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Full text of "Die makroskopischen Gef‰sse der Menschlichen Netzhaut : Versuch einer Schematisirung und Nomenclatur des Netzhautgef‰sssystems / von Hugo Magnus."

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St  \^ 

Die  makroskopischen  Gefasse 

der 

Menschlichen  Netzhaut. 

Versuch  einer  Schenialisirung  und  Nomenclalur  des  Kelzhaulgefässsjslenis. 


Eine  augenärztliche  Abhandlung 

behufs  seiner 

Habilitation  als  Privatdocent 

der 

Hochlöblichen  Medicinischen  Facultät  der  Königl.  Universität  zu  Breslau 

vorgelegt  und 

am  24.  Mai  1873  Mittags  12  Uhr 

in  der  grossen  Aula  Öffentlich  vertheidigt 
von 

Dr,  Hugo  Magnus, 

Assistenzarzt  der  augenärztlichen  Klinik  des  Prof.  Dr.  Förster 


Mit  2  lithographirten  Tafeln. 


Respondent ; 

Herr  Dr.  Albert    Burchard,    Assistenzarzt  der  augenärztlichen 
Klinik  des  Prof.  Dr.  Förster. 

Opponenten  : 
Her»  Dr.  Ernst  Frankel,  Privatdocent. 
Herr  Dr.  Ignaz  Lasinski,  pract.  Arzt. 


Leipzig  , 

Wilhelm  Engelmann. 


I 


/ 


Thesen 


1)  Die  staubigen  Glaskörpertrübungen  sind  für  die  syphilitische 

Chorioitidis  charakteristisch. 

2)  Die  Anwendung  des  Chloroforms  empfiehlt  sich  bei  den  Augen- 

operationen im  Allgemeinen  nicht. 


Eine  genaue^  eingehende  Kenntniss  des  gesunden  Netzhaut- 
gefässsystems  ist,  ganz  abgesehen  von  dem  rein  wissenschaftlichen 
Interesse,  welches  dieselbe  dem  Anatomen  von  Fach  bieten  muss, 
für  den  Praktiker  von  der  allerhöchsten  Bedeutung.  Wenn  wir 
vor  der  Hand  von  der  überaus  grossen  Wichtigkeit  derselben  für 
die  Beurtheilung  der  verschiedensten  pathologischen  Zustände  des 
Auges  Abstand  nehmen  wollen,  so  ist  die  genaue  Kenntniss 
des  Verlaufes,  der  Verzweigung  und  Vertheilung  der  Gefässe  über 
die  Netzhaut  für  das  topographische  Verständniss  des  gesammten 
Augenhintergrundes  von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung. 
Eine,  wie  an  den  gesammten  anderen  Organen  des  Körpers  ja  schon 
lange  aufgestellte,  bestimmte  Schematisirung,  eine  möglichst  voll- 
ständige Kenntniss  der  Varietäten  und  physiologischen  Schwan- 
kungen und  eine  darauf  fussende  Nomenclatur  der  Netzhautgefässe 
dürfte  für  das  topographische  Verständniss  des  ophthalmoscopischen 
Bildes  von  nicht  geringem  Vortheil  sein.  Während  man  sich 
jetzt  bei  Bestimmung  einzelner  Parthien  des  Augengrundes  stets 
mit  allgemeinen,  sehr  unsicheren  Ausdrücken,  wie  ,,in  der  Nähe^% 
„in  der  Umgebung"  u.  s.  w.  behelfen  muss,  würde  eine  allgemein 
acceptirte,  feststehende  Nomenclatur  der  Netzhautgefässe  eine 
genaue  topographische  Bestimmung  fast  einer  jeden  Stelle  des 
Hintergrundes  ermöglichen.  Der  Name  des  Gefässes,  welches  die 
zu  beschreibende  Parthie  des  Augenhintergrundes  versorgt,  würde 
zugleich  auch  genau  die  Lage  derselben  bezeichnen.  Für  die  Be- 
schreibung pathologischer  Processe  des  Augenhintergrndes  wäre  da- 

1* 


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durch  eine  ungemeine  Erleichterung  und  ein  sichereß  Verständniss 
gegeben.  Während  als  Anhaltepunkte  für  die  Orientirung  im  Augen- 
grunde jetzt  eigentlich  nur  zwei  Punkte  geltend  sind,  nämlich  der 
Sehnerveneintritt  und  der  gelbe  Fleck,  wären  durch  eine  bestimmte 
Nomenclatur  der  Netzhautgefässe  die  Zahl  der  Orientirungspunkte 
ganz  erheblich  vermehrt  und  somit  natürlich  auch  die  Orientirung 
selbst  ganz  wesentlich  erleichtert.  Während  die  übrigen  Zweige 
der  Medicin  für  eine  genaue  Beschreibung  und  Localisirung  patho- 
logischer Produkte  sich  mit  grossem  Vortheil  der  verschiedensten 
topographischen  Hülfsmittel  bedienen,  hat  die  Ophthalmoskopie 
bisher  auf  solche,  obgleich  ihr  dieselben  auch  in  hinlänglichem 
Maasse  geboten  sind,  fast  gänzlich  verzichtet.  Die  Unbequemlich- 
keiten, die  ein  derartiger  Mangel  im  Gefolge  hat,  die  Ungenauig- 
keiten,  an  denen  Beschreibungen  des  Augen  -  Hindergrundes  fol- 
gerichtig leiden  müssen,  wird  Jeder,  der  öfter  in  der  Lage  war, 
ophtalmoskopische  Bilder  zu  beschreiben,  gewiss  zur  Genüge 
kennengelernt  haben.  Wenn  wir  bisher,  neben  Papille  und  Ma- 
cula noch  die  Eintheilung  des  Augengrundes  in  4  Quadranten  zur 
topographischen  Bestimmung  benutzten,  so  wird  eine  derartige 
Topographie  des  ophthalmoskopischen  Bildes  wohl  im  Allgemeinen 
verständlich  sein,  jedoch  aber  Genauigkeit  und  Präcision  in  nicht 
geringem  Grade  vermissen  lassen.  Es  finden  sich  nun  zwar  sehr 
genaue  Abbildungen  sowohl  in  Liebreich's  wie  Jäger's  vorzüg- 
lichen Tafelwerken  und  eine  eingehendere  Behandlung  des  Netz- 
hautgefässsystems  bei  Mauthner^)  u.  a.  Doch  ist  auch  hier  eine 
Nomenclatur,  sowie  eine  Untersuchung  der  wichtigsten  Varietäten 
nicht  geboten.  Ja  Mauthner  meint  sogar,  dass  sich  eine  genaue 
Beschreibung  und  Classificirung  der  Varietäten  der  Netzhautge- 
fässe überhaupt  nicht  geben  lasse.  Es  ist  nun  aber,  wie  mich 
dies  eine  umfangreiche  Reihe  Untersuchungen  normaler  wie  kran- 
ker Augen  gelehrt  haben,  ein  Schema  des  Verlaufes  der  retinalen 
Gefässe  sehr  wohl  möglich,  welches  im  Verein  mit  der  Beschrei- 


1)  Mauthner.  Handbuch  der  Ophthalmoscopie.    Wien  1868. 


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bung  der  Varietäten  derselben  eine  recht  übersichtliche  und  relativ 
genaue  Topographie  des  ophthalmoskopischen  Bildes  ermöglicht. 
Es  wird  also  der  Zweck  vorliegender  Untersuchungen  weniger  der 
sein,  die  Kenntniss  des  normalen  Augenhintergrundes  wesentlich 
zu  erweitern  und  zu  bereichern,  als  vielmehr  die  allgemein  be- 
kannten Thatsachen  zu  ordnen  und  zu  gruppiren  und  somit  ein 
für  die  Topographie  des  Ophthalmoskopie  nicht  unwichtiges  Hülfs- 
mittel  zu  schaffen. 

Die  Untersuchung  der  gröberen,  makroskopischen  Gefässe  der 
Netzhaut,  soweit  dieselben  eben  für  die  Ophthalmoskopie  von  Be- 
deutung sind,  wird  durch  den  Augenspiegel  so  bequem  und  hand- 
lich gemacht,  wie  sie  uns  an  keinem  anderen  Organ  des  Körpers 
wieder  geboten  wird.  Während  wir  die  Verzweigungen  und  Ver- 
ästelungen der  Gefässe  sämmtlicher  Organe  des  Körpers  nur  im 
Zustand  künstlicher  Injection  zu  studiren  vermögen,  bietet  sich 
uns  im  Gebrauch  des  Augenspiegels  eine  Methode  dar,  welche  es 
ermöglicht,  die  Gefässe  der  Netzhaut  in  ihrer  natürlichen  Füllung 
und  Injection  zu  studiren ;  selbst  die  subtilste  Untersuchungstech- 
nik könnte  nicht  das  leisten,  was  uns  hier  die  Natur  bietet.  Die 
naturgemässe  Injection  aller  Gefässverzweigungen ,  ihr  normaler 
Verlauf,  ihr  Verhältniss  zu  einander,  wie  zu  den  übrigen  Organen 
des  Augengrundes  lässt  uns  der  Augenspiegel  viel  genauer  erken- 
nen und  studiren ,  als  dies  auch  dem  geübtesten  Secirmesser 
möglich  wäre.  Während  jede  zerlegende,  secirende  Untersuchungs- 
methode die  Organe  aus  ihren  normalen  topographischen  Verhält- 
nissen herauszulösen  genöthigt  ist,  gewährt  uns  die  Untersuchung 
mit  dem  Augenspiegel  die  Möglichkeit,  den  Augenhintergrund 
mit  seinen  Gefässen  unter  den  gewöhnlichen,  physiologischen 
Lebensbedingungen  desselben  betrachten  zu  können.  Da  also  diese 
Untersuchungsmethode  die  für  Erkenntniss  der  makroskopischen 
Netzhautgefässe  sichersten  und  zugleich  für  die  Ophthalmoskopie 
brauchbarsten  Ergebnisse  liefert,  so  habe  ich  mich  ausschliesslich 
derselben  bedient  mit  Uebergehung  jeder  künstlichen  Injection. 
Alle  zu   diesem  Zweck  vorgenommenen  Untersuchungen  habe  ich 


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im  umgekehrten  Bilde  ausgeführt  und  die  der  Arbeit  beigegebenen 
Tafeln  nach  denselben,  aber  in  idealer  Vergrösserung ,  entworfen. 

Bevor  wir  an  die  systematische  Beschreibung  der  einzelnen 
Netzhautgefässe  herantreten  können,  müssen  wir  erst  die  allge- 
meinen Verhältnisse,  denen  dieselben  unterliegen,  einer  kur- 
zen Besprechung  würdigen. 

Stellung  des  Netzliautgefässsystems  zu  den  übrigen 
Organen  des  Auges. 

Die  Netzhaut  ist  ein  Organ,  welches  sich  im  Allgemeinen 
weniger  durch  einen  besonderen  Gefässreichthum ,  als  vielmehr 
durch  eine  relativ  grosse  Selbstständigkeit  ihres  Gefässsystems  aus- 
zeichnet^). Während  andere  Organe,  wie  z.  B.  die  Chorioidea, 
einen  viel  beträchtlicheren  Reichthum  an  Gefässen  aufzuweisen 
haben,  sind  nur  wenige  so  scharf  durch  die  Selbstständigkeit  ihres 
Kreislaufes  isolirt,  wie  grade  die  Netzhaut.  Die  Anastomosen 
zwischen  den  retinalen  Gefässen  und  denen  der  anderen  Organe 
des  Auges  sind,  wie  dies  die  Untersuchungen  Leber's^)  beweisen, 
höchst  unbedeutend ;  nur  um  die  Eintrittsstelle  des  Nervus  opticus 
finden  sich  Anastomosen  mit  den  Gefässen  der  Chorioidea;  wäh- 
rend an  keiner  anderen  Stelle  der  Netzhaut  eine  Verbindung  mit 
dem  Ciliar-  oder  Bindehautgefässsystem  existirt.  Ausser  diesen 
directen  Anastomosen  finden  noch  mittelbare  Verbindungen  zwi- 
schen Netzhaut-  und  Aderhautgefässen  im  Sehnervenquerschnitt 
statt,  der  sowohl  von  der  Arteria  centralis  retinae,  wie  von  dem 
Ciliargefässsystem  Zweige  erhält.  Die  Untersuchungen  Leber's^^) 
und  Wolfring's^)   haben   diese  Verhältnisse   ausser  allen  Zweifel 

1)  Brücke.  Anatomische  Beschreibung  des  menschlichen  Augapfels. 
Berlin  1847. 

2)  Leber.  Anatomische  Untersuchungen  über  die  Blutgefässe  des  mensch- 
lichen Auges.    Wien  1865. 

3)  Leber.   Archiv  für  Ophthalmologie.    B.  XVIII.  Abth.  2.  p.  25. 

4)  Wolf  ring.  Beitrag  zur  Histologie  der  Lamina  cribrosa  sclerae.  Arch. 
f.  Ophth.  B.  XVIII.  Abth.  2.  p.  10. 


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gesetzt  und  damit  die  irrigen  eingaben  von  Galezowski  ,  nach' 
denen  die  Sehnervenpapille  ihre  Gefässe  aus  denen  der  Pia  mater 
und  des  Gehirns  beziehen  sollte,  widerlegt.  Es  wird  durch  diese 
sparsame  Communication  mit  ihren  Nachbarorganen  die  Netzhaut 
deren  Einflüssen  natürlich  in  nicht  unbeträchtlichem  Grade  ent- 
rückt, ihr  Leben  weniger  durch  die  wechselnden  Verhältnisse  jener 
berührt.  Alle  Schwankungen  in  den  beiden  anderen  Gefässsystemen 
des  Auges  werden  kaum  einen  merklichen  Einfluss  auf  den  Füllungs- 
grad der  Netzhautgefässe  gewinnen  können ;  es  vermag  sich  somit  die 
Retina  den  schädlichen  Wirkungen,  die  krankhafte  Vorgänge  in 
den  anderen  Organen  des  Auges  sonst  leicht  auch  auf  sie  ausüben 
könnten,  durch  die  grosse  Selbstständigkeit  ihrer  Circulation  wenig- 
stens zum  Theil  zu  entziehen.  Mögen  auch  die  anderen  Gewebe 
des  Auges  bei  irgend  welchen  pathologischen  Vorgängen  eine  ganz 
entschiedene  Alteration  ihres  Gefässsystems  erfahren,  so  wird  doch 
immer  die  Netzhaut  ihnen  gegenüber  eine  gewisse  Immunität  be- 
wahren, sich  wenigstens  nicht  durch  allzu  ausgiebige  Aenderungen 
im  Füllungsgrad  ihrer  Gefässe  an  den  Schwankungen  jener  bethei- 
ligen. So  kann  man  ziemlich  häufig  die  Beobachtung  machen, 
dass  die  Netzhaut  trotz  hochgradiger  entzündlicher  Processe  in  der 
Aderhaut  keinerlei  Veränderungen  ihrer  Circulation  erfährt.  Noch 
am  häufigsten  sieht  man  bei  Entzündungen  der  Chorioidea,  oder 
Iris  eine  Betheiligung  der  Sehnervenpapille,  welche  alsdann  eine 
leichte  Hyperämie  erkennen  lässt.  Die  mittelbaren  wie  unmittel- 
baren Verbindungen  zwischen  Netz-  und  Aderhautsystem  grade 
an  dieser  Stelle  lassen  die  vorwiegende  Mitleidenschaft  des  Seh- 
nerveneintrittes an  krankhaften  Vorgängen  in  den  anderen  Theilen 
des  Auges  leicht  verständlich  erscheinen.  Bei  der  nahen  Nach- 
barschaft werden  pathologische  Processe  der  Chorioidea  allerdings 
auch  leicht  auf  die  Retina  überspringen  können ,  doch  ist  die 
Netzhaut  durch  die  Isolirung  ihrer  Circulation,  sowie  durch  die 
oberflächliche  Lage  ihres  Gefässsystems,  von  der  weiter  unten  noch 


1)  Galezowski.    Gazette  hebd.    1865.   Nr.  51. 


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die  Rede  sein  wird,  einem  derartigen  Uebergreifen  der  Erkrankung 
immer  mehr  entzogen,  als  dies  bei  zahlreichen  Anastomosen  hätte 
der  Fall  sein  können.  Bei  der  grossen  Wichtigkeit  aber,  welche 
eine  möglichst  gleichmässige ,  ungestörte  Ernährung  der  Netzhaut 
für  die  normale  Function  ihrer  nervösen  Elemente  hat,  ist  diese 
ausgesprochene  Selbstständigkeit  im  Blutumlauf  für  das  Netzhaut- 
leben von  der  allerhöchsten  Bedeutung. 

Die  Bedingungen,  unter  denen  die  Netzliautgefässe 
sichtbar  werden. 

Zwei  Momente  sind  es  hauptsächlich,  welche  ein  mehr  oder 
minder  deutliches  Sichtbarwerden  des  Netzhautgefässsystems  be- 
dingen; das  eine  ist  die  Füllung  desselben,  das  andere  der  zwi- 
schen der  Färbung  des  Hintergrundes  und  der  Gefässe  herrschende 
Contrast.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  ist  das  Zusammen- 
wirken dieser  Beiden  ein  derartiges,  dass  etwa  die  Gefässe  4ter 
und  5ter  Ordnung  noch  deutlich  sichtbar  sind ;  tritt  aber  eine 
Aenderung  eines  jener  beiden  Facto ren  ein,  so  übt  dieselbe  auch 
alsbald  einen  sehr  merklichen  Einfluss  auf  das  Sichtbarwerden  der 
Netzhautgefässe  aus. 
%  Was  zuerst  die  Füllung  der  retinalen  Gefässe  betrifft,  sa  macht 

sich  dieselbe  sehr  deutlich  in  der  verschiedenen  Färbung  der  Ar- 
terien und  Venen  geltend;  das  hellere  arterielle  Blut  lässt  die 
Arterien  gelblichroth  bis  ziegelroth  erscheinen ;  das  dunkle ,  koh- 
lensäurehaltigere Blut  der  Venen  verleiht  denselben  einen  dunkel- 
rosa  bis  braunrothen,  dem  gesättigten  Kirschbraun  ähnlichen  Ton. 
Je  stärker  nun  die  Füllung  der  Gefässe  ist,  um  so  deutlicher  wird 
der  ihnen  eigenthümliche  Farbenton  hervortreten,  um  so  schärfer 
also  werden  sich  dieselben  von  ihrem  Untergrund  abheben.  Die 
Hauptstämme  mit  ihren  grösseren  Abzweigungen  werden  somit 
durch  ihren  gesättigtem  Ton  unschwer  von  dem  rothen  Hinter- 
grund zu  unterscheiden  sein,  während  die  kleineren  Aeste  eine 
zu  unbedeutende  Farbenstärke  besitzen,  um  aus  ihrer  Umgebung 


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wirksam  hervortreten  zu  können.  Die  Venen  werden  wieder  durch 
ihre  dunkle  Farhennüance  viel  schärfer  und  deutlicher  in  Erschei- 
nung treten,  wie  die  Arterien,  welche  in  ihrer  Färbung  dem  Ton  des 
Hintergrundes  ziemlich  nahestehen.  Der  für  gewöhnlich  intensiv 
ziegelrothe  Hintergrund  wird  also  die  Venen  als  dunkelrosa,  die 
Arterien  als  hellgelbrothe  Bänder  erscheinen  lassen.  Aendert  sich 
die  Färbung  des  Hintergrundes,  so  wird  dies  für  das  Sichtbarwer- 
den der  Gefässe  natürlich  von  höchster  Bedeutung  sein  müssen. 
Je  dunkler  der  Hintergrund  wird,  um  so  unkräftiger  kann  die  Fär- 
bung der  Gefässe  zur  Geltung  kommen,  um  so  weniger  werden 
sie  sich  also  dem  Beobachter  zeigen.  Der  Hintergrund  scheint 
dann  für  den  ersten  Blick  gefässärmer  zu  sein  und  erst  eine  ge- 
nauere Untersuchung  lässt  die  einzelnen  Verzweigungen  erkennen. 
Je  heller  dagegen  die  Tönung  des  Augengrundes  wird,  um  so  wirk- 
samer kommt  der  Farbenton  der  Gefässe  zur  Geltung,  um  so  zahl- 
reicher erscheinen  dieselben  folglich  auch.  Wird,  wie  ich  dies  in 
meinem  Atlas  i)  abgebildet  habe,  die  tiefere  Parthie  der  Netzhaut  von 
einem  Infiltrat  durchsetzt,  während  die  oberflächlichen,  gefässfüh- 
renden  Schichten  derselben  intact  bleiben,  so  erhält  die  betreffende 
Stelle  eine  grauliche  Färbung,  verliert  ihr  früheres  Roth  gänzlich. 
Auf  diesem  grauen  Ton  müssen  natürlich  auch  die  feineren 
Gefässe  deutlicher  hervortreten,  da  ihnen  derselbe  einen  viel 
erheblicheren  Contrast  bietet,  wie  der  frühere  rothe  Ton.  Es  er- 
scheint somit  die  erkrankte  Stelle  mit  zahlreichen  kleinen,  äusserst 
feinen  Gefässen  bedeckt,  die  keineswegs  aber  als  Neubildung  auf- 
zufassen sind,  sondern  eben  nur  durch  die  Erhöhung  des  Contra- 
stes  in  Erscheinung  treten;  nimmt  die  betreffende  Hintergrunds- 
stelle w  ieder  ihr  gewöhnliches  Roth  an ,  so  verschwinden  damit 
diese  kleinen  Gefässe  auch  sofort. 

Localisirt  sich  das  Infiltrat  nicht  bloss  in  den  tieferen  Netz- 
hautschichten;    sondern  erstreckt  sich  bis  in  die  oberflächlichsten. 


1)  Magnus.    Ophthalmoskopischer  Atlas.   Leipzig  J!572.  Tafel  V.  Figur -1. 


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so  wird  die  betreffende  Stelle  sich  zwar  ophthalmoscopisch  auch 
als  graugefärbt  präsentiren,  doch  werden  alsdann  die  Gefässe  er- 
heblich an  ihrer  Deutlichkeit  einbüssen.  Ist  das  Infiltrat  nur  ein 
leichtes,  so  wird,  wie  ich  dies  öfters  beobachtet  habe,  die  hellere 
Arterie  wie  umflort  erscheinen ;  ihre  Grenzen  sind  undeutlich,  ver- 
waschen ;  die  dunkelrosa  Vene  dagegen  wird  durch  ein  derartiges 
Infiltrat  in  ihrer  Deutlichkeit  nicht  geschädigt;  ihr  kräftiger  Far- 
benton dringt  durch  das  Infiltrat  hindurch  und  kommt  so  zu  voller 
Geltung.  Ist  dagegen  die  Durchtränkung  der  Netzhaut  eine  sehr 
dichte,  über  grosse  Strecken  hin  verbreitete,  so  verlieren  auch  die 
venösen  Gefässe  sehr  wesentlich  an  Deutlichkeit.  Es  sind  dann 
Arterien  wie  Venen  stark  geschlängelt  und  stellenweise  völlig  dem 
Beobachter  entzogen,  sodass  sie  wie  unterbrochen  aussehen.  Die 
Erklärung  hierfür  liegt,  wie  dies  Schweigger*)  sehr  ausführlich 
beschreibt,  darin,  dass  die  Schlängelungen  der  Gefässe  sowohl  in 
der  Ebene  der  Netzhaut  wie  senkrecht  zu  derselben  liegen;  die 
tieferen  Windungen  werden  durch  die  getrübte  Netzhaut  ver- 
schleiert, und  so  scheinen  an  einzelnen  Stellen  ganze  Stücke  des 
Gefässrohres  auszufallen. 

Eine  ähnliche  Erscheinung  kommt  übrigens  öfter  auch  unter 
durchaus  normalen  Verhältnissen  zur  Beobachtung.  Bei  brünetten 
Personen  nämlich  bietet  die  Netzhaut  um  den  Sehnerveneintritt 
herum  eine  mehr  oder  minder  hochgradige  Verdickung  dar,  wel- 
che sich  als  graulicher,  die  Papille  concentrisch  umkreisender 
Ring  kennzeichnet.  Im  Bereich  dieser  Zone  nun  erscheinen  die 
Arterien  nicht  selten  leicht  verschleiert,  während  die  Venen  kaum 
eine  Beeinträchtigung  ihrer  Deutlichkeit  erfahren. 


1)  Schweigger.  Handbuch  der  speciellen  Augenheilkunde.  Berlin 
1871.  p.  447. 


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Uelber  die  Vertheilung  und  den  Verlauf  der 
Netzhantgefässe. 

Theilen  wir  den  Augengrund  durch  eine  durch  die  Sehner- 
venpapiUe  gehende  Verticale  in  zwei  seitliche  Hälften,  so  liegt  die 
bei  Weitem  grössere  Hälfte  auf  der  temporalen  Seite ;  sie  enthält 
die  Macula  lutea.  Die  innere  nasale  Hälfte  ist  um  Vieles  kleiner. 
Die  äussere  temporale  Netzhauthälfte  nun  zeigt  der  inneren  gegen- 
über einen  ganz  entschiedenen  Reichthum  an  Gefässen;  sowohl 
zeichnen  sich  die  grösseren  Stämme  der  temporalen  Parthie  durch 
ihr  mächtigeres  Caliber  aus,  als  auch  die  Zahl  der  kleineren  Aeste 
4ter  und  5ter  Ordnung  eine  entschieden  bedeutendere  ist.  Es 
könnte  diese  Bevorzugung  in  der  Gefässvertheilung  vielleicht  mit 
der  höheren  Functionsfähigkeit  der  äussern  Netzhauthälfte,  speciell 
des  gelben  Fleckes,  zusammenhängen.  Das  gesteigerte,  erhöhte 
Leben,  die  bedeutendere  Functionsfähigkeit  des  gelben  Fleckes 
lassen  einen  reicheren  Blutzufluss,  einen  regeren  Stoffwechsel  die- 
ser Parthie  nach  unseren  jetzigen  physiologischen  Anschauungen 
als  leicht  verständlich  erscheinen.  Ganz  besonders  deutlich  tritt 
dieser  Gefässreichthum  bei  dem  hinteren  Staphylom  in  Erschei- 
nung; hier  sieht  man  auf  dem  glänzend  weissen  Untergrund  nach 
der  Macula  lutea  hin  von  der  Papille  aus  diverse  kleine  feine 
Gefässchen  verlaufen.  Auch  von  den  grösseren  Hauptstämmen  der 
Netzhautgefässe  streben  zahlreiche  kleine"  Zweigchen  zur  Macula 
lutea  hin,  welche  allerdings  unter  normalen  Bedingungen  meist 
sich  den  Blicken  des  Beobachters  entziehen. 

Der  Verlauf  der  Netzhautgefässe  ist  im  Allgemeinen  ein  nur 
wenig  geschlängelter ,  mehr  gestreckter.  Die  4  grossen  arteriellen 
wie  venösen  Gefässe,  von  denen  immer  je  2  auf  einen  Netzhaut- 
quadranten kommen,  verlaufen  in  einem  seichten  Bogen,  der  un- 
gefähr der  Diagonale  des  betreffenden  Netzhautquadranten  entspricht. 
Die  Convexität  dieses  Bogens,  der  übrigens  auf  der  temporalen 
Hälfte  viel  entschiedener  ausgesprochen  ist,  wie  auf  der  inneren 
nasalen,   kehrt  sich  der  Peripherie  des  Augengrundes,    die  Con- 


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cavität  den  centralen  Parthien  zu.  Aus  der  letzteren  entspringen 
in  der  äusseren  Hälfte  des  Hintergrundes  zahlreiche  kleine  Ge- 
fässreiserchen ,  welche  alle  zur  Macula  lutea  hineilend  sich  kranz- 
förmig um  dieselbe  gruppiren. 

Für  gewöhnlich  sind  ausser  dem  bogenförmigen  Verlauf  keine 
ausgesprochenen  Krümmungen  oder  Schlängelungen  an  den  Netz- 
hautgefässen  zu  beobachten;  erst  beim  Betreten  der  Papille  zeigen 
sie  öfters  sehr  scharf  ausgeprägte  Krümmungen.  Besonders  pflegt 
dies  dann  der  Fall  zu  sein,  wenn  der  Sehnervenquerschnitt  stark 
prominent  ist,  sei  die  Prominenz  nun  physiologischer  oder  patho- 
logischer Natur ;  alsdann  schwingen  sich  die  Gefässe  mit  einem 
mehr  minder  steilen  Bogen  auf  die  Papille  hinauf.  Auch  Uneben- 
heiten im  Niveau  des  Sehnervenendes,  wie  physiologische  oder 
pathologische  Excavationen ,  bedingen  ähnliche  Krümmungen  und 
Schlängelungen  der  Gefässe. 

Im  Allgemeinen  scheinen  zwischen  Venen  und  Arterien  kaum 
nennenswerthe  Unterschiede  in  Betreff  ihres  geschlängelten  Ver- 
laufes zu  bestehen,  Mauthner  ^]  meint  zwar,  dass  die  Venen  stär- 
kere Schlängelungen  zeigten,  doch  scheinen  mir  dieselben,  wie 
mich  eine  grosse  Reihe  von  Untersuchungen  gelehrt  hat,  nicht 
so  ausgesprochen  zu  sein,  um  sie  als  besondere  Eigenthümlich- 
keiten  den  Arterien  gegenüber  hervorzuheben.  Coccius^)  vindicirt 
dagegen  den  Arterien  eine  stärkere  Schlängelung;  für  gewöhnlich 
lassen  sich  aber  nicht  grössere  Differenzen  zwischen  beiden  mit 
Sicherheit  feststellen.  Dagegen  ist  es  ausnahmsweise  der  Fall, 
dass  das  eine  oder  andere  Gefässsystem  eine  sehr  ausgespro- 
chene Schlängelung  aufweist.  So  habe  ich  in  meinem  Atlas  ^) 
eine  höchst  eigenthümliche  Schlängelung  des  retinalen  Venen- 
systems abgebildet;  die  gesammten  Venen  wiesen  in  diesem 
Fall  die  krausesten  und  zahlreichsten  Windungen  und  Schlän- 
gelungen auf,    ähnlich  wie  wir  dies  an  den  varicösen  Hautvenen 

1)  a.  Ii.  O.  p.  244. 

2)  Coccius.  lieber  die  Anwendung  des  Augenspiegels.  Leipzig  1853.  p.  4. 

3)  a.  a.  O.  Tafel  IV.  Figur  3. 


13 


SO  häufig  zu  beobachten  Gelegenheit  haben  Auch  an  den  Netz- 
hautarterien  zeigen  sich  ähnliche  Schlängelungen  und  zwar  nach 
meinen  Beobachtungen  in  einer  weitaus  grösseren  Anzahl  von 
Fällen,  wie  an  den  Venen.  Auffallend  war  mir,  dass  Augen,  bei 
denen  eine  derartige  krause  Schlängelung  der  Arterien  sich  fand, 
häufig  hochgradig  hypermetropisch  waren.  Die  unvollkommene, 
zurückgebliebene  Entwickelung  der  hypermetropischen  Bulbi,  die 
es  nicht  zu  einer  gehörigen  Ausdehnung  der  verschiedenen  Häute 
derselben  kommen  lässt,  hindert  natürlich  auch  die  volle  und  freie 
Entfaltung  und  Ausdehnung  der  Netzhautgefässe  und  so  könnte 
dann  wohl  auch  diese  eigenthümliche  Schlängelung  der  Arterien 
entstehen ;  die  Venen  zeigen  in  derartigen  Fällen  häufig  auch  eine 
leichte  Schlängelung,  doch  ist  dieselbe  der  der  Arterien  gegenüber 
nur  höchst  unbedeutend,  fehlt  nicht  selten  ganz. 

Eine  sehr  ausgesprochene  Schlängelung  aller  Netzhautgefässe 
findet  sich  bei  Ablösung  der  Netzhaut  stets  im  Bereich  der  abge- 
hobenen Parthien  zugleich  mit  einer  dunkelbraunrothen  Färbung 
derselben.  Auch  bei  Oedema  retinae  kommt  eine  starke  Schlänge- 
lung der  Gefässe,  allerdings  meist  ohne  erhebliche  Veränderungen 
in  deren  Färbung  vor. 

Eine  besonders  deutlich  ausgeprägte  Streckung  der  Netzhaut- 
gefässe wird  bei  hinterem  Staphylom  im  Bereich  der  ectatischen 
Parthie  beobachtet.  Die  Erklärung  hierfüi;  ist  in  der  übermässi- 
gen Ausbuchtung  und  Ausdehnung  des  hinteren  Augenpols  zu 
suchen.. 

Die  grösseren  arteriellen  wie  venösen  Gefässstämme  entspre- 
chen sich  in  Zahl  und  Anordnung  ziemlich  genau,  während  die 
kleineren  Verästelungen  kaum  noch  irgend  eine  Gleichartigkeit 
erkennen  lassen.  In  jedem  Netzhautquadranten  laufen  die  beiden 
grossen  Hauptstämme,  Arterie  wie  Vene,  unter  den  verschie- 
densten Kreuzungen ,  bald  in  unmittelbarster  Nähe ,  bald  durch 
einen  grösseren  Zwischenraum  getrennt  neben  einander  her.  Die 
erste  Kreuzungsstelle  pflegt  fast  immer  auf  der  Papille,  entweder 
dicht  an  der  Gefässeintrittsstelle  oder  am  Papillarrand  zu  liegen, 


14 


die  zweite  in  einiger  Entfernung  vom  SehnervenquerscHriitt  und 
die  anderen  dann  weiter  nach  der  Peripherie  des  Augengrundes 
zu.  Zumeist  finden  sich  nicht  mehr  wie  2  bis  3  Kreuzungsstellen, 
doch  mehren  sich  in  einzelnen  Fällen  dieselben  so,  dass  es  den 
Anschein  gewinnt,  als  wären  beide  Gefässe  spiralig  um  einander 
gewunden.  Welches  Gefäss  bei  der  Kreuzung  das  oberflächliche 
und  welches  das  tiefer  liegende  ist,  lässt  sich  im  Allgemeinen 
nicht  bestimmen.  Bald  zieht  die  Vene  über  die  Arterie  hin,  bald 
liegt  wieder  die  Vene  unten  und  die  Arterie  streicht  über  sie  hin ; 
eine  bestimmte  Regel  erzielten  meine  Untersuchungen  hierfür  nicht. 
Während  durch  die  Kreuzung  in  den  peripheren  Netzhautparthien 
immer  nur  kleine  Stücke  des  Gefässrohres  durch  das  darüber  fort- 
ziehende Gefäss  verdeckt  werden,  decken  sich  auf  der  Papille  nicht 
selten  grössere  Abschnitte  der  Gefässe  vollkommen,  sodass  es  den 
Anschein  gewinnt,  als  ob  eine  Arterie,  wenn  nämlich  grade  die 
Vene  das  deckende  Gefäss  ist,  in  eine  Vene,  oder  umgekehrt, 
münde.    Tafel  1.  Figur  4. 

Die  ophthalmoskopisch  zu  Tage  tretenden  Gefässe  liegen,  wie 
bekannt,  in  der  Nervenfaserschicht  der  Retina.  Diese  ziemlich 
oberflächliche  Lage  sichert  ihnen  gegen  etwaige  pathologische  Pro- 
cesse,  die  sich  in  der  Aderhaut,  oder  den  tieferen  Schichten  der 
Netzhaut  selbst  abspielen,  eine  gewisse  Immunität.  Es  wird 
dadurch  die  Ernährung  der  gesammten  Retina,  welche  bei  einer 
Betheiligung  der  Gefässe  an  den  krankhaften  Vorgängen  mehr 
oder  weniger  gestört  werden  müsste,  wenigstens  relativ  gesicherter 
sein,  als  bei  einem  tieferen,  der  Aderhaut  benachbarten  Verlauf 
der  Gefässe  dies  hätte  der  Fall  sein  können. 

Auch  für  Beurtheilung  des  Sitzes  der  Netzhautblutungen  ist 
die  Lage  der  Gefässe  in  der  Nervenfaserschicht  von  hoher  Wich- 
tigkeit. Kleinere  Blutungen  nämlich,  welche  auf  die  Faserschicht 
beschränkt  bleiben,  haben  eine  eigenthümliche,  spindel-  oder  strich- 
förmige,  meist  mit  ihrer  langen  Axe  zur  Papille  radiär  gestellte 
Form.  Durchsetzen  die  Blutungen  auch  die  anderen  Schichten 
der  Netzhaut,  oder  fliessen  verschiedene  kleine  zu  einem  grösseren 


15 


Heerde  zusammen,  so  geht  jene  strichförmige  Gestalt  augenblick- 
lich verloren,  und  der  Erguss  hat  jetzt  eine  unregelmässige  Form. 
Besonders  scharf  und  deutlich  findet  man  die  strich-  und  spindel- 
förmigen Extravasate  bei  Retinitis  Morbus  Brightii.  Es  ist  diese 
Eigenthümlichkeit  der  Extravasate  für  die  ophthalmoskopische 
Diagnose  des  Morbus  Brightii  von  nicht  zu  unterschätzender 
Bedeutung.  In  einzelnen  Fällen  von  NetzhautafFection  bei  Nie- 
renerkrankung sind  nämlich  diese  strich-  und  spindelförmigen 
Extravasate  die  Hauptveränderungen,  welche  der  Augengrund  dar- 
bietet; die  Structurveränderungen  der  Netzhaut  selbst  treten  dabei 
so  in  den  Hintergrund,  sind  so  unbedeutend,  dass  man  sie  leicht 
übersehen  kann.  Es  beschränken  sich  dieselben  in  solchen  Fällen 
nur  auf  einzelne  kleine  gelbliche  Flecken.  Man  sollte  im  Hinblick 
auf  derartige  Formen  jeden  Fall,  der  spindelförmige  Netzhaut- 
extravasate  ophthalmoskopisch  erkennen  lässt,  genau  auf  Morbus 
Brightii  untersuchen.  Blutungen,  welche  die  Macula  lutea  direct 
treifen,  zeigen  nach  meinen  Beobachtungen  niemals  eine  strich- 
oder  spindelförmige  Gestalt,  vielmehr  sind  dieselben  immer  unre- 
gelmässig zackig  oder  rundlich.  Der  Grund  hierfür  ist  in  dem 
Mangel  einer  zusammenhängenden  Lage  von  Nervenfasern  am  gel- 
ben Fleck  zu  suchen. 


Die  Färbung  der  Netzhautgefässe. 

Die  Netzhautgefässe  unterscheiden  sich,  wie  wir  schon  Seite 
6  gesehen  haben,  durch  ihre  Farbe  sehr  deutlich  in  Arterien  und 
Venen.  Die  Arterien  erscheinen  als  hellrothe,  schmälere  Fäden, 
die  von  dunkleren  Rändern  umsäumt  sind;  ihre  Färbung  kann 
zwischen  einem  sehr  hellen  Gelbroth  und  einem  allerdings  auch 
nur  wenig  gesättigtem  Ziegelroth  schwanken.  Es  sind  diese  Schwan- 
kungen im  Farbenton  theils  auf  die  Färbung  des  arteriellen  Blutes, 
theils  auf  die  des  Hintergrundes  zurückzuführen.  Eine  Differenz 
in  der  Färbung  findet  sich  meist  an  demselben  arteriellen  Rohr 
in  seinem  peripheren  und  papillären  Theii.    Der  letztere  erscheint 


16 


in  der  Regel  heller,  hat  ein  viel  weniger  ausgesprochenes  Roth. 
Die  weissliche  Papille  mischt  ihm  nämlich  einen  Ton  Weiss  bei 
und  lässt  ihn  somit  in  einer  helleren  Nuance  erscheinen,  wie  den 
der  Netzhaut  angehörigen  Gefässabschnitt.  An  der  Austrittsstelle 
aus  dem  Nerv  tritt  dann  meist  wieder  eine  circumscripte  dunklere 
Färbung  auf,  die  sich  durch  die  Biegung  erklärt,  mit  welcher  die 
Arterien  aus  der  Papille  heraustreten. 

Die  Venen  erscheinen  stets  in  einem  dunkelrosa  bis  kirsch- 
braunem Ton,  der  sich  bei  scharfen  Knickungen  und  Biegungen 
des  Gefässrohres  noch  erheblich  verdunkelt,  wie  dies  besonders 
die  Schlängelungen  bei  Oedem  der  Netzhaut,  bei  Neuritis  u.  s.w. 
deutlich  zeigen.  Auf  der  Papille  dicht  an  der  Eintrittsstelle  in 
dieselbe  pflegt  meist  eine  solche  locale  Verdunkelung  aufzutreten. 
Eine  dunklere  Randfärbung  wie  bei  den  Arterien  ist  wohl  auch 
vorhanden,  aber  meist  nur  sehr  schwach  angedeutet;  ebenso  zeigt 
der  papilläre  Gefässtheil  eine  nur  schwache  Abtönung,  die  lange 
nicht  so  ausgesprochen  ist,  wie  bei  den  Schlagadern.  Am  deut- 
lichsten ist  dieselbe  übrigens  bei  physiologischen  oder  pathologi- 
schen Excavationen  ausgeprägt. 

Nicht  selten  findet  sich  auf  Arterien  wie  Venen  ein  centraler, 
weisser  Streif,  der  aber  nur  den  grösseren  Gefässstämmen  eigen- 
thümlich  ist,  und  sich  gegen  die  Peripherie  hin  bald  verliert.  Es 
wird  derselbe  auf  einen  Reflex  in  den  Gefässwandungen  zurück- 
geführt. 


Ueber  den  Füllungsgrad  der  Netzhautgefässe. 

Die  Füllung  des  Netzhautgefässsystems ,  der  Arterien  sowie 
der  Venen,  unterliegt  zwar  genau  denselben  Gesetzen  wie  die  der 
anderen  Gefässe  des  Organismus ,  doch  übt  der  intraoculäre  Druck 
auf  dieselbe  einen  sehr  wesentlichen  Einfluss  aus.  Da  nun  aber 
grade  dieser  Druck  durchaus  keine  bestimmte,    constante  Grösse 


17 


ist,  vielmehr  den  mannigfachsten  Schwankungen  unterUegt,  so 
wird  demgemäss  natürlich  auch  der  retinale  Circulationsapparat  an 
diesen  Schwankungen  eine  lebhafte  Betheiligung  zeigen  müssen. 
Die  bekannten  Phänomene  des  Venen-  und  Arterienpulses  finden 
in  diesen  Druckdifferenzen  ihre  Erklärung  und  bieten  grade  für 
die  Beurtheilung  der  Drucksteigerung  ein  höchst  wichtiges  diagno- 
stisches Hülfsmittel.  Der  Spannungsgrad  des  Bulbus  erfährt,  wie 
wir  jetzt  wissen,  durch  die  Accommodationsthätigkeit  eine  nicht 
unerhebliche  Steigerung,  welche  sich  nach  den  classischen  Beob- 
achtungen von  Coccius  ^)  auch  an  den  Netzhautgefässen  ausspricht. 
Die  kleinern  arteriellen  Zweige  verlieren  nämlich  bei  Accommoda- 
tion  für  die  Nähe  ihre  scharfen  Contouren  und  die  Papilla  optica 
wird  zugleich  etwas  heller,  Erscheinungen,  die  Coccius  mit  Recht 
auf  den  erhöhten  intraoculären  Druck  zurückführt,  welcher  die 
kleineren  Gefässstämmchen  comprimirt.  Bei  Entspannung  der 
Accommodation  tritt  dann  ein  Anschwellen  auch  der  grösseren 
Venenstämme  ein,  sodass  sie  eine  bedeutend  stärkere  Anfüllung 
aufweisen,  wie  während  der  Accommodationsthätigkeit.  Ich  muss 
diese  Beobachtungen  durch  meine  Untersuchungen  durchaus  be- 
stätigen. Es  gelang  mir  zwar  nicht  in  allen  Fällen,  jene  Vorgänge 
an  den  Netzhautgefässen  zu  beobachten,  doch  konnte  ich  dieselbe 
bei  einzelnen  Individuen  mit  grosser  Sicherheit  constatiren.  Be- 
sonders auffällig  tritt  nach  meinen  Erfahrungen  diese  Volumenzu- 
nahme der  retinalen  Gefässe  hervor,  wenn  die  Accommodation 
künstlich  durch  Atropin  gelähmt  wird;  alsdann  pflegen  die  Ge- 
fässe ,  und  zwar  ganz  besonders  die  Venen ,  eine  ziemlich  ausge- 
sprochene Erweiterung  zu  zeigen;  Schneller war  wohl  der  erste, 
welcher  auf  diese  Erscheinung  aufmerksam  machte. 

Ganz  analoge  Erscheinungen  bedingt  übrigens  auch  die  Re- 
spiration.  Mit  beginnender  Inspiration  tritt  nämlich  ein  Abschwel- 


1)  Coccius.  Der  Mechanismus  der  Accommodation  des  menschlichen 
Auges.    Leipzig  1868.  p.  74. 

2)  Arch.  f.  Ophth.    B.  III.  Abth.  2.  p,  95. 

2 


18 


len  der  Venen  ein,  um  mit  der  Exspiration  wieder  einer  stärkeren 
Anfüllung  zu  weichen  ^) . 

Gegenüber  diesen  physiologischen  Schwankungen  in  der  Blut- 
fülle des  retinalen  Circulationsapparates ,  scheint  den  pathologi- 
schen Veränderungen  desselben,  insofern  sie  nicht  auf  organische 
Destructionen  in  den  Geweben  des  Bulbus  zurückzuführen  sind, 
kein  ausgiebiger  Spielraum  gestattet  zu  sein.  Eine  reine  essentielle 
Hyperämie  der  Netzhautgefässe  ohne  Erkrankung  in  irgend  einem 
Organe  des  Bulbus  dürfte  nach  Schweigger  2)  kaum  existiren.  Der 
intraoculäre  Druck  -^j  scheint  gegen  solche  Fluxionen  zu  den  Netz- 
hautgefässen  der  sicherste  Schutz  zu  sein.  Stets  lässt  sich  bei 
deutlich  ausgeprägter  Netzhauthyperämie  die  veranlassende  Ursache 
in  einer  Erkrankung  irgend  eines  Bulbustheiles ,  oder  in  einer 
Affection  des  gesammten  Gefässapparates  überhaupt  entdecken. 

Dasselbe  gilt  wohl  auch  von  der  Netzhautanämie,  doch  scheint 
nach  den  Angaben  Jackson's  eine  arterielle  Anämie ,  bedingt 
durch  einen  Krampf  der  Gefässe  in  seltenen  Fällen  aufzutreten. 
Ein  sicher  beobachteter  ophthalmoscopischer  Befund  stützt  aber 
diese  Ansicht  vor  der  Hand  noch  nicht, 

Uebrigens  gehört  grade  die  richtige  Beurtheilung  des  Füllungs- 
zustandes der  Netzhautgefässe  zu  den  schwersten  Aufgaben  der 
Ophthalmoskopie.  Es  sind  die  individuellen  Schwankungen  in  der 
Blutmenge  der  Netzhaut  so  ausgiebig,  die  Grenze  zwischen  Patho- 
logisch und  Physiologisch  grade  in  diesem  Punkt  so  wenig  fest  und 
sicher,  dass  es  in  dem  einzelnen  Falle  meist  unmöglich  wird,  mit 
apodictischer  Gewissheit  die  Natur  des  Füllungszustandes  zu  beur- 
theilen.  Bei  einseitiger  Affection  kann  nur  der  Vergleich  mit  dem 
gesunden  anderen  Auge  dem  Untersucher  zu  einem  richtigen  Ur- 
theil  verhelfen;    während  bei  beiderseitiger  Erkrankung  nur  eine 

1)  Coccius.  Ophthalmometrie  und  Spannungsmessung  am  kranken  Auge. 
Leipzig  1872.   p.  33. 

2)  a.  a.  O.  p.  426. 

3)  Donders.    Arch.  f.  Ophth.    B.  1.  Abth.  2.  p.  91. 

4)  Jackson.    Ophthalmie  Hospital.  Reports  IV.  1. 


19 

sehr  eingehende,  öfters  wiederholte  Untersuchung  unter  gleichzei- 
tiger genauer  Berücksichtigung  aller  übrigen  Momente ,  vor  Allem 
des  Zustandes  des  gesammten  Gefässapparates ,  ein  einigermassen 
verlässliches  Urtheil  sichern  kann. 

Aneurysmatische  Erweiterungen  der  Netzhautarterien  scheinen 
zu  den  grössten  ophthalmoscopischen  Seltenheiten  zu  gehören. 
Mir  ist  nur  die  Abbildung  eines  einzigen  derartigen  Falles  bei 
Martin  i)  bekannt ,  doch  ist  dieselbe  so  ungenau  und  wenig  ver- 
lässlich entworfen,  dass  ihr  kaum  ein  wissenschaftlicher  Werth 
beizumessen  ist. 

Den  schwer  wiegendsten  und  bedeutendsten  Einfluss  auf  die 
Blutfülle  der  Netzhaut,  auf  den  Füllungszustand  ihrer  Gefässe  übt 
ohne  Zweifel  der  Sehnerv  aus.  Das  anatomische  Verhalten  dieses 
Nervenstammes  zu  den  Centralgefässen  lässt  das  Wechselverhält- 
niss,  in  welchem  beide  zu  einander  stehen  müssen,  äusserst  dvirch- 
sichtig  erscheinen.  Der  Stamm  des  Nervus  opticus  birgt,  wie 
bekannt,  in  seiner  dem  Bulbus  benachbarten  Zone  die  beiden 
Hauptgefässe  der  Netzhaut,  die  Arteria  und  Vena  centralis ,  wäh- 
rend sein  mehr  nach  dem  Gehirn  zu  in  dem  hinteren  Abschnitt  der 
Orbita  gelegener  Theil  gefässfrei  ist.  Alle  krankhaften  Processe, 
welche  den  Sehnerv  in  seiner  gefässführenden  vorderen  Hälfte  an- 
greifen, werden  demnach  sehr  leicht  einen  directen  Einfluss  auch 
auf  die  in  ihm  verlaufenden  Netzhautgefässe  gewinnen  können, 
während  Erkrankungen  des  hinteren  Abschnittes  oder  gar  der  cen- 
tralen Parthien  für  sich  allein  nie  einen  unmittelbaren  Einfluss  auf 
die  Circulation  der  Retina  auszuüben  im  Stande  sind. 

Alle  entzündlichen  oder  destruirenden  Processe  des  Nervus 
opticus,  welche  zu  einer  Durchtränkung  desselben  mit  Serum,  zu 
einer  Auflockerung  und  Quellung  seiner  Fasern  führen,  werden 
rein  mechanisch  einen  comprimirenden  und  strangulirenden  Einfluss 
auf  die  Netzhautgefässe  gewinnen  und  somit  als  Coeffect  eine  Ver- 
änderung im  retinalen  Blutlauf  nothwendig  hervorrufen  müssen. 


1)  Martin.    Atlas  d' Ophthalmoskopie.    Paris.  1866.  Tafel  7.  Figur  7. 

2* 


20 


welche  sich  ophthalmoskopisch  als  arterielle  Anämie  und  venöse 
Hyperämie  präsentiren  wird.  Auch  ausserhalb  des  Nervenstammes 
sich  abspielende  pathologische  Processe,  wie  Tumoren,  Abscesse, 
Entzündungen  des  umgebenden  Orbitalfettes  u.  s.  w.,  werden, 
sobald  sie  den  unmittelbaren  retrobulbären  Sehnervenabschnitt  in 
Mitleidenschaft  ziehen,  zu  denselben  Consequenzen  führen,  wie 
Erkrankungen  des  Nerven  selbst.  Localisirt  sich  der  krankhafte 
Vorgang  in  der  Schädelhöhe  in  den  centralen  Theilen  des  Opticus 
oder  in  seinem  retrobulbären,  gefässfreien  Abschnitt,  so  werden 
die  Netzhautgefässe  eine  directe  Betheiligung  durch  unmittelbaren 
Einfluss  der  krankhaften  Producte  nicht  erleiden ,  da  ihre  Haupt- 
stämme dem  Heerd  der  Erkrankung  ja  entrückt  sind;  dagegen 
können  Tumoren,  Apoplexien,  Entzündungen  im  Cerebrum  oder 
ähnliche  von  den  Gehirnhäuten  ausgehende  Processe  einen  indi- 
recten  Einfluss  auf  die  Gefässe  der  Netzhaut  ausüben.  Die  bei 
derartigen  Erkrankungen  der  centralen  Organe  beobachteten  Ver- 
änderungen im  Circulationsapparat  der  Netzhaut  sowie  am  Opticus 
erklären  sich  nämlich  nach  den  Untersuchungen  von  Manz  ^) , 
Schmidt^)  und  Schwalbe^)  durch  eine  Strangulation  des  unmittel- 
baren retrobulbären  Nervenabschnittes  in  Folge  von  in  die  Nerven- 
scheiden hingestauter  cerebro  -  spinaler  Flüssigkeit.  Doch  ist  diese 
Betheiligung  der  Netzhautgefässe  bei  Gehirnerkrankungen  durchaus 
nicht  in  allen  Fällen  zu  beobachten,  vielmehr  sehr  häufig  bei  recht 
ausgesprochenen  derartigen  Leiden  zwar  eine  Atrophie  des  Sehner- 
ven, aber  keine  Aenderung  im  131utleben  der  Netzhaut  zu  constati- 
ren.  Solche  Fälle  habe  ich  selbst  zu  den  verschiedensten  Malen 
beobachtet  und  auch  in  meinem  Atlas"*)  abgebildet.  Mauthner^) 

1)  Manz.  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Erkrankungen  des 
Sehnerven  in  Folge  von  intracraniellen  Krankheiten.  Arch.  f.  Ophth.  B.  XVI. 
Abth.  1.  p.  265. 

2)  Schmidt.  Zur  Entstehung  der  Stauungspapille.  Arch.  f.  Ophth.  B. 
XV.    Abth.  2. 

3)  Schwalbe.  Untersuchungen  über  die  Lymphbahnen  des  Auges,  im 
Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  von  M.  Schnitze.    B.  VI.  p.  621. 

4)  a.  a.  O.  Tafel  III.  Fig.  1.  2.  3. 

5)  a.  a.  O.  p.  295. 


21 


gedenkt  derselben  gleichfalls^  sowie  auch  Jäger  ^)  derartige  Abbildun- 
gen bringt.  Ebenso  findet  sich  in  dem  neusten,  schon  oben  citirten 
Aufsatz  Leber's  erwähnt,  dass  öfters  Decolorationen  der  Papille  mit 
völlig  intactem  Netzhautgefässsystem  zur  Beobachtung  gelangten. 
Auch  in  der  Journalliteratur  zerstreut  werden  hier  und  da  einschlä- 
gige Fälle  erwähnt,  so  von  Norris  ^)  u.  a.  Bei  Sous  ^)  habe  ich  die 
Beschreibung  eines  derartigen  Symptomencomplexes  völlig  vermisst. 
Das  Krankheitsbild  solcher  Sehnerv-Erkrankungen  ist  in  der  Regel 
folgendes.  Die  Patienten  bemerken  unter  heftigem  Kopfschmerz  und 
Schwindel  eine  allmähliche  Abnahme  des  Sehvermögens,  die  sich 
bis  zur  absoluten  Amaurose  steigern  kann.  Der  Augenspiegel  zeigt 
dabei  eine  sehr  typische,  ausgeprägte  Entfärbung  der  Papille  ohne 
jede  Betheiligung  der  Netzhau tgefässe.  Dieselben  zeigen  in  keiner 
Weise  irgend  eine  Theilnahme  an  der  Atrophie  des  Sehnerven.  Der- 
artige Sehnervenatrophien,  welche  übrigens  Mauthner  nicht  als  Atro- 
phie bezeichnet  wissen  will,  zeigen  recht  deutlich,  in  welch'  hohem 
Grade  das  retinale  Gefässsystem  sich  seine  Selbstständigkeit  gegenüber 
krankhaften  Processen,  welche  es  nicht  direct  angreifen,  zu  wah- 
ren weiss.  Es  besitzt  also  der  Arzt  in  dem  Zustand  des  Circula- 
tionsapparates  der  Netzhaut  bei  Amblyopien  und  Amaurosen  ein  sehr 
bedeutsames,  kritisches  Moment  für  die  Beurtheilung  des  Sitzes  der 
Krankheit ;  unter  gleichzeitiger  Berücksichtigung  des  Gesichtsfeldes, 
soweit  sich  dasselbe  eben  noch  untersuchen  lässt,  wird  die  AngrifFs- 
stelle  des  pathologischen  Vorganges  immer  mit  relativ  hoher  Sicherheit 
festgestellt  werden  können.  Eine  einseitige  Sehnervenatrophie,  bei 
welcher  beide  Hälften  des  Gesichtsfeldes  in  gleicher  Weise  amblyo- 
pisch  sind,  aber  ohne  Betheiligung  der  Netzhautgefässe  wird  den  Sitz 
der  Erkrankung  im  retrobulbären  gefässfreien  Abschnitt  des  Opticus 
bis  an  das  Chiasma  hin  suchen  lassen,  Ist  dagegen  nur  eine  Hälfte 
des  Gesichtsfeldes  amaurotisch,  so  kann  der  Angriffspunkt  der  Krank- 


1)  Jäger.  Ophthalmoskopischer  Handatlas.  Wien  1861.  Tafel  IX.  Fig.  45. 

2)  Norris.  Philad.  med.  Times  II.  31.  Ib72. 

3)  Sous.    Manuel  d'Ophthalmoskopie.    Paris  1865. 


22 


heit^  nach  unseren  heutigen  physiologischen  Anschauungen^  immer 
nur  jenseits  des  Chiasmas  gesucht  werden.  Zu  ähnlichen  Reflexionen 
über  das  Verhalten  der  Netzhautgefässe  zu  den  extrabulbären  Am- 
blyopien ist  übrigens  schon  Schneller  gekommen.  Treten  also  bei 
Amblyopien  Veränderungen  an  den  Netzhautgefässen  auf,  welche  in 
den  ersten  Stadien  als  venöse  Hyperämie  und  arterielle  Anämie,  in 
den  späteren  Phasen  der  Erkrankung  meist  als  ausgesprochene  Gef  äss- 
atrophie  sich  präsentiren,  so  liegt  immer  eine  directe  Betheiligung 
des  gefässführenden ,  unmittelbar  am  Bulbus  befindlichen  Nerven- 
stammes zu  Grunde,  sei  es  nun,  dass  die  Erkrankung  diesen  Theil 
direct  ergriffen  hat,  sei  es  dass  als  Coeffect  eines  Centralleidens 
die  cerebro  -  spinale  Flüssigkeit  den  Opticus  in  seinem  vordersten 
Abschnitt  comprimirt  und  strangulirt.  Sind  bei  Amblyopien  dage- 
gen keinerlei  Gefässalterationen  zu  constatiren,  trotzdem  vielleicht 
die  Sehnervenpapille  eine  sehr  ausgeprägte  Atrophie  zeigt,  so  ist 
der  Sitz  der  Krankheit  nur  im  hintersten ,  gefässfreien  Ende  des 
Nervus  opticus  oder  in  den  Centraiorganen  selbst  zu  suchen. 

Auf  die  bei  einzelnen  Formen  von  Retinitis  eintretenden  Ver- 
änderungen der  Gefässwandungen  kann  ich  hier  nicht  näher  ein- 
gehen. Es  mag  genügen,  daraufhinzuweisen,  dass  derartige  Verände- 
rungen sich  häufig  ophthalmoskopisch  als  weissliche  Streifen  längs 
der  Gefässe  hinlaufend  präsentiren.  Liebreich  2)  und  Mauthner^) 
haben  derartige  ophthalmoskopische  Befunde  sehr  eingehend  be- 
handelt. 

Schema  für  die  Vertlieiliiiig  der  Gefässe  über  die 

Netzhaut. 

Die  Netzhaut  empfängt  im  Allgemeinen  ihr  Blut  aus  5  grösse- 
ren und  2  kleineren  Arterien,    denen  die  gleiche  Anzahl  Venen 

1)  Schneller.  Beiträge  zur  Kenntniss  der  ophthalmoskopischen  Befunde 
bei  extrabulbären  Amblyopien  und  Amaurosen.  Arch.  f.  Ophthl.  B.  VII.  Abth. 
1.  p.  70— *J2. 

2)  Liebreich.    Klinische  Monatsblätter  1864. 

3)  a.  a.  ü.  p.  ;i20  u.  328. 


23 

riemlich  genau  zu  entsprechen  pflegt.    Die  Entwickelung  dieser 
Gefässe  aus  dem  Sehnervenquerschnitt,   ihr  Aus-  und  Eintritt  m 
denselben  zeigt  verschiedene  Schwankungen,   welche  aber  leicht 
si«h  in  4  Hauptformen  einreihen  lassen.     Die  4  Hauptarterien, 
welche  der  Netzhaut  Blut  zuführen,   versorgen  je  einen  Quadran- 
ten derselben.    Die  der  äusseren,   temporalen  Hälfte  des  Augen- 
grundes angehörigen  sind  meist,   wie  ich  schon  früher  angedeutet 
habe,  von  entschieden  stärkerem  Caliber,  wie  die  der  nasalen  Hälfte. 
Die  mittlere  horizontale  Zone  der  Retina  besitzt  in  ihrer  inneren 
Hälfte  eine  eigne  Arterie  mittleren  Calibers,  Arteria  mediana, 
während   die  äussere  zumeist  durch  2  kleine  zur  Macula  lutea 
hinziehende  Gefässstämmchen ,   Arteria  macularis  superior 
und  inferior   gespeist  wird.     Die  mittlere  verticale  Zone  der 
Netzhaut  wird  nicht  durch  eigne,  selbstständige  Gefässe,  sondern 
durch  grössere  Aeste  der  Hauptarterien  versorgt.    Die  4  grossen 
arteriellen  Stämme  habe  ich  einfach  nach  ihrer  topographischen 
Lage  benannt  und  zwar  die  der  äusseren  temporalen  Hälfte  als 
Arteria  temporalis  retinae  sup erior  und  inferior;  die 
der  inneren  nasalen  Parthie  zugehörigen  als  Arteria  nasalis 
retinae  superior  und  inferior;  die  zwischen  Art.  nasalis  su- 
perior und  inferior  hinziehende,   die  mittlere,   horizontale  Zone 
speisende  Arterie  als  Arteria  mediana  retinae.    Es  ergiebt 
sich  hiernach  also  für  die  Vertheilung  der  Gefässe  über  den  Augen- 
gmnd  folgendes  Schema: 

Aeusserer  oberer  Quadrant.  Arteria  temporalis  retinae  su- 

perior. 

Aeusserer  unterer  Quadrant.         Arteria  temporalis  retinae  in- 

ferior. 

Zwischen  beiden    Quadranten     Arteria  macularis  superior. 
liegende  horizontale  mittlere  Zone     Arteria  macularis  inferior. 

mit  der  Macula  lutea. 

Innerer  oberer  Quadrant.  Arteria  nasahs  retinae  superior. 

Innerer  unterer  Quadrant.  Arteria  nasalis  retinae  inferior. 


24 


Zwischen   beiden  Quadranten 
liegende  horizontale  mittlere  Zone.      Arteria  mediana  retinae. 

Zwischen  den  beiden  seitlichen  Ramus  primus  der  Arteria  tem- 
Netzhauthälften  liegende  verticale  poralis  retinae  superior  und 
mittlere  Zone.  inferior. 

Genau  dieselbe  Eintheilung  gilt  auch  für  die  rückleitenden 
venösen  Gefässe.  Bevor  wir  aber  dieses  Schema  für  die  einzelnen 
Verästelungen  weiter  ausarbeiten  dürfen,  müssen  wir  erst  ihr  Ver- 
halten zur  Papilla  optica  einer  eingehenderen  Prüfung  unterwerfen. 

Anordnung  der  Netzliautgefässe  auf  der  Papilla  optica. 

Die  Gefässein-  und  austrittsstelle  auf  dem  Sehnervenquerschnitt 
bietet  zwar  die  verschiedensten  Variationen  dar,  doch  lässt  sich, 
wenn  man  eine  grosse  Reihe  derartiger  Untersuchungen  mit  einan- 
der vergleicht,  diese  scheinbar  so  grosse  Formenfülle  mit  Leichtig- 
keit und  ohne  Zwang  in  4  Hauptformen  zerlegen. 

Das  beste  Criterium  für  eine  natürliche,  ungezwungene  Zer- 
legung und  Eintheilung  dieser  Verhältnisse  bietet  die  Theilung  der 
Centralgefässe,  der  Arterie  wie  Vene,  in  ihre  peripherischen  Netz- 
hautstämme. Verfahren  wir  nach  diesem  Princip,  so  ergeben  sich 
eigentlich  von  selbst  folgende  4  Haupttypen: 

Erste  Form. 

Die  Arteria  centralis  retinae  tritt  ungetheilt  aus 
der  Papilla  optica,  verläuft  auf  derselben  ein  mehr 
minder  langes  Stück  ungetheilt  und  spaltet  sich  dann 
in  2  Aeste,  Arteria  papillaris  superior  et  inferior, 
aus  welchen  sich  die  Arteriae  temporales  und  nasales 
entwickeln  (Tafel  1.  Figur  1.). 

Zweite  Form. 

Die  Arteria  centralis  retinae  theilt  sich  unmit- 
telbar nach  ihrem  Austritt  aus  der  Papille  in  2  Aeste, 
welche  wie  ein  schmales,  rothes  Band  in  mehr  oder 
weniger    ausgesprochener    verticaler    Richtung  über 


25 


die  Papille  hinziehen.  Die  Theilungsstelle  ist  nicht 
sichtbar,  höchstens  als  dunklerer  rother  Punkt  auf 
dem  Centrum  des  G efässbandes  markir t.  (Tafel  1.  Figur 2.) 

Dritte  Form. 

Die  Arteria  centralis  retinae  theilt  sich  schon  tief 
im  Stamm  des  Nervus  opticus  und  tritt  somit  in  2  ge- 
trennten Hauptästen,  aus  welchen  die  oberen  und 
unteren  Netzhautarterien  sich  entwickeln,  aus  der 
Papille  zu  Tage.  (Tafel  1.  Figur  3.) 

Es  scheint  dies  eine  der  häufigsten  Varianten  zu  sein. 
Yierte  Form. 

Die  Arteria  centralis  retinae  zerfällt  im  Stamm 
des  Nervus  opticus  in  die  4  grossen  Hauptgefässe  der 
Netzhaut,  welche  als  gesonderte  Aeste  schon  aus  der 
Papille  austreten.  (Tafel  1.  Figur  4.) 

Neben  den  grossen  Gefässstämmen ,  welche  sich  in  einer  der 
4  soeben  geschilderten  Gruppen  auf  der  Papille  anordnen,  treten 
häufig  noch  kleinere  Aestchen  aus  den  peripherischen  Parthien  der 
Papille,  oder  gar  hart  am  Papillarrand  direct  aus  dem  Augengrund 
heraus.  Donders  i)  meint,  dass  derartige  kleine  Gefässchen  gar 
nicht  von  den  Centralgefässen  entspringen,  vielmehr  schon  im 
Stamm  des  Opticus  gesondert  als  selbsständige  Aestchen  verlaufen. 
Nach  Leber  2)  gehören  sie  in  nicht  seltenen  Fällen  dem  Scleroti- 
calgefässkranz  an. 

Auf  das  sehr  wechselnde  Verhalten  der  Arteriae  maculares  zu 
diesen  4  Hauptformen  kommen  wir  im  Lauf  unserer  Untersuchung 
nochmals  zurück. 

Genau  dieselben  4  Grundformen  zeigen  übrigens  auch  die 
Venen.  Aus  diesen  4  Hauptformen  der  Arterien  und  4  Grund- 
typen der  Venen  construiren  sich  nun  je  nach  der  Zusammenstel- 
lung der  einzelnen  unter  einander  die  verschiedensten  Formen, 

1)  Donders.  lieber  die  sichtbaren  Erscheinungen  der  Bhitbewegung  im 
Auge.    Arch.  f.  Ophth.  B.  I.  Abth.  2.  p.  87. 

2)  Archiv  f.  Ophth.  B.  XI.  Abth.  1.  p.  6. 


26 


deren  Beschreibung  aber^  da  sie  eigentlich  selbstverständlich  sind, 
nicht  thunlich  erscheinen  dürfte. 

Die  Stelle,  an  der  die  Gefässe  auf  dem  Sehnervenquerschnitt 
aus-  und  eintreten,  findet  sich  als  ein  mehr  oder  minder  ausge- 
sprochener kleiner  Trichter  oder  Grube  entweder  fast  im  Centrum 
der  Papille,  oder  was  das  gewöhnlichste  Vorkommen  zu  sein  pflegt, 
excentrisch  gelagert  und  zwar  dem  inneren  nasalen  Rand  des 
Sehnerven  näher  gerückt.  Weitaus  in  der  grössten  Mehrzahl 
der  Fälle  benutzen  alle  Gefässe  diesen  Trichter  in  gleicher  Weise, 
um  aus  dem  Nervus  opticus  in  die  Netzhaut  zu  gelangen  oder 
umgekehrt.  Bisweilen  jedoch  besitzt  sowohl  das  venöse  wie  arte- 
rielle System  einen  besonderen  Gefässtrichter.  Theilen  sich  die 
Centralgefässe  schon  tief  im  Stamm  des  Opticus,  so  kann  natürlich 
von  einer  allen  Gefässen  gemeinsamen  Aus-  und  Eintrittsstelle 
nicht  die  Rede  sein. 

So  lange  die  Papilla  optica  keine,  oder  doch  nur  geringe  Ni- 
veaudifFerenzen  aufzuweisen  hat,  lassen  sich  diese  Verhältnisse  der 
ein-  und  austretenden  Gefässe,  sowie  die  von  mir  aufgestellten 
4  Grundformen  mit  dem  Augenspiegel  ohne  Schwierigkeit  bis  in 
ihre  kleinsten  Details  verfolgen ;  sobald  sich  aber  grössere  Uneben- 
heiten im  Niveau  der  Papillenoberfläche  geltend  machen,  entziehen 
sich  jene  Verhältnisse  einer  genauen  Beobachtung  mit  dem  Augen- 
spiegel allein  fast  völlig.  So  können  wir  bei  den  Excavationen 
des  Sehnerven,  sowohl  den  auf  glaucomatöser  Grundlage  beruhen- 
den ,  wie  auch  den  rein  physiologischen ,  eine  genaue  DifFerenzi- 
rung  der  ein-  und  austretenden  Gefässe  fast  nie  ermöglichen. 

Verhalten  der  einzelnen  Netzhautgefässe^). 

Arteria  centralis  retinae. 
Dieselbe  entzieht  sich  meist  durch  ihre  Lage  im  Stamm  des 
Nervus  opticus  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  fast  gänz- 

1)  Vergleiche  die  sehr  gute  Abbildung  der  Netzhautgefässe  bei  Uonders. 
Arch.  f.  Ophth.  B.  I.  Abth.  2.  Tafel  III.  Figur  7. 

Liebreich.    Atlas  der  Ophthalmoscopie.    Berlin  1863.  Tafel  1. 


lieh,  ebenso  wie  die  gleichnamige  Vene;  die  letztere  soll  übrigens 
nach  Donders  ^)  nur  eine  kurze  Strecke  hin  mit  der  Arterie  ge- 
meinsam im  Nerven  verlaufen,  dann  bald  sich  von  ihr  trennen 
und  den  Nerven  verlassen,  während  die  Centraiarterie  erst  in  einer 
Entfernung  von  5  Millim.  hinter  der  Sclera  aus  dem  Stamm  des 
Nerven  hervor  in  die  Orbita  tritt.  In  einzelnen  Fällen  jedoch 
erscheinen  sowohl  die  Vena  wie  Arteria  centralis  auf  der  Papille 
sichtbar ,  Tafel  l .  Figur  1 ,  sei  es  nun ,  dass  sie  in  Wirklichkeit 
aus  dem  Gefässtrichter  des  Sehnervenquerschnittes  auftauchen,  oder 
dass  die  Fasern  der  Papille  eine  ganz  besondere  Durchsichtigkeit 
besitzen,  welche  gestattet  in  den  Nerven  ein  Stück  hinein  und  so 
die  Centralgefässe  zu  sehen;  Jäger's^)  scheinbare  Ex cavation.  Bald 
nach  dem  Austritt  aus  dem  Sehnervenquerschnitt  theilt  sich  die 
Arteria  centralis  in  2  Aeste,  von  denen  der  eine  nach  oben,  der 
andere  nach  unten  strebt ,  um  sich  entweder  noch  auf  der  Papille, 
oder  wenigstens  dicht  an  ihrem  Rand  in  2  grosse  Stämme,  die 
Arteria  temporalis  und  nasalis  retinae  zu  spalten.  Man  kann  die 
beiden  primären  Stämme,  in  welche  die  centrale  Schlagader  zer- 
fällt, als  besondere  Gefässe  unter  dem  Namen  Arteria  papillaris 
superior  et  inferior  auffassen.  (Tafel  1.  Figur  1.)  Aus  diesen  Ar- 
teriae  papilläres  entwickelt  sich  nicht  selten  eine  kleine  Arteria 
macularis. 

Arteria  temporalis  retinae  superior. 
Es  ist  dies  ein  stattliches,  grosses  Gefässrohr,  welches  den 
äusseren  oberen  Netzhautquadranten  versorgt  und  in  einem  mehr 
minder  steilem  Bogen  um  die  Macula  lutea  herum  gegen  die  Peri- 
pherie der  Netzhaut  hinzieht,  um  sich  in  kurzer  Entfernung  hinter 
dem  gelben  Fleck  in  3  —  4  Aeste  geringeren  Calibers  aufzulösen. 
Die  concave,  der  Macula  zugekehrte  Seite  entsendet  3 — 4  kleinere, 
ophthalmoskopisch  sehr  deutliche  Aestchen  gegen  die  Stelle  des 
deutlichen  Sehens ;  unter  denen  sich  nicht  selten  auch  die  Arteria 

1)  a.  a.  O.  p.  86. 

2)  Jäger.  Ueber  die  Einstellungen  des  dioptrischen  Apparates  im  mensch- 
lichen Auge.    Wien  18(U.  p.  38. 


.    2S  » 

macularis  superior  befindet.  Die  convexe ,  der  Peripherie  zuge- 
kehrte Seite  besitzt  4 — 5  Zweige,  von  denen  der  erste,  den  ich  als 
Ramus  primus  bezeichnen  will,  sich  durch  seine  Grösse  besonders 
auszeichnet.  Es  ist  dieser  Ramus  primus  ein  nicht  unbeträcht- 
liches Gefäss,  von  ziemlich  gestrecktem  Verlauf,  das  entweder 
noch  auf  der  Papille  oder  in  der  Netzhaut  aus  seinem  Muttergefäss 
hervortritt  und  •  in  grader  Richtung  nach  oben  ziehend  die  zwischen 
oberen  äusseren  und  oberen  inneren  Quadranten  gelegene  verticale 
Zone  des  Augengrundes  versorgt.  In  einzelnen  Fällen  tritt  dieses 
Gefäss  auch  als  selbstständige  Arterie  direct  aus  der  Papille  her- 
vor ,  oder  kommt  aus  der  Art.  nasalis  superior. 

Die  Vena  temporalis  superior  entspricht  der  gleichnamigen 
Arterie  und  deren  Verzweigungen  ziemlich  genau.  Sie  zieht  mit 
derselben  gleichfalls  um  die  Macula  herum,  wobei  bald  die  Vene 
bald  die  Arterie  die  innere  Seite  dieses  Bogens  behauptet.  Im 
Allgemeinen  scheint  mir  übrigens  die  Vene  mehr  der  inneren  Seite 
dieses  Gefässbogens  anzugehören,  also  dem  gelben  Fleck  näher  zu 
liegen,  wie  die  betreffende  Arterie. 

Arteria  temporalis  retinae  inferior. 

Es  ist  ein  Gefäss,  welches  in  Grösse  und  Verlauf  genau  der 
Art.  temp.  superior  entspricht;  sowohl  die  zur  Macula  Avie  zur  Pe- 
ripherie ziehenden  Aeste  gleichen  denen  jener  Schlagader  völlig. 
Der  äussere  untere  Netzhautquadrant  wird,  wie  dies  schon  ihr 
Name  zeigt,  von  ihr  versorgt.  Im  Verein  mit  der  Art.  temp.  sup. 
bildet  sie  um  den  gelben  Fleck  einen  weiten  Gefässkranz,  dessem 
Centrum  aber  der  gelbe  Fleck  nicht  ganz  genau  entspricht. 

Wenn  eine  Arteria  papillaris  superior  und  inferior  sich  findet, 
so  entspringen  diese  beiden  Art.  temporales  stets  aus  ihnen ;  fehlt 
dagegen  jede  Andeutung  der  Papillararterien ,  so  treten  die  Tem- 
poralschlagadern der  Netzhaut  direct  als  selbstständige  Gefässe  aus 
dem  Sehnervenquerschnitt. 

Artcria  nasalis  retinae  superior. 

Diejenige  Hauptarterie,  welche  den  inneren  oberen  Netzhaut- 
quadranten sein  Blut  zuführt,  habe  ich  mit  diesem  Namen  bezeich- 


29 


net.  Sie  ist  von  entschieden  kleinerem  Caliber,  wie  die  temporalen 
Gefässe,  verläuft  auch  nicht  mit  einem  so  ausgesprochenen  liogen 
wie  jene,  vielmehr  gestreckter,  mehr  der  Diagonale  ihres  Qua- 
dranten entsprechend.  Ihr  Vorkommen  ist  übrigens  durchaus  kein 
so  constantes,  wie  das  der  temporalen  Schlagadern ;  sie  kann  viel- 
mehr völlig  fehlen  und  durch  3  oder  4  kleinere  Aeste,  die  aus 
der  Art.  temp.  sup.  oder  aus  der  Art.  papillaris  superior  sich  ent- 
wickeln, vertreten  werden.  Auch  ihr  Ursprung  zeigt  viele  Schwan- 
kungen; bald  kommt  sie  aus  der  Papillararterie ,  bald  als  selbst- 
ständiges Gefäss  direct  aus  der  Papille,  bald  als  Ast  der  Art. 
temp.  sup.  aus  deren  convexen  Seite.  Bald  nach  ihrem  Ursprung 
theilt  sie  sich  in  mehrere  kleinere  Aeste,  die  sich  über  die  ver- 
schiedenen Parthien  des  betreffenden  Netzhautquadranten  verbrei- 
ten. Sie  steht  übrigens  zu  dem  Ramus  primus  der  Art.  temp.  sup. 
in  einem  gewissen  Wechselverhältniss  ;  ist  dieser  nämlich  stark 
entwickelt,  mit  zahlreichen  Seitenästen  versehen,  so  pflegt  mei- 
stens die  Art.  nasalis  sup.  ein  schwächliches,  unbedeutendes  Ge- 
fäss zu  sein,  und  ebenso  umgekehrt.  Bisweilen  ist  der  Ramus 
primus  sogar  ein  Ast  von  ihr  selbst. 

Arteria  nasalis  retinae  inferior. 
Von  ihr  gilt  genau  dasselbe  wie  von  der  vorigen,  nur  dass 
ihr  Weg  sie  nach  unten  zum  inneren  unteren  Netzhautquadranten 
führt.  Im  Verein  mit  ihrem  Gespann,  der  Art.  nas.  sup.,  bildet 
sie  keinen  so  ausgesprochenen  Gefässkranz,  wie  wir  dies  auf  der 
äusseren  Netzhauthälfte  gefunden  haben. 

Arteria  mediana  retinae. 
Gehört  der  inneren  Netzhauthälfte  an,  deren  horizontalen 
mittleren,  zwischen  beiden  Quadranten  gelegenen  Theil  sie  ernährt. 
Es  ist  ein  ziemlich  stattliches  Gefäss,  das  in  mehr  oder  weniger 
ausgesprochener  horizontaler  Richtung  von  der  Papille  aus  nach 
der  Netzhautperipherie  hinzieht.  Ihr  Ursprung  bietet  verschie- 
dene Varianten ;  entweder  tritt  sie  aus  der  Art.  nasal,  sup.  oder 
inf.  als  erster  Ast  derselben  zu  Tage,    oder  sie  taucht  direct  aus 


30 


der  Papille  selbst  auf.  Meist  existirt  übrigens  nur  eine  grössere 
Art.  mediana,  2  an  Umfang  gleiche  mächtige  Stämme  habe  ich 
selten  beobachtet,  wohl  aber  einen  grösseren  und  einzelne  kleinere, 
oder  nur  3  —  5  kleinere  Aestchen  und  gar  keine  eigentliche  Me- 
diana. Die  kleineren  Schlagadern,  welche  vicariirend  für  sie  ein- 
treten, sind  zumeist  Aeste  der  Papillär-  und  Nasalarterien. 

Arteriae  maculares. 

Die  zwei  Arteriae  maculares  superior  und  inferior  sind  gleich- 
sam die  Antipoden  der  vorigen,  indem  sie  von  der  Papille  nach 
der  mittleren  Zone  der  äusseren  Netzhauthälfte,  also  zum  gelben 
Fleck,  hinziehen.  Ihr  Ursprung  auf  der  Papille  lässt  sie  in  vielen 
Fällen  als  selbstständige  Gefässchen  erscheinen,  während  sie  auch 
Aeste  der  Temporal-  oder  Papillararterien  sein  können.  Ihr  Ver- 
lauf ist  ein  leicht  bogenförmiger;  Verästelungen  lassen  sich  für 
gewöhnlich  kaum  an  ihnen  beobachten.  An  Caliber  sind  sich  beide 
meist  gleich,  doch  kommt  auch  ein  entschiedenes  Ueberwiegen  der 
Einen  in  Grösse  und  Entwickelung  vor.  Ein  Verschmelzen  beider 
zu  einem  grösseren  direct  nach  der  Macula  ziehenden  Gefässstamm 
habe  ich  nie  beobachtet. 

Die  Venen  entsprechen  den  geschilderten  Verhältnissen  so 
genau ,  dass  eine  besondere  Beschreibung  derselben  nicht  erforder- 
lich sein  dürfte. 


Erklärung  der  Tafeln. 


Tafel  1. 

Das  Verhalten  der  Netzhautgefässe  auf  der  Papilla  optica  in 
den  4  Hauptformen. 

A.  p.  Arteria  papillaris. 

A.  t.  s.  Art.  temporalis  superior. 

A.  t.  i.  ,,  inferior. 

A.  n.  s.         nasalis  superior. 

A.  n.  i.  ,,  inferior. 

A.  m.  mediana. 

A.  m.  i.    ,,    macularis  inferior. 

A.  m.  s.    ,,    macularis  superior. 

E,.  p.  Ramus  primus. 

Für  die  Venen  gelten  dieselben  Bezeichnungen. 

Figur  1.  Papille  mit  Gefässen  aus  dem  linken  Auge  einer 
29jährigen  Frau. 

Es  besteht  eine  ziemlich  grosse  Arteria  centralis  retinae,  eine  kleinere  Vena 
centralis.  Die  Theilung  beider  in  die  Vasa  temporalia  und  nasalia  zeigt  nichts 
auffallendes. 

Die  Vena  nasalis  inferior  (V.  n.  i.)  ist  auffallend  schwach  und  mündet 
hart  am  Papillarrand  allein  in  den  Sehnervenquerschnitt.  Der  Ramus  primus 
der  Vena  temporalis  inferior  ist  stärker  wie  sonst. 

Die  Arteria  mediana  tritt  am  Rand  der  Papille  direct  aus  dem  Hinter- 
grund hervor. 

Figur  2.  Papille  mit  Gefässen  aus  dem  linken  Auge  eines 
17jährigen  Jünglings. 

Die  Theilung  in  die  temporalen  und  nasalen  Gefässe  ist  in  diesem  Fall 
sehr  typisch.  Eine  eigentliche  Arteria  mediana  fehlt,  dagegen  ist  die  gleich- 
namige Vene  recht  stattlich. 

Figur  3.  Papille  mit  Gefässen  aus  dem  linken  Auge  eines 
40jährigen  Mannes. 

Die  oberen  und  unteren  Gefässe  der  Netzhaut  treten  nicht  vereint ,  son- 
dern in  2  getrennten  Punkten  in  die  Papille.    Es  findet  sich  eine  obere  und 


32 


untere  Arteria  papillaris,  welche  sich  in  die  temporalen  und  nasalen  Gefässe 
theilen.  Die  Vena  nasalis  inferior  ist  ein  Ast  der  V.  temporalis ;  die  Arteria 
mediana  gehört  der  Arteria  papillaris  superior  an. 

Figur  4.  Papille  mit  Gefässen  aus  dem  rechten  Auge  eines 
28jährigen  Studenten. 

Die  sämmtlichen  Retinalgefässe  treten  von  einander  getrennt,  immer 
eine  Arterie  mit  der  entsprechenden  Vene  ,  aug  dem  Sehnerven.  Die  Arterien 
zeigen  einen  stark  geschlängelten  Verlauf,  die  Venen  dagegen  den  gewöhn- 
lichen gestreckten.  Die  untere  Avteria  temporalis  verdeckt  auf  der  Papille  die 
Vene  vollständig,  ebenso  die  obere  Vene  die  entsprechende  Arterie. 

Tafel  2. 

Normales  Netzhau tgefässsystem  von  einem  14jährigen  Knaben. 
Eine  besondere  Erklärung  dürfte  kaum  erforderlich  sein. 


Druck  von  Breitkopf  und  Härtel  in  Leipzig^.