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Full text of "Aus meiner Dienstzeit, 1906-1918; mit einem Anhang und einer ethnographischen Karte"

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ELDMARSCHALL 
CONRAD 


* 


AUS 

MEINER 

DIENSTZEIT 

1906-1Q18 

*  * 


RIKOLJS.  VERLAG 


K^ 


FELDMARSCHALL  CONRAD 


AUS  MEINER  DIENSTZEIT 

1906-1918 


RIKOLA     V     VERLAG 


WIEN   /   BERLIN   /    LEIPZIG   /   MÜNCHEN 
19    2    2 


FELDMARSCHALL  CONRAD 


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AUS  MEINER  DIENSTZEIT 

1906-1918 


ZWEITER  BAND: 
1910—1912 


Die  Zeit  des  libyschen  Krieges  und  des 
Balkankrieges  bis  Ende  1912 


Mit  einem  Anhang 


RIKOLA      VVERLAG 


WIEN   /    BERLIN   /   LEIPZIG    /MÜNCHEN 
19    2    2 


COPYRIGHT  1922  BY  RIKOLA  VERLAG  A.  G.,  WIEN 


GEDRUCKT  BEI    R.  KIESEL  ZU  SALZBURG 


Inhalt. 

19  10:  Seite 

Allgemeine  Lage 

Militärische  Verhältnisse ^f 

Spezielle  persönliche  Verwendung  1910 9'^ 

1911: 

Normale  Arbeiten  ^^^ 

Ausbau  der  Wehrmacht  —  Konflikt  in  der  Budgetfrage       .     .  111 

Außenpolitische  Vorgänge ^^'^ 

Ausbruch  des  libyschen  Krieges  (Tripolis) 171 

Konflikt  mit  Graf  Ährenthal 218 

Entlassung  von  der  Stelle  des  Chefs  des  Generalstabes 283 

1912: 

Rein  militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor 293 

Politisch^militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor 308 

Ausbruch  des  Balkankrieges ^H 

Meine  Mission  in  Rumänien                                       -^^1 

Von  der  Mission  in  Bukarest  bis  zur  Wiederernennung  zum  Chef 

des  Generalstabes ^^^ 

Meme  Wiederernennung  zum  Chef  des  Generalstabes 373 

Wiederaufnahme  meiner  lätigkeit  als  Chef  des  Generalstabes  .  376 

Anhang. 

Anlage  1 :  Auszug  aus  dem  Vortrag  des  Chefs  des  Generalstabes 

vom  13.  Feber   1911 427 

2:  Denkschrift  vom  23.  April  1911 429 

3:  Denkschrift  vom  15.  November  1911  (mit  Beilagen)  .  436 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/ausmeinerdienstz02conr 


19  10 


Inhalt. 

Seite 

Allgemeine  Lage ^ 

Militärische  Verhältnisse 44 

Spezielle  persönliche  Verwendung  1910 92 


Allgemeine  Lage. 

Die  allgemeine  Charakteristik  dieses  Jahres  war  einerseits  das  äußer- 
liche Abflauen  der  Annexionskrise  und  der  Anschein  friedlicher  Verhält- 
nisse, anderseits  aber  die  zunehmende  Verdichtung  des  sich  um  Deutsch- 
land und  Östeneich-Ungarn  schließenden  Ringes,  die  sichtlichen  Kriegs- 
vorbereitungen ihrer  Gegner  und  die  daraus  entspringende  Forderung, 
auch  die  eigenen  Machtmittel  auf  größtmögliche  Höhe  zu  bringen.  Dies  in 
meinem  Wirkungskreis  zu  fördern,  bildete,  nebst  den  sonstigen  normalen 
Obliegenheiten  meiner  Stellung,  das  Wesentliche  meiner  berufUchen  Tätig- 
keit im  Jahre  1910.  Der  Zusammenhang  der  letzteren  mit  den  außen- 
politischen Vorgängen  macht  ein  Hinweisen  auf  diese  Vorgänge  nötig, 
und  zwar  sowohl  auf  die  großen  bewegenden  Kräfte,  die  unter  der  Kruste 
friedlichen  Scheines  wirken,  bis  die  Stunde  gewaltsamer  Entladung  heran- 
reift, als  auch  auf  die  kleinen  Ereignisse,  die  bis  dahin  bemüht  sind, 
klaffende  Risse  in  dieser  Kruste  zu  übertünchen.  Die  Diplomatie  der 
Mittelmächte  war  hauptsächlich  auf  das  Übertünchen  bedacht,  während 
die  Diplomatie  der  Ententemächte,  sowie  Italiens  die  großen  bewegenden 
Kräfte  erfaßte  und  für  ihre  Ziele  nützte. 

Deutschland.  Deutschland,  wo  am  14.  Juli  1909  Herr  von 
Bethmann  Hollweg  dem  Fürsten  Bülow  als  Reichskanzler  gefolgt  war, 
stand  innerpolitisch,  nach  Annahme  der  großen  Reichsfinanzreform,  im 
Kampfe  um  das  von  den  Sozialdemokraten  und  der  Volkspariei  geforderte 
gleiche,  geheime  und  direkte  Wahlrecht  für  Preußen,  das  im  Mai  1910 
zunächst  eine  Ablehnung  erfuhr.  Die  Geister  bewegte  femer  die  Ver- 
wahrung gegen  das  gegen  den  Protestantismus  gerichtete  Rundschreiben 
Papst  Pius  X.,  der  schließlich  nachgeben  mußte. 

Mit  Frankreich  war  Deutschland  nach  dem  Marokko-Abkommen 
(19.  Feber  1909)  zu  einem  vorübergehenden  modus  vivendi  gelangt,  der 
sogar  in  Deutschlands  Mitbeteiligung  an  der  societe  marocaine  des  travaux 
publics  Ausdruck  fand.  Auch  gegenüber  Rußland  gab  die  Zusammen- 
kunft Zar  Nikolaus  II.  mit  Kaiser  Wilhelm  II.  am  4.  November  1910  in 


Potsdam  den  Schein  einer  freundlichen  Annäherung.  An  den  großen 
latenten  politischen  Gegensätzen  änderte  dies  nichts.  Fürstenbesuche  sind 
oft  nur  Akte  höfischer  Konvenienz,  oft  gelten  sie  wirkHch  intimen 
Anknüpfungen,  oft  aber  verschleiern  sie  nur  feindliche  Absichten.  Anfangs 
Oktober  1910  wurde  beispielsweise  das  belgische  Königspaar  in  glänzen- 
der Weise  in  Wien  empfangen,  während  doch  die  gegen  Deutschland  und 
dessen  Verbündeten  gerichteten  Abmachungen  zwischen  Belgien  und 
England  als  längst  gediehen  zu  vermuten  waren. 

Der  gemeinsamen  Gefahr  gegenüber  lag  die  Pflege  des  festen 
Zusammenstehens  mit  Deutschland  nahe;  ich  beantwortete  ein  in  diesem 
Sinne  gehaltenes  Schreiben  des  Generals  von  Moltke,  wie  folgt: 

„Wien,  2.  Jänner  1910. 
Euer  Exzellenz! 

Ich  möchte  nicht  den  Vorwurf  auf  mich  laden,  E.  E.  mit  Korrespon- 
denz zu  belästigen,  doch  kann  ich  nicht  umhin,  E.  E.  für  die  jüngst 
erhaltenen,  so  freundschaftsvollen  Zeilen  meinen  aufrichtigsten  Dank  zu 
übersenden.  Auch  ich  bin  von  der  Anschauung  durchdrungen,  daß  in 
einem  festen  Zusammenhalten  der  beiden  Kaiserreiche  der  sicherste  Schutz 
gegen  feindliche  Anschläge  gelegen  ist  und  daß  dieses  Zusammenhalten 
auf  freundschaftsvoller  Treue  basiert  sein  muß.  E.  E.  Worte  haben  daher 
bei  mir  den  tiefsten  Widerhall  gefunden.  Wie  hohen  Wert  ich  daher 
auch  aus  diesem  Grunde  den  kameradschaftUchen  Gesinnungen  E.  E. 
beimesse,  werden  Sie  mir  gewiß  gerne  glauben. 

Mit  diesem  warmen  Empfinden  meinerseits  bitte  ich  E.  E.  die  herz- 
lichsten Grüße  entgegenzunehmen  von  E.  E. 

aufrichtig  ergebenem  ^  , ,, 

^     ^  C  o  n  r  a  d." 

Im  Jänner  1910  sandte  ich  meinen  Flügeladjutanten  Hauptmann  Putz 
als  Kurier  nach  Beriin,  wo  er  die  alljährlich  wiederkehrenden  Arbeiten 
zu  übergeben  und  bei  General  von  Moltke  vorzusprechen  hatte,  um  über 
einige  die  allgemeine  Lage  betreffende  Fragen  die  deutschen  Anschau- 
ungen einzuholen.  Nach  den  Aufzeichnungen  des  genannten  Offiziers 
bezeichnete  General  von  Moltke  es  als  fraglich,  ob  für  die  Haltung 
Rumäniens  persönliche  oder  politische  Gründe  vorwalten  werden.  *  Mit 
Rücksicht  auf  die  Gefahr  eines  Balkanbundes  sei  er  gleichfalls  der  Ansicht, 
daß  der  Balkan  den  Ausgangspunkt  kriegerischer  Verwicklungen  bilden 
werde,  wobei  nur  in  Frage  kommen  wird,  ob  Rußland  oder  England 
damit  beginne. 

General  von  Moltke  hob  Deutschlands  großes  Interesse  an  der  Türkei 
hervor  und  die  Bedeutung  des  mohammedanischen  Elementes,  insbesondere 

10 


mit  Bezug  auf  England.  Er  meinte  aber  auch,  daß  Österreich-Ungarn 
im  HinbHck  auf  Paralysierung  der  kleinen  Balkanstaaten  das  gleiche 
Interesse  haben  müsse. 

Der  General  erwähnte,  daß  die  türkische  Armee  in  einigen  Jahren 
sehr  gut  sein  werde,  die  Soldaten  vorzüglich,  die  jungen  Offiziere  sehr 
lemfreudig  seien.  Es  bestünde  ein  Zweifel  nur  darüber,  ob  sich  die  neue 
Regierung  konsolidieren  wird.  Verhandlungen  wären  daher  dermalen  noch 
inopportun  und  erst  zulässig,  sobald  auf  dauernde  Ruhe  zu  rechnen  sei. 
Was  Rußland  anbelangt,  sei  in  Deutschland  gleichfalls  alles  für  die  gemein- 
same Aktion  im  Falle  russischen  Angriffes  vorbereitet.  Auch  für  den 
übrigens  unwahrscheinlichen  Fall,  daß  sich  Frankreich  am  Kriege  nicht 
beteihgen  sollte. 

General  von  Moltke  bezeichnete  die  Rückverlegung  der  russischen 
Korps,  sowie  die  Rückverlegung  des  russischen  Aufmarsches  als  jetzt 
ganz  sicher,  ebenso  auch  die  Bildung  einer  Zentralarmee.  Er  ersah  darin 
für  eine  etwaige  eigene  Offensive  im  Kriegsfalle  gegen  Rußlandallein 
einen  Nachteil,  weil  man  tief  in  russisches  Gebiet  hineingezogen  werden 
würde,  im  Falle  gleichzeitigen  Krieges  gegen  Frankreich  oder  etwa  Frank- 
reich und  Italien  aber  einen  Vorteil  wegen  der  gegen  diese  Mächte  damit 
gewonnenen  größeren  Zeitspanne  bei  Kriegsbeginn.  Japan,  meinte  der 
General,  sei  sehr  im  Auge  zu  behalten,  ein  Gegensatz  zwischen  diesem 
Staat  und  England  mögUch. 

In  einer  Audienz  am  31.  Jänner  IQIO  berichtete  ich  Seiner  Majestät 
über  die  obdargelegten  Angelegenheiten,  sowie  über  ein  Schreiben  des 
Generals  von  Moltke,  wonach  Deutschland  beabsichtige,  falls  es  durch 
Rußland  zum  Krieg  gezwungen  würde,  das  Verhalten  Frankreichs  durch 
eine  kurzfristige  Sommation  zu  klären.  Ich  erbat  für  den  analogen  Fall 
ein  gleiches  Vorgehen  unsererseits  gegenüber  Itahen. 

Der  Kaiser  entschied,  daß  ich  einen  diesbezüglichen,  ihm  vorher 
vorzulegenden  Brief  an  Graf  Äiirenthal  und  an  General  von  Moltke  zu 
richten  habe. 

Ich  komm.e  hierauf  noch  eingehender  zurück. 

Im  Feber  1910  ging  mir  seitens  unseres  Militärattaches  in  Berlin, 
Major  Freiherm  von  Bienerth,  ein  bemerkenswerter  Bericht  über 
Gespräche  des  ö.-u.  Botschafters  in  Berlin  mit  Kaiser  Wilhehn  II.  zu. 

Betreffend  das  Verhältnis  Österreich-Ungarns  zu  Rußland  und  eine 
gegenseitige  Annäherung  beider  Staaten  meinte  der  Kaiser,  daß  es  wohl 
auch  an  Rußland  sei,  diese  Annäherung  anzustreben.  Nach  den  ihm 
zugekommenen  Berichten  sei  Rußland  auch  dermalen  noch  nicht  in  der 
Lage,  irgend  nennenswerte  Kräfte  gegen  Westen  zu  mobilisieren,  daher 

11 


auf  ein  friedliches  Auskommen  mit  der  Monarchie  mehr  denn  je 
angewiesen.  Die  damals  im  Zuge  gewesene  Preßkampagne,  welche 
Deutschland  und  Österreich-Ungarn  zu  entzweien  strebte,  bezeichnete 
Kaiser  Wilhelm  als  Manöver  Englands  und  Frankreichs,  die  sich  aber 
glücklicherweise  in  ihren  Hoffnungen  getäuscht  hätten.  Hinsichtlich  der 
Kreta-Frage  habe  er  nicht  die  Absicht,  sich  in  diese  Angelegenheiten 
wieder  einzumengen,  er  überlasse  es  den  vier  Schutzmächten,  die  Folgen 
ihres  bisherigen  Vorgehens  selbst  zu  tragen.  Der  Ideengang  der  Griechen 
sei  ihm  anbetrachts  ihrer  militärischen  Lage  unverständlich.  Was  Deutsch- 
lands innere  Politik  betrifft,  sei  er  mit  dem  Vorgehen  des  Reichskanzlers 
einverstanden. 

Ein  vielbesprochenes  Ereignis  im  Jahre  1910  war  der  fürstliche 
Empfang,  der  dem  früheren  Präsidenten  der  Vereinigten  Staaten,  Herrn 
Roosevelt,  auf  seiner  Durchreise  in  BerUn  bereitet  wtude.  Er  war  aber 
in  seinen  Folgen  dadurch  abgeschwächt,  daß  Roosevelt  in  Amerika  an 
Position  verlor. 

Italien.  In  Italien  schritten  die  gegen  seinen  Verbündeten  (?)  Öster- 
reich-Ungarn gerichteten  mihtärischen  Maßnahmen  unentwegt  fort.  In 
demselben  Maße  steigerten  sich  meine  dagegen  gerichteten  Bestrebungen, 
aber  auch  meine  Konflikte  mit  Graf  Ährenthal.  Er  setzte  allen  dies- 
bezüglichen Forderungen  hartnäckigen  Widerstand  entgegen,  trotz  der 
unverkennbaren  Symptome,  welclie  durch  die  offiziellen  Erklärungen  der 
Minister  Tittoni,  Guiciardini,  San  Giuliano,  am  Dreibund  unverbrüchlich 
festzuhalten,  nur  mangelhaft  verschleiert  waren. 

Nicht  nur  der  Ausbau  von  Heer  und  Flotte  sowie  des .  großzügig 
angelegten  Befestigungssystems,  sondern  auch  die  feste  Hand,  die  der 
Staat  durch  Ankauf  der  Bahnen  (1906)  auf  letztere  gelegt  hatte,  bezeich- 
neten die  Fortschritte  in  dieser  Richtung.  Die  seitens  Italiens  im  Jahre 
1909  angebahnte  Annäherung  an  Rußland  wirkte  fort.  Sie  fand  in  der 
schon  erwähnten  Entrevue  König  Viktor  Emanuels  mit  Zar  Nikolaus  in 
Racconigi  (22.  bis  25.  Oktober  1909)  erneuert  Ausdruck.  Sie  trat  auch 
in  dem  Verhalten  der  am  Balkan  akkreditierten  italienischen  Militär- 
attaches in  Erscheinung.  So  galt  beispielsweise  der  italienische  Militär- 
attache in  Sofia,  Baron  Rubin,  ein  Liebling  des  Königs,  für  ausgesprochen 
antiösterreichisch  gesinnt.  Er  hatte  1910  durch  drei  Wochen  Mazedonien 
bereist. 

Zu  meinen  unausgesetzten  Bestrebungen  gehörte  auch  die  Entfernung 
der  auf  österreichischem  Gebiet  etabherien  italienischen  Finanzwache 
(Ala,   Riva),    die    eine   auf    eigenem    Territorium    geduldete    italienische 

12 


Organisation  für  Spionage  und  Propaganda  bildete.  Dies  noch  dazu 
innerhalb  eigener  Befestigungen  (Riva)! 

Bei  einer  innerministeriellen  Konferenz  am  5.  Jänner  IQIO,  bei  der 
ich  wegen  dienstlicher  Verhinderung  durch  meinen  Stellvertreter,  General- 
major Langer,  vertreten  v^ar,  gelangte  diese  Frage  zur  Verhandlung.  Nach 
dem  schriftlichen  Bericht  Langers  nahm  die  Sitzung  folgenden  Verlauf: 

Der  Minister  des  Äußern  Graf  Ährenthal  erklärte,  daß  er  zwar  die 
militärischen  Forderungen  anerkenne,  daß  sich  jedoch  juridische  Schwie- 
rigkeiten entgegenstellen  dürften,  er  aber  sich  aus  staatspolitischen 
Gründen  unbedingt  den  Zeitpunkt  für  jede  diesbezügliche  Aktion  vor- 
behalten müsse.  Die  juridischen  Bedenken  wurden  durch  die  anwesenden 
Minister  (Bienerth,  Bilinski,  Härdtl)  negiert,  hinsichtlich  der  politischen 
aber  betonte  Graf  Ährenthal,  daß  er  als  der  verantwortliche  Leiter  der 
Außenpolitik  es  nötig  finde,  die  Empfindlichkeit  der  eben  erst  ernannten 
italienischen  Regierung  zu  schonen,  umsomehr,  als  er  die  Festhaltung  des 
Dreibundes  über  1914  hinaus  unbedingt  anstrebe  und  Grund  zur 
Annahme  habe,  dies  zu  erreichen.  Wenn  überhaupt,  könne  er  aber 
erst  nach  Erfüllung  der  Forderung  nach  einer  italienischen  Universität 
der  schwebenden  Frage  näher  treten.  Dementgegen  verwies  der  Kriegs- 
minister Baron  Schönaich  in  Übereinstimmung  mit  dem  Minister  des 
Innern  Baron  Härdtl  auf  die  Dringlichkeit  der  Finanzwachfrage  und 
bemerkte,  daß  die  taktvolle  Geduld  unserer  Organe  sowie  der  Grenz- 
truppen gegenüber  den  itahenischen  Übergriffen  endlich  einmal  reißen 
könne. 

Mein  Vertreter,  Generalmajor  Langer,  ergänzte  dies  und  hob  als 
Unikum  hervor,  daß  wir  „in  der  Festung  Riva  behördlich  angestellte, 
durch  ihr  Reglement  hiezu  eingeschworene  Kundschafter  inmitten  unserer 
ohnedies  vielfach  verdächtigen  Untertanen  dulden  sollen,  welche  Kund- 
schafter jeden  Mann  der  Besatzung,  jede  Kanone,  jeden  Pulverwagen  und 
jede  Zwiebackkiste  kontrollieren  und  bei  den  stets  fortlaufenden  baulichen 
Arbeiten  Kenntnis  auch  der  Details  der  Befestigungen  bestimmt  erlangen 
können." 

Anstatt  das  Groteske  eines  solchen  Zustandes  zu  erfassen,  meinte  Graf 
Ährenthal  diesen  Äußerungen  entnehmen  zu  können,  daß,  wie  er  sagte: 
„vielleicht  in  Südtirol  neue  Befestigungen  geplant  seien",  und  erklärte, 
daß  er  „schon  bei  diesem  Anlasse  gegen  eine  solche  Absicht  ressort- 
mäßig auftreten  müsse,  weil  Befestigungsbauten  mit  Recht  als 
unfreundliche  Anzeichen  (durch  die  italienische  Regierung)  aufgefaßt 
werden  müßten,  was  den  Intentionen  seiner  Politik  direkt  zuwiderläuft; 
übrigens  sei  ja  mit  Rücksicht  auf  die  von  ihm  in  Aussicht  gestellte  Ver- 
längenmg  des  Dreibundes  mindestens  aber  bis  1914  Zeh." 

13 


Diesem  Raisonnement,  das,  nebenbei  bemerkt,  die  durch  Italiens 
Befestigungsbauten  dargetane  „Unfreundlichkeit"  ganz  übersah,  wider- 
setzte sich  selbst  der  sonst  stets  auf  Seite  Ährenthals  stehende  und  schon 
aus  budgetären  Gründen  den  Bauanträgen  nicht  sehr  zugetane  Kriegs- 
minister Baron  Schönaich.  Er  entgegnete,  daß  Italien  ohne  jede  Rücksicht 
auf  uns  oder  den  Dreibund  systematisch  jedweden  Zugang  in  sein  Gebiet 
durch  Fortifikationen  sperre,  alle  Befestigungen  modernisiere  etc.  und  daß 
es  seitens  der  Kriegsverwaltung  geradezu  pflichtvergessen  wäre,  wenn 
eigenerseits  nicht  das  Nötige  vorgekehrt  würde.  Leider  ist  Baron  Schön- 
aich in  der  Folge  von  diesem  Standpunkt  etwas  abgerückt, 

Anfangs  Jänner  1910  jedoch  wünschte  er,  angeregt  durch  diese 
Konferenz,  Informationen  über  Italien,  um  an  den  Minister  des  Äußern 
herantreten  zu  können. 

Ich  sandte  ihm  daher  eine  diesbezügliche  Zusammenstellung  vom 
9.  Jänner  1910,  die  ich  dxurch  das  Evidenzbureau  des  Generalstabes 
(Chef:  Oberst  von  Urbanski)  verfassen  ließ.  Sie  war  hauptsächlich  durch 
folgendes  charakterisiert : 

Wesentliche  Erhöhung  der  numerischen  Stärke  des  italieinschen 
Heeres,  Vermehrung  der  Alpini-  und  Kavallerie-Formationen  bei  Ver- 
legung nach  Venetien,  weitgehende  Befestigung  zu  Land  und  zur 
See*),  beschleunigte  Ausgestaltung  der  gegen  Österreich-Ungarn  gerich- 
teten Aufmarschbahnen  in  Venetien,  namhafte  Erhöhung  des  Budgets  für 
Heer  und  Marine,  insbesondere  der  außerordentlichen  Kredite;  Errich- 
timg von  Torpedoboot-Stationen  an  der  Adria-Küste  (so  auch  Marano  in 
der  Bucht  von  Triest);  zunehmende  irredentistische  Propaganda,  rege 
Spionagetätigkeit,  endlich:  Österreich-Ungarn  feindliches  Gehaben  am 
Balkan. 

All  dies  legte  mu:  die  Pflicht  auf,  für  den  Fall  vorzudenken,  daß 
Italien  seine  Maske  fallen  lassen  und  die  Bundestreue  brechen  würde. 

Wie  schon  früher  ausgeführt,  habe  ich  Seiner  Majestät  den  Vorgang 
zur  Kenntnis  gebracht,  den  Deutschland  in  Aussicht  nahm,  wenn  es  im 
Falle  russischer  Bedrohung  genötigt  wäre,  die  Haltung  Frankreichs  fest- 
zustellen, und  beantragt,  den  gleichen  Vorgang  einer  kurzfristigen 
Sommation  unsererseits  gegenüber  Italien  einzuhalten,  wenn  Italien  sich 
im  Falle  einer  Bedrohung  der  Monarchie  durch  Rußland  anfänglich  abseits 


*)  Die  Ausgaben  für  Befestigungen  in  der  Zeit  von  1900  bis  1910 
betrugen  österreichisch-ungarischerseits  an  der  Südwestfront  (Kärntner 
Sperren,  Tiroler  Sperren,  Pola  und  Lussin)  29,604.000  Kronen,  dagegen  in 
Italien  1900  bis  1909  83,310.000  Lire,  dazu  bis  1917  bewilligt  94,000.000 
Lire,  somit  im  ganzen  177,000.000  Lire. 

14 


halten  sollte.  Es  ist  auch  erwähnt,  daß  Seine  Majestät  mir  befahl,  ein 
diesbezügliches  Schreiben  an  Graf  Ährenthal  zu  richten. 

In  diesem  Schreiben  vom  7.  Feber  1910  hieß  es: 

„Für  das  Jahr  1910  habe  ich  unter  anderem  auch  den  wohl  kaum  zu 
besorgenden  Fall  in  Betracht  gezogen,  daß  die  Monarchie  im  Verein  mit 
Deutschland  und  Rumänien  in  einen  gleichzeitigen  Krieg  gegen  Frank- 
reich, Rußland,  Italien,  Serbien  und  Montenegro  verwickelt  werde.  Für 
diesen  Fall  sind  die  Vorbereitungen  getroffen,  daß  der  Hauptschlag  zuerst 
gegen  Italien  zu  erfolgen  hätte,  sowie  Deutschland  auch  diesfalls  ihn  zuerst 
gegen  Frankreich  führen  würde. 

Ich  teile  dies  strengst  geheim  mit.  Dies  entspricht  ganz  auch  den 
Anschauungen  des  deutschen  Generalstabes,  nur  hat  dieser  auch  die 
Möghchkeit  hinzugefügt,  daß  sich  ja  Frankreich  und  Italien  anfangs 
zuwartend  verhalten  könnten,  um  erst  dann  loszuschlagen,  wenn  die 
Verbündeten  gegen  Rußland  und  am  Balkan  bereits  entscheidend 
engagiert  sind. 

Für  diesen  Fall  ist  deutscherseits  festgesetzt,  daß,  wenn  der  Krieg 
zwischen  den  Verbündeten  imd  Rußland  als  unvermeidlich  und  unmittel- 
bar bevorstehend  angesehen  werden  muß,  seitens  der  deutschen  Regie- 
rung eine  umgehende  und  völlig  klare  Erklärung  von  der  französischen 
Regierung  darüber  gefordert  wird,  wie  sich  dieselbe  bei  ausbrechendem 
Krieg  zu  verhalten  gedenke.  Diese  Erklärung  muß  sofort  erfolgen.  Eine 
ausweichende  oder  zweideutige  Antwort  würde  als  gleichbedeutend  mit 
der  Kriegserklärung  angesehen  werden  müssen.  Erklärt  Frankreich, 
strenge  Neutralität  wahren  zu  wollen,  so  verpflichtet  sich  auch  Deutsch- 
land, keine  Feindseligkeiten  gegen  dasselbe  zu  unternehmen.  Da  nun 
die  Monarchie  Italien  gegenüber  in  der  gleichen  Lage  ist,  habe  ich  Seiner 
Majestät  für  den  gedachten  Fall  ein  analoges  Vorgehen  imsererseits  vor- 
geschlagen." 

Ich  bat  in  diesem  Schreiben  hierauf  Graf  Ährenthal  um  seine  Meinung 
und  fügte  bei: 

„Es  sei  mir  jedoch  gestattet  hinzuzufügen,  daß  ich  bei  voller  Würdi- 
gung des  deutschen  Vorganges,  als  des  bei  einem  Kriege  gegen  Rußland 
übrigens  auch  einzig  möglichen,  doch  nicht  umhin  kann,  zu  erwägen, 
wie  sehr  man  auch  bei  diesem  Modus  schließhch  doch  nur  auf  die  Ehr- 
lichkeit der  Neutralen  angewiesen  ist,  daß  ich  daher  vielmehr  der  Ansicht 
zuneige,  sich  vorerst  mit  Rußland  auf  ganz  imverbindlichen  neutralen  Fuß 
zu  stellen  und  bei  einer  Zwangslage  Rußlands,  die  Gelegenheit  des  freien 
Rückens  ausnützend,  mit  Italien  abzurechnen,  welch  letzteres  jeder  Ent- 
wicklung der  Monarchie,  sei  dies  nun  zur  See  oder  zu  Lande,  feindlich 
gegenüberstehen  vdrd." 

IS 


In  seiner  Antwort  vom  16.  Feber  1910  stimmte  Graf  Ährenthal  bei, 
daß  für  den  Fall,  als  ein  Konflikt  Österreich-Ungarns  und  Deutschlands 
mit  Rußland  unvermeidlich  wäre  und  immittelbar  bevorstünde,  Klarheit 
darüber  geschaffen  werden  müßte,  wer  den  Verbündeten  als  Feind  oder 
Freund  gegenübersteht;  er  schreibt  dann: 

„Ich  habe  wiederholt  Gelegenheit  genommen,  der  Ansicht  Ausdruck 
zu  geben,  daß  Rußland  auf  Jahre  hinaus  außerstande  ist,  aktive  Politik  zu 
führen  und  glaube  annehmen  zu  dürfen,  daß  E.  E.  diese  Ansicht  teilen. 
Sollte  jedoch  Rußland  trotzdem  in  Gefahr  emer  aggressiven  Richtung  im 
nahen  Orient  sich  begeben  und  hiebei  in  einen  Gegensatz  zu  uns  und 
Deutschland  geraten  oder  gar  uns  beide  bedrohen,  erscheint  es  mir  voll- 
kommen zweckentsprechend,  die  von  E.  E.  in  Aussicht  genommene  Klar- 
stellung der  Verhähnisse  herbeizuführen,  obwohl  sich  unsere  Lage  in 
diesem  Falle  von  jener  Deutschlands  insofeme  unterscheiden  würde,  als 
wir  es  mit  einem  Alliierten  zu  tun  hätten. 

Dennoch  würde  ich  es  für  nötig  halten,  daß  wir  ims  durch  eine 
konzise  Fragestellung  und  Bestehen  auf  einer  sofortigen  Antwort  die 
erforderliche  Sicherheit  verschaffen.  Ich  möchte  noch  die  Ansicht  hier 
aussprechen,  daß,  wenn  wir  gezwungen  sein  sollten,  eine  solche  Sprache 
zu  führen,  dies  jedenfalls  genügen  dürfte,  um  die  betreffende  Macht  zur 
Einhaltung  der  Neutralität  zu  bewegen." 

Im  übrigen  gab  das  Schreiben  der  Überzeugung  Ausdruck,  daß  Italien 
die  Neutralität  zweifellos  beobachten  würde  und  betonte,  daß  wir  freund- 
schaftliche Beziehungen  zu  Rußland  wollen. 

Weitere  Konsequenzen  hatte  dieser  Briefwechsel  nicht. 

In  Audienzen  am  1.  Feber  und  am  11.  Mai  1910  kam  ich  bei  Seiner 
Majestät  wieder  auf  die  italienischen  Verhältnisse  zu  sprechen.  So  auf  die 
irredentistischen  Görzer  Exzesse  und  die  dabei  zutage  getretene 
schmähliche  Haltung  des  dortigen  Bürgermeisters.  Erneut  wies  ich  auf 
Italiens  Heeresausgaben  hin:  Das  Normalbudget  für  1910/11  mit  306  Mil- 
lionen enthielt  einen  neuen  Kredit  von  65  Millionen,  endlich  einen  solchen 
von  83-75  Millionen,  der  sich  wie  folgt  verteilte :  Reorganisationen  6,  zwei- 
jährige Dienstzeit  3-1,  militärische  Jugenderziehung,  Freiwilligenwesen 
(tiro  a  segno)  2-15,  Massawirtschaft  7-5,  schwere  Artillerie  des  Feld- 
heeres und  Feldartilleriematerial  50,  Luftwesen  10,  erhöhte  Friedens- 
stände 5,  also  zusammen  83-75  MilUonen.  Ich  bemerkte,  daß  die  nam- 
hafte Erhöhung  des  Normalbudgets  (um  20  Millionen  mehr  als  1907/08) 
und  die  seit  1906  bewilligten  außerordentlichen  Kredite  von  424  Millionen 
den  Charakter  ausgesprochener  gegen  Österreich-Ungarn  gerichteter 
Kriegsrüstungen  tragen,    denen  m.an  nicht  blind  gegenüberstehen  dürfe. 

16 


In  einer  Audienz  am  18.  Juni  1910  meldete  ich  Seiner  Majestät  mein 
Eintreffen  von  der  Großen  Generalstabsreise,  die  ich  in  diesem  Jahre  im 
Isonzo-Gebiete  vorgenommen  hatte.  Auf  Grund  der  dort  gewonnenen 
Eindrücke  erneuerte  ich  mein  Verlangen  auf  Verlegung  von  Kavallerie 
nach  Krain  und  eines  Infanterieregimentes  nach  Tolmein,  S.  Lucia,  auf  den 
Bau  der  Bahn  S.  Lucia— Karfreit  (Caporetto)  und  Schutz  der  Küsten- 
strecke (Duino,  Triest,  Panzano)  durch  Küstenbatterien.  Weiter  befür- 
wortete ich  die  Umwandlung  des  Landwehr-Infanterieregimentes  Nr.  27 
(Laibach)  in  eine  Gebirgstruppenformation.  Auch  in  dieser  Audienz  kam 
ich  wieder  auf  die  feindseligen  Machenschaften  Italiens  zu  sprechen,  so 
auf  das  Kreuzen  italienischer  Torpedoboote  an  unserer,  speziell  auch  der 
dalmatinischen  Küste  bei  Nacht  zu  Erkundungszwecken,  die  zunehmende 
Belästigung  von  in  Italien  ganz  privat  reisenden  k.  u.  k.  Offizieren,  deren 
Durchsuchung  auf  den  Gardasee-Dampfem,  auf  die  Belästigung  unseres 
Marineattaches  in  Rom,  auf  die  Triester  Hochverratsaffäre  Deperis,  auf 
den  Umstand,  daß  österreichische  Italiener  in  reichsitalienischen  Freikorps 
dienen,  auf  das  tendenziöse  italienische  Volksschul-Lesebuch  Trento- 
Trieste,  auf  die  italienische  Rücksichtslosigkeit  gegen  das  slowenische 
Element  in  Venetien.  Ich  fügte  bei,  daß  es  endlich  an  der  Zeit  wäre, 
Reziprozität  zu  üben,  die  italienischen  Finanzposten  aus  unserem  Gebiet 
zu  entfernen,  in  der  Triester  Universitätsfrage,  die  nur  die  Schaffung  eines 
irredentistischen  Zentrums  zum  Ziel  hat,  konsequent  zu  bleiben,  in  Parla- 
ment und  Presse  die  Dinge  mit  dem  wahren  Namen  zu  nennen  imd  in 
der  äußeren  Pohlik  voraussichtiger  und  würdiger  aufzutreten. 

Während  ich  derart  bemüht  war,  auf  die  von  Seite  ItaUens  unver- 
kennbar drohende  Gefahr  aufmerksam  zu  machen  und  davor  zu  warnen, 
setzte  Graf  Ähren thal  sein  Werben  um  Italiens  Gunst  und  Treue  fort, 
insbesondere  bei  seinen  Verhandlungen  mit  dem  neuemannten  italienischen 
Außenminister  San  Giuliano.  Dies  gedieh  so  weit,  daß  im  Sommer  1910 
ohne  meine  Kenntnis  der  Kriegsminister  Baron  Schönaich  den  Entwurf 
eines  Vertrages  mit  Italien  verfaßte,  der  die  Beschränkung  der  beider- 
seitigen Befestigungsbauten  und  Kriegsrüstungen  in  Tirol  zum  Ziele  hatte. 
Ganz  abgesehen  davon,  daß  Österreich-Ungarn  hinsichtlich  der  Befesti- 
gungen und  Kriegsvorbereitungen  m  Tirol  weit  im  Rückstand  war,  sich 
also  durch  eine  solche  Bindung  in  Nachteil  gesetzt  hätte,  war  nach  allem, 
was  Itahen  bisher  tat,  ein  Zweifel  in  die  Loyalität  Italiens  hinsichtlich 
Einhaltung  eines  solchen  Vertrages  wohl  naheliegend. 

Was  aus  diesem  Vertragsentwurf,  von  dem  ich  erst  weit  später  hörte, 
geworden  ist,  weiß  ich  nicht. 

In  einer  Audienz  in  Ischl  am  29.  Juli  1910,  gelegentlich  Betonung 
der  Dringlichkeit  des  Ausbaues  imserer  Wehrmacht,  hob  ich  die  Wehr- 

2,  Conrad  U  jy 


macht-Entwicklung  in  Italien  hervor.  Auch  kam  ich  auf  die  sich  mehren- 
den Grenzverletzungen  zu  sprechen,  bei  deren  Abweisung  die  österreichi- 
schen Organe  nicht  die  erforderliche  Vertretung  fanden.  Es  müsse  dies 
auf  den  Geist  derselben  nur  nachteilig  rückwirken,  so  daß  schon  aus 
diesem  Grunde  mehr  Rückgrat  geboten  wäre. 

Das  gleiche  Thema  erörterte  ich  in  einer  Audienz  am  18.  September 
1910,  wobei  ich  auf  die  widerrechtlichen,  alles  hemmenden  Einmengungen 
des  Ministers  des  Äußern  in  militärische  Maßnahmen  hinwies.  Zur 
Sprach«  kamen  auch  die  italienischen  Seemanöver  und  der  Bau  des  ver- 
schanzten Lagers  von  Gemona — Osoppo  (später  Friaul-Süd  und  Friaul- 
Nord  genannt),  Maßnahmen,  die  auf  einen  italienischerseits  geplanten 
Aufmarsch  am  Tagliamento  deuteten. 

Zu  den  vielen  Methoden,  mit  denen  die  Spionage  gegen  Österreich- 
Ungarn  betrieben  wurde,  gehörten  auch  die  sogenannten  wissenschaft- 
lichen Forschungsreisen,  die  bei  unseren  amtlichen  Stellen  ungeprüfte 
Förderung  fanden.  Ein  solcher  Fall  nötigte  mich,  folgenden  Brief  an  Graf 
Ährenthai  zu  richten: 

„Euer  Exzellenz! 

Ich  kann  es  mit  meinem  Verantwortlichkeitsgefühl  nicht  vereinbaren, 
über  die  Entscheidung  in  der  Angelegenheit  des  italienischen  Ober- 
leutnants Magrini  hinwegzugehen,  ohne  mir  erlaubt  zu  haben,  E.  E.  meine 
diesbezügliche  Anschauung  mitgeteilt  zu  haben,  welche  darauf  hinausgeht, 
daß  die  Zulassung  dieses  international  bekannten  Spions  zur  Adria- 
Forschungsreise  alle  Vorsichtsmaßnahmen  durchkreuzt,  welche  zu  treffen 
unsere  mihtärische  Pflicht  ist,  und  daß  ich  es  sehr  bedauere,  von  E.  E. 
in  dieser  das  Kundschaftswesen  so  eminent  berührenden  Angelegenheit 
um  meine  Anschauung  nicht  gefragt  worden  zu  sein. 

Ich  wäre  E.  E.  überaus  verbunden,  wenn  ich  E.  E.  in  Hinkunft  bei 
ähnhchen  Fällen  die  meinerseits  bestehenden  Bedenken  vorzutragen 
Gelegenheit  fände. 

Mit  dem  Ausdruck  vorzüglicher  Hochachtung  Euer  Exzellenz 

ergebenster  ^  , 

**  Conrad  m.  p. 

Wien,  20.  September  1910." 

In  einer  Audienz  am  12.  November  1910  kam  ich  auch  mit  Seiner 
Majestät  auf  dieses  Thema  zu  sprechen,  sowie  auf  die  unausgesetzten 
Nachgiebigkeiten  des  Ministers  des  Äußern  gegenüber  ItaUen,  was  auch 
den  Minister  des  Innern  veranlaßt  hatte,  gegen  die  von  Graf  Ährenthal 
verlangte  laue  Handhabung  des  Grenzdienstes  zu  protestieren.  Dem 
gleichen  Tone  entsprach  Graf  Ährenthals  Forderung,  Offiziere  nicht  mehr 
ins  Ausland  zu  entsenden  imd  ihnen  selbst  die  privaten  Urlaube  dahin 

18 


einzustellen.  Im  übrigen  soll  (?)  selbst  der  k.  u.  k.  Botschafter  von 
Merey  in  manchen  Fällen,  in  denen  er  zuerst  Weisung  hatte,  Rechenschaft 
zu  verlangen,  desavouiert  w^orden  sein,  nachdem  San  Giuliano  sich  direkt 
an  Graf  Ährenthal  gev^endet  hatte. 

An  Details  konnte  ich  beifügen :  den  Vertrieb  von  Ansichtskarten  auf- 
reizender, irredentistischer  Tendenz  durch  den  bei  uns  staatlich  geschützten 
Verein  „Lega  nazionale",  den  Verkauf  von  Geschützen  seitens  Italiens  an 
Montenegro  und,  in  Verbindung  damit,  die  Anwesenheit  italienischer 
Offiziere,  angeblich  als  botanisierende  Ärzte,  auf  dem  Lovcen,  der  für  den 
Kriegshafen  von  Cattaro  gefährUchsten  montenegrinischen  Artillerie- 
stellung, ferner  die  fortschreitende  Erwerbung  von  Holzlagern  auf  den 
wichtigsten  Bahnhöfen  unseres  südwestlichen  Bahnnetzes  durch  Reichs- 
italiener und  die  damit  verbundene  Gefahr,  im  Kriegsfalle  Mobilisierung 
und  Aufmarsch  gegen  Italien  durch  Inbrandsetzen  der  Holzlager  aufs 
seh  v/erste  geschädigt  zu  sehen. 

Am  23.  November  1910  war  ich  in  langer  Audienz  bei  Erzherzog 
Franz  Ferdinand  im  Belvedere.  In  dieser  erörterte  ich  nebst  anderem  auch 
all  die  erwähnten  Fragen  und  ergänzte  sie  durch  die  Mitteilung,  daß  das 
italienische  4.  Korps  (Piacenza)  mit  Gebirgsausrüstung  versehen  worden 
sein  soll,  also  auch  gegen  Tirol  bestimmt  sein  dürfte. 

Mit  Seiner  Kaiserhchen  Hoheit  kam  auch  das  heikle  Thema  der  Maß- 
nahmen zur  Sprache,  die  im  Ablebensfalle  Seiner  Majestät  gegen  einen 
italienischen  Putschversuch  zu  treffen  wären.  Gerüchte  wiesen  auf  einen 
solchen  hin.  Auch  lagen  Berichte  vor,  wonach  bei  den  italienischen 
Grenzorganen  geheime  versiegelte  Instruktionen  erliegen  sollten,  die  das 
Verhalten  für  diesen  Fall  betrafen.  Als  eigene  Gegenmaßnahmen  genüg- 
ten die  in  den  Alarm-Instruktionen  festgelegten;  einige  ergänzende  Befehle 
wurden  vorbereitet.  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  zur  Genehmigung  vor- 
gelegt und  sodann  im  Operationsbureau  deponiert.  Der  Thronfolger 
bestimmte  auch,  daß  für  den  gedachten  Fall  ein  höchstkommandierender 
General  in  Ungarn  zu  ernennen  sein  werde. 

Rumänien.  Mit  Rumänien  stand  Österreich-Ungarn  noch  weiter 
auf  dem  Boden  des  Bündnisses  vom  Jahre  1882.  Die  Gesinnungen  König 
Carols  waren  unverkennbar  bundestreu,  Rumäniens  militärische  Maß- 
nahmen daher  auf  den  Kriegsfall  gegen  Rußland  gerichtet. 

In  diesem  Sinne  war  auch  die  rumänische  Gesandtschaft  in  Wien 
mit  folgendem  Schreiben  an  das  Ministerium  des  Äußern  herangetreten: 

„Legation  de  Roumanie.  ^  ,    .       vt  ,• 

Geneime  Notiz. 

Im  Auftrage  der  rumänischen  Regierung  beehrt  sich  der  königlich 

rumänische  Gesandte  folgende  Bitte  vorzubringen: 

2-  J9 


Da  der  Generalstab  der  königlich  rumänischen  Armee  nicht  über 
genügende  Informationsmittel  verfügt,  um  die  etwa  eintretenden  Fälle 
einer  Mobilisierung  der  längs  der  rumänischen  Grenze  liegenden  russi- 
schen Truppen  zu  studieren,  so  würde  die  königlich  rumänische  Regierung 
dem  k.  k.  österreichisch-ungarischen  Generalstabe  zu  sehr  großem  Danke 
verpflichtet  sein,  wenn  er  dem  rumänischen  Generalstabe  durch  die  Ver- 
mittlung des  königlich  rumänischen  Gesandten  auf  Grund  beiliegenden 
Fragebogens  einige  diesbezügliche  Informationen  gefälligst  mitteilen 
wollte. 

Diese  Angelegenheit  wird  selbstverständlich  sehr  geherni  gehalten 
werden.  Zu  diesem  Zwecke  möchten  die  diesbezüglichen  Mitteilungen 
nur  durch  Vermittlung  des  könighch  rumänischen  Gesandten  gemacht 
werden,  umsomehr,  als  der  bisherige  rumänische  Mihtärattache  Major 
Skina  von  Wien  versetzt  wurde  und  sein  Nachfolger,  Hauptmann  Eremia, 
erst  im  Laufe  des  Monats  Mai  ki  Wien  eintreffen  wird. 

Wien,  den  12.  April  1910." 

Graf  Ährenthal  wendete  sich  an  mich  und  brachte  in  einer  Unter- 
redung, die  ich  mit  ihm  am  18.  April  1910  hatte,  diese  Angelegenheit  zur 
Sprache.  Ich  vereinbarte  mit  ihm,  daß  auch  unser  Mihtärattache  in 
Bukarest,  Hauptmann  von  Fischer,  von  ihr  Kenntnis  erhalte,  da  der- 
artige  Vermittlungen  in  seine  Dienstessphäre  fielen  und  ich  dem  Versuch 
seiner  Ausschaltung  entgegentreten  müsse. 

Ich  ließ  durch  die  einschlägigen  Bureaus  des  Generalstabes  eine 
eingehende  Beantwortung  der  gesteUten  Fragen  bearbeiten.  Das  vom 
11.  Mai  1910  datierte  Elaborat  sandte  ich  Graf  Ährenthal,  nachdem  mich 
dieser  am  10.  Mai  brieflich  verständigt  hatte,  daß  er  am  11.  Mai  den 
rumänischen  Gesandten  Herrn  Misu  empfangen  werde  und  gern  in  der 
Lage  wäre,  letzterem  andeuten  zu  können,  wann  er  auf  die  Auskünfte 
rechnen  könne. 

Die  Auskünfte  bezeichneten  die  rumänischerseits  angeführte  Broschüre 
von  Carlowitz-Maxen  über  russische  Truppendislokationen  als  zutreffend; 
ferner  waren  beigelegt  eine  detaiUierte  Übersicht  der  Aushebungs-  und 
Mobilisierungsbereiche  der  Infanterieregimenter  in  Südrußland,  Daten 
über  die  Leisiungsfähigkeit  der  russischen  Bahnen  im  Grenzgebiet  gegen 
Rumänien,  besagend,  daß  durch  Kombination  der  einzelnen  Linien  sich 
bis  Reni  12,  bis  Ungeni  18,  bis  Bielcy  12,  bis  Oknica  24,  somit  zusammen 
66  hundertachsige  Züge  täglich  heranbringen  lassen,  überdies  bis  zur 
Transversallinie  Odessa — Woloczysk  weitere  24  Hundertachser;  daß 
hievon  bis  zum  3.  Mobilisierungstag  33,  bis  zum  4.  Mobilisierungstag 
40,  bis  zum  5.  Mobihsierungstag  46,  vom  6.  Mobilisierungstag  an 
52   Züge  für  Mihtärtransporte  ausgenützt  werden  können.    Die  Frage 

20 


hinsichtlich  der  russischen  Karten  wurde  dahin  beantwortet,  daß  jene 
1  :  126.000  und  jene  1  :  420.000  minder  genau,  aber  trotzdem  als  karto- 
graphische Grundlage  östlich  des  Meridians  von  Rowno  unentbehrlich 
seien,  da  für  diesen  Raum  Kopien  der  neuen  Karte  1  :  42.000  noch  nicht 
erlangbar  waren.  Beigefügt  wurde,  daß  alle  brauchbaren  russischen 
Karten  in  imserer  Generalkarte  1  :  200.000  verwendet  sind,  die  überdies 
auch  durch   Rekognoszierungen  ergänzt   und   evident   gehalten   werde. 

In  einer  Audienz  am  11.  November  1910  berichtete  ich  auch  Seiner 
Majestät  über  diese  Angelegenheit,  sowie  über  die  rumänischen  Auf- 
marscharbeiten. 

Rumäniens  Politik  befand  sich  auch  1910  in  der  zwiespältigen  Lage: 
einerseits  in  Sorge  vor  dem  russisch-slawischen  Druck,  Anschluß  an 
Deutschland  und  Österreich-Ungarn  zu  suchen,  andererseits  mit  Serbien 
—  dem  SatelHten  Rußlands  —  freundschaftliche  Beziehungen  anzustreben. 
Rumänien  glaubte  Serbiens  gegen  Bulgarien  zu  bedürfen. 

Die  seinerzeit  mit  der  Türkei  abgeschlossene  Mihtär-Konvention, 
über  welche  General  von  der  Goltz*)  im  Auftrage  Sultan  Abdul  Hamids 
in  Bukarest  verhandelt  hatte,  bestand  nicht  mehr;  ihre  Erneuerung  war 
nicht  erfolgt.  General  von  der  Goltz,  der  am  16.  November  1910  von 
Konstantinopel  nach  Berlin  reiste  und  von  König  Carol  von  Rumänien 
eingeladen  worden  sein  soll,  auf  der  Rückreise  sich  in  Bukarest  aufzu- 
halten, meinte  diese  Einladung  mit  Rücksicht  auf  Preßkommentare  nicht 
annehmen  zu  sollen  und  wählte  seinen  Rückweg  über  Belgrad  und  Sofia. 

Rußland.  Rußland  litt  noch  unter  den  Folgen  des  japanischen 
Krieges  und  der  Revolution,  die  trotz  des  gewaltsam  niedergeschlagenen 
Bolschewiken-Aufstandes  fortdauernd  nachzitterte. 

Die  auf  Wittes  Rat  durch  Zar  Nikolaus  II.  am  30.  Oktober  1905 
gewährte  Duma**)  hatte  infolge  maßloser,  sowohl  von  den  Sozialdemo- 
kraten, als  auch  von  den  Bauern  erhobener  revolutionärer  Forderungen 
eine  zweimalige  Auflösung  erfahren  (1906  und  1907).  Erst  jene  vom 
Jahre  1908  erwies  eine  längere  Lebensdauer,  bis  auch  sie  im  Jahre  1910 
zur  Vertagung  gelangte  wegen  Ablehnung  eines  von  Stolypin  eingebrach- 
ten Gesetzes,  der  nach  Wittes  Rücktritt  am  5.  Mai  1906  zum  Minister 
ernannt  worden  war.  Im  April  desselben  Jahres  schränkte  auch  ein 
Gesetz  vom  10.  Juni  die  Rechte  des  noch  über  ein  eigenes  Parlament 
verfügenden  Finnland  wesentlich  ein,  was  zu  Gärungen  in  Finnland 
führte. 


*)  Leiter    der    militärischen    Reformen    in    der    Türkei;    starb    als 
deutscher  Generalfeldmarschall  während  des  Weltkrieges  m  Bagdad. 
**)  Volksvertretung. 

21 


Unbeschadet  dieser  turbulenten  Vorgänge  im  Innern  schritt  jedoch 
die  Entwicklung  der  militärischen  Machtmittel  weiter,  im  höchsten  Maße 
unterstützt  durch  die  reichen  finanziellen  Beihilfen,  die  Rußland  vor  allem 
von  Fran-kreich  geboten  wurden.  Frankreich  drang  mit  allem  Nachdruck 
auf  deren  Verwendung  für  rein  militärische  Zwecke.  Es  betraf  nicht  nur 
den  organisatorischen  Ausbau  der  Wehrmacht,  insbesondere  jener  zu 
Lande,  sondern  auch  den  Bau  jener  sogenannten  „strategischen"  Bahnen, 
die  einem  möglichst  weit  vom  gelegenen  Aufmarsch  zur  Offensive  im 
Westen  dienen  sollten.  Als  daher  —  worauf  im  folgenden  noch  zurück 
gekommen  werden  wird  —  die  Gerüchte  von  einer  Rückverlegimg  des 
russischen  Aufmarsches  auftauchten,  entstand  dagegen  auch  sofort  ein 
Sturm  der  Entrüstung  in  Frankreich.  War  doch  dessen  enger  Bund  mit 
Rußland  erst  im  Jahre  1909  durch  den  Besuch  des  Zaren  in  Frankreich 
(Cherbourg)  dokumentiert  worden,  unbekümmert  um  den  Gegensatz 
zwischen  Autokratie  und  Republik. 

Welche  Auffassung  man  damals  in  Deutschland  über  die  vor- 
erwähnten militärischen  Vorgänge  in  Rußland  hatte,  geht  aus  den  im 
früheren  angeführten  Äußerungen  Kaiser  Wilhelm  II.  und  Generals  von 
Moltke  hervor. 

Der  aggressiven  Politik  im  Westen  wieder  zugewendet,  war  Rußland 
darauf  bedacht,  sich  in  Asien  mit  England  auszugleichen  und,  insolange 
es  für  einen  Krieg  im  Westen  nicht  voll  gerüstet  war,  mit  Österreich- 
Ungarn  die  durch  die  Annexionskrise  getrübten  Beziehungen  wieder- 
herzustellen. Dem  entsprach  auch  eine  amtHche  Erklärung,  wonach  beide 
Reiche  darin  übereinstimm.ten,  den  status  quo  auf  dem  Balkan  und  das 
Wohl  der  Balkanstaaten  zu  vertreten. 

1910  wurde  auch  der  mit  Graf  Ährenthal  in  scharfem  Konflikt 
gestandene  Iswolsky  durch  Sasonow  als  Minister  des  Äußern  ersetzt.  Es 
brachte  nicht  nur  keinen  Wechsel  in  Rußlands  Balkanpolitik,  sondern  es 
verschärfte  die  Lage  dadurch,  daß  Iswolsky  auf  den  so  wichtigen  Bot- 
schafterposten in  Paris  berufen  wurde,  also  in  die  Lage  kam,  seine  Öster- 
reich-Ungarn feindliche  Politik  mit  Nachdruck  zu  verfolgen. 

Trotz  dieser  äußerlichen  diplomatischen  Tünche  setzte  Rußland 
unentwegt  seine  gegen  Österreich-Ungarn  gerichtete  Agitation  fort,  nicht 
nur  am  Balkan,  sondern  auch  in  den  slawischen  Gebieten  der  Monarchie, 
die  es  in  rühriger  Propaganda  auch  in  Ostgalizien  durchwühlte.  In  einer 
Audienz  am  1.  Feber  1910  und  in  einer  solchen  am  18.  Juni  1910  sprach 
ich  mit  Seiner  Majestät  hierüber,  sowie  über  die  Gerüchte  betreffs  Rück- 
verlegung des  russischen  Aufmarsches.  Sie  konnten  damals  mit  dem 
Gebaren  Japans  in  Beziehung  gebracht  werden:  der  Annexion  Koreas, 

22 


der  Ablehnung  des  amerikanischen  Vorschlages  hinsichtlich  der  mand- 
schurischen Bahnen  und  der  Aufnahme  eines  außerordentlichen  Kredites. 
Auch  die  Aufstellung  zweier  neuer  sibirischer  Korps  seitens  Rußlands  ließ 
sich  hiemit  in  Einklang  bringen. 

Ich  vertrat  Seiner  Majestät  gegenüber  die  Ansicht,  daß  man  sich 
Rußland  gegenüber,  falls  es  sich  wieder  in  Asien  engagieren  würde,  in 
keiner  Weise  binden,  also  auch  nicht  zum  Status  quo  auf  dem  Balkan 
verpflichten  solle,  wie  dies  leider  während  des  russisch-japanischen 
Krieges  der  Fall  war.  Man  möge  viehnehr  die  Zeit  der  Schwäche  Ruß- 
lands benützen,  die  Lage  gegenüber  Italien  und  am  Balkan  zu  bereinigen, 
um  in  der  Folge  nicht  von  Rußland,  Italien,  Serbien  und  Montenegro 
gleichzeitig  bedroht  zu  werden. 

In  einer  Audienz  am  24.  April  IQIO  berichtete  ich  Seiner  Majestät 
über  die  zunehmende  russische  Propaganda  in  Galizien  und  über  die  Not- 
wendigkeit einmütigen,  alle  kleinlichen  Kompetenzstreite  ausschaltenden 
Zusammenwirkens  der  Zivil-  und  Militärbehörden  zur  Abwehr  dieser 
Propaganda. 

Die  Früchte  der  letzteren  haben  im  Weltkriege  nicht  nur  die 
militärischen  Operationen  geschädigt,  sondern  zahlreichen  Offizieren  und 
Soldaten  das  Leben  gekostet  und  die  schärfsten  Abwehrmaßnahmen  not- 
wendig gemacht,  gegen  die  sich  eine  teils  tendenziöse,  teils  weichherzige 
Entrüstung  wendete,  die  das  Leben  kompromittierter  Verräter  höher  ein- 
schätzte, als  jenes  der  für  Kaiser  und  Reich  kämpfenden  Soldaten. 

In  einer  Audienz  am  12.  November  1910  berichtete  ich  Seiner 
Majestät,  daß  ich  hinsichtlich  dieser  Propaganda  mit  dem  Minister  des 
Innern  Baron  Härdtl  gesprochen  und  dieser  geäußert  habe,  daß  zur 
Anregung  der  auf  Bekämpfung  der  moskalophilen  Propaganda  abzielenden 
Maßnahmen  der  Chef  des  Generalstabes  am  berufensten  sei. 

Serbien  und  Montenegro.  Das  Verhältnis  der  Monarchie 
zu  Serbien  und  Montenegro  blieb  das  gleiche  wie  bisher.  Unter  dem 
Deckmantel  des  äußerlichen  Nachgebens  in  der  Annexionskrise  bestand 
die  auf  extreme,  aggressive  Tendenzen  Serbiens  gegründete  Feindschaft 
dieses  Staates  gegen  die  Monarchie  auch  weiter.  Sie  nahm  an  Intensität 
noch  zu.  Im  Einklang  damit  auch  das  Unterwühlen  der  slawischen 
Gebiete  Österreich-Ungarns  und  die  Entwicklung  der  zum  Kampf  gegen 
die  Monarchie  bestimmten  Wehrmacht.  Insbesondere  war  es  die  wohl- 
organisierte, weitverzweigte  und  mit  den  verbrecherischesten  Mitteln 
arbeitende  Vereinigung  „Narodna  odbrana",  die  unter  Patronanz  der 
serbischen   Regierung  und  im   Dienste  derselben  die  Agitation  betrieb. 

In  einer  Unterredung  mit  Graf  Ährenthal  am  18.  April  1910  kam 
gelegentUch   Erörterung  der  gesamten   politischen   Lage  auch  dies   zur 

23 


Sprache.  Ich  wiederholte,  daß,  wenn  man  im  Vorjahre  (1909)  gegen 
Serbien  losgeschlagen  hätte,  jetzt  klare  Verhältnisse  geschaffen  wären, 
nunmehr  aber  nur  erübrige,  die  militärischen  Machtmittel  der  Monarchie 
raschestens  auf  größtmögliche  Höhe  zu  bringen,  wofür  ich 
seine  Unterstützung  erbat.  Graf  Ährenthal  bemerkte,  daß  er  auf  eine 
friedliche  Anghederung  Serbiens  und  A'lcntenegros  hoffe.  Im  grellen 
Gegensatz  zu  dieser  Hoffnung  stand  allerdings  die  von  Serbien  aus 
geleitete  Propaganda  in  den  südslawischen  Gebieten  der  Monarchie,  vor 
allem  in  B.  H.,  wo  sie  in  dem  am  6.  Juni  1910  stattgehabten  Attentat  auJ 
den  Landeschef  General  der  Infanterie  von  Varesanin  beredten  Ausdruck 
fand.  Die  auf  Gründung  des  großserbischen  Reiches  auf  Kosten  Öster- 
reich-Ungarns gerichteten  Bestrebungen  nahmen  immer  schärfere  Formen 
an;  die  Richtung  gab  die  radikale  Partei,  deren  hervorragender,  tatkräftiger 
und  skrupelloser  Führer  Nikola  Pasic*)  schon  im  Jahre  1884  schrieb: 
„Die  serbische  Nationalidee  ist  die  Vereinigung  aller  Serben  in  einem 
Staate  und  Bildung  eines  Balkanbundes  der  stammverwandten  Rassen,  der 
bestimmt  wäre,  ökonomische,  politische  und  kulturelle  Interessen  dieser 
Völker  zu  schützen  und  sich  gegenseitig  im  Kriege  beizustehen.  Öster- 
reichs Politik  bestand  immer,  seit  es  aus  Itaüen  und  dem  Deutschen  Bund 
vertrieben  war,  darin,  das  serbische  Volk  zu  Knechten  zu  machen  und 
zu  vernichten,  um  auf  seinem  Weg  an  die  Ägäis  kein  Hindernis  zu 
finden.  Seit  Österreich-Ungarn  aus  dem  Westen  vertrieben  ist,  sucht  es 
im  Osten  führende  Großmacht  zu  werden.  Deutschland  unterstützt  es 
darin,  England  und  Frankreich  lassen  es  gewähren,  und  Rußland  ist  die 
einzige  Macht,  die  Österreich-Ungarn  nicht  freie  Hand  auf  der  Balkan- 
halbinsel lassen  kann.  Die  Vergrößerung  Österreich-Ungarns  kann  nur 
auf  Kosten  Serbiens  geschehen;  wenn  sie  gelänge,  müßte  Serbien  ver- 
schwinden."**) 

Ob  bei  dieser  Schärfe  der  Gegensätze,  die  —  auch  meinerseits  — 
als  wünschenswerteste  Lösung  erachtete  friedliche  Angliederung 
Serbiens  noch  zu  erhoffen  war,  erschien  denn  doch  fraglich,  so  sehr 
dabei  auch  Serbien  seine  kulturelle  und  wirtschaftliche  Entwicklung,  sowie 
den  Weg  an  die  Ägäis  gesichert  gehabt  hätte. 

In  einer  Audienz  am  18.  Juni  1910  besprach  ich  die  serbische  Frage 
mit  Seiner  Majestät,  berichtete  über  die  Entwicklung  der  serbischen  Wehr- 


*)  Nachmaliger  Ministerpräsident. 

**)  Siehe  das  sehr  interessante  und  für  das  Studium  der  serbischen 
Frage  bedeutsame  Werk:  E.  C.  Corti,  Alexander  von  Battenberg.  Sein 
Kampf  mit  dem  Zaren  und  Bismarck.  Wien.  Verlag  von  L.  W.  Seidel 
&  Sohn. 

24 


macht,  insbesondere  der  Artillerie  und  betonte  das  Dringende  eigenerseits, 
und  zwar  vornehmlich  auch  bezüglich  dieser  Waffe  nicht  zurückzubleiben. 
Ich  legte  Seiner  Majestät  dar,  daß  Serbien  im  Kriegsfalle  dermalen  bereits 
364  Feld-  und  41  Gebirgs-Geschütze  verfügbar  habe,  denen  im  Minimal- 
falle —  d.  i.  bei  Engagement  der  Monarchie  auch  noch  in  anderer 
Richtung  —  nur  108  Geschütze  der  Feldbatterien,  48  Geschütze  der 
Reservebatterien,  44  Gebirgsgeschütze  und  nur  im  reinen  Kriegsfall 
gegen  Serbien  allein  432  Geschütze  der  Feldbatterien,  72 
Geschütze  der  Reservebatterien  und  44  Gebirgsgeschütze  gegenüber- 
stehen würden. 

Montenegro.  Zwischen  Österreich-Ungarn  und  dessen  Gegnern 
stets  skrupellos  lavierend,  war  Montenegro  in  den  großen  Fragen  aus 
den  schon  mehrerwähnten  Gründen  an  die  durch  Rußland  und  Serbien 
verfolgte,  der  Monarchie  feindliche  Politik  gebunden.  Es  ging  jedoch 
nebenher  auch  seinen  auf  Erwerbung  Skutaris  gerichteten  Expansions- 
bestrebungen nach,  schürte  1910  den  Aufstand  der  Albanesen  gegen  die 
Türkei  und  rückte  damit  immer  mehr  die  albanesische  Frage  in  den 
Vordergrund.  An  dieser  war  Österreich-Ungarn  nicht  nur  als  Schutz- 
macht der  römisch  katholischen  Albanesen,  sondern  auch  aus  politischen 
Gründen  interessiert,  sofeme  eine  Machtverschiebung  am  Balkan  in  Rech- 
nung kam. 

Fürst  Nikolaus  von  Montenegro  nahm  —  sei  es  aus  Machtbestreben, 
sei  es  aus  Rivalität  mit  dem  verwandten  serbischen  Königshaus  —  am 
28.  August  1910  den  Königstitel  an.  Ansonst  verstand  er  es  auch  weiter, 
sowohl  aus  Rußland  wie  aus  Österreich-Ungarn  finanzielle  Vorteile  zu 
ziehen. 

Bulgarien.  Die  Lage  Bulgariens  war  1910  durch  das  gespannte 
Verhältnis  zur  Türkei  gekennzeichnet.  Erschien  auch  der  schon  früher 
erwähnte  Konflikt  wegen  Zahlung  von  150  MiUionen  Francs  durch  Ruß- 
lands Dazwischentreten  beseitigt*),  und  erkannte  auch  die  Pforte  in 
dem  zwischen  Iswolsky  imd  Rifaat  Pascha  am  16.  März  1910  in  Peters- 
burg abgeschlossenen  Abkommen  die  Unabhängigkeit  Bulgariens  für 
alle  Zukunft  an,  so  blieben  die  prinzipiellen  Gegensätze  doch  bestehen. 

Nach  einem  Bericht  des  k.  u.  k.  Militärattaches  in  Konstantinopel 
(Oberst  von  Pomiankowski)  vom  20.  November  1910  soll  sich  General 
von  der  Goltz  dahin  geäußert  haben,  daß  er  das  Verhältnis  zwischen 


*)  Bulgarien  schuldete  der  Türkei  150  Millionen  Francs  als  Tribut 
und  Bahnablösung.  Rußland  ließ  die  den  Betrag  von  82  Millionen  über- 
schreitencJe  Summe  zugunsten  Bulgariens  von  seinen  Forderungen  an 
die  Türkei  aus  dem  Jahre  1878  abschreiben. 

25 


der  Türkei  und  Bulgarien  sehr  pessimistisch  beurteile  und  befürchte, 
König  Ferdinand  werde  nicht  mehr  sehr  lange  imstande  sein,  den  Aus- 
bruch des  Krieges  zu  verhindern.  Sollte  sich  aber  Bulgarien  im  Laufe 
der  nächsten  vier  bis  fünf  Jahre  zum  Kriege  doch  nicht  entschließen,  so 
würde  der  Türkei  nichts  anderes  erübrigen,  als  ihrerseits  einen  Konflikt 
vom  Zaune  zu  brechen,  da  ohne  entscheidenden  Sieg  über  Bulgarien 
die  Türkei  niemals  Ruhe  haben  und  es  vermögen  würde,  sich  zu  konso- 
lidieren und  ökonomisch  zu  entwickeln. 

Wie  aus  den  früheren  Darlegungen  erinnerlich,  waren  vor  Schlich- 
tung der  150  Millionen-Frage  durch  Rußland  Annäherungsversuche 
zwischen  Österreich-Ungarn  und  Bulgarien  im  Zuge  und  auch  schon 
ziemlich  weit  gediehen.  Sie  waren  aber  nach  dem  Eingreifen  Rußlands 
seitens  Bulgariens  jäh  abgebrochen  worden.  Es  ließ  sie  überdies  in  der 
Presse  leugnen.  Die  erwähnten  Annäherungen  hatten  eine  Stütze  in  dem 
bulgarischen  Kriegsminister  General  Nikolajew  gefunden,  der  auch  die 
Idee  einer  Militär-Konvention  vertrat.  Graf  Ährenthal  ließ  sich  durch 
Bulgariens  Stimmungswechsel  nicht  beirren,  nahm  den  abgerissenen 
Faden  wieder  auf  und  erließ  für  das  Verhalten  unseres  Gesandten  und 
des  Militärattaches  in  Sofia  folgende,  auch  mir  mitgeteilte  Weisungen 
vom  10.  Mai  1910  (Nr.  1171): 

„General  Nikolajew  ist  zweifelsohne  ein  überzeugter  Anhänger  eines 
Zusammengehens  Bulgariens  und  der  Monarchie  und  hat  diese  Gesinnung 
wiederholt,  zuletzt  noch  gelegentlich  der  Ernennung  eines  neuen  General- 
stabschefs in  einer  Weise  betätigt,  die  uns  nur  erwünscht  sein  kann.  Es 
erscheint  daher  für  die  k.  u.  k.  Gesandtschaft  durchaus  angezeigt,  die 
Beziehungen  zum  genannten  General  auch  weiterhin  zu  pflegen.  Sollten 
also  Euer  Hochwohlgeboren,  beziehungsweise  der  Herr  Militärattache 
unter  dem  Eindruck  sein,  daß  Nikolajew  auf  seine  mehr  erwähnten 
Eröffnungen  eine  Rückäußerung  von  Ihrer  Seite  oder  der  des  Herrn 
Majors  ei-wartet,  so  könnte  sich  dieselbe  im  Sinne  meines  zitierten  Erlasses 
in  folgender  Richtung  bewegen: 

Die  Situation  der  letzten  Zeit  habe  zu  einem  besonderen  Hervor- 
treten der  Monarchie  in  Sofia  keinerlei  Anlaß  geboten.  Wir  hätten  jedoch, 
wie  der  General  wohl  wisse,  uns  bei  verschiedenen  Anlässen  Bulgarien 
gegenüber  unentwegt  freundlich  gezeigt.  Auch  für  die  Zukunft  erblickten 
wir  in  Bulgarien  einen  starken  Faktor  am  Balkan,  dessen  Interessen  mit 
denjenigen  der  Monarchie  nicht  kollidierten  und  vielfach  übereinstimmten. 
Wir  könnten  nicht  annehmen,  daß  Bulgarien  eine  andere  als  eine  seinen 
Interessen  entsprechende  Realpolitik  befolgen  werde  und  gäben  uns  daher 

26 


der  Erwartung  hin,  daß  wir  uns  auf  dieser  Grundlage  in  einer  gegebenen 
Situation  wiederfinden  würden. 

Die  Verdächtigungen  gegen  unsere  Politik,  von  denen  der  General 
gesprochen  habe,  würden,  so  wie  in  Konstantinopel,  auch  in  Sofia  von 
unseren  Gegnern  als  perfide  Waffe  gegen  uns  benützt.  Es  würde  weder 
unseren  wohlverstandenen  politischen,  noch  unseren  ökonomischen  Inter- 
essen entsprechen,  in  Mazedonien  oder  Albanien  auf  Ländererwerb  aus- 
zugehen, und  Euer  Hochwohlgeboren  seien  in  der  Lage,  positiv  zu 
wissen,  daß  dies  unseren  Absichten  durchaus  fern  liege.  Solenne 
Erklärungen  in  dieser  Beziehung  seien,  wie  ja  bekannt,  bereits  wiederholt 
erfolgt;  zu  einer  neuen  formellen  Enunziation  hege  keinerlei  Anlaß  vor. 
Sie  würde  auch  unsere  Gegner  keineswegs  davon  abhalten,  ihre  Ver- 
dächtigungen zu  erneuem.  Jedermann  aber,  der  unsere  Politik  mit  Ver- 
ständnis und  ohne  Voreingenommenheit  verfolge,  müsse  in  unseren  Hand- 
lungen die  Bestätigung  unserer  Worte  finden." 

Die  auf  Mazedonien  und  Albanien  hinweisende  Stelle  trug  den 
Aspirationen  Rechnung,  die  Bulgarien  bezüglich  dieser  Gebiete  hegte. 
Daß  es  bei  dem  dort  lodernden  Aufstand  seine  Hände  im  Spiel  hatte,  war 
eine  bekannte  Sache,  In  der  Audienz  am  11.  Mai  1910  sprach  ich  mit 
Seiner  Majestät  hierüber  und  erwähnte,  daß  der  Besuch,  den  der  König 
von  Bulgarien,  begleitet  vom  Kriegsminister  und  dem  Minister  des 
Innern,  dem  Kloster  Rilo*)  abstattete,  vermutlich  die  Fühlungnahme  mit 
den  mazedonischen  Führern  —  anläßhch  des  albanischen  Aufstandes  — 
zum  Zwecke  hatte. 

Türkei.  Am  24.  April  1910  hatte  Mahmud  Schefket  Pascha  den 
am  13.  April  in  Konstantinopel  ausgebrochenen,  gegen  das  jungtürkische 
Regime  gerichteten  Soldatenaufstand  niedergeworfen.  Am  24.  April  wurde 
Sultan  Abdul  Hamid  des  Thrones  verlustig  erklärt  und  durch  seinen  den 
Jungtürken  ergebenen  Bruder  Abdul  Reschad  —  als  Sultan  Mohammed  V. 
—  ersetzt,  Schefket  Pascha  zum  Kriegsminister  ernannt.  Energisch  ging 
das  neue  Regime  (unter  Beiziehung  des  deutschen  Generals  von  der 
Goltz)  auch  an  die  Reorganisation  der  Wehrmacht.  Im  September  1910 
wurden  die  bisherigen  sieben  Orders**)  in  vierzehn  modern  organisierte 
Korps  umgewandelt  und  durch  den  Ankauf  der  deutschen  Linienschiffe 
„Weißenburg"  und  „Friedrich  Wilhelm"  die  Flotte  vermehrt. 

Nach  Abwehr  der  französischen  Versuche,  die  türkische  Finanz- 
verwaltung unter  Frankreichs  Aufsicht  zu  bringen,  durch  den  türkischen 


')  65  Kilometer  südlich  Sofia,  nahe  der  türkischen  Grenze. 
")  Militärbezirke,  welche  verschieden  starke  Korps  aufstellten. 


27 


Finanzminister  Djavid  Pascha  und  nach  Scheitern  des  Versuches,  bei 
Frankreich  eine  Anleihe  aufzunehmen,  erhielt  die  Türkei  eine  solche  bei 
Deutschland  im  Betrage  von  11  Millionen  türkischen  Pfunden  (200  Mil- 
lionen Mark).  Auch  dadurch  knüpften  sich  engere  Beziehungen  zwischen 
beiden  Staaten,  womit  auch  Österreich-Ungarn  zu  rechnen  hatte.  Die 
Verstimmungen  zwischen  der  Monarchie  und  der  Türkei,  hervorgerufen 
durch  die  Annexion  von  B.  H.,  hatten  sich  gelegt.  Schon  im  Vorjahre, 
gelegentlich  meines  persönlichen  Verkehrs  mit  Mahmud  Schefket  Pascha, 
konnte  ich  dies  bemerken.  Ich  hatte  ihn  bei  den  deutschen  Manövern  in 
Mergentheim  getroffen. 

Der  latenten  Gefahr,  die  der  Türkei  •  seitens  Bulgariens  drohte,  ist 
bereits  gedacht,  dazu  kamen  schwere  Verwicklungen  im  Reiche  selbst. 
In  Arabien  waren  die  Scheiks  Idris  und  Jahia  im  Aufstand,  auch  in 
Albanien  war  ein  Aufstand  ausgebrochen  und  in  Mazedonien  die  Ruhe 
nicht  wiedergekehrt.  Die  Beziehungen  der  Türkei  zu  den  Großmächten 
schildert  ein  Bericht  vom  16.  Oktober  1910  des  k.  u.  k.  Militärattaches 
in  Konstantinopel  wie  folgt: 

„Kon  st  antin  Opel,  am  16.  Oktober  1910. 
Euer  Exzellenz! 

Schneller  als  man  es  nach  der  allgemeinen  Lage  erwarten  konnte, 
ist  in  dem  politischen  Verhältnis  der  Mächte  der  Tripleentente  zur  Türkei 
eine  wesentliche  Änderung  eingetreten.  Die  bisher  so  herzlich  scheinende 
Freundschaft  ist  im  Laufe  der  letzten  zwei  Monate  erkaltet  und  an  Stelle 
der  früheren,  allerdings  nie  ganz  echten  Intimität  traten  gegenseitige  Be- 
schuldigungen und  direkte  Schikanen  gegen  die  Türkei. 

Zuerst  war  es  England,  welches  aus  seiner  Unzufriedenheit  mit 
dem  Lauf  der  Dinge  in  der  Türkei  kein  Hehl  machte  und  seine  Sprache 
gegenüber  dem  bisherigen  Schützling  radikal  änderte.  Frankreich 
tmd  Rußland  vermochten  zwar  etwas  länger  die  Maske  der  Freund- 
schaft zu  bewahren,  doch  im  August  sahen  sich  auch  diese  Mächte  ver- 
anlaßt, dem  Beispiele  Englands  zu  folgen  und  der  Pforte  ihre  Miß- 
billigung bezüghch  ihrer  Politik  zu  erkennen  zu  geben.  Es  ist  nur  eine 
Konsequenz  dieser  Sinnesänderung  der  Westmächte,  wenn  die  Türkei 
nunmehr  zu  trachten  scheint,  ihre  Beziehungen  zu  Deutschland  und 
zu  unserer  Monarchie  wärmer  zu  gestalten. 

Über  die  Gründe  der  Unzufriedenheit  Englands  mit  dem  jung- 
türkischen Regime  habe  ich  bereits  wiederholt  Gelegenheit  gehabt,  Bericht 
zu  erstatten.  Sie  liegen  hauptsächlich  darin,  daß  die  englischen  Unter- 
nehmungen auf  türkischem  Gebiete,  z.  B.  die  Lynchkompagnie,  dann  die 

28 


Irrigationsarbeiten  in  Mesopotamien,  Landankäufe  englischer  Kapitalisten 
im  Schatt  el  Arab  und  in  Syrien  und  neuestens  die  unter  englischem 
Einfluß  reorganisierte  Mahsusse-Gesellschaft  von  Seite  des  türkischen 
Staates  mit  Mißtrauen  beobachtet  und  entweder  zu  wenig  unterstützt, 
oder  sogar  direkt  feindlich  behandelt  werden.  Auch  die  schüchternen 
Anfänge  einer  panislamitischen  Bewegung,  die  sich  in  Indien  und  Ägypten 
bemerkbar  machen  soll,  sowie  das  Entstehen  von  Zweigvereinen  des 
ottomanischen  Flottenvereines  in  den  bezeichneten  englischen  Domänen 
dürften  der  britischen  Regierung  gar  nicht  gefallen. 

Frankreich  glaubt,  sich  über  die  Bevorzugung  der  deutschen  Industrie 
beklagen  zu  sollen.  Der  Ankauf  von  vier  Torpedobootzerstörern  in  Schichau, 
sowie  die  Zögerung  der  türkischen  Regierung,  den  längst  ausgefertigten 
Vertrag  bezüglich  der  Lieferung  von  36  Gebirgsgeschützen  endlich  zu 
unterzeichnen,  haben  in  Paris  sehr  verstimmt.  Verschiedene  Interventionen 
des  hiesigen  französischen  Botschafters  Herrn  Bompard  zu  Gunsten  der 
christlichen  Wehrpflichtigen  scheinen  gleichfalls  gewisse  Reibungen 
hervorgerufen  zu  haben  und  das  feste  Auftreten  der  Türkei  in  tripoli- 
tanisch-tunesischen  Grenzfragen  dürfte  auch  nicht  nach  dem  Geschmacke 
der  französischen  Regierung  gewesen  sein. 

Die  russische  Politik  am  Goldenen  Hom  hat  trotz  der  geschäftigen 
Tätigkeit  des  Herrn  Tscharykow  und  des  Einflusses  der  Frau  des  tür- 
kischen Ministers  des  Äußern  Rifaat  Pascha  (eine  Russin,  geborene  von 
Riesenkampf)  nur  Niederlagen  aufzuweisen.  Der  Versuch  einer  Rußland 
günstigen  Lösung  der  Meerengenfrage,  dann  die  Bemühungen  zur  Bildung 
des  Balkanbundes  haben  schmählich  geendet;  die  islamitische  Bewegung 
greift  auch  nach  Rußland  hinüber  und  sogar  in  Persien  hat  die  Türkei 
nicht  übel  Lust,  ein  Wort  mitzureden. 

Während  sich  nun  infolge  aller  dieser  Gegensätze  und  Reibungen 
auf  Seite  der  Mächte  der  Tripleentente  ein  gewisser  Unmut  ansammelte, 
wurde  auch  die  Türkei  ihrerseits  durch  das  unklare,  zweideutige  Verhalten 
Englands,  Frankreichs  und  Rußlands  in  der  Kretafrage  in  ihrem  bis- 
herigen blinden  Vertrauen  zu  diesen  Mächten  sehr  erschüttert.  Die 
Abweisung  der  übertriebenen  Forderungen  bezüglich  definitiver  Regelung 
der  Frage  halte  man  allenfalls  noch  verwunden,  daß  aber  die  West- 
mächte nicht  einmal  betreffs  der  Souveränität  des  Sultans  zu  klaren, 
dezidierten  Erklärungen  zu  bringen  waren,  mußte  notwendigerweise  am 
Bosporus  stutzig  machen  und  nachdenkUch  stimmen.  Man  hatte  bis 
dahin  den  mifreundlichen  und  gereizten  Ton  der  englischen  und  gelegent- 
lich auch  der  französischen  Tagesblätter  absichtlich  nicht  beachtet;  im 
Monate  Juli  jedoch  begann  auch  die  türkische  Presse  den  bisherigen 
devoten  Ton  aufzugeben  und  selbst  das  offizielle  Organ  der  jungtürkischen 

29 


Partei,  der  „Tanin",  veröffentlichte  Artikel,  welche  der  schweren  Ent- 
täuschung der  ottomanischen  Pohtiker  deutlichen  Ausdruck  gaben. 

Während  nun  durch  den  Federkrieg  der  Presse  die  beiderseitige 
Verstimmung  stark  gestiegen  war,  erregte  der  Ankauf  deutscher  Schiffe 
durch  die  Türkei  auf  Seite  der  Tripleentente  einen  wahren  Sturm  der  Ent- 
rüstung. Jede  weitere  Rücksicht  wurde  nunmehr  beiseite  gesetzt  und 
das  Bestreben,  die  Türkei  ihre  Vergehen  büßen  zu  lassen,  gewann  die 
Oberhand.  Die  Zusammenkunft  des  Großveziers  mit  Graf  Ährenthal 
wurde  als  Anschluß  der  Türkei  an  den  Dreibund  erklärt  und  durch  die 
von  Tscharykow  lancierte  Nachricht  über  den  Abschluß  der  rumänisch- 
türkischen Militärkonvention  ergänzt;  und  um  die  Türkei  die  Macht 
der  Tripleentente  fühlen  zu  lassen,  wurden  bei  der  in  Paris  gerade  in 
Verhandlung  stehenden  Anleihe  Bedingungen  gestellt,  welche  mit  der 
Würde  eines  souveränen  Staates  unvereinbar  sind  und  von  der  Türkei 
nicht  angenommen  werden  konnten.  Doch  auch  bei  diesem  Hauptcoup 
scheint  es,  daß  die  französische  Animosität  der  jungtürkischen  Partei  nur 
einen  Erfolg  mehr  einbringen  wird,  da  die  französische  Regierung  zum 
Schluß  doch  auf  ihre  drückenden  Bedingungen  verzichten  und  die  Anleihe 
auch  ohne  dieselben  zustande  kommen  dürfte. 

Die  Ereignisse  der  letzten  zwei  Monate  müssen  nun  wohl  selbst  den 
verstocktesten  Jungtürken  über  den  wahren  Charakter  der  englisch- 
französisch-russischen Freundschaft  und  die  Ziele  der  Politik  dieser  drei 
Mächte  die  Augen  geöffnet  haben.  Es  ist  nun  klar,  daß  dieselben  eine 
schwache,  dahinsiechende  Türkei  patronisieren 
und  ausbeuten  wollen,  aber  ein  Erstarken  dieses 
Staates  nicht  nur  nicht  wünschen,  sondern  mit  allen 
Mitteln  zu  verhindern  trachten.  Daß  ihnen  dies  nicht 
gelingt,  daß  die  Türkei  trotz  allen  Schwierigkeiten  doch  vorwärts 
schreitet,  nach  allen  Seiten  eine  kräftige,  selbstbewußte  Politik  führt  und 
sich  gegen  Ausbeutungsversuche  —  von  welcher  Seite  sie  auch  kommen 
mögen  —  energisch  zur  Wehre  setzt,  daß  die  Blamagen  der  Botschafter 
der  Ententemächte  sich  stets  zu  Erfolgen  der  jungtürkischen  Regierung 
umsetzen,  das  sind  die  wahren  und  tieferen  Gründe  der  in  letzter  Zeit 
veränderten  Stimmung  der  Ententemächte.  Hätten  England,  Frankreich 
und  Rußland  dem  Jungtürkentum  etwas  mehr  Lebenskraft  zugemutet  und 
die  bisherige  Entwicklung  vorausgesehen,  so  hätten  sie  wahrscheinlich  in 
der  Annexionskrise  eine  andere  Politik  befolgt,  als  jene,  welche  dem 
neuen  Regime  die  ersten  Erfolge  brachte  und  die  Basis  für  seine  Stellung 
im  Inneren  bilden  konnte. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  man  in  deutschen  Kreisen  mit  der 
neuesten   Wendung   in  der  türkischen   Politik   sehr  zufrieden   ist   und 

30 


speziell  das  Zurückweichen  des  englischen  und  französischen  Einflusses 
mit  größter  Genugtuung  empfindet.  Baron  Marschall,  der  sich  in  Kon- 
stantinopel bereits  recht  unbehaglich  fühlte  und  bei  seiner  Abreise  im 
JuH  nicht  wußte,  ob  er  wiederkehren  werde,  ist  jetzt  wieder  voll  Hoffnung 
und  hat  alle  seine  Gedanken  an  einen  Abschied  vom  Bosporus  wieder 
zurückgestellt.  Trotz  aller  Befriedigung  jedoch  verhehlt  man  sich  —  wie 
ich  aus  bester  Quelle  erfahre  —  nicht,  daß  der  Umschwung  etwas  zu 
plötzhch  und  zu  früh  gekommen  ist  und  für  die  hiezu  noch  nicht  hin- 
länglich vorbereitete  Türkei  manche  Gefahren  im  Gefolge  haben  könnte. 
Major  von  Strempel  sagte  mir  ausdrücklich,  daß  das  Scheitern  der 
türkisch-französischen  Anleiheverhandlungen  der  deutschen  Diplomatie 
höchst  unerwünscht  wäre,  daß  man  durchaus  nicht  darauf  spekuliere,  die 
Anleihe  in  Deutschland  unterzubringen  und  daß  die  deutschen  Anbote 
nur  den  Zweck  haben,  der  Türkei  das  Rückgrat  zu  stärken  und  sie  in 
den  Stand  zu  setzen,  die  französischen  Bedingungen  nach  Möglichkeit 
herabzudrücken. 

So  weit  ich  übrigens  die  Lage  zu  beurteilen  imstande  bin,  scheint  mir 
die  Eventualität,  daß  die  Türkei  schon  jetzt  die  Absicht  haben  könnte, 
sich  offen  an  den  Dreibund  anzuschließen,  nicht  sehr  wahrscheinlich  zu 
sein.  Wenn  auch  der  politisch  denkende  Teil  der  türkischen  Bevölkerung 
über  den  wahren  Charakter  der  englisch -französischen  Freundschaft  nun- 
mehr ganz  aufgeklärt  und  das  bisherige  blinde  Vertrauen  unwieder- 
bringlich verschwunden  sein  dürfte,  so  ist  doch  nicht  anzunehmen,  daß 
die  Pforte  sich  schon  jetzt  für  eine  der  Mächtegruppierungen  in  dezidierter 
Weise  entscheiden  könnte.  Die  türkische  Politik  wird  seit  jeher  haupt- 
sächlich durch  die  Furcht  vor  England  und  Rußland  beein- 
flußt und  man  ist  nach  meiner  unmaßgebhchen  Meinung  noch  lange 
nicht  an  dem  Punkte  angelangt,  sich  von  diesem  Angstgefühl  zu 
emanzipieren  und  eine  unabhängige  Interessenpolitik  zu  beginnen.  Es 
dürfte  daher,  besonders  wenn  die  französische  Anleihe  doch  zustande 
kommt  und  kein  unvorhergesehener  Zwischenfall  eintritt,  das  türkische 
Staatsschiff  in  nächster  Zeit,  wenn  auch  mit  mehr  Vorsicht,  so  doch 
wieder  ins  englisch-französische  Fahrwasser  einlenken,  wobei  sich  aller- 
dings der  deutsche  Gegenwind  stärker  geltend  machen  wird  als  bisher. 

Was  nun  unser  Verhältnis  zur  Türkei  anbetrifft,  so  dürften  nunmehr 
so  ziemlich  alle  maßgebenden  Kreise  von  der  Aufrichtigkeit  und  Uneigen- 
nützigkeit  unserer  Politik  überzeugt  sein.  Wie  aber  trotz  der  Verstimmung 
gegen  die  Tripleentente  und  dem  Ankauf  der  Schiffe  „Brandenburg"  und 
„Kurfürst"  die  Sympathien  in  der  Türkei  für  das  spezifisch  DeutscTie 
nicht  gestiegen  sind,  so  glaube  ich  auch  nicht,  daß  man  die  Annexion 
in  den  letzten  zwei  Monaten  vergessen  und  verwunden  hat  und  daß 

31 


dieses  störende  Moment  aus  der  türkischen  Politik  uns  gegenüber  nun- 
mehr gänzHch  ausgeschaltet  ist.  Unter  den  militärisch  maßgebenden 
Persönlichkeiten  halte  ich  zwar  den  Chef  des  Generalstabes  Izzet  Pascha 
für  verläßlich  dreibundfreundlich  und  auch  uns  gegenüber  so  ziemlich 
frei  von  Mißtrauen  und  Annexionsranküne.  Bei  Gelegenheit  meiner 
Abschiedsbesuche  vor  Antritt  meines  Urlaubes  (Ende  JuU)  wurde  ich 
im  Generalstabe  nicht  allein  mit  gewohnter  Höflichkeit,  sondern  das 
erste  Mal  in  sichtlich  herzlicher,  auszeichnender  Weise  empfangen.  Izzet 
Pascha  dankte  für  die  große  Unterstützung,  welche  Oberstleutnant  Ismail 
Hakki  Bey  in  Wien  findet  und  ließ  sich  in  ein  politisches  Gespräch  ein,  in 
welchem  er  allerdings  außer  Betonung  der  Gemeinsamkeit  der  Interessen 
zwischen  unseren  beiden  Staaten  wenig  Bemerkenswertes  produzierte. 

Es  ist  auch  ganz  zweifellos,  daß  der  Kriegsminister  General  Mahmud 
Schefket  über  die  politische  Bedeutung  und  Stellung  Deutschlands  und 
Österreich-Ungarns  zum  Ottomanischen  Reiche  sich  vollkommen  klar  ist. 
Er  würdigt  auch  rückhaltlos  den  Wert  der  deutschen  Reformtätigkeit  in 
der  türkischen  Armee  und  ist  ein  aufrichtiger  Bewunderer  der  deutschen 
Heereseinrichtungen.  Trotzdem  muß  es  sehr  befremden,  daß  er  es  über 
sich  brachte,  im  vergangenen  Winter  Komparatiwersuche  mit  Gebirgs- 
geschützen  vorzunehmen,  bei  welchen  Krupp  gegen  Creuzot  unterlag 
und  daß  demnächst  wieder  analoge  Proben  mit  Feldgeschützen  stattfinden 
sollen.  Es  ist  allerdings  bekannt,  daß  Frankreich  speziell  auf  die  Lieferung 
von  Kriegsmaterial  an  die  Türkei  größten  Wert  legt  und  die  jung- 
türkischen Machthaber  in  dieser  Beziehung  einen  starken  Druck  auf  das 
Kriegsministerium  ausübten.  Doch  kann  auch  nicht  vergessen  werden, 
daß  der  despotisch  veranlagte  Mahmud  Schefket  Pascha  in  weit  weniger 
wichtigen  Fällen  den  Forderungen  des  Komitees  ein  absolutes  Noli  me 
tangere  entgegenzusetzen  gewußt,  in  der  Deutschland  so  nahegehenden 
Geschützfrage  aber  ohne  Kampf  nachgegeben  hat.  Daß  unsere  Industrie- 
erzeugnisse, selbst  wenn  sie  sich  bei  Komparatiwersuchen  als  die  besten 
erwiesen  haben,  im  Kriegsministerium  nicht  durchdringen  und  daß  sich 
speziell  Mahmud  Schefket  Pascha  durch  recht  oberflächliche  Argumente 
von  der  Überlegenheit  englischer,  französischer  und  deutscher  Artikel 
überzeugen  läßt,  habe  ich  bei  der  letzten  Lastautomobilkonkurrenz 
erneuert  Gelegenheit  gehabt  zu  konstatieren.  Charakteristisch  ist  auch, 
daß  der  Kriegsminister  bei  meinem  Besuche  nach  meiner  Rückkehr  vom 
Urlaube  über  den  Kurs  für  türkische  Offiziere  an  unserer  Armeeschieß- 
schule kein  Wort  erwähnte,  geschweige  denn  einen  Dank  aussprach. 
Vielleicht  hat  er  daran  vergessen,  aber  auch  dies  ist  nicht  ohne  Bedeutung. 

Resümiert  man  alles,  was  bei  Beurteilung  der  gegenwärtigen  poli- 
tischen Situation  der  Türkei  in  Betracht  kommt,  so  kann  man  sagen,  daß 

32 


ein  gewisser  Umschwung  in  den  Anschauungen  der  leitenden  Kreise, 
sowie  in  dem  Verhältnisse  der  Pforte  zu  den  Mächten  der  Tripleentente 
zugunsten  Deutschlands  und  unserer  Monarchie  zweifellos  konstatiert 
werden  muß.  Diese  Wandlung  ist  aber  einerseits  mit  Rücksicht  auf  die 
innerpolitische  Lage  des  Reiches  noch  zu  früh  eingetreten,  um  als  definitiv 
angesehen  werden  zu  können,  anderseits  kam  sie  zu  plötzlich,  um  imstande 
gewesen  zu  sein,  schon  jetzt  in  weitere  Kreise  einzudringen.  Die  Türkei 
ist  bezüglich  Entwicklung  ihrer  Kräfte  trotz  allen  inneren  Schwierigkeiten 
momentan  in  aufsteigender  Bewegung  begriffen.  Speziell  die  Armee  hat 
in  Albanien  und  letzthin  im  Hauran  ihren  inneren  Wert  erwiesen  und 
dürfte  sich  in  zwei  bis  drei  Jahren  zu  einem  Faktor  ausgestalten,  mit 
welchem  bei  jeder  kriegerischen  Verwicklung  ernstlich  wird  gerechnet 
werden  müssen.  Das  Ottomanische  Reich  wird  infolgedessen  in  den 
nächsten  Jahren  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  an  internationaler 
Bedeutung  wesentlich  zunehmen. 

Daß  es  nun  für  den  Dreibund  und  besonders  für  uns  äußerst  wichtig 
ist,  die  Entwicklung  des  Ottomanischen  Reiches,  dessen  Interessen  mit  den 
unsrigen  parallel  laufen,  nach  Kräften  zu  fördern,  dann,  daß  unsere 
PoUtik  nun  noch  mehr  als  bisher  dahin  gerichtet  sein  muß,  die  Türkei 
definitiv  an  unsere  Seite  zu  bringen,  kann  keinem  Zweifel  unterUegen.  Mit 
Rücksicht  auf  immerhm  mögliche  Rückschläge  in  der  äußeren  Politik  der 
Türkei  und  auf  den  bekannten  Charakter  der  Osmanen  und  ihre  Eigen- 
tümlichkeiten scheint  es  mir  jedoch,  wie  bisher,  auch  weiterhin  angezeigt, 
in  unseren  Beziehungen  zur  Türkei  eine  gewisse  Vorsicht  und  Reserve 
nicht  außer  acht  zu  lassen.  Meine  diesbezüglichen  Ausführungen  im 
Berichte  Res.  Nr.  42  vom  1.  Feber  1910  scheinen  mir  auch  heute,  trotz 
der  teilweise  veränderten  Lage,  an  Aktualität  nicht  verloren  zu  haben. 

Genehmigen  Euer  Exzellenz  den  Ausdruck  meiner  tiefsten  Ehrfurcht. 

Pomiankowski,  Oberst." 

England.  Am  6.  Mai  1910  starb  König  Eduard  VII.,  sein  Werk 
aber  blieb  und  wirkte  fort.  Deutschlands  Entwicklung  scheel  verfolgend, 
stellte  England  vor  allem  seine  außereuropäischen  Interessen  sicher.  In 
Indien,  das  nach  außen  der  Vertrag  mit  Japan  (1907)  schützte,  wo  es 
jedoch  im  Innern  gärte,  wurde  im  Juni  1910  Harding  zum  Vizekönig 
ernannt.  Die  afghanische  Frage  war  zu  Gunsten  Englands  geregelt;  in 
Persien,  durch  Androhung  einer  Besetzung  Südpersiens,  die  Ruhe  her- 
gestellt; mit  Rußland  waren  die  Interessensphären  in  Persien  abgegrenzt; 
die  Burenfrage  war  erledigt.  In  Europa  noch  in  der  Kretafrage  engagiert, 
hatte  England  mit  den  anderen  Schutzmächten  (Rußland,  Frankreich, 

3,  Conrad  II  OO 


Italien)  zu  Gunsten  der  Mohammedaner  eingegriffen  und  die  Unab- 
hängigkeitsbestrebungen der  Kretenser,  sowie  die  Aspirationen  Griechen- 
lands auf  Angliederung  Kretas  eingedämmt.  Im  Innern  aber  war,  wie 
stets,  Irland  sein  wunder  Punkt. 

Frankreich.  In  Frankreich  blieb  auch  1910  der  feindliche 
Kurs  gegen  Deutschland  der  Grundton  der  äußeren  Politik.  Damit  im 
Zusammenhang  gewährte  es  Rußland  die  weitestgehende  finanzielle  Hilfe 
zu  kriegerischen  Zwecken  und  unterstützte  Serbien  durch  Lieferung  von 
Geschützen  und  sonstigem  Kriegsmaterial.  Frankreichs  Haltung  gegen 
Österreich-Ungarn  war  durch  das  Allianzverhältnis  der  Monarchie  zu 
Deutschland  gegeben. 

Schweiz.  Mein  Bemühen,  mit  den  maßgebenden  militärischen 
Kreisen  der  Schweiz  in  freundschaftlicher  Fühlung  zu  bleiben,  setzte  ich 
auch  im  Jahre  1910  fort.  Einerseits  waren  es  die  schon  erwähnten,  aus 
der  nachbarlichen  Lage  entspringenden  militärischen  Gründe,  die  mich 
dazu  veranlaßten,  andererseits  war  es  das  Interesse  an  einer  Wehrmacht, 
die  das  MiUzsystem  hoch  entwickelt  hatte,  also  als  Maßstab  dafür  gelten 
konnte,  ob  und  unter  welchen  Bedingungen  dieses  System  auch  ander- 
wärts möglich  oder  rätlich  sei.  Dies  brachte  mich  in  Verkehr  mit  dem 
schweizerischen  Chef  des  Generalstabes  Oberst-Korpskommandanten  von 
Sprecher,  dessen  hervorragende  Persönlichkeit  von  weitestgehendem  Ein- 
fluß auf  die  Wehrmacht  der  Schweiz  war.  Noch  vom  Jahre  1905  her 
kannte  ich  auch  Oberst  Egli,  der  damals  als  uns  allen  lieber  Gast  in 
Tirol  den  Manövern  meiner  Division  beigewohnt  hatte.  Unsere 
Beziehungen  zur  Schweiz  waren  femer  durch  den  k.  u.  k.  Militärattache 
Major  Baron  Berlepsch  vorzüglich  vertreten.  Der  Einladung  zu  unseren 
Manövern  im  Jahre  1910  vermochte  Oberst  von  Sprecher  nicht  nach- 
zukommen, da  er  im  Jahre  1908  den  deutschen,  1909  den  französischen 
Manövern  beigezogen  und  1910  durch  die  Manöver  in  der  Schweiz  selbst 
zurückgehalten  war.  Dagegen  besuchte  er  Mitte  Juni  1910  Wien,  wo 
ich  die  Freude  hatte,  mit  ihm  persönlich  zu  verkehren  und  Gelegenheit 
fand,  mich  über  die  von  ihm  geschaffene  neue  „Truppenordnung" 
(Organisation)  des  Schweizer  Heeres  informieren  zu  lassen. 

Dieser  Zusammenkunft  folgte  meine  Einladung  zu  den  für  die  Zeit 
vom  29.  August  bis  8.  September  1910  anberaumten  Manövern  des 
II.  eidgenössischen  Armeekorps  hn  Jura,  eine  mir  willkommene  Gelegen- 
heit, auch  durch  Augenschein  die  schweizerischen  Heeresverhältnisse 
kennen  zu  lernen.  Über  meine  Teilnahme  an  diesen  Manövern  folgt 
näheres     bei     Anführung     meiner     persönlichen     Verwendungen     im 

34 


Jahre  1910.  Andeuten  möchte  ich  hier  nur,  daß  mir  in  politischer  Hin- 
sicht die  scharfe  Trennung  der  deutschen  und  der  romanischen  Strömung 
in  der  Schweiz  aufgefallen  war,  in  militärischer  Hinsicht  aber  der  über- 
raschende Umstand,  daß  ein  Milizsystem,  wie  jenes  der  Schweiz,  uns 
kostspieliger  gekommen  wäre  als  unser  stehendes  Kaderheer. 

Österreich-Ungarn.  In  der  äußeren  Politik  der  Monarchie 
schien  die  diplomatische  Beilegung  der  Annexionskrise  und  das  Vertrauen 
auf  den  Dreibund  für  die  nächste  Zukunft  ein  gewisses  Gefühl  der  Sicher- 
heit zu  rechtfertigen,  wenn  auch  die  unruhigen  Zustände  in  der  Türkei, 
die  mannigfachen  dortigen  Verwicklungen  und  die  Gefahr  eines  dort 
plötzlich  auflodernden  Brandes  die  BHcke  stets  nach  dieser  Richtung 
lenkten. 

Wie  aus  allen  früheren  Darlegungen  erklärlich,  konnte  ich  das  Gefühl 
der  Sicherheit  nicht  teilen.  Ich  sah  in  der  Scheinlösung  der  Annexions- 
krise die  zukünftige  serbische  Gefahr,  in  dem  konstanten  militärischen 
Erstarken  der  Ententemächte  das  drohende  Unheil  eines  Kampfes  gegen 
erdrückende  Übermacht  und  in  Italien  einen  treulosen  Bundesgenossen, 
der  sich  skrupellos  auf  die  Seite  unserer  Gegner  schlagen  wird. 

EHese  meine  Anschauungen  habe  ich  wiederholt  mündlich  und 
schriftlich,  so  auch  in  meinen  Denkschriften  vertreten  und  daraus  die 
dringende  Notwendigkeit  abgeleitet,  alles  aufzubieten,  um  für  die  Stunde 
der  Entscheidung  wenigstens  militärisch  so  stark  als  möglich  dazustehen. 
Das  Streben  nach  diesem  Ziele  fand  mannigfache  Hindemisse.  Der 
Kampf  gegen  sie  brachte  mich  in  vielseitige  Konflikte,  auch  in  jene,  die 
meiner  Warnung  vor  Italien  entsprangen  und  meinem  Bemühen,  sich 
gegen  diesen  vermeintlichen  AlHierten  vorzusorgen. 

Ganz  besonders  erschwerend  wirkten  die  politischen  Kämpfe  im 
Innern  der  Monarchie,  so  vor  allem  jene,  die  durch  die  Vorgänge  in 
Ungarn  geschaffen  waren. 

Die  Blicke  nur  nach  innen  kehrend  und  aufgehend  im  Hader  der 
Nationalitäten  und  Parteien,  blieb  man  blind  gegen  die  sich  von  außen 
her  auftürmenden  Gefahren  und  blind  gegen  die  Notwendigkeit,  diesen 
Gefahren  durch  eine  starke  Wehrmacht  zu  begegnen. 

Während  zur  Zeit  der  Annexionskrise,  bedingt  durch  die  Lage,  mein 
Verkehr  mit  Graf  Ährenthal  ein  reger  war,  beschränkte  er  sich  im 
Jahre  1910  auf  seltenere  Besprechungen.  In  einer  solchen  am  18.  April 
1910  kam  nach  Erledigung  der  Bitte  Rumäniens  um  Daten  über  Rußland 
die  gesamte  äußere  Lage  zur  Sprache,  dann  jeder  Kriegsfall,  in  den  die 
Monarchie  möglicherweise  geraten  könnte.  Meinem  Bemerken,  daß  ein 
kriegerischer  Ausgleich  unseres  Konfliktes  mit  Serbien  klare  Verhältnisse 

3*  35 


geschaffen  hätte,  setzte  Graf  Ährenthal  die  Memung  entgegen,  daß  er 
auf  friedhche  AngUederung  Serbiens  und  Montenegros  hoffe.  Er  erörterte 
das  Verhältnis  zwischen  Japan  und  Rußland,  Japan  und  Amerika,  Japan, 
Rußland  und  England  gegenüber  Amerika,  ferner  das  Verhältnis  zwischen 
Deutschland  und  England,  endlich  die  Rolle  der  Türkei. 

Als  Resume  ergab  sich  die  Forderung,  daß  —  nachdem  für  die 
Marine  300  Millionen  bewilligt  waren  —  endlich  mit  allen  Mitteln  auch 
die  Landmacht  ausgestaltet  werden  müsse,  damit  wir  1Q13  hinreichend 
stark  seien,  um  unsere  PoUtik  zu  stützen.  Als  notwendig  bezeichnete  ich 
einen  außerordentlichen  Kredit  von  480  Millionen  Kronen  und  die 
Erhöhung  der  Rekrutenzahl  im  Wege  des  neuen  Wehrgesetzes.  All  dies 
aber  sofort,  weil  sich  organisatorische  Maßnahmen  nicht  über  Nacht 
schaffen  ließen. 

Wieder  lenkte  ich  die  Aufmerksamkeit  Graf  Ährenthals  auf  die  ziel- 
bewußte Arbeit  Italiens,  als  deren  Ziel  ein  Krieg  gegen  die  Monarchie 
unverkennbar  war,  auch  auf  die  Gefahr,  von  Italien  überholt  zu  werden. 
Ich  bat  ihn,  bei  Seiner  Majestät  den  Ausbau  des  Heeres  zu  vertreten 
und  meine  Forderungen  zu  unterstützen. 

Am  Schlüsse  der  Besprechung  zeigte  mir  Graf  Ährenthal  als 
Kuriosum  ein  Memoire  Metternichs  an  Kaiser  Franz  I.  vom  Jahre  1820, 
das  genau  auf  die  jetzige  Lage  (1910)  stimmte  imd  m  der  Forderung  nach 
Ausbau  der  Wehrmacht  gipfelte. 

Ich  wäre  glücklich  gewesen,  wenn  Graf  Ährenthal  das  Analoge 
getan  hätte,  aber  wie  die  Folgezeit  erwies,  war  dem  nicht  so. 

Daß  ich  in  einer  Audienz  in  Ischl  am  29.  JuH  die  Forderungen  bei 
Seiner  Majestät  vertrat  und  dabei  nicht  nur  auf  Italien,  sondern  auf  das 
seit  seinem  Vertrag  mit  Japan  wieder  gegen  Westen  freigewordene  Ruß- 
land wies,  sowie  daß  ich  in  Audienzen  am  18.  September  und  12.  Novem- 
ber auf  die  schädliche  Nachgiebigkeit  gegenüber  Italien  aufmerksam 
machte  und  mich  gegen  widerrechtliche  Einmengungen  Graf  Ähren- 
thals in  militärische  Maßnahmen  verwahrte,  soll  hier  nur  wiederholt  und 
kurz  angedeutet  werden.  In  der  Audienz  am  12.  November  kam  ich  bei 
Hervorhebung  der  Notwendigkeit  des  Kundschaftsdienstes  auf  die 
schwächliche  Haltung  bei  auswärtigen  Konflikten  zu  sprechen.  So  im 
Falle  Rajakovic,  eines  in  Serbien  aufgegriffenen  k.  u.  k.  Offiziers,  der  Serbien 
gegenüber  im  Stiche  gelassen  wurde,  während  man  bei  uns  ausländischen 
Offizieren  gegenüber  im  analogen  Falle  alle  möghche  Rücksicht  walten 
ließ.  Ich  trat  dem  von  Graf  Ährenthal  bei  Seiner  Majestät  gestellten  Ver- 
langen entgegen,  Offizieren  das  Reisen  im  Ausland  zu  verbieten.  Ich 
bemerkte:  „Wenn  Graf  Ährenthal  bei  Eurer  Majestät  gegen  mich  arbeitet, 
so  muß  ich  mich  dagegen  wehren." 

36 


Ich  erwähne  diese  Details,  weil  sie  Einblick  in  das  knarrende  Räder- 
werk bieten  und  zeigen,  wie  sich  allmählich  die  Gegensätze  zuspitzten, 
die  schließlich  zum  offenen  Konflikte  führten. 

Als  Resume  der  äußeren  Lage  im  Jahre  1910  ergab  sich: 

Äußerlich  korrekte  Beziehungen  mit  allen  Staaten ;  bundes- 
treues Gebaren  der  Verbündeten  —  tatsächlich  aber  unverkennbares 
Abschwenken  eines  der  Alliierten  (Italien)  —  gärende  Keime  für 
kommende  schwere  Komplikationen;  engeres  Zusammenschließen  der 
Deutschland  und  Österreich-Ungarn  feindlichen  Mächte  zu  einer  über- 
starken Koalition  bei  eifrig  betriebener,  aber  noch  nicht  durch- 
wegs vollzogener  Ausgestaltung  ihrer  militärischen  Kräfte. 

Innere  Lage.  Unbekümmert  um  die  sichtlich  immer  mehr  und 
mehr  von  außen  drohenden  Gefahren  oder  blind  gegen  sie,  standen  sich 
im  Innern  Parteien,  Nationen,  Fraktionen,  Koferien  etc.  im  ununter- 
brochenen Hader  gegenüber,  der  die  Einzelinteressen  über  alles  stellte 
und  die  dringende  Sorge  für  die  gemeinsame  Not  in  den  Hintergrund 
drängte. 

Für  die  gemeinsame  Wehrmacht  hatte  man  daher  nicht  viel  übrig; 
den  einen  war  sie  aus  nationalen,  den  anderen  aus  sozialen,  den  dritten 
aus  wirtschaftlichen  Gründen  unbequem  oder  nicht  sympathisch,  Sie 
wurde  vielfach  nur  als  überkommenes  notwendiges  Übel  empfunden  und 
gern  als  der  „Moloch"  bezeichnet,  der,  ohne  selbst  produktiv  zu  sein, 
an  den  Staatsmitteln  zehre.  Daß  die  Mittel  für  eine  starke,  wohlausge- 
rüstete Wehrmacht  das  bestangelegte  Kapital  sind,  dafür  war  nicht  jenes 
Verständnis  vorhanden,  wie  beispielsweise  in  Frankreich. 

Auch  ein  großer  Teil  der  Presse  folgte  dieser  Richtung,  nicht  nur 
armeefeindliche  Hetzblätter,  sondern  auch  ernste  Journale.  So  feierte  die 
„Neue  Freie  Presse"  in  einem  Artikel  vom  17.  September  1910  den  Finanz- 
minister, weil  er  das  ohnehin  auf  das  dürftigste  zusammengestrichene 
Heeresbudget  noch  weiter  restringierte. 

In  Ungarn  stand,  außer  den  finanziellen  Motiven,  auch  das  Streben 
nach  Schaffung  einer  rein  ungarischen  Armee  allen  Forderungen 
für  das  gemeinsame  Heer  hemmend  entgegen. 

Die  ungarische,  die  kroatische,  die  böhmische,  die  slovenische,  die 
italienische,  die  polnisch-ruthenische,  endlich  die  bosnische  Frage  kamen 
nicht  zur  Ruhe,  daneben  nahm  das  sozialdemokratische  Problem  an 
Bedeutung  zu. 

Die  Ausgleichsversuche  zwischen  den  Deutschen  und  den  Tschechen 
waren  gescheitert;  der  Statthalter  Franz  Graf  Thun,  der  mir  in  Grado 
gelegentlich   gleichzeitigen   Kuraufenthaltes  im   Juni    1910   mit  großen 

37 


Hoffnungen  sein  Ausgleichsprogramm  entwickelt  hatte,  war  damit  nicht 
durchgedrungen.  „Deutscher  Nationalverband"  und  „Slawische  Ver- 
einigung" blieben  sich  schroff  gegenüber. 

In  Ungarn  standen  nach  wie  vor  die  auf  das  selbständige  ungarische 
Heer  abzielenden  Konzessionen,  das  Verlangen  nach  Banktrennung,  dann 
die  Wahlreform  im  Vordergrund. 

Nach  resultatlosen  Verhandlungen  in  allen  diesen  Belangen  war  im 
Jänner  1910  die  Ernennung  Graf  Khuen-Hedervärys  zum  ungarischen 
Ministerpräsidenten  erfolgt,  der,  gestützt  auf  die  von  ihm  ins  Leben 
gerufene  „Arbeitspartei",  vor  allem  die  Wehrvorlage  durchbringen  sollte. 
Aber  dem  demokratischen  Wahlrecht,  bei  dessen  Annahme  man  eine 
kulantere  Behandlung  der  Heeresfrage  erwartete,  widerstrebte  die  Mehr- 
heit der  führenden  Parteien.  Auf  anderem  Wege  kam  man  gleichfalls 
nicht  zum  Ziele.  Dagegen  gelang  es  der  ungarischen  Regierung,  sich 
eine  Anleihe  von  560  MiUionen  Kronen  zu  verschaffen,  die  nach  Frank- 
reichs abschlägigem  Bescheid  von  Deutschland  gegeben  wurde.  Auch 
ein  Symptom  für  Frankreichs  Stimmung  gegenüber  Österreich -Ungarn. 

Ganz  besonders  scharf  spitzten  sich  die  Dinge  in  Kroatien  zu,  wo 
auch  noch  die  Fiumaner-Frage  mitsprach,  dann  jene  in  Bosnien- 
Herzegowina. 

Ich  verfolgte  alle  diese  Vorgänge,  kümmerte  mich  aber  nur  insoweit 
darum,  als  sie  militärische  Verhältnisse  berührten. 

Am  10.  Juni  1910  besuchte  mich  Graf  Stürgkh  im  Auftrage  des 
Ministerpräsidenten,  um  meine  Anschauungen  hinsichtlich  Gewährung 
einer  italienischen  Universität,  als  deren  Sitz  die  Italiener  Triest  ver- 
langten, einzuholen.  Ich  präzisierte  meine  Ansicht  dahin,  daß  insolange 
die  irredentistischen  italienischen  Machinationen  andauern,  alles  vermie- 
den werden  müsse,  was  sie  fördert.  Eine  italienische  Universität  oder 
Fakultät  in  einem  itaUenischen  Sprachgebiet  wäre  eine  solche  Förderung. 
Es  sei  ein  Kinderglaube,  zu  meinen,  daß  die  Italiener  diurch  ein  solches 
Zugeständnis  von  ihren  großen  pohtischen  Aspirationen  abgehalten 
würden.  Wenn  überhaupt,  sei  eine  italienische  Universität  nur  in  einer 
politisch  indifferenten  Stadt,  etwa  Wien  oder  Graz,  zulässig.  Ich  fügte 
bei,  daß  die  Regierung  endhch  auch  im  Parlament  die  Dinge  beim  wahren 
Namen  nennen  und  erklären  solle,  daß,  insolange  die  irredentistische 
Agitation  besteht,  an  die  Errichtung  einer  italienischen  Universität,  die 
nur  eine  Pflegestätte  dieser  Agitation  wäre,  nicht  zu  denken  sei.  Endlich 
äußerte  ich  Graf  Stürgkh  gegenüber,  daß  an  Italiens  Bundestreue  nicht 
zu  glauben  sei,  daß  es  sich  zum  Krieg  gegen  uns  vorbereitet  und  erst 
nach  dessen  Austrag  die  Universitätsfrage  diskutabel  wäre. 

38 


Mit  ganz  besonderer  Besorgnis  sah  der  Thronfolger  Erzherzog 
Franz  Ferdinand  die  innere  Lage  an.  Er  gab  dem  in  einer  Besprechung 
Ausdruck,  die  ich  im  Belvedere  am  23.  November  1910  mit  ihm  hatte. 
Er  verlangte  mit  Bezug  auf  innere  Konflikte  eine  völlig  exterritoriale 
Dislozierung  der  Truppen. 

Seine  kaiserUche  Hoheit  sagte:  „Schauen  Sie  nach  Portugal!*)  Die 
Armee  ist  die  Stütze  des  Thrones,  man  muß  die  Regimenter  durchein- 
ander mengen,  Böhmen  nach  Ungarn,  Ungarn  in  deutsche  Garnisonen 
und  so  weiter." 

Ich  bemerkte,  daß  dies  nur  im  begrenzten  Maße  möglich  sei,  weil 
ansonst  Mobilisierung  und  Aufmarsch  im  Kriegsfalle  ganz  bedeutend 
geschädigt  werden  würden.  Ich  müsse  mich  gegen  eine  weitgehende  Ver- 
mengung aussprechen.  Man  könne  übrigens  im  Hinblick  auf  inner- 
pohtische  nationale  oder  soziale  Konflikte  wenigstens  bisher  der  Truppe 
sicher  sein. 

Auf  die  Erwiderung  des  Erzherzogs:  „Äußere  Kriege  werden  wir 
nicht  mehr  haben",  gab  ich  meiner  gegenteiligen  Ansicht  Ausdruck  und 
wies  auf  die  der  Monarchie  von  allen  Seiten  drohenden  Gefahren  und  auf 
die  Notwendigkeit  hin,  sich  vor  allem  gegen  diese  vorzusehen. 

Bosnien-Herzegowina.  Da  ich  nach  dem  Verlauf  der 
Annexionskrise  gewärtig  war,  daß  die  nächsten  äußeren  Verwicklungen 
der  Monarchie  auf  dem  Balkan  eintreten  und  von  Serbien  herrühren 
würden,  mit  dem  keine  klare  Lage  geschaffen  war,  wandte  ich  den  Vor- 
gängen in  B.  H.  meine  besondere  Aufmerksamkeit  zu. 

Der  momentane  diplomatische  Erfolg  gegenüber  Serbien,  das  sich 
äußerlich  als  nachgiebig  hinzustellen  verstand,  blieb  nicht  ohne  Rück- 
wirkung auf  die  Serben  Bosniens  und  der  Herzegowina.  Er  löste  bei 
diesen  eine  analoge  Haltung  aus.  Sie  hatten  sich  auf  den  opportunisti- 
schen Standpunkt  gestellt,  mit  der  Regierung  auskommen  zu  wollen  und 
in  dem  gewährten  Landtag  als  stärkste  Partei  ihre  Interessen  zu  vertreten. 
Dieser  scheinbare  Umschwung,  der  ja  bei  einem  Teil  der  serbischen 
Bevölkerung  auch  aufrichtig  gewesen  sein  mochte,  den  Tendenzen  der 
Mehrzahl  und  deren  Führer  aber  nicht  entsprach,  ließ  mancherseits  die 


*)  In  Lissabon  waren  am  1.  Feber  1908  der  König  und  der  Kron- 
prinz bei  einer  Wagenfahrt  von  republikanischen  Verschwörern 
erschossen,  der  dem  König  in  der  Regienmg  folgende  zweite  Sohn  Manuel 
durch  eine  Militärempörung  am  4.  Oktober  1910  vertrieben  und  die 
Repubhk  ausgerufen  worden. 

39 


Idee  aufkommen,  mit  Hilfe  der  Serben  die  bosnische  Frage  in  geregelte 
Bahnen  zu  bringen. 

Die  Anhänger  dieser  Idee  argumentierten  dahin,  daß  die  Kroaten 
numerisch  und  politisch  zu  schwach,  die  Mohammedaner  gleichfalls  zu 
schwach,  dabei  politisch  zu  rückständig  seien,  überdies  auf  starr 
konfessionellem  Standpunkt  ständen,  die  Serben  hingegen  nicht  niu:  an 
Zahl,  sondern  auch  an  Intelligenz  imd  politischer  Tüchtigkeit  die  beiden 
anderen  überragen,  weshalb  man  sie  heranziehen  und  die  Regierung  auf 
sie  stützen  müsse. 

Abgesehen  davon,  daß  durch  eine  solche  Zurücksetzung  des  katho- 
lischen kroatischen  Elementes  auf  Kosten  des  griechisch-orthodoxen 
Serbentums  die  Lage  auch  in  Kroatien  noch  mehr  kompliziert,  der  dortige 
Konflikt  noch  mehr  verschärft  worden  wäre,  hätte  es  geheißen  „den  Bock 
zum  Gärtner  machen",  wenn  man  die  national  und  konfessionell  nach 
Serbien  gravitierenden,  von  dort  aus  inspirierten  und  die  Bildung  des 
selbständigen  großserbischen  Staates  erwartenden  bosnischen 
Serben  zur  führenden  Partei  im  Landtage  gemacht  hätte.  Mit  diesem 
Bedenken  mußte  seitens  jedweder  realen  Polit^  gerechnet  werden. 

Daß  sich  in  manchen  kulturellen  und  nationalökonomischen  Fragen, 
wie  beispielsweise  der  Kmeten- Ablösung*),  Serben  und  Kroaten  finden 
würden,  änderte  nichts  an  obigem  Bedenken. 

Ein  die  Lage  im  Annexionsgebiet  schilderndes  offizielles  Memoire 
vom  März  1910,  das  im  allgemeinen  auf  den  versöhnlichen  Ton  in  B.  H. 
gestimmt  ist,  enthält  folgende  bemerkenswerte  Stellen: 

„Was  das  Verhalten  der  Serben  der  Regierung  vis-ä-vis  anbelangt, 
so  ist  diesbezüglich  seit  der  Annexion  zweifellos  ein  erfreulicher 
Umschwung  zum  Bessern  eingetreten.  Die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Serben  hat,  wenigstens  äußerlich,  den  intransigenten  Standpunkt  auf- 
gegeben und  befleißigt  sich  einer  opportunistischen  Haltung.  Ob  sie 
aber  endgültig  auf  die  Ideale,  welche  ihnen  bis  vor  km-zem  vorgeschwebt, 
Verzicht  geleistet,  beziehungsweise  die  großserbischen  Tendenzen  auf- 
gegeben haben,  wäre  sehr  zu  bezweifeln.  Ein  bosnisches  Sprichwort  sagt; 
„Vuk  dlaku  mjenja,  ali  cud  nikad".  (Der  Wolf  wechselt  das  Haar,  die 
Natur  jedoch  nie!)    Es  dürfte  hier  passende  Anwendung  finden." 


•)  Ablösung  eines  Teiles  des  meist  in  Händen  der  mohammedani- 
schen Adligen  (Begs)  befindlichen  Grundbesitzes,  zwecks  Überlassung 
an  die  ihn  bisher  im  Abhängigkeitsverhältnis  bebauenden,  zu  Natural- 
abgaben an  den  Beg  verpflichteten  Kmeten  (Bauern,  Pächter). 

40 


Die  Mohammedaner  waren  in  zwei  Parteien  gespalten:  die  rein 
religiöse  Partei  „Samostalna  muslimanska  strana",  in  der  auch  die 
Adhemaja-Paitei  aufgegangen  war,  nachdem  sie  ihr  bisheriges  kroatisch- 
nationales Programm  aufgegeben  hatte,  und  die  serbophile  Partei  „Musli- 
manska narodna  organisacia".   Von  letzterer  sagt  das  Memoire: 

„Die  jMuslimanska  narodna  organisacia*  (Firdusi-Partei),  deren 
Spiritus  rector  Serif  Arnautovic,  ein  geriebenes,  höchst  malpropres  Subjekt, 
ist,  hatte  es  bisher  verstanden,  wenn  auch  mit  Terror  und  durch  falsche 
Vorspiegelungen,  die  Masse  der  islamitischen  Bevölkerung  zu  beherrschen 
und  stand  mit  den  radikalen  Serben  in  inniger  Fühlung.  Die  Führer  der 
genannten  Partei  konnten  sich  bis  vor  Kurzem  mit  der  durch  die  Annexion 
geschaffenen  Tatsache  nicht  befreunden  und  blickten  immer  nach  Kon- 
stantinopel, von  wo  sie,  wenn  auch  nicht  momentan,  so  doch  für  die 
Zukunft  die  Verwirklichung  ihrer  Pläne  erhofften.  Den  radikalen  Serben 
hingegen  schwebte  noch  immer  ein  Großserbien  vor,  beziehungsweise 
geben  sie  sich,  präziser  gesagt,  der  Hoffnung  hin,  daß  die  gegenwärtige 
staatsrechtliche  Stellung  Bosniens  und  der  Herzegowina  noch  keine  end- 
gültige sei  und  erwarten  gelegentlich  größerer  europäischer  Verwicklun- 
gen mit  Hilfe  Serbiens  eine  Änderung  der  politischen  Verhältnisse  m  ihrem 
Sinne  und  sohin  den  angestrebten  Anschluß  an  Serbien.  Diese  utopischen 
Ziele  einerseits,  die  Unzufriedenheit  mit  der  Wendung,  die  die  Dinge 
genommen  haben,  andrerseits,  bewirkten  die  sonst  unnatürliche  serbo- 
islamitische  Alhanz,  wobei  auch  der  serbische  Dinar,  mit  welchem  einige 
moslemische  Führer  von  Belgrad  aus  gespickt  wurden,  eine  nicht 
unwesentliche  Rolle  spielte." 

Als  die  serbische  Jeftanovic-Partei  nach  der  Annexionskrise  auf  den 
opportunistischen  Standpunkt  gegenüber  der  Regierung  umschwenkte, 
sah  sich  die  moslemische  Firdusi-Partei  veranlaßt,  das  gleiche  zu  tun  und 
ihren  serbophilen  Standpunkt  gegen  den  rein  religiösen  zu  vertauschen, 
damit  sie  in  der  Folge  bei  der  Regierung  Schutz  gegen  Maßnahmen  finde, 
welche,  wie  die  Kmeten-Ablösung,  muselmanische   Interessen   berührten. 

Die  —  weit  überwiegend  katholischen  —  Kroaten  waren  in  den 
Agrarfragen  wohl  mit  den  Serben  einig,  politisch  aber  standen  sie  diesen 
scharf  gegenüber.  Numerisch  in  der  Hinterhand,  waren  sie  überdies  in 
zwei  Parteien  gespalten,  jene  des  Sarajevoer  Erzbischofs  Stadler,  dem  für 
die  Kroaten  Religion  und  Nationalität  untrennbar  galten,  und  jene  des 
Doktor  Mandic,  der  die  Vereinigung  B.  Hs.  mit  Kroatien  auf  dem  Wege  der 
Annäherung  der  anderen  Konfessionen  anstrebte.  Eine  Idee,  bezüglich 
welcher  das  Memoire  bemerkt:  „Derzeit  fehlen  aber  alle  Vorbedingungen 
für  die  ReaUsierung  des  hier  in  Frage  stehenden  Prinzipes,  da  abgesehen 

41 


von  den  Kroaten,  die  an  und  für  sich  im  Lande  in  der  Minorität  sind, 
alle  anderen,  im  vorstehenden  namhaft  gemachten  Parteigruppen  einer 
solchen  Idee  schroff  gegenüberstehen." 

Aber  kaum  stand  durch  die  Gewährung  des  Landtages  eine  freiheit- 
liche Verfassung  in  Aussicht,  als  auch  schon  Unzufriedenheiten  und 
Forderungen  laut  wurden. 

Zunächst  klagten  die  Serben,  daß  sie  mit  ihren  fünf  Virilstimmen 
gegen  sieben  der  Katholiken  im  Nachteil  seien,  obgleich  sie  die  numerische 
Majorität  im  Lande  repräsentierten.  Sie  remonstrierten  dagegen,  daß  der 
Präsident  des  Landtages  ernannt  und  nicht  gewählt  werde  und  dagegen, 
daß  die  drei  Konfessionen  im  Präsidium  wechseln,  während  sie  dieses 
Privileg  als  stärkste  Bevölkerungsgruppe  für  sich  allein  beanspruchten. 
Aber  auch  die  anderen  Wortführer,  ohne  Unterschied  des  Glaubens, 
waren  mit  dem  Wirkungskreis  des  Landtages  unzufrieden.  Sie  beschwer- 
ten sich,  daß  der  Landtag  auf  die  gemeinsamen  Angelegenheiten  der 
Monarchie,  auf  das  Zoll-  und  Militärwesen,  auf  die  Bahnen  keine  Ingerenz 
habe  und  sein  legislatives  Wirken  an  die  Zustimmung  der  österreichischen 
und  der  ungarischen  Regierung  gebunden  sei. 

Nicht  nur  gegenüber  den  politischen  Vorgängen,  welche  die  Keime 
künftiger  Verwicklungen  bargen,  sondern  auch  gegenüber  den  Einwürfen 
hinsichtlich  des  Militär-  und  des  Bahnwesens  hieß  es  die  Augen  offen 
halten,  um  nicht  diese  wichtigen  Zweige  in  die  Hände  einer  Partei 
gelangen  zu  lassen,  deren  Loyalität  zum  mindesten  fraglich  war. 

Dies  veranlaßte  mich,  die  Vorgänge  in  B.  H.  auch  bei  Seiner  Majestät 
zur  Sprache  zu  bringen,  wenn  ich  es  aus  militärischen  Rücksichten  für 
notwendig  erachtete. 

So  vertrat  ich  in  einer  Audienz  am  18.  März  1910  erneuert  die  schon 
1907  erbetene  Änderung  der  Stellung  des  zu  einer  Schattenfigur  herab- 
gedrückten Landeschefs  in  B.  H.*),  im  Sinne  einer  Erweiterung  seiner 
Befugnisse,  auch  gegenüber  dem  ihm  beigegebenen  Ziviladlatus.  Als  nach 
Rücktritt  Baron  Benkos  die  Neubesetzung  letzteren  Postens  einzutreten 
hatte,    kamen    als    Nachfolger    der    jahrelang    hervorragend    bewährte 


*)  Landeschef  war  ein  hoher  General,  der  auch  das  militärische 
Kommando  führte;  ihm  für  die  Zivilverwaltung  beigegeben  war  ein  Zivil- 
adlatus, ohne  dessen  Zustimmung  er  nichts  verfügen  durfte.  Der  Zivil- 
adlatus erhielt  seine  Weisungen  vom  gemeinsamen  Finanzminister  (in 
Wien),  der  damit  der  eigentliche  Regent  des  Annexionsgebietes  v/ar.  Er 
war  außer  Seiner  Majestät  als  gemeinsamer  Minister  den  Delegationen 
verantwortlich. 

42 


Sektionschef  Shek  (ein  Kroate)  und  der  der  serbophilen  Richtung 
zugeneigte  Baron  Pittner  in  Betracht.  Der  Landeschef  Feldzeugmeister 
von  Varesanin  beantragte  Shek,  der  gemeinsame  Finanzminister  Baron 
Burian  ernannte  jedoch  Baron  Pittner.  Ich  bemerkte  Seiner  Majestät 
gegenüber,  daß  ein  derartiger  Zwiespalt  kaum  ein  gedeihliches  Wirken 
fördern  könne.  Da  die  Widerstände  gegen  militärische  Forderungen  in 
B.  H.,  darunter  auch  die  Bahnbauten,  immer  mit  finanziellen  Ursachen 
begründet  wurden,  hob  ich  Seiner  Majestät  gegenüber  die  kaum  zu  recht- 
fertigenden Auslagen  hervor,  die  dem  Lande  durch  den  enormen 
Verwaltungsapparat  auferlegt  waren.  Ich  bemerkte,  daß  Böhmen  bei 
61/^  MiUionen  Einwohnern  mit  einem  Statthalter,  zwei  Vizepräsidenten, 
vier  Statthaltereihofräten,  einem  Hofrat  als  Landesschulrat,  100  Bezirks- 
ämtern und  zwei  Exposituren  das  Auslangen  finde,  während  das  nur 
1-6  Millionen  Einwohner  zählende  B.  H.  (abgesehen  vom  gemeinsamen 
Finanzministerium  in  Wien)  einen  Landeschef,  einen  Ziviladlatus,  sechs 
Sektionschefs,  13  Hofräte,  6  Kreisbehörden,  55  Bezirksämter  und 
25  Exposituren  aufweise. 

In  der  Audienz  am  29.  JuU  in  Ischl  verwahrte  ich  mich  gegen 
eigenmächtige  Maßnahmen  in  B.  H.,  welche  die  militärischen  Interessen 
schädigten.  Ohne  Wissen  des  Ministers  des  Äußern  und  des  Kriegs- 
ministers erfolgten  Änderungen  des  Strafgesetzes,  wodurch  der  Militär- 
Jurisdiktion  Vergehen  entzogen  wurden,  die  ihr  bisher  unterstanden. 
Hinter  dem  Rücken  der  Heeresleitung  wurden  Abmachungen  über 
Elektrifizierung  der  Bahn  Sarajevo — Mostar  gepflogen.  In  öffentlicher 
Rede  stellte  der  Ziviladlatus  dem  Lande  in  Aussicht,  daß  Post-,  Tele- 
graphen- und  Telephondienst  dem  Militär  abgenommen  werden  würde. 

Welche  Wichtigkeit  es  aber  hatte,  gerade  auch  diese  Dienste  in  ver- 
läßlichen militärischen  Händen  zu  wissen,  habe  ich  schon  an  anderer 
Stelle  ausgeführt.  Erneuert  wendete  ich  mich  gegen  den  eingewurzelten 
Mißbrauch,  die  Truppen  zu  Arbeiten  zu  verwenden,  die  zivilerseits  zu 
bewirken  waren.  Ich  resümierte,  daß  eine  Änderung  der  Stellung  des 
Landeschefs  unabweisbar  erscheine. 

In  einer  Audienz  am  4.  Dezember  1910  befürwortete  ich  die 
Ernennung  eines  energischen  Landeschefs  und  schlug  hiezu  Feldzeug- 
meister Oskar  Potiorek  vor,  dessen  bestimmtes  Wesen  und  dessen  große 
Arbeitskraft  ich  kannte.*) 


*)  Der  unglückliche  Rückschlag  in  Serbien  hatte  im  Weltkrieg  diesen 
General  als  schweres  Schicksal  getroffen.  Eine  vorurteilsfreie  Geschichts- 
forschung wird  jedoch  erweisen,  wie  sehr  die  anfangs  siegreiche  öster- 


43 


Militärische  Verhältnisse. 

Selbstverständlich  arbeiteten  auch  im  Jahre  1910  alle  berufenen 
Stellen,  nämlich  die  drei  mihtärischen  Ministerien,  inklusive  der  Marine- 
sektion, sowie  der  Generalstab  unablässig  an  der  Entwicklung  und  Aus- 
gestaltung der  Wehrmacht. 

Die  Masse  dieser  Arbeiten  auch  nur  anzudeuten,  kann  nicht  in  den 
Rahmen  dieses  Buches  lallen.  Nur  Einzelheiten,  hauptsächlich  solche, 
die  mich  nötigten,  die  Einflußnahme  des  Kaisers  zu  erbitten,  sollen 
Erwähnung  finden.  Ich  folge  dabei  der  schon  für  das  Jahr  1909  ein- 
gehaltenen Stoff  gliederung. 

Organisation.  Die  wichtigste  und  noch  immer  nicht  gelöste 
Frage  betraf  die  Wehrvorlage  und  das  damit  zusammenhängende  erhöhte 
Rekrutenkontingent.  Ohne  dieses  blieb  eine  Entwicklung  der  Wehrmacht 
ausgeschlossen.  Die  Lösung  der  Frage  «scheiterte  an  dem  Widerstand 
Ungarns.  Auch  das  Wehrgesetz  für  B.  H.  harrte  der  Erledigmig.  In 
einem  Gutachten  vom  9.  April  1910  vertrat  ich  die  Forderung,  daß  die 
bosnisch  herzegowinischen  Landesangehörigen  ihre  Dienstpflicht  im 
gemeinsamen  Heer  oder  der  Marine  zu  erfüllen  hätten,  für  welche  §  3  des 
Gesetzes  lautete,  daß  sie  zur  Verteidigung  der  ö.-u.  Monarchie  gegen 
äußere  Femde  und  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  und  Sicherheit 
im  Iimem  bestimmt  seien.  Es  erschien  nötig,  um  die  auf  eine  Sonder- 
stellung der  bosnisch-herzegowinischen  Wehrmacht  abzielenden  Bestre- 
bungen abzuweisen.  Am  21.  April  1910  legte  ich  nach  Durchsprache 
der  politischen  Lage  Seiner  Majestät  erneuert  die  Dringlichkeit  der  Wehr- 
machtfrage dar  und  die  Notwendigkeit  eines  außerordentlichen 


reichisch-ungarische  Offensive  die  Kraft  Serbiens  gebrochen  hatte,  so  daß 
es  für  lange  Dauer  zur  Ohnmacht  verurteilt  und  dadurch  die  Möglichkeit 
geboten  war,  die  gegenüber  Serbien  befindlichen  Truppen  teils  in  die 
russische  Front  zu  ziehen,  teils  gegen  den  neuerstandenen  Feind  (Italien) 
nach  Westen  zu  wenden,  sowie  auch,  daß  bei  Wiederaufnahme  der  Offen- 
sive gegen  Serbien  die  vereinten  deutschen,  bulgarischen  und  öster- 
reichisch-ungarischen Truppen  den  Boden  in  einer  Weise  vorbereitet 
fanden,   die  den   Erfolg  ganz  wesentlich   erleichterte. 

44 


Kredites  von  etwa  500  Millionen  Kronen  für  die  Landmacht  und  von 
300  Millionen  für  die  Seemacht  Dazu  eine  allmähhche  Steigerung  des 
zur  Zeit  370  Millionen  betragenden  ordentlichen  Jahresbudgets  auf 
500  Milhonen  (im  Jahre  1918)  für  Heer  und  Kriegsmarine.  Ich  berief 
mich  auf  die  Heeresentwicklung  Italiens  und  der  Balkan  Staaten,  ganz 
besonders  aber  auf  jene  Rußlands,  welches  700  Millionen  Rubel  für  die 
Marine,  650  Millionen  für  das  Heer,  somit  1350  Millionen  Rubel,  gleich 
3375  Millionen  Kronen  verausgabe. 

Am  8.  Juli  1910  hatte  der  ungarische  Landesverieidigungsminister 
Generalmajor  v.  Hazai  eine  Besprechung  mit  meinem  Stellvertreter  General- 
major Langer.  Er  Heß  mir  mitteilen,  daß  die  Rekruten  pro  1910  im  August 
zur  Stellung  gelangen  und  auch  jene  für  1911  im  Herbst  zugestanden  wer- 
den würden,  dies  jedoch  nur  im  bisherigen  (also  unzulänglichen) 
Ausmaß.  Nach  Votierung  dieser  Rekruten  würde  die  Einbringung  der 
großen  Wehrvorlage  erfolgen.  Es  sei  dagegen  wohl  die  Obstruktion  zu 
erwarten,  aber  zur  Bekämpfung  derselben  11/2  Jahre  Zeit  zur  Verfügung. 
Dies  bedeutete  eine  weitere  Verschleppung  der  so  dringenden  Frage.  Ich 
erbat  daher  am  29.  Juli  in  Ischl  erneuert  die  Einflußnahme  des  Kaisers 
auf  beschleunigte  Behandlung  des  Wehrgesetzes,  so  daß  dieses  im  Jahre 
1911   bereits  erlassen  wäre. 

In  einer  Audienz  am  18.  September  verwahrte  ich  mich  dagegen, 
daß  der  Budget- Entwurf  seitens  des  Kriegsministers  mit  Umgehung  des 
Chefs  des  Generalstabes  erfolge.  Ich  betonte,  daß  es  höchste  Zeit  sei, 
auch  bei  uns  im  großen  Stile  zu  arbeiten,  sich  nicht  mit  Minimalbeträgen 
abfinden  zu  lassen,  sondern  das  Notwendige  den  Vertretungskörpem 
offen  einzugestehen,  es  zu  verlangen  und  zu  vertreten,  endhch  auch 
die  Presse  hiefür  zu  stimmen.  Auch  am  4.  und  8.  Dezember  kam  ich  mit 
Seiner  Majestät  darauf  zu  sprechen  mit  dem  Beifügen,  daß  sich  auch 
schon  die  Öffenthchkeit  dieser  Fragen  bemächtige.  So  lautete  ein  Artikel 
der  „Zeit"  vom  6.  Dezember,  den  ich  Seiner  Majestät  vorlegte: 

„Nach  allem,  was  in  parlamentarischen  Kreisen  über  das  nächst- 
jährige Budget  der  Heeresverwaltung  verlautete,  mußte  allgemein 
angenommen  werden,  daß  die  internen  Schwierigkeiten  bei  der  Zusammen- 
stellung des  Budgets  vollkommen  überwunden  sind  und  daß  die  Vorlage 
definitiv  fertiggestellt  ist. 

Es  wird  darum  überraschen,  wenn  man  erfährt,  daß  diese  Annahme 
eine  irrige  war.  Wie  wir  nämlich  vernehmen,  sind  bezüglich  des  Budgets 
der  Kriegsverwaltung  neuerlich  schwere  Differenzen  zutage 
getreten,  die  wohl  ein  direktes  Eingreifen  des  Monarchen 
unab weislich  machen  werden.     Wie  wir  weiter  erfahren,  wird  in  den 

45 


nächsten  Tagen  wahrscheinlich  ein  Ministerrat  unter  dem  Vorsitz 
des  Kaisers  stattfinden.  Es  ist  aber  auch  mögUch,  daß  sich  die  kom- 
petenten Amtsstellen  direkt  an  den  Monarchen  wenden,  um  die  bestehen- 
den Differenzen  durch  ein  Machtwort  des  Kaisers  aus  der  Welt 
zu  schaffen." 

Unter  den  vielen  zu  betreibenden  Fragen  war  es  zu  dieser  Zeit  die 
Entwicklung  der  Artillerie,  die  mir  besonders  nahe  lag.  Am  21,  April 
drängte  ich  bei  Seiner  Majestät  auf  Ausbau  der  Festungsartillerie,  und 
zwar  sowohl  als  Besatzungs-,  hauptsächlich  aber  als  Angriffsartillerie. 
In  Verbindimg  damit  auf  eheste  Beschaffung  des  neuen  Belagerungs- 
Artillerie-Mater  iales.  Am  18.  September  bat  ich  um  Einflußnahme  auf  die 
Ausgestaltung  der  schweren  Haubitz-Divisionen  (zunächst  für  die  Korps 
1  bis  14),  auf  Vermehrung  der  Festungsartillerie  um  15  bis  16  Kompagnien, 
und  der  Gebirgsartillerie.  Hinsichtlich  des  Materials  betonte  ich  das 
Dringhche  der  Beschaffung  der  modernen  schweren  Angriffsartillerie,  ins- 
besondere der  10-5  cm-Kanonen-  und  der  30-5  cm-Mörser-Batterien.  Ich 
äußerte  Seiner  Majestät  gegenüber,  daß  bei  ims  alles  nur  auf  dem  Papier 
oder  höchstens  in  Form  eines  Versuchs-Modells  bestehe.  Für  das  Dring- 
liche der  Mörserfrage  wies  ich  darauf  hin,  daß  ItaUen,  das  1907  nur  zwei 
Panzerwerke  besaß,  seither  mit  der  Befestigung  seiner  Grenze  im  größten 
Stile  begonnen  und  weitestgehend  zur  Panzerfortifikation  gegriffen  habe, 
gegen  die  imsere  dermaligen  Geschütze  keineswegs  ausreichten.  Deshalb 
habe  ich  ja  schon  lange  ein  schweres  Steilfeuergeschütz  gefordert,  als 
welches  nun  der  bereits  konstruierte  30-5  cm-Mörser  vorlag.  Da  man 
aber  nie  zur  endgültigen  Feststellung  dieser  Konstruktion  zu  gelangen 
vermochte,  schlug  ich  am  4.  Dezember  Seiner  Majestät  vor,  die  Bestellung 
der  Kruppschen  28  cm-Haubitzen  anzudrohen,  wenn  man  bei  uns  zu 
keinem  Entschluß  käme. 

Am  23.  November  besprach  ich  alle  diese  Fragen  auch  mit  Erzherzog 
Franz  Ferdmand  und  interessierte  ihn  dafür. 

Um  im  russischen  Kriegsfall  den  großen  Kavalleriemassen  des 
Gegners  wenigstens  einigermaßen  begegnen  und  den  weitausgedehnten 
Aufklärungsräumen  Rechnung  tragen  zu  können,  erbat  und  erhieU  ich  am 
18.  September  die  prinzipielle  Zustimmung  Seiner  Majestät  für  die  Redu- 
zierung der  Divisionskavallerie  von  drei  auf  zwei  Eskadronen  zum  Zwecke 
der  Aufstellung  weiterer  Kavallerie-Divisionen  (zu  24  Eskadronen  und 
3  reitenden  Batterien).  Zur  Unterstützung  der  Kavallerie  im  Grenzdienst 
während  Mobilisierung  und  Aufmarsch  trat  ich  hinsichtlich  Beritten- 
machung  der  Gendarmerie  in  Galizien  mit  dem  hiefür  kompetenten  Lan- 
desverteidigungsminister FML.  V.  Georgi  in  Verbindung  und  erbat  hiefür 

46 


am  4.  Dezember  die  Einflußnahme  Seiner  Majestät.  Schon  am  1.  Feber 
1910  beantragte  ich  die  Neu- Ausrüstung  und  feldmäßige  Uniformierung 
der  Kavallerie  unter  Hinweis  auf  Deutschland,  wo  dies  bereits 
geschehen  sei. 

In  das  Jahr  1910  reichte  auch  noch  die  von  mir  schon  im  Jahre  1909 
angeregte  Frage  der  General-Truppen-Inspektore n*),  welche 
seither  Gegenstand  der  Erörterung  war.  Der  Thronfolger  Erzherzog 
Franz  Ferdinand  hatte  diesbezüghch  mit  Ermächtigung  des  Kaisers  einen 
Antrag  gestellt,  der  von  Seiner  Majestät  an  den  Kriegsminister  mit  dem 
Auftrag  geleitet  wurde,  mit  mir  darüber  das  Einvernehmen  zu  pflegen. 

In  einem  Antrag  res.  Gstb.  1906  vom  3.  März  1910,  sowie  in 
Audienzen  am  15.  Feber  und  21.  April  bezeichnete  ich  als  prinzipielle 
Forderung  die  Kreierung  von  sechs  Armee-Inspektoren  als  künftige 
Kommandanten  der  sechs  Armeen.  Da  die  Armeen  in  den  verschiedenen 
Kriegsfällen  verschieden  zusammengesetzt  wären,  erschiene  eine  ständige 
Zuweisung  derselben  Korps  an  die  Armee-Inspektoren  nicht  tunlich. 
Nur  bei  jenfem  in  Sarajevo  wäre  es  mögUch,  dem  das  15.  und  16.  Korps 
in  allen  Fällen  unterstellt  bleibe.  Zu  bestimmen  wäre,  w  e  m  das  Recht 
zustehe,  die  Armee-Inspektoren  mit  gewissen  Aufgaben  zu  betrauen.  Aus- 
zuschließen wäre  unbedingt  die  Bekanntgabe  der  Aufmarschelaborate  an 
die  Inspektoren.  Nicht  nur  wegen  Geheimhaltung  überhaupt,  sondern 
auch  aus  Rücksicht  der  Verpflichtung  gegenüber  den  Verbündeten, 
überdies  aber  auch,  weil  gegenteiUge  Meinungen  und  Gegenvorstellungen 
die  Keime  zu  Mißerfolgen  schaffen  könnten,  im  Kriege  aber  nur  ein 
Wille  herrschen  dürfe**). 

Das  langsame  Tempo  in  der  Entwicklung  des  Luftfahrwesens 
nötigte  mich  in  Audienzen  am  18  September  und  12.  November  die 
Dringlichkeit  der  Anschaffung  von  Aeroplanen  und  der  Ausbildung  von 
Piloten  hervorzuheben.  Unter  Hinweis  auf  Frankreich,  Deutschland, 
Rußland  und  Itahen,  die  uns  bereits  weit  voraus  wären,  erbat  ich  die  Ein- 
flußnahme des  Kaisers.  Als  zunächst  notwendigen  Kredit  bezeichnete  ich 
die  gewiß  bescheidene  Summe  von  300.000  Kronen.  Um  mir  über  diese 
damals  noch  neuen  Erfindungen  einen  persönlichen  Eindruck  zu  ver- 
schaffen, war  ich  auf  dem  Übungsplatz  in  Neustadt  m  Aeroplanen,  au£ 
jenem  in  Fischamend  im  Lenkballon  geflogen. 


*)  Siehe  1909. 
**)  Man  erinnere  sich  der  Schwierigkeiten,  die  dem  Generalfeldmarschall 
Graf  Moltke  im  Jahre  1866  insbesondere  durch  General  von  Steinmetz 
bereitet  wurden  und  Verstimmungen  schufen,  die  noch  zu  Beginn  des 
Krieges  1870  in  einer  der  Sache  schädlichen  Weise  nachwirkten. 

47 


Ausbildung.  Als  wichtige  Frage  in  diesem  Belange  stand  das 
Reglement  für  die  Fußtruppen  im  Vordergrund.  Wie  schon  erwähnt, 
war  der  nach  meinen  Weisungen  im  Operationsbureau  bearbeitete  Ent- 
wurf auf  manchen  Widerstand  des  Thronfolgers  und  des  Feldzeugmeisters 
Potiorek  gestoßen.  Auch  mochten  noch  andere  Einflüsse  mitgewirkt 
haben,  diese  dringende  Angelegenheit  zu  verzögern  und  den  Entwurf  zu 
einem  noch  mit  überflüssigen  Formalitäten  belasteten  Kompromiß  umzu- 
wandeln. Ich  hatte  erwartet,  daß  mich  Erzherzog  Franz  Ferdinand  zu 
einer  eingehenden  Besprechung  hierüber  berufen  würde.  Da  dies  aber 
unterblieb,  richtete  ich  an  ihn  das  nachstehende  Schreiben: 

„Wien,  30.  März. 

Eure  Kaiserliche  Hoheit  hatten  stets  die  Gnade,  es  zu  gestatten,  daß 
ich  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  gegenüber  mich  rückhaltlos  ausspreche, 
geruhen  Eure  Kaiserliche  Hoheit  daher  auch,  die  nachfolgende  Darlegung 
gnädig  aufzunehmen 

Ich  glaubte  von  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  berufen  zu  werden,  um 
Euer  Kaiserlichen  Hoheit  über  die  einzekien  Punkte  des  Reglement-Ent- 
wurfes für  die  Fußtruppen  mündlich  zu  referieren  und  hoffte  auf  das  hohe 
Vertrauen,  bei  dieser  Gelegenheit  meine  Anschauungen  vortragen  zu  dürfen. 

Die  mittelst  des  gestern  hier  präsentierten  Befehles  Eurer  Kaiserlichen 
Hoheit  getroffenen  Bestimmungen,  auf  Grund  welcher  ich  nunmehr  die 
Umarbeitung  einleite,  lassen  mich  jedoch  erkennen,  daß  ich  auf  eine 
Berufung  nicht  mehr  zu  rechnen  habe. 

Ich  bin  viel  zu  viel  Soldat,  um  nicht  das  Prinzip  des  strikten  Befehls 
und  der  strikten  Befolgung  obenan  zu  stellen,  aber  es  wäre  meinerseits 
ein  Mangel  an  pflichtgemäßer  Offenheit,  wenn  ich  Eurer  Kaiserlichen 
Hoheit  nicht  freimütig  bekennen  würde,  daß  ich  hierin  eine  Andeutung 
empfinde,  nicht  mehr  jenes  hohe  und  gnädige  Vertrauen  zu  genießen, 
welches  mir  die  festeste  Stütze  in  all  meinem  bisherigen  Wirken  und 
welches  mir  auch  die  entscheidende  Veranlassung  war,  den  Dienstes- 
posten anzutreten,  an  welchem  ich  mich  dermalen  befinde. 

Ein  Feind  jedes  persönlichen  Herandrängens,  habe  ich  mangels  dies- 
bezüglich bestehender  Vorschriften  stets  die  Berufungen  Euer  Kaiserlichen 
Hoheit  erst  abgewartet  und  habe  es  jedesmal  freudig  begrüßt,  wenn  mir 
die  hohe   Auszeichnung  zuteil   wurde,   persönlich   berichten   zu   dürfen. 

Ich  darf  es  wohl  als  außer  Frage  stehend  betrachten,  daß  ich  stets 
nur  von  dem  Streben  geleitet  bin,  meine  Kräfte,  so  weit  sie  eben  reichen, 
nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  in  den  Ah.  Dienst  zu  stellen,  aber  ein 
erfolgreiches  Wirken  erscheint  mir  in  meiner  verantwortungsreichen 
Stellung  doch  nur  dann  möglich,  wenn  ich  das  Bewußtsein  haben  darf, 
mich  des  hohen  Vertrauens  erfreuen  zu  können,  dies  insbesondere,  sofeme 

48 


ich  die  schwerwiegenden  Situationen  eines  eventuellen  Kriegsfalles  ins 
Auge  fasse 

Andernfalls  müßte  ich  es  als  Pflicht  betrachten,  ehrlich  zu  gestehen, 
daß  ich  dem  innehabenden  Dienstesposten  nicht  mehr  zu  entsprechen 
vermöchte.  Niemals  würde  ich  jedoch  irgend  einen  diesbezüglichen 
Schritt  unternehmen,  ohne  mich  vorher  vertrauensvoll  an  Eure  Kaiser- 
liche Hoheit  gewendet  zu  haben. 

Geruhen  daher  Eure  Kaiserliche  Hoheit  den  vorliegenden  ehrfurchts- 
vollsten Bericht  nur  in  diesem  Sinne  entgegennehmen  zu  wollen. 

In  tiefster  Ehrfurcht  Eurer  Kaiserlichen   Hoheit  untertänigst  gehor- 

^^^^^^^  Conrad  m.  p." 

Ich  hatte  für  dieses,  in  der  Form  sehr  ergebene,  in  der  Sache  aber 
sehr  deutliche  Schreiben  einen  besonderen  Grund.  Er  lag  darin,  daß  ich 
im  Kriegsfalle  dem  zum  Armee-Oberkommandanten  bestimmten  Erzherzog 
als  Chef  des  Generalstabes  zur  Seite  gestanden  wäre  und  für  diesen  Fall 
jede  Einmengung  eines  Dritten,  jedes  Verhandeb  mit  verantwortimgs- 
losen  Unberufenen  von  Haus  aus  unbedingt  ausgeschaltet  sehen  wollte. 
Dazu  hatte  ich  umsomehr  Ursache,  als  sich  zur  Zeit  der  Kriegsmöglich- 
keit mit  Serbien  (1909)  der  Erzherzog  plötzUch  den  General  Szasz- 
kiewicz,  der  als  Strategielehrer  an  der  Kriegsschule  tätig  war,  als  General- 
adjutanten im  Kriegsfalle  gewählt  hatte.  Es  war  unschwer  zu  erkennen, 
daß  Szaszkiewicz  ihm  als  Kontrollorgan  für  meine  operativen  Anträge 
dienen  sollte,  und  erinnerte  mich  an  die  mir  gewordene  Mitteilung,  daß 
Erzherzog  Franz  Ferdinand  von  seinem  Vater,  Erzherzog  Carl  Ludwig, 
die  Lebensregel  bekommen  habe,  sich  nie  auf  einen  Menschen  allein 
zu  verlassen. 

In  der  Antwort  auf  meinen  Brief  versicherte  mich  der  Erzherzog 
seines  unveränderten  Vertrauens,  wofür  ich  ihm  in  folgendem  Schreiben 
dankte : 

„Wien,  6.  April  1910. 

Geruhen  Eure  Kaiserliche  Hoheit  meinen  ehrfurchtsvollsten  Dank  für 
Euer  Kaiserlichen  Hoheit  gnädiges  Schreiben  entgegennehmen  zu  wollen. 

Ich  wäre  glücklich,  wenn  Eure  Kaiserliche  Hoheit  es  mir  gönnen 
würden,  meine  Anschauungen  über  Truppenausbildung,  Adjustierung  und 
Ausrüstung,  Disziplin  und  Strammheit  mündlich  vortragen  zu  dürfen,  da 
ich  nicht  frei  von  der  Besorgnis  bin,  daß  man  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  in 
diesen  Hinsichten  nicht  zutreffend  über  mich  berichtet  hat. 

Ich  danke  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  auch  ganz  besonders  und 
untertänigst  füi  das  höchste  Zugeständnis  meiner  freien  und  offenen 
Meinungsäußerung;  auch  Seine  Majestät  geruhten  Allergnädigst  mir  das 

4,  Conrad  II  ^Q 


offene  Aussprechen  meiner  Überzeugung  nicht  nur  zu  gestatten,  sondern 
ausdrücklich  zur  Pflicht  zu  machen. 

Hierin  ersehe  ich  jenen  Erweis  des  gnädigen  Vertrauens,  welches  für 
mich  die  unerläßHche  Grundlage  jeder  dienstlichen  Tätigkeit  ist. 

Geruhen  Eure  Kaiserliche  Hoheit  mir  gnädigst  zu  gestatten,  daß  ich 
meinem  unverbrüchlichen  Streben,  Eurer  KaiserUchen  Hoheit  Intentionen 
zu  entsprechen,  sowie  der  tiefsten  Ehrfurcht  Auschruck  gebe  als 
Eurer  KaiserUchen  Hoheit 

imtertänigst  gehorsamster 
Conrad  m.  p." 

Als  der  modifizierte  Reglements-Entwurf  fertiggestellt  war,  bat  ich 
den  Erzherzog  am  23.  November  1910,  nunmehr  von  weiteren  Kom- 
missionen absehen  und  den  Entwurf  ehestens  zur  Ausgabe  zulassen  zu 
wollen. 

Die  Truppen-Ausbildung  nahm  im  Jahre  1910  ihren  eingelebten 
Gang,  erlitt  aber  dadurch  eine  Störung,  daß  infolge  einer  Pferdeseuche 
hn  10.  Korpsbereich  (Przemysl)  die  für  1910  im  Räume  Dukla,  Mezö- 
laborcz,  Eperies,  Homonna  vorbereiteten  Armee-Manöver  in  den  Kar- 
pathen  sowie  che  großen  Kavallerieübungen  in  Galizien  entfielen. 

Im  übrigen  hatte  mich  die  allzu  rasche  Geneigtheit,  Truppenübungen 
aufzugeben,  veranlaßt,  am  18.  September  Seiner  Majestät  gegenüber 
geltend  zu  machen,  daß  man  die  Truppen  „nicht  einschlafen  lassen",  daher 
auch  nicht  Übungen  unterlassen  dürfe,  welche  die  einzig  mögliche  Vor- 
schule für  den  Krieg  bilden. 

Personalien.  Die  alljährlich  zur  Festsetzung  der  höheren 
Personalien  üblichen  Sitzungen  unter  Präsidium  Seiner  Majestät  hatten 
Mitte  Dezember  stattgefunden.  Dabei  kam  auch  die  Besetzung  der  Stellen 
der  Armee-Inspektoren  und  der  Korps-Kommandanten  zur  Entscheidung. 
Entgegen  diesem  eingelebten  Vorgang  war  Ende  Juni  1910  eine  Aktion  im 
Gange,  die  mit  Umgehung  des  Kriegsministers  und  des  Chefs  des  General- 
stabes im  Wege  privaten  brieflichen  Verkehrs  auf  die  Enthebung  zweier 
Korps-Kommandanten  abzielte.  Als  ich,  damals  zum  Kurgebrauch  in 
Grado,  hievon  Kenntnis  erhielt,  wandte  ich  mich  dagegen,  verlangte,  daß 
jeder  fallweisen  Ernennung  von  Korps-Kommandanten  eine  Sitzung  unter 
Präsidium  Seiner  Majestät  vorangehe,  der  der  Kriegsminister,  der  Chef 
des  Generalstabes,  die  Armee-Inspektoren  und  ein  Vertreter  des  Thron- 
folgers beizuziehen  wären,  falls  der  Thronfolger  nicht  persönlich  erschiene. 

Ich  erbat  für  mich  das  Recht,  sofern  ich  nicht  selbst  als  Partei- 
Kommandant  kommandiere,  den  Übungen  der  Korps  beizuwohnen,  um 
Truppen  und  Führer  kermen  zu  lernen,  ihre  Bedürfnisse  zu  erfahren,  die 

50 


Vorschriften  hinsichtlich  ihrer  Durchführbarkeit  beurteilen  und  aus  dem 
Borne  der  praktischen  Anschauung  stets  neue  Impulse  für  mein  Wirken 
schöpfen  zu  können. 

In  das  Jahr  1910  fielen  folgende  mir  besonders  wichtige  Personal- 
veränderungen. 

Als  der  bisherige,  aus  der  Periode  meines  Vorgängers  stammende 
Chef  des  Operationsbureaus  Oberst  Krauß-Elislago  dem  Range  nach  zu 
einem  Brigade-Kommando  gelangte,  also  abgelöst  werden  mußte,  trat 
die  Frage  seines  Ersatzes  an  mich  heran.  Meine  Wahl  fiel  auf  den  bereits 
im  Operationsbureau  eingeteilten  Oberstleutnant  Josef  Metzger.  Es 
war,  wie  auch  die  Folge  lehrte,  eine  der  glücklichsten  Entscheidungen,  die 
ich  in  Personalangelegenheiten  getroffen  hatte.  Hochbegabt,  hervonagend 
arbeitsfreudig  und  arbeitstüchtig,  vornehm  im  Denken,  gerade  und  offen, 
mit  klarem  Blick  für  große  Fragen  bei  voller  Beherrschung  des  Details, 
hat  dieser  Offizier  Ausgezeichnetes  geleistet  und  sich  in  den  schweren 
Zeiten  des  Krieges  als  Chef  der  Operations-Abteilung  des  Armee-Ober- 
kommandos glänzend  bewährt,  bis  auch  er  gelegentlich  der  im  Frühjahr 
1917  erfolgten  gänzlichen  Umwandlung  des  ersten  Armee-Oberkomman- 
dos, dessen  Chef  des  Generalstabes  ich  war,  von  seinem  so  wichtigen 
Dienstposten  enthoben  und  mit  dem  Kommando  der  1.  Infanterie-Division 
betraut  wurde.  Er  führte  diese  noch  am  Ende  des  Krieges  vor  Verdun 
mit  Auszeichnung. 

Seine  Ernennung  im  Jahre  1910  hatte  ich  am  1.  Feber  bei  Seiner 
Majestät  erbeten. 

Der  zweite  Personenwechsel  betraf  meinen  Flügeladjutanten  Haupt- 
mann Franz  Putz.  Auf  die  ausgezeichneten  Eigenschaften  des  Geistes 
und  Charakters  und  auf  die  hervorragende  Arbeitskraft  dieses  jungen  Offi- 
ziers war  ich  schon  aufmerksam  geworden,  als  derselbe  in  Triest  bei  der 
von  mir  befehligten  55.  Infanteriebrigade  als  Brigade-Generalstabsoffizier 
eingeteilt  war.  Abgesehen  von  vielen  anderen  Gelegenheiten,  hatte  ich 
ihn  speziell  bei  einer  anstrengenden  Übungsreise  in  Istrien  den  schwersten 
physischen  und  geistigen  Leistungen  unterzogen,  die  er  vorzüglich 
bestand.  Zum  Chef  des  Generalstabes  ernannt,  nahm  ich  ihn  als  Flügel- 
adjutanten zu  mir.  Er  war  mir  unter  allen  Umständen  der  treue,  verläß- 
liche, verschwiegene,  gegen  mich  rückhaltslos  offene  Begleiter,  dem  ich 
volles  Vertrauen  schenkte,  mit  dem  ich,  dank  seinem  klaren  Verständnis, 
und  zwar  auch  für  große  Verhältnisse,  über  mannigfache  Fragen  sprechen 
und  den  ich  mit  den  vielseitigsten  Diensten  betrauen  konnte.  Da  er  jedoch 
den  Wunsch  hegte,  die  Welt  kennen  zu  lernen,  seinen  Bhek  zu  erweitem, 
und  da  ich  diesem  hoffnungsvollen  Offizier  die  hiefür  nötigen  Wege  nicht 

'*  51 


verschließen  wollte,  entsprach  ich  seinem  stillen  Verlangen  und  gewährte 
seine  Ernennung  zum  Militärattache  in  Tokio.  Ich  erwirkte  sie  am 
21.  April  1910  bei  Seiner  Majestät. 

An  seine  Stelle  erbat  ich  am  11.  Mai  1910  bei  Seiner  Majestät  die 
Ernennung  des  Hauptmannes  Rudolf  Kund  mann  zu  meinem  Flügel- 
adjutanten. Kundmann  war  Leutnant  im  Infanterie-Regiment  Kaiser  Franz 
Josef  Nr.  1,  als  ich  dessen  Kommando  führte.  Er  hatte  bald  durch  seine 
Fähigkeiten,  seinen  klaren  Verstand,  seine  rasche  Auffassung  und  seine 
hervorragende  Arbeitskraft  meine  Aufmerksamkeit  erregt,  so  daß  ich  ihn 
zum  Regiments-Adjutanten  ernannte.  Er  hat  in  dieser  Stellung  vorzüg- 
lich entsprochen.  Als  Flügeladjutant  von  1910  bis  Feber  1917  mir  zur 
Seite,  hat  er  mein  volles  Vertrauen  genossen  und  in  dieser  Stehung  alle 
seine  angeführten  Eigenschaften,  insbesondere  in  den  ernsten  Zeiten  des 
Krieges,  bewährt.  Auch  ist  er  mh  in  einer  der  schwersten  Stunden  meines 
Lebens  teilnahm.svoll  zur  Seite  gestanden,  als  es  ihm  zugefallen  war,  mir 
mitzuteilen,  daß  mein  drittältester  Sohn  Herbert  am  8.  September  1914  in 
der  Schlacht  bei  Rawa  ruska  den  Heldentod  gefunden  hatte. 

Nachdem  Kundmann  —  mittlerweile  zum  Oberst  vorgerückt  —  im 
Jahre  1917  außer  seinem  Dienst  als  Flügeladjutant  auch  noch  jenen  als 
Chef  der  Detail-  (späteren  Präsidial-)  Abteilung  beim  Armee-Oberkommando 
versah,  blieb  er  nach  meiner  Enthebung  vom  Posten  des  Chefs  des  Oeneral- 
stabes  (Ende  Feber  1917)  auch  weiter  in  der  genannten  Verwendung  beim 
Armeeoberkommando  zurück,  während  ich  mit  dem  Heeresgruppen - 
Kommando  in  Tirol  (Standort  Bozen)  betraut  wurde.  Dort  fand  ich 
meinen  ersten  Flügeladjutanten,  den  schon  1914  aus  Japan  zum  Kriegs- 
dienst herbeigeeilten  Oberst  Franz  Putz,  nachdem  er  vorerst  ein  Infan- 
terieregiment mit  Auszeichnung  geführt  hatte,  als  Chef  der  Oeneralstabs- 
abteilung  wieder.  Ich  nahm  ihn,  unbeschadet  dieses  seines  wichtigen 
Ebenstes,  erneuert  als  Flügeladjutant.  Er  blieb  es  bis  zu  meiner  Ver- 
setzung in  den  Ruhestand  11.  November  1918. 

Im  Jahre  1910  kam  noch  eine  wichtige  Personalfrage  in  Erwägung: 
der  Ersatz  des  bewährten,  aber  infolge  Ranghöhe  und  Dauer  der  bisherigen 
Verwendung  zur  Ablösung  gelangenden  Militärattaches  in  Petersburg 
Oberstleuüiant  Graf  Spanocchi.  Für  diesen  äußerst  diffizilen  und 
bedeutsamen  Posten  brachte  ich  den  Oberst  Csicserics  des  General- 
stabes in  Vorschlag.  Er  sprach  vollkommen  russisch,  hatte  den  russisch- 
japanischen Krieg  im  Hauptquartier  des  Generals  Kuropatkin  mitgemacht, 
dabei  zahlreiche  persönliche  Beziehungen  angeknüpft  und  das  russische 
Heerwesen  eingehend  kennen  gelernt.  Ich  legte  auf  seine  Wahl  ganz 
besonderes  Gewicht.  Sie  stieß  jedoch  auf  die  Bedenken  des  Grafen  Ähren- 

52 


thal,  der  fürchtete,  die  russischen  Kreise  zu  verstimmen.  In  einer  Audienz 
am  1.  Feber  1910  trachtete  ich  bei  Seiner  Majestät  diese  Bedenken  zu 
zerstreuen,  was  jedoch  nur  eine  Vertagung  der  Angelegenheit  zur  Folge 
hatte. 

Wie  weit  skrupelloser  dementgegen  Rußland  vorging,  zeigte  sich 
darin,  daß  es  den  speziell  mit  Erkundung  der  ö.-u.  Armee  und  mit  der 
Verfassung  eines  Handbuches  über  dieselbe  betrauten  Oberstleutnant 
Potocki  ohne  langes  Fragen  bei  der  russischen  Botschaft  in  Wien 
placierte  und  schließlich  die  offizielle  Zustimmung  hiefür  zu  erwirken 
wußte. 

Am  12.  November  und  am  23.  November  1910  brachte  ich  bei 
Seiner  Majestät  die  Frage  des  Offiziersnachwuchses  zur  Sprache.  Ich 
machte  geltend,  daß  es  erforderlich  sei,  gediegene,  nach  Provenienz,  Den- 
kungsweisfc  und  Erziehung  verläßliche  Elemente  zu  gewinnen,  den 
Standesstolz  zu  wecken,  den  kombattanten  Offizier  auszuzeichnen,  hiezu 
aber  auch  die  Stellung  des  Offiziers  materiell  und  moralisch  zu  heben. 
Insbesondere  gegenüber  dem  weitaus  bevorzugten  Staatsbeamten,  dem  die 
Vertretungskörper  bei  allen  Forderungen,  dank  seinem  politischen  Einfluß 
und  seinem  Wahlrecht,  weit  willfähriger  gegenüberstünden  als  dem 
hievon  ausgeschlossenen  Offizier. 

Der  Berufsoffizier  war  in  weiten  Kreisen  nicht  populär.  In  ihm  sahen 
die  Radikal-Nationalen  den  Vertreter  der  gemeinsamen,  allen  Nationalitäten 
gleich  gegenüberstehenden  Reichsidee,  die  Sozialdemokraten  die  Stütze  der 
von  ihnen  bekämpften  staadichen  Ordnung,  eine  Autorität,  gegen  die  es 
galt,  die  Massen  aufzuhetzen,  die  sonstigen  Parteien  den  Angehörigen 
einer  ihrer  Ansicht  nach  kostspieligen,  unproduktiven  Institution.  Der  dem 
Offizier  so  unerläßliche  Standesstolz  wurde  als  Überhebung  empfunden, 
die  strengsten  Vorschriften  und  Gepflogenheiten  für  Wahrung  der  Offiziers- 
ehre wurden  als  Anmaßung  hingestellt.  Bei  Konflikten  wurde  der  Offizier 
grundsätzlich  im  Stiche  gelassen,  insbesondere,  wenn  er  von  Parlament 
und  Presse  angegriffen  wurde.  Taktlose  oder  verbrecherische  Einzelfälle, 
wie  sie  jede  Korporation  ab  und  zu  aufweist,  wurden  generahsiert  und 
zur  Herabsetzung  der  Gesamtheit  ausgebeutet.  Aber  auch  an  Stellen,  die 
zur  Vertretung  des  Offiziers  berufen  waren,  sah  man  in  diesem  den  nur 
zum  stummen  Gehorsam  Verpflichteten,  während  man  um  die  Liebe 
anderer  Kreise  warb  und  die  Rücksichten  auf  sie  voranstellte. 

Konkrete  Kriegsvorbereitungsarbeiten.  Die  kon- 
kreten Kriegsvorbereitungsarbeiten  nahmen  auch  im  Jahre  1910  ihren 
normalen  Verlauf.  Im  allgemeinen  blieben  die  Alarminstruktionen  und 
Aufmarschelaborate  im  wesentlichen  auf  der  bisherigen  Grundlage.    Ein- 

53 


getretenen  Veränderungen  im  Bahn-  und  Straßenwesen,  in  der  Truppen- 
Dislozierung  u.  dgl.  wurde  Rechnung  getragen.  Die  Instradierung  wurde 
wie  alljährlich  neu  bearbeitet. 

Die  Nachrichten  über  eine  Rückverlegung  des  russischen  Aufmarsches 
gaben,  abgesehen  davon,  daß  sie  noch  sehr  der  Bestätigung  bedurften, 
keinen  Grund  zu  besonderen  Abweichungen  von  den  bisherigen  Vor- 
bereitungen. Alle  möglichen  Varianten  des  Aufmarsches  der  russischen 
Streitkräfte  wurden  studiert,  um  Anhaltspunkte  für  die  eigenen  Maß- 
nahmen zu  gewinnen. 

Die  in  dieser  Hinsicht  mit  Deutschland  gepflogenen  Vereinbarungen 
ergaben  sich  aus  nachstehendem  Briefwechsel  zwischen  mir  und  General 
von  Moltke. 

Ich  an  General  der  Infanterie  von  Moltke, 
Chef  des  Generalstabes  Berlin. 

„(Streng  geheim.) 
Wien,  am  8.  Jänner  1910. 

Mit  Allerhöchster  Genehmigung  Seiner  Majestät  beehre  ich  mich  das 
vorliegende  Schreiben  an  E.  E.  zu  richten. 

In  meinem  Schreiben  vom  10.  April  v.  J.  habe  ich  der  Annahme 
Ausdruck  gegeben,  daß  die  dem  Bündnisse  zwischen  Deutschland  und 
der  Monarchie  entspringenden,  im  Jahre  1909  gepflogenen  militärischen 
Vereinbarungen  auch  für  die  Zukunft  vollen  aktuellen  Wert  behalten;  ich 
beehre  mich  E.  E.  nunmehr  mitzuteilen,  daß  diese  Vereinbarungen  meiner- 
seits auch  den  diesjährigen  Vorbereitungsarbeiten  zugrunde  gelegt  wurden 
und  daß  hienach  die  Verhältnisse  für  die  diesen  Vereinbarungen 
entsprechenden  Kriegsfälle  im  allgemeinen  und  wesentlichen  die  gleichen 
geblieben  sind. 

Es  betrifft  dies  folgende  Kombinationen: 

a)  Frankreich  erklärt  sich  neutral,  Rußland,  Serbien  imd  Montenegro 
treten  sofort  als  Gegner  auf. 

b)  Frankreich  erklärt  sich  neutral,  Rußland  tritt  erst  feindselig  auf,  nach- 
dem die  Monarchie  am  Balkan  gegen  Serbien  und  Montenegro  mit 
starken  Kräften  engagiert  ist. 

c)  Rußland  und  Frankreich,  sowie  Serbien  und  Montenegro  treten 
sofort  als  Gegner  auf. 

d)  Rußland  und  Frankreich  halten  anfänglich  zurück  und  treten  erst 
als  Gegner  auf,  sobald  die  Monarchie  am  Balkan  mit  starken  Kräften 
engagiert  ist. 

54 


In  allen  diesen,  durch  die  vorjährige  Korrespondenz  klargelegten 
Fällen  war  auf  die  Allianz  Rumäniens  und  die  Neutralität  Italiens,  sowie 
darauf  gerechnet,  daß  Bulgarien  und  die  Türkei  sich  gegenseitig  binden 
würden. 

Die  seitherige  Entwicklung  der  Politik  läßt  annehmen,  daß  Serbien 
und  Montenegro  in  ihrer  feindseligen  Haltung  gegen  die  Monarchie 
verharren  —  zweifellos  betreiben  sie  ihre  militärischen  Rüstungen  in  diesem 
Sinne;  dagegen  dürfte  sich  die  Türkei  der  Entente  mit  Deutschland  und 
Österreich-Ungarn  immer  mehr  zuwenden  und  dadurch  ein  wertvolles 
Gegengewicht  nicht  nur  gegen  die  genannten  Balkanstaaten  Serbien  und 
Montenegro,  sondern  auch  gegen  Bulgarien  bilden,  falls  dieses  mit  beiden 
letzteren  gemeinsame  Sache  machen  sollte. 

Gegen  13i/^  bulgarische,  12  serbische  und  4  montenegrinische,  also 
in  Summe  rund  30  Divisionen  würden  die  28  türkischen  Divisionen  (I.  und 
IL  Linie)  in  Europa  erheblich  ins  Gewicht  fallen,  einen  Ausgleich  zwischen 
Türkei  und  Griechenland  vorausgesetzt.  Es  hätten  also  die  gegen  Serbien 
und  Montenegro  zu  engagierenden  ö.-u.  Kräfte  eine  wesentliche  Entlastung; 
doch  sind  die  obangedeuteten  Verhältnisse  noch  so  wenig  geklärt,  daß 
es  nicht  angängig  erscheint,  dermalen  schon  von  dem  militärischen  Kalkül 
des  Vorjahres  abzugehen. 

Der  Bündnistreue  Rumäniens  vermag  man  versichert  zu  sein,  auch 
sind  die  militärischen  Vereinbarimgen  mit  der  Heeresleitung  dieses  Staates 
erst  in  jüngster  Zeit  in  konzilianter  Weise  gepflogen  worden. 

Bleibt  noch  Italien. 

Wenngleich  die  dermalige  offizielle  poUlische  Richtung  dieses  Staates 
annehmen  lassen  sollte,  daß  Italien  am  Dreibund  unter  allen  Umständen 
festhalten  würde,  so  kann  ich  doch  in  Anbetracht  der  zielbewußt  und 
augenfällig  gegen  die  Monarchie  gerichteten  militärischen  Maßnahmen 
Italiens,  dann  der  im  italienischen  Volk  zweifellos  vorhandenen  der 
Monarchie  feindseligen  Stimmung,  der  ausgesprochenen  Aspirationen  auf 
Ländergebiete  Österreich-Ungarns,  femer  jener  auf  die  Vorherrschaft  in 
der  Adria  und  in  Verbindung  damit  einer  die  Interessen  der  Monarchie 
tangierenden  Balkanpolitik  mich  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  daß  die 
Monarchie  unbedingt  bereit  sein  müsse,  Italien  plötzlich  als  Gegner  gegen 
sich  zu  haben. 

Aber  auch  bei  allem  Vertrauen  in  die  jetzigen  politischen  Führer 
muß  doch  auch  immer  mit  einem  plötzlichen  Wechsel  der  Persönlichkeiten 
und  damit  einem  Wechsel  des  Systems  gerechnet  werden. 

Aus  diesem  Grunde  habe  ich  es  als  PfUcht  betrachtet,  bei  den  Kriegs- 
vorbereitungsarbeiten auch  den  Kriegsfall  gegen  ItaUen  in  Betracht  zu 

55 


ziehen,   und   es   ist  der   spezielle    Zweck    des   vorliegenden    Schreibens, 
gewisse  Fragen  in  dieser  Richtung  zu  klären. 

Ich  möchte  hiezu,  wie  in  den  vorangegangenen  Vereinbarungen,  die 
verschiedenen  Kombinationen  nacheinander  in  Betracht  ziehen. 

a)  ItaUen,  Serbien  und  Montenegro  treten  von  Haus  aus  feindlich  auf, 
Rußland  und  Frankreich  bleiben  neutral. 

Dieser  Fall  dürfte  nur  eintreten,  wenn  durch  die  Stellungnahme 
Deutschlands  letztere  beide  Mächte  veranlaßt  würden,  abseits  der  kriege- 
rischen Ereignisse  zu  bleiben. 

Inwieweit  die  auf  kulturelle  und  finanzielle  Rücksichten  zurück- 
zuführende Friedensneigung  Frankreichs,  inwieweit  die  innerpolitischen 
und  militärischen  Verhältnisse  Rußlands,  sowie  dessen  Lage  in  Ostasien 
(Japan)  hiebei  ins  Gewicht  fallen  könnten,  sei  nur  angedeutet.  Die  Neu- 
tralität dieser  beiden  Staaten  vorausgesetzt,  wäre  somit  die  Kriegs- 
handlung lediglich  eine  Angelegenheit  der  Monarchie,  wobei  ich  von  der 
Erörterung  eines  Eingreifens  der  türkischen  Streitkräfte  absehe. 

b)  Italien,  Serbien  und  Montenegro  —  aber  auch  Rußland  —  treicn 
feindselig  gegen  die  Monarchie  auf. 

Deutschland  tritt  im  Sinne  des  Vertrages  vom  Jahre  1879  an  die  Seite 
der  Monarchie  und  löst  damit  auch  das  kriegerische  Eingreifen  Frank- 
reichs aus. 

So  wie  in  diesem  Falle,  nach  den  geschätzten  Mitteilungen  E.  E., 
Deutschland  seine  Hauptmacht  vorerst  gegen  Frankreich  wenden,  gegen 
Rußland  aber  nur  sekundäre  Kräfte  (13  Divisionen)  belassen  würde,  um 
erst  nach  einem  durchgreifenden  Erfolg  gegen  Frankreich  gegen  Rußland 
die  Entscheidung  zu  suchen,  würde  analog  unsererseits  mit  der  über- 
wiegenden Hauptmacht  ein  Erfolg  zuerst  gegen  Italien  angestrebt  werden, 
um  erst  nach  einem  solchen  sich  gegen  Rußland  zu  kehren. 

Gegen  Montenegro  würden  entsprechende,  gegen  Serbien  unter- 
geordnete Kräfte  gelassen  werden;  aber  auch  gegen  Rußland  würden 
außer  den  6  (eventuell  bloß  4)  Kavalleriedivisionen  anfänglich  nur  5  Infan- 
terie-Divisionen erster  Linie  nebst  sonstigen  Formationen  (alles  in  allem 
91/2  Infanterie-,  4  bis  6  Kavallerie-Divisionen)  in  Galizien  verbleiben;  somit 
Kräfte,  welche  zwar  kleinen  femdlichen  Unternehmungen  entgegen- 
zutreten, einer  groß  angelegten  russischen  Offensive  aber  nicht  stand- 
zuhalten vermöchten,  sondern  diesfalls  genötigt  wären,  unter 
möglichster  Verzögerung  der  feindlichen  Vorrückung,  über  die  Karpathen 
zurückzugehen,  und  zwar  mit  der  bei  Lemberg — Przemysl  versammelten 
stärkeren  Gruppe  im  allgemeinen  in  der  Richtung  auf  Budapest,  mit  der 

56 


bei  Krakau  versammelten  schwächeren  Gruppe  im  allgemeinen  in  der 
Richtung  auf  Wien. 

Im  äußersten  Falle  müßte  an  der  Donaustrecke  Wien— Budapest  die 
russische  Offensive  solange  zum  Stehen  gebracht  werden,  bis  das  Ein- 
treffen der  in  Italien  freigewordenen  Hauptkräfte  zu  erfolgen  vermöchte. 

Ob  ein  solches  Zurückgehen  der  sekundären  Kräfte  aus  Galizien  über- 
haupt notwendig  werden  wird,  bis  wieweit  nach  rückwärts  es  erfolgen 
müssen  wird,  wo  die  vom  Süden  herangeholten  Hauptkräfte  zum  offen- 
siven Rückschlag  einzusetzen  sein  werden,  entzieht  sich  natürlich  dermalen 
der  Beurteilung. 

Vor  allem  ist  hiebet  das  Vorgehen  Rußlands  maßgebend  und  in  dieser 
Hinsicht  möchte  ich  zweier  zu  Gunsten  der  eigenen  Situation  ins  Gewicht 
fallender  Momente  Erwähnung  tun,  nämlich  der  geplanten  Rückverlegung 
des  russischen  Auhnarsches  und  der  Sorge  Rußlands  für  seinen  ost- 
asiatischen Besitz  mit  Rücksicht  auf  das  Verhalten  Japans,  beides 
Momente,  welche  dem  raschen  Wirksamwerden  einer  russischen  Offensive 
entgegenstehen. 

Trotz  alledem  wäre  der  hier  gedachte  Kriegsfall  ein  für  das  ver- 
bündete Deutschland,  Österreich-Ungarn  und  Rumänien  sicherlich  recht 
schwieriger,  wenn  auch  im  Enderfolg  durchaus  nicht  hoffnungsloser,  und 
ergibt  sich  daraus  vor  allem  die  Forderung,  daß  die  Diplomatie  einer 
solchen  Konstellation  vorbeugen  müsse. 

Dies  fällt  jedoch  außerhalb  meines  Pflichtenkreises;  innerhalb 
desselben  erachte  ich  es  aber  gelegen.  Seine  Majestät  zu  bitten,  E.  E.  das 
Vorstehende  eröffnen  zu  dürfen,  um  unter  Wahrung  peinlichster  Loyalität 
E.  E.  von  jenen  diesseitigen  Maßnahmen  in  steter  Kenntnis  zu  erhalten, 
welche  im  Bündnisfalle  auch  für  die  dortseitigen  Verfügungen  und  Ent- 
schlüsse von  Einfluß  sein  können. 

Seine  Majestät  geruhten    in    das  vorUegende  Schreiben  Allerhöchst 

Einsicht  zu  nehmen. 

Mit  dem  Ausdrucke  etc.  etc.      ^  ,  u 

Conrad  m.  p." 

General  von  Moltke  an  mich. 
„Chef  des  Generalstabes  der  Armee.  (Streng  geheun.) 

Berlin,  den  30.  Jänner  1910. 
Euer  Exzellenz! 
bitte  ich  für  das  hochgeschätzte  Schreiben  vom  8.  Jänner  1.  J.  meinen 
verbindlichsten  Dank  entgegennehmen  zu  wollen.     In  voller  Würdigung 
der  in  demselben  sich  aussprechenden  loyalen  Auffassung  gegenseitigen 
bündnistreuen  Verhaltens,  versichere  ich,  daß  auch  unsererseits  an  den  im 

57 


vorigen  Jahre  getroffenen  Abmachungen  in  vollem  Umfang  festgehalten 
wird.  Diese  Abmachungen  sehe  ich  als  bindend  an;  sie  behalten  ihre 
Gültigkeit,  bis  sie  durch  beiderseitige  Übereinkunft  geändert  oder  durch 
neue  ersetzt  werden.  Sie  smd  den  diesjährigen  Mobilmachungs-Vor- 
bereitungen von  mir  zugrunde  gelegt  worden. 

E.  E.  betonen  mit  Recht  die  Wichtigkeit,  die  dem  Verhalten  der 
Türkei  nicht  nur  bei  einem  Kriege  der  Monarchie  auf  dem  Balkan,  sondern 
auch  bei  einem  solchen  der  Verbündeten  gegen  Rußland  und  eventuell 
Frankreich  beigemessen  werden  muß.  Zwar  sind  die  Verhältnisse  in 
Konstantin  Opel  noch  zu  wenig  geklärt,  um  die  türkische  Armee  als  sicheren 
Faktor  in  die  militärischen  Erwägungen  einstellen  zu  können,  aber  ich 
glaube  bestimmt,  daß  auch  ohne  formelle  vorherige  Abmachungen  der 
Selbsterhaltungstrieb  die  Türkei  in  einem  auf  dem  Balkan  ausbrechenden 
Kriege  an  die  Seite  Österreich-Ungarns  führen  wird.  Der  dadurch 
gewonnene  Kräftezuwachs  würde  von  nicht  geringer  Bedeutung  sein. 
Allerdings  wird  nach  Ansicht  unserer  dort  befindlichen  Offiziere  die 
türkische  Armee  noch  3  bis  4  Jahre  gebrauchen,  um  als  vollwertig  gelten 
zu  können  und  auch  dies  nur  unter  der  Voraussetzung,  daß  in  ihr  mit 
dem  jetzt  bemerkbaren  Eifer  weiter  gearbeitet  wird  So  viel  mir  bekannt 
ist,  wird  das  Einvernehmen  der  Monarchie  mit  der  -Hohen  Pforte  von  der 
ö.-u.  Diplomatie  in  seinem  vollen  Wert  erkannt  und  dauernd  gefördert. 

Mit  großer  Freude  begrüße  ich  die  zuverlässige  Haltung  Rumäniens. 
Für  die  Mitteilung  E.  E.,  daß  die  militärischen  Abmachungen  der  Mon- 
archie mit  der  rumänischen  Heeresleitung  in  befriedigender  Weise  ver- 
laufen, bin  ich  sehr  dankbar. 

E.  E.  gehen  in  dem  Schreiben  vom  8.  d.  Mts.  des  näheren  auf  das 
Verhältnis  Österreich-Ungarns  zu  Italien  ein.  Unter  Berücksichtigung  des 
von  E.  E.  dargelegten  Verhaltens  Italiens  finde  ich  es  durchaus  erklärlich, 
daß  Österreich-Ungarn  trotz  des  Dreibundes  seinem  südlichen  Nachbarn 
besondere  Aufmerksamkeit  zuwendet,  und  ich  erkenne  es  dankbarst  an, 
daß  E.  E.  die  in  dieser  Richtung  erwogenen  Maßnahmen  zu  meiner 
Kenntnis  bringen. 

Es  ist  ganz  zutreffend,  daß  das  Verhalten  Italiens  für  die  Erwägungen 
der  ö.-u.  Heeresleitung  eine  ähnliche  Rolle  spielt,  wie  dasjenige  Frank- 
reichs für  die  Erwägungen  der  deutschen  Heeresleitung. 

Sollten  diese  beiden  Staaten  bei  einem  Kriege  der  Verbündeten  gegen 
Rußland  sofort  auf  die  Seite  unserer  Gegner  treten,  so  würde  die  Lage, 
wenn  auch  ernst,  doch  klar  und  einfach  sein.  Die  ö.-u.  Armee  würde 
dann  mit  ihren  Hauptkräften  gegen  Italien,  die  deutsche  gegen  Frankreich 
vorgehen.      Erstere    würde    gegen    Rußland    zunächst    91/2    Infanterie- 

58 


Divisionen  und  4  bis  6  Kavallerie-Divisionen,  letztere  13  Infanterie- 
Divisionen  und  2  Kavallerie-Divisionen  ins  Feld  stellen.  In  Anbetracht 
der  durch  die  bevorstehende  Umdislozierung  der  russischen  Armee  not- 
wendig entstehenden  Schwierigkeiten  für  eine  Mobilmachung,  der  wahr- 
scheinlichen Zurückverlegung  des  Aufmarsches  und  der  daraus  folgenden 
Preisgabe  Polens  halte  ich  es  nicht  für  ausgeschlossen,  daß,  wenn  die 
russische  Kriegsbereitschaft,  wie  erwartet  werden  kann,  lange  Zeit 
beansprucht,  selbst  mit  diesen  verhälüiismäßig  schwachen  Kräften  eine 
Offensive  unternommen  werden  kann,  die  nicht  aussichtslos  sein  dürfte, 
wenn  ihr  Gemeinsamkeit  des  Handelns  zugrunde  hegt. 

Die  Lage  wird  dagegen  verwickelt  und  schwierig  für  die  Verbündeten, 
wenn  Italien  und  Frankreich  sich  zunächst  abwartend  verhalten. 

Da  Österreich-Ungarn  in  Italien  denjenigen  Gegner  sieht,  mit  dem 
zunächst  abgerechnet  werden  muß,  so  darf  ich  wohl  annehmen,  daß  seine 
Kriegsvorbereitungen  m  erster  Linie  diesen  möglichen  Feind  berück- 
sichtigen Nun  wäre  der  Fall  denkbar,  daß  beide  Verbündete  ihre  Vor- 
bereitungen gegen  den  für  sie  wichtigsten  Gegner  treffen,  also  Östen^eich- 
Ungam  gegen  Italien,  Deutschland  gegen  Frankreich,  daß  aber  diese 
beiden  Staaten  zunächst  neutral  bleiben,  ohne  daß  die  Verbündeten  die 
Sicherheit  hätten,  daß  die  Neutralität  dauernd  aufrechterhalten  bleibt.  Es 
wäre  somit  nicht  ausgeschlossen,  daß  beide  ihre  Hauptkräfte  in  einer  Rich- 
tung zum  Aufmarsch  bringen,  in  der  sie  nicht  in  Tätigkeit  treten  können, 
während  Rußland  mit  seinem  slawischen  Gefolge  inzwischen  die  Grenzen 
bedroht. 

Das  einzige  Radikalmittel  zur  Entwurung  dieser  kritischen  Lage 
würde  die  sofortige  Kriegserklärung  an  die  unsicheren  Neutralen  sein.  Ein 
solches  Mittel  ist  aber  aus  rechtlichen,  politischen  und  allgemein  mensch- 
lichen Gründen  nicht  anwendbar. 

Ich  habe  daher  vorgeschlagen,  daß,  wenn  der  Krieg  zwischen  den 
Verbündeten  und  Rußland  als  unvermeidlich  und  unmittelbar  bevor- 
stehend angesehen  werden  muß,  seitens  der  deutschen  Regierung  eine 
umgehende  und  völlig  klare  Erklärung  von  der  französischen  Regierung 
darüber  gefordert  wird,  wie  dieselbe  sich  bei  ausbrechendem  Kriege  zu 
verhalten  gedenkt.  Diese  Erklärung  muß  sofort  erfolgen,  denn  die  Ent- 
scheidung, ob  die  deutschen  Hauptkräfte  gegen  Westen  oder  gegen  Osten 
aufmarschieren  sollen,  duldet  keine  Verzögerung.  Eine  ausweichende 
oder  zweideutige  Antwort  würde  als  gleichbedeutend  mit  der  Kriegs- 
erklärung angesehen  werden  müssen. 

Erklärt  Frankreich  strenge  Neutralität  wahren  zu  wollen,  so  ver- 
pflichtet sich  auch  Deutschland,  keine  Feindseligkeiten  gegen  dasselbe  zu 

59 


unternehmen,  das  heißt  die  westüchen  Grenzfestungen  werden  nicht 
armiert,  und  der  Grenzschutz  tritt  nicht  in  Wiricsamkeit.  Die  gesamte 
Armee  wird  zwar  mobil  gemacht,  aber  diejenigen  Teile  derselben,  die 
nicht  in  erster  Linie  gegen  Rußland  eingesetzt  werden  können,  verbleiben 
zunächst  mobil  in  ihren  Standorten. 

Die  vom  deutschen  Generalstabe  getroffenen  militärischen  Vor- 
bereitungen sind  den  vorstehenden  Erwägungen  gemäß  so  angeordnet, 
daß  bei  einer  befriedigenden  Neutrahtätserklärung  Frankreichs  die  für 
diesen  Fall  mit  E.  E  verabredeten  Truppenmengen  sofort  an  die  Ost- 
grenze abgefahren  werden,  während  der  Rest  der  Armee  zunächst  mobil 
im  Lande  verbleibt,  um  entweder  im  Bedarfsfalle  nach  Osten  nachgezogen, 
oder  alsbald  gegen  Frankreich  eingesetzt  zu  werden,  wenn  dieses  in  seiner 
Neutralität  schwankend  werden  sollte. 

Für  Deutschland  ist  mit  diesem  Verfahren  ohne  Zweifel  der  Nachteil 
•verbunden,  daß  es  gezwungen  sein  kann,  seinem  gefährlichsten  Gegner  — 
Frankreich  —  längere  Zeit  nur  unterlegene  Kräfte  entgegenzustellen, 
l'rotzdem  habe  ich  diesen  Aufmarsch  ebenfalls  bearbeiten  lassen,  um  auch 
unter  den  ungünstigsten  Verhältnissen  den  Verpflichtimgen  gegen  unseren 
hohen  Verbündeten  nachkommen  zu  können. 

Daß  ein  Krieg  Österreich-Ungarns  und  Deutschlands  gegen  Rußland 
und  die  Balkanstaaten,  Frankreich  und  Italien  einen  Kampf  auf  Leben 
und  Tod  bedeuten  würde,  ist  gewiß.  Er  würde  zu  führen  sein,  wenn 
von  Anfang  an  klare  Verhältnisse  vorliegen.  Diese  zu  schaffen,  sobald 
seine  Anzeichen  erkannt  werden,  ist  die  erste  Pflicht  der  Diplomatie.  E.  E. 
erheben  die  Forderung,  daß  die  Diplomatie  einer  solchen  Konstellation 
wie  die  erwähnte  vorbeugen  müsse.  Es  wäre  dankbar  zu  begrüßen, 
wenn  ihr  dies  gelingen  sollte.  Unbedingt  muß  aber  vom  Standpunkt  der 
Heeresleitung  die  Forderung  gestellt  werden,  daß  in  dem  verhängnisvollen 
Augenblick,  wo  die  Mobilmachung  ausgesprochen  wird,  volle  Klarheit 
darüber  herrscht,  wer  Freund  und  wer  Feind  ist. 

Mit  dem  Ausdrucke  etc.  etc.  M  o  1 1  k  e  m.  p.,  G.  d.  I." 

„Präs.  Wien,  am  31.  Jänner  1910. 

Seiner  Majestät  vorgelegt  am  1.  Feber  1910  in  Schönbrunn. 

Conrad  m.  p." 

Ich  an  General  von  Moltke. 

„Wien,  am  23.  Feber  1910. 
Ich  beehre  mich  E.  E.  um  Entgegennahme  meines  verbindlichsten 
Dankes  für  das  hochgeschätzte  Schreiben  vom  30.  Jänner  zu  bitten,  ganz 
besonders   aber    auch   für    die    dem    bündnistreuen    Festhalten  an    den 

60 


bestehenden  Abmachungen  gewidmeten  Worte,  welche  Abmachungen 
auch  unsererseits  als  bindend  betrachtet  werden,  bis  sie  durch  beiderseitige 
Übereinkunft  geändert  oder  durch  neue  ersetzt  werden. 

Auch  den  diesseitigen  Mobilmachungs-Vorarbeiten  pro  1910  sind 
dieselben  zugrmide  gelegt. 

Was  das  für  den  Fall  eines  Konfliktes  mit  Rußland  deutscherseits  an 
Frankreich  zu  richtende  Ultimatum  anlangt,  um  festzustellen,  ob  sofort 
gegen  Osten  oder  gegen  Westen  mit  der  Hauptkraft  loszuschlagen  ist,  so 
wird  österreichisch-ungarischerseits  in  diesem  Falle  Italien  gegenüber  der 
gleiche  Vorgang  eingehalten,  sowie  überhaupt  sowohl  diplomatisch  als 
militärisch  nur  im  vollen  Einklang  mit  Deutschland  vorgegangen  werden. 

Welcher  Politik  die  Balkanstaaten,  dann  Rußland,  Frankreich  und 
Italien  folgen  werden,  ist  wohl  dermalen  nicht  abzusehen,  daher  habe  ich 
für  die  hierseitigen  Kriegsvorbereitungen  Wert  darauf  gelegt,  für  alle 
Eventualitäten  so  weit  als  eben  möglich  Vorsorge  getroffen  zu  haben.  Voll 
und  ganz  kann  ich  nur  der  Anschauung  E.  E.  beipflichten,  daß  in  dem 
Moment,  wo  die  Mobilmachung  ausgesprochen  wird,  volle  Klarheit 
darüber  herrschen  muß,  wer  Freund  und  wer  Feind  ist. 

Seine  Majestät  und  der  Minister  des  Äußern  haben  Kennhiis  von  vor- 
liegendem Schreiben. 

Mit  dem  Ausdrucke  etc.  etc.  ^  ,  /-    j    t« 

Conrad  m.  p.,  G.  d.  I. 

General  von  Moltke  an  mich. 

„Chef  des  Generalstabes  der  Armee.  Berlin,  am  30.  März  1910. 

Nr.  872.    Vertraulich. 

An  den  Chef  des  Generalstabes  Conrad  von  Hötzendorf. 

Den  offenen  und  vertrauensvollen  Beziehungen,  die  zwischen  E.  E. 
und  mir  bestehen,  halte  ich  es  für  entsprechend,  E.  E.  die  nachstehende 
Mitteilung  zu  machen. 

Die  hiesige  königlich  rumänische  Gesandtschaft  hat  sich  durch  Ver- 
mittlung des  kaiserlichen  Auswärtigen  Amtes  mit  der  Bitte  um 
Beantwortung  der  in  der  Anlage  aufgeführten  Fragen  an  mich  gewendet. 
Ich  habe  auf  Befürwortung  unseres  Auswärtigen  Amtes  dem  Wunsche 
entsprochen,  nachdem  ich  vorher  erklärt  habe,  daß  ich  mich  verpfÜchtet 
fühle,  E.  E.  von  der  Angelegenheit  Kenntnis  zu  geben. 

Als  der  betreffende  Abteilungschef  des  Generalstabes  dem  rumänischen 
Militärattache,  Hauptmarm  Rascanu,  die  gewünschten  Antworten  erteilte, 
machte  dieser  —  wie  ich  hervorzuheben  nicht  unterlassen  will  —  aus 
freien  Stücken  die  nachfolgenden  Mitteilungen: 

61 


Rumänien  habe  bisher  im  Falle  eines  Krieges  mit  Rußland  und 
Bulgarien  die  Masse  seines  Heeres  hinter  der  befestigten  Sereth -Linie 
Galatz — Focsani  aufmarschieren  lassen  und  sich  in  der  Hauptsache 
defensiv  verhalten  wollen.  Da  man  sich  neuerdings  jedoch  Bulgarien 
gegenüber  durch  das  Erstarken  der  Türkei  entlastet  fühle,  und  einen  Krieg 
mit  Rußland  wohl  nur  im  Verein  mit  Österreich  und  Deutschland  führen 
werde,  hätte  man  beschlossen,  mit  der  Masse  des  Heeres  offensiv  zu 
werden,  und  zwar  nach  Bessarabien  hinein  vorzugehen.  Ein  Armee- 
korps solle  in  der  Dobrudscha,  einige  Reservedivisionen  an  der  Donau- 
linie verbleiben. 

Man   hofft  anscheir^end  rumänischerseits,  sich  mit   dieser  Operation 

beim  Friedensschlüsse  ein  Anrecht  auf  Wiedergewinnung  derjenigen  Teile 

von  Bessarabien  zu  sichern,  die  im  Berliner   Kongreß   1878  aufgegeben 

werden  mußten.     Daß  diese  Operation   eine   wertvolle   Entlastung   des 

österreichischen  rechten  Flügels  bedeutet,  scheint  mir  fraglos. 

Genehmigen  etc.  etc.  »«    i<i  « 

^  Moltke  m.  p." 

Ich   an  General  von  Moltke. 

„Vertraulich. 

Wien,  am  9.  April  1910.  (Antwort  auf  Nr.  872  vom  30.  März  1910  des 
preußischen  Chefs  des  Generalstabes  der  Armee.) 

Ich  beehre  mich  E.  E.  meinen  ganz  ergebensten  Dank  für  die 
geschätzten  Mitteilungen  vom  30.  März  d.  J.,  ganz  besonders  aber  auch 
den  Dank  für  die  erneuert  zum  Ausdruck  gebrachten  vertrauensvollen 
Beziehungen  zwischen  E.  E.  und  mir  zu  übersenden  und  hiebei  zu 
betonen,  wie  hoch  ich  dieses  mir  so  wertvolle  Verhältnis  schätze. 

Die  mir  von  E.  E.  gütigst   mitgeteilten  Angaben    des    rumänischen 

Militärattaches    decken    sich    im    wesentlichen    mit    den    zwischen    dem 

rumänischen  General  Crajniceanu  und  mir  stattgehabten  Besprechungen, 

was  ich  mh"  E.  E.  hiemit  vertraulich  mitzuteilen  erlaube. 

Genehmigen  etc.  etc.  „  ,  ,, 

Conrad  m.  p." 

Während  gegenüber  Rußland  an  den  bisherigen  Maßnahmen  wesent- 
liche Veränderungen  nicht  nötig  erschienen,  erwiesen  sich  gegenüber 
Italien  anbetrachts  der  zunehmend  greifbaren  Kriegsvorbereitungen  dieses 
Staates,  insbesondere  des  Ausbaues  seiner  Befesligungen,  erweiterte  Vor- 
sorgen erforderlich. 

Ich  erließ  daher  nachstehende  Direktiven  an  das  Operationsbureau: 

62 


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Tolmezzo 


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Cividale    sPurqessimo  SMuc/a 


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^    ^15  Peilmanova  /  "'^ 

^  'Ö^ s^g.-'^PalazzoIo 

Portogruaro 
^    ■  6o 


PlavA 
.Cormonsi 


^Monfalcone 


s^^-^Palazzolo ,:.'.       \^^.     ^^""^^n. 


Mafsstab  1:750,000. 

)  5  10  15  20 


25  km 


1.  Chiusaforte 

2.  M.  Festa 

3.  Comielli 

4.  Tarcento 

5.  Tricesimo 

6.  Pagnacco 

7.  Fagagna 

8.  Daniele 

9.  Osoppo 

10.  a.  b.  Ragogna 

11.  Rivis 


12.  Oradisca 

13.  Beano 

14.  Rivolto 

15.  S.  Martini 

16.  Varmo 

17.  Canussio 

18.  Ronchis 

19.  Paiazzolo 

20.  Volparis 

21.  Titiano 

22.  Picchi 


■■»«1^ 


63 


„General  v.  Conrad. 
An  Operations-Bureau.  Wien,  21.  Oktober  1910. 

Direktiven  für  die  Aufmarscharbeiten  gegen  Italien. 

Mein  an  das  Reichskriegsministerium  gerichteter  Antrag  auf  eheste 
schleunige  Neuaufstellung  und  Neubewaffnung  schwerer  Angriffsartillerie 
ist  zur  Kenntnis  zu  nehmen. 

Aus  den  dort  dargelegten  Verhältnissen  sind  aber  auch  die  hinsicht- 
lich der  konkreten  Kriegsvorbereitungsarbeiten  resultierenden  Konsequen- 
zen zu  ziehen. 

Dabei  ist  natürlich  im  Auge  zu  behalten,  daß  der  Ausbau  der 
italienischen  Werke  an  der  Tagliamento-Linie  doch  nur  sukzessive  erfolgt,*) 
daß  daher  vorerst,  also  pro  1911,  noch  mehr  weniger  mit  den  bisher 
vorausgesetzten  Verhältnissen,  also  auch  mit  einem  durch  permanente 
Werke  noch  kaum  gehinderten  Vordringen  der  Hauptkräfte  in  der  Strecke 
Gemona — Lagunenrand  zu  rechnen  ist.  Für  die  Folgejahre  aber,  und 
zwar  schon  von  1912  an,  wird  mit  der  Notwendigkeit  zu  rechnen  sein, 
schon  für  dieses  Vordringen  Panzerwerke  rasch  niederkämpfen  zu  müssen. 
In  Voraussicht  dessen  habe  ich  den  obzitierten  Antrag  auf  Beschaffung 
schwerer  Angriffsartillerie  gestellt.  Wenn  ich  dabei  die  gleichzeitige 
Bekämpfung  von  acht  Panzerforts  als  Minimalmaßstab  hingestellt  habe, 
so  hatte  ich  dabei  die  Bekämpfung  der  Werke  Palazzolo,  Rivolto,  Ragogna, 
Daniele,  Fagagna,  Margherita,  Pagnacco  und  Tricesimo  im  Auge;  dies, 
weil  ich  mir  die  Operation  im  großen  wie  folgt  denke: 

Vorstoß  in  der  26  Kilometer  breiten  Strecke  Udine — Lagunenrand 
bei  raschester  Niederkämpfung  von  Rivolto  und  Palazzolo,  Zurückwerfen 
des  Gegners  über  den  Tagliamento,  Wegnahme  der  feldmäßigen  Brücken- 
köpfe Godroipo — Latisana.  Zum  Schutz  dieses  Vorstoßes  im  Norden :  Fest- 
setzen vor  der  Süd-,  Südost-  und  Ostfront  des  befestigten  Lagers  von 
Gemona,  mit  starker  Kraft  bei  Udine  gegen  die  voraussichtliche  italienische 
Gegenoffensive  aus  dem  befestigten  Raum  von  Gemona,  aber  auch  sofort 
Beginn  des  Angriffes  gegen  die  erwähnten  Fronten,  sowie  die  schwere 
Artillerie  zur  Stelle  ist,  und  zwar  vor  allem  gegen  die  Werke  Tricesimo, 
Pagnacco,  S.  Margherita,  dann  Fagagna. 

Die  durch  das  Kanaltal  vorgehenden  eigenen  Kräfte  hätten  den 
befestigten  Raum  von  Gemona  im  Norden  abzuschließen,  und  so  wie  die 
aus  dem  Gailtal  vorgehenden  zu  trachten,  westlich  des  Tagliamento  über 

*)  Folgende  Bleistiftnotizen  am  Rande:  pd.  für  1911/12  verschoben: 

1-24  Mörs.-Btt.    I  ^,..  ,  ,    _.. 

1     IC  u    u  r)xx      vom  Plocken  nach  Gorz. 
1—15  Haub.-Btt.  | 

64 


das  Gebirge  zu  kommen,  soweit  sich  nicht  etwa  die  Notwendigkeit  ergibt, 
starke  mobile  feindliche  Kräfte  bei  Pieve  di  Cadore  zu  bekämpfen. 

Derart  wäre  zu  trachten,  die  im  befestigten  Raum  von  Gemona 
konzentrierten  Truppen  allseits  einzuschließen  und  den  Stoß  in  der  Ebene 
gegen  jene  Kräfte  fortzusetzen,  welche  der  Gegner  in  der  Ebene  bereit 
hat.  Ob  es  sich  dann  lohnt,  den  befestigten  Raum  bei  Gemona  regelrecht 
anzugreifen,  oder  ob  es  nicht  geratener  erscheint,  die  dortigen  feindlichen 
Kräfte  bloß  einzuschließen  oder  am  Vorbrechen  zu  verhindern,  läßt  sich 
ün  voraus  nicht  bestimmen. 

Bei  der  Stärke  der  Nordfront  der  italienischen  Tagliamento-Linie, 
repräsentiert  durch  die  Werke  Chiusaforte,  Festa,  Comielli,  Osoppo,  legt 
es  sich  nahe,  hier  den  entscheidenden  Angriff  nicht  anzusetzen,  daher 
auch  nicht  viele  Kräfte  hier  zu  binden,  sondern  dieselben  jener  Gruppe 
zuzuschlagen,  welche  westlich  des  Tagliamento  über  das  Gebirge  soll, 
oder  jener,  welche  von  der  Linie  Karfreit  und  südlich  vorzugehen  hat; 
umsomehr,  als  auch  der  etwaige  Angriff  auf  den  befestigten  Raum  von 
Gemona  von  Süden  und  Südosten  aus  zu  erfolgen  haben  wird. 

Eine  grobe  Rechnung  ergibt  folgendes:  Veranschlagt  man  für  die 
36  km  lange  Front  Faedis,  Udine,  Blessano,  Flaibano  (zur  Abwehr  eines 
Vorstoßes  aus  dem  Räume  von  Gemona)  sieben  Divisionen,  für  den  Raum 
nördlich  Faedis  zwei  Divisionen  (eventuell  auch  nur  eine)  und  für  den 
anfänglich  24  km,  später  aber  am  Tagliamento  30  km  breiten  Raum  in 
der  Ebene  (Flaibano,  Godroipo,  Palazzolo,  Gorgo)  neun  Divisionen  in 
erster,  drei  Divisionen  in  zweiter  Linie,  so  ergäbe  dies  7  +  2  -|-  9  -|-  3 
=  21  Divisionen,  von  welchen  19  aus  der  Linie  Cividale— Pieris  anzu- 
setzen wären  (33  km). 

Sollten  aber  die  Verhältnisse  für  einen  solchen  von  Haus  aus  auf 
und  über  Godroipo-Latisana  geführten  Verstoß  nicht  günstig  liegen  und 
die  Gefahr  bestehen,  an  die  Küste  gedrängt  zu  werden,  so  käme  es  vor- 
erst auf  die  Wegnahme  der  Werke  Tricesimo,  Pagnacco,  S.  Margherita, 
Fagagna  und  Castel  Arcano  an,  um  erst  nach  Festsetzung  auf  diesen 
Höhen  die  Offensive  gegen  Westen  über  den  Tagliamento  (abwärts 
Spilimbergo)  fortzusetzen,  bei  rascher  Niederkämpfung  der  Werke  von 
Rivolto  und   Palazzolo. 

Es  kommt  daher  darauf  an,  die  Vorbereitungen  für  diese  Werke- 
Bekämpfung  zu  treffen,  dazu  vor  allem  die  von  mir  verlangte  Angriffs- 
artillerie zu  schaffen. 

Was  es  für  eine  Bewandtnis  mit  dem  Werk  Purgesimo  hat,  ist  nicht 
klar,  ob  dieses  überhaupt  gebaut  wird,  ob  seine  Niederkämpfung  erforder- 
lich wird,  ist  jetzt  noch  nicht  zu  entscheiden. 

5,  Conrad  II  55 


Nun  fragt  es  sich  aber  weiter,  ehe  die  Angriffsartillerie  voll  beschafft 
ist  —  indes  jedoch  die  Werke  südöstlich  Cemcna  gebaut  sind  —  ob  die 
dermalen  gegen  Chiusaforte  und  Comielli  bestimmte  Angriffsartillerie 
dort,  odei  aber  gegen  die  Südfront  von  Gemona  verwendet  werden  soll; 
mit  Rücksicht  auf  das  Obdargelegte  hat  letzteres  zu  erfolgen,  da  auf  ein 
Niederkämpfen  der  hintereinanderhegenden  Werke  Chiusaforte  (Festa), 
Comielli,  Osoppo  in  absehbarer  Zeit  nicht  zu  rechnen  ist,  da  ferner  für  die 
Operationen  der  Hauptkraft  die  Bekämpfung  der  Werke  des  Süd-  und 
Südostgürt^ls  des  Raumes  von  Gemona  erforderlich  ist,  und  da  endüch 
allen  diesen  Befestigungen  am  besten  von  Süden  aus  beizukommen  ist. 

Ist  es  gelungen,  die  Werke  Tricesimo,  Pagnacco,  S.  Margherita, 
Fagagna,  Castel  d'Arcano  zu  nehmen,  dann  ist  der  Feind  auf  den  Raum 
Ragogna,  Osoppo,  Comielli  eingeengt. 

Es  wird  weiter  festzustellen  sein,  wie  viel  eigene  Kräfte  im  Kanaltal 
zu  versammeln  sein  werden,  bezw.  wohin  em  Überschuß  zu  geben  ist. 

Als  Basis  für  all  dies  hat  eine  Berechnung  zu  erfolgen,  mit  welchen 
Kräften  der  Gegner  am  Taghamento  zu  gewissen  Terminen,  insbesondere 
zirka  am  10.,  16.,  20.  Mobilisierungstag  aufmarschiert  sein  kann,  so  wie  ich 
dies  seinerzeit  für  die  anderen  Aufmarsch  Varianten  befohlen  habe.  Speziell 
wird  darzustellen  sein,  wie  viele  Truppen  zu  den  gedachten  Terminen  im 
befestigten  Raum  von  Osoppo — Gemona  versammelt  sein  könnten;  damit 
es  nicht  geschehe,  daß  gegen  diesen  Raum  eigenerseits  mehr  Kräfte 
angesetzt  werden,  als  es  mit  Rücksicht  auf  jene  des  Feindes  nötig  erscheint. 

Es  fäUt  nicht  in  den  Rahmen  dieser  Direktiven,  zu  erwägen,  inwieweit 
es  möglich  erschiene,  sich  der  Höhen  und  Werke  von  Tricesimo,  Pagnacco, 
Arcano,  Margherita,  Fagagna  durch  einen  (eventuell  nächthchen)  überfalls- 
weisen Angriff  zu  bemächtigen,  doch  müssen  auch  hiefür  die  Vor- 
bereitungen getroffen  werden,  darunter  auch  jene  für  einen  Pionierangriff 
mittelst  Sprengmitteln. 

Die  Vorverlegung  der  Befestigungen  an  die  Tagliamento-Linie 
bedingt  aber  Vorsorgen  noch  in  anderer  Richtung. 

Mit  dieser  Vorverlegung  hat  sich  die  Gefahr  einer  gewaltsamen 
Störung  unseres  Aufmarsches  am  Isonzo  wesentlich  erhöht,  da  ja  der 
Feind  die  befestigten  Räume  kaum  ohne  Truppen  lassen,  also  jedenfalls 
hier  neue  Garnisonen  etablieren  wird. 

Alle  Maßnahmen  zum  Schutz  dieses  Aufmarsches  sind  daher  zu 
treffen  und  bezügliche  Anträge  zu  stellen. 

Die  weitere  Ausgestaltung  des  Landwehrregiments  27  (noch  6  Komp. 
als  Gebirgstruppe),  die  Verlegung  eines  Infanterieregiments  nach  Tol- 
mein,    eines    Kavallerieregiments    nach    Laibach    sind    diesbezügliche, 

66 


unablässig  zu  betreibende  Vorkehrungen;  aber  es  kommt  auch  zu 
erwägen,  ob  nicht  der  Raum  westUch  Görz  und  Gradisca  fortiäkatorisch 
zu  sichern  wäre. 

Je  em  permanentes  Werk  auf  der  Korada,  M.  Quarin,  M.  Medea  und 
auf  der  Höhe  nördlich  Vermigliano;  dann  feldmäßige  Brückenköpfe  bei 
Pieris,  Gradisca,  Görz;  endlich  Befestigung  der  Höhen  bei  Tolmein  ver- 
möchten die  Sicherung  des  Aufmarsches  zu  erhöhen  und  dem  immerhin 
mögUchen  Vorstoß  italienischer  Truppen  bis  an  den  Isonzo  Schranken  zu 
setzen. 

Eine  überschlagsweise  Berechnung  der  Kosten  einer  solchen 
permanenten  Befestigung  unter  Angabe  der  Möglichkeit,  für  die  Besatzung 
aufzukommen,  ist  mir  vorzulegen. 

Sollten  die  Kosten  nicht  zu  erlangen  sein,  so  hat  wenigstens  die 
feldmäßige  Befestigung  zu  erfolgen.  Entwürfe  bearbeiten,  Anträge  auf 
Herstellung  (schon  im  Frieden)  stellen. 

Die  hier  angeregten  Fragen  sind  im  Operationsbureau  zu  studieren 

und  mit  mir  seinerzeit  zu  besprechen.  r^  ■,  u 

^  Conrad  m.  p." 

Für  die  Entscheidung,  welche  feindlichen  Werke  anzugreifen  seien, 
war  das  Heranbringen  der  schweren  Artillerie  (24  cm-  und  30-5  cm- 
Mörser)  maßgebend.  Es  war  auf  den  guten  Straßen  der  Ebene  leichter 
und  rascher  möglich. 

Außer  diesen  Vorsorgen  hatte  ich  schon  am  22.  April  1910  das 
Operationsbureau  beauftragt,  Studien  für  den  Fall  eines  überfallsartigen 
Kriegsbegmnes  seitens  Rußlands  odei  Italiens  zu  pflegen  und  Detail- 
anträge zu  stellen.  Auch  wandte  ich  mich  dieserwegen  an  den  Marine- 
kommandanten im  Hinbhck  auf  maritime  Unternehmungen  und  den 
Küstenschutz. 

Am  5.  August  holte  ich  in  der  Marinesektion  das  Gutachten  über 
eine  See-Sperranlage  bei  Riva  ein,  mit  Rücksicht  auf  die  große  Zahl 
italienischer  Fahrzeuge  auf  dem  Gardasee  (2  Finanzboote,  3  Motorboote, 
10  zur  Armierung  emgerichtete  Dampfer).  Die  Marinesektion  erklärte 
eine  Seesperre  nicht  durchführbar,  beantragte  aber  das  Zerstören  der 
Anlegeplätze,  das  Legen  von  Grundminen  und  die  Anlage  von  Flankier- 
batterien als  Schutz  gegen  italienische  Landungsversuche. 

Auf  Grund  meiner  Direktiven  verfaßte  Major  Soos  ein  Detail- 
elaborat über  zu  treffende  Maßnahmen,  insbesondere  anzulegende 
Befestigungen,  Hauptmann  Pflug  eine  Studie  über  Unternehmungen  gegen 
feindliche  Befestigungen  in  den  ersten  Mobilisierungstagen. 

Bei  den  zwingenden  geographischen  Bedingungen  des  italienischen 
Kriegsschauplatzes,  die  einerseits  durch  das  Gebirge,  andrerseits  durch 

5*  67 


die  schmale  Ebene  und  den  Küstensaum  gegeben  waren,  vermochten  die 
Vori(ehrungen  weit  emgehender  zu  erfolgen,  als  für  den  russischen 
Schauplatz,  dessen  weite  Räume  und  allseitige  Bewegungsmöglichkeit  viel 
mannigfachere  Kombinationen  zuheßen.  Ihnen  konnte  erst  bei  Eintritt 
des  Kriegsfalles  selbst  Rechnung  getragen  werden.  Man  mußte  sich  für 
sie  eine  gewisse  Freiheit  des  Handelns  wahren. 

Die  Kraftbemessung  im  großen  mußte  aber  für  jeden  Kriegsfall  mit 
der  Möglichkeit  rechnen,  daß  ihm  ein  Engagement  gegen  einen  anderen 
Gegner  vorangehen  oder  nachfolgen  würde.  Alle  Vorbereitungen  waren 
dadurch  im  hohen  Maße  erschwert  und  kompliziert. 

Der  im  Spätherbst  und  Winter  IQIO  bearbeitete  Aufmarsch 
gegen  Italien  für  das  Jahr  1911  trug,  gleich  den  früheren, 
folgenden  vier  Varianten  Rechnung: 

I.  Krieg  gegen  Italien  ohne  vorangegangenen  Konflikt  mit  Serbien 
und  Montenegro  und  ohne  Drohung  Rußlands; 

II.  Krieg  gegen  Italien  nach  vorhergegangenem  Konflikt  mit  Serbien 
und  Montenegro  und  ohne  Drohung  Rußlands; 

III.  Krieg  gegen  Italien  nach  vorhergegangenem  Konflikt  mit  Serbien 
und  Montenegro  und  mit  Drohung  Rußlands; 

IV.  Krieg  gegen  Italien  ohne  vorangegangenen  Konflikt  mit  Serbien 
und  Montenegro  und  m  i  t  Drohung  Rußlands. 

Die  für  Grenzschutz  und  Sicherung  des  Aufmarsches  bestimmte 
Alarm-Gruppierung  sah  vor : 

Für  den  Hauptrayon  Innsbruck  (Tiroler  Grenze) : 

35  Baone,  32  Landw.Komp.,  80  Masch.-G.,  30  Grenzsich.-Komp., 
61^  Esk.,  28  Geb.-Kan.-Batt.,  12  Geb.-Haub.-Batt.,  5  Pion.-Komp. 

Für  den  Hauptrayon  Kärnten  (Kärntner  Grenze) : 

12  Baone,  9  Landw.-Komp.,  24  Masch.-G.,  8  Grenzsicherungs-Komp., 
3  Esk.,  12  Geb.-Kan.-Batt.,  4  Geb.-Haub.-Batt.,  4  Pion.-Komp. 

Für  den  Hauptrayon  Görz  (Küstenland) : 

36  Baone,  10  Landw.-Komp.,  38  Masch.-G.,  9  Grenzsich.-Komp., 
153/4  Esk.,  16  Feldkan.-Batt.,  4  Geb.-Kan.-Batt.,  3  Pion.-Komp. 

Aufmarsch:  Variante  I.  (37  Inf -Div.,  4  Kav.-Div.) 
4.  Armee  Erzh.  Eugen  (Tirol)*)  1 1  Inf. -Dienen : 


*)  Römische  Zahlen:  Nummer  der  Korps,  arabische  Zahlen:  Nummer 
der  Infanterie-Divisionen. 

68 


IX.  (29.  Valarsa,  26.  Piazza);  XIV.  (44.  Folgaria,  8.  Lavarone); 
VIII.  (9.,  21.  Levico);  3.  Strigno  Valsugana,  19.  Cavalese;  IV.  (31.,  32. 
nördlich  Trient);  10.  Peutelstein 

Landsturrnbrigade  40,  95  Trient,  97  Kaltem,  108  Meran,  103  Fran- 
zensfeste, 107  Bruneck;  ferner :  1  Baon.  Prad  (Stilfser  Joch);  3  Baone 
Fucine  (Tonal);  1   Baon    Lardaro,  3  Baone  Riva. 

3.  Armee  FZM   P  o  t  i  o  r  e  k  (Kärnten)  5  Inf.-Dionen : 

II.  (4  Liesing,  6.  Kötschach,  13  Hermagor);  Detachem.  Tilliach; 
40.  Förolach;  25.  Malborgelh;  Landsturm-Brig.  106.  Maglern. 

1.  Armee  E  r  z  h.  Friedrich: 

1.  (5.,  46.,  12.)  Robic-2aga;  X.  (24.,  45.,  2.)  Woltschach,  Kneza; 
III.  (28.,  22.,  41.)  Cörz-Cormons;  V.  (14.,  33.,  37.)  südlich  des  III.; 
VII.  (17.,  34.,  23.)*)  östlich  Görz;  Landst.-Brig.  100  Laibach. 

2.  Armee  G    d    I    Frank: 

XII  (16.,  35.,  38.)  Gradiska  und  westlich;  VI.  (15.,  27.,  39.)  Mon- 
falcone  und  westlich.  Vor  der  Front  der  1.  und  2.  Armee:  7.,  1.,  3.,  2. 
Kav.-Dion.  I.  md  2.  Armee  zusammen:  21   Inf.-Dionen.,  4  Kav.-Dionen. 

Zur  Disposition  des  A.-O.-K.**):  XI.  (11.,  30.,  43.)  und  die  restieren- 
den Kav.-Dionen 

In  Variante  III.  wären  außerdem  entfallen : 

IV.  (31.,  32,  40.);  VIII.  (9,  21.);  IX.  (29.,  26.);  VIL  (17.,  34.,  23.). 
Daher  verblieben:  30  hif-Dionen,  4  Kav.-Dionen. 

In  Variante  II.  wären  außerdem  entfallen : 

XI  (11  ,  30.,  43.);  12,  2;  dann  die  Landsturm-Brig.  35,  100,  106. 
Daher  verblieben:  25  Inf.-Dionen. 

In  Variante  IV  wären  entfallen  die  obigen,  dagegen  nicht  die 
gegen  Serbien  und  Montenegro  anfängUch  aufmarschierten.  Daher  ver- 
blieben: 35  Inf.-Dionen. 

Gegen  Serbien-Montenegro  waren  anfänglich  gerechnet  XV.  (1.,  48); 
XVI.  (18.,  47.);  XIII.  (7.,  36.,  42.);  20. 

Was  von  diesen  Kräften  auf  den  italienischen  Schauplatz  herangeführt 
werden  konnte,  entschied  erst  die  Lage. 

Am  4.  Dezember  1910  legte  ich  Seiner  Majestät  die  Alarm-Instruk- 
tionen für  die  Kriegsfälle  gegen  Rußland,  Italien,  Serbien,  Montenegro 
vor.  Sie  gingen  nach  Allerhöchster  Genehmigung  an  die  davon 
betroffenen  Korps  zur  Bearbeitung  der  Detailmaßnahmen. 


*)  Das  VII.  Korps  war  als  Queue-Korps  instradiert. 
**)  A.-O.-K.  =  Armee-Oberkommando. 


69 


Bezüglich  des  Kriegsfalles  gegen  Rußland  waren  die  großen  Gesichts- 
punkte mit  General  von  Moltke  erneuert  vereinbart.  Auch  die  mit 
Rumänien  gepflogenen  Beziehungen  erscheinen  bereits  angeführt,  sie 
ließen  voraussetzen,  daß  Rumänien  damals  in  den  Krieg  gegen  Rußland 
eingetreten  wäre.  Es  hätte  die  Ostflanke  unserer  in  Galizien  auf- 
♦  marschierenden  Kräfte  wesentUch  entlastet. 

In  Hinsicht  auf  den  eventuellen  Krieg  gegen  Italien  erneuerte  ich 
in  einer  Audienz  am  18.  März  meinen  Antrag  auf  Verlegung  eines  Infan- 
terieregimentes nach  Tolmein  und  von  Kavallerie  ins  Küstenland.  Am 
12.  November  erbat  ich  die  Allerhöchste  Einflußnahme  auf  endliche 
Inangriffnahme  der  Wasserleitungen  auf  dem  Karst,  als  dem  wasserarmen 
Gebiete,  in  welchem  große  Massen  von  Truppen  und  Trains  im  Kriegs- 
falle zur  Versammlung  zu  gelangen  hatten.  Weiter  betrieb  ich  die  Ent- 
fernung der  italienischen  Finanzwache  vom  Territorium  der   Monarchie. 

Befestigungen.  Auch  die  Befestigungsfrage  kam  im  Jahre  1910 
nicht  über  ihren  schleppenden  Gang  hinaus.  Wie  insbesondere  jede  dies- 
bezügUche  Maßnahme  an  der  i  t  a  1  i  e  n  i  s  ch  e  n  Grenze  den  jedesmaligen 
Aufschrei  des  Ministers  des  Äußern  Graf  Ährenthal  auslöste,  ist  schon 
wiederholt  erwähnt  Zwar  konnte  ich  am  29.  Juli  in  Ischl  Seiner  Majestät 
über  den  befriedigenden  Fortgang  der  Fortsbauten  auf  den  Plateaus  von 
Lavarone,  Folgaria  berichten,  aber  in  der  Audienz  am  18.  September 
mußte  ich  darauf  hinweisen,  daß,  wenn  der  Kredit  für  das  Minimal- 
programm, der  155  Millionen  betrug,  so  wie  es  der  Kriegsminister  will, 
auf  jährliche  Raten  von  nur  6-2  Millionen  Kronen  verteilt  wird,  volle 
26  Jahre  vergehen  würden,  bis  die  Bauten  fertig  sind.  In  dieser  Zeit 
wären  aber  die  Bauten  nicht  nur  in  mancher  Hinsicht  veraltet,  sondern 
es  könnten  sich  in  derselben  auch  längst  schon  die  seh  werstwieg  enden 
Ereignisse  abgespielt  haben. 

In  einer  Audienz  am  21.  Oktober  drängte  ich  wieder  auf  die 
Befestigungsbauten  gegenüber  Italien,  in  einer  solchen  am  15.  Feber  au! 
jene  bei  Triest  und  Sebenico.  Ich  unterstützte  die  Anträge  des  Marine- 
kommandanten Graf  Montecuccoli  auf  dringendste  Ausgestaltung 
Sebenicos  zum  Zufluchtshafen,  Anträge,  die  auch  von  Admiral  Haus 
gutgeheißen  waren,  was  mir  Graf  MontecuccoH  in  einem  Schreiben  mit- 
geteilt hatte.  In  dem  Schreiben  sprach  er  auch  die  Ansicht  aus,  daß  bei 
Sebenico  ein  Landgürtel  anfänglich  entbehrlich  wäre,  wie  dies  ja  auch  bei 
dem  französischen  Hafen  von  Biserta  der  Fall  sei.  Der  am  16.  Feber 
über  diese  Fragen  stattgehabten  Konferenz  ist  schon  im  Ersten  Bande, 
2.  Teil,  unter  „Befestigungen"  gedacht. 

70 


Dem  Thronfolger  Erzherzog  Franz  Ferdinand  trug  ich  die  ganze 
Befestigungsfrage  in  einer  Audienz  am  23.  November  1910  vor. 

Verkehrsmittel.  Mit  nicht  geringen  Widerständen  hatte  im 
Jahre  1910  auch  die  Frage  der  Verkehrsmittel  zu  kämpfen.  In  den 
Audienzen  am  1.  und  15.  Feber,  21.  April,  1 1.  Mai,  29.  Juh,  11.  November 
und  4.  Dezember  bei  Seiner  Majestät,  sowie  am  23.  Dezember  bei  Erz- 
herzog Franz  Ferdinand  hatte  ich  um  Einflußnahme  auf  die  Bahnbauten 
gebeten,  nicht  nur  bezüglich  aller  über  die  ganze  Monarchie  verteilten 
Anträge,  sondern  auch  der  schon  im  Ersten  Bande,  2.  Teil,  unter  „Verkehrs- 
mittel" angeführten.  Sie  ergaben  sich  aus  den  Aufmarsch-Instradierungs- 
arbeiten  des  Eisenbahnbureaus  und  waren  von  wesenthchem  Einfluß  au! 
die  rasche  Operationsbereitschaft  sowohl  am  russischen  als  am  italienischen 
Kriegsschauplatz. 

Ganz  verfahren  war  die  Bahnfrage  auf  dem  südöstlichen  Kriegs- 
schauplatz. Der  Bau  der  dalmatinischen  Bahn  über  Ogulin,  Knin,  der 
den  Interessen  Österreichs  entsprach,  aber,  weil  über  Kroatien  führend, 
in  die  Kompetenz  der  ungarischen  Regierung  fiel,  stieß  auch  weiter  auf 
deren  Widerstand.  Während  Franz  Kossuth  den  Bau  direkt  hemmte, 
anerkannte  sein  Nachfolger  als  Handelsminister,  Hieronymi,  auch  in 
öffentUcher  Rede*)  die  Verpflichtung  zum  Bau,  schlug  jedoch,  mit  Berufung 
auf  die  Bauschwierigkeiten  in  Hochkroatien,  eine  Trasse  durch  das  Unna- 
tal  (Novi,  Bihac,  Knin)  vor.  Aber  er  knüpfte  es  an  die  Bedingung  des 
doppelgleisigen  Ausbaues  der  Kaschau — Oderberger  Bahn  und  der 
Gewährung  des  direkten  Anschlusses  an  die  deutschen  Bahnen  bei  Anna- 
berg. Dadurch  erachtete  sich  aber  wieder  Österreich  wulschaftlich 
geschädigt. 

Ich  erklärte,  daß  gegen  die  Trasse  durch  das  Unnatal  militärisch 
zwar  keine  Bedenken  bestehen  und  die  eheste  Herstellung  einer  Ver- 
bindung mit  Dalmatien  überhaupt  die  Hauptsache  sei,  daß  jedoch  bei 


•)  Die  betreffende  Stelle  dieser  in  Igle  im  Feber  1910  gehaltenen 
Rede  lautet:  „Die  Regierung  hat  es  auf  sich  genommen,  den  Ausbau  der 
dalmatinischen  Eisenbahnen  durchzuführen,  und  zwar  soweit,  daß  der 
Bahnbau  im  Jahre  1908  angefangen  und  1911  beendigt  wird.  Heute  ist 
noch  keine  Rede  von  einem  Baubeginn  mit  diesen  Bahnen,  ja  die  Projekte 
sind  noch  nicht  einmal  fertig.  Hier  handelt  es  sich  nicht  nur  um  die 
Übernahme  einer  großen  Last  von  vielen  Millionen  Kronen,  sondern  auch 
darum,  daß  wir  kontraktliche  Verpflichtungen  übernommen  haben,  die 
wir  heute  bezüglich  des  Termins  nicht  einhalten  können.  Man  wird  uns 
mit  Recht  dessen  beschuldigen,  daß  wir  nicht  Wort  halten  und  nicht 
verläßlich  sind." 

71 


dieser  Wahl  Kroatien  schwer  geschädigt  erscheint,  was  denn  doch  zu 
bedenken  wäre.  Für  B.  H.  vertrat  der  Reichsfinanzminister  Baron  Burian 
ein  Bauprogramm,  das  nur  die  wirtschafthchen  Bedürfnisse  des  Landes 
bei  weitgehender  Berücksichtigung  der  ungarischen  Interessen  im  Auge 
hatte,  die  mihtärischen  jedoch  außer  acht  Ueß.  Demgegenüber  machte 
ich  —  so  auch  in  einer  Audienz  am  18.  März  1910  —  die  mihtärischen 
Forderungen  geltend. 

Ich  bemerkte,  daß  alles  andere  hinfällig  wird,  wenn  B.  H.  der  Mon- 
archie verloren  geht,  und  daß,  um  dies  zu  verhindern,  auch  die  militärisch 
notwendigen  Bahnen  gebaut  werden  müssen.  Auf  das  Verlangen  Baron 
Burians,  die  militärisch  notwendigen  Bauten  aus  den  gemeinsamen  Mitteln 
der  Monarchie  zu  bestreiten,  verwies  ich  darauf,  daß  die  Monarchie 
bereits  seit  Jahren  viele  Hunderte  von  Millionen  zu  Gunsten  des  Landes 
verausgabt  habe,  das  Land  daher  endlich  auch  die  eigenen  Mittel  für 
gemeinsame  Erfordernisse  einsetzen  müsse. 

Nach  dem  Antrage  Baron  Burians  sollte  die  militärisch  so  wichtige 
Strecke  Banjaluka— Jajce  nicht  normalspurig,  dagegen  die  militärisch 
belanglose  Linie  Banjaluka— Gradiska  normalspurig,  jene  Gabela— Kiek 
schmalspurig,  jene  Bugojno — Arzano  gar  nicht  gebaut  werden,  dagegen 
aber  die  miUtärisch  weniger  bedeutungsvolle  Bahn  Ustipraca — Foca — 
Trebinje,  für  die  übrigens  der  Anschluß  nach  Serbien  (bei  Vardiste)  fehlte. 
Seine  Herstellung  hing  vom  guten  Willen  Serbiens  ab. 

Weiter  lautete  Baron  Burians  Antrag  gegen  die  militärisch  dringend 
erforderliche  Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit  der  Hauptlinie  Brod — 
Sarajevo,  die  das  schon  an  anderer  Stelle  erwähnte  Mißverhältnis 
beseitigen  sollte,  daß  wir  bis  Brod  innerhalb  24  Stunden  30.400  Mann 
zu  transportieren  vermochten,  von  dort  weiter  aber  nach  Sarajevo 
nur  QOOO. 

Der  dringend  geforderte  Bahnbau  Banjaluka — Jajce  mit  Fortsetzung 
über  Rama  nach  Mostar,  als  wichtige  Aufmarsch-  und  Nachschublinie 
gegen  Montenegro,  stieß  gleichfalls  auf  den  Widerstand  des  gemeinsamen 
Finanzministers,  obgleich  die  Finanzierung  dieses  Baues  durch  die  Boden- 
Kreditanstalt  in  Aussicht  stand. 

Daß  ich  gegen  die  ohne  Kenntnis  des  Kriegsministers  und  des  Chefs 
des  Generalstabes  erfolgten  Verhandlungen  über  Elektrifizierung  der  Bahn 
Sarajevo — Mostar  und  über  Kleinbahnbauten  Stellung  nehmen  mußte, 
fand  schon  Erwähnung. 

Auch  die  Straßenbauten  stockten.  In  Österreich  knüpfte  das  Finanz- 
ministerium den  Baubeginn  an  die  zur  Gänze  erfolgte  finanzielle 
Bedeckung,  während  ich   den   Beginn   schon  nach  Eingang  der  ersten 

72 


Baurate  verlangte  Die  Verzögerung  war  unausbleiblich;  auch  zum 
Schaden  der  betreffenden  Länder. 

Die  geforderte  Herstellung  einer  direkten  Telephonverbindung  Sara- 
jevo—Budapest bis  Wien  stieß  auf  den  Widerstand  der  ungarischen 
Regierung. 

Kundschaftswesen.  Über  die  geringen  hiefür  gewährten 
Mittel,  die  Widerstände,  die  Graf  Ährenthal  dem  Kundschaftsdienst 
bereitete  und  die  sich  bis  zur  Einstellung  der  Reisen  der  Offiziere  steigerten, 
ist  schon  in^i  Früheren  alles  Wesentliche  enthalten.  Diese  Übelstände 
blieben  auch  im  Jahre  1910  bestehen. 

In  einer  Audienz  am  18  März  1910  referierte  ich  Seiner  Majestät 
speziell  über  die  ausgebreitete  russische  Spionage. 

Jahres-Denkschrift.  Wie  alljährlich  verfaßte  ich  auch  am 
Schlüsse  des  Jahres  1910  eine  Denkschrift  über  die  militärische  Lage. 
Ich  lasse  sie  hier  —  mit  Ausschluß  der  Beilagen  —  vollinhaltlich  folgen. 

„Gen.  Br.  Conrad. 
Denkschrift 

über  die  militärisch-politische   Lage  und   die  Konsequenzen  hinsichtlich 
Ausgestaltung  der  bewaffneten  Macht. 

Videat  Se.  Exzellenz  der  Herr 

Reichskriegsminister. 

23./11.  Schönaich  m.  p.,  G.  d.  L 

25./11.  Przyborski  m.  p.,  GM. 

Wien,  31.  Oktober  1910. 

Conrad  m.  p.,  G.  d.  I. 

(Bleistiftbemerkungen) 
Gstb.  Nr.  3907/1910  vom  9.  November. 

Bei  Seiner  Majestät  bleiben: 

a)  Vorliegende  Denkschrift  als  Einleitung. 

Als  Beilagen: 

b)  Inhaltsauszug  des  großen  Antrages, 

c)  Abschrift  des  Antrages  wegen  der  schweren  Artillerie, 

d)  die  graphischen  Beilagen,  und  zwar  italienische  Befestigungen  und 
Bahnen  1907,  1910,  1912/14;  italienische  Dislokationen  1907,  1910, 
Tabellen  über  italienische  Heeresstärke, 

e)  die  Bahnforderungen. 

73 


General  d.  Inf.  Br.  Conrad. 

Denkschrift 

über  die  militär-politische  Lage  und  deren  Konsequenzen  hinsichtlich 

Ausgestaltung  der  bewaffneten  Macht. 

Wien,  am  31.  Oktober  IQIO. 

Euer  Majestät  geruhten  in  den  Vorjahren  verschiedene  meinerseits 
verfaßte  Denkschriften  allergnädigst  entgegenzunehmen,  in  denen  ich 
jene  Anschauungen  niedergelegt  habe,  welche  mir  bestimmend  für  die 
mir  obliegenden  konkreten  Kriegsvorbereitungsarbeiten  und  die  damit 
im  Zusammenhang  stehenden  organisatorischen  und  sonstigen  Anträge 
erschienen. 

Geruhen  Euer  Majestät  allergnädigst  zu  genehmigen,  daß  ich  mich 
auf  diese  meine  Denkschriften  auch  heuer  berufe  und  in  möglichster 
Kürze  die  Hauptgrundzüge  hervorhebe,  welche  mich  bezüglich  der 
gedachten  Arbeiten  auch  dermalen  leiten;  es  sind  dies  folgende: 

Als  politische  Grundlage  für  die  militärischen  Vorbereitungen  können 
nicht  die  momentanen  politischen,  häufig  nur  auf  einzelne  Persönlich- 
keiten oder  Parteien  gegründeten  Konstellationen  genommen  werden,  weil 
mit  dem  jederzeit  möglichen  Wechsel  dieser  Parteien  oder  Personen  auch 
die  Konstellationen  plötzlich  sich  ändern;  die  fallweisen  diplomatischen 
Abmachungen  können  daher  auch  keine  Basis  für  die  militärischen  Vor- 
sorgen bilden. 

Letztere  bedingen  eine  weit  voraussehende,  alle  im  Bereich  der  Mög- 
lichkeit liegenden  Konstellationen  in  Betracht  ziehende  und  für  jede 
derselben  alles  Nötige  vorsehende  Beurteilung  der  politischen  Lage;  dies 
deshalb,  weil  die  allgemeinen,  sowie  die  speziellen,  den  einzelnen  Kriegs- 
fällen angepaßten  konkreten  militärischen  Vorbereitungen  sich  nicht  im 
letzten  Moment  bewirken  lassen,  sondern  eine  sehr  lange  Durchführungs- 
frist voraussetzen,  welche  bei  den  allgemeinen  Vorbereitungen  (Organi- 
sation, Bewafinung,  Ausrüstung,  Kundschafterdienst,  Befestigungen,  Aus- 
bildung, Flotte)  nach  Jahren,  aber  auch  bei  den  konkreten  Vorbereitungen 
(Auf  marsch  vorarbeiten,  Instradierung  etc.)  nach   Monaten  zählt. 

Diese  voraussichtige  Beurteilung  der  Politik  kann  sich  daher  nur  auf 
jene  Verhältnisse  stützen,  welche  sich  aus  den  allgemeinen  Entwicklungs- 
bedingungen der  Staaten,  ihren  daraus  hervorgehenden  Interessen  und 
damit  ihren  natürlichen  Gegnerschaften  ergeben.  Diese  Potenzen  sind 
die  schließlich  ausschlaggebenden,  mit  dem  natürlichen  Gewicht  in  die 
Wage  fallenden  und  sich  en  cas  que  über  alle  noch  so  verläßlich  geglaub- 
ten Ententen,  diplomatischen  Abmachungen  und  Versprechungen  hinweg- 
setzenden. 

74 


Die  vom  obigen  Gesichtspunkt  aus  gewonnenen  Anschauungen  sind 
daher  einzig  und  allein  als  Basis  für  die  militärischen  Vorbereitungen 
brauchbar,  will  man  nicht  von  Situationen  überrascht  werden,  die  man 
in  Vertrauensseligkeit  für  ausgeschlossen  erachtet  hat. 

Sind  aber  einmal  jene  Richtungen  erkannt,  nach  welchen  die  mili- 
tärischen Vorbereitungen  notwendig  erscheinen,  dann  muß  auch  in  alle 
Konsequenzen  dieser  Notwendigkeit  eingegangen  werden,  und  es  dürfen 
diplomatische  Bedenken  und  Vorsichtigkeiten,  innerpolilische  Nachgiebig- 
keiten, sowie  die  Scheu  vor  finanziellen  Opfern  nie  zur  Ursache  werden, 
diesen  Konsequenzen  auszuweichen;  immer  bedenkend,  daß  sich  die 
Schicksale  der  Staaten,  der  Völker,  der  Dynastien  nicht  am  diplomatischen 
Konferenztische,  sondern  auf  dem  Schlachtfeld  entscheiden. 

Von  obigen  Gesichtspunkten  ausgehend,  erscheint  mir  für  die  folgende 
Periode  nachstehendes  festzustehen: 

Deutschland  ist  durch  seine  Interessen  ebenso  an  die  Monarchie 
gewiesen,  wie  letztere  an  Deutschland.  Das  Bündnis  mit  Deutschland 
bildet  daher  die  Grundlage  der  PoHtik  der  Monarchie  und  damit  auch 
die  Grundlage  für  alle  Kriegsvorbereitungsarbeiten.  An  diesem  Bündnis 
festzuhalten,  es  zu  pflegen  und  stets  zum  Ausdruck  zu  bringen, 
insbesondere  auch  jedwede  kleinUche  Zurückhaltung  zu  vermeiden, 
erscheint  mir  Bedingung. 

Italien.  Gilt  Italien  zwar  noch  immer  als  Macht  des  Dreibundes, 
bemühen  sich  auch  alle  dermaligen  diplomatischen  Schritte,  es  in  diesem 
Verhältnis  zu  erhalten  und  scheinen  die  dermaligen  maßgebenden  poli- 
tischen Faktoren  Italiens  von  der  gleichen  Richtung  beseelt  —  so  kann 
ich  trotz  alledem  nicht  umhin,  in  Italien  einen  ausgesprochenen  Gegner 
der  Monarchie  zu  sehen,  der  in  einem  ihm  passenden  Moment  die  Maske 
abwerfen  und  in  offener  Feindschaft  handeln  wird. 

Der  in  allen  Teilen  der  Bevölkerung  unter  Patronanz  der  Regierung 
geschürte  Haß  gegen  die  Monarchie  und  deren  Dynastie,  die  weitestgehende 
Verbreitung  des  Irredentismus,  die  im  großen  Stil  organisierten,  vor 
allem  mit  dem  Chauvinismus  der  Jugend  rechnenden  Freiwilligen-Organi- 
sationen, die  zügellose  Agitation  bei  den  Kcnnationalen  im  Gebiete  der 
Monarchie,  die  systematische  Ausspähung,  die  schamlose  Hetze  seitens 
des  größten  Teiles  der  Presse,  die  unausgesetzten  Schikanen  im  Grenz- 
gebiet, die  unverblümten  Äußerungen  maßgebender  PersönUchkeiten,  die 
sachlichen  Publikationen  der  militärischen  Fachpresse,  sowie  zahlreiche 
einschlägige  Broschüren  und  Studien  weisen  auf  die  Gegnerschaft  hin. 
Als  eines  der  zahllosen  Beispiele  bitte  ich  die  Artikel  des  italienischen 
Generals  d.  R.  Fadda  in  der  offiziösen  „Tribuna"  vom  2.  November  samt 
Übersetzung  beischUeßen  zu  dürfen  (Beilage  10),  aber  vor  allem  erhält 

75 


diese  ihren,  selbst  für  den  Laien  unverkennbaren  Ausdruck  in  den 
konkreten  militärischen  Maßnahmen,  welche  Italien  ganz  ausgesprochen 
für  einen  Krieg  gegen  die  Monarchie  trifft.    Hieher  zählen: 

a)  Der  rasch  betriebene  Ausbau  eines  im  größten  Stil  angelegten,  die 
operative  Absicht  scharf  kennzeichnenden  Befestigungssystems,  von 
dem  nur  ein  Laie  glauben  kann,  daß  es  rein  defensiven  Zwecken 
dient;  worauf  ich  noch  eingehender  zurückkommen  möchte. 

b)  Die  Vermehrung  der  Garnisonen  in  Venetien  und  im  Grenzgebiet 
überhaupt,  sowie  die  darin  sich  aussprechende  Absicht,  im  Kriegs- 
fall nicht  nur  das  letztere  zu  schützen,  sondern  mit  operationsbereiten 
Körpern  in  das  Gebiet  der  Monarchie  einzufallen,  um  hier  den  Auf- 
marsch zu  stören. 

Beilage  6  zeigt  die  Gamisonsverhältnisse,  wie  sie  1907  bestan- 
den.   Beilage  7  zeigt  dieselben,  wie  sie  jetzt  bestehen. 

c)  Die  Entwicklung  des  Bahnnetzes  im  Sinne  eines  rascheren  und 
insbesondere  im  Sinne  eines  eventuell  bis  an  den  TagUaraento  vor- 
gelegten Aufmarsches.    Siehe  Beilage  9. 

d)  Die  alljährliche  Verlegung  der  Alpini-Formationen  von  der  fran- 
zösischen Grenze  in  die  Grenzgebiete  nächst  der  Monarchie  und  die 
in  großem  Stil  betriebenen  Übungen  derselben,  bei  weitestgehender 
Heranziehung  der  Alpini-Milizformaticnen. 

e)  Die  rege  Tätigkeit  hinsichtlich  Manövern,  Übungsreisen,  Kader- 
übungen im  Aufmarschraum  gegen  die  Monarchie. 

f)  Die   unausgesetzt   betiebenen    Rekognoszierungsfahrten  italienischer 

Kriegsfahrzeuge  an  der  Küste  der  Monarchie, 
g)  Die  mit  Beschleunigung  betriebene,  im  allgemeinen  auf  das  Früh- 
jahr 1912  gestellte  Ausgestaltung  von  Heer  und  Flotte,  in  der  sicht- 
lichen Tendenz,  den  Streitkräften  der  Monarchie  mindestens  gleiche, 
womögUch  überlegene  Kräfte  entgegenzustellen,  so  vor  allem  hin- 
sichtlich der  Marine  der  Bau  schwerster  Schlachtschiffe,  hinsichtlich 
der  Landmacht  die  wesentliche  Erhöhung  der  Friedenspräsenzstärke 
(bisheriger  budgetierter  Präsenzstand:  225.000  Mann,  neu  zu  budge- 
tierender  Präsenzstand  250  000  Mann,  im  Oktober  aber  bereits  vor- 
handen 303.000  Mann,  davon  nach  Ausbildung  ab  die  2.  Kategorie, 
bleiben  noch  immer  278.000  Mann  faktisch  präsent,  damit  verbunden 
jährliche  Budgeterhöhung  um  15  Millionen  Lire),  die  Ausrüstung  des 
IV.  Korps  (Piacenza)  mit  Gebirgsausrüstung,  die  Ausgestaltung  der 
Mobil-Milizdivisionen,  vorläufig  der  Zahl  nach  zehn. 
Zu  diesen  militärischen  Vorbereitungen  ist  noch  jene  Aktion  auf 
politischem  Gebiet  hinzuzurechnen,  welche  sich  in  den  Beziehungen 
Italiens  zu  Montenegro,  Serbien,  Rußland  und  Frankreich  ausspricht  und 

76 


speziell    gegenüber    Montenegro    in    der    Zuwendung    von    Geschützen, 
Instruktcren  etc.  konkreten  Ausdruck  gefunden  hat. 

Zeigt  all  dies,  daß  sich  Italien  in  sehr  zielbewußter  Weise  zum  Krieg 
gegen  die  Monarchie  vorbereitet  und  daß  es  eine  verderbliche  Täuschung 
wäre,  sich  dieser  Erkenntnis  zu  verschheßen,  so  ist  insbesondere  aus  dem 
dermalen  mit  rastlosem  Eifer  zur  Ausführung  gelangenden  Befestigungs- 
system leicht  zu  erkennen,  daß  Italien  hiebei  auch  einen  Offensivkrieg  im 
Auge  hat,  und  zwar  wie  folgt  (Beilage  3,  4,  5). 

Der  Ausbau  des  großangelegten  befestigten  Raumes  von  Oemona 
im  Verein  mit  den  permanent  zur  Ausführung  gelangenden  Brückenköpfen 
von  CodroipoCasarsa  und  von  Latisana  sollten  jedwede  ö.-u.  Offensive 
vom  Isonzo  und  Kanaltal  (Camia)  her  aufhalten,  indes  überlegene  italie- 
nische Kräfte  von  Westen,  Süden  und  Südosten  her  das  südliche  Tirol 
angreifen  und  durch  einen  Vorstoß  aus  dem  Cadore  von  der  Monarchie 
trennen.  Die  zahlreichen,  an  allen  Ausgängen  angelegten  Gebirgsbefesti- 
gungen  vom  Stilfserjoch  bis  ins  Cadore  sollen  nicht  nur  diese  Offensive 
gegen  Tirol  direkt  unterstützen,  sondern  auch  die  Versammlung  der  hiezu 
nötigen,  sowie  derindervenetianischen  Ebene  aufmarschieren- 
den Kräfte  und  deren  Verbindungen  nach  rückwärts  verläßlich  schützen. 

Bedenkt  man,  daß  Tirol  nur  ein  Korps  im  Lande  hat,  für  Truppen- 
zuschübe  aber  bloß  auf  die  trotz  jahrelanger  Anforderungen  noch  immer 
bloß  eingleisige  Bahn  Salzburg— Wörgl,  sowie  auf  die  Brennerbahn  und 
die  sehr  gefährdete  Pustertalbahn  angewiesen  ist,  während  Italien  Süd- 
tirol nicht  nur  mit  zwei  Korps  umschließt,  sondern  auch  auf  seinen  zahl- 
reichen Bahnen  bei  kurzen  Aufmarschlinien  rasch  weitere  Kräfte  heran- 
führen kann,  so  gewinnt  eine  solche  Offensive  Italiens  voraussichtlich  mit 
dem  in.,  IV.  und  V.  Korps  und  allen  Alpinitruppen  nebst  Freiwilligen- 
formationen sehr  an  Wahrscheinlichkeit.  Im  Falle  des  Gelingens  würde 
ihr  dann  die  Offensive  in  Venetien  folgen,  wo  anfänglich  das  VI.  Korps 
und  die  Kavalleriedivisionen  den   Aufmarsch  decken. 

Ich  bin  weit  entfernt,  von  der  eigenen  Aktion  nicht  ein  diese  Pläne 
Italiens  vereitelndes  Vorgehen  zu  erwarten,  aber  ich  führe  den  obdargeleg- 
ten  Gedankengang  nur  an,  um  die  Anschauungen  jener  zu  entkräften, 
welche  bei  Italien  nur  rein  defensive  Absichten  voraussetzen  und  dies 
etwa  gar  aus  den  Befestigungen  Italiens  ableiten  wollen. 

Aber  selbst  wenn  man  Italien  nicht  zumuten  will,  daß  es  plötzlich 
ganz  allein  zum  Angriffskrieg  gegen  die  Monarchie  schreitet,  so  muß 
man  doch  mindestens  darauf  gefaßt  sein,  daß  Italien  diesen  Angriffskrieg 
führen  wird,  sobald  die  Monarchie  von  irgendwelchen  Komplikationen 
innerer  oder  äußerer  Natur  betroffen  ist. 

77 


Bei  alldem  muß  noch  mit  folgendem  gerechnet  werden: 

Die  Sympathien  der  italienischen  Dynastie  sind  der  Monarchie  nicht 
zugeneigt,  die  leitenden  Staatsmänner  können  bald  wechseln,  das  chauvi- 
nistisch veranlagte,  leicht  inflammable,  überdies  schon  aufgehetzte  Volk 
kann,  geschickten  Agitatoren  folgend,  unschwer  zur  Aktion  getrieben 
werden,  oder  selbst  die  maßgebenden  Faktoren  hiezu  drängen;  endlich 
ist  es  bei  dem  selbst  schon  in  die  Armee,  angeblich  sogar  in  das  Offiziers- 
korps gedrungenen  republikanischen  Geist  nicht  ausgeschlossen,  daß  in 
Italien  Umwälzungen  stattfinden,  welche  zu  einer  Aktion  nach  außen 
drängen,  und  es  wäre  gewiß  keine  so  populär,  wie  der  Krieg  gegen 
Österreich-Ungarn. 

Wenn  ich  nun  zu  den  unverkennbaren  Erscheinungen  einer  im 
Grunde  feindseligen  Gesinnung  Italiens  nach  den  Interessen  frage,  welche 
deren  Basis  bilden  und  welche  mir  als  die  ausschlaggebenden  Momente 
für  die  Haltung  ItaUens  gelten,  so  liegen  diese  auf  der  Hand,  und  zwar 
die  Erwerbung  der  italienischen  Gebiete  der  Monarchie,  vor  allem  Süd- 
tirols, Triests,  Istriens;  die  Vorherrschaft  in  der  Adria,  vielmehr  die 
Verhinderung  der  Entwicklung  der  ö.-u.  Seemacht  als  Rivalin  im  Mittel- 
meer, am  Balkan  und  im  Orient;  die  Bekämpfung  jedweder  Macht- 
erweiterung der  Monarchie  auf  der  Balkanhalbinsel,  woselbst  Italien 
seine  kommerziellen  und  sonstigen  Interessen  ungestört  verfolgen  will; 
endlich  Verhinderung  jedweder  Machtzunahme  der  Monarchie  überhaupt, 
als  natürUche  Gegnerin  in  den  oben  angeführten  Aspirationen. 

Ich  resümiere  daher  hinsichtlich  Italiens :  Die  Monarchie  hat 
allen  Grund,  in  Italien  eine  feindliche  Macht  zu 
sehen  und  sich  mit  aller  Energie  zum  Krieg  gegen 
diesen  Staat  vorzubereiten. 

Serbien  und  Montenegro.  Ich  habe  in  mehreren  Memoires 
der  Vorjahre  meine  leitende  Ansicht  dahin  präzisiert,  daß  ich  die 
Zukunft  einer  aktiven  Politik  der  Monarchie  auf  dem  Balkan  gelegen 
glaube  und  daß  die  Monarchie  daher  für  geraume  Zeit  mit  jenen  Staaten 
wird  als  Gegner  rechnen  müssen,  welche  sich  durch  eine  solche  Politik 
der  Monarchie  in  ihren  Aspirationen  betroffen  sehen. 

Dies  weist  direkt  auf  Serbien  und  Montenegro,  im  weiteren  Zusam- 
menhange auf  Italien  und  Rußland  hin. 

Wenn  ich  mir  die  nächsten  Ziele  der  ö.-u.  Balkanpolitik  konkret 
klarlege,  so  sind  sie  durch  folgende  Ideen  gekennzeichnet: 

Der  südslawische  Komplex  der  Monarchie  repräsentiert  ein  so 
großes  Gebiet,  daß  mit  dem  Verlust  desselben  die  Machtstellung  der 
Monarchie  gebrochen  wäre,  dies  umsomehr,  als  damit  auch  das  ganze 
Küstengebiet,  somit  die  Seemachtstellung  verloren  ginge. 

78 


Die  Erhaltung  des  südslawischen  Komplexes  ist  daher  eine  conditio 
sine  qua  non. 

Es  ist  nun  für  diese  Erhaltung  höchst  bedenklich,  als  unmittelbare 
Nachbarn  zwei  südslawische  souveräne  Staaten  erstehen  und  erstarken 
zu  lassen,  welche  stets  Attraktionspunkte  für  die  radikalen  Elemente  und 
stets  Herde  für  die  Aufwiegelung  der  Südslawen  der  Monarchie  bilden 
werden,  umsomehr  als  sie  die  Idee  des  souveränen  südslawischen  Ein- 
heitsstaates auf  ihre  Fahne  schreiben. 

Aber  auch  den  sonstigen  Gegnern  der  Monarchie  (jetzt  insbesondere 
Rußland  und  Italien)  bieten  diese  souveränen  Staaten  willkommene 
Anhaltspunkte,  um  der  Monarchie  Verlegenheiten  zu  bereiten,  weshalb 
diese  Staaten  dafür  sorgen,  Serbien  und  Montenegro  m  Gegnerschaft 
zur  Monarchie  zu  erhalten.  Daß  Serbien  und  Montenegro  daher  auch 
wohl  immer  als  Verbündete  der  Gegner  der  Monarchie  auftreten,  somit 
militärische  Kräfte  der  Monarchie  binden  werden,  wenn  diese  in  einen 
kriegerischen  Konflikt  gerät,  ist  wohl  kaum  fraglich.  Weist  nun  schon 
diese  Erhaltungsrücksicht  auf  die  Notwendigkeit  hin,  diese  Staaten  zu 
inkorporieren,  was  bezügUch  Serbiens  absolut  gilt,  bezügUch  Montene- 
gros vielleicht  durch  ein  unbedingtes  Abhängigkeitsverhältnis  ersetzt 
werden  könnte,  so  verlangen  auch  die  handelspolitischen  Rücksichten 
der  Monarchie  eine  territoriale  Ausdehnung  in  dieser  Richtung,  damit  die 
Monarchie  sich  dieses  Gebiet  erschließe,  es  nicht  in  andere  Interessen- 
sphären gelangen  lasse  und  nicht  der  Gefahr  ausgesetzt  sei,  selbst  durch 
so  kleine  Staaten  in  ihrer  handelspolitischen  Aktion  eingeengt  und  schika- 
niert zu  werden,  sondern  schon  kraft  des  geographischen  Besitzes  in  der 
Lage  sei,  allen  Forderungen  auf  dem  Balkan  entscheidenden  Nachdruck 
zu  geben.  Erst  mit  dem  Besitz  Serbiens,  speziell  des  Moravatals  inklusive 
des  Beckens  von  Nis,  erscheint  dies  aber  gewährleistet. 

Zu  diesen  Erwägungen  kommt  noch,  daß  in  beiden  obgenannten 
Staaten  die  Idee  wacherhalten  und  großgezogen  wird,  daß  dieselben 
historische  und  nationale  Ansprüche  auf  gewisse  Gebiete  der  Monarchie 
haben,  so  Serbien  bezüglich  Bosniens,  so  Montenegro  hinsichtlich  des 
süddalmatinischen  Küstengebietes  und  der  südlichen  Herzegowina; 
nicht  belanglos  ist  dabei,  daß  letzterer  Staat  durch  die  für  die  Monarchie 
höchst  ungünstige  Gestaltung  der  Grenze  (Cattaro — Budua — Spizza) 
zu  solchen   Aspirationen  geradezu  herausgefordert  wird. 

Das  Gesagte  ergibt  somit,  daß  Serbien  und  Montenegro 
als  Gegner  der  Monarchie  in  Betracht  kommen  und 
die  militärischen  Vorsorgen  hiemit  rechnen  müssen. 

Rußland.  Rußland  ist  mit  seinen  auswärtigen  politischen  Inter- 
essen so  vielfach  engagiert,  daß  es  stets  darauf  ankommen  wird,  jeweilig 

79 


zu  erkennen,  welche  der  letzteren  in  den  Vordergrund  gestellt  erscheinen, 
für  welche  daher  Rußland  eben  gesonnen  ist,  das  Schwert  zu  ziehen. 

Im  wesentlichen  wird  zu  beurteilen  sein,  ob  Rußland  das  Schwer- 
gewicht auf  seine  asiatische  oder  auf  seine  europäische  Politik  verlegt, 
weil  voi  allem  dies  maßgebend  daiür  ist,  ob  und  inwieweit  dieser  Staat 
als  Gegner  der  Monarchie  in  Betracht  kommt. 

Momentan  scheint  das  Charakteristische  der  politischen  Lage  Ruß- 
lands in  dem  Bedürfnis  nach  Sammlung  und  Retablierung  von  den 
Folgen  des  unglücklichen  japanischen  Krieges  zu  liegen;  dies  prägt 
sich  umsomehr  aus,  seitdem  der  Zar,  die  Iswolskysche  Politik  diploma- 
tischer Winkelzüge  und  Intrigen  verlassend,  sich  den  Anschauungen 
seiner  militärischen  Berater,  vor  allem  des  Generals  Suchomlinow, 
zugewendet  hat. 

Die  Entblößung  des  Gebietes  westlich  der  Weichsel  von  größeren 
Truppenmassen,  die  Formierung  einer  für  alle  Eventualitäten  in  Betracht 
kommenden  Zentralarmee,  die  voraussichtliche  Verlegung  des  Auf- 
marsches aus  dem  Weichselland  gegen  Osten,  bei  Schaffung  einer  für 
die  Verbindung  sorgenden  Befestigungsgruppe,  die  Vermehrung  der 
sibirischen  Armeekorps,  die  Ausgestaltung  der  sibirischen  Bahn  sind 
Maßnahmen,  welche  darauf  hinweisen,  daß  Rußland  ebenso  zu  militä- 
rischem Auftreten  in  Europa,  wie  zu  solchem  in  Zentralasien  und  in  Ost- 
asien bereit  sein  will. 

Überdies  hat  es  besondere  Vorsorgen  für  Finnland  und  für  den 
Kaukasus  getroffen. 

Gelänge  es,  Rußland  dauernd  in  Asien  zu  engagieren,  so  stünde  zu 
hoffen,  daß  es  in  Europa  als  Gegner  nicht  in  Betracht  kommt,  man  also 
freie  Hand  füi  alle  jene  Aktionen  hätte,  welche  ansonsten  zu  einem 
feindseligen  Eingreifen  Rußlands  führen  müßten;  nur  müßte  man  dann 
auch  diesen  Vorteil  nützen. 

Ist  aber  ein  solches  Engagement  Rußlands  in  Asien  nicht  gesichert, 
so  kommt  es  darauf  an,  jene  Interessengegensätze  zu  erwägen,  welche  zu 
einem  Konflikt  mit  Rußland  führen  könnten;  sie  betreffen: 

Die  Meerengenfrage,  respektive  die  Festsetzung  Rußlands  an  den 
Meerengen  (Konstantinopel)  und  die  damit  bedingte  Gefährdung  der 
ö.-u.  Interessen  auf  der  Balkanhalbinsel  und  im  östlichen  Mittelmeer; 

die  Wacherhaltung  der  großserbischen  Idee  unter  russischer  Patro- 
nanz  und  im  Zusammenhang  damit 

die  Förderung  der  souveränen  südslawischen  Staaten,  um  sie  als 
Verbündele  gegen  die  Monarchie  auszunützen,  ferner  in  absehbarer  Zeit 
Gebietserwerbungen   in   Galizien,   speziell  m   dem    von   den   Ruthenen 

SO 


bewohnten  Osten,  worauf  auch  die  seitens  Rußland  von  neuem  mit 
großer  Energie  betriebene  Agitation  in  Galizien  hinweist. 

Endlich  kommt  als  feindseliges  Moment  auch  die  gegen  Deutschland 
gerichtete  Entente  Englands  und  Frankreichs  mit  Rußland  in  Betracht, 
welche  Rußland  auf  die  Seite  der  Gegner  Deutschlands  und  seiner  Ver- 
bündeten drängt.  Stellen  diese  Verhältnisse  nun  auch  Interessengegensätze 
zwischen  der  Monarchie  und  Rußland  dar,  so  erscheinen  mir  diese  doch 
nicht  so  einschneidender  und  dringlicher  Art,  wie  die  Interessengegen- 
sätze zwischen  der  Monarchie  und  Italien,  und  es  erscheint  mir  dabei" 
eher  möglich,  mit  Rußland  einen  modus  vivendi  zu  finden,  welcher  ein 
friedliches  Verhalten  dieser  Macht  sichert,  insbesondere  insolange  die 
Retablierung  der  Armee  nicht  vollzogen,  die  finnländische  Frage  nicht 
gelöst,  der  stets  drohenden  Revolution  im  ganzen  Reich  der  Boden  nicht 
benommen  ist  und  die  Verhältnisse  in  Asien  nicht  völlig  beruhigende 
geworden  sind. 

In  Anbetracht  dieser  Möglichkeit  einerseits  und  der  klarliegenden 
Feindschaft  Italiens,  welche  sicher  zum  Krieg  drängen  wird,  anderer- 
seits, erachte  ich  es  aus  militärischen  Gründen  umsomehr  geraten,  dieses 
Verhältnis  mit  Rußland  anzubahnen,  als  die  Heeresentwicklung  in  Italien 
das  Einsetzen  aller  unserer  Kräfte  gegen  diesen  Staat  erfordern  wird, 
wenn  der  Erfolg  gesichert  sein  soll.  Ist  diese  Entente  mit  Rußland  aber 
gesichert,  dann  wäre  dies  sofort  zum  offenen  Bruch  mit  Italien,  somit 
zum  Krieg  auszunützen. 

Insolange  aber  für  all  dies  keine  Sicherheit 
besteht,  muß  Rußland  als  Gegner  der  Monarchie  in 
Betracht  gezogen  und  müssen  die  militärischen 
Vorbereitungen  für  einen  Krieg  gegen  Rußland 
getroffen  werden.  Dabei  bleibt  aber  stets  vorausgesetzt,  daß  die 
Monarchie  diesen  Krieg  nur  im  Verein  mit  Deutschland  führt. 

Bulgarien  mit  seiner  schon  auch  durch  das  Gehaben  seines 
Herrschers  charakterisierten,  unverläßlichen  politischen  Haltung  könnte 
unter  Umständen  ebenso  als  Verbündeter,  wie  als  Gegner  der  Monarchie 
in  Betracht  kommen;  es  findet  jedoch  stets  sein  Gegengewicht  in  Rumä- 
nien, und  da  an  einen  Balkanbund  mit  Einschluß  der  Türkei  wohl  nie 
zu  glauben  ist,  vornehmlich  auch  in  dieser;  zudem  ist  es  geographisch 
von  der  Monarchie  getrennt;  spezielle  Vorbereitungen  für  einen  kriege- 
rischen Konflikt  mit  Bulgarien  erscheinen  daher  nicht  erforderlich. 

Griechenland  fällt,  ehe  es  nicht  seine  arg  zerrüttete  Wehr- 
macht wesentlich  entwickelt  hat,  kaum  sehr  ins  Gewicht  —  in  allen 
Fällen  aber  voraussichtlich  als  Gegner  der  Türkei  —  der  gegenüber  es 
zu  Lande  und  zu  See  inferior  ist. 


6,  Conrad  II 


81 


Türkei.  Wenn  es  auch  zunächst  noch  immer  fraglich  bleibt,  ob 
der  unter  jungtürkischem  Einfluß  erfolgte  reformatorische  Aufschwung 
der  Türkei  von  nachhaltiger  Dauer  sein  oder  aber  wieder  einer  reaktio- 
nären Strömung  zum  Opfer  fallen  und  hiedurch  zu  inneren  Zerrüttungen 
führen  wird,  so  ist  doch  die  Machtentfaltung  und  das  wachsende  aktive 
Selbstgefühl  der  Türkei  ebensowenig  zu  verkennen,  wie  die  allmähliche 
Hinneigung  der  Türkei  auf  die  Seite  der  Monarchie  und  Deutschlands. 
Letztere  Richtung  aufrecht  zu  erhalten  und  zu  stärken,  liegt  daher  im 
Interesse  dieser  beiden  Staaten.  Die  Türkei  wäre  damit  em  äußerst  wert- 
volles Gegengewicht  bei  jedem  Konflikt  der  Monarchie  mit  Rußland, 
Serbien,  Montenegro  und  Itahen,  wobei  nicht  zu  übersehen  kommt,  daß 
ItaHen  der  Stärkung  der  Türkei,  insbesondere  der  maritimen,  nicht 
freundlich  gegenübersteht  und  daß  für  Rußland  der  Türkei  gegenüber 
sowohl  in  Europa  als  in  Asien  Konfliktsmomente  bestehen,  deren  friedliche 
Austragung  oder  Beseitigung  kaum  denkbar  erscheinen,  während  die  Inter- 
essen der  Monarchie  dermalen  nirgends  mit  jenen  der  Türkei  kollidieren. 

Eine  bedauerliche  Erscheinung  wäre  es,  wenn  das  Vorgehen  der 
jungtürkischen  Regierung  gegen  die  Albanesen  dazu  führen  würde,  daß 
diese  den  Gegnern  der  Türkei  in  die  Arme  getrieben  würden;  der  angeb- 
liche Übertritt  katholischer  Stämme  nach  Montenegro,  die  Beteilung  der 
Albanesen  mit  Waffen  seitens  Rußlands  sind  in  dieser  Beziehung 
bemerkenswerte  Symptome.  Jeder  Kraftzuwachs  für  Montenegro  bezw. 
jede  Zunahme  der  Feinde  der  Türkei  fällt  auch  für  die  militärische  Lage 
der  Monarchie  ungünstig  ins  Gewicht. 

Rumänien.  Eingeengt  zwischen  Bulgarien  und  Rußland  und  in 
steter  Sorge,  durch  den  Zusammenschluß  dieser  beiden  Staaten  erdrückt 
zu  werden,  dabei  besorgt  um  die  Dobrudza  und  andererseits  getragen 
von  den  Aspirationen  auf  Bessarabien,  steht  es  im  natürlichen  Interessen- 
gegensatz zu  Bulgarien  und  Rußland  und  tritt  damit  naturgemäß  auf  die 
Seite  der  Monarchie  und  Deutschlands.  Rumänien  im  Bündnis  mit  diesen 
beiden  Staaten  zu  erhalten,  bleibt  umsomehr  eine  wichtige  Seite  unserer 
Politik,  als  das  Eingreifen  der  rumänischen  Armee  eine  wesentliche  Ent- 
lastung unserer  gegen  Rußland  auftretenden  Streitkräfte  ergibt.  Dieses 
Bündnis  hat  dermalen  greifbare  Formen  angenommen  in  den  Verein- 
barungen militärischer  Natur,  welche  gleichfalls  eine  Voraussetzung  bei 
den  diesseitigen  konkreten  Kriegsvorbereitungsarbeiten  bilden. 

Frankreich.  Durch  das  Bündnis  mit  Rußland  gezwungen  und 
wohl  auch  noch  von  der  ererbten  Feindseligkeit  gegen  Deutschland 
erfüllt,  wird  Frankreich  stets  als  Gegner  Deutschlands  und  seiner  Ver- 
bündeten in  Betracht  kommen.  Nicht  zu  übersehen  ist  dabei  allerdings, 
daß    dieser  finanziell   allseits   engagierte   Staat   kriegerischen   Verwick- 

82 


lungen  schon  aus  diesem  Grunde  nicht  sehr  zugeneigt  scheint  und  diese 
auch  mit  Rücksicht  auf  innere  Umwälzungen  (militärische  Usurpatoren, 
Thronprätendenten  etc.)  sowie  deshalb  scheuen  dürfte,  weil  die  Inferiorität 
der  Armee  gegenüber  der  deutschen  umsomehr  durchgefühlt  wird,  als 
der  stete  Bevölkerungsrückgang  ein  Wettmachen   der  Zahl  ausschließt. 

Nichtsdestoweniger  kommt  Frankreich  stets  als  wesentlicher  Gegner 
Deutschlands  und  damit  als  mdirekter  Gegner  der  Monarchie  in  Betracht, 
wie  sich  dies  durch  die  bei  allen  Anlässen  feindliche  Haltung  gegen  den 
Dreibund  ausspricht,  wobei  diese  Haltung  vornehmlich  gegen  Deutsch- 
land und  Österreich-Ungarn  gerichtet  ist.  Die  Gegnerschaft  gegen  die 
Monarchie  basiert  aber  überdies  auf  den  wirtschaftlichen  Bestrebungen 
Frankreichs  am  Balkan,  welches  dort  trachtet,  den  Markt  an  sich  zu  reißen 
und  seine  Konkurrenten  zu  verdrängen. 

England.  Die  Gegnerschaft  Englands  zu  Deutschland  infolge 
kommerziellen  und  maritimen  Aufschwunges  letzteren  Staates,  insbeson- 
dere die  Eifersucht  auf  Deutschlands  Seemachtstellung,  ist  eine  unleug- 
bare Erscheinung,  und  der  Anschluß  Englands  an  Frankreich  und  Ruß- 
land erklärt  sich  damit;  ob  aber  die  Entente  Englands  mit  Rußland 
bei  den  so  mannigfachen  Gegensätzen  (Meerengenfrage,  Ägypten,  Persien, 
Indien)  von  bleibender  Dauer  sein  wird,  steht  daher  sehr  in  Frage;  auch 
hat  es  England  in  der  Regel  verstanden,  sich  bei  Konflikten  abseits  zu 
halten,  um  für  das  Erringen  politischer  Vorteile  den  passendsten  Moment 
abzuwarten.  Eine  solche  abwartende  Haltung  Englands  zu  erzielen, 
wäre  ein  erwünschter  politischer  Erfolg  für  die  Kriegshandlung. 

England  fällt  vor  allem  mit  seinen  maritimen  Streitmitteln  ins 
Gewicht  und  kommt  gegen  die  Monarchie  speziell  die  Mittelmeerflotte 
in  Betracht.  Sie  allein,  insbesondere  aber  alliert  mit  der  italienischen 
Flotte,  würde  in  der  Adria  einen  gefährlichen  maritimen  Gegner  schaffen; 
drängt  dies  auch  zur  möglichsten  Entwicklung  der  eigenen  Seestreitkräfte 
und  zur  Schaffung  befestigter  Repli-Punkte  für  letztere,  so  ist  doch  nicht 
zu  übersehen,  daß  für  die  Monarchie  jedwede  Feldzugsentscheidung  auf 
dem  Erfolg  zu  Lande  beruht. 

Diesen  vorausgesetzt,  vermag  die  Monarchie  etwaige  maritime 
Erfolge  Italiens  direkt  durch  Repressalien  zu  Lande  wett  zu  machen, 
solche  Englands  aber  indirekt  durch  Stärkung  seiner  Gegner  (Türkei, 
Ägypten).  Ist  Englands  Herrschaft  in  Ägypten  gebrochen,  dann  schwindet 
seine  Macht  überhaupt  und  damit  auch  seine  Seemacht.  Eine  Konkurrenz 
im  materiellen  Flottenausbau  mit  England  aufzunehmen,  dazu  fehlen  der 
Monarchie  die  Mittel. 

Hinsichtlich  der  Landstreitkräfte  ist  es  das  Bestreben  Englands, 
sechs  Infanteriedivisionen  für  die  Verwendung  am  Kontinent  verfügbar 

*•  83 


zu  machen,  welche  auf  belgischem,  holländischem  oder  dänischem  Gebiet 
zu  landen  vermöchten;  es  ist  allerdings  fraghch,  ob  diese  sechs  Divisionen 
entsprechend  rasch  bereit  sein  w^erden. 

Belgien,  Holland,  Dänemark.  Mit  obiger  Landungs- 
möglichkeit kommen  diese  Staaten  in  den  Bereich  der  Betrachtung. 
Holland  und  Belgien  aber  auch  deshalb,  weil  es  immerhin  möglich 
wäre,  daß  eine  deutsche  Offensive  oder  eine  französische  Aktion  über  das 
Gebiet  dieser  Staaten  hinweggeht.  Es  bleibt  dann  fraglich,  wie  sich 
letztere  demgegenüber  verhalten  werden;  ob  feindlich  gegen  die  Invasion, 
ob  neutral  in  allen  Fällen. 

Ob  Dänemark  seinen  Bestand  durch  offen  feindseliges  Auftreten 
gegen  Deutschland  riskieren  wird,  bleibt  fraglich;  eine  kluge  Politik 
würde  jedenfalls  dagegen  sprechen. 

Schweden  steht  mit  seinen  Sympathien  wohl  entschieden  auf 
Seite  der  Gegner  Rußlands;  ob  es  in  einem  großen  Konflikte  seine 
Ansprüche  auf  Finnland  mit  den  Waffen  geltend  machen  würde,  bleibt 
fraglich,  wäre  aber  jedenfalls  zu  wünschen. 

Schweiz.  Obgleich  ein  neutraler  Staat,  fällt  doch  die  Schweiz 
bei  allen  mitteleuropäischen  Komplikationen  nicht  unwesentlich  ins 
Gewicht.  Es  ist  unverkennbar,  daß  sich  in  der  Schweiz  selbst  zwei 
Parteien  gegenüberstehen,  nämlich  die  kleinere  französisch  gesinnte  und 
die  weit  stärkere  deutsch  gesinnte;  außerdem  ist  noch  eine  italienische 
Fraktion  zu  zählen,  bei  welcher  dermalen  der  Irredentismus  bereits  seine 
Hebel  ansetzt.  Letzterer  Umstand  drängt  die  Schweiz  auf  Seite  jener 
Staaten,  welche  von  der  gleichen  Gefahr  bedroht  sind,  d.  i.  vor  allem 
Österreich-Ungarn.  Hier  die  Fäden  aufzugreifen  und  im  Kriegsfalle  die 
Schweiz  auf  eigener  Seite  zu  haben,  hiezu  in  derselben  die  deutsche 
Richtung  zu  stärken,  ist  Aufgabe  der  Politik. 

Japan.  Es  ist  kaum  glaubhaft,  daß  sich  Japan  dauernd  mit  Ruß- 
land abgefunden  haben  sollte,  es  scheint  vielmehr,  daß  es  jetzt  in  ziel- 
bewußter Systematik  die  Erfolge  seines  letzten  Sieges  ausgestalten  und 
konsolidieren  will,  um  dann  mit  frischer  Kraft  seine  mit  den  russischen 
entschieden  kollidierenden  Interessen  weiter  zu  verfolgen.  Japan  wird 
daher  umsomehr  als  Gegner  Rußlands  in  Betracht  zu  ziehen  sein,  als 
letzteres  wohl  kaum  seiner  Stellung  in  Ostasien  zu  entsagen  vermag,  will 
es  nicht  sehr  an  Prestige  und  an  Macht  verlieren.  Inwieweit  Japan  durch 
Nordamerika  paralysiert  wird,  fällt  wohl  dermalen  noch  außer  Erwägung. 

Es  will  scheinen,  daß  Japan  gut  täte,  seine  Rechnung  mit  Rußland 
abzuschließen,  ehe  die  Land-  und  Seemacht  letzteren  Staates  retabliert, 
die  sibirische  Bahn  vervollständigt,  der  Panama-Kanal  eröffnet  und  der 
Vertrag  mit  England  abgelaufen  ist  (1915). 

84 


Die  Konsolidierung  der  Position  in  Korea,  der  Ausbau  der  dortigen 
Bahnen,  die  Befestigungen  dortselbst,  sowie  in  der  Verbindungsstrecke 
Koreas  mit  Japan,  die  emsige  Entwicidung  der  Landmacht  und  der 
beschleunigte,  mit  erheblichen  Mitteln  betriebene  Ausbau  der  Flotte 
charakterisieren  die  militärischen  und  damit  die  politischen  Ziele  Japans. 

Gestützt  auf  die  in  allem  Vorstehenden  dargelegten  politischen 
Erwägungen,  ergeben  sich  nun  die  Richtungen  für  die  eigenen 

a)  speziellen  konkreten  und  die  hiedurch  bedingten 

b)  allgemeinen 
Kriegsvorbereitungen. 

Ad  a)  Die  speziellen  konkreten  Kriegsvorbereitungen  smd  im 
wesentlichen  in 

der  Kriegs-Ordre  de  bataille, 

den  Alarmierungs- Elaboraten  und 

den  Aufmarsch-Elaboraten  inklusive  der  Kriegs-lnstradierung 
niedergelegt,  von  welchen  ich  die  Alarmierungs-  und  Aufmarsch- Elaborate 
nach   Fertigstellung   Eurer  Majestät  alleruntertänigst  unterbreiten  werde. 

Dieselben  werden  für  folgende  Alternativen  gearbeitet: 

1.  Krieg  gegen  Italien  bei  Minimalvorkehrungen  gegen  Serbien  und 
Montenegro ; 

2.  Krieg  gegen  Serbien  und  Montenegro; 

3.  Krieg  im  Verein  mit  Deutschland  und  Rumänien  gegen  Rußland 
bei  Minimalvorkehrungen  gegen  Serbien  und  Montenegro; 

4.  Krieg  gegen  Italien  nach  vorherigem  Engagement  gegen  Serbien 
und  Montenegro; 

5.  Krieg  im  Verein  mit  Deutschland  und  Rumänien  gegen  Rußland 
nach  vorherigem  Engagement  gegen  Serbien  und  Montenegro; 

6.  Krieg  gegen  Italien,  Rußland,  Serbien  und  Montenegro  bei  Bündnis 
mit  Deutschland  und  Rumänien. 

Nicht  vorbereitet  ist  der  Krieg  gegen  Deutschland  und  jener  gegen 
Rumänien,  vielmehr  bestehen  mit  diesen  Staaten,  und  zwar  mit  Deutsch- 
land bindende  schriftliche,  mit  Rumänien  allgemeine  mündliche 
Abmachungen  wie  im  Vorjahre. 

Endlich  werden  alljährlich  jene  auf  Instradierung  italienischer 
Truppen  durch  Tirol  bezughabenden  Arbeiten  durchgeführt,  welche  sich 
aus  dem  noch  offiziell  zu  Recht  bestehenden  Dreibund-Vertrag  ergeben. 

Ad  b)  Die  allgemeinen  Kriegsvorbereitungen 

Diese  betreffend,  liegt  die  Charakteristik  der  Situation  darin,  daß  alle 
übrigen,  besonders  die  als  Gegner  der  Monarchie  in  Betracht  kommen- 
den Staaten,  in  den  letzten  Jahren  hinsichtlich  der  VervoUkommnmig  der 

85 


bewaffneten  Macht  wesentliche  Fortschritte  gemacht  haben  und  gerade 
dermalen  mit  großem  Eifer  an  der  Erhöhung  derselben,  sowie  an 
unverkennbaren  konkreten  Kriegsvorbereitungen  arbeiten,  während  die 
Monarchie  darin  zurückgeblieben  ist,  so  daß  sich  das  relative  Kräfte- 
verhältnis wesentlich  zu  ihrem  Ungunsten  verschoben  hat.  Erwägt  man 
dabei,  daß  jederzeit  kriegerische  Verwicklungen  eintreten  können  und  daß 
selbe  speziell  mit  dem  Ablauf  des  Dreibundvertrages  (1912)  noch  mehr 
in  den  Bereich  der  Möglichkeit  gerückt  sind,  so  erhellt  daraus,  daß  es 
höchste  Zeit  ist,  um  sozusagen  noch  in  elfter  Stunde  das  Versäumte 
wenigstens  so  viel  als  möglich  nachzuholen. 

Wie  ich  dies  schon  in  den  Vorjahren  erbeten  habe,  erachte  ich  die 
rückhaltlose  Offenheit  gegenüber  den  berufenen  Vertretungskörpern 
(Delegationen),  aber  auch  die  unerbittHche  Forderung  nach  Gewährung 
des  ErforderUchen  für  unabweisHche  Pflicht. 

Daß  die  durch  Jahre  hindurch  angehäuften  Rückständigkeiten  zur 
Anforderung  hoher  Summen  zwingen,  darf  davon  nicht  abhalten. 

Ich  halte  dafür,  daß  alle  Mittel,  wenn  nötig  selbst  die  äußersten, 
eingesetzt  werden  müssen,  um  die  Monarchie  von  ihrer  jetzigen  Rück- 
ständigkeit je  ehei  je  besser,  unbedingt  aber  bis  zum  Frühjahr  1Q12  auf 
jenen  Stand  der  Kriegsbereitschaft  zu  bringen,  welcher  den  bedeutenden 
Leistungen  ihrer  Gegner  entspricht  und  an  welchen  zum  genannten  Termin 
aller  Voraussicht  nach  appelliert  werden  wird. 

In  dem  beiliegenden  Auszug  aus  dem  bezüglichen  an  das  k.  u.  k.  Reichs- 
Kriegsministerium  gerichteten  detaillierten  Antrag*)  sind,  und  zwar  schon 
unter  Berücksichtigung  der  finanziellen  Bedenken,  jene  Forderungen 
zusammengestellt,  welche  als  das  Mindestmaß  des  Notwendigen  dringend 
erscheinen. 

Von  den  gestellten  Forderungen  möchte  ich  besonders  hervorheben: 

a)  Hinsichtlich  der  Landmacht: 

Die  Schaffung  einer  schweren  Angriffs-Artillerie,  in  welcher  Hinsicht 
ich  alleruntertänigst  bitte,  auf  meinen  in  Abschrift  beiliegenden  Antrag**) 
hinweisen  zu  dürfen,  welcher  das  Dringliche  dieser  Frage  klar  erkennen 
läßt,  die  Maßnahmen  zum  Schutze  des  Aufmarsches,  darunter  insbesondere 
auch  die  erforderlichen  Truppenverlegungen, 

der  rasche  und  vollständige  Ausbau  der  Befestigungen, 


•)Prodomo:  Antrag  Res.-Gstb.  Nr.  3147  von  1910  abgegangen. 
Metzger  m.  p.,  Obstlt.  (Auszug  Beilage  1). 

**)  Pro  domo  :  Antrag  R.-Gstb.  Nr,  3954  von  1910  abgegangen. 
Metzger  m.  p.,  Obstlt.  (Auszug  Beilage  2). 

86 


die  Neubewaffnung  der  leichten  und  schweren  Haubitzbatterien, 
sowie  der  getragenen  Gebirgsbatterien  mit  einem  Schnellfeuer-  (Rohr- 
Vorlauf-)  Geschütz, 

die  Beschaffung  des  noch  nötigen  Brückenmaterials, 

die  Beschaffung  der  Motor-Trains, 

die  erforderliche  Ausgestaltung  der  Aufmarschbahnen,  beziehungs- 
weise die  Erbauung  derselben,  in  welcher  Beziehung  in  der  Beilage  9*) 
die  dringendsten  Forderungen  zusammengestellt  sind, 

die  Aufstellung  der  Kavalleriedivisionen, 

die  Erweiterung  der  Munitionsfabriken,  derart,  daß  die  kontinuierliche 
Nacherzeugung  im  ausreichenden  Maß  gesichert  sei. 

die  Anschaffung  von  Luftfahrzeugen  mid  die  Ausbildung  der  erforder- 
lichen Piloten. 

Neben  diesen  das  tote  Material  betreffenden  Fordenmgen  stehen  aber 
weitaus  obenan: 

Die  Aufbringung  des  notwendigen  Rekrutenmaterials  zur  Aufrecht- 
erhaltung der  Stände  und  zur  Aufstellung  der  Neuformationen; 

die  mit  vollem  Zielbewußtsein  zu  betreibende  Ausbildung,  in  welcher 
Hinsicht  festzuhaken  ist,  tiaß  nur  von  schon  im  Frieden  möglichst  kriegs- 
mäßig ausgebildeten,  stramm  disziplinierten  und  zu  scharfen  Leistungen 
erzogenen  Truppen  ein  Erfolg  zu  erwarten  ist,  endlich 

sorgfältige  Pflege  des  miUtärischen  Geistes  bei  Mannschaft  und 
Offizieren,  wozu  es  notwendig  ist,  die  Keime  schon  in  die  Jugend,  also 
in  die  Schule  zu  legen. 

In  dem  unerschütterlichen  Festhalten  an  der  Einheitlichkeit  und 
Gemeinsamkeit  der  bewaffneten  Macht,  zusammengefügt  durch  den  festen 
Kitt  dynastischer  Treue  und  getragen  von  dem  Stolz  auf  die  in  Glück 
und  Unglück  aufrechterhaltenen  altehrwürdigen  Traditionen,  Hegt  das 
Fundament  für  die  Pflege  dieses  Geistes. 

Besonders  bitte  ich  hervorheben  zu  dürfen,  wie  dringend  ich  die 
Hebung  und  sorgfältige  Pflege  des  standesbewußten,  ritterUchen  und 
opferfreudigen  Soldatengeistes  im  kombattanten  Offizierskorps  und 
daher  auch  die  Notwendigkeit  erachte,  demselben  die  denkbar  besten 
Elemente  zuzuführen,  die  traditionellen  Soldatenfamihen  in  demselben 
vertreten  zu  sehen,  es  nicht  nur  vor  jeder  Nivellierung  mit  den  anderen 
Standesgruppen  zu  bewahren,  wobei  selbst  kleinlich  erscheinende  Äußer- 
lichkeiten   (Adjustierung)   von   Bedeutung   wären,   sondern    es  geradezu 


*)  Pro  domo  :    Im  Text  des  Antrages  Res.-Gstb.  Nr.  3147  von 
1910  enthalten. 

87 


hervorzuheben  und  demselben  eine  auch  dem  Zivil  gegenüber  prägnant 
ausgesprochene  Vorzugsstellung  einzuräumen. 

b)  HinsichtHch  der  Seemacht: 

Als  Minimum  die  schleunige  Ausführung  des  vom  Marinekomman- 
danten aufgestellten  Flottenprogramms. 

Wenn  ich  im  vorstehenden  hervorgehoben  habe,  daß  die  Monarchie 
in  der  Entwicklung  der  Wehrmacht  und  in  konkreten  Kriegsvorbereitungs- 
Maßnahmen  hinter  ihren  voraussichthchen  Gegnern  zurückgebheben  ist, 
so  möchte  ich  zur  Bekräftigung  dessen  wenigstens  folgendes  besonders 
anführen : 

Beilage  3  zeigt  den  Stand  der  Befestigungen  im  Jahre  1907  in  dem 
für  die  Monarchie  in  Betracht  kommenden  Gebiet  ItaHens;  es  besaß 
dortselbst  ein  einziges  Panzerwerk  (Fort  Maso);  Beilage  4  zeigt  die 
analogen  Verhältnisse  im  Jahre  1910,  und  zwar  bereits  mit  dreizehn 
fertigen  Panzerwerken;  Beilage  5  zeigt  die  Situation  im  Jahre  1912  (14) 
nach  Vollendung  der  jetzt  bereits  mit  größtem,  fast  überstürztem  Eifer 
in  Bau  begriffenen  Befestigungen.  Es  v/erden  dann  48  Panzerwerke 
bestehen. 

ItaUen  hat  daher  in  der  Zeit  vom  Jahre  1907  bis  1910  seine  Panzer- 
werke um  12  vermehrt  und  wird  sie  bis  1912  um  47  vermehrt  haben,  es 
hat  dann  alle  halbwegs  benutzbaren  besseren  Wege  aus  Tirol  mit  Panzer- 
forts gesperrt,  in  den  Befestigungen  bei  Gemona  und  am  Tagliamento 
fortifizierte  Räume  geschaffen,  welche  zu  schwierigen,  reichliche  Mittel 
erfordernden  Angriffen  zwingen  und  durch  den  Ausbau  von  Verona, 
insbesondere  aber  jenen  Venedigs,  dem  diesseitigen  Vordringen  in  Venetien 
schwerwiegende  Hindernisse  in  den  Weg  gelegt.  Dadurch  hat  es  folgende 
Vorteile  gewonnen:  seine  zum  Angriff  auf  Tirol  bestimmten  Kräfte 
gewinnen  Zeit,  diesen  Angriff  durchzuführen,  ehe  die  diesseitige  Haupt- 
macht in  Venetien  dagegen  wirksam  zu  werden  vermag;  seine  in  Venetien 
zu  versammelnden  Kräfte  können  sich  unter  dem  Schutz  dieser 
Befestigungen  ungestört  konzentrieren,  endlich  findet  die  Monarchie  in 
allen  Fällen,  wo  es  sich  darum  handelt,  mit  Italien  rasch  abzurechnen, 
um  sich  dann  gegen  einen  anderen  Gegner  zu  wenden,  bedeutende 
Schwierigkeiten  für  eine  derart  dringliche  Operation. 

Im  Jahre  1907  lag  all  dies  wesentUch  anders,  nahezu  nichts  stand 
der  diesseitigen  Offensive  im  Wege  —  der  Moment,  dies  zu  nützen,  ist 
versäumt. 

Hand  in  Hand  mit  dieser  Ausgestaltung  der  Befestigungen  ging  und 
geht  die  Entwicklung  des  Bahnnetzes,  wie  dies  die  Beilagen  3,  4,  5 
erweisen;  damit  hat  sich  ItaUen  nicht  nur  die  Möghchkeit  eines  viel 
rascheren    Aufmarsches    in    Venetien,    eventuell    auch    bei    dessen    Vor- 

88 


Verlegung  an  den  Tagliamento,  sondern  auch  die  Möglichkeit  geschaffen, 
seine  Kräfte  von  hier  rasch  gegen  Westen  zu  verschieben,  derart  gewisser- 
maßen die  innere  Linie  zv^ischen  den  diesseitigen  über  den  Isonzo  und 
den  durch  Tirol  vorgehenden  Kräften  auszunützen.  Auch  dies  hat  1907 
nicht  bestanden 

Endlich  zeigen  die  Beilagen  6  und  7,  wie  sehr  Italien  auch  durch 
Verstärkung  der  Garnisonen  in  Venetien  seine  Verhältnisse  für  den  Kriegs- 
fall gegen  Österreich-Ungarn  gebessert  hat.  Insbesondere  die  Verlegung 
einer  ganzen  Kavalleriedivision  hart  an  die  Grenze  und  die  Vermehrung 
der  Alpinibataillone  nächst  dieser  sprechen  dafür. 

Zu  allem  kommt  die  rasch  betriebene  Ausgestaltung  von  Heer  und 
Flotte,  insbesondere  die  AusgestaUung  der  Mobil-Milizformationen,  dank 
welcher  in  Hinkunft  um  zehn  operative  Infanteriedivisionen  mehr  zu 
rechnen  sein  werden. 

Diese  kurze  Skizze  zeigt,  wie  wesentlich  sich  die  Verhältnisse  seit 
dem  Jahre  1907  zu  unseren  Ungunsten  geändert  haben. 

Ich  habe  im  Jährt  1907  in  Voraussicht  dieser  Entwicklung  und  bei 
dem  Umstand,  daß  damals  Rußland  noch  gänzlich  unvorbereitet,  Serbien 
aber  in  militärischer  Ohnm-acht  war,  die  Durchführung  des  Krieges  gegen 
Italien  alleruntertänigst  vorgeschlagen;  bei  der  damals  zu  diesem  Zweck 
rasch  durchgeführten  Schaffung  des  Nötigsten  (Gebirgsartillerie,  schwere 
Artillerie,  Gebirgsausrüstung)  hätte  die  relative  Überlegenheit  der 
Monarchie  den  Erfolg  kaum  fraghch  erscheinen  lassen. 

In  ähnlicher  Weise  verhalten  sich  die  Dinge  gegenüber  Serbien. 
Während  dieser  Staat  im  Jahre  1908  militärisch  unfertig  war,  also  mit 
sicherer  Chance  hätte  niedergeworfen  werden  können,  arbeitet  derselbe 
seither  mit  entschiedenem  Ernst  und  Erfolg  an  der  Ausgestaltung  und 
insbesondere  der  Ausbildung  und  Konsolidierung  seines  Heeres,  so  daß 
Serbien  in  zwei  bis  vier  Jahren  eine  gut  bewaffnete  und  gut  ausgebildete 
Armee  von  200.000  Mann  und  100  Batterien  ins  Feld  stellen  dürfte. 
Auch  1908  hatte  ich  aus  diesen  Gründen  die  Durchführung  des  Krieges 
gegen  Serbien  alleruntertänigst  erbeten;  insbesondere  im  Frühjahre  1909 
zu  jenem  Zeitpunkt,  in  welchem  die  bereits  realisierten  konkreten  Kriegs- 
maßnahmen alle  Chancen  für  eine  erfolgreiche  Durchführung  geschaffen 
hatten  und  ein  einheitlicher  Zug  durch  die  ganze  Monarchie  ging,  welcher 
als  ein  in  seltener  Weise  günstiges  psychologisches  Moment  zum  Losr 
schlagen  drängte.  Es  wären  damit  Fragen  gelöst  worden,  deren  Lösung 
sich  die  Monarchie  wird  nicht  entziehen  können  und  auch  nicht  entziehen 
dürfen,  für  welche  aber  kaum  je  wieder  gleich  günstige  Verhältnisse  ein- 
treten werden. 

89 


Während  es  seinerzeit  möglich  gewesen  wäre,  die  aus  natürlichen 
Interessengegensätzen  resultierenden,  also  unvermeidlichen,  damals  noch 
wenig  vorbereiteten  Gegner  einzeln  nacheinander  niederzuwerfen  und 
dadurch  einer  eigenen  aktiven  Politik  die  Bahn  frei  zu  machen,  wird  die 
Monarchie  in  Hinkunft  gefaßt  sein  müssen,  von  allen  diesen  Gegnern 
gleichzeitig  bedroht  zu  sein,  und  diese  weit  besser  gerüstet  sich  gegen- 
über zu  sehen,  als  dies  früher  der  Fall  war.  Dabei  ist  vor  allem  nicht 
zu  übersehen,  daß  Rußland  nunmehr  unter  der  festen  Hand  des  Generals 
Suchomlinow  seine  militärische  Regeneration  zielbewußt  betreibt  und 
zweifellos  jetzt  schon  als  achtunggebietender  Gegner  in  die  Wage  fällt. 

Ein  mehrseits  bedrohter  Staat  vcn  beschränkten  militärischen  Mitteln 
kann  nur  in  einer  aktiven  Kriegspolitik  sein  Heil  finden,  welche  darauf 
abzielt,  seine  natürlichen  Gegner  nacheinander  und  zu  jenem  Zeitpunkt 
niederzuwerfen,  der  ihm  der  günstigste  erscheint,  und  für  welchen  er  sich 
zielbewußt  vorbereitet  hat;  ansonsten  läuft  er  Gefahr,  von  allen  Gegnern 
gleichzeitig  und  in  einem  ihm  ungelegenen  Mom.ent  angegriffen  zu  werden. 

In  diesem  Sinne  ist  der  Krieg  nicht  lediglich  Mittel  der  Politik, 
sondern  er  ist  selbst  Politik 

Die  für  die  Kriegsmacht  ausgelegten  Summen  sind  verlorenes  Geld, 
wenn  der  Gebrauch  der  Kriegsmacht  zur  Erringung  politischer  Vorteile 
ausbleibt.  Für  manche  der  letzteren  mag  die  bloße  Drohung  genügen 
und  sich  die  Kriegsmacht  hiedurch  verwerten,  andere  aber  sind  doch 
nur  zu  erreichen  durch  den  kriegerischen  Gebrauch  der  Kriegsmacht 
selbst,  also  durch  den  rechtzeitig  geführten  Krieg;  wird  dieser  versäumt, 
so  bleibt  das  Kapital  verloren.  In  diesem  Sinne  wird  der  Krieg  zu  einem 
großen  finanziellen  Unternehmen  des  Staates. 

Nur  falsch  verstandene  Clausewitzsche  Theorien  (und  diese  wurden 
mir  seitens  des  Ministers  des  Äußern  entgegengehalten)  können  zu  einer 
gegenteiligen  Auffassung  gelangen.  In  der  Heimat  dieses  scharf  denkenden 
Kriegsphilosophen  hat  man  dessen  Theorien  klar  erfaßt,  sie  sind  in  den 
zielbewußt  gewollten  und  vorbereiteten,  dann  zeitgerecht  herbeigeführten 
Kriegen  von  1866  und  1870/71  praktisch  zum  Ausdruck  gekommen,  und 
das  gelehrige  Japan  dankte  dem  gleichen  Vorgang  seine  überraschenden 
Erfolge  gegen  Rußland. 

Da  nun  aber  von  einer  solchen  Kriegspolitik  abgesehen  und  damit 
die  Möglichkeit  geschaffen  wurde,  sich  von  mehreren,  um  ihre  Kriegs- 
vorbereitung eifrigst  und  erfolgreich  bemühten  Gegnern  gleichzeitig 
bedroht  zu  sehen,  so  erübrigt  nur,  mit  allergrößter  Energie  und  rück- 
sichtsloser Aufwendung  der  hiezu  nötigen  Mittel  an  die  Ausgestaltung 
und  Besserung  unserer,  hinter  unseren  Gegnern  zurückgebliebenen 
Wehrmacht    zu    schreiten,    dabei    das    jetzige    schleppende,    zu    keinem 

90 


Resultat  kommende,  über  theoretische  Anfänge,  Vorschläge  und  Versuche 
nicht  hinausgelangende,  alles  verzögernde  Tempo  zu  verlassen  und  in 
tatkräftigster  Weise  dafür  zu  sorgen,  daß  die  bewaffnete  Macht  bei  Ablauf 
des  Dreibund-Vertrages,  also  längstens  im  Jahre  1912,  als  dem  auch 
seitens  Italiens  fixierten  Termin  fiir  die  Vollendung  der  Kriegsvorbereitun- 
gen, vollkommen  schlagfertig  dastehe. 

In  dieser  Hinsicht  bitte  ich  alleruntertänigst,  meine  Ansicht  dahin 
aussprechen  zu  dürfen,  daß  das  Zugeständnis  der  von  der  ganzen 
Bevölkerung  ersehnten  zweijährigen  Dienstzeit  im  weitestgehenden 
Maße  dazu  auszunützen  wäre,  als  Gegenleistung  die  Gewährung  der 
gedachten  Forderungen  zu  erzwingen  und  sich  unter  gar  keinen 
Umständen  zu  einseitigen  Konzessionen  verleiten  zu  lassen,  ebenso 
glaube  ich,  daß  die  ganze  Größe  der  Forderung  rückhaltlos  den  Ver- 
tretungskörpern gegenüber  gestellt  werden,  und  nicht  etwa  auf  ein  suk- 
zessives Stellen  der  Forderungen  gegriffen  werden  sollte,  etwa  in  der 
Meinung,  nach  und  nach  eher  etwas  zu  erlangen. 

Dies  auch  schon  deshalb,  weil  sich  kaum  sobald  wieder  eine  ähnlich 
günstige  Gelegenheit  finden  wird,  wie  jetzt  bei  Gewährung  der  zwei- 
jährigen Dienstzeit. 

In  diesem  Sinne  bitte  ich  Eure  Majestät  alleruntertänigst  um  Aller- 
höchste Einflußnahme,  daß  die  auf  die  Erhöhung  des  Rekruten-Kontin- 
gentes abzielenden  wehrgesetzlichen  Verfügungen  ehestens  in  Kraft 
treten,  der  außerordentliche  Kredit  für  Land-  und  Seemacht  verfügbar 
werde  und  die  in  einem  an  das  Reichs-Kriegsministerium  gerichteten 
Ausgestaltungs-Entwurf  detailliert  behandelten,  in  der  Beilage ....  aber 
auszugsweise  kurz  bezeichneten  Maßnahmen  längstens  bis  Frühjahr  1912 
vollzogen  seien. 

Ich  müßte  es  mit  dem  Gefühl  meiner  Verantwortlichkeit  für  unver- 
einbar hahen,  wenn  ich  es  versäumt  hätte,  die  geschilderten  Verhältnissse 
alleruntertänigst  offen  und  rückhaltlos  zu  berichten,  meinen  persönlichen 
Anschauungen  Ausdruck  zu  verleihen  und  die  Allerhöchste  imperaüve 
Einflußnahme  Eurer  Majestät  alleruntertänigst  zu  erbitten. 

C  o  n  r  a  d  m.  p.,  G.  d.  I." 


91 


Spezielle  persönliche  Verwendung  1910. 

Abgesehen  vom  normalen  täglichen  Dienstgang,  trafen  mich  1910 
folgende  spezielle  Verwendungen: 

Anfangs  Mai  Rekognoszierung  für  die  pro  1910  in  Aussicht 
genommenen,  wegen  einer  Seuche  jedoch  auf  das  Folgejahr  verschobenen 
Armee  Manöver  in  den  Karpathen  im  Räume  Dukla  Mezölaborcz, 
Homonna,  Bartfeld,  den  ich  in  mehrtägiger  Autotour  bereiste  Vom 
25.  Mai  an  leitete  ich  die  große  Generalstabsreise  im  isonzogebiet,  welche 
die  Abwehr  einer  italienischen  Offensive  zum  Gegenstand  hatte.  Daran 
schloß  ich  eine  Rekognoszierung  des  Crenzraumes.  Vom  20  bis  29  Juni 
leitete  ich  die  Generalsreise  in  Südtirol,  im  Räume  zwischen  Gardasee 
und  dem  Asticotale.  Übungsgegenstand  war  ein  italienischer  Angriff 
zwischen  Gardasee  und  Valsugana  und  dessen  Abwehr.  Im  Monat  Juli 
war  ich,  bei  schriftlicher  Fortführung  meines  Dienstes,  zu  dreiwöchent- 
hchem  Kurgebrauch  in  Grado  Den  dortigen  Aufenthalt  benützte  ich 
zur  Orientierung  über  die  Küstenverhältnisse  und  das  Lagunengebiet.  Am 
29.  Juh  meldete  ich  Seiner  Majestät  in  Ischl  mein  Abgehen  nach  Südtirol, 
wohin  ich  mich,  begleitet  von  meinem  Flügeladjutanten  Hauptmann  Putz, 
zu  einer  längeren  Rekognoszierungstour  begab.  Zunächst  auf  den 
Tonal,  wo  ich  die  Ergänzung  des  Werkes  Presena  durch  ein  solches  am 
Monte  Tonal  verlangt  hatte.  Ich  besichtigte  weiter  die  neue  Straße  von 
Dimaro  nach  Madonna  di  CampigUo,  schob  in  die  Dienstreise  eine 
zweitägige  Pause  ein,  die  ich  zur  Besteigung  der  Cima  Tosa  benützte, 
von  deren  3176  Meter  hohem  Gipfel  ich  bei  völlig  klarem  Himmel  einen 
umfassenden  Rundblick  genoß  Er  gev/ährte  mir  die  Orientierung  über 
den  Charakter  eines  weiten  Gebietes.  Über  die  Boccha  di  Brenta  nach 
Madonna  zurückgekehrt,  setzte  ich  noch  abends  die  Autofahrt  nach 
Pinzolo,  dann  weiter  nach  Lardaro  fort.  Dort  verweihe  ich,  um  die 
Befestigungen,  speziell  das  im  Bau  befindhche  Werk  Carriola  zu 
besichtigen. 

Um  den  Charakter  der  Pfade  kennen  zu  lernen,  die  die  Befestigungen 
von  Lardaro  westHch  umgingen,  durchwanderten  wir  —  Hauptmann 
Putz  und  ich  —  das  ganze  Daonetal,  nächtigten  in  einer  Alpenhütte  im 

92 


oberen  Val  di  Fumo  und  gelangten  folgenden  Tages  nach  dreizehn- 
stündigem, beschwerlichem  Marsch  über  die  Boccha  di  Breguzzo  nach 
Tione.  Ich  fand  in  Tione  bei  einem  alten  Regimentskameraden,  Major 
Baron  Stillfried,  der  das  dcrt  liegende  Jägerbataillon  befehligte,  gastliche 
Aufnahme.  Schon  in  Lardaro  hatte  ich  ein  Telegramm  der  Militärkanzlei 
des  Thronfolgers  und  folgenden  Brief  erhalten: 

„Militär-Kanzlei  Seiner  K.  u.  K.  Hoheit  etc.  Erzherzog  Franz  Ferdinand. 

Euer  Exzellenz! 

Im  Nachtrage  zu  meinem  nach  Lardaro  gerichteten  Telegramme 
erlaube  ich  mir  E.  E.  gehorsamst  zu  melden: 

Seine  Kaiserliche  Hoheit  beabsichtigen  mit  E.  E.  am  13.  August  1.  J. 
morgens  von  Trient  über  Calliano  auf  die  Plateaus  von  Folgaria  und 
Lavarone  zu  fahren  und  am  selben  Tage  noch  nach  Trient  zurück- 
zukehren. 

Seine  Kaiserliche  Hoheit  wünschen  bei  dieser  Gelegenheit  von  E.  E. 
Vortrag  zu  hören: 

a)  über  den  Aufmarsch  im  Kriegsfalle  J.  und  speziell  in  Tirol  überhaupt; 

b)  sodann   über  die  hiezu  notwendige  Versammlung,  bezw.  das  Vor- 
gehen unserer  Truppen  auf  den  Plateaus  von  Lavarone  und  Folgaria. 
Auch  werden  Seine  KaiserUche  Hoheit  die  eine  oder  andere  Befesti- 
gung oder  zur  Befestigung  in  Aussicht  genommene  Örtlichkeit  auf  den 
beiden   genannten   Plateaus   besichtigen   und  wünschen   hiezu  gleichfalls 
den  Vortrag  E.  E.  zu  hören. 

Seine  Kaiserliche  Hcheit,  Höchstweiche  diese  Automobiltour  in 
Zivilkleidung  unternehmen  würden,  geruhen  E.  E.  in  Höchstseinem  Leib- 
automobil mitzunehmen,  ob  sich  für  Hauptmann  Putz  eine  Fahrgelegenheit 
finden  wird,  ist  noch  nicht  sicher. 

Die  Legitimationen  zum  Betreten  der  Befestigungen  auf  den  beiden 
Plateaus  werden  auch  für  E.  E.  von  der  Militärkanzlei  Seiner  Kaiser- 
lichen Hoheit  besorgt  werden. 

Gestatten  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  größten  Ehrerbietung,  mit  der 
ich  mich  zeichne  als 

Euer  Exzellenz  gehorsamst  ergebenster 

Hummel,  Major. 

Pragser  Wildsee,  7.  August  1910." 

Diesem  Schreiben  war  von  Seiner  KaiserHchen  Hoheit  eigenhändig 
mit  Bleistift  nachstehendes  beigefügt: 

„P.  S.  Es  wird  nicht  notwendig  sein,  daß  Sie  sich  Behelfe  oder 
dergleichen  kommen  lassen  und  möchte  ich  nur  einmal  mit  Ihnen  auf 

93 


das  Plateau  von  Lavarone  fahren  und  mit  Ihnen  einzelne  Punkte  Fall  J. 
im  Terrain  besprechen. 

Freue  mich  sehr,  Sie  wiederzusehen.  Wir  könnten  dann  den  13. 
nachmittags  oder  abends  nach  Toblach  zurückfahren.  Herzliche  Grüße. 

Erzherzog  Franz." 

Es  war  mir  äußerst  willkommen,  mit  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  die 
vielen  Fragen,  die  ich  ihm  bisher  nur  auf  Karten  und  Plänen  vorgetragen 
hatte,  nunmehr  auch  an  Ort  und  Stelle  besprechen  und  ihn  auch  von 
der  Bedeutung  der  von  mir  verlangten  Befestigungen  überzeugen  zu 
können. 

Ich  fuhr  mit  Hauptmann  Putz  nach  Trient  und  traf  dort  am 
13.  August  mit  Seiner  KaiserMchen  Hoheit  zusammen.  Die  Weiterfahrt 
ging  im  Auto  über  Calliano,  Folgaria  nach  Lavarone  zu  dem  damals 
im  Bau  schon  ziemlich  fortgeschrittenen  Werk  Lusern. 

Während  dieser  Fahrt  mit  dem  Erzherzog  allein  im  Auto  hatte  ich 
Gelegenheit,  mannigfache  aktuelle  und  speziell  die  den  Kriegsfall  gegen 
Italien  betreffenden  Fragen  und  die  dabei  Südtirol  zufallende  Rolle  zu 
besprechen.  Nach  diesem  Thema  lenkte  der  Erzherzog  das  Gespräch 
auf  Personalfragen.  Er  äußerte  sich  abfällig  über  einen  unserer  tüchtigsten 
Korpskommandanten,  weil  dieser,  um  eine  katholisch  geschiedene  Frau 
zu  heiraten,  Protestant  geworden  war  Ich  trat  für  denselben  ein  und 
bemerkte,  daß  es  wohl  das  oberste  Recht  jedes  Mannes  sei,  sich  die 
Frau,  die  er  an  seine  Seite  nehmen  und  der  er  seinen  Namen  geben 
wolle,  zu  wählen,  imd  es  nur  männlich  gehandelt  wäre,  wenn  er  sich 
durch  unstichhältige  Bedenken  nicht  hindern  läßt,  der  so  gewählten  Frau 
die  ihr  zukommende  Position  zu  geben. 

Daraufhin  lächelte  der  Erzherzog  und  meinte: 
„Ja   —   eigenthch   habe  ich   ja   das  auch    gemacht,"   worauf   ich 
erwiderte:    „Euere    Kaiserliche    Hoheit    haben    dabei    auch    sicher    alle 
vorurteilsfreien  Menschen  auf  Ihrer  Seite." 

Nach  einer  Pause  wandte  sich  das  Gespräch  wieder  den  rein 
militärischen  Fragen  zu. 

Bei  Werk  Lusern  meldete  sich  der  Bauleiter  Hauptmann  Lakom  und 
referierte  über  die  Details  des  Baues. 

Dann  legte  ich  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  die  ganze  Frage  der 
Plateau-Befestigungen  dar;  ihre  Rolle  für  die  defensiven  Zwecke,  als 
sichere  Stützpunkte  für  die  dem  Kriegsfall  vorbehaltenen  Maßnahmen 
und  ergänzenden  feldmäßigen  Befestigungen;  ihre  Bedeutung  für  eine 
von  den  Plateaus  aus  zu  führende  Offensive,  als  Stützpunkte  zur 
gesicherten  Bereitstellung  der  Angriffstruppen  und  zur  Etablierung  jener 

94 


Artillerie,  die  zur  Niederkämpfung  der  feindlichen  Werke  erforderlich 
erschiene.  Von  letzteren  erhoben  sich  bereits  die  Forts  Verena  und 
Campolongo  auf  dem  mächtigen  Querwall,  der  sich  hier  dem  Vorgehen 
entgegenstellte,  während  man  im  Tale  die  italienischen  Anlagen  von 
Casaratti,  Tonnezza  etc.  gewahrte. 

Es  ist  aus  den  früheren  Darlegungen  erinnerlich,  daß  der  Erzherzog, 
beeinflußt  von  mancher  Seite,  den  Befestigungsbauten  gerade  nicht  sehr 
zugeneigt  war.  Als  wir  von  Lavarone  wieder  nach  Trient  rückkehrten, 
sagte  mir  Seine  Kaiserliche  Hoheit:  „Sie  haben  mich  heute  aus  einem 
Saulus  zu  einem  Paulus  gemacht."  Er  vertrat  von  da  an  mit  ganzem 
Einfluß  den  Befestigungsbau  in  Tirol. 

Von  Trient  fuhren  wir  per  Bahn  nach  Niederndorf  im  Pustertal. 
Auf  dieser  Fahrt,  die  den  Erzherzog  zu  seiner  am  Pragser  Wildsee 
weilenden  Familie  zurückführte,  war  Seine  KaiserUche  Hoheit  frohester 
Laune.  Ich  befand  mich  mit  ihm  im  Salonwagen,  der  mit  zahlreichen 
Bildern  seiner  Frau  und  seiner  Kinder  geschmückt  war.  Der  Erzherzog 
zeigte  sie  mir  eingehend.  Ich  empfing  dabei  den  so  wohltuenden  Ein- 
druck des  innigen  Familienglückes,  das  den  Erzherzog  und  die  Herzogin 
verband.  In  Niederndorf  verabschiedete  ich  mich  von  Seiner  Kaiserlichen 
Hoheit  und  fuhr  nach  kurzem  Aufenthalt  nach  Payerbach,  wo  ich  einige 
Zeit  bei  meiner  Mutter  weilte,  die  dort  mit  meinen  Kindern  zum  Land- 
aufenthalt war. 

Darauf  kehrte  ich  nach  Wien  zurück,  um  der  Einladung  zu  den 
Manövern  in  der  Schweiz  zu  folgen,  wohin  ich  mich,  begleitet  von 
Oberst  Metzger,  Major  Slameczka,  Hauptmann  Pohl  und  Hauptmann 
Kundmann,  begab. 

Die  Manöver  fanden  im  Jura  statt.  Sie  boten  nicht  nur  wegen  der 
eigenartigen  Wehrmacht  der  Schweiz,  sondern  auch  dadurch  ein  beson- 
deres Interesse,  daß  sie  einen  französischen  Einbruch  südwestlich  Basel 
zur  Grundidee  hatten  und  dadurch  erwiesen,  wie  sehr  die  Schweiz  daran 
dachte,  sich  jeder  Verletzung  ihres  Gebietes  mit  Waffengewalt  zu  wider- 
setzen. 

Wir  trafen  am  29.  August  nachmittags  in  Bern  ein,  wurden  vom 
k.  u.  k.  Militärattache  Baron  Berlepsch,  dann  dem  schweizerischen  Oberst 
Egh,  sowie  Oberstleutnant  Eduard  von  Tscharner  und  Major  Wilhelm 
Favre,  die  uns  für  die  ganze  Dauer  der  Manöver  beigegeben  waren, 
empfangen.  Abends  waren  wir  der  liebenswürdigen  Einladung  des 
k.  u.  k.  Gesandten  Baron  Gagern  zum  Diner  gefolgt  und  trafen  dort 
den  Chef  des  schweizerischen  Generalstabes  Oberst-Korpskommandant 
von  Sprecher,  Oberst  Korpskommandant  Wille,  Oberst-Divisionskomman- 
dant Wildbolz,  Oberst  Egli  und  Major  Favre. 

95 


Am  30.  August  wurden  die  aus  27  ausländischen  Offizieren  bestehen- 
den Missionen  durch  Bundes-Vizepräsident  Ruchet  empfangen  und  reisten 
nach  einem  Dejeuner  im  Berner  Hof  noch  nachmittags  nach  Solothurn. 
Von  dort  wurde  tägUch  mittelst  Bahn  in  das  Manövergebiet  gefahren. 

Am  31.  August  und  1.  September  wohnten  wir  Übungen  der 
3.  Division  und  der  kombinierten  Kavallerie-Division  bei.  So  dem 
nächtlichen  Brückenschlag  bei  Büren.  Am  2.  September  der  Truppen- 
Inspektion  bei  Biehl,  am  3.  September  jener  bei  Porentruy. 

Den  Rasttag  am  4.  September  benützten  wir  zu  einem  Ausflug  mit 
der  Jungfrau-Bahn. 

Am  5.,  6.,  7.  und  8.  September  nahmen  wir  an  den  Schlußmanövem 
teil,  deren  Grundidee,  wie  schon  erwähnt,  der  Einbruch  südwestlich 
Basel  und  dessen  Abwehr  durch  eigene  Offensive  war. 

Im  Rahmen  dieser  Annahme  ging  die  Westpartei  (5;  Division  und 
Kavallerie-Division)  von  Porentiuy,  die  Ostpartei  (verstärkte  3.  Division) 
aus  dem  Räume  nördUch  Biel  und  Solothurn  auf  Delemont,  wo  sich 
vom  5.  bis  8.  September  die  Manöver  abspielten. 

Nach  der  durch  Oberst-Korpskommandant  Wille  auf  dem  Manöver- 
feld gehaltenen,  äußerst  sachlichen  Besprechung  verabschiedeten  wir  uns 
von  den  Schweizei  Offizieren  und  fuhren  nach  Solothurn.  Dort  trennten 
sich  die  Missionen  und  kehrten  in  ihre  Staaten  zurück. 

Der  Dreibund  war  durch  den  deutschen  General  der  Kavallerie  Graf 
Schlieffen  (Gouverneur  der  Festung  Mainz),  durch  den  italienischen 
Generalleutnant  Frugoni,  dessen  während  der  Manöver  erfolgte  Ernen- 
nung zum  Kommandanten  des  X.  Korps  (Rom)  wir  kameradschaftlich 
gefeiert  hatten,  und  durch  mich  vertreten. 

In  dankbarster  Erinnerung  gedenke  ich  der  großen  Liebenswürdig- 
keit und  sachgemäßen  Unterstützung,  die  wir  seitens  aller  Schweizer 
Herren  fanden,  insbesondere  jener  des  allverehrten  Oberst-Korpskomman- 
dant von  Sprecher,  dann  unserer  Begleiter  am  Manöverfeld  Oberstleutnant 
Tscharner  und  Major  Favre. 

Von  meinem  Aufenthalt  in  der  Schweiz  nahm  ich  die  besten  Ein- 
drücke hinsichtlich  des  Schweizer  Heerwesens,  sowie  viele  Anregungen 
und  Erfahrungen  mit.  Darunter  auch  die,  daß  das  Milizsystem  nur  dann 
Ersprießliches  zu  leisten  vermag,  wenn  es  auf  Bedingungen  aufgebaut 
ist,  wie  ich  sie  in  der  Schweiz  vorgefunden  habe.  Vor  allem  der  absolut 
einheitliche  politische  Wille  des  Volkes,  unter  Ausschluß  jeder  national- 
politischen oder  sozialpolitischen  Feindschaft  zwischen  den  Parteien. 
Also  auch  der  Wille  aller,  zum  Schutze  des  gemeinsamen  Vaterlandes 
ein  starkes,  nur  von  einem  Geist  beseeltes,  scharf  disziplinier- 
tes Heer  zu  besitzen.     Wo  es  an  diesem  Willen,  an  diesem  Geist  und 

96 


an  dieser  Disziplin  fehlt,  wird  das  Milizsystem  nur  bewaffnete  Banden 
oder  Parteiorganisationen  schaffen,  die  den  Keim  des  Bürgerkrieges  in 
sich  tragen. 

Ich  vermag  mich  hier  nicht  eingehender  mit  der  Schweizer  Wehrmacht 
zu  befassen,  möchte  jedoch  in  Schlagworten  einige  bemerkenswerte  Daten 
anführen ; 

Allgemeine  Wehrpflicht;  sehr  wenig  Befreiungstitel;  hohe  Wehr- 
steuer für  Befreite;  Verbrecher  vom  Waffendienst  ausgeschlossen;  Dienst- 
pflicht durch  28  Jahre  vom  20.  Lebensjahre  an,  und  zwar  zwölf  Jahre 
in  der  ersten,  je  acht  Jahre  in  der  zweiten  und  dritten  Linie.  Rekruten- 
schule je  nach  Waffengattung  65  bis  QO  Tage;  in  der  Folge:  Waffen- 
übungen, und  zwar  in  der  ersten  Linie  für  die  Infanterie  sieben,  für  die 
Kavallerie  acht;  in  der  zweiten  Linie  für  die  Infanterie  eine.  Ferner: 
jährliche  Schießübungen;  Ausbildung  von  Mann,  Unteroffizier  und 
Offizier  während  des  ganzen  Jahres  durch  vorzügliche  Berufsoffiziere 
(Instruktionsoffiziere);  Spezialschulen  für  besondere  Ausbildungszweige. 
Bekleidung,  Ausrüsiung,  Waffen  (Dienstpferd  für  Berittene)  erhält  der 
Mann  vom  Staate,  hat  es  stets  bei  sich  zu  haben,  zu  konservieren  und 
sich  diesbezüglich  einer  jährhchen  eintägigen  Musterung  zu  unterziehen. 
Weitestgehend  entwickeltes,  vom  Staat  subventioniertes  freiwilliges  Schieß- 
wesen, obligatorischer  Turn-,  Exerzier-  und  Schieß-Unterricht  an  allen 
Schulen,  lerner  vom  Staat  unterstützte  Reit-,  Fahr-  und  Pontonier-(Ruder-) 
Vereine.  Eingehendes  Verfolgen  aller  miUtärtechnischen  Neuerungen, 
insbesondere  auf  dem  Gebiete  des  Waffenwesens  und  stete  Sorge  für 
eine  auf  modernster  Höhe  stehende  Bewaffnung.  Entsendung  von  Offi- 
zieren ins  Ausland  zu  Studienzwecken,  insbesondere  zu  kriegführenden 
Mächten.  Daher  reiche  finanzielle  Mittel  für  das  Heerwesen.  So  betrug 
1908  bei  einem  Gesamtbudget  von  150  MilUonen  Francs  das  Heeres- 
budget allein  über  38  Millionen,  das  ist  fast  ein  Viertel,  also  25  Prozent. 
(In  Österreich- Ungarn  betrugen  1909  die  Gesamtausgaben  3704-7 
Millionen  Kronen,  das  ganze  Wehrbudget  inklusive  Kriegsmarine  508-8 
Millionen,  das  ist  zirka  ein  Siebentel,  also  13-6  Prozent.) 

Das  Wehrsystem  ergibt  für  den  Krieg  260.000  Bewaffnete  und 
260.000  Unbewaffnete,  was  bei  3V2  Millionen  Einwohnern  einer  fünfzehn- 
perzentigen  Auswertung  entspricht  (gegenüber  einer  bloß  achtperzentigen 
in  Österreich-Ungarn  1909). 

Diese  Daten  zeigen,  welche  hohen  Anforderungen  hinsichtlich  der 
Pflichten  des  einzelnen,  sowie  der  finanziellen  Mittel  ein  reelles  Miliz- 
system stellt,  im  Gegensatz  zu  den  bei  oberflächHchen  Vertretern  dieses 
Systems  herrschenden  Ansichten. 


7,  Conrad  11 


97 


Am  Schlüsse  der  Manöver  aufgefordert,  mein  Urteil  über  die 
Schweizer  Wehrmacht  zu  präzisieren,  habe  ich  dies  mit  nachstehenden 
Worten  getan: 

„Von  wärmster  Vaterlandshebe  getragener,  angeborener  soldatischer 
Sinn  jedes  einzelnen,  große  physische  und  intellektuelle  Veranlagung  für 
den  militärischen  Dienst;  als  Folge  davon  reges  Interesse  an  letzterem, 
willige  Disziplin  und  freudige  Ausdauer  bei  jedweden  Leistungen;  weise 
Förderung  dieser  Anlagen  durch  staatliche  Institutionen,  welche  den 
Wehrmann  schon  von  Jugend  auf  militärisch  erziehen;  berufsfreudiges, 
mit  größtem  Eifer  an  seiner  militärischen  Fortbildung  arbeitendes  Offi- 
zierskorps, zielbewußte  militärische  Leitung,  stetes  Verfolgen  aller  miU- 
tärischen  Neuerungen  und  Nutzbarmachung  derselben  für  das  eigene 
Heerwesen  bei  munifizenter  Gewährung  der  finanziellen  Mittel.  Es  ist 
erklärlich,  daß  bei  solchen  Vorbedingungen  —  aber  auch  nur  bei 
solchen  —  mit  dem  Milizsystem  so  vorzügliche  Erfolge  erzielt 
werden,  wie  dies  in  der  Schweiz  der  Fall  ist." 

Am  18.  September  referierte  ich  Seiner  Majestät  eingehend  über 
meinen  Schweizer  Aufenthalt  und  beantragte,  Offiziere  der  Infanterie,  der 
Kavallerie  und  der  Artillerie  zu  Studienzwecken  in  die  Schweiz  zu 
senden.  In  politischer  Hinsicht  äußerte  ich  mich  Seiner  Majestät  gegen- 
über dahin,  daß  mir  eine  gewisse  Spaltung  zwischen  der  deutschen  und 
der  romanischen  Strömung  in  der  Schweiz  aufgefallen  ist. 


08 


19  11 


Inhalt. 

Seite 

Normale  Arbeiten 102 

Der  Ausbau  der  Wehrmacht.  —  Konflikt  in  der  Budgetfrage  .    .    .  111 

Außenpolitische  Vorgänge 157 

Ausbruch  des  hbyschen  Krieges  (Tripolis) 171 

Der  Konfliict  mit  Graf  Ährenthal 218 

Meine  Entlassung  von  der  Stelle  des  Chefs  des  Generalstabs  .     .    .  283 


100 


Wer  die  Details  der  bisherigen  Ausführungen  verfolgt  hat,  wird 
wohl  dessen  gewärtig  sein,  daß  es  hinsichtlich  meiner  Person  zu  eina: 
Krisis  kommen  mußte,  die  mit  der  Enthebung  von  meinem  Dienstes- 
posten enden  würde. 

Dies  trat  auch  im  Jahre  191 1  ein  und  bildet  das  biographisch 
bemerkenswerteste  Vorkommnis  in   diesem  Jahre. 

Wenn  ich  mich  hierüber  eingehender  verbreite,  so  kann  ich  immer 
wieder  nur  darauf  hinweisen,  daß  die  vorliegende  Arbeit  kein  allgemein 
historisches  Werk,  sondern  nur  eine  Aufzeichnung  des  rein  persön- 
lich Erlebten  ist  und  lediglich  einen  Beitrag  zum  Material  für 
künftige  Arbeiten  berufener  Historiker  bieten  soll. 

Während  die  normalen  dienstlichen  Tätigkeiten  ihren  hergebrachten, 
schon  im  Früheren  gekennzeichneten  Verlauf  nahmen,  spitzte  sich  der 
Konflikt  hinsichtlich  meiner  Person  allmähUch  zu  und  kam  in  zwei 
wesenthchen  Phasen  zum  Ausdruck: 

Zuerst  in  meiner  Bitte  um  Enthebung  wegen  Nichtgewährung  der 
von  mir  für  den  Heeresausbau  dringend  geforderten  Mittel,  welcher  Bitte 
jedoch  Seine  Majestät  nicht  willfahrte. 

Hierauf  in  meinem  Zerwürfnis  mit  Graf  Ährenthal,  das  zu  meiner 
Entlassung  aus  der  Stelle  des  Chefs  des  Generalstabes  —  bei  gleichzeitiger 
Ernennung  zum  Armee-Inspektor  —  führte. 

Ich  werde  im  nachfolgenden  zunächst  die  normalen  Tätigkeiten 
streifen,  dann  die  meine  Enthebungsbitte  veranlassenden,  den  Heeres- 
ausbau betreffenden  Vorkommnisse  schildern,  schHeßlich  die  politischen 
Vorgänge  behandeln  und  im  Zusammenhang  damit  den  zu  meiner 
Entlassung  führenden  Konflikt. 

Die  Angabe  meiner  speziellen  persönlichen  Verwendungen  und  die 
Skizzierung  meiner  Dienstesobliegenheiten  als  Armee-Inspektor  sollen  die 
Darlegungen  für  das  Jahr  1911  abschließen. 


101 


Normale  Arbeiten. 

Die  fortlaufenden  normalen  Tätigkeiten  erscheinen  ihrem  Wesen  nach 
in  den  früheren  Darlegungen  so  eingehend  behandelt,  daß  —  sollen 
ermüdende  Wiederholungen  vermieden  werden  —  auf  eine  detailherte 
Anführung  derselben  für  das  Jahr  1911  verzichtet  werden  kann. 

Wie  alljährlich,  wurden  die  konkreten  Kriegsvorberei- 
tungsarbeiten unter  voller  Berücksichtigung  aller  seither  ein- 
getretenen Veränderungen  bewirkt  und  auf  Grund  derselben  die  Auf- 
marsch-Instradierung durchgeführt. 

Der  grundlegende  Gedankengang  für  diese  Arbeiten  erlitt  keine 
wesenthche  Veränderung. 

Über  den  auch  1911  mit  Deutschland  gepflogenen  Ideenaustausch 
für  den  Kriegsfall  gegen  Rußland  gibt  der  nachstehende  Briefwechsel 
zwischen  mir  und  General  von  Moltke  Aufschluß. 

Ich  an  General  von  Moltke. 

„Wien,  am  26.  Mai  1911. 

Ich  bitte  E.  E.,  meinen  ergebensten  Dank  für  die  so  sehr  geschätzten 
Mitteilungen  entgegenzunehmen,  welche  Sie  mir  durch  Major  Baron 
Bienerth  zukommen  ließen,  und  erlaube  mir  im  nachstehenden  näher 
hierauf  einzugehen  und  den  diesseitigen  Anschauungen  Ausdruck  zu  geben. 

E.  E.  hatten  ausschließlich  den  Fall  vor  Augen,  daß  Frankreich 
abseits  bleibt,  Italien  neutral  oder  dreibundtreu  ist,  somit  nur  Deutschland, 
Österreich-Ungarn  und  voraussichtlich  Rumänien  den  Krieg  gegen  Ruß- 
land führen. 

Obzwar  bei  dieser  Kombination  die  Monarchie  sicherlich  damit 
rechnen  muß,  Serbien  und  Montenegro  als  Gegner  zu  haben,  besteht  doch 
die  Absicht,  womögHch  40  Infanteriedivisionen  gegen  Rußland  zu 
versammeln,  somit  die  Aktion  gegen  Serbien  und  Montenegro  mit  einem 
Minimum  an  Kräften  führen  zu  lassen. 

In  analoger  Weise  hatte  ich  im  Sinne  des  Schreibens  E.  E.  vom 
19.    März    1909    angenommen,    daß    auch    deutscherseits    mindestens 

102 


40  Infanteriedivisionen  von  Haus  aus  gegen  Rußland  gewendet  werden, 
so  daß  zusammen  etwa  80  Divisionen  gegen  die  zirka  57  bis  58  russischen 
Infanteriedivisionen  zu  stehen  gekommen  wären. 

Die  rumänischen  10  Divisionen  sind  hiebei  nicht  in  Rechnung  gezogen, 
da  es  doch  nicht  völlig  klar  hegt,  daß  dieser  Staat  von  Haus  aus  aktiv 
auftritt  und  auch  nicht  gewiß  ist,  ob  Rumänien  nicht  ganz  oder  teilweise 
durch  Bulgarien  gebunden  wird. 

Major  Baron  Bienerth  meldet  mir,  daß  nach  dortseitiger  Ansicht 
deutscherseits  nur  32  Infanteriedivisionen  im  Gebiet  Preußens  östUch  der 
Weichsel  aufmarschieren  würden,  da  ein  Mehr  in  diesem  Raum  überhaupt 
nicht  zu  placieren  wäre. 

Für  den  Aufmarsch  der  diesseitigen  40  Divisionen  ist  ein  Raum  ge- 
wählt, welcher  eher  enger  ist,  als  das  deutsche  Gebiet  östlich  der  Weichsel. 

Es  entzieht  sich  aber  meiner  Beurteilung,  inwieweit  dort  Wald,  See 
und  Sumpfgebiete  diesen  beengenden  Einfluß  üben,  es  daher  nicht  mögUch 
ist,  noch  weitere  8  Divisionen  östlich  der  Wechsel  zu  versammeln. 

Um  diese  Kraft  aber  auch  noch  gegen  Rußland  einzusetzen,  bliebe 
vielleicht  die  Möglichkeit,  sie  knapp  westlich  der  Weichsel  (Thom, 
Bromberg,  Inowrazlaw)  zu  konzentrieren  und  sie  dann  über  die  Weichsel 
gegen  den  unteren  Narew  zu  dirigieren. 

Äußerstenfalls  vermöchten  sie  nach  vorheriger  Versammlung  westlich 
Kalisz  auch  über  Kalisz— Lodz  vorzugehen,  um  aufwärts  von  Warschau 
die  Weichsel  zu  übersetzen.  Es  ist  kaum  anzunehmen,  daß  diese  Kräfte 
einen  Luftstoß  machen  würden,  da  es  kaum  wahrscheinUch  ist,  daß 
russischerseits  der  Raum  Warschau— Brest — Bjalystok  von  Truppen 
entblößt  sein  wird. 

Allerdings  ist  die  Strecke  von  Kalisz  zur  Weichsel  220  Kilometer 
lang,  bedingt  also  etwa  10  Märsche,  daher  ein  spätes  Eingreifen  dieser 
Kräfte  und  erschiene  es  deshalb  zweckdienhcher,  letztere,  wie  früher 
erwähnt,  im  Raum  westhch  Thom  zu  versammeln. 

Selbstverständlich  liegt  es  mir  fern,  diese  Ausführungen  für  etwas 
anderes  zu  halten,  als  die  bloße  Wiedergabe  meiner  diesbezüglichen  ganz 
allgemeinen  Anschauungen. 

Was  nun  den  Aufmarsch  der  diesseitigen  Hauptkraft  anlangt,  so  ist 
dieser  im  mittleren  Teil  Ostgaliziens  und  in  der  Absicht  gedacht,  durch 
Offensivbeginn  mit  dem  linken  Flügel  zunächst  das  ungünstige  Verhältnis 
auszugleichen,  welches  für  die  eigenen  Kräfte  darin  besteht,  daß 
russischerseits  durch  einen  Stoß  westlich  der  Linie  Kowel— Lemberg  alle 
Verbindungen  der  eigenen  Hauptkräfte  empfindlichst  getroffen  und  diese 
vom  Hauptgebiet  der  Monarchie  ab  gegen  die  Waldkarpathen  gedrängt 
werden  können. 

103 


Diese  Erwägung  allein  schon  schließt  auch  einen  Aufmarsch  der 
eigenen  Hauptkraft  im  östlichen  Galizien  mit  der  Tendenz,  durch  Vorgehen 
vom  rechten  Flügel  aus  die  russischen  Kräfte  gegen  das  Polesie  zu 
drängen,  aus,  umsomehr  als  die  diesseitigen  Bahnverhältnisse  ein  recht- 
zeitiges Versammeln  der  Hauptkräfte  im  östlichen  Galizien  gar  nicht 
ermöglichen. 

Erst  nach  —  dermalen  kaum  abzusehender  —  weitgehender  Aus- 
gestaltung des  Bahnnetzes  erschiene  eine  solche  Absicht  diskutabel. 

Es  muß  damit  gerechnet  werden,  daß  russischerseits  anscheinend 
immer  mehr  geplant  wird,  starke  Kräfte  östlich  des  Zbrucz  (Front  gegen 
West)  zu  versammeln,  so  daß,  soll  ein  eigenes  Vordringen  vom  rechten 
Flügel  zustande  kommen,  auch  eigenerseits  sehr  starke  Kräfte  am  rechten 
Flügel  rechtzeitig  bereit  sein  müßten;  dies  vermag  aber  die  Bahn  über 
Körösmezö  nicht  zu  leisten. 

Auch  mich  beschäftigt  am  meisten  die  Frage,  wo  Rußland  die  Kräfte 
seiner  Zentralarmee  einsetzen,  ob  sie  diese  einheitlich  verwenden  oder 
korpsweise  verteilen  wird. 

Nach  dem  Stande  der  russischen  Bahnen  erscheint  es  mir  als  das 
wahrscheinlichste,  daß  Rußland  einen  Teil  dieser  Kräfte  in  den  Raum 
südUch  des  Polesie,  einen  Teil  jedoch  gegen  das  Gebiet  des  Bug — Narew 
heranführen  und  trachten  wird,  die  deutschen  und  die  ö.-u.  Kräfte  von 
den  inneren  Flügeln  zu  trennen,  also  erstere  gegen  die  Ostsee,  letztere 
gegen  die  Waldkarpathen  zu  drängen;  jedenfalls  wäre  diese  die  für  die 
Verbündeten  gefährlichste  Operation. 

Sollte  —  was  immerhin  möglich  —  die  Hauptkraft  der  Zentralarmee 
gegen  Östeneich-Ungarn  verwendet  werden,  so  könnten  nach  hierstelligem, 
allerdings  für  Rußland  günstig  veranschlagtem  Kalkül  8  Infanterie- 
divisionen im  Räume  Lukow — Brest — Lublin — Cholm,  und  zwar  am 
12.  Mobilisierungstage, 

10  Infanteriedivisionen  im  Räume  Luck — Kowel  am  24.  Mobili- 
sierungstage, 

7  Infanteriedivisionen  im  Räume  Rowno — Zaslawl  am  24.  Mobili- 
sierungstage, 

8Mi  Infanteriedivisionen  im  Räume  Proskurow — Kamience  p.  am 
17.  Mobilisierungstage  versammelt  sein. 

Im  ganzen  33 14  Infanteriedivisionen  gegen  die  höchstens  40  öster- 
reichisch-ungarischen. Dabei  ist  allerdings  das  VI.,  XV.,  XIV.  und 
XIX.  Korps  für  die  Gruppe  im  Räume  Lublin— Chobn — Lukow — Brest 
gerechnet;  aber  anderseits  angenommen,  daß  4^4  russische  Infanterie- 
divisionen gegen  Rumänien  Verwendung  finden. 

104 


Ich  resümiere  daher: 

Die  ö.-u.  Hauptkräfte  werden  im  mittleren  OstgaHzien  östlich  des 
San  versammelt,  um  die  Offensive  vom  linken  Flügel  aus  zu  beginnen, 
ein  analoges  Vorgehen  deutscherseits,  also  ein  Vorgehen  entsprechender 
deutscher  Kräfte  gegen  den  unteren  Bug— Narew  wäre  sehr  erwünscht; 
die  Designierung  von  45  oder  doch  wenigstens  ebensoviel  deutscher  als 
ö.-u.  Divisionen  gegen  Rußland  wurde  hier  vorausgesetzt. 

Gestatten  E  E.,  daß  ich  bei  diesem  Anlasse  der  Überzeugung  Aus- 
druck gebe,  daß  hinsichtlich  alle;  anderen  Kriegsmöglichkeiten,  das  ist 
für  den  Fall  emer  zweifelhalten  oder  gar  einer  feindlichen  Stellungnahme 
Frankreichs  und  Italiens,  jene  Abmachungen  aufrecht  bleiben,  welche  in 
den  Vorjahren  vereinbart  wurden  und  in  der  Zuschrift  E.  E  vom  30.  Jän- 
ner 1910,  beziehungsweise  in  meinen  Zuschriften  vom  8.  Jänner  und 
23.  Februar  zum  Ausdruck  kommen. 

Ich  bitte  E.  E.  um  diesbezügliche  geneigte  Bekanntgabe  der  dort- 
seitigen  Anschauung. 

Seine  Majestät  haben  Allerhöchst  Kenntnis  von  dem  vorliegenden 
Schreiben. 

Genehmigen  etc.  etc.  Conrad  m.  p." 

General  von  Moltke  an  mich. 

„Chef  des  Generalstabes  der  Armee. 
(Geheim.)  Berlin,  den  3.  Juni  1911. 

An  den  Chef  des  Generalstabes  Baron  Conrad. 

Euer  Exzellenz! 

wollen  meinen  verbindlichsten  Dank  entgegennehmen  für  das  Schreiben 
vom  26.  Mai  d.  J. 

Wie  der  Überbringer  desselben  E.  E.  schon  mündlich  mitgeteilt 
haben  wird,  beruht  die  Angabe  des  Majors  Baron  Bienerth,  Deutschland 
werde  in  einem  Kriege  der  Verbündeten  gegen  Rußland,  bei  voraus- 
gesetzter Neutrahtät,  32  Divisionen  in  Preußen  aufmarschieren  lassen, 
auf  einem  Mißverständnis.  Wenn  Österreich-Ungarn  und  Deutschland  — 
vielleicht  unter  Mitwirkung  Rumäniens  —  den  Krieg  gegen  Rußland  allein 
zu  "Uhren  haben,  wird  Deutschland  in  erster  Linie  43  Divisionen  für  den 
Aufmarsch  gegen  Rußland  verfügbar  machen.  Von  diesen  können 
32  Divisionen  ohne  weiteres  östlich  der  Weichsel  aufmarschieren,  der 
Pect  _  n  Divisionen  —  muß  entweder  westlich  der  Weichsel  ausladen 
und  per  Fußmarsch  nachgezogen  werden,  oder  er  muß  als  zweite 
Staffel  mit  der  Bahn  vorgeführt  werden.    Die  Schwierigkeit  für  unseren 

105 


Aufmarsch  liegt  nicht  in  dem  Raum,  sondern  in  der  UnvoUständigkeit 
unseres  Bahnnetzes,  das  eine  Verteilung  der  Kräfte  im  Aufmarschgebiet 
erschwert,  da  starke  Massen  in  derselben  Gegend  hintereinander  aus- 
geladen werden  müssen,  während  andere  Gebiete  freibleiben.  Während 
also  32  Divisionen  bis  zum  16.  Mobilmachungstage  marschbereit  sind, 
können  die  übrigen  erst  bis  zum  21.,  geringere  Teile  sogar  erst  bis 
zum  24.  Mobilisierungstage  verwendungsbereit  sein  Diese  ungünstigen 
Verhältnisse  werden  noch  im  Laufe  dieses  Jahres  soweit  verbessert  werden, 
daß  alle  43  Divisionen  mit  der  Eisenbahn  über  die  Weichsel  vorgeführt 
werden  können.  Eine  weitere  Verbesserung  beabsichtige  ich  durch 
Forderungen  in  dem  nächsten  Eisenbahnetat  anzustreben. 

Da  ich  eine  möglichst  frühzeitige  Offensive  unsererseits  für  sehr 
erwünscht  halte,  wird  diesseits  beabsichtigt,  den  Vormarsch  anzutreten, 
sobald  die  ersten  32  Divisionen  marschbereit  sind,  also  am  16.  Mobili- 
sierungstage fertig  zu  sein.  Die  übrigen  11  deutschen  Divisionen  sollen 
nach  Maßgabe  ihres  Eintreffens  unverzüglich  nachgezogen  werden. 

Wenn,  wie  E.  E.  mir  schreiben,  dortseits  40  Divisionen  gegen  Ruß- 
land angesetzt  werden,  so  würden  also  die  Verbündeten  zusammen 
83  Divisionen  ins  Feld  stellen.  Ein  weiterer  Zuwachs  durch  die  zehn 
rumänischen  Divisionen  ist  sehr  erwünscht,  doch  verspreche  ich  mir  von 
ihnen  nur  dann  ein  rechtzeitiges  und  wirksames  Eingreifen  auf  dem  rechten 
Flügel  des  ö.-u.  Heeres,  wenn  es  gelingt,  Rumänien  zum  Aufmarsch  seiner 
Armee  nördlich  Jassy  zu  veranlassen. 

Ich  darf  noch  meine  Ansicht  über  die  russischen  Operationen  kurz 
in  folgendem  zusammenfassen: 

Für  einen  Fehler  würde  ich  es  halten,  wenn  Rußland  seine  Zentral- 
armee zersplitterte,  statt  sie  einseitig  an  einer  Stelle  zur  kraftvollen  Offen- 
sive einzusetzen.  Sollte  Rußland  anders  verfahren,  so  könnte  dies  nur 
erwünscht  sein. 

SoUte  Rußland  den  Versuch  machen,  die  Verbündeten  auf  deren 
inneren  Flügeln  zu  trennen,  so  würde  ich  darin  für  letztere  eher  einen 
Vorteil  als  einen  Nachteil  sehen.  Die  Operationen  auf  der  inneren  Linie 
haben  durch  die  Massenheere,  die  Vermehrung  der  Waffenwirkung  und 
die  Wahrscheinlichkeit  langdauernder  Kämpfe  gegen  früher  an  Bedeutung 
verloren,  an  Schwierigkeit  gewonnen.  Sie  setzen  schlagartige  Erfolge 
voraus,  die  heute  weniger  als  früher  zu  erwarten  sind.  Wohl  aber  würde 
eine  solche  Operation  der  Russen  den  Vorteil  für  die  Verbündeten  haben, 
daß  sie  sich  zur  Schlacht  stellen  müssen,  denn  meine  größte  Sorge  besteht 
darin,  daß  die  Russen  sich  nach  altem  Muster  der  Entscheidung  zu 
entziehen  und  in  das  Innere  ihres  unermeßlichen  Reiches  zurückzuweichen 
suchen  werden.    Daher  war  meinerseits  auch  der  Gedanke  entstanden,  den 

106 


der  Hauptmann  Kundmann  E.  E.  mitgeteilt  tiaben  wird,  ob  es  nicht  für 
Österreich-Ungarn  möglich  sein  werde,  mit  vorgenommenem  rechten 
Flügel  anzutreten,  um  den  Gegner  gegen  die  Pripetsümpfe  zu  drängen 
und  seinen  Abzug  auf  Kiew  zu  verhindern.  Aus  E.  E.  Schreiben  ersehe 
ich,  daß  auch  Sie  diesen  Gedanken  voranstellen,  ihn  aber  technisch  nicht 
für  durchführbar  halten.  Deutschland  wird  jedenfalls  mit  aller  Energie 
gegen  Narew  und  Niemen  vorgehen  und  dadurch  vielleicht  den  Einsatz 
der  Zentralarmee  herausfordern.  Ein  möglichst  schnelles  Eingreifen  des 
Verbündeten  in  Richtung  auf  Brest-Litowsk  würde  in  diesem  Falle  sehr 
erwünscht  sein. 

Mit  E.  E.  bin  ich  der  Ansicht,  daß  der  zu  Grunde  gelegte  Kriegsfall 
bei  gleichzeitiger  Neutralität  Frankreichs  und  Italiens  sehr  unwahr- 
scheinlich ist. 

Für  alle  anderen  Kriegsmöglichkeiten,  die  durch  zweifelhafte  oder 
feindUche  Haltung  Frankreichs  und  Italiens  entstehen  können,  wird 
Deutschland  an  den  Abmachungen  festhalten,  die  durch  die  Zuschriften 
E.  E.  vom  8.  Jänner  und  23.  Feber  1910,  sowie  durch  mein  Schreiben 
vom  30.  Jänner  1910  vereinbart  sind. 

Dem  Wunsche  E.  E.,  eine  gegenseitige  Verständigung  zwischen  den 
beiderseitigen  Grenzschutz- Kommandeuren  in  Krakau  und  Gleiwitz  herbei- 
zuführen, leiste  ich  gerne  Folge. 

Ich  habe  die  Aufnahme  einer  entsprechenden  Anweisung  in  die 
Grenzschutzbestimmungen  des  VI.  Armeekorps  bereits  veranlaßt.  Die 
Adresse  des  deutschen  Grenzschutz-Kommandeurs  ist:  »Kommandeur  der 
23.  Infanteriebrigade  Gleiwitz.«  Für  eine  sehr  gefällige  Angabe  der 
Adresse  des  entsprechenden  ö.-u.  Kommandeurs  würde  ich  dankbar  sein. 

Indem  ich  E.  E.  bitte,  die  Versicherung  meiner  ausgezeichnetsten 
Hochachtung  entgegenzunehmen,  habe  ich  die  Ehre  zu  sein 

Moltke  m.  p.,  G.  d.  I." 

Ich  an  General  von  Moltke. 

„Wien,  am  10.  Juni  1911. 
Euer  Exzellenz! 

bitte  ich  meinen  verbindlichsten  Dank  für  das  geschätzte  Schreiben  vom 
3.  Juni  1.  J.  entgegenzunehmen,  sowie  auch  für  die  mir  so  wertvolle 
Mitteilung  hinsichtlich  der  im  Kriegsfalle  gegen  Rußland  bereitgehaltenen 
deutschen  Kräfte.  Hinsichtlich  der  Absicht,  mit  der  Offensive  so  bald 
als  möglich  zu  beginnen,  stimme  ich  ganz  mit  E.  E.  Anschauungen 
überein. 

107 


Was  den  so  sehr  erwünschten  aktiven  Beitritt  Rumäniens  betrifft,  so 
stehe  ich,  was  ich  E.  E.  hiemit  strengst  vertraulich  mitteile,  schon  seit 
einigen  Jahren  in  diesbezüglichen  direkten  Verhandlungen. 

Ich  glaube  auf  kaum  mehr  als  acht  rumänische  Divisionen  rechnen 
zu  können,  da  Rumänien,  von  stetem  Mißtrauen  gegen  Bulgarien 
beherrscht,  außer  Truppen  zweiter  Linie  fast  sicher  auch  sein  neu- 
formiertes 5.  Korps  gegen  Bulgarien  belassen  wird. 

Auch  ich  bin  der  Ansicht,  daß  es  für  Rußland  das  vorteilhafteste 
wäre,  seine  Zentralarmee  einheitlich,  also  gegen  einen  der  Verbündeten 
einzusetzen,  doch  glaube  ich,  daß  dies  ebensosehr  gegen  Österreich- 
Ungarn  gerichtet  sein  könnte,  so  daß  auch  wir  mit  dieser  Möglichkeit 
rechnen  müssen;  Rußland  vermöchte  in  diesem  Falle  starke  Kräfte  aus 
zwei  Fronten  gegen  die  in  Ostgalizien  aufmarschierenden  ö.-u.  Armeen 
anzusetzen  und  zwar  aus  jener  Wladimir-Wolynsk — Luck — Dubno — 
Ostrog  und  aus  jener  Proskurow— Kamienecpodolsk  —  und  es  vermöchte 
dann  aus  erstgenannter  Front  in  der  für  uns  empfindlichsten  Richtung 
gegen  Lemberg — Tarnopol  mit  starken  Kräften  vorzugehen.  Dies  bedingt 
auch  eigenerseits  hier  starke  Kräfte  bereitzustellen  und  sich  mit  diesen 
ehestens  den  linken  Flügel  freizumachen;  dadurch  wird  auch  in  der 
wirksamsten  Weise  dem  von  E.  E.  ausgesprochenen  Wunsch  nach  einem 
Eingreifen   in  der  Richtung  Brest-Litowsk  entsprochen. 

In  der  Absicht,  die  zwischen  Wladimir  und  Ostrog  zu  gewärtigenden 
russischen  Kräfte  von  Süden  zu  fassen  und  gegen  das  Polesie  zu  drängen, 
habe  ich  den  Aufmarsch  der  diesseitigen  Hauptkräfte  so  weit  nach  Osten 
verlegt,  als  es  die  nicht  sehr  vorteilhafte  Grenzkonfiguration  Galiziens 
und  die  Leistungsfähigkeit  der  Bahnen  zulassen.  Hinsichtlich  letzterer 
habe  ich  E.  E.  bereits  mitgeteilt,  daß  die  beiden  östlichen  Karpathen- 
bahnen  ein  rechtzeitiges  Versammeln  überlegener  Kräfte  im  östlichen 
Teil  Galiziens  in  ihrem  dermaligen  Zustand  noch  ausschließen  und  daß 
in  diesen  Verhältnissen  erst  in  einigen  Jahren  eine  wesentliche  Besserung 
zu  erwarten  ist. 

Auch  ich  bin  der  Ansicht,  daß  Rußland  gegenüber  das  unangenehmste 
Moment  in  der  Unermeßlichkeit  der  Räume  dieses  Reiches  und  der  damit 
Rußland  gebotenen  Möglichkeit  gelegen  ist,  seine  Streitkräfte  zurück- 
zuführen, um  im  Clausewitzschen  Sinne  die  Offensive  erlahmen  zu  lassen, 
und  daß  es  daher  nur  höchst  erwünscht  sein  kann,  die  russischen  Kräfte 
zum  Schlage  zu  zwingen;  doch  glaube  ich,  daß  diese  Verhältnisse  seit 
1812  sehr  zu  Ungunsten  Rußlands  verändert  sind. 

Das  höchst  Bedenkhche  einer  so  großen  freiwilligen  GebietSr 
abtretung,  insbesondere  bei  den  bestehenden  polnischen  und  ukrainischen 
Aspirationen,  die  Gefahr   der   sozialen   Revolution   im    Innern   werden 

108 


Rußland  nötigen,  den  Schlag  im  Westen  zu  suchen;  andererseits  bieten 
die  modernen  Verkehrsmittel  ganz  andere  Chancen  für  den  Angreifer  als 
es  im  Jahre  1812  der  Fall  war. 

Hinsichtlich  des  heutzutage  Bedenklichen  der  Operationen  auf  der 
inneren  Linie  bm  ich  ganz  E  E.  Anschauungen;  aber  im  vorliegenden  Falle 
scheinen  mir  -'wei  wesentliche  Momente  mitzusprechen '  erstens  ist  der 
trennende  Raum  zwischen  den  beiden  Verbündeten  in  der  Linie  Uhlawa-- 
Zawichost  300  km  breit  und  zweitens  kann  jeder  der  beiden  Verbündeten 
am  äußersten  Flügel  wieder  umfaßt  werden,  nämlich  die  deutschen 
Kräfte  aus  der  Linie  Kowno— Grodno,  die  ö-u  aus  jener  Proskurow — 
Staro  Konstantinow,  so  daß  sich  die  Gesamtlage  derart  ergibt,  daß  jede 
der  infolge  der  Grenzfiguration  auf  300  Kilometer  von  einander  getrennten 
beiden  Gruppen  der  Verbündeten  russischerseits  aus  zwei  Fronten  ange- 
griffen werden  könnte. 

Ich  danke  E.  E.  ganz  ergebenst  für  die  Mitteilung,  daß  deutscherseits 
an  den  Vereinbarungen  im  Sinne  E.  E.  geschätzten  Schreibens  vom 
30  Jänner  IQIO  und  meiner  Schreiben  vom  8  Jänner  und  23  Feber  IQIO 
festgehalten  wird;  selbstverständlich  stehen  auch  wir  auf  demselben 
Standpunkt. 

Schließlich  danke  ich  noch  für  E.  E.  Entgegenkommen  hinsichtlich 
der  gegenseitigen  Verständigung  der  beiderseitigen  Grenzabschnitts- 
kommanden  im  Mobilisierungs-  respektive  Alarmierungsfalle  und  erlaube 
mir  mitzuteilen,  daß  dortige  Nachrichten  an  die  ö.-u.  Militärstations- 
Kommandanten  in  Petrowitz  und  Oswiecim  zu  richten  wären. 

Conrad  m.  p." 

In  diese  Zeit  reichten  auch  die  aus  verschiedenen  Richtungen  auf- 
tauchenden Gerüchte  über  die  Rückverlegung  des  russischen  Aufmarsches. 

So  hatte  m  einem  Bericht  Res.  72  vom  27.  März  1911  der  k.  u.  k. 
Militärattache  in  Petersburg  Prinz  Hohenlohe  über  einen  russischen 
Aufmarsch  an  der  Düna— Dnjepr-Linie  mit  einer  vorgeschobenen  Armee 
von  neun  Korps  gemeldet.  Dies  wurde  unsererseits  stark  in  Zweifel 
gezogen.  Als  dagegen  sprechend  führte  ein  Referat  des  Chefs  der 
russischen  Gruppe,  Major  Christophen,  an:  das  Bündnis  mit  Frankreich, 
demzufolge  der  Krieg  nicht  mit  einem  freiwilligen  Rückzug  beginnen 
könne;  die  UnmögHchkeit,  so  große  Länderstrecken  preiszugeben;  die 
projektierten  und  in  Bau  begriffenen  Bahnen  westlich  Düna  und 
Dnjepr;  die  Leistungsfähigkeit  der  Bahnen,  die  den  Aufmarsch  am  Njemen 
und  an  der  galizischen  Grenze  gestatte;  die  vorgeschobenen  Marsch- 
bereitschaftstermine   der    Truppen;    die    Dislokation    der    Kader-Train- 

109 


bataillone  (Bjelsk,  Dwinsk,  Witebsk,  Berdyczew,  wo  Armeetrains  auf- 
gestellt werden,  sind  westlich  Düna  und  Dnjepr),  endlich  den  Mangel 
an  Dnjepr-Übergängen.  Unsere  Aufmarsch  Vorbereitungen  erschienen 
nicht  alteriert. 

Ein  Bericht  Hohenlohes  Res.  110  vom  20.  Juni  1911  besagte,  daß 
der  vertrauliche  Bericht  des  englischen  Militärattaches  in  Petersburg, 
Oberst  Wyndham,  an  seine  Regierung  über  die  militärische  Situation 
Rußlands  sich  fast  vollständig  mit  unseren  Anschauungen  decke  und 
diese  nur  bekräftigen  könne. 

Der  organisatorische  Heeresausbau  vollzog  sich  bei 
uns,  so  weit  es  die  geringen  Mittel  überhaupt  ermöglichten. 

Bezüglich  der  Ausbildung  wurde  die  Bearbeitung  und  Aus- 
gabe neuei  taktischer  und  technischer  Vorschriften  fortgesetzt.  Es 
erfolgten  wie  alljährlich  die  Feststellung  der  Waffenübungs-Programme 
und  die  Anordnung  für  alle  speziellen  Übungen.  Darunter  insbesondere 
auch  jene  für  die  gemeinsamen  Schießübungen  der  Infanterie  und  Artillerie 
in  größeren  Körpern. 

Für  den  Herbst  waren  die  im  Jahre  IQIO  infolge  einer  Pferdeseuche 
unterbliebenen  Manöver  in  den  Karpathen  anberaumt;  außerdem  Lan- 
dungsmanöver in  Dalmatien  imter  Zusammenwirken  von  Landheer  und 
Flotte. 

Unter  meiner  Leitung  fanden  die  Generalsreise  im  Räume  Tarvis — 
Klagenfurt,  die  große  Generalstabsreise  in  Galizien  (Lemberg— Przemysl) 
statt.  Sie  schloß  mit  einer  applikatorischen  Angriffsübung  auf  Przemysl*). 

Für  die  Karpathen-Manöver  lag  mein  Entwurf  noch  vom  Jahre  1910 
her  vor,  für  die  übrigen  Übungen  hatte  ich  die  Entwüiie  im  Winter 
1910—11  fertiggestellt.  Auf  Grund  derselben  erfolgten  die  Detailarbeiten 
durch  die  betreffenden  Bureaus  des  Generalstabes,  der  militärischen  Mini- 
sterien, beziehungsweise  der  Marinesektion. 

Für  die  Kavallerie  war  die  Konzentrierung  mehrerer  Regimenter 
nebst  reitender  Artillerie  in  der  Somogy  (Ungarn)  verfügt  zum  Zwecke 
der  Vornahme  einer  großen  Übung  im  Aufklärungsdienst  und  taktischer 
Übungen.    All  dies  nach  Anordnung  des  General-Kavallerie-Inspektors. 


*)  Und  zwar:  Die  Siedliska-Frcnt;  also  dieselbe  Front,  gegen  die 
sich  1914  der  erste  russische  Angriff  richtete. 

110 


Der  Ausbau  der  Wehrmacht.  —  Konflikt  in  der  Budgetfrage. 

Hinsichtlich  des  Heeresausbaues  standen  das  W  e  h  r  g  e  s  e  t  z,  das 
die  erforderhche  höhere  Rekrutenzahl,  und  die  B  u  d  g  e  t  f  r  a  g  e,  welche 
die  materiellen  Mittel  schaffen  sollte,  allem  voran.  Die  Widerstände 
gegen  beide  waren  die  gleichen,  wie  schon  früher  geschildert.  Jene  gegen 
das  Wehrgesetz  lagen  hauptsächlich  bei  Ungarn. 

Bemüht,  diese  Angelegenheit  zu  fördern,  ließ  ich  einen  das  Wehr- 
gesetz betreffenden  Antrag  mit  Motivenbericht  verfassen  (Res.  Gstb.  338 
vom  30.  Jänner  1911),  den  ich  an  das  Kriegsministerium  richtete.  Auch 
sandte  ich  ihn  an  den  österreichischen  Landes-Verteidigungsminister 
(Exzellenz  Georgi)  und  den  ungarischen  (Exzellenz  Hazai)  mit  Briefen, 
in  denen  ich  deren  Unterstützung  erbat,  „damit  wir  endlich  zu 
einem  Resultat  kommen"  Was  meine  an  das  Kriegsministeiium 
gerichteten  Anträge  betraf,  setzte  ich  voraus,  daß  sie  im  Budget  Berück- 
sichtigung finden  und  bei  den  im  Jahre  1911  in  Budapest  tagenden 
Delegationen  zur  Vertretung  gelangen  würden.  Ich  gewärtigte,  daß  der 
Kriegsminister  gegebenenfalls  die  Vertrauensfrage  stellen  würde. 

Dem  war  nicht  so! 

Entsprechend  bisheriger  Gepflogenheit  wurde  die  Budgelfrage,  ehe 
sie  vor  die  Vertretungskörper  (Delegationen  und  Parlamente)  kam,  in 
Konferenzen  zwischen  den  Ministern  derart  festgestellt,  d.  h.  das  Budget 
derart  zusammengestrichen,  daß  es  Aussicht  hatte,  ohne  große  Schwierig- 
keiten zur  Annahme  zu  gelangen  Ein  Vorgang,  der  den  Ministern  auch 
eine  gewisse  Sicherheit  für  ihre  Stellung  bot. 

Diesen  Konferenzen  war  ich  nicht  beigezogen.  Auch  erhielt  ich 
keine  Verständigung  über  die  Reduzierung  des  Budgets.  Ich 
erfuhr  es  erst  durch  die  Zeitungen  vom  5.  Feber,  welche  die  Delegations- 
rede des  Kriegsministers  vom  4.  Feber  1911  brachten,  obgleich  Seine 
Majestät  auf  Grund  der  abschlägigen  Anträge  des  Kriegsministers  bereis 
am  2.  Feber  entschieden  hatte,  daß  der  von  mir  verlangte  außerordentliche 
Kredit  nicht  anzufordern  sei. 

Wie  mir  der  meinerseits  zur  Rede  gestellte  Vorstand  der  5.  Abteilung 
des  Kriegsministeriums,  Oberst  Franz  von  Höfer,  nachträglich  berichtete, 
hatte  der  Kriegsminister  seinen  Organen  verboten,  mit  mir,  sowie  mit 

111 


Ofiizieren  der  Generalstabs-Bureaus  über  die  Budgetbehandlung  zu 
sprechen. 

Meiner  Überraschung  folgte  sofort  der  Entschluß,  mich  persönlich 
bei  Seiner  Majestät,  der  damals  in  Budapest  weilte,  einzusetzen. 

Ich  ließ  das  erforderliche  Material  noch  einmal  rasch  durchsehen 
und  zusammenstellen,  reiste  am  13  Feber  IQll  von  Wien  ab  und  traf 
abends  7.10  Uhr  in  Budapest  ein.  Ich  stieg  in  demselben  Hotel  (Bristol) 
ab,  in  welchem  der  Kriegsminister  Baron  Schönaich  wohnte.  Den  Kriegs- 
rainister  traf  ich  im  Speisesaal,  meldete  mich  bei  ihm  und  bat  ihn  um 
eine  Unterredung  für  den  folgenden  Tag. 

Diese  vollzog  sich  am  14.  Feber  um  9.30  Uhr  vormittags  in  nach- 
stehender Weise*): 

Ich:  „Euer  Exzellenz,  ich  komme  melden,  daß  ich  heute  Seine 
Majestät  um  meine  Enthebung  bitten  werde." 

Minister:  „Ja  warum  denn,  dazu  hast  Du  doch  gar  keinen  Grund?" 

/.;  „Ich  habe  die  Forderungen  zusammenstellen  lassen.  Für  das 
unbedingt  Notwendige  ist  rund  eine  Milliarde  erforderlich,  davon  ist  aber 
mehr  als  die  Hälfte  weggestrichen  worden,  daher  bin  ich  unmöglich." 

M.:  „Du  hast  Deine  Pflicht  getan,  Du  bist  doch  der  Volksvertretung 
gegenüber  nicht  verantwortlich  " 

/ ;  „Aber  meinem  Monarchen  bin  ich  verantwortlich.  Ich  habe  meine 
Anträge  gestellt;  entweder  waren  sie  notwendig,  dann  muß  ich  gehen, 
weil  ich  nicht  durchgedrungen  bin,  oder  sie  waren  unvernünftig,  dann 
muß  ich  gehen,  weil  mich  der  Kaiser  nicht  brauchen  kann." 

M.:  „Du  hast  Deine  Pflicht  getan;  übrigens  wird  der  Kaiser  Dich 
nicht  gehen  lassen." 

/.;  „Warum  nicht?,  er  wird  sich  heute  noch  nicht  entscheiden, 
aber  er  wird  mich  gehen  lassen.  Ich  teile  Dir  femer  mit,  daß  ich  von 
diesem  Schritt  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand 
vorher  nichts  gesagt  habe  Ich  habe  eine  Abschrift  meines  Allerunter- 
tänigsten  Vortrages  an  ihn  gesendet;  zur  Zeit,  wenn  ich  vor  den  Kaiser 
trete,  wird  er  erst  im  Besitz  memes  Schreibens  sein.  Er  wird  darüber 
ungehalten  sein,  daß  er  vorher  nichts  darüber  gewußt  hat,  aber  ich  will 
mir  nicht  nachsagen  lassen,  daß  ich  mir  vorher  eine  Rückendeckung 
sichergestellt  hätte." 

M.:  „Ah!,  der  Erzherzog  weiß  nichts  davon?" 


*)  In  den  folgenden  Schilderungen  erscheinen  jene  Aufzeichnungen 
voll  verwertet,  die  ich  unmittelbar  nach  jedem  Geschehnisse  meinem  Flügel- 
adjutanten diktierte.  Sie  geben  die  Gespräche  wörthch  wieder,  und  zwar 
auch  mit  den  stiUstischen  Mängeln. 

112 


/.;  „Nein!  Meiner  Auffassung  nach  war  die  Lage  eine  solche,  daß 
man  alle  Hebel  hätte  in  Bewegung  setzen  müssen,  um  etwas  zu  erreichen. 
Du  bist  vom  Ährenthal  gar  nicht  unterstützt  worden,  der  hat  nur  die 
Friedensschalmei  geblasen  und  nur  ehrenhalber  seinem  Expose  die  Bemer- 
kung angehängt,  daß  sich  die  Situation  auch  ändern  könnte.  Über  diesen 
Mann  bin  ich  mir  übrigens  seit  langem  im  klaren." 

Ich  erwähnte  dann  noch  die  Rede  des  österreichischen  Minister- 
präsidenten Baron  Bienerth  mit  dem  Bemerken,  daß  die  von  ihm  vor- 
geschlagene Resolution  eine  weitere  Bindung  der  Heeresverwaltung 
ergeben  hätte. 

Schließlich  gewann  ich  den  Eindruck,  daß  der  Kriegsminister  gar 
nicht  unangenehm  berührt  sei  von  meiner  obigen  Eröffnung,  daß  er  im 
stillen  froh  wäre,  mich  aus  meiner  Stellung  scheiden  zu  sehen,  aber  gar 
nicht  das  Gefühl  hatte,  daß  eigenthch  er  den  Schritt  hätte  tun  müssen, 
den  ich  jetzt  tat. 

Da  ich  für  11  Uhr  vormittags  zur  Audienz  befohlen  war,  verab- 
schiedete ich  mich  von  Baron  Schönaich  und  fuhr  in  die  Ofner  Burg. 
Ich  wurde  sofort  (10.50  Uhr)  bei  Seiner  Majestät  vorgelassen  und  blieb 
in  Audienz  bis  12.30  Uhr. 

Seine  Majestät  erwartete  mich  schon  an  der  Türe  seines  Arbeits- 
zimmers mit  den  Worten: 

„Ich  freue  mich  sehr,  Sie  hier  zu  sehen,  nehmen  Sie  Platz;  setzen 
Sie  sich!" 

Und  nun  begann  folgendes  Zwiegespräch: 

Ich:  „Ich  komme.  Eurer  Majestät  gehorsamst  zu  melden,  daß  ich 
perplex  bin  über  die  Wendung,  welche  die  Budgetangelegenheit  genommen 
hat.  Ich  habe  schwere  Bedenken  dagegen.  Ich  hätte  vom  Kriegsminister 
vorher  orientiert  werden  sollen,  habe  in  meinem  Innern  eine  Woche  lang 
schwere  Kämpfe  durchgemacht  und  bin  nach  reiflicher  Überlegung  zu  dem 
Entschluß  gekommen.  Euere  Majestät  um  meine  Enthebung 
zu  bitten." 

S.M.:  „Oho!  —  was  fällt  Ihnen  ein,  gar  keine  Spur!" 

Ich  erhielt  dann  die  Erlaubnis,  meinen  Entschluß  zu  begründen. 

/..•  „Nach  reiflicher  Überlegung  wurde  faktisch  nur  das  Minimum 
zusammengestellt,  nur  das  unbedingt  Notwendige  verlangt.  Ich  bin  jedoch 
nicht  weiter  gefragt  worden  und  mußte  erst  aus  der  Zeitung  erfahren, 
daß  mehr  als  die  Hälfte  des  erforderlichen  Betrages  vom  Budget 
gestrichen   und  daß  für  die  zweijährige  Dienstzeit  keine  entsprechende 


8.  Conrad  II 


113 


Gegenleistung  verlangt  wurde.  Waren  meine  Forderungen  notwendig, 
dann  muß  ich  gehen,  weil  sie  nicht  durchgedrungen,  waren  sie  leichtsinnig 
zusammengestellt,  dann  muß  ich  gehen,  weil  ich  dann  nicht  am 
Platze  bin." 

Hierauf  las  ich  Seiner  Majestät  die  Denkschrift  vor,  die  meine  Anträge 
enthielt  und  sie  begründete  und  wiederholte  meine  auch  in  der  Denitschrift 
niedergelegte  Bitte  um  Enthebung  von  meiner  Stellung  (Anlage  1). 

Das  Gespräch  setzte  sich  fort: 

S.  M.:  „Das  ist  ja  kein  Grund,  daß  Sie  gehen." 

/.;  „Eure  Majestät,  ich  bin  in  einer  schiefen  Situation,  die  ganze 
Armee  würde  mit  Fingern  auf  mich  zeigen." 

S.M.:  „Niemand  wird  auf  Sie  zeigen." 

/..•  „Ich  bin  in  einer  falschen  Position,  die  für  mich  sehr  drückend  ist." 

S.  M.:  „Es  geht  eben  nicht  alles,  wie  man  will;  auch  ich  erreiche 
nicht  alles;  —  Finanzen  —  etc." 

/.;  „Wenn  es  notwendig  ist,  m  u ß  es  gehen.  Es  war  Sache 
des  Kriegsministers,  sich  mit  mir  auseinanderzusetzen  und  die  Vertrauens- 
frage zu  stellen." 

S.M.:  „Was  nützt  das?,  dann  kommt  eben  ein  anderer." 

/.;  „Der  müßte  auch  gehen.  Wenn  nacheinander  drei  Minister  und 
drei  Chefs  gehen,  wird  der  öffentlichen  Meinung  klar  werden,  wie  die 
Dinge  stehen,  schUeßlich  wird  es  doch  einem  gelingen,  die  Sache  durch- 
zudrücken." 

S.M.:  „Die  öffentliche  Meinung  kümmert  sich  gar  nicht  darum. 
Glauben  Sie,  daß  alles  geschieht,  was  Ich  will?  Sie  dürfen  nicht  aus- 
spannen." 

/.;  „Ausspannen  will  ich  gewiß  nicht.  Es  ist  nidit  Amtsmüdigkeit, 
sondern  ich  falle  mit  dem  System." 

S.M.:  „Das  dürfen  Sie  nicht.    Ich  habe  keinen  anderen." 

/..•  „Aber  es  finden  sich  gewiß  auch  andere." 

S.  M.:  „Man  kann  nicht  fortwährend  wechseln,  man  hat  nicht  so 
viele  Leute,  die  man  dazu  brauchen  karm." 

114 


Es  setzte  sich  nun  die  Besprechung  meiner  Denkschrift  fort,  und 
zwar  an  Hand  der  Beilagen  und  Ziffern.  Seine  Majestät  folgte  mit  größter 
Aufmerksamkeit,  er  sprach  jeden  Posten  durch.  Stets  kam  auch  die 
finanzielle  Frage  in  Erwägung,  wobei  ich  auf  die  Ausgaben  anderer 
Staaten,  speziell  auch  Italiens  hinwies. 

5.^.;  „Wir  haben  kein  Geld  —  Italien  hat  mehr." 

/.:  „Es  müßten  bei  uns  auch  in  der  Zivilverwaltung  Ersparnisse 
gemacht  werden;  Staatswirtschaft,  Wirtschaft  bei  den  Bahnen  etc.,  da 
müßte  der  Hebel  angesetzt  werden.  Minister  Ährenthal  hat  allerdings 
der  Heeresverwaltung  durch  sein  Expose  auch  nicht  sehr  genützt." 

S.M.:  „Ja  —  wollen  Sie,  daß  er  den  Krieg  erklärt?" 

/.;  „Das  nicht,  aber  er  hätte  die  Lage  nicht  so  glänzend  hinstellen 
dürfen.  Wohin  die  Auffassung  gelangt  ist,  zeigt  auch  die  Rede  des 
Ministers  Baron  Bienerth."*) 

S.M.:  „Die  habe  ich  noch  nicht  gelesen,  nur  eine  Notiz  davon 
bekommen." 

/.;  „Ich  habe  sie  hier  und  werde  sie  Eurer  Majestät  vorlesen." 

Ich  las  nun  Seiner  Majestät  die  Rede  vor  und  sprach  mich  gegen 
den  darin  enthaltenen  Antrag  auf  eine  Resolution  aus. 

S.M.:  „Aber  eine  »Resolution«  hat  ja  gar  keine  Bedeutung." 

/.;  „Dieser  Antrag  charakterisiert  aber  den  Geist,  der  bereits  unsere 
Minister  erfaßt  hat.  Sie  sehen  ein  Verdienst  darin,  die  Heeresforderungen 
geknebelt  und  heruntergedrückt  zu  haben  —  ja  und  auch  auf  Jahre  hinaus 
zu  knebeln.  Ich  bedauere  die  Rede  des  Ministers  Bienerth.  Die  Dele- 
gationen haben  gar  nicht  das  Recht,  ihre  Nachfolger  in  dieser  Weise  zu 
binden  und  auch  ein  Kriegsminister  hat  nicht  das  Recht,  solche  Bindun- 
gen einzugehen." 

S.M.:  „Ja  —  in  der  Folge  kann  man  ja  noch  immer  verlangen, 
was  man  will." 

/.;  „Nach  den  sieben  Punkten  kann  man  gar  nichts  mehr  verlangen." 

S.M.:  „Aber  das  ist  doch  nicht  so  bindend." 


*)  Im  „Pester  Lloyd"  vom  14.  Feber  1911,  früh. 
«•  115 


Hierauf  habe  ich  Seiner  Majestät  die  Punkte  1,  2,  3,  4  und  7,  sowie 
den  Schlußpassus  bezügUch  der  Budgetvorlage  in  jedem  Jahre  vor- 
gelesen, danach  betont,  daß  ich  nicht  die  Möghchkeit  habe,  meine  Anträge 
(etwa  so  wie  der  Marinekommandant)  im  Ministerrat,  dem  ich  gesetz- 
mäßig nicht  beigezogen  werden  muß,  noch  weniger  aber  vor  den 
Delegationen  zu  vertreten,  daß  mir  aber  diese  Möglichkeit  wenn  schon 
auch  nicht  als  „Stimmberechtigten",  so  doch  als  „Experten"  gewährt 
werden  sollte;  ich  fügte  bei: 

„Heute  kommen  die  von  mir  gestellten  Anträge  zu  irgend  einem 
Referenten  des  Kriegsministeriums,  der  >zupft«  daran  herum.  Was  dann 
bleibt,  gibt  der  Abteilungsvorstand  dem  Minister  und  dieser  identifiziert 
sich  damit.  Unser  Dienstgang  ist  ein  sehr  trauriger.  In  Anbetracht  dieser 
Sachlage  bitte  ich  meine  Enthebung  AUergnädigst  zu  bewilligen." 

S.M.:  „Gehen  dürfen  Sie  nicht;  wegen  der  Besprechungen  werde 
Ich  es  mir  noch  überlegen  und  darüber  noch  entscheiden." 

/.;  „Eure  Majestät!  Bezüglich  der  zweijährigen  Dienstzeit  hat  man 
es  jetzt  noch  in  der  Hand,  etwas  dafür  einzutauschen." 

S.M.:  „Glauben  Sie  nicht,  daß  den  Leuten  viel  an  der  zwei- 
jährigen Dienstzeit  liegt." 

/.;  „Für  das,  was  man  aber  bieten  kann,  soll  man  möglichst  viel 
eintauschen,  man  müßte  daher  die  zweijährige  Dienstzeit  so  teuer  als 
möglich  verkaufen." 

Hiemit  endete  um. 12.30  Uhr  die  Audienz. 

Ich  hatte  gelegentlich  derselben  erneuert  gewahrt,  wie  genau  Kaiser 
Franz  Joseph  dank  seiner  unermüdlichen  Arbeit,  der  er  täglich  vom 
frühesten  Morgen  an  oblag,  sowie  dank  seinem  staunenswerten  Gedächt- 
nis über  alles,  und  zwar  auch  das  Kleinste  orientiert  war  —  aber  auch 
die  Überzeugung  gewonnen,  daß  der  Kaiser  an  der  Möglichkeit,  in  den 
diesjährigen  Delegationen  ein  „Mehr"  zu  erreichen,  zweifelte,  immerhin 
aber  geneigt  schien,  mich  meine  Anträge  wenigstens  vor  den 
M  i  n  i  s  t  e  r  n  vertreten  zu  lassen. 

Ich  kehrte  nach  Wien  zurück  und  richtete  am  15.  Feber  1911  folgen- 
des Schreiben  an  Seine  Kaiserliche  Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand 

nach  Konopist. 

„Wien,  15.  Feber  1911. 

Eure  Kaiserliche  Hoheit! 

Geruhen  Eure  Kaiserliche  Hoheit  nachfolgende  Meldung  zur  Höchsten 
Kenntnis  zu  nehmen: 

116 


Ich  wurde  gestern  11  Uhr  vormittags  in  Budapest  von  Seiner 
Majestät  in  Audienz  empfangen  und  habe  Allerhöchst  denselben  um  aller- 
gnädigste  Enthebung  von  meinem  Dienstesposten  gebeten,  da  die  von 
mir  dringlich  gestellten  budgetären  Forderungen  keine  Berücksichtigung 
gefunden  haben. 

Seine  Majestät  geruhten  nicht  meiner  Bitte  zu  willfahren  und  behielten 
sich  hinsichtlich  einer  von  mir  erbetenen  Ministerbesprechung  die  Aller- 
höchste Entscheidung  vor. 

Geruhen  Eure  Kaiserliche  Hoheit  den  Ausdruck  meiner  tiefsten  Ehr- 
furcht entgegenzunehmen. 

Euer  Kaiserlichen  Hoheit  gehorsamst  ergebener 

Conrad  m.  p." 

Ich  erhielt  hierauf  am  17.  Feber  folgendes  Telegramm: 

„Herzlichsten  Dank  für  Ihre  Mitteilungen,  freue  mich  schon  sehr, 
Exzellenz  bald  in  Wien  wiederzusehen.    Viele  Grüße.    Erzherzog  Franz." 

Ich  hatte  noch  nicht  alle  Hoffnung  aufgegeben,  daß  noch,  sozusagen 
in  elfter  Stunde,  wenigstens  einiges  gerettet  werde  und  trat  in  diesem 
Sinne  auch  an  den  Generaladjutanten  und  Chef  der  Militärkanzlei  Seiner 
Majestät  General  der  Infanterie  Freiherm  von  Bolfras  heran,  der  das 
dornenvolle  Amt  hatte,  in  allen  sachlichen  und  personellen  militärischen 
Fragen  der  Vermittler  bei  Seiner  Majestät  zu  sein,  dessen  vollstes  Ver- 
trauen er  besaß. 

Seinem  kaiseriichen  Herrn  treuest  ergeben,  war  Exzellenz  Bolfras 
jederzeit  bemüht,  das  Wohl  des  Ganzen  zu  fördern  und  das  Wohl  jedes 
einzelnen  zu  vertreten,  so  weit  dies  im  Bereiche  der  Möglichkeit  lag. 

Ich  richtete  an  ihn  folgendes  Schreiben: 

„Wien,  15.  Feber  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Von  dem  Moment  an,  in  welchem  ich  E.  E.  gestern  verließ,  habe 
ich  wohl  selbstverständlich  ununterbrochen  über  die  Lage  nachgedacht, 
in  welche  die  Entwicklung  der  Landmacht  und  der  Reichsbefestigung 
gelangen  muß,  wenn  die  jetzt  angebahnten,  die  Heeresleitung  auf  Jahre 
hinaus  bindenden  desolaten  Budgetverhältnisse  ruhig  hingenommen 
würden. 

Ich  kann  da  nur  immer  wieder  zu  der  Ansicht  gelangen,  welche 
mich  bestimmte.  Seine  Majestät  um  meine  Enthebung  zu  bitten,  und 
welche  dann  gipfelt,  daß  man  die  zur  Sorge  für  das  Wohl  der  Monarchie 
berufenen  Funktionäre  sowie  die  Öffentlichkeit  durch  einen  Eklat  belehrt, 
wie  die  Dinge  stehen  und  welches  die  Pflicht  dieser  Herren  gewesen  wäre. 

117 


Vielleicht  läßt  sich  damit  die  Lage  noch  jetzt  wenden  oder  bessern, 
mindestens  aber  wäre  für  die  nächste  Zukunft  Klarheit  geschaffen  und 
der  Boden  für  eine  erfolgreichere  Geltendmachung  der  Armeebedürfnisse 
geebnet. 

Um  in  diesem  Sinne  der  Sache  zu  dienen,  hatte  ich  mich  entschlossen, 
meine  Position  zu  opfern.  Gehe  allerdings  dabei  darüber  hinweg,  daß 
dies  in  erster  Linie  Sache  anderer  gewesen  wäre.  Über  den  Verdacht, 
daß  mich  Amtsmüdigiceit  oder  die  Scheu  vor  Arbeit  und  Sorge  leiteten, 
bin  ich  wohl  erhaben. 

Vielleicht  haben  E.  E.  die  Güte,  diese  meine  Anschauung,  welche 
ich  übrigens  gestern  Seiner  Majestät  persönlich  vortrug,  beim  Aller- 
höchsten Herrn  zu  vertreten. 

Gestatten  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  ganz  besonderen  und  unwandel- 
baren Hochverehrung,  mit  der  ich  verharre 

als  Euer  Exzellenz 

dankbar  gehorsamster 

C  o  n  r  a  d,  G.  d.  I." 

Ich  hatte  dieses  Schreiben  „expreß"  abgesendet  imd  erhielt  bereits 
am  17.  Feber  früh  folgende  Antwort: 

„Budapest,  16.  Feber  1911. 
Hochverehrter  Freund! 

Die  Allerhöchste  Resolution  auf  Deinen  a.  u.  Vortrag  Nr.  510  war 
bereits  auf  dem  Wege  nach  Wien,  als  ich  gestern  um  10  Uhr  nachts  Dein 
sehr  geschätztes  Expreßschreiben  erhielt. 

Seine  Majestät  hatten  die  sofortige  Erledigung  umsomehr  gewünscht, 
als  Dir  bereits  in  der  Audienz  vom  14.  d.  M.  Allerhöchst  eröffnet  wurde, 
daß  Seine  Majestät  Deine  Enthebung  vom  jetzigen  Posten  nicht  zu 
genehmigen  finden. 

Es  leiteten  Dich  bei  Deinem  Entschlüsse  gewiß  die  hochherzigsten, 
keineswegs  verkannten  Motive. 

Den  bestehenden  Tatsachen  gegenüber  war  aber  an  den  von  Dir 
beabsichtigten  Effekt  nicht  nur  nicht  zu  glauben,  vielmehr  an  eine  schwere 
Schädigung  der  Deiegationsverhandlungen  und  dem  Auslande  gegenüber 
(namentlich  Berlin,  wo  Du  so  sehr  akkreditiert  bist)  an  eine  Kalamität 
zu  denken  gewesen. 

Vielleicht  —  und  dieses  ist  meine  persönliche  Meinung  —  hätte 
Dein  bewußter  Schritt,  wenn  vor  dem  Beginne  der  Delegationssession 
unternommen,  des  wünschenswerten  Eindruckes  nicht  völlig  entbehrt. 

Wer  möchte  nicht  gleich  und  mit  Dir  unsere  militärische  Rück- 
ständigkeit beklagen? 

118 


Dennoch  muß  man  mit  Verhältnissen  rechnen,  die  durch  kein 
Machtwort  einfach  aus  der  Welt  geschafft  werden  können. 

Wie  dem  immer  sei,  es  bleibt  uns  nur  weiteres  Streben  und  die 
Hoffnung  auf  den  Wandel  der  Dinge ;  >die  Notwendigkeit  wird  menschlich 
sein«  . . .  läßt  Schiller  den  Marquis  Posa  sagen. 

Somit  weiß  ich  Dir  auf  Dein  geehrtes  Schreiben  und  im  Hinblicke 
auf  die  bereits  erfolgte  Allerhöchste  Resolution  nur  Vorstehendes  zu 
bieten  und  Dich  recht  sehr  zu  bitten,  glauben  zu  wollen  an  die  besten 
Gesinnungen  und  die  ausgezeichnetste  Hochschätzung 

Deines 

ergebensten 

B o If r a s,  G.  d.  I." 

Was  die  in  diesem  Schreiben  enthaltene  Bemerkung  betraf,  daß  meine 
Bitte  um  Enthebung,  wenn  vor  Beginn  der  Delegation  gestellt,  des 
Eindruckes  nicht  völlig  entbehrt  hätte,  so  fehlte  mir  eben  vor  Beginn 
der  Delegation  hiezu  der  Anlaß,  da  ich  erst  durch  die  Rede  des  Ministers 
in  der  Delegationssitzung  zur  Kenntnis  der  budgetären  Streichungen 
gelangte. 

Indessen  hatte  ich  am  16.  Feber  auch  die  Allerhöchste  Resolution 
erhalten;  sie  lautete  wie  folgt: 

„Allerhöchste  Resolution  auf  den  a.  u.  Vortrag  Gstb.  Res.  Nr.  510 

vom  13.  Februar  1911. 

Indem  Ich  Ihre  mit  Überzeugungstreue  dargelegten  Ausführungen 
zur  Kenntnis  nehme,  will  Ich  Ihnen  die  MögHchkeit  zugedacht  wissen, 
die  Klarlegung  Ihrer  Auffassung  budgetärer,  gegenwärtig  nicht  realisier- 
barer Notwendigkeiten  vor  den  berufenen  staatlichen  Faktoren  nach 
Schluß  der  gegenwärtigen  Delegationssession  zum  Ausdrucke  zu  bringen. 

So  schwer  Ihre  Bedenken  bezüghch  der  Kriegstüchtigkeit  und  Kriegs- 
bereitschaft der  bewaffneten  Macht  auch  sein  mögen,  vermag  deren 
unmittelbare  Behebung  doch  ebensowenig  eingeleitet  zu  werden,  als 
Ich  Ihrer  Mir  mündlich  vorgebrachten  Bitte  um  die  Enthebung  vom 
Posten  des  Chefs  des  Generalstabes  Meiner  gesamten  bewaffneten  Macht 
Folge  zu  geben  finde. 

Ich  halte  Mich  vielmehr  versichert,  daß  Sie  Ihres  Dienstes  mit  jener 
Hingebung,  die  Ich  stets  gerne  anerkannte,  walten  und  in  den  großen 
Fragen  der  Wehrmacht  auf  dem  realen  Boden  der  allgemeinen  staatUchen 
inneren  und  äußeren  Verhältnisse  schreiten  werden. 

Budapest,  am  15.  Feber  1911. 

Franz  Joseph  m.  p." 

119 


Das  am  17.  Feber  erhaltene  Schreiben  von  Exzellenz  Baron  Bolfras 
vom  16.  Feber  beantwortete  ich  mit  folgendem: 

„Wien,  18.  Feber  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Ich  bitte  E.  E.  meinen  gehorsamsten  Dank  für  das  gütige  Schreiben 
vom  16.  d.  M.  entgegenzunehmen. 

Ich  habe  die  Sache  nochmals  reiflich  erwogen  und  komme  immer 
zu  demselben  Resultat. 

Wenn  ich  schon  von  der  Geltendmachung  des  200-Millionenkredits 
für  die  Neubewaffnung  der  Infanterie  absehe,  so  sehe  ich  doch  in  der 
fast  gänzhchen  Streichung  des  Fortifikationskredites,  der  gänzlichen 
Streichung  der  260  Millionen  für  dringende  sonstige  Bedürfnisse 
(Artillerie-Munition,  technische  Ausrüstung),  endlich  in  der  leichtfertigen 
Hingabe  der  zweijährigen  Dienstzeit,  ohne  für  dieselbe  vorher  die 
unerläßlichen  Grundbedingungen,  darunter  vor  allem  die  Sicherung 
weiterdienender  Unteroffiziere  geschaffen  zu  haben,  eine  schwere 
Schädigung  der  Wehrmacht,  die  kein  ruhig  überlegender  Soldat  verant- 
worten kann. 

Es  ist  symptomatisch,  daß  selbst  schon  aus  Delegiertenkreisen  (Rede 
des  Grafen  Clam)  Zweifel  an  dieser  Budgetierung  auftauchen  und  vom 
Kriegsminister  verlangt  wird,  er  möge  erklären,  daß  trotz  der  geringen 
Mittel  das  Notwendige  zu  geschehen  vermag;  ich  müßte  mich  für  einen 
Verbrecher  halten,  wenn  ich  diese  Frage  mit  >ja«  beantworten  wollte. 

Ich  bitte  daher  E.  E.,  nachdem  schon  mein  Bemühen  erfolglos  war, 
hochderen  großen,  auf  jahrelanges  Vertrauen  gegründeten  Einfluß 
geltend  zu  machen,  um  vielleicht  noch  in  elfter  Stunde  das  für  die  Armee 
Notwendige  zu  retten. 

Ich  hatte  bereits  im  Herbst  die  dringenden  Forderungen  in  einem 
Antrag  an  das  Ministerium  gestellt.  Dieses  lehnte  dieselben  jedoch  in 
einem  a.  u.  Vortrag  ab;  ich  habe  zu  dieser  Ablehnung  eingehende 
Bemerkungen  gemacht  und  gebeten,  diese  dem  a.  u.  Antrag  des  RKM. 
beizulegen. 

Ich  hoffte  nun,  daß  entweder  der  Minister  Weisung  bekommen 
würde,  diesen  Forderungen  zu  entsprechen,  oder  ich  den  Befehl  erhalten 
würde,  meine  Forderungen  vor  den  berufenen  Funktionären  mündlich 
zu  vertreten. 

Weder  das  eine  noch  das  andere  geschah,  sondern  ich  wurde  erst 
im  Wege  der  Zeitungen  von  der  Rede  des  Ministers  (5.  Feber  1.  J.) 
überrascht,  welche  dieses  gänzliche  Nachgeben,  sowie  eine  Knebelung 
auf  Jahre  hinaus  enthüllte. 

120 


Daß  ich  anbetrachts  der  mich  stets  beglückenden  Huld  und  Gnade 
Seiner  Majestät  und  bei  dem  schwärmenschen  Hängen  an  dem  Rock, 
den  ich  seit  memem  zehnten  Lebensjahre  trage,  ausharren  will,  wenn 
es  zu  Nutz  und  Frommen  der  Sache  ist,  brauche  ich  wohl  nicht  zu 
beteuern,  aber  gerade  in  diesem  Streben  muß  ich  die  hohe  Gefahr  hervor- 
heben, welche  in  dei  jetzigen  Situation  gelegen  ist  —  und  kann  nicht 
unterdrücken,  daß  eine  erfolgreiche  Tätigkeit  nur  dann  zu  erhoffen  ist, 
wenn  die  materiellen  Mittel  geschaffen  werden,  um  das  auf  dem  Papier 
Niedergelegte  auch  zur  Tat  werden  zu  lassen;  diese  allein  aber  zählt. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  unwandelbaren  Hoch- 
verehrung und  Dankbarkeit,  mit  der  ich  stets  bin 

Euer  Exzellenz  gehorsamster 

Conrad,  G.  d.  I." 

Ich  erhielt  hierauf  am  22.  Feber  folgendes  Antwortschreiben: 

„Budapest,  21.  Feber  1911. 
Hochverehrter  Freund! 

Mit  dankender  Beantwortung  Deines  hochgeschätzten  Schreibens 
vom  18.  ds.  M.  habe  ich  zunächst  etwas  zugewartet,  da  sich  vielleicht 
irgend  etwas  zu  meiner  besseren  Information  hätte  ergeben  können. 

Ich  habe  Dein  Schreiben  Seiner  Majestät  a   u.  vorgetragen. 

Deine  Versicherung,  daß  Du  ausharren  willst,  hat  die 
anerkennungsvollste  Allerhöchste  Befriedigung  erregt,  wie  es  ja  bei  der 
Hochschätzung,  deren  Seine  Majestät  Dich  stets  würdigen,  nicht  anders 
zu  erwarten  war. 

Ansonsten  hat  sich  die  durch  die  Allerhöchste  Resolution  vom 
15.  ds.  M.  gekennzeichnete  Situation  nicht  geändert. 

Seine  Majestät  wünschen  sehr,  daß  Du  mit  dem  M.  d.  Ä.  Graf 
Ährenthal  in  direkte  Berührung  treten  mögest.  Ich  weiß,  daß  Dir  dieses 
nicht  leicht  fälU,  glaube  aber  doch,  daß  Du  nie  zögerst,  wenn  es  gilt, 
höheren  Zwecken  dienlich  zu  sein. 

Ich  muß  mich  leider  kurz  fassen,  da  mich  die  eben  erhaltene  Nach- 
richt von  der  schweren  Erkrankung  meiner  alten,  alleinstehenden  und  in 
Lussin  Grande  lebenden  Schwester  höchst  aufgeregt  und  vor  die  Möglich- 
keit einer  notwendigen  raschen  Abreise  nach  Lussin  gestellt  hat. 

Treffe  ich  dazu  auch  die  Vorbereitung,  so  möchte  ich  Dir,  hoch- 
geehrter Freund,  für  alle  Fälle  vorher  doch  noch  geschrieben  haben. 

In  wahrer  Hochschätzung  und  aufrichtigster  Gesinnung  mit  herz- 
lichen Grüßen  ^  . 

Dem  ergebenster  du  r>    a    i  u 

^  Bolfras,  G.  d.  I." 

121 


Ich  sah  in  den  Ministern  eine  undurchdringliche  Wand,  die  zwischen 
meinen  Anträgen  und  den  Vertretungskörpern  (Parlament  und  Delegation) 
aufgerichtet  war,  hatte  aber  die  Überzeugung,  daß,  wenn  es  mir  möglich 
sein  würde,  vor  Angehörigen  der  Vertretungskörpei  meine  Forderungen 
zu  begründen,  diese  Verständnis  und  Berücksichtigung  finden  würden. 
Ich  trachtete  daher,  diese  Möglichkeit  herbeizuführen  und  richtete  hiezu 
folgendes  Schreiben  an  Exzellenz  Bolfras,  von  dem  ich  wußte,  daß  er 
sich  in  nie  erlahmender  Bereitwilligkeit  in  den  Dienst  der  großen  Sache 
stellte: 

„Wien,  am  27.  Feber  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Ich  bitte  E.  E.  meinen  ganz  ergebensten  Dank  für  das  letzte  gütige 
Schreiben  und  vor  allem  auch  die  Versicherung  meines  Bedauerns  ent- 
gegenzunehmen darüber,  daß  E.  E.  auch  noch  mit  Sorge  für  das  Wohl 
E.  E.  Schwester  bedrückt  sind. 

Gestatten  E  E.,  daß  ich  wieder  auf  die  mich  unablässig  beschäfti- 
genden Fragen  der  Ausgestaltung  der  Landmacht  und  damit  auf  das 
Zugeständnis  zurückkomme,  meine  Anträge  vor  den  berufenen  staat- 
lichen Funktionären  vertreten  zu  dürfen. 

Ich  erlaube  mir  nun  daran  die  Bitte  zu  knüpfen.  Deinen  großen 
Einfluß  dahin  geltend  machen  zu  wollen,  daß  zu  dieser  Sitzung  nicht 
nur  die  Minister,  sondern  wenn  möglich  auch  Vertreter  der  Dele- 
gationen beigezogen  werden,  denn  ich  halte  dafür,  daß  es  in  einer 
so  schwerwiegenden  Frage  darauf  ankommt,  allen  Berufenen  reinen  Wein 
einzuschenken. 

Ich  bin  nach  wie  vor  bereit,  meine  Position  einzusetzen  und  wenn 
nötig  auch  zu  opfern,  um  der  Sache  zu  dienen. 

Ich  will  kein  Mitschuldiger  an  dieser  schweren  Schädigung  unserer 
militärischen  Machtstellung  werden 

Ich  bitte  E.  E.  erneuert  den  Ausdruck  meiner  ganz  besonderen  Hoch- 
verehrung und  Dankbarkeit  entgegen   zu  nehmen,  mit  der  ich  stets  bin 

Euer  Exzellenz  ergebenster 

Conrad,  G.  d.  I." 

Das  nachstehende  am  2.  März  1911  erhaltene  Schreiben  setzte  mich 
von  dem  abschlägigen  Bescheid  auf  diese  Bitte  in  Kenntnis: 

„Budapest,  1.  März  1911. 
Hochverehrter  Freund! 
Mit  verbindlichstem  Dank  Dein  vielgeschätztes  Schreiben  vom  27.  v.  M. 
bestätigend,    darf    ich    mich    bezüglich    Deines    Wunsches,    >vor    den 

122 


staatlichen  Faktoren  plädieren  zu  dürfen«,  auf  meine  gleichzeitig  abgesen- 
dete dienstliche  Note  berufen. 

Deiner  Anregung  zur  Beiziehung  von  Vertretern  der  Delegationen 
konnte  keine  Folge  gegeben  werden 

Es  erübrigt  mir  noch,  Dir  für  Deine  freundliche  Teilnahme  an 
meinen  persönlichen  Sorgen,  die  inzwischen  einiger  Beruhigung  weichen 
durften,  vielmals  zu  danken. 

In  wahrer  Verehrung  bin  ich  mit  herzlichsten  Grüßen 
Dein  ergebenster 

Bolfras,  G.  d.  I." 

Am  selben  Tag  —  2.  März  1911  —  erhielt  ich  den  Allerhöchsten 
Befehl,  mich  Samstag,  den  4.  März,  um  11  Uhr  vormittags  bei  Seiner 
Majestät  in  Audienz  und  Sonntag,  den  5.  März,  um  9.30  Uhr  vormittags 
bei  Graf  Ährenthal  einzufinden,  der  damit  betraut  war,  die  Versammlung 
jener  „kompetenten  staatlichen"  Funktionäre  Sonntag,  den 
5.  März  zu  veranstalten,  denen  ich  die  in  meinem  untertänigsten  Vortrag 
entwickelten  militärischen  Anträge  des  näheren  darzulegen  wünschte. 

Ich  reiste  demgemäß  Freitag  den  3.  März  von  Wien  nach  Budapest  ab. 

In  der  Audienz  am  4.  März  1911  teilte  mir  Seine  Majestät  nach 
Abwicklung  von  Fragen  des  laufenden  Dienstes  mit,  daß  er  mir  die 
erbetene  Gelegenheit  geschaffen  habe,  meine  Anträge  in  einer  Ministerrats- 
Sitzung  zu  vertreten. 

Diese  Sitzung  fand  am  5.  März  1911  vormittags  in  der  Ofner  Burg 
statt.     Ihr  beigezogen  waren: 

Der  Minister  des  Äußern  Graf  Ährenthal  als  Vorsitzender,  der 
k.  k.  Ministerpräsident  Baron  Bienerth,  der  k.  ung.  Ministerpräsident 
Graf  Khuen-Hedervary,  der  Reichs-Kriegsminister  Baron  Schönaich,  der 
k.  k.  Minister  für  Landes-Verteidigung  Baron  Georgi,  der  k.  ung.  Minister 
für  Landesverteidigung  Baron  Hazai  und  ich. 

Nach  den  die  Sitzung  eröffnenden  einleitenden  Worten  des  Vor- 
sitzenden begann  ich  meine  Ausführungen: 

„Ich  weiß,  daß  das  Ganze  ein  Schlag  ins  Wasser  ist,  da  meine  Aus- 
führungen post  festum  kommen. 

Seine  Majestät  hat  aber  Allerhöchst  verfügt,  daß  ich  meine  Anträge 
vor  den  kompetenten  staatUchen  Funktionären  des  näheren  darzulegen 
habe  und  ich  komme  hiemit  diesem  Allerhöchsten  Befehle  nach." 

Ich  habe  hierauf  gleich  einleitend  hervorgehoben,  daß  die  jetzt 
bewiUigten  und  auf  fünf  Jahre  verteilten  200  Millionen  Kronen  für  die 
Deckung  selbst  der  dringendsten  Maßnahmen  weitaus  nicht  hinreichen, 

123 


daß  vielmehr  der  Betrag  von  250  Millionen  Kronen  als  das  Minimum 
bezeichnet  werden  muß,  um  den  unabweislichsten  Forderungen  für  den  Aus- 
bau des  Heeres  und  für  die  Reichsbefestigung  gerecht  werden  zu  können. 

Danach  charakterisierte  ich  kurz  die  Stellung  und  die  Pflichten  des 
Chefs  des  Generalstabes  wie  folgt: 

„Er  ist  im  Kriege  das  erste  Organ  des  Armee-Oberkommandanten, 
daraus  ergibt  sich  seine  Verantwortung  gegenüber  Seiner  Majestät  und 
dem  Armee-Oberkommandanten. 

Dem  Chef  des  Generalstabes  obliegen  die  konkreten  Kriegsvor- 
bereitungen, hiebei  kommt  es  nicht  auf  die  Kriegs  Wahrscheinlich- 
keit, sondern  nur  darauf  an,  ob  ein  bestimmter  Krieg  möglich  oder 
nicht  möglich  ist, 

Ist  er  möglich,  dann  muß  hiefür  alles  vorgesehen  werden. 

Diese  Sorge  liegt  aber  bei  der  geographischen  Lage  der  Monarchie 
für  mehrere  Kriegsfälle  vor  und  ist  daher  sehr  schwer,  weil  je  nach  dem 
Charakter  des  Kriegsschauplatzes  verschieden.  Es  liegt  auf  der  Hand, 
daß  das  russische  Flachland,  die  italienische  Tiefebene  mit  ihren  Kulturen, 
der  Karst  im  Südosten,  das  Hochgebirge  Tirols  verschiedene  Forderungen 
stellen. 

Bei  Bearbeitung  der  konkreten  Kriegsvorbereitungen  —  also  der 
Fragen,  wo  und  wie  die  Armee  versammelt  wird,  wie  sie  operativ  ver- 
wendet werden  soll,  wie  der  Verlauf  der  Operationen  möglicherweise 
werden  kann  —  kommt  man  darauf,  was  beschafft  werden  muß,  und 
zwar,  was  schon  im  Frieden  beschafft  werden  muß,  was  während  der 
Mobilisierung  beschafft  werden  l^ann  und  was  eventuell  während  des 
Krieges  noch  beschafft  werden  könnte. 

Der  Chef  des  Generalstabes  leitet  aus  diesen  Arbeiten  die  Forderun- 
gen, z.  B.  bezüglich  Munition,  schwerer  Artillerie,  Befestigungen,  Eisen- 
bahnen, Kriegsbrücken-Equipagen,  Getirgs-,  Sanitäts-  und  Train-Aus- 
rüstung etc.  ab,  kann  aber  seine  Forderungen  nirgends  persönlich  ver- 
treten, wie  etwa  der  Marinekommandant,  als  Experte  im  Ministerrat 
oder  vor  den  Delegationen. 

Entweder  vertraut  man  dem  Chef  des  Generalstabes,  oder  man  lasse 
ihn  wenigstens  seme  Anträge  eingehend  motivieren. 

Letzteres  fand  nicht  statt,  sondern  wurde  nunmehr  erst  nachträglich 
verfügt. 

Die  Motivierung  der  Anträge  bedingt  die  Berührung  operativer 
Fragen,  also  der  strengsten  Geheimnisse." 

Hierauf  trug  ich  die  Genesis  der  Lage  seit  Herbst  1906  (Antritt 
meiner  Stellung)  vor  und  kündigte  an,  jene  Mehrforderungen  zu 
detaillieren  und  zu  begründen,  die  ich  für  mindestens  nötig  erachte. 

124 


Ich  führte  aus,  daß  im  Herbst  1906  großenteils  infolge  inner- 
politischer Zustände  (besonders  der  Verhältnisse  in  Ungarn)  die  Heeresr 
entwicklung  sich  in  Stagnation  befand,  große  Rückständigkeiten  aufwies 
und  weit  hinter  den  Nachbarstaaten  zurückgebheben  war. 

Um  nun  nicht  gänzlich  zurückzubleiben  und  um  die  schreiendsten 
Rückständigkeiten  und  Mängel  zu  beheben,  mußte  zu  Notbehelfen 
geschritten  werden,  dies  auf  Kosten  der  ohnehin  unzureichenden  Stände 
der  Infanterie. 

Nut  die  k.  k.  Landwehr  erhielt  1Q08  eine  Erhöhung  um  4200 
Rekruten  für  Gebirgstruppen  und  Landwehr-Haubitz-Divisionen. 

Die  konkreten  Kriegsvorbereitungsstudien  für  die  verschiedenen 
möglichen  Kriegsfälle  führten  im  Frühjahr  1908  zu  von  mir  gestellten 
Anträgen  für  die  dringendsten  Erfordernisse  des  Heeres  und  der  beiden 
Landwehren. 

Sie  waren: 

Personelle  für  Neuaufstellungen  (Maschinengewehr-Abteilun- 
gen, Gebirgsartillerie  etc.),  die  aber  nur  auf  Kosten  der  Infanterie  gedeckt 
wurden,  und 

finanzielle,  nämlich  ein  besonderer  Rüstungskredit. 

Untei  dem  Eindruck  der  Annexionskrise  wurde  ein  Rüstungskredit 
von  180  Milhonen  Kronen  gewährt,  damit  wurden  im  Sommer  1908  bis 
Frühjahr   1909  allerdringendste  Mängel  gedeckt,  und  zwar: 

Die  Schnellfeuerkanonen  beschleunigt  ausgegeben, 

die  Maschinengewehr-Abteilungen  vermehrt, 

die  dringendsten   Gebirgsartillerie-Formationen  geschaffen, 

die  Munitionsvorräte  erhöht, 

die  technische   Ausrüstung  teilweise  vermehrt, 

die  Gebirgsausrüstungs-Vorsorgen  erhöht, 

die  bedrohten  festen  Plätze  dringendst  ausgestaltet. 

Etwa  41%  Millionen  gingen  auf  Bereitstellung  (d.  i.  Annahme  der 
Kriegsstände)  im  Annexionsgebiet  auf. 

Diese  mihtärische  Maßnahme  sicherte  den  politischen  Erfolg  und 
das  Prestige.  Es  erübrigten  aber  nurmehr  138^4  (180  minus  41%) 
Millionen  Kronen. 

Die  Realisierung  obiger  Maßnahme  dauerte  aber  vom  Herbst  1908 
bis  Frühjahr  1909,  dies  war  jedoch  den  so  wenig  kriegsbereiten  Gegnern 
vis-ä-vis  möglich,  darauf  ist  nie  wieder  zu  rechnen. 

Alle  möglichen  Gegner  arbeiten  seither  rüstig.  Bei  uns  dagegen 
mußte  auf  weitere  Notbehelfe  gegriffen  werden  So  mußten  z.  B.  die 
vierten  Bataillone  der  Infanterie-Regimenter  verminderten  Stand  annehmen 

125 


(mein  Antrag,   zur  Gewinnung   von    Mannschaften   für  Wiclitigeres  die 
Tamboure  abzuschaffen,  war  nicht  akzeptiert  worden). 

Ebenso  rückständig  wie  das  Landheer  wai  die  Marine. 

Während  abei  der  Mannekonimandant*)  luj  Tat  schritt,  erfolgte 
für  das  Heer  ledigücb  die  Feststellung  des  Notwendigen  in  drei 
Richtungen : 

I.  Personell  (Wehrgesetz), 

II.  Reichsbefestigung, 

III.  Materielle  (technische)  Ausgestaltung. 

Ad  1  betrafen  die  Entwiirfe  des  Kriegsministeriums  zwei 
Varianten: 

a)  Auf  Grund  des  neuen  Wenrgesetzes  mit  zwei  jähriger  Dienstzeit, 

b)  mit  erhöhtem  Rekruten-Kcntmgent  bei  drei  jähriger  Dienstzeit; 
das  Ziel  war  intensivere  Entwicklung  durch: 
Standessanierung, 

Ausbau  der  Landwehr  durch   Artillerie, 
geringe  Vermehrung  der  Pestungsartillerie, 
geringe  Vermehrung  der  schweren   Feldartillerie, 
geringe  Vermehrung  der  Gebirgsartillerie, 
Vermehrung  dei   Verkehrstruppen 
endhch  für  die  Variante  mit  zweijähriger  Dienstzeit: 
Unteroffiziere  und  Ausbildungsmittel. 
Die  Kosten  waren  wie  tolgt  berechnet : 

I.  Personell  (auf  10  Jahre  verteilt): 

für  Variante  a)  (zweijährige  Dienstzeit): 

überhaupt       Bauten   etc.**)      Summe  Mill. 

fortlaufend     ...    67  523^        =      119  rund  120 

einmalige      .    .    .    SH/s  118V4        =      199  rund  200 

für  Variante  b)  (dreijährige  Dienstzeit): 

überhaupt       Bauten  etc.     Summe 
fortlaufende     ....    51  39  90  Millionen 

einmalige 50  V2  391/2  90         „ 

II.  Reichsbefestigung  nach  meinem  Minimal-Programm 
155  Millionen  (auf  zehn  Jahre  verteilt). 

III.  Dringende  materielle  Ausgestaltung  imd  dringendste  Befesti- 
gungen 


*)  Graf  Montecuccoli. 

**)  Hauptsächlich    Kasembauten    für    erhöhte    Stände    und    Neu- 
formationen. 

126 


nach  meinem  Antrag  vom  November  IQIO  an  das  Reichskriegs- 
ministerium und   beide  Landesverteidigungs-Ministerien: 

260  Millionen,  hievon  36  Millionen  für  die  Reichsbefestigung, 
124  Miüionen  für  sonstige  Anschaffungen. 

Dazu  kommen: 

IV.  In  absehbarer  Zeit  noch  200  Millionen  für  neue  Infanterie- 
bewaffnung, die  man  nicht  von  der  Hand  wird  weisen  können, 
wenn  sie  jetzt  auch  noch  nicht  in  den  ziffernmäßigen  Kalkül  gezogen  zu 
werden  braucht. 

Endlich  sind  zu  nennen: 

Die  Marineforderungen:  312  Millionen  für  die  nächsten  fünf  Jahre. 

So  war  die  Sachlage  Ende  November  1910,  so  weit 
sie  mir  dienstlich  bekannt  war 

Von  dem  weiteren  Schicksal  der  Anträge  wurde  ich  nicht  verständigt. 
Dies  muß  ich  hervorheben,  damit  man  mir  nicht  den  Vorwurf  mache,  ich 
hätte  mich  nicht  zeitgerecht  gerührt 

Am  20.  November  1910  —  wenige  Tage  vor  Einlangen  meines 
früher  angeführten  Antrages  III  (auf  260  Milhonen)  —  fand  ein  Minister- 
rat statt  (dem  ich  nicht  beigezogen  war),  dessen  Ergebnis  folgende  Fest- 
setzung für  die  nächsten  fünf  Jahre  war; 

312  Millionen  einmalige  Auslagen  für  die  Marine, 

100  Millionen  einmalige  Auslagen  für  das  Heer, 

100  Millionen  Steigerung  des  Ordinariums. 

Meine  Anträge  wurden  im  Kriegsministerium  nur  berechnet,  ich 
wurde  vom  Ministerratsergebnis  und  vom  Schicksal  meiner  Anträge 
nicht  verständigt. 

Erst  am  6  Jänner  1911  erhielt  ich  durch  einen  a.  u.  Vortrag 
des  Reichskriegsministers  Kenntnis  von  den  Abmachungen  im  Minister- 
rat und  davon,  daß  das  Kriegsministerium  erst  jetzt,  knapp  vor 
den  Delegationssitzungen,  die  Entscheidung  über  einen  Rüstungs- 
kredit bei  Seiner  Majestät  erbat,  sich  dabei  aber  ausdrücklich  gegen 
die  Anforderung  dieses  Kredites  aussprach. 

Da  hieraus  ersichtlich  war,  daß  mit  diesen  Mitteln  für  die  drei 
Ziele,  nämlich: 

1.  Wehrreform  mit  zweijähriger  Dienstzeit, 

II.  Reichsbefestigung, 

III.  materielle  Ausgestaltung, 
kaum  das  erste  Ziel  (I)  erreichbar  ist,  legte  ich  dem  Reichs- Kriegs- Mini- 
sterialantrag  eine  Bemerkung  bei  mit  der  Bitte,  den  Ausbau-  und 
Finanzplan   auf   den   ganzen   Bedarf  festzulegen,   und 
zwar: 

127 


100  Millionen  Ordinarium 


für  die  Wehrreform, 


100 

Extraordinarium  j 

119 

Reichsbefestigung  (155  minus  36), 

260 

materielle   Ausgestaltung, 

200 

Infanterie-Neubewaffnung, 

312 

Marineforderung. 

1091   Milhonen, also  rund  eine  Milliarde  Kronen. 

Trotzdem  ging  der  a.  u.  Vortrag  des  Reichs-Kriegsministers  am 
27.  Jänner  1911  an  Seine  Majestät  ab;  die  Allerhöchste  Resolution  vom 
2.  Feber  1911  entschied,  daß  vom  Rüstungskredit  abzusehen  sei 

Ich  erhielt  davon  keine  Kenntnis,  sondern  las  erst  am  5  Feber  1911 
in  den  Zeitungen,  daß  der  Reichskriegsministei  in  der  Rede  vom 
4.  Feber  1911  vor  dem  Heeresausschuß  der  Delegation  nur  die  Abmachun- 
gen des  Ministerrates  darlegte,  dabei  aber  schon  die  zweijährige  Dienst- 
zeit programmatisch  besprach 

Die  Situation  wai  daher: 

1.  Die  zweijährige  Dienstzeit  war  preisgegeben,  dagegen  waren  für 
die  Wehrreform  nur  reduzierte  Mittel  gefordert; 

2.  für  die  Reichsbefestigung  waren  nur  minimale,  ganz  unzulängHche 
Mittel  eingestellt; 

3.  für  die  materielle  Ausgestaltung  nur  minimale  Mittel  angesprochen, 
und  zwar  für  die  Posten  2  und  3  zusammen  etwa  47  Millionen  Kronen 
für  fünf  Jahre; 

femer  war: 

4.  die  Heeresverwaltung  bis  1915  den  Regierungen  gegenüber 
gebunden,  keine  Neuforderungen  zu  stellen,  keine  Budget-Überschreitung 
eintreten  zu  lassen. 

Am  6.  Feber  1911  brachte  ich  Seiner  Majestät  hierüber  mündUch 
meine  schweren  Bedenken  vor. 

Am  14.  Febei  1911  unterbreitete  ich  in  Budapest  Seiner  Majestät 
eine  diesbezüghche  Denkschrift  vom  13  Feber,  erläuterte  in  eineinhalb- 
stündiger  Audienz  die  einzelnen  Posten  und  bat  um  meine  Enthebung 
von  meinem  Dienstposten*). 

Seine  Majestät  schlug  diese  Bitte  ab. 

Am  16  Feber  1911  traf  die  schriftliche  Allerhöchste  Resolution  ein, 
daß  meiner  Bitte  nicht  willfahrt,  mir  aber  Gelegenheit  gegeben  wird,  vor 
berufenen  staatHchen  Faktoren  meine  Anträge  darzulegen." 


*)  Anhang,  Anlage  1  gibt  einen  in  der  Militärkanzlei  verfaßten  Aus- 
zug aus  dieser  Denkschrift. 

128 


Nach  dieser  Schilderung  des  Verlaufes  der  schwebenden  Frage 
begründete  ich  nunmehr  unter  Darlegung  konkreter  operativer  Gesichts- 
punkte und  an  Hand  von  Skizzen  die  Notwendigkeit  meiner  Forderungen 
bezüglich:  permanenter  Befestigungen,  Anschaffung,  Nachschaffung  und 
Deponierung  von  Munition,  üebirgsausrüstung  technischer  Vorsorgen, 
Verkehrswesen,  Sanilätsvorsorgen,  Trainformation,  feldmäßiger  Befesti- 
gungen. Ausbau  des  Straßen    und  Wegnetzes. 

Auf  Eisenbahnen,  Telegraphen-  und  Telephonlinien  wurde  nicht 
weiter  eingegangen,  nachdem  die  Kosten  hiefür  nicht  das  Kriegsbudget 
belasten  und  auch  kein  Eisenbahn-,  beziehungsweise  Handelsminister 
anwesend  war. 

Ich  las  nun  aus  der  „Übersicht  der  Forderung  von 
260  Millionen  als  Minimum"  die  beiläufigen  Kosten  der  von 
mir  als  unbedingt  notwendig  erachteten  Forderungen  nach  den  einzelnen 
Titeln  vor  und  stellte  die  im  Extraordinarium  pro  1911  dafür  aus- 
geworfenen Beträge  zum  Vergleich. 

Die  betreffenden  Daten  erörterte  ich  an  folgenden  Tabellen: 

I.  Übersicht  der  Forderungen  von  260  Millionen  Kronen  als  Minimum. 


Nr                                    Titel 

Beiläufige 
Kosten  in  Mill 

Davon  im 

Extiaordinarium 

pro  1911 

1. 

2. 
3. 
4. 
5 

6 

7. 

8. 

9. 
10. 
11. 

Infanteriemunition,     Artilleriematerial, 

Artilleriemunition 

Gebirgsausrüstung 

Technische  Vorsorgen 

Verkehrswesen 

Sanitätsvorsorgen 

Trainformationen 

Permanente   Befestigungen   .... 
Feldmäßige   Befestigungen   .... 

Eisenbahnen 

Ausbau  des  Straßen-  und  Wegnetzes 
Telegraphen-   und   Telephonlinien 

173 
3'5 
13*8 
137 

n 

13 
36-5 

5*3 



0*07 

38 

0035 
05 

005 
6 

Summe  in  Millionen  .     . 

259-97 

10*385 

E  s  f  e  h  1  e  n  daher:  259-97  minus  10-385  =  rund  250Millionen 
Kronen. 


9,  Conrad  II 


129 


IL  Tatsächlich  für  die  nächsten  fünf  Jahre  angefordert: 

Ordinarium, 

Extraordinarium, 

d.  i.  fortlaufende  Ausgaben: 

d.  i.  einmalige  Ausgabe: 

1911 27-3 

20 

1912 20-2 

19 

1913 17-5 

19 

1914 15-5 

19 

1915 .12 

19 

zusammen     .    .     .    92-5 

96  Millionen   Kronen. 

Von  den  Ausgaben   1911    dient  noch  nichts  für   die  Wehrreform, 
sondern  nur  zur  Sanierung  des  Budgets.     Auch  von  den  einmaligen 
Ausgaben  (1911)  dienen  nur  10-385  Millionen  meinem  Antrag; 
es  bleiben  daher  (1912,  1913,  1914,  1915): 

Fortlaufende  Ausgaben     Emmalige  Ausgaben 
65-2  Millionen.         .    76     Millionen. 
Davon  entfallen: 
auf  die  zweijährige  Dienstzeit     44-1        „         ...    38-5         „ 

daher  erübrigen.     .     .    2M  Millionen.     .     .    37-5  Millionen. 

Diese  21 -1  Millionen  gehen  in  der  Praxis  auf  Preissteigerungen, 
Pensionen,  Sanierung  des  Budgets  auf. 

Verfügbar  bleiben  daher  für  meinen  Antrag  und  für  die  Reichs- 
befestigung nur  37-5 -f-  10-4  =  47-9  Millionen; 

erforderlich  aber  sind 
laut  Antrag     ....    260  Millionen    (worin  bereits  36  für  Reichs- 
befestigung) 
für  Reichsbefestigung    .    119  Millionen  (nämlich  155  weniger  obigen  36) 

Summe:  379  Millionen. 

Es  fehlen  daher:  331  Millionen. 

Dazu  kommt,  daß  die  Fordenmgen  für  die  zweijährige  Dienst- 
zeit zu  gering  bemessen  sind,  weil  speziell  die  Auslagen  für  Unter- 
offiziere und  Übungsplätze  reduziert  wurden,  daß  die  Sanierungs- 
aktion 1911  noch  nicht  beendet  ist,  so  daß  auch  noch  die  2M  Millionen 
hiezu  verwendet  werden  müssen;  daß  auch  nach  1915  die  Erlangung 
größerer  Budgetposten  erschwert  ist,  weil  diese  Budgets  mit  21-7  Mil- 
lionen an  fortlaufenden  und  36-4  Millionen  an  einmahgen  Ausgaben 
belastet  sind. 


130 


III.  Tempo  einzelner  wichtiger  Maßnahmen  nach  dem  Budget  von  1911, 


Maßnahmen,  Beschaffungen 

Oesamt- 
erfordernis 

Davon  pro 
1911 

Gibt  Verteilung 
auf  jähre 

m 

Reichsbefestigung 

155 

6 

26 

Handfeuerwaffen,  aber  nur  Mod. 
1895  und  Klappbajonette*) 

335 

OB 

40 

Karabiner,  Munitions-Vorräte 

095           0'035 

27 

Spreng-    und    Zündmittel -Ver- 
mehrung 

0'85 

005 

17 

An  Hand  letzterer  Tabelle  zeigte  ich,  wie  sich  das  Tempo  einzehier 
wichtiger  Maßnahmen  auf  Grund  des  Budgets  vom  Jahre  1911  ergeben 
würde.  Darnach  hätte  sich  die  Reichsbefestiguiig  auf  26  Jahre,  d.  i.  bis 
1937,  hinausgezogen,  eine  Zeit,  in  der,  ganz  abgesehen  von  früheren 
Kriegsmöglichkeiten,  vieles  wieder  veraltet  wäre.  Die  Gewehr- 
beschaffung hätte  sich  auf  40  Jahre,  also  bis  1951  erstreckt. 

Ich  setzte  fort:  „Daraus  geht  zweifellos  hervor,  daß  mit  den 
bewilligten  Mitteln  nur  der  allerkleinste  Teil  der  als  unbedingt  not- 
wendig erachteten  Forderungen  realisiert  werden  kann;  es  fehlen  von 
den  angeforderten  260  Millionen  pro  191 1  rund  250  Millionen, 
beziehungsweise  von  den  zur  Realisierung  meiner  Anträge  erforderlichen 
379  Millionen  bis  1916:  331  Millionen  Kronen. 

Die  gegenwärtige  Lage  ist  also  die,  daß  die  Kriegsmarine 
ihre  volle  Forderung  erhielt,  d.  i.  bis  1915:  312  Millionen  und  daß  sie 
weitere  Forderungen  nach  1915  angekündigt  hat,  was  von  den  Dele- 
gationen widerspruchslos  akzeptiert  wurde; 

daß  beün  Heer  bis  1915  eine  Steigerung  des  Ordinarium.s  um 
100  Millionen  und  des  Extraordinariums  um  100  Millionen  ver- 
sprochen, aber  nicht  bewilligt  ist. 

Denn  bewilligt  ist  bloß  das  Budget  für  das  Jahr  1911  mit  einem 
Plus  von  27  Millionen  im  Ordinarium  und  20  Millionen  im  Extra- 
ordinarium.  Diese  Beträge  zählen  aber  schon  auf  obige  200  Millionen, 
davon  aber  nur  10-385  Millionen  für  materielle  Ausgestaltung,  Reichs- 
befestigung und  Wehrreform. 

*)  Also  keine  automatischen  Gewehre,  sondern  das  bereits 
bestehende  Modell. 


131 


Dafür  aber  ist  das  Versprechen  der  zweijährigen  Dienstzeit  bereits 
hinausgegeben  und  eine  budgetäre  Bindung  bis  1915  eingegangen:  keine 
Mehrforderungen  zu  stellen  und  keine  Budgetüberschreitung  eintreten 
zu  lassen 

Es  fragt  sich  nun,  was  meine  Ausführungen  außer  der  Begründung 
der  Notwendigkeit  meiner  Forderungen  im  Nachhinein  überhaupt  für 
einen  Zweck  haben  könnten? 

Die  Antwort  wäre;  zu  retten,  was  noch  zu  retten  ist,  und  Wege  zu 
finden,  die  dazu  einzuschlagen  wären. 

Solche  Wege  vermöchten  zu  sein: 

I.  Die  Berichtigung  des  offenkundigen  M  i  ß  ve  rh  ä  1  tn  i  sses 
zwischen  den  für  das  Heer  und  den  für  die  Flotte  gewidmeten 
Mitteln,  nämlich  200  Millionen  gegen  312. 

Gewiß  ist  die  Entwicklung  der  Marine,  der  Ausbau  einer  tüchtigen, 
starken  Flotte  nur  zu  begrüßen,  sie  ist  auch  in  Friedenszeiten  zur  Ver- 
tretung der  Monarchie  im  Auslande  und  zur  Hebung  und  Unterstützung 
der  Handelsinteressen  gewiß  sehr  wichtig. 

Dem  Ausbau  der  Flotte  kann  aber  nur  unter  der  Voraussetzung 
zugestimmt  werden,  daß  für  die  Landmacht  genügend  gesorgt 
wird. 

Österreich-Ungarn  ist  ein  kontinentaler  Staat;  in  einem  Kriege  liegt 
für  uns  die  Entscheidung  auf  dem  Lande.  Dort  entscheiden  sich 
also  die  Schicksale  der  Monarchie. 

Der  schönste  Seesieg  vermag  nicht  eine  Niederlage  zu  Lande  aus- 
zugleichen. 

Praktisch  könnte  wohl  nur  eine  Verschiebung  des  Marin eprogram- 
mes  der  Zeit  nach  hinsichtUch  eines  der  vier  Dreadnoughts  in  Frage 
kommen,  da  deren  zwei  an  das  Stabilimento  in  Triest  und  einer  an  die 
Danubius-Werfte  in  Fiume  bereits  fix  vergeben  sind,  und  an  der  Zahl 
der  zu  erbauenden  kleinen  Einheiten  (Kreuzer,  Torpedo-  und  Untersee- 
Boote)  wohl  keine  Reduktion  rätlich  erschiene. 

Durch  diese  Maßnahme  würde  gerade  in  der  für  die  Ausgestaltung 
der  Landmacht  allerdrmglichsten  Zeit  bis  1915  ein  Betrag  von  zirka 
60  Millionen  Kronen  einmaliger  Auslagen  verfügbar  werden,  die  für 
die  allernotwendigsten  Forderungen  der  Landmacht,  ein- 
schließlich der  Reichsbefestigung,  verwendet  werden  könnten.  Freilich 
wird  dieser  Ausweg  viele  Gegner  haben. 

IL  Ein  zweiter  VC eg  wäre  die  Zurückstellung  der  zwei- 
jährigen Dienstzeit  unter  Beibehaltung  der  dreijährigen, 
jedoch  mit  erhöhtem  Rekruten-Kontingent  Die  dabei  ersparten  Mittel 
könnten  für  die  materielle  Ausgestaltung  und  die  Reichsbefestigung  ver- 

132 


wendet  werden.  Dieser  Ausweg  ist  aber  höchst  bedenklich  Er  ist  ein 
zweischneidiges  Schwert,  denn  er  verzögert  eventuell  das  neue  Wehr- 
gesetz. Damit  blieben  die  elenden  Standesverhäitnisse  fortbestehen  und 
die  Unmöglichkeit,  die  dringenden  Neuformationen  zu  bewirken,  als: 
Festungsartillerie,  Eisenbahnregiment,  Telegrapheniegiment,  Gebirgs- 
artillerie, schwere  Haubitzdivisionen,  Landwehrartillerie. 

Unter  Umständen  könnte  sich  sogar  die  Gefahr  ergeben,  die  von 
den  Delegationen  schon  in  Aussicht  gestellten,  wenn  auch  unzureichen- 
den Mittel  künftig  gar  nicht  zu  erhalten. 

III.  Ein  dritter  Ausweg  wäre  eine  Umgruppierung  inner- 
halb der  bewilligten  Budgets,  bei  Ausschaltung  momentan 
minder  dringlicher  Schaffungen  und  Konzentrierung  auf  das  Wichtigste. 

IV.  Die  rationellste  Lösung  wäre  die  Anforderung  eines  außer- 
ordentlichen Rüstungskredites  bei  offener  Einbekennung  der  Lage. 

V.  Endlich  könnte  die  Schaffung  eines  tait  accompli  in  Betracht 
kommen,  wie  es  der  Marinekommandant  getan  hat. 

Eine  Sache,  die  unbedingt  notwendig  erscheint,  ist:  jetzt  schon 
alles  anzubahnen  für  die  Zeit  nach  1915,  also  klarzulegen,  was  man 
brauchen  wird 

Die  Monarchie  hat  in  der  Regel  die  Bedürfnisse  ihrer  Wehrmacht 
immer  erst  nach  einem  verlorenen  Feldzug  befriedigt,  so  1859  hinsicht- 
lich der  Geschütze,  1866  hinsichtlich  der  Gewehre;  man  sollte  doch 
daraus  lernen  und  einmal  die  Mittel,  welche  die  Grundbedingungen  des 
Erfolges    bilden,  vorher  geben." 

Schließlich  las  ich  einige  Stellen  aus  den  Memoiren  des  russischen 
Generals  Kuropatkin  über  dessen  Amtsführung  als  Kriegsminister  (1898 
bis  1904)  vor,  um  das  von  ihm  bekämpfte,  schlecht  angebrachte  Spar- 
system jener  Zeit  in  Rußland  und  die  dort  herrschenden  Verhältnisse  zu 
charakterisieren.  Ich  bat  aber  vorher,  mich  zu  unterbrechen,  sobald  es 
der  vorgeschrittenen  Zeit  wegen  notwendig  sein  würde,  meine  Aus- 
führungen zu  beenden. 

Als  ich  nach  einiger  Zeit  von  Exzellenz  Graf  Ährenthal  gebeten 
wurde,  abzubrechen,  hob  ich  zum  Schlüsse  hervor,  daß  es  in  Rußland 
—  nach  einer  25-jährigen  Anwendung  dieses  Sparsystemes  —  1904  zum 
Krieg  mit  Japan  kam,  und  dieser  Krieg  dann  durchschnittlich  170  Mil- 
lionen Kronen  monatlich,  über  lüO  000  Menschenleben,  die  ganze  Flotte, 
das  Prestige  Rußlands  etc.  kostete  und  die  russische  Staatsschuld  um 
5500  Millionen  Kronen  wachsen  ließ. 

Auf  die  Bemerkung  Exzellenz  Ahrenthals,  daß  die  Russen  nicht  nur 
wegen  ihres  Sparsystemes,  sondern  auch  wegen  der  Art  der  Krieg- 
führung den  Krieg  verloren  haben  und  daß  die  Japaner  weniger  Geld 

133 


ausgegeben  hätten,  erwiderte  ich,  daß  letztere  vollkommen  vorbereitet 
den  Krieg  eröffneten  und  zu  dieser  Vorbereitung  gewiß  auch  viel  Geld 
verwendet  haben  mußten,  daß  es  im  übrigen  beim  Kriegführen  stets  so 
sei,  daß  eine  der  kriegführenden  Parteien  den  kürzeren  ziehen  muß. 

Für  den  Verlauf  der  Sitzung  gebe  ich  im  nachfolgenden  vollinhalt- 
lich das  Protokoll  wieder,  weiches  nach  derselben  im  Ministerium 
des  Äußern  verfaßt  wurde. 

Abschrift  des  Protokolls  der  Ministerratssitzung  in  Budapest 
am  5.  März  1911. 

„Der  Vorsitzende*)  eröfftiet  die  Konferenz,  indem  er  ein- 
leitend bemerkt,  er  habe  dieselbe  in  Entsprechung  eines  A..  h.  Auftrages 
einberufen,  laut  welchem  dem  k.  u.  k.  Chef  des  Generalstabes  Gelegenheit 
zu  bieten  sei,  seine  Anschauungen  betreffend  jener  noch  über  den 
Rahmen  der  eben  von  den  Delegationen  bewilligten  Kreditforderungen 
hinausgehenden  militärischen  Maßnahmen  darzulegen,  welche  nach 
seiner  Auffassung  für  die  Wehrfähigkeit  der  Monarchie  notwendig  seien. 

Er  fügt  hinzu,  daß  die  heutige  Beratung  auf  A.  h.  Wunsch  auf 
das  strengste  geheimzuhalten  und  nach  außen  als  Besprechung  über 
einzelne  mit  Wehrreformen  in  Zusammenhang  stehende  Fragen  zu 
bezeichnen  sei. 

Er  ladet  somit  den  k.  u.  k.  Chef  des  Generalstabes  ein,  das  Wort 
zu  ergreifen. 

(Ausführungen  des  Chefs  des  Generalstabes  liegen  separat  bei,  sind 
im  Protokolle  wörtlich  mit  dieser  Zusammenstellung  gleichlautend.) 

[Bezieht  sich  auf  meine  bereits  dargelegten  Ausführungen.] 

Der  Vorsitzende  ersucht  nunmehr  die  beiden  Herren  Ministerpräsi- 
denten, sich  zu  den  Darlegungen  des  Herrn  Chefs  des  Generalstabes 
äußern  zu  wollen  und  erteilt  dem  k.  k.  Ministerpräsidenten  das  Wort. 

Der  k.  k.  Ministerpräsident**)  erklärt,  als  Nichtfachmann 
über  die  Frage  der  militärischen  Notwendigkeit  des  angesprochenen 
Kredits  kein  Urteil  abgeben  zu  können,  er  muß  sich  daher  darauf 
beschränken,  jene  drei  Momente  anzuführen,  welche  die  Stellungnahme 
der  österreichischen  Regierung  zu  den  militärischen  Forderungen 
bestimmt  haben.    Diese  Momente  seien  die  folgenden  gewesen: 

1.  Mitteilung  des  Ministers  des  Äußern  über  die  äußere  Lage. 


*)  Ährenthal. 
'*)  Bienerth. 


134 


2.  Die  Äußerung  des  Kriegsministers  über  das  Ausmaß  der  unum- 
gänglich notwendigen  Rüstungen,  weiche  nicht  aufgeschoben  werden 
könnten  und 

3.  das  Votum  des  Finanzministers  in  Betreff  der  finanziellen 
Leistungsfähigkeit  des  Staates. 

Nach  reiflicher  Erwägung  dieser  Momente  sei  man  zum  Schlüsse 
gekommen,  jene  Anforderung  an  die  Delegationen  zu  stellen,  welche 
diese  nunmehr  bewilligt  haben. 

Freiherr  von  Bienerth  verweist  sodann  auf  eine  ihm  vorliegende 
Zusammenstellung  der  Beträge,  welche  für  militärische  Mehranfor- 
derungen durch  die  Beschlüsse  der  Delegationen  in  den  Jahren  1910  und 
1911  bewilligt,  bezw.  im  Sinne  des  der  Delegation  bekanntgegebenen 
Programmes  für  den  Zeitraum  bis  1916  in  Aussicht  genommen  sind; 
es  sind  dies  1100  Millionen  Kronen,  wobei  die  Erfordernisse  der  beiden 
Landwehren  nicht  in  Betracht  gezogen  sind;  letztere  werden  nach  dem 
für  die  Ausgestaltung  der  k.  k.  Landwehr  aufgestellten  Programm, 
auf  den  entsprechenden  Zeitraum  verteilt,  rund  100  Millionen  Kronen 
betragen,  eine  Ziffer,  die  wohl  auch  für  die  k.  ung.  Landwehr  in 
Anspruch  genommen  werden  dürfte. 

(Der  k.  ung.  Landesverteidigungs-Minister*)  bemerkt  hiezu,  daß 
die  Anforderung  für  die  k.  ung.  Landwehr  noch  höher  sein  dürfte.) 

Man  dürfe  sich  daher  keiner  Täuschung  darüber  hingeben,  daß 
es  bei  aller  von  den  Delegationen  bewiesenen  Opferwilligkeit  die  Haupt- 
sorge der  beiden  Regierungen  bilden  muß,  die  Mittel  für  unsere  Kriegs- 
bereitschaft ohne  Schaden  für  unsere  Volkswirtschaft  aufzubringen. 

Ob  es  möglich  sei,  einen  der  vom  Chef  des  Generalstabes  ange- 
gebenen Auswege  zu  betreten,  wolle  er  dahingestellt  sein  lassen. 

Der  k.  ung.  Ministerpräsident**)  erklärt,  er  könne  sich 
den  Ausführungen  des  k.  k.  Ministerpräsidenten  nur  vollkommen 
anschließen;  es  seien  Erwägungen  politischer  und  finanzieller  Natur 
gewesen,  welche  für  die  Stellungnahme  der  beiden  Regierungen  ent- 
scheidend gewesen  seien. 

In  politischer  Beziehung  sei  es  wohl  bekannt,  welche  Kämpfe  die 
Erhöhung  der  Militärlasten  im  letzten  Dezennium  in  Ungarn  herauf- 
beschworen hat  und  welche  Schwierigkeit  die  Kriegsrüstungen  in  den 
Parlamenten  aller  Staaten  hervorrufen. 

Man  muß  jedoch  eingestehen,  daß  die  Delegation  eine  weitgehende 
Opferwilligkeit  an  den  Tag  gelegt  hat,  indem  sie  so  bedeutende  Summen 


*)  Hazai. 
**)  Khuen. 


135 


zur  Verfügung  gestellt  hat.  Diese  Bereitwilligkeit  war  darauf  zurück- 
zuführen, daß  die  berufenen  Vertretungskörper  in  ihrem  weitaus  über- 
wiegenden Teil  von  der  Notwendigkeit  dieser  Opfer  durchdrungen  waren, 
und  daß  die  Regierungen  zu  erklären  in  der  Lage  waren,  man  habe  sich 
die  Leistungsfähigkeit  der  Bevölkerung  vor  Auge  gehalten  und  biete  die 
Garantie,  daß  in  den  nächsten  fünf  Jahren  über  diesen  Rahmen  hmaus 
keine  Forderungen  werden  erhoben  werden. 

Wollte  man  nun  neuerdings  über  diesen  Rahmen  hinausgehen, 
würde  die  pohtische  Situation  hiedurch  vollkommen  umgeworfen  werden; 
man  würde  bemerken,  daß  die  Regierung  nicht  reell  vorgegangen  sei 
und  es  würden  allenthalben  ernste  Zweifel  auftauchen,  ob  die 
finanzielle  Leistungsfähigkeit  für  solche  Forderungen  überhaupt  aus- 
reiche; es  würden  dadurch  eine  solche  politische  Unsicherheit  und  ein  so 
tietgehendes  Mißtrauen  in  Ungarn  erzeugt  werden,  daß  die  k.  ung. 
Regierung  nicht  daran  denken  könne,  eine  neue  Vereinbarung  in  dieser 
Richtung  einzugehen.  Zudem  hat  die  ungarische  Regierung  jetzt  die 
Verabschiedung  des  neuen  Wehrgesetzes  vor  Augen;  diese  bilde  eine 
Hauptsache  und  ein  so  wichtiges  Ziel,  daß  dasselbe  um  keinen  Preis 
gefährdet  werden  dürfe;  durch  zehn  Jahre  hat  der  Streit  um  die 
Erhöhung  des  Rekrutenkontingents  sozusagen  ein  ganzes  Kapitel  der 
politischen  Geschichte  Ungarns  ausgefüllt,  nun  seien  die  Verhältnisse 
endlich  besser  geworden,  diese  dürfe  man  nicht  wieder  aufs  Spiel  setzen. 
Er  wolle  nicht  in  Zweifel  ziehen,  daß  die  in  Rede  stehenden  Forderungen 
vom  militärischen  Standpunkte  berechtigt  seien  und  daß  die  Zeit  viel- 
leicht kommen  wird,  wo  wir  an  ihre  Realisierung  schreiten  könnten  und 
müßten.  Im  gegenwärtigen  Augenblicke  stehen  dem  aber  ganz  spezielle 
Momente  politischer,  finanzieller  und  wirtschaftlicher  Natur  entgegen. 
Denn  ganz  abgesehen  von  der  Durchführung  der  Wehrreform  sei  man 
finanziell  an  der  Grenze  der  Möglichkeit  angelangt  und  es  muß  erst 
eine  weitere  Stärkung  der  heimischen  Volkswirtschaft  abgewartet  werden, 
bis  die  finanzielle  Kraft  des  Landes  neben  der  noch  in  Aussicht  stehen- 
den Ausgestaltung  der  Landwehr  weitere  militärische  Lasten  ertragen 
könnte  Im  jetzigen  Budget  findet  sich  für  weitere  Auslagen  keine 
Deckung,  da  die  zukünftige  Entwicklung  desselben  schon  für  die 
Befriedigung  der  gegenwärtigen  Anforderung  ausgenützt  sei. 

Die  Regierung  würde  demnach  des  Leichtsinnes  geziehen  werden 
können,  wenn  sie  nunmehr  die  Steuerkraft  des  Landes  in  einer  Weise 
anspannen  würde,  welche  die  bereits  im  vorhinein  in  Anspruch  genom- 
mene zukünftige  Entwicklung  der  Volkswirtschaft  unterbinden  würde. 

Aber  auch  die  vom  Herrn  Chef  des  Generalstabes  angeregten  Aus- 
wege aus  der  gegenwärtigen  Situation  seien  geeignet,  die  schwersten 

136 


Bedenken  einzuflößen,  wenn  die  Kredite  für  eben  erst  als  unumgänglich 
notwendig  bezeichnete  Anschaffungen  anderen  Zwecken  zugewendet 
würden;  es  würde  sich  die  Regierung  bloß  einer  berechtigten  Kritik  und 
dem  Vorwurfe  unzureichender  Überlegung  aussetzen,  ohne  daß  hiemit 
das  Ziel,  welches  Seiner  Exzellenz  vorschwebt,  voll  erreicht  würde. 

Es  sei  ganz  klar,  daß  wir  die  vom  Chel  des  Generalstabes 
angeführten  Forderungen  nicht  erst  in  20  oder  40  jähren  auf  Basis 
der  Ansätze  des  gegenwärtigen  Budgets  verwirklichen  werden;  es  sei 
durchaus  nicht  gesagt,  daß  wir  diese  Ertordernisse  auf  so  lange  Zeit 
h mausschieben  wollen,  doch  müßten  wir  uns  für  die  Gegenwart  m  den 
Grenzen  der  ^lögllchkelt  halten. 

Der  Vorsitzende  stellt  nunmehr  die  Frage,  ob  noch  jemand  das 
Wort  zu  ergreifen  beabsichtigt 

Der  Reichskriegsminister*)  bemerkt,  daß  er  nicht  in  der 
Lage  sei,  sich  an  der  Diskussion  zu  beteiligen,  daß  er  nicht  als  Richter 
in  der  eigenen  Sache  auftreten  könne;  immerhin  muß  er  mit  Befriedigung 
konstatieren,  daß  der  Herr  Chef  des  Generalstabes  im  Verlaufe  seiner 
Darlegung  selbst  zugegeben  hat,  daß  die  Schiagtertigkeit  unserer  Wehr- 
macht durch  die  getronenen  Maßnahmen  wesentlich  erhöht  worden  sei. 

Der  k.  k.  Minister  für  Landesverteidigung**)  bemerkt 
zu  den  von  dem  k  k.  Ministerpräsidenten  angeführten,  auf  die  Aus- 
gestaltung der  k.  k.  Landwehr  bezüglichen  Ziffern,  daß  diese  nur  als 
approximative  zu  betrachten  seien. 

Der  k  ung.  Landesverteidigungs-Minister  erklärt, 
daß  er  sich  zu  keiner  Bemerkung  veranlaßt  sehe. 

Der  Vorsitzende  hebt  hervor,  daß  er  als  Minister  des  Äußern, 
soweit  es  von  ihm  abhängt,  selbstverständlich  für  die  Ausgestaltung  der 
Wehrkraft  eingetreten  sei,  daß  er  sich  aber  den  von  beiden  Herren 
Ministerpräsidenten  abgegebenen  Erklärungen  nur  vollinhaltlich 
anschließen  könne. 

Er  teilt  vollkommen  die  Ansicht,  daß  die  neuerliche  Anforderung 
von  260  MilUonen  Kronen,  nachdem  die  Delegation  eben  so  namhafte 
Beträge  für  Rüstungszwecke  bewilligt  hat,  eine  schwere  innerpolitische 
Perturbation  hervorrufen  würde 

Aber  auch  vom  Standpunkte  der  auswärtigen  Politik  würde  er  ein 
solches  Vorgehen  für  sehr  bedenklich  halten.  Es  sei  zweifellos,  daß 
durch  die  von  den  Delegationen  votierten  bedeutenden  Mittel  unsere 
Stellung   in    Europa   gehoben   und   unser   Ansehen   wesentlich  erhöht 


*)  Schönaich. 
**)  Georgi. 


137 


worden  sei,  so  daß  wir  nun  mit  größter  Sicherheit  und  Festigkeit  für 
die  von  uns  verfolgten  friedlichen  Ziele  eintreten  können. 

Die  Monarchie  hegt  keine  Aspirationen  über  ihren  gegenwärtigen 
Besitz  hinaus,  und  er  fasse  die  von  ihm  im  Auftrage  Seiner  Majestät  und 
unter  Zustimmung  der  beiden  Ministerpräsidenten  geführte  äußere 
Politik  dahin  auf,  daß  wir  bei  etwa  eintretenden  Verwicklungen  nicht 
sofort  aktiv  hervorzutreten  hätten,  sondern  die  Dinge  sich  vorerst  ent- 
wickeln lassen  und  erst  dann  eingreifen  sollen,  wann  und  wie  es  die 
Interessen  der  Monarchie  erheischen. 

Unsere  Politik  weist  demnach  einen  erhaltenden  Charakter  auf,  dem 
wir  auch  bei  Ergreifung  außerordentlicher  militärischer  Maßnahmen 
Rechnung  tragen  müssen. 

Wenn  wir  nunmehr  einen  neuen  Rüstungskredit  anfordern  würden, 
würde  man  uns  aggressive  Absichten  zuschieben,  was  dem  von  Seiner 
Majestät  hinsichtlich  der  Führung  der  äußeren  Politik  der  Monarchie 
erhaltenen  Auftrag  diametral  entgegengesetzt  wäre  Überdies  würden 
wir  durch  die  rasch  aufeinander  folgende  Einstellung  solcher  Summen 
unsere  Nachbarn  noch  zur  Steigerung  ihrer  Rüstungen  ermuntern. 

Auch  möchte  ich  noch  hervorheben,  daß  aus  den  lichtvollen  Dar- 
stellungen des  Herrn  Chefs  des  Geneialstabes  zu  entnehmen  sei,  daß 
bereits  heute  eine  wesentliche  Steigerung  unserer  Kriegsbereitschaft 
konstatiert  werden  konnte,  daß  aber  die  Kriegsverwaltung  sich  darauf 
beschränkt  hat,  dasjenige  zu  beanspruchen,  was  sie  für  das  Dringendste 
und  Notwendigste  gehalten  hat.  Übrigens  steht  es  der  Heeresverwaltung 
frei,  dort,  wo  dies  erforderlich  erschiene,  ein  Virement  eintreten  zu  lassen. 

Zum  Schlüsse  will  er  dem  Chef  des  Generalstabes  im  Namen  aller 
Anwesenden  den  Dank  für  seine  so  eingehenden  und  interessanten  Dar- 
legungen aussprechen.  Die  Teilnehmer  an  der  heutigen  Beratung  seien 
überzeugt,  daß  Seine  Exzellenz  es  für  seine  Pflicht  gehalten  hat,  die 
maßgebenden  Faktoren  auf  jene  Erfordernisse  aufmerksam  zu  machen, 
v/elche  nach  seinem  Dafürhalten  unumgänglich  notwendig  sind,  doch 
wären  den  Regierungen,  wie  erwähnt,  durch  die  finanzielle  Leistungs- 
fähigkeit unüberschreitbare  Grenzen  gezogen. 

Der  k.  u.  k.  Chef  des  Generalstabes  betont  noch,  daß  der 
Unterschied  seiner  Stellung  gegenüber  jener  der  maßgebenden  Faktoren 
darin  bestehe,  daß  ihn  die  volle  Verantwortung  bei  Ausbruch  eines 
Krieges  treffe,  während  jetzt  die  Forderungen  des  Friedens  im  Vorder- 
grund stehen.  Seme  Forderungen  besäßen  nicht  die  gleiche  Aktualität, 
wodurch  er  sich  in  der  Nachhand  befände.  Trotzdem  sei  es  seine  Pflicht, 

138 


sich  stets  die  Eventualität  des  Krieges  vor  Augen  zu  halten  und  alles 
geltend  zu  machen,  was  für  diesen  in  Betracht  liäme. 

Der  Vorsitzende  erklärt  nunmehr  die  Sitzung  für  geschlossen. 

Ährenthal  m.  p." 

Der  Hinweis  auf  die  Argumente,  die  eine  Ablehnung  meiner  Mehr- 
forderung begründen  sollten,  wurde  seitens  Graf  Ährenthal  nicht  ohne 
die  Geste  gereifter  Überlegung  vorgebracht,  wobei  er  sich  durch 
Wendungen  nach  rechts  und  links  die  kopfnickende  Zustimmung  der 
beiden  Ministerpräsidenten  einholte. 

Ich  überlasse  es  dem  Leser  —  jetzt,  nach  den  Erfahrungen  des 
Weltkrieges  —  zu  beurteilen,  ob  meine  Mehrforderung  von  260  Mil- 
lionen Kronen  tatsächlich  übertrieben  und  meine  Verwahrung  gegen 
eine  Budgetierung  ungerechtfertigt  war,  die  dringende  Beschaffungen 
(Geschütze,  Gewehre,  Munition,  Befestigungen)  teils  überhaupt  ver- 
sagte, teils  auf  viele  Jahre  hinauszog  und  es  mit  sich  brachte,  daß  die 
Armee  mit  unzulänglicher  Bewaffnung  in  den  Weltkrieg  trat. 

Auch  möge  sich  der  Leser  fragen,  ob  diese  Folgen  nicht  schwerer 
wogen,  als  die  vom  Grafen  Ährenthal  befürchteten  „schweren 
innerpolitischen  Perturbationen";  ebenso  auch,  ob  die 
von  mir  geforderte,  im  Vergleich  zu  den  Aufwendungen  unserer  Feinde 
geringfügige  Summe  seine  Behauptung  rechtfertigte,  „daß  dies  auch 
vom  Standpunkt  der  äußeren  Politik  ein  sehr 
bedenkliches  Vorgehen  war  e,"  daß  man  uns  deshalb 
„aggressive  Absichten  zuschieben  v/ürde"  und  wir 
die  „Nachbarn  zur  Steigerung  ihrer  Rüstungen 
ermuntern  würden!" 

Nun  —  die  Nachbarn  haben  sich  danach  sehr  wenig  gerichtet, 
sondern  sind  zielbewußt  und  großzügig  ihren  eigenen  Weg 
gegangen. 

Aber  auch  auf  die  Politik  des  Grafen  Ährenthal  werfen  seine  im 
Protokoll  gegebenen  Ausführungen  ein  grelles  Licht.  Er  meinte  die 
Politik  darauf  basieren  zu  können,  daß  wir  bei  etwa  eintretenden  Ver- 
wicklungen nicht  sofort  aktiv  hervorzutreten  hätten. 

Ganz  abgesehen  davon,  daß  auch  bei  etwa  späterem  Hervortreten 
sich  Versäumtes  nicht  mehr  nachholen  ließ,  fragte  es  sich  doch,  wie  die 
Lage  wäre,  wenn  diese  Verwicklungen  uns  direkt  zum  Ziele 
hätten,  die  Gegner  uns  daher  nicht  die  Zeit  lassen  würden,  „die 
Dinge  sich  vorerst  entwickeln  zu  lasse n". 

Was  dann? 

139 


Oder  glaubte  Graf  Ährenthal,  daß  diese  Gegner  etwa  warten 
würden,  bis  ihm  der  Augenblick  gelegen  schiene? 

Auch  der  „bloß  erhaltende  Charakter"  der  Politik  ver- 
langte, daß  man  jenen  Gegnern  gewachsen  sei,  deren  Ziel  eben  die 
Zerstörung  Österreich-Ungarns  war. 

Über  diese  Gegner  konnte  man  wohl  nicht  im  Zweifel  sein!  Oder 
sah  man  es  nicht? 

Die  kurzen  Hinweise  kennzeichnen  die  klaffende  Differenz  zwischen 
meinen  Anschauungen  und  jenen  des  Grafen  Ährenthal  hinsichtlich  der 
Situation  der  Monarchie,  eine  Differenz,  die  schließlich  zum  Bruche 
führen  mußte. 

Wie  der  Bruch  sich  vollzog,  ergibt  sich  aus  der  späteren  Dar- 
stellung der  Vorgänge  im  Jahre  1911. 

Erzherzog  Franz  Ferdinand  hatte  die  Gepflogenheit,  Männer,  zu 
denen  er  Vertrauen  hatte  und  deren  geistige  Qualitäten  er  schätzte, 
an  sich  heranzuziehen  und  sie  mit  wichtigen  Verwendungen  zu  betrauen. 

Dies  betraf  auch  Graf  Ottokar  Czernin,  der  dieses  Vertrauen  in 
besonderem  Maße  genoß. 

Der  Erzherzog,  bemüht,  die  Wehrfrage  mit  allen  Kräften  zu 
fördern,  hatte  Graf  Czernin  —  wie  mir  dieser  auch  in  einem  Schreiben 
vom  27.  Feber  1911  aus  Lapad  bei  Ragusa  mitteilte  —  beauftragt,  aus 
den  verschiedenen  fachmännischen  Gutachten  ein  Ganzes  zu  formen,  die 
mihtärischen,  wirtschafthchen  und  finanzpoHtischen  Fragen  zu  vereinen. 
Hiezu  hatte  ich  ihm  auf  Weisung  des  Erzherzogs  auch  meine  diesbezüg- 
liche Denkschrift  zur  Verfügung  zu  stellen.  Ich  bat  Graf  Czernin  in 
einem  Briefe  vom  28.  März  1911,  die  Denkschrift  persönlich  zu  über- 
nehmen, und  sagte  zu,  sein  Elaborat  durch  verläßliche  Kräfte  kopieren 
zu  lassen. 

So  faßte  ich  wieder  Hoffnung  auf  eine  gedeihliche  Wendung  in 
der  so  dringenden  Wehrfrage,  als  dieser  eine  neue  Gefahr  erstand. 

Die  Vorgänge  im  österreichischen  Parlament,  durch  welche  die  Aus- 
gleichsversuche zwischen  Deutschen  und  Tschechen  gescheitert  und  die 
Gegensätze  nur  verschärft  wurden,  rückten  die  Auflösung  des  Hauses 
nahe  und  damit  eine  weitere  Verschleppung  der  Wehrfrage.  In  dieser 
Sorge  richtete  ich  folgendes  Schreiben  an  Exzellenz  Bolfras. 

„Wien,  30.  März  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Ich  bitte  E.  E.,  mir  die  nachfolgenden  Ausführungen  zu  gestatten: 

Ich  menge  mich  prinzipiell  nicht  in  innerpolitische  Fragen.    Wenn 

aber  die  seit  Jahren  stagnierende  Heeresentwicklung  derart  in  Frage 

140 


gestellt  erscheint,  wie  durch  die  jüngsten  Vorgänge  im  Parlament,  so 
fühle  ich  geradezu  die  Pflicht,  meine  Orientierung  über  die  Lage  zur 
Kenntnis  der  maßgebenden  Stellen  zu  bringen. 

Diese  Orientierung  geht  nach  Rücksprache  mit  sehr  einsichtsvollen 
Politikern  dahin,  daß  es  ein  Unglück  wäre,  das  jetzige  Haus  aufzulösen, 
sondern  daß  es  darauf  ankommt,  mit  dem  jetzigen  Haus  die  vitalsten 
militärischen  Fragen:  als  Rekrutenkontingent  resp.  Wehrgesetz,  dann 
Budget,  resp.  Budgetprovisorium,  zu  lösen,  sei  es  mit  einer  teiiweisen 
Rekonstruktion  des  Kabinetts  oder  mit  dem  §  14. 

Die  Auflösung  des  Hauses  hätte  zur  Polge: 

1.  Daß  sie  ein  Triumph  der  obstruierenden  radikalen  Parteien  und 
eine  Niederlage  der  bereitwilligen,  bürgerlichen,  loyalen  Parteien  wäre; 

2  daß  durch  Neuwahlen  Elemente  ins  Haus  kämen,  die  viel 
radikaler  sind  und  die  von  Haus  aus  den  Kampf  gegen  die  Heeres- 
auslagen auf  ihr  Programm  nehmen  würden; 

3.  daß  unsere  dringenden  Forderungen,  insbesondere  Wehrgesetz 
mit  Rekrutenkontingent,  ins  Unabsehbare  verzögert  erschienen; 

4.  daß  die  dermalen  endlich  in  Ungarn  bestehende  günstige  Dis- 
position nicht  ausgenützt  würde. 

Ich  wäre  E.  E  unendlich  dankbar,  wenn  E.  E.  diese  meine 
schweren,  von  der  unablässigen  Sorge  nach  endlicher  Konsolidierung 
unserer  desolaten  Heeresverhältnisse  diktierten  Bedenken  zur  Aller- 
höchsten Kenntnis  bringen  wollten. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  besonderen  Hoch  Verehrung, 
mit  der  ich  stets  bin 

Euer  Exzellenz 

gehorsamster 

C  0  n  r  a  d,  O.  d.  I." 

Ich  erhielt  hierauf  folgende  Antwort: 

„Wien,  31.  März  1911. 
Hochgeehrter  Freund! 

Dein  gestriges  inhaltsreiches  Schreiben  kam  mir  nachmittags  nach 
3  Uhr  zu. 

Otschon  ich  wußte,  daß  die  große  Frage  bereits  entschieden  und 
das  Auf  lösungspatent  schon  mittags  dem  Ministerpräsidenten  zur  Ver- 
anlassung der  heutigen  Publizierung  zugekommen  war,  unterbreitete  ich 
per  Portefeuille  (nach  Schönbrunn)  doch  noch  Seiner  Majestät  Dein 
Schreiben.  Es  konnte  keinen  unmittelbaren  Effekt  mehr  haben,  wohl 
aber    die    Überzeugung    bestärken,    daß    man    je    eher    wieder    ein 

141 


Abgeordnetenhaus  zur  Verfügung  haben  müsse,  dem  die  Wehrvorlage 
zukommen  könne. 

Nach  den  heutigen  Publikationen  soll  dies  im  Juni  der  Fall  sein. 

Caveant  consules! 

Ich  bedauere  doppelt,  morgen  Deiner  lieben  Einladung  nicht  folgen 
zu  können  —  wir  hätten  uns  in  guter  Aussprache  gefunden. 

Verehrend  mit  herzlichen  Grüßen 


Dein  ergebenster         o     i  r  ^ 

^  Bolfrasm.  p. 


Am  30.  März  1911  wurde  das  Abgeordnetenhaus  tatsächlich 
aufgelöst. 

In  der  großen  Sorge,  die  Wehrvorlage  erneuert  verzögert  und  in 
gefährliche  Bahnen  geraten  zu  sehen,  hatte  ich  mich  m  An-  und  Vor- 
trägen vom  23.  April*)  und  5.  Mai  1911  abermals  an  Seine  Majestät 
gewendet  und  am  7.  Mai  folgendes  Schreiben  an  Exzellenz  Bolfras 
gerichtet. 

„Wien,  7.  Mai  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Auf  Grund  des  gestern  in  Komeuburg  v^ährend  der  Inspizierung 
des  Eisenbahnregiments  erhaltenen  Telegrammes  habe  ich  die 
Angelegenheit,  über  welche  ich  Semer  Majestät  a.  u.  mündlich  berichten 
wollte,  im  schriftlichen  Wege  vorgebracht  und  dürfte  mem  diesbezüg- 
licher a.  u.  Vortrag  bereits  m  Händen  E.  E.  sem.  Bei  der  großen 
Wichtigkeit  der  Frage  erlaube  ich  mir  nun  E.  E.  zu  bitten,  die  Sache 
bei  Seiner  Majestät  besonders  zu  vertreten. 

Ich  kann  nicht  umhm,  hervorzuheben,  daß  mit  dem  Hingeben  auch 
der  personellen  Mittel  für  das  Heer  die  schw^eren  Sünden  vermehrt 
würden,  welche  an  demselben  begangen  wurden. 

Nachdem  in  der  Sprachenfrage,  im  militärischen  Jugendunterricht 
und  in  sonstigen  Belangen  an  dem  einheitlichen  Geist  gerüttelt  wurde, 
wurden  im  Laufe  des  heurigen  Winters  hinter  meinem  Rücken  —  und 
daher  mit  vorbedachter  Ausscheidung  meiner  Person  —  die  von  mir 
wohlüberlegt  gestellten  finanziellen  Mindestforderungen  nicht  nur  auf 
weit  weniger  als  die  Hälfte  herabgedrückt,  sondern  auch  auf  eine  Bindung 
für  fünf  Jahre  hinaus  eingegangen. 

Nachdem  dies  in  den  Ministerratssitzungen,  zu  deren  keiner  ich 
zugezogen  wurde,  abgemacht  war,  erschien  es  als  fait  accompli  in  den 
Delegationen. 


*)  Anhang,  Anlage  2. 
142 


Nunmehr  erscheint  die  weitere  Gefahr  gekommen,  daß  bei  den 
Wehrgesctzverhandlungen  auch  noch  hinsichthch  der  personellen  Mittel 
durch  schrankenlose  Nachgiebigkeit  hmsichtlich  Betreiungen,  Einjährig- 
Freiwilligenrecht,  Reduktion  der  Wafienübungen  und  dergleichen  Ver- 
hältnisse geschaffen  werden,  weiche  den  so  schreiend  dringlich  gewor- 
denen Ausbau  des  Heeres  gänzlich  in  Frage  stellen. 

Wenn  derart  an  Geist,  finanziellen  und  personellen  Mitteln  weiter 
gesündigt  wird,  besteht  die  Gefahr,  daß  die  Monarchie  hinsichtlich  der 
militärischen  Macht  und  Schlagfertigkeit  von  ihren  Gegnern  weit  über- 
holt und  Katastrophen  zugetrieben  wird. 

Wenn  ich  auch  die  abgeschmackte  Weise,  mit  welcher  die 
cisleithanische  Presse  den  Ministerpräsidenten,  der  sich  doch  den 
finanziellen  Forderungen  für  das  Heer  so  schroff  entgegengestellt  hatte, 
trotzdem  als  Anwalt  der  Armee  feiert,  weil  er  statt  des  Kriegsministers 
in  der  Sprachenfrage  im  Militärstrafprozeß  die  deutsche  Sprache  ver- 
trat, nur  albern  finden  kann,  so  ist  es  doch  ein  Symptom  der  Lage,  daß 
man  in  der  Publizistik  dem  Vertreter  des  Heeres  ein  Versäumnis  hin- 
sichtlich der  Sorge  für  das  letztere  vorwirft. 

Es  ist  meine  Überzeugung,  daß  hinsichtlich  der  personellen  und 
hinsichtlich  der  finanziellen  Notwendigkeiten  die  Interessen  der 
bewaffneten  Macht  nicht  jene  energische  Vertretung  finden,  bezw. 
gefunden  haben,  wie  sie  von  den  militärischen  Faktoren  zu  gewärtigen 
waren. 

Es  ist  auch  meine  Überzeugung,  daß  seitens  der  nichtmilitärischen 
Faktoren  die  dringende  Notwendigkeit  der  raschesten  Ausgestaltung 
des  Heeres  nicht  mit  jener  staatsmännischen  Voraussicht  erkannt  und 
in  Rücksicht  gezogen  wurde,  wie  dies  die  Lage  erheischt. 

Es  v/ar  meine  Absicht,  Seiner  Majestät  a.  u.  m  diesem  Sinne  zu 
berichten  und  Seine  Majestät  a.  u,  zu  bitten,  auf  die  maßgebenden 
Faktoren  nachdrücklichst  Einfluß  nehmen  zu  wollen,  damit  sie  noch  in 
elfter  Stunde  Einkehr  halten  und  der  Armee  geben,  was  sie  dringend 
braucht. 

Genehmigen   E.  E.  den   Ausdruck  meiner  ganz  besonderen  Hoch- 

^  Eurer  Exzellenz  gehorsamster 

Conrad,  G.  d.  I" 

Die  am  9.  Mai  1911  erhaltene  Antwort  auf  diesen  Brief  lautete: 

„Gödöllö,  8.  Mai  1911. 
Hochverehrter  Freund! 
Mit  angelegentlichem  Danke  bestätige  ich  den   Empfang  Deines 
sehr  geschätzten  Schreibens  vom  7.  d.  Mts.,  dessen  so  ernster  Inhalt 

143 


den    Ausführungen   entspricht,   die   in   Deinen   a.   u.    Vorträgen   vom 
23.  April  und  5.  Mai  d.  J.  niedergelegt  sind. 

Ersterer  kann  künftigen  Forderungen  für  Heereszwecke  dann 
richtunggebend  sein,  wenn  bei  den  maßgebenden  beiderseitigen 
Ministerien  sich  vermehrte  Bereitwilligkeit,  Kredite  zu  bewilligen,  Bahn 
gebrochen  haben  sollte  —  — ? 

Illusionen  wird  man  sich  da  leider  nicht  hingeben  dürfen. 

Der  zweite  Vortrag  kam  hieher,  als  die  Wehrvorlage  schon  die 
Allerhöchste  Stelle  passiert  hatte.  Der  Reichskriegsminister  hatte  Deine 
Bemerkung  zum  tetreifenden  a.  u.  Vortrage  samt  seiner  Rückäußerung 
produziert,  so  daß  Seiner  Majestät  im  Gegenstande  nichts  entzogen 
war.  Trotz  alledem  wurde  gestern  Dein  Vortrag  vom  5.  d.  Mts. 
umgehend  noch  an  den  Reichskriegsminister  geleitet. 

Mehr  ließ  sich  wahrlich  hier  ebensowenig  tun,  als  man  „Ver- 
gangenes" nicht  ungeschehen  machen  kann. 

So  sehr  ich  besorgen  muß,  daß  Dich  mein  vorstehendes  Schreiben 
nicht  befriedigen  wird,  so  sehr  hoffe  ich,  daß  Du  nicht  zweifelst  an 
meiner  wahren,  fest  begründeten  Hochschätzung  und  meinem  besten 
Willen,  in  meinem  Bereiche  allem  Guten  förderlich  zu  sein.  Die 
Erfahrungen  langer  Jahre  mußten  mich  da  aber  recht  bescheiden 
machen  und  darüber  tin  ich  alt,  zu  alt  geworden. 

Verehrend  grüßt  Dich  herzlichst  Dein  ergebenster 

B  0  1  f  r  a  s,  G.  d.  I." 

Zu  diesen  Sorgen  trat  noch  jene  für  den  Garnisonswechsel.  Er  war 
zum  großen  Teil  auf  operative  Forderungen  aufgebaut,  die  den  ver- 
schiedenen Kriegsmöglichkeiten  Rechnung  trugen.  Es  war  mir  sehr 
daran  gelegen,  daß  er  unverändert  durchgeführt  werde.  Eine  grobe 
Indiskretion  trachte  den  Antrag  noch  vor  gefällter  Entscheidung  in  die 
Presse,  so  daß  die  Gefahr  bestand,  ihn  nun  von  vielen  Seiten  bekämpft 
zu  sehen  —  aus  politischen,  lokalen  und  persönlichen  Motiven,  die  sich 
erfahrungsgemäß  oft  in  Form  unglaublichster  Einflüsse  geltend 
machten. 

Zu  dieser  Zeit  (Juni  1911)  auf  der  Generalsreise  befindlich,  hatte 
ich  mich  in  dieser  Angelegenheit  an  Exzellenz  Bolfras  und  mit  folgen- 
dem Schreiben  an  Erzherzog  Franz  Ferdinand  gewendet. 

„Malborgeth  (Generalsreise),  25.  Juni  1911. 

Eure  Kaiserliche  Hoheit! 
Ich  bitte  Eure  Kaiserliche  Hoheit,  es  nicht  ungnädig  aufzunehmen, 
wenn    ich  das  vorliegende  Schreiben   Eurer    Kaiserlichen    Hoheit  ehr- 
furchtsvoll unterbreite,  aber  die  mich  unablässig  beschäftigende  Sorge 

144 


für  die  Schlagbereitschatt  der  bewaffneten  Macht  läßt  es  mir  als  Pflicht 
erscheinen,  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  machtvolle  Einflußnahme  in 
nachstehender  Angelegenheit  nicht  nur  rem  dienstlich,  sondern  auch  im 
Wege  des  vorliegenden  Briefes  zu  erbitten. 

Die  erste  dieser  Angelegenheiten  betrifft  die  Ausgestaltung  der 
Wehrmacht  auf  ürund  des  seinerzeit  von  mir  vorgelegten  Entwurfes, 
der  nur  deshalb  keine  Realisierung  findet,  weil  das  Reichskriegsministe- 
rium  ihn  gelegentlich  der  jüngsten  Delegationsverhandlungen  nicht  ver- 
trat, und  zwar  trotz  meiner  wiederholten  Vorstellung. 

Nunmehr  sieht  sich  das  Reichskriegsministerium  selber  bemüssigt, 
das  Unzulängliche  der  seinerzeit  geforderten  Mittel  einzugestehen  und 
einen  a.  u.  Vortrag  zu  erstatten,  m  welchem  es  dringende  Mehr- 
forderungen stellt 

Ich  habe  diesem  Vortrage  eine  eingehende  Bemerkung  zugelegt, 
welche  auch  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  zur  höchsten  Kenntnis  gelangen 
wird;  außerdem  unterbreite  ich  aber  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  eine 
kurze  Zusammenstellung  aller  dringlichen  Forderungen,  wobei  für 
einzelne  derselben  hervorgehoben  erscheint,  bis  zu  welchem  endlosen 
Zeitpunkt  gewartet  werden  müßte,  wenn  das  vom  Reichskriegsministe- 
rium dermalen  eingehaltene  Tempo  nicht  wesentlich  beschleunigt  würde. 

Außer  den  Mitteln  für  die  materiellen  und  fortifikatonschen 
Erfordernisse  erscheint  es  aber  auch  ganz  unerläßlich,  reichliche 
Summen  für  die  Entlohnung  jener  Unteroffiziere  flüssig  zu  machen, 
welche  einige  Jahre  freiwillig  über  die  Präsenz  dienen  und  welche  noch 
jung  und  unverbraucht  das  wertvollste  Material  für  Frontunteroffiziere 
bilden,  eine  Frage,  welche  nur  auf  diesem  Wege,  niemals  aber  auf  jenem 
des  zwangsweisen  Weiterdienens  zu  lösen  sein  wird. 

Die  zweite  Angelegenheit,  wegen  welcher  ich  es  wage,  mich  an  die 
höchste  Einflußnahme  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  zu  wenden,  betrifft 
den  Gamisonswechsel,  und  zwar  insbesondere  den  auf  die  operativen 
Forderungen  Bezug  habenden  Teil  desselben,  also  vornehmlich  die 
Truppendislokation  im  Grenzgebiete  gegen  Italien. 

Durch  eine  schamlose  Publikation  unserer  ungezügelten  Presse  ist 
dieser  Garnisonswechsel  in  die  Öffentlichkeit  gedrungen,  ehe  noch 
dessen  Allerhöchste  Sanktion  erfolgte;  es  wäre  nun  von  schwerwiegen- 
dem Schaden  für  die  Schlagfertigkeitsbereitschaft  der  Armee,  wenn 
etwa  infolge  dieser  publizistischen  Indiskretion  eine  Aufschiebung  oder 
Unterlassung  der  beantragten  Truppendislokation  einträte.  Zwar  habe 
ich  mich  in  dieser  Angelegenheit  heute  brieflich  an  Exzellenz  Baron 
Bolfras  gewendet,  aber  eine  gedeihliche  Entscheidung  dieser  vitalen 
Frage  vermag  ich  doch  nur  in  der  höchsten  Einflußnahme  Eurer  Kaiser- 

10,  Conrad  II  145 


liehen  Hoheit  zu  erblicken,  und  so  erbitte  ich  mir  untertänigst  diese 
höchste  Einflußnahme  ebensosehr  für  die  Frage  des  Garnisonswechsels, 
wie  für  die  erst  angeführte  hinsichtlich  der  materiellen  Vorsorgen  für 
die  Schlagfertigkeit  der  bewaffneten  Macht. 

Geruhen  Euer  Kaiserliche  Hoheit  endlich,  mir  es  nicht  zu  verübehi, 
wenn  ich  wage,  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  meine  ehrfurchtsvollsten 
Glückwünsche  zu  unterbreiten  anläßlich  der  ganz  besonderen  Aller- 
höchsten Auszeichnung,  welche  Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  jüngst  zuteil 
wurde. 

Genehmigen  Euer  Kaiserliche  Hoheit  den  Ausdruck  der  ehrfurchts- 
vollsten Ergebenheit,  mit  der  ich  verharre  als 

Euer  Kaiserlichen  Hoheit  treugehorsamster 

Conrad." 

Am  14.  Juni  1911  (mit  Stichwahlen  am  20.  Juni)  fanden  die  Neu- 
wahlen für  das  österreichische  Parlament  statt,  bei  welchen  in  Wien 
die  cliristUchsoziale  Partei  eine  Wahhiiederlage  erlitt.  Wie  sich  das 
neue  Haus  zur  Wehrfrage  stellen  würde,  bUeb  abzuwarten. 

Obgleich  nun  dem  chronologischen  Gang  der  Ereignisse  ent- 
sprechend, jetzt  jener  Vorgänge  zu  gedenken  wäre,  die  sich  in  außen- 
politischer Hinsicht  abspielten  (wie  die  Geschehnisse  in  Marokko, 
die  Aufstände  in  Albanien  und  Arabien,  die  Zustände  m  der  Türkei, 
der  Krieg  zwischen  dieser  und  Italien  in  Tripolis)  und  der  Rückwirkung 
derselben  auf  die  Monarchie,  möchte  ich  doch  vorerst  die  rein  mili- 
tärischen Fragen  für  das  Jahr  1911  abschließen. 

In  diese  Zeit  fiel  der  Wechsel  des  Kriegsministers. 

Schon  aus  den  früheren  Darstellungen  ist  erinnerlich,  daß  zwischen 
dem  bisherigen  Kriegsminister  Baron  Schönaich  und  dem  Thronfolger 
Erzherzog  Franz  Ferdinand  ein  sehr  gespanntes  Verhältnis  bestand, 
in  das  ich  oft  beruhigend  einzugreifen  bemüht  war. 

Die  letztgeschilderten  Vorgänge  in  den  Delegationen  in  Budapest 
und  speziell  das  Verhalten  Baron  Schönaichs  in  der  Budgetfrage  hatten 
diese  Gegensätze  verschärft  mid  Seine  Kaiserliche  Hoheit  veranlaßt,  auf 
einen  Wechsel  im  Kriegsministerium  hinzuwirken.  Auch  ich  ersah  jetzt 
hierin  den  einzigen  Weg  für  eine  Wendung  zum  Besseren. 

Die  aus  Blankenberghe  vom  9.  Juli  datierte  Antwort  des  Thron^ 
folgers  auf  mein  Schreiben  aus  Malborgeth  vom  25.  Juni  enthielt 
folgende  Stellen: 

„Aber  was  nützt  alles  Bitten,  Jammern  imd  Schreiben;  bevor... 
Schönaich  . . .  nicht  endlich  gegangen  wird,  so  lange  gibt  es  keine 
Heilung  und  Ihre  und  meine  Wünsche  werden  grundsätzlich  konterkariert. 

146 


Ferner  kommandiert  ja  jetzt  em  gewisser  Ährenthal  die  Armee  und 
bestimmt,  was  zu  geschehen  hat,  und  so  lange  solche  Geister  ...  an 
der  Spitze  des  Unternehmens  stehen,  sind  wir,  Heber  Conrad,  aus- 
geschaltet. So  lange  solche  Leute  trotz  Thronfolger  und  Chef  des 
Generalstabes  das  gewichtigste  Wort  zu  reden  haben,  so  lange  ist 
unsere  wohlgemeinte  patriotische  und  schwarzgelbe  Arbeit  ganz  proble- 
matisch. 

Unser  wohldurchdachter  Garnisonswechsel  ist  auch  über  den 
Haufen  geworfen  worden;  darüber  werde  ich  Ihnen  mündlich  einiges 
erzählen. 

Sehr  neugierig  bin  ich,  was  der  Herbst  bringen  wird;  hoffentlich 
sehen  wir  bald  einen  neuen  Kriegsminister,  obgleich  der  noch  jetzt 
leider  existierende  in  seiner  ritterlichen  Art  bereits  eine  kapitale  Hetze 
gegen  meinen  Kandidaten  losläßt;  . . .  was  natürlich  an  Allerhöchster 
Stelle  entsprechend  fruktifiziert  wird. 

Auffenberg  ...  ist  jetzt  der  einzig  mögliche  Kandidat . . . 

Auffenberg  ist  mir  und  Ihnen  ergeben  und  wird  ein  famoses  Gegen- 
gewicht bilden  gegen  diese  ganze  Clique,  die  uns  aus  dem  Sattel 
heben  will. 

Hoffentlich  geht  es  Ihnen  gut  und  können  Sie  sich  jetzt  einen 
ordentlichen  Urlaub  gönnen.  Machen  Sie  mir  im  jugendlichen  Übermut 
keine  zu  waghalsigen  Sachen*)  und  erhalten  Sie  sich  frisch,  fröhlich 
und  gesund  für  jetzt  und  die  Zukunft. 

Mit  herzlichsten  Grüßen,  lieber  Conrad,  bin  ich  Ihr  stets 

aufrichtiger 

Erzherzog  Franz,  G.  d.  K." 

Im  Sinne  dieses  Briefes  hat  nun  Erzherzog  Franz  Ferdinand  seinen 
Einfluß  auf  einen  Wechsel  im  Kriegsministerium  geltend  gemacht  und 
die  Ernennung  des  Generals  der  Infanterie  von  Auffenberg,  damals 
Kommandant  des  15.  Korps  in  Sarajevo,  beantragt. 

Diese  Wahl  stieß  jedoch  auf  starren  Widerstand  des  Kaisers. 

Seme  Majestät  brachte  sie  gelegentlich  emer  meiner  Audienzen  zur 
Sprache  und  verlangte  meine  Meinung  zu  hören. 

Ich  habe  Seiner  Majestät  gegenüber  die  Wahl  Auffenbergs  warm 
vertreten  und  mir  gestattet,  verschiedene  Einwürfe  durch  Entgegenhalt 
meiner  Ansicht  zu  entkräften. 


*)  Der  Erzherzog  wußte,  daß  ich  nach  Tirol  gehe,  wo  ich  stets 
einige  Hochtouren  zu  machen  pflegte. 

10«  147 


Ich  habe  auf  die  geistigen  Fähigkeiten  und  militärischen  Kenntnisse 
Auffenbergs,  auf  seine  schon  in  jungen  Jahren  im  bosnischen  Feldzug 
und  später  m  den  verschiedensten  Verwendungen  gesammelten  Erfah- 
rungen, dann  darauf  hingewiesen,  daß  er  dabei  auch  Einblick  in  die 
ungarischen,  kroatischen  und  die  bosnischen  Verhältnisse  gewonnen 
habe.  Seine  initiative  Charakteranlage  dürfte  dafür  bürgen,  daß  die 
von  mir  gestellten  Forderungen  nunmehr  auch  seitens  der  Ministerial- 
instanz  eine  tatkräftigere  Unterstützung  finden  würden  als  bisher. 

Seine  Majestät  sagte  hierauf:  „Also  meinen  Sie,  daß  man  ihn  zum 
Kriegsminister  machen  soll?,"  was  ich  mit  „Ja"  beantwortete.  Der 
Kaiser  erwiderte:  „Nun,  wenn  Sie  es  sagen,  werde  ich  sehen." 

Im  Herbst  1911  erfolgte  die  Ernennung  Auffenbergs  zum  Kriegs- 
minister, der  mit  den  Impulsen  einer  frischen  Kraft  sein  schwieriges 
Amt  antrat. 

Baron  Schönaich  wurde  von  Seiner  Majestät  unter  den  größten 
Ehrungen  und  Auszeichnungen  in  Disponibilität  versetzt.  Ein  Teil  der 
Presse,  bei  dem  er  in  hoher  Gunst  stand,  widmete  ihm  die  wärmsten 
Nachrufe. 

Als  schwerste  Bürde  übernahm  der  neue  Kriegsminister  die  Wehr- 
vorlage und  damit  auch  die  komplizierten  Verhältnisse  in  Ungarn. 

Wenn  ich  in  allem  Vorangehenden  auf  die  großen  Widerstände 
hingewiesen  habe,  welche  die  Wehrfrage  speziell  in  Ungarn  fand,  so 
muß  ich  doch  auch  hervorheben,  daß  es  in  Ungarn  nicht  an  maßgeben- 
den Politikern  fehlte,  die  von  großen  Gesichtspunkten  aus  den  ganzen 
Ernst  dieser  Frage  erfaßten  und  bemüht  waren,  sie  zu  einem  gedeih- 
lichen Abschluß  zu  bringen. 

Es  war  besonders  der  königl.  ung.  Staatssekretär  Franz  von  Bolgär, 
der  seine  reichen  Erfahrungen  und  seine  eingehenden  militärischen 
Kenntnisse  in  den  Dienst  der  Sache  stellte.  Er  hatte  die  Freundlichkeit, 
mich  am  11.  Oktober  1911  aufzusuchen,  wobei  sich  folgendes  Gespräch 
entwickelte: 

Zunächst  erwähnte  Herr  von  Bolgär,  daß  er  seine  folgenden  Anschau- 
ungen schon  im  Jahre  1909  dem  Kriegsminister  Schönaich  dargelegt  habe. 
Ich  erwiderte,  daß  er  mir  mit  Bezug  auf  das  Wehrgesetz  einen  großen 
Dienst  erwiesen  hätte,  wenn  er  mich  schon  vor  zwei  Jahren  über  die 
Ansichten  in  Ungarn  unterrichtet  hätte.  Bolgär  meinte,  er  habe 
Kenntnis  der  zwischen  mir  und  dem  Kriegsminister  bestehenden  Kontro- 
versen gehabt  und  konnte  nicht  in  beiden  Lagern  verkehren. 

Er  sagte  dann,  daß  in  Ungarn  eine  große  Strömung  gegen  die 
zweijährige  Dienstzeit  sei.  Man  würde  in  Ungarn  bei  Beibehalt  der 
dreijährigen  Dienstzeit  einer  Erhöhung  des  Rekrutenkontingentes  auf 

148 


130.000  Mann  zustimmen,  aber  noch  mehr  als  das,  man  würde  die 
Ausmerzung  der  auf  Grund  der  Auslosung  sich  bildenden  Ersatz- 
reservisten akzeptieren,  das  sind  zirka  10.000  Mann,  wodurch  man  in 
zehn  Jahren  100.000  Mann  bekäme.  Dabei  wäre  in  Aussicht  zu 
nehmen,  daß  man  von  diesen  Leuten  manche,  die  den  Anforderungen 
entsprochen  haben,  schon  nach  zweijähriger  Dienstzeit  entläßt.  Er 
glaube,  daß  man  dies  in  Ungarn  durchsetzen  könne,  weil  man  die  mit 
Einführung  der  zweijährigen  Dienstzeit  verbundenen  Auslagen  ersparen 
würde. 

Ich  erwiderte  ihm,  daß  dem  nicht  ganz  so  sei,  da  auch  bei  Bei- 
behalt der  dreijährigen  Dienstzeit  sich  Notwendigkeiten  ergeben,  deren 
Kosten  jetzt  für  die  zweijährige  Dienstzeit  eingestellt  sind,  z.  B.  für 
Ausbildungszwecke,  für  Unteroffiziere  etc. 

Bolgär  war  darüber  etwas  erstaunt  und  äußerte,  daß  nach  der 
Berechnung  Schönaichs  bei  Beibehalt  der  dreijährigen  Dienstzeit  die 
Heeresreform  im  ürdinarium  um  15,  im  Extraordinarium  um  30  Mil- 
lionen billiger  käme,  als  bei  Einführung  der  zweijährigen  Dienstzeit. 
Er  fügte  bei,  daß  er  gekommen  sei,  um  sich  bei  mir  zu  erkundigen  imd 
nichts  unternehmen  wolle,  was  meine  Pläne  störe. 

Ich  sagte  hierauf:  „Wir  wollen  mehr  Rekruten,  weil  wir  Leute 
brauchen,  und  wir  wollen  Geld  haben,  um  die  Notwendigkeiten  zu 
beschaffen;  was  sich  in  diesem  Rahmen  bewegt,  findet  meine  Zustim- 
mung." 

Bolgär  erwähnte  nun,  daß  der  neue  Wehrgesetzentwurf  viele 
Mängel  habe     Ich  replizierte: 

„Gewiß!  Bevor  Sie  fortsetzen,  werde  ich  Ihnen  selbst  solche  sagen, 
z.  B.  die  Unteroffiziersfrage." 

Bolgär:  „Jawohl!" 

Ich:  „Das  Einjährig-Freiwilligenrecht  nach  sechs  Mittelschul- 
klassen." 

Bolgär:  „Jawohl,  ganz  richtig,  wir  in  Ungarn  verlangen  keine 
weitere  Begünstigung." 

Ich:  „Sie  sehen,  daß  ich  die  Mängel  kenne  und  mit  Ihnen  auf  dem- 
selben Standpunkte  stehe;  leider  bin  ich  nicht  durchgedrungen.  Mir 
wäre  der  Beibehalt  der  dreijährigen  Dienstzeit  viel  sympathischer,  aber 
nur  bei  Erhöhung  des  Rekrutenkontingentes  und  Gewährung  des  erfor- 
derlichen Geldes." 

Am  17.  November  1911  erhielt  ich  von  Herrn  von  Bolgär  nach- 
stehendes Schreiben,  das  eine  zutreffende  Charakteristik  der  damals  in 
Ungarn  bestehenden  Verhältnisse  bietet,  weshalb  ich  es  hier  wiedergebe. 

140 


„Budapest,  16.  November  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Gestatten  mir  E.  E.,  daß  ich  mit  ihrer  freundlichen  Erlaubnis  mit 
einigen  Worten  an  miser  kürzliches  Gespräch  anknüpfe.  Es  ist  mir 
nämlich  sehr  daran  gelegen,  Sie  mit  der  Situation,  welche  sich  um  die 
Wehrvorlage  neuestens  gebildet  hat,  vertraut  zu  machen. 

Wie  E.  E.  bekannt,  ist  in  den  letzten  Tagen  zwischen  unseren 
politischen  Parteien  ein  längstens  bis  Ende  des  Jahres  dauernder 
Waffenstillstand  zustande  gekommen,  und  man  begegnet  vielfach  der 
Auffassung,  daß  dieser  Waffenstillstand  die  Aussichten  für  die  Bergung 
der  Vorlage  wesentlich  gefördert  habe.  Das  ist  ein  Irrtum.  Es  bleibt 
alles  wie  es  war,  der  einzige  Unterschied  gegen  früher  ist  nur  der,  daß 
eventuelle  Friedensverhandlungen  unter  glatteren  Formen  entriert 
werden  können. 

Die  Opposition  hält  auch  weiter  fest  an  ihrer  Auffassung,  daß  die 
Lasten,  welche  die  Vorlage  bringt,  reduziert  werden  sollen,  weiter,  daß 
der  restliche  Teil  des  Neuner-Programmes  zu  effektuieren  sei,  und 
endlich,  daß  einzelne  Bestimmungen  der  Wehrvorlage  zu  modifizieren 
wären. 

Zu  diesem  kommt  noch,  daß  der  radikale  Flügel  der  Opposition, 
welcher  die  Obstruktion  führt,  das  Schicksal  der  Wehrvorlage  mit  der 
Lösung  der  Frage  des  allgemeinen  Wahlrechtes  verquickt  und  vor  der 
prinzipiellen  Lösung  dieser  Frage  von  der  Obstruktion  nicht  lassen  will. 
Es  müßte  also,  selbst  wenn  eine  entsprechende  militärische  Formel  zu 
finden  wäre,  auch  die  Formel  für  das  Wahlrecht  gefunden  werden,  was 
übrigens  mehr  eine  innere  Angelegenheit  ist  und  trotz  scheinbarer 
großer  Schwierigkeiten,  wenn  die  Regierungspolitik  als  ihre  erste  und 
Hauptaufgabe  die  endliche  Regelung  der  Heeresreform  betrachtet,  in 
Ordnung  gebracht  werden  kann. 

Dieser  Sachlage  gegenüber  möchte  ich  meine  Ansicht  aussprechen. 

Es  hat  sich  erwiesen,  daß  beim  Einbringen  der  militärischen  Vor- 
lagen die  Situation  im  Parlamente  nicht  entsprechend  vorbereitet  war. 
Die  Regierung  hatte  eine  unrichtige  Taktik  gewählt.  An  diesem  ist  aber 
jetzt  nichts  mehr  zu  ändern  und  will  man  die  Wehrvorlage  sichern,  so 
muß  mit  der  neuentstandenen  Situation  gerechnet  werden,  die  übrigens 
insoweit  von  jener  der  früheren  Jahre  abweicht,  als  die  Opposition  bei 
dieser  Gelegenheit  die  „Sprachenfrage"  nicht  ins  Spiel  brachte  und  auch 
zugibt,  daß  der  Ausbau  der  Wehrmacht  notwendig  sei. 

Es  kommt  nun  darauf  an,  darüber  klai  zu  werden,  ob  auf  Basis 
der  vorher  erwähnten  drei  Forderungen  der  Opposition  ein  Kompromiß 
möglich  wäre.    Die  wichtigste  Forderung  ist  die  Reduktion  der  Lasten. 

150 


Ich  meinerseits  vermag,  wenn  an  der  jetzigen  Form  der  Vorlage  fest- 
gehalten wird,  die  Art  der  Reduktion  nicht  zu  finden.    Es  ist  alles  schon 
so  billig,  daß  man  billiger  nicht  rechnen,  sondern  nur  teurer  werden 
kann.    Ich  könnte,  wie  ich  schon  die  Ehre  hatte  mündlich  auszulühren, 
nur  für  das  Festhalten  an  der  dreijährigen  Präsenz  eintreten.     Nach 
den  Ausführungen  Baron  Schönaichs  in  der  letzten  Delegation  ergäbe 
dies   im   Ordinarium    15,   im   Extraordinarium   30   MilUonen   Ersparnis, 
während  sich  die  Zahl  der  Rekruten  um  29.500  reduzieren  würde.  Dies 
könnte    den    Ausgangspunkt    der    Erwägungen    bilden,    bei    welchen 
übrigens  auch  die   Erfordernisse  der   Landwehr   den   Gegenstand   einer 
Betrachtung  bilden  könnten.     Vor  meinem  Auge  schwebt  das  frühere 
deutsche  System  der  „Dispositionsurlauber",  welches  bis  zur  Schaffung 
des  Gesetzes  vom  3.  August  1893  bestand  und  von  welchem  sich  die 
Deutschen  auch  nur  notgedrungen  getrennt  haben.    Wir  sind  übrigens 
mit  der   Sache  auch   nicht  unbekannt,  denn   auch  von   den    130.000 
Rekruten  der  dreijährigen  Präsenz  sind  ja  6000  Mann  für  Beurlaubun- 
gen nach  zwei  Jahren  bestimmt.    Im  Jahre  1902  wurde  gleichfalls  von 
ihr  gesprochen.    Aber  auch  von  den  eben  erwähnten,  eventuell  nicht  zur 
Einstellung  kommenden  29.500  Leuten  könnte  ja  ein  Teil   unter   der 
Bedingung  zu  dem  Kontingent  von  130.000  Mann  geschlagen  werden, 
daß  eine  ebenso  große  Anzahl  von  Leuten,  ähnUch  wie  die  6000,  nach 
zwei    Jahren    zur    Beurlaubung    kommt;    die    Anzahl    könnte    danach 
bemessen  werden,  wie  viele  Leute  die  jetzige  Ausbildungsverfassung  der 
Armee,  ohne  zu  den  kostspieligen  Hilfsmitteln  der  zweijährigen  Dienst- 
zeit greifen  zu  müssen,  noch  aufzunehmen  vermag. 

Man  kann  das,  wenn  man  mit  dem  volkstümlichen  Schlagworte  der 
zweijährigen  Dienstzeit  rechnen  will,  ganz  mit  Recht  auch  eine  andere 
Form  der  verkürzten  Dienstzeit  nennen,  besonders  wenn  man  dieser 
tatsächlich  zustrebt  und  sie  nur,  besonders  durch  die  Schaffung  eines 
starken  Körpers  von  Berufsunteroffizieren,  besser  vorbereiten  will.  Der 
ganze  Unterschied  wäre  eigenthch  nur  der,  daß  man  mehr  Leute  für 
drei  Jahre  zurückhält,  als  in  der  Wehrvorlage  geplant  ist.  Auf  die 
Bevölkerung  aber  könnte  durch  eine  geschickt  geführte  Preßkampagne 
unschwer  eingewirkt  werden. 

Wollen  E.  E.  mich  nicht  mißverstehen:  es  liegt  mir  ebenso  wie 
Ihnen  am  Herzen,  eine  möglichst  vollkommene  Armee  zu  besitzen; 
unter  den  heutigen  äußeren  und  inneren  politischen  Verhältnissen 
würde  ich  mich  aber  zufrieden  geben,  wenn  ich  einstweilen  jene  Ver- 
mehrung an  Rekruten  erhielte,  die  wir  unbedingt  notwendig  haben. 
Alles  andere  stelle  ich  in  die  zweite  Reihe.  Das  käme  später  auf  der 
Basis  einer  wohlkonzipierten,  umsichtigen,  weitblickenden  Militärpolitik, 

151 


die  uns  leider  stets  gefehlt  hat,  was,  wie  ich  während  eines  25-jährigen 
politischen  Wirkens  beobachten  konnte,  einzig  und  allein  die  Schuld 
daran  trägt,  daß  wir  seit  Jahren  vor  der  Mauer  stehen.  Ich  denke,  daß 
es  einst  keinen  denkenden  Soldaten  oder  Politiker  gibt,  der  sagen  würde, 
daß  mit  der  Annahme  der  jetzigen  Wehrvorlage  alles  fix  und  fertig 
und  für  lange  Zeit  m  Ordnung  wäre.  Wenn  dem  aber  so  ist,  dann 
würde  ich,  geht  es  nicht  anders,  mich  begnügen,  jetzt  nur  einen,  aber 
sicheren  Schritt  zu  machen,  jenen,  der  mir  die  notwendigen  Mann- 
schaften bringt  Die  Verringerung  der  zu  einem  Kompromiß  notwen- 
digen Lasten,  welche  Frage  zweifellos  auch  im  österreichischen  Parla- 
ment eine  Rolle  spielen  wird,  läge  in  der  Natur  der  Modifikation  und 
man  müßte  mit  den  Kosten  überhaupt  so  weit  herabgehen,  als  es  nur 
möglich  ist.  Ist  der  Präsenzstand  vermehrt,  so  muß  doch  auch  für  ihn 
gesorgt  werden;  die  im  Extraordinarium  figurierenden  Kosten  können 
aber  meines  Dafürhaltens  in  jenem  militärischen  Leben,  welches  die 
Welt  heute  lebt,  selbst  auf  ein  Jahr  voraus  nur  schwer  festgestellt 
werden. 

Exzellenz  könnten  mich  jetzt  fragen,  ob,  wenn  der  von  mir 
gewiesene  Weg  richtig  wäre  und  betreten  werden  würde,  das  Kompro- 
miß auch  gesichert  wäre?  Natürlich  hegt  es  nicht  m  meiner  Macht, 
hiefür  eine  Garantie  bieten  zu  können,  ich  weiß  nur  keinen  anderen 
Weg,  auf  dem  zu  einer  Restringierung  der  Lasten  zu  gelangen  ist. 
Ist  die  Entlastung  sonst  zu  erreichen  und  hält  man  an  der  Vorlage  fest, 
ich  werde  nichts  verderben.  Ich  denke  indessen  auf  Grund  genauer 
Orientierung,  daß  die  Opposition,  wenn  die  Initiative  von  der  Regierung 
ausginge,  der  Basis  zustimmen  würde.  Sie  selbst  wird  aus  leicht  ver- 
ständlichen taktischen  Gründen  die  Initiative  nicht  ergreifen. 

Was  die  zweite  Angelegenheit  betrifft,  welche  die  Opposition  bei 
einem  Kompromiß  zu  regeln  wünscht,  der  Vollzug  des  Programmes  der 
Neuner-Kommission,  so  kommt  hier  die  Frage  der  Fahnen  und  Embleme 
in  Betracht.  Ich  kenne  nicht  die  diesbezüglich  hohen  Ortes  momentan 
bestehenden  Dispositionen  und  habe  mich  mit  der  Sache  des  Eingehen- 
deren nicht  befaßt.  Die  Regierung  hat  die  Regelung  der  Angelegenheit 
in  ihr  Programm  aufgenommen  und  m  Aussicht  gestellt. 

Was  endlich  die  Modifizierung  einzelner  Bestimmungen  der  Wehr- 
vorlage betrifft,  so  würde  man  meines  Erachtens  keinen  unüberwind- 
lichen Schwierigkeiten  sich  gegenüber  befinden. 

Und  jetzt  komme  ich  kurz  auf  ein  neu  aufgetauchtes  Moment  zu 
sprechen,  dasjenige,  welches  mich  an  erster  Stelle  zu  diesen  Zeilen  ver- 

152 


anlaßt.  Wie  ich  schon  vorher  zu  bemerken  die  Ehre  hatte,  hat  die 
radikale  Opposition  die  Angelegenheit  der  Wehrvorlage  rnit  jener  des 
allgemeinen  Wahlrechtes  verquickt,  und  ist  es  insbesondere  der  Führer 
dieser  Partei,  Herr  v.  Justh,  welcher  den  Satz  autgestellt  hat,  daß  vor 
allem  das  VC'ahlgesetz  zu  schaffen  sei  und  erst  das  aus  dem  allgemeinen 
Wahlrecht  hervorgegangene,  neue  Abgeordnetenhaus  das  Wehrgesetz 
erledigen  möge  Nun  hat  Herr  v.  Justh  in  einer  am  letzten  Sonntag 
stattgehabten  Volksversammlung,  die  in  politischen  Kreisen  großes  Auf- 
sehen erregende  Äußerung  getan,  daß  er  wohl  dabei  verbleibe,  das 
Wehrgesetz  (also  auch  die  Frage  der  Dienstzeit)  erst  nach  den  Neu- 
wahlen definitiv  zu  erledigen,  bei  Sicherung  der  Wahlreform  aber  auf 
ein  Provisorium,  das  heißt  darauf  eingehe,  daß  der  Armee  das  unter 
den  heutigen  Verhältnissen  unbedingt  notwendige  erhöhte  Rekruten- 
kont^ngent  votiert  werde.  Näher  hat  sich  Herr  v.  Justh  auf  die  Sache 
nicht  eingelassen  und  wird  es,  wie  er  mir  gestern  mitteilte,  auch  nicht 
tun,  zumal  er  als  Nichtiachmann  über  das  Erfordernis  nicht  orientiert 
ist  und  von  mir  Orientierung  verlangte,  die  ich  für  den  Fall  in  Aussicht 
stellte,  wenn  die  Sache  eventuell  Aktualität  gewinnen  sollte.  Mich 
speziell  interessiert  die  Wendung,  weil  sie  sich  meinem  Standpunkt 
nähert  und  auf  eine  Novelle  zum  Wehrgesetz  abzielt.  Jedenfalls  hat 
die  Äußerung  Herrn  v.  Jusths  eine  symptomatische  Bedeutung. 

Ich  bitte  E.  E.,  die  hier  geschilderte  momentane  Situation  nach 
bestem  Ermessen  zu  würdigen.  Ich  würde  nur  wünschen,  daß  die  Folge 
mich  der  Schwarzseherei  überweise,  was  ich  indessen  nicht  glaube.  Es 
wird  sich  das  trotz  des  Waffenstillstandes  noch  in  diesem  Jahre  zeigen, 
da  es  als  ziemlich  gewiß  anzusehen  ist,  daß  während  der  kurzen 
Tagung  der  Delegation  Ende  Dezember  die  Opposition  die  Gelegenheit 
nicht  vorübergehen  lassen  wird,  vom  Kriegsminister  Aufklärungen  zu 
verlangen  und  ihn  zur  Stellungnahme  zu  drängen.  Es  sollte  darum 
keine  Zeit  verloren  werden,  in  die  Angelegenheit  Klarheit  zu  bringen. 
Allerdings  ist  es  ein  höchst  mißlicher  Umstand,  daß  das  österreichische 
Parlament  zu  der  Wehrvorlage  noch  nicht  Stellung  genommen  hat  und 
die  dortige  Auffassung  bezüglich  der  einheitlich  zu  lösenden  Angelegen- 
heit nicht  mit  in  Kombination  gezogen  werden  kann. 

Immerhin  glaube  ich  der  guten  Sache  zu  dienen,  wenn  ich  E.  E. 
die  Situation,  so  wie  sie  bei  uns  beschaffen  ist,  ohne  Rückhalt  vorführe. 

Ich  benütze  die  Gelegenheit,  E.  E.  meiner  vorzüghchen  Hoch- 
achtung und  aufrichtigsten  Ergebenheit  zu  versichern. 

Franz  v.  Bolgä r." 
153 


Hierauf  antwortete  ich:  10   kt        u      mn 

„18.  November  1911. 

Euer  Exzellenz! 

Ich  beehre  mich,  E.  E.  memen  ganz  ergebensten  Dank  für  die  inter- 
essanten brieflichen  Mitteilungen  vom  16.  d.  Mts.  zu  übersenden  und 
meiner  Freude  darüber  Ausdrucii  zu  geben,  wie  sehr  E.  E.  bemüht  sind, 
unsere  brennenden  Wehrfragen  einem  gedeihlichen  Ende  zuzuführen. 

Der  Charakter  dieser  Fragen  fällt  jedoch  so  sehr  in  das  Ressort 
des  Kriegsministers,  und  ich  muß  dessen  Befugnisse  so  strenge  wahren, 
daß  ich  E.  E  um  gefällige  Mitteilung  bitten  muß,  ob  ich  den  Brief 
E.  E.  an  General  der  Infanterie  von  Auffenberg  übergeben  kann. 

Ich  würde  dann  mit  letzterem  über  die  Vorschläge  E.  E.  Rück- 
sprache pflegen  und  mir  erlauben,  darüber  brieflich  Mitteilung  zu 
machen. 

Gestatten  mir  E.  E.,  daß  ich  bei  diesem  Anlasse  der  aufrichtigen 
Hochachtung  Ausdruck  gebe,  mit  der  ich  stets  bin  E.  E.  ergebenster 

Conrad,  G.  d.  I." 

Am  24.  November  erhielt  ich  hierauf  folgendes  Schreiben: 

„Budapest,  22.  November  1911. 
Euer  Exzellenz! 
Den  Empfang  der  freundlichen  Zeilen  E.  E.  bestätigend,  und  für 
dieselben  bestens  dankend,  beeile  ich  mich,  zu  versichern,  daß  ich  mich 
nur  freuen  werde,  wenn  E.  E.  meinen  Brief  Seiner  Exzellenz  dem 
Kriegsminister  zur  Kenntnis  zu  bringen  die  Güte  haben.  Als  ich  letzt- 
hin in  Wien  die  Ehre  hatte,  mit  E.  E.  zu  sprechen,  habe  ich  nicht 
unterlassen,  auch  Herrn  von  Auffenberg,  mit  dem  ich  noch  aus  unserer 
gemeinsamen  Dienstzeit  in  Budapest  persönlich  bekannt  bin,  zu 
besuchen,  bei  welcher  Gelegenheit  auch  meine  Auffassungen  über  die 
Verhältnisse  zur  Sprache  kamen. 

Mit  der  Versicherung  meiner  vorzüglichen  Hochachtung  und  auf- 
richtigen Ergebenheit 

Euer  Exzellenz  ergebener 

Franz  von  Bolgä r." 

Faßt  man  die  damalige  Lage  kurz  zusammen,  so  war  das  öster- 
reichische Parlament  vornehmlich  durch  die  Differenzen  zwischen 
Deutschen  und  Tschechen,  das  ungarische  durch  die  Wahlrechtsfrage 
in  Anspruch  genommen.  In  beiden  Parlamenten  fand  die  Wehrfrage 
Widerstände  auf  finanziellem  Gebiet.  Im  ungarischen  kamen  hiezu 
noch  solche  politischer  Natur,  ausgehend  von  dem  Streben  nach  einem 
getrennten  ungarischen  Heer. 

154 


Graf  Stefan  Tisza  war  ein  scharfer  Gegner  des  demokratischen 
Wahlrechtes,  Justh  und  Kossuth  jedoch  forderten  dieses  und  drohten 
mit  der  Opposition,  solange  dasselbe  nicht  gesichert  wäre.  Der 
Ministerpräsident  Graf  Khuen  trachtete  eine  Lösung  der  Frage  durch 
Erreichen  militärischer  Konzessionen  für  Ungarn  zu  erzielen,  denen 
jedoch  nicht  nur  die  höheren  Armeekreise,  sondern  auch  Kaiser  und 
Thronfolger  widerstrebten. 

In  Deutschland  war  bereits  im  Feber  1911  die  Wehrvorlage  mit 
einer  Erhöhung  des  Friedensstandes  um  zirka  9000  Mann  glatt  durch- 
gegangen und  alle  anderen  in  Betracht  kommenden  Staaten  arbeiteten 
emsig  und  mit  reichen  Mitteln  an  der  Verstärkung  ihrer  Wehrmacht. 

In  der  Absicht,  die  konkreten  Kriegsvorbereitungsarbeiten  alljähr- 
lich mit  1.  März  derart  neu  fertiggestellt  zu  haben,  daß  von  diesem 
Datum  an  Mobilisierung  und  Aufmarsch  bereits  den  geänderten  Ver- 
hältnissen entsprechend  erfolgen  können,  habe  ich  dahin  gewirkt,  daß 
die  bisher  für  den  Winter  (Dezember,  Jänner)  anberaumten  Personal- 
Konferenzen  bei  Seiner  Majestät  schon  früher  stattfanden,  damit  die 
Diensteseinteilung  der  höheren  Generale  derart  rechtzeitig  festgestellt 
werde,  um  sie  bereits  in  den  neuen  Mobilisierungs-Elaboraten  verwerten 
zu  können. 

Es  fanden  daher  diese  Konferenzen  im  Jahre  1911  schon  Mitte 
Oktober  statt. 

Dabei  waren  gewisse  Differenzen  auszugleichen. 

Bei  Besetzung  der  höheren  Kommandoposten  (speziell  der  Korps- 
Kommanden)  machten  sich  außer  den  militärischen  Rücksichten  auch 
solche  innerpolitischer,  sozialer  und  selbst  rein  persönlicher  Natur 
geltend.    Ich  wollte  die  militärischen  vorangestellt  sehen. 

Als  daher  in  der  Konferenz  am  17.  Oktober  1911  Seme  Majestät 
an  die  Teilnehmer  der  Sitzung  die  Frage  richtete,  ob  jemand  etwas  zu 
bemerken  habe,  meldete  ich  mich  zum  Wort  und  hob  hervor,  daß  die 
sachlichen  Motivierungen  den  persönlichen  voranzugehen  hätten  und 
vor  allem  die  Festsetzung  der  Armee-Kommandanten  erfolgen  müsse, 
um  diese  in  die  Kriegs-Einteilungsliste  aufnehmen  zu  können. 

Da  nun  einzelne  Generale  lediglich  aus  innerpolitischen  und  per- 
sönlichen Motiven  noch  mit  Korpskommanden  betraut  bleiben  sollten, 
während  rangsjüngere  zu  Armeekommandanten  designiert  wurden, 
gelangte  ein  Ausweg  zum  Vorschlag,  dahin,  daß  für  diese  rangsälteren 
Korpskommandanten  eine  Inspizierung  seitens  rangsjüngerer  Armee- 
Ijommandanten  zu  entfallen  habe.  Dem  widersetzte  ich  mich  aus  sach- 
lichen Gründen,  da  ich  es  notwendig  fand,  den  Armeekommandanten 

155 


die  Inspizierung  aller  jener  Korps  zugänglich  zu  machen,  die  in 
irgend  einem  der  verschiedenen  möglichen  Kriegsfälle  unter  ihre  Befehle 
kommen  konnten.  Ich  schlug  vor,  entweder  alle  Korpskommandanten, 
die  rangsälter  als  die  Armeekommandanten  sind,  zu  entheben,  oder  im 
Verordnungsv^ege  zu  bestimmen,  daß  ohne  Rücksicht  auf  Rang  die 
Armeeinspektoren  (als  präsumtive  Armeekommandanten)  zur  Inspi- 
zierung jedes  Korps  bestimmt  werden  können. 

Der  Kriegsminister  (Auffenberg)  schloß  sich  dieser  Auffassung  an 
und  meinte  nur,  daß  eine  solche  Bestimmung  im  Verordnungswege  nicht 
gut  möglich  erschiene,  worauf  ich  erwiderte,  daß  mir  die  Form  einerlei 
sei,  wenn  nur  das  >X/esen  gewahrt  bliebe. 

Der  Antrag  wurde  angenommen,  auch  Exzellenz  Potiorek  hatte 
sich  ihm  angeschlossen 

Ich  verlangte  nun  die  sofortige  Ernennung  des  Kommandanten 
der  5.  Armee  (es  waren  bisher  nur  jene  der  1.,  2.,  3.  und  4.  Armee*) 
vorgesehen).  Der  Kriegsminister  erwähnte,  daß  dies  80.000  Kronen 
kosten  würde,  die  vorläufig  nicht  budgetär  gedeckt  seien.  Ich  bemerkte 
hierauf,  daß,  wenn  es  für  Österreich-Ungarn  schon  wirklich  unmöglich 
erscheint,  diesen  Betrag  aufzubringen,  wenigstens  die  Designierung  des 
Kommandanten  der  5.  Armee  schon  im  Frieden  erfolgen  möge,  da  ja 
in  den  Mobilisierung-Elaboraten  jeder  Offiziersdiener  und  Pferdewärter 
vorgesehen  und  namhaft  gemacht  sei,  es  also  sonderbar  erschiene,  wenn 
dies  für  den  Kommandanten  einer  Armee  nicht  der  Fall  wäre. 

Mein  Antrag  wurde  schließlich  angenommen.  Es  erfolgte  die 
Nommierung  der  emzelnen  Funktionäre. 


*)  Kommandant  der  6.  Armee  war  der  Landes-Kommandierende 
in  BHD. 

156 


Außenpolitische  Vorgänge. 

Während  sich  die  Monarchie  durch  die  geschilderten  inneren  Kämpfe 
vollauf  in  Anspruch  nehmen  Heß,  trugen  sich  außerhalb  von  ihr  bedeut- 
same Ereignisse  zu.  Sie  enthielten  bereits  die  Keime  zu  späteren  großen 
Verwicklungen  und  förderten  Fragen  zutage,  deren  Lösung  nicht  ohne 
empfindliche  Rückwirkung  auf  die  außenpolitische  Lage  Österreich- 
Ungarns  bleiben  konnte.  Immer  mehr  bestärkte  mich  dies  in  meinem 
Empfinden,  daß  die  Monarchie  die  günstigen  Momente  für 
ihr  Auftreten  bereits  versäumt  habe,  für  die  Wiederkehr 
solcher  nur  ein  vages  Hoffen  bestehe,  viel  drückender  aber  die  Sorge  sei, 
daß  Österreich-Ungarns  PoHtik  bereits  schweren  Komplikationen  entgegen- 
treibe, die  sie  vor  einen  Krieg  unter  ungünstigsten  Bedingungen  zu  stellen 
drohten. 

Als  Ausgangspunkt  dieser  Komplikationen  hatte  ich  stets  den  Balkan 
vor  Augen  und  den  Blick  daher  unentwegt  dahin  gerichtet. 

Die  Türkei  litt  unter  schweren  Erschütterungen. 

Albanien  war  im  Aufstand,  in  Arabien  bereitete  sich  ein 
solcher  vor.  Bei  der  Rolle,  die  Albanien  in  der  Folge  spielte,  wende  ich 
mich  den  dortigen  Verhältnissen  etwas  eingehender  zu;  zunächst  mit 
einem  flüchtigen  Blick  auf  Land  und  Leute. 

Albanien  Ein  meist  versumpfter  Küstensaum,  in  dem  monate- 
lang die  Malaria  herrscht  und  der  nur  sehr  wenige  brauchbare  Häfen 
aufweist.  Im  Ostteil  des  Landes  unwirtliches,  kommunikationsarmes,  nur 
von  Saum-  und  Fußpfaden  durchquertes,  vielfach  waldloses,  nur  gestrüpp- 
bedecktes hohes  Mittelgebirge,  das  allmählich  zur  Ebene  abstuft  und  von 
ost-west-ziehenden  Flußtälern  durchsetzt  ist.  Die  Täler,  sowie  die  Berg- 
füße sind  mit  südlichen  Kulturen  bebaut,  ebenso  auch  Teile  der  Ebene, 
während  der  Rest  derselben  in  ausgedehnten  Strecken  (Musakia)  bloß 
Weideland  zeigt.  Die  Einwohner  —  von  Feldbau,  Viehzucht,  etwas 
Handel  und  Schiffahrt  lebend  —  sind  ein  autochthones  Volk,  über  dessen 
Herkunft  sich  die  Gelehrten  streiten;  einige  führen  es  auf  die  Pelasger 
zurück.  Die  Albanesen  sprechen  eine  von  allen  anderen  Idiomen 
abweichende  Sprache  (albanesisch),  sind  in  zahlreiche  Stämme  geteilt,  die 

157 


sich  bis  zur  Blutrache  untereinander  befehden,  durchwegs  Waffen  tragen 
und  in  der  Regel  einig  sind,  wenn  es  sich  um  Auflehnung  gegen  die 
Staatsgewalt  handelt,  falls  diese  Gesetz  und  Ordnung  erzwingen  will. 

Der  pohtischen  Agitation,  soweit  sie  mit  Geld  unterstützt  wird,  leicht 
zugänglich  und  dann  auch  rasch  wechselnd  in  ihrer  Stellungnahme,  dabei 
noch  ganz  in  mittelalterlichen  Zuständen  lebend,  sind  die  Albanesen  ein 
Volk,  das  einer  ebenso  verständigen,  als  starken  Hand  bedurft  hätte,  um 
für  ein  modernes  Staatswesen  erzogen  zu  werden. 

Zur  Scheidung  m  die  Ghegen,  die  den  Norden,  und  die  Tosken,  die 
den  Süden  Albaniens  bewohnen,  und  zur  Spaltung  in  die  einzelnen 
Stämme  kommt  noch  jene  in  drei  ReUgionsbekenntnisse :  Mohammedaner, 
griechische  Katholiken,  römische  Katholiken,  über  welch  letztere  speziell 
Österreich-Ungarn  hauptsächlich  im  Wege  der  Geistlichkeit  eine  Art 
Schutzherrschaft  übte.  Es  wandelte  dabei  aber  Wege,  die  das  V^olk  eher 
dem  italienischen  Einfluß  zuführten.  So  war  beispielsweise  an  den  von 
der  Monarchie  unterstützten  Schulen  die  Unterrichtssprache  nicht 
albanesisch,  sondern  italienisch. 

Auch  die  stets  „dreibundgemäße"  Rücksichtnahme  auf  das  viel 
skrupelloser  vorgehende  Italien  förderte  nicht  Österreich-Ungarns  Ansehen. 

Italien  aber  war  hier  ein  scharfer  Konkurrent  der  Monarchie,  die  sich 
ihm  gegenüber  vertragsmäßig  die  Hände  gebunden  hatte.  Es  nützte  seine 
in  Süditalien  ansässigen  Untertanen  albanesischer  Nationalität  geschickt 
zur  Propaganda  aus  und  strebte  nicht  nur  politischen  Einfluß,  sondern 
auch  tenitorialen  Besitz  an.  Es  richtete  seine  Bhcke  insbesondere  auf  den 
besten  Hafen,  V  a  1  o  n  a,  von  wo  der  Weg  über  Monastir  nach  Salonik  und 
Konstantin  Opel  führt,  und  von  wo  aus  es  die  Straße  von  Otranto  maritim 
zu  beherrschen,  also  die  Adria  zu  sperren  vermochte. 

Darin  lag  die  eine  Bedeutung  Albaniens  für  die  Monarchie.  Die 
andere  aber  gründete  sich  auf  den  Antagonismus  der  Albanesen  gegen 
Serben  und  Montenegriner,  der  für  Österreich-Ungarn  wertvoll  aus- 
zunützen war,  wenn  es  mit  diesen  beiden  Staaten  in  militärischen  Konflikt 
geraten  sollte. 

Auf  Albanien  hatten  aber  ebensowohl  Serbien  als  Montenegro 
aggressive  Absichten;  Serbien  suchte  dorthin  den  Weg  zum  Meere, 
Montenegro  strebte  den  Besitz  von  Skutari  und  der  Bojana-Mündung, 
überhaupt  Nordalbaniens  an. 

Von  diesem  Streben  geleitet,  war  es  König  Nikita  von  Montenegro, 
der  die  Albanesen  zu  gewinnen  suchte  und  deren  Aufstand  gegen  die 
Pforte  nicht  nur  anfachte,  sondern  auch  dauernd  unterstützte.  Es  gelang 
ihm,  trotz  der  von  alters  her  bestehenden  Feindschaft  zwischen  Monte- 
negrinern  und   Albanesen,  die   manchen  Weidestreit  blutig  miteinander 

158 


ausgetragen  hatten,  Teile  der  Albanesen  vorübergehend  auf  seine  Seite 
zu  ziehen. 

Die  Pforte  schritt  mit  mihtärischer  Macht  gegen  den  Aufstand  ein, 
dessen  Niederwerfung  Scheficet  Thorgut  Pascha  auch  bis  auf  die  Berg- 
stämme der  MaHssoren  und  Mirditen  allmähhch  gelang. 

Wie  in  maßgebenden  türkischen  Kreisen  die  Lage  in  Albanien 
beurteilt  wurde,  geht  aus  folgender  Stelle  eines  am  4.  Jänner  1911 
erhaltenen,  vom  26.  Dezember  1910  datierten  Berichtes  des  k  u.  k.  Militär- 
attaches in  Konstantinopel  Oberst  Pomiankowski  über  seine  Unterredung 
mit  Izzet  Pascha,  dem  türkischen  Chef  des  Generalstabes,  hervor;  sie  lautet: 

„Im  weiteren  Verlauf  der  Unterredung  wies  ich*)  auf  die  Bedeutung 
des  Zusammenwirkens  zwischen  Bulgarien  und  Montenegro  einerseits  und 
den  Albanesen  andererseits  hin.  Meine  Bemerkung,  daß  Montenegro 
mittelst  bulgarischer  Subsidien  die  albanesischen  Flüchtlinge  erhält 
und  dann  bewaffnet  und  ausgerüstet  in  türkisches  Territorium  einfallen 
läßt,  schien  Izzet  Pascha  zu  überraschen;  er  fragte  lebhaft,  ob  denn  die 
russischen  Gelder  hiezu  nicht  ausreichten.  Ich  antwortete  darauf,  daß 
meines  Wissens  die  russischen  Subsidien  in  diesem  Jahre  um  300.000 
Rubel  gekürzt  worden  sind  und  übrigens  in  Cetinje  jeder  Zuschuß,  von 
wo  er  auch  kommen  möge,  stets  abnehmbereite  Hände  finde.  Die  monte- 
negrinisch-albanesische  Verständigung  sei  jedenfalls  ein  ernstes  Symptom, 
welches  von  Seite  der  osmanischen  Regierung  volle  Beachtimg  verdiene. 

Ich*)  verhehlte  dem  Pascha  auch  nicht,  daß  ich  das  kommende  Früh- 
jahr bis  zu  einem  gewissen  Grad  als  einen  für  die  Türkei  kritischen  Zeit- 
moment ansehe.  Infolge  der  Erbitterung  der  Albanesen  und  ihrer  gegen- 
wärtigen vollen  Unverläßlichkeit  im  Krie'^sfall  ist  die  türkische  Armee 
in  Rumelien  ganz  isoliert  und  eigentlich  in  dem^selben  Verhältnis  wie  in 
Feindesland.  Überdies  befindet  sie  sich  mit  Rücksicht  auf  die  Reorgani- 
sation in  einem  Übergangsstadium,  welches  notwendigerweise  auch  ein 
gewisses  Schwächemoment  mit  sich  bringt.  Ein  so  günstiger  Augenblick 
wird  sich  den  Feinden  der  Türkei  wohl  nicht  so  bald  wieder  darbieten 
und  deshalb  wäre  es  ganz  erklärlich,  wenn  in  Bulgarien,  Griechenland 
und  Montenegro  Bestrebungen  auftreten  sollten,  diese  —  vielleicht  letzte  — 
günstige  Gelegenheit  auszunützen  Izzet  Pascha  schien  meine  Ansichten 
vollkommen  zu  teilen  und  sagte  wörtlich:  >Ja,  diese  unglückliche  albane- 
sische  Expedition;  ich  habe  fortwährend  davor  gewarnt  und  dagegen 
gesprochen,  aber  alles  nützte  nichts.  Jetzt  müssen  wir  die  Folgen  davon 
tragen;  zum  Glück  scheint  man  jetzt  den  Fehler  eingesehen  zu  haben 
und  eine  andere  Richtung  einzuschlagen.«" 


')  Pomiankowski. 

15Q 


Diese  Vorgänge  am  Balkan,  speziell  die  Verfeindung  zwischen  den 
Albanesen  und  der  Türkei,  auf  welch  beide  man  im  Falle  kriegerischer 
Verwicklungen  der  Monarchie  mit  Serbien  und  Montenegro  gerechnet 
hatte,  sei  es  auch  nur,  daß  sie  feindliche  Kräfte  binden,  veranlaßten  mich 
zu  einem  Briefwechsel  mit  Graf  Ährenthal,  dessen  Inhalt  aus  folgendem 
Schreiben  hervorgeht. 

„Wien,  am  11.  Mai  1911. 
Euer  Exzellenz! 

In  der  hierstelligen  Zuschrift  Res.  Gstb.  Nr.  1047  von  1911  habe 
ich  um  Bekanntgabe  der  dortseitigen  Anschauungen  hinsichthch  unseres 
Verhältnisses  zur  Türkei,  insbesondere  mit  Rücksicht  auf  dessen  Rück- 
wirkung im  Falle  eines  Konfliktes  der  Monarchie  mit  Serbien  und  Monte- 
negro gebeten  und  der  darauf  erfolgten  Antwort  entnehmen  müssen,  daß 
auf  eine  direkte  Unterstützung  seitens  der  Türkei  in  diesem  Falle  kaum 
zu  rechnen  sei. 

Nun  wurde  aber  bisher  bei  den  Kriegsvorbereitungsarbeiten  gegen 
Montenegro  eine  eventuelle  Unterstützung  seitens  der  Albanesen  ins  Auge 
gefaßt,  auf  welche  nach  dem  dermaligen  Stand  der  Dinge  gleichfalls  nicht 
mehr  gerechnet  werden  kann,  da  es  dahin  gekommen  ist,  daß  die 
Monarchie  in  Albanien  alle  bisher  bestandenen  Sympathien  verloren  hat 
und  die  Albanesen  sogar  in  Gegnerschaft  zur  Türkei  gekommen  sind  und 
in  das  Lager  der  Montenegriner  getrieben  wurden;  mindestens  gilt  dies 
von  den  christlichen  Stämmen. 

Da  aber  eine  solche  Situation  für  die  militärischen  Vorkehrungen 
nicht  gleichgühig  ist,  erschiene  es  mir  aus  operativen  Gründen  dringend 
geboten,  die  Position  der  Monarchie  in  Albanien  wieder  herzustellen. 
Hiezu  erschiene  es  mir  geraten,  daß  österreichisch-ungarischerseits  auf 
die  Pforte  dahin  eingewirkt  werde,  sich  mit  den  Albanesen  ehestens  auf 
friedlichem  Wege  auszugleichen,  sowie  daß  diese  Einwirkung  derart 
erfolge,  daß  es  den  Albanern  bewußt  werde,  von  wem  dieselbe  aus- 
gegangen ist,  damit  letztere  in  der  Monarchie  wieder  ihre  Schutzmacht 
erblicken. 

Ich  bitte  das  k.  k.  Ministerium  des  Äußern,  mich  auch  über  den 
Stand  dieser  Frage  zu  orientieren,  umsomehr,  als  mir  schon  seit  geraumer 
Zeit  Berichte  aus  Cetinje  nicht  zugekommen  sind. 

Genehmigen  E.  E.  etc Conrad" 

Am  29.  Mai  1911  besuchte  mich  der  türkische  Militärattache  Oberst 
Blaque  Bey.  Unsere  Unterredung  geht  aus  folgendem,  meinerseits  an 
Graf  Ähren thal  gerichteten  Schreiben  hervor: 

160 


TT       rr      t,       .         „Wien,  am  29.  Mai  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Ich  beehre  mich,  E.  E.  mitzuteilen,  daß  heute  vormittags  der  türkische 
Militärattache  Oberst  Blaque  Bey  bei  mir  war  und  mir  sagte,  daß  er  von 
türkischen  Konsuln  in  BHD.  Nachricht  bekommen  habe,  daß  öster- 
reichischerseits  Truppen  an  die  montenegrinische  Grenze  geschoben 
werden;  er  käme  zu  mir,  um  diesbezüglich  nachzufragen  und  um  der 
Ansicht  Ausdruck  zu  geben,  daß  die  Türkei  in  diesem  Schritt  einen  großen 
Freundschaftsakt  erblicken  würde. 

Ich  habe  sofort  das  Gefühl  gehabt,  daß  Oberst  Blaque  Bey  die  ganze 
Geschichte  von  den  Truppenverschiebungen  nur  vorgebracht  hat,  um 
hier  wissen  zu  machen,  daß  die  Pforte  so  etwas  sehr  gern  sehen  würde. 

Ich  beehre  mich,  dies  mitzuteilen  für  den  Fall,  als  ähnliche  Versuche 
auch  beim  Ministerium  des  Äußern  gemacht  werden  sollten,  füge  aber 
bei,  daß  von  Truppenverschiebungen,  soweit  sie  von  meiner  Initiative 
ausgehen,  dermalen  keine  Rede  ist. 

Genehmigen  E.  E.  etc C  o  n  r  a  d." 

Graf  Ährenthal  antwortete  hierauf: 

^       „     „      ,       „Wien,  am  31.  Mai  1911. 
Euer  Exzellenz!       '  ' 

geschätztes  Schreiben  vom  29.  Mai,  in  welchem  E.  E.  mir  von  Ihrer 
Unterredung  mit  dem  hiesigen  türkischen  Militärattache  Oberst  Blaque 
Bey  Mitteilung  machen,  habe  ich  mit  verbindlichstem  Danke  erhalten. 

Ich  teile  vollkommen  die  Ansicht  E.  F.,  daß  Oberst  Blaque  Bey  mit 
seinen  Äußerungen  über  angebliche  Truppenverschiebungen  in  Bosnien 
und  der  Herzegowina  in  erster  Linie  den  Zweck  verfolgte,  hier  wissen 
zu  lassen,  daß  derartige  militärische  Maßnahmen  unsererseits  in  Konstan- 
tinopel willkommen  wären. 

Es  entspricht  durchaus  meiner  Beurteilung  der  Situation  an  unserer 
südöstlichen  Grenze,  daß  solche  Maßnahmen  bisher  nicht  ergriffen  wurden 
und  auch  nicht  ins  Auge  gefaßt  werden.  Solange  nicht  eine  wesentliche 
Änderung  der  politischen  Verhältnisse  eintritt,  kann  ich  keine  genügende 
Veranlassung  für  derartige  Verfügungen  erblicken  und  sie  nicht  für 
opportun  erachten;  ich  würde  mich  daher,  falls  von  türkischer  Seite  auch 
mir  gegenüber  eine  solche  Maßregel  suggeriert  werden  sollte,  ablehnend 
aussprechen. 

Ich  wäre  sehr  verbunden,  wenn  E.  E.  die  Güte  hätten,  mich  zum 
Zwecke  eines  mündlichen  Gedankenaustausches  im  Laufe  dieser  oder  der 
nächsten  Woche  aufzusuchen.  Die  Fixierung  des  Zeitpunktes  könnte  wohl 
am  besten  im  kurzen  Wege,  eventuell  telephonisch,  erfolgen. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  ausgezeichneten  Hochachtung. 

Ährenthal." 

11,  Conrad  II  J^J 


Am  8.  Juni  1911  erschien  im  offiziösen  „Fremden-Blatt"  ein  Artikel, 
in  dem  der  Türkei  nahegelgt  wurde,  sich  mit  den  Albanesen  zu 
versöhnen. 

Indessen  war  am  8.  Juni  1911  der  Sultan  in  Salonik  gelandet,  hatte 
sich  von  dort  auf  das  Kossovo  polje  (Amselfeld)  bei  Pristina  begeben, 
wo  er  am  16.  Juni  einen  Selamlik  (Truppenschau  mit  Gottesdienst)  über 
mehrere  tausende  daselbst  versammelte  Albanesen  abhielt  und  diesen 
50.000  türkische  Pfund  spendete. 

Ein  Streiflicht  auf  die  Rolle,  die  Italien  hiebei  spielte,  gibt  folgende 
Stelle  eines  Briefes  des  k.  u.  k.  Militärattaches  in  Rom,  Oberstleutnant 
Mietzl,  in  weichem  er  über  eine  ihm  bekannt  gewordene  Korrespondenz 
berichtet.    Sie  lautet: 

„Aus  derselben  kennte  ich  entnehmen,  daß  die  Entsendung  des 
italienischen  Kreuzers  nach  Durazzo  ganz  ohne  vorheriges  Einvernehmen 
mit  uns  verfügt  worden  war.  Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  daß 
die  Consulta  hiemit  in  den  Augen  der  Albanesen  schön  tun  und  auch 
der  italienischen  Öffentlichkeit  mit  einem  Erfolg  aufwarten  wollte.  Ähren- 
thal war  hierüber  sehr  indigniert  und  hat  dies  der  italienischen  Regierung 
in  nicht  mißzuverstehender  Weise  zu  erkennen  gegeben,  welche  ihrerseits 
die  Entsendung  des  Schiffes  mit  einem  alarmierenden  Bericht  ihres 
dortigen  Konsuls  über  angebliche  Lebensgefahr  italienischer  Angehöriger 
rechtfertigt.  Ährenthal  blieb  jedoch  trotz  wiederholt  gemachter  Versuche 
der  Consulta,  ihre  Vorgangsweise  zu  entschuldigen,  auf  dem  Standpunkte, 
daß  dieses  Faktum  eine  Verletzung  des  zwischen  Italien  und  uns  bezüglich 
Albaniens  geschlossenen  Abkommens  sei.  Aus  dem  Umstände,  daß  der 
gewisse  Leitartikel  im  >Fremden-Blatt«  unmittelbar  nach  der  Entsendung 
des  Kriegsschiffes  erschien  und  aus  dem  Ton  der  bezüglichen  an  Merey*) 
gerichteten  Erlässe  ist  zu  erkennen,  daß  Ährenthal  mit  diesem  Artikel 
auch  eine  Revanche  an  San  Giuliano  nehmen  wollte.  Ährenthal  hat 
letzteres  zweifellos  erreicht,  denn  die  hiesigen  Kreise  schoben  recht  ärger- 
hch  wieder  uns  einen  Erfolg  zu  und  hielten  San  Giuliano  seine  Energie- 
losigkeit, seinen  Mangel  an  Initiative  und  sein  Nachhumpeln  vor." 

Nebst  vielen  sonstigen  Informationen  über  Albanien  erhielt  ich  solche 
auch  durch  Herrn  Franz  Baron  Nopcsa,  einen  unerschrockenen,  unter- 
nehmungslustigen Geologen,  der  schon  seit  Jahren  Albanien  wissenschaft- 
lich durchforschte,  die  albanesische  Sprache  beherrschte,  zahlreiche 
Beziehungen,  insbesondere  bei  den  Stämmen  im  Norden  des  Landes  hatte 
und  uns  sehr  wertvolle  Dienste  leistete. 


*)  Ö.-u.  Botschafter  in  Rom. 
162 


Zur  Charakteristik  der  ganz  eigenartigen  Verhältnisse  gebe  ich  nach- 
folgend einen  seiner  Briefe,  (vom  22.  Juni  1911)  wieder,  in  dem  er  über 
seine  Versuche,  die  Versöhnung  der  Malissoren  herbeizuführen,  berichtet: 

„Exzellenz ! 

Mein  letzter  Bericht  war  recht  optimistisch  und  dies  mit  umsomehr 
Recht,  als  die  Skutariner  Lokalregierung  von  mir  eine  schriftliche  Fixierung 
meines  Programmes  verlangt  hatte  und  mich  aufforderte,  auch  mit  Thorgut 
Pascha  in  Kontakt  zu  treten. 

Ein  Besuch  bei  Thorgut  Schefket  Pascha  brachte  aber  eine  große 
Enttäuschung,  als  dieser  sich  unwiderruflich  auf  den  Standpunkt  stellte: 
>zuerst  müssen  sich  die  Malissoren  unterwerfen,  dann  kann  man  daran 
gehen,  zu  besprechen,  was  für  Erleichterungen  zu  gewähren  seien.« 

Nach  Thorguts  Benehmen  voriges  Jahr  hätte  natürlich  weder  ich 
mich  zu  so  einer  Aktion  —  Treubruch  befürchtend  —  hergegeben,  noch 
war  irgend  eine  Aussicht  vorhanden,  die  Malissoren  hiezu  zu  überreden. 

>X/ährend  ich  mit  Thorgut  redete,  waren  im  türkischen  Haupt- 
quartier die  Vorbereitungen  gemacht  worden,  das  Gebiet  von  Pulati  und 
§ala  anzugreifen,  und  zwar  trotzdem  am  folgenden  Tage  die  Amnestie 
proklamiert  werden  sollte.  Angriff  und  Amnestie-Verkündigung  erfolg- 
ten gleichzeitig,  offenbar,  damit  ersterer  letztere  neutralisiere,  obzwar 
schon  Ton  und  Inhalt  der  Amnestieproklamation  —  deren  in  vier 
Sprachen  publizierter  Text  nicht  gleichlautend  veröffentlicht  wurde  — 
genügend  gewesen  wären,  die  Malissoren  von  ihr  abzuwenden. 

Durch  wen  es  inszeniert  wurde,  daß  gleichzeitig  mit  der  Amnestie- 
proklamation die  täglichen  und  allnächtlichen  Schießereien  am  Cemufer 
wieder  plötzlich  bedeutend  stärker  wurden,  konnte  ich  positiv  nicht 
erfahren,  ich  glaube  es  war  der  gemeinsame  Wunsch  Thorgut  Paschas 
und  der  Rebellen. 

Vor  einigen  Tagen  wurden  jene  Häuser  von  Niksi,  die  von  den 
Rebellen  wegen  Patronenmangels  evakuiert  werden  mußten,  sofort  von 
den  türkischen  Truppen  in  Brand  gesteckt. 

Nach  Kenntnisnahme  von  Thorgut  Paschas  Doppelspiel  verließ  ich, 
meine  Meinung  über  sem  Benehmen  nicht  verhehlend,  Skutari  und  ging 
nach  Podgorica. 

In  Podgorica  und  Trepsi  sah  ich  folgendes: 

Vor  allem  existieren  hier  mehrere  Parteien  und  zwar  vor  allem  eine 
von  König  Nikolaus  beeinflußte  Partei,  deren  sichtbare  Oberhäupter 
Sokol  Baci  und  sein  Sohn  sind  und  die  zum  Vernichtungskrieg  drängt. 
»Eher  sterben  als  sich  den  Türken  ergeben,«  ist  ihre  Devise  und  da 
Sokol  Baci  sein  Hab  und  Out  in  Montenegro  hat,  außerdem  von  Brot- 
lieferungen profitiert,  hat  er  es  leicht,  seinem  Programm  treu  zu  bleiben. 


11' 


162 


Man  kann  seine  Partei  die  montenegrinische  Regierungspartei  nennen, 
denn  dadurch,  daß  die  Rebellen  die  Waffen  und  Patronen  von  der 
Regierung  belcommen,  sind  sie  genötigt,  so  zu  tanzen  wie  König 
Nikolaus  pfeift.  Ein  weiteres  Moment,  wodurch  diese  Partei  ihre  Macht 
erhält,  ist  die  Existenz  des  »Montenegrinischen  Hilfskomitees  für  die 
Flüchtlinge,  die  Nichtkombattanten  sind.«  Dadurch,  daß  dieses  Hilfs- 
komitee jeden  Augenblick  in  der  Lage  ist,  die  Mehllieferungen  an  die  Nicht- 
kombattanten einzustellen,  hat  es  auch  deren  Verwandte,  d.  h.  die  Kombat- 
tanten in  der  Hand  und  kann  sie  zwingen,  sich  nicht  zu  ergeben ;  natürüch 
behält  es  diesen  Einfluß  nur  so  lange,  als  die  türkische  Regierimg  nicht 
annehmbare  Bedingungen  stellt  und  deren  Einhalten  verspricht. 

Die  albanesische  nationalistische  Partei,  mit  Ismail  Kemal  und 
Luigi  Gorakuki  an  der  Spitze,  repräsentiert  die  zweite  Partei;  sie  kämpft 
für  die  Autonomie  Albaniens  und  ist  im  Geheimen  gegen  die  montene- 
grinische Partei,  kann  jedoch,  da  sie  von  letzterer  Wafien  etc.  erhält, 
nichts  machen.  Sokol  Baci  ist  offiziell  ein  hervorragendes  Mitglied 
dieser  Partei,  ihre  Forderungen  an  die  türkische  Regierung  sind,  da  sie 
sich  auf  ganz  Albanien  beziehen,  zu  hoch  gespannt. 

Um  den  Schein  zu  wahren,  werden  die  unregelmäßig  ausgeteilten 
Futterrationen  an  die  Kombattanten  von  dieser  Partei  in  der  Gestalt 
von  Brotlaiben  verabreicht,  oft  sind  sie  jedoch  genötigt,  sich  mehrere 
Tage  von  gekochtem  Gras?  (Brennessehi)  zu  nähren.  Wenn  ein  Kombattant 
zu  seinen  verwandten  Nichtkombattanten  nach  Podgorica  kommt,  ißt  er 
vom  Mehl  der  letzteren,  da  er  dann  weder  vom  Hilfskomitee  noch  von 
den  Nationalisten  Nahrung  erhält. 

Als  dritte  Partei  möchte  ich  mich  hinstellen,  da  alle  Malissoren 
mich  versichern,  sie  würden  mir  in  allem  und  jedem  folgen,  Sokol  Bacis 
Popularität  seiner  Unterschlagungen  halber  einerseits,  andererseits 
wegen  der  Minierarbeit  der  Nationalisten  im  rapiden  Sinken  begriffen  ist, 
und  die  Nationalisten  selbst  im  Volk  kernen  persönUchen  Einfluß  haben. 

Das  Ziel  der  türkischen  Kriegspartei  geht,  wie  ich  in  einem  Bericht 
an  Seine  k.  u.  k.  Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand  auseinandergesetzt 
habe,  darauf  hinaus,  die  Katholiken  Nordalbaniens  vollkommen  zu  ver- 
nichten, um  darauf,  wie  mir  Thorgut  Schefket  Pascha  sagte,  im  ganzen 
Gebiete  bosnische  Mohammedaner  anzusiedeln,  was  mir  auch  von 
anderen  Jungtürken  bestätigt  wurde. 

Die  Mittel,  die  bisher  angewendet  Verden,  habe  ich  an  das  »Vater- 
land« telegraphiert  und  auch  Seiner  k.  u.  k.  Hoheit  unterbreitet. 

Das  Ziel  der  Montenegriner  scheint  dasselbe  zu  sein  (Rache  für 
1908 — 1909);  darauf  läßt  wenigstens  die  staffelweise,  daher  ineffektive 
Waffenzufuhr  mit  Zwischenräumen  von  ein  bis  eineinhalb  Monaten, 
sowie  die  Lieferung  von  Waffen  mit  ungenügendem  Munitionsvorrat 

164 


schließen.  Offiziell  erzählt  man  freilich,  Montenegro  will  das  Gebiet  bis  an 
den  Proni  Mati,  und  viele  Malissoren  kämpfen,  um  der  türkischen  Ober- 
hoheit zu  entkommen  und  unter  montenegrinische  Oberhoheit  zu  gelangen. 

Ungefähr  mit  den  Zielen,  die  ich  Exzellenz  im  vorigen  Briefe 
skizzierte,  scheinen  sich  die  Ziele  jener  Partei  zu  decken,  die  ich 
türkische  Friedenspartei  nennen  möchte  und  hier  ihren  Vertreter  im 
hiesigen  türkischen  Gesandten  in  Cetinje  hat,  der  trotz  meiner  dürekt 
feindlichen  Haltung  Thorgut  Pascha  gegenüber  mich  erst  vorgestern  in 
Podgorica  aufsuchte  und  aufforderte,  meine  Versöhnungsaktion  wieder 
aufzunehmen,  ich  unterbreitete  ihm  dementsprechend  ein  mündliches 
Programm,  las  ihm  ein  gleichlautendes  schriftliches  einige  Tage  später 
vor,  und  er  ersuchte  um  eine  Reinschrift,  um  diese  seiner  Regierung 
unterbreiten  zu  können. 

Da  die  Leute,  wie  ich  mich  überzeugen  konnte,  etwas  kampfesmüde 
sind,  so  wird  das  „aus  dem  Sattel  heben"  der  montenegrinischen  Partei, 
sowie  annehmbare  Bedingungen  vorliegen,  Nationalisten  und  allen  zum 
Trotz  leicht  sein.  Die  einzige  Gefahr  —  und  diese  ist  sehr  groß  — 
besteht  darin,  daß  mu"  von  der  montenegrinischen  Regierung  verboten 
wird,  mit  den  Albanesen  in  Kontakt  zu  treten,  daß  man  meine  Kon- 
fidenten einsperrt  und  mich  zu  guter  Letzt  ausweist.  Schon  heute  sehe 
ich  mich  genötigt,  Baron  Giesls*)  Intervention  anzurufen. 

Ein  zweiter  und  effektiver  Schachzug  gegen  Montenegros  zum 
Kampfe  zwingenden  Einfluß  wäre  eine  ö.-u.  Hilfsaktion  zu  Gunsten 
der  Nichtkombattanten,  wodurch  alle  Albanesen  von  Montenegros 
Befehlen  unabhängig  würden.  Freilich  sind  zirka  12.000  Flüchtlinge 
zu  ernähren  (pro  Mann  1-2  Kilo  Mais  täglich,  weiter  nichts),  und  zwar 
für  zirka  vier  bis  fünf  Wochen,  während  welcher  Zeit  die  vom  hiesigen 
türkischen  Gesandten  mit  den  Rebellenchefs  vor  einigen  Tagen  angebahn- 
ten Besprechungen  zu  einem  günstigen  Ende  geführt  werden  könnten, 
sofeme  die  türkische  Kriegspartei  diese  Besprechungen  zuläßt. 

Da  in  zirka  zwei  Wochen  in  Bregmatja  mit  13.000  Bewohnern  die 
Malaria  stark  grassieren  wird,  in  dem  von  8000  Seelen  bewohnten 
Gebiet  von  Pulati  und  Sala,  das  von  Truppen  zemiert  ist,  Salz  und 
Mehl  bereits  ausgegangen  sind  und  die  Einwohner  genötigt  sind,  ihre 
Herden  zu  schlachten,  deren  Fleischvorrat  nach  memer  Schätzung  auf 
ebenfalls  zwei  bis  drei  Wochen  hinreicht,  Sokol  Bacis  Sturz  ebenfalls  in 
zirka  zwei  Wochen  oder  noch  früher  zu  erwarten  ist,  worauf  Montenegros 
Wohltätigkeitsaktion  gleichfalls  aufhören  dürfte,  läßt  sich  das  Ende 
der  ganzen  Sache  in  zwei  bis  drei  Wochen  erwarten,  und  infolgedessen 
verlieren  alle  kleinen  Renkontres  jede  politische  Bedeutung. 


*)  Ö.-u.  Gesandter  in  Cetinje. 

165 


Die  Position  der  Truppen  an  der  Grenze  ist  eine  solche,  daß  sie 
das  Durchschlüpfen  von  Leuten  durch  den  Kordon  bei  Nacht  nicht 
hindern  liönnen;  sie  halten  und  haben  befestigt  Decic,  Helmina,  Bulcovik, 
Rapsa,  Maja  Psters,  Kapa  Brojs,  Vukli,  Osonja,  Golis,  Gropa  Ljesnica. 
Renkontres  zwischen  Rebellen  und  Truppen  bestehen  meist  in  einem  nächt- 
lichen Beschießen  der  türkischen  Lager,  Gefechten  um  den  Besitz  des 
Cemtales  (Selce,  Tamare)  oder  Beschießung  einzelner  Leute  bei  Tag. 

Daß  unsere  Monarchie  hier  eine  mehr  als  schmähliche  Rolle 
spielt,  die  man  auch  hier  gebührend  würdigt 

Für  mich  persönlich  habe  ich  schon  durch  den  Entschluß  gesorgt, 
falls  ich  nicht  irgendwo  im  Cemtale  liegen  bleibe,  aus  dem  Untertaiis- 
verhältnis  unserer  Monarchie  auszutreten  und  fremder  Staatsangehöriger  zu 

werden,  denn  schUeßlich  hat  doch  jede  Seh und  auch  jede  politische 

Seh ihre  Grenzen.   Daß  die  Monarchie  aber  tatlos  zuschaut,  wie 

zirka  70.000  Leute  vom  Erdboden  verschwinden  sollen,  die  von  der  Mon- 
archie stets  mit  schönen  Worten  großgefüttert  wurden,  ist  etwas  arg. 

Exzellenz  können  sich  lebhaft  denken,  in  welchem  Seelenzustand 
ich  mich  befinde,  um  so  einen  Entschluß  zu  fassen,  bitte  aber  es  mir 
—  wenigstens  im  persönlichen  Verkehre  —  nicht  zu  verübeln. 

Mit  besonderer  Hochachtung  und  besten  Grüßen 

Cetinje,  22.  Juni  1911."  Baron  Nopcsa. 

Soeben  teilt  mir  Giesl  mit,  er  könne  sich  für  mich  bei  niemandem 
in  irgendeiner  Weise  verwenden,  da  jede  Verwendung  in  meinem  Inter- 
esse mich  zu  einem  Agenten  unserer  Regierung  stempeln  würde, 
während  ich  jetzt  nur  die  Rolle  eines  eigenmächtigen  Agitators  habe. 
Das  ist  auch  »Dank«." 

Trotz  aller  Bemühungen  wollte  es  in  Albanien  zu  dauernder  Ruhe 
nicht  kommen,  ja  es  drohte  sogar  ein  kriegerischer  Konflikt  zwischen 
Montenegro  und  der  Türkei. 

In  dieser  Hinsicht  führt  ein  Bericht  vom  23.  Juni  1911  des  k.  u.  k. 
Militärattaches  in  Konstantinopel  folgendes  aus: 

„Im  Falle  eines  Krieges  zwischen  der  Türkei  und  Montenegro 
kann  man  als  sicher  annehmen,  daß  die  katholischen  und  orthodoxen 
Albanesen  versuchen  werden,  einen  allgemeinen  Aufstand  gegen  die 
Türkei  zu  inszenieren.  Die  türkische  Regierung  rechnet  mit  dieser 
Eventualität  als  mit  einer  feststehenden  Tatsache,  mißt  derselben  jedoch 
keine  große  Bedeutung  zu,  da  sie  hofft,  die  Erhebung  der  christlichen 
Albanesen  durch  deren  an  Zahl  bedeutend  überlegene  mohammedanische 
Konnationale  paralysieren  zu  können. 

Der  Kriegsminister  sagte  mir,  daß  er  im  Falle  eines  Krieges  gegen 
Montenegro    in    erster    Linie    mohammedanische    Albanesen    an    die 

166 


Grenze  schicken  werde.  Der  Marinem  in  ister  gab  zwar  zu,  daß  der 
kulturell  und  national  fortgeschritteneie  Süden  —  gleichviel  ob  christlich 
oder  mohammedanisch  —  den  Türken  feindlich  gesinnt  sei,  betonte 
jedoch,  daß  man  die  Tosken  nicht  zu  fürchten  habe.  Dagegen  seien 
die  halbwilden  Nordalbanesen  fanatische  Mohammedaner,  die  sich  nie  mit 
Montenegro  gegen  die  Türken  verbinden  werden.  Im  allgemeinen  behaup- 
ten beide  Minister,  daß  die  Türkei  in  einem  Auslandskriege  wenigstens 
vorläufig  auf  die  mohammedanischen  Albanesen  unbedingt  zählen  könne. 

Zu  Gunsten  dieser  Ansicht  der  türkischen  Funktionäre  läßt  sich 
allerdings  anführen,  daß  der  im  April  d.  J.  bei  Skutari  aufgebotene 
mohammedanische  Landsturm  tatsächlich  gegen  die  katholischen 
Malissoren  zu  Felde  zog  und  sich  auch  —  bezüglich  seiner  Ergeben- 
heit gegen  die  Regierung  —  bewährt  hat. 

NX^eiters  ist  anzuführen,  daß  sich  die  im  Vorjahre  gezüchtigten 
mohammedanischen  Albanesen  im  Vilajet  Kossowo  dem  Aufstand  der 
Malissoren  nicht  angeschlossen  haben.  Dagegen  darf  nicht  übersehen 
werden,  daß  die  Führer  der  türkenfeindüchen,  nationalalbanesischen 
Bewegung  —  von  Ismael  Kemal  angefangen  —  durchwegs  Moham- 
medaner sind  und  der  Orden  der  Bektaschi,  welcher  rein  nationale 
Propaganda  betreibt  und  sogar  im  niederen  Volk  viele  Anhänger 
findet,  gleichfalls  rein  mohammedanisch  ist.  Daß  sich  die  Albanesen 
des  Kossowo  den  Malissoren  nicht  angeschlossen  haben,  dürfte  wohl 
weniger  auf  ihre  religiösen  Gefühle,  als  darauf  zurückzuführen  sein, 
daß  sie  noch  nicht  genügend  mit  Waffen  versehen  waren.  Auch  die 
Erwartung  der  Sultanreise  dürfte  auf  sie  eine  retardierende  Wirkung 
gehabt  haben.  Gegenwärtig  sind  wieder  zahlreiche  albanesische 
Banden  in  Kossowo  aufgetaucht,  welche  sich  durch  Überfälle  auf 
Truppen,  Gendarmeriepatrouillen  und  einzelne  türkische  Offiziere 
bemerkbar  machen  und  hiedurch  alles  eher  als  Treue  gegen  das 
„gemeinsame  Vaterland"  dokumentieren. 

Es  ist  eine  allgemein  bekannte  Tatsache,  daß  die  mohammedani- 
schen Albanesen,  zum  großen  Teil  selbst  die  niedersten  Volksschichten, 
sehr  gut  wissen,  daß  ihre  Urahnen  Christen  waren,  die  nur  gezwungen 
zum  Islam  übergetreten  sind.  Eine  natürliche  Folge  dieses  Bewußtseins 
ist,  daß  die  Albanesen,  mit  Ausnahme  der  Stadtbevölkerungen,  im 
allgemeinen  nicht  fanatisch  sind,  wozu  auch  die  Verschiedenheit  der 
albanesischen  Sprache  und  des  albanesischen  Volkstums  von  dem  herr- 
schenden Türkentum  wesentlich  beiträgt.  Die  seit  Erteilung  der  Konsti- 
tution außerordentlich  tätige  nationale  Propaganda  muß  das  religiöse 
Gefühl  der  Albanesen  immer  mehr  in  den  Hintergrund  drängen.  Bei 
allen    gebildeten    Albanesen    überwiegt    demnach    schon    heute    das 

167 


nationale  Moment  bei  weitem  das  religiöse,  bei  dem  niederen  Volk  ist 
dieser  Prozeß  gegenwärtig  im  Werden  gegriffen. 

Sehr  zustatten  kommt  dagegen  der  Regierung  die  Uneinigkeit  der 
albanesischen  Stämme  untereinander.  Doch  auch  in  dieser  Beziehung 
hat  die  revolutionäre  Propaganda  Fortschritte  aufzuweisen.  Denn 
während  im  Vorjahre  der  Süden  und  Westen  ganz  ruhig  geblieben  ist, 
gelang  es  dem  Revolutionskomitee,  schon  heuer  im  größten  Teile 
Albaniens  nationalalbanesische  Petitionen  hervorzurufen,  Banden  zu 
organisieren  und  Unruhen  zu  stiften. 

Angesichts  dieser  Umstände  scheint  mir  der  Optimismus  der 
türkischen  Regierung  in  Bezug  auf  die  mohammedanischen  Albanesen 
einigermaßen  gewagt  zu  sein. 

Hiesige  Albanesen  erklären  mir  vertraulich,  daß  ihr  Endziel  nur 
die  völlige  Unabhängigkeit  Albaniens  von  der  Türkei  sei  und  sie  jede 
Gelegenheit  ergreifen  werden,  um  diesem  Ziele  näher  zu  kommen.  Wenn 
man  auch  diese  Auslassungen  der  albanesischen  Hitzköpfe  nicht  wört- 
lich nehmen  kann,  so  geht  doch  aus  denselben  hervor,  daß  die  Türkei 
im  Kriegsfalle  mit  Montenegro  auf  die  Treue  der  mohammedanischen 
Albanesen  schon  jetzt  nicht  mit  Sicherheit  zählen  kann  und  entsprechend 
starke  Kräfte  dazu  verwenden  muß,  um  eventuelle  Aufstandsversuche 
zu  verhindern,  beziehungsweise  zu  unterdrücken." 

Der  Bericht  führt  weiter  aus,  daß  das  Ziel  des  Königs  Nikita  von 
Montenegro  die  Vereinigung  seines  Landes  mit  Albanien  sei,  daß  er 
„durch  sein  Eingreifen  in  der  Mallisoren-Frage  seine  Aspirationen 
enthüllt  und  gleichsam  seine  Kandidatur  für  Albanien  vor  Europa  auf- 
gestellt habe",  daß  er  den  Krieg  mit  der  Pforte  provozieren  wolle  und 
dabei  auf  die  Unterstützung  Italiens  und  Rußlands  rechne. 

Die  Zustände  in  Albanien  waren  die  e  i  n  e  offene  Wunde  am  auch 
innerlich  kranken  Körper  der  Türkei,  als  zweite  kam,  ganz  abgesehen 
von  dem  bloß  lokalen  Drusen-Aufstand*),  der  Aufstand  in  Syrien  und 
Arabien  hinzu. 

Der  Antagonismus  zwischen  den  Türken  und  den  sich  kulturell 
höher  fühlenden  Arabern,  die  Differenzen  auf  politischem  und  religiösem 
Gebiet,  die  autonomistischen  Tendenzen  der  Araber,  die  Idee  eines  selb- 
ständigen Kalifates,  aber  auch  die  Unabhängigkeitsbestrebungen  ein- 
zelner Stammeshäupter  ebneten  dafür  den  Boden  und  waren  Momente, 
die  England  ausnützte,  mit  dem  Ziel,  sich  einen  gesicherten  Landweg 
von  Ägypten  nach  dem  Persischen  Golf  und  Indien  zu  schaffen. 

Die  Scheichs  I  d  r  i  ß  und  J  a  h  i  a  eröffneten  den  Aufstand  mit  der 
Belagerung  von  Sana. 


*)  Drusen  ein  ca.  100.000  Köpfe  zählender  Stamm  im  Libanon. 
168 


In  seinem,  auch  schon  früher  angeführten  Bericht  vom  26.  Dezem- 
ber 1910  über  eme  Unterredung  mit  Izzet  Pascha,  dem  türkischen  Chef 
des  Generalstabes,  schreibt  der  k.  u.  k.  Militärattache  in  Konstantmopel : 

„Auf  die  Zustände  in  Asien  übergehend,  erklärte  mir  Izzet  Pascha, 
daß  der  Drusen-Aufstand  trotz  des  hartnäckigen  Widerstandes 
für  das  Reich  keine  besondere  Bedeutung  habe.  Die  Drusen  seien  weder 
Mohammedaner  noch  Christen,  werden  von  den  angrenzenden  Volks- 
stämmen gehaßt  und  genießen  auch  im  Auslande  keine  besonderen 
Sympathien.  Der  Aufstand  werde  daher  über  kurz  oder  lang  nieder- 
geschlagen und  die  Drusen  mit  Gewalt  zur  Ruhe  und  zum  Gehorsam 
gezwungen  werden.  Anders  stehen  die  Dinge  im  Ostjordanland,  wo 
sich  Araber  gegen  die  Staatsgewalt  empört  haben.  Izzet  Pascha  ließ 
deuthch  durchblicken,  daß  man  auf  der  Pforte  bei  Eintreffen  der  ersten 
Nachrichten  äußerst  besorgt  war  und  zwar  nicht  allein,  weil  man  die 
Ausdehnung  der  Revolte  nicht  übersehen  konnte,  sondern  hauptsächlich 
wegen  der  politischen  Bedeutung  einer  arabischen  Empörung  und  Unter- 
bindung der  Kommunikation  zu  den  heiUgen  Stätten  des  Islams.  Nach- 
dem nun  die  vom  Hauran  gesendeten  Truppen  ohne  Widerstand  in 
Kerak  eingezogen  sind  und  die  darin  eingeschlossenen  Beamten, 
Soldaten  und  Einwohner  befreit  haben,  habe  man  sich  beruhigt  und 
hoffe  in  kurzer  Zeit  die  Ruhe  wiederherzustellen. 

Die  Lage  in  Südarabien  sei  nicht  so  gefährlich,  wie  sie  von  der 
Presse  dargestellt  werde.  Scheich  I  d  r  i  s  s  und  Imam  Y  a  h  i  a  seien 
allerdings  ganz  unverläßlich  und  bei  günstiger  Gelegenheit  stets  bereit, 
gegen  die  Regierung  zu  rebellieren,  doch  seien  die  im  Yemen  und  Assyr 
befindlichen  Truppen  stark  genug,  um  die  beiden  niederzuhalten.  Eine 
Expedition  sei  gegenwärtig  nicht  notwendig.  Auch  die  Gefahr,  daß  die 
genannten  Häuptlinge  sich  gegen  die  Regierung  verbünden  könnten,  sei 
kaum  vorhanden  und  zwar  weniger  wegen  der  Entfernung  der  beiden 
von  einander,  die  kaum  300  km  beträgt,  sondern  vielmehr  wegen  der 
Gegensätzlichkeit  ihrer  religiösen  Tendenzen.  Während  nämlich  Imam 
Yahia  einer  der  vielen  Nachkommen  des  Propheten  ist  (und  sich  auf 
dieser  Basis  einbildet,  das  rechtmäßige  Oberhaupt  aller  Gläubigen  zu 
sein),  gibt  sich  Seid  Idriss  als  Mahdi  aus  und  muß  deshalb  dem 
ersteren  als  ketzerischer  Sektierer  erscheinen.  Sollten  sich  die  beiden 
begegnen,  so  würden  sie  sich  infolge  dieses  Gegensatzes  eher  sofort 
bekämpfen,  als  sich  gegen  irgend  jemand  zu  einigen. 

Indem  ich  hiemit  die  interessanten  Ausführungen  des  Chefs  des 
ottomanischen  Generalstabes  wiedergebe,  erlaube  ich  mir  hinzuzufügen, 
daß  man  in  vielen  Kreisen  Konstantinopels  —  wie  mir  von  wohlinfor- 
mierter Seite  mitgeteilt  wird  —  den  kommenden  Ereignissen  mit  einer 
gewissen  Besorgnis  entgegensieht.    Die  Lage  in  Syrien  und  in 

16Q 


Arabien  ist  durchaus  nicht  klargestellt;  Schwarzseher  vermuten  in 
der  Revolte  im  Ostjordanland  bereits  den  Vorboten  emer  allgemeinen 
arabischen  Erhebung  und  bezeichnen  in  einem  Atem  den  K  h  e  d  i  v  e 
und  England  als  die  Anstifter  der  bedumischen  Rebellionen.  In 
Europa  ist  die  Lage  der  lürkei  gewiß  schwierig  und  könnte  bei 
erneuerter  Erhebung  der  AlDanesen  im  Eruhjahr  wohl  geradezu 
kritisch  werden.  Trotz  dieser  Situation  erregte  es  em  gewisses  Erstaunen, 
daß  der  Kriegsminister  in  seiner  Rede  bei  Gelegenheit  der  Diskussion 
des  Kredites  von  15  Millionen  Piaster  zum  Ankaufe  von  Transport- 
schiffen erklärte,  diese  Schiffe  unbedingt  bis  zum  März  baten  zu 
müssen,  da,  wie  er  wiederholt  betonte,  »das  Vaterland  in  Gefahr  sei«. 
Es  dürfte  wohl  im  Zusammenhange  mit  dieser  etwas  nervösen 
Stimmung  stehen,  wenn  sich  in  letzter  Zeit  ein  immer  deutlicherer 
Umschwung  besonders  der  militärischen  Kreise  zu  Gunsten  einer 
engeren  Anlehnung  an  unsere  Monarchie  bemerk- 
bar macht.  Dieser  \vechsel  tritt  in  der  wohlwollenderen  Behandlung 
unserer  Industrie  besonders  zutage  und  ist  auch  mir  durch  das  weniger 
zurückhaltende  Benehmen  der  militärischen  Funktionäre  deutlich  wahr- 
nehmbar. Mit  der  wachsenden  Entfremdung  zwischen  der 
Türkei  einerseits  und  den  Westmächten  sowie 
Italien  anderseits  sind  unser  Ansehen  und  Gewicht  am  Bosporus 
entschieden  gestiegen  und  es  ist  gegenwärtig  begründete  Aussicht  vor- 
handen, diese  günstige  Position  längere  Zeit  festhalten  zu  können." 

Die  Türken,  zum  militärischen  Einschreiten  gezwungen,  entsetzten 
zwar  am  5.  April  1911  das  belaeerte  Sana,  wurden  aber  am  14.  Juni 
1911  bei  Assyr  von  den  Arabern  geschlagen. 

Der  arabische  Aufstand  blieb  eine  dauernde  Gefahr  für  die  Türkei. 

All  diese  Komplikationen  verschlimmerten  auch  die  inneren 
Zustände,  da  sie  dem  schroffen  Gegensatz  zwischen  Jung-  und  Alt- 
türken stets  neue  Nahrung  gaben.  Dazu  kam,  daß  die  Armee  in  gänz- 
licher, von  konservativen  Kreisen  angefeindeter  Reorganisation  begriffen  war. 

Diese  schwierige  Lage  der  Türkei  nützte  nun  Italien  aus,  um  seiae 
langgehegten  Pläne  auf  TripoUs,  die  es  sich  längst  sowohl  im  Dreibund  als 
bei  der  Entente  zu  verbürgen  verstand,  zur  Durchführung  zu  bringen. 

Durch  nichts  herausgefordert,  überfiel  es  mit 
einer  Skrupellosigkeit,  die  ihresgleichen  sucht,  die 
wehrlose  Türkei. 

An  der  Selbstverständlichkeit,  mit  der  die  Mächte  der  Entente  dies 
geschehen  ließen,  läßt  sich  die  ganze  Größe  jener  Heuchelei  ermessen, 
mit  der  dieselben  Mächte  sich  in  Entrüstung  hüllten,  als  das  durch 
Serbien  seit  Jahren  provozierte  und  schließlich  brutalst  herausgeforderte 
Österreich-Ungarn  notgedrungen  den  Schlag  zur  Abwehr  führte. 

170 


Ausbruch  des  libyschen  Krieges  (Tripolis). 

Die  Aktion  gegen  Tripolis  reifte  im  Sommer  1911.  Mit  Bezug  auf 
San  Giulianos  Zurückweichen  vor  Ährenthal  in  Angelegenheit  der 
italienischen  Schiffsentsendung  nach  Durazzo  schreibt  Oberstleutnant 
Mietzl  (ö.-u.  Militärattache  in  Rom)  in  seinem  Brief  vom  21.  Juni  1911: 

„Diese  Episode  hat  gewiß  nicht  beigetragen,  San  Giuhanos  Nicht- 
populariiät  abzuschwächen.  Letztere  kam  übrigens  wieder  in  der 
Debatte  über  das  äußeie  Budget  zum  Ausdruck,  in  welcher  San  Giu- 
liano  wegen  seiner  Schwäche  in  der  äußeren  Politik,  namentlich  wegen 
Tripolis  —  Foscari  wünschte  direkt  dessen  Okkupation  —  stark 
angegriffen  wurde.  San  Giulianos  Antwort  war  wie  immer  auf  den  ihm 
eigenen,  nüchtern  korrekten  Ton,  der  einmal  nicht  für  die  Italiener 
geschaffen  ist,  gestimmt  und  machte  keinen  Eindruck.  Besonders 
geärgert  schien  man  über  die  Erklärungen  über  Tripolis.  San  Guüiano 
gab  zwar  zu,  daß  Italien  dort  auf  eine  Art  Sonderstellung  Anspruch 
habe,  stellte  aber  alle  die  übertriebenen  und  erfundenen  Berichte,  die 
die  italienische  Presse  seit  Monaten  über  Tripolis,  über  die  Behandlung 
der  Italiener  durch  die  Türkei  und  über  die  Penetration  der  anderen 
Staaten  in  die  Welt  setzte,  um  die  öffentliche  Meinung  zu  haran- 
guieren,  auf  die  tatsächlichen  Verhältnisse  richtig,  schob  die  Schuld  an 
mißlungenen  italienischen  Unternehmungen*)  auf  Fehler  der  italie- 
nischen Geschäftsleute  zurück  und  empfahl  im  übrigen  der  Presse  mehr 
Mäßigung  und  Wahrheitsliebe,  um  die  türkischen  Behörden  nicht  noch 
mehr  gegen  die  Italiener  einzunehmen." 

Ob  diese  Rede  der  Überzeugung  San  Giulianos  entsprach  oder 
aber  nur  dazu  dienen  sollte,  die  Absichten  Italiens  zu  verhüllen,  mag 
dahingestellt  bleiben. 

Es  mehrten  sich  die  Anzeichen,  daß  in  Italien  militärische  Vor- 
bereitungen im  Zuge  seien,  die  auf  eine  auswärtige  Aktion  schließen 
ließen,  und  zwar  unter  Beiziehung  der  Flotte  mit  dem  voraussichtlichen 
Ausgangspunkt  in  Süditalien  (Neapel,  Tarent).  Ob  die  Aktion  auf 
Albanien,  ob  sie  auf  Tripohs  abzielte,  war  anfangs  fraglich. 


*)  Gemeint  sind  solche  wirtschaftlicher  Natur. 

171 


Ich  erhöhte  die  Aufmerksamkeit  nach  dieser  Richtung  und  wendete 
mich  mit  nachfolgendem  Schreiben  an  Graf  Ährenthal: 

rr        TT      11      I      „Wien,  am  24.  September  1911. 
Euer  Exzellenz!      "  '  ^ 

Auf  Grund  des  mh:  von  Seiner  Majestät  ein  für  allemal  Allerhöchst 
erteilten  Befehles,  mich  hinsichtlich  aller  wichtigen  politischen  Fragen 
mit  E.  E.  in  Kontakt  zu  erhalten,  beehre  ich  mich  an  E.  E.  das  vorliegende 
Schreiben  zu  richten: 

Während  die  zwischen  Deutschland  imd  Frankreich  schwebende 
Marokko-Frage  aller  Voraussicht  nach  einer  friedlichen  Lösung  entgegen- 
reift, ist  die  von  Italien  aufgegriffene  tripolitanische  Frage  in  ein  Stadium 
getreten,  welches  meiner  Ansicht  nach  nicht  nur  die  höchste  Aufmerksam- 
keit der  Monarchie,  sondern  auch  eine  für  die  etwa  erforderlichen 
militärischen  Vorkehrungen  bestimmende  Stellungnahme  erheischt. 

Es  sei  mir  gestattet,  an  dieser  Stelle  meine  rein  subjektiven  Anschau- 
xmgen  auszusprechen. 

Ich  halte  dafür,  daß  das  politisch  aufstrebende,  national-ökonomisch 
prosperierende,  sich  militärisch  rührigst  entwickelnde  und  eine  große 
nationale  Idee  verfolgende  Italien  daran  festhält,  die  italienischen  Gebiete 
der  Monarchie  zu  erwerben,  die  Herrschaft  in  der  Adria  zu  gewinnen, 
die  Machten ifaltung  der  Monarchie  auf  dem  Balkan  zu  hindern  und  an 
deren  Stelle  den  eigenen  Einfluß  zu  setzen,  sowie  daß  es  in  Tripolis 
dieselbe  Stellung  anstrebt,  wie  Frankreich  etwa  in  Algier  und  Tunis. 

In  kluger  Verfolgimg  dieser  großen  Ziele  sucht  es  für  das  jeweilig 
Anzustrebende  die  günstigen  Momente  zu  benützen,  dabei  die  anderen 
scheinbar  rückstellend,  aber  bereit,  sie  sofort  wieder  aufzunehmen,  wenn 
die  er  Sieren  erreicht  sind. 

Dem  entspricht  es  ganz,  daß  Italien,  welches  jetzt  den  Moment  hin- 
sichtlich Tripolis  gekommen  sieht,  alles  aufbietet,  um  sich  unter  schein- 
barer Rückstellung  der  übrigen  Ziele  die  Freundschaft,  Neutralität  oder 
selbst  Unterstützung  jener  Mächte  zu  erkaufen,  zu  welchen  es  die 
Verfolgung  der  anderen  Ziele  in  Gegensatz  bringen  muß.  Dies  betrifft 
vor  allem  die  Monarchie. 

Es  drängt  sich  nun  für  diese  die  Frage  auf,  ob  diese  die  auf  die 
sukzessive  Erreichung  seiner  weiten  Ziele  gerichtete  Politik  Italiens  durch- 
kreuzen will  oder  nicht,  also  im  vorliegenden  Falle,  ob  sie  sich  den 
italienischen  Aspirationen  in  Tripolis  feindlich  gegenüberstellen,  sie 
dadurch  verhindern  oder  ob  sie,  sobald  Italien  in  Tripolis  verwickelt  ist, 
selbst  mit  Italien  abrechnen  will,  um  Itahens  Absichten  hinsichtlich  der 
italienischen  Gebiete  der  Monarchie,  der  Herrschaft  in  der  Adria  und  der 
Stellung  am  Balkan  für  eine  lange  Epoche  zu  vereiteln. 

172 


In  beiden  Fällen  erscheint  es  notwendig,  schon  jetzt  alle  jene 
militärischen  Vorkehrungen  ins  Auge  zu  fassen  und  eintreten  zu  lassen, 
welche  notwendig  sind,  um  Itahen  gegenüber  nicht  schon  bei  Beginn 
eines  Konfliktes  in  der  Hinterhand  zu  sein. 

Ich  muß  hier  ganz  besonders  hervorheben,  daß  aller  Voraussicht  nach 
kommende  Kriege  von  dem  aggressiv  auftretenden  Partner  überfallsweise 
werden  begonnen  werden,  weil  dies  einen  enormen  Vorteil  bietet. 

Alle  militärischen  Maßnahmen  Italiens  (wie  Mannschaftseinberufungen, 
Pferdestehung,  Truppen  Verlegungen,  maritime  Vorkehrungen,  bahn- 
technische Maßnahmen  etc.)  müssen  daher  ganz  besonders  auch  von 
diesem  Standpunkt  beurteilt,  scharf  beobachtet  und  wenn  ihre  Ungefähr- 
lichkeit  für  die  Monarchie  nicht  zweifellos  feststeht,  mit  sofortigen 
Gegenmaßnahmen  beantwortet  werden.  Unterlassungen  in  dieser 
Beziehung  müßten  die  schwerste  Verantwortung  nach  sich  ziehen. 

Ich  bitte  daher  E.  E.,  mich  ganz  besonders  auch  in  dieser  Richtung 
informiert  zu  erhalten. 

Es  sei  mir  gestattet,  an  dieser  Stelle  auch  jener  hie  und  da  vernehm- 
baren Anschauung  entgegenzutreten,  daß  eine  dauernde  Okkupierung  von 
Tripolis  wegen  der  Notwendigkeit,  dort  Truppen  zu  belassen,  eine 
dauernde  militärische  Schwächung  Italiens  bedeuten  würde.  Dieser 
scheinbare  Nachteil  wird  weitaus  wettgemacht  durch  den  großen  Macht- 
zuwachs, welchen  Italien  durch  eine  solche  Gebietserweiterung  erfahren 
würde.  Die  große  finanzielle  Kräftigung,  die  Bevölkerungsentwicklung 
etc.  etc.,  würden  in  Hinkunft  auch  Italiens  militärische  Machtstellung 
erhöhen. 

Es  ist  dies  in  ganz  analoger  Weise  der  Fall  vAe  bezüglich  Bosniens 
und  der  Monarchie,  oder  Algiers  und  Frankreichs  etc.  etc. 

Wenn  ich  im  vorstehenden  jener  Lage  gedacht  habe,  welche  die 
Monarchie  in  kriegerischen  Gegensatz  zu  Italien  zu  bringen  vermöchte, 
sobald  dieses  aktiv  in  die  Tripolisfrage  eintritt,  möchte  ich  noch  der 
Möglichkeit  gedenken,  daß  die  Monarchie  das  Engagement  Itahens  in 
Tripolis  dazu  benützt,  um  gleichzeitig  auf  anderem  Gebiete,  also  am 
Balkan,  jene  Ziele  zu  verfolgen,  bei  deren  Erstrebung  sie  in  Hinkunft 
gefaßt  sein  müßte,  dem  Widerstand  Italiens  zu  begegnen;  auch  für  diesen 
Fall  erschiene  es  unerläßlich,  jetzt  schon  an  die  entsprechenden  militä- 
rischen Vorbereitungen  zu  gehen. 

Ich  resümiere  daher: 

Militärische  Vorkehrungen  erscheinen  notwendig: 

wenn  die  Monarchie  mit  einem  Konflikt  mit  Italien  rechnen  muß, 

wenn  sie  mit  aktivem  Vorgehen  am  Balkan  rechnen  will, 
endlich 

173 


wenn  Italien  irgendwelche  kriegerische  Maßnahmen  trifft,  bei  welchen 
es  nicht  ganz  zweifellos  feststeht,  daß  sie  nicht  gegen  die  Monarchie 
gerichtet  sind. 

Bei  der  schwerwiegenden  Bedeutung  dieser  Fragen  erbitte  ich  mir 
E.  E.  geneigte  Bekanntgabe  Ihres  Standpunktes  und  erbitte  mir  auch 
die  geneigte  fortlaufende  Verständigung  hinsichtlich  aller  diese  vitalen 
Fragen  berührenden  Vorkommnisse,  um  meiner  Pflicht  hinsichtlich  der 
konkreten  Kriegsvorbereitungen  nachkommen  zu  können;  insbesondere 
auch  dahin,  daß  jede  militärische  Überraschung  der  Monarchie  aus- 
geschlossen erschiene. 

Sollten  E.  E.  Wert  darauf  legen,  meine  Anschauung  hinsichtlich  der 
beregten  Frage  kennen  zu  lernen,  so  geht  diese  Anschauung  dahin,  daß 
sich  die  Monarchie  dem  Schritte  Italiens  in  TripoUs  entschieden  ablehnend 
gegenüberstellen,  sich  die  volle  Freiheit  des  Handelns  wahren  und  im 
Falle  der  italienischen  Aktion  in  Tripolis  entweder  gegen  Italien  aktiv 
eingreifen  oder  sich  auf  einem  anderen  Gebiete  in  mindestens  gleich- 
wertigem Maße  schadlos  halten  sollte,  indem  ich  in  dieser  Frage  die 
Monarchie  viel  vitaler  betroffen  erachte,  als  dies  hinsichtlich  Deutschlands 
bezüglich  Marokkos  der  Fall  war. 

Wenn  E.  E.  es  im  Interesse  der  Sache  zweckdienlich  erachten  sollten,  mit 
mir  persönlich  Rücksprache  zu  pflegen,  so  bitte  ich  über  mich  zu  verfügen. 

Empfangen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  vollen  Ergebenheit 

Conrad,  G.  d.  I." 

Noch  einmal  schien  das  Schicksal  Österreich-Ungarn  die  Chance 
zu  bieten,  mit  einem  seiner  klar  erkennbaren  Gegner  (Italien,  Serbien) 
abzurechnen. 

Sich  durch  voraussichtslos  eingegangene,  überholte  Traktate*)  und 
diplomatische  Skrupel  davon  abhalten  zu  lassen,  war  Selbstmord. 

Im  übrigen  hat  Italien  sich  in  der  Folge  über  ganz  andere  Verträge 
hinweggesetzt,  auch  traf  für  den  vorgedachten  die  Voraussetzung  nicht 
zu,  daß  die  Türkei  im  Zusammenbruche  sei. 

Rußland  litt  an  schweren  inneren  Kämpfen  und  war  militärisch  noch 
nicht  fertig.    Seine  unter  dem  Titel  von  „Probemobilisierungen"  durch- 


*)  Die  Bindung  war  im  Jahre  1Q02  ohne  jedweden  verläßlichen 
Gegenwert  durch  Graf  Goluchowski  eingegangen  worden,  der  die 
Erklärung  abgegeben  hatte,  daß  die  Monarchie  die  Ansprüche  Italiens 
auf  Tripolis  anerkenne  und  Italien  bei  einer  diesbezügHchen  Aktion  freie 
Hand  gebe ;  allerdings  nur  für  den  Fall  eines  Zusammenbruches 
der  Türkei. 

174 


geführten  großen  Vorbereitungen  begannen  erst  im  Jahre  1912.  Frank- 
reich kämpfte  in  Marokko,  wo  auch  Spanien  engagiert  war.  Zwischen 
Deutschland  und  Frankreich  schwebte  die  Marokkofrage,  die  sich  in  der 
Folge  friedhch  löste,  was  für  diesen  Zeitpunkt  nicht  auf  kriegerische 
Dispositionen  Frankreichs  schließen  ließ.  Weder  Frankreich  noch  Eng- 
land konnten  ein  Interesse  haben,  Italien  als  Mittelmeermacht  und  als 
Konkurrenten  um  den  kleinasiatischen  Besitz  heranwachsen  zu  lassen, 
Englands  Heeresreform  war  erst  im  Werden.  Die  Balkanstaaten  halten 
1911  mit  der  miUtärisch  noch  ungebrochenen  Türkei  zu  rechnen;  der 
Gegensatz  zwischen  Bulgarien  und  Rumänien  war  nicht  ausgetragen; 
sicher  aber  war,  daß  jedes  kommende  Jahr  die  Lage  Österreich-Ungarns 
nur  wesentlich  verschlechtern  würde. 

Es  geschah  nichts,  man  ließ  sich  von  Italien  völlig  über- 
raschen und  ließ  es  ruhig  gewähren. 

Italien  aber  handelte  rasch,  rücksichtslos  und  ohne  Skrupel. 

Am  27.  September  191 1  richtete  es  ein  schroffes  Ultimatu  m*) 
an  die  Türkei,  wonach  diese  innerhalb  24  Stunden  zu  antworten 
hatte,  ob  sie  die  Besetzung  Tripolitaniens  und  der  Cyrenaika  zulassen 
wolle  oder  nicht.  Dem,  wie  nicht  anders  erwartet  werden  konnte, 
abschlägigen  Bescheid  folgte  am  29.  September  die  Kriegserklärung  seitens 
Italiens  und  das  Expeditionskorps  unter  General  Caneva  ging  unter 
Konvoi  der  Flotte  nach  Afrika  ab. 

Am  4.  Oktober  1911  wurde  Tobruk,  am  5.  Oktober  Tripolis  besetzt. 

Als  einleitende  Episode  hatten  die  Italiener  eine  Festsetzung  in 
Prevesa  versucht,  stießen  aber  auf  den  Widerstand  Österreich-Ungarns 
und  der  übrigen  Mächte,  worauf  sie  davon  abließen.  San  GiuUano 
erklärte,  daß  Italien  den  Status  quo  am  Balkan  selbst  nicht  stören  wolle. 

Darüber  berichtete  Oberst  Pomiankowski  unter  dem  3.  Oktober  1911 : 

„Graf  Ährenthal  v/ar  über  den  italienischen  Angriff  auf  Prevesa  sehr 
aufgebracht  und  hat  Sonntag  den  1.  Oktober  mit  dem  Herzog  von 
Avarna**)  diesbezüghch  sehr  ernst  gesprochen.  Im  Falle  einer  wirk- 
lichen Landung  der  Italiener  bei  Prevesa  wären  wir  nicht  müßige 
Zuschauer  geblieben***). 


*)  Im  Wesen  weit  schroffer  als  jenes  Österreich-Ungarns  an  Serbien 
im  Jahre  1914,  da  es  rundweg  die  Abtretung  einer  Provinz  verlangte. 
**)  Italienischer  Botschafter  in  Wien. 

***)  Das  darauf  hin  erfolgende  Nachgeben  Italiens  war  einer  jener 
diplomatischen  Triumphe,  mit  denen  man  das  Reichsschiff  in  sicherer 
Bahn  zu  steuern  vermeinte.  Italien  aber  ließ  sich  nicht  stören  und 
verfolgte  weiter  seine  positiven  Ziele. 

175 


Infolge  der  Ereignisse  bei  Prevesa  sei  die  Stimmung  unter  den  Groß- 
mächten, speziell  in  England  und  Frankreich,  für  Italien  wesentlich 
ungünstiger  geworden. 

Sir  Edward  Grey  hat  sich  dem  italienischen  Botschafter  gegenüber 
diesbezüglich  in  scharfer  Weise  ausgesprochen." 

Am  11.  Oktober  1911  besuchte  mich  der  türkische  Militärattache 
Oberst  Blaque  Bey.  Er  wies  darauf  hin,  daß  also  der  Krieg  erklärt  sei  und 
fragte,  ob  ich  glaube,  daß  Italien  auch  am  Kontinent  etwas  unternehmen 
werde,  und  was  meiner  Ansicht  nach  die  Türkei  diesfalls  tun  solle. 

Ich  erwiderte,  daß  ich  nicht  Minister  des  Äußern  bin  und  es  nicht 
meine  Sache  wäre,  als  Soldat  Politik  zu  treiben.  Ich  könne  nur  eine 
private  Ansicht  äußern,  etwa  so,  wie  wenn  wir  zusammen  im  Kaffeehaus 
sitzen  würden  und  setzte  fort: 

„Wenn  ich  ein  Türke  wäre,  würde  ich  der  Türkei  raten,  falls  Italien 
etwas  Feindliches  auf  dem  Kontinent  unternimmt,  ein  Rundschreiben  an 
die  Mächte  zu  richten,  worin  das  Vorgehen  Italiens  dargelegt  wird.  Das 
Rundschreiben  dürfte  nur  wirkUche  Daten  enthalten,  also  ob  tatsächlich 
eine  Landung  erfolgte,  ob  Italien  in  Albanien  gegen  die  Türkei  agitiert, 
oder  ob  Italien  in  Griechenland  etwas  unternimmt.  Die  Türkei  müsse  den 
Mächten  zu  bedenken  geben,  welch  große  Gefahr  hierin  liege,  sowie, 
daß  das,  was  heute  der  Türkei  geschieht,  auch  anderen  geschehen  könne." 

Dann  fügte  ich  bei,  es  wäre  anzunehmen,  daß  die  italienische  Flotte  aus- 
genützt wird,  auch  in  anderen  Gebieten  (außer  Nordafrika)  aufzutreten. 

Bei  dem  Gang  der  Ereignisse  kam  es  mir  sehr  darauf  an,  ununter- 
brochen über  die  Vorgänge  an  der  Zentralstelle  in  Itahen  —  also  Rom  — 
unterrichtet  zu  sein,  von  wo  aus  alle  militärischen  Maßnahmen  ihren 
Ausgang  hatten.  Dies  war  mir  das  Wichtigste,  das  Detail  der  militärischen 
Ereignisse  in  Tripolis  trat  demgegenüber  zurück. 

In  klug  vorbedachter  Weise  lud  jedoch  Italien*)  die  Militärattaches 
ein,  nach  Tripolis  zu  kommen.  Es  hielt  sie  dabei  aber  eigentlich  auf 
einem  in  See  liegenden  Kriegsschiff  interniert,  um  ihnen  nur  dort  zeit- 
weise Einblick  zu  gewähren,  wo  es  Italien  paßte.  Da  auch  seitens  unseres 
Auswärtigen  Amtes  die  Zustimmung  hiezu  gegeben  wurde,  richtete  ich 
folgendes  Schreiben  an  Exzellenz  Baron  Bolfras: 

r~        rr      11       1       „Steyr,  am  14.  Oktober  1911. 
Euer  Exzellenz!       "        -^   ' 

Ich   bitte   zu   verzeihen,   daß  ich   E,  E.  hinsichtlich   der  Belassung 

Mietzls  in  Rom  so  sehr  belästige,  aber  ich  kann  es  nicht  fassen,  daß  man 

ihn  gerade  jetzt  von  dort  wegnimmt. 


*)  Nachdem  es  unsere  Bitte,  einige  Offiziere  an  der  Expedition  teil- 
nehmen zu  lassen,  (trotz  des  Bundesverhältnisses)  abgelehnt  hatte. 

176 


Die  Italiener  haben  einen  famosen  Witz  gemacht,  indem  sie  alle 
Attaches  nach  Tripolis  einluden.  Sie  schaffen  sich  damit  mit  einem 
Schlage  alle  militärischen  Beobachter  vom  Hals;  ich  habe  nicht  Lust, 
diesem  Witz  aufzusitzen. 

Wenn  unser  Gesandter  in  Belgrad  bei  der  Krisis  1909  auf  Hochzeits- 
reise war  und  jetzt  im  entscheidenden  Moment  der  Tripolisüberraschung 
unser  Botschafter  in  Rom  auf  Urlaub  ist,  überdies  auch  jener  von  Kon- 
stantinopel, so  ist  das  nicht  meine  Sache,  aber  die  Militärattaches  befa'effen 
mich  und  meine  Verantv^ortung,  und  ich  möchte  doch  bitten,  meine 
Stimme  zu  hören,  umsomehr,  als  man  mir  ja  in  allen  Fragen  des  Kund- 
schaftsdienstes nur  Hindemisse  bereitet,  selbst  bis  zum  Urlaubsverbot  an 
Offiziere,  wie  es  vor  kurzem  der  Fall  war. 

Italien  hat  seine  Flotte  mobilisiert,  hat  100.000  Mann  einberufen,  hält 
zwei  weitere  Jahrgänge  hiezu  bereit,  arbeitet  überhastet  an  den  venetiani- 
schen  Eisenbahnen,  und  wir  schicken  unsere  militärischen  Organe  auf 
Kriegslustreise ! 

Ich  bitte  E.  E.  um  gütige  Vertretung  meines  Standpunktes  bei  Seiner 
Majestät. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  der  ganz  besonderen  Verehrung, 

mit  der  ich  stets  bin 

Euer  Exzellenz  gehorsamster  ^  , ,, 

^  Conrad." 

Meiner  Bitte  wurde  so  weit  entsprochen,  daß  Oberstleutnant  Mietzl 
zwar  nach  Tripolis  abgehen,  aber  nach  kurzem  Aufenthalt  von  dort 
„unter  irgend  etwas  Plausiblem"  nach  Rom  zurückkehren  solle. 

Für  alle  Fälle  hatte  ich  jedoch  schon  den  Generalstabshauptmann 
Baron  Seilern  nach  Italien  entsendet,  um  hauptsächUch  über  die  mili- 
tärischen, aber  auch  über  sonstige  wissenswerte  Vorgänge  Berichte  zu 
erhalten.     Einer  derselben  lautete  wie  folgt: 

„Rom,  23.  Oktober  1911. 

Unter  dem  Eindrucke  der  Jubiläumsfestlichkeiten  wurde  die  öffent- 
liche Meinung  in  einer  Weise  beeinflußt,  die  allgemein  glauben  machte, 
daß  die  Nation  den  Krieg  wolle  und  die  Regierung  —  man  versichert, 
daß  diese  keine  gewaltsame  Lösung  des  Konfliktes  gewollt  hatte  —  uoirde 
zum  Nachgeben  gezwungen,  wollte  sie  nicht  ihr  ganzes  Prestige  verlieren. 

Insbesondere  Giolitti,  der  die  Lösung  sozialer  Probleme  auf  sein 
Programm  geschrieben  hatte,  war  durchaus  nicht  entzückt  von  dieser 
Unterbrechung  seines  Arbeitsprogrammes  und  von  den  ungeheuren  Aus- 
gaben, die  von  der  Aktion  in  Tripolis  verschlungen  werden. 

Der  ganze  Vorgang  zeigte  die  terroristische  Macht  der 
nationalistischen    Partei    mit    ihrer    imperialistischen    Politik 

12,  Conrad  II  |77 


und  es  ist  gar  nicht  unlogisch,  daß  diese  einmal  das  dringende  Bedürfnis 
empfindet,  ihren  Hunger  an  den  >terre  irredente«  zu  stillen. 

Es  ist  vielleicht  zu  viel  gesagt,  wenn  man  dieser  Partei  eine  parlamen- 
tarische Majorität  zuspricht;  im  Gegenteil,  sie  stellt  derzeit  nur  eine 
Minorität  vor,  aber  eine  sehr  starke  und  sehr  tatkräftige  und  sehr  gut 
organisierte  Minorität.  Und  wie  ja  so  oft  in  der  Geschichte,  haben  wir 
ja  auch  diesmal  gesehen,  wie  eine  kräftige  Minorität  durch  geschickte 
Schlagworte  das  ganze  Volk  zu  einem  Entschluß  gebracht  hat,  der  ihm 
im  Grunde  genommen  fem  gelegen  ist. 

Dermaßen  ist  es  ja  ganz  und  gar  nicht  unmöglich,  daß  diese  Partei 
eines  Tages  ihre  Bestrebungen  mit  der  vollen  Wucht  ihres  Ungestüms 
gegen  die  nordöstliche  Grenze  wendet,  umsomehr,  als  sie 
in  diesem  Falle  gewiß  die  ganze  Nation  geschlossen  hinter  sich  haben 
würde  .... 

....  Dermalen  freilich  hält  man  sich  zurück,  denn  in  diesem  Augen- 
bhcke  bedarf  man  ja  mehr  denn  jemals  der  Sympathien  in  Wien." 

Am  18.  Oktober  besetzten  die  Italiener  Homs,  am  IQ.  Oktober  Derna 
und  Benghasi.  Indessen  aber  war  es  Neschad  Bey  und  dem  energischen 
Enver  Bey  gelungen,  die  geringe  Zahl  türkischer  Truppen  mit  den 
arabischen  Stämmen  zu  vereinigen  und  den  Italienern  scharfen  Wider- 
stand entgegenzusetzen.  Insbesondere,  wenn  sie  versuchten,  aus  der 
schützenden  Sphäre  der  Schiffsgeschütze  gegen  das  Innere  des  Landes 
vorzudringen.  In  der  Zeit  vom  23.  bis  26.  Oktober  wurden  die  Italiener 
sogar  aus  ihren  Stellungen  geworfen. 

Über  die  damalige  Auffassung  der  Lage  in  Konstantinopel  berichtet 
der  k.  u.  k.  Militärattache  wie  folgt: 

„Präs.  31./10.  1911. 
Geh.  Nr.  55/1911.         Konstantinopel,  am  24.  Oktober  1911. 

Euer  Exzellenz! 
In  der  geheimen  Kammersitzung  vom  18.  d.  M.  hat  der  Großvezier 
Said  Pascha  erklärt,  daß  die  Isoliertheit  der  Türkei  den  größten  Fehler 
der  äußeren  Politik  des  früheren  Kabinetts  darstelle.  Diesem  Fehler  sei 
hauptsächlich  die  gegenwärtige  Bedrängnis  des  Reiches,  sowie  der  Ver- 
lust einer  Provinz  zuzuschreiben.  Said  Pascha  gab  femer  zu  verstehen, 
daß  er  imstande  wäre,  eine  vorteilhafte  Allianz  abzuschließen,  ohne  daß 
hiedurch  die  Türkei  unter  die  Vormundschaft  der  betreffenden  Mächte 
geraten  würde.  Die  Kammer  gab  hierauf  der  neuen  Regierung  mit 
bedeutender  Majorität  ein  Vertrauensvotum  und  das  Land  erwartet  nun- 
mehr die  Resultate  der  von  Said  Pascha  eingeleiteten  diplomatischen 
Aktion. 

178 


Um  nun  die  hieraus  sich  ergebende  Lage  beurteilen  zu  können,  mu3 
man  sich  vergegenwärtigen,  daß  die  Türkei  von  ihren  neuen  AlHierten 
eine  entschiedene  Einflußnahme  zu  ihren  Gunsten  in  der  TripoHsaffäre, 
dann  eine  Garantierung  des  gegenwärtigen  Besitzstandes  erwartet  und 
fordert.  Bezüglich  Tripolis  kann  es  sich  nur  um  das  Zugeständnis  der 
Souveränität  des  Sultans  handeln  und  diesbezüglich  könnten  sowohl  die 
Mächte  der  Tripleallianz  als  auch  jene  der  Tripleentete  einen  gewissen 
Einfluß  oder  Druck  auf  Italien  ausüben,  wobei  der  Verlauf  der  Ereignisse 
in  Afrika  wesentlich  in  Betracht  kommen  muß.  Von  diesem  Standpunkte 
betrachtet,  tritt  die  Tripolisfrage  für  die  neue  Orientierung  der  türkischen 
Politik  in  den  Hintergrund  und  erscheint  es  als  wichtiger  und  ent- 
scheidender, welche  Mächtegruppe  überhaupt  in  der  Lage  wäre,  der 
Türkei  ihren  gegenwärtigen  Besitzstand  zu  verbürgen. 

Diesbezüglich  ist  es  nun  von  allergrößter  Bedeutung,  daß  sich 
Deutschland  in  der  Marokkoaffäre  offenbar  als  zu  schwach  erwiesen  hat, 
um  gegen  die  Weltmacht  Englands  auftreten  zu  können.  Der  Deutsche 
Kaiser,  welcher  sich  vor  einigen  Jahren  in  Tanger  als  der  Retter  des 
Scherifenreiches  und  Freund  und  Beschützer  der  islamitischen  Welt 
erklärte,  ferners  vor  einigen  Monaten  ostentativ  ein  Kriegsschiff  nach 
Agadir  gesendet  hat,  mußte  Marokko  an  Frankreich  ausliefern  und  sich 
mit  Kompensationen  am  Kongo  abfinden  lassen.  Jedem  Osmanen  und 
Mohammedaner  muß  es  jetzt  klar  sein,  daß  Deutschland  der  englischen 
Seemacht  nicht  gewachsen  und  demnach  auch  nicht  imstande  ist,  den 
türkischen  Besitz  gegen  einen  eventuellen  englischen  Handstreich  zu 
schützen.  Der  angebliche  deutsche  Schutz,  unter  dem  sich  die  Osmanen 
bisher  so  sicher  fühlten,  erweist  sich  jetzt  als  eine  Fiktion,  und  da 
Deutschland  der  Türkei  auch  keinerlei  direkten  Schaden  verursachen  kann, 
so  fälh  auch  die  Grundlage  für  den  bisherigen  deutschen  Einfluß  in 
Konstantinopel  in  sich  zusammen. 

Von  den  Mächten  der  Tripleentente  kommt  hauptsächlich  England 
für  ein  Bündnis  mit  der  Türkei  in  Betracht  und  dies  umsomehr,  als  auch 
gerade  Großbritannien  dem  Osmanischen  Reiche  am  gefährlichsten  werden 
kann.  Besonders  gegenwärtig,  wo  sich  Deutschland  entschieden  inferior 
gezeigt  hat,  besteht  für  England  gar  kein  Grund  mehr,  die  Türkei  zu 
schonen  und  derselben  die  Besitzungen  am  Persischen  Golf  noch  länger 
zu  lassen.  Auch  der  Moment  ist  jetzt  noch  günstig;  nach  einigen 
Jahren,  d.  i.  mit  dem  Fortschreiten  des  Baues  der  Bagdadbahn  und  mit 
der  Stärkung  der  deutschen,  ö.-u.  und  türkischen  Flotte,  wird  sich  die 
Lage  entschieden  zu  Ungunsten  Englands  verändern.  Es  fragt  sich  nun, 
ob  es  unter  diesen  Umständen  überhaupt  für  England  vorteilhaft  wäre, 
eine  Allianz  mit  der  Türkei  abzuschließen  und  sich  darauf  die  Hände 


12* 


179 


zu  binden,  vielmehr  scheint  das  Gegenteil  den  britischen  Interessen  zu 
entsprechen,  d.  h.  den  Augenblick  auszunützen  und  einen  Vorwand  zu 
suchen,  um  sich  Südmesopotamiens  zu  bemächtigen.  Es  erscheint  dem- 
nach recht  zweifelhaft,  ob  selbst  die  Überlassung  von  Kuweit  und  des 
Bahnbaues  Bagdad — Persischer  Golf  genügen  würde,  um  die  englische 
Freundschaft  für  die  Türkei  zu  erkaufen. 

Die  Sache  wird  jedoch  noch  schv^eriger,  wenn  man  bedenkt,  daß 
England  mit  Frankreich  und  Rußland  verbündet  ist  und  diese  Staaten 
ihre  Zustimmung  zu  einer  Allianz  selbstverständlich  auch  nur  gegen 
entsprechende  Konzessionen  geben  würden.  Rußland  würde  Respek- 
tierung des  Vertrages  bezüglich  der  Bahnen  im  Becken  des  Schwarzen 
Meeres,  den  Balkanbund  imd  die  Adriabahn,  Frankreich  Bahn- 
konzessionen in  Europa  und  Asien  und  Kontrolle  der  Finanzen  durch 
die  Ottomanbank  verlangen.  Daß  unter  solchen  Bedingimgen  eine 
Allianz  mit  den  Tripleententemächten  doch  einer  Vormundschaft  der 
Türkei  durch  dieselben  gleichkäme,  kann  hiemit  nicht  zweifelhaft 
erscheinen. 

Erweist  sich  nun  ein  engeres  Verhälüiis  der  Türkei  zu  England  als 
undurchführbar,  so  wird  wohl  nichts  anderes  übrig  bleiben,  als  doch 
wieder  zu  Deutschland  und  Österreich-Ungarn  zurückzukehren  und  zu 
versuchen,  das  osmanische  Staatsschiff  mit  Hilfe  dieser  Mächte  über 
Wasser  zu  halten.  Ob  sich  Deutschland  trotz  Marokko  der  Türkei 
gegenüber  verpflichten  kann,  England  im  Falle  eines  Angriffes  auf  Meso- 
potamien den  Krieg  zu  erklären,  ist  höchst  zweifelhaft.  Dagegen  ist  es 
möglich,  daß  Deutschland  und  Österreich-Ungarn  die  Türkei  gegen 
Angriffe  von  Seite  Rußlands,  Italiens  und  der  Balkanstaaten  sichern  und 
hiemit  dem  Osmanischen  Reiche  seinen  gesamten  Besitz  mit  Aus- 
nahme Südmesopotamiens  garantieren. 

Allerdings  wäre  hiebei  die  überaus  wichtige  Finanzfrage  in 
Betracht  zu  ziehen,  von  welcher  die  Möglichkeit  einer  Allianz  mit  den 
Zenta'almächten  überhaupt  abhängt.  Daß  im  Falle  des  Abschlusses  des 
deutsch-österreichisch-türkischen  Bündnisses  die  französische  Geldquelle 
versiegen  würde,  kann  als  sicher  angenommen  werden;  doch  wäre  es 
vielleicht  nicht  unmöglich,  daß  an  Stelle  des  französischen  das  nord- 
amerikanische Kapital  treten  könnte.  In  diesem  Zusammenhang  dürften 
auch  die  Gerüchte  über  eine  Allianz  zwischen  der  Türkei  und  der  Union 
aufzufassen  sein,  da  eine  Aktion  der  nordamerikanischen  Flotte  in  den 
türkischen  Gewässern  wegen  Mangels  an  Kohlenstationen  vorläufig  nicht 
denkbar  ist.  Wie  hieraus  zu  ersehen,  hängt  die  Möglichkeit  einer  Allianz 
der  Türkei  mit  Deutschland  und  Österreich-Ungarn  neben  der  südmesopo- 
tamischen  Frage  hauptsächlich  von  der  Lösung  der  Finanzfrage  ab,  über 

180 


welche  ich  allerdings  nicht  genügend  orientiert  bin,  um  mir  ein  sicheres 
Urteil  gestatten  zu  können. 

Ob  sich  nun  der  Gedanke  der  Allianz  überhaupt  als  durchführbar 
erweisen  und  welche  Alternative  Said  Pascha  schließlich  wählen  wird, 
läßt  sich  gegenwärtig  noch  nicht  voraussagen.  Vorläufig  versichert  der 
Großvezier  sowohl  unserem  als  auch  dem  deutschen  Botschafter  aus- 
drücklich, daß  er  in  seiner  Rede  nui"  ein  Bündnis  mit  den  beiden  Kaiser- 
mächten gemeint  habe.  Es  ist  jedoch  nicht  zu  bezweifeln,  daß  er  gleich- 
zeitig in  London,  Paris  und  Petersburg  sondieren  läßt,  um  diese  Mächte 
zur  Intervention  in  der  Tripolisfrage  zu  bewegen  und  über  Dispositionen 
betreffs  des  Bündnisses  orientiert  zu  werden.  Die  Haltung  der  Kon- 
stantinopeler  Presse  scheint  jedenfalls  auf  die  Tendenz  zu  einer  Allianz 
mit  der  Tripleentente  hinzuweisen. 

Über  die  Stellung  unserer  Monarchie  zu  der  neuen  Konstellation 
werde  ich  E.  E.  demnächst  speziell  Bericht  erstatten.  Vorläufig  scheint 
es  mir  aber  wichtig,  festzustellen,  daß  unser  Einschreiten  gegen  die 
italienische  Aktion  an  der  albanesischen  Küste  hierorts  vorwiegend  als 
Geltendmachung  unserer  eigenen  Aspirationen  auf  Alba- 
nien angesehen  und  dementsprechend  beurteilt  wird.  Die  Beantwortung 
der  Tripolis-Interpellation  im  Reichsrat  durch  Seine  Exzellenz  Freiherm 
von  Gautsch  hat  dazu  beigetragen,  diese  uns  migünstige  Auffassung  noch 
zu  vertiefen. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  tiefsten  Ehrfurcht 

Pomiankowski,  Oberst." 

Am  30.  Oktober  hatte  ich  eine  Audienz  bei  Seiner  Majestät.  Vor 
imd  nach  derselben  sprach  ich  mit  Exzellenz  Baron  Bolfras.  Er  teilte 
mir  mit,  daß  Ährenthal,  der  tags  vorher  beim  Kaiser  war,  den  Kopf 
voll  habe  mit  der  Tripolisaffäre  und  der  Balkanfrage,  daß  auch  Deutsch- 
land von  ersterer  völlig  überrascht  worden  und  auch  seiner  Meinung 
nach  Ährenthal  zu  vertrauensvoll  gegenüber  Italien  sei.  Exzellenz 
Bolfras  erwähnte,  daß  Graf  Ährenthal  auch  physisch  sehr  gebrochen 
wäre. 

Es  mag  dies  der  Vorbote  jenes  schweren  Leidens  gewesen  sein,  dem 
Graf  Ährenthal  später  zum  Opfer  fiel,  und  es  wäre  denkbar,  daß  dieser 
physische  Zustand  seine  politischen  Entschließungen  beeinflußte. 

Deutschland  und  Österreich  Ungarn  hatten  zwischen  Italien  und  der 
Türkei  zu  vermitteln  versucht.  Über  den  Erfolg  berichtet  der  Militär- 
attache in  Konstantinopel  in  einem  am  31.  Oktober  eingelangten 
Schreiben : 

181 


„Präs.  31710.  1911. 

Geh.  Nr.  56/1911.        t^         .       x-  i  oa    ^i  ^  u      mn 

Kon  st  antin  Opel,  am  26.  Oktober  1911. 

Euer  Exzellenz! 

Im  Nachhange  zu  meiner  telegraphischen  Meldung  Res.  Nr.  321 
vom  24.  d.  M.  berichte  ich  über  die  neue  Vermittlungsaktion  des  Grafen 
Ährenthal  folgendes: 

Die  von  Deutschland  und  von  uns  unternommene  Mediation  kann 
nunmehr  als  vollkommen  gescheitert  betrachtet  werden.  Einerseits  ist 
der  Gegensatz  zwischen  den  Standpunkten  der  italienischen  und  osmani- 
schen  Regierung  vorläufig  unüberbrückbar;  denn  Rom  will  die  Annexion 
von  Tripolis  pure  et  simple,  während  die  Pforte  entschlossen  ist,  die 
Souveränität  des  Sultans  nicht  aufzugeben.  Überdies  unterlassen  die 
Mächte  der  Tripleentente  nichts,  um  die  Türkei  im  Sinne  eines  ent- 
schiedenen Widerstandes  gegen  Italien  zu  beeinflussen  und  hiedurch  die 
deutschösterreichische  Mediation  zu  vereiteln. 

Unter  diesen  Umständen  hat  sich  Graf  Ährenthal  entschlossen,  einen 
gemeinsamen  Schritt  aller  Mächte  zur  Herstellung  des  Friedens  zu 
inszenieren.  Es  werden  jetzt  alle  Mächte  über  ihre  Ansicht  betreffs  einer 
für  die  Türkei  und  Italien  annehmbaren  Basis  für  die  Friedensverhand- 
lungen sondiert.  Auf  Grund  des  so  erzielten  Einvernehmens  soll  dann 
eine  gemeinsame  Aktion  aller  Mächte  in  Rom  und  Konstantinopel  unter- 
nommen werden.  Auf  diese  Weise  hofft  Graf  Ährenthal  speziell  die 
Mächte  der  Tripleentente  zu  zwingen,  Farbe  zu  bekennen  und  deren 
geheimen  Intriguen  die  Spitze  abzubrechen. 

Über  die  Antworten  der  versdiiedenen  Mächte  ist  hierorts  bisher 
noch  nichts  bekannt. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  tiefsten  Ehrfurcht 

Pomiankowski,  Oberst." 

Die  schon  erwähnten  Erfolge  der  Türken  in  Tripolis  genügten,  um 
einen  raschen  Stimmungswechsel  in  der  Türkei  herbeizuführen.  Ihn 
charakterisiert  nachfolgende  Stelle  eines  am  11.  November  eingelangten 
Berichtes  unseres  rührigen  Militärattaches  in  Konstantinopel: 

„Die  pessimistischen  Befürchtungen  zu  Beginn  des  Krieges  haben 
sich  nun  sämtlich  als  unbegründet  erwiesen.  Die  Ruhe,  Besonnenheit  und 
korrekte,  würdige  Haltung  des  Reiches  haben  allenthalben  imponiert  und 
der  Türkei  die  Sympathien  der  ganzen  ziviUsierten  Welt  erobert.  Der 
Großvezir  Said  Pascha,  welcher  sich  trotz  seines  hohen  Alters  und  seiner 
Gebrechlichkeit  als  bedeutender  Staatsmann  erwiesen  hat,  erhielt  von  der 

182 


Kammer  mit  großer  Majorität  ein  Vertrauensvotum  und  kann  infolge- 
dessen die  Stellung  seiner  Regierung  als  gesichert  angesehen  werden. 
Die  kleinen  Balkanstaalen,  welche  die  momentane  Verlegenheit  der  Türkei 
gewiß  zu  ihren  Gunsten  ausnützen  möchten,  finden  hiezu  keine  Hand- 
habe; übrigens  steht  die  durch  die  Erfolge  in  Tripolis  moralisch  gekräftigte 
Türkei  gerüstet  da  und  ist  infolgedessen  auch  militärisch  allen  Eventuali- 
täten gewachsen. 

Die  Bevölkerung  —  besonders  die  Mohammedaner  —  bewahrt  eine 
durchaus  patriotische,  würdige  Haltung.  Die  Albanesen,  welchen  die 
Regierung  anfänglich  mißtraute,  verhalten  sich  ruhig  und  der  Imam  im 
Yemen  schUeßt  Frieden,  so  daß  auch  von  dort  nichts  zu  besorgen  ist. 
Die  finanzielle  Krisis  im  Oktober  hat  sich  in  letzter  Zeit  stark  gemildert 
und  dürfte  in  den  nächsten  Wochen  vollkommen  verschwinden.  Am  aller- 
wichtigsten  jedoch  ist  die  bewunderungswürdige  Tapferkeit  und  Tüchtig- 
keit der  turco-arabischen  Streitkräfte  in  Tripolis,  welche  ganz  unerwar  eter- 
weise  und  alle  Kalküle  über  den  Haufen  werfend  zur  Offensive  über- 
gegangen sind  und  den  Italienern  sogar  empfindliche  Schlappen  beizu- 
bringen imstande  waren. 

Während  vor  fünf  Wochen  selbst  die  gewiegtesten  Kenner  der 
hiesigen  Verhältnisse,  ja  selbst  die  erfahrensten  türkischen  Staats- 
männer und  Militärs,  die  Situation  in  den  düstersten  Farben  sahen  und 
selbst  eine  Katastrophe  nicht  für  ausgeschlossen  hielten,  hat  der  verjüngte 
osmanische  Staat  eine  ungeahnte  Lebenskraft  entfaltet  und  steht  heute 
viel  stärker  da  als  bei  Beginn  des  von  Italien  provozierten  Krieges. 
Überdies  hat  sich  die  Türkei  wieder  einmal  als  ein  Faktor  erwiesen,  in 
welchem  alle  auf  Logik  aufgebauten  Kalküle  und  Voraussetzungen 
unmöglich  zu  sein  scheinen. 

Die  nächste  und  vorläufig  wichtigste  Folge  dieser  Lage  ist  die 
veränderte  Haltung  der  Türkei  zur  Friedensfrage.  Während  man  in 
Konstantinopel  vor  zwei  Wochen  froh  gewesen  wäre,  die  nominelle 
Souveränität  des  Sultans  zu  retten  und  bereit  war,  auf  dieser  Basis  Frieden 
zu  schließen,  bezeichnet  der  Großvezier  jetzt  die  unbedingte  Erhaltung 
von  Tripolis  als  türkische  Provinz  unter  Verleihung  von  bloß  wirtschaft- 
lichen Vorteilen  an  Italien  als  die  einzig  mögliche  Friedensbedingung. 

Ganz  abgesehen  von  dem  durch  die  Waffenerfolge  bedeutend 
gehobenen  Selbstvertrauen  der  Osmanen  sind  es  in  erster  Linie  die 
Araber,  welche  «ine  Abtretung  von  Tripolis  unter  keiner  Bedingung 
zugeben  würden.  Wie  es  sich  nunmehr  zu  erweisen  scheint,  streben  die 
vernünftigen  arabischen  Elemente  in  der  Türkei  wenigstens  vorläufig 
nicht  nach  einer  Losreißung,  sondern  nach  Erhöhung  ihres  Einflusses 
und  Nationalisierung  der  Verwaltung  der  arabischen  Provinzen  inner- 

183 


halb  des  Reiches.  Sie  empfinden  demnach  den  Verlust  von  Tripolis  und 
hiemit  von  10  arabischen  Mandaten  im  Parlamente  als  eine  Schwächung 
und  Verschlechterung  ihrer  Position  in  der  Türkei  und  wenden  deshalb 
alle  Mittel  an,  um  einerseits  die  tripolitanische  Bevölkerung  zu  äußerstem 
Widerstände  anzuspornen,  anderseits  eine  vertragsmäßige  Abtretung  von 
Tripolis  an  Italien  zu  verhindern.  Daß  das  Komitee  der  Partei  »Einheit 
und  Fortschritt«  die  arabischen  Argumente  willig  anhört  und  im  Sinne 
energischer  Fortsetzung  des  Krieges  ausnützt,  ist  ganz  natürlich,  denn 
auch  für  diese  Partei  würde  die  ungünstige  Lösung  der  Tripolisfrage 
eine  Wendung  bedeuten,  in  welcher  es  sich  um  Sein  oder  Nichtsein 
handeln  könnte." 

Über  die  im  Zuge  befindliche  Friedensvermittlungsaktion  enthält 
dieses  Schreiben  folgendes: 

„Obwohl  nun  die  Stimmung  in  der  Türkei  sich  entschieden  gegen 
den  Friedensschluß  und  zu  Gunsten  der  energischen  Fortsetzung  des 
Krieges  gestaltet  hat,  scheint  unsere  Diplomatie  die  Idee  der  Friedens- 
vermittlung noch  immer  nicht  aufgegeben  zu  haben.  Auf  die  von  mir 
F.  E.  gemeldeten  Sondierungen  bei  allen  Mächten  waren  verschieden 
lautende,  meist  unverbindlich  zustimmende  Antworten  eingelaufen,  worauf 
Markgraf  Pallavicini  am  30.  Oktober  den  Auftrag  erhielt,  sich  mit  den 
hiesigen  Botschaftern  behufs  eines  gemeinsamen  Schrittes  bei  der  Pforte 
ins  Einvernehmen  zu  setzen.  Der  Herr  k.  u.  k.  Botschafter  antwortete 
telegraphisch,  daß  er  diese  Demarche  angesichts  der  türkischen  Waffen- 
erfolge für  aussichtslos  und  schädlich  halte  und  wurde  hierauf  angewiesen, 
die  Vermittlungsfrage  im  Auge  zu  behalten  und  mit  den  Botschaftern 
in  steter  Fühlung  zu  bleiben,  lun  im  geeigneten  Moment  sofort  wieder 
eingreifen  zu  können.*' 

Indessen  war  in  Italien,  das  sich  beeilte,  ein  fait  accompli  zu  schaffen, 
am  5.  November  1911  durch  einen  königlichen  Erlaß  die  Annexion 
von  Tripolitanien  und  der  Cyrenaika  erklärt  worden. 

Über  die  Wirkung  dieses  Ereignisses  berichtet  Oberst  Pomiankowski 
in  einem  am  21.  November  eingelangten  Schreiben: 

„Kon  st  antin  Opel,  am  17.  November  1911. 
Euer  Exzellenz! 

In  meinem  Bericht  vom  6.  d.  M.  habe  ich  bereits  die  großen 
Schwierigkeiten  geschildert,  welche  sich  infolge  der  türkischen  Waffen- 
erfolge in  Tripolis  einem  baldigen  Friedensschlüsse  entgegenstellen.  Nun 
sind  die  etwa  noch  bestandenen  Hoffnungen  durch  die  italienische 
Annexionserklärung  vernichtet  worden,  so  daß  gegenwärtig  die  Möglich- 
keit einer  Beilegung  des  Konfliktes  in  unabsehbare  Feme  gerückt  erscheint. 

184 


In  Rom  hat  man  allerdings  eine  solche  Wirkung  der  Annexion  kaum 
vorausgesehen.  Man  gab  sich  dort  der  Hoffnung  hin,  daß  die  Prokla- 
mierung der  Besitzergreifung  nicht  allein  eine  Beruhigung  der  durch  den 
Mangel  an  Erfolgen  in  Tripolis  bereits  stark  erregten  italienischen 
Bevölkerung  zur  Folge  haben  wird,  sondern  auch,  daß  die  Türkei  — 
vielleicht  unter  dem  Druck  der  Mächte  —  nunmehr  die  unabänderliche 
Entschließung  Italiens  hinnehmen  und  sich  herbeilassen  werde,  Frieden 
zu  schließen.  Sowohl  unsere  Monarchie,  als  auch  die  übrigen  Mächte 
haben  die  Annexionserklärung  nicht  beantwortet;  nur  England  soll  die 
italienische  Regierung  auf  den  Widerspruch  zwischen  dem  Annexions- 
beschluß und  der  faktischen  Lage  in  Tripolis  aufmerksam  gemacht  haben. 

Unter  dem  Eindruck  dieser  Enttäuschung  verständigte  das  römische 
Kabinett  vertraulich  die  Mächte,  daß  Italien  im  Falle  der  Fortsetzung  des 
türkischen  Widerstandes  die  Operationen  auf  die  übrigen  Teile  des 
Osmanischen  Reiches  ausdehnen  und  einen  »Coup  decisif«  führen  werde. 
Die  Antworten  jedoch,  welche  Italien  auf  diese  Mitteilung  von  den 
Mächten  erhielt,  scheinen  wenig  ermutigend  zu  sein.  Graf  Ährenthal 
hat  —  wie  mir  der  Herr  k.  u.  k.  Botschafter  sagte  —  den  Herzog  von 
Avarna  auf  den  Artikel  3  des  (nicht  veröffentlichten)  Dreibundvertrages, 
in  welchem  die  Unantastbarkeit  der  europäischen  Türkei  ausdrücklich 
stipuliert  sein  soll,  verwiesen  und  erklärt,  daß  Österreich-Ungarn  gegen- 
über einer  Verletzung  dieser  Vertragsbestimmung  nicht  gleichgültig 
bleiben  könnte.  Nach  Mitteilung  des  hiesigen  englischen  Militärattaches 
hat  England  gegen  einen  Angriff  auf  Smyma  Einspruch  erhoben;  bezüg- 
lich der  Haltung  Rußlands  und  Frankreichs  ist  mir  bisher  nichts  Authen- 
tisches bekanntgeworden. 

Bei  den  bezüglichen  Besprechungen  dürften  die  Mächte  wohl  nicht 
versäumt  haben,  die  italienische  Regierung  auf  die  Aussichtslosigkeit  einer 
Flottenaktion  im  Ägäischen  Meere  aufmerksam  zu  machen.  Diesfalls  habe 
ich  schon  in  meinem  letzten  Berichte  Gelegenheit  gehabt,  die  geringe 
Wirkung  einer  eventuellen  Besetzung  von  Inseln,  dann  von  Angriffen 
auf  einzelne  Häfen,  sowie  einer  Blockierung  derselben  zu  besprechen  und 
darzulegen.  Die  Möglichkeit  einer  Forcierung  der  Dardanellen  und  das 
Eindringen  einer  italienischen  Flotte  in  das  Marmara-Meer  habe  ich  für 
so  unwahrscheinlich  gehalten,  daß  mir  die  nähere  Erörterung  dieser 
Eventualität  nicht  notwendig  zu  sein  schien.  Nachdem  jedoch  speziell 
in  hiesigen  Diplomatenkreisen  eine  solche  Aktion  als  der  angekündigte 
»Coup  decisif«  angesehen  und  besprochen  wird,  so  scheint  es  mir  von 
Interesse,  diesbezüglich  gleichfalls  einige  Worte  zu  sagen. 

Die  in  die  Dardanellen  eindringende  italienische  Flotte  wurd  mit  dem 
Widerstände    der    Küstenbefestigungen    und    Minenanlagen,    dann    der 

185 


türkischen  Flotte  zu  rechnen  haben.  Die  Befestigungen  sind  zwar  sämtHch 
veraltet  und  mit  alten,  aus  den  Achtziger-  und  Neunzigerjahren  stammen- 
den Geschützen  armiert.  In  den  Strandbatterien  stehen  fünfzehn  15  cm-, 
sechzehn  21  cm-,  sechsunddreißig  24  cm-,  zehn  26  cm-,  zehn  28  cm-  und 
sechs  35-5  cm-Kanonen,  in  den  Hochbatterien  siebenundzwanzig  15  cm- 
Kanonen  und  vierzehn  21  cm-Mörser.  Die  neuen,  für  die  Dardanellen 
und  den  Bosporus  bestimmten  400  Stück  Gehischen  Minen  sollen  erst 
in  vierzehn  Tagen  in  Konstantinopel  eintreffen  und  man  hat  infolgedessen 
anfangs  dieses  Monats  bei  den  Dardanellen  zwei  Reihen  altartiger  Minen 
gelegt.  Es  ist  auch  möglich  und  sogar  wahrscheinlich,  daß  die  sonst 
inferiore  türkische  Flotte  in  der  Meerenge  günstige  VerhäUnisse  zum  Ein- 
greifen finden  könnte. 

Trotz  der  durchwegs  veralteten  Verteidigungsmittel  wird  nun  nicht 
allein  von  türkischen,  sondern  auch  von  deutschen  und  englischen 
Offizieren  eine  Forcierung  der  Dardanellen  durch  die  itaUenische  Flotte 
für  kaum  möglich  gehalten.  Admiral  Williams,  mit  welchem  ich  die  Even- 
tualität dieser  Operation  eingehend  zu  besprechen  Gelegenheit  hatte,  ist 
der  Meinung,  daß  ein  möglichst  rasches  Durchfahren  der  Meerenge  noch 
immer  mehr  Chancen  des  Gelingens  hätte  als  die  systematische  Zerstörung 
und  Demontierung  der  einzelnen  Strand-  und  Hochbatterien,  welche 
schon  durch  ihre  Anlage  gegen  das  Weitfeuer  der  Schiffe  meist  geschützt 
sind.  Jedenfalls  würde  das  sukzessive  Niederringen  der  einzelnen  Befesti- 
gungen durch  die  moderne,  weiterschießende  Schiffsartilleiie  sehr  lange 
Zeit  erfordern,  während  welcher  die  italienischen  Schiffe  den  türkischen 
Minen-  und  Torpedo  angriffen  ausgesetzt  wären.  Daß  es  auf  alle  Fälle 
ohne  ernste  Beschädigung  und  vielleicht  Verlust  einiger  Schiffe  nicht 
abgehen  würde,  kann  als  sicher  angesehen  werden. 

Nimmt  man  nun  an,  daß  es  der  italienischen  Flotte  nicht  gelingen 
würde,  mit  dem  größten  Teil  der  Schiffe  ins  Marmara-Meer  einzudringen 
und  vor  Konstantinopel  zu  erscheinen,  so  fragt  es  sich,  was  hiemit  für 
Italien  gewonnen  wäre.  Der  Sultan,  das  Parlament  und  die  Zentral- 
behörden würden  sich  einfach  außerhalb  des  Bereiches  der  Schiffs- 
geschütze etablieren  und  im  übrigen  Konstantinopel  seinem  Schicksal 
überlassen.  Ein  Bombardement  des  von  Europäern  bewohnten  Galata 
und  Pera  ist  kaum  denkbar  und  die  Zerstörung  Stambuls  und  Skutaris 
mit  ihrer  an  verheerende  Brände  gewöhnten  türkischen  Bevölkerung 
würde  auf  die  Entschließungen  der  Pforte  so  gut  wie  gar  keine  Wirkung 
ausüben.  Wenn  sich  nun  die  Aktion  vor  Konstantinopel  als  unwirksam 
erweist,  so  muß  für  die  italienische  Flotte  bald  der  Moment  eintreten, 
das  Marmara-Meer  zu  verlassen,  und  dies  könnte  unter  Umständen  sich 
noch  schwieriger  und  veilustreicher  gestalten  als  das  Eindringen. 

186 


Wie  aus  dieser  Betrachtung  zu  ersehen,  wäre  das  Forcieren  der 
Dardanellen  sowohl  militärisch  als  auch  politisch  eine  äußerst  gewagte 
Operation.  Italien  müßte  selbst  im  Falle  des  militärischen  Gelingens  mit 
dem  Verluste  einiger  Schiffseinheiten  rechnen  und  könnte  auch  dann 
kaum  auf  einen  politischen  Erfolg  rechnen.  Ob  sich  Italien  unter  diesen 
Umständen  zu  einer  solchen  Aktion  entschließen  kann,  scheint  mir  sehr 
zweifelhaft  zu  sein. 

Wenn  sich  nun  sämtliche  Pressionsmittel  im  Ägäischen  Meer  als 
unwirksam  oder  undurchführbar  erweisen  und  auch  das  Expeditions- 
korps in  Tripolis  keine  Erfolge  erringen  könnte,  so  wäre  es  nicht 
unmögUch,  daß  Italien  sich  entschließt,  einen  allgemeinen  Balkankrieg 
zu  entfachen,  um  vielleicht  auf  diesem  Wege  eine  Lösung  des  geradezu 
zu  einer  Lebensfrage  gewordenen  tripolitanischen  Problems  herbeizu- 
führen. Voraussetzung  für  einen  Angriff  der  Balkanstaaten  auf  die 
Türkei  ist  jedoch  eine  Erhebung  in  Albanien  und  Mazedonien,  sowie  die 
NeutraUtät  unserer  Monarchie  und  Rumäniens.  Daß  in  Mazedonien  und 
Albanien  wieder  viel  Zündstoff  angehäuft  ist,  scheint  mir  allerdings 
ebenso  wenig  einem  Zweifel  zu  unterliegen,  als  daß  italienische  Agenten 
in  diesen  Gebieten  schon  jetzt  eine  rührige  Tätigkeit  entfalten.  Doch  wird 
es  hoffentlich  Said  Pascha  gelingen,  durch  kluges  Nachgeben  und 
nationale  Konzessionen  die  Bevölkerung  zu  beruhigen  und  hiedurch  die 
italienische  Agitation  zu  paralysieren. 

Resümiert  man  nun  diese  Betrachtungen,  so  kann  man  sagen,  daß 
die  gegenwärtige  Lage  der  Türkei  in  militärpolitischer  Hinsicht  als 
günstig  bezeichnet  werden  kann.  Es  ist  einfach  nicht  abzusehen,  wie 
Italien  die  voreilig  erklärte  Annexion  von  Tripolis  de  facto  durchführen 
und  deren  Anerkennung  durch  die  Türkei  erzwingen  wird.  Viele 
Anzeichen  deuten  denn  auch  darauf  hin,  daß  die  anfängliche  Kriegs- 
begeisterung in  Italien  bereits  verraucht  ist  und  einer  großen  Nervosität 
Platz  gemacht  hat. 

Die  Haltung  der  einzelnen  Großmächte  in  Bezug  auf  den  Tripolis- 
konflikt, sowie  die  Möglichkeiten  einer  Intervention  behufs  Beendigung 
des  Krieges  werde  ich  im  nächsten  Berichte  erörtern. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  tiefsten  Ehrfurcht. 

Pomiankowski,  Oberst." 

In  einem  zweiten  Schreiben  vom  selben  Tage  (17.  November  1911) 
fügt  Oberst  Pomiankowski  ergänzend  hinzu,  daß  sowohl  der  k.  u.  k. 
Botschafter  Markgraf  Pallavicini,  als  der  deutsche,  Baron  Marschall,  den 
Moment  für  eine  Pression  auf  die  Türkei  nicht  gegeben  erachten  und  es 
angemessen  hielten,  Itahen  von  Aktionen  im  Ägäischen  Meere  oder  gar 

187 


gegen  Konstantinopel  abzuraten.  Er  führt  aus,  daß  eingeweihte  Persön- 
lichkeiten, und  zwar  auch  Türken,  das  schließliche  Nachgeben  der 
Pforte  voraussehen,  da  auch  Frankreich  und  Rußland  das  Interesse 
hätten,  eine  starke  Türkei  nicht  aufkommen  zu  lassen.  Hinsichtlich 
Englands  aber  heißt  es: 

„England,  das  der  Stimmung  seiner  mohammedanischen  Untertanen 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  Rechnung  tragen  muß,  unterstützt  die 
Türkei  in  mancher  Beziehung  bei  Organisierung  des  Widerstandes  in 
Benghasi  und  nimmt  auch  sonst  einen  dem  Osmanischen  Reiche  recht 
wohlwollenden  Standpunkt  ein.  So  viel  ich  jedoch  höre,  weicht  es 
bisher  jeder  seriösen  Besprechung  bezüglich  eines  dezidierten  Schrittes 
zu  Gunsten  der  Türkei,  sowie  betreffs  Neugestaltung  der  englisch- 
türkischen Beziehungen  geflissentlich  aus.  Als  Bedingung  für  die  ernst- 
liche englische  Unterstützung  wird  der  Sturz  des  von  den  Jungtürken 
abhängigen  Kabinetts  Said  Pascha  und  Berufung  einer  neuen  Regierung 
kiamihstischer  Richtung  bezeichnet  oder  angedeutet.  Einen  sichtbaren 
Beweis  für  diese  englische  Tendenz  erblickt  man  in  Konstantinopel  in 
dem  Empfange  des  in  Ägypten  weilenden  Kiamil  Pascha  in  Port  Said 
durch  König  Georg*)  anläßhch  der  Durchreise  der  Majestäten  nach 
Indien. 

Trotz  der  unleugbaren  Verdienste  des  Großveziers  Said  Pascha 
betrachtet  man  in  manchen  türkischen  Kreisen  die  Erfüllung  des  eng- 
lischen Wunsches  schon  in  nächster  Zeit  als  nicht  ausgeschlossen.  Denn 
unter  dem  Eindruck  des  Ausganges  der  Marokko-Affäre,  sowie  des 
Unvermögens  von  Seite  Deutschlands,  die  Türkei  gegen  Italien  zu  unter- 
stützen, gewinnt  der  Wunsch  nach  einer  Anlehnung  an  England  immer 
mehr  Anhänger  und  Intensität.  Der  frühere  Marineminister  Mahmud 
Muktar  Pascha  sagte  mir  ganz  offen,  daß  man,  um  den  Kern  des  Reiches 
zu  erhalten,  Konzessionen  an  der  Peripherie  machen  müsse;  er  meinte 
hiebei  offenbar  Konzessionen  in  Mesopotamien  und  Arabien,  dann 
Anerkennung  des  Faschoda-Vertrages  und  vielleicht  sogar  eine  Kon- 
zession bezüglich  Tobruk  zu  Gunsten  Englands. 

Die  Freundschaft  Englands  hat  überdies  noch  deshalb  einen 
besonderen  Wert,  weil  man  durch  dessen  Einfluß  hofft,  von  Frankreich 
eine  Anleihe  zu  erhalten." 

Eine  bemerkenswerte  Stelle  enthält  der  Bericht  noch  bezüglich 
Rußlands,  und  zwar: 


*)  König  Georg  und  die  Königin  reisten  damals  zur  Kaiserkrönung 
nach  Delhi. 

188 


„Daß  Herr  Tscharykow  in  gewohnt  rühriger  Weise  auf  die  möglichste 
Annäherung  zwischen  der  Türkei  und  Rußland  hinarbeitet,  ist  nicht  zu 
bezweifeln.  Markgraf  Pallavicini  glaubt  hiebei  feststellen  zu  können, 
daß  der  russische  Botschafter  sich  diesbezüglich  um  die  Weisungen  aus 
Petersburg  wenig  bekümmert  und  hier  seine  eigene  Politik  treibt,  welche 
dahin  zielt,  zu  einer  Rußland  günstigen  Lösung  der  Meerengenfrage  zu 
gelangen.  Es  ist  interessant,  festzustellen,  daß  Herr  von  Tscharykow  der 
einzige  Botschafter  in  Konstantinopel  ist,  welcher  vom  Beginn  des 
Krieges  angefangen  den  Türken  äußersten  Widerstand  anriet,  während 
alle  übrigen  Nachgeben  und  baldigsten  Friedensschluß  befürworteten." 

Der  Bericht  konstatiert  ferner  das  Abflauen  der  Beziehungen  der 
Türkei  zu  Deutschland  und  das  wachsende  Mißtrauen  gegen  Österreich- 
Ungarn. 

Dies  fand  auch  eine  Bestätigung  in  folgendem,  am  25.  November 
eingelangten  Schreiben  des  k.  u.  k.  Militärattaches  in  Petersburg,  Haupt- 
mann Prinz  Hohenlohe,  das  überdies  auch  Mitteilungen  über  Rußland 
enthielt : 

„Euer  Exzellenz! 

Eben  hat  mich  mein  türkischer  Kollege,  den  ich  neulich  aufgesucht 
hatte,  ohne  ihn  zu  treffen,  verlassen. 

Aus  dem  mit  ihm  geführten  Gespräche  entnahm  ich,  daß  man  in 
der  Türkei  doch  eher  darüber  desillusioniert  ist,  daß  die  freundschaftlichen 
Gefühle  Deutschlands  und  Österreich-Ungarns  nicht  greifbare  Resultate 
für  die  Türkei  geschaffen  hätten. 

Remsy  Bey  sagte:  »Ce  sera  pour  l'avenir  une  legon  pour  nous, 
qu'il  ne  faut  se  fier  qu'ä  des  choses  ecrites«*). 

Darauf  erlaubte  ich  mir  zu  bemerken,  daß  ich  es  zwar  als  Nicht- 
diplomat  nicht  wissen  könne,  daß  ich  aber  als  Privatmann  aus  den 
Zeitungen  den  Eindruck  gewonnen  hätte,  daß  es  doch  Deutschlands  und 
Österreich-Ungarns  Bemühungen  zu  danken  sei,  daß  bisher  der  Krieg 
lokalisiert  worden  sei,  und  daß  ich  diesen  in  der  Geschichte  einzig 
dastehenden  Fall  doch  als  einen  sehr  greifbaren  und  wertvollen  Erfolg 
für  die  Türkei  ansehen  zu  müssen  glaube. 

Dies  gab  mir  Remsy  Bey  zu  und  sagte:  »Ja,  die  Ruhe  auf  dem  Balkan 
und  die  Erhaltung  des  Status  quo  seien  gänzlich  und  in  erster  Linie  von 
Österreich-Ungarn  abhängig.« 

Er  sprach  dann  über  den  Krjeg  und  sagte: 


*)  Dies  wird  für  die  Zukunft  eine  Lehre  für  uns  sein,  daß  man  nur 
geschriebenen  Sachen  trauen  dürfe. 


189 


>Für  uns  Türken  und  insbesondere  für  das  jungtürkische  Prinzip 
ist  dieser  Krieg  eine  Operation  auf  Tod  und  Leben.  Zur  Zeit  Abdul 
Hamids  wäre  eine  Gebietsabtretung  möglich  und  weniger  folgenschwer 
gewesen  als  jetzt,  wo  jede  Gebietsabtretung  einen  Selbstmord  am  Jung- 
türkentum  bedeuten  würde.« 

Man  hofft  und  träumt  in  der  Türkei  von  einem  direkten  Bundes- 
verhältnis mit  den  Großmächten.   Hiebei  sagte  er: 

»La  Turquie  certes,  n'est  ä  l'instant  pas  une  force  avec  laquelle 
l'Autriche-Hongrie  et  l'Allemagne  voudraient  etre  alliees  ä  tout  prix,  mais 
si  on  nous  donne  la  possibilite  de  travailler  encore  10  ans  comme  nous 
l'avons  fait  jusqu'ä  present  et  que  nous  ne  disparaissons  pas  tout  ä  fait 
de  la  carte  de  l'Europe  par  cette  guerre,  qui  est  pour  nous  question  de 
vie  ou  de  mort,  nous  serons  une  force  tout  ä  fait  redoutable«*). 

Auf  meine  Frage,  ob  durch  die  russische  Diplomatie  der  jetzige 
Augenblick  nicht  ausgenützt  werden  könnte,  um  in  der  Dardanellenfrage 
eine  Lösung  herbeizuführen,  sagte  er,  er  wisse  zwar  nicht,  was  in 
Konstantinopel  momentan  vor  sich  gehe,  möglich  sei  es  aber  immerhin, 
daß  man,  da  man  die  Hilfe  und  Unterstützung  irgend  einer  Großmacht 
brauche,  welche  eine  sichere  Gewähr  für  die  Eingehung  eines  Bundes- 
verhältnisses bieten  könnte,  Zugeständnisse  an  Rußland  machen  würde. 

Die  Verhältnisse  in  Tripolis  beurteilt  er  für  die  Türken  als 
günstig. 

Die  Italiener  können  an  ein  Vordringen  ins  Innere  jetzt  gar  nicht 
denken,  selbst  wenn  sehr  große  Verstärkungen  (er  sagte  sogar  bis 
200.000  Mann)  herangezogen  würden.  Im  Gegenteil  sei  die  Möglichkeit 
einer  Rückeroberung  von  Tripolis  durch  die  Türken  und  Araber,  falls 
die  Flotte,  durch  die  Umstände  gezwungen,  sich  von  der  Küste  fern- 
zuhalten, ihre  Mitwirkung  durch  die  Schiffsgeschütze  einzustellen  genötigt 
wäre,  gar  nicht  ausgeschlossen. 

Die  Araber  seien  gut  ausgerüstet  und  bewaffnet.  Die  Munitions- 
zufuhr erfolge  seiner  unmaßgebUchen  Ansicht  nach  nicht  nur  über  Tunis, 
sondern  auch  über  Ägypten, 


*)  Die  Türkei  ist  im  Augenblick  gewiß  nicht  eine  Macht,  mit  welcher 
Österreich-Ungarn  und  Deutschland  um  jeden  Preis  verbündet  sein 
möchten,  aber  wenn  man  uns  die  Möglichkeit  gibt,  noch  zehn  Jahre  zu 
arbeiten,  wie  wir  es  bis  jetzt  gemacht  haben,  und  wenn  wir  nicht  durch 
diesen  Krieg  ganz  von  der  Karte  Europas  verschwinden,  welcher  für 
uns  eine  Frage  auf  Leben  und  Tod  ist,  werden  wir  eine  beträchtliche 
Macht  sein. 

IQO 


Daß  die  italienische  Flotte  bei  einem  Angriff  atif  die  Dardanellen 
reüssieren  könne,  hält  er  für  ganz  ausgeschlossen.  Sein  Vertrauen  zu 
den  Forts-  und  Minenanlagen  ist  groß. 

Der  einzige  Erfolg  der  italienischen  Flotte  könne  in  der  Besetzung 
einzelner  Inseln  bestehen;  doch  werde  dies  auf  den  Gang  der  Ereignisse 
von  geringem  Einfluß  sein. 

Remsy  Bey  bestätigte  mir  auch  die  Nachricht,  daß  mein  englischer 
Kollege  demnächst  aus  Täbris  auf  seinen  hiesigen  Posten  zurückkehren 
dürfte;  es  könnte  sein,  daß  es  mir  dann  mögUch  sein  wird,  E.  E.  neuere 
Nachrichten  über  die  Zustände  und  Ereignisse  in  Persien  zu  melden. 

Remsy  Bey  bestätigte  mk,  daß  man  hier  eine  Zeitlang  über  die 
Haltung  Österreich-Ungarns  am  Balkan  besorgt  war. 

Im  hiesigen  Kriegsministerium  hätte  man  ihm  mitgeteilt,  daß  man 
auf  die  immer  wieder  auftauchenden  Gerüchte  über  Truppenverschiebungen 
Österreich  Ungarns  nach  Tirol  und  nach  Bosnien  den  russischen  MiUtär- 
attache  in  Wien  beauftragt  habe,  darüber  zu  berichten. 

Derselbe  meldete  allerdings  über  Munitions-  und  sonstige  Transporte 
nach  Tirol.  Größere  Truppenverschiebungen  seien  jedoch  nicht  vor- 
gekommen. 

Auf  meine  Frage,  ob  hier  in  Rußland  in  letzter  Zeit  Truppen- 
verschiebungen vorgekommen  seien,  sagte  mir  Remsy  Bey,  daß  Muni  ions- 
transporte  (auch  Munitionswagen)  in  den  Kiewer  Distrikt  vorgekommen 
seien.  Verschiebungen  von  Korpsteilen  oder  gar  ganzer  Korps  haben 
nicht  stattgefunden  und  seien  seiner  Ansicht  nach  nicht  zu  erwarten. 

Die  Anwesenheit  Seiner  Majestät  in  Livadia,  die  noch  nicht  erfolgte 
Rückkehr  des  Ministers  des  Äußern  aus  der  Schweiz  sind  immerhin  auch 
Anzeichen  dafür,  daß  man  hier  in  maßgebenden  Kreisen  trotz  aller 
gegenteiligen  Gerüchte  den  Ereignissen  mit  größerer  Beruhigung 
entgegensieht  und  an  eine  Aktion  Österreich-Ungarns  auf  dem  Balkan, 
die  über  den  Rahmen  der  Erhaltung  des  Status  quo  hinausgehen  würde, 
nicht  glaubt. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  besonderen  Verehrung,  mit 
welcher  ich  mich  zeichne  als 

Euer  Exzellenz  gehorsamst  ergebener 

Hohenlohe,  Hauptmann. 

St.  Petersburg,  am  21.  November  1911. 

Präs.  25.  November  1911. 
Geh.  Nr.  63/1911." 

Ich  hatte  an  den  k.  u.  k.  Militärattache  in  Rom  Auftrag  erteilt,  zu 
berichten,    wann    die    ersten    Anzeichen    für    irgend    eine    besondere 

191 


militärische  Maßnahme  in  Italien  wahrzunehmen  waren  und  wieso  es 
kam,  daß  Italiens  Aktion  in  so  überraschender  Weise  erfolgen  konnte. 
Der  hierauf  eingelangte  Bericht  vom  22.  November  1911  lautet  aus- 
zugsweise : 

„Rom,  22.  November  1911. 

Es  steht  außer  Zweifel,  daß  man  allgemein  —  und  so  auch  unsere 
Vertretung  —  durch  die  plötzlichen  Entschlüsse  Italiens  überrascht 
worden  ist. 

Der  Werdegang  der  italienischen  Maßnahmen  war  wie  folgt 
markiert:  Bis  21.  September  dachte  niemand,  auch  im  Schöße  der 
Regierung,  an  eine  so  nahe  bevorstehende  Aktion. 

Erst  zwischen  21.  und  23.  September  müssen  Ereignisse  eingetreten 
sein,  welche  zu  den  folgenden  raschen  Entscheidungen  der  Regierung 
führten;  militärische  Anordnungen  für  die  Mobilisierung  fanden  keines- 
falls vor  dem  23.  September  statt. 

Der  Mobilisierungsbefehl  für  die  Flotte  wurde  erst  am  24.  September 
dekretiert,  wahrscheinlich  unmittelbar  nach  dem  überaus  eiligen,  an 
diesem  Tage  abgehaltenen  Ministerrat. 

Die  eigentliche  Mobilisierungstätigkeit  der  Truppen  und  die 
Ergänzungstransporte  begannen  jedoch  erst  mit  dem  28.  als  erstem 
Mobilisierungstag. 

Das  früheste  wirkliche  militärische  Anzeichen  für  eine  Expedition 
war  die  am  23.  September  erfolgte  Einberufung  der  Klasse  88. 

Auf  Grund  erster  Zeitungsmeldungen  (waren  zum  Teil  erfunden) 
über  Truppenbewegungen  wurde  am  15.  September  der  Geschäftsträger 
veranlaßt,  die  Konsuln  zu  beauftragen,  zu  berichten.  Nur  der  Konsul 
in  Neapel  sandte  eine  vage  Meldung  (vom  19.  September)  über  größeren 
Truppenverkehr  bei  Heer  und  Marine. 

Dies  ergibt  als  Resume,  daß  vor  dem  23.  keinerlei  militärische 
Vorbereitungen  stattfanden  und  auch  keine  militärischen  Anzeichen  vor- 
lagen, welche  auf  eine  nahe  bevorstehende  militärische  Aktion  Italiens 
schließen  ließen. 

Italien  hat  sich  mit  der  tripolitanischen  Frage  wieder  näher  zu 
beschäftigen  begonnen,  als  Frankreich  seine  Marokkopolitik  intensiver 
gestaltete. 

Den  Entschluß  zur  Lösung  der  Tripolisfrage  scheint  man  erst 
gefaßt  zu  haben,  als  der  Gang  der  Marokko  Verhandlungen  zwischen 
Deutschland  und  Frankreich  einen  günstigen  Ausgang  derselben 
möglich  erscheinen  ließ;  das  war  ungefähr  um  Mitte  September. 

Damit  setzte  auch  die  Haupthetze  der  Presse  ein,  welche  unum- 
wunden die  Okkupation  von  Tripolis  und  der  Cyrenaika  verlangte. 

192 


Der  König,  Giolitti  und  San  Giuliano  haben  niclit  sofort  überein- 
gestimmt. Der  Treibende  war  San  Giuliano.  Giolitti,  abliold  jeder 
Kolonialpolitik  und  Expansion,  mußte  erst  überzeugt  werden,  was  über- 
raschenderweise gelang.  Gerade  Giolitti  soll  gesagt  haben:  >Wenn 
schon,  dann  gleich  alles.  Remen  Tisch.  Kein  Protektorat,  kein  Schatten 
von  türkischer  Souveränität,  denn  wir  dürfen  später  absolut  keine 
Schwierigkeiten  mit  unklaren  Fragen  dieser  oder  jener  Art  haben.« 
Giolitti  soll  —  mit  einem  Worte  —  dann  noch  energischer  gewesen  sein, 
als  San  Giuliano  und  bei  seiner  überragenden  Autorität  gelang  es 
Giolitti  auch,  den  König,  der  durchaus  abgeneigt  gewesen  ist,  zur 
Zustimmung  zu  bewegen. 

Die  prinzipielle  Einigung  unter  den  Mitgliedern  der  Regierung  war 
vielleicht  schon  beim  Ministerrat  am  15.  erzielt,  aber  kaum  dürften 
definitive  Entschlüsse  gefaßt  worden  sein,  da  die  Einwilligung  des  Königs 
noch  nicht  vorgelegen  sein  dürfte. 

San  Giuliano  hat  immer  hervorgehoben,  daß  man  die  Tripolisfrage 
lösen  werde,  wenn  das  deutsch-französische  Abkommen  über  Marokko 
perfekt  geworden  sei.  Man  erwartete,  daß  die  Unterhandlungen  sich 
noch  geraume  Zeit  hinziehen  werden.  Nun  soll  —  jedenfalls  nach  dem 
20.  September  —  die  erste  verläßhche  Nachricht  des  italienischen  Bot- 
schafters in  Berlin  eingetroffen  sein,  daß  der  Abschluß  des  Marokko- 
Übereinkommens  gesichert  sei. 

Diese  Nachricht  hätte  nun  überrascht  und  die  schleunige  Rückkehr 
San  Giulianos  und  Giolittis,  der  noch  am  29.  September  zum  König 
eilte,  nach  Rom,  sowie  den  Ministerrat  am  24.  September  zur  Folge 
gehabt,  in  welchem  die  bekannten  schwerwiegenden  Entscheidungen 
gefaßt  wurden. 

Die  nun  folgende  Aktion  der  italienischen  Diplomatie  soll  nun  nicht 
Hand  in  Hand  mit  der  Bereitstellung  des  Expeditionskorps  gegangen, 
sondern  den  militärischen  Maßnahmen  vorausgeeilt  sein.  Man  sagt,  daß 
der  Druck  auf  die  Türkei  eine  ganz  andere  Wirkung  hätte  haben 
können  (?),  wenn  das  Ultimatum  erst  dann  gestellt  worden  wäre,  als 
das  Expeditionskorps  vollständig  bereit  stand. 

Die  militärisch  leitenden  Stellen  sollen  es  gewesen  sein,  welche  jetzt 
drängten. 

San  Giuliano  —  gestützt  auf  die  öffentliche  Meinung  —  sandte  am 
27.  sein  Ultimatum  ab. 

Tatsache  ist,  daß  vor  dem  23.  September  hier  niemand  —  am  aller- 
wenigsten die  türkische  Botschaft  —  an  die  nahe  Möglichkeit  schwer- 
wiegender Entscheidungen  dachte. 

13,  Courad  II  jg3 


So  konnte  es  geschehen,  daß  alle  Botschafter  und  Attaches  weiter 
auf  Urlaub  blieben  und  daß  der  deutsche  Militärattache  beispielsweise 
am  18.  einen  längeren  Urlaub  antrat. 

Sehr  geheim  wurden  die  nach  dem  24.  September  gefaßten  Maß- 
nahmen der  Consulta  gehalten. 

Italien  wußte  seit  langem,  daß  ihm  seitens  der  Mächte  plein  pouvoir 
hinsichtlich  Tripolis  gelassen  sei.  Es  hatte  daher  nicht  notwendig,  die 
Mächte  für  den  konlaeten  Fall  zu  sondieren. 

Jedenfalls  waren  weder  pohtische  noch  militärische  Anzeichen 
bemerkbar,  welche  die  plötzliche  überraschende  Aktion  Italiens  voraus- 
sehen ließen  und  es  war  möglich,  daß  vielleicht  die  italienische  Regierung 
selbst  nicht  auf  acht  Tage  früher  ihre  dann  Schlag  auf  Schlag  getroffenen 
Maßnahmen  vorausgesehen  hat.  Auch  Armee  und  Flotte  wurden  voll- 
kommen überrascht. 

Nichtsdestoweniger  ist  dies  ein  Fingerzeig  für  die  Zukunft,  daß 
Italien  Entschlüsse  und  Absichten  geheimhalten  könne.  Da  eine  solche 
Überraschung  ja  auch  uns  treffen  könnte,  so  ist  es  nötig,  daß  auch  die 
nichtmilitärischen  ö.-u.  Vertreter  in  Italien  ihr  schärferes  Augenmerk  auf 
militärische  Vorgänge  und  Maßnahmen  richten,  und  zwar  nicht  nur  in 
kritischen  Zeiten,  sondern  immer. 

Unter  diesen  Vertretern  meine  ich  die  Konsularbeamten;  diese 
Beobachtung  müßte  einer  pragmatisch  in  den  Konsular-Dienstvorschriften 
festgelegten  Pflicht  entspringen,  die  Konsularakademiker  müßten  eine 
entsprechende  Instruktion  erhalten;  die  bisherigen  dortigen  militärischen 
Vorträge  scheinen  mir  nicht  genügend  intensiv  zu  sein. 

In  einem  Lande,  das  wie  Italien  eine  stete  Quelle  des  Mißtrauens 
bildet,  müßte  mit  dem  System  der  Honorarkonsuln,  namentlich  jener, 
die  itahenische  Staatsbürger  sind,  unbedingt  gebrochen  werden*). 

M  i  e  t  z  1,  Oberstleutnant." 

So  stand  die  italienisch-türkische  Frage  zur  Zeit,  als 
meine  Enthebung  von  der  Stelle  des  Chefs  des  Generalstabes  erfolgte. 

Ehe  ich  auf  dieses  Geschehnis  eingehe,  erübrigt  mir  noch,  einige 
für  Österreich-Ungarn  bedeutsame  Vorgänge  bei  anderen  Mächten, 
sowie  Beziehungen  zu  diesen  zu  berühren. 


*)  Österreich-Ungarn  hatte  einzelne  sehr  tüchtige  Konsuln  und 
Generalkonsuln,  aber  im  ganzen  stand  das  Konsularwesen  nicht  auf  der 
wünschenswerten  Höhe.  Es  kam  vor,  daß  ö.-u.  Staatsbürger  die  Vertretung 
ihrer  Rechte  bei  reichsdeutschen  Konsulaten  suchten;  auch  waren  einzelne 
der  letzteren  hiemit  offiziell  betraut. 

JQ4 


Balkan.  Am  Balkan  warfen  die  Ereignisse  bereits  die  Schatten 
des  Krieges  voraus,  der  am  Schlüsse  des  folgenden  Jahres  (1912)  in  über- 
raschender Weise  über  die  Türkei  hereinbrach.  In  welch  schwieriger 
Lage  die  Türkei  sich  befand,  geht  aus  den  früheren  Schilderungen  hervor. 
Mit  Besorgnis  sah  sie  auf  das  Verhalten  ihrer  Nachbarn. 

Die  Auffassung  der  Lage  in  Konstantinopeler  Kreisen  spiegelte  sich 
in  den  Berichten  wieder,  die  ich  von  unserem  dortigen  Mihtärattache 
erhielt. 

GelegentHch  der  schon  früher  erwähnten  Unterredung  desselben  mit 
Izzet  Pascha,  dem  türkischen  Chef  des  Generalstabes,  wies  letzterer  auf 
eine  griechisch-bulgarische  Annäherung  hin.  Auch  kam  als  symptomatisch 
zur  Sprache,  daß  dem  serbischen  und  dem  bulgarischen  Mihtärattache 
griechische  Orden  verliehen  wurden  und  der  serbische  Oberst  Illic  sich 
mitten  im  Winter  nach  Athen  begeben  hatte,  um  dort  mit  den  griechischen 
Armeekreisen  in  Verbindung  zu  treten. 

Wie  der  k.  u.  k.  Militärattache  zu  Izzet  Pascha  äußerte,  dürfte  sich 
für  die  kleinen  Balkanstaaten  kaum  eme  günstigere  Gelegenheit  bieten, 
über  die  Türkei  herzufallen,  als  jetzt.  Aber  dieselben  waren  noch  in 
eifriger  Reorganisation  und  Ausgestaltung  ihrer  Heeresmacht  begriffen, 
auch  schien  Rußland,  wie  ein  Bericht  des  Oberst  Pomiankowski  vom 
23.  Juh  1911  ausführt,  zu  dieser  Zeit  einen  Balkankrieg  nicht  zu 
wünschen.  Montenegro,  das  den  albanesischen  Aufstand  förderte,  lief 
Gefahr,  isoliert  zu  bleiben.  Bulgarien  blickte  auch  mit  Mißtrauen  auf 
Rumänien,  das  es  in  einem  Vertrag  mit  der  Türkei  verbunden  wähnte. 

Gerüchtweise  soll  der  rumänische  General  Robesco  inkognito  in 
Konstantinopel  geweilt  haben.  Konstantinopeler  Tagesblätter  brachten 
die  Nachricht,  daß  der  dortige  rumänische  Militärattache  in  letzter  Zeit 
zweimal  stundenlange  Unterredungen  mit  dem  Kriegsminister  Mahmud 
Schefket  Pascha  hatte. 

Österreich-Ungarn  war  bemüht,  freundschaftliche  Beziehimgen  mit 
der  Türkei  zu  pflegen,  aber  sein  Bundesverhältnis  zu  ItaUen,  mit  dem 
die  Türkei  im  Kriege  lag,  sowie  die  Empfindlichkeit  der  türkischen  Staats- 
männer gegen  Beeinflussungen  von  außen  und  deren  Mißtrauen  in  die 
PoHtik  der  Monarchie  machten  sich  hiebei  erschwerend  geltend;  ein 
Bericht  vom  26.  Juli  hebt  dies  hervor.  Ein  Brief  des  Oberst  von 
Pomiankowski  vom  3.  Oktober  1911  enthielt  die  Mitteilung,  daß  der 
serbische  Gesandte  in  Konstantinopel  Nenadovic  unserem  Botschafter 
gegenüber  geäußert  habe,  die  Stimmung  in  Serbien  und  Bulgarien  sei 
sehr  erregt,  die  Regierungen  geben  sich  zwar  alle  Mühe,  die  Ruhe  zu 
erhalten,  doch  könne  man,  wenn  der  KonfUkt  fortdauert,  für  nichts  gut- 
stehen. 


13» 


195 


Am  21.  März  1911  hatte  ich  den  k.  u.  k.  Militärattache  in  Sofia, 
Oberstleutnant  von  Hranilovic,  empfangen  und  mir  vor  allem  über  die 
Reorganisation  der  bulgarischen  Armee  berichten  lassen.  Er  bestätigte, 
daß  der  ursprüngliche  große  Plan  einer  Verdoppelung  der  Divisionen 
allmählich  durchgeführt  v^erde.  Es  sollten  zur  Formierung  gelangen: 
9  Infanteriedivisionen  erster  Linie  zu  je  16  Bataillonen  und  9  Infanterie- 
divisionen zweiter  Linie  zu  je  12  Bataillonen,  mit  der  Absicht,  je  eine 
Division  erster  und  eine  solche  zvceiter  Linie  in  ein  Korps  zu  vereinigen. 
Er  hob  die  große  Sorge  Bulgariens  gegenüber  Rumänien  hervor,  weil 
es  Anhaltspunkte  dafür  besitze,  daß  beim  Wiederaufleben  der  mazedo- 
nischen Wirren  im  Frühjahr  Rumänien  nicht  gleichgültig  bleiben  werde. 
Auch  sei  Bulgarien  durch  den  vermeintlichen  rumänisch-türkischen  Vertrag 
irritiert.  Hranilovic  bemerkte,  daß  nach  seiner  Orientierung  wohl  türkisch- 
rumänische Besprechungen  stattgefunden  hätten,  ein  förmlicher  Vertrag 
aber  nicht  bestehe. 

Ich  erkundigte  mich  dann  nach  dem  König.  Hranilovic  meinte,  daß 
er  zwar  im  Lande  nicht  beliebt,  aber  als  kluger  und  dem  Staate  nützlicher 
Regent  anerkannt  sei.  Er  hob  des  Königs  große  Empfindlichkeit  hervor. 
Sie  äußere  sich  auch  in  seiner  Verstimmung  darüber,  daß  Kaiser  Franz 
Joseph  in  Wien  ihm  nicht  den  Besuch*)  erwidert  und  er  auch  noch  nicht 
das  goldene  Vließ  erhalten  habe. 

Am  selben  Tag  (21.  März)  hatte  ich  auch  eine  längere  Unterredung 
mit  dem  k.  u.  k.  Mihtärattache  in  Bukarest,  Hauptmann  von  Fischer. 
Meine  Frage  nach  der  Heeresausgestaltung  beantwortete  er  dahin,  daß 
sie  im  Zuge  sei,  namentlich  hinsichtUch  der  Territorialformationen,  dann, 
daß  Rumänien  starke  Garnisonen  in  die  Dobrudza  verlege. 

Bulgarien  gegenüber  sei  ein  Umschwung  eingetreten,  denn  während 
bisher  Rumänien  Besorgnisse  hegte,  denke  es  jetz  selbst  daran,  im  Falle 
von  Komplikationen  am  Balkan  aktiv  gegen  Bulgarien  aufzutreten  und 
seine  Kräfte  hiezu  in  der  Gegend  von  Crajova  und  Slatina  zu  konzen- 
trieren. Eine  Vereinbarung  mit  Serbien  im  Falle  eines  Coups  gegen 
Bulgarien  bestehe  tatsächlich. 

Es  kam  nun  der  rumänische  Aufmarsch  im  Falle  eines  gemeinsamen 
Krieges  gegen  Rußland  zur  Sprache. 

Fischer  berichtete,  daß  vor  unserer  Einflußnahme  keine  Aufmarsch- 
arbeiten bestanden,  sondern  erst  daraufhin  in  Angriff  genommen  wordei?! 
seien.    Er  habe  den  Eindruck,  daß  Vorarbeiten  jetzt  bestehen,  auch  hin- 


•)  Der  Gegenbesuch  war  nur  deshalb  unterblieben,  weil  der  König 
selbst  Seiner  Majestät  gesagt  hatte,  daß  er  noch  am  selben  Nachmittag 
abreisen  werde,  die  Zeit  zum  Besuch  also  mangelte. 


196 


sichtlich  der  Instradierung,  aber  gewiß  nicht  so  eingehend  wie  bei  uns. 
Man  habe  sich  früher  darauf  verlassen,  erst  eintretenden  Falles  zu  über- 
legen, was  geschehen  soll.  Mit  Bezug  auf  mein  Bemühen,  den 
rumänischen  Aufmarsch  möglichst  in  die  nördliche  Moldau  zu  verlegen, 
meldete  Fischer,  daß  ein  Aufmarsch  bei  Birlat  (Berläd),  aber  auch  ein 
solcher  am  unteren  Sereth  in  Arbeit  sei.  Jener  bei  Dorohoju  werde  wohl 
gleichfalls  ausgearbeitet,  auch  sei  die  dortige  Gegend  durch  General- 
stabsoffiziere erkundet  worden,  doch  sei  es  fraglich,  ob  man  sich  dafür 
entschließen  werde.  Die  Aufmarscharbeiten  befänden  sich  talsächlich  noch 
beim  bisherigen  Chef  des  Generalstabes,  General  Crainiceanu.  Er  sei 
heute  ein  Privatmann,  seine  Wiederanstellung  aber  sei  möglich,  selbst 
wahrscheinlich,  insbesondere  für  den  Fall  des  Emporkommens  der 
liberalen  Partei,  in  der  er  viele  Anhänger  habe. 

Als  bedeutendste  Persönlichkeit  für  die  Stelle  des  Chefs  des  General- 
stabes käme  General  Averescu  in  Betracht,  doch  habe  er  Feinde  in  der 
Generalität  wegen  seines  scharfen  Vorgehens  in  Personalfragen  in  seiner 
Eigenschaft  als  Kriegsminister.  Er  wäre  auch  dem  jetzigen  KriegSr 
minister  Filipescu  eine  zu  prägnante  Persönlichkeit;  dieser  wünsche  eine 
fügsamere.  Filipescu  soll  gut  sein,  nehme  die  Sache  sehr  ernst,  habe  viel 
Einfluß  im  Ministerium  Carp  und  neige  zweifellos  zu  Österreich-Ungarn. 
Überhaupt  habe  sich  auch  in  den  letzten  zwei  Jahren  in  der  Öffentlichkeit 
die  Stimmung  uns  zugewendet,  doch  dürfe  man  nicht  übersehen,  daß 
in  Rumänien  eine  nationale  Partei  bestehe,  die  ein  „Großrumänien" 
im  Programm  habe  und  die  nationale  Entwicklung  im  Ausland  anstrebe. 

Auf  meine  Frage  hinsichtlich  der  Idee  einer  Angliederung  Rumäniens 
an  die  Monarchie,  meinte  Fischer,  daß  eine  solche  im  Volke  um  den 
Preis  der  Vereinigung  mit  Siebenbürgen  große  Sympathien  finden,  aber 
auf  den  Widerstand  des  an  der  Souveränität  hängenden  Königshauses,  vor 
allem  jenen  König  Carols,  stoßen  würde. 

Schließlich  kam  noch  der  Anschluß  der  rumänischen  Bahnen  bei 
Petra  an  die  siebenbürgischen  zur  Sprache,  der  mit  dem  Fall  rechnete, 
daß  eine  in  der  nördlichen  Moldau  versammelte  Armee  ihre  Nachschübe 
aus  der  Walachei  über  Siebenbürgen  leiten  müßte.  Hauptmann  Fischer 
erwähnte,  daß  der  König  mit  diesem  Bahnbau  einverstanden  sei,  umso- 
mehr,  als  auch  Krongüter  an  dieser  Strecke  lägen. 

Nachdem  im  Frühjahr  1911   für  Hauptmann  von  Fischer  die  Zeit 
ablief,  nach  der  Militärattaches  wieder  zum  Dienst  in  der  Heimat  rück- 
berufen wurden,  erfolgte  seine  Ablösung  durch  Hauptmann  von  Bilimek 
Bei  diesem  Anlasse  sandte  Fischer  noch  folgenden  Bericht: 

197 


„Euer  Exzellenz! 

In  der  Anlage  unterbreite  ich  eine  zusammenfassende  Meldung  über 
den  Stand  des  Tölgyespaß-Bahnprojektes,  sowie  der  den  Aufmarsch 
Rumäniens  im  Kriegsfalle  »R«  betreffenden  Fragen  zu  dem  Zeitpunkte 
der  Übergabe  der  Geschäfte  des  Militärattaches  in  Bukarest  an  meinen 
Nachfolger. 

I.  Die  Tölgyespaß-Bahn.  Entsprechend  dem  mir  mit 
Befehl  700  vom  24.  Feber  d.  J.  erteilten  Auftrage,  Herrn  Carp  nahezu- 
legen, in  Angelegenheit  der  Tölgyesbahn  die  Initiative  zu  ergreifen,  habe 
ich  mit  dem  Ministerpräsidenten  bei  passender  Gelegenheit  in  diesem 
Sinne  gesprochen.     Ich  habe  als  hauptsächlichste  Argumente  angeführt: 

1.  Die  Angelegenheit  liegt  in  eminenter  Weise  im  miUtärischen 
Interesse  Rumäniens. 

2.  Ein  solcher  Schritt  würde  die  Bemühungen  unserer  maßgebenden 
Faldoren  um  das  Zustandekommen  unserer  Teilstrecke  sehr  fördern; 
bisnun  haben  wir  von  der  Geneigtheit  der  rumänischen  Regierung,  auf 
dieses  Projekt  überhaupt  einzugehen,  eigentlich  offiziell  noch  gar  keine 
Kenntnis. 

3.  Ein  stärkeres  In-den-Vordergrund-stellen  der  ökonomischen  Inter- 
essen würde  dem  Bahnbau  den  Charakter  einer  rein  militärischen  Maß- 
nahme nehmen,  was  in  Rumänien  wahrscheinlich  als  wünschenswert 
empfunden  werden  würde. 

Herr  Carp  enthielt  sich  jeder  bestimmten  Äußerung  und  sagte,  er 
wöirde  mit  dem  König  darüber  sprechen  (was,  da  Seine  Majestät  kurz 
darauf  an  die  Donau  abreiste,  bis  zum  Zeitpunkte  meiner  Abreise  wahr- 
scheinlich nicht  erfolgt  ist).  Ich  habe  nicht  den  Eindruck,  daß  der 
Ministerpräsident  der  gemachten  Anregung  sehr  bereitwillig  gegenüber- 
steht. Er  wiederholte  aber  bei  dieser  Gelegenheit  neuerlich  die  Zusiche^ 
rung,  daß  er  im  Prinzip  geneigt  sei,  das  Bahnprojekt  zu  verwirklichen. 

Hen^  Carp  fragte  mich,  wie  weit  die  Sache  bei  uns  gediehen  sei, 
worauf  ich  ausweichend  antwortete,  daß  Seine  Exzellenz  damit 
rechnen  könne,  daß,  sobald  Rumänien  den  Bau  beginne,  dies  bei 
uns  auch  geschehen  würde. 

Bezüglich  des  obenstehend  unter  Nr.  2  angeführten  Arguments 
machte  der  Minister  die  interessante  Bemerkung:  seinem  Dafürhalten  nach 
sei  es  nicht  nötig,  den  militärischen  Charakter  dieses  Bahnprojektes 
ängstlich  zu  verschleiern,  als  aggressiv  könne  man  es  ja  nirgends 
empfinden.  (Herr  Carp  trägt  bekanntlich  nie  Bedenken,  seine  Dreibund- 
freundlichkeit zu  affichieren,  ein  Standpunkt,  der  uns  nur  angenehm  sein 

198 


kann,  in  dem  er  sich  aber  mit  manchen  anderen  maßgebenden  Faktoren, 
auch  dem  König,  nicht  im  Einklänge  befindet.) 

Wenige  Tage  später  sprach  der  Premier  auch  mit  dem  Herrn 
k.  u.  k.  Geschäftsträger  von  Ugron  über  das  Bahnthema.  Dieser  berührte 
in  akademischer  Form  das  seit  längerem  bestehende  Projekt,  eine  neue 
Schnellzugshnie  Budapest— Hermannstadt— Bukarest  zu  etablieren,  was 
den  Bau  einer  Verbindungsbahn  zwischen  Rimnic — Välcea  und  Curtea  de 
Arges  nötig  machen  würde.  Herr  Carp  antwortete  ihm,  dieses  Projekt 
stünde  noch  in  weiter  Ferne,  da  man  vor  allen  Dingen  die  Tölgyesbahn 
bauen  würde,  die  man  dem  k.  u.  k.  Generalstabe  zugesagt  habe.  (Dies 
sei  als  Bestätigung  für  den  Ernst  der  Absichten  Herrn  Carps  angeführt.) 

II.  Aufmarschfragen.  Da  General  Zotu*)  erst  ganz  kurz  im 
Amte,  daher  wahrscheinlich  noch  nicht  in  vollem  Umfange  orientiert  ist, 
hielt  ich  es  nicht  für  angebracht,  vor  meiner  Abreise  dieses  Thema  zu 
berühren.  Ich  resümiere  im  folgenden  kurz  den  derzeitigen  Stand  der 
Angelegenheit : 

Daß  die  Aufmarschfragen  in  dem  von  E.  E.  gewünschten  Sinne 
bearbeitet  wurden,  ist  durch  das  mir  von  General  Crainiceanu  gezeigte 
Memoire  bestätigt;  eine  Erhärtung  und  Kontrolle  dessen  bilden  die  von 
dem  König  gelegentlich  meiner  Audienzen  sowohl  1910  als  1911  dies- 
bezüglich gemachten  Bemerkungen,  deren  Fassung  und  Ton  —  von  dem 
sonst  von  Majestät  im  Verlauf  der  Audienz  beibehaltenen  leichten  Kon- 
versationston abweichend  —  die  Absicht,  sie  zu  machen,  erkennen  ließ. 

Wie  weit  dieses  mehr  als  Studie  angelegte  Memoire  in  praktische  Auf- 
marschvorbereitung umgesetzt  ist,  ließ  sich  mit  Sicherheit  nicht  feststellen. 
Nach  General  Crainiceanus  Versicherung  wäre  dies  bezüglich  aller  drei 
Varianten  geschehen;  ich  habe  nach  wie  vor  den  Eindruck,  daß  die 
Variante  »Berläd«  ernster  zu  nehmen  ist,  als  die  »nördliche  Moldau«; 
die  dritte  Variante  »Sereth«  war  ja  seit  jeher  vorbereitet. 

In  Bezug  auf  den  Charakter  dieser  Vorarbeiten  ist  anzunehmen,  daß 
sie  Umfang  und  Gründlichkeit  der  bei  uns  üblichen  überhaupt  nie 
erreichen.  Diesbezüglich  sind  Ausbildung  und  Gewissenhaftigkeit  des 
rumänischen  Großen  Generalstabs  gegenüber  dem  unseren  sehr  zurück. 

So  weit  ich  feststellen  konnte,  werden  im  allgemeinen  die  Transport- 
bewegungen vorbereitet,  jedoch  ohne  Zuziehung  der  Zivileisenbahn- 
behörde; es  werden  Transportkalküls  und  —  wie  man  mu  sagte  —  auch 
Fahrpläne  gemacht,  das  »wie«  muß  natürlich  offen  bleiben.  Als 
Charakteristikum  sei  an  die  schon  seinerzeit  gemeldete  Tatsache  erinnert. 


*)  Der  neu  ernannte  Chef  des  Generalstabes. 

199 


daß  erst  seit  1908  die  Lerstungbfähigkeit  der  Bahnen  nach  den  tatsäch- 
hchen  Verhältnissen  differenziert  wird,  während  früher  für  alle  Bahnen 
en  bloc  eine  Durchschnittsleistung  als  Basis  genommen  wurde.  Landes- 
beschreibungselaborate in  unserem  Sinne  existieren  nicht,  sondern 
beschränken  sich  auf  sehr  allgemein  gehaltene  Studien,  die  an  Detailliert- 
heit nicht  wesentlich  über  den  Inhalt  der  Vorträge  aus  Militärgeographie 
an  unserer  Kriegsschule  hinausgehen  und  durch  fallweise  Rekognos- 
zierungen ergänzt  werden.  Solche  wurden  im  Laufe  des  vergangenen 
Sommers  (nach  Angabe  Crainiceanus)  auch  in  den  in  Betracht  kommenden 
Aufmarschräumen  der  Moldau  und  am  Pruth  vorgenommen.  (Eine 
detaillierte  Gesamtbeschreibung  des  Pruth  war  im  vergangenen  Sommer 
noch  nicht  vorhanden.) 

General  Zotu.  Wie  Stellung  und  Hältung  des  neuen  Chefs 
in  dieser  Angelegenheit  sein  werden,  kann  ich  noch  nicht  sagen. 

Die  Mobilisierungsvorarbeiten  werden  jährlich  unmittelbar  nach 
Feststellung  des  Budgets  —  also  im  Mai  und  Juni  —  revidiert,  man 
dürfte  also  eben  bei  der  Arbeit  sein. 

Es  ist  möglich,  daß  General  Crainiceanu,  gestützt  auf  die  Rolle,  die 
er  bis  jetzt  in  dieser  Angelegenheit  gespielt,  versucht,  sich  in  derselben 
auch  jetzt  noch  einen  gewissen  Einfluß  zu  sichern  und  so  seine  Stellung 
im  allgemeinen  zu  stärken.  Bei  der  stets  wechselnden  und  oft  vagen 
Abgrenzung  der  Kompetenzen  ist  manches  sonst  merkwürdig  Scheinende 
möglich.  Eine  Bemerkung,  die  er  gelegentlich  der  Vorstellung  meines 
Nachfolgers  zu  diesem  machte,  scheint  darauf  hinzudeuten.  (Einladung, 
ihn  öfters  aufzusuchen.  >Nous  causerons  des  affaires  qui  Interessent  nos 
deux  pays  en  commun.«)  Von  einem  direkten  Eingehen  auf  etwaige 
Avancen  des  Generals  Crainiceanu  muß  natürlich  abgeraten  werden,  es 
können  in  diesen  Sachen,  wie  ja  selbstverständlich,  für  uns  nur  die 
offiziellen  Faktoren  in  Betracht  kommen,  doch  wäre  zu  empfehlen,  in  der 
Behandlung  der  Angelegenheit  darauf  Rücksicht  zu  nehmen,  daß  General 
Crainiceanu  für  den  Fall  des  in  2  bis  3  Jahren  zu  erwartenden  Wieder- 
ans-Ruder-kommens  der  Liberalen  viel  Chancen  hat,  wieder  Generalstabs- 
chef zu  werden.  Er  hat  überhaupt  bei  seinem  Sturze  seine  Stellung  in 
geschickterer  Weise  sich  zu  wahren  verstanden,  als  seinerzeit  Averescu 

Ich  habe  Hauptmann  von  Bilimek  auch  in  diesem  Sinne  orientiert 

Fischer,  Hauptmann. 
Bukarest,  17.  Mai  1911." 

Dieser  Bericht  bestätigt  die  damals  bestehenden  intimen  militärischen 
Beziehungen  der  Monarchie  zu  Rumänien.  Es  war  daher  befremdend, 
als  am  28.  Juni  1911   folgende  Meldung  des  neuen  Militära.taches  in 

200 


Bukarest  einlangte.  Mit  Bezug  auf  deren  Schlußsatz  konnte  wohl  nur 
angenommen  werden,  daß  König  Carol  besondere  Gründe  dafür  hatte, 
diese  Beziehungen  dem  Kollegen  Bilimeks  gegenüber  zu  verschleiern. 

Die  Meldung  lautete: 

„In  der  Folge  gebe  ich  den  Inhalt  eines  Gespräches  wieder,  welches 
einer  meiner  Kollegen  gelegentlich  einer  Audienz  mit  Seiner  Majestät 
dem  König  hatte: 

Seine  Majestät  besprach  die  Aspirationen  Bulgariens,  Serbiens  und 
Montenegros  gegenüber  der  Türkei  und  meinte,  daß  Bulgarien  nur  auf 
einen  günstigen  Moment  warte,  um  sein  Gebiet  vergrößern  zu  können. 
Seine  Majestät  der  König  hatte  diesbezüglich  auch  mit  Seiner  Majestät 
dem  Zar  Ferdinand  gesprochen  und  letzterem  erklärt,  daß  Rumänien  nie 
eine  Gebietserweiterung  Bulgariens  —  außer  es  würde  selbst  seinen 
eigenen  Vorteil  hiebei  haben  —  zugeben  könne,  da  ja  auch  sonst  die 
Erhaltung  einer  so  großen  Armee  nicht  gerechtfertigt  wäre. 

Weiters  besprach  Seine  Majestät  folgendes: 

Unlängst  war  Prinz  Roland  Napoleon  (ein  Mann  in  den  fünfziger 

Jahren,  befaßt  sich  mit  wissenschaftlichen  Studien,  ist  verheiratet  mit  der 

Tochter  des  früheren  Pächters  und  jetzigen  Aktionärs  der  Spielbank  in 

Monte  Carlo,  Camille  Blanc,  und  sehr  vermögend)  in  Sofia,  reiste  hierauf 

nach   Brüssel  und  traf  daselbst  auch  mit  dem  rumänischen  Gesandten 

zusammen.     Das  Gespräch  berührte  bald  die  Politik  und  meinte  Prinz 

Napoleon,  daß  die  Stellung  Rumäniens  sehr  gesichert  sei,  da  es  ja  mit 

Österreich-Ungarn     eine    Mihtärkonvention     abgeschlossen     habe.    Der 

rumänische  Gesandte  war  hierüber  sehr  erstaunt  und  dementierte  jegliche 

Existenz  einer  solchen,  worauf  Prinz  Napoleon  ihm  lächelnd  erwiderte, 

daß  man   ihm  in  Sofia  Einblick  in  eine  Abschrift  des  diesbezüglichen 

Vertrages  gestattet  habe.     Der  Gesandte  meldete  dies  dem   König  und 

Seine  Majestät  sprach  meinem  Kollegen  gegenüber  seine  Entrüstung  über 

diese  falsche  Nachricht  aus  und  bezeichnete  den  Vertrag  —  welchen  man, 

wenn  überhaupt,  nie  schriftlich,  sondern  nur  mündlich  schließen  würde  — 

als  eine  plumpe  Fälschung.  -, . , .       ,    ^ 

'^      ^  «^  Bilimek,  Hauptmann. 

Bukarest,  am  22.  Juni  1911." 

Marokkofrage.  Als  wichtigstes  Ereignis  in  der  Politik  der 
Westmächte  stand  die  wieder  aufgetauchte  Marokkofrage  im  Vordergrund. 
Wenn  man  diese  durch  die  diplomatische  Aktion  der  Algeciras-Akte 
(28.  März  1906)  und  des  Marokko- Vertrages  (9.  Feber  1909)  geordnet 
glaubte,  so  war  dies  ein  Irrtum.     Der  erste  Aufstand  der  Mauren  und 

201 


das  darauf  erfolgende  militärische  Eingreifen  Frankreichs  und  Spaniens, 
sowie  die  diplomatische  Einmengung  Deutschlands  und  Englands  schufen 
einen  neuen  Konflikt.  Im  März  1911  brach  General  Moinier  (ca.  20.000 
Mann)  von  Casablanca  auf,  besetzte  am  21.  Mai  Fez,  am  14.  Juni 
Mekinez.  Die  Spanier  okkupierten  im  Juni  El  Kasr  und  Larasch.  Im 
Juh  legte  sich  das  deutsche  Kanonenboot  „Panther"*)  vor  Agadir**). 
In  die  hierauf  zv^ischen  Deutschland  und  Frankreich  erfolgenden  Ver- 
handlungen griff  England  feindlich  gegen  Deutschland  ein,  wodurch  die 
Kriegsgefahr  heraufbeschworen  wurde.  Die  damals  besseren  Beziehungen 
Deutschlands  mit  Rußland,  mit  dem  es  sich  im  August  hinsichtlich 
Persiens  verständigt  hatte,  Umformungen  im  russischen  Heerwesen,  die 
Sorge  vor  Österreich-Ungarns  Zusammengehen  mit  Deutschland,  angeb- 
lich auch  die  Unfertigkeit  der  englischen  Marine  mochten  mit  Ursache 
gewesen  sein,  daß  der  Krieg  vermieden  blieb  und  Deutschland  und 
Frankreich  sich  in  den  Verträgen  vom  4.  November  1911  verständigten. 
Sie  befriedigten  allerdings  weder  in  Deutschland  noch  in  Frankreich. 

Ob  es  für  Deutschland  ein  Glück  war,  daß  die  kriegerische  Aus- 
tragung damals  unterblieb,  mag  dahingestellt  bleiben. 

In  eigentümlichem  Lichte  erschien  bereits  in  diesem  Konflikte  die 
Rolle  Englands.  Zur  Zeit  der  Verhandlungen  im  Juh  1911  bezeichnete 
der  Minister  des  Äußern,  Grey,  die  Forderungen  Deutschlands  an  Frank- 
reich für  unannehmbar  und  der  Schatzkanzler  Lloyd  George  erklärte,  daß 
England  eine  Verletzung  seiner  Lebensinteressen  und  eine  Hintansetzung 
seiner  Stellung  nicht  hinnehmen  dürfe.  Zwar  schwächte  der  Minister- 
präsident Asquith  in  öffentlicher  Rede  diese  Drohungen  dahin  ab,  daß  sich 
Englands  Verwahrung  nur  auf  die  Marokko-Angelegenheit  beziehe,  aber 
es  fehlte  nicht  an  Anzeichen,  daß  England  damit  rechne,  im  Kriegsfalle 
aktiv  an  die  Seite  Frankreichs  zu  treten.  Die  Enthüllungen  der  englischen 
Unterhausmitglieder  Oberst  Faber,  Buxton  und  Ponsomby  wiesen  darauf 
hin,  daß  ein  Eingreifen  hätte  über  Belgien  geschehen  sollen.  Der  Mangel 
an  Transportschiffen  und  die  Sorge  vor  der  deutschen  Flotte  sollen  aber 
dagegen  gesprochen  haben. 

Ein  bemerkenswertes  Licht  auf  diese  Verhältnisse  wirft  ein  Bericht 
des  neu  ernannten  k.  u.  k.  Militärattaches  in  London,  Hauptmann 
Horväth : 


*)  Später    abgelöst    durch    Kreuzer    „Berlin"    und    Kanonenboot 
„Eber". 

**)  An  der  Westküste  Marokkos. 
202 


„Präs.  27.  November  1911. 
Geh.  Nr.  64/1911. 

London,  am  22.  November  1911. 

Euer  Exzellenz! 

Obwohl  ich  erst  ganz  kurze  Zeit  auf  meinem  Posten  bin  und  noch 
keine  Gelegenheit  hatte,  mit  maßgebenden  Persönlichkeiten  recht  in 
Fühlung  zu  treten,  glaube  ich  doch  durch  aufmerksames  Verfolgen  aller 
Erscheinungen,  insbesondere  im  Parlament  und  in  der  Presse,  ein  Urteil 
über  die  poUtische  Stimmung  in  England  bilden  zu  können. 

Eine  große  Erleichterung  bemächtigte  sich  der  Gemüter  durch  den 
Abschluß  des  deutsch-französischen  Marokko-Abkommens,  mit  welchem 
die  Kriegsgefahr  für  England  abgewendet  erscheint.  Daß  sie  um  die 
kritische  Zeit  arg  befürchtet  und  von  den  Eingeweihten  erwartet  wurde, 
ist  aus  mannigfachen  Äußerungen  und  Enthüllungen  (Ponsomby, 
Faber  etc.)  zu  entnehmen.  Der  großen  Masse  wurden  aber  erst  jetzt 
durch  die  sensationelle  Rede  Capt.  Fabers  (Parlamentsmitglied,  Unionist) 
und  die  darauffolgenden  Kommentare  die  Augen  geöffnet  und  deshalb 
sieht  man  die  fast  täglich  wiederkehrenden  Angriffe  im  Parlament  —  selbst 
von  liberaler  Seite  —  gegen  Sir  Edward  Grey  wegen  der  zu  weit  gehen- 
den Geheimhaltung  der  Vorgänge  in  der  äußeren  Politik.  Man  macht 
der  Regienmg  den  Vorwurf,  daß  sie  sich  der  Kontrolle  des  Parlaments 
unter  dem  Titel,  diplomatische  Geheimnisse  nicht  preisgeben  zu  können, 
entziehe  und  immer  mehr  Politik  auf  eigene  Faust  und  unbekümmert  mn 
den  Willen  des  Volkes  treibe. 

Die  Enthüllungen  Capt.  Fabers,  sowie  die  anscheinend  von  authen- 
tischer Seite  inspirierten  Widerlegungen  (s>Daily  Telegraph«)  lassen 
mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  feststellen,  daß  zwischen  England  und 
Frankreich  nicht  nur  eine  Entente,  sondern  ein  Bündnis  bestehe.  Es 
zweifelt  niemand  mehr  daran,  daß  Feldmarschall  Sir  William  Nicholson, 
Chef  des  Reichsgeneralstabes,  im  Einvernehmen  mit  dem  Chef  des 
französischen  Generalstabes  einen  gemeinsamen  Operationsplan  aus- 
gearbeitet hat,  wonach  die  ganze  sogenannte  Expeditionsarmee  (6  Divi- 
sionen) sofort  nach  Kriegserklärung  auf  den  Kontinent  —  man 
munkelt  nach  Belgien  —  gebracht  werden  sollte.  Die  ganze  Unter- 
nehmung scheiterte  nur  am  Widerstand  der  Marine,  die  nicht  kooperieren 
wollte.  Zur  Charakteristik  dessen,  daß  man  diesen  Enthüllungen  doch 
einigen  Glauben  schenken  darf,  möchte  ich  ein  Gespräch  anführen,  das 
ich  mit  Generalmajor  Wilson,  dem  Chef  des  Operationsbureaus,  gelegent- 
lich meiner  Vorstellung  im  War  Office  (16.  November)  geführt  habe. 
Ich  sah  eine  Menge  Akten  auf  seinem  Tisch  liegen  und  sagte,  darauf  hin- 

203 


weisend:  >Herr  General  sind  wohl  der  meistbeschäftigte  Mann  im 
Ministerium?«  >Ja,  wir  arbeiten  fort  lür  den  Krieg  und  es  kommt  nicht 
dazu,«  antwortete  er.  >Wie  schade,«  bemerkte  ich  scherzhaft,  worauf 
er  lachend  erwiderte:  2>Nicht  wahr?  es  ist  wirklich  schade!«  Wiewohl 
das  ganze  Gespräch  einen  scherzhaften  Charakter  trug,  glaube  ich  doch 
mehr  Ernst  dahinter  zu  verspüren,  als  wir  beide  der  Sache  an  Anschein 
geben  wollten. 

Was  die  Kampfbereitschaft  der  Flotte  zur  Zeit  der  Krise  anbelangt, 
so  läßt  sich  aus  dem  Wust  an  Enthüllungen  und  Richtigstellungen  mit 
einiger  Sicherheit  entnehmen,  daß 

a)  die  englische  Home  Fleet*)  tatsächlich  auf  drei  weitentfernten  Punkten 
verteilt  war  und  wenn  man  auch  beschönigend  anführt,  daß  die 
zwei  Dreadnoughtdivisionen  verhältnismäßig  nahe  zu  einander  an 
der  Ostküste  Schottlands  lagen,  so  wird  anderseits  doch  zugegeben, 
daß  zur  selben  Zeit  die  dritte  Division  in  den  irischen  Gewässern 
sich  aufhielt;  femer  daß 

b)  man  doch  die  deutsche  Hochseeflotte  plötzlich  außer  Sicht  bekam 
und  ihren  Überfall  befürchtete;  denn  warum  hätten  sonst  die  Schlacht- 
schiffe ihre  Torpedonetze  ausgelegt,  was  trotz  aller  sonstigen 
Dementis  als  Tatsache  angeführt  wird? 

Daß  etwas  nicht  m  Ordnung  war  —  sei  es  in  der  Bereitschaft  der 
Flotte  selbst,  sei  es  im  Weigern  der  Admiralität  zur  Kooperation  mit  der 
Landarmee  —  ist  aus  der  Tatsache  zu  entnehmen,  daß  die  Stelle  des 
früheren  Marineministers  plötzlich  durch  Winston  Churchill,  dem  bis- 
herigen Minister  fürs  Innere,  besetzt  wurde,  dem  die  Faberschen 
Enthüllungen  nachsagen,  daß  er  nebst  Lloyd  George  der  eifrigste  Für- 
sprecher der  Kooperation  mit  Frankreich  im  Kabinett  war. 

Aus  der  Marokkokrise  will  man  übrigens  von  mancher  Seite  die 
Notwendigkeit  zur  Verstärkung  der  Armee,  ja  selbst  zur  allgemeinen 
Wehrpflicht  ableiten.  Man  beruft  sich  darauf,  daß  Frankreich  selbst  mit 
Unterstützung  Englands  in  einem  Kriege  gegen  Deutschland  unterlegen 
wäre,  und  da  auf  eine  tatkräftige  Unterstützung  Rußlands  nicht  zu 
rechnen  sei,  Frankreich  schließlich  zur  Erkenntnis  kommen  müsse,  daß 
alle  Opfer  nutzlos  sind,  um  gegen  Deutschlands  Übermacht  sich  zu 
wehren.  Es  bUebe  demnach  Frankreich  nichts  anderes  übrig,  als  die 
Entente  mit  England  aufzugeben  und  sich  ins  Schlepptau  deutscher 
Politik  nehmen  zu  lassen.  Schließhch  wäre  dann  Englands  Kolonial- 
macht durch  Deutschlands  uneingeschränkte  Präpondeianz  gefährdet;  es 


•)  Heimatflotte. 
204 


sei  mithin  Englands  vitalstes  Interesse,  seine  Armee  zu  verstärken,  um 
ein  begehrter  und  kraftvoller  Bundesgenosse  für  Frankreich  zu  sein. 

Zunächst  scheint  die  englische  Regierung  —  dies  ist  mein  ganz 
subjekiives  Empfinden  —  dahin  zu  arbeiten,  um  Italien  gefällig  zu  sein 
und  dem  Dreibund  zu  entfremden.  Daher  bereiten  die  häufigen  Inter- 
pellationen wegen  italienischer  Grausamkeiten,  Interventionen  zur  Herbei- 
führung des  Friedens,  Anfragen,  ob  der  britische  Konsul  die  Regierung 
über  alle  Vorgänge  am  Kriegsschauplatz  genau  informiere  und  über  die 
britischen  Interessen  gehörig  wache  etc.  etc.,  der  Regierung  sichtlich 
UnannehmUchkeiten,  und  Mr.  Asquith  wie  Sir  Edward  Grey  weichen 
jeder  solchen  Interpellation  mit  allgemeinen  Redensarten  aus  oder  lassen 
sie  überhaupt  unbeantwortet.  Türkische  Sympathien  scheinen  der 
Regierung  sehr  unangenehm  zu  sein,  hingegen  werden  Nachrichten 
über  den  angeblichen  Druck  Österreichs  und  Deutschlands  gegen  jede 
Erweiterung  des  Kriegsschauplatzes  mit  großem  Behagen  kolportiert,  bei 
der  Disziplin  der  englischen  Presse  wahrscheinlich  nicht  ohne  Einfluß  des 
Foreign  Office.  So  ist  auch  die  Aktion  einiger  Abgeordneter,  eine  Adresse 
an  die  Regierung  zu  richten,  in  welcher  sie  aufgefordert  werden  soll,  im 
Interesse  des  Friedens  zu  intervenieren,  eigenthch  gescheitert  und  trotz 
wiederholter  Einberufung  eines  bezüglichen  Meetings  im  Westminster 
Hall  wurde  dasselbe  kaum  von  einigen  Abgeordneten  aufgesucht. 

Ein  tödliches  Schweigen  herrscht  über  Ägypten.  Dieses  Schweigen 
scheint  mir  beredt  und  der  Beweis  für  die.  große  Angst  zu  sein,  daß  der 
heilige  Krieg  gegen  die  Italiener  auch  in  Ägypten  Anklang  finden  wird. 
Einen  Ausdruck  hiefür  glaube  ich  beispielsweise  in  der  Resolution  zu 
finden,  die  bei  dem  vorerwähnten  Meeting  im  Westminster  Hall  gefaßt 
wurde  und  wonach  die  Regierung  aufgefordert  werden  sollte,  mit  Rück- 
sicht auf  80  Millionen  loyaler  mohammedanischer  Untertanen  die 
Friedensintervention  ins  Werk  zu  setzen,  welche  Berufung  jedoch  über 
Antrag  mehrerer  Anwesenden  als  »inopportun«  (!)  in  den  Beschluß  nicht 
aufgenommen  wurde. 

Die  Entrüstung  über  itahenische  Grausamkeiten  ist  übrigens  merk- 
lich abgeflaut,  seitdem  die  Engländer  sich  selbst  bei  der  Nase  packen 
mußten.  W.  Blunt,  einstiger  Kriegskorrespondent  und  jetzt  Grafscliafts- 
rat  in  Sussex,  veröffentlichte  kürzlich  seine  Erinnerungen  aus  dem  Sudan- 
feldzug unter  dem  Titel  »Gordon  at  Khartoum«.  Darin  findet  sich  unter 
anderem  folgender  Passus:  »Diese  englischen  Soldaten  sind  nichts  wie 
Mörder!  Was  stellen  sie  eigentlich  dar?  Eine  verrottete  Schar  des 
Abschaums  des  Diebsgesindels  von  Whitechapel  (d.  i.  des  vom  ärmsten 
Pöbel  Londons  bewohnten  Stadtteils) . .  .<  Ein  Sturm  der  Empörung 
entstand  über  dieses  Urteil  und  war  auch  Gegenstand  einer  Interpellation 

203 


im  Abgeordnetenhause,  worauf  Col.  Seely,  Unterstaatssekretär  für  Krieg, 
in  emphatischer  Weise  die  engUsche  Armee  in  Schutz  nahm  und  ver- 
sicherte, man  werde  alles  tun,  was  im  Rahmen  des  Gesetzes  möglich  sei, 
um  W.  Blunts  Tätigkeit  im  öffentlichen  Leben  einzuschränken.  Wie  dem 
auch  sei,  die  >ltalian  atrocities«  werden  —  zumindest  in  Presse  und 
Parlament  —  auf  einmal  mit  Schweigen  übergangen  und  ich  glaube  nicht 
fehlzugehen,  wenn  ich  vermute,  daß  die  Interpellation  wegen  Blunts 
Anklagen  eine  abgekartete  Sache  war,  tun  den  für  die  Regierung  so 
unangenehmen  Beschwerden  gegen  italienische  Grausamkeiten  den  Boden 
zu  entziehen. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  tiefgefühlten  Verehrung,  in 
der  ich  verharre  als 

Euer  Exzellenz  gehorsamst  ergebener 

Koloman  Horväth,  Hauptmann." 

Nach  Abflauen  der  Kriegsgefahr  stellte  allerdings  Grey  in  Abrede, 
daß  eine  solche  bestanden  habe,  und  der  belgische  Minister  leugnete,  daß 
die  Landung  eines  englischen  Heeres  in  Belgien  beabsichtigt  gewesen  wäre. 

Der  am  22.  Juni  1911  gekrönte  König  von  England,  Georg  V.,  trat 
die  Reise  nach  Indien  an.  Am  12.  Dezember  1911  fand  in  Delhi  unter 
großem  Gepränge  die  Kaiserkrönung  statt. 

Indessen  war  auch  im  Innern  der  Kampf  durch  Annahme  der  Veto- 
Bill  beendet.  Allerdings  dmch  eine  das  Zweikammersystem  eigentlich 
aufhebende  Herabdrückung  des  Hauses  der  Lords. 

Für  Englands  schließliches  Ausweichen  in  der  Marokkokrisis  mag 
möglicherweise  auch  mitgesprochen  haben,  daß,  wie  eine  Reichskonferenz 
erwies,  die  Kolonien  ihre  Selbständigkeit  nicht  beschränken  und  sich  zur 
grundsätzlichen  Heeresfolge  nicht  verpflichten  wollten,  dann,  daß 
die  Union  mit  Kanada  Verhandlungen  pflegte,  welche  die  Möglichkeit 
eines  Zusammenschlusses  beider  nicht  ausschlössen. 

Auch  Frankreich  war  zur  Zeit  der  Marokkokrisis  von  inneren 
Kämpfen  heimgesucht,  die  schließlich  zur  Trennung  von  Kirche  und 
Staat  und  zur  Annahme  des  Altersversorgungsgesetzes  führten. 

Deutschland  hatte  anfangs  des  Jahres  1911  gleichfalls  wichtige 
innere  Fragen  ausgetragen:  im  Feber  die  Annahme  des  erhöhten 
Rekrutenkontingentes,  im  Mai  jene  der  elsässischen  Verfassung  und  des 
Reichs-Versicherungsgesetzes.  Die  Marokkokrise  verlegte  jedoch  das 
Schwergewicht  in  die  äußere  Politik, 

Bei  der  kritischen  Lage,  die  den  Ausbruch  eines  Krieges  nahe  rückte, 
war  Deutschland  begreiflicherweise  dafür  interessiert,  wie  sich  Österreich- 
Ungarn  in  diesem  Falle,  also  bei  einem  Krieg  zwischen  Deutschland 
einerseits,  England  und  Frankreich  andrerseits,  aber  bei  Ausschluß  Ruß- 

206 


lands  stellen  würde.  Deutschland  konnte  daher  nicht  gleichgültig  bleiben 
gegen  die  schon  Ende  1910  in  einigen  Journalen  Österreich -Ungarns 
erschienenen,  das  Bündnis  der  Monarchie  mit  Deutschland  bekämpfenden 
Artikel.  Auf  Grund  des  Auftrages,  mir  über  diese  Stimmung  zu 
berichten,  schrieb  der  k.  u.  k.  Militärattache  in  Berlin,  Major  Baron 
Bienerth : 

„Euer  Exzellenz! 

Dem  mündlichen  Auftrage  E.  E.  hinsichtlich  der  Bündnisstimmung 
in  Deutschland  habe  ich  versucht  zu  entsprechen.  Im  folgenden  bitte  ich 
E.  E.,  meine  Eindrücke  darlegen  zu  dürfen. 

Durch  den  k.  u.  k.  Botschafter  habe  ich  erfahren,  daß  der  deutsche 
Botschafter  in  Wien,  Exzellenz  von  Tschirschky  und  Bögendorff,  an  den 
Reichskanzler  etwa  zu  Weihnachten  einen  Privatbrief  geschrieben  habe, 
in  welchem  er  es  als  unangenehmes  Symptom  hinstellt,  daß  in  einigen 
Blättern  der  Presse  der  Monarchie  Artikel  gegen  das  innige  Bündnis- 
verhältnis der  Monarchie  zu  Deutschland  erschienen  seien.  Ob  Exzellenz 
von  Tschirschky  diese  Frage  auch  im  k.  u.  k.  Ministerium  des  Äußern 
berührt  hat,  wurde  hier  nicht  bekannt.  Immerhin  ist  aber  diese  Äußerung 
ein  Anzeichen  dafür,  daß  man  in  den  offiziellen  Stellen  keine  Änderung 
des  Bündnisverhältnisses  eintreten  sehen  möchte. 

Vor  einigen  Tagen  hatte  ich  Gelegenheit,  mit  Seiner  Exzellenz  dem 
Chef  des  Generalstabes,  General  der  Infanterie  von  Moltke,  zu  sprechen. 
Seine  Exzellenz  meinte,  daß  er  mir  gar  nichts  Wesentliches  mitteilen 
könne,  da  sich  in  der  Lage  nichts  verändert  habe. 

Hinsichtlich  des  Ergebnisses  der  Potsdamer  Zusammenkunft*)  Seiner 
Majestät  des  Deutschen  Kaisers  mit  dem  Zar  habe  ich  E.  E.  bereits 
mündlich  gemeldet,  daß  Seine  K.  und  K.  Hoheit  der  Erzherzog  Franz 
Ferdinand  bei  seinem  Jagdbesuche  in  Springe  hierüber  von  Seiner 
Majestät  dem  Kaiser  orientiert  wmde  mit  dem  Wunsche,  Seiner  K.  und  K. 
Majestät  darüber  Bericht  zu  erstatten.  Inzwischen  wurde  der  Schleier 
über  dieses  Ergebnis  bereits  gelüftet.  Sowohl  der  Reichskanzler  hat 
darüber  im  Reichstage  gesprochen,  als  der  russische  Minister  des  Äußern. 
Ebenso  hat  der  französische  Minister  des  Äußern  in  der  Kammer  diese 
Frage  besprochen.  Dieselbe  bildete  in  der  französischen  und  engUschen 
Presse  den  Gegenstand  eingehender  Erörterungen.  Ich  glaube,  daß  es 
den  Intentionen  Seiner  K.  und  K.  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Franz 
Ferdinand  vollkommen  entspricht,  wenn  sich  das  Verhältnis  Deutschlands 
zu  Rußland  bessert,  was  vielleicht  auch  von  Einfluß  sein  könnte  auf  das 
Verhältnis  der  Monarchie  zu  Rußland.    Und  gerade  dies  scheinen  Frank- 


*)  Diese  fand  statt  am  4.  November  1910. 

201 


reich  und  England  zu  befürchten.    Die  Aufregung  dieser  beiden  Staaten 
wurde,  wie  ich  glaube,  hier  sehr  ruhig  beurteilt. 

Nach  alledem  kann  ich  E.  E.  nur  meiner  Meinung  dahin  Ausdruck 
geben,  daß  sich  hier  in  den  Anschauungen  über  unser  Bundesverhältnis 
nichts  geändert  habe.  Sollten  mir  weitere  Daten  zugänglich  werden,  so 
werde  ich  sofort  hierüber  E.  E.  berichten.  Genehmigen  E.  E.  den  Aus- 
druck meiner  steten  Verehrung  als 

Euer  Exzellenz  gehorsamster 

Bienerth,  Major. 
Präsentiert  Wien,  am  20.  Jänner  1911." 

Bezüghch  des  in  diesem  Bericht  erwähnten  Verhältnisses  zu  Rußland 
war  es  bedeutungsvoll,  daß  am  19.  August  1911  zwischen  Deutschland 
und  Rußland  ein  Abkommen  zustande  kam,  in  dem  sich  beide  Staaten 
hinsichtlich  Persiens  und  des  Anschlusses  der  dortigen  Bahnen  an  die 
Bagdadbahn  einigten.  Jedenfalls  war  damals  das  Verhältnis  beider 
Reiche  zueinander  äußerlich  ein  gutes.  Ob  dies  auch  im  Kriegsfalle 
Deutschlands  gegen  Frankreich  und  England  so  geblieben  wäre,  und  ob 
sich  diese  Disposition  Rußlands  auch  auf  Deutschlands  Bundesgenossen 
Österreich-Ungarn  erstreckt  hätte,  blieb  allerdings  fraglich.  Greifbar 
aber  war,  daß  Rußland  sehr  an  inneren  Kämpfen  htt  und  seine  Heeres- 
ausgestaltung noch  zurückstand. 

Die  dem  Bündnis  mit  Deutschland  feindhchen  Artikel  der  ö.-u.  Presse 
setzten  sich  auch  während  der  Marokkokrisis  fort. 

Am  9.  September  1911  besuchte  mich  der  deutsche  Militärattache  in 
Wien,  Graf  Kageneck.  Er  teilte  mir  mit,  daß  dies  in  Deutschland 
unangenehm  empfunden  werde,  wobei  er  insbesondere  auf  den  sogenann- 
ten Cartwright-Artikel  der  „Neuen  Freien  Presse"  vom  25.  August  1911 
hinwies. 

Ich  erwiderte,  daß  die  Zeitungen  nicht  die  Ansichten  der  offiziellen 
Kreise  repräsentieren,  sie  ja  auch  nicht  kennen,  und  fügte  bei: 

„Ich  gehe  so  weit,  daß  ich  Ihnen  unter  vier  Augen,  aber  mit  der 
Bewilligung,  es  General  von  Moltke  mitzuteüen,  sage,  daß  ich  bereits 
bei  Seiner  Majestät  die  Bitte  vorgebracht  habe,  Verhandlungen  darüber 
einleiten  zu  lassen,  wie  sich  die  Monarchie  im  Kriegsfalle  zwischen 
Deutschland  und  Frankreich  bei  Abseitsbleiben  Rußlands  stellen  würde, 
welche  Vorbereitungen  und  Maßnahmen  daher  unsererseits  in  militärischer 
Hinsicht  zu  treffen  wären  —  Aufmarsch,  Instradierung  usw.  —  daß 
jedoch  Seine  Majestät  den  Zeitpunkt  hiefür  noch  nicht  gekommen  erach- 
tete, da  er  nicht  glaube,  daß  es  zum  Krieg  kommen  werde." 

Graf  Kageneck  hatte  sich  hierauf  nach  Beilin  gewendet  und  mir  in 
einem  Schreiben  vom  23.  September  1911  mitgeteilt; 

208 


„Exzellenz  von  Moltke  antwortete  mir  auf  meinen  im  Auftrage  E.  E. 
damals  geschriebenen  Brief:  >Dem  Herrn,  in  dessen  Aufirag  Sie 
gesctirieben  haben,  bitte  ich  meinen  besten  Dank  zu  sagen  und  ihm  Grüße 
von  mir  auszurichten.  Er  wird  wissen,  daß  ich  dieselben  Gesinnungen 
hege  wie  er  und  daß  ich  unbedingtes  Vertrauen  zu  ihm  habe.«  Wie  ich 
übrigens  gestern  in  einer  Berliner  Zeitung  lese,  scheint  der  General- 
stabschef doch  noch  in  die  Bukowina  zur  Hirschbrunft  abgereist  zu  sein. 
Wegen  Marokko  braucht  er  sich  ja  nun  nicht  mehr  den  Kopf  zu  zer- 
brechen." 

Die  Verhandlungen  Deutschlands  und  Frankreichs  nahmen  eben 
einen  friedlichen  Verlauf,  der  am  4.  November  1911  zum  Abschluß 
des  Marokko-Vertrages  führte. 

Wie  schon  aus  manchen  Stellen  der  früheren  Darlegungen  hervor- 
geht, stand  man  in  Deutschland  dem  Bundesverhältnisse  mit  Italien  stets 
vertrauensvoll  gegenüber,  während  ich,  so  oft  die  Sprache  hierauf  kam, 
meine  gegenteilige  Meinung  vertrat.  Es  fehlte  denn  deutscherseits  nicht  an 
Versuchen,  mich  vcn  meiner  Meinung  abzubringen  und  mir  Beweise  für 
Italiens  Bundestreue  zu  bieten. 

Bezeichnend  in  dieser  Hinsicht  ist  nachfolgender  Bericht  des  k.  u.  k. 
Militärattaches  in  Berlin  vom  12.  Oktober  1911: 

„Euer  Exzellenz! 

Nach  der  Schlußbesprechung  am  13.  September,  als  dem  letzten 
Tage  der  Kaisermanöver,  geruhten  Seine  Majestät  der  Kaiser  und  König 
mich  gelegentlich  meiner  Abmeldung  in  ein  Gespräch  zu  ziehen,  dessen 
Inhalt  ich  dem  Allerhöchsten  Auftrage  zufolge  nur  E.  E. 
zur  Kenntnis  bringen  soll.  Im  nachfolgenden  komme  ich 
diesem  Allerhöchsten  Auftrage  nach. 

Seine  Majestät  erzählte  mir  folgendes: 

>Gelegentlich  des  Besuches  Seiner  K.  und  K.  Hoheit  des  Kronprinzen 
beim  König  von  Italien  zur  Jagd  auf  Steinböcke  brachte  Höchstderselbe 
das  Gespräch  auf  das  Gebiet  der  äußeren  PoUtik,  wie  er  es  so  gerne  tue. 
Dabei  stellte  Seine  K.  und  K.  Hoheit  an  Seine  Majestät  den  König  von 
Italien  direkt  die  Frage,  wie  sich  Italien  bei  einem  Konllikt  Deutschlands 
mit  Frankreich  aus  Anlaß  der  Marokkofrage  verhalten  hätte  und  gab 
Höchstseiner  Meinung  dahin  Ausdruck,  daß  wohl  mehr  als  eine  wohl- 
wollende Neutralität  kaum  zu  erwarten  wäre.  Dem  widersprach  Seine 
Majestät  der  König  vcn  ItaUen  und  sagte,  daß  er  den  durch  die 
Bestimmungen  des  Dreibun  d  Vertrages  Italien  auf- 
erlegten Bedingungen  bis  auf  seinen  letzten  Mann 
gerecht  geworden  wäre. 

14,  Conrad  II  900 


Es  sei  dies  seit  dem  Tode  Seiner  Majestät  des  Königs  Humbert  1. 
von  Italien  das  erste  Mal,  daß  er  über  die  Auffassung  und  Bündnis- 
treue Italiens  eine  Äußerung  wisse,  welche  in  so  bestimm- 
terFormgehaltensei.  Es  sei  dies  bei  den  jetzigen  Verhandlungen 
über  Marokko  für  ihn  von  großem  Werte  gewesen,  zu  wissen,  daß 
eventuell  italienische  Truppen,  wie  dies  vertragsmäßig  vorgesehen  und 
vorbereitet  ist,  mitkämpfen  würden. 

Seine  Majestät  habe  Seiner  K.  u.  K.  Hoheit  dem 
Herrn  Erzherzog  Franz  Ferdinand  bei  Höchstseinem 
Besuche  in  Kiel  am  5.  September  von  dieser  Äußerung  Seiner 
Majestät  des  Königs  von  Italien  Mitteilung  gemacht.  Höchst- 
derselbe  sei  hierüber  sehr  erstaunt  gewesen.  Bei  der 
späteren  Unterredung  Seiner  K.  und  K.  Hoheit  mit  Seiner  Exzellenz  dem 
Reichskanzler  sei  die  Bedeutung  dieser  Mitteilung  bereits  zum  Ausdrucke 
gekommen,  wie  Seine  Exzellenz  der  Reichskanzler  Seiner  Majestät 
berichtet  habe.« 

Wer  von  dieser  Mitteilung  außer  den  angeführten  Allerhöchsten 
und  Höchsten  Personen  und  Seiner  Exzellenz  dem  Reichskanzler  Kennt- 
nis hat,  ist  mir  nicht  bekannt.  Seitens  des  Auswärtigen 
Amtes  wurde  dem  k.  u.  k.  Botschafter  bisher  hievon 
keine  Mitteilung  gemacht.  Allerdings  war  Seine  Exzellenz  der 
k.  u.  k.  Botschafter  nicht  in  Berlin  anwesend  und  hatte  auch  jetzt  noch 
keine  Gelegenheit,  mit  Seiner  Majestät  dem  Kaiser  und  König  zu  sprechen. 
Dem  Geschäftsträger,  Botschaftsrat  Baron  Flotow,  wurde  seitens  Seiner 
Exzellenz  des  Herrn  Staatssekretärs  von  Kiderlen  keine  Erwähnung 
getan,  obwohl  die  beiden  Herren  sehr  oft  Unterredungen  hatten.  Eben- 
sowenig ist  es  mir  bekannt,  wem  Seine  K.  und  K.  Hoheit  von  dieser 
Nachricht  Kenntnis  gegeben  hat.  Ich  habe  nur  von  Seiner 
Majestät  den  Auftrag,  dies  zur  persönlichen  Kennt- 
nis E.  E.  zu  bringen  und  werde  selbstredend  sonst 
absolut  kein  Wort  darüber  reden. 

Mit  dem   Ausdrucke  meiner  tiefsten   Verehrung   und   Ehrerbietung 

verbleibe  ich  c       ^     n  i. 

Euer  Exzellenz  ganz  gehorsamster       ^^  •  ^  t. 

^        ^  Bienerth. 

Berlin,  am  12.  Oktober  1911." 

Nach  dem  Verhalten  Italiens  im  Weltkriege  bedarf  es  wohl  keines 
Kommentars  für  die  Zuverlässigkeit  der  im  obigen  Schreiben  wieder- 
gegebenen italienischen  Versicherungen. 

Mich  haben  sie  nicht  abgehalten,  in  Italien  den  zielbewußten 
Feind    der    Monarchie    zu    sehen    und    nicht    veranlaßt,    von    meinen 

210 


Anschauungen  abzuweichen,  die  ich  in  dem  schon  früher  volUnhaltlich 
angeführten  Schreiben  an  Graf  Ährenthal  vom  24.  September  1911  aus- 
gesprochen hatte.  (Seite  172.) 

Im  gleichen  Sinne  habe  ich  das  folgende  Schreiben  an  Seine  Kaiserüche 
Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand  gerichtet: 

„Steyr,  12.  Oktober  1911  abends*). 

Euer  Kaiserliche  Hoheit! 

Geruhen  Euer  Kaiserliche  Hoheit  meinen  ehrfurchtsvollsten  Dank  für 
Euer    Kaiserlichen    Hoheit    so    gnädiges    Schreiben    entgegenzunehmen. 

Ich  habe  teils  schriftlich,  teils  mündlich  meine  schweren  Bedenken 
über  die  vertrauensselige  Politik  gegenüber  Italien  Seiner  Majestät  a.  u. 
vorgetragen  und  hervorgehoben,  daß  ich  es  dringend  geboten  erachte, 
unsere  militärischen  Vorbereitungen,  mid  zwar  ebenso  zu  Land  als  zur 
See,  auf  das  schleunigste  zu  vervollständigen,  ohne  sich  um  die  fort- 
währenden Rücksichten  und  Bedenken  des  Ministers  des  Äußern  zu 
kümmern. 

Ich  habe  in  unsere  Diplomatie  nicht  das  Vertrauen,  um  nur  von 
ihrem  Wohlmeinen  die  militärischen  Vorkehrungen  abhängig  zu  machen. 

Daß  sie  auch  jetzt  wieder  durch  die  Aktion  Italiens  völlig  überrascht 
war,  steht  außer  Zweifel,  charakteristisch  ist  dafür,  daß  gerade  zur 
kritischen  Zeit  sowohl  der  Botschafter  in  Rom,  als  jener  in  Konstantinopel 
auf  Urlaub  waren. 

Geruhen  Euer  Kaiserliche  Hoheit  den  Ausdruck  ehrfurchtsvollster 
Ergebenheit  entgegenzunehmen  von 

Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  treu  gehorsamstem 

Conrad." 

Aus  der  Schweiz  hatte  ich  Nachrichten,  daß  in  Serbien  Befehl  an 
die  Divisionskcmmanden  ergangen  sei,  sich  für  die  Mobihnachung  bereit- 
zuhalten, im  östlichen  Frankreich  Truppenansammlungen  stattfänden  und 
die  deutschen  Sozialdemokraten  ihre  Parteikassen  in  die  Schweiz  geflüchtet 
hätten. 

Gelegentlich  eines  Briefwechsels  mit  dem  schweizerischen  Chef  des 
Generalstabes,  Oberst-Korpskommandanten  von  Sprecher,  anläßlich  Ein- 
ladung desselben  zu  unseren  Armeemanövem,  gab  ich  in  einem  Schreiben 
vom  16.  August  1911  meiner  Ansicht  über  die  Lage  dahin  Ausdruck, 
„daß  ich  die  Großmächte  wenig  geneigt  für  eine  kriegerische  Lösung 

*)  Ich  befand  mich  dort  zur  praktischen  Prüfung  der  Stabsoffiziers- 
aspiranten für  den  Generalstab. 


14» 


211 


halte,  daher  auf  den  friedhchen  Verlauf  der  schwebenden  Fragen 
geschlossen  werden  könne,  daß  Albanien  momentan  beruhigt  sei  und  es 
hinsichtlich  Marokkos  zu  einem  Ausgleich  zwischen  Frankreich  und 
Deutschland  kommen  dürfte,  bei  dem  jeder  Teil  sich  das  Möghchste 
herausschlagen,  keiner  aber  deshalb  Krieg  führen  wird". 

Wie  Rußland  sich  hiezu  stellen  dürfte,  ist  schon  gestreift;  die  Schwere 
seiner  inneren  Kämpfe  (auch  in  der  Duma)  erhieh  eine  traurige  Beleuch- 
tung durch  das  Attentat  auf  Stolypin,  dem  er  am  18.  September 
1911  erlag.  Auch  in  Finnland,  das  allmählich  vergewaltigt  wurde, 
bestanden  dauernde  Schwierigkeiten.  In  der  äußeren  Politik  sprach  sich 
durch  den  Zarenbesuch  in  Potsdam  und  durch  das  persische  Abkommen 
wenigstens  äußerlich  ein  gutes  Verhältnis  zu  Deutschland  aus.  Doch 
war  in  Rußland  stets  mit  zwei  Strömungen  zu  rechnen,  deren  eine  durch 
Mitglieder  des  Zarenhofes,  deren  andere  durch  die  nationalistische, 
panslawistische  Partei  repräsentiert  erschien.  Nach  beiden  dieser 
Richtungen  war  daher  besondere  Aufmerksamkeit  geboten  und  Fühlung 
zu  nehmen. 

Im  nachstehenden,  am  14.  März  1911  erhaltenen  Schreiben  schildert 
der  neu  ernannte  k.  u.  k.  Militärattache  in  Petersburg,  Hauptmann  Prinz 
Hohenlohe,  seine  ersten  Eindrücke: 

„Euer  Exzellenz! 

Als  Ergänzung  meines  ersten  Berichtes,  Res.  Nr.  37  von  1911,  möchte 
ich  mir  erlauben,  E.  E.  in  einigen  Worten  über  die  Eindrücke  zu  berichten, 
die  ich  bei  meinem  Eintritt  in  die  hiesige  Gesellschaft  und  die  offiziellen 
Kreise  gewonnen  habe. 

Zunächst  möchte  ich  die  überaus  freundliche  Art  und  das  große 
Entgegenkommen  hervorheben,  das  mir  von  Seite  Seiner  Exzellenz  des 
Herrn  Botschafters  und  der  Gräfin  Berchtold  gleich  bei  meiner  Ankunft 
zuteil  wurde,  sowie  auch  die  freundhche  Unterstützung  und  sehr 
schätzenswerten  Aufklärungen,  deren  ich  von  den  der  k.  u.  k.  Botschaft 
zugeteilten  Herren  teilhaftig  wurde. 

Ich  wurde  vom  Herrn  Botschafter  gleich  am  Tage  meiner  Ankunft 
zum  Dejeuner  eingeladen,  bei  welcher  Gelegenheit  ich  alle  Mitglieder  der 
Botschaft  kennen  lernte. 

Am  Abend  desselben  Tages  hatte  ich  gleich  ein  offizielles  Diner  auf 
der  Botschaft,  wobei  ich  mit  30  Personen  bekannt  wurde. 

Von  allen  Seiten  kam  man  mir  enorm  sympathisch  entgegen  und  ist 
die  ganz   besonders  gute  und   freundschaftliche   Erinnerung,   die  man 

212 


meinem  Vetter  Gottfried  Hohenlohe*)  hier  bewahrt,  für  mich  von  großem 
Vorteil  und  ein  Anknüpfungspunkt  von  nicht  zu  unterschätzender 
Bedeutung. 

kh  bin  bereits  teils  auf  Soireen,  teils  im  kaiserlichen  Jacht-Klub  mit 
sehr  viel  Leuten  in  einflußreicher  Stellung  bekannt  geworden  und  hatte 
die  Ehre,  den  Großfürsten  Nikolai  Nikolaiewitsch,  Sergius  und  Nikolai 
Mihailowitsch,  Kyrill,  Boris  und  Andre  Wladimirowitsch,  Dimitry 
Pawlowitsch  und  auch  der  Großfürstin  Maria  Pawlowna  vorgestellt  zu 
werden. 

Letztere  speziell  war  überaus  gnädig  und  sagte  mir  unter  anderem: 
>Ich  hoffe,  Sie  werden  sich  hier  ebenso  wohlfühlen  wie  ,Gottfried',  den 
wir  alle  sehr  gerne  hatten.« 

Allgemein  wird  hier  das  bevorstehende  Scheiden  des  k.  u.  k.  Bot- 
schafters und  der  Gräfin  Berchtold  bedauert.  Beide  sind  hier  sehr  behebt 
und  geschätzt. 

Am  3.  März  (18.  Feber)  war  der  große  Ball  auf  der  hiesigen  Bot- 
schaft, der  sehr  glänzend  und  animiert  verlief. 

Verzeihen  E.  E.  den  etwas  salonblattartigen  Inhalt  meines  Schreibens,, 
doch  wird  er  vielleicht  dazu  beitragen,  darzutun,  daß  es  mir  gelungen 
ist,  sowohl  in  meiner  offiziellen  als  auch  gesellschaftlichen  Stellung  Fuß. 
zu  fassen. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  vorzüglichen  Verehrung^ 
mit  welcher  ich  zeichne  als 

Euer  Exzellenz  gehorsamer 

Hohenlohe,  Hauptmann. 

St.  Petersburg,  am  5.  März  1911." 

Rußland  schien  im  Jahre  1911  einem  kriegerischen  Engagement  in 
Europa  abgeneigt.  Es  verfolgte  seine  Ziele  in  Asien,  speziell  in  Persien, 
was  nicht  ohne  Differenzen  mit  England  abhef.  Unbekümmert  um  letztere 
besetzte  es  schließlich  am  27.  Dezember  1911  Täbris.  Nicht  ohne  Sorge 
rechnete  es  mit  der  Möglichkeit,  daß  Österreich-Ungarn  die  günstige 
Gelegenheit  benützen  werde,  in  aktiver  Weise  seinen  Balkaninteressen 
nachzugehen.  All  diese  Fragen  finden  eine  Beleuchtung  im  nachfolgenden 
Schreiben  des  k.  u.  k.  Petersburger  MiUtärattaches,  das  ich  am 
24.  November  erhalten  hatte: 


*)  War  als  Major  im  Generalstabe  Militärattache  in  Petersburg, 
wurde  darm  k.  u.  k.  Botschafter  in  Berlin,  an  welcher  Stelle  er  sich  auch 
während  des  Weltkrieges  befand. 

213: 


„Euer  Exzellenz! 

Mit  gestrigem  Tage  hier  angelangt,  glaubte  ich  sofort  den  heute 
abgehenden  Kurier  der  kaiserlich  deutschen  Botschaft,  der  auch  von  der 
k.  u.  k.  Botschaft  eine  Sendung  nach  Wien  mitnimmt,  benützen  zu  sollen, 
um  E.  E.  über  die  politische  Lage  zu  berichten. 

Was  die  Gerüchte  über  die  Vorverlegung  von  Korps  der  Zentral- 
armee betrifft,  habe  ich  natürlich  noch  keine  endgültigen  Daten,  v^eder 
in  positivem  noch  in  negativem  Sinne  zu  sammeln  Gelegenheit  gehabt, 
doch  glaube  ich  aus  den  Gesprächen,  die  ich  mit  Diplomaten  und  Militär- 
attache-Kollegen geführt  habe,  den  berechtigten  Schluß  ziehen  zu  dürfen, 
daß  diese  Gerüchte  nicht  richtig  sind. 

Wie  dieselben  entstanden  sind,  und  ob  vielleicht  an  denselben  doch 
etwas  Wahres  sein  mag,  wenn  auch  nicht  mit  aggressiver  Tendenz  gegen 
die  Monarchie,  sondern  vielleicht  in  Form  einer  Probemobihsierung  einer- 
seits oder  in  Form  von  Verlegung  von  Teilen  dieser  Korps  in  weiter 
südlich  gelegene  Garnisonen  —  mit  Rücksicht  auf  die  in  nächster  Zeit 
möglichen  Ereignisse  in  Nordpersien  andererseits  —  kann  ich  jetzt  noch 
nicht  berichten,  doch  werde  ich  diese  Frage  im  Auge  behalten  mid  hoffe 
E.  E.  bald  genaueren  Bericht  erstatten  zu  können. 

Die  Ereignisse  des  italienisch-türkischen  Krieges  in  Tripohs  sowohl, 
als  auch  die  Gefahr  allgemeiner  Verwicklungen,  die  jetzt  als  Damokles- 
schwert über  dem  Balkan  hängt,  haben  gewiß  auch  hier  ihre  Wirkungen 
auf  die  maßgebenden  politischen  Kreise  sowohl,  als  auch  auf  die  öffent- 
liche Meinung  gehabt. 

Bei  Beurteilung  der  Situation  glaube  ich  aber,  daß  man  in  Rußland 
mehr  als  irgendwo  sonst  die  Stimmung  der  maßgebenden  leitenden  Kreise 
von  jener  der  öffenthchen  Meinung  streng  trennen  muß. 

Gemeinsam  ist  hiebei  beiden  nur  die  Sorge,  daß  die  ö.-u. 
Monarchie  ein  Interesse  haben  könnte,  die  jetzige 
Gelegenheit  auszunützen,  um  amBalkan  weitgehende 
Erfolge  zu  erzielen. 

Die  leitenden  hiesigen  Kreise  und,  soviel  ich  weiß,  auch  persönlich 
Seine  Majestät  der  Kaiser  wünschen  und  hoffen  für  den  Augenblick 
den  Status  quo  am  Balkan  erhalten  zu  können  und  dieser  Wunsch  muß 
naturgemäß,  wenn  er  zur  Verwirklichung  führen  soll,  jede  aggressive 
Tendenz  gegen  die  Monarchie  ausschließen. 

Ob  hiebei  mehr  das  Gefühl  der  eigenen  Schwäche,  oder  aber  das 
Bewußtsein  maßgebend  waren,  daß  Rußland  in  nächster  Zeit  sowohl 
durch  die  Vorgänge  in  Persien,  als  auch  vielleicht  jene  in  der 
Mandschurei  absorbiert  sein  dürfte,  mag  dahingestellt  bleiben. 

214 


Insolange  es  also  gelingt,  den  Balkan  aus  dem  italienisch-türkischen 
Krieg  auszuschalten,  wird  man  sich  auch  hier  —  ich  glaube  mit 
Freuden  —  jeder  aggressiven  Politik  enthalten. 

Die  öffentliche  Meinung  und  die  Pläne  des  Herrn  von  Tscharikow 
bezüglich  Aufrollens  der  Dardanellenfrage  werden  meiner  Meinung  nach 
keinen  weitgehenden  Einfluß  auf  die  Ereignisse  haben,  und  es  wird  Ruß- 
land außer  auf  diplomatischem  Wege  die  Erfüllung  seiner  Wünsche 
bezüglich  der  Dardanellenfrage  jetzt  wohl  kaum  anstreben. 

Heute  bringen  bereits  die  hiesigen  Zeitungen  die  Nachricht  über  den 
Einmarsch  russischer  Truppen  (aller  Waffen)  in  Persien. 

Dieselben  konzentrieren  sich  zunächst  »am  Wege  nach  Teheran«  in 
der  Stadt  Kaswin. 

Gestern  erfuhr  ich  aus  englischer  Quelle,  daß  die  englische  Diplomatie 
sich  vergeblich  bemüht  habe,  den  Einmarsch  der  russischen  Truppen, 
wenn  auch  nur  um  Tage  zu  verzögern,  da  man  dadurch  noch  immer 
die  diplomatische  Regelung  der  Angelegenheit  zu  sichern  hoffte. 

In  hiesigen  englischen  Kreisen  ist  man  über  das  russische  Ultimatum, 
sowie  auch  über  den  Einmarsch  sehr  aufgeregt.  Die  weitere  Heranziehung 
indisch-englischer  Truppen  nach  Persien  ist  möglich. 

Die  Probemobilisierungen,  die  im  heurigen  Herbst  in  großem 
Umfang  unter  Heranziehung  von  Landespferden  und  Ausrüstung  der 
Trains  an  der  preußisch-russischen  Grenze  stattfanden  und  auch  in  der 
deutschen  Presse  kommentiert  wurden,  waren,  wie  ich  aus  sicherer  Quelle 
erfuhr,  vorher  durch  den  kaiserlich  russischen  Botschafter  in  Berlin 
bekanntgegeben  worden,  um  —  wie  es  ausdrücklich  hieß  —  keine  unnötige 
Beunruhigung  der  öffentlichen  Meinung  hervorzurufen. 

Die  Auflassung  der  Festung  Warschau,  die  nunmehr  zur  Tatsache 
geworden  ist,  und  die  auch  gegen  die  neuerliche  Vorverlegung  von  Korps 
nach  Westen  spricht,  werde  ich  in  einem  eigenen  Bericht  zu  melden 
Gelegenheit  haben. 

Am  Schlüsse  möchte  ich  besonders  betonen,  daß  ich  hier  den  Ein- 
druck gewonnen  habe,  daß  die  leitenden  maßgebenden  Kreise,  weit 
entfernt,  gegen  die  Monarchie  eine  aggressive  Politik  zu  verfolgen,  eher 
nicht  abgeneigt  wären,  eine  diplomatische  Entente  bezüglich  des 
Verhaltens  zur  italienisch-türkischen  Frage  und  der  Ausschaltung  der 
Balkanangelegenheiten  zu  erreichen. 

Daß  man  sich  hiebei  von  russischer  Seite  scheut,  ein  allzugroßes 
Empressement  bezüglich  des  Eingehens  irgendwelcher  positiver  Verstän- 
digungen an  den  Tag  zu  legen,  ist  eben  echt  russisch  und  vielleicht  eine 
Gewähr  für  die  Möglichkeit  einer  Verständigung,  wobei  aber  Rußland 
uns  gegenüber  nicht  den  Anschein  geschäftiger  Initiative  erwecken  möchte. 

215 


Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  vorzüglichsten  Verehrung, 
mit  welcher  ich  zeichne  als 

Euer  Exzellenz  gehorsam  ergebener 

Hohenlohe,  Hauptmann. 

St.  Petersburg,  am  17.  November  1911." 

An  sonstigen  Ereignissen  des  Jahres  1911  sei  in  Erinnerung  gebracht, 
daß  Spanien  im  Mai  die  allgemeine  Wehrpflicht  einführte,  Portugal  sich 
zur  Republik  umwandelte,  Japan  und  Nordamerika  die  Ansiedlungsfrage 
(von  Japanern  in  Amerika)  regelten,  in  China  ein  im  August  aus- 
gebrochener Aufstand  die  Beseitigung  der  Dynastie  und  die  Erklärung 
Chinas  zur  Republik  zur  Folge  hatte.  Die  Vereinigten  Staaten,  welche 
die  Revolution  in  Mexiko  (Madero)  unterstützten,  standen  im  Konflikt 
mit  diesem  Staate,  dessen  langjähriger,  tatkräftiger  Präsident  Diaz  am 
24.  Mai  1911  sein  Amt  niederlegte. 

Faßt  man  die  allgemeine  Lage  zusammen,  so  gibt  dies 
folgendes  Bild: 

Italien  in  Tripolis  mit  der  Türkei  im  Kampf,  der  durchaus  nicht 
glänzend  für  Italien  stand  und  auch  dessen  Flotte  in  Anspruch  nahm; 
Serbien,  Bulgarien,  Griechenland  in  Umformung,  beziehungsweise  Aus- 
rüstung ihrer  Heeresmacht  begriffen  und  gezwungen,  mit  der  müitärisch 
noch  nicht  gebrochenen  Türkei  und  auch  mit  Rumänien  zu  rechnen; 
Rumänien  noch  auf  Seite  Österreich-Ungarns,  der  dreibundfreundliche 
Carp  am  Ruder;  Montenegro  ischert;  Rußland  einem  Kriege  in  Europa 
abgeneigt,  an  inneren  Schwierigkeiten  krankend,  militärisch  noch  nicht 
fertig,  zudem,  bei  mancher  Dissonanz  mit  England,  in  Persien  engagiert; 
England,  anscheinend  aus  maritimen  Gründen,  nicht  aktionsbereit;  Frank- 
reich unter  diesen  Verhältnissen  zum  Kriege  nicht  gewillt,  sondern 
bereit,  die  Marokkoirage  friedlich  auszutragen,  daher:  Österreich- 
Ungarn  in  der  Lage,  gegen  einen  seiner  unvermeid- 
baren, von  aggressiven  Tendenzen  getriebenen 
Gegner:  Italien  oder  Serbien  vorzugehen. 

In  seinem  äußerst  interessanten,  im  Jahre  1919  erschienenen 
Buche :  „K  r  i  e  g  s  u  r  s  a  c  h  e  n"  veröffentlicht  der  ehemalige  serbische 
3eschäftsträger  in  Berlin,  Dr.  M.  B  o  g  i  c  e  v  i  c,  einen  Bericht  des 
Londoner  serbischen  Geschäftsträgers  Gruic,  in  dem 
sich  folgende  auf  die  friedliche  Beilegung  der  Marokkokrise  bezügliche 
Stelle  findet: 

216 


„Aber  sowohl  Frankreich  wie  auch  seine  Bundesgenossen  sind  der 
Ansicht,  daß  der  Krieg  —  selbst  um  den  Preis  größerer  Opfer  —  auf 
spätere  Zeit,  das  ist  auf  die  Jahre  1914—1915  verschoben  werden  müsse. 
Die  Notwendigkeit  dieses  Aufschubes  erheischt  weniger  die  materielle 
Kriegsbereitschaft  Frankreichs,  welche  vollendet  ist,  als  die  Organisierung 
des  Oberkommandos,  welche  noch  nicht  beendet  ist.  Diese  Frist  ist  auch 
Rußland  erforderlich,  Hievon  wird  nur  England  keinen  Nutzen  haben, 
weil  sich  seine  Flottenübermacht  gegenüber  der  deutschen  mit  jedem  Jahre 
verringert.  Mit  Rücksicht  auf  die  Bereitschaft  der  Bundesgenossen  rät 
Frankreich,  sich  jetzt  mit  Deutschland  zu  verständigen." 

Ferner  einen  Bericht  des  serbischen  Gesandten  in 
Petersburg  (Popovic)  vom  4.  Dezember  1911  über  folgende 
Äußerung  des  dortigen  italienischen  Botschafters  bezüglich  Graf  Ähren- 
thals: „Wie  er  die  Schwäche  Rußlands  zur  Zeit  der  Annexion  von 
Bosnien  und  der  Herzegowina  ausgenützt  habe,  so  könne  er  auch  auf  die 
Schwäche  Italiens  Hoffnungen  setzen,  das  in  der  Tripolisfrage  engagiert 
sei,  und  schließlich  auch  wieder  auf  die  Schwäche  Rußlands,  das  noch 
nicht  stark  genug  sei,  um  seine  auswärtige  Politik  ganz  so  wie  es  wolle, 
zu  führen." 

Graf  Ährenthal  nützte  diese  Lage  nicht  aus! 


Die  nun  folgenden  Darlegungen  haben  die  Vorkommnisse  zum 
Gegenstand,  die  zu  meiner  Entlassung  aus  der  Stelle  des  Chefs  des 
Generalstabes,  unter  Ernennung  zum  Armeeinspektor,  führten. 


217 


Der  Konflikt  mit  Graf  Ährenthal. 

Die  große  Meinungsdifferenz  zwischen  mir  und  Graf  Ährenthal  geht 
aus  allem  Geschilderten  hervor.  Sie  gipfelte  darin,  daß  ich  die  Monarchie 
auf  dem  Wege  zu  vitalen,  schweren  Komplikationen  begriffen  sah,  für 
deren  Überwindung  sich  die  Verhältnisse  von  Jahr  zu  Jahr  verschlechtem 
mußten,  so  daß  nur  rechtzeitiges  vorbeugendes  Handeln  Rettung 
erhoffen  ließ,  Graf  Ährenthal  aber  weder  diesem  Handeln  zuneigte, 
noch  mit  jener  Entschiedenheit  für  die  Entwicklung  der  Wehrmacht 
eintrat,  die  mit  Rücksicht  auf  die  kommende  Gefahr  geboten  gewesen 
wäre.  Dazu  kam  sem  Festhalten  an  der  Dreibundpolitik,  im  Gegensatz 
zu  meinem  tiefen  Mißtrauen  gegenüber  Italien. 

Ich  war  mir  nicht  im  Zweifel,  daß  unser  gegenseitiges  Verhälhiis 
auf  die  Dauer  unhaltbar  sei  und  Graf  Ährenthal  eine  ihm  passende 
Gelegenheit  benützen  werde,  mich  zu  beseitigen. 

Schon  Ende  des  Jahres  1910  wiesen  mannigfache  Nachrichten  darauf 
hin,  daß  ItaHen  das  Jahr  1912  als  jenen  Termin  im  Auge  habe,  zu  dem 
es  das  Wesentlichste  seiner  militärischen  Bereitschaft,  also  einen  Höhe- 
punkt derselben  erreicht  haben  wollte. 

Gelegentlich  einer  Unterredung  am  19.  Dezember  1910  hatte  ich 
Graf  Ährenthal  hierauf  aufmerksam  gemacht  und  es  durch  ein  Schreiben 
vom  3.  Jänner  1911  ergänzt,  in  dem  ich  auf  diese  Vorbereitungen  Itahens 
hinwies  mit  dem  Beifügen: 

„Es  erscheint  mir  der  Schluß  naheliegend,  daß  Italien  zu  dem 
bezeichneten  Termin  an  eine  politische  Lage  denkt,  für  welche  es  seine 
absolute  Schlagfertigkeit  gesichert  wissen  will. 

Weitere  Schlüsse  politischer  Natur  muß  ich  selbstredend  der  Wohl- 
meinung Eurer  Exzellenz  überlassen,  doch  erachtete  ich  mich  verpflichtet, 
dieses  Resultat  hierseitiger  Studien  und  Nachrichten  Euer  Exzellenz 
bekanntzugeben." 

Ich  erhielt  hierauf  das  nachstehende  Antwortschreiben: 
218 


„Wien,  den  6.  Jänner  1911. 
Hochwohlgeborner  Freiherr ! 

Ich  habe  das  gefällige  Schreiben  vom  3.  d.  M.  erhalten,  in  welchem 
E.  E.  meine  Auhnerksamlceit  auf  den  Umstand  lenken,  daß  die  Hochdem- 
selben  aus  Itahen  zukommenden  Nachrichten  übereinstimmend  den  Termin 
Ende  April  1912  als  Zeitpunkt  der  angestrebten  Schlagfertigkeit  der 
italienischen  Wehrmacht  erkennen  lassen. 

Ich  nehme  diese  Mitteilung  zur  Kenntnis  und  werde  nicht  verfehlen, 
die  E.  E.  gemeldeten  Wahrnehmungen  nach  Tunlichkeit  auch  durch  meine 
Organe  überprüfen  zu  lassen. 

Unser  Bundesverhältnis  mit  Itahen  läuft  —  wie  ich  E.  E.  bei  früheren 
Anlässen  streng  vertraulich  mitzuteilen  Gelegenheit  halte  —  erst  im  Jahre 
1914  ab;  bis  dahin  dürfen  wir  uns  also  wohl  jedenfalls  als  vor  einem 
feindlichen  Angriffe  von  seiner  Seite  gesichert  betrachten. 

Die  Frage,  ob  zu  dem  angegebenen  Zeitpunkte  der  Dreibund 
erneuert  werden  wird,  ist  heute  noch  nicht  aktuell.  Ich  darf  indessen 
wohl  darauf  hinweisen,  daß  nach  den  mir  zukommenden  Nachrichten  in 
den  maßgebenden  Regierungs-  und  parlamentarischen  Kreisen  wie  auch 
in  der  öffentUchen  Meinung  in  Italien  die  Tendenz  die  Oberhand  bekommt, 
nach  Ablauf  des  gegenwärtigen  Vertrages  das  Allianzverhältnis  mit  den 
Zentralmächten  zu  erneuern.  Wenn  Italien  gleichwohl  mit  rastloser 
Energie  und  unter  Aufwendung  sehr  bedeutender  Mittel  an  der  Vervoll- 
ständigung seiner  militärischen  Rüstung  weiter  arbeitet,  so  folgt  es  dabei 
zunächst  gewiß  dem  Wunsche,  in  dieser  Beziehung  hinter  den  übrigen 
Großmächten,  die  mehr  oder  weniger  dieselben  Wege  wandeln,  nicht  zu 
weit  zurückzubleiben.  Nebenbei  m.ag  aber  bei  der  italienischen  Regierung 
auch  der  Gedanke  eine  Rolle  spielen,  daß  die  Land-  und  Seestreitkräfte 
noch  vor  Beginn  der  Vertragsverhandlungen  ausgestaltet  und  auf  eine 
möglichst  hohe  Stufe  gebracht  werden  müssen,  um  auf  diese  Weise  den 
Wert  seiner  Freundschaft  zu  erhöhen  und  von  den  beiden  anderen 
Mächten  als  begehrter  und  gleichwertiger  Bundesgenosse  angesehen  zu 
werden. 

Genehmigen  Hochdieselben  den  Ausdruck  meiner  ausgezeichneten 
Hochachtung.  Ährenthal." 

Der  Schlußsatz  dieses  Schreibens  charakterisiert  scharf  den  Gegensatz 
zwischen  meiner  Ansicht  und  jener  des  Grafen  Ährenthal.  Ährenthal 
glaubte  in  Itahens  Rüstungen  einen  bundesfreundlichen  Wett- 
bewerb zum  gemeinsamen  Handeln  erblicken  zu  können, 
ich  sah  in  denselben  die  Vorbereitung  zum  Krieg  gegen 
Österreich-Ungarn. 

219 


Um  diese  Zeit  spielte  ein  anderer,  an  sich  geringfügiger  Vorfall  mit^ 
die  gespannte  Stimmung  zu  verschärfen. 

Nach  den  Friedensbestimmungen  des  Jahres  1866  war  es  Österreich- 
Ungarn  verboten,  Kriegsfahrzeuge  auf  dem  Gardasee  (wo  es  bis  dahin 
eine  Flottille  hatte)  zu  unterhalten,  während  für  Italien  diese  Beschränkung 
nicht  bestand.  Auch  der  ganze  Privatschiffsverkehr  lag  seither  in 
italienischen  Händen.  Als  nun  ein  Antrag  einlief,  eine  österreichische 
Privatschiff ahrts  Unternehmung  für  den  Gardasee  ins  Leben  zu  rufen, 
stimmte  ich  dem  selbstverständlich  bei,  auch  in  der  Absicht,  daraus  mili- 
tärische Vorteile  zu  ziehen. 

Diese  Angelegenheit  erschien  nun  in  einem  Artikel  der  „Zeit"  behan- 
delt, der  Graf  Ährenthal  zu  folgendem  Schreiben  an  mich  veranlaßte. 

„Wien,  am  29.  Jänner  1911. 
Hochwohlgebomer  Freiherr! 

In  dem  Morgenblatte  der  >Zeit«  vom  24.  d.  M.  bin  ich  einem 
Artikel  begegnet,  der  sich  mit  der  Etablierung  einer  österreichischen 
Schiffahrtsunternehmung  auf  dem  Gardasee  beschäftigt  und  der  zu  meinem 
großen  Befremden  von  Differenzen  zu  berichten  weiß,  die  über  diese 
Frage  zwischen  Euer  Exzellenz  und  mir  entstanden  seien. 

Mir  ist  von  dieser  Angelegenheit  nur  das  bekannt,  was  mir  von  den 
betreffenden  Korrespondenzen  des  k.  k.  Handelsministeriums  im  Einsichts- 
wege mitgeteilt  worden  ist,  und  ich  bm  also  niemals  in  der  Lage  gewesen, 
mich  über  die  Opportunität  der  Schaffung  eines  solchen  Unternehmens 
auf  dem  genannten  See  in  meritorischer  Beziehung  auszusprechen. 

Die  Behauptung,  daß  eine  Divergenz  in  der  Beurteilung  dieser  Frage 
zwischen  E.  E.  und  mir  bestehe,  ist  demnach  gewiß  falsch.  Wenn  aber 
bei  diesem  Anlasse  in  höchst  indiskreter  Weise  aus  etwaigen  auf  anderen 
Gebieten  vorkommenden  Meinungsverschiedenheiten  der  Schluß  auf  einen 
zwischen  uns  angeblich  bestehenden  latenten  Gegensatz  in  der  Auffassung 
über  militärpolitische  Angelegenheiten  gezogen  wird,  so  kann  ich  dies  nur 
auf  das  tiefste  bedauern.  Ich  bin  sicher,  daß  auch  E.  E.  es  auf  das 
schärfste  mißbilligen  werden,  daß  streng  vertrauliche  interne  Vorgänge 
in  solcher,  überdies  irreführender  Art  an  die  Öffenthchkeit  gebracht 
werden. 

Es  ist  einleuchtend,  daß  derlei  Indiskretionen  die  übelste  Wirkung 
haben  können,  denn  es  wird  auf  das  Tempo  der  italienischen  Rüstungen 
gewiß  einen  beschleunigenden  Einfluß  ausüben,  wenn  in  der  Publizistik 
Darstellungen  erscheinen,  aus  denen  entnommen  werden  kann,  daß  uns 
schon  der  gegenwärtige  Stand  der  itahenischen  Wehrmacht  ernste  und 

220 


dringende  Gegenmaßregeln  rechtfertigende  Besorgnisse  einflößt  und  daß 
E.  E.  einen  nicht  zu  fernen  Krieg  mit  Itahen  als  im  Bereiche  der  Wahr- 
scheinlichkeit gelegen  betrachten. 

Ich  beabsichtige  nicht,  den  Mitteilungen  des  genannten  Blattes  eine 
Richtigstellung  folgen  zu  lassen,  und  begnüge  mich  damit,  E.  E.  Aufmerk- 
samkeit auf  die  Schädlichkeit  derartiger,  wie  es  scheint,  auf  einen 
mihtärischen  Ursprung  hinweisender  Auslassungen  gelenkt  zu  haben. 

Genehmigen    E.    E.   den    Ausdruck    meiner   ausgezeichneten    Hoch- 

^■"""g-  Ährenthal." 

Ich  hätte  gedacht,  daß  es  jedermann  als  selbstverständlich  betrachten 
müßte,  daß  gerade  mir  nichts  ferner  lag,  als  diesem  Schiffahrtsunter- 
nehmen durch  vorzeitige  Publikationen  Hindernisse  zu  bereiten,  ich 
mußte  mich  darüber  wundern,  daß  Graf  Ährenthal  seine  Verwahrung 
gegen  den  „Zeit'*-Artikel  an  mich  und  nicht  an  das  Kriegsministerium, 
als  für  Presse-Angelegenheiten  kompetente  Stelle,  richtete  und  sandte  ihm 
folgende  Erwiderung: 

„Euer  Exzellenz! 

Auf  E.  E.  sehr  geschätzes  Schreiben  vom  29.  Jänner  1911  kann  ich 
E.  E.  nur  mitteilen,  daß  ich  ein  scharfer  Gegner  der  Behandlung  interner 
Vorgänge  und  mihtärischer  Maßnahmen  in  der  Publizistik  und  mir  daher 
der  Schädlichkeit  derartiger  Auslassungen  längst  selbst  bewußt  bin.  In 
diesem  Sinne  habe  ich  auch  sofort  nach  Auftauchen  der  auch  mir  —  und 
zwar  im  Interesse  der  Sache  —  höchst  unwillkommenen  Zeitungspolemik 
die  in  Abschrift  beiliegende  Bitte  an  das  Reichs-Kriegsministerium  gerichtet, 
als  den  einzigen  Weg,  der  mir  für  die  Unterdrückmig  solcher  Vorkomm- 
nisse offen  steht. 

Ob  es  bei  den  offenkundig  gegen  die  Monarchie  gerichteten  mili- 
tärischen Maßnahmen  Italiens  möglich  sein  wird,  einer  Behandlung  dieser 
Verhältnisse  seitens  der  Presse  auf  die  Dauer  Schranken  zu  ziehen,  ist 
allerdings  fraghch.  Andererseits  aber  will  doch  auch  sehr  bedacht  sein, 
daß  eine  die  feindseHgen  Tendenzen  ItaHens  gänzlich  verleugnende 
Berichterstattung  kaum  dazu  angetan  sein  kann,  den  dermalen  in  Schwebe 
befindlichen,  so  dringhchen  militärischen  Forderungen  zur  Realisierung 
zu  verhelfen. 

Welchen  Einfluß  E.  E.  speziell  auf  die  Gardasee-Schiffahrisfrage 
genommen  haben,  ist  mir  gänzHch  unbekannt,  ebenso  auch,  ob  die  dies- 
bezügliche  Publikation   auf   militärischen   Ursprung  zurückzuführen   ist. 

Je  abholder  ich  jedoch  der  publizistischen  Behandlung  derart  wich- 
tiger politischer  und  militärischer  Fragen  bin,  desto  mehr  fühle  ich  mich 

221 


andererseits  verpflichtet,  E.  E.  Aufmerksamkeit  auch  bei  diesem  Anlasse 
auf  die  große  Gefahr  zu  lenken,  welche  eine  Verkennung  der  kriegerischen 
Vorbereitungen  Italiens  und  ein  Unterlassen  der  dringenden  eigenen 
Gegenmaßnahmen  in  sich  schließen  würde. 

Genehmigen  etc. . . .  Conrad. 

Expediert  30.  Jänner  1911." 

Die  Gardasee-Schiffahrtsfrage  wurde,  und  zwar  auch  in  der  Publi- 
zistik, zu  einer  Affäre  aufgebauscht. 

Ein  ungarisches  Blatt  verstieg  sich  sogar  zu  der  Behauptung,  daß 
die  Armeemanöver  bei  Veszprim  nur  veranstaltet  wurden,  um  den 
Plattensee  (!)  als  Analogon  für  Operationen  am  Gardasee  auszunützen! 

Als  aber  auch  Italien  seine  Stimme  dagegen  erhob,  fiel  das  Projekt. 

Mittlerweile  verschärfte  sich  mein  Konflikt  mit  Graf  Ährenihal  durch 
einen  anderen  Vorfall. 

Wie  erinnerlich,  hatte  mir  Graf  Ährenthal  in  seinem  Schreiben  vom 
6.  Jänner  1911  bekanntgegeben,  daß  er  meine  Mitteilungen  über  Italiens 
Rüstungen  auch  durch  seine  Organe  „überprüfen"  lassen  werde. 

Am  23.  Feber  1911  erhielt  ich  nun  im  Wege  des  Kriegsministeriums 
einen  Bericht,  den  der  ö.-u.  Botschafter  in  Rom,  Herr  von  Merey,  an 
Graf  Ährenthal  erstattet  hatte.    Dieser  Bericht  lautete  wie  folgt: 

Herr  v.  Merey  an  Graf  Ährenthal. 
„Nr.  4D. 
Streng  vertrauhch! 

Hochgeborner  Graf ! 

Indem  ich  mich  anschicke,  den  hohen,  streng  vertraulichen  Erlaß  vom 
10.  1.  M.  Nr.  77  zu  beantworten,  darf  ich  vor  allem  betonen,  daß  ich  den 
militärischen  Vorgängen  in  Italien  unausgesetzt  meine  volle  Aufmerksam- 
keit zuwende  und  mich  speziell  über  militärpolitische  und  budgetäre 
Fragen  der  Rüstungen  Italiens  in  großen  Zügen  auf  dem  laufenden  zu 
erhalten  trachte,  insoweit  dies  bei  meiner  naturgemäß  geringeren  fachlichen 
Kompetenz  möghch  ist.  Ich  muß  hiebei  annehmen,  daß  die  beiden  mili- 
tärischen Organe  dieser  Botschaft  über  die  Fragen,  speziell  nach  ihrer 
organisatorischen  und  technischen  Seite  hin,  an  ihre  vorgesetzten  Stellen 
erschöpfend  berichten. 

Bei  dem  vorliegenden  Anlasse  habe  ich  über  die  von  E.  E.  bezw. 
dem  Chef  des  Generalstabes  aufgeworfene  Frage,  obwohl  mein  Urteil 
darüber  schon  auf  Grund  meiner  eigenen  früheren  Eindrücke  und 
Infonnationen  ziemlich  feststand,  mit  dem  Marineattache  speziell  eingehend 
Rücksprache  gepflogen. 

222 


Zunächst  möchte  ich,  ohne  mich  selbstverständlich  mit  einem  Manne 
von  der  Kompetenz  des  Chefs  unseres  Generalstabes  in  mihtäqDolitische 
Kontroversen  einlassen  zu  wollen,  lediglich  als  eine  auch  dem  Laien 
nahehegende  Erwägung,  Zweifel  darüber  äußern,  ob  man  von  irgend 
einer  Armee  oder  Marine,  also  auch  der  italienischen,  überhaupt  ernst- 
haft und  sachlich  sagen  könne,  dieselbe  werde  in  diesem  oder  jenem 
Jahre  ihre  Schlagfertigkeit  erreichen.  Meine  eigene  Anwesenheit  bei  zirka 
25  Delegationen  und  somit  ebensovielen  Debatten  über  unsere  Kriegs- 
und Marinebudgets  sowie  meine  Erfahrungen  über  die  Entwicklung  der 
militärischen  Streitkräfte  anderer  Staaten  lassen  mich  diese  Frage  eher 
verneinen. 

Eine  Armee  und  eine  Marine  scheint  mir  heute  weniger  als  je  ein 
Instrument  zu  sein,  welches  man  wie  ein  Schrapnell  auf  einen  bestimmten 
Zeitpunkt  tempieren  kann. 

Armee  und  Marine  sind  vielmehr,  wie  alle  anderen  Institutionen  — 
und  bei  der  rapiden  Vervollkommnung  der  Kriegsmittel  noch  mehr  als 
diese  —  ein  lebendiger,  in  einer  steten  Entwicklung  und  in  einer  rastlosen 
Konkurrenz  mit  den  anderen  Staaten  begriffener  Körper. 

Armee-  und  Flottenprogramme  sind  daher  in  meinen  Augen  nichts 
anderes  als  finanzpolitische  und  parlamentarische  Behelfe,  dazu  bestimmt, 
gewisse  Zuwendungen  für  eine  gewisse  Zeit  zu  erhalten.  Aber  die  Aus- 
führung keines  dieser  Programme  kann  wirklich  die  Schlagfertigkeit  oder 
einen  bestimmten  Grad  derselben  im  voraus  verbürgen,  weil  kein  Kriegs- 
minister, kein  Generalstabschef  und  kein  Marinechef  vorhersagen  kann, 
welche  Fortschritte  mittlerweile  die  rivalisierenden  Armeen  und  Marinen 
gemacht  haben  werden  und  welche  neue  Erfindungen  oder  Vervollkomm- 
nungen auf  dem  Gebiete  der  Kriegstechnik  eingetreten  sein  werden. 

Zu  diesem  Gedankengange  halte  ich  es  daher  überhaupt  nicht  für 
richtig,  davon  zu  sprechen,  daß  die  italienischen  Streitkräfte  in  diesem 
oder  jenem  Jahre  ihre  Schlagfertigkeit,  ihre  Kriegsbereitschaft  erreichen 
werden. 

Die  Kriegsbereitschaft  ist  meiner  Ansicht  nach  nicht  etwas  Absolutes, 
sondern  etwas  Relatives,  hängt  von  dem  Grade  der  gleichzeitigen  Fort- 
schritte der  eventuellen  Gegner  ab,  sie  ist  aber  auch  nicht  der  Endpunkt, 
sondern,  wenn  man  sich  keiner  Täuschung  hingeben  will,  nur  eine 
Etappe  im  Verlaufe  einer  vorläufig  noch  unabsehbaren  Entwicklung. 

Dies  vorausgeschickt  und  mit  den  in  diesen  unvorgreiflichen  Deduk- 
tionen enthaltenen,  sehr  wesentlichen  Reserven  kann  ich,  wenn  ich  mir 
zu  diesem  Zwecke  die  Terminologie  des  Herrn  Chefs  des  Generalstabes 
zu  eigen  machen  darf,  die  Frage,  ob  die  Erreichung  der  Schlagfertigkeit 
der  italienischen  Armee  und  Marine  auf  das  Jahr  1912  eingestellt  ist, 

223 


hinsichtlich  der  Marine  vollständig,  hinsichtlich  der  Armee  zum  Teil 
verneinen. 

Bezüglich  der  Marine  galt  bis  vor  kurzem  das  Flottenprogramm  vom 
Jahre  1Q09,  welches  auch  den  Bau  von  vier  Dreadnoughts  vorsah  und 
dessen  Ausführung  von  Hause  aus  nie  für  das  Jahr  1912,  sondern  für 
1914  intendiert  war. 

Es  ist  auch  dermalen  noch  fraglich,  ob  die  Durchführung  dieses 
Programmes  im  Frühjahr  oder  im  Spätherbst  1914  erreicht  sein  wird,  und 
bei  der  Unpünktlichkeit,  Saumseligkeit  und  Mangelhaftigkeit  aller  hier- 
ländischen  Einrichtungen  scheint  mir  auch  eine  weitere  Verzögerung  nicht 
als  absolut  ausgeschlossen. 

Bevor  aber  noch  dieses  Programm  zur  Hälfte  durchgeführt  ist,  hat 
die  italienische  Marineleitung  —  ein  Schulbeispiel  für  meine  eingangs 
aufgestellten  Thesen  —  bereits  ein  weiteres  Programm  entworfen,  welches 
den  Ersatz  der  Schiffe  der  >Sardegna«-Klasse  durch  zwei  Dreadnoughts 
mit  dem  Kostenbetrage  von  zusammen  130  Millionen,  femer  90  Millionen 
für  Überschreitungen  bei  den  Ausgaben  für  das  bisherige  Flotten- 
programm und  28  MiUionen  für  kleine  Schiffbauten,  im  ganzen  also 
250  Millionen  umfaßt  und  ausdrücklich  bis  in  das  Jahr  1918  reicht. 

Hinsich thch  der  Marine  spielt  also  das  Jahr  1912  gar  keine  Rolle, 
und  wird  —  den  unwahrscheinlichen  Fall  der  pünktlichen  Einhaltung 
des  projektierten  Termines  ausgenommen  —  die  dermalen  intendierte 
Ausgestaltung  der  italienischen  Kriegsmarine  erst  im  Laufe  des  Jahres 
1918  durchgeführt  sein. 

Was  die  Armee  anbelangt,  so  ist  allerdings  ein  gewdsses  Streben 
erkennbar,  die  bisherige  Rückständigkeit  des  italienischen  Heeres  bis  zu 
den  Jahren  1912  oder  1913  in  den  wesentUchsten  Punkten  zu  beheben. 
Aber  schon  heute  läßt  sich  nach  dem  Stande  der  Dinge  sagen,  daß  dieses 
—  wie  ich  wieder  betonen  möchte  —  keinen  Schlußpunkt  kennende 
Ziel  bis  dahin  kaum  vollständig  erreicht  sein  dürfte. 

So  ist  beispielsweise  dermalen,  wo  uns  nur  mehr  ein  Jahr  von  dem 
fraglichen  Zeitpunkte  trennt,  die  Umgestaltung  der  Artillerie  kaum  zu 
zwei  Dritteilen  vollendet.  Ein  Drittel  der  Geschütze  harrt  noch  der 
Auswechslung  oder  Umgestaltung  und  es  ist  dermalen  noch  nicht  ein- 
mal die  Entscheidung  gefallen,  ob  diese  alten  Geschütze  durch  solche  von 
Krupp  oder  von  einer  französischen  Firma  oder  anderswie  werden  ersetzt 
werden. 

Weiter  fortgeschritten,  wenn  auch  an  manchen  Punkten,  z.  B. 
Brindisi,  der  Vollendung  noch  keineswegs  nahe,  scheinen  die  Befestigun- 
gen zu  sein. 

224 


Hinsichtlich  der  strategischen  Bahnen  will  ich,  ohne  in  Details  ein- 
zugehen, nur  erwähnen,  daß  die  Legung  des  zweiten  Gleises  auf  der 
venetianischen  Hauptbahn  vorläufig  nur  bis  Treviso  erfolgt  ist  und  daß 
bezüglich  einzelner  strategischer  Bahnen  im  Norden  Italiens  die  Regierung 
bisher,  angesichts  der  sich  dabei  geltend  machenden  widerstreitenden 
regionalen  Interessen,  noch  keine  endgültige  Entscheidung  getroffen  hat. 

Bezüglich  des  rollenden  Eisenbahnmaterials  ist  erst  kürzlich  bekannt- 
geworden, daß  die  Regierung  aus  Ersparungsrücksichten  beschlossen  hat, 
niu"  die  Hälfte  der  in  Aussicht  genommenen  Waggonanschaffungen  zu 
bewerkstelligen. 

Was  endlich  das  radiotelegraphische  Netz  anbelangt,  so  scheint  mir 
dieses  seiner  Natur  nach  eine  Maßregel  von  eminent  defensivem  Charakter 
zu  sein. 

Alles  in  allem  möchte  ich  also  zu  dem  Schlüsse  kommen,  daß  das 
Jahr  1912  keinen  entscheidenden  Wendepunkt  in  der  Entwicklung  der 
italienischen  Armee  und  noch  weniger  in  jener  der  italienischen  Marine 
bedeuten  wird. 

Unleugbar  ist  im  Vergleiche  mit  den  früheren  Jahren  eine  gewisse 
Aktivität  und  ein  rascheres  Tempo  in  den  italienischen  Rüstungen  bemerk- 
bar. Auch  ist,  wie  ich  der  Ansicht  E.  E.  beipflichten  möchte,  Italien 
hiebet  von  dem  Streben  geleitet,  seine  militärische  Potenz  höher  ein- 
geschätzt zu  sehen.  Nur  möchte  ich  den  hiebei  in  letzterer  Analyse  ver- 
folgten Zweck  zum  geringeren  Teile  in  einer  Verbesserung  der  Chancen 
Italiens  gelegentHch  der  Frage  der  Erneuerung  der  Tripelallianz,  haupt- 
sächlich aber  in  dem  Umstände  erblicken,  daß  Italien,  und  zwar  die 
Regierung,  die  Armee  und  Marine,  das  Parlament,  die  Presse  und  ein 
großer  Teil  der  Bevölkerung,  von  dem  italienischesten  aller  Gefühle:  der 
Paura  beherrscht,  ernstlich  mit  der  Gefahr  eines  Angriffskrieges  von 
unserer  Seite  rechnet  und  durch  eine  möglichst  rasche  und  umfassende 
Vermehrung  und  Entwicklung  seiner  Streitkräfte  trachtet,  dieser  Even- 
tualität entweder  vorzubeugen,  oder  aber  ihrem  Eintritte  doch  mit  besseren 
Chancen  die  Stime  bieten  zu  können. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  Ehrfurcht. 

Merey." 

Der  belehrende  und  hochmütige  Ton,  den  manche  Diplomaten 
anderen  gegenüber  als  selbstverständhches  Recht  beanspruchten,  veranlaßte 
mich  zu  nachfolgender  Erwiderung.  Auch  mußte  ich  mich  entschieden 
gegen  die  geringschätzigen  Bemerkungen  über  einen  Gegner  wenden,  den 
ich  stets  als  sehr  bedeutsamen  Faktor  in  Rechnung  stellte. 

15,  Conrad  II  00>^ 


„Wien,  24.  Feber  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Ich  habe  in  meinem  Schreiben  vom  2.  Jänner  1.  J.  E.  E.  eine  Mit- 
teilung gesendet,  dahin  gehend,  daß  verschiedene  mihtärische  Maßnahmen 
Italiens  darauf  deuten,  daß  dieser  Staat  für  das  Jahr  1912  eine  erhöhte 
militärische  Bereitschaft  anstrebe. 

Ich  lege  jetzt  einige  jener  Details  bei,  welche  mich  zu  dieser 
Anschauung  veranlaßten*),  ich  habe  dies  damals  nicht  getan,  v^eil  ich 
glaubte,  daß  bei  E.  E.  großer  Inanspruchnahme  es  genügen  würde,  v/enn 
ich  E.  E.  lediglich  mein  resümierendes  Urteil  belianntgebe. 

E.  E.  antworteten  mir  hierauf  am  6.  Jänner  1911,  daß  Sie  meine 
Wahrnehmungen  nach  Tunlichlteit  auch  durch  Ihre  Organe  über- 
prüfen lassen  werden.  Ich  bin  über  diese,  ein  geringes  Vertrauen  in 
meine  Mitteilungen  verratende  Erledigung  hinweggegangen,  um  im  Inter- 
esse der  Sache  Unstimmiglieiten  zu  vermeiden,  und  habe  angenommen, 
daß  E.  E.  ledigHch  bestrebt  sind,  durch  mehrseitige  Beobachtung  den 
Sachverhalt  zu  klären. 

Nun  erhielt  ich  seitens  E.  E.  im  Wege  des  RKM.  sub  Präs.  Nr.  2100 
den  diesbezüglichen  Bericht  des  Botschafters  in  Rom. 

Über  alles  darin  Enthaltene  bin  ich  längst  viel  eingehender  orientiert. 

Ich  kann  aber  mein  großes  Erstaunen  darüber  nicht  unterdrücken, 
daß  sich  irgend  jemand  berufen  fühlt,  mich,  der  ich  seit  dem  zehnten 
Lebensjahr  den  Soldatenrock  trage,  39  Jahre  als  Offizier  diene,  alle 
Wandlungen  der  Armee  vom  Kapselgewehr  bis  zum  automatischen  Repe- 
tierer mitgemacht  habe  imd  seit  mehreren  Jahren  an  dieser  Entwicklung 
aktiv  an  führender  Stelle  wirke,  darüber  aufzuklären,  daß  diese  Ent- 
wicklung ein  ununterbrochener  mühevoller  Prozeß  sei. 

Jedem  weiter  Denkenden  und  jedem  den  inneren  Werdegang  bei 
diesem  Prozeß  Kennenden  muß  es  aber  auch  klar  sein,  daß  sich  innerhalb 
dieser  Entwicklung  jene  Momente  herausgreifen  lassen,  in  welchen  eine 
bedeutungsvolle  Phase  der  Entwicklung  überhaupt  und  eine  auf  bestimmte 
Kriegsmöglichkeiten  im  speziellen  gerichtete  Stufe  erreicht,  beziehungs- 
weise abgeschlossen  werden  kann;  und  jeder  Voraussichtige  wird  es  als 
notwendig  erachten  müssen,  einen  solchen  Abschluß  für  Zeiten  herbei- 
zuführen, welche  eine  erhöhte  mihtärische  Bereitschaft  wünschenswert, 
beziehungsweise  notwendig  erscheinen  lassen. 

E.  E.  geben  ja  gleichfalls  diesem  Gedanken  im  Schlußsatz  Ihres 
geschätzten  Schreibens  vom  6.  Jänner  1911  in  geradezu  trefflicher  Weise 
Ausdruck. 


*)  Diese  Details  sind  an  den  Brief  angeschlossen. 
226 


Wenn  der  Herr  Botschafter  in  Rom  diesen  Gedanken  nicht  erfaßt 
hat,  so  ist  es  nicht  meine  Sache,  ihn  darüber  aufzuldären. 

Auf  den  Schluß  des  Berichtes  des  letzteren  kommend,  muß  ich  wohl 
hervorheben,  daß  ich  hinsichtlich  der  mir  obliegenden  konkreten  Kriegs- 
Vorbereitungsarbeiten  nicht  die  Oberflächlichkeit  besitze,  dieselben  auf  die 
>P  a  u  r  a«  unserer  möglichen  Gegner  zu  gründen.  Wir  haben  trotz 
dieser  >Paura«  zwei  unserer  schönsten  Provinzen:  Lombardei  und 
Venetien  verloren. 

Ich  möchte  nicht  Mitschuldiger  an  einem  ähnlichen  Vorkommnis  sein. 

Genehmigen  Hochderselbe  den  Ausdruck  meiner  ausgezeichneten 
Hochachhmg.  Conrad,  O.  d.  I." 

Die  im  vorstehenden  Brief  erwähnten  Details  enthält  nachfolgende: 

„Abschrift  der  Beilage*)  zum  Brief  an  Exzellenz  Ährenthal  vom 

24.  Feber  1911. 

Die  im  Jahre  1910  gesetzlich  festgelegte,  weitreichende  Reorgani- 
sation des  Heeres  ist  bereits  derart  angelegt,  daß  sie  im  Laufe  des  Jahres 
1911  allmählich  durchgeführt,  somit  im  Frühjahr  1912  in  der  Hauptsache 
vollendet  sein  wird. 

Bei  den  höheren  Kommanden,  bei  der  Infanterie  und  Kavallerie 
werden  diese  organisatorischen  Änderungen  —  insoweit  sie  nicht  schon 
gegenwärtig  vollzogen  sind  —  zuverlässig  im  Laufe  dieses  Jahres  durch- 
geführt werden  können. 

Die  reitende  Artillerie  ist  bereits  gegenwärtig  durchwegs  mit  dem 
neuen  Schnellfeuergeschütz  ausgerüstet,  bei  der  fahrenden  Feldartillerie 
wird  die  Neubewaffnung  (im  Zusammenhange  mit  der  organisations- 
gemäßen Neuaufstellung  von  zwölf  Korps-Artillerieregimentem)  vielleicht 
bis  Ende  1911,  wahrscheinlich  aber  bis  zum  Frühjahr  1912 
durchgeführt  sein. 

BezügUch  der  (heute  noch  nicht  vorhandenen)  schweren  Feldartillerie 
läßt  sich  der  Zeitpunkt  der  tatsächlichen  Aufstellung  (20  Batterien)  noch 
nicht  voraussehen;  bezeichnend  jedoch  ist,  daß  die  Bestellungen  bei 
Krupp,  betreffend  die  Lieferimg  von  112  schweren  Haubitzen,  ausdrück- 
lich den  Termin  Ende  April  1912  als  äußerste  Lieferzeit  bestimmen. 

An  Maschinengewehren  sind  bei  den  Truppen  derzeit  nur  zwei 
Drittel  des  Bedarfes  für  die  erste  Linie  vorhanden;  der  Rest  (116  Gewehre) 
soll,   sobald   die    Entscheidung   zugunsten    des    heimischen   Fiat-Revelli- 


*)  Zusammengestellt  im  Evidenzbureau  des  Generalstabes. 
*5'  227 


Systems  gefallen  ist,  von  den  Fiat- Werken  binnen  Jahresfrist,  also  bis 
zum  Frühjahr  1912,  geliefert  werden. 

Nicht  verbürgt,  aber  sehr  wahrscheinlich  ist,  daß  die  genannten 
Werke  bis  1912  nicht  bloß  116  Maschinengewehre  für  das  Heer, 
sondern  auch  solche  für  die  Mobilmilizformation  zu  liefern  haben  werden. 

Für  die  Mcbilmiliz  ist  die  Aufstellung  eigener  Kaders  gesetzHch 
systemisiert  worden.  Von  diesen  werden  bei  der  Infanterie  ein  Drittel, 
bei  den  Alpinibataillonen  fast  sämtliche  mit  1.  März  191  1  aufgestellt; 
die  Aufstellung  der  übrigen  bis  zum  Frühjahr  1912  ist  beschlossen 
und  wird  nach  Maßgabe  der  Unterkunfts-  und  Standesverhältnisse 
wenigstens  zum  größeren  Teile  bis  zum  genannten  Termin  erfolgen 
können. 

Bezüglich  der  Befestigungen  in  den  Grenzgebieten  hat  schon  die 
parlamentarische  Heeresuntersuchungskommission  mit  Befriedigung  hervor- 
gehoben, daß  die  Reichsverteidigung  im  Rahmen  des  Arbeits- 
programmes bis  1912  erhebliche  Fortschritte  aufweise  und  den 
Anforderungen  wenigstens  vorläufig  entspreche.  Es  ist,  namentlich  wenn 
die  Heeresverwaltung  dem  unaufhörlichen  Druck  parlamentarischer  Kreise 
nachgibt,  keineswegs  unwahrscheinlich,  daß  auch  die  neuen  Befestigungen 
am  Tagliamento  bis  zum  Frühjahr  1912  in  einem  Zustande  sein 
können,  der  sie  aktionsfähig  macht.  (Mit  dem  Erlasse  Res.  Nr.  120  vom 
14.  Jänner  1911  hat  das  VI.  Korpskommando  zu  Bologna  die  Weisung 
erteilt,  die  Vorarbeiten  für  den  Bau  von  zusammen  acht  Batterien  der 
Brückenköpfe  Codroipo  und  Latisana  derart  zu  beschleunigen,  daß  der 
Bau  —  im  Sinne  der  Befehle  des  Generalstabes  —  nicht  später  als 
im  Monat  März  1911  begonnen  werden  könne.) 

Für  den  Ausbau  der  Luftflotte  sind  im  vergangenen  Jahr  10  Millionen 
Lire  bewilligt  worden.  Noch  im  Laufe  dieses  Jahres  werden  die 
beiden  großen  Festungen  Venedig  und  Verona  über  je  einen  Lenkballon 
verfügen.  Bis  zum  Frühjahr  1912  können  von  den  teilweise  schon 
in  Konstruktion  befindlichen  »Luft-Dreadnoughts«  mindestens  zwei  fertig- 
gestellt werden. 

Das  Projekt  der  Schaffung  eines  radiotelegraphischen  Netzes  über 
ganz  Italien  ist  durch  die  Bewilligung  von  500.000  Lire  (Gesetz  vom 
9.  Feber  1911)  bereits  zur  Tatsache  geworden.  Die  Ausgaben  sind  bis 
Juni  1912  tempiert;  der  Schaffung  einer  derartigen,  in  solchem  Umfange 
noch  in  keinem  anderen  Staate  bestehenden  Verbindungsanlage  kommt 
eine  offensive  Bedeutung  zum  mindesten  im  gleichen  Ausmaße  zu, 
als  ihr  »eminent  defensiver  Charakter«  hervorgehoben  wird. 

Die  Vermehrung  des  rollenden  Eisenbahnmaterials  ist  bis  zum 
Jahre  1912  mit  einem  Kostenaufwande  von  56  Millionen  Lire  (8000 

228 


Wagen)  projektiert.  Die  Entscheidung  ist  noch  nicht  gefallen  und  wenn 
auch  verlautet,  daß  das  Parlament  nur  die  Hälfte  der  Forderungen 
bewilligen  dürfte,  so  ändert  dies  nichts  an  der  Tatsache,  daß  die  maß- 
gebenden Kreise  das  Jahr  1912  als  den  wünschenswerten  Zeitpunkt 
der  vollendeten  Vermehrimg  ins  Auge  gefaßt  haben. 

Die  durch  eine  besondere  Kommission  festgelegten  Arbeiten  für  den 
Ausbau  des  Schiffahrtskanalnetzes  in  Oberitalien,  wie  auch  der  hiefür 
bereits  bewilligte  Kredit  von  10  Millionen  Lire  erstreckten  sich  auf  den 
Zeitraum  bis  1  Q  1  2.  Auch  die  Rührigkeit,  mit  welcher  die  Streihnittel  am 
Gardasee  verstärkt  werden  (Inselfort  Trimelone,  Vermehrung  der  Garni- 
sonen), weisen  auf  den  Termin  1912  hin. 

Von  den  bereits  im  Baue  befindlichen  Bahnstrecken  in  Oberitalien 
sollen,  laut  Konzession,  spätestens   1912  eröffnet  werden : 

Spilimbergo — Comino — Gemona, 

Belluno — Longarone  (Cadorebahn), 

Treviso — Pordenone — S.  Vito, 

Verona — Nogara— Ostiglia — Revere  und  mehrere  Straßenbahnen. 

Der  Bau  der  strategischen  Linie  Ostiglia — Treviso  und  der  >Pede- 
montana«  Sacile — Aviano — Maniago — Pingano  wird  von  den  venetiani- 
schen  Abgeordneten  gefordert  und  soll  noch  heuer  begonnen  werden. 

Bei  der  Marine  ist  die  Indienststellung  des  ersten  Dreadnoughts 
:^  Dante  Alighieri«  längstens  bis  zum  Frühjahr  1912,  der  Stapellauf  der 
drei  übrigen  für  den  Sommer,  bezw.  Herbst  1911  vorgesehen.  Bis  zum 
Frühjahr  1912  dürften  auch  die  zur  Zeit  im  Bau  befindhchen  dreizehn 
neuen  Unterseeboote  und  die  Mehrzahl  der  in  Bauausführung  stehenden 
Torpedoboote  und  Zerstörer  in  Dienst  gestellt  werden  können.  Die 
Erweiterung  des  Flottenbauprogrammes  vom  Jahre  1909  unter  Bewilli- 
gung neuer,  bis  zum  Jahre  1918  laufender  Kredite  ist  nur  in  allgememen 
Umrissen  bekannt.  Der  stetige  Fortschritt  auf  allen  Gebieten  der  Technik 
macht  es  bei  einem  Flottenbauprogramm  wohl  schwierig,  für  dessen 
Vollendung  einen  fixen  Termin  zu  bestimmen,  nichtsdestoweniger  gewähr- 
leistet bereits  das  bis  zum  Jahre  1912  Erreichbare  die  von  italienischer 
Seite  stets  gewünschte  und  hervorgehobene  Superiorität  zur  See. 

Ein  zwar  nicht  militärischer  Beweis,  aber  eine  dennoch  recht  sympto- 
matische Erscheinung  liegt  in  den  sehr  zahlreichen  Tendenzschriften,  die 
von  offiziöser  Seite  zum  mindesten  inspiriert  zu  sein  scheinen  und  fast 
durchwegs  das  Jahr  1912  als  »kritisches  J  ahr«  hinstellen.  Die  im 
Jahre  1909  von  einem  aktiven  Marineoffizier  allen  Senatoren  und 
Abgeordneten  gewidmete  Broschüre:  »1912?  Armate  la  marin  a« 
ist  in  dieser  Beziehung  charakteristisch  und  verdient  ob  ihrer  zumeist  sach- 
lichen  Darlegungen   als  Beweis  dafür  Beachtung,   daß   der  Glaube   an 

229 


besondere    Ereignisse    im    Jahre    1912    in    Italien    längst 
allgemeine  Verbreitung  gefunden  hat." 

Im  übrigen  ließ  ich  mich  durch  das  Vorgefallene  nicht  abhalten,  auch 
weiterhin  Graf  Ährenthal  über  Italien  zu  orientieren.  So  in  einem 
Schreiben  vom  25.  April  1911,  in  dem  ich  erneuert  auf  den  Termin  von 
1912  hinwies,  mit  dem  Beifügen,  daß  der  Generaldirektor  des  Artillerie- 
und  Geniewesens  im  italienischen  Kriegsministerium  von  den  liefernden 
Firmen  mit  Bestimmtheit  verlangte,  daß  das  gesamte  Artilleriematerial, 
einschließhch  aller  Wagen  und  der  Munition,  bis  längstens  Ende 
1912  fertiggestellt  sei. 

Die  durch  den  Bericht  Herrn  von  Mereys  zu  Anfang  des  Jahres  1911 
hervorgerufene  Mißstunmung  erlitt  eine  weitere  Verschärfung  durch 
folgenden  Vorfall: 

Während  nämlich  Italien  unsere  Grenzgebiete  mit  Spionen  über- 
schwemmte, von  denen  zahlreiche  ergriffen,  der  Schuld  überführt  und  auch 
abgeurteilt  wurden,  setzte  Graf  Ährenthal  der  Entsendung  von  k.  u.  k. 
Offizieren  zu  Rekognoszienmgszwecken,  sowie  dem  Kundschaftsdienst  die 
weitestgehenden  Hindemisse  entgegen.  Auch  der  Botschafter  in  Rom, 
Herr  von  Merey,  nahm  dagegen  Stellung,  beklagte  sich  darüber  und 
schrieb :  „Man  sollte  die  Langmut  der  Italiener  nicht  zu  stark  in  Anspruch 
nehmen."  Seitens  Graf  Ähren thals  wurde  das  betreffende  Schreiben 
Mereys  an  den  Kriegsminister  Baron  Schönaich  und  von  diesem  an  mich 
übergeben.  In  meiner  die  Notwendigkeit  des  Kundschaftsdienstes  hervor- 
hebenden Antwort  vom  4.  Juh  1911  hatte  ich  auch  den  Satz  auf- 
genommen: „Es  ist  mir  unverständlich,  wie  der  k.  u.  k.  Botschafter  in 
Rom,  dem  ja  die  große  Zahl  der  in  Österreich-Ungarn  erfolgten 
Aburteilungen  italienischer  Spione  nicht  unbekannt  gebheben  sein  kann, 
von  der  Langmut  der  italienischen  Regierung  zu  sprechen  vermag.  Solche 
Anschauungen  scheinen  geeignet,  das  schwere  Bedenken  zu  rechtfertigen, 
daß  die  Interessen  der  Monarchie  nicht  jene  energische  Vertretung  finden, 
wie  sie  wohl  jeder  andere  Staat  von  seinen  bezüglichen  Funktionären 
voraussetzt"*). 

Baron  Schönaich  übermittelte  mein  Schreiben,  obzwar  es  nur  für  den 
internen  Gebrauch  des  Kriegsministeriums  bestimmt  war,  an  Graf  Ähren- 
thal, der  dasselbe  am  7.  August  in  einem  ebenso  gereizten  als  autoritativen 


*)  Während  andere  Staaten  für  ihre  im  Kundschaftsdienst  verwen- 
deten Offiziere  stets  mit  voller  Autorität  eintraten,  wurden  k.  u.  k.  Offiziere 
in  der  Regel  fallen  gelassen,  wenn  sie  entlarvt  wurden,  da  dies  dem  Mini- 
sterium des  Äußern  Unbequemlichkeiten  verursachte. 

230 


Ton  erwiderte,  den  ich  brieflich  ablehnte,  mit  dem  Bemerken,  die  Ent- 
scheidung Seiner  Majestät  anrufen  zu  wollen. 

Wie  ich  einer  im  Jahre  1920  erschienenen  Publikation*)  entnehme, 
hat  mich  Graf  Ährenthal  in  einer  Denkschrift  vom  22.  Oktober  1911  bei 
Seiner  Majestät  beschuldigt,  meine  Ansichten  auch  „publizistisch  zu  ver- 
treten" und  zur  Begriindung  dessen  angeführt:  „Dies  läßt  sich  aus  man- 
chen Zeitungsartikeln  nachweisen,  die  seinen  Gedankengang  genau  wieder- 
geben und  darum  seiner  Inspiration  zugeschrieben  werden 
müsse  n." 

Graf  Ährenthal  übersah  dabei,  daß  es  ja  außer  mir  auch  noch  andere 
Menschen  geben  konnte,  die  sich  von  Italien  nicht  täuschen  ließen.  Seine 
Beschuldigung  aber  weise  ich  mit  dem  Bemerken  zurück,  daß  ich  mich 
nicht  nur  niemals  dieses  Mittels  bedient,  sondern  mich  stets  darauf 
beschränkt  habe,  den  Kampf  mit  offenem  Visier  zu  führen.  Auch  war 
den  mir  unterstehenden  Generalstabsoffizieren  eine  publizistische  Tätig- 
keit in  dieser  Richtung  untersagt. 

Daß  ich  in  Pressefragen  stets  den  korrekten  Weg  durch  das  hiefür 
kompetente  Kriegsministerium  einhielt,  ergibt  sich  auch  aus  meinem  in 
der  Denkschrift  vom  9.  September  angeführten  Schreiben  an  den  Kriegs- 
minister aus  Malborgeth  vom  25.  Juni,  das  die  Antwort  Graf  Ährenthals 
vom  22.  JuH  und  meine  Erwiderung  vom  30.  Juh  1911  zur  Folge  hatte. 
(Siehe  die  Denkschrift  vom  9.  September,  Seite  247,  248,  251.) 

Dieser  Briefwechsel  erweist,  daß  Graf  Ährenthal  sich  im  Unklaren 
darüber  war,  daß  es  für  einen  Großstaat  einen  Unterschied  in  der 
Rüstung  zur  Defensive  und  einer  solchen  zur  Offensive  nicht 
geben  könne,  weil  selbst  eine  abwartende,  also  defensive  Politik,  im  Falle 
feindlicher  Herausforderimg  oder  feindlichen  Angriffes,  die  eigene  miU- 
lärische  Offensive  erfordern  kann. 

Aber  nicht  genug  damit,  verwahrte  sich  Graf  Ährenthal  ja  auch 
gegen  alle  Maßnahmen,  die  selbst  für  sein  vermeintUch  reduziertes  Ziel 
dringend  geboten  waren. 

Zur  weiteren  Erklärung  der  gegen  mich  bei  Graf  Ährenthal  bestehen- 
den Gereiztheit  erwähne  ich  hier  noch  einen  bereits  1909  stattgehabten 
Vorfall.  Ich  hätte  ihn  übergangen,  wenn  er  nicht  in  der  früher  angeführten 
Publikation  vom  Jahre  1920  eine  Andeutung  gefunden  hätte. 

Mir  wurde  nämlich  damals  ein  an  Graf  Ährenthal  gerichtetes 
Schreiben  eines  k.  u.  k.  Gesandten  zur  Kennüiis  gegeben,  das  in  einem 
dem  militärischen  schrifüichen  Verkehr  fremden,  dem  Empfänger  huldigen- 
den Stil  abgefaßt,  auch  den  Satz  enthielt: 


*)  „Österreichische  Rundschau". 

231 


„Euer  Exzellenz  n  i  e  irrender  Geist"  (oder  „n.  i  e  irrendes 
Gedächtni s").  Ich  hatte  diesen,  mir  besonders  auffallenden  Satz 
mit  Farbstift  unterstrichen  und  mit  einem  Rufzeichen  versehen,  dabei 
meinem  mir  das  Stück  vorlegenden  Referenten  gegenüber  geäußert: 
„Wenn  einer  meiner  Untergebenen  mir  eine  solche  Schmeichelei  schreiben 
w^ürde,  so  sperre  ich  ihn  ein."  Das  Stück  nahm  dann  seinen  Weg  zurück 
ins  Ministerium  des  Äußern,  ohne  daß  meine  Farbstiftstriche  v^eggelöscht 
worden  wären. 

Diese  erregten  dortselbst  eine  Entrüstung,  der  Graf  Ährenthal  in 
einem  im  Juli  1909  an  mich  gerichteten  Schreiben  Ausdruck  gab,  in  dem 
er  sich  gegen  die  Form  verwahrte,  ui  der  ich  Kritik  übe. 

Ich  erwiderte  hierauf,  daß  es  meine  Gewohnheit  sei,  in  einem 
Schriftstück  mir  besonders  auffallende  oder  bemerkenswerte  Stellen  mit 
Buntstift  zu  unterstreichen.  Ich  würde  dies  aber  bei  Akten  des  Mini- 
steriums des  Äußern  in  Hinkunft  vermeiden. 

Mich  nur  auf  meine  Diensttätigkeit  beschränkend,  kümmerte  ich  mich 
grundsätzlich  nie  darum,  was  hinter  den  Kulissen  vorging. 

Darüber  wurde  ich  erst  durch  ein  Gespräch  aufgeklärt,  das  ich 
während  der  Landungsmanöver  in  Dahnatien  (23.  bis  25.  August  1911) 
mit  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand  an  Bord  seiner 
Yacht  hatte. 

Der  Erzherzog  betonte,  daß  er  absolut  darauf  bestehe,  daß  die 
(wie  er  sich  ausdrückte)  „Clique  Schönaich-Ährenthal"  wegkomme.  Er 
verbiete  mir,  meine  Demission  zu  verlangen,  weil  sie  sofort 
angenommen  werden  würde  und  er  dann  bloßgestellt  (Seine  KaiserUche 
Hoheit  sagte  wörtlich  „blamiert")  wäre.  Er  habe  die  Überzeugung,  daß 
die  ganze  Clique  gegen  i  h  n  gearbeitet  habe,  und  er  werde,  wenn  er  nicht 
Satisfaktion  bekomme,  nicht  nach  Deutschland  reisen. 

Er  erklärte,  daß  er  den  „Skandal",  daß  sich  der  Kriegsminister  gegen 
den  Thronfolger  öffentlich  in  Opposition  setzt,  in  einer  monarchischen 
Armee  für  unmöglich  halte,  und  wenn  Baron  Schönaich  entfernt  sei,  auch 
dessen  Anhang  gesprengt  werden  müsse. 

Er  sei  weiter  der  Politik  Graf  Ährenthals  „mit  den  ewigen  Nach- 
giebigkeiten imd  Blamagen,  wie  jetzt  gegenüber  Serbien  anläßlich  des 
unterbliebenen  Königsbesuches*),  sowie  der  Einmengungen  in  mihtärische 
Dinge  überdrüssig  und  werde  dem  Schranken  setzen." 


*)  Kaiser  Franz  Joseph  hatte  eingewilligt,  König  Peter  von  Serbien 
im  Frühjahr  1911  in  Budapest  zu  empfangen.  Auch  waren  seitens  des 
serbischen  Ministers  des  Äußern  Milovanovic  alle  Vorbereitungen  getroffen. 

232 


Er  bemerkte,  daß  ich  in  dem  Merey-Konflikte  noch  viel  schärfer  hätte 
antworten  sollen,  worauf  ich  erwiderte,  daß  ich  vorhabe,  am  8.  oder 
9.  September  Seiner  Majestät  einen  a.  u.  Vortrag  vorzulegen,  und  mich 
gegen  die  autoritative  Sprechweise  des  Ministers  des  Äußern  zu  verwahren. 
(Siehe  meine  folgende  Denkschrift  vom  9.  September  1911,  Seite  234.) 

Weiters  hob  der  Erzherzog  den  Wunsch  hervor,  daß  die  heurigen 
Manöver  —  sowohl  die  im  Zuge  befindlichen  Landungsmanöver,  als  die 
Armeemanöver  —  so  glatt  als  möglich  verlaufen,  damit  „die  feindhche 
Clique"  nicht  Anlaß  fände,  daraus  Vorteile  zu  ziehen. 

Seine  Kaiserliche  Hoheit  erwähnte  nochmals,  daß  er  mich  auf  meinem 
Posten  haben  wolle,  nicht  nur,  weil  ich  sein  Vertrauen  besäße,  sondern 
auch  weil  die  Gegenpartei  keinen  Triumph  feiern  dürfe.  Sie  wolle,  da 
er  nicht  getroffen  werden  könne,  ihn  indirekt  in  mir  treffen. 

Darauf  gelangten  noch  einige  militärische  Personalangelegenheiten 
zur  Besprechung. 

Mir  war  nichts  widerlicher,  als  mich  in  dieses  Intrigenspiel  gezogen 
zu  sehen.  Schließlich  aber  war  es  mir  gleichgültig;  ich  ging  auch  weiter 
meine  direkten  Wege. 


Der  Tag  war  festgesetzt,  die  Sache  schon  in  die  Öffentlichkeit  gedrungen, 
als  König  Peter  im  letzten  Moment  absagte,  ohne  je  wieder  mit  der 
Absicht  eines  Besuches  heranzutreten. 

In  das  Kapitel  der  Nachgiebigkeiten  zählte  auch  Graf  Ährenthals 
Verhalten  in  der  serbischen  Grenzregulierungsfrage.  Die  Flußbett- 
änderungen der  Donau  und  der  unteren  Drina  hatten  einen  Grenzkonflikt 
herbeigeführt,  den  das  Schiedsgericht  zugunsten  Österreich-Ungarns 
entschied.  Trotzdem  ließ  Graf  Ährenthal  den  serbischen  Standpunkt 
gelten.  Eine  solche  Geste  mag  gegenüber  einem  Staate  am  Platze  sein, 
wo  gentlemanlikes  Entgegenkommen  richtige  Einschätzung  findet,  einem 
Staat  wie  Serbien  gegenüber  beweist  dies  vollkommene  Unkenntnis  der 
Verhältnisse.  Wer  die  Mentalität  der  Balkanvölker  kennt,  muß  wissen, 
daß  sie  jede  Konzihanz  nur  als  „Schwäch  e"  deuten  und  nicht  zögern, 
ihr  Verhalten  danach  einzurichten,  ihre  Fordenmgen  ins  Maßlose  zu 
steigern. 

Zudem  sind  Grenzregulierungsfragen,  insbesondere  dort,  wo  es  sich 
um  Flußübergangs-Verhältnisse  handelt,  von  eminent  militärischer 
Bedeutung,  daher  auch  von  diesem  Standpunkt  zu  behandeln.  Ich  remon- 
strierte deshalb  gegen  Graf  Ährenthals  einseitige  Vorgangsweise  und 
schrieb  ihm  auch:  „Wer  gegenüber  einem  Staate  wie  Serbien  auf  sein 
Recht  verzichtet,  verzichtet  auch  gleichzeitig  auf  sein  Recht  zur  Macht." 

233 


Des  ewigen  Haders  müde  und  von  der  Notwendigkeit  überzeugt, 
sich  durch  die  PoHtik  Italiens  nicht  länger  irreführen  zu  lassen,  entwarf 
ich  meine  Denkschrift  vom  9.  September  1911,  in  der  mein 
ganzer  Konflikt  mit  Graf  Ährenthal  zusammenfassend  dargestellt  erscheint. 
Ich  gebe  sie  vollinhaltlich  wieder. 

Denkschrift 
vom  9.  September  1911. 

„Chef  des  Generalstabes. 
Res.  Glst.  Nr.  3490. 

Allergnädigster  Herr! 

In  den  letzten  Monaten  wurden  zwischen  dem  Ministerium  des 
Äußern,  dem  Reichskriegsministerium  und  mir  mehrfach  dienstliche 
Korrespondenzen  geführt,  welche  die  Wechselwirkung  zwischen  der 
äußeren  Politik  und  den  Vorsorgen  für  die  Schlagfertigkeit  und  Kriegs- 
bereitschaft der  Wehrmacht  innig  berührten.  In  diesen  Korrespondenzen, 
die  größtenteils  im  Einsichtswege  der  Militärkanzlei  E.  M.  zur  Kenntnis 
gebracht  wurden,  sind  mancherlei  Gegensätze  darüber  zutage  getreten, 
inwieweit  die  Tendenzen  der  äußeren  Politik  der  Monarchie  mit  jenen 
Vorsorgen  militärischer  Natur  im  Einklänge  stehen,  welche  der  Heeres- 
verwaltung und  dem  Chef  des  Generalstabes  zur  Pflicht  gemacht  sind. 

Zur  Klärung  der  hiebei  aufgetauchten  Fragen  bitte  ich  E.  M.  die 
nachfolgenden  a.  u.  Ausführungen  AUergnädigst  zur  Kenntnis  nehmen 
zu  wollen: 

Wenn  ich  im  Sinne  der  mir  von  E.  M.  Allerhöchst  erteilten  Wei- 
sungen bei  wichtigen  Ereignissen,  welche  für  die  äußere  Politik  der 
Monarchie  von  Bedeutung  sein  konnten,  wiederholt  einen  Gedankenaus- 
tausch mit  dem  Herrn  Minister  des  Äußern  gesucht  habe,  so  geschah 
dies  stets  ausschließlich  nur  in  dem  Sinne,  um  die  daraus  abzuleitenden 
militärischen  Konsequenzen  festzulegen  und  diese  Konsequenzen  mit 
jenen  Forderungen  in  Einklang  zu  bringen,  welche  ich  nach  meiner 
Anschauung  der  Verhältnisse  als  für  die  Schlagfertigkeit  der  bewaffneten 
Macht  unerläßlich  erachte.  Dabei  muß  ich  a.  u.  hervorheben,  daß  auf 
mir  in  dieser  Hinsicht  ganz  besonders  auch  dann  die  volle  Verantwor- 
tung ruht,  wenn  —  was  niemand  zu  beherrschen  vermag  —  der  Gang 
der  politischen  Ereignisse  eine  andere  Richtung  nehmen  sollte,  als  sie 
vom  Ministerium  des  Äußern  vorausgesetzt  wurde. 

Ich  muß  daher  auch  in  der  Erfüllung  meiner  ernsten  Obliegenheiten 
daran  festhalten,  daß  das  für  diese  Eventualität  unerläßliche  Maß  rein 

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militärischer  Vorsorgen  seitens  des  Ministeriums  des  Äußern  nicht  nur 
keine  Hemmungen,  sondern  die  weitestgehende  Förderung  erfahre,  da 
ja  doch  die  schlagbereite  Wehrmacht  der  Monarchie  der  wichtigste  reelle 
Faktor  ist,  auf  den  sich  die  äußere  Politik  in  schwierigen  Lagen  zu 
stützen  vermag,  um  ihre  Ziele  zu  erreichen  und  schließlich  doch  nur 
der  Starke  seinen  Willen  durchsetzt,  imd  zwar  auch  dann,  wenn  dieser 
Wille  auf  die  Erhaltung  des  Friedens  gerichtet  wäre. 

Als  vollgültiges  Beispiel  dafür  bitte  ich  E.  M.,  die  in  die  Zeit  der 
Amtsführung  des  Grafen  Ährenthal  fallende  Annexionskrise  a.  u. 
anführen  zu  dürfen,  in  der  unsere  militärische  Schlagfertigkeit  mit  dem 
durch  die  Kriegsvorsorgen  dokumentierten  ernsten  Willen  zur  Tat  ohne 
Schwertstreich  den  Zweck  der  äußeren  Politik  erreicht  hat,  die  Anerken- 
nung der  Annexion  zu  erringen  und  den  Frieden  zu  erhalten. 

Die  m  den  eingangs  erwähnten  Korrespondenzen  der  letzten 
Monate  aufgetretene  Divergenz  in  den  Anschauungen  bezieht  sich 
hauptsächlich  auf  unser  eigenartiges  Verhältnis  zu  Italien.  Weit  davon 
entfernt,  Bedenken  gegen  das  größte  politische  Entgegenkommen  und 
gegen  die  freundschaftlichsten  Formen  des  diplomatischen  Verkehres  zu 
äußern,  muß  ich  doch,  pflichtgemäß  und  unbeirrt,  meine  Bemühungen 
darauf  richten,  daß  unserseits  hinter  den  ganz  offenbar  und  ausschließ- 
lich gegen  Österreich-Ungarn  gerichteten  Kriegsvorsorgen  Italiens  nicht 
—  wie  dies  jetzt  schon  der  Fall  ist  —  allzuweit  zurückgeblieben  werde. 

Auch  in  Italien  gehen  der  umfassende  Ausbau  der  Wehrmacht,  die 
Friedensdislozierung  der  Truppen  an  der  Nordostgrenze,  die  an  Umfang 
und  Schnelligkeit  einzig  dastehenden,  nur  gegen  uns  gerichteten  Befes- 
tigungsbauten, der  rationelle  Ausbau  der  Aufmarschbahnen  nach 
Venetien,  die  intensivste  Ausgestaltung  des  Grenzschutzes  und  der  Frei- 
willigen-Formationen, sowie  der  regste  Kundschafterdienst  Hand  in 
Hand  mit  den  freundschaftlichsten  Versicherungen  und  mit  den  kon- 
ziliantesten diplomatischen  Formen. 

Da  aber  die  positiven  Ziele  und  Tendenzen,  im  Sinne  einer  natio- 
nalen Politik,  zu  geeignetem  Zeitpunkte  ein  agressives  Auftreten  von 
Seite  Italiens  erwarten  lassen,  während  uns  ein  solches  Auftreten  bei 
der  bloß  erhaltenden  Tendenz  der  Monarchie  unbedingt  fernliegt,  ist  es 
selbstverständlich,  daß  unsere  militärischen  Gegenmaßnahmen,  die,  wie 
schon  erwähnt,  sehr  erheblich  hinter  den  Vorkehrungen  Italiens  zurück- 
bleiben, wohl  nur  mit  Absicht  mißverstanden  werden  können. 

Niemals  haben  die  weitgehenden  Kriegsvorsorgen  Italiens  unsere 
Presse  und  öffentliche  Meinung  in  Erregung  versetzt  oder  unsere  äußere 
Politik  verhindert,  pflichtgemäß  die  freundschaftlichsten  Beziehungen 
anzustreben  und  zu  betonen.    Das  offizielle  Italien  tut  das  gleiche,  ist 

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aber  stets  eifrig  bemüht,  sowohl  auf  parlamentarischem  Wege,  als  auch 
in  der  öffentlichen  Meinung  die  Forderungen  der  dortigen  Heeresverwal- 
tung, die  sich  mit  den  nationalen  Aspirationen  vollständig  decken, 
mit  allen  Mitteln  zu  fördern. 

Ich  würde  mich  einer  schweren  Pflichtverletzung  schuldig  machen, 
wenn  ich  diese  unverkennbaren  und  planmäßigen  Vorgänge  unbeachtet 
lassen  und  nicht  wenigstens  die  zur  Sicherung  der  Monarchie  unum- 
gänglich notwendigen  militärischen  Maßnahmen  beharrlich  anstreben 
würde. 

Leider  konnte  ich  dabei  nicht  immer  die  wirksame  interne  Förde- 
rung der  militärischen  Interessen  seitens  des  Ministeriums  des  Äußern 
finden,  die  zur  Verwirklichung  der  bescheidensten  militärischen  Forde- 
rungen so  dringend  erwünscht  wäre. 

In  der  Ministerratssitzung  am  5.  März  1911,  in  welcher  ich  nach 
den  Allerhöchsten  Weisungen  E.  M.  den  berufenen  staatlichen  Faktoren 
die  mit  den  bewilligten  Mitteln  nicht  realisierbaren  Notwendigkeiten  vor- 
tragen durfte,  resümierte  der  Herr  Minister  des  Äußern,  als  Vorsitzen- 
der, das  Ergebnis  der  Besprechung  in  der  Weise,  wie  es  E.  M.  der  a.  u. 
beigeschlossenen  Beilage  1  Allerhöchst  zu  entnehmen  geruhen. 

Diese  auszugsweise  Abschrift  des  Sitzimgsprotokolls  läßt  ersehen, 
daß  der  Vorsitzende  die  ablehnende  Haltung  der  beiden  Regierungen 
nicht  nur  zustimmend  zur  Kenntnis  nahm,  sondern  auch  noch  das 
Gewicht  seiner  Bedenken  hinsichtlich  der  Einwirkung  mihtärischer  For- 
derungen auf  die  auswärtige  Politik  in  die  Wagschale  warf. 

Wie  sehr  diese  Bedenken  des  Grafen  Ährenthal  die  Haltung  des 
Ministeriums  des  Äußern  in  militärpolitischen  Fragen  beeinflussen,  bitte 
ich  E.  M.  den  a.  u.  unterbreiteten  Beilagen  2  a,  2  b  und  2  c  Allerhöchst 
zu  entnehmen. 

Meine  Anregung  (Beilage  2  a),  daß  auch  bei  uns  ähnlich  wie  in 
Italien  durch  eine  patriotische  Haltung  der  Presse  und  durch  eine  wahr- 
heitsgemäße Darlegung  der  militärischen  Lage  in  der  öffentlichen 
Meinung  der  Weg  für  die  Erreichung  jener  militärischen  Forderungen 
geebnet  werde,  deren  Notwendigkeit  inzwischen  auch  das  Reichskriegs- 
ministerium in  einem  a.  u.  Vortrage  an  E.  M.  anerkannt  hat,  lehnte  der 
Herr  Minister  des  Äußern  ab  (Beilage  2  b)  und  wandte  sich  dabei  scharf 
gegen  eine  angeblich  existierende  »Militärpartei«  und  gegen  Vorberei- 
tungen für  einen  »konkreten«  Krieg. 

Daraufhin  mußte  ich  in  meiner  an  die  Person  des  Reichskriegs- 
ministers gerichteten  Note  vom  30.  Juli  1911  (Beilage  2  c)  meiner  Über- 
zeugung   von    der    unbedingten    Notwendigkeit    konkreter    Vorsorgen 

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Ausdruck  geben  und  auf  die  Gefahren  hinweisen,  welche  Unterlassungen 
in  dieser  Richtung  nach  sich  ziehen  könnten. 

Ich  muß  aber  auch  zweifellos  die  gegen  mich  gerichtete  Vermutung, 
als  bestünde  bei  uns  eine  »Militärpartei«,  auf  das  entschiedenste  zurück- 
weisen. Diese  Vermutung  schließt  einen  schweren,  ungerechtfertigten 
Vorwurf  in  sich,  dem  ich  mich  umsoweniger  ausgesetzt  glaubte,  als  ich 
meine  Überzeugung  stets  mit  pflichtgemäßer  Offenheit  E.  M.  a.  u.  zur 
Allerhöchsten  Kenntnis  unterbreite  und  meinem  Wesen  jedes  mit  dem 
Begriffe  »Militärpartei«  verbundene  Konspirieren  gänzlich  fremd  ist, 
ein  Umstand,  der  auch  dem  Grafen  Ährenthal  auf  Grund  unseres  per- 
sönlichen Verkehrs  nicht  unbekannt  sein  konnte. 

Wie  wenig  übrigens  die  immer  wieder  betonten  Bemühungen 
unseres  Ministeriums  des  Äußern,  die  öffentliche  Meinung  in  Italien  zu 
unseren  Gunsten  zu  stimmen,  wirksam  sind  und  wie  sehr  die  uns  aus- 
gesprochen feindlichen  nationalistischen  Tendenzen  dnr  Irredenta  unter 
der  stillschweigenden  Patronanz  der  offiziellen  italienischen  Kreise  über- 
handnehmen, bitte  ich  E,  M.  der  a.  u.  beigeschlossenen  Beilage  3  Aller- 
höchst zu  entnehmen. 

Die  Bedenken  hinsichtlich  der  Erregung  der  öffentlichen  Meinung 
unserer  Nachbarn  haben  aber  auch  gelegentUch  der  Verhandlungen 
über  die  Regulierung  der  bosnisch-serbischen  Grenze  an  der  Drina  im 
Sommer  1911  beim  Ministerium  des  Äußern  die  Besorgnis  erregt,  daß 
ein  Festhalten  an  unseren  berechtigten  Ansprüchen  zu  Weiterungen 
führen  könnte,  und  dieses  Ministerium  dazu  veranlaßt,  trotz  der  für 
uns  zweifellos  günstigen  Rechtslage  die  vorbehaltlose,  definitive 
Abtretung  der  strittigen  Drinainseln  an  Serbien  in  Aussicht  zu  nehmen, 
wodurch  ein  Teil  der  Grenze  endgültig  in  militärisch  höchst  nachteiliger 
Weise  im  Räume  westlich  der  Drina  verlaufen  würde. 

Dieser  Absicht  mußte  ich  pflichtgemäß  in  der  an  das  Reichskriegs- 
ministerium gerichteten  Bemerkung  Glstb.  Nr.  2795  von  1911,  welche 
ich  in  der  Abschrift  als  Beilage  4  E.  M.  a.  u.  unterbreite,  entschieden 
entgegentreten. 

Was  die  Grenzzwischenfälle  betrifft,  die  sich  an  der  italienischen 
Grenze  ebenso  wie  an  der  serbischen,  türkischen  und  montenegrinischen 
von  Zeit  zu  Zeit  ergeben,  so  haben  die  meist  unbeabsichtigten  Über- 
schreitungen ihre  Ursachen  teils  im  Vorhandensein  strittiger  Grenz- 
strecken, teils  in  der  unzureichenden  Vermarkung  der  Grenzen  im 
schwierigen  Gebirgsterrain. 

Die  Heeresverwaltung  war  bestrebt,  alles  vorzukehren,  um  Grenz- 
überschreitungen durch  ö.-u.  Militärpersonen  zu  vermeiden  und  auf  die 
Fälle  unvermeidlicher  Irrtümer  zu  beschränken.     Speziell  an  der  italie- 

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nischen  Grenze  sind  in  den  Jahren  1909,  1910  und  1911  zusammen  im 
ganzen  acht  solche  Fälle  vorgekommen,  während  in  demselben  Zeit- 
räume in  62  Fällen  Grenzüberschreitungen  italienischer  Militär personen 
bei  uns  dienstlich  gemeldet  wurden. 

Da  aber  die  Presse  Italiens  jeden  durch  unsere  Truppen  hervor- 
gerufenen Grenzzwischenfall  für  ihre  nationalistischen  Zwecke  aus- 
beutet und  ins  Maßlose  aufbauscht,  da  ferner  der  Herr  k.  u,  k.  Bot- 
schafter in  Rom  Bedenken  wegen  der  möglichen  Folgen  solcher 
Zwischenfälle  geäußert  hat,  sah  sich  das  Ministerium  des  Äußern  erst 
kürzlich  veranlaßt,  wegen  des  Grenzkonflikts  auf  der  Cima  Mandriolo 
der  königlich  italienischen  Regienmg  das  Bedauern  auszusprechen,  was, 
soweit  mir  bekannt,  von  italienischer  Seite  noch  in  keinem  Falle 
geschehen  ist. 

In  der  Korrespondenz,  welche  den  Vorfall  auf  der  Cima  Mandriolo 
betraf,  sprach  der  Herr  Minister  des  Äußern  in  einer  Note  an  den 
Reichskriegsminister,  deren  Abschrift  ich  als  Beilage  5  a  E.  M.  a.  u. 
zur  Allerhöchsten  Kenntnis  unterbreite,  ausdrücklich  die  Vermutung 
aus,  daß  em  die  Grenzverletzung  veranlassender  Befehl  vom  General- 
stabe ausgegangen  sei.  Ich  war  gezwungen,  mich  in  der  abschriftUch 
a.  u.  angeschlossenen  Bemerkung  Glst.  Nr.  3091  von  1911  (Beilage  5  b) 
an  das  Reichskriegsministerium  gegen  einen  solchen  Verdacht  nach- 
drücklich zu  verwahren,  da  es  natürlich  ganz  ausgeschlossen  ist,  daß 
ich  außer  den  mit  der  Allerhöchsten  Genehmigung  E.  M.  jährlich  aus- 
gegebenen Alarmweisungen  noch  insgeheim  Aufträge  geben  würde, 
welche  mit  den  Befehlen  des  Reichskriegsministeriums  im  Widerspruche 
wären.  Die  von  E.  M.  Allerhöchst  genehmigten  Alarm  Weisungen  aber 
müssen  als  streng  geheime  Kriegsvorsorgen  naturgemäß  der  Kenntnis 
und  Kontrolle  des  Ministeriums  des  Äußern  unbedingt  entzogen  bleiben. 

Ich  bitte  E.  M.  AUergnädigst  zu  gestatten,  daß  ich  bei  diesem 
Anlasse  auch  über  den  für  die  militärischen  Kriegsvorsorgen  ganz 
unentbehrlichen  Kundschafterdienst  a.  u.  berichte,  welcher  gleichfalls 
wiederholt  Anlaß  zu  Meinungsverschiedenheiten  zwischen  dem  Grafen 
Ährenthal  und  mir  gegeben  hat. 

Aus  den  Erfahrungen  der  Krise  des  Jahres  1908/1909  ergab  sich 
die  dringende  Notwendigkeit,  den  Kundschafterdienst  auf  weitere 
Gebiete  zu  erstrecken  und  umsomehr  auszugestalten,  als  sich  eben 
gezeigt  hatte,  daß  es  gerade  in  Zeiten  politischer  Spannung  doppelt 
schwer  ist,  neue  Kundschafter  zu  erwerben  und  gute  Nachrichten  zu 
erhalten. 

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Der  für  den  Bedarf  ganz  unzureichende  Betrag  von  jährlich 
150.000  Kronen  nötigte  anfänglich  dazu,  einen  Teil  dieses  Dienstes  in 
das  Ausland  entsendeten  Offizieren  zu  übertragen. 

Als  aber  die  Anhaltung  und  Festnahme  einzelner  dieser  Offiziere 
beim  Ministerium  des  Äußern  die  Besorgnis  vor  unliebsamen  Weiterun- 
gen und  vor  einer  Schädigung  unserer  guten  Beziehungen  zu  den  Nach- 
barstaaten wachrief,  geruhten  E.  M.  die  Allerhöchste  Willensmeinung 
dahin  abzugeben,  daß  getrachtet  werden  solle,  die  Nachrichten  aus  dem 
betreffenden  Lande,  also  durch  dort  lebende  Kundschafter,  zu  gewinnen. 
E.  M.  geruhten  bei  dieser  Gelegenheit  Allergnädigst  zu  erwähnen,  daß 
hiezu  wohl  höhere  Mittel  notwendig  sind  und  daß  sich  deshalb  an  das 
Ministerium  des  Äußern  zu  wenden  ist. 

Auf  Grund  dieser  mit  der  Note  der  Militärkanzlei  E.  M.  Nr.  2868 
von  1910  anher  mitgeteilten  Allerhöchsten  Willensmeinung  wandte  sich 
das  Reichslcriegsministerium  unter  eingehender  Klarlegung  der  Verhält- 
nisse mit  dem  Ersuchen  an  das  Mmisterium  des  Äußern,  den  für  Kund- 
schaftszweclce  gewidmeten  Betrag  nach  und  nach  auf  jährlich  500.000 
Kronen  zu  erhöhen. 

Das  Ministerium  des  Äußern  eröffnete  hierauf,  daß  die  Budgetierung 
einer  erhöhten  Kundschaftsdotation  wohl  erst  für  das  Jahr  1912 
möglich  sei,  daß  es  aber  nach  Zulässigkeit  der  vorhandenen  Mittel 
bereit  sei,  schon  im  Jahre  1911  einen  außerordentlichen  Beitrag  zu 
leisten,  doch  könne  sich  das  Ministerium  des  Äußern  vor  der  Hälfte  des 
Jahres  1911  keineswegs  engagieren. 

Auf  das  im  Jahre  zweimal  erneuerte  Einschreiten  erwiderte  schließ- 
lich das  genannte  Ministerium,  daß  es  nicht  in  der  Lage  sei,  im  Jahre 
1911  überhaupt  einen  erhöhten  Beitrag  zu  leisten.  Es  bleibt  somit  trotz 
der  zweifellos  anerkannten  Unzulänglichkeit  bei  der  bisherigen  geringen 
Kundschaftsdotation. 

Obgleich  ich,  den  Allerhöchsten  Intentionen  E.  M.  entsprechend, 
seit  dem  Jahre  1910  von  der  Entsendung  von  Offizieren  für  Kund- 
schaftszwecke gänzlich  abgesehen  habe,  ja  selbst  über  Einfluß  des 
Ministeriums  des  Äußern  die  Beurlaubung  von  Offizieren  nach  Serbien 
und  Montenegro,  sowie  nach  der  Türkei  und  speziell  nach  Albanien 
teils  aufs  äußerste  eingeschränkt,  teils  ganz  eingestellt  wurde,  wieder- 
holen sich  immer  wieder  serbischerseits  entrüstete  Klagen  über  die  Kund- 
schaftstätigkeit unserer  Serbien  angeblich  geradez;u  überschwemmenden 
Generalstabsoffiziere. 

Auf  eine  vom  Ministerium  des  Äußern  an  mich  gerichtete  münd- 
liche Anfrage  ließ  ich  Mitte  Juli  1911  klar  und  ausdrücklich  mitteilen, 
daß  heuer  überhaupt  kein  Offizier  nach  Serbien  entsendet  worden  ist. 

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Umsomehr  mußte  ich  daher  erstaunt  sein,  als  sich  trotz  dieser 
unzweifelhaften  Mitteilung  das  Ministerium  des  Äußern  auf  Grund  von 
neuerlichen  Behauptungen  serbischer  Hetzblätter,  die  ihm  als  solche 
längst  bekannt  sind,  im  August  1.  J.  neuerlich  veranlaßt  sah,  diesmal 
beim  Reichskriegsministerium  wegen  etwa  verfügter  Entsendungen  ö.-u. 
Generalstabsoffiziere  nach  Serbien  anzufragen. 

Meine  diesbezügliche  Auskunft  an  das  Reichskriegsministerium  ist 
zur  Allerhöchsten  Kenntnis  E.  M.  als  Beilage  6  in  Abschrift 
angeschlossen. 

Während  der  Krise  imd  unmittelbar  nach  derselben  haben  zahl- 
reiche serbische  Offiziere  das  Gebiet  der  Monarchie  betreten,  ohne  daß 
unsererseits  Schwierigkeiten  gemacht  worden  wären.  Unser  Ministerium 
des  Äußern  aber  hegt  noch  jetzt  —  drei  Jahre  nach  der  Krise  — 
Bedenken  dagegen,  daß  ö.-u.  Offiziere  nach  Serbien  beurlaubt  werden, 
obgleich  nach  dem  Abschlüsse  des  Handelsvertrages  im  Oktober  1910 
ganz  normale  Beziehungen  zwischen  unserer  Regierung  und  der 
serbischen  offiziell  bestehen  und  obgleich  das  Ministerium  des  Äußern 
und  unsere  Vertretungen  zweifellos  über  die  Mittel  verfügen,  um  die 
serbische  Regierung  zu  verpflichten,  für  den  Schutz  unserer  Offiziere 
unter  allen  Verhältnissen  zu  sorgen,  insolange  sie  sich  den  bestehenden 
Gesetzen  gemäß  verhalten.  Daß  aber  der  im  Auslande  reisende  Offizier 
keine  Spionage  treiben  darf,  ist  ganz  selbstverständlich,  denn  dadurch 
kommt  er  mit  den  Gesetzen  des  Landes  in  Kollision  und  hat  keinen 
Anspruch  mehr  auf  deren  Schutz. 

Als  das  Ministerium  des  Äußern  im  Vorjahre  beim  Reichskriegs- 
ministerium die  Beurlaubung  von  Offizieren  nach  Serbien  als  inopportun 
bezeichnete,  verfügte  das  Reichskriegsministeriura  mit  Erlaß  Präs. 
Nr.  12.807  von  1910,  daß  Urlaube  nach  Serbien  nur  in  dringenden 
Fällen  und  nur  mit  besonderer  Bewilligung  des  Reichskriegsministe- 
riums erteilt  werden.  Vor  kurzem  hat  nun  das  Ministerium  des  Äußern 
neuerlich  an  das  Reichskriegsministerium  das  Ersuchen  gerichtet  (Präs. 
Nr.  9640  des  Reichskriegsministeriums  von  1911),  die  Offiziersurlaube 
nach  Serbien  ganz  einzustellen. 

Um  zu  kennzeichnen,  wie  wenig  Reziprozität  in  dieser  Hinsicht 
geübt  wird,  bitte  ich  E.  M.  a.  u.  melden  zu  dürfen,  daß  nach  ganz 
verläßlicher  Information  Mitte  August  1911  sich  ein  serbischer  Oberst- 
leutnant und  weitere  acht  serbische  Offiziere  durch  mehrere  Tage  ganz 
ungehindert  in  Agram  aufhielten,  und  zwar  nicht  etwa  bloß  auf  Urlaub, 
sondern  als  Teilnehmer  an  einer  so  emment  politischen  Veranstaltung, 
wie  es  das  Agramer  südslawische  Sokolfest  war. 

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Auch  das  Inhibieren  von  Urlauben  nach  der  Türkei  und  besonders 
nach  Albanien  wurde  vom  Ministerium  des  Äußern  zu  einer  Zeit 
angeregt  und  durch  die  politische  Lage  als  dringend  geboten  betont,  als 
Offiziere  anderer  Staaten,  ohne  irgend  welchen  Schwierigkeiten  zu 
begegnen,  diese  Länder  bereisten. 

Die  Besorgnis  des  Ministeriums  des  Äußern,  daß  unseren  Offi- 
zieren seitens  der  dortigen  Behörden  Unannehmlichkeiten  bereitet  wer- 
den könnten,  mag  nicht  ganz  unbegründet  sem.  Der  erste  solche  Fall 
müßte  aber  eben  die  Gelegenheit  geben,  ein  Verhalten  an  den  Tag  zu 
legen,  welches  mit  Rücksicht  auf  die  Großraachtstellung  der  Monarchie 
bei  den  auswärtigen  Behörden  die  Überzeugung  zeitigt,  daß  unseren 
Offizieren  ein  Schutz  zur  Seite  steht,  der  sie  im  Auslande  ebenso  sicher 
wandern  läßt,  wie  jene  der  anderen  Großstaaten. 

Pflichtgemäß  muß  ich  gegen  eine  Einschränkung  der  Offiziers- 
urlaube —  nach  welchen  Ländern  immer  —  Einsprache  erheben,  weil 
wir  Offiziere,  namentlich  aber  Generalstabsoffiziere,  mit  umfangreichen 
Länderkenntnissen  brauchen,  die  nicht  aus  Büchern,  sondern  nur  aus 
unmittelbaren  Eindrücken  geschöpft  werden  können.  Dazu  ist  aber  das 
Reisen  auch  abseits  der  Hauptbewegungslinien  des  Fremdenverkehrs 
notwendig,  was  —  wie  schon  früher  a.  u.  erwähnt  wurde  —  selbstver- 
ständlich nie  mit  Spionage  irgend  welcher  Art  verbunden  sein  darf. 

Meinen  früheren  a.  u.  Ausführungen  bitte  ich  E.  M.  AUergnädigst 
entnehmen  zu  wollen,  daß  wir  ausschließlich  auf  Nachrichten  an- 
gewiesen sind,  welche  uns  im  Auslande  sich  aufhaltende  Berufskund- 
schafter liefern,  deren  Zahl  schon  wegen  der  unzulänglichen  Geldmittel 
nur  eine  geringe  sein  kann. 

Was  aber  die  Position  unserer  Kundschafter  im  Auslande  beson- 
ders schwierig  macht,  ist  die  zumeist  sehr  patriotische  Haltung  der 
Bevölkerung  unserer  Nachbarstaaten,  welche  stets  bemüht  ist,  im  Ver- 
eine mit  den  dazu  dienstlich  berufenen  Organen  jede  Spionage  zu  ver- 
hindern und  jeden  geringsten  Verdacht  der  Auskundschaftung  auch 
dann  in  der  Presse  überlaut  zu  affichieren,  wenn  sich  der  Verdacht  als 
gänzlich  haltlos  herausstellt. 

Was  die  bei  uns  tätigen  Kundschafter  sowohl  Italiens  als  auch 
Serbiens,  Montenegros  und  Rußlands  betrifft,  so  ist  leider  ihre  Lage 
eine  weit  günstigere,  weil  sie  häufig  Verbindungen  mit  reichsfeindlichen 
Konnationalen  in  unseren  Grenzgebieten  haben,  die  ihnen  jede  Förde- 
rung zuwenden. 

Trotzdem  verhält  sich  die  Zahl  der  wegen  Spionage  Verhafteten 
und  Verurteilten  bei  uns,  in  Rußland  und  Italien  so,  wie  es  in  der  a.  u. 
angeschlossenen  Beilage  7  ersichtlich  gemacht  ist. 

16,  Conrad  II  241 


Die  Tabelle  zeigt,  daß  in  den  letzten  drei  Jahren  bei  uns  34  Indi- 
viduen wegen  Betreiüung  des  Kundschaftsdienstes  zu  Gunsten  einer 
fremden  Macht  aufgegriffen  wurden,  hievon  waren  für  Italien  13,  für 
Rußland  21  dieser  Spione  tätig. 

In  derselben  Zeit  wurden  in  Italien  vier  und  in  Rußland  drei 
unserer  Kundschafter  aufgegriffen. 

Die  in  Beilage  7  ausgewiesenen,  in  Serbien  verurteilten  vier  Spione 
wurden  im  Frühjahre  1909  alle  gleichzeitig  festgenommen,  zu  einer 
Zeit,  als  in  unseren  südslawischen  Gebieten  die  reichsfeindliche  Bewe- 
gung in  vollster  Blüte  stand,  so  daß  Serbien  und  Montenegro  über 
straflos  gebliebene  Vertrauensmänner  in  größter  Zahl  verfügten. 

Aus  den  vorstehenden  a,  u.  Darlegungen  geht  mit  voller  Klarheit 
hervor,  daß  wir  keinem  der  genannten  Staaten  gegenüber  die  mora- 
lische Verpflichtung  haben,  unseren  Kundschaftsdienst  einzuschränken 
und  daß  unsere  äußere  Vertretung  sehr  berechtigt  gewesen  wäre,  bei 
der  russischen  und  italienischen  Regierung  wegen  der  äußerst  regen 
Spionage  Vorstellung  zu  machen. 

Dies  ist  —  so  weit  mir  bekannt  —  nicht  geschehen,  wohl  aber  hat 
der  ö.-u.  Botschafter  in  Rom,  Herr  von  Merey,  anläßlich  der  Festnahme 
eines  Kundschafters  in  Venedig  im  Frühjahr  1911  in  einem  an  den 
Grafen  Ährenthal  gerichteten  Schreiben  die  Worte  gebraucht:  »Ich  muß 
es  E.  E.  überlassen,  zu  beurteilen,  ob  auf  die  bisherige  Langmut  der 
italienischen  Regierung  gegenüber  den  sich  derart  häufenden  Spionage- 
fällen auch  weiter  gerechnet  werden  darf  und  ob  unsere  offiziellen 
freundschaftlichen  Beziehungen  und  unser  Bundesverhältnis  zu  Italien 
auf  die  Dauer  eine  solche  Belastungsprobe  vertragen.« 

Als  das  Reichskriegsministerium  im  Einsichtswege  von  diesem 
Berichte  Kenntnis  bekam,  konstatierte  es  die  weitaus  überwiegende  Zahl 
von  Fällen  italienischer  Spionage  auf  unserem  Gebiete,  und  ich  fügte 
die  —  selbstverständlich  nur  für  das  Reichskriegsministerium  bestimmte 
—  als  Beilage  8  a  abschriftlich  a.  u.  zugelegte  Bemerkung  bei,  in 
welcher  ich  meiner  Überzeugung  über  die  Anschauungen  des  Herrn  von 
Merey  Ausdruck  gab  und  das  Reichskriegsministerium  bat,  im  Sinne 
dieser  Bemerkung  beim  ?vlinisterium  des  Äußern  vorstellig  zu  werden. 

Daß  das  Reichskriegsministerium  diese,  offensichtlich  nicht  für  das 
Ministerium  des  Äußern  bestimmte  Bemerkung  diesem  letzteren  im 
Original  weitergab,  muß  ich  trotz  der  vom  Reichskriegsministerium  für 
diesen  Vorgang  geltend  gemachten  Gründe  formaler  Natur  als  einen 
bedauerlichen  faux  pas  bezeichnen. 

Diese  Ansicht  habe  ich,  als  mir  die  Antwortnote  des  Herrn  Ministers 
des  Äußern  vom  7.  August  1911  zur  Kenntnis  kam,  deren  Abschrift  ich 

242 


E.  M.  als  Beilage  8  b  a.  u.  unterbreite,  in  meiner  ebenfalls  a.  u.  zuge- 
legten Bemerkung  Glstb.  Nr.  3282  vom  14.  August  1911  dem  Reichs- 
kriegsministerium gegenüber  ausgesprochen.    (Beilage  8  c.) 

Damit  ist  aber  nur  die  formelle  Seite  des  Zwischenfalles  dargelegt. 
In  sachlicher  hinsieht  fühle  ich  mich  verpflichtet,  E.  M.  zur  Rechtferti- 
gung und  Begründung  meiner  Ansicht  über  die  Haltung  des  Herrn 
Botschafters  in  Rom  a.  u.  zu  melden,  daß  ich  diese  Ansicht  nicht  etwa 
bloß  aus  dem  Tone  seines  angeführten  Schreibens  an  den  Grafen 
Ährenthal  geschöpft,  sondern  daß  meine  Anschauung  sich  auf  mehrere 
frühere  Vorkommnisse  gründet,  welche  selbstverständlich  alle  nur  den 
Standpunkt  des  Herrn  von  Merey  in  militärischen  Fragen  betrafen,  da 
es  mir  naturgemäß  ganz  ffern  liegen  muß,  mir  in  irgend  einer  anderen 
Hinsicht  ein  Urteil  über  ihn  anzumaßen. 

Herr  von  Merey  hat  schon  im  Vorjahre  in  der  Korrespondenz,  die 
über  die  Einschränkung  von  Zwischenfällen  an  der  italienischen  Grenze 
geführt  wurde,  so  absprechende  Bemerkungen  über  unsere  Wehrmacht 
geäußert,  daß  sich  das  Reichskriegsministerium  in  semer  Note  Präs. 
Nr.  8962  von  1910  an  das  Ministerium  des  Äußern  genötigt  sah, 
darauf  wie  folgt  zu  erwidern: 

»Der  Herr  k.  u.  k.  Botschafter  in  Rom  hat  sich  veranlaßt  geglaubt, 
in  seiner  Note  Nr.  33  B  vom  11.  Juli  auf  Grund  nicht  ganz  zutreffen- 
der Daten  ein  unfreundliches  Urteil  über  unsere  Wehrmacht  fällen  und 
ihr  in  seiner  Note  Nr.  LXXVI  S.  vom  19.  Juli  1.  J.  Ratschläge  erteilen 
zu  müssen. 

Ich  wäre  E.  E.  sehr  verbunden,  wenn  der  Herr  k.  u.  k.  Botschafter 
in  Rom  von  dem  Inhalt  dieser  Note  in  vertraulicher  Weise  in  Kenntnis 
gesetzt  würde,  damit  er  künftighin  bei  der  Beurteilung  und  Besprechung 
solcher  immerhin  bedauerlicher  Fälle  die  entsprechende  Basis  kenne  und 
seine  Sprache  darnach  einrichte.« 

Die  Auffassung  des  Herrn  von  Merey  über  die  mir  so  genau 
bekannte  militärische  Friedensarbeit  Italiens  kommt  in  einem  Berichte 
des  Herrn  Botschafters  an  den  Grafen  Ährenthal  vom  31.  Jänner  1911 
zum  Ausdruck,  welchen  ich  E.  M.  in  Abschrift  als  Beilage  9  a  a.  u. 
unterbreite*). 

Am  2.  Jänner  1911  hatte  ich  dem  Herrn  Minister  des  Äußern 
pflichtgemäß  als  Ergebnis  hierseitiger  Studien  und  Nachrichten  mit- 
geteilt, daß  die  Daten  üter  militärische  Rüstungen  und  Bereitstellungen 
Italiens  den  Termin  Ende  April  1912  als  Zeitpunkt  der  angestrebten 
Schlagfertigkeit  erkennen  lassen,  daß  die  Maßnahmen  für  den  Ausbau 


")  Ist  bereits  im  früheren  vollinhaltlich  gegeben.     Seite  222. 

'''  243 


der  Flotte,  für  die  neue  Artillerie-Organisation  und  Umbewaffnung, 
der  Ausbau  der  strategischen  Eisenbahnen,  die  Vermehrung  des  rollen- 
den Eisenbahnmaterials,  die  Fertigstellung  der  wesentlichsten,  gegen  die 
Monarchie  gerichteten  Befestigungen  und  die  Schaffung  eines  radiotele- 
graphischen  Netzes  über  ganz  Itahen  auf  diesen  Zeitpunkt  gestellt  sind. 

Graf  Ährenthal  erwiderte  mir  am  6.  Jänner,  daß  er  meme  Wahr- 
nehmungen durch  seine  Organe  überprüfen  lassen  werde  und  sprach 
die  Ansicht  aus,  daß  die  mit  rastloser  Energie  und  mit  Aufwendung 
sehr  bedeutender  Mittel  fortschreitenden  militärischen  Rüstungen 
Italiens  wohl  vor  allem  dem  Wunsche  entsprechen,  es  den  anderen 
Großmächten  gleichzutun,  vermuthch  aber  auch  dem  Gedanken,  die 
Streitkräfte  noch  vor  Beginn  der  Vertragsverhandlungen  so  weit  aus- 
zugestalten, um  von  den  beiden  anderen  Großmächten  als  begehrter  und 
gleichwertiger  Bundesgenosse  angesehen  zu  werden. 

Im  Auftrage  des  Grafen  Ährenthal  legte  der  Herr  Botschafter  in 
Rom  den  früher  erwähnten  a.  u.  in  Abschrift  als  Beilage  9a  zugelegten 
Bericht  vor*). 

Meine  Anschauungen  über  diesen  Bericht  bitte  ich  E.  M.  meiner 
abschriftlich  a.  u.  beigeschlossenen  Note  an  den  Herrn  Minister  des 
Äußern  vom  24.  Feber  1911,  Beilage  9  b,  Allerhöchst  entnehmen  zu 
wollen*). 

Mir  obliegt  es,  unablässig  und  wachsamen  Auges  die  Entwicklung 
der  fremden  und  der  eigenen  Machtmittel  zu  verfolgen,  um  auf  Grund 
sorgfältig  geprüfter  Tatsachen  ein  reelles  Gesamtbild  zu  haben  und 
dann,  ohne  Kleinmut,  aber  bei  Erwägung  aller  Möglichkeiten,  jene 
militärischen  Maßnahmen  vorzusorgen,  welche  allen  Eventualitäten 
entsprechen  können. 

Ich  erachte  es  als  meine  Pflicht,  auch  dann  unbeirrt  zu  bleiben, 
wenn  andere  über  die  sehr  intensiven  Rüstungen  eines  immerhm  mög- 
lichen Gegners  leichter  hinweggehen,  und  wenn  sie  die  Tendenz  dieser 
Rüstungen  so  optimistisch  beurteilen,  wie  es  Graf  Ährenthal  und  Herr 
von  Merey  tun.  Wenn  aber  aus  solchen  Anschauungen  eine  Hemmung 
der  unerläßlichen  militärischen  Vorsorgen  resultiert,  so  muß  ich  meine 
Bedenken  ernst  und  nachdrücklich  geltend  machen. 

Von  diesem  streng  sachlichen  Gesichtspunkte  bitte  ich  E.  M.  a.  u., 
auch  meine  Stellungnahme  gegenüber  dem  Standpunkte  des  Herrn  Mini- 
sters des  Äußern  einer  Allergn ädigsten  Würdigung  zu  unterziehen. 

Graf  Ährenthal  tritt  in  seiner  Note  vom  7.  August  1911,  Beilage  8b, 
selbstverständlich  für  Herrn  Merey  ein.     Daß  dem  Ministerium  des 


*)  Ist  bereits  im  früheren  vollinhaltlich  gegeben.  Seite  222  und  226. 
244 


Äußern  und  der  k.  u.  k.  Botschaft  in  Rom  die  zahlreichen  Verurteilungen 
italienischer  Spione  bei  uns  seitens  der  Justizbehörden  nicht  bekannt- 
gegeben wurden,  ist  sehr  zu  bedauern;  die  meisten  dieser  Prozesse  — 
so  namentlich  die  Fälle  Bartmann,  Colpi  und  Genossen,  sowie  Kretsch- 
mar  —  wurden  in  allen  Tagesblättem  breit  und  in  dem  üblichen  Sensa- 
tionstone besprochen.  Zweifel  darüber,  für  wen  diese  Leute  tätig  waren, 
sind  schwer  möglich. 

Um  die  in  derselben  Note  des  Grafen  Ährenthal  erwähnte  Behelli- 
gung und  Kompromittierung  unserer  Vertretungen  durch  im  Auslande 
aufgegriffene  Kundschafter  zu  verhindern,  werden  diese  stets  eindring- 
lichst dahin  instruiert,  daß  sie  sich  unter  gar  keiner  Bedingung  an  die 
k.  u.  k.  Vertretungen  wenden  oder  auf  sie  berufen  dürfen.  Leider  ist 
das  bei  der  Qualität  dieser  Leute  nicht  in  allen  Fällen  erreichbar,  obgleich 
sie  tatsächlich  keine  Verbindungen  mit  unseren  Vertretungen  haben. 

Obgleich  der  Herr  Minister  des  Äußern  selbst  andeutet,  daß  der 
Bericht  des  Herrn  von  Merey  zu  drastisch  stilisiert  war,  nimmt  Graf 
Ährenthal  am  Schlüsse  seiner  Note  vom  7.  August  dennoch  gegen  mich  in 
einem  derart  autoritativen  und  verletzenden  Tone  Stellung,  daß  ich  im 
Bewußtsein,  stets  nur  die  mit  meiner  Stellung  verbundenen  Pflichten  zu 
erfüllen,  mich  entschieden  gegen  eine  solche  Sprache  verwahren  muß. 

Ich  bitte  E.  M.,  hievon  Allerhöchst  Kenntnis  nehmen  zu  wollen 
und  füge  a.  u.  bei,  daß  ich  dem  Grafen  Ährenthal  eine  Verständigung 
darüber  zukommen  ließ,  daß  ich  in  dieser  Angelegenheit  E.  M.  einen 
a.  u.  Vortrag  unterbreite. 

Wien,  am  9.  September  1911.  Conrad,  m.  p.,  G.  d.  I." 

Auszug  "Beilage  1. 

aus  dem  Protokoll  der  Ministerratssitzung  in  Budapest 
am  5.  März  1911*). 
Der  Vorsitzende  hebt  hervor,  daß  er  als  Minister  des  Äußern, 
soweit  es  von  ihm  abhänge,  selbst\'erständlich  für  die  Ausgestaltimg 
der  Wehrkraft  eingetreten  sei,  daß  er  sich  aber  den  von  beiden  Herren 
Ministerpräsidenten  abgegebenen  Erklärungen  nur  vollinhaltlich 
anschließen  könne. 

Er  teilt  vollkommen  die  Ansicht,  daß  die  neuerliche  Forderung  von 
260  Millionen  Kronen,  nachdem  die  Delegation  eben  so  namhafte 
Beträge  für  Rüstungszwecke  bewilligt  hat,  eine  schwere  innerpolitische 
Perturbation  hervorrufen  würde. 


*)    Das    ganze    Protokoll   dieser    Ministerratssitzung   ist   auf    den 
Seiten  134  u.  f.  abgedruckt. 

24S 


Aber  auch  vom  Standpunkte  der  auswärtigen  Politik  würde  er  ein 
solches  Vorgehen  für  sehr  bedenklich  halten.  Es  sei  zweifellos,  daß 
durch  die  von  den  Delegationen  votierten  bedeutenden  Mittel  unsere 
Stellung  in  Europa  gehoben  und  unser  Ansehen  wesentlich  erhöht 
worden  sei,  so  daß  wir  nun  mit  größter  Sicherheit  und  Fesiigkeit  für  oie 
von  uns  verfolgten  friedlichen  Ziele  emtreten  können. 

Die  Monarchie  hegt  keine  Aspirationen  über  ihren  gegenwärtigen 
Besitz  hinaus,  und  er  fasse  die  von  ihm  im  Auftrage  Seiner  Majestät 
und  unter  Zustimmung  der  beiden  Ministerpräsidenten  geführte  äußere 
Politik  dahin  auf,  daß  wir  bei  etwa  eintretenden  Verwicklungen  nicht 
sofort  aktiv  hervorzutreten  hätten,  sondern  die  Dinge  sich  vorerst  ent- 
wickeln lassen  und  erst  dann  eingreifen  sollen,  wann  und  wie  es  die 
Interessen  der  Monarchie  erheischen. 

Unsere  Politik  weist  demnach  einen  erhaltenden  Charakter  auf, 
dem  wir  auch  bei  Ergreifung  außerordentlicher  militärischer  Maß- 
nahmen Rechnung  tragen  müssen. 

Wenn  wir  nunmehr  einen  neuen  Rüstungskredit  anfordern  würden, 
würde  man  uns  aggressive  Absichten  zuschieben,  was  dem  von  Seiner 
Majestät  hinsichtlich  der  Führung  der  äußeren  Politik  der  Monarchie 
erhaltenen  Auttrag  diametral  entgegengesetzt  wäre.  Überdies  würden 
wir  durch  die  rasch  aufeinanderiolgende  Einstellung  solcher  Summen 
unsere  Nachbarn  noch  zur  Steigerung  ihrer  Rüstungen  ermuntern. 
Auch  möchte  ich  noch  hervorheben,  daß  aus  den  lichtvollen  Darstel- 
lungen des  Herrn  Chefs  des  Generalstabes  zu  entnehmen  sei,  daß  bereits 
heute  eine  wesentliche  Steigerung  unserer  Kriegsbereitschaft  konstatiert 
werden  konnte,  daß  aber  die  Kriegsverwaltung  sich  darauf  beschränkt 
hat,  dasjenige  zu  beanspruchen,  was  sie  für  das  Dringendste  und  Not- 
wendigste gehalten  hat,  übrigens  steht  es  der  Heeresverwaltung  frei, 
dort,  wo  dies  erforderlich  erschiene,  ein  Virement  eintreten  zu  lassen. 

Zum  Schlüsse  will  er  dem  Chef  des  Generalstabes  im  Namen  aller 
Anwesenden  den  Dank  für  seine  so  eingehenden  und  interessanten  Dar- 
legungen aussprechen;  die  Teilnehmer  an  der  heutigen  Beratung  seien 
überzeugt,  daß  Seine  Exzellenz  es  für  seine  Pflicht  gehalten  hat,  die 
maßgebenden  Faktoren  auf  jene  Erfordernisse  aufmerksam  zu  machen, 
welche  nach  seinem  Dafürhalten  unumgänglich  notwendig  sind,  doch 
wären  den  Regierungen,  wie  erwähnt,  durch  die  finanzielle  Leistungs- 
fähigkeit unüberschreitbare  Grenzen  gezogen. 

Ährenthal  m.  p. 

Für  die  Richtigkeit  der  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 
P  a  i  c  m.  p.,  Obstk." 

246 


„Beilage  2  a. 

An  Seine  Exzellenz  General  der  Infanterie  Franz  Freiherm  von  Schönaich 

in  Wien. 

Malborgeth,  am  25.  Juni  1911. 

Verfolgt  man  die  italienische  Presse  der  letzten  Jahre  und  vor- 
nehmlich die  italienische  Publizistik  der  jüngsten  Zeit,  so  leuchtet  —  im 
vollen  Gegensatze  zu  unserer  Presse  —  das  konsequent  und  in  einmütig 
patriotischem  Sinne  verfolgte  Streben  hervor,  durch  steten  Hin- 
weis auf  die  Unzulänglichkeit  der  eigenen  Kriegsbereitschaft,  speziell 
gegen  Österreich-Ungarn,  die  breiten  Schichten  des  Volkes  über  die 
hauptsächlichsten  militärischen  Notwendigkeiten  aufzuklären  und  so 
den  Boden  für  jene  militärischen  Forderungen  vorzubereiten,  deren 
sukzessiver  Erfüllung  die  italienische  Reichsverteidigung  den  auf  allen 
Gci^ieten  wahrnehmbaren  Aufschwung  der  letzten  Jahre  verdankt. 
Unablässig  verfolgt  die  italienische  Publizistik  alle  unsere  leider  so 
bescheidenen  Maßnahmen  an  der  Grenze  mit  eifersüchtiger  Aufmerk- 
samkeit, bauscht  sie  gewohnheitsmäßig  in  tendenziöser  Weise  weit  über 
ihre  tatsächliche  Bedeutung  auf  und  betrachtet  es  so  —  mit  geringen 
Ausnahmen  einmütig  —  als  patriotische  Ehrenpflicht  der  nationalen 
Presse,  durch  dieses  Wirken  Regierung  und  Heeresverwaltung  nicht  nur 
zu  unterstützen,  sondern  auf  die  militärischen  Maßnahmen  vielfach 
geradezu  anregend  zu  wirken,  vor  jeder  Unterlassung  oder  Verschlep- 
pung dieser  wichtigen  Fragen  unablässig  zu  warnen. 

Demgegenüber  ist  unsere  Presse  leider  von  einer  geradezu  beispiel- 
losen Gleichgültigkeit  hinsichtlich  der  so  auffallenden,,  vielfach  selbst 
dem  Laien  in  die  Augen  springenden,  ausschließlich  gegen  uns  gerichte- 
ten fieberhaften  italienischen  Kriegsvorbereitungen.  Es  gehört  zu  ganz 
exzeptionellen  Ausnahmsfällen,  wenn  eines  unserer  Tagesblätter  —  wie 
die  mir  vom  Pressebureau  des  Reichskriegsministerium  zugekommene 
Ausgabe  des  »Pesti  Hirlap«  vom  6.  Juni  —  es  wagt,  diesbezüglich 
seinen  Lesern  klaren  Wein  emzuschenken  und  in  umfassender,  leider 
infolge  unzureichender  Information  durchaus  nicht  erschöpfender  Weise 
auf  die  militärische  Tätigkeit  Italiens  an  unserer  Grenze  hinzuweisen, 
die  in  mancher  Hinsicht  unsere  eigenen  Vorkehrungen  bereits  zu  über- 
holen im  Begriffe  ist.  Ja,  unsere  Presse  scheut  sich  nicht,  wie  die  im 
Abendblatt  der  »Zeit«  vom  21.  Juni  1911  veröffentlichte  Notiz  über  den 
Garnisonswechsel  beweist,  in  der  unpatriotischesten  Art  die  militäri- 
scherseits  erkannten  Minimalforderungen  als  durchaus  unberechtigt 
und  ganz  unverständlich  hinzustellen  und  so  zu  versuchen,  dieselben 
unmöglich  zu  machen. 

247 


Diese  ganz  beispiellose  Indifferenz,  ja  patriotisch  sehr  anfechtbare 
Haltung  unserer  Presse  und  die  daraus  resultierende  Unaufgeklärtheit 
unserer  öffentlichen  Meinung  bildet  einen  der  Hauptgründe  dafür,  daß 
unsere  militärischen  Forderungen  immer  wieder  den  größten  Schwierig- 
keiten begegnen  und  auf  ein  Maß  herabgeschraubt  wurden,  das  alle 
militärischen  Stellen  mit  schwerer  Besorgnis  für  die  Zukunft  erfüllen 
muß  und  diesen  Stellen  die  unbedingte  Verpflichtung  auferlegt,  die- 
sem traurigen  Zustande  auf  das  entschiedenste  entgegen  zu  wirken. 

Es  scheint  mir  daher,  insbesondere  im  Hinblicke  auf  die  demnächst 
herantretende  Notwendigkeit  großer  militärischer  Forderungen,  hoch  an 
der  Zeit,  die  Bedeutung  einer  von  maßgebender  und  orientierter  Seite 
zielbewußt  beeinflußten  Presse  endlich  im  vollen  Umfange  einzuschätzen 
und  bitte  ich  E.  E.,  unter  voller  Entfaltung  der  dem  Reichskriegsministe- 
rium zur  Verfügung  stehenden  Machtmittel,  unsere  Publizistik  in  diesem 
Sinne  beeinflussen  und  gegensätzlichen  Einflüssen  anderer  mit  allem 
Nachdrucke  entgegentreten  zu  wollen. 

Ganz  besonders  bitte  ich  in  dieser  Richtung  auch  beim  Ministerium 
des  Äußern  vorstellig  zu  werden,  welchem  ein  derartiges,  die  Macht- 
mittel und  die  militärische  Bereitschaft  der  Monarchie  schwer  schädi- 
gendes Gebaren  ganz  besonders  nahe  gehen  muß. 

Conr ad  m.  p." 

„Beilage  2  b. 
Hoch  wohlgeborener  Freiherr! 

Ich  habe  die  Ehre  gehabt,  das  mir  unter  Nr.  8417  am  2.  Juli  zuge- 
sandte Schreiben  vom  25.  v.  Mts.  zu  erhalten,  in  welchem  sich  der  Herr 
Chef  des  Generalstabes  mit  der  Haltung  der  Presse  zu  den  militärischen 
Forderungen  beschäftigt. 

Wenn  Freiherr  von  Conrad  in  dieser  Darlegung  darauf  hinweist, 
daß  die  ausländische,  namentlich  aber  die  italienische  Presse  in  viel 
nachdrücklicher  Weise,  als  dies  bei  uns  der  Fall  ist,  für  die  Verwirk- 
lichung der  als  notwendig  erkannten  militärischen  Maßnahmen  ein- 
tritt, so  kann  ich  ihm  in  diesem  Punkte  nur  recht  geben. 

Diese  fast  einmütige  Stellungnahme  speziell  der  italienischen 
Presse  ist  zum  Teile  wohl  auf  die  besonders  in  Oberitalien  herrschende 
Furcht  vor  uns,  größtenteils  aber  darauf  zurückzuführen,  daß  die 
Presse  national  geeint  ist,  während  bei  uns  die  Verhältnisse  bekanntlich 
ganz  anders  liegen.  Es  ist  E.  E.  nur  zu  gut  bewußt,  wie  oft  die  Herein- 
ziehung von  nationalen  Fragen  und  Aspirationen  hindernd  in  die  stete 
Entwicklung   unserer   Wehrmacht   eingegriffen   hat,    und    es   ist   —   so 

248 


bedauerlich  dies  auch  sein  mag  —  ganz  erklärlich,  daß  dieser  Umstand 
auch  in  der  Presse  seinen  Ausdruck  finden  muß. 

Der  vom  Herrn  Chef  des  Generalstabes  bei  diesem  Anlasse  gemachte 
Hinweis  auf  die  demnächst  herantretende  Notwendigkeit  nochmaliger 
großer  militärischer  Forderungen  veranlaßt  mich  zu  nachstehenden 
Ausführungen: 

In  den  Delegationen  von  1910  und  1911  sind  an  militärischen 
Mehr f orderungen  zirka  1100  Millionen  Kronen  teils  als  Nachtrags- 
kredite, teils  als  neue,  auf  die  Dauer  von  fünf  Jahren  echelonierte 
Beträge  bewilligt  worden,  deren  weitaus  größter  Teil  für  Neuanschaf- 
fungen verwendet  werden  soll. 

Daß  dieser  höchst  ansehnliche  Erfolg  unter  schwierigen  parlamen- 
tarischen Verhältnissen  erzielt  werden  konnte,  ist  in  erster  Linie  gewiß 
das  Verdienst  E.  E.  und  der  beiden  Regierungen;  aber  auch  ich  darf 
einen  Teil  desselben  für  mich  in  Anspruch  nehmen,  da  ich  mir  bewußt 
bin,  in  voller  Anerkennung  der  dringenden  Bedürfnisse  unserer  bewaff- 
neten Macht  bei  beiden  Regierungen  und  in  meinen  Delegationsreden 
für  sie  auf  das  nachdrückUchste  eingetreten  zu  sein. 

Umsomehr  muß  es  mich  jetzt  wundern,  daß  der  Herr  Chef  des 
Generalstabes  neuerdings  auf  die  außerordentlichen  Kredite  zu  sprechen 
kommt,  welche  über  das  Maß  der  für  die  nächsten  fünf  Jahre  bewil- 
ligten Ausgaben  hinausgehen  und  welche  bereits  den  Gegenstand  der 
gemeinsamen  Ministerberatung  vom  5.  März  1.  J.  gebildet  haben. 

Diese  Forderung  wurde  damals  von  beiden  Herren  Ministerpräsi- 
denten unter  Hinweis  auf  die  parlamentarische  Undurchführbarkeit 
unter  anderem  auch  mit  der  Motivierung  abgelehnt,  daß  damit  die 
Grenzen  der  finanziellen  Leistungsfähigkeit  der  Monarchie  überschritten 
würden. 

Ich  habe  mich  diesem  Votum  aus  Erwägungen  der  äußeren  Politik 
angeschlossen,  und  es  erscheint  mir  auch  heute  richtig,  an  demselben 
festzuhalten,  da  uns  von  keiner  Seite  eine  Gefahr  droht,  unsere  Bezie- 
hungen zu  allen  Mächten  sich  vielmehr  in  vollkommen  zufriedenstellen- 
der Weise  fortentwickeln. 

Es  ist  ja  selbstverständlich,  daß  die  Monarchie  immer  bereit  sein 
muß,  einen  ihr  aufgezwungenen  Krieg  zu  führen  und  die  Anstrebung 
aller  Mittel,  die  diesem  Zwecke  gelten  und  dazu  dienen,  die  stete 
Schlagfertigkeit  der  Wehrmacht  zu  gewährleisten,  wird  bei  mir  immer 
auf  regstes  Verständnis  und  auf  bereitwilligste  Mitwirkung  zu  rechnen 
haben. 

Etwas  anderes  aber  ist  es,  wenn  Forderungen  aufgestellt  werden, 
die    spezielle    Rüstungsvorbereitungen    zu    einem    konkreten    Kriege 

249 


betreffen,  und  namentlich  müßte  ich  dagegen  Stellung  nehmen  und  jede 
Verantwortung  ablehnen,  wenn  es  sich  dabei  um  die  von  Freiherrn  von 
Conrad  ins  Auge  gefaßte  These  eines  Krieges  mit  Italien  handeln 
sollte. 

Gewiß,  die  Schwäche  der  einander  folgenden  italienischen  Regie- 
rungen schließt  Überraschungen  nicht  aus,  und  es  könnm  sich  vielleicht 
einmal  Situationen  ergehen,  in  denen  uns  Italien  nicht  als  Freund  und 
Bundesgenosse  zur  Seite  steht.  Das  soll  von  mir  nicht  bestritten  werden; 
aber  man  sollte  es  doch  vermeiden,  die  Herbeiführung  einer  sokhen 
Situation  zu  beschleunigen. 

Wenn  wir  aber  heute  schon  an  der  italienischen  Grenze  in  forcierter 
Weise  Befestigungen  anlegen,  Truppenverschiebungen  ausführen  und 
andere  offen  zutage  tretende  militärische  Maßregeln  mit  leicht  erkenn- 
barem Zweck  ergreifen,  muß  in  der  öffentlichen  Meinung  der  Gedanke 
erweckt  werden,  daß  der  Krieg  mit  Italien  ein  beschlossenes  und  je  eher 
zu  beginnendes  Unternehmen  ist. 

Dadurch  wird  jeder  italienischen  Regierung,  mag  sie  auch  vom 
besten  Willen  beseelt  sein,  die  Stellung  außerordentlich  erschwert;  es 
wird  damit  aber  auch  das  große,  ohnehin  in  gewissen  italienischen 
Kreisen  gegen  uns  bestehende  Mißtrauen  gerechtfertigt  und  das  peremp- 
torische Verlangen  erzeugt,  durch  Gegenmaßregeln  der  von  uns  drohenden 
Gefahr  vorzubeugen. 

Wenn  sich  einmal  auch  in  maßgebenden  Kreisen  Italiens  die  Über- 
zeugung festsetzt,  daß  bei  uns  eine  Militärpartei  existiert,  welche  den 
Krieg  mit  Italien  für  unvermeidlich  hält  und  ihn  durchsetzen  will,  so 
wird  vor  allem  der  Allianzgedanke,  der  in  der  letzten  Zeit  in  allen 
Schichten  der  Bevölkerung  eine  erfreuliche  Stärkung  erfahren  hat,  dar- 
unter zu  leiden  haben. 

Da  ich  nun  die  vornehmste  Aufgabe  darin  erblicke,  Friedens- 
garantien zu  schaffen  und  nach  allen  Seiten  den  Frieden  zu  erhalten, 
so  lange  dies  mit  unseren  Interessen  und  mit  unserer  Ehre  vereinbar 
ist,  kann  es  mich  nicht  gleichgültig  lassen,  wenn  durch  forcierte 
mihtärische  Maßnahmen  unsererseits  in  Italien  eine  dem  Bundesverhält- 
nisse hinderliche  Stimmung  erhalten  wird,  der  sich  auch  die  Regierung 
nicht  entziehen  könnte. 

Unter  solchen  Umständen  müßten  sich  die  Verhandlungen  wegen 
Erneuerung  des  Allianzvertrages  schwierig  gestalten  und  daß,  wenn 
eine  solche  nicht  erfolgen  sollte,  die  Möglichkeit  einer  feindseligen 
Haltung  Italiens  sehr  in  die  Nähe  gerückt  wäre,  ist  E.  E.  bekannt  und 
braucht  nicht  näher  ausgeführt  zu  werden. 

250 


Eine  gewisse  Behutsamkeit  in  unserem  Verhältnis  zu  Italien  scheint 
um  so  gebotener,  als  die  Beziehungen  zu  Rußland  noch  nicht  genügend 
geklärt  sind.  Zwar  weisen  diese  einen  merklichen  Fortschritt  zum 
Bessern  auf,  aber  die  in  der  Annexionskrise  erlittene  Demütigung  ist 
noch  nicht  vergessen  und  der  Ausbruch  einer  Krise  mit  Italien  würde 
sicher  die  russische  Diplomatie  veranlassen,  eine  der  Monarchie 
wenigstens  unfreundliche  Haltung  einzunehmen  und  einen  eklatanten 
Erfolg  unsererseits  über  Italien  zu  vereiteln. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  muß  ich  mich  entschieden  gegen 
alle  Vorkehrungen  aussprechen,  die  nicht  unbedingt  notwendig  sind  und 
eher  die  Tendenz  verfolgen,  unsere  Machtmittel  gegen  Italien  in  einer 
für  dieses  Land  alarmierenden  Weise  auszugestalten. 

Indem  ich  E.  E.  ersuchen  darf,  von  diesen  Ausführungen  auch 
Se.  E.  den  Herrn  Chef  des  Generalstabes  in  Kenntnis  setzen  zu  wollen, 
erneuere  ich  Hochdenselben  den  Ausdruck  meiner  ausgezeichneten  Hoch- 
achtung. 

Wien,  am  22.  JuU  1911.  Ährenthal  m.  p. 

An  den  Reichskriegsminister  Freiherm  Franz  von  Schönaich." 

„Beilage  2  c. 

An  den  Reichskriegsminister  von  Schönaich, 

Wien. 

Innichen,  am  30.  Juli  1911. 

Indem  ich  mich  beehre,  das  beiliegende  Schreiben  des  Ministers 
des  Äußern  zurückzustellen,  füge  ich  demseben  folgende  Bemerkung  bei: 

Wenn  Seine  Exzellenz  der  Herr  Minister  des  Äußern  sich  gegen 
Vorbereitungen  für  »konkrete  Kriege«  wendet,  so  kann  ich  dem  nur 
entgegenstellen,  daß  es  überhaupt  nur  Vorbereitungen  zu  konkreten 
Kriegen  gibt. 

Sich  gegen  alle  Nachbarstaaten  gleichmäßig  vorzubereiten,  über- 
schreitet die  finanzielle  Leistungsfähigkeit;  insbesondere  ein  Staat,  der 
von  allen  Seiten  umringt  ist,  muß  sich  klar  werden,  mit  wem  er  in 
absehbarer  Zeit  sicher  nicht  in  den  Krieg  gerät,  gegenüber  welchen 
Staaten  aber  diese  Sicherheit  nicht  besteht.  Konflikte  mit  letzteren 
Staaten  bilden  also  die  konkreten  Kriegsmöglichkeiten. 

Wird  zugestanden  —  und  das  ist  im  Schreiben  des  Ministers  des 
Äußern  der  Fall  —  daß  diese  Sicherheit  gegenüber  Italien  nicht  besteht, 
dann  muß  eben  die  Vorbereitung  für  einen  Krieg,  auf  den  sich  Italien 
vorbereitet,  wofür  ich  zahllose  Belege  beizubringen  vermag,  erfolgen. 

251 


Was  die  Anlage  unserer  Befestigungen  betrifft,  so  sind  diese  unendlich 
weit  hinter  den  analogen  Leistungen  Italiens  zurück;  schon  der  jährliche 
Fortifikationskredit  von  30  Millionen  Lire  gegenüber  den  diesseitigen 
von  kaum  6  Millionen  Kronen  spricht  deutlich;  in  gleicher  Weise  sind 
die  diesseitigen  Truppenverlegungen  ganz  minimal  gegenüber  den  offen- 
kundig gegen  die  Monarchie  gerichteten  italienischen;  auch  alle  anderen 
militärischen  Maßnahmen  stehen  weit  hinter  jenen  Italiens  zurück. 

Niemand  zielt  hierseits  darauf  ab,  in  der  öffentlichen  Meinung  den 
Gedanken  zu  erwecken,  daß  der  Krieg  mit  Italien  eine  beschlossene 
Sache  sei;  dies  verbietet  schon  die  Klugheit,  weil  man  wohl  einen  Krieg 
nicht  früher  annonciert,  sondern  eher  das  Gegenteil  tut,  um  eintreten- 
denfalls mit  den  bereitgestellten  Mitteln  den  Gegner  möglichst  zu  über- 
raschen. 

Italiens  Maßnahmen  tragen  deutlich  diesen  Charaktti,  sind  durch- 
aus nicht  bloße  Gegenmaßregeln,  mahnen  vielmehr  dringend  dazu,  mit 
militärischen  Gegenmaßnahmen  eigenerseits  nicht  im  Rückstand  zu 
bleiben;  hiefür  zu  sorgen,  ist  die  eminenteste  Pflicht  meiner  Stellung. 
Ich  würde  in  dieser  Hinsicht  der  schwersten  Pflichtverletzung  mich 
schuldig  machen,  wenn  ich  mich  durch  irgendwelche  Einflüsse  ein- 
schüchtern ließe,  dieser  Pflicht  unentwegt  nachzugehen. 

Die  Überzeugung  von  der  Unvermeidlichkeit  eines  durch  positive 
eigene  Interessen  bedingten  Krieges  zwischen  der  Monarchie  und  Italien 
hat  in  italienischen  Kreisen  —  und  zwar  nicht  nur  in  militärischen, 
sondern  auch  in  zivilen  —  unendlich  viel  mehr  Anhänger  als  in  der 
Monarchie,  obzwar  auch  in  dieser  Hmsicht  sehr  maßgebende  nicht- 
militärische Kreise  von  der  schließlichen  Unvermeidlichkeit  dieses 
Krieges  überzeugt  sind. 

Will  man  nicht  zu  dem  Mittel  greifen,  diesen  Krieg  im  selbst- 
gewählten Moment  unter  Ausnützung  temporärer  Überlegenheit  zu 
führen  —  und  hierauf  hat  ja  unsere  Politik  vor  Jahren  verzichtet  —  so 
erübrigt  nur,  jene  Maßnahmen  zu  treffen,  welche  als  das  Dringendste 
der  Vorbereitung  zu  einem  solchen  Kriege  bezeichnet  werden  müssen. 

Sie  zu  imterlassen,  damit  der  italienischen  Regierung  die  Stellung 
nicht  erschwert  und  die  sehr  problematische  Friedensgeneigtheit  Italiens 
nicht  irritiert  werde,  erschiene  mir  als  unverantwortliches  militärisches 
Versäumnis,  ganz  besonders  im  vorliegenden  Falle,  welcher  sich  bereits 
jetzt  schon  durch  eigenes  Zurückbleiben  hinter  den  forcierten  mili- 
tärischen Maßnahmen  Italiens  charakterisiert. 

Überdies  bin  ich  der  Ansicht,  daß  eine  militärisch  vorbereitete, 
kraftvoll  dastehende  Monarchie  viel  eher  die  Allianzgeneigtheit  Italiens 
erreichen  wird,  als  eine  Monarchie,  deren  militärische  Rückständigkeit 

252 


seitens  der  zweifellos  klarblickenden  militärischen  Kreise  Italiens  sicher 
erkannt  wird;  besonders  gilt  dies  dann,  wenn  es  sich  bei  den  neu- 
erfolgenden Allianz  Verhandlungen  um  die  Abgrenzung  und  Feststellung 
gewisser  Interessensphären  und  gegenseitige  Konzessionen  handeln  wird. 

Die  von  mir  gestellten  Forderungen  sind  nicht  nur  unbedmgt  not- 
wendig, sondern  bezeichnen  die  äußerste  Grenze  des  Dringendsten;  das 
Recht,  sowie  die  Kompetenz,  dies  festzustellen,  muß  ich  für  mich  in 
Anspruch  nehmen. 

Wenn  ich  nun  aus  dargelegten  Gründen  dringend  bitte,  den  von 
mu*  gestellten  Forderungen  zur  Realisierung  zu  verhelfen,  so  befinde 
ich  mich  ganz  auf  dem  Standpunkt,  welchen  auch  Seine  Exzellenz  der 
Minister  des  Äußern  laut  des  vorletzten  Alineas  seines  Schreibens  vom 
22.  Juli  1911  einnimmt,  und  kann  daher  letzteren  nur  bitten,  diese 
meine  Forderungen  zu  unterstützen. 

Ich  kann  nicht  umhin,  erneuert  hervorzuheben,  daß  in  Italien  in 
zielbewußt  tendenziöser  Weise  selbst  die  allergeringfügigsten  hier- 
seitigen  Maßnahmen  ins  Übertriebenste  aufgebauscht  werden,  mit  der 
unverkennbaren  Tendenz,  sie  bei  uns  zu  hintertreiben  und  eigenerseits 
erhöhten  Maßnahmen  zum  Durchbruch  zu  verhelfen. 

Dies  zu  verkennen,  sich  davon  beeinflussen  zu  lassen,  wäre  ein 
unverantwortliches  Übersehen. 

Ich  sehe  meine  unverrückbare  Pflicht  darin,  hinsichtlich  der  mir 
obliegenden  konkreten  Kriegsvorbereitungen  und  im  Sinne  der  mir 
obliegenden  Einflußnahme  auf  die  Entwicklung  der  bewaffneten  Macht 
eine  Situation  anzustreben,  welche  es  ermöglicht,  daß  diese  bewaffnete 
Macht  im  Momente  der  Gefahr,  dessen  Eintreten  oder  Nichteintreten 
niemand  abzusehen  vermag,  als  verläßliche  Stütze  der  äußeren  Politik 
zur  Verfügung  stehe. 

Von  diesem  und  nur  von  diesem  Gedanken  lasse  ich  mich  bei  der 
mir  obliegenden  Berufstätigkeit  leiten,  nur  in  diesem  Sinne  habe  ich 
auch  unter  den  Mitteln,  den  Ausbau  der  Wehrmacht  zu  fördern,  die 
patriotische  Mitwirkung  der  Presse  in  Betracht  gezogen. 

Ich  erlasse  es  mir,  hinsichtlich  der  Tendenzen  und  Vorbereitungen 
Italiens  einerseits,  der  diesseitigen  Rückständigkeiten  anderseits,  in 
Details  einzugehen,  bin  aber  jederzeit  bereit,  wenn  gewünscht,  zahllose 
Belege  beizubringen. 

Indem  ich  E.  E.  bitte,  dieses  Schreiben  auch  Seiner  Exzellenz  dem 
Minister  des  Äußern  zur  Kenntnis  zu  bringen,  erneuere  ich  E.  E.  den 
Ausdruck  meiner  ausgezeichneten  Hochachtung. 

Euer  Exzellenz  gehorsamster 

C  0  n  r  a  d,  m.  p.,  G.  d.  I." 

253 


„Beilage  3. 

Tätigkeit  der  Irredenta  seit  dem  Jahre  1908. 

Obwohl  von  offizieller  Seite  immer  wieder  der  Versuch  gemacht 
wird,  die  Existenz  einer  aktiven  Irredenta  zu  leugnen  oder  zumindest 
ihre  Bedeutung  abzuschwächen,  und  sie  als  eine  rein  kulturelle  Bewe- 
gung hinzustellen,  läßt  sich  im  Gegenteile  unwiderleglich  konstatieren, 
daß  die  irredentistische  Bewegung  in  den  letzten  Jahren  mehr  denn  je 
erstarkt  ist  und  immer  weitere  Kreise  für  ihre  austrophoben  Tendenzen 
zu  gewinnen  versteht. 

Wenn  man  bedenkt,  daß  der  Geist  der  Irredenta  zum  ersten  Male 
zur  Zeit  der  Aufrollung  der  orientalischen  Frage  im  Jahre  1877  in 
wahrnehmbarer  Form  in  den  Vordergrund  trat,  so  darf  es  einem  nicht 
wundernehmen,  daß  die  Annexion  des  Okkupationsgebietes  im 
Jahre  1908  die  wildesten  Kundgebungen  irredentistischer  Natur  aus- 
löste. Nicht  nur,  daß  die  Presse  in  leidenschaftlicher  Sprache  Kompen- 
sationen für  den  Machtzuwuchs  verlangte,  den  Österreich-Ungarn 
durch  die  Annexion  erfahren  hatte,  und  deswegen  der  Regierung 
Schwäche  und  gröbste  Fahrlässigkeit  vorwarf,  jüngere  Elemente 
scheuten  sich  auch  nicht,  offen  gegen  uns  aufzutreten  und  fraternisierten 
in  Belgrad  mit  den  Serben  (Bericht  K.  Nr.  1577),  ja  ein  serbischer 
Oberst  konnte  sogar  unter  moralischer  Beihilfe  der  Irredenta  in  Rom 
Freischaren  für  Serbien  organisieren  (Bericht  K.  Nr.  2003/08),  welche 
tatsächlich  zur  Aufstellung  gelangten. 

Von  sonstigen  im  Jahre  1908  stattgefundenen,  mit  der  Annexions- 
krise nicht  in  Zusammenhang  stehenden  irredentistischen  Kund- 
gebungen seien  kurz  folgende  erwähnt: 

Demonstration  Triestiner  Studenten  bei  einem  Ausfluge  des  Trie- 
ster  patriotischen  Vereines  »Andreas  Hofer«,  sowie  Teilnahme  von 
Triestiner  Lehrern  an  Garibaldi-Feiern  in  Mte  Suello  und  Caffaro 
(Bericht  K.  Nr.  225/08). 

Demonstrationen  bei  der  »festa  delle  Statuto«  in  Udine  (Bericht 
K.  Nr.  1022/08). 

Demonstrationen,  provoziert  durch  Triestiner  Irredentisten,  anläß- 
lich der  Anwesenheit  einer  Bersaglieri-Abteilung  in  Pontebba  (Bericht 
Nr.  1319/08). 

SchmähartLkel  des  Blattes  »Giovine  Italia«  über  den  Wiener  Jubi- 
läumsfestzug (Bericht  K.  Nr.  11.770/08). 

Irredentistische  Reden  bei  den  Regatten  in  Salö  (Bericht  K. 
Nr.  1323/08). 

254 


Irredentistische  Rede  des  Abgeordneten  Brunialti  bei  der  Eröffnung 
der  neuen  Asticobrücke  (Bericht  K.  Nr.  1699/08). 

Von  auffallenderen  irredentistischen  Kundgebungen  im  Jahre  1909 
sind  zu  erwähnen: 

Die  heftigen  Presseangriffe  wegen  Fehlens  unserer  Kriegsschiffe 
bei  den  Rettungsarbeiten  in  Messina  (Attache-Bericht  Nr.  38/09), 
wozu  noch  seitens  mehrerer  Blätter  die  schändliche  Verleumdung  hinzu- 
kam, daß  sich  die  österreichische  Armee  über  die  Hekatomben  der  Erd- 
bebenkatastrophe wie  über  den  Erfolg  einer  gewonnenen  Schlacht  freue. 

Die  intransigente  Haltung  der  gesamten  italienischen  Presse  im 
weiteren  Verlaufe  der  Balkankrise,  dann  in  der  damals  wieder  akut 
gewordenen  italienischen  Universitätsfrage  (Attache-Bericht  Nr.  38/09). 

Ete  Festlichkeiten  anläßlich  der  fünfzigjährigen  Gedenkfeier  des 
Kriegsjahres  1859,  bei  denen  irredentistische  Studenten  und  Sportver- 
eine des  Trentino  teilnahmen  (Bericht  K.  Nr.  2382/09)  und  die  mit  den 
auf  tendenziös  gewähltem  Terrain  —  Mincio-Hügelland  —  abgehaltenen 
Königsmanövern  ihren  Abschluß  fanden  (Attache-Bericht  Nr.  38/09). 
Ein  an  diesen  Manövern  als  Zuseher  teilnehmender  ö.-u.  Offiz-er 
berichtet,  daß  die  Nordpartei,  als  die  »Austriaci«  bezeichnet,  von  den 
Soldaten  der  anderen  Partei  bei  Zusammenstößen  mit  den  ärgsten 
Beschimpfungen  empfangen  wurde,  was  für  den  austrophoben  Geist  der 
Armee  charakteristisch  ist  (Bericht  Evb.  Nr.  1900/09). 

Die  irredentistische  Rede  des  Korpskommandanten  von  Mailand, 
Generalleutnant  Asinari  di  Bernezzo,  zu  Brescia,  gelegentlich  der 
Übergabe  der  Standarte  an  das  neuerrichtete  Kavallerieregiment  Aquila 
am  11.  November.  Der  General  wurde  auf  Grund  dieser  gegen  Öster- 
reich aufhetzenden  Rede  offiziell  wohl  durch  Pensionierung  gemaß- 
regelt, erlangte  aber  gerade  hiedurch  noch  größere  Popularität:  er 
wurde  von  allen  irredentistischen  Vereinen  zum  Ehrenmigtlied  ernannt 
und  sogar  durch  Widmung  eines  Ehrensäbels  geehrt  (Bericht  Evb. 
Nr.  2214,  2265,  2323  und  2328  von  1909). 

Im  Jahre  1910: 

Am  14.  Jänner  Vorlesung  des  Poems  »Ricordi  e  voti  all  Imperatore 
d'  Austria«,  eines  niederträchtigen  Pamphlets  eines  gewissen  Cristofferi, 
im  Ateneosaale  in  Venedig.  Das  Gedicht  wurde  dann  in  mehreren  Auf- 
lagen vom  Vereine  Trento-Trieste  ausgegeben  (Bericht  K.  Nr.  3935 
von  1910). 

Irredentistische  Rede  Gabriele  d'  Annunzios  am  22.  Feber 
gelegentlich  einer  in  Venedig  abgehaltenen  Konferenz  üt>er  Luftschiff- 
fahrt (»Neue  Freie  Presse«  vom  23.  Feber  1910). 

255 


Demonstrationen  anläßlich  des  Besuches  Paduaner  Studenten  in 
Triest;  gehässige  Besprechung  der  diesbezüglichen  Maßnahmen  der 
österreichischen  Behörden  durch  die  italienische  Presse  (Attache-Bericht 
Nr.  2/VI  von  1910). 

Antiösterreichische  Demonstrationen  gelegentlich  des  Besuches 
ungarischer  Studenten  in  Ancona  (Attache-Bericht  Nr.  2/VII). 

Besuche  der  Triestiner  Irredentisten  in  Mailand  und  Rom  (Attache- 
Bericht  Nr.  2/VII  und  2/VIII). 

Verbreitung  des  Gerüchtes  unter  der  Grenzbevölkerung  über  die 
Abtretung  des  Trentino  beim  Ableben  Seiner  Majestät  (Bericht  Nr.  3236 
von  1910). 

Die  Cima  dodici-Affäre  (Bericht  K.  Nr.  3433  und  3470  von  1910). 

Die  gehässigen  Kommentare  vieler  Blätter  anläßlich  der  Minister- 
Entrevuen  in  Salzburg  und  Turin. 

Ausgabe  von  Zündholzschachteln  zu  Propagandazwecken,  auf 
denen  eine  Karte  Oberitaliens  mit  den  im  irredentistischen  Sinne  rekti- 
fizierten Grenzen  dargestellt  war.  Trotz  dieser  unverkennbar  aggres- 
siven Tendenz  wurden  diese  Schachteln,  mit  dem  königlich  italienischen 
Monopolstempel  versehen,  in  Umlauf  gebracht  (Bericht  K.  Nr.  2884/10, 
R.-K.-M.-Erlaß  Präs.  10.217  von  1910). 

Artikel  des  Generals  Fadda  in  der  »Tribuna«  vom  2.  Nov.  1910, 
in  welchem  derselbe  der  sicheren  Erwartung  Ausdruck  verleiht,  daß  die 
ö.-u.  Matrosen  italienischer  Nationalität  sich  im  Ernstfälle  begeistert 
ihren  italienischen  Brüdern  anschließen  würden. 

Konstituierende  Versammlung  des  irredentistischen  Vereines 
>Associazione  studenti  tridentini«  in  Trient  (25.  und  26.  September),  an 
der  auch  der  bekannte  Nationalist  Sighele  teilnahm,  und  bei  welcher 
die  ärgsten  irredentistischen  Reden  gehalten  wurden  (Bericht  Nr.  3999 
von  1910). 

Nationalisten-Kongreß  in  Florenz  (3.  bis  5.  Dezember),  auf  wel- 
chem die  heftigsten  Angriffe  gegen  die  Monarchie  vorkamen  (Attache- 
Bericht  Nr.  2/IX,  dann  Bericht  K.  Nr.  4176  von  1910). 

Im  Jahre  1911: 

Demonstrationen  bei  den  Aufführungen  des  anfangs  verbotenen, 
später  unter  parlamentarischem  Druck  aber  freigegebenen  politischen 
Dramas  »Romanticismo«  von  Rovetta,  welches  Ausfälle  gegen  die  Mon- 
archie enthält  (Attache-Bericht  Nr.  2/IV  von  1911). 

Ausstellung  der  »Trento-Trieste«  in  Turin,  bei  welcher  außer 
Photographien  aus  den  >terre  irredente«  auch  die  verschiedensten  Pro- 
pagandaartikel  und    Flugschriften   irredentistischen    Inhalts    verkauft 

256 


wurden;  eine  von  der  Regierung  versuchte  Pression  zum  Aufgeben  des 
Gedankens  einer  solchen  Ausstellung  hatte  keinen  Erfolg  (Attache- 
Bericht  Nr.  2/1  von  1911). 

Heftige  Pressekampagne  gegen  die  beabsichtigte  Einführung 
einer  österreichischen  Schiffahrtslinie  am  Gardasee  im  Jänner  d.  J. 
(Bericht  Evb.  Nr.  107  von  1911). 

Am  19.  März  feierliche  Übergabe  der  von  den  Frauen  Roms  der 
>Trento  e  Trieste«  gewidmeten  Fahne;  das  Fahnenband  ein  Geschenk 
von  Triester  Frauen  (Bericht  Evb.  Nr.  53  von  1911). 

Demonstration  des  Vereines  >Trento  e  Trieste«  bei  der  Eröffnung 
der  ethnographischen  Ausstellung  durch  den  König  am  21.  April 
(Attache-Bericht  Nr.  2/VI  von  1911). 

Demonstration  desselben  Vereines  nach  der  Ausstellungseröffnung 
vor  dem  Garibaldidenkmal  (Attache-Bericht  Nr.  2/VI  von  1911). 

Verteilung  irredentistischer  aufhetzender  Proklamationen  durch  die 
»Trento  e  Trieste«  bei  der  Enthüllung  des  Denkmals  von  Viktor 
Emanuel  am  4.  Juni  (Bericht  K.  Nr.  2085  von  1911). 

Tumultuarische  Studentendemonstrationen  in  Pisa  anläßlich  einer 
Curtatonefeier  am  29.  Mai,  welche  in  ganz  Italien  lebhaftesten  Wider- 
hall fand  und  unter  anderem  in  Messina  zur  öffentlichen  Verbrennung 
einer  Fahne  führte  (»Tribuna«  vom  31.  Mai  und  2.  Juni,  »Adriatico« 
und  »Secolo«  vom  31.  Mai  und  2.  Juni). 

Außer  den  im  Vorstehenden  angeführten  Tatsachen  muß  noch  eine 
sich  alljährlich  wiederholende  Kundgebung  irredentistischer  Natur 
erwähnt  werden:  die  Abhaltung  von  Gedenkfeiern  am  Todestage  des 
als  »Märtyrer«  verherrlichten  Attentäters  Oberdank  (20.  Dezember). 
Auf  die  deshalb  bei  der  italienischen  Regierung  erhobenen  offiziellen 
Vorstellungen  erklärte  letztere,  »nicht  in  der  Lage  zu  sein,  gegen  diese 
Kundgebungen  einzuschreiten«  (Reichskriegsministerium-Erlaß  zu  Präs. 
Nr.  53  von  1911). 

Wiewohl  die  bis  nun  angeführten  Daten,  welche  lediglich  eine  kleine 
Auslese  aller  irredentistischen  Kundgebungen  der  letzten  Jahre  dar- 
stellen, die  Existenz  und  die  große  Bedeutung  der  Irredenta  zur  Genüge 
erhärten,  so  erhält  man  doch  erst  ein  richtiges  Bild  von  der  gewaltigen 
Ausbreitung  dieser  Bewegung,  wenn  man  die  Tätigkeit  der  irredentisti- 
schen Vereine  und  ihrer  Presse  in  Betracht  zieht. 

Die  drei  großen  irredentistischen  Vereine:  die  >Lega  nazionale«,  die 
>Dante  Alighieri«  mit  dem  Unterverein  >Sursum  Corda«  und  die 
>Associazione  pro  Trento  e  Trieste«  treiben  eifrigst  Propaganda  und 
mehren  jährlich  die  Zahl  ihrer  Mitglieder;  ihre  Tätigkeit  dehnt  sich 
auch  auf  unsere  italienischen  Sprachgebiete   aus,  wo   namentlich  die 

17,  Conrad  II  257 


heranwachsende  Jugend  die  eifrigsten  Parteigänger  dieser  gegen  Kaiser 
und  Reich  gerichteten  Bewegung  beistellt.  Nach  Dr.  W.  Rohmeder 
(München)  soll  die  >Associazione  pro  Trento  e  Trieste«  derzeit  auf 
österreichischem  Boden  allein  etwa  60.000  Mitglieder  und  180  Orts- 
gruppen besitzen,  welche  jährlich  180.000  Kronen  an  Beiträgen  zahlen 
(»Kölnische  Zeitung«  vom  18.  März  1911).  Die  >Dante  Alighieri«, 
welche  nach  offiziellen  Daten  angeblich  in  Österreich  keine  Vereins- 
tätigkeit entwickelt,  besitzt  unter  ihren  250  Ortsgruppen  fünf  mit 
eigenem  Statut  (Ravenna,  Udine,  Ancona,  Brescia  und  Turin),  welchen 
die  Tätigkeit  in  Österreich  obliegt;  überdies  besitzt  dieser  Verein  zahl- 
reiche Vertrauensmänner  in  Österreich  (R.-K.-M.-Erl.  Präs.  Nr.  4053 
von  1910). 

Außerdem  wurde  in  diesem  Jahre  —  eine  Frucht  des  vorjährigen 
Nationalisten-Kongresses  —  noch  ein  neuer  irredentistischer  Verein 
gegründet,  die  »Associazione  nazionalista«  (Sitz  des  »Comitato  centrale« 
in  Rom), 

Den  besten  Beweis  für  die  Fortschritte,  welche  die  irredentistische 
Bewegung  dank  der  regen  Tätigkeit  dieser  Vereine  in  den  letzten  Jahren 
gemacht  hat,  liefern  die  führenden  Blätter  der  Partei:  »La  grande 
ItaUa«,  »II  mare  nostro«,  »II  Principe«,  »II  Caroccio«,  »L'  idea  nazio 
nale«  u.  a.,  welche  alle  erst  in  den  letzten  zwei  Jahren  gegründet  wur- 
den, und  zu  denen  sich  noch  zahlreiche  andere,  immer  neu  erscheinende 
periodische  und  nichtperiodische  Druckschriften  gesellen.  Die  Schreib- 
weise dieser  Blätter,  die  man  nach  Entziehung  des  Postdebits  unter 
falschem  Namen  in  Österreich  emzuschmuggeln  sucht  (»La  grande 
Italia«  unter  dem  Namen  »Crepuscolo«,  den  »Caroccio«  unter  dem 
Namen  »Alba«),  zeigt  einen  grenzenlosen  Haß  gegen  Österreich  und 
sein  Herrscherhaus  und  macht  in  unverhüllter,  maßlosester  Weise  für 
die  irredentistischen  Ideen  Propaganda. 

Eine  weitere  Kräftigung  hat  der  Irredentismus  in  Italien  in  den 
letzten  Jahren  auch  dadurch  erfahren,  daß  die  dortigen  Sportvereine, 
welche  im  regsten  Kontakt  mit  den  vorangeführten,  rein  politischen  Ver- 
einen stehen,  von  der  Heeresverwaltung  für  die  Zwecke  der  Landesver- 
teidigung dienstbar  gemacht  werden;  sie  werden  militärisch  organisiert 
und  sind  für  eine  Verwendung  als  Freischaren  im  Kriegsfalle  aus- 
ersehen. Die  solchen  Formationen  abgehende  Disziplin  wird  durch  das 
Bindemittel  der  gemeinsamen  Idee  —  der  Begeisterung  zum  Irredentis- 
mus —  ersetzt. 

Der  im  Vorjahr  beim  Wiener  Landesgericht  beendete  Spionage- 
prozeß gegen  Josef  Colpi  und  Genossen  hat  ergeben,  daß  auch  in  Süd- 
tirol  in   den   Sportvereinen   irredentistische    Elemente   die   Hauptrolle 

258 


spielen,  daß  sie  mit  Erfolg  junge  Leute  unter  dem  Deckmantel  des 
Sports  dem  Irredentismus  zuführen  und  daß  diese  Vereine  mit  den  Sport- 
vereinen in  Italien  in  engster  Fühlung  stehen.  Es  ist  auch  eine  notorische 
Tatsache,  daß  sportliche  Festlichkeiten  in  Italien  fast  immer  zu  anti- 
österreichischen  Demonstrationen  führen,  und  daß  ebenso  auch  bei  sport- 
lichen Anlässen  in  Südtirol  fast  nie  die  irredentistische  Note  fehlt. 

Endlich  darf  bei  Beurteilung  des  Einflusses  der  Irredenta  auf  das 
politische  Leben  Italiens  nicht  übersehen  werden,  daß  sicherlich  die 
durch  diese  Agitation  in  den  breiten  Bevölkerungskreisen  hervor- 
gerufene antiösterreichische  Strömung  mit  ein  treibender  Faktor  bei  der 
glatten  Bewilligung  der  bedeutenden  Forderungen  war,  mit  welchen 
die  Heeresverwaltung  in  den  letzten  Jahren  an  das  Parlament  heran- 
getreten ist. 

Aus  all  dem  Gesagten  geht  hervor,  daß  trotz  der  von  offizieller 
Seite  vorgebrachten  gegenteiligen  Darstellungen  doch  ein  großer  Teil 
der  erwachsenen  Bevölkerung  Italiens,  jedenfalls  aber  die  gesamte  her- 
anwachsende Jugend  aller  Bevölkerungsschichten,  in  unzweideutiger 
Form  und  ganz  unverhohlen  eine  aggressive  Tendenz  gegen  Österreich- 
Ungarn  verfolgt,  die  in  der  »Erlösung«,  der  >terre  irredente«,  welche  der 
bekannte  Nationalist  Professor  Sighele  als  »terre  date  in  usufrutto  ad 
un  altra  nazione«  (einer  anderen  Nation  lediglich  zum  Nutzgenuß  über- 
lassenes  Gebiet)  bezeichnet,  ihr  Endziel  und  ihre  heiligste  patriotische 
Pflicht  erblicken. 

Wien,  am  2.  September  1911.  ^       ^     j_         r-    ^    t 

'  ^  Conrad  m.  p.,  G.  d.  I. 

Für  die  richtige  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 
P  a  i  c  m.  p.,  Obstlt." 

„Beilage  4. 
Drina-Reguherung. 

Bemerkung 
zum  Geschäftsstück  Präs.  Nr.  8194  von  1911. 

Ich  kann  nur  wiederholen,  daß  vom  Standpunkt  der  Wahrung  wich- 
tiger Interessen  im  Alarmierungs-  (Mobilisierungs-)  Falle  lediglich  eine 
solche  Lösung  der  Grenzfrage  militärisch  annehmbar  ist,  bei  welcher 

a)  entweder  seitens  Serbiens  die  1883/84er  Grenze  anerkannt  wird, 
oder 

b)  Serbien  im  Einvernehmen  mit  der  Monarchie  eine  Drina-Regu- 
lierung  durchführt  und  den  aus  der  Drina-Regulierung  resultieren- 
den Talweg  als  Staatsgrenze  anerkennt.    Hiebei  wäre  es  militärisch 


17' 


259 


akzeptabel,  daß  der  Talweg  der  regulierten  Drina  im  Staraca-Bett 

führt. 

Ich  muß  darauf  hinweisen,  daß  diese  Angelegenheit  durch  den 
beabsichtigten  Bau  einer  Normalbahn  Raca — Bjelina— Cehc  noch  an 
Bedeutung  gewinnt. 

Ich  bitte,  das  Ministerium  des  Äußern  aufmerksam  machen  zu 
wollen,  daß  die  dortige  Ansicht,  mit  Rücksicht  auf  das  >Kräfteverhält- 
nis«  der  beiden  Armeen  sei  der  Grenzfrage  geringere  militärische 
Bedeutung  beizulegen,  nicht  als  Argument  gelten  könne. 

Zur  Beurteilung  einer  solchen  Frage  gehören  konkrete  Detailkennt- 
nisse, welche  dem  Ministerium  des  Äußern  fehlen. 

Doch  möchte  ich  meinerseits  betonen,  daß  alle  diese  Grenzfragen 
um  so  größere  militärische  Bedeutung  gewmnen,  je  weniger  aktiv  unsere 
äußere  Politik  ist  und  je  mehr  vorauszusehen  ist,  daß  in  kritischer  Zeit 
die  Verstärkung  und  Kenzentrierung  von  Truppen  in  bedrohten  Orenz- 
räumen  aus  Gründen  der  äußeren  Politik  Verzögerungen  erfährt. 

Zu  meiner  Stellungnahme  veranlaßt  mich  aber  nicht  nur  die  Not- 
wendigkeit, militärische  Interessen  des  Alarmierungs-  und  Mobilisie- 
rungsfalles zu  wahren,  sondern  auch  die  Üterzeugung,  daß  durch  den 
bedingungslosen  Vorschlag  des  Ministeriums  des  Äußern,  das  Insel- 
gebiet östlich  Bjelina  definitiv  an  Serbien  abzutreten,  unser  Prestige 
empfindlich  geschädigt  und  —  was  am  Balkan  tür  den  Kriegsfall  von 
ausschlaggebender  Bedeutung  ist  —  das  serbische  Selbstgefühl  außer- 
ordentlich gesteigert  würde,  weil  die  ganze  Aktion  den  berechtigten 
Eindruck  erwecken  müßte,  daß  unser  Verhalten  unkonsequent  und 
schwächlich  ist  und  zweifellos  als  schmählicher  Rückzug  aufgefaßt 
und  als  solcher  überall  ostentativ  affichiert  werden  würde. 

Unser  Minister  des  Äußern  hebt  selbst  hervor,  daß  die  serbische 
Regierung  »Zuflucht«  genommen  habe  zu  einer  Interpretation  des  Ber- 
liner Vertrages,  die  als  unhaltbar  zu  bezeichnen  sei.  Um  dieser  Über- 
zeugung vom  eigenen  Recht  noch  den  Rückhalt  einer  streng  objektiven 
und  unparteiischen  Prüfung  zu  geben,  hat  es  das  Ministerium  des 
Äußern  für  gut  befunden,  die  ganze  Aktion  aus  dem  Kreis  intermini- 
sterieller Besprechungen  herauszutragen  und  das  Gutachten  eines  Mit- 
gliedes des  internationalen  Schiedsgerichtshofes  im  Haag  einzuholen. 

Dieses  Gutachten,  dem  nun  wohl  autoritativer  Wert  beigemessen 
werden  soll,  charakterisiert  die  Beweisgründe  der  serbischen  Note  als 
völlig  haltlos,  so  daß  das  Ministerium  des  Äußern  selbst  zur  Folgerung 
gelangt,  daß  bei  konsequenter  Durchführung  der  gegebenen  Rechts- 
grundlage die  Inseln  östlich  Bjelina  nicht  bei  Serbien  verbleiben  könn- 

260 


ten  und  daß  diese  Gesichtspunkte  auch  der  Beantwortung  der  serbischen 
Note  zugrunde  gelegt  werden  müssen. 

Aus  dieser  Genesis  der  ganzen  Aktion  kann  wohl  nur  die  eine 
Annahme  resultieren,  daß  das  Ministerium  des  Äußern  nunmehr, 
gestützt  auf  das  Bewußtsein  eines  im  Jahre  1878  unter  schwierigen  Ver- 
hältnissen erworbenen  Rechtes,  die  eigenen  Interessen  mit  Energie  ver- 
treten und  auf  der  Revindizier ung  des  strittigen  Gebietes  bestehen  werde. 

Ich  bin  daher  überrascht  und  empfinde  es  als  Chef  des  General- 
stabes der  bewaffneten  Macht  geradezu  peinlich,  daß  das  Ministerium 
des  Äußern  den  Vorschlag  macht,  mit  Rücksicht  auf  vorübergehende 
Schwierigkeiten  die  strittigen  Gebiete  einfach  definitiv  abzutreten,  ohne 
eine  wirkliche  Gegenleistung  zu  verlangen,  und  zwar  trotz  der  zweifel- 
losen Schädigung  militärischer  Interessen. 

Die  Besorgnis,  daß  das  Festhalten  an  den  bezüglichen  Ansprüchen 
zu  Weiterungen  führt,  möge  man  Serbien  überlassen,  hingegen  wäre  es 
eben  Aufgabe  der  Diplomatie,  auf  Grund  des  nunmehr  autoritativ 
konstatierten  eigenen  Rechtes  und  im  Bewußtsein  des  Rückhaltes  durch 
unsere  effektive  Macht,  unsere  Ansprüche  auch  auf  gütlichem  Wege 
durchzusetzen,  wozu  ja  durch  die  Möghchkeit  einer  in  dem  Staraca-Bett 
geführten  Drina-Regulierung  die  beste  Handhabe  geboten  ist. 

Sollte  der  gütliche  Weg  aber  nicht  zum  Ziele  führen,  dann  wäre 
vor  der  gewaltsamen  Geltendmachung  zweifellosen  Rechtes  nicht  zurück- 
zuschrecken. 

Ich  komme  dabei  sowohl  vom  rein  militärischen  Gesichtspunkte, 
als  auch  vom  Standpunkte  des  staatlichen  und  militärischen  Prestiges 
zu  dem  Schluß,  daß  für  den  Fall,  als  eine  Grenzregulierung  auf  den 
von  mir  angegebenen  Grundlagen  nicht  zu  erreichen  wäre,  von  einer 
Grenzregulierung  überhaupt  ganz  abzusehen  wäre,  und  daß  es  im 
weiteren  Verlauf  uns  nicht  schwer  fallen  würde,  die  Nachteile  eines 
solchen,  durch  serbisches  Verschulden  ungeklärten  Besitzstandes  den 
Nachbarstaat  fühlen  zu  lassen. 

Schließlich  möchte  ich  noch  vom  rein  militärischen  Standpunkte 
erklären,  daß  durchaus  kein  Nachteil  darin  läge,  wenn  infolge  von 
Grenzstreitigkeiten  einzelne  Garnisonen  der  11.  Gebirgsbrigade  fall- 
weise, auch  überraschend,  zu  besonderer  Tätigkeit  herangezogen  würden, 
da  solche  Zwischenfälle  nur  geeignet  erschienen,  stagnierende  Ruhe  zu 
unterbrechen,  militärischem  Geist  neue  Impulse  zu  geben  und  die  Vor- 
bereitungen für  den  Alarmierungs-  und  Mobilisierungsfall  geradezu  zu 

261 


fördern;  dagegen  erkläre  ich  es  nochmals  als  schwerwiegenden  mili- 
tärischen Nachteil,  wenn  serbisches  Gebiet  am  Westufer  des  Haupt- 
gerinnes der  Drina  anerkannt  würde. 

Wien,  8.  Juli  1911.  Conrad  m.  p.,  G.  d.  I. 

Für  die  richtige  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 
P  a  i  c  m.  p.,  Obstlt." 

„Beilage  5  a. 

Während  ich  einer  gefälligen  Äußerung  E.  E.  auf  meine  Note 
vom  13.  d.  Mts.  Nr.  1614  entgegensehe,  beehre  ich  mich,  Hochdieselben 
davon  zu  benachrichtigen,  daß  nach  einer  Meldung  des  k.  u.  k.  Bot- 
schafters am  königlich  italienischen  Hofe  italienische  Zeitungen  Mit- 
teilungen über  eine  Grenzverletzung  auf  der  Cima  Mandriolo  bringen, 
die  nach  der  vorabgegebenen  Erklärung  stattgefunden  haben  soll.  Des- 
gleichen sprechen  sie  auch  von  ähnlichen  Vorfällen,  die  sich,  wie  E.  E. 
bereits  wissen,  bei  Paularo,  ferner  bei  Val  Piccolo  und  am  Monte  Hulon 
ereignet  haben  sollen. 

Diese  Behauptungen  werden  sich  wohl  als  irrig  erweisen  lassen, 
da  nicht  angenommen  werden  kann,  daß  die  an  der  Grenze  dislozierten 
Truppenkommanden  sich  in  so  zahlreichen  Fällen  über  die  ihnen  erteil- 
ten strengen  Weisungen  hinweggesetzt  haben  sollen. 

Aus  einer  Beilage  der  geschätzten  Note  vom  10.  Juli  1.  J., 
Präs.  Nr.  8653,  habe  ich  entnommen,  daß  die  auf  der  Cima  Mandriolo 
errichtete  Schutzhütte  für  die  im  Mobilisierungsfall  dortselbst 
etablierte  Offiziers-Femsichtpatrouille  bestimmt  war. 

Die  Mitteilung  läßt  vermuten,  daß  der  betreffende  Befehl  vom 
k.  u.  k.  Generalstab  ausgegangen  ist. 

Es  wäre  mir  nun  von  Interesse,  zu  erfahren,  ob  hier  nur  ein  ver- 
einzelter Fall  vorliegt,  wie  ich  hoffe,  oder  ob  etwa  von  derselben  Seite 
allgemeine  Weisungen  an  die  Grenztruppen  behufs  Vornahme  ähnlicher 
Vorkehrungen  ergangen  sind,  die  der  mit  der  königlich  italienischen 
Regierung  abgemachten  Vereinbarung  direkt  widersprechen  würden. 

Ich  beehre  mich  E.  E.  zu  ersuchen,  mir  hierüber  eine  gefällige  Mit- 
teilung zukommen  lassen  zu  wollen. 

Wien,  am  22.  Juli  1911.  Ähren  th  a  1  m.  p. 

Für  die  richtige  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 
P  a  i  c  m.  p.,  Obstlt. 

An  den  Reichskriegsminister  Schönaich." 
262 


„Beilage  5  b. 
Chef  des  Generalstabes. 
Res.  Glst.  Nr.  3091. 

Bemerkung 

zum  Geschäftsstück  Präs.  Nr.  9328  von  1911. 

Das  k.  u.  k.  Reichskriegsministerium  hat  mit  dem  Erlasse 
Präs.  Nr.  5914/1  von  1911  an  das  3.  und  14.  Korpskommando  den 
Befehl  erteilt,  »strenge  darauf  hinzuwirken,  daß  Grenzzwischenfälle 
nicht  vorkommen  und  Grenzüberschreitungen  unbedingt  vermieden 
werden«. 

Selbstverständlich  habe  auch  ich  weder  an  die  Truppen  noch  höhere 
Kommanden  Befehle  gegeben,  welche  diesem  Erlasse  widersprechen 
würden. 

Demgemäß  ist  der  Versuch  des  Ministeriums  des  Äußern,  die 
Grenzzwischenfälle  auf  Weisungen  des  Generalstabes  zurückzuführen, 
sowie  jede  Verquickung  von  Grenzüberschreitungen  mit  den  von  mir 
ausgegebenen  Alarmweisungen  unzulässig. 

Welche  Weisungen  bezüglich  der  Vorsorgen  für  den  Alarm  an  die 
Truppen  ergangen  sind,  entzieht  sich  der  Ingerenz  des  Mmisteriums  des 
Äußern. 

Jeden  Versuch  einer  Einmengung  in  diese  rein  militärischen 
Angelegenheiten,  sowie  einer  Kontrolle  derselben  müßte  ich  entschieden 
zurückweisen,  was  ich  bitte,  dem  k.  u.  k.  Ministerium  des  Äußern  zur 
Kenntnis  zu  bringen. 

Zur  ausschließlichen  Orientierung  des  Reichskriegsministeriums 
erlaube  ich  mir  mitzuteilen,  daß  von  mir  Weisungen  bezüglich  des 
Baues  von  Schutzhütten  für  Beobachtungsoffiziere  oder  dergleichen 
nicht  ergangen  sind. 

Der  Bau  der  im  Stücke  erwähnten  Hütte  scheint  auf  die  sehr 
anerkennenswerte  Initiative  jenes  Kommandanten  erfolgt  zu  sein, 
welcher  in  diesem  Abschnitte  im  Ernstfalle  zu  wirken  berufen  ist.  Es 
ist  nur  bedauerlich,  daß  durch  die  Unkenntnis  des  Grenzzuges  eine  an 
sich  so  dankenswerte  selbständige  Haltung  eine  so  unangenehme  Kon- 
sequenz —  wie  es  die  gezwungene  Abtragung  der  Hütte  ist  —  nach 
sich  zieht,  und  welche  eventuell  geeignet  ist,  den  bei  unsern  braven 
Grenztruppen  herrschenden  initiativen  Drang  nach  Betätigung  zu 
lähmen. 

Findet  es  das  Reichskriegsministerium  unerläßlich,  das  3.  und 
14.    Korpskommando   über   eventuell   ergangene   Verfügungen    wegen 

263 


Erbauung  von  Beobachtungsständen  zu  befragen,  so  bitte  ich  zur 
Wahrung  des  in  den  ergangenen  Alarmweisungen  festgehaltenen  Grund- 
satzes, daß  Korrespondenzen,  den  Alarm  betreffend,  ausschließlich  mit 
dem  Chef  des  Generalstabes  zu  führen  sind,  und  in  Konsequenz  des 
neu  verfaßten  Dienstbuches  J.  I  b  §  2,  Pkt.  7,  vorletzter  Absatz,  daß 
»alle  auf  operative  Instruktionen  für  die  Alarmierung,  Sicherung  der 
Mobilisierung  und  des  Aufmarsches  oder  für  den  Grenzschutz  gegrün- 
deten Meldungen  und  Anträge  in  eigenen  Berichten  an  den  Chef  des 
Generalstabes  zu  behandeln  sind«,  diese  Frage  an  mich  zu  richten, 
worauf  ich  das  Erforderliche  veranlassen  werde. 

Wien,  am  2.  August  1911.  ^  ,  ^    j   r 

Conrad  m.  p.,  G.  d.  I. 

Für  die  richtige  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 

P  a  i  c  m.  p.,  Obstlt." 

Chef  des  Generalstabes.  „Beilage  6. 

K.  Nr.  2913. 

Zu  Reichskriegsministerialerlaß  Präs.  Nr.  10.013  von  1911. 

In  diesem  Jahre  wurde  kein  Offizier,  weder  in  vertraulicher  noch 
in  offizieller  Eigenschaft  nach  Serbien  entsendet. 

Die  bezüglichen  Behauptungen  serbischer  Blätter  und  serbischer 
Regierungsorgane  sind  daher  in  die  Augen  springende  Lügen. 

Zur  Charakterisierung  dieser  haltlosen  Beschuldigungen  serbischer- 
seits  will  ich  nur  anführen,  daß  mit  Ausnahme  des  Oberleutnants 
Rajakovic,  der  kein  Generalstabsoffizier  ist,  seit  der  Annexionskrise,  also 
seit  drei  Jahren,  kein  Offizier  nach  Serbien  entsendet  wurde. 

Über  den  Fall  Rajakovic  habe  ich  seinerzeit  dem  Reichskriegs- 
ministerium eingehend  berichtet  und  ist  daher  bekannt,  daß  dem 
genannten  Offizier  gelegentlich  einer  Privatreise  vom  Landes- 
beschreibungsbureau einige  Aufträge  bezüglich  Beschaffung  rein  topo- 
graphischer Daten  gegeben  wurden,  wobei  er  vor  seinem  Abgehen 
speziell  belehrt  wurde,  daß  es  auf  Erkundung  geheimer  militärischer 
Angelegenheiten  nicht  anzukommen  hat. 

Dies  war  also  die  ganze  Spionagetätigkeit  ö.-u.  Offiziere  in  Serbien. 

Trotzdem  benützt  die  serbische  Presse  seit  Jahren  jeden,  auch  den 
geringfügigsten  und  nichtigsten  Vorwand,  um  kontinuierlich  Beschuldi- 
gungen gegen  ö.-u.  Offiziere  wegen  Spionage  zu  erheben.  Jede  Woche 
erscheinen  bezügliche  Artikel  in  den  Spalten  der  serbischen  Zeitungen. 

264 


So  werden  z.  B.  Privat-  und  dienstliche  Reisen  von  Offizieren  auf 
ö.-u.  Schiffen  an  der  unteren  Donau  in  den  serbischen  Blättern  als 
Spionagetätigkeit  bezeichnet;  in  gleicher  Art  wird  auch  jede  Übung 
unserer  Grenzgarnisonen  charakterisiert. 

Das  »Mali  Zurnal«  und  die  »Politika«  sind  vielgelesene  Hetz- 
blätter, die  durch  ihre  frechen  und  rüden  Angriffe  gegen  die  Monarchie, 
sowie  gegen  Seine  Majestät  und  das  Allerhöchste  Kaiserhaus  im  In- 
und  Ausland  genugsam  bekannt  sind  und  hieramts  längst  als  plumpe 
Düpierungen  erkannt  wurden. 

Das  k.  u.  k.  Ministerium  des  Äußern  sah  sich  während  und  nach 
der  Krise  wiederholt  veranlaßt,  gegen  die  Sprache  dieser  Blätter  bei 
der  serbischen  Regierung  Vorstellungen  zu  erheben.  Letztere  drückte 
bei  solchen  Gelegenheiten  auch  ihr  Bedauern  aus,  mit  dem  Beifügen, 
daß  sie  nach  dem  serbischen  Preßgesetze  nicht  in  der  Lage  sei,  gegen 
diese  Pressetreibereien  einzuschreiten. 

Dieselbe  serbische  Regierung  nimmt  aber  jetzt  keinen  Anstand, 
die  Ausführungen  gerade  dieser  Blätter  zum  Ausgangspunkte  von 
Rekriminationen  bei  der  k.  u.  k.  Vertretung  zu  nehmen. 

Die  k.  u.  k.  Vertretung  in  Belgrad  führt  sogar  selbst  aus,  daß  es 
nicht  ausgeschlossen  sei,  daß  die  Artikel  der  »Politika«  von  der  serbi- 
schen Regierung  selbst  inspiriert  wären,  und  daß  neuerdings  eine 
Spionagehetze,  die  geeignet  wäre,  eine  Schädigung  unseres  Handels 
nach  sich  zu  ziehen,  inauguriert  werden  könnte. 

Ich  habe  bereits  Mitte  Juli,  also  noch  vor  Erscheinen  dieser 
Artikel,  auf  eine  bezügliche  mündliche  Anfrage,  die  Seine  Exzellenz  der 
Herr  k.  u.  k.  Sekticnschef  Baron  Rhemen  im  Auftrage  Seiner  Exzellenz 
des  Herrn  k.  u.  k.  Ministers  des  Äußern  gestellt  hat,  demselben  durch 
den  Generalmajor  Csoban  mündlich  mitteilen  lassen,  daß  heuer  über- 
haupt kein  Generalstabsoffizier  nach  Serbien  entsendet  worden  ist.  Hie- 
durch  war  der  k.  u.  k.  Regierung  die  Handhabe  geboten,  sofort  und 
unmittelbar  bezügliche  Anfragen  und  Rekriminationen  der  serbischen 
Regierung  als  haltlose  Anschuldigungen  von  der  Hand  zu  weisen. 

Wien,  am  24.  August  1911.  ^  ,  n   a  t 

'  ^  Conrad  m.  p.,  G.  d.  L 

Für  die  richtige  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 
P  a  i  c  m.  p.,  Obstl." 


265 


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,  Alois  Poricic 
,  Anton  Basta 
,  Damian  Cis 
,  Emilio  Maggie 
,  Paul  Bartmann 
.  Josef  Colpi 
Luigi  Dante 
,  Otto  Tomassini 
,  Adolf  Kretschmar 
,  Erich  Protivensky 
,  Hans  Cords 
.  Edmund  Simonides 
.  Josef  Ruvoös 
,  Johann  Knitsch 
,  Ladislaus  Dekiert 
Marian  Koslowski 
Wladislav  Bakalarcz 
Heinrich  Religa 
Johann  Rabinovicz 
Josef  Jeczes 
,  Adam  Pitkowski 
Johann  Souta 
Johann  Komarowsk 
.  Miecislaus  Kuszmaji 
,  Franz  Kaplanski 
.  Eugenie  Bendak 
.  Wladimir  Dobrzans 
.  Adolf  Kretschmar 
,  Aurel  Milobedzki 
.  Iwan  Nowosiolow 
,  Wladimir  Wierzbick 
,  Iwan  Worfohik 
,  Marie  Trompczynsk; 
,  Maryan  Fiechocinsk 

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266 


Chei  des  Generalstabes.  „Beilage  8  a. 

K.  Nr.  1585. 

Bemerkung 
zum  Einsichtsakt  des  R.  K.  M.  Präs.  Nr.  5254  von  1911. 

Es  ist  mir  ganz  unverständlich,  wie  der  k.  u.  k.  Botschafter  in  Rom, 
dem  ja  die  große  Zahl  der  in  Österreich-Ungarn  erfolgten  Aburteilungen 
italienischer  Spione  nicht  unbekannt  geblieben  sein  kann,  von  der  Lang- 
mut der  italienischen  Regierung  zu  sprechen  vermag. 

Solche  Anschauungen  erscheinen  geeignet,  das  schwere  Bedenken 
zu  rechtfertigen,  daß  die  Interessen  der  Monarchie  nicht  jene  energische 
Vertretung  finden,  wie  sie  v/ohl  jeder  andere  Staat  von  seinen  bezüg- 
lichen Funktionären  voraussetzt. 

Ich  bitte,  beim  Ministerium  des  Äußern  in  diesem  Sinne  vorstellig 
zu  werden. 

Wien,  am  3.  Mai  1911.  Conrad  m.  p.,  G.  d.  I. 

Für  die  richtige  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 
P  a  i  c  m.  p.,  Obstl." 

„Beilage  8  b. 

Anläßlich  der  Rücksendung  eines  Berichtes  des  k.  u.  k.  Bot- 
schafters beün  königlich  italienischen  Hofe  über  die  wegen  Spionage 
erfolgte  Verhaftung  eines  ungarischen  Staatsangehörigen  haben  E.  E. 
mir  auch  eine  diesbezügliche  Einsichtsbemerkung  des  Herrn  Chefs  des 
Generalstabes  zur  Kenntnisnahme  übermittelt  (Nr.  5254  de  praes. 
26.  Juli  1911). 

Ich  halte  es  für  meine  Pflicht,  diese  in  erster  Linie  gegen  einen 
hochverdienten  Beamten  meines  Ressorts  gerichtete  Bemerkung  auf  das 
entschiedenste  zurüciczuweisen. 

Vor  allem  muß  konstatiert  werden,  daß  dem  k.  u.  k.  Botschafter  in 
Rom  die  Zahl  der  in  letzter  Zeit  in  Österreich-Ungarn  erfolgten 
Aburteilungen  italienischer  Spione  nicht  bekannt  war  und  auch  nicht 
bekannt  sein  konnte,  da  diese  Fälle  bisher  weder  dem  k.  u.  k.  Ministerium 
des  Äußern,  noch  der  k.  u.  k.  Botschaft  regelmäßig  und  fortlaufend 
notifiziert  werden.  Bezüglich  der  fraglichen  Liste  selbst,  sowohl  der 
allenfalls  in  derselben  Zeit  in  Italien  stattgehabten  Verurteilung  von 
österreichischen  oder  ungarischen  Staatsangehörigen  behalte  ich  mir 
vor,  eventuell  noch  auf  den  Gegenstand  zurückzukommen. 

Weiter  möchte  ich  hervorheben,  daß  die  Redewendung  »Langmut 
der  italienischen  Regierung«  sich  darauf  bezog,  daß  damals  in  Italien 

267 


innerhalb  eines  Monats  bereits  der  dritte  Fall  sich  ereignete,  wo  ein 
wegen  Spionage  verhafteter  Kundschafter  sich  direkt  an  die  k.  u.  k.  Ver- 
tretungsbehörden um  Hilfe  wandte  und  dieselben  gewissermaßen  in  den 
Fall  mit  hineinzog.  Dies  war  für  den  k.  u.  k.  Botschafter  um  so 
kompromittierender,  als  es  sich  ja  in  allen  drei  Fällen  tatsächlich  um 
Kundschafter  handelte,  deren  Beziehungen  zu  den  k.  u.  k.  Militär- 
behörden der  königlich  italienischen  Regierung  im  Laufe  der  gericht- 
lichen Untersuchung  wohl  kaum  verborgen  bleiben  dürften.  Der  Herr 
Botschafter  mußte  daher  mit  Recht  befürchten,  daß,  wenn  sich  dies 
wiederholen  sollte,  die  königlich  italienische  Regierung  schließlich  denn 
doch  alle  diese  Vorkommnisse  zum  Gegenstand  einer  Demarche  machen 
könnte. 

Es  ist  daher  nur  erklärlich,  wenn  Herr  von  Merey,  von  dem 
Wunsche  beseelt,  seine  ersprießliche  Tätigkeit  und  seine  Stellung  gegen- 
über der  königlich  italienischen  Regierung  nicht  durch  derartige 
Zwischenfälle  ernstlich  gefährdet  zu  sehen,  in  vielleicht  etwas  allzu 
drastischen  Worten  auf  die  Notwendigkeit  hinwies,  dem  Kundschafter 
entsprechende  Instruktionen  zukommen  zu  lassen. 

Geradezu  unfaßlich  ist  es  aber,  wieso  aus  einem  so  nebensächlichen 
Umstände  des  besser  oder  weniger  glücklich  gewählten  Wortes  ein  so 
schwerer  Vorwurf  gegen  einen  durchaus  auf  der  Höhe  seiner  Aufgabe 
stehenden  diplomatischen  Vertreter  Seiner  Majestät,  ja  gegen  die 
gesamte  Leitung  der  auswärtigen  Politik  der  Monarchie  deduziert 
werden  kann, 

Herr  von  Merey  ist  kein  Neuling  m  seinem  Berufe.  Alle,  die 
Gelegenheit  hatten,  ihm  dienstlich  näher  zu  treten,  müssen  dessen 
hervorragenden  Eigenschaften  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen,  sowie 
seine  hohe  Begabung,  Tüchtigkeit,  Erfahrung,  tiefen  Ernst,  unermüd- 
lichen Fleiß  und  Hingebung  für  den  Allerhöchsten  Dienst  anerkennen. 
Den  ihm  anvertrauten  schwierigen  und  verantwortungsvollen  Posten 
füllt  er  voll  aus  und  vertritt  die  unter  seinen  Schutz  gestellten  wichtigen 
Interessen  mit  Umsicht  und  Energie. 

Umsomehr  erschemt  daher  diese,  sachlich  genommen,  durchaus 
ungerechtfertigte  Kritik  als  eine  ganz  unzulässige  Überschreitung  der 
Befugnisse  des  Herrn  Chef  des  Generalstabes,  welche  ich  unmöglich 
stillschweigend  hinnehmen  kann,  und  gegen  die  ich  sehr  entschieden 
Verwahrung  einlegen  muß. 

Da  der  Herr  Chef  des  Generalstabes  in  seiner  Einsichtsbemerkung 
an  E.  E.  das  Ersuchen  gestellt  hat,  im  Sinne  derselben  beim  k.  u.  k. 
Ministerium  des  Äußern  vorstellig  zu  werden  so  beehre  ich  mich  das 
Ersuchen  zu  stellen,  Freiherrn  von  Conrad  von  dem   Inhalte  dieser 

268 


Note  Kenntnis  geben  zu  wollen.     Der  Einsichtsakt  samt  Beilagen  folgt 
im  Anschlüsse  zurück. 

Mendel,  am  7.  August  1911.  Ä  h  r  e  n  t  h  a  1  m.  p. 

An  den  Reichskriegsminister  Schönaich." 

Chef  des  Generalstabes.  „Beilage  8  c. 

Res.  Glst.  Nr.  3282. 

An  das  k.  u.  k.  Reichskriegsrainisterium 

in  Wien. 
Payerbach,  am  14.  August  1911. 

Wie  ich  dem  mir  zugesendeten  Einsichtsakt  Präs.  Nr.  9905  vom 
August  1911  entnehme,  wurde  seinerzeit  meine  das  Vorgehen  des  k.  u.  k. 
Botschafters  in  Rom  in  der  Spionageaffäre  Fürst  betreffende,  an  das 
Reichskriegsministerium  gerichtete  und  ausschließlich  für  dieses 
bestimmte  Bemerkung  im  vollen  Wortlaut  dem  k.  u.  k.  Ministerium  des 
Äußern  zugemittelt. 

Wenn  ich  auch  die  Gründe,  welche  ich  dafür  anführte,  daß  von 
einer  Langmut  bezüglich  solcher  Affären  eher  auf  unserer  Seite  als  auf 
jener  Italiens  gesprochen  werden  kann,  voll  aufrechferhalte,  muß  ich 
doch  hervorheben,  daß  ich  eine  diesbezügliche,  direkt  an  das  Mini- 
sterium des  Äußern  gerichtete  Note  in  anderer  Weise  gehalten  hätte  als 
diese,  nur  für  das  Reichskriegsministerium  bestimmte  und  durch  die 
gegen  die  diesseitige  Kundschaftstätigkeit  gerichtete  Stilisierung  der 
Mereyschen  Note  provozierte  kurze  Bemerkung. 

In  der  Zumittlung  der  letzteren  an  das  Ministerium  des  Äußern 
vermag  ich  daher  nur  den  Fehlgriff  eines  untergeordneten  Organes  zu 
erblicken,  sowie  einen  Vorgang,  welcher  dazu  geeignet  ist,  den  dienst- 
lichen Verkehr  in  ungünstigster  Weise  zu  beeinflussen. 

Ich  bitte,  die  vorliegende  Bemerkung  dem  Ministerium  des  Äußern 

vollinhaltlich  zur  Kenntnis  zu  bringen.        ^  ,  /^    j    t 

^  Conr ad  m.  p.,  G.  d.  I. 

Für  die  richtige  Abschrift: 

Wien,  am  5.  September  1911. 

P  a  i  c  m.  p.,  Obstlt." 

Soweit  die  Denkschrift  vom  9.  September  1911. 

Aus  Dalmatien  nach  Wien  zurückgekehrt,  hatte  ich  am  9.  September 
1911  eine  Audienz  bei  Seiner  Majestät,  bei  der  ich  über  die  Landungs- 
manöver und  laufende  militärische  Angelegenheiten  referierte,  meine  Denk- 
schrift vorlegte  und  auch  mündlich  meine  Verwahrung  gegen  das 
autoritative  Gebaren  Graf  Ährenthals  vorbrachte. 

269 


Am  selben  Tag  erschien  Oberstieutnant  von  Brosch,  der  Flügel- 
adjutant des  Thronfolgers,  bei  mir,  um  sich  im  Auftrage  des  letzteren 
über  den  Verlauf  der  Audienz  zu  erkundigen.  Ich  konnte  die  Frage  damit 
beantworten,  daß  die  Audienz  ohne  Zwischenfall,  ganz  normal 
verlaufen  sei. 

Brosch  erwähnte,  daß  gegen  mich  ein  großes  Komplott  bestehe,  daß 
Graf  Ährenthal  zwei  Männer  wie  Auffenberg  und  mich  nicht  vertrage  und 
daher  entweder  Georgi*)  Kriegsminister  würde,  falls  ich  bleibe,  oder  ich  ent- 
fernt würde,  wenn  Auffenberg  als  Kriegsminister  belassen  werden  sollte. 

Als  Anlaß  wolle  man  die  heurigen  Armeemanöver  wählen,  in  der 
Hoffnung,  daß  diese  mißglücken,  oder  sich  ein  Zerwürfnis  zwischen  mir 
und  dem  Thronfolger  ergeben  würde**). 

Darauf  erwiderte  ich  Brosch,  daß  man  den  Verlauf  der  Manöver 
wohl  nie  in  der  Hand  habe,  daß  ich  es  aber  auf  ein  Zerkriegen  mit  Seiner 
Kaiserlichen  Hoheit  nicht  ankommen  lassen  werde.  Im  übrigen  sei  es 
mir  ganz  gleichgültig,  ob  ich  bleibe  oder  gehe. 

Brosch  meinte  hierauf:  „Die  heurigen  Manöver  muß  man  auch  als 
ein  Politikum  betrachten.  Der  Thronfolger  hat  vom  Kaiser  einen  Brief 
bekommen,  daß  die  Entscheidung  wegen  Schönaich  erst  nach  den 
Manövern  verlautbart  wird." 

Am  25.  September  1911  sandte  ich  an  Graf  Ährenthal  mein  bereits 
im  früheren  volhnhaltlich  gegebenes  Schreiben  vom  24.  September,  in 
dem  ich  mich  über  die  politische  Lage  imd  die  daraus  zu  ziehenden 
Konsequenzen  aussprach  und  ihn  um  Bekanntgabe  der  Richtung  seiner 
Politik  bat.  (Siehe  Seite  172.) 

Die  Meinungsdifferenz  zwischen  mir  und  Graf  Ährenthal  erwies  sich 
aber  in  der  Folge  immer  mehr  und  mehr  als  unüberbrückbar. 

Die  Politik  des  Grafen  Ährenthal  stand  nicht  auf  dem  realen 
Boden  des  Erreichbaren.  Sie  war  auf  die  Utopie  gegründet, 
daß  es  gelingen  könne,  die  Feinde  Österreich-Ungarns  zu  besänftigen, 
das  Aufgeben  ihrer  aggressiven  Pläne  zu  erschmeicheln;  Pläne,  die  aus 


*)  Der  bisherige  k.  k.  Landesverteidigungsminister. 
**)  Ich  hatte  diese  Manöver  in  die  Karpathen  verlegt  und  fand  dabei 
Bedenken  des  Thronfolgers  wegen  der  Schwierigkeit  des  Terrains.  Ich 
heß  diese  Bedenken  nicht  gelten;  nur  meine  Absicht,  die  Manöver  mit 
dem  Einbruch  eines  großen  Kavalleriekörpers  zu  beginnen,  stieß  auf 
entschiedenen  Widerstand  des  Thronfolgers  und  mußte  daher  insoweit 
unausgeführt  bleiben,  als  nur  eine  Kavalleriebrigade  in  der  gedachten 
Weise  zur  Verwendung  kam. 

270 


dem  Entwicklungsdrang  dieser  Gegner  heraus  auf  die  Zerstückelung  der 
Monarchie  gerichtet  waren.  Der  reale  Boden  aber  kennzeichnete  sich 
dadurch,  daß  Serbien  unverblümt  und  skrupellos  das  großserbische  Reich 
und  hiezu  die  Gewinnung  der  südslawischen  Provinzen  der  Monarchie 
erstrebte,  daß  die  Aspirationen  Italiens  auf  die  sogenannten  „irredenten" 
Gebiete  Tirols  und  des  Küstenterritoriums,  sowie  auf  die  Alleinherrschaft 
in  der  Adria  offenkundig  lagen,  daß  Rußland  Serbiens  Pläne  mit  allen 
Mitteln  unterstützte,  nebenher  die  Einverleibung  Galiziens,  hauptsächlich 
aber  die  Zertrümmerung  Österreich-Ungarns  im  Auge  hatte,  um  sich  den 
Weg  nach  dem  Balkan  frei  zu  machen,  daß  es  auf  diesem  Wege  ein 
Haupthindernis  auch  in  Deutschland  sah,  dessen  Emporblühen  auf 
pohtisdiem,  wirtschaftUchem  und  maritimem  Gebiet  auch  England  im 
Keime  zu  ersticken  trachtete,  Frankreich  aber  im  Heranwachsen  Deutsch- 
lands eine  nur  mit  Waffengewalt  zu  beseitigende  Gefahr  und  in  der 
Wiedergewinnung  Elaß-Lothringens  ein  unverrückbares,  nationales  Ziel 
erblickte, 

daß  aber  —  imd  darin  lag  der  reale  Kern  der  Lage  —  diese 
Feinde  in  der  Zeit  bis  1912  noch  nicht  insgesamt  auf  jener  Höhe  militä- 
rischer Bereitschaft  standen,  um  mit  Aussicht  auf  sicheren  Erfolg  den 
längst  geplanten  gemeinsamen  Kampf  herbeizuführen,  Deutschland  und 
Österreich-Ungarn  also  die  letzte  Gelegenheit  hatten,  mit  diesen  Gegnern 
nacheinander  oder  doch  noch  zu  einem  Zeitpunkte  abzurechnen,  in 
welchem  deren  Kriegsbereitschaft  noch  nicht  voll  gereift  erschien. 

Konnte  jemand  diese  Lage  nicht  erkennen?  Oder  konnte  jemand 
wirklich  glauben,  daß  alle  di^e  Gegner  pour  les  beaux  yeux  de 
l'Autriche-Hongrie  von  diesen  ihren  positiven  Zielen  abstehen 
würden  ? 

Klar  lag  es,  daß  Österreich-Ungarn  imerbittlich  gezwungen  sein 
würde,  seinen  Existenzkampf  mit  den  Waffen  auszutragen;  darauf 
war  daher  jedwede  Vorbereitung,  darauf  die  reale  Pohtik  der 
Monarchie  zu  gründen,  nicht  aber  auf  vage,  einschläfernde  Utopien  und 
problematische  Traktate. 

In  der  Wahl,  all  dem  gegenüber  schweigend  abseits  zu  bleiben,  oder 
meinen  Besorgnissen  Ausdruck  zu  geben,  wählte  ich  stets  das  letztere.  Die 
Folgen  der  Vertretung  dieses  Standpunktes  richteten  sich  nun  gegen  mich. 

Am  27.  September  1911  hatte  Exzellenz  Baron  Bolfras  telephonisch 
bei  mir  angefragt,  ob  er  mich  treffen  könne.  Ich  bat  ihn  selbstverständhch, 
sich  nicht  zu  bemühen  und  teilte  ihm  mit,  daß  ich  sofort  zu  ihm  in  die 
Militärkanzlei  kommen  werde. 

Dort  angelangt,  bot  mir  Exzellenz  Bolfras  Platz  an  und  sagte, 
er  müsse  mich  vor  allem  fragen,  ob  ich  volles  Vertrauen  zu  ihm  habe, 

271 


was  ich  selbstverständlich  bejahte,  beifügend:  „Ja,  um  was  dreht  es  sich 
denn?"*) 

Exz.Bolfras:  „Ich  bin  von  Seiner  Majestät  beauftragt,  zwischen 
Ährenthal  und  Dir  zu  vermitteln,  insbesondere  in  der  Angelegenheit 
Merey.  Seine  Majestät  will  Ordnung  haben  und  will,  daß  Ihr  miteinander 
normal  verkehrt;  Du  sollst  dem  Älirenthal  ein  paar  Zeilen  schreiben,  daß 
Du  bedauerst,  daß  die  Sache  so  dargestellt  wurde." 

Ich:  „Exzellenz,  ehe  ich  dem  Ährenthal  eine  Entschuldigung  schreibe, 
lasse  ich  mir  eher  die  rechte  Hand  weghauen.  Ich  war  immer  gerade, 
jetzt  in  meinem  Alter  biege  ich  mich  nicht  mehr." 

Exz.  Bolfras:  „Es  ist  schon  überhaupt  ein  unangenehmes  Amt, 
Vermittler  zu  sein,  aber  sehr  unangenehm,  wenn  es  resultatlos  verläuft." 

Ich:  „Erlaube,  daß  ich  rede.  Ich  werde  Dir  die  ganze  Sache  so 
darstellen,  wie  sie  sich  mir  darstellte.  Zuerst  Schönaich;  ich  kann 
nur  sagen,  wie  ich  herkam,  war  es  mein  Bestreben,  mit  Schönaich  glatt 
auszukommen.  Es  ging  aber  nicht.  Der  Verkehr  wurde  immer 
>schiefriger« ;  ich  habe  immer  wieder  versucht,  einzulenken.  Beweis  dafür 
ist  auch,  daß  ich  seinen  Schwiegersohn  Gm.  Przyborski  als  zweiten  Stell- 
vertreter zu  mir  nahm,  um  zu  zeigen,  daß  ich  gut  auskommen  will. 
Ich  hoffte,  daß  Przyborski  die  vermittelnde  Persönlichkeit  sein  wird." 

Exz.  Bolfras:  „Und  welche  Rolle  hat  Przyborski  gespielt?" 

Ich:  „Eine  durchaus  loyale;  aber  es  ist  nicht  gegangen.  Ganz 
besonders  kam  es  zu  einem  Bruch  in  der  heurigen  Budgetfrage,  als  hinter 
meinem  Rücken  auf  fünf  Jahre  im  voraus  das  Budget  abgemacht  und  mir 
keine  Gelegenheit  gegeben  wurde,  meine  Forderungen  zu  vertreten. 
Nachträglich,  ein  paar  Monate  später,  hat  Schönaich  selbst  eingesehen, 
daß  der  Kredit  zu  gering  war,  und  er  mußte  mehr  verlangen.  In  unserem 
Verkehr  hat  dies  nichts  geändert.  Jetzt  muß  ich  aber  weitergehen  und 
Dir  sagen,  daß  ich  nicht  nur  Schönaich,  sondern  auch  Ä  h  r  e  n  t  h  a  1  zum 
Gegner  habe.  Ich  habe  mit  ihm  einen  freundschaftlichen  Verkehr 
angebahnt;  ich  war  wiederholt  bei  ihm,  er  bei  mir.  Ich  sagte  ihm  oft: 
»Bitte,  wenn  Sie  mich  brauchen,  telephonieren  Sie  mir,  ich  komme  zu 
jeder  Stunde  zu  Ihnen«.  Ein  Riß  ist  in  unser  Verhältnis  erst  gekommen, 
als  uns  die  politischen  Ansichten  auseinanderführten,  besonders  in  der 
Krise  1909.  Er  hat  sich  die  Krise  militärisch  stützen  lassen,  aber  es  mir 
nicht  gedankt.  Ich  war  ihm  eine  unangenehme  Persönhchkeit  geworden; 
verletzte  Eitelkeit  etc.  In  der  Merey-Geschichte  möge  man  sich  nur 
orientieren.  Auch  Baron  B  u  r  i  a  n  ist  gegen  mich,  weil  ich  nicht  einsehen 


*)    Dies   und   alles  folgende   nach  mimittelbar   nach   der   Audienz 
diktierten  Aufzeichnungen. 

272 


will,  daß  als  Landeschef  und  Kommandierender  in  Bosnien  ein  General 
nur  ein  Popanz  sein  soll,  der  nur  das  macht,  was  Burian  will.  In 
Varesanin  habe  ich  mich  getäuscht,  dies  auch  Seiner  Majestät  offen  ein- 
gestanden. Jetzt  aber  ist  ein  Mann  dort  —  Potiorek  —  der  läßt  nicht 
mit  sich  machen,  was  Burian  will.  Das  ist  die  Koalition  gegen  mich. 
Als  ich  zum  Chef  ernannt  wurde,  sagte  mir  Burian,  daß  ich  auch  die 
Bestimmung  haben  werde,  als  Mitwirkender  den  Ausgleich  mit  Ungarn 
zu  fördern,  das  heißt,  meine  Zustimmung  zu  Konzessionen  zu 
geben.  Ich  habe  damals  erklärt,  daß  ich  dazu  nicht  zu  haben  sein  werde, 
und  mir  damit  die  Gegnerschaft  zugezogen.  Jetzt  ist  die  Krisis  Schönaich 
gekommen.  Ein  General,  der  öffentlich  gegen  den  Thronfolger  auf- 
getreten ist.  Ich  wurde  aufmerksam  gemacht,  daß  die  CHque  Ährenthal, 
wenn  Schönaich  fällt,  ein  Opfer  haben  will  —  ich  weise  auf  die  gemeine 
Pressehetze  gegen  mich  hin.  Auch  wurde  mir  weiter  mitgeteilt,  daß 
Ährenthal  zwei  Generale  in  hohen  Stellungen,  die  Vertrauensmänner 
des  Erzherzogs  Franz  Ferdinand  sind,  nicht  dulden  will.  Entweder 
Georgi  wird  Kriegsminister  und  ich  bleibe,  oder  Auffenberg  bleibt 
und  ich  weiche.  Die  Manöver  wurden  hiezu  abgewartet,  in  der  Hoffnung, 
daß  ich  mich  mit  Erzherzog  Franz  Ferdinand  zerkriegen  werde.  Nach- 
dem die  Manöver  nun  sehr  glatt  abgelaufen  sind  und  zwischen  dem 
Thronfolger  und  mir  das  beste  Einvernehmen  bestand,  sucht  man  einen 
anderen  Angelpunkt,  um  mich  zu  entheben.  Nicht  um  die  Herstellung 
eines  kordialen  Verhältnisses  zwischen  Ährenthal  und  mir  handelt  es  sich, 
nicht  auf  eine  Art  Satisfaktion  für  Merey  wird  abgezielt,  sondern  darauf, 
mich  zu  entfernen." 

Exz.  Boljras:  „Ich  bin  ganz  erstaunt,  daß  ich  davon  nichts  gewußt 
hätte,  auch  die  Hinausschiebung  des  Termines  für  das  Abgehen  Schön- 
aichs  nach  den  Manövern  hat  damit  nichts  zu  tun;  ich  weiß  die  Gründe, 
warum  Schönaich  erst  jetzt  enthoben  wird," 

Ich:  „Ich  wiederhole  hier  nochmals,  daß  ich  unter  keinen  Umständen 
an  Ährenthal  eine  Entschuldigung  schreibe.  Wenn  Seine  Majestät  den 
Frieden  will  zwischen  Ährenthal  und  mir,  so  schlage  ich  vor,  daß  man 
sagt:  was  geschehen  ist,  ist  geschehen  —  es  wird  ein  Strich  darunter 
gemacht  —  damit  ist  die  Sache  erledigt.  Etwas  weiteres  kann  ich  nicht 
zugestehen.  Ich  habe  am  Montag*),  ohne  Kenntnis  von  dieser  Sachlage, 
an  Ährenthal  eine  Zuschrift  in  der  Tripclisfrage  gesendet  und  am  Schlüsse 
derselben  angeführt:  >Wenn  es  Euer  Exzellenz  im  Interesse  der  Sache 
zweckdienlich  erscheint,  so  bitte  ich  nur  über  mich  zu  verfügen«.  Wenn 
Ährenthal  den  Verkehr  mit  mir  anbahnen  will,  so  hat  er  es  in  der  Hand. 


*)  Mein  Brief  vom  24.  September  1911. 

18,  Conrad  II  97') 


Entschuldigen  tue  ich  mich  nicht,  ich  habe  mich  nie  im  Leben  entschuldigt. 
Sagen  muß  ich  aber  noch,  daß  ich  vom  Thronfolger  den  strikten  Auftrag 
bekommen  habe,  ohne  seine  BewiUigimg  nicht  um  meine  Enthebung  zu 
bitten." 

Exz.  Bolfras:  „Ja,  das  kann  er  ja  gar  nicht  verbieten.  Aber  ich  sehe 
schon,  daß  es  am  besten  ist,  Du  spricht  selbst  mit  Seiner  Majestät.  Ich 
werde  Dich  für  Freitag  in  Aussicht  nehmen  zu  einer  Allerhöchsten 
Audienz." 

Schließlich  erstreckte  sich  imser  Gespräch  noch  auf  einige  andere  Ange- 
legenheiten, auch  auf  das  Verhältnis  zwischen  Kaiser  und  Thronfolger. 

Da  ich  wußte,  wie  sehr  sich  der  Thronfolger  in  dieser  Angelegenheit 
mitinteressiert  und  persönlich  engagiert  erachtete,  war  es  mir  selbstver- 
ständlich Pflicht,  ihm  über  meine  Unterredung  mit  Exzellenz  Bolfras 
Bericht  zu  erstatten;  ich  tat  dies  mit  folgendem  Schreiben: 

„Wien,  2.  Oktober  1911. 
Euer  Kaiseriiche  Hoheit! 

Geruhen  Euer  Kaiserliche  Hoheit  den  nachfolgenden  Bericht  gnädigst 
entgegenzunehmen . 

Ich  war  Dienstag  zu  Exzellenz  Bolfras  berufen;  derselbe  teilte  mir 
mit,  daß  Seine  Majestät  wünschen,  daß  die  Divergenzen  zwischen  Graf 
Ährenthal  und  mir  aufhören,  und  legte  mir  nahe,  an  Graf  Ährenthal  eine 
Art  Entschuldigungsschreiben  wegen  der  Merey-Affäre  zu  richten. 

Ich  erklärte,  daß  ich  mir  eher  die  Hand  abhauen  ließe,  als  ein  solches 
Schreiben  auszufertigen,  und  sagte  femer,  daß  ich  gerne  gewillt  bin,  unter 
alles  Vorgefallene  einen  Strich  zu  ziehen  und  den  durch  den  Dienst 
gebotenen  Verkehr  aufzunehmen. 

In  meinem  an  Graf  Ährenthal  am  25.  September  1.  J.  gerichteten, 
also  lange  vor  der  Rücksprache  mit  Exzellenz  Bolfras  abgesendeten.  Eurer 
Kaiserlichen  Hoheit  im  Konzepte  vorgelegten,  die  Tripolisfrage  behandeln- 
den Schreiben  habe  ich  mich  auch  dem  Grafen  Ährenthal  hinsichtlich  einer 
mündUchen  Besprechung  zur  Verfügung  gestellt. 

Ich  dachte  nun  zu  Seiner  Majestät  in  dieser  Angelegenheit  berufen 
zu  werden;  dies  erfolgte  jedoch  nicht,  so  daß  ich,  nachdem  ich  Seiner 
Majestät  ohnehin  auch  über  die  aus  der  Beilage  ersichtlichen  Materien  zu 
berichten  hatte,  selbst  um  eine  Allerhöchste  Audienz  bat. 

Diese  wurde  mir  am  Samstag  Allergnädigst  gewährt. 

Seine  Majestät  war  bei  derselben  gnädig  wie  immer.  Ich  referierte 
eingehend  über  die  in  der  Beilage  angeführten  Fragen,  doch  berührte 
Seine  Majestät  mit  keinem  Worte  die  zwischen  Graf  Ährenthal  und  mir 
schwebende  Angelegenheit. 

274 


Es  mag  Täuschung  sein,  aber  ich  konnte  mich  des  Eindruckes  nicht 
erwehren,  daß  Graf  Ährenthal  diese  schon  im  Sommer  entstandenen 
Konflikte  erneuert  hervorgeholt  hat,  um  mich  in  meiner  Stellung  unhalt- 
bar zu  machen. 

Bei  dem  so  gnädigen  Vertrauen,  mit  dem  Euer  Kaiserliche  Hoheit 
mich  auszuzeichnen  geruhen,  erachte  ich  mich  verpflichtet,  das  Vorstehende 
zu  melden. 

Geruhen  Eure  Kaiserliche  Hoheit  den  Ausdruck  der  ehrfurchtsvollsten 

Ergebenheit  entgegenzunehmen  mit  der  ich  stets  bin 

Eurer  Kaiserlichen  Hoheit  treugehorsamster     ^  , ,, 

^  C  o  n  r  a  d." 

Auf  ein  kurzes  hierauf  erhaltenes  Schreiben  des  Erzherzog-Thron- 
folgers erwiderte  ich  mit  dem  schon  früher  vollinhaltlich  gegebenen,  nach 
Blühnbach  gerichteten  Schreiben  vom  12.  Oktober  1911.  (Siehe  Seite  211.) 

Indessen  hatten  die  durch  Italiens  aggressives  Vorgehen  gegen  die 
Türkei  hervorgerufenen  Ereignisse  den  schon  früher  geschilderten  raschen 
Fortgang  genommen. 

Dies  drängte  Österreich-Ungarn  dazu,  sich  über  die  weiteren  Kon- 
sequenzen dieser  Vorgänge  klar  zu  werden  und  zu  einem  Entschlüsse  zu 
gelangen. 

Da  ich  auf  mein  an  Graf  Ährenthal  diesbezüglich  gerichtetes 
Schreiben  vom  24.  September  1911  keine  Antwort  erhalten  hatte,  trug  ich 
in  einer  Audienz  am  8.  Oktober  Seiner  Majestät  meine  Anschauung  der 
Lage  vor  und  überreichte  ihm  die  nachfolgende  Denkschrift: 

„A.  u.  Vortrag  des  Chefs  des  Generalstabes 
Res.  Glst.  Nr.  3802  vom  8.  Oktober  191  1. 

Geruhen  Euer  Majestät  Allergnädigst  zu  gestatten,  daß  ich  anläßlich 
der  politischen  Lage,  welche  durch  das  Vorgehen  Italiens  entstanden  ist, 
um  Entgegennahme  des  vorliegenden  a.  u.  Vortrages  bitte. 

Ich  habe  am  25.  September  1.  J.  an  den  Minister  des  Äußern  die 
abschriftlich  beiliegende  Zuschrift*)  gerichtet,  in  welcher  ich  der 
Notwendigkeit  einer  Stellungnahme  Ausdruck  gab  und  hervorhob,  daß 
hieraus  sich  ergebende  militärische  Maßnahmen  zeitgerecht  getroffen 
werden  müßten.  Dabei  erbat  ich  mir  die  Bekanntgabe  der  bezüghchen 
Anschauimgen  des  Ministers  des  Äußern  und  stellte  mich  zur  persön- 
lichen Rücksprache  zur  Verfügung. 

Nachdem  ich  nun  hierauf  bis  heute  keine  Antwort  erhielt,  anderer 
seits  aber  die  Ereignisse  eine  Richtung  genommen  haben,  welche  nicht 

*)  War  eine  Abschrift  meines  Schreibens  vom  24.  September  1911  an 
Graf  Ährenthal. 


18* 


275 


nur  die  momentanen  Absichten,  sondern  auch  die  zukünftigen  Aspiratio- 
nen Italiens  —  über  welche  ich  mir  übrigens  nie  im  Unklaren  war  ^ 
enthüllt,  erbitte  ich  umsomehr  die  Allerhöchsten  Weisungen  Eurer 
Majestät,  als  ich,  an  meinen  seit  Jahren  ausgesprochenen  Überzeugungen 
festhaltend,  in  Italien  einen  aufstrebenden  Staat  erbücke,  dessen  Expan- 
sionsbestrebungen zur  Schädigung  der  Interessen  der  Monarchie  und 
daher  zur  Gegnerschaft  mit  dieser  führen  müssen,  will  die  Monarchie 
nicht  auf  die  letzten  Chancen  verzichten,  die  sich  ihrer  kommerziellen, 
territorialen  und  poHtischen  Erhaltung  und  Entwicklung  bieten. 

Ich  bin  der  Ansicht,  daß  diese  Gegnerschaft  ins  Auge  gefaßt  und 
damit  gerechnet  werden  muß,  gegen  Italien  spätestens  dann  aktiv  auf- 
zutreten, wenn  es  gegen  diese  Interessen  der  Monarchie  —  sei  es  offen 
oder  verhüllt,  sei  es  direkt  oder  indirekt  —  handelt. 

Eine  solche  Stellungnahme  gegen  Italien  setzt  aber  die  volle  mili- 
tärische Bereitschaft  und  daher  Maßnahmen  voraus,  welche  ehestens 
getroffen  werden  müssen. 

Hier  berührt  die  Politik  direkt  meine  ressortmäßigen  Obliegenheiten, 
weshalb  ich  mich  verpflichtet  sehe,  eine  Allerhöchste  Weisung  Eurer 
Majestät  in  dieser  Frage  a.  u.  zu  erbitten. 

Wien,  am  8.  Oktober  1911.  Conrad,  m.  p.,  G.  d.  I." 

Daraufhin  wurde  mir  in  einem  Erlasse  vom  17.  Oktober  1911 
folgende  Allerhöchste  Entschließung  bekanntgegeben: 

„Für  die  Ihr  Ressort  betreffenden  Obliegenheiten  hat  nach  me  vor 
der  Grundsatz  zu  gelten,  daß  für  die  Wehrmacht  stets  jede  mögliche 
Kriegsbereitschaft  anzustreben  ist.  In  Kenntnis  dessen  leitet  Mein  Minister 
des  Äußern  die  Angelegenheiten  seines  Ressorts  der  Monarchie  im  Sinne 
Meiner  Willensmeinung  und  in  Übereinstimmung  mit  Meinen  beiden 
Ministerpräsidenten." 

Ich  fand  in  dieser  Allerhöchsten  Entscheidung  keinerlei  Aufforderung 
oder  Ursache,  von  meinem  bisherigen  Wege  abzugehen,  der  darauf 
gerichtet  war,  durch  rechtzeitiges  Handeln  die  Monarchie  vor  Kriegen 
zu  bewahren,  die  ihre  militärischen  Kräfte  überstiegen,  sowie  darauf,  jede 
mögliche  Kriegsbereitschaft  unermüdlich  anzustreben. 

In  diesem  Sinne  war  auch  mein  an  Graf  Ährenthal  gesandtes 
Schreiben  vom  24.  September  1911,  das  er  mir  nicht  beantwortete, 
abgefaßt.  Ich  erfuhr  erst  später,  daß  es  den  größten  Unwillen  des 
Ministers  des  Äußern  wachgerufen  hatte. 

In  die  Zeit  —  Mitte  Oktober  —  fiel  auch  meine  Korrespondenz  mit 
Graf  Ährenthal  anläßlich  der  Entsendung  unseres  Militärattaches  von  Rom 
weg  nach  Tripolis,  gegen  die  ich  Einsprache  erhoben  hatte,  da  ich  in 

276 


dieser  kritischen  Zeit  die  Anwesenheit  des  Attaches  in  der  Hauptstadt  für 
viel  wichtiger  hielt. 

Schon  im  März  hatte  auf  meine  Bitte  hin  Seine  Majestät  mit  Aller- 
höchster Entschließung  vom  26.  März  entschieden,  daß  er  sich  vor- 
behalte, fallweise  meine  Teilnahme  an  den  Sitzungen  der  gemeinsamen 
Minister  anzubefehlen. 

Für  Ende  Oktober  1911  stand  eine  Ministerratssitzung  in  Angelegen- 
heit der  bosnischen  Bahnen  bevor,  zu  der  ich  erwartete,  beigezogen  zu 
werden.  Diese  Frage  hing  innig  mit  allen  Aufmarscharbeiten  zusammen, 
die  weder  in  das  Ressort  des  Kriegsministers,  noch  in  jenes  des  Landes- 
chefs in  Sarajevo,  sondern  ausschheßhch  in  die  Kompetenz  des  Chefs  des 
Generalstabes  fielen. 

Graf  Ährenthal  durchkreuzte  meine  Beiziehung  durch  nachfolgendes 
Schreiben  an  Exzellenz  Bolfras. 

„Minister  des  Äußern.  Wien,  am  22.  Oktober  1911. 

Hochwohlgebcrener  Freiherr! 

Wie  ich  vernehme,  scheint  der  Chef  des  Generalstabes  G.  d.  I.  Frei- 
herr von  Conrad  einer  Aufforderung  zur  Teilnahme  an  der  für  den  28. 
oder  29.  d.  M.  in  Aussicht  genommenen  Ministerkonferenz  zur  Beratung 
der  Angelegenheit  der  bosnischen  Eisenbahnen  entgegenzusehen. 

Mit  E.  E.  geschätzter  Note  vom  26.  d.  J.  Nr.  746  hatten  Hochdie- 
selben die  Güte,  mir  mitzuteilen,  daß  sich  Seine  Apostolische  Majestät 
auf  die  Bitte  des  Chefs  des  Generalstabes  um  Autorisierung  zur  Teilnahme 
an  Ministerratssitzungen,  in  welchen  die  militärischen  Budgets  behandelt 
werden,  vorzubehalten  geruhten,  fallweise  die  Teilnahme  des  k.  u.  k. 
Chefs  des  Generalstabes  an  diesen  Sitzungen  anzubefehlen.  Weiters  haben 
mich  E.  E.  im  Allerhöchsten  Auftrage  ersucht,  Hochdemselben  Mitteilung 
zu  machen,  wenn  Sitzungen  des  gemeinsamen  Ministerrates  bevorstehen, 
zu  welchen  den  Chef  des  Generalstabes  zuzuziehen  eventuell  zweckmäßig 
sein  könnte. 

Indem  ich  mir  diesen  Allerhöchsten  Befehl  vor  Augen  halte,  sehe  ich 
mich  veranlaßt,  zu  E.  E.  geneigten  Kenntnis  zu  bringen,  daß  ich  die 
Teilnahme  des  Herrn  Chefs  des  Generalstabes  an  der  Ende  nächster  Woche 
abzuhaltenden  Ministerkonferenz  nicht  für  erforderlich  halte,  da  einer- 
seits der  Gegenstand  der  Beratung  mit  den  militärischen  Budgets  nicht 
im  Zusammenhang  steht  und  anderseits  durch  die  Anwesenheit  des  Herrn 
k.  u.  k.  Kriegsministers  und  des  Landeschefs  Armee-Inspektor  FZM.  Potio- 
rek  die  Vertretung  der  einschlägigen  militärischen  Interessen  gesichert 
erscheint.  Überdies  würde  die  Teilnahme  des  Chefs  des  Generalstabes  an 
der  fraglichen  Konferenz  gewiß  in  die  Öffentlichkeit  dringen  und  dort, 

277 


in  der  jetzigen  aufgeregten  Zeit,  Kommentare  hervorrufen,  die  vom  Stand- 
punkte der  Füiirung  der  äußeren  Politik  unerwünscht  sein  könnten. 

Auch  glaube  ich  hinsichtlich  jener  Ministerkonferenzen,  welche  die 
militärischen  Budgets  betreffen,  eine  Zuziehung  des  Herrn  Chefs  des 
Generalstabes  in  Hinkunft  nur  in  jenen  Fällen  beantragen  zu  sollen,  wo 
Anforderungen  in  Frage  kommen  sollten,  welche  über  den  Rahmen  des 
im  Vorjahre  vom  gemeinsamen  Ministerium  und  von  den  beiderseitigen 
Regierungen  vereinbarten  Programmes  hinausgehen  würden. 

Indem  ich  E.  E.  ersuchen  darf.  Seiner  K.  u.  K.  Apostohschen  Majestät 
von  Vorstehendem  Meldung  erstatten  zu  wollen,  bitte  ich  E.  E.  den  Aus- 
druck meiner  ausgezeichneten  Hochachtung  zu  genehmigen. 

Ährenthal  m.  p." 

Wie  ich  nunmehr  durch  die  schon  mehrmals  zitierte  Publikation  aus 
dem  Jahre  1920*)  erfahren,  hatte  Graf  Ährenthal  von  Hietzing  aus  am 
selben  Tage  (22.  Oktober  1911)  an  Seine  Majestät  eme  umfassende  Denk- 
schrift gerichtet,  in  der  er  den  Ausführungen  meiner  Memoires,  ins- 
besondere auch  jenen  meines  Schreibens  vom  24.  September  1911  scharf 
entgegentrat,  meine  auf  den  Zusammenhang  zwischen  Politik,  Krieg- 
führung und  Kriegsvorbereitung  basierten  Ansichten  und  Anträge 
bekämpfte,  mir  imperialistische  Tendenzen  vorwarf,  meine  Meinung  über 
Italien  als  irrig  hinstellte,  mich  der  Agitation  auf  publizistischem  Wege 
verdächtigte,  von  einer  Kriegspartei  im  Generalstabskorps  sprach  und 
mit  dem  Satz  schloß: 

„Aus  allen  diesen  Erwägungen  ergibt  sich  nur  eine  Schluß- 
folgerung: Es  wäre  hoch  an  der  Zeit,  daß  für  die  Führung  der  aus- 
wärtigen Politik  der  hiezu  von  der  Allerhöchsten  Person  ernannte 
Minister  kompetent  und  verantwortlich  bleibt.  Dem  Chef  des  General- 
stabs hingegen  obliegt  die  Pflicht,  die  für  die  verschiedenen  Kriegs- 
möglichkeiten erforderlichen  militärischen  Vorbereitungen  zu  treffen,  ohne 
jedoch  das  Recht  zu  besitzen,  auf  den  Eintritt  der  einen  oder  anderen 
Kriegsmöglichkeit  einen  Einfluß  auszuüben." 

Ich  erlasse  mir  ein  näheres  Eingehen  darauf,  wie  unmöglich  es  für 
die  Monarchie  war,  für  alle  Kriegsmöglichkeiten,  also  auch  für  einen 
gleichzeitigen  Angriff  aller  ihrer  Feinde  vorbereitet  zu  sein.  Ich  deute 
nur  an,  wie  Graf  Ährenthal  selbst  jene  Vorbereitungen  hintertrieb,  die 
gegen  einen  unverkennbaren  Gegner  unerläßlich  erschienen,  den  er  aber 
als  Bundesgenossen  warm  zu  halten  meinte,  imd  wie  er  es  an  der  Unter- 
stützung jener  militärischen  Forderungen  fehlen  ließ,  die  als  Kriegsvor- 
bereitung überhaupt  durch  Ausbau  der  Wehrmacht  unabweisbar  waren. 


*)  Österreichische  Rundschau. 
278 


Es  ist  freilich  bequem,  sich  bei  Führung  der  PoUtik  im  Frieden  die 
im  Krieg  verantwortlichen  Organe  vom  Leibe  zu  halten,  dann  aber, 
wenn  der  Kriegsfall  eintritt,  alle  Verantwortung  auf  sie  abzuwälzen. 

Die  Diplomaten  dieser  Schule  betrachteten  die  Armee  wie  einen 
Regenschirm,  den  man  im  Kasten  löcherig  werden  läßt  und  erst  hervor- 
holt, wenn  es  zu  gießen  anfängt.  Die  Diplomaten  unserer  Gegner  aber 
sahen  in  der  Armee  das  wirksamste  Mittel  der  Politik,  das  man  sich  für 
ein  bestimmtes  Ziel  herrichtet,  dann  aber  auch  gebraucht, 
und  wäre  dieses  Ziel  selbst  nur  die  eigene  Erhaltung. 

Was  die  Anschuldigung  hinsichtlich  publizistischer  Propaganda 
betrifft,  so  habe  ich  schon  an  anderer  Stelle  deren  Haltlosigkeit  dargetan. 
Wer,  wie  Graf  Ährenthal,  in  dem  von  mir  vertretenen  Vorgehen  gegen 
Serbien  und  Italien  eine  „imperialistische"  Tendenz  erblickt, 
übersieht  gänzlich,  daß  es  sich,  insbesondere  im  Hinbhck  auf  Serbien,  um 
einen  aggressiven,  hartnäckigen,  das  Fundament  der  Monarchie  unter- 
grabenden Feind,  somit  für  diese  lun  einen  Existenzkampf  handelte. 
Daß  man  nach  glücklicher  Durchführung  dieses  Kampfes  auch  daran 
denken  würde,  die  wirtschaftlichen  Vorteile  auszunützen,  kann  wohl  nicht 
als  „Imperialismus"  bezeichnet  werden,  wie  etwa  die  Eroberung  Indiens, 
Südafrikas  und  Ägyptens.  Zudem  wäre  dies  nicht  zum  Schaden  Serbiens 
gewesen,  da  es,  angegliedert  an  die  Monarchie,  jener  Kulturvorteile  teil- 
haftig geworden  wäre,  an  denen  sich  die  verschiedenen  nichtdeutschen 
Nationalitäten  des  alten  Reiches  seit  Jahrhunderten  großgezogen  und 
kulturell  entwickelt  hatten.  Manche  Bande  knüpften  Serbien  ohnehin 
schon  an  dieses.  Zahlreiche,  die  Hochschulbildung  anstrebende  junge 
Serben  studierten  in  Wien  und  Graz,  wo  sie  stets  auf  das  gastfreund- 
Uchste  aufgenommen  waren.  Was  schließUch  die  „Militärpartei"  anlangt, 
so  stand  mir  nichts  femer,  als  die  „Gründung"  einer  solchen.  Ich  habe 
meine  Ansichten  stets  direkt  und  allein  vertreten.  Hinterhältige  Machina- 
tionen lagen  meinem  Wesen  immer  fem.  Daß  es  viele  Menschen  gab, 
die  gleicher  Ansicht  waren  wie  ich  und  zwar  auch  viele  sehr  vernünftige, 
die  nie  den  Militärrock  tmgen,  und  daß  diese  Menschen  ihrer  Meinung 
auch  öffentlich  Ausdmck  verliehen,  vermochte  ich  nicht  zu  hindern.  Den 
mir  unterstehenden  Organen  aber  hatte  ich  dies  verboten. 

Dem  Evidenzbureau  war  es  gelungen,  aus  italienischen  Einberufungs- 
befehlen für  1911  nachzuweisen,  daß  Italien  im  Jahre  1908/09  gleichfalls 
eine  Einberufung  vorbereitet  hatte,  die  sich  offenbar  gegen  Österreich- 
Ungarn  richtete. 

In  einem  Schreiben  vom  8.  November  1911  übersandte  ich  Graf 
Ährenthal  eine  Zusammenstellung,  aus  der  sich  ergab,  daß  Italien  seine 
Heeresstärke  um  210.000  Mann  erhöht,  von  denen  80.000  Mann  auf  das 

279 


Expeditionskorps  in  Tripolis  entfallen,  so  daß  für  das  Königreich  selbst 
noch  immer  eine  Standeserhöhung  von  130.000  Mann  resultierte.  Daran 
schloß  ich  folgendes: 

„Ich  sehe  darin  Maßnahmen,  die  umsomehr  die  volle  Aufmerksamkeit 
der  ö.-u.  Monarchie  verdienen,  als  in  dieser  nicht  nur  keinerlei  militärische 
Vorbereitungen  getroffen  werden,  sondern  die  Stände  weit  unterm  Normal- 
stand sind,  ganz  abgesehen  davon,  daß  dermalen  noch  ein  ganzes  Jahres- 
kontingent nur  aus  unausgebildeten  Rekruten  besteht. 

Ich  bringe  ferner  zur  Kenntnis,  daß  laut  hier  eingelangten  verläß- 
lichen Nachrichten  in  Itahen  mit  aller  Beschleunigung  an  der  Ausgestal- 
tung eines  Eisenbahnnetzes  in  Venetien,  wie  an  der  Vollendung  und 
Armierung  sowie  der  Neubefestigung  des  Tagliamento  gearbeitet  wird. 

Ich  lenke  auch  auf  folgende  Sache  die  Aufmerksamkeit:  Bei  der  im 
Herbst  dieses  Jahres  durchgeführten  Einberufung  italienischer  Nichtaktivei 
des  Jahrganges  1888  sind  irrtümhcherweise  auch  Angehörige  älterer 
Jahrgänge  eingerückt.  Dieses  Mißverständnis  erklärt  sich  dadurch,  daß 
die  Einberufungskundmachungen  bezügUch  der  Jahreszahl  1888  mittels 
eines  überklebten  Zettels  korrigiert  waren,  die  infolge  von  Wilterungs- 
einflüssen  hie  und  da  abgefallen  waren,  so  daß  der  Originaltext  der 
Kundmachungen  herauskam.     Dieser  lautet: 

»Manifest  für  die  Einberufung  der  Mannschaft  erster  Kategorie  der 
dauernd  Beurlaubtenklasse  1884  zur  aktiven  Dienstleistung. 

Über  Befehl  Seiner  Majestät  des  Königs  wird  die  dauernd  beurlaubte 
Mannschaft  der  Kategorie  einschließlich  der  Unteroffiziere,  welche  oben- 
angeführter Klasse  aller  Waffen-Truppen-Speziahtäten  angehören,  zur 
aktiven  Dienstleistung  einberufen.« 

Die  Ziffer  84  wurde  auf  dem  Plakat  zuerst  mit  85,  dann  mit  87  und 
88  überklebt.  Es  ist  daher  kein  Zweifel,  daß  diese  Kundmachungen  aus 
der  Annexionskrise  1908/09  stammen  und  daher  italienischerseits  damals 
die  Einberufung  des  ganzen  ersten  Reservejahrganges  tatsächlich  konkret 
vorbereitet  wurde.  Diese  Kcnstatierung  ist  wohl  von  besonderer  Wichtig- 
keit. Die  Auffassung,  daß  diese  Maßregel  damals  nicht  gegen  die  Mon- 
archie gerichtet  war,  sondern  anderen  Zwecken,  z.  B.  einer  etwa  schon 
damals  geplanten  Unternehmung  gegen  Tripolis  gegolten  hatte,  kann 
wohl  kaum  ernstlich  in  Betracht  kommen.  Die  Tatsache  einer  solchen 
Maßregel  an  und  für  sich  wäre  unter  den  damaligen  Verhältnissen  mit 
der  loyalen  Haltung  einer  mit  uns  alliierten  Macht,  ja  sogar  mit  dem 
Begriffe  einer  wohlwollenden  Neutralität  nicht  vereinbar  gewesen,  und 
das  nunmehr  erwiesene  Faktum,  daß  damals  eine  so  einschneidende  kon- 
krete Kriegsvorbereitung  wirklich  getroffen  wurde,  ist  unverständlich, 
wenn  Italien  zur  Zeit  der  Annexionskrise  im  Falle  eines  Konfliktes  tat- 

280 


sächlich  jene  unbedingt  verläßliche  bundestreue  Haltung  der  Monarchie 
gegenüber  hätte  einnehmen  wollen,  wie  dies  bei  uns  nach  den  dem 
Ministerium  des  Äußern  zugekommenen  Informationen  angenommen  wurde. 

Ich  muß  betonen,  daß  auf  Grund  dieser  Informationen  alle  unsere 
militärischen  Maßnahmen  im  Jahre  1908  aufgebaut  waren  und  brauche 
wohl  nicht  besonders  zu  schildern,  welche  militärische  Schwierigkeit  sich 
für  uns  ergeben  häite,  wenn  Italien  in  dieser  Situation  wirklich  einen  so 
unerwarteten  Schritt  einer  überfallartigen  militärischen  Rüstungsmaßnahme 
unternommen  hätte. 

Ich  bitte  E.  E.  diese  Angelegenheit  zur  Kenntnis  nehmen  zu  wollen 
und  mich  in  Hinkunft  über  alle  Nachrichten,  welche  Rüstungen  fremder 
Armeen  betreffen  oder  auf  das  Verhalten  fremder  Staaten  im  Falle  einer 
kriegerischen  Komplikation  irgend  einen  Schluß  gestatten,  fortlaufend  und 
in  weitergehendem  Maße  als  bisher  orientiert  zu  halten." 

Diese  Zuschrift  hatte  zweifellos  den  erneuerten  Unwillen  Graf 
Ährenthals  hervorgerufen. 

Meiner  alljährlichen  Gepflogenheit  entsprechend,  hatte  ich  auch  für 
den  Schluß  des  Jahres  1911  eine  umfangreiche  Denkschrift  über  die  mili- 
tärische und  die  davon  untrennbare  politische  Lage  erfaßt.  Der  Denkschrift 
waren  eingehende,  in  den  verschiedenen  Bureaus  bearbeitete  Daten  über 
den  Stand  der  dringendsten  Bedürfnisse  der  Wehrmacht  beigeschlossen. 

Diese  vom  15.  November  1911  datierte  Denkschrift  habe  ich  in  den 
Anhang  zu  vorliegendem  Buch  aufgenommen,  weil  mit  ihr  meine  Tätigkeit 
als  Chef  des  Generalstabes  in  der  ersten  Periode  (d.  i.  von  November 
1906  bis  November  1911)  abschloß.  Sie  ist  hinsichtHch  ihres  wesent- 
lichen Teiles  vollinhaltlich  und  nur  hinsichtlich  einiger  ziffernmäßiger 
Detaildaten  in  den  Anlagen  bloß  auszugsweise  wiedergegeben*). 

Ich  unterbreitete  diese  Denkschrift  Seiner  Majestät  in  einer  Audienz 
am  15.  November  1911  in  Schönbrunn.  Der  Verlauf  dieser 
Audienz  ließ  mir  keinen  Zweifel  mehr,  daß  meine  Stellung  unhaltbar 
geworden  sei. 

Der  Grundton  der  Audienz  war:  Ungnade! 

Ich  legte  die  Denkschrift  vor  und  erörterte  die  aus  den  Anschauungen 
militärisch-politischer  Natur  abgeleiteten  konkreten  Kriegsvorbereitungen 
und  notwendigen  Forderungen;  darauf**) 


*)  Siehe  Anhang,  Anlage  3. 
•*)  Nach   den  unmittelbar  nach   der  Audienz   gemachten  Aufzeich- 
nungen. 

281 


Seine  Majestät:  „Ich  sage  gleich :  die  fortwährenden  Angriffe  gegen 
Ährenthal,  diese  Nadelstiche  verbiete  Ich."  (Seine  Majestät  war  sehr  erregt 
und  erbost.) 

Ich:  „Euer  Majestät  bitte  ich  zu  gestatten,  daß  ich  meine  Ansichten 
sage,  wie  ich  sie  eben  habe;  Euer  Majestät  entscheiden  dann." 

5.  M.:  „Diese  fortwährenden  Angriffe,  besonders  die  Vorwürfe  wegen 
Italien  und  des  Balkan,  die  sich  immer  wiederholen,  die  richten  sich  gegen 
Mich;  die  Politik  mache  Ich,  das  ist  Meine  Politik!" 

Ich  war  jetzt  in  einer  peinlichen  Lage,  der  Kaiser  war  persönlich 
verletzt. 

Ich:  „Ich  kann  nur  wiederholen,  daß  ich  meine  Ansichten  so  nieder- 
schrieb, wie  ich  sie  mir  ableitete.  Euer  Majestät  können  ja  zu  jeder 
Ansicht  hinzusetzen :  »f  a  1  s  c  h«.  Das  ist  in  der  Macht  Euerer  Majestät." 
Hierauf  legte  ich  die  Denkschrift  ruhig  auf  den  Schreibtisch,  bat,  sie  Aller- 
gnädigst  entgegenzunehmen  und  sagte  kurz  deren  Inhalt. 

S.  M.:  „Meine  Pohtik  ist  eine  Politik  des  Friedens.  Dieser  meiner 
Politik  müssen  sich  alle  anbequemen.  In  diesem  Sinne  führt  Mein 
Minister  des  Äußern  Meine  Politik.  Es  ist  ja  mögUch,  daß  es  zu  diesem 
Krieg  kommt;  auch  wahrscheinlich.  Er  wird  aber  erst  geführt  werden, 
bis  Italien  uns  angreift." 

Ich:  „Wenn  nur  die  Chancen  dann  auch  für  uns  günstig  liegen!" 

S.  M.:  „Solange  Italien  uns  nicht  angreift,  wird  dieser  Krieg  nicht 
geführt.    Überhaupt  war  bis  jetzt  bei  uns  nie  eine  Kriegspartei." 

Ich:  „Diejenigen,  die  verpflichtet  sind,  zu  sorgen,  daß  alles 
vorbereitet  ist,  wenn  der  Krieg  ausbricht,  damit  man  nicht  von  Haus  aus 
in  schwierige  Lage  komme,  dürfen  das  Wort  »Krieg«  nicht  aus- 
sprechen, weil  sie  sonst  beschuldigt  werden,  der  »Kriegspartei« 
anzugehören." 

5.  M.:  „Vorbereitet  sein  muß  man." 

Hierauf  machte  Seine  Majestät  Bemerkungen  gegen  den  deutschen  Kron- 
prinzen wegen  semes  Betragens  gegenüber  dem  Parlament  und  fügte  bei: 

„Das  wird  ja  bei  uns  nicht  vorkommen,  aber  Ansätze  dazu  sind  da"*). 

Nach  einer  Pause  flaute  die  Erregung  des  Kaisers,  der  überaus 
ergrimmt  war,  allmählich  ab.  Die  übrigen  Punkte,  die  ich  in  der  Audienz 
vorzubringen  hatte,  wurden  im  allgemeinen  glatt  erledigt. 

Da  Seine  Majestät  meine  Denkschriften  stets  auch  dem  Minister  des 
Äußern  zur  Kenntnis  zu  geben  pflegte,  war  dies  wohl  auch  mit  jener 
vom  15.  November  1911  geschehen. 


*)  Eine    Bemerkung,    die    offensichtlich    gegen    den    Thronfolger 
gerichtet  war. 

282 


Meine  Entlassung 
von  der  Stelle  des  Chefs  des  Generalstabes. 

Am  29.  November  1911  nachmittags  suchte  mich  der  an  Stelle  des 
zum  Truppendienst  eingerückten  Oberstleutnants  von  Brosch  neuemannte 
Flügeladjulant  des  Thronfolgers,  Oberstleutnant  Dr.  von  Bardolf,  in 
meiner  Wohnung  auf.  Er  teilte  mir  im  Auftrage  des  Erzherzogs  mit,  daß 
ich  folgenden  Tages  (30.  November)  zu  Seiner  Majestät  in  Audienz 
befohlen  werde,  wobei  mir  der  Kaiser  meine  Entlassung  aus  der  Stelle 
des  Chefs  des  Generalstabes  bei  gleichzeitiger  Ernennung  zum  Armee- 
Inspektor  bekanntgeben  werde.  Seine  Kaiserliche  Hoheit,  der  vergeblich 
Fürsprache  eingelegt  habe,  rechne  bestimmt  damit,  daß  ich  die  „Flinte 
nicht  ins  Korn  werfen",  sondern  die  Stelle  als  Armee-Inspektor  unbedingt 
annehmen  werde.  Oberstleuhiant  Dr.  von  Bardolf  fügte  persönlich  hinzu, 
daß  es  Seine  Kaiserliche  Hoheit  sehr  übel  auffassen  würde,  wenn  ich  das 
Gegenteil  täte. 

Ich  erwiderte,  daß  ich  nicht  daran  denke,  zu  frondieren,  daß  ich  als 
Chef  den  Dienst  gemacht  habe,  so  gut  ich  es  eben  vermochte,  froh  bin, 
diese  mir  ohnehin  aufgedrängte  Stelle  los  zu  werden  und  in  eine  Ver- 
wendung zu  gelangen,  die  mich  wieder  der  Truppe  näher  bringt.  Mit 
einem  heiter  gewechselten  Händedruck  schieden  wir  von  einander  und 
mit  einem  Gefühl  der  Erleichterung  erwartete  ich  den  kommenden  Tag. 

Indessen  war  mir  auch  die  Audienz-Vorladung  für  diesen  zuge- 
kommen. 

Am  30.  November  1911  erschien  ich  in  Schönbrunn  bei  Seiner 
Majestät.  Ich  trat  in  das  mir  so  wohlbekannte  Arbeitszimmer  des  Kaisers. 
Seine  Majestät  reichte  mir  die  Hand,  und  es  vollzog  sich  nun  folgendes 
kurze  Gespräch*): 

Ich:  „Euer  Majestät!  ich  melde  mich  gehorsamst  über  Allerhöchsten 
Befehl." 


*)  Genau  nach  den  unmittelbar  nach  der  Audienz  gemachten  Auf- 
zeichnungen. 

283 


S.  M.:  „Es  tut  mir  leid,  nach  reiflicher  Überlegung  bin  Ich  aber 
genötigt,  Sie  von  Ihrem  jetzigen  Dienstesposten  zu  entheben  und  Sie  zum 
Armee-Inspeictor  zu  ernennen.  Die  Gründe  sind  Ihnen  ja  bekannt,  darüber 
ist  es  nicht  notwendig  zu  reden." 

Seine  Majestät  spendete  mir  hierauf  anerkennende  Worte  und  sprach 
die  Erwartung  aus,  daß  er  noch  auf  meine  vollen  Dienste  rechne  und 
mich  auch  in  wichtigen  Fragen  zu  Rate  ziehen  werde.  Seine  Majestät 
hatte  die  Gnade  zu  sagen,  daß  unser  Verhältnis  in  persönlicher  Beziehung 
ein  „freundschaftliches"  geworden  sei,  und  er  mich  habe  rufen 
lassen,  um  mir  meine  Entlassung  s  e  1  b  s  t  zu  sagen,  weil  ihm  der  gerade 
Weg  als  der  beste  erschiene. 

Sodann  machte  Seine  Majestät  eine  Pause  in  der  sichtlichen  Erwar- 
tung, daß  ich  sprechen  würde. 

Ich:  „Ich  danke  Euerer  Majestät  gehorsamst;  auch  ich  bin  immer 
nur  den  geraden  Weg  gegangen." 

S.  M.:  „Da  haben  wir  also  beide  das  gleiche  getan  und  wir  scheiden 
als  Freunde." 

Hierauf  wurde  ich  entlassen. 

Die  durchaus  vornehme,  offene,  würdige  und  eines  Zuges  wirklich 
empfundener  Herzlichkeit  nicht  entbehrende  Art,  in  der  mich  Kaiser  Franz 
Joseph  des  Dienstes  als  Chef  des  Generalstabes  enthoben  hatte,  erweckte 
in  mir  ein  wohltuendes,  ausgleichendes  Gefühl,  das  mich  in  meinem 
Innern  meinem  verehrten  Kaiserhchen  Herrn  noch  näher  brachte.  Auch 
war  ich  froh,  des  mir  so  wenig  zusagenden  Dienstes  als  Chef  des  General- 
stabes ledig  und  dem  Kontakt  mit  der  Truppe  wiedergegeben  zu  sein. 
Schließlich  kann  ich  nicht  leugnen,  daß  mir  auch  die  erhöhte  persönUche 
Freiheit  willkommen  war. 

Ich  konnte  meine  dienstliche  Tätigkeit  einteilen  wie  ich  es  wollte, 
konnte  meine  Dienstesreisen  nach  Belieben  anberaumen,  konnte  ohne 
Zeitbeschränkung  meine  Pferde  reiten,  mich  auch  meiner  Mutter,  meinen 
Kindern,  meinen  Freunden  und  Bekannten  widmen. 

Es  war  ein  Aufatmen  nach  fünf  Jahren! 

Seine  Majestät  verlieh  mir  das  Großkreuz  des  Leopold-Ordens  mit 
folgendem  Allerhöchsten  Handschreiben  vom  2.  Dezem- 
ber IQll: 

„Indem  Ich  es  als  erwünscht  erachte,  Ihre  hervorragenden  Führer- 
eigenschaften, Ihr  reiches  militärisches  Wissen,  gepaart  mit  seltenen 
Erfahrungen,  auch  auf  anderem  Dienstgebiete  zum  Wohle  des  Heeres  zu 

284 


verwerten,  enthebe  Ich  Sie  vom  Posten  des  Chefs  des  Generalstabes  Meiner 
gesamten  bewaffneten  Macht  und  ernenne  Sie  zum  Armee-Inspektor. 

In  dankbarer  Anerkennung  Ihres  ausgezeichneten,  überaus  hin- 
gebungsvollen Wirkens  in  Ihrer  bisherigen  Stellung  verleihe  Ich  Ihnen 
das  Großkreuz  Meines  Leopold-Ordens  mit  Nachsicht  der  Taxen. 

Franz  Joseph  m.  p." 

Am  selben  Tage,  2.  Dezember  1911,  richtete  ich  folgenden 
Abschiedsbefehl  an  den  k.  u.  k.  Generalstab: 

„Gstb.  Nr.  4697. 

Infolge  meiner  Enthebung  habe  ich  die  Dienstgeschäfte  mit  heutigem 
Tage  an  den  Stellvertreter  des  Chefs  des  Generalstabes,  Feldmarschall- 
leutnant Rudolf  Langer,  übergeben.  Es  war  mir  ein  stolzes  Bewußtsein, 
an  der  Spitze  des  Generalstabes  zu  stehen,  in  gemeinsamer  überzeugungs- 
treuer Arbeit  für  Schlagbereitschaft,  Macht  und  Ansehen  der  ruhmreichen 
Armee,  an  der  wir  alle  seit  unserer  Kindheit  mit  allen  Fasern  unseres 
Herzens  hängen  und  an  welche  schließlich  immer  appelliert  wird,  wenn 
alles  andere  versagt.  Ich  danke  allen  Angehörigen  des  Generalstabes 
ebensosehr  für  ihre  unermüdliche,  vorzügliche  Dienstleistung  wie  für  die 
mir  stets  entgegengebrachte  warme  Kameradschaft  und  sage  allen  ein 
herzliches  Adieu.  Conrad,  G.  d.  I." 

Die  Allerhöchste  Entscheidung  befriedigte  schließlich  alle  Beteiligten; 
Seine  Majestät  sah  den  ihm  peinlichen  Hader  zwischen  mir  und  Graf 
Ährenthal  beseitigt;  ich  war  froh,  die  mir  aufgedrängte  Stellung  los  zu 
sein;  im  Ministerium  des  Äußern  herrschte  Genugtuung  und  Graf 
Ährenthal  freute  sich  seines  Erfolges. 

Nach  Übergabe  des  Dienstes  an  meinen  bewährten  Stellvertreter 
Feldmarschalleutnant  Rudolf  Langer  verabschiedete  ich  mich  von  den 
Offizieren  meiner  Bureaus.  Ich  konnte  unbesorgt  scheiden,  denn  an  der 
Spitze  eines  jeden  stand  ein  tüchtiger  Chef  und  ich  war  sicher,  daß  die 
eingelebte,  streng  geregelte  Dienstestätigkeit  auch  weiter  ihren  Weg 
nehmen  wird. 

Meiner  alljährlichen  Gewohnheit  gemäß,  hatte  ich  bereits  die  grund- 
legenden Ideen  für  die  große  Generalstabsreise,  die  Generalsreise  und  die 
Manöver  für  das  nächste  Jahr  entworfen,  so  daß  ich  auch  in  dieser 
Hinsicht  keine  Schulden  hinterließ. 

Anläßlich  meiner  Entlassung  hatte  ich  ein  freundschaftsvolles 
Schreiben  des  Generals  d.  I.  von  Moltke  erhalten. 

285 


Bei  dem  innigen  Verhältnis,  in  dem  wir  zu  Deutschland  standen, 
und  dem  ich  auch  weiter  die  Wege  geebnet  sehen  wollte,  und  speziell 
auch  bei  den  freundschaftlichen  Beziehungen,  welche  mich  mit  General 
von  Moltke  verbanden,  habe  ich  semen  Brief  v/ie  folgt  beantwortet: 

„Wien,  7.  Dezember  1911. 
Euer  Exzellenz! 

Nach  den  letzten  etwas  bewegten  Tagen  ist  es  mein  Erstes,  Ihnen 
für  die  mich  so  überaus  erfreuenden  freundschaftlichen  Zeilen  meinen 
ergebensten  Dank  zu  übersenden. 

E.  E.  werden  es  gewiß  schon  vor  Jahren  bei  unserem  ersten 
Zusammentreffen  durchgefühlt  haben,  wie  sehr  ich  Ihnen  sofort  mit  auf- 
richtigster Verehrung  ergeben  war  und  mit  welchem  unbedingten 
Vertrauen  ich  sofort  meine  Hand  in  die  Ihre  legte. 

Wir  beide  haben  uns  in  den  abgelaufenen  fünf  Jahren  gegenseitig 
nie  getäuscht  und  wären  ebenso  treu  und  offen  zu  einander  gestanden, 
wenn  die  ernste  Stunde  geschlagen  hätte,  was  leider  nicht  geschah. 

Mit  einem  Mann  von  Ihrem  edlen  und  geraden  Smn  in  freundschaft- 
liche Beziehungen  getreten  zu  sein,  hebt  mich  über  manche  Bittemisse 
hinweg,  die  mir  das  verflossene  Lustrum  gebracht  hat. 

Es  erschiene  mir  unaufrichtig,  wenn  ich  Ihnen  den  wahren  Sach- 
verhalt memer  Entlassung  vorenthalten  würde. 

Zwischen  mir  und  Graf  Ährenthal  bestanden  schon  seit  langem 
schwere  Differenzen,  hervorgerufen  durch  verschiedene  politische  Anschau- 
ungen, insbesondere  hinsichthch  meines  Mißtrauens  gegen  Italien,  sowie 
durch  die  konstanten  Widerstände,  welche  Graf  Ährenthal  allen  meinen 
Bemühungen  für  Schlagbereitschaft  der  Armee  entgegensetzte.  Als  ich 
nun  am  15.  November  m  einem  eingehenden  Memoire  all  dieses  bei  Seiner 
Majestät  vertrat,  führte  Ährenthal  die  Krise  herbei,  welche  mit  meiner 
Entlassung  endete.  Ich  bin  nicht  von  der  Art,  Widerständen  auszuweichen 
imd  fahnenflüchtig  zu  werden.   Ich  wurde  einfach  verabschiedet. 

Wenn  es  zum  Heil  der  großen  Sache  war,  so  bin  ich  gerne  gefallen, 
ob  es  aber  zum  Heil  der  Sache  war,  wh-d  wohl  erst  die  Zukunft  lehren. 

Erlauben  E.  E.,  daß  ich  noch  die  nachfolgende  Angelegenheit  vor- 
bringe. Graf  Kageneck  ist  sehr  bestürzt,  daß  bei  diesem  Ereignis  eine 
Mitteilung  in  die  Öffentlichkeit  gedrungen  ist,  die  er  mir  gemacht  hat. 
Es  ist  mir  das  unendlich  peinlich,  und  ich  wäre  unglücklich,  wenn  dadurch 
diesem  ausgezeichneten  Offizier,  der  sich  geradezu  hervonagend  an  seiner 
Stelle  erwiesen  hat,  auch  nur  der  geringste  Nachteil  erwachsen  würde. 

286 


Er  hat  sich  zweifellos  als  ganz  erstklassiger  Militärattache  bewährt, 
der  stets  so  eingehend  informiert  war  und  der  hier  mit  vollstem  Rechte 
eine  geradezu  glänzende  Stellung  errungen  hat. 

Ich  bitte  E.  E.  um  Ihre  diesbezügliche  so  maßgebende  Einflußnahme. 

Wie  glücküch  ich  wäre,  wenn  es  mir  vielleicht  noch  einmal  vergönnt 
wäre,  mit  E.  E.  über  so  manches  persönlich  zu  sprechen,  brauche  ich 
wohl  nicht  besonders  zu  betonen.  In  der  Hoffnung  hierauf  bitte  ich  Sie 
erneuert,  der  aufrichtigsten  Freundschaft  versichert  zu  sein,  mit  der  ich 

stets  bleibe  ^^^  Exzellenz  ergebenster  Conrad." 

Die  Stelle  dieses  Briefes,  die  sich  auf  Graf  Kageneck  bezieht,  betrifft 
folgendes:  Ein  Artikel  der  „Zeit"  hatte  die  Nachricht  gebracht,  daß  der 
italienische  Botschafter  Herzog  von  Avarna  bereits  am  29.  November  von 
meiner  Enthebung  Kenntnis  hatte,  obzwar  die  Enthebung  erst  am 
30.  November  in  der  Audienz  bei  Seiner  Majestät  offiziell  erfolgte.  Dies 
veranlaßte  Graf  Ährenthal  zu  einem  Vortrag  an  Seine  Majestät  vom 
20.  Dezember  1911,  der  nach  Ausfällen  gegen  das  Kriegsministerium  und 
den  Generalstab,  speziell  gegen  das  vom  Kriegsministerium  ergangene 
Communique  über  meine  Enthebung  folgende  Stelle  enthielt: 

„Im  Zusammenhange  mit  diesen  Vorgängen  halte  ich  es  für 
unerläßlich,  folgenden  bedauerliclien  Zwischenfall  zur  Kenntnis  Eurer 
Majestät  zu  bringen: 

Am  Tage  nach  dem  Bekanntwerden  des  Rücktrittes  Freiherm  von 
Conrads  war  in  dem  Wiener  Blatte  »Die  Zeit«  eine  Notiz  erschienen, 
in  welcher  mit  einer  nicht  mißzuverstehenden  Insinuation  behauptet  wurde, 
daß  außer  den  nächstbeteiligten  hohen  Würdenträgem  nur  eine 
Persönlichkeit,  und  zwar  der  italienische  Botschafter 
an  Euer  Majestät  Hofe  schon  vorher  von  der  Demission  des 
Chefs  des  Generalstabes  Kenntnis  gehabt  habe.  Letzterer  habe  schon  in 
den  Mittagsstunden  des  3  0.  November  die  Nachricht 
dem  deutschen  Botschafter  Herrn  von  Tschirschky 
mitgeteilt  und  die  Bemerkung  daran  geknüpft,  der  Chef  des  Generalstabes 
sei  »auf  dem  Altar  des  Dreibundes  geopfert  worden.^ 
Herr  von  Tschirschky  habe  hierauf  einen  Vertrauensmann  zu  Freiherm  von 
Conrad  gesendet,  welchem  die  Mitteilung  des  Herzogs  Avama  sodanr- 
bestätigt  wurde. 

Als  ich  auf  die  Notiz  aufmerksam  geworden  war,  wartete  ich  ab, 
daß  die  beiden  durch  diese  Affäre  kompromittierten  Botschafter  mir  über 
den  Zwischenfall  Aufklärungen  erteilen  Moirden.  Die  beiden  Diplomaten 
fanden  sich  auch  bei  dem  von  mir  am  7.  d.  M.  abgehaltenen  Diplomaten- 

287 


empfange  ein,  und  ich  war  in  der  Lage,  aus  ihrer  übereinstimmenden 
Darstellung  folgenden  Tatbestand  festzustellen :  Herzog  Avarna 
hatte  tatsächlich  aus  einer  Quelle,  die  er  mir  nicht 
nannte,  schon  am  2  9.  vorigen  Monats  spät  abends  die 
Nachricht  vom  Rücktritte  Freiherrn  von  Conrads 
erfahren  und  dies  hierauf  dem  deutschen  Botschafter 
mitgeteilt.  Herr  von  Tschirschky,  welcher  hievon  seinerseits 
keinerlei  Kenntnis  hatte,  beauftragte  seinen  Militärattache  Grafen 
Kageneck,  diese  Nachricht  zu  verifizieren.  Aus  den  Worten 
Herrn  von  Tschirschkys  konnte  ich  entnehmen,  daß  Graf  Kageneck  sich 
geradezu  in  seiner  persönlichen  Empfindlichkeit  getroffen  fühlte,  weil  man 
ihm  bei  seinem  fortgesetzten  intimen  Kontakte  mit  dem  Generalstabe 
keinen  diesbezüglichen  Wink  erteilt  habe.  Er  scheint  diesen  Gefühlen 
bei  einem  der  höheren  Offiziere  im  Generalstabe  Ausdruck  verliehen  und 
darauf  hingewiesen  zu  haben,  daß  ihm  sein  Botschafter  eine  Rüge  erteilt 
habe,  weil  er  eine  so  wichtige  militärische  Angelegenheit 
nicht  von  seinem  Militärattache,  sondern  vom  Bot- 
schafter Italiens  erfahren  habe. 

Auf  Grund  dieser  Unterredung  entstand  die  von  der  >Zeit< 
publizierte  Notiz,  durch  welche  zwei  Botschafter  und  ein  Militärattache 
kompromittiert  erschienen  und  gegen  den  Minister  des  eigenen  Landes 
ein  so  schwerer  Vorwurf  vor  der  ÖffentHchkeit  erhoben  wurde.  Dies  ist 
ein  neuerlicher  Beweis,  mit  welchen  Gefahren  die  Unterhaltung  von 
Beziehungen  mit  einem  so  übel  beleumundeten  und  geradezu  als  Revolver- 
blatt zu  bezeichnenden  Organ  verbunden  ist. 

Herr  von  Tschirschky  brachte  seine  Aufklärungen  in  sehr  aufgeregtem 
Tone  vor  und  konstatierte,  daß  man,  so  bedauerlich  dies  auch  sei,  unter 
solchen  Verhältnissen  mit  dem  Generalstabe  nur  mit  der  größten  Reserve 
verkehren  könne,  so  daß  er  sich  genötigt  gesehen  habe,  Graf  Kageneck 
zur  Vorsicht  zu  ermahnen,  da  man,  wie  es  scheint,  Gefahr  laufe,  daß  beim 
Generalstab  geführte  vertrauliche  Gespräche  in  die  Zeitungen  kommen. 
Diesen  für  mich  äußerst  peinHchen  Auseinandersetzungen  des  deutschen 
Botschafters  vermochte  ich  nichts  entgegenzuhaUen. 

Ich  bin  zwar  nicht  in  der  Lage,  zu  beurteilen,  ob  es  unbedingt  nötig 
ist,  daß  im  Kriegsministerium  ein  literarisches  Bureau  unterhalten  werde 
und  wie  die  Bereitstellung  der  für  das  ersprießliche  Funktionieren  eines 
solchen  Bureaus  erforderlichen  materiellen  Mittel  mit  der  vielfach  beklagten 
mißlichen  budgetären  Situation  des  Kriegsressorts  im  Einklänge  steht. 
Die  Vorkommnisse,  über  welche  ich  mir  die  ehrerbietigste  Freiheit 
genommen  habe,  Eurer  Majestät  im  Vorstehenden  Meldung  zu  erstatten, 
veranlassen  mich  jedoch,  an  Allerhöchstdieselben  die  gehorsamste  Bitte 

2S8 


zu  richten,  Euer  Majestät  wollen  Allerhöchstsich  bestimmt  finden,  dem 
Kriegsministerium  den  Befehl  zu  erteilen,  den  Ver- 
kehr mit  der  Presse  auf  das  allernot wendigste  zu 
beschränken  und  vorkommenden  Falles  mit  mir  das  Einvernehmen 
zu  pflegen,  damit  die  etwa  wünschenswerte  Einwirkung  auf  die  Presse 
unter  Zuhilfenahme  des  Pressebureaus  des  Ministeriums  des  Äußern 
erfolgen  könne,  und  weiter,  daß  das  Kriegsministerium  es  in  Hinkunft 
unterlasse,  was  immer  für  formelle  Verlautbarungen  oder  Enunziationen 
zu  veröffentlichen,  welche  nicht  vorher  zur  Kenntnis  des  Ministers  Eurer 
Majestät  Hauses  und  des  Äußern  gelangt  sind  und  dessen  Zustimmung 
gefunden  haben. 

Wien,  am  20.  Dezember  1911.  Ähren th al  m.  p." 

Diese  Ausführungen  Graf  Ährenthals  erweisen  zwei  Tatsachen: 
erstens,  daß  der  italienische  Botschafter  tatsächhch  schon  am  29.  November 
in  Kenntnis  meiner  Enthebung  war,  und  zweitens,  daß  er  dies  von  einem 
Vertrauensmann  hatte,  den  zu  nennen  er  seinem  Dreibundkollegen  Graf 
Ährenthal  gegenüber  verweigerte. 

Man  kann  nur  sagen:  Vertrauen  gegen  Vertrauen! 

Ich  hätte  hier  noch  meine  speziellen  persönhchen  Verwendungen  im 
Jahre  1911  übersichthch  kurz  nachzutragen: 

Erste  Hälfte  Juni:  Große  Generalstabsreise  in  Galizien  im  Räume 
um  Lemberg.  Anschließend  applikatorische  Besprechung  des  Angriffes  auf 
die  Ostfront  von  Przemysl. 

Ende  Juni  und  anfangs  Juli:  Generalsreise  im  Räume  Malborgeth — 
Tarvis— Klagenfurt. 

23.  bis  25.  August:  Landungsmanöver  in  Norddalmatien. 

Anfangs  September:  Bei  den  großen  Kavallerie-Manövern  in  Ungarn 
(Kälmäncza). 

12.  bis  15.  September:  Armeemanöver  in  Nordungam  (Karpathen). 

Ferner:  Prüfung  der  Stabs-Offiziersaspiranten  für  den  Generalstab  in 
zwei  Turnussen  im  Terrain. 

Nach  Übergabe  der  Dienstgeschäfte  des  „Chefs  des  Generalstabes" 
ging  ich  daran,  mich  ganz  meinem  neuen  Wirkungskreis  als  „Armee- 
Inspektor"  zu  widmen.  Dieser  Dienst  erstreckte  sich  im  allgemeinen 
auf  die  eingehende  Beschäftigung  mit  allen  die  Truppenausbildung 
betreffenden  Fragen,  im  besonderen  aber  mit  jenen,  die  sich  aus  der 
Kriegsdienstbestimmung  als  Kommandant  einer  Armee  ergaben. 

Nach  den  von  mir  selbst  (noch  als  Chef  des  Generalstabes)  gestellten 
Anträgen  hatte  jeder  Armee-Inspektor,  als  präsumtiver  Armee-Komman- 


19,  Conrad  II 


2S9 


dant,  im  Winter  eine  bestimmte,  vom  Chef  des  Generalstabes  festzusetzende, 
seine  Armee  betreffende  Operation  mit  Generalen,  Generalstabsoffizieren 
und  Intendanzbeamten,  die  im  Kriegsfalle  zu  dieser  Armee  gehörten, 
applikatorisch  durchzuarbeiten.  Im  Sommer  war  dies  durch  eine  Übungs- 
reise im  Terrain  zu  ergänzen.  Auf  Grund  dieser  Arbeiten  waren  dann 
auch  konkrete  Anträge  zu  stellen. 

Ferner  oblag  dem  Armee-Inspektor  die  Inspizierung  von  Korps,  die 
im  Kriegsfalle  unter  seine  Befehle  traten.  Er  hatte  sowohl  die  Eignung 
der  höheren  Kommandanten,  als  die  Ausbildung  und  Schlagfertigkeit  der 
Truppen  zu  beurteilen. 

Alle  einschlägigen  Arbeiten  waren  Gegenstand  meiner  dienstUchen 
Tätigkeit.  Mein  Stab  war  auf  einen  Flügeladjutanten,  einen  Personal- 
adjutanten und  einen  Offizier  für  den  Kanzleidienst  beschränkt. 


290 


19  12 


19* 


Inhalt. 

Rein  militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor 293 

Politisch-militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor 308 

Der  Ausbruch  des  Balkankrieges 311 

Meine  Mission  in  Rumänien 351 

Von  der  Mission  in  Bukarest  bis  zur  Wiederemennung  zum  Chef 

des  Generalstabes       370 

Meine  Wiederernennung  zum  Chef  des  Generalstabes 373 

Wiederauf nahm.e  meiner  Tätigkeit  als  Chef  des  Generalstabes    .     .  376 


292 


Meine  berufliche  Tätigkeit  im  Jahre  1912  scheide  ich  in 
die  rein  militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor; 
die  politisch-militärische  Tätigkeit  als  Armee- Inspektor. 

Meine  Mission  in  Rumänien. 

Meine  Wiederernennung  zum  Chef  des  Generalstabes  am  12.  De- 
zember 1912. 

Die  Wiederaufnahme  meiner  Tätigkeit  als  Chef  des  Generalstabes. 

Rein  militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor. 

Am  Schlüsse  der  Darlegungen  für  das  Jahr  1911  erscheinen  die 
Obliegenheiten  gekennzeichnet,  die  mit  meiner  Stellung  als  Armee- 
Inspektor  verbunden  waren.  Es  ist  angeführt,  daß  die  wesentlichsten 
derselben  aus  der  Kriegsdienstbestimmung  als  Armee-Komman- 
dant entsprangen.  Dieser  gemäß  hatte  jeder  Armee-Inspektor 
alljährlich  mit  Generalen,  Generalstabsoffizieren  und  sonstigen  Organen 
der  im  Kriege  von  ihm  zu  befehligenden  Armee  eine  Operation  der- 
selben im  Winter  applikatorisch*)  durchzuarbeiten.  Eine  Instruktions- 
reise im  Sommer  hatte  es  zu  ergänzen.  Auch  waren  auf  Grund  dieser 
Arbeiten  konkrete  Anträge  zu  stellen. 

Mir  war  bei  meiner  Ernennung  zum  Armee-Inspektor  das  Kom- 
mando der  3.  Armee  für  den  Kriegsfall  zugewiesen.  Die  3.  Armee 
hatte  nach  den  von  mir  noch  als  Chef  des  Generalstabes  festgesetzten 
Elaboraten  im  Kriegsfalle  gegen  Italien  im  allgemeinen  im  Gailtale  auf- 
zumarschieren und  die  Offensive  über  die  Karnischen  Alpen  durch- 
zuführen —  im  Einklang  mit  der  vom  Isonzo  vorgehenden  Hauptmacht 
(1.  und  2.  Armee),  während  die  4.  Armee  bestimmt  war,  von  Tirol  aus 
einzugreifen. 

Die  instruktive  Durchnahme  dieser  Operation  der  3.  Armee  war 
das  für  1912  gegebene  Thema  für  die  sogenannte  Generalsbesprechung. 

*)  Will  sagen:  wobei  auf  Grund  eines  konkreten  Beispieles  die 
Beurteilung  der  Lage,  die  Entschlußfassung  und  die  Ausfertigung  der 
Befehle  geübt  wurden. 

293 


Ich  nahm  diese  Besprechung  im  Winter  und  Frühjahr  1912  vor 
und  erstreckte  sie  auf  alle  Details  der  Operation.  Sie  bedingte  vielseitige 
Arbeiten  der  Teilnehmer.  Nach  Abschluß  der  Übung  legte  ich  nebst 
dem  Bericht  über  die  Qualifikation  der  Teilnehmer  auch  noch  einen 
solchen  über  konkrete  Anträge  für  den  Kriegsfall  vor. 

Ich  gebe  letzteren  Bericht  nachstehend  vollinhaltlich  wieder. 

j^mee-Inspektor  G.  d.  I.  Franz  Freiherr  Conrad  von  Hötzendorf. 
Zu  Res.  Nr.  132. 

Operative  und  organisatorische  Anträge 
auf  Grund  der  Generalsbesprechung  1912. 

Während  bis  zum  Jahre  1909  die  Befestigungen  Italiens  nur 
an  wenigen  Stellen  einen  Widerstand  entgegenstellten,  welcher  nicht 
mit  den  verfügbaren  Angriffsmitteln  relativ  leicht  zu  brechen  gewesen 
wäre,  haben  sich  diese  Verhältnisse  bis  1911  dahin  geändert,  daß 
längs  der  ganzen  Tiroler  Grenze  Panzerfortifikationen  entstanden, 
welche  die  eigene  Offensive  wesentlich  beeinträchtigen  und  welche  reich- 
liche und  besonders  wirksame  Angriffsmittel  (darunter  30-5  cm-Mörser) 
erheischen. 

Aber  bis  1912  bestand  daneben  doch  die  Möglichkeit,  durch  eine  — 
fortifikatorisch  nicht  wesentlich  gehinderte  —  Offensive  der  eigenen 
Hauptkräfte  vom  Isonzo  aus  durch  Venetien  den  Krieg  chancenreich 
zu  beginnen. 

Auch  war  bis  zu  dieser  Zeit  das  Bahnnetz  Venetiens  nicht  in 
jener  Weise  entwickelt,  wie  seither,  also  für  Italien  auch  nicht  jenes 
Gleichmaß,  bezw.  jener  Vorsprung  in  der  Versammlung  der  Streitkräfte 
gewährleistet,  wie  dies  dermalen  der  Fall  ist  und  in  naher  Zukunft  noch 
mehr  der  Fall  sein  wird. 

Von  1912  an  ändern  sich  aber  diese  Verhältnisse  noch  weiter  dahin, 
daß  die  im  großen  Stile  ausgeführten  italienischen  Befestigungen  am 
Tagliamento  (Nord-  und  Südfriaul)  der  vorher  relativ  leicht  und 
entscheidend  durchführbaren  Offensive  der  eigenen  Hauptkräfte  vom 
Isonzo  aus  nunmehr  um  so  größere  Schwierigkeiten  entgegensetzen, 
je  weniger  die  erforderlichen  Angriffsmittel  eigenerseits  bestehen,  wie 
dies  leider  trotz  meiner  jahrelangen  Betreibungen  der  Fall  ist. 

Während  also  vor  dieser  Zeit  (1912)  die  Aufgabe  der  3.  Armee 
eine  mehr  sekundäre,  das  Vorgehen  der  1.  und  2.  Armee  lediglich  unter- 
stützende und  m  der  Nordflanke  schützende  gewesen  war,  ist  die  Aufgabe 

294 


dieser  Armee  nunmehr  eigentlich  zur  entscheidenden  geworden,  vor  allem 
insolange,  als  nicht  reichliche  Angriffsmittel  für  die  1.  und  2.  Armee 
geschaffen  sind.  Aber  auch  dann,  wenn  letzteres  der  Fall  ist,  behält  die 
Rolle  der  3.  Armee  diese  Bedeutung,  weil  selbst  bei  ausreichenden 
Angriffsmitteln  die  Niederkämpfung  der  italienischen  Tagliamento-Befesti- 
gungen  geraume  Zeit  beanspruchen  und  dem  Gegner  dadurch  so  viel  Zeit 
gewähren  wird,  um  ausreichende  Kräfte  in  Ostvenetien  zu  versammeln, 
deren  frontaler  Widerstand  voraussichtlich  nur  dtu-ch  flankierendes  Vor- 
gehen von  Norden  her  zu  brechen  sein  dürfte. 

Legt  nun  diese  kurze  Erwägung  vor  allem  nahe,  ehestens  und  mit 
aller  Beschleunigung  die  meinerseits  in  meiner  früheren  Dienstesstellung 
als  Chef  des  Generalstabes  dringend  verlangten  Angriffsmittel  zu 
beschaffen,  so  ergibt  sich  doch  auch,  insbesondere  für  die  Zeit  bis  zur 
vollen  Beschaffung  dieser  Angriffsmittel,  die  Notwendigkeit,  die  3.  Armee 
in  jeder  Hinsicht,  daher  auch  hinsichtlich  dieser  Angriffsmittel,  derart 
auszugestalten,  daß  die  Hindernisse,  welche  sich  ihrer  dermalen  mehr 
als  früher  entscheidenden  Offensive  entgegenstellen,  rasch  und  sicher 
beseitigt,  respektive  überwunden  werden  können.  Ehe  ich  auf  meine 
diesbezüglichen  engeren,  die  3.  Armee  betreffenden  Anträge  zurück- 
komme, möchte  ich  nur  im  allgemeinen  nochmals  die  Dringlichkeit  der 
Beschaffung  der  Angriffsmittel,  d.  i.  Aufstellung  der  nötigen  Angriffs- 
artilleriebataillone und  deren  Ausrüstung  mit  schweren  Mörsern  (30-5) 
betonen  und  dabei  auch  auf  meine  Anträge  bezüglich  der  sonstigen 
Angriffsmittel  (Savartinengeschütze*),  Sprenggeschoßwirkung  aus  Luft- 
fahrzeugen, Lufttorpedos  etc.),  sowie  auf  meinen  Antrag  Res.  Gstb. 
Nr.  3804  vom  4.  Oktober  1911  zurückkommen,  in  welchem  ich  die 
Konstruktion  von  Geschossen  nahelegte,  welche  den  Verteidiger  auf 
geraume  Zeit  zu  betäuben  und  dadurch  wehrlos  zu  machen  imstande 
sind.  » 

Hand  in  Hand  hiemit  muß  die  Ausrüstung  und  spezielle  Aus- 
bildung der  Pioniere  für  den  Pionier  angriff  besonders  gepflegt  werden. 

Nunmehr  auf  die  Verhältnisse  bei  der  3.  Armee  eingehend,  seien 
diese  vor  allem  im  wesentlichen  wie  folgt  charakterisiert: 

Aus  der  Strecke  Innichen — Tarvis  in  die  Strecke  Lorenzago — Fellatal 
bestehen  an  Straßen,  bezw.  fahrbaren  Verbindungen  nur: 

1.  Toblach,  Landro,  Auronzo,  Lorenzago. 

2.  Innichen,  Kreuzberg,  Comelico. 

3.  Pontafel,  Resiutta,  Stazione  per  la  Camia. 


*)  D.  i.  Minenwerfer. 

295 


Von  diesen  ist 

Nr.  1  durch  die  Befestigungen  von  Vigo— Lorenzago  (speziell  drei 
moderne  Panzerwerke)  gesperrt. 

Nr.  2  liegt  bei  Comelico  auf  geraume  Strecke  im  Feuer  des  Panzer- 
werkes Mte  Tudajo. 

Nr.  3  ist  durch  das  Panzerwerk  Chiusaforte,  die  Panzerbatterie 
Mte  Comielli  gesperrt  und  wird  überdies  in  allernächster  Zeit 
durch  das  bereits  im  Bau  befindliche  Panzerwerk  Mte  Festa 
gesperrt  sein. 

Außer  diesen,  wie  oben  dargelegt,  durchwegs  permanent  gesperrten 
fahrbaren  Verbindungen  steht  in  der  ganzen  80  km  langen  Strecke  von 
Innichen  bis  Pontafel  nur  die  Plöckenstraße  zur  Verfügung,  welche  aber 
in  ihrer  Fortsetzung  auf  italienischem  Gebiet  in  der  ca.  5  km  langen 
Strecke  bis  Timau  nicht  als  Straße  ausgebaut  ist. 

Noch  ungünstiger  stehen  die  Verhältnisse  von  der  Strecke  Lorenzago 
— Tolmezzo  bis  in  die  Venetianer  Ebene,  indem  über  die  Venetianer 
Alpen  keine  einzige  fahrbare  Verbindung  führt,  der  halbwegs  in  Betracht 
kommende  Weg  Tolmezzo  nach  Osoppo  durch  die  Panzerwerke  Mte  Festa 
und  Osoppo,  jener  Tolmezzo — Pinzano  durch  das  Panzerwerk  Ragogna 
gesperrt  ist. 

Da  aher  trotz  aller  dieser  Schwierigkeiten  die  Offensive  der  3.  Armee 
zvdschen  Piave  und  Tagliamento  erforderlich  ist,  muß  alle  Energie  an  ihre 
Durchführung  gesetzt,  aber  auch  alles  vorgesorgt  und  geschaffen  werden, 
um  sie  technisch  zu  ermöglichen  und  rechtzeitig  wirksam  werden  zu  lassen. 

Was,  abgesehen  von  den  allgemeinen  normalen  Vorsorgen,  in  dieser 
Beziehung  speziell  nötig  wird,  ist  gestützt  auf  folgendes: 

1.  Die  Truppen  müssen  gebirgsmäßig,  also  durchwegs  mit  Trag- 
tiertrain ausgerüstet  sein,  nicht  nur  weil  es  für  den  bloßen  Durchzug 
an  fahrbaren  Wegen  fehlt,  sondern  auch,  weil  die  Truppen  im  Falle  des 
fast  sicher  zu  gewärtigenden  feindlichen  Widerstandes  im  Durchzugs- 
gebiete befähigt  sein  müssen,  überall,  unabhängig  von  den  Fahrwegen 
zu  operieren,  resp.  zu  kämpfen,  was  vornehmlich  auf  den  für  Wagen 
unerreichbaren  Oberteilen  der  Fall  sein  wird. 

2.  Auch  der  Nachschub  wird  für  die  Mehrzahl  der  Kolonnen  der 
3.  Armee  auf  den  Tragtiertransport  angewiesen  sein  und  hiezu  speziell 
organisiert  werden  müssen. 

3.  Für  den  Nachschub  sind  jedoch  so  rasch  als  möglich  fahrbare 
Verbindungen  zu  erschließen,  dies  auf  zweifache  Weise: 

a)  durch  Bekämpfung  der  feindlichen  Befestigungen,  welche  die  Straßen 
sperren  und 

b)  durch  Fahrbarmachung  von  dermalen  bloßen  Saumwegen. 

296 


Insbesondere  wird  dabei  auch  zu  trachten  sein,  ehestens  wenigstens 
eine   Automobillinie   verfügbar   zu  haben,   vor   allem   aber  überhaupt 
eine  leistungsfähige  Straße. 
Dies  bedingt: 
a)  Die  Ausrüstung  der  3.  Armee  mit  jenen  Angriffsmitteln,  welche 
zur    Bekämpfung    der    in    Frage    kommenden    feindlichen    Werke 
notwendig  erscheinen  und 
ß)  die   ausreichende  Vorsorge   an   Bauleitern,    Arbeitern   und  Werk- 
zeugen, resp.  Sprengmitteln  und  Material  für  den  Straßenbau  im 
Kriegsfall,   sowie   die   Durchführung   aller   jener   dieser   Bauten, 
welche  auf  eigenes  Gebiet  fallen,  schon  im  Frieden. 
4.  Außer  der  Fortbringung  auf  Tragtieren  muß  aber  auch  alles 
vorgesorgt   werden,    um    Geschütze   gebirgsmäßig,    also    zerlegt    fort- 
bringen  zu   können   und,   wo   es   das   Terrain   nur   zuläßt,   auch   den 
Schlitten-,    Karren-    oder    wenigstens    strecken  weisen    Wagentransport 
auszunützen,   bezw.  einzuschalten.     Dabei  wird  jedes  starre  System, 
jede  Einseitigkeit  zu  vermeiden  sein,  hingegen  weitestgehende  Elastizität 
in  Verwertung  des  jeweilig  Möglichen  und  Zweckmäßigen  einzutreten 
haben. 

Ad  1.  Gebirgsmäßige  Ausrüstung  der  Truppen. 
Diese  muß  alle  Truppen  der  3.  Armee  betreffen,  weil  alle  auf  den 
bloßen  Tragtiertransport  angewiesen  sein  können;  um  diesen  aber  örtlich 
und  zeitlich  durch  Karren-  oder  Wagen transport  zu  ersetzen  oder  doch 
zu  entlasten,  muß  auch  in  letzterer  Hinsicht  alles  Notwendige  vorgesorgt 
werden. 

Die  Offensive  der  3.  Armee  wird  sich  als  das  Vorgehen  neben- 
einander gruppierter  Divisionen  darstellen,  deren  jede  mindestens  einen 
besseren  Saumweg  zur  Verfügung  hat,  aber  auch,  behufs  Kürzung  der 
im  Einzelmarsch  enormen  Kolonnenlängen,  alle  übrigen  in  ihre  Marsch- 
zone fallenden  Wege  ausnützt. 

Wären  außer  dem  Hauptweg  z.  B.  zwei  solcher  Wege  verfügbar, 
so  könnten  diese  von  je  einem  Infanterieregiment  nebst  Gebirgsartillerie 
benützt  werden,  so  daß  der  Hauptweg  nur  mit  zwei  Infanterie- 
regimentern und  den  übrigen  Truppen  der  Division  belastet  wäre;  bei 
nur  einem  Nebenweg  blieben  drei  Regimenter  für  die  Hauptkolonne; 
im  ersteren  Fall  hätte  die  Infanterie  der  letzteren,  per  Mann  zirka  drei 
Schritt  gerechnet,  was  auf  Gebirgswegen  ohnehin  sehr  wenig  ist, 
3  X  7000  =  21.000  Schritt  im  Einzelmarsch,  zirka  11.000  Schritt  im 
Reihenmarsch;  im  letzteren  Fall  wären  diese  Ziffern  3  X  10.000  = 
30.000  Schritt,  bezw.  15.000  Schritt. 

297 


Dazu  kommen  jetzt  noch  die  Kolonnenlängen  aller  übrigen  Teile 
der  Division. 

Ad  2.  So  wie  aber  dergestalt  hinsichtlich  des  Marsches  jede 
Infanteriedivision  eine  selbständige  Marschgruppe  wird  bilden  müssen, 
innerhalb  welcher  der  Divisionär  selbständig  und  selbsttätig  alles  für 
den  Marsch  Erforderliche  wird  zu  veranlassen  haben,  wird  dies  auch 
hinsichtlich  des  für  jede  Division  erforderlichen  Nachschubes  geschehen 
müssen;  es  wird  sich  also  jede  Division  gleichsam  eine  eigene  Nach- 
schublinie einrichten  müssen;  sie  wird  daher  mit  dem  hiezu  nötigen 
Personal,  den  erforderlichen  Truppen,  Material  etc.  etc.  zu  beteilen  sein. 

Ad  3.  Aber  außer  diesen,  vornehmlich  als  Saumwege  zu  denkenden 
Nachschublinien  der  einzelnen  Divisionen  wird  seitens  des  Armee-,  resp. 
Armee-Etappenkommandos  getrachtet  werden  müssen,  ehestens  fahrbare 
Verbindungen  (Straßen)  in  das  vorschreitende  Echiquier  der  Armee 
zu  bringen,  um  den  Wagen-  und  Autonachschub  einzuleiten  und  dadurch 
den  Tragtiernachschub  der  Division  zu  entlasten. 

An  die  Ausgangspunkte  der  Divisionsnachschublinien,  sowie  an 
jene  der  Armeenachschub-(Etappen-)Linien  werden  durch  das  Armee- 
Etappenkommando  die  erforderlichen  Nachschubvorräte  rechtzeitig  zu 
schaffen  sein,  während  dieselben,  soweit  sie  nicht  im  Etappenraum  auf- 
bringbar sind,  von  der  Zentralstelle  (KM.)*)  zugeschoben  werden  müssen. 


Es  ergibt  sich  dabei  folgendes  Ineinandergreifen 


*)  Kriegs-Ministeritun. 


298 


111,  2  2  2,  33  3  etc.  sind  die  Divisionsnachschublinien;  auf  jeder 
derselben  organisiert  sich  jede  Division  ihren  Staffelnachschub,  sie 
richtet  hiezu  die  Linie  ein,  d.  h.  sie  etabliert  Zwischenstationen,  v^o  die 
Transporte  rasten,  tränken,  nächtigen,  füttern,  menagieren  können,  sie 
organisiert  Wegerhaltungs-Detachements,  denen  bestimmte  Strecken 
ständig  zugewiesen  smd  (Zivilingenieure,  Arbeiterabteilungen  etc.  etc.); 
Trainoffiziere,  welche  den  Staffelverkehr  regeln,  bezw.  disziplinar  und 
ansonst  eingreifen. 

Übernahms-Kmdn.  in  den  Ausgangspunkten  a^— ag  etc. 

Das  Armee-Etappenkommando  schiebt  in  diese  Ausgangsstationen 
die  Vorräte  zu  (Straßentransport,  Autos,  Feldbahn),  nachdem  es  das 
Gesamtquantum  in  A  sichergestellt  hat,  sofern  dasselbe  nicht  wenigstens 
teilweise  direkt  in  die  Ausgangsstationen  a^,  ag  etc.  beigestellt  wird. 

Für  die  Zuschiebung  dieser  Vorräte  erweist  sich  der  Ausbau  der 
Oailtaistraße  als  leistungsfähiger  auch  für  den  Autotransport  geeigneter 
Straße  dringend  und  die  Fortsetzung  der  Bahn  von  Hermagor — Gail 
aufwärts  für  sehr  erwünscht. 

Die  Sicherstellung  in  A  erfolgt  teils  durch  direkte  Käufe,  teils 
durch  Zuschub  von  Verpflegszügen  seitens  der  Zentralstelle.  Dabei 
wird  damit  zu  rechnen  sein,  daß  man  Fleisch  und  Heu  (Weide)  im 
Operationsraum  aufbringt  und  daß  statt  Brot  nur  Zwieback  transportiert, 
Brot  aber  nur  dort  verabreicht  wird,  wo  es  sich  an  Ort  und  Stelle 
erzeugen  läßt;  es  mitzutransportieren  wäre  widersinnig. 

Es  werden  daher  zuzuschieben,  resp.  zu  transportieren  sein: 

Normalportionen,  außer  (400  g)  Fleisch,  dabei  Zwieback  statt  Brot, 
d.  i.  zirka  600  g  per  Mann; 

ferner  Hafer,  resp.  Hartfutter  für  die  Pferde. 

Es  wird  daher  an  den  Übernahmsstationen  a^,  sl^  ^tc.  täglich  der 
Tagesbedarf  für  die  betreffende  Kolonne  (inklusive  ihrer  im  Ausgangs- 
punkte zurückbleibenden  Teile)  eintreffen  müssen.  Um  aber  im  Falle 
von  Verzögerungen  nicht  aufzuliegen,  werden  schon  während  des  Auf- 
marsches in  den  Ausgangspunkten  ausreichende  Vorräte  angesammelt 
und,  um  Zuschubstrecken  zu  kürzen,  zum  Teil  auch  weit  vorn  deponiert 
werden  müssen. 

Da  aber  die  Ingangsetzung  des  Nachschubes  anfänglich  manche 
Schwierigkeiten  finden,  also  einige  Zeit  brauchen  wird,  da  femer  alles 
angestrebt  werden  muß,  um  den  Nachschub  nicht  ins  Ungemessene 
wachsen  zu  lassen,  wird  die  Truppe  bei  Beginn  der  Operationen  eine 
größere  Anzahl  Tagesrationen  mittragen  müssen,  was  sie  ja  auch  kann, 
da  mit  jedem  Tag  eine  Entlastung  eintritt. 

299 


Würde  man  die  Gebirgszone  ohne  feindlichen  Widerstand  und  ohne 
besondere  Verzögerung  durchziehen,  so  wären  hiezu  zirka  vier  Märsche 
notwendig,  und  zwar: 

1.  ComeHco,  Fomi  Avoltri,  Paluzza,  Paularo; 

2.  an  den  oberen  Tagliamento; 

3.  bis  mittwegs  der  Venezianer  Alpen; 

4.  in  die  Ebene  (Montereale,,  Traversia). 

Rechnet  man  hiezu  jedoch  noch  etwa  vier  Tage  für  Gefechte,  und 
stellt  man  die  Forderung,  daß  die  Truppen  mit  einer  mindestens  vier- 
tägigen Verpflegung  von  Mann  und  Pferd  am  Rand  der  Ebene  ein- 
treffen, so  ergäbe  dies  die  Notwendigkeit,  bis  zum  achten  Tage 
12  Rationen  mitgebracht  zu  haben.  Trägt  der  Mann  von  Haus  aus 
4  Rationen*),  so  wären  also  8  Rationen  bis  zu  diesem  Zeitpunkt  nach- 
zuschieben. 

Aber  auch  für  die  nächste  Folge  wird  die  3.  Armee  auf  den  Nach- 
schub durch  den  eigenen  Rayon  angewiesen  sein,  weil  die  vom  Isonzo 
nach  West  führenden  Zuschublinien  teils  fortifikatorisch  gesperrt,  teils 
ganz  für  die  1.  und  2.  Armee  erforderlich  sein  werden. 

Also  auch  dann  bleibt  es  für  die  3.  Armee  notwendig,  sich  selbst 
im  eigenen  Rayon  ehestens  fahrbare  Nachschublinien  zu  schaffen,  somit 
teils  solche  zu  bauen,  teils  solche  zu  eröffnen. 

In  letzterer  Hinsicht  wäre  es  wohl  am  erwünschtesten,  wenn  es 
gelänge,  Bahn  und  Straße  von  Pontafel  nach  Spilimbergo  frei  zu 
bekommen;  dies  bedingt  aber  die  Niederkämpf ung  der  Panzerwerke 
Chiusaforte,  Mte  Festa,  ComieUi,  Osoppo,  Ragogna,  eventuell  noch 
zweier  Werke  von  Nordfriaul. 

Könnte  auch,  was  jedenfalls  angestrebt  werden  müßte,  Chiusaforte 
in  seiner  jetzigen  Verfassung  durch  Handstreich  mittelst  Pionierangriff 


*)  „Es  erscheint  ohneweiters  angängig,  dem  Mann  auch  noch  mehr 
Rationen  mitzugeben;  dabei  muß  vorgesorgt  v^erden,  daß  Abwechslung 
in  der  Kost  eintrete,  also  auch  Käse,  gekochtes  Rind-,  Schaf-  und 
Ziegenfleisch,  geräuchertes  Fleisch,  Hülsenfrüchtemehl  u.  dgl.  mit- 
genommen werden;  aus  sanitären  Gründen  überdies  reichlich  Tee  und 
Zucker,  womöglich  auch  Marmeladen;  Zucker  überdies  als  Nahrungs- 
mittel. 

1878  krankte  die  Verpflegung  mit  frischgeschlagenem  Fleisch  an 
der  Unkenntnis  der  Zubereitung  desselben.  Durch  den  von  einem 
Intendanzbeamten  vorgeschlagenen,  bei  der  8.  Division  1906  in  Tirol 
erprobten  Modus  des  Abkochens  erscheint  dem  abgeholfen;  letzterer 
wäre  der  Truppe  geläufig  zu  machen." 

300 


genommen  werden,  so  restringiert  sich  diese  Möglichlceit  jedoch,  sobald 
die  im  Zuge  befindliche  Ergänzung  Chiusafortes  perfekt  ist.  Die  Nieder- 
kämpfung aller  übrigen  genannten  Werke  benötigt  jedoch  geraume  Zeit, 
auch  werden  Bahn  und  Straße  im  Fellatale,  weil  reichlich  miniert, 
bedeutend  gestört  sein,  also  langer  Zeit  zur  Wiederherstellung  bedürfen. 

Es  erscheint  daher,  soweit  es  die  Kommunikationseröffnung  durch 
Bekämpfung  der  femdlichen  Werke  betrifft,  immer  noch  zweckmä feiger, 
diese  gegen  die  Befestigungen  von  Lorenzago — Pieve  di  Cadore  zu  richten. 

Bezüglich  dieser,  im  obigen  nur  vom  Nachschubstandpunkt  in 
Betracht  gezogenen  Bekämpfung  der  feindlichen  Werke  kommt  aber 
vornehmlich  auch  die  operative  Rücksicht  in  Betracht. 

Das  einfache  Vorwärtskommen  der  Truppen  der  3.  Armee  findet 
nämlich  zwei  erhebliche  fortifikatorische  Hindernisse,  und  zwar: 

1,  Für  die  westlichste  Kolonne  der  3.  Armee  kommt  als  günstigste 
Marschlinie  die  Straße  von  Innichen  über  den  Kreuzberg  nach  Comelico 
in  Betracht.  Diese  liegt  aber  seit  Errichtung  der  granatsicheren  Panzer- 
batterie Mte  Tudajo  im  Feuer  dieses  Werkes,  und  zwar  in  der  Strecke 
Comelico  (St.  Stefano)  bis  S.  Pietro  im  direkten;  es  kann  daher  nur 
bei  Nacht  und  Nebel,  und  dies  erst  nach  Zurückwerfen  aller  feindlichen 
Außentruppen  (Beobachtern),  gehofft  werden,  hier  unbehelligt  durch- 
zukommen —  ein  Zustand,  der  im  Hmblick  auf  Nachschub,  Wa2,en-  oder 
Autoverkehr  etc.  wohl  nicht  in  Kauf  genommen  werden  kann,  so  daß  es 
also  nötig  wird,  das  Werk  Mte  Tudajo  niederzukämpfen.  Wollte  man 
dies  mit  Haubitzen  bewirken,  so  müßten  diese  aus  Porteegründen  am 
Südabfall  des  Rückens  von  Dante — St.  Antonio  etabliert  werden,  wobei 
sie  in  wirksames  Feuer  des  Panzerwerkes  Col  Vidal  kämen,  so  daß  auch 
dieses  niedergehalten  werden  müßte. 

Nur  weittragende  Mörser  würden  die  Möglichkeit  bieten,  Mte 
Tudajo  aus  dem  Tal  von  Comelico,  also  unbelästigt  von  Col  Vidal,  zu 
bekämpfen.  Die  Ausrüstung  mit  solchen  wird  daher  für  die  hier  vor- 
gehende Kolonne  der  3.  Armee  erforderlich.  Um  bis  zur  Niederkämpfung 
des  Mte  Tudajo  im  Vorwärtsbringen  der  Truppen  nicht  aufgehalten 
zu  sein,  legt  es  sich  nahe,  die  hiefür  in  Betracht  kommenden  Teile  der 
bei  Innichen— Sillian  versammelten  Kräfte  nicht  über  den  Kreuzberg, 
sondern  über  Tilliach  und  das  Tilliacher  Joch  heranzuziehen,  dies  auch 
deshalb,  um  sie  in  eine  Richtung  zu  bringen,  aus  welcher  sie  feind'ichen 
Flankenstößen  von  Vigo,  Lorenzago  gegen  die  3.  Armee  wirksam 
begegnen  könnten.  Dies  verlangt  den  ehesten  und  bereits  seit  Jahren 
angeforderten  Ausbau  der  Straße  Sillian— Kartitsch— Tilliach,  dann 
möglichst  weiter  bis  zur  Grenze. 

301 


Allerdings  hätten  auch  hier  vorgehende  Truppen  den  Eingang  ins 
Frisonetal  im  Feuer  des  Mte  Tudajo  zu  passieren,  aber  nur  auf  einer 
kurzen  Strecke  und  auf  einer  Entfernung  von  über  8000  Schritten; 
zudem  ließe  sich  selbst  diese  Stelle  über  Granvilla  umgehen. 

Ein  entsprechendes  Detachement  müßte  natürlich  an  der  Kreuz- 
bergstraße verbleiben,  um  feindlichen  Unternehmungen  gegen  das 
Pustertal  Schranken  zu  ziehen  und  die  Befestigungen  von  Vigo — 
Lorenzago  im  Norden  abzuschließen. 

2.  Das  zweite,  sich  dem  Vorwärtskommen  der  3.  Armee  empfindlich 
entgegenstellende  fortifikatorische  Hindernis  ist  der  Mte  Festa.  Nicht 
nur,  daß  derselbe  das  Vorwärtskommen  der  von  Pontafel  über  Moggio 
vorgehenden  eigenen  Kräfte  hemmt,  beherrscht  er  auch  die  Gegend  von 
Tolmezzo  und  damit  die  von  Paularo  und  Paluzzo  kommenden  Straßen, 
sowie  den  von  Tolmezzo  m  das  Tal  von  Arzino  führenden,  für  das 
Vorwärtskommen  der  3.  Armee  erforderlichen  Weg.  Die  Nieder- 
kämpfung des  Mte  Festa  ist  daher  für  diese  eine  Notwendigkeit,  und 
die  hiezu  erforderlichen  Mittel  müssen  ihr  gegeben  werden.  Dies 
bedingt  die  Beteilung  mit,  so  weit  möglich,  schweren  Mörsern  und  die 
Aufbietung  aller  Mittel,  um  die  für  ihre  Fortbringung  nötige  Straße 
ehestens  herzustellen.  Als  solche  kommt  jene  über  den  Plöcken  vor 
allem  in  Betracht,  aber  es  wird  auch  anzustreben  sein,  durch  konstruktive 
Einrichtungen  es  zu  ermöglichen,  schwere  Mörser  —  mindestens  zwei, 
womöglich  vier  —  auch  auf  minder  guter  Straße  vorwärts  zu  bringen. 
Überdies  wird  gegen  den  Mte  Festa  der  Handstreich  und  Pionier- 
angriff zu  versuchen,  daher  die  hier  vorgehende  Gruppe  der  3.  Armee 
dementsprechend  auszurüsten  sein. 

Außer  diesen  beiden,  sich  den  Armeeflügeln  entgegenstellenden 
permanenten  fortifikatorischen  Hindernissen  wird  aller  Voraussicht 
nach  damit  zu  rechnen  sein,  daß  der  Feind  im  Höhenterrain  südlich 
der  Grenzzone,  dann  am  oberen  Tagliamento  einen  auf  feldmäßige 
Befestigungen  basierten  Widerstand  leisten  wird;  diesen  zu  brechen 
müssen  daher  alle  Divisionen  ausreichend  mit  Haubitzen  versehen  sein, 
als  welche  die  10-5  cm-Feldhaubitzen  genügen  dürften,  nur  müssen  sie 
für  den  Gebirgstransport  eingerichtet  sein,  was  schon  im  Frieden  vor- 
gesorgt werden  muß. 

Wenn  im  Vorstehenden  das  Maß  der  aus  rein  operativen  Grün- 
den erforderlichen  Bekämpfung  feindlicher  Befestigungen  festgestellt 
erscheint,  so  sei  jedoch  hier  nochmals  auf  die  aus  Nachschubgründen 
notwendige  Niederkämpfung  der  Befestigungen  von  Vigo  Lorenzago 
und  Pieve  di  Cadore  zurückgekommen.  Es  wäre  erwünscht,  daß  zu 
diesem  Zweck  ein  zum  Teil  aus  Landsturmtruppen  gebildetes  spezielles 

302 


Angriffsdetachement  bestimmt  und  ausgerüstet  würde,  welches,  über 
den  Kreuzberg  vorgehend,  den  Mte  Tudajo,  Col  Vidal  und  die  Werke 
bei  Vigo  zu  nehmen,  dann  gegen  die  alten  Werke  von  Pieve  di  Cadore 
vorzugehen,  endlich  das  Werk  Pian  del  Antro  in  der  Kehle  anzugreifen 
hätte. 

Schon  im  Frieden  wäre  die  jetzt  noch  recht  mindere  Kreuzbergstraße 
auszubauen,  so  daß  nach  Wegnah sne  der  obgenannten  Befestigungen 
eine  Automobillmie  Innichen— Pieve  di  Cadore — Belluno  der  3.  Armee 
zur  Verfügung  stände. 

Seit  dem  Ausbau  von  Nord-  und  Südfriaul,  welche  die  Kommuni- 
kationen in  der  Ebene  so  wesentlich  unterbinden,  hat  die  Bedeutung  der 
obgenannten  Linie  an  Dringlichkeit  zugenommen,  sodaß  besondere 
Maßnahmen  zu  ihrer  Eröffnung  gerechtfertigt  erscheinen,  umsomehr,  als 
die  allerdings  leichter  zu  eröffnende  Straße  Pieve— Cencenighe — Agordo 
erst  für  ein  späteres  Stadium  der  Offensive  in  Betracht  kommen  kann. 

Wenn  im  Vorstehenden  auch  die  Notwendigkeit  dargelegt  wurde, 
die  Truppen  durch  Ausrüstung  mit  Tragtieren  für  die  Operationen 
möglichst  mobil  und  vom  Wegnetz  unabhängig  zu  machen,  so  verlangt 
doch  einerseits  die  Fortbringung  verschiedenen  schwereren  Materials 
(Geschütze,  schwere  Munition,  Brückenmaterial  etc.)  die  eheste  Her- 
richtung von  Fahrwegen  und  wird  aber  auch  anderseits  für  das 
möglichst  fließende  Fortbringen  der  Tragtiere  die  gründliche  Aus- 
besserung minderer  Saumwegstrecken  erforderlich,  dies  besonders  über 
die  Venetianer  Alpen.  Reichlichste  Vorsorge  an  Arbeitskräften  und 
Arbeitswerkzeugen,  resp.  Material  für  diese  Herstellungen  ist  daher 
unerläßlich. 

Was  die  fahrbaren  Verbindungen  anbelangt,  so  w^äre  es  sehr 
mißlich,  wenn  die  3.  Armee  einzig  und  allein  auf  die  Plöckenstraße 
angewiesen  wäre,  nicht  nur  weil  diese  den  enormen  Verkehr  kaum  aus- 
halten würde,  sondern  auch,  weil  es  seine  großen  Schwierigkeiten  haben 
dürfte,  von  ihr  aus  den  ganzen  Train  wieder  nach  seitwärts  zu  verteilen. 

Es  wäre  daher  sehr  erwünscht,  den  Weg  von  Kronhof  zum  Promoser 
Törl  als  Straße  auszubauen  und  dann  nach  Cleulis  oder  Timau  fort- 
zusetzen. In  gleicher  Weise  wäre  der  Weg  von  Tilliach  zum  Tilliacher 
Joch  und  jener  von  Lugau  zum  Mitter jöchel  fahrbar  herzustellen. 

Für  alle  diese  Arbeiten  empfiehlt  es  sich,  Zivil-Straßenbauingenieure 
heranzuziehen  und  dies  schon  im  Frieden  zu  organisieren. 

Da  es  im  Verlauf  der  Operation  notwendig  werden  kann,  den 
oberen  Tagliamento,  welcher  zur  Hochwasserzeit  nicht  furtbar  ist,  mit 
künstlichen  Mitteln  zu  übersetzen,  so  muß  auch  hiefür  vorgesorgt 
werden,  eine  diesbezügliche,  schon  im  Frieden  vorzunehmende  Rekognos- 

303 


zierung  der  Strecke  Forni  di  Sopra — Stazione  per  la  Carnica  erscheint 
geboten;  sie  hätte  festzustellen,  welche  die  geeignetsten  Übergangspunkte 
sind,  welches  Material  erforderlich  ist,  was  von  diesem  Material  an 
Ort  und  Stelle  beschaffbar,  was  anderseits  davon  mitzubringen  ist, 

Munition.  Ein  ganz  besonderes  Vordenken  wird  für  die  Ver- 
fügbarhaltung der  erforderlichen  Munition  notwendig,  denn  es  muß 
diese  vorhanden  sein,  erstens  für  die  sicher  zu  erwartenden  Kämpfe  im 
Gebirge,  d.  i.  während  des  Vorgehens  bis  zum  Südrand  des  letzteren, 
zweitens  aber  auch  für  die  in  dei  E^ene  zu  erwartenden  Entscheidungs- 
kämpfe. Es  kommt  also  auf  eme  zutreffende  Kombination  an,  dahin- 
gehend, inwieweit  die  Transportmittel  für  Verpflegung,  inwieweit  sie  aber 
für  Munition  auszunützen  sem  werden. 

Da  der  Mann  eine  höhere  Verpflegsdotation  als  die  normale  mit- 
nehmen muß,  so  geht  es  nicht  an,  ihn  wesentlich  mehr  als  normal 
auch  mit  Munition  zu  belasten;  da  aber  anderseits  an  den  Tragtier- 
nachschub ohnehin  sehr  hohe  Anforderungen  gestellt  werden,  so  wird 
es  erforderlich,  möglichst  viel  Munition  durch  alle  jene  Leute  mittragen 
zu  lassen,  welche  organ'sationsgemäß  nicht  mit  solcher  beteilt  und  auch 
sonst  nicht  stark  belastet  sind  (also  Unteroffiziere,  Tragtierführer, 
Spielleute,  Arbeiter  etc.  etc);  dieselben  hätten  die  derart  mitgebrachte 
Munition,  sofern  sie  dieselbe  nicht  direkt  an  die  Truppe  abgeben,  an 
bestimmten  Orten  zu  deponieren,  von  wo  sie  dann  die  Truppe  abzuholen 
vermöchte.  Ebenso  werden  Kavallerieabteilungen  auf  jenen  Strecken,  in 
welchen  sie  die  Pferde  nur  an  der  Hand  zu  führen  vermögen,  Hafer 
oder  Munition  mittelst  der  Pferde  fort: ringen  müssen. 

Sanitätsmaßnahmen.  Wenn  auch  für  das  Rückschaffen 
von  Kranken  und  Verwundeten  die  rückkehrenden  leeren  Staffeln  zur 
Verfügung  stehen,  so  gestaltet  sich  doch  ein  solcher  Transport  auf 
schwierigen  Gebirgswegen  derart  anstrengend,  daß  er  für  Schwer- 
verwundete und  Schwerkranke  ausgeschlossen  erscheint;  diese  müssen 
daher  im  Operaticnsraum  selbst  Pflege  finden,  wofür  ad  hoc  Anstalten 
in  den  Orten  des  letzteren  improvisiert  werden  müssen.  Es  kommt  dabei 
nur  darauf  an,  daß  Ärzte,  Sanitätspersonal,  Verbandzeug,  Instrumente 
und  Medikamente  hiezu  mitgenommen  werden,  alles  andere,  wie  Liege- 
stätten u.  dgl.,  muß  an  Ort  und  Stelle  beschafft  werden. 

Als  großes  Prinzip  muß  durch  alle  Anordnungen  gehen,  daß 
absolut  nichts  Überflüssiges  mitgenommen  werde  und  daß  jeder  Mann, 
jedes  Pferd  oder  Tragtier,  jedes  Fuhrwerk  bis  zur  vollen  Belastungs- 
fähigkeit ausgenützt  werde. 

Bei  der  Generalsfcesprechung  ließ  ich  die  obigen  Fragen  möglichst 
auf  den  konkreten  Fall  der  Annahme  applizieren;  die  dabei  sich  ergeben- 

304 


1 

1 


den  Details  sind  in  den  Arbeiten  des  Armee-Etappenkommandos 
enthalten,  welche  ich  beilege,  und  von  denen  ich  besonders  jene  des 
Oberstleutnants  Landwehr  hervorhebe. 

Ich  würde  es  sehr  zweckmäßig  erachten,  wenn  die  für  die  Armee- 
Etappenkommandos  designierten  Generalstabsoffiziere  oder  doch  der 
Generalstabschef  des  Armee-Etappenkommandos  an  den  Vorbereitungs- 
arbeiten für  seine  Armee  mitarbeiten  würden. 

Auf  eine  außerhalb  des  Rahmens  der  Generalsbesprechung 
gelegene  operative  Frage  möchte  ich  hier  noch  eingehen. 

Für  die  Aktionen  der  3.  Armee  wird  es  von  größter  Bedeutung,  daß 
eigene,  möglichst  starke  Kräfte  von  Araba— Pieve  gegen  das  mittlere 
Piavetal  (Longarone— Belluno)  emgreifen,  erstens  wegen  der  Ein- 
wirkung in  operativer  Beziehung,  zweitens  aber  auch  wegen  der 
Möglichkeit,  die  Straße  Pieve  di  Livinalungo  nach  Longarone  oder 
Belluno  für  den  Nachschub  zu  erschließen.  Notwendig  wäre  hiezu  die 
eheste  Vorschiebung  der  bei  Bruneck  aufmarschierenden  eigenen  Kräfte 
nach  Corvara,  Araba,  Pieve,  der  Ausbau  der  Straße  von  Pieve  zur 
Grenze;  die  Beteilung  der  hier  vorgehenden  Kolonne  mit  Angriffsmitteln 
gegen  die  veralteten  Befestigungen  von  Agordo  und  mit  Arbeits- 
mannschaft zur  Herstellung  des  Weges  von  Selva  bis  Mareson.  Diese 
Kräfte  wären  dem  3.  Armee-Kommando  zu  unterstellen. 

Was  endlich  den  Aufmarsch  der  3.  Armee  anlangt,  so  legt  es  sich 
anbetrachts  der  neuesten  Entwicklung  des  italienischen  Befestigungs- 
systems nahe,  denselben  in  den  Raum  westlich  (doch  inklusive)  Kirch- 
bach zu  verlegen,  um  sie  zwischen  der  Linie  Innichen — ComeUco— Fomi 
di  sopra  und  Kirchbach— Paularo— Tolmezzo  (inklusive  dieser  Linien) 
vorzuführen,  in  das  Kanaltal  aber  nur  soviele  Kräfte  zu  verweisen,  als 
nötig  sind,  um  (gestützt  auf  Malborgeth)  ein  Vordringen  des  Gegners 
zu  verwehren,  beziehungsweise  bei  der  eigenen  Offensive  die  Ostflanke 
der  3.  Armee  zu  schützen  und  beim  Angriff  auf  den  Mte  Festa  mit- 
zuwirken; dies  alles  aus  folgenden  Gründen: 

Aus  dem  Aupatal  führen  nur  minderwertige  Wege  in  das  Tal  des 
Chiarso  und  But  über  das  diese  Täler  trennende  Gebirge,  während  die 
Straße  von  Moggio  nach  Tolmezzo  im  Feuer  von  Comielli  und  Mte 
Festa  liegt,  so  daß  ein  rechtzeitiges  Eingreifen  der  durch  das  Kanaltal 
vorgehenden  Kräfte  in  den  Kampf  bei  und  westlich  Tolmezzo  auf 
Schwierigkeiten  stoßen  dürfte. 

Das  Vordringen  starker  eigener  Kräfte  findet  an  den  permanenten 
feindlichen  Befestigungen  einen  zu  nachhaltigen  Widerstand,  der  bei 
Hochwasser    unpassierbare    Tagliamento    zwingt    zum    Ansetzen    der 

20,  Conrad  II  305 


Hauptkräfte  westlich  Tolmezzo;  das  Werk  am  Mte  Festa  erhöht  diesen 
Zwang,  insolange  es  nicht  gelungen  ist,  sich  desselben  zu  bemächtigen 
(was  allerdings  vor  allem  angestrebt  werden  müßte). 

Conrad  m.  p.,  G.  d.  I." 

Für  die  im  Sommer  vorzunehmende  Übungsreise  versammelte  ich 
die  Teilnehmer  in  Lienz  im  Drautale  und  führte  sie  in  der  Zeit  vom 
8.  bis  13.  Juli  über  den  Zochenpaß  (der  Gailtaler  Alpen)  ins  Gailtal 
und  auf  die  Karnischen  Alpen,  wobei  mannigfache  Einzelheiten  durch- 
gesprochen wurden. 

Vom  24.  bis  29.  August  wohnte  ich  den  mit  einer  scharfen  Schieß- 
übung verbundenen  Schlußübungen  des  14.  Korps  im  Räume  Trient — 
Lardaro  bei,  gelegentlich  w^elcher  das  indirekte  Mörserfeuer  gegen 
Befestigungen  im  Gebirge  zur  Ausführung  gelangte. 

Vom  29.  August  bis  3.  September  befand  ich  mich  in  meiner  Eigen- 
schaft als  Armee- Inspektor  bei  den  Schlußübungen  des  3.  Korps  östlich 
Zirknitz  in  Krain,  dann  in  gleicher  Eigenschaft  bei  jenen  des  2.  Korps 
vom  5.  bis  7.  September  bei  Hochwolkersdorf  im  Wechselgebiet  in 
Niederösterreich. 

Vom  8.  bis  12.  September  war  ich  den  größeren  Manövern  bei 
Mezöhegyes  in  Südungarn  beigezogen. 

Noch  im  September  erhielt  ich  die  Verständigung,  daß  ich  im 
Sinne  der  Weisungen  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  Erzherzogs  Franz 
Ferdinand  in  Hinkunft  für  das  Kommando  der  4.  Armee  bestimmt 
werde.  Sie  hatte  sich  im  Kriegsfalle  gegen  Italien:  in  Tirol,  in  jenem 
gegen  Rußland :  im  Räume  nördlich  der  Linie  Przemysl,  Lemberg  zu  ver- 
sammeln. 

Im  Laufe  des  Sommers  1912  war  mir  seitens  des  Chefs  des  General- 
stabes die  Antwort  auf  meine  anläßlich  der  Oeneralsbesprechung 
gestellten    Anträge    zugegangen.    Ich    erwiderte    sie    mit    folgender 

Zuschrift: 

„Wien,  26.  Oktober  1912. 

Auf  die  Zuschrift  Res.  Glstb.  Nr.  2797  von  1912  beehre  ich  mich 
nachfolgendes  zu  erwidern: 

Die  Fertigstellung  der  schweren  Mörserbatterien  und  sonstigen 
Angriffsmittel  betrachte  ich  als  eine  der  allerdringendsten  Sachen,  wobei 
ich  nicht  umhin  kann,  darauf  hinzuweisen,  daß  Italien  bereits  neue 
Werke  zu  bauen  beginnt,  so  daß  die  3.  Armee  reichlich  mit  Angriffs- 
artillerie ausgerüstet  werden  müßte,  wenn  sie  vorwärts  kommen  soll. 

Ich  wäre  sehr  verbunden,  wenn  E.  E.  mir  mitteilen  lassen  würden, 
mit  welchen  artilleristischen  Angriffsmitteln  die  3.  Armee  zu  rechnen 

306 


hat,  in  welchem  Stadium  sich  die  Fragen  bezüglich  der  schweren 
Mörser,  der  neuen  10  cm-  und  15  cm-Haubitzen,  der  Minenwerfer,  der 
beantragten  kleinkalibrigen  Kanone  zum  direkten  Beschießen  empfind- 
licher Teile  permanenter  Werke,  von  Lufttorpedos,  Geschossen,  welche 
bei  der  Explosion  betäubende  Gase  entwickeln,  und  endlich  bezüglich 
der  Gebirgsausrüstung  der  Truppen  der  3.  Armee  befinden. 

Auch  ich  halte  eine  Überlastung  des  Mannes  für  nicht  angenehm; 
wenn  man  die  nötigen  Mittel  hätte,  Munition  und  Verpflegung  gleich 
anfangs  nachschieben  zu  können,  wäre  dies  gewiß  erwünschter,  fehlt 
es  an  derartigen  Mitteln,  bleibt  wohl  nichts  anderes  übrig,  als  dem 
Mann  von  Haus  aus  mehr  mitzugeben. 

Der  Heranziehung  der  Mannschaft  zu  Trägerdiensten  vermag  ich 
nicht  beizustimmen;  der  wehrpflichtige  Mann  ist  in  erster  Linie 
Kämpfer,  man  könnte  somit  Trägerabteilungen  nur  aus  dem  Zivil  und 
aus  nicht  waffenfähigen  Landsturmleuten  formieren. 

Was  die  Nachschublinien  anbelangt,  so  wäre,  da  die  Plöckenstraße 
allein  den  ganzen  Verkehr  bestimmt  nicht  bewältigen  könnte,  die 
Eröffnung  der  Straße  Pontafel— Tolmezzo — Enemonzo  gewiß  sehr 
erstrebenswert,  nur  müßte  für  die  ausreichende  Dotierung  der  3.  Armee 
mit  den  notwendigen  Mitteln  zur  Niederkämpf ung  von  Chiusaforte  und 
Mte  Festa,  in  Hinkunft  auch  der  angeblich  bei  Enemonzo  geplanten 
Werke  vorgesorgt  werden,  was  jetzt  leider  nicht  der  Fall  ist. 

Dabei  müßte  für  die  3.  Armee  derart  vorgesorgt  werden,  daß 
Mte  Festa  und  Chiusaforte  gleichzeitig  angegriffen  werden  können, 
nicht  eins  nach  dem  andern,  was  zuviel  Zeit  wegnehmen  würde. 

Gegen  die  Absicht,  bezüglich  Unterstellung  der  10.  Division  erst  im 
Verlaufe  der  Operationen  zu  entscheiden,  habe  ich  nichts  einzuwenden. 

Schließlich  danke  ich  noch  vielmals  für  die  Übersendung  der  drei 
Rekognoszierungsberichte,  die  ich  dem  Operationsbureau  bereits  direkt 
zurückgestellt  habe,  und  bitte,  auch  in  Hinkunft  mir  derartige  Berichte 
zukommen  lassen  zu  wollen. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  ausgezeichneten  Hoch- 
achtung etc.  ^ 

Conrad  m.  p. 

Meine  sonstige  militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor  erstreckte 
sich  auf  das  Detailstudium  der  verschiedenen  Vorschriften,  auf 
organisatorische  und  taktische  Fragen,  auf  das  Verfolgen  der  technischen 
Fortschritte,  die  Lektüre  von  Fachwerken,  die  Abgabe  von  Gutachten, 
endlich  auf  die  Berichte  über  Zustand  und  Ausbildung  der  von  mir 
inspizierten  Truppen  und  die  Eignung  der  Generale  und  höheren  Stabs- 
offiziere. 

307 


Politisch-militärische  Tätigkeit  als  Armee-Inspektor. 

Mit  meiner  Enthebung  von  der  Stelle  des  Chefs  des  Generalstabes 
waren  für  mich  auch  alle  jene  offiziellen  Quellen  versiegt,  die  mich  bisher 
über  die  politische  und  militärische  Lage,  speziell  auch  mit  Bezug  auf  das 
Ausland  orientierten.  Ich  war  in  dieser  Hinsicht  nunmehr  im  wesent- 
lichen lediglich  auf  die  Zeitungs-Lektüre  angewiesen.  Es  ist  selbst- 
verständlich, daß  ich  dieser  mit  vollem  Interesse,  vornehmlich  in  HinbUck 
auf  jene  Fragen  oblag,  die  ich  vital  für  Gedeihen  und  Bestand  Österreich- 
Ungarns  erachtete. 

Nur  hinsichthch  der  Ereignisse  des  Tripolis-  und  später  des  Balkan- 
krieges erhielt  ich  —  gleich  allen  Armee-Inspektoren  —  offizielle  Mit- 
teilungen über  den  Gang  der  Operationen  in  Form  von  im  Evidenzbureau 
des  Generalstabes  zusammengestellten  Tagesberichten. 

Am  17.  Feber  1912  war  Graf  Ä  h  r  e  n  t  h  a  1  einem  längeren  schweren 
Leiden  erlegen.  Sein  Nachfolger  war  Leopold  Graf  Berchtold,  der 
mehrjährige  k.  u.  k.  Botschafter  in  Petersburg.  Ich  hatte  nie  Gelegenheit 
gehabt,  Graf  Berchtold  persönUch  kennen  zu  lernen.  Anbetrachts  meiner 
nunmehrigen  rein  militärischen  Stellung  suchte  ich  auch  eine  solche  nicht. 
Selbst  bei  den  Hoffesten  vermied  ich  sie.  Erst  gelegentlich  eines  Diners, 
das  Baron  Leopold  Chlumecky  —  der  Verfasser  eines  bedeutungsvollen 
pohtischen  Werkes  über  Italien  —  veranstaltete,  um  mir  Gelegenheit  zu 
geben,  über  die  mit  ihm  öfter  erörterte  albanesische  Frage  auch  mit  Graf 
Berchtold  zu  sprechen,  stellte  ich  mich  letzterem  vor. 

Ich  gewann  hiebei  sofort  den  Eindruck,  daß  Graf  Berchtold,  bei 
aller  Wahnmg  seiner  eigenen  Ansichten,  auch  solche  anderer  anzuhören, 
und  wenn  auch  nicht  zu  akzeptieren,  so  doch  zu  erwägen  geneigt  war, 
ohne  sich  von  Haus  aus  auf  den  prinzipiell  ablehnenden  Standpunkt  seines 
Vorgängers  zu  stellen. 

Ich  sah  mich  nun  wieder  —  jedoch  als  abseits  stehender  Privat- 
mann —  in  politische  Auseinandersetzungen  gezogen. 

Aber  auch  noch  ein  anderer  Beweggrund  führte  mich  auf  dieses 
Gebiet;  es  waren  die  Pflichten  als  Geheimer  Rat.  Der  in  der  Öffentlichkeit 
wenig  gekannte,  bei  der  Ernennung  zum  Geheimen  Rat  vor  Seiner 
Majestät  und  dem   Minister  des  Äußern  und  des   KaiserUchen  Hauses 

308 


abzulegende  Eid  verpflichtet  mit  großer  Schärfe  jeden  Geheimen  Rat  zur 
strengen  Wahrung  der  Interessen  der  ö.-u.  Monarchie,  auch  dazu,  auf 
alles  hinzuweisen,  was  eine  Gefährdung  dieser  Interessen  nach  sich 
ziehen  könnte. 

Unter  dem  Drucke  dieser  Pflicht  verfolgte  ich  nun  auch  weiter  nicht 
nur  alle  militärischen,  sondern  auch  alle  politischen  Vorgänge.  Allerdings 
war  ich  bezüghch  letzterer,  wie  schon  erwähnt,  hauptsächlich  nur  auf  die 
Lektüre  der  Tagesjournale  angewiesen. 

In  dem  Maße,  als  die  politischen  Ereignisse  immer  bedeutungsvoller 
für  Österreich-Ungarn  wurden,  steigerte  sich  bei  mir  auch  das  Bedürfnis, 
meine  Ansichten  festzulegen  imd  sie  an  den  maßgebenden  Stellen  aus- 
zusprechen. 

Da  ich  dies  nur  ausgehend  von  meiner  Eigenschaft  als  Geheimer  Rat 
zu  tun  vermochte,  konnte  ich  meine  diesbezüglichen  Essays  nur  an  die 
Militärkanzlei  Seiner  Majestät,  sowie  an  jene  des  Thronfolgers,  dann  an  den 
Minister  des  Äußern  und  des  Kaiserlichen  Hauses  (Graf  Berchtold)  leiten. 

Als  mir  daher  seitens  Oberst  von  Bardolff*)  nahegelegt  wurde,  es 
auch  gegenüber  dem  Chef  des  Generalstabes  zu  tun,  vermochte  ich  nur 
folgende  Antwort  zu  geben: 

„Wien,  am  17.  November  1912. 

Herzlichsten  Dank  für  Deine  geschätzten  Zeilen. 

Habe  mich  mit  Graf  Berchtold  in  Verbindung  gesetzt,  werde  heute 
nachmittags  bei  ihm  sein**). 

Hinsichtlich  der  Mitteilung  meiner  Essays  an  Schemua***)  halte  ich 
strikte  den  Standpunkt  ein,  daß  ich  nur  Seiner  Majestät  und  Seiner 
Kaiserlichen  Hoheit  direkt  unterstehe  und  überhaupt  nur  in  meiner  Eigen- 
schaft als  Geheimer  Rat  die  Berechtigung  finde,  an  dieser  Allerhöchsten 
und  Hohen  Stelle  meine  bescheidenen  Ansichten  niederzulegen. 

Mein  ganzes  diesbezügliches  Vorgehen  ist  überhaupt  nur  auf  ein 
Gespräch  zurückzuführen,  das  ich  gelegentlich  eines  Diners  mit  Graf 
Berchtold  hatte,  dem  ich  auch  meine  Niederschriften  nur  als  Privat- 
mensch gab. 

Ich  habe  dieselben  auch  nicht  an  Auffenbergj),  mit  dem  ich  sehr 
befreundet  bin,  gegeben,  weil  ich  strikte  vermeide,  mich  an  militärische 
Funktionäre  mit  unberufenen  Ratschlägen  und  dergleichen  heranzudrängen. 


*)  Chef  der  Militärkanzlei  des  Thronfolgers. 
**)  Bezog  sich  auf  meine  Bestimmung  zur  Reise  nach  Bukarest. 
**)  Chef  des  Generalstabes. 
t)  Kriegsminister. 

309 


So  habe  ich  es  seit  meiner  Entlassung  gehalten  und  so  halte  ich 
es  auch  weiter;  bei  einem  gegenteiligen  Vorgang  kommt  man  zu  leicht 
in  schiefe  Situationen,  und  die  vertrage  ich  nicht. 

Sei  herzlichst  gegrüßt  von  Deinem  ergebensten 

Conrad,  G.  d.  I." 

Der  T  r  i  p  o  1  i  s  k  r  i  e  g,  das  spannendste  Ereignis  anfangs  des 
Jahres  1912,  zog  sich  in  die  Länge.  Er  komplizierte  sich  zu  Jahresbeginn 
durch  eine  vorübergehende  Trübung  der  Beziehungen  zwischen  Italien 
und  Frankreich,  dadurch  hervorgerufen,  daß  die  Itahener  zwei  der  Konter- 
bande verdächtige  französische  Schiffe  durchsuchten  und  nach  Cagliari 
führten.  Der  Konflikt,  den  wohl  beide  Teile,  im  Hinbhck  auf  das  seit  1902 
bestehende  Einverständnis  für  künftige  Aspirationen,  rasch  beseitigt  sehen 
wollten,  wurde  Ende  Jänner  1912  unter  großen  gegenseitigen  Freund- 
schaftsbeteuerungen durch  das  Haager  Schiedsgericht  geschlichtet. 

Im  April  angebahnte  Friedensvermittlungen  zwischen  Italien  und  der 
Pforte  scheiterten,  da  in  Itahen  bereits  am  23.  und  24.  Feber  Kammer 
und  Senat  die  durch  den  König  schon  früher  erklärte  Annexion  von 
Tripolis  bestätigten ;  was,  nebenher  bemerkt,  der  Türkei  in  Arabien 
eine  Erleichterung  verschaffte,  indem  Scheik  Jahia,  als  Mohammedaner,  den 
Aufstand  einstellte.    Nur  Scheik  Idris  verharrte  auch  weiter  im  Aufstand. 

Die  Operationen  in  Tripolis  schritten  langsam  fort. 

Die  Italiener  nahmen  am  11.  April  Buchanez,  am  2.  Mai  Lebda,  am 
5.  August  die  Oase  Sansur  und  hatten  am  20.  September  den  Erfolg 
bei  Sidi  Bilal.  Aber  im  wesentlichen  war  der  Krieg  auf  die  Küste 
beschränkt.  Er  hatte  Italien  schon  einen  großen  Aufwand  gekostet, 
darunter  ein  Aufgebot  von  fast  200.000  Mann.  Italien  versuchte  daher 
auch  an  anderer  Stelle  der  Türkei  beizukommen.  Solche  auf  dem  Kontinent 
der  Balkan-Halbinsel  zu  suchen,  verwehrte  der  Einspruch  der  Großmächte, 
so  daß  Italien  erklärte,  hier  den  Status  quo  zu  respektieren.  Dagegen 
richtete  es  maritime  Unternehmungen  auf  andere  Ziele. 

Am  24.  Feber  zerschoß  die  italienische  Flotte  einige  kleine  türkische 
Schiffe  im  Hafen  von  Beirut,  am  18.  April  folgte  ein  mißglückter  Vorstoß 
gegen  die  Dardanellen.  Er  veranlaßte  die  Türkei,  die  Dardanellen  auch 
mit  Minen  zu  sperren. 

Sie  stieß  dabei  auf  die  Verwahnmg  der  Großmächte,  die  dadurch 
den  Handel  gefährdet  sahen. 

Am  5.  Mai  besetzte  General  Amelio  die  Insel  Rhodus,  deren 
Besatzung  kapituhert  hatte.  Den  19.  Juli  erfolgte  unter  Admiral  Viale 
ein  neuer  mißglückter  Versuch,  die  Dardanellen  zu  forcieren.  Im  Juni  besetz- 
ten die  Italiener  die  Farsaninseln  im  Roten  Meere  und  den  Dodekanes. 

310 


Die  Großmächte  sahen  all  dem  zu! 

England  und  Frankreich  verfolgten  wohl,  nicht  ohne  Mißtrauen, 
Italiens  anwachsende  Macht  im  Mittelmeer,  schonten  jedoch  den  künftigen 
Bundesgenossen  für  höhere  Ziele.  Rußland  hoffte  jetzt  die  Meerengen- 
frage zu  seinen  Gunsten  zu  lösen.  Deutschland  war  auf  Seite  Itahens, 
an  dessen  Bundestreue  es  noch  immer  glaubte.  Österreich-Ungarn  aber 
war  in  demselben  Wahn  befangen  und  raffte  sich  nicht  zur  Tat  auf, 
obwohl  auch  die  immer  mehr  hervortretende  albanesische  Frage 
deutlich  Italiens  Gegnerschaft  erkennen  ließ. 

Klar  war  Italiens  Ziel:  die  Adria  allein  zu  beherrschen,  Valona 
als  Kriegshafen  zu  gewinnen,  eine  Ausdehnung  Österreich-Ungarns, 
selbst  auch  nur  dessen  Einflusses  an  der  Ostküste  der  Adria  zu 
verwehren,  sich  selbst  aber  in  Albanien  festzusetzen. 

Albanien  aber  kam  für  Österreich-Ungarn  nicht  nur  wegen  der 
angeführten  Aspirationen  Italiens,  sondern  auch  deshalb  in  Betracht, 
weil  man  seiner  als  Verbündeten  gegen  Serbien  und  Montenegro  bedurfte. 
Österreich-Ungarn  mußte  verhindern,  daß  diese  beiden  Staaten  sich 
zusammenschließen  und  sich  des  albanesischen  Territoriums  bemächtigen. 

So  waren  also  Österreich-Ungarns  Interessen  doppelt  bedroht, 
einerseits  durch  Italien,  anderseits  durch  Serbien  und  Monte- 
negro. Die  Interessen  Österreich-Ungarns  lagen  in  der  Notwendigkeit 
maritimer  Freiheit  in  der  Adria  und  in  Rücksichten  für  den  Fall  eines 
Konfliktes  mit  Serbien  und  Montenegro. 

Ein  an  mich  gerichtetes,  offenbar  die  Anschauungen  des  Thronfolgers 
vertretendes  Schreiben  seines  Flügeladjutanten  und  Chefs  seiner  Militär- 
kanzlei Oberst  Dr.  von  Bardolff  vom  4.  Oktober  1912  betonte  die  Not- 
wendigkeit der  Wahrung  unserer  Interessen  in  Albanien.  Sie  traten  ganz 
besonders  hervor,  als  ein  neues  Ereignis  den  Tripoliskrieg  in  zweite 
Linie  rückte. 

Der  Ausbruch  des  Balkankrieges. 

Angeregt  durch  das  Beispiel  Italiens,  das  plötzlich  über  die  wehrlose 
Türkei  hergefallen  war,  ohne  dabei  auch  nur  im  geringsten  von  den 
anderen  Mächten  gehindert  worden  zu  sein,  hatten  sich  Serbien,  wo  an 
Stelle  des  plötzlich  verstorbenen  Milovanovic  der  tatkräftige  P  a  s  i  c  ans 
Ruder  gekommen  war,  dann  Montenegro,  Bulgarien  und  Griechenland 
geeinigt,  das  gleiche  zu  tun.  Zur  Überraschung  der  meisten  Großmächte 
eröffneten  sie  den  gemeinsamen  Krieg  gegen  die  Pforte. 

Keine  der  Großmächte  ging  daran,  ihnen  hiebei  in  den  Arm  zu  fallen. 
Unentschlossen  standen  die  einen,  im  stillen  Einverständnis  ihren  Vorteil 
abwartend,  die  anderen   dem   Ereignis  gegenüber.     Abermals  nirgends 

311 


eine  Spur  jener  geheuchelten  Entrüstung,  die  in  Szene  gesetzt  wurde^ 
als  Österreich-Ungarn  1914  notgedrimgen  bemüßigt  war,  sich  seines 
unablässigen,  agacanten,  bis  zum  Meuchelmord  greifenden  Gegners  zu 
erwehren. 

Es  ist  nicht  verständlich,  daß  das  vorbereitende  Gehaben  der  vier 
genannten  Balkanstaaten  derart  verborgen  bleiben  konnte,  daß  der 
Balkankrieg  in  so  überraschender  Weise  loszubrechen  vermochte. 

Aber,  er  war  da!  Er  schuf  eine  ganz  neue  Lage, 
mit  ihm  mußte  gerechnet  werden! 

Von  der  Türkei  abgesehen,  war  niemand  schwerer  durch  ihn  betroffen 
als  Österreich-Ungarn.  Insbesondere,  als  sich  der  Kriegserfolg  auf  Seite 
Serbiens  neigte  und  dazu  führte,  daß  dieser  der  ö.-u.  Monarchie  so  gefähr- 
hche  Feind  einen  Machtzuwachs  erhielt,  den  er  für  seine  gegen  Österreich- 
Ungarn  gerichteten  aggressiven  Ziele  zu  verwerten  verstehen  würde. 

Ob  die  ö.-u.  Diplomatie  durch  den  Balkankrieg  überrascht  wurde, 
oder  ob  sie  hievon  früher  Kenntnis  hatte,  ist  mir  unbekannt. 

In  seinem  im  Jahre  1919  erschienenen  Buch:  „Kriegsursachen  etc." 
führt  Dr.  M.  Bogicevic,  ehemaliger  serbischer  Geschäftsträger  in  Berlin, 
an,  daß  Österreich-Ungarn  „durch  Zahlung  hohen  Entgeltes  serbischer- 
seits  Kenntnis  vom  Inhalt  des  Vertrages  erhalten  haben  soll"*). 

Voll  eingeweiht  in  den  Vertrag  war  jedoch  Rußland,  und  zwar 
durch  die  Vertragschließenden  selbst,  die  den  Zaren  zum  Schiedsrichter 
in  strittigen  Fragen  gewählt  hatten**). 

Diese  neue  Komplikation  zwang  die  Pforte  zum  Abschluß  des 
Tripoliskrieges.  Sie  brach  die  schon  im  Zuge  befindlichen  Verhandlungen 
in  Ouchy  (Schweiz)  ab  und  unterzeichnete  am  18.  Oktober  1912  den 
Frieden  von  Lausanne,  in  dem  sie  Tripolis  —  abgesehen  von 
einigen  gegenstandslosen  Formalitäten  —  gänzlich  Italien  überließ. 

Italien  hatte  seinen  Raub  vollzogen,  alle  Groß- 
mächte sanktionierten  ihn. 

Der  inoffizielle  Kleinkrieg  dauerte  in  Tripolis,  oder  wie  es  von  nun 
ab  hieß,  „Libyen",  allerdings  noch  fort. 

Rasch  vollzogen  sich  nun  die  Ereignisse  am  Balkan 
Am  30.  September  mobilisierten  die  Balkanstaaten.    Am  8.  Oktober 
erfolgten  im  Namen  aller  Großmächte  durch  Österreich-Ungarn  und  auch 


*)  Betrifft  den  bulgarisch-serbischen  Vertrag  vom  29.  Feber  1912, 
der  auf  den  Krieg  gegen  die  Türkei  abzielte. 

**)  Im  Juni  1912  —  also  nach  Abschluß  des  Vertrages  —  war 
König  Ferdinand  von  Bulgarien  zu  Besuch  in  Wien  und  in  Berlin.  Ob 
er  dort  auf  den  Vertrag  zu  sprechen  kam  oder  nicht,  ist  mir  unbekannt. 

312 


durch  das  voll  eingeweihte  Rußland  diplomatische  Vorstellungen  in 
Belgrad,  Cetinje,  Sofia  und  Athen.  An  die  Pforte  erging  am  10.  Oktober 
eine  gemeinsame  Note  aller  Großmächte,  in  der  sie  den  Krieg  verwarfen, 
Reformen  verlangten  und  erklärten,  keine  Gebietsänderung 
am  Balkan  zuzulassen,  wie  immer  der  Krieg  auch  enden  möge. 

Dieser  ganze  diplomatische  Aufwand  zerfiel  in  Nichts,  da  König 
Nikita  von  Montenegro  am  8.  Oktober,  kurz  vor  Eintreffen  der 
Erklärung  der  Großmächte,  den  Krieg  eröffnet  halte,  sei  es,  um 
ihn  unbedingt  in  Fluß  zu  bringen,  sei  es,  wie  damals  behauptet  wurde, 
wegen  eines  finanziellen  Geschäftes. 

Bulgarien,  Serbien  und  Griechenland  gaben  auf  die  gemeinsame 
Note  Österreich-Ungarns  und  Rußlands  überhaupt  keine  Antwort  und 
richteten  am  13.  Oktober  ein  Ultimatum  an  die  Pforte,  in  dem 
sie  forderten: 

Ernennung  eines  belgischen  oder  schweizerischen  Statthalters  in  den 
gemischten  Vilajets*),  Berufung  von  Provinzial-Landtagen,  Vertretung 
der  Christen  im  Parlament,  Gleichstellung  der  christhchen  und 
mohammedanischen  Schulen,  Überwachung  cüeser  Reformen  durch  die 
Großmächte  und  die  vier  Balkan  Staaten**). 

Die  Türkei  gab  auf  diese,  ihre  Souveränität  völlig  vernichtenden 
Forderungen  keine  Antwort  und  stellte  am  17.  Oktober  1912  dem 
serbischen  und  dem  bulgarischen  Gesandten  die  Pässe  zu.  Ihr  Versuch, 
sich  in  der  Kretafrage  mit  Griechenland  zu  einigen,  scheiterte,  da  Venizelos 
bereits  am  14.  Oktober  in  Athen  die  Vereinigung  der  kretensischen  mit 
der  griechischen  Kammer  und  damit  Kretas  Abfall  vom  Osmanischen 
Reich  ausgesprochen  hatte. 

Am  17.  Oktober  1912  abends  erklärten  Serbien,  Bulgarien  und 
Griechenland  den  Krieg  an  die  Türkei,  die  jetzt  —  wie  schon  früher 
erwähnt  —  mit  Italien  den  Frieden  von  Lausanne  schloß,  um  am  Balkan 
freie  Hand  zu  bekommen. 

Energisch  traten  die  Balkanstaaten  in  die  kriegerische  Aktion.  Von 
Montenegro  abgesehen,  das  Skutari  nicht  zu  nehmen  vermochte,  waren 
schon  ihre  ersten  Erfolge  sehr  bedeutend,  ihre  Überlegenheit  aus- 
gesprochen. Wohl  kam  für  diese  Überlegenheit  in  Betracht,  daß  die 
Türkei  ihre  Wehrmacht  jahrelang  vernachlässigt  und  in  Verkennung  der 
hereinbrechenden    Gefahr   Reservisten    in    großer   Zahl   entlassen    hatte. 


*)  Das  ist  in  den  nicht  rein  mohammedanischen. 
**)  Man  vergleiche  damit  das  so  angefeindete  ö.-u.  Ultimatum  vom 
Jahre   1914,  das  die  aiuf  das  brutalste  herausgeforderte  Monarchie  an 
Serbien  gerichtet  hatte. 

31S 


Aber  vor  allem  war  es  das  rücksichtslose,  zielbewußte  Vorgehen  der 
Balkanstaaten,  das  deren  Erfolge  schuf. 

Am  23.  und  24.  Oktober  siegten  die  Bulgaren  bei  Kirk-Kilisse,  an 
denselben  Tagen  die  Serben  bei  Kumanovo,  nachdem  sie  am  22.  Pristina, 
am  23.  Novipazar  genommen  hatten.  Die  Griechen  nahmen  am  19.  Okto- 
ber Elassona,  am  22.  Serandoporos,  am  27.  Oktober  Selfidze,  von  wo 
die  Türken  nach  Salonik  wichen. 

Es  war  unverkennbar,  daß  eine  gänzliche  Umwälzung  am  Balkan 
im  Werden  stand,  daß  Österreich-Ungarns  Interessen  schwer,  ja  vital 
betroffen  wurden  und  daß  der  Moment  verlangte,  einen  großen  Ent- 
schluß zu  fassen,  umsomehr,  als  sich  anläßlich  der  albanesischen  Frage 
auch  Italiens  Gegnerschaft  enthüllte. 

M  i  t  Serbien  oder  gegen  Serbien  stand  die  Frage ! 

Entweder  war  die  Konsequenz  aus  der  Feindschaft  Serbiens  zu 
ziehen,  oder  in  letzter  Stunde  der  Anschluß  an  den  Balkanbund  zu 
suchen,  die  Führung  am  Balkan  zu  übernehmen.  Mochte  die  Erreichung 
dieses  Anschlusses  auch  kaum  erreichbar  erscheinen,  eines  Versuches  war 
sie  wert.  Schlug  er  fehl,  dann  blieb  die  Möghchkeit  des  anderen  Weges 
noch  immer  offen.  Schließlich  waren  die  Balkanstaaten  ihres  Enderfolges 
doch  noch  nicht  sicher  und  mußten  mit  dem  Eingreifen  Österreich- 
Ungarns,  Rumäniens,  selbst  auch  Italiens  gegen  sie  rechnen.  Für  Serbien 
konnte  hierin  die  Veranlassung  liegen,  sich  endhch  doch  noch  einer 
Politik  des  Zusammenschlusses  mit  Österreich-Ungain  zuzuwenden. 

Für  alle  Fälle  aber  war  zur  Zeit  des  kriegerischen  Engagements  der 
Balkanstaaten  gegen  die  Türkei  die  Bahn  frei,  um  mit  Italien  abzurechnen. 

Nur  zuzusehen  und  nichts  zu  tun  war  das  Gefährlichste. 

Dieser  Gedanke  und  die  große  Sorge  um  die  Zukunft  Österreich- 
Ungarns,   die   ich   schwer   bedroht  sah,   beschäftigten   mich   unablässig. 

In  dem  Bemühen,  mir  in  dem  Wirrsal  der  Möglichkeiten  über  eine 
bestimmte  Richtlinie  für  das  eigene  Handeln  klar  zu  werden  und  angeregt 
durch  die  schon  im  Früheren  erwähnte,  rein  private  Konversation  mit 
Graf  Berchtold  gelegentlich  des  Diners  bei  Baron  Chlumecky,  schrieb  ich 
für  mich  einen  Essay  über  die  momentane  Lage  nieder,  den  ich  nach- 
stehend folgen  lasse: 

„Über  die  momentane  Lage  der  Monarchie  und  deren 
nächste  politische  Richtung. 

Wien,  am  28.  Oktober  1912. 
Der  Krieg  der  Balkanstaaten  gegen  die  Türkei  ist  allerdings  noch 
nicht  beendet,  das  Dazwischentreten  anderer  Staaten   immerhin  noch 
möglich  und  damit  ein  Umschwung  oder  eine  Eindämmung  des  jetzigen 

314 


Ganges  der  Ereignisse  nicht  ausgeschlossen.  Soweit  es  sich  jedoch  nach 
den  bisherigen  Geschehnissen  beurteilen  läßt,  dürfte  aber  das  schließliche 
^Resultat  die  Niederwerfung  oder  gründliche  Zurückdrängung  der  Türkei 
sein;  es  ist  daher  berechtigt,  diesen  so  wahrscheinlichen  Ausgang  der 
Dinge  zur  Basis  für  weitere  Schlüsse  zu  nehmen.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung ist  das  Nachfolgende  geschrieben. 

Bei  meiner  Ernennung  zum  Chef  des  Generalstabes  im  Herbst  1Q06 
hatte  ich  es  als  unerläßhch  bezeichnet,  daß  äußere  und  innere  PoUtik 
einerseits,  Heeresentwicklung  und  konkrete  Kriegsvorbereitungen  ander- 
seits Hand  in  Hand  gehen  müssen,  weil  sie  in  den  innigsten  Beziehungen 
stehen,  sich  geradezu  gegenseitig  bestimmen. 

Ich  habe  daher  auch  stets  die  Fragen  der  äußeren  Politik  in  meinen 
Pflichtenkreis  gezogen  und  schon  damals  meine  Ansicht  dahin  präzisiert, 
daß  die  Lösung  des  Balkanproblems  die  wichtigste  Frage  für  die 
Monarchie  ist. 

In  diesem  Sinne  habe  ich  die  Annexion  Bosniens  und  Herzegowinas, 
sowie  die  Einverleibung  Serbiens  als  nächstes  Ziel  hingestellt  und  die 
vorherige  Niederwerfung  Italiens  als  voraussichtlichen  Gegners  ins  Auge 
gefaßt.  Als  nun  die  Annexionskrise  1908  die  Frage  ins  Rollen  brachte, 
habe  ich  zur  sofortigen  Besitznahme  Serbiens  geraten  und  mit  allen 
Mitteln  die  hiezu  erforderlichen  Vorbereitungen  zu  realisieren  getrachtet. 

Derart  war  im  Frühjahr  1909  alles  vorgesorgt  und  zudem  die 
politische  Gesamtlage  dem  Unternehmen  günstig. 

Im  letzten  Moment  wurde  ich  jedoch  im  Rate  überstimmt,  und 
es  waren  insbesondere  der  Minister  des  Äußern  und  der  Kriegsminister, 
welche  von  der  Aktion  abrieten. 

Diese  unterblieb,  und  was  ich  damals  vorausgesehen  und  voraus- 
gesagt habe,  ist  nunmehr  eingetreten;  die  Balkanstaaten  haben  selbst  die 
Lösung  dieser  Frage  übernommen  und  führen  sie  anscheinend  mit  vollem 
Erfolg  durch. 

Der  Status  quo,  den  ich  immer  als  Nonsens  bekämpft  habe,  den  aber 
Graf  Ährenthal  stets  als  Basis  seiner  Politik  voraussetzte,  ist  gebrochen, 
und  es  fällt  wohl  keinem  vernünftigen  Menschen  ein,  an  dessen  Wieder- 
herstellung zu  glauben. 

Mit  diesem  fait  accompli  muß  somit  gerechnet  werden,  das  heißt, 
die  siegreichen  Balkanstaaten  werden  das  gewonnene  Territorium  unter 
sich  teilen  und  einen  Bund  schließen,  der  sie  zu  einer  nicht  zu  über- 
sehenden Großmacht  gestaltet. 

Inwieweit  die  übrigen  Mächte  dagegen  Einspruch  erheben  und 
inwieweit  diese  Einsprache  Erfolg  haben  wird,  läßt  sich  dermalen  nicht 
absehen. 

315 


Daher  läßt  sich  dermalen  auch  nicht  ein  bestimmter  Weg  angeben, 
an  welchem  die  Monarchie  starr  festzuhalten  hätte,  sondern  es  wird 
darauf  ankommen,  auf  dem  zu  gewärtigenden  Kongreß  einen  sehr 
gewandten  Vertreter  zu  haben,  der  unter  zielbewußter  und  geschickter 
Ausnützung  der  Konstellation  die  möglichsten  Vorteile  für  die  Monarchie 
sicherstellt. 

Dies  enthebt  jedoch  nicht  von  der  Pflicht,  sich  schon  beizeiten  über 
die  möglichen  Ziele  und  über  die  großen  Richtlinien  ins  klare  zu  kommen, 
von  welchen  man  sich  hiebei  wird  leiten  lassen  müssen. 

Ich  bin  der  Ansicht,  daß  man  dabei  nur  große,  weitreichende  Gesichts- 
punkte ins  Auge  fassen  und  nicht  sich  von  dem  bloßen  Streben  leiten 
lassen  darf,  an  der  Beute  auch  noch  wenigstens  einen  kleinen  Anteil  zu 
haben,  lediglich  damit  es  nicht  heiße,  man  sei  leer  ausgegangen. 

Als  solcher  großer  Gesichtspunkt  erscheint  mir  folgendes: 

Die  Monarchie  tritt  dem  Balkanbund  bei; 

die  kleinen  Balkanstaaten  treten  in  das  Verhältnis  wie  Bayern  im 
Deutschen  Reich. 

Sollte  dies  nicht  erreichbar  sein,  so  müßte  mindestens  in  folgendem 
Gemeinsamkeit  bestehen: 

ein  einziges  Zoll-  und  Handelsgebiet; 

Lösung  aller  gemeinsamen  Fragen  im  Bimdesrat,  zu  welchem  jeder 
Staat  seinen  Minister  des  Äußern,  seinen  Kriegsminister,  seinen  Chef  des 
Generalstabes  und  seinen  Finanzminister  delegiert. 

Als  gemeinsame  Fragen  wären  zu  behandeln: 

Äußere  Politik; 

Kriegsvorbereitungen  in  großen  Zügen; 

Heeresentwicklung  und  Organisation  im  großen  (jeder  Staat  wäre 
im  Detail  selbständig); 

Finanzpolitik  (gemeinsames  Münzwesen); 

Handels-  und  Verkehrspolitik. 

Wäre  es  möglich,  als  Bundesherrn  den  Kaiser  von  Österreich  durch- 
zusetzen, so  wäre  dies  ein  anstrebenswerter  Erfolg,  wenn  nicht,  so  würde 
eben  nur  der  Bundesrat  als  gemeinsames  leitendes  Organ  fungieren. 

In  dieser  allgemein  gehaltenen  Denkschrift  erscheint  ein  Eingehen 
auf  weitere  Details  nicht  opportun. 

Dieses  Bundesverhältnis  würde  also  von  den  Balkanstaaten  zunächst 
Serbien,  Bulgarien,  Montenegro,  Griechenland  umfassen;  es  bleiben  noch 
Rumänien  und  Albanien. 

Rumänien  wäre  zum  Beitritt  zum  Bund  einzuladen. 

Albanien  wäre  autonom  zu  machen,  jedoch  unter  direktem  öster- 
reichischen  Protektorat;  hierauf   soll  später  noch  eingegangen  werden. 

316 


Wenn  diese  oben  dargelegte  große  Richtlinie  für  die  nächste  Politik 
der  Monarchie  auf  den  ersten  BUck  auch  befremden  mag,  soi  ergibt  doch 
eine  nähere  Betrachtung,  daß  sie  unter  den  nunmehr  eingetretenen 
Umständen  und  nach  den  nicht  mehr  einzubringenden  Versäumnissen  die 
immerhin  zweckmäßigste  ist.     Einzelne  Streiflichter  sollen  dies  zeigen. 

Die  Monarchie,  deren  Bevölkerung  zu  fast  Zweidritteln  aus  Slawen 
besteht,  kann  umsoweniger  eine  antislawische  Politik  betreiben,  als  die 
Slawen  ein  zweifellos  im  Aufblühen  begriffener  Völkerstamm  sind.  Sie 
kann  sich  also  schon  aus  diesen  innerpolitischen  Gründen  den  slawischen 
Balkanstaaten  nicht  gerade  in  jenem  Momente  gegenüberstellen,  in 
welchem  diese  sich  ihre  Machtstellung  im  Kampfe  errungen  haben. 

Durch  die  im  Vorstehenden  vorgeschlagene  Politik  werden  jedoch 
gerade  die  Slawen  der  Monarchie  für  letztere  gewonnen  und  es  werden 
diese  Slawen  sowie  jene  des  Balkans  von  Rußland  pohtisch  losgelöst, 
womit  ein  außerordentlich  großer  außenpolitischer  Vorteil  errungen 
wäre.  Hat  die  Monarchie  dadurch  die  Interessen  der  Balkanstaaten  mit 
ihren  eigenen  verknüpft,  ist  sie  also  gegen  em  feindliches  Eingreifen 
derselben  gesichert,  dann  kann  sie  um  so  eher  ihrem  Auftreten  gegen  die 
sonstigen  Gegner,  als:  Rußland  oder  Italien  kriegerischen  Nachdruck 
verleihen.  Zu  dem  kommt,  daß  Rußland  kaum  sich  feindselig  gegen  die 
mit  den  Balkanstaaten  verbündete  Monarchie  stellen  dürfte,  weil  es  damit 
seine  ganze  bisherige,  wenigstens  zur  Schau  getragene  Richtung  ver- 
leugnen und  alle  Sympathien  der  Süd-  und  Westslawen  verHeren  würde. 

Ist  die  Monarchie  aber  dieser  Staaten  und  ihrer  eigenen  Slawen 
dadurch  sicher,  so  kann  sie  es  auf  einen  Krieg  gegen  Rußland  oder 
Italien  ankommen  lassen,  beziehungsweise  gestützt  auf  diese  Möglichkeit, 
ihren  Willen  diesen  Staaten  gegenüber  durchsetzen. 

In  Bosnien-Herzegov^na  stehen  momentan  69  Bataillone,  welche 
durch  Serbien  und  Montenegro  dermalen  gebunden  sind,  diese  Kräfte 
werden  vor  allem  frei,  wenn  der  freundschaftliche  Fuß,  beziehungsweise 
der  Bund  mit  diesen  Staaten  hergestellt  ist;  außer  diesen  Kräften  aber 
auch  noch  alle  jene,  welche  bereit  gehalten  werden  müßten,  sofeme  man 
der  genannten  Staaten  im  Falle  einer  Verwicklung  mit  Rußland  oder 
Italien  nicht  sicher  wäre. 

Durch  diese  freiwerdenden  Kräfte  erhöht  sich  also  bedeutend  die 
Schlagbereitschaft  gegen  die  genannten  beiden  Großstaaten. 

Es  spricht  also  auch  die  militärische  Lage  für  die  eingangs  vor- 
geschlagene Politik. 

Im  Gegenfalle  könnte  es  zu  einer  Situation  kommen,  in  welcher  die 
Monarchie  sowohl  Rußland  als  Italien,  wie  die  Balkanstaaten  (mindestens 
Serbien  und  Montenegro)  gegen  sich  hat,  eine  Situation,  welcher 

317 


die  militärischen  Kräfte  der  Monarchie  nunmehr,  da 
man  die  Balkanstaaten  sich  selbständig  entwickeln 
ließ,  nicht  gewachsen  wären. 

Die  unmittelbare  räumliche  Angrenzung  der  Monarchie  an  die 
Balkanstaaten  ist  ein  geographischer  Vorteil,  welcher  keinem  anderen 
Großstaat  zukommt;  dieser  Vorteil  muß  ausgenützt  werden  durch  den 
vollen  Interessenzusammenschluß.  Im  Falle  des  letzteren  repräsentiert 
dieser  Staatenbund  eine  Macht,  welche  es  ruhig  mit  eventuellen  Gegnern 
aufnehmen  kann. 

In  dieser  Machtstellung  fänden  auch  die  Balkanstaaten  jene  großen 
Vorteile,  welche  es  wahrscheinlich  erscheinen  lassen,  daß  die  Idee  dieses 
Bundes  bei  ihnen  Eingang  und  Zustimmung  finden  wird. 

Läßt  man  Serbien  und  Montenegro  sich  außerhalb  des  Anschlusses 
an  die  Monarchie  weiter  selbständig  entwickeln,  dann  besteht  die 
große  Gefahr,  daß  sich  diese  Staaten  bei  kriegerischen  Verwicklungen 
der  Monarchie  der  südslawischen  Gebiete  der  letzteren  bemächtigen, 
womit  vor  allem  der  so  wichtige  Küstenbesitz  in  Frage  stünde. 

An  diesen  Küstenbesitz  sind  aber  das  Emporblühen  des  Seehandels 
und  die  Entwicklung  einer  diesen  schützenden,  achtunggebietend«! 
Kriegsmarine  gebunden. 

Es  weisen  also  auch  die  maritimen  Rücksichten  auf  die  eingangs 
vorgeschlagene  Politik. 

Welcher  große  Vorteil  dem  Handel,  der  Industrie,  dem  Verkehr  aus 
diesem  Zusammenschluß  erwachsen  würde,  bedarf  kaiun  einer  eingehenden 
Begründung;  kleinliche  agrarische  Interessen  können  da  wohl  nicht  in 
Betracht  kommen. 

Es  steht  zu  hoffen,  daß  durch  den  großen  Zug  einer  solchen  Ent- 
wicklung von  Verkehr,  Industrie  und  Handel  die  Geister  endlich  von  dem 
kleinlichen  Hader  abgelenkt  werden,  welcher  dermalen  die  besten  Kräfte 
der  Monarchie  lahmlegt. 

Sollten  sich  aber  kleinliche  Sonderinteressen  der  Richtung  dieser 
Politik  entgegenstellen,  so  muß  endlich  die  Macht  der  Zentralgewalt  mit 
aller  Energie  dagegen  einsetzen. 

Wird  diese  Zentralgewalt  in  einer  Weise  geübt,  daß  sie  allen  für 
die  Monarchie  bedeutungsvollen  Nationen  zu  ihrem  Rechte  verhilft,  dann 
wird  es  ihr  auch  nicht  an  dem  Rückhalt,  der  nötigen  Macht  fehlen. 

Ich  denke  hiebei  vor  allem  an  die  Selbständigstellung  Kroatiens 
und  Slawoniens  und  die  Befriedigung  der  Ruthenen  bei  schärfstem, 
rücksichtslosestem  Vorgehen  gegen  alle  moskalophilen  Tendenzen, 
ferner  an  die  fürsorgliche  Pflege  der  loyalen  südtirolischen  und  friaulischen 
Bevölkerung  bei  schonunglosem  Einschreiten  gegen  den   Irredentisraus. 

318 


Nach  diesen  Streiflichtern  sei  jetzt  auf  zwei  Fragen  eingegangen, 
welche  sich  unwillkürhch  stellen: 

1.  Werden  die  Balkanstaaten  auf  diesen  Bundesanschluß  eingehen? 

2.  Werden  die  Großmächte  diesen  Bund  akzeptieren? 

In  erster  Hinsicht  habe  ich  schon  im  Vorstehenden  die  Vorteile 
angedeutet,  welche  den  Balkanstaaten  aus  dem  Zusammenschluß  mit  der 
Monarchie  durch  die  große  Macht  erwachsen,  welche  diesem  Bund  im 
Völkerkonzerte  zukäme  und  welche  ihnen  auch  am  sichersten  ihr 
ungefährdetes  Weiterblühen  garantieren  würde.  Aber  auch  in  aller 
anderen  Hinsicht  würde  ihnen  ihr  wirtschaftlicher  Anschluß  an  die 
Monarchie  bei  der  geographischen  Nähe  der  letzteren,  bei  dem  Zug  der 
Verkehrswege,  bei  den  ethnographischen  Zusammenhängen  ganz  bedeutende 
Vorteile  gewähren,  während  all  dies  mehr  oder  weniger  gefährdet  v/äre, 
falls  sie  immer  damit  rechnen  müßten,  unter  Umständen  die  Monarchie 
zum  Gegner  zu  haben.    Kurz  gefaßt,  wäre  das  politische  Verhältnis  so: 

Durch  ihre  geographische  Lage  schützt  die  Monarchie  die  Balkan- 
staaten, durch  den  Bund  mit  diesen  bekommt  sie  die  Macht,  diesen  Schutz 
auch  ausreichend  zu  gestalten. 

So  fänden  beide  Teile  ihren  Vorteil. 

Was  nun  die  zweite  Frage  anlangt,  nämlich  den  Einspruch  der 
Großmächte,  so  ist  es  zweifellos,  daß  diese  den  Zusammenschluß  der 
Monarchie  mit  den  Balkanstaaten  sehr  scheel  ansehen  würden  (ein  Grund 
mehr,  ihn  zu  realisieren);  aber  ich  glaube  kaum,  daß  irgend  eine  Macht 
diesem  Zusammenschluß  kriegerisch  entgegentreten  würde. 

Rußland,  wenn  es  die  Balkanstaaten  gegen  sich  hat  und  nicht 
durch  Italien  kriegerisch  unterstützt  würde,  hätte  keine  besondere  Chance 
gegen  die  mit  Rumänien  verbündete  Monarchie.  Greift  aber  Italien 
gleichfalls  gegen  letztere  ein,  dann  müßte  Deutschland,  der  Dreibund- 
pflicht gemäß,  auf  Seite  der  Monarchie  treten.  Es  ist  kaum  wahrscheinlich, 
daß  Rußland  eine  solche  Konstellation  riskieren  würde.  Überdies 
spricht  in  Rußland  noch  folgendes  mit: 

Dynastie  und  alle  Würdenträger,  deren  Existenz  von  dieser  abhängt, 
dann  ein  großer  Teil  der  besitzenden  Klasse  sind  dem  Krieg  abhold,  weil 
sie  die  Revolution  und  damit  den  Verlust  ihrer  Existenz  fürchten. 

Zum  Krieg  drängen  die  ultramoskalophilen,  dann  die  panslawistischen 
Kreise,  welche  die  Ausbreitung  Rußlands  zum  Ziele  haben,  femer  die 
sozialistisch-revolutionäre  Partei,  welche  sich  eine  Besserung  der  inner- 
politischen Verhältnisse,  und  die  polnische  Partei,  welche  sich  Befreiung 
vom  Russentum  erhofft.  Diese  im  Innern  wühlenden  und  im  Kriegsfall 
ans  Tageslicht  tretenden  Kräfte  schaffen  für  Rußland  keine  günstigen 
Vorbedingungen  für  die  Führung  eines  Krieges. 

319 


Italien  hat  zwar  momentan  den  Vorteil  einer  mobilisierten  kriegs- 
geübten Flotte,  die  Kaders  seines  Landheeres  sind  durch  den  tripoli- 
tanischen  Krieg  aber  zweifellos  derart  in  Mitleidenschaft  gezogen,  daß 
für  eine  rasche  Kriegsbereitschaft  die  Bedingungen  dermalen  nicht  günstig 
liegen  —  daher  auch  Italiens  momentane  Liebenswürdigkeit  gegen  die 
Monarchie.  Allerdings  kommt  Italien  an  den  Grenzen  der  Monarchie 
ein  sehr  weitgehend  ausgebautes  System  permanenter  Befestigungen  zu- 
statten, welches  den  Angriffskrieg  gegen  diesen  Staat  um  so  schwieriger 
gestaltet,  je  mehr  es  dank  den  nicht  zu  leugnenden,  von  mir  durch  fünf 
Jahre  fast  erfolglos  bekämpften  Versäumnissen  diesseits  an  den  erforder- 
hchen  Angriffsmitteln  fehlt.  Trotzdem  ist  es  kaum  wahrscheinhch,  daß 
Italien  dermalen  einen  Krieg  gegen  die  Monarchie  provozieren  dürfte, 
wenn  diese  die  Balkanstaaten  auf  ihrer  Seite  hat  und  nicht  auch  von 
Rußland  angegriffen  wird. 

Immerhin  liegt  in  der  Möglichkeit  eines  gleichzeitigen 
kriegerischen  Auftretens  Italiens  und  Rußlands  gegen  die  Monarchie  der- 
malen die  größte  Gefahr,  und  erwächst  daher  der  Diplomatie  vor  allem 
die  Aufgabe,  ein  solches  Doppelengagement  zu  verhüten,  sei  es,  daß 
Italien,  oder  sei  es,  was  vorteilhafter  wäre,  daß  Rußland  in  Schach 
gehalten,  beziehungsweise  zur  Neutralität  veranlaßt  würde. 

Frankreich.  Ich  bin  zwar  hinsichtlich  Frankreichs  sehr  wenig 
orientiert,  glaube  es  jedoch  dermalen  derart  finanziell  engagiert,  und  zwar 
ganz  besonders  auch  in  Rußland,  daß  ihm  ein  Krieg  nicht  sehr  will- 
kommen wäre.  Die  unablässigen  Friedensbemühimgen  seiner  leitenden 
Kreise  scheinen  diese  Stimmung  zu  verraten. 

Deutschland  dürfte  infolge  der  Niederlage  der  Türkei  zwar 
manchen  Traum  schwinden  sehen  und  dürfte  daher  auch  über  den 
Zusammenschluß  der  Monarchie  mit  den  Balkanstaaten  zu  einer  großen 
Balkanmacht  nicht  sehr  erfreut  sein,  aber  die  allgemeine  Lage  läßt  es 
für  Deutschland  kaum  rätUch  erscheinen,  sich  feindlich  gegen  die 
Monarchie  zu  stellen,  wenn  diese  das  ganze  West-  und  Südslawentum, 
sowie  die  Polen  für  sich  hat.  Auch  wäre  es  für  Deutschland  eine  Gefahr, 
Rußland  größer  und  mächtiger  werden  zu  lassen. 

England.  Wie  sich  England  zu  der  hier  vorgeschlagenen  Politik 
der  Monarchie  stellen  würde,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Daß  ihm  die 
Entstehung  eines  neuen  mächtigen  Konkurrenten  im  östlichen  Mittelmeer 
unbequem  wäre,  steht  wohl  außer  Frage,  aber  es  vermöchte  dagegen 
doch  nur  seine  maritime  Kraft  einzusetzen;  ob  es  dies  aber  mit  Rücksicht 
auf  die  stets  gefürchtete  Bedrohung  seitens  Deutschlands  tun  wird,  ist 
fraglich.    Wenn  ja,  so  würde  es  dazu  greifen,  ob  nun  die  Monarchie  den 

320 


Bund  mit  den  Balkanstaaten  schließt  oder  nicht.  Es  hätte  die  Monarchie 
also  gar  nichts  gewonnen,  wenn  sie  sich  Englands  wegen  abhalten  ließe, 
dem  Bund  beizutreten,  sondern  sie  würde  nur  die  damit  verknüpften 
Vorteile  einbüßen. 

Rumänien.  Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  daß  Rumänien  dem 
Anwachsen  Bulgariens  sehr  mißgünstig  gegenübersteht,  sowie  daß  es 
auch  territoriale  Ansprüche  an  Bulgarien  geltend  macht.  Ob  Rumänien 
darin  so  weit  gehen  wird,  daß  es  sich  jetzt  kriegerisch  gegen  Bulgarien 
wendet,  ist  bei  den  fortwährenden  Niederlagen  der  Türkei  und  bei  der 
Gefährdung  durch  Rußland  kaum  anzunehmen.  Jedenfalls  müßte 
Rumänien  diesen  Schritt  sofort  unternehmen  und  nicht  erst  abwarten,  bis 
die  Türkei  einen  neuen  Echec  erlitten  hat.  Rumäniens  Haltung  muß  sich 
also  sehr  bald  deklarieren.  Bei  nüchterner  Erwägung  fände  Rumänien 
im  Beitritt  zum  Bund  die  beste  Gewähr  für  sein  wirtschaftliches  und 
staatliches  Gedeihen.  Der  Anschluß  Rumäniens  wäre  aber  auch  für  die 
Monarchie  von  besonderem  Vorteil,  insbesondere  wenn  es  dadurch 
gelänge,  Rumänien  dauernd  in  Gegnerschaft  zu  Rußland  zu  erhalten,  dem 
es  ja  doch  gerne  Bessarabien  abnehmen  möchte. 

Nicht  zu  leugnen  ist  die  Gefahr,  welche  darin  liegt,  daß  sich  der 
blühende  Staat  Rumänien  gerade  als  Nachbar  Siebenbürgens  entwickelt, 
welches  so  zahlreich  von  Rumänen  bewohnt  ist,  daß  stets  die  Sorge 
eines  endlichen  Zusammenschlusses  der  ungarländischen  Rumänen  mit 
denen  des  Königreiches  besteht.  Aber  ich  glaube,  daß  sich  dieser  nun 
einmal  nicht  wegzuleugnenden  Gefahr  eines  Verlustes  der  rumänischen 
Gebiete  viel  eher  vorbeugen  läßt,  wenn  man  es  erreicht,  daß  sich 
Rumänien  an  die  Monarchie  anschließt,  als  wenn  man  es  außerhalb  der 
letzteren  als  unablässigen  Attraktionsherd  bestehen  läßt,  nachdem  man 
schon  im  Jahre  1854/55  versäumt  hat,  diese  Gebiete  der  Monarchie 
einzuverleiben. 

Voraussicht  ist  in  dieser  Beziehung  besonders  geboten,  da  Rußland 
in  Rumänien  eine  Partei  unterstützt,  welche  den  Anschluß  der  ungar- 
ländischen Rumänen  an  das  Königreich  zum  Ziele  hat. 

Albanien.  Es  ist  kaum  anzunehmen,  daß  die  vier  kriegführenden 
Balkanstaaten  ihre  kriegerischen  Unternehmungen  auch  auf  ganz  Albanien 
erstrecken  und  die  Aufteilung  dieses  Gebietes  anstreben  werden.  Albanien, 
räumlich  ganz  von  der  Türkei  losgelöst,  wird  dadurch  zu  einem  eigenen 
staatlichen  Gebiet.  Diese  Autonomie  Albaniens  wäre  unbedingt  zu 
stützen,  aber  unter  der  Bedingung  der  Annahme  eines  ö.-u.  Protektorates, 
etwa  in  der  Art  wie  Ägypten  unter  England. 

21,  Conrad  II  32) 


Gründe  für  diese  Festsetzung  in  Albanien. 

Nachdem  die  Monarchie  schon  den  direkten  Weg  ans  Ägäische  Meer 
in  andere  Hände  übergehen  heß,  ist  es  geboten,  ihren  Küstenbesitz 
wenigstens  in  der  Adria  zu  vergrößern  und  insbesondere  die  Bucht  von 
Valona  in  ihre  Hände  zu  bekommen,  um,  gestützt  hierauf,  ihre  Seemacht 
entvi'ickeln  und  zur  Geltung  bringen  zu  können. 

Albanien  unter  dem  dürekten  Einfluß  der  Monarchie  bildet  ein  wert- 
volles Gewicht  den  anderen  Balkanstaaten  gegenüber,  falls  es  mit  diesen 
zu  Differenzen  kommen  sollte.  Dieses  Gewicht  ergibt  sich  ebensowohl 
aus  der  geographischen  Lage  im  Rücken  Serbiens  und  Montenegros,  falls 
diese  in  Konflikt  mit  der  Monarchie  geraten,  wie  aus  der  Zahl  und  Eigen- 
art der  Bevölkerung,  beziehungsweise  der  Stärke  der  aus  letzterer  zu 
bildenden  Wehrmacht. 

Albanien  im  Einfluß  der  Monarchie  schließt  jeden  andern  Einfluß, 
insbesondere  jenen  Italiens  aus. 

Albanien  in  derartigem  Anschluß  an  die  Monarchie  wird  ein  frucht- 
bringendes Handels-  und  Verkehrsgebiet  für  diese. 

Aussichten  für  die  Realisierung  dieses  Anschlusses. 
Die  Albanesen,  eine  autochthone  Rasse  für  sich,  eingekeilt  zwischen 
Slawen  und  Griechen,  sind  auf  den  Schutz  einer  Großmacht  geradezu 
angewiesen  und  sind  von  früher  her  gewohnt,  als  solche  Österreich- 
Ungarn  zu  betrachten.  Es  kann  und  muß  daher  angestrebt  werden,  daß 
die  Bitte  um  diesen  Anschluß  von  albanesischer  Seite  selbst  erfolgt.  Ist 
dies  aber  der  Fall,  dann  fehlt  den  Großmächten  die  Handhabe,  sich  g^en 
diesen  Anschluß  zu  stellen. 

Ausführbarkeit  dieses  Projekts. 

Erfolgt,  wie  oben  vorausgesetzt,  die  Bitte  um  dieses  Protektorat  von 
albanesischer  Seite,  hat  die  Monarchie  also  nicht  zu  besorgen,  bei  der 
Durchführung  auf  Widerstand  zu  stoßen,  so  erschiene  für  letztere 
folgender  Vorgang  geboten: 

MiHtärische  Besetzung; 

Einrichtung  der  autonomen  Verwaltung; 

sukzessive  Organisierung  der  nationalen  albanesischen  Wehrmacht  — 
anfänglich  im  Schützenvereinswesen  etc.; 

Bau  von  Kommunikationen. 

Anzustreben,  beziehungsweise  als  Mitbedingung  zu  stellen  wäre  die 
Erklärung  Valonas  als  ö.-u.  Kriegshafen;  diesfalls  müßten  dann  dessen 
Befestigung  und  Einrichtung  erfolgen. 

Was  nun  die  müitärische  Besetzung  anlangt,  so  wären  nach  grober 
Schätzung,  und  zwar  unter  der  Voraussetzung  widerstandslosen  Ein- 

322 


marsches,  mindestens  drei  Divisionen  erforderlich,  das  ist  je  eine  für 
Nord-,  Mittel-  und  Südalbanien: 

(Nord:  Alessio,  Ipek,  Prizrend); 

(Mittel:  Durazzo,  Elbassan,  Ochrida); 

(Süd:  Valona,  Argyrokastron,  Janina); 

(Korpskommando:  Elbassan). 

Diese  Kraft  würde  etwa  45  Bataillone  betragen;  bedenkt  man  nun, 
daß  in  Bosnien-Herzegowina-Dalmatien  mit  Rücksicht  auf  Serbien  und 
Montenegro  69  Bataillone  gebunden  sind,  so  ergäbe  dies  zusammen 
141  Bataillone,  das  ist  nahezu  der  fünfte  Teil  der  Gesamtzahl  der  Bataillone 
der  Fußtruppen,  was  einen  sehr  empfindlichen  Ausfall  aus  der  Operations- 
armee bedeutet,  die  für  einen  großen  Krieg  (Rußland  oder  Italien)  in 
Betracht  kommt. 

Auch  dieser  Umstand  weist  darauf  hin,  den  Anschluß  an  die  Balkan- 
staaten zu  suchen,  um  die  jetzt  in  Bosnien-Herzegowina-Dalmatien 
gebundenen  Kräfte  für  die  Besetzung  Albaniens  frei  zu  bekommen.  Könnte 
man  aus  Bosnien-Herzegowina-Dalmatien  zwei  volle  Divisionen  von  den 
dort  befindlichen  vier  entnehmen,  so  würde  es  noch  einer  Division  aus 
dem  übrigen  Gebiet  der  Monarchie  bedürfen. 

Es  soll  hier  übergangen  werden,  daß  in  späterer  Folge  ein  eigenes 
Besatzungskorps,  verstärkt  durch  die  einheimischen  Truppen,  zu  formieren 
und  daher  die  große  Ordre  de  bataille  der  Armee  wieder  in  ihrer 
normalen  Zusammensetzung  herzustellen  wäre;  für  die  erste  Besetzung 
erübrigt  jedoch  nur  der  oben  geschilderte  Vorgang  und  müßten  auch 
für  diesen  die  Vorbereitungen  sofort  in  Angriff  genommen  werden. 

Eine  äußerst  wesentliche  Frage  bildet  jene  nach  der  Verbindung 
Albaniens  mit  der  Monarchie.  Keinesfalls  dürfte  diese  auf  den  Seeweg 
allein  beschränkt  bleiben,  sondern  es  wäre  die  Landverbindung  ebenso- 
wohl von  Süddalmatien  über  Antivari,  als  durch  das  Limtal  und  durch 
Serbien  vertragsmäßig  zu  sichern  (Bahnbauten). 

Würde  für  die  hier  vorgeschlagene  Richtung  in  der  Balkanpolitik 
entschieden  werden,  so  hätten  die  Vereinbarungen  hiezu  schon  jetzt,  und 
zwar  direkt  mit  den  Regierungen  der  Balkanstaaten,  also  mit  geflissent- 
lichem Ausschluß  der  Großmächte  zu  erfolgen,  um  diese  vor  ein  fait 
accompli  zu  stellen.  Sie  wären  beim  König  von  Bulgarien  zu  begiimen, 
dann  bei  jenem  von  Montenegro,  endlich  bei  jenem  von  Serbien  und 
Griechenland  fortzusetzen. 

Sollte  jedoch  dieser  Anschluß  der  Monarchie  an  den  Balkanbund 
von  den  Balkanstaaten  entschieden  abgelehnt  werden,  dann  hätte  die 
Monarchie  wenigstens  ihre  Aspirationen  auf  Albanien  zu  realisieren  und 
sich  auf  dem  übrigen  Gebiet  zunächst  nur  Handels-  und  Verkehrsvorteile 

21.  323 


zu  sichern,  um  erst  bei  seinerzeitiger  günstigerer  Gelegenheit  größere 
Ziele  zu  verfolgen. 

Ich  möchte  noch  der  Möglichkeit  gedenken,  daß  in  dem  jetzigen 
Krieg,  sei  es  mit  oder  ohne  Eingreifen  Rumäniens,  ein  Umschwung 
zu  Gunsten  der  Türkei  eintritt. 

In  diesem  Falle  müßte  die  Monarchie  sofort  zulangen  und  zum 
Schutze  Serbiens  und  Montenegros  aktiv  eingreifen,  lun  dann  aber  diese 
Gebiete  in  irgend  einer  Form  sich  anzugliedern  und  dadurch  die  süd- 
slawische Frage  zu  lösen,  deren  große  Gefahr  eben  darin  besteht,  daß 
ein  Teil  der  Südslawen  im  Gebiet  der  Monarchie,  der  andere  in  den 
angrenzenden  souveränen  Königreichen  lebt. 

Grundzug  unserer  Politik  muß  bleiben,  daß  es  darauf  ankommt,  die 
außerhalb  der  Monarchie  liegenden  (serbisch-montenegrinischen)  Gebiete 
der  Monarchie  anzugUedern;  geht  es  nicht  in  der  Form  einer  Ein- 
verleibung, so  muß  es  mindestens  in  einem  Bundesverhältnis  angestrebt 
werden.  Je  nachdem  sich  Gelegenheit  hiezu  bietet,  muß  dieselbe  in  der 
einen  oder  in  der  anderen  Weise  ausgenützt  werden. 

Am  Schlüsse  meiner  obigen  Darlegungen  möchte  ich  nur  resümieren, 
daß  in  der  jetzigen  Lage  der  Monarchie  ganz  spezielles  militärisches  Vor- 
denken und  ganz  spezielle  miUtärische  Vorbereitungen  notwendig  sind, 
wenn  man  nicht  Überraschungen  oder  Versäumnisse  erleben  will. 

Mehr  v/ie  je  müssen  jetzt  äußere  Politik  und  militärische  Maßnahmen 
Hand  in  Hand  gehen. 

Ich  will  jedoch  ohneweiters  annehmen,  daß  es  hieran  nicht  fehlt." 

Nach  einigen  Tagen  entschloß  ich  mich,  diesen  Essay  an  Exzellenz 
Baron  Bolfras,  an  Oberst  Dr.  von  Bardolff  und,  mit  Rücksicht  auf  die 
vorangeführte  Besprechung,  auch  an  Graf  Berchtold  zu  senden.  Zur 
Charakterisierung  des  Verhältnisses,  unter  dem  dies  geschah,  führe  ich 
die  begleitenden  Briefe  an  die  beiden  militärischen  Stellen  wörtlich  an: 

An  Exzellenz  Baron  Bolfras. 

„Wien,  1.  November  1912. 
Euer  Exzellenz! 

Ich  bitte  zu  verzeihen,  wenn  ich  als  Abseitsstehender  diese  Zeilen 
an  E.  E.  richte;  aber  den  epochalen  Ereignissen,  welche  sich  jetzt  voll- 
ziehen, vermag  wohl  kein  Patriot  teilnahmslos  gegenüberzustehen. 

Ich  erlasse  es  mir,  länger  auszuführen,  wie  bitter  ich  darunter  leide, 
daß  man  im  Jahre  1909  meinen  dringenden  Rat  unbeachtet  gelassen  hat 
und  die  bereits  gründlich  vorbereitete  Aktion  im  letzten  Momente 
fallen  Heß. 

324 


über  meinen  hochmütigen  Gegner  Ährenthal  sind  sich  die  Menschen 
—  glaube  ich  —  jetzt  klar,  ich  hätte  ihm  ein  längeres  Leben  gewünscht. 

Aber  Rekriminationen  nützen  nichts,  und  man  muß  mit  der  neuen 
Lage  der  Dinge  rechnen,  die  allerdings  für  die  Monarchie  kerne 
erhebende  ist. 

Tag  und  Nacht  mit  diesem  Gedanken  beschäftigt,  habe  ich  in  der 
beihegenden  Denkschrift  (oder  wie  man  es  nennen  will)  meine  Ansicht 
niedergelegt,  und  ich  bitte  E.  E.,  zu  gestatten,  daß  ich  diese  Arbeit  eines 
lediglichen  Zeitungslesers  unterbreite. 

Es  ist  mir  eine  Art  Beruhigung,  E.  E.  in  diesem  Moment  meine 
Anschauungen  vortragen  zu  dürfen. 

Ich  glaube,  daß  die  Monarchie  jetzt  wieder  vor  einem  Wendepunkt 
steht,  über  welchen  nur  große  Beschlüsse  gedeihUch  hinüberhelfen  können. 

Genehmigen  etc.  etc " 

An  Oberst  Dr.  von  Bardolff. 

„Wien,  2.  November  1912. 
Lieber  Bardolff! 

Ich  habe  in  der  jetzigen  schweren,  durch  die  Versäumnisse  des 
Jahres  1909  geschaffenen  Zeit  nicht  umhin  können,  mir  klarzulegen, 
wie  ich  die  Lage  auffasse  und  welches  die  Schritte  wären,  welche  die 
Monarchie  zu  unternehmen  hätte. 

Ich  habe  dies  schriftlich  niedergelegt  und  je  ein  Exemplar  dem 
Grafen  Berchtold  und  Exzellenz  Bolfras  eingehändigt. 

Ich  übersende  anliegend  ein  Exemplar  an  Dich  mit  der  Bitte,  es  — 
falls  Seine  Kaiserliche  Hoheit  darauf  reflektieren  sollte  —  Höchstdemselben 
zu  übergeben.  I 

Es  sind  lediglich  die  Anschauungen  eines  abseits  stehenden  Zeitungs- 
lesers. 

Mit  herzlichem  Gruß  etc " 

Indessen  gingen  unaufhaltsam  die  Ereignisse  am  Balkan  weiter. 

Die  Bulgaren  schlugen  in  der  Zeit  vom  28.  bis  31.  Oktober  die 
Türken  bei  Lüle-Burgas,  zemierten  Adrianopel  und  dirigierten,  wohl  um 
als  erste  in  Salonik  zu  erscheinen,  die  Kolonne  Todorow  nach  Maze- 
donien. Die  Serben  besetzten  am  28.  Oktober  Mitrovica,  am  31.  Oktober 
Prizren,  während  eine  in  Albanien  rasch  vordringende  Abteilung  schon 
am  28.  Oktober  Durazzo  an  der  Adria  erreichte. 

Damit  war  die  albanesische  Frage  in  eine  neue  Phase  getreten,  dies 
um  so  schärfer,  als  Serbien  am  8.  November  durch  seinen  Wiener 
Gesandten  (Jovanovic)  erklären  ließ,  es  werde  auf  dem  Besitz  eines  Adria- 
Hafens  unbedingt  bestehen. 

325 


Sowohl  Österreich-Ungarn,  als  Italien  sahen  hierin  eine  Verletzung 
ihrer  albanesischen  Interessen. 

Die  Lage  erhielt  eine  neue  Komplilcation,  als  die  Pforte  im  Wege 
des  Großveziers  Kiamil  Pascha  am  4.  November  1912  die  Großmächte 
um  Vermittlung  bat,  also  ihre  Ohnmacht  deklarierte. 

Die  Monarchie  sah  nun  die  Türkei,  auf  die  sie  als  Gegengewicht 
gegen  Serbien  und  Montenegro  doch  noch  gerechnet  hatte,  zusammen- 
gebrochen, Serbien,  ihren  hartnäckigsten  und  aggressivsten  Gegner,  im 
raschen  Aufschwung,  ihren  Dreibundalliierten  Italien  zwar  als  Gegner 
der  Balkanstaaten  bezüglich  Albaniens,  aber  gleichzeitig  auch  als  scharfen 
Konkurrenten  in  diesem  Gebiet;  Rumänien  aber,  dessen  sie  im  Kriegs- 
falle gegen  Rußland  dringend  bedurfte,  in  den  Balkanwirbel  hinein- 
gezogen, daher  nicht  mehr  gegen  Rußland  völlig  frei. 

Diese  Situation  zeigt  deutlich,  in  welche  Unklarheit  und  Unsicherheit 
die  Führung  der  Politik  in  einem  Staate  gelangt,  der  ohne  positives 
Ziel,  dem  rechtzeitigen,  entschlossenen  Handeln  ausweichend,  vermeint, 
dem  großen  Zug  der  Ereignisse  lediglich  mit  diplomatischen  Ausflüchten 
und  kurzfristigen  Arrangements  begegnen  zu  können. 

Schwer  war  es  bei  dieser  Lage  und  bei  dem  steten  Wechsel  der 
Geschehnisse,  die  Richtlinie  für  das  eigene  Handeln  festzustellen. 

Mir  über  die  Konsequenzen  dieser  neuen  Lage  klar  zu  werden, 
schrieb  ich  nachfolgenden  Zusatz  zu  meinem  Essay  vom  28.  Oktober  1912. 

„Zusatz 
zu  meinem  Essay  vom  28.  Oktober  1912. 

Wien,  am  8.  November  1912. 

In  einer  Denkschrift  vom  28.  Oktober  1.  J.  habe  ich  meine 
Anschauungen  über  die  politischen  Ziele  der  Monarchie  unter  Zugrunde- 
legung des  damaligen  Standes  der  militärisch-politischen  Lage  auf  dem 
Balkan  zum  Ausdruck  gebracht. 

Seither  haben  die  Ereignisse  im  Sinne  einer  völHgen  Niederwerfung 
der  Türkei  ihren  Fortgang  genommen,  aber  es  sind  auch  zwei  weitere 
wichtige  Momente  hervorgetreten. 

Das  eine  ist  das  Streben  der  Balkanbundesstaaten  nach  Aufteilung 
Albaniens  mit  Festsetzung  Serbiens  an  der  Adria,  das  zweite  ist  das 
Hervortreten  der  Aspirationen  der  Großmächte,  und  zwar  auch  im  Hin- 
blick auf  den  asiatischen  Besitz  der  Türkei. 

Die  in  meiner  ersten  Denkschrift  dargelegte  Idee  eines  bundes- 
staatlichen Zusammenschlusses  der  Balkanstaaten  mit  der  Monarchie  und 

326 


Rumänien,  in  welchem  Zusammenschluß,  wenn  er  erreicht  worden  wäre, 
ich  den  größten  politischen  Erfolg  für  die  Monarchie  erblickt  hätte, 
scheint  nicht  aufgegriffen  worden  zu  sein,  da  diesbezügliche  Verhand- 
lungen schon  längst  hätten  einsetzen  müssen;  dagegen  ist  seither  Serbien 
mit  Aspirationen  aufgetreten,  welche  es  in  Gegensatz  zur  Monarchie 
bringen,  für  welche  die  volle  Einflußnahme  auf  ein  autonomes  Albanien 
Bedingung  ist  und  die  nie  die  serbische  Festsetzung  an  der  Adria  zugeben 
könnte;  auch  sonst  sind  in  Serbien  Tendenzen  aufgetaucht,  welche 
geeignet  erscheinen,  die  Interessen  der  Monarchie  hintanzusetzen. 

Serbien  wäre  daher  klipp  imd  klar  vor  die  Wahl  zu  stellen,  ob  es 
freimdschaftliche  Beziehungen  zur  Monarchie  ehrlich  will,  in  welchem 
Falle  es  aber  dann  die  Bedingungen  hinsichtlich  Albaniens,  sowie  die 
wirtschaftUchen  Forderungen  akzeptieren  müßte,  oder  ob  es  auf  die 
freundschaftlichen  Beziehungen  der  Monarchie  verzichtet,  also  sich  den 
genannten  Bedingungen  nicht  fügt. 

Ersterenfalls  würde  sich  alles  konfliktslos  lösen, 

letzterenfalls  müßte  die  Monarchie  erklären,  daß  sie  es  isich  vor- 
behält, ihren  Willen  zur  Geltung  zu  bringen. 

Damit  spitzt  sich  die  Frage  für  die  Monarchie  zu  und  sie  muß  mit 
der  Möglichkeit  kriegerischen  Eingreifens  rechnen. 

Hätte  sie  hiebei  nur  den  Balkanbund  als  Gegner,  so  stünde  diesem 
Kriege  nichts  im  Wege,  insbesondere  wenn  Rumänien  gleichfalls  an  ihrer 
Seite  eingreifen  würde.  Tritt  jedoch  Rußland  den  Balkanstaaten  zur  Seite, 
so  hätte  die  Führung  dieses  Doppelkrieges  nur  dann  Chancen,  wenn 
Deutschland  an  der  Seite  der  Monarchie  eingreifen  und  Italien  entweder 
neutral  bleiben  oder  sich  an  die  Seite  der  Monarchie  und  Deutschlands 
stellen  würde. 

Allerdings  will  dabei  bedacht  sein,  daß  die  rumänischen  Kräfte,  wenn 
Bulgarien  in  die  Aktion  tritt,  durch  die  bulgarischen  Kräfte  gebunden, 
also  nicht  gegen  Rußland  verfügbar  wären,  so  daß  das  russische  VII.  und 
VIII.  Korps  sich  gleichfalls  gegen  die  Monarchie  wenden  könnte. 

Es  kämen  dann  noch 

10  serbische, 
4  montenegrinische, 
8  griechische,  somit 

22  Divisionen  in  Betracht,  wenn  sich  tatsächlich  der  ganze  Balkan- 
bund mit  Serbien  solidarisch  erklärt. 

Würde  auch  ein  Aufstand  in  Albanien,  den  man  mit  allen  Mittehi 
fördern  und  durch  ein  reichlich  mit  Artillerie  versehenes  Landungskorps 
direkt  unterstützen  müßte,  Teile  dieser  Kräfte,  etwa  10  Divisionen  (sechs 

327 


griechische,  eine  montenegrinische,  drei  serbische)  abziehen,  so  bheben 
noch  immer  deren  zwölf. 

Da  die  Monarchie  auf  dem  russischen  Kriegsschauplatz  wenigstens 
40  Divisionen  versammeln  müßte,  so  würden  für  den  Balkan  nur  deren 
acht  erübrigen,  welche  den  Kampf  zu  führen  hätten,  bis  auf  dem  russischen 
Kriegsschauplatz  die  Entscheidung  gefallen  wäre. 

Im  obigen  Kalkül  sind  absichtlich  die  Marschformationen  weg- 
gelassen, da  auch  bei  den  Gegnern  die  Formationen  dritter  Linie  nicht 
einbezogen  sind. 

Im  großen  ganzen  ergeben  diese  Formationen  ein  Plus  zu  Giuisten 
der  Monarchie. 

Diese  nur  sehr  im  groben  gemachte  Gegeneinanderstellung  ergibt 
immerhin,  daß  es  erwünschter  wäre,  das  Ziel  gegenüber  Serbien  zu 
erreichen,  ohne  mit  Rußland  in  Konflikt  zu  kommen;  und  der  Weg  hiezu 
üeße  sich  vielleicht  finden.  Würde  nämlich  die  Monarchie  die  Freiheit 
der  Dardanellen,  selbst  den  Besitz  des  Bosporus  Rußland  zuerkennen, 
unter  der  Bedingung,  daß  letzteres  der  Monarchie  freie  Hand  m  Albanien 
(speziell  den  Besitz  Valonas)  läßt,  so  wäre  hiedurch  vielleicht  die  Frage 
zu  lösen  und  dabei  noch  der  Vorteil  einzuheimsen,  daß  Rußland  in 
Gegnerschaft  zu  England  und  in  ein  getrübtes  Verhältnis  zu  Bulgarien 
geriete. 

Hat  man  aber  derart  Rußland  ausgeschaltet,  so  kann  die  Monarchie 
den  Krieg  gegen  Serbien,  beziehungsweise  den  Balkanbund  ohneweiters 
führen,  wenn  Serbien  bei  dieser  Lage  der  Dinge  nicht  ohnehin  nach- 
geben würde. 

Es  kommt  jetzt  allerdings  noch  Italien  in  Betracht,  und  zwar  dessen 
Haltung  für  den  Fall  einer  Besitznahme  Albaniens  durch  die  Monarchie. 
Vielleicht  wäre  Italien  durch  Zugeständnisse  im  Ägäischen  Meere  oder 
im  asiatischen  Besitz  der  Türkei  zu  befriedigen. 

Stellt  sich  jedoch  Italien  feindlich  gegenüber,  hat  man  aber  Rußland 
durch  das  Dardanellenzugeständnis  auf  seiner  Seite,  so  könnte  man  einen 
Doppelkrieg  gegen  Italien  und  den  Balkanbund  immerhin  riskieren,  wenn 
Rumänien  Bulgarien  bindet. 

Rechnet  man  nur  36  Divisionen  gegen  Italien,  so  blieben  12  gegen 
den  Balkanbund,  also  genügend  Chance  hinsichtlich  des  Zahlenverhält- 
nisses, da  Italien  mit  kaum  mehr  als  32  operativen  Divisionen  auftreten 
dürfte*). 


*)  Dieser  Kalkül  soll  durchaus  nicht  die  Scheidung  der  Kräfte  für  die 
Aufmarschgruppierung  bedeuten,  sondern  nur  ein  allgemeines  zahlen- 
mäßiges Abwägen  der  Gesamtkraft. 


328 


Bei  dem  plötzlichen  Aufschnellen  des  serbischen  Chauvinismus  wäre 
es  für  die  Monarchie  von  großem  Vorteil,  Serbien  eine  empfindliche 
Schlappe  beizubringen,  vor  allem  wegen  der  Rückwirkung  auf  die 
Slawen,  speziell  die  Südslawen  im  eigenen  Gebiet,  denen  zu  zeigen  wäre, 
daß  sie  ihr  Gedeihen  doch  nur  innerhalb  der  Monarchie  finden  können. 
Allerdings  wäre  im  Einklang  damit  dieses  Gedeihen  auch  wirklich  zu 
fördern  und  zu  garantieren,  was  besonders  hinsichtlich  Kroatiens  gilt, 
wo  geradezu  unhaltbare  Zustände  herrschen. 

Die  Interessen,  für  welche  die  Monarchie,  wenn  eine  Garantie 
anders  nicht  erreichbar  ist,  zu  den  Waffen  zu  greifen  hätte,  wären  also: 

Autonomie  Albaniens  unter  ö.-u.  Protektorat; 

ö.-u.  Kriegshafen  in  Valona; 

handeis-  und  verkehrspolitische  Vorrechte,  welche  im  Detail  von 
Fachmännern  zu  bestimmen  wären. 

Dabei  wäre  zu  trachten,  Rußland  und  Italien  neutral  zu  erhalten, 
mindestens  aber  einen  dieser  beiden  Staaten. 

Sollten  sich  jedoch  Rußland,  Italien  und  der 
Balkanbund  gemeinsam  gegen  die  Monarchie  erklä- 
ren, dann  wäre  letztere  diesem  Krieg  gegen  drei 
Fronten,  wenn  sie  außer  Deutschland  und  Rumänien 
nicht  noch  vollwertige  andere  Alliierte  bekommt, 
kaum  gewachsen. 

In  diesem  Falle  würde  ihr  nur  erübrigen,  gar  keine  bindenden 
Verpflichtungen  einzugehen,  gar  nicht  zu  paktieren,  sondern  sich  ganz 
abseits  zu  stellen,  aber  den  Moment  abzuwarten,  wo  sie  unter  günstigeren 
Chancen  ihr  Ziel  verfolgen  kann,  sich  für  diesen  Moment  vorzubereiten 
und  gegebenenfalls  energisch  mit  der  größten  Skrupellosigkeit  und  Rück- 
sichtslosigkeit zuzugreifen. 

Was  nun  das  eingangs  erwähnte  neuaufgetauchte  zweite  Moment 
betrifft,  nämlich  die  Aspirationen  auf  asiatische  Gebietsteile  der  Türkei, 
so  wäre  ehestens  eine  Enquete  maritimer,  handelsverkehrs-  und  finanz- 
politischer, sowie  militärischer  und  diplomatischer  (Konsular-) Fachleute 
einzuberufen,  welche  unter  weitreichenden  Gesichtspunkten  die  von  der 
Monarchie  zu  erstrebenden  Ziele  festzusetzen  und  die  Zugeständnisse  zu 
fixieren  hätte,  welche  man  anderen  Mächten  zur  Förderung  der  eigenen 
Interessen  gewähren  dürfte. 

Was  nun  das  Auftreten  der  Monarchie  in  den  jetzt  strittig  werdenden 
Fragen  anbelangt,  so  glaube  ich,  daß  dasselbe  aus  folgenden  Gründen 
ein  dezidiertes  sein  kann.  In  keinem  Großstaat  besteht  die  Neigung  zu 
einem  Krieg,  speziell  in  Rußland  besorgen  die  Dynastie,  die  besitzende 
Klasse,  hohe  Staatsangestellte  und  dergleichen  die  Revolution,  außerdem 

329 


dürfte  Rußland  noch  immer  nicht  von  allen  Mängeln  des  russisch- 
japanischen Krieges  geheilt  sein  und  auch  von  Frankreich  zurückgehalten 
werden,  für  welches  im  Falle  eines  Krieges  große  Werte  auf  dem  Spiele 
stehen. 

Italiens  Landheer  leidet  noch  an  den  Folgen  des  Krieges  in  Tripolis; 
Italien  ist  durch  letzteren  auch  finanziell  stark  hergenommen. 

Frankreich  hat  große  Sorgen  um  seine  bedeutenden  finanziellen 
Engagements,  und  die  Balkanstaaten  sind  durch  den  jetzigen  Krieg  nicht 
unbedeutend  erschöpft,  vielleicht  zeigen  sich  auch  Keime  der  Zwietracht. 

Eine  Frage,  welche  jedoch  noch  wesentlich  in  Betracht  kommt,  ist 
die  Wahl  des  Zeitpunktes  für  einen  eventuellen  Krieg. 

Die  Balkanstaaten  haben  in  sehr  geschickter  Weise  ihre  Operationen 
derart  begonnen,  daß  die  Entscheidung  knapp  vor  den  Winter  fällt,  wohl 
wissend,  daß  ihnen  während  des  letzteren  kaum  jemand  in  den  Arm 
fallen  wird. 

Tatsächlich  ist  ein  Winterfeldzug  ein  für  die  modernen  europäischen 
Armeen  sehr  hartes  Beginnen,  umsomehr,  wenn,  wie  bei  uns,  die  Aus- 
rüstimg für  einen  solchen  eine  sehr  mangelhafte  ist. 

Müßte  nun,  wenn  es  das  Staatsinteresse  unabwendbar  erheischt,  auch 
all  dies  in  den  Kauf  genommen,  somit  auch  ein  Krieg  im  Winter  geführt 
werden,  so  erscheint  es  doch  weit  vorteilhafter,  durch  diplomatisches  Hin- 
ziehen den  Kriegsbeginn  auf  die  bessere  Jahreszeit  zu  verschieben;  zudem 
käme  die  dadurch  gewonnene  Zeit  den  so  notwendigen  speziellen  Vor- 
bereitimgen  sehr  zustatten. 

Auf  Albanien  zurückkommend,  habe  ich  in  meinem  ersten  Essay 
die  übrigens  allgemein  klarliegenden  Gründe  für  die  dort  bestehenden 
Interessen  der  Monarchie  angeführt  und  dabei  auch  hervorgehoben,  daß 
eine  Zerstückelung  Albaniens  und  eine  serbische  Festsetzung  an  der 
Adria  nie  zuzugeben  wären. 

Ein  Kompromiß  könnte  vielleicht  dadurch  zustande  kommen,  daß 
die  Monarchie  an  Serbien  den  Raumbesitz  bei  Salonik  zugesteht,  mit 
Sonderrechten  für  die  Monarchie  hinsichtlich  dieses  Hafens  und  der  zu 
demselben  führenden  Bahn,  umgekehrt  aber  den  Serben  in  analoger 
Weise  die  Benützung  eines  norddalmatinischen  Hafens  mit  der  dahin 
führenden  Bahn  gewährt.  Die  beiderseitige  Garantie  läge  in  der  vollen 
Reziprozität. 

Was  die  Sonderrechte  der  Monarchie  hinsichtlich  Albaniens,  speziell 
den  Hafen  von  Valona  anlangt,  so  wäre  für  den  Fall,  als  es  zum  Krieg 
zwischen  Dreibund  und  Tripleentente  käme,  Italien  durch  die  Zusicherung 
von  Tunis  für  den  Fall  einer  glücklichen  Kriegsentscheidung  zu 
entschädigen. 

330 


Sollen  aber  die  Interessen  der  Monarchie  hinsichtlich  Albaniens 
gewahrt  werden,  so  sind  eheste  Verhandlungen  mit  den  Führern  Alba- 
niens erforderlich;  etwa  auf  folgender  Basis: 

Die  Monarchie  tritt  für  die  Autonomie  Albaniens  ein,  gegen  Annahme 
des  Protektorates  oder  doch  weitestgehender  Einflußnahme,  sowie  gegen 
Abtretung  des  Hafens  von  Valona. 

Die  Albanesen  haben  dieses  Eintreten  der  Monarchie  für  ihre  Inter- 
essen selbst  zu  beantragen. 

Auch  wäre  zu  sondieren,  ob  die  Idee  der  Erwählung  eines  öster- 
reichischen Prinzen  auf  den  Thron  Albaniens  Aussicht  auf  Realisierung 
hätte,  wenn  ja,  so  wäre  dies  unbedingt  anzustreben. 

Hinsichtlich  der  im  Vorstehenden  erwähnten  etwa  auftauchenden 
Zwietracht  zwischen  den  Balkanstaaten  möchte  ich  folgendes  anführen: 

Ich  hatte  heuer  in  der  zweiten  Hälfte  September,  also  in  einer  Zeit, 
in  welcher  die  Abmachungen  zwischen  den  Balkanstaaten  schon  längst 
perfekt  waren,  öfter  Gelegenheit,  in  Portorose  mit  Prinz  Mirko  von 
Montenegro  zu  sprechen.  Aus  seinen  Äußerungen  entnahm  ich  den  weit- 
gehenden Haß,  welcher  zwischen  der  montenegrinischen  und  der 
serbischen  Königsfamilie  besteht.  Ich  konnte  mich  auch  des  Eindruckes 
nicht  entschlagen,  daß  Prinz  Mirko  die  Aspiration  hat,  auf  den  serbischen 
Königsthron  zu  gelangen  und  hiezu  auf  die  Unterstützung  seitens  der 
Monarchie  rechnet;  positive  Anhaltspunkte  habe  ich  hiefür  allerdings  keine." 

Auch  diesen  Zusatz  sandte  ich  an  Exzellenz  Baron  Bolfras,  Graf 
Berchtold  und  Oberst  Dr.  von  Bardolff. 

Am  8.  November  1912  hatten  die  Griechen  Salonik  besetzt.  Sie  waren 
der  bulgarischen  Kolonne  Todorow  zuvorgekommen.  Am  12.  November 
hielt  König  Georg  dortselbst  seinen  Einzug. 

Wo  schon  vor  mehr  als  fünfzig  Jahren  weitblickende  Politiker*) 
ein  österreichisches  Emporium  erhofften,  wehten  jetzt  Griechenlands 
Fahnen. 

Am  13.  November  richtete  die  Pforte  ein  Friedensangebot  an  König 
Ferdinand  von  Bulgarien,  das  dieser  jedoch  ablehnte,  in  der  Erwartung, 
im  Siegeslauf  auch  Konstantinopel  zu  erreichen,  trotz  des  Gegensatzes, 
in  den  er  dadurch  zu  Rußland  kommen  mußte. 

Um  diese  Zeit  verfaßte  ich  das  nachfolgende  Memoire  als  zweiten 
Nachtrag  zu  meinem  Essay  vom  28.  Oktober  1912  und  sandte  es  wie 
die  früheren  an  die  drei  wiederholt  genannten  Stellen. 

*)  Konsul  Hahn:  „Von  Belgrad  nach  Salonik." 

331 


„Zweiter  Nachtrag  zu  meinem  Essay, 

Wien,  am  16.  November  1912. 

Seit  meinem  letzten  am  8.  November  geschriebenen  Essay  erhielt  ich 
gesprächsweise  die  Mitteilung  über  die  auf  früheren  Abmachungen  basierte 
Möglichkeit  der  Entsendung  eines  italienischen  Okkupationskorps  nach 
Albanien. 

Ich  empfand  dies  wie  einen  schrillen  Mißton  und  ersah  daraus 
erneuert,  in  welcher  Weise  Graf  Ährenthal  die  Monarchie  auch  in  dieser 
Richtung  gebunden  und  benachteiligt  hat. 

Diese  Eventualität  verändert  nicht  unwesentlich  das  Bild,  unter 
welchem  ich  meine  Essays  vom  28.  Oktober  und  vom  8.  November 
geschrieben  habe,  und  macht  es,  um  in  diesem  Bilde  möghchst  klar  zu 
sehen,  notwendig,  die  ganze  albanesische  Frage  einer  vorurteilslosen 
und  ganz  nüchtern  rechnenden  Betrachtung  zu  unterziehen,  damit  die 
Monarchie  nicht  etwa  Opfer  auf  sich  ladet,  durch  welche  schließlich  nur 
Italien  ein  Dienst  erwiesen  und  letzterem  ein  Vorteil  zugewendet  wird, 
der  in  der  Folge  zu  Ungunsten  der  Monarchie  ausschlagen  könnte. 

In  diesem  Sinne  steht  die  Frage  voran,  worin  die  Interessen  der 
Monarchie  bezüglich  Albaniens  bestehen;  es  sind  dies  folgende: 

I.  Die  kriegsmaritimen  Interessen. 

Eine  kriegsmaritime  Festsetzung  irgend  eines  andern  Staates  an  der 
albanesischen   Küste   bis  südlich   Valona   wäre  für  die  Seegeltung  der 
Monarchie  ehi  empfindlicher  Nachteil,  muß  also  hintangehalten  werden. 
Die  bloße  Zusage  einer  (solchen)  Neutrahsierung  wäre  keine  aus- 
reichende Gewähr; 

letztere  muß  sich  vielmehr  auf  eine  erhöhte  Machtstellung  der 
Monarchie  gründen. 

Diese  Machtstellung  wäre  durch  folgendes  garantiert: 
a)  Nur  ö.u.  Kriegsschiffen  ist  der  dauernde  Aufenthalt  in  diesen Tiäfen 

gestattet; 
b)  Österreich-Ungarn  besorgt  die  Seepolizei  in  diesem  Gebiete; 
c)  der  Hafen  von  Valona*)  wird  ö.-u.  Kriegshafen,  inkl.  des  umliegenden 
Terrains,  soweit  es  zu  seiner  militärischen  Sicherung  notwendig  ist. 


*)  „Valona  als  Flottenstützpunkt  einer  fremden  Seemacht  würde  die 
Adria  für  die  Monarchie  zu  einem  mare  clausum  machen  und  jede  Aktion 
der  k.  u.  k.  Kriegsmarine  empfindhch  gefährden ;  Valona  dagegen  als  Stütz- 
punkt für  die  k.  u.  k.  Flotte  würde  dieser  eine  äußerst  gesicherte  Aktions- 
freiheit gewähren  und  die  Verteidigung  der  Adria  gegen  eine  einbrechende 
feindliche  Flotte  wesentlich   begünstigen,  es  wäre   ein   ö.-u.   Gibraltar." 

332 


In  diesen  Zugeständnissen  sehe  ich  die  wesentUchste  Bedeutung  der 
albanesischen  Frage  für  die  Monarchie. 

II.   Die  kontinental-militärischen   Interessen. 

Die  nächste  Bedeutung  liegt  darin,  in  Albanien  einen  selbständigen 
Staat  zu  schaffen,  welcher  als  Gegengewicht  gegen  Serbien  und  Monte- 
negro ausgespielt  werden  könnte,  wenn  es  zu  Konflikten  mit  diesen 
Staaten  kommen  sollte.  Albanien  mit  zirka  1,Q00.000  Einwohnern  ver- 
möchte immerhin  ein  Heer  zu  stellen,  welches  Montenegro  und  einen 
Teil  der  serbischen  Kräfte,  darunter  insbesondere  die  jetzt  neuhinzu- 
kommenden, zu  binden  vermöchte,  so  daß  man  mit  8  ö.-u.  Divisionen  den 
Rest  niederhalten,  also  40  Divisionen  für  einen  eventuellen  Hauptkriegs- 
schauplatz verfügbar  haben  könnte. 

Vorausgesetzt  ist  dabei,  daß  ein  autonomes  Albanien  auch  tatsächlich 
der  Monarchie  zur  Seite  tritt,  und  nicht  entweder  ganz  passiv  bleibt  oder 
sich  einem  andern  Staate  (Italien)  dienstbar  macht,  wofür  zwar  möglichst 
Garantien  geschaffen  werden  müßten,  worauf  jedoch  nicht  mit  voller 
Sicherheit  gerechnet  werden  kann,  insbesondere  wenn  man  diesem  Staat 
(Italien)  schon  im  voraus  eine  Einflußnahme  in  Albanien  einräumt,  wie 
dies  leider  schon  geschehen  oder  doch  in  Aussicht  gestellt  sein  soll. 

III.  Die  kommerziellen  Interessen. 

Ich  bin  in  dieser  Richtung  viel  zu  wenig  Fachmann,  um  ein 
bestimmtes  Urteil  abgeben  zu  können,  aber  es  scheint  mir  kein  Vorteil  für 
die  Monarchie  zu  sein,  wenn  Serbien  die  Möglichkeit  erhält,  mit 
Umgehung  des  Gebietes  der  letzteren  einen  Schienenweg  an  die  Adria 
und  dortselbst  einen  Hafen  zu  bekommen,  durch  welchen  es  ungehindert 
exportieren  und  importieren  kann.  Allerdings  gibt  es  anderseits  auch 
eine  Ansicht,  wonach  ein  hiedurch  wirtschaftlich  aufblühendes  Serbien 
ein  sehr  willkommenes,  kaufkräftiges  Absatzgebiet  für  die  Monarchie 
würde.  Welche  der  beiden  Anschauungen  zutrifft,  wäre  fachmännisch 
festzustellen. 

IV.  Die  allgemein-politischen  Interessen. 

Bezüglich  dieser  ist  vor  allem  zu  entscheiden,  ob  man  in  Hinkunft 
der  Politik  die  Richtmig  nach  einer  Serbien  und  Montenegro  freund- 
schaftlichen, auf  den  möglichst  innigen  Anschluß  an  die  Monarchie 
abzielenden  Haltung  geben,  oder  ob  man  eine  Richtung  wählen  will, 
welche  mit  der  gewaltsamen  Niederringung  dieser  beiden  Staaten  rechnet. 

Vor  allem  bergen  beide  Richtungen,  wenn  auch  auf  verschiedenen 
Wegen,  die  Gefahr,  daß  die  südslawischen  Staaten  den  Zusammenschluß 
mit  den  südslawischen  Gebieten  der  Monarchie  und  dann  die  Abtrennung 

333 


dieser  Gebiete  von  der  Monarchie  zum  Ziel  nehmen;  und  es  wäre  nur 
zu  entscheiden,  bei  welcher  von  den  beiden  Richtungen  diese  Gefahr  eine 
geringere  ist,  bezw.  welche  der  beiden  Richtungen  den  dauernden 
Interessenanschluß  dieser  beiden  Staaten  an  die  Monarchie  gewärtigen 
läßt. 

Bei  der  feindlichen,  gewaltsamen  Richtung  wird  die  Monarchie 
voraussichtlich  mit  der  Mißstimmung  der  eigenen  Südslawen,  vielleicht 
der  Slawen  (außer  den  Polen)  überhaupt,  ferner  mit  einem  Eintreten 
Rußlands  zu  rechnen  haben;  also  als  äußerste  Konsequenz  auch  mit 
einem  Krieg  gegen  letzteres.  Es  wird  abzuwägen  sein,  um  welcher 
Interessen  willen  man  auch  diese  Eventualität  in  Kauf  wird  nehmen 
müssen. 

Bei  der  andern,  den  freundschaftlichen  Anschluß  in  Aussicht 
nehmenden  Richtung  wird  festzustellen  sein,  ob  und  unter  welchen 
Bedingungen  ein  solcher  Anschluß  überhaupt  erreichbar  und  welches  das 
Mindestmaß  der  Forderungen  ist,  die  für  die  Wahrung  der  Interessen 
der  Monarchie  unerläßlich  sind. 

Diese  Forderungen  habe  ich,  soweit  sie  die  albanesische  Frage 
betreffen,  vorstehend  präzisiert.  Würde  diese  freundschaftliche  Richtung 
gewählt  und  erzielt  werden,  so  wäre  es  aber  auch  dabei  im  Interesse  der 
Monarchie  gelegen,  dem  albanesischen  Volksstamm  seine  Religion  und 
seine  Nationalität  unbedingt  gewahrt  zu  erhalten,  erstens,  weil  die 
Monarchie  das  Protektorat  über  einen  Teil  dieses  Volkes  übt,  zweitens, 
weil  sie  sich  bereits  für  letzteres  öffentlich  engagiert  hat  und  dies  nicht 
ohne  Prestigeverlust  aufgeben  kann,  und  drittens,  weil  es  trotz  aller 
freundschaftlichen  Beziehungen  mit  Montenegro  und  Serbien  vorsichts- 
halber geraten  ist,  sich  die  Albanesen  besonders  zugetan  zu  erhalten  und 
sie  nicht  im  Serbentum  aufgehen  zu  lassen. 

Sollte  es  nun  möglich  sein,  die  obdargelegten,  die  Interessen  der 
Monarchie  bezüglich  Albaniens  betreffenden  Forderungen  im  gütUchen 
Einvernehmen  mit  Serbien  und  Montenegro  gegen  sonstige  Zugeständ- 
nisse zu  erlangen  und  sicherzustellen,  so  wäre  dies  zweifellos  erwünschter, 
als  diese  Forderungen  erst  auf  dem  Umweg  einer  direkten,  sehr  zwei- 
schneidigen Mithilfe  Italiens  in  Albanien  und  eines  Krieges  gegen  Rußland 
und  die  Balkanstaaten  anzustreben. 

Klar  muß  man  sich  aber  darüber  sein,  daß  die  Einhaltung  dieses 
Weges,  insbesondere  wegen  des  Hafens  von  Valona,  zu  einem  kriege- 
rischen Konflikt  mit  Italien  führen  dürfte. 

Ich  bin  aber  nun  der  Ansicht,  daß  es  für  die  Monarchie  viel  nahe- 
liegender und  leichter  ist,  diesen  Krieg  zu  führen,  als  jenen  gegen  Rußland, 
welch  letzterer  nicht  nur  die  Sympathien  der  eigenen  Slawen  (außer  den 

334 


Polen)  gegen  sich  hätte,  sondern  auch  zu  einer  dauernden  Veifeindung 
mit  Rußland  führen  würde,  für  welche  eigentlich  kein  sonstiger  Inter- 
essengegensatz vorliegt,  ferner  zu  einer  dauernden  Verfeindung  mit  den 
westlichen  Balkanstaaten,  mit  denen  man  dann  bei  jedem  sonstigen 
Konflikt  als  Gegner  rechnen  müßte. 

Zudem  müßte  man  auch  nach  glücklicher  Entscheidung  in  diesem 
Krieg  doch  erst  noch  jenen  gegen  Italien  führen,  wenn  letzteres  die 
Interessen  der  Monarchie  in  Albanien  (Küste,  Valona)  freiwillig  nicht 
respektieren  würde,  was  besonders  dann  anzunehmen  ist,  wenn  man  ihm 
vorher  die  Okkupation  zugebilHgt  hat. 

Kurz,  es  erscheint  —  wenn  erreichbar  —  zweckmäßiger,  die 
Interessen  der  Monarchie  hinsichtlich  Albaniens  direkt,  das  ist  mit 
Ausschluß  Italiens  und  selbst  um  eines  Krieges  gegen  Itahen  willen  zu 
wahren,  als  um  den  Preis  eines  Krieges  gegen  Rußland  und  die  Balkan- 
staaten. 

Ich  bin  viel  zu  wenig  über  letztere  beide  orientiert,  um  ermessen  zu 
können,  welche  Aussicht  bei  diesen  ein  solcher  Vorgang  hätte;  aber  ich 
glaube,  daß  es  des  Versuches  wert  wäre,  durch  unverbindliche,  aber  sehr 
gewandte  Vermittler  bei  Serbien  und  Montenegro  zu  sondieren,  unter 
welchen  Bedingungen  sie  auf  diese  Lösung  der  Frage  emgehen  würden; 
der  Zustimmung  Bulgariens  dürfte  man  dann  sicher  sein. 

Sollte  nun  aber  dieser  Weg  aussichtslos  sein,  oder  sollte  man  sich 
für  denselben  nicht  entscheiden,  sondern  lieber  die  gewaltsame  Lösung 
mit  der  Konsequenz  eines  Krieges  gegen  Rußland  und  die  Balkanstaaten 
wählen,  dann  erscheint  mir,  wie  ich  dies  schon  in  meinen  beiden  ersten 
Essays  ausgeführt  habe,  unbedingt  nötig,  daß  man  der  aktiven  Mit- 
vidrkung  Deutschlands  und  Rumäniens  sicher  sei  und  daß  Italien  entweder 
gleichfalls  aktiv  eingreift  oder  doch  mindestens  neutral  bleibt,  sowie  daß 
Bulgarien  nicht  aktiv  gegen  die  Monarchie  und  ihre  Verbündeten  auftritt; 
letzteres,  damit  mindestens  acht  rumänische  Divisionen  gegen  Rußland 
gerichtet  werden  können. 

Außerdem  müssen  in  diesem  Falle,  also  wenn  man  den  Krieg  gegen 
Rußland  in  Aussicht  nimmt,  ehestens  folgende  Vorsorgen  getroffen 
werden. 

Erstens:  Maßnahmen,  welche  die  Durchführung  des  Aufmarsches 
sichern. 

Wie  ich  in  verschiedenen  Denkschriften  während  meiner  früheren 
Dienstverwendung  hervorgehoben  habe,  werden  moderne  Kriege  seitens 
des  initiativen  Teiles  stets  mit  Überraschungen  begonnen  werden;  so 
glaube  ich  auch,  daß  Rußland  in  dem  Moment,  in  welchem  es  zum 
Kriege    entschlossen    ist,    sofort    seine    starken    Kavalleriekörper,    seine 

335 


Grenzwachtruppen,  sonstige  Detachements  u.  dgl.  über  die  Grenze 
schicken  wird,  um  auf  diesseitigem  Gebiet  die  MobiUsierung  und  den 
Aufmarsch  ausgiebigst  zu  stören  und  damit  die  erste  Bedingung  für  eine 
günstige  Kriegsentscheidung,  nämlich  die  ungestörte  Versammlung  der 
Armee  zu  durchkreuzen. 

Da  nun  dieser  Entschluß  Rußlands  jedenfalls  in  dem  Moment  reifen 
dürfte,  in  welchem  die  Monarchie  die  Mobilisierung  proklamiert,  so  würde 
dieser  russische  Einbruch  unsere  Truppen  noch  in  den  schwachen 
Friedensständen  treffen,  was  jetzt  überdies  noch  dadurch  kompliziert  ist, 
daß  diese  Stände  die  Rekruten  einbegreifen. 

Es  würden  also  die  Kräfte  fehlen,  um  diesem  Einbruch  zu  begegnen; 
daraus  ergibt  sich  die  unerbittUche  Notwendigkeit,  die  Stände  sogleich 
derart  aufzufüllen,  daß  dem  russischen  Einbruch  erfolgreich  begegnet 
werden  könne. 

Das  Mittel  hiezu  liegt  in  der  Einberufung  von  Ersatzreservisten, 
Urlaubern  und  Reservisten, 

Eine  zweite  Maßnahme  ist  die  sofortige  Komplettierung  des  Pferde- 
standes bei  den  in  Galizien  liegenden  Kavallerieregimentern,  so  daß  diese 
mit  dem  vollen  Kriegsstande  bereit  seien,  ferner  die  Beschaffung  der 
Bespannungen  für  die  Geschütz-  und  Munitionslinie  der  gesamten 
Artillerie  der  galizischen  Korps. 

Als  im  Herbste  die  Nachrichten  über  die  russische  Mobilisierung 
einlangten,  habe  ich  im  engeren  Kreise  meine  Bedenken  gegen  diese 
russischen  Maßnahmen  und  die  Meinung  ausgesprochen,  daß  man  darauf 
mit  den  obangeführten  Maßnahmen  antworten  müßte.  Es  ist  mir  nicht 
bekannt,  ob  und  inwieweit  in  dieser  Richtung  etwas  erfolgte. 

Eine  weitere  Maßnahme  wäre  die  Durchführung  der  wesentlichsten 
Instandsetzungsarbeiten  der  Festungen  Przemysl  und  Krakau,  insbesondere 
des  ersteren  Platzes.  Hand  in  Hand  mit  diesen  Maßnalimen  hätte  ein  reger 
Kundschaftsdienst  und  ein  scharfes  Vorgehen  gegen  feindliche  Kund- 
schafter, Konfidenten  und  Agitatoren  zu  erfolgen. 

Außer  diesen  dringendsten,  lediglich  die  Sicherung  des  Aufmarsches 
und  der  Mobilisierung  bezweckenden  Maßnahmen  wären,  so  gut  es  in 
der  kurzen  Zeit  noch  möglich  ist,  die  bedenklichsten  Rückständigkeiten 
zu  beheben. 

Trotz  eines  fünfjährigen  Kampfes,  den  ich  dieserhalb  und  in  manch 
anderer  Richtung  gegen  das  Ministerium  Schönaich  geführt  habe,  ist  die 
Artillerie  nach  Zahl  und  Material  nicht  auf  der  erwünschten  Höhe. 

Weder  die  leichte,  noch  die  schwere  Haubitze,  noch  die  Gebirgs- 
kanone  sind  Schnellfeuergeschütze,  während  schon  die  Balkanstaaten 
über  solche  verfügen. 

336 


An  leichten  Haubitzen  hat  die  Division  anstatt  das  Regiment  zu 
4  Batterien  nur  2  Batterien  und  die  Kanonenregimenter  der  Division 
haben  nur  4  statt  6  Batterien. 

Ob  sich  ein  neues  Haubitz-  und  Gebirgsgeschütz-Material  rasch 
genug  beschaffen  läßt,  ist  zweifelhaft,  aber  an  Kanonen  erliegt  noch  eine 
erhebhche  Anzahl  im  Arsenal  und  diese  wären  sofort  zur  Aufstellung 
neuer  Batterien  zu  verwerten,  oder  wenigstens  im  Wege  der  Formierung 
achtpieciger  Batterien  auszunützen;  hiezu  wären  Urlauber  und  Reservisten 
der  Artillerie  einzuberufen,  wodurch  auch  die  raschere  Mobilisierung 
dieser  Waffe  angebahnt  werden  könnte. 

Was  die  Belagerungsartillerie  anlangt,  so  vermöchten  die  15  cm- 
Haubitze,  die  12  cm-  und  15  cm-Kanone,  sowie  der  24  cm-Mörser  gegen 
die  russischen  Befestigungen  zu  genügen,  vorausgesetzt,  daß  die  erforder- 
liche Munition  vorhanden  ist. 

Als  weitere  Vorbereitung  wäre  die  forcierte  Erzeugung  von  Infanterie- 
munition sowie  Artilleriemunition  zu  beginnen. 

Für  die  Infanterie  wären  die  Aufstellung  weiterer  Maschinengewehr- 
abteilungen und  der  Austausch  der  bereits  minder  brauchbaren,  weil  schon 
zu  sehr  abgenützten  Maschinengewehre  durchzuführen. 

Bei  der  großen  Bedeutung  der  Flieger  wären  sofort  möglichst  viele 
Apparate  zu  beschaffen,  Piloten  ausbilden  zu  lassen  und  Detachements 
auf  dem  nördlichen  Kriegsschauplatze  jetzt  schon  zu  dislozieren  (Lemberg, 
Przemysl). 

Die  Bahnen  wären  für  den  Kriegstransport  zu  überprüfen,  vor- 
nehmUch  hinsichtlich  Lokomotiven,  Kohlenvorräten,  Bahnhofeinrichtungen, 
Objekten,  die  Bahnsicherungsabteilungen  vor  Beginn  der  MobiUsierung 
aufzustellen,  damit  sie  am  ersten  Mobilisierungstag  bereits  funktionieren. 
•  Wenn  die  Operationen  in  die  kalte  Jahreszeit  fallen  könnten,  wäre 
sofort  für  die  hiebei  erforderliche  Kleidung  vorzusorgen. 

Ich  erachte  alle  diese  Maßnahmen  für  dringend,  sofern  auch  nur  die 
entfernteste  Möglichkeit  für  einen  Krieg  gegen  Rußland  vorUegt;  auch 
wenn  es  zu  einem  solchen  nicht  kommt,  vermag  der  Vertreter  der 
Monarchie  bei  den  voraussichtlichen  Verhandlungen  viel  zuversichtlicher 
aufzutreten,  wenn  er  diese  Vorbereitungen  getroffen  weiß,  als  wenn  er 
unter  dem  Bewußtsein  des  Mangels  derselben  steht. 

Ich  wiederhole: 

Die  Wahrung  der  Interessen  der  Monarchie  (darunter  auch  hin- 
sichtlich Albaniens)  ohne  einen  Krieg  gegen  Rußland  und  die  Balkan- 
staaten, aber  selbst  um  den  Preis  eines  Krieges  gegen  Italien  erschiene 
mir  vorteilhafter  als  der  umgekehrte  Fall;  wählt  man  aber  diesen,  nimmt 
man  also  einen  Krieg  gegen  Rußland  und  die  Balkanstaaten  in  Kauf,  um 

22,  Conrad  II  337 


letztere  schließlich  gewaltsam  unter  die  eigene  Herrschaft  zu  bringen, 
dann  müssen  erstens  die  im  Vorstehenden  angeführten  Allianzbedingungen 
gesichert  sein  und  zweitens  die  obangeführten  Vorbereitungen  sofort  in 
Angriff  genommen  werden. 

Das  Gegenteil  wäre  eine  unverantwortliche  Unterlassung. 

Hat  man  sich  zum  feindlichen  Vorgehen  gegen  Serbien  und  Monte- 
negro entschlossen,  dann  ist  die  Insurgierung  der  Albanesen  gegen  diese 
Staaten  mit  allen  Mitteln  zu  betreiben  und  zu  unterstützen  (Waffen,  Geld, 
Landungskorps,  Artillerie). 

R  e  s  u  m  e. 

Das  mir  jetzt  erst  bekanntgewordene  Zugeständnis  einer  Okkupation 
Albaniens  durch  Italien  verändert  das  Bild  wesenthch. 

Die  Mindestforderungen  der  Monarchie  präzisieren 
sich  demnach  wie  folgt: 

Valona  ö.-u.  Kriegshafen; 

keine  andere  Kriegsmarine  an  der  albanesischen  Küste; 

Seepolizei  etc.  an  dieser  nur  durch  Österreich-Ungarn; 

Wahrung  der  Nationalität  und  Religion  der  Albanesen; 

Österreich-Ungarns  Protektorat  speziell  über  die  Katholiken; 

absolute  Ausschließung  Italiens. 

Um  diesen  Preis  hielte  ich  selbst  das  Zugeständnis  eines 
Adria-Handelshafens  an  Serbien,  analog  wie  Antivari, 
zulässig. 

Wie  nun  die  Frage  zu  lösen  ist,  muß  reiflich  erwogen 
werden,  jede  vorherige  Dreibund-Bindung  mit  Italien  wäre  höchst 
bedenklich. 

Bei  Lösung  der  Frage  im  feindlichen  Sinne  gegen 
Rußland  tmd  die  Balkanstaaten  ergibt  sich: 

Krieg  gegen  Rußland; 

Krieg  gegen  die  Balkanstaaten; 

dauerndes  feindliches  Verhältnis  gegen  die  Genannten; 

Verstimmung  der  eigenen  Slawen; 

Krieg  gegen  Italien,  um  dieses  aus  Albanien  wieder  zu  delogieren. 

Bei  Lösung  der  Frage  im  freundschaftlichen  Si  nne 
ergibt  sich: 

Vermeidung  des  Krieges  gegen  Rußland; 

Vermeidung  des  Krieges  gegen  die  Balkanstaaten; 

Anbahnung  eines  freundnachbariichen  Verhältnisses  zu  diesen; 

Befriedigung  der  eigenen  Slawen; 

Möghchkeit  eines  Krieges  gegen  Italien  wegen  Albaniens. 

338 


Auf  die  eingangs  angeführte  Konzession  an  Italien  zurücklcommend, 
erachte  ich  ein  unter  itahenischem  Eintluß  stehendes  Albanien,  etwa  gar 
mit  einer  Festsetzung  Italiens  in  Valona,  als  eine  große  Gefahr  für  die 
Monarchie,  und  zwar  als  eine  weit  größere,  als  die  allerdings  auch  nicht 
sehr  willkommene  Gewährung  eines  adriatischen  Handelshafens  an  Serbien. 

Die  vorstehende  Arbeit  soll  nur  zur  Beleuchtung  der  jetzt  so  vitalen 
Balkanfrage  beitragen  und  die  Gesichtspunkte  vermehren,  unter  welchen 
diese  zu  betrachten  ist,  damit  bei  den  endgültigen  Verhandlungen  die 
Interessen  der  Monarchie  ihre  volle  Wahrung  finden. 

Eines  aber  wird  bei  diesen  Verhandlungen  unter  allen  Umständen 
gehend  zu  machen  sein,  nämlidi,  daß  die  Monarchie  zur  Wahrung  ihrer 
unerläßlichen  Forderungen  ohne  Zögern  bereit  ist,  zu  den  Waffen  zu 
greifen,  wenn  man  ihr  eine  andere  Lösung  versagt. 

Schließlich  möchte  ich  die  schwebende  Angelegenheit  noch  von  dem 
Standpunkte  einer  Politik  ins  Auge  fassen,  welche  darauf  abzielt,  Ruß- 
land niederzuwerfen,  es  auf  seine  asiatische  Interessensphäre  zurück- 
zudrängen und  damit  freie  Hand  zu  bekommen,  um  am  Balkan  macht- 
voll die  eigenen  Interessen  zu  verfolgen  und  auch  im  Nordosten  der 
Monarchie  günstige  Verhältnisse  zu  schaffen. 

Gewiß  ist  dieses  große  Ziel  eines  großen  Einsatzes  wert;  ob  aber 
der  jetzige  Moment  der  passende  hiefür  ist,  ob  eine  so  weitreichende 
Aktion  nicht  ganz  andere  Vorbereitungen  erheischt  und  eine  andere 
politische  Konstellation  erwünschter  erscheinen  läßt,  mag  dahingestellt 
bleiben  (Engagement  Rußlands  in  Asien,  Komplikationen  zwischen  Eng- 
land und  Rußland,  Zerwürfnisse  zwischen  den  Balkanstaaten). 

Jedenfalls  muß  diese  Frage  scharf  gesondert  behandelt  werden  von 
der  momentan  akuten  hinsichtlich  Albaniens. 

Erst  wenn  es  wegen  dieser  ohnehin  zu  einem  Krieg  gegen  Rußland 
käme,  würden  die  Ziele  dieses  Krieges  ineinanderfließen." 

Auf  dem  Balkan  war  indessen  ein  bedeutungsvoller  Umschwung  in 
der  Lage  eingetreten. 

Vom  17.  bis  22.  November  hatten  die  Bulgaren  die  Öataldza-Linie, 
das  letzte,  Konstantinopel  schützende  Bollwerk  angegriffen,  waren  aber 
unter  schweren  Verlusten  zurückgeschlagen  worden.  Die  Aktion  kam 
hier  zum  Stehen.  Das  durch  die  Bulgaren  zemierte  Adrianopel  hielt  sich 
nach  wie  vor  und  Bulgarien  sah  sich  gezwungen,  serbische  Mithilfe 
anzusprechen. 

Die  Serben  waren  mittlerweile  am  18.  November  in  Monastir  ein- 
gerückt, während  die  Griechen  Erfolge  zur  See  errangen  und  eine  große 
Zahl  der  Inseln  des  Ägäischen  Meeres  besetzten. 

"'  33Q 


Eine  neue  Situation  lag  vor! 

Meine  Auffassung  zu  dieser  Zeit  legte  ich  in  einem  Essay  vom 
19.  November  1912  nieder;  es  lautete: 

„Essay 
vom  19.  November  1912. 

Moltke:  >Erst  wägen,  dann  v^agen!« 

Ich  setze  dazu:  dann  aber  auch  wirklich  wagen,  rücksichtslos,  ohne 
Zögern,  ohne  Halbheiten. 

Insolange  es  noch  zu  hoffen  stand,  daß  es  möglich  sein  werde,  im 
friedlichen  Einvernehmen  mit  Serbien  die  durch  den  Balkankrieg  gefähr- 
deten Interessen  der  Monarchie  zu  wahren,  erschien  es  selbstverständUch, 
daß  dieser  Weg  angestrebt  wird. 

Die  Haltung  Serbiens  hat  aber  seither  eine  Richtung  genommen, 
welche  nicht  nur  ein  solches  Einvernehmen  auszuschließen  scheint,  sondern 
dazu  angetan  ist,  das  Prestige  der  Monarchie  und  damit  deren  politisches 
und  wirtschaftliches  Gewicht  schwer  zu  beeinträchtigen,  so  daß  die 
Monarchie  bemüßigt  ist,  den  Appell  an  die  Waffen  in  Aussicht  zu  nehmen. 

In  dieser  Lage  erachte  ich  folgendes  für  nötig,  beziehungsweise 
geraten : 

1.  Alle  jene  Vorkehrungen,  wie  ich  sie  im  Winter  1908/09  für  den 
Kriegsfall  gegen  Serbien  allmählich  durchgesetzt  habe,  sind  sofort  durch- 
zuführen. 

2.  In  gleicher  Weise  hat  dies  hinsichtlich  aller  jener  Vorkehrungen 
zu  geschehen,  die  ich  in  meinem  (beiliegenden)  Essay  vom  16.  November 
hinsichtlich  des  Kriegsfalles  >R«  angeführt  habe. 

3.  Diesen  dringendsten  Vorkehrungen  haben  dann  auch  alle  weiter 
noch  nötigen  zu  folgen  (Verpflegsvorsorgen,  Materialbeschaffungen  etc.). 

Sobald  diese  Vorkehrungen  hinsichtlich  der  Standeserhöhung  perfekt 
sind,  wäre  ein  Rundschreiben  an  die  Mächte  zu  richten,  das  nach- 
stehendem Gedankengang  zu  folgen  hätte: 

Die  Balkanstaaten  haben  durch  den  ganz  auf  eigene  Faust  über- 
raschend begonnenen  Krieg  eine  Situation  geschaffen,  durch  die  nicht 
nur  mannigfache  Interessen  der  Monarchie,  sondern  auch  mannigfache 
Interessen  der  anderen  Staaten,  speziell  der  Großmächte,  empfindlich 
tangiert  erscheinen. 

Die  Monarchie  hat,  obgleich  sie  ohneweiters  in  der  Lage  gewesen 
wäre,  gegen  die  Aktion  der  Balkanstaaten  einzugreifen,  dies  nicht  getan 
in  der  sicheren  Erwartung,  daß  die  Wahrung  ihrer  Interessen  im  Wege 
friedlichen  Übereinkommens  außer  Zweifel  gestellt  sei. 

340 


Dementgegen  hat  nun  die  Haltung  Serbiens  allmählich  eine  Richtung 
genommen,  die  nicht  nur  ein  solches  friedliches  Übereinkommen  aus- 
zuschUeßen  scheint,  sondern  die  darauf  hinausläuft,  nicht  nur  diese 
Interessen  hintanzusetzen,  sondern  auch  die  Monarchie  in  ihrem  Staats- 
bestand und  in  ihrem  Prestige  zu  bedrohen. 

Wenn  die  Monarchie  trotzdem  bisher  diesem  Vorgehen  mit  über- 
legener Ruhe  und  kühlem  Abwägen  gegenüberstand,  so  geschah  dies 
ausschließlich  und  allein  nur,  weil  sich  die  Monarchie  bewußt  ist,  daß 
ihr  kriegerisches  Auftreten  gegen  Serbien  aller  WahrscheinUchkeit  nach 
kriegerische  Verwicklungen  zur  Folge  haben  würde,  die  ganz  Europa 
mitreißen  würden. 

Das  schwere  Elend,  das  hiedurch  über  Europa  hereinbrechen,  die 
enorme  wirtschaftliche  Schädigung,  welche  dies  zur  Folge  haben  und 
das  Übergewicht,  welches  die  außereuropäischen  Staaten  damit  gewinnen 
würden,  vor  Augen  habend,  ist  sich  die  Monarchie  klar  darüber,  daß 
sie  mit  dem  Eintritt  in  die  kriegerische  Aktion  nicht  nur  für  sich,  sondern 
für  ganz  Europa  entscheidet. 

Wenn  jedoch  Serbien  in  seiner  herausfordernden  Haltung  beharrt, 
die  Interessen  der  Monarchie  beiseite  setzt  und  ihr  die  Genugtuung  für 
sein  völkerrechtswidriges  Gebaren  versagt,  dann  wird  die  Monarchie, 
hiemit  zum  äußersten  getrieben,  den  Kampf  aufnehmen,  möge  er  aus- 
gehen, wie  er  wolle. 

Dieses  Rundschreiben  müßte  im  gut  gewählten  Moment  erlassen 
werden,  dabei  müßte  man  gewärtig  sein,  demselben  beim  ersten  Zeichen 
feindlichen  Auftretens  anderer  Mächte  sofort  die  Mobilisierung  folgen 
zu  lassen. 

Es  ist  sehr  bedauerlich,  daß  es  so  weit  gekommen  und  die  Monarchie 
—  zu  unentschlossen,  um  in  initiativer  Weise  einen  unveraieidhchen  Krieg 
geeigneten  Momentes  selbst  zu  begimien  —  nunmehr  gezwungen 
ist,  sich  denselben  aufdrängen  zu  lassen. 

Vielleicht  läßt  er  sich  durch  den  im  vorliegenden  Essay  angeführten 
Schritt  noch  vermeiden,  wenn  nicht,  so  muß  er  eben  geführt  werden. 

Hätte  man  mi  Jahre  1908/09  meinem  dringenden  Rat,  den  auch  schon 

vorbereiteten  Krieg  gegen  Serbien  zu  führen,  Folge  gegeben,  so  stünden 

die  Dinge  heute  anders. 

Conrad,  G.  d.  I." 

Auch  diesen  Essay  sandte  ich  wie  die  früheren  an  die  drei  schon 
wiederholt  genannten  Stellen,  speziell  an  Graf  Berchtold  mit  folgendem 
Begleitbrief: 

341 


„Euer  Exzellenz! 

Nachdem  E.  E.  die  liebenswürdige  Geduld  haben,  meine  politischen 
Herzerleichterungen  in  dieser  schweren  Zeit  freundlich  aufzunehmen, 
erlaube  ich  mir,  Ihnen  auch  den  beiliegenden  Essay  zu  übersenden. 

Ich  glaube  von  E.  E.  soweit  gekannt  zu  sein,  daß  Sie  mir 
Fanfaronaden,  Wolkenschiebereien  und  Bramarbassaden  nicht  zumuten; 
derartiges  war  mir  immer  widerlich.  Für  mich  gilt  nur  die  Tat,  nicht  das 
Wort,  diese  aber  überlege  ich  sehr,  daher  war  ich  in  meiner  früheren 
Stellung  auch  immer  im  Kampf  mit  den  höheren  Gewalten,  wenn  ich  in 
Voraussicht  kommender  Komplikationen  alles  aufbot,  um  für  letztere  vor- 
bereitet zu  sein. 

Mit  derselben  kühlen  Ruhe  betrachte  ich  auch  die  jetzigen  Ereignisse, 
und  ich  lasse  mich  nicht  durch  die  unvermeidhche  Indignation,  welche 
das  Vorgehen  Serbiens  auslöst,  aus  dieser  nüchternen  Ruhe  bringen, 
aber  ich  bin  doch  auf  dem  Standpunkt,  daß  der  Monarchie,  wenn  die 
Dinge  so  weiter  gehen,  nichts  erübrigen  wird,  als  alles  auf  eine  Karte 
zu  setzen. 

Diese  wenig  neidenswerte  Lage  ist  eben  die  Folge  der  schweren 
politischen  Fehler  des  Grafen  Ährenthal,  somit  ein  aufgezwungenes  Erbe. 

Genehmigen  etc.  etc. 

Wien,  am  19.  November  1912.  Conrad  m.  p." 

Auch  an  Exzellenz  Baron  Bolfras  gab  ich  begleitende  Zeilen  bei, 
welche  dieser  mit  dem  Hinweis  erwiderte,  daß  manche  ernste  Maßrege) 
im  Zuge  sei,  leider  aber  der  Winter  vor  der  Türe  stehe.  In  meinem  Dam 
(d.  d.  25.  November  1912)  für  seine  Antwort  fügte  ich  folgende  Stelle  ein: 

„Mögen  unsere  Berufenen  jetzt  klar  darin  sehen,  ob  wir  nur 
Serbien  oder  ob  wir  nicht  auch  Rußland  als  aktiven  Gegner  zu  rechnen 
haben;  wenn  letzteres  der  Fall,  dann  wäre  wohl  ohne  zu  zögern  alle 
Kraft  gegen  Rußland  zu  wenden,  wobei  ich  voraussetze,  daß  man  der 
aktiven  Mitwirkung  Deutschlands  und  Rumäniens  sicher  ist.  Hoffentlich 
führt  ein  gnädiges  Schicksal  die  Monarchie  auch  aus  dieser  Krise." 

Die  damals  herrschenden  Ansichten  über,  die  politische  Lage  finden 
Ausdruck  in  folgenden  Artikeln  des  Blattes  „Groß-Österreich"  vom 
1.  Dezember  1912.  Wer  diese  Artikel  verfaßt  hat,  ist  mir  zwar  nicht 
bekannt,  doch  weiß  ich,  daß  die  Tendenzen  dieses  Organes  der  von 
Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand  eingehaltenen 
Richtung  entsprachen  und  daß  das  Journal  von  ihm  protegiert  wurde. 

342 


Erster  Artikel. 

„Die  gegenwärtige  Lage  bedingt  keinen  Krieg! 

(Von  diplomatischer  Seite.) 

Wir  halten  den  Krieg  Österreichs  gegen  Serbien  aus 
vielen  Gründen,  die  teilweise  in  den  späteren  Artikeln  dieser 
Nummer  dargelegt  werden,  als  unvermeidlich.  Gleichwohl 
geben  wir  im  nachstehenden  einer  uns  von  sehr  schätzens- 
werter Seite  zugehenden  Darstellung  der  Lage  Raum,  aus  der 
unsere  Leser  ersehen  werden,  daß  wir  wenigstens  die  Aus- 
dehnung des  Krieges  zu  einem  Weltkriege  nicht  zu  fürchten 
brauchen. 

Der  alte  Lehrsatz:  >Wenn  du  Frieden  willst,  so  rüste  zum  Kriege«, 
heißt  in  der  diplomatischen  Praxis  folgendermaßen:  >Wenn  die 
Regierungen  diplomatische  Verhandlungen  führen,  durch  welche  sie 
schwebende  Streitfragen  friedlich  schlichten  wollen,  müssen  sie  durch 
militärische  Vorkehrungen  ihren  Wünschen  ein  stärkeres  Gewicht  ver- 
leihen.« Dieser  Grundsatz  bietet  vielleicht  einen  Fingerzeig  dafür,  daß 
manche  beunruhigende  Momente  der  vorigen  Woche  doch  wohl  nur  den 
Zweck  hatten,  uns  dem  Frieden  näher  zu  bringen.  Allerdings  hat  auch 
der  obige  Grundsatz  zwei  Seiten.  Militärische  Vorkehrungen  erzeugen 
immer  eine  mehr  oder  weniger  militärische,  ja  sogar  kriegerische 
Stimmung,  und  in  solchen  Stimmungen  können  bisweilen  die  bekannten 
>Unwägbarkeiten«  eintreten,  die  den  rollenden  Stein  weiter  treiben  als 
die  ersten  Bewegenden  wollten. 

Wenn  wir  indessen  heute  die  friedliche  Entspannung  mit  Sicherheit 
erwarten,  so  liegen  hiefür  faßbare  Gründe  vor.  Die  Bedrohung  des 
Friedens  könnte  doch  nur  von  den  unberechenbaren  und  unverantwort- 
hchen  Störungskräften  am  russischen  Hofe  ausgehen.  Aber  sollte 
wirklich  der  Zar  so  schwach  sein,  um  gegen  seinen  Willen  einen  Krieg 
zuzulassen,  der  den  Bestand  seines  Thrones  und  seines  ganzen  Reiches 
in  Frage  stellen  könnte?  Sollte  wirklich  die  letzte  Kaiserzusammenkunft 
in  Baltisch-Port  nur  eine  Komödie  gewesen  sein?  Zar  Nikolaus  kennt 
die  internationale  Pohtik,  und  er  weiß  genau,  wo  sich  die  Quelle  der 
fortgesetzten  Störungen  und  Beunruhigungen  befindet.  Er  ist  auch  unter- 
richtet darüber,  daß  in  seinem  Reiche  und  selbst  an  seinem  Hofe  Personen 
vorhanden  sind,  die  einer  Beeinflussung  von  ausländischer  Seite  unschwer 
unterliegen,  besonders  wenn  sich  dieselbe  in  ein  russisch-patriotisches 
Gewand  kleiden  läßt.  Dies  weiß  man  aber  auch  in  Berlin,  und  wenn 
man  in  Wien  davon  weniger  Kenntnis  haben  sollte,  so  ist  man  sicher 
in  Pest  darüber  schon  aus  eigener  Praxis  unterrichtet.  Kurz  gesagt: 
In    Baltisch-Port    dürfte    zwischen    den    Herrschern    Deutschlands    und 

343 


Rußlands  eine  Vereinbarung  darüber  getroffen  sein,  daß  sich  beide  Reiche 
durch  keine  wie  immer  gearteten  von  England  ausgehenden  Machen- 
schaften von  dem  friedlichen  Grundcharakter  ihrer  Poütik  abbringen 
lassen  werden. 

Allerdings  so  ganz  einfach  ist  dies  für  Rußland  nicht.  Es  ist  mit 
Frankreich  verbündet  imd  mit  England  befreundet.  Es  hat  auch  moraUsche 
Verpflichtungen  gegenüber  den  Balkanstaaten,  es  muß  auch  auf  die 
panslawistischen  Strömungen  im  eigenen  Lande  Rücksicht  nehmen.  Aber 
bisher  hat  der  Zar  noch  immer  das  letzte  Wort  im  friedlichen  Sinne  selbst 
gesprochen.  Nun  ist  femer  in  den  letzten  Wochen  die  schwere  Verwick- 
lung in  Ostasien  hinzugekommen.  Rußland  ist  entschlossen,  die  Mongolei 
zu  einem  russischen  Vasallenstaat  zu  machen.  Dieses  Land,  das  in  die 
innere  und  die  äußere  Mongolei  zerfällt,  ist  im  Flächenraum  doppelt  so 
groß  als  die  habsburgische  Monarchie,  ist  jedoch  im  Verhältnis  zu  China 
nur  sehr  dünn  bevölkert.  Daher  der  Entschluß  Chinas,  einige  Millionen 
seiner  überschüssigen  Bevölkerung  in  die  Mongolei  zu  entsenden,  während 
Rußland  das  gleiche  tun  möchte.  Die  südliche  Mongolei  ist  ein  ziemlich 
warmes  und  fruchtbares  Land,  und  wenn  sich  dort  Rußland  festsetzt,  so 
kann  es  zugleich  mit  seinen  Positionen  im  östlichen  Turkestan  das 
chinesische  Reich  von  Norden  und  Westen  völlig  umklammem.  Ebenso 
kann  es  von  dort  aus  die  Japaner  in  der  Mandschurei  erfolgreich 
bedrohen.  Wenn  also  Rußland  gegenwärtig  den  Willen  hat,  in  der 
Mongolei  vorzurücken  und  dabei  den  sicher  zu  erwartenden  Widerstand 
Chinas  und  Japans  zurückzuweisen,  so  kann  es  unmöglich  gleichzeitig 
in  ernsthafter  Weise  an  einen  Krieg  in  Europa  denken.  Wenn  es  trotzdem 
in  dieser  selben  Zeit  seine  militärische  Stellung  in  den  Westprovinzen 
verstärkt,  so  kann  dies  immerhin  als  eine  vorbeugende  Maßnahme 
bezeichnet  werden.  Die  mssischen  Westprovinzen  mit  ihren  jetzigen 
Armeeständen  von  mnd  350.000  Mann  umfassen  ein  Territorium  von 
der  Größe  Zisleithaniens,  so  daß  man  von  einer  Anhäufung  der  Tmppen 
an  der  »Grenze«  nicht  gut  reden  kann. 

Es  ist  klar,  daß  die  Verbündeten  an  der  Seine  und  die  Befretmdeten 
an  der  Themse  ein  neues  Vorrücken  Rußlands  in  Ostasien  nicht  gerne 
sehen.  Schon  deshalb  ist  der  militärische  »Aufmarsch«  m  den  West- 
provinzen notwendig,  um  in  Paris  und  London  den  Wert  der  AlHanz 
und  der  Entente  nicht  allzusehr  herabsetzen  zu  lassen.  Auch  hat  die 
Begründung  mit  der  Haltung  der  Polen  manches  für  sich.  Im  Laufe 
dieses  Jahres  haben  manche  Provokationen  von  selten  der  Polen  statt- 
gefunden, auf  welche  auch  die  vielbesprochene  Resolution  des  galizischen 
Polenklubs  Bezug  nahm.  Anderseits  hat  das  Wiener  Kabinett  sehr  recht 
daran   getan,   die   Haltung   Rußlands   nicht   nach    den    Vorgängen   in 

344 


Ostasien,  sondern  nach  den  offen  zutage  liegenden  Handlungen  in  Europa, 
besonders  auch  nach  dem  Verhalten  des  russischen  Gesandten  in  Belgrad 
zu  beurteilen  und  darnach  die  eigene  Stellungnahme  einzurichten.  Die 
Aufstellung  der  österreichischen  Minimalforderungen  gegenüber  Serbien 
und  die  Erklärung,  daß  die  Monarchie  hiervon  unter  keinen  Umständen 
abweichen  werde,  ist  eine  klare  und  grundsätzliche  Politik,  die  sich  sehr 
vorteilhaft  von  der  vielfach  widerspruchsvollen  Haltung  der  übrigen 
Mächte,  mit  Ausnahme  Deutschlands,  abhebt. 

Indessen  ist  zu  berücksichtigen,  daß  es  bei  der  Regelung  der  Balkan- 
fragen neben  den  serbischen  Hafenansprüchen  noch  manche  andere 
erhebliche  Schwierigkeit  geben  wird. 

Die  Meerengenfrage  wird  nicht  mehr  umgangen  werden  können, 
Wenn  Bulgarien  auch  an  das  Marmara-Meer  käme,  wäre  sie  sofort  gelöst, 
denn  dann  fiele  das  Tor  an  den  Dardanellen  von  selbst  fort.  Deshalb 
will  Rußland,  daß  der  Türkei  das  Land  mindestens  bis  zur  Mündung 
der  Maritza  verbleibe.  Aber  die  so  geschwächte  Türkei  wird  die  Meer- 
engen nicht  mehr  als  ihr  Eigentum  betrachten  können,  zumal  Bulgarien 
als  Uferstaat  des  Schwarzen  und  des  Ägäischen  Meeres  für  sich  die  freie 
Durchfahrt  durch  die  Meerengen  zu  fordern  berechtigt  ist.  Es  dürfte 
deshalb  schließlich  doch  den  Russen  ein  Anteil  an  den  Meerengen 
zugesprochen  werden  müssen,  was  jedoch  erst  nach  recht  schwierigen 
Verhandlungen  erreicht  werden  kann.  —  Dann  tritt  die  schwierige  Frage 
nach  dem  Schicksale  der  Ägäischen  Inseln  auf,  von  denen  sich  augen- 
blicklich noch  zwölf  im  Besitze  der  Italiener  befinden,  während  die 
übrigen  eiligst  von  Griechenland  besetzt  wurden.  Noch  schwieriger  wird 
die  Salonik-Frage  werden,  wo  seit  kurzem  unter  der  Leitung  des  Wiener 
Zionistenführers  Dr.  Jakobsohn  ein  jüdisch-autonomistisches  Komitee  eine 
leidenschaftliche  Kampagne  gegen  die  griechische  Besetzung  der  Stadt 
eingeleitet  hat.  Der  Niederschlag  dieser  Bemühungen  hat  sich  bereits 
im  österreichischen  Abgeordnetenhause  merklich  gemacht.  Und  wie  soll 
die  Forderung  Rumäniens  auf  eine  Gebietsabtretung  Bulgariens  erfüllt 
werden?  Wenn  diese  nicht  erfolgt,  so  wird  die  Stimmung  in  Rumänien 
eine  böse  Wendung  nehmen.  Man  wird  die  Behauptung  aufstellen,  daß 
die  bisherige  dreibundfreundhche  Haltung  des  Königreiches  dem  Lande 
nichts  einbringe,  während  alle  Nachbarstaaten  sich  vergrößern.  Interessant 
dürfte  auch  die  Frage  werden,  wer  an  die  Spitze  des  künftigen  albanesischen 
Staates  treten  soll.  Der  ägyptische  Prinz  Fuad,  der  Enkel  des  Albanesen 
Mehmed  Ali,  hat  sich  dieser  Tage  auch  in  Wien  als  Thronbewerber 
vorgestellt.  Als  Gelehrter  und  Rektor  der  arabischen  Universität  in  Kairo 
hat  er  sich  bereits  früher  viel  Sympathien  erworben,  die  ihm  jetzt  nützlich 
werden  könnten.     Neben  dieser  Kandidatur  ist  die  des  Prinzen  Viktor 

345 


Napoleon  aufgestellt  worden,  der  daran  erinnert,  daß  schon  sein  großer 
Vorfahr,  Napoleon  I.,  durch  seinen  Konsul  Torqueville  Albanien  vom 
türkischen  Joch  befreien  wollte,  was  damals  der  Engländer  Howe  von 
Korfu  aus  verhinderte.  Diesen  beiden  Bewerbern  gegenüber  dürfte  der 
württembergische  Herzog  von  Urach  nur  geringe  Aussichten  haben, 
während  die  übrigen  Kandidaten  Albert  Ghika,  Aladro  Castriota,  Bib 
Doda  und  andere  bereits  gänzlich  in  den  Hintergrund  getreten  sind. 

Sollte  nun  wirklich  zur  Bereinigung  dieser  Fragen  eine  europäische 
Konferenz  erforderlich  werden,  so  dürfte  Österreich  jedenfalls  dafür 
sorgen,  daß  die  Angelegenheit  des  serbischen  Hafens  und  die  prinzipielle 
Frage  der  Autonomie  Albaniens  schon  vorher  entschieden  werden." 

Zweiter  Artikel. 
„Der  Krieg  ist  unvermeidlich! 

Die  vorstehende  Schilderung  der  diplomatischen  Lage  läßt  leider  einen 
Punkt  außer  acht:  die  systematischen  Provokationen  Serbiens  gegen 
Österreich,  sowie  den  Gegensatz  zwischen  unserer  Monarchie  und  den 
Ansprüchen  Serbiens  auf  Albanien.  Weder  die  Warnung  Österreichs, 
noch  die  freundschaftlichen  Mahnungen  Rußlands  und  Italiens  haben  die 
Machthaber  in  Belgrad  davon  abhalten  können,  sich  in  Albanien  fest- 
zusetzen. Erklärt  nun  aber  Österreich,  es  könne  nicht  gestatten,  daß 
Serbien  auch  nur  einen  Kilometer  der  albanesischen  Küste  besetze,  und 
tut  dies  Serbien  dennoch,  so  ist  das  eben  der  Krieg!  Wollte  in  diesem 
Falle  unsere  Monarchie  nachgeben,  so  würde  sie  dadurch  sich  selbst' aus 
der  Reihe  der  Großmächte  streichen.  Ebensowenig  ist  zu  erwarten,  daß 
Serbien  von  dem  Standpunkt,  den  es  bis  jetzt  mit  solcher  Zähigkeit  ver- 
treten hat,  abgehen  wird.  König  Peter  und  seine  Minister  wissen,  daß 
Österreich  sein  Veto  gegenüber  der  Besetzung  Albaniens  nicht  zurück- 
ziehen wird.  Sie  haben  deshalb  zu  gewärtigen,  daß  schon  in  den  nächsten 
Tagen  die  Kriegserklärung  Österreichs  erfolgen  muß. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  Serbien  Aussicht  hat,  daß  Rußland  ihm  zu 
Hilfe  kommen  wird.  Nach  der  an  erster  Stelle  gegebenen  diplomatischen 
Darlegung  ist  es  sehr  unwahrscheinlich,  daß  der  Zar  den  Serben  zuliebe 
einen  europäischen  Krieg  beginnen  wird.  Rußland  steht  in  Ostasien  vor 
neuen  Gefahren,  und  in  Europa  würde  sofort  das  Deutsche  Reich  als 
Bundesgenosse  Österreichs  auftreten.  Es  ist  daher  anzunehmen,  daß  nicht 
nur  Kaiser  Nikolaus  am  Dienstag  unserem  Botschafter  Graf  Thurn  sehr 
friedliche  Versicherungen  gegeben  hat,  sondern  daß  auch  Kaiser  Wilhelm 
mit  dem  Zaren  ein  Abkommen  getroffen  hat,  nach  welchem  Rußland  im 
Falle  eines  österreichisch-serbischen  Krieges  neutral  bleiben  wird. 

346 


Sollte  dagegen  Rußland  uns  den  Krieg  erklären  und  gleichzeitig  die 
Kriegserklärung  Deutschlands  gegen  Rußland  sowie  die  Kriegserklärung 
Frankreichs  und  Englands  gegen  Deutschland  erfolgen,  so  würden  wir 
gegen  Rußland  einerseits  die  Rumänen  als  Verbündete  haben,  anderseits 
würden  Ruthenen,  Polen,  Littauer,  Balten  und  Finnländer,  im  Südosten 
auch  die  Armenier,  Grusinier  und  die  anderen  Kaukasusvölker  gegen  die 
Russen  zu  verwerten  sein.  Es  ist  nicht  unmöglich,  daß  nach  den  ersten 
Waffenerfolgen  der  österreichischen  und  deutschen  Armeen  in  Rußland 
über  das  Zarenreich  eine  ähnliche  Katastrophe  hereinbrechen  wird,  wie 
sie  soeben  die  Türken  ereilt  hat.  Jedenfalls  wäre  für  Rußland  eine  Kriegs- 
erklärung ein  sehr  gefährliches  Unternehmen. 

Wie  wird  sich  die  italienische  Regierung  zu  dem  Kriege  stellen? 
Das  Königreich  Italien  ist  zwar  unser  Bundesgenosse,  doch  kommt  dieses 
Verhältnis  den  Orientfragen  gegenüber  nicht  in  Betracht.  Es  liegt 
dagegen  das  vom  Grafen  Goluchowski  im  Jahre  1897  durchgesetzte 
Abkommen  betreffend  die  Unantastbarkeit  Albaniens  vor,  wodurch  sich 
Österreich  und  Italien  gegenseitig  verpflichtet  haben,  Albanien  nicht  zu 
besetzen  oder  zu  annektieren.  V/enn  demnach  Österreich  der  italienischen 
Regierung  das  formelle  Versprechen  gibt,  nach  der  Verdrängung  der 
Serben  aus  Albanien  dieses  Land  ebenfalls  sofort  wieder  zu  räumen,  so 
liegt  für  Italien  nicht  die  geringste  Veranlassung  vor,  aus  seiner 
Neutralität  herauszutreten.  Anderseits  dürften  bereits  zwischen  Wien  und 
Rom  Abmachungen  getroffen  sein,  wonach  Italien  das  von  ihm  besetzte 
Rhodos  und  einige  andere  türkische  Inseln  erhalten  wird. 

Welche  Haltung  aber  werden  die  Balkanverbündeten  Serbiens  ein- 
nehmen? Nun,  soviel  steht  schon  jetzt  fest,  daß  Griechenland  die  Serben 
in  einem  Kriege  gegen  Österreich  nicht  unterstützen  wird,  während 
Bulgarien  ebensosehr  auf  die  Türken  wie  auf  Rumänien  Rücksi;:ht  zu 
nehmen  hat.  Da  der  Balkanbund  nur  für  einen  Kampf  gegen  die  Türken 
geschlossen  wurde,  so  bedeutet  der  von  Serbien  gewollte  Konflikt  mit 
Österreich  einfach  die  Sprengung  des  Balkanbundes.  Für  Serbien  selbst 
würde  der  Konflikt  mit  unserer  Monarchie  das  Ende  seiner  Selbständigkeit 
bringen.  Da  dieses  Land  nicht  im  Frieden  neben  unserer  Monarchie 
leben  will,  so  muß  es  diesen  Frieden  innerhalb  der  Monarchie  finden." 

Auch  die  deutsche  Presse  wandte  den  Geschehnissen  am  Balkan 
ihre  volle  Aufmerksamkeit  zu.  So  brachten  die  „Münchener  Neuesten 
Nachrichten"  in  Nr.  603  vom  26.  November  1912  folgenden,  die  Lage 
klar  und  scharf  erfassenden  Artikel: 

347 


„Der  osteuropäische  Januskopf. 

München,  25.  November. 

Auf  dem  Forum  in  Rom  stand  ein  Tempel,  der  wie  kein  HeiHgtum 
das  Symbol  der  weltherrschenden  Tiberstadt  war.  Herrschte  der  Friede, 
dann  waren  die  Tempelpforten  geschlossen,  im  Krieg  standen  sie  weit 
offen.  Und  dann  sah  man  Janus  den  Gott,  den  Gott  mit  den  zwei 
Gesichtern,  von  denen  das  eine  vorwärts,  das  andere  rückwärts  schaute. 
So  ward  Janus,  der  älteste  der  Götter,  auf  den  alle  Kultur  zurück- 
geführt wurde,  der  bei  allen  Opfern  zuerst  angerufen  wurde,  das 
geheimnisvolle,  schreckUche  Symbol  des  Krieges  zugleich  und  des  innem 
Widerspruchs  des  Krieges  als  Mittel  politischer  Machtbildung  und 
kultureller  Neuschöpfung  und  kulturwidriger  Vernichtung  und  grausamer 
Zerstörung. 

So  ist  Janus  das  Symbol  des  großen  historischen  Gegensatzes  der 
Anschauungen,  der  seit  der  Menschheit  Beginn  in  den  Zeiten,  die  die 
Völker  zu  blutiger  Auseinandersetzung  zu  treiben  drohen,  dem  Kriegs- 
mann und  dem  Staatsmann  Denken  und  Handeln  bestimmt. 

Läßt  man  den  Soldaten  die  Situation  beurteilen,  dann  wird  er,  wenn 
man  die  letzten  österreichischen  Stimmen  heranzieht,  etwa  sagen: 

. . .  Wenige  Wochen  nach  Beginn  des  Balkankrieges  ist  die  militärische 
Lage  Europas  im  Begriff,  sich  erheblich  zu  verschieben.  Der  für  West- 
europa unerwartete  Ausgang  des  Balkankrieges  ergibt  als  Tatsache: 
Niederwerfung  der  Türkei,  bedeutende  Kraftleistung  des  Balkanbundes, 
das  heißt  mit  anderen  Worten :  Fast  gänzliche  Ausschaltung  der  türkischen 
Armee  aus  den  militärischen  Berechnungen  des  Dreibundes,  dafür 
Buchung  der  eben  bewährten  müitärischen  Streitkräfte  des  Balkanbundes 
auf  der  Saldoseite  der  Tripleentente. 

Die  wichtigsten  Armeen  dieses  Balkanbundes,  die  bulgarische  und 
serbische,  haben  allerdings  so  außerordentUch  schwer  gelitten  (Verluste 
bis  zu  40  Prozent  des  Bestandes),  daß  sie  augenblicklich  sowie  in  der 
allernächsten  Zeit  keine  besondere  Beachtung  beanspruchen  können,  zu 
einem  Kriege  gegen  Österreich-Ungarn  und  Rumänien  sind  sie  zur  Zeit 
völlig  außerstande.  Bei  der  beiden  Nationen  innewohnenden,  eben 
bewiesenen  Tatkraft  muß  aber  damit  gerechnet  werden,  daß  sie  verhältnis- 
mäßig schnell  (sicherUch  in  kaum  zehn  Jahren)  wieder  eine  respektable 
Kraft  erreicht  haben  werden.  Dieser  Kräfteersatz  wird  sich  um  so 
schneller  vollziehen,  als  Bulgarien  und  Serbien  neue  Ländergebiete 
zufallen,  deren  Männer  künftig  unter  ihren  Fahnen,  anstatt  unter  dem 
Halbmond  zu  dienen  haben  werden.    Die  Verluste,  die  mit  Geld  wett- 

348 


zumachen  sind,  werden  sehr  bald  ersetzt  sein;  Leute,  die  gezeigt  haben, 
was  sie  können  und  daß  sie  etwas  wert  sind,  haben  stets  Kredit  gehabt. 

Es  wird  also  mit  absoluter  Sicherheit  an  der  Südgrenze  Österreich- 
Ungarns  binnen  kurzem  eine  bedeutende  slawische  Militärmacht  entstehen, 
die  man  künftig  in  militärischen  Berechnmigen  nicht  außer  acht  lassen 
kann. 

Je  größer  in  der  nach  dem  jetzigen  Kriege  vorzunehmenden  General- 
abrechnung die  Gebietsvergrößerungen  Bulgariens  und  Serbiens  bemessen 
werden,  um  so  gefährlicher  werden  diese  künftig  ihren  Nachbarn,  vor- 
nehmlich Österreich-Ungarn  und  Rumänien,  in  poUtischer  und  militärischer 
Hinsicht. 

Die  Schaffung  eines  »Großserbien«  muß  natumotwendig  zur  Folge 
haben,  daß  die  serbisch-kroatischen  Landesteile  Österreich-Ungarns,  die 
Slawonien  bis  zur  Drau,  Kroatien,  Dalmatien,  Bosnien  und  die  Herze- 
gowina umfassen,  den  Anschluß  an  Großserbien  betreiben  werden.  Schon 
jetzt  hat  —  wie  bekannt  —  nach  den  serbisch-bulgarischen  Kriegserfolgen 
in  diesen  Gebieten  eine  tiefgehende  großserbische  Bewegung  eingesetzt, 
die  aus  einer  moralischen  sich  in  eine  physische  Schwächung  der  Doppel- 
monarchie wandeln  kann,  wenn  im  Laufe  der  Zeit  die  Zuverlässigkeit 
der  Truppenteile  mit  slawischem  Ersatz  ins  Wanken  oder  gar  die  Los- 
reißung slawischer  Gebietsteile  von  der  Monarchie  in  Frage  käme. 

Rumänien  zwischen  Rußland  und  einer  größeren  slawischen  Militär- 
macht südlich  der  Donau  würde  mihtärisch  einfach  erdrückt  werden, 
wenn  es  nicht  vorsichtig  vorziehen  würde,  sich  auf  die  Seite  dieser  Nach- 
barn zu  schlagen.  In  der  augenblickUchen  hochemsten  Stunde  muß  der 
Soldat  den  Machtverhältnissen,  wie  sie  jetzt  sind  und  wie  sie  sich  gestalten 
können,  kalt  und  klar  ins  Auge  sehen,  daraus  seine  Schlüsse  ziehen  und 
sich  darauf  einrichten. 

Österreich-Ungarn  und  Rumänien  müssen  —  das  ist  für  sie  eine 
Lebensfrage  —  die  zu  weitgehende  Vergrößerung  und  damit  militärische 
Kräftigung  Serbiens  und  Bulgariens  mit  allen  Mitteln  hintanhalten.  In 
zweiter  Linie  muß  das  germanische  Deutschland  dieses  seltne  Ziel 
verfolgen. 

Aus  dieser  schwierigen  militärpolitischen  Lage  und  aus  diesem 
Zukunftsausblick  heraus  erklärt  sich  die  augenblickliche  Haltung  Öster- 
reich-Ungarns und  Rumäniens. 

Ob  die  Serben  ein  Fenster  nach  der  Adria  bekommen,  ob  die  Alba- 
nesen  die  Autonomie,  das  sind  nur  Unterfragen  in  der  Hauptfrage,  die 
nicht  lautet:  Österreich-Ungarn  oder  Serbien?,  sondern  lautet:  Österreich- 
Ungarn  oder  Rußland?  Germanen  oder  Slawen? 

349 


Die  Friedensstärke  vor  dem  Kriege  der  bulgarisch-serbischen  Armee 
betrug  9+5  Infanteriedivisionen.  Mit  der  territorialen  Vergrößerung 
dieser  Königreiche  wird  und  muß  auch  die  Vergrößerung  ihrer  Streit- 
kräfte Schritt  halten,  man  wird  ihre  Gesamtfriedensstärke  in  wenigen 
Jahren,  je  nach  den  Gebietserweiterungen,  auf  mindestens  16—20 
Infanteriedivisionen  schätzen  dürfen.  Bei  einem  späteren  Kriege  gegen 
Rußland  müßte  Österreich-Ungarn  daher  nahezu  die  Hälfte  seines  4Q 
Infanteriedivisionen  betragenden  Friedensstandes  —  und  zwar  deutsche 
Truppen  —  zunächst  gegen  die  slawischen  Balkanstaaten  in  Rechnung 
stellen. 

>Carpe  horam!«  muß  man  Österreich-Ungarn  und  Rumänien  zurufen, 
und  zwar  um  so  dringhcher,  als  Rußland  —  Rußland,  auf  dessen  aktive 
Hilfe  die  Balkanstaaten  vielleicht  rechnen  —  zu  diesem  Zeitpunkt  —  ich 
wiederhole  früher  Gesagtes  nachdrücklich  —  unter  keinen  Umständen 
das  Schwert  ziehen  wird,  mag  es  noch  so  viel  mit  geheimnisvollen  Mobil- 
machungsmaßnahmen demonstrieren.  Ein  kriegerisches  Einschreiten 
erlauben  ihm  weder  seine  Finanzen,  noch  seine  teilweise  lückenhafte 
Rüstung,  noch  das  gänzliche  Fehlen  einer  Flotte,  noch  die  Befürchtung 
von  sofort  emporlodernden  Aufständen  in  Finnland,  in  Polen,  im 
Kaukasus  und  im  Innern,  noch  schließlich  die  Rücksicht  auf  seinen 
französischen  Alliierten,  der  in  schwerer  Sorge  um  Nordafrika  sein  müßte. 
Rußland  verkündet  offiziell  laut  seine  Friedensliebe,  der  Not  gehorchend, 
nicht  dem  eigenen  Triebe;  sie  ist  wirklich  aufrichtig  gemeint. 

Die  Tripleentente  handelt  vom  militärischen  Standpunkt  aus  durch- 
aus richtig,  wenn  sie  jede  Auseinandersetzung  mit  dem  Schwert  zwischen 
Österreich-Rumänien  und  Serbien-Bulgarien  jetzt  vermieden  zu  sehen 
wünscht;  aber  in  einigen  Jahren?  Ja,  dann  hegt  die  Sache  anders:  Ruß- 
land bereit  und  im  Besitz  einer  Flotte,  Bulgarien  und  Serbien  erholt  von 
den  jetzigen  Wunden,  Frankreich  in  Marokko  sicherer  gebettet,  Rumänien 
vielleicht  in  die  Zwangslage  gebracht,  sich  von  Österreich -Ungarn  los- 
sagen zu  müssen,  und  die  slav/ischen  Südprovinzen  Österreichs  unruhiger, 
als  sie  es  heute  schon  sind. 

Wenn  es  dagegen  heute  dem  Dreibund  und  Rumänien,  gestützt  auf 
ihre  ungeheuren  Machtmittel,  gelingt,  den  slawischen  Ausbreitungs-  und 
Großmannsgelüsten  einen  festen  Damm  entgegenzusetzen,  so  wird  der 
Friede  nicht  nur  heute,  sondern  auf  Jahre  hinaus  damit  erhalten  .  .  .  ." 


350 


Meine  Mission  in  Rumänien. 

Die  durch  den  Balkankrieg  geschaffene,  für  Österreich-Ungarn  so 
schwierige  Lage,  die  es  zwang,  die  Möglichkeit  kriegerischer  Verwick- 
lungen und  zwar  auch  mit  Rußland  ins  Auge  zu  fassen,  legte  es  der 
Monarchie  nahe,  sich  für  diesen  Fall  ihres  südöstlichen  Verbündeten, 
Rumäniens,  zu  versichern.  Dabei  kam  es  aber  darauf  an,  den  Faden 
mit  Bulgarien  (Rumäniens  eifersüchtigem  Rivalen)  njcht  abreißen  zu 
lassen,  also  die  zwischen  Bulgarien  und  Rumänien  bestehenden  Differen- 
zen auszugleichen,  seine  guten  Dienste  hiefür  anzubieten. 

Wie  die  Dinge  damals  lagen,  schien  dies  erreichbar,  wenn  man 
Bulgarien  bewegen  könnte,  gewisse  kleinere  Gebietsabtretungen  an 
Rumänien  zuzugestehen.  Auch  schon  mit  Rücksicht  auf  die  öffentliche 
Stimmung  in  Rumänien  war  die  Erreichung  dieses  Zieles  erwünscht,  da 
ein  Teil  der  öffentlichen  Meinung  ohnehin  nicht  mit  Vorwürfen  an  die 
Regierung  kargte,  dahin,  daß  Rumänien  im  Balkankrieg  leer  ausgehen 
würde  —  ein  Vorwurf,  der  sich  dann  auch  gegen  König  Card  richten 
konnte,  der  uns  als  die  festeste  Stütze  des  Bündnisses  galt.  Graf 
Berchtold  war  unentwegt  bemüht,  die  Politik  der  Monarchie  in  diesem 
Sinne  zu  gestalten.  Rumänien  mit  Bulgarien  auszugleichen  und  Rumänien 
für  den  eventuellen  Krieg  gegen  Rußland  mit  allen  seinen  Kräften  aktiv 
zur  Seite  zu  haben,  war  das  Ziel. 

Mitte  November  1Q12  wurde  ich  zu  Seiner  Kaiserhchen  Hoheit 
Erzherzog  Franz  Ferdinand  berufen  und  von  ihm  beauftragt,  mich  für 
eine  Mission  nach  Bukarest  reisefertig  zu  machen,  um  dort  hn 
obdargelegten  Sinne  zu  wirken. 

Als  äußerer  Anlaß  hatte  zu  gelten,  daß  ich  König  Carol  die 
Kondolenz  Seiner  Majestät  des  Kaisers  anläßlich  des  Ablebens  der 
Gräfin  von  Flandern,  der  Schwester  des  Königs,  zu  überbringen  habe. 

Aus  diesem  Grunde  war  es  wohl  auch  vermieden  worden,  den  Chef 
des  Generalstabes  hiemit  zu  betrauen,  obgleich  es  sich  um  Abmachungen 
für  den  eventuellen  Kriegsfall  handelte. 

Am  16.  November  erhielt  ich  die  Verständigung,  daß  Grai 
Berchtold  am  17.  früh  aus  Budapest  in  Wien  eintreffen  werde  und  ich 
bei  ihm  Instruktionen  einzuholen  habe. 

351 


Bei  diesem  Anlasse  teilte  mir  Graf  Berchtold  zunächst  mit,  daß  er 
am  10.  November  eine  Besprechung  mit  dem  bulgarischen  Kammer- 
präsidenten Herrn  Danew  hatte,  der  anführte,  daß  Rumänien  an 
Bulgarien  Ansprüche  erhebe,  auf  die  es  kein  Recht  habe,  daß  deren 
Gewährung  ein  Opfer  seitens  Bulgariens  wäre,  daß  Rumänien  seitens 
Bulgariens  aufgefordert  worden  sei,  am  Kriege  teilzunehmen,  dies  aber 
abgelehnt  habe.  Jedenfalls  —  meinte  Danew  —  müsse  Rumänien  für 
ein  Entgegenkommen  Bulgariens  dadurch  eine  Handhabe  bieten,  daß  es 
einen  Druck  auf  die  Türkei  zur  Herbeiführung  eines  Präliminarfriedens 
zu  Gunsten  Bulgariens  ausübe.  Danew  erwähnte  auch,  daß  Bulgarien 
einen  baldigen  Friedensschluß  wünsche,  ohne  auf  Konstantinopel  zu 
reflektieren.  Dies  wäre  auch  für  Österreich-Ungarn  vorteilhaft,  damit 
Serbien  nicht  weitere  Fortschritte  mache. 

Nach  diesen  Mitteilungen  über  die  Ausführungen  Danews  erhielt 
ich  durch  Graf  Berchtold  mündlich  folgende  Informationen  für  meme 
Mission  in  Bukarest: 

Überreichen  des  Allerhöchsten  Handschreibens  Seiner  Majestät  an 
König  Carol;  Überbringen  der  Grüße  Seiner  Majestät  und  des  Thron- 
folgers, sowie  der  Versicherung  treuer  Anhänglichkeit; 

Wunsch  Seiner  Majestät,  daß  Rumäniens  Interessen  gewahrt 
werden,  und  Bestreben,  nach  MögUchkdt  hiezu  beizutragen; 

Ausspruch  der  Genugtuung,  daß  Rumänien  die  turkophile  Politik 
aufgegeben,  dieselbe  Haltung  wie  die  Monarchie  eingenommen  habe  und 
Bulgarien  bei  den  Verhandlungen  mit  der  Türkei  unterstützen,  sowie 
dahin  wirken  wolle,  daß  Bulgarien  keinen  definitiven,  sondern  nur  einen 
Präliminarfrieden  schließe; 

Versicherung,  daß  bei  Superrevision  dieses  Friedens  Gelegenheit 
genommen  werde,  die  Interessen  Rumäniens  zu  wahren,  sofern  dies 
nicht  schon  früher  gelungen  wäre; 

Mitteilung,  daß  der  Dreibund  demnächst  erneuert  wird; 

Wunsch,  daß  Rumänien  pari  passu  mitgehe,  das  bestehende  Bündnis 
fortgeführt  werde; 

Aufklärung  über  xmsere  militärischen  Maßnahmen; 

Versuch,  unser  militärisches  Verhältnis  zu  Rumänien  klarzustellen 
und  diesbezügliche  Vereinbarungen  analog  v/ie  mit  Deutschland  anzu- 
bahnen; 

v^omöglich  schriftliche  Niederlegung  dieser  Vereinbarungen; 

Wunsch,  daß  Rumänien  beim  Nachdruck  auf  die  Türkei  Bulgarien 
eventuell  auch  militärisch  unterstütze; 

352 


Mitteilung,  daß  die  Unterredung  mit  Herrn  Danew  rein  informativ 
war,  hiebei  jedoch  seitens  Graf  Berchtold  die  Interessen  Rumäniens 
warm  vertreten  wurden. 

Graf  Berchtold  verständigte  mich,  daß  das  Bundesverhältnis  mit 
Rumänien  von  drei  zu  drei  Jahren  kündbar  sei,  mit  einjähriger  Kündi- 
gungsfrist, daß  der  nächste  Kündigungstermin  auf  den  25.  Juli  1Q13 
falle,  mit  Ablauf  am  25.  Juli  1914.  Er  orientierte  mich  weiter  dahin, 
daß  die  Monarchie  die  serbisch-montenegrinischen  Erwerbungen  in 
Albanien  unter  keinen  Umständen  akzeptiere. 

Außer  diesen  mündlichen  Informationen  erhielt  ich  noch  folgendes 
Schriftstück  als  Direktive: 

„Geheim. 

1.  Versicherung  des  Wunsches  Seiner  Majestät,  daß  Rumäniens 
Interessen  in  der  gegenwärtigen  Krise  vollkommen  gewahrt  bleiben,  und 
Bestreben  des  Allergnädigsten  Herrn,  Allerhöchst  hiezu  nach  Möglich- 
keit beizutragen. 

2.  Mitteilung  des  wesentlichsten  Inhaltes  der  Konversationen  mit 
Danew,  welche  im  allgemeinen  bloß  informativen  Charakter  trugen  und 
in  deren  Verlauf  auch  für  Rumänien  warm  eingetreten  wurde.  Aus  den 
Äußerungen  Herrn  Danews  war  zu  ersehen,  daß  es  für  Bulgarien  mit 
Rücksicht  auf  die  öffentliche  Meinung  leichter  fallen  würde,  in  der  frag- 
lichen Richtung  etwas  zu  tun,  wenn  Rumänien  in  der  Lage  wäre,  im 
Laufe  der  Friedensverhandlungen  Bulgarien  eine  freundschaftliche 
Unterstützung  zu  gewähren. 

3.  Streng  geheime  Mitteilung,  daß  der  Dreibund  gegenwärtig 
erneuert  werden  soll  und  Hoffnung  gehegt  wird,  daß,  so  wie  in  der  Ver- 
gangenheit, auch  in  der  Zukunft  das  Verhältnis  mit  Rumänien  pari 
passu  mit  dem  Dreibund  fortgeführt  werden  wird. 

4.  Versuch,  das  Terrain  für  eventuelle  schriftliche  Niederlegung  der 

Stipulation  wegen   Militärkonvention  zu  erkunden." 

* 

Am  18.  November  1912  wurde  ich  seitens  des  Ministeriums  des 
Äußern  verständigt,  daß  sich,  da  Danew  in  Bukarest  erwartet  werde, 
meine  Abreise  verschieben  müsse.  Sie  erfolgte  daher  erst  am  28.  Novem- 
ber, nachdem  ich  am  27.  November  noch  in  Audienz  bei  Seiner  Kaiser- 
lichen Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdüiand  war. 

Der  Verlauf  meiner  Mission  in  Rumänien  geht  am  besten  aus 
meinem  Seiner  Majestät  dem  Kaiser  erstatteten  schriftlichen  Bericht 
hervor,  den  ich  während  der  Rückreise  von  Bukarest  nach  Wien  memem 
Flügeladjutanten  eindiktiert  hatte. 

23,  Conrad  II  qcq 


Er  lautete: 

„Bericht  über  meine  Mission  in  Bukarest 
am  29.  und  30.  November  1912. 

Am  29.  November  um  12.55  Uhr  nachm.  in  Bukarest  eingetroffen, 
wurde  ich  für  2  Uhr  nachm.  zur  Audienz  bei  Seiner  Majestät  dem 
König  befohlen. 

Ich  v^urde  von  Seiner  Majestät  mit  ausgesuchter  Freundlichkeit  emp- 
fangen und  w^ar  zwei  Stunden  —  von  2  bis  4  Uhr  nachm.  —  beim  König. 

Ich  habe  den  Totaleindruck  gewonnen,  daß  der  König  unbedingt 
treu  zu  seiner  Bundespflicht  hält,  und  daß  er  in  diesem  Sinn  alle 
militärischen  Vorbereitungen  getroffen  hat. 

Ich  habe  das  Allerhöchste  Handschreiben  überreicht,  der  König  las 
es  und  war  sichtlich  erfreut  darüber,  ich  habe  ihm  die  Grüße  und  die 
Versicherung  der  Gefühle  treuer  Anhänglichkeit  Seiner  Majestät  des 
Kaisers  und  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  des  Thronfolgers  gegenüber 
dem  König  von  Rumänien  ausgedrückt,  femer  habe  ich  betont,  daß  es  der 
Wunsch  Seiner  Majestät  des  Kaisers  ist,  daß  die  Interessen  Rumäniens 
gewahrt  werden  und  daß  die  Monarchie  bestrebt  sein  wird,  dazu  nach 
Möglichkeit  beizutragen. 

Dies  und  auch  die  Bemerkung,  daß  es  mit  Genugtuung  empfunden 
wurde,  daß  Rumänien  dieselbe  Haltung  angenommen  habe,  wie  die 
Monarchie  in  Bezug  auf  Bulgarien  und  die  Türkei,  haben  auf  den  König 
einen  sichtlich  guten  Eindruck  gemacht,  und  der  König  hat  gleich 
erwähnt,  daß  er  das  Ansinnen  des  Nazim  Pascha,  feindselig  gegen 
Bulgarien  aufzutreten,  abgewiesen  habe. 

Der  König  ist  auch  vollkommen  dafür,  auf  keinen  definitiven, 
sondern  nur  auf  einen  Präliminarfrieden  hinzuarbeiten,  weil  er  einen 
definitiven  Frieden  als  die  Quelle  neuer  kriegerischer  Verwicklungen 
betrachten  würde  und  er  hat  es  auch  sehr  beifällig  aufgenommen,  als 
ich  ausführte,  daß  bei  einer  Superrevision  dieses  Präliminarfriedens 
Gelegenheit  geboten  wäre,  die  Interessen  Rumäniens  speziell  zu  wahren, 
wenn  dies  nicht  schon  früher  direkt  gelungen  sein  sollte. 

Der  König  war  sehr  bereit,  auf  alle  mögliche  Weise  einen  dies- 
bezüglichen Druck  auf  die  Türkei  auszuüben,  nur  bei  der  Andeutung, 
daß  dieser  Druck  auch  durch  militärische  Maßregeln  verschärft  werden 
könnte,  bemerkte  der  König,  daß  er  dazu  ein  Fragezeichen  machen 
müßte,  weil  es  ihm  wie  eine  Felonie  vorkäme,  wenn  er  den  alten  Freund 
—  die  Türkei  nämlich  —  auch  noch  in  diesem  Zeitpunkt  feindselig 
behandeln  würde. 

354 


Der  König  erzählte  hiebei  eine  Anekdote,  die  er  in  Gesellschaft  mit 
Erzherzog  Albrecht  und  dem  russischen  Gesandten  Hitrowo  erlebt  hatte. 

Sehr  beifällig  hat  der  König  die  Mitteilung  von  der  Dreibund- 
erneuerung aufgenommen,  umsomehr,  als  er  hinsichtlich  Italiens  doch 
sehr  skeptisch  zu  sein  schien. 

Auf  den  ausgesprochenen  Wunsch,  daß  Rumänien  gleichzeitig  mit 
dem  Dreibund  sein  Verhältnis  fortführen  möge,  erwiderte  der  König 
zunächst,  daß  ja  ohnehin  das  Bundesverhältnis  besteht  und  eine  ein- 
jährige Kündigung  bedingt,  wenn  es  gelöst  werden  soll. 

Auf  meine  Bemerkung,  daß  es  erwünscht  wäre,  wenn  dieses  Ver- 
hältnis in  gleicher  Weise  enger  gestaltet  würde,  wie  es  zwischen  den 
anderen  Dreibundmächten  der  Fall  ist,  verhielt  sich  der  König  nicht 
ablehnend. 

Es  wäre  also  in  dieser  Hinsicht  die  geeignete  Zeit,  dies  einzuleiten. 

Weiter  gab  ich  Seiner  Majestät  dem  König  die  Aufklärung  über 
unsere  jetzigen  militärischen  Maßnahmen,  bezüglich  deren  er  im  großen 
bereits  orientiert  war. 

Als  ich  nun  auf  unser  militärisches  Verhältnis  zu  Rußland  speziell 
zu  sprechen  kam,  eröffnete  mir  der  König,  daß  er  in  Ansehung  der 
Möglichkeit  eines  Krieges  bereits  in  der  verflossenen  Woche  mehrere 
Sitzungen  gehabt  habe,  darunter  speziell  eine  mit  dem  Chef  des  General- 
stabes, General  Averescu,  bei  welcher  die  Details  des  Aufmarsches  fest- 
gelegt wurden,  und  teilte  mir  mit,  daß  mich  der  Chef  des  Generalstabes, 
General  Averescu,  den  folgenden  Tag  (Samstag)  9  Uhr  vorm.  ein- 
gehend darüber  orientieren  und  es  mit  mir  besprechen  werde. 

Aus  dem  Gespräch  des  Königs  entnahm  ich,  daß  Rumänien  bereit 
ist,  mit  seinen  vollen  Kräften,  das  sind  zehn  operative  Divisionen  und 
fünf  Reserve-Divisionen  (mit  Ausnahme  von  einer  Division,  die  anfäng- 
lich in  Bukarest  bleibe),  in  den  Krieg  einzutreten,  daß  er  jedoch  den 
Aufmarsch  dieser  Kräfte  im  Räume  Berlat— Galatz— Nomoleasa— 
Focsani  plane,  weiter  nördlich  aber  bei  Roman  nur  das  IV.  Korps 
(Jassy)  aufmarschieren  lasse. 

Auf  meine  Bemerkung  wegen  einer  eventuellen  Vereinigung  der 
rumänischen  Armee  bei  und  nördlich  Jassy  (Botosani)  erwiderte  der 
König,  daß  dies  mit  Rücksicht  auf  die  Lage  Rumäniens  doch  nicht  gut 
möglich  wäre,  daß  die  rumänischen  Kräfte  schon  am  zehnten  Tage 
versammelt  wären  und  dann  ja  ohnehin  die  Offensive  beginnen  würde. 

Für  diese  rechnet  er,  daß  die  rumänische  Armee  das  russische 
VII.  und  VIII.  Korps  und  auch  Teile  des  kaukasischen  Korps  gegen 
sich  haben  v^erde,  was  letzteres  ich  bezweifelte. 


23* 


355 


Ich  habe  den  Eindruck  gewonnen,  daß  man  sich  mit  dieser  Zusage 
abfinden  könne,  da  es  ja  vor  allem  darauf  ankommt,  überhaupt  die 
Kräfte  Rumäniens  zur  Verfügung  zu  haben. 

Ich  habe  nun  angeregt,  daß  die  diesbezüglichen  Vereinbarungen 
in  analoger  Weise,  wie  mit  dem  deutschen  Generalstab,  auch  zwischen  dem 
ö.-u.  und  rumänischen  Generalstab  schriftlich  niedergelegt  werden  und 
habe  schließlich  die  Zustimmung  des  Königs  erhalten  und  die  Erlaubnis, 
all  dies  bei  der  Besprechung  mit  General  Averescu  wenigstens  in  seinen 
grundlegenden  Zügen  durchzuführen. 

Bei  der  Besprechung  der  Dreibund-Verpflichtungen  kam  der  König 
auch  auf  die  Rolle  Italiens  zu  sprechen  und  teilte  mir  mit,  daß  eine 
Verpflichtung  Italiens  bestehen  soll,  wonach  dieses  etwa  40.000  Mann 
—  oder  nach  einer  anderen  Version  eine  Division  —  zur  direkten  Unter- 
stützung Rumäniens  entsenden  soll,  welche  Division  natürlich,  da  der 
Seeweg  nicht  frei  wäre,  durch  österreichisches  Gebiet  transportiert 
werden  müßte. 

Ich  erklärte,  daß  ich  von  dieser  Sache  nichts  wüßte,  worauf  mir 
aber  der  König  erwiderte,  daß  gerade  der  italienische  Gesandte  in 
Bukarest  vor  ganz  kurzer  Zeit  ihm  gegenüber  eine  diesbezügliche 
Bemerkung  machte. 

Es  wäre  also  tatsächlich  nachzuforschen,  ob  eine  solche  Verpflich- 
tung Italiens  besteht  und  was  in  dieser  Beziehung  vereinbart  worden  ist. 

Als  Seine  Majestät  der  König  die  allgemeine  Lage  zur  Besprechung 
anregte,  legte  ich  dar,  daß  die  Monarchie  Serbien  gegenüber  eine  weit- 
gehende Zurückhaltung  erwies,  daß  sie  diese  Zurückhaltung  aber  nur 
deshalb  walten  lasse,  weil  sie  nicht  leichtfertig  eine  kriegerische  Ver- 
wicklung über  Europa  heraufbeschwören  will,  daß  die  Monarchie  aber 
fest  entschlossen  ist,  ihre  bereits  fixierte  Minimalforderung  unbedingt 
aufrecht  zu  erhalten,  auch  selbst  wenn  es  mit  den  Waffen  sein  müßte. 

Diese  Minimalforderung  besprechend,  bezeichnete  ich  als  solche: 

Die  Autonomie  eines  ungeteilten,  unzerstückelten  Albaniens;  die 
Ausschließung  eines  serbischen  Territorialbesitzes  an  der  Adria  und 
hinsichtlich  des  Hafens  nur  das  Zugeständnis,  daß  ein  solcher  als  Frei- 
hafen —  ähnlich  wie  Hamburg  —  geschaffen  werde,  welchen  auch 
Serbien  benützen  und  zu  welchem  sich  Serbien  eine  Bahn  bauen  könnte, 
daß  jedoch  diesem  Bahnbau  der  Anschluß  Uzice — Vardiste  vorangehen 
müßte. 

Als  der  König  fragte,  welcher  Hafen  das  sein  könnte,  erwiderte 
ich,  daß  es  entweder  ein  dalmatinischer  —  der  aber  dann  auch  Frei- 
hafen wäre  —  oder  Antivari  oder  äußerstenfalls  Singjin  (S.  Giovanni 
di  Medua)  sein  könnte,  natürlich  ohne  territorialen  Besitz. 

356 


Auf  meine  Bemerkung,  daß  ich  mir  die  Hartnäckigkeit  Serbiens 
nur  aus  der  Unterstützung  desselben  seitens  Rußlands  erklären  könne, 
meinte  der  König,  er  glaube,  daß,  wenn  wir  die  Bedingungen  so 
formulieren,  wie  es  oben  geschetien,  Rußland  entsprechend  auf  Serbien 
einwirken  werde,  daß  es  sich  dieser  Bedingung  füge. 

Gelegentlich  meiner  Bemerkung,  daß  die  Entscheidung  der  jetzigen 
Frage  meiner  Ansicht  nach  davon  abhängig  ist,  wie  weit  Rußland  in 
der  Unterstützung  Serbiens  geht,  weil  ich  nicht  glaube,  daß  Serbien 
ohne  Unterstützung  Rußlands  einen  Krieg  gegen  die  Monarchie  riskieren 
würde,  teilte  mir  Seine  Majestät  der  König  einen  Zwischenfall  mit 
zwischen  dem  französischen  und  dem  serbischen  Gesandten  und  das 
Hinzutreten  des  russischen  Gesandten  Schebeko  beim  Diplomatenempfang 
letzte  Woche,  der  ergab,  daß  der  französische  Gesandte  den  serbischen 
hart  anließ,  und  daß  der  russische  Gesandte  dem  französischen  bei- 
pflichtete, worauf  sich  der  serbische  kleinlaut  zurückzog. 

Der  König  schien  überhaupt  der  Ansicht  zu  sein,  daß  Rußland  es 
wegen  dieser  Frage  nicht  zum  Krieg  wird  kommen  lassen;  er  erzählte 
mir  auch,  daß  Offiziere  in  die  an  Rumänien  grenzenden  Teile  Rußlands 
entsendet  wurden  und  daß  in  diesen  Gebieten  keinerlei  militärische  Vor- 
bereitungen zu  bemerken  seien,  nur  Gerüchte  sollen  umlaufen,  wonacli 
russische  Truppenverschiebungen  in  nordwestlicher  Richtung,  also  gegen 
uns,  stattfinden  sollen. 

Ich  habe  dann  die  Besprechung  dahin  geleitet,  daß  ich  auf  die 
Solidarität  der  Interessen  Deutschlands,  Österreich-Ungarns,  Rumäniens, 
aber  auch  Bulgariens  hinwies  gegenüber  einem  Zusammenschluß 
Rußlands  mit  Serbien. 

Der  König  meinte,  daß  diese  Ansicht  gänzlich  der  seinigen  und  der 
Richtung  seiner  Politik  entspreche,  so  daß  ich  die  Ansicht  gewann,  die 
rumänische  Regierung  ziele  darauf  ab,  mit  Bulgarien  dauernd  ein  freund- 
schaftliches Verhältnis  herzustellen. 

Der  König  kam  nun  auf  die  Mission  des  Danew  in  Budapest  zu 
sprechen,  und  ich  teilte  Seiner  Majestät  mit,  daß  die  Gespräche  mit 
Danew  nur  informativen  Charakter  und  hauptsächlich  die  Unterstützung 
der  rumänischen  Forderungen  durch  die  Monarchie  zum  Ziele  hatten. 
Auf  meine  Äußerung,  daß  Danew  erwähnte,  Rumänien  sei  von  Bulgarien 
zur  Mitwirkung  aufgefordert  worden,  erwiderte  der  König,  daß  das 
ganz  unwahr  ist  und  von  einer  Aufforderung  Bulgariens  zum  Mittun 
absolut  keine  Spur  gewesen  ist. 

Auch  erfuhr  ich  gesprächsweise,  daß  das  monarchirfeindliche  Auf- 
treten Hartwigs  in  Serbien  auch  auf  die  Beziehungen  des  Großfürsten 
Nikolaus  zur  Frau  des  Herrn  von  Hartwig  zurückzuführen  sei. 

357 


Als  ich  nun  weiter  auf  Gebietsabtretungen  seitens  Bulgariens  zu 
sprechen  kam,  teilte  mir  der  König  mit,  daß  Rumänien  drei  Alternativen 
im  Auge  habe:  eine  maximale,  die  ziemlich  weit  nach  Bulgarien  hinein- 
reicht, ohne  aber  Varna  und  Sumla  einzuschließen,  eine  mittlere,  die 
Silistria  in  sich  begreift,  und  eine  minimale,  die  Silistria  wegläßt. 

Der  Grund  des  Verlangens  nach  dieser  Grenzregulierung  ist: 

1.  die  Schaffung  etwas  günstigerer  strategischer  Bedingungen  und 

2.  die  Dokumentierung  der  Anerkennung  der  Dobrudza  als  Besitz 
Rumäniens  seitens  der  Bulgaren. 

Ich  habe  die  Überzeugung  gewonnen,  daß  es  die  Monarchie 
unbedingt  durchsetzen  muß,  daß  Rumänien  diesen  Wunsch  erfüllt  erhält, 
weil  sonst  der  König,  der  doch  die  ganze  Stütze  der  äußeren  Politik  ist, 
in  eine  schiefe  Stellung  zu  seinem  Volk  und  Land  käme,  wodurch  jenen 
Parteien  Vorschub  geleistet  würde,  die  den  rege  betriebenen  Ein- 
flüsterungen Rußlands  Gehör  schenken  und  der  Politik  des  Königs 
ohnehin  den  Vorwurf  machen,  daß  Rumänien  infolge  versäumten  Ein- 
greifens in  den  jetzigen  Balkankrieg  leer  ausginge. 

Nach  4  Uhr  nachmittags  war  die  Audienz  bei  Seiner  Majestät  dem 
König  beendet,  und  ich  machte  nun  persönliche  Besuche  beim  Minister- 
präsidenten und  Minister  des  Äußern  Maiorescu,  Chef  des  General- 
stabes General  Averescu,  Kriegsminister  General  Herjeu,  Korpskomman- 
danten General  Crainiceanu  und  dem  Festungskommandanten  GM. 
Zottu,  ehemaliger  Chef  des  Generalstabes,  nachdem  vorher  schon  bei 
zwei  Staatssekretären,  den  übrigen  Ministem  und  dem  Generaladjutanten 
Seiner  Majestät  und  bei  unserer  Vertretung  in  Bukarest  Karten  abge- 
geben wurden. 

Um  7  Uhr  abends  wurde  mein  Flügeladjutant  von  Seiner  Majestät 
dem  König  in  halbstündiger  Audienz  empfangen. 

8  Uhr  abends  war  Diner  beim  Ministerpräsidenten  Maiorescu,  an 
welchem  auch  teilnahmen: 

die  Minister  Take  Jonescu,  Marghiloman  und  Filipescu,  der  Kriegs- 
minister Herjeu,  der  Chef  des  Generalstabes  General  Averescu,  von 
unserer  Vertretung  in  Bulcarest  der  ö.-u.  Gesandte  Prinz  zu  Fürstenberg, 
der  Legationsrat  Baron  Haymerle  und  Oberstleutnant  von  Hranilovic, 
ferner  der  mir  zum  Ehrendienst  zugeteilte  Kapitän  des  Generalstabes 
Ressel  und  mein  Flügeladjutant  Major  Kundmann. 

Nach  dem  Diner  führte  mich  Maiorescu  in  einen  Salon,  in  welchem 
wir  beide  allein  konferieren  konnten. 

Bei  dieser  Besprechung  teilte  mir  Maiorescu  mit,  daß  er  nach  meiner 
Audienz  beim  König  war  und  ihm  der  König  viel  aus  der  Unterredung 
mitleilte. 

358 


Maiorescu  begann  nun  gleichfalls  über  diese  Angelegenheit  zu 
sprechen,  und  ich  gewann  den  Eindruck,  als  ob  Maiorescu  bemüht  wäre, 
die  Zusagen  des  Königs  etwas  abzuschwächen,  oder  daß  er  besorgt 
habe,  daß  der  König  in  seinen  Zusagen  vielleicht  zu  weit  gegangen  wäre, 
weil  er  (Maiorescu)  nämlich  zu  sehr  die  Hoönung  aussprach,  daß  sich 
die  Sache  friedlich  beilegen  möge,  und  weil  er  betonte,  daß  Rumänien 
bei  einem  Angriff  auf  die  Monarchie  treu  seiner  Bundes- 
pflicht nachkommen  würde,  so  daß  ich  den  Eindruck  gewann,  als  ob 
er  meinte,  daß,  wenn  die  Monarchie  selbst  der  Angreifer  wäre,  Rumänien 
zu  einer  solchen  Hilfe  nicht  verpflichtet  sein  würde. 

Er  sprach  dies  keineswegs  derart  aus,  aber  ich  glaubte,  dies 
zwischen  den  Zeilen  lesen  zu  können. 

Auf  das  hin  entwickelte  ich  ihm  den  Hergang  der  jetzigen  Situation 
und  legte  ihm  dar,  wie  sehr  der  Zusammenschluß  Rußlands  und  Serbiens 
eine  Gefahr  für  Deutschland,  Österreich-Ungarn,  Rumänien  und  auch 
Bulgarien  bilde  und  wie  daher  gerade  diese  Staaten  darauf  angewiesen 
sind,  diesem  Zusammenschluß  Rußlands  und  Serbiens  gegenüber  soli- 
darisch aufzutreten. 

Ich  setzte  ihm  weiter  eingehend  auseinander,  daß  sich  die  Monarchie 
im  vollen  Gefühle  der  schweren  Verantwortung  für  ganz  Europa  äußerst 
langmütig  erwiesen  habe,  daß  sie  zugesehen  habe,  wie  Serbien  überhaupt 
diesen  Krieg  vom  Zaune  brach,  daß  sie  selbst  ruhig  blieb,  als  Serbien 
die  Gebiete  des  Sandzak  betrat,  daß  sie  aber  unbedingt  ein  Veto  einlegen 
mußte,  als  Serbien  seine  Aspirationen  an  die  Adria  ausdehnte,  daß  die 
Monarchie  nunmehr  gleich  beizeiten  diesen  ihren  Standpunkt  klarlegte, 
welcher  die  Autonomie  Albaniens  und  die  Lösung  der  Hafenfrage  in  ihrem 
Sinne  betraf  und  daß  die  Monarchie  unter  gar  keinen  Umständen  von 
diesem  Standpunkt  weicht,  sondern  ihn  auch  auf  die  Gefahr  eines  Krieges 
hin  vertreten  würde. 

Ich  erwähnte,  daß  es  nunmehr  an  Rußland  läge,  sich  klar  zu  werden, 
wie  weit  es  in  der  Unterstützung  Serbiens  geht,  wenn  es  einen  großen 
europäischen  Krieg  vermieden  haben  will. 

Ich  legte  ihm  dar,  daß  Rußland  der  einzige  Staat  war,  welcher  von 
der  Aktion  der  Balkanstaaten  schon  lange  vorher  wußte,  und  daß  Ruß- 
land hinterhältig  genug  war,  dies  allen  anderen  Staaten  und  auch 
Rumänien  gegenüber  zu  verbergen. 

Ich  kam  auch  auf  Frankreich  und  England  zu  sprechen,  erwähnte, 
daß  Frankreich  seiner  großen  finanziellen  Engagements  wegen  den 
Krieg  nicht  wünschen  werde  und  daß  England  kaum  gewillt  sein  dürfte, 
es  zu  einem  Seekrieg  mit  Deutschland  kommen  zu  lassen,  weil  selbst 
wenn  die   deutsche  Flotte  dabei  vernichtet  werden  würde,   auch   die 

359 


englische  eine  derartige  Einbuße  erleiden  würde,  daß  die  Machtstellung 
Englands,  die  doch  nur  auf  der  Flotte  beruht,  schwer  getroffen  wäre, 
daß  es  somit  tatsächlich  Rußland  ist,  von  dem  es  abhängt,  ob  es  zu 
diesem  Krieg  kommt  oder  nicht. 

Minister  Maiorescu  verfolgte  meine  Ausführungen  mit  großer  Auf- 
merksamkeit, dankte  mir  sehr  für  diese  Darlegungen  und  bemerkte  nur, 
daß  er  nunmehr  klar  sehe,  wie  man  die  Sache  auffaßt. 

Ich  hatte  nun  noch  eine  Besprechung  mit  dem  rumänischen  Minister 
des  Innern  Take  Jonescu,  bei  welcher  dieser  auf  die  kutzowalachischen 
Elemente  zu  reden  kam  und  mir  mitteilte,  daß  sich  Rumänien  für  diese 
sehr  interessiere  und  auch  in  mehreren  Städten  Albaniens,  z.  B.  Elbassan, 
Berat  etc.,  rumänische  Schulen  unterhalte. 

Von  verschiedenen  Seiten,  insbesondere  auch  vom  Minister 
Maiorescu  wurde  hervorgehoben,  mit  welcher  Aufmerksamkeit  meine 
Entsendung  nach  Bukarest  verfolgt  wird  und  wie  beifällig  dieser  Schritt 
Seiner  Majestät  des  Kaisers  hier  aufgenommen  wurde. 

Nicht  unerwähnt  aber  kann  ich  es  lassen,  daß  mir  Maiorescu  ganz 
loyal  mitteilte,  daß  außer  ihm  selbst  auch  noch  der  russische  Geschäfts- 
träger Schebeko  vom  König  am  selben  Tage  empfangen  wurde  und  daß 
Seine  Majestät  letzterem  über  die  Überreichung  des  Handschreibens  und 
über  den  ersten  Teil  semes  Inhaltes  Mitteilung  machte,  wobei  ich  mich 
des  Eindruckes  nicht  erwehren  konnte,  daß  diese  Rücksicht  auf  den 
russischen  Vertreter  darauf  abziele,  Rußland  nicht  zu  verstimmen. 

Schebeko  hat  offiziell  im  Namen  des  Zaren  kondoliert,  es  war  aber 
durchsichtig,  daß  die  Audienz  wegen  meiner  Ankunft  angesucht 
worden  war. 

In  Rumänien  ist  eine  große  Partei,  die  Angst  vor  einem  Konflikt 
mit  Rußland  hat. 

Der  König  ist  nicht  vollkommen  orientiert  über  die  Strömungen  ün 
Lande,  so  daß  ihn  der  Kronprinz  schon  einmal  aufklären  wollte,  es  aber 
dann  unterlassen  hat,  weil  der  König  dies  voraussichtlich  abgewiesen 
haben  würde. 

Am  Abend  ließ  mir  Seine  Majestät  der  König  sein  Bild  mit  eigen- 
händiger Unterschrift  in  einem  Silberrahmen  überreichen  und  verlieh 
meinem  Flügeladjutanten  das  Komturkreuz  des  Ordens  der  rumänischen 
Krone. 

Am  30.  November  9  Uhr  vorm.  erschien  der  Chef  des  Generalstabes, 
General  Averescu,  bei  mir  in  jenem  Teil  des  könighchen  Schlosses,  wo 
ich  als  Gast  des  Königs  abgestiegen  war,  und  wir  hatten  bis  gegen 
11   Uhr  vorm.   unter  vier   Augen    Besprechungen   der    gemeinsamen 

360 


militärischen  Maßnahmen,  wobei  ich  vollen  Einblick  in  den  rumänischen 
Aufmarsch  erhielt. 

Es  kam  mir  nun  vor  allem  darauf  an,  die  getroffenen  Vereinbarungen 
sofort  wenigstens  in  großen  Zügen  schriftlich  festzulegen,  ich  fertigte 
daher  ein  Pare  aus,  während  General  Averescu  eine  Abschrift  desselben 
niederschrieb. 

Diese  nur  dem  König  und  General  Averescu  bekannten  Fest- 
setzungen hätten  nun  als  Basis  für  die  weiteren  schriftlichen  Verein- 
barungen zwischen  beiden  Generalstäben  zu  dienen,  wurden  in  einem 
Pare  von  Seiner  Majestät  dem  König  von  Rumänien  eingesehen,  während 
das  zweite  gleichlautende  Pare  Seiner  Apostolischen  Majestät  dem  Kaiser 
zur  Allerhöchsten  resp.  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  Erzherzog  Franz 
Ferdinand  zur  Höchsten  Einsichtnahme  vorgelegt  wird. 

Speziell  sei  noch  erwähnt,  daß  die  rumänische  Grenzsicherung  am 
Pruth  in  vier  Abschnitte,  korpsweise  geteilt,  mit  der  linken  Flügel- 
abteilung bei  Dorohoj  (dort  Infanterie-,  sonst  Jägerbataillone)  gedacht  ist. 

Die  Rosiori-Kavallerie  wird  zum  sofortigen  Einbruch  nach  Ruß- 
land (mit  sechs  Regimentern)  bereit  sein. 

Operationsbereitschaft  am  zehnten  Mobilisierungstage. 

Das  IV.  Korps  schon  früher,  ungefähr  am  siebten  Mobili- 
sierungstage. 

Obige  konkrete  Daten  tragen  streng  reservierten  Charakter. 

Von  11  bis  12  Uhr  vorm.  wohnte  ich  dem  in  Anwesenheit  des 
Königspaares  stattgefundenen  feierlichen  Trauergottesdienste  für  die 
verstorbene  Schwester  des  Königs,  weiland  die  Gräfin  von  Flandern  bei. 

Vor  Beginn  des  Gottesdienstes  hatte  ich  Gelegenheit,  mit  dem 
gewesenen  Ministerpräsidenten  Bratianu,  der  der  liberalen  Partei 
angehört,  über  die  jetzige  Lage  und  über  die  Position  Österreich-Ungarns 
zu  sprechen.  Ich  erwähnte  ihm  gegenüber,  daß  die  Monarchie  bezüg- 
lich Nachgiebigkeit  gegenüber  Serbien  bis  zum  äußersten  gegangen  ist 
und  alles  seine  Grenzen  hat. 

Um  12.30  Uhr  nachm.  wurde  ich  von  Ihrer  Majestät  der  Königin  in 
halbstündiger  Audienz  empfangen. 

Die  Königin  wäre  sehr  für  den  Frieden  und  Annäherung  an 
Bulgarien,  würde  einen  Krieg  mit  Rußland  für  ein  großes  Unglück 
betrachten  und  zeigte  eine  große  Verachtung  für  das  serbische  Königs- 
haus. 

Vor  Beendigung  der  Audienz  lud  mich  Ihre  Majestät  für  4  Uhr 
nachm.  zum  Tee  ein. 

361 


Nach  1  Uhr  nachm.  war  Dejeuner  beim  ö.-u.  Gesandten  Prinz  zu 
Fürstenberg',  wo  ich  erneuert  Gelegenheit  fand,  mit  General  Averescu 
und  dem  Ministerpräsidenten  iViaiorescu  Rücksprache  zu  pflegen. 

Maiorescu  hat  hiebei  wieder  erkennen  lassen,  daß  es  ihm  am  liebsten 
wäre,  wenn  die  ganze  Sache  friedlich  beigelegt  würde,  hat  auch  gemeint, 
daß  unser  einmütiges  Zusammenhalten  dazu  beitragen  wird,  worauf  ich 
ihm  erwiderte,  daß  unsere  Einmütigkeit  nur  dann  wirksam  sein  wird, 
wenn  man  in  Rußland  sieht,  daß  wir  auch  gewillt  sind,  mit  den  Waffen 
in  der  Hand  unser  Recht  wirklich  zu  vertreten  und  uns  nicht  scheuen, 
ia  einen  Krieg  einzutreten,  dessen  Bedeutung  und  große  Verantwortlich- 
keit für  Europa  wir  allerdings  kennen. 

Er  hat  auch  wieder  über  verschiedene  Strömungen  in  Rußland 
gesprochen  und  die  unschöne  Rolle  des  Herrn  von  Hartwig,  des  russi- 
schen Vertreters  in  Serbien,  hervorgehoben. 

Hierauf  hatte  ich  noch  eine  Besprechung  mit  unserem  Gesandten 
Prinz  zu  Fürstenberg,  der  erneuert  die  Notwendigkeit  betonte,  daß 
Rumänien  durch  Österreich-Ungarn  die  Grenzkompensationen  bekomme 
und  nicht  etwa  durch  Rußland,  welches  die  analoge  \mbition  habe. 

Diese  Notwendigkeit  liegt  eben  darin,  die  Dispositionen  des  Königs 
in  der  öffentlichen  Meinung  zu  festigen,  damit  es  nicht  heißt,  dieser 
habe  30  Jahre  eine  falsche  Politik  gemacht  und  damit  nichts  erreicht. 

Um  3.45  Uhr  nachmittags  empfahl  ich  mich  vom  Prinzen  zu 
Fürstenberg  und  erschien  um  4  Uhr  nachmittags  bei  Ihrer  Majestät  der 
Königin  zum  Tee,  wo  sich  auch  Seine  Majestät  der  König  einfand,  und 
wurde  mir  die  seltene  Auszeichnung  zuteil,  mit  dem  Königspaar  ganz 
allein  bis  zur  Abfahrt  zum  Bahnhof  verweilen  zu  dürfen. 

In  Begleitung  des  Flügeladjutanten  Seiner  Majestät  des  Königs 
fuhr  ich  sodann  direkt  zum  Bahnhof,  wo  ich  5.35  nachmittags  eintraf. 

Um  5.40  nachmittags  ging  der  Zug  nach  Wien  ab;  am  Bahnhof 
hatten  sich  zur  Verabschiedung  unter  anderen  der  Ministerpräsident 
Maiorescu,  die  Generale  Averescu  und  Crainiceanu,  dann  Prinz  zu 
Fürstenberg  mit  den  Herren  der  Gesandtschaft  eingefunden. 

Während  der  Fahrt,  es  war  10.30  nachts,  wurde  ich  vom  Redakteur 
Herrn  Ciocärdia  der  Bukarester  Zeitung  „Universul"  um  ein  Interview 
gebeten. 

So  unangenehm  mir  dies  war,  gab  ich  doch  dieser  Bitte  statt  und 
ging  wie  folgt  auf  seine  Fragen  ein. 

Auf  die  Frage  um  den  Grund  meines  Kommens  erwiderte  ich  ihm, 
daß  ich  ein  Handschreiben  Seiner  Majestät  meines  Kaisers  an  Seine 
Majestät  den  König  von  Rumänien  überbrachte  mit  dem  Beileid  zum 
jüngsten  Todesfall  in  der  Familie  des  Königs  und  mit  dem  Ausdruck 

362 


der  freundschaftlichen  Gefühle  der  Monarchie  für  die  Interessen 
Rumäniens. 

Auf  die  Frage,  ob  es  zum  Krieg  kommen  wird,  antwortete  ich,  daß 
ich  diesbezüglich  nicht  prophezeien  könne  und  daß  vielleicht  in  ganz 
Europa  überhaupt  niemand  ist,  der  diese  Frage  jetzt  bestimmt  beant- 
worten könnte,  daß  aber  jedenfalls  viel  von  der  Einsicht  der  krieg- 
führenden Mächte  abhänge. 

Auf  seine  Bemerkung,  daß  sich  jetzt  in  Rumänien  große  Meinungs- 
verschiedenheiten äußern,  ob  es  besser  gewesen  wäre,  sich  an  dem  Kriege 
am  Balkan  zu  beteiligen,  sei  es  gegen  oder  für  den  Balkanbund,  oder 
unbeteiligt  zu  bleiben,  sagte  ich  ihm,  daß  ich  mich  darüber  nicht  äußern 
kann,  aber  glaube,  daß  die  Leute,  die  jetzt  so  oder  so  reden,  wenn 
man  sie  anfangs  gefragt  hätte,  auch  nicht  gewußt  hätten,  was  sie 
richtigerweise  machen  sollen.  Im  übrigen  hat  Rumänien  das  Glück,  einen 
so  weisen  und  weitblickenden  Monarchen  zu  haben,  daß  es  sich  ruhig 
der  Führung  seines  Königs  anvertrauen  kann. 

Ich  habe  diesen  Redakteur  —  gegen  mein  sonstiges  Prinzip  — 
diesmal  empfangen,  weil  ich  nicht  unfreundlich  sein  und  die  öffentliche 
Meinung  Rumäniens  nicht  vor  den  Kopf  stoßen  wollte,  umsomehr  als 
es  meine  Aufgabe  war,  die  Beziehungen  zwischen  der  Monarchie  und 
Rumänien  zu  fördern  und  ich  vielleicht  dazu  beitragen  konnte,  daß  die 
Presse  auch  in  diesem  Sinne  schreibt,  ferner  um  allen  an  meinen  Besuch 
geknüpften  Ausstreuungen  und  Mißdeutungen,  welche  von  Österreich- 
Ungarn  feindlichen  Parteien  lanciert  werden  könnten,  die  Spitze  abzu- 
brechen. 

Dieser  Bericht  wurde  vollinhaltlich  nur  Seiner  Majestät  dem  Kaiser 
und  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand  unterbreitet 
und  auszugsweise  unter  Weglassung  der  Ausführungen  rein  militärischer 
konkreter  und  operativer  Natur  dem  k.  u.  k.  Minister  des  Äußern  über- 
geben. 

Wien,  am  2.  Dezember  1912.  Conrad,  G.  d.  I." 

Die  im  Bericht  angeführten  schriftlichen  Vereinbarun- 
gen zwischen  mir  und  dem  rumänischen  Chef  des  Generalstabes  General 

Averescu  lauteten:  .        

„Bukarest,  30.  November  1912. 

1.  Die  operativen  Vereinbarungen  hinsichtlich  der  Kooperation 
werden  zwischen  dem  rumänischen  und  ö.-u.  Generalstabe  schriftlich 
festgelegt,  analog  wie  mit  dem  deutschen  Generalstab. 

2.  Im  Falle  der  Kooperation  gegen  Rußland  versammelt  Rumänien 
sein  4.  Korps  bei  Roman,  sein  1.,  2.,  3.,  5.  Korps  im  Räume  Berlat — 
Foksani — Tekuc. 

363 


3.  Von  den  Reservedivisionen  drei  bis  vier  bei  Buzeu,  eine  in  der 
Dobrudza,  erstere  mit  der  Bestimmung,  vorgezogen  zu  werden. 

4.  Die  Hauptoperation  würde  sich  voraussichtlich  zunächst  gegen 
Kiszinew  richten. 

5.  Die  nächsten  ö.-u.  Kräfte  wären  im  Räume  Tarnopol — Trembowla 
— Czortkow,  Teile  bei  Czernowitz  versammelt. 

General  Averescu  m.  p. 
Conrad  von  Hötzendorfra.  p.,  G.  d.  I." 

Faßte  man  das  Gesamtresultat  der  Mission  zusammen, 
so  ergab  sich,  daß  König  Carol  mit  dem  gemeinsamen  Krieg  Österreich- 
Ungarns  und  Rumäniens  gegen  Rußland  rechnete,  daß  die  diesbezüglichen 
militärischen  Festsetzungen  schon  sehr  konkrete  Form  angenommen 
hatten  und  nach  all  dem  anzunehmen  war,  daß  zu  dieser  Zeit 
Rumänien  an  der  Seite  der  Monarchie  eingegriffen  hätte,  wenn  die  Mon- 
archie in  einen  Krieg  gegen  Rußland  verwickelt  worden  wäre. 

Auch  die  rumänische  Öffentlichkeit,  so  sehr  sich  insbesondere  der 
französische  Gesandte  auch  bemühte,  war  damals  noch  keineswegs 
schon  im  Banne  der  Entente,  sondern  hauptsächlich  auf  das  Verhältnis 
zu  Bulgarien  und  auf  die  eigentlich  geringfügigen  Gebietsabtretungen 
gerichtet,  die  es  von  letzterem  erwartete.  Selbst  das  Schicksal  der  in 
Mazedonien  lebenden  Kutzowalachen  beschäftigte  sie. 

König  Carol  aber  war  ein  deutscher  Charakter.  Er  hatte  nichts 
von  der  Verschlagenheit,  wie  sie  so  häufig  den  Staatsmännern  des 
Ostens  zu  eigen  ist.  Sein  ganzes  Wesen  mir  gegenüber  trug  den  Stempel 
des  aufrichtigen  Zusammengehens  mit  Österreich-Ungarn,  wenn  auch 
bei  aller  Wahrung  seiner  Selbständigkeit.  Die  herzliche  Art,  mit  der 
ich  als  Gast  im  königlichen  Schlosse  aufgenommen  und  sowohl  vom 
König  als  der  Königin  behandelt  worden  war,  dies  insbesondere  gelegent- 
lich des  un  Bericht  erwähnten  Nachmittags-Tees,  war  frei  von  jeder 
Mache.  Auch  sprach  König  Carol  mit  einer  Offenheit  über  die  politischen 
und  militärischen  Fragen,  wie  sie  nur  unter  Bundesgenossen  zulässig 
erscheint. 

Seiner  Beurteilung  der  russischen  Armee,  deren  vorzügliche  Eigen- 
schaften er  ebenso  hervorhob,  wie  deren  Mängel,  schloß  er  äußerst 
interessante  Mitteilungen  aus  dem  Kriege  1876—77  an.  Insbesondere 
aus  der  Zeit,  in  der  er  den  Oberbefehl  bei  Plewna  führte.  Er  charakteri- 
sierte die  russischen  Generale  und  wie  er  genötigt  war,  die  Entfernung 
einzelner  derselben  zu  verlangen.  Die  Königin  perhorreszierte  den 
Krieg,  tadelte  das  ganze  Gehaben  Serbiens,  kam  mit  Abscheu  auf  den 
Königsmord  in  Belgrad  und  auf  die  Art  zu  sprechen,  in  der  das  Haus 

364 


Karageorgjevic  sich  des  Thrones  bemächtigte.  In  ihrer  zartsinnigen, 
poetischen  Denkungsweise  berührte  sie  mannigfache  Fragen.  Jedes 
ihrer  Worte  war  vom  Geiste  edelster  Menschlichkeit  durchweht.  Unsere 
Konversation  war  eine  so  rege,  daß,  als  der  diensthabende  Adjutant 
meldete,  es  sei  Zeit  nach  dem  Bahnhof  zu  fahren,  das  Königspaar  noch 
einen  kleinen  Aufschub  verfügte.  Ich  habe  heute  noch  deutlich  dieses 
Beisammensein  im  Teesalon  vor  Augen,  den  ich  mit  dem  Empfinden 
verließ,  von  zwei  außergewöhnlichen  Persönlichkeiten  zu  scheiden.  Ich 
habe  beide  seither  nie  wieder  gesehen. 

In  Herrn  Maiorescu  hatte  ich  einen  ernsten,  überlegten,  zuver- 
lässigen, dem  freundschaftlichen  Verhältnis  zu  Österreich-Ungarn 
geneigten  Politiker,  in  General  Averescu  einen  vornehmen,  chevaleresken 
General  mit  klarem  Urteil  und  bestimmtem  Willen  kennen  gelernt.  Die 
Besprechung  mit  ihm  erstreckte  sich  auch  auf  Einzelheiten  einer  etwaigen 
gemeinsamen  Operation.  Er  erwies  sich  als  genauer  Kenner  der 
russischen  Armee,  an  deren  Manövern  er  in  längerer  Mission  teil- 
genommen hatte.  Ein  hierüber  von  ihm  verfaßtes,  sehr  interessantes 
Buch  machte  er  mir  zum  Geschenk.  In  Belzy  in  Beßarabien  geboren, 
lag  es  für  ihn  nahe,  die  Wiedergewinnung  Beßarabiens  für  Rumänien 
auch  aus  persönlichen  Gefühlsgründen  anzustreben.  Der  Gewinn 
Beßarabiens  stand  ja  im  Falle  erfolgreichen  gemeinsamen  Krieges  in 
Aussicht. 

Weniger  beruhigt  betreffs  des  Verhältnisses  zu  Österreich-Ungarn 
war  ich  hinsichtlich  der  Herren  Bratianu,  Take  Jonescu  und  wohl  auch 
Filipescu,  im  Gegensatz  zu  Herrn  Marghiloman,  der  mu*  dem  Bunde 
zuzuneigen  schien. 

Schließlich  nahm  ich  den  Eindruck  mit,  daß  unsere  Vertretung  in 
Bukarest  bei  dem  k.  u.  k.  Gesandten  Karl  Prinz  Emil  zu  Fürstenberg  in 
vorzüglichen  Händen  lag. 

In  Bulgarien  stand  man  den  mehrerwähnten,  von  Rumänien 
geforderten  Grenzregulierungen,  resp.  Gebietsabtretungen  damals, 
also  gegen  Ende  November  1912,  noch  ablehnend  gegenüber.  So  schrieb 
ein  bulgarisches  Blatt: 

„Die  Rumänen  sollen  zuerst  ihre  eigenen  Bauern  aus  der  Knecht- 
schaft der  »Tschokojen«  (Gutsbesitzer)  befreien,  dann  werden  deren 
Söhne  gute  und  begeisterte  Soldaten  werden.  Erst  nachdem  Rumänien 
diese  große,  jedoch  edle  und  unaufschiebbare  Arbeit  für  die  geistige  und 
kulturelle  Hebung  und  Einigung  des  Volkes,  das  innerhalb  der  Grenzen 
des  Landes  lebt,  geleistet  haben  wird,  werden  die  Rumänen  an  d  i  e 
politische  Vereinigung  des  ganzen  rumänischen 
Volkes  denken  können.    Zu  diesem  Behufe  ist  aber  eine  ruhige 

365 


Entwicklung  nötig,  nicht  aber  eine  »Grenzregulierung«  an  der  südlichen 
bulgarischen  Grenze,  auf  welche  einige  Politiker  und  Diplomaten  Mittel- 
europas die  Aufmerksamkeit  der  rumänischen  Staatsmänner  zu  lenken 
sich  bemühen.  Hoffentlich  wird  die  liebe  Mühe  vergeblich  sein,  was  für 
beide  Nachbarstaaten  vom  Vorteil  sein  wird,  denn  beide  haben  viel 
Wichtigeres  zu  tun,  als  an  eine  solche  »Regulierung«  zu  denken,  die  zu 
schweren  Folgen  führen  könnte." 

Dieser  Artikel  läßt  die  Absicht  durchscheinen,  Rumäniens  Aspira- 
tionen für  die  Zukunft  von  Bulgarien  ab  auf  Österreich-Ungarn 
hinzulenken.  Im  übrigen  haben  die  darin  vertretenen  Anschauungen  in 
der  Folge  eine  wesentliche  Korrektur  erfahren,  als  sich  das  Kriegsglück 
gegen  Bulgarien  wendete. 

Wie  sehr  indessen  Graf  Berchtold  bestrebt  war,  die  Differenzen 
zwischen  Bulgarien  und  Rumänien  in  einem  die  Interessen  der  Monarchie 
wahrenden  Sinne  auszugleichen,  geht  auch  aus  folgendem  Telegramm 
(Nr.  160  vom  25.  November  1912)  an  Graf  Tarnowski,  den  ö.-u. 
Gesandten  in  Sofia,  hervor: 

„Einem  Gespräche  des  türkischen  Botschafters  in  Berlin,  welcher 
sich  auf  der  Durchreise  nach  Bukarest,  beziehungsweise  Konstantinopel 
hier  aufgehalten  hat,  entnahm  ich,  daß  seine  Mission  bei  König  Carol 
dahin  gehe,  Rumänien  für  die  Idee  zu  gewinnen,  ein  Mahnwort  nach 
Sofia  zu  richten  und  durch  eine  eventuell  daran  geknüpfte  Drohung 
einen  Druck  auf  die  bulgarische  Regierung  auszuüben. 

Ich  habe  König  Carol  hievon  mit  dem  Bedeuten  in  Kenntnis  setzen 
lassen,  daß  ein  Eingehen  auf  eine  solche  türkische  Insinuation  der  Richt- 
schnur unserer  Politik  nicht  entsprechen  würde  und  daß  es  mir  im 
Gegenteil  wünschenswert  schiene,  wenn  auf  Grund  eines  rumänisch- 
bulgarischen Einverständnisses  ein  Druck  in  Konstantinopel  ausgeübt 
werden  könnte. 

Ich  bin  hiebei  von  der  Anschauung  ausgegangen,  daß  jetzt  viel- 
leicht der  Zeitpunkt  gekommen  wäre,  wo  Rumänien  —  wie  mir  dies  Herr 
Danew  in  Budapest  suggerierte  —  Bulgarien  einen  so  wertvollen  Dienst 
leisten  könnte,  daß  letzteres  Rumänien  die  von  ihm  angestrebte  Grenz- 
regulierung als  Gegenleistung  für  seine  Mitwirkung  zugestehen  könnte. 

Einer  telegraphischen  Meldung  Prinz  Fürstenbergs  entnehme  ich, 
daß  der  Gedanke  eines  Druckes  auf  die  Türkei  behufs  Friedensschlusses 
und  gleichzeitiger  Sicherung  einer  bulgarischen  Kompensation  lebhaftes 
Interesse  und  ungeteilte  Zustimmung  bei  König  Carol,  der  Nizami 
Pascha  noch  nicht  gesehen  hatte,  begegnet  habe. 

366 


Euer  Hochgeboren  wollen  Vorstehendes  zur  streng  vertraulichen 
Kenntnis  Herrn  Guechows  bringen  und  sich  sodann  in  nachfolgendem 
Sinne  vernehmen  lassen: 

Wenn  es  dem  Kabmett  von  Sofia  gelingt,  sich  mit  Rumänien  zu 
verständigen  und  seinen  Einfluß  in  Belgrad  dahin  geltend  zu  machen, 
daß  Serbien  seine  Ambitionen  auf  einen  territorialen  Zuwachs  bis  zur 
Adria,  die  es  mit  uns  in  Gegensatz  bringen  müßte,  aufgebe,  so  könnte 
Bulgarien  bei  der  definitiven  Regelung  der  Balkanfragen  auf  unsere 
und  Rumäniens  Unterstützung  rechnen. 

Es  erscheine  uns  im  Interesse  Bulgariens,  daß,  wenn  es  jetzt  oder 
später  zur  Einstellung  der  Feindseligkeiten  kommt,  dies  nicht  auf  Grund 
eines  endgültigen  Abkommens,  sondern  bloß  einer  noch  revisionsfähigen 
Vereinbarung  erfolge. 

Der  Kriegsverlauf  habe  es  mit  sich  gebracht,  daß  Bulgarien,  obwohl 
es  die  größten  Siege  mit  den  größten  Opfern  erfochten  habe,  doch  einen 
unverhältnismäßig  geringeren  Besitzstand  an  faktisch  okkupiertem 
Territorium  aufweist  als  Griechenland  und  Serbien.  Dies  könnte  es  mit 
sich  bringen,  daß  Bulgarien  einer  Teilung  zustimme,  welche  weit  davon 
entfernt  wäre,  die  berechtigten  Ansprüche  der  Nation  zu  befriedigen. 

Es  dürfte  sich  sohin  für  Bulgarien  der  Wunsch  nach  einer  Revision 
einstellen,  bei  der  wir  seinerzeit  umsomehr  dem  bulgarischen  Stand- 
punkte unsere  Unterstützung  angedeihen  lassen  könnten,  als  wir 
bekanntlich  unter  keinen  Umständen  die  sich  im  Laufe  des  Krieges 
ergebenden  militärischen  Okkupationen  an  der  albanesischen  Küste  als 
Basis  für  die  definitive  Regelung  akzeptieren. 

Aus  Vorstehendem  dürfte  Herr  Guechow  ersehen,  daß,  wenn 
Bulgarien  auf  unseren  Standpunkt  entsprechend  Rücksicht  nimmt,  wir 
bereit  wären,  dem  Königreiche  sowohl  direkt  als  auch  durch  Einwirkung 
in  Bukarest,  sei  es  im  jetzigen  Zeitpunkt,  sei  es  im  weiteren  Verlaufe  der 
Ereignisse,  eine  wertvolle  Unterstützung  zu  leihen." 

Über  die  Beurteilung,  welche  meine  Sendung  in  der  rumänischen 
Publizistik  erfuhr,  gibt  ein  Artikel  des  Bukarester  Tagblattes  vom 
1.  Dezember  1912  Aufschluß. 

Nach  Hervorhebung  der  pietätvollen  und  besonderen  Teilnahme 
Kaiser  Franz  Josephs  an  dem  Traueriall  in  der  Familie  König  Carols  und 
der  diesem  damit  bewiesenen  Sympathie  bringi  der  Artikel  folgende  Stellen : 

„Gilt  diese  Sympathie  dem  rumänischen  Königshause,  so  gilt  sie 
auch  dem  Lande  und  dem  Volke,  das  in  Freud  und  Leid  zu  seinem 
König  steht,  und  deshalb  wird  auch  vom  ganzen  Volke  die  Entsendung 
des   Generals   Conrad   von  Hötzendorf   als   ein   Symptom   der   innigen 

367 


Beziehungen  aufgefaßt,  die  zwischen  den  beiden  Reichen  bestehen  und 
von  beiden  Herrscherhäusern  sorgsamst  gepflegt  werden.  Diese  Freund- 
schaft ist  aber  ganz  besonders  wertvoll  in  einer  Zeit,  die  man  auch 
hierzulande  als  eine  kritische  beurteilt.  Gerade  der  Moment,  in  welchem 
die  Entsendung  des  Generals  erfolgt  ist,  gibt  derselben  eine  besondere 
Weihe.  Darin  manifestiert  sich  also  neben  der  Freundschaft  der  Höfe 
die  Freundschaft,  die  von  Volk  zu  Volk  geht,  und  als  solches  Zeichen 
wird  sie  hier  mit  besonderer  Wärme  begrüßt.  Auch  wenn  wirklich  kein 
anderer  Zweck  mit  diesem  Besuch  am  Königshof  verbunden  ist,  erscheint 
er  schon  an  sich  bedeutungsvoll  genug. 

Aber  ist  wirklich  kein  anderer  Zweck  damit  verbunden?  Mag  sein, 
daß  offiziell  kein  anderer  Zweck  damit  verbunden  ist,  allein  in  einem 
Augenblicke,  in  welchem  Europa  in  Waffen  starrt,  in  welchem  die 
Frage  Krieg  oder  Frieden?  auf  aller  Lippen  schwebt,  in  welcher  die 
Sorge  um  den  nächsten  Tag  alle  Herzen  erfüllt,  kann  unter  Staats- 
männern, die  miteinander  in  Berührung  kommen,  nicht  bloß  die  subjek- 
tive Beileidskundgebung,  so  edel  sie  auch  ist,  der  alleinige  Gegenstand 
der  Besprechung  sein!  Daß  unser  König  eine  staatsmännische  Persön- 
lichkeit von  seltener  Begabung  ist,  das  hat  seine  nun  46jährige  Regierung 
gezeigt.  Conrad  von  Hötzendorf  will  zwar  >nur  Militär«  sein,  aber 
in  einer  Zeit,  in  welcher  die  Waffen  über  das  Geschick  von  Völkern, 
von  Staaten  und  Dynastien  entscheiden,  kann  auch  der  Soldat  sich 
politischer  Anschauungen  nicht  entschlagen  und  man  würde  gegen  die 
Höflichkeit,  die  man  dem  hohen  Gast  schuldet,  verstoßen,  wenn  man 
von  ihm  annehmen  wollte,  daß  er  an  den  Erscheinungen  des  Tages 
vorübergeht,  ohne  sie  nicht  bloß  vom  militärischen,  sondern  auch  vom 
politischen  Gesichtspunkte  ins  Auge  zu  fassen.  Niemand  hat  dem 
Gespräche  beigewohnt,  das  zwischen  dem  König  und  dem  Abgesandten 
des  Kaisers  Franz  Joseph  stattfand,  aber  jeder  hat  die  untrügliche 
Empfindung,  daß  dabei  der  Tatsachen  gedacht  wurde,  die  ganz  Europa 
in  Aufregung  versetzen.  Man  kann  es  daher  als  gewiß  annehmen,  daß 
die  Balkanfrage  einen  Gegenstand  der  Konversation  gebildet  habe. 

Wenn  man  nun  mit  dieser  —  wie  wir  glauben,  unwiderleglichen  — 
Schlußfolgerung  die  Veröffentlichungen  zusammenhält,  welche  in  der 
Presse  der  ganzen  Welt  das  treue  Zusammengehen  Österreich-Ungarns 
mit  Rumänien  betonen,  so  kann  man,  ohne  befürchten  zu  müssen,  daß 
man  von  den  Ereignissen  werde  dementiert  werden,  aus  dem  Besuch 
des  Generals  Conrad  von  Hötzendorf  beim  König  Carol  wohl  den 
weiteren  Schluß  ziehen,  daß  dadurch  vor  aller  Welt  demonstriert  wird, 
das  Freundschaftsverhältnis  zwischen  den  beiden  Staaten  bestehe  nicht 
nur  fort,  sondern  habe  an  Kraft  und  Tiefe  zugenommen.     In  diesem 

368 


Sinne  betrachten  wir  auch  die  Anwesenheit  des  Generals  Conrad  von 
Hötzendorf  als  ein  Friedenssymptom.  Denn  das  Zusammengehen  der 
Dreibundmächte  mit  Rumänien  gibt  Mitteleuropa  den  Anblick  einer 
Militärmacht,  mit  der  man  rechnen  muß,  wenn  man  den  Frieden  stören 
will  .  .  .  Wenn  man  aber  darauf  verweist,  daß  Rüstungen  stattfinden, 
die  man  nicht  ableugnen  kann,  so  sei  denen  gegenüber  auf  die  bewährte 
Regel  verwiesen:  si  vis  pacem  para  bellum!" 

Meiner  Reise  hatte  sich  auch  im  Auftrage  des  Handelsministeriums 
Herr  Sektionschef  R  i  e  d  1  angeschlossen,  der  im  Sinne  einer  Zollunion 
zwischen  Österreich-Ungarn  und  Rumänien  wirken  sollte:  ein  Zollbund, 
der  mehr  als  80.000  km^  mit  60  Millionen  Einwohnern  umfaßt  hätte. 
Ein  von  Sektionschef  Riedl  verfaßtes  Expose  führte  die  beiderseitigen 
Vorteile  einer  solchen  Vereinigung  in  eingehendster  Weise  aus.  Darauf 
näher  einzugehen  ist  hier  nicht  der  Ort,  doch  möchte  ich  wenigstens 
folgendes  hervorheben: 

Die  ö.-u.  Monarchie  konnte  ihren  Bedarf  an  Brotgetreide  (Weizen 
und  Roggen)  nicht  decken. 

Im  Jahre  1910  betrug  die  Ernte  an  solchem  10,673.000  t,  der 
Verbrauch  10,974.000  t,  durch  Einfuhr  mußten  gedeckt  werden: 
301.000  t;  in  Rumänien  ergab  die  Ernte  3,187.000  t,  zur  Ausfuhr 
gelangten  2,116.000  t.  Allerdings  war  in  Rumänien  die  Ernte  des 
Jahres  1910  eine  Ausnahmsernte.  Als  Normalernte  kann  jedoch  eine 
solche  von  1,900.000  /  gelten,  bei  einem  Eigenbedarf  von  800.000  t, 
so  daß  ein  Ü  b  e  r  s  c  h  u  ß  V  0  n  1,1  0  0.0  0  0  t  bleibt. 

Man  vergegenwärtige  sich  die  Bedeutung  dieser  Ziffern  für  die 
Verpflegung  in  einem  großen  Kriege! 

Welche  Schicksale  die  Bemühungen  des  Herrn  Sektionschefs  Riedl 
hatten,  welche  Widerstände  sie  fanden,  weiß  ich  nicht;  daß  diese  Zoll- 
union jedoch  nicht  zustande  kam,  bleibt  bedauerlich;  sie  hätte  auch  das 
politische  Zusammengehen  gefördert. 

Nach  Wien  zurückgekehrt,  war  ich  für  den  2.  Dezember  zur  Audienz 
bei  Erzherzog  Franz  Ferdinand,  für  den  3.  Dezember  zu  jener  bei  Seiner 
Majestät  befohlen. 

Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  erstattete  ich  eingehendst  Bericht  über 
den  Verlauf  der  Mission  und  überbrachte  ihm  die  Grüße  des  rumänischen 
Königspaares  mit  der  Versicherung,  daß  sein  in  Aussicht  gestellter 
Besuch  in  Bukarest  freudigst  aufgenommen  würde. 

Ich  bat  Seine  Kaiserliche  Hoheit,  zu  betreiben,  daß  die  Konvention 
mit  Rumänien  ebenso  präzise  gefaßt  werden  möge,  wie  jene  des  Drei- 

24,  Conrad  II  oaq 


bundes,  Prinz  Fürstenberg  also  diesbezügliche  Instruktionen  erhalte. 
Weiter  bat  ich  um  Einflußnahme,  daß  Rumäniens  Waffenbestellungen 
in  Steyr  möglichst  beschleunigt  ausgeführt  werden. 

(Rumänien  hatte,  ohne  die  Kammer  vorher  zu  befragen,  80  Mil- 
lionen Francs  votiert  für  außerordentliche  Heeresanschaffungen, 
darunter  auch  große  Bestellungen  in  Steyr,  so:  100.000  Gewehre, 
30.000  Karabiner  etc.). 

Ferner  bat  ich  um  Förderung  der  Aktion  des  Sektionschefs  Riedl 
und  übergab  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  schließlich  die  streng  geheimen 
Vereinbarungen  mit  General  Averescu. 

Am  3.  Dezember  vormittags  empfing  mich  in  Schönbrunn  Seine 
Majestät.  Ich  überreichte  ein  von  König  Carol  an  Seine  Majestät 
gerichtetes  Handschreiben,  berichtete  eingehendst  über  den  Verlauf  der 
Mission  und  über  die  Vereinbarungen  mit  dem  rumänischen  Chef  des 
Generalstabes. 

Selbstverständlich  referierte  ich  auch  dem  Minister  des  Äußern 
Grafen  Berchtold  über  den  Verlauf  meiner  Sendung. 

Damit  endete  meine  Mission  und  ich  wendete  mich  wieder  meinem 
Dienste  als  Armee- Inspektor  zu. 

Von  der  Mission  in  Bukarest  bis  zur  Wiederernennung 
zum  Chef  des  Generalstabes. 

Am  3.  Dezember  1912,  nach  dem  bulgarischen  Mißerfolg  an  der 
Cataldza-Linie,  ging  König  Ferdinand  von  Bulgarien  auf  einen  Waffenstill- 
stand ein.  Er  wurde  abgeschlossen;  nur  Griechenland  setzte  den  Kampf 
zur  See  fort. 

Die  Lage  war  jetzt: 

Ein  durch  schwere  Verluste  geschwächtes,  in  seinen  Operationen 
zum  Stillstand  gekommenes  Bulgarien;  ein  nach  geringen  Verlusten 
siegreiches  Serbien  mit  einem  wohlausgerüsteten,  vom  Erfolg  getragenen, 
aguerrierten  Heere  in  voller  Kampfkraft;  ein  erfolgreiches  Griechenland. 

Daß  Serbien,  nach  der  Aktion  gegen  die  Türkei,  die  weit  größere 
gegen  Österreich-Ungarn  im  Schilde  führe,  konnte  keinem  Klarsehenden 
verborgen  sein,  daher  auch  nicht  die  Gefahr,  welche  die  momentane 
Lage  für  Österreich-Ungarn  barg. 

Diese  Gefahr  noch  beizeiten,  wenn  gleichwohl  in  elfter  Stunde, 
entschlossen  zu  bekämpfen,  war  ein  Gebot  der  Selbsterhaltung; 
mindestens  aber  mußte  man  gegen  sie  gerüstet  sein. 

In  diesem  Sinne  verfaßte  ich  den  nachstehenden  Essay  und  leitete 
ihn  an  die  Militärkanzlei  Seiner  Majestät,  an  jene  des  Thronfolgers  und 
an  Graf  Berchtold. 

370 


„Wien,  6.  Dezember  1912. 

Im  nachfolgenden  soll  nicht  die  Frage  berührt  werden,  inwieweit 
die  Monarchie  mit  einem  allgemeinen  Krieg,  dabei  vor  allem  einem 
solchen  gegen  Rußland,  rechnen  und  sich  darauf  vorbereiten  müsse, 
sondern  es  soll  nur  das  Verhältnis  zu  Serbien  herausgegriffen  werden. 

In  dieser  Beziehung  stehen  drei  Tatsachen  fest: 

1.  die  serbische  Armee  befindet  sich  auf  Kriegsfuß; 

2.  diese  Armee  wird  nach  Friedensschluß  frei  und 

3.  diese  Armee  ist  jetzt  schon  im  Rücktransport  nach  Serbien 
begriffen  und  kann  in  längstens  drei  Wochen  an  der  Donau  und  unteren 
Drina-Grenze  vereint  sein,  noch  früher  aber  gegen  die  mittlere  Drina. 

Dies  versetzt  Serbien,  wenn  diesseits  nicht  rechtzeitig  Gegenmaß- 
nahmen getroffen  werden,  in  die  Lage,  entweder  einen  wenigstens 
anfänglich  erfolgreichen  Einbruch  in  das  Gebiet  der  Monarchie  zu 
wagen, 

oder  zur  Zeit  des  Friedensschlusses  derart  bereit  zu  sein,  daß  es 
seinen  Forderungen  einen  viel  kräftigeren  Nachdruck  zu  verleihen  ver- 
mag als  die  Monarchie. 

Letzteres  aber  bedeutet  dann  für  diese  nicht  nur  die  Einbuße  der 
ohnehin  geringen  materiellen  Vorteile,  welche  sie  zur  Bedingung  gemacht 
hat,  sondern  auch  den  gänzlichen  Verlust  des  Prestiges  mit  allen  sich 
daran  knüpfenden  Folgen  wirtschaftlicher  und  politischer  Natur. 

Die  Monarchie  muß  daher  jene  Maßnahmen  durchführen,  welche 
ihre  rechtzeitige  Kriegsbereitschaft  gegen  Serbien  garantieren. 

Da  der  Friede  in  zirka  drei  Wochen  geschlossen  sein  dürfte,  die 
Kriegsbereitstellung  der  gegen  Serbien  bestimmten  Kräfte  aber  nahezu 
eben  so  lange  dauert,  hat  diese  Kriegsbereitstellung  sofort  begonnen  zu 
werden. 

Eine  Motivierung  gegenüber  den  Mächten  liegt  einfach  darin,  daß 
die  Monarchie  nicht  eine  Konferenz  beschicken  kann,  während  welcher 
sie  mit  Friedensständen  einem  kriegsbereiten,  sich  feindlich  gebärdenden 
Nachbar  gegenübersteht. 

Daß  diese  Maßnahmen  Geld  kosten,  ist  sehr  bedauerlich,  aber  doch 
nur  eine  Folge  des  Umstandes,  daß  im  Jahre  1909  versäumt  wurde,  mit 
Serbien  abzurechnen. 

Sollten  die  Umstände  diese  Abrechnung  jetzt  erneuert  nahelegen, 
dann  ist  es  eben  um  so  notwendiger,  ehestens  mit  der  Kriegsbereit- 
stellung zu  beginnen. 

Die  Unterlassung  wäre  ein  schweres  Versäumnis. 

Conrad  m.  p.,  G.  d.  I." 


24' 


371 


Am  7.  Dezember  1912  wurde  der  Dreibund  (Österreich-Ungarn, 
Deutschland,  Italien)  erneuert  (obwohl  er  erst  im  Juni  1914  abgelaufen 
wäre).   Die  Erneuerung  wurde  offen  bekanntgegeben. 

Ich  stand  mit  großem  Mißtrauen  dem  gegenüber  und  mit  Sorge  für 
die  Zukunft.  Die  Politik  der  Monarchie  schien  mir  auf  Sand  gebaut. 
Nur  wenn  dieses  momentane,  offen  kundgegebene  Verhältnis  zu  Italien 
ausgenützt  worden  wäre,  um  mit  Serbien  abzurechnen,  hätte  diese 
ostentative  Bundesemeuerung  Zweck  gehabt.  Geschah  es  nicht,  so  war 
all  dies  nur  ein  Einwiegen  gegenüber  einer  unabwendbaren  Gefahr. 

Hatte  die  Monarchie  die  Möglichkeit,  bei  Beginn  des  Balkankrieges 
ihre  Rechnung  mit  Italien  abzuschließen,  so  war,  nachdem  dies  unter- 
blieben war,  jetzt  wenigstens  die  Möglichkeit  geschaffen,  dies  gegenüber 
Serbien  zu  tun. 

Aber  dieser  einzige  Vorteil  ist  —  wie  die  Folge  zeigen  wird  — 
ungenützt  geblieben. 

Bündnisse  haben  nur  dann  einen  Sinn,  wenn  sie  auf  ein  gemein- 
sames, klar  gestecktes,  positives  Ziel  gerichtet  sind  und  an  dessen 
Realisierung  so  unverweilt  als  möglich  herangegangen  wird.  Bündnisse 
hingegen,  die  nur  dem  negativen  Zwecke  des  Erhaltens,  der  passiven 
Selbstsicherung  dienen,  verblassen  allmählich,  lockern  sich,  fordern  die 
politischen  Feinde  zur  Gegenaktion  heraus  und  versagen  den  Dienst, 
wenn  diese  Gegenaktion  eintritt  und  den  gemeinsamen  Waffengang 
erfordern  würde.  Sie  bergen  überdies  auch  die  Gefahr,  daß  man,  in 
vermeinte  Sicherheit  eingeschläfert,  es  unterläßt,  für  den  Kampf  aus- 
reichend vorzusorgen. 


372 


Meine  Wiederernennung  zum  Chef  des  Generalstabes. 

Am  6.  Dezember  1912  erhielt  ich  im  Wege  des  Vorstandes  der 
Militärkanzlei  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  Franz  Ferdinand  (Oberst 
Dr.  V.  Bardolff)  den  schriftlichen  Befehl,  mich  am  7.  Dezember  früh  in 
Audienz  bei  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  einzufinden. 

Das  Schreiben  enthielt  den  Beisatz: 

„Meiner  unmaßgeblichen  Vermutung  nach  dürfte  es  sich  bei  dieser 
Audienz  um  eine  höchst  wichtige  Angelegenheit  handeln." 

Einen  speziellen  Grund  für  diese  Berufung  vermochte  ich  zwar 
nicht  zu  finden,  vermutete  vielmehr,  daß  Seine  Kaiserliche  Hoheit  anbe- 
trachts  der  schwierigen  Gesamtlage  einige  Fragen  an  mich  richten  wolle. 

Der  Erzherzog-Thronfolger  empfing  mich  am  7.  Dezember  um 
9.15  Uhr  vorm.  im  Belvedere  in  seinem  Arbeitszimmer.  Auf  den  Tischen 
lagen  die  Karten  der  verschiedenen  Kriegsschauplätze  mit  den  Auf- 
marsch-Elaboraten für  die  einzelnen  Kriegsfälle.  Seine  Kaiserliche 
Hoheit  erklärte,  daß  er  all  dies  wieder  einmal  mit  mir  durchsprechen 
wolle,  da  ja  die  Elaborate  nahezu  ganz  unverändert  so  geblieben  sind, 
wie  sie  zur  Zeit  meiner  Amtsführung  als  Chef  des  Generalstabes 
bearbeitet  worden  waren.  Er  fügte  hinzu,  daß  man  bei  der  jetzigen 
Lage  auf  Überraschungen  gefaßt  sein  müsse. 

Es  wurden  nun  der  serbisch-montenegrinische  und  der  russische 
Kriegsfall,  sowie  jener  gegen  Italien,  die  beiden  ersteren  besonders  ein- 
gehend, erörtert,  was  geraume  Zeit  in  Anspruch  nahm.  Als  die 
Besprechung  beendet  war,  wandte  sich  Seine  Kaiserliche  Hoheit  plötzlich 
zu  mir  mit  den  Worten:  „So,  jetzt  muß  ich  Ihnen  aber  noch  etwas  sagen; 
Sie  müssen  wieder  Chef  des  Generalstabes  werden." 

Ich  staunte,  zögerte  und  machte  einige  Einwürfe,  insbesondere 
dahm,  daß  es  doch  nicht  gut  möglich  sei,  meinen  erst  vor  Jahresfrist 
ernannten  Nachfolger  wieder  zu  entheben.  Der  Erzherzog  erwiderte, 
daß  diese  Enthebung  mit  allen  Ehren  für  den  Betreffenden  erfolgen 
würde,  er  (der  Erzherzog)  aber,  als  präsumtiver  Armee-Oberkomman- 
dant, Wert  darauf  legen  müsse,  daß,  wenn  es  zum.  Kriege  kommen  sollte, 
derjenige  an  der  Stelle  des  Chefs  des  Generalstabes  stehe,  von  dem  alle 

373 


auf  den  Krieg  bezüglichen  Vorarbeiten  herrühren.  Damit  appeUierte  er  an 
mein  Verantworthchkeitsgefühl,  ein  Appell,  dem  ich  mich  nicht  entziehen 
durfte.  Seine  Kaiserliche  Hoheit  fügte  noch  bei:  „Seine  Majestät  ist  hiemit 
einverstanden  und  wkd  Sie  heute  noch  in  Audienz  empfangen." 

Ob  das  vorangeführte  Motiv  das  einzige  war,  das  meine  Wieder- 
emennung  herbeiführte,  oder  ob  es  sich  dem  Thronfolger  nicht  auch  um 
eine  Satisfaktion  handelte  für  meine  gegen  seinen  Willen  erfolgte  seiner- 
zeitige Enthebung,  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen.  Möglicherweise 
wollte  er  zeigen,  daß  er  die  Macht  der  gegen  ihn  wirkenden  Einflüsse 
gebrochen  habe. 

Seine  Kaiserliche  Hoheit  teilte  mir  v^eiter  mit,  daß  der  Kaiser  die 
Enthebung  des  Kriegsministers  G.  d.  I.  von  Auffenberg  und  dessen 
Versetzung  in  den  Ruhestand  verfügen  werde,  worauf  ich  mein  großes 
Befremden  und  die  Meinung  ausdrückte,  daß  ich  zwar  die  Gründe  nicht 
kenne,  die  hiefür  vorliegen,  es  jedoch  mindestens  geboten  hielte,  Auffen- 
berg dem  aktiven  Dienste  zu  erhalten.  Der  Erzherzog  bemerkte.  Seine 
Majestät  habe  da  seinen  ganz  bestimmten  Willen  und  entließ  mich  mit 
einigen  freundlichen,  unser  künftiges  Zusammenarbeiten  betonenden 
Worten. 

Mittlerweile  hatte  ich  den  Befehl  erhalten,  am  selben  Tage 
(7.  Dezemter  1912)  um  3  Uhr  nachm.  in  Audienz  bei  Seiner  Majestät 
in  Schönbrunn  zu  erscheinen. 

Seine  Majestät  empfing  mich  mit  einigen  gnädigen  Worten, 
erwähnte,  daß  der  Thronfolger  Wert  darauf  lege,  mich  wieder  an  der 
Stelle  des  Chefs  des  Generalstabes  zu  sehen,  daß  er  (der  Kaiser)  hiemit 
einverstanden  sei  und  meine  Ernennung  demnächst  erfolgen  werde. 

Als  Seine  Majestät  mir  die  beabsichtigte  Enthebung  des  Kriegs- 
ministers G.  d.  I.  von  Auffenberg  mitteilte,  erlaubte  ich  mir  zu  bemerken, 
daß  ich  keinen  rechten  Grund  hiefür  finden  könne  und  es  mir  vor  allem 
nicht  angängig  erschiene,  den  Kriegsminister  durch  eine  Pensionierung 
zu  desavouieren  und  vor  der  Öffentlichkeit  bloßzustellen,  ich  Seine 
Majestät  vielmehr  bitten  würde,  wenn  schon  die  Enthebung  Auffenbergs 
vom  Ministerpcsten  erfolgen  müsse,  ihn  zum  Armee-Inspektor  zu 
ernennen,  wofür  ja  meine  bisherige  Stelle  frei  würde.  Der  Kaiser  warf 
ein:  „Glauben  Sie,  daß  er  sich  hiefür  eignet?"  Ich  bejahte  dies 
unbedingt.  Es  entspann  sich  hierüber  eine  längere  Erörterung,  die 
Seine  Majestät  mit  den  Worten  schloß:  „Bei  der  Enthebung  Auffenbergs 
vom  Ministerposten  bleibt  es  unbedingt,  bezüglich  der  Ernennung  zum 
Armee- Inspektor  werde  ich  es  mir  noch  überlegen." 

Hierauf  entließ  mich  Seine  Majestät. 

374 


Noch  am  selben  Tage  (7.  Dezember)  wurde  ich  für  5.30  Uhr  nachm. 
erneuert  nach  Schönbrunn  befohlen.  In  dieser  zweiten  Audienz  teilte 
mir  Seine  Majestät  unter  anderem  mit,  daß  er  auf  meine  Fürsprache 
hin  Auffenberg  zum  Armee- Inspektor  ernennen  werde,  beauftragte  mich 
aber,  dies  bis  zur  offiziellen  Bekanntgabe  streng  reserviert  zu  behandeln. 

Ich  kehrte  heim,  die  neue  Sorgenlast  auf  mir  fühlend  und  mit  dem 
dunklen  Vorempfinden,  daß,  nachdem  die  für  initiatives  Handeln 
geeigneten  Momente  ungenützt  geblieben  waren,  die  Monarchie  einer 
Lage  entgegentreibe,  in  der  für  ihr  Schicksal  nur  mehr  der  Wille 
ihrer  Feinde  entscheiden  wird. 

Es  war  kein  froher  Ausblick! 

Am  12.  Dezember  1912  erhielt  ich  das  nachstehende  Hand- 
schreiben: 

„Lieber  General  der  Infanterie  Freiherr  von  Conrad.  Ich  ernenne 
Sie  zum  Chef  des  Generalstabes  Meiner  gesamten  bewaffneten  Macht. 

Wien,  am  12.  Dezember  1912.  _  r  i  « 

Franz  joseph  m.  p. 

Wieder  hatte  das  Schicksal  schwerwiegend  in  mein  Leben  ein- 
gegriffen! 

Ungern  trennte  ich  mich  vom  bisherigen  Wirkungskreis,  selbst  auch 
von  meinem  erst  vor  Jahresfrist  eingerichteten  Bureau,  nahm  meinen 
Flügeladjutanten  Major  Kundmann  und  meinen  Personaladjutanten 
Oberleutnant  William  Reimer*)  mit  mir  und  trat  meinen  neuen  Dienstes- 
posten als  Chef  des  Generalstabes  an. 


*)  Fand  als  Generalstabs-Hauptmann  Mitte  September  1914  den 
Heldentod  in  der  Schlacht  bei  Lemberg,  während  zu  gleicher  Zeit  sein 
Vater  (mein  Jugendfreund),  Rittmeister  a.  D.  William  Reimer,  als  frei- 
willig zum  Kriegsdienst  eingerückter  Ordonnanzoffizier,  im  Gefecht  von 
Popielany  gefallen  war. 


375 


Wiederaufnahme  meiner  Tätigkeit  als  Chef  des 
Generaistabes. 

Meine  erneuerte  Tätigkeit  als  Chef  des  Generalstabes  begann  ich 
mit  der  Orientierung  über  alle  einschlägigen  Vorkommnisse,  die  in  der 
Zeit  von  meiner  Enthebung  im  Jahre  1911  bis  zu  meiner  Wieder- 
ernennung 1912  stattgehabt  hatten  —  vor  allem  über  jene  rein  miU- 
tärischer  Natur,  insbesondere  jene  innerhalb  der  k.  u.  k.  Armee. 

Unter  diesen  waren  zwei  von  hervortretender  Bedeutung. 

Aus  den  früheren  Schilderungen  ist  erinnerlich,  welch  unablässiges 
Bemühen  ich  daran  setzte,  endlich  das  neue,  ein  erhöhtes  Rekruten- 
Kontingent  in  sich  schließende  Wehrgesetz  zur  Annahme  zu 
bringen  und  wie  dies  stets  an  dem  Widerstand  Ungarns  scheiterte,  wo 
man  nur  gegen  weitgehende,  die  Einheit  der  Armee  bedrohende  Kon- 
zessionen zu  verhandeln  geneigt  war. 

Dieser  Widerstand  war  durch  den  willensstarken  Präsidenten  des 
ungarischen  Abgeordnetenhauses  Stefan  Graf  Tisza  —  zur  Zeit  vi^ohl 
Ungarns  bedeutendster  Staatsmann  —  energisch  gebrochen  worden. 
Er  brachte  am  4.  Juni  1912  das  Wehrgesetz  zur  Abstimmung  und 
Annahme  und  ließ  die  dagegen  tobende  Opposition  mit  Polizeigewalt 
entfernen.  Ein  am  7.  Juni  1912  gegen  ihn  verübtes  Attentat  blieb 
glücklicherweise  erfolglos  und  hinderte  ihn  nicht,  am  9.  Juni  eine  neue, 
gegen  die  Obstruktion  gerichtete  Hausordnung  durchzusetzen. 

Graf  Tisza  hat  sich  damit  um  die  Monarchie  und  die  Armee  ein 
großes  Verdienst  erworben.  Erst  jetzt  vermochten  die  seit  Jahren 
angestrebten  organisatorischen  Neuerungen  zur  Durchführung  zu 
gelangen.  Auch  Österreich  erledigte  die  Wehrvorlage.  Bei  gleich- 
zeitiger Einführung  der  zweijährigen  Dienstzeit  wurde  das  Rekruten- 
kontingent für  12  Jahre  hinaus  von  jährlich  103.000  auf  159.000  Mann 
erhöht.     (Es  stellte  Österreich  91.000,  Ungarn  68.000  Mann.) 

Die  zweite  Errungenschaft  war  der  endliche  Beginn  der  Groß- 
erzeugung  der  Geschütze  für  die  schwere  Artillerie, 
so  auch  der  30-5  Mörser,  die  ich  seit  Jahren  mit  Hartnäckigkeit  gefordert 

376 


und  die  budgetär  durchzubringen  der  frühere  Kriegsminister  Baron 
Schönaich  bereits  durch  Seine  Majestät  beauftragt  war,  die  aber  erst 
unter  dessen  Nachfolger  G.  d.  I.  von  Auffenberg  in  Angriff  genommen 
wurde*). 

Noch  im  Stadium  des  Versuches  und  des  Streites  der  Fachmänner 
war  leider  die  von  mir  gleichfalls  schon  zur  Zeit  meiner  ersten  Amts- 
führung als  Chef  des  Generalstabes  dringend  geforderte  Beschaffung 
neuer  Gebirgsgeschütze  und  neuer  leichter  Feldhaubitzen.  Aussichtslos 
endlich  stand  die  Gewehrfrage.  Auf  eine  diesbezügliche,  meinerseits 
noch  als  Armee- Inspektor  gemachte  Anregung,  die  Steyrer  Waffenfabrik 
mit  einer  mehrjährigen  Vorausbestellung  zu  betrauen,  damit  sie 
leistungsfähig  bleibe  und  ein  Gewehrvorrat  geschaffen  werde,  hatte  ich 
eine  ministerielle  Entscheidung  d.  d.  3.  Jänner  1912  erhalten,  in  der  es 
unter  anderem  hieß: 

„Wenn  auch  das  Kriegsministerium  für  die  ununterbrochene 
Wahrung  der  Leistungsfähigkeit  der  Steyrer  Waffenfabrik  stets  das 
lebhafteste  Interesse  besitzt  und  dasselbe  in  konkreten  Fällen  wiederholt 
durch  vorzeitige  Bestellungen  praktisch  zum  Ausdruck  gebracht  hat, 
so  vermag  ich  doch  auf  die  von  Euer  Exzellenz  gestellte  Proposition  im 
vollen  Umfang  nicht  einzugehen,  weil  eine  Bindung  auf  einen  Zeitraum 
von  drei  Jahren  mir  nicht  zulässig  erscheint. 

Weder  die  allgemeinen  militärischen,  noch  die  militärisch- 
technischen Verhältnisse  lassen  sich  auf  einen  solchen  Zeitraum  voraus 
überblicken  und  auch  für  die  Beurteilung  der  budgetären  Verhältnisse 
in  den  Jahren  1913  und  1914  fehlt  gegenwärtig  noch  die  Grundlage; 
es  wäre  daher  sehr  gewagt,  wenn  das  Kriegsministerium  sich  derart 
in  die  Zukunft  verpflichten  wollte." 

Die  Bestellung  für  das  Jahr  1912  in  Steyr  reduzierte  sich  auf 
6000  Karabiner,  4000  Stutzen  und  100  Maschinengewehre. 


*)  Der  Beginn  der  Konstruktion  des  30-5  Mörsers  erfolgte  zu 
Anfang  des  Jahres  1908;  die  Erzeugung  des  ersten  Modelle  wurde  bei 
Skoda  in  Pilsen  im  Juni  1909  begonnen.  Am  22.  Juli  1910  wurde  der 
erste  Mörser  in  Bolewetz  angeschossen.  Darnach  fanden  die  ersten  Fahr- 
versuche statt.  Dieses  erste  Modell  ist  schon  in  jeder  Beziehung  „spruch- 
reif" gewesen.  Mit  Herstellung  der  ersten  Serie  von  24  Stück  Mörsern 
wurde  seitens  der  Fabrik  im  November  1911  begonnen;  von  den  Probe- 
mörsern abgesehen,  erfolgte  die  erste  Bestellung  durch  das  Kriegs- 
ministerium am  11.  Dezember  1912.   Alles  bei  Skoda. 

377 


Dies  zur  Beleuchtung  der  beschränkten  Mittel,  mit  denen  die 
Heeresverwaltung  zu  rechnen  hatte,  und  zur  Erklärung  des  Gewehr- 
mangels, an  dem  die  Armee  in  den  ersten  Stadien  des  Krieges  litt. 

Die  zahlreichen  übrigen  technischen,  organisatorischen,  sowie 
sonstigen  Maßnahmen  übergehe  ich  und  hebe  nur  die  Fortsetzung  der 
Aufstellung  neuer  Feldkanonen-Batterien  hervor,  für  welche  das 
Geschützmaterial  schon  vorhanden  war. 

Außer  den  oben  erwähnten  Fragen  beschäftigten  mich  aber  ganz 
besonders  die  mit  der  Politik  auf  das  engste  verknüpften  konkreten 
Kriegs-Vorbereitungsarbeiten,  also  auch  die  poli- 
tische Lage  und  die  daraus  zu  ziehenden  Konsequenzen.  Wie  schon 
früher  ermähnt,  v^aren  diese  Kriegs-Vorbereitungsarbeiten,  vor  allem 
die  Aufmarsch-Elaborate,  nahezu  unverändert  so  geblieben,  wie  sie  zur 
Zeit  meiner  früheren  Amtsführung  geschaffen  v^orden  waren.  Hervor- 
trat aber  die  Frage,  welchen  Weg  die  Monarchie  in  der  durch  den 
Balkankrieg  geschaffenen  Lage  einzuschlagen  habe,  welche  Aufgabe 
daher  der  Wehrmacht  zuzumessen  sei. 

Meine  diesbezüglichen  Anschauungen  gehen  schon  aus  den  ver- 
schiedenen Essays  hervor,  in  denen  ich  noch  als  Armee- Inspektor  zu 
diesen  Fragen  Stellung  nahm.  Es  ist  natürlich,  daß  ich  diese  Anschau- 
ungen nunmehr  auch  als  Chef  des  Generalstabes  vertrat. 

Sie  gipfelten  in  folgendem  Gedankengang: 

Die  nächste  schwerwiegende  Gefahr  droht  der  Monarchie  von  Seite 
Serbiens,  hinter  dem  Rußland  steht; 

diese  Gefahr  ist  auf  friedlichem  Wege  nicht  mehr  abzuwenden; 

der  Krieg  gegen  Serbien  ist  daher  unvermeidlich; 

jedes  weitere  Hmausschieben  verschlechtert  die  Bedingungen  hiefür. 
Es  muß  zu  einer  Situation  führen,  welche  die  Monarchie  zum  Kampf 
gegen  eine  übermächtige  Koalition  oder  zum  freiwilligen  Aufgeben  ihres 
Bestandes  zwingt; 

die  günstigste  Gelegenheit  wurde  1908  und  1909  versäumt; 

die  vorliegende  Situation  des  Jahres  1912  bietet  zwar  lange  nicht 
die  gleichen  Chancen,  ist  aber  die  letzte  Möglichkeit,  die  Rech- 
nung mit  Serbien  erfolgreich  auszutragen; 

es  ist  daher  ein  Gebot  der  Selbsterhaltung,  sich  hiezu 
zu  entschließen. 

Die  Lage  kam  hiebei  in  folgender  Weise  in  Betracht: 

Bulgarien  —  der  vertragsmäßige  Alliierte  Serbiens  —  war  durch 
den  Balkankrieg  wesentlich  geschwächt,  durch  die  sich  erholende  Türkei 
gebunden,  durch  Rumänien  bedroht,  mit  Serbien  schon  im  beginnenden 
Gegensatz,  dagegen  in  freundschaftlichem  Verkehr  mit  Österreich-Ungarn; 

378 


Montenegro  verfolgte  seine  eigenen,  auf  Albanien  gerichteten 
Bestrebungen,  sein  Königshaus  lag  in  Zwietracht  und  Rivalität  mit 
jenem  Serbiens,  so  daß  es  bei  kluger  Politik  nicht  ausgeschlossen 
erschien,  Montenegro  als  Gegner  auszuschalten,  andernfalls  aber  durch 
Albanien  militärisch  zu  binden;  übrigens  war  Montenegro  Ende  1912 
militärisch  erschöpft; 

Rumänien  verfolgte  damals  noch  Ziele,  bei  denen  es  in  Einklang 
mit  Österreich-Ungarn  stand.  Das  Bundesverhältnis,  sowie  die  militä- 
rischen Vereinbarungen  zwischen  beiden  Staaten  waren  erst  kürzlich 
enger  gestaltet  worden; 

Italien  war  eben  in  die  Erneuerung  des  Dreibundes  ein- 
gegangen; 

Griechenland  war  abseits  liegenden  Aspirationen  zuge- 
wendet; 

die  Türkei  hatte  sich  aufgerafft  und  war  im  Erholen  begriffen. 

Bleibt:  Rußland! 

Ob  die  offiziellen  Kreise  Rußlands,  vor  allem  das  Herrscherhaus, 
einen  Krieg  beginnen  würden,  der  den  Untergang  von  Reich  und 
Dynastie  besorgen  ließ,  war  fraglich,  aber  für  alle  Fälle  war  Rußland 
im  Jahre  1912  für  einen  Krieg  weit  weniger  vorbereitet,  als  es  dies 
einige  Jahre  später  sein  würde,  auch  war  der  Ring  der  Entente  noch 
nicht  so  fest  geschmiedet,  wie  er  es  mit  jedem  kommenden  Jahr  immer 
mehr  zu  werden  drohte. 

Serbien,  den  unversöhnlichen,  zielbewußten,  nie  ablassenden,  von 
Rußland  unterstützten  Feind  der  Monarchie  niederzuwerfen  und  damit 
den  vital  bedrohten  Reichsbestand  zu  sichern,  war  der  Kern  der  Frage. 
Alles  andere,  wie  Albanien,  Hafenfrage,  Donau — Adria-Bahn  etc.  waren 
nebensächliche  Begleiterscheinungen;  mit  einem  Erfolg  in  letzteren 
Dingen  war  der  Kern  der  Frage  nicht  getroffen,  auf  diesen  aber  kam 
es  an. 

Die  letzte,  die  elfte  Stunde  für  diese  Lösung  schien  mir  gekommen. 

Wie  sich  nun  meine  dienstliche  Tätigkeit  in  diesen  Gedankengang 
einfügte,  sollen  nachfolgende  Details  ergeben. 

Am  14.  Dezember  1912  hatte  ich  eine  Audienz  bei  Erzherzog  Franz 
Ferdinand,  in  der  ich  mit  ihm  die  allgemeinen  militärischen,  sowie  die 
obdargelegten  politischen  Verhältnisse,  speziell  auch  die  albanische 
Frage  besprach.  Bezüglich  Albaniens  deckten  sich  meine  Anschauungen 
nicht  ganz  mit  jenen  des  Ministers  des  Äußern,  denn  während  dieser 
die  Neutralisierung  Albaniens  im  Auge  hatte,  hielt  ich  ein  Albanien, 
das  durch  keine  Neutralitätspflicht  gebunden,  unter  dem  Protektorat  der 
Monarchie  steht,  für  zweckmäßiger.  Ich  hatte  dies  auch  in  einem  an  Oberst 

379 


Dr.  von  Bardolff  gerichteten  Schreiben  vom  13.  Dezember  zum  Ausdruck 

gebracht.    Vor  allem  aber  erörterte  ich  mit  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit 

das  Verhältnis  zu  Serbien  und  legte  ihm  nachstehenden  AUeruntertänig- 

sten  Vortiag  vor.  „„ .  _ 

„Wie n,  am  14.  Dezember  1912. 

Euer  K.  u.  K.  Hoheit! 

Zum  Chef  des  Generalstabes  ernannt,  ersehe  ich  es  als  erste  Pflicht, 
mir  über  die  Lage  klar  zu  werden,  in  welcher  die  Monarchie  sich 
befindet. 

Diese  Lage  ist  eine  Konsequenz  des  jüngsten  Balkankrieges. 

Serbien  als  selbständiger  Staat  war  und  ist  eine  Gefahr  für  die 
Monarchie. 

Der  Zusammenschluß  der  südslawischen  Rasse  ist  eine  jener  völker- 
bewegenden Erscheinungen,  die  sich  nicht  wegleugnen  und  nicht  künst- 
lich verv/ehren  lassen. 

Es  kann  sich  nur  darum  handeln,  ob  dieser  Zusammenschluß 
innerhalb  des  Machtgebietes  der  Monarchie  —  also  auf  Kosten 
der  Selbständigkeit  Serbiens  —  oder  ob  er  sich  unter  der  Ägide 
Serbiens  auf  Kosten  der  Monarchie  vollziehen  wird. 

Diese  Kosten  bestünden  für  uns  im  Verlust  der  südslawischen 
Länder  und  damit  fast  des  ganzen  Küstengebietes.  Territorial-  und 
Prestige-Verlust  würden  dabei  die  Monarchie  zu  einem  Kleinstaat  herab- 
drücken. 

Die  Chancen  für  eine  Lösung  stehen  heute  allerdings  nicht  mehr  so 
günstig  wie  früher,  aber  fast  mit  Sicherheit  läßt  sich  voraussagen,  daß 
sie  sich  mit  jedem  kommenden  Jahre  noch  mehr  verschlechtern  werden, 
denn : 

1.  wird  sich  das  neue  vergrößerte  Serbien  staathch  und  insbesondere 
militärisch  wesentlich  verstärken; 

2.  wird  die  Agitation  dieses  aufblühenden  Serbien  in  den  süd- 
slawischen Gebieten  immer  erfolgreicher  werden; 

3.  wird  sich  Rußlands  militärische  Kraft  immer  mehr  entwickeln 
und 

4.  könnten  in  Rumänien  Verhältnisse  eintreten,  welche  die  jetzt 
bestehende  feste  Bundesfreundschaft  in  Frage  stellen. 

Will  die  Monarchie  daher  diese  ihr  ans  Leben  gehende  Frage  lösen, 
dann  erscheint  es  am  zv/eckmäßigsten,  den  Krieg  gegen  Serbien  trotz 
aller  Bedenken  j  e  t  z  t  zu  führen. 

Ist  dieser  Entschluß  festgestellt,  dann  müssen  in  Anbetracht  der 
jetzigen  Entwicklung  Serbiens  weitergehende  Vorkehrungen  für  diesen 
Krieg  getroffen  werden,  als  es  in  den  bisherigen  Elaboraten  vorgesorgt 

380 


I 


ist,  damit  der  Schlag  mit  möglichster  Sicherheit  erfolgen  könne,  und  es 
müssen  zweitens  die  Kriegsvorkehrungen  sofort  getroffen  werden,  damit 
man  der  Konzentrierung  der  serbischen  Kräfte  und  dem  etwaigen  Ein- 
greifen Rußlands  zuvorkomme. 

Im  Vorstehenden  ist  die  Frage  vom  Standpunkt  einer  kriegerischen 
Initiative  der  Monarchie  in  Betracht  gezogen;  ein  solches  Inbetracht- 
ziehen  muß  aber  nun  auch  umgekehrt  vom  Standpunkt  einer  kriegerischen 
Initiative  Serbiens  erfolgen. 

Serbien,  durch  seine  Erfolge  moralisch  gehoben,  auf  eine  siegreiche, 
namhafte  und  gut  organisierte  Armee  gestützt,  sowie  auf  die  Sympathien 
der  Slawen,  speziell  der  Südslawen  der  Monarchie  zählend  und  auf  das 
Eingreifen  Rußlands  bauend,  glaubt  alle  Chancen  für  sich  zu  haben,  um 
nunmehr  in  einem  Zuge  auch  gegen  die  Monarchie  agressiv  vorzugehen. 

Es  wäre  nicht  das  erste  Mal,  daß  ein  kleiner  Staat  diesen  Weg 
beschritten  hätte  (Brandenburg — Preußen). 

Tatsächlich  hat  Serbien  seine  Armee  frei  (von  kleinen  Teilen 
abgesehen),  tatsächlich  trifft  Serbien  alle  Anstalten,  um  diese  Armee 
gegen  die  Monarchie  zu  verschieben,  an  deren  Grenzen  bereits  ein  ver- 
stärkter Grenzschutz  aufgestellt  ist;  angeblich  werden  die  rückkehrenden 
serbischen  Truppen  nicht  in  ihre  Garnisonen,  sondern  in  Konzentrations- 
punkte dirigiert,  die  einen  Aufmarsch  gegen  die  Monarchie  erkennen 
lassen;  angebUch  sollen  diese  Truppen  dort  neue  Trains  formieren,  was 
deutlich  zeigt,  daß  sie  nicht  in  das  Friedensverhältnis  versetzt,  sondern 
für  neue  Operationen  bereit  gemacht  werden. 

Eine  solche  Bereitstellung  könnte  —  basiert  auf  die  Situation  Ende 
November  —  gegen  Donau — Save  und  untere  Drina  innerhalb  18  Tagen, 
gegen  die  mittlere  Drina  und  Sandzakgrenze  innerhalb  16  Tagen  voll- 
zogen sein,  wobei  jedoch  zu  berücksichtigen  ist,  daß  die  Rücktransporte 
schon  seit  Anfang  Dezember  im  Gange  sind. 

Aber  auch  Montenegro  schickt  sich  bereits  an,  seine  Truppen 
wenigstens  teilweise  an  die  Grenze  der  Monarchie  zu  verschieben. 

Serbien  hat  den  Krieg  gegen  die  Türkei  ganz  überraschend,  fast 
überfallsweise  begonnen  und  hauptsächlich  diesem  Umstände  seine 
eklatanten  Erfolge  zu  danken;  es  liegt  sehr  nahe,  daß  es  dasselbe  System 
gegen  die  Monarchie  anwenden  würde. 

Bleibt  diese  dem  gegenüber  nur  in  dem  Stadium  ihrer  jetzigen  Bereit- 
schaft, dann  ist  ein  Echec  nicht  ausgeschlossen. 

Gelänge  den  Serben  auch  nur  ein  erster  Erfolg,  dann  ist  die  Rück- 
wirkung auf  die  Südslawen  der  Monarchie  und  auf  die  ganze  pohtische 
Konstellation  der  letzteren  gar  nicht  abzusehen. 

381 


Ich  resümiere  daher: 

Sowohl  in  dem  ersterwogenen  Falle  einer  Initiative  der  Monarchie 

als  in  dem  zweiterwogenen  einer  Bereitschaft  gegen  eine  Initiative 
Serbiens 

erscheint  es  unerläßlich,  die  für  einen  Krieg  gegen  Serbien  erforder- 
lichen Kräfte  jetzt  schon  zu  mobilisieren  und  zu  versammeln  und  alle 
sonstigen  vorbereitenden  Maßnahmen  für  die  Aktion  zu  treffen. 

In  dem  streng  reservierten  Beilagebogen  ist  der  Umfang  dieser  Maß- 
nahmen angegeben. 

Ich  bitte  Euer  K.  u.  K.  Hoheit,  diesen  u.  Vortrag  gnädigst  entgegen- 
zunehmen, den  ich  im  Vollgefühl  der  auf  mh:  bestehenden  schweren  Ver- 
antwortung u.  unterbreite,  und  die  darin  gestellten  Anträge,  insbesondere 
auch  hinsichtlich  Heranziehung  des  3.  Korps,  an  Allerhöchster  Stelle 

gnädigst  vertreten  zu  wollen. 

Conrad  m.  p.,  G.  d.  I." 

Zur  ausschließlichen  Kenntnis  Seiner  Kaiserlichen  Hoheit  war 
folgende  Zusammenstellung  beigeschlossen: 

„Maß  der  für  einen  Krieg  gegen   Serbien   (1912)   zu 
mobilisierenden  Kräfte: 

1.  Alle  jene,  die  nach  dem  bisherigen  Elaborat  in  Aussicht  genommen 
sind,  das  noch  von  der  Zeit  herrührt,  als  ich  das  erste  Mal  Chef  des 
Generalstabes  war,  also: 

15.,  16.  Korps  ä  2  Infanteriedivisionen, 
13.,  7.,  8.,  4.,  9.  Korps  ä  3  Infanteriedivisionen, 
die  20.  k.  u.  Landwehrdivision, 

die  zu  den  genannten  Armeekörpern  gehörigen  Marsch-  und  Land- 
sturmformationen, 

die  Donau-Flottille, 
die  Flotte. 

2.  Ferner  aber  auch  noch  ein  Korps,  am  besten  das  dritte,  mit 
3  Infanteriedivisionen. 

Motivierung: 

Serbien  kann  alles  in  allem  300.000  Gewehre  stellen, 

Montenegro  35.000,  macht  335.000, 

davon  in  den  neuen  Gebieten  gebunden  höchstens  etwa  15.000 
Gewehre,  weil  die  sofort  eingeleitete  militärische  Organisation  in  Alt- 
serbien und  Mazedonien  schon  lokal  formierte  Truppen  für  diesen 
Zweck  liefert, 

bleiben  3  2  0.0  0  0  Gewehre. 

382 


Wenn  die  Monarchie  den  Krieg  führt,  muß  der  Erfolg  auch  durch 
die  Zahl  gesichert  sein; 

das  ergibt  die  Notwendigkeit  einer  Überzahl  von  zirka  75 — 100.000 
Gewehren,  also  das  Erfordernis  von  rund  420.000  Gewehren. 

15.,  16.  Korps 4  Divisionen  ä  15.000  Mann 

4.,  13.,  7.,  8.,  9.  Korps  ...  15  „         ä  15.000      „ 

20.  ung.  Landwehrdivision  .     .       1  „         ä  15.000      „ 

3.   Korps 3  „         ä  15.000      „ 

Summe         23  Divisionen  ä  15.000  Mann 

somit 345.000  Gewehre 

dazu  sechs  Marschbrigaden 42.000        „ 

dazu  sieben  Landstunnbrigaden     ....      78.000        „ 

Totale    .    465.000  Gewehre." 

Zur  Beurteilung  des  Folgenden  erscheint  es  geboten,  die  markan- 
testen Momente  der  damaligen  Lage  hervorzuheben;  sie  betrafen  nach- 
stehendes: 

Die  feindliche  Absicht  Serbiens  gegen  Österreich-Ungarn,  mit  dem 
Streben,  die  südslawischen  Provinzen  der  Monarchie  an  sich  zu  reißen, 
haben  durch  den  Balkankrieg  eine  wesentliche  Förderung  erfahren. 

Wird  Serbien,  das  nach  seinen  billig  erkauften  Erfolgen  gegen  die 
Türkei  über  eine  voll  mobilisierte,  kriegserfahrene  Armee  verfügte,  den 
Kampf  mit  Österreich-Ungarn  jetzt  schon  suchen? 

Welche  Maßnahmen  hat  letzeres  anbetrachts  dieser  Möglichkeit  zu 
treffen? 

Soll  und  wird  Österreich-Ungarn  sich  entschließen,  zuvorzukommen 
und  den  miausweichlichen  Schlag  zu  führen,  ehe  es  zu  spät  ist?  Was  hat 
diesfalls  zu  geschehen? 

Wie  wird  in  beiden  Fällen  Rußland  sich  verhalten?  Wird  es  gegen 
Österreich-Ungarn  eingreifen  oder  nicht?  Mit  welcher  militärischen  Vor- 
bereitung vermöchte  Rußland  einzugreifen?  Trifft  es  besondere  kriege- 
rische Maßnahmen  und  mit  welchem  Ziele? 

All  diesen  Fragen  wandte  ich  erhöhte  Aufmerksamkeit  zu  und  lenkte 
den  Nachrichtendienst  in  diese  Richtung. 

Die  Resultate  des  letzteren  erhielt  ich  in  täglichen  Berichten  des 
Evidenzbureaus.  Sie  schufen  —  mehr  oder  minder  zutreffend  —  das 
jeweilige  Bild  der  Lage  und  damit  die  Basis  für  die  zu  fassenden  Ent- 
schlüsse. 

Im  Balkankrieg  war  —  wie  schon  erwähnt  —  eine  Pause  eingetreten. 
Skutari,  Adrianopel  und  Janina  waren  noch  in  türkischen  Händen,  aber 

383 


vom  Feinde  hart  bedrängt.  An  der  Cataldza-Linie  und  auf  Gallipoli 
hatten  die  Türken  festen  Fuß  gefaßt,  der  bulgarische  Angriff  gegen 
Cataldza  war  zerschellt.  Bulgarien  rief  nach  serbischer  Hilfe,  die  ihm 
auch  wurde.  Am  3.  Dezember  1912  wurde  ein  Waffenstillstand  mit  der 
Türkei  abgeschlossen,  nur  Griechenland  setzte  den  maritimen  Kampf 
auch  weiter  fort. 

Wie  sich  in  der  Zeit  vom  12.  bis  23.  Dezember  das  Bild  der  Lage 
allmählich  gestaltete  und  veränderte,  möge  aus  nachstehend  auszugs- 
weise angeführten  Tagesberichten  erhellen*). 

Serbien.  Es  mehrten  sich  die  Anzeichen,  daß  Serbien  Truppen 
aus  dem  bisherigen  Operationsgebiet  nach  Serbien  rückbefördere,  ob 
zum  Zwecke  der  Erholung  oder  zur  Versammlung  gegen  Österreich- 
Ungarn  lag  nicht  klar.  Die  vermutete  Situation  am  13.  Dezember 
war: 

2  Divisionen  vor  Adrianopel; 
1  Division  in  Monastir; 

3  Divisionen  in  Albanien; 

1  Division  und  die  Javor-Brigade  im  Sandzak  Novipazar; 

3  Divisionen  und  die  Kavalleriedivision  im  Räume  südlich  Belgrad 
(Velka  Plana); 

16.000  Mann  III.  Aufgebot  im  Grenzschutz  an  der  Save-Donau; 
9000  Mann  III.  Aufgebot  im  Grenzschutz  an  der  Drina; 

Rücktransporte  aus  Üsküb  und  Mustafa-Pasa  im  Zuge; 

zunehmende  Bandenbildung  (Komitatschis); 

Eintreffen  russischer  Freiwilliger  und  Materials  aus  Rußland; 

große  Bestellungen  an  Konserven  und  Munition  in  Deutschland; 

guter  Zustand  der  serbischen  Armee. 

Am  15.  Dezember  erhielt  ich  eine  eingehende  Kriegsgliederung  der- 
selben. 

Danach  zählte  sie:  134  Bataillone,  30  Eskadronen,  53  Feld-, 
9  Gebirgs-,  6  Belagerungs-,  2  Haubitz-Batterien,  eine  Positions-  und  eine 
Schnellfeuer-Batterie. 

Meldungen  vom  16.  bis  19.  Dezember  bestätigten  diese  per  Bahn 
und  per  Fußmarsch  erfolgenden  Rücktransporte  und  berichteten  über 
Truppenansammlungen  bei  Nis  und  Üsküb,  auch  über  das  Eintreffen 
von  Truppen  bei  Üb,  Mladenovac  und  Valjevo,  also  im  Aufmarschgebiet 


*)  Diese  Daten  sollen  dem  Leser  ermöglichen,  sich  selbst  das  Bild 
zu  schaffen,  wie  es  sich  damals  bot,  also  auch,  wie  es  sich  oft  von  Tag 
zu  Tag  veränderte. 

384 


gegen  Österreich-Ungarn;  ferner  über  die  Rückschaffung  von  Material 
und  Akten  aus  Belgrad. 

In  der  Save-Donau  sollen  Flußminen  gelegt  und  die  serbische 
Dampfschiffahrts-Gesellschaft  angewiesen  worden  sein,  ihren  Schiffspark 
in  die  untere  Donau  (nach  Reni)  abzuschieben. 

Auch  im  Sandzak  Novipazar  sollen  Truppenbewegungen  gegen  die 
österreichische  Grenze  (von  Mitrovica  gegen  Sjenica)  erfolgen;  das  Gros 
der  serbischen  2.  Armee  (zwei  Divisionen)  aber  noch  vor  Adrianopel 
stehen. 

Am  18.  Dezember  war  folgendes  die  vermutete  Situation  der  serbi- 
schen Armee: 

Grenzschutz  an  der  Save-Donau:  16—18.000  Mann  III.  Aufgebot, 
140  Geschütze;  schwere  Artillerie  in  Belgrad; 
Grenzschutz  an  der  Drina:  9000  Mann,  III.  Aufgebot, 

36  Geschütze;  schwere  Artillerie  in  Valjevo; 
1  Division  südl.  Belgrad  (Velka  Plana):  14.000  Mann,  36  Gesch.; 
3  Divisionen    und    die    Kavalleriedivision    im    Räume    Stalac-Nis: 
40.000  Mann; 

128  Feld-,  12  Gebirgs-Kanonen;  20  Haubitzen,  6  Mörser; 
davon  Teile  im  Marsch  über  Uzice  an  die  Drina; 
1  Division  und  die  Javor-Brigade  im  Sandzak:  20.000  Mann, 

24  Feld-,  12  Gebirgskanonen ; 
1  Division  vor  Skutari:  10.000  Mann,  18  Geschütze; 

1  Division  in  Albanien  (Durazzo,  Tirana,  Elbassan) :  10.000  Mann, 
24  Geschütze; 

11/2  Divisionen  in  Dibra,  Ochrida;  im  Transport  über  Üsküb  nach 
Serbien; 

2  Divisionen  vor  Adrianopel. 

Am  23.  Dezember  wurden  Kämpfe  zwischen  Serben  und  Albanescn 
gemeldet. 

Montenegro.  Von  den  vier  montenegrinischen  Divisionen 
sollen  nach  den  Berichten  vom  13.  Dezember  31/2  vor  Skutari,  1/2  in 
Djakovo  stehen;  erstere  im  Kampf  gegen  die  aktive  Verteidigung  der 
Türken. 

Montenegrinische  und  serbische  Offiziere  rekognoszierten  auf  den 
Cattaro  beherrschenden  Höhen  (Krstac,  Lovcen);  montenegrinische 
Truppen  wurden  an  die  ö.-u.  Grenze  dirigiert. 

Am  18.  Dezember  sollen  sich  befunden  haben: 

3  Divisionen  vor  Skutari:  17.000  Mann,  72  Geschütze; 

25,  Conrad  II  qo^ 


1  Division    gegen     Österreich-Ungarn:    7000     Mann,     20    Feld-, 
28  schwere  Geschütze; 
%  Division  gegen  Ipek-Djakovo:  3000  Mann,  4  Geschütze. 

Dagegen  versicherte,  nach  einem  am  21.  Dezember  eingelangten 
Bericht,  König  Nikita  von  Montenegro  dem  ö.-u.  Mihtärattache,  daß  an 
der  ö.-u.  Grenze  nur  schwacher  Grenzschutz  stehe,  Montenegro  absolut 
keine  Maßnahmen  gegen  Österreich-Ungarn  getroffen  habe  und  die 
Rücksendung  von  Truppen  nur  Erholungszwecke  verfolge. 

Am  23.  Dezember  langte  eine  Mitteilung  ein,  daß  die  Truppen- 
Konzentrierung  in  Cetinje  dem  Schutz  der  Dynastie  gelte. 

Bulgarien.  Nach  Informationen  vom  20.  Dezember  1912  hatte 
die  Sobranje  einen  außerordentlichen  Militärkredit  von  50  Millionen 
Francs  bewilligt.  Russische  Schiffe  mit  Kriegsmaterial  seien  in  Ruscuk 
emgelangt,  22  russische  Offiziere  in  die  bulgarische  Armee  eingeteilt 
worden.  Die  bulgarische  Armee  sei  vor  der  Cataldza-Linie  am  Ende 
ihrer  Offensivfähigkeit  angelangt.  Ihr  von  sechs  Regimentern  durch- 
geführter Angriff  hatte  mit  einem  Mißerfolg  und  einem  Verlust  von 
8 — 10.000  Mann  geendet.  50.000  Rekruten  seien  als  Ersatz  eingetroffen, 
der  Verpflegs-  und  Sanitätsdienst  funktioniere  mangelhaft. 

Griechenland.  Nach  Bericht  vom  15.  Dezember  1912  war  es 
nach  Kämpfen  vom  5.  bis  9.  Dezember  Zeki  Pascha  gelungen,  sich  mit 
Essad  Pascha  in  Janina  zu  vereinigen,  wodurch  dort  etwa  40.000  Türken 
versammelt  waren,  zu  deren  Zemierung  sich  nun  die  Griechen  anschickten; 
die  Verteilung  der  Griechen  wurde  wie  folgt  vermutet: 

3  Divisionen  in  Salonik; 

je  1  Division  in  Florina,  Kozana,  Santi  Quaranta,  dann  südlich 
Janina  und  bei  Korica,  diese  im  Marsch  auf  Janina; 

Freiwillige  bei  Mecovo. 

Der  Bericht  vom  16.  Dezember  meldete  über  ein  Seegefecht  vor  den 
Dardanellen,  das  mit  dem  Rückzug  der  Griechen  endete,  jener  vom 
22.  Dezember  über  Kämpfe  am  18.  und  19.,  sowie  über  den  Anmarsch 
der  7.  griechischen  Division  von  Salonik  nach  Janina,  endlich  darüber,  daß 
sich  der  Raum  Janina — Kastoria — Berat  noch  in  türkischen  Händen  befände. 

Türkei.    Nach  Bericht  vom  16.  Dezember  standen: 

in  der  Cataldza-Linie  5  Korps  und  eine  Division:  120.000  Mann, 
350  Geschütze,  1500  Reiter;  die  Lage  war  mißhch,  die  Cholera  hatte  zwar 
aufgehört.  Regen,  Kälte,  tiefer  Morast,  elende  Unterkünfte  seien  aber  der 
Truppe  sehr  empfindlich; 

auf  Gallipoh  5  Divisionen:  35.000—40.000  Mann; 

in  Konstantinopel  sollen  4  Divisionen  versammelt  werden. 

Die  Flotte  soll  ins  Ägäische  Meer  ausgelaufen  sein. 

386 


Rußland.  Die  erhöhte  mÜitärische  Tätigkeit  in  Rußland  war 
unverkennbar,  sie  hatte  einerseits  den  Charakter  beschleunigten  Nachholens 
allgemeiner  Versäumnisse,  anderseits  jenen  allmählicher  spezieller  Maß- 
nahmen für  die  Kriegsbereitschaft  gegen  Deutschland  und  Österreich- 
Ungarn. 

Die  tumusweise  Einberufung  und  Ausbildung  der  großen  Zahl 
bisher  Nichtausgebildeter,  die  kurzfristigen  Bestellungen  von  Material 
aller  Art,  der  rasche  Ausbau  der  Befestigungen  und  der  militärischen 
Bahnen  gehörten  zu  ersteren,  die  Verstärkung  des  Grenzschutzes,  das 
Rückhalten  des  ausgedienten  Jahrganges,  Bereitstellen  der  Truppentrains, 
Truppenverlegungen,  Konzentrierung  von  Bahnmaterial,  Erhöhung  der 
Kohlen  Vorräte  etc.  gehörte  zu  letzteren  Maßnahmen. 

Das  Bild  im  großen  aber  wies  darauf  hin,  daß  Rußland  einem  Kriege 
zM^ar  möglichst  gewachsen  sein,  daß  es  diesen  aber  damals  vermieden 
wissen  wollte,  da  es  mit  all  diesen  Vorbereitungen  noch  stark  im  Rück- 
stand war. 

Von  den  allmählich  einlangenden  Nachrichten  seien  folgende  hervor- 
gehoben : 

Der  Bericht  vom  13.  Dezember  meldete: 

Munitionstransporte  nach  Nowo-Georgiewsk,  Bestellung  von  hundert 
innerhalb  acht  Wochen  zu  liefernden  Lastautomobilen,  Rückberufung  der 
russischen  Ärzte  aus  Montenegro,  Errichtung  von  Sanitätszügen  im 
Militärbezirk  Warschau,  antiösterreichische  Agitation  der  russischen 
Geistlichkeit  in  den  Grenzbezirken,  Zunahme  der  Auswandenmg,  Erneuten 
in  Sewastopol.  Die  politische  Stimmung  in  Petersburg  zum  Frieden 
geneigt,  da  die  Lage  den  Krieg  für  Rußland  nicht  wünschenswert 
erscheinen  ließe. 

Der  Bericht  vom  14.  Dezember  meldet  die  Verstärkung  der 
Grenzwache  durch  Truppen  des  Heeres,  die  Errichtung  von  Flugstationen 
in  Warschau  und  Lublin,  Ausrüstungsarbeiten  der  Festungen  Warschau, 
Iwangorod,  Nowo-Georgiewsk,  Grodno  und  Brest;  die  Mobilisierung 
der  baltischen  Flotte,  endlich  die  Anordnung,  rollendes  Bahnmaterial  auf 
60  Kilometer  von  der  Grenze  zurückzuschieben. 

Der  Bericht  vom  16.  Dezember  meldet :  Truppentransporte 
aus  Kiew  nach  Rowno  und  Dubno;  dorthin  auch  Munitionszuschübe; 
Aufstellung  einer  Fliegerabteilung  in  2ytomir;  Befestigungsarbeiten  bei 
Bjelcy  (in  Beßarabien,  also  gegen  Rumänien);  Registrierung  aller  Privat- 
autos mit  dem  Befehl,  auf  ergehendes  Aviso  innerhalb  24  Stunden  ein- 
zurücken.   Abgehen  von  Freiwilligen  nach  Serbien. 

Der  Bericht  vom  18.  Dezember  bestätigte  die  Grenzschutz- 
verstärkung, die  permanenten  Befestigungsarbeiten  in  Brest;  umfangreiche, 


25' 


387 


kurzfristige  Kriegsmateriallieferungen;  Ansammlung  an  rollendem  Material 
für  Truppentransporte  in  den  Eisenbahnknotenpunkten,  Ergänzung  der 
Kohlen  Vorräte  der  Bahnen,  Anhäufen  von  Mehrvorräten  an  Verpflegung 
in  den  Grenzmilitärbezirken  und  in  den  Festungen,  Ausrüstungsarbeiten 
in  Nowo-Georgiewsk,  Iv^angorod,  Brest,  Grodno,  Befestigungsarbeiten 
bei  Dubno  und  am  Zbrucz;  Aufstellung  des  Bahnschutzes  in  den  Grenz- 
militärbezirken; Truppenverlegungen  gegen  die  Grenze,  Absicht,  das 
V.  Korps  (aus  Woronesch)  nach  Polen  zu  verlegen;  Rückbehaltung  des 
ausgedienten  Jahrganges,  wodurch  der  Gesamtfriedensstand  von  1 ,200.000 
auf  1,600.000  erhöht  erschien;  Fälle  von  IndiszipHn  infolge  dieser 
Maßnahme;  Mobilisierung  der  Schwarzen  Meer-Flotte. 

Die  politische  Situation  kennzeichne  sich  durch  die  Tendenz,  jetzt 
einem  Weltkrieg  auszuweichen,  wenn  aber  jetzt  durchaus  dazu  gezwungen, 
ihn  wenigstens  bis  1913  zu  verschieben;  die  äußere  und  innere  Situation 
lasse  einen  großen  Krieg  derart  unerwünscht  erscheinen,  daß  selbst  die 
Kriegspartei  in  ihren  Bestrebungen  nachgelassen  habe. 

Nach  Bericht  vom  2  0.  Dezember  werde  die  Grenzwache 
im  Spreng-  und  Telegraphendienst  ausgebildet;  in  Kieke  seien  Flug- 
zeuge eingetroffen;  Truppen  wurden  nach  Kremieniec,  die  2.  kombi- 
nierte Kosakendivision  nach  Kamienecpodolsk  verlegt;  die  Aufstellung 
der  Truppentrains  erfolge  auch  im  Innern  des  Reiches;  Lokomotiven  und 
Waggons  werden  in  Brest,  Skarzyska,  Radziwilow  und  Kiew  bereit- 
gehalten; die  Reserveoffiziere  erhielten  Befehl,  die  Feldausrüstung 
anzuschaffen;  auch  aus  dem  Don-Gebiet  seien  Freiwillige  nach  Serbien 
abgegangen. 

Laut  Bericht  vom  21.  Dezember  erhalten  durch  das  Rück- 
behahen  des  ausgedienten  Jahrganges  die  Kompagnien  eine  Stärke  von 
215  Mann,  inklusive  Rekruten,  die  Eskadronen  eine  solche  von  180 
Reitern,  die  Batterien  von  200  Mann,  also  nahezu  den  Kriegsstand. 

Der  Bericht  vom  23.  Dezember  meldet  Befestigungsarbeiten 
bei  Cholm,  Materialtransporie  von  Kiew  in  der  Richtung  Zdolbunowo 
und  2merinka;  den  Ankauf  von  Verpflegung  im  Nordkaukasus;  endlich 
mehrfache  Disziplinwidrigkeiten. 

Soweit  die  wesentlichsten  Nachrichten  für  die  Zeit  bis  23.  Dezem- 
ber 1912. 

Am  15.  Dezember  hatte  ich  folgendes  Schreiben  des  Ministers  des 

Äußern  erhalten: 

„Euer  Exzellenz! 

Mit  lebhafter  Freude  habe  ich  die  Nachricht  von  Ihrer  Ernennung 
zum  Chef  des  Generalstabes  erhalten  und  erlaube  mir  Ihnen  hiezu  von 
Herzen  Glück  zu  wünschen. 

388 


Ich  zweifle  nicht  daran,  daß  ich  bei  Ihnen  in  der  schweren  Zeit,  die 
wir  gegenwärtig  durchleben,  einen  vertrauensvollen  Mitarbeiter  finden 
werde  im  Dienste  der  großen  Interessen  der  Dynastie  und  des  Vaterlandes. 

Indem  ich  der  Hoffnung  Ausdruck  verleihe,  demnächst  mit  E.  E.  in 
Gedankenaustausch  treten  zu  können,  zeichne  ich  etc.  etc. 

Wien,  15.  Dezember  1912.  uo..i,+^i^^    «" 

'  berchtoldm.  p. 

Ich  antwortete  umgehend  wie  folgt: 
„Euer  Exzellenz! 

Ich  beeile  mich  E.  E.  meinen  aufrichtigsten  Dank  für  die  liebens- 
würdigen, eben  erhaltenen  Zeilen  zu  übermitteln,  mit  der  Versicherung, 
daß  ich  mich  glücklich  schätze,  gerade  zu  einer  Zeit  an  meine  jetzige 
Stelle  berufen  worden  zu  sein,  in  welcher  das  schwerste  Amt  der 
Monarchie  in  Ihren  Händen  ruht,  und  daß  es  mein  eifriges  Bemühen  sein 
wird,  meine  leider  weit  überschätzten  Kräfte  so  gut  ich  kann  zur 
Verfügung  zu  stellen. 

Ich  werde  ehestens  meinen  Dank  mündlich  wiederholen  und  bitte 
E.  E.  den  Ausdruck  der  vorzüglichen  Hochachtung  entgegenzunehmen, 

mit  der  ich  bin  rr        tr      n  u      j. 

Euer  Exzellenz  ergebenster        ^  , 

'^  Conrad  m.  p. 

Wien,  15.  Dezember  1912." 

Ich  bin  seither  mit  Graf  Berchtold  stets  auf  dem  Fuße  gegenseitigen 
offenen,  vertrauensvollen,  und  ich  darf  sagen,  freundschaftlichen  Verkehrs 
gestanden,  wenn  auch  unsere  sachlichen  Anschauungen  nicht  immer 
parallel  liefen.  Ich  fand  in  ihm  stets  den  vornehmen,  von  allen  selbst- 
süchtigen Motiven  freien,  nur  auf  das  Wohl  der  Monarchie  bedachten 
Diplomaten,  der  von  seinem  Vorgänger  ein  Erbe  übernommen  hatte,  wie 
es  nicht  schwieriger  sein  konnte. 

Am  16.  Dezember  vormittags  zur  Audienz  in  Schönbrunn,  besprach 
ich  auch  mit  Seiner  Majestät  die  Lage,  die  der  Kaiser  als  eine  äußerst 
schwierige,  für  Österreich- Ungarn  gefahrvolle  erachtete,  für  die  er  jedoch 
eine  friedliche  Lösung  erhoffte. 

So  wie  schon  öfter,  fielen  seinerseits  besorgte  Worte  hinsichtlich  des 
Bestands  der  ö.-u.  Monarchie.  Auch  deren  innere  Verhältnisse, 
insbesondere  die  Vorgänge  in  Böhmen,  sovne  der  unausgesetzte  Hader 
der  Parteien  und  Nationalitäten  bedrückten  ihn,  und  es  ist  mir  sein 
wiederholt  getaner  Ausspruch  erinnerhch:  „Glauben  Sie  mir,  die 
Monarchie  kann  man  nicht  konstitutionell  regieren." 

Nichtsdestoweniger  hielt  sich  der  Kaiser  auf  das  allerstrengste  an 
seine  konstitutionellen  Herrscherpflichten. 

3S9 


Am  selben  Tage  (16.  Dezember)  besprach  ich  das  gleiche  Thema 
auch  mit  Graf  Berchtold. 

Am  18.  Dezember  erhielt  ich  nachstehenden  Bericht  des  auch  für 
Belgien  akkreditierten  k.  u.  k.  MiUtärattaches  in  Paris  Oberst  Vidale: 


» 


Euer  Exzellenz! 


Bevor  ich  nach  Paris  von  Brüssel  zurückkehre,  wo  ich  meine 
Antrittsmeldungen  teilweise  absolvierte  —  der  König  bekam  Influenza 
und  ließ  mir  sagen,  er  müsse  die  Audienz  verschieben  —  und  Fühlung 
mit  den  hiföigen  politischen  imd  militärischen  Kreisen  nahm,  melde  ich 
E.  E.  in  Kürze  die  Eindrücke,  die  ich  hier  über  die  augenbhckliche  Lage 
und  deren  Beurteilung  empfing. 

Gleichzeitig  mit  meinem  Eintreffen  wurde  der  Wechsel  in  den  beiden 
leitenden  Stellen  unserer  Armee  bekannt,  und  da  ich  in  den  Tagen  meines 
Aufenthaltes  oft  Gelegenheit  hatte,  mit  den  Herren  der  kaiserlich  deutschen 
Vertretung  beisammen  zu  sein,  konnte  ich  aus  Fragen,  die  an  mich  gestellt 
wurden  und  aus  Bemerkungen,  die  ich  —  obwohl  nicht  für  mich 
bestimmt  —  zufällig  hörte,  mir  ein  Bild  machen,  welche  Empfindungen 
diese  allen  überraschend  gekommene  Änderung  auslöste.  Die  Berufung 
E.  E.  auf  den  schon  früher  eingenommenen  Posten  bedeute  den  >Sieg 
der  Kriegspariei«.  Die  Existenz  einer  solchen  scheint  sowohl  in  Frank- 
reich, als  auch  in  Belgien  als  feststehende  Tatsache  zu  gelten. 

Vor  allem  bedeute  der  Wechsel  in  diesem  kritischen  Augenbück  ein 
Eingeständnis  bisheriger  Schwäche,  eine  Unsicherheit,  die  keinen  günstigen 
Eindruck,  namentlich  auf  einen  Bundesgenossen,  mache. 

Unkonsolidierte  Verhältnisse,  jährlich  eine  andere  Auffassung,  wer 
recht  habe,  wer  zu  führen  und  in  den  ernstesten  Fragen  zu  entscheiden 
habe. 

Anderseits  weiß  man  ganz  gut,  daß  die  jetzige  Krise  der  kurz- 
sichtigen Orientpolitik  des  früheren  Ministers  des  Äußern  zuzuschreiben 
ist,  der  den  Moment  versäumte,  sich  den  dauernden  Einfluß  am  Balkan 
zu  sichern  und  dessen  auf  einen  scheinbaren  Augenblickserfolg  abzielende 
Politik  E.  E.  damals  zum  Rücktritt  bewog. 

Ebenso  ist  man  sich  darüber  klar,  daß  die  nun  folgenden  diploma- 
tischen und  militärischen  Schritte  der  Monarchie  im  Einklang  und 
energisch  sein  werden. 

Aber  aus  allem,  was  ich  hörte  und  was  ich  hier  nur  zusammen- 
fassend registriere,  schien  mir  unausgesprochen  die  Besorgnis  durch- 
zuringen: »Wird  sich  nicht  auch  das  wieder  über  Nacht  ändern?  In 
Österreich  ist  ja  alles  möghch!« 

390 


Die  Frau  des  deutschen  Gesandten  Herrn  von  Flotow  ist  eine 
enragierte  Russin;  Witwe  des  im  mandschurischen  Feldzug  gefallenen 
Generals  Graf  Keller,  geborene  Prinzessin  Schahowskoy,  wurzelt  sie  fest 
im  Moskowitertum.  Sehr  vermögend,  übersiedelte  sie  als  Witwe  nach 
Berlin,  um  den  Wirren  in  ihrer  Heimat  zu  entgehen  und  half  scheinbar 
durch  ihren  Reichtum  und  ihre  Persönlichkeit  die  Karriere  des  Herrn 
von  Flotow  mit  zu  festigen.  Ihre  ausgesprochen  russische  Gesinnung  — 
ihr  Sohn  aus  erster  Ehe  ist  russischer  Rittmeister  —  dürfte  gerade  jetzt 
ihrem  Mann  manchmal  recht  unbequem  sein.  Bei  dem  Souper,  das  unser 
Geschäftsträger  Graf  Badeni  am  Abend  meiner  Ankunft  gab,  entspann 
sich  zvdschen  ihr  und  einem  Diplomaten  ein  Dialog,  von  dem  folgender 
Teil  nicht  uninteressant  ist: 

>Was  geht  schUeßlich  Rußland  die  serbisch-österreichische  Hafen- 
frage an?« 

»Wenn  Österreich  gegen  Serbien  losgeht,  dann  marschiert  ganz 
Rußland  unbedingt«,  sagte  Frau  von  Flotow  darauf. 

>Ja,  aber  Rußland  ist  doch  nicht  direkt  interessiert  und  im  Augen- 
blick, wo  es  gegen  Österreich-Ungarn  Krieg  führen  will,  wird  es  mit  der 
Revolution  im  Innern  zu  tun  bekommen.  Die  revolutionäre  Partei  ist 
heute  ganz  anders  organisiert  als  zur  Zeit  des  Feldzuges  gegen  Japan,  und 
Moskau,  Odessa,  Kiew  und  Warschau  werden  in  hellen  Flammen  stehen!« 

»Sind  Sie  versichert,«  antwortete  Frau  von  Flotow  sehr  erregt  — 
»es  gibt  unbedingt  Krieg,  wenn  Serbien  ernstlich  bedroht  wird,  und 
wenn  bei  uns  in  Rußland  die  Revolution  losbricht,  gut,  so  gehen  wir 
eben  zu  Grunde,  aber  —  wir  ziehen  los!« 

Gewiß  ist  Frau  von  Flotow  nicht  für  die  russische  Politik  maß- 
gebend, aber  sicher  ist  sie  die  Repräsentantin  eines  großen  und  einfluß- 
reichen Kreises,  dem  sie  von  Geburt  und  ihrer  späteren  Stellung  in 
Rußland  nach  angehört,  und  mit  dem  sie  heute  noch  in  stetem  Kontakt 
steht.  Deshalb  scheint  mir  diese  Auffassung  russischer  Pflichten  gegen 
Serbien  viächtig  genug,  um  sie  E.  E.  zur  Kenntnis  zu  bringen. 

Daß  auch  die  Deutschen  auf  ihre  Orientpolitik  nicht  sehr  stolz  sind, 
geht  aus  einer  Äußerung  des  deutschen  Legationsrates  Fürsten  Hatzfeld, 
der  auch  an  dem  Abend  anwesend  war,  hervor.  Der  Deutsche  Kaiser 
sei  vor  kurzem  zur  Jagd  bei  seinem,  Hatzfelds,  Vater  gewesen  und  hätte 
dabei  u.  a.  bemerkt:  »Seit  dreißig  Jahren  machen  wir  OrientpoHtik  und 
glauben,  sie  wäre  sehr  gut,  jetzt  auf  einmal  sehen  wir,  daß  sie  sehr 
schlecht  war!« 

Belgien  ist  in  dem  —  wie  man  hier  meint  —  unmittelbar  bevor- 
stehenden Krieg  zwischen  Deutschland  und  Frankreich  von  ersterem  eine 
wichtige  Rolle  zugewiesen. 

391 


Dieses  bequem  gelegene  »neutrale  Ausland«  wird  seit  Wochen  durch 
eine  Anzahl  deutscher  Offiziere  bereist,  die  den  schon  längst  vorbereiteten 
Kundschafts-,  beziehungsweise  Nachrichtendienst  für  den  Kriegsfall  über- 
prüfen, vervollkommnen  und  die  letzten  Anordnungen  treffen,  damit  der 
Generalstab  im  geeigneten  Augenblick  rasch  und  sicher  bedient  werde. 
Die  große  deutsche  Kolonie  in  Brüssel  und  die  vielen  in  Belgien  seß- 
haften reichsdeutschen  Familien  —  meist  kleine  Leute  der  Arbeiterklasse  — 
erleichtern  diese  Vorbereitungen  wesentlich. 

Die  ähnliche  Rolle  wurde  natürlich  Belgien  von  Frankreich  zugedacht, 
das  sich  auch  dort  eine  sichere  Basis  für  den  Nachrichtendienst  schuf. 

Daß  der  deutsche  Generalstab  auch  in  dieser  Richtung  schon  früher 
sehr  geschickt  arbeitete,  scheint  mir  aus  dem  Zugeständnis  eines  deutschen 
höheren  Generalstabsoffiziers  hervorzugehen,  der  mir  hier  sagte,  daß  das 
Märchen  von  den  rettenden  Zeitungsnotizen  über  den  Abmarsch  der 
französischen  Armee  von  Chalons  nur  für  die  Außenwelt  und  die 
Geschichte  erfunden  sei,  vor  allem  aber  für  die  Franzosen  selbst.  Wenige 
Stunden  nachdem  die  Bewegung  angeordnet  war,  wußte  man  bei  der 
deutschen  Heeresleitung  davon  und  konnte  nur  so  die  gewaltige  Arbeit 
leisten  und  fordern,  die  der  eigene  Rechtsabmarsch  in  seinen  Vor- 
bereitungen, die  sich  auf  die  kürzeste  Zeit  zusammendrängten,  bedingte. 

Jedenfalls  faßt  man  in  Deutschland  die  heutige  Lage  sehr  ernst  auf, 
und  rechnet  absolut  nicht  mit  Sicherheit  damit,  daß,  wenn  die  Gegen- 
sätze zwischen  Serbien  und  uns  mit  den  Waffen  ausgetragen  werden 
müssen,  Rußland  neutral  bleibe.  Daß  aber  dann  Deutschland,  Frankreich 
und  Italien  auf  den  Plan  treten,  sei  sicher.  Und  England  würde  abwarten, 
bis  es  sicher  weiß,  auf  welcher  Seite  sein  größter  Profit  zu  holen  sei. 

Das  ist  in  großen  Zügen  das  Bild  der  augenblickUch  in  Brüssel 
vorherrschenden  Auffassung. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  respektvollsten  Verehrung. 

Vidale,  Oberst." 

Begreiflicherweise  habe  ich  dieses  Schreiben  mit  sehr  ernsten 
Gedanken  gelesen,  da  es  meine  Befürchtung,  daß  Österreich-Ungarn  die 
Momente  zum  Handeln  versäumt  habe  und  einer  gefahrvollen  Kompli- 
kation entgegentreibe,  zu  bestätigen  schien.  Allerdings  handelte  es  sich 
um  die  Äußerungen  einer  Frau,  bei  der  das  Temperament,  vielleicht  auch 
die  Absicht,  im  Interesse  Rußlands  einzuschüchtern,  mitsprechen  mochte, 
und  es  blieb  immerhin  fraglich,  ob  man  am  Zarenhofe  wirklich  gewillt 
sein  würde,  den  Untergang  des  Reiches  und  der  Dynastie  mit  solcher 
Leichtigkeit  in  Kauf  zu  nehmen. 

Man  hat  es  1914  —  gegen  jedwede  Vernunft  —  tatsächlich  getan. 
Die  Folgen  sind  nicht  ausgeblieben! 

392 


Im  Sinne  der  Erneuerung  des  Dreibundes,  womit  die  Monarchie  ihr 
Bemühen  deklarierte,  mit  Itahen  auf  gutem  Fuß  zu  stehen,  legte  der 
Militärattache  in  Rom,  Oberstleutnant  Graf  Szeptycki,  in  einem  vom 
15.  Dezember  datierten,  an  mich  gerichteten  Schreiben  nahe,  auch  die 
Beziehungen  zwischen  den  beiderseitigen  Höfen  intimer  zu  gestalten. 

Ich  gebe  daraus  folgende  Stelle  wieder: 

„Unser  Verhältnis  zu  Italien  hat  sich  eigentlich  gar  nicht  geändert; 
wir  sind  und  bleiben  die  offiziellen  Freunde,  im  Grunde 
genommen  mag  uns  dennoch  niemand. 

EHe  momentane  militärische  und  finanzielle  Schwäche,  verursacht  durch 
den  libyschen  Feldzug,  hat  wohl  die  Regierung  veranlaßt,  den  Dreibund 
zu  erneuern,  übermäßig  populär  ist  jedoch  dieser  Bund  nicht. 

Ich  glaube,  daß  es  vielleicht  von  großem  Vorteile  wäre,  voraus- 
gesetzt, daß  wir  uns  der  Freundschaft  der  Italiener 
vergewissern  möchten,  daß  man  in  Wien  durch  Höflichkeiten 
und  Entgegenkommen  den  hiesigen  Hof  sozusagen  zu  einem  Hof 
ersten  Ranges  zu  heben  geneigt  wäre." 

Diese  Anträge  entsprachen  den  Intentionen,  wie  sie  vielfach  auch  in 
unsem  offiziellen  Kreisen  herrschten,  sie  stießen  aber  auf  die  unüberwind- 
liehen  Hindernisse,  die  durch  die  Rücksichten  für  den  Vatikan  geschaffen 
waren;  ün  übrigen  habe  ich  in  Hinblick  auf  die  großen,  weitgesteckten, 
gegen  Österreich-Ungarn  gerichteten  Aspirationen  Italiens  den  Äußerlich- 
keiten freundschaftlichen  Verkehrs  der  Höfe  keine  ausschlaggebende 
Bedeutung  zugemessen.  Sie  fielen  nur  dort  ins  Gewicht,  wo  auch 
ansonst  noch  Interessengemeinschaft  herrschte. 

Auch  ist  nicht  anzunehmen,  daß  ein  Staat,  der  skrupellos  laut 
verkündete  Verträge  brach,  sich  durch  Höflichkeitsakte  irgendwie  gebunden 
erachtet  haben  würde. 

In  diese  Zeit  fiel  ein  Ereignis,  das  wohl  als  das  erste  Wetterleuchten 
von  Italiens  Bundesbruch  gedeutet  werden  konnte,  wenngleich  Italien 
versuchte,  es  als  bloße  Folge  der  durch  den  Tripoliskrieg  gestörten 
militärischen  Bereitschaft  hinzustellen. 

Es   war  nachstehender  an  mich  gerichteter  Brief  des  italienischen 

Militärattaches  Graf  Albricci. 

„Vienne,  le  18  Decembre  1912. 

A  son  Excellence 
le  General  d'Infanterie  Bai'on  Conrad  v.  Hötzendorf  etc.  etc. 

Vienne. 

Par  ordre  du  chef  de  l'Etat  Major  General  de  l'armee  R.  italienne 
le  soussigne  a  l'honneur  de  faire  la  suivante  participation : 

393 


Par  loyaute  d'allie  on  fait  connaitre  que,  jusqu'ä  nouvelle  decision, 
on  est  oblige  de  supprimer  l'envoi  de  la  S'^""^  armee  italienne  sur  le 
Rhin,  parce  que  l'Italie  dans  les  conditions  actuelles  ne  pourrait  se  priver 
d'une  teile  partie  de  ses  forces. 

L'Etat  Major  Imp.  et  Royal  pourrait  cependant,  le  cas  echeant 
disposer  de  ses  lignes  de  chemin  de  fer  et  du  materiel  qui  seraient 
actuellement  destines  aux  transports  Italiens. 

Agreez,  Excellence,  ä  l'occasion,  le  temoignage  de  ma  plus  haute 

consideration.  ^e  Lieut.  Colonel  de  l'Etat  Major 

Attache  militaire  A.  Albricci  m.  p." 

Italien  kündigte  damit  ohne  alle  Bedenken  an,  daß  es  im  Kriegsfalle 
seinen  militärischen  Bundespflichten  nicht  nachkommen,  also  seine 
3.  Armee  nicht  an  die  Seite  Deutschlands  senden  würde,  obgleich  es  am 
7.  Dezember  1912  den  Dreibundvertrag  erneuert  hatte. 

Ich  säumte  nicht,  eine  Abschrift  dieser  Mitteilung  an  General  von 
Moltke  zu  senden,  mit  nachstehendem  Schreiben: 

„Res.  Gstb.  Nr.  5602/1.  Wien,  am  20.  Dezember  1912. 

Euer  Exzellenz! 

Die  erste  Gelegenheit  ergreifend,  die  sich  mir  für  einen  Gedanken- 
austausch darbietet,  spreche  ich  meine  Freude  darüber  aus,  die 
Beziehungen  mit  E.  E.  wieder  erneuem  zu  können  und  bitte  Sie,  mir 
auch  künftig  das  Vertrauen  entgegenzubringen,  das  für  unseren  Verkehr 
und  für  unsere  Vereinbarungen  stets  richtunggebend  war  und  von  mir 
voll  erwidert  wird. 

Ich  beehre  mich  E.  E.  die  Abschrift  eines  Schriftstückes  zu  über- 
senden, welches  mir  am  18.  d.  M.  der  kgl.  italienische  Militärattache  im 
Auftrage  seines  Chefs  überreicht  hat. 

Abgesehen  davon,  daß  die  darin  mitgeteilte  Maßnahme  meine 
Bewertung  des  italienischen  Verbündeten  erneuert  bestätigt,  glaube  ich 
auch,  daß  dieses  Verhalten  Italiens  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Maßnahmen 
der  deutschen  Heeresleitung  für  den  Fall  eines  Dreibundkrieges  bleiben 
dürfte,  und  ich  wäre  E.  E.  sehr  verbunden,  wenn  Sie  mir  Ihre  dies- 
bezüglichen Anschauungen  mitzuteilen  die  Güte  hätten. 

Ich  füge  noch  bei,  daß  ich  an  den  italienischen  Militärattache  die 
Frage  gestellt  habe,  was  Italien  mit  den  immerhin  beträchtlichen  Kräften 
im  Lande  für  den  Fall  eines  Dreibundkrieges  zu  tun  gedenke,  wobei  der 
Militärattache  keine  Antwort  zu  geben  vermochte,  aber  —  nicht  ohne 

394 


eine  gewisse  Verlegenheit  —  meinte,  daß  hinsichtlich  der  anderen  Kräfte 
(ausgenommen  die  3.  Armee)  wohl  die  bisherigen  Dispositionen  aufrecht- 
bleiben dürften. 

Genehmigen  etc.  etc.  Conraid  m.  p." 

Am  16.  Dezember  1912  hatte  ich  eine  Besprechung  mit  Graf  Berchtold 
gehabt.  Getreu  meiner  Gepflogenheit,  wichtige  Unterredungen  womöglich 
nachträglich    niederzuschreiben,    richtete    ich   folgenden    Brief    an    Graf 

Berchtold:  „Wien,  am  23.  Dezember  1912. 

Mit  Bezug  auf  das  Gespräch,  das  ich  die  Ehre  hatte,  mit  E.  E.  am 
16.  Dezember  abends  zu  führen,  erlaube  ich  mir  eine  Niederschrift  des 
nachfolgenden  Gedankenganges  zu  übersenden. 

Die  Resultate  einer  zurückhaltenden,  rein  friedlichen  Politik  der 
Monarchie  in  der  Balkankrise  können  nur  seui: 

Verlust  an  Prestige  und  damit  Verlust  an  pohtischer  und  wirtschaft- 
licher Macht  und  Geltung; 

Mißtrauen  der  Bundesmächte  in  die  Kraft  der  Monarchie  und  damit 
in  den  Wert  der  Bundesgemeinschaft; 

jetzt  schon,  mindestens  aber  in  Hinkunft:  Maßlosigkeit  in  den 
Forderungen  seitens  der  Gegner  der  Monarchie,  eine  Maßlosigkeit,  die 
mit  jedem  neuen  Nachgeben  der  Monarchie  zu  neuen  Forderungen  führt, 
im  Einklang  hiemit  immer  aggressiveres  Vorgehen  des  momentanen 
Hauptgegners  der  Monarchie,  nämlich  Serbiens; 

Aufflackern  und  Anwachsen  des  revolutionären  Sympathisierens  der 
slawischen  Bevölkerung  für  die  großserbischen  Aspirationen; 

Sinken  der  patriotischen  Stimmung  bei  den  übrigen  Nationalitäten 
der  Monarchie  infolge  Erkenntnis  der  Impotenz  des  Staates; 

Sinken  des  militärischen  Geistes  und  des  Vertrauens  der  Armee  in 
sich  selbst,  weil  sie  diese  Tatenlosigkeit  als  ein  Symptom  des  Mißtrauens 
auffaßt; 

tiefe  Verstimmung  im  Offizierskorps; 

Gefahr  des  schließlichen  Verlustes  der  südslawischen  Gebiete  der 
Monarchie  und  damit  auch  der  Seemachtstellung; 

wirtschaftlicher  Ruin  der  Privatunternehmungen  infolge  des  ununter- 
brochenen krisenhaften  Zustandes; 

wirtschaftlicher  Ruin  des  Staates  infolge  der  enormen  Kosten  der 
Bereitstellung,  ohne  Hereinbringung  eines  positiven  Gewinnes; 

Fortdauernde  Verschlechterung  dieser  Situation  bei  längerem 
Zuwarten. 

Einziges  Mittel  zur  Lösung:  Kriegerische  Niederwerfung  Serbiens 
ohne  Scheu  vor  den  möglichen  Konsequenzen  eines  solchen  Schrittes, 

395 


ausgehend  von  der  Erwägung,  daß  weitere  Passivität  den  Ruin  der 
Monarchie  sicher  herbeiführt,  während  ein  energisches  aktives  Auftreten 
derselben  die  Situation  mit  einem  Schlage  zu  ihren  Gunsten  ändern  kann. 
Haben  die  Ententemächte  nebst  Serbien  auch  das  Machtmittel  der  gemein- 
samen Bedrohung  der  Monarchie,  so  hat  letztere  doch  auch  Machtmittel, 
diese  Staaten  vor  die  Wahl  eines  allgemeinen  Krieges  zu  stellen,  welchen 
die  hauptsächlichsten  dieser  Staaten  eigentlich  doch  fürchten. 

Löst  die  Monarchie  die  Existenzfrage  nicht  jetzt,  so  wird  sie  die- 
selbe in  kurzer  Zeit  unter  noch  viel  ungünstigeren  Verhältnissen  lösen 
müssen. 

Der  Konflikt  mit  Serbien  dreht  sich  nicht  um  dessen  Nachgeben  in 
der  Hafen-  oder  der  albanesischen  Frage,  sondern  darum,  ob  die  süd- 
slawische Frage  durch  Serbien  zu  seinen  Gunsten  gelöst  wird;  es  ist  also 
eine  Existenzfrage  von  entscheidender  Bedeutung,  die  gelöst  werden  muß. 

Trägt  aber  die  Monarchie  die  jetzige  Krise  friedlich  aus,  läßt  sie 
also  Serbien  zu  einem  mächtigen,  auch  Montenegro  einbeziehenden  Staat 
heranwachsen,  dann  muß  sie  sich  darüber  klar  sein,  daiß  sie  durch  die 
neugeschaffenen  Verhältnisse  in  Hinkunft  mit  einem  Kriege  nach  drei 
Fronten  rechnen,  also  jene  militärische  Bereitstellung  in  Kauf  nehmen 
muß,  welche  erforderlich  ist,  um  einer  solchen  Eventualität  gewachsen 
zu  sein. 

Dies  bedingt  eine  personelle  und  eine  materielle  Ausgestaltung  von 
Landmacht,  Seemacht  und  Reichsbefestigung,  die  weit  über  das  jetzige 
Maß  hinausreicht,  eine  wesentliche  Erhöhung  des  Friedensstandes  und 
eine  wesentliche  Erhöhung  der  finanziellen  Mittel,  weil  die  meisten  dieser 
Vorkehrungen  auch  selbst  für  den  Fall  getroffen  werden  müssen,  daß 
es  der  Diplomatie  gelänge,  von  den  drei  Gegnern :  Rußland,  Serbien  (und 
dessen  Balkanverbündete)  tmd  Italien  einen  auszuschalten  und  das 
Bündnis  mit  Rumänien  aufrecht  zu  erhalten.  ' 

Sollte  es  daher  wider  Erwarten  dazu  kommen,  daß  die  Machtstellung 
Serbiens  nicht  jetzt  dauernd  gebrochen,  sondern  ein  friedlicher  Ausgleich 
getroffen  wird,  so  muß  ich  es  mir  dermalen  schon  vorbehalten,  im  Sinne 
der  vorangeführten  Konsequenzen  die  erhöhten  Forderungen  hinsichtlich 
der  militärischen  Entwicklung  zu  stellen,  sehe  mich  aber  auch  verpflichtet, 
dies  jetzt  schon  anzukündigen. 

Diese  Ausführungen  bitte  ich  E.  E.  als  den  freimütigen  Ausdruck 

meiner  Überzeugung  geneigtest  zur  Kenntnis  zu  nehmen. 

Genehmigen  Euer  Exzellenz  etc.  ^  , ,, 

Conrad." 

Daß  meine  Anschauung  der  Lage  auch  von  anderen  eingeweihten 
und  nach  Stellung  sowie  persönlichen  Qualitäten  maßgebenden  Funk- 

3Q6 


tionären  geteilt  wurde,  ergibt  beispielsweise  folgendes,  an  mich  gerichtete 
Schreiben  des  kommandierenden  Generals  und  Landeschefs  von  B.  H., 
Feldzeugmeister  P  o  t  i  o  r  e  k : 

„Verehrter  Freund! 

Nachstehend  meine  rückhaltlos  ausgesprochene  persönliche  An- 
schauung über  Geist,  VerläßUchkeit  und  moralischen  Halt  der  Truppen 
des  XV.  und  XVI.  Korps. 

Ich  wiederhole  zunächst  aus  meinem  letzten  Briefe: 

Die  Generale  sind  größtenteils  sehr  gut  und  durchwegs  gut.  Ich 
habe  mich  seit  meinem  Hiersein  nicht  umsonst  bemüht,  auf  die  Posten 
der  höheren  Kommandanten  Generale  zu  bringen,  die  nicht  bloß  in  Bezug 
auf  ihre  sonstigen  Eigenschaften,  sondern  vor  allem  in  Bezug  auf 
Entschiedenheit  und  Charakterfestigkeit  am  Platze  sind.  Was  in  dieser 
Hinsicht  nicht  ganz  meinen  Wünschen  entspricht,  habe  ich  schon  letzthin 
angedeutet. 

Das  gleiche  wie  von  den  Generalen  gilt  von  den  Stabsoffizieren. 
Damit  ist  die  Hauptsache  gesagt,  weil  unsere  Truppen  wie  in  früheren 
Zeiten  auch  noch  heute  unter  guten  Kommandanten,  die  es  auch  ver- 
stehen, mit  einzelnen  immer  und  überall  vorkommenden  Schädlingen  rasch 
fertig  zu  werden,  zweifellos  voll  brauchbar  und  verläßlich  sind. 

Die  Offizierskorps  sind  gut  und  frohgemut.  Daß  sie  vor  fünfzig 
Jahren  anders  waren  als  heute,  ist  eine  nicht  zu  ändernde  Tatsache,  aber 
ich  hege  keinen  Zweifel,  daß  sie  sich  auch  jetzt  bewähren  werden.  Dabei 
ist  ihre  politische  und  nationale  Verläßhchkeit  ebensowenig  anzuzweifeln, 
wie  jene  der  gesamten  Mannschaft  der  exterritorialen  und  des  Großteiles 
der  Mannschaft  der  territorialen  Truppen,  über  welche  ich  an  späterer 
Stelle  noch  einige  Einzelheiten  berühren  werde. 

Geist  und  Disziplin  lassen  nichts  zu  wünschen  und  die  Truppen 
sehnen  sich  darnach,  zeigen  zu  dürfen,  was  sie  wert  sind. 

Es  ist  meine  festgegründete  Überzeugung,  daß  das  XV.  und  XVI. 
Korps  dermalen  gebrauchsfertige,  scharfe  Werkzeuge  sind.  Ich  vertraue 
ihnen  vollkommen  und  werde  sie  jetzt  mit  Zuversicht  verwenden, 
wenn  mir  dies  gegönnt  werden  sollte. 

Ebenso  ehrlich  sage  ich  jedoch,  daß  ich  das  gleiche  Vertrauen 
künftig  nicht  mehr  hätte,  wenn  die  heutige  Krise  auf  friedlichem  Wege 
mit  einem  nicht  voll  befriedigenden,  auch  den  Massen  sofort  in  die  Augen 
springenden,  durchgreifenden  und  unsere  Balkanposition  endgültig  sicher- 
stellenden Erfolg  ausgetragen  würde.  Wenn  man  sich  jetzt  mit  Schein- 
erfolgen begnügt,  wenn  man  dem  Übel  wieder  nur  mit  Palliativen 
begegnet  und  damit  die  für  die  Monarchie  schUeßlich  doch  nicht  zu 

397 


vermeidende  entscheidende  Austragung  der  Balkanfrage  bloß  dazu  hinaus- 
schiebt, um  nach  zwei  bis  drei  Jahren  unter  noch  ungünstigeren  Verhält- 
nissen einer  neuen  Krise  entgegenzugehen,  dann  wird  dies  nicht  bloß 
verhängnisvolle  Folgen  für  die  innerpolitischen  Zustände  in  B.  H.  haben, 
sondern  auch  eine  schwere,  in  absehbarer  Zeit  nicht  gutzumachende  Schädi- 
gung des  Wertes  unserer  Truppen  mit  sich  bringen.  Offiziere  und  Mann- 
schaften würden  unter  dem  beklemmenden  Eindruck  stehen,  daß  die 
Volksstimmung  in  Bosnien,  die  heute  nicht  an  die  Kraft  der  Monarchie 
zur  Durchsetzung  ihres  Willens  glauben  will,  recht  habe,  und  Offiziere 
und  Mannschaft  würden  sich  des  Gefühls  nicht  erwehren  können,  daß 
man  an  oberster  Stelle  an  der  Kraft  der  Armee  zweifle,  die  Lebens- 
Interessen  des  Reiches  auch  unter  den  schwierigsten  Verhältnissen  erfolg- 
reich zu  schützen. 

Ein  drittes  Mal  würden  dann  die  Reservisten  gewiß  nicht  mehr  so 
willig  hieher  einrücken  wie  190Q  und  1912. 

Geht  es  ohne  Waffengebrauch,  dann  um  so  besser.  Aber  um  Gottes- 
willen, nur  keinen  faulen  Frieden.  Einem  solchen  wäre  selbst  eine 
Niederlage  auf  dem  Schiachfelde  im  Kampfe  mit  einer  Großmacht 
vorzuziehen. 

Nun  noch  einige  Einzelheiten  über  die  territorialen  Truppen.  Ich 
rechne  mit  der  Möglichkeit,  daß  sowohl  bei  den  b.-h.  als  auch  bei  den 
dalmatinischen  Landwehr-  und  Landsturmtruppen,  wenn  di^e  gegen 
Serbien-Montenegro  kämpfen  müssen,  Desertionen  und  bei  »einzelnen 
Leuten«  vielleicht  auch  sonstige  schwere  Vergehen  vorkommen  werden. 
Ich  bin  aber  überzeugt,  daß  auch  bei  den  genannten  Truppen  die  Masse 
der  Mannschaft  ihre  Schuldigkeit  tun  wird,  und  bin  nicht  dafür,  daß  die 
bezügiidien  Truppen  mit  anderen  im  Innern  der  Monarchie  gewechselt 
oder  daß  als  unverläßlich  geltende  Mannschaftselemente  in  das  Innere 
der  Monarchie  abtransportiert  werden  u.  dgl.  Ein  derartiger,  offen  kund- 
gegebener Zweifel  an  der  Verläßlichkeit  dieser  Truppen  ist  nicht  begründet, 
und  Maßnahmen  der  vorerwähnten  Art  würden  nicht  bloß  unser  Ansehen 
vor  aller  Welt  schädigen,  sondern  auch  dem  angestrebten  Zwecke  nichts 
nützen,  vielmehr  —  weil  als  schwächliche  Besorgnis  gedeutet  —  die 
Verläßlichkeit  weiterer  Elemente  untergraben.  Das  einzig  Richtige  ist, 
in  die  Truppe  als  Ganzes  das  ilir  mit  Recht  gebührende  Vertrauen  zu 
setzen  und  strenge  Disziplin  zu  halten,  dann  wird  sie  als  Ganzes  gewiß 
auch  im  Feuer  ihre  Pflicht  tun,  wenn  auch  Bruchteile  abfallen.  Und  das 
Einzige,  was  ich  wünschen  würde,  ist,  daß  man  den  hiesigen  b.-h. 
Bataillonen  aus  dem  Innern  der  Monarchie  noch  einige,  besonders 
tüchtige  und  schneidige,  die  Landessprache  voll  beherrschende  Haupt- 
leute imd  Subaltemoffiziere  zuweise. 

398 


Darüber  zu  reden,  was  später  beim  Wiedereintritte  normaler  Ver- 
hältnisse zur  gänzlichen  Behebung  der  bei  den  territorialen  Truppen 
konstatierten  Übelstände  geschehen  sollte,  hat  Zeit.  Aber  auch  dabei 
heißt  es  nicht  vom  Kleinen  in  das  Große  denken,  sondern  das  Große 
voranstellen. 

Endet  die  dermalige  Spannung  so,  wie  es  das  Lebensinteresse  der 
Monarchie  fordert,  dann  werden  damit  auch  alle  Ursachen  beseitigt  sein, 
welche  die  Verläßlichkeit  eines  Teiles  der  Bevölkerung  von  B.  H.  D.  jetzt 
fraglich  machen.  Im  Gegenfalle  aber  würde  man  vermutlich  bald  von 
direkter  »Unverläßlichkeit«  der  sich  hier  ergänzenden  Truppen  hören. 
Also  auch  in  dieser  Richtung  wird  die  Entscheidung  der  jetzigen  Krise 
für  alles  weitere  maßgebend  sein. 

Gott  gebe  uns  alles,  nur  kein  schwächliches  Zurückweichen  in  diesen 
schweren  Stunden. 

Mit  herzlichen  Grüßen  Dein  treu  ergebener 

c         •  Ol    r^        u      iniou  P  o  t  i  0  r  e k,  FZM. 

Sarajevo,  am  21.  Dezember  1912." 

Auch  bei  Wiedereinsetzung  in  meine  Stellung  als  Chef  des  General- 
stabes hatte  ich  —  wie  früher  —  die  Militärattaches  beauftragt, 
mir  über  alle  mihtärisch  bedeutungsvollen  Vorkommnisse  nicht  nur  rein 
amtlich,  sondern,  wo  es  die  Umstände  erheischten,  auch  briefhch  zu 
berichten. 

So  erhielt  ich  von  unserem  jungen,  aber  sehr  zutreffend  beobachten- 
den Militärattache  in  London,  Major  Horväth,  am  24.  Dezember  1912 
das  nachstehende  Schreiben: 

„London,  am  20.  Dezember  1912,  5  Uhr  nachm. 
Euer  Exzellenz! 

In  meinen  telegraphischen  Berichten  Nr.  156  und  157  vom  18.  d.  M. 
habe  ich  über  das  Ergebnis  der  bisherigen  Beratungen  der  Botschafter- 
konferenz kurz  gemeldet.  Indem  ich  mir  die  Freiheit  nehme,  diese  Zeilen 
an  E.  E.  zu  richten,  will  ich  nunmehr  auch  über  den  Verlauf  und  die 
beeinflußenden  Faktoren  dieser  wichtigen  Besprechungen  berichten. 

Vom  Vorsitzenden  Sir  Edward  Grey  wurde  als  erste  Frage  die 
Zukunft  Albaniens  aufgeworfen.  Unser  Botschafter  erklärte,  Österreich 
wünsche,  daß  Albanien  ein  selbständiger  und  lebensfähiger  Staat  werde. 
Der  russische  Botschafter  kam  mit  einem  ergänzenden  Vorschlag,  der 
deutlich  zeigte,  daß  Rußland  nicht  gerade  den  heißesten  Wunsch  hegt, 
die  Grundlagen  für  konsolidierte  Zustände  zu  schaffen,  sondern  vielmehr 
bestrebt  ist,  den  Keim  für  künftige  Mißstände  zu  säen.  Graf  Benckendorff 
schlug   nämlich   vor,    daß   Albanien   einen   autonomen   Staat   unter  der 

390 


Souveränität  oder  Suzeränität  des  Sultans  bilden  soll,  dessen  Gouverneur 
nach  Fürwahl  der  Großmächte  vom  Sultan  ernannt  oder  doch  bestätigt 
wird  und  dem  eventuell  als  eine  Art  Eskorte  auch  etwas  türkisches 
Militär  beigegeben  werden  könnte.  Diese  Idee  fand  indes  keinen  Anklang, 
und  Sir  Edward  Grey  widersetzte  sich  ihr  auch  lebhaft,  so  kam  man  denn 
in  der  Formel  überein,  die  ich  im  Telegramm  Nr.  156  gemeldet  habe.  Die 
Wahrung  der  Souveränität  oder  Suzeränität  wurde  hiebei  am  meisten 
vom  deutschen  Botschafter  unterstützt,  der  unserem  Botschafter  gegen- 
über meinte,  man  müsse  gewisse  Konzessionen  auch  dem  russischen 
Standpunkt  machen. 

Die  vom  Grafen  Mensdorff  vorgeschlagene  Neutralisierung  Albaniens 
konnte  nicht  diskutiert  werden,  da  Graf  Benckendorff  erklärte,  daß  seine 
Instruktionen  nicht  so  weit  reichen,  um  dies  zu  akzeptieren  (!). 

Nun  kam  die  Frage  der  Grenzen  des  künftigen  Staates  an  die  Reihe. 
Graf  Mensdorff  präzisierte  den  Standpunkt  Österreichs  dahin,  daß  jedes 
in  der  überwiegenden  Mehrzahl  von  Albanesen  bewohnte  Territorium  zu 
Albanien  fallen  soll,  während  Graf  Benckendoiif  im  Namen  Rußlands 
die  Erklärung  abgab,  daß  man  sich  die  nördliche  Grenze  an  Montenegro 
und  die  südliche  an  Griechenland  anstoßend  denkt.  Hiemit  war  die  serbische 
Frage  aus  der  Welt  geschafft,  ohne  daß  sie  zur  Sprache  kommen 
mußte,  und  wurde  nur  vereinbart,  daß  Serbien  der  kommerzielle  Zugang 
zu  einem  neutralen  und  freien  albanesischen  Hafen  auf  einer  internationalen 
Bahn  einschließlich  freier  Durchfuhr  von  Kriegsmaterial  gewährt  werde. 
Bahn  und  Hafen  sollen  durch  eine  internationale  Gendarmerie  gesichert 
werden,  ein  Gedanke,  der  wieder  auf  die  russische  Bestrebung  zurück- 
zuführen ist,  in  der  künftigen  Administration  des  Landes  sich  auch  einen 
Einfluß  zu  sichern.  Es  ist  auch  ganz  gut  denkbar,  daß  diese  von  Serbien 
frei  zu  benützende  »internationale«  Bahn  allmählich  den  Weg  zur 
Penetration  pacifique  seitens  Serbiens  bilden  wird.  Übrigens  wurden 
Österreich  und  Italien  aufgefordert,  die  Gesichtspunkte  im  großen  dar- 
zulegen, wie  die  künftige  Organisierung  und  Verwaltung  des  zu 
schaffenden  Staates  gedacht  wird.  Ich  glaube  —  wiewohl  unser  Bot- 
schafter meint,  dieser  Aufforderung  könne  man  schwer  aus  dem  Weg 
gehen  —  daß  dies  nur  ein  Schachzug  war,  um  uns  zur  Aufdeckung  all 
unserer  Pläne  und  Zukunftsgedanken  zu  veranlassen. 

Bei  der  zweiten  Sitzung  zeigte  Graf  Mensdorff  über  Aufforderung 
auf  einer  ihm  von  Baron  Giesl  gegebenen  ethnographischen  Karte  die 
Verteilung  der  Albanesen,  die  die  Basis  für  die  Abgrenzung  des  Staates 
bilden  soll.  Dies  fand  keinen  Anklang  und  hier  dürfte  die  größte 
Schwierigkeit  entstehen,  weil  Rußland  wegen  Skutaris  kaum  auf  dieses 
Prinzip  eingehen  wird.  Graf  Benckendorff  erklärte  auch,  er  müsse  um 

400 


weitere  Instruktionen  bitten,  und  so  blieb  dies  in  Schwebe,  umsomelir, 
als  unser  Botschafter  sich  nicht  berechtigt  fühlte,  bezüglich  der  gedachten 
Ostgrenze  nähere  Erklärungen  abzugeben.  Unser  Minister  des  Äußern 
will  nämlich  Ipek,  Prizren  und  Ochrida  als  Kompensationsobjekte 
verwerten,  möchte  daher  vorläufig  nicht  Farbe  bekennen.  Ob  dies  gelingen 
wird,  ist  eine  große  Frage,  und  ich  fürchte,  unser  Botschafter  wird  in 
seiner  geradezu  ängstlichen  Friedensliebe  nicht  jene  Hartnäckigkeit 
entwickeln,  die  allein  uns  Erfolge  bei  dieser  Konferenz  sichern  könnte. 
Und  es  wäre  dies  insbesondere  bezüglich  Skutaris  sehr  am  Platze,  denn 
Sir  Edward  Grey  hat  unserem  Botschafter  privatim  angedeutet,  er  könne 
hierin  nichts  mehr  tun;  er  hätte  wohl  Rußland  veranlaßt,  die  serbische 
Forderung  fallen  zu  lassen  (?),  aber  einen  weiteren  Druck  könne  er  nicht 
mehr  ausüben;  es  möge  dies  Deutschland  tim,  wenn  es  glaubt,  in  der 
Frage  von  Skutari  vermitteln  zu  können. 

Die  heute  aus  Wien  eingelangten  Instruktionen  zeigen,  daß  man 
bezüghch  Skutaris  auf  dem  Standpunkt  verharrt,  daß  es  zu  Albanien 
gehören  soll,  daß  man  ferner  die  Neutralität  dieses  Staates  nach  wie  vor 
anstrebe  und  daß  man  den  Vorschlag  machen  will,  daß  man  bei  der 
Festiegung  der  Grundprinzipien  für  die  Verwaltung  des  künftigen  Albanien 
auch  die  Wünsche  der  Albanesen  selbst  anhören  möchte.  Hingegen  will 
man  der  Welt  zeigen,  daß  man  die  wirtschaftliche  Bedrückung  Serbiens  nicht 
beabsichtigt  hat,  daher  auf  kommerzielle  Konzessionen  eingehen  würde. 

Bei  der  zweiten  Sitzung  kam  auch  die  Frage  der  Meerengen  und 
der  Ägäischen  Inseln  Samothraki,  Imbros,  Lemnos  und  Tenedos  zur 
Sprache.  Rußland  plädierte  dafür,  daß  sie  jedenfalls  im  türkischen  Besitz 
verbleiben,  daß  aber  den  Inseln  eine  gewisse  Autonomie  gesichert  werde. 
Die  warme  Fürsprache  für  die  Wahrung  der  türkischen  Herrschaft  über 
dieselben  zeigt,  daß  Rußland  doch  die  Hoffnung  nicht  aufgegeben  hat, 
daß  die  Meerengen  und  die  den  Ausgang  beherrschenden  Inseln  einst 
seine  Beute  werden.  Sh:  Edward  Grey  ist  eher  geneigt,  sie  den  Griechen 
zuzuerkennen.  Man  kam  übrigens  bei  der  Beratung  dieser  Frage  in  der 
Formel  überein,  die  ich  im  Telegramm  Nr.  137  gemeldet  habe. 

Heute  findet  die  letzte  Sitzung  vor  den  Feiertagen  statt.  Ob  ich 
noch  imstande  sein  werde,  über  deren  Verlauf  vor  dem  Abgehen  des 
Kuriers  zu  berichten,  ist  fraghch.  Über  das  wesentiiche  Ergebnis  werde 
ich  nicht  verfehlen  zu  telegraphieren. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  tiefsten  Ehrfurcht,  in  der 

ich  verharre  „        _      „ 

Euer  Exzellenz  gehorsamster 

Horväth,  Major." 

26,  Conrad  II  ^Qi 


Eine  seit  Dezennien  schwebende  Frage  bildete  die  höchst  ungünstige 
Grenzgestaltung  in  der  Bucht  von  Cattaro.  Sie  gab  diesen  südlichsten 
Kriegshafen  der  Monarchie  der  dominierenden  Sicht  und  dem  Feuer 
der  Montenegriner  preis  und  verwehrte  einen  auch  nur  halbwegs 
günstigen  fortifikatorischen  Abschluß  nach  der  Landseite.  Erst  der  Besitz 
des  Lovcen-Massivs  (1759  m  Seehöhe)  und  des  von  diesem  nordwärts 
über  den  Tatinjak  und  Vrsanj  ziehenden  Grenzrückens  hätte  dieses  Übel 
zu  beseitigen  vermocht. 

In  einem  Schreiben  vom  23.  Dezember  bezeichnete  nun  der  k.  u.  k. 
Militärattache  in  Cetinje,  Major  Hubka,  den  Moment  für  eine  friedliche 
Lösung  dieser  Frage  anscheinend  günstig  und  schlug  vor,  hiezu  Skutari 
Montenegro  zuzusprechen,  wenn  es  dafür  das  Lovcen-Gebiet  der  Monarchie 
abtreten  würde.    Er  schrieb: 

„Montenegro  ist  gegenwärtig  militärisch  erschöpft  und  politisch  hilf- 
los. Der  König  bangt  vor  einer  dynastischen  Krise,  und  er  erkennt 
nunmehr,  daß  Rußland  geographisch  zu  weit  entfernt  ist,  und  daß  es 
in  ernsten  Zeiten  anderen  wichtigeren  Interessen  Rechnung  tragen  muß, 
um  Montenegro  den  bisher  stets  erhofften  Anschluß  und  Rückhalt  bieten 
zu  können. 

Während  der  jüngsten  Kriegsereignisse  in  engerem,  oft  tagelang 
ununterbrochenem  Kontakt  mit  dem  König  lebend,  habe  ich  den  Eindruck 
gewonnen,  daß  dieser  derzeit  —  unter  gewissen  Bedingungen  —  für 
einen  bleibenden  Wechsel  seiner  politischen  Richtung,  insbesondere 
aber  auch  für  die  fragliche  Grenzregulierung  zu  gewinnen  wäre. 

Nebst  handelspolitischen  und  ökonomischen  Begünstigungen  im 
Anschlüsse  an  das  wirtschaftliche  Getriebe  der  Monarchie  bestünde  die 
hauptsächlichste  Bedingung  für  die  Abtretung  eines  Grenzstreifens  im 
Kuk-Lovcen-Gebiete  in  der  Initiative  und  Unterstützung 
Österreich-Ungarns  bei  Zuerkennung  von  Skutari  samt  Küsten- 
gebiet bis  an  den  Drin  an  Montenegro. 

Eine  zweite,  jedoch  minder  ausschlaggebende  Bedingung  wäre  die 
Überlassung  eines  dem  abgetretenen  Gebiete  räumlich  gleichwertigen 
Territoriums  irgendwo  an  der  herzegowinischen  Grenze  oder  im  Sandzak. 
Dieser  Handel  würde  den  König  in  den  Augen  seiner  Untertanen  nicht 
des  Nimbus  als  „Mehrer  des  Reiches"  berauben,  würde  nebstbei  auch 
der  ö.-u.  Monarchie  den  Vorwurf  gehässiger  Politiker  ersparen,  daß  sie 
es  —  trotz  gegenteiliger  Versicherungen  —  auf  territorialen  Gewinn 
abgesehen  habe." 

So  sehr  ich  stets  ein  Anhänger  des  Versuches  war,  Montenegro  auf 
friedlichem  Wege  zum  dauernden  Anschluß  an  die  Monarchie  zu  bringen, 

402 


mußte  ich  doch  als  Hindernis  für  obigen  Vorschlag  die  Unmöglich- 
keit erkennen,  Skutari,  die  größte  und  wichtigste  Stadt  Albaniens,  und 
als  Bischofssitz  Zentrum  der  katholischen  Gebiete  dieses  Landes,  von 
letzterem  abzutrennen.  Nichtsdestoweniger  legte  ich  die  Idee  einer  fried- 
lichen Gewinnung  Montenegros  dem  Minister  des  Äußern  in  folgendem 
Schreiben  nahe: 

„Wien,  am  24.  Dezember  1912. 

Euer  Exzellenz! 

Ich  wollte  die  gestrige,  ohnehin  fast  zweistündige  Konferenz  nicht 
noch  verlängern,  habe  daher  darauf  verzichtet,  die  nachfolgend  charak- 
terisierte Idee  zur  Sprache  zu  bringen;  bitte  jedoch,  dies  jetzt  schriftlich 
tun  zu  können. 

Ich  habe  heuer  im  September  im  Verkehr  mit  Prinz  Mirko  Gelegen- 
heit gehabt,  die  bis  zum  Haß  gesteigerte  Aversion  des  montenegrinischen 
Königshauses  gegen  das  serbische  kennen  zu  lernen,  sowie  die  Rivalität, 
die  zwischen  beiden  besteht.  Es  scheint  nun,  daß  durch  die  kriegerischen 
Mißerfolge  das  montenegrinische  Königshaus  in  Montenegro  an 
Sympathie  verloren  hat,  und  daß  dies  vom  serbischen  ausgenützt  und 
gefördert  wird,  vielleicht  in  der  Absicht,  auch  Montenegro  unter  das 
serbische  Haus  zu  bringen.  Dieser  Zusammenschluß  wäre  für  die 
Monarchie  höchst  bedenklich  und  müßte  unbedingt  verhindert  werden. 

Ich  glaube,  daß  trotz  allem  das  Haus  Petrovic  Njegus,  insbesondere 
König  Nikita,  noch  genügend  Anhang  im  Lande  hat,  um  es  mit  der 
Gegenpartei  aufnehmen  zu  können,  wenn  es  von  außen  gestützt  wird. 

Vielleicht  ist  also  der  Moment  gekommen,  um  Nikita  diese  Stütze 
anzubieten  gegen  einen  engen  Bundesanschluß  an  die  Monarchie.  Gelänge 
es,  einen  offenen  Bruch  zwischen  Serbien  und  Montenegro  herbeizuführen, 
so  erschiene  mir  dies  sehr  vorteilhaft,  weil  dann  auch  eine  Spaltung  in 
die  slawische  Welt  käme  und  Rußland  seine  Rolle  als  großslawische 
Schutzmacht  verlieren  würde. 

Ich  betrachte  dies  auch  vom.  militärischen  Standpunkte,  der  immer 
darauf  ausgeht,  einen  Krieg  mit  mehreren  Fronten  zu  vermeiden,  um  mit 
möglichst  konzentrierten  Kräften  einem  Gegner  nach  dem  andern 
begegnen  zu  können  —  also  seine  Gegner  möglichst  zu  isolieren. 

Ich  vermag  natürlich  von  hier  aus  nicht  zu  beurteilen,  inwieweit 
meine  Anschauung  der  Dinge  in  Montenegro  mit  den  tatsächlichen  über- 
einstimmt —  aber  Exzellenz  Giesl  müßte  wohl  in  der  Lage  sein,  hierin 
zu  entscheiden. 


26* 


403 


Eine  Stellungnahme  unserseits  für  Montenegro  gegen  Serbien  könnte 
auch  in  Italien  nur  sympathisch  aufgenommen  werden,  wenigstens  nach 
außen  hin. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  der  besonderen  Verehrung,  mit 
der  ich  stets  bin  Euer  Exzellenz  ergebenster 

Conr ad  m.  p.,  G.  d.  I." 

Diesem  Schreiben  ließ  ich  am  25.  Dezember  das  nachstehende  folgen : 

„Wien,  am  25.  Dezember  1912. 
Euer  Exzellenz! 

Der  Ernst  der  Lage  mag  es  entschuldigen,  wenn  ich  mir  erlaube, 
dieses  Schreiben  an  E.  E.  zu  richten. 

Vor  einiger  Zeit  tauchte  in  den  Journalen  die  Nachricht  von  einer 
Neutralisierung  Albaniens  ä  la  Schweiz  auf.  Dies  erregte  mein  größtes 
Befremden;  da  jedoch  dieses  ominöse  Wort  bald  wieder  aus  der 
Publizistik  verschwand,  hielt  ich  es  eben  nur  für  eine  Zeitungskombination. 

Nun  ist  mir  aber  ein  on  dit  zugekommen,  wonach  angeblich  der 
Botschafter  in  London  die  Idee  einer  Neutralität  Albaniens  lancierte. 

Ich  hoffe,  daß  dem  nicht  so  ist,  bitte  aber  bezüglich  dessen  meiner 
Ansicht  Ausdruck  geben  zu  dürfen,  daß  eine  Neutralität  Albaniens  vom 
größten  Nachteil  für  uns  wäre. 

Ich  habe  da  den  mir  obliegenden  militärischen  Standpunkt  vor  Augen, 
bei  welchem  ich  prinzipiell  nur  mit  konkreten  Daten  rechne,  und  zwar: 

Ein  autonomes,  aber  nicht  neutrales  Albanien  vermöchte  bei  seinen 
1,900.000  Einwohnern  mit  der  Zeit  ein  Heer  von  120—150.000  Mann 
zu  stellen,  welches  den  Montenegrinern  und  Serben  in  Flanke  und 
Rücken  säße,  wenn  wir  mit  diesen  beiden  Staaten  in  Krieg  gerieten,  was 
nur  eine  Frage  der  Zeit  ist;  darauf  rechnen  zu  können,  ist  um  so 
notwendiger,  da  Serbien  nicht  nur  die  Wehrmacht  seines  bisherigen 
Staatsgebietes  bis  aufs  äußerste  entwickelt,  sondern  auch  aus  den  neuen 
Gebieten  mindestens  4  Divisionen  (I.  und  II.  Aufgebot)  und  2  III.  Auf- 
gebot formieren  könnte,  voraussichtlich  aber  mehr  und  zwar  6,  respektive 
3,  also  in  Summe  9  Divisionen,  was  einer  Zahl  von  114.000  Gewehren 
gleichkommt. 

Ich  bitte  nun  E.  E.,  die  große  Bedeutung  dieses  Kalküls  geneigtest 
in  Rechnung  ziehen  zu  wollen,  falls  die  Frage  einer  Neutrahtät  Albaniens 
überhaupt  zur  Diskussion  käme. 

Genehmigen  E.  E.  erneuert  den  Ausdruck  der  vorzüglichsten  Hoch- 
achtung, mit  der  ich  stets  bin 

Euer  Exzellenz  ergebenster 

Conrad,  G.  d.  I." 

404 


Am  gleichen  Tage  (25.  Dezember)  richtete  ich  ein  Schreiben  an 
Oberst  Dr.  von  Bardolff,  den  Vorstand  der  MiUtärkanzlei  des  Thron- 
folgers, in  dem  ich  auf  die  Gefahren  der  tschechischen  Agitation  in 
Böhmen  und  deren  Ausbreitung  in  anderen  slawischen  Gebieten,  sowie 
auf  die  bedauerliche  Erscheinung  hinwies,  daß  sich  ein  Teil  des  Klerus, 
und  zwar  auch  des  katholischen,  in  den  Dienst  nationaler  Verhetzung 
stelle.  Bei  dem  regen  Verkehr  des  Obersten  von  Bardolff  mit  dem 
Thronfolger,  der  ihm  großes  Vertrauen  schenkte,  wußte  ich  mich 
hinsichtlich  des  Bemühens,  diese  Gefahr  einzudämmen,  an  der  richtigen 
Adresse.  Auch  ich  hatte  ja  schon  öfter  Gelegenheit  gefunden,  mit  Seiner 
Kaiserlichen  Hoheit  dieses  Thema  zu  besprechen  und  ihm  meine  Ansichten 
hierüber  darzulegen.  Ich  betonte  dabei,  daß  es  keinen  Staat  im  Staate 
geben  dürfe,  daß  in  diesem  nur  eine,  in  der  Person  des  Monarchen 
zusammengefaßte  Staatsgewalt  zu  herrschen,  jede  internationale  Macht 
aber  ausgeschlossen  zu  sein  habe,  daher  auch  jede,  die  ihr  Zentrum 
außerhalb  des  Reiches  hat. 

Den  Klerus  anlangend,  sei  der  Priester  ausschließlich  der  Seelenhirt, 
der  Vermittler  zwischen  der  unerforschbaren  Allmacht  und  dem  Einzelnen, 
sofeme  dieser  einer  Vermittlung  bedürfe.  Er  sei  dem  Emzelnen  der  mit- 
fühlende Freund  bei  schweren  Schicksalsschlägen,  der  Tröster  im  Leid, 
er  wecke  und  pflege  die  Empfindungen  für  Moral  und  Anstand,  für 
geistige  und  seelische  Güter  im  Gegensatz  zu  Roheit  und  materieller 
Gewinnsucht,  er  sei  der  Förderer  und  Hüter  der  edleren  Empfindungen 
des  Menschen;  er  suche  darin  die  Erhabenheit  seines  Berufes,  bleibe  aber 
dem  politischen  Parteiengetriebe  fem. 

Auch  das  Treiben  der  internationalen  Sozialdemokratie  und  die 
damit  verbundenen  Gefahren  für  den  Staatsbestand  hatte  ich  mit  dem 
Thronfolger  wiederholt  besprochen.  Er  sah  diesem  Treiben,  sowie  jenem 
des  Freimaurertums  mit  großen  Besorgnissen  entgegen. 

Wenngleich  diese  Gefahr  in  Österreich-Ungarn  damals  noch  lange 
nicht  jene  Ausdehnung  gewonnen  hatte,  wie  in  anderen  Staaten,  so 
vornehmlich  in  Deutschland  und  in  Rußland,  hatten  sich  doch  auch  schon 
in  den  Neunziger  Jahren  Maßnahmen  als  notwendig  erwiesen,  die  dem 
Eindringen  zersetzender  Tendenzen  in  die  Wehrmacht  Schranken  ziehen 
sollten.  Bei  der  kurzen  Dienstzeit  vennochten  solche  Maßnahmen  aber 
doch  nur  wirksam  zu  bleiben,  wenn  eine  voraussichtige  innere  Politik 
ebensosehr  auf  das  unerbittliche  Unterdrücken  staatsgefährlicher  Bestrebun- 
gen, wie  auf  billige  Rücksichtnahme  für  das  Wohl  aller  Bevölkerungs- 
klassen gerichtet  war  und  die  Keime  für  richtige  Auffassung  der  Bürger- 
pflichten, für  Recht  und  Ordnung  schon  in  die  Erziehung  der  Jugend 
zu  legen  verstand. 

405 


Auch  der  Lehrer  war  daher  dem  verhetzenden  Parteigetriebe  fem 
zu  halten;  daran  aber  gebrach  es  vielfach. 

Am  28.  Dezember  erhielt  ich  ein  vom  26.  Dezember  datiertes 
Schreiben  des  Feldzeugmeisters  Potiorek,  in  dem  dieser  auf  die  Not- 
wendigkeit einer  Landverbindung  mit  Albanien  und  darauf  hinwies,  daß 
der  als  zukünftiger  Herrscher  für  Albanien  genannte  ägyptische  Prinz 
Fuad  ein  warmer  Anhänger  Italiens  sei. 

Ich  beantwortete  dieses  Schreiben  dahin,  daß  die  Frage  dieser  Land- 
verbindung auch  hier  stets  im  Auge  behalten  sei*)  und  Österreich-Ungarn 
den  genannten  Prinzen  nicht  akzeptieren,  sondern  lieber  einen  deutschen 
Prinzen  auf  dem  Thron  Albaniens  sehen  würde.  Im  übrigen  schrieb  ich 
in  dieser  Angelegenheit  noch  am  28.  Dezember  an  Graf  Berchtold. 

Am  selben  Tage  (28,  Dezember)  erhielt  ich  von  ihm  folgende 
Antwort  auf  mein  Schreiben  vom  26.  Dezember: 

„Wien,  26.  Dezember  1912. 
Euer  Exzellenz! 

Mit  verbindlichstem  Danke  bestätige  ich  den  Empfang  Ihrer  beiden 
an  mich  gerichteten  geschätzten  Privatschreiben  vom  25.  und  26.  Dezember. 

Das  serbisch-montenegrinische  Verhältnis  bildet  den  Gegenstand 
unserer  aufmerksamen  Beobachtung  und  würde  uns  das  Ausspielen  König 
Nikitas  gegen  seinen  Schwiegersohn  ganz  gut  in  den  Kalkül  passen,  wenn 
ersterer  sich  nicht  nur  als  Komödiant  —  denn  er  nimmt  gelegentlich  die 
Pose  eines  Freundes  der  Monarchie  gegenüber  Serbien  an  —  sondern 
auch  in  vollem  Ernste  dazu  hergeben  wollte.  Wie  man  diesen  unverläß- 
lichen Balkan-Macchiavell  aber  beim  Worte  nimmt,  was  Giesl  nicht 
unversucht  gelassen  hat,  kommt  er  mit  ganz  unannehmbaren  Propo- 
sitionen angerückt,  aus  denen  geschlossen  werden  kann,  daß  er  —  wenig- 
stens bis  nun  —  der  Monarchie  bei  diesem  Geschäfte  eine  ausschließlich 
passiv  zu  buchende  Rolle  zugedacht  hat.  Derzeit  befinden  wir  uns 
übrigens  schon  deshalb  nicht  in  der  Verfassung,  Nikita  zu  Gefallen  sein 
zu  können,  weil  vdr  nicht  die  Absicht  haben,  Skutari,  für  welches  er  — 
wie  er  zu  sagen  pflegt  —  seine  letzte  Ziege  zu  opfern  und  seine  letzte 
Patrone  zu  verschießen  gesonnen  ist,  Montenegro  zu  überlassen.  Skutari 
als  Brennpunkt  des  katholischen  Albanesentums  sollte  nicht  vom  künftigen 
Albanien  ausgeschlossen  bleiben.  Ich  habe  diesbezüglich  einen  aufreiben- 
den Kampf  nach  mehreren  Fronten  (Rußland,  Italien,  Frankreich  und  Eng- 
land) auszufechten;  auch  hier  läßt  uns  unser  südlicher  Alliierter  total 
im  Stiche. 


*)  Vergleiche  mein  Essay  vom  28.  Oktober  1912,  Seite  323. 
406 


Was  die  Frage  der  Neutralisierung  Albaniens  anbelangt,  halte  ich 
dies  für  die  einzige  Art,  dieses  von  allen  Seiten  von  feindseligen  Gewalten 
bedrohte  Gebilde  lebensfähig  zu  gestalten  und  dauernd  zu  erhalten.  Ruß- 
lands Vertreter  auf  der  Konferenz  v^eigerte  sich  bisher,  darauf  einzugehen, 
wohl  vom  unlauteren  Gedanken  ausgehend,  dadurch  den  russischen 
Schutzbefohlenen  am  Balkan  Hoffnung  auf  Gebietserweiterung  auf  Kosten 
Albaniens  für  die  Zukunft  in  Aussicht  zu  stellen.  Die  russische  Presse 
scheint  aber  neuestens  auf  einen  Rückzug  in  dieser  Frage  vorzubereiten. 
In  dem  von  uns  intendierten  Umfange  würde  die  Neutralisierung  eine 
Sicherstellung  für  die  Integrität  des  Landes  bilden,  ohne  die  Bewaffnung 
der  Bevölkerung  bis  aufs  äußerste  auszuschließen.  Für  den  Moment  würde 
es  uns  eine  Gewähr  bilden  gegen  fremde  Intervention  während  des  müh- 
seligen Bildungsprozesses  dieses  schwächlichen  Organismus.  In  der 
Zukunft  —  bei  etwaiger  kriegerischer  Verwicklung  am  Balkan  —  könnte 
es  trotz  Neutralisierung  sub  titulo  Selbstschutz  ein  wertvolles  Atout  in 
unserem  Spiele  bilden. 

Hoffentlich  wird  es  mir  bald  wieder  gegönnt  sein,  mit  Ihnen  über 
verschiedene  aktuelle  Fragen  zu  konferieren.  Sollten  Sie  einen  Moment 
freie  Zeit  zur  Verfügung  haben,  bitte  um  telephonische  Verständigung. 

Mit  bester  Empfehlung 

Euer  Exzellenz  stets  ergebener      ^        u  i.    i  j  « 
'^  Berchtol  d. 

Für  dieses  Schreiben  dankte  ich  mit  folgendem  Brief: 

„Wien,  am  28.  Dezember  1912. 

Euer  Exzellenz! 
beehre   ich   mich   vor   allem   meinen    ergebensten    Dank  für  das  hoch- 
geschätzte Schreiben  vom  26.  d.  M.  zu  übermitteln. 

Dem  Urteil  E.  E.  über  den  >König  der  Schwarzen  Berge«  stimme 
ich  vollkommen  bei  und  denke,  daß  tatsächlich  nur  dann  aus  ihm  etwas 
herauszuschlagen  ist,  wenn  er  gänzlich  in  die  Enge  getrieben  wird;  dann 
dürfte  man  ihn  allerdings  nicht  zu  leicht  aus  der  Schlinge  lassen;  er  müßte 
durch  Taten  Farbe  bekennen. 

Daß  Skutari  den  Albanesen  bleiben  muß,  erachte  auch  ich  für 
unerläßlich,  schon  deshalb,  damit  ein  steter  Zankapfel  zwischen  Monte- 
negro und  Albanien  vorhanden  sei,  aber  dieses  Albanien  hätte  für  mis 
doch  nur  Wert,  wenn  es  ein  zu  einer  selbständigen  aktiven  Kriegspolitik 
berechtigter  und  nicht  bloß  auf  den  Schutz  seines  Territoriums  (ä  la 
Schweiz)  angewiesener  Staat  wäre. 

Ich  muß  immer  wieder  betonen,  daß  ich  bei  allen  diesen  Meinungs- 
abgaben  nur  von    dem   Bestreben    geleitet   bin,    das    militärische 

407 


Bedürfnis  zur  Geltung  zu  bringen,  welches  im  obgedachten  Falle  darauf 
hinausläuft,  ein  möglichstes  Maximum  serbisch-montenegrinischer  Kräfte 
durch  einen  andern  Staat  (also  hier  Albanien)  gebunden  zu  sehen. 

Leider  wird  ja  die  Monarchie  in  Hinkunft  immer  mit  einem  Krieg 
nach  zwei  Fronten  rechnen  müssen,  da  es  schon  in  den  früheren  Jahren 
versäumt  wurde,  mit  Italien  und  Serbien  abzurechnen,  ein  Fehler,  der 
jetzt  immer  mehr  imd  mehr  in  die  Augen  springt. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  der  vorzüglichen  Hochachtung, 
mit  der  ich  stets  bin 

Euer  Exzellenz  ergebenster 

Conrad,  G.  d.  I." 

Die  für  Österreich-Ungarn  so  wichtige  Rolle  Rumäniens  und 
mein  Bemühen,  zur  Festigung  unseres  Zusammengehens  zu  wirken, 
erscheinen  bereits  wiederholt  gekennzeichnet.  Einen  Beitrag  zur  Charakteri- 
sierung unserer  damals,  also  Ende  1912  bfötehenden  Beziehungen  liefert 
nachstehendes  Schreiben  des  k.  u.  k.  Militärattaches  in  Bukarest,  Oberst- 
leutnant von  Hranilovic: 

„K.  u.  k.  MiHtärattache  in  Bukarest 

Res.  Nr.  175  geheim. 

Bukarest,  am  25.  Dezember  1912. 
Euer  Exzellenz! 

Auf  die  Meldung  von  meiner  Rückkehr  aus  Wien  befahl  mich  Seine 
Majestät  der  König  für  gestern  abends  zur  Audienz,  um  sich  informieren 
zu  lassen,  ob  hinsichtlich  der  militärischen  Fragen  alles  geordnet, 
beziehungsweise  noch  irgend  eine  Ergänzung  notwendig  sei.  Nachdem 
ich  ihm  erklärt  hatte,  daß  meines  Wissens  keinerlei  offene  Fragen  mehr 
bestünden,  ging  der  König  sofort  zur  Politik  über  und  besprach  die  Lage, 
wie  sie  sich  ihm  gegenwärtig  darstellt.  Ich  lasse  die  springenden  Punkte 
chronologisch,  wie  der  König  sie  berührte,  folgen: 

Rußlands  offizielle  Kreise  mit  dem  Kaiser  an  der  Spitze  sind 
absolut  nicht  geneigt,  es  aus  Anlaß  des  Balkankrieges  zu  einer  weiteren 
großen  Verwicklung  kommen  zu  lassen.  Der  mit  dem  Marschallstab 
hergesendete  Großfürst  Michael  hat  dem  König  versichert,  daß  Serbien 
in  Petersburg  nicht  im  entferntesten  so  beliebt  sei,  wie  es  glauben  machen 
will,  es  werde  aber  vom  russischen  Gesandten  Hartwig,  einem  gefähr- 
lichen Intriganten,  getäuscht  und  gehetzt,  weshalb  dieser  die  schärfsten 
Instruktionen  erhalten  habe.  Auf  die  Frage  des  Königs,  warum  Hartwig 
nicht  abberufen  werde,  blieb  der  Großfürst  die  Antwort  schuldig. 

Der  Balkanbund  ist  eine  Zusammenschweißung  der  vier 
Staaten  ad  hoc,  die  jetzt  schon  die  Keime  des  Zerfalls  in  sich  trage. 

408 


Salonik  ist  der  Zankapfel,  der  vor  allem  Bulgarien  und  Griechenland 
auseinanderbringen  werde.  Die  eigentlichen  Auseinandersetzungen  werden 
erst  nach  Beendigung  des  Krieges  beginnen,  da  die  verbündeten  Staaten 
als  Einheit  Frieden  schließen  wollen,  dann  aber  über  die  Teilung  unter- 
einander verhandeln  werden  müssen. 

Was  den  eventuellen  Wiederbeginn  des  Krieges  anbelangt, 
so  ist  er  fast  sicher,  wenn  die  Türkei  nicht  auf  Adrianopel  verzichtet. 
Diese  Perspektive  veranlaßt  den  König,  die  mit  E.  E.  besprochene,  damals 
aber  abgelehnte  Idee  eines  rumänischen  Druckes  auf  die 
Türkei  nunmehr  in  ernste  Erwägung  zu  ziehen. 
Rumänien  kann  aus  wirtschaftlichen  Gründen  eine  Verlängerung  des 
Kriegszustandes  nicht  vertragen,  weshalb  der  König  nicht  mehr  abgeneigt 
wäre,  erforderlichenfalls  zuerst  diplomatisch,  dann  aber  auch  durch 
Androhung  einer  militärischen  Aktion  die  Türkei  zum  Nachgeben  zu 
zwingen.  Im  äußersten  Falle  würde  selbst  mit  der  Mobilisierung  der 
rumänischen  Armee  vorgegangen  werden.  Voraussetzung  hiefür  ist  aber, 
daß  Bulgarien  auf  die  rumänischen  Wünsche  betreffs  einer  Grenz- 
regulierung eingeht.  Der  Gesandte  Misu  in  London  hat  diesbezüglich 
genaue  Instruktionen,  nach  welchen  keine  Kompensation,  sondern 
eine  Grenzberichtigung  verlangt  wird,  die  im  allgemeinen  die 
Linie  Silistria — Balcik  als  neue  Grenze  festzusetzen  hätte.  Auf  SiUstria 
legt  der  König  gar  keinen  Wert,  überhaupt  will  er  nur  einen  Erfolg 
haben,  um  die  öffenthche  Meinung  zu  beruhigen,  die  sich  mit  der  Frage 
immer  erregter  zu  beschäftigen  beginnt.  Ernste  Politiker,  sagte  Seine 
Majestät  wörtlich,  haben  von  mir  ganz  unumwunden  die  Mobilisienmg 
der  Armee  und  die  Besetzung  des  bulgarischen  Festungsviereckes 
verlangt. 

Eine  weitere  Forderung  Rumäniens  ist,  daß  die  Aromunen  der 
Gegend  von  Janina  unter  keiner  Bedingung  unter 
griechische  Herrschaft  kommen,  sondern  dem  autonomen 
Albanien  angegliedert  werden,  sowie,  daß  in  Südalbanien  rumänische 
Administration  eingeführt  werde. 

Die  Besprechungen  mit  Dane v/ in  Bukarest  haben  insofern 
ein  günstiges  Resultat  gezeitigt,  als  dieser  im  Prinzip  die  Grenzberichti- 
gung zugestanden  hat.  Bezüglich  der  Größe  des  Gebietes  ist  alles  noch 
in  Schwebe.  Darüber  wird  Herr  Misu  in  London  zu  verhandeln  haben 
und  aus  dem  Gange  dieser  Pourparlers  wird  sich  die  Richtung  für  die 
nächste  rumänische  Politik  ergeben.  Zu  den  Eröffnungen  des  Königs 
hätte  ich  nur  beizuzfügen,  daß  sich  seit  meiner  Rückkehr  aus  Wien  hier 
eine  immer  weitere  Kreise  ziehende  Agitation  zu  Gunsten  einer  raschen 
und  energischen  Lösung  der  Grenzfrage  beobachten  läßt,  die,  von  Politikern 

409 


der  oppositionellen  Partei  geschürt,  schon  so  tief  in  die  Bevöliierung 
eingedrungen  ist,  daß  von  einem  Gegensatz  der  öffentlichen  Meinung  zur 
Regierung  und  zum  König  gesprochen  werden  kann.  Seine  Majestät  legt 
der  Bewegung  allem  Anscheine  nach  keine  große  Bedeutung  bei,  doch 
ist  sie  meinen  Eindrücken  zufolge  ernster,  als  man  an  den  leitenden  Stellen 
glaubt.  Man  hat  sich  im  Volke  in  den  Gedanken  hineingelebt,  Rumänien 
müsse  bei  der  Teilung  der  Türkei  einen  Gebietszuwachs  erfahren,  wurde 
durch  Äußerungen  von  höchster  Stelle  in  diesem  Gedankengang  lange 
bestärkt  und  verlangt  nun,  da  der  Zeitpunkt  gekommen  ist,  die 
Realisierung.  Schlagen  die  Bemühungen  Herrn  Misus  in  London  fehl, 
dann  ist  es  leicht  möglich,  daß  die  Agitation  antidynastische  Formen 
annimmt  und  ein  bewaffnetes  Einschreiten  zur  Gewinnung  eines  Gebiets- 
streifens erzwingt.  In  diesem  Falle  wäre  naturgemäß  eine  freundschaft- 
liche Politik  Rumäniens  zu  Bulgarien  für  viele  Jahre  hinaus  unmögUch, 
weshalb  wir  auch  alles  Interesse  haben,  es  vermeiden  zu  helfen. 

Schließlich  melde  ich,  daß  ich  mit  General  Averescu  über  den  rumäni- 
schen Aufmarsch  jenseits  des  Pruth  im  Sinne  der  von  E.  E.  gemachten 
Bemerkungen  gesprochen  habe  und  bei  ihm  eine  volle  Übereinstimmung 
der  Auffassung  mit  derjenigen  E.  E.  fand. 

Genehmigen  E.  E.  den  Ausdruck  meiner  tiefsten  Ehrfurcht. 

Hranilovic,  Oberstl." 

Auch  dieses  Schreiben  enthält  Fingerzeige  dafür,  daß  damals  durch- 
aus nicht  alle  russischen  Kreise  für  den  Eintritt  Rußlands  in  einen  Krieg 
zu  Gunsten  Serbiens  waren.  Sei  es  aus  Abneigimg  gegen  kriegerische 
Verwicklungen  überhaupt,  sei  es,  daß  sie  Rußland  noch  nicht  genügend 
vorbereitet  hiefür  erachteten. 

Jedenfalls  war  dies  damals  weit  weniger  der  Fall  als  in  der  Folge- 
zeit. Auch  war  kaum  anzunehmen,  daß  in  der  Folge  die  übrige  Gestaltung 
der  Lage  günstiger  für  einen  Austrag  mit  Serbien  werden  würde,  als 
1912  und  1913. 

Von  diesen  Erwägungen  ausgehend,  richtete  ich  folgenden  a.  u.  Vor- 
trag an  Seine  Kaiserliche  Hoheit  Erzherzog  Franz  Ferdinand: 

„Wien,  30.  Dezember  1912. 
Euer  K.  u.  K.  Hoheit! 
Als   ich   seinerzeit   den   jetzt   wieder   innehabenden    Dienstesposten 
bekleidete,  habe  ich  mit  Jahresschluß  Seiner  Majestät  a.  u.  eine  Denk- 
schrift über  die  militärpolitische  und  militärische  Lage  unterbreitet. 

Die  jetzigen,  noch  ganz  ungeklärten  poUtischen  Verhältnisse  schließen 
es  aus,  ein  erschöpfendes  Programm  festzustellen,  doch  bitte  ich  Euer 

410 


Kaiserliche  Hoheit  die  nachfolgenden  kurzen,  meine  Anschauungen 
präzisierenden  Darlegungen  gnädigst  entgegenzunehmen  und  dieselben 
auch  zur  Allerhöchsten  Kenntnis  Seiner  Majestät  zu  bringen. 

Ich  bin  der  Ansicht,  daß  sich  die  Monarchie  in  einer  Krise  befindet, 
die  zu  einer  entscheidenden  Tat  drängt. 

Die  Basis  für  alle  militärischen  Vorsorgen,  sei  es  hinsichtlich  Organi- 
sation und  Ausgestaltung  der  bewaffneten  Macht,  sei  es  hinsichtlich  der 
konkreten,  auf  die  einzelnen  Kriegsfälle  abzielenden  Maßnahmen  und 
Vorbereitungen,  bildet  die  politische  Lage. 

Es  ist  ganz  unmöglich,  über  diese  militärischen  Fragen  zu  einem 
abschließenden  Urteil  zu  gelangen,  wenn  man  sich  über  die  politische 
Situation  nicht  klar  ist;  diese  Klarlegung  muß  daher  allem  vorangehen. 

Die  pohtische  Lage  kann  dermalen  sehr  kurz  dahin  zusammengelaßt 
werden,  daß  die  Monarchie  durch  die  überraschende  und  erfolgreiche 
Initiative  der  Balkanstaaten,  insbesondere  Serbiens,  momentan  an  die 
Wand  gedrückt  ist,  und  zwar  aus  folgenden  Gründen: 

Das  Emporschnellen  der  großserbischen  Aspirationen  hat  im  Gefolge: 

die  Entstehung  eines  weit  vergrößerten,  beinahe  verdoppelten 
Serbiens  mit  einer  fast  verdoppelten  Armee,  die  nunmehr  als  sehr 
gewichtiger  und  stets  mit  den  Feinden  der  Monarchie  verbündeter  Gegner 
in  Betracht  kommt; 

die  Entflammung  der  panslawistischen  Sonderbestrebungen  bei  den 
Slawen  der  Monarchie  und  deren  Rückwirkung  auf  Geist  und  Verläßlich- 
keit der  slawischen  Truppen,  die  gut  ein  Viertel  der  Wehrmacht  betragen; 

die  Gefahr,  den  Besitz  B.  H.  Ds.,  vielleicht  auch  Kroatiens  und  Süd- 
ungams  allmähhch  untergraben  zu  sehen  und  diese  Gebiete  zu  verlieren; 

damit  verbunden  den  Verlust  des  Küstengebietes  und  somit  der  mari- 
timen Machtstellung  der  Monarchie,  endlich  mit  alldem 

den  Verlust  der  politischen  Geltung  und  der  wirtschaftlichen 
Prosperität  Österreich-Ungarns. 

Sollen  diese  Konsequenzen  vermieden  werden,  so  erübrigt  nur,  das 
Übel  an  der  Wurzel  zu  fassen. 

Die  Ursache  des  Übels  ist  —  wie  oben  dargelegt  —  die  plötzlich 
hinaufgeschnellte  Macht  Serbiens;  diese  also  muß  gebrochen  werden, 
dann  entfallen  alle  obigen  Besorgnisse  von  selbst. 

Die  Situation  ist  zu  einer  Kraftprobe  zwischen  der  Monarchie  und 
Serbien  geworden.  Die  Kraftprobe  muß  ausgetragen  werden.  Alles 
andere,  wie  Albanien,  Hafenfrage,  Konsulfrage,  Handelsverträge  etc.  sind 
Nebensachen. 

Fällt  diese  Kraftprobe  zu  Gunsten  der  Monarchie  aus,  dann  werden 
sich  die  Slawen  der  letzteren  sofort  dem  Stärkeren  fügen  und  anschließen, 

411 


der  Besitz  der  südslawischen  Gebiete  der  Monarchie  wird  gesichert, 
Serbien  als  Attraktionspunkt  für  irredentistische  Bestrebungen  und  als 
dauernder  Herd  einer  gefährlichen  Agitation  sowie  als  militärischer 
Gegner  wird  beseitigt; 

die  ohnehin  immer  mehr  und  mehr  angezweifelte  Lebensfähigkeit 
der  Monarchie  wird  dokumentiert,  dadurch  das  Ansehen  und  die  politische 
Geltung  der  Monarchie  erhöht,  so  daß  sie  von  ihren  Feinden  gefürchtet, 
von  ihren  Freunden  gesucht  werden  wird; 

alle  feindlichen  Aspirationen,  wie  die  italienischen,  rumänischen, 
großrussischen,  werden  ebenso  wie  die  großserbischen  verstummen; 

alle  inneren  Kräfte  der  Monarchie  werden  erstarken  und  zusammen- 
gefaßt werden  können; 

Macht  und  Ansehen  der  Dynastie  werden  nach  innen  und  außen 
gehoben ; 

in  die  Armee  wird  wieder  der  Geist  der  Zuversicht  und  des  Selbst- 
vertrauens einkehren; 

die  wirtschafÜiche  Lage  wird  sich  sofort  bessern  und  unter  günstige 
Auspizien  gelangen. 

Die  politische  Lage  charakterisiert  sich  also  durch  die  Notwendigkeit, 
Serbien  durch  einen  Krieg  niederzuwerfen. 

Alle,  wenn  auch  begreiflichen  Bedenken  sind  gegenstandslos,  weil  — 
wenn  der  Schritt  einer  kriegerischen  Austragung  gescheut  wird  —  die 
eingangs  angeführten,  den  Ruin  der  Monarchie  nach  sich  ziehenden 
Folgen  genau  so  eintreten  werden,  wie  dieselben  in  analoger  Weise 
hinsichtlich  des  seinerzeitigen  italienischen  Besitzes  der  Monarchie  ein- 
getreten sind,  nur  mit  viel  vitaleren  Folgen. 

Eine  friedliche  Beilegung  könnte  —  und  auch  dies  nur  »vielleicht« 
—  höchstens  momentan  eine  Art  ruhiger  Scheinexistenz  herbeiführen, 
würde  aber  sicher  in  kurzer  Zeit  die  Monarchie  unter  noch  viel 
ungünstigeren  Umständen  zu  einer  kriegerischen  Entscheidung  zwingen. 

Ehe  diese  Frage  nicht  ausgetragen  ist,  wäre  es  müßig,  über  sonstige 
militärische  Fragen,  Maßnahmen  u.  dgl.  Projekte  zu  machen  und  viel 
Worte  zu  verlieren;  es  kommt  vielmehr  darauf  an,  alle  militärischen  Vor- 
kehrungen zunächst  auf  die  kriegerische  Lösung  der  serbischen  Frage 
zu  konzentrieren  und  diese  Lösung  ehestens  herbeizuführen.  An  äußeren 
Anlässen  hiezu  ist  wahrlich  kein  Mangel. 

Geruhen  etc.  C  o  n  r  a  d." 

Bei  den  wiederholten  Gelegenheiten,  die  ich  hatte,  mit  Erzherzog 
Franz  Ferdinand  die  Lage  und  die  Notwendigkeit  entschiedenen  Vorgehens 
gegen  Serbien  zu  besprechen,  vermochte  ich  mir  nie  klar  zu  werden,  ob 

412 


der  Erzherzog  in  seinem  Inneren  zu  einem  kriegerischen  Schritt  ent- 
schlossen war.  Er  erörterte  alles  hierauf  Bezugnehmende,  besprach  die 
konkreten  Kriegsvorbereitungen  mit  dem  Interesse,  als  ob  er  deren  Aus- 
führung im  Auge  habe,  schien  mir  aber  anderseits  im  Herzen  nicht  recht 
dazu  geneigt. 

Ich  hatte  den  Eindruck,  daß  er  auch  unter  Einflüssen  stehe,  die  mir 
von  deutscher  Seite  zu  kommen  schienen. 

Bestimmte  Anhaltspunkte  fehlen  mir  hiefür,  doch  erinnere  ich  mich 
eines  vom  Erzherzog  mir  zur  Kenntnis  gebrachten  Briefes  Kaiser 
Wilhelms,  in  dem  dieser  schrieb,  daß  es  jetzt  in  Europa  eines  Mannes 
bedürfe,  der  für  die  friedliche  Beilegung  der  Konflikte  eintrete. 

Um  den  Militärattaches  in  London,  v^o  die  Botschafter-Konferenz 
tagte,  und  in  Petersburg,  wo  der  Rückhalt  Serbiens  lag,  eine  besondere 
Richtlinie  für  ihre  Beobachtungen  und  ihr  Verhalten  zu  geben,  erließ  ich 
an  dieselben  folgende  Weisungen: 

„Wien,  30.  Dezember  1912. 

Zur  Orientierung  über  die  hierstellige  Auffassung  der  Lage  teile  ich 
Ihnen  folgendes  mit : 

Einer  etwaigen  Forderung,  daß  wir  unsere  Standesergänzung  durch 
Entlassungen  wieder  reduzieren,  würde  ich  mich  unbedingt  widersetzen; 
es  ist  darauf  hinzuweisen,  daß  unsere  jetzigen  Stände  kaum  jene  Höhe 
erreichen,  wie  sie  die  Stände  der  deutschen  und  russischen  Truppen 
immer  aufweisen. 

Eine  Abtretung  Skutaris  an  Montenegro  wäre  gegen  unsere 
Intentionen;  ebenso  auch  jede  Grenzbestimmung,  welche  Albanien  ein- 
engt und  Gebiete  mit  albanischer  Bevölkerung  unter  fremden  Besitz 
brächte. 

Als  streng  reserviert  teile  ich  Ihnen  mit,  daß  meine  rein  persön- 
liche Anschauung  dahin  geht,  daß  eine  kriegerische  Abrechnung  mit 
Serbien  die  einzige  erfolgversprechende  Lösung  der  Frage  wäre." 

Als  sich  die  Anzeichen  besonderer  mihtärischer  Maßnahmen  in 
Rumänien  mehrten,  deren  Zweck  damals  noch  nicht  klar  lag,  aber  sicher- 
hch  schon  zu  dieser  Zeit  auf  die  Erzwingung  der  Gebietsabtretung  seitens 
Bulgariens  gerichtet  war,  erteilte  ich  brieflich  folgenden  Auftrag  an  den 
k.  u.  k.  Militärattache  in  Bukarest: 

„Wien,  31.  Dezember  1912. 

Die   Vorgänge   in   Rumänien   erregen   mein    großes    Interesse.     Es 
scheinen  dort  tatsächUch  besondere  militärische  Vorgänge  im  Zuge. 
Worauf  zielen  sie? 
Will  Rumänien  mit  uns  gegen  Rußland? 

413 


Will  es  gegen  die  Türkei  für  eine  Gegenleistung  Bulgariens? 

Will  es  gegen  Bulgarien,  etwa  gar  im  Verein  mit  Serbien  (dies  eine 
alte  Lieblingsidee  König  Carols)? 

All  dies  ist  mir  mit  Rücksicht  auf  die  Bereitstellung  unserer  militä- 
rischen Kräfte  von  großer  Wichtigkeit. 

Bitte  Dich  um  baldige  Aufklärung. 

Besten  Gruß  Conraid." 

Für  die  Zeit  vom  2  3.  bis  31.  Dezember  wären  nun  noch 
einige  bemerkenswertere  Berichte  nachzutragen. 

Serbien,   Montenegro. 

Laut  Berichtvom2  6.  Dezember  dauern  die  serbischen  Rück- 
transporte an,  die  Hauptarmee  soll  sich  bei  Kragujevac  versammeln;  bei 
Jagodina  wird  an  Befestigungen  gearbeitet,  die  Eisenbahndirektion  von 
Belgrad  nach  Nis  verlegt.  Die  Männer  vom  46.  bis  zum  50.  Lebensjahr 
werden  für  den  Dienst  des  III.  Aufgebotes  einberufen,  dagegen  dieses  in 
die  Formationen  des  II.  Aufgebotes  eingestellt. 

Der  montenegrinische  Kommandant  vor  Skutari  kehrt  sich  nicht  an 
den  Waffenstillstand,  daher  dauern  die  Kämpfe  fort;  es  bestehe  keine 
Aussicht,  Skutari  mit  Waffengewalt  zu  nehmen,  die  Haltung  der  Albanesen 
sei  zweideutig.  Montenegro  hatte  anfangs  aus  Eitelkeit  und  dynastischen 
Gründen  die  serbische  Hilfe  abgelehnt,  sie  aber  schließlich  akzeptiert,  es 
stünden  nun  außer  den  24.000  Montenegrinern  8000 — 10.000  Serben  vor 
Skutari,  woselbst  noch  zirka  30.000  Türken  seien.  Die  Maximalstärke  der 
montenegrinischen  Armee  betrage  32.000  Mann. 

Der  Bericht  vom  2  7.  Dezember  konstatierte  schwache 
Besatzungen  im  Sandzak,  dagegen  die  Konzentrierung  des  Gros  in 
Mitrovica,  femer  Tnippenansammlungen  in  Uzice;  in  Albanien  soll  die 
Drinadivision  II  vor  Skutari,  die  Öumadijadivision  I  in  Durazzo,  Tirana, 
die  Moravadivision  II  oder  die  Moravabrigade  bei  Elbassan  stehen. 

Bulgarien. 

Nach  Bericht  vom  2  9.  Dezember  soll,  wenn  sich  die 
Friedensverhandlungen  zerschlagen,  Adrianopel  angegriffen  werden, 
36  schwere  Geschütze  aus  Frankreich  seien  über  Dedeagac  dahin  am 
Wege. 

Der   Bericht   vom   31.    Dezember   meldet   über   einen   am 

30.  Dezember  stattgehabten  Ministerrat,  sowie  daß  der  König  sich  am 

31.  Dezember  1912  oder  1.  Jänner  1913  in  das  Hauptquartier  begeben 
werde.  Es  soll  die  Absendung  eines  Ultimatums  an  die  Pforte  mit  vier- 
tägiger Frist  beschlossen  sein. 

414 


Rußland. 

Laut  Bericht  vom  2  7.  Dezember  trafen  Verstärkungen  an 
Kosaken  im  Gebiete  nördlich  Krakau  ein.  Der  Bahnbau  Ungeni— Kiszinew 
ward  beschleunigt  (Aufmarschbahn  gegen  Rumänien). 

Nach  Bericht  vom  3  0.  Dezember  war  um  den  20.  Dezember 
eine  erhöhte  Mobilisierungsbereitschaft  geplant;  Eisenbahnparks  waren  in 
Warschau,  Kutno,  Wloclawek,  Lodz  und  Skarzyska  konzentriert;  der 
Grenzschutz  war  durch  Kosaken  und  Schützenregimenter  verstärkt;  aus 
den  Gouvernements  Piotrkow  und  Radom  waren  Staatsgüter  und  Beamte 
zurückgezogen  worden.  Die  Ausrüstungsarbeiten  in  Warschau  und  Iwan- 
gorod  waren  lebhaft  betrieben. 

Am  IQ.  Dezember  soll  in  Zarskoje-Sselo  eine  militärische  Beratung 
wegen  der  nicht  glatten  Abwicklung  der  militärischen  Vorbereitung  statt- 
gehabt haben. 

Am  28.  Dezember  hatte  Sasonow  dem  k.  u.  k.  Botschafter  versichert, 
daß  Truppenverschiebungen  nur  innerhalb  der  einzelnen  Militär- 
bezirke erfolgt  seien. 

Resume:  Rußland  war  damals  für  einen  großen 
Krieg  noch  nicht  genügend  vorbereitet,  Italien 
durch  den  Tripoliskrieg  in  seinem  Heerwesen 
zerrüttet,  Serbien  sowie  Montenegro  am  Balkan 
engagiert;  desgleichen  Griechenland. 

Dies  war  die  Lage,  als  das  Jahr  1912  zur  Neige 
ging. 

Ich  muß  hier  auf  die  interessanten  Mitteilungen  hinweisen,  die 
Dr.  M.  Bogicevic,  ehemaliger  serbischer  Geschäftsträger  in  Berlin,  in 
seinem  im  Jahre  1919  erschienenen  Buche:  „Kriegsursachen"  bietet 
und  die  eingehende  Lektüre  derselben  nahelegen. 

Einzelne  besonders  bedeutsame  Stellen  sollen  nachstehend  hervor- 
gehoben werden,  um  sie  mit  meinen  Darlegungen  vergleichen  zu  können. 

Mit  Bezug  auf  den  Vertrag  der  Balkanstaaten  heißt  es: 

„Hartvdg*)  wurde  zur  Hauptaufgabe  gestellt,  an  einer  Verständigung 
zwischen  Bulgarien  und  Serbien  mitzuarbeiten  und  dieselbe,  koste  es  was 
es  wolle,  zustande  zu  bringen." 

„Einmal  glücklich  zusammengebracht,  sollte  das  Bündnis  zu 
aggressiven  Zwecken  gegen  Österreich  verwendet  werden.  Im  gleichen 
Sinne  war  auch  Tscharikow**)  in  Konstantinopel  tätig." 


')  Russischer  Gesandter  in  Belgrad. 

')  Russischer  Botschafter  in  Konstantinopel. 


415 


„Als  sich  die  innere  Lage  in  der  Türkei  verschlechterte,  wax  man 
sich  gleich  darüber  einig,  daß  man  sich  zuerst  über  die  Türkei  hinweg- 
setzen müsse,  um  dann  erst  Österreich  erfolgreich  angreifen  zu  können." 

„Die  Verhandlungen  zwischen  Bulgarien  und  Serbien  waren  sehr 
schwierig,  die  seitens  Rußlands  in  Aussicht  gestellte  Gewinnung  Bosniens 
und  der  Herzegowina  für  Serbien  spielte  dabei  eine  große  Rolle." 

„In  wie,  ich  möchte  sagen,  lächerlicher  Weise  mühte  man  sich  jahr- 
zehntelang um  die  Fiktion  der  Erhaltung  des  Status  quo  auf  dem  Balkan, 
und  zwar  gerade  von  deutscher  und  österreichischer  Seite  und  dies  alles 
im  besten  Glauben,  damit  der  Erhaltung  des  europäischen  Friedens  zu 
dienen." 

Der  Abschluß  des  Balkanvertrages  war  durch  eine  dem  Kronprinzen 
Alexander  von  Serbien  entschlüpfte  Bemerkung  dem  Dr.  Bogicevic  zur 
Kenntnis  gelangt.  Dieser  schrieb  hierüber:  „Ich  glaube,  annehmen  zu 
dürfen,  daß  nicht  Mangel  an  Vertrauen  mir  gegenüber  der  Grund  war, 
daß  ich  den  näheren  Inhalt  des  Vertrages  nicht  hätte  wissen  sollen, 
sondern  daß  er  (Milovanovic,  serbischer  Minister  des  Äußern)  fürchtete, 
ich  würde  das  Vorwiegen  der  offensiven,  österreichfeindlichen  Tendenz 
herausfühlen  und  mir  zu  frühzeitig  Gedanken  machen  über  die  weiteren 
politischen  Pläne  Rußlands  und  Serbiens." 

„Die  Vorverhandlungen,"  schreibt  Bogicevic  weiter,  „ließen  befürch- 
ten, daß  Serbien  im  Begriffe  stehe,  sich  in  ein  schwerwiegendes  Abenteuer 
zu  stürzen  und,  was  noch  wichtiger  war,  man  konnte  sich  des  Empfindens 
nicht  erwehren,  daß  man  mit  raschen  Schritten  dem  europäischen  Kriege 
entgegengehe." 

„Bei  dieser  Gelegenheit,  und  das  erachte  ich  historisch  wichtig, 
festzustellen,  teilte  mir  Kronprinz  Alexander  mit,  daß  ihm  der  Kaiser 
von  Rußland  gelegen tUch  des  Abschlusses  dieses  Vertrages  gesagt 
habe,  daß  nunmehr  die  Aspirationen  Serbiens  gegen- 
über Österreich-Ungarn  bald  in  Erfüllung  gehen 
werden." 

Dr.  Bogicevic  schildert  dann  die  militärischen  Vorbereitungen  der 
Balkanverbündeten  und  fügt  bei: 

„Ich  führe  dies  alles  zum  Beweise  an,  was  mir  später  von  serbischen 
Militärs  bestätigt  wurde,  daß  an  den  maßgebenden  Stellen  in  Serbien 
und  Bulgarien  der  Krieg  gegen  die  Türkei  bereits  Monate 
vorher,  wahrscheinlich  schon  beim  Abschluß  des  Geheimvertrages  vom 
29.  Feber  1912,  eine  beschlossene  Sache  war." 

416 


Die  Haltung  Deutschlands  charakterisiert  folgende  Stelle: 

„Ich  icann  es  mit  ruhigem  Gewissen  aussprechen,  daß  schon  im 
Oktober  1912,  wo  man  noch  immer  nicht  wußte,  wohin  das  alles  hinaus 
sollte,  für  Deutschland  der  Hauptzweck  bei  seinen  Entschlüssen  im 
Balkankonflikte  einzig  und  allein  die  Erhaltung  des  europäischen  Friedens 
gewesen  ist." 

Bezüglich  Rußlands  schreibt  der  Autor: 

„Obwohl  der  Balkanbund  ein  Werk  Rußlands  war,  als  russisches 
Werkzeug  gedacht  gegen  die  Türkei  und  Österreich,  wetteiferte  Herr 
Sasonow  damals  mit  den  leitenden  Staatsmännern  der  andern  Großmächte 
in  der  Verurteilung  der  Handlungsweise  der  Balkanstaaten  wegen  ihrer 
Störung  und  Gefährdung  der  Ruhe,  Sicherheit  und  Ordnung  Europas, 
um  damit  jeglichen  Verdacht  der  Komplizität  der  russischen  Politik 
abzulenken.  Nur  in  einem  Punkte  war  nämlich  diese  Entrüstimg  vielleicht 
ehrlich  gemeint,  daß  nämlich  der  von  den  Balkanstaaten  gewählte  Zeitpunkt 
zum  Losschlagen  der  russischen  Regierung  noch  nicht  günstig  erschien." 

Er  führt  dann  folgenden  Passus  aus  einem  Interview  des  „Lokal- 
Anzeigers"  mit  Sasonow  an: 

„Sehr  befriedigt  äußerte  sich  der  russische  Minister  von  seinem 
Berliner  Besuche  und  versicherte  mit  großer  Lebhaftigkeit,  daß  alle 
Folgerungen,  die  man  an  die  russischen  Probemobilisierungen  geknüpft 
habe,  durchaus  ü-rtümliche  seien.  Es  handle  sich  um  eine  jener  Kontroll- 
einberufungen, wie  sie  nicht  nur  in  Rußland  allein  gesetzlich  vorgesehen 
seien.  Sie  mit  den  Ereignissen  am  Balkan  in  Zusammenhang  bringen, 
heißt  Rußland  Absichten  zuzuschieben,  von  denen  es  weiter  denn  je 
entfernt  sei." 

Bei  Erörterung  der  albanesischen  sowie  der  Adriabahn-  und  der 
Hafenfrage  findet  sich  der  Passus:  „Und  da  der  Zeitpunkt  zum  Los- 
schlagen gegen  Österreich-Ungarn  noch  nicht  gekommen  war,  so  mußten 
diese  Bestrebungen  Serbiens,  die  ja  im  Grunde  genommen  Bestrebungen 
Rußlands  waren,  desavouiert  werden." 

Dem  deutschen  Staatssekretär  für  Äußeres,  Herrn  Kiderlen-Wächter, 
gegenüber  äußerte  sich  im  November  1912  Dr.  Bogicevic  wie  folgt: 

„Nach  der  ganzen  Vorgeschichte  dieses  Krieges  sei  es  offensichtlich, 
daß  der  Konflikt  der  Balkanstaaten  gegen  die  Türkei  nur  die  erste  Phase 
eines  groß  angelegten  russischen  Planes  sei,  um  nach  erreichtem  Erfolg 
gegen  die  Türkei  die  Balkanstaaten  gegen  Österreich  in  Bewegung  zu 
setzen  und  den  Streit  mit  Österreich  um  die  Hegemonie  auf  dem  Balkan 
endhch  zum  Austrag  zu  bringen.  Die  ganze  Adriapolitik  Serbiens  sei 
ein  Machwerk  Rußlands  mit  österreichfeindlicher  Tendenz." 


27,  Conrad  II  4J7 


„Auch  Österreich-Ungarn  könne  die  ständigen  Provokationen  Serbiens, 
denen  es  mit  Gegenmaßregeln  begegnen  müsse,  wodurch  die  gegen- 
seitigen Beziehungen  immer  gespannter  werden,  auf  die  Dauer  nicht  mehr 
ertragen.  —  — " 

Aus  einem  späteren  Gespräch  mit  Herrn  Kiderlen- Wächter  bringt 
Dr.  Bogicevic  folgende  Äußerung: 

„Wie  wünschenswert  es  auch  vom  Standpunkte  des  europäischen 
Friedens  wäre,  an  einer  Lokahsierung  des  Balkankonfliktes  festzuhalten, 
selbst  wenn  Rußland  und  Österreich  in  den  Konflikt  eingreifen  sollten, 
so  ist  meiner  Ansicht  nach  eine  solche  Lokahsierung  unter  den  heutigen 
Umständen  leider  unmöglich,  weil  ich  an  die  Aufrichtigkeit  der  fran- 
zösischen Politiker  nicht  glaube.  Es  würde  daher  auch  in  diesem  Falle 
für  Deutschland  der  casus  foederis  Österreich  gegenüber  gegeben  sein. 
Ich  hoffe  aber,  daß  gerade  deswegen  jeder  leitende  Staatsmann  der 
Entente  sich  der  ungeheuren  Verantwortlichkeit  bewußt  sein  wird,  einen 
so  großen  und  in  seinen  Folgen  unübersehbaren  Konflikt  herauf- 
zubeschwören." 

In  weiterer  Folge  heißt  es : 

„Ende  Dezember  1912  starb  Herr  von  Kiderlen,  aber  auch  sein 
Nachfolger,  Herr  von  Jagow,  änderte  in  keiner  Weise  die  friedhebende 
Tendenz  der  deutschen  Politik." 

„Nur  vom  Gesichtspunkte  der  Erhaltung  des  europäischen  Friedens 
hat  es  Deutschland  nicht  gescheut,  in  einzelnen  Fragen  einen  solchen 
Druck  auf  die  österreichische  Regierimg  auszuüben,  daß  derselbe  in  Wien 
sehr  unangenehm  empfunden  wurde,  und  daß  man  am  Ballplatze  oft 
gute  Miene  zum  bösen  Spiel  machen  mußte." 

„Hätte  Deutschland  einen  europäischen  Krieg  haben  wollen,  so  bot 
sich  ihm  selbst  damals  politisch  und  militärisch  wieder  eine  viel  günstigere 
Gelegenheit  als  Juli-August  1914." 

Es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob  Deutschland  mit  seiner  damahgen 
Friedensliebe  sich  selbst,  Österreich-Ungarn  und  auch  dem  Frieden 
Europas  einen  Dienst  geleistet  hat. 

Wie  schon  an  anderer  Stelle  bemerkt,  habe  ich  mich  nicht  der 
Auffassung  hingegeben,  daß  es  gelingen  könne,  die  Gegner  Deutschlands 
und  Österreich-Ungarns  zum  Aufgeben  ihrer  aggressiven  Pläne  zu 
bewegen.  Wer  über  die  Grenzen  kleinlicher  diplomatischer  Übervor- 
teilungen hinaus  die  großen,  tiefliegenden  Kräfte  und  Zusammenhänge  im 
Auge  hatte,  mußte  darüber  im  klaren  sein. 

418 


Die  damalige  Haltung  Englands  und  Frankreichs  kennzeichnet 
Dr.  Bogicevic  wie  folgt: 

„Mit  dem  englischen  und  französischen  Botschafter  habe  ich  eben- 
falls über  die  zweideutige  Haltung  Rußlands  gesprochen.  Schon  damals 
sagte  mir  bei  dieser  Gelegenheit  Sir  Edward  Goschen,  und  er  betonte 
dies  im  Laufe  der  Zeit  des  öfteren,  daß  er  aus  dem  Munde  Sir  Edward 
Greys  die  bündigsten  Versichermigen  erhalten  habe,  daß  England  sich  um 
keinen  Preis  der  Balkanangelegenheiten  wegen  in  einen  europäischen 
Konflikt  einlassen  werde." 

„Der  französische  Botschafter  glaubte  nicht,  daß  es  Rußland  wagen 
würde,  ohne  Mitwirkung  Englands  einen  europäischen  Konflikt  herauf- 
zubeschwören; trotzdem  äußerte  er  sich  schon  damals  ebenfalls  besorgt 
über  »gewisse«  geheime,  panslawistische  Einflüsse  am  russischen  Hoie, 
Besorgnisse,  die  Herr  C  a  m  b  o  n  —  auch  bezügHch  Iswolskys  —  dem 
belgischen  Gesandten  gegenüber,  wie  aus  seinen  von  der  deutschen 
Regierung  veröffentlichten  Berichten  zu  ersehen  ist,  ebenfalls  geltend 
gemacht  hat." 

Die  serbischen  Ziele  erscheinen  durch  nachstehendes  klargestellt: 

„Zum  Belege  bin  ich  (Bogicevic)  in  der  Lage,  eine  höchst 
charakteristische  Äußerung  des  serbischen  Ministers  des  Äußern, 
Pasic,  die  er  mir  persönhch  im  August  1913,  also  unmittelbar  nach 
Beendigung  des  serbisch-bulgarischen  Krieges,  in  Marienbad  gemacht 
hat  und  die  ich  damals  als  Ausfluß  unmotivierten  Größenwahns  ansah, 
anzuführen.  Er  sagte  mir  wörtlich  folgendes:  >Ich  hätte  schon 
im  ersten  Balkankriege,  um  auch  Bosnien  und  die 
Herzegowina  zu  erwerben,  es  auf  den  europäischen 
Krieg  ankommen  lassen  können;  da  ich  aber  befürchtete, 
daß  wir  dann  Bulgarien  gegenüber  in  Mazedonien  größere  Konzessionen 
zu  machen  genötigt  wären,  wollte  ich  zunächst  den  Besitz 
Mazedoniens  für  Serbien  sichern,  um  dann  erst  zur 
Erwerbung  Bosniens  und  der  Herzegowina  schreiten 
zu  kön nen.«" 

Bogicevic  fügt  dieser  seiner  Angabe  hinzu:  „Dieser  Satz  spricht 
Bände",  und  führt  noch  folgende  Äußerung  Pasic'  gegenüber  dem 
griechischen  Delegierten  an  der  Bukarester  Friedenskonferenz  1913,  Herrn 
Politis,  an,  dem  er  auf  die  Schulter  klopfend  sagte:  >La  premiere 
manche  est  gagnee,  maintenant  il  faut  preparer  la 
seconde  manche  contre  l'Autriche.« 


27« 


419 


Bogicevic  fährt  fort: 

„Gibt  es  ein  größeres  Armutszeugnis  für  die  Politik  aller  Groß- 
mächte ohne  Ausnahme?  Dieser  eine  Satz  zeigt,  in  welche  traurige  und 
beschämende  Lage  die  Großmächte  durch  ihr  gegenseitiges  Mißtrauen 
gekommen  sind,  daß  eigenes  Sein  oder  Nichtsein,  das  Wohl  und  Wehe 
Englands,  Frankreichs,  Deutschlands  von  der  Gnade  und  dem  Ehrgeize 
einzelner  Politiker  und  Fanatiker  kleinster  Staaten  weniger  fort- 
geschrittener Kultur,  eines  Pasic,  über  den  ein  Sasonow  schützend 
seine  Hand  ausbreitete,  abhängen  konnte." 

Sehr  interessant  sind  die  dem  Werke  beigeschlossenen  dokumen- 
tarischen Anlagen;  wie: 

Die  russisch-bulgarische  Mihtärkonvention  vom  Jahre  1909,  in  deren 
Artikel  5  es  heißt: 

„In  Anbetracht  dessen,  daß  die  Verwirklichung  der  hohen  Ideale  der 
slawischen  Völker  auf  der  Balkanhalbinsel,  die  dem  Herzen  Rußlands  so 
nahe  stehen,  nur  nach  einem  günstigen  Ausgange  des  Kampfes  Rußlands 
mit  Deutschland  und  Österreich-Ungarn  möglich  ist,"  etc.  etc. 

In  einem  Telegramme  des  serbischen  Gesandten  Ristic  aus  Bukarest 
an  das  Ministerium  des  Äußern  in  Belgrad  vom  13.  November  1912 
heißt  es  hinsichtlich  des  Rates,  den  die  Gesandten  Rußlands  und  Frank- 
reichs als  Freunde  Serbien  geben:  „Es  sei  besser,  daß  Serbien,  welches 
mindestens  zweimal  so  groß  würde  als  es  bisher  war,  sich  kräftige  und 
sammle,  um  möglichst  vorbereitet  die  gewichtigen  Ereignisse 
abzuwarten,  die  unter  den  Großmächten  eintreten 
müsse  n." 

Sehr  bezeichnend  ist  nachstehendes  Telegramm  des  serbischen 
Gesandten  in  Petersburg  an  das  Ministerium  des  Äußern  in  Belgrad  vom 
29.  April  1913: 

„Wiederum  sagte  mir  Sasonow,  daß  wir  für  künftige  Zeiten  arbeiten 
müssen,  da  wir  viel  Land  von  Österreich  bekommen  werden.  Ich  ent- 
gegnete ihm,  daß  wir  Monastir  (Bitolia)  gerne  den  Bulgaren  geben 
werden,  wenn  wir  Bosnien  und  andere  Länder  Österreichs  bekommen." 

Dr.  Bogicevic  bringt  auch  vollinhalthch  den  bulgarisch-serbischen 
Vertrag  vom  29.  Feber  1912,  der  auf  den  Balkankrieg  abzielte  und  dessen 
gegen  Österreich-Ungarn  gekehrte  Spitze  deutlich  war. 

Der  Vertrag  enthielt  eine  Geheimanlage,  die  unter  anderem  folgendes 
enthielt : 

„Wenn  eine  Einigung  über  ein  bewaffnetes  Vorgehen  zustande 
kommen  sollte,  so  ist  Rußland  davon  zu  benachrichtigen,  und  wenn 
letzteres  keine  Hindemisse  in  den  Weg  legt,  so  schreiten  die  Verbündeten 
zu  den  verabredeten  kriegerischen  Operationen." 

420 


Für  den  Fall,  daß  eine  Einigung  nicht  zustande  käme,  bestimmt 
Artikel  I:  „wird  die  Frage  Rußland  zur  Begutachtung  vorgelegt.  Die 
Entscheidung  Rußlands  ist  für  beide  vertragschließenden  Parteien  ver- 
bindhch." 

Laut  Artikel  III  war  eine  Kopie  des  Vertrages  mit  der  Geheimanlage 
und  der  Militärkonvention  der  russischen  Regierung  zu  überreichen  und 
von  Rußland  das  Schiedsrichteramt  in  strittigen  Fällen  zu  erbitten. 

Die  Militär-Konvention  fordert  für  den  Fall  gegenseitiger  Hilfe:  von 
Serbien  150.000,  von  Bulgarien  200.000  Mann.  Falls  Rumänien  Bul- 
garien angreifen  sollte,  hatte  Serbien  sofort  an  Rumänien  den  Krieg  zu 
erklären  und  mindestens  100.000  Mann  entweder  an  die  mittlere  Donau 
oder  in  die  Dobrudza  gegen  Rumänien  zu  senden.  Falls  die  Türkei 
Bulgarien  angreift,  hatte  Serbien  mit  mindestens  100.000  Mann  gegen 
diese  einzugreifen. 

Gegen  Österreich-Ungarn  kehrte  sich  Artikel  III: 

„Falls  Österreich-Ungarn  Serbien  angreifen  sollte,  verpflichtet  sich 
Bulgarien,  Österreich-Ungarn  sofort  den  Krieg  zu  erklären  und  seine 
Truppen  in  Stärke  von  200.000  Mann  auf  serbisches  Gebiet  zu  entsenden 
und  gemeinsam  mit  der  serbischen  Armee  offensiv  und  defensiv  gegen 
Österreich-Ungarn  operieren  zu  lassen. 

Diese  Verpflichtungen  seitens  Bulgariens  zugunsten  Serbiens  bleiben 
auch  für  den  Fall  in  Kraft,  daß  Österreich-Ungarn,  nach  Vereinbarung 
mit  der  Türkei  oder  ohne  eine  solche,  unter  irgend  einem  Vorwande  seine 
Truppen  in  den  Sandzak  von  Novipazar  einrücken  lassen  und  hierdurch 
Serbien  nötigen  sollte,  entweder  Österreich-Ungarn  den  Krieg  zu  erklären 
oder  seine  Heere  nach  dem  Sandzak  zur  Verteidigung  seiner  dortigen 
Interessen  zu  entsenden,  wodurch  Serbien  einen  Zusammenstoß  mit 
Österreich-Ungarn  hervorrufen  würde." 

Dabei  war  allerdings  zu  bedenken,  daß  die  bulgarische  Wehrmacht 
durch  Rumänien  und  wohl  auch  durch  die  Türkei  gebunden,  also  kaum 
gegen  Österreich-Ungarn  verfügbar  geworden  wäre. 

Bezeichnend  für  die  Lage  nach  der  Annexionskrise  ist  folgende  Steile 
aus  einem  Bericht  des  serbischen  Geschäftsträgers  Gruic  in  London  vom 
8.  September  1911  an  den  serbischen  Minister  des  Äußern  Milovanovic: 

„Aber  sowohl  Frankreich  wie  auch  seine  Bundesgenossen  sind  der 
Ansicht,  daß  der  Krieg  —  selbst  um  den  Preis  größerer  Opfer  —  auf 
spätere  Zeit,  das  ist  auf  die  Jahre  1914 — 1915  verschoben  werden 
müsse.  Die  Notwendigkeit  dieses  Aufschubes  erheischt  weniger  die 
materielle  Kriegsbereitschaft  Frankreichs,  welche  vollendet  ist,  als  die 
Organisierung  des  Oberkommandos,  welche  noch  nicht  beendet  ist.  Diese 
Frist  ist  auch  Rußland  erforderlich.     Hiervon  wird  nur  England  kernen 

421 


Nutzen  haben,  weil  sich  seine  Flottenübemiacht  gegenüber  der  deutschen 
mit  jedem  Jahre  verringert.  Mit  Rücksicht  auf  die  Bereitschaft  der  Bundes- 
genossen rät  Frankreich,  sich  jetzt  mit  Deutschland  zu  verständigen." 

In  diesem  kurzen  Satz  ist  die  auf  deneuropäischen 
Krieg  abzielende  Machenschaft  von  Österreich- 
Ungarns  und  Deutschlands  Feinden  unverblümt  und 
termin sicher  gekennzeichnet. 

Resümiert  man  die  Enthüllungen  des  Dr.  Bogicevic,  so  ergibt  sich 
die  vitale,  unausweichliche  Gefahr,  die  für  Österreich-Ungarn  in  den 
hartnäckig  und  skrupellos  verfolgten  aggressiven  Zielen  Serbiens 
gelegen  war. 

Wie  meine  dokumentarisch  belegten  Darlegungen  erweisen,  habe  ich 
mich  über  diese  Gefahr  niemals  getäuscht  und  unentwegt  auf  die  einzig 
noch  mögliche  Folgerung  hingewiesen,  nämlich  der  Gefahr  recht- 
zeitig zu  begegnen. 

An  Gelegenheit  hiezu  hat  es  nicht  gefehlt,  wohl  aber  an  Entschlossen- 
heit und  Voraussicht. 

Wenn  auch  die  Veröffentlichungen  des  Herrn  Dr.  Bogicevic  nicht 
sclion  so  deutlich  sprechen  würden,  zeigten  die  in  der  Folge  eingetretenen 
Tatsachen,  welche  Wege  Rußland  und  Serbien  wandelten. 

Österreich-Ungarns  Friedfertigkeit  war  ver- 
lorene Liebesmüh. 

Am  Schlüsse  der  Darlegungen  für  das  Jahr  1912  möchte  ich  noch 
—  als  Gedächtnisbeheif  für  den  Leser  —  von  den  sonstigen  bemerkens- 
werteren Ereignissen  dieses  Jahres  die  wichtigsten  erwähnen: 

Deutschland: 

12.  Jänner.  Wahlsieg  der  Sozialdemokraten.  (Scheidemann  anfänglich  zum 

Vizepräsidenten  gewählt) ; 

13.  März.  Gültigkeitsbeginn  des  Marokko- Abkommens  vom  4.  Novem- 
ber 1911,  auf  das  Frankreich  einging,  da  ihm  ein  Krieg  verfrüht 
gekommen  wäre,  das  aber  die  Stimmung  in  Frankreich  gegen 
Deutschland  nur  verschärfte. 

19.  März  speist  Kaiser  Wilhelm  II.  beim  französischen  Botschafter 
Cambon;  Freundschaftsakt  gegenüber  Frankreich. 

21.  Mai.  Heeresvorlage  angenommen.  Jährliche  Erhöhung  des  Rekruten- 
kontingentes um  29.000  Mann;  Aufstellung  zweier  neuer  Armeekorps 
(Alienstein  und  Saarbrücken);  Verbesserungen  bei  den  technischen 
Waffen.    Drei  neue  Linienschiffe,  zwei  neue  Kreuzer  genehmigt, 

422 


4.  und  5.  Juni.  Freundschaftsbezeigungen  zwischen  Kaiser  Wilhelm  11. 

und  Zar  Nikolaus  II.  gelegentlich  der  Zusammenkunft  in  Baltischport. 
Juh  1912.  Reise  Poincares  nach  Petersburg,  Ergänzung  des  Bündnisses 

mit  Rußland  von  1891  und  der  Militärkonvention  von  1892  durch 

ein  Flottenabkommen. 

Rußland: 
Innere  Schwierigkeiten. 

3.  März.     Finanzminister   Kokowcew    ordnet   die   Finanzen    durch   das 

Branntwein-Monopol,  weshalb  ihn  Witte  angreift. 

November  1912.  Vierte  Duma,  Rozdzianko  Präsident. 

Frankrei  ch: 

Mai.  Aufstand  in  Marokko  (Fez),  niedergeworfen  durch  General  Lyautey 

(43.000  Mann). 
26.  Oktober.     Marokko-Vertrag     zwischen     Spanien     und     Frankreich 

abgeschlossen.     Gesetz  über  den  Achtstundentag  angenommen. 

England: 

1 1 .  April  bringt  Asquith  die  Vorlage  über  Irland  ein,  die  das  Unterhaus 
annimmt  (Homerule). 

17.  Juni.  Neue  Wahlreformvorlage.  Suffragettenbewegung,  Frauenstimm- 
recht, Lady  Pankhurst  als  fanatische  Führerin. 

Lord  Haidane  in  Deutschland  zur  Vermittlung  in  der  Flottenbaufrage, 
durch  die  sich  Deutschland  Beschränkungen  auferlegen  sollte,  was 
es  ablehnte. 

Türkei: 

17.  Jänner.   Auflösung  der   Kammer   wegen   des   Gesetzes  über   Recht 

des  Sultans,  die  Kammer  nur  mit  Zustimmung  des  Senates  auf- 
zulösen ; 

Neuwahlen  wieder  günstig  für  die  Jungtürken. 
23.  Juni.    Gesetz  angenommen,  wonach  der  Sultan  auch  ohne  Senat 
die  Kammer  auflösen  kann ; 

Erneuerter  Aufstand  der  Amanten   (mohammedanische  Albanesen). 
Offiziere  verlangen  ein  anderes  Kabinett,  die  Arnauten  die  Auflösung 
der  Kammer; 
Beides  geschah;  auch  wurde  Mahmud  Schefket  entlassen. 

18.  Juli.     Ministerium  Said  entlassen. 

423 


23.  Juli.  Der  achtzigjährige  Muktar  Pascha  wird  Großvezier,  was  mit 
einer  reaktionären,  gegen  die  Jungtürken  gekehrten  Richtung 
zusammenhängt. 

5.  August.  Kammer  aufgelöst;  Belagerungszustand  über  Konstantinopel 
erklärt. 

Ausbruch  des  Balkankrieges;  Beendigung  des  italienischen  Krieges. 

Persien. 

Mißglückter  Versuch  des  abgesetzten  Schah's,  sich  der  Herrschaft  wieder 
zu  bemächtigen,  Flucht  desselben  nach  Odessa  (17.  März). 

Portugal. 

7.  und  8.  Juli.  Fehlschlagen  des  monarchistischen  Putsdies  unter 
Conceiros. 

Dänemark. 

14.  Mai  stirbt  König  Friedrich  VIII.,  ihm  folgt  in  der  Regierung 
Christian  X. 

Japan. 

30.  Juli  stirbt  der  Mikado  Mutsuhito,  ihm  folgt  sein  Sohn  Yoshihito  und 
nimmt  sich,  in  Erkenntnis,  daß  zur  Leitung  eines  Staatswesens 
gereifte  Erfahrung  notwendig  ist,  den  bewährten  Katsura  als  Berater. 

China. 

2.  Februar  wird  auf  Befehl  des  Kaisers  die  Republik  proklamiert. 

10.  März  wird  Yuanschikai  Präsident. 

Im  Juli  bricht  in  Südchina  der  Aufstand  aus,  mit  dem  Ziel,  sich  vom 
Norden  abzutrennen;  er  wird  durch  Yuanschikai  niedergeschlagen, 
der  am  6.  Oktober  zum  Präsidenten  gewählt  wird. 

Die  Mongolei  tritt  unter  russischen  Schutz,  das  Heer  wird  von  russischen 
Offizieren  ausgebildet; 

Tibet  reißt  sich  los  und  erzwingt  den  Abmarsch  der  chinesischen  Truppen. 

Nordamerika. 
4.  November.  Wilson  zum  Präsidenten  gewählt. 


424 


ANHANG 

(Anlage  1  bis  3) 


Inhalt. 

Seite 
.\nlage  1 :  Auszug  aus  dem  Vortrag  des  Chefs  des  Generalstabes 

vom  13.  Feber  1911 427 

2:  Denkschrift  vom  23.  April  1911 429 

„       3:  Denkschrift  vom  15.  November  1911  (mit  Beilagen)  .     .    436 


A  nlage  1, 


Auszug  aus  dem  Vortrag  des  Chefs  des  Generalstabes. 

Res.  Glst.  Nr,  510  vom  13.  Feber  1911  (Bedenken  gegen  zu  niedere 
Anforderungen  des  Reichskriegsministers). 

Anläßlich  der  Kürzung  der  finanziellen  Anforderungen  durch  den 
RKM.  meldet  der  Chef  des  Generalstabes,  daß  diese  Forderungen  des 
RKM.  weit  unter  dem  zulässigen  Mindestmaß  geblieben  sind,  die  er  als 
Chef  des  Generalstabes  im  Herbste  IQIO  angefordert  habe. 

Der  Chef  des  Generalstabes  habe  1000  Millionen  Kronen  aJs 
Minimum  bezeichnet,  der  RKM.  dagegen  nur  260  Millionen  Kronen 
angesprochen.  Dies  genüge  aber  kaum  für  die  Kosten  der  Wehrreforni 
und  zur  Sanierung  der  bestehenden  Mißstände,  geschweige  denn  für  die 
dringend  notv/endige  Ausgestaltung. 

Der  Chef  des  Generalstabes  habe  außer  den  260  Millionen,  für  welche 
der  RKM.  eintrat,  noch  200  Millionen  Kronen  für  die  dringend  notwendig 
gewordene  Neubewaffnung  der  Infanterie  und  119  Millionen  für  die 
Reichsbefestigung  angefordert.  Von  diesen  beiden  Forderungen  sei  gar 
nicht  gesprochen  worden. 

Es  sei  mit  Sicherheit  vorauszusehen,  daß  von  dem  minimalen  Reste, 
der  —  auf  fünf  Jahre  verteilt  —  dem  RKM.  verbleiben  werde,  nachdem 
es  die  Kosten  der  Wehrreform  gedeckt  habe,  nicht  einmal  die  wichtigsten, 
auch  vom  RKM.  geplanten  Maßnahmen,  wie  Neubewaffnung  der  Gebirgs- 
kanonen-,  Gebirgshaubitz-,  Feldhaubitz-  und  schweren  Haubitzformationen, 
wofür  127  Millionen  Kronen  veranschlagt  waren,  bestritten  werden 
könnten. 

Das  RKM.  habe  sich  für  fünTjahre  gebunden^  mit  dem  angeforderten 
Betrage  das  Auslangen  zu  finden,  d.  i.  bis  1915.  Dennoch  wird  zu  dieser 
Zeit  ein  Betrag  von  57-1  Millionen  Kronen  ganz  unbedeckt  bleiben, 
welcher  das  Budget  von  1915  belasten  werde.  Und  zudem  habe  sich  das 
RKM.  der  Möglichkeit  der  Geltendmachung  einer  Gegenleistung  begeben, 
da  die  einzige  Rekompensation,  welche  die  Heeresverwaltung  geben 
könnte  —  die  Reduktion  in  der  Dienstzeit  auf  zwei  Jahre  —  schon  jetzt 
im  vorhinein  preisgegeben  worden  sei. 

427 


Der  RKM.  sehe  nach  seinen  Äußerungen  nach  Durchführung  der 
von  ihm  vertretenen  (restringierten)  Maßnahmen  „mit  einiger  Ruhe" 
den  kommenden  Ereignissen  entgegen. 

Der  Chef  des  Generalstabes  halte  es  aber  für  unabweisUch,  ihnen 
mit  voller  Ruhe  entgegensehen  zu  können. 

Er,  der  Chef  des  Generalstabes,  könne  unter  diesen  Verhälüiissen 
auch  nicht  mehr  für  die  Zulässigkeit  der  Einführung  der  zweijährigen 
Dienstzeit  eintreten,  wenngleich  er  sie  vertreten  würde,  wenn  die  von  ihm 
beantragten  1000  MilUonen  Kronen  verfügbar  gemacht  würden. 

Wenn  der  Chef  des  Generalstabes  seine  Forderungen  hätte  selbst 
vertreten  können  (wie  der  Marinekommandant),  könnte  er  sich  ruhiger 
fühlen.  Da  er  aber  nur  vor  Seüier  Majestät  verantworthch,  sehe  er  sich 
bemüßigt,  zum  Ausdrucke  zu  bringen,  daß  er  unter  diesen  Verhältnissen 
die  Verantwortung  für  die  Kriegsbereitschaft  nicht  zu  tragen  vermöge, 
und  erbitte  die  diesbezügliche  Entscheidung  Seiner  Majestät. 

Ein  Exemplar  dieses  a.  u.  Vortrages  wurde  vom  Chef  des  General- 
stabes Seiner  Majestät,  ein  zweites  Seiner  Hoheit  Erzherzog  Franz 
Ferdinand  unterbreitet. 


42S 


Anlage  2. 

Chef  des  Generalstabes. 
Glst.  Res.  Nr.  1581. 


Denkschrift 
vom  23.  April  IQl  1. 

Allergnädigster  Herr! 

Ich  bitte  Euer  Majestät  um  Allergnädigste  Entgegennahme  des  vor- 
liegenden a.  u.  Vortrages,  in  welchem  ich  bemüht  bin,  in  gedrängter 
Kürze  den  Hergang  der  mein  Ressort  berührenden  Verhältnisse  seit  dem 
Zeitpunkte  meiner  Amtsvvirksamkeit  darzulegen  und  hieraus  die  dermalen 
dringendsten  und  unerläßlichen  Maßnahmen  abzuleiten. 

Bei  meiner  Ernennung  zum  Chef  des  Generalstabes  habe  ich  in 
einem  an  den  k.  u.  k.  Minister  des  Äußern  gerichteten  Schreiben,  sowie 
wiederholt  in  verschiedenen  a.  u.  unterbreiteten  Denkschriften  auf  den 
innigen  Zusammenhang  zwischen  äußerer  Politik,  Heeresausgestaltung 
und  konkreten  Kriegsvorbereitungen  hingewiesen.  In  diesem  Smne  die 
Lage  im  Jahre  1906/07  beurteilend,  habe  ich  die  Überzeugung  aus- 
gesprochen, daß  das  Entwicklungsgebiet  für  die  Monarchie  am  Balkan 
zu  suchen  ist,  daß  nicht  nur  kommerzielle  und  kulturelle  Interessen  die 
Monarchie  dahin  weisen,  sondern  daß  auch  die  dauernde  Erhaltung 
wesentlicher  Gebietsteile  der  Monarchie  es  bedingt,  die  südslawische  Frage 
seitens  der  Monarchie  zu  lösen  und  diese  Lösung  nicht  andern  Staaten 
(Serbien,  Montenegro)  in  die  Hände  zu  spielen,  daß  deshalb  schon, 
überdies  aber  auch  aus  mannigfach  anderen  militärischen,  geographischen, 
kommerziellen  und  politischen  Gründen  nicht  nur  die  mittlerweile  voll- 
zogene Annexion  Bosniens  und  der  Herzegowina,  sondern  auch  die 
Einverleibung  Serbiens,  inklusive  des  Gebietes  von  Nis,  das  unverrück- 
bare Ziel  der  Monarchie  sein  müsse. 

Ich  habe  dabei  weiter  betont,  daß  bei  Anstreben  dieses  Zieles  Italien 
als  Gegner  der  Monarchie  auftreten  würde,  umsomehr  als  Itahen  auch 
das  aggressive  Ziel  verfolgt,  Südtirol,  Küstenland,  Istrien  etc.,  mindestens 
aber  Südtirol  der  Monarchie  zu  entreißen.  Ich  habe  dabei  wiederholt 
geltend  gemacht,  daß  es  eine  arge  Täuschung  wäre,  sich  durch  momentane 
offizielle  Freundschaftskundgebungen  beruhigen  und  einschläfern  zu 
lassen,  daß  es  vielmehr  Pflicht  ist,  dieser  Gefahr  ins  Auge  zu  sehen  und 
daraus  die  erforderlichen  Konsequenzen  zu  ziehen. 

429 


Die  Situation  der  Monarchie  im  Jahre  1906/07  mit  jener  ItaUens  in 
Vergleich  ziehend,  war  mir  wohl  klar,  daß  auch  die  Schlagbereitschaft 
der  ersteren  vieles  zu  wünschen  übrig  ließ,  daß  jedoch  jene  Italiens  noch 
viel  weiter  zurückstand. 

Mein  Streben  war  daher  darauf  gerichtet,  die  für  die  damaligen 
Verhältnisse  dringlichsten  Besserungen  auf  eigener  Seite  rasch  durch- 
zusetzen, was  auch  trotz  der  mißlichen  innerpolitischen  Verhältnisse 
geschah,  und  dann  zum  ehest  zu  führenden  Krieg  gegen  Itahen  zu  raten, 
wohl  voraussehend,  daß  bei  der  notorischen  Stagnation  der  eigenen 
Heeresentwicklung  mit  jedem  kommenden  Jahre  sich  die  relativen  Ver- 
hältnisse zu  unseren  Ungunsten  verschieben  würden,  da  Italien  seit  dem 
Jahre   1905  daran  ging,  seine  militärische  Lage  energisch  zu  bessern. 

Der  Krieg  gegen  Italien  wurde  nicht  geführt  —  und  meine  Voraus- 
setzungen haben  sich  leider  erfüllt. 

Italien  hat  sich  seither  militärisch  und  insbesondere  in  den  gegen 
die  Monarchie  gerichteten  Kriegsvorbereitungen  in  hohem  Maße  ent- 
wickelt, die  Monarchie  hingegen  ist  in  allem  zurückgeblieben.  Während 
beispielsweise  1906/07  und  auch  noch  1908  die  Niederkämpfung  der 
italienischen  Befestigungen  mit  den  artilleristischen  Mitteln  der  Monarchie 
möglich  gewesen  wäre,  trifft  dieses  dermalen  nicht  mehr  zu;  während 
damals  eigenerseits  gleich  große  Truppenmassen  früher  operationsbereit 
an  der  Grenze  aufmarschiert  sein  konnten,  ist  dank  der  Ausgestaltung 
des  italienischen  Bahnnetzes  dies  dermalen  gerade  umgekehrt  der  Fall; 
während  Italien  dank  der  wesentlichen  Vermehrung  und  Verstärkung 
seiner  Grenzgamisonen  jetzt  mit  weit  stärkeren  Kräften  sofort  bei 
Kriegsbeginn,  und  zwar  auch  überfallsweise  auftreten  kann,  wurden 
eigenerseits  die  dringendsten  Garnisonsvermehrungen  hinausgeschoben, 
wesentlich  aus  der  vom  Minister  des  Äußern  ausgehenden  steten 
Besorgnis,  Italien  nicht  zu  reizen  oder  zu  verstimmen,  sich  keine 
diplomatischen  Komplikationen  zu  schaffen;  während  Italien  1906/07 
höchstens  24  Divisionen  ins  Feld  stellen  konnte,  Mard  es  jetzt  schon 
mindestens  6,  in  Bälde  wohl  auch  noch  weitere  6  Mobil-Miliz-Divisionen 
der  Operationsarmee  zuschlagen  können  u.  s.  f. 

Es  gab  daher  1906/07  nur  zwei  Entscheidungen:  entweder  den 
Krieg  gegen  Italien  zu  führen  oder  mit  größter  Energie  und  mit  Auf- 
wendung aller  Mittel  sich  für  den  Moment  vorzubereiten,  in  welchem 
dieser  Krieg  der  Monarchie  wird  aufgenötigt  werden. 

Weder  das  eine  noch  das  andere  geschah. 

Ich  hatte  im  Jahre  1906/07  in  einer  Euer  Majestät  a.  u.  unter- 
breiteten Denkschrift  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  es  veimieden 
werden   müsse,   sich   in    weitgehende   Komplikationen    am    Balkan    ein- 

430 


zulassen,  ehe  mit  Italien  abgerechnet  ist,  daß  daher  zuerst  der  Krieg  gegen 
Italien  zu  führen,  dann  die  aktive  Politiic  am  Balkan  einzuschlagen  ist. 

Nun  fiel  in  die  folgenden  Jahre  zur  größten  Überraschung  der 
gesamten  Diplomatie  die  jungtürkische  Bewegung  mit  der  konstitutionellen 
Umgestaltung  der  Türkei,  und  dieses  Ereignis  rückte  die  Notwendigkeit 
der  Annexion  Bosniens  und  der  Herzegowina  in  erste  Linie. 

Dieser  Notwendigkeit  wurde  mit  raschem  und  energischem  Zugreifen 
entsprochen  und  sorgten  die  trotz  mannigfacher  Widerstände  durch- 
geführten militärischen  Vorkehrungen  dafür,  daß  diesem  Schritte  der 
unerläßliche  Nachdruck  verliehen  wurde. 

Als  sieb  aber  in  dieser  Zeit,  dank  dem  Verhalten  Serbiens  und 
Montenegros,  die  Möglichkeit  ergab,  die  Balkanziele  unter  selten  günstigen 
Nebenumständen  sofort  zu  verfolgen,  wurde  von  dieser  günstigen  Lage 
der  Dinge  kein  Gebrauch  gemacht. 

Ich  hatte  den  Krieg  gegen  Serbien  damals  dringend  vertreten  und 
war  in  der  Lage,  Euer  Majestät  a.  u.  melden  zu  können,  daß  mit 
1.  März  1909  alles  hiezu  vorgekehrt  sei,  wenn  nötig  aber  auch  schon 
früher  die  Aktion  beginnen  könne. 

Durch  das  Anwachsenlassen  eines  selbständigen  Königreiches  Serbien 
und  eines  selbständigen  Königreiches  Montenegro  hat  sich  die  Monarchie 
den  Weg  auf  den  Balkan  bereits  mehr  als  halb  versperrt,  ein  autonomes 
Albanien  und  ein  erweitertes  Bulgarien  wird  ihn  ganz  versperren,  wenn 
die  Monarchie  nicht  selbst  festen  Fuß  mitten  im  Balkan  hat. 

Der  Mißerfolg  mit  der  Sandzakbahn  gegenüber  den  auswärtigen 
Bestrebungen  nach  der  Adriabahn,  die  kommerziellen  Schwierigkeiten 
mit  Serbien  und  die  Eröffnung  neuer,  von  der  Monarchie  unabhängiger 
Absatzgebiete  für  dieses  sind  Zeichen  dieser  Lage. 

Italien  weiß  genau,  warum  es  Serbien  und  Montenegro  unterstützt 
und  die  albanesischen  Autonomiebestrebungen  fördert. 

Während  nun  1906/07  die  relativ  günstige  Lage  gegenüber  Italien 
nicht  ausgenützt  wurde,  unterblieb  dies  nunmehr  1909  auch  gegenüber 
•Serbien  und  Montenegro. 

Das  Resultat  war,  daß  alle  drei  genannten  Staaten  ihrer  prekären 
militärischen  Situation  entschlüpft  waren,  seither  reichhch  Zeit  fanden, 
an  ihre  militärische  Ausgestaltung  zu  schreiten  und  daß  sie  diese  Zeit 
auch  weitestgehend  ausnützten. 

Dabei  festigte  sich  auch  nicht  unwesenttich  ihre  politische  Situation; 
so  wurde  Montenegro  zum  Königreiche  erklärt,  in  Serbien  konsolidierten 
sich  die  Verhältnisse,  insbesondere  auch  die  Lage  der  Dynastie,  und 
Italien  gewann  noch  mehr  den  Charakter  eines  zielbewußt  und  erfolgreich 

431 


aufstrebenden  Staates;  damit  wuchsen  aber  auch  die  Aspirationen  dieser 
Staatswesen. 

Die  expansive  Tendenz  Montenegros  spricht  sich  in  dessen  Ver- 
halten gegen  Albanien,  bezw.  gegenüber  der  Türkei  aus,  für  die  Ziele 
Serbiens  zeugen  die  österreichfeindliche  Agitation  und  Haltung  dieses 
Königreiches,  und  der  zielbewußt  arbeitende  Irredentismus  läßt  wohl 
über  die  Absichten  Italiens  keinen  Zweifel. 

Dem  allen  gegenüber  blieb  die  Monarchie  weit  zurück;  zwar  hat  die 
Entwicklung  der  Seemacht  in  jüngster  Zeit  einen  wesentUchen  Schritt 
vorwärts  gemacht,  aber  gerade  der  einzig  und  allein  die  Kriegs- 
entscheidung gebenden  Landmacht  wurden  selbst  die  dringlichsten 
finanziellen  Mittel  für  die  Ausgestaltung  versagt. 

Läßt  auch  die  endliche  Durchbringung  der  Wehrvorlage  sozusagen 
in  letzter  Stunde  die  Aufbringung  des  erforderlichen  Mannesmaterials 
für  die  Sanierung  der  Stände,  vor  allem  jener  der  arg  geschädigten  Fuß- 
truppen, sowie  für  die  Aufstellung  der  dringlichen  Neuformationen 
erhoffen,  so  muß  ich  doch  die  für  die  nächsten  fünf  Jahre  in  Aussicht 
gestellten  finanziellen  Mittel  als  gänzlich  unzureichend  bezeichnen  und 
müßte  es  als  ein  schweres  Versäumnis  meinerseits  betrachten,  hierauf  nicht 
erneuert  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  zu  haben. 

Ich  muß  dabei  hervorheben,  daß  das  durch  die  ungenügenden 
finanziellen  Mittel  aufgenötigte  Kargen  mit  dem  Notwendigsten  nicht  nur 
die  konkreten  Kriegsvorbereitungen,  sondern  auch  die  organische  Ent- 
wicklung des  Heeres,  sowie  dessen  Ausbildung  in  empfindhchster  Weise 
beeinträchtigt. 

Geruhen  Euer  Majestät  Allergnädigst  zu  genehmigen,  daß  ich  mich 
diesbezüghch  auf  meinen  a.  u.  Vortrag  Glst.  Res.  Nr.  510  von  1911 
berufe,  welchen  ich  Euer  Majestät  am  14.  Feber  1.  J.  in  Budapest  unter- 
breitet und  in  tiefster  Ehrfurcht  mündlich  ausführlich  erörtert  habe  und 
welcher  auch  den  Gegenstand  meiner  Darlegungen  in  dem  am 
5.  März  d.  J.  in  Budapest  stattgehabten  Ministerrat  gebildet  hat. 

Geruhen  Euer  Majestät  femer  Allergnädigst  zu  genehmigen,  daß 
ich  daraus  folgendes  herausgreife: 

Ich  erklärte  die  200  Millionen  Kronen,  welche  überdies  auf  fünf 
Jahre  verteilt  und  sowohl  für  die  Ausgestaltung  des  Heeres  inklusive 
der  Reichsbefestigung,  als  für  die  Auslagen  der  zweijährigen  Dienstzeit 
ausreichen  sollten,  für  ganz  unzureichend  und  begründete  eine  Mehr- 
forderung von  mindestens  250  Millionen  Kronen  über  obige  200. 

Dem  wurde  nun  entgegengehalten,  daß  die  beiden  Staaten  der 
Monarchie  unmöglich  eine  solche  finanzielle  Leistung  aufzubringen  ver- 
mögen. 

432 


Es  blieb  daher  bei  der  Anomalie,  daß  in  einem  allseits  von  Land- 
gegnern umgebenen  Reiche,  dessen  ausschlaggebende  schließliche  Kriegs- 
entscheidungen nur  zu  Lande  erfolgen  können,  bloß  200  Millionen 
Kronen  für  das  stehende  Heer,  dagegen  312  Millionen  Kronen  für  die 
Kriegsmarine  bewilligt  wurden. 

Weit  entfernt,  nicht  in  letzterer  Bewilligung  eine  sehr  erfreuliche 
Ausgestaltungsmöglichkeit  für  die  Kriegsmaiine  zu  sehen,  müßte  ich  es 
jedoch  als  sehr  bedauerlich  bezeichnen,  wenn  dies  nur  um  den  Preis 
einer  Vernachlässigung  der  Landmacht  erkauft  worden  wäre. 

Ich  halte  aber  dafür,  daß  auch  bei  voller  Zuwendung  der 
312  MiUionen  Kronen  an  die  Marine  auch  die  unerläßUche  Aufbringung 
wenigstens  jener  250  Millionen  Kronen  möglich  bleibt,  welche  ich  für 
die  Ausgestaltung  der  Landmacht  und  Reichsbefestigung  gefordert  habe, 
für  deren  rechtzeitige  Vertretimg  aber  ich  in  keiner  Weise  herangezogen 
wurde. 

Was  die  Möglichkeit  der  finanziellen  Leistung  anlangt,  bitte  ich 
a.  u.  nur  folgendes  anführen  zu  dürfen: 

Unmittelbar  nach  Erledigung  des  Heeresetats  brachte  die  öster- 
reichische Regierung  eine  Lokalbahnvorlage  ein,  welche  mit  Auslagen  von 
233  +  45  Millionen  Kronen  rechnete.  Während  also  der  außerordentliche 
Beitrag  der  im  Reichsrate  vertretenen  Königreiche  und  Länder  für  das 
gemeinsame  Heer  nur  zirka  132  Millionen  Kronen,  obendrein  auf  fünf 
Jahre  verteilt,  also  per  Jahr  kaum  30  Millionen  Kronen  beträgt,  wurden 
für  die  Lokalbahnen  278  Millionen  Kronen  eingebracht. 

In  der  beiliegenden  Karte  sind  alle  diese  Lokalbahnen  rot  ein- 
gezeichnet; ein  Blick  auf  diese  Karte  genügt,  um  zu  zeigen,  welch  klein- 
lichen, rein  lokalen  Interessen  diese  Bahnen  dienen,  Interessen,  welche 
umsomehr  zurücktreten  sollten,  als  ihre  Respektierung  nicht  nur  auf 
Kosten  der  Reichsforderung  nach  dringlicher  Ausgestaltung  der  Wehr- 
macht ginge,  sondern  auch  die  Entwicklung  der  Hauptbahnen  schädigen, 
den  Staat  nur  mit  unproduktiven  Auslagen  belasten  und  die  Entwicklung 
.jener  Linien  hemmen  würde,  welche  ihm  Einnahmen  und  Überschüsse  ein- 
tragen körmten. 

Was  die  andere  Reichshälfte  —  Ungarn  —  anlangt,  so  wird  sich 
die  Forderung  des  ungarischen  Landesverteidigungsministers  außer  auf 
eine  bedeutende  ständige  Erhöhung  des  Ordinariums  auch  noch  auf  einen 
einmaligen  außerordentlichen  Kredit  von  125  Millionen  Kronen  erstrecken. 
Während  also  Ungarn  für  seine  Landwehr  so  große  außerordentliche 
Ausgaben  vorsieht,  widmet  es  für  das  gemeinsame  Heer,  und  zwar  auf 
fünf  Jahre  hinaus,  nur  einen  Beitrag  von  zirka  68  MiUionen  Kronen. 

28,  Conrad  II  403 


Zur  Beleuchtung  dieser  Zahlen  möchte  ich  noch  anführen,  daß 
während  die  Monarchie  für  ihre  seit  Jahren  rückständige  Landmacht  nur 
200  Millionen  außerordentliche  Ausgaben  vorsieht,  das  kleine  Rumänien 
für  sein  Heer  eine  Anleihe  von  200  Millionen  Lei,  also  nahezu  ebensoviel, 
in  Aussicht  nahm,  wovon  52  Millionen,  auf  zwei  Jahre  verteilt,  bereits 
bewilligt  sind. 

Ich  erlasse  es  mir,  auf  die  enormen  Summen  einzugehen,  welche  der 
kolossale  Verwaltungsapparat  mit  seinen  zahllosen  Beamten  und  deren 
Versorgungsgenüssen  verschlingt,  femer  auf  die  einer  komplizierten 
Organisation  entspringende  Sterilität  des  Staatsbahnbetriebes,  endlich  auf 
die  Konsequenzen  einer  wenig  großzügigen  Finanzpolitik;  ich  bitte  aber 
a.  u.  nur  beispielsweise  anführen  zu  dürfen,  daß,  so  weit  ich  orientiert 
bin,  die  Zahl  der  Staatsangestellten  in  Österreich  236.200 

in  Ungarn  300.000 

also  in  Summe  .  .  536.200  betragen  soll, 
also  weit  mehr,  als  der  mit  415.300  bezifferte  Friedensstand  des  Heeres, 
der  Kriegsmarine  und  der  beiden  Landwehren  zusammengenommen. 

Zu  dieser  Staatsangestelltenzahl  käme  dann  noch  die  Zahl  der 
autonom-behördlichen  etc.  etc.  Organe. 

Ich  bitte  nun  Euer  Majestät  a.  u.  wie  folgt  resümieren  zu  dürfen: 

In  der  Restringierung  der  für  das  gemeinsame  Heer  von  mir 
geforderten  Kredite  auf  200  Millionen  Kronen  und  in  deren  bindenden 
Verteilung  auf  fünf  Jahre  sehe  ich  eine  überaus  bedenkliche  Schädigung 
des  gemeinsamen  Heeres,  welche  um  so  folgenschwerer  werden  muß,  als 
mannigfache  Rückstände  aus  der  Periode  der  Stagnation  zu  beheben 
sind  und  als  alle  in  Betracht  kommenden  voraussichtlichen  Gegner  der 
Monarchie  zielbewußt,  energisch  und,  insbesondere  was  Italien  und  Ruß- 
land betrifft,  mit  Aufwendung  großer  Mittel  an  ihrer  militärischen 
Entwicklung  arbeiten,  wobei  Italien  jetzt  schon  die  Monarchie  in  mancher 
Hinsicht  überholt  hat. 

Ich  erachte  weiter  dafür,  daß  die  Lage  drängt,  weil  die  Vorgänge 
am  Balkan  die  Situation  jeden  Moment  ins  Rollen  bringen  und  auch 
sonstige  Verhältnisse  eintreten  können,  welche  zur  Aktion  zwingen. 

Trotz  aller  gegenteiligen  Behauptungen  des  Ministers  des  Äußern 
ist  es  unverkennbar,  daß  Italien  das  Jahr  1Q12  als  Termin  für  seine 
Kriegsbereitschaft  im  Auge  hat,  daß  es  daher  auch  an  der  Monarchie 
wäre,  ihre  Vorsorgen  auf  diesen  Termin  zu  stellen,  also  zu  beschleunigen. 

Ich  beurteile  daher  die  dermalige  Lage  als  eine  außergewöhnUche 
und  erachte  dafür,  daß  auch  außergewöhnliche  Maßnahmen  nicht  nur 
begründet,  sondern  unerläßlich  sind. 

434 


Ich  erachte  daher  auch  dafür,  daß  das  Unzulängliche  der  für  das 
Heer  ausgeworfenen  Mittel  offen  einzugestehen  und  unbekümmert  um 
die  fünfjährige  Bindung  die  Forderung  nach  den  unerläßlichen  Mitteln 
zu  stellen  wäre. 

Aber  auch  ganz  abgesehen  von  dieser  durch  die  allgemeine  politische 
Lage  aufgedrängten  Notwendigkeit  müßte  ich  in  einer  Verküm-merung 
des  gemeinsamen  Heeres  zu  Gunsten  der  Marine  und  der  beiden  Land- 
wehren eine  überaus  folgenschwere  Verrückung  des  Schwerpunktes  der 
bewaffneten  Macht  sehen. 

Ich  bitte  daher  Euer  Majestät  a.  u.  um  Euer  Majestät  Allergnädigste 
Einflußnahme  im  Sinne  der  von  mir  erbetenen  Vorsorgen  für  die  eheste 
Ausgestaltung  des  gemeinsamen  Heeres. 

Wien,  am  23.  April  1911.  Conrad  m.  p.,  G.  d.  L 


28* 


435 


Anlage  3. 


Denkschrift 
vom  15.  November  1911. 

Res.  Gstb.  Nr.  4350. 

Allergnädigster  Herr! 

Geruhen  Euer  Majestät  die  vorliegende  Denkschrift  Allergnädigst 
entgegenzunehmen,  in  welcher  ich  bestrebt  bin,  ein  knappes  Bild  der 
militärpolitischen  Lage,  der  darauf  basierten  konkreten  Kriegsvorbereitungs- 
arbeiten, sowie  jener  Forderungen  zu  geben,  die  ich  pflichtgemäß  als 
unerläßlich,  beziehungsweise  unaufschiebbar  bezeichnen  und  für  welche 
ich  die  ganz  besondere  Allerhöchste  Einflußnahme  erbitten  muß. 

Wenn  ich  auch  in  allen  jenen  Memoires,  welche  ich  seit  meiner 
Ernennung  zum  Chef  des  Generalstabes  a.  u.  unterbreitet  habe,  mir 
erlaubte,  die  mich  leitenden  Anschauungen  schon  wiederholt  zum  Aus- 
drucke zu  bringen,  so  bitte  ich  doch  Euer  Majestät,  erneuert  Allergnädigst 
gestatten   zu  wollen,  daß  ich  dieselben  nochmals  kurz  zusammenfasse. 

Ich  gehe  von  der  Grundansicht  aus,  daß  em  Staat  stets  positive 
und  daher  auch  aggressive  Ziele  verfolgen  muß,  weil  bei  dem  Beschränken 
auf  das  bloße  Erhalten  ein  Rückgang  um  so  unausbleiblicher  wird,  als 
die  umgebenden  Nachbarn  ihr  Machtgebiet  zu  erweitem  streben. 

Ich  bin  daher  ferner  der  Ansicht,  daß  es  eine  Fiktion  ist,  an  einen 
Status  quo  zu  glauben  und  daher  auch  ein  Fehlschluß,  seine  Politik  und 
—  was  mh:  nahe  geht  —  damit  zusammenhängend  auch  seine  militärischen 
Vorsorgen  auf  einen  solchen  zu  basieren. 

Ich  bin  ferner  der  Ansicht,  daß  es  bei  der  eigenen  Verfolgung 
positiver  Entwicklungsziele  darauf  ankommt,  die  zur  Erreichung  dieser 
Ziele  unvenneidlichen  Aktionen  dann  eintreten  zu  lassen,  wenn  die 
Verhältnisse  hiefür  am  günstigsten  liegen,  sei  es,  daß  die  momentane 
Konstellation  plötzlich  solche  Chancen  bietet,  sei  es,  daß  eine  auf  ein 
solches  Ziel  weit  vorschauende  eigene  Politik  es  zustande  bringt,  solche 
Chancen  selbst  zu  schaffen,  was  mir  immer  als  natürlichster,  erfolg- 
reichster und  daher  gebotenster  Weg  erscheint. 

436 


Ich  halte  ferner  dafür,  daß  nur  bei  Einhaltung  des  letzteren  Prinzipes 
die  großen  Kosten  für  die  Wehrmacht  sich  bezahlt  machen,  beziehungs- 
weise, daß  umgel<ehrt  nur  bei  diesem  Prinzip  die  Möglichkeit  vorliegt, 
die  schweren  Lasten  für  die  Wehrmacht  zu  erleichtem,  weil  eben  nur 
dabei  die  Konzentrierung  der  Vorkehrungen  und  daher  auch  der  Aus- 
lagen für  eine  bestimmte  Aktion  möglich  erscheint,  während  es  andernfalls 
unvermeidlich  ist,  fortwährend  auf  alle  möghchen  von  außen  aufgedrängten 
Ereignisse  gefaßt  zu  sein,  also  fortwährend  eine  schwere  Rüstung  zu 
tragen,  welche  dann  oft  gänzlich  unverwertet  bleibt,  was  einem  Kapital- 
verlust von  Millionen  gleichkommt. 

Insbesondere  ein  Staat,  welcher,  wie  die  Monarchie,  allseits  von 
möglichen  Gegnern  umgeben  ist,  vermag  es  kaum  zu  leisten,  daß  er 
jederzeit  auch  allseits,  daher  auch  eventuell  gleichzeitig  gegen  mehrere 
Gegner  schlagbereit  sei;  ich  halte  dafür,  daß  gerade  ein  solcher  Staat 
mehr  als  jeder  andere  daran  gehen  muß,  seine  voraussichtlichen  Gegner 
beizeiten  festzustellen,  und  trachten  muß,  dieselben  nacheinander  nieder- 
zuringen, wenn  nicht  schon  das  Niederringen  eines  derselben  ausreichen 
sollte,  die  anderen  zur  Aufgabe  der  Gegnerschaft  bei  Verfolgung  ihrer 
politischen  Ziele  zu  veranlassen. 

Was  nun  die  Feststellung  der  voraussichtlichen  Gegner  anlangt,  so 
bin  ich  der  Meinung,  daß  hiefür  nicht  die  momentanen  Machthaber  des 
betreffenden  Staates  oder  die  momentan  zur  Schau  getragene  Stimmung 
seiner  Regierung  bestimmend  erscheinen,  sondern  daß  hiefür  ausschließlich 
die  der  Wesenheit  des  betreffenden  Staates  innewohnenden  Entwicklungs- 
bedingungen und  daher  stets  wieder  durchschlagenden  Entwicklungs- 
bestrebungen ausschlaggebend  werden,  daß  es  daher  darauf  ankommt, 
den  Kalkül  auf  diese  zu  basieren. 

Geht  man  daran,  die  Nachbarn  der  Monarchie  von  diesem  Stand- 
punkte aus  zu  beurteilen,  damit  man  — '■  und  das  ist  für  mich  pflichtgemäß 
geboten  —  nicht  nur  die  militärischen  Chancen  abwägen,  sondern  auch 
die  unerläßlichen  militärischen  Vorkehrungen  feststellen  könne,  so  führt 
dies  zu  folgendem: 

Italien.  Es  ist  unverkennbar,  daß  dieser  Staat  seit  seiner  nationalen 
Einigung  ununterbrochen  an  Konsolidierung  zunahm,  daß  er  sich 
kommerziell,  finanziell,  politisch  und  ganz  besonders  auch  in  militärischer 
Hinsicht  bedeutend  entwickelte  und  mit  allen  Bestrebungen  einer  Groß- 
macht auf  die  Weltbühne  getreten  ist.  Es  muß  besonders  hervorgehoben 
weiden,  daß  es  ein  Irrtum  wäre,  die  itahenische  Armee  noch  nach  dem- 
selben Maßstab  zu  messen,  wie  im  vorigen  Jahrhundert;  wird  auch  m 

437 


alle  Hinkunft  mit  der  überlegenen  soldatischen  Tüchtigkeit  der  Nationen 
der  Monarchie  zu  rechnen  sein,  so  sind  es  doch  vor  allem  das  vorzügliche, 
ambitionierte  Offizierskorps,  dann  die  reichliche  technische  Ausgestaltung, 
wozu  ich  ganz  besonders  auch  die  munifizent  durchgeführte  Reichs- 
befestigung rechne,  endlich  der  mit  allen  Mitteln  aufgestachelte  nationale 
Enthusiasmus,  welche  die  italienische  Armee  von  heute  weit  über  jene 
früherer  Zeiten  stellen. 

Die  Mißerfolge  in  Tripolis  dürfen  in  dieser  Hinsicht  nicht  überschätzt 
werden,  da  von  solchen  Erscheinungen  auch  andere  Armeen  in  ähnlichen 
Verhältnissen  betroffen  waren. 

Gestützt  auf  diese  Verhälhiisse,  ist  es  naturgemäß,  daß  Italien  positive 
Ziele  verfolgt.    Diese  sind: 

Der  Landbesitz  im  nördlichen  Afrika  (Tripolis); 

die  Einverleibung  Südtirols,  des  Isonzogebietes,  Istriens  und  Triests 
in  das  italienische  Staatsgebiet; 

die  wenigstens  kommerziell  entscheidende  Festsetzung  am  Balkan, 
hiezu  die  Vorherrschaft  in  der  Adria,  die  Durchdringung  des  westHchen 
Balkans  mit  dem  italienischen  Einfluß,  vielleicht  einmal  auch  die  tat- 
sächliche Festsetzung  in  wichtigen  Häfen  der  adriatischen  Ostküste, 
darunter  besonders  in  Valona. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  das  erste  Ziel  (Machterweiterung  in 
Afrika)  bloß  indirekt,  daß  aber  alle  andern  direkt  gegen  die  Interessen 
der  Monarchie  gerichtet  sind,  also  zur  Gegnerschaft  führen  müssen. 

Daß  dermalen  die  italienische  Regierung  alles  aufbietet,  um  Liebe, 
Freundschaft  und  Interessenharmonie  vorzuspiegeüi,  ist  mehr  als 
natürlich;  aber  ebenso  sicher  ist  es  auch,  daß  Italien  nach  Konsolidierung 
seiner  tripolitanischen  Aktion  sehr  bald  wieder  die  momentan  zurück- 
gestellten Ziele  hinsichtlich  der  italienischen  Territorien  der  Monarchie, 
sowie  hinsichtlich  der  Interessensphäre  am  Balkan  aufnehmen  wird,  weil 
dies  den  natürlichen,  dem  Wesen  Italiens  eigentümlichen  Entwicklungs- 
bestrebungen innewohnt. 

Mit  welcher  Rücksichtslosigkeit  und  in  welch  überraschender  Weise 
Italien  dabei  fast  mit  Sicherheit  vorgehen  wird,  darauf  weist  dessen 
Inszenierung  der  Tripolisaktion  mehr  als  deutlich  hin.  Es  wäre  bedenklich, 
dies  nicht  zu  erkennen. 

Rußland.  Wenn  auch  Rußland  zu  großem  Teil  mit  seinen 
Interessen  in  Asien  verwickelt  ist,  so  liegt  es  doch  auch  im  inneren  Wesen 
dieses  Reiches,  expansive  Ziele  in  Europa  zu  verfolgen;  für  dieselben  sind 
zwei  Momente  besonders  bestimmend,  und  zwar  die  nationale  Mission 

438 


als  slawische  Vormacht  und  das  Streben  nach  Erweiterung  seiner 
maritimen  Machtsphäre. 

Das  erstere  Moment  ist  Ursache  der  Wühlarbeit  Rußlands  in  den 
slawischen  Gebieten  der  Monarchie,  insbesondere  abzielend  auf  Gewin- 
nung des  ruthenischen  Elementes,  femer  Ursache  der  engen  Beziehungen, 
welche  Rußland  mit  Serbien  und  Montenegro  unterhält;  das  letztere 
Moment  spricht  sich  in  dem  Streben  nach  gesichertem  Besitz  der  Ostsee- 
gebiete (Finnland),  der  Festsetzung  am  Weißen  Meer,  vor  allem  aber  in 
dem  Streben  nach  dem  Besitz  der  Dardanellen  und  des  Bosporus  aus, 
hier,  um  die  Fahrt  ins  Mittelmeer  frei  zu  haben. 

Von  diesen  Momenten  sind  es  die  ersteren,  welche  Rußland  direkt 
in  Gegnerschaft  ziu*  Monarchie  bringen  können,  doch  dürften  vielleicht 
die  letzteren  das  Mittel  bieten,  sich  mit  Rußland  auszugleichen,  wenigstens 
für  jene  Zeit,  zu  welcher  man  positive  Ziele  an  anderer  Stelle  verfolgt. 

Dabei  muß  es  als  riditunggebend  bezeichnet  werden,  daß  die  PoUtik 
es  unbedingt  zu  vermeiden  wisse,  die  Monarchie  gleichzeitig  zu  mehreren 
Nachbarn,  also  insbesondere  Rußland,  Italien  und  den  Balkanstaaten,  in 
Gegnerschaft  zu  bringen.  Da  jedoch  letztere  hinsichtlich  Italiens  und  der 
Balkanstaaten  zweifellos  besteht  und  sicher  in  die  Erscheinung  treten  wird, 
so  legt  es  sich  nahe,  mit  Rußland  Beziehungen  anzubahnen,  welche 
dessen  Gegnerschaft  gegen  die  Monarchie  aufheben. 

Serbien  und  Montenegro.  Wie  schon  oben  erwähnt,  steht 
die  Politik  dieser  Staaten  in  engem  Zusammenhang  mit  jener  Rußlands; 
letzteres  wird  seine  Stellung  als  Schutzmacht  dieser  Staaten  kaum  je  preis- 
geben können  und  wird  diese  beiden  Staaten  stets  als  Verbündete  gegen 
die  Monarchie  bereit  haben  wollen;  aber  auch  Italien  wird  auf  beide 
stets  als  Verbündete  gegen  die  Monarchie  rechnen,  wozu  es  genau  so 
wie  Rußland  enge  Beziehungen  mit  beiden  aufrecht  erhält. 

Serbien  und  Montenegro  selbst  aber  sind,  nachdem  man  beide 
Staaten  groß  und  selbständig  werden  ließ,  ängstlich  darauf  bedacht,  sich 
diese  souveräne  Stellung  zu  wahren  und  sehen  daher  in  der  Monarchie 
als  nächsten  mächtigen  Nachbarn,  der  diese  Souveränität  bedroht,  ihren 
Gegner,  umsomehr,  als  auch  faktisch,  wie  später  noch  ausgeführt  werden 
soll,  die  Monarchie  auf  Einverleibung  dieser  Gebiete  (in  irgend  einer 
Form)  gewiesen  ist. 

Die  eigenen  Entwicklungsbestrebungen  Serbiens  sind  auf  Vereinigung 
aller  serbischen,  im  weiteren  Sinne  aller  südslawischen  Elemente  in  ein 
selbständiges  Königreich   Serbien  und  daher  auch  auf  die  Erwerbung 

439 


Altserbiens,  Rasciens  und  der  südslawischen  Gebiete  der  Monarchie 
gerichtet;  die  gleichen  Ziele  verfolgt  Montenegro,  welches  insbesondere 
die  Erstreckung  seines  Besitzstandes  bis  an  das  Meer  und  hiezu  vor  allem 
den  Besitz  Süddalmatiens  und  der  Herzegowina  anstrebt,  außerdem  aber 
auch  aus  mehr  geographischen  und  kulturellen  Motiven  den  Besitz 
türkischen  Gebietes  in  Albanien. 

Die  aus  der  Erstrebung  gleicher  Ziele  resultierende  Gegnerschaft 
beider  Staaten  ist  vorwiegend  nur  ein  Widerstreit  der  Dynastien,  während 
der  Einigungszug  dem  Wesen  des  Volksgeistes  entspricht. 

Die  obdargelegten  Verhälüiisse  lassen  daher  Serbien  und  Montenegro 
als  Gegner  der  Monarchie  erscheinen  und  gewärtigen,  daß  diese  Staaten, 
weil  allein  zu  schwach,  stets  Anlehnung  an  die  mächtigeren  Gegner  der 
Monarchie  suchen  und  mit  diesen  gemeinsame  Sache  machen  werden. 

Da  es  nun  aber  als  großer  militärischer  Vorteil  bezeichnet  werden 
müßte,  wenn  man  im  Falle  eines  großen  Krieges  der  Monarchie  nicht 
auch  noch  mit  der  aktiven  Feindschaft  dieser  Staaten  zu  rechnen 
gezwungen  wäre,  so  legen  es  die  militärischen  Rücksichten  (abgesehen 
von  den  sonstigen)  nahe,  diese  Staaten  lahmzulegen,  sobald  sich  eine 
passende  Gelegenheit  hiezu  bietet.  Bezüglich  Serbiens  erscheint  dies  für 
die  Dauer  nur  im  Wege  der  Inkorporierung  erfolgreich  durchführbar, 
indes  vielleicht  Montenegro  durch  materielle  Interessen  derart  an  die 
Monarchie  gebunden  werden  könnte,  daß  es  im  Anschluß  an  letztere 
entscheidende  Vorteile  fände. 

Insolange  derartiges  nicht  erreicht  ist,  werden  in  jedem  großen 
Krieg  der  Monarchie  sehr  erhebliche  militärische  Kräfte  durch  diese 
beiden  Staaten  gebunden  sein,  was  einen  entschiedenen  militärischen  Nach- 
teü  bedeutet,  da  diese  auf  dem  Hauptkriegsschauplatze  fehlen  werden. 

Türkei.  Die  innerpolitischen  Verhältnisse  der  Türkei  und  die 
Schwankungen  seiner  äußeren  Politik  machen  die  Türkei  dermalen  zu 
einem  höchst  unverläßUchen  Faktor  im  politischen  Kalkül.  Das  Wesen 
der  ganzen  Staatskonstitution  ist  auf  Erhaltung  des  allseits  gefährdeten 
Besitzes  gerichtet;  damit  ist  die  Türkei  momentan  in  Konflikt  mit  Italien 
und  kann  mit  Rußland,  Bulgarien,  Serbien,  Montenegro,  Griechenland, 
England  jederzeit  in  Konflikt  geraten;  sie  sieht  außerdem  ihren  Territorial- 
besitz durch  die  Autonomiebestrebungen  Albaniens  gefährdet.  Der 
Monarchie  gegenüber  bestehen  dermalen  keine  die  Gegnerschaft  bedin- 
genden direkten  Interessengegensätze.  Die  Türkei  könnte  dagegen  als 
Gegner  Serbiens  und  Montenegros  der  Monarchie  nutzbar  werden, 
eventuell  auch  als  Gegner  Rußlands  oder  Italiens,  was  einer  miütärischen 
Entlastung  der  Monarchie  zugute  käme. 

440 


Griechenland  hat  bei  seinen  nicht  sehr  entwickelten  mili- 
tärischen Verhältnissen  dermalen  wenig  politisches  Gewicht,  wird  aber 
immerhin  als  Gegner  der  Türkei  in  Rechnung  zu  stellen  sein. 

Bulgarien  verfolgt  eine  sehr  selbständige  Politik,  hat  keine 
direkten  gegen  die  Monarchie  gerichteten  Aspirationen,  dagegen  indirekt 
jene,  welche  es  in  Gegnerschaft  zur  Türkei  bringen,  femer  jene,  welche 
auf  Ausdehnung  seiner  Machtsphäre  gegen  Serbien,  Albanien  und 
Mazedonien  gerichtet  sind,  endlich  jene,  welche  es  in  Gegensatz  zu 
Rumänien  stellen,  insoweit  letzterer  Staat  als  Verbündeter  der  Monarchie 
in  Betracht  kommt. 

Rumänien.  Wenn  auch  in  Rumänien  die  Keime  einer  groß- 
rumänischen, schließlich  auf  die  rumänischen  Gebiete  der  Monarchie 
gerichteten  Propaganda  vorhanden  sind,  so  liegen  doch  in  der  Bedrohung 
durch  Bulgarien,  in  dem  Streben  nach  Erwerbung  Beßarabiens  und  in 
der  Bedrohung  durch  Rußland  so  gewichtige  Momente  für  den  Anschluß 
Rumäniens  an  die  Monarchie,  daß  mit  diesem  Anschluß  gerechnet  werden 
kann. 

Der  große  militärische  Vorteil,  welcher  für  die  Monarchie  in  einem 
aktiven  Zusammengehen  Rumäniens  mit  der  Monarchie  im  Falle  eines 
Krieges  der  letzteren  gegen  Rußland  gelegen  ist,  läßt  es  dringend 
erscheinen,  Rumänien  als  Alliierten  zu  erhalten. 

Deutschland.  Lassen  sich  auch  hinsichtlich  der  Verfolgung 
wirtschaftlicher  Interessen  am  Balkan  und  im  europäischen  Orient 
zwischen  Deutschland  und  der  Monarchie  gewisse  Konfliktspunkte  walir- 
nehmen,  so  ist  doch  die  Erhaltung  jedes  dieser  beiden  Staaten  derart  an 
ein  Miteinandergehen  gebunden,  daß  das  Bündnis  mit  Deutschland  die 
Grundlage  für  jedwede  Politik  der  Monarchie  bilden  muß;  auf  diese 
unerschütterliche  Voraussetzung  sind  auch  alle  militärischen  Vorkehrungen 
basiert,  was  ich  erneuert  besonders  hervorheben  muß  mit  dem  Beifügen, 
daß  ein  Wechsel  in  der  Politik  gegen  Deutschland  Jahre  vorher 
angekündigt  werden  müßte,  wenn  es  möglich  sein  sollte,  die  gegen 
Deutschland  zu  richtenden  Kriegsvorbereitungen  rechtzeitig  zu  bewirken, 
weil  dabei  vor  allem  auch  eine  eingehende  Sanierung  der  Bahnverhältnisse 
in  Frage  käme. 

Frankreich.  Die  Interessengemeinschaft  der  Monarchie  mit 
Deutschland  läßt  Frankreich  als  Gegner  der  Monarchie  erscheinen, 
sobald  dasselbe  mit  Deutschland  in  Konflikt  gerät.    Das  gleiche  gilt  von 

England;  beide  kommen  für  die  Monarchie  insoweit  in  Betracht, 
als  sie  Landstreitkräfte  Deutschlands  abziehen  und  als  eine  direkte 
Bedrohung  der  Monarchie  durch  Seestreitkräfte  dieser  Staaten  zu 
gewärtigen  ist. 

441 


An  europäischen  Staaten  muß  noch  Schwedens,  Dänemarks, 
Belgiens,  Hollands,  dann  Spaniens  und  der  Schweiz 
gedacht  werden. 

Schweden  vermöchte  in  einem  Krieg  gegen  Rußland  als  Ver- 
bündeter wertvoll  zu  werden  durch  Bindung  russischer  Kräfte  in 
Finnland. 

Dänemark  dürfte  stets  neutral  bleiben,  da  es  bei  ausgesprochener 
Stellungnahme  zu  viel  riskieren  würde;  nur  besteht  die  MögUchkeit,  daß 
seine  Neutralität  von  einem  der  Kriegführenden  nicht  respektiert  werden 
würde,  es  daher  auch  als  Basis  für  Landungen  benützt  werden  könnte. 

Das  gleiche  gilt  in  noch  höherem  Maße  von  Belgien  und 
Holland,  nur  stünde  bei  diesen  beiden  Staaten  zu  erwarten,  daß  sie 
sich  aktiv  gegen  jede  Verletzung  ihrer  Neutralität  wenden,  also  zu 
Gegnern  desjenigen  würden,  der  diese  Verletzung  begeht,  sofern  es  nicht 
einem  oder  dem  andern  gelingen  sollte,  Belgien  oder  Holland  von  Haus 
aus  als  Alliierten  zu  gewinnen. 

Spanien  käme  in  Betracht,  weim  es  als  Gegner  Frankreichs  auf- 
treten würde,  wozu  der  Marokko-Konflikt  Keime  geschaffen  hat. 

Schweiz.  Was  endlich  die  Schweiz  anlangt,  so  ist  als  beachtens- 
wertes Moment  die  dort  immer  mehr  Raum  gewinnende  Anschauung 
zu  verzeichnen,  daß  sich  die  Schweiz  durchaus  nicht  gebunden  erachtet, 
von  aktivem,  kriegerischem  Auftreten  abzustehen,  wobei  insbesondere 
betont  wird,  daß  speziell  dem  jungen  Königreich  Italien  gegenüber  eine 
derartige  Neutralitätsverpflichtung  nidit  bestehe.  Da  nun  die  Schweiz 
gleichfalls  von  der  italienisch-irredentistischen  Agitation  bedroht  ist  und 
gegen  Italien  sehr  ungünstige  Grenzverhältnisse  hat,  so  ist  bei  ent- 
sprechender Politik  zu  hoffen,  daß  die  Monarchie  im  Falle  eines  Krieges 
gegen  Italien  die  Schweiz  als  Verbündeten  zur  Seite  haben  würde,  worin 
ein  ganz  bedeutender  militärischer  Vorteil  gelegen  wäre. 

Von  außereuropäischen  Staaten  kommen  für  die  hier  behandelten 
Kombinationen  zunächst  Japan,  China  und  die  Vereinigten  Staaten  in 
Betracht,  und  zwar  hinsichüich  ihrer  gegenseitigen  Beziehungen  und 
ihrer  Politik  gegen  Rußland  in  dem  Sinne,  daß  Japan  oder  China  als 
Gegner  Rußlands,  die  Vereinigten  Staaten  jedoch  als  dessen  eventueller 
Verbündeter  gegen  Japan  zu  rechnen  sind.  Jedes  Engagement  Rußlands 
in  Ostasien  muß  als  Vorteil  für  die  Monarchie  bezeichnet  werden,  der 
allerdmgs  nur  dann  geltend  wird,  wenn  die  Monarchie  die  Schwäche- 
momente Rußlands  zu  eigenem  Handeln  ausnützt,  sei  es  durch  Aktionen, 
bei  welchen  ihr  sonst  Rußland  in  den  Arm  fallen  würde,  sei  es  durch 
einen  Krieg  gegen  Rußland  selbst. 

442 


Hält  man  nun  den  kurz  dargelegten  Entwicklungsrichtungen  der  aus- 
wärtigen Staaten  jene  der  Monarchie  entgegen,  so  betrifft  dies  folgendes: 

Die  Erhaltung  Südtirols  und  des  ganzen  Küstengebietes  ist  für  die 
Monarchie  unerläßliche  Bedingung,  jede  Bedrohung  derselben  müßte  als 
casus  belli  betrachtet  werden. 

Die  Seemachtstellung  der  Monarchie  und  —  gestützt  auf  diese  — 
Seehandel  und  Seevei'kehr  bedingen  die  Vorherrschaft  der  Monarchie  in 
der  Adria,  insbesondere  an  der  Ostküste  derselben;  jede  Festsetzung 
einer  anderen  Macht  an  dieser  müßte  mit  Gewalt  verhindert  werden. 

Der  gesicherte  Küstenbesitz  ist  an  die  Erhaltung  des  Hinterlandes 
gebunden;  jede  feindliche  Bedrohung  des  letzteren  muß  zum  Kriegsfall 
führen. 

Auch  jeder  andere  Gebietsverlust  müßte  in  gleicher  Weise  zurück- 
gewiesen werden,  was  insbesondere  auch  hinsichtlich  Galiziens  gilt, 
dessen  Verlust  eine  schwere  Einbuße  und  eine  Vernichtung  der  Groß- 
machtstellung der  Monarchie  bedeuten  würde. 

Diesen  vorwiegend  erhaltenden  Tendenzen  reihen  sich  aber  jene  an, 
welche  zur  eigenen  Expansion  drängen. 

Ohne  Kolonien  und  an  allen  anderen  Grenzen  mehr  oder  weniger 
wirtschaftlich  abgeschlossen,  findet  die  Monarchie  —  vom  Seeverkehr 
abgesehen  —  ein  kommerzielles  und  politisches  Ausdehnungsgebiet  nur- 
mehr auf  dem  Balkan;  auf  diesem  muß  sie  sich  die  Vorherrschaft  wahren, 
will  sie  nicht  wirtschaftlich  ersticken.  Dies  bedingt  jedoch  den  Besitz 
des  Gebietes  des  jetzigen  Königreiches  Serbien  inklusive  des  Raumes  von 
Nis,  in  der  Folge  allmähUch  erweitert;  dabei  spricht  der  geographische 
Ortsbesitz  ebensosehr  mit,  wie  die  Gefahr,  zwei  südslawische,  selbständige 
Kleinstaaten  bestehen  zu  lassen,  welche  stets  den  eigenen  südslawischen 
Besitz  der  Monarchie  gefährden  und  den  Gegnern  der  Monarchie  als 
stets  bereite  Verbündete  zur  Seite  stehen. 

Wie  oben  bereits  angedeutet,  liegt  eine  zweite  Richtung  für  die 
wirtschaftliche  Expansion  der  Monarchie  im  Seeverkehr;  dieser  bedingt 
eine  starke  Flotte  mit  einer  ausreichend  geschützten  heimatlichen  Flotten- 
basis, als  welche  hier  das  ganze  östliche  Küstengebiet  der  Adria  in  Frage 
kommt.  Gerade  aber  der  gesicherte  Besitz  einer  solchen  Flottenbasis 
erfordert  den  gesicherten  Besitz  des  Hinterlandes  mit  seinen  in  das 
Zentrum  der  Monarchie  führenden  Verbindungen,  und  so  weist  auch 
die  auf  dem  Gebiete  des  Seeverkehrs  zu  suchende  Entwicklungsriclitung 
der  Monarchie  auf  die  obdargelegten  Erwerbungen  am  Balkan  hin. 

In  der  Erwerbung  Serbiens  scheinen  mir  daher  die  nächsten 
Expansionsbestrebungen  der  Monarcliie  gelegen.  Inwieweit  einstens 
Erwerbungen  auf  dem  Gebiete  Polens  in  Frage  kommen  werden,  hängt 

443 


von  Verhältnissen  ab,  welche  dermalen  noch  zu  wenig  klar  hegen;  fast 
scheint  es  aber,  daß  Rußland  mit  solchen  Aspirationen  der  Monarchie 
rechnet,  da  es  jetzt  schon  daran  geht,  Oalizien,  mindestens  dessen  Ost- 
hälfte für  den  Anschluß  an  Rußland  zu  präparieren,  sei  es,  um  sein 
Gebiet  bis  an  die  Karpathen  auszudehnen,  sei  es,  um  sich  für  Gebiets- 
verluste in   Kongreßpolen   (Herzogtum   Warschau)   schadlos   zu   halten. 

Wenn  ich  alles  Vorstehende  resümiere,  so  ergibt  sich  als  ausschlag- 
gebend für  die  militärische  Lage  folgendes: 

Deutschland  und  Rumänien  müssen  als  Verbündete  betrachtet  werden. 

Italien,  Rußland,  Serbien,  Montenegro  sind  als  direkte  Gegner  der 
Monarchie  ins  Auge  zu  fassen. 

Die  übrigen  Staaten  mit  Ausnahme  der  Schweiz  kämen  nur  indirekt 
als  Gegner  oder  Verbündete  in  Betracht;  Frankreich  und  England  nur 
so  weit  direkt,  als  es  ihre  Seestreitkräfte  betrifft. 

Die  Schweiz  wäre,  soweit  es  bei  ihrer  Neutrahtät  mögÜch  erscheint, 
als  Verbündeter  sicherzustellen. 

Vergleicht  man  nun  die  militärischen  Machtmittel  der  Monarchie  mit 
den   obdargelegten   politischen   Erwägungen,   so  ergibt   sich   folgendes: 

Diese  Machtmittel  ermöghchen  es: 

a)  einen  Krieg  gegen  Rußland  zu  führen  unter  der  Voraussetzung,  daß 
dies  gemeinsam  mit  Deutschland  geschieht,  daß  Italien  sicher  neutral 
bleibt  und  gegen  Serbien  und  Montenegro  nur  die  notwendigsten 
Kräfte  belassen  werden,  lediglich  ausreichend,  die  Situation  aufrecht 
zu  erhalten,  bis  auf  dem  Hauptkriegsschauplatz  die  Entscheidung 
gefallen  ist; 

b)  die  obige  Möglichkeit  besteht  auch,  falls  Deutschland  überdies  gegen 
Frankreich  engagiert  wäre,  sonach  seine  Hauptkräfte  anfänglich  gegen 
dieses  gerichtet  hätte,  sie  bestünde  umsomehr,  wenn  Italien  nicht  nur 
neutral,  sondern  aktiv  an  der  Seite  Deutschlands  stehen  würde; 

c)  einen  Krieg  gegen  Italien  zu  führen,  wenn  man  der  Neutralität 
Rußlands  sicher  wäre  und  gegen  Serbien  und  Montenegro  jene 
Minimalkräfte  beließe,  wie  imter  a)  angegeben; 

d)  einen  Krieg  gegen  Serbien  und  Montenegro  zu  führen,  dabei  aber 
so  viele  Kräfte  noch  bereit  zu  haben,  um  nicht  ohne  Chancen  sich 
noch  rechtzeitig  gegen  Rußland  oder  Italien  wenden  zu  können, 
wenn  einer  dieser  Staaten  plötzlich  gegen  die  Monarchie  eingreifen 
sollte,  dabei  hinsichtlich  Rußlands  vorausgesetzt,  daß  Deutschland 
gemeinsam  mit  der  Monarchie  vorginge. 

Die  mihtärischen  Machtmittel  reichen  jedoch  nicht  aus,  um 
gleichzeitig  mit  Chance  einen  Krieg  gegen  Italien,  Rußland, 
Serbien  und  Montenegro  zu  führen. 

444 


Aus  diesen  Gründen  der  militärischen  Machtmittel  muß  es  daher 
Hauptziel  der  Politik  sein,  es  nie  zu  einer  derartigen  Situation  kommen 
zu  lassen,  daher  mit  den  unvermeidlichen  Gegnern  einzeln  abzurechnen. 
Wenn  trotzdem  in  den  konkreten  Kriegsvorbereitungen  auch  dieser 
Fall  vorgedacht  ist,  so  erfolgte  dies  nur,  damit,  falls  wider  alles  Erwarten 
derselbe  doch  eintreten  sollte,  auch  für  das  äußerste  vorgesorgt  sei,  und 
weil  ich  von  der  Ansicht  ausgehe,  daß  man  in  keinem  Fall  verzweifeln 
und  die  Hände  in  den  Schoß  legen  dürfe,  dabei  vor  Augen  habend,  daß 
Entschlossenheit  und  rücksichtslose  Tatkraft  oft  schon  aus  scheinbar 
verzweifelten  Lagen  zu  einem  günstigen  Ende  geführt  haben. 

Im    Sinne    des    Vorstehenden    sind    somit    die    konkreten    Kriegs- 
vorbereitungen für  folgende  Fälle  getroffen: 
a)  R-Fall,  das  ist 

Krieg  gegen  Rußland  gemeinsam  mit  Deutschland  imd  Rumänien, 
mit  Minimalkräften  gegen  Serbien  und  Montenegro  und  bei  Neu- 
tralität Italiens, 
b)  I-Fall,  das  ist 

Krieg  gegen  Italien  bei  Neutralität  Deutschlands  und  Rußlands  mit 
Minimalkräiten  gegen  Serbien  und  Montenegro, 
c)  B-Fall,  das  ist 

Krieg  gegen  Serbien  tmd  Montenegro  bei  Neutralität  aller  übrigen 
Staaten,  jedoch  unter  Bereithaltung  ausreichender  Kräfte  gegen  Italien 
oder  Rußland,  hinsichtlich  des  letzteren  auf  Allianz  mit  Deutschland 
gerechnet, 
d)  I+R-Fall,  das  ist 

der  höchst  ungünstige  und  daher  zu  vermeidende  Fall  eines  Krieges, 
in  welchem  Deutschland,  Österreich-Ungarn  und  Rumänien  auf  der 
einen,   Italien,  Rußland,  Frankreich,  Serbien,  Montenegro,  eventuell 
noch  England  auf  der  anderen  Seite  stehen  würden. 
Alle  diese  obgenannten  Kriegsfälle,  mit  Ausnahme  von  I+R,  werden 
bis  ms  Detail  inklusive  der  Instradierung  vorbereitet  und  basieren  bereits 
auf  dem   Dislokationswechsel  pro   1912,  welcher  unbedingt  programm- 
gemäß und  unverändert  durchgeführt  werden  muß. 

Als  Gültigkeitstermin  für  die  neuen  Kriegsvorbereitungen  ist  der 
1.  März  festgesetzt. 

Für  den  I+R-Fall  ist  nur  das  dringendste  vorgesehen,  weil  man 
wohl  annehmen  kann,  daß  die  Leitung  der  Pohtik  es  nie  zu  einer  solchen 
Lage  kommen  lassen  wird. 

Wenn  ich  obdargelegte  Kriegsmöglichkeiten  noch  einmal  berühre, 
so  möchte  ich  dabei  folgendes  hervorheben: 

445 


Rußland.  Es  ist  im  Vorstehenden  bei  jedwedem  Krieg  gegen 
Rußland  die  aktive  Mitwirkung  Deutschlands  vorausgesetzt,  sei  es,  daß 
dieses  von  Haus  aus  mit  allen  Kräften  gegen  Rußland  aufzutreten  vermag 
(was  mit  Rücksicht  auf  Frankreich  kaiun  wahrscheinlich  ist),  sei  es,  daß 
es  vorher  mit  der  Hauptkraft  im  Westen  (gegen  Frankreich  und  England) 
engagiert  wäre,  was  wahrscheinlich  eintreten  dürfte.  Für  diese  Fälle 
bestehen  die  Vereinbarungen  mit  dem  deutschen  Generalstab. 

Wenn  es  sich  jedoch  um  einen  Krieg  der  Monarchie  gegen  Rußland 
ohne  aktive  Mitwirkung  Deutschlands  handelt,  so  stünden  die  numerischen 
Verhältnisse  der  Monarchie  zu  Rußland  wie  2  : 3  zu  Ungunsten  der 
Monarchie.  Die  Teilnahme  Rumäniens  würde  dieses  Verhälüiis  auf  2-4 : 3 
bringen.  Daraus  erhellt,  daß  die  Monarchie  ohne  Deutschland  einen 
Krieg  gegen  Rußland  nur  dann  mit  numerischer  Chance  führen  könnte, 
wenn  Rußland  an  anderer  Stelle  mit  erheblichen  Kräften  engagiert  wäre. 

Fallen  für  die  Monarchie  voraussichtlich  auch  bessere  Führung  und 
größere  taktische  Gewandtheit  der  Truppen  ins  Gewicht,  so  stehen  dem 
jedoch  anderseits  die  große  Zähigkeit  und  Tapferkeit  der  russischen 
Soldaten  und  jener  Vorteil  gegenüber,  den  Rußland  in  seinen  unermeß- 
lichen Räumen  findet;  es  ist  daher  geboten,  den  Kalkül  der  Chancen  auf 
das  numerische  Kräfteverhältnis  zu  basieren. 

Dam.it  soll  jedoch  nicht  gesagt  sein,  daß  die  Monarchie  nicht  auch 
unter  solchen  Verhältnissen  einen  Waffengang  mit  Rußland  aufnehmen 
könnte,  wenn  die  Lage  es  erfordert,  insbesondere  wenn  schwerwiegende 
politische  Vorteile  auf  dem  Spiele  stünden. 

Italien.  Hinsichtlich  Italiens  gilt  es  vor  allem  zu  bedenken,  daß 
dieser  Staat  in  dem  letzten  Lustrum  einen  bedeutenden  militärischen 
Aufschwung  genom.men  und  insbesondere  seine  Befestigungen  und  sein 
Eisenbahnnetz  zielbewußt  und  im  großen  Stile  ausgebaut  hat. 

Das  militärische  Kräfteverhältnis  zwischen  der  Monarchie  und  Italien 
hat  sich  daher  von  Jahr  zu  Jahr  zu  Ungunsten  der  Monarchie  verändert 
und  schreitet,  von  der  momentanen  Störung  durch  die  Tripolis-Aktion 
abgesehen,  auf  diesem  Wege  weiter. 

Dies  bereits  vor  Jahren  voraussehend,  habe  ich  schon  damals, 
insbesondere  1907,  a.  u.  geraten,  mit  Italien  abzurechnen. 

Nachdem  dies  nicht  geschehen  ist,  erübrigt  nur,  die  eigenen  Kräfte 
derart  zu  entwickeln,  daß  das  relative  Kräfteverhältnis  wieder  zu  Gunsten 
der  Monarchie  umschlägt.  Dies  betrifft  vorwiegend  die  Ausgestaltung 
der  materiellen  Kriegsmittel,  darunter  vor  allem  die  schleunigste  Schaffung 
der  von  mir  schon  seit  Jahren  erbetenen  schweren  Angriffsartillerie,  dann 
Ausgestaltung  der  Bahnen,  Befestigungen  und  Grenzsicherungsmaß- 
n ahmen  sowie  der  Flotte  und  der  für  sie  nötigen  Küstenbefestigungen. 

446 


Bei  jedem  Krieg  gegen  Italien  ist  mit  einer  gleichzeitigen  Verwicklung 
mit  Serbien  und  Montenegro  gerechnet,  wobei  aber  gegen  diese  Staaten 
nur  die  notwendigsten  Kräfte  veranschlagt  sind,  wie  dies  bereits  im 
früheren  angeführt  erscheint. 

Ich  muß  hier  besonders  hervorheben,  daß  ein  Krieg  gegen  Italien 
jetzt,  das  ist  noch  vor  Vollendung  der  Befestigungen  am  Tagliamento, 
weitaus  größere  Chancen  hat,  als  nach  Vollendung  derselben;  in  richtiger 
Erkenntnis  dessen  arbeitet  Italien  mit  Hast  und  Energie  an  dieser  Voll- 
endung und  dürfte  längstens  Ende  1912  oder  Frühjahr  1913  damit 
fertig  sein. 

Ich  bin  der  Ansicht,  daß  auch  die  Politik  mit  den  entscheidenden 
Momenten  des  militärischen  Kräfteverhältnisses  rechnen  muß. 

Serbien.  Die  günstige  Gelegenheit,  die  serbische  Frage  gründUch 
zu  ordnen,  das  ist  Serbien  zu  inkori^orieren,  war  1909;  mein  damaliger 
Antrag  auf  kriegerische  Durchführung  wurde  trotz  der  bereits  durch- 
geführten wesentlichsten  Kriegsvorbereitungen  abgelehnt. 

Seilher  hat  Serbien  eifrig  an  der  Besserung  seiner  Heeresverhälhiisse 
gearbeitet  und,  wenn  auch  noch  manches  im  Rückstand  ist,  so  ist  doch 
die  serbische  Wehrmacht  von  heute  viel  höher  zu  veranschlagen  als  wie 
vor  zwei  Jahren,  auch  schreitet  ihre  Entwicklung  nach  jeder  Richtung  fort. 

Immerhin  erachte  ich  die  für  den  reinen  B-Fall  getroffenen,  auf  die 
Offensive  nach  Serbien  abzielenden  Maßnahmen,  neben  welchen  aus- 
reichende Kräfte  auch  noch  gegen  Italien  oder  gegen  Rußland  (diesfalls 
verbündet  mit  Deutschland)  bereit  bleiben,  für  vollkommen  genügend  und 
auch  die  im  Kriegsfalle  gegen  I  oder  R  gegen  Serbien  verbleibenden 
Minimalkiäfte  für  ausreichend,  den  Krieg  hier  nicht  ohne  Chance  zu 
führen,  bis  auf  dem  Hauptkriegsschauplatze  die  Entscheidung  gefallen  ist. 

Montenegro.  Das  Analoge  gilt  von  Montenegro,  doch  muß  ich, 
wie  ich  dies  auch  schon  in  vielen  früheren  Denkschriften  getan  habe, 
bezüglich  dieses  Staates  als  charakteristisch  hervorheben,  daß  Montenegro 
innerhalb  weniger  Tage  (2  bis  3)  eine  erhebliche  Kraft  (25—30.000  Mann) 
kampfbereit  konzentrieren  kann,  während  dieser  anfängHch  eigenerseits 
kaum  die  Hälfte  an  Gewehren  gegenübersteht,  da  sich  unsere  Truppen  nur 
auf  dem  stark  reduzierten  Friedensstand  befinden,  von  ihren  Ergänzungen 
aber  weit  entfernt  sind,  ohne  daß  für  deren  Heranbringung  genügend 
Bahnen  zur  Verfügung  stehen.  Hier  zeigt  sich  erneuert  die  dringende, 
von  mir  seit  Jahren  leider  fruchtlos  geltend  gemachte  Notwendigkeit  von 
nach  diesen  Gebieten  führenden  Vollbahnen,  deren  Nichtherstellung  ich 
als  ein  bedenkliches  Versäumnis  bezeichnen  muß. 

Wenn  ich  die  Schlußfolgerungen  aus  all  dem  Gesagten  ziehe,  so 
sind  es  folgende: 

447 


Die  Allianz  mit  Italien  ist  ein  Schaden  fiir  die  Monarchie; 

mit  Italien  wäre  abzurechnen,  ehe  es  mit  der  Ausgestaltung  seiner 
technischen  Kriegsvorbereitungen  (Bahnen,  Befestigungen)  zu  Ende 
kommt; 

der  passende  Moment  hiefür  wäre  das  Frühjahr  1912. 

Die  Ausnützung  des  durch  die  Tripolis-Aktion  momentan  geschaffenen 
Schwächezustandes  ist   ein   Gebot   der   Selbsterhaltung   der  Monarchie. 

Dieser  Entschluß  wäre  in  streng  reservierter  Weise  sofort  fest- 
zustellen und  wären  alle  noch  realisierbaren  Vorbereitungen  in  unauf- 
fälliger Weise  zu  treffen. 

Bei  der  jetzigen  Interessengruppierung  der  Mächte  ist  kaum  anzu- 
nehmen, daß  Rußland  der  Monarchie  in  den  Arm  fallen  oder  England 
maritim  gegen  letztere  eingreifen  würde,  ganz  besonders,  wenn  Deutsch- 
land die  Rückendeckung  gegen  Rußland  übernimmt,  wozu  es  durch  die 
Lage  gezwungen  ist,  weil  es  kaum  Italien  als  Alliierten  gegen  die 
Monarchie  eintauschen  dürfte.  Deutschland  würde  in  eine  bedenkliche 
Situation  geraten,  wenn  sich  die  Monarchie  an  Seite  Rußlands,  Frank- 
reichs und  Englands  stellen  würde. 

Sollte  es  aber  im  Gegenteil  etwa  gar  dazu  kommen,  daß  sich 
Deutschland  unter  Ausschaltung  der  Monarchie  mit  Rußland  und  Italien 
verbündet,  dann  wäre  für  sie,  soweit  die  militärische  Machtfrage 
entscheidend  wird,  die  denkbar  migünstigste  Lage  geschaffen;  jedenfalls 
müßte  eine  solche  Möglichkeit,  falls  sie  überhaupt  bestünde,  sofort  ins 
Auge  gefaßt  werden,  weil  dann  die  militärischen  Vorkehrungen  auf  eine 
ganz  neue  Basis  gestellt  und  außergewöhnliche  Vorbereitungen  getroffen 
werden  müßten. 

In  diesem  Falle  hätte  die  Monarchie  bestenfalls  Frankreich  und 
England  zur  Seite,  aber  von  letzterem  ist  keine  nennenswerte  kontinentale 
Unterstützung  zu  erwarten,  und  die  Landkräfte  Frankreichs  wären,  von 
geringen  Kräften  an  der  italienischen  Alpengrenze  abgesehen,  ganz  gegen 
Deutschland  engagiert. 

Die  Monarchie  stünde  dagegen  militärisch  einem  Teil  der  deutschen 
Kräfte,  dann  der  bewaffneten  Macht  Rußlands,  Italiens  (mit  Abschlag 
geringer  Kräfte  in  den  Westalpen),  dann  Serbiens,  Montenegros  gegen- 
über, soweit  diese  Staaten  nicht  auf  dem  Balkan  engagiert  wären. 

Rumänien  stünde  in  diesem  Falle  kaum  aktiv  auf  Seite  der  Monarchie, 
Bulgarien  würde  seine  eigenen  Zwecke  verfolgen,  die  Türkei  wäre 
abhängig  von  dem  Verhalten  der  übrigen  Balkanstaaten,  käme  also  in 
Europa  direkt  nicht  in  Betracht. 

Daraus  geht  hervor,  daß  anbetrachts  dieser  militärischen  Kräfte- 
verhälhiisse  seitens  der  Diplomatie  alles  aufgeboten  werden  muß,  um  eine 

448 


solche  fatale  Lage  unbedingt  zu  vermeiden,  und  daß  das  Gegenteil  als  die 
folgenschwerste  diplomatische  Niederlage  bezeichnet  werden  müßte. 

Nach  dieser  Abschweifung  auf  die  kriegerische  Stellungnahme  gegen 
Italien  zurückkommend,  möchte  ich  folgendes  anführen: 

Die  Haltung  ItaUens  im  Jahre  1909,  die  unausgesetzten  Hetzereien 
der  italienischen  Irredenta,  die  offenkundigen  Machinationen  in  Monte- 
negro, Albanien,  Serbien,  die  Einmischung  in  die  innere  Politik  der 
Monarchie  (Universitätsfrage  etc.),  die  bis  ins  Ungemessene  gesteigerten, 
dem  Fachmann  unverkennbar  auf  eine  offensive  Kriegführung  abzielenden 
Befestigungen  an  der  ö.-u.  Grenze,  sowie  alle  sonstigen  augenfällig  im 
Sinne  eines  Offensivkrieges  gegen  die  Monarchie  getroffenen  und  mit 
Hast  betriebenen  militärischen  Vorkehrungen  sowohl  zu  Land  als  zur 
See,  das  provokatorische  Benehmen  der  Grenzorgane  etc.  geben  der 
Monarchie  auch  vollends  das  moralische  Recht  zu  einem  solchen  Schritte. 

Den  etwaigen  Einwurf,  daß  letzterer  kein  greifbares  Ziel  habe, 
möchte  ich  mit  folgendem  entkräftigen: 

Das  politische  Ziel  dieses  Krieges  wäre: 

1.  Niederwerfung  eines  Gegners,  der  ansonst  der  Monarchie  bei 
allen  anderen  Verwicklungen  in  den  Rücken  fallen  würde; 

2.  dadurch  gewonnene  Freiheit  des  Handelns,  insbesondere  am 
Balkan  und  gegenüber  Rußland; 

3.  Unschädhch machung  eines  Gegners,  der  ganz  positive,  aggressive 
Ziele  gegen  die  Monarchie  verfolgt  (Südtirol,  Küstenland,  Balkan  etc.) 
und  dadurch  Sicherung  des  eigenen  Besitzstandes  und  Interessengebietes; 

4.  Wiedergewinnung  Venetiens,  was  für  die  Herrschaft  in  der  Adria 
und  für  den  gesicherten  Besitzstand  der  Monarchie  von  eminenter 
Bedeutung  wäre; 

5.  mindestens  Abtretung  des  Gebietes  bis  an  den  Tagliamento, 
sowie  der  Carnia  und  des  Cadore  (Gebiete  mit  vielfach  slowenischer 
Bevölkerung)  nebst  ausgiebiger  Regulierung  der  höchst  ungünstigen 
übrigen  Grenzen  zu  Gunsten  der  Monarchie;  all  dies,  um  die  militär- 
geographisch höchst  ungünstigen  Verhältnisse,  insbesondere  hinsichthch 
des  Aufmarsches  zu  sanieren; 

6.  Vernichtung,  eventuell  Abtretung  der  Flotte; 

7.  Einhebung  einer  ausgiebigen  Kriegsentschädigung,  respektive 
Kriegskontribution ; 

8.  Hebung  des  Prestiges  der  Monarchie  und  dadurch  Gewinn  eines 
großen  politischen  Gewichtes; 

9.  Hebung  des  Geistes  der  Armee,  der  durch  eine  Politik  des  fort- 
währenden Paktierens,  Zaudems  und  Nachgebens  entschieden  leidet. 

29,  Conrad  II  ^Q 


Bei  all  dem  ist  nicht  zu  vergessen,  daß  die  Lombardei  und  Venetien 
nach  langen,  opfervollen  Kämpfen  von  der  Monarchie  erworben,  aber 
von  Italien  unter  skrupelloser  Ausnützung  momentan  günstiger  Verhält- 
nisse derselben  wieder  abgenommen  wurden. 

Ich  erachte  also  einen  Krieg  gegen  Italien  für  ein  Gebot  und  die  Aus- 
nützung der  jetzigen  Lage  für  das  angemessenste. 

Diese  Lage  vorüberstreichen  zu  lassen,  ohne  sie  zu  benützen, 
erschiene  mir  als  ein  Versäumnis. 

Dieses  Benützen  könnte  allerdings  auch  durch  Verfolgen  der 
politischen  Ziele  auf  dem  Balkan  geschehen,  doch  dürfte  dies  zu  einer 
viel  schwierigeren  Situation  mit  Rücksicht  auf  Rußland  führen,  immerhin 
erschiene  auch  dies  diskutabel. 

Aber  weder  das  eine  noch  das  andere  zu  tun,  erschiene  mir  nicht 
zu  rechtfertigen. 

Ich  glaube  im  Vorstehenden  angedeutet  zu  haben,  wie  tief  die  militä- 
rischen Kräfteverhältnisse  in  die  Leitimg  der  Politik  hineinreichen,  wie 
innig  verknüpft  militärische  Machtfaktoren,  konkrete  Kriegsvorbereitungen 
und  Richtung  der  Politik  sind,  und  damit  auch  begründet  zu  haben,  daß 
die  mir  ressortmäßig  obliegenden  Arbeiten  ein  derartiges  Eingehen  auf 
die  politische  Situation  nicht  nur  rechtfertigen,  sondern  geradezu  bedingen, 
umsomehr  als,  wie  ich  dies  schon  wiederholt  geltend  gemacht  habe, 
sowohl  die  allgemeinen,  als  ganz  besonders  auch  die  sogenannten 
konkreten  Kriegsvorbereitungen  von  langer  Hand  vorbereitet  sein  müssen, 
sich  nicht  im  letzten  Moment  improvisieren  lassen,  daher  beizeiten  auf 
ein  bestimmtes,  dem  großen  Zug  der  Staatenentwicklung  angepaßtes 
politisches  Ziel  gerichtet  zu  sein  haben,  nicht  aber  dem  Wechsel  einer 
sich  nur  von  äußeren  Einflüssen  abhängig  machenden  Politik  folgen 
können. 

Sollte  ich  jene  Mächtegruppierung  bezeichnen  müssen,  welche  ich 
vom  Standpunkte  der  militärischen  Machtfaktoren  —  und  nur  diese  sind 
von  meinem  Ressortstandpunkte  aus  für  mich  entscheidend  —  als  die 
für  die  Monarchie  ersprießlichste  erachte,  so  wäre  dies  eine  Verbindung 
der  Monarchie  mit  Deutschland  und  Rußland,  aber  ohne  dieses  Bündnis 
durch  weitere  Ententen  zu  komplizieren  und  zu  verwässern. 

Wenn  ich  im  Vorstehenden  die  militärischen  Machtverhältnisse  in 
Erwägung  gezogen  habe,  so  geschah  dies  vorwiegend  mit  Bezug  auf 
die  numerischen  Verhältnisse,  oder  kurz  gesagt,  auf  die  Zahl  der 
Divisionen  erster  und  zweiter  Linie. 

Dieser  Vergleichsmaßstab  wäre  aber  sehr  einseitig,  wenn  dazu  nicht 
auch  alle  sonstigen  Verhältnisse  der  bewaffneten  Macht,  als:  Ausrüstung, 
technische   Kriegsmittel,   Bewaffnung,   Befestigungen,  Spezialformationen, 

450 


Vorkehrungen  für  beschleunigte  MobiHsierung  und  Konzentrierung  etc. 
in  Betracht  gezogen  würden. 

In  dieser  Hinsicht  ist  es  eine  unleugbare  Tatsache,  daß  in  der  bewaff- 
neten Macht  schon  seit  Jahren  erhebliche  Rückstände  t>estehen,  Rück- 
stände, für  deren  Behebung  ich  unablässig  eingetreten  bin,  welche  aber 
in  den  letztvergangenen  fünf  Jahren  noch  weit  von  einer  Behebung 
gebheben  sind. 

Sie  betreffen  vor  allem  das  Menschenmaterial  für  Behebung  der 
mißlichen  Standesverhältnisse  und  für  Aufstellung  unerläßlicher  Neu- 
formationen, dann  die  Geldmittel  zur  Bestreitung  der  hiedurch  notwendig 
werdenden,  sowie  der  für  Neubeschaffungen  unvermeidlichen  Auslagen. 

Die  stete  Verzögerung  der  auf  Erhöhung  des  Rekrutenkonlingentes 
abzielenden  wehrgesetzlichen  Bestimmungen  und  die  nicht  genügende 
Geltendmachung  der  von  mir  ohnehin  auf  das  Mindestmaß  reduzierten 
budgetären  Forderungen  im  Vereine  mit  einer  die  Großmachtstellung  der 
Monarchie  nicht  im  Auge  habenden  Finanzpolitik  sind  Ursachen  dieser 
t)edenklichen  Verhältnisse. 

Ich  kann  nicht  umhin,  darauf  zurückzukommen,  daß  ich  schon 
seinerzeit  die  für  den  Ausbau  der  bewaffneten  Macht  und  der  Reichs- 
befestigung erforderlichen  Mittel  unter  eingehender  Motivierung  bezeichnet 
habe,  daß  jedoch  mit  Beiseiteschiebung  meiner  Anträge  und  Ausschaltung 
meiner  Person  jener  Pakt  geschlossen  wurde,  nach  welchem  bloß  200 
Millionen,  auf  fünf  Jahre  verteilt,  als  Mehrforderung  festgesetzt  imd 
überdies  die  Verpflichtung  eingegangen  wurde,  in  dieser  Zeit  keine 
weiteren  Forderungen  einzubringen.  Meine  sofort  geltend  gemachte 
Verwahrung  gegen  diesen  Vorgang  vermochte  die  Sache  nicht  mehr  zu 
ändern. 

Dermalen  glaube  ich  jedoch  die  Möglichkeit  geboten,  die  unerläß- 
lichen Forderungen  erneuert  zur  Geltung  zu  bringen,  umsomehr,  als  die 
dermalige  politische  Lage,  welche  durchaus  nicht  absehen  läßt,  ob  die 
nächste  Zukunft  nicht  schwerwiegende  Verwicklungen  schaffen  wird,  als 
Begründung  eines  solchen  Auftretens  ausgenützt  zu  werden  vermag. 

Ich  sehe  überhaupt  in  der  offenen  Darlegung  der  unerläßlichen 
Forderungen  seitens  der  Heeresleitung  das  einzige  und  auch  angemessenste 
Mittel  zur  Sanierung  der  bestehenden  Mängel  und  erachte  dafür,  daß 
nichts  erübrigt,  als  das  Unzureichende  der  bisherigen  Anforderungen 
offen  einzubekennen. 

Es  ist  gewiß  sehr  schwierig,  die  erhöhten  budgetären  Forderungen 
zur  Geltung  zu  bringen,  aber  wenn  man  die  Summen  bedenkt,  welche 
für  nebensächliche  Lokalbahnen,  für  prekäre  Wasserstraßen,  für  Beamten- 
versorgung, endlich  für  einen  geradezu  monströsen  Verwaltungsapparat 


29' 


451 


in  Rechnung  gestellt  werden,  so  erscheinen  die  die  Existenz  der  Monarchie 
direkt  betreffenden  militärischen  Forderungen  durchaus  nicht  ungerecht- 
fertigt, insbesondere,  wenn  man  damit  die  finanziellen  Mittel  vergleicht, 
welche  andere  Staaten  für  Heereszwecke  aufwenden. 

Gerade  bei  der  jetzigen,  schon  früher  kurz  charakterisierten  politischen 
Lage  erachte  ich  aber  ein  ehestes  Vorgehen  in  dieser  Beziehung 
unab  weislich. 

Um  eine  Basis  hiefür  zu  geben,  habe  ich  die  vom  Standpunkte  der 
konkreten  Kriegsvorbereitungen,  sowie  der  Schlagfertigkeit  in  Frage 
kommenden  dringenden  Forderungen  zusammenstellen  lassen,  und  zwar 
derart,  daß  dabei  zum  Ausdruck  kommen: 

die  überhaupt  in  naher  Zukunft  zu  bewurkenden  Maßnahmen,  dann 
jene  davon, 

welche  bis  1913  zu  realisieren  und  jene, 

welche  noch  bis  1912  unbedingt  durchzuführen  sind. 

Ich  ermesse  vollauf  die  enormen  Schwierigkeiten,  welche  dem  der- 
maligen Kriegsminister  infolge  des  übernommenen  Erbes  erwachsen,  aber 
welche  Politik  immer  die  Monarchie  befolgen  möge,  so  steht  es  doch 
fest,  daß  die  mannigfachen  Mängel  der  bewaffneten  Macht  so  rasch  als 
möglich  behoben  werden  müssen  und  jedes  Hinausschieben  die  bedenk- 
lichsten Folgen  haben  könnte.  Vor  allem  auch  schon  deshalb,  weil,  wie 
die  jüngsten  Erfahrungen  gezeigt  haben,  die  poHtische  Lage  plötzlich 
Wendungen  nimmt,  welche  von  der  Diplomatie  gar  nicht  vorausgesehen 
waren,  welche  aber  die  Monarchie  jeden  Moment  vor  den  Appell  an 
die  Wehrmacht  stellen  können. 

Wessen  man  sich  gefaßt  machen  muß,  zeigt  am  besten  das  über- 
raschende und  skrupellose  Vorgehen  Italiens  in  der  Tripolis-Unternehmung 
im  Zusammenhalt  mit  der  Tatsache,  daß  dieser  Staat  seine  gegen  die 
Monarchie  gerichteten  Kriegsvorbereitungen  mit  aller  Beschleunigung  zu 
vollenden  trachtet. 

Geruhen  Euer  Majestät  daher  Allergnädigst  die  meinerseits  gestellten 
Anträge  einer  Allerhöchsten  Würdigung  zu  unterziehen  und  deren  Aus- 
führung die  Allerhöchste  imperative  Einflußnahme  zuzuwenden. 

Wien,  am  15.  November  1911. 

Franz  Freiherr  Conrad  von  Hötzendorf, 

General  der  Infanterie. 


452 


Beilagen  zur  Denkschrift 

des  Chefs  des  Generalstabes  vom  15.  November  1911. 

Bearbeitet  in  den  verschiedenen  Gener alstabs-Bureaus. 

Zusammengestellt  im  Operationsbureau. 

Anmerkung: 

Die  Beilagen  1,  2,  7  sind  vollinhaltlich, 

die  Beilagen  5  a  und  5  b  sind  vollinhaltlich  bis  auf  die  Dislokationsskizzen, 

die  Beilagen  3,  5,  6,  8  sind  im  wesentUchen  mit  Hinweglassung  irre- 
levanter Details  gegeben. 

Beilage  4  (italienische  Befestigungen)   ist  im  Originale   eine  Karte  mit 
detaillierter   Einzeichnung   der   italienischen,   teils   bestehenden,  teils 
im  Umbau,  teils  im  Neubau  befindlichen  Werke; 
sie  ist  in  einer  auszugs weisen  Skizze  beigeschlossen. 

Beilage  1. 

Die  notwendigen  militärischen  Maßnahmen  und  die 
Bereitstellung  der  Mittel  für  die  Wehrmacht. 

Während  sich  die  äußere  Lage  —  wie  in  der  Denkschrift  dargelegt  — 
derart  gestaltete,  daß  für  die  Monarchie  das  gleichzeitige  Eintreten  dreier 
Kriegsfälle  (Italien,  Rußland  und  Balkan)  im  Bereiche  der  MögHchkeit 
liegt,  während  unsere  Nachbarn  (namentlich  aber  Itahen)  mit  der  größten 
Intensität  und  bei  Aufwendung  außerordentlicher  Kredite  an  der 
Entwicklung  ihrer  Wehrmacht  arbeiteten,  wurden  unserer  Armee  keine 
Mittel  zugewendet,  welche  es  ihr  auch  nur  halbwegs  gestattet  hätten,  mit 
dem  Fortschritt  der  möglichen  Gegner  Schritt  zu  haUen. 

Bis  zum  Jahre  1908  wurden  einzig  nur  die  Geldmittel  zur 
Beschaffung  der  Schnellfeuerkanonen  für  unsere  Feldartillerie  erlangt. 

Zur  Annexionszeit  waren  die  Rückständigkeiten  so  unerträglich  und 
für  die  Schlagfertigkeit  so  gefahrdrohend  geworden,  daß  mit  einem 
Rüstungskredit  von  180  Millionen  Kronen  die  Sanierung  der  aller- 
dringendsten  Mängel  angebahnt  wurde.  Von  diesen  180  MilUonen  gingen 
etwa    42    Millionen    auf    die    vorübergehenden    Standeserhöhungen    in 

453 


B.  H.  D.  auf,  etwa  132  Millionen  wurden  produktiv  verwertet  zur 
Beschaffung  von  Maschinengewehren  und  Gebirgshaubitzen,  von  Muni- 
tion und  Gebirgsausrüstungen,  dann  zur  notdürftigsten  Ausgestaltung 
der  bedrohten  Befestigungen. 

Die  unerläßlichsten,  geringfügigen  Neuaufstellungen,  wie  Maschinen- 
gewehrabteilungen, Gebirgsbatterien,  Festungsartillerie,  mußten  immer 
wieder  auf  Kosten  der  ohnehin  unzureichenden  Stände  der  Truppen 
durchgeführt  werden,  was  —  namentlich  bei  der  Infanterie  —  so  weit 
führte,  daß  die  vierten  Bataillone  auf  verminderten  Stand  gesetzt  werden 
mußten. 

Um  diesen  für  die  Schlagfertigkeit  der  Wehrmacht  äußerst  bedenk- 
lichen Zuständen  ein  Ziel  zu  setzen,  wurden  die  Grundzüge  einer  Wehr- 
reform ausgearbeitet. 

Beilage  2  läßt  entnehmen,  daß  die  ermittelten  Kosten  dieser  auf  der 
zweijährigen  Dienstzeit  beruhenden  Wehrreform  auf  Grund  des  Minister- 
rates im  November  1910  soweit  reduziert  wurden,  daß  die  tatsächliche 
Durchführung  ohne  Inanspruchnahme  weiterer  bedeutender  Mittel  für 
fortlaufende  und  für  einmalige  Auslagen  gar  nicht  denkbar  ist. 

In  der  Beilage  2  und  in  den  folgenden  Beilagen  sind  die  beiläufigen 
Kosten,  ohne  den  Detailberechnungen  des  berufenen  Kriegsministeiiums 
vorgreifen  zu  wollen,  zu  dem  Zwecke  eingesetzt,  um  ein  Gesamtbild  über 
die  erforderlichen  Mittel  zu  geben.  Ein  solcher  Überblick  der  Gesamt- 
kosten erscheint  mir  aber  unerläßlich,  wenn  die  künftige  Budgetierung 
dem  tatsächlichen  Bedarf  entsprechen  und  das  Versäumte  nachgeholt 
werden  soll. 

Für  die  Reichsbefestigung  wurde  im  Jahre  1909  ein 
„Minimalprogramm"  mit  den  Gesamtkosten  von  155  Millionen  Kronen 
festgestellt. 

Da  aber  für  diesen  Zweck  in  den  Jahren  1910  und  1911  zusammen 
einschließlich  der  Armierungen  nur  17-25  MiUionen  Kronen  gewidmet 
wurden,  für  das  Jahr  1912  aber  gar  nur  6-38  Mülionen  Kronen  prähmi- 
niert  sind,  so  müßte  sich  beim  Fortdauern  einer  solchen  Budgetierung 
der  Ausbau  der  Reichsbefestigung  auf  mehr  als  ein  Vierteljahrhundert 
hinausziehen.  Da  einerseits  eine  solche  Verzögerung  der  für  die  Reichs- 
verteidigung als  dringend  erkannten  fortifikatorischen  Maßnahmen  ganz 
unzulässig  wäre,  anderseits  aber  mit  der  Zeit  auch  neue  Forderungen 
auftreten  (wie  z.  B.  Sebenico),  wurden  in  Beilage  3  die  wichtigsten 
permanenten  Befestigungen  im  Grenz-  und  Küstenbereiche  zusammen- 
gestellt und  ihre  Gesamtkosten  von  etwa  145  Millionen  Kronen  nach  dem 
Maß  der  Dringlichkeit  auf  die  Jahre  1912  bis  einschließlich  1917  verteilt. 

454 


In  der  Beilage  3  ist  auch  ersichtlich  gemacht,  daß  für  jene  feld- 
mäßigen Befestigungen,  welche  zur  Sicherung  unseres  schwierigen  Auf- 
marsches im  Bereiche  des  III.  und  XIV.  Korps  überall  dort  notwendig 
sind,  wo  die  Anlage  permanenter  Fortifikationen  entfällt,  nur  der  gering- 
fügige, aber  äußerst  dringende  Bedarf  von  etwa  530.000  Kronen 
erforderlich  ist. 

Demgegenüber  läßt  die  Skizze  Beilage  4  entnehmen,  in  welcher 
intensiven  Weise  Itahen  seine  Befestigungen  an  unserer  Grenze  jetzt  tat- 
sächlich ausbaut.  So  sind  allein  an  der  Gemona — Tagliamento-Linie  seit 
1910  zehn  Panzerwerke  im  Bau,  deren  Vollendung  schon  im  Jahre  1912 
sicher  zu  gewärtigen  ist.  Hand  in  Hand  damit  geht  die  Ergänzung  der 
permanenten  Befestigungen  durch  zahlreiche  provisorische  Batterien  und 
Emplaceraents,  welche  ebenso  wie  der  Bau  der  Zufahrtswege,  Geschütz-  und 
Munitionsdepots  etc.  bei  Aufwendung  großer  Mittel  rasch  fortschreitet. 

Beilage  5  enthält  die  unerläßlichen  Maßnahmen  für  Organi- 
sation und  Grenzschutz,  welche  zumeist  erst  bei  Eintritt  der 
Wehrreform  —  sei  es  mit  zwei-  oder  mit  dreijähriger  Dienstzeit  — 
durchzuführen  wären. 

Diese  Maßnahmen  halten  sich  im  allgemeinen  im  Rahmen  des  vom 
Kriegsministerium  für  die  Wehrreform  aufgestellten  Projektes;  sie  gehen 
darüber  nur  hinaus: 

1.  insoweit  es  sich  um  die  noch  fehlenden  Kommanden  und  For- 
mationen für  schon  bestehende  Verbände  handelt  (wie  beim  Heere 
2  Kavallerie-Truppen-Divisions-Kommanden,  1  reitende  Artillerie-Division, 
6  Kavallerie-Maschinengewehrabteilungen,  fehlende  Feld-  und  Gebirgs- 
traineskadronen)  und 

2.  insoweit,  als  uns  durch  die  erwähnten  fortifikatorischen  Maß- 
nahmen Italiens  in  den  Anfangsstadien  eines  Kriegsfalles  Italien  ein 
allgemeiner  Angriff  auf  Befestigungen  aufgezwungen  ist.  Diese  fort- 
schreitende Absperrung  aller  Einbruchswege  gibt  den  artilleristischen 
imd  pioniertechnischen  Vorsorgen  eine  geradezu  ausschlaggebende 
Bedeutung,  weil  der  Erfolg  einer  Offensive  an  die  Niederkämpfung  von 
Befestigungen  geknüpft  ist  und  die  Organisation  unserer  Festungs- 
artillerie imd  Pioniertruppe  zur  Erfüllung  dieser  Aufgaben  dringendst 
einer  Ergänzung  bedarf. 

In  diesem  Sinne  ist  in  den  Beilagen  5  a  imd  5  b  und  in  den 
zugehörigen  Dislokationsskizzen  I  und  II  jenes  Mindestmaß  der  Aus- 
gestaltung unserer  Festungsartillerie  und  Pioniertruppe  festgestellt, 
welches  gerade  noch  hinreichen  kann,  um  im  Vereine  mit  der  Umgehung 
der  Sperren  durch  Truppen  mit  reichlicher  Gebirgsausrüstung  einen 
entscheidenden  Erfolg  zu  gewährleisten. 

455 


Auf  Grund  genauer  Studien  über  die  Angriffsverhältnisse  auf  die 
Befestigungen,  deren  Niederlcämpfung  unvermeidlich  ist,  muß  ent- 
schieden ausgesprochen  werden,  daß  keine  andervc^eitige  Ausgestaltung 
der  Wehrmacht  imstande  wäre,  die  fehlenden  artilleristischen  und  pionier- 
technischen Angriffsmittel  zu  ersetzen. 

Um  die  dafür  erforderlichen  personellen  und  materiellen  Mittel 
rasch  zu  erlangen  und  die  Reorganisation  bis  zum  Frühjahr  1915 
durchzuführen,  müßten  äußerstenfalls  die  in  der  Wehrreform  vorgesehene 
Aufstellung  der  Gebirgsartillerie  vorläufig  von  fünf  auf  zwei  neue 
Gebirgsartillerie-Regimenter  eingeschränkt  und  der  Ersatz  der  beiden 
in  B.  H.  befindlichen  Kavallerie-Eskadronen  auf  einen  späteren  Zeitpunkt 
verschoben  werden. 

HinsichtUch  der  Festungsartillerie  bezwecken  die  in  Anlage 
5  a  und  Dislokationsskizze  I  enthaltenen  Anträge 

a)  die  Schaffung  knapp  ausreichender  Artilleriebesatzungen  für  die  in 
erster  Linie  bedrohten  festen  Plätze, 

b)  die  Schaffung  der  für  Angriffszwecke  unerläßlichen  schweren  Angriffs- 
aitillerie  bei  möglichst  sparsamer  Organisation  im  Frieden. 
Hinsichtlich     der     Pioniertruppe     macht     der     zunehmende 

Umfang  der  technischen  Ausbildungszweige  im  Vereine  mit  der  zu 
gewärtigenden  zweijährigen  Dienstzeit  eine  Trennung  der  jetzigen 
„Einheitspioniere"  in  eine  Pionier-  und  eine  Pontonieriruppe  unaus- 
weichUch.  Nach  diesem  Grundsatz  sind  die  Anträge  in  Beilage  5  b  und 
Dislokationsskizze  II  mit  Rücksicht  auf  den  unumgängUchsten  Bedarf  an 
diesen  beiden  technischen  Truppengattungen  gestellt. 

Beilage  6  enthält  jene  materiellen  Vorsorgen,  deren 
Realisierung  für  die  Kriegsbereitschaft  der  Wehrmacht  von  entscheidendem 
Einflüsse  sind. 

Diese  materiellen  Erfordernisse  sind  auf  das  notwendigste  ein- 
geschränkt und  ganz  im  Rahmen  meiner  im  Jahre  1910  unter  Res.  General- 
stab  Nr.  3147  an  das  Kriegsministerium  gestellten  Anträge  gehalten,  von 
denen  bisher  einzig  nur  die  Beschaffung  der  schweren  30-5  cm-Mörser 
in  Angriff  genommen  wurde.  Doch  hat  das  Kriegsministerium  schon  im 
Sommer  1911  im  a.  u.  Vortrag  Präs.  Nr.  7400  die  Notwendigkeit  eines 
besonderen  Kredites  von  etwa  180  MiUionen  Kronen  für  die  Beschaffung 
modernen  Artilleriematerials  anerkannt. 

Beilage  7  enthält  eine  Gesamtübersicht  der  für  die  mili- 
tärischen Maßnahmen  der  nächsten  Jahre  erforderlichen  Mittel,  insoweit 
sie  durch  die  bis  1915,  angeforderten  Kredite  nicht  gedeckt  sind. 

Dabei  ist  auch  die  in  absehbarer  Zeit  ganz  unvermeidliche  Neubewaff- 
nung unserer   Infanterie  in  Rechnung  gezogen.     Diese  Neubewaffnung 

456 


kann  uns  durch  die  analoge  Maßnahme  anderer  Staaten  jederzeit  auf- 
gezwungen werden;  das  müßte  aber  wieder  zur  Zurückstellung  anderer 
ganz  unerläßlicher  Maßnahmen  führen,  wenn  die  dazu  erforderlichen 
Mittel  nicht  im  vorhinein  in  den  Gesamtkaliiül  einbezogen  werden. 

Beilage  8  enthält  jene  militärisch  wichtigen  Maßnahmen  im  Kommuni- 
kationswesen, in  der  Wasserversorgung  und  in  gesetzlicher  Hinsicht, 
welche  zwar  das  Kriegsbudget  nicht  belasten,  deren  intensive  Förderung 
aber  vom  Standpunkte  der  Wehrmacht  unerläßlich  ist,  um  das  Zustande- 
kommen dieser  Maßnahmen  zu  erreichen. 

Hinsichtlich  der  Eisenbahn  sind  nur  die  allerdringendsten  Erforder- 
nisse aufgenommen,  während  ein  dem  militärischen  Bedarfe  angepaßtes, 
die  ganze  Monarchie  umfassendes  Eisenbahnprogramm  den  Gegenstand 
eines  besonderen,  demnächst  zu  imterbreitenden  a.  u.  Vortrages  bilden  wird. 

Beilage  2. 

Die  Wehrreform  und  ihre  Kosten. 

Nach  dem   ursprüngUchen,   nur  bis  an   den   Ministerrat  gelangten 

Projekte  waren  präliminiert :  Fortlaufende        Einmalige 

Ausgaben  Ausgaben 

120,000.000    216,000.000 
Von  diesen  sollten  nach  der  beigeschlossenen 
Detaihiachweisung  entfallen 

für   Standessanierungen 22,387.000        8,910.000 

„    Neuaufstellungen 21,438.000      29,349.000 

„    Verbesserung   der   materiellen   Lage   der 

Unteroffiziere 8,310.000  — 

„    materielle  Ausbildungsmittel 7,500.000      40,000.000 

„    Behebung  von  Rückständigkeiten  .     .     .      55,710.000     135,279.000 

„    sonstiges  Erfordernis 4,655.000        2,462.000 

Es  muß  ausdrücklich  festgestellt  werden,  daß  die  ganzen  obigen 
Beträge  n  u  r  für  die  mit  dem  neuen  Wehrgesetz  zusammenhängende  Wehr- 
reform bestimmt  waren,  für  die  Reichsbefestigung  und  für  die 
dringenden  materiellen  Ausgestaltungen  aber  nichts  gewidmet  war. 
Im  Hinblick  auf  die  Entscheidung  des  Ministerrates  wurden  die  vor- 
erwähnten Gesamtbeträge  auf: 

92-5  Millionen  Kronen  an  fortlaufenden  und 
96-0  MilHonen  Kronen  an  einmaligen  Ausgaben,  demnach  um 
27-5,  beziehungsweise  120  Millionen  Kronen  reduziert. 
Da  eine  Reduktion  der  für  Standesformierungen  und  Neuaufstellungen 
In  Aussicht  genommenen  Beträge  (43,825.000  Kronen  fortlaufender  und 
38,259.000  Kronen  einmaliger  Auslagen)  ausgeschlossen  ist,  steht  für  alle 

457 


übrigen  vorerwähnten  Zwecke  nur  mehr  ein  Betrag  von  48,675.000 
Kronen  an  fortlaufenden  und  von  57,741.000  Kronen  an  einmaligen  Aus- 
gaben zur  Verfügung,  welchen  Beträgen  eine  Forderung  von  76,175.000 
Kronen  an  fortlaufenden  und  von  177,741.000  Kronen  einmaligen  Aus- 
gaben für  die  Wehrreform  allein  gegenübersteht. 

Der  Fehlbetrag  beläuft  sich  demnach  auf: 
27,500.000  Kronen  bei  den  fortlaufenden  und 

120,000.000  Kronen  bei  den  einmaligen  Ausgaben. 

Da  nun  femer  für  die  Lösung  der  Unteroffiziersfrage  mit  einem 
Mindestaufwand  von  etwa  10  Millionen  Kronen  an  einmaligen  und  an 
fortlaufenden  Ausgaben  zu  rechnen  sein  wird,  steht  für  alle 
sonstigen  Zwecke  nur  mehr  ein  Betrag  von: 

38,675.000  Kronen  an  fortlaufenden  und 

47,741.000  Kronen  an  einmaligen  Ausgaben  zur  Verfügung,  woraus 
folgt,  daß  die  hinsichtlich  Behebung  von  Rückständigkeiten  und 
Beschaffung  materieller  Ausbildungsmittel  bestehenden  Forderungen  nur 
zu  einem  ganz  minimalen  Bruchteile  realisiert  werden  können;  der 
Betrag  von: 

24,535.000  Kronen  fortlaufender  und 

127,538.000  Kronen  einmaliger  Ausgaben  findet  keine  Bedeckung. 

Da  aber  auf  die  Realisierung  des  größten  Teiles  der  in  den  beiden 
letzterwähnten  Beziehungen  gestellten  Forderungen  nicht  verzichtet 
werden  kann,  die  Realisierung  dieser  Forderungen  vielmehr  die  Grundlage 
bildet,  auf  welcher  Wehrreform  und  Übergang  zur  zweijährigen  Dienst- 
zeit überhaupt  erst  in  Angriff  genommen  werden  können,  wird  sich  die 
Anforderung  der  cbgenannten  Fehlbeträge  von 

etwa    24-5  Millionen  Kronen  fortlaufender  und 

etwa  127-5  Millionen  Kronen  einmaliger  Ausgaben  als  ganz  unerläß- 
lich erweisen,  um  n  u  r  die  mit  dem  neuen  Wehrgesetz  verbundene  Wehr- 
reform allein  ohne  schwere  Nachteile  für  die  Wehrmacht  durchzuführen. 

Von  den  für  die  Kriegsbereitschaft  unerläßlichen  Forderungen  für 
die  Reichsbefestigung,  für  Organisation  und  Grenzschutz  und  für  die 
materielle  Ausgestaltung  der  Landmacht  ist  dabei  noch  nicht  die  Rede. 

Kosten  der  zweijährigen  Dienstzeit 
nach  dem  ursprünglichen  Programme  des  Kriegsministeriums. 

Standessanierungen:  ex,    -j  c-      ,• 

^  Fortlaufende  Einmalige 

Aussahen  Ausgraben 

Komplettierung  der  vierten  Baone  der  Infanterie    3,460.000  326.000 

Aufstellg.  u.  Ausgestaltg.  von  Masch.-Gew.-Abt.    3,943.000  1,913.000 

Standeserhöhung  bei  21  Baonen  um  144  Mann     1,961.000  300.000 

458 


Fortlaufende  Einmalige 

Standesvermehrung  bei  den  Ergänzungs-Bezirks-     Ausgaben  Ausgaben 

Kommandos 566.000  82.000 

Komplettierung  der  Feld-Kan.-  u.  Haubitz-Regt.     1,276.000  585.000 
Standessanierung  und  Komplettierung  bei  der 

Gebirgsartillerie 1,415.000  1,342.000 

schweren  Artillerie 2,113.000  1,208.000 

Pioniertruppe 111.000  64.000 

Traintruppe 599.000  796.000 

Systemisierung  von  Sanitätsunteroffizieren     .    .       719.000  305.000 

Standessanierung  bei  der  Kavallerie 594.000  39.000 

Standessanierung  bei  der  reitenden  Artillerie  .       703.000  421.000 
Einziehung  übelkompletter  und  kommandierter 

Mannschaft 4,563.000  1,529.000 

Aufstellung  höherer  Kommandos 364.000  — 

Summe     .     .  22,387.000  8,910.000 
31,297.000 

Neuaufstellungen: 

3   Radfahrkomp.   und   137   Arbeitsdetachements    2,745.000  936.000 

Munitions-Tragtiere 1,111.000  3,311.000 

Umwandlung  von  4  Tiroler  Kaiserjäger-Baonen 

in   Feldjäger-Baone 248.000  136.000 

Reorganisation    der    Gebirgsartillerie    und   Auf- 
stellung neuer  Formationen 6,918.000  8,658.000 

5  neue  schwere  Haubitz-Divisionen      ....    2,445.000  3,540.000 
Besatzungs-  und  Beleuchtungs-Detachements  der 

Festungsartillerie 2,142.000  2,720.000 

1  Brückenbataillon 437.000  728.000 

1  Eisenbahnregiment 1,255.000  1,227.000 

1  Telegraphenregiment 1,107.000  475.000 

Luftschiffertruppe 294.000  211.000 

Automobiltruppe 694.000  57.000 

Aufstellung  von  Feld-  und  Gebirgs-Eskadronen 

der  Traintruppe 2,042.000  7,350.000 

Summe     .     .  21,438.000  29,349.000 

50,787.000 

459 


Sonstige  Erfordernisse:  Fortlaufende  Einmalige 

Standesvermehrung    um    4000    längerdienende  "^^^  ^"  "^^^  ^" 

Unteroffiziere        3,652.000  462.000 

Handgelderhöhung  für  den  vermehrten  Präsenz- 
stand      203.000  — 

Sonstige  verschiedene  Auslagen 800.000  2,000.000 

Summe    ."".     4,655.000        2,462.000 

7,117.000 
Verbesserung    der    materiellen 
Lage  der  Unteroff iziere: 

Dienstprämien  für  den  vermehrten  Unteroffiziers- 
stand     3,300.000  — 

Erhöhung  der  Abfertigung  für  vorzeitig  aus- 
tretende Unteroffiziere 1,500.000  — 

Vermehrung  der  Zahl  der  Ehen  erster  Klasse  .       600.000  — 

Erziehungsbeitrag  für  Unteroffizierskinder    .     .       160.000 

Ausgestaltung  der  Unterkunftskompetenz  für 
Unteroffiziere 2,750.000  — 

Summe    .     .     8,310.000 

Materielle  Ausbildungsmittel: 

Erwerbung  von  Truppenübungsplätzen   ...  —  30,000.000 
Erweiterung  von  Exerzier-  u.  Gefechts-Schieß- 
plätzen        1,000.000            — 

Ausgestaltung  von  Schießstätten —  10,000.000 

Erhöhung  der  Erfordernisse  für  Schießübungen  3,000.000            — 

Erhöhung  der  Erfordernisse  für  Waffenübungen  500.000            — 

Erhöhung  der  Truppenübungsdotation    .    .    .  3,000.000            — 

Summe     .     .     7,500.000      40,000.000 

47,500.000 
Behebung      von      Rückständig- 
keiten: 
Maßnahmen  zur  quantitativen  und  qualitativen 
Hebung    des    Instruktionspersonals    (Schieß- 
stabsoffiziere,   ständige    Lehrer    für    Korps- 
Offiziersschulen,   Kommandanten  für     Kaval- 
leriebrigade-Offiziersschulen, Lehrer  an  Militär- 
Bildungsanstalten,   Offiziersstandessanierungen 
bei  einzelnen  Truppen  und  Anstalten  etc.)         6,812.000  — 

460 


Erfordernisse    für    Ausbildungszwecke    (haupt-    Fortlaufende        Einmalige 
.,..,,  -v.  Ausgaben  Ausgaben 

sächlich  Pauschalien  für  besondere  Übungen, 

Luftschiffertruppe,  Festungs-Artillerie-,  Eisen- 
bahn- und  Telegraphen-Regimenter),  speziell 
aber  Erhöhung  der  Munitionsdotaticn  für 
Schießübungen,  und  zwar 

Infanterie 197.435 

Feld-  u.  Gebirgsartillerie  2,181.650 

Festungsartillerie   .    .    .     147.145  3,431.620 

Verschiedene  organisatorische  Maßnahmen 
(Armeeinspektoren  u.  deren  Personal,  Artillerie- 
brigadiere,  Sektionschefs  im  K.-M.,  Etappen- 
bureau, Festungs-Kdtn.  in  Bilek,  Trebinje  und 
Mostar,  Personalvermehrung  anläßlich  der 
Reform  des  Militärstrafprozesses)     ....    6,582.270  — 

Standesvermehrung  an  Offizieren,  Beamten  und 
Mannschaft  bei  verschiedenen  Behörden  und 
Kommanden       3,617.110  — 

Gebührenregulierungen,  Aufbesserung  der  Ver- 
pflegsgebühren  für  Mann  und  Pferd,  Mehr- 
auslagen durch  Preissteigerungen,  Budget- 
sanierungen         35,267.000  — 

Beschaffung  von  Artilleriematerial —  19,431.000 

Materialergänzung  für  Train werkstättegruppen, 
Materialbeschaffung  für  7  Train-Eskadronen 
für  Kriegsbrückenequipagen —  2,100.000 

Subventionierung  von  Lastautomobilen,  Werk- 
stättenautomobilen, Automobilisierung  von 
Mörserbatterien —  10,600.000 

Beschaffung  von  eisernen  Straßenbrücken  für  die 
Pioniertruppe —  3,870.000 

Beschaffung  mobiler  und  stabiler  Radiostationen, 
Ergänzung  u.  Verbesserung  des  Telegraphen-, 
Telephon-  und  Feldpostmateriales     ....         —  10,880.000 

Beschaffung  des  Kriegsvorrates  für  Maschinen- 
gewehr-Abteilungen an  Repetiergewehren 
M.  95,  der  Kriegs-Reservevorräte  an  Munition         —  25,032.000 

Ein  Lenkballon —  3,000000 

Elektrische  Beleuchtungsapparate —  2,500.000 

Fortifikatorische  Maßnahmen  (Ergänzung  be- 
stehender Anlagen) —  18,000.000 

461 


Fortlaufende         Einmalige 
Für  Bauten  im  Zusammenhange  mit  der  wehr-     Ausgaben         Ausgaben 

reform       —  14,000.000 

Beschaffung  von  Vorsichts-  und  Reservevorräten 

an  Bekleidung,  Ausrüstung  und  Verpflegung 

im  Zusammenhange  mit  der  Wehrreform  .     .         —  22,272.000 

Sonstige  Bedürfnisse —  3,594.000 

Summe  .     .  55,710.000     135,279.000 

190,989.000 

Beilage  3. 
Reichsbefestigung. 

I.  Schon    im    Bau    befindliche    Werke,    mit    reduzierter    Etsch — Arsa- 

Sperre  und  Montozzo  (Pejo),  alles  in  Tirol,  und  zwar: 

Comale   mit   Vignola   (Etschtal);    Valmorbia   (Arsatal);   Montozzo, 

Plateau    Lavarone— Folgaria—Lusema:    Gschwendt,    Lusem,    Verle, 

Vezzena,    Cherle    Sommo,    Serrada;    Judikarien:    Por    (Carriola); 

Tonale;  Mero. 
II.  Dringendste  Grenzbefestigungen,  deren   Baubeginn  1912  unbedingt 

erforderlich  ist: 

Tirol:  Valsugana :   Mneghin,  Picosta,  Cimogna ;  Zugna,  ZanoUi, 
Serravalle,  Sasso  di  Stria,  Fodara  vedla,  Knollkopf. 

Dalmatien    und    Herzegowina:    Dvrsnik,    Strac,    Hoher 
Vermac,  Castelnuovo. 
III.  Befestigungen,  deren  Bau  erst  1914  zu  beginnen  wäre: 

Tirol:  Kleinboden  mit  Schaf  eck  (Stilfser  Spene). 

Kärnten,  Küstenland:  Svinjak  (zur  Flitscher  Grenze). 

T  r  i  e  s  t :  Batterien  Prinus  und  Muggiai. 

Pola:  Werk  Cope,  Gradina,  Madonna. 

S  e  b  e  n  i  c  o :  vier  Küstenwerke. 

Dalmatien:  GoH  vrch. 

Bosnien:  Visegrad. 

Herzegowina:  Bilek. 
Gesamtkosten  für  alles  Obige,  und  zwar : 

Bau:  80-67  MilHonen,  Armierung:  70-75  Millionen,  Summe  151-42 

Millionen.    Hievon  für  1912  ins  Budget  eingestellt:  6-38  Millionen, 

es  verbleiben  daher  noch  zu  fordern  145-04  Millionen. 

Nach  diesem  Ausbau  erübrigen  noch  die  Neubauten  von  Sairajevo 
imd  Mostar  laut  Minimalprogramm  mit  28-6  Millionen  Gesamtko sten ; 
hiezu:  feldmäßige  Befestigungen  im  Bereiche  des  III.  und  XIV.  Korps, 

462 


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463 


zusammen  530.000  Kronen;  femer  ist  bei  den  Sperren  die  Durchführung 
aller  im  Frieden  ausführbaren  Ausrüstungsarbeiten,  sowie  die  Erbauung 
der  erforderlichen  Beobachtungsstände  dringlich  und  wären  die  ein- 
leitenden Maßnahmen  schon  mit  Frühjahr  1912  zu  treffen. 

Beilage  5. 
I  Organisation  undGrenzschutz. 

A.  Organisatorische  Maßnahmen. 
Aufstellung  der  fehlenden  vier  Kavallerie-Truppen-Divisions-Komman- 
den,  und  zwar  zwei  des  Heeres  (Nr.  4  Lemberg;  Nr.  10  Budapest). 

zwei  der  Landwehr  (Nr.  5  Budapest,  Nr.  11   Szegedin). 
Aufstellung    der   fehlenden    drei    reitenden   Artillerie-Divisionen    für 
Kavallerie-Truppen-Divisionen,  und  zwar  eine  vom  Heer  (Lemberg),  zwei 
von  der  k.  ung.  Landwehr. 

Aufstellung   der  fehlenden  zweiten  Kavallerie-Maschinengewehr- Abt. 
bei  6  Kavallerie-Truppen-Divisionen  des  Heeres  und 
bei  2  „  „  „  der  Landwehr 

Aufstellung  der  Feldartillerie  bei  den  Landwehren, 
Ausbau  der  Gebirgsartillerie  in  B.  H.  D.  auf 

7  Gebirgs-Art.-Reg.  ä  4  Geb.-Kanonen  u.  2  Geb. -Haub. -Batterien. 
1  Gebirgs-Kanonen-Division  in   Dalmatien  ä  2  Geb.-Kan.-Batt. 
Formierung  von  5  Gebirgs-Artillerie-Regimentern 

ä  4  Gebirgs-Kanonenbatterien  u.  2  Gebirgs-Haubitzen-Batterien. 

Reorganisation  der  Festungsartillerie  zur  Deckung  des  Bedarfes  für 

Besatzungszwecke  und  für  den  Angriff  auf  permanente  Fortifikationen ; 

Reorganisation  der  Pioniertruppe  auch  mit  Rücksicht  auf  den  Bedarf 

beim  Festungsangriff;  Trennung  der  Pontoniere  und  Pioniere; 

Ausbau  der  14  schweren  Haubitzdivisionen  von  2  auf  3  Batterien 
ä  4  Haubitzen; 

Reorganisation  der  Verkehrstruppen,  und  zwar: 
Formierung  von  2  Eisenbahnregimentem, 
„  „     1  Telegraphenregiment, 

„  einer  Luftschiffertruppe, 

„  „     Automobiltruppe. 

Aufstellung  der  fehlenden   Friedenskaders  für  Feld-   und   Gebirgs- 
Train-Formationen ; 

Ersatz  der  zwei  in  B.  H.  befindlichen  Kavallerie-Eskadronen  durch 
Neuaufstellung  von  2  Eskadronen. 

B.  Grenzschutz. 
Änderung   der   Ergänzung   der  Tiroler   Jäger-Regimenter  bei  Ver- 
legung eines  Ersatzbataillons  nach  Südtirol; 

464 


Aufstellung  der  zwei  für  den  Grenzschutz  gegen  Italien  fehlenden 
Brigade-Kommanden  der  k.  k.  Landwehr,  und  zwar: 

a)  für  Stilfser  Joch  und  Tonale  (Innsbruck), 

b)  für   Judikarien  (Riva). 

Volle  gegenseitige  Unterstellung  der  Heeres-  und  Landwehr-Truppen 
in  Tirol,  sowie  der  Befestigungen  an  der  Grenze  unter  die  Brigade- 
Kommanden  ; 

Teilung  des  künftig  fünf  Kompagnien  starken  Bataillons  III  des 
Landesschützenregimentes  I  in  ein  Bataillon  für  das  Etschtal  (Brentonico, 
Ala)  und  em  Bataillon  für  das  Arsatal  (Camposilvano,  Piazza,  Malga 
Bisorte) ; 

Vermehrung  und  Militarisierung  der  Grenzfinanzwache; 

Vermehrimg  der  Gendarmerie  an  der  italienischen  Grenze; 

Militarisierung   der   Grenzfinanzwache   an   der   russischen    Grenze; 

Berittenmachung  von  410  Gendarmen  in  Galizien; 

Ausbau  des  Standschützenwesens  in  Tirol  für  Zwecke  der  Landesr 
Verteidigung. 

Summe  der  Auslagen  für  das  Heer: 
einmalige:  11-23  MilUonen  Kronen, 
fortlaufende:  6-982  MiUionen  Kronen. 

Beilage  5  a. 
Festungsartillerie. 

A.  Besatzungen. 

Der  Bedarf  an  Festungsartillerie  für  Besatzungen  nach  dem  Ausbau 
des  Minimalprogrammes  ist  der  beiliegenden  Skizze  zu  entnehmen. 

Pola,  Cattaro,  Bosnien-Herzegowina,  Krakau  und 
P  r  z  e  m  y  s  1  haben  ganz  unzureichende  Friedensbesatzungen  an  Festungs- 
artillerie. Die  betreffenden  Festungs-(Kriegshafen-)Kommandanten  fordern 
in  ihren  Berichten  dringend  die  Standeserhöhung  auf  150  Mann 
per  Kompagnie,  um  im  Ernstfalle  in  der  Lage  zu  sein,  auch  nur 
einen  Handstreich  oder  eine  kurz  dauernde  Beschießung  abwehren 
zu  können.  Dazu  kommt,  daß  speziell  im  Kriegshafen  Cattaro  und  in 
den  Befestigungen  in  Bosnien-Herzegowina  die  Ergänzungstransporte 
eventuell  zu  spät  in  die  betreffenden  festen  Plätze  gelangen,  somit  die 
Friedensbesatzungen  lange  Zeit  hindurch  auf  sich  selbst  angewiesen 
sein  werden,  was  einen  ausreichenden  Friedensstand  bedingt. 

Somit  ergibt  sich  gegenüber  dem  Wehrgesetze  ein  Mehrbedarf  von 
50  Mann  bei  den  12  Kompagnien  des  4.  Regiments  in  Pola  und  den 

30,  Conrad  II  ^ac 


daselbst  neu  aufzustellenden  3  Kompagnien  (bei  diesen  durch  die  neu 

hinzugekommene  Madonna-Gruppe  bedingt),  somit  bei 

15  Kompagnien 

den  10  alten  und  2  neuen  Kompagnien  in  Cattaro      .12  „ 

„      4     „        „    2      „  „  „   B.   H.    .     .      6  „ 

„      8     „        „4      „  „  „   Krakau      .12 

„      8      „        „4      „  „  „   Przemysl   .12 

Somit  insgesamt  bei  .    .    57  Kompagnien 
Dieser  Mehrbedarf  beträgt  2850  Mann  oder  1045  Rekruten,  welche 
mehr  für  die  Festungsartillerie  gewidmet  werden  müssen. 

B.  Angriffsartillerie. 

Der  stete  Ausbau  der  italienischen  Sperren,  insbesondere  an  der 
Tagliamento-Linie,  zwingt  die  Zahl  der  zur  Niederkämpfung  der  Werke 
notwendigen  Kompagnien  zu  vermehren. 

Der  Gesamtbedarf  wird  im  Jahre  1915  87  Festungsartillerie- 
kompagnien für  den  Kriegsschauplatz  I  und  8  Festungsartillerie- 
kompagnien für  die  5.  Armee  gegen  B,  somit  95  Festungsartillerie- 
kompagnien betragen. 

Diesem  Erfordernis  von  95  Festungsartilleriekompagnien  stehen  nach 
Wehrgesetz  für  Angriffszwecke  verfügbar  gegenüber: 

beim  Regiment  Nr.  1       8  Kompagnien, 

»  j>  »    ■^       °  » 


n 


3  4 

»  »6       8  „ 

Bataillon     „5       4  „ 

neuen  Angriffsbaon  Tirol 4  „ 


Somit  in  Summe    .     .    36  Feldkompagnien. 

Der  sonach  noch  bestehende  Abgang  von  59  Kompagnien  muß  zu 
einem  Auskunftsmittel  zwingen,  welches  darin  bestehen  könnte,  daß  jede 
Feldkompagnie  im  Kriege  2  Feldkompagnien  aufstellt,  somit  sich 
verdoppelt  (statt  der  jetzigen  Formierung  von  Reservekompagnien,  welche 
immer  nur  minderwertige  Neuformationen  sein  können). 

Dieser  Vorgang  erscheint  bei  der  Angriffsartillerie  deshalb  möglich 
und  zweckmäßig,  weil  jede  Kompagnie  im  Kriege  nur  vier,  bei  den 
30*5  cm-Mörserbatterien  sogar  nur  zwei  Geschütze  zu  bedienen  hat,  wofür 
durchaus  nicht  der  ganze  Kriegsstand  von  200  Mann  an  ausgebildeter 
Festungsariilleriemannschaft  erforderlich  ist.  Es  erscheint  vielmehr  voll- 
kommen ausreichend,  nebst  einem  genügenden  Stande  an  Offizieren  und 
Unteroffizieren  nur  so  viel  im  Festungsartilleriedienste  ausgebildete  Mann- 

466 


Schaft  in  den  Kriegsstand  einzuteilen,  als  zur  dreifachen  Ablösung  in 
der  Geschützbedienung  notwendig  ist.  Der  Rest  der  Mannschaft  hat 
ohnehin  nur  untergeordnete  Hilfsdienste  zu  versehen,  welche  eine  spezielle 
Ausbildung  nicht  erfordern. 

Diese  vorerwähnte  Organisation  wäre  einer  Teilung  der  Kompagnien 
in  selbständige  Halbkompagnien  schon  im  Frieden  vorzuziehen,  weil 
Ausbildungsschwierigkeiten  und  Mehrkosten,  die  durch  Bildung  zahl- 
reicher kleiner  Unterabteilungen  entstehen  würden,  vermieden  werden. 

Unter  dieser  Voraussetzung  der  Teilung  der  Kompagnien  im  Kriege 
ließe  sich  auch  der  Bedarf  an  95  Feldkompagnien  für  den  Angriff  decken. 

Wenn  aus  den  Standeserhöhungen  in  Krakau  und  Przemysl  je  sechs 
Kompagnien  gebildet  werden,  verblieben  bei  der  unvermeidlichen 
Belassung  je  eines  Bataillons  in  Krakau  und  Przemysl,  sowie  an  der 
San— Dnjestr-Linie  (um  daselbst  auch  eine  Vorsorge  für  einen  I-,  R-Fall 
getroffen  zu  haben): 

in  Krakau       8 -(-6  =  14  Kompagnien, 

m  Przemysl 4-|-6  =  10  „ 

in  Summe    .     .    24  Kompagnien 
für  Angriffszwecke,  welche  durch  Teilung  48  Kompagnien  ergeben  würden. 
Ferner  würden  durch  Teilung  entstehen: 

beim  Regiment  Nr.  1       16  Kompagnien, 

yy  „  „      ^         16  „ 

„     Bataillon     „5       8  „ 

„     neuen  Angriffsbataillon  Tirol  ....      8  „ 

in  Summe    .     .    48  Kompagnien, 
hiezu  wie  früher  gerechnet 

von  Krakau  und  Przemysl 48  „ 

ergibt  Totale    .    .    96  Kompagnien, 
durch  welche  der  Bedarf  von  95  Angriffskompagnien  gedeckt  wäre. 

Der  Rekrutenbedarf  für  die  Neuaufstellung  der  12  Kompagnien  (je 
6  in  Krakau  und  Przemysl)  ist  durch  die  bei  den  Besatzungen  erwähnte 
Standeserhöhung  auf  150  Mann  per  Kompagnie  gedeckt. 

Beilage  5  b. 
Pionier-Reorganisation. 
Ist  die  Notwendigkeit  der  Trennung  von  Pionieren  und  Pontonieren 
anerkannt,  so  handelt  es  sich  zunächst  um  den  Bedarf  an  beiden. 

a)  Pioniere. 

Für  die  Ermittlung  des  Gesamtbedarfes  ist  der  Kriegsfall  I  maß- 
gebend, weil  in  diesem  mit  dem  Angriff  auf  zahkeiche  Sperren  und 

467 


sonstige  Befesttgimgen  begonnen  werden  muß,  wofür  mindestens  zirka 
60  Kompagnien  gerechnet  werden  müssen. 

Schlägt  man  hiezu  den  Bedarf  an  Pionieren  für  die  Besatzung  der 

eigenen  Fortifikationen  mit  etwa 15  Kompagnien 

und  die  ständig  bei  den  Korps  (für  Wegherstellungen, 

Notbrückenbauten  etc.)  einzuteilenden 14  „ 

so  ergibt  sich  die  Summe  von  89,  rund  90  Pionierkompagnien. 

b)   Pontoniere. 

Hier  ist  der  mit  der  Überwindung  bedeutender  Flußlinien  ein- 
setzende Kriegsfall  B  ausschlaggebend  für  den  Bedarf. 

Für  die  Donau,  Save  und  Drina  zusammen  sind  72  Kriegsbrücken- 
equipagen und  zu  deren  Bedienung  ein  Drittel  der  Zahl,  d.  i.  24  Pionier- 
kompagnien nötig. 

Für  einen  gleichzeitigen  oder  dem  B-Fall  nachfolgenden  I-Fall 
genügen  vorerst  16  Pontonierkompagnien,  so  daß  sich  der  Gesamtbedarf 
auf  40  Pontonierkompagnien  stellt. 

Um  den  weit  höheren  Bedarf  an  Pionierkompagnien  (90)  im  Ver- 
gleich mit  den  Pontonierkompagnien  (40)  richtig  zu  beurteilen,  muß 
noch  berücksichtigt  werden,  daß 

1.  die  Kampfverluste  der  Pioniere  unverhältnismäßig  größer  sein 
werden  als  jene  der  Pontoniere, 

2.  daß  die  Zahl  der  zu  überbrückenden  Flüsse  und  ihr  Charakter 
gleich  bleiben,  während  die  Zahl  und  Stärke  der  Fortifikationen,  der 
Minierungen  und  sonstigen  zu  behebenden  Zerstörungen  und  damit  die 
Aufgaben  der  Pioniere  noch  wachsen  werden. 

Für  die  Zahl  der  notwendigen  Friedenskaders  an  Pionier- 
und  Pontonierkompagnien  jedoch  ist  anderseits  die  Tatsache  von 
Bedeutung,  daß  für  eine  Anzahl  von  Aufgaben  der  Pioniere,  z.  B. 
Wegherstellungen  u.  dgl.  kein  derartiges  jMaß  von  frisch  haftendem, 
fachtechnischem  Drill  nötig  ist,  wie  bei  den  Pentonieren,  daß  man  also 
zur  Deckung  des  früher  ermittelten  Kriegsbedarfes  bei  den  Pionieren 
in  größerem  Umfang  auf  Neuformationen  aus  Reservisten  wird  greifen 
können,  als  bei  den  Pontonieren. 

Die  Abwägung  aller  Umstände  führt  zu  dem  Antrag,  bei  Neu- 
aufstellung von  7  technischen  Kompagnien  folgende  Friedensorganisation 
festzusetzen : 

10  Pontonierbataillone  ä  3  Kompagnien  gleich    .    .    30  Kompagnien, 
15  Pionierbataillone  ä  3  Kompagnien  gleich    ...    45  „ 

für  feste  Plätze: 
Pola  3,  Sarajevo  1,  Trebinje  1,  Bocche  2  Komp.,  gleich      7  „ 

zusammen:    82  Kompagnien. 

468 


Im  Kriege  hätten  sich 
die  Pontonierbataillone  auf  je  4  Kompagnien    ...    40  Kompagnien, 
die  Pionierbataillone  auf  je  5  Kompagnien     ...    75  „ 

und  die  7  Festungspionierkompagnien  auf  je    ...     15  „ 

zu  entwickeln,  wodurch  der  eingangs  berechnete  Bedarf  gedeckt  wäre. 

Dislokation. 

Die  Beilage  zeigt  einen  Dislokationsentwurf,  der  nebst  den  Rück- 
sichten auf  die  bestehenden  Garnisonen,  besonders  den  Forderungen  der 
Ausbildung  Rechnung  trägt. 

Die  Pontoniere  sind  danach  fast  durchwegs  an  großen  Flüssen 
disloziert,  so  daß  die  kostspiehgen  Verlegungen  an  die  Donau  in  Hinkunft 
entfallen  würden; 

die  Pioniere  aber  sind  hauptsächlich  in  festen  Plätzen  und  im 
Gebirge  untergebracht. 

Beilage  6. 
Materielle  Vorsorgen. 

30-5  Mörser:  27  Batterien  ä  2  Geschütze  mit  Munition  .  40*5       Mill. 
Gebirgskan.,  15  cm-Haubitzen,  10-5  cm-Kanonen,  15  cm- 

Kanonen,  weittragende  Kanonen  (zirka  19  cm)  .     .  138-3 

10  cm-Gebirgshaubitzen 8-1 

Automobile  für  24  cm-Mörser 2-12 

Munitionskarren  für  Gebirgstransport  der  Feldkanonen  05 

Gebirgsausrüstung    für    6    schwere    Haubitz-Divisionen  0-2 

Kompagnie-Munitions-Tragtiere,    Eskadrons-Tragpferde    .  5-0 

Ergänzung  der  Infanterie-Munition  für  das  Heer    .     .  8-79 

Übungsmunition        6-5 

Steigerung  der  Leistungsfähigkeit  der  Pulverfabriken    .  ? 

Deponierung  schwerer  Art.-Mun.  im  Aufmarschraume  1*5 

Vorgeschobene  Munitionsdepots 0-14 

Schaffung  d.  Munitionsdepots  in  Trient,  Doboj,  Mostar  0-1 

Sanitäts-Anstalten,  Gebirgs-Sanitäts-Ausrüstung       .     .  0-075 
Ausgestaltung  der  mobilen  Reserve-Spitäler  und  Feld- 

Marodenhäuser       0-4 

Einrichtung  für  Sanitäts-Anstalten 0-7 

Vermehrung  der  Sprengmittel- Ausrüstung 1-0 

Beschaffung  der  fehlenden  4  Kriegsbrückenequipagen  .  0-468 

Beschaffung  der  fehlenden  9  Kavallerie-Brückentrains  .  0-27 

Straßenbrücke  System  Herbert  (1  km) 7-5 

Ausgestaltung  der  Pionier-Reserve- Anstalten   ....  1-82 

Motorboote  für  Pioniere    . M 

469 


Motorboote  für  den  Gardasee  noch 

Auistellung  von  2  neuen   Oefairgs-Belag.-Pionierparks 

u.  Modernisierung  d.  bestehend.  Belag.-Pionierparks 
Beieuchtungszüge  für  die  Festungsartillerie     .    .     . 

Bombenwerfer  und  Sappenmörser 

Verbesserung  der  Werkzeugausrüstung  der  Truppen  . 

Werkzeugsdepots-Beschaffung  beenden 

Ausbau  der  Telegraphenausrüstung  der  festen  Plätze 
Neuausrüstung  der  Kavallerie-Telegraphenpatrouillen 
Stabile  Radiostationen,  Ausbau  des  Netzes  noch     . 
Fehlendes  Material  für  Telegr.-  u.  Teleph.-Formationen 
Ergänzung  der  Teleph.-  u.  Signalausrüstung  d.  Truppen 
Ausbau  des  Telegraphen-  und  Telephonnetzes  in  B.  H.  . 
Ausrüstung  der  Eisenbahntruppen  mit  Telegr.-Material 

Drahtseilbahn  Caldonazzo — Monte  Rover 

Lastautomobile  für  Nachschubsz v/ecke,  Motortrains  . 
Erhöhung  der  Subvention  für  Lastautomobile  .  .  .  . 
Beschaffung  von  6  Automobil-Werkstätten-Trains  .  . 
Beschaffung  von  2  Ballonabteilungen  der  Festungs-Art. 

Beschaffung  von  200  Flugapparaten 

Urlaubertragtiere  für  Tirol  und  Kärnten 

Material  für  im  Krieg  aufzustellende  Trainformationen 
Vervollständigung  der  Gebirgstrain-Ausrüstung  .  .  . 
Trainwerkstätten  und  Hufbeschlagsmaterial  .  .  .  . 
Material    für   2   fehlende   Kavailerie-Verpflegskolonnen 

und  eine  Brigade- Verpflegskolonne 

Schaffung  von  2  Gebirgsbäckereien 

Wasserdichte    Behälter    für    den    Wasserzuschub    im 

Gebirge  und  Rammbrunnen 


013 

Mill 

4-3 

V 

21 

)y 

2-5 

17 

0-5 

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0-569 

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2-4 

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0-078 

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2-719 

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3-518 

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015 

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1-55 

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0-56 

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0-03 

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4-26 

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0-4*) 

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0-6 

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0-13 

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8-0 

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0-05*) 

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2-55 

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4-7 

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0-7 

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006 

'■> 

002 

1-094 


Totale    265-901  Mill. 
an  einmaligen,  hiezu  0-45  Millionen  an  fortlaufenden  Auslagen. 

Beilage  7. 
Gesamtübersicht  des  beiläufigen  Mehrbedarfes 

über  die  von  der  Heeresverwaltung  bisher  für  die  Zeit  von  1911  bis 

1915  angesprochene  Budgeterhöhung  von 

92-5  Millionen  Kronen  fortlaufender  Auslagen 
96-0  Millionen  Kronen  einmaliger  Auslagen 

*)  Fortlaufende  Ausgaben. 


470 


Durchführung    der    Wehrreform    bei    Schaffung    der    f^rW^^l    Einmalige 

="  ^.       ,     .,  1-01-  u         Ausgaben    Ausgaben 

für    die    zweijährige    Dienstzeit    unerlaßhchen 

Bedingungen  (Beilage  2) 24-5  127-5 

Permanente   Befestigungen   bis    1917   einschließlich 

Armierung         —  145-04 

Noch  erübrigende  permanente   Befestigungen   nach 

Minimalprogramm —  28-6 

Feldmäßige  Befestigungen  im  Grenzraum  ....       —  0-53 

Organisation  und  Grenzschutz 11*23  6982 

Materielle  Vorsorgen 0-45  265-901 

Für   die   in   absehbarer    Zeit   unvermeidliche   Neu- 
bewaffnung der  Infanterie —  350-0 

Somit  im  Ganzen:  Millionen  Kronen  36- 18  924-553 

Beilage  8. 
Militärisch  wichtige  Maßnahmen 
welche  das  Kriegsbudget  nicht  belasten,  aber  einer  Förderung  durch 
alle  maßgebenden  Faktoren  dringend  bedürfen. 

A.  Eisenbahnen. 
Durchführung    des    vom    Kriegsministerium    vertretenen    Bahn- 
programms m  B.  H.  D.  und  zwar: 
I.  Normalbahn:  Banjaluka— Mostar. 
IL  „  Brcka— Bjelina. 

III.  „  nach  Sarajevo. 

IV.  „  durch  Dalmatien  bis  Metkovic. 
Zv/eites  Gleise  auf  der  Staatsbahnstrecke  Salzburg— Wörgl. 
Zweites  Gleise  auf  der  Staatsbahnstrecke  Assling— S.  Lucia. 
Zweiglinie:  S.  Lucia — Tolmein — Karfreit. 

Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit  der  Linien: 

Dees — Borgo — Besztercze  und 

Dorna-Watra — Czernowitz. 
Zweites  Gleise  auf  der  Linie  Zloczow — Tarnopol. 

B.  Straßen,  Kommunikationen. 
Durchführung  des  Straßenbauprogramms  in  B.  H.  D. 
Bau  der  Straße  Selva— Barricata  (in  Tirol). 
Verbesserung  der  Straße  im  Lessachtal  von  Kötschach  bis  zur  Tiroler 

Grenze. 
Bau  einer  Straße  Krasne — Brody. 
Bau  einer  permanenten  Savebrücke  bei  Zupanje. 
Subventionierung  der  Gardasee-Schiffahrt. 

471 


C.  Telegraph,  Telephon. 

Ausbau  des  Staats-Telegraphen-  und  Telephonnetzes,  Anschluß  an  B.  H. 
Übernahme  des  nicht  militärischen  Radioverkehrs  in  den  ausschließlichen 
Staats  betlieb. 

D.  Wasserversorgung. 

Förderung   der   Wasserversorgung   des  krainischen   und   istrianischen 

Karstgebietes,  speziell  des  Plateaus  von  Comen. 
Lösung  der  Wasserversorgungsfrage  auf  den  Plateaus  von  Lavarone — 

Folgaria  und  Pasubio  sovile  in  B.  H.  D.  und  zwar: 
Wasserleitung  von  Baba  nach  Plana,  Erhöhung  der  Wasserleitung  von 

Nevesinje  und  in  der  Krivosije. 

E.  G  e  s  e  t  z  e,  G  e  1  d. 

Einbringung  und  Erledigung  des  neuen  Pferdestellungsgesetzes. 
Gesetzliche  Regelung  der  Zählung  und  Evidenz  aller  Motorfahrzeuge 

(Automobile,  Motorboote). 
Finalisierung  der  Ausnahmsverfügungen  m  Österreich. 
Schaffung  eines  Ermächtigungsgesetzes  in  Ungarn. 
Finalisierung  der  Ein-  und  Ausfuhrverbote. 
Schaffung   von   Kriegsleistungsgesetzen    für   Österreich,    Ungarn    und 

Bosnien-Herzegowina. 
Verfügung,    daß    der    für    den    Mobilisierungsfall    sichergestellte    erste 

Geldbedarf  auch  tatsächlich  vorhanden  sei. 


iiiMiiiiMiiiiiMiimiiiiiiiiillllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllilllllllllllllilllllliiiiiiiiiniiiiiiMMi.i 


RIKOLA      VERLAG 

WIEN/BERLIN/LEIPZIG/MÜNCHEN 


FELDMARSCHALL  CONRAD 

AUS 

MEINER 

DIENSTZEIT 

1906—1918 


BAND    I: 

1906  — 1909 

Die  Zeit  der  Annexionskrise 


BAND   II: 

1910 — 1912 

Die  Zeit  des  libysdien  Krieges  und  des  Balkankrieges 

bis  Ende  1912 

Der   Kampf   um    den    Heeresausbau    /    Der    Konflikt    mit    Graf 
Ahrenthal  /  Meine  Entlassung  1911  /  Meine  Wiederernennung  1912 

BAND   III: 

1913  und  erstes  Halbjahr  1914 

Ausgang  des  Balkankrieges  /  Friedensperiode  bis  zum 

Ausbrudi  des  Weltkrieges 

<Ers(Jieint  im  Oktober  1922) 

In  Vorbereitung  befindet  sidi: 
Die   Zeit  des  Weltkrieges 


DURCH    JEDE    BUCHHANDLUNG    ZU    BEZIEHEN 


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HISTORISCHE  BLÄTTER 

HERAUSGEGEBEN  VOM  HAUS»,  HOF»  UND  STAATSARCHIV  IN  \XnEN 

GELEITET  VON  O.  H.  STOWASSER 

Der  Plan  dieser  Vierteljahrsdirift  ist,  die  ein  Jahrtausend  curopäisdien  Geisteslebens 
umfassenden  Schätze  des  Haus»,  Hof»  und  Staatsardiivs,  das  seine  Bestände  in  viel  weiterem 
Maße  als  die  anderen  großen  Archive  Europas  der  Forschung  zur  Verfügung  stellt,  nicht 
nur  den  Fachgelehrten,  sondern  auch  der  breiten  Öffentlichkeit  zugänglich  zu  machen.  Sie 
wird  sich  nicht  bloß  auf  das  Gebiet  der  Geschichte  im  engeren  Wortsinn  beschränken, 
sondern  Kunst»,  Literatur»  und  Musikgeschichte  berücksichtigen.  Es  wird  daher  nicht  nur 
der  Gelehrte,  sondern  auch  jeder  Gebildete  die  Historischen  Blätter  nicht  ohne  reidien 
Gewinn  aus  der  Hand  legen. 

INHALT  DES  ERSTEN  HEFTES : 

I.  Geleitwort  /  2.  Geheimrat  Univ.^Prof.  Dr.  Georg  v.  Below  (Freiburg  i.  Br.>  »Das  Verhältnis  der 
deutschen  Gesdiichtsdireibung  zur  Romantill  und  zu  Hegels  Philosophie«  /  3.  Uni  v.»Prof. Dr.  Harold  Steinacker 
(Innsbruck)  »Geschichtlidie  Notwendigkeiten  deutscher  Politik«  /  4.  Univ.=Prof  Dr.  Otto  CarteHieri  (Heidel= 
berg>  »Kitterspiele  am  Hofe  Karls  des  Kühnen  von  Burgund«  /  5.  Univ.»Prof.  Dr.  Alfred  Stern  (Zürich) 
>Wit  von  Dörring  in  österreichischen  Diensten«  (Ein  Beitrag  zur  Geschichte  österreichischen  Pressewesens)  / 
6.  Univ.^Prof.  Dr.  Arnold  Winklcr  (Freiburg  im  Üditland)  »Erzherzog  Johann  und  die  Wiener  Staatskanriei 
in  Sachen  des  Schweizer  Sonderbundes«  /  7.  Hofrat  Univ.-Prof.  Dr.  Aug.  Fournier  f  (Wien)  »Die  europäische 
Politik  zwischen  Mosliau  und  dem  Pariser  Frieden«  /  8.  Geh.  Rat  Univ.»Prof.  Dr.  Ale.x  Cartcllieri  (Jena) 
»Deutschland  und  Hrankreich  im  Jahre  1912  nach  einer  Umfrage  des  „Figaro"  in  Deutschland«  /  9.  Univ.» 
Doz  Dr.  Julius  Szekfü  (Budapest)  »Die  ungarische  Geschichtschreibung  und  die  Wiener  Archive«  /  10.  Univ.» 
Doz.  Dr.  Friedrich  Schneider  <Jena)  »Tedeschi  lurchi  oder  tedeschi  lurchi«. 

INHALT  DES  ZWEITEN  HEFTES : 

1.  Geh.  Rat  Univ.»Prof.  Dr.  Georg  v.  BcIow  (Freiburg  i.  Br.)  »Soziologie  und  Marxismus  in  ihrem 
Verhältnis  zur  deutschen  Geschichtswissenschaft«  /  2.  Staatsarchivar  Dr.  J.  K.  Mayr  (Wien)  »Das  politische 
Testament  Karls  V.«  /  3.  Univ.=Prof  i.  R.  Dr.  Ed.  v.  Wertheimer  (Preßburg)  »Neues  zur  Orientpolitik  des 
Grafen  Andrassy  1876 — 1877«  /  4.  Schriftsteller  Berth.  Molden  <Wien)  »Das  Schicksal  der  Deutschen  und  der 
Weltkrieg«  /  5.  Univ.-Doz.  Dr.  Heinr.  Glück  (Wien)  »Kunst  und  Künstler  an  den  Höfen  des  XVI.  bis 
XVllI.  Jahrhunderts  und  die  Bedeutung  der  Osmanen  für  die  europäische  Kunst«  /  6.  Univ.-Prof.  Dr.  Viktor 
BibI  (Wien)  »Das  Don  Carlos^Problem«  /  7.  Neue  Bücber.  Besprechungen  neuer  Erscheinungen  durch 
Regierungsrat  Dr.  Karl  Brinkmann  (Berlin),  Univ.»Doz.  Dr.  Friedr.  Schneider  (Jena)  und  Univ.=Prof.  Dr. 
Hans  V.  Voltelini  (Wien). 

WEITERE         MITARBEITER 

E.  C.  H.  Brünner,  Utrecht;  Robert  Davidsohn,  Florenz,-  Max  DSberl,  München;  Karl  Glossy,  Wien; 
Walter  Götz,  Leipzig;  Ludo  Hartmann,  Wien;  Hugo  Hassinger,  Basel;  Adolf  Hessel,  Göningen;  Josef 
Neuwirth,  Wien;  Hermann  Oncfcen,  Heidelberg;  Ludwig  Pastor,  Rom;  A.  T.  Pribram,  Wien;  Felix 
Rachfal,  Freiburg  i.  Br.;  Hans  Schütter,  Wien ;  Aloys  Sdiulte,  Rom ;  Heinrich  Srbik,  Graz  ,•  Samuel  Steinherz, 
Prag;  Ottokar  Weber,  Prag;  Albert  Werminghoff,  Halle  a.  d.  Saale  und  viele  andere. 

Die    ,, Historischen    Blätter"    können     durch     jede      Buch» 

Handlung   bezogen    werden    /    Jährlich   erscheinen  vierHefte 

im    Umfange   von    ungefähr  je   10   Bogen. 


DURCH    JEDE    BUCHHANDLUNG    ZU    BEZIEHEN 


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