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Full text of "Ausgewählte Gedichte"

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ROARD  SCmUKALVEKSE(M«>8) 

DDL  AusGEWÄnrmi  cmiaTit 

ERSTQL  VEKÄNDDOIfL  TEL 


1909 

HiKcreN  <ö  LopziG/BEJ  Georg MLurJC 


sP^^       Z/ 


RICHARD  SCHAUKAL    •    VERSE 

DER  AUSGEWÄHLTEN  GEDICHTE 

ERSTER  VERÄNDERTER  TEIL 

(1892—1908) 


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RiOlARD  Sai4LIR4L\IRSE  iMM) 
DER,  AUSGEW.mm  GEDlCITrE 
ERSnX-  XtRÄNDÖOIK.,  TDL 


IQOQ 

Ml^chcs'  ^  LüPziG/pd  Georg  Mluul 


; 


VON  DIESEM  IN  EINER  EINMALIGEN 
AUFLAGE  VON  1000  NUMERIERTEN 
EXEMPLAREN  GEDRUCKTEN  BUCHE 
SIND  50  EXEMPLARE  AUF  ECHT  VAN 
GELDEERN  BÜTTEN  ABGEZOGEN  UND 
VOM  DICHTER  SIGNIERT  WORDEN. 
EIN  SOLCHER  LUXUSABZUG  KOSTET  IN 
GANZPERGAMENT  GEBUNDEN  15  MARK. 
DIESES  EXEMPLAR  HAT  DIE 


^j^jukikiiy 


MEINER  MAMA 


Von  jedem  Glück  den  Schimmer 
erschufst   zu    Glänze   Du 


Der  erste  Teil  der  seit  einigen  Monaten  vergriffenen 
„Ausgewählten  Gedichte"  (Leipzig,  Insel-Verlag, 
1904)  erscheint  hier,  erweitert  durch  einige  der  be- 
zeichnendsten altem,  wenige  neuere  und  die  besten 
aus  dem  „Buch  der  Seele"  (München,  Georg  Müller, 
1908)  erlesenen  Gedichte.  Zum  Teil  sind  Verbesse- 
rungen versucht  worden;  das  meiste  war  billigerweise, 
dem  Dichter  selbst  schon  entrückt,  zu  schonen  gewesen. 
Ich  habe  dem  Buche,  dem  ich  die  Grundlage  meiner 
Stellung  als  Lyriker  danke  -  „Verse"  (1894—1896), 
Brunn,   Rohrer,  1896    —    den  einfachen    Titel  entlehnt. 

Der  zweite  Teil  der  erneuerten  „Ausgewählten 
Gedichte"  —  „Bilder"  (im  selben  Verlage,  1909)  — 
ergänzt  die  vorliegende  Sammlung.  Die  gesammelten 
„Nachdichtungen"  sollen  folgen. 

Wien,  im  Jänner  1909 

Richard  Schaukai 


Inhalts -Verzeichnis 


Seite 

Unter  den  Hufen  der  Sonnenrosse 1 

Wolken        2 

Nixe  im  Wasserfall 3 

Raub 4 

Kuckuck ••     .     .  5 

Sommerglück 6 

Vom  Kasernfenster 7 

Öde 8 

Der  Tod 9 

Feuchte  fröstelnde  Nacht 10 

Der  Weiher 11 

Mittagsstille 12 

Kleine  Frau 13 

An  den  Mond 14 

Wagenrennen        15 

Mögen  mich  die  Alten  schelten 16 

Zu  den  Zielen  seiner  Träume 17 

Glücklich,  wer  in  ruhigen  Händen 18 

An  die  Nacht 19 

Die  junge  Sehnsucht 20 

August 21 

Sommernächte 22 

Traurige  Mär        23 

Unterm  Kastanienbaum 24 

Damals 25 

Nachklang 26 

Kämpfer 27 

Weise-werden 28 

Die  Muschel 29 

xm 


Seite 

Sterne 30 

Ritterlicher  Spruch 31 

Du 32 

Der  Braut 33 

Capri 34 

Über  deine  Augenlider 35 

Die  Sonne 36 

Das  Lied  von  der  Zeit 37 

Das  Glück 38 

Abend 39 

Die  Zeit  der  kleinen  Lieder 40 

Morgen        41 

Das  Kornfeld 42 

Waldweben 43 

Und  sind  ja  doch  die  Dinge  dieser  Welt  ...  44 

Meiner  Frau 45 

An  der  Wiege 46 

Schnepfenstrich 47 

Vorfrühlingsnächte 48 

Ewigkeit 49 

Sommerabend .     .  50 

Mondnacht 51 

Der  Engel        52 

Strandfelsen 53 

Nach  der  Birsch 54 

Und  so  gehen  wir  vereint     ....          ...  55 

Emtetag 56 

Herbstabend 57 

Nacht  aus  müden  Händen 58 

Meinem  kleinen  Johann  Wolfgang 59 

Sdinee 60 

Zur  Zigarette .  61 

In  der  Nacht 62 

Das  grosse  Schiff 63 

Schattenspiel 64 

Leben 65 

XIV 


Seite 

WeihnaAt 66 

An  meine  Frau 67 

Mysterium 68 

Meiner  Mutter 70 

Meiner  Mutter    (Ein  andres) 72 

Meiner  Mutter    (Das  dritte)        73 

Frühlingsahnen 74 

Was  will  das  bang-e  Drängen 75 

März       76 

Mai 77 

Erwartung 78 

Sursum 79 

England 80 

Sommers  Einzug 81 

Der  Nachen 82 

Stunde  der  Fülle 83 

Sonnenuntergang 84 

Sonnenaufgang 85 

Im  Reisewagen 86 

Wir 87 

Klänge  vom  Zirkus 88 

Seele 89 

Spät 90 

Das  Wort 91 

In  der  Heimat 92 

Schöpfung 93 

Jagdmorgen .     .  94 

An  die   Schönheit 95 

Der  Stern 96 

Manchmal  mein  ich  es  zu  halten 97 

Bin  ich  im  Leben 98 

Die  alten  Bilder 99 

Es  wird  sein 100 

Nach  einem  Regentage 101 

An  Georg 102 

Entführung 103 

XV 


Seite 

Der  traurig^e  Mond 104 

Nachthimmel 105 

Aus  einem  Sonettenkranz  „Heimat  der  Seele" : 

Wie  hast  du,  Mutter,  mich  so  manches  Mal .  106 

Ich  muss  aus  allerersten  Kindertagen     .     .     .  107 

Du  bist  mir,  Mutter,  immer  noch  das  braune  108 

Elegie  der  seligen  Resignation 109 

An  den  Herrn 112 


Unter  den  Hufen  der  Sonnenrosse 
möcht  ich  enden, 
vom  Feuer  der  stählernen  Räder  umloht, 
vom  strahlenden  Auge 
des  Phöbos  ApoUon  durchleuchtet, 
der  die  blitzende  Geissei 
über  den  roten  Mähnen  sdiwingt, 
flammenumleckt, 
gross  und  kalt. 


R  Sdiaukal,  Vene     1 


WOLKEN 

Im  Grase  lieg  ich  hingestreckt 
und  blinzle  hodi  ins  Blau, 
wo  Wolken  wandern  windgeschredct, 
und  denke  nichts  und  schau 

und  schau  nur  immer  immerzu: 
wie  wird  mir  doch  so  weit, 
als  hielt  ich  meine  gute  Ruh 
schon  über  aller  Zeit  .  .  . 


NIXE  IM  WASSERFALL 

Schäumender  Gischt, 
über  Steinen  zerstäubender  Fall, 
übermütig  frohlockend 
stürzest  du  dich 

kopfüber  aus  dem  gähnenden  Schlünde, 
streckst  hundertfältig 
zudcende  Arme 

rings  an  moosigen  Felsen  empor. 
Im  tollen  Sprunge 
reizt  es  dich, 
staunende  Ranken 
mitzureissen   zum   Abgrund. 
Dann  dehnst   du  dich  schlank, 
wohlgefällig  nach  oben  blickend 
auf  den  silbernen  Leib, 
unter  dem  wasserwallenden  Haupte 
die  glänzenden  Arme  gefaltet. 


1» 


RAUB 

An  seinen  schwarzen  flatternden  Flechten 
Hab  idi  das  Glüdc  aufs  Ross  mir  gerissen: 
die  Dirne  wehrt  sich  mit  wütenden  Bissen, 
ich  aber  muss  und  werde  sie  knechten. 

Ihr  Mund  ist  rot,  die  Zähne  blitzen, 
ich  will  ihn  küssen,  sie  soll  mich  lieben. 
Dann  reiten  wir,  dass  die  Funken  stieben: 
ein  Sieger  will  ich  im  Sattel  sitzen. 


KUCKUCK 

Sie  hat  den  Kuckuck  gefragt; 
Kuckuck,  wie  lang  noch? 
Dreimal  rief  er  und  sdiwieg. 
Sie  harrte  bang  noch   — 

Stül  war  der  Wald.     Ins  Tal 
sah  sie  befangen. 
Ober  die  Sonne  sind 
Wolken  gegangen.  .  . 


SOMMERGLÜCK 

Im  roten  Mohn  zur  Mittagszeit, 
wenn  durch  die  schwüle  Stille 
wie  aus  dem  Traum  die   Grille 
und  fern  im  Sumpfe  die  Unke  schreit, 
wenn  sidi  die  gelben  schweren 
reifetrunkenen  Ähren 
im  leisen  Winde  wiegen, 
lang  auf  dem  Rücken  liegen, 
den  Blick  ins  blaue  Flimmern, 
sdilankragende  Schlösser  zimmern, 
dem  Atem  der  Erde  lauschen, 
dem  Takte  des  heissen  Lebens, 
und  selig  sich  berausdien, 
sehnend  und  immer  vergebens  .  .  . 


VOM  KASERNFENSTER 

Der  Himmel  ist  rot,  es  dunkelt  sehr, 
länger  werden  die  Schatten. 
Über  die  Ahrenwogen  her 
gleitet  schwüles  Elrmatten. 

Yom  Kirchturm  in  die  Feme 
wandert  der  Stundenschlag. 
Noch   zögern  die  stillen  Sterne: 
noch  wacht  der  müde  Tag. 


ODE 

Einsam  sein  unter  den  andern, 
leiden  und  keinem  klagen, 
lastende  Träume  tragen, 
während  die  Wünsdie  wandern, 

immer  das  müde  Erwachen, 
immer  das  öde  von  gestern: 
keine  der  Stundenschwestem 
schenkt  ein  erlösendes  Lachen. 

Grausam  gräbt  schweigendes  Sehnen 
mir  in  das  Herz  die  Krallen, 
und  es  weigern  bei  allen 
Qualen  den  Trost  die  Tränen. 


DER  TOD 

Traumschwankend    nahte    mir   ein  stiller  Kahn. 
Tief  schwebteSdiweigen,  atembanges  Schweigen, 
die  Blätter  hingen  starr  an  müden  Zweigen   — 
der  Nachen  legte  lautlos  landend  an. 

Mich  aber,  den  er  lud:  es  trieb  mich  fast 
mit  zwingender  Gewalt,  ihn  zu  besteigen  — 
er  schaukelte  mit  einem  leichten  Neigen: 
noch  hielt  ich  zögernd  mich  an  einem  Ast  — 

da  regte  sich  das  Boot  schon,  langsam  gings 
in  ein  Gewässer,  das  ich  randlos  wähnte, 
das  blau  in  sdiwarze  Schattenferne  gähnte: 
nur  stumme   weiche  glatte   Fluten   rings. 

Und  mir  im  Herzen  ward  —  wars  Weh,  wars Glück? 
Das  Leben  ahnt  ich  hinter  mir  entgleiten 
und  sah  das  Dämmern  tiefer  sidi  verbreiten. 
Nie  kehrt  der  Kahn  —   idi  weiss  —  zum  Strand 

zurück  .  .  . 


FEUCHTE  FRÖSTELNDE  NACHT 

Feuchte  fröstelnde  Nacht, 
fahl  nur  schimmern  die  Sterne: 
die  mir  einst  leuchtend  gelacht, 
in  Wolken  liegt  die   Feme. 

Nikolausabend.     Stumm 

neig   ich  den  Kopf  in  die  Hände. 

Alles  gab  ich  darum, 

wenn  ich  die  Wege  fände, 

die  das  vertrauende  Kind 
lachend  zum  Glücke  geleitet  .  .  . 
Längst  hat  wehender  Wind 
Sdinee  darüber  gebreitet. 


10 


DER  WEIHER 

Forschend  über  meinen  Weiher 
beug  ich  oft  mein  Antlitz  nieder: 
wie  aus  einem  schwarzen  Schleier 
taucht  es  ängstlich  fragend  wieder. 

Und  wenn  kräuselnd  seinen  glatten 
Spiegel   ihn  ein  Hauch  durchgleitet, 
seh  ich,  wie  ein  grosser  Schatten 
über  meine  Züge  schreitet. 


11 


MITTAGSTILLE 

Hohe  steife  Stauden  stehen 
in  der  sdiwebend  heissen  Luft  der  Mittag- 
stille  : 
Psychen  hör  idi  gehen 
heimlich  auf  den  Zehen 
zu  dem  Hafen  meiner  Träumerzille. 


12 


KLEINE  FRAU 


D 


eine  Augen  in  Tränen,  kleine  Frau, 
sind  wie  der  Enzian  im  Tau. 


Deine  Augen,  wenn  sie  lachen  und  blitzen, 
sind  sonnenfunkelnde  Berberitzen. 

Dein  Mund,  wenn  er  Alltagsdinge  erzählt, 
ist   ein   Rothengst,   der  im  Geschirr  sich  quält. 

Dein  Mund,  wenn  er  küsst  und  von  Liebe  spricht 
ist  ein  reimetrunkenes  Lenzgedicht. 


13 


AN  DEN  MOND 

Wieder  über  den  Dächern 
steht  der  Mond  und  wadit, 
giesst  wie  aus  Silberbechem 
kühles  Lidit  in  die  Nacht. 

Sahst  unsre  glücklidien  Stunden, 
spiegeltest  hell  dich  im  See, 
hast  mich  wiedergefunden 
einsam  in  meinem  Weh. 


14 


WAGENRENNEN 

Deine  Rosse  dir  zu  lenken, 
wähl  nicht  fremde  Zügelführer. 
Wag  den  höchsten  Preis  zu  denken, 
hgre  nicht  auf  Zweifelschürer! 

Sdiarfer  Wind  wird  wehrend  wehen, 
hinter  deinen  schnellen  Pferden 
vollen  Fusses  wirst  du  stehen, 
sidier  Sieger  noch  zu  werden. 

Kann  didi  mit  Erobrerhufen 
dein  Gespann  ans  Ziel  nicht  tragen, 
Solls  dich  stürzend  vor  den  Stufen 
deiner  Wünsche  doch  ersdilagen ! 


15 


Mögen  mich  die  Alten  sdielten, 
die  mit  Mauern  sich  verwahrt 
meine  Jugend  lebt  in  Zelten, 
denn  sie  liebt  die  rasdie  Fahrt. 


16 


Zu  den  Zielen  seiner  Träume 
adi,  wer  kann  die  Brüdcen  schlagen! 
Fehlt  die  Axt  nidit,  mangeln  Bäume: 
müde  wird  der  Mut  zu  wagen. 


R.  Sehaulul,  Vene    2 


17 


Glüddidi,  wer  in  ruhigen  Händen 
seines  Lebens  Schale  hält, 
dass  kein  Tropfen  zu  Boden  fällt. 


18 


AN  DIE  NACHT 

Komm  holde  Nacht  und  hülle 
in   deinen  Mantel  midi, 
die  müden  Augen  fülle 
mit  sdiwerem  Schlafe,  sprich 

ins  Ohr  voll  Muttergüte 
die  Worte  tiefer  Ruh, 
decke  mit  Blatt  und  Blüte 
des  Traums  mein  Sehnen  zu, 

lass  mich  die  Pforten  offen 
finden  zum  alten   Glück, 
gib  mir  mein  Kinderhoffen  — 
und  Kraft  zum  Tag  zurüde! 


19 


DIE  JUNGE  SEHNSUCHT 

O  junge  Sehnsucht,  die  von  einem  Heerzug 
träumt, 

dem   kampfbereiten   Kiel,    an    den    die   Meerflut 

schäumt, 

der   ungeduldig    an    der  Kette    zerrend    sich    im 

Hafen  wiegt, 

dem  sdilanken  Mast,  an  den  sich  eine  Scharlach- 
flagge schmiegt! 

O  Sehnsudit,  die  in  Qualen  sidb  auf  liditgemied- 

nem  Lager  windet, 

einst  kommt  der  Tag,    der   didi  verhungert  und 

verdurstet  flndet! 


20 


AUGUST  MEINER  SCHWESTER  LOTTE 

•  • 

Über  Wald  und  Wiesen 
liegt  der  Mondenschein, 
zögert  an  den  Fliesen 
in  das  Haus  herein. 

Gurgelnd  über  Kieseln 
dunkel  rausdit  der  Badi. 
Nur  ein  leises  Rieseln 
hält  die  Blätter  wadi. 

Grüne  Funken  flimmern 
im  verhüllten  Straudi 
und  die  Flügel  schimmern 
meiner  Seele  auch. 


21 


SOMMERNÄCHTE 

O   Glück  der  lauen  Sommernädite, 
wenn   der  Jasmin   sein  weisses  Lied  singt 
und  alle  Hecken   leuchten   von   grünen   Lichtern! 
Still! 

Wie  der  Badi  rinnt, 
rinnt 
gurgelt 
rinnt, 

plätschernd  rinnt. 
Und  der  Mond  steht  darüber 
silberklar  hell  friedlich. 
Wannsdiwarze  Dächerzacken 
und  der  Himmel  weicher  blauer  Sammet  .  .  . 


22 


TRAURIGE  MAR 

Idi  gab  mein  Herz  einem  blonden  Kind. 
Sie  nahms  und  ladite. 
Idi  wusste  nicht,  wie  die  Kinder  sind, 
ich  freute  mich  und  dachte: 
„Nun  legt  sie's  zartlidi  in  den  Sdirein 
und  wirds  verwahren." 
Sie  aber  warfs  in  den  Tag  hinein: 
der  Stundenwagen  fuhr  polternd  drein  — 
da  ward  es  überfahren. 


2S 


UNTERM  KASTANIENBAUM 

Unterm  Kastanienbaum 
sass  ich  und  sann: 
war  einst  mein  Tag  wie  ein  Traum, 
aber  das  Träumen  verrann.  .  . 

Stand  auf  und  hob  die  Brust. 
Leben  ist  schwer, 
sagt  immer  nur:  du  musst! 
hört  nie:  idi  kann  nicht  mehr. 


24 


DAMALS 

Als  die  Linden  am  Wege  blühten 
und   fern    die   Kuppen    der    Berge   glühten 
und  leise  Luft 
von  den  Höhen  her 
um  die  Wangen  mir  schmeichelte, 
alles  in  Morgenduft 
wie  in  Sdileiem  lag 
zärtlich  ersdiauemd  vor  dem  Tag: 
damals  .   .  .  ! 

O  ihr  rotblühenden  Hedcen   der  Träume, 
vne  sind  meine  Augen  müd  von  Tränen, 
wenn  ich  erwache  vor  Sehnen, 
vor  Sehnen  .  .   . 


25 


NACHKLANG 

Als  idi  dich  liebte,  damals,  o  wie  war 
voll  Duft  und  Glanz  dein  flockenleichtes  Haar, 
wenn  meine  Finger  selig  es  durdibebtenl 

Ich  weiss  nidit  mehr,  ob  deine  Augen  blau 
wie  früher  leuchten,  kleine  blonde  Frau, 
da  sie  im  Lichte  meiner  Liebe  lebten. 


26 


KAMPFER 

Ein  reines  Herz  meine  Wappenzier, 
mein  Stolz  mein  Schild,  mein  Blidc  mein  Schwert : 
hoch  reit  ich,  jedes  Kämpfers  wert, 
in  alle  Schranken  ohne  Visir. 

Um  jedes  Fussbreit  Glückes  will  ich  streiten, 
dann  aber  seligmüd  vom  Sattel  gleiten 
und  meinen  Kopf   in  deinen  Sdioss   geschmiegt, 
träumen  eratmend,  ich  sei  besiegt. 


27 


WEISE-WERDEN 

Einmal  kommt  es  über  Nacht 
wie  ein  Wind  aus  Norden, 
und  erschrodcen  aufgewacht 
bist  du  weise  worden. 

Aber  müd  ist  deine  Hand 
ubers  Haar  geglitten: 
was  dir  diese  Nadit  entschwand, 
hast  du  einst  erstritten. 


28 


DIE  MUSCHEL 

In  der  Muschel  schlummert  ein  Sang 
von  Atlantis,  der  wunderbeu-en 
Insel,  die  lang  vor  Jahren 
von  den  Harfentönen  des  Qückes  klang. 

Streif  sie  nicht  achüos  im  Gehen, 

hebe  sie  scheu  an  dein  Ohr: 

was  deine  Jugend  an  süssen  Wünschen  verlor, 

hörst  du  klagen  aus  ihrem  Wehen. 


STERNE 

Schwarz  und  sdiwer  schweigt  rings  der 
Wald. 
Oben  stehn  die  Sterne, 
stehen  still  und  glitzern  kcdt 
nieder  durch  die  Feme. 

Und  in  mir  wird  Ruh  und  Glück, 
alles  ist  verglommen. 
Bringts  der  Tag  auch  stets  zurück: 
Sterne  müssen  kommen. 


30 


RITTERLICHER  SPRUCH 

Höherm  Walten  stumm  geneigt, 
Feinden  frank  die  Färb  gezeigt, 
hehres  Ziel  im  Femen. 


Halt  mir  offen  Aug  und  Herz, 

Herr  mein  Gott,  und  lass  von  Schmerz 

wie  von  Lust  mich  lernen ! 


31 


DU 

Wie  aus  tiefen  Wäldern  bist  du, 
wo  keine  sdiweren  Mensdien  gehen. 
Wie  in  der  WaJdquelle 
seh  idi  mich  rein  und  wahr  in  dir. 
Idi  bin  ein  heisser  unzufriedener  Mensch 
mit  einem  herrisdien  Kinderherzen. 
Tau    liegt    auf   meinen   Haaren  aus  den  Nächten 

der  Sehnsudit. 
Meine  Hände  zittern  nach  Glüdc. 
Und  meine  Seele  kann  fliegen 
hoch  über  den  Tagen: 
idi  seh  ihr  nadi  und  staune 
lächle  und  weine. 

Mandimal  aber  bin  idi  wie  ein  König  .  .  . 
Und  alles  ist  dein. 
Dein  ward  es  ohne  Schenken, 
du  kamst  und  es  war  dein. 
Idi  bin  so  sidier,  dein  zu  sein  mit  allem. 


32 


DER  BRAUT 

Mit  weissen  Schuhen,   weissen  Schleifen, 
Myrten  in  den  weichen  Haaren, 
gehst  du  gegen  alle  Gefahren, 
die  nach  uns  greifen. 

Und  unterm   Sdileier  wirst  du  schauen 
mit  bangem  Blick  auf  hohe  weisse  Kerzen: 
mühsam  mit  heftig  kämpfenden  Brauen 
scheuchst    du   die   Tränen    nach    deinem   Herzen. 


R.  Schaukel,  Vene     t  33 


CAPRI 

Weisse  leuchtende  Säulen.  Rebenranken 
schmiegen  sich  zärtlich  um  ihre  sdilanken 
schweigenden  Leiber.  Purpurn  brennende  Nelken. 
Jäh  aufduftende  Rosen,  die  nächtens  welken. 
Bunt  im  Schatten  kühler  Laubengänge 
blüht  der  Ginster.    Meergetränkte  Winde 
nahen  flatternd.    Hörst  du  nicht  Gesänge, 
leise  lockende  und  traurig  linde  ? 
Sind  es  drunten  im  glitzernden  Schaume, 
im  Sonnenjubel  der  hüpfenden  Mittagswellen 
nicht  die  brandungbeherrsdienden  süssen  und 

hellen, 
dunkel  und  muscheltief  aus  raunendem  Traume 
klagenden,  ewig  betörenden,  flatternd  bebenden, 
schimmernd  sich  wiegenden,  schwalben- 

sdiwebenden 
seltsam  silbernen  Stimmen  —  Mensdiensehnen 
anner  Unsterblidier  künden  sie  —  der  Sirenen? 


34 


ÜBER  DEINE  AUGENLIDER 

•  • 

Über  deine  Augenlider 
zärtlich  sacht 
stridi  mit  weichem  Flaumgefieder 
der  Wundervogel  der  Nacht. 


Seine  grossen  grünen  Schwingen 

sind  von  Träumen   sdiwer. 

Horch:  er  will  singen 

von  Palmenwäldem  und  seltnen  süssen  Dingen, 

weit  weit  kommt  er  her  .  .  . 


DIE  SONNE 

Greise  versöhnt  sie, 
an  der  Dinge  sdiarfe  Kanten  gewöhnt  sie, 
mit  Strahlen  blendet,  mit  Strahlen  krönt  sie. 


36 


DAS  UED  VON  DER  ZEIT 

Die  lichten  und  schwarzen  Lose 
leg  leise  dem  Leben  zu  Fuss: 
freu  didi  der  gelben  Rose, 
freu  dich  der  Herbstzeitlose, 
wahre  dir  Klang  im  Gruss. 

Jaudize  deine  Fanfare 
über  die  Wälder  weit, 
lieb  deine  lodernden  Jahre : 
einmal  die  schliditeren  Haare 
kränzt  dir  die  schweigende  Zeit. 


J7 


DAS  GLÜCK 

Wanderer,  du  stehst  und  sinnst: 
leise  wehend  kams  gegangen 
tat  dein  Haar  wie  Schleier  fangen, 
aber  eh  aus  deinem  bangen 
bebend  ahnenden  Verlangen 
du  mit  heissen  Kinderwangen 
stammelnd  einen  Wunsch  beginnst: 
flüchtig  und  mit  Flügelschritten 
flatternd  ist  es  fortgeglitten 
und  von  deinen  hohen  Träumen 
hängt  nur  zitternd  in  den  Bäumen 
windbewegtes  Duftgespinst. 


38 


ABEND 

Ferne  Wälder  dunkeln  schon. 
Sonnenscheiden  füllt  die  Luft 
tief  mit  einem  goldnen  Ton. 
Ungeheuer  schwillt  das  Meer  der  Schollen. 
Sdiwer  im  Felde  schreitend, 
Brust  und  Arme  breitend, 
saug  ich   ein  den  samenvollen, 
dieser  ewigen  Erde  mütterlichen  Duft. 


39 


I     |ie  Zeit  der  kleinen  Lieder 
'-^  verging, 

die  Zeit,  da  mir  der  Flieder 
voll  Tau  und  Sonne  hing.  .  . 


40 


MORGEN 

Und  aus  der  tiefen  dunkeln  Nacht, 
beladen  schwer  mit  Schweigen, 
bin   idi   im  grossen  Lidit   erwacht: 
verwunden  Traum  und  Schwüle, 
die  grünen  Blätter  schwanken 
in  klarer  Morgenkühle 
und  tau-beseligt  neigen 
die  Rosen  sidi  und  danken. 
Die  Welt  steht  hell  in  Gnaden, 
Nun  Herz  tu  ab  dein  Bangen : 
sieh,  rings  auf  allen  Pfaden 
bist  du  beglückt  empfangen. 


41 


DAS  KORNFELD 

Meine  Gedanken 
sind  ein  Kornfeld  im  Wind: 
sie  rausdien  so  und  schwanken, 
weil  sie  hoch   gewadisen  sind. 


42 


WALDWEBEN 

Vom  Quell  die    Kieselkühle 
haucht   mir   entgegen.      Warm 
aus  sdiwebender  Mittagsschwüle 
tret  ich,   den   Stock   im  Arm, 

ins  grüne  Dämmern.     Leise 
den  moosigen  Weg  entlang 
die  alte  Waldesweise, 
der  rauschende  Gesang. 

Zitterndes  Sonnenflimmern 
spinnt  sich  von  Zweig  zu  Zweig, 
zwischen  den   Schatten   schimmern 
Goldkringel  auf  dem  Steig. 

Da  sind  die  durstigen  Farren, 
da  sind  die  Falter  von  einst  .  .  . 
Du  Spur  von   knarrenden   Karren, 
wie  du   bekannt  mir  scheinst! 

Du  flatternde  Waldesseele 
voll  Märchenheimlichkeit  — 
was  würgt  mir  in  der  Kehle! 
Das  war  vor  langer  Zeit  .  .  . 


43 


Und  sind  ja  doch  die  Dinge  dieser  Welt 
ganz  angetan,  uns  leidlich  zu  vergnügen; 
in  einem  zarten  Sdileier  so  zu  lügen, 
dass  es  uns  Ladielnden  gefällt. 


44 


MEINER  FRAU 

Dein   Bild  aus  frühern  Tagen, 
das  ich  so  lange  trug, 
ich   kann   mich   nicht  genug 
nach  seinen  Zügen  fragen. 

Du  bist  mir  so  vertraut, 
dass  die  Vergangenheiten 
sich  dicht  wie  Schleier  breiten 
um  eine  Perserbraut. 

Nur  denken  darf  ich  mich 

in  jene  fernen  Stunden, 

da  ich  Geliebte  dich 

noch  als  mein  Ziel  empfunden. 

Nun-  bist  du  schon  so   sehr 
mit  meinem  Tag  vereinigt: 
wie  Wandersdiaft  gepeinigt, 
begreift  mein  Glück  nicht  mehr. 


45 


AN  DER  WIEGE 

Näditlich  über  ruhigem  Wallen 
teuren  Atems  sieh  mich  beten: 
Lass  mich  in  die  hellen  Hallen 
dieser  reinen  Seele  treten! 

Gib  aus  Gnade  mir  für  Treue 
das  Vertrauen  Gott  zum  Lohn: 
dies  aus  mir  gewachsne  Neue 
sei  mein  eingebomer  Sohn! 


46 


SCHNEPFENSTRICH 

Stamm  an  Stamm  wächst  schwärzer 
schon 
in  den  bleiern  bleichen 
Himmel.     Unkenklageton 
schwillt  aus  braunen  Teichen. 

Leise  tief  im  Auenried 

sdiauem  müde  Winde, 

sdiläfrig  streicht  ein  Schlummerlied 

durchs  Gezweig  der  Linde. 

Nun  verstummen  nah  und  fem 
alle  Vogelstimmen. 
Tau  fällt.     Still  den  ersten  Stern 
seh  ich  hoch  erglimmen. 


47 


VORFRÜHLINGSNACHTE 

Nun  sind  die  Winde  wieder  wild: 
sie  rütteln  an  den  Mauern, 
und  du  erwachst  und  dich  durdiquillt 
das  alte  Frühlingsschauern, 

dass  du  dich  aus  den  Kissen  rüdcst, 
hin  lausdiend  in  Bedrängnis 
dich  über  deine  Seele  bückst  — 
wie  einer  im  Gefängnis. 


48 


EWIGKEIT 

Was    ist    mein    Leben    als    ein    fadenscheinig 
Stück 
im  dunkel  flutenden  Mantel  der  Ewigkeit! 
Idi  nahms  mir  nicht,  idi  geb  es  nidit  zurück. 
Nur  im  Flattern  ist  Qück. 
Und  in  tausend  Jahren  ist  wieder  meine  Zeit. 


R.  Schaukai,  Verse     4  49 


SOMMERABEND 

Lautlos  tanzt  ein  Müdcenschwarm 
wirbelnd  in  der  Sonnenschräge. 
Kommt  ein  Lied  im  Lindenduft 
sonntagabendbang  und  träge 
durdi  die  laue  weiche  Luft 
leise  her  aus  den  Alleen, 
wo  die  jungen  Mädchen  gehn 
Arm  in  Arm  .  .  . 


50 


MONDNACHT 

Nebel  schieiert  schimmernd  auf  den 
Wiesen  weit. 
Mondbezaubert  ihre  Silberflügel  breitet  Einsamkeit 
Weiden  überm  Flusse,    der  leis    rausdiend   wallt, 
geistern    schattend    auf    den    Teppidi    ihre    Miss- 
gestalt. 

Tiefste  grüne  Dunkelheit  umhängt 
weich  den  ragenden  Wald.      Der  Höhensaum 
hebt  sidi  schwarz  und  sdiarf  vom  blauen  Raum, 
wo  der  Herr  unendlidie  Gedanken  denkt. 


51 


DER  ENGEL 

Den  Engel,  der  einst  unerkannt 
in  Blumen  sidi  zu  dir  gefunden, 
ihn  ruft  die  zögerndste  der  Stunden 
zurück  ins  dunkle  Kinderland. 

Schon  will  es  purpurn  drüben  tagen, 

im  Dämmer  harrt  dein  weiter  Weg: 

einmal  an  seine  Brust  noch  leg 

vorm  Scheiden  deinen  Kopf  in  stummen  Fragen. 


52 


i 


STRANDFELSEN 

Regenschleier  flattern  weit 
von  den  schroffen  Felsenwänden, 
ängstlich   mit  erstarrten  Händen 
hält  die  Einsamkeit  ihr  Kleid. 


53 


NACH  DER  BIRSCH 

Leise  hat  die  milde  Nacht  gerührt 
an  Gesträuch  und  Baum  mit  weicher   Hand, 
lautlos  dann  an  einem  hellen  Band 
den  erfüllten  Mond  herabgeführt. 

Dort  im  Dunkelsten  verliert 

sich  der  weisse  Steig,  versinkt  .  .  . 

Grünlich  funkelnd  längs  den  Büschen  schwingt 

seinen  leichten  Leib  ein  Wurm  und  vrinkt, 

wo  der  weisse  Steig  sich  selbst  verliert.  .  .  . 


54 


Und  so  gehen  wir  vereint, 
gehen  gute,  schlimme  Wege, 
schreiten  über  Sturzbachstege, 
da  durch  Wolken  und  Gehege 
immer  wieder  Sonne  scheint. 


55 


ERNTETAG 

Hoch  steht  die  Sonne  überm  Emtetag. 
Bald  rauscht  durch  dichte  Saaten 

Sensenschnitt. 
Manch  eine  blaue  Blume  mag 
vom  Stengel  gleiten.     Sie  zertritt 
ein  Schritt  .  .  . 


56 


HERBSTABEND 

Müde  geht  der  Tag  zur  Neige. 
Nebelgraues  Abenddämmem 
hüllt  in  Schleier  Feld  und  Wiesen. 
Durch  die  frierend  kahlen  Zweige 
raschele  welke  Blätter.    Fern, 
wie  aas  Stadt  und  Land  verwiesen, 
irrt  ein  dumpfes  Glockenhämmem. 
Einsam  glänzt   ein   kalter  Stern. 


57 


Nacht  aus  müden  Händen 
lässt  den  Mantel  gleiten, 
hörst  die  Stunden  sdireiten 
mit  schleifenden   Flügelenden. 

Die  Gedanken  ballen 
sich  zu  sdiweren  Massen, 
die  mit  wildem  Hassen 
jäh  didi  überfallen. 


58 


MEINEM  KLEINEN  JOHANN  WOLFGANG 

Geh  mit  dem  siegenden  Willen 
Kind  in  den  weidienden  Tag, 
sei  wie  der  Lerdiensdilag ! 
Bald  zirpen   Gedankengrillen. 


59 


SCHNEE 

Ihr  Leute,  o  ihr  Leute, 
*  was  gab  idi  euch  denn  je! 
In  meiner  Sonne  von  heute 
sdimelzenden  Stundensdinee! 


60 


ZUR  ZIGARETTE 

Wie  auf  den  leichten  Wellen  blauen  Rauches 
dein  Geist  sich  spielend  neue  Träume  fand, 
siehst  du  vielleicht  im  Duft  des  innern  Hauches 
beseligter  das  ferne  Feenland, 

wenn  eine  Stunde,  die  dir  sonst  verschlossen, 
von  Glanz  erfüllt  aus  tiefem  Brunnen  steigt : 
von  Silber  ist  dein  banger  Wunsch  umflossen, 
dem  sidi  der  Gott  in  stummer  Gnade   neigt. 


61 


IN  DER  NACHT 

•  • 

Uberm  Klopfen   meines  Herzens   bin   ich   auf- 
gewacht .  .  . 
Atemzüge  meines  Kindes  ruhig  in  der  Nadit. 

Schwankend  sdiwebt  ein  leiditer  Schatten  an  der 

Decke  hin, 

und  aus  bunten  trunknen  Träumen  weiss  idi,  wo 

idi  bin. 

Lauschend  beug  idi  mich  hinüber.      O  erfüll  sie 

ganz, 

Frieden,    meine    bange    Seele    still    mit    deinem 

Glanz I 


62 


DAS  GROSSE  SCHIFF 

Den  schweren  Anker  hat  das  grosse  Sdiiff 
versenkt  auf  hoher  Flut  und  Hegt  und  wadit 
mit  schwarzen  Augen  horchend  in  die  Nadht  — 
und  ihm  zu  Seiten  wartet  stumm  das  Riff. 

Und  morgen,  wenn  die  rote  Sonne  kaum 
am  Himmel  steht  und  buhlend  Winde  werben, 
wird  es  sidi  rühren  aus  dem  dumpfen  Traum 
und  an  das   Riff  getrieben  sdieitemd  sterben. 


a 


SCHATTENSPIEL 

Meinem  Buben  zeigt  ich  heut 
an  der  Wand  den  Schatten, 
und  er  stand  und  sah  erfreut 
auf  den  blassen  glatten, 

der  sidi,  als  er  näher  kam, 
gleich  mit  Blut  erfüllte, 
höher  wuchs  und  gierig  ncihm, 
was  ihn  tief  verhüllte, 

schwindend  hinterm  Fusse  schlidi, 
als  er  sich  entfernte: 
schwarze  Kunst,  die  lächelnd  ich, 
Kind,  wie  du  erlernte. 

Leben  ist  ein  Schattenspiel, 
lernst  es  einst  begreifen, 
wenn  sie  dir  von  Ziel  zu  Ziel 
schwindend  stets  entschweifen. 


64 


LEBEN 

Und  wieder  ist  es  Sdilzifenszeit, 
ein  grauer  Tag  zerrann, 
und  morgen  legst  du  Müh  und  Kleid 
gehorsam  wieder  an. 

Und  wenn  du  manchen  Morgen  so 
dich  in  den  Tag  gefügt, 
kaum  traurig,  aber  selten  froh, 
sagt  Gott  wohl :  Es  genügt. 


R.   Schaukai.  Verse     5  6S 


WEIHNACHTEN 

Von  hohen  Himmelsfernen 
auf  einem  blauen  Band 
im  Glanz  von  tausend  Sternen 
kam  stilles  Glüdc  ins  Land 

und  hat  in  dunkeln  Herzen 
ein  Lichtlein  angestedct, 
hat  Sorgen,  Gram  und  Sdimerzen 
ganz  leise  zugedeckt. 


66 


AN  MEINE  FRAU 

Lass,  Vertrauteste,  zusammen 
uns  den  steilen  Pfad  ersteigen: 
meine  Sehnsucht  wird  in  Flammen 
wallend  uns  die  Wege  zeigen. 

Sdiatten  schleichen  in  den  Talen, 
drücken  auf  die  dumpfen  Tage. 
Mich  verlangt  nach  heissen   Strahlen, 
der  ein  heisses  Herz  ich  trage. 

Nebelt's  gleich  aus  sdiroffen  Schrunden, 
spreizen  sich  die  Hindemisse: 
unter  Hängen,  neben  Schlünden 
wag  ich  mich  ins  Ungewisse! 


i*  67 


MYSTERIUM 

Nadit  verhängt  mit  sdiwarzen  Schleiern 
lösendes  Ermatten  schon, 
aus  den  schilfverschwiegnen  Weihern 
hebt  sidi  der  kristallne  Thron. 

Ihre  milden  Hände  hält  sie 
vor  dem  schimmernden  Gesicht, 
schlummertiefe  Südite  schwellt  sie, 
trunken  von  verhaltnem  Licht. 


MEINER  MUTTER 

Weisst  du,  dass  von  allen  Zweigen 
meines  Lebensbaums 
dir  zu  Danke  Lieder  steigen 
in  das  Blau   des  Raums, 

wo  der  ewige  Erhalter, 
der  sie  lächelnd  lenkt, 
all  die  Vögel   und  die  Falter 
seinen  Engeln   schenkt? 

Und  so  sdiwirrts  von  bunten  Sdiwingen 
um  die  selige  Sdiar, 
und   ihr  Schweben  wird   ein   Singen 
eingestimmt   und   klar. 

Und  es  drängen  sich  die  Engel 
durdi  das  Himmelstor, 
Kopf  an  Kopf  wie  Lilienstengel 
beugt  sidi  forschend  vor. 

Ihre   Fittichschultern  gleiten, 
schimmernd   Elfenbein, 
dann   zum  Thron  der  Benedeiten 
in  der  Glorie  Schein. 

Sanft  den  jubelnden  Verkündem 
wehrt  die  reinste  Magd, 
und   die  gnadevoll   uns  Sundern 
Gott  geboren,   sagt : 

69 


Lange  weiss  die  wundergute 
Erdenkunde  schon, 
der  im  Schmerzenschosse  ruhte 
todesbleich  der  Sohn. 

Als  ein  Ohr  der  Kindesklage, 
Kindesglücks  der  Welt 
bis  ans  Ende  aller  Tage 
hat  Er  mich  bestellt. 


70 


MEINER  MUTTER  (Ein  andres) 

Von  deiner  milden   Güte 
lass  midi  ein  leises  Lied 
dir  sagen,  Vielgemühte, 
wies  mir  mein  Herz  verriet 

Ich  ging   in   deinem   Segen 
so  manches  Kinderjahr, 
du  brachst  auf  Rosenwegen 
die  Domen  der  Gefahr, 

und  cils  ich   ritt  ins  Freie 
mit  hellem  Knappenblick, 
floss  deine   Gnadenweihe 
um  Fahrt-  und   Kampfgeschick. 

Gesegnetes  Gewaffen 
mir  manchen   Sieg  errang, 
und   was  ich   kühn   erschaffen, 
dir  gilt  der  Hüterdank. 

Viel   Könige   und   Helden 
gewannen   Ruhm   und   Ehr, 
mich   aber  lass   vermelden, 
wie   mir  geworden   mehr: 

Von  jedem  Glück  den  Schimmer 
erschufst  zu   Glänze  du, 
das  Leiden   decktest   immer 
du  mit  der  Hand  mir  zu 

71 


und  bargst  das  Blut  der  Wunde, 
dass  midi  verstörte  nicht 
audi  nur  die  bange   Kunde, 
mit  lächelndem  Gesicht. 

Die  um  die  sieben  Sdiwerter 
duldend  den  Mantel  sdilug, 
didi  ruf  idi  Unversehrter, 
verkünd  Ihm  diesen  Trug, 

dass,  laden  die  Drommeten 
uns  einst  zum  Weltgericht, 
wir  beide  vor  Ihn  treten 
und  Seine  Mutter  spridit : 

Sieh  diese,  Herr  der  Scharen, 
sie  hielt  in  treuer  Hut, 
was  du  ihr  gabst  zu  wahren 
als  ein  geliehnes  Gut. 


72 


MEINER  MUTTER  (Das  dritte) 

Wir  sind  im  Leben  nun  schon  lang 
nidit  auf  denselben  Wegen, 
doch  schlägt  das  Herz  im  gleichen  Takt, 
und  was  der  Tag  uns  aufgepackt, 
wir  hieltens  uns  entgegen 
und  weinten  froh   und  lachten  bang. 

Das  macht:   es  hat  der  liebe  Gott 
uns  aus  demselben  weichen 
und  dennoch  festen  Holz  gefügt 
und  sah  uns  nach  und  war  vergnügt 
und  seinen   Bogen  streichen 
tat  er  an  uns  in  gutem  Spott 

und  sprach  zu  seinen  Engeln:  Seht, 

das  gibt  doch  einen  feinen  Ton. 

Nun   wollen   wir  sie   trennen: 

ob  sie  sich  auch  erkennen. 

Und  sind  es  mandie  j£ihre  sdion, 

dass  jedes  tapfer  weiter  geht. 

Doch  langt  der  grosse  Bogen  her 

und  will  brav  musizieren 

und  hat  kaum  einen  Strich  getan, 

da  fängt  es  fem  zu  klingen  an: 

das  kann  sich  nidit  verlieren! 

Er  aber  ladit  und  freut  sich  sehr. 


73 


FRUHLINGSAHNEN 
I 

^^dion  will  sidi  Frühlingsahnen 
^-^   aus  tiefer  Brust  erheben, 
die  lauen  Lüfte  mahnen 
an  seligstes  Erleben. 

Schon  zeidinen  sich  die  Bäume 
weidier  am  Himmelsrande. 
Sehnsüchtig  sdiaun  die  Träume 
nach  dem  gelobten  Lande. 


74 


n 

\Y/as  will  das  bange  Drängen 

''  '     in  meiner  Brust, 
in  Schwellen  und  Verengen 
die  wehe  Lust, 

die  mir  das  Herz,  die  Kehle 
vor  Horchen  schnürt? 
Hat  eben  Hauch  die  Seele 
vom  Lenz  verspürt? 


75 


MÄRZ 

Frühling,  wie  bist  du  überall, 
du  Fremdling  mit  den  blassen  Wangen, 
mit  Sdiritten  ohne  Widerhall 
in  süsser  Traurigkeit  gegangen. 

Dein  Atem  liegt  noch  in  der  Luft, 
viel  scheue  Knospen  zittern  bang, 
und  ein  berauschend  weicher  Duft 
schwebt  tälerein  und  wegentlang. 

Mir  will  die  Brust  vor  Qual  und  Angst, 
die  liederreidie  Brust  verzagen: 
du  bangst  in  Sehnen  und  verlangst 
nach  ihm  und  kannst  es  ihm  nidit  sagen. 


76 


MAI 

Bist  du  endlich  gekommen, 
rosenfingriger  Mai? 
Töne  deiner  Schalmei 
sind  in  Lüften  geschwommen. 

Leise  sind  an  den  Bäumen 
in  einer  seligen  Nadit 
aus  ihren  zagenden  Träumen 
weisse  Blüten  erwacht. 

Hoch  vom  Himmel  hernieder 
spannt  sich  leuchtendes  Blau 
und  im  glänzenden  Tau 
funkeln  die  Gräser  wieder. 

Unter  den  Küssen  der  Winde 
schauernd  gleitet  der  Bach, 
stärker  schon  rauschen  der  Linde 
Wimpel  über  dem  Dadi. 


77 


ERWARTUNG 

I     |umpfes  Drängen,  trübes  Wähnen, 
^•^    welkend  sdileifts  ein  müder  Wind, 
dodi  ich  lausche  durdb  die  Tränen 
Schritten,  die  noch  ferne  sind. 

Einen  Schatten  seh  idi  steigen, 
eine  Stimme  hör  ich  nzihn: 
aus  mir  selbst  midi  vorzuneigen, 
treibt  es  mich,  ihn  zu  empfahn. 

Und  nun  hält  er  an  der  Schwelle, 
und  da  klopft  er  schon  ans  Tor: 
lodernd  sdilägts  in  Flammenhelle 
über  meinem  Haupt  empor. 


78 


SURSUM 

Empor  zur  sternbesäten   Weite 
wag  wieder  deinen   fernetrunknen  Flug  ! 
Schon  steht  der  g^te  Geist  dir  freundlich  an  der  Seite» 
der  auf  dem  starken  Nacken  sonst  dich  trug. 

Verlass  den  Strand,  der  murmelnd  deinen  Füssen 
Welle  auf  Welle  sterbend  angespült. 
Die  dich  erwarten,  wollen  dich  begrüssen! 
Lass  aus  dein  Herz,  das  wieder  Flügel  fühlt ! 


79 


ENGLAND 

Weiss  im  grellen  Mittagleuchten 
stieg  es  aus  den  Schimmerfluten, 
wuchs  in  drängenden  Minuten, 
und  ich  sahs  mit  heimwehfeuchten 
landuDgbangen  stummen  Augen. 

Und  es  war,  als  ob  mein  Leben, 
das  ich,  einem  neuen  Sterne 
mich  vertrauend,  tauber  Ferne 
trotzig  zwingend  wollte  geben, 
traurig  mich  mit  stummen  Augen 
fragte :  Kannst  du  mir  entrinnen  .  .  .  ? 


80 


SOMMERS  EINZUG 

Beug,  o  Lenz,  den  weissen  Nacken: 
sieh,  ein  brauner  Herrscher  naht 
dem  Gefilde  reicher  Tat; 
stolz  im  Scharlach  der  Schabracken 
windet  sich  der  Zug  in  Zacken 
ragend  über  schwanke  Saat. 

Längst  schon  stieg  den  Himmelsbogen 
glühend  dein  Gestirn  hinauf. 
Deine  Hirten  sind  verzogen, 
deines  Flusses  flüchtige  Wogen 
schäumen  schwalbenüberflogen 
zu  den  Rosenbüschen  auf. 


R.  Scbaulcal,  Verse     6  81 


DER  NACHEN 

Nun  ist  die  Nadit  gekommen 
mit  sanftem  Sdiritt, 
die  lautlos  rings  erglommen, 
die  Sterne  bringt  sie  mit. 

Sdion  hält  ein  stiller  Nachen 
am  schwfirzen  Strand: 
steig  schwankend  ein,  erwachen 
wirst  du  im  fernen  Land. 


82 


STUNDE  DER  FÜLLE 

Breit  über,  selige  Stunde, 
der  Zweige  schwankende  Last! 
Die  Wunder  quellende  Kunde, 
ach,  sie  verstört  mich  fast. 

Herrschender  meine  Stirne 
hebt  sidi  aus  hemmender  Hut, 
nah  und  näher  die  Firne 
eisig  in  Purpurglut. 

Tief  aus  sdiütternden  Sdilünden 
lodernd  stürmt  es  empor, 
wallend   über  den   Gründen 
schwebt  der  gewaltige  Chor. 

Aildurchkreisendes  Leben 
braust  in  Flammen  und  Schwall, 
und   ich   erfühls   mit   Beben: 
ich  bin  überall! 


«• 


83 


SONNENUNTERGANG 

In  den  Fenstern  glüht  der  letzte  Sdiein, 
alle  Wolken  stehen  loh  in  Brand, 
in  den  Himmel  dampft  der  Raudi  hinein, 
atemlos  in  Sdiweigen  harrt  das  Land. 

Und  nun  ist  die  Sonne  hinterm   Berg, 
ausgelösdit  ist,  heller  Tag,  dein  Licht : 
Mensch,  lass  ab  vom  mühevollen  Werk, 
lausdi  der  Seele,  die  im  Kühlen  spridit! 


84 


SONNENAUFGANG 

Das  ist  die  Zeit  der  kühlen  Frühe: 
die  Vögel  sdireien  insgesamt, 
der  Himmel  hebt  sidi  immer  höher, 
ganz  leise  wadisend  angeflammt, 

und  von  den  Wiesen  wallt  der  Nebel 
zerfliessend  wie  ein  Morgentraum, 
den  Weg  entlang  erwacht  die  Reihe 
der  hohen  Pappeln,  Baum  an  Baum  . 


as 


IM  REISEWAGEN 

Scheu  vorm  Scheine  der  Laterne 
weidit  Gesträuch  am  Wegesrande. 
Kälter  glänzen  schon  die  Sterne 
hier  in  diesem  fremden  Lande. 

Dodi  wie  dich  gemadi  das  Rollen 
in  ein  andres  Leben  leitet, 
fühlst  du,  dass  aus  deinem  vollen 
Herzen  Lidit  es  überbreitet. 


86 


WIR 

Und  immer  wieder  Nacht  und  Ende 
und  immer  wieder  Anfang,  Licht; 
wir  schliessen,  öffnen  unsre  Hände 
und  senken,  heben  das  Gesicht. 

So  haben  wir  aus  Angst  vorm  Kreise 
in  feiger  Scheu  zurechtgestellt 
die  Ewigkeit  nadi  Menschenweise, 
für  Menschenmüdigkeit   die  Welt. 


87 


KLANGE  VOM  ZIRKUS 

Kreisdiende    Fiedeln   und   wimmernde  Flöten. 
Ein  Hund  sdilägt  an  und  heult  darein, 
und  nun  sdinauben  die  rauhen  Trompeten. 
Trübe  Liditer  erfromer  Laternen   .  .   . 
Liegt  eine  Welt  zwischen  mein  und  dein. 
Fallen  die  Lose  von  kalten  Sternen? 
Oder  musst  Mensdi  du  alles  lernen, 
Fiedel  und  Vieh  und  Gaukler  sein? 


88 


SEELE 

Sehnend  schau  idi  hinaus: 
riefst  du  mich,  liebliche  Seele? 
Bang  in  der  hämmernden  Kehle 
fühl  ich  das  lastende  Haus. 

Schwingen  wachsen  mir  schon. 
Seele,  Seele,  ich  nahe! 
Dass  ich  dich  wieder  empfahe, 
kündets  der  bräutliche  Ton? 

Wellen  heben  empor 
sidi  aus  dem  bleiernen  Weiher, 
flatternd  zerreissen  die  Schleier 
mir  um  Auge   und  Ohr 

und  ein  Dröhnen   im  Blut 
kündet  die  seligste  Feier: 
Seele,  wie  flammt  dein  Freier! 
Herz,  wie  stürmt  deine  Glut! 


89 


SPAT 

Spät,  wenn  die  alte  Uhr  geschlagen 
und  wieder  Stille  dich  umwirbt, 
das  Pendel  geht,  die  Lampe  zirpt, 
steigt  es  empor  aus  alten  Tagen 
und  füllt  mit  Geistergruss  die  Luft 
und  macht  dein  Herz  so  sdiwer  vor  Sehnen 
nadi  einem  längst  verhauchten  Duft, 
nach  einer  fernen  kühlen  Gruft, 
nach  Wind  im  Wald  an  Bergeslehnen  .  . 


90 


DAS  WORT 

Wir  könnens  nicht  begreifen 
und  fragen  immer  doch, 
wohin  die  Wolken  sdiweifen 
und  wie  die  Wiesen  reifen, 
und  fragen  noch  und  nodi. 

Es  wird  ein  Wort  uns  tagen, 
das  über  allem  Wort. 
Dann  enden  alle  Fragen. 
Jetzt  aber  tragen,  klagen 
und  fragen  wir  so  fort. 


91 


IN  DER  HEIMAT 

Warum  dies  Traurigwerden 
dort,   wo  die  Sehnsucht  weilt? 
Bin  ich  denn  hier  auf  Erden 
nie  ganz  und  ungeteilt? 

Kann  ich  nicht  stille  kauern, 
tief  in  mich  selbst  gebückt, 
in  Seligkeit  und  Schauem 
mir  und  der  Welt  entrückt? 

Muss  ich  mir  selbst  gestehen 
stets  meine  arme  Qual, 
in  Licht  und  Ruhe  sehen 
als  ins  entfernte  Tal, 

dahin  ich  nie  gelange? 
O  Seele,  wirst  du  nie 
durchbrechen  diese  bange 
Schale?     O  fiele  sie! 


92 


SCHÖPFUNG 

Du  kennst  des  Werkes  widriges  Versagen: 
wies  ungewiss  im  Busen  dir  gewittert, 
dein  innerer  Bau  von  Wehen  wankend  zittert 
und  alle  Worte  zögern  und  verzagen. 

Du  gehst  ein  Fremder  durch  die  Zeit,   es  klagen 
Gedanken  dir,  vom  Ganzen  abgesplittert, 
dein  Sehnen  vor,  das  dich  zuletzt  erbittert ; 
du  willst  zermürbt  dich  seiner  schon  entschlagen  — 

da  ballt  verdichtend  sich  die  schwangre  Schwüle, 

die  Welt  verfinstert  unter  ihrem  Schatten, 

mit  eins  zerreisst  ein  Blitz,  ein  flanmiend  greller, 

donnernd  das  Dunkel ;  schnell  und  immer  schneller 
strömts  regenrauschend  auf  ergrünte  Matten, 
und   farbig  schwebt  ein  Bogen  durch   die  Kühle. 


93 


JAGDMORGEN 

Glitzernder  Sdinee  am  Fusse, 
weithin  blitzende  Schau, 
weidi  in  wallendem  Grau 
der  Himmel  über  den  Fichten. 
Wird  sichs  in  dir  nidit  liditen 
zu  heiterem  Gegengrusse? 

Sdileppst  trüb  in  Gottes  Odem 
dein  enges  Menschensein 
an  schmutzenden  Ketten  hinein. 
Der  Glanz  erstirbt  vorm  Brodem 
aus  deinen  Tiefen,  Seele, 
licht-  und  lebensdiele. 

Ein  Schatten  trübt  das  reine 
blaustarrende  Kleid  der  Hügel: 
sind  schwarze  Rabenflügel 
und  -Fänge:  Seele,  deine! 
Und  sieh,  ein  Volk  von  Dohlen 
folgt  stolpernden  Jägersohlen. 


94 


AN  DIE  SCHÖNHEIT 

Ich  möchte  die  Schönheit  in  mich  trinken, 
die  Schönheit,  die  schon  meiner  harrt. 
Wo  bleibst  du,  sagt  sie,  idi  steh  erstarrt, 
und  ich  will  erweichen  und  will  versinken 
in  eine  lebende  Gegenwart, 
ich  will  in  einen  untertauchen, 
der  mich  nicht  allen  andern  zeigt, 
der  mich  verschlingt  und  mich  verschweigt, 
aus  seinem  Atem  will  ich  hauchen 
und  wie  vergangen   in   ihm   ruhn, 
auf  dass  er  mich   erst  wieder  didite, 
idi  will  in  seinem  Augenlichte 
und  auferstehn  in  seinem  Tun. 
Denn  diese,  die  da  suchend  schleichen, 
sidi  büdcen,   näher  mich  zu  sehn, 
und  mich  umwandeln  auf  den  Zehn, 
mich  messen   und   mit  sich  vergleichen, 
acfa,  alle  diese  sind  wie  Diebe, 
ihr  Blick,  wenn  er  sich  hebt,   entweiht. 
Ich  aber  bin  alt  wie  die  Zeit 
und  unbesiegbar  wie  die  Liebe 
und  gross  wie  Gottes  Schöpfersinn, 
und  weil  ich  unermesslich  bin, 
will   ich   in   einem   untergehn, 
der  unersättlich  ist  an  mir, 
nicht  ein  getragenes   Panier, 
nicht  eine  Helm-  und  Panzerzier: 
als  eine   Flamme  will  ich  wehn 
aus  ihm  für  mich  und  er  aus  mir. 


95 


DER  STERN 

Blass  unter  deinem  Hauchen, 
o  Weihnaditstraurigkeit, 
aus  Nebelfeme  taudien 
die  Türme  der  Kinderzeit. 

Und  über  den  Türmen  funkeln 
seh  ich  den  alten  Stern, 
dann  sitz  ich  wieder  im  Dunkeln, 
verwiesen,  fem. 


96 


Manchmal  mein  ich  es  zu  halten 
mitten  in  der  Nacht, 
was  in  wechselnden  Gestalten 
mich  so  selig  macht. 

Und  es  ist  mir  dann  am  Tage 
unter  meinem  Kleid, 
dass  ich  etwas  an  mir  trage, 
das  von  Ewigkeit. 


R.  Schaukai.  Verac     7  97 


Bin  ich  im  Leben? 
Ist  es  in  mir? 
War  ich  das  eben? 
Bin  ich  das  hier? 

Alle  das  Denken 
gibt  keinen  Halt, 
Dauer  nur  schenken 
kann  die  Gestalt. 


96 


DIE  ALTEN  BILDER 

Ich  weile  gerne  vor  den  alten  Bildern, 
die  dunkelnd   in   den   Galerien   träumen. 
Es  kommen  Fremde,   die  beflissen  säumen, 
stumm  in  den  Büdiem  blättern,  die  sie  schildern. 

Idi  kenne  Bilder,  die  sich  mählich  mildern, 
und   welche,   die   sich   immer  trotzig  bäumen. 
Viele  verfallen  in  den   stillen  Räumen 
wie   trostlos   Eingeschlossne,  die  verwildem. 

Manch  eines  hab   ich  wie  ein  Weib  besessen, 
das  eines   Tages   kühl   mir  dann  entglitten. 
Verstohlen  folgen  andre  meinen  Schritten, 

die  wiederkehrend  idi  doch  stets  vergessen. 
Nur  mit  Erstaunen  mag  idi  mandimal  lesen, 
dass  alle  diese  Bilder  jung  gewesen. 


7»  99 


ES  WIRD  SEIN 

Was  war,  eh  du  den  Anbeginn 
der  bitter-kargen  Tage  fühltest, 
eh  du  mit  jedem  Hungersinn 
dich  brennend  in  das  Leben  wühltest? 

Und  was  wird  sein,  wenn  du  im  Hirn 
den  letzten  Feuerfunken  beben 
verzweifelnd  ahnst  und   diese  Stirn 
sie  stumm  der  stummen  Erde  geben? 

Wirst  du  mich  rufen,  Herr,  und  mir 
die  Wunder  erst  der  Wirklichkeiten 
wie  einen  klaren  Teppich  breiten? 
Kannst  du  mich  würdigen  zu  dir? 

Ich  darfs  nicht  denken,  dass  du  dich 
mir  schenken  solltest  ganz  allein. 
Und  dennoch,  horch  ich  tief  in  mich, 
dann  muss  ich  sagen:  es  wird  sein! 


100 


NACH  EINEM  REGENTAGE 

Schon  hat  der  Herbst  die  Wege 
mit  Blättern  still  bestreut. 
Ich  geh  und  überlege : 
ist  vieles,  was  mich  reut. 

Es  funkelt  noch  die  Feuchte 
im  dunstig  schwachen  Schein. 
Ein  schüchternes  Geleuchte 
fängt  sich  das   Didcicht  ein. 

Mit  rauschendem  Gerinne 
singt  sidi  der  Badi  zu  Tal. 
Es  sdiimmert  ein  Gespinne 
an  einem  Sonnenstrahl. 

Da  schau  ich  von  dem  Hange 
hinüber  und  hinauf: 
mit  meinen  Blicken  fange 
ich  einen  Vogel  auf. 


101 


>N  GEORG 

Deine  lieben  Hände  mir  im  Haare, 
tief  das  Kinn  auf  deiner  warmen   Brust: 
augenschliessend  selig-stumme  Lust 
dieses  Eine,  dieses  holde  Wahre! 

Und  nodi  ging  dein  Singsang  durch  das  Zimmer 

wie  auf  bunten  Flügeln  leicht  und  froh,  1 

nun  ist  alles  schwarz  verstummt,  und  wo 

leuchtet,   liebster  Schläfer,  wohl   dein  Schimmer? 

Wallt   dein    reiner   Traum    durch    Wirklidikeiten, 
die  den  Grossen  unerforschlich   sind? 
Gott,  verhüllter  Gott,  muss  denn  ein  Kind 
erst  verarmend  in  das  Leben  gleiten? 


102 


ENTFÜHRUNG 

Wenn  die  leichte  Kerzenflamme 
schwehlend  sich  gespenstisch  hebt, 
die  am  runden  weissen  Stamme 
zuckend  wie  gefangen  klebt, 

und  ein  Hauch  im  düstem  Zimmer 
unbemerkt  sie  plötzlich  treibt, 
dass  ihr  flüchtig  blasser  Schimmer 
schattend  einen  Kreis  beschreibt: 

fühlst  du  dich  im  tiefsten  Kerne 
wie  von  einem  Ruf  berührt, 
der  didi  in  die  grosse  Ferne, 
in  die  Ewigkeit  entführt, 

fühlst  dich  über  diesem  Leben 
körperfrei  im  Wirbelwind 
lautlos  zu  den  Quellen  sdiweben, 
draus  die  Zeit  ins  Dunkel  rinnt. 


103 


DER  TRAURIGE  MOND 

Traurig  aus  Gestrüpp  und  Bäumen 
taucht  der  blasse  Mond  empor, 
tief  in  Tränen  und  in  Träumen 
blickt  er  durch  den  feuditen  Flor. 

Und  es  fliesst  ein  silberbleicher 
Nebel  übern  hohen  Wald: 
rätselhafter,  ahnungsreidier 
wandelt  sich  der  Welt  Gestalt. 


104 


NACHTHIMMEL 

Sterne  flimmern  durch   die  Himmel  weit, 
dunkelblau  verbreitet  sich  Unendlichkeit. 

Aus  der  nachtverhüllten  Erde  ragen 
schwarze  Bäume,  die  die  Stille  tragen. 

Und  du  selbst,   du  fühlst  dich  dir  entgleiten, 
eine  Welle  nur  der  Ewigkeiten. 


105 


AUS  EINEM  SONETTENKRANZ 

„HEIMAT  DER  SEELE" 
I 

Wie  hast  du,  Mutter,  mich  so  manches  Mal 
in  Bangigkeit  von  dannen  fahren  sehen, 
und  ich  mit  mutigem  Lächeln  sah  didi  stehen 
und  freundlich  winken,  in  der  Seele  Qual. 

Dann  hat  mich  meines  Herzens  Lebenswahl 
für  immer  dir  entführt.     EHe  Jahre  gehen, 
die  früher  tändelten  auf  leichten  Zehen, 
die  Stunden,  stürmen  wie  ein  Sturz  ins  Tal. 

Nur  selten  darf  ich  didi,  Geliebte,  küssen, 

und  immer  wieder  siehst  du  schwer  mich  scheiden, 

wir  wissen,  dass  wir  uns  entbehren  müssen. 

Mir  wachsen  Kinder  auf,  die  es  nicht  ahnen, 
was  wir,  Mama,  von  solchen  Dingen  leiden, 
die  sie  bezaubern,  wie  die  Eisenbahnen. 


106 


n 

Ich  muss  aus  allerersten  Kindertagen 
—  ich  weiss  nicht,  hats  die  Mutter  mir  erzählt 
und   hab   ichs  aus  den  vielen   mir  erwählt   — 
ein   mildes  grünes   Bild   im   Herzen   tragen. 

Idi    seh    mich  selbst   im  weiss  lackierten   Wagen, 
herum  sind   Bäume  —   wie  sie   mich  gequält 
mit  Schrecken    haben,   wenn  ein  Wind  sie  wählt 
und  wühlend  schüttelt;  bebend  flog  mein  Fragen: 

„Die  Bäume  wackeln!  Warum  wackeln  sie?"  — 
Doch  das  ist  eine  spätre  Melodie   .   .   . 
Die  grüne   milde   weilt   am  Vorhang,   haucht 

den  blauen  zärtlich  an  und  wiegt  auf  vielen 
besonnten  Blumen  sidi,  und  Falter  spielen 
in  ihrem  warmen  Ton,  der  untertaucht. 


107 


m 

Du  bist  mir,  Mutter,  immer  nodi  das  braune 
schwarzäugig  frische  Kind  von  einst —  ich  meine 
dich  fast  zu  sehn  —  du  singst  mir  träumend  deine 
einsamen  Lieder,  und  ich  lausche,  raune, 

wie  Kinder  tun  in  weicher  Sdiläferlaune. 

Und  klagend  aus  den  Liedern  steigt  das  eine: 

es  plätschert  über  laute  dunkle  Steine 

und  spiegelt  mich  zuweilen,  dass  ich  staune. 

Es  ist  ein  Lied  wie  Wandern  in  die  Weite 
und  ist  die  Ewigkeit  vom  Weiterwandern, 
es  geht  nur  immer  nach  der  einen  Seite, 

es  geht  in  Ufern,  die  sich  höher  heben, 

es  träumt  sich  so  dahin,  getrennt  von  andern: 

es  ist  das  Lied  von  deinem,  meinem  Leben. 


108 


ELEGIE    DER    SELIGEN   RESIGNATION 

Wenn  ich  das  Antlitz  dieser  Welt  betrachte, 
die  rätselhaften  Züge,   die   verlocken, 
bin  ich,  der  glanzgeblendet  einst  erschrodcen 
getaumelt  hatte,  nah,  dass  idi  verachte. 
Was  künden  all  die  hohlgegossnen  Glocken? 
Und  keinen  sah  ich,  der  verweisend  lachte! 
Umlärmt  von  greller  Stimmen   wüstem  Kreischen, 
blidc  idi  erstaunt  ins  tägliche  Zerfleischen. 

Die  Menschen  rollen  wie  geballte  Massen 
aus  leichtem  Schnee  und  wachsend  nur  im  Gleiten, 
besinnungslos  vor  Lieben  und  vor  Hassen, 
ins  dunkle   Gähnen   der  Unendlichkeiten. 
Und   willst   du   einen   herzlicher  umfassen, 
reisst   ihn    hinweg    der    breite    Strom    der  Zeiten. 
Den  Mantel  raffend  um  gebeugte  Schläfen, 
sinn   ich   der  Ziele,   die  sie  gerne   träfen. 

Und  all  die  Kläglichkeit  von  Mensdienzielen 
umgeistert  meine  schweigenden  Gedanken: 
wie  sie  als  Kinder  froh  mit  Wünschen  spielen 
und  jeder  Schmeichelhoffnung  folgend  schwanken, 
uneingedenk  der  andern,   die   da  fielen 
entseelt  an  den  erbarmungslosen  Schranken. 
Und   träumend  flieh   ich   in   das  Grenzenlose, 
zum  Fimenlicht  der  unbegriffnen    Rose. 


109 


Euch  Sdiwächlinge  bedenk  ich  und  beklage 
das  sinnlos   nimmermüde  Wegewandeln, 
dies  Drängen  durdi  die  Hecken  dunkler  Tage, 
dies  ungestüme  Fordern,  zweifelnd  Handeln, 
und  —  bin  versucht,  dass  ich  gelassen  sage: 
es  war  doch  schön  im  Ruch  der  frühen  Mandeln, 
da  milder  Abend  manche  Sehnsucht  reifte, 
mich  mancher  Traum  vom  Leben  hold  umsdiweifte. 

Wer  aber  Irdisches  verflattem  hörte 
wie  einen  hohen  Flug  von  weissen  Tauben, 
wer  Wunden,  die  er  einst  im  Heilen  störte, 
entschlossen  narben  Hess,  den  blinden  Glauben 
an  Gunst   des  Glüdcs,    der   folternd   ihn  betörte, 
in  einer  Nacht  voll  Glanz  verstiess:  dem  rauben 
den  friedevollen  Schlaf  nicht  mehr  Gesichte 
und  Blendewunder  weltlicher  Geschidite. 

Er  hat  sich  seinen  engen  Kreis  gezogen, 
in  dem  er  still  sein  auferlegtes  Tun, 
unwirklidi  fast,  von  Zweifeln  kaum  betrogen, 
duldsam  verrichtet,  traumgekröntem  Ruhn 
als  unserm  besten  Erbteil  wohlgewogen, 
geht  jeden  Morgen  er  in  festen  Schuhn 
gewählter  Pflicht  ans  Werk  und  gibt  dem  Leben 
an  reifer  Frucht,  was  er  ihm  hat  zu  geben. 

Dodi  ragt  sein  freier  Geist  ins  Unbegrenzte: 
was  ihn  als  Leib  umgibt,  ist  nur  Gewandung 
der  Seele,  die  in  selige  beglänzte 


110 


Gefilde  steigi,   ein   Aar,    aus    dumpfer   Brandung 
der  Täglichkeit;  mild  nahen  sich  bekränzte 
Unsterblidie  in  strandgewohnter  Landung 
dem  Hafen  seiner  stolzen  Einsamkeit, 
und  überwunden  sinkt  und  stürzt  die  Zeit. 


111 


AN  DEN  HERRN 

Du,  in  den  wir  münden, 
du,  aus  dem  wir  erwadit: 
wer,  wer  darf  dich  verkünden, 
der  du  dich  selbst  erdacht! 

Der  du  über  den  Zeiten 
thronst  in  Unendlichkeit: 
über  die  Meere  gleiten 
Schatten  von  deinem  Kleid. 

Tage  und  Nächte  schleichen 
unten  an  seinem  Saum. 
Erblühen  und  Verbleichen 
gabst  du  uns  als  Traum. 


Druck  von  M.  Müller  &  Sohn,  München  V 


University  of  Toronto 
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