtender Gedanke
durch ſein Gehirn und zündete.
„Rah Eurer Ausjage, Seelenfreund,” frug er,
„wäre alſo Gold in Menge zu haben?“
„Hundertmal mehr, verſicherte Der Helvenfpieler,
„als wir Beide fortzubringen im Stande find.”
„Wohlen,“ ſchlug nun der Attaché vor, „wie
wär's, wenn wir riftlich dächten und unfern Lands⸗
432
leuten ‚auch etwas zufommen Tiefen, da am Golde
fein Mangel if. Wir müflen fie anftadheln, vie
Neife mitzumahen. Es ift auch wegen ber wilden
Thiere, fünf Perfonen werden weniger angefallen, als
zwei einfame Wanderer. Mögen ſich die Landsleute
die Taſchen vollpaden, ſpäterhin prozeſſiren wir es
ihnen wieder ab. Für unſere Packeſel find ſie gut.“
Leider aber fand die Aufforderung, welche Lage—
mann unmittelbar darauf an die Niederroßlaer er-
geben ließ, fih zum Abmarſche nad) dem Goldlande
bereit zu halten, durchaus feinen Anklang. Weder
Zeifig, noch der Factor, noch der Quartus, wie fehr
letsterer auch dem eveln Metalle, um deſſen Erhebung
e3 ſich handelte, zugethan war, zeigten den erforber-
lichen Muth, tiefer in's Land einzubringen.
- Der Magpeburger fprady wie ein Demofthenes
von dem neuen Potofi ; aber wenn der Factor eine
nachdenkliche Priſe nahm, ſo konnte man darauf rech=
nen, daß ein Schütteln feines Kopfs die Folge war.
Betterlein ertheilte unter feinen Kalmud hervor, den
er als Zelt gegen die Sonne nidht ohne Kunft auf-
geichlagen hatte, gleichfall® eine verneinende Refolution
und Zeifig konnte ſich nicht genug über die Tollfühn-
heit feines Attahe und des Heldenſpielers entjegen,
welche in die Wildniß eindringen wollten, wo feiner
Meinung nad) vor Löwen, Salamandern und Draden
fein Apfel zur Erde konnte.
„Bedenkt, Bürger Niederroßla's,“ fuhr Lagemann
haranguirend fort, „was Ihr Euch ſelbſt, was Ihr
Eurer Vaterſtadt, Eurem Ruhme ſchuldig ſeid.“
„Das Denken fällt uns ſchwer,“ erwiederte der
Factor ziemlich kurz und ungehalten, um die unfrucht-
bare Debatte abzubrecheu. |
433
Der Magbeburger ließ ſich durch diefe abfprechenve
Bemerkung keineswegs aus dem Concepte bringen.
„Niemand,“ ſprach er, „wird es dereinſt in Eu⸗
ropa glauben, daß Ihr nicht einmal die Hand aus—
geſtreckkt habt nach den Goldſtücken; die europäische
jugendliche Gaſſenbevöllerung wird mit Fingern auf
Euch zeigen ob foldher unerhörten Feigheit.“
„Aber wenn wir gefreilen werden,” Tieß fich bie
dünne Stimme Betterlein’8 vernehmen, „wie dann,
lieber Herr Lageniann?“
„Einfalt! Wer fol Euch freffen ; die hieſigen Lö—
wen find gar nicht fo biljig, als man uns in Europa
vorgefabelt hat; man braucht fie nur ftarr anzufehen,
jo nehmen fie den Schwanz zwifchen die Beine und er=
greifen die Flucht, als würden fie vom Teufel gejagt.”
Die nachdenkliche Prife, welche ſich der Factor
bei diefen Worten nahm, zeigte deutlich, daß er in
biefe angebliche Löwenfurcht einigen Zweifel ſetze.
„Sagt jeden Matroſen,“ fuhr ver beredte At-
taché fort, „für Die giebt's feinen größern Spaß, als
jolh’ einen Langſchwanz in die Wüfte zu treiben.”
Troz dem aber, daß fih Lagemann alle Mühe
: gab und feine ganze Kevefunft aufbot, Tonnten fi) bie
drei Niederroßlaer für den kühnen Zug in's Golb-
land nicht entſchließen. Der Magbeburger warb enb=
(id) aufgebracht und anzüglid.
„Wie?“ rief er, „Ihr wollt nad Kabul, das
noch viertaufend Meilen von hier entfernt ift und
wagt nicht einmal eine Heine Tandparthie won wenigen
Etunden zu unternehmen ? Wift Ihr nit, daß die
afiatiichen Löwen und Schlangen zehnmal größer, ftär=
fer und blutgieriger iind, als die hiefigen —“
Hier ſah der Duartus den Factor fragend an.
„Ihr wolt mit geringem Muthe eine jo große
f
43%
Reife unternehmen, deren Mühfeligfeiten, Drangjale
und Gefahren gar nicht abzufehen find; und warum ?
Ein paar lumpiger Ducaten willen, währen die Gold—
Humpen, woraus befanntlih die Ducaten gemacht
werden, wenig Schritte von hier aufzulefen find und
zwar am Werthe zehnmal mehr, als die ganze Hin=
terlaffenihaft de8 Hofmalers beträgt. Ein einziger
Gang nad dem Goldlande, dem wir nie wieber fo
nahe fommen, als gegenwärtig, und wir können ung
die ganze langwierige Kabulfahrt erjparen, von der
überhaupt zu befürchten ſteht, daß wir von ihr nicht
lebendig wiederfehren. Ein glüdliches Geſchick wollte
e8, daß wir gerade an bdiefer Goldküſte Schiffbruch
litten; laſſet uns nicht undankbar fein gegen einen
jo guten Genius, der uns hierherführte. Wie leicht
fönnte er ungehalten werden ob unfrer Hartnädigfeit
und unfrer jpätern Fahrt Widerwärtigfeiten aller Art
in den Weg legen. Bedenkt, daß menn wir das dar—
gebotene Glück ergreifen, wir in Kurzem wieder als
reiche Leute unjern glorreihen Einzug in Niederrofla
halten können, ohne die halsbrechende Reife nad) Ka—
bul unternommen zu haben.”
Es war nicht zu leugnen, daß diefe letztere Rede
des Attaché's einen weit größern Cindrud auf bie
drei zuhorchenden Niederroßlaer hervorbrachte, als die
frühere Namentlich fang die Ausſicht, bald nad
dem gejegneten Niederroßla heimziehen zu können, und
zwar als wohlhabende und begüterte Leute, ausneh—
mend Tieblicd in den Ohren Zeifig’s, Vetterlein’8 und
jelbft des Factors. Lagemann, ver fogleih einſah,
welcher Theil feiner Rede ſich des abfonverlihen Wohl-
gefallens der Landsleute zu erfreuen hatte, ermangelte
nicht, ſich eines Weitern darüber zu exrpectoriren.
„Bedenkt,“ fuhr er mit leuchtenven Bliden fort,
435
„bevenkt, Freunde und Mitbürger, wir fchreiben jet
Dctober,; wenn Wind und Wetter günftig find, Fün=
nen wir bereit zur heiligen Weihnachtszeit unfern
gefegneten Einzug in der Vaterſtadt halten, wie die
heiligen drei Könige, von Jung und Alt hod) gefeiert.
Bedenkt, was wir erlebt, was wir gefehen und ge=
hört, welche Abenteuer und Drangfale und Gefahren
wir bejtanden. Was vermögen wir Alles: zu erzüh-
Ien in den langen Winterabenden, wenn die Lofja zu
Stein gefroren, der Himmel von Schneewolfen um-
bunfelt ift, ver Nordfturm an Giebeln und wohlver-
wahrten Fenſtern rüttelt und wir wieder in ben ge-
müthreichen, ofenerwärmten Stuben Niederroßla's in
dem Schooße unſerer refpectiven Familien fiten, rings
umher die gefpannte Nachbarſchaft, aufgepflanzt wie
Delgöten, mit offenen Mäulern und Naſen.“
Diefe idylliſche Schilderung that wahrhafte Wun- .
der auf die zuhorchenden Nieverroßlaer. Das Heim-
meh kehrte zurüd mit feinem wollüftigen Schmerze.
Detterlein ftrich fi mit einem Zipfel des Kalmucks
über die feuchten Augen; der Factor ſeufzte, drehte
den Kopf auf fonverbare Weife und nahm fich eine
Deiperationsprife. Der weiche Zeifig ftrebte verge-
bens, feiner Wehmuth äufßernden Gefichtsmusfeln
Herr zu werden, fie zogen ſich breit und breiter, bis
der Bod dazu kam, welcher ihn direct in den Rüden
ftieß, daß jein funftes Gemüth überfloß vor Wehmuth
und Schludyzen.
Lagemann überfchaute nicht ohne ftillen Triumph
den Gemüthszuſtand feiner Landsleute, er warf einen
Siegerblid auf Hanno, welder in feinen Carbonari
gehüllt, als ftummer Zufhauer die Rührſcene anjah.
Selbft Zeifig ſchien, troß dem, daß er den menig-
ften Muth beſaß, durch Lagemann's Idylle für die
136
Goldfahrt gewonnen, wenn ihm nit ein Gedanke
ſchwer auf's Herz gefallen wäre.
„Aber,“ rief er mit gefalteten Händen und thrä=
nenfeuchten Blicken, „was ſoll aus befagtem Krokodill
werden für einen hochweiſen Rath?“
„Mag das Beeſt bleiben, wo es iſt,“ erklärte der
Magdeburger kurz; „wir laſſen beim nächſten Yuftiz=
amte den Schiffbruch protokolliren, auf dem Bauche
können wir nicht nach Kabul ſchwimmen. Der Rath
mag ein anderes Membrum aus ſeiner Mitte ſchicken.
Ihr habt das Eure gethan, Actuar, und ich das
meine.“
Der Heldenſpieler, welchem dieſe Worte aus La—
gemann's Munde gar nicht unangenehm klangen,
ſtimmte aus voller Ueberzeugung bei.
„Es unterliegt feinen Zweifel,“ pflichtete ex bei,
„daß jo ein totaler Schiffbruch, wie wir erlitten, alle
europäifche Verträge ungültig macht.“
Zeifig ſchien einigermaßen beruhigt; er würde fidy
jelbft der Expedition nad) dem Goldlande angejchlof-
jen haben, hätte nicht der Factor zu höchſt ungele=
gener Zeit die Thiere der Wildniß in Erinnerung
gebradht.
„Wir find hier am Meeresftrande kaum ficher vor
den Zähnen hungriger Beſtien,“ ſprach er, „wie mag
e8 erſt tiefer im Lande hergeben.“
„Hinein in ven Wald find wir bald,“ bemerkte
jest auch Betterlein, „aber das Hinaus fteht auf
einem andern Blatte.““
Der Magdeburger war es endlich überbrüffig, fich
wegen feiner muthlojen Landsleute die Lunge wund
zu reden. Er ſchoß den legten Pfeil auf das furdt-
jame Heer und war diesmal jo glüdlih, die Scheibe
zu treffen.
gr
437
„Wohlan,“ ſprach er, „thut was Euch beliebt; ich
werde mich mit Herrn Hanno allein auf den Weg
machen. Wir ſacken fo viel Gold ein, als wir be=
bürfen, um unfere übrige Lebenszeit in Niederroßla
herrlich und in Freuden zu leben, und fahren mit
erfter Retourgelegenheit nad Europa zurück. Ihr
mögt dann fehen, wie Ihr lebendig nach Kabul ge-
langt. Uns ift e8 eimerlei. Nicht wahr, Hanno?“
„Allerdings, geftand vdiefer zu, „uns bleibt in
der Welt nichts übrig, Was follen wir in Kabul,
wenn wir hier ohne Erbſchaft das Geld in Haufen
vorfinden? Die Olafermeifterin mag fehen, wie fie
zu ihren paar lumpigen Ducaten kommt; ich fahre mit
Lagemann zurüd.”
Diefe beiderfeitige Erklärung brachte einen höchſt
niederſchlagenden Eindrud auf die übrigen drei Nies
verroßlaer hervor. Namentlich gerieth der Actuar in
äußerſte Beſorgniß, daß ihn fein Attahe verlaffen
wollte. In feinen Innern kämpfte e8 gewaltfanı.
Heimmeh und Löwenfurcht rangen mit einander. Enb-
lich fiegte die Verzweiflung.
„Ih gehe mit in's Goldland,“ erflärte ev mit
vieler Refiguation.
„Brav, Actuar,“ lobte Lagemann, „baran erfenne
ich den würdigen Repräſentanten eines hochweiſen
Raths von Niederroßla.“
„Ich gehe auch mit,“ ſtimmte reſolut der Quar—
tus bei, welcher durch Zeiſig's heroiſches Beiſpiel
Muth bekam.
„Wenn's dann nicht anders fein fann, meinte
ber Factor, eine wahre Defperationsprife in die Naſe
befördernd, „ſo ſei's; unter Wölfen findet ſich ſelbſt
der Vernunftbegabtefte zum Heulen genöthigt. An
Warnung meinerſeits hat's nicht gefehlt; wenn wir
133
verjchlungen werden mit Haut und Haar, wach’ ich
meine Hände.“
„Pollen, Factor,“ ermuthigte der Attaché, „ſeid
fein Hypochonder, wer foll Euch verſchlingen?“
„Kun wer anders, ald die Töwen, Panther, Klap-
perſchlangen, Zibethlagen und wie die Naturgejchichte
weiter bejagt.‘
„Ah, lachte Lagemann, „wißt Ihr denn nicht,
daß die Löwen einen gar fcharfen Bid haben und
fid) den Braten herausſuchen, jo fie die Wahl haben?
Wenn es ja zum Freſſen kommen follte, wäret Ihr
der Letzte, der verjpeijt würde. Ihr ſeid der Längite
und Dürrfte, habt nicht zwölf Pfund Flifh am
Leibe; ich glaube, daß Eudy ein Löwe höchſtens be—
riecht und fopffchüttelnd weiter geht.. Er müßte denn
beifpiellofen Hunger haben.‘
Süßmilch dankte zum erften Male in feinem Le—
ben dem Himmel für jeine wirklich unbejchreibliche
Magerkeit.
„Da wär mir eher für den Duartus bange,“
fuhr Yagemann, welder auf Vetterlein's Koften dem
Factor Muth einjprehen wollte, fort, „ſein kleiner
gedrungener Körper ſticht weit appetitliher in Die
Augen. Er ift, fo zu fagen, ein vecht in die Augen
jtechender Biſſen.“
Dem Duartus fiel bei diefen Worten das Herz
vor die Füße. Er war fohon im Begriff, feine Zu: .
jage wegen der Theiluahme an ver Expedition in’s
Goldland zurüdzunehmen, als ihn der Attaché wieder
zu beruhigen wußte.
„Wir nehmen Eud in die Mitte,‘ tröftete er,
„leid deshalb ohne Furcht. Weberhaupt begreife ich
nicht, was man fi in joldhen Grave über Gefahren
abängitet, Die nody gar nicht da find. Vor einer Ge—
4,39
»
jelichaft haben die Beftien in der Regel Reſpect,
namentlih wenn ein lautes fröhliches Lied angeftimmt
wird.”
Der Helvenfpieler räufperte fit) und fang mit
‚einem grandioſen Bierbaffe:
„Hier im ird'ſchen Jammerthal
Gab's no nichts als Plack und Dual —“
u. |. w.
„Sehr brav,“ lobte Lagemann, „Eure Stimme,
Hanno, ift allein hinreichend, alle Beitien Afrika's in
Reſpect zu halten. Wenn wir alfo in Gefahr fom-
men follten, fingen wir ein luftig Lied und Hanno
mag als Vorſänger fungiren.
Die Niederroßlaer trafen jest alle Anftalten zu
der bevorftehenden Expedition. Hauptfählid war man
um Säde und Beutel bemüht, damit man die goldne
Beute transportiven könne. Hanno erweiterte ver-
mittelft Nadel und Zwirn troß dem geſchickteſten
Schneider die Seitentafche feines Carbonari's zu einem
wahren Wallfiſchbauche. Er hatte Raum genug, um
ein paar Centner Gold hineinzufteden. Lagemann,
noch unerſättlicher, betrachtete feinen Scheffelfad mit
wahren Liebesblicken. Diefer Sad war ihm jet nicht,
um einen Königsmantel feil. Er ſah es für einen
abfonderlihen Wink des Schickſals an, daß er aus
dem Schiffbruche gerade dieſen, für feine dernaligen
Umftände jo hochwichtigen Gegenftand gerettet hatte.
Betterlein unterfuchte die geräumigen Taſchenſchlünde
ſeines Kalmucks, welche er mit großer Gemiffenhaf-
tigfeit Ieerte und die diverſen Nähte infpicirte, damit
durch die Goldlaſt feine Trennung entftehe. |
Wie groß ift doch die Allgewalt des Goldes; der
Factor leerte fogar feinen größten Schatz, den leder—
nen Beutel, in welchem fid) ver Vorrath feines Le—
450
bensbalfams, der Edynupftabad, befand. Als der Ha—
bicht dem Sinfen nahe war, hatte Süßmilch, wie
jener alte Hufar nach feiner Pfeife, zuerſt nad fei=
nem Tabacksbeutel gegriffen und denjelben vom Unter=
gange gerettet.
Als ver Befcheivenfte unter den Nieverroßlaern
mußte Zeifig betrachtet werden. Er war der Einzige,
welcher feine weitere Vorbereitung zur Reife in's
Goldland traf. Auf Befragen, wo er das Gold ber-
gen wolle, erklärte er, daß er für feine Perfon nur
Wenig, brauche und diefes füglich in feiner Sackmütze
Raum finde Erſt auf Lagemann's bringendes An⸗
rathen ftedte er noch ein blaufattunenes Reſerveta⸗—
ſchentuch zu fih, um daſſelbe nöthigenfall® mit Gold—
ftüden zu füllen.
Dem Gapitain, meldier das Obercommando wie
auf dem Schiffe fortführte, erflärte Lagemann im
Namen des Erpevitionsheeres, daß man eine Land⸗
parthie vorhabe, um fih Afrika ein Wenig näher zu
betrachten, man ſei doch einmal da und habe Muſe.
Es würde fonft gar zu feltfam klingen, wenn man
bereinft in Europa erzählen müfje, zwar in Afrika
gewefen zu fein, aber nur ein Stück Meeresitrand
von dem großen Lande gejehen zu haben.
Sir John rieth von der Parthie ab. Wenn auch
weniger die wilden Thiere zu fürchten wären, meinte
er, fo fünne man doch leicht diefem oder jenem ber
umherſchweifenden Negerftämme in die Hände gera=
then und in die Gefahr kommen, als Sclave verkauft
zu werben.
Lagemann, welcher in des Capitains mwohlgemein-
tem Rathe nur die Abfiht zu entveden glaubte, bie
Niederroßlaer vom Goldlande abzuhalten, erwieberte,
N
Au
daß man mur mit der größten Vorfiht umd keine
halbe Stunde weit vorzubringen gedächte.
„sh wil Euch wenigftend ein paar erfahrene
Matrofen mitgeben, fuhr Sir John fort, „damit Ihr
nicht ganz ohne Schu ſeid.“
Auch für dieſes Anerbieten dankte der Attache
böflichft, weil er fürdhtete, die Matrofen könnten die
Goldfahrt vem Kapitain verrathen und diefer wiederum
fünnte den Niederroßlaern die Beute abnehmen.
Der Aufbrud) wurde auf den nächſten Morgen
feftgejegt, und in der That trat zur bejtimmten
Stunde das Erbheer jeine Wallfahrt nah dem In—
nern von Afrika an.
Es währte nicht lange, al8 man im Schatten bes
unfern vom Meeresitrande gelegenen Gummiwaldes
muthig dahinſchritt. Man hatte fi zuvor durch ein
tüchtiges Frühftüd, wobei auch Dem geretteten Cognac—
fäßchen nicht wenig war zugejprochen worden, für das
bevorftehende Wagftüd nad) dem Goldlande wirbig
vorbereitet. Voran wandelte Hanno, malerifh in ven
Carbonari wie in eine Toga gewidelt, als tete bes
Niederroßla ſchen Armeecorps. Mit der einen Hand
hielt er den Carbonari, in der andern führte er einen
gewaltigen Bambus, Hinlänglich ftarf, um der ange-
febenften Schlange einen urkräftigen Hieb zu ver-
fegen und ihr Hören und Sehen, Stechen und Beißen
auf Lange Zeit zu verleiven. Gegen vierbeinige Un—
geheuer hoffte man durch Geſang froher Lieder und
Ihlimmften Falls durch die Augenſprache auszukommen.
Dem SHelvenfpieler folgte die Hauptmacht drei
Mann hoch, Süßmilch, Zeiſig und der Quartus in
den Mitte Arm in Arm marfchirend.
Den Nachtrapp repräfentirte Lagemann, welcher
zugleich das Commando des gejammten Zugs über-
g"
42
nemmen hatte. Als Zeichen feiner Würde führte er
emen halten Cavalleriefäbel, ven er von einem Ma—
trofen eigens erhandelt hatte und welchen er bei jeder
wichtigen Gelegenheit, namentlid beim Ausmarſch aus
dem Lager befehlshaberiſch ſchwang. Es war, nebit
dem Bambus des Heldenſpielers, die einzige Waffe,
welche das Erbheer bei ſich führte.
Eo lange ver Cognac feine Wirkung that, bie
Herzen ſtark hielt und die Füße belebte, und fo lange
der kühlige Schatten der freunvlihen Gummibäume
aushielt, ging die Sache charmant und das Expedi-
tionsheer hätte fih nimmer träumen laflen, daß ein
afrifanifher Wald einen jo angenehmen Morgenfpa-
ziergang gewähren fünne.
Was aber den Nieverroßlaern das Beſte dunkte,
war, daß fie weder von einer Schlange, nody einem
Löwen over fonft einem Ungethüm behelligt wurden.
Nur fremdartiges Geflügel flatterte und Freifchte bier
und da in den Zweigen.
Unter fo angenehmen Verhältniſſen ftieg der Muth
des Expeditionsheeres wahrhaft. Selbſt das Trium-
virat des Mitteltreffens jchritt mit vieler Yuverficht.
Man überlegte bereits, wie man das afrikaniſche Gold
am Beſten anlegen follte, ob in preußifchen Staats-
ſchuldſcheinen, oder öſterreichiſchen Metalliques, oder
polniſchen Pfandbriefen, oder in Eiſenbahn-, Maſchi—
nenbau-, Steinkohlen-, Baieriſchen Bier- oder Chem-
nitzer Bobinetactien, als Lagemann von Neuem den
halben Säbel ſchwang und ein energiſches Halt com—
mandirte.
Ein pompöſer Himbeerftrauch, dergeſtalt mit Früch—
ten überſäet, daß davon das Bundescontingent eines
deutſchen FürftenthHums hätte fatt werden können, war
ber Grund zu Lagemann’8 energifchem Halt, Der
u
143
Co mmandant zeigte mit dem Säbelfragment nad) dem
Strauche und motivirte feinen Befehl durch die Worte:
daß der Soldat nicht immer marjchiren könne und von
Zeit zu Zeit Halt machen und etwas genießen milffe,
um fih für die noch bevorjtehenden Strapazen zu
ftärfen.
Die Hauptmacht, der Gros ter Arınee, melcher in
der Mitte marjchirte, fand die Anficht und den Aus—
ſpruch ihres Commandanten ebenſo weife als beher-
zigenswerth. Da der Factor wie Vetterlein und Zeiſig
bereits in Niederroßla leidenſchaftliche (unbeſtritten das
einzige „Leidenſchaftliche“, was an dem Actuar anzu=
treffen) Himbeereffer waren, fo "fingen fie fofort 'an
zu eſſen, ohne das erforderliche militäriſche Commando
abzuwarten, welcher Suborvinationgfehler von Seiten
bes General en chef einer milden Rüge nicht entge-
hen fonnte.
Die Niederroßlaer konnten ſich in ihrem Leben
nie eines Falles erinnern, wo ihnen die Himbeeren
jo bequem gehangen hätten, al8 hier in dem afrifa-
niſchen Urwalde. Sie brauchten fih nicht zu büden
wie in Europa, felbft der lange Factor nicht, oder
bie Hände zu Hülfe zu nehmen, fondern hatten nur
den Mund aufzumachen und brauchten nur zu beißen,
jo unbejchreiblich bequem baumelten vie dunfelrothen,
fehweren, traubenartigen Beeren direct vor den Nafen.
Der Magdeburger, nachdem er als vorfichtiger
Feldherr überall umhergeſchaut, ob ſich nicht irgend—
wo ein Feind blicken laſſe, ſteckte ſeinen Säbeltorſo
in ein für dieſen Behuf erweitertes Knopfloch ſeines
engliſchen Fracks und ſchloß ſich, da nirgends ein An—
griff zu befürchten ſtand, feinem ſchmauſenden Heer—
haufen an; während Hanno ſich in ſtrategiſchen Com—
binationen vertiefte. Ihm war der ebenſo ſchwierige
144
wie ehrenvolle Auftrag geworden, den rechten Weg
durch den Wald nach dem erſehnten Goldlande aus—
findig zu machen. Er mußte alſo den Kopf auf dem
rechten Flecke behalten und durfte deshalb den Ma—
gen nicht über Gebühr überladen. Die Mittheilungen
Hiob's über das afrikaniſche Potoſi ſchwankten etwas
in's Ungewiſſe. Er hatte nur ſo viel mit Beſtimmt—
heit erfahren, daß das Goldland keine zwei Stunden
ſüdwärts vom Meeresufer ſeinen Anfang nehme. Auf
weitere Angabe der betreffenden Lokalitaͤten hatte ſich
Hiob nicht eingelaffen, und man fann daraus ermei=
fen, daß dem Helvenfpieler jest Allee daran Liegen
mußte, in der Himmelögegend nicht confus zu werben.
Daher ftand er, wie gejagt, in mathematifchen
Berehnungen und Himmelsbeobachtungen vertieft, ein
zweiter Newton, ein paar Schritte abwärts. Weber
das Mitteltreffen der Himbeereffer, noch felbft ver
gleichfalls fpeifende General en chef wagten e8, ben
großen Strategen, von deſſen geſchickter Leitung ver
glüdlihe Ausgang des ganzen Unternehmens abhing,
in feinem Calcül zu ftören.
Es herrſchte daher im ganzen Heere eine beveut-
fame Stille, die plöglid) auf eine höchſt überraſchende
Weiſe unterbrochen werden ſollte. Dem einfamen Den
fer und Strategen im Garbonart flog nämlich mit
einen Male eine fauftgreße Wallnuß jo determinirt
an den Kopf, daß die antique Geftalt troß des male-
riſchen Faltenwurfes des weitichmeifigen Mantels das
Gleichgewicht verlor, in's Schmanfen gerieth und
etwas reſoluter als der „sterbende echter” in's weiche
Moos zu Tiegen fam. Ein nichtswürdiges, ohrenzerrei-
Bendes Gelächter begleitete den Fall des Mathematikus,
Das effende Heer, deſſen Front zeither dem gaft:
lichen coloffalen Himbeerftrauche zugewendet war, fuhr
145
wie vom DBlig getroffen zufammen und fohaute fi -
erſchrocken und zitternd gegenfeitig an, während das
wivernatürliche Gelächter, das gar fein Ende nehmen
wollte, ihm die Haare ferzengerade zu Berge trieb.
Der Oberbefehlshaber, welcher gleihfalls erſchrocken
war, bebielt wenigftens jo viel Contenance, daß er
wiederholt convulſiviſch nach feinem Schwerthefte am
Knopfloche tappte.
Nichts bringt im menſchlichen Einbildungsvermö-
gen einen peinlichern Eindruck hervor, als cin Feind,
von dem man angegriffen wird und den man nicht
ſieht. Es iſt dann nicht anders, als habe man e8
mit Geiftern zw thun, mit denen befanntlich fein gut
Kirſcheneſſen ift.
Die Nieverroßlaer befanden fid) in derſelben Lage.
Sie glaubten ſich von irgend einem unfichtbaren Wald—
geifte attafırt, namentlich konnte nad) ihrer Anficht
das unmenfchliche, haarfträubende Gelächter nicht aus
einer irdiſchen Kehle hervorgehen. Niemand entvedte
den vermogenen Schügen, welcher den Mathematikus
zu Boden geftredt; auch war Died nicht gut möglich,
denn das Mitteltreffen, nachdem feine Front gegen
den Himbeerftraud etwas erfchüttert war, ftellte, ben
Feldmarſchall nicht ausgenommen, feine Nachforſchun⸗
gen an, fondern blidte ſich gegenfeilig ftarr einander
in's Gefiht. Sonach ward den auf dem NRüden im
weichen Mooſe liegenden Helvenfpieler zuerft das Glück
zu Theil, feines lachluftigen Feinftes anfichtig zu wer:
den. Diefer war Niemand anders, als ein zwei Fuß
großer, langgefhwänzter, im Geſicht blau und voth
tätomieter Drang = Utang, welder, den Schwanz
funftreih um eimen Aft gefchlungen, halb in ver
Schmebe hin und wieder jchaufelte und vermahrlofte
Gefihter ſchnitt. Unfehlbar fchien ihm fein Wurf,
Stolle, fümmtl. Schriften. XVIII.
146
wodurch die Carbonarigeſtalt ſammt dem Bambus zu
Boden geſtreckt worden, viel Vergnügen zu machen.
Der Mathematikus fand es endlich zweckmäßiger,
ſeine ausgeſtreckte Lage zu verändern und ſich wieder
auf zwei Beine zu ſtellen. Er unterſuchte ſeinen Kopf,
wo zwar kein Loch ausfindig zu machen war, aber
eine ziemliche Beule. Diefe etwas ſchmerzhafte Er-
höhung ſtimmte den Inhaber keineswegs freundlich
gegen das feixende Zerrbild der Menſchengeſtalt, wel⸗
ches mit dem Schweif am Baume hing. Hanno zog
feine Stirn in grauſe Falten, ſchimpfte aus Leibes-
träften und drohte mit vem Bambus.
ALS Lagemann aus Hanno's unehrerbietigem Schim⸗
pfen die Yolgerung zog, daß es mit dem Feinde nicht
weit her fein könne, zog er ben halben Cavalleriefä-
bel vollends aus bem Knopflohe und ftellte weitere
Nachforfhungen an. Da er ſah, wie der Mathema-
tikus muthig und drohend den Bambus fchwang, hielt
er den unfichtbaren Feind bereit8 auf dem Nüdzuge
begriffen und glaubte es feiner Stellung als Ober-
befehlshaber ſchuldig zu fein, jofort zu einem Angriff
aufzumuntern.
„En avant,“ commandirte er, „wir bürfen ben
Hanno nicht im Stiche laffen, folgt mir insgefammt
und wär’! zum Tode.“
Wie aber das Mitteltreffen vom Tode hörte, ver-
fpürte es nicht die geringfte Neigung zur Nachfolge.
Es verharrte mit feltener Beharrlichkeit auf feinem
Plate und ſah ſich wie vorher gegenfeitig einander
in's Geſicht.
Der Attaché hatte endlich durch vorſichtiges Avan—
cement ſeine Vereinigung mit dem Heldenſpieler be—
werkſtelligt. Auch er war jetzt des Feindes anſichtig
geworden. Sein Muth wuchs erſtaunlich, da er nur
N
AkT
einen Affen und zwar von höchſt mittelmäßiger Sta-
tur erblidte. Er begriff gar nicht, wie dieſer Knirps
einen ‚Angriff hatte wagen fünnen, fühlte ſich in jeiner
Würde als Oberfeloberr ordentlich gefränft und er-
muthigte den Mathematifus zum muthigen VBorwärts-
bringen.
„Mit dieſem Pavian,” ſprach er verächtlich, „wer-
den wir wenig Umftände machen; Hanno, leiht mir
einmal Euern Bambus.‘
„Ih trenne mich nicht gern von meiner Waffe,“
zögerte diefer, „man kann nicht willen, welcher neue,
unerwartete Angriff —“
„Seid fein Thor, lachte der unternehmenvde La—
gemann, „nur zwei Minuten, damit id) dieſes nichts—
würdige Blaumaul ob feiner Verwegenheit abſtrafe.“
Er nahm mit diefen Worten dem Strategen den
Bambus aus der Hand und drang fühn gegen den
Langfhwanz vor. Diefer wartete indeß die Ankunft
des Magdeburgers nicht ab, widelte fih vom Aſte
los und flüchtete mit Gepraſſel auf den Himbeer-
ftraud, an deſſen Seiten die Triumvirn noch wie an=
genagelt ftanden.
Während aber der Attahe ob der Flucht des
Gegners ein Siegesgeſchrei erhob, warb das Kleeblatt
buch das Gepraſſel in nächſter Nähe und durch vie
unerwartete Ankunft des Affen total auseinanderge-
Iprengt. Der Factor war bemüht, in weitausgreifen-
den Schritten die beiven Heerführer zu erreichen, warb
aber durch Betterlein, welcher in ber Angſt wie ein
hun griger -Rarpfen nad feinen zwei Rodihößen
Ihnappte, feitgehalten. In feiner Defperation fhleifte
ber Factor den Quartus wie Achill den Hector hinter
fih ber und langte endlich, aus Leibeskräften Teu-
hend, bei Hanno. und Lagemann an. Dr erſt fiel
l
4148
Betterlein ab und kam wieder auf feine zwei Yüße
zu ftehen.
Nachdem ſich der Factor ebenfalls überzeugt hatte,
daß der ganze Schred nur von einem mäßigen, etwas
langgeſchwänzten Affen herrühre, jo befam er bie
Sprache wieder und benutte Diefe vor allen Dingen
dazu, feine unbedingte Mißbilligung gegen Betterlein’s
Einbeißerei auszuſprechen.
Der Magdeburger war durch ſeinen Sieg gegen
den Pavian ſo unternehmungsluſtig geworden, daß
er nicht übel Luſt hatte, die Verfolgung fortzuſetzen.
Indeß ward er von Hanno unter dem Vorgeben da—
von zurückgehalten, daß das Expeditionsheer vor Al-
lem darauf bedacht fein müfle, das Goldland zur
rechten Zeit zu erreihen. Man jei noch ziemlich weit
entfernt und man dürfe fih durch Nebendinge nicht
von der Hauptjache ableiten Laffen.
Lagemann fah das ein und zähmte feinen Muth.
Er erinnerte ſich wieder feiner Eigenfchaft als Ober—
befehlshaber und traf die desfalljigen Anjtalten. Vor
allen Dingen mußte ihm daran gelegen fein, wieder
Ordnung in das Heer zu bringen. Er hielt daher
Revue und vermißte den Actuar. Diefer war, als
das Meitteltreffen durd) den Drang -Utang fo plötlid)
auseinander gejprengt worben, in's Gras gefallen, wo
er noch lag, und zwar auf dem Bauche.
Lagemann ertheilte daher fofort dem Factor den
Befehl, als Ordonanz Zeifig die Meldung zu brin=
gen, aufzuftehen und das Mitteltreffen zu vervoll-
ſtändigen.
Der Factor, gehorſam dem erhaltenen Befehl,
verfügte ſich nicht ohne bedächtigen Seitenblick nach
dem Aſte, wo der Drang-Utang herbergte, an Ort
und Stelle, wo Zeifig lag.
449
„Actuar,“ begann er, ihn fanft angreifend, „er-
mannet Eudy, die Gefahr ift vorüber; ed war nur
ein fimpler Affe. Die Reife foll fortgehen. “
Zeifig war’8 indeß gar nicht wie ermannen. Der
Schreck war ihm in ven Magen ‘gefahren und hatte
dafelbft eine beveutende Revolution zu Wege gebracht.
Eben als ihn ver Factor leife am Arme zupfte, um
ihn zum Aufſtehen zu bewegen, half fih die Natur
und befreite de Actuar® Magen von einem Theile
der überflüffigen Hümnbeeren. Süßmilch gewahrte mit
Schrecken Zeiſig's Kampf "und als er näher nachſah,
glaubte er nicht anders, als ver Unglückliche habe
einen Blutfturz befommen. Er rief Häglih nad)
Hülfe, worauf Lagemann in Perfon herbeieilte, um
die Sache zu unterſuchen.
„Ein Blutſturz ift e8 nicht,” beruhigte der At⸗
tache, „Zeiſig hat ſich etwas übernommen.“
Dem Actuar war erbärmlich zu Muthe. Erſt den
vereinten Bemühungen Lagemann's und des Factors
gelang es, den Kranken auf die Beine zu bringen.
„Nehmt ihn in die Mitte,” ſprach der Attaché zu
Süßmilch und Vetterlein, „va wird es fchon gehen,
- Hoffentlih daß er ſich bald erholt; wer heißt ihn,
in den Himbeeren fi zu übernehmen.‘
Betterlein war nicht ohne Beſorgniß, die Kranf-
heit des Actuard könne währenn der Armführung nod)
einige Ausbrüche erleiden.
„Ex fieht noch recht blaß aus,” ſprach er, „ich
befürchte, die fchlimmen Zufälle wiederholen ſich.
Ruhe wäre daher wohl mwünfchenswerther als mars
Ihiren. Actuar, wie ft Euch, ſeid Ihr nicht aud)
meiner Meinung ?'
Zeifig war vor der Hand gar feiner Meinung,
wie überhaupt aud) feines Wortes mächtig, Er ließ
4850
den Kopf hängen und blieb dem Duartus die Ant=
wort ſchuldig.
„Länger verweilen fönnen wir auf feinen Fall,“
ſprach Lagemann, auf feines Botſchafters Umſtände
weiter keine Rückſicht nehmend. Zugleich überlegte er,
daß ber krankhafte und ſchwache Zeiſig bei ber gan-
zen Expedition überhaupt ein mehr. bejchwerliches,
als nutenbringendes Meubel ſei. Er fuhr daher fort:
„Sollte ver Actuar den no bevorftehenden Strapa⸗
zen nicht gewachſen fein, fo bleibt ung nichts übrig,
als ihn einftweilen hinter einen Strauch zu legen,
wo er die mannigfachen Chifanen, ſo fein Band
noch über ihn verhängen follte, in Ruhe abwarten
farm. Bei der Heimkehr nehmen wir ihn wieder mit.”
Wiewohl Zeifig das Spreden fehr ſchwer ward,
fo war doch die Lagemann'ſche Zumuthung, wegen
des Strauches, zu ftarf, als daß der Betheiligte da—
bei hätte ſtillſchweigen können.
„Ich komme ſchon mit fort,” krächzte der Bot-
ſchafter.
„Ihr überfchätt Euch, guter Actuar,“ erwiederte
der Attached, ver feinen biplomatijchen Gaft, da er
den Marſch nur behinderte, vor's Leben gern los ge-
weſen wäre.
„Wenn nur die böfen Anfälle nicht wieberfehren,
meinte Vetterlein, „da wollen wir ihn ſchon fort⸗
bringen.“
Zeiſig verſicherte dem Quartus, daß er ſich ſo
wohl, wie der Fiſch im Waſſer fühle; nur etwas
ſchwach ſei ex.
„Ihr wäret mein Fiſch,“ brummte der Attache
unzufrieden, „Ihr feht mir eben nicht darnach aus.“
„Wie geſagt,“ beharrte Zeiſig, „wie ein Fiſch im
Waſſer.“
Ad
Der Factor, welcher die blaſſen Geſichtszüge mit
Kennerbliden betrachtete, nahm. fid eine Prife und
jhüttelte in Betracht des Fiſches mit dem Kopfe.
„Der Factor ſchüttelt auch,“ ſprach Lagemann,
„und mit Recht; ich glaube nicht, daß wir ben Hin⸗
fälligen taufend Schritte weit bringen. Meinetwegen!
Des Menſchen Wille ift fein Himmelreich; wer nicht
hören will, mag fühlen. Indeß erflär’ ih, vermöge
meiner amtlichen Machtvollkommenheit als Heerführer
jo viel, daß, jo wie der Actuar eine auffällige Hin-
fälligfeit bliden läßt, derſelbe unwiderruflich ad de-
positum niedergelegt wird.”
Der Factor, ſtets menfchenfreundlich gefinnt, gab
zu bevenfen, daß dies eine zu undhriftliche Verfah⸗
rungsart gegen eimen allgemein geachteten Lands—
mann fei.
„Noth kennt fein Gebot,” entſchuldigte ſich La—
gemann; auch Hanno geſtand, daß man wegen Zei-
ſig's fortwährendem Unwohlſein unmöglich die für
gefammte Niederroßlaer jo wichtige Erpedition gefähr-
den könne.
Unter biefer für den Actuar höchſt unerquidlichen
Unterhaltung fette fi der Zug in ber vorigen Ord⸗
nung wieder in Bewegung; nur daß anjtatt: Better:
lein’8 , diesmal Zeifig in der Mitte ging. Lagemann,
um für jeden etwaigen neuen Angriff vorbereitet zu
fein, übte fih in der Führung feiner Waffen, indem
er mit der halben Klinge tapfer in die benachbarten
Geſträuche einhieb. Die Flucht des Drang= Utangs,
ber fich nicht wieder bliden. ließ, hatte ihm all feine
friegerifche Haltung wievergegeben.
Dean war nicht weit gefommen, ald Hanno plöß-
lich äußerſt nachdenklich ftehen blieb und in die Höhe
ſchaute. Die nachfolgende Armee machte gleichfalls
152
Halt und blidte, felbft den Actuar nicht ausgenom=
men, wie fchwer e8 ihm ankam (ver Factor hielt ihm
den Kopf), ebenfalls in die Höhe, ohne etwas Außer⸗
gewöhnliches wahrzunehmen.
Der Helvenjpieler fuhr fort, ſich angeitrengten
Beobachtungen am Himmel hinzugeben, obſchon von
leßterem, wegen bes dickbelaubten Waldes, nicht das
Geringfte zu jehen war. Lagemann, fo wie der Factor
und Betterlein gudten ſich faft die Augen aus, End=
(id that Allen ver Hals weh von dem ununterbro=
chenen fruchtlojen In⸗die-Höhe-blicken und der Attache
vermochte e8 nicht Länger über fich zu gewinnen, bei
Hanno Erkundigungen über den Zweck ber aftrono-
mifhen Bemühungen anzuftellen.
„Kann mir denn Niemand ſagen,“ frug num bie=
fer, „mo eigentlid die Sonne ſteht?“
Das war allerdings eine Magifter-Frage für die
Niederroßlaer, die fo tief im Urwalde ftafen, daß fie
niht einmal den Himmel, viel weniger von der
Sonne etwas fahen. Ein böfes Gefchid hatte e8 nun
gewollt, daß der Helvenfpieler, als ihn ver Wallnuß-
wurf zu Boden ftredte, die Richtung der Himmels-
gegenvden total verloren; das übrige Heer, weldes
ven Himbeerſtrauch von allen Seiten befraß, tappte
in Betracht der Weltgegenven ebenfalls im Yinftern.
Selbft der Obergeneral hatte die Sorge für den Weg
ganzlid, dem Mathematifus überlaffen, deſſen Weis—
heit jetst gleichfalls ihr Ende erreicht hatte.
Die Bäume des Urwaldes waren von jo thurm—
hoher Höhe, ihre Stämme von foldem Umfange, die
weitragenden, ftarfbelaubten und von Schlingpflanzen
der mannigfachften Art durchwucherten Aefte von jol=
her. Dichtigkeit, daß nur hier und da ein tellergroßes
Stüd Himmel durch die ehrwürdigen Kronen in die
453
Dunkelheit herabfiel;. von dem ſtrahlenden Tagesge—
ftirne, jo wie von deffen Stande aber war fchlechter-
‚ dings nicht zu ermitteln.
„Es wird und am Ende wahrhaftig nichts übrig
bleiben,‘ fprady der Helvenfpieler, dem es nicht wenig
fatal mar, die Richtung verloren zu haben, „als
einen ber hohen Stämme zu erfteigen, um des Stan-
des der Sonne anfihtig zu werben; ohne ihr ift e8
feine Möglichkeit, ſich weiter fortzufinden; abgejehen,
dag wir das Goldland nicht erreichen, jo laufen wir
noch Gefahr, den Rüdweg zu verlieren.”
Das waren allerdings Bedenklichkeiten, vie Ueber-
legung verlangten.
„sn meiner Jugend, meinte ber Oberfeldherr
Tagemann, „war mir fein Baum zu hoch, ich mußte
hinauf; mit den Jahren hat fid) das gelegt; die
Knochen find mir fteifer geworben, fonft würde id)
feinen Augenblid Bedenten tragen, fürs allgemeine
Befte die Auffahrt zu wagen. Aber wenn ich nicht
irre, fo bat der Quartus häufig von feinen Kunit-
reifen, die er an gefährlichen Stellen .angeftellt, ge=
ſprochen; ic) zweifle daher feinen Augenblid, daß er
die günftige Gelegenheit ergreifen wird, einen that=
fählihen Beweis feiner Turngeſchicklichkeit an ven
Tag zu legen und fih um das Heer verbient zu ma=
hen. Nöthigenfalls wollen wir am Fuße des Stam-
med den Kalmud ausgebreitet halten, damit er fei-
nen Schaden nimmt, fo er herabfällt.“
Betterlein fühlte fih diesmal bei feiner Ambition
angegriffen, und war auch nicht abgeneigt, einen Ver—
ſuch zu wagen.
„Ed iſt freilich lange her, daß ih mich mit
Baumfkletterei abgegeben habe,” ſprach er, „indeß unter
454
obwaltenden Umſtänden halte ich es für Pflicht, das
Möglichfte zu bewerfftelligen.”
Lagemann lobte diefe Gefinnung und Betterlein
trat wirflih nicht ohne Geſchick die Himmelfahrt an.
Es war dieſelbe auch mit feinen großen Schwierig:
feiten verbunden, da vie vielen Anhaltepunfte das
Emporklettern erleichterten. Zum Weberfluß hielt ver
Factor und Marſchall Lagemann den Ralmud des
Duartus ausgebreitet.
Süßmilch, weldher ob feiner langen Beine es nie
in der edeln Turnkunſt zu etwas Crfprieglichen ge-
bracht hatte, war ganz verwundert, als er Betterlein
wie ein Eichhörnchen durch die Hefte Klettern jah.
Seine einzige Beſorgniß beftand nur darin, daß ber
fühne Boltigeur ihm mit der Zeit auf den Kopf fal-
len möchte. Er rief daher ven Himmelfahrer ven
guten Rath nad, fih ja feit anzubalten und um alle
Welt keinen Fehltritt zu thun.
„Denn Betterlein, fprady er zu Lagemann, „auch
nicht jchwer wiegt, jo könnte er und doch in Betracht
der Höhe des Baumes beim SHerabfallen übel mit-
ſpielen.“
Zeiſig kam der Aufenthalt und die Kletterei Vet—
terlein's recht gelegen. Er konnte da mehren Anfor-
derungen ber Natur mit Muſe Genüge leiſten, ohne
den Marſch der Colonne im Geringiten zu ftören.
Das zweibeinige Eichhorn hatte endlich den Gi-
pfel des miajeftätifchen Ulmenbaumes erreicht und
modhte von dem hohen Standpunkte aus eine recht
angenehme Ausficht genießen. Wenigftend renommirte
er jehr damit.
Hanno trat jett in wiſſenſchaftlichen Rapport mit
dem Oberwäldler und erfundigte ſich vor allen Din-
gen nad) der Himmeldgegend. |
4155
„Eine wahre Pracht,“ verfiherte der Quartus
von oben herab; „Ihr habt wirklich feine Idee da—
von. Ih babe halb Frankreich und die Schweiz
durchwandert, aber ſolch' erquidende Ausfiht ward
mir noch nie Sol ih Euch vielleicht eine Kleine
Beſchreibung davon mittheilen ?'
„Später, fpäter, guter Quartus,“ antwortete
Hanno, „jet fagt nur vor allen Dingen, wohinein
die Sonne jteht, damit wir das Goldland auf dem
geradeiten Wege erreichen.‘
„Das Goldland,“ veplicirte e8 aus dem Wipfel
der Ulme; „ei, das ſeh' ich ganz beutlich; es fchim-
mert gar herrlich in der Sonne.“
Lagemann warb durch dieſe frohe Kunde ausneh⸗
mend erheitert. Er vereinigte daher ſeine Bitten mit
denen des Heldenſpielers, daß der Quartus die Hint-
melsgegenden ſignaliſiren möchte. Vetterlein aber, der
ſich auf ſeine Kletterkunſt nicht wenig zu Gute that,
glaubte auch einmal ſeinen Kopf aufſetzen zu müſſen
und fuhr noch geraume Zeit fort, über die herrliche
Ausſicht zu poetifiren, indem er die im Waldesdunkel
Begrabenen nicht genug bedauern fonnte, daß fie auf
eine Theilnahme an feinem Ergötzen verzichten mußten.
„sn der That,” rief er, „beflagen muß id) Euch
von ganzem Herzen, die Ihr vermöge der Ungelen-
figkeit Eurer Glieder nicht berufen feid, an meinem
Entzüden Theil zu nehmen; es ift eine edle Kunft
das Klettern. In meiner Jugend war id ſtärker
darin. Nicht weniger denn ſechs Mal hab’ ich ven
Preis davon getragen bei dem Prämien = Stangentlet-
tern zu Kleinhennersdorf, wo alljährlih zum König—
fchiegen die geübteften Turner von weit und breit
ber fich verjammelten. Es war ein fhönes Feſt, das
Königſchießen zu Kleinhennersporf, ich denfe nie ohne
456
Rührung an daſſelbe zurüd; es fiel aljährlih auf
den Tag Bartholomäi und die zwei folgenden Tage.
Traf ſich's, daß Bartholomäi ein Sonntag war, ſo
begann e3 den darauf folgenden Montag und envete
mit einem folennen Sternſchießen den Donnerftag.
Der Schütenauszug erfolgte in der Regel den Sonn-
tag und der Königsſchuß die Mittwoch.“
Lagemann und Hanno wollten verzweifeln ſelbſt
dem Factor fam die Sache etwas gedehnt vor. Alle
Bitten und Redensarten, jelbft Drohungen, ihn zur
Bezeichnung der Himmelsgegenden zu vermögen, wa—
ren vergeblid. -
„So .ih eine Windbüchſe bei mir hätte,“ ſchwur
endlich Lagemann in ſtiller Wuth, „ich ſchöſſe den
Kerl wie einen Spatzen herunter.“
Hanno frug, ob nicht eine Möglichkeit vorhanden
wäre, den Quartus mit Wallnüſſen, deren es hier in
Menge gab, zum Rüdzuge zu nöthigen. Er behaup⸗
tete zugleich, einen guten Wurf zu befigen.
„Bas hilft das,” entgegnete ungınthig der Mag—
deburger, „man ſieht ja den Hallunken gar nicht, er
muß ganz oben auf dem Wipfel ſitzen. Welcher
Wurf ſollte ihn da erreichen! Wir würden ihn nur
unnöthiger Weiſe reizen, ohne zu unſerm Zweck zu
kommen. Das Beſte iſt, wir erklären ihm, daß, wenn
er nicht herabſteigt, wir ohne ihn die Wanderung fort⸗
jegen würden. Wir entfernen ung Dann Wenige
Schritte, halten ung ganz ftill, ich wette, er verläßt
dann jo fehleunigit mie möglich fein Neſt.“
Diefer Borfchlag Lagemann's fand Beifall. Ihm
zu Folge rief Hanno mit Stentorftiimme: „Quartus,
zum dritten und lesten Male, entweder Ihr fteigt
nieder oder wir laſſen Euch fiten und marſchiren
weiter.
1857 *
Vetterlein, welcher erhaben über ſeinen Gefährten
wie ein Gott in freien Lüften ſchwebte, war weit
entfernt, auf dergleicheu Drohungen aus der Tiefe
das geringſte Gewicht zu legen. Es ſchmeichelte ihm
nicht wenig, daß man ſich ohne ſeine am Himmel
gemachten Erfahrungen nicht fortzufinden vermöchte.
Er pochte auf ſeine Unentbehrlichkeit und fuhr daher
fort, ſich über vie Eigenthümlichkeiten und Vorzüge
des Sleinhennersporfer Königſchießens eines Weitern
zu verbreiten.
‚Die Anzahl der Schützen,“ ſprach er, „war nicht
unanfehnlih und tüchtige Hähne darunter, ſämmtliche
Kevierförfter der Umgegend nahmen Theil; da hab’
ich jelbft erlebt, daß ver Hegereiter Faulring fünf
Mal unmittelbar hinter einander den Nagel jchoß.
Auch die Prämien waren ganz refpectabel. Der Kö—
nigſchuß wurde ſtets mit einem fetten Hammel und
drei Dutzend Schlackwürſten honorirt. Mein Better,
der Stabtjchreiber, trug ſelbſt einmal den Preis da-
von. Den Hammel hättet Ihr fehen follen, mir ift
ein folcher nie wieder zu Geficht gekommen; er hätte
auf jeder Viehausftellung Furore gemadt. Die Fül-
lung der Schlackwürſte war verzüglih; ih habe fie
ſelbſt gefoftet ‚und kann es ſonach authentiſch bezeu⸗
gen; weder in Frankreich noch in der Schweiz hab'
ich ſpäter delicatere Würſte angetroffen. Was die
übrigen Prämien betraf —“
„Kommt glücklich nach, Quartus,“ tönte jetzt die
Stimme des Heldenſpielers und die, Karavane brach
mit abſichtlichem Geräuſch auf, rücte ungefähr funf-
zig Schritte vor, wo fie hinter dichtem Gefträud Halt
machte und ſich jo ruhig wie möglich verhielt, um
dem Duartus glauben zu machen, fie fei wer weiß
wie weit,
t
N 158
Betterlein hielt im Anfang Hanno’8 Ruf ſowie
den darauf folgenden Aufbruh für einen bloßen
Schreckſchuß und ließ fih im Geringſten nicht in ver
Beſchreibung des Kleinhennersdorfer Königfchießens
ſtören. Er erzählte recht con amore und gefiel ſich
außerorbentlih im ber Erinnerung an jene rojenro-
then Zeiten. Als e8 ihm endlich aber doch bedünkte,
als ſei es unter ihm recht ſtill geworden, ließ er in
ſeinen Memoiren eine Pauſe eintreten und horchte;
fein Laut regte ih. Er beugte nun den Kopf und
gudte zwifchen dem Blättergrün hinab nach der Tiefe,
da war Alles leer und das gefammte Erbheer ver-
Ihwunvden. Dem Quartus pochte bei diefem Anblide
da8 Herz hörbar. Er hoffte indeß, die Landsleute
würden fih nur wenige Schritte entfernt haben, fo
daß fie feine Stimme nod zu vernehmen möchten.
Um aljo ihre Aufmerkſamkeit zu feleln, ließ er die
Beſchreibung des Kleinhennersborfer Königſchießens
vor der Hand auf fih beruhen und fam wieder auf
die Himmeldgegend und ven Stand der Sonne zu
Iprehen, aber nur im Allgemeinen. Ex hoffte auf
biefe Meittheilung fiher, von Hanno oder Lagemann
wieder über die Richtung des Wegs befragt zu wer-
den. Über feine Anfrage erfolgte; es: blieb fo ftill
wie zuvor, Der Duartus, dem es ſchon ganz un-
heimlich ward, gucte nochmals herab, und da er auch
diesmal Niemanden erblidte, jo ſchoß er feine letzte
Patrone ab, indem er ausrief, fo laut er konnte:
„Verſammelt Euch Alle unmittelbar am Stamme ver
Ulme, damit ih Euch den Stand der Sonne, fowie
die wahre Richtung, fo Ihr zu nehmen habt, be=
zeichnen kann.“
Auf diefe Worte kroch Betterlein mehre Fuß tie-
fer und laufchte und fchaute unter fi nad allen
159
Ceiten in der gefpannteften Erwartung und mit |ver-
haltenem Athen.
Auch diesmal blieb es ftil, feine Antwort ließ
fi vernehmen, fein Niederroßlaer fich bliden. Jetzt
hätte man dem Duartus Millionen bieten können,
nur eine Minute noch auf der Ulme auszuharren, e8
wäre ihm nicht möglich geweſen.
„Wehe mir Unglüdjeligen, fie haben mid) allein
gelafjen; wer weiß, ob es mir je gelingt, ihrer wie-
ver habhaft zu werden. Sie müſſen bereit8 einen
außerorventlihen Vorſprung erreiht haben, daß fie
meine Stimme nit vernommen und id) fchreie Doc,
als hätte ich Todte aus dem Grabe wach rufen wollen.‘
Unter folhen Gedanken Hetterte der Quartus mit
einer Behendigfeit von feinem hohen Standpunfte
herab, daß er wiederholt in Gefahr lief, den Hals
zu bredjen.
Zu ebener Erde angelangt, erhob er ein wahres
Zetergefchrei, in weldem man ununterbrochen nur die
Namen Hanno und Lagemann unterſchied. Dabei
lief er verzweifelt bald bier, bald dahin und fehrte
immer wieder zu dem Ulmenbaume zurüd, von deſſen
Gipfel herab er das Kleinhennersdorfer Königfchießen
fo anmuthig beichrieben hatte,
Nicht ohne Bergnügen vernahmen die hinter dem
Strauche verjtedten Niederroßlaer, wie die Lift ihren
Zweck erreicht hatte. Auf Lagemann's Rath ließ man
den Quartus nody eine Zeit lang in Verzweiflung
untherfchweifen.
„Er hat e8 um und verdient,“ fprach der Attache.
Auch Hanno, melden Betterlein hauptſächlich durch
die Bejchreibung des Kleinhennersporfer Königſchieſ⸗
ſens gelangweilt hatte, pflichtete vem Attache bei.
Nur der fanfte und chriftlic) gefinnte Factor, als er
460
den kläglichen Hülferuf feines Freundes Betterlein
vernahm, hatte Mitleid und wollte den Rufenden
antworten.
„Daß Ihr Euch nicht unterftehet,” gebot Lage—
mann nachdrücklich; „der Quartus leidet nur die ge-
rechte Strafe”
Die Verzweiflung Betterlein’8 hatte jet den höch—
ſten Grad erreicht, nachdem der einſam Umherirrende
die Entdeckung gemacht, daß die Erbſchaar auch fei=
nen Kalmud, auf welchem er die außerorventlichften
Stüde hielt, mit entführt hatte. Mit dem Berlufte
feines, über dreißig Jahre alten Jugendgefährten,
fah er auch ſich für verloren an und begann deshalb
bitterlih zu fchluchzen.
Den Factor, welcher hinter feinem Straude allen
Gemüthszuſtänden feines Freundes treulichft folgte,
ging dieſes Schluchzen durd und durch; er warb
ebenfalls ganz zu Thränen gerührt, und er fam aber-
mals beim General Tagemann um Schonung ein.
Diefer aber, welcher fit nebit Hanno an dem
Schmerze des Duartus weidete, wollte ſchlechterdings
nichts von Schonung willen. Er griff mit einer
drohenden Miene nad) feinem Dragonerfäbel und 'ge-
bot Ruhe.
Die gutgemeinte Süßmilch'ſche Betition follte in—
deß plößlih auf eine Art unterjtütt werben, welche
nit gut Widerrede zuließ, und die vier Niederroß:
laer, wie mit einem Wetterfchlage aus ihrem Berfted
heroortrieb.
Hanno nämlich, welder neben Lagemann pojftirt
durch eine Deffnung in dem Strauchwerfe mit großem
Gaudium dem verzweifelten Auf- und Abgaloppiren
Vetterlein's zufhaute, fühlte ſich unverſehens an fei-
nem Carbonari gezupft. Er fehaute hinter fi) und
» |
461
blidte einem züngelnden Schlangenfopfe direct in's
liebe Antlitz. Ein Schredensruf und ein Sprung
in's Freie, war das Werk eines Augenblicks. Lage—
mann, weldher des originellen Kopfs gleichfalls an-
fihtig wurde, folgte mit derfelben Behendigkeit. Nur
ber bedächtige Yactor, der neben Zeifig am Boden
ſaß, begriff nicht das urplößliche Verſchwinden des
Heldenſpielers und bed Attache's. Erſt auf Lage—
mann's Zuruf, ſich umzuſehen, welchem Süßmilch wie
der Actuar gewiſſenhaft nachkamen, erſchauten Beide,
in einem und demſelben Augenblide, das riefige Un-
geheuer und wälzten fi), einer’ ven andern überpur=
zelnd, mit unnachahmlicher Sqhneliigtei aus der ges
fährlichen Nähe.
Niemanden konnte aber "bie Boa oder welcher
Gattung die Schlange fonft angehören mochte, einen
angenehmern Dienft ermweifen, als dem Quartus, der
ſich ſchon feit einiger Zeit für einen verlorenen Mann
gehalten. Er glaubte feinen Augen nicht zu trauen,
al8 er in der erfreulichiten Nähe die Geftalten Han-
no’8 und Lagemann's auftauchen jah.
Dald au wurden der Factor und Zeifig fihtbar
und das Erbheer concentrirte fih von Neuen. Die
jüngite Gefahr ſchloß, wie dies immer zu gefchehen
pflegt, die Gemüther inniger an einander, fie ver-
ſcheuchte die innere Ywiftigfeit und verlieh dem Ganz
zen größere Einheit.
So fam auch Betterlein ob feiner ausführkihen
Beihreibung des Kleinhennersdorfer Königsſchießens
biesnal mit einem blauen Auge davon. Man war
bereiter denn je zu vergeben und zu vergefien, wenn
er nur länger feinen Anſtand nähme und feine. auf
dem Ulmenbaume angeſiellten Himmelsbeobachtungen
zum Beſten gebe.
Stolle, ſämmtl. Sqhriften. XVII. 11
2
162
Niemand zeigte ſich jetzt bereitwilliger als Vetter⸗
lein; von Kleinhennersdorf war' feine Rede mehr,
und fo gelang e8 dem Helvenfpieler, den richtigen
Weg nad) dem Golblande wieder ausfindig zu machen.
Es war auch fürwahr die höchſte Zeit, wollte man
am felbigen Tage wieder dad Lager erreichen.
Lagemann ftellte die vorige Heerordnung her, zückte
fein Schwert und commandirte zum Abmarſch.
Man fette fih in Bewegung. Nichts flößte aber
dem Exbheere größere Beſorgniß ein, als das Ge—
fräud, in weldem fich die grau=grüne Schlange ge=
zeigt hatte. General Lagemann machte daher eine
entſcheidende Tlanfenbewegung, wodurch er das ver=
dächtige Geſträuch weit zur Rechten Liegen lie.
So bewegte fi) der Zug in ziemlicher Eintönig-
feit vorwärte. Es warb wenig geſprochen. Jeder
ſchien mit fi beſchäftigt und war in Gedanken in
Niederroßla, wo er von dem in Afrika erbeuteten
Golde in behaglicher und beneidenswerther Gemäch—
lichkeit lebte.
Lagemann durchkreuzte in Gedanken die ganze Um—
gegend von Niederroßla und inſpicirte alle Güter,
von denen er wußte, daß ſie zum Verkauf ſtanden.
Dieſe heitern und anmuthigen Phantaſiegebilde
ſollten indeß durch ein abermaliges Abenteuer unter—
brochen werden, wodurch die bisher auf der Wande—
rung nad) dem Goldlande erlebten: Begebenheiten in
Nichts zerfielen.
In ziemlicher Entfernung ließ fih ein dumpfer
Ton vernehmen, welcher fogleid) das Intereſſe und
die Aufmerkfamteit ſämmtlicher Niederroßlaer in An-
ſpruch nahm, und über beffen Urfprung und Urſache
man den verſchiedenartigſten Bermuthungen fi hingab.
Lagemann commandirte Halt, damit man ftill lau⸗
163
ſchen könne, ob fih der Ton nit von Neuem hören
laſſe. Man brauchte nicht lange zu warten. ‘Der.
jelbe Ton warb vernehmbar und diesmal um ein Be-
deutendes näher.
„Wenn das nicht ein Löwe iſt,“ ſprach der Hel-
venfpieler, „jo will ih nicht Hanno heißen. Wir
müſſen gınd auf das Schlimmfte gefaßt machen.‘
Lagemann hatte fid) von den Matrofen fo. viel
von der Hafenherzigfeit der Löwen vorerzählen laſſen,
daß er davon vollfonmen überzeugt war und baher
ob Hanno's verhängnigvollen Worten die Befinnung
feineöwegs verlor. Im Gegentheil zeigte er fich wider
Erwarten gefaßt, und behauptete jene Ruhe, welche
bei einem Heerführer von jo hobem Bertheil ift.
„Befinnt Euch nur auf ein luſtig Lied,’ fprad)
er, „fjobald das Gebrüll näher kommt, fingen wir
dieſes, und Ihr werdet gewahren, wie die Beſtie
Ichleunig Reißaus nimmt.“
Weder dem Factor, noch Zeifig, no dem Duar-
tus war fingeluftig zu Muthe.
Indeß bewirkte die hohe Zuverſicht, welche der
General bewies, daß das Mitteltreffen nicht alle Hal-
tung verlor.
„Für den Tal der Löwe,“ fuhr Lagemann fort,
„unſern Gefang nicht reſpektiren ſollte, jo müſſen wir
uns allerdings auf unfere Augen verlaffen. Sie ges
währen unbeftreitbare Sicherheit. Dann möge ber-
jenige von uns, welcher fid) der größten Augen zu
erfreuen hat, fühn voranfcreiten, den Löwen unun-
terbrochen ſtarr anfeben und ihm direft auf ven Leib
rüden Nur darf man nicht bie geringfte Furcht
zeigen, ſonſt fpringt das Unthier zu und padt. Wer
wäre aber unter ung im Befite ber größten Augen?
=
16%
Wen hat wohl ein gütiges Gejchid mit dem vortreff-
lichten Sehorgan ausgeftattet ?“
„Anbeftritten ven Quartus,“ ſprach Hanno.
„Mich?“ Frug erfchroden Betterlein, „bewahre der
Himmel, id habe ja wahre Maulwurfsaugen.“
„Sch berufe mich auf das Zeugniß aller Anweſen⸗
den,“ beharrte der Heldenſpieler.
Seht mich einmal an,” ſprach nun ber General
ernit zum Duartus, um fich von der Peripherie fei-
ned Auges perfönlich zu überzeugen.
Der Aufgeforverte zog die Augenwimpern jo nabe
wie möglih zufammen und blinzelte den Feldherrn
an, als ſchaue er in vie Sonne.
Der Angeblidte zog die Stirne kraus.
„Wenn Ihr,” ſprach er, „vem Löwen mit biejer
Phyfiognomie fommt, ſeid Ihr verloren. Von Euern
Augen ift ja Jo gut wie nichts zu ſehen.“
„Darum eigne ih mich auch nicht, dem Löwen
entgegen zu gehen.‘
„Eigenfinn, fo ſperrt doch einmal Die Klogen auf
und ſchaut mich groß an.”
„Belcheidenheit verbietet mir — “
„Wenn ih e8 Euch als Feldherr gebiete, ver-
ſchwinden alle Rüdfichten der Beſcheidenheit. Alſo
ftarr mir in's Auge geblid. Habt Ihr etwa fein
gut Gewiſſen?“
„Das ruhigfte von der Welt.‘
„Wohlen, Auge in Auge Denkt, ich wär’ ber
Löwe.
„Das fallt mie ſchwer.“ |
„So thut wenigftens, als wär’ ich der Löwe.“
„Ih glaube, der Factor —
„Richt da Factor, von Eud) ift jet die Rede.“
165
„Seine majeftätifche Figur; mich würde das In
thier nicht für voll anſehen.“
„Das iſt wahr,“ meinte Lagemann nachdenkend.
„Er beſitzt Haltung,“ fuhr Vetterlein ermuthigt
fort, „ich gu, er weiß fich zu benehmen bem Lö⸗
wen gegenü
Sußmilch, , welcher äußerſt aufmerkſam geworben,
als die Rede auf ihn gekommen, widerſtritt die Ver⸗
muthung Detterlein’8 auf das Hartnädigfte.
„Ich will mid) nicht felbft in Schatten ſtellen,“
ſprach er, „aber daß ih einem ſolch' blutgierigen Un-
geheuer gegenüber bie Contenance verliere, getraue ich
mir mit einem körperlichen Eide zu erhärten.“
Hanno vermittelte die Sache dahin, daß, im Fall
der Löwe erſchiene, Keiner zwar worangehen, aber
Jeder das Seine thun follte, um das Unthier in Res
ſpect zu halten. |
„Bor ‚allen Dingen nur feine Furcht,“ befahl
Lagemann, „das ift Hauptbebingung. Uebrigens,“
fügte er beruhigend hinzu, „glaube ih noch gar nicht,
baß ber gehörte Ton von einem Löwen herrührte.“
Daß dem fo war, warb burd die Wieverholung
des bonnerähnlichen Tones, ber jet weit näher ge=
fommen und einem bumpfen Gebrüll gli), ziemlich
außer Zweifel geftellt.
Das Mitteltveffen zitterte bei dem furdhtbaren
Klange wie Espenlaub; ſelbſt dem Helvenfpieler warb
nicht wohl zu Muthe Nur Lagemann, auf die Er-
' fahrung und Erzählung der Matroſen vertrauen, be=
hauptete eine bewunvernswürbige Faflung.
„Der Löwe fcheint näher zu kommen,” ſprach er,
„ielleiht daß er Menſchenfleiſch in feinem Gebiete
wittert. Wir müſſen jett über das fröhliche Lied
übereinfommen, das wir bei feinem Erjcheinen an-
466
\
fiimmen. Ich werde den zweiten Baß übernehmen.
Hanno mag den erften fingen. Wär’! nicht gerathen,
wir bielten vorher eine Heine Probe?”
Der Heldenfpieler räufperte fih und begann un—
cultivirte Töne hervorzuftogen; auch Lagemann übte
fi) in einigen anmuthigen Läufern und Coloraturen;
aber mit Süßmilch, Betterlein und dem Actuar
ſtand's trübfelig. Sie waren alle ‘Drei von Natur
feine Helden im Geſang und jett ſchien ihnen bie
Angft abjonderlih die Kehle gefchnürt zu haben.
„Könnt Ihr den: Jäger aus Churpfalz?” er-
kundigte ſich Lagemann als Vorſänger.
„Ich kann ihn,“ erwiederte Hanno und begann:
„Gar luſtig iſt die Jägerei,
Tralli, tralla, tralla u. |. w.
Da der Hauptarmee der Jäger aus Churpfalz
gänzlich unbelannt war, fo ſprach fid) Lagemann äu⸗
Berft mißbilligend über ſolche Ignoranz aus.
„Könnt Ihr denn,“ frug er und fang:
„Auf, —8 am Roſenſaume
Den Lenz, eh' er entflieht!“
Allgemeines Kopfſchütteln.
„Oder,“ fuhr Lagemann fort und ſang:
„Deutſches Herz, verzage nicht,
Thu' was Dein Seriffen ſpricht!“
Wieder allgemeines Kopfſchütteln.
„Mit Euch iſt in der That auch gar nichts an⸗
zufangen,“ zankte der worfingende Oberfeldherr. „Wie
ſteht's denn mit:
„Daß Eva fih am Apfelbaume
Gelabt im Paradies,
Kein Menſch verargt ihr dies!‘
Hätte man weniger Furcht vor dem Löwen ge-
habt, fo würde man gewiß nicht ermangelt haben,
167
dem Magdeburger ob feines Lieverreihthums reichlich
Lob zu fpenden. So aber berüdfichtigte man feine
Rhapjodien weniger und hielt nur das Ohr der Ge
gend zugefehrt, von woher fi) das erfchütternde Ge-
brüll hatte vernehmen laſſen.
Lagemann, um feine unmufilalifchen Landsleute
in ihrer ganzen Blöße binzuftellen und feinen Ge-
* fangsruhm außer allen Zweifel zu ftellen, fuhr fort,
vie Anfangsſtrophen von einer Menge Liedern und
Arien herzufingen, wobei er fein zagendes Mitteltref-
fen mit vieler Hoffart anfah.
„Wie,“ frug er, auch das herrliche:
„Preis Dir, Herrmann, Volkserretter,
Der wie Gottes Donnerwetter
, Im die Seinde Deutſchlands ſchlug!“
Als der Sänger aud) diesmal feine befriedigende
Antwort erhielt, fand er fich enplid zu der Frage
veranlaßt: „Wber, Factor, e8 hat doch jeder Menich
feine Lieblingslieder, wie fteht’8 mit Euh? Ihr wer-
det doch nicht ganz von Gott verlaffen fein, daß Ihr
nicht auch eine Arie vorzutragen verſtündet?“
„D ja,“ erwieberte der Factor, defien Muth durch
das Stillihweigen des Löwen wieder gewachfen war
und der Stimme befommen hatte. |
Süßmilch feste jett feine Singorgane in Stand,
wobei wunderbare Töne zum Borfchein famen. Vor—
her ging ein langwierige Räufpern, Hüfteln, Aech—
zen. Endlich ſchien ihm die Kehle hinreichend ge=
ſtimmt und er begann:
„Ich bin ein beutiches Mädchen,
Mein Aug’ ift blau und janft mein Blick.“
Selbft Zeifig jah den Quartus, ob dieſer außerge-
wöhnlichen Klänge, die an fein Obr fchlugen, betroffen
an.” Hanno fiel fat um vor Lachen, während Lage-
4168
mann in ftolzer Siegesficherheit mit einem unnach—
ahmlich mitleivigen Lächeln auf den Sänger blidte.
Durch die totale Niederlage Süßmilch's in der
eveln Geſangskunſt bekam aber jest auch Vetterlein
Muth, ſich hören zu laſſen. Ohne daß es aljo eine
Aufforderung von Seiten Lagemann's beburft hatte,
flimmte er feine Kehle und. begann mit ſehnſuchtsvol⸗
lem Ausbrud:
„Ab könnt’ ih Molly Faufen
Für Gold und Edelſtein.“
Berwundert blidte Alles auf den neuerjiandenen
Sänger. Er begann Triller zu fchlagen und zulett
gar zu jodeln. Lagemann ward ordentlich eiferfüchtig
ob Betterlein’8 Succeß: er ließ ihn nicht ganz zu
Ende fingen, fondern unterbrady ihn mit ben Wor-
ten: „Diefes Lied ift doch nichts im Vergleich des
herrlichen:
„Tochter nie entweihter Tugend,
Mit des Himmels Reiz geſchmückt.“
Er fang alle vier Verſe dieſes Liedes.
„Da muß fih,” ſprach er, als er zu Ende war,
„ebenfowohl Vetterlein's Molly als des Factors deut⸗
ſches Mädchen verſtecken. Welch' erhabene Moral liegt
in dem Liede.
„Nicht minder ſchön iſt:
„Des Künſtlers Reich iſt die Natur,
Ihm huldigt See und Hain und Flur,
Was immer ſeine Blicke ſah'n
Iſt ſeinem Pinſel Unterthan.“
„Ferner:
„Mein Herr König von Spanien,
Wie theuer iſt ſein Königreich.“
169:
„der das zarte:
„Sie ſchwur, daß fie mich Tiebe,
Keinen (andern Umgang habe
Als nur mit mir.”
„Nicht minder anfprechend :
„Der Graf bot feine Schäte mir
Bon Gold und Ebelfteinen.’’
„Berner höchft ergreifend ift Die Arie, welche be-
ginnt:
„Ha, mein Appius, der Bater will mich morben,
Weil Du mid liebſt.“
„Lieblih in die Ohren fallend:
„Als Hirten ftehen wir und lauſchen.“
„Wahrhaft erheben:
„Wort des Troftes, Wiederſehn.“
Die muſikaliſche Academie, welche Lagemann in
Gegenwart feiner Truppen zum Beten gab unb wor-
auf er fi) nicht wenig zu Gute that, follfe indeß
durch einen urfräftigen Ton plöglih unterbrochen
werden. Der Löwe, den man fchon über alle Berge
geglaubt, ließ fi wieder vernehmen und diesmal in
jo beveutungsvoller Nähe, dag dem größten Theil
bes Erbheeres fchleunigft die Haare. zu Berge fliegen.
Lagemann dachte vor der’ Hand an feine Yort-
ſetzung feiner Chanſons, fondern traf die nöthigen
Vorkehrungen für den Fall, daß ver Löwe fih in. -
Leibes= und Lebensgröße zeigen follte.
„Da wir fein Enfemble im Geſange zujammen-
bringen,” fprady er, „jo wird e8 das Gerathenite fein,
wenn ever das Lieb anftimmt, worin er glaubt das
Meifte zu leiften. Der Factor kann fein „Deutſches
Mädchen” anftimmen, der Duartus: „Ad könnt' id)
470
Molly kaufen,” Hanno das Trinklied aus dem Yrei-
ſchütz und der Actuar, der über feinen ganzen Ton
in feiner Kehle zu gebieten hat, mag meinetwegen
quiefen oder miauen, wie's ihm beliebt, je Lauter-
deſto beſſer. Ich Bin überzeugt, wenn Jeder das
Seine thut, fo wird ber wierbeinige Unhold je eher
je lieber die Flucht ergreifen. Die Hauptjache freilich
befteht darin, daß Alle kräftig einfallen und aus Lei—
beöfräften ihre diverſen Stimmen erheben. Es kommt
diesmal weniger auf den Wohlflang, als auf Behe-
menz des Geſanges an. Ih und Hanno Fönnen es
freilich nicht allein machen. Ich glaube nicht, daß
wir Beide allein den Löwen zur Raifon bringen.”
„Auh wird es nicht undienlih fen,” fuhr er
fort, „daß wir uns möglichft zufammen ſchaaren, da—
mit der Löwe eine compacte Maſſe vor fi) erblidt,
welche anzugreifen er wohl Bedenken tragen dürfte.“
Diefer letzte Vorſchlag fand im Miitteltreffen ben
meiften Anklang. Man drängte fich orbentlih, um
die Concentration fo ſchnell wie möglih zu bewerf-
ftelligen. |
„So wie ih das Zeichen gebe, ſprach Lagemann,
„fallt Ihe Alle ein. Bor der Hand wollen wir uns
ruhig verhalten. Es wäre doch möglich, daß der
Löwe feinen Angriff beabfichtigte.
Wieder rollte das furchtbare mujeftätifche Gebrüll
durdy den Wald, deſſen Urheber jest gar nicht weit
entfernt fein fonnte. Der Ton wirkte aber fo ges
waltſam auf das engconcentrirte Heer, daß es faft
aus einander geplatt wäre. \
„Ber zudt und rudt denn fo ungeberdig?” frug
Lagemann in höchſt ftrafendem Tone; „id dächte Ihr
wäret e8, Factor?”
„Ih Kann mir nicht helfen,“ entſchuldigte ſich
474
dieſer, „ich kann das Brüllen nicht vertragen, e8 reift
mid, jevesmal herum; wer kann für feine Nerven.”
„Der Menſch vermag viel über fi, fo er nur
will,“ ſprach Lagemann, „jett. will ich mich aber als
Conmmandant auf meinen Poften begeben, nämlich)
hinter die Fronte, damit ich beſſer Alles überfchauen
und namentfid) das Enfemble des Geſanges richtig
leiten kann.“
Er zog den Dragonerſäbel aus dem erweiterten
Knopfloche, um ihn als Commandoſtab und Taktir⸗
ſtock zugleich zu gebrauchen.
Der Factor hielt mit dem einen Arme den Hel⸗
denſpieler inbrünſtig umſchlungen, während er mit dem
andern den Actuar zärtlich an's Herz drückte. Zwi—
ſchen Zeiſig und Süßmilch guckte das Antlitz des
Quartus ziemlich zerſtört hervor.
Der unmittelbar im Rücken des Herzens aufge—
pflanzte Oberbefehlshaber ward nicht müde, dem za—
genden Corps Muth einzuſprechen und daſſelbe zu
kühner Ausdauer anzufeuern.
„Ihr werdet ſehen,“ ſprach er, „es hat keine Noth
und wäre der Löwe noch ſo groß, an einen Geſang,
wie wir anſtimmen, iſt er nicht gewohnt. Ich bin
überzeugt, daß er die Flucht ergreift, ohne daß es
unſerer Sehwerkzeuge bedarf.“
Da entſtand in den benachbarten Geſträuchen mit
einem Male ein entſetzliches Gepraſſel. Es hätte
nicht viel gefehlt, ſo wäre das Centrum des Heeres
durch des Factors convulſiviſche Nervenzufälle geſprengt
worden. Lagemann, welcher im Rücken der Schlacht⸗
linie ſtand, hatte aus Leibeskräften zu halten. Zu—
gleich gab er das Zeichen zum Beginn des Geſanges.
„Stimmt an,“ rief er, „das war er, nur herz⸗
haft eingefallen. Es ift die einzige Rettung.‘
412
Er jelbit begann nun mit durchdringender Stimme,
deren Vehemenz man die nahende Gefahr etwas an
merkte: |
„Beim großen Faß zu Heibelberg,
Da flgt ber FG ie, ß
Und auf dem —5 — Johannisberg
Ein hochwohlweiſer Rath.“
Im Baſſe fiel ver Heldenſpieler ein:
„Hier im ird'ſchen Jammerthal
Gäb's doch nice als Plad und Dual,
Hätt' der Stod nit Trauben.”
Der Factor, Betterlein und Zeiſig -[perrten zwar,
wie Heine hungrige Staare, die noch nicht ausfliegen
fönnen, inftinttmäßig die Mäuler auf, aber fie waren
nit im Stande, vor Angft einen Ton hervorzu—
bringen.
„So fingt doch zum Teufel,“ rief ihnen Lage—
mann zu, „wir find .fonft verloren!” und begann mit
erhöhter Stimme:
„Beim großen Faß zu Heidelberg.‘
Da preften Factor, Quartus und Actuar aus
Leibesfräften und mit Verzweiflung Wie Blafebälge
dehnten ſich ihre Lungenflügel aus, die Mäuler fpreiz-
ten ſich auf, als gelte es Erdkugeln zu verfchlingen;
die drei verzerrten Gefichter glichen denen von Ver—
banımten im äußerften Höllenpfuhl. Endlich kamen
Töne zum Borfchein, Töne, wo ſich alle Menjchen-
haare jo fchleunig wie möglich würden empor gebäumt
haben, wenn fie bei ven Triumvirn nicht fchon ker—
zengrade geftanden hätten.
Während Lagemann fortwährend mit besperater
Stimme wiederholte:
„Beim großen Faß zu Heidelberg,“
473
und der Helvenfpieler im tiefften Baſſe:
„Würfelſpiel und Kartenluſt,“
krächzte der Factor:
„Ich bin ein deutſches Mädchen,
Mein Aug’ ift blau und ſanft mein Blick,“
und Betterlein:
„Ach könnt’ ih Molly Taufen,
Fir Gold und Edelſtein.“
Zeiſig, der fih in der allgemeinen Noth fchlechtervings
auf feine Arie zu befinnen wußte, und doch auch das
Seine zum allgemeinen Beiten beitragen wollte, um
nicht vom Löwen verfchlungen zu werben, befolgte
den Rath, weldem ihm Lagemann früher gegeben
und quiefte und miaute aus Leibesfräften.
Nichtspdeftoweniger warb ber vermeintliche Löwe
fihtbar, welcher aber nichts weiter als eine hochauf-
geſchoſſene Giraffe war. Sie jtedte neugierig den auf
langem Halje fitenven Kopf durch die Zweige, um zu
ſehen, was wohl da unten für ein Conzert aufgeführt
werde; doch kaum hatten die Triumvirn ven feltfa-
men Kopf gefhaut, der nicht weniger denn zehn El-
en body herabgudte, als troß Lagemann's und Han-
no's Geiftesgegenwart die gefanımte Akademie über
den Haufen fil. Man würde beim Anblide des
Löwen nicht jo erfchroden fein, als bei diefem Gi«
taffenfopfe, der wie aus ven Wollen herabjchaute.
Daß der liebe Gott ein To baumlanges Thier ge=
Ihaffen, davon hatten weber der Factor noch Zeifig
eine Ahnung gehabt, und der Quartus, objchon er
zu Niederroßla feiner Schuljugend Naturgefchichte über
bie vierfüßigen Thiere hatte vorgetragen, war doch
von der riefenhaften Erſcheinung dermaßen angegriffen,
daß ihm
„Ah könnt' ih Molly laufen’
-
ATS.
Ichlechterdings in ver Kehle fteden blieb. Der Yactor
befam wieder Nervenanfälle und Zeifig glaubte ſich
bereits verfchlungen.
Bergebend ermahnte der Oberfelvherr und Hanno,
welche den überaus frieplichen Charakter ver Giraffen .
fannten, SHeldenfinn zu entwideln. Es war Alles
vergeblih. Das Mitteltreffen lag wie erfchoffen re—
gungslos, einer über den andern.
„Es ift ja der Löwe gar nicht,‘ rief Yagemann,
„jondern nur eine Giraffe, welde fein Kind be=
leidigt.“
Die Giraffe ſchien ebenfalls . fein Held zu fein.
Sie z0g den Kopf wieder zurüd, getraute fih nicht
näher und man hörte fie nach einigen Secunven nad)
einer andern Richtung hin abtraben.
„Das Thier ift unftreitig vor dem Löwen geflo=
hen,” meinte Hanno.
„Kann wohl fein,‘ erwieverte Lagemann; „aber
wir können jet auf Seine Majeſtät nicht länger
warten. Unfehlbar hat der Löwe wieder den Rück—
weg angetreten, denn fein Gebrüll, das ſich von Zeit
zu Zeit vernehmen läßt, tönt weit entfernter. Wenn
wir und jeßt nicht rüftiger dazuhalten, erreichen wir
das Goldland auf den Nimmermehrstag; und da ift
im Grunde Niemand jchuld als diefe drei Schäder.
Wie fie wieder baliegen, die abgeftohenen Kälber.
E83 wäre wirklich vernünftiger gewefen, Hanno, wir
hätten vie Goldfahrt ohne dieſes Volk unternommen.
Wir könnten längft das Ziel unferer Reife erreicht
haben. Wie lange wird es jet wieder Zeit brau—
hen, die Gebrechlichen auf die Beine zu bringen.”
„Sch bin dafür, daß wir weiter feine ümſtände
mit ihnen machen und fie ruhig liegen lafjen, wenn
fie dem erften Aufgebot nicht folgen,” meinte Hanno,
175
„Es ift Dies auch meine Meinung,” fprad) Lage⸗
mann, „ſolche Schächer verdienen gar feine Schätze.
Auch haben fie, falls fie nicht die Reiſe in's Gold⸗
land mitmachen, durchaus feinen Anſpruch auf unfere
Beute.”
„Das verfteht ſich,“ erwiederte ber Heldenſpieler,
„nicht ein Prozent treten wir ab.“
„Ih wüßte auch nicht wofür,“ verfeßte der At⸗
taché und wandte ſich zu ben Triumvirn, bie noch
immer wie todt im Graſe lagen. Der Anblick der
großen Giraffe hatte wirklich einen unbeſchreiblich nie—
derſchlagenden Eindruck auf ſie hervorgebracht.
„Hollah,“ ſprach Lagemann, den nervenſchwachen
Factor mit dem Fuße anſtoßend, „die Reiſe geht
vorwärts. Wollt Ihr mit oder lieber hier warten
bis wir wiederkommen?“
Süßmilch warf vor allen Dingen einen ſcheuen
Blick nach dem Orte, wo ber Kopf der Giraffe her-
vorgeblidt hatte.
„It das Ungeheuer fort?“ frug er ängftlich.
„zange chen,” gab der Attahe zur Antwort,
„jest kommt aber, id und Hanno warten feinen Au⸗
genblid länger.
„Ich dächte, wir kehrten nad dem Lager zurüd,’
gab Süßmilch den wohlgemeinten Rath, „es ift doch
das eine befjer wie das andere. Was meint Ihr,
Logemann? Unfer undriftliher Golddurſt hat uns
bereit8 in eine Menge von Gefahren geftürzt und wer
kann willen, welche unſrer nod) erwarten.”
„Es ift dies auch meine Meinung, verſetzte ber
Duartud. „Ich glaube, der afrikanifhe Reichthum
ft und nicht beftimmt. Ih ftimme auch für ben
Rückzug.“
„Ich auch,“ ſeufzte Zeiſig.
476
„Ihe habt gar nichts zu ſtimmen,“ fuhr Rage-
mann feine Truppen hatt an. „Wenn Euch das
Herz in die Hofen gefahren ft, jo feheert Euch zum
Teufel. Ih und ver Helvenfpieler, wir werben ung
auf dem Wege des Ruhms und der Beute durch
Eure Dafenyerzigteit nicht aufhalten laſſen. Nicht
war, Hanno?’
Bewahre der Himmel,“ antwortete dieſer.
„Ein ächter Mann bleibt nicht auf halbem Wege
ſtehen,“ ließ ſich ver Altahe eines Weitern verneh-
men; „aber Ihr werdet e8 in Eurem Leben zu nichts
bringen. Wer nichts wagt, kann nichts gewinnen.”
„Run, id dächte wir hätten gewagt,” gab Vet—
terlein zu bedenken, „haben wir es bis jett nicht mit
lauter Ungeheuern zu thun gehabt?“
„Bagatellen,“ verjegte Lagemann abiprechen,
„wenn die Gefahren nicht jchlimmer kommen, find fie
nicht der Rede werth.“
PVetterlein gudte hier den Factor bedeutfam an,
welcher fich ſehr kopfichüttelnd eine Prife nahm.
„Uebrigens frage ich jett zum allerlegten Male,
ob Ihr uns nah dem Goldlande noch folgen wollt
oder nicht?“
„Sch wollte mir nur zuvor noch die Bemerkung
erlauben —“ gab Süfmild zu bevenfen.
„Hier werden gar feine Bemerkungen erlaubt,”
fiel der Attachs abſprechend ein.
„Es wäre nur von wegen —“ meinte der Factor.
„Nichts da,” entſchied kategoriſch Lagemann, wel-
cher Süßmilch abermals nicht ausreden ließ, „Ihr
habt nur zu erklären, ob Ihr uns folgen wollt oder
nicht.“
„Ich dächte, wir wollten nicht, verſetzte nad) einer
Paufe Eeinlaut der Quartus.
477
„Das dacht’ ih auch,” meinte ver Yactor eben-
falls nady einer Baufe, „denn, wenn man alle die
obwaltenden Berhältniffe und Umſtände in veifliche
Ueberlegung zieht, jo ftelt fih am Ende faft unwi-
derruflih heraus, dap —“
„Ihr Ejel ſeid,“ ſprach teoden Lagemann, und
nahm den Heldenjpieler am Arm; „kommt, Hanno,”
fuhr er fort, „mit dieſen Gevatter Schneidern und
Handſchuhmachern ift nichts anzufangen. Laßt uns
unſerm Sterne allein vertrauen.” j
„a, das wollen wir,” erwiederte der Helden⸗
ſpieler und feiner einftigen Kumft fi) erifnernd decla⸗
mirte er:
„Da Stehen wir ein entlaubter Baum,
Doch innen im Marke lebt bie jchaffende Gewalt.‘
Mit diefen Verfen aus dem Wallenftein verſchwan—
ven Lagemann und Hanno im Gebüſch und ließen ‘
ihr zeitheriges Mitteltreffen in einer höchſt merkwür⸗
digen Gemüthsftimmung zurück.
Einen folhen Staatsſtreich, mitten allein in einer
heidnifchen Wildniß von den eignen Heerführern zu-
rüdgelaflen zu werden, das hatten fie nicht erwartet;
und je länger und angeftrengter fie über vdiefen Fall
nachdachten, in deſto graufigerm Lichte erfchten er ihnen,
„Sie find vielleicht nicht weit und fehren bald
wieder, meinte tröftend der Factor, obſchon er an
diefen Troſt ſelbſt nicht vecht glaubte.
„Wir hätten uns doch nicht trennen ſollen,“ ſprach
Vetterlein mit äußerſt beforglichen Geſicht.
„Wollen wir ihnen nicht nacheilen, ſie können
keine hundert Schritt entfernt ſein?“ ſchlug Süß⸗
milch vor.
„Wenigſtens wollen wir ihnen zurufen,“ ſprach
Vetterlein, „bevor der Zwiſchenraum zu geb wird.“
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVIII.
478
Die Ausführung dieſer BVetterlein’jchen Idee ließ
diesmal nicht lange auf fid) warten. .
„Herr Lagemann! Herr Lagemann,“ rief bie
Stimme des Duartus aus Leibesfräften, „wir haben
und anders bejonnen.”
„Dann folgt uns fchnell, ertönte eine Antwort
aus der Entfernung.
Die drei Nadnüger reſolvirten fich daher ſchnell
und.fuchten ihre Vereinigung mit Hanno und dem
Alttaché zu bewerfftelligen. Sie waren auch bereits
ben beiden Feldherren jo nahe gekommen, daß fie fich
mündlich unterreden konnten, als eins ber außerordent⸗
lichften Ereigniſſe die nachfolgende Truppenmacht plöß-
lid) wie angebonnert ftehen hie ieß.
Ein gewaltiges Rauſchen in dem Gebüfh vor
ihnen ließ fid) vernehmen, e8 war nicht anders, als
wenn mehre Compagnien Fußvolk durch's Gefträuch
brächen. Höchſt befrempliches Gemurmel ſchlug an
das zagende Ohr des nachfolgenden Heeres. Plotzlich
ertönte kreiſchender Hülferuf von Seiten Hanno's und
Lagemann's.
„Zu Hilfe, Factor, Quartus, um aller Barm-
herzigkeit willen,” ſcholl e8 verzweifelt durch den
Wald, „wir find überfallen!“
Die beiden nah dem Goldlande voranjcreiten=
den Feldherren waren einem umberfchmweifenden Ne-
gerftamme in die Hände gerathen. Eh’ fie zur Be—
finnung kommen konnten, fühlten fi) der Attaché wie
der Helvenfpieler von ſchwarzen Fäuften gepadt und
der Erfte fich feines halben Dragonerfäbels, der An-
bere feines Carbonaris und des Bambusftods beraubt.
Zu gleiher Zeit band man ihnen die Hände auf den
Rüden und einige urkfräftige Peitſchenhiebe deuteten
" 479
ven Gefangenen an, daß fie fih in Marſch zu ſetzen
und ihren ſchwarzen Gebietern zu folgen hätten. '
Daß unter obwaltenden Umftänden das Mittel-
treffen, ohne dem Hülferuf im ntfernteften nachzu—
fommen, ſchleunigſt den Rückmarſch antrat und zwar
in ausbauernd geftredtem Galopp, wird Niemandem
Wunder nehmen. In der That gelang es auch, 'wie-
wohl nad einer beifpiellos forgirten Retirade, dem
gehetsten Stleeblatt, noch im Laufe deſſelben Tages das
Lager zu erreichen, wo man allerdings wie tobt hin-
fiel und faum fo viel Kraft hatte, den Capitain von
der unerhörten Begebenheit in Kenntniß zu feten.
Achtes Kapitel.
Was ungefähr acht Tagen fehrten Gamaliel, Bictor
und Zohu in einem geräumigen Boote vom Yort
St. Louis nad) dem . Borgebirge St. Anna, wo bie
Schiffbrüdigen ihre Hütten aufgeſchlagen, zurüd.
Es dürfte jet dem Leſer nicht ganz uninteref-
fant fein, das fernere Schidfal Lagemann's und Han—
no's, welche fich gefangen in den Händen ber Man—
dingo-Neger befanden, zu erfahren.
Wie ſchon angedeutet worden, machten die Neger
nicht die geringften Umſtände mit den. zwei gefange-
nen Europäern. Im Gegentheil festen fie alle Hu—
manitätsmaßregeln auf das Auffallenpfte aus ben
Augen. Auf ein paar Hiebe mehr oder weniger Tam
e8 der wilden Horbe nicht an.
Lagemann, ber es ſelbſt in ver waurigſten Lage
180 >
nicht unterlaffen konnte, Vorwürfe zu machen, lag
dem um feinen Mantel höchlich beftürzten Heldenfpie=
ler fortwährend in den Ohren. |
„Ber nur Euch folgt, Hanne,“ ſprach er mit
ſtillen Ingrimm, „ver kann fidher fein, zu Grunde
zu gehen, wenn er nicht gar gehenkt wird. Das hat '
man nun von Eurem Goldlande. Ein Teufel muß
Euch den Rath eingegeben und ein anbrer Teufel
mic geblendet haben, auf Euern Vorſchlag zu folgen.
Nun fteht uns die erlabende Ausficht bevor, entweder
heut’ Abend noch geichlacdhtet und gebraten oder nädh-
fir Tage in die afrilanifhen Bergwerke im Innern
als Sclaven ‚verkauft zu werden. Man folge nur
einem Comödianten!“
Ein aufßerorventliher Senfzer von Seiten Lage—
mann’3 folgte viefen Worten.
Der Helvenfpieler, welcher mit auf dem Rüden
gebundenen Händen neben dem Attacye einherjchritt,
tröftete.
„Vielleicht,“ fprad er, „daß wir noch gerettet
werden; Zeiſig, Vetterlein und der Yactor find ge—
wiß glücklich entfommen und ſchlagen Lärm; der Fac—
tor hat erftaunlid lange Beine und kann beifpielloe
ausſchreiten.“
Der Magdeburger wollte auf dieſe Hoffnung nicht
viel geben.
„Eh' ſich dieſe Hottentotten,“ meinte er, „nach
dem Lager finden, können wir bereits zwei Mal ge—
ſchlachtet, gebraten, verſchlungen und wieder verdaut
ſein.“
„Dann freilich käme die Rettung zu ſpät,“ ſprach
dumpf der Heldenſpieler.
„Das ſag' ich auch,“ replicirte Lagemann; „im
Gegentheil wär’ mir's recht lieb, wenn die Schwar—
184
zen das nichtsnutzige Kleeblatt ebenfalls mit erwiſcht
hätten. In Geſellſchaft trägt ſich Ungemach leichter.“
„Ihr habt ja meine Geſellſchaft,“ tröſtete Hanno.
„Die iſt darnach,“ entgegnete der Attahe. Nach
einer Baufe fuhr er fort: „Es ift in der That zum
Raſendwerden, daß gerade mid) dieſes Unglüd treffen
muß, während die Dummheit glüdlic davon kommt.”
Bei den überftandenen Prüfungen dachte er wieder
feiner Leiden unter Hanno's Sarbonari, und ihm ward
in feinem Unglüd wenigſtens bie Oenugthuung, dieſen
verwänfchten Mantel jetzt in feinblicher Hand zu wiſſen.
„Nun habt Ihr auch einen Mantel gehabt,”
ſprach er ſchadenfroh.
„Leider,“ ſeufzte der Heldenſpieler und ließ in
Erinnerung an ſein Kleidungsſtück, in welchem er
zeither allem Mißgeſchick getrotzt und in welchem er,
ein zweiter Alexander, halb Aſien zu durchwandern
gedachte, betrübt das Haupt ſinken.
„Keine Strafe iſt gerechter,“ fuhr Lagemann fort,
„gedenkt der Frevelthat, vie Ihr vermittelſt des ver=
wünfchten Carbonari allein gegen mid verübt habt.
Wenn e8 überhaupt mit Gerechtigkeit auf Erden zu—
ginge, jo müßtet Ihr, bevor man Euch bratet, eben-
falls unter Eurem eignen Mantel fo zugerichtet wer-
den, wie Ihr mid, einft zugerichtet habt.‘
„Lagemann,“ ſprach Hanno, „ſeid nicht fo nach—
tragend, wer weiß, wie wenig Stunden wir noch auf
dieſer ſchönen Erde zu wandeln Haben.”
„Wer iſt denn daran ſchuld,“ fuhr der Magde—
burger auf, „daß ich nicht länger mehr auf dieſer
ſchönen Erde, die ich im Vorbeigehn geſagt, übrigens
gar nicht ſo exemplariſch finde, wandeln ſoll? Kein
Menſch als Ihr. Es iſt entſetzlich, in feinen beſten Jah—
ren eines Comödianten willen hingeopfert zu werden.“
482
e Der Helvenfpielee war ob der bevorftehenven To⸗
desſtunde ſehr weich geſtimmt.
„Lagemann,“ fuhr er fort, „bedenkt daß Ihr ein
Chriſt ſeid —“
„Und Ihr ein Heide,“ unterbrach ihn der Attache.
„Dergebung in der Todesſtunde ift mas Schö⸗
nes —“
„Einbildung, wo ſoll in der Todesſtunde das
Schöne herkommen?“
„Man ſchlummert ſo ſanft und ſelig hinüber. “
„Ich mag aber noch nicht fanft und felig hin—
überfchlummern, fuhr der Attache den unberufenen
Geeljorger von Neuem an. „Es kommt nichts .her-
aus dabei; ich weiß es.“
„Lagemann, wie gottlo8 ſprecht Ihr.‘
„Der Teufel möcht's nicht.”
„Bas ich für Euch thun kann, Euch den Hinüber-
gang zu erleichtern, will ich gerne thun.”
„Ihr wär't der Mann darnad).”
„Ich glaube doch, daß id Etwas thun könnte;
wenigftend würde es Eud den Abſchied vom Leben
weniger ſchmerzensreicher machen.“
„Ihr wollt mich wahrſcheinlich vorher in der Stille
erdroſſeln, damit ich nicht unter den Fäuſten der
Schwarzen das Leben aushauche. Ich bedanke mich.
So weit ſind wir noch nicht.“
„Lagemann, weld ein Gedanke. Es fer ferne
von mir, an Euren ftattlihen Leichnam Hand anzu—
legen.”
„Außerdem begreife ich nicht, was Ihr noch für
mich thun könntet ?“
„Viel, viel, guter Lagemann.“
Der Attaché, von neuer Lebenshoffnung ergriffen,
glaubte jetzt, Hanno wiſſe ein Mittel, ihn, vielleicht
*
1,83
mit eigner Aufopferung, aus den Klaunen der Schwar-
‘zen zu vetien.
„Wenn Ihr während der Nacht,“ ſprach er, „viel-
leiht mit den Zähnen meine Hände freimachen künn-
tet, jo wollt! ih dann ſchon fehen, wo der Zimmer—
mann daß Loc gelafien hat. Hanno, eine ſolche That
gereichte Euch fürwahr zur Ehre. Ich würde fie Euch
nie vergefjen. Auch müßt Ihr bevenfen, dag Ihr fie
mir ſchuldig fein, denn wer bat mid denn in dieſen
bejammernswerthen Zuſtand gebraht? Einzig und
allein Ihr.“
„Nein, Lagemann,“ erwieberte der SHelvenfpieler,
„macht Euch feine trügerifchen Hoffnungen. Aus ven
Klauen der Feinde vermag ih Euch nicht zu retten,
fo gern ich) wollte; wir find viel zu ftarl und zu vor-
fihtig bewadt. Nein, Euer fterbliher Leichnam ber
fahre in Gottesnamen dahin und werde wieder Afche,
weldyes er fchon früher geweien. Aber, Euch ven
Tod zu erleichtern, Euh den Berluft des Lebens
weniger fühlbar zu machen, dazu hab’ idy ein Mittel.”
„Wenn Ihr meinen Leib nicht zu retten vermögt,
hole der Teufel Euer Mittel.”
„Lagemann, ſeid doch nicht fo trotzig in den letz⸗
ten verhängnißvollen Stunden. Geht in Euch.“
„Das iſt bald geſagt, geht in Euch, wenn man
noch ganz außer ſich iſt.“
„Vernehmt mein Mittel, ich beſchwöre Euch,
wird Euch — nicht allein, es wird auch mir zu —*
hafter Beruhigung gereichen. “
„So es in Euern Nuten ſchlägt,“ proteftirte der
Magveburger, „mag ich nichts wiſſen.
„Weder in meinen noch in Euern irdiſchen Nutzen
ſchläglo, und es iſt nur, um froher aus der Welt
zu gehen.“
184
„Ihr mögt mir fagen, was Ihr wollt, id) werde
einmal nit froh ſcheiden. Wahricheinli ein mora=
liſcher Troſt, fpart ven für Euch felbft auf.”
„zagemann,” hub jest der Heldenſpieler mit ſehr
bewegter Stimme an, „unfere Stunden find gezählt,
vernehmt jest das große Geheimniß, warum hr
mid) fo oft angegangen und das ih Euch bis jeßt
immer verfchwiegen habe.’
„Was wird's fein?” erwieberte unmuthig ber
Attaché, „Ihr habt mich beitohlen.‘
„Richt fo eigentlich beftohlen, jondern —
„Oder betrogen, daß mir hätte grün und blau
mögen werben, mcht wahr?“
„Allerdings grün und blau würde Euch geworben
In fo ich Euch das Geheimnig früher entdeckt
ätte.“
„Sehr großmüthig, mir das Geſtändniß erſt zu
thun, da mir's nichts mehr nützen kann. Alſo beich—
tet getroſt, mich ſoll's ſehr ruhig laſſen.“
„Das hoff' ich auch. Lieber Lagemann, nicht
wahr, Ihr waret auf der Reiſe nach Kabul begriffen,
um das Erbtheil in Perſon zu erheben, das ich Euch
abgetreten hatte —“
„Allerdings, und das id Euch mit fchwerem
Gelde abgefauft —“
„Die Ducaten waren zwar etwas leicht —“
„Für Euch noch viel zu ſchwer, aber ich begreife
nicht, was Ihr da Dinge erzählt, die ſo allbekannt
ſind wie zweimal vier.“
„Doch nicht ſo ganz wie Euch ſcheinen dürfte,
denn wenn Ihr auch nach Kabul gekommen wäret,
würdet Ihr dennoch kein Erbtheil für Euch vorge—
funden haben.“
„Wie ſo?“
188
„Weil ich gar Feines zu verlaufen hatte. Meine
Frau ftand allerdings mit im Teftamente, aber nur
für ihre Perfon und für den Fall, daß fie nod am.
Leben fei; auf mid ging daher, nad der ausprüd-
Iihen Erklärung des Teſtaments, nicht ein Pfennig
über. Ich begreife daher heute noch nicht, wie Ihr
mid für einen der Erben halten konntet und mit
mir ein für mid), troß ber leichten Ducaten, eben fo
vortheilhaftes als für Euch nachtheiliges Geſchäft ab—
ſchließen konntet.“
„O Heidenhund,“ brauſ'te der Magdeburger los,
„wenn nicht die Stricke mich verhinderten, ich würgte
Dich auf der Stelle.“
Er ſchrie dabei ſo laut, daß ein paar energiſche
Peitſchenhiebe ihn daran erinnerten, daß er Gefan⸗
gener ſei. Zugleich wirkte der Gedanke, daß er un=.
ter ſeinen dermaligen Verhältniſſen ja ſo auf Kabul
verzichten müßte, ſehr beruhigend. Er ging daher
vor ſich hin, ohne ein Wort weiter von ſich zu geben.
„Nicht wahr,“ erkundigte ſich nach einiger Zeit
Hanno mit leiſer Stimme, „Ihr werdet jetzt ruhiger
in den Tod gehen? Der Werth Eures Lebens iſt
nach meiner Erklärung um hundert Prozent gefallen.
Was iſt ein Leben ohne Erbſchaft? Auch ich fühle
mich nach dem Geſtändniß, das mich fo lange, Zeit
beſchwert, ſo leicht, als habe ſich ein Vorgebirge von
der Bruſt gewälzt.“
„Ich wünſchte,“ raunte der Enttäufchte ingrimmig,
„es wälzten ſich drei tauſend fünfhundert Vorgebirge
mit ſammt dem Mond und allen Planeten auf Eure
verbrechenvolle Bruſt und drückten Euch zehn tauſend
Klaftern tief in den Erdboden hinein bei dem Ge—
danken, einen ehrlichen Mann, der Frau und Kinder
hat, in's Unglück geſtürzt zu haben, denn ohne Euren
186
menſchheitſchaudernden Betrug wäre mir's nicht im
den Sinn gelommen, das friedliche Nieverrofla zu
verlaffen, wo ih die Hoffnung hatte, mit Nächften
Stadtverorbneter zu werben.“ |
„Was wäret Ihr auch weiter als Stadtverord⸗
neter in Niederroßla!“ tröftete der Helvenfpieler.
„Mehr wie Ihr, hoff ich.”
„Das ift immer no nicht viel! Bedenkt, daß
Alles eitel ift. Nie war mir der Gedanke Elarer als
jet; mit meinem Carbonari, dem treuen Begleiter in
Leid und Freud’, hab’ ich gleichſam den alten Men—
[hen aus und einen befjeren angezogen.‘
„Ih wünſchte es wäre früher gefchehen.”
. „Es ift immer noch Zeit, wenn ed nur vor- dem
Tode gefhieht. Bei Euch, Lagemann, fcheint es aber
nicht der Tall.”
„Wer hätte ſich denn träumen laſſen,“ erwieberte
dieſer ungehalten, „daß die Reiſe ſo ſchnell fortgehen
ſollte? Ich ſtehe noch in den beſten Jahren. Kein
Menſch denkt da, mit ſich abzuſchließen. Bei mir iſt
es überhaupt eine etwas verwickelte Geſchichte. Ich
brauche Zeit dazu.“
„Macht es kurz,“ rieth der Heldenſpieler.
„Das iſt bald geſagt. Dazu gehört vor allen
Dingen Sammlung, und in meiner gegenwärtigen
Stimmung —“
„Ich bin ſchnell fertig geworden,“ meinte Hanno,
„meinetwegen kann's dieſe Stunde fortgehen.“
„Ich glaube, Ihr geht da zu leichtſinnig zu Werke,
Euer Sündenregiſter kann das kleinſte nicht ſein.“
„Meiſt Uebereilungsfehler.“
„Zählt Ihr die Carbonarigeſchichte auch zu den
Uebereilungsfehlern?“
„Warum nicht? Ein jovialer Scherz.“
487
„Das muß ich geftehen, Ihr Eonntet mir das Le—
benslicht ausblaſen.“ 7
„SH kannte Eure gute Natur.”
„Wie ſteht's denn aber mit dem Exrbjchaftsbetruge,
den Ihr Euch gegen mic habt zu Schulden kommen
laffen? Etwa auch ein Uebereilungsfehler?‘
‚Nein, der war Verbrechen; indeß hat er doch
auch fein Gutes gehabt.”
„Da bin ich begierig.“
- „Ward er nicht die Veranlaſſung, daß Ihr jett
zur Buße bereit fein? In Niederroßla hättet Ihr
Euer ‚Leben lang nicht daran gedacht.”
„Das könnt Ihr nicht willen, Hanno.
„Mebrigens, ich begreife nit, worin das Un
glüd Liegt, frübzeitig das mühenolle Leben zu ver-
laſſen.“
„Da ſieht man Euren Leichtſinn.“
„Bas verliert man denn?“ Ä
„Ihr allerdings fehr wenig; aber ich, angeſeſſener
Bürger zu Nieverroßla, ein wohlangebrachtes Geſchäft,
in nädjter Zeit Stadtverordneter.“
„Das find alles irdiſche, vergängliche Herrlichkei=
ten, die einen unfterblihen Geift nicht befriebigen
können.“
„Ich war aber zufrieden damit; ich bin nicht jo
unbeſcheiden wie Ihr.”
„Auch ift e8 eine Gabe ver Götter, frühzeitig zu
fterben.” ‘
„Bas das wieder für ausſchweifende Ideen find;
da brauchte man ſich ja lieber gleich gar nicht gebä-
ven zu laſſen.“
„Es ‚ift noch immer bie Frage, ob ber nicht glüd-
fiher, der nie geboren ward.”
„Wenn man aber einmal geboren ift, wie bei ung
188
Beiren rer Fall ift, fo bleibt man dech lieber da, als
tag man jo ſchnell als möglich wieder abtritt.“
„Glaubt Ihr an eine Unfterblichfeit, Kagemann
„Das find Facultätsfragen, mit denen hab’ id
mich nie befaßt.“
ann ſeid Ihr allerdings zu beflagen.“
„Run, ich dächte mit Eurer Weisheit über Un—
fterblichfeit fünnte e8 das Große auch nicht fen. So
viel ich mid, entfinne, war Euer Dichten und Trad-
ten jaft nur auf den Leichnam gerichtet. Ich denke
noch mit Schaudern zurüd, was wid) biefer werthe
Leichnam koſtet; er fraß ſtets für zwei, meine Bücher
in —— tonnen e8 bezeugen.
„Gleichwohl hab’ id nie ganz unterlaſſen, auch
für das geiftige Wefen Sorge zu tragen. Seine Cr-
ziehung hat mir ftet8 am Herzen gelegen.”
„als Ihr mich fo colofjal betrogt, konnte dieſe
Erziehung noch nicht weit gediehen fein.”
„Allerdings, der Weg der Tugend iſt zu glatt,
daß man nicht zuweilen ausgleiten und fallen ſollte.“
„Ich dächte, Ihr wäret gar nicht zum Aufftehen
gefommen.”
„Ih mar beifer als mein Ruf.“
„Dazu gehörte auch nicht viel, denn mit leßterm
ſah's verteufelt ſchlecht aus.“
„Lagemann, wir wollen doch die noch kurz zuges
meſſenen Stunden und durch Vorwürfe nicht verbit-
tern, und die dem Gemüthe nöthige Ruhe entziehen,
welche zu einem Einfehren und Abjchliegen mit uns
ſelbſt von fo hoher Wichtigkeit iſt.“
„Ich mag's anfangen wie ich will,“ geſtand der
Attache, „ich kann mit mir nicht in's Klare komm
Dazu bedarf's Zeit, ich nehm’ es nicht fo auf die
leichte Achfel wie Ihr.’
|
189
„Geſtorben muß einmal fein,“ fuhr der Helden—
jpieler tröftend fort, „ein paar Jahr mehr oder wes
niger was thut's.“
„Run, ein paar Jahr, das thut Ihon etwas; id)
nehme fie gern nut; namentlich bei den ‚jegigen Aus
ſichten wären ſie gar nicht zu verachten.“
„Es kann auch fein,” ſprach Hanno, „daß und
die ſchwarzen Teufel das Leben ſchenken; aber unter
einer Bedingung, die auszuſprechen eine Sünde iſt.“
— „Bedingung, welche Bedingung?“ frug Lagemann.
„Ich wag' es kaum, ſie zu denken, aber das Le—
ben würden wir erhalten.“ |
„Wagt es getroft, Hanno,” munterte der zu neuer
Lebenshoffnung erſtarkte Attache auf, „ich verantworte
e8 auf jedem Tall.‘
‚Mein, Lagemann, ed wäre zu entſetzlich.“
„Wenn wir das Leben erhalten fünnen, feh’ ich
ſchlechterdings nichts Entſetzliches; alfo heraus damit,
ih will's willen.‘
Der Helvenjpieler zügerte, Lagemann drängte,
Endlich ergab ſich Lebterer und ſprach: „Es bepürfte
nur, daß mir unfern Glauben abſchwören, Mufelmän-
ner würden, zehn Weiber heiratbeten und berrlih und
in Freuden lebten.“
„zehn Weiber?”
„Darunter nicht.“
° rad ih ſchwöre Das Chriftenthum ab.”
„Die? Ihr, ein vechtgläubig Getaufter, ich will's
nicht glauben.”
„Mir ganz einerlei, aber ich ſchwöre. Ich Fann
ja, wenn id) wieder unter Chriften fomme, die zehn
—* abſchaffen und thun, als ob nichts vorge⸗
allen.“
4190
„Rein, Lagemann, für fo entartet hätt ih Euch
nicht gehalten.”
„Ich wette, Hanno, Ihr macht's gerade fo wie ich.”
„Die verfennet Ihr mich, Lagemann.“
„Hanno, thut doch nicht fo, ich kenn' Euch nicht
von geſtern.“
’ „sn Sachen der Religion hab’ ich meine Grund—
üße, u
„Die hat ein Jeder.“
„Eh ih Mufelmann würde, ja da wäre ich eher
im Stande, den lebten Blutstropfen zu verfprigen —
„Run ba fprist zu, ich will mein Blut behalten.
In ſolchen Dingen hat Jeder feine befondern Anſich—
ten. Ich denke aufgeklärt.‘
„Für meinen Glauben könnt' ich Alles wagen.
Tod und Scheiterhaufen follten mich nicht abtrünnig
machen von der Religion meiner Väter.‘
„Das klingt Alles recht ſchön, Hanno, aber
wenn's dazu kommt, wenn’8 heißt, jest knie nieder,
Chriftenhund, jest wollen wir Div den Bauch auf-
jhneiden, Hanno, das ift ein fitliches Ding. Und
auf der andern Seite zehn Weiber und ein eben
voller Freude und Wonne.“
„Meinetwegen vreitaufend Weiber.‘
„Hanno, Menſch ˖ bleibt Menfh. Die Verfuhung
ift groß. Webrigens find unter den Türken auch ehr-
liche Leute, und wer rechtſchaffen lebt, kann in ber
türfifhen Religion auch felig werben. Ehedem waren
freilich die Leute noch fo beihränft, daß fie nur den
Bekennern ihres Glaubens bereinftige Seligfeit zuge-
ftanden. Aber die Zeiten haben fich geändert. Der
Samen der Aufklärung hat Wurzel geſchlagen. Auch
ich bin ein Freund der Aufklärung.“
494
„Allerdings, ftrafte ver Heldenfpieler, „weil dieſe
aufgeflärte Lehre Euren ſündigen Gelüften zufagt.‘
„Ich will ja blos mein Leben retten, ſſo merft
doch auf, das ift doch fein fündig Gelüft, zumal
wenn ich auf die zehn Weiber verzichte.‘
Die Glaubensftreitigfeiten zwifchen dem⸗ religiöfen
Heldenfpieler und dem aufgellärten Lagemann wurden
plötzlich unterbrochen, indem ber Negertrupp Halt
machte und einen Kreis um ben Anführer bilbete.
Es kam hier zu einer ziemlich anhaltenden ‘Debatte,
welche von heftigen Geſtikulationen begleitet war.
Man fchien unter ſich nicht einig werben zu können,
was mit den beiden Gefangenen anzufangen jei.
Lagemann wie Hanno ſchauten dieſem ſchwarzen
Zandtage nicht ohne Beſorgniß zu. Beide befürchte-
ten das Schlimmite.
„Wenn man ihnen nur be greiflich machen könnte,”
meinte der Erftere, „daß es das Vortheilhafteſte für
fie wäre, wenn fie und gegen Löſegeld frei gäben;
ih bin überzeugt, daß unjre Landsleute das Mög-
lichſte thun würden, die Summe aufzutreiben, um uns
vom Tode und fchimpflicher Sclaverei zu retten.”
„Die will man aber eine ſolche Propofition dem
Ihwarzen Bolfe beibringen?” frug der Heldenſpieler.
Lagemann glaubte jet wenigſtens den Verſuch
wagen zu müſſen. Er mandte ſich zu dent Neger,
welcher als Schildwache bei den beiden Gefangenen
zurüdgeblieben war, und da er die Hände nicht frei
hatte, ‚welche man ihm auf dem Rüden zufammenge-
bunden, fo machte er mit dem rechten Fuße eine Ban-
tomime, weldye Geldzählen verfinnbilolichen follte,
Die Schwarze Schildwache, die indeß hierin nur
außerafrifanifche Zauberformeln argmohnte, Tiefe feine
Peitfche fogleih dermaßen auf Lagemann's Rüden
492
bin und wieder tanzen, daß dieſer von feiner panto—
mimiſchen Vorſtellung ſchnell zurückkam.
„Nein,“ ſprach er reſignirt, „mit dieſer Thierart
iſt nichts anzufangen. Ein deutſcher Pudel iſt ein
Genie gegen dieſes Volk.“
Unterdeß ſchien die afrikaniſche Nationalverſamm⸗
lung ihren Beſchluß gefaßt zu haben. Der Kreis
that ſich auf und die Reiſe ging weiter. Den beiden
Gefangenen kam dieſe Art zu wandern höchſt unbe—
haglich vor; denn die Schwarzen legten jetzt einen
vehementen Schritt ein, daß Lagemann und Hanno,
um mit fortzukommen, beſtändig traben mußten.
„Es iſt doch ein trauriges Geſchick, feinem Unter-
gange im Galopp entgegen laufen zu müſſen,“ meinte
Lagemann.
„Wenn die Beſtien wenigſtens einmal Halt mach—
ten,“ ſprach Hanno, „daß man ausruhen könnte. Das
iſt ja ein engliſches Wettrennen.“
„Ich werde mit eheſtem liegen bleiben,“ bemerkte
der Attachs.
„Die Schwarzen können unmöglich Lunge und
Milz im Leibe haben,“ keuchte der Heldenſpieler.
Indeß währte die Jagd noch geraume Zeit, be—
vor man den Ort erreichte, wo der Stamm ſein La—
ger aufgeſchlagen hatte. Lagemann, mehr todt als
lebendig, ſtürzte wie ein gefüllter Sack zur Erde.
Nur durch fortgeſetzte Schläge war er die letztere Zeit
auf den Beinen zu erhalten geweſen.
Letzterem war der Muth total geſunken.
„Wenn wir jetzt geſchlachtet werden,“ ſprach er,
„müſſen wir einen Wildpretbraten abgeben, der nichts
zu wünſchen übrig läßt. Denn mehr gehetzt kann
kein Thier werden. Ich glaube, die Jagd geſchah
u
193
aus feinem andern Grunde, als unfer Fleiſch wohl⸗
ſchmeckender zu machen:
„She feid ein rechter Hypochonder geworden,“ er⸗
wiederte Hanno. „Fortwährend habt Ihr den Tod
vor Augen.“
„Nach dergleichen Motion pflegt man nicht eben
Hypochonder zu ſein,“ erwiederte Lagemann.
„Das mein' ich auch,“ verſetzte Hanno, „darum
begreif' ich eben Eure düſtern Gedanken nicht. Bei
mir findet gerade das Gegentheil ſtatt; die Xebens-
luft war nie in fo großem Grade vorhanden, ſo wie
auch der Appetit.“
„Lebensluſt hätt' ich ſchon ebenfalls noch,“ gab
Lagemann zur Antwort; „aber die Anſtalten, die
man da trifft, ſehen mir bedenklich aus; ſehet, ſie
zünden wahrhaftig ein Feuer an. Es fragt ſich jetzt,
ob man uns zu eſſen geben oder ſelbſt aufeſſen wird.“
In dem Lager befand ſich auch die ſchwarze Ma—
jeſtät des Negerſtammes, welche auf einem hölzernen
Seſſel vor einer der Hütten des Kraals ſaß. Das
Miniſterium ſchien um den König verſammelt und
allem Anſchein nach waren Lagemann und Hanno der
Gegenſtand des afrikaniſchen Conſeils. Wenigſtens
geruhten Seine Majeſtät, ſowie die Großwürdenträ—
ger, oft nach dem Orte hinzublicken, wo ſich die bei—
ven Schickſalsgenoſſen in's Gras geftredt hatten. Dem
Magdeburger entgingen diefe Blicke nicht, und er er-
mangelte nicht, feine desfallfigen Bemerkungen gegen
den Heldenfpieler laut werden zu laſſen.
ſe „Wir ſcheinen ihnen von ſpeciellem Intereſſe zu
ein.“
„Ich wünſchte, ich wäre ihnen eben ſo unintereſ⸗
ſant, als fie mir,” erwiederte Hanno; „aber einen
Stolle, ſämmtl. Schriften, XVIII. 13
419
Hunger empfinde ih, ber nicht anmaßender genannt
werben kann.‘
„In dieſem Leben werdet Ihr wohl nichts mehr
zu eſſen befonmen.‘
„Das wäre traurig,” erwieberte der Helvenfpieler,
„mit hungerndem Magen zu fterben ift mir immer
für das größte Unglüd auf Erden erfchienen. Die
weifen Gejeßgebungen ſcheinen das eingefehen zu ba-
ben; daher man felbft dem Berbrecher die fogenannte
Hentergmahlzeit reicht, wo es ſplendid hergeht.“
Lagemann konnte von feinen hypochondriſchen To—
desgedanken durchaus nicht loskommen.
„Ob es nur in jener Welt auch etwas zu brocken
und zu beißen giebt?” frug er.
„Zu wünjhen wär's.‘
„Freilich Klöße, Pudding, Rinderbraten und der—
gleichen maſſive Lebensmittel wird es wohl nicht ge—
ben. Die Geiſter leben von der Luft.“
„Ich kann mir da ein eigentlich Sattwerden nicht
denken,“ erwiederte Hanno.
„Für Euch wird es einmal jhlimm werben, Hel—
benfpieler, eine gute Mahlzeit ging Euch über Alles.“
„Das iſt wahr.“
„So eine braungebratene Martinsgans mit ge—
ſchmorten Kartoffeln —“
„Ich bitt' Euch, Lagemann, laßt das —
„Oder ein polniſcher Karpfen mit Sn und
Krautſalat.“
„Lagemann, wozu das jetzt?“
„Das müßt Ihr doc geſtehen, meine Kirmeß—
und Faſtnachtſchmäuſe hatten ſich gewaſchen. Als Ein-
gang ftet3 die brodelnde Wurſtſuppe.“
Hanno ftieß bei dem Gedanken an die Wurftfuppe,
bie ihm über Miles ging, einen jo herzbrechenden
193
Geufzer aus, daß der Magdeburger nicht anders
glaubte, als fein Geführte habe den Geift aufgegeben.
Er drehte fih daher nad ihm um, und als er ven
Heldenfpieler noch lebendig fand, fuhr er fort, ben
einftigen Reichthum feiner Küche mit vieler Umftänp-
lichkeit vorzumalen; denn er konnte es ſelbſt in ver
traurigften Situation nicht unterlaffen, feinen Mitmen-
ſchen einen Schabernad zu fpielen.
Bei den Fricandeau's mit Kapernfauce und dem
wilden Schweinsfopf, bei welchem Tettern Lagemann mit
befonderer Vorliebe verweilte, wand ſich der hungernde
Künftler wie ein Wurm auf dem Boden.
Des Magveburgers -mälerifhe Küchenmenoiren
wurden indeß durch zwei Fäufte, welche ihn unmit—
telbar an den Ohren faßten und tüchtig zauften, ur-
plöglic) unterbrohen und für Hanno zu erwünſchtem
Ende gebracht. Die Fäufte gehörten Niemandem als
der Schwarzen Schildwacht, welche den nachtheiligen
Einfluß gewahr worden, den Lagemann's Relationen
auf den Helvenfpieler hervorbrachten und die fie für
Hexerei hielt.
Der an den Ohren gezanfte Lagemann begriff gar
nit, wodurd) er den Zorn der Schildwacht auf ſich
gezogen haben Fünne, und gab die Mißhandlung levig-
lic) ver barbarifhen Laune der Schwarzen fchuld.
Er beklagte fid) darüber bei Hanno, welcher aber
in der Furcht, Lagemann könne noch mehr Gerichte
vor die glühende Phantafie citiren, ſich beide Ohren
zubielt. Erſt nach geraumer Paufe warb feine Seele
dem Schalle wieder zugänglih, und er vernahm des
Magveburgers feufzende Worte: „Ia, wer hätte ab-
nen fünnen, daß ih, der Eigenthümer von fo vielen
eßbaren Herrlichkeiten, in meinen beften Jahren rohen
1
496
ſchwarzen Menſchen⸗ Ungeheuern ſelbſt zum Unterhalte
dienen würde.
Lagemann's Seufzer ſchien diesmal wirklich in
Erfüllung gehen zu wollen. Zwei Neger, wahrſchein⸗
lich abgejandt von Seiner Majeftät, erfchtenen, faßten
den etwas wiberftrebenden Attahe an beiden Armen
und führten ihn vor den Thron Seiner ſchwarzen
Herrlichkeit, wo fie auf einen Winf den Nieverroßlaer
Hotelier zu entfleiden begannen.
Lagemann ahnte aus dieſer Entkleidung das
Schlimmſte und verſtand ſich erſt nad) vielem Wider-
ſtreben dazu. Nur durch häufige wiederholte kräftige
Griffe gelang es den Schwarzen, ein Kleidungsſtück
nach dem andern dem Attache zu entwinden. Die
Averfion des letztern gegen bie Entfleidung ward noch
vermehrt, als er plößlich gewahrte, wie einer der in
der Nähe ftehenden Neger ein Rafirmefjer hevorzog.
Als man den Widerjpenftigen bis auf's Hemd
entkleidet hatte, legte man ihn ſo lang er war auf
den Boden, und Seine Majeſtät geruhten höchſteigen—
händig den Körper des vor Angft am ganzen Leibe
ſchwitzenden Lagemann zu betajten und zu durchkneten.
Der unglüdlihe ci-devant Hotelier von Nieber-
roßla glaubte in feiner bevrängten Lage, man wolle
ihn fleifhermäßig unterfuchen, ob er aud) gehörig an-
gejegt, um ver Ffüniglihen Zafel feine Schande zu
machen. |
Nachdem fi Seine Majeftät überzeugt, daß die
weißen Männer gerade eben jo gebaut wären, wie
feine Unterthanen, darum hatte er den Magdeburger
unterfucht, nahm er wieder auf feinem GStuhle Plaß,
und Lagemann ward zu feiner eben jo großen Ver—
mwunberung als Freude wieder angefleivet. Letztere
würde vollfommen ungetrübt gewejen fein, wenn nicht
N \
197 \
der Schwarze mit dem bligenden Barbiermeffer fort-
während in der Nähe des Königs geftanven hätte,
Mehre der hohen Würbenträger machten jetzt
verfchievene pantomimifche Bewegungen, um fich dem
weißen Manne verftändlih zu machen; ber weiße
Mann aber verftand fchlechterbings nichts von all’
dieſen telegraphifchen Geſtikulationen. Cr fchüttelte
fortwährenn mit dem Kopfe, indem er beſtändig aus—
rief: „Nir verfteh,” welchen Ausprud er aus fernen
Converfationen mit den Kofaden gewohnt war.
Endlich reichte man ihm das Barbiermeffer und
zeigte unverholen auf den Hals.
„Daß Gott,” dachte der Hotelier, „da ſoll ic
mir wahrfcheinlich mit eigener Hand bie Kehle ab—
ſchneiden. Das ift doch eine gräglihe Zumuthung.“
Jetzt that der Attaché erft recht, als ob er bie
Schwarzen nicht verſtünde.
Nun zeigte man auf Seine Majeftät, welche auch
ſogleich den Hals entblößte und bereitwillig hinhielt.
„Alſo dem Könige ſelbſt fol ich die Gurgel durd-
Ihneiden?” dachte Lagemann; „das ift was Anders.
Wahrſcheinlich getrauet fih Niemand von feinen ges
treuen Unterthanen an den gebeiligten und gefalbten
Corpus,
Er unterfuchte jetzt curagös bie Schärfe des Ra⸗
ſirmeſſers und fand, daß fie nichts zu wünſchen übrig
laſſe.
„Unfehlbar,“ fuhr der Attache in feiner Gedan—⸗
kenfolge fort, „iſt es ein Tyrann, welcher den Tod
verdient hat; er würde ſonſt nicht ſo gutwillig den
Kopf herhalten. Ich vertrete blos das Schwert der
Gerechtigkeit und habe mir wegen ſeines Ablebens
keine Vorwürfe zu machen.“
Er war eben im Begriffe an's Werk zu gehen,
198 \
um Seiner ſchwarzen Majeftät den Kopf vor die Füße
zu legen, al® eine innere Stimme ihm zurief: „Bift
du des Teufels, Lagemann, was ftehft du im Begriffe
zu thun? Königsmord! Bedenke wohl, was du thun
willſt. Wenn nun die Schwarzen etwas ganz An—
deres gemeint haben und du fäbelft in aller Ruhe
bie fünigliche Kehle durch? Das wäre entfeglich, und
du wäreſt unfehlbar der Erfte, welcher Seiner Maje⸗
ftät in's dunkle Jenſeits folgte. Alſo überlege wohl,
bevor du zuſchneideſt.“
Während er noch mit fich berathend daſtand, er—
tönte plöglic die Stimme des Heldenſpielers, welcher
ben zeitherigen Proceduren and der Ferne zugefchaut
hatte, und ihm zurief: „Seht Ihr denn den Wald
vor Bäumen niht? Der Kerl will barbirt fein.”
Jetzt ging dem Attaché ‚ein Licht auf. Er be—
trachtete fi) den Bart Seiner Majeftät genauer und
fand, daß er wirklich von ausnehmender Fänge ſei.
„Hanno hat wahrhaftig recht,“ ſprach er für ſich,
„den Bart ſoll ich ihm abnehmen. Wie konnte ich
nur fo thöriht fein, an den Hals zu denken? Da
würd’ ich mir was Schönes angerichtet haben.”
Jetzt entjtand aber die Frage, wie er ohne Beden
die Ihwarze Majeſtät einfeifen ſollte. Er ſchaute ſu—
hend im Kreife der Großmwürdenträger umher. Dies—
mal ſchien man feine Blide zu verſtehen. Mean
brachte eine Art irvenes Waſchbecken, in welchem eine
weiße Mafje ſchäumte. Der Attaché überzeugte ſich
durch den Geruch alsbald, daß dieſer Schaum aller-
dings nicht von Seife herrührte. Indeß ließ ihn das
ſehr gleichgültig und er ging mit vieler Zuverſicht
an's Werk.
Die Aufmerkſamkeit ſämmtlicher Anweſenden er—
reichte den höchſten Grad, als Lagemann Seine Ma—
"mn
199
jeftät einfeifte. Man drängte ſich ordentlich, felbft auf
Gefahr, die afrifanifche Etiquette zu verlegen, um dem
europäiihen Barbier, welcher feinem neuen Amte feine
Schande machte, zuzufehen. Bei den Schwarzen war
die Sitte des Barbierens noch etwas völlig Neumo—
diſches. Seine Majeftät und einige Große waren
bisher die Einzigen, welche diefer Neuerung huldigten.
Leider aber waren fie von ihren zeitherigen gänzlich
ungeſchickten ſchwarzen Barbieren dermaßen gejchunven
worden, daß bei ihnen der Act des Barbierens unter
die Torturen gehörte. Es wär daher nur ein weiſer
Rathsbeſchluß zu nennen, einem Weißen das Bar⸗
bieren zu übertragen.
Die Blide Aller waren, während Lagemann jeines
neuen Amtes mit Eifer oblag, auf die Gefichtszüge
Seiner Majeftät gerichtet, deren Ruhe und Heiterkeit
man nicht genug bewundern konnte. Man war näm⸗
lich zeither gewohnt gemejen, den König unter den
ſchwarzen Barbieren wie einen Hiob leiden und gleich
dem Laokoon die ſchmerzensreichſten Gefichter ſchneiden
zu ſehen.
| Kaum hatte Lagemann geenvdet und feine verbind-
liche Berbeugung gemacht, als man ſämmtliche Groß-
würbenträger, wie mit einem Schlage, zur Erbe fal-
len und die Arme flehend zum Könige emporheben
ſah. Diefer war ob ver ſchmerzlos überſtandenen
Dperation jo wohl gelaunt, daß er allerhöchftgnäbig
mit dem Kopfe nidte. Sofort nahm der Großſiegel⸗
.bewahrer auf einem Seſſel Pla und Lagemann ward
bedeutet, die Operation des Bartabnehmens aud an
dem Chef des Minifterii vorzunehmen.
Der Attaché glaubte fich bei fo hochgejtellten Per-
fonen infinniren zu müſſen, und er ſchor daher den
200
Chef mit derſelben Geſchicklichkeif, wie er deſſen Mo—
narchen geſchoren hatte.
Neue geſpannte Aufmerkſamkeit, neues allgemeines
Entzücken.
Nach dem Miniſterpräſidenten kam ver Cultus—
miniſter an die Reihe. Nach dem gereinigten Cultus
der Vorſteher der Rechnungskammer. So folgte ein
Departementschef nach dem andern. Lagemann hatte
zu thun wie ein Barbier zur Zeit der Leipziger
Meſſe. Nachdem er das geſammte Miniſterium und
auch bereits ein Paar geheime Rathe abbarbiert hatte
und bemerkte, daß immer neue Fußfälle geſchahen und
Seine Majeftät fortwährend huldreich mit dem Kopfe
nidte, jo ward ihm die Sache nachgerade doch etwas
langweilig, und er warf von Zeit zu Zeit Seiten-
blide nad) der Gegend des Selbenfpielers, ohne jedoch
deſſelben anſichtig zu werden.
„Ich ſehe nicht ein,“ ſprach er für ſich, „warum
ich allein alle Oberbehörben des ſchwarzen Königreichs
zafiten jol, während Hanno im weichen Graſe Die
langen Ötieber ftredt, faulenzt und Gott einen from=
men Mann fein läßt. Er mag mich ablöfen. Als
officieller Bartabnehmer des Ddiplomatifchen Korps
werde ih mid nicht decanailliren und aud) ben
Ihwarzen Pöbel rafiren. Den kann der Heldenfpieler
ſchinden. Gleich und gleich gefellt ſich.
„Aber ich möchte wirklih wiſſen, wo er ſteckt,“
fuhr er nad einer Pauſe fort, als er eben einen
ſchwarzen Oberappellationsrath unter dem Meſſer hatte,
„auf feinem vorigen Plage befinet er fih nicht
mehr. Wahrfcheinlih hat er ſich in's tiefe Gras ge-
wühlt, und vor Hunger fo zufammengerollt, vaß man
von ihm nichts gewahr wird,“
Indeß, je länger Lagemann als Bartabnehmer
201
fungirte, deſto ftumpfer ward fein Meſſer, und es
konnte daher fein Wunder nehmen, wenn fih auf den
Gefichtern der diverfen Näthe während des Barbie
rend weniger Heiterkeit ausſprach, als bei den vor-
herbarbierten Miniſtern und bei Seiner Majeftät.
Auch nahm es der Attache. bei den Perfonen zweiten
Ranges bei weitem nicht mehr fo genau. So hatten
namentlich ein paar Pupillenräthe fürchterlich auszu=
ftehen, denn der Magdeburger nahm ſich bei ihnen
nicht einmal die Mühe, das Meſſer frifch abzuziehen.
Die beiden Opferlämmer begriffen daher gar nicht,
worin die Wohlthat der von Seiner Majeftät und
dem Gefammtminifterio fo hoch gepriefenen Barbier-
methode zu fuchen jet.
Lagemann, objhon es ihm nicht wenig ſchmei—
chelte, er Oberhofbarbier dem Heldenſpieler vorge-
zogen worden zu fein, — man muß dir dod mehr
Grüße zugetraut haben als ihm, dachte er, — är-
gerte ſich gleichwohl, daß Hanno fo ungeftört der
Ruhe pflegen durfte, während er die Waldungen auf
den ſchwarzen minifteriellen und geheimräthlichen Phy-
fiognomien zu vertilgen hatte Er beichloß daher,
Rache zu nehmen und ruinirte das Mefjer mit Ab-
fiht. Sein Zweck hierbei war biefer, den SHelven-
fpieler als feinen Nachfolger zu inftalliren und dem⸗
felben das Meſſer in einem Zuftande zu überliefern,
daß -er unmöglih Ehre damit einzulegen im Stande
war. Hanno follte den Schwarzen jchledhtervings in
der Glorie eined Schinders erfcheinen, und ihm, dem
officielen Oberhofbarbier, zur Folie dienen.
Lagemann hatte wiederholt feine unverholene Aver-
fion gegen ein Weiterarbeiten an den Tag gelegt
und häufig nah der Gegend hingezeigt, wo . feiner
Meinung nach der Helvenfpieler im hohen Graſe lie=
202
*
gen mußte; aber die hohen Behörden waren zu ver⸗
ſeſſen auf ſeine Kunſt, als daß ſie geneigt geweſen
wären, ſeine negirenden Geſten zu verſtehen. Noch
ſtand die ganze Commerziendeputation bebartet vor
ihm und drang auf Expedirung. Wenn fie weiſe ge⸗
wejen wäre, fo würde fie ſich allerdings an ven bei-
den Bupillenräthen ein DBeifpiel genommen haben;
aber des Attache’8 Auf als Barbier ftand bereits zu
feit, als daß er fo leicht Hätte erfchüttert werben
fönnen. Er mußte alfo in einen ſauern Apfel beißen,
und fih mit feinem fchartigen Meſſer über die Com—
" merziendeputation hermachen. Die genannte Deputa-
tion batte unftreitig in einen noch fauerern Apfel zu
beißen. Der Magveburger richtete diefe Behörde
gottesjimmerlih zu. Das Blut floß in Strömen.
Jeden andern Barbier würde man auf der Stelle er=
würgt haben. Der Attadhe konnte aber als Ober
hofbarbier ſchinden nad) Herzensluſt. Wohl Jedem,
der einmal einen Ruf erworben.
Nachdem die wohllöbliche Commerzien-Deputation
hinlänglich Haare und Blut gelaſſen hatte, legte der
Attahe das Meſſer auf die Erde und erklärte durch
eine ausdrucksvolle Geberde, daß nun die Freude ihr
Ende habe. Wenigjtens für feine Perfon ſei er nicht
länger im Stande zu rafiren. Zugleich aber zeigte
er mit ſolcher Beharrlichkeit nach der Stelle, wo der
Helvenfpieler im Graſe lag, daß die Schwarzen .end=
lic, aufmerkfam wurden und ihnen ein Licht aufging,
was der Attahe wohl meine. Man eilte nad
Hanno’8 Pagerplag; aber welche Entvedung, welcher
Schreden, welche Verwirrung entſtand plöglid. Der
Helvenfpieler hatte die Zeit, während welcher Lage—
mann das Geſammtminiſterium und die hoben Be—
hörden vafirte, bejjer benugt und war auf und davon
a
203
gegangen. Er hatte alſo die Schwarzen feinerfeits
ebenfalls barbiert. Des Attaché's Kunftfertigfeit war
die Urſache gemwejen, daß felbft der Poften, welcher
den Heldenfpieler zu bewachen hatte, e8 nicht unter=
laſſen fonnte, näher zu treten und die wunderbare
Kunft Ichärfer in's Auge zu faflen, wobei ihm ber
zu Bewachende außer Acht gekommen.
Die erfte Folge von Hanno’8 Flucht war, daß
fih die. gefchorene Majeftät mit ſammt dem gefchornen
Minifterio, den Geheimräthen und her gejchundenen
Gommerziendeputation auf den Weg machte, um des
entiorungenen Ylüchtlingd Habhaft zu werden. Der
Hofbarbier ward einftweilen, damit er nicht ebenfalls
Fluchtideen befomme, jondern zum Nuten und From⸗
men der Fünftigen Bärte für die ſchwarze Gefellichaft
erhalten werde, mit einem armsbiden Schiffstaue an
einen Cedernbaum gebunden. Das Tau wand fidh mie
eine Rieſenſchlange nicht weniger denn jehsmal um
ben Attahe und den Stamm. Zum Weberfluß ließ
man nod zehn Mann Bewachung zurück.
Etwas Fataleres konnte Lagemann nicht paffiren,
ald die Hanno'ſche Flucht. Erſtens mußte er nun
allein die Martern der Gefangenfhaft ertragen; denn
daß man ihm nicht mehr das Leben nehmen würde,
fett man fein Rafirtalent kennen gelernt hatte, deſſen
glaubte er ziemlich gewiß zu fein; alsdann beneibete
er den Helnenfpieler ob feiner Freiheit, und britteng
batte er feinem entwichenen freunde den engen und
unbequemen Gewahrfam zu verdanfen, in weldhem er
fid) dermalen befand. Seine Dejperation gab fih in
abgebrochenen Monologen kund.
„Da fleht-man,” ſprach er, „was Bollögunft zu -
bedeuten hat, und namentlich wild afrikaniſche. Erſt
haben fie mic bis in ven britten Himmel erhoben,
204
weil ich fie von ihren nichtenutigen Bärten befreite;
gleich) darauf werd’ ich angebunden wie ein wildes
Thier. Ich wünſchte, ich hätte dem Volke die Keh—
len abgejchnitten, |tatt der Bärte, Seiner Majeſtät wie
tem Oefammtminifterium.”
Nah einer Paufe:
„Wenn fie den Helvenfpieler nicht einfangen, -
ſchneid' ich mir bei erfter Gelegenheit die Kehle felber
ab; mutterfeel allein mag ich nicht unter biefem ſchwar⸗
zen Geſindel leben.
„Es iſt zwar eine Möglichkeit, daß Hanno das
Lager erreicht und dem Capitain meinen Aufenthalts-
ort anzeigt. Da wäre e8 nicht unwahrfcheinlih, daß.
id) gerettet würde. Aber ich befürchte nur, der Sa⸗
tan thut den Mund nicht auf meinetwegen und läßt:
mid ruhig in den Händen ver Neger. Er iſt Egoift
durch und durch. Es geſchieht ihm vielleicht ein großer
Sefalle, wenn ich nicht wieder komme, dann ift er
mit einem Male aller Rechenſchaft überhoben, die ich
wegen des beifpiellofen Betrugg an ihm nehmen
könnte. Gerechter Himmel, wie kann nur der Menjch
jo tief finfen, ſolche Schanbthaten an feinen eignen
Bekannten und Freunden begehen.‘ \
Wenn der Helvenfpieler äußerte, daß er befler
als fein Ruf fei, fo lieferte er davon einen ſchlagen—
den Beweis unmittelbar nach feiner Flucht, wenigſtens
handelte er beffer al8 der angebundene Lagemann von
ihm dachte.
Hanno hatte nad) feinem unbemerkten Aufbruche
faum einige Stunden zurüdgelegt, als es das Glüd
wollte, daß er auf eine Abtheilung ver von Sir John
abgeſchickten Matroſen ftieß. Anftatt in ihrer Gejell-
Ihaft ruhig nach dem Lager zurüdzufehren und Lage—
mann jeinem Schickſal zu überlafien, jo that ex
«
Br
205
diesmal gerade das Gegentheil. Er encouragirte bie
Meatrofen, ihm zu folgen, und hatte den Muth, fie
birect nach dem Negerkraal zurüdzuführen. Cr ges
traute ſich, mit Diefer, obwohl geringen Mannſchaft
der ſchwarzen Rotte die Spite bieten zu fünnen, ben
Attaché zu befreien und fich gelegentlih an den Bar—
baren, die. ihn jo übel mitgefpielt und halb verhungern
hatten laſſen, zu rächen.
Lagemann, obſchon Oberhofbarbier und eines gro=
Ben Rufes ſich erfreuend, befand ſich gleichwohl in
der miferabelften Lage. Die Schwarzen hatten ihn
mit folcher Accuratefle an dem Cebernbaume befeftigt,
daß er fein Glied zu rühren vermechte. Selbſt die
Arme befanden fi innerhalb des Schifistaues. Nur
den Kopf konnte er bewegen, und das that er auch,
und zwar mit einer Vehenenz,; die ſich höchſt poffir-
fh ausnahm, obſchon ihm keineswegs poffirlih zu
Muthe war. Die Moskito's hatten e8 auf ihn abge-
fehen. Man venfe ſich die verzweifelte Lage. Am
ganzen Leibe gefeflelt und am Kopfe das nichtönugige
Geziefer.
Der Attaché glaubte ſeinen Geiſt aufgeben zu
müſſen. Vergebens war ſein Hin- und Herwerfen
des Kopfes, fein Blaſen, Sprudeln, Nieſen; die Mos⸗
fito’8 waren außerordentlich zahm und ganz und gar
nicht ſchüchtern. Vergebens hatte er durch alle mög—
liche Laute, die er in der Kehle aufzutreiben vermochte,
bie zehn ſchwarzen Wächter, welche um ihn hergelagert
waren, von feinem Webelbefinden in Kenntniß gejett
und aufgeforbert, etwas zur Verminderung feiner Lei⸗
den beizutragen. Aber den Barbaren gewährten die
ſeltſamen Töne und Capriolen des Gefeſſelten höch—
liches Vergnügen. Sie feirten und grinzten bald den
Gefeſſelten, bald ſich einander mit wilder Frohlichteit
206
an, und ihre Heiterkeit nahm in dem Grabe zu, als
ter Gemarterte feine Schmerzenslaute in den wunder⸗
barften Cadenzen varürte, Als er endlich gar zu
heulen begann, wälzte ſich die gefanmte ſchwarze Rotte
wie närrifh im Graſe umher und ſchlug Purzelbäume
vor Wolluft.
Nah endlofen vier Stunden, die dem Attache
wie vier Jahre erfchienen, follten feine Leiden ihr
Ende finden. Hanno nahte mit der Befreiungsarmee.
Die zehn Wächter ergriffen die fchleunigfte Flucht und
ließen den gefeffelten Prometheus ohne Kampf in ven
Händen der Europäer.
Der Attahe war mehr todt als lebendig. Er
gab nur wenige Worte von fi; worauf fein Kopf,
um die Mosfitoftiche weniger fhmerzhaft zu machen,
wie eine Blumenzwiebel in fette Erde emballirt wurbe,
Nachdem man fih an dem Frucht- und Brotvor-
rath, weldhen die Schwarzen im Straal zurüdgelaffen,
weiblid) geftärft hatte, wurde der Rückweg angetreten.
Tagemann gli, was feine Kopfbedeckung anlangte,
einem veitenden Artilleriften der einftigen Napoleoni—
[hen Kaifergarde. Einen folden Umfang nahm das
Territorium ein, welches er auf dem Kopfe trug und
woran er wie ein Atlas zu jchleppen hatte. Yu ve=
den war ihm nicht erlaubt, denn fo wie er ben
Mund aufthat, drohte ein Erdfall. Alfo fchwieg er,
obſchon ihm dies äußerſt ſchwer ankam; denn Lage
mann war nicht der Mann, ein fo graufiges Aben-
teuer, wie er erlebt hatte, auf dem Herzen zu be=
halten. ——
Ohne von dem Negerſtamme oder durch reißende
Thiere nochmals behelligt zu werden, erreichte man
nach einem ziemlich langwierigen Marſche das Lager,
wo Alles zur Abfahrt nach St. Louis bereit ſtand.
207
Die Niederroglaer ftaunten ihren wiedergefundenen
Landsmann, als er mit jeinem Rieſenkopfe anlangte,
wie ein Wunberthier an. Zeiſig erkannte feinen At-
tahe nicht wieder, und der Yactor, als er das Kopf-
gebäude näher betrachtete, nahm fich fopfichüttelnn eine
Brife.
Nach einer wegen ber übergroßen Hite nicht eben
angenehmen Küftenfahrt gelangte man nad dem Ha-
fen von St. Louis, wo mehre theils nad) Europa,
theils nach Oftindien beftimmte Schiffe vor Anker lagen.
Sir John trug für die Nieberroflaer die mög—
lichſte Sorge. Sie erhielten auf dem Oftindienfahrer
ein faft eben jo gutes Unterfommen, als fie auf dem
Habicht gefunden, ohne daß fie einen Heller mehr als
die in Hamburg feftgefettten Fahrpreiſe zu entrichten
gehabt hätten.
Lagemann, nachdem er nicht weniger denn vierund-
zwanzig Stunden die Artilleriebärmüte auf dem Kopfe
gehabt, denn fo lange waren die Borfichtsmaßregeln
gegen die Moskitoftiche unerläßlich, entpuppte fich end-
Ich und befam die Sprache wieber.
Die Beichreibung feiner Leiden grenzte geradezu
an's Afchgraue. Er warb allemal ganz außer fidh,
wenn er nur darauf zu fprecdhen kam. Noch mehr
gerieth er aber in Aufruhr, als der Tag der Abfahrt
heranrüdte. Cr mußte nämlich jegt nicht, ob er
noch mit nad) Kabul oder mit Sir. John zurüd nad
Europa fegeln follte, da nah Hamno's Bekenntniß
fein Antheil an ver Erbſchaft ſo gut wie im Monde
lag. Seine Wuth gegen den Heldenſpieler, obſchon
dieſer ihn mit Lebensgefahr aus den Händen der
Schwarzen und von ber Anſtellung eines Oberhofbar⸗
biers befreit, überftieg alle Grenzen und ging mehre
Male fo weit, daß er den eſlüchteten Hanno, ein
208
blankes Meſſer in ver Hand, im ganzen Schiffsraume
ſuchte, um ihn unwiderruflich todt zu ſtechen. Erft
nachdem der Helvenfpieler einen großen Theil ver
für das abgetretene Erbtheil erhaltenen bejchnittenen
Ducaten wieder herausgegeben und. ihm außerdem
noch mandye annehmbare Propofition geftellt, ward er
etwas ruhiger und beſchloß die Kabulfahrt als finpler
Attache mitzumachen.
„Seid fein Thor, Lagemann,“ hatte Hanno zu
ihm gefproden, „und reißt Euch den Kopf nicht ab
wegen der paar lumpigen Ducaten. Das Krokodill,
welches ja doch die Hauptfadhe ift, kann Euch ja gar
nicht entgehen. Hier meine Hand darauf, daß ih
Euch dazu verhelfe.e Wenn wir es einmal in unferer
Gewalt haben, ſoll der Rath von Nieverrofla nicht
eine goldene Klaue davon zu fehen befommen. Ich
begreife auch nicht, wie der Rath zu dieſer Selten-
heit fommt, womit er fie verdient hätte. Diefe fau—
len Senatoren fiten behaglih in Nieverrofßla und
laſſen Gott einen frommen Mann fein, während Ihr
mit Leibes- und Lebensgefahr Euch für fie durch Die
halbe Welt fchlagt. Nein, dem Verdienſte ſeine Kro=
nen! Euer muß das Krokodil fein, Yagemann, und -
ſoll ich e8 dem Könige von Kabul mit Gefahr meines
Lebens stehlen.”
„Aber Zeiſig,“ ftellte der Attahe in Erwägung,
welchem Hanno's Rede fo ſüß wie Honig Hang.
„Zeiſig?“ frug lächelnd der SHelvenfpieler, „wo
zwei Geiſter wie wir vereint wirken, wie fanı dba
ein Zeifig in Betracht kommen?”
„Das ift allerdings wahr; geitand Lagemann,
„aber wie wären denn fonft Eure Ipeen hinfichtlich
bes Krokodills? Daß wir es nämlich in unfere Ges
walt bekommen?“ |
209
„Auf die einfache Weiſe,“ verſetzte der Helden
jpieler , „auf der Heimreife, went wir uns nod in
Indien befinden, beftechen wir ein paar Mlohren, bie-
ſes Volk ift zu Allem zu gebrauden; dieſe müſſen
dad goldene Beeft fehlen, wir wollen e8 ihnen ſchon
zufchieben, daß fie leichter Spiel haben; dann begiebt
fi einer von und Beiden mit den Mohren nad) der
erjten beiten indiſchen Stadt; in den inbifhen Städ⸗
ten aber wimmelt e8 von Goldſchmieden, welche fich
die Hälſe bredien um ſolch' ein goldenes Meifterwerf.
Wir verfeilen das Thier, und Ihr ſeid ein gemad)-
ter Mann.”
„Es fol mir auch auf ein paar Prozente für
Euch nicht ankommen,” verhieß Lagemann, dem bei
dem Gedanken an das Krokoͤdill immer holpfeliger um's
Herz wurde.
„Zeiſig wird fi) freilich den Hals abreißen,” fuhr
er nad einer Paufe fort.
Hanno zudte die Achfeln.
„Das fteht bei ihm,‘ ſprach er, „warum unter=
nimmt er Expebitionen, denen er nicht gewachſen ift.
Zu folden Dingen gehört Kopf und Herz. Uns hätte
der Stadtrath ſchicken ſollen.“
„Das iſt wahr,” geſtand der Attaché.
„Gegen chriſtliche Theilung und Vergütung der
Reiſeſpeſen hätten wir das Möglichſte gethan.“
„Unbeſtritten.“
„So bekommt er gar Nichts und es geſchieht
ihm recht. Wer heißt ihn knickern bei ſo reicher
Erbſchaft.“
„Es iſt die verdiente Strafe,“ ſprach Lagemann.
„Wir müßten Eſel ſein, wenn wir nicht zulangen
wollten,“ meinte Hanno.
Stolle, ſämmtl. Schriften. XVIII. 14
210
” „Zumal, da die Expedition in's Golbland fo
wahrhaft gottesjänmierlih abgelaufen iſt.“
„Eure Leiden unter den Schwarzen muß Euch
ber Stadtrath von Nieverroßla ſplendid vergüten.”
„Es freut mid, Hanno, daß Ihr ein Einfehen
habt, die Moskitohölle vergeh’ ich in tauſend Jahren
nicht.”
„Seven Stih muß Eud der Rath von Nieber-
roßla wenigftend mit zehn Ducaten aufwiegen. Ic}
jelbft werde dafür Sorge tragen.
„Hanno, wenn ich nod) jüngft zornig auf Euch —“
„Gerechte Aufwallung, nicht mehr als billig.“
„Wenn ich in der Hite einige Worte und Re—
densarten —" /·
„sn der Leidenſchaft fährt Manches heraus —“
„Hanno, wenn Ihr könntet —“
„Alles vergeben und vergeſſen —
„Ja, wenn Ihr das könntet —“
„Es iſt geſchehen!“
„An mein Herz, edler Sterblicher,“ rief jetzt Lage—
mann in überſtrömendem Gefühle, „von jetzt ſoll nur
der Tod uns trennen.“
Der fromme Zeiſig ahnete nicht, welches Complot
in ſeiner nächſten Nähe und von ſeinem eigenen At—
tache geſchmiedet wurde.
Als der Tag der Abfahrt gefommen war, ereig-
nete ſich nod) eine ziemliche tragifhe Scene zwifchen
Herrn Abdullah und feiner Pflegbefohlenen, der Blume
Hindoſtans. Letztere fträubte fi) aus allen Kräften,
dem Türken nad) dem Schiffe zu folgen, welches nad)
Oſtindien beftimmt war. Als letzterer endlich gend=
thigt war Gewalt zu brauchen, zog das ſchöne Weib
einen Dolch. Dabei rief ſie mit ihrer Glockenſtimme
fortwährend in gebrochenem Engliſch: „Ich mag nicht
4
214
nach dem Lande, wo die rothe Blume des Lotos blüht;
das Meer hat die ſchlanken Glieder verſchlungen,
welche mich einſt umarmt; dic Flamme verlangt ihr
Opfer, ich kann ihr feines bringen; was foll id} ohne
Ihn in Brama’s Neich; die Schweftern würden mit
Händen zeigen auf die Chrlofe. Ich bin nicht werth,
die füße Luft der Heimath zu trinken. Ich will zu:
rüd nad) dem rauhen Norden und daſelbſt ruhlos
beten, bis Brama mid erlöſt.“
Abdullah's Lippen zitterten vor Wuth; leiſe zog
er auch ſeinen Dolch, und war im Begriff, ſich auf
bie ſchöne Indierin zu ſtürzen, als der rüſtige Sir
John, welcher mit regem Intereſſe der Streitſcene
zugeſchaut hatte, dem Wüthenden in den Rücken fiel
und mit Rieſenkraft feſthielt. Vergebens rang der
Türke aus Leibeskräften gegen den gewaltigen Gegner.
Zu gleicher Zeit rief er ſeinen beiden Mohren zu,
die Braminin mit Gewalt nach dem Oſtindienfahrer
zu bringen. Sir John befahl dagegen ſeinen Ma—
troſen, dies zu verhindern. Endlich gelang es dem
Abdullah, einen Augenblick lang die dolchbewaffnete
Rechte frei zu bekommen. Sogleich ſprang ein Blut—
ſtrahl aus des Capitains rechtem Arme. Dies war
aber zugleich das Zeichen zu Abdullah's Entwaff-
nung. Alles ftürzte auf ihn und machte den Rafen-
den wehrlos.
Sir John erflärte jet, daß Milady Feine Scla-
pin fei und daß ihr als unabhängige Wittwe freis
jtehe, zu leben, wo es ihr beliebe. Niemand dürfe
fi) an ihrer Freiheit vergreifen, und ſo es die Dame
wünſche, werde er fie mit zurüd nad Europa nehmen.
Co wie Bohu und Tohu wahrnahmen, daß ihre
Gebieterin bei den Europäern Schutz fand, erflärten
fie fi gleichfalls in Snfurvechonsquftand gegen Ab-
14*
212
dullah und wollten von ihrer Herrin nicht laſſen.
Alle drei wurden auf das Schiff gebracht, welches jo
eben nady Europa abzugehen im Begriff ſtand. Der
Türke tobte wie ein Beſeſſener und ftieß ggttesläfter-
liche Redensarten aus, die zum Glüd Niemand ver-
ftand. Er beitand darauf, gleihfalls nad Europa
zurüdgenommen zu werden, worauf aber Sir John
niht einging. „Die Milady,“ erwiederte dieſer,
„habe ſich unter ſeinen Schutz begeben und er dürfe
nicht geſtatten, daß ein für ſeinen Schützling ſo ge—
fährliches Individuum auf das Schiff mit aufgenom-
‚men werbe.”
Abdullah, nachdem er einfah, daß gegen den hart-
füpfigen Seemann nichts auszurichten ſei, veclamirte
jettt wenigftend ein Käftchen mit Diamanten, das fich
im Gewahrjam der Braminin befand. Ohne die ge-
ringfte Weigerung von Seiten der legtern ward ihm
diejes überantwortet, worauf fi fein toller Raptus
fihtbar legte.
Bereit am andern Tage lichtete das nach Europa
beſtimmte Schiff die Anker, nachdem Sir John zu—
vor ſämmtlichen Niederroßlaern noch ein recht heiteres
Diner gegeben hatte. Nur höchſt ungern trennten
ſich Victor und Gamaliel von dem wackern Capitain
und dem intelligenten Doctor Barring, welcher gleich—
falls nach Europa zurückkehrte.
Der Oſtindienfahrer, welcher die Erbſchaar und
den Herrn Abdullah am Bord hatte, trat einige Tage
ſpäter ſeine Reife an.
213
Jieuntes Kapitel.
G; hieße die Anzahl ver Kapitel diefes Buches in's
Unendlihe vermehren, wollte man die Abenteuer. der
Nieverroßlaer, bevor fie das gewaltige Afrika umfchifit,
Dftindien und fpäter Afghaniftan erreiht, mit der
zeitherigen Ausführlichfeit befchreiben.
Der große Tag, wo die von dem Hofmaler Haf-
ſan-ben-Mullah nievergelegte Erbſchaft ven Nieder-
roßlaeın von Seiten der Kabul'ſchen Gerichte überge—.
ben werben follte, war erſchienen. In hoher Galla
verfügten ic die Exrbfahrer, theil® zu Wagen, theils
zu Roß nad dem Juſtizhofe. Der umfichtige Lage—
mann hatte in der Eile das Niederroßlaer Stabtwap-
pen mit dem eingehörnten Ochſenkopfe, das unter-
wegs verloren gegangen war, von einen Kabul’fchen
Blechſchmied als Doublette anfertigen laſſen und fich
und den Actuar, als diplomatische PBerfonen, damit
behangen.
Obſchon die Afghanen in ihrem gefelligen Um—
gange nicht ohne mannigfache Ceremonie find, fo fa- .
men dergleichen doch bei dem GerichtSperfonale und
bei deſſen Verhandlungen keineswegs vor. Sobald die
Documente der Erbfahrer für richtig befunden worben
waren, nahm die Auszahlung der Legate ihren Anfang.
Zuerft kam Gamaliel Drollinger, als Haupterbe,
an die Reihe. Er erhielt eine jo bedeutende Summe
in Golde ausgehändigt, daß ſämmtliche Miterben in
Erſtaunen geriethen und Lagemann vor Neid faft ver-
- gehen wollte.
„Es geht doc, nirgends ungerechter zu als in ber
Welt,“ raunte er dem Helvenjpieler in’d Ohr, „wo⸗
214.
mit bat diefer Gelbjchnabel foldhe Unſummen verbient,
während wir gefetten Männer hier ftehen und das
Zufehen haben? Hoffentlich daß es ihm nicht gebeiht.
Es kann fein Segen aus diefem unverbienten Mam-
mon herausfommen. Was meint Ihr, Hanno?‘
Der Helvenspieler zudte mit den Achſeln.
„Aber zum Teufel, Hanno,” fuhr der mit dem
eingehörnten Ochſenkopfe decorirte Attache fort, deſſen
gierige Blide das Gerihtslocal nah allen Richtungen
durchkreuzten, „wo ftedt nur das Krokodill?“
„Ich babe mich auch ſchon darnach umgefchaut,‘
erwiederte der Heldenſpieler, „wahrſcheinlich hat man
ed als Cabinetsſtück hinter irgend einem ver zahlrei—
hen Borhänge verborgen.”
„Hanno,“ ſprach Yagemann dringlid, „vie Stunde
ist feierlich, ein Schwur gilt jeßt vie. Schwört mir
in dieſer feierlichen Stunde, mid, Eurem Verſprechen
gemäß, bei dem großen Unternehmen, wo id) Das
golone Thier rauben und in unferm Nuten verwen
den werde, getreulichſt beizuitehen.”
Der Helvenpieler, deſſen Blide fid) von den Gold—
haufen, die Gamaliel ausgezahlt erhielt, nicht los—
reißen fonnten, bob mechaniſch die drei Finger der
vechten Hand ein menig und ſprach: „Ich ſchwöre.“
„Ihr fcheint mir nicht ganz ficher bei der Sache,
Hanno,” fuhr Lagemann mißbilligend fort, „gebt
nicht Leihtfinnig mit einem Schwure um, bedenkt,
was er zu fagen hat.“ |
„Ich weiß es,“ verſetzte der Helvenfpieler.
„Das iſt mir lieb. Ferner ſchwört mir, Hanno,
Eudy mit einem Dritttheil der Krokodillmaſſe begnü-
sgen zu wollen, wie Ihr mir ebenfalls bereit3 wieder-
holt verſprochen habt.‘
an
215
Wieder erhoben fich die drei Finger des Helven-
jpielerd und abermals ertönte: „Ich ſchwöre.“
„sh hoffe, daß Euch namentlich dieſer zweite
Schwur von Herzen geht. Bedenkt wohl, daß Ihr
mir wegen des welthiftorifchen Betrugs, jo ihr Eud
gegen mich habt zu Schulden kommen lafjen, eine
Heine Erfenntlichkeit ſchuldig ſeid. Bedenkt wohl, daß,
“ wenn ih mih an der Krofodillmafje nicht einiger-
maßen erholen kann, ich ein total ruinirter Mann
bin und allein durch Eure Schuld. Eigentlich hätt’
ih als Gatte und Bater auf drei Viertheile An-
ſpruch; Ihr als einzelner Menſch folltet Euch wit
einen Biertheil begnügen; aber ich will chriſtlich den—
fen und aus Freundſchaft und aus wirflid, väterlicher
Zuneigung zu Euch mit zwei Dritttheilen vorlieb
nehmen.“
Hanno vernahm wenig von den Reden Lagemann's,
der ihm beſtändig in den Ohren lag, und gab ſeine
Zuſtimmung nur von Zeit zu Zeit durch Kopfnicken
zu erkennen.
Eben erhielt der Factor ſein Erbtheil ausgezahlt. |
„Run möcht ich in aller Welt willen, wo das
Krokodill bleibt,‘ begann Lagemann von Neuem, und
abermal8 durchſuchten feine Blide mit Sorgfalt bie
entlegenjten Tiefen und Winkel des jehr geräumigen
Gerichtsſaales.
Nach dem Factor kam Vetterlein an die Reihe.
Ihm folgte Hanno als Mandatar der verwittweten
Glaſermeiſterin Klugin.
Alle hatten ihr feſtgeſetztes Theil in Empfang ge—
nommen, nur die mit dem eingehörnten Ochſenkopfe
gekrönte Geſandtſchaft des Stadtraths von Nieder-
roßla ſaß noch erwartungsvoll, und verhoffte jeden
Augenblick von afghaniſchen Dienern der Gerechtigkeit
216
das goldne Krofodill herbeigetrieben zu fehen. Lage—
mann war nod) weit mehr auf den Anblid des gebe-
nebeiten Thieres verfeflen als felbft ver Actuar; denn
er wollte aus der Größe deffelben ſich einen unge—
fähren Ueberfchlag machen, wie viel ihm wohl bie ge-
ftohlenen Zweibritttheile in Baufh und Bogen abwerfen
könnten.
„Ihr müßt eine majeſtätiſchere Poſitur anneh—
men,” raunte er Zeiſig zu, der im ziemlich verküm—
merter und ängftliher Stellung unmittelbar vor ihm
faß, „pamit Ihr einen hochweifen Rath zu Nieber-
roßla feine Schande macht. Mehr die Schultern zu=
rüd, den Rüden gerade, Bruft heraus; ein gebieteri-
ches, aber vornehm nadläffiges Air angenommen!‘
Er felbft verfehlte nicht, feinen eigenen Rath—
Ihlägen auf das Genauefte nachzukommen. ‘Durch
Streden und Dehnen feiner Geftalt, Räufpern und
Schnauben mit beiden Nafenflügeln war er bemüht,
feine Perfönlichfeit in den Augen des Gerichtsperſo—
nal8 in denjenigen Reſpect zu ſetzen, auf weldyen er
als Geſandtſchaftsattache in hohem Grabe glaubte
Anſpruch machen zu dürfen. Zu gleiher Zeit war
er bemüht, eine möglichſt erhabene Stellung einzu—
nehmen, um das blecherne Nieverroflaer Stabtwap-
pen, welches auf feiner Bruft prangte, in die gün—
ftigfte Beleuchtung zu ftellen.
Da ergriff der vorfitende Amini Mekhemed von
Neuem das Wort und fprad):
„Laut Teſtaments des Erblaſſers iſt auch noch
über ein goldnes Krokodill, ſo ſich in deſſen Hinter—
laſſenſchaft vorgefunden, verfügt worden. Dem Wil—
len des verſtorbenen Haſſan-ben-Mullah gemäß ſollte
dieſes durch feinen Goldwerth wie durch ſeine kunſt—⸗
reihe Arbeit gleich ausgezeichnete Werk einen wohl-
247
weifen Rathe zu Niederroßla zu Theil werden, falls
derſelbe geneigt wäre, ein Mitglied aus feiner Mitte
nad Kabul zur Abholung des Thieres zu fenden.
Leider ift aber nad Publicirung des Hallanzben-
Mullah'ſchen Teſtaments ſofort ein Prozeß hinficht-
lich dieſer lettmwilligen Verfügung beim hödhften Ge—
rihtshofe anhängig gemacht und nad mehrmaliger
abgeworfener, Seiten Erbwädters zur Wahrung ver
Erbmafje angeftellten Appellation zum Nachtheil des
Erblaſſers entſchieden worden. Die prozefjualiichen
Gegner , ſämmtliche vefpective Derwifche biefiger Ab—
dullah-⸗Moſchee haben ein eigenhändig abgefaßtes Ac-
tenftüd des verftorbenen Hafjfan-ben-Mullah zn pro=
duciren gewußt, worin ihnen das Krokodill in aller
Form Rechtens für den Todesfall zugefprocdhen wor
den. Daß Erblaffer in dem fpätern Tejtamente über
befugtes Krokodill anderweitig verfügt, worgebend, bie
Derwifche befüßen fein Recht an diefem Erbtheil, weil
fie durch ihr Gebet Exrblaffern nicht vom Tode geret-
tet, hat ein hoher Gerichtshof für rechtsbindend anzu—
erkennen fich wicht geneigt gefunden und das Erbrecht
der Derwiſche dem Erbrechte des wohlweiſen Rathes
zu Nieberroßla für berogirend erachtet.
„Dit Bedauern fieht fi) daher die niebergejette
Erbeommiffion zu der Erklärung genöhtigt, einem
wohlmeifen Rathe befügtes goldenes Krofobill nicht
- ausantworten zu fünnen, indem ſolches bereit vor
länger denn drei Monaten, unmittelbar nad erfolg:
ter Publication des Urthels höchſter Inftanz, von den
refpectiven Derwifchen ver Abdullah-Moſchee, den Ober-
derwiſch an ver Spite, in Pomp abgeführt und zum
Beiten ihres Ordens verwendet worden ift.
„Zugleih hat jedoch ein hoher Gerichtshof, ſtets
von dem Grundſatze ausgehend, ftrenges echt mit
218
möglichſter Billigfeit zu vereinen, die Verfügung ge—
troffen, daß dem nad Kabul entjendeten Mitgliede
des hochweiſen Rathes von Nieverroßla nicht nur
fämmtliche Neifetoften vergütet, ſondern auch für Die
mannigfahen Gefahren und Beichwerben ver lang=
wierigen Reife eine Entfhädigungsfunme won taufend
Ducaten von den Derwifchen der Abpullah-Mofchee
ausgezahlt werden, welche Summe unjer Zahlmeifter
beauftragt ift, ſofort betreffendem Mandatar des
Stadtraths zu Niederrofla als rechtmäßiges Eigen-
thum zu überantworten.”
Während alſo der Yahlmeijter einen neuen Sad
herbeifuhrwerfte und wieder zu zählen begann, be=
mühte ſich ein feit langen Jahren in Kabul wohnen-
der Schwabe, welcher für vie Erbfejfion eigens ale
Dolmetſcher requirirt worden war, die für den Rath
von Niederropla jo niederjchlagende Rede zu verdeut-
ſchen.
Als er an die verhängnißvolle Stelle kam, mo
von einem hohen Gerichtshof der Staptrath bes Kro—
kodills für verluftig erklärt wurde, fanf Zeifig, wel-
hen ſchon Die vorhergehenden unheilſchwangeren Pe⸗
rioden in das heftigſte Zittern verſetzt und das Ge—
ſicht mit Leichenbläſſe überzogen hatten, bewußtlos in
die Arme des Factors, welcher unmittelbar neben ihm
ſaß, während ver Attaché mit ſammt ſeinem Stuhle
zuſammenbrach.
Man ſprang Zeiſig zu Hülfe, wodurch ein ziem—
licher Tumult entſtand und die Vorleſung unterbro—
‚den wurde. Erſt nach geraumer Zeit brachte man
den Bewußtlofen wieder zu fid) und fette ihn in den
Stand, den Schluß der gerichtlichen Vorleſung zu
vernehmen. Hier nun warb ihm die glänzendfte Ge—
nugthuung, und auf den großen Schreck folgte große
219
rende, ſich als perfühnlicher Erbe fo großmüthig und
reichlich bedacht zu fehen.
Er hielt Anfangs die ganze Sache für einen ſchö—
nen Traum; als er aber von Gerichtswegen erſucht
ward, bie aufgezählte Summe durckhzufehen, fih von
ihrer Nichtigkeit zu überzeugen und fie in Empfang
zu nehmen, würde er unfehlbar dem vorfigenden Amin
Mekhemed, fo wie der gefammten Erbcommiſſion um
den Hals gefallen jein, wäre er nicht durch Die ver-
Ihiedenen Schranfen und Barrieren daran verhindert
worden. Er breitete fehnend feine Arme aus und
umfaßte Alles, was in feine Hand fam. Vor der
Hand wars der Factor. Er würgte ihn förmlich,
um feine. Freude thatſächlich auszulafien, fo daß ihn
Süßmilch vor allen Dingen Mäßigung anempfahl..
In äußerſt froher Gemüthsftimmung nahmen bie
Erbfahrer Abſchied von der Erbcommiffion. Ihr
Hauptzwed war erreiht. Ninmer hätte man geglaubt,
dag man’ mit den Gerichten von Kabul fo ohne alle
Schwierigfeiten und ohne Sporteln, woran man in
Europa gemöhnt war, aus einander kommen würde.
Glücklich und golobeladen traf man Anftalt, den
Gerichtsſaal zu verlafien. As man fid) aber nad
dem Attache umfchaute, war er weder zu fehen noch
zu hören. Bei dem allgemeinen Tumult, welden
Zeifig’8 Ohnmacht zu Folge hatte, war er unverſehends
abhanden gekommen.
Den Erbfahrern blieb jegt nichts übrig, als ohne
Lagemann ben Rückweg anzutreten Diejer erfolgte
in derfelben Ordnung und mit demjelben Pompe wie
der Hermweg, nur daß es in den Gemüthern ber Nie-
derroßlaer weit fröhlicher ausſah.
Leider aber war die Prozeſſion noch nicht weit
vorgeſchritten, als ſie durch eine große Menſchenmenge
220 |
aufgehalten wurde, die einen Maulbeerbaum umflu=
thete Die Niederroßlaer konnten lange nicht Flug
werden, was wohl diefer Auflauf zu beveuten habe,
als fie näherfommend — wer malt ihren Schreden
— da hing der Attaché der Niederroßlaer Rathsge—
fandtfchaft an einem Afte des Maulbeerbaumes Das
noch auf feiner Bruft ‚prangende Stadtwappen ließ
feinen Zweifel über die Identität ber Perfon übrig.
Der Edle, nachdem er feine Pläne auch auf Das
von den Derwilhen der Abdullah-Moſchee in Be—
fhlag genommene Krokodill, das er in Gemeinfchaft
Hanno's zu ftehlen beabfichtigte, gefcheitert ſah, ver-
mochte ein Leben nicht länger zu ertragen, und hatte
demfelben mit eignecr Hand unter dem Kabul’fchen
Maulbeerbaume ein Ziel gefekt.
Alle Berfuche, den Selbftmörder in's Leben zu=
rüdzurufen, waren erfolglos; fo blieb ven beftürzten
Nieverroßlaern nichts übrig, als den entarteten Lands—
mann den nächſten Morgen in aller Stille, fern von
der Stadt, in einem Cedernwäldchen am Fuße des
Hindukuſch zu begraben.
Nachdem der Hauptzwed der Kabulreiſe erreicht
war, wollte e8 den Exbfahrern wenig mehr in ber
Hauptitadt Afghaniftans gefallen. Man fehnte fid,
nad) der Heimath. Alle Palmen und ofen des
Orients vermögen das ftille heimathliche deutſche Lin—
dendach nicht vergeffen zu machen. Die gewaltfame
Toresart Lagemann's, obfchon verfelbe megen feines
unleidlihen Charakters feineswegs beliebt war, mochte
aud) das ihre beitragen.
Nachdem man den betreffenden Behörden Kabuls
wegen ber liberalen Auswanderung der Erbſchaft noch—
mals den gebührenven, fowie für die gaftliche Auf-
nahme den wärmften und innigften Dank ausgeſpro—
zn 1
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hen und fie als geringe. Erfenntlichleit mit mannig-
fachen europäiſchen Gegenftänden, welche der umſich—
tige Victor in Bombai eingehandelt, beichenft und
ausnehmend erfreut hatte, verließ man Kabul an ei—
nem ſchönen Frühlingsmorgen.
Bereitd nach mehren Wochen trug ein ftattlicher
Kauffahrteifahrer, dejjen weiße Segel von dem gün—
ftigen Winde gejhwellt wurden, die Erbſchaar nad)
der umfriedeten Heimath.
⸗
Zehntes Rapitel.
Bereits im Herbſt deſſelben Jahres, eben als die
Aſtern zu blühen begannen, vereinigte das Weichbild
von Niederroßla ſämmtliche Erbfahrer. Kaum war
die Nachricht von ihrem Herannahen bekannt worden,
als ein förmlicher Aufruhr entſtand, wie ſolcher in
Niederroßla nie war erlebt worden. Sämmtliche Be—
wohner der Stadt, mit Ausnahme der Sterbenden
und Gebärenden, zogen den aſiatiſchen Ankömmlingen
ſtundenweit entgegen, obſchon der Stadtrath, der
ebenfalls zu Haufe blieb, in Ermangelung des gold—
nen Krokodills alle Empfanggsfeierlichkeiten ausdrücklich
verboten hatte.
Alles war voll Jubel und guter Dinge, bis auf
den Senat, den Bürgermeiſter Sebaſtian Flaminius
an der Spitze und die verwittwete Lagemann, geborne
Grümpler, welche indeß nur auf einem Auge weinte,
der Leute halber, während fie mit dem andern gleich—
falls lachte. Es Hätte der guten Frau gar nichts
222
Schlimmeres paffiren können, als wenn ihre, am Fuße
des Hindukuſch vuhender, zänkiſcher und eiferfüchtiger
Eheherr mit der Erbſchaar heimgefehrt wäre und
bereit3 eine Art Stellvertreter zur Stadt Magdeburg
vorgefunden, welch' Lebterer bald nach des Attache’s
Abfahrt den fchwierigen Poften eines Hausfreundes
übernommen hatte.
Der Stadtrath ſeinerſeits aber fpie wirklich Teuer
und Flammen, und war feit entfchloffen, mit ben
Derwifchen der Abdullah-Moſchee einen Kampf auf
Leben und Tod zu beginnen. Erſt die wiederholte
Warnung des Doctor Eifenbeiß, welder den Sat
aufftellte, daß e8 einer weltlichen Behörde auferordent=
lid, jchwer, wohl gar unmöglich falle, einen Schatz,
welchen die Kirche bereit an ſich genommen, wieber
heraus zu prozeffiren, bewog das hohe Collegium, die
Sache einer fpätern Berathung, vorzubehalten.
Zeifig, welcher nicht nur im Befite von taufend
Ducaten, fondern zugleich als gereiſ'ter Weltmann
nad) Niederroßla heimfehrte, gelangte zu weit größe—
vem Anfehen, als dies früher mit ihm der Fall ge—
weſen war.
Mit dem Factor und dem Duartus war e8 eben
fo. Ihr Ruhm ftand hoch wie die Sterne. Wenn
in der erſten Zeit einer der Erbfahrer über die
Straße ging, jo blieben die Leute ftehen und fchauten
ven Dahinfchreitenden gleid) einem Wunbderthiere nad):
erſchien er aber in Gefellfchaft, jo ward ihm ſtets der
Ehrenplag zu Theil, und Jedermann ſchwieg und
Aller Augen hingen an feinem Munde, wenn fi der—
felbe aufthat, um Creigniffe und Dinge zu verfün-
ben, die zuvor in Nieverrofla nie waren gehör
worden.
Hauptſächlich ftieg Zeifig’8 Credit, als er feinen
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Sollegen und einigen der angefehenften Honoratioren
der Stadt bei der verwittweten Lagemann ein fplen-
dides Mittagseffen gab, bei welcher Gelegenheit er
dent Stabtrathe die fämmtlichen Reifefpefen, fo feine
Perfon benöthigt gehabt, zurüderftattete. Die Wuth
ber weifen Behörde gegen die Derwilche der 'Abpul-
lah-Moſchee legte ſich jetzt auffallen.
Der Heldenſpieler Hanno war durch den gemalt-
famen Tod feines Freundes Lagemann fo erjchüttert
worden, daß er von Stund’ an den alten Adam aus-
zog und ein beflerer Menſch wurde. Nachdem er den
Attahe mit eigner Hand vom Maulbeerbaume losge-⸗
fchnitten, forgte er mit wahrer Pietät für deſſen Be—
gräbniß, wodurch er fehr in der Achtung ter Erb-
fahrer gewann. Aber die Befjerung war bei ihm
nicht blos eine ſchöne Wallung, fondern hatte tiefer
Wurzel gefchlagen. Mit Gewillenhaftigfeit bewahrte
er das Erbtheil der Wittwe und zahlte e8 ihr von
Heller zu Pfennig aus, ohne auf die geringfte Ent-
ſchädigung Anfprud zu machen. Gute Werfe beloh-
nen ſich ftets. Aus Dankbarkeit reichte ihm bie hüb-
Ihe Wittwe ihre Hand. Er legte fpäter eine viel-
befuchte Turnſchule an und lebt noch heutzutage in
behaglihen Verhältniffen und als geachteter Mann in
Niederroßla. |
E83 bedarf gewiß feiner Berfiherung, daß es auf
dem benachbarten Friedrichshof nad Nüdfehr der Ka—
bulfahrer nicht minder freudvoll herging. Bereits
feit längerer Zeit lebte daſelbſt die edle Telicitag,
welche den Tiebenden Bitten des Generals und Klo—
tildens nicht Länger hatte widerftehen können. Unmit-
telbar nad) Gamaliel! 8 und Victor’ 8 Abreife waren
22%
diefe guten Menfchen einander näher befannt worden
und hatten fi jo innig verftanden, daß ihnen eine
jevesmalige Trennung ſchwer fiel, Das gemeinfchaft-
liche Interejfe an den abweſenden Geliebten band fie
nur fejter an einander. Darum war faum eine Woche
nad Pictor’8 und Gamaliel's Abreife verfloffen, als
Felicitas nach Frievrihähof z0g. Die Mutter Ga—
maliel’3 hatte aus feinem andern Grunde den Bitten
der neuen Freunde fo lange wiberftanden,, als weil
fie dem Wunfche des Teſtaments nachkommen zu müf-
fen glaubte, vem zu Folge fie das Gut Siebeneichen
faufen und eines Abends den unbefannten Pilger er-
warten ſollte. Sie hatte fih über dieſe Stelle im
Zeftament gar oft im Stillen den Kopf zerbrochen,
und auch Morand rieth bin und wieder, ohne den
dunfeln Sinn enträthfeln zu können.
Endli Hatte der General mit den Worten:
„Wenn Ihr Fremdling Sie auf Giebeneichen nicht
vorfindet, wird er Ste ſchon auf Friedrichshof auf:
ſuchen,“ die letzte Bedenklichkeit der Wittwe nieder-
geſchlagen und ſie ward eine Bewohnerin des ſchönen
Schloſſes, wo ſie wie ein Glied der Familie gehalten
wurde. Klotilde hing mit kindlicher Liebe an der
edeln Frau, und dieſe wieder fand an dem holden
Mädchen einen Erſatz für den abweſenden geliebten
Sohn.
General Morand hatte nicht unrichtig prophezeiht.
Nach Verlauf eines halben Jahres ſtellte ſich der
Pilger, welcher Felicitas vergebens auf Siebeneichen
geſucht hatte, wirklich auf Friedrichshof ein. Es war
Niemand anders, als der Hofmaler mit Olivien. Er
erſtaunte nicht wenig, hier außer ſeiner Tante auch
die Familie ſeiner geliebten Gattin, welche unter den
Roſen Afghaniſtans ſchlief, anzutreffen.
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Wer vermöchte die mannigfachen Entdeckungsſcenen
"würdig zu ſchildern und die darauf folgende Freude?
Setzt: ward der Ankauf von Siebeneichen ganz: aufge-
‚geben. Auch Balthafar mußte in Friedrichshof blei-
ben, weldye8 der wohnlichen Räume in Menge darbot,
Ein wahrer Himmel fanf von nun auf die glüd-
fihen Schloßbewohner hernieder, der nur von ben
Sorgen für die geliebten Stabulfahrer zuweilen ge-
trübt ward. Aber dem Klaren, blauen Herbithimmtel
des nächſten Jahres und den ſich färbenden Aitern
war es vorbehalten, auch dieſe Wolfen zu verſcheu—
hen. Gamaliel und Bictor fehrten um eine Welt
reiher an Erfahrung, geprüfter und Fräftiger zu ben
Ihrigen zurüd. Hatte Letzterer auch nur das blü—
hende Grab derjenigen gefunden, wegen ber er bie
weite Reife überhaupt angetreten, fo bereute er doch
keineswegs vie Weltfahrt an der Seite des geliebten
Freundes unternommen zu haben. Kanm aber hatte
Gamaliel die ſchöne Olivia erfhaut, als e8 munder-
bar licht in feinem Innern ward. Ja, fie war e8
gewefen, die im fernen Weltineer von der Abendfonne
verflärt ihm vorübergeſchwebt. Der Himmel Afgha—
niftans hatte feinen Einfluß auf Das veizende Ge—
ſchöpf nicht ganz verläugnet. Ihr Teint war etwas
dunkler, ihr Auge feuriger und ihr Wuchs üppiger
al8 der Klotilden’s, und obſchon faum vierzehn Früb-
linge zählend, glich fie einer Jungfran von achtzehn.
Und es mährte nicht lange, da keimte neue Liebe
und neue ftille Seligfeit zog ein in die ſchönen Hal—
len von Friedrichshof. Gamaliel's und Klotilden’s
Herzen Hatten ſich gefunden einerſeits, währen Bictor
Stolle, fimmtl, Schriften. XVIIT.
226
und Olivia in inniger Piebe für einander erglühten.
Alle Mühfeligkeiten der Weltfahrt, welche Victor be-
ftanden, um die Mutter aufzufinden, follten durch Die
veihhe Liebe der veizenden Tochter taufendfältig ver-
gokten werden.
Und ein Frühling zog über das Land und noch
einer; da gab's eine Doppelhodhzeit zu Friedrichshof.
Daß hierbei weder der Rathsactuar Zeifig, nody der
Buchdrudereibefiger Süßmilch, noch der Tertius Vet—
terlein, noch der Turnlehrer Hanno fehlten, bedarf
wohl keiner Erwähnung. Befand ſich doch ſelbſt der
alte Doctor Eiſenbeiß unter den Geladenen. |
Als aber die Hochzeitägäfte gerade bei Tafel ſa—
fen, den feligen Brautpaaren ein Lebehoch nach dem
andern gebracht wurde und die Champagnerpfropfen
Tprangen, als jollte eine Brefche in den Himmel ge-
ſchoſſen werben, erhob fih plötzlich vom Schloßhofe
herauf ein mörderliches Geſchrei. Ein panifcher Schre-
den bemächtigte fi der im Haufe hin- und wieber-
laufenden Dienerfchaft, und unter den Ausrufe: „Der
Teufel kommt! Der Teufel kommt!” ftürzte eins über
das andere,
Erſchrocken eilten Brautpaare und Gäfte nad) den
nad) den Hofe führenden Fenſtern. Da war ein ge=
waltiger vierjpänniger Reiſewagen vorgefahren, und
eben Jah man zwei Mohren beſchäftigt, eine wunder—
Ihöne Frau aus dem Wagen zu geleiten. .
„Die Blume Hindoftans!“ rief Gamaliel, und
verfhwand, ohne ein Wort weiter zu verlieren, durch
die Saalthüre.
„Si John!“ rief Victor, und ftürzte dem Freunde
nad). |
eu ‚Doctor Barring!” rief Hanno und folgte gleich—
alls.
227
Zeifig, Betterlein und Süßmilch Elatjchten aber
..jubelnd in die Hände und riefen ununterbrocden:
„Tohu, Bohu, Tohu, Bohu, das ift prächtig!“
Und fie waren es. Der wadre Gapitain hatte
zufällig von dem doppelten Hochzeitfeſte Kunde er-
halten und diefe Gelegenheit benutzt, aud) feine junge
Frau den einftigen Reiſegefährten vorzuftellen. Diefe
war aber Niemand anders, als die reizende Brami—
nin, und die Sache alfo zugegangen. Sir John,
als eifriger Ehrift, hatte e8 unmittelbar, nachdem fid)
die Blume Hindoftans unter feinen Schuß begeben,
nicht unterlaffen fünnen, der Heidin die Vorzüge des
Chriſtenthums, wo ſich die Wittwen nicht zu ver—
brennen brauchen, anſchaulich zu machen. Bei diefem
Löblihen Bekehrungswerke war er aber jelbft vom
Meiberhaffer zum Liebhaber befehrt worden. Kurz,
der befehrte Hageftolz heirathete fpäter. “Die befehrte
und getaufte Heidin befand ſich ganz wohl in dem
neuen Stande. Um die junge Frau nicht immer in
Angft und Bangen zu verjeßen, hatte er dem wüſten
Seeleben entjagt und fid) in ven gejegneten Vierlan—
den Hamburgs ein höchft freundliches Landgut ge=
fauft, wo er endlid in Erfahrung bradıte, daß ſich's
daſelbſt doch beſſer leben laſſe, als zwiſchen Himmel
und Wellen. So fügt ſich's in der Welt.
Doctor Barring, namentlich ſeit dem letzten Schiff:
bruche und dem Aufenthalte an der afrikaniſchen
Küſte dem Seeleben gleichfalls abhold, hatte ſich in
Hamburg niedergelaſſen, woſelbſt er als praktizirender
Arzt eines ausgezeichneten Rufes genoß. Wöchentlich
fuhr er regelmäßig einmal in die Vierlande nach dem
Gute feines alten Freundes, wo man ſich in ſtillum⸗
blühter Laube, wenn der Abenpftern herrlich ftrahlte
und Cöleftine, dieſen Namen Hatte die Blume Hin-
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boftans in ver Taufe erhalten, die buftende Erdbeer—
faltefehnle auftrug, gern der einftigen Seeſtürme er-
innert. Mit Freuden faßte er den Gedanken bes
wadern Eir John auf, die einftigen Keifegefährten
des Habichts bei ihrem Hochzeitsfeſte zu überafchen.
Tohu und Bohu wollten rein närriſch werben vor
Freuden, als die Reife fortging.
Eine ſchönere Weberrafhung aber als dieſer un
verhoffte Beſuch der Hamburger fonnte namentlich den
beiden Bräutigam nicht werden. Noch lange nad)
der Hodhzeitfeier mußten erjtere auf Friedrichshof ver—
weilen. Es waren die letzten Hochzeitgäfte, welche
das glüdlihe Schloß verliefen. —
Bon dem Türken Abdullah, welcher ven Erbfah—
rern bereit3 in Bombai aus den Augen gelommen,
hat man nie wieder Etwas vernonmen.
Ende Des zweiten und lebten Bandes.
Trud von Alerander Wiede in Yeipzig.
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