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Full text of "Moderne Therapie; ein Kompendium für den praktischen Arzt"

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Verlag  von  VEIT  & COMP,  in  Leipzig 


Lehrbuch 

der 

allgemeinen  und  speziellen  Chirurgie 

einschließlich  der 

modernen  Operationslehre  und  Verbandlehre. 

Von 

Dr.  Hermann  Tillmanns, 

Professor  an  der  Universität  Leipzig 
und  Generalarzt  ä la  suite  des  Kgl.  sächs.  Sanitätscorps. 

Zwei  Bände  in  drei  Teilen. 

Mit  1835,  zum  Teil  farbigen  Abbildungen  im  Text. 

Roy.  8.  geh.  56  Jl  50  geh.  in  Halbfranz  64  Jl. 

Das  „Lehrbuch  der  allgemeinen  und  speziellen  Chirurgie“  von 
H.  Tillmanns  ist  infolge  seiner  allgemein  anerkannten  Vorzüge,  der 
strengen  Wissenschaftlichkeit,  der  klaren  Darstellungsweise  und  der 
reichen  Anzahl  erläuternder  Abbildungen,  bei  Ärzten  und  Studierenden 
zurzeit  das  geschätzteste  Werk  der  modernen  Chirurgie.  Der  erste 
Band  behandelt  die  allgemeine,  der  aus  zwei  Teilen  bestehende 
zweite  Band  die  spezielle  Chirurgie. 

Die  Bände  sind  auch  einzeln  käuflich  unter  nachstehenden  Titeln: 

Lehrbuch  der  allgemeinen  Chirurgie. 

Allgemeine  Operations-  und  Verbandtechnik.  Allgemeine  Pathologie  und  Therapie. 

Neunte,  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 

Mit  628,  zum  Teil  farbigen  Abbildungen  im  Text. 

1904.  geh.  18  Jl  50  3p,  geh.  in  Halbfranz  21  Jl. 


Lehrbuch  der  speziellen  Chirurgie. 

Achte,  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 
= Zwei  Teile.  = 


Mit  1207.  zum  Teil  farbigen  Abbildungen  im  Text. 

1904.  geh.  38  Jl,  geb.  in  Halbfranz  43  Jl. 


Kompendium  der  Frauenkrankheiten 

von 

Dr.  med.  Hans  Meyer-Rüegg, 

Privat, dozenteo  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  an  der  Universität  Zürich. 


Mit  143  Figuren. 

8.  1905.  geb.  in  Ganzleinen  5 Jl. 

Der  beschäftigte  Arzt,  der  sich  rasch  über  irgend  eine  Frage  aus 
dem  Gebiete  der  Frauenkrankheiten  orientieren  will,  findet  dazu  keine 
bessere  Gelegenheit,  als  in  diesem  von  einem  hervorragenden  Spezia- 
listen verfaßten  Grundriß,  der  sich  bei  übersichtlicher  Kürze  durch 
möglichste  Vollständigkeit  auszeichnet.  Die  kleinen  operativen  Ein- 
griffe sind  ausführlich,  die  größeren  Operationen  in  breiten  Zügen 
beschrieben. 


R r p EDINBURGH  I TRPADV 


4-ß t- 


Verlag  von  VEIT  & COMP,  in  Leipzig 


Kompendium  der  Psychiatrie 

für  Studierende  und  Ärzte 

von 

Dr.  med.  Otto  Dornblüth. 

Zweite,  völlig  umgearbeitete  Auflage. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen. 

8.  1904.  geb.  in  Ganzleinen  5 Jb. 

Die  Prüfungsordnung  von  1901  verlangt  von  dem  angehenden  Arzt 
den  Nachweis  der  erforderlichen  Kenntnis  der  Psychiatrie. 

Unter  den  Kompendien,  welche  in  den  letzten  Jahren  erschienen 
sind,  zeichnet  sich  das  vorliegende  dadurch  aus,  daß  es,  in  anregender 
Form  geschrieben,  alles  Wesentliche  bringt,  so  daß  der  Kandidat  wie 
der  praktische  Arzt  ein  klares  Bild  des  modernen  Standpunktes 
dieser  Wissenschaft  erhält. 

„ Parmi  les  manuels  de  medicine  mentale  qui  s'adressent  au  pra- 
ticien  non  specialiste,  le  eompendium  du  docteur  Dornblüth  occupera 
un  des  premiers , sinon  le  premier  rang.“  La  Fl.  Medicate. 

Die  Arteriosklerose. 

PCliniscbe  Studien 

von 

J.  G.  Edgren, 

Professor  der  Klinischen  Medicin  am  Karolinischen  Medico-chirurgischen 
Institut  in  Stockholm. 

Mit  zweiundzwanzig  Pulskurven, 
gr.  8.  1898.  geh.  8 Jt>  60  3}. 

Dies  Buch  behandelt  zum  ersten  Male  die  Arteriosklerose  vom 
klinischen  Standpunkte.  Die  aus  reicher  Erfahrung  hervorgegangene 
Monographie  ist  für  die  prophylaktische  Behandlung  und  die  Therapie 
der  Arteriosklerose  von  grundlegender  Bedeutung. 

Studien  über  die  Natur  des  Menschen. 

Eine  optimistische  Philosophie 

von 

Elias  Metschnikoff, 

Professor  am  Institut  Pasteur. 

Mit  Abbildungen. 

Autorisierte  Ausgabe. 

Eingeführt  durch  Wilhelm  Ostwald. 

8.  1904.  geh.  Jb  5,  geb.  in  Ganzleinen  6 Jb. 

Die  Quelle  der  vielen  Leiden,  unter  denen  die  Menschheit  seufzt, 
findet  der  berühmte  Forscher  in  den  entwicklungsgeschichtlich  be- 
dingten Disharmonien  der  Natur  des  Menschen.  Von  der  Bekämpfung 
i der  Unvollkommenheiten  der  Organisation  mit  den  neuen  Methoden 
der  Wissenschaft  hofft  er,  daß  es  gelingen  wird,  das  menschliche 
Dasein  glücklicher  zu  machen  und  zu  verlängern  — ein  ideales, 
Greisenalter  herbeizuführen. 


Verlag  von  VEIT  & COMP,  in  Leipzig 


Kompendium  der  inneren  Medizin 

für  Studierende  und  Ärzte 

von 

Dr.  med.  Otto  Dornblüth. 

Fünfte,  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen  im  Text. 

8.  1903.  geb.  in  Ganzleinen  7 Jt  50  Sfy. 

Das  als  der  „ Kleine  Dornblüth11  Gemeingut  der  medizinischen  Welt 
gewordene,  in  vier  Sprachen  (in  die  russische  zweimal)  übersetzte 
Werk  zeichnet  sich  bei  aller  Kürze  durch  Vollständigkeit  aus  und  steht 
auf  der  vollen  Höhe  der  Wissenschaft.  Es  enthält  das  Wesentlichste 
des  systematischen  und  klinischen  Lehrstoffes  und  kann  auch  als  eine 
Diagnostik  gelten,  wie  man  sich  eine  solche  nicht  besser  wünschen  kann. 

„Kaum  7 Jahre  sind  seit  dem  Erscheinen  der  ersten  Auflage  ver- 
strichen und  bereits  liegt  uns  die  vierte  Auflage  vor;  ein  sprechender 
Beweis  für  die  Beliebtheit,  die  sich  dieses  Buch  unter  den  praktischen 
Ärzten  und  namentlich  den  älteren  Medizinstudierenden  erworben 
hat,  sowie  für  seine  Brauchbarkeit.“  Berlin,  klin.  Wochenschrift. 

. . . „Durch  knappe  und  klare  Fassung  ist  es  möglich  geworden,  daß 
das  Buch  viel  mehr  enthält,  als  man  seinem  Umfange  nach  vermuten 
sollte.  Es  wird  daher  nicht  nur  von  Studierenden  und  Ärzten,  sondern 
auch  von  älteren  Praktikern  viel  benutzt,  um  sich  schnell  und  zuver- 
lässig über  diese  oder  jene  Frage  zu  unterrichten“.  Ärztliche  Monatsschrift. 

Kompendium  der  Anatomie  des  Menschen. 

Für  Stncli-Lim  viiicL  Praxis 

von 

Dr.  Johannes  Möller,  und  Dr.  Paul  Müller, 

ehern.  Prosektor  am  Vesalianum  zu  Basel,  ehern.  Assistenten  am  anat.  Inst.  zuLeipzig. 

Mit  zahlreichen  Figuren  im  Text  und  zwei  Regionentafeln. 

8.  1903.  geb.  in  Ganzleinen  7 J 50^. 

„Referent  ist  kein  Freund  von  Kompendien,  hat  nie  ein  solches  be- 
nutzt, sondern  sich  seine  Auszüge  aus  guten  Lehrbüchern  selbst  ge- 
macht, wobei  man  sehr  viel  mehr  lernt,  als  wenn  man  alles  gleich 
fertig  vor  sich  hat,  wie  im  Kompendium.  Aber  Naturen  sind  ver- 
schieden, die  meisten  Studierenden  und  wohl  auch  der  praktische  Arzt 
glaubt  eines  kurzen,  möglichst  kurzen  Grundrisses  nicht  entbehren  zu 
können;  man  hat  ja  besonders  vor  dem  Examen  und  wieder  als  viel- 
beschäftigter Praktiker  „keine  Zeit“,  ausführlichere  Werke  nachzu- 
sehen. Für  alle  diese  sei  das  vorliegende  Kompendium,  welches  sich 
vor  anderen  durch  eine  zweckmäßige  Auswahl  des  wichtigeren  aus 
dem  großen  Wüste  anatomischer  Details  auszeichnet,  dabei  doch  nicht 
allzu  kurz  und  knapp  ist,  ferner  gute  Abbildungen  hat,  empfohlen.“ 
K.v.  Bardeleben:  Deutsche  med.  Wochenschr.  1903.  Literatur-Beilage  Nr.  38. 

Das  Möller-Müller’sche  Kompendium  erhebt  trotz  seiner,  durch 
Präzision  erzielten  Kürze  den  Anspruch,  neben  den  großen  Lehrbüchern 
der  normalen  Anatomie  infolge  seiner  klaren  und  dabei  streng  wissen 
schaftlichen  Behandlung  als  eine  durchaus  selbständige  Darstellung, 
geeignet,  den  Studierenden  mit  den  wichtigsten  Tatsachen  bekannt 
zu  machen  und  dem  praktischen  Arzt  als  Nachschlagebucli  beim  Ge- 
brauch seines  Atlas  zu  dienen,  angesehen  zu  werden. 


MODERNE  THERAPIE 


EIN  KOMPENDIUM 
FÜR  DEN  PRAKTISCHEN  ARZT 

VON 

DR.  MED.  OTTO  DORNBLÜTH 


MIT  ABBILDUNGEN  IM  TEXT 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  VEIT  & COMP. 
1906 


Druck  von  Metzger  & Wittig  in  Leipzig. 


Vorwort. 


Das  vorliegende  Buch,  von  vielen  Freunden  meines 
Kompendiums  der  inneren  Medizin  gewünscht  und 
schon  im  Vorworte  zur  fünften  Auflage  des  genannten 
Buches  angekündigt,  ist  im  Laufe  der  Jahre  als  Frucht 
meiner  jetzt  fast  22  jährigen  ärztlichen  Tätigkeit  entstanden. 
In  der  Arbeit  des  Anstaltsarztes  hat  man  den  Vorteil,  die 
Krankheiten  unter  bestimmten  äußeren  Verhältnissen  und 
unter  sachverständiger  Aufsicht  erwachsen  und  verlaufen  zu 
sehen,  jeden  einzelnen  Fall  gemeinsam  mit  Kollegen  von 
verschiedenster  Vorbildung  und  Erfahrung  zu  beobachten 
und  in  zahlreichen  Fällen  bei  der  Sektion  die  Kritik  der 
Meinungen  unanfechtbar  zu  erhalten.  In  dieser  Arbeit  ge- 
winnt die  Therapie  ein  immer  größeres  Interesse  und  einen 
wirklich  befriedigenden  Beiz.  In  den  letzten  10  Jahren,  seit 
ich  die  Tätigkeit  an  großen  Provinzialanstalten  mit  der 
weniger  ausgedehnten,  aber  um  so  eindringlicheren  thera- 
peutischen Arbeit  des  Sanatoriumsbesitzers  vertauscht 
habe,  haben  sich  meine  Erfahrungen  noch  weiter  ausgedehnt, 
unter  der  wertvollen  Mitwirkung  zahlreicher  Kollegen 


IY 


Vorwort 


mit  denen  ich  diagnostische  und  therapeutische  Ansichten 
zum  Besten  unserer  Kranken  austauschen  durfte.  In  der 
Dar.  tellung  meiner  Therapie,  die  ich  gewiß  nicht  ohne  Recht 
als  moderne  bezeichne,  glaube  ich  daher  jungen  wie  älteren 
Fachgenossen  etwas  Nützliches  zu  bringen. 

Die  Vergiftungen  habe  ich  nicht  in  den  Plan  meines 
Buches  aufgenommen,  weil  ich  der  Ansicht  war,  daß  sich 
im  Besitz  jedes  Arztes  ein  Werk  darüber  befindet.  Ich 
bediene  mich  gern  des  Grundrisses  der  Toxikologie  von 
Professor  H.  Kionka,  den  ich  als  ein  zuverlässiges  Nach- 
schlagewerk kennen  und  schätzen  gelernt  habe. 

Frankfurt  a.  M.,  Oktober  1905. 

Bockenheimer  Anlage  2. 

Dr.  med.  Otto  Dornblüth, 

Nervenarzt. 


Inhalt. 


I.  Krankheiten  der  Kreislauforgane. 

Seite 

1.  Behandlung  der  akuten  Herzstörungen 1 

Behandlung  der  Kollapszustände 12 

2.  Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  14 

II.  Krankheiten  der  Atmungsorgane. 

1.  Krankheiten  der  oberen  Luftwege 32 

2.  Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 36 

Klimatotherapie 42 

Behandlung  der  wichtigsten  Symptome 60 

1.  Husten 60 

2.  Blutungen  aus  den  Luftwegen 64 

3.  Atemnot  und  Asthma.  Lungenödem 65 

4.  Mechanische  Hindernisse  der  Atmung 68 

III.  Krankheiten  der  Verdauungsorgane. 

1.  Krankheiten  der  Mundhöhle 73 

2.  Krankheiten  der  Speiseröhre 75 

3.  Krankheiten  des  Magens 76 

Diätbehandlung 76 

1.  Behandlung  der  akuten  Magenstörungen 85 

2.  Die  chronischen  Magenstörungen 88 

Speisezettel  für  getrennte  Kost 92 

Appetitlosigkeit 100 

Erbrechen 103 

Kardial gie,  Magenneuralgie 108 

Magenblutungen 109 

4.  Krankheiten  des  Darmes 109 

Diätetische  Behandlung 112 

Diätetik  der  Darmträgheit 116 

Diätetik  des  Durchfalles  117 

Brunnenkuren .....118 

Arzneibehandlung 124 

Abfülnynittel 127 

Abführwirkung  vom  Mastdarm  aus 135 

Mittel  gegen  Darmschmarotzer 137 

Mittel  gegen  Durchfall,  stopfende  Mittel 140 

Physikalische  Behandlung 141 

1.  Hydrotherapie 144 

2.  Elektrisation 145 

3.  Massage  und  Gymnastik 146 

Darmblutungen 148 

Darmverengerung  und  Darmverschließung 149 

Magen-  und  Darmkrankheiten  des  kleinen  Kindes  . . . . 156 

Verdauungstörungen  der  Säuglinge 164, 


VI 


Inhalt 


Seite 

5.  Krankheiten  der  Leber 168 

1.  Gallensteinleiden 170 

2.  Ikterus 173 

3.  Leberzirrhose.  Aszites 175 

6.  Krankheiten  des  Bauchfells 176 

1.  Perityphlitis 176 

2.  Bauchfellentzündung 181 

3.  Aszites 182 

IV.  Krankheiten  der  Harnorgane. 

1.  Nierenentzündungen 183 

Urämie 188 

2.  Wanderniere 190 

3.  Nierensteine 191 

Nierensteinkolik ...  193 

4.  Nierenblutungen  und  Nephralgie 193 

5.  Pyelitis  und  Cystitis 194 

6.  Blasenneurosen 197 

7.  Bettnässen,  Enuresis  nocturna 201 

V.  Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane. 

Gonorrhöe,  Tripper 203 

Behandlung  der  akuten  Gonorrhöe 206 

Chronische  Gonorrhöe 211 

Komplikationen 212 


VI.  Frauenkrankheiten. 

1.  Allgemeines 215 

1.  Ungesunde  Lebensgewohnheiten  .....  .215 

2.  Ungenügender  Schutz  gegen  Infektion 223 

2.  Akute  Erkrankungen  der  inneren  Geschlechtsteile  (ausgenommen 

die  Gonorrhöe)  . 224 

3.  Gonorrhöe  des  Weibes 228 

4.  Chronische  Entzündungen  und  Lage  Veränderungen  der  inneren 

Geschlechtsorgane 233 

Die  Hydro-  und  Balneotherapie  der  chronischen  Frauenkrank- 
heiten   239 

Die  Behandlung  nach  Thuke-Bkandt 245 

Die  Pessarbehandlung 248 

5.  Menstruationstörungen 251 

• 

VII.  Krankheiten  des  Nervensystems. 

1.  Verhütung 257 

2.  Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 262 

1.  Neuritis 262 

2.  Neuralgien  und  andere  Nervenschmerzen 263 

Elektrisch-Licht-Bäder 265 

Ableitende  Verfahren 268 

Elektrotherapie 269 

Der  galvanische  oder  konstante  Strom 270 

Der  Induktions-  oder  faradische  Strom 275 

Hydrotherapie 277 


Inhalt 


YII 


Seite 

Massage  und  Gymnastik 278 

Arzneibehandlung 280 

Chirurgische  Behandlung  der  Neuralgien 282 

3.  Lähmungen 282 

3.  Krankheiten  des  Rückenmarkes 286 

1.  Akute  Rückenmarkkrankheiten 286 

2.  Chronische  Rückenmarkkrankheiten 288 

Hydrotherapie * 290 

Elektrotherapie 293 

Übungsbehandlung 294 

Nervendehnung  und  Suspension 295 

Arzneibehandlung 296 

Dekubitus 299 

4.  Gehimkrankheiten 300 

1.  Allgemeines 300 

2.  Entzündliche  Erkrankungen 303 

3.  Kreislaufstörungen  im  Gehirn 306 

4.  Gehirngeschwülste 310 

5.  Neurosen 311 

1.  Kopfschmerz  und  Migräne 311 

2.  Neurasthenie 314 

Schlaflosigkeit 325 

3.  Hysterie 328 

4.  Epilepsie 332 

5.  Eklampsie 335 

6.  Schwindel 336 

7.  Örtliche  Muskelkrämpfe 337 

8.  Tetanie 339 

9.  Chorea 339 

10.  Paralysis  agitans 341 

11.  Angioneurosen 342 

12.  Basedowsche  Krankheit 342 

13.  Myxödem 343 

VIII.  Infektionskrankheiten. 

1.  Verhütung  der  Infektionskrankheiten 345 

Der  Kampf  gegen  die  Parasiten 345 

Erhöhung  der  Widerstandsfähigkeit  gegen  Infektion  . . . 348 

1.  Natürliche  Immunisierung 352 

2.  Immunisierung  mit  abgeschwächten  Erregern 352 

3.  Immunisierung  durch  abgetötete  Erreger  . . . 353 

4.  Immunisierung  durch  Bakterienextrakte 353 

5.  Passive  Immunisierung  durch  Heilserum 353 

2.  Krankenpflege,  Ernährung,  Antipyrese 354 

3.  Die  akuten  Exantheme,  Masern,  Röteln,  Windpocken,  Scharlach  358 

4.  Blattern  oder  Pocken,  Variola  und  Variolois 361 

5.  Diphtherie 363 

6.  Keuchhusten 366 

7.  Mumps,  Parotitis  epidemica 368 

8.  Pneumonie f 368 

9.  Tuberkulose 371 


VIII 


Inhalt 


Seite 

10.  Typhus 376 

11.  Cholera 378 

12.  Ruhr,  Dysenterie 380 

13.  Influenza 382 

14.  Malaria 382 

1 5.  Sepsis,  Pyämie  384 

1 6.  Tetanus 385 

17.  Gelenkrheumatismus . 386 

18.  Wutkrankheit 389 

19.  Trichinosis 390 

20.  Schanker  und  Syphilis 391 

21.  Angina  tonsillaris.  Hypertrophie  der  Tonsillen % . 403 

22.  Heufieber 406 

IX.  Krankheiten  der  Bewegungsorgane. 

1.  Muskelrheumatismus 408 

2.  Rachitis 409 

3.  Osteomalakie 411 

X.  Hautkrankheiten. 

1.  Allgemeines  und  Kosmetik 413 

2.  Hautreizungen,  Erythem,  Roseola,  Urticaria 415 

3.  Hautjucken,  Pruritus  und  Prurigo  415 

4.  Störungen  der  Schweißabsonderung 417 

5.  Störungen  der  Talgdrüsen 417 

6.  Ekzem 418 

7.  Pustulöse  Hautentzündungen,  Akne,  Furunkel 420 

8.  Papulöse  Hautentzündungen,  Lichen,  Erythema  exsudativum 

multiforme,  Erythema  nodosum 421 

9.  Psoriasis  . 421 

10.  Akne  rosacea 423 

11.  Lupus  vulgaris,  L.  tuberculosus 423 

12.  Parasitäre  Hautkrankheiten 424 

13.  Herpes.  Pemphigus 425 

14.  Alopecia  areata . 425 

XI.  Allgemeine  Ernährungstörungen. 

1.  Chlorose 426 

2.  Anämie,  Perniziöse  Anämie,  Leukämie 429 

3.  Hämorrhagische  Diathese 431 

4.  Skrofulöse 432 

5.  Gicht  und  Harnsäure-Diathese 435 

6.  Diabetes  mellitus 437 

Bemerkungen  über  einzelne  Nahrungsmittel  bei  Zucker- 
krankheit   443 

7.  Krankhafte  Fettleibigkeit,  Adipositas  minima 448 

A)  Register  der  Arzneimittel  und  Rezepte 451 

B)  Sach-  und  Namenregister 456 


I 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane. 

Die  Krankheiten  der  Kreislaüfsorgane  lassen  sich  für  die 
Therapie  zweckmäßig  in  zwei  Gruppen  teilen.  Die  erste  umfaßt 
die  akuten  Herzstörungen:  die  akute  Endokarditis,  die  rezi* 
divierende  Endokarditis,  die  akute  Perikarditis  und  die 
akute  und  die  subakute  Herzinsuffizienz,  möge  sie  durch  akute 
Krankheiten  entstanden  oder  durch  chronische  Leiden  hervorgerufen 
sein.  In  der  zweiten  Gruppe  vereinigen  sich  alle  übrigen  Krank- 
heiten des  Herzens  und  des  Gefäßsystems : dieKlappenfehler, 
die  Myokarditis,  die  idiopathische  Herzhypertrophie,  das 
Fettherz,  die  Herzneurosen  und  die  Arteriosklerose.  Auch 
die  angeborene  Herzschlaffheit  (weakened  heart)  und  die  Herz- 
schwäche nach  Infektionskrankheiten  un'd  im  Alter  ge- 
hören hierher. 

1.  Behandlung  der  akuten  Herzstörungen. 

Für  die  akuten  Krankheiten  der  Kreislaufsorgane  kommt  es 
durchaus  darauf  an,  daß  das  Herz  geschont  wird.  Alles,  was 
die  Herztätigkeit  reizt  und  beunruhigt,  muß  sorgfältig  vermieden 
werden.  Im  allgemeinen  ist  Kühe  der  Herztätigkeit  mit 
besserer  Leistung  gleichbedeutend.  Nirgends  tritt  deutlicher  als 
hier  die  Tatsache  hervor,  daß  unter  krankhaften  Organverhält- 
nissen jegliche  flüchtige  Heizung  eine  Erschlaffung  hinterläßt,  wirk- 
liche Kraft  aber  nur  durch  Schonung  und  Ruhe  gewonnen  wird. 

Daraus  ergibt  sich  zunächst  das  Gebot  der  Bettruhe  für 
diese  Zustände.  Für  die  akute  Perikarditis  und  Endokarditis 
ergibt  sie  sich  meist  schon  von  selbst  durch  das  Allgemeinbefinden 
des  Kranken.  Bei  den  Kompensationstörungen  im  weiteren  Ver- 
lauf der  chronischen  Herzkrankheiten  wird  dagegen  nach  unserer 
Meinung  zu  oft  davon  abgesehen,  namentlich  solange  die  Herz- 
insuffizienz etwa  nur  in  Harnverminderung  oder  in  Bronchial- 
katarrhen zum  Ausdruck  kommt.  Her  Arzt  sollte  auch  hier 


Dornblüth,  Therapie. 


1 


2 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


auf  Bettruhe  dringen,  weil  sie  die  Grundlage  einer  schnellen 
Besserung  der  Störungen  und  die  Bedingung  guter  Wirkung  der 
übrigen  Mittel  ist.  Häufig  sieht  man,  daß  durch  einfache  Bett- 
ruhe frische  Kompensationstörungen,  Stauungen  und  Ödeme, 
schnell  beseitigt  werden,  so  daß  die  Digitalisverordnung  in  er- 
wünschter Weise  hinausgeschoben  werden  kann.  Ebenso  oft  zeigt 
sich,  daß  unter  der  Bettruhe  auch  in  schweren  Fällen  die  Hälfte 
der  sonst  erforderlichen  Digitalismenge  zur  Wirkung  ausreicht. 

Die  Bettruhe  muß  in  allen  ernsteren  Fällen  vollkommen 
streng  durchgeführt  werden.  Das  Umbetten  hat  so  zu  geschehen, 
daß  der  Kranke  nicht  plötzlich  aufgerichtet  wird,  und  mit  der- 
selben Vorsicht  muß  die  Harn-  und  Stuhlentleerung  vor  sich 
gehen.  Der  Gebrauch  von  Bettschüsseln  und  das  Vorhandensein 
eines  zweiten  Bettes  oder  eines  Divans  zum  Wechseln  kann  daher 
unentbehrlich  werden.  Die  meisten  Kranken  liegen  auf  dem 
Rücken  oder  auf  der  gesunden  Seite;  besondere  Regeln  gibt  es 
dafür  nicht,  die  Neigung  des  einzelnen  entscheidet,  aber  es  kann 
wertvoll  sein,  den  Kranken  auf  den  erleichternden  Einfluß  einer 
bestimmten  Lage  hinzuweisen.  Bei  sehr  gesunkener  Herztätigkeit 
und  allgemeiner  Schwäche  tut  man  gut,  die  Lage  des  Kranken 
in  regelmäßigen  Zwischenräumen  etwas  verändern  zu  lassen.  Von 
Gudden  hat  nachgewiesen,  daß  dadurch  der  Eintritt,  von  Blut- 
senkungen, Stauungen  in  bestimmten  Lungenteilen  und  von 
Senkungspneumonien  benommener  Kranker  mit  einiger  Sicherheit 
vermieden  werden  kann. 

Die  Kleidung  der  im  Bett  liegenden  Kranken  soll  sauber, 
bequem  und  hinreichend  warm,  aber  natürlich  nicht  zu  warm 
sein.  Sowohl  Kältegefühl  wie  zu  große  Wärme  und  Blutfülle 
der  Haut  stellen  vermehrte  Anforderungen  an  die  Tätigkeit  des 
Gefäßsystems.  Das  Hemd  und  in  der  kalten  Jahreszeit  etwaiges 
Unterzeug  sollen  morgens  und  abends  gewechselt  werden,  damit 
die  aufgenommene  Hautfeuchtigkeit  zwischendurch  wieder  ver- 
dunsten kann.  Die  Zimmer luft  soll  17 — 18°  C.  warm  sein  und 
regelmäßig  erneuert  werden,  ohne  daß  den  Kranken  direkte  Ab- 
kühlung trifft. 

Die  Ernährung  hat  sich  wesentlich  auf  flüssige  Kost  zu 
beschränken,  Suppen,  Milch,  Eier,  leichtestes  Gebäck,  immer  mit 
Hinblick  darauf,  daß  aus  Schonungsgründen  die  Menge  der  zu- 
geführten Flüssigkeit  nicht  zu  hoch  gegriffen  wird.  Oertel  hat 
sich  aus  dieser  Rücksicht  sogar  über  die  Milch  recht  absprechend 
geäußert,  wohl  mit  Unrecht.  Er  wirft  ihr  den  großen  Wasser- 


Behandlung  der  akuten  Herzstörungen 


3 


gehalt  und  den  für  die  Resorption  zu  großen  Fettgehalt  vor  und 
bezeichnet  den  Gehalt  an  Eiweiß  und  Kohlehydraten  als  sehr 
gering.  Dabei  lobt  er  aber  das  Eiweiß  wasser,  das  (in  Oertels 
eigenem  Rezept)  doch  nur  halb  so  viel  Prozent  Eiweiß  enthält 
wie  die  Milch,  empfiehlt  den  Kranken  Kakao  und  Schokolade, 
die  doch  sicherlich  mehr  und  schwereres  Fett  enthalten  als  die 
Milch,  und  gewährt  ihrem  Durste  schließlich  noch  das  Zugeständnis 
von  „gutem  Quellwasser,  Limonade,  Wasser  mit  Fruchtsäften, 
Mineralwässern“  usw.  Man  sieht  eben  in  der  Praxis,  daß  man 
mit  zu  starker  Beschränkung  der  Flüssigkeiten  bei  den  Patienten 
nicht  durchkommt.  Sie  würde  ja  auch  in  anderer  Richtung  bald 
genug  Übelstände  bewirken,  z.  B.  durch  zu  spärlichen  Harn.  Bei 
unbefangenem  Urteil  wird  man  sicher  dahin  kommen,  bei  akuten 
Herzstörungen  ganz  wesentlich  die  Milch  als  Getränk  zu  ver- 
ordnen. Wo  reine  Milch  nicht  vertragen  werden  sollte,  oder  wo 
starker  Widerwille  dagegen  besteht,  kann  man  sie  durch  Zusatz 
geringer  Mengen  von  Kakao  oder  Schokolade,  von  Malzkaffee, 
Malzextrakt,  Eichelkakao,  Mondamin  usw.  schmackhafter  und  ver- 
daulicher machen.  Auch  läßt  sich  die  notwendige  Menge  ver- 
ringern, wenn  man  ihren  Nährwert  durch  Vermischung  mit  Ei 
oder  mit  Hygiama  erhöht.  Daß  die  in  solchen  Zubereitungen 
enthaltene  Fettmenge  bei  Herzkranken  nicht  resorbiert  würde,  ist 
eine  vorläufig  ganz  unbewiesene  Behauptung.  Oertel  war  in 
dieser  Beziehung  nicht  vorurteilsfrei,  wie  schon  aus  seinem  Streit 
mit  Ebstein  über  die  Wege  der  Entfettung  hervorgegangen  war. 

Wichtig  ist,  daß  die  Nahrung  immer  in  kleinen  Mengen 
gereicht  wird;  man  gibt  sie  dafür  um  so  häufiger,  am  besten 
regelmäßig  alle  zwei  Stunden,  gleich  nach  dem  Erwachen  be- 
ginnend und  Abends  bis  zum  Eintritt  des  Schlafes.  Auch  in 
der  Nacht  ist  es  vielen  Kranken  angenehm,  gelegentlich  etwas 
zu  genießen,  weil  der  Schlaf  gewöhnlich  doch  unterbrochen  ist. 
Besteht  neben  der  Milchnahrung  noch  ein  Bedürfnis  nach  durst- 
löschenden Getränken,  so  empfehlen  sich  am  meisten  Fruchtsäfte 
mit  Wasser  oder  Fradas;  auch  Obst  oder  geringe  Mengen  Zitroneneis 
sind  im  ganzen  zweckmäßig.  Die  Gesamtmenge  der  genossenen 
Flüssigkeit  soll  in  24  Stunden  nicht  über  1500  ccm  hinausgehen. 

Auf  alkoholische  Getränke  wird  der  Arzt  zum  Vorteil 
seiner  Kranken  bei  der  Diätverordnung  verzichten.  Es  ist  ja  kein 
Zweifel,  daß  der  Alkohol  die  Herztätigkeit  anregt,  aber  ebenso 
sicher  ist  es,  daß  er  die  Ernährung  des  Gefäßsystems  beeinträchtigt 
und  lähmende  Wirkungen  hinterläßt.  Wer  möchte  die  VeranL 

1* 


4 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 

wortung  auf  sich  laden,  bei  ohnedies  bestehender  Herzerkrankung 
noch  solche  Gefahren  heraufzubeschwören?  Wo  die  Herzkraft  im 
Sinken  ist  und  künstlicher  Anregung  bedarf,  sollte  man  immer  nur 
unschädliche  Mittel  benutzen,  wie  sie  uns-  in  allerlei  physikalischen 
Mitteln  und  in  bestimmten  Arzneistoffen  zur  Verfügung  stehen. 

Auch  auf  Kaffee  und  Tee  verzichtet  man  in  diesen  akuteü 
Zuständen  der  Vorsicht  halber. 

Vorsicht  wird  man  auch  den  modernen  Nährpräparaten 
entgegenbringen  wissen.  Wir  wissen  noch  gar  zu  wenig  von 
der  „anregenden“  Wirkung  der  Extraktstoffe  des  Fleisches,  um 
Fleischextrakte  und  Fleischsäfte  in  beliebiger  Menge  bei 
Herzkranken  verwenden  zu  können,  und  dieselben  Bedenken  lassen 
sich  bezüglich  der  Somatose , des  Tropons  und  anderer  Fleisch-' 
präparäte  geltend  machen,  die  ja  auch  wesentlich  nicht  als  Nähr- 
stoffe, sondern  als  Reiz-  und  Anregungsmittel  wirken.  Wer  sich 
die  Mühe  gibt,  die  gewöhnlichen  Hilfsmittel  der  Krankenkost  in 
jedem  Falle  hinreichend  in  Erwägung  zu  ziehen,  wird  meistens 
diese  Kunstprodukte  entbehren  können. 

Die  physikalischen  Heilmittel  haben  in  den  akuten  Zu- 
ständen ebenfalls  nur  die  Aufgabe  der  Schonung,  der  Beruhigung. 
Am  besten  entspricht  diesem  Zweck  die  kalte,  öfters  gewechselte 
Kompresse,  die  man  z.  B.  dreimal  täglich  eine  Stunde  lang  auf 
die  Herzgegend  legt,  -alle  drei  Minuten  erneuert.  Etwa  dieselben 
Dienste  tut  eine  mit  kaltem  Wasser  gefüllte  Blech-Herzflasche  oder 
ein  WiNTEKNiTzscher  Kühlschlauch  oder  endlich  ein  leichter  Eis- 
beutel, jedes  ebenfalls  zeitweilig-  und  nach  Bedarf  angewendet. 
Sowohl  objektive  wie  subjektive  Herzerregung  kommen  dadurch 
einigermaßen  zur  Ruhe.  PKiESSNiTzsche  Umschläge  um  den  Leib 
können  ebenfalls  angenehm  wirken,  doch  verursacht  manchen 
Kranken  die  dabei  nötige  feste  Einhüllung  des  Leibes  eine  gewisse 
Beklemmung;  manchmal  kommt  man  am  weitesten,  wenn  man 
den  Umschlag  zunächst  nur  während  des  Tages  anlegen  läßt,  sö' 
daß  der  Kranke  sich  im  Wachen  daran  gewöhnen  kann.  Be- 
ruhigend wirkt  es  auch,  wenn  die  Füße  des  Kranken  unter  be- 
ständigem Frottieren  einige  Minuten  lang  mit  Wasser  von  12 — 20°  C. 
gewaschen  werden.  Endlich  kann  man  Nachts  ein  Paar  nasse 
Baumwollstrümpfe  und  darüber  ein  Paar  trockne  Wollstrümpfe' 
anziehen  lassen.  Alle  diese  Verfahren  leiten  vom  Herzen  ab  und 
beruhigen  dadurch  dies  Organ. 

Es  liegt  nabe,-  bei'Stauungen  infolge  von  mangelhafter  Kompen- 
sation die1  in;  den-  Geweben-  angesammelten  Flüssigkeiten  durch1 


Behandlung  der  akuten  Herzstörungen  5 

Massage  in  Bewegung  zu  bringen  und  dadurch  dem  Herzen 
einen  Teil  seiner  Arbeit  abzunehmen.  In  der  Literatur  ist  davon 
nicht  gerade  viel  zu  finden.  Hie  Massage  kann  natürlich  nur 
eine  Unterstützung  wirksamerer  und  durchgreifenderer  Mittel  zur 
Wiederherstellung  eines  normalen  Blutumlaufes  geben,  ohne  dies 
würde  ihre  Wirkung  allzu  vorübergehend  sein  und  am  Ende 
auch  nur  eine  Überfüllung  anderer  Bezirke  mit  der  verdrängten, 
aber  nicht  ausgeschiedenen  Flüssigkeit  herbeiführen.  Aber  als 
Hilfsmittel  da,  wo  die  Kompensation  durch  andere  Mittel  in  Gang 
gebracht  ist,  macht  sich  die  Massage  oft  sehr  schätzbar.  So 
kann  man  namentlich  die  Ödeme  der  Beine  durch  leichte  Effleu- 
rage  schneller  zum  Verschwinden  bringen. 

Genügen  die  bisher  besprochenen  Mittel  nicht,  um  in  einigen 
Tagen  ruhigere  Herztätigkeit  und  genügenden  Blutumlauf  zu  er- 
zielen, so  muß  die  Arzneibehandlung  ein  treten.  In  der  Praxis 
wird  meist  schon  von  vornherein  Digitalis  verordnet,  sehr  mit  Un- 
recht, denn  der  Arzt  soll  überhaupt  keine  Arznei  verschreiben,  so- 
lange sie  entbehrlich  ist,  und  namentlich  bei  Herzleiden,  die  Rück- 
fälle und  chronischen  Verlauf  erwarten  lasssen,  soll  man  das  wich- 
tigste Mittel  so  lange  wie  möglich  zurückhalten.  Immer  soll  man 
erst  damit  vorgehen,  wenn  sehr  schneller,  unkräftiger  oder  sehr 
unregelmäßiger  Puls  trotz  Bettruhe,  richtiger  Diät  und  geeigneter 
physikalischer  Maßnahmen  fortbesteht  oder  weiterhin  eintritt. 
Stauungsödeme  sind  noch  kein  zwingender  Grund  für  Digitalis- 
behandlung, sie  weichen  oft  auch  einer  Kalomelkur  (s.  u.). 

Die  Digitalis  hat  ihre  bestimmte  Anzeige  bei  anhaltender 
Herzschwäche  und  gesunkenem  arteriellen  Druck.  In  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  ist  unter  diesen  Verhältnissen  die  Pulszahl  erhöht, 
aber  der  Puls  kann  auch  von  normaler  oder  gar  von  abnorm 
geringer  Häufigkeit  sein.  Das  Entscheidende  ist  dann  immer  der 
mangelhafte  Effekt  der  Herzarbeit,  das  Auftreten  von  Kompen- 
sationstörungen. Besteht  z.  B.  bei  akuter  Endokarditis  sehr 
schneller,  kleiner  Puls  ohne  Stauungserscheinungen,  Oyanose  und 
dergl.,  so  ist  eigentlich  keine  Anzeige  für  Digitalis  vorhanden 
und  statt  dessen  Kampfer  oder  Koffein  geboten.  Dagegen  kommt 
es  bei  allgemeiner  Arteriosklerose  mit  Herzhypertrophie  gelegent- 
lich zu  Zuständen,  wo  der  bis  dahin  abnorm  hohe  Blutdruck 
sinkt  und  die  Kompensation  ungenügend  wird:  hier  kann  Digitalis 
von  großem  Nutzen  sein. 

Hat  man  sich  für  Digitalisanwendung  entschieden  (Rezepte 
s.  weiterhin),  so  soll  man  auch  nachdrücklich  damit  vorgehen. 


6 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


Im  allgemeinen  gehören  für  einen  nachhaltigen  Erfolg  2,0 — 2,5  Folia 
Digitalis  dazu.  Die  Ansichten  über  die  beste  Art  der  Verab- 
reichung sind  verschieden;  manche  Autoren  bevorzugen  das  Infus, 
andere  schreiben  der  Substanz,  als  Pulver  oder  in  Pillen  gereicht, 
größere  Wirkung  zu.  Die  Hauptsache  ist,  daß  an  den  beiden 
ersten  Tagen  je  0,5  Digitalis  zugeführt  wird;  das  Infus  hält  sich 
so  wenig,  daß  man  am  besten  jeden  Tag  ein  Infus  aus  0,5  be- 
reiten und  verbrauchen  läßt;  bei  den  Pillen  und  Pulvern  kann 
man  gleich  2,0  oder  2,5  der  Folia  verarbeiten  lassen.  Man  gibt 
das  Mittel  ziemlich  gleichmäßig  über  den  Tag  verteilt,  am  besten 
gleich  nach  den  Mahlzeiten.  Die  Wirkung  macht  sich  im  all- 
gemeinen frühestens  nach  36  Stunden  geltend;  der  Puls  wird 
dann  gewöhnlich  regelmäßiger  und  kräftiger,  bei  vorher  hoher 
Frequenz  meist  auch  an  Zahl  viel  geringer,  und  zugleich  pflegt 
auch  die  Harnmenge  wesentlich  zu  steigen.  Sie  gibt  überhaupt 
in  den  akuten  wie  in  den  chronischen  Herzkrankheiten  ein  recht 
brauchbares  Mittel  ab,  um  die  Leistungsfähigkeit  des  Herzens  zu 
ermessen.  Man  bestimmt  dazu  z.  B.,  wieviel  Harn  von  einem 
Morgen  um  acht  Uhr  bis  zum  anderen  Morgen  um  acht  Uhr  ent- 
leert wird;  vor  der  Darmentleerung  soll  die  Blase  nach  Möglich- 
keit entleert  werden,  damit  hierbei  nicht  viel  für  die  Messung 
verloren  geht.  Die  normale  Tagesmenge  des  Harns  beträgt  be- 
kanntlich 1500  cm.  Bei  ungenügender  Herzleistung  geht  sie 
oft  auf  die  Hälfte  und  weniger  zurück.  Entsprechend  der  lang- 
samen Wirkung  der  Digitalis  bleibt  die  Harnmenge  am  ersten 
Tage  der  Verabreichung  und  meist  auch  noch  in  der  ersten  Hälfte 
des  folgenden  Tages  unverändert,  dann  erfolgt  ein  plötzliches  An- 
schwellen, so  daß  die  Gesamtmenge  des  zweiten  Tages  oft  schon 
doppelt  so  groß  ist  wie  die  des  ersten,  und  an  den  folgenden  Tagen 
werden  oft  3 Liter  und  noch  mehr  in  24  Stunden  ausgeschieden, 
worauf  dann  allmählich  die  Rückkehr  zur  Norm  und  je  nach  dem 
Zustande  des  Herzens  auch  wieder  ein  Sinken  unter  die  Norm 
eintritt.  Man  kann  den  Eintritt  der  reichlichen  Diurese  als  Zeichen 
zur  Einstellung  der  Digitalisverabreichung  ansehen;  richtiger  ist 
es,  das  Verhalten  des  Pulses  zur  Richtschnur  zu  nehmen.  Wenn 
der  vorher  erheblich  beschleunigte  Puls  auf  56  und  weniger 
heruntergegangen  ist  und  die  Spannung  der  Arterie  deutlich  zu- 
nimmt, ist  es  jedenfalls  Zeit,  das  Arzneimittel  auszusetzen;  ebenso, 
wenn  der  vorher  nicht  oder  nur  unbedeutend  beschleunigte  Puls 
nunmehr  deutliche  Spannung  aufweist  oder  der  vorher  unregel- 
mäßige Puls  regelmäßig  geworden  ist.  Natürlich  muß  in  allen 


Behandlung  der  akuten  Herzstörungen 


7 


Fällen  das  Ergebnis  der  Prüfung  des  Radialpulses  durch  Aus- 
kultation am  Herzen  ergänzt  werden,  damit  nicht  z.  B.  eine  Ver- 
langsamung des  Pulses  angenommen  wird,  wenn  eine  Reihe  von 
Herzkontraktionen  wegen  ihrer  Unvollkommenheit  nicht  bis  zur 
Radialis  durchwirkt.  Zuweilen  wird  man  freilich  schon  vorher 
durch  Eintreten  von  Erbrechen  dazu  veranlaßt,  die  Digitalis  aus- 
zusetzen. Diese  unangenehme  Nebenwirkung  wird  manchmal  durch 
das  Präparat,  z.  B.  durch  ein  nicht  genügend  frisches  Infus  oder 
durch  mangelhafte  Beschaffenheit  der  Blätter  bedingt,  andere  Male 
durch  besondere  Empfindlichkeit  des  Kranken.  Appetitabnahme 
und  eine  gewisse  Übelkeit  kommen  so  häufig  vor,  daß  man  gut 
tut,  den  Kranken  oder  seine  Umgebung  von  vornherein  auf  diese 
Möglichkeit  aufmerksam  zu  machen,  die  bei  der  sonst  guten 
Wirkung  in  den  Kauf  genommen  werden  müssen.  Eine  Verbindung 
der  Digitalis  mit  kleinen  C/wwmgaben  oder  gleichzeitige  Verab- 
reichung von  Salzsäure  oder  Orexin  vermindert  oft  diese  Neben- 
erscheinungen ; im.  Notfälle  kann  man  auch  das  Infus  als  Klysma 
nach  vorhergehendem  Reinigungsklystier  geben  lassen,  es  fragt 
sich  aber,  ob  dabei  nicht,  gleiche  Wirkungen  vorausgesetzt,  auch 
die  Nebenwirkungen  dieselben  werden. 

Gibt  man  die  Digitalis  zu  lange,  so  treten  Vergiftungs- 
erscheinungen ernsterer  Art  auf  (Herzschwäche,  vermehrte  Un- 
regelmäßigkeit des  Pulses,  Kollaps),  und  zwar  auch  bei  fortgesetzter 
Darreichung  kleiner  Gaben,  da  das  Mittel  kumulativ  wirkt.  Da- 
her muß  der  Kranke  während  der  Kur  mindestens  täglich  einmal 
untersucht  werden. 

Die  wechselnde  Wirksamkeit  der  Folia  Digitalis  — ihre  Kraft 
scheint  in  verschiedenen  Jahrgängen  verschieden  zu  sein,  sie  ist 
bald  nach  der  Ernte,  im  Juli,  am  größten  und  nimmt  allmählich 
ab  — hat  dazu  geführt,  Präparate  herzustellen,  die  auf  eine  be- 
stimmte Wirksamkeit  titriert  sind.  Dazu  gehören  das  Digitalis- 
dialysat  von  Golaz  und  das  Digitalysatum  von  Bürger.  Von 
wirksamen  Bestandteilen  der  Droge  kommt  bisher  nur  das 
Digitoxin  unter  dem  Namen  Digalen  (Hoffmann-La  Roche  in 
Basel)  in  Frage.  Die  Tinctura  und  das  Acetum  Digitalis  sind 
unzuverlässig  und  am  besten  ganz  zu  vermeiden. 


Ijfc  Pulv.  fol.  Digitalis  1,5 
(Chinin,  hydrochl.  0,3) 

Extr.  Gent.  q.  s. 

F.Pil.  30.  D.S.  3— 4 mal  tägl. 
2 Pillen. 


^ Infus,  fol.  Digit.  (0,5)  130,0 
Sir.  spl.  20,0 

M.D.S.  In  24  Stunden  zu  ver- 
brauchen. 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


8 

^ Digitalisdialysat  Golaz  10,0 
D.S.  3 mal  tägl.  15  Tropfen 
(Kindern  von  2 — 4 Jahren 
2 Tropfen,  nach  2 — 3 Tagen 
5 Tropfen,  größeren  3 mal  tägl. 
5 — 8 — 10  Tropfen). 


Ipfc  Digalen  15,0 
(Orig. -Flasche) 

D.S.  1 — 3 mal  tägl.  1 ccm  per 
os,  per  rectum,  subkutan  oder 
intravenös. 


Als  bestes  Ersatzmittel  der  Digitalis  betrachten  wir  das 
Koffein.  Es  bewirkt  ebenfalls  eine  Regelung  der  Herztätig- 
keit und  zugleich,  was  in  vielen  Fällen  sehr  erwünscht  ist,  eine 
Steigerung  der  Diurese  durch  direkte  Erregung  der  Nieren- 
epithelien.  Die  Wirkung  auf  das  Herz  tritt  sehr  schnell  ein,  zu- 
weilen schon  nach  den  ersten  Gaben,  sie  ist  allerdings  auch  nicht 
nachhaltig,  sondern  verschwindet  meist  gleich  nach  dem  Auf  hören 
der  Anwendung.  Es  wirkt  übrigens  nicht  in  allen  Fällen,  wo 
Digitalis  noch  deutliche  Erfolge  bringt.  Mit  großem  Vorteil  läßt 
es  sich  oft  da  verwenden,  wo  Gefahr  im  Verzüge  ist,  also  in  der 
Zeit,  wo  die  Wirkung  der  eben  verordneten  Digitalis  noch  aus- 
steht, ferner  dann,  wenn  man  diese  wegen  Vergiftungserscheinungen 
vor  vollendeter  Wirkung  aussetzen  muß,  oder  wenn  die  Digitalis- 
wirkung nicht  lange  genug  vorhält.  Die  erforderlichen  Dosen 
gehen  über  die  bei  Migräne  üblichen  wesentlich  hinaus;  man  ver- 
sucht zunächst  gewöhnlich,  ob  man  mit  5 Tagesdosen  von  je  0,1 
Koffein  auskommt,  oft  muß  man  ebenso  oft  0,2  und  noch  mehr 
geben.  Zum  subkutanen  Gebrauch  verwendet  man,  da  das  reine 
Koffein  schwer  löslich  ist,  das  offizinelle  Go  ff eino- Natrium  sali- 
zylicum , das  50  °/0  enthält  und  dementsprechend  in  den  doppel- 
ten Dosen  verabreicht  wird,  wie  das  reine  Koffein.  Gelegentlich 
beobachtet  man  nach  den  großen  Dosen  Eingenommenheit  des 
Kopfes,  Kopfschmerz,  Zittergefühl,  aber  diese  Erscheinungen  ver- 
schwinden meist  schnell.  Erbrechen  kommt  sehr  selten  vor. 


Ijfc  Tabl.  Coffeini  (0,05)  Nr.  XX  fjfc  Coffeino-Natr.  salicyl.  1,0 
D.S.  3 — 5 mal  tägl.  2 Tabl.  Äq.  dest.  10,0 

D.S.  Mehrmals  täglich  1 — 2 
Spritzen. 

Ein  zweites  Ersatzmittel  der  Digitalis  haben  wir  in  den 
Semina  Strophanthi  oder  vielmehr  in  deren  Präparaten  Tine- 
tura  Strophanthi  und  Slrophanthinum  purissimum  Mekck.  Stro- 
phanthus  wirkt  ganz  ähnlich  wie  Digitalis,  aber  im  ganzen 
schneller  und  nicht  nachhaltig,  außerdem  aber  viel  weniger  kräftig 
und  zuverlässig.  Wo  Digitalis  versagt,  hilft  meist  auch  Strophan- 
thus  nicht,  wohl  aber  sieht  man  nicht  selten,  daß  eine  mangel- 
hafte oder  zögernde  Digitaliswirkung  durch  Strophanthus  gebessert 


Behandlung  der  akuten  Herzstörungen 


9 


wird.  Die  Pulszahl  nimmt  durch  Strophanthus  allein  meist  nicht 
wesentlich  ab,  dafür  hat  es  aber  wieder  seine  Vorzüge  bei  den 
Fällen  von  allgemeiner  Arteriosklerose  mit  gespannter  Arterie, 
wo  man  Digitalis  nicht  gern  gibt.  Gelegentlich  treten  Kopf- 
schmerz und  Erbrechen  oder  Durchfall  als  Vergiftungserscheinungen 
auf,  aber  sie  verschwinden  nach  dem  Aussetzen  des  Mittels  schnell, 
da  keine  Kumulativwirkung  stattfindet.  Man  gibt  entweder  die 
Tinctura  Strophanthi  zu  dreimal  täglich  5 — 10  Tropfen  mehrere 
Tage  hintereinander,  oder  nach  von  Ziemssen  das  Strophanthinum 
purissimum  als  Pulver,  dreimal  täglich  0,0005 — 0,001.  Seine 
wesentliche  Verwendung  findet  Strophanthus  ebenfalls  da,  wo 
schon  vor  dem  Eintritt  der  Digitaliswirkung  etwas  geschehen  soll, 
so  bei  der  akuten  Herzschwäche  im  Verlauf  von  Infektionskrank- 
heiten, oder  wo  man  eine  zu  frühe  Wiederholung  der  Digitaliskur 
vermeiden  will. 

In  manchen  Fällen,  wo  Digitalis  versagt  und  schwere  Kom- 
pensationstörungen, stärkste  Unregelmäßigkeit  der  Herztätigkeit 
einen  beängstigenden  Eindruck  machen,  wird  durch  Morphium 
subkutan,  0,01 — 0,015  mehrmals  täglich,  eine  dauernde  Besserung 
eingeleitet. 

Tinct.  Strophanthi  10,0  Jjfc  Strophanthini  puriss.  0,0005  bis 

D.S.  3 mal  tägl.  5 — 10  Tropfen.  0,001 

Sacch.  lact.  0,3 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  3 mal  tägl.  1 Pulver. 

Es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  ein  geschwächtes  Herz  durch 
Bettruhe  und  Beruhigung  leichter  in  den  Stand  kommen  wird, 
den  Blutumlauf  wieder  genügend  zu  machen,  wenn  vorhandene 
Ödeme  auch  auf  andere  Weise  als  nur  durch  die  Triebkraft 
des  Herzens  zum  Verschwinden  angeregt  werden.  Wir  haben  in 
dieser  Richtung  schon  darauf  hingewiesen,  daß  sich  die  Massage 
nützlich  erweisen  kann.  Die  diaphoretischen  Methoden  sind  bei 
den  akuten  Herzstörungen  wegen  ihrer  herzreizenden  Eigenschaft 
nicht  verwendbar.  Dagegen  lassen  sich  mit  Vorteil  die  Arznei- 
mittel heranziehen,  die  durch  Anregung  der  Nierentätigkeit  diu- 
retisch  wirken.  In  erster  Reihe  steht  hier  das  Kalomel.  Es  stellt 
ein  reines  Nierendiureticum  dar,  auf  das  Herz  hat  es  keinerlei 
Einfluß.  Dagegen  darf  man  es  nicht  verwenden,  wo  das  Nieren- 
epithel geschädigt  ist,  d.  h.  wo  sich  als  Zeichen  einer  Nieren- 
entzündung Harnzylinder  im  Urin  finden.  Das  einfache  Auftreten 
von  Eiweiß  im  Harn  verbietet  die  Anwendung  also  nicht,  viel- 


10 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


mehr  kann  unter  Kalomel  mit  dem  Auf  hören  der  Nierenstauung 
auch  das  Eiweiß  aus  dem  Urin  verschwinden.  Ein  Übelstand 
ist,  daß  sich  nicht  immer  das  Auftreten  von  Stomatitis  und  von 
Durchfall  vermeiden  läßt,  womit  man  namentlich  schwache  Kranke 
nicht  wohl  belasten  mag.  Sorgfältige  Mundpflege,  wie  sie  bei 
antisyphilitischen  Kuren  üblich  ist,  und  Beigabe  von  Opium  in 
kleinen  Dosen  bringen  jedenfalls  nicht  immer  um  diese  Neben- 
wirkungen herum.  Besonders  wertvoll  ist  das  Mittel  oft  bei  dem 
Hydrops  durch  Herznachlaß  hei  allgemeiner  Arteriosklerose,  wo 
man,  wie  erwähnt,  nicht  gern  Digitalis  gibt.  Man  läßt  drei  bis 
vier  Tage  hintereinander  dreimal  täglich  0,2  in  Pulver  nehmen; 
erst  am  vierten  Tage  pflegt  die  Vermehrung  der  Harnmenge  deut- 
lich zu  werden,  ihre  Höhe  erreicht  sie  meist  erst  am  5.  oder 
6.  Tage,  sie  geht  dann  nicht  selten  bis  auf  4,  5 und  mehr  Liter 
in  24  Stunden  und  nimmt  dann  langsam  oder  schnell  wieder  ah. 
Tritt  keine  Stomatitis  ein,  so  kann  man  die  genannten  Dosen 
so  lange  fortsetzen,  als  kein  deutliches  Sinken  der  Diurese  ein- 
tritt.  Kommt  dies  aber  zum  Vorschein,  oder  ist  am  5.  Tage  keine 
deutliche  Wirkung  da,  so  setzt  man  das  Kalomel  aus.  Beachtet 
muß  werden,  daß  man  bei  sehr  großer  Harnmenge  auch  nicht  zu 
wenig  Flüssigkeit  in  der  Nahrung  zuführen  darf,  wenn  man  nicht 
unliebsame  Folgen  für  das  Allgemeinbefinden  herbeiführen  will.  — 
Wir  haben  schon  angedeutet,  daß  man  das  Kalomel  öfters  mit 
Vorteil  anwenden  kann,  um  die  Digitalis  entbehrlich  zu  machen, 
man  kann  beide  Mittel  aber  auch  gleichzeitig  anwenden  oder  das 
Kalomel  heranziehen,  um  die  eingeleitete  Digitalisdiurese  zu  ver- 
vollkommnen. Ebenso  läßt  es  sich  mit  Koffein  und  mit  Stro- 
phanthus  verbinden. 


Ijfc  Hydrarg.  chlorati  0,2 
Sacch.  lact.  0,3 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  2 — 3 mal  tägl.  1 Pulver. 


Jjfc  Pulv.  fol.  Digital.  0,03 — 0,05 
Hydrarg.  chlorati  0,2 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  3 mal  tägl.  1 Pulver. 


Ein  zweites  wichtiges  Diureticum  ist  das  Diaretin-Knoll , 
seiner  Zusammensetzung  nach  Theobrominnatrium-Natriosalicyli  cum 
(nicht  zu  verwechseln  mit  Theobrominum  natriosalicylicum).  Von 
dem  ihm  sonst  nahestehenden  Koffein  unterscheidet  es  sich  wesent- 
lich dadurch,  daß  das  Diuretin  nur  auf  die  Nierenepithelien  rei- 
zend wirkt,  dagegen  das  Herz  und  die  Blutgefäße  unbeeinflußt 
läßt,  wenigstens  im  klinischen  Sinne.  Man  gibt  5,0 — 7,0  pro 
die  in  wässeriger  Lösung  mehrere  Tage  hintereinander.  Gewöhn- 
lich beginnt  die  Wirkung,  wenigstens  bei  rein  kardialem  Hydrops, 


Behandlung  der  akuten  Herzstörungen 


11 


schon  am  2.  Tage  der  Darreichung,  am  4.  oder  5.  Tage  pflegt 
sie  mit  4 und  5 Litern  ihren  Höhepunkt  zu  erreichen,  damit  ist 
sie  aber  erschöpft  und  auch  durch  länger  fortgesetzte  Gaben  nicht 
zu  verlängern;  die  Harnmenge  kehrt  dann  schnell  zum  gewöhn- 
lichen Maß  zurück.  Leider  ist  das  Mittel  recht  teuer,  so  daß 
seine  Anwendung  nicht  immer  möglich  ist.  Nebenwirkungen,  wie 
Übelkeit,  Kopfschmerz,  Schwindel,  sind  selten. 

JEjfc  Diuretin-Knoll  5,0 — 7,0 
Aq.  dest.  90,0 
Aq.  Menth,  pip.  100,0 
Sir.  spl.  10,0 

M.D.S.  Jm  Laufe  eines  Tages  zu  verbrauchen. 

Als  Ersatz  für  das  Diuretin  sind  neuerdings  das  Theobromin- 
Natrium  acelicum  und  das  Theocin  sowie  das  Thcocin- Natrium 
aceticum  empfohlen  worden.  Das  Theocin  rein  erwies  sich  tat- 
sächlich als  ein  mächtiges  Diureticum,  und  seine  Nebenwirkungen, 
die  in  einem  unbestimmten  Gefühl  von  Aufregung,  unter  Um- 
ständen in  Schlaflosigkeit  usw.  bestanden,  sind  in  dem  Theocin- 
Natrium  aceticum  vermieden.  Man  wird  also  in  erster  Linie  die 
Doppelsalze  des  Theobromins  oder  des  Theocins  mit  essigsaurem 
Natron  verwenden.  Man  gibt  von  allen  diesen  Präparaten  2 — 3 mal 
täglich  0,3,  nötigenfalls  0,5,  nach  den  Mahlzeiten,  in  Tee  oder 
dergleichen  Flüssigkeit,  vorwiegend  in  den  Vormittagstunden, 
damit  nicht  der  Schlaf  durch  Diurese  oder  durch  die  etwa  ein- 
tretende erregende  Wirkung  des  Mittels  gestört  werde. 

^ Theocino-Natrii  acetici  0,8 — 0,5 
D.  tal.  dos.  X.  S.  2 — 3 mal  tägl. 

1 Pulver,  nach  den  Mahlzeiten. 

Durch  die  genannten  Mittel  sind  die  älteren  Diuretica  sehr 
zurückgedrängt  worden.  Am  häufigsten  wird  noch  Liquor  Kalii 
acetici  verwendet,  in  Dosen  von  20,0  pro  die  in  wässeriger 
Lösung,  allein  oder  mit  anderen  Diureticis  oder  mit  Herzmitteln 
vereinigt.  Die  volkstümlichen  harntreibenden  Mittel,  auch  der 
neuerdings  viel  empfohlene  Bohnentec,  haben  keinen  Anspruch 
auf  besondere  Beachtung. 

Pjfc  Liq.  Kalii  acet.  20,0 
Aq.  dest.  150,0 

D.S.  Im  Laufe  des  Tages  zu  verbrauchen. 

Zuweilen,  namentlich  auch  in  verschleppten  Fällen,  kann  es 
nötig  werden,  den  Hydrops  der  Beine  durch  direkte  Eingriffe  zu 
verringern.  Am  häufigsten  wird  dazu  der  Trokar  benutzt.  Man 


12  Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 

sticht  den  SouTHEYSchen  Trokar  nach  kunstgerechter  Desinfektion 
des  Instrumentes  und  der  Haut  an  einer  stark  ödematösen  Stelle 
des  Unterschenkels  oder  in  der  Hüftgegend  mit  kurzem  Ruck 
senkrecht  ein  und  führt  ihn  dann  parallel  der  Oberfläche  im  sub- 
kutanen Gewebe  bis  nahe  zum  Griff  weiter  ein;  dann  wird  das 
Stilet  herausgezogen  und  über  das  hintere  Ende  der  gewöhnlich 
1 — 2 cm  weiten  Kanüle  ein  mit  antiseptischer  Flüssigkeit  ge- 
füllter Gummischlauch  gezogen,  der  nun  zugleich  durch  Heber- 
wirkung die  hydropische  Flüssigkeit  herauszieht.  Die  Einstich- 
stelle wird  zur  Verhütung  von  Wundinfektion  mit  einem  kleinen 
aseptischen  Verbände  bedeckt;  der  Trokar  bleibt  darunter  12 — 24 
Stunden  liegen.  Die  kleine  Operation  ist  so  gut  wie  schmerzlos, 
und  der  meist  sehr  reichliche  Erfolg,  das  Ausfließen  mehrerer 
Liter  aus  einer  Kanüle,  veranlaßt  den  Kranken  gewöhnlich  bald, 
die  Punktion  auch  für  das  andere  Bein  zu  erbitten.  Man  kann 
die  Trokardrainage  übrigens  auch  durch  Anlegung  kleiner  Haut- 
schnitte ersetzen,  aus  denen  das  Ödem  direkt  heraustritt.  Hier- 
bei kommen  anscheinend  weniger  leicht  Wundinfektionen  vor,  aber 
die  beständige  Durchnässung  der  Verbände  und  des  Bettes  ist  ent- 
schieden weniger  angenehm  als  die  saubere  Ableitung  durch  den 
Schlauch. 

Behandlung  der  Kollapszustände. 

Einer  besonderen  Behandlung  bedürfen  noch  die  ganz  akut 
eintretenden  Zustände  von  Versagen  der  Herztätigkeit,  die  man  als 
Kollaps  bezeichnet.  Die  Herztätigkeit  ist  dabei  vorübergehend 
völlig  erlahmt  öder  doch  so  schwach  geworden,  daß  die  äußersten 
Teile  blaß  und  kühl  werden  und  der  Puls  in  den  ferner  liegenden 
Arterien  unfühlbar  wird.  Außer  durch  direkte  Herzschwäche 
können  solche  Zustände  durch  Lähmung  des  vasomotorischen 
Zentrums  der  Oblongata  hervorgerufen  werden. 

Der  kollabierte  Kranke  muß  unter  allen  Umständen  flach 
und  ruhig  liegen.  Kann  man  ihn  nicht  ohne  Änderung  der  horizon- 
talen Lage  ins  Bett  bringen,  so  ist  es  im  allgemeinen  ratsam, 
ihn  bis  zu  einiger  Besserung  z.  B.  ruhig  auf  dem  Fußboden  liegen 
zu  lassen.  Das  Aufrichten  kann  unmittelbar  den  Tod  herbei- 
führen. 

In  zweiter  Linie  ist  nachdrückliche  Anwendung  von  Haut- 
reizen angezeigt.  Man  legt  einen  in  recht  heißes  Wasser  getauchten 
Schwamm  auf  die  Herzgegend,  reibt  das  Gesicht  mit  Spiritus, 
Kölnischem  Wasser  und  dergl.  oder  spritzt  es  mit  kaltem  Wasser 


Behandlung  der  akuten  Herzstörungen 


13 


an,  man  bürstet  die  Haut,  legt  Senfteige  auf  die  Waden  oder 
steckt  Füße  und  Hände  in  heißes  Wasser.  Wo  der  Gesamtzustand 
es  erlaubt,  kann  auch  eine  kalte  Begießung  des  Nackens  wertvoll 
sein.  Auch  Reizung  der  Nasenschleimhaut  durch  Einatmung  von 
Essig,  Essigäther  oder  einigen  Tropfen  Salmiakgeist  kann  eine 
zweckmäßige  Anregung  geben. 

Außerdem  kommt  vor  allem  die  subkutane  Anwendung  von 
Reizmitteln  in  Frage,  am  besten  einige  Pravazspritzen  voll  Kampferöl 
oder  Schwefeläther  oder  einige  Dezigramm  Go  ff eino- Natrium  salicyli- 
cum  in  wässeriger  Lösung,  oder  0,03 — 0,04  Oxysparteinum  hydro- 
chloricum  gelöst.  Die  subkutane  Anwendung  von  Äther  ist  weniger 
zweckmäßig  als  die  von  Kampferöl  (mehrmals  eine  Grammspritze), 
weil  Äther  örtlich  reizt,  in  großen  Gaben  das  Herz  lähmt  und  auch 
in  kleineren  oft  Kopfschmerz  hinterläßt. 

^ Olei  camphorat.  20,0 

D.S.  Zur  Einspritzung. 

k«;  Coff.-Natrii  salicyl.  1,0 

Aq.  dest.  10,0 

D.S.  Mehrmals  tgl.l— 2 Spritzen. 

Ist  gleichzeitig  Stillstand  der  Atmung  eingetreten,  so  ist 
ganz  besonders  die  Faradisation  des  Phrenicus  nach  von 
Ziemssen  zu  empfehlen.  Es  werden  dazu  die  beiden  mit  heißem 
Wasser  gut  durchfeuchteten  Elektroden  eines  kräftigen  Induktions- 
apparates zu  beiden  Seiten  des  Halses  unmittelbar  hinter  dem 
etwas  nach  vorn  geschobenen  Sternokleidomastoideus  angesetzt  und 
der  Strom  für  die  Dauer  einer  Einatmung,  etwa  2 Sekunden,  ge-' 
schlossen.  Dann  wird  er  geöffnet  und  gleichzeitig  von  einem' 
Assistenten  Bauchwand  und  Bauchinhalt  kräftig  nach  oben  gegen 
das  Zwerchfell  hin  geschoben.  Dies  die  Ausatmung  nachahmende 
Verfahren  dauert  wiederum  etwa  2 Sekunden,  dann  folgt  eine 
neue  Stromschließung  usw.  Erweist  sich  die  Erregbarkeit  der 
Phrenici  bei  zwei  Minuten  langer  Anwendung  des  Verfahrens  er- 
loschen, so  ist  davon  kein  Erfolg  zu  erwarten.  Tritt  Husten  ein, 
so  ist  die  Reizung  so  lange  auszusetzen,  bis  diese  sehr  günstige 
Erscheinung  der  Reffexerregbarkeit  der  Bronchialschleimhaüt  vöi>’ 
über  ist.  Ist  die  Atmung  nach  dem  Aussetzen  der  elektrischen1 
Reizung  normal  geworden,  so  muß  man  jedenfalls  noch  stunden- 
lang zu  erneuten  Eingriffen  bereit  sein,  da  Rückfälle  Vorkommen. 
Im  allgemeinen  genügt  ein  Strom,  der  den  gesunden  Opponent 
pollicis  kräftig  zu  verkürzen  vermag. 


Aeth.  sulf.  20,0 
D.S.  Zur  Einspritzung’. 

Ijfc  Oxysparteini  hydr.  0,3 — 0,4 
Aq.  dest.  10,0 

D.S'.  1 Spritze  zur  Zeit  subkutan. 


14 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


Kann  der  kollabierte  Kranke  schlucken,  so  wendet  man  auch 
innerliche  Reizmittel  an:  heißen  schwarzen  Kaffee,  heiße  Bouillon, 
Sekt,  Kognak  oder  arzneiliche  Exzitantien  in  Pulver  oder  Lösung, 
Kampfer,  Moschus,  Yalidol  usw. 

2.  Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten 
Herzzustände. 

Direkte  Heilmittel  für  die  organischen  Herzkrankheiten 
kennen  wir  nicht,  aber  der  ärztliche  Rat  hat  bei  Herzkranken 
auch  in  den  ruhigen  Zwischenzeiten  wichtige  Aufgaben  zu  er- 
füllen. Das  Herz  soll  soweit  geschont  werden,  daß  seine  Leistungs- 
fähigkeit so  lange  wie  möglich  erhalten  bleibt;  bei  zielbewußtem 
Vorgehen  können  Kranke  mit  Klappenfehlern  Jahrzehnte  lang  leben, 
ohne  daß  schwerere  Störungen  aufträten.  Zugleich  soll  das  Herz 
aber  auch  geübt  werden,  denn  der  Herzmuskel  erhält  seine  Kraft 
nicht  durch  die  dem  Körper  zugeführte  Nahrung,  sondern  durch 
Übung,  bei  Vermeidung  von  Überanstrengung.  Die  richtige  Ver- 
einigung dieser  beiden  Einwirkungen  ist  das  große  Geheimnis  der 
Therapie  der  Herzkrankheiten.  In  geeigneten,  frischen  Krankheits- 
fällen kann  sie  so  große  Erfolge  haben,  daß  man  von  Heilung 
sprechen  kann. 

Um  das  Herz  zu  schonen,  muß  man  vor  allem  das  zu  ver- 
meiden suchen,  was  den  Herzmuskel  und  die  Nervenapparate 
schädigt,  die  seine  Tätigkeit  regeln.  Dahin  gehören  die  Über- 
anstrengungen durch  körperliche  Leistungen,  die  über 
die  Gewöhnung  und  Fähigkeit  des  Herzens  hinausgehen:  un- 
vernünftiges Bergsteigen,  übertriebenes  Radfahren  und  sonstiger 
gewaltsamer  Sport,  ebenso  natürlich  auch  zu  harte  Arbeit  bei 
Trägern,  Schmieden,  jungen  Soldaten.  Das  Übermaß  verkündet 
sich  gewöhnlich  zunächst  durch  Herzklopfen  oder  durch  Atemnot; 
verschwinden  sie  durch  rechtzeitig  eintretende  Ruhe  und  ver- 
mindern sie  sich  bei  fortschreitender  Übung,  so  kann  jede 
Schädigung  ausbleiben,  treten  sie  aber  immer  wieder  und  gar 
in  steigendem  Maße  ein,  schließlich  so,  daß  flüchtige  oder  dauernde 
Herzdilatation  nachweisbar  wird,  so  gehen  die  Ansprüche  über 
die  Kraft  des  Herzens  hinaus,  und  ihre  Fortsetzung  würde  sicher 
zu  ernsteren  Erkrankungen  des  Herzens  führen.  Als  zweite 
Schädlichkeit  sind  vergiftende  Einflüsse  zu  nennen,  mögen 
sie  der  Nahrung  entstammen  oder  durch  Krankheit  oder  Infektion 
bereitet  sein.  Unter  den  Nahrungsschädlichkeiten  steht  der 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  15 

Alkohol  obenan,  und  zwar  nicht  nur  in  Gestalt  des  schon 
lange  als  schädlich  erkannten  Branntweines,  sondern  auch  in  der 
Form  von  Wein  und  von  Bier.  Bei  dem  Bier  wird  anscheinend 
das,  was  an  der  Konzentration  fehlt,  durch  die  große  Flüssigkeit- 
menge ausgeglichen,  die  den  Kreislauf  allzusehr  belastet;  besonders 
an  die  Münchener  Beobachtungen  über  das  „Bierherz“  ist  zu 
erinnern.  Für  Herzkranke  ergibt  sich  daraus  der  bestimmte 
Grundsatz  völliger  Alkoholabstinenz.  Selbstverständlich  muß 
ihnen  auch  in  allen  Zuständen  der  Alkohol  sofort  entzogen  werden, 
das  Gerede  von  den  Gefahren  plötzlicher  Entziehung  gehört  ins 
Reich  der  Märchen.  Große  Vorsicht  ist  in  bezug  auf  den  Tabak- 
genuß  ratsam,  da  das  Nikotin  im  Verdacht  steht,  die  Arterio- 
sklerose zu  begünstigen,  und  zweifellos  nervöse  Angina  pectoris 
herbeiführen  kann.  Gegen  nikotinfreie  Zigarren  dürfte  dagegen 
nichts  einzuwenden  sein.  Ein  weiteres  Nahrungsgift,  übrigens  von 
viel  geringerer  Gefährlichkeit,  ist  der  Kaffee.  Er  unterscheidet  sich 
vom  Alkohol  auch  dadurch  sehr  wesentlich,  daß  seine  herzerregende 
Wirkung  wohl  immer  nur  flüchtig  ist,  nur  zu  vorübergehend 
gesteigerter  Leistung  führt  und  keine  Lähmung  und  keine  Störung 
der  Muskelernährung  des  Herzens  hinterläßt.  Reinen,  nicht  starken 
Kaffee  in  geringen  Mengen  und  unter  Zusatz  von  Milch  oder  Sahne 
und  Zucker  vertragen  sicher  viele  Herzkranke  ohne  die  leiseste 
Erregung.  Ebenso  steht  es  mit  dem  Tee.  Bei  sehr  empfind- 
lichem Herzen  ist  übrigens  zu  beachten,  daß  schon  die  Zufuhr 
sehr  heißer  Flüssigkeit  erregend  wirkt.  Das  gilt  auch  von  der 
Bouillon,  deren  Gehalt  an  Extraktivstoffen  des  Fleisches  jeden- 
falls nur  eine  unbedeutende  Herzanregung  leistet;  ich  habe 
wenigstens  auch  von  Menschen  mit  sehr  erregbarem  Herzen  nie 
über  belästigende  Wirkungen  der  Bouillon  klagen  hören.  Mehr 
Vorsicht  ist  in  bezug  auf  die  Fleischsaftpräparate  anzuwenden, 
soweit  sie  zu  regelmäßigem  Genuß  bestimmt  sind.  Sie  können 
bei  sonst  reichlicher  Nahrungszufuhr  zweifellos  eine  Überfütterung 
mit  Extraktivstoffen  herbeiführen,  die  in  ähnlicher  Weise,  wie  es 
bei  der  Gicht  geschieht,  die  Kreislaufsorgane  schädigen  kann. 
Vielleicht  handelt  es  sich  auch  bei  der  Chlorose,  die  so  oft 
mit  Herzreizbarkeit  verbunden  ist , um  Intoxikationsvorgänge, 
die  durch  sachgemäße  Behandlung  der  Blutveränderung  beseitigt 
werden  können.  Autointoxikationen  wird  man  auch  für  den  be- 
kannten ungünstigen  Einfluß  von  Magen-  und  Darmstörungen, 
insbesondere  der  Verstopfung,  und  für  die  zirkulatorischen  Störungen 
des  Diabetes  und  des  Klimakteriums  verantwortlich  machen  dürfen, 


16  Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 

so  wenig  Genaues  und  Sicheres  darüber  auch  bisher  bekannt  ist. 
Klarer  liegt  die  Schädlichkeit  bei  den  eigentlichen  Infektions- 
krankheiten, von  denen  namentlich  der  akute  Gelenkrheuma- 
tismus und  die  übrigen  septischen  Infektionen,  ferner  die  In- 
fluenza, die  Diphtherie,  die  Syphilis,  die  Gonorrhöe  usw.  so  oft 
das  Herz  schädigen.  In  dritter  Linie  wird ' das  Herz  zweifellos 
durch  Aufregungen,  durch  Gemütsbe wegungen  und  durch 
geistige  Überanstrengung,  zumal  wenn  sie  mit  Sorgen, 
Kränkungen,  hoher  Verantwortung  verbunden  ist,  in  seiner  Ge- 
sundheit beeinträchtigt,  nicht  nur  so,  daß  nervöse  Störungen  ein- 
treten,  sondern  bis  zu  Dilatation,  arteriosklerotischen  und  myokardi- 
tischen  Prozessen.  Alle  diese  Vorgänge  müssen  also  bei  der  Pro- 
phylaxe der  Herzkrankheiten  berücksichtigt  werden,  noch  mehr  aber 
ist  bei  bestehendem  Herzleiden  darauf  zu  achten,  daß  ihre  schäd- 
lichen Einflüsse  möglichst  ferngehalten  werden. 

Andererseits  kann  natürlich  nicht  davon  die  Rede  sein,  die 
Herzkranken  allen  Einflüssen  des  Lebens  zu  entziehen.  Auch 
wenn  das  durchführbar  wäre,  würde  es  nicht  das  richtige  sein. 
In  Wirklichkeit  handelt  es  sich  immer  darum,  eine  möglichst 
gute  Anpassung  an  die  Anforderungen  des  Lebens  zu  finden. 
Dazu  gehört  zunächst,  daß  der  Kranke  einigermaßen  darüber 
unterrichtet  wird,  wie  es  mit  ihm  steht.  Es  wird  damit  in  der 
Praxis  offenbar  sehr  verschieden  gehalten;  man  trifft  Kranke  mit 
schweren  Herzfehlern,  die  über  die  Bedeutung  ihres  Leidens  aus 
mitleidiger  Rücksicht  völlig  getäuscht  sind,  und  andere,  denen 
bei  rein  nervösen  Störungen  mitgeteilt  worden  ist,  daß  sie  einen 
Herzfehler  hätten  und  demgemäß  leben  müßten.  Eine  richtige 
Diagnose  ist  natürlich  unentbehrlich,  wenn  man  in  dieser  Beziehung 
keine  Fehler  machen  will.  Die  meisten  wären  zu  vermeiden,  wenn 
nicht  immer  wieder  die  sorgfältige  Bestimmung  der  Herzdämpfung 
Unterlassen  und  aus  beliebigen  Herzgeräuschen  auf  einen  Herz- 
fehler geschlossen  würde.  Wer  darin  nicht  die  nötige  Erfahrung 
besitzt,  sollte  den  Kranken  wiederholt  und  am  besten  gemeinsam 
mit  einem  erfahreneren  Kollegen  untersuchen.  Ist  ein  wirklicher 
Herzfehler  festgestellt,  so  sollte  dem  Kranken  stets  in  vorsichtiger 
Weise  davon  Mitteilung  gemacht  werden.  Der  Arzt  darf  natür- 
lich nicht  versäumen,  dabei  gleich  ausdrücklich  hervorzuhebeh, 
daß  in  seiner  Diagnose  durchaus  nicht  der  Begriff  eines  unauf- 
haltsam und  schnell  fortschreitenden  Leidens  liege,-  aber  er  muß 
zugleich  nachdrücklich  darauf  hin  weisen,  daß  alle  Aussichten  davon 
Abhängen,  wie  weih  der  Kranke  geneigt  und  imstande  ist,  den 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  17 

ärztlichen  Anordnungen  hinsichtlich  der  erforderlichen  Schonung 
zu  folgen.  Der  Gehorsam  des  Kranken  gegen  die  Verordnungen 
wird  wesentlich  erleichtert  und  gefördert,  wenn  von  vornherein 
nichts  verlangt  wird,  was  unnötig  oder  unbedeutend  ist.  Es  muß 
daher  in  jedem  einzelnen  Falle  versucht  werden,  ob  z.  B.  Kaffee 
oder  Tee  oder  leichte  Sportübungen,  wozu  etwa  der  Kranke  neigt, 
wirklich  einen  ungünstigen  Einfluß  erkennen  lassen,  denn  nur 
dann  darf  von  ihrem  Verbot  die  Rede  sein.  Sieht  der  Patient, 
daß  er  verbotene  Dinge  ohnb  erkennbaren  Schaden  genießen  kann, 
so  sinkt  natürlich  alsbald  der  Einfluß  der  Verbote  auch  nach 
anderen  Richtungen  hin.  — Vor  allem  läßt  sich  kein  richtiger 
Standpunkt  für  die  Verordnungen  und  Verbote  gewinnen,  wenn 
der  Arzt  der  Kenntnis  der  psychologischen  Eigentümlichkeiten 
des  Kranken  und  seiner  Lebensgewohnheiten  entbehrt.  Danach 
müssen  alle  Äußerungen  genau  abgewogen  werden  und  alle  Be- 
stimmungen sich  richten.  Auch  die  Umgebung  des  Kranken  soll 
lernen,  was  an  vermeidbaren  Gemütsbewegungen  dem  Kranken  fern- 
gehalten werden  soll.  Besonders,  wenn  es  sich  um  herzkranke 
Künder  handelt,  wird  oft  die  Frage  aufgestellt,  wie  der  Patient 
zu  behandeln  sei.  Zum  Glück  beruht  das  Wesen  und  die  Macht 
der  Erziehung  nicht  in  Strenge  und  Strafen,  aber  es  wird  immer- 
hin von  Vorteil  sein,  die  Pädagogik  der  Eltern  auf  diesen  Um- 
stand hinzuweisen  und  hervorzuheben,  daß  bei  kranken  Kindern 
erst  recht  alles  durch  Güte  und  Geduld  erreicht  werden  soll.  Das 
Versagen  dieser  Mittel  beruht  gewöhnlich  nur  darauf,  daß  sie  mit 
planloser  Nachgiebigkeit  ab  wechseln;  Beständigkeit  und  Ausdauer 
gehören  unentbehrlich  dazu.  Auch  die  Lehrer  und  Vorgesetzten 
der  Kranken  sollen  so  viel  wie  möglich  auf  diese  Verhältnisse 
hingewiesen  werden. 

Da  es  nicht  möglich  ist,  alle  Gemütsbewegungen  fernzuhalten, 
so  handelt  es  sich  auch  darum,  durch  eine  richtige  Diätetik  der 
Seele  den  übertriebenen  und  schädlichen  Einfluß  solcher  Erregungen 
auszugleichen,  wie  das  bei  der  Besprechung  der  allgemeinen  Therapie 
nervöser  Zustände  genauer  gesagt  ist.  Eine  bestimmte  geregelte 
Tätigkeit  für  Körper  und  Geist  ist  in  dieser  Hinsicht  von 
großem  Einfluß,  und  es  gehört  daher  durchaus  zu  den  Aufgaben 
des  Arztes,  den  Herzkranken  bei  der  Wahl  eines  Berufes  zu  beraten 
oder  ihn  vor  dem  vorzeitigen  Aufgehen  des  bisherigen  Berufes  zu 
bewahren.  Mehr  als  allgemeine  Andeutungen  lassen  sich  darüber 
hier  nicht  geben. 

Die  Frage,  ob  Herzkranke  heiraten  dürfen,  muß  verneinend 
Dornblüth  , Therapie.  2 


18 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


beantwortet  werden.  Allgemein  deshalb,  weil  ihre  Lebensdauer  im 
allgemeinen  verkürzt  und  der  Grad  der  Verkürzung  nicht  ab- 
zusehen ist,  dann  aber  auch,  weil  die  Ehe  für  den  Herzkranken 
gewisse  Schädlichkeiten  mit  sich  bringt.  Dazu  gehört  für  beide 
Geschlechter  der  Koitus,  dessen  schwere  Einwirkung  auf  die  Kreis- 
laufsverhältnisse direkte  Gefahren  und  bleibende  Schädigungen  des 
kranken  Herzens  in  sich  schließt.  Für  die  herzkranke  Frau  ist 
namentlich  die  Schwangerschaft  geradezu  lebensgefährlich.  Wird 
eine  verheiratete  Frau  herzkrank,  so  hat  der  Arzt  die  Pflicht,  auf 
die  Gefahr  der  sexuellen  Beziehungen  und  in  leichteren  Fällen 
wenigstens  auf  die  Vermeidung  der  Schwangerschaft  hinzuweisen. 

Der  Einfluß  des  Klimas  auf  Herzkranke  ist  erklärlicherweise 
sehr  groß.  Wenn  man  bedenkt,  daß  Kältereize  von  der  Haut  aus 
erhöhte  Herztätigkeit  erregen,  so  ergibt  sich  im  Sinne  der  Herz- 
schonung ohne  weiteres  der  Vorzug  eines  milden  Klimas.  Ins- 
besondere wird  man  oft  mit  Vorteil  während  des  Winters  oder 
der  wechselvollen  Frühjahrszeiten  den  rauhen  Norden  Deutschlands 
mit  dem  gleichmäßig  milden  Klima  der  Rivieraorte  oder  der  Kur- 
stätten am  Genfer  See  vertauschen  lassen.  Die  letzteren  haben 
noch  dazu  den  Vorteil  der  höheren  Lage,  die  eine  tiefere  Atmung 
und  damit  eine  bessere  Ansaugung  des  Blutes  und  vor  allem  eine 
Verbesserung  des  Lungenkreislaufes  mit  sich  bringt.  Nicht  selten 
läßt  ein  solcher  Kuraufenthalt  eine  für  längere  Zeit  anhaltende 
Besserung  eintreten. 

Um  die  Haut  den  Einflüssen  der  wechselnden  Temperatur 
möglichst  zu  entziehen,  empfiehlt  sich  eine  zweckmäßige  Unter- 
kleidung, im  Winter  jedenfalls  Wolle,  in  der  wärmeren  Jahres- 
zeit wenigstens  in  den  wärmeren  Gegenden  leichtere  Gewebe,  Baum- 
wolle oder  eines  der  neueren  kombinierten  Gewebe.  Wichtig  ist, 
daß  die  Kleidung  bequem  sitzt,  weder  den  Hals  noch  die  Taille 
einengt,  auch  enge  Strumpfbänder  und  fest  anschließende  Schuhe 
sind  zu  vermeiden.  Für  herzkranke  Frauen  empfiehlt  sich  dringend 
die  Reformkleidung,  sowohl  um  das  hier  besonders  schädliche 
Korsett  zu  ersetzen,  als  um  durch  das  geschlossene  Rockbeinkleid 
die  Belastung  des  Körpers  zu  vermindern  und  die  schädliche  Ab- 
kühlung der  unteren  Körperhälfte  auszuschließen. 

Auch  durch  die  Kost  soll  dem  Grundsatz  der  Schonung  ent- 
sprochen werden.  Große  Mahlzeiten  sowie  größere  Mengen  von 
Flüssigkeit  erschweren  die  Herzarbeit  direkt  und  indirekt,  durch 
Anfüllung  des  Leibes  und  Hinaufdrängen  des  Zwerchfells,  wo- 
durch die  Atmung  mit  ihrem  wichtigen  Einfluß  auf  die  Herz- 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  19 

leistung  beeinträchtigt  wird.  Es  ergibt  sich  daraus  die  allgemeine 
Regel,  daß  Herzkranke  lieber  öftere  und  kleinere  Mahlzeiten  ge- 
nießen sollen.  Unzweckmäßig  ist  es  jedenfalls,  die  täglichen  Mahl- 
zeiten durch  Wegfall  des  zweiten  Frühstücks  und  des  Nachmittags- 
kaffees auf  drei  beschränken  zu  wollen,  wie  das  häufig  mit  oder 
ohne  rechten  Grund  geschieht.  Anderseits  ist  es  aber  auch  un- 
nötig, allen  Herzkranken  ohne  Unterschied  zweistündliche  Mahl- 
zeiten zu  verordnen.  Für  die  meisten  Kranken,  soweit  sie  ohne 
Kompensationstörungen  in  ihrer  Familie  oder  sonstwo  leben, 
genügt  es  vollkommen,  wenn  man  die  Kost  einigermaßen  gleich- 
mäßig auf  erstes  und  zweites  Frühstück,  Mittagessen,  Vesper  und 
Abendessen  verteilt  und  höchstens  noch  die  Abendmahlzeit  ent- 
lastet, indem  man  ihr  wenig  Flüssigkeit  beigibt  und  dafür  vor 
dem  Einschlafen  noch  ein  Glas  Milch  trinken  läßt.  Man  muß 
eben  auch  immer  daran  denken,  daß  unbequeme  Maßregeln,  die 
sich  mit  der  gewöhnlichen  Hausordnung  schlecht  vertragen,  ge- 
wöhnlich nicht  lange  durchgeführt  werden.  Nach  dem  Essen  soll 
regelmäßig  eine  kurze  Ruhe  in  liegender  oder  halbliegender  Stellung 
gehalten  werden. 

Für  die  Auswahl  der  Nahrungsmittel  ergibt  sich  aus  dem 
Gesagten  die  Lehre,  daß  Speisen,  die  den  Verdauungskanal  belasten 
oder  auf  blähen,  wie  z.  B.  die  Kohlarten,  bei  Herzkranken  zu  ver- 
meiden sind.  Vorsichtig  wird  man  auch  mit  solchen  Stoffen  sein, 
die  das  Herz  erregen  können,  wie  Fleischextrakt,  Bouillon,  Kaffee 
und  Tee.  Wir  haben  aber  vorhin  schon  gesagt,  daß  man  damit 
auch  nicht  zu  streng  sein  und  das  Verbot  immer  nur  erlassen 
soll,  wenn  ein  wirklicher  Grund  vorliegt.  Ein  für  allemal  ist 
dagegen  der  Genuß  alkoholischer  Getränke  zu  verbieten,  weil  sie 
einem  kranken  Herzen  niemals  gut  tun.  Selbst  wenn  man  glaubt, 
den  Alkohol  bei  der  Behandlung  der  Kompensationstörungen 
nicht  ganz  entbehren  zu  können,  sollte  man  ihn  in  der  Zwischen- 
zeit um  so  strenger  verbieten,  um  ihm  für  den  Fall  der  Not 
eine  ungeschwächte  Wirkung  zu  erhalten. 

Als  ein  unzweckmäßiges  Reizmittel  für  das  Herz  muß  auch 
der  Tabak  bezeichnet  werden,  ganz  besonders  da,  wo  ohnedies 
Neigung  zu  Angina  pectoris  und  ähnlichen  Zuständen  besteht, 
die  ja  erfahrungsgemäß  gerade  durch  das  Rauchen  hervorgerufen 
werden  können.  Für  Kranke,  die  das  gewohnte  Rauchen  schwer 
entbehren,  ist  in  den  nikotinfreien  Zigarren  von  Kiessling  in 
Bremen,  Wendt  in  Bremen  und  Schliebs  in  Breslau  ein  un- 
schädlicher Ersatz  gegeben;  diese  Zigarren  unterscheiden  sich  im 


20  Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 

Geschmack  nicht  wesentlich  von  den  gewöhnlichen  nnd  haben  in 
der  Tat  nicht  die  ungünstigen  Nebenwirkungen  derselben. 

Bei  solchen  Fällen  von  Herzkrankheit,  wo  Stauungen  im  Ver- 
dauungskanal längere  Zeit  bestanden  haben  oder  augenblicklich 
in  höherem  Grade  vorhanden  sind,  ist  gewöhnlich  die  Fettresorp- 
tion beeinträchtigt,  und  darauf  muß  natürlich  bei  der  Kost- 
verordnung Rücksicht  genommen  werden.  Sonst  kann  man  nicht 
sagen,  daß  die  einzelnen  Nährstoffe  bei  Herzkranken  in  anderem 
Verhältnis  gegeben  werden  müßten  als  bei  Gesunden.  Jedenfalls 
wäre  es  ganz  verfehlt,  wollte  man  dem  herkömmlichen  Schlendrian 
folgend  jedem  Herzkranken  einfach  „recht  kräftige  Ernährung“ 
verordnen  und  ihm  überlassen,  was  er  darunter  versteht,  oder 
ihm  „reichliche  Fleischkost“  vorschreiben,  in  dem  Gedanken,  daß 
die  Eiweißzufuhr  direkt  dem  Herzen  zugute  komme.  Davon 
kann  in  Wirklichkeit  keine  Rede  sein;  der  Herzmuskel  wird  wie 
andere  Muskeln  nur  durch  Übung  gekräftigt,  vorausgesetzt  natür- 
lich, daß  ihn  zugleich  gesundes  Blut  durchströmt.  Dazu  ist  aber 
gerade  eine  normale,  keineswegs  einseitige  Kost  erforderlich.  Ein 
gutes  Beispiel  eines  solchen  Kostzettels  gibt  nachstehende  Vor- 
schrift von  Noordens  aus  der  „Pathologie  des  Stoffwechsels“: 

Morgens  8 Uhr:  120  g kaltes  Fleisch,  70  g Brot  mit  Butter, 
60  ccm  dünnen  Tee. 

10]/2  Uhr:  1 Ei,  50  g Weißbrot  mit  Butter,  40  ccm  Wein  (wir 
würden  hier  ein  Weinglas  voll  Milch  oder  dergl.  vorziehen, 
oder  statt  dessen  unvergorenen  Traubensaft,  Frada  usw.). 

1 Uhr:  150  g Fleisch  oder  Fisch  beliebiger  Art,  200  g Gemüse 
oder  Kompott,  keine  Suppe,  kein  Getränk. 

5 Uhr:  200  ccm  Milch,  ca.  40  g Weißbrot  mit  Butter  oder  Gelee. 
8 Uhr:  ca.  80  g Fleisch  mit  grünem  Salat,  nach  Belieben,  ca.  120  g 
Mehl-Eierspeise,  ca.  35  g Brot  mit  Butter,  0,3  1 Bier  (auch  hier 
halten  wir  ein  anderes  Getränk  für  besser). 

10 ]/2  Uhr:  Nach  Belieben  200  ccm  Milch,  Dickmilch  oder  Wasser. 

In  diesem  Speisezettel  tritt  auch  schon  das  Bestreben  hervor, 
die  Flüssigkeitsmenge  zu  bemessen,  die  dem  Körper  zuträglich 
ist  und  das  Herz  nicht  zu  sehr  belastet.  Außer  den  bei  den 
Mahlzeiten  angegebenen  800  ccm  Flüssigkeit  gibt  von  Noorden1 
in  obigem  Falle  noch  morgens  7 Uhr  200  ccm  Homburger  Elisabeth- 
brunnen, insgesamt  also  1 1 Flüssigkeit.  Man  kann  das  wohl 
als  eine  ausreichende  Flüssigkeitsmenge  betrachten,  wobei  noch 
keine  Durstbeschwerden  auftreten  werden.  Nach  unserer  Erfahrung 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  21 


kommt  man  damit  nm  so  besser  ans,  wenn  man  statt  der  alko- 
holischen Getränke  die  von  uns  hinzugefügten  Ersatzgetränke  ver- 
abfolgt. Bei  Kranken,  die  vorher  viel  mehr  Flüssigkeit  aufgenommen 
haben,  pflegt  sich  doch  binnen  einiger  Tage  der  quälende  Durst 
zu  verlieren,  in  einzelnen  Fällen  ist  man  allerdings  zum  Nach- 
geben gezwungen,  weil  die  Nahrungsaufnahme  leidet,  wenn  nicht 
mehr  Flüssigkeit  erlaubt  wird.  Jedenfalls  tut  man  dann  gut, 
die  Menge  genau  messen  zu  lassen  und  auch  die  Urinmenge  zu 
bestimmen,  damit  man  den  Überblick  behält,  ob  auch  genug 
wieder  ausgeschieden  wird. 

Der  angeführte  Kostzettel  von  Nookdens  enthält  etwa: 


1 

| Eiweiß 

Fett 

Zucker 

Stärke 

Kalorien 

350  g Fleisch  .... 

110 

10 





500 

3 Eier 

15 

12 

— - 

— 

160 

200  g Milch 

6 

6 

10 

— 

150 

200  g Brot 

10 

— 

— 

100 

400 

j 

141 

28 

10 

100 

1210 

Dazu  kommen  dann  noch  Fett  und  Kohlehydrate  aus  Zucker, 
Kompott,  Gemüse,  Mehleierspeise,  Sauce,  Butter  usw. 

Auch  für  einen  Herzkranken  mit  mäßiger  Tätigkeit  wird  man 
nicht  viel  mehr  zur  Erhaltung  des  Stoffwechselgleichgewichtes  nötig 
haben;  wo  es  nötig  sein  sollte,  kann  man  durch  Aufbesserung  der 
Milchportion  den  Fettgehalt  und  durch  Zugabe  von  Brot,  Kartoffeln, 
Makkaroni,  Zucker,  Kakao  usw.  den  Gehalt  an  Kohlehydraten 
erhöhen,  ohne  die  Verdauungsorgane  besonders  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Körpergewicht  und  Befinden  geben  sehr  bald  Aufschluß, 
wenn  im  Einzelfalle  zu  wenig  zugeführt  wird.  Das  Zuviel  ist 
jedenfalls  ebenso  sorgfältig  zu  vermeiden,  weil  es  unbedingt  eine 
vergrößerte  Leistung  der  Kreislaufsorgane  hervorruft,  um  die 
durch  übermäßige  Umsetzungen  erhöhte  Wärmeproduktion  aus- 
zugleichen und  die  überschüssigen  Stoffe  auszuscheiden.  Wo  der 
Kranke  an  zu  große  Nahrungsaufnahme  gewöhnt  ist,  gelingt  der 
Übergang  zu  normalen  Verhältnissen  oft  am  besten,  wenn  man 
zunächst  unter  Bettruhe  eine  Milchdiät  durchführt,  etwa  in  der 
Weise,  daß  der  Kranke  in  sechs  verschiedenen  Mahlzeiten  ins- 
gesamt 2 1 Milch  (in  verschiedener  Zubereitung)  erhält,  die  etwa 
80  g Eiweiß,  60  g Fett  und  80  g Zucker  enthalten  und  durch 
Zugabe  von  Somatose  oder  besser  Plasmon  oder  Roborat  und  von 
leichten  Gebäcken  wie  Zwieback,  Kakes  oder  durcli  Zubereitung  mit 


22 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


Kindermehl,  Kakao  usw.  leicht  auf  jeden  gewünschten  Reichtum  an 
Eiweiß  und  Kohlehydraten  gebracht  werden  können.  Diese  Art 
der  Ernährung  macht  gerade  bei  Bettruhe  fast  niemals  Schwierig- 
keiten und  erleichtert  für  die  folgende  Zeit  den  Übergang  zu  der 
vom  Arzte  festzusetzenden  Kost. 

Die  Übung  des  Herzens  geschieht  vor  allem  durch  ange- 
messene Bewegung.  Sie  hat  immer  erst  einzutreten,  nachdem 
etwa  vorhandene  Herzunruhe  oder  Kreislaufstörungen  ausgeglichen 
und  die  zur  Schonung  erforderlichen  Maßregeln  der  Diätetik  im 
weitesten  Sinne  durchgeführt  sind.  Wie  weit  man  mit  der  Übung 
gehen  kann,  hängt  natürlich  ganz  von  dem  Zustande  des  Herzens 
ah,  insbesondere  von  der  Beschaffenheit  und  Übungsfähigkeit  seiner 
Muskulatur.  Sie  ist  allerdings  oft  sehr  schwer  zu  beurteilen. 
Eine  gute  Illustration  zu  diesem  Punkte  geben  die  mit  dem 
Radfahren  Herzkranker  gewonnenen  Erfahrungen.  Der  un- 
günstige Einfluß  des  sportmäßigen  Radeins  steht  natürlich  außer 
Zweifel,  dagegen  wird  durch  mäßiges  und  nicht  gewaltsames 
Fahren  das  Herz  anscheinend  nicht  mehr  belastet  als  durch  Gehen. 
Vielleicht  kann  man  es  geradezu  als  abstufbares  Mittel  der  Herz- 
übung benutzen.  Es  wird  auch  einen  Unterschied  machen,  ob 
der  Patient  schon  radfahren  kann,  oder  ob  er  es  erst  während 
der  Krankheit  erlernen  soll,  denn  das  Lernen  ruft  in  vielen  Fällen 
schon  beim  Gesunden  Herzunruhe  hervor,  wenn  es  nicht  sehr 
vorsichtig  betrieben  wird.  Bei  einem  jungen  Mädchen  mit  leichter 
Mitralinsuffizienz,  wo  nie  Kompensationstörungen  bestanden  hatten, 
fand  ich  ein  halbes  Jahr,  nachdem  sie  gegen  meinen  Willen  das 
Radfahren  erlernt  hatte,  die  Zeichen  der  Krankheit  eher  geringer 
als  vorher,  obwohl  sie  durchaus  nicht  besonders  vorsichtig  ge- 
wesen war.  Immerhin  wissen  wir  noch  zu  wenig  Bestimmtes 
über  diese  Verhältnisse,  um  therapeutisch  schon  bestimmt  Vor- 
gehen zu  können. 

Als  das  am  genauesten  gekannte  Übungsmittel  für  das  Herz 
muß  vorläufig  jedenfalls  die  Heilgymnastik  betrachtet  werden. 
Sie  erstreckt  sich  teils  auf  die  Muskeln  des  Brustkorbes,  um  den 
fördernden  Einfluß  tiefer  Atmung  auf  die  Verhältnisse  des  kleinen 
Kreislaufs  wie  des  Gesamtkreislaufs  auszunutzen , teils  auf  die 
Muskeln  der  Glieder,  durch  deren  Zusammenziehungen  die  Venen 
nach  dem  Herzen  zu  entleert  werden.  Man  bedient  sich  dabei 
entweder  der  ZANDERSchen  medikomechanischen  Apparate,  wie  sie 
jetzt  in  größeren  Städten  und  Kurorten  und  in  zahlreichen  Sana- 
torien aufgestellt  sind,  oder  man  läßt  die  Kranken  Bewegungen 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  23 

einzelner  Glieder  ausführen,  denen  durch  eine  zweite  Person  ein 
bestimmter  Widerstand  entgegengesetzt  wird.  Für  den  häuslichen 
Gebrauch  eignen  sich  dazu  auch  recht  gut  die  DiEHLschen  Gym- 
nastikapparate oder  die  verschiedenen  „Muskelstärker“,  bei  denen 
der  Widerstand  durch  Gewichte  oder  durch  dehnbare  Gummizüge 
ausgeübt  wird.  Je  mehr  verschiedene  Muskelgruppen  dabei  tätig 
werden,  um  so  besser  ist  der  Erfolg.  Überanstrengung  muß  sorg- 
fältig vermieden  werden,  und  gleichmäßige,  tiefe  Atmung  während 
des  Ubens  ist  eine  Bedingung  für  günstige  Wirkung.  Im  ganzen 
geht  man  nicht  gern  über  eine  halbe  Stunde  täglichen  Übens 
hinaus.  Die  Erfolge  sind  namentlich  in  der  Verbindung  mit 
Bäderbehandlung  usw.  oft  recht  gut.  Mit  Vorsicht  kann  man 
sie  sogar  im  Stadium  leichter  Kompensationstörungen  anwenden, 
vorausgesetzt,  daß  der  Herzmuskel  keine  schwereren  V eränderungen 
ausweist. 

Eine  besondere  Art  der  Übungstechnik  stellt  die  von  Oertel 
angegebene  Terrainkur  dar.  Man  versteht  darunter  das  Gehen 
auf  gleichmäßig  ansteigenden  Wegen,  die  nach  der  OERTELSchen 
Vorschrift  in  bestimmte  Wegstrecken  (15  Minuten  in  ruhigem 
Schritt)  und  in  vier  „Ordnungen“  mit  verschieden  starker  Steigung 
eingeteilt  sind.  Die  Wege  erster  Ordnung  haben  Steigung  im 
Winkel  bis  zu  5°,  die  zweiter  Ordnung  bis  10°,  die  dritter 
Ordnung  bis  15°  und  die  vierter  Ordnung  bis  20°.  In  den 
Karten  der  für  die  Terrainkur  eingerichteten  Orte  sind  die  vier 
Grade  der  Steigung  mit  den  Farben  rot,  blau,  grün  oder  violett 
und  gelb  bezeichnet,  so  daß  die  Kranken  sich  leicht  nach  der 
Karte  die  ihnen  zukommenden  Wege  suchen  können.  In  der 
ersten  Zeit  sind  nur  Wege  erster  Ordnung  erlaubt,  und  zwar 
können  darauf  je  nach  dem  Kräftezustande  eine,  zwei  oder  drei 
Wegstrecken  zurückgelegt  werden,  gegebenenfalls  mehrmals  am 
Tage.  Allmählich  geht  man  zu  Strecken  zweiter  Ordnung  über 
und  läßt  hierbei  je  nachdem  mehrere  Wegstrecken  gehen.  Wenn 
hier  keinerlei  Schwierigkeiten  bestehen,  kann  der  Patient  zu  den 
Steigungen  dritter  Ordnung  übergehen.  Die  Wege  vierter  Ordnung 
sind  nur  Kranken  mit  völlig  hergestellter  Herzkraft  gestattet, 
obwohl  sie  immer  noch  keinen  Vergleich  mit  den  Wegen  bei 
eigentlichen  Bergbesteigungen  aushalten.  Man  sieht,  wie  vor- 
sichtig der  in  diesen  Fragen  so  erfahrene  Oertel  das  Steigen 
therapeutisch  verwerten  wollte!  Ganz  besonders  hat  er  auch 
immer  auf  richtiges  Atmen  beim  Gehen  und  Steigen  hin- 
gewiesen. Nie  darf  mit  angehaltenem  Atem  gegangen  werden. 


24 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


Wo  die  Kurzatmigkeit  nicht  erlaubt,  daß  wie  normal  zwei  Schritte 
auf  die  Einatmung  und  zwei  Schritte  auf  die  Ausatmung  fallen, 
soll  doch  immer  der  Einatmung  und  der  Ausatmung  die  gleiche 
Zeit  zugemessen  werden.  Oertel  meint  auch,  daß  die  tiefe  Aus- 
atmung einen  direkten  Druck  auf  die  Herzoberfläche  ausübe  und 
dadurch  zur  Entleerung  des  Herzens  beitrage,  also  gewissermaßen 
eine  Massage  des  Herzens  ausübe.  Obwohl  Oertel  für  diese 
Auffassung  seine  Beobachtungen  am  Menschen  und  die  Tier- 
versuche von  Kronecker  und  Heinricius  anführt,  wird  diese 
Auffassung  von  den  meisten  Beobachtern  nicht  geteilt,  vielmehr 
wird  angenommen,  daß  auch  bei  der  gewaltsamsten  Ausatmung 
noch  genug  Residualluft  in  den  Lungen  bleibe,  um  keinen  posi- 
tiven Druck  auf  die  Herzoberfläche  eintreten  zu  lassen.  Da  die 
Glottis  offen  ist,  müßte  vorher  eben  alle  Luft  ausgetrieben  sein. 
Selbst  bei  geschlossener  Glottis  kann  davon  schwerlich  die  Rede 
sein.  Oertel  hat  einfach  den  Exspirationsdruck  und  den  Druck 
auf  das  Herz  einander  gleich  gesetzt,  aber  das  ist  sicher  verkehrt. 
Auch  die  von  ihm  empfohlene  sakkadierte  Atmung,  das  tiefe 
Einatmen  und  namentlich  das  Ausatmen  in  Absätzen,  hat  nur  insofern 
Bedeutung,  als  es  besonders  große  Atmungsausdehnungen  bewirkt. 

Von  Terrainkurorten  mit  den  von  Oertel  geforderten  Ein- 
richtungen und  günstigen  klimatischen  Verhältnissen  nennen  wir: 
Baden-Baden,  Wiesbaden,  Heidelberg,  Ischl,  Sankt  Blasien,  Triberg, 
Berchtesgaden,  Partenkirchen,  Friedrichroda,  Steinach  am  Brenner, 
Meran,  Bozen,  Arco,  Abbazia. 

Die  Indikationen  für  die  mechanische  Behandlung 
faßt  Oertel  wie  folgt  zusammen: 

Wenn  der  Zirkulationsapparat  selbst  noch  intakt  ist,  geben 
eine  Indikation  für  die  Anwendung  der  mechanischen  Behandlung 
der  Herzinsuffizienz: 

a)  Ernährungstörungen  der  verschiedensten  Art,  Zustände 
von  Inanition  und  Atrophie,  das  allgemein  zu  schwache  Herz 
( weakened  heart ) und  andere  angeborene  Schwächezustände,  wobei 
überall  auf  die  noch  bestehende  Leistungsfähigkeit  des  Herzens, 
die  wieder  von  der  Stärke  und  Elastizität  der  Herzwandung  ab- 
hängt, streng  Rücksicht  genommen  werden  muß. 

b)  Auch  Fälle,  wo  die  Herzschwäche  mit  nervösen  Störungen, 
Neurasthenie,  verbunden  ist,  werden  durch  entsprechende  Geh- 
und  Steigbewegungen  günstig  beeinflußt. 

c)  Wo  die  Herzschwäche  abhängt  von  Alter,  senilen  Ver- 
änderungen der  Muskulatur,  Atrophie  und  fettiger  Degeneration, 


Behandlung-  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  25 

sollten  durch  ein  richtiges  Maß  von  Bewegung,  am  besten  durch 
Gehen  in  der  Ebene,  die  noch  vorhandene  Herzkraft  bezw.  die 
noch  vorhandenen  gesunden  Muskelpartien  erhalten  werden;  selten 
kann  die  Herzkraft  durch  die  Steigbewegung  noch  erhöht  werden. 

d)  Die  nach  Infektionskrankheiten,  Typhus,  Diphtherie,  In- 
fluenza usw.  zurückgebliebene  Herzschwäche  hat  ihren  Grund  häufig 
in  schweren  degenerativen  Veränderungen  des  Muskelparenchyms 
und  verlangt  vielmehr  nach  Ablauf  der  Krankheit  noch  mehrere 
Wochen,  selbst  Monate  lang,  Buhe  und  Schonung,  und  die  me- 
chanische Behandlung  kann  nur  dann  eintreten,  wenn  nach  dieser 
Zeit  und  unter  Hebung  des  allgemeinen  Ernährungszustandes  noch 
eine  Insuffizienz  des  Herzmuskels  zurückbleibt,  ohne  daß  am  Herzen 
und  Pulse  Zeichen  für  das  Fortbestehen  der  vorausgegangenen 
Veränderungen  sich  finden  lassen. 

e)  Wo  Stromhindernisse  oder  andere  Beschädigungen  des 
Herzens  und  Zirkulationsapparates  vorhanden  sind,  hängt  die  In- 
dikation und  Kontraindikation  ganz  von  dem  speziellen  Falle  ab, 
es  muß  hier  auf  die  verschiedenen  Herzkrankheiten  verwiesen 
werden.  Im  allgemeinen  gelten  bei  der  Anwendung  der  mecha- 
nischen Behandlung  für  solche  Fälle  dieselben  Regeln,  die  eben 
angegeben  wurden. 

Außer  den  in  diesen  Sätzen  von  Oertee  angegebenen  Kontra- 
indikationen hat  man  nach  den  Erfahrungen  und  Meinungen 
anderer  Autoren  noch  etwa  folgendes  festzuhalten:  Ausgeschlossen 
ist  die  Terrainkur  bei  Koronarsklerose  und  den  danach  auftreten- 
den thrombotischen  Muskelerweichungen  des  Herzens  und  bei 
allen  anderen  erheblichen  Muskelveränderungen  des  Herzens,  bei 
erheblicher  Arteriosklerose,  bei  Aneurysma  der  Arterien,  bei  all- 
gemeiner Endarteriitis , bei  Nephritis  chronica,  bei  allen  ausge- 
prägteren Kompensationstörungen.  Besondere  Vorsicht  erheischen 
auch  die  Aortenfehler  überhaupt,  weil  bei  ihnen  die  starke  Span- 
nung im  Gefäßsystem  Apoplexie  oder  plötzliches  Versagen  der 
Herzkraft  möglich  macht. 

Besonderer  Erwägung  bedarf  es  auch,  ob  man  in  Verbindung 
mit  der  OERTELSchen  Terrainkur  auch  eine  wesentliche  Ein- 
schränkung der  Flüssigkeitszufuhr  noch  über  das  auf  S.  20  An- 
gedeutete hinaus  vornehmen  will.  Im  allgemeinen  kommt  das 
nur  für  die  Fettleibigen  in  Frage,  wir  verweisen  daher  hier  auf 
den  entsprechenden  Abschnitt. 

Ein  besonders  wichtiges,  vielleicht  das  wichtigste  Mittel  zur 
Herzübung  besitzen  wir  in  der  Wasserbehandlung  der  Herz- 


26 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


kranken.  Die  Vereinigung  von  Schonung  und  Übung,  von  Be- 
ruhigung und  Anregung,  die  überhaupt  die  große  Bedeutung  der 
Wasserbehandlung  ausmacht,  kommt  natürlich  auch  bei  den  Bä- 
dern der  Herzkranken  zur  Geltung.  Besondere  Beachtung  haben 
in  diesem  noch  ziemlich  jungen  Zweige  der  Bäderbehandlung  die 
kohlensauren  Solbäder  gefunden,  die  man  zuerst  auf  Grund 
der  in  Bad  Nauheim  gewonnenen,  zum  Teil  wirklich  über- 
raschenden Erfolge  systematisch  hei  Herzkranken  anwendete.  Die 
Theorie  ist  auch  hier  den  praktischen  Erfahrungen  nachgehinkt 
und  entbehrt  noch  jetzt  eines  sicheren  Standes.  Man  erklärt  sich 
die  zweifellosen  Wirkungen  nach  den  Beobachtungen  der  Nau- 
heim er  Badeärzte  damit,  daß  zunächst  die  Pulsfrequenz  im  Bade 
sinkt,  und  zwar  nachhaltig,  so  daß  eine  zweifellose  Entlastung  des 
Herzens  hinsichtlich  der  zu  leistenden  Arbeit  eintritt;  gleichzeitig 
bewirken  der  Hautreiz  des  Solbades  und  der  Kohlensäure  eine 
Erweiterung  der  Hautgefäße,  wodurch  abermals  das  Herz,  und 
zwar  diesmal  durch  Verringerung  des  Blutdrucks,  entlastet  wird. 
Immerhin  sind  die  Autoren  über  die  Verhältnisse  nicht  einig; 
von  manchen  wird  umgekehrt  eine  Erhöhung  des  Blutdrucks  als 
Badewirkung  angegeben  und  damit  mehr  der  übende  Wert  der 
Kur  in  den  Vordergrund  gestellt.  Jedenfalls  wirken  die  Bäder 
auch  je  nach  der  angewendeten  Temperatur  verschieden.  Die  Mit- 
teilung Schotts,  daß  das  dilatierte  Herz  sich  während  des  Bades 
verkleinere,  wird  durch  seine  Röntgenbilder  nicht  völlig  sicher- 
gestellt. Endlich  spielen  jedenfalls  die  Einwirkungen  des  Bades 
und  seiner  Hautreize  auf  das  Nervensystem  im  allgemeinen  und 
den  Vagus  im  besonderen  eine  wichtige  Rolle.  Bei  dem  großen 
Einfluß  der  Suggestion  auf  das  Befinden  vieler  Herzkranker  ist 
auch  der  Ruf  des  Kurortes  sicher  von  Bedeutung;  einen  weiteren 
Vorteil  bedeuten  die  bekannten  Gesamtwirkungen  einer  Kur  außer- 
halb der  Wohnung  des  Kranken  mit  ihren  psychischen  und  diä- 
tetischen usw.  Veränderungen.  — Außer  Nauheim  kommen  für 
diese  Kuren  natürlich  auch  die  anderen  Orte  mit  kohlensauren 
Solbädern  in  Frage,  die  z.  T.  noch  klimatische  und  andere  Vor- 
züge haben,  namentlich  Homburg  im  Taunus,  Soden  im  Taunus, 
Marienbad,  Kissingen  und  Oeynhausen,  endlich  die  in  der 
Wirkung  jedenfalls  nahestehenden  kohlensauren  Stahlbäder  von 
Cudowa,  Franzensbad,  Reinerz  u.  a.  Man  beginnt  gewöhn- 
lich mit  Bädern  von  33 0 0.  und  10  Minuten  Dauer,  bei  empfind- 
lichen Personen  zunächst  unter  Verminderung  des  Kohlensäure- 
gehalts durch  Beimischung  anderer  Quellen  oder  durch  Umrühren 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  27 

des  Wassers.  Da  der  Salz-  und  Kohlensäuregehalt  erwärmend 
auf  die  Haut  wirkt,  liegt  der  für  den  Körper  indifferente  Wärme- 
grad übrigens  tatsächlich  etwa  bei  30 °C.,  entsprechend  der  In- 
differenztemperatur des  einfachen  Wasserbades  von  34  °C.  Im 
ganzen  erscheint  es  ratsam,  nicht  mehr  als  drei  Bäder  in  der 
Woche  nehmen  zu  lassen  und  nicht  unter  27 °C.  hinunterzugehen, 
auch  die  Dauer  namentlich  der  kühleren  Bäder  nicht  wesentlich 
über  eine  Viertelstunde  auszudehnen.  Wesentlich  ist  ferner,  daß 
nach  dem  Bade  eine  Stunde  geruht  wird,  am  besten  innerhalb 
der  Badeanstalt,  um  die  Anstrengung  beim  Ankleiden  usw.  nicht 
sofort  auf  das  Bad  folgen  zu  lassen.  Wenn  der  Kranke  sich 
nach  dem  Bade  unbehaglich  fühlt  oder  fröstelt,  so  muß  das  Bad 
seiner  Empfindlichkeit  besser  angepaßt  werden. 

Man  kann  im  Notfälle  die  kohlensauren  Solbäder  zu  Hause 
nehmen  lassen,  am  besten  in  Form  der  von  Dr.  Ernst  Sandow 
in  Hamburg  oder  Quaglio  in  Berlin  gelieferten  Präparate  zur 
Erzeugung  der  Kohlensäure.  Werden  diese  genau  nach  der  bei- 
gegebenen Anweisung  bereitet,  so  moussiert  das  künstliche  Bad 
genau  so  stark  und  so  nachhaltig,  wie  das  natürliche.  Nur  für 
die  Badewannen  bedarf  es  der  Vorsicht,  wenn  man  nicht  das  Email 
der  eisernen  Wannen  oder  das  Metall  der  Zinkwannen  durch  die 
bei  der  Herstellung  freiwerdende  Säure  angreifen  will. 

Eine  Form  der  Bäder,  die  eine  Entleerung  überschüssiger 
Gewebssäfte  und  damit  eine  Entlastung  des  Herzens  herbeiführt, 
ohne  das  Herz  selbst  anzustrengen,  stellt  das  Elektrisch-Licht- 
Bad  dar.  Wegen  seiner  Eigenschaften  muß  auf  den  Abschnitt  VII 
verwiesen  werden;  Tatsache  ist,  daß  es  auch  bei  recht  empfind- 
lichen Herzkranken  keine  Störungen  hervorruft  und  somit  zur  An- 
regung der  Hauttätigkeit  auch  hier  gut  verwendet  werden  kann. 
Eine  Heilwirkung  auf  das  kranke  Herz  kommt  ihm  natürlich  nicht 
zu.  In  derselben  Weise  macht  man  auch  von  heißen  Sandbädern 
Gebrauch,  sie  werden  aber  in  dieser  Beziehung  voraussichtlich  bald 
von  den  angenehmeren  Lichtbädern  verdrängt  werden. 

Die  Arzneibehandlung  findet  auch  bei  den  chronischen  Herz- 
zuständen allerlei  Anzeigen. 

Von  manchen  beachtenswerten  Autoren  ist  die  Digitalis 
in  fortgesetzten  kleinen  Dosen  als  Herztonicum  empfohlen  worden. 
Naunyn  hat  diese  Anzeigen  nach  seiner  Erfahrung  zusammen- 
gefaßt; er  rät  gerade  für  die  Muskeldegenerationen  des 
Herzens  (d.  h.  für  die  arteriosklerotischen  Herzleiden,  die  Herz- 
schwäche der  Überernährten  und  Fettleibigen , Plethorischen, 


28 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


der  Überarbeiteten,  die  sogenannte  idiopathische  Hypertrophie 
und  Dilatation,  und  die  Herzschwäche  bei  Hypertrophie  des 
linken  Herzens  nach  alter  Nephritis)  kleine  Dosen  von  Digitalis, 
womit  man  die  Kranken  monate-,  selbst  jahrelang  unter  Digitalis- 
wirkung halten  könne.  Er  gibt  bei  dieser  von  Fraentzel  an- 
geregten Kur  Infuse  von  0,5  — 0,8  auf  150,0,  in  zweimal  24 
Stunden  eßlöffelweise  zu  verbrauchen,  läßt  3 — 4 Flaschen  ohne 
Unterbrechung  nehmen,  macht  dann  3 — 4 Tage  Pause  und  läßt 
nun  wieder  1 — 2 Flaschen  nehmen,  dann  wieder  3 — 4 Tage 
pausieren  und  nun  nochmals  1 — 2 Flaschen  nehmen;  damit 
pflege  die  erreichbare  günstige  Digitalis  Wirkung  erzielt  zu  sein. 
Nötigenfalls  gibt  er  dann  alle  5 — 7 Tage  einmal  im  Verlauf 
von  zweimal  24  Stunden  eine  Flasche  des  Infuses  und  geht  mit 
der  Dosis  dabei  allmählich  noch  herunter,  so  daß  der  Kranke  sich 
schließlich  nur  noch  einige  Tage  in  der  Woche  je  0,1 — 0,15  Digi- 
talis einverleibt.  Von  anderen  Ärzten  wird  in  derselben  Weise 
die  Digitalis  in  Pulvern  oder  Pillen  mit  Erfolg  angewendet.  — 
Anscheinend  verhalten  sich  verschiedene  Kranke  gegen  diese 
Methode  recht  verschieden;  bei  manchen  kommt  es  dabei  über- 
haupt zu  keiner  rechten  Digitalis  Wirkung  mehr,  und  man  sieht 
diese  erst  wieder  richtig  eintreten,  wenn  wieder  eine  längere  freie 
Zeit  eingeschaltet  ist  und  danach  wieder  größere  Dosen  gegeben 
werden.  Immerhin  ist  ein  Versuch  mit  dem  Fraentzel-Naunyn- 
schen  Verfahren  geraten.  Von  anderer  Seite  wird  noch  empfohlen, 
bei  niedriger  Pulszahl  die  Digitalis  mit  Atropin  in  Dezimilli- 
grammdosen zu  verbinden,  bei  Arterisklerose  mit  starker  Spannung 
im  Arterienkreislauf  das  den  Blutdruck  herabsetzende  Ergotin 
beizugeben. 


IJ;  Infus,  fol.  Digit.  (0,5)  150,0 
Atropin,  sulf.  0,002 
M.D.S.  3 mal  tägl.  1 Eßlöffel. 


IjS  Extr.  Secal.  corn.  8,0 
Pulv.  fol.  Digit.  2,0 
F.Pil.  50.  D.S.  3— 5 mal  tägl. 
2 Pillen. 


Eine  heilende  Wirkung  auf  manche  Herzleiden  glaubt  man 
vom  Jod  beobachtet  zu  haben,  insbesondere  da,  wo  arterio- 
sklerotische Veränderungen  vorliegen,  und  nicht  nur  da,  wo 
sie  durch  Syphilis  hervorgerufen  worden  sind.  Man  gibt  meistens 
Natrium  jodatum , dreimal  täglich  0,3 — 0,5  in  Lösung  in  Wasser 
oder  Aqua  Menthae  piperitae,  nach  den  Mahlzeiten,  neuerdings 
wohl  noch  besser  Jodipin  Merck  subkutan,  10  Tage  hintereinander 
je  5 ccm  des  25°/0igen  Präparates,  nötigenfalls  nach  einer  Pause 
von  4 — 6 Wochen  wiederholt,  oder  das  10°/0ige  Jodipin  inner- 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  29 


lieh,  dreimal  täglich  einen  Teelöffel  voll  mehrere  Wochen  hin- 
durch, ebenfalls  nach  einer  längeren  Pause  wiederholt,  während 
man  die  leicht  ausgeschiedenen  Jodsalze  monatelang  ununter- 
brochen anwenden  läßt. 


Natr.  jodati  3,0 — 5,0 
Aq.  Menth,  pip.  1 50,0 
D.S.  3 mal  tägl.  1 Eßl.  in  Wasser, 
nach  der  Mahlzeit. 


Jodipini  Merck  (10°/0)  100,0 
(in  Originalflasche) 

D.S.  3 mal  tägl.  1 Teelöffel. 


fjfc  Jodipini  Merck  (25°/0)  100,0 
D.S.  Zur  Einspritzung. 

Wohl  zu  beachten  ist,  daß  die  so  oft  bei  Herzkranken  ein- 
tretende Blutarmut  oder  Blutverschlechterung  den  Herz- 
muskel schädigt,  und  daß  man  dieser  Gefahr  durch  rechtzeitige 
und  nötigenfalls  öfters  wiederholte  Verabreichung  von  Eisen- 
präparaten,  Eisen  mit  Chinin , Sanguinal  mit  Chinin  oder  von 
Arsenik  Vorbeugen  kann.  Die  Wirkung  der  eigentlichen  Herz- 
mittel wird  dadurch  oft  sehr  auffallend  verbessert. 


IrjS!  Chinin,  hydrochl.  1,0 
Mass.  pilul.  Blaudii  25,0 
F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich 
2 Pillen  nach  dem  Essen. 


Ijfc  Acid.  arsen.  0,2 

Pulv.  et  Succ.  Liq.  10,0 
F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich 
1 Pille  nach  dem  Essen. 


Pil.  Sanguinal  Krewel  Nr.  100 
D.S.  3 mal  tägl.  2 Pillen. 

Eine  weitere  Einwirkung  der  Arzneibehandlung  im  schonenden 
Sinne  wird  häufig  durch  die  Anwendung  beruhigender  Mittel 
möglich  sein.  Es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  ein  auch  in  Zeiten 
guter  Kompensation  stürmisch  arbeitendes  Herz  seine  Kraft  vor- 
zeitig verbraucht.  Außer  den  früher  angeführten  physikalischen 
Mitteln  empfehlen  sich  hier  zu  gelegentlicher , am  besten  ab- 
wechselnder Anwendung  Baldriantropfen  oder  Baldriantee,  kalt, 
Bromnatrium  in  Halbgrammdosen  ein  oder  mehrmals  am  Tage, 
Opium  in  Dosen  von  0,02 — 0,03  in  Pulver  oder  Pillen  mehr- 
mals täglich,  Codeiri  oder  Dionin  mehrmals  täglich  0,01 — 0,02. 


I $ Opii  puri  0,02 — 0,03 
Sacch.  0,3 

M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  Mehrmals  tägl.  1 Pulver. 

1$,  Codeini  pliospli.  1,0 
Pulv.  et  Succ.  Liq.  5,0 
F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  täglich 

1 Pille. 


^ Opii  puri  1,0 — 1,5 

Pulv.  et  Succ.  Liq.  5,0 
F.Pil.  50.  CCC.  D.S.  3—5  mal 
tägl.  1 Pille. 

Ijfc  Dionini  0,3 

Aq.  amygd.  amar.  15,0 
M.D.S.  3 mal  tägl.  10  Tropfen 
(=  0,01). 


30 


Krankheiten  der  Kreislaufsorgane 


Behandlung  besonderer  Symptome  der  Herzkrankheiten. 

Bei  Herzklopfen  ist  die  leider  immer  wieder  vorkommende 
Verordnung  von  Digitalis  ein  Unding.  Ruhiges  Verhalten  des 
Kranken,  zweckmäßige  Behandlung  der  oft  zugrunde  liegenden 
Neurasthenie,  Vermeiden  der  im  einzelnen  Falle  erregend  wirken- 
den Einflüsse  (Kaffee,  Tee,  heiße  Speisen  und  Getränke  usw.),  An- 
wendung von  Herzbeutel  und  Herzflasche,  abendlichen  kalten  Um- 
schlägen, milden  Halbbädern  im  Laufe  des  Tages,  kaltem  Baldrian- 
tee oder  einfachen  Baldriantropfen,  lauen  Fußbädern,  Pkiessnitz- 
schen  Umschlägen  oder  entsprechenden  Einpackungen  der  Füße 
und  Unterschenkel  während  der  Nacht,  Senfteigen  auf  die  Waden  usw., 
schließlich  längere  Verabreichung  von  kleinen  Gaben  Brom,  öodein, 
Dionin  oder  Opium,  unter  sorgfältiger  Regelung  des  Stuhlganges 
sind  die  wichtigsten  Mittel , die  man  im  Einzelfall  auf  ihre 
Wirkung  zu  prüfen  hat.  Bei  Tachykardie  kommen  großenteils 
dieselben  Mittel  in  Frage.  Entsteht  sie  durch  Sympathicusreizung, 
wobei  sie  mit  Erblassen  des  Gesichts  und  Pupillenerweiterung 
einsetzt  und  unter  den  entgegengesetzten  Erscheinungen  und  unter 
Schweißausbruch  verschwindet,  so  kann  eine  Morphiumeinspritzung 
heilend  wirken;  in  anderen  Fällen,  wo  es  sich  um  Lähmung  der 
hemmenden  Vagusfasern  handelt,  ist  Digitalis  angezeigt.  Wichtig 
ist  natürlich  auch  die  Ätiologie:  Neurasthenie,  Anämie,  Magen- 
leiden, Klimakterium,  Coitus  interruptus,  BASEDOWsche  Krankheit. 

Die  Dyspnoe  der  Herzkranken  ist  oft  eine  Teilerscheinung 
der  gestörten  Kompensation,  auch  im  ersten  Anfänge,  und  muß 
dann  natürlich  ebenso  wie  diese  behandelt  werden.  Ist  dagegen 
keine  Störung  des  Kreislaufs  nachweisbar,  so  kommen  ableitende 
Mittel  wie  Senfteige  auf  die  Waden,  kalte  Handhäder,  Halbhäder 
mit  Begießungen  von  30°  C.  und  dergl.  in  Frage,  oder  man  gibt 
Camphora  monobromata  in  Dosen  von  0,05 — 0,1  mehrmals  täg- 
lich, Oxykampfer  in  seiner  50°/0igen  Lösung  ( Oxaphor ) zu 
40  Tropfen  mehrmals  täglich,  Codein  oder  Dionin , diese  zumal 
hei  der  häufigen  Dyspnoe  der  Kranken  mit  Aortenfehlem,  wo  es 
sich  nicht  um  Kompensationsfehler  handelt. 

Ähnlich  verfährt  man  mit  dem  Kopfdruck  der  Herzkranken. 

Die  Schlaflosigkeit  der  Herzkranken  wird  im  ganzen  nach 
den  allgemeinen  Regeln  behandelt,  die  bei  der  neurasthenischen 
Schlaflosigkeit  auseinandergesetzt  sind.  Mit  Schlafmitteln  sei  man 
hier  noch  vorsichtiger  als  gewöhnlich,  teils  um  ungünstige  Neben- 
wirkungen auf  das  Herz  zu  vermeiden,  teils  um  sich  nicht  für 


Behandlung  der  Herzkranken  außerhalb  der  akuten  Herzzustände  31 

schlechtere  Stadien  der  Hilfen  zu  berauben.  Ghloral  und  Morphium 
sind  besonders  nur  in  Notfällen  anzuwenden,  auch  Alkohol  ist  zu 
vermeiden.  Brom , Trional,  Paraldehyd,  Dormiol , Veronal  und 
noch  lieber  Laktophenin  oder  Kryofin  empfehlen  sich  noch  am 
meisten.  Bei  Herzmuskelschwäche  sieht  man  zuweilen  von  heißen 
Getränken  vor  dem  Einschlafen  gute  Wirkungen. 

Die  Angina  pectoris  wird  gelegentlich  durch  Ableitung 
auf  die  Haut  abgekürzt  (Senfteige,  heiße  Fußbäder  und  dergl.); 
in  schwereren  Fällen  erweisen  sich  Nitroglycerin  oder  Amylnitrit 
oder  das  entschieden  harmlosere  Scopolamin , in  subkutaner  An- 
wendung, wirksam , manchmal  kommt  man  nicht  wohl  ohne 
MorphiumQmsQritzung  aus.  In  den  Zwischenzeiten  gibt  man  Jod- 
natrium, Jodipin  oder  Nitroglycerin , dies  monatelaug. 


fcjfc  Chlorali  hydr.  1,0— 3,0 
Aq.  dest. 

Sir.  Aur.  cort.  ää  20,0 
M.D.S.  Vor  dem  Schlafen  auf 
1 oder  2 mal  zu  nehmen. 

Morph,  hydrochl.  0,015 
Sacch.  lact.  0,3 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  V. 

S.  Abds.  1 Pulver. 

Ijfc  (Dionini  0,2) 

Natr.  brom.  20,0 
Aq.  dest.  150,0 

M.D.S.  Abends  1 Eßl.  in  1 Wein- 
glas Wasser. 

Ijfc  Tabl.  Trionali  0,5  Nr.  X. 

D.S.  Abends  1 — 2 Tabletten. 


Paraldehydi  4,0 — 6,0 
Aq.  dest.  180,0 
Sir.  Rubi  Id.  ad  200,0 
M.D.S.  Wohlumgeschüttelt  die 
Hälfte  auf  einmal. 

Dormiol.  solut.  10,0 
D.S.  Mit  Meßglas  abgemessen, 
2 — 4 — 6 ccm  in  einem  Glas 
Wasser  verrührt. 

fjfc  Tabl.  Veronali  0,5  Nr.  X. 

D.S.  Abends  1 — 2 Tabletten. 

Lactophenini  1,0 

D.  tal.  dos.  X.  S.  Abds.  1 Pulver. 

^ Kryofini  0,5 

D.  tal.  dos.  XX.  S.  Abds.  1 Pulver. 


II 


Krankheiten  der  Atmungsorgane. 

1.  Krankheiten  der  oberen  Luftwege. 

Die  Nase  mit  ihrer  wichtigen  Funktion,  die  Atmungsluft  zu 
erwärmen  und  zu  reinigen,  bietet  in  zahlreichen  Fällen  Anlaß  zu 
therapeutischem  Eingreifen.  Es  darf  nicht  bezweifelt  werden,  daß 
ein  Organ,  wo  leichte  chronische  Yeränderungen  zu  ausstrahlen- 
den Schmerzen  und  zu  weitgehenden  reflektorischen  Störungen,  wie 
Asthma  und  Enuresis,  führen  können,  auch  in  solchen  Krankheiten 
besonderer  Rücksicht  bedarf,  wo  nicht  gerade  die  direkten  Folgen 
behinderter  Nasentätigkeit  deutlich  im  Vordergründe  stehen.  Auch 
darauf  muß  beständig  geachtet  werden,  daß  zersetzte  oder  keim- 
tragende Nasenflüssigkeit  im  Schlaf  und  wohl  auch  im  Wachen 
durch  den  Rachen  nach  unten  gelangt  und  die  tieferen  Luftwege 
und  den  Magen  beeinträchtigen  kann.  Es  ist  daher  eine  wich- 
tige Aufgabe  der  vorbeugenden  Behandlung,  daß  man  die 
Nase  gesund  zu  erhalten  sucht.  Dazu  gehört  auch  die  Fern- 
haltung gewaltsamer  Eingriffe,  die  vielfach  Ohne  genügenden  An- 
laß schwerwiegende  Zerstörungen  in  der  Nase  und  damit  grobe 
Schädigungen  ihrer  Funktion  hervorrufen.  Die  Hygiene  der 
Nase  erfordert,  daß  man  sich  soviel  wie  möglich  in  reiner,  staub- 
freier Luft  aufhalte.  Die  Schaffung  staubfreier  Straßen  in  den 
Städten,  die  Verminderung  der  Rauchplage  usw.  sind  wichtige 
Teile  dieser  Aufgabe,  aber  dem  Einflüsse  des  einzelnen  wenig  zu- 
gänglich. Um  so  mehr  kann  er  im  eigenen  Hause  leisten;  wenn 
sorgfältig  jede  Aufwirbelung  von  Staub  vermieden  wird  (durch 
nasses  Aufwischen  der  Fußböden)  und  möglichst  wenig  Staub  in 
die  Wohnungen  hineingebracht  wird  (Draußenlassen  beschmutzter 
Schuhe,  Verzicht  auf  Straßenschleppen,  die  ihren  Staub  auf  Grängen 
und  Teppichen  abladen,  Einführung  von  Zentralheizung  oder  mög- 
lichst staubfreier  Heizung  mit  verdeckbaren  Aschenkästen,  Reinigung 


Krankheiten  der  oberen  Luftwege 


33 


staubiger  Möbel  und  Geräte  im  Freien  usw.),  läßt  sich  die  Staub- 
gefahr in  der  Häuslichkeit  wesentlich  einschränken.  Auch  kann 
man  viel  tun,  um  seinen  Atmungsorganen  die  üblen  Einflüsse 
schlechter,  verdorbener  und  verräucherter  Luft  zu  ersparen,  in- 
dem man  auf  die  übliche  deutsche  Schüchternheit  in  Gasthäusern 
und  dergl.  verzichtet  und  Sauberkeit  und  Lüftung  überall  da  ver- 
langt, wo  man  verkehrt.  Ist  man  gezwungen,  staubige  Wege 
zu  gehen  oder  zu  fahren  oder  die  immer  staub-  und  rauchreichen 
Eisenbahnwagen  zu  benützen,  so  kann  man  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  für  seine  Atmungsorgane  sorgen,  indem  man  die  staub- 
zuführenden Fenster  der  Nichtwindseite  und  namentlich  die  Ven- 
tilation dieser  Seite  geschlossen  hält.  Wertvoll  ist  es,  vor  längeren 
Fahrten  die  innere  Seite  des  Naseneingangs  mit  etwas  Zinksalbe 
oder  dergleichen  einzufetten  und  sie  am  Ende  der  Fahrt  durch 
minutenlanges  Einlegen  eines  Wattetampons  zu  reinigen.  Durch 
die  Einfettung  wird  der  Staub  besser  im  Naseneingang  zurück- 
gehalten, von  wo  er  leicht  entfernt  werden  kann ; die  inneren  Teile 
der  Nase  und  der  Rachen  werden  dabei  erheblich  geschont.1  Regel- 
mäßige Ausspülungen  der  Nase  sind  zu  verwerfen,  weil  die 
zarte  Schleimhaut  solche  Eingriffe  übel  empfindet.  Höchstens  kann 
eine  Spülung  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  von  37°  C.  er- 
laubt werden,  unter  ganz  schwachem  Druck.  Sehr  empfehlens- 
wert erscheint  die  Einführung  kleiner  Stückchen  Formanwatte, 
in  den  Apotheken  in  handlichen  Metallkapseln  zu  30  Pfennig  vor- 
rätig, in  die  Nase,  aus  denen  man  Chlormethylmenthyläther  ein- 
atmet, der  desinfiziert  und  erfrischt.  Vorhandene  Schleimhaut- 
erkrankungen lasse  man  durch  einen  in  der  Nasenbehandlung  er- 
fahrenen Arzt  vornehmen,  der  nicht  allzu  operationslustig  ist  und 
als  wirklicher  Heilkünstler  dessen  eingedenk  ist,  daß  er  ein  äußerst 
zartes  und  verletzliches  Organ  vor  sich  hat.  Die  rohe  Zerstörung 
des  Naseninneren  durch  Brennen  und  Meißeln,  die  eine  Zeitlang 
geradezu  Mode  war,  hat  schon  vielen  Kranken  geschadet. 

Eine  besondere  Rücksicht  verdient  die  Tatsache,  daß  die 
Nasenschleimheit,  wie  bekannt,  reflektorischen  Entzündungen 
nach  Erkältungen  anderer  Teile  sehr  ausgesetzt  ist.  Hier 
wie  bei  allen  Erkrankungen  der  Atmungsorgane  ist  daher  mit 
Nachdruck  dahin  zu  wirken,  daß  diese  Neigung  zu  Erkältungen 
durch  regelmäßige  Hautpflege  bekämpft  werde.  Die  einmal  ein- 
getretene Erkältung,  der  Schnupfen,  ist  ebenso  wie  die  akuten 


1 Auch  bei  Fieberkrankheiteil  ist  dies  Verfahren  zu  empfehlen. 
Dornblüth,  Therapie.  3 


34 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


Kehlkopfkatarrhe  am  besten  einer  diaphoretischen  Behand- 
lung zugänglich,  die  mit  reichlicher  Zufuhr  heißer  Getränke 
(Tee,  Lindenblütentee,  Fliedertee,  auch  wohl  Grog)  und  örtlich 
mit  Priessnitz  sehen  Umschlägen  um  den  Hals,  mit  einem  in 
möglichst  kaltes  Wasser  getauchtem  Leintuch  und  darüber  ge- 
legtem trocknen  Flanell,  ohne  wasserdichten  Stoff,  vorgenommen 
wird.  Daneben  ist  die  erste  Anzeige  die  der  Ruhe  des  er- 
krankten Organs.  Bei  der  Nase  handelt  es  sich  wesentlich 
um  das  Verbot  des  Schneuzens,  soweit  es  durchführbar  ist;  man 
kann  es  sehr  erleichtern  durch  die  vorhin  erwähnte  Forman- 
watte  oder  durch  öftere  Einatmung  einiger  Tropfen  Menthol- 
chloroform aus  der  hohlen  Hand.  Diese  anästhesierende  Methode 
ist  entschieden  zweckmäßiger  und  auch  wirksamer  als  die  früher 
verbreitete  Reizung  durch  Salmiakgeist.  Auch  für  den  gereizten 
Kehlkopf  empfiehlt  sich  die  Mentholeinatmung,  unterstützt  durch 
das  Auflösen  von  Mentholbonbons  im  Munde,  bisher  am  besten 
in  Form  der  BENGUEschen  Mentholdragees.  Bei  Kehlkopf- 
katarrhen und  Entzündungen  ist  vor  allen  Dingen  das  Spre- 
chen und  das  Husten  nach  Möglichkeit  einzuschränken.  Das 
Verbot  des  Sprechens  sollte  in  allen  schwereren  Fällen  durch- 
greifend sein,  denn  es  ist  anzunehmen,  daß  das  an  seine  Stelle 
tretende  Flüstern  den  Kehlkopf  ebenso  anstrengt,  wie  deutliches 
Sprechen.  Der  Husten  ist  viel  mehr  durch  den  Willen  zu  unter- 
drücken, als  gewöhnlich  angenommen  wird;  oft  beantworten  die 
Kranken  mehr  gewohnheitsmäßig  auch  den  leisesten  Reiz  in  der 
Kehle  mit  lauten  Hustenstößen,  werden  aber  durch  die  ärztliche 
Aufklärung  über  die  Schädlichkeit  solcher  Reizung  schnell  ge- 
heilt. Wo  der  Wille  nicht  ausreicht,  weil  die  krankhafte 
Reizung  zu  groß  ist,  kann  man  sie  erstens  durch  die  sogenann- 
ten lösenden  Getränke:  Selterswasser  mit  heißer  Milch,  auf- 
gelöste Emser  Pastillen,  Brusttee  und  dergl.  vermindern  oder  zwei- 
tens, was  im  ganzen  sicherer  wirkt,  kleine  Gaben  von  Codein 
oder  Dionin  oder  Heroin  oder  Morphium  anwenden.  Ein  fünftel 
der  zur  Schmerzstillung  üblichen  Anfangsgabe  dieser  Mittel  er- 
weist sich  zur  Stillung  von  Hustenreiz  am  zweckmäßigsten,  also 
bei  Morphium  etwa  0,002,  bei  Codein  0,005  pro  dosi  usw.,  und 
diese  Dosis  läßt  man  so  oft  wiederholen,  wie  der  Hustenreiz  sich 
erneuert.  Wo  der  Husten  zu  Kopfschmerz  führt,  kann  man  zweck- 
mäßig das  Codein  mit  Chinin  verbinden.  In  vielen  Fällen  zeigt 
sich  übrigens  schon  die  Wirkung  der  Formanwatte  oder  der 
Mentholdragees  als  genügend  wirksam. 


Krankheiten  der  oberen  Luftwege 


35 


^ Cod.  phosph.  0,15 — 0,3  (oder 
Dionini  0,3  oder  Heroini  0,1) 
Aq.  amygd.  amar.  15,0 
M.D.S.  Bei  Hustenreiz  10  Tropfen 
(0,005—0,01  Codein). 


^ Cod.  phosph.  0,3 
Chin.  hydr.  0,6 
Succ.  Liq.  dep.  q.  s. 

F.Pil.  30.  D.S.  3 — 5 mal  tägl. 
1 Pille. 


Vielfach  werden  auch  Inhalationen  aus  den  bekannten  In- 
halationsapparaten mit  Spiritusheizung  als  reizmildernd  angewendet, 
am  besten  mit  Natr.  chlorat.  et  Natr.  bicarb.  ana  2,0:250,0  Aq. 
dest.,  4 — 5 mal  täglich  für  einige  Minuten  angewendet.  Der  Ge- 
brauch setzt  eine  gewisse  Ruhe  und  Intelligenz  des  Kranken  voraus, 
gewaltsame  Anstrengungen  heim  Einatmen  oder  Einziehen  zu  heißer 
Dampf  luft  oder  mitgerissener  Heiß  wassertropfen  schaden  jedenfalls 
oft  mehr,  als  durch  die  Inhalation  genützt  wird.  — Von  recht 
guter  Wirkung  sind  oftmals  Ableitungen  durch  warme  Fuß- 
bäder, 40°  C.,  5 — 10  Minuten  lang,  oder  durch  Halbbäder 
von  34°  C.  und  4 Minuten  Dauer,  täglich  eins. 

Nasenkatarrhe  werden  durch  den  Genuß  alkoholischer 
Getränke  ungünstig  beeinflußt,  wahrscheinlich  durch  die  be- 
kannte Reizung  des  Rachens,  die  sich  nach  oben  hin  fortpflanzt. 
Noch  schädlicher  wirkt  das  Rauchen,  das  also  jedenfalls  für  die 
akuten  und  für  die  schwereren  chronischen  Katarrhe  zu  verbieten 
ist.  Dasselbe  gilt  auch  für  die  Katarrhe  des  Kehlkopfes,  und 
zwar  ist  zu  beachten,  daß  der  Kehlkopf  weit  mehr  durch  die  in 
der  Atmungsluft  enthaltenen  Rauchteile  gereizt  wird,  als  durch  den 
vermeintlich  eingeatmeten,  in  Wirklichkeit  nur  vom  Munde  ein- 
gesogenen Rauch  der  eigenen  Zigarre.  Es  ist  demnach  weniger  schäd- 
lich, im  eigenen,  gut  gelüfteten  Zimmer  eine  Zigarre  zu  rauchen,  als 
ohne  Zigarre  in  einem  von  anderen  vollgeräucherten  Raum  zu  sitzen ! 

Für  die  Kehlkopfkatarrhe  der  Kinder  ist  das  Gebot  der 
Schonung  besonders  auch  so  zu  verstehen,  daß  man  alles  ver- 
meidet, was  sie  zum  Schreien  bringt.  Die  zum  Zweck  aller- 
feinster Diagnose  vorgenommenen  Kehlkopfspiegelungen  schaden 
dadurch  oft  mehr,  als  durch  die  feinere  Diagnose  gewonnen  werden 
kann.  Wo  die  Erscheinungen  des  Pseudokrups  auftreten,  emp- 
fehlen sich  besonders  heiße  Umschläge  auf  die  Vorderseite  des 
Halses.  Der  Arzt  soll  auch  immer  daran  denken,  daß  ähnliche 
Erscheinungen  durch  Wucherungen  im  Nasenrachenraum  und  durch 
geschwollene  Mandeln  hervorgerufen  werden  können,  ferner  daß 
der  gefürchtete  Stimmritzenkrampf  mindestens  in  der  großen 
Mehrzahl  der  Fälle  ein  Zeichen  von  Rachitis  ist  und  demgemäß 
auch  allgemein,  am  besten  mit  Phosphor,  behandelt  werden  muß. 

3* 


36 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


Die  chronischen  Nasen-  und  Kehlkopfkatarrhe  der 
Erwachsenen  erfordern  vielfach  örtliche  Eingriffe,  von  denen  der 
Praktiker  aber  nur  die  einfacheren  und  milderen  vornehmen  sollte. 
Für  die  Nase  möchten  wir  diese  Eingriffe  auf  Einblasungen  von 
Sozojodolnatriumpulver,  für  den  Kehlkopf  auf  Einblasungen  von 
Argentum-nitricum-Mischungen  und  dergl.  beschränkt  sehen;  alles 
andere  ist  besser  den  Spezialisten  zu  überlassen,  insbesondere  die 
Ätzungen,  Brennungen  und  blutigen  Eingriffe.  Die  chronischen 
Kehlkopfkatarrhe  erfordern  aus  Gründen  der  Schonung  vielfach 
die  Loslösung  des  Kranken  von  seinem  Beruf  und  die  Ver- 
setzung in  ein  günstigeres  Klima,  ähnlich  wie  es  weiterhin  für 
den  chronischen  Bronchialkatarrh  genauer  ausgeführt  werden  soll. 

Die  örtliche  Massage  und  Faradisation  finden  beson- 
ders hei  nervösen  Störungen  der  Kehlkopfmuskeln  Verwendung, 
hier  oft  mit  großem  Erfolge,  namentlich  die  erheblich  suggestiv 
.wirkende  Vibrationsmassage  und  der  faradische  Pinsel.  Selbst- 
verständlich hat  man  sich  vor  allen  zu  groben  Einwirkungen  zu 
hüten;  der  Arzt  darf  nie  vergessen,  daß  er  immer  nur  durch 
den  Eindruck  der  ärztlichen  Leistung,  nicht  durch  Furcht  und 
Schrecken  suggestiv  einwirken  darf. 


2.  Krankheiten  der  tieferen  Luftwege. 

Die  Trachea  und  die  Bronchien  sind  den  Schädlichkeiten 
der  Atmungsluft  fast  ebenso  ausgesetzt,  wie  die  oberen  Luftwege; 
seihst  gröbere  Staubkörner  werden  durch  wandernde  Zellen  bis 
in  die  Alveolen  und  das  Gewebe  der  Lungen  hineingetragen.  Da- 
gegen ist  die  örtliche  Beeinflussung  erkrankter  Teile  schon  er- 
heblich schwieriger  als  bei  den  oberen  Wegen;  die  gelösten  Arznei- 
bestandteile  der  zerstäubten  Inhalationsflüssigkeiten  bleiben  wohl 
immer  in  den  oberen  Wegen  hängen,  und  die  heiße  oder  kalte 
Luft,  auf  deren  Heilwirkung  vielfach  gerechnet  wurde,  wird  eben- 
falls spätestens  im  Rachen  auf  Körpertemperatur  gebracht.  Arznei- 
liche Einwirkungen  sind  wesentlich  nur  von  solchen  Stoffen  zu 
erwarten,  die  in  Gasform  der  Atmungsluft  heigemischt  sind. 

Sehr  vielfach  ist  der  Versuch  gemacht  worden,  die  Lunge 
auf  direktem  physikalischem  Wege  zu  beeinflussen,  indem  man 
verdichtete  Luft  einatmen  oder  in  verdünnte  Luft  ausatmen 
ließ.  Die  Einatmung  verdichteter  Luft  sollte  erstens  dazu  bei- 
tragen, die  aus  krankhaften  Gründen  mangelhafte  Erweiterung 
der  Lunge  zu  vermehren,  und  zweitens  der  verringerten  Atmungs- 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


37 


Oberfläche  den  nötigen  Sauerstoff  gewissermaßen  in  konzentrier- 
terer Mischung  Zufuhren.  Beide  Beweggründe  halten  vor  ge- 
nauerer Betrachtung  nicht  stich.  Sowohl  bei  der  von  den 
Atmungsmuskeln  her  verstärkten  passiven  Ausdehnung  der  Lunge 
wie  bei  der  aktiven  Dehnung  durch  die  unter  stärkerem  Drucke 
eintretende  Luft  kann  man  nicht  darauf  rechnen,  daß  die  Wirkung 
sich  auf  die  ungenügend  erweiterten  Alveolen  erstreckt,  vielmehr 
besteht  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  nur  eine  vermehrte  Erweiterung 
der  ohnehin  schon  vikariierend  aufgeblasenen  Alveolen  eintreten 
wird,  also  ein  ganz  unerwünschtes  Ergebnis.  Ferner  ist  es  ein 
physiologisches  Mißverständnis,  wenn  man  von  einer  konzentrier- 
teren Sauerstoffzufuhr  eine  Erleichterung  der  Sauerstoffaufnahme 
ins  Blut  erwartet,  denn  diese  ist  eine  Funktion  der  Zellen  des 
Blutes  und  geht  nicht  etwa  mit  der  Reichlichkeit  des  anwesenden 
Sauerstoffs  parallel.  Ebenso  wenig  bringt  die  Ausatmung  in  ver- 
dünnte Luft  tatsächlich  eine  verbesserte  Ausatmung  zustande,  da- 
gegen vermehrt  sie  den  Blutgehalt  der  Atmungsschleimhäute,  was 
im  allgemeinen  jedenfalls  nicht  erwünscht  ist.  Wenn  trotzdem 
die  WALDENBURGSchen  und  andere  Apparate  zur  Einatmung  ver- 
dichteter Luft  usw.  vielfach  empfohlen  worden  sind  und  nicht 
selten  auch  wirklich  gutes  bewirken,  so  liegt  der  Grund  dafür 
anderswo,  hauptsächlich  in  der  damit  verbundenen  Atemgym- 
nastik. Sie  veranlassen  beim  Gebrauch  mechanisch  zu  tiefer 
Einatmung  und  tiefer  Ausatmung;  die  letztere  ist  ebenfalls  sehr 
wichtig,  wird  aber  bei  der  herkömmlichen  Atemgymnastik  ge- 
wöhnlich über  dem  Gebot  tiefen  Einatmens  völlig  vernachlässigt. 
Daneben  scheint  die  Einatmung  verdichteter  Luft  tatsächlich  eine 
günstige  Wirkung  auf  Katarrhe  der  Bronchialschleimhaut  zu  haben. 
Auf  jeden  Fall  soll  man  solche  Apparate  den  Kranken  nur  unter 
besonderen  Vorsichtsmaßregeln  überlassen,  erstens  hinsichtlich  der 
Reinlichkeit,  um  die  Übertragung  von  Tuberkulose  zu  verhindern, 
und  zweitens  hinsichtlich  des  zu  verwendenden  Druckes  und  der 
Übungsdauer.  Zu  große  Steigerung  des  Druckes  führt  nicht  nur 
Emphysem  der  Lunge  herbei,  sondern  beeinträchtigt  auch  die 
Herztätigkeit,  insbesondere  den  Zufluß  des  venösen  Blutes  zum 
Herzen.  Wir  sind  daher  der  Meinung,  daß  man  sich  mindestens 
da,  wo  nicht  der  WALDENBURGsche  Apparat  oder  die  pneuma- 
tischen Kammern  unter  ärztlicher  Aufsicht  und  unter  Mit- 
wirkung besonderer  Erfahrung  gebraucht  werden  können,  am  besten 
auf  einfache  Atemgymnastik  ohne  Apparate  beschränkt.  Ihre 
beste  Wirkung  hat  aber  auch  diese  nicht  als  Heilmittel  für  Krank- 


38 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


heiten  der  Lunge,  sondern  als  vorbeugendes  Mittel,  um  durch 
Übung  und  Kräftigung  der  Atmungsmuskeln  und  Herstellung 
einer  ausreichenden  vitalen  Kapazität  der  Lunge  ein  kräftiges, 
gleichmäßig  funktionierendes  und  widerstandskräftiges  Organ  zu 
schaffen.  Der  zu  gunsten  der  pneumatischen  Kammern  ange- 
führte Umstand,  daß  der  darin  auf  den  ganzen  Körper  wirkende 
erhöhte  Luftdruck  die  Darmgase  zusammendrücke,  damit  das 
Zwerchfell  herabsteigen  mache  und  die  Ausdehnung  der  Lunge 
erleichtere,  ist  jedenfalls  sehr  gesucht.  Eine  Ausdehnung  der 
Därme,  die  das  Zwerchfell  hinaufdrängt  und  die  Atmung  behin- 
dert, erfordert  sicher  andere  Mittel,  als  die  zeitweilige  Kompression 
der  Darmgase  in  der  pneumatischen  Kammer.  Die  Heilwirkungen, 
worüber  zahlreiche  Berichte  vorliegen,  erlauben  denn  auch  ganz 
andere  Deutungen.  Vor  allem  wird  man  die  tatsächlich  erfolgende 
Atemgymnastik,  den  psychischen  Effekt  des  eigenartigen  Ver- 
fahrens und  die  ganze  Wirkung  des  Aufenthaltes  an  dem  Kurorte 
heranziehen  müssen. 

Die  Atemgymnastik  durch  langsame  tiefe  Einatmungen  und 
Ausatmungen  ohne  Apparat  ist  um  so  wichtiger,  weil  die  chronisch 
eintretende  Minderatmung  vieler  Bronchial-  und  Lungenkranken 
oft  ganz  unvermerkt  bleibt  und  nicht  wie  die  akute  Dyspnoe 
bei  Lungen-  und  Herzkranken  durch  Mehrleistung  der  Einatmungs- 
muskeln ausgeglichen  wird.  Wenn  der  Luftdurchtritt  durch  die 
feineren  Bronchien  durch  die  Schwellung  der  Schleimhaut  er- 
schwert ist,  so  wird  durch  einen  kräftigen  Atmungsstrom  das 
Hindernis  noch  überwunden  werden,  bei  unkräftiger  Atmung 
dagegen  wird  leicht  eine  Verlegung  und  infolge  davon  Atelektase 
der  zugehörigen  Lungenteile  eintreten.  Kräftige  Atemmuskeln 
können  natürlich  auch  viel  besser  die  Hindernisse  überwinden, 
die  der  Lungenentfaltung  nach  pleuritischen  Erkrankungen  im 
Wege  stehen.  Unter  gesunden  Verhältnissen  genügt  zur  Lungen- 
gymnastik einfaches,  langsames  Tiefein-  und  Tiefausatmen ; bei 
bestimmten  Krankheiten  kann  man  versuchen,  durch  Fixieren  der 
Brustwand  über  den  gesunden  Teilen  eine  vermehrte  Atmung  in 
den  mangelhaft  beweglichen  Lungenteilen  zu  erzielen.  Den  ver- 
schiedenen Vorrichtungen,  die  zu  diesem  Zwecke  angegeben  worden 
sind,  ziehen  wir  bei  weitem  die  manuelle  Fixierung  durch  den 
behandelnden  Arzt  oder  die  ärztlich  beaufsichtigten  Übungen  an 
ZANDERapparaten  und  dergl.  vor,  denn  auch  der  beste  Apparat 
kann  schaden,  wenn  er  vom  Patienten  nicht  richtig  angelegt  wird. 
Auch  bei  den  Apparaten,  die  dem  Kranken  die  erschwerte  Aus- 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


39 


atmung  erleichtern  sollen,  wie  der  von  Rossbach  empfohlene 
ZoBEKBiERSche  Atmungsstuhl,  ist  immerhin  die  Gefahr  des  Miß- 
brauchs vorhanden,  so  daß  man  für  die  meisten  Fälle  lieber  die 
ungefährliche  Unterstützung  der  Ausatmung  durch  den  Druck 
der  eigenen  Hände  empfehlen  wird. 

Yon  großer  Wichtigkeit,  von  viel  größerer  als  die  direkte 
Beeinflussung  der  Lungen,  ist  die  indirekte,  die  durch  nervöse 
Einflüsse  vermittelt  wird,  zumal  durch  die  Hydrotherapie. 
Bekannt  ist  die  mächtige  Anregung  der  Einatmung  durch  Kalt- 
wasseranwendung  auf  den  Rücken  und  besonders  auf  den  Nacken. 
Auch  da,  wo  infolge  von  Kohlensäureanhäufung  im  Blut  die  At- 
mung schwer  daniederliegt,  wo  Cheyne  - Stokes  sehe  intermit- 
tierende, an-  und  abschwellende  Atmung  vorhanden  ist,  vermag 
man  durch  Kältereizung  des  Nackens  wieder  kräftige  Atmung 
hervorzurufen.  Am  häufigsten  werden  zu  diesem  Zwecke  kalte 
Begießungen  des  Nackens  und  Rückens  im  warmen  Bade  angewendet; 
vielfach  erreicht  man  schon  genug,  wenn  man  nur  recht  kalte  nasse 
Umschläge  auf  den  Nacken  legt  und  sie  von  Zeit  zu  Zeit  erneuert, 
so  daß  immer  wieder  ein  frischer  Reiz  eintritt. 

Eine  andere  Form  der  indirekten  Beeinflussung  der  Lungen 
geschieht  durch  nasse  Einwicklung  des  Thorax.  Hierbei 
tritt  nur  im  Anfang,  wenn  das  kühle  nasse  Leintuch  um  den 
Brustkorb  geschlungen  oder  auf  einen  Teil  desselben  aufgelegt 
wird,  ein  Reiz  zu  tieferer  Einatmung  ein;  wenn  sich  demnächst 
das  Leintuch  unter  dem  darübergelegten  trockenen  Flanell  er- 
wärmt, besteht  die  Wirkung  wie  bei  allen  feuchtwarmen  Um- 
schlägen in  einer  Anregung  des  Blutumlaufs  und  der  Zelltätig- 
keit in  den  darunterliegenden  Teilen.  Gerade  bei  den  Bronchial- 
und  Lungenerkrankungen  ist  die  günstige  Wirkung  sehr  deutlich; 
die  Schmerzen  der  Atemmuskeln  und  der  Pleura  werden  verringert 
oder  hören  auf;  der  Hustenreiz  wird  vermindert,  die  Absonderung 
der  Schleimhaut  verflüssigt  und  das  Aushusten  erleichtert;  an 
Stelle  quälender  Atemnot  tritt  sehr  oft  ruhige  und  befriedigende 
Atmung  ein.  Daher  wird  mit  Recht  bei  allen  Erkrankungen 
der  tieferen  Atmungswege  ausgedehnter  Gebrauch  von  Priess- 
NiTZsehen  Umschlägen  gemacht,  entweder  in  Form  des  gewöhn- 
lichen Brustumschlags,  wobei  das  in  kühles  Wasser  getauchte 
und  gut  ausgerungene  leinene  Handtuch  unter  den  Achseln  durch- 
geführt rings  um  den  Brustkorb  gelegt  und  mit  einer  Flanell- 
binde oder  einem  Flanelltuch  überdeckt  und  schließlich  mit  Bändern 
oder  Sicherheitsnadeln  gut  befestigt  wird,  oder  in  Form  der  die 


40 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


ganze  Lunge  beeinflussenden  Kreuzbinde;  man  benutzt  dazu 
am  bequemsten  zwei  nasse  Handtücher  und  legt  jedes  von  einer 
Achselhöhle  vorn  über  die  Brust,  über  die  entgegengesetzte 
Schulter  und  über  den  Rücken  bis  zur  ersten  Achselhöhle  zurück, 
so  daß  also  auch  der  obere  Teil  des  Brustkorbes  bedeckt  wird. 
Stets  muß  der  Umschlag  kalt,  höchstens  20°  C.  warm,  angelegt 
werden,  damit  die  nötige  Wärmereaktion  eintritt;  der  Umschlag 
bleibt  so  lange  liegen,  bis  er  trocken  geworden  ist,  im  allgemeinen 
eine  Nacht  über  oder  einen  Tag  hindurch.  Einen  häufigeren 
Wechsel  nimmt  man  nur  vor,  wenn  man  zugleich  eine  Erniedrigung 
der  Körperwärme  oder  eine  kräftigere  Anregung  der  Atmung 
erreichen  will.  Abgesehen  yon  der  Kinderpraxis  sind  dazu  aber 
laue  Bäder  mit  kühlen  Begießungen  zweckmäßiger.  Einen  Er- 
satz für  die  Kreuzbinde  gibt  auch  ein  ärmelloses  baumwollenes 
Leibchen,  das  in  Wasser  getaucht  und  ausgerungen  wird,  mit 
einem  darüber  gezogenen  trockenen  Wollleibchen. 

In  chronischen  Krankheiten  der  Atmungsorgane,  so  auch 
in  den  Ruhestadien  der  Lungentuberkulose,  lassen  sich  viel- 
fach Halbbäder  (32 — 30 — 28°  C.)  mit  Bespülungen  mit  dem- 
selben Wasser,  sowie  nasse  Abreibungen  von  30°  C.  vorteil- 
haft verwenden.  Sowohl  die  milde  Anregung  der  Atmung  wie 
die  Abhärtung  der  Haut  und  die  Anregung  des  gesamten  Stoff- 
wechsels und  des  Nervensystems  machen  diese  Anwendungen  sehr 
wertvoll.  Die  Halbbäder  sind  das  mildere,  weniger  anregende, 
als  zugleich  beruhigende  Verfahren,  was  namentlich  bei  nervösen 
Kranken  wohl  zu  beachten  ist.  Bei  akuten  Lungenkrankheiten, 
insbesondere  bei  der  Pneumonie  und  bei  der  kapillären 
Bronchitis,  kommen  die  Halbbäder  auch  wegen  ihrer  antipy- 
retischen Wirkung  in  Frage.  Im  ganzen  kommt  man  dabei 
mit  Halbbädern  von  30°  0.  weit  genug;  der  Unterschied  gegen 
die  fieberhafte  Hauttemperatur  ist  groß  genug,  um  eine  erhebliche 
Wärmeabgabe  zu  erzielen,  zumal  da  die  dem  Kranken  angenehme 
Temperatur  des  Bades  die  Hautgefäße  weit  genug  läßt.  Die  viel- 
fach empfohlenen  kühleren  Halbbäder  oder  Bäder  ebenso  wie  die 
allmähliche  Abkühlung  derselben  durch  Zugießen  von  kaltem 
Wasser  ist  für  die  Kranken  viel  weniger  angenehm,  die  Badenden 
werden  dadurch  ängstlich  und  aufgeregt,  und  das  wird  man  um 
so  eher  vermeiden,  weil  die  wärmeentziehende  Wirkung  des 
Bades  ja  nicht  einmal  die  Hauptsache  ist;  die  Anregung  der 
Atmung  und  des  Nervensystems  erfolgt  auch  im  Halbbade  von 
30°  gut  genug,  und  die  Kräfte  werden  mehr  geschont  als  bei 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


41 


den  kalten  Bädern  und  Begießungen.  Zudem  ist  man  bei  den 
milderen  Bädern  sicher,  daß  keine  Schädigung  durch  die  Ab- 
kühlung eintritt,  während  dies  bei  schroffem  Vorgehen  namentlich 
im  Kindesalter  zweifellos  öfters  vorkommt. 

Es  darf  nicht  übersehen  werden,  daß  die  Lage  des  Kranken 
bei  den  ernsteren  Erkrankungen  der  tieferen  Luftwege  von  Be- 
deutung ist.  Der  Teil,  auf  dem  der  Kranke  liegt,  wird  bei  der 
Atmung  weniger  bewegt;  deshalb  legt  sich  der  an  akuter  Pleuritis 
Leidende  unwillkürlich  auf  die  erkrankte  Seite.  So  zweckmäßig 
diese  Ruhigstellung  bei  der  exsudativen  Pleuritis  ist  — wo  ja 
überhaupt  absolute  Liegeruhe  auf  das  strengste  vorzuschreiben 
ist  — , so  gefährlich  kann  sie  bei  Bronchitis  werden,  indem  da- 
mit die  Expektoration  aus  bestimmten  Lungenteilen  aufhört  und 
Senkungen  des  Sekretes  und  des  Blutes  zustande  kommen.  Wie 
schon  S.  2 erwähnt  ist,  hat  Bernhard  von  Gudden  nach- 
gewiesen, daß  sich  die  gefürchteten,  meist  tötlich  endenden  Senkungs- 
und Stauungspneumonien  benommener  und  schwacher  Kranker 
mit  einiger  Sicherheit  verhüten  lassen,  wenn  man  die  Kranken 
regelmäßig  in  kurzen  Zwischenräumen  eine  andere  Lage  einnehmen 
läßt.  In  der  GüDDENsehen  Anstalt  wurden  die  betreffenden 
Kranken  von  dem  Pflegepersonal  alle  viertel  Stunden  anders  ge- 
legt, bald  auf  diese,  bald  auf  jene  Seite,  bald  diagonal,  bald  auf 
den  Rücken.  Auch  bei  weniger  gefährlichen  Zuständen  ist  das 
Verfahren  zur  Begünstigung  der  Expektoration  zu  empfehlen. 
Manchmal  kommen  Kranke,  die  schwer  aushusten  können,  auch 
von  selbst  darauf,  daß  es  ihnen  besser  gelingt,  wenn  sie  sich 
dazu  auf  den  Bauch  legen. 

Die  schweißtreibenden  Methoden  finden  bei  den  Er- 
krankungen der  tieferen  Luftwege  wenig  Anwendung  mehr.  Im 
Volksmunde  gehören  sie  freilich  auch  beim  „Bronchialkatarrh“ 
zu  den  ersten  Mitteln.  Man  muß  aber  nicht  vergessen,  daß  das 
Volk  (und  leider  auch  mancher  Arzt)  jede  Hustenkrankheit  für 
Bronchialkatarrh  erklärt,  wenn  sie  sich  nicht  etwa  durch  schwerere 
Krankheitserscheinungen  als  Lungenentzündung  oder  Brustfell- 
entzündung zu  erkennen  gibt.  Die  Mehrzahl  der  sogenannten 
akuten  Bronchialkatarrhe  und  Trachealkatarrhe  würde  mit  Recht 
als  Rachenkatarrh  bezeichnet  werden.  Die  Verkennung  hat 
zum  Teil  darin  ihren  Grund,  daß  aus  anatomisch-physiologischen 
Gründen  die  Sensationen,  die  im  Rachen  in  der  Nähe  des  Gaumen- 
segels entstehen,  in  die  Gegend  unterhalb  des  Kehlkopfes  verlegt 
werden.  Daß  die  katarrhalischen  Erscheinungen  nach  einer  ein- 


42 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


fachen  Erkältung  sich  nicht  von  der  Nase  her  auf  die  Trachea 
fortpflanzen  würden,  ohne  den  Kehlkopf  zu  berühren,  sollte 
eigentlich  ohne  weiteres  klar  sein,  aber  leider  wird  gedankenloser- 
weise häufig  die  belegte  Stimme  bei  Rachenkatarrh  als  Zeichen 
einer  Laryngitis  angesehen.  — Also  bei  wirklicher  Bronchitis 
finden  die  schweißtreibenden  Mittel  keine  rechte  Anzeige , sie 
werden  durch  den  feuchtwarmen  Umschlag  völlig  ersetzt.  Nur 
der  Flüssigkeitgehalt  der  warmen  Getränke , Emser  Salz  mit 
heißem  Wasser,  Selterwasser  mit  heißer  Milch  usw.  erweisen  sich 
auch  bei  der  Bronchitis  zweckmäßig.  Die  Emser  und  andere 
Pastillen  ohne  die  reichliche  Zufuhr  von  heißem  Wasser  haben 
bei  Bronchitis  wenig  Zweck.  Ihren  Ruf  verdanken  sie  wesentlich 
der  Verwechslung  der  Bronchitis  mit  dem  Rachenkatarrh,  wobei 
die  örtlich  mildernde  Wirkung  der  Alkalilösungen  hervortritt. 

Klimatotherapie. 

Von  alters  her  sind  bei  Bronchial-  und  Lungenerkrankungen 
klimatische  Kuren  gebraucht  worden.  Der  Glaube  an  ihre  spezi- 
fische Wirkung  hat  sich  freilich  mehr  und  mehr  eingeschränkt, 
aber  um  so  klarer  ist  es  geworden,  wie  viel  einmal  durch  die 
gesamte  Veränderung  der  Lebensweise  und  der  Stimmung  und 
zweitens  durch  die  in  einem  geeigneten  Kurorte  vorhandene  reine 
Luft  und  andere  direkte  und  indirekte  Heilmittel  genützt  werden 
kann.  Bei  keiner  Krankheitsgruppe  tritt  dies  so  deutlich  hervor 
wie  bei  den  chronischen  Lungenkrankheiten.  Viele  Teile  von 
Deutschland  sind  klimatisch  so  wenig  gut  daran,  daß  kaum  die 
eigentlichen  Sommermonate  einen  uneingeschränkten  Luftgenuß 
ermöglichen , namentlich  wenn  die  Atmungsorgane  empfindlich 
sind;  plötzliche  Abkühlungen  gegen  Abend,  rauhe  Winde,  reich- 
liche kühle  Regengüsse  bringen  ernste  Gefahren,  und  vielfach  ist 
in  Industriegegenden  und  in  großen  Städten  die  Luft  so  durch 
Staub  und  andere  Beimischungen  verunreinigt,  daß  die  Verordnung 
kurmäßigen  Tiefatmens  geradezu  bedenklich  erscheint.  Die  eigent- 
lichen klimatischen  Schädlichkeiten  treten  um  so  stärker  in  den 
Wintermonaten  und  oft  noch  mehr  in  den  Übergangszeiten  des 
Frühlings  und  des  Herbstes  hervor,  wo  der  trübe  Himmel  und 
die  matte  Sonne  der  reinigenden  und  belebenden  Kraft  entbehren. 

Für  die  Wahl  des  klimatischen  Kurortes  sind  ganz  allgemein 
die  Besitzverhältnisse  des  Kranken  von  großer  Bedeutung.  Erlauben 
sie  nur,  ihn  für  einige  Wochen  den  Schädlichkeiten  seines  Wohn- 
ortes zu  entziehen,  so  wählt  man  am  besten  einen  nicht  zu  weit 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


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entfernten  Ort,  damit  der  Witterungsunterschied  nicht  allzu  groß 
ist  und  die  verfügbare  Zeit  nicht  durch  Reise  und  Akklimati- 
sation teilweise  verloren  geht.  Man  kann  dann  gewöhnlich  nicht 
viel  mehr  erreichen,  als  den  Genuß  reiner  Luft.  Am  besten 
eignen  sich  dazu  Wald  und  Meeresstrand.  Im  allgemeinen  schickt 
man  Kranke  mit  trocknen  Katarrhen,  mit  Asthma  und  dergl.  gern 
an  die  Ostsee  oder  an  die  etwas  rauhere  Nordsee,  natürlich 
nur  zum  Luftgenuß,  nicht  zum  Baden  in  der  offenen  See.  Die 
waldumgebenen  oder  in  schützenden  Buchten  gelegenen  Ostsee- 
bäder sind  auch  für  sehr  zarte  Kranke  klimatisch  geeignet,  wie 
man  besonders  an  skrofulösen  und  tuberkuloseverdächtigen  Kindern 
ausgezeichnet  sehen  kann.  Die  anregende  Luft  vermehrt  den 
Appetit  und  die  Hauttätigkeit,  der  höhere  Luftdruck  regt  die 
Diurese  an,  und  damit  geht  eine  Verbesserung  des  ganzen  Stoff- 
wechsels einher,  die  oft  in  wenigen  Wochen  aus  mageren  oder  auf- 
geschwemmten , bleichen  und  schlaffen  Menschen  gut  genährte, 
wohl  und  blühend  aussehende,  körperlich  und  geistig  leistungs- 
fähige Menschen  macht.  Die  Nordseeinseln  mit  ihrer  im  ganzen 
stärkeren  Luftbewegung  stellen  größere  Anforderungen  an  die 
Widerstandskraft  und  verlangen  bei  zarteren  Kranken  mindestens 
eine  sehr  sorgfältige  Regelung  der  Körperbewegung  und  Ruhe 
und  der  Nahrungsaufnahme.  Kranke  mit  schwereren  Störungen 
des  Allgemeinbefindens  und  des  Kräftezustandes,  mit  noch  so  leichtem 
Fieber,  ferner  solche  mit  reichlicherem  Auswurf  gehören  nicht 
an  die  See.  Auch  die  Empfehlung  von  Seereisen  für  solche 
Kranke  ist  jedenfalls  eine  zweischneidige.  So  lange  man  nicht 
weiß,  ob  der  Kranke  zur  Seekrankheit  neigt  und  welche  Wetter- 
zwischenfälle ihm  bevorstehen,  kann  man  nie  sagen,  ob  der  Nutzen 
des  längeren  Aufenthaltes  auf  dem  Meere  durch  die  möglichen 
Schädlichkeiten  über  wogen  werden  wird.  Auch  die  Wohnein- 
richtungen auf  den  Seeschiffen  sind,  wenn  man  von  den  aller- 
teuersten Luxuskabinen  absieht,  für  Kranke  nicht  geeignet. 

Für  die  zarteren  Kranken  also  wird  man  den  Waldaufent- 
halt empfehlen.  Es  dürfte  in  medizinischer  Hinsicht  ziemlich 
gleichgültig  sein,  ob  man  den  Wald  in  der  Ebene  oder  einen 
der  deutschen  Bergwälder  empfiehlt,  denn  die  Höhenlage  der 
in  Frage  kommenden  Bergorte  ist  im  allgemeinen  so  gering,  unter 
500  m,  daß  man  nicht  von  Höhenklima  sprechen  kann-  So 
müssen  vor  allem  die  Erreichbarkeit,  der  Schutz  vor  Staub  und 
Winden  und  die  reichliche  Besonnung  entscheiden.  Von  den  höher 
gelegenen  Orten  in  Deutschland  nenne  ich  Andreasberg  im  Harz, 


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Krankheiten  der  Atmungsorgane 


620  m über  dem  Meere,  Sankt  Blasien  im  Schwarzwald,  722  m, 
Bad  Boll  in  Württemberg,  620  m,  Braunlage  im  Harz,  565 — 620  m, 
Freudenstadt  im  württembergischen  Schwarzwald,  720  m,  Görbers- 
dorf  in  Schlesien,  561  m,  Ilmenau  in  Thüringen,  500  m,  Murnau 
in  Oberbayern,  693  m,  Reiboldsgrün  in  Sachsen,  700  m,  Schluchsee 
im  Schwarz wald , 952  m,  Schömberg  in  Württemberg,  600  m, 
Schreiberhau  im  Riesengebirge,  710m,  Todtmoos  im  Schwarzwald, 
821  m,  Triberg  im  Schwarzwald,  700  m,  Schierke  im  Harz, 
600 — 690  m,  Immenstadt,  740  m,  Kainzenbad  in  'Oberbayern, 
800  m,  Kohlgrub  in  Oberbayern,  900  m,  Oberhof  in  Thüringen, 
825  m,  Kreuth  in  Oberbayern,  850  m,  Oberstdorf  im  Allgäu, 
843  m,  Partenkirchen,  722  m.  Sie  alle  sind  in  der  guten  Jahres- 
zeit als  klimatische  Kurorte  empfehlenswert,  aber  die  gute  Jahres- 
zeit erstreckt  sich  in  dieser  Höhenlage  in  Deutschland  fast  nur 
auf  Juli  und  August,  wo  das  Treiben  der  Hochsaison  allerlei 
Übelstände  für  Kranke  mit  sich  bringt.  Es  ist  daher  mit  Freude 
zu  begrüßen,  daß  an  den  meisten  der  genannten  Orte  in  den 
letzten  Jahren  gute  Sanatorien  unter  ärztlicher  Leitung  ent- 
standen sind,  wo  die  Kranken  den  Segen  des  Klimas  genießen 
können,  ohne  die  Umbill  der  Saison  zu  dulden.  Außerhalb  der 
Sanatorien  und  in  den  Monaten  Mai,  Juni,  September  befinden 
sich  Lungenkranke  im  allgemeinen  besser  in  den  weniger  hoch 
gelegenen  Orten:  Soden  am  Taunus,  Lippspringe,  Salzbrunn  in 
Schlesien,  Grund  im  Harz,  Homburg  vor  der  Höhe,  Tabarz  und 
Friedrichroda  in  Thüringen,  Krummhübel  im  Riesengebirge  usw. 

Für  die  Phthisiker  im  besonderen  gibt  es  zahlreiche  Heil- 
anstalten, meist  in  der  Höhenlage  von  etwa  400  m,  eine  ganze 
Anzahl  aber  auch  an  den  vorhin  genannten  höher  gelegenen  Orten. 
Besonderen  Ruf  haben  sich  erworben:  Falkenstein  im  Taunus, 
früher  unter  Dettweiler,  Hohenhonnef  am  Rhein,  Nordrach  im 
Schwarzwald,  Wehrawald  bei  Todtmoos,  Reiboldsgrün,  Görbers- 
dorf,  früher  unter  seinem  Begründer  Brehmer  an  der  Spitze  aller 
Schwindsuchtsheilanstalten  stehend , Rehburg , Schömberg  und 
andere.  Die  Zahl  der  V olksheilstätten  ist  daneben  in  bestän- 
diger Zunahme,  sie  wird  schon  das  erste  Hundert  überschritten 
haben,  wenn  man  die  für  Kinder  dazu  rechnet.  Alle  Sanatorien 
und  Heilstätten  gehören  übrigens  nicht  in  erster  Linie  zu  den 
klimatischen  Heilmitteln,  sondern  ihre  Hauptbedeutung  liegt  in 
der  Behandlung  durch  den  sachverständigen  Arzt  in  hygienischen 
Anstaltsverhältnissen  und  in  der  Erziehung  der  Kranken  zu 
hygienischem,  ihrer  Krankheit  angepaßtem  Leben.  Daher  erzielen 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


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diese  Anstalten  in  vielen  Fällen  bessere  Ergebnisse  als  die  klima- 
tisch hoch  begünstigten  Orte,  die  gleich  zu  besprechen  sind.  Sie 
sind  vor  allem  für  die  weniger  bemittelten  Kranken  vorzuziehen, 
weil  hier  mit  denselben  Aufwendungen  ein  viel  längerer 
Aufenthalt  unter  den  günstigen  Bedingungen  der  Heilanstalt 
zu  erzielen  ist. 

Für  bemitteltere  Kranke  kommen  außer  den  genannten  nun 
noch  zwei  große  Gruppen  von  Orten  in  Frage,  die  eigentlichen 
klimatischen  Kurorte  im  Hochgebirge  und  im  Süden. 

Das  Hochgebirge  hat  eine  ganze  Anzahl  wichtiger  klimatischer 
Einflüsse  aufzuweisen.  Erstens  ist  die  Luft  ungemein  rein,  wie 
sonst  nur  noch  auf  Inseln  im  Meer.  Ein  zweiter  Punkt  ist  der 
niedrigere  Luftdruck.  Er  regt  den  Stroffwechsel  und  meist 
auch  den  Appetit  an,  teils  durch  die  größere  Verdunstung  von 
der  Haut  und  den  Lungen  aus,  teils  durch  die  tieferen  Atem- 
züge und  die  damit  verbundene  kräftigere  Herzleistung.  Auch 
die  kühlere  Luft  wirkt  in  diesem  Sinne,  wie  sie  ja  allgemein 
erfrischt  im  Gegensatz  zu  dem  erschlaffenden  Einflüsse  zu  warmer 
Luft.  Aber  die  kühlere  Luft  des  Hochgebirges  hat  für  die 
Kranken  nicht  den  Nachteil  der  kühleren  Jahreszeiten  in  der 
Ebene,  weil  durch  die  verdünnte  und  völlig  reine  Luft  die 
Sonnenstrahlen  mit  einer  wärmenden  Kraft  hindurchgehen,  die 
in  der  Ebene  ganz  unbekannt  ist.  So  können  die  Kranken  bei 
einigen  Grad  Wärme  unbesorgt  im  Freien  liegen  und  sitzen  und 
bei  mehreren  Grad  Kälte  Spazierengehen  und  Schlittschuhlaufen, 
ohne  in  Erkältungsgefahr  zu  kommen.  Natürlich  ist  das  nur 
an  solchen  Orten  der  Fall,  wo  durch  die  Form  und  Lage  der 
Berge  ein  genügender  Windschutz  besteht.  Auch  muß  von 
einem  Gebirgsorte,  der  zu  Winterkuren  benutzt  werden  soll,  ver- 
langt werden,  daß  keine  Neigung  zu  Nebelbildung  oder  zu  reichen 
Niederschlägen  besteht,  vielmehr  muß  eine  ziemlich  beständige 
Schneedecke  während  des  Winters  vorhanden  sein.  Die  Vereinigung 
vieler  Vorzüge  hat  mehr  als  drei  Jahrzehnte  hindurch  Davos 
als  den  Höhenkurort  berühmt  gemacht,  und  noch  heute  ist  Davos 
von  keinem  anderen  Orte  übertroffen.  Es  ist  ein  etwa  1560  m 
hoch  liegendes  Alpental,  von  Nordost  nach  Südwest  gerichtet, 
nach  Nordwesten  durch  eine  fast  gleichmäßige  Bergwand  geschützt, 
nach  Südosten  durch  einige  Taleinschnitte  freier  zugänglich.  Der 
vom  oberen  Talende  eindringende  Nordost  ist  im  ganzen  im  ganzen 
milde  und  bringt  gutes  Wetter,  der  zeitweise  von  Süden  kommende 
Föhn  schafft  trübes  Wetter,  Regen  oder  Schneefall.  Die  Luft  ist 


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Krankheiten  der  Atmungsorgane 


Morgens  und  Abends  ziemlich  feucht,  Mittags  sehr  trocken.  Ge- 
wöhnlich liegt  ein  gleichmäßiger,  bleibender  Schnee  vom  Oktober 
bis  zum  April,  dann  tritt  die  Schneeschmelze  ein,  der  man  früher 
eine  sehr  ungünstige  Wirkung  auf  das  Befinden  der  Kranken  zu- 
schrieb, wovon  aber  wohl  nur  der  deprimierende  psychische  Ein- 
druck noch  zurecht  besteht,  nachdem  die  Übelstände  der  großen 
Bodenfeuchtigkeit  durch  Kanalisation  beseitigt  worden  sind.  Der 
Kurort  Davos  besteht  aus  dem  älteren  Davos-Dorf  und  dem 
jüngeren  Davos-Platz,  die  fast  zusammenfließen.  Im  Davos-Dorf 
sind  u.  a.  die  Sanatorien  Kurhaus  Seehof  (Dr.  Herrmann  Frey), 
Internationales  Sanatorium  (Humbert-Tschlenhoff),  Neues  Sana- 
torium (Dr.  Philippi),  Sanatorium  Dr.  Dannegger,  Sanatorium 
Pischa  (Dr.  Volland),  Sanatorium  Schweizerhof  (Dr.  Peters),  in 
Davos-Platz  liegen  Dr.  Turbans  Sanatorium,  Hotel  Kurhaus  Davos, 
Sanatorium  Schatzalp  (Dr.  L.  Spengler).  Ein  Übelstand  von  Davos 
ist  durch  die  Ansammlung  so  zahlreicher  untätiger  Menschen  er- 
klärt: das  ruhelose  großweltliche  Treiben  mit  seinen  Auswüchsen 
Hazardspiel,  Trunk,  Liebschaften.  Auch  die  größeren  Sanatorien 
sind  davon  nicht  immer  frei,  weil  die  Aufsicht  des  Arztes  sich 
vielfach  nicht  auf  den  ganzen  Betrieb  erstreckt.  Wenn  es  sich 
um  Kranke  handelt,  die  solchen  Verlockungen  ausgesetzt  sind, 
gehören  sie  jedenfalls  in  eines  der  kleineren,  wo  genaue  ärztliche 
Aufsicht  herrscht. 

In  den  ersten  Tagen  des  Aufenthaltes  im  Gebirgsklima  be- 
merkt ein  großer  Teil  der  Gesunden  und  Kranken  ein  gewisses 
Unbehagen,  eine  Angegriffenheit  und  Schlaffheit,  Unlust  zu  Be- 
wegungen, Neigung  zu  Atemnot  und  Herzklopfen  usw.  Bei  ruhigem 
Verhalten  verlieren  sich  diese  Akklimatisationsbeschwerden 
meistens  binnen  einer  Woche.  Wo  sie  fortbestehen,  muß  ein  Orts- 
wechsel vorgenommen  werden.  Es  handelt  sich  um  die  Schwierig- 
keiten der  Anpassung  an  die  dünnere  Luft.  Dieselben  Einflüsse 
sind  es  auch,  die  jene  eigentümliche  Veränderung  des  Blutbefundes, 
den  größeren  Reichtum  der  Präparate  an  roten  Blutkörperchen, 
zu  Wege  bringen;  es  handelt  sich  dabei  zweifellos  nicht  um  eine 
wirkliche  Vermehrung  derselben,  sondern  um  eine  scheinbare,  viel- 
leicht durch  'größere  Wasser  Verdunstung  bervorgerufen.  In  der 
zweiten  Woche  des  Aufenthaltes  machen  sich  bei  denen,  die  den 
Ort  vertragen,  gewöhnlich  eine  bessere  Stimmung  und  gesteigerte 
Eßlust  bemerkbar.  Bei  schönem,  klarem,  kühlem  Wetter  nimmt  der 
Auswurf  meist  erheblich  ab,  oft  erscheint  er  aber  bei  schlechterem 
Wetter  wieder  reichlicher.  Das  Gewicht  pflegt  bald  zuzunehmen, 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


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die  Hautfarbe  wird  viel  besser,  sodaß  die  länger  dort  weilenden 
Phthisiker  oft  sehr  blühend  und  gesund  aussehen,  trotz  fortschreiten- 
der Lungenveränderungen.  Einen  dauernden  Vorteil  von  dem 
Aufenthalt  in  Davos,  ebenso  wie  an  anderen  Höhenkurorten,  haben 
aber  doch  nur  kräftige,  widerstandsfähige  Kranke  mit  fieberlosen 
oder  doch  fast  fieberlosen  Lungenprozessen.  Schwerer  Kranke  können 
sich  unter  dem  Einfluß  der  günstigen  äußeren  Bedingungen  und 
der  spezialist-isch  gebildeten  Ärzte  von  Davos  bei  jahrelangem 
Aufenthalt  unter  Umständen  viel  länger  bei  leidlichem  Befinden 
erhalten  als  zu  Hause,  aber  geheilt  werden  sie  natürlich  auch  in 
Davos  nicht.  Besonders  glänzend  sind  die  Wirkungen  da,  wo  es 
sich  nur  um  vorbeugende  Kuren  bei  erblicher  tuberkulöser  An- 
lage handelt,  bei  Skrofulöse,  nach  Ablauf  verdächtiger  Lungen- 
entzündungen oder  Pleuritiden,  bei  nicht  tuberkulösen  oder  noch 
nicht  nachweisbar  tuberkulösen  Spitzenkatarrhen.  Allmählich  ist 
Davos  aber  so  sehr  ein  Mekka  der  Tuberkulösen  geworden,  daß 
man  sich  scheuen  wird,  andere  als  sicher  tuberkulöse  Kranke 
dahinzuschicken. 

Dieselben  Anzeigen  wie  Davos  erfüllen  im  allgemeinen 
St.  Moritz -Dorf,  das  im  Winter  aber  fast  nur  von  Engländern 
und  Amerikanern  aufgesucht  wird,  und  Arosa  in  Graubünden, 
das  man  von  der  Eisenbahnstation  Chur  aus  mit  der  Post  in  sechs 
Stunden  erreicht.  Es  liegt  1800 — 1850  m hoch,  der  Barometer- 
stand ist  daher  noch  2 0 mm  niedriger  als  in  Davos,  nämlich  610  mm 
gegen  760  mm  am  Kordseespiegel.  Der  Schnee  liegt  gewöhnlich 
vom  November  bis  in  den  Mai  hinein;  die  relative  Feuchtigkeit 
wird  geringer  als  in  Davos  angegeben,  störender  Föhn  weht  nur 
selten,  auch  Nebel  ist  wie  in  Davos  eine  Seltenheit.  Das  Leben 
ist  ruhig  und  solide.  Die  wundervollen  Fichtenwaldungen  der 
Umgebung  laden  zu  bequemen  Wanderungen  ein,  da  die  sonnigeren 
Wege  auch  im  Winter  schneefrei  gehalten  werden.  Zwei  Seen 
und  im  Winter  Schlitten-  und  Eisbahnen  sorgen  für  das  Sport- 
bedürfnis und  die  Heilgymnastik  im  Freien.  Zu  nennen  sind 
das  Sanatorium  von  Dr.  Jacobi  und  das  zur  Aufnahme  von 
Kranken  eingerichtete  Haus  von  Dr.  Hebwig  ; eine  Anzahl  anderer 
Ärzte  praktiziert  in  den  Hotels  und  Pensionen. 

Als  weitere  Höhenkurorte  sind  noch  Les  Avants,  oberhalb 
Montreux  985  m hoch  gelegen,  und  Leysin  im  Kanton  Waadt, 
oberhalb  von  Aigle,  1264 — 1450  m hoch,  zu  nennen.  In  Leysin, 
das  von  Aigle  aus  mit  einer  elektrischen  Bahn  erreicht  wird,  sind 
drei  Sanatorien,  im  Besitze  einer  Gesellschaft,  eines  davon  etwas 


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Krankheiten  der  Atmungsorgane 


einfacher,  die  beiden  anderen  sehr  vornehm  eingerichtet.  Sie 
liegen  sämtlich  am  Südabhang  der  Waadtländer  Alpen,  gegen  rauhe 
Winde  geschützt,  der  Besonnung  zugänglich,  in  geringer  Luft- 
feuchtigkeit. Les  Avants  ist  von  Montreux  in  einer  halben  Stunde 
mit  einer  elektrischen  Bahn  zu  erreichen,  hat  reine,  staubfreie 
Luft,  Sonnenschein  und  Nebelfreiheit,  seltene  Witterungswechsel 
und  verhältnismäßig  milde  Temperaturen,  so  daß  man  wohl  Les 
Avants  als  den  mildesten  der  Höhen-Winterkurorte  bezeichnen  kann, 
aber  auch  hier  sind  schwache,  empfindliche  Kranke  und  vor- 
geschrittenere Stadien  schlecht  aufgehoben,  sie  gehören  überhaupt 
nicht  in  die  Höhenluft. 

Im  Sommer  kommen  zahlreiche  andere  Höhenkurorte  eben- 
falls in  Frage,  z.  B.  St.  Beatenberg  bei  Interlaken,  Churwaiden, 
Engelberg,  Seelisberg,  Gossensaß,  St.  Moritz,  Maloja,  Pontresina, 
Tarasp-Schuls-Vulpera,  Rigikaltbad  und  Rigischeidegg. 

Die  zweite  wichtige  Gruppe  der  klimatischen  Kurorte  sind 
die  südlichen  Winterstationen. 

Am  nächsten  und  daher  auch  für  Kranke  mit  mittleren 
Mitteln  noch  erreichbar  sind  die  Kurorte  am  Südabhang  und 
am  südlichen  Fuße  der  Alpen.  Die  Alpenkette  im  Norden 
schützt  sie  vor  kalten  Winden,  so  daß  sie  viel  wärmer  und  milder 
sind  als  die  Orte  der  lombardischen  Ebene,  die  in  der  ungünstigen 
Jahreszeit  dem  mittleren  deutschen  Klima  nichts  nachgeben.  Die 
vier  oberitalischen  Seen,  der  Lago  maggiore,  der  Luganer  See,  der 
Corner  See  und  der  Gardasee,  wenn  man  von  Westen  nach  Osten 
geht,  liegen  noch  im  Windschutze.  Eine  weitere  Eigentümlichkeit 
der  südalpinen  Kurorte  ist,  daß  sie  schon  die  kräftige  Sonne  und 
die  klare,  nebelfreie  Luft  des  Südens  besitzen,  die  sich  nördlich 
der  Alpen  auch  im  Sommer  nicht  finden.  Die  Winterwärme  ist 
darum  doch  nicht  wesentlich  höher  als  in  Deutschland,  im  Dezember, 
Januar,  Februar  etwa  durchschnittlich  2 — 4°  statt  0,5°  bei  uns. 

Die  nördlichsten  dieser  südalpinen  Orte  sind  Gries  und 
Meran,  beide  nahe  bei  Bozen,  der  bekannten  Station  der  Brenner- 
bahn, gelegen,  Gries  275  m,  Meran  824  m hoch,  beide  nur  nach 
Süden  frei,  nach  allen  anderen  Seiten  völlig  von  hohen  Bergen  ein- 
geschlossen und  in  dieser  Hinsicht  dem  ziemlich  windreichen  Bozen 
sehr  überlegen.  Die  Saison  dauert  an  beiden  Orten  vom  1.  Sep- 
tember bis  zum  Mai.  Die  Klarheit  des  fast  immer  unbewölkten 
Himmels,  die  mäßig  trockene,  fast  stets  windstille  Luft  und  der 
herrliche  Sonnenschein  des  Südens  erlauben  es  auch  bei  nur 
wenigen  Wärmegraden  selbst  empfindlichen  Kranken,  im  Freien  zu 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


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sitzen.  Die  Kureinrichtungen  sind  vorzüglich,  der  Reichtum  an 
vortrefflichen  Weintrauben  und  Früchten  stellt  eine  besondere, 
auch  kurmäßig  ausgenützte  Annehmlichkeit  dar,  das  Lehen  ist 
anregend  und  doch  nicht  zu  sehr  mit  Zerstreuungen  angefüllt. 
Beide  Orte  sind  wegen  ihres  Klimas  geschätzte  Übergangstationen 
und  auch  Winterstationen  für  Schwächliche,  zur  Tuberkulose  Ge- 
neigte, für  Kranke  mit  chronischer  Bronchitis,  namentlich  solche 
mit  reichlichem  Auswurf,  ferner  für  Rekonvaleszenten  von  Pleu- 
ritis; für  Phthisiker  kommen  sie  wesentlich  im  Herbst  und  im 
Frühling  und  nur  für  leichteste  Grade  der  Krankheit  in  Frage. 
Sehr  oft  werden  sie  von  solchen  aufgesucht,  die  zwischen  den 
Aufenthalt  an  der  Riviera  usw.  und  die  Rückkehr  nach  Deutsch- 
land einen  Übergangsaufenthalt  einschiehen  wollen,  der  ihnen  den 
Gegensatz  zwischen  Süd  und  Nord  weniger  fühlbar  macht.  In 
der  Wasserheilanstalt  Hygiea  (Dr.  Scheeiber)  und  in  der  Villa 
Stefanie  (Dr.  Binder),  Kuranstalt  für  innere,  Herz-,  Nerven-  und 
Stoffwechselkranke,  sind  Tuberkulöse  ausgeschlossen.  Sie  fühlen 
sich  auch  in  dem  anregenden,  für  empfindliche  Nerven  aufregen- 
den Klima  nicht  wohl.  Schon  eher  ist  dies  der  Fall  in  Arco 
in  Südtirol.  Man  gelangt  dahin  mit  einer  Lokalbahn  von  Mori 
aus,  das  an  der  Brennerbahn  liegt.  Die  drei  Wintermonate  sind 
die  beste  Zeit  für  Arco;  es  ist  dann  völlig  windgeschützt,  mehrere 
Grad  wärmer  als  Meran,  aber  im  Frühjahr,  etwa  von  Mitte  März 
ab,  dringen  rauhe  Winde  vom  Gardasee  her  ein.  Es  liegt  nur 
93  m über  dem  Adriatischen  Meer.  Die  Luft  ist  erheblich  feuchter 
und  daher  weniger  erregend  als  die  trockene  Luft  von  Gries  und 
Meran.  Die  Hauptzahl  der  Kranken  besteht  aus  Schwächlichen, 
Rekonvaleszenten,  Bronchitikern,  zur  Schwindsucht  Geneigten. 

Den  eigentlichen  Ort  für  Phthisiker,  die  in  südlichem  Klima 
überwintern  wollen,  bildet  in  Oberitalien  erst  Gardo  ne-Riviera, 
am  westlichen  Ufer  des  Gardasees,  von  Desenzano  oder  von  Riva 
aus  mit  Dampf boot  zu  erreichen.  Der  Ort  ist  fast  nur  dem  Süd- 
ostwind zugänglich,  der  nur  selten  weht;  nur  nach  Sonnenunter- 
gang herrscht  an  warmen  Tagen  eine  viertel  Stunde  lang  ein  kühler 
Landwind,  den  Kranke  meiden  müssen.  Sonst  ist  Gardone  auch 
für  zarte  Personen  ein  höchst  zuträglicher  Winterkurort,  Südzimmer 
mit  Heizung  vorausgesetzt,  denn  die  mittlere  Winterwärme  beträgt 
doch  nur  4°  C.  Aber  auch  am  kürzesten  Tage  scheint  die  Sonne 
acht  Stunden  mit  südlicher  Kraft.  Die  etwas  feuchte  Luft  wirkt 
beruhigend,  so  daß  auch  Kranke  mit  erregten  Nerven  sich  wohl 
befinden  und  gut  schlafen  können.  Die  übrigen  Orte  an  den  ober- 
Dornblüth,  Therapie.  4 


50 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


italischen  Seen  eignen  sich  nur  als  Übergangstationen  und  zum 
Aufenthalt  im  Frühjahr  und  im  Herbst;  Locarno  und  Pallanza 
am  Lago  maggiore,  Bellagio,  Menaggio  und  Tremezzo  am  Comersee 
und  Lugano  sind  die  bevorzugtesten  und  schönst  gelegenen.  Im 
ganzen  ist  der  Comersee  am  mildesten,  der  Luganersee  am  frischesten. 
Lugano  ist  durch  seine  Lage  an  der  Gotthardbahn  besonders  be- 
günstigt. 

Recht  große  Ähnlichkeit  mit  den  Verhältnissen  von  Gardone 
bietet  Montreux  am  Genfersee,  streng  genommen  nicht  das 
eigentliche  Montreux,  sondern  die  damit  zusammenhängenden 
Ortschaften  Clärens,  Vernex,  Territet  usw.  Die  diesen  Teil  des 
Sees  umlagernden  Berge  halten  alle  Winde  außer  dem  Südwind, 
dem  erschlaffenden  Föhn,  ab,  der  zum  Glück  nur  selten  weht, 
wenigstens  in  den  Monaten  November  bis  März,  die  für  den 
Winter aufenthalt  hauptsächlich  in  Frage  kommen.  Die  Gegend 
hat  trotzdem  einen  wirklichen  Winter,  der  dem  deutschen  nur 
um  einige  Grade  überlegen  ist.  Es  kommen  auf  den  Winter 
etwa  15  Schneetage  und  etwa  12  Regentage;  im  Dezember  und 
Januar  kommen  öfters  Nebel  vor.  Zuweilen  liegen  sie  in  mittlerer 
Höhe,  in  Glion,  während  darüber  die  Sonne  scheint  und  darunter 
Nebelfreiheit  ist.  Wegen  der  größeren  Feuchtigkeit  ist  die  Luft 
beruhigend , sie  begünstigt  den  Schlaf  und  vermindert  nervöse 
Erregungen.  Katarrhe  und  Entzündungen  der  Atmungsorgane 
werden  durch  das  Klima  gemildert.  So  ist  Montreux  ein  sehr 
beliebter  Winterkurort  für  Lungenkranke  geworden.  Im  Früh- 
jahr und  Herbst,  wo  es  in  Montreux  sehr  warm  sein  kann, 
bietet  die  unmittelbare  Nähe  von  Glion  und  Les  Avants  (S.  47), 
die  so  viel  höher  liegen  und  daher  kühler  sind,  eine  besondere 
Annehmlichkeit.  Auch  das  nicht  weit  gelegene  Bex,  am  Rhone- 
ufer 435  m hoch  gelegen,  wird  von  manchen  im  Herbst  und 
Frühjahr  Montreux  vorgezogen.  Es  hat  vor  allem  die  Nebel- 
freiheit und  eine  etwas  trocknere  Luft  voraus  und  wirkt  daher 
etwas  anregender.  Auch  seine  Solbäder  werden  viel  benutzt. 

Während  alle  bisher  aufgeführten  Orte  noch  im  Gebiete 
eines  wirklichen  Winters  liegen  und  von  den  dort  weilenden 
Kranken  Winterkleidung  und  Aufenthalt  in  heizbaren  Südzimmern 
verlangen,  kommen  wir  nun  zu  den  eigentlichen  Südkurorten, 
wo  auch  während  unseres  Winters  ein  wirklicher  Sommer  herrscht, 
im  Januar  freilich  mit  kühleren  Abenden  und  Nächten,  aber 
immer  noch  so,  daß  auch  empfindlichere  ohne  Heizung  auskommen 
können.  Die  Orte  des  milderen  Teiles  der  Riviera  sind  in  der 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


51 


Tat  durch  die  besonderen  Vorzüge  ihrer  Lage  mit  einem  Klima 
bedacht,  wie  es  sonst  nirgends  in  Europa  vorkommt,  vielleicht 
von  einigen  Punkten  an  der  Südküste  von  Spanien  abgesehen. 
Den  mildesten  Teil  bildet  die  westliche  Riviera,  die  Riviera  di 
Ponente,  die  sich  von  Genua  bis  Marseille  erstreckt.  Sie  wird 
durch  die  unweit  von  der  Küste  sich  hinziehenden  Seealpen  und 
ligurischen  Alpen  völlig  den  kühlen  Winden  entrückt,  von  der 
herrlichen  Sonne  des  Südens  bestrahlt,  durch  das  Mittelmeer  bei 
annähernd  gleichmäßiger  Wärme  erhalten.  Die  Vegetation  ist 
auch  im  Winter  wunderbar,  im  Frühling,  wenn  alle  Blüten 
prangen,  unbeschreiblich  schön.  Genua  ist  kühl  und  von  rauhem 
Klima,  weil  sich  nach  Norden  hin  Täler  der  Apenninen  öffnen, 
aber  schon  das  nur  10  km  westlich  gelegene  Pegli  bietet  ganz 
andere  Verhältnisse.  Große  Fichten-  und  Pinienwälder  bedecken 
die  Anhöhen,  etwas  weiter  hinauf  auch  Eichen  und  Kastanien; 
der  berühmte  Park  der  Villa  Pallavicini  enthält  tropische  Bäume 
und  Sträucher  aller  Art.  Die  Luft  ist  von  mitlerem  Feuchtigkeit- 
gehalt. Immerhin  beträgt  die  mittlere  Winterwärme  hier  nur 
7 — 8°C.  Das  Grand  Hotel  Mediterranee  enthält  eine  gute  Wasser- 
heilanstalt (Arzt  Dr.  Heusser). 

Während  Pegli  noch  durch  die  Nähe  der  Apennintäler  be- 
einflußt wird,  die  den  Zustrom  nördlicher  Winde  erlauben,  liegt 
San  Remo,  23  000  Einwohner,  in  völligem  Schutz  nach  Norden, 
Osten  und  Westen  hin.  Auch  der  kalte  und  trockene  Mistral, 
der  aus  dem  Rhonetal  kommt  und  in  Marseille  etwa  die  Hälfte 
des  Jahres  weht  und  in  einer  Abzweigung  hier  und  da  die  Küste 
der  Riviera  berührt,  dringt  fast  niemals  in  die  schützende  Bucht  von 
San  Remo  ein.  Nur  ein  angenehm  erfrischender  Ostwind  gelangt 
dahin  und  macht  namentlich  den  westlichen  Teil  des  Kurortes  etwas 
frischer  als  den  östlichen,  der  von  jeher  den  Hauptsitz  der  schwerer 
Kranken  gebildet  hat.  Trotzdem  ist  die  Luft  nicht  drückend  heiß. 
Verschiedene  Umstände  machen  den  sommerlichen  Tag  der  Riviera 
angenehmer,  als  unsere  Hochsommertage  sind:  die  Sonne  geht  erst 
gegen  8 Uhr  auf  und  schon  gegen  7 Uhr  abends  unter;  in  der  langen 
dunklen  Nacht  erfolgt  eine  ganz  andere  Abkühlung,  als  wir  sie 
im  Sommer  haben.  Sie  wird  eingeleitet  durch  einen  unmittelbar 
nach  Sonnenuntergang  eintretenden  kühlen  Seewind,  der  von 
Kranken  gemieden  werden  muß  und  von  Gesunden  Vorsicht  ver- 
langt, aber  nur  eine  halbe  Stunde  anhält.  Auch  die  heißesten 
Stunden  des  Tages  erfahren  eine  wohltätige  Kühlung:  zwischen 
12  und  3 Uhr  pflegt  weit  draußen  im  Meer,  durch  das  Auftreten 

4* 


52 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


weißer  Schaumköpfe  auf  den  Wellen  angezeigt,  eine  lebhaftere 
Brise  zu  wehen,  und  deren  Ausläufer  erreichen  den  Strand.  Sehr 
empfindliche  Kranke  vermeiden  daher  in  diesen  Stunden,  die 
ohnehin  dem  Mittagessen  und  der  Nachmittagsruhe  gehören,  das 
Spazierengehen  oder  das  Sitzen  an  ungeschützten  Stellen  des 
Strandes.  Die  mittlere  Winterwärme  von  San  Remo  ist  10,5°  C. 
Nur  in  einzelnen  Nächten  Ende  Dezember  oder  Anfang  Januar 
kommt  es  zu  einer  Temperatur  von  einem  oder  einigen  Grad 
unter  Null.  Nur  an  36  der  212  Saisontage  kommt  es  zu  Regen, 
der  meist  heftig,  aber  von  kurzer  Dauer  ist  und  daher  angenehm 
empfunden  wird.  Die  meisten  Winter  bringen  keinen  Schnee, 
niemals  bleibt  der  Schnee  liegen.  Olivenwälder  bedecken  die 
Berge,  Zitronen-  und  Orangensträucher  die  Täler,  auf  den  höheren 
Bergen  wachsen  Lärchen,  Fichten,  Eichen  und  Buchen.  Der 
Blumenflor  im  Frühling  ist  von  unbeschreiblicher  Reichhaltigkeit, 
der  fast  immer  heitere,  strahlend  blaue  Himmel  verklärt  alle 
Farben  zu  einer  ungeahnten  Schönheit.  Der  einzige  Übelstand 
mancher  schönen  Rivieraorte,  der  durch  zahlreiche  Automobile  auf- 
gewirbelte Kalkstaub  der  Straßen,  findet  sich  nur  an  einer  Haupt- 
straße, die  durch  sorgfältige  Behandlung  mehr  und  mehr  davon 
befreit  wird;  alle  anderen  Straßen  sind  fest  oder  mit  Ziegeln 
belegt.  Wasserversorgung  und  Kanalisation  sind  vortrefflich,  die 
Hotels  ausgezeichnet , die  Pensionen  und  Villen  vielfach  den 
höchsten  Anforderungen  entsprechend.  Die  milde  und  doch  nicht 
erschlaffende,  überaus  reine  Luft,  die  Wärme  und  der  Sonnen- 
himmel machen  San  Remo  zu  einem  Eldorado  der  Luftsuchenden; 
die  Freiluftkur  kann  den  ganzen  Winter  hindurch  im  freien  Gehen 
und  Sitzen,  im  Anblick  des  Meeres,  der  Berge  und  der  Blüten- 
pracht ausgeführt  werden,  für  sehr  viele  Menschen  doch  etwas 
ganz  anderes,  als  der  großartige,  aber  in  seiner  Gewalt  erdrückende 
unveränderlich  starre  Anblick  des  eis-  und  schneebedeckten  Hoch- 
gebirges im  Winter! 

Von  San  Remo  nach  Westen,  nur  einige  Kilometer  entfernt, 
liegt  Ospedaletti,  ursprünglich  zum  Sitze  einer  Spielbank  ein- 
gerichtet, die  aber  von  der  italienischen  Regierung  nicht  erlaubt 
wurde.  Es  ist  ein  kleiner,  besonders  geschützter  Ort,  der  gerade 
von  Phthisikern,  auch  von  Schwerkranken,  viel  aufgesucht  wird. 
Für  Ruhebedürftige  ist  es  jedenfalls  ganz  besonders  geeignet,  gute 
Hotels  und  ein  Sanatorium  für  innere  Kranke  und  Rekonvales- 
zenten, mit  Ausschluß  von  Tuberkulose^und  anderen  Infektions- 
krankheiten (Arzt  Dr.  Oster)  sind  vorhanden.  6 km  weiter  nach 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


53 


Westen  folgt  Bordighera,  ein  Ort  von  2300  Einwohnern,  nicht 
in  so  eingeschlossener  Bucht  wie  die  beiden  vorigen  und  daher 
von  etwas  frischerem  Klima,  trotzdem  mit  überreicher  Palmen- 
vegetation, wenig  von  Brustkranken,  viel  von  Nervösen,  Erholungs- 
bedürftigen, Rekonvaleszenten  aufgesucht.  Chronische  Bronchitis, 
Asthma,  Anlage  zu  Phthise  usw.  finden  hier  eine  besonders 
günstige  Einwirkung.  Gesundere  werden  dadurch  besonders  an- 
gezogen, daß  man  nicht  so  viel  schwerkranken  Phthisikern  be- 
gegnet wie  in  San  Remo  und  in  Mentone,  obwohl  es  dort  auch 
lange  nicht  so  schlimm  damit  aussieht,  wie  manche  Reisende 
erzählen,  um  etwas  zu  erzählen  zu  haben. 

Westlich  von  Bordighera,  bei  Ventimiglia,  beginnt  üie 
französische  Riviera.  Als  erste  Stadt  darin  finden  wir 
Men  tone,  einen  der  berühmtesten  Südkurorte,  dem  höchstens 
San  Remo  den  Rang  streitig  machen  kann.  Ich  möchte  Mentone 
den  Vorzug  geben,  soweit  es  sich  nicht  um  ganz  besonders  empfind- 
liche Kranke  handelt.  Mentone  ist  nicht  so  windgeschützt  wie 
San  Remo,  es  wird  im  Winter  vielleicht  ein  Dutzend  mal  vom 
Mistral  und  außerdem  öfters  vom  Ostwind  berührt,  nur  die  Ost- 
bucht ist  davor  bewahrt,  und  auch  die  Seehrise  dringt  etwas  leb- 
hafter herein  als  wenigstens  in  der  Osthucht  von  San  Remo. 
Einen  durchgreifenden  Unterschied  bedingen  allerdings  die  klima- 
tischen Verhältnisse  nicht.  Ausschlaggebend  für  die  Wahl  wird 
wohl  der  Geschmack  des  Einzelnen  sein  müssen.  San  Remo  ist 
italienisch,  in  seinem  Fremdenpublikum  und  in  den  Hotels  ganz 
vorwiegend  deutsch,  Mentone  steht  etwas  mehr  unter  dem  Ein- 
fluß französischer  Kultur,  das  Publikum  ist  durchaus  international, 
mehrere  sehr  gute  Hotels  sind  allerdings  völlig  deutsch.  Vege- 
tation und  Landschaft  sind  an  beiden  Orten  gleich  entzückend. 
Einen  besonderen  Anziehungspunkt  hat  Mentone  auch  in  der 
großen  Nähe  von  Montecarlo,  das  Abwechslung,  für  viele  aller- 
dings auch  die  Gefahr  bekannter  Aufregungen  mit  sich  bringt. 
Aus  diesem  Grunde  wird  man  auch  von  der  Empfehlung  Monte- 
carlos  als  Kurort  für  die  meisten  Fälle  absehen,  obwohl  es  der 
schönste  Ort  der  Riviera,  ein  wahres  Paradies,  ist.  In  Mentone 
haben  die  drei  Wintermonate  nur  etwa  16  Regentage,  Schnee 
kommt  nur  etwa  einmal  im  Jahre  vor  und  bleibt  nicht  liegen, 
Nebel  sind  etwas  unbekanntes,  der  Staub  der  kalkhaltigen  Straßen 
ist  infolge  der  zahlreichen  Automobile  der  französischen  Riviera 
allerdings  gerade  in  der  Nähe  der  Hauptstraße  am  Meere  recht 
lästig  für  Kleider  und  Schuhe,  aber  er  ist  in  seiner  Feinheit  völlig 


54 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


reizlos  und  belästigt  die  Atmungsorgane  auffallend  wenig.  Die 
Fürsorge  für  die  Staub  Vertilgung  könnte  allerdings  noch  besser 
sein.  Die  Luft  ist,  ebenso  wie  die  in  San  Remo,  leicht  anregend 
und  kräftigend,  Nervöse  müssen  sich  daher  an  beiden  Orten  zu- 
nächst sehr  ruhig  halten,  viel  liegen  und  die  unmittelbare  Nähe 
des  Meeres  meiden,  dann  behalten  oder  verbessern  sie  ihren  Schlaf. 
Meerbäder,  die  vom  April  bis  November  angenehme  Wärmegrade 
haben,  müssen  von  reizbaren  Personen  vermieden  werden,  schon 
der  hohe  Salzgehalt , 4 °/0  gegen  kaum  3 °/0  in  der  Nordsee, 
1 — 2 °/0  in  der  Ostsee,  wirkt  stark  anregend,  die  milde  Wasser- 
wärme und  die  herrliche  Umgebung  verführen  dabei  sehr  leicht 
zu  allzulangem  Verweilen  im  Wasser. 

Westlich  von  Mentone  folgen  Montecarlo,  Beaulieu  sur 
Mer,  ein  völlig  windgeschützter  Kurort,  der  nur  aus  Villen  und 
Hotels  besteht  und  viel  von  Schwächlichen,  Genesenden,  Kranken 
mit  beginnender  Tuberkulose  aufgesucht  wird,  und  sodann  Nizza. 

Diese  Großstadt  mit  etwa  100000  Einwohnern  hat  sich  trotz 
aller  Nachteile  der  Großstadt  den  Ruf  eines  Kurortes  ersten  Ranges 
bewahrt.  In  der  Nähe  des  Strandes  herrscht  fast  stets  bewegte 
Luft,  sowohl  der  Mistral,  der  hier  schon  recht  oft  weht,  als  der 
Ostwind,  und  die  im  Laufe  des  Flusses  Paillon  herabströmenden 
Bergwinde  haben  hier  ziemlich  unbeschränkten  Zutritt,  gemildert 
allerdings  durch  die  starke  Besonnung.  Weiter  landeinwärts, 
namentlich  am  Boulevard  Oarabacel  und  in  den  Stadtteilen 
St.  Barthelemy,  Brancolar  und  Cimiez,  herrscht  dagegen  ein  erheb- 
licher Windschutz  und  völlige  Staubfreiheit.  Kranke  müssen  überall 
den  erheblichen  Wärmeunterschied  zwischen  Sonne  und  Schatten 
und  den  starken  Tau  nach  Sonnenuntergang  beachten.  In  den 
meisten  Jahren  sinkt  die  Wärme  im  Winter  nie  unter  Null, 
Schnee  ist  sehr  selten  und  dann  ganz  flüchtig,  Nebel  sind  eben- 
falls selten  und  von  kurzer  Dauer.  Die  mittlere  Wärme  des 
Winters  steht  der  von  Mentone  und  San  Remo  ziemlich  gleich. 
Der  Boden  ist  mit  Ausnahme  bestimmter  Stadtteile  äußerst  durch- 
lässig und  daher  trocken.  Die  Staubplage  wird  durch  reichliches 
Besprengen  mit  Wasser  und  neuerdings  durch  die  Behandlung 
der  Straßen  mit  Teer,  Westrumit  und  dergl.  bekämpft.  Die  Vege- 
tation ist  äußerst  reich,  wenn  auch  nicht  ganz  so  tropenmäßig 
wie  in  Mentone  und  San  Remo.  Der  Arzt,  der  Kranke  dorthin 
schickt,  wird  sorgsam  zu  erwägen  haben,  wie  sie  sich  zu  den 
Verlockungen  des  Großstadtlebens  im  Paris  der  Riviera  ver- 
halten werden.  Eine  genaue  Vorschrift  für  den  Tag  ist  un- 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


55 


bedingt  nötig  und  daher  das  Befragen  eines  ansässigen  Arztes 
erwünscht.  Von  12 — 3 weht  eine  sehr  lebhafte  Seebrise,  und 
besonders  die  Zeit  unmittelbar  nach  Sonnenuntergang  ist  für 
Kranke  gefährlich;  in  der  Mittagszeit  herrscht  am  Strande  eine 
blendende  Lichtfülle  und  stechende  Sonnenglut,  so  daß  Brille  und 
Schirm  wünschenswert  sind.  In  den  erwähnten  geschützteren 
Teilen  ist  das  Klima  weniger  anregend  als  in  unmittelbarer  Nähe 
der  See,  so  daß  Nervöse  sich  hier  oft  wohler  fühlen  als  in  Men- 
tone, San  Remo,  Bordighera. 

Der  westlichste  der  internationalen  Kurorte  ist  Cannes  mit 
20000  Einwohnern,  der  Sammelplatz  der  vornehmen  Gesellschaft 
von  England,  Rußland,  Frankreich  und  Deutschland.  Es  steht 
in  bezug  auf  Windschutz  etwa  in  der  Mitte  zwischen  San  Remo- 
Mentone  und  dem  Strande  von  Nizza;  der  März  ist  besonders 
durch  Regen  und  Winde  ausgezeichnet,  in  den  anderen  Monaten 
herrscht  fast  nur  Sonnenschein  und  warmer  Wind,  Schnee  kommt 
oft  in  mehreren  Jahren  nicht  vor.  Bei  Sonnenuntergang  tritt 
regelmäßig  starker  Tau  und  erhebliche  Abkühlung  ein,  eine 
Stunde  später  wird  es  gewöhnlich  wieder  wärmer.  Die  weiter 
abseits  vom  Meere  gelegenen  Wohnungen  sind  für  Kranke  am 
meisten  geeignet.  Der  große  Reichtum  an  Luxus  fuhrwerken  macht 
das  Zufußgehen  wegen  des  Staubes  vielfach  nicht  angenehm. 

Die  Riviera  di  Levante  die  von  Genua  aus  nach  Osten 
zieht,  hat  einen  etwas  anderen  Charakter  als  die  Westriviera. 
Viele  ziehen  sie  wegen  der  reicheren  Gebirgsformen  der  West- 
riviera vor,  an  Vegetationsreichtum  und  reinsüdlicher  Witterung 
steht  sie  ihr  im  eigentlichen  Winter  jedenfalls  nach.  Der  Hauptort 
ist  bisher  Nervi,  nur  12  km  von  Genua,  an  der  Bahn  nach  Pisa 
gelegen,  ein  Ort  von  etwa  3000  Einwohnern,  besonders  von 
Deutschen  und  von  Engländern  besucht.  Die  mittlere  Wärme 
des  Winters  steht  kaum  hinter  der  von  Mentone  zurück,  aber 
die  auffallenden  Unterschiede  in  der  Vegetation  lassen  doch  einen 
größeren  Unterschied  annehmen.  Der  Ort  ist  dem  aus  Südosten 
wehenden  Scirocco,  der  namentlich  im  November  herrscht,  frei 
ausgesetzt,  die  Niederschläge  sind  besonders  dann  sehr  häufig, 
es  regnet  etwa  doppelt  soviel  wie  in  Mentone.  Schnee  fällt 
nur  selten,  Nebel  kommt  nicht  vor,  bei  Sonnenuntergang  fällt 
Tau,  aber  nicht  so  stark  wie  in  Nizza.  Eine  geschützte  Strand- 
promenade, die  dem  Felsen  abgerungen  ist,  bildet  einen  beson- 
deren Vorzug  des  Bades.  Die  Gelegenheit  zu  bequemen  Spazier- 
gängen beschränkt  sich  allerdings  ungefähr  auf  diesen  Weg.  In 


56 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


dieser  Beziehung  und  überhaupt  durch  Schönheit  der  Lage  ist 
Rapallo  viel  mehr  begünstigt,  das  an  derselben  Bahn  18km 
weiter  entfernt  liegt.  Es  ist  eine  Hafenstadt  von  3000  Ein- 
wohnern, an  einer  windgeschützten  Bucht  gelegen,  die  nach  Süden 
offen  ist,  an  allen  anderen  Seiten  von  bewaldeten  Höhenzügen 
umgehen.  Das  Klima  ist  etwas  weniger  milde  und  etwas  feuchter 
als  in  Nervi,  auch  regnet  es  mehr,  aber  für  Frühling  und  Herbst 
werden  diese  Nachteile  durch  die  herrliche  Lage  ausgeglichen, 
die  von  vielen  mit  den  schönsten  Punkten  der  Westriviera  gleich- 
gestellt wird.  Auch  der  Mai  ist  in  Rapallo  sehr  schön,  von 
Ende  April  ah  wird  der  Ort  als  Seebad  benutzt.  Die  Wege  des 
Ortes  und  der  Umgehn  ng  sind  staubfrei,  nach  dem  Regen  aller- 
dings zum  Teil  nicht  bald  genug  trocken.  Die  Hotels  an  der 
eigentlichen  Bucht  sind  etwas  benachteiligt,  weil  sich  in  dem 
flachen  Wasser  allerlei  Schmutz  ansammelt,  der  zuweilen  un- 
angenehm riecht.  Für  widerstandsfähigere  Kranke  und  für  Ge- 
nesende empfehlen  sich  jedenfalls  mehr  das  auf  einem  Felsvor- 
sprunge malerisch  schön  gelegene  Hotel  Kursaal  und  die  be- 
nachbarten Häuser.  Noch  16  km  weiter  an  der  Bahn  Genua- 
Pisa  liegt  Sestri-Levante,  landschaftlich  schön,  mit  reicher 
Gelegenheit  zu  Spaziergängen  und  Waldgenuß,  aber  dem  Winde 
ziemlich  ausgesetzt,  so  daß  es  sich  für  Lungenkranke  im  ganzen 
nicht  eignet;  es  wird  von  Nervenkranken  und  Erholungsbedürf- 
tigen aus  Deutschland  viel  besucht.  Unweit  Rapallo  liegen  noch 
Santa  Margherita  und  Portofino. 

Von  den  noch  weiter  südlich  gelegenen  Kurorten  auf  Kor- 
sika, Sizilien,  in  Afrika  und  auf  Madeira  sehen  wir  hier 
ab,  weil  sie  nur  für  besondere  Zwecke  und  ausnahmsweise  in 
Frage  kommen. 

Eine  wichtige  Frage  für  alle  südlichen  Winter  Stationen 
ist  noch,  wann  man  sie  aufsuchen  und  wann  man  sie  wieder  ver- 
lassen kann.  Daß  für  den  Besuch  so  fernliegender  Kurorte  über- 
haupt eine  gewisse  Wohlhabenheit  der  Kranken  erforderlich  ist, 
habe  ich  bereits  gesagt.  Für  Kranke  und  Zarte  ist  es  unbedingt 
erforderlich,  daß  die  Mittel  auch  ausreichen,  um  lange  genug  im 
Süden  zu  bleiben.  Bei  vielen  wird  der  in  den  Wintermonaten 
erreichte  Erfolg  sofort  dadurch  wieder  zerstört,  daß  sie  zu  früh 
nach  Deutschland  zurückkehren.  An  der  Riviera  di  Ponente 
schließt  die  Saison  im  allgemeinen  Mitte  April,  und  es  ist  in 
Deutschland  vielfach  die  Meinung  verbreitet,  daß  es  dann  an  der’ 
Riviera  zu  heiß  werde.  Das  ist  in  Wahrheit  nicht  so.  Die 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


57 


Saison  schließt,  weil  der  große  Strom  der  internationalen  Luxus- 
reisenden abzieht  und  mit  ihm  natürlich  ein  Teil  der  Gesellschaft, 
der  nur  die  kältesten  Monate  in  der  Heimat  vermeiden  wollte. 
An  Schönheit  des  Klimas  ist  auch  der  Mai  noch  reich,  und  die 
Üppigkeit  der  Vegetation  nimmt  dann  noch  fortwährend  zu,  so 
daß  die  Genüsse  immer  reicher  werden.  Andererseits  ist  in  Deutsch- 
land der  Mai  noch  ein  kalter  Monat,  selbst  in  den  wärmeren 
Teilen  von  Süddeutschland  kann  man  erst  Ende  Mai,  in  Mittel- 
und Norddeutschland  erst  im  Juni  oder  gar  von  Mitte  Juni  ab 
auf  warmes  Wetter  und  Sonnenschein  rechnen.  Eher  sollten  aber 
Kurgäste,  die  den  Winter  im  Süden  verbracht  haben,  nicht  heim- 
kehren, der  Unterschied  ist  gar  zu  groß.  Am  besten  wird  es 
sein,  nicht  vor  Ende  April  von  der  Westriviera  fortzugehen  und 
dann  noch  einige  Wochen,  am  besten  bis  Anfang  Juni,  in  Ra- 
pallo, Portofino,  Nervi,  Sestri  oder  in  Lugano,  Pallanza,  Mon- 
treux, Meran,  Arco  zu  bleiben.  Damit  wird  der  Gewinn  an 
Gesundheit  und  Widerstandskraft  so  befestigt,  daß  viele  im  näch- 
sten Winter  den  Aufenthalt  im  Süden  ersparen  können,  während 
die  vorzeitige  Rückkehr  gewöhnlich  immer  neue  Kuren  nötig 
macht.  Endlich  soll  hier  noch  einmal  hervorgehoben  werden, 
daß  Schwerkranke,  ja  schon  die  sogenannten  mittleren  Stadien  der 
Phthise,  nicht  auf  die  Reise  gehören,  sondern  in  Sanatorien 
und  Heilstätten  im  Vaterlande  viel  besser  aufgehoben  sind.  Für 
alle,  die  einen  Kurort  aufsuchen,  ist  eine  ganz  genaue  Vorschrift 
durch  den  Arzt  nötig,  am  besten  suchen  sie  vorher  wenigstens 
für  kurze  Zeit  eine  Spezialanstalt  auf,  um  zu  lernen,  wie  sie 
sich  verhalten,  wie  sie  leben  und  sich  nähren  sollen  usw.  Der 
Kurort  bietet  ja  nicht,  wie  die  meisten  Kranken  glauben,  eine 
positive  Leistung,  er  ist  an  sich  kein  Heilmittel,  er  bietet  nur 
die  Bedingungen,  worunter  der  Kranke  das  für  seine  Heilung 
nötige  vornehmen  kann:  gute,  reine  Luft,  reichliche  Sonne  und 
mildes  Wetter,  so  daß  der  Kranke  viel  und  lange  ohne  Nachteil 
im  Freien  sein  kann.  Zur  Heilung  ist  außerdem  noch  eine  wirk- 
liche Kur  nötig:  gute  Ernährung,  geeignete  Hautpflege,  richtige 
Tageseinteilung,  richtige  Verteilung  von  Schonung  und  Übung 
des  Körpers  und  des  kranken  Organs,  endlich  noch  die  zweck- 
mäßige Anwendung  der  erforderlichen  kausalen  und  symptoma- 
tischen Mittel.  Dazu  müssen  sehr  viele  Kranke  erst  förmlich 
erzogen  werden,  und  das  geht  am  besten  oder  vielleicht  über- 
haupt nur  in  einer  Kuranstalt.  Man  kann  leider  nicht  sagen, 
daß  davon  ein  Überfluß  vorhanden  wäre,  gerade  an  der  Riviera 


58 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


besteht  sogar  ein  empfindlicher  Mangel  daran.  Die  Kranken  sind 
in  der  Mehrzahl  auf  Hotels  und  Pensionen  angewiesen,  und  nur 
wenige  stellen  sich  wirklich  unter  Aufsicht  eines  ansässigen 
Arztes,  die  meisten  beschränken  sich  auf  eine  Konsultation  am 
Anfang,  viele  unterlassen  auch  diese  und  überlassen  alles  dem 
Klima.  Dem  entsprechen  dann  auch  meistens  die  Erfolge. 

Ganz  besonders  wichtig  erscheint  uns  die  Behandlung  in 
Sanatorien  für  die  Kranken  mit  Lungentuberkulose,  und  zwar 
nicht  nur  für  die  Schwer  kranken  — die  sehr  vorgeschrittenen 
Fälle  soll  man  überhaupt  zu  Hause  lassen  — , sondern  gerade 
für  die  Anfangstadien.  Wenn  man  öfters  Gelegenheit  hat,  die 
umherwandelnden  Phthisiker  in  den  Kurorten  in  den  deutschen 
Mittelgebirgen,  an  der  Nordsee  oder  an  der  Riviera  zu  beobachten, 
so  kann  man  trauriges  erzählen  von  ihren  Irrtümern  und  Fehlern. 
Der  flüchtig  eingeholte  Rat  des  Badearztes  wird  ergänzt  durch 
gute  Lehren  anderer,  „erfahrener“  Kurgäste  und  durch  den  eigenen 
Aberglauben;  von  Vorsicht  in  bezug  auf  den  Auswurf  ist  keine 
Rede,  ebensowenig  von  Ruhe  während  fieberhafter  Anwandlungen; 
die  Schwäche,  die  den  Kranken  mahnt,  daß  er  ins  Bett  gehört, 
wird  mit  Kognak  bekämpft,  die  vorgeschriebene  „kräftige“  Er- 
nährung wird  durch  überwiegenden  Genuß  von  Beefsteaks  und 
Eiern  ausgeführt,  zu  jeder  Zeit,  wo  der  Magen  eine  flüchtige 
Regung  erkennen  läßt,  usw.  Natürlich  kann  dann  auch  das  best 
ausgewählte  Klima  nichts  nützen.  Wie  anders  sind  die  Erfolge, 
wenn  ein  erfahrener  Arzt  den  Kranken  unter  seiner  Leitung  hat, 
ihn  den  Gefahren  des  eigenen  und  fremden  Auswurfes  entrückt, 
ihn  genau  unterrichtet,  wie  er  Sonnenlicht,  reine  Luft,  Wasser 
und  Körperbewegung  seinem  Zustande  entsprechend  auszunutzen 
und  wie  er  seinen  Körper  durch  zweckmäßige  Ernährung  kräftigen 
kann!  Unter  solchen  Bedingungen  sieht  man,  daß  das  Klima 
nicht  die  unentbehrliche  Grundlage  der  Heilung  einer  Lungen- 
schwindsucht ist,  daß  es  aber  wesentlich  zur  Förderung  und 
Sicherung  der  Heilung  beitragen  kann. 

Die  Ernährung  der  Lungen-  und  Bronchialkranken  bietet 
an  sich  nichts  besonderes,  man  kann  durch  die  Art  der  Ernährung 
nicht  direkt  auf  die  krankhaften  Vorgänge  ein  wirken.  Die  ge- 
mischte Kost  in  den  Mengen,  wie  sie  für  die  Ernährung  der 
Gesunden  zweckmäßig  ist,  in  anderen  Fällen  die  auf  Zunahme 
berechnete  Kost  der  Rekonvaleszenten,  ist  auch  für  diese  Kranken 
das  geeignete.  Ausnahmen  treten  natürlich  ein,  wenn  Fieber  vor- 
handen ist:  bei  dem  Fieber  der  akuten  Bronchitis  und  der  Pneu- 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


59 


monien  ist  mit  Rücksicht  auf  die  febrile  Herabsetzung  und  Reiz- 
barkeit der  Verdauungstätigkeit  die  Zufuhr  flüssiger  Nahrung 
yorzuzieben,  wobei  aber  auf  Nährwert  sorgfältig  zu  achten  ist; 
Milch,  Eier  und  dergl.  sind  in  genügender  Menge  zu  verordnen, 
und  die  von  früher  her  beliebten  Schleimsuppen  jedenfalls  durch 
Beimischung  von  Eiern,  Plasmon,  Somatose  usw.  nahrhaft  zu  machen. 
In  den  chronischen  Eieberzuständen  der  Tuberkulose  kann  man  der 
gewöhnlichen  Ernährung  nahe  bleiben  und  braucht  nur  die  schwerer 
verdaulichen  oder  augenblicklich  dem  Kranken  widerstehenden 
Speisen  fortzulassen.  Bei  chronischer  Bronchitis  von  sehr  langer 
Dauer  kann  man  unter  Umständen  gutes  erreichen,  indem  man 
eine  Umstimmung  des  Körpers  durch  eine  wesentlich  veränderte 
Diät  herbeiführt ; in  diesem  Sinne  ist  die  Empfehlung  der  Trauben- 
kuren (vgl.  S.  49)  zu  verstehen. 

Die  Arzneibehandlung  der  Krankheiten  der  tieferen  Luft- 
wege hat  nur  in  bestimmten  Fällen  spezifische  Bedeutung.  So 
z.  B.  die  Chininbehandlung  des  Keuchhustens,  deren  nicht 
nur  lindernder,  sondern  tatsächlich  die  Krankheit  abkürzender 
und  ihre  Folgen  vermindernder  Einfluß  bei  genügenden  Dosen  un- 
zweifelhaft feststeht.  Daß  diese  Wirkung  durch  örtliche  Behand- 
lung des  Nasenrachenraumes  noch  verbessert  werden  kann,  ändert 
daran  nichts  (vgl.  S.  33).  Für  die  Pneumonie  war  eine  spe- 
zifische Wirkung  von  einzelnen  Beobachtern  dem  Jod  und  von 
anderen  dem  Kalomel  zugeschrieben  worden.  Das  ist  jedenfalls 
zu  weit  gegangen,  aber  es  läßt  sich  nicht  verkennen,  daß  einige 
Kalomeldosen  im  Anfänge  der  kruppösen  Pneumonie  den  Krank- 
heitsverlauf oft  günstig  beeinflussen,  namentlich  deutlich  bei  der 
Pneumonie  der  Kinder.  Das  Jod  entfaltet  seine  Wirkung  wohl 
mehr  zur  Zeit  der  Lösung,  es  ist  aber  erklärlicherweise  sehr 
schwer,  hier  ein  Urteil  über  den  Einfluß  des  Mittels  zu  gewinnen. 
Häufiger  hat  man  den  Eindruck  einer  spezifischen  Wirkung  des 
Jods  bei  Asthma,  vorausgesetzt,  daß  die  behandelten  Fälle  richtig 
ausgewählt  werden.  Am  deutlichsten  reagieren  die  mit  Bronchio- 
litis verbundenen  Fälle,  aber  auch  die  mit  Nasenveränderungen 
einhergehenden  und  einzelne  rheumatoide  Formen  werden  durch  Jod 
günstig  beeinflußt.  Das  Jodipin  Merck,  vgl.  S.  29,  erweist  sich  auch 
hier  den  anderen  Jodpräparaten  weit  überlegen.  Die  Erfahrungen 
über  Serumbehandlung  der  Pneumonie  sind  noch  nicht  reif 
genug.  Bei  exsudativer  Pleuritis  haben  die  Salizyl präparate 
und  das  Aspirin  Anspruch  auf  den  Namen  Spezifiea,  ebenso 
wie  beim  akuten  Gelenkrheumatismus,  dem  die  reinen  primären 


60 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


Formen  der  Pleuritis  zuzurechnen  sind,  wie  Aufeecht  nachge- 
wiesen hat. 


Der  Hauptgegenstand  der  symptomatischen  Behandlung  hei 
Krankheiten  der  Bronchien  und  der  Lunge  sowie  der  Pleura  bildet 
der  Husten.  Die  Aufgabe  des  Arztes  besteht  darin,  dem  Kranken 
den  lästigen,  beunruhigenden  und  oft  schmerzhaften  Husten  zu 
nehmen,  ohne  die  Beseitigung  des  in  den  Luftwegen  befindlichen 
Aus wurfes  zu  unterlassen.  Damit  ist  ohne  weiteres  auch  die  Auf- 
gabe gestellt,  die  Bildung  vermeidlichen  Sekretes  zurückzuhalten. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  gleich  daran  erinnert,  daß  der 
Husten  an  sich  keineswegs  ein  Zeichen  einer  Bronchial-  oder 
Lungenerkrankung  ist.  Husten  stellt  sich  auch  ein  hei  Erkran- 
kungen des  Nasenrachenraums,  z.  B.  häufig  in  der  Form  nächt- 
lichen kruppartigen  oder  hellenden  Hustens  bei  adenoiden  Wuche- 
rungen im  Nasenrachenraum,  ferner  hei  Ohrerkrankungen,  hei 
leichten  Beizungen  im  oberen  Kehlkopfabschnitt,  endlich  auch 
als  nervöse  Reflexerscheinung  hei  Magen-  und  Frauenkrankheiten 
nervöser  Personen.  Sowohl  der  Husten  bei  Rachenerkrankungen 
wie  der  reflektorische  nervöse  Husten  sind  oft  außerordentlich 
laut  und  klingen  so  gewaltsam,  daß  der  Laie  an  irgendeine 
schwere  Lungenkrankheit  denkt.  Man  darf  wohl  aus  der  auf- 
fallenden Wirksamkeit  der  Behandlung  des  Nasenrachenraumes 
bei  Keuchhusten  den  Schluß  ziehen,  daß  auch  die  krampfhaften 
Hustenanfälle  dieser  Krankheit  von  der  Nasenhöhle  ausgehen;  tatsäch- 
lich gibt  es  hei  adenoiden  Wucherungen  und  dergl.  Hustenanfälle, 
die  sich  in  nichts  von  den  einzelnen  Anfällen  bei  Keuchhusten 
unterscheiden.  Bei  Keuchhusten  und  hei  Husten  durch  chronische 
Nasenkatarrhe  haben  sich  täglich  ein-  oder  mehrmals  vorgenommene 
Einblasungen  von  Sozojodolnatrium  in  die  Nasenöffnungen  sehr 
gut  bewährt;  man  kann  natürlich  auch  andere,  ähnlich  wirkende 
Arzneimittel  in  Pulverform  einstäuben  oder  auf  die  Schleimhaut 
einpinseln.  Wo  gröbere  organische  Veränderungen  vorliegen,  wie 
adenoide  Wucherungen,  tritt  natürlich  die  besondere  Behandlung 
dieses  Grundleidens  ein.  Der  nervöse  Reflexhusten  wird  durch 


Natr.  salicyl.  5,0 
Aq.  dest.  150,0 
D.S.  5 mal  tägl.  1 Eßl. 


Tabl.  Aspirini  0,5  Nr.  XX. 
D.S.  3 mal  tägl.  2 Tabletten 


Behandlung  der  wichtigsten  Symptome. 

1.  Husten. 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


61 


gleichzeitige  Behandlung  des  primär  erkrankten  Organs  und  des 
reizbaren  nervösen  Zentralorgans  bekämpft.  Von  allgemeiner 
Wirkung  gegen  den  reflektorischen  Husten  erweisen  sich  öfters 
Chinin  in  abendlichen  Halbgrammdosen  und  Bromnatrium  in 
Grammdosen  wirksam. 

Zu  den  Arzneimitteln  gegen  Husten  gehören  zunächst  die  süß  en 
und  die  schleimigen  Mittel,  die  sich  in  der  Volksmedizin  des 
größten  Ansehens  erfreuen:  Malzbonbons,  Spitzwegerichbonbons, 
Lakritzen,  Honigarten,  Gummi  arabicum,  Altheaea,  Salep,  islän- 
disches Moos,  und  die  Vereinigungen  beider:  Mixtur a gummosa, 
Sirupus  Althaeae , Pasta  Althaeae,  Species  pectorales.  Ihre  Wir- 
kung beruht  teils  auf  bereits  angedeuteten  lindernden  Einwirkung 
auf  die  Schlundorgane,  teils  darauf,  daß  sie  eine  Schleimabsonderung 
im  Schlunde  anregen,  die  sich  reflektorisch  auf  die  tieferen  Luftwege 
fortsetzt.  Eine  ähnliche  Fernwirkung  haben  die  zunächst  den 
Magen  und  von  dort  reflektorisch  auch  die  Bronchialschleimhaut 
reizenden  (nauseosen)  Expektorantien,  Ipecacuanha , Apomor- 
phin und  Tartarus  stibiatus ; auch  die  sehr  wirksame  Quillaiarinde 
und  die  Senegawurzel  gehören  hierher,  sie  reizen  aber  beide  auch 
die  Mund-  und  Schlundschleimhaut  und  wirken  daher  wohl  be- 
sonders kräftig  anregend  auf  die  Schleimabsonderung  in  den  tieferen 
Luftwegen.  Hie  Mittel  einer  dritten  Gruppe,  die  Alkalilösungen, 
wirken,  sowohl  örtlich,  als  Inhalation  angewendet,  wie  ins  Blut 
aufgenommen,  anregend  auf  die  Schleimabsonderung  der  Bronchien 
und  verflüssigend  auf  den  bereits  abgesonderten  Schleim.  Zur 
Inhalation  verwendet  man  vorzugsweise  Natrium  und  Kalium 
bicarbonicum , zum  innerlichen  Gebrauch  die  natürlichen  oder 
künstlichen  Alkaliwässer  von  Ems,  Selters,  Wiesbaden,  Obersalz- 
brunn, Lippspringe  usw.  Auch  die  Salmiakpräparate,  be- 
sonders das  Ammonium  chloratum  und  der  Liquor  ammonii  ani- 
satus,  gehören  hierher.  Man  wird  nach  diesen  Unterschieden  in 
der  Wirkung  der  Expektorantien  zu  entscheiden  haben,  welches 
Mittel  im  einzelnen  Falle  zu  verordnen  ist. 


Chinini  hydrochl.  0,5 

D.  tal.  dos.  IV  ad  caps.  amyl. 

S.  Abds.  1 Kapsel. 

Ij i Sir.  Althaeae  100,0 
D.S.  2 stdl.  1 Teelöffel. 

Natr.  brom.  10,0 
Aq.  Menth,  pip.  150,0 
D.S.  Abds.  1 Eßl. 


Ejfc  Tart.  stib.  0,005 
Amm.  chlor. 

Succ.  Liq.  dep.  ää  0,5 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  8 stdl.  1 Pulver. 

YJc  Infus,  rad.  Ipecac.  (0,5)  180,0 
Sir.  Alth.  ad  200,0 
M.D.S.  2 stdl.  1 Eßl. 


62 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


Ipfc  Decoct.  cort.  Quillaiae  (5,0)  180,0 
(Kdrn.  8,0:200,0) 

D.S.  2 stdl.  1 Kdrl.  bis  Eßl. 

1 Apomorph.  hydr.  0,03 
Cod.  phosph.  0,05 
Aq.  dest.  150,0 
Acid.  hydrochl.  gtt.  Y. 

M.D.  ad.  vitr.  nigr. 

S.  2— 3 stdl.  1 Eßl. 


^ Infus,  rad.  Seneg.  (10,0)  180,0 
Liq.  Ammon,  anis.  5,0 
Sir.  Alth.  ad  200,0 
M.D.S.  2 stdl.  1 Eßl. 

fj;  Infus,  rad.  Ipecac.  (0,21  90,0 
Sir.  Alth.  ad  100,0 
M.D.S.  1—2  stdl.  1 Teel.  (Kdr.) 


Eine  besondere  Stellung  unter  den  arzneilichen  Expektorantien 
nehmen  die  ätherischen  Öle  ein.  Sowohl  nach  Inhalation  wie 
nach  innerlichem  Gebrauch  von  Terpentinöl  wird  die  Absonderung 
der  Bronchialschleimhaut  zunächst  dünnflüssiger  und  dadurch  die 
Expektoration  erleichtert,  bald  aber  tritt  eine  Herabsetzung  der 
Absonderung  ein.  Außerdem  hat  es  eine  desinfizierende  und  deso- 
dorisierende Wirkung,  so  daß  man  es  besonders  gern  auch  bei 
putriden  und  brandigen  Vorgängen  in  der  Lunge  verwendet. 
Das  Terpentinöl  wirkt  äußerlich  am  besten,  wenn  man  den  Zimmer- 
fußboden damit  besprengt  oder  einige  Teelöffel  davon  auf  ein 
Schälchen  mit  kochendem  Wasser  gießt,  so  daß  das  verdunstende 
Terpentinöl  mit  der  Zimmerluft  eingeatmet  wird.  Innerlich  gibt 
man  das  Terpentinöl  in  Gelatinekapseln  oder  mit  Milch  vermischt 
oder  ersetzt  es  dafür  durch  das  milder  wirkende  und  angenehmer 
riechende  Terpinol  oder  durch  das  ebenfalls  leicht  zu  vertragende 
Terpinhydrat.  In  der  Wirkung  stehen  diesen  ätherischen  Ölen 
einige  Harze  und  Balsame  nahe:  Myrrha , das  etwas  mehr 
reizende  Benzoeharz,  der  Perubalsam  und  der  weniger  aufdring- 
lich riechende  Tolubalsam,  sie  werden  aber  durch  die  Terpin- 
stoffe an  Wirksamkeit  weit  übertroffen. 


I?5;  Caps,  elast.  c.  Ol.  Tereb.  0,6 
Nr.  XXX.  D.S.  Täglich  2—5 
Kapseln. 

Tfy  Terpini  hydrati  5,0 
Gi.  arab.  pulv. 

Succ.  Liq.  dep.  ää  1,5 
F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  tgl.  2 Pillen. 


1)5;  Ol.  Terebinth.  rect.  25,0 

D.S.  5 mal  tägl.  5 — 20  Tropfen 
in  Milch. 

1 Schachtel  mit  60  Terpin-Ter- 
pinoldragees  (ana  0,1) 
Mehrmals  tägl.  2 und  mehr. 


Die  Anregung  der  Expektoration,  wo  sie  sehr  darnieder  liegt, 
durch  Brechmittel  wird  gegenwärtig  anscheinend  weniger  geübt 
als  früher;  man  fürchtet  wohl  nicht  ohne  Grund  die  schwächende 
Wirkung  des  Erbrechens  auf  das  Herz.  Im  ganzen  wird  man 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege  63 

in  den  fraglichen  Zuständen  mit  einer  geeigneten  Hydrotherapie 
weiter  kommen  und  die  Kranken  weniger  angreifen. 

Eine  ausgesprochen  sekretionvermindernde  Wirkung, 
namentlich  auch  auf  die  feineren  Bronchien,  üben  die  Jod- 
präparate  aus.  Man  gibt  sie  vor  allem  bei  chronischer  Bron- 
chitis und  hei  katarrhalischem  Asthma,  meist  als  Jodnatrium  oder 
in  der  Form  von  Jodipin,  vgl.  S.  29. 

Sehr  wichtig  ist  die  Verwendung  der  Narcotica  gegen  den 
Husten.  Sie  ist  unzweckmäßig  und  unter  Umständen  gefährlich, 
wenn  es  über  der  Unterdrückung  des  Hustenreizes  zur  Ansamm- 
lung größerer  Sekretmengen  in  den  Luftwegen  kommt,  weil  da- 
durch nicht  nur  die  Atmung  durch  Verkleinerung  der  Lungen- 
oberfläche erschwert,  sondern  auch  die  Gefahr  von  Atelektasen 
und  Senkungspneumonien  herbeigeführt  wird.  Dagegen  ist  die 
Stillung  des  Hustenreizes  direkt  angezeigt,  wenn  geringe  Sekret- 
mengen einen  heftigen  schmerzhaften  oder  schlafstörenden  Reiz 
ausüben.  Die  Bedingung  einer  guten  und  unschädlichen  Wir- 
kung ist  die  Verwendung  kleiner  Dosen.  Man  gibt  am  besten 
Codein  0,005  oder  Dionin  0,003  oder  Heroin  0,003  oder  Mor- 
phium hydrochloricum  0,002,  Rezepte  s.  S.  35,  und  wiederholt 
die  Dosis  bei  Erneuerung  des  Hustenreizes;  als  Tagesdosis  wird 
man  höchstens  das  zehnfache  der  angegebenen  Mengen  rechnen 
müssen.  Es  ist  oft  sehr  auffallend,  wie  schon  der  durch  wenige 
Gaben  bewirkte  Nachlaß  des  Hustenreizes  die  katarrhalischen  Er- 
scheinungen bessert,  immer  vorausgesetzt,  daß  der  Fall  richtig 
ausgewählt  ist.  Besonders  wichtig  ist  es  für  viele  erschöpfende 
Hustenkrankheiten,  daß  man  den  Kranken  nachts  Ruhe  verschafft, 
damit  sie  Kräfte  behalten  oder  wieder  erwerben  können,  und  dazu 
ist  natürlich  auch  eine  Stillung  quälenden  Hustens  notwendig. 
Auch  bei  der  Pleuritis  ist  die  Ruhigstellung  der  Brustwand 
oft  eine  wesentliche  Bedingung  der  Besserung;  hier  kommt  außer 
dem  bereits  erwähnten  Salizylsäuren  Natron  noch  die  äußerliche 
Anwendung  von  Guajakol  1 : Tinctura  Jodi  4 in  Frage,  wovon 
täglich  60  Tropfen  auf  die  der  kranken  Pleura  entsprechende 
Hautpartie  aufgepinselt  und  mit  einem  undurchlässigen  Verbände 
bedeckt  werden.  Dies  Mittel,  wie  das  Salicyl,  sollen  heilend  und 
antipyretisch  wirken,  die  Ruhigstellung  der  Brustwand  kann  neben- 
her durch  die  oben  genannten  Narcotica  herbeigeführt  werden. 


64 


Krankheiten  der  Atmungsorerane 


2.  Blutungen  aus  den  Luftwegen. 

Die  Blutungen,  mögen  sie  aus  den  Bronchien  oder  aus 
der  Lunge  stammen,  durch  örtlichen  Zerfall  oder  durch  Platzen 
von  Blutgefäßen  oder  durch  Embolien  hervorgerufen  sein,  er- 
fordern vor  allem  ein  völlig  ruhiges  Verhalten  des  Kranken.  Er 
muß  mit  wenig  erhöhtem  Oberkörper  regungslos  liegen,  bei  den 
Entleerungen  mit  der  Bettschüssel  bedient  werden,  darf  durch- 
aus nicht  sprechen  und  muß  den  Hustenreiz  nach  Kräften  unter- 
drücken. Leichte  Narcotica  in  kleinen  Gaben  können  ihm  dies 
erleichtern;  am  besten  wählt  man  einige  Milligramm  Morphium 
oder  noch  besser  Oodein  oder  Dionin,  wodurch  zugleich  die  er- 
klärliche Erregung  des  Kranken  über  die  erschreckende  Erscheinung 
verringert  wird.  Auch  die  Herztätigkeit  wird  damit  beruhigt 
und  der  Blutdruck  herabgesetzt.  Größere  Gaben  von  Narcoticis 
muß  man,  so  wünschenswert  sie  im  einzelnen  Falle  sein  mögen, 
doch  mit  Rücksicht  auf  eine  neue  Blutung  vermeiden,  die  den 
tief  schlafenden  Kranken  in  Erstickungsgefahr  bringen  würde.  Ob 
kalte  Umschläge  oder  Eisbeutel  von  der  Brustwand  aus  wesent- 
lichen Einfluß  auf  die  Blutung  haben  können,  ist  zweifelhaft,  man 
könnte  auch  befürchten,  daß  die  Rückstauungskongestion  im  Be- 
ginn der  Kältewirkung  zur  Erneuerung  der  Blutung  führe,  aber 
tatsächliche  Beobachtungen  in  dieser  Richtung  liegen  nicht  vor. 
Vielleicht  erklärt  sich  ein  gewisser  Einfluß  solcher  Maßnahmen 
durch  die  Beruhigung,  die  sie  dem  Kranken  gewähren,  und  durch 
die  beruhigende  Wirkung  der  Kälte  auf  das  Herz.  Um  das  Herz 
nicht  anzuregen,  wird  man  auch  in  der  Nahrung  sehr  vorsichtig 
sein  (kleine  Mahlzeiten,  Vermeidung  aller  anregenden  Bestand- 
teile, aller  Speisen  und  Getränke,  die  den  Magen  füllen,  wie  z.  B. 
kohlensaure  Wässer)  und  für  regelmäßige  Entleerung  des  Darmes 
sorgen.  Den  blutstillenden  Arzneimitteln  wird  bei  Lungen- 
blutungen von  den  Pharmakologen  kein  Wert  beigelegt;  das  von 
altersher  gebräuchliche  Plumbum  aceticum  soll  den  Blutdruck 
steigern,  Secale  und  Hydrastis  ebenfalls,  so  daß  man  eher  Be- 
denken gegen  ihre  Anwendung  haben  muß,  in  der  Praxis  werden 
sie  aber  trotzdem  viel  gebraucht.  Filehne  nimmt  an , daß 
Secale  die  Bildung  hyaliner  Thromben  begünstige  und  damit  zum 
Stillen  der  Blutung  beitrage.  Vielleicht  hat  man  in  dieser  Be- 
ziehung mehr  von  der  neuerdings  als  Blutstillungsmittel  em- 
pfohlenen Gelatine  zu  erwarten.  Als  Hausmittel,  das  namentlich 
bei  Wiederholung  einer  Blutung  schnell  gegeben  werden  könnte, 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


65 


ist  Kochsalz  zu  nennen,  teelöffelweise  gereicht,  von  Ziemssen  hat 
ferner  die  Inhalation  von  Liquor  Ferri  sesquichlorati  empfohlen. 


Ipfc  Plumbi  acet.  0,05 — 0,1 
Sacch.  lact.  0,5 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 
S.  1— 2stdl.  1 Pulver. 


JEjfc  Liq.  Ferri  sesquichl.  5,0 

D.S.  1 Teelöffel  auf  1/2 1 Wasser, 
davon  x/2  stdl.  1 — 2 Min.  lang 
inhalieren. 


Ijfc  1 Röhrchen  steril.  Gelatine  (Meeck)  2°/0  100,0 
D.S.  Zur  Einspritzung  unter  die  Haut. 


3.  Atemnot  und  Asthma.  Lungenödem. 

Wo  die  Atemnot  der  Lungenkranken  durch  Hindernisse  für 
den  Zustrom  der  Luft,  wie  hei  Stenosen,  oder  durch  Verkleinerung 
der  atmenden  Oberfläche,  wie  bei  Pneumonie,  Tuberkulose,  Pleu- 
ritis, Emphysem,  zustande  kommt,  können  lindernde  Mittel  nur 
mit  Vorsicht  angewendet  werden,  denn  eine  künstliche  Herab- 
setzung des  Atmungsbedürfnisses  würde  den  Körper  in  die  Ge- 
fahr der  Sauerstoffverarmung  und  Kohlensäureüberhäufung  bringen. 
Vielfach  tritt  daher  mehr  die  Aufgabe  hervor,  die  Atmung  an- 
zuregen, ohne  sie  zu  beunruhigen.  Das  geschieht  häufig  sehr 
gut  durch  hydrotherapeutische  Maßregeln,  durch  nasse  Ein- 
wicklungen, Halbbäder  und  dergl.,  soweit  nicht  die  Beseitigung  der 
Stenose  oder  des  einengenden  Exsudates  möglich  ist.  Nicht  selten 
wirken  auch  kleine  Gaben  der  Narcotica  ähnlich,  indem  sie  den 
Kranken  psychisch  beruhigen  und  dadurch  eine  tiefere  und  gleich- 
mäßigere Atmung  ermöglichen.  Eine  direkte  Besserung  bringt 
nicht  selten  die  Einatmung  von  Sauerstoff , den  man  in  Stahl- 
zylindern oder  Gummiballons  aus  den  Apotheken  beziehen  kann. 
Man  läßt  davon  bis  zu  eintretender  Erleichterung  einatmen, 
10 — 30 — 40  1 in  der  Stunde,  mehrmals  täglich,  immer  mit 
Luft  gemischt,  was  durch  die  Ansatzstücke  erzielt  wird.  Ein 
anderes  Mittel  ist  der  Oxykampher , der  in  alkoholischer  Lösung 
unter  dem  Namen  Oxaphor  verordnet  wird;  das  Mittel  setzt 
das  Dyspnöegefühl  herab,  ohne  die  Atmung  herabzusetzen,  und 
kann  daher  in  zahlreichen  Fällen  angewendet  werden,  wo  sich 
die  Narcotica  verbieten.  Ungünstige  Nebenwirkungen  nach  dieser 
Seite  hin  sind  wenigstens  nicht  mitgeteilt  worden,  das  einzige, 
was  die  Autoren  dagegen  einzuwenden  hatten,  waren  gelegent- 
liche Magenreizungen,  die  sich  durch  Verabreichung  in  genügender 
Verdünnung  und  nach  den  Mahlzeiten  vermeiden  lassen  werden. 

Dornblüth  , Therapie.  5 


66 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


Ein  zweites  Antidyspnoicum  ist  die  Quebrachorinde  (sprich  Ke- 
bratschorinde) , deren  Extractnm  fiuidum  teelöffelweise  gegeben 
wird;  anch  hierdurch  wird  das  dyspnoische  Gefühl  vermindert, 
ohne  daß  die  Atmung  herabgesetzt  würde.  Es  wirkt  allerdings 
anscheinend  besser  bei  der  Atemnot  der  Asthmatiker  und  Em- 
physematosen als  bei  der  Dyspnoe  der  Lungen-  und  Herzkranken, 
wo  der  Oxykampher  oft  recht  gute  Dienste  leistet. 

^ Oxaphori  25,0  IJ;  Extr.  fl.  cort.  Quebracho  50,0 

D.S.  Mehrmals  täglich  20 — 40  D.S.  3 — 5 mal  tägl.  1 Teelöffel. 

Tropfen  in  Wasser. 

Etwas  anders  steht  es  mit  der  Dyspnoe  der  Asthmatiker 
im  Anfalle.  Hier  handelt  es  sich  um  einen  Reizzustand  im  Vagus- 
gebiet, wodurch  die  Bronchialmuskeln  und  oft  wohl  auch  das 
Zwerchfell  und  die  Inspirationsmuskeln  in  krampfhafte  Zusammen- 
ziehung versetzt  werden.  Das  spezifische  Mittel  zur  Hebung  der 
Vagusreizungen,  das  Atropin , gehört  daher  nach  alter  und  erst 
jüngst  wieder  neu  belebter  Erfahrung  zu  den  besten  Mitteln  gegen 
den  asthmatischen  Anfall.  Die  unglückliche  Gewohnheit  vieler 
Ärzte,  gegen  alle  Beschwerden  des  Kranken  gleich  mit  dem  be- 
quemen Morphium  zu  Felde  zu  ziehen,  steht  also  auch  hier  einer 
wissenschaftlichen  Behandlung  scharf  gegenüber.  Das  Atropin 
und  das  den  Praktikern  weniger  bekannte,  aber  tatsächlich  viel 
weniger  gefährliche  Scopolamin,  das  dem  Atropin  chemisch  und 
pharmakologisch  sehr  nahe  steht,  empfehlen  sich  sowohl  zur  An- 
wendung während  des  Anfalles,  den  sie  oft  sofort  beseitigen,  als 
während  der  Zwischenzeit,  wo  man  sie  während  einer  6 — 8 Wochen 
dauernden  Kur  in  allmählich  steigenden  und  wieder  fallenden 
Dosen  von  dreimal  täglich  0,0003  bis  dreimal  täglich  0,001  ver- 
ordnet. Das  nie  fehlende  erste  Zeichen  der  beginnenden,  noch 
völlig  ungefährlichen  Vergiftung,  die  Trockenheit  im  Halse,  ver- 
anlaßt zu  mäßiger  Verringerung  der  Dosen,  beim  Atropin  zum 
Aussetzen  für  einen  Tag.  Von  guter  Wirkung  ist  oft  auch  die 
Einatmung  von  2 — 5 Tropfen  Amylnitrit , die  aber,  nur  in 
Gegenwart  des  Arztes  und  mit  Vorsicht  stattfinden  darf.  Ein 
häufig  angewendetes  Mittel  gegen  den  asthmatischen  Anfall  ist 
das  Chloralhydrat , in  Grammdosen,  von  leidlich  zuverlässiger 
Wirkung.  Weit  unzuverlässiger  sind  die  zur  Inhalation  dienen- 
den Mittel:  das  Salpeterpapier,  die  Str ammoniumblätter,  sowie  die 
Hyoscyamus-  und  Belladonnablätter.  Das  Salpeterpapier  zündet 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


67 


man  an  und  läßt  es  auf  einem  Teller  verglimmen,  den  dicken 
Rauch  atmet  man  ein;  die  Blätter  werden  meist  in  Form  von 
Zigaretten  geraucht.  Auch  der  wirksame  Bestandteil  des  ver- 
brennenden Salpeterpapiers,  das  Pyridin , ist  zur  Einatmung  ge- 
bräuchlich. Man  gießt  davon  3,0 — 5,0  auf  einen  Teller  und  läßt 
die  Dämpfe  mit  der  Zimmerluft  2 — 3 mal  täglich  20 — 30  Mi- 
nuten lang  durch  Nase  und  Mund  ein  atmen.  Endlich  wird  noch 
die  Tinctura  Lobeliae  viel  gegeben,  zu  10 — 20  Tropfen,  nötigen- 
falls 2 — 3 mal  täglich.  Wohl  immer  kann  man  dasselbe  durch 
die  harmloseren  Mittel  Acetanilid,  Pyramidon  oder  Kryofin  erzielen, 
die  auch  im  asthmatischen  Anfalle  eine  deutliche  beruhigende 
Wirkung  zeigen.  Überaus  wichtig  ist,  daß  man  nicht  über  den 
symptomatischen  Mitteln  die  Behandlung  der  eigentlichen  Krank- 
heit unterläßt,  möge  nun  ein  chronisches  Leiden  der  Nasenhöhle 
und  des  Nasenrachenraumes  oder  eine  mangelhafte  Hauttätigkeit 
oder  eine  allgemeine  nervöse  Anlage  die  Hauptsache  sein. 


Atropini  sulf.  0,015 

(oder  Scopolam.  hydrobr.  0,015) 

Boli  albae  5,0 

F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  täglich 
1 Pille,  steigend  bis  3 mal  tägl. 
3 Pillen. 

Tct.  Lobeliae  20,0 
D.S.  1 — 3 mal  täglich  10 — 20 
Tropfen. 


Chlorali  hydrati  5,0 
Aq.  dest.  100,0 
Sir.  Aur.  cort.  50,0 
M.D.S.  Mehrmals  1 Eßl. 

Acetanilidi  0,5 
(oder  Pyramidoni  0,5) 

(oder  Kryofini  0,5) 

D.  tal.  dos  XX.  S.  Mehrmals 
tägl.  1 Pulver. 


Das  Lungenödem  gibt  eine  dringende  Anzeige  für  ein  recht 
in  Vergessenheit  geratenes  Mittel  der  Heilkunde,  für  den  Ader- 
laß. Er  wirkt  hier  tatsächlich  so  schnell  und  sicher,  wie  kein 
anderes  Mittel.  Bei  den  schweren  Störungen  des  kleinen  Kreis- 
laufes, die  unter  Dyspnoe  und  Kyanose  tötlich  zu  enden  drohen, 
tritt  durch  den  Aderlaß  sofort  eine  Entlastung  ein,  die  Dyspnoe 
hört  auf,  die  Kyanose  verschwindet,  und  der  dem  Tode  nahe 
Kranke  atmet  wieder  frei  auf.  Außer  dem  Lungenödem  können 
noch  manche  Herzstörungen,  wobei  die  Kyanose  unter  den  Kom- 
pensationstörungen obenan  steht,  ähnlich  günstig  beeinflußt  werden, 
namentlich  Mitralstenose  mit  ausgesprochener  Lungenhyperämie, 
Stauungen  bei  Kyphoskoliose ; bei  Pneumonie  geben  nur  ganz 
bestimmte,  dem  Lungenödem  verwandte  Zustände  die  Anzeige  für 
Aderlaß,  nämlich  eine  sehr  schnelle  Ausbreitung  der  Entzündung, 
die  unter  schwerer  Dyspnoe  bei  vollem,  gespanntem  Pulse  und 


68 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


starker  Kongestion  nach  dem  Kopfe  verläuft:  endlich  gehören 
hierher  auch  die  drohende  Apoplexie  .bei  Schrumpfniere  und  hei 
Arteriosklerose,  wiederum  durch  Kongestionen  zum  Kopf  und 
starke  Spannung  der  Arterien  gekennzeichnet.  Über  die  An- 
wendung des  Aderlasses  hei  Bleichsucht,  bei  Urämie,  bei  Ver- 
giftungen ist  in  den  betreffenden  Abschnitten  nachzulesen. 

Die  Technik  des  Aderlasses  ist  folgende:  Der  Kranke  liegt 
im  Bette.  Die  Ellbogengegend  und  ein  hinreichend  großer  Teil 
des  Ober-  und  Unterarms  werden  gründlich  desinfiziert,  dann 
läßt  man  den  Arm  einige  Minuten  herabhängen,  um  ihn  mit 
Blut  zu  füllen,  und  schlingt  nun  eine  Binde  so  fest  um  die  Mitte 
des  Oberarms,  daß  das  Hautvenenblut  distal wärts  zurückgehalten 
wird,  das  Arterienblut  unverändert  einströmt,  u.  a.  der  Radial- 
puls nicht  kleiner  wird.  Bald  treten  die  Hautvenen  des  Hand- 
rückens und  des  Unterarmes  deutlich  hervor.  Man  wählt  nun 
unter  den  Hautvenen  der  Ellenbeuge,  Vena  cephalica  an  der 
Radialseite,  Vena  basilica  an  der  Ulnar seite  und  Vena  mediana 
in  der  Mitte,  die  am  stärksten  hervortretende  aus,  fixiert  sie  mit 
der  linken  Hand  und  sticht  mit  der  rechten  Hand  mit  einer 
Lanzette  schräg  zur  Längsrichtung  der  Vene  distalwärts  in  diese 
ein.  Aus  der  1/2 — 1 cm  langen  Wunde  fließt  das  Blut  langsam 
aus  und  wird  in  einem  Meßgefäß  aufgefangen.  Gewöhnlich  ent- 
leert man  100 — 200  g,  nie  mehr  als  300 — 400  g auf  einmal, 
bei  schwachen  und  älteren  Menschen  nur  1 g auf  1 kg  Körper- 
gewicht. Ist  genügend  Blut  geflossen,  so  legt  man  einen  asep- 
tischen Druckverband  auf.  Man  wiederholt  den  Aderlaß  bei 
dringender  Anzeige  schon  an  demselben  oder  am  nächsten  Tage, 
bei  Bleichsucht  usw.  erst  nach  Wochen.  Unmittelbar  nach  dem 
Aderlaß  pflegen  ruhige,  tiefe  Atmung,  weniger  gespannter  Puls 
und  bald  auch  kräftiger  Schweißausbruch  einzutreten,  zuweilen 
unter  erquickendem  Schlaf. 

4.  Mechanische  Hindernisse  der  Atmung. 

Bei  mechanischen  Atmungshindernissen  im  Kehlkopf  oder 
im  obersten  Teile  der  Trachea  kann  es  zur  Erhaltung  des 
Lebens  notwendig  werden,  der  Luft  einen  künstlichen  Weg  zu 
schaffen.  Es  gibt  dazu  ein  unblutiges  Verfahren,  die  Intubation, 
und  ein  blutiges,  die  Tracheotomie. 

Die  Intubation  ist  in  den  letzten  Jahrzehnten  durch  den 
amerikanischen  Arzt  O’Dwyer  empfohlen  und  zu  allgemeiner 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege 


69 


Kenntnis  gebracht  worden.  Sein  Instrumentarium  besteht  aus 
dem  Introduktor,  einer  Art  Kehlkopfsonde,  und  den  damit  ein- 
zuführenden Tuben,  Metallröhren,  die  sich  durch  eine  knopf- 
förmige Anschwellung  am  oberen  Ende  oberhalb  der  Stimmbänder 
halten,  während  das  untere  Ende  in  die  Trachea  hineinragt.  Durch 
den  Extraktor  kann  die  Tube  wieder  entfernt  werden;  er  stellt 
eine  Kehlkopfzange  dar,  die  geschlossen  in  die  Tube  eingeführt 
wird  und  sich  beim  Öffnen  an  deren  Innenwand  festlegt ; man  kann 
die  Tube  übrigens  auch  an  dem  zur  Sicherheit  durch  den  Mund 
nach  außen  gehenden  Seidenfaden  herausziehen.  Die  Intubation 
kann  namentlich  bei  vorübergehenden  Stenosen,  z.  B.  bei  Krupp, 
die  Tracheotomie  ersetzen  und  ist  dieser  in  solchen  Fällen  vor- 
zuziehen, weil  sie  die  Gefahren  der  blutigen  Operation  vermeidet 
und  keine  Narbe  hinterläßt.  Ihre  Technik  und  die  Nachbehand- 
lung sind  dagegen  mindestens  ebenso  schwierig  wie  bei  der  Tracheo- 
tomie und  verlangen  große  Übung  und  Sorgfalt.  Selbstverständlich 
soll  man  Intubation  und  Tracheotomie  überhaupt  nur  dann  an- 
wenden, wenn  damit  das  Hindernis  der  Atmung  wirklich  um- 
gangen wird.  Diphtheritische  Kehlkopfstenosen  treten  bei  Kindern 
nur  etwa  bis  zum  10.  Lebensjahre  auf,  in  späteren  Jahren  sitzt 
das  Atmungshindernis  immer  in  den  Bronchien,  und  dann  kann 
natürlich  weder  Intubation  noch  Tracheotomie  helfen. 

Die  Eingriffe  bei  Verstopfung  von  Bronchien  durch 
Fremdkörper  und  bei  Verlegung  der  Atemwege  durch  Ge- 
schwülste und  dergl.  gehören  so  ausschließlich  in  das  chirurgische 
Gebiet,  daß  wir  hier  von  der  Besprechung  absehen  müssen.  Da- 
gegen hat  die  innere  Medizin  und  die  tägliche  Praxis  des  Arztes 
vielfach  Anlaß  zu  mechanischen  Eingriffen  bei  den  Atmungshinder- 
nissen, die  durch  die  raumbeengende  Wirkung  pleuritischer 
Ergüsse  hervorgerufen  werden.  Ist  ein  pleuritischer  Erguß  so 
groß,  daß  erhebliche  Atemnot,  Kyanose  und  Störungen  in  der 
Kraft  oder  im  Gleichmaß  des  Pulses  eintreten,  so  ist  die  Punktion 
unbedingt  angezeigt;  sie  ist  es  bei  sehr  großen  Ergüssen,  die  vier 
Fünftel  eines  Lungenraumes  einnehmen,  auch  ohne  daß  subjektive 
Beschwerden  bestehen,  weil  es  hier  leicht  zu  tötlichen  Abknickungen 
der  großen  Gefäße  beim  Lagewechsel  und  dergl.  kommt, und  end- 
lich muß  auch  dann  punktiert  werden,  wenn  nach  dem  Aufhören 
des  pleuritischen  Fiebers  keine  Verminderung  des  Ergusses  ein- 
tritt.  Denn  ohne  Punktion  vergehen  in  solchen  Fällen  gewöhn- 
lich Monate  bis  zur  Resorption,  und  in  dieser  Zeit  verschwindet 
die  Möglichkeit  eines  völligen  Ausgleichs  der  Lungenkompression, 


70 


Krankheiten  der  Atmungsorgane 


der  Thoraxveränderungen  usw.  Ein  eitriger  Erguß  muß  natürlich 
sofort  entfernt  werden,  wenn  seine  Beschaffenheit  festgestellt  ist. 
Daraus  ergibt  sich  für  alle  Fälle  von  Pleuraexsudat  die  Regel, 
sobald  nicht  alles  klar  und  die  seröse  Natur  des  Ergusses  über 
allen  Zweifel  erhaben  ist,  eine  Probepunktion  vorzunehmen.  Bei 
antiseptischem  Vorgehen  ist  diese  kleine  Operation  völlig  un- 
gefährlich, und  es  ist  nur  zu  bedauern,  daß  in  der  Praxis  noch 
viel  zu  wenig  oder  zu  spät  davon  Gebrauch  gemacht  wird. 

Man  verwendet  zur  Probepunktion  eine  Pravazspritze  mit 
gut  schließendem  Stempel,  die  unmittelbar  vorher  ausgekocht  und 
mit  absolutem  Alkohol  ausgespritzt  ist;  die  Hände  des  Arztes 
werden  in  der  üblichen  Weise  desinfiziert  und  die  Einstichstelle 
mit  Seifenspiritus  gründlich  gereinigt.  Man  punktiert  am  besten, 
während  der  Kranke  mit  etwas  erhöhtem  Oberkörper  im  Bett 
liegt  (nicht  etwa  sitzt),  und  zwar  in  der  hinteren  Axillarlinie  im 
sechsten,  in  der  mittleren  Axillarlinie  im  fünften  Interkostalraum. 
Wenn  der  Kranke  sich  etwas  nach  der  gesunden  Seite  neigt,  weichen 
die  Rippen  der  kranken  Seite  auseinander,  und  dabei  vermeidet 
man  leicht  die  Verletzung  der  am  Rippenrande  entlangziehenden 
Arterien.  Darauf  stößt  man  etwa  5 — 6 cm  tief  ein  und  zieht  dann 
den  Spitzenstempel  zurück.  Kommt  keine  Flüssigkeit,  so  hat  man, 
wenn  nicht  etwa  die  Nadel  zu  eng  ist,  den  Versuch  an  einer 
anderen  Stelle  zu  wiederholen.  Merkwürdig  ist  die  von  Gerhardt 
mitgeteilte  und  auch  von  uns  wiederholt  gemachte  Beobachtung, 
daß  zuweilen  die  Probepunktion  genügt,  um  die  bis  dahin  zögernde 
Aufsaugung  eines  Ergusses  anzuregen.  Geschieht  dies  nicht  binnen 
einigen  Tagen  oder  ist  aus  den  genannten  Gründen  Eile  geboten, 
so  läßt  man  der  Probepunktion  nunmehr  die  Punktion  folgen. 
Man  kann  dazu  eine  Hohlnadel  oder  einen  Trokar  benutzen.  Bei 
der  allmählich  eintretenden  Verkleinerung  des  Ergusses  bringt  die 
Hohlnadel  die  Gefahr  der  Verletzung  anderer  Pleurateile  oder 
der  benachbarten  Organe  mit  sich,  man  sollte  daher  auf  jeden 
Fall  nur  die  FiEDLERsche  Hohlnadel  mit  ihrer  gedeckten  Spitze 
benutzen.  Wir  finden  sie  bequemer  als  den  Trokar,  weil  sie  sich 
ohne  weiteres  glatt  mit  dem  Schlauche  des  Aspirationsapparates 
verbinden  läßt,  wovon  gleich  zu  reden  ist,  und  damit  die  Gefahr 
des  Eindringens  von  Luft  bei  negativem  intrathorazischen  Drucke 
ausschließt.  Bei  Benutzung  des  Trokars  sind  dazu  besondere 
Vorkehrungen  nötig,  entweder  ein  Hahn  Verschluß,  der  nach  Ent- 
fernung des  Stilets  eintritt,  oder  die  Anbringung  eines  Kondomes 
oder  eines  ähnlichen  Gummihäutchens,  das  sich  über  das  äußere  Ende 


Krankheiten  der  tieferen  Luftwege  7 t 

der  Trokarkanüle  legt  und  bei  Aspiration  den  Luftzutritt  abschließt. 
Man  darf  sich  nicht  verleiten  lassen,  den  Erguß  allzu  schnell  ab- 
fließen zu  lassen,  weil  dabei  Hustenreiz,  Ohnmachtanwandlungen, 
Schweiße  und  auch  ernstere  Zufälle  möglich  sind.  In  den  ersten  zehn 
Minuten  soll  im  allgemeinen  nicht  mehr  als  1/2  Liter  abfließen,  mehr 
als  ein  oder  höchstens  anderthalb  Liter  in  einer  Sitzung  abzulassen, 
ist  unzweckmäßig.  Tritt  während  des  Vorganges  Husten  auf,  so  hat 
man  eine  Pause  zu  machen  und  zugleich  zu  erwägen,  ob  etwa 
die  Kanüle  mit  der  gegenüberliegenden  Pleura  in  Berührung  ge- 
kommen ist;  das  muß  natürlich  durch  Verschiebung  der  Kanüle 
vermieden  werden.  Auch  bei  Ohnmachtanwandlung  oder  beim 
Eintritt  reichlichen  Auswurfs,  der  sogenannten  serösen  Expek- 
toration, ist  die  Entleerung  zu  unterbrechen  und  nur  mit  Vor- 
sicht wieder  aufzunehmen,  damit  nicht  etwa  Lungenödem  eintritt. 
Häufig  genügt  übrigens  der  Druck  in  der  Brusthöhle  nicht  zur 
hinreichenden  Entleerung  des  Ergusses,  und  man  muß  dazu  ent- 
weder die  Heberwirkung  eines  an  der  Kanüle  befestigten,  mit  anti- 
septischer Flüssigkeit  gefüllten  Schlauches  benutzen,  oder  einen 
besonderen  Aspirationsapparat  an  wenden.  Am  bekanntesten 
sind  die  DiEULAFOYsche  Spritze  und  der  PoTAixsche  Aspirateur, 
der  aus  einer  luftleer  gemachten  Flasche  besteht.  Fürbringer 
hat  den  letzteren  noch  vereinfacht:  an  einer  gewöhnlichen  Spritz- 
flasche mit  durchbohrtem  Kautschukstopfen  wird  das  äußere  Ende 
der  bis  zum  Boden  der  Flasche  reichenden  Glasröhre  durch  einen 
Gummischlauch  mit  dem  Ende  der  Kanüle  oder  der  Fiedler- 
schen  Nadel  verbunden,  an  der  kurzen  Glasröhre  wird  ein  kurzer 
Schlauch  mit  Quetschhahn  befestigt.  Füllt  man  nun  die  Flasche 
zu  einem  Drittel  mit  Borsäurelösung  und  saugt  nach  Öffnung  des 
Quetschhahns  an  der  Schlauchmündung,  so  wird  der  Erguß  in 
die  Flasche  gezogen.  Man  hat  auf  diese  Art  eine  recht  gute 
Abstufung  für  den  Saugdruck  und  einen  sehr  billigen  Apparat. 

Für  eitrige  Ergüsse  ist  man  im  ganzen  der  Punktion  ab- 
geneigt, weil  sie  keine  so  gute  Entleerung  des  Eiters  bewirkt  wie 
die  breite  Eröffnung  der  Pleurahöhle  durch  Schnitt  undRippen- 
resektion.  Immerhin  verdient  namentlich  für  frische  Empyeme 
mit  Pneumokokken,  wobei  die  Heilungstendenz  an  und  für  sich 
größer  ist,  die  BüLAUsche  Heberdrainage  durch  den  am  Trokar 
befestigten  wassergefüllten  Schlauch,  der  dauernd  liegen  bleibt, 
wegen  des  leichten , ohne  Narkose  vorzunehmenden  Eingriffes 
Empfehlung.  Bei  Empyem  mit  Streptokokken,  oder  wenn  die  Heber- 
drainage durch  Verstopfung  oder  Abknickung  des  Schlauches  usw. 


72  Krankheiten  der  Atmungsorgane 

mangelhaft  wirkt,  ist  dagegen  die  baldige  chirurgische  Eröffnung 
vor  zunehmen. 

In  der  Nachbehandlung  der  Pleuritis  ist  großer  Wert  auf 
richtige  Lungengymnastik  und  zugleich  auf  die  Anregung  der 
Zirkulation  in  der  Brusthöhle  durch  Halbbäder,  Priessnitz sehe 
Umschläge  und  dergl.  zu  legen;  die  Aufsaugung  pleuritischer 
Schwarten  wird  durch  fortgesetzte  Einreibungen  der  Brustwand 
mit  grüner  Seife  gefördert. 


III 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane. 

1.  Krankheiten  der  Mundhöhle. 

Nicht  nur  bei  Krankheiten  der  Mundhöhle,  sondern  bei  allen 
Erkrankungen  der  Verdauungsorgane  muß  die  Fürsorge  des  Arztes 
schon  bei  der  Mundhöhle  beginnen.  Man  sicht  oft  genug  Magen- 
leidende, die  seit  Jahren  ohne  rechten  Erfolg  behandelt  worden  sind, 
auf  einmal  erhebliche  Fortschritte  machen,  wenn  sie  belehrt  werden, 
nicht  nur  was  sie  essen  sollen,  sondern  auch  wie  sie  es  verzehren 
müssen.  Die  Zerkleinerung  der  Speisen  und  ihre  Vermischung 
mit  dem  für  die  Verdauung  so  wichtigen  Speichel  sind  wichtige 
Bedingungen  für  eine  gute  Magenverdauung ; das  Kauen  regt 
außer  der  Speichelabsonderung  auch  die  Tätigkeit  der  Magen- 
drüsen an.  Die  leicht  zu  sehenden  Veränderungen  der  Mund- 
schleimhaut nach  Genuß  zu  heißer,  aber  auch  zu  kalter  Speisen 
und  Getränke  belehren  uns  darüber,  wie  diese  Einwirkungen  auf 
die  Speiseröhre  und  den  Magen  wirken  müssen.  Es  ist  das  Ver- 
dienst des  verstorbenen  Uffelmann,  darauf  nachdrücklich  hin- 
gewiesen zu  haben. 

Noch  immer  wird  viel  zu  wenig  für  die  Zähne  gesorgt, 
wenigstens  beginnt  meist  die  Fürsorge  zu  spät,  nämlich  wenn 
erst  Krankheiten  und  Schmerzen  an  den  Zähnen  vorliegen.  Tat- 
sächlich ist  ein  gutes  Milchgebiß  sehr  wichtig  für  die  bleibenden 
Zähne,  man  soll  daher  schon  in  den  ersten  Lebensjahren  für  die 
Reinigung  der  Kinderzähne  sorgen,  namentlich  vor  der  Nacht  die 
Mundhöhle  durch  Ausspülen  und  durch  Abputzen  der  Zähne 
reinigen,  um  Zersetzungen  vorzubeugen,  man  soll  schadhafte  Milch- 
zähne nicht  immer  einfach  entfernen,  sondern  sie  nach  den  Grund- 
sätzen der  Zahnheilkunde  möglichst  erhalten,  damit  das  Wachstum 
des  Kiefers  nicht  zurückbleibt  und  den  späteren  Zähnen  der  Platz 
nicht  verkümmert  wird.  Ob  der  Genuß  von  Zucker  den  Zähnen 
schadet,  ist  zweifelhaft,  der  bei  den  Mahlzeiten  genossene  Zucker 
tut  es  sicher  nicht,  vielmehr  trägt  er  als  gutes  Nährmittel  auch 


74 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


zur  Kräftigung  der  Zähne  bei.  Anders  ist  es  mit  den  Bonbons, 
die  ihre  klebrigen  Bestandteile  an  den  Zähnen  hängen  lassen  und, 
zwischen  den  Mahlzeiten  genossen,  auch  den  Magen  verderben 
und  damit  von  neuem  schädlich  auf  die  Zähne  zurückwirken.  Die 
größte  Schädigung  erfährt  die  Widerstandsfähigkeit  der  Zähne, 
abgesehen  von  der  hereditären  Syphilis,  durch  Rachitis  und 
durch  Chlorose  und  Anämie.  Rechtzeitige  Behandlung  dieser 
Krankheiten  ist  daher  auch  aus  diesem  Grunde  geboten.  Daß  der 
fortdauernde  Genuß  weicher  Speisen,  die  keine  Kauarbeit  erfordern, 
die  Entwicklung  des  Kiefers  und  damit  auch  die  der  Zähne  Zurück- 
bleiben läßt,  ist  in  den  letzten  Jahren  wiederholt  betont  worden, 
man  tut  also  gut,  Kinder  regelmäßig  auch  Speisen  genießen  zu 
lassen,  die  kräftig  gekaut  werden  müssen,  wie  z.  B.  Schwarzbrot, 
namentlich  das  sogenannte  Kommißbrot,  Zwieback  usw. 

Kariöse  Zähne  müssen  kunstgerecht  behandelt  und  nötigen- 
falls entfernt  werden.  Entweder  reizen  sie  die  Mundschleimhaut  durch 
ihre  scharfen  Ränder  und  Spitzen  zu  Katarrh  und  Geschwüren, 
oder  sin  halten  in  ihren  Höhlungen  faulende  Stoffe  zurück,  die  den 
übrigen  Mundinhalt  infizieren,  und  endlich  bewirken  sie  von  Zeit 
zu  Zeit  Eiterungen  an  den  Zahnwurzeln,  die  durch  Aufnahme  von 
Toxinen  ins  Blut  und  oft  genug  auch  durch  pyämische  Erkrank- 
ungen leichterer  Art,  Gelenkrheumatismus  und  dergl.,  verderblich 
werden.  Rechtzeitiges  Plombieren  der  hohlen  Stellen  kann  weiteren 
Zerfall  eines  so  erkrankten  Zahnes  aufhalten;  bei  vorgeschrittener 
Zerstörung  ist  es  oft  besser,  den  Zahnrest  zu  entfernen  und  nament- 
lich bei  Fehlen  mehrerer  Zähne  ein  künstliches  Gebiß  einsetzen 
zu  lassen.  Das  Vorurteil  gegen  diese  ist  unberechtigt,  ein  sauber 
gehaltenes  künstliches  Gebiß  ist  viel  appetitlicher  als  ein  Mund 
voll  hohler  Zähne,  und  die  Säuberung  des  künstlichen  Gebisses 
ist  tatsächlich  sehr  leicht.  Der  Arzt  soll  | diese  Dingo  wohl  be- 
achten und  es  nicht  für  unter  seiner  Würde  halten,  den  Kranken 
auch  darüber  Rat  zu  erteilen. 

Eine  wirkliche  Desinfektion  der  Mundhöhle  ist  nicht 
zu  erzielen,  wohl  aber  kann  man  durch  gute  Mundwässer  erheb- 
lich zur  Reinigung  beitragen.  Die  bis  vor  einigen  Jahren  am 
meisten  empfohlenen  Mittel,  Kalium  permanganicum , Salizylsäure 
und  Thymol,  greifen  bei  längerem  Gebrauch  und  namentlich  in 
stärkeren  Lösungen  die  Zähne  an,  es  empfiehlt  sich  daher  mehr, 
das  mit  wirksamer  Reklame  vertriebene,  aber  durchaus  gute  Odol 
oder  ähnliche  Mittel  zu  verwenden;  andere  gute  Mittel  sind 
Wasserstoffsuperoxyd , Borax,  Resorzin  in  wäßriger  Lösung,  ge- 


Krankheiten  der  Speiseröhre 


75 


wohnlich  mit  Zusatz  von  etwas  Spiritus  und  Pfefferminzöl,  das 
der  Mundschleimhaut  angenehm  ist.  Das  Kalium  chloricum  wird 
man  wegen  seiner  Giftigkeit,  die  allerdings  nur  bei  mangelhafter 
Nierentätigkeit  und  bei  abnormer  Anhäufung  von  Kohlensäure  im 
Blut  hervortritt,  für  den  gewöhnlichen  Gebrauch  nur  in  Form 
der  BEiERSDORFschen  Zahnpaste  in  Tuben  empfehlen;  in  Pulver- 
form ist  es  bekanntlich  explosiv.  Bei  Mundkrankheiten  kann  es 
große  Dienste  leisten,  da  es  die  Mundschleimhaut  sehr  günstig 
beeinflußt,  auch  bei  innerlichem  Gebrauch.  Bei  schwereren  Er- 
krankungen der  Mundhöhle  benutzt  man  auch  das  Kalkwasser 
als  verhältnismäßig  wirksames  Desinfektionsmittel.  — Zu  ver- 
bieten ist  das  von  manchen  Kranken  beliebte  Abkratzen  der 
belegten  Zunge,  das  natürlich  nur  eine  vermehrte  Epithel- 
abstoßung hervorruft,  und  das  Zahnstochern,  das  nur  zu  leicht 
die  Zähne  beschädigt  und  überall  da  unnötig  wird,  wo  die  Zahn- 
bürste oft  und  sorgfältig  gebraucht  wird.  Auch  das  Rauchen 
bildet  oft  einen  schädlichen  Reiz  für  die  Mundschleimhaut  und 
muß  daher  bei  akuten  Krankheiten  der  Mundhöhle  selbstver- 
ständlich unterbleiben;  bei  den  chronischen  wird  der  Arzt  mit 
dem  Kranken  eine  möglichst  günstige  Einigung  über  Maß  und 
Art  des  Rauchgenusses  zu  treffen  haben. 

2.  Krankheiten  der  Speiseröhre. 

Bezüglich  der  mechanischen,  thermischen  und  chemischen 
Schädigungen  steht  es  mit  der  Speiseröhre  genau  wie  mit  der 
Mundhöhle,  so  daß  hier  keine  neuen  Ausführungen  nötig  sind. 
Hinzu  kommt  nur,  daß  bei  Erkrankungen  der  Speiseröhre  der 
im  Mund  geformte  Bissen  nicht  zu  groß  sein  darf,  um  nicht 
Schleimhaut  und  Muskulatur  zu  schädigen.  Erzwungen  wird 
diese  Vorsicht  bei  Verengerungen  der  Speiseröhre,  wo  nur  langsam 
kleine  Schlucke  in  gehörigen  Pausen  ertragen  werden;  hier  kommt 
es  auch  darauf  an,  herauszufinden,  was  am  besten  durchgeht, 
denn  das  ist  nicht  in  allen  Fällen  gleich.  Oft  wirkt  das  Ver- 
schlucken von  01,  abgesehen  von  seinem  Nährwert,  sehr  günstig 
auf  die  Fähigkeit,  auch  andere  Nahrung  hinunterzubringen.  — 
Die  früher  rückhaltlos  empfohlene  Sondierung  von  krebsigen 
Verengerungen,  die  oft  für  einige  Zeit  das  Schlucken  erleichtert, 
wird  neuerdings  etwas  mißtrauischer  angesehen,  weil  sie  doch  zu 
vorzeitigem  Zerfall  der  Neubildung  und  zu  allerlei  örtlichen 
Schädigungen  führen  kann.  Sie  soll  jedenfalls  nur  mit  äußerster 


76 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Vorsicht  ansgeführt  werden,  am  besten  greift  man  zu  künstlicher 
Ernährung  vom  Mastdarm  aus  und  dergl. 

3.  Krankheiten  des  Magens. 

Wenige  Organe  unseres  Körpers  werden  so  sehr  wie  der 
Magen  durch  das  Allgemeinbefinden  beeinflußt.  Nicht  nur  akute 
Krankheiten  mit  Fieber  führen  zu  schweren  Veränderungen  der 
Sekretion  und  Bewegung  des  Magens,  auch  die  meisten  chro- 
nischen Krankheiten,  insbesondere  auch  die  einfache  Herabsetzung 
der  Lehensenergie  hei  chronischen  Schwächezuständen,  üben  einen 
großen  Einfluß  auf  die  Magenfunktionen  aus.  Die  Melancholie 
z.  B.  beeinträchtigt  die  Magenverdauung  nicht  selten  so  sehr,  daß 
die  psychische  Depression  gegenüber  den  Verdauungsbeschwerden 
vollkommen  übersehen  oder  vielleicht  als  deren  Folge  angesehen 
wird,  bis  die  spezifische  Behandlung  mit  steigenden  Opiumdosen 
den  Appetit  und  die  Verdauung  wieder  herstellt.  Durch  die 
Fortschritte  der  Magendiagnostik  ist  festgestellt  worden,  daß  der 
wirkliche  Katarrh  eine  seltene  Krankheit  ist  und,  von  den  Stauungs- 
katarrhen bei  Herz-,  Lungen-  und  Leberkrankheiten  abgesehen, 
fast  nur  bei  chronischem  Alkoholismus  vor  kommt,  und  daß  die 
früher  ohne  weiteres  dem  Katarrh  zugeschriebenen  Sekretion- 
störungen, die  verminderte  wie  die  vermehrte  und  die  anhaltende 
Sekretion,  wesentlich  auf  Störungen  der  Zellfunktion,  vielleicht  noch 
häufiger  auf  nervösen  Störungen  beruhen.  Jedenfalls  zeigt  in  diesen 
Fällen  die  Behandlung  mit  solchen  Mitteln,  die  den  Allgemein- 
zustand anregen  und  heben,  ungemein  viel  bessere  Erfolge  als  die 
einfache  diätetische  und  sonstige  direkte  Behandlung  des  Magens. 

Der  gewöhnliche  Satz,  daß  die  Magenkrankheiten  haupt- 
sächlich einer  diätetischen  Behandlung  bedürften,  bedarf  daher 
einer  Berichtigung  dahin,  daß  diese  immer  nur  einen  Teil,  freilich 
einen  unentbehrlichen  Teil,  der  Behandlung  bildet.  Dabei  darf 
außerdem  nicht  die  laienhafte  Verwechselung  des  Begriffes  Diät 
mit  strenger  Diät  unterlaufen,  denn  wir  kommen  ebenso  oft 
in  die  Lage,  dem  Kranken  eine  kräftigere  Kost  usw.  zu  ver- 
schreiben als  eine  reizlose  oder  absolut  leicht  verdauliche. 

Diätbehandlung. 

Für  die  Behandlung  der  Magenkrankheiten  und  die  Ernährung 
der  Magenkranken  kommt  es  zunächst  darauf  an,  festzustellen,  wie 
sich  die  Verdaulichkeit  der  verschiedenen  Nahrungsmittel  verhält. 


Krankheiten  des  Magens 


77 


Man  bezeichnet  ein  Nahrungsmittel  als  leichtverdaulich,  wenn  es 
von  den  in  Frage  kommenden  Organen  schnell  umgewandelt  und 
aufnahmefähig  gemacht  wird,  ohne  Reizung,  Schmerzen  und  sonstige 
Störungen  zu  verursachen.  Dazu  gehört  beim  Magen  ganz  be- 
sonders auch,  daß  das  Nahrungsmittel  den  Magen  in  nicht  zu 
langer  Zeit  verläßt. 

Pentzoldt  hat  darüber  zuerst  planmäßige  Untersuchungen 
angestellt  und  danach  die  folgenden  Tabellen  angefertigt: 


1 — 2 Std.  verweilen  im  Magen: 
100 — 200  g reines  Wasser 
220  g kohlensaures  Wasser 
200  g Tee  ohne  Zutat 
200  g Kaffee  ohne  Zutat 
200  g Kakao  ohne  Zutat 
200  g Bier 
200  g leichter  Wein 
100 — 200  g gekochte  Milch 
200  g klare  Bouillon 
200  g Peptone  aller  Art  mit  Wasser 
100  g weiches  Ei 
72  g rohe  Austern 
200  g gekochter  Karpfen 
200  g gekochter  Hecht 
200  g gekochter  Schellfisch 
200  g gekochter  Stockfisch 
1 50  g gekochter  Blumenkohl 
150  g gekochter  Spargel 
150  g Kartoffeln,  Salzkartoffeln 
150  g Kaxi;offelbrei 
150  g Kirschkompott 
1 50  g rohe  Kirschen 
70  g Weißbrot,  frisch  oder  alt, 
trocken  oder  mit  Tee 
70  g Zwieback,  ebenso 
70  g Brezel 
50  g Albertbiskuits 

3 — 4 Std.  verweilen  im  Magen: 
230  g gekochtes  junges  Huhn 
220 — 230  g gebratenes  junges  Huhn 
230  g gebratenes  Rebhuhn 
220 — 260  g gekochte  Taube 
195  g gebratene  Taube 
250  g rohes  oder  gekochtes  Rind- 
fleisch 


250  g gekochte  Kalbsfüße 
160  g gekochter  Schinken 
160  g roher  Schinken 
100  g warmer  od.  kalter  Kalbsbraten 
100  g rohes  geschabtes  Beefsteak 
100  g Lendenbraten 
200  g gekochter  Rheinsalm 
72  g gesalzener  Kaviar 
200  g Neunaugen  in  Essig 
200  g Bücklinge 
150  g Schwarzbrot 
1 50  g Schrotbrot 
150  g Weißbrot 
100 — 150  g Albertbiskuits 
150  g Kartoffeln,  Gemüse 
1 50  g gekochter  Reis 
150  g gekochter  Kohlrabi 
150  g gekochte  Möhren 
1 50  g gesottener  Spinat 
150  g Gurkensalat 
150  g rohe  Radieschen 
150  g Äpfel 

4 — 5 Std.  verweilen  im  Magen: 
210g  gebratene  Taube 
250  g gebratenes  Rindsfilet 
250  g gebratenes  Beefsteak 
250  g geräucherte  Rindszunge 
100  g Rauchfleisch  in  Scheiben 
250  g gebratener  Hase 
240  g gebratenes  Rebhuhn 
250  g gebratene  Gans 
280  g gebratene  Ente 
200  g Salzhering 
1 50  g Linsenbrei 
| 200  g Erbsenbrei 
150  g gekochte  Schnittbohnen. 


Für  die  Praxis  noch  wichtiger  sind  die  folgenden  Auft 
Stellungen  von  Pentzoldt  (vgl.  Tabelle  S.  78  und  79.) 


78 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


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80 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Ferner  hat  Leube  ein  Schema  verschieden  leicht  verdaulicher 
Nahrung  aufgestellt,  das  folgendermaßen  lautet: 

1.  Kost:  Bouillon,  Leube-Rosenthalsche  Fleischsolution,  Milch, 
weiche  rohe  Eier,  Zwieback,  englische  Kakes  (nicht  zuckerhaltig, 
Albertkakes),  Wasser,  natürliche  Säuerlinge  (Apollinaris,  Kron- 
taler, Selterser  usw.). 

2.  Kost:  Gekochtes  Kalhshirn,  gekochte  Kalbsmilch  (Bries, 
Thymus),  gekochtes  Huhn  (jung,  ohne  die  Haut),  gekochte  Taube, 
gekochte  Kalbsfüße,  Milchhrei  aus  Tapioka,  Eierschaum. 

3.  Kost:  Rohes  Rindfleisch,  fein  gehackt;  roher  Schinken, 
fein  gehackt;  Beefsteak,  in  frischester  Butter  oberflächlich  ge- 
braten; feines  Schabefleisch  von  der  Lende,  Kartoffelpüree,  Weiß- 
brot, altbacken;  Milchkaffee,  Milchtee. 

4.  Kost:  Gebratenes  Huhn,  gebratene  Taube,  gebratenes  Reh, 
gebratenes  Rebhuhn,  gebratenes  Roastbeef,  kalt,  Kalbsrücken  oder 
Keule,  gebraten,  gesottener  Hecht,  gesottener  Schill  (Zander),  Makka- 
roni, Reisbrei,  feingehackter  Spinat,  Spargel,  gedämpfte  Äpfel, 
leichteste  Abzüge  von  Rot-  oder  Weißwein. 

Im  allgemeinen  geben  diese  Zusammenstellungen  von  Pentzoldt 
und  Leube  eine  gute  Richtschnur  für  das  Handeln  in  der  Praxis. 
Einige  besondere  Bemerkungen  sind  aber  jedenfalls  nötig. 

Die  Milch  ist  nur  dann  das  leichteste  Nahrungsmittel,  wenn 
sie  wirklich  gut  ist.  Vor  allem  muß  sie  auf  völlig  reinliche 
Weise  gewonnen  sein.  Wir  wissen  aber,  daß  das  bisher  nur  in 
einzelnen  Musterwirtschaften  geschieht,  und  nicht  immer  in  denen, 
die  sich  so  nennen.  Am  meisten  Gewähr  gibt  die  in  größeren 
Städten  von  besonders  guten  Molkereien  gelieferte  Kindermilch. 
Wo  nicht  zuverlässige  Milch  zu  haben  ist,  kann  man  sich  oft 
mit  den  guten  Versandpräparaten  von  konserviertem  Rahm 
behelfen  (Rahm  läßt  sich  besser  konservieren  als  Milch).  Natür- 
lich muß  die  Milch  auch  weiterhin  sorgfältig  behandelt  werden, 
in  völlig  sauberen  Gefäßen  aufbewahrt  werden  usw.  Aber  auch 
die  beste  Milch  hat,  wie  aus  der  Kinderpraxis  bekannt  ist,  den 
Nachteil,  daß  ihr  Kasein  nicht  besonders  leicht  verdaulich  ist  und 
im  Magen  gern  grobflockig  gerinnt.  Damit  hört  natürlich  der 
Begriff  der  Reizlosigkeit  auf.  Die  feinflockige  Gerinnung  wird 
begünstigt  durch  Abkochen  der  Milch  mit  Mondamin  oder  Mai- 
zena, ferner  durch  Zusatz  von  Pegnin-Höchst.  Genaueres  darüber 
ist  bei  der  Behandlung  der  Säuglingskrankheiten  gesagt.  Wenn 


Krankheiten  des  Magens 


81 


man  bei  akuten  Magenstörungen  mit  Milch  wieder  anfängt,  muß 
man  also  eine  dieser  Zubereitungen  verwenden,  oder  beide;  ab- 
wechselnd. Man  gibt  dann  alle  zwei  Stunden  eine  mäßige  Menge, 
nicht  über  200  ccm  auf  einmal,  nach  Geschmack  des  Kranken 
und  zur  Vermeidung  der  Eintönigkeit  bald  warm,  bald  kalt,  bald 
in  dieser,  bald  in  jener  Zubereitung.  Man  kann  auch  in  der 
Milch  Eier  verquirlen  oder  mit  Kindermehl,  Theinhardts  Kinder- 
nahrung usw.,  Gries,  Tapioka  und  dergl.  dünne  Breie  bereiten  lassen. 
Gelegentlich  kann  man  auch  der  Milch  dünnen  Tee  zusetzen,  der 
nicht  lange  gezogen  hat  und  noch  völlig  goldgelb  und  nicht  bitter 
oder  herb  ist. 

Bei  dem  Fleisch  kommt  es  ganz  wesentlich  auf  die  Be- 
reitung an.  Zum  Kochen  kann  man  das  Fleisch  ganz  frisch 
verwenden,  zum  Braten  muß  es  einige  Tage  alt  sein,  damit  sich 
die  Muskelstarre  löst.  Die  zartesten  Braten  gibt  der  Rost,  wo- 
rüber in  meinem  Diätetischen  Kochbuch  (zweite  Auflage, 
Würzburg  1905)  genaueres  gesagt  ist.  Man  kann  auch  Tauben 
sehr  gut  auf  einem  gewöhnlichen  Rostapparat  braten,  über  Kohlen- 
oder Gasfeuer.  Als  leichteste  Form  der  Fleischnahrung  empfiehlt 
Pariser  mit  Recht  gekochtes  weißes  Hühner-  oder  Putenfleisch 
•von  der  Brust,  das  vom  Knochen  abgelöst  und  erkaltet  im  Mörser 
zerstampft  und  dann  kalt  oder  im  Wasserbade  wieder  erwärmt 
gegessen  wird,  mit  Zugabe  eines  Stückchens  frischer  Butter.  Der- 
selbe Autor  empfiehlt,  nach  Magengeschwür  noch  wochenlang  nach 
Eintritt  völliger  Schmerzlosigkeit  das  Fleisch  nur  im  hachierten 
Zustande  zu  geben. 

Die  Eier  sind  roh  unter  Milch  geschlagen  oder  für  sich 
mit  oder  ohne  Zucker  schaumig  geschlagen  am  leichtesten  zu 
vertragen.  Ähnlich  leicht  sind  ganz  weich  gekochte  Eier,  wo 
das  Weiße  noch  flüssig  ist,  gründlich  durchgeschlagen.  Man  kann 
Ei  auch  in  dünner  Bouillon  geben,  aber  im  ganzen  sind  Bouillon 
und  Fleischextrakt  als  Reizmittel  für  die  Magenschleimhaut  an- 
zusehen und  daher  zu  vermeiden.  Dasselbe  gilt  im  allgemeinen 
von  den  Gewürzen. 

Kakes  und  Friedrichsdorfer  Zwieback  sind  das  leich- 
teste Gebäck,  dann  folgt  zartes  Weißbrot,  am  besten  Weizen - 
brottoast.  Kartoffelpüree  wird  gut  vertragen  und  ist  auch 
wegen  der  guten  Wirkung  der  Kartoffeln  auf  die  Darmentleerung 
zu  empfehlen.  Makkaroni  und  Nudeln  sind  sehr  leicht. 

Außer  Spinat  und  Spargel  kann  man  auch  Blumenkohl 
in  Püreeform  geben,  sie  werden  dadurch  sehr  leicht,  und  im 

Dornblüth,  Therapie.  6 


82 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


weiteren  Verlauf  kann  man  auch  andere  Gemüse  in  dieser  feinen 
Zerkleinerung  reichen.  Ebenso  macht  man  es  grundsätzlich  mit 
Obstkompott. 

Sobald  man  zu  festen  Speisen  übergeht,  also  nach  Beendigung 
der  einfachen  Flüssigkeitkost,  ist  es  im  ganzen  besser,  nicht  mehr 
alle  zwei  Stunden  zu  geben,  sondern  den  Kranken  an  5 — 6 Tages- 
mahlzeiten zu  gewöhnen,  die  zu  ganz  bestimmten  Stunden  an- 
gesetzt werden.  Die  einzelne  Mahlzeit  sei  zunächst  klein  und 
werde  ganz  allmählich  umfangreicher.  Mit  Suppen,  die  immer 
wenig  Nährwert  haben,  sei  man  sparsam,  ebenso  mit  Tafel - 
getränk.  Wein  soll  nur  gegeben  werden,  wenn  besondere  Gründe 
dafür  vorhanden  sind.  Gerade  den  Magenleidenden  ist  im  ganzen 
die  Alkoholabstinenz  sehr  förderlich.  Die  kohlensauren  Wässer 
sollen  nur  in  kleinen  Mengen  und  am  besten  etwas  abgestanden 
getrunken  werden.  Sehr  wichtig  ist  es,  daß  vor  und  nach  den 
Mahlzeiten  strenge  Ruhe  eingehalten  wird. 

Die  Ausnutzbarkeit  der  Nährstoffe  ist  in  den  als  leicht 
bezeichneten  Speisen  überall  sehr  groß,  man  findet  danach  im 
Stuhlgang  nur  unerhebliche  Reste.  Unter  krankhaften  Bedin- 
gungen mögen  allerdings  recht  große  Unterschiede  Vorkommen, 
wie  man  z.  B.  aus  dem  Befunde  bei  der  Fettdiarrhöe  der  Säug- 
linge schließen  kann.  Es  ist  daher  sehr  erwünscht,  daß  die  Ver- 
daulichkeit der  Nahrungsmittel  bei  den  verschiedenen  Magen-  und 
Darmkrankheiten  r durch  weitere  mikroskopische  Untersuchungen 
genau  erforscht  werde.  Bisher  stehen  wir  damit  trotz  der  Unter- 
suchungen von  Schilling,  Schmidt  und  anderen  erst  in  den  An- 
fängen. Beachtenswert  ist,  daß  die  vegetabilischen  Nahrungs- 
mittel nicht  nur  selbst  viel  schlechter  ausgenutzt  werden  als  die 
animalischen,  sondern  daß  durch  Anwesenheit  von  Zellulose  im 
Darm  auch  die  Ausnutzung  der  sonst  verdaulichen  Stoffe  ver- 
ringert wird.  So  wird  z.  B.  Fleisch  viel  weniger  gut  verdaut, 
wenn  es  mit  gröberem  Brot,  Kommißbrot,  Pumpernickel  und  dergl. 
zusammen  genossen  wird,  als  wenn  man  es  für  sich  genießt. 

Von  großer  Wichtigkeit  ist  die  Menge  der  Nahrung,  die 
dem  Gesunden  zukommt.  Sie  muß  hier  besprochen  werden,  da- 
mit der  Arzt  verordnen  kann,  bis  zu  welcher  Menge  nach  dem 
Ablauf  der  Krankheit  allmählich  gestiegen  werden  soll,  um  den 
erkrankt  Gewesenen  zur  Gesundheit  und  Leistungsfähigkeit  zu 
bringen  und  dabei  zu  erhalten. 

V oit  hat  den  Nahrungsmittelbedarf  eines  Mannes  von  70  kg 
und  mittlerer  Arbeit  auf 


Krankheiten  des  Magens 


83 


118  g Eiweiß,  56  g Fett,  500  g Kohlehydrate 
berechnet.  Das  gibt  einen  Wert  von  3055  Kalorien,  da  die 
Einheit  Eiweiß  und  Fett  gleich  4,1  Kalorien,  die  Einheit  Kohle- 
hydrate gleich  9,3  Kalorien  zu  setzen  ist.  Bei  geringerem  Körper- 
gewicht und  bei  leichterer  Arbeit  verringert  sich  die  nötige  Zahl 
der  Kalorien  entsprechend.  Rubner  hat  für  verschiedene  Ge- 
wichte und  für  leichte  und  mittlere  Arbeit  folgende  Tabelle  auf- 
gestellt : 

Leichte  Arbeit. 


Körpergewicht 

kg 

Kraftwechsel 

(Kalorien) 

Eiweiß 
in  g 

Fett 
in  g 

Kohlehydrate 
in  g 

80 

2864 

134 

49 

356 

70 

2631 

123 

46 

327 

60 

2368 

111 

41 

294 

50 

2102 

90 

37 

262 

40 

1810 

84 

32 

225 

Mittlere  Arbeit. 

80 

3372 

128 

61 

556 

70 

3054 

118 

56 

500 

60 

2792 

106 

50 

461 

50  . 

2472 

96 

44 

409 

40 

2129 

81 

38 

344 

Für  Frauen  verlangt  Voit  täglich 
84  g Eiweiß,  49  g Fett,  400  g Kohlehydrate,  das  sind  2440  Kal. 

Damit  wird  man  auch  für  bettlägerige  Männer  im  allgemeinen 
auskommen.  Natürlich  muß  jede  Menge,,  die  über  den  direkten 
Bedarf  hinaus  assimiliert  wird,  zum  Ansatz  von  Körpermasse 
führen. 

Aus  den  angegebenen  Verbrennungswerten  für  Eiweiß,  Fett 
und  Kohlehydrate  kann  man,  sobald  der  Gehalt  eines  Nahrungs- 
mittels an  diesen  Stoffen  bekannt  ist,  ohne  weiteres  den  Kalorien- 
wert der  Nahrung  berechnen.  Rubner  gibt1  für  tischfertige 
Speisen  folgende  Tabelle: 


1 Von  Leydens  Handbuch  der  Ernährungstherapie,  2.  Aufl.  1903. 

6* 


84  Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


In  100  Teilen  sind: 


Speise 

Eiweiß 

Fett 

Kohle- 

hydrate 

Kalorien 

Fleischbrühe 

0,35 

0,3 



4 

Schleimsuppen  .... 

2,0 

1,1 

7,3 

48 

Kartoffelsuppe  .... 

LI 

2,1 

8,9 

60 

Milchsuppe 

4,1 

4,2 

10,2 

98 

Leguminosensuppe  . 

4,0 

0,3 

9,0 

56 

Schinken 

25,1 

8,1 

— 

178 

Kalbsbraten 

34,4 

3,5 

— 

173 

Hammelbraten  .... 

27,0 

4,0 

— 

148 

Rindsbraten  . . . . . 

33,7 

2,5 

— 

151 

Rindfleisch  gekocht  . . 

36,6 

2,8 

— 

176 

Kartoffelbrei 

2,6 

3,2 

18,8 

118 

Erbsenbrei 

12,4 

0,9 

27,4 

172 

Kohlrabi 

1,4 

4,4 

7,0 

76 

Bratensauce 

1,8 

2,4 

5,6 

53 

Apfelbrei 

0,4 

14,4 

61 

Zucker 

— 

— 

100,0 

410 

Beachtenswert  ist,  daß  zweckmäßigerweise  15 — 20  °/0  der 
Kalorien  durch  Eiweiß,  25 — 30  °/0  durch  Fett  und  der  Rest  durch 
Kohlehydrate  gewonnen  werden.  Die  Eiweißmenge  darf  keinen 
großen  Schwankungen  unterliegen,  dagegen  können  sich  Fett  und 
Kohlehydrate  untereinander  vertreten,  je  nach  dem  Zustande  der 
Verdauungsorgane  und  je  nach  dem  Geschmack  und  Verlangen 
des  einzelnen  und  selbstverständlich  nach  ihrem  Kalorienwerte, 
Fett  4,1  = Kohlehydrate  9,3. 

Legt  man  für  die  Berechnung  die  gewöhnlichen  Zahlen  des 
Prozentgehaltes  der  Nahrungsmittel  zu  gründe,  so  darf  man  die 
Kalorienzahl  nicht  zu  gering  bemessen,  weil  bekanntlich  nicht 
alles  resorbiert  wird.  Nach  Rubners  Untersuchungen  hat  man 
bei  Fleisch  und  Fisch  einen  Eiweißverlust  von  2 — 2,5 °/0,  bei 
harten  Eiern  gehen  2,6  °/0  vom  Eiweiß,  4,4  °/0  vom  Fett  ver- 
loren, bei  Milch  und  Käse  durchschnittlich  3,3 — 7,1  °/0  vom 
Eiweiß  und  5,2 — 5,3  °/0  vom  Fett,  bei  feinstem  Weizenbrot 
etwa  22  °/0  vom  Eiweiß  und  2,0  °/0  von  den  Kohlehydraten,  bei 
mittlerer  Qualität  etwa  22  °/0  vom  Eiweiß,  2,6  °/0  von  den  Kohle- 
hydraten, bei  Weizenbrot  aus  grobgemahlenem  Korn  30  °/0  vom 
Eiweiß,  7 °/0  von  den  Kohlehydraten;  bei  Roggenbrot  je  nach 
der  Feinheit  32 — 47  °/0  vom  Eiweiß,  8 — 14  °/0  von  den  Kohle- 


Krankheiten  des.  Magens 


85 


hydraten,  bei  Makkaroni  11 — 1 7 °/0  vom  Eiweiß,  bei  Reis  20°/0, 
bei  Mais  15,5  °/0,  bei  Kartoffeln  20 — 30  °/0  vom  Eiweiß, 
während  bei  den  eben  genannten  Vegetabilien  nur  wenig  Kohle- 
hydrate unausgenutzt  bleiben. 

Von  der  als  notwendig  bezeichneten  Eiweißmenge  sollen  nach 
Rubner  etwa  35  °/0  in  Form  von  Fleisch  gegeben  werden.  Damit 
wie  überhaupt  mit  den  wissenschaftlichen  Berechnungen  der  zweck- 
mäßigen Ernährung  stimmen  auch  die  Verhältnisse  der  Durch- 
schnittskost, die  ich  im  Laufe  der  letzten  10  Jahre  an  einer 
größeren  Anzahl  von  Erwachsenen  als  ausreichend  und  vorteilhaft 
erprobt  habe.  Ich  gebe  ein  Beispiel  davon  wieder,  das  sich  je 
nach  den  Verhältnissen  des  einzelnen  Falles  bereichern  oder  ver- 
ringern läßt  (vgl.  Tabelle  S.  86). 

1.  Behandlung  der  akuten  Magenstörungen. 

Für  die  akute  Dyspepsie,  wie  sie  durch  Diätfehler,  Er- 
kältung, heftige  G-emütsbe wegungen  hervorgerufen  wird,  für  den 
akuten  Katarrh,  das  Magengesch wür,  die  Kardialgie,  die 
Magenblutungen,  ist  Bettruhe  das  erste  Erfordernis.  Dabei 
werden  die  Wärme  und  die  Kräfte  zusammengehalten,  die  vor- 
übergehende völlige  Enthaltung  von  Nahrung  erleichtert,  die  un- 
günstigen Wirkungen  der  beengenden  Kleidung  ausgeschaltet,  der 
Blutumlauf  beruhigt.  Wenn  nicht  besondere  Schwächezustände  vor- 
liegen, kann  der  im  Bett  bleibende  Erwachsene  ganz  gut  4 — 5 Tage 
ohne  Nahrung  bleiben.  Man  muß  nur  das  Durstgefühl  durch 
häufigere  Ausspülung  des  Mundes  mit  Wasser  und  durch  Eis- 
stückchen, die  der  Kranke  im  Munde  zergehen  lässt,  ohne  sie 
herunterzuschlucken,  erträglich  machen.  Verbietet  sich  das  rein 
ab  wartende  Verfahren  wegen  der  Schwäche  des  Kranken  oder  aus 
anderen  Gründen,  so  kann  man  Wassereinläufe  in  den  Darm,  Nähr- 
klistiere, Eingießungen  von  Kochsalzlösung  unter  die  Haut  oder 
Fetteinspritzungen  unter  die  Haut  machen,  wie  auf  S.  105  aus- 
geführt ist.  Immerhin  wird  man  nicht  allzulange  den  Magen 
ohne  Zufuhr  lassen,  weil  man  nicht  weiß,  ob  das  für  seine  Funk- 
tion vorteilhaft  ist.  Die  Heilung  krankhafter  Veränderungen  er- 
folgt im  Magen  ziemlich  schnell.  Wenn  die  direkten  Reizerschei- 
nungen, namentlich  Schmerzen  und  Erbrechen,  aufgehört  haben, 
kann  man  mit  ganz  leichter  Ernährung,  S.  80,  wieder  beginnen. 
Je  nach  der  zu  behandelnden  Krankheit  geht  man  schon  in  den 
nächsten  Tagen  oder,  wie  z.  B.  beim  Magengeschwüre,  erst  nach 
Wochen  zu  den  nächsten  Koststufen  über. 


86 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Normaler  Kostzettel. 


Gewicht 

Eiweiß 

Fett 

Kohle- 

hydrate 

Kalorien 

1.  Frühstück: 

1 — 2 T.  Kaffee  od.  Tee 

2 Stücke  Zucker  . . 

10 

— 

— 

10 

41 

Milch 

20 

0,7 

0,7 

1 

14 

2 Brötchen  . . . 

70 

6,0 

0,7 

42 

204 

Butter 

20 

— 

18,0 

— 

167 

6,7 

19,4 

53 

426 

2.  Frühstück: 


2 Scheiben  Brot 

. |!  80 

4,0 

— 

40 

1 180 

Butter 

25 

20,0 

— 

180 

1 

4,0 

20,0 

40 

360 

Mittagessen: 


Fleischbrühe  .... 

200 

0,7 

0,6 

— 

8 

Fleisch 

150 

50,0 

6,0 

— 

260 

Kartoffeln 

150 

3,0 

4,0 

30 

170 

Makkaroni  .... 

70 

6,0 

55 

250 

Sauce  z.  Braten  . . . 

20 

0,3 

0,5 

1 

10 

Kohlrabi  und  dergl. 

100 

1,5 

4,5 

7 

80 

61,5 

15,6 

93 

778 

V esper: 


1 — 2 T.  Kaffee  od.  Tee  j 
2 Stücke  Zucker  . . 

10 

10 

41 

Milch 1 

20 

0,7 

0,7 

1 

14 

2 Brötchen  . . - . 

70 

6,0 

0,7 

42 

204 

■ 

1 

6,7 

1,4 

53 

259 

Abendessen: 


Fleisch  warm  oder  kalt 

50 

16,0 

2,0 

— 

74 

Brot 

100 

6,0 

0,4 

50 

230 

Butter 

25 

. — 

20,0 

— 

180 

Schweizerkäse 

25 

7,0 

7,0 

— 

100 

Tee  mit  Zucker  . . . 

10 

— 

10 

41 

und  Milch  .... 

20 

0,7 

0,7 

1 

14 

29,7 

30,1 

61 

539 

108,6 

86,5 

300 

2362 

Krankheiten  des  Magens 


87 


Eine  wertvolle  Unterstützung  geben  in  der  Behandlung  der 
akuten  Magenstörungen  gewisse  Mittel  der  Wasserbehandlung. 
Dyspepsie,  akuter  Katarrh,  Übelkeit  und  Erbrechen  werden  im 
allgemeinen  durch  Priessnitz  sehe  Umschläge  um  den  Leib  günstig 
beeinflußt.  Man  nimmt  dazu  ein  leinenes  Handtuch  oder  noch 
besser  ein  ebenso  geformtes  Stück  Rohseide  (man  bekommt  die 
Umschläge  zum  Gebrauch  fertig  in  Wäschegeschäften  und  in  Hand- 
lungen für  Krankenbedarf),  taucht  es  in  recht  kaltes  Wasser  ein 
und  ringt  es  gut  aus.  Dann  legt  man  das  Handtuch  auf  ein 
ebenso  geformtes,  aber  etwas  breiteres  Stück  trocknen  Flanells, 
das  man  quer  über  das  Bett  gelegt  hat.  Der  Kranke  legt  sich 
darauf  der  Länge  nach  ins  Bett,  und  man  schlägt  nun  von  beiden 
Seiten  her  die  Enden  des  nassen  Tuches,  dann  die  des  trocknen, 
vorn  übereinander,  zieht  beides  hinreichend  fest,  aber  nicht  be- 
engend, an  und  befestigt  den  ganzen  Umschlag  durch  Bänder 
oder  Sicherheitsnadeln.  Der  anfangs  kalte  Umschlag  erwärmt 
sich  durch  den  Blutzustrom  bald  und  wirkt  dann  als  feuchte 
Wärme  beruhigend  und  mild  anregend.  Man  läßt  ihn  bei  den 
hier  zu  besprechenden  Zuständen  bis  zur  Erwärmung  oder  auch  den 
Tag  über  und  einen  neuen  wieder  die  Nacht  hindurch  liegen  und 
kann  ihn  nach  einer  kurzen  Pause  immer  wieder  erneuern.  Bei 
stärkeren  Schmerzen  und  insbesondere  beim  Magengeschwür  wendet 
man  neben  dem  Priessnitz  sehen  oder  dem  Stammumschlag  in 
der  Magengegend  Wärme  an,  indem  man  auf  jenen  Umschlag 
im  Epigastrium  einen  Thermophor  auf  legt,  oder  indem  man 
das  Winternitz  sehe  Magenmittel  anwendet,  wobei  unter  dem 
gewöhnlichen  Priessnitz  sehen  Umschlag  auf  der  Magengegend 
ein  Leiter  scher  Schlauch  liegt,  durch  den  beständig  heißes  Wasser 
hindurchfließt.  Auch  bei  schwerem  Erbrechen  sieht  man  davon 
oft  sehr  gute  Erfolge.  Die  Wirkung  ist  nicht  dieselbe  wie  beim 
einfachen  heißen  Umschlag;  die  Verbindung  von  heißem  Magen- 
schlauch und  reaktiv  erwärmtem  Stammumschlag  bewirkt  eine 
Anregung  des  Blutumlaufs  in  der  Bauchhöhle  und  zumal  in  der 
Magenwand,  während  der  heiße  Umschlag,  der  Breiumschlag,  der 
Thermophor  und  dergl.  nur  beruhigen,  zugleich  aber  die  Blut- 
gefäße erschlaffen.  Bei  Blutungen  läßt  man  unter  dem  Priess- 
nitz sehen  Umschlag  den  Schlauch  mit  kaltem  Wasser  durchfließen, 
zugleich  kann  man  nach  Winternitz  kleine  Eisstückchen  in  den 
Mastdarm  einbringen,  wodurch  Verengerung  der  Magenarterien 
hervorgerufen  wird.  — Den  Eisbeutel  wird  man  am  besten 
auf  die  eigentlichen  Entzündungen  beschränken,  dann  muß  man 


88 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


ihn  aber  ohne  Unterbrechung  und  mit  genügend  häufiger  Er- 
neuerung anwenden. 

Die  Arzneibehandlung  muß  bei  den  akuten  Magenstö- 
rungen sehr  zurückhaltend  sein.  Am  ehesten  wird  man  ganz 
dünne  Lösungen  von  Salzsäure  oder  Zitronensäure  geben, 
zum  Teil  wegen  ihrer  gärungswidrigen  Eigenschaften,  beim  Ge- 
schwür, wo  die  Säuremenge  ohnehin  gewöhnlich  erhöht  ist,  hat 
bekanntlich  v.  Ziemssen  zuerst  erwiesen,  daß  es  am  besten  ist, 
nur  einmal  täglich  den  Mageninhalt  mit  einer  warmen  Lösung 
von  künstlichem  Karlsbader  Salz,  ein  Teelöffel  auf  ein  halbes 
Liter  Wasser,  zu  neutralisieren.  Während  der  Tage  des  völligen 
Aussetzens  mit  der  Ernährung  wird  man  auch  hierauf  verzichten.  — 
Gegen  die  Blutungen  kommt  nach  neueren  Erfahrungen  be- 
sonders die  subkutane  Einspritzung  von  Gelatinelösung,  S.  65, 
in  Frage.  — Nur  bei  sehr  heftigen  Schmerzen  wird  man  sich  zu 
Einspritzungen  von  Morphium  entschließen,  da  dies  bekanntlich 
auch  bei  subkutaner  Anwendung  auf  der  Magenschleimhaut  aus- 
geschieden wird. 

Ijfc  Acidi  hydrochlor.  dil.  20,0 
D.S.  Mehrmals  täglich  5 — 10 
Tropfen  in  1 Weinglas  Wasser, 

5 Min.  vor  oder  30  Min.  nach 
dem  Essen. 

100  g künstl.  Karlsbader  Salz 
im  Handverkauf. 

2.  Die  chronischen  Magenstörungen. 

Die  Diätverordnung  bei  den  chronischen  Magenstörungen 
hat  sich,  wie  F.  Riegel  richtig  betont  hat,  an  die  klinischen 
Verhältnisse  anzuschließen,  die  nicht  mit  den  anatomischen  Krank- 
heitnamen ausgedrückt  sind.  Bei  den  klinischen  Bildern  der 
Achylie,  der  Supersekretion  und  der  Superazidität  ist  es 
ja  ohnehin  zweifelhaft,  ob  man  sie  mit  Schleimhauterkrankungen 
zusammenzubringen  hat,  oder  ob  nervöse  Störungen  oder  Ver- 
änderungen der  Drüsentätigkeit  ihre  Ursache  bilden.  Diese  Un- 
kenntnis erschwert  auch  vorläufig  noch  eine  rationelle  Diätetik. 
Bei  der  Superazidität  z.  B.  war  man  zunächst  geneigt,  die 
vorzugsweise  salzsäurebindenden  Nahrungsmittel  der  Eiweißgruppe 
zurückzustellen,  weil  man  annahm,  daß  sie  auch  wieder  eine 
stärkere  Salzsäureabsonderung  erregten.  Die  Erfahrung  hat  aber 


Acid.  hydrochl.  1,0 
Aq.  dest.  180,0 
Sir.  Aur.  cort.  20,0 
M.D.S.  3 mal  tägl.  1 Eßl. 

Ijfc  Morph,  hydrochl.  0,15 
Aq.  dest.  9,0 
Glycerini  1,0 

M.D.S.  1/2  — 1 Spritze  subkutan. 


Krankheiten  des  Magens 


89 


aber  gelehrt,  daß  das  nicht  ohne  weiteres  zutrifft,  vielmehr  hängt 
die  Salzsäureabsonderung  mehr  von  der  reizenden  oder  reizlosen 
Beschaffenheit  der  Kost  ab.  Flüssige  Nahrung  von  einer  gewissen 
Einförmigkeit  reizt  am  wenigsten,  zartes,  weiches  und  fein  zer- 
kleinertes Fleisch  ebenfalls  weniger  als  die  festeren  Fleischgerichte. 
Leicht  verdauliches  Fett,  wie  das  der  Butter,  der  Milch  und  der 
Sahne,  steigert  auch  die  Salzsäureabsonderung  nicht  besonders, 
ebensowenig  ist  das  durch  Zuckerlösungen  zu  erwarten.  Auch 
Eier  sind  in  dieser  Richtung  günstig.  Die  amylolytische  Funktion 
des  Magens  ist  nur  bei  der  dauernden  Salzsäureabsonderung  im 
Magen,  also  bei  der  Supersekretion,  wesentlich  beeinträchtigt, 
wohl  aber  vermehren  größere  Mengen  von  Amylazeen,  zumal  wenn 
sie  schwer  verdaulich  sind,  die  Salzsäuremenge.  Man  gibt  daher 
Kartoffeln  nur  als  Püree  und  in  beschränkter  Menge,  vermeidet 
Kohl  und  grünes  Gemüse,  erlaubt  aber  Speisen  mit  Sago,  Tapioka, 
Mondamin,  Weizenmehl,  Gries,  Kindermehl  und  besonders  Kakes, 
Kinderzwieback  und  sonstigen  guten  Zwieback,  sowie  Kakao  und 
vor  allem  Hygiama.  Wir  haben  es  bewährt  gefunden,  am  Tage 
etwa  zehn  gleichstarke  Mahlzeiten  zu  geben  und  dabei  die  einen 
möglichst  aus  fester  Kost,  die  anderen  mehr  aus  flüssiger  Kost 
zusammenzusetzen  (s.  u.,  Speisezettel  für  getrennte  Kost).  Zwischen- 
durch kann  man  dann  noch,  wenn  Säurebeschwerden  auftreten, 
einen  Säuerling  trinken  lassen  (Selterser,  Fachinger,  Biliner,  Gieß- 
hübler).  Bei  der  Supersekretion  befolgt  man  denselben  Grund- 
satz, beschränkt  aber  die  Amylazeen  und  bei  erheblicher  Atonie 
auch  die  Flüssigkeitzufuhr.  Nur  unmittelbar  nach  einer  Magen- 
ausspülung und  Neutralisation  kann  man  auch  Amylazeen  geben. 
Zucker  wirkt  im  ganzen  nicht  günstig,  sondern  vermehrt  leicht 
die  Säure  und  die  Gärungen.  Besonders  wichtig  ist  bei  der  Be- 
handlung der  Superazidität  und  der  Supersekretion  die  Sorge  für 
tägliche  Darmentleerung,  s.  u. 

Bei  Y erminderung  oder  völligem  Versagen  der  Magen- 
saftabsonderung kann  nach  den  Erfahrungen,  die  zuerst  Martius 
veröffentlicht  hat,  die  Verdauung  ohne  gröbere  Störung  bleiben, 
wenn  der  Dünndarm  gesund  ist.  Es  erwächst  daraus  die  Aus- 
gabe, diesem  jedenfalls  keine  zu  schweren  Aufgaben  zuzumuten. 
Die  im  wesentlichen  unverdaute  Kost,  die  der  Dünndarm  aus 
dem  Magen  empfängt,  muß  daher  möglichst  zart  sein.  Am  besten 
werden  Amylazeen  vertragen,  deren  Umwandlung  bereits  durch 
den  Mundspeichel  eingeleitet  oder  vollendet  ist.  Gut  kauen  ist 
daher  hier  noch  wichtiger  als  bei  anderen  Magenleiden.  Man 


90 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


bevorzugt  daher  auch  die  leichtverdaulichen  Kindermehle,  Hygiama, 
Kakao,  die  präparierten  Leguminosen  von  Knorr,  Timpe,  Harten- 
stein, Liebe,  Hohenlohe,  Milch  und  Butter  und  Sahne,  soweit 
sie  vertragen  werden,  ferner  gibt  man  fein  zerteiltes  zartes  Fleisch 
von  Geflügel,  Kalb  oder  Ochsenlende,  Zunge,  geschabten  rohen 
Schinken  und  dergl.  Alles,  was  gären  kann,  muß  mit  besonderer 
Vorsicht  betrachtet  werden,  weil  in  dem  salzsäurelosen  Magen 
alle  Gärungen  besonders  gut  gedeihen.  Bei  Atrophie  der  Magen- 
schleimhaut wird  man  auf  die  Gewürze  verzichten,  weil  sie  nur 
einen  zwecklosen  Reiz  ausüben  würden;  wenn  aber  nur  eine 
vorübergehende  Schwäche  der  Sekretion  vorliegt,  wie  so  oft  nach 
erschöpfenden  Krankheiten,  bei  Gemütsverstimmungen  usw.,  so 
wird  der  Versuch  erlaubt  sein,  durch  Kaviar,  milde  marinierte 
Fische  und  dergl.  und  durch  geringe  Mengen  von  Pfeffer,  Senf  usw. 
die  Schleimhaut  zu  besserer  Tätigkeit  anzuregen.  Die  noch  viel- 
fach herrschende  Sitte,  dazu  Alkoholgetränke,  sogar  Branntweine  zu 
benutzen,  ist  ganz  verwerflich,  ein  Nutzen  ist  natürlich  niemals 
davon  zu  erwarten.  Man  tut  überhaupt  in  diesen  Fällen  meist 
gut,  nicht  zu  viel  Flüssigkeit  nehmen  zu  lassen  und  namentlich 
die  einzelnen  Mahlzeiten  nicht  zu  verwässern. 

Für  die  diätetische  Behandlung  der  Motilitätstörungen 
des  Magens  muß  man  ihre  verschiedenen  Arten  streng  ausein- 
ander halten.  Entweder  handelt  es  sich  um  einfache  Atonie: 
die  Magenwand  hat  ihre  gewöhnliche  Widerstandsfähigkeit  gegen 
die  Dehnung  verloren,  der  Magen  bildet,  wenigstens  zeitweise, 
einen  schlaffen  Sack,  worin  bei  Bewegung  und  Erschütterung 
Plätschergeräusche  auftreten;  die  Entleerung  des  Mageninhaltes 
in  den  Darm  kann  dabei  trotzdem  rechtzeitig  erfolgen;  meist  be- 
stehen außer  dem  Plätschern  unangenehme  Empfindungen  von 
Völle  und  Druck,  bis  zu  Beklemmung  und  Angst.  Die  Ursache 
des  Leidens  bilden  unzweckmäßige  Ernährung,  zumal  Überdehnung 
des  Magens  durch  zu  schnelles  Essen,  zu  viel  Trinken  oder  zu 
starke  Mahlzeiten,  oder  aber  eine  angeborene  Schwäche,  die  in 
Gastroptose  oder  allgemeiner  Splanchnoptose  zum  Ausdruck 
kommt  und  meist  mit  einer  nervösen  Anlage  verbunden  ist, 
und  endlich  findet  sich  die  einfache  Atonie  oft  gleichzeitig  mit 
Gallensteinleiden,  man  weiß  noch  nicht,  aus  welchem  Zusammen- 
hänge. Eine  zweite  Motilitätstörung  des  Magens  ist  die  a to- 
nisch-motorische Insuffizienz,  wobei  der  Mageninhalt  wegen 
mangelhafter  Leistung  der  Magenperistaltik  abnorm  lange  zurück- 
gehalten wird;  die  dritte  und  ernsteste  Form  ist  die  motorische 


Krankheiten  des  Magens 


91 


Insuffizienz  wegen  Pylorusstenose.  Bei  den  ersten  beiden 
Formen  hat  die  Diät  zugleich  Heilzwecke.  Die  einzelnen  Mahl- 
zeiten müssen  nicht  zu  umfangreich  sein,  um  die  schwache  Span- 
nung der  Muskulatur  nicht  zu  überwinden,  man  gibt  daher  kleinere 
Mengen  auf  einmal,  vermeidet  blähende  Speisen  und  Getränke 
und  läßt  vor  allem  mit  festen  Speisen  zugleich  nur  wenig  Flüssig- 
keit aufnehmen.  Oft  entspricht  diesen  Anforderungen  am  besten 
die  angegebene  getrennte  Kost,  S.  92.  Man  gibt  ferner  die 
Gebäcke  gern  in  trockener  Form,  als  Zwieback  oder  Toast,  die 
Gemüse  als  Püree,  statt  Milch  den  nahrhafteren  und  daher  in 
geringerer  Menge  ausreichenden  Rahm  usw.  Auch  von  Nähr- 
präparaten kann  man  mit  Vorteil  Gebrauch  machen.  Anderseits 
verordnet  man  regelmäßig  solche  Nahrungsmittel,  die  erfahrungs- 
gemäß anregend  wirken,  wie  z.  B.  Kaviar,  Sardinen,  Silds,  mari- 
nierte Heringe,  Orangenmarmelade  usw.  Ist  die  motorische  In- 
suffizienz durch  Pylorusverengerung  bedingt,  so  hängt  die  Auswahl 
der  Nahrung  wesentlich  davon  ab,  wie  die  Sekretion  ist.  So- 
lange genügend  oder  gar  übermäßig  Salzsäure  abgesondert  wird, 
reicht  man  vorzugsweise  Eiweißstoffe,  Fleisch,  Fisch,  Geflügel,  Eier 
und  reichlich  Fett,  bei  Salzsäuremangel  muß  man  dafür  sorgen, 
daß  wesentlich  lösliche  Eiweißnahrung  gereicht  wird,  mit  Fett 
genügend  angereichert;  in  beiden  Fällen  dürfen  von  Kohle- 
hydraten nur  leichtverdauliche  Gebäcke  und  Mehlspeisen,  Zucker, 
zellulosearme  Gemüse  in  feinem  Püree  gegeben  werden. 

Wo  die  Beförderung  der  Speisen  durch  den  Pylorus  schwer 
behindert  ist,  kann  trotz  aller  Sorgfalt  eine  genügende  Ernährung 
von  oben  her  unmöglich  sein.  Die  neuere  Chirurgie  ermutigt 
hier  zu  operativen  Eingriffen,  aber  bis  das  geschehen  ist,  darf 
man  nicht  unterlassen,  die  Ernährung  vom  Mastdarm  aus  (vgl. 
S.  105)  oder  vom  Unterhautzellgewebe  aus  (vgl.  S.  106)  heran- 
zuziehen. Gerade  für  die  Operation  ist  es  sehr  wichtig,  daß  der 
Kranke  möglichst  gut  genährt  ist. 

Das  gilt  auch  für  den  Pyloruskrebs.  Im  übrigen  richtet 
sich  beim  Krebs  die  Diät  ganz  in  der  besprochenen  Weise  danach, 
ob  Sekretionstörungen  oder  Pylorusverschluß  im  Vordergrund 
stehen,  also  nach  dem  klinischen  Verhalten  des  einzelnen  Falles. 

Einer  besonderen  Besprechung  bedarf  noch  die  Diät  der  Ner- 
vösen Dyspepsie,  die  man  besser  als  Neurasthenie  mit  vor- 
wiegend gastrischen  Beschwerden  bezeichnet.  Es  kann  nicht 
dringend  genug  hervorgehoben  werden,  daß  hier  eine  besondere 
diätetische  Behandlung  nur  einzutreten  hat,  wenn  wirklich  objek- 


92 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


tive  Störungen  der  Magenverdauung  oder  Atonie  vorhanden  sind. 
Im  allgemeinen  verschwinden  die  Erscheinungen,  wie  ich  aus  sehr 
reicher  Erfahrung  versichern  kann,  ohne  weiteres,  wenn  man  die 
Kranken  zu  einer  gesunden  Lebensweise  und  zu  einer  normalen 
Ernährungsart  bringt.  Die  subjektiven  Erscheinungen  können 
dabei  noch  eine  kleine  Zeitlang  weiterbestehen,  aber  sie  werden 
überhaupt  nicht  durch  eine  Diät  für  Magenkranke,  sondern  durch 
die  richtige  Allgemeinbehandlung  der  Neurasthenie  beseitigt,  die 
im  Abschnitt  YII  besprochen  ist.  Versucht  man  dagegen,  ihnen 
mit  Verringerung  der  Kost  nachzugehen,  wie  das  oft  genug  von 
den  Kranken  ohne  oder  auf  ärztlichen  Rat  geschieht,  so  wird  I 
allmählich  der  verfügbare  Schatz  von  Nahrungsmitteln  immer 
geringer,  schließlich  machen  selbst  die  zartesten  Speisen  Beschwer- 
den, und  die  Kranken  kommen  zuletzt  dem  Verhungern  nahe, 
wobei  natürlich  die  Neurasthenie  nicht  besser  wird.  In  diesen 
ungünstigen  Fällen  leitet  man  die  Behandlung  damit  ein,  daß  j 
man  den  Kranken  liegen  läßt,  ihn  einige  Tage  behandelt,  als  hätte 
er  ein  Magengeschwür  oder  derartiges,  und  dann  allmählich  zu 
einer  normalen  Kost  übergeht.  Oft  erweist  es  sich  dabei  als  be-  j 
sonders  zweckmäßig,  die  festen  und  die  flüssigen  Mahlzeiten  j 
zu  trennen,  weil  das  einem  empfindlichen  Magen  erfahrungs-  j 
gemäß  wohltut.  Ich  gebe  als  Beispiel  einen 

Speisezettel  für  getrennte  Kost. 

Morgens  7 Uhr:  1 mittelgroße  Tasse  (150  ccm)  Tee  mit  einem 
Eßlöffel  voll  Sahne  und  einem  Stück  Zucker. 

8 Uhr:  80  g kaltes  Fleisch,  gekochter  Schinken  und  dergl.,  dazu  : 
25  — 50  g Weißbrot  (Milchbrot)  mit  10  g Butter. 

9%  Uhr:  1 mittelgroße  Tasse  Hygiama  mit  Milch. 

10l/2  Uhr:  2 — 3 Zwieback  oder  einige  Biskuits  mit  5 g Butter. 
12  Uhr:  1 Tasse  Bouillon  mit  Fleischextrakt,  mit  oder  ohne  Ei. 

1 1/2  Uhr:  1 Taube  oder  100  g warmes  gebratenes  Fleisch,  ge- 
bratenes oder  gekochtes  Geflügel  oder  gekochter  Fisch  mit  ein- 
fachen Bratensaucen,  die  höchstens  mit  Fleischextrakt,  etwas 
Mehl  und  vielleicht  ein  wenig  Sahne  zubereitet  sind;  dazu 
50  g Kartoffelbrei  oder  zerdrückte,  völlig  gar  gekochte  Salz-  j 
kartoffeln,  50  g Blumenkohl  oder  Spargel  oder  Öbstmus  (nicht 
zu  süß).  Gelegentlich  nachher  einen  Eierauflauf  oder  einen 
anderen  leicht  verdaulichen  Auflauf  mit  wenig  Sauce.  Auch 
mäßige  Mengen  von  Eis,  das  mit  Milch  oder  Sahne  bereitet 
ist,  sind  ganz  zweckmäßig. 


93 


Krankheiten  des  Magens 

8V2  Uhr:  1 kleine  Tasse  reinen  Bohnenkaffee  mit  Sahne  und  nach 
Belieben  mit  etwas  Zucker. 

5 Uhr:  20 — 30  g Zwieback  oder  Kakes,  nach  Belieben  mit  etwas 
Butter,  Honig,  Marmelade  und  dergl. 

6 Uhr : 1 mittelgroße  Tasse  mit  Milch  oder  mit  3/4  Milch,  1/4  Sahne. 
71/2  Uhr:  100  g kaltes  Fleisch  oder  Schinken,  dazu  50  g Weiß- 
brot mit  10  g Butter,  auch  etwas  Käse  oder  gewässerte  Sar- 
dellen, zarter  Hering  oder  Eierspeisen. 

9 Uhr:  1 mittelgroße  Tasse  Milch  oder  Milch  mit  J/4  Sahne,  oder 
Milchkakao,  oder  1/5  1 Kindermehlsuppe  und  dergl. 

Der  mitgeteilte  Speisezettel  enthält  eine  reichliche  Nahrung, 
die  bei  sonst  günstigen  V erhältnissen  zu  einer  wesentlichen  Zunahme 
führen  muß.  Im  Anfang  kann  man  natürlich  jede  einzelne  Mahl- 
zeit weniger  reichlich  machen,  aber  das  Prinzip  hat  sich  jeden- 
falls in  zahlreichen  Fällen  bei  den  empfindlichsten  Personen  be- 
währt. Soll  der  Appetit  besonders  angeregt  werden,  so  hat  man 
in  Kaviar,  Austern,  Sardellen,  Orangen,  Zitronenlimonade  usw. 
geeignete  Mittel  dazu,  die  sich  den  einzelnen  Mahlzeiten  einfügen 
lassen  oder  an  ihre  Stelle  treten  können. 

Ebensowenig  wie  bei  Kranken  mit  Nervöser  Dyspepsie  darf 
man  eine  Kur  mit  zarter  Diät  bei  den  häufigen  Magenbeschwerden 
anwenden,  die  nur  in  einer  Überfüllung  des  Dickdarms  ihren 
Grund  haben.  Menschen,  die  daran  leiden,,  bekommen  oft  bald 
nach  dem  Essen  Schmerzen  in  der  Magengegend,  nicht  selten  mit 
peristaltischer  Unruhe,  zuweilen  mit  dem  Ergebnis  plötzlich  auf- 
tretender, teilweise  oder  ganz  flüssiger  Ausleerungen  kurz  nach 
der  Mahlzeit.  Die  Kranken  sind  dann  gern  der  Meinung,  daß 
das  eben  Gegessene  sogleich  durch  den  Darm  wieder  abgehe.  Sie 
erblicken  darin  eine  ganz  besondere  Magenschwäche , schränken 
gewöhnlich  ihre  Kost  auf  das  äußerste  ein  und  erzielen  damit 
zwar  für  den  Augenblick  eine  Erleichterung,  da  die  geringe 
Menge  der  eingeführten  Kost  mechanisch  und  reflektorisch  weniger 
reizt,  aber  die  Darmentleerung  wird  natürlich  immer  unvoll- 
kommener, und  damit  werden  die  Beschwerden  allmählich,  auch 
bei  der  zartesten  Kost,  immer  größer.  Sehr  oft  findet  man  diese 
^ erhältnisse  bei  Kranken,  die  ein  längeres  Magenleiden  hinter  sich 
haben,  häufig  auch  nach  Nervöser  Dyspepsie,  die  fälschlich  wie 
ein  Magenkatarrh  behandelt  wurde.  Die  Kotverhaltung  wirkt 
oft  auch  reflektorisch  auf  die  Magenfunktion  zurück,  namentlich 
kommt  es  zu  Superazidität  oder  zu  Supersekretion.  Bezeichnend 


94 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


ist,  daß  alle  Beschwerden  auf  hören,  wenn  man  für  gründliche 
Darmentleerung  sorgt  und  durch  geeignete  Kost  darauf  hinwirkt, 
daß  keine  Überfüllung  des  Darms  mehr  eintritt  (vgl.  Diät  bei 
Darmträgheit).  Die  Kranken  sind  wegen  der  hartnäckigen  „Durch- 
fälle“ oft  schwer  zu  bewegen,  ein  Abführmittel  zu  nehmen,  es 
kann  daher  nötig  sein,  es  ihnen  ohne  ihr  Wissen  zu  geben;  man 
nimmt  dann  ein  Mittel,  das  der  Patient  nicht  kennt  oder  doch 
auf  dem  Rezept  nicht  erkennt,  wie  z.  B.  Rheum  statt  des  be- 
kannten Rhabarber. 

Eine  große  Wichtigkeit  für  Magenleidende  hat  die  Kleidung. 
Es  ist  sicher,  daß  sowohl  ein  festes  Korsett  und  schnürende  Rock- 
bänder bei  den  Frauen  wie  der  statt  der  Hosenträger  verwendete 
Leibgurt  der  Männer  ungünstig  auf  den  Magen  einwirken,  teils, 
indem  sie  ihn  aus  der  normalen  Stellung  drängen,  also  eine 
Gastroptose  herbeiführen,  teils  indem  sie  die  motorische  Tätig- 
keit des  Magens  schädigen.  Über  die  Bedeutung  der  Gastroptose 
besteht  noch  keine  Übereinstimmung.  Viele  Autoren  sehen  darin  die 
Quelle  schwerer  Störungen  der  Magenfunktion  in  sekretorischer  und 
motorischer  Hinsicht,  eine  Ursache  von  Chlorose  und  Anämie  usw., 
andere  halten  die  Bedeutung  für  nicht  so  groß  oder  wollen  die 
Gastroptose  höchstens  bei  neurasthenischen  Menschen  als  Ursache 
dyspeptischer  Empfindungen  anerkennen.  Für  die  Therapie  haben 
alle  Ansichten  die  gleiche  Bedeutung,  daß  die  Schädlichkeit,  sei 
sie  groß  oder  gering,  vermieden  werden  muß.  Für  den  Mann 
sind  die  Hosenträger,  für  die  Frau  nachgiebige  Leibchen  zu  for- 
dern; die  moderne  Rockhose,  der  gebotene  Ersatz  für  die  schweren 
und  doch  nicht  schützenden  Unterröcke,  kann  leicht  durch  Hüften 
und  Leibchen  getragen  werden,  ohne  den  Körper  zu  belasten  und 
zu  belästigen. 

Von  ebenso  großer  Wichtigkeit  ist,  daß  die  Mahlzeit  und 
die  erste  Zeit  der  Verdauung  in  Ruhe  verlaufe.  Zahlreiche 
chronische  Magenbeschwerden  gehen  darauf  zurück,  daß  diese 
Regel  nicht  beachtet  wird.  Wer  aus  der  Unruhe  des  Berufes 
heraus  hastig  an  seine  Hauptmahlzeit  geht,  sich  dann  nicht  Zeit 
läßt,  heiße  Speisen  richtig  abkühlen  zu  lassen,  gründlich  zu  kauen 
und  in  nicht  zu  großen  Portionen  zu  schlucken,  wird  auch  nicht 
gut  verdauen.  Ebenso  kann  die  Verdauung  nicht  in  normaler 
Weise  vor  sich  gehen,  wenn  gleich  nach  der  Mahlzeit  wieder 
gearbeitet  oder  ein  längerer  Weg  gegangen  wird.  Für  Magen- 
kranke empfiehlt  es  sich  daher,  womöglich  vor  der  Hauptmahl- 
zeit kurze  Zeit  zur  Beruhigung  zu  liegen,  von  fünf  Minuten  bis 


Krankheiten  des  Magens 


95 


zu  einer  halben  Stunde,  und  auch  nach  dem  Essen  eine  halbe 
bis  ganze  Stunde  zu  liegen.  Menschen,  denen  erfahrungsgemäß 
der  Schlaf  nach  dem  Mittagessen  nicht  bekommt,  haben  oft  be- 
sonderen Vorteil  von  einem  kurzen  Schlaf  vorher,  weil  er  regel- 
mäßig erfrischt  und  zugleich  die  Müdigkeit  nach  dem  Essen  in 
eine  angenehme  und  förderliche  Ruhestimmung  verwandelt,  die 
den  Nachmittagschlaf  gern  entbehren  läßt. 

Unter  den  physikalischen  Magenmitteln  steht  der 
Magenschlauch  obenan.  Die  Einfachheit  der  Technik  veranlaßt 
die  damit  Vertrauten  oft  zu  einer  allzu  reichlichen  Anwendung, 
während  anderseits  wieder  vielfach  zum  Nachteil  der  Kranken 
darauf  verzichtet  wird.  Durchaus  angezeigt  ist  die  Magenaus- 
spülung, wo  es  sich  um  gärenden  oder  sonstwie  giftigen  Magen- 
inhalt handelt. 1 Man  verwendet  dabei  gegenwärtig  nur  noch 
ganz  weiche  Schläuche,  sog.  NäLATON-Sonden,  mit  einer  oder 
mehreren  weiten  Öffnungen  am  vorderen  Ende.  Der  Kranke 
nimmt  das  mit  Wasser  benetzte  vordere  Ende  des  Schlauches  in 
dem  Mund  und  bemüht  sich,  es  zu  verschlucken,  der  Arzt  schiebt 
im  geeigneten  Augenblick,  wo  die  Sonde  den  Rachen  erreicht, 
etwas  nach,  ohne  den  Finger  in  den  Mund  des  Kranken  ein- 
zuführen, und  setzt  dies  in  sanfter  Weise  fort,  bis  der  Schlauch 
in  den  Magen  reicht.  Der  Kranke  muß  den  Kopf  vornübergebeugt 
halten,  weil  dies  das  Schlingen  erleichtert,  vorher  und  während 
des  Verfahrens  wiederholt  und  ruhig  aufgefordert  werden,  regel- 
mäßig und  tief  zu  atmen,  weil  beginnende  Atemnot  meist  Würgen 
und  Erbrechen  veranlaßt.  Der  Schlauch  muß  selbstverständlich  vor 
jedem  Gebrauch  völlig  gesäubert  und  desinfiziert  sein.  Am  besten 
wird  morgens  bei  nüchternem  Magen  gespült,  und  zwar  mit  lauem 
Wasser  oder  ebenso  warmer  Lösung  von  Kochsalz  (1  °/0),  doppelkohlen- 
saurem Natron  (l°/0),  künstlichem  Karlsbader  Salz  (1  Teelöffel  auf 
1 1 Wasser),  Salzsäure  (1  pro  mille),  Borsäure  (2  pro  mille),  Salizyl- 
säure (1  pro  mille),  Argentum  nitricum  (1  pro  mille),  hei  starker 
Schleimabsonderung  auch  mit  Kalkwasser  (2 — 4 Eßlöffel  auf  1 1 
Wasser).  Man  läßt  die  Flüssigkeit  immer  ganz  langsam  einfließen; 
sobald  Brechreiz  eintritt,  unterbricht  man  den  Zufluß  durch  Zu- 
drücken des  Schlauches  oder  Senken  des  am  Schlauch  befestigten 
Fülltrichters.  Ist  genug  Flüssigkeit  in  den  Magen  eingetreten,  so 
senkt  man  den  Trichter  gegen  ein  am  Boden  stehendes  Auffang- 
gefäß und  läßt  den  nach  dem  Hebergesetz  ausfließenden  Mageninhalt, 

1 So  natürlich  auch  bei  akuten  Störungen  dieser  Art. 


96 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


das  mit  Schleim  und  eventuell  mit  Speiseresten  gemischte  Spül- 
wasser, ausfließen.  Man  wiederholt  die  Spülung  so  lange,  bis 
das  Wasser  klar  abfließt.  Verstopft  sich  das  Rohr  durch  Speise- 
reste, so  muß  man  zunächst  wieder  etwas  Wasser  eingießen,  um 
das  Rohrinnere  frei  zu  machen.  Am  gründlichsten  wird  der 
Magen  entleert,  wenn  der  Kranke  bei  der  Spülung  liegt,  meist 
muß  man  aber  die  ersten  Spülungen  im  Sitzen  ausführen  und 
kann  ihn  erst  dabei  liegen  lassen,  wenn  er  sich  an  das  Verfahren 
gewöhnt  hat.  Das  durch  den  Reiz  des  Schlauches  eintretende  Er- 
brechen hört  gewöhnlich  auf,  wenn  man  den  Kranken  an  das 
Tiefatmen  erinnert,  den  Zufluß  für  einige  Augenblicke  unterbricht 
oder  die  reichlich  weit  eingeschobene  Sonde,  die  die  Magenwand 
berührt,  um  einige  Zentimeter  zurückzieht.  Treten  bei  der  Spülung 
kleine  oder  größere  Blutungen  auf,  so  muß  man  den  Inhalt  des 
Magens  vollends  entleeren  und  weitere  Spülungen  unterlassen. 

Zeigen  sich  die  Beschwerden  durch  gärenden  Mageninhalt 
besonders  während  der  Nacht,  so  kann  es  zweckmäßig  sein,  abends 
vor  dem  Einschlafen  auszuspülen.  Mehrmals  am  Tage  zu  spülen, 
halten  wir  im  ganzen  für  verfehlt. 

Neuerdings  hat  man  noch  empfohlen,  statt  der  Spülung 
eine  Berieselung  der  Magenschleimhaut  anzuwenden,  um  den 
Appetit  anzuregen  oder  Magenneuralgien  zu  bekämpfen.  Man 
läßt  dazu  unter  größerem  Druck  die  aus  einem  Aufguß  von 
Quassiaholz  oder  Hopfen  oder  aus  Chloroformwasser  bestehende 
Spülflüssigkeit  durch  einen  Schlauch  mit  zahlreichen  feinen  Öff- 
nungen fließen  und  so  die  Magenschleimhaut  berieseln  und  spült 
nach  einer  halben  oder  einer  Minute  mit  lauem  Wasser  nach. 
Um  die  Sekretion  und  die  Peristaltik  anzuregen,  verwendet  man 
die  Spülflüssigkeit  ziemlich  warm,  40 — 44°  C. 

Die  Hydrotherapie  der  Magenkrankheiten  bedient  sich  sowohl 
allgemeiner  wie  örtlicher  Einwirkungen  mit  gutem  Erfolge.  Von 
den  allgemeinen  verdienen  die  nassen  Abreibungen  zu  30  u C.  und 
kühle  Regenbrausen  von  25°  C.  am  meisten  Vertrauen;  sie  regen 
den  Blutlauf  und  die  gesamte  Innervation  an  und  fördern  damit 
auch  die  Absonderung  des  Magensaftes  und  die  Tätigkeit  seiner 
Muskulatur.  Einen  direkten  Einfluß  auf  den  Blutgehalt  der  Magen- 
schleimhaut und  auf  die  Spannung  der  Magenmuskulatur  haben 
die  nassen  Leib-  oder  Stammumschläge  (vgl.  S.  87),  die  kalt  an- 
gelegt werden  und  sich  am  Körper  erwärmen,  die  schottische, 
abwechselnd  warme  und  kalte,  Dusche  auf  die  Magengegend 
und  kurze  kalte  Sitzbäder,  10 — 15°  C.  und  1 — 5 Minuten  lang. 


Krankheiten  des  Magens 


97 


Diese  Mittel  sind  so  wirksam,  daß  sie  bei  keinem  Falle  von 
chronischem  Magenleiden  vergessen  werden  sollten,  doch  ist  es 
wichtig,  sie  nicht  zu  oft,  bei  einem  berufstätigen  Kranken  nur 
2 — 3 mal  in  der  Woche,  anzuwenden  und  nebenher  besonders  auf 
genügendes  Ausruhen  zu  achten,  sonst  verkehrt  sich  die  Wirkung. 

Sehr  wertvoll  hat  sich  bei  chronischen  Magenleiden  die 
Massage  erwiesen.  Sie  besteht  vor  allem  in  der  Anwendung 
kleiner  kreisförmiger  Friktionen,  wobei  man,  nach  dem  Ausdrucke 
von  Kleen,  das  betreffende  Stück  des  Magen-Darmkanals  gleichsam 
vermittelst  der  vorderen  Bauchwand  reibt,  so  daß  man  die  Haut 
dabei  nicht  einzufetten  braucht.  Natürlich  muß  man  dafür  sorgen, 
daß  der  Kranke  den  Leib  möglichst  erschlafft,  also  mit  leicht 
gebeugten  und  etwas  abduzierten  Oberschenkeln  auf  dem  Kücken 
liegt  und  frei  atmet.  Um  die  Muskulatur  zu  reizen,  führt  man 
die  geschilderten  Friktionen  zum  Teil  stoßweise  aus,  ohne  daß 
die  Finger  die  Haut  verlassen.  Man  kann  auch  die  moderne 
Vibrationsmassage  mit  dem  EwERschen  Konkussor  oder 
dem  einfachen  elektrisch  betriebenen  Apparat  Tremolo  des  Elektro- 
technischen Instituts  in  Frankfurt  a.  M.  heranziehen.  Alle  diese 
Verfahren  kräftigen  die  Muskulatur,  regen  die  Peristaltik  und 
die  Magensaftab sonderung  an  und  wirken  auch  durch  die  An- 
regung der  Darmtätigkeit  fördernd  auf  die  Verhältnisse  des  Magens. 

Die  Elektrotherapie  kann  ebenfalls  in  allen  diesen  Rich- 
tungen helfen.  Der  faradische  Strom  wird  vorzugsweise  ange- 
wendet, um  die  Motilität  des  Magens  zu  verbessern,  wichtiger  ist 
aber,  wie  von  Ziemssen  zuerst  betont  hat,  die  Einwirkung  der 
elektrischen  Ströme  auf  die  sekretorische,  vasomotorische  und 
sensible  Innervation  des  Magens.  Derselbe  Autor  hat  die  Er- 
fahrung gemacht,  daß  man  von  der  Anwendung  der  in  den  Magen 
eingeführten  Sondenelektroden  am  besten  absieht  und  sich  auf 
die  perkutane  Elektrisation  beschränkt.  Er  verwendet  dazu  Elek- 
trodenplatten von  500 — 600  qcm  Querschnitt,  wovon  die  eine  der 
vorderen  Magenwand  entsprechend  auf  das  Epigastrium,  die  andere 
der  hinteren  Magenwand  und  dem  Fundus  entsprechend  auf  den 
hinteren  Umfang  der  linken  Thoraxhälfte  einschließlich  der  Wirbel- 
säule aufgesetzt  wird.  Bei  guter  Polsterung  und  gehöriger  An- 
feuchtung der  Elektroden  mit  heißem  Wasser  kann  man  die  der 
Größe  der  Elektroden  entsprechende  hohe  Stromstärke  ohne  zu 
große  Belästigung  durch  Hautschmerz  anwenden.  Von  Ziemssen 
beginnt  mit  einem  starken  Induktionstrom,  läßt  dann  den  kon- 
I stanten  Strom  stabil  und  mit  Volta  sehen  Alternativen  folgen 
Dornblüth  , Therapie.  7 


98 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


und  schließt  wieder  mit  dem  Induktionstrom  oder  auch  wohl 
mit  trockener  Metallbiirstung  des  Epigastriums,  um  reflektorisch 
auf  den  Magen  zu  wirken.  Die  günstige  Wirkung  auf  den 
Appetit  und  der  Verdauungsfähigkeit  und  die  angenehme 
Beeinflussung  der  sensiblen  Sphäre  des  Magens  durch  das 
Verfahren  entspricht  durchaus  dem,  was  von  Ziemssen  in  seinen 
Veröffentlichungen  mitgeteilt  hat,  und  läßt  seine  Anwendung  bei 
Neurosen,  aber  auch  bei  Magenerweiterungen , Lage-  und  Form- 
veränderungen des  Magens,  Verwachsungen  und  anderen  Resten 
früherer  Geschwüre,  bei  Bleikardialgie  und  Bleikolik  auch  heute 
noch  sehr  empfehlenswert  erscheinen. 

Während  die  Wärmebehandlung  des  Magens  vorzugsweise 
bei  den  akuten  Störungen  des  Magens  in  Frage  kommt  (vgl.  S.  87), 
ist  neuerdings  die  Kältebehandlnng  zumal  gegen  Appetitlosig- 
keit und  gegen  Verdauungschwäche  empfohlen  worden,  und  zwar 
von  zwei  Seiten  aus.  Zunächst  in  der  Frigotherapie  von 
Pictet.  Hier  wird  der  ganze  Mensch  in  einem  besonderen  Apparat 
einer  Kälte  von  —110°  ausgesetzt , deren  langwollige  Strahlen 
auf  der  Haut  nicht  das  scharfe  Kältegefühl  der  unter  —70° 
liegenden  Strahlen,  sondern  nur  das  Gefühl  einer  angenehmen 
Frische  hervorrufen  sollen.  Die  kräftige  Anregung  der  gesamten 
Lebensvorgänge  soll  auch  auf  die  Magenfunktionen  günstig  ein- 
wirken. Die  bisher  mitgeteilten  Erfolge  können  allerdings  ein- 
fache Suggestionwirkungen  sein.  Eine  zweite  Methode  ist  die 
Krimotherapie  von  Letulle  und  Ribard,  wobei  ein  Sack  mit 
2 kg  fester  schneeförmiger  Kohlensäure  für  eine  halbe  Stunde 
auf  die  Magen-  und  Lebergegend  aufgelegt  wird;  die  Haut  wird 
durch  eine  untergelegte  dicke  Watteschicht  geschützt.  Die  appetit- 
anregende Wirkung  wird  als  sehr  überraschend  bezeichnet.  Vor- 
läufig haben  beide  Methoden  noch  nicht  das  Bürgerrecht  erworben. 

Sehr  verbreitet  ist  die  Pharmakotherapie  der  chronischen 
Magenleiden.  An  erster  Stelle  müssen  die  physiologischen 
Verdauungsmittel  genannt  werden,  die  Salzsäure  und  das 
Pepsin.  Wo  man  annehmen  darf,  daß  sie  in  zu  geringer  Menge 
während  der  Verdauungszeit  im  Magen  vorhanden  sind,  erscheint 
ihre  Zufuhr  angezeigt.  Für  das  Pepsin  ist  das,  wie  die  Unter- 
suchungen des  Mageninhalts  gelehrt  haben,  verhältnismäßig  selten 
der  Fall,  am  ehesten  kommt  es  anscheinend  bei  Chlorose,  Tuber- 
kulose, Magenkatarrh  der  Säufer  und  bei  dyspeptischen  Kindern 
und  Greisen  vor.  Viel  häufiger  handelt  es  sich  um  Fehlen  oder 
Verminderung  der  Salzsäureabsonderung;  dann  gibt  man  5 — 10 


Krankheiten  des  Magens 


99 


Minuten  vor  der  Mahlzeit  5 — 10  Tropfen  Acidum  hydrochloricum 
purum  (oder  doppelt  so  viel  Acidum  hydrochloricum  dilutum)  in 
einem  Weinglas  voll  Wasser  und  eventuell  noch  dieselbe  Grabe 
eine  halbe  Stunde  nach  der  Mahlzeit,  nicht  früher,  weil  man  das 
halbstündige  amylolytische  Stadium  der  Verdauung  vorübergehen 
lassen  soll.  Bei  sehr  darnieder  liegender,  stark  verlangsamter  Ver- 
dauung kann  man  auch  im  weiteren  Verlaufe  diese  Gabe  wieder- 
holen. 

In  zweiter  Linie  stehen  die  kohlensauren  Alkalien.  Man 
hat  sie  früher  wesentlich  zur  Abstumpfung  überschüssiger  Magen- 
säure gegeben,  wie  heute  noch  vielfach  als  Hausmittel  gegen  Sod- 
brennen und  dergl.  doppeltkohlensaures  Natron  messer  spitzen  weise 
genommen  wird.  Im  ganzen  ist  das  nur  zu  vorübergehender 
Anwendung  rationell,  weil  die  weitergehende  Gärung  natürlich 
alsbald  neue  Säure  schafft.  Etwas  anderes  bedeutet  der  Genuß 
aufgelöster  kohlensaurer  Alkalien  auf  leeren  Magen:  er  bewirkt 
vermehrte  Salzsäureabsonderung.  Man  kann  daher  zuweilen  eine 
Appetitlosigkeit  dadurch  beseitigen,  daß  man  kurz  vor  der  Mahl- 
zeit eine  Messerspitze  voll  doppeltkohlensaures  Natron  nehmen 
läßt;  die  gleichfalls  erleichterte  Verdauung  beweist,  daß  eine  Ver- 
mehrung der  Salzsäureabscheidung  eingetreten  war.  Bei  ver- 
stärkter Salzsäureabsonderung,  Superazidität  oder  Supersekretion 
des  Magens,  sieht  man  umgekehrt  nicht  selten  nach  Einnehmen 
von  Alkalien  die  Beschwerden  bald  zunehmen. 

Diese  magenstärkende  Wirkung  kommt  auch  in  den  be- 
kannten Brunnenkuren  zur  Geltung.  Sie  sollen  aber  erst  bei 
der  Therapie  der  Darmkrankheiten  genauer  besprochen  werden, 
weil  sich  die  wichtigeren  sämtlich  zugleich  auf  den  Darm  be- 
ziehen. 

Im  übrigen  spielt  die  Arzneibehandlung  bei  den  Magen- 
krankheiten mehr  eine  symptomatische  Rolle.  Nur  vom  Wismut 
hat  man  vielfach  mehr  erwartet.  Das  Bismutum  subnitricum 
sollte  nicht  nur  ein  Heilmittel  für  Neuralgien  des  Magens  sein, 
sondern  auch  spezifisch  bei  Magengeschwür  wirken.  Eleinek  hat 
dies  von  Kussmaul  ersonnene  Verfahren  1893  folgendermaßen  be- 
schrieben: Man  vermischt  10 — 15 — 20  g Bismutum  subnitricum 
gleichmäßig  mit  200  g lauen  Wassers  und  gießt  die  milchweiße 
Aufschwemmung  durch  Trichter  und  Magenschlauch  in  den  un- 
mittelbar vorher,  und  zwar  morgens  nüchtern,  ausgespülten  Magen 
des  Kranken  und  gießt  noch  50  g laues  Wasser  hinterdrein;  dann 
läßt  man  je  nach  dem  Sitz  des  Geschwürs  den  Kranken  mit  zu- 

7* 


100 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


gequetschtem  Schlauche  in  rechter  Seitenlage  oder  auf  dem  Rücken, 
nötigenfalls  mit  erhöhtem  Becken,  oder  auch  in  Knieellenbogen- 
lage oder  sitzend  5 — 10  Minuten  verharren,  bis  nämlich  das 
Wismut  abgesetzt  ist,  dann  wird  das  Wasser  abgelassen,  die  Sonde 
entfernt,  und  nun  muß  der  Kranke  noch  eine  halbe  Stunde  in 
der  verordneten  Lage  bleiben,  dann  bekommt  er  das  erste  Früh- 
stück. Der  Wismutniederschlag  soll  dabei  das  Geschwür  be- 
decken und  es  schnell  zur  Heilung  bringen.  Pariser  hat  mit 
Recht  gegen  das  Verfahren  eingewendet,  daß  es  für  den  Kranken 
eine  Quälerei  ist,  solange  die  Sonde  in  sich  zu  haben,  und  daß 
die  Bestimmung  des  Sitzes  des  Geschwürs  eine  sehr  unsichere 
Sache  ist,  daß  sich  überhaupt  das  in  Aufschwemmung  eingeführte 
Pulver  durch  die  peristolische  Bewegung  des  Magens  von  selbst 
auf  dessen  ganzer  Fläche  verteile.  Es  genüge  daher,  morgens 
nüchtern  15 — 20  g in  einem  Glase  Wasser  umgerührt  trinken 
und  einige  Schluck  reinen  Wassers  nachtrinken  zu  lassen;  dann 
läßt  man  den  Kranken  drei  viertel  Stunden  ruhig  auf  dem  Rücken 
liegen  und  gibt  ihm  nun  das  erste  Frühstück.  Pariser  hat 
ferner  herausgefunden,  daß  man  das  Wismut  ohne  Verringerung 
des  Erfolges  durch  ein  Gemisch  von  Calcaria  carbonica  praeparata 
(Creta  alba)  und  Talcum  praeparatum  ersetzen  kann,  wovon  man 
jeden  Morgen  anderthalb  gehäufte  Teelöffel  voll,  in  Wasser  ver- 
rührt, nehmen  läßt.  Bei  Neigung  zu  Verstopfung  kann  man  auf 
60  g des  Gemisches  noch  10 — 15  g Magnesia  usta  zusetzen. 

Die  Hauptrolle  spielen  die  Arzneimittel  bei  der  Behand- 
lung der 

Appetitlosigkeit. 

Sie  ist  nicht  nur  für  die  Magenkrankheiten,  sondern  für 
die  Ernährung  aller  chronischen  Kranken  von  der  größten  Wichtig- 
keit. Wieweit  die  Küche  dagegen  helfen  kann,  habe  ich  in 
meinem  Diätetischen  Kochbuch,  2.  Auflage,  Würzburg  1905, 
auseinandergesetzt.  Die  appetitliche  und  zarte  Zubereitung,  die 
Heranziehung  von  Gerichten,  die  erfahrungsgemäß  den  Magen  etwas 
anregen  — wesentlich  Speisen  von  bestimmtem,  nicht  fadem  Eigen- 
geschmack, ohne  Reizwirkung  — , tut  dabei  sehr  viel,  auch  die 
Abwechslung,  die  unvermutete  Darreichung  einer  Speise,  die  der 
Kranke  lange  nicht  genossen  hat,  usw.  Aber  gerade  hier  ist  die 
Arzneibehandlung  oft  von  der  besten  Wirkung.  Am  besten  be- 
ginnt man  mit  dem  einfachsten,  natürlichsten  Mittel,  der  Salzsäure, 
und  gibt  von  Acidum  hydrochloricum  dilutum  3 — 5 mal  täglich 


Krankheiten  des  Magens 


101 


5 — 10  Tropfen  in  einem  Weinglas  voll  Wasser  etwa  5 Minuten  vor 
der  Mahlzeit.  Sehr  oft  wird  man  damit  genügenden  Erfolg  erreichen. 
Am  besten  gibt  man  keinen  Geschmackszusatz,  man  kann  aber  auch 
einen  bitteren  Stoff  von  anregendem  Geschmack  zusetzen,  z.  B.  Sirupus 
Aurantii  corticis.  Die  Amara  haben  zweifellos  die  Wirkung,  die 
Absonderung  des  Speichels  anzuregen,  und  wahrscheinlich  wirken 
sie  damit  zugleich  auch  auf  die  Magen-  und  auf  die  Dünndarm- 
drüsen. Es  ist  bekannt,  wie  sehr  Speichelabsonderung  und  Appetit 
Zusammenhängen;  schon  die  Vorstellung  verlockender  Speisen  läßt 
„einem  das  Wasser  im  Munde  zusammenlaufen“,  und  nach  be- 
kannten Assoziationsgesetzen  verbindet  sich  Anregung  der  Speichel- 
absonderung auch  wiederum  mit  Appetitgefühl.  Vermutlich  regen 
die  Amara  auch  die  Bewegungen  des  Magens  und  des  Darmes 
an.  Einen  großen  Ruf  in  dieser  Gruppe  haben  die  Gentianmittel, 
Radix  Gentianae  und  Extr actum  Gentianae , leider  vielfach  in 
der  unzweckmäßigen  Form  der  Enzianschnäpse  verabreicht.  En- 
zian bildet  neben  anderen  Bitterstoffen  auch  einen  Bestandteil  der 
Tinctura  amara , die  ebenfalls  gern  zu  Salzsäurelösungen  hinzu- 
gesetzt wird.  Die  Chinaextrakte  spielen  hier  ebenfalls  eine 
wichtige  Rolle,  sowohl  die  besonders  früher  sehr  geschätzten  China- 
rindendekokte, als  die  Tinctura  Chinae  composita  und  die  ver- 
schiedenen Chinaweine  und  Chinaextrakte  des  Handels.  Der  Al- 
koholgehalt ist  hier  ebenso  wie  bei  den  als  Volksmittel  gebräuch- 
lichen Wermut-  und  Äbsinthv?  einen  und  Schnäpsen  sehr  zu 
beachten.  Wenn  man  den  Alkoholgetränken  vielfach  eine 
günstige  Wirkung  auf  den  Appetit  und  auf  die  Magenverdauung 
zuschreibt,  so  handelt  es  sich  dabei  höchstens  um  eine  psychische, 
suggestive  oder  durch  Aufhebung  deprimierender  Stimmungen 
entstandene  Wirkung,  eine  direkte  Wirkung  auf  die  Verdauung- 
säfte ist  nicht  nachweisbar.  Man  hat  deshalb  immer  zu  bedenken, 
daß  man  eine  mit  der  Zeit  sich  abstumpfende  psychische  Wirkung 
mit  Schädigungen  erkauft,  die  bei  dem  kranken  Organismus  um 
so  bedenklicher  sind.  Jedenfalls  ist  es  dann  noch  besser,  ein 
Arzneimittel  mit  bestimmtem  Alkoholgehalt  zu  verordnen,  wie 
z.  B.  das  vortreffliche  Elixir  Aurantiorum  compositum  (zer- 
schnittene Pomeranzenschalen  und  verschiedene  Amara  mit  Sherry 
und  etwas  Kali  carbonicum),  mehrmals  täglich  einen  Teelöffel  voll, 
als  einen  Wein,  dessen  Menge  der  Kranke  oder  seine  Angehörigen 
bald  selbst  bestimmen,  und  dessen  Gebrauch  sie  manchmal  weit 
über  die  Genesung  hinaus  fortsetzen.  Bitter  schmeckende  Mittel, 
wie  die  Tinctura  Chinae  composita,  sind  in  dieser  Beziehung  noch 


102 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


zweckmäßiger,  weil  sie  den  Mißbrauch  ziemlich  sicher  ausschließen. 
Man  gibt  davon  vor  den  Mahlzeiten  20  Tropfen  bis  1 Teelöffel 
voll.  — Unter  den  aromatischen  Stoffen  sind  Kalmus,  Zimt  und 
Ingwer  als  Magenmittel  beliebt,  aber  sie  stehen  den  besprochenen 
an  Wirksamkeit  nach.  — Als  direkt  appetitanregende  Mittel  kann 
man  die  Kondurangorinde  und  das  Orexin  bezeichnen.  Die  Kondu- 
rangorinde  gibt  man  entweder  als  Extractum  fluidum  corticis 
Condurango  zu  20  — 30  Tropfen  mehrmals  täglich  oder  als  Elixir 
Condurango  peptonatum  (Immermann- Walther)  2 — 3 mal  täglich 
1 Eßlöffel,  immer  eine  halbe  Stunde  vor  der  Mahlzeit.  Die  Wir- 
kung ist  namentlich  bei  schwachem  Magen  und  oft  selbst  bei 
Magenkrebs  symptomatisch  sehr  gut.  Als  appetiterregendes  Mittel 
ist  meist  Orexin  noch  wirksamer;  man  gibt  Orexinum  tannicum 
als  Pulver  oder  in  Tabletten,  Erwachsenen  0,5,  Kindern  halb  so 
viel,  zwei  Stunden  vor  den  Hauptmahlzeiten,  mit  Nachtrinken 
von  reichlich  Wasser,  Milch  oder  Bouillon,  an  fünf  aufeinander- 
folgenden Tagen,  nötigenfalls  nach  einer  Pause  noch  einmal  zehn 
Tage  lang. 

Acid.  hydrochl.  1,0 
Aq.  dest.  150,0 
Tct.  amar.  50,0 
M.D.S.  Mehrmals  tägl.  1 Eßl. 

B;  Elixir  Chinae  Calisayae  Dung 

100,0 

D.S.  3 mal  tägl.  1—2  Eßl. 

fj;  Elixir  Condurango  pept.  Immek- 
mann  100,0 

D.S.  2 — 3 mal  tägl.  1 Eßl. 

Zuweilen  sieht  man  eine  appetitsteigernde  Wirkung  von  Nähr- 
präparaten wie  Somatose,  Roborat,  so  daß  sie  eine  größere  Wir- 
kung entfalten,  als  man  bei  der  geringen  Eiweißmenge  leisten 
könnte,  die  bei  der  herkömmlichen  Dosierung  von  einigen  Tee- 
löffeln voll  damit  zugeführt  wird.  Auch  das  Phosphorpräparat 
Phytin  der  Gesellschaft  für  chemische  Industrie  in  Basel,  wovon 
man  täglich  viermal  0,25  in  Kapseln  oder  Lösung  gibt,  wirkt 
manchmal  sehr  gut  appetitanregend.  Von  den  neueren  Lecithin- 
präparaten  habe  ich  nie  etwas  Besonderes  gesehen. 

Besonders  beliebt  sind  bei  Magenkrankheiten  als  magen- 
stärkende Mittel,  die  den  Appetit  und  die  Magentätigkeit 
gleichmäßig  anregen , der  Rhabarber  und  das  Strychnin.  Den 


^5:  Tct.  Chin.  compos.  100,0 
D.S.  Vor  den  Mahlzeiten 
20  Tropfen  bis  1 Teelöffel. 

LJ  Elixir  Aurant.  comp.  100,0 
D.S.  Mehrmals  tägl.  1 Teelöffel. 

Ijfc  1 Röhrchen  Orexintabletten  zu 
0,25 

Vorm.  2 Tabl.  mit  Bouillon. 


Krankheiten  des  Magens 


103 


Rhabarber  verordnet  man  zu  diesem  Zweck  in  kleinen,  nicht  ab- 
führenden Gaben,  Pulvis  Rhei  und  Exlractum  Rhei  zu  0,1 — 0,3 
mehrmals  täglich  vor  dem  Essen,  Tindura  Rhei  aquosa  und,  wo 
Wein  erlaubt  ist,  vinosa , zu  1/2 — 2 Teelöffel  voll  mehrmals  täglich, 
ebenfalls  vor  dem  Essen.  Vom  Strychnin  gibt  man  das  Strych- 
ninum  nitricum  zu  0,001 — 0,003  mehrmals  täglich  in  Pulvern 
oder  Pillen  oder  das  Extradum  Strychni  zu  0,005  mehrmals 
täglich.  Zweckmäßig  sind  auch  z.  B.  Pillen,  die  Strychnin  und 
Rhabarber  zugleich  enthalten. 

Extr.  Strychni  0,25 
Pulvis  Ehei  10,0 
F.  c.  Aq.  dest.  q.  s. 

F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  tägl.  1 Pille  vor  dem  Essen. 

Indirekt,  durch  Beeinflussung  des  Grundleidens,  können 
auch  Digitalis , Eisenpräparate  usw.  den  Appetit  und  die  Magen- 
tätigkeit verbessern. 

Erbrechen. 

Das  Erbrechen  ist  eine  der  quälendsten  Erscheinungen  der 
Magenkrankheiten  und  bedarf  daher  besonderer  Rücksicht  des 
Arztes.  Es  kann  aber  nur  mit  sorgfältiger  Überlegung  behandelt 
werden,  nicht  nach  irgend  einer  Schablone.  Zunächst  handelt 
es  sich  darum,  weshalb  erbrochen  wird,  und  was  erbrochen  wird. 
Hat  der  Kranke  Ungeeignetes  in  seinen  Magen  gebracht,  wird 
unzweckmäßiger  oder  übermäßig  viel  Inhalt,  gärender  Speisebrei, 
dickklumpig  geronnene  Milch  herausgebracht  usw.,  so  ist  das  Er- 
brechen als  etwas  durchaus  Zweckmäßiges  zu  betrachten  und  unter 
Umständen,  wenn  man  z.  B.  keinen  Magenschlauch  zur  Verfügung 
hat,  durch  Trinken  von  lauem  Wasser,  bei  Vergiftungen  auch 
durch  Genuß  flüssiger  Gegenmittel,  zu  fördern.  Eine  nachträg- 
liche Ausspülung  des  Magens  mit  lauem  Wasser,  dem  etwas 
kohlensaures  Natron  oder  Kochsalz  und  doppeltkohlensaures  Natron 
ana  0,5  °/0  zugesetzt  ist,  ist  oft  sehr  zweckmäßig,  auch  wo  der 
Mageninhalt  völlig  herausgekommen  war.  Auf  diese  Weise  wird 
sowohl  bei  akuten  als  bei  chronischen  Katarrhen,  bei  Magen- 
erweiterung und  bei  Krebs  das  Erbrechen  am  besten  gestillt.  Bei 
Magengeschwür  wird  man  mit  der  Sondierung  und  Ausspülung 
vorsichtig  sein  und  sie  jedenfalls  nur  unternehmen,  wenn  man 
die  Technik  völlig  beherrscht.  Die  Gefahr,  daß  eine  Blutung 


104 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


angeregt  wird,  liegt  bei  ungeschicktem  Vorgehen,  bei  ängstlicher 
Abwehr  des  Kranken  doch  immerhin  vor,  wenn  auch  geübte 
Spezialisten  sogar  bei  frischen  Geschwüren  Ausspülungen  oder 
Eingießungen  durch  den  Schlauch,  vgl.  S.  95,  vornehmen. 

Ist  der  Magen  schon  beim  Beginn  der  ärztlichen  Behand- 
lung völlig  entleert,  wie  das  bei  nervösem  Erbrechen,  bei  gastri- 
schen Krisen,  bei  Magenkrampf  usw.  oft  vorkommt,  so  bat  man 
vor  allem  dafür  zn  sorgen,  daß  der  Magen  in  Ruhe  kommt.  Das 
beste  Mittel  dafür  und  zugleich  die  unentbehrliche  Voraussetzung 
ist,  daß  man  ihm  nichts  zuführt.  Das  Verschlucken  von  Eis- 
pillen ist  zwar  eine  alte  und  vielgeübte  Methode,  aber  einen  Zweck 
hat  sie  doch  nicht.  Läßt  man  die  Pillen  im  Munde  zergehen, 
so  kommt  das  Wasser  warm  im  Magen  an  und  regt  natürlich 
eine  Absonderung  oder  doch  wenigstens  Bewegungen  des  Magens 
an;  läßt  man  sie  ganz  hinunterschlucken,  so  ist  das  Ergebnis 
dasselbe,  und  die  beruhigende  oder  kühlende  Wirkung  eines  so 
kleinen  Eisstückchens  auf  die  Magen  wand  kann  wirklich  nicht 
von  Bedeutung  sein.  Auch  andere  milde  Flüssigkeiten,  wie  z.  B. 
dünner  Tee,  haben  oft  genug  die  Wirkung,  das  Erbrechen  von 
neuem  anzuregen.  Man  tut  wirklich  besser,  den  Kranken  einfach 
recht  flach  und  regungslos  im  Bett  liegen  zu  lassen  und  je  nach 
Bedarf  oder  Liebhaberei  einen  kalten  Umschlag  oder,  was  in  den 
meisten  Fällen  besser  ist,  einen  heißen  Umschlag,  einen  Thermo- 
phor und  dergl.  auf  die  Magengegend  zu  legen.  Auch  sanftes 
Streichen  der  Haut  über  dem  Magen  tut  den  Kranken  oft  sehr 
wohl.  Entschließt  man  sich,  wieder  Nahrung  zu  geben,  so  be- 
ginnt man  mit  ganz  leichten  Flüssigkeiten,  am  besten  mit  dünnem 
Tee,  dem  man  etwas  Milch  oder  Zucker  zusetzen  kann,  oder  mit 
Bouillon  ohne  oder  mit  Ei.  Die  Neigung  des  Kranken  oder  seine 
früheren  Erfahrungen  müssen  berücksichtigt  werden.  Bei  den 
schweren  Formen  des  unstillbaren  Erbrechens  der  Schwange- 
ren und  bei  hartnäckigem  nervösen  Erbrechen  sieht  man 
am  besten,  daß  man  mit  der  Wiederaufnahme  der  Ernährung 
nicht  zu  eilen  braucht;  man  gibt  dabei  am  besten  überhaupt 
nichts,  auch  keine  Eispillen,  bekämpft  den  Durst  nur  durch  An- 
feuchten der  Lippen  mit  Wasser,  Zitronensaft  usw.,  und  kehrt 
erst  zur  Magenernährung  zurück,  wenn  3 — 5 Tage  keine  An- 
deutung von  Erbrechen  mehr  dagewesen  ist.  Gerade  mit  Milch 
muß  man  bei  Brechreiz  sehr  vorsichtig  sein,  weil  sie  nicht  selten 
im  Magen  klumpig  gerinnt  und  dann  erheblich  reizt.  Man  gibt 
in  solchen  Fällen  am  besten  zunächst  nur  Milch  mit  Mondamin 


Krankheiten  des  Magens 


105 


oder  Maizena  abgekocht  oder  Milchsuppen  mit  Kindermehl  bereitet, 
nicht  zu  dick,  sondern  recht  dünnflüssig,  oder  man  verwendet 
Pegninmilch  oder  Backhausmilch  oder  andere  Zubereitungen, 
die  weiterhin  bei  der  Behandlung  der  Säuglingskrankheiten  be- 
sprochen sind.  — Ein  anderes  Mittel,  das  die  Ausschaltung  der 
Magenernährung  auch  bei  schwachen  Kranken  erlaubt,  ist  die 
Anwendung  von  Nährklistieren.  Nach  den  Erfahrungen  von 
Leube,  der  die  verschiedenen  Nährmittel  hinsichtlich  ihrer  Ver- 
wendbarkeit zur  Mastdarmernährung  genau  geprüft  hat,  sind  fol- 
gende Zusammenstellungen  am  besten: 


1.  Peptonmilchklistier: 

. 

250  g Milch  etwa  gleich 

170 

Kalorien 

60  g Pepton 

100 

2.  Eiermilchklistier: 

250  g Milch 

170 

3 Eier 

200 

j’j 

etwas  Kochsalz 

3.  Amylummilchklistier: 

Amylum  60 — 70  g 

250 

>) 

Milch  250  g 

170 

4.  Zuckerklistier: 

50  g Traubenzucker 

200 

250  g Milch 

170 

?? 

5.  Pankreasklistier: 

75  g Pankreassubstanz  1 

300 

225  g Fleisch 

30 — 45  g Fett 

350 

Vor  dem  Nährklistier  gibt  man  ein  Reinigungsklistier  von 
lauem  Wasser,  eine  Stunde  nachher  läßt  man  die  Nährflüssigkeit 
durch  ein  langes,  weiches  Darmrohr  aus  Trichter  und  Schlauch 
langsam  einfließen.  Das  Pankreasklistier  muß  durch  eine  Spritze 
eingedrückt  werden.  Der  Kranke  liegt  mit  an  den  Leib  ge- 
zogenen Knien  auf  seiner  rechten  Seite. 

Die  subkutane  Ernährung  ist  noch  weniger  ausgebildet, 
aber  sie  kann  ebenfalls  herangezogen  werden,  um  den  Magen  aus- 
zuschalten, und  sie  vermag  dann  die  Mastdarmernährung  zu  er- 
gänzen, die  auf  die  Dauer  nicht  recht  ausreicht  und  manchmal 
auch  zu  Darmreizungen  führt.  Zur  Einspritzung  unter  die  Haut 
verwendet  man,  um  den  Durst  zu  stillen  und  die  Flüssigkeits- 


106 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Verarmung  zu  vermindern,  bekanntlich  die  physiologische  Koch- 
salzlösung. Man  verwendet  dazu  einen  Irrigator  mit  zwei- 
meterlangem Schlauch,  woran  ein  Yerschlußhahn  und  eine  oder 
besser  noch  zwei  dicke  Hohlnadeln  befestigt  sind.  Man  läßt  die 
Luft  aus  Schlauch  und  Nadeln  austreten  und  sticht  die  Nadel 
in  der  Längsrichtung  des  Oberschenkels  zentralwärts  unter  die 
Haut  ein,  wenn  zwei  Nadeln  angebracht  sind,  an  verschiedenen 
Hautstellen,  selbstverständlich  nach  genügender  Desinfektion  des 
Einstichgebietes.  Man  gießt  langsam  etwa  1 Liter  Wasser  von 
40°  0.  ein,  worin  7 g Kochsalz  gelöst  sind.  Die  Einstichstelle 
muß  dann  antiseptisch  verbunden  werden.  Man  kann  täglich 
oder  2 — 8 mal  am  Tage  solche  Einspritzungen  machen. 

Zu  Nährinjektionen  unter  die  Haut  benutzt  man  nach 
v.  Leube  am  besten  Olivenöl  oder  das  billigere  Sesamöl,  wovon 
man  je  10  ccm  mit  einer  großen  Pravazspritze  (Serumspritze) 
langsam  an  drei  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  einspritzt.  Man 
erhält  dabei  schon  einen  Kalorienwert  von  300 — 400,  man  kann 
aber  bis  100  g oder  gar  200  g täglich  einspritzen  und  damit 
eine  sehr  große  Kalorienzahl  erzielen.  Die  Eetteinspritzungen 
wirken  nachweisbar  eiweißsparend. 

Die  von  anderer  Seite  empfohlenen  Ein  Spritzungen  von  Zuck  er - 
lösung  unter  die  Haut  werden  zwar,  wenn  man  10°/0ige  Trauben- 
zuckerlösung nimmt,  ohne  Schaden  ertragen,  aber  schon  100  g 
der  Lösung  machen  länger  anhaltende  Schmerzen,  bei  150  g halten 
diese  schon  den  ganzen  Tag  an,  wie  Leube  mitteilt. 

Man  wird  natürlich  nur  bei  schweren  Eormen  des  Er- 
brechens die  Nahrungsentziehung  durch  die  angegebenen  Arten 
der  künstlichen  Ernährung  auszugleichen  haben.  Für  die  Mehr- 
zahl der  Fälle  genügt  es  vollkommen,  bis  zur  Beruhigung  des 
Organs  fasten  zu  lassen.  Die  Ungeduld  der  Kranken  und  der 
Wunsch  des  Arztes,  sie  bald  von  dem  quälenden  Brechreiz  zu 
befreien,  wird  natürlich  sehr  oft  zur  Anwendung  von  anderen 
Hilfsmitteln  als  zum  Abwarten  unter  diätetischen  und  physika- 
kalischen  Verordnungen  drängen.  Solche  Mittel  sind  um  so  nötiger, 
wenn  das  Erbrechen  nicht  durch  eine  Erkrankung  des  Magens 
bedingt  wird,  sondern  etwa  durch  Nephritis,  Pleuritis,  chronische 
Peritonitis,  Stauungen  bei  Herz-  oder  Leberleiden  usw.  Am 
häufigsten  zieht  man  dann  die  örtlich  beruhigenden  Mittel 
heran:  Baldriantropfen  20 — 30  mehrmals;  Menthol  in  Gaben 
von  0,02 — 0,1 — 0,5 — 1,0  mehrmals  täglich,  bis  6,0  täglich,  in 
Dragees,  Pillen,  Oblaten;  Anästhesin  - Höchst,  0,3 — 0,5  2 bis 


Krankheiten  des  Magens 


107 


8 mal  täglich  10 — 15  Minuten  vor  dem  Essen,  als  Pulver  oder 
in  Trochiscis;  Kokain  in  wäßriger  Lösung  des  Cocainum  hydro- 
chloricum  0,1:10,0,  davon  dreimal  täglich  1 5 — 20  Tropfen.  Ferner 
tun  oft  die  allgemein  beruhigenden  Mittel  gute  Dienste, 
namentlich  Opiumtinktur  in  wiederholten  Gaben  von  5 Tropfen, 
Codeinum  phosphoricum  zu  0,005 — 0,01 — 0,05  in  wäßriger  Lö- 
sung,  z.  B.  0,5 — 1,0  in  Aqua  amygdalarum  amararum  15,0,  da- 
von halbstündlich  5 Tropfen,  bis  zu  6 mal  am  Tage,  zuweilen 
auch  Morphium , aber  nur,  wenn  dio  anderen  Mittel  versagt  haben 
und  zugleich  heftige  Schmerzen  bestehen,  für  subkutane  Anwen- 
dung am  besten  mit  Atropinum  sulfuricum  zusammen,  weil 
Morphium  allein  öfters  Erbrechen  erregt.  Die  örtlichen  und  all- 
gemeinen Beruhigungsmittel  sind  namentlich  bei  der  Behandlung 
des  nervösen  Erbrechens  oft  sehr  wichtig,  weil  dabei  im  ganzen 
die  regelmäßige  Ernährung  nicht  lange  unterbrochen  werden  soll 
und  die  das  Erbrechen  fördernde  Ängstlichkeit  und  Autosugges- 
tion der  Kranken  dadurch  beseitigt  wird.  Bei  dem  oft  sehr  schwer 
zu  beeinflussenden  Erbrechen  der  Nierenkranken  und  der  Herz- 
kranken mit  Kompensationstörungen  bewährt  sich  zuweilen  das 
Cerium  oxalicum,  zu  0,05 — 0,1  in  Pulvern  gegeben,  zweistündlich 
bis  zur  Wirkung.  Bei  dem  Erbrechen  der  Krebskranken  hilft 
zuweilen  Kondurango  recht  gut,  s.  S.  102,  auch  Tinctura  jodi 
1 ^ Tropfen  in  einem  Weinglas  voll  Wasser  ist  angewendet 

worden. 


50,0  Baldriantropfen 
aus  dem  Handverkauf. 

1 Schachtel  Mentholdragees. 

bi  Anaesthesini  0,3 — 0,5 

D.  tal.  dos.  X.  S.  2 — 3 mal  tägl. 
1 Pulver  in  Oblate,  15  Min. 
vor  dem  Essen. 

^ Cerii  oxal.  0,05 — 0,1 
Sacch.  lactis  0,3 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  3 mal  tägl.  1 Pulver. 

bi  Mentholi  1,0 
Spir.  vini  20,0 
Sir.  spl.  50,0 
M.D.S.  Stdl.  1 Teelöffel. 


fj;  Cocaini  hydrochl.  0,1 
Aq.  amygd.  amar.  10,0 
D.S.  3 mal  tägl.  10 — 20 Tropfen. 

bi  Morph,  hydrochl.  0,2 

Atropin,  sulf.  0,004  • 

Aq.  dest.  10,0 

D.S.  l/2 — 1 Spritze  subkutan. 

ii  Mentholi  3,0 
Sacch. 

Gummi  arab.  ää  1,5 
Ungt.  Glyc.  q.  s. 

F.Pil.  50.  Obduc.  Gelat. 

D.S.  5 mal  tägl.  1 Pille. 

j Codeini  phosph.  0,5 — 1,0 
Aq.  amygd.  am.  15,0 
D.S.  1/2stdl.  5 Tropfen,  bis  6 mal 
am  Tage. 


108 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Gegen  das  anhaltende  Anfstoßen,  das  namentlich  bei  ner- 
vösen Kranken  zuweilen  sehr  lästig  wird,  kommt  es  vor  allem 
darauf  an,  daß  das  vielfach  vorliegende  gewohnheitsmäßige  Luft- 
schlucken unterbleibt,  und  daß  Speisen  und  Getränke  vermieden 
werden,  die  im  Magen  viel  Luft  oder  Kohlensäure  frei  werden 
lassen.  Weiterhin  sind  Magenausspülungen  angezeigt.  Von  Arznei- 
mitteln werden  Carbo  ligni  pulverisatus,  0,5 — 2,0  mehrmals  täglich 
als  Pulver  oder  in  Trochiscis,  Strychnin  wie  S.  108  angegeben, 
Pliysostigminum  salicylicum  0,0005  mehrmals  täglich  in  Tropfen 
oder  Pillen  oder  subkutan  empfohlen.  Wertvoller  als  diese  Arznei- 
mittel ist  jedenfalls  die  physikalische  Behandlung  durch  Priessnitz- 
sche  Umschläge  und  Massage  der  Magengegend. 

Abnorme  Gärungen  im  Magen  werden  am  besten  durch 
regelmäßige  Ausspülungen  bekämpft,  im  Verein  mit  einer  für  den 
Fall  geeigneten  Kost,  die  möglichst  wenig  zu  Gärung  im  Magen 
geeignet  ist.  Fleisch,  Zwieback,  geröstetes  Brot,  Kindermehle,  Butter 
und  Rahm  in  kleinen  Mengen  werden  am  besten  vertragen,  Dar- 
reichung von  Salzsäure  nach  S.  100  und  nötigenfalls  abends  vor 
dem  Einschlafen  0,1 — 0,3  Acidum  salicylicum  in  Kapseln  unter- 
stützen die  Behandlung;  auch  Bismutum  subnitricum  0,5 — 1,0 — 1,5 
mehrmals  täglich  als  Pulver,  Resorcin  0,5 — 1,5 — 2,0  mehrmals 
täglich  in  Oblaten  oder  wäßriger  Lösung,  bis  10,0  pro  die,  und 
Naphtholum , 0,5  4 — 8 mal  täglich  in  Kapseln,  werden  empfohlen. 


ß Physostigm.  salicyl.  0,01 
Aq.  dest.  10,0 

D.S.  3 mal  tägl.  10 Tropfen,  oder 
1/2  Spritze  subkutan. 

Acid.  salicyl.  0,1  — 0,3 
„ Sacch.  lact.  0,3 

M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X.  ad 
caps.  amyl.  S.  Abds.  1 Kapsel. 


Physostigmin,  salicyl.  0,005 
Boli  alb.  1,5 
Aq.  dest.  q.  s. 

F.Pil.  10.  D.S.  3 mal  tgl.  1 Pille. 

Ipfc  Resorcin.  0,5 — 3,0 
Aq.  dest.  120,0 
Sir.  Aur.  cort.  30,0 
M.D.S.  Mehrmals  tägl.  1 Eßl. 


Bism.  subnitr.  0,5 — 1,5 

D.  tal.  dos.  X.  S.  Mehrmals  tägl.  1 Pulver. 


Kardialgie,  Magenneuralgie. 

Bei  der  akut  durch  Diätfehler,  zu  kalte  Speisen,  Erkältung  usw. 
aufgetretenen  Kardialgie  ist  Bettruhe  und  heiße  Bedeckung  der 
Magengegend  sowie  Enthaltung  von  Speise  und  Trank  am  besten. 
KussMAtrii  empfahl  Magenausspülung  mit  Wasser  von  38 — 44°  C., 
oder  mit  Chloroformwasser , l°/0  Chloroform  mit  Wasser  ge- 


Krankheiten  des  Darmes 


109 


schüttelt.  Sehr  gut  wirken  Suppositorien  mit  0,05 — 0,1  Opium , 
ferner  Codein  0,02  subkutan,  Bromoformium  in  Kapseln  zu  0,4, 
mehrmals  täglich,  zuweilen  auch  Kryofin  oder  Pyramidon  0,5 
pro  dosi. 

Magenblutungen. 

Die  Magenblutungen,  einerlei  aus  welcher  Ursache,  erfordern 
vor  allem  strengste  unveränderliche  Bettruhe,  völliges  Vermeiden 
von  Nahrung,  Getränk  und  auch  von  Eispillen  und  dergl.;  Eis- 
beutel oder  Kühlschlange  auf  die  Magengegend.  Bei  stärkeren 
Blutungen  injiziert  man  unter  die  Haut  Merck  sehe  Gelatine  1 0 °/0  ig, 
davon  5 ccm  2 — 3 mal  täglich,  am  besten  am  Oberschenkel.  Bei 
Verblutungsgefahr  muß  Kochsalzlösung  infundiert  werden,  vgl. 
S.  106.  Bei  lebhaftem  Brechreiz  kann  man  Opium  oder  Morphium 
(0,01)  in  Suppositorium  geben.  Wenn  wieder  Buhe  im  Magen 
eingetreten  ist,  kann  man  Wismut  oder  Calcaria  carbonica  mit 
Talcum  geben,  wie  vorhin  gesagt  worden  ist,  S.  100. 

Morph,  hydrochl.  0,01 

Ol.  Cacao  2,5 

M.F.Suppos.  D.  tal.  dos.  V. 


4.  Krankheiten  des  Darmes. 

Auch  bei  den  Krankheiten  des  Darmes  muß  die  Therapie 
zwischen  akuten  und  chronischen  Störungen  unterscheiden, 
aber  es  ist  zu  beachten,  daß  auch  die  chronischen  Erkrankungen 
zunächst  fast  immer  derselben  Maßregeln  bedürfen  wie  die  akuten. 
Eine  Ausnahme  macht  die  Darmträgheit,  die  von  vornherein 
keines  schonenden  Verfahrens,  sondern  nur  der  Anregung  und 
Übung  bedarf. 

Die  akuten  Darmstörungen  äußern  sich  vor  allem  durch 
Durchfall  und  meist  auch  durch  Leibschmerzen,  in  der  be- 
sonderen Form  der  Kolik.  Für  eine  schnell  erfolgreiche  Be- 
handlung ist  es  nötig,  genau  die  Art  des  Durchfalles  zu  erkennen. 
Man  darf  sich  dabei  keineswegs  auf  die  Angabe  des  Kranken, 
daß  er  Durchfall  habe,  verlassen,  sondern  man  muß  zunächst  er- 
fragen, wie  oft  Entleerung  eingetreten  ist,  und  wie  sie  beschaffen 
war.  Eine  dünne  Entleerung,  die  nur  einmal  des  Tages  auf- 
tritt  oder  gar  noch  seltener,  ist  nicht  durch  einen  Darmkatarrh 
bedingt,  wie  so  oft  gesagt  wird,  sondern  meist  als  nervöse 


110 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Störung  aufzufassen.  Dünne  Entleerungen,  die  nur  im  Zwischen- 
raum von  mehreren  Tagen  auftreten,  während  in  der  Zwischen- 
zeit normaler  oder  träger  Stuhlgang  besteht,  sind  ebenfalls  kein 
echter  Durchfall,  sondern  höchstens  ein  sogenannter  paradoxer 
Durchfall,  eine  Yerstopfungsdiarrhöe,  dadurch  entstanden, 
daß  die  zu  lange  im  Darm  verbliebenen  Reste  teils  durch  Zer- 
setzung verflüssigt  worden  sind,  teils  durch  ihren  Reiz  eine  Trans- 
sudation in  dem  Darm  hervorgerufen  haben,  und  daß  dieser  flüssige 
oder  aus  Kotballen  und  Flüssigkeit  gemischte  Darminhalt  nun 
durch  lebhafte  Peristaltik  oft  unter  Schmerzen,  immer  unter 
gleichzeitiger  geräuschvoller  Gasentleerung  hinausbefördert  wird. 
Yon  echtem  Durchfall  darf  man  nur  reden,  wenn  wirklich 
mehrere  oder  zahlreiche  Entleerungen  immer  dünneren  Stuhlgang, 
zuletzt  ganz  wäßrige  Massen  hinausbefördern. 

Es  ist  klar,  daß  bei  der  paradoxen  Diarrhöe  nur  eine 
Behandlung  mit  Abführmitteln  zum  Ziele  führen  kann.  Das- 
selbe ist  der  Fall,  wenn  die  Ausleerungen  bei  dem  nervösen 
Durchfalll  unverdaute  Massen  aufweisen,  wenn  bei  einer  durch 
Erkältung  usw.  angeregten  zu  schnellen  Entleerung  eine  erheb- 
liche Zersetzung  des  Darminhaltes  festgestellt  wird,  usw.  Je 
nach  den  übrigen  Verhältnissen  des  Falles  ist  zu  erwägen,  ob 
eine  einmalige  Entleerung  genügt,  oder  ob  eine  bleibende  Anregung 
des  Darmes  nötig  ist.  Weiterhin  sollen  die  dazu  nötigen  Mittel 
im  Zusammenhänge  besprochen  werden.  Auch  bei  dem  echten 
Durchfall  ist,  solange  die  Ausleerungen  nicht  rein  wäßrig 
sind,  zu  erwägen,  ob  man  nicht  die  Behandlung  mit  einem  Ab- 
führmittel eröffnen  soll.  Namentlich  manche  akuten  Durchfälle, 
die  durch  Genuß  ungeeigneter  Speisen,  rohen  Obstes  oder  der- 
gleichen entstanden  sind,  verlangen  entschieden  diese  Behandlung, 
aber  auch  bei  einer  frisch  angefangenen  Behandlung  chronischer 
Durchfälle  ist  es  meistens  von  sehr  großem  Wert,  erst  einmal 
den  therapeutischen  Kampfplatz  zu  säubern.  Man  erreicht  damit 
unter  allen  Umständen  eine  erhebliche  Verminderung  der  zu  Zer- 
setzungen führenden  Bakterien  usw.  und  erleichtert  damit  die 
Verwertung  und  ungestörte  Umwandlung  der  sorgfältig  aus- 
gewählten Kost. 

Wenn  noch  schädliche  Massen  im  Magen  sind,  spült  man 
diesen  nach  den  Anweisungen  auf  S.  95  aus.  Den  gärenden 
Inhalt  des  Dünndarms  bringt  man  durch  Rizinusöl  oder  durch 
Kcilomel , die  beide  abführend  und  desinfizierend  wirken , zu 
schneller  Entleerung. 


Krankheiten  des  Darmes 


111 


J^fc  100  g Rizinusöl 

aus  dem  Handverkauf 
1 — 2 Eßl.  Morgens  nüchtern. 


Ejfc  Hydrarg.  chlorati  0,3 
Sacch.  lact.  0,2 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  III. 
S.  2 stdl.  1 Pulver. 


Für  den  Dickdarm  kann  man  wiederum  mit  Ausspülungen 
nachhelfen.  Man  benutzt  dazu  einen  Irrigator  mit  anderthalb 
Meter  langem  Schlauch  und  einem  weichen  Ansatzrohr  von  etwa 
20  cm  Länge,  das  man  gut  eingeölt  vorsichtig  einführt.  Der 
Irrigator  wird  vorher  mit  Wasser  von  40°  0.  gefüllt,  dem  man 
auf  111g  Salizylsäure  zusetzen  kann;  vor  dem  Einführen  des 
Darmrohres  vertreibt  man  erst  die  Luft  aus  dem  Irrigatorschlauch, 
indem  man  die  Flüssigkeit  durchtreten  läßt.  Der  Kranke  liegt  bei 
dem  Einlauf  im  Bett,  auf  dem  Rücken  oder  in  linker  Seitenlage; 
will  man  den  ganzen  Dickdarm  mit  Wasser  füllen,  so  läßt  man  am 
besten  rechte  Seitenlage  einnehmen.  Man  läßt  ganz  langsam  und 
unter  geringem  Druck  einfließen;  sobald  der  Kranke  das  Zeichen 
von  Unbehagen  oder  auftretendem  Entleerungsdrange  gibt,  drückt 
man  den  Schlauch  zu  und  wartet  eine  Minute  lang,  um  dann  wieder 
ganz  vorsichtig  weiterfließen  zu  lassen.  Es  hängt  im  allgemeinen 
ganz  von  der  Geduld  und  Geschicklichkeit  des  Arztes  ab,  wieviel 
Flüssigkeit  man  hinein  bringt.  Viele  Kranke  stellen  sich  zuerst 
sehr  ungeschickt  an  und  pressen  vor  Aufregung;  hier  muß  man 
natürlich  um  so  ruhiger  Vorgehen.  Hat  man  2 1 oder  noch  mehr 
einlaufen  lassen,  so  kann  sich  der  Kranke  auf  den  Nachtstuhl 
setzen  und  das  Wasser  mit  dem  beigemengten  Darminhalt  wieder 
herauslassen.  Nötigenfalls  kann  man  zwei-  oder  dreimal  so  aus- 
spülen. Zu  vermeiden  ist  die  Ausspülung  nur,  wenn  Darmblutung 
aus  Geschwüren  Vorgelegen  hat  oder  zu  befürchten  ist;  bei  den 
blutigen  Ausleerungen  der  Dysenterie  wirkt  sie  dagegen  sehr 
wohltuend,  beruhigend,  schmerzstillend,  sogar  heilend. 

Bei  allen  schwereren  Darmstörungen,  sei  es,  daß  sie  sich 
durch  Schmerzen,  Durchfall,  Unruhe  im  Leib  oder  anderweitig 
kundgeben,  ist  Bettruhe  die  erste  Verordnung.  Die  gleichmäßige 
Wärme,  die  dadurch  auf  den  Körper  ein  wirkt,  der  Wegfall  be- 
engender Kleidung,  die  Erleichterung  einer  vorübergehenden 
Nahrungsenthaltung,  endlich  auch  die  dadurch  erleichterte  Auf- 
fangung  der  Entleerungen,  machen  die  Bettruhe  gleich  wünschens- 
wert. Wo  sie  nicht  durchzuführen  oder  bei  milderem  oder  chro- 
nischem Verlaufe  des  Leidens  nicht  nötig  ist,  muß  man  wenigstens 
durch  Verordnung  einer  genügend  warmen  Bekleidung  des  Leibes 
den  nötigen  Schutz  zu  erreichen  suchen.  Man  macht  in  der  Praxis 


112  Krankheiten  der  Verdauungsorgaue 

dafür  zu  viel  Gebrauch  von  Leibbinden  und  bedenkt  nicht,  daß 
sie  ihren  Zweck  verfehlen,  wenn  sie  nicht  sehr  gut  und  gleich- 
mäßig sitzen  und  nicht  gelegentlich  einmal,  wenn  es  beim  An- 
ziehen eilig  zugeht,  weggelassen  werden.  Guten  und  bleiben- 
den Sitz  erreicht  man  aber  nur  bei  Binden,  die  sehr  gut  aus- 
gewählt oder  nach  Maß  angefertigt  sind  und  durch  Schenkelriemen 
gehalten  werden,  was  immer,  namentlich  beim  weiblichen  Geschlecht, 
als  Belästigung  empfunden  wird.  Viel  zweckmäßiger  ist  oft  eine 
baumwollene  oder  wollene  Unterhose,  die  beim  weiblichen  Ge- 
schlecht ebenfalls  geschlossen  oder  zuknöpfbar  gearbeitet  sein  muß, 
oder  durch  ein  Kockbeinkleid  ergänzt  wird.  Dieses  überaus 
zweckmäßige  Kleidungstück  sollte  der  Arzt  überhaupt  bei  jeder 
Gelegenheit  Kranken  und  Gesunden  empfehlen.  — Natürlich  soll 
man  auch  nicht  in  den  entgegengesetzten  Fehler  verfallen,  den 
Leib  allzu  warm  zu  halten,  wodurch  Empfindlichkeit  gegen  Wärme- 
einflüsse, Neigung  zum  Schwitzen  und  damit  doppelte  Erkältungs- 
gefahr herbeigeführt  werden.  Die  Bedeckung  soll  nur  gerade  das 
Nötige  tun,  um  eine  schädliche  Abkühlung  fern  zu  halten,  wie  sie 
z.  B.  auf  Reisen,  bei  Klimawechsel,  bei  Arbeit  im  Freien,  bei 
großem  Wärmeunterschied  zwischen  Arbeitstelle,  Straße  oder 
Wohnraum  usw.  ein  wirken  kann.  Daneben  ist  immer  durch  ver- 
nünftige Abhärtung  (vgl.  den  Abschnitt  über  Infektionskrank- 
heiten) die  Widerstandsfähigkeit  der  Haut  des  Bauches  zu  erhöhen. 
Wo  aus  bestimmten  Gründen  eine  Leibbinde  verordnet  wird,  so 
bei  Lageveränderungen  der  Bauchorgane,  bei  abnormer  Schlaffheit 
der  Bauchdecken  usw.,  muß  durch  geeignete  Mittel  dafür  gesorgt 
werden,  daß  die  Bauchmuskeln  gekräftigt  werden:  Gymnastik, 

Massage,  Elektrisation. 

Diätetische  Behandlung. 

Im  Anfänge  der  Behandlung  alter  Darmkrankheiten,  mit 
Ausnahme  der  Darmträgheit,  muß  man  eine  strenge  Schonungs- 
diät verordnen;  bei  akuten  echten  Durchfällen  und  bei  ent- 
zündlichen Darmkrankheiten  setzt  man  am  besten  mit  der  Er- 
nährung ganz  aus,  bis  der  Darm  gereinigt  ist,  wie  eben  besprochen 
wurde.  Ist  dies  geschehen,  so  kann  man  wieder  mit  Nahrungs- 
zufuhr beginnen.  Man  gibt  zunächst  am  besten  nur  Stoffe,  die 
nicht  zu  Zersetzungen  führen:  Tee,  dünnen  Reis-  oder  Hafer- 
schleim — kluge  Hausfrauen  geben  bei  Durchfall  gern  dicke 
Schleimsuppen,  weil  sie  denken,  daß  das  dünne  zu  Durchfall 
führen  muß,  erzeugen  aber  damit  Stärkegärungen  im  Darmkanal  — 


Krankheiten  des  Darmes 


113 


Bouillon,  abgestandenes  Selterwasser  und  dergl.  Sodann  empfiehlt 
sich  Milch,  namentlich  die  mit  Mondamin  abgekochte  oder  mit 
Pegnin  versetzte  oder  die  mit  leicht  verdaulichem  Eiweiß  aus- 
gezeichnete Backhausmilch;  auch  Rahm  aus  Separatormolkereien 
oder  aus  guten  Konserven,  rein  oder  mit  abgekochtem  Wasser 
verdünnt,  wird  meistens  sehr  gut  vertragen,  ebenso  das  Biedert  sehe 
Ramogen  der  Milchwerke  in  Zwingenberg  (Hessen).  Ferner  eignen 
sich  sehr  bald  Abkochungen  guter  Kindermehle  s.  weiterhin  bei 
der  Besprechung  der  Säuglingsdarmkrankheiten,  bei  Erwachsenen 
auch  von  Theinhardts  Hygiama.  Mit  Fleisch  muß  man  zu- 
nächst vorsichtig  sein,  weil  das  Eiweiß  im  Darm  Fäulnisvorgänge 
erleidet,  die  nicht  unbedenklich  sind.  Wenn  man  es  weiterhin 
verordnet,  so  darf  man  jedenfalls  nur  durchaus  gutes,  durch  hin- 
reichendes Abhängen  gelockertes  und  in  der  Küche  sehr  gut  zu- 
bereitetes Fleisch  verwenden,  das  im  Magen  gut  verdaut  wird 
und  im  Darm  leicht  aufgesogen  werden  kann.  Eier  sind  für  den 
Darm  leicht  verdaulich,  sowohl  in  der  Form  der  gekochten  Eier 
und  des  Rühreis,  als  in  Gestalt  von  Omeletten.  Sehr  zweckmäßig 
ist  es  oft,  namentlich  wenn  der  Kräftezustand  nicht  sehr  gut  ist, 
den  Eiweißgehalt  der  Nahrung  durch  Verwendung  von  künst- 
lichen Eiweißpräparaten  zu  erhöhen. 

Diese  haben  in  den  letzten  Jahrzehnten  große  Wandlungen 
durchgemacht.  Vor  20  Jahren  war  es  zwar  schon  erkannt,  daß 
der  LiEBiGsche  Fleischextrakt  kein  eigentliches  Nährmittel, 
sondern  nur  ein  Anregungsmittel  mit  einem  geringen  Gehalt  an 
Albumosen  ist,  die  bei  der  verwendbaren  Menge  des  Fleisch- 
extraktes für  die  Ernährung  nicht  ins  Gewicht  fallen.  Man  setzte 
aber  in  dieser  Richtung  noch  größere  Hoffnungen  auf  einige 
andere  Präparate,  zumal  auf  den  beef-tea  der  häuslichen  Bereitung, 
auf  die  Leube-Rosenthal sehe  Fleischsolution,  auf  eine  An- 
zahl von  Fleischsaftpräparaten  wie  z.  B.  Valentines  Meat- 
juice  u.  a.  Man  kann  wohl  sagen,  daß  diese  Zubereitungen  heute 
nicht  mehr  ernstlich  in  Frage  kommen.  Das  einzige  wirklich 
wichtige  Präparat  dieser  Gruppe  ist  der  Fleischsaft  Puro.  Er 
enthält  35°/0  Eiweißstoffe,  also  im  Teelöffel  fast  2 g,  in  drei  Tee- 
löffel voll  so  viel  Eiweiß  wie  ein  Ei,  und  da  er  von  sehr  an- 
genehmem Geschmack  und  nicht  besonders  teuer  ist,  kann  man 
ihn  mit  Vorteil  heranziehen.  Daß  man  auch  damit  keine  wirk- 
liche Nahrung  gibt,  die  den  Körperbestand  erhalten  könnte,  ist 
bei  den  angegebenen  Zahlen  selbstverständlich.  Es  gibt  leider 
immer  noch  Arzte,  die  sich  darüber  nicht  genügend  klar  sind. 

Dorkblüth,  Iherapie.  8 


114 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Die  Fleischpeptone,  in  der  Absicht  hergestellt,  dem  Magen 
und  Darm  vorverdautes  Eiweiß  zu  bieten,  haben  sich  nicht  be- 
währt. Ihr  unangenehmer  Geschmack  verbietet  gemeinhin  ihre 
fortgesetzte  Anwendung,  und  ob  dem  Magen  aus  der  Peptoni- 
sierung ein  Vorteil  erwächst,  ist  nach  neueren  Untersuchungen 
zweifelhaft.  Dagegen  betrachtet  man  die  Eiweißform  der  Albu- 
in osen  allgemein  als  dem  natürlichen  Eiweiß  gleichwertig  und 
dabei  sehr  leicht  verdaulich.  Daher  ist  die  Somatose  ein  sehr 
viel  gebrauchtes  Nährmittel  geworden.  Sie  enthält  2,2 °/0  Pepton 
und  77,8  °/0  Alhumose.  Ihre  Hauptbedeutung  liegt  allerdings 
auch  wohl  nicht  auf  dem  Ernährungsgebiet,  sondern  in  ihrer 
appetitanregenden  Wirkung.  Man  kann  nicht  gut  mehr  als  drei 
Teelöffel  voll  täglich  gehen,  die  etwa  25  g Eiweiß  entsprechen, 
immerhin  ein  nicht  unerheblicher  Teil  des  Tagesbedarfes.  Ein 
anderer  Eiweißkörper,  nicht  wie  die  Somatose  aus  Fleisch,  sondern 
aus  Fleischabfällen  gewonnen,  ist  das  Tropon,  das  daher  auch 
nur  etwa  ein  achtel  so  viel  kostet.  Auch  das  Tropon  wird  viel 
zur  Unterstützung  einer  Ernährungskur  verwendet.  Gegenüber 
diesen  beiden  Arten  des  Fleischeiweißes  haben  gewisse  Vorteile 
die  aus  Kuhmilch  hergestellten  Kaseinpräparate  Nutrose  und 
Plasmon.  Jenes  ist  das  Natronsalz  des  Kaseins,  dieses  das 
Natriumcarbonat  des  Kaseins.  Beide  werden  sehr  gut  vertragen 
und  ausgenutzt,  und  man  kann  sie  in  Mengen  bis  50  und  100  g 
täglich  geben.  Von  der  Nutrose  kosten  100  g allerdings  2 Mark, 
vom  Plasmon  nur  etwa  55  Pfennig.  Noch  billiger  sind  die  beiden 
Pflanzeneiweißpräparate  Aleuronat  und  Roborat,  beide  aus 
Weizen  gewonnen,  zu  90  bez.  95°/0  aus  reinem,  völlig  verdau- 
lichem Pflanzeneiweiß  bestehend,  das  für  die  Ernährung  dem 
Fleischeiweiß  durchaus  gleichwertig  ist,  aber  durch  das  Fehlen 
von  Nuklein  für  den  Stoffwechsel  gewisse  Vorteile  bietet. 

Alle  diese  Eiweißpulver  werden  entweder  nur  mit  etwas 
Wasser  aufgeschwemmt,  mit  etwas  Salz  gewürzt  und  so  genossen, 
oder  sie  werden  mit  Suppen  und  anderen  Flüssigkeiten  verrührt 
und  verkocht,  in  Menge  von  einem  Teelöffel  bis  einem  Eßlöffel 
voll  für  die  Portion.  Das  Roborat  läßt  sich  auch  verbacken 
und  zu  Eierkuchen  verwenden. 1 Der  Darmfäulnis  scheint  ins- 
besondere das  Pflanzeneiweiß  wenig  ausgesetzt  zu  sein,  so  daß  man 
sich  bei  Darmleiden  dieses  Nährmittels  besonders  gern  bedienen  wird. 


1 Näheres  siehe  Doenblüth,  Diätetisches  Kochbuch,  2.  Auflage, 
Würzburg  1905. 


Krankheiten  des  Darmes 


115 


Ist  man  weiterhin  mehr  zu  der  gewöhnlichen  Kost  zurück- 
gekehrt, so  eignet  sich  als  Zugabe  zum  Fleisch  zunächst  besonders 
geröstetes  Weißbrot,  sog.  Toast,  ferner  Zwieback,  dann  überhaupt 
Weißbrot,  ferner  Nudeln  und  Makkaroni.  Eine  Stufe  weiter 
kommen  Kartoffeln  in  Form  von  Püree,  sowie  Reis  in  Frage. 
Die  Kartoffeln  haben  in  jeder  Form  den  Vorzug,  daß  sie  ver- 
hältnismäßig viel  wasserreiche  Rückstände  hinterlassen  und  da- 
durch leicht  eine  geformte,  sich  selbst  weiterschiebende  Kotsäule 
bilden.  Da  sie  außerdem  wenig  zu  Zersetzung  neigen  und  nicht 
gasbildend,  wirken,  blähend,  gibt  man  sie  oft  schon  sehr  früh  mit 
Vorteil,  nämlich  überall  da,  wo  nicht  etwa  mit  Rücksicht  auf 
tiefere  Erkankungen  der  Darmwand  die  Kotbildung  und  Darm- 
entleerung überhaupt  vermieden  werden  sollen.  Für  den  Magen 
ist  das  Kartoffelpüree  am  leichtesten,  doch  werden  auch  gut  gar 
gekochte  Kartoffeln  sehr  gut  vertragen,  wenn  sie  im  Munde  ge- 
hörig zerkleinert  werden. 

Zu  den  schwereren  Nahrungsmitteln  für  den  Darm  gehören 
das  kleberreiche  und  zellulosereiche  Schwarzbrot,  Kommißbrot, 
Pumpernickel  usw.  und  zu  den  schwersten  die  Kohl-  oder  Kraut- 
arten: Rotkraut,  Weißkraut,  Blaukraut,  Sauerkraut,  Wirsing  usw., 
die  ja  auch  nach  der  Volksmeinung  schwer  im  Magen  liegen  und 
Blähungen  erzeugen.  Blumenkohl,  Spargeln,  Spinat,  Sauerampfer 
und  Teltower  Rübchen  sind  mittelschwer,  doch  empfiehlt  es  sich, 
bei  noch  angegriffenem  Darm  von  den  Spargeln  nur  den  Saft  mit 
den  allerzartesten,  im  Munde  zergehenden  Teilen  nehmen  zu  lassen, 
die  anderen  Gemüse  immer  in  Püreeform  zu  geben,  damit  die 
Zellulose  schon  in  fein  zerteiltem  Zustande  aufgenommen  wird. 

Das  Fett  wird  im  allgemeinen  vom  Darm  gut  vertragen; 
am  besten  das  fein  verteilte  Fett  der  Milch  und  des  Rahmes 
und  gute  Butter,  weiterhin  auch  gutes  Olivenöl  und  Sesamöl, 
sowie  Lebertran,  und  das  Fett  des  rohen  und  des  gekochten 
Schinkens.  In  letzter  Reihe  erst  kommt  das  Fett  der  Saucen  und 
des  gebratenen  Fleisches  und  grober  Speck. 

Für  den  Darm  ist  es  am  schonendsten,  wenn  regelmäßig  fünf 
bis  sechs  Mahlzeiten  am  Tage  gehalten  werden,  weil  dabei 
der  verdaute  Mageninhalt  allmählich  und  nicht  stoßweise  in  den 
Dünndarm  übergeht.  Aus  demselben  Grunde  sind  reichliche 
Flüssigkeitaufnahmen  zu  verbieten. 


8 


116 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Diätetik  der  Darmträgheit. 

Ans  dem  Vorstehenden  ergibt  sich  schon,  welche  Kost  für 
den  zu  trägen  Darm  geeignet  sein  wird.  Bei  der  großen  prak- 
tischen Bedeutung  dieser  Störung  ist  es  aber  wünschenswert,  das 
Kostschema  für  diese  Fälle  noch  einmal  ausführlich  zusammen- 
zustellen. Kranke  mit  nicht  nachweisbar  krankem  Darm,  aber 
ungenügendem,  unregelmäßig  oder  nicht  leicht  genug  abgehendem 
Stuhlgang  haben  etwa  folgendes  zu  beachten. 

Morgens  nüchtern  ein  Glas  kohlensaures  Wasser  oder  weiter- 
hin, wenn  einmal  eine  gewisse  Regelung  eingetreten  ist,  ein  Glas 
gewöhnliches  kaltes  Wasser,  während  des  Ankleidens  getrunken. 
Eine  kühle  Waschung  des  Oberkörpers  und  des  Bauches  mit 
stuben warmem  Wasser  ist  zweckmäßig.  Als  Gymnastik  einige 
Kniebeugen  und  besonders  Rumpfbeugungen,  vorwärts,  rückwärts, 
bis  zu  kräftiger  Anspannung  der  Bauchmuskeln,  seitwärts. 

Zum  ersten  Frühstück  nach  Belieben  Kaffee,  Tee,  Milch  oder 
Kakao  — die  Wirkung  dieser  Getränke  auf  die  Entleerung  ist 
individuell  so  verschieden,  daß  man  darin  keinen  allgemeinen 
Unterschied  zu  machen  braucht,  obwohl  man  natürlich  der  Er- 
fahrung des  einzelnen  folgen  kann  — , dazu  Weißbrot  oder  Semmel 
mit  reichlich  Butter  und  Honig  dazu.  In  hartnäckigeren  Fällen 
läßt  man  norddeutsches  Schwarzbrot  oder  Kommißbrot  oder  das 
zellulosereiche  D.  K.  Brot  von  Rademann  in  Frankfurt-Bocken- 
heim  statt  der  zarteren  Gebäcke  nehmen.  Statt  des  Honigs  kann 
man  auch  Marmelade,  Pflaumenmus,  Honigkuchen  usw.  verwenden. 

Nach  diesem  Frühstück  nötigenfalls  noch  ein  Glas  kaltes 
Wasser  oder  kohlensaures  Wasser,  dann  eine  längere  Sitzung  auf 
dem  Kloset,  wobei  versucht  wird,  zur  Entleerung  zu  kommen, 
aber  ohne  Drängen  und  Pressen,  das  leicht  den  nahe  dem  After 
sitzenden  Kot  eindickt.  Patienten,  die  an  reichlichen  Blähungen 
leiden,  sollen  diese  nach  Möglichkeit  bis  zu  dem  Versuch  des 
Stuhlganges  zurückhalten ; die  Blähungen  nehmen  Feuchtigkeit 
mit  sich  und  lassen  den  Kot  trockner  und  damit  klebriger,  zur 
Entleerung  weniger  geeignet,  zurück.  Im  Anfang  der  Kur  kann 
man  die  Entleerung  durch  Einspritzung  geringer  Mengen  kalten 
Wassers,  mit  einer  Klistierspritze,  erleichtern,  auch  geringe  Mengen 
Glyzerin , 2 — 5 ccm,  einspritzen.  Sobald  wie  möglich  unterläßt 
man  aber  diese  Kunsthilfe.  Man  muß  die  Kranken  darauf  hin- 
weisen,  daß  gewöhnlich  erst  nach  zwanzig  Minuten  eine  zweite 
peristal tische  Welle  kommt,  die  den  anfangs  unvollkommenen  Er- 


Krankheiten  des  Darmes 


117 


folg  verbessert.  Oft  ist  es  gut,  die  Gedanken  durch  Lesen  ab- 
zuleiten und  dadurch  die  Ungeduld  zu  beseitigen,  die  jedenfalls 
hindert. 

Beim  Mittagessen  ist  besonders  auf  reichlichen  Genuß  von 
Kartoffeln  zu  achten,  alles  andere  steht  in  dieser  Beziehung 
erst  in  zweiter  Linie.  Fleischkost  macht  den  Kot  trocken  und 
zäh  und  spärlich,  außer  den  Kartoffeln  machen  alle  Gemüse  ihn 
reichlicher  und  weicher.  Die  gewöhnlich  in  Anspruch  genommene 
Wirkung  des  Obstes  ist  viel  unsicherer;  namentlich  da,  wo  eine 
spastische  Verstopfung  herrscht,  worüber  weiterhin  noch  zu  reden 
ist,  kann  die  Verstopfung  dadurch  noch  vergrößert  werden.  Saucen 
und  Fett,  z.  B.  Salatöl,  regen  ebenfalls  den  Darm  an  und  machen 
seinen  Inhalt  schlüpfriger.  Ein  kohlensaures  Wasser  als  Tafel- 
getränk und  Gefrorenes  als  Nachtisch  sind  sehr  schätzenswerte 
Mittel  zur  Anregung  des  Darmes.  Vielen  hilft  auch  eine  Tasse 
schwarzen  Kaffees  nach  dem  Essen  dazu.  Gymnastik  nach  dem 
Mittagessen  halten  wir  für  unzweckmäßig,  eher  erweist  sich  ein 
leichtes  Reiben  der  Bauchhaut  im  Liegen  vorteilhaft. 

Was  im  weiteren  Verlauf  des  Tages  genossen  wird,  ist  nicht 
so  wichtig,  nur  zieht  man  auch  abends  wieder  die  Kartoffelspeisen 
heran,  einerlei  in  welcher  Form,  sie  haben  alle  die  gleiche  Wirkung. 
Ein  Glas  kohlensaures  Wasser  oder  ein  Apfel  und  dergl.  vor  dem 
Einschlafen  stehen  allgemein  in  dem  Rufe,  den  Stuhlgang  zu  fördern. 
Abends  oder  morgens  nüchtern  genossene  Backpflaumen,  sogenannte 
Lazarettpflaumen , sind  nichts  anderes  als  ein  Abführmittel  und 
werden  jedenfalls  besser  durch  ein  dosiertes  Mittel  aus  der  Apotheke 
ersetzt. 

Kranke,  die  an  reichlichen  Blähungen  leiden,  werden  am 
sichersten  durch  die  Behandlung  der  Darmträgheit  davon  befreit. 
Sie  vermeiden  zunächst  die  schwereren  Gemüse,  insbesondere  die 
Kohlarten,  ebenso  das  Bier,  das  die  Gasentwicklung  im  Darm  immer 
steigert,  und  zweckmäßig  wohl  auch  die  schweren,  groben  Brot- 
arten. Hier  wie  in  hartnäckigen  Fällen  von  Darmträgheit,  die 
auf  die  angegebene  Kost  nicht  besser  werden,  ist  zunächst  der 
Gebrauch  guter  Abführmittel  angezeigt,  namentlich  von  Phenol- 
phthalein, Cascara  Sagrada  ohne  oder  mit  Codein,  worüber  weiter- 
hin Näheres  gesagt  wird. 

Diätetik  des  Durchfalles. 

Vorausgesetzt,  daß  nicht  eine  Überladung  des  Darmes  vor- 
liegt, wofür  eine  entleerende  Behandlung  das  einzige  Mittel  ist, 


118 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


vermeidet  man  die  den  Darm  anregenden  Speisen  und  Getränke: 
kohlensaures  Wasser,  Fruchtsäfte,  Obst,  saure  und  sehr  süße  Speisen, 
Honig,  Kaffee,  saure  Milch  und  bei  besonders  empfindlichen  Kranken 
überhaupt  reine  Milch  — dagegen  kann  man  Milch  mit  Mondamin 
usw.  abgekocht  unbedenklich  geben  — , frisches  Brot,  Schwarzbrot, 
gröbere  Gemüse,  bei  empfindlichen  Kranken  alle  nicht  in  Püree- 
form zubereiteten  Gemüse,  ferner  die  nicht  besonders  vorbereiteten 
und  aufgeschlossenen  Hülsenfrüchte  und  ihre  Mehle,  überhaupt 
größere  Mengen  von  Nahrung,  die  auf  einmal  genommen  werden. 

Nicht  befördernd  wirken  auf  den  Durchfall:  Schleim- 
suppen, Kindermehlsuppen,  Sagosuppe,  Eiweiß wasser , Hammel- 
bouillon, Zwieback,  Taube  und  Huhn  gekocht. 

Stopfend  wirken:  Tee,  namentlich,  wenn  er  etwas  länger 
gezogen  hat  und  etwas  bitter  schmeckt,  Eichelkakao,  Eichelkaffee, 
getrocknete  Heidelbeeren,  Bordeauxwein,  Glühwein. 

Für  die  Kranken  mit  nervösem  Durchfall  ist  eine  recht 
normale  Kost  am  besten,  weil  sie  für  eine  richtige  Ernährung 
des  Nervensystems  sorgt.  Da  hier  gewöhnlich  die  Reizbarkeit  der 
Darmschleimhaut  gesteigert  ist,  muß  ganz  besonders  auf  regel- 
mäßige Reinigung  des  Darmes  geachtet  werden! 


Brunnenkuren. 

Eine  besonders  wichtige  Rolle  bei  der  Behandlung  der  Darm- 
krankheiten spielen  die  Brunnenkuren.  Karlsbad,  Marienbad,  Kis- 
singen,  Homburg  und  andere  Orte  haben  wesentlich  dadurch  ihren 
Weltruf  erworben.  Es  ist  nicht  zu  bestreiten,  daß  daran  wohl 
ebenso  sehr  die  allgemeinen  Wirkungen  des  Badeaufent- 
haltes schuld  sind  als  die  besondere  Wirkung  der  Quellen,  denn 
die  Erfolge  der  Kur  am  Badeorte  selbst  sind  in  der  Regel  denen 
beim  Gebrauch  der  Brunnen  im  Hause  des  Kranken  sehr  über- 
legen. Das  erklärt  sich  zum  Teil  aus  psychischen  Einflüssen: 
der  Kranke  ist  am  Kurort  ganz  seiner  Gesundheit  gewidmet,  von 
den  störenden  Einflüssen  seines  Alltags-  und  Geschäftslebens  frei, 
und  dadurch  erst  imstande  oder  geneigt,  allen  Gesundheitsvor- 
schriften zu  genügen.  Die  für  ihn  geeignete  Kost  wird  von  seiner 
ganzen  Umgebung  einigermaßen  innegehalten,  während  ihn  sonst 
das  Vorbild  der  gesunden  Umgebung  leicht  zu  Diätfehlern  ver- 
anlaßt. Die  bestimmten  Vorschriften,  die  an  den  Brunnen- 
kurorten über  die  Zeit  des  Aufstehens,  der  Ruhe,  der  einzelnen 
Brunnenportionen  und  der  Mahlzeiten  gegeben  und  von  der  Mehr- 


Krankheiten  des  Darmes 


119 


zahl  der  Kurgäste  eingehalten  werden,  haben  eine  ähnlich  gute 
Wirkung.  Endlich  hat  die  Anhäufung  bestimmter  Krankheits- 
gruppen an  den  einzelnen  Orten  dazu  geführt,  daß  die  Badeärzte 
mehr  spezialistische  Kenntnisse  in  der  Behandlung  gewonnen  haben, 
und  das  kommt  natürlich  auch  den  Kranken  zugute. 

Aber  auch  die  Wirkung  der  Brunnen  selbst  auf  Magen  und 
Darm  ist  nicht  zu  unterschätzen.  Ein  Teil  davon  beruht  in  der 
Elüssigkeitswirkung.  Die  regelmäßige  Einwirkung  einer 
größeren,  ungewohnten  Wassermenge  bringt  selbstverständlich 
einen  Umschwung  in  der  Säftebewegung  im  Körper  hervor.  Der 
Salzgehalt  des  Wassers  ist  ebenfalls  von  großer  Wirkung.  Wenn 
wir  auch  über  die  Einzelheiten  der  endosmotischen  Vorgänge  noch 
nichts  Bestimmtes  wissen,  so  ist  doch  kein  Zweifel,  daß  sie  für 
den  Stoffwechsel  von  großer  Bedeutung  sind.  Darauf  beruht  es 
jedenfalls,  daß  auch  die  sogenannten  einfachen  Säuerlinge, 
wie  Apollinaris,  Rhenser,  Krontaler  Wasser,  Taunusbrunnen,  Harzer 
Sauerbrunnen  und  andere,  die  hauptsächlich  als  Tafelgetränke  ge- 
schätzt sind,  doch  eine  gewisse  anregende  Wirkung  auf  Magen 
und  Darm  ausüben.  Daran  ist  übrigens  auch  ihr  Kohlensäure- 
gehalt mit  beteiligt;  die  Kohlensäure  regt  die  Magensaftabsonde- 
rung an  und  noch  mehr  die  Magenbewegungen  und  Darmbewegungen. 
Deshalb  ist  es  unzweckmäßig,  wenn  viele  dieser  Wässer  übermäßig 
mit  Kohlensäure  beschwert  werden.  Man  muß  sie  dann  vor  dem 
Gebrauch  ordentlich  abbrausen  lassen.  Dasselbe  gilt  auch  für  die 
künstlichen  Soda-  und  Selterwässer,  die  meist  auch  zu  reich  an 
Kohlensäure  sind. 

Die  alkalischen  Säuerlinge,  Gießhübler,  Obersalzbrunner 
Kronenquelle,  Biliner  Sauerbrunnen,  Vichy  Grande  Grille  und 
Celestins,  Neuenahrer  Sprudel  usw.  haben  eine  mehr  zusammen- 
gesetzte Wirkung.  Wenn  sie,  wie  die  drei  letzten  an  der  Quelle, 
warm  getrunken  werden,  so  ist  erstens  die  Temperatur  von  Be- 
deutung. Warmes  Wasser  beruhigt  den  Magen,  heißes  regt  seine 
Bewegungen  an,  kaltes  wirkt,  wie  schon  gesagt,  ebenfalls  anregend, 
bei  Empfindlichen  bis  zu  schmerzhafter  Unruhe,  die  sich  auf  den 
Darm  fortpflanzen  und  zu  Durchfall  führen  kann.  Umgekehrt 
können  warme  Flüssigkeiten  durch  ihre  beruhigende  Wirkung 
sogar  den  Durchfall,  der  auf  vermehrter  Peristaltik  des  Darmes 
beruht,  beseitigen.  Neben  der  Wärmewirkung  haben  die  alka- 
lischen Säuerlinge  durch  ihren  Gehalt  an  Kohlensäure  und  Alka- 
lien eine  anregende  Wirkung  auf  die  Magensaftabsonderung  und 
auf  die  Magenbewegungen.  Daß  auch  die  Darmbewegungen  und 


120 


Krankheiten  der  Verdannngsorgan e 


durch  die  Wassermenge  an  sich  schon  die  Nierentätigkeit  angeregt 
wird,  ist  für  viele  dieser  Zustände  ein  weiterer  Gewinn.  Wieder 
anderen  Kranken  kommt  die  sekretionerregende  Wirkung  auf  die 
Schleimhaut  der  Atmungsorgane  zustatten.  Ihre  besondere  An- 
zeige bei  Magenkrankheiten  finden  die  alkalischen  Säuerlinge  bei 
den  Sekretionstörungen  des  Magens,  besonders  bei  Superazidität 
und  Supersekretion,  aber  auch  bei  Sub-  und  Anazidität,  bei  chro- 
nischem Magenkatarrh,  bei  Magengeschwür  erst  nach  dessen  Heilung. 
Bei  Harmkrankheiten  verwendet  man  sie  besonders  gegen  chro- 
nische Katarrhe,  die  mit  Darmträgheit  verbunden  sind,  ferner  bei 
der  gewohnheitsmäßigen  Darmträgheit  überhaupt. 

Die  alkalisch-muriatischen  Säuerlinge  enthalten  neben 
Kohlensäure  und  kohlensaurem  oder  doppeltkohlensaurem  Natron 
noch  Kochsalz,  in  verschiedener  Menge.  Natürlich  ist  ihre 
Wirkung  je  nach  dem  Kochsalzgehalt  recht  verschieden,  die 
schwächeren  stehen  jedenfalls  den  einfachen  alkalischen  Säuer- 
lingen sehr  nahe.  Die  stärkeren  (Ems  hat  etwa  1 pro  mille,  Selters 
2,3  pro  mille,  Luhatschowitz  in  Mähren  3 pro  mille)  regen  die 
Magen-  und  Darmtätigkeit  mehr  an,  vermehren  den  Stoffwechsel 
und  werden  trotzdem  gut  vertragen,  oft  besser  als  die  einfachen 
alkalischen  Säuerlinge. 

Die  alkalisch-salinischen  Brunnen  enthalten  außerdem 
Stoffe,  die  besonders  auf  den  Darm  wirken,  nämlich  außer  Koch- 
salz und  doppeltkohlensaurem  Natron  als  Hauptbestandteil  Glauber- 
salz, Natrium  sulfuricum.  Zu  der  Wirkung  des  Kochsalzes,  das 
in  geringer  Konzentration  die  Magensaftabsonderung  anregt,  und 
des  doppeltkohlensauren  Natrons,  das  (vgl.  S.  99)  abnorme  Magen- 
säure bindet  und  die  Salzsäureabsonderung  verstärkt,  kommt  die 
günstige  Wirkung  des  Glaubersalzes  auf  den  Darm  hinzu.  Sie 
ist  jedenfalls  aus  verschiedenen  Teilen  zusammengesetzt.  Dazu 
gehören  die  abführende  Wirkung,  die  den  Darm  reinigt,  den  Blut- 
umlauf in  den  Bauchorganen  erhöht  und  damit  wohl  auch  den 
Appetit  erhöht.  Das  kohlensaure  Natron  und  das  Glaubersalz 
haben  ferner  beide  die  Wirkung,  die  in  Krankheiten  oft  verminderte 
Alkaleszenz  des  Blutes  zu  erhöhen  und  die  Oxydation  in  den  Ge- 
weben zu  steigern.  Die  wichtigsten  alkalisch-salinischen  Brunnen 
sind  die  von  Karlsbad;  es  sind  dort  12  Quellen,  die  sich  fast 
nur  durch  ihre  Wärme  unterscheiden:  Parkquelle  39°,  Markt- 
brunnen 44°,  Mühlbrunnen  50°,  Schloßbrunnen  52°,  Sprudel  72°C. 
Sie  enthalten  alle  etwa  1 °/00  Kochsalz,  2 °/00  doppeltkohlensaures 
Natron,  2,3  °/00  Glaubersalz.  Das  künstliche  Karlsbader  Salz,  wo- 


Krankheiten  des  Darmes 


121 


durch  man  die  natürlichen  Karlsbader  Brunnen  auswärts  ersetzt, 
besteht  aus  18  Teilen  Kochsalz,  36  Teilen  doppeltkohlensaures 
Natron,  44  Teilen  Natrium  sulfuricum  siccum  und  2 Teilen  Kalium 
sulfuricum.  Um  die  Stärke  des  natürlichen  Brunnens  zu  erreichen, 
nimmt  man  davon  6 g,  einen  gehäuften  Teelöffel  voll,  auf  1 1 
heißes  Wasser.  Will  man  nicht  auf  die  Kohlensäure  des  natür- 
lichen Brunnens  verzichten,  so  setzt  man  dem  Wasser  eine  hin- 
reichende Menge  kohlensaures  Wasser  zu.  Abgesehen  von  dem 
Kohlensäuremangel  ist  die  Auflösung  des  künstlichen  Salzes  dem 
natürlichen  Brunnen  durchaus  gleichwertig.  Was  dagegen  ge- 
sagt ist,  ist  nicht  stichhaltig,  weder  durch  die  völlig  unbewiesene 
Annahme  geheimnisvoller  Stoffe  in  den  Quellen  noch  durch  die 
Berufung  auf  die  Ionentheorie  der  Lösungen  (die  für  künstliche 
Lösungen  genau  so  gilt  wie  für  natürliche)  läßt  es  sich  wider- 
legen, daß  die  künstlichen  Brunnen  in  der  Praxis  genau  so  wirken 
wie  die  natürlichen,  von  den  besonderen  Wirkungen  des  Bade- 
kuraufenthaltes natürlich  abgesehen.  Es  hat  tatsächlich  keinen 
Zweck,  für  den  Gebrauch  am  Wohnorte  des  Kranken  den  natür- 
lichen Brunnen  oder  gar  das  durch  Abdampfen  des  Brunnenwassers 
gewonnene  natürliche  Quellsalz  zu  verwenden.  Das  gilt  auch 
für  alle  anderen  Heilquellen:  gute  Nachbildungen,  wie  sie  z.  B. 
in  den  Mineralwassersalzen  von  Eknst  Sandow  in  Hamburg 
vorliegen,  sind  als  Ersatz  der  versandten  Brunnen  durchaus  zu 
empfehlen. 

Andere  Glaubersalzquellen  sind  die  von  Marienbad,  Kreuz- 
bruunen  und  Ferdinandsbrunnen,  beide  kalt  und  mit  5 pro  mille 
Glaubersalz;  Franzensbad,  kalter  Sprudel  mit  3,5 °/00  und  Salz- 
quelle mit  2,8 °/00  Glaubersalz;  Elster  im  Königreich  Sachsen, 
Salzquelle  mit  5,2 °/00,  Tarasp  im  Unterengadin,  Bonifacius-  und 
Luciusquelle,  mit  etwa  2 °/00  Glaubersalz. 

Die  Kurorte  mit  Glaubersalzquellen  gehören  zu  den  besuch- 
testen der  Welt  schon  seit  langer  Zeit,  und  haben  sich  dadurch 
auch  zu  den  besten  Einrichtungen  emporgeschwungen.  Sie  werden, 
wie  aus  ihren  Wirkungen  zu  ersehen  ist,  nicht  nur  gegen  Magen-, 
Darm-  und  Leberkrankheiten  angewendet,  sondern  wegen  ihrer 
alkaleszenzvermehrenden  und  stoffwechselanregenden  Wirkung  auch 
bei  Fettleibigkeit,  harnsaurer  Diathese,  Gicht,  Diabetes,  Oxalurie. 
Man  bevorzugt  die  heißen  Quellen  von  Karlsbad  oder  die  erwärmten 
Wasser  bei  zarten  Kranken,  bei  empfindlichen  Verdauungsorganen, 
bei  Neigung  zu  Durchfall,  bei  Diabetes,  die  kalten  bei  Fettleibig- 
keit, Arteriosklerose,  Darmträgheit. 


122 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Die  Bitterwässer  zeichnen  sich  durch  ihren  Gehalt  an 
Bittersalz,  Magnesia  sulfurica,  aus,  woneben  meistens  Glauber- 
salz vorhanden  ist.  Dagagen  sind  sie  meist  frei  von  Kohlensäure 
oder  doch  arm  daran.  Die  bekanntesten  sind  das  Hunyadi-Janos- 


Wasser  von  Ofen  mit  16°/oo  Bittersalz  und  15°/oo  Glaubersalz, 


Apenta  mit  24°/00  Bittersalz,  Friedrichshaller  (von  Friedrichshall 
in  Meiningen)  mit  je  6 °/00  Bittersalz  und  Glaubersalz,  Franz- 


Josefquelle  in  Pest  mit  24  °/00  Bittersalz  und  2 3 °/00  Glaubersalz 


Epsom  in  England.  Die  Bitterwässer  sind  reine  Abführmittel 
in  Gaben  von  einem  Eßlöffel  voll  bis  zu  einem  Weinglas  voll 
und  mehr,  rein  oder  mit  ebensoviel  heißem  Wasser  zusammen, 
auch  mit  gleichen  Teilen  kohlensauren  Wassers  verdünnt.  Man 


verwendet  sie  auch  gegen  Fettleibigkeit,  teils 


wegen  ihrer 


ab- 


führenden Wirkung,  teils  weil  sie  die  Ausnutzung  der  Speisen 
zu  verringern  scheinen  und  dadurch  dem  Ansatz  entgegenwirken. 

Die  Kochsalz  wässer  enthalten  als  Hauptbestandteile  Koch- 
salz, daneben  meistens  noch  Lithium.  Zum  Trinken  werden  nur 
die  benuzt,  die  weniger  als  1,5  °/0  Kochsalz  enthalten,  wie  Wies- 
badener Kochbrunnen,  warm,  0,68  °/0,  Homburger  Elisabeth- 
quelle, 0,98 °/0,  Kissinger  Rakoczy,  0,58 °/0;  ferner  die  Quellen 
von  Baden-Baden  0,2 °/0,  Salzschlirf,  Soden,  Nauheim,  Pyr- 


mont, 0,7  °/0,  Kreuznacher  Elisabethbrunnen,  1 °/0- 


Das  Kochsalzwasser  hat  jedenfalls  eine  besonders  große  Be- 
deutung für  die  Diffusionsvorgänge  im  Körper,  die  Aufnahme 
dieses  Wassers  steigert  daher  den  Stoffwechsel.  Zugleich  werden 
die  Darmperistaltik  und  die  Drüsentätigkeit  angeregt.  Meistens 
werden  der  Appetit  und  das  Körpergewicht  gesteigert.  Die  Koch- 
salztrinkquellen enthalten  meistens  eine  gewisse,  nicht  sehr  reiche 
Kohlensäuremenge,  die  ebenfalls  die  Magen-  und  Darmtätigkeit 
etwas  anregt.  Zu  einer  Abführwirkung  kommt  es  aber  auch  bei 
größeren  Mengen,  die  früh  auf  leeren  Magen  getrunken  werden, 
gewöhnlich  nicht,  so  daß  die  Kurgäste  in  den  Bädern  häufig  dem 
natürlichen  Brunnen  noch  Glaubersalz  oder  Bittersalz  zusetzen, 
was  übrigens  auch  in  Karlsbad  häufig  geschieht,  um  den  Darm 
noch  mehr  anzuregen.  Die  kühlen  Brunnen  haben  noch  eher 
eine  abführende  Wirkung  als  die  warmen  Quellen  von  Baden- 
Baden  und  Wiesbaden.  Man  verwendet  aber  beide  Arten  sowohl 
bei  chronischer  Verstopfung  als  bei  chronischem  Durchfall.  Am 
meisten  angezeigt  sind  sie  aber  bei  Trägheit  des  Gesamtstoff- 
wechsels, so  z.  B.  bei  Gicht,  chronischem  Rheumatismus,  Skrofu- 


löse, Fettleibigkeit,  endlich  auch  bei  chronischen  Katarrhen  der 


Krankheiten  des  Darmes 


128 


Atmungsorgane.  Bei  der  Besprechung  dieser  Störungen  wird 
über  die  Badekuren  mit  den  verschiedenen  Quellwässern  Genaueres 
gesagt  werden. 

Der  Gebrauch  der  Trinkquellen  folgt  gewissen  Regeln, 
die  in  den  Badeorten  gewöhnlich  eine  bestimmte  Form  angenommen 
haben.  Manches  von  diesem  Brunnenschema  ist  in  neuerer  Zeit 
der  ärztlichen  Prüfung  zum  Opfer  gefallen.  So  vor  allem  der 
Gedanke,  daß  jeder  Brunnen  eine  bestimmte  strenge  Diät 
erfordere.  Namentlich  in  Karlsbad  herrschte  dieser  Glaube  so 
unbedingt,  daß  Kranke  auch  durch  ärztliche  Vorschrift  kaum  zu 
bewegen  waren,  Butter,  Gemüse  usw.  zu  genießen.  In  Wirklich- 
keit verlangt  der  Brunnen  an  sich  keine  Abweichung 
von  einer  normalen,  vernünftigen  Kost.  Nur  die  Krank- 
heit selbst  und  der  Zustand  des  Kranken  bestimmen,  was  er 
genießen  soll  und  was  er  zu  vermeiden  hat.  Die  Kost  am 
Brunnenkurorte  weicht  also  durchaus  nicht  von  der  ab,  die  der 
Kranke  genießen  sollte,  auch  wenn  er  keinen  Brunnen  tränke. 
Als  besondere  Regel  beim  Brunnentrinken  ergibt  sich  nur,  daß 
man  die  erste  Tagesportion  in  der  Regel  morgens  nüchtern  ge- 
nießt und  dann  je  nach  Kräften  eine  viertel  oder  halbe  Stunde 
spazieren  geht,  bevor  man  das  erste  Frühstück  einnimmt.  Schwache 
Kranke  können  den  Brunnen  im  Bett  zu  sich  nehmen.  Der  manchmal 
eingeschlagene  Ausweg,  sie  den  Brunnen  nach  dem  ersten  Früh- 
stück nehmen  zu  lassen,  empfiehlt  sich  im  ganzen  nicht,  weil  die 
Brunnenwirkung  dabei  verloren  geht.  Zunächst  läßt  man  immer 
mit  kleinen  Mengen  beginnen,  ein  Weinglas  voll  oder  noch  weniger, 
bei  empfindlichem  Magen  erwärmt  oder  mit  warmem  Wasser  ge- 
mischt, allmählich  steigert  man  bis  zum  Doppelten  oder  mehr  — 
diese  größeren  Mengen  werden  dann  allmählich  während  des 
Spazierganges  getrunken.  Häufig  wird  eine  zweite  Portion  eine 
halbe  Stunde  vor  dem  Mittagessen  und  in  manchen  Fällen  eine 
dritte  eine  Stunde  vor  dem  Abendessen  genommen.  Das  richtet 
sich  nicht  nur  nach  der  Krankheit  und  dem  Zustande  des  Kranken, 
sondern  vor  allem  nach  den  Wirkungen  der  Kur.  Daraus  er- 
gibt sich  auch  die  Regel,  den  Kranken  an  einen  Arzt  am  Kur- 
orte zu  verweisen,  der  den  Fortschritt  der  Kur  überwacht 
und  je  nachdem  Veränderungen  in  der  Trinkregel  verordnet. 
Viele  Kranke  unterlassen  der  Kosten  wegen  die  Befragung  eines 
Badearztes  und  bezahlen  diese  Sparsamkeit  mit  schlechten  oder 
ungenügenden  Erfolgen,  sie  haben  dann  das  ganze  Geld  für  die  Kur 
weggeworfen.  Ebenso  unzweckmäßig  ist  eine  zu  kurze  Dauer 


124 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


der  Kur.  Unter  vier  Wochen  sollte  man  damit  überhaupt  nicht 
anfangen,  sonst  wird  nichts  Wirkliches  erreicht,  was  bei  der  Rück- 
kehr in  die  häuslichen  Verhältnisse  bestehen  bleibt.  Wenn  möglich, 
sollten  immer  sechs  Wochen  an  eine  Brunnenkur  gewendet  werden. 

Es  bleibt  noch  übrig,  etwas  über  die  Zeit  der  Brunnen- 
kuren zu  sagen.  In  den  genannten  deutschen  Bädern  dauert  die 
Saison  meistens  vom  Mai  bis  zum  September,  die  Hochsaison  ist 
im  Juli  und  August.  Wiesbaden  macht  davon  wegen  seines 
warmen  Klimas  eine  Ausnahme,  es  hat  im  Juli  und  August  seine 
wenigst  gute  Zeit,  ist  dafür  aber  im  Frühling  und  Herbst  um 
so  schöner.  Es  hat  übrigens,  ebenso  wie  Baden-Baden  und  einige 
andere  große  Bäder,  auch  eine  besuchte  und  vorteilhafte  Kurzeit 
während  des  ganzen  Winters.  Für  ruhehedürftige  und  ebenso  für 
weniger  vermögende  Kranke  empfehlen  sich  für  die  meisten  Bäder, 
insbesondere  auch  für  Karlsbad  und  Marienbad,  die  Monate  vor 
der  Hauptsaison,  Mai  und  Juni;  der  September  ist  im  ganzen 
weniger  angenehm,  weil  man  zu  sehr  den  Kehraus  merkt. 


Arzneibehandlung. 

Zu  einer  gewissermaßen  physiologischen  Behandlung  der  Se- 
kretionstörungen des  Darmes,  zur  Unterstützung  oder  zum  Ersatz 
der  normalen  Darmverdauung  hat  man  seit  längerer  Zeit  die 
Wirkung  des  Pankreas  von  Tieren  herangezogen , anfangs  in 
Gestalt  der  Drüse  seihst,  die  man  in  der  Küche  zubereiten  ließ, 
jetzt  mehr  in  Form  verschiedener  Pankreaspräparate.  In  der 
Küche  verwendet  man  das  frisch  aus  dem  Schlachthaus  bezogene 
Pankreas  des  Schweines,  gehackt  und  mit  Salz,  Pfeffer  und  Zwiebel 
wie  Beefsteak  ä la  tartare  gegeben,  eine  Drüse  reicht  für  zwei 
Portionen.  Gewöhnlich  benutzt  man  konservierte  Zubereitungen, 
namentlich  Engessers  Pankreaspulver  oder  das  Pankreatin  von 
Witte  u.  a.  Am  besten  hat  sich  neuerdings  das  Pankreatin  der 
Rhenania  in  Aachen  bewährt.  Man  gibt  davon  fünfmal  täglich 
nach  der  Mahlzeit  0,25,  mit  Natron  bicarbonicum  zusammen. 
Wahrscheinlich  wirken  die  guten  Präparate,  die  gegen  die  zer- 
störende Wirkung  des  Magensaftes  geschützt  sind,  besser  als  die 
natürliche  Drüse,  die  von  der  Salzsäure  unwirksam  gemacht  wird. 
Daher  auch  die  Beigabe  von  Natron  bicarbonicum  zum  Pankreatin, 
die  nachweislich  die  Wirkung  sehr  verbessert.  Jedenfalls  ist  überall 
die  Verordnung  des  Pankreaspräparates  zweckmäßig,  wo  eine 
Störung  der  verdauenden  Kraft  des  Darmes  wahrscheinlich  ist, 


Krankheiten  des  Darmes 


125 


so  z.  B.,  wo  bei  genügender  Magen  Verdauung , die  durch  die 
Schlauchuntersuchung  leicht  nachweisbar  ist  — vgl.  S.  95  — 
doch  viel  unverdaute  Speisereste  im  Kot  gefunden  werden. 

Eine  zweite  Aufgabe  für  Arzneimittel  bietet  die  Desinfek- 
tion des  Darms.  Eine  völlige  Desinfektion  des  Darmes  ist  un- 
möglich und  auch  nicht  einmal  erwünscht,  da  gewisse  Arten  von 
Darmbakterien  wahrscheinlich  die  Zerlegung  der  Nahrungsmittel 
und  ihre  Aufnahme  begünstigen.  Aber  eine  Einschränkung  ab- 
normer und  übermäßiger  Zersetzungen,  die  sich  vor  allem  durch 
stinkende  Entleerungen  kundgeben,  ist  sehr  wohl  möglich.  Das 
älteste  Mittel  dazu  ist  das  Kalomel,  Hydrargyrum  chloratum. 
Es  wirkt  zum  Teil  als  Abführmittel,  aber  daneben  sicher  auch 
desinfizierend,  wie  sich  bei  ausbleibender  Abführwirkung  deutlich 
zeigt.  Man  gibt  Erwachsenen  0,3,  am  besten  nach  3 Stunden 
nochmals  und  nach  weiteren  3 Stunden  zum  drittenmal,  wenn 
nicht  bis  dahin  sehr  reichliche  Entleerungen  eingetreten  sind. 
Tritt  keine  Entleerung  ein,  so  muß  man  nach  der  dritten  Gabe 
jedenfalls,  besser  wohl  schon  nach  der  zweiten,  für  Entleerung 
sorgen.  Man  kann  dazu  Klistiere  oder  Einläufe  von  kühlem  bis 
lauem  Wasser,  nach  S.  111,  benutzen,  oder  man  gibt  von  oben 
her  Rizinusöl.  Auch  dies  Mittel  hat  neben  seiner  abführenden 
eine  entschiedene  Desinfektionswirkung.  Um  sicher  Stuhl  zu  er- 
zielen, muß  man  mindestens  einen  Eßlöffel  voll  geben,  am  besten 
morgens  nüchtern,  im  Laufe  des  Tages  besser  zwei.  Die  Wirkung 
pflegt  dann  nach  3 Stunden  einzutreten.  Um  längere  Zeit  hin- 
durch oder  auch  nur  mehrere  Tage  hintereinander  desinfizierend 
einzuwirken,  verwendet  man  Mittel,  die  nicht  abführen.  Dazu 
gehören  vor  allem  die  Wismutpräparate:  namentlich  das  Bis- 
mutum subgallicum  oder  Dermatol  und  das  Bismutum  subsali- 
cylicum.  Man  gibt  beide  in  Pulverform,  rein  zu  0,3—  0,5 — 1,0 
mehrmals  täglich.  Auch  das  Nosophen  (Tetrajodphenolphthalein) 
und  sein  Wismutsalz,  das  Eudoxin,  werden  gerühmt,  man  gibt 
davon  0,3 — 0,5  mehrmals  täglich  in  Pulver.  Zweifelhaft  ist  die 
Wirkung  des  Salols,  das  sich  im  Darm  in  Salizylsäure  und  Karbol- 
säure spaltet,  nach  Kobert  aber  zuweilen  schon  im  Magen  so- 
viel Karbolsäure  abspaltet,  daß  die  Maximaldosis  bei  den  üb- 
lichen Gaben  von  0,5 — 1,0  pro  dosi  überschritten  wird.  Diese 
Gefahr  muß  jedenfalls  vermieden  werden.  Wirksam,  aber  zu- 
weilen nicht  unbedenklich  in  bezug  auf  Blasenreizung  ist  das 
Naphthalin , in  Gaben  von  0,25  — 0,5 — 1,0  mehrmals  täglich, 
wegen  des  schlechten  Geschmackes  in  Kapseln.  Ungefährlicher 


126 


Krankheiten  der  V erdauun gsorgan e 


ist  das  von  manchen  bevorzugte  Kreosot , am  besten  in  Gelatine- 
kapseln zu  0,05  mehrmals  täglich.  Empfehlenswert  ist  auch  das 
Benzonaphthol,  das  im  Darm  in  Benzoesäure  und  Naphthol  ge- 
spalten wird,  zu  0,2 — 1,0  mehrmals  täglich.  Bei  den  Brunnen- 
kuren, S.  120,  ist  schon  erwähnt,  daß  auch  dem  Glaubersalz  eine 
gewisse  desinfizierende  Wirkung  auf  den  Darm  zukommt,  während 
mittlere  Gaben  davon  nicht  abführen. 


Ipfc  Bism.  subgall.  0,3 — 0,5 — 1,0 
D.  tal.  dos.  X.  S.  3 — 5 mal  tägl. 
1 Pulver  (in  Oblate). 

Caps,  elast.  c.  Kreosoto  0,05 
D.  Nr.  XXY.  S.  5 mal  täglich 
1 Kapsel. 

Ijfc  Naphthalini  puriss.  0,25 

D.  tal.  dos.  X.  ad  caps.  amyl. 
S.  Mehrmals  tägl.  1 — 2 Kapseln. 


JEJ;  Nosopheni  (oder  Eudoxini) 
0,3— 0,5 

D.  tal.  dos.  X.  S.  Mehrmals  tägl. 
1 Pulver. 

Ipfc  Benzonaphtholii  0,2 — 1,0 
Sacch.  lact.  0,3 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  Mehrmals  tägl.  1 Pulver. 


Die  Behandlung  der  Kinderdurchfälle  wird  später  be- 
sonders besprochen. 

Bei  den  Erkrankungen  des  unteren  Darmabschnittes 
allein  oder  in  Verbindung  mit  solcher  der  oberen  Darmteile 
macht  man  mit  besonderem  Vorteil  von  Ausspülungen  des  Mast- 
darms und  Dickdarms  Gebrauch,  wobei  man  dem  Wasser  des- 
infizierende Mittel  zusetzt.  Die  sehr  wirksame  Karbolsäure  darf 
man  wegen  der  Gefahr  schwerer  Vergiftungen  durch  die  unbe- 
rechenbare Aufsaugung  nicht  verwenden,  vielmehr  hat  man  sich 
durchaus  an  harmlose  Zusätze  zu  halten.  Am  besten  wirkt  wohl 
die  Salizylsäure , 1 — 2 : 1000,  doch  werden  auch  Borsäure,  5 °/00, 
Ghininum  hydrochloricum , 1 °/00,  und  ganz  besonders  Acidum 
tannicum,  1 Teelöffel  auf  1 Liter  Wasser,  sehr  empfohlen.  Man 
nimmt  das  Wasser  38 — 40°  C.  warm  und  läßt  es  aus  dem  Irri- 
gator sehr  langsam  einfließen,  damit  man  möglichst  den  ganzen 
Dickdarm  damit  erfüllt,  und  damit  es  nicht  zu  schnell  wieder 
ausfließt.  Man  gibt  dem  Kranken  eine  Gummiunterlage,  damit 
das  Bett  nicht  beschmutzt  wird,  und  läßt  ihn  möglichst  wage- 
recht oder  mit  etwas  erhöhtem  Becken  ruhig  liegen,  wenn  starker 
Stuhldrang  besteht,  am  besten  auf  einer  flachen  Bettschüssel,  damit 
er  wenigstens  nicht  vorzeitig  aufzustehen  braucht.  Cantani  hat 
besonders  für  Cholera  seine  gerbsaure  Enteroklyse  empfohlen: 
3,0  — 6,0  Acidum  tannicum  auf  2 Liter  warmen  gekochten  Wassers, 
worin  50,0  Gummi  arabicum  gelöst  sind;  diese  Lösung  soll  unter 


Krankheiten  des  Darmes 


127 


starkem  Druck,  bei  2 — 3 m hochstehendem  Irrigator  eindringen, 
um  womöglich  über  die  Bauhin  sehe  Klappe  einzuströmen.  Bei 
Verdacht  auf  Geschwüre  oder  tiefere  Entzündungen  muß  man  von 
diesem  etwas  gewaltsamen  Verfahren  jedenfalls  absehen. 

Abführmittel. 

Unter  den  Arzneimitteln,  die  bei  Darmkrankheiten  ange- 
wendet werden,  oder  die  überhaupt  auf  den  Darm  wirken,  ist 
eine  besonders  wichtige  und  oft  angewendete  die  der  Abführmittel. 
Zwei, der  wertvollsten  sind  schon  genannt  worden,  das  Rizinusöl 
und  Kalomel.  Das  Rizinusöl  ist  zu  einer  gründlichen  Entleerung 
des  Darmes  sicher  eines  der  besten  Mittel:  es  wirkt  bei  genügender 
Gabe,  1 — 2 Eßlöffel  voll  sehr  sicher,  hat  keine  Nebenwirkungen, 
reizt  den  Darm  nicht  und  versagt  auch  bei  öfterer  Anwendung 
nicht.  Es  hat  nur  den  Fehler,  daß  es  wegen  seiner  öligen  Beschaffen- 
heit und  wegen  seines  faden  Geschmacks  oder  vielmehr  Geruchs  von 
den  meisten  Menschen  ungern  genommen  wird,  um  so  mehr,  da  man 
es  wegen  der  besseren  Wirkung  am  besten  früh  nüchtern  gibt,  wo 
die  Empfindlichkeit  des  Geschmacks  und  Geruches  noch  größer  ist 
als  im  Laufe  des  Tages.  Man  hat  daher  auf  die  verschiedenste  Art 
versucht,  über  diese  Schwierigkeit  hinwegzuhelfen.  Zunächst  gibt 
man  das  Öl  in  einem  möglichst  warmen  Löffel,  weil  es  dabei  dünn- 
flüssiger wird  und  daher  weniger  anhaftet;  aus  demselben  Grunde 
läßt  man  Lippen  und  Mundhöhle  durch  Wassertrinken  anfeuchten. 
Da  mehr  der  Geruch  als  der  Geschmack  stört,  hält  man  beim  Ein- 
nehmen die  Nase  zu,  gleich  danach  wischt  man  die  etwa  an  den 
Lippen  hängenden  Reste  ab.  Zweckmäßig  ist  es  auch,  vorher  und 
nachher  ein  Pfefferminzplätzchen  im  Munde  zergehen  zu  lassen.  — 
Als  Mischungen,  die  den  Geschmack  wenig  hervortreten  lassen, 
sind  die  mit  heißem  schwarzen  Kaffee  und  die  mit  Bier,  zu  Schaum 
gerührt,  mit  Recht  beliebt,  letztere  namentlich,  wenn  man  dazu 
alkoholarmes,  obergäriges  Bier  benutzt.  — Ein  anderes  gutes 
Mittel  namentlich  für  die  Kinderpraxis,  ist  es,  das  Öl  mit  grob- 
körnigem Zucker  oder  mit  Brotkrumen  zu  einem  dicken  Brei 
oder  einer  Paste  zu  verarbeiten.  — Patienten,  die  große  Kapseln 
schlucken  können,  nehmen  es  in  Kapseln,  die  einen  Teelöffel  voll 
Öl  enthalten.  — Auch  die  Emulsion  von  30,0  Rizinusöl  mit 
15,0  Gummi  arabicum  zu  150,0  Emulsion,  mit  einem  Zusatz  von 
15,0  Sirupus  Menthae,  ist  verhältnismäßig  gut  zu  nehmen.  — 
Mehrere  Fabriken  haben  besondere  Zubereitungen  angegeben,  so 
Helfenbebg  die  Form  des  brausenden  Rizinusöls,  wo  der  Ge- 


128 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


schmack  durch  Kohlensäure  verdeckt  ist,  und  Standke  in  Bremen 
ein  aromatisiertes  Rizinusöl.  — Im  ganzen  tut  man  gut,  nicht 
zu  viel  Umstände  zu  machen  und  das  Mittel  in  den  einfachen 
zuerst  erwähnten  Formen  zu  verordnen,  ohne  das  Widerstreben 
der  Kranken  zu  sehr  zu  beachten.  Man  kann  das  Rizinusöl  auch 
hei  entzündlichen  Darmkrankheiten  ohne  Bedenken  verwenden, 
selbst  hei  Perityphlitis  ist  es,  in  leichten  Fällen,  verhältnis- 
mäßig harmlos.  Die  mittlere  Gabe  ist  1 Eßlöffel  voll  morgens 
nüchtern,  im  Laufe  des  Tages  2 Eßlöffel  voll. 

Das  Kalomel,  Hydrargyrum  chloratum , bietet  beim  Einnehmen 
keine  Schwierigkeit;  es  ist  zwar  unlöslich,  aber  von  mildsüßem 
Geschmack  und  kann  daher  als  Pulver  gegeben  werden,  entweder, 
in  den  größeren  Dosen,  rein,  oder  mit  Saccharum  lactis  0,3  ge- 
mischt. Man  muß  sich  erinnern,  daß  Kalomel  nicht  mit  Säuren, 
sauren  oder  salzigen  Speisen,  kaustischen  und  kohlensauren  Alka- 
lien und  auch  nicht  gleichzeitig  mit  innerlichem  Jodgebrauch  ge- 
geben werden  darf.  Man  soll  auch  immer  nur  eine  kleine  Zahl 
von  Pulvern  verschreiben,  damit  nicht  ein  Teil  davon  liegen  bleibt 
und  zu  irgend  einem  Nachteil  führt.  — Die  abführende  Gabe 
für  den  Erwachsenen  ist  leider  etwas  wechselnd,  bei  manchen  be- 
ginnt die  Wirkung  schon  bei  0,05,  meist  aber  erst  bei  wieder- 
holten Gaben  von  0,2  und  mehr.  Wenn  man  nicht  Anlaß  hat, 
eine  besondere  Empfindlichkeit  anzunehmen,  fängt  man  am  besten 
mit  0,3  an  und  wiederholt  das  alle  2 — 3 Stunden  bis  zu  einer 
gründlichen  abführenden  Wirkung.  Tritt  diese  nach  der  dritten 
Gabe  nicht  ein,  so  gibt  man  am  besten  einen  Eßlöffel  Rizinusöl 
hinterdrein,  damit  nicht  durch  das  Verbleiben  des  Mittels  im 
Darm  eine  Quecksilbervergiftung , erkennbar  durch  Speichelfluß 
und  Stomatitis,  herbeigeführt  werde.  Bei  Cholera  ist  von  guten 
Beobachtern  empfohlen,  nach  den  ersten  Gaben  von  0,3  noch 
etwa  5 mal  täglich  0,05  weiter  zu  geben;  die  Gefahr  einer  Ver- 
giftung ist  wegen  der  'verminderten  Resorption  im  Darm  hier 
anscheinend  geringer  als  sonst,  und  man  kann  daher  hier  von 
der  desinfizierenden  Wirkung  der  kleinen  Gaben  Gebrauch  machen. 
Bei  Darmgeschwüren  aller  Art  muß  man  jedenfalls  vorsichtig 
sein,  weil  die  Quecksilbervergiftung  zu  dysenterieähnlichen  Ver-  i 
schwärungen  des  Dickdarms  führen  kann;  insbesondere  bei 
Dysenterie  resorbiert  der  Dickdarm  recht  gut.  Man  wird  allge- 
mein gut  tun,  Kalomel  nicht  länger  als  zwei  Tage  hintereinander 
zu  geben  und  dann  eine  mehrtägige  Pause  zu  machen ! Die  Kalomel- 
stühle  sind  grün  gefärbt,  nicht  etwa  durch  Beimischung  von 


Krankheiten  des  Darmes  129 

Galle;  man  muß  die  Kranken  darauf  aufmerksam  machen,  damit 
sie  sich  nicht  beunruhigen. 

Harmlose  Abführmittel  von  sicherer  Wirkung  gibt  es  nicht 
wenig.  Gewöhnlich  haben  sowohl  die  Ärzte  wie  die  Kranken 
ihr  Lieblingsmittel.  Die  Kranken  nehmen  oft  besonders  gern 
eines  der  mit  großer  Reklame  angepriesenen  Geheimmittel. 
Der  Arzt  soll  sich  davon  nach  Kräften  fernhalten  und  z.  B.  weder 
Schweizerpillen,  die  Aloe  enthalten,  noch  Kalifornischen  Feigen- 
saft, Purgen  usw.  verordnen.  Der  wirksame  Bestandteil  des 
Purgens  ist  das  als  Reagens  schon  länger  bekannte  Phenolphtha- 
lein, das  sich  tatsächlich  als  ein  sehr  wirksames,  unschädliches 
Mittel  ohne  Nebenwirkungen,  ohne  Schmerzen  und  dergl.,  erwiesen 
hat.  Man  gibt  es  in  Pillen  oder  in  Form  der  Engelhard  sehen 
Phenalintabletten  zu  0,1  und  läßt  davon  abends  vor  dem  Ein- 
schlafen eine  oder  zwei  nehmen,  nötigenfalls  auch  drei  oder  vier. 
Einnehmen  mit  Wein  oder  sonstigen  Alkoholgetränken  erhöht  die 
Wirkung,  so  daß  man  dann  mit  geringeren  Gaben  auskommt.  Ge- 
wöhnlich erfolgt  schon  bei  0,1  am  anderen  Morgen,  etwa  12  Stunden 
nach  dem  Einnehmen,  ein  reichlicher  Stuhl,  bei  größeren  Gaben 
meist  noch  einige  weichere  im  Laufe  des  Tages.  Das  Mittel 
eignet  sich  auch  zu  längerem  Gebrauch,  da  es  keine  nachfolgende 
Verstopfung  bewirkt.  Bei  Besprechung  der  Darmträgheit  wird 
darauf  zurückzukommen  sein.  Ein  anderes  wertvolles  Mittel  sind 
die  Sennesblätter  und  ihre  verschiedenen  Zubereitungen.  Man 
läßt  entweder  von  Folia  Sennae  allein  oder  von  Species  laxantes, 
St.  Germaintee,  worin  Sennesblätter  mit  Flores  Sambuci,  Sem. 
Anisi  und  Sem.  Foeniculi,  Kalium  tartaricum  und  Acidum  tar- 
taricum  vermischt  sind , einen  Tee  bereiten , 1 — 2 Teelöffel  der 
Blätter  auf  eine  Tasse  Wasser,  die  dann  auf  einmal  getrunken 
wird,  am  besten  morgens  nüchtern,  oder  man  läßt  einen  halben 
bis  ganzen  Eßlöffel  der  Blätter  mit  einer  Tasse  Wasser  die  Nacht 
hindurch  stehen  und  morgens  den  Abguß  trinken.  Der  Tee  macht 
empfindlichen  Personen  öfters  Leibschmerzen,  der  kalte  Aufguß 
tut  das  nicht.  Er  eignet  sich  auch  für  längeren  Gebrauch.  Kräf- 
tiger wirkt  das  Infusum  Sennae  compositum , Wiener  Tränkchen, 
ein  Infus.  Sennae  10,0:70,0  mit  Tart.  natron.  10,0,  Manna  3 °/0 
ad  colaturam  100,0  vollendet,  stündlich  1 Eßlöffel  voll  bis  zur 
Wirkung.  Sehr  beliebt  ist  auch  das  KuRELLAsche  Brustpulver, 
Pulvis  Liquintiae  compositus , das  aus  Pulv.  fol.  Sennae  und  Radix 
Liquiritiae  ana  2,0,  Semen  Foeniculi  und  Sulfur  depuratus  ana 
! 1,0  und  Saccharum  6,0  besteht  und  abends  zu  einem  oder  zwei 
Dorkblüth,  Therapie.  9 


130 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Teelöffel  voll  gegeben  wird.  Ancb  die  bekannten  Tamarinden- 
konserven verdanken  ihre  Wirkung  wesentlich  dem  Sennapulver, 
das  dem  Tamarindenmus  zugesetzt  wird,  man  gibt  davon  eine 
oder  zwei  abends. 

Weniger  wirksam,  aber  sehr  beliebt  und  auch  für  längeren 
Gebrauch  viel  verwendet  sind  die  Rhabarbermittel.  Man  ver- 
wendet meistens  die  im  Handverkauf  befindlichen  Rhabarbertab- 
letten zu  0,25  oder  0,5  und  gibt  davon  abends  1 — 2 oder  morgens 
ebensoviel  oder  abends  und  morgens  dieselbe  Zahl.  Bei  schwerer 
Verstopfung  versagen  sie  gewöhnlich,  außerdem  haben  sie  für 
längeren  Gebrauch  den  Nachteil,  daß  der  Wirkung  Verstopfung 
nachfolgt.  Diese  Eigenschaft  fehlt  den  dadurch  sehr  in  Aufnahme 
gekommenen  Cascara-Sagradapräparaten.  Die  Rhabarbertinkturen, 
sowohl  die  wäßrige  wie  die  weinige,  sind  keine  Abführmittel, 
sondern  appetitanregende  Mittel.  Das  viel  verwendete  Extractum 
Rhei  compositum  enthält  Extr.  Rhei  6,0,  Extr.  Aloes  2,0,  Resina 
Jalapae  1,0,  Sapo  medicatus  4,0,  es  wird  zu  0,3 — 0,5  mehrmals 
täglich  in  Pillen  gegeben. 

Ein  sehr  bekanntes,  gutes  Mittel  gibt  auch  die  Faulbaum- 
rinde, Cortex  Rhamni  frangulae , entweder  2 Eßlöffel  voll  mit 
3 Tassen  Wasser  auf  2 Tassen  eingekocht,  davon  abends,  nötigen- 
falls auch  morgens  eine  Tasse,  billig  und  wirksam,  oder  als 
Extractum  Rhamni  Frangulae  fluidum,  teelöffelweise.  Noch  mehr 
gebraucht  wird  in  neuerer  Zeit  die  als  Cascara  Sagrada  be- 
zeichnete  Rinde  von  Rhamnus  americana  oder  Rhamnus  Purshiana 
und  anderen  Rhamnusarten.  Man  verordnet  entweder  Extractum 
Cascarae  Sagradae  fluidum , mehrmals  täglich  20 — 30  Tropfen 
oder  abends  einen  bis  zwei  Teelöffel  voll,  oder  dieselben  Mengen 
eines  der  käuflichen  Cascara-Sagradaweine , oder  das  Extr.  Cas- 
carae Sagradae  siccum  oder  spirituosum  spissum  mehrmals  täg- 
lich in  Pillen  zu  0,05 — 0,1.  Die  Wirkung  bei  Darmträgheit 
wird  verbessert,  wenn  man  auf  50  Pillen  Codein.  phosphor.  1,0 
hinzusetzt,  wahrscheinlich  weil  dadurch  eine  ruhigere  und  gleich- 
mäßigere Tätigkeit  des  Darmes  gesichert  wird  und  spastische 
Störungen  beseitigt  werden.  Die  wertvollste  Wirkung  der  Cas- 
cara Sagrada  liegt  darin,  daß  sie  bei  regelmäßigem  Gebrauche 
der  Darmträgheit  entgegenwirkt,  so  daß  man  mit  der  Zeit,  die 
Unterstützung  einer  richtigen  Diät  vorausgesetzt,  die  Gaben  ver- 
ringern und  schließlich  das  Mittel  ganz  aussetzen  kann,  ohne  daß 
wieder  Verstopfung  eintritt.  Zur  einmaligen  Entleerung  des 
überfüllten  Darmes  sind  die  vorher  erwähnten  Mittel  besser. 


Krankheiten  des  Darmes 


131 


Ify  Phenolphthaleini  10,0 

Pulv.  et  Suce.  Liq.  ää  5,0 
F.Pil.  100.  D.S.  Abends  1—2 
Pillen. 

Lj!;  Infus.  Sennae  comp.  100,0 
D.S.  Eßlöffelweise. 

(Codeini  pliospli.  1,0) 

Pulv.  Rhei 

Extr.  Casc.  Sagr.  sicc.  aa  5,0 
F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  tägl.  1—2 
Pillen. 


Jtjfc  1 Glas  Phenalintabletten  (Engel- 
hard) 100  Stück 
Abds.  1 — 2 Tabletten,  zerkaut. 

100  g Brustpulver 

aus  dem  Handverkauf.  Tee- 
löffelweise abds.  oder  abds. 
und  morgens. 

Jtjfc  Pulv.  rad.  Rhei 

Extr.  Rhei  compos.  ää  5,0 
F.  c.  Spir.  q.  s.  Pil.  100. 

D.S.  3 mal  tägl.  2 — 3 Pillen. 


Ans  einer  dritten  Rhamnusart,  der  hier  einheimischen  Rham- 
nus cathartica,  Kreuzdorn,  wird  der  Sirupus  Rhamni  oder  Sirupus 
Spinae  cervinae  bereitet,  den  man  eßlöffelweise,  namentlich  aber 
in  der  Kinderpraxis  teelöffelweise  mit  gutem  Erfolge  gibt. 

Ein  weiteres  Abführmittel  aus  dem  Pflanzenreich  ist  der 
eingedampfte  Saft,  der  aus  den  fleischigen  Blättern  verschiedener 
Aloearten  ausfließt  und  kurz  Aloe  genannt  wird.  Die  Aloe  wirkt 
abführend  durch  Reizung  des  Dickdarms  und  seiner  Umgehung, 
die  sich  durch  Hyperämie  kundgibt,  sie  bewirkt  daher  gelegent- 
lich Hämorrhoidalentzündungen,  Uterusblutungen,  begünstigt  Abor- 
tus  usw.  Aus  diesem  Grunde  ist  das  Mittel  jedenfalls  mit  Vor- 
sicht zu  genießen.  Insbesondere  erweckt  der  freie  Gebrauch  der 
aloehaltigen  Geheimmittel,  wie  Schweizerpillen  und  dergl.,  bei 
ernsteren  Darmkrankheiten,  die  mit  Verstopfung  beginnen,  wie 
Blinddarmentzündung  und  Typhus,  Invagination  usw.  schwere  Be- 
denken. Jedenfalls  ist  das  viel  einschneidender  als  der  oft  ge- 
machte Vorwurf,  daß  die  Aloemittel  bei  fortgesetzter  Anwendung 
den  Darm  stark  reizten  und  immer  größere  Gaben  zur  Wirkung 
nötig  seien,  denn  das  trifft  für  die  allermeisten  Fälle  nicht  zu. 
Auch  Leibschmerzen  werden  nur  ausnahmsweise  durch  Aloe  hervor- 
gerufen. Ein  Übelstand  ist  dagegen  die  individuell  sehr  ver- 
schiedene Wirksamkeit,  die  zwischen  0,1  und  0,3  schwankt.  Als 
Abführmittel  zur  einmaligen  Entleerung  sollte  man  Aloe  und 
aloehaltige  Pillen  überhaupt  nicht  gebrauchen,  weil  auch  große 
(laben,  bis  0,5  und  1,0,  oft  nicht  sicher  wirken,  jedenfalls  aber 
sehr  reizen.  Da  sind  Rizinusöl,  Phenolphthalein,  Senna  weit  vor- 
zuziehen. Die  Wirkung  erfolgt  nach  etwa  12  Stunden,  ohne 
Störung  der  Nachtruhe.  Die  ältere  Medizin  verband  Aloe  häufig 
mit  Extr.  Colocynthidis,  einem  scharfen  Drasticum,  und  mit  Extr. 
Hyoscyami,  das  die  dadurch  etwa  hervorgerufenen  Leibschmerzen 

9* 


132 


Krankheiten  der  V erdauungsorgane 


dämpfen  sollte.  Auch  diese,  zu  dauerndem  Gebrauch  wie  zu  ein- 
maliger Darmreinigung  bestimmte  Verordnung  ist  durch  die  eben 
erwähnten  Mittel  und  für  dauernde  Anwendung  durch  den  Ge- 
brauch geeigneter  Diät,  zunächst  in  Verbindung  mit  Phenolphtha- 
lein- oder  Sagradagebrauch,  überflüssig  geworden.  Dasselbe  gilt 
für  die  Zubereitungen  von  Jalape,  Gummi  Gutti , für  Krotonöl 
und  andere  Drastica.  Ein  milderes  und  deshalb  nicht  ganz  zu 
verwerfendes  Drasticum  ist  das  Podopliyllin , ein  leider  nicht  ganz 
gleichmäßig  zusammengesetztes  Präparat,  das  in  Gaben  von 
0,01  — 0,03  und  mehr  zur  Verstärkung  von  Rhabarberpillen  oder 
für  sich  allein  hei  chronischer  Verstopfung  gegeben  werden  kann. 
Größere  Gaben  können  Darmreizung  bis  zu  Blutbeimengung  zum 
Stuhl  herbeiführen;  die  mehrfach  angenommene  Wirkung  auf 
Leber  und  Galle  ist  zweifelhaft. 


Ijfc  Extr.  Aloes 

Pulv.  Rhei  ää  3,0 
F.  c.  Spir.  q.  s.  Pil.  50. 

D.S.  Abds.  1—3  Pillen. 

1^;  Podophyllini 

Extr.  Bellad.  ää  0,5 
Pulv.  et  Succ.  Liq.  q.  s. 

F.Pil.  50.  D.S.  Mehrmals  tägl. 
1 — 2 Pillen. 


I jfc  Podophyllini  0,5 
Rad.  Rhei  pulv.  10,0 
F.  c.  Aq.  dest.  q.  s.  Pil.  50. 
D.S. 'Abds.  1—2  Pillen. 

1^;  Extr.  Colocynth.  1,0 
Extr.  Aloes  3,0 
Extr.  Hyoscyami  1,5 
Pulv.  Liq.  q.  s. 

F.Pil.  50.  D.S.  Abds.  1—2  Pili. 


Bei  Besprechung  der  Brunnenkuren  ist  schon  mitgeteilt,  daß 
Natrium  sulfurieum,  Glaubersalz,  und  Magnesia  sulf urica,  Bitter- 
salz, abführend  wirken.  Man  kann  sie  für  sich  allein,  1 Eßlöffel 
voll  in  1/4  1 Wasser  oder  kohlensaurem  Wasser  gelöst,  auf  einmal 
oder  innerhalb  einer  Viertelstunde  trinken  lassen,  oder  man  gibt 
Karlsbader  Salz,  Marienbader  Salz,  am  besten  in  den 
SANDOWSchen  Brunnensalzen,  oder  Bitterwasser.  Ich  halte  diese 
Mittel  im  ganzen  nur  hei  kurmäßiger  Anwendung  für  zweckmäßig. 
Übrigens  wird  auch  der  Schwefel  an  sich,  Sulfur  praecipitatus , 
als  Abführmittel  gegeben,  in  Gaben  von  1,0 — 5,0  mehrmals  täg- 
lich, am  häufigsten  in  Verbindung  mit  Senna  in  der  Form  des 
Pulvis  Liquiritiae  compositus,  S.  129.  Es  scheint,  als  ob  der 
Schwefel  eine  antiseptische  Wirkung  in  den  untersten  Darmab- 
schnitten entfalte,  man  gibt  ihn  als  Brustpulver  daher  auch  be- 
sonders bei  Hämorrhoidalbeschwerden. 

Eine  milde  Abführwirkung  besitzen  verschiedene  Stoffe,  denen 
wir  auch  die  darmanregende  Wirkung  des  Obstes  und  des  Honigs 


Kranklieiten  des  Darmes 


133 


verdanken,  namentlich  die  verschiedenen  Zuckerarten,  mit  diesen 
auch  der  nicht  direkt  hierher  gehörige  Milchzucker,  zu  10,0 
bis  20,0  in  warmer  Milch  gelöst,  ferner  der  Weinstein,  Tartarus 
depuratus , Cremor  tartari,  10,0 — 20,0,  das  Seignettesalz,  Tartarus 
natronatus,  ein  Bestandteil  des  bekannten  SEiDLiTzschen  Pulvers, 
eines  abführenden  Brausepulvers.  Ein  anderes  brausendes  Abführ- 
mittel ist  die  Magnesia  citrica  effervescens , die  wegen  ihres  Wohl- 
geschmacks und  ihrer  milden  Wirkung  namentlich  in  der  vor- 
nehmen Damenpraxis  beliebt  ist. 

In  der  Kinderpraxis  kommt  naturgemäß  nur  ein  Teil 
dieser  Abführmittel  in  Frage.  Sehr  beliebt  ist  das  HurELANDsche 
Kinderpulver,  Pulvis  Magnesiae  cum  Rheo,  aus  Magnesia  carbonica 
12,  Elaeosacch.  Foeniculi  8,  Pulv.  Rhei  3 bestehend,  messerspitzen- 
weise mehrmals  täglich  zu  geben,  der  Sirupus  Spinae  cervinae , 
vgl.  S.  131,  teelöffelweise,  die  Tinctura  Rhei  aquosa  und  vinosa , 
ebenso,  das  Tamarindenmus  namentlich  in  der  Form  der  Senna- 
latwerge,  teelöffelweise,  am  wirksamsten  sind  aber  auch  hier 
oft  das  Kalomel,  vgl.  S.  128,  das  Rizinusöl  und  das  Phenol- 
phthalein in  cg-Gaben.  Bei  Brustkindern  kann  man  die  Ver- 
stopfung heben,  indem  man  der  Mutter  oder  Amme  Sennapräparate, 
Milchzucker,  Sagrada  gibt,  bei  künstlich  ernährten  Kindern  im 
ersten  und  zweiten  Lebensjahre  bewährt  sich  eine  Erhöhung  des 
Rahmgehaltes  der  Milch  oder  ein  Zusatz  von  Milchzucker. 

Eine  besondere  Stellung  unter  den  Abführmitteln  nimnit  das 
Atropin  ein.  Es  wirkt  lösend  auf  spastische  Muskelkon- 
traktionen. Es  gibt  eine  große  Gruppe  der  Verstopfungen,  die 
nicht  auf  Schwäche,  sondern  umgekehrt  auf  Krampf  von  größeren 
oder  kleineren  Teilen  der  Darmwandmuskeln  beruht,  die  spasti- 
sche Verstopfung.  Sie  findet  sich  am  häufigsten  bei  Neur- 
asthenie und  Hysterie.  Bei  dünnen  und  nachgiebigen  Bauch- 
decken kann  man  oft  in  der  linken  fossa  iliaca  den  krampfhaft 
zusammengezogenen  Darm  als  einen  festen,  daumendicken  Strang 
fühlen.  Die  Stuhlentleerung  bleibt  dabei  hartnäckig  aus,  die  an- 
gewandten Abführmittel  haben  keinen  Erfolg  und  machen  Be- 
schwerden, während  diese  sonst*  oft  auffallend  gering  sind.  Die 
Kranken  beunruhigen  sich  mehr  psychisch  über  das  Ausbleiben  der 
Entleerung,  aber  sie  fühlen  sich  körperlich  nicht  dadurch  belästigt, 
weil  der  gespannte  Darm  meistens  keine  Auftreibung  zustande 
kommen  läßt.  In  anderen  Fällen  bildet  sich  allerdings  oberhalb 
der  kontrahierten  Stelle  ein  Meteorismus  aus,  und  sogar  Zeichen 
der  Darm  Verengerung  bis  zur  Darmverschließung  können  hinzu- 


134 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


kommen,  so  daß  alle  Vorbereitungen  zur  Operation  getroffen  werden 
oder  sogar  die  Laparotomie  vorgenommen  wird.  Eine  bekannte 
Form  der  spastischen  Verstopfung  mit  Ausbreitung  über  den  ganzen 
Dünndarm  bietet  die  Bleikolik  dar,  ein  ähnliches  Bild  findet 
man  häufig  bei  der  Sektion  von  Dysenterieleichen.  In  allen 
diesen  Fällen  ist  von  jeher  mit  Erfolg  das  Opium  zur  Lösung 
des  Darmkrampfes  gebraucht  worden,  gewöhnlich  als  Tinktur, 
stündlich  5 Tropfen  und  mehr,  bis  zur  Lösung  des  Krampfes. 
Nach  theoretischen  Erwägungen  ist  dann  das  Alropin  vorgeschlagen 
worden,  und  es  hat  sich  in  der  Tat  vielfach  bewährt.  Dieselbe 
Erklärung  findet  jedenfalls  auch  die  von  Trousseau  gefundene 
Heilwirkung  der  Belladonna  bei  gewissen  hartnäckigen  Formen 
chronischer  Verstopfung,  nach  dem  Rezept: 

iEjfc  Extr.  Belladonn. 

Pulv.  Fol.  Belladonn.  ana  1,0 

Pulv.  et  Succ.  Liq.  ana  10,0 

F.Pil.  100.  D.S.  Morgens  nüchtern  1 — 2 — 3 Pillen, 
wochenweise  steigend. 

Wegen  der  schwankenden  Zusammensetzung  der  Belladonna 
wird  man  besser  Atropinum  sulfuricum  nehmen,  wenn  es  sich 
um  schnell  zu  erzielende  Wirkungen  handelt: 

Atropini  sulf.  0,005 

Boli  albae  1,5 

Aq.  dest.  q.  s. 

F.Pil.  10.  D.S.  2—3  mal  tägl.  1 Pille. 

Auch  die  subkutane  Anwendung  kann  wünschenswert  sein: 

Ijfc  Atropini  sulf.  0,01 

Aq.  dest.  10,0 

D.S.  2 — 3 mal  tägl.  3 — 5 Striche  der  Grammspritze. 

Von  dieser  Anwendung  hat  man  neuerdings  vielfach  guten 
Erfolg  gesehen,  wo  Erscheinungen  von  innerer  Einklemmung  Vor- 
lagen, und  zwar  ist  man  bei  Ileus  bis  0,002  und  0,003,  ja  bis 
0,005!  subkutan  gegangen,  ohne  daß  von  Vergiftungserscheinungen 
berichtet  wird.  Jedenfalls  wird  man  zunächst  mit  den  angegebenen 
vorsichtigen  Gaben  die  Empfindlichkeit  erproben  und  für  den  Fall 
von  Vergiftungserscheinungen,  Trockenheit  im  Halse,  Blutandrang 
zum  Kopf,  Halluzinationen  usw.  eiligst  Morphiumeinspritzungen 
als  Gegenmittel  anwenden.  Für  die  spastische  Verstopfung  nicht- 


Krankheiten  ries  Darmes 


135 


organischer  Art  genügt  die  innere  Anwendung  geringer,  ungiftiger 
Gaben  wie  in  dem  obigen  Pillenrezept. 

Ich  selbst  habe  bei  spastischer  Verstopfung  besonders 
gern  von  Godein  Gebrauch  gemacht,  das  die  darmberuhigende  und 
krampflösende  Eigenschaft  mit  dem  Opium  gemein  hat,  aber  bei 
weitem  nicht  so  stark  stopft;  die  Entleerungen  kommen  dabei 
schneller  in  Gang.  Von  anderen  ist  auch  Bromnatrium  empfohlen, 
2,0 — 3,0  in  wäßriger  Lösung: 


Ijfc  Natr.  brom.  30,0 
Aq.  dest.  150,0 

D.S.  10 — 15  ccm  mehrmals  tägl.  in  Wasser. 


Für  alle  Fälle  dieser  Art  ist  es  sehr  wichtig,  daß  man  nach 
Erzielung  einer  gewissen  Beruhigung  des  Darmes  sehr  bald  zu 
einer  milden,  aber  den  Darm  reichlich  füllenden  Kost  übergeht. 
Einseitige  Fleischkost  und  allzu  zarte  Diät  ist  in  den  meisten 
Fällen  die  Ursache  der  spastischen  Verstopfung.  Kartoffeln  und 
Gemüse,  diese  in  Püreeform,  sind  geradezu  als  Heilmittel  zu  be- 
trachten. Bezieht  sich  die  krampfhafte  Spannung  auf  die  untersten 
Darmabschnitte,  so  kann  man  auch  Stärkeklistiere  mit  Zusatz 
von  10 — 20  — 30  Tropfen  Opiumtinktur  oder  Suppositorien  mit 
Opium  oder  mit  Belladonna  anwenden,  z.  B.: 


Opii  puri  1,5 
Olei  Cacao  25,0 
M.F.Massa,  e qua  formentur 
Suppositoria  Nr.  X.  D.S. 


Ipfc  Extr.  Belladonnae  0,1 — 0,3 
Olei  Cacao  25,0 
M.F.Massa,  e qua  formentur 
Suppositoria  Nr.  X.  D.S. 


Abführwirkung  vom  Mastdarm  aus. 

In  einer  Reihe  von  Fällen  ist  es  am  besten,  die  Abführung 
vom  Mastdarm  aus  einzuleiten.  Dies  Verfahren  ist  ohne  weiteres 
angezeigt,  wenn  sich  der  zu  beseitigende  Darminhalt  vorwiegend 
im  Dickdarm  befindet;  er  wird  dann  herausbefördert,  ohne  daß 
Magen  und  Dünndarm  dabei  mitzuwirken  brauchen.  Nachdem 
das  uralte  Klistierverfahren  durch  die  mit  dem  Irrigator  mühe- 
los einzuführenden  größeren  Wassermengen  ersetzt  worden  war, 
glaubte  man  längere  Zeit,  und  viele  Praktiker  sind  von  diesem 
Irrtum  noch  nicht  zurückgekommen,  daß  man  nun  ein  vorzüglich 
wirksames  und  völlig  unschädliches  Verfahren  zur  künstlichen 
Darmentleerung  gefunden  habe.  Die  Verordnung  täglicher  Darin- 
ausspülungen  gehörte  bald  und  gehört  noch  jetzt  vielfach  zu  den 


Krankheiten  der  Y-erdanringsörgane 


136 

liauptsäclilichsten  Ratschlägen  an  Kranke  mit  Darmträgheit.  Die 
Beobachtung  hat  längst  gezeigt,  daß  damit  den  Kranken  nicht 
gedient  ist.  Der  Darm  gewöhnt  sich  schnell  an  die  ungewohnten 
Mengen  kalten  oder  lauen  Wassers  und  antwortet  dann  mit  un- 
genügenden Entleerungen  darauf.  Zu  große  Mengen  können  wohl 
auch  geradezu  eine  Erweiterung  der  unteren  Darmabschnitte  her- 
vorrufen,  die  natürlich  höchst  unerwünscht  ist,  da  man  ja  gerade 
eine  Kräftigung  und  bessere  Funktion  dieser  Teile  herbeiführen 
wollte.  Jeder  beschäftigte  Praktiker  weiß  zahlreiche  Fälle,  wo 
Kranke  jahrelang  solche  Einläufe  gebraucht  hatten  und  nun 
wegen  ganz  ungenügender  Darmentleerung  neuen  Rat  suchen.  — 
Auch  die  in  der  Naturheilkunde  sehr  beliebten  kleinen  Bleibe- 
klistiere — geringe  Mengen  kalten  Wassers,  die  möglichst  im 
Darm  zurückgehalten  werden  sollen  — leisten  nach  meiner  Er- 
fahrung nur  vorübergehend  die  gewünschten  Dienste.  Die  zarte 
Darm  Schleimhaut  verträgt  eben  nicht  ohne  Nachteil  so  grobe 
Einflüsse. 

Ich  mache  daher  schon  seit  Jahren  nur  dann  von  Einläufen 
Gebrauch,  wenn  zersetzte  Massen  aus  dem  Darm  entfernt  werden 
sollen,  oder  wenn  vorübergehend  Kot  aus  dem  Dickdarm  heraus- 
geschafft werden  soll.  Liegen  die  Massen  nahe  dem  Ausgang, 
so  genügt  häufig  die  Eingießung  von  1J4  oder  1/2  1 kalten 
Wassers,  um  wirksame  Darmbewegungen  anzuregen.  Ist  der 
Dickdarm  noch  weiter  hinauf  gefüllt,  so  gießt  man  besser  von 
Anfang  an  oder  nach  Entleerung  der  unten  liegenden  Massen  eine 
größere  Menge,  1 — 21,  körperwarmes  Wasser  ein,  in  der  lang- 
samen, schonenden  Art,  die  S.  111  beschrieben  worden  ist.  Bei 
großer  Reizbarkeit  des  Darmes  und  bei  spastischer  Verstopfung, 
vgl.  S.  133,  ‘kann  man  mit  Vorteil  Kamillentee  dazu  benutzen. 
Ist  die  Wirkung  nicht  ausreichend,  namentlich  wenn  der  Kot  zu 
hart  ist,  so  setzt  man  dem  warmen  Wasser  Seifenpulver  oder 
geschabte  Seife  zu,  einige  Teelöffel  voll  auf  1 1,  dadurch  werden 
die  Kotmassen  am  besten  erweicht  und  zugleich  schlüpfrig  ge- 
macht. 01  ist  dafür  viel  weniger  wirksam,  auch  Klistiere  von 
mehreren  Eßlöffeln  voll  Rizinusöl  leisten  nichts  Hervorragendes, 
ebensowenig  die  Emulsion  von  1 Eßlöffel  voll  Rizinusöl  mit 
einem  Eigelb  auf  200,0  Wasser.  Dagegen  hat  es  sich,  nach  der 
Empfehlung  von  Kussmaul  und  seinem  Schüler  Fleinek  , für 
Fälle  von  chronischer  Verstopfung  als  sehr  wirksam  erwiesen,  Ein- 
läufe von  300 — 400  ccm  reinem  Sesam-  oder  Olivenöl  von 
38  °C.  abends  vor  dem  Schlafengehen  mehrere  Tage  hintereinander 


Krankheiten  des  Darmes 


187 

machen  zu  lassen.  Das  Öl  bleibt  bei  sanftem  und  geschicktem 
Vorgehen  wenigstens  teilweise  tagelang  im  Darm,  erweicht  die 
vorhandenen  Kotmassen  und  läßt  die  neuen  leichter  fortgleiten, 
vielleicht,  indem  es  die  Wasseraufsaugung  im  Dickdarm  verringert! 
Nach  einer  Woche  kann  man  anfangen,  die  Öleinläufe  seltener, 
nur  alle  drei  Tage  zu  machen,  und  schließlich  bleibt  die  gute 
Wirkung  auch  dann,  wenn  man  keine  Einläufe  mehr  gibt.  &Das 
Verfahren  hat  sich  vielfach  auch  bei  sehr  hartnäckiger  chronischer 
Verstopfung  bewährt,  auch  da,  wo  Lageveränderungen  des 
Darmes  an  diesem  Leiden  beteiligt  waren.  Ob  die  spastische 
Verstopfung  ein  besonders  günstiges  Feld  für  diese  Kur  bildet, 
ist  streitig,  manche  Autoren  wollen  gerade  für  diese  Fälle  die 
FLEiNERsdie  Empfehlung  nicht  als  richtig  anerkennen. 

In  den  schwersten  Fällen  von  Ansammlung  ganz  verhärteten 
Kotes  im  Mastdarm  bleibt  oft  nichts  übrig,  als  ihn  mit  den 
lingein  oder  mit  Löffeln  zu  entfernen.  Man  kann  sich  diese  un- 
angenehme Verrichtung  oft  ersparen,  wenn  man  die  gerade  für 
die  Reinigung  des  Mastdarms  sehr  wirksame  Einspritzung  von 
leinem  Glyzerin , 2 5 10  ccm,  anwendet,  nötigenfalls  mehrmals 

wiederholt.  Ein  anderes  Mittel  ist  die  von  Flatau  angegebene 
Einblasung  von  Borsäurepulver , 3,0,  was  oft  überraschend  wirkt. 
Für  weniger  verstockte  Fälle  genügt  oft  auch  die  Einführung  von 
Stuhlzäpfchen  aus  Sapo  medicatus  oder  mit  Glyzerin  0,75  bis 
3,5,  die  in  den  Apotheken  vorrätig  gehalten  werden. 


Mittel  gegen  Darmschmarotzer. 

Den  Abführmitteln  reihen  sich  am  besten  die  Mittel  geo-en 
die  tierischen  Bewohner  des  menschlichen  Darmes  an,  obwohLsie 
nur  zum  Teil  abführend  wirken;  immerhin  haben  auch  sie  die 
Aufgabe,  den  Darm  von  unerwünschtem  Inhalt  zu  reinigen. 

Bis  jetzt  kennen  wir  keine  Mittel,  die  den  Parasiten  töten 
konnten,  ohne  den  Träger  zu  gefährden,  dagegen  gibt  es  eine 
Anzahl  von  Stoffen,  die  den  Schmarotzer  schwächen  und  ihn  da- 
durch zwingen,  seinen  Sitz  zu  verlassen.  In  den  meisten  Fällen 
sorgt  man  außerdem  durch  Abführmittel  und  bei  den  Dickdarm- 
bewohnern auch  durch  Einläufe  dafür,  daß  sie  herausgeschafft 
werden.  ° 

Wie  Bandwürmer  werden  regelmäßig  zunächst  durch  eine 
Vorkur  geschwächt.  Man  läßt  den  Patienten  an  einem  oder  an 
zwei  vorhergehenden  Tagen  reichlich  Heringsalat  und  andere 


138 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Speisen  genießen,  die  salzig-säuerlich  sind  und  außerdem  Zwiebeln, 
Knoblauch,  Senf,  Merrettig  und  dergl.  enthalten.  Außerdem  sorgt 
man  durch  Rizinusöl,  Phenolphthalein  und  dergl.  für  gründliche 
Entleerung  des  Darmes.  Die  eigentliche  Kur  beginnt  am  Tage 
darauf  damit,  daß  morgens  nüchtern  das  Wurmmittel  genommen 
wird.  Das  sicherste  Bandwurmmittel  ist  das  Extractum  Filicis, 
man  würde  kaum  ein  anderes  anwenden,  wenn  es  nicht  zuweilen 
auch  auf  den  Menschen  giftig  wirkte.  Brechdurchfall,  Darment- 
zündung, Ohnmacht,  Erblindung,  Krämpfe  sind  beobachtet  worden, 
namentlich  Kinder  sind  gefährdet.  Man  wird  also  bei  Kindern 
jedenfalls  ein  anderes  Mittel  nehmen.  Für  den  Gebrauch  bei  Er- 
wachsenen ist  es  wichtig,  daß  man  ein  gutes  Präparat  nimmt, 
weil  man  dabei  mit  verhältnismäßig  geringen  Gaben  eine  sichere 
Wirkung  erzielt.  Empfehlenswert  ist  das  Remedium  contra  taeniam 
der  Chemischen  Fabrik  in  Helfenberg,  das  aus  der  im  Herbst  aus- 
gegrabenen Wurzel  von  Filix  besteht.  Es  ist  in  zwei  Formen  zu 
haben,  nämlich  in  elastischen  Kapseln  (mit  ausführlicher  Ge- 
brauchsanweisung) zu  8,0  Extr.  Filicis  für  Erwachsene,  zu  2,65  Extr. 
Filicis  für  Kinder,  und  als  Bandwurm tritol,  eine  Mischung  von 
Filixextrakt  und  Rizinusöl  1:2  mit  30 °/0  aromatischem  Malz- 
extrakt. Die  letzte  Form  empfiehlt  sich  für  Kranke,  die  keine 
Kapseln  schlucken  können.  Das  Tritol  ist  in  drei  Stärken  zu 
haben:  stark  mit  8,0  Extr.  Fil.,  16,0  Rizinusöl,  12,0  Malzextrakt; 
mittel  mit  6,0,  12,0,  9,0;  schwach  mit  4,0,  8,0,  6,0.  Man  gibt 
in  jedem  Falle  das  Mittel  morgens  nüchtern  in  zwei  Portionen 
mit  10  Minuten  Zwischenzeit.  Eine  Stunde  nachher  gibt  man 
einen  Eßlöffel  voll  erwärmtes  Rizinusöl;  vielleicht  ist  es  noch 
besser,  abends  zuvor  eine  genügende  Gabe  Phenolphthalein,  0,1 — 
0,2 — 0,3  zu  reichen,  da  nach  einer  verbreiteten  Annahme  die  ölige 
Lösung  des  Filixextraktes  besonders  giftig  wirkt.  — Ein  zweites, 
recht  wirksames  Mittel  ist  die  Granalwurzelrinde.  Man  gibt  sie 
im  Dekokt: 

Yji,  Cort.  rad.  Granati  pulv.  25,0 — 50,0 
Macera  c.  Aq.  dest.  250,0 
per  duodecim  horas, 

Coq.  ad  colat.  200,0 
Adde  Sir.  Zingib.  50,0. 

M.D.S.  Im  Laufe  einer  Stunde  morgens  nüchtern  zu  trinken. 

Das  Mittel  wirkt  nicht  so  sicher  wie  Filix  und  wird  auch 
durch  das  folgende  übertroffen: 


Krankheiten  fies  Darmes 


189 


Pulv.  Flor.  Koso  20,0 — 30,0 

oder:  Kosotabletten  zu  0,1,  20—30  Stück. 

Man  läßt  das  Pulver  oder  die  Tabletten  morgens  nüchtern 
nehmen  und  gibt,  wenn  nach  zwei  Stunden  keine  Entleerung  er- 
folgt ist,  einen  Löffel  Rizinusöl. 

Ein  weiteres,  ebenfalls  recht  sicheres  Mittel  ist  Kamala. 

Kamalae  3,0 
Pulp.  Tamarind.  20,0 

M.F.Electuarium.  D.S.  Morgens  nüchtern  in  2 Hälften 
binnen  ]/2  Std.  zu  nehmen.  (Für  ein  lOjäfrr.  Kind.) 

Alle  diese  Mittel  erregen  sehr  leicht  Übelkeit,  man  läßt  den 
Kranken  daher  Bettruhe  einnehmen  und  möglichst  ruhig  liegen 
und  gibt  Pfefferminzplätzchen,  Zitronenlimonade,  schwarzen  Kaffee 
und  dergl.,  um  der  Übelkeit  entgegenzuwirken.  Gewöhnlich  gehen 
nach  einigen  Stunden  sehr  viel  Bandwurmglieder  ab,  man  läßt 
den  Stuhl  aufheben  und  auswaschen  und  sucht  gründlich,  ob  der 
Kopf  mit  abgegangen  ist.  Wenn  nicht,  so  muß  die  Kur  wieder- 
holt werden.  Das  aus  der  Granatwurzelrinde  gewonnene  Pelle - 
lierinum  tannicum  ist  von  unsicherer  Wirkung,  dasselbe  gilt  von 
dem  als  Volksmittel  angewendeten  Terpentinöl  und  von  dem 
Ammonium  embelicum.  Vielleicht  verdient  das  letztere,  weil  es 
leicht  zu  nehmen  ist  — Erwachsene  0,3— 0,5,  Kinder  0,2  in 
Pillen,  Kapseln  oder  mit  Honig  oder  Sirup  verrührt  — und  nicht 
giftig  wirkt,  mehr  angewendet  zu  werden.  Auch  hier  gibt  man 
vorher  und  nachher  Rizinusöl  oder  ein  anderes  Abführmittel.  Die 
Taenia  mediocanellata,  der  vom  Rinde  stammende  Bandwurm,  ist 
am  schwersten  abzutreiben,  die  vom  Schwein  stammende  Taenia 
solium  ist  durch  den  im  Körper  umherwandernden  Embryo,  den 
Cysticercus  cellulosae,  am  gefährlichsten. 

Gegen  die  Spulwürmer,  Ascaris  lumbricoides,  ist  das  aus 
den  Wurm-  oder  Zitwersamen,  Flores  Cinae,  gewonnene  Santonin 
das  beste  Mittel.  Man  läßt  von  den  käuflichen  Santoninzeltchen 
zu  0,025  mehrere  Tage  hintereinander  morgens  nüchtern  2 — 3 zu- 
gleich mit  einigen  Kalomelpulvern,  je  nach  dem  Alter  des  Kranken 
0,03 — 0,05 — 0,1,  nehmen.  Das  bei  größeren  Gaben  auftretende 
Gelbsehen  verschwindet  bald  wieder  und  ist  ohne  größere  Be- 
deutung. 

Die  Spring-  oder  Madenwürmer,  Oxyuris  vermicularis, 
werden  herkömmlich  nur  mit  Einläufen  von  Wasser,  dem  man 
Knoblauchabkochungen  oder  Salizylsäure  oder  Sapo  medicatus  zu- 


140 


Krankheiten  der  Vevdauungsorgane 


gesetzt  hat,  behandelt,  aber  die  Wirkung  ist  durchaus  ungenügend, 
ohne  Medikation  von  oben  her  kommt  es  unaufhörlich  zu  Rück- 
fällen. Man  gibt  am  besten  zunächst  an  einem  Tage  3 Kalomel- 
pulver,  bei  Erwachsenen  je  0,3,  bei  Kindern  0,05 — 0,1,  an  den 
folgenden  beiden  Tagen  Naphthalin , je  nach  dem  Alter  0,15 — 0,4 
pro  dosi,  und  wiederholt  die  Kur  nach  10  Tagen  und  nach 
20  Tagen,  um  den  Nachwuchs  zu  treffen.  Damit  hat  man  fast 
immer  das  Leiden  auf  die  Dauer  beseitigt.  Während  der  Naph- 
thalinkur läßt  man  Butter,  Fett  und  Milch  vermeiden. 

Das  Ankylostomum  duodenale,  den  gefährlichen  Erreger 
der  Ziegelbrenner-  und  Bergleute- Anämie,  bringt  man  ebenfalls 
durch  Extr actum  filicis , wie  S.  138,  in  den  unteren  Darmteil  und 
entfernt  ihn  von  da  durch  gründliche  Abführkur.  Als  zweites 
Mittel  kommt  Thymol  in  Frage,  zweimal  täglich  0,5 — 1,0.  Größere 
Gaben  erzeugen  Kopfschmerz,  Ohrensausen,  schließlich  Delirien, 
Kollaps,  Albuminurie,  Hämaturie.  Man  wird  sich  daher  nicht 
leicht  entschließen,  die  mehrfach  angegebene  Dosis  von  10,0  bis 
15,0  an  einem  Tage  oder  von  20,0,  auf  mehrere  aufeinander- 
folgende Tage  verteilt,  zu  gehen.  Das  Abführmittel  gibt  man 
zweckmäßig  erst  mehrere  Stunden  nach  dem  Wurmmittel,  damit 
dieses  Zeit  hat,  auf  den  Parasiten  zu  wirken. 

Der  Trichocephalus  dispar,  der  Peitschenwurm,  der  eben- 
falls schwere  Anämie  und  nicht  selten  blutige  Durchfälle  bewirkt, 
ist  am  schwersten  von  allen  Darmschmarotzern  abzutreiben.  Ein 
wirksames  Mittel  ist  nicht  bekannt,  man  wird  zunächst  Thymol 
und  Extractum  Filicis  versuchen. 

Mittel  gegen  Durchfall,  stopfende  Mittel. 

Der  praktischen  Wichtigkeit  halber  muß  hier  noch  einmal 
daran  erinnert  werden,  daß  der  Durchfall  oft  nur  ein  Zeichen 
von  Kotanhäufung  im  Darm  oder  von  abnormen  Zersetzungen 
des  Darminhaltes  ist,  und  daß  er  dann  nur  durch  Entleerung  des 
Darmes  behandelt  werden  darf.  Wo  der  Arzt  nicht  Gelegenheit 
hat,  die  Entleerungen  des  Kranken  selbst  anzusehen,  soll  er  sich 
wenigstens  durch  genaues  Befragen  ein  möglichst  treues  Bild 
davon  verschaffen,  sich  erkundigen,  oh  wirklich  ganz  dünne  Ent- 
leerungen in  größerer  Zahl  vorliegen,  oder  ob  es  sich  nur  um 
dick-  oder  dünnbreiige,  übelriechende  Massen  handelt,  oder  ob 
etwa  das  bekannte  Gemisch  von  Knollen  und  Flüssigkeit  vorliegt, 
das  den  eigentlichen  Verstopfungsdurchfall,  die  Diarrhoea  para- 


Krankheiten  des  Darmes 


141 


doxa,  kennzeichnet.  Nur  bei  echter  Diarrhöe,  bei  häufig  wieder- 
holten ganz  dünnen  Entleerungen,  sind  wirkliche  stopfende  Mittel 
angezeigt.  In  vielen  Fällen  ist  es  angezeigt,  zugleich  darmdes- 
infizierend vorzugehen,  vgl.  S.  125. 

Das  bekannteste  und  viel  mißbrauchte  Stopfmittel  für  den 
Darm  ist  das  Opium.  Man  soll  es  nur  anwenden,  wenn  eine 
unruhige  Peristaltik  als  Ursache  des  Durchfalls  nachweisbar  ist, 
durch  Gurren,  Kollern,  Leibschmerzen  oder  sichtbare  Darmbe- 
wegungen. Man  gibt  am  besten  Tinctura  Opii  simplex,  und  zwar 
nicht  die  meist  unnötigerweise  verordnete  Gabe  von  20  Tropfen, 
die  viel  zu  groß  ist,  sondern  nur  5 Tropfen  alle  halbe  Stunde 
bis  zum  Eintritt  der  Besserung,  höchstens  5 mal  am  Tage.  Die 
kleinen  Gaben  wirken  auf  den  Durchfall  besser  als  die  großen, 
die  das  Zentralnervensystem  beeinflussen.  Man  kann  auch  die 
Opiumtinktur  mit  Baldriantinktur  und  anderen  mischen,  wie  es 
in  den  als  Hausmittel  sehr  verbreiteten  Choleratinkturen  der 
Fall  ist,  z.  B. : 

Tct.  Opii  simplex  5,0 
Tct.  Valerianae  aeth.  30,0 
Vinum  Ipecacuanhae  15,0 
Ol.  Menth,  pip.  1,0 

M.D.S.  Mehrmals  tägl.  10 — 20  Tropfen. 

Bemerkenswert  ist,  daß  erfahrene  Praktiker  bei  der  asiatischen 
Cholera  eine  ungünstige  Wirkung  der  im  Prodromalstadium  an- 
gewendeten opiumhaltigen  Arzneien  beobachtet  haben  und  auch 
im  weiteren  Verlauf  der  Cholera  kein  Opium  geben,  sondern 

Kalomel. 

Auch  das  Morphium  hat  eine  darmhemmende  Wirkung,  man 
sieht  aber  aus  bekannten  Gründen  in  leichteren  Erkrankungen 
davon  ab  und  verwendet  es  nur,  wenn  z.  B.  bei  Peritonitis  Be- 
denken gegen  innerliche  Arznei  besteht  oder  das  innerlich  Ge- 
gebene erbrochen  wird.  Auch  hier  gibt  man  am  besten  kleine 
Gaben,  0,003 — 0,005 — 0,01,  nötigenfalls  wiederholt. 

Bei  Reizungen  des  unteren  Darmes,  bei  Dysenterie,  Prok- 
titis usw.  werden  gern  Suppositorien  mit  Belladonna  verordnet, 
vgl.  Rezept  auf  S.  135. 

Neben  den  narkotischen  Mitteln  stehen  die  adstringieren- 
den Mittel.  Sie  spielen  in  der  Diätetik  eine  Rolle,  indem  man 
für  Durchfallkranke  den  gerbsäurehaltigen  Rotwein,  Eichelkaffee 
und  -kakao,  stark  gezogenen  chinesischen  Tee,  abgekochte  ge- 
trocknete Heidelbeeren  empfiehlt.  Eine  sichere  Wirkung  kommt 


142 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


allen  diesen  Zubereitungen  nicht  zu.  Man  tut  jedenfalls  besser, 
sieb  an  bestimmte,  genau  dosierbare  gerbsäurebaltige  Mittel  zu 
halten.  Das  Tannin  selbst,  Acidum  tannicum , eignet  sich  nicht, 
weil  es  im  Dünndarm  in  die  ganz  anders  wirkende  Gallussäure 
umgewandelt  wird,  auch  belästigt  es  leicht  den  Magen.  Um  so 
besser  sind  die  neueren  Tanninpräparate:  Tannalbin,  das  man 
als  Schachtelpulver  (10,0)  verschreibt  und  Erwachsenen  messer- 
spitzenweise (=  1,0),  Kindern  zur  Hälfte,  Säuglingen  zu  einem 
viertel  Gramm  mit  den  Speisen  in  Wasser,  Milch  oder  Schleim  auf- 
geschwemmt gibt;  Tannigen,  der  Essigsäureester  des  Tannins,  als 
Pulver  zu  0,3 — 1,0  mehrmals  täglich  gegeben,  bei  Kindern  über 
zwei  Jahre  halb  so  viel;  nicht  mit  Alkalien  oder  alkalischen 
Wässern  zusammen;  Tannoform,  Kondensationsprodukt  aus  Gallus- 
gerbsäure und  Formaldehyd,  0,5  — 1,0,  Kindern  0,25  mehrmals 
täglich  als  Pulver  in  Tee,  Milch  oder  in  Kapseln;  Tannocol , ein 
Gelatinetannat,  Kindern  0,5  mehrmals  täglich  in  kühler  Flüssig- 
keit verrührt.  Bei  Zersetzungsdurchfällen  und  bei  infektiösen 
Darmkatarrhen  kann  man  das  Tannalbin  usw.  zweckmäßig  mit 
Hydrargyrum  chloratum  0,003—0,005  verbinden.  Auch  die  vege- 
tabilischen Adstringentien  sind  sehr  beliebt:  Radix  Colombo , Radix 
Ratanhiae , Lignum  Campechianum , Cortex  Fructus  Granati , 
sämtlich  als  Dekokt,  z.  B.: 

y Decoct.rad.  Colombo  (15,0)  175,0  y Decoct.  rad.  Colombo  (5,0)  100,0 
(Tct.  Opii  spl.  1,0 — 2,0)  Sir.  Alth.  20,0 

Sir.  Althaeae  ad  200,0  M.D.S.  2stdl.  1 Kinderlöffel  voll, 

M.D.S.  2stdl.  1 Eßl.  voll.  ! für  Kinder. 

y Decoct.  rad.  Ratanhiae  (10,0)  150,0 
Sir.  amygdal.  30,0 
M.D.S.  2 stdl.  1 Eßl. 


Bei  Dysenterie  gibt  man  von  alters  her  Radix  Ipecacuanhac 
in  großen  Gaben,  hier  am  besten  als  Pulver,  1,0  mehrmals  täg- 
lich, mit  oder  ohne  Tct.  Opii  spl. 

Eine  weitere  Gruppe  von  Adstringentien  bilden  die  Metall- 
salze Argentum  nilricum,  Plumbum  aceticum , Bismutum  subnitri- 
cum,  Bismutum  subgallicum.  Man  verschreibt: 


yt,  Bismuti  subnitr.  3,0 
Aq.  Calcariae  0,0 
Aq.  Foeniculi  75,0 
Sir.  Aurantii  cort.  15,0 
M.D.S.  2 stdl.  1 Teelöffel  (für 
Kinder). 


y Argenti  nitr.  0,02 — 0,1 
Aq.  dest.  50,0 
Glycerini  10,0 

M.D.S.  2 stdl.  1 Teelöffel  (für 
Kinder). 


Krankheiten  des  Darmes 


143 


Ijfc  Argenti  nitr.  0,25 — 0,5 
Boli  albae  5,0 
F.Pil.  50.  C.  Bol.  alb. 

D.S.  3 mal  tägl.  1 Pille. 

Ipfc  Bismuti  subnitr.  0,25 — 0,5  (oder 
Bismuti  subgall.  ebensoviel) 
D.  tales  doses  XV  ad  caps.  amyl. 
S.  3 mal  tägl.  1 Kapsel. 


Plumbi  acet.  0,03 — 0,1 
(Opii  pnri  0,01  — 0,03) 

Saceh.  0,3 

M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X. 

S.  3 — 5 mal  tägl.  1 Pulver 
(nur  wenige  Tage,  wegen  der 
Giftigkeit). 


Endlich  gibt  es  noch  ein  spezifisches  Durchfallmittel,  das 
besonders  bei  chronischem  Durchfall  verwendet,  aber  auch  für 
Brechdurchfall  und  Cholera  nostras  gelobt  wird,  die  Cotorinde. 
Verwendet  werden  die  Präparate:  Cotoinum  verum , zu  0,05  — 0,1 
2 — 3 mal  täglich  als  Pulver  oder  in  Mixtur,  0,5  : 1,00,0  Emulsio 
Amygdalarum , stündlich  1 Eßlöffel;  Cotoinum  (Para)  aus  der 
Paracotorinde,  10  mal  billiger,  aber  in  größeren  Gaben,  0,1 — 0,3 
mehrmals  täglich;  Tinctura  Coto , mehrtäglich  10 — 30  Tropfen 
in  Wasser  oder  Rotwein,  und  endlich  das  sehr  wirksame  Fortoin, 
Formaldehyd-Cotoin,  ein  zimtähnlich  riechendes  Pulver,  das  in 
Wasser  unlöslich,  in  Alkalien  und  in  Darmsaft  sehr  leicht  löslich 
ist,  zu  0,3  — 0,5  mehrmals  täglich  als  Pulver  oder  in  Kapseln 
gereicht.  Es  gibt  sogar  bei  den  schwer  stillbaren  Durchfällen 
der  Darmtuberkulose,  wo  auch  Plumbum  aceticum  versagt,  oft 
gute  Erfolge. 

Es  ist  schon  S.  121  erwähnt,  daß  bei  manchen  chronischen 
Durchfällen  das  Karlsbader  Wasser,  heiß  getrunken,  einen 
günstigen  Einfluß  hat,  auch  das  muß  in  geeigneten  Fällen  ver- 
sucht werden. 

Bei  den  Durchfällen,  wo  der  untere  Darmabschnitt  wesent- 
lich beteiligt  ist,  wird  niemals  die  desinfizierende  Behandlung 
durch  Ausspülungen  zu  unterlassen  sein,  wie  S.  111  geschildert 
worden  ist.  Die  Erfolge  sind  fast  immer  sehr  schlagend,  und 
die  Kranken  bekommen  eine  große  Erleichterung,  weil  die  quälen- 
den Äußerungen  der  Schleimhautreizung,  Leibschmerzen,  Wund- 
gefühl im  Darm  und  im  After  und  ständiger  Stuhldrang,  weg- 
fallen. Liegen  Geschwüre  und  Entzündungen  des  Afters  oder 
des  untersten  Mastdarmabschnittes  vor,  so  kann  man  auch  durch 
Suppositorien  viel  Erleichterung  schaffen,  z.  B. : 

Dermatoli  5,0  (Jodoforraii  2,0) 

Olei  Cacao  25,0 

M.F.Massa,  e qua  formentur  Suppositoria  X.  D.S. 
oder  auch  die  S.  135  genannten  Belladonnazäpfchen. 


144 


Krankheiten  der  Verdanungsorgane 


Physikalische  Behandlung. 

1.  Hydrotherapie. 

Die  Hydrotherapie  leistet  auch  bei  den  Darmkrankheiten 
Großes.  Die  Wahl  der  Methode  richtet  sich  danach,  ob  eine  An- 
regung oder  eine  Beruhigung  der  Peristaltik  erwünscht  ist.  Die 
Anregung  ist  bei  Verstopfung  und  Atonie  am  Platze,  die  Be- 
ruhigung bei  Durchfall  (ausgenommen  den  auf  Kotanhäufung  be- 
ruhenden) und  bei  spastischer  Verstopfung. 

Die  peristal tischen  Bewegungen  werden  beschleunigt  und 
verstärkt  durch  kurze  kalte  Sitzbäder,  von  15 — 25°  C. 
und  einer  halben  bis  fünf  Minuten  Dauer.  Besonders  gut  wirken 
sie  oft,  wenn  der  Kranke  direkt  aus  dem  Bett  in  das  Sitzbad 
geht.  Schwächere  Kranke  läßt  man  nachher  wieder  für  eine 
halbe  Stunde  ins  Bett  gehen,  kräftige  machen  am  besten  einen 
Spaziergang  oder  gymnastische  Übungen.  In  chronischen  Fällen, 
also  bei  Darmträgheit,  kann  man  dem  Sitzbad  eine  nasse  Ab- 
reibung mit  einem  Laken,  das  in  Wasser  von  30 — 25°  C.  ge- 
taucht war,  vorausschicken.  Ein  anderes  Mittel  für  diese  Fälle 
sind  Halbbäder  von  30~^-25°C.,  vier  Minuten  lang,  wobei  die 
Wanne  nur  halb  gefüllt  ist,  so  daß  der  Badende  bis  zum  Nabel 
im  Wasser  sitzt;  er  bespült  sich  beständig  die  Brust  mit  dem 
Badewasser  und  wird  durch  den  Badediener  damit  am  Rücken 
begossen.  Man  kann  auch  mit  den  verschiedenen  Arten  tage- 
weise abwechseln.  Für  beschäftigte  Kranke  ist  es  im  ganzen  ge- 
nügend, dreimal  in  der  Woche  eine  Wasseran Wendung  zu  machen. 

Für  die  Beruhigung  der  Darmtätigkeit,  für  die  Be- 
hebung von  Durchfall,  Schmerzen  und  Darmkrampf,  sind 
warme  Wasseran  Wendungen  wirksam.  Zunächst  empfehlen  sich 
immer  heiße  Wasserumschläge  auf  den  Leib  oder  das  Auflegen 
eines  Thermophors  oder  einer  elektrischen  Wärmplatte,  also  mehr 
die  Mittel  der  Thermotherapie.  Sowohl  bei  Durchfall  als  bei 
Kolik  und  bei  der  spastischen  Verstopfung  sieht  man  sehr  gute 
Erfolge  davon.  Ein  weiteres  Mittel  sind  die  Priessnitz sehen  Um- 
schläge um  den  Leib.  Man  legt  ein  in  recht  kaltes  Wasser 
getauchtes  und  gut  ausgerungenes  Handtuch  rings  um  den  Leib 
und  bedeckt  es  sorgfältig  und  reichlich  mit  einem  trocknen 
Flanell.  Der  Umschlag  erwärmt  sich  bald,  um  so  besser,  je 
kälter  das  Wasser  war,  und  bleibt  die  Nacht  hindurch  liegen, 
wenn  er  abends  angelegt  worden  war.  Bei  Bettlägerigen  kann 


Krankheiten  des  Darmes 


145 


ZU,  M J , 9 StUnd6n  d6S  T^eS  eInen  SOl0he“ 

Umschlag  anlegen.  Nach  dem  Abnehmen  trocknet  man  die  Haut 
gut  ab  Neben  diesen  mehr  örtlich  wirkenden  Mitteln  wendet 
man  allgemeine  Verfahren  an,  die  vom  Darm  ableiten,  den  Blut- 
gehalt der  Darmschleimhaut  verringern  und  dadurch  auch  die 
reristaltik  vermindern.  Dazu  gehört  vor  allem  die  schon  eben 
erwähnte  nasse  Abreibung,  die  ziemlich  kräftig  und  mit  einem 
groben  Laken  vorgenommen  werden  muß,  um  die  Haut  gründlich 
zu  erwärmen  und  zu  röten.  S*r  zweckmäßig  ist  es  oft,  dem 
Wasser  etwas  Salz  zuzusetzen,  eine  kleine  Handvoll  auf  das 
Waschbecken  das  man  zum  Benetzen  des  Lakens  gebraucht.  In 
geeigneten  Fallen  kann  man  die  Abreibungen  mit  Meerwasser 
machen  lassen.  Auch  Halbbäder  mit  Meerwasser,  30— 25°C 
sind  empfehlenswert.  Wählt  man  zur  Behandlung  Sitzbäder’ 
f ^ “an,sie  a‘n  besten  zu  25— 20»  C.  und  läßt  den  Kranken 
. 10  Mlnu*en  «der  noch  länger  darin  verweilen.  Sie  werden 

aber  oft  nicht  so  gut  vertragen.  Bei  der  spastischen  Ver- 
s opfung  Sind  sie  jedenfalls  nicht  angezeigt;  hier  beginnt  man 

38— 4 O*0  ,Tarfne?  ®ad6rn’  ta°lieh  ein'  oder  mehrmal,  zu 

Sitzb-ö  ’ ’ 1 ^muten  lanff  und  noch  länger,  oder  mit 

“ Wärme  U“d  Dauer’  und  Seht  «11- 
la™  üb?  Halbbäder"  von  32 °C.  und  weniger,  3-4  Minuten 
hing  über,  wenn  die  krampfhafte  Spannung  nachgelassen  hat. 
Die  letzteren  haben  schon  mehr  den  Zweck,  die  nervöse  Kon- 

zuffrnnde  T Xn“’  au  meisteM  der  sPastiscben  Verstopfung 
zugrunde  hegt.  Die  Allgemeinbehandlung  der  Neurasthenie  er- 
gibt  darüber  noch  Weiteres. 

Unter  den  örtlich  wirkenden  Wassermitteln  ist  noch  be- 

darinXalT  SCh°ttls,oh,0  D"sche  zu  erwähnen.  Sie  besteht 
dann,  daß  ein  fingerdicker  Wasserstrahl  abwechselnd  kalt  und 

1 rm’  V m°'  .nd  40  C'’  lmm6r  2°—; 30  Sekunden  lang,  im 

ZvJ  n f n dUrCh  di6  Bauehbaut  gerichtet  wird. 

‘ . ist  durch  seine  mechanische  und  thermische  Wir- 

kung  ein  kräftiges  Reizmittel  für  die  Bauchorgane. 

2.  Elektrisation. 

leide, Eir  "i<;bti?ei.Rolle  spielt  bei  der  Behandlung  der  Magen- 
eiden d.e  Elektrisation.  Es  ist  noch  nicht  sicher,  ob  eine  direkte 

wfnd  0de7ge  r RUflkeIn  Td  Nerven  der  MaSenwand  und  Darm- 
Bauchhanf1  d Reiexwlrkung  von  den  sensiblen  Nerven  der 
Bauchhaut  aus  das  Wesentliche  bei  dem  Erfolge  tut  — wahr- 

Dornblüth,  Therapie.  1() 


146 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


scheinlich  wirkt  beides  zusammen  — , jedenfalls  sind  die  Wir- 
kungen, wie  Ziemssen  zuerst  festgestellt  hat,  oft  überraschend. 
Man  verwendet  als  Elektroden  am  besten  eine  große  Platte,  die 
den  ganzen  Bauch  oder  doch  einen  großen  Teil  davon  bedeckt, 
und  eine  zweite  ebenso  große,  die  den  unteren  Bücken  bedeckt. 
Die  Platten  müssen  gut  mit  heißem  Wasser  durchfeuchtet  sein 
(Genaueres  siehe  in  dem  Abschnitt  Elektrotherapie  bei  der  Be- 
handlung der  Nervenkrankheiten);  man  schickt  dann  entweder 
faradische  oder  sinusoidale  Ströme  oder  den  konstanten  Strom 
unter  häufigen  Stromwendungen  hindurch,  immer  in  der  Stärke, 
daß  Kontraktionen  der  Bauchmuskeln  auftreten.  Sehr  zweck- 
mäßig ist  das  Faradisieren  oder  Sinusoidalisieren  mit  der  elek- 
trischen Hand:  die  eine  Platte  liegt  im  Rücken  oder  etwas  ober- 
halb des  Epigastriums,  die  andere  wird  am  Vorderarm  des  Arztes 
befestigt,  der  seinerseits  mit  der  gut  angefeuchteten  Hand  des- 
selben Armes  tief  in  die  Bauchdecken  hineingreift  und  den  Strom 
durch  seine  Finger  nach  und  nach  auf  alle  Teile  des  Bauches 
einwirken  läßt.  Man  benutzt  dazu  am  besten  den  faradischen 
oder  den  Sinusoidalstrom , man  kann  aber  auch  den  gemischten 
faradischen  und  galvanischen  Strom  nehmen.  Gewöhnlich  hält 
man  jeden  Tag  eine  Sitzung,  bis  zu  einer  Viertelstunde.  Bei 
der  spastischen  Verstopfung  verwendet  man  nur  schwache  Ströme 
an  oder  beschränkt  sich  zunächst  auf  den  galvanischen  Strom 
von  geringer  Stärke.  Gemeinsam  ist  allen  elektrischen  Maßnahmen 
die  vortreffliche  Wirkung  auf  die  unangenehmen  Empfindungen 
im  Darm. 

3.  Massage  und  Gymnastik. 

Die  Massage  ist  eines  der  wichtigsten  Mittel  bei  der  Darm- 
trägheit, mag  sie  sich  wesentlich  in  träger  Darmentleerung  oder 
aber  in  Auftreibung  des  Leibes  und  unangenehmen  „versetzten 
Blähungen“  äußern.  In  vorsichtiger  Anwendung  kann  sie  auch 
bei  den  spastischen  Zuständen  Gutes  leisten.  Hier,  wo  der  Darm 
in  erster  Linie  geschont  und  beruhigt  werden  soll,  beschränkt 
man  sich  auf  die  Effleurage,  das  sanfte  Streichen  der  Bauch- 
haut, am  besten  kreisförmig  oder  der  Form  des  Dickdarms  folgend ; 
bei  allen  anderen  Formen  sucht  man  tief  eindringend  den  Darm 
zwischen  Daumen  und  Fingern  zu  fassen  und  zu  pressen  und 
zudrücken,  oder  man  sucht  in  der  Richtung  der  Entleerung  den 
Darm  auszustreichen.  Der  Kranke  liegt  dabei  auf  dem  Rücken, 
mit  leicht  erhöhtem  Oberkörper  und  in  Hüfte  und  Knie  ge- 


Krankheiten  des  Darmes 


147 

beugten  Beinen,  die  Sohlen  fest  auf  der  Unterlage  stehend.  Der 
Leib  wird  am  besten  mit  Öl  oder,  was  in  mancher  Hinsicht  an- 
genehmer ist,  mit  Talcum  eingestrichen  und  dann  zunächst 
Eff leurage  gemacht,  um  die  Bauchdecken  möglichst  zu  erschlaffen. 
Dann  kneift  und  knetet  man  die  Bauchdecken  durch  und  sucht 
den  Darm  zu  fassen  und  seinen  Inhalt  in  der  Richtung  nach  dem 
Mastdarm  hin  wegzudrücken.  Für  einen  wirklichen  Erfolo-  ist 
es  notig,  die  Massage  wochenlang  täglich  5 — 10  Minuten^hin- 
durch,  am  besten  morgens  nüchtern,  gründlich  auszuführen.  Die 
belbstmassage  der  Kranken  hat  meines  Erachtens  nur  sug- 
gestive Bedeutung,  kann  aber  auch  in  diesem  Sinne  empfohlen 
werden.  Gern  laßt  man  dazu  eine  Massierkugel  gebrauchen, 
meist  von  Eisen  oder  mit  Eiseneinlage,  die  der  Kranke  sich  in 
der  Richtung  des  Dickdarms  über  den  Leib  rollt.  Gewöhnlich 
wirken  diese  Dinge  sehr  gut,  solange  sie  neu  sind;  die  Kranken 
sind  dann  außerordentlich  davon  eingenommen  und  können  das 
Verfahren  nicht  genug  empfehlen,  nach  einigen  Monaten  aber 
wollen  sie  nichts  mehr  davon  hören.  Jedenfalls  kann  die  Wirkung 
auch  der  besten  ärtzliche  Massage  bei  Darmträgheit  nicht  mit  dem 
Erfolge  einer  richtigen  Diätkur  wetteifern.  Ohne  eine  solche 
wird  kein  bleibender  Erfolg  erzielt. 

Von  gymnastischen  Mitteln  werden  mit  Recht  die  ver- 
schiedenen Rumpfbeugungen  empfohlen,  nach  vorn,  nach  den 
beiden  Seiten  und  nach  hinten,  ferner  die  Rollbewegungen,  wie 
sie  beim  Mähen  Vorkommen,  sodann  das  Erheben  des  Oberkörpers 
aus  der  Lage,  ohne  Mitwirkung  der  Arme,  Kniebeugen,  endlich 
ist  es  zu  empfehlen,  daß  der  Patient  sich  übt,  seinen  Levator 
am  zusammenzuziehen.  Alle  Übungen  werden  am  besten  morgens 
nüchtern  und  jede  nur  wenige  Male  hintereinander  vorgenommen 

Ped  Id  i-wr  Efch?Pfune-  Nicht  “i*  Gewalt,  sondern  nur  mit 
™ üü  \ fCu  et^as  «reichen.  Wer  zu  stürmisch  anfängt, 
zu  üben,  hört  allzu  früh  wieder  damit  auf,  das  ist  eine  all|e- 
meme  Erfahrung.  Bei  der  spastischen  Verstopfung  sind  alle 
lese  Methoden  vom  Übel,  der  Darm  und  der  Bauch  müssen 
• , \ga.n?  ln.Rllhe  gelassen  werden,  nur  eine  sanfte  Effleurao-e 
t erlaubt  wm  schon  gesagt.  Dagegen  kann  die  Massage  noch 
besondere  Dienste  leisten,  indem  sie  alte  Verklebungen  zwischen 
laimschlingen  lost  oder  nach  der  Art  des  Thube-Brandt sehen 
Verfahrens  den  vorgefallenen  Mastdarm  von  oben  her  herauf- 

klonfnnT1  d°n  «ntfn  ,he!’  hmaufdrückt  und  durch  Kreuzbein- 
klopiungen  den  Beckenboden  besser  zu  innervieren  sucht.  Daß 

10* 


148 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Gymnastik  und  Massage  wertvoll  sind,  um  beim  Tragen  einer 
Leibbinde  die  Bauchmuskeln  zu  erhalten  und  zu  stärken,  ist 
vorhin  schon  gesagt  worden. 

Darmblutungen. 

Die  Behandlung  der  Darmblutung  bedarf  wegen  der  Wichtig- 
keit dieser  Erscheinung  einer  besonderen  Besprechung,  obwohl 
die  Darmblutung  bei  sehr  verschiedenen  Krankheiten  auftreten 
kann.  Sehr  oft  wird  als  Ursache  von  den  Kranken  und  auch 
von  Ärzten  ohne  weiteres  ein  Hämorrhoidalleiden  angenommen, 
das  darf  aber  nur  geschehen,  wenn  die  Untersuchung  wirklich 
ein  solches  ergeben  hat  und  zugleich  festgestellt  werden  kann, 
daß  die  Blutung  äußeren  oder  inneren  Venenknoten  entstammt. 
Man  kann  dann  zunächst  versuchen,  ob  sich  die  Blutungen  ver- 
lieren, wenn  man  täglich  mehrmals  Einläufe  von  einem  halben 
Liter  kalten  Wassers  macht  und  die  entzündeten  Teile  mit  einer 
adstringierenden  Salbe  behandelt.  Am  meisten  werden  dazu  wohl 
gegenwärtig  die  Anusolzäpfchen  benutzt,  die  fabrikmäßig  aus 
Bismutum  jodorcsorcinicum  hergestellt  werden,  man  kann  aber 
auch  Zäpfchen  mit  Dermatol,  s.  S.  143,  oder  einfach  Zinksalbe 
oder  Vaseline  verwenden.  Auch  das  Bestreichen  leicht  blutender 
Teile  mit  Jodglyzerin  ist  gut,  z.  B.  mit 

^ Jodi  puri  0,2 
Kalii  jodati  2,0 
Glycerini  40,0 
M.D.S.  Äußerlich. 

Wichtig  ist,  daß  man  die  Kranken  anhält,  zur  Reinigung 
des  Afters  nach  der  Entleerung  zunächst  ein  Bidetbad  mit  kaltem 
Wasser  zu  benutzen  und  dann  mit  Watte  abzutrocknen.  Solche 
Bidetbäder  sind  übrigens  auch  an  sich  ein  wirksames  Mittel  gegen 
Hämorrhoidalentzündungen  und  -blutungen,  mehrmals  täglich  ge- 
nommen. Sie  sind  besser  als  Sitzbäder,  die  man  nicht  mit  so 
kühler  Temperatur  ungestraft  anwenden  kann,  weil  sie  wegen  ihrer 
größeren  Ausdehnung  zu  viel  Wärme  entziehen.  Bei  Kranken, 
die  gegen  Kälte  empfindlich  sind,  kann  man  auch  heiße  Bidet- 
bäder benutzen,  die  ebenfalls  die  Blutgefäße  zur  Zusammenziehung 
bringen.  In  anderen  Fällen  kommt  man  mit  der  Verordnung 
eines  Mastdarmkühlers  weiter,  durch  den  kaltes  Wasser  hin- 
durch fließt.  Die  Instrumentenhändler  führen  verschiedene  Arten 
davon.  Besonders  gut  scheint  der  von  Winternitz  angegebene 


Krankheiten  des  Darmes 


149 

zu  sein,  wobei  das  Wasser  einen  übergezogenen  Kondom  ausdehnt 
und  an  die  Mastdarrnwand  andrängt,  wie  bei  der  Trendelen- 
burg sehen  Tamponkanüle  für  den  Larynx. 

Wenn  trotz  dieser  Maßregeln  die  Blutungen  anhalten,  sowie 
wenn  häufig  Entzündungen  in  den  Knoten  eintreten,  ist  die  Radi- 
kal opeiation  nach  den  Regeln  der  Chirurgie  einzuleiten.  Die 
in  den  letzten  Jahren  aufgekommenen  Hantelpessare  leisten 
selten  etwas  Dauerndes.  Über  die  Einspritzung  von  Karbol- 
glyzerin 50 — 80°/oig  in  nicht  entzündete  Knoten,  die  dadurch 
zum  Schrumpfen  gebracht  werden  sollen,  sind  die  Meinungen  ge- 
teilt; da  das  Verfahren  jedoch  ohne  Narkose,  mit  Hilfe  von 
Kokain,  ausgeführt  werden  kann,  ist  ein  Versuch  immerhin  cre- 
rechtfertigt. 

Rührt  die  Darmblutung  nicht  von  Hämorrhoiden  und  auch 
nicht  von  organischen  Erkrankungen  des  untersten  Darmabschnittes 
her,  die  vom  Anus  aus  operativ  angegriffen  werden  können,  sondern 
von  höher  sitzenden  Geschwüren,  so  ist  vor  allem  Bettruhe  und 
Nahrungsenthaltung  zu  verordnen,  und  daneben  sucht  man  den 
Darm  durch  Opiumtinktur  ruhig  zu  stellen;  man  gibt  einmal 
49  Iiopfen,  dann  stündlich  5 Tropfen,  so  lange,  bis  völlige  Ruhe 
eingetreten  ist.  Von  innerlich  oder  subkutan  anzuwendenden 
Blutstillungsmitteln  ist  nichts  zu  erwarten,  mit  Ausnahme 
der  Gelatineeinspritzungen,  vgl.  S.  109,  die  die  Gerinnbarkeit 
des  Blutes  erhöhen  und  dadurch  tatsächlich  lebensrettend  wirken 
können.  Einläufe  von  Eiswasser  oder  von  heißem  Wasser 
in  den  Darm  sind  von  unsicherer  Wirkung  und  jedenfalls  nicht 
unbedenklich.  Auch  vom  Eisbeutel  auf  den  Leib  ist  nichts 
Wesentliches  zu  erwarten.  Wo  die  Blutung  durch  Invagination, 
Leberzirrhose,  Stauung  bei  Herzfehlern  hervorgerufen  ist,  versucht 
man  in  erster  Linie,  der  Ursache  abzuhelfen,  bei  der  Invagination 
durch  Operation,  bei  den  Stauungskrankheiten  durch  Anregung 
der  Herztätigkeit  usw. 


Darmverengerung  und  Darmverschließung. 

Mäßige  Darmverengerungen  verhalten  sich  wesentlich 
wie  eine  hartnäckige  Verstopfung  und  werden  demgemäß  be- 
handelt, vgl.  S.  127.  Nur  die  Diätetik  ist  etwas  anders,  weil  es 
vor  allem  vermieden  werden  muß,  daß  die  Rückstände  der 
.Nahrungsmittel  sich  an  der  verengten  Stelle  festsetzen  und  das 
iindernis  verstärken.  Ebenso  müssen  gärungsfähige  Speisen  mög- 


150 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


liehst  vermieden  werden.  Ohne  weiteres  verboten  sind  daher: 
Kohlarten,  Gurken,  rohes  Obst,  Spargeln,  Schwarzwurzeln,  Sellerie, 
Rettich,  Radieschen,  Erbsen,  Bohnen,  Linsen.  Reis,  Sago,  Graupen 
und  dergl.  sind  nur  nach  reichlichem  Wässern  und  Quellen  ver- 
wendbar, von  Leguminosen  nur  die  besten,  aufgeschlossenen  Zu- 
bereitungen, wie  die  von  Hartenstein,  Timpe,  Knorr.  Kartoffel- 
püree, Spinat  und  Blumenkohl  in  Püreeform  erwecken  keine  Be- 
denken. Fleisch  darf  nur  in  zartester  Form  und  von  sehnigen 
Teilen  möglichst  befreit  gegeben  werden;  wo  erhebliche  Unregel- 
mäßigkeit der  Darmentleerung  besteht,  wird  man  auch  wegen  der 
schädlichen  Eisweißfäulnis  mit  Fleisch  sehr  zurückhaltend  sein 
und  lieber  die  Milcheiweiß-  und  namentlich  die  Pflanzen  ei  weiß  - 
präparate  heranziehen,  vgl.  S.  114,  Plasmon,  Roborat  usw.  Reine 
Fette,  wie  Butter,  Rahm,  Milchfett,  gutes  Öl  sind  unbedenklich, 
auch  Milch  ist  reichlich  zu  verwenden,  zweckmäßig  mit  Mondamin, 
Kakao  und  dergl.  abgekocht,  um  grobe  Gerinnsel  zu  vermeiden. 
Zucker  ist  unbedenklich  erlaubt.  Scharfe  Gewürze,  einschließlich  Senf 
und  Pfeffer,  sind  unzweckmäßig.  Eier  werden  sehr  gut  vertragen. 

Kommt  es  trotzdem  zu  ausgesprochener  Kotstauung,  die 
sich  durch  Kollern  im  Leib  und  ruhelose  Darmbewegungen  kund- 
gibt, oder  sind  gar  diese  Zeichen  nach  Verabreichung  eines  Ab- 
führmittels noch  stärker  hervorgetreten,  so  ist  es  die  erste  und 
einzige  Aufgabe,  den  Darm  zu  beruhigen.  Leider  werden 
darin  immer  noch  viel  Fehler  gemacht,  der  Arzt  läßt  sich  noch 
leicht  durch  das  Drängen  des  Kranken  und  seiner  Angehörigen 
verleiten,  immer  stärkere  Abführmittel  zu  geben.  Wo  die  auf- 
geregte, fühlbare  und  sichtbare  Peristaltik  keine  Entleerung  herbei- 
führen kann,  vermag  es  auch  das  beste  Abführmittel  nicht.  Man 
tut  das  richtige,  wenn  man  den  Kranken  ins  Bett  legt,  warme 
Umschläge  auf  den  Leib  legt  und  zunächst  eine  stärkere  Opium- 
dosis gibt,  30 — 40  Tropfen  der  Tinktur,  und  dann  alle  halbe 
oder  ganze  Stunden  kleine  Gaben  folgen  läßt,  5 Tropfen  oder 
noch  weniger.  Nicht  selten  sieht  man  dabei  bald  Stuhlgang  ein- 
treten.  Wird  das  Opium  erbrochen,  was  bei  stark  erregter  Peri- 
staltik nicht  selten  vorkommt,  so  wiederholt  man  die  Gabe  nach 
einiger  Zeit,  oder  man  wendet  Zäpfchen  mit  derselben  Dosis  an, 
oder  endlich  man  spritzt  Codein  0,03  — 0,05  oder  Morphium 
0,01 — 0,02  unter  die  Haut  ein.  Dann  kann  man  gewöhnlich 
mit  kleinen  Mengen  Opiumtropfen  fortfahren. 

Das  nächste  Mittel  sind  immer  Darmeingießungen  mit 
größeren  Mengen  lauen  Wassers,  die  recht  langsam  eingeführt 


Krankheiten  des  Darmes 


151 


werden,  vgl.  S.  111.  Wenn  harte  Kotmassen  im  Dickdarm  liegen, 
kann  man  auch  Einläufe  mit  warmem  Öl  machen,  S.  136.  Die 
mehrfach  empfohlene  Einführung  eines  sehr  langen  Darmrohres 
hat  keinen  besonderen  Wert  und  ist  nicht  ungefährlich,  wenn 
der  Darm  stark  gespannt  oder  in  seiner  Wand  nicht  fest  ist.  Am 
besten  erweist  es  sich  dann  jedenfalls,  das  Rohr  unter  allmäh- 
lichem Voranfließen  von  lauem  Wasser  oder  Öl  ganz  sanft  vor- 
wärts zu  schieben,  dabei  gleichen  sich  die  Faltungen  des  Darmes 
am  besten  aus.  Man  kann  aber  auch  statt  der  Flüssigkeit  Luft 
vom  After  her  einblasen,  mit  einem  einfachen  Gebläse,  und  sie  von 
Zeit  zu  Zeit,  wenn  Schmerzen  auftreten  oder  der  Kranke  sich 
belästigt  fühlt,  wieder  herauslassen.  So  lange,  bis  Entleerung 
eintritt,  läßt  man  hei  der  Kotstauung  die  Ernährung  ganz  aus- 
setzen. Große  Erleichterung  bringen  auch  hier  oft  Magenaus- 
spülungen, die  sich  bei  dem  Darmverschluß  so  gut  bewährt  haben. 
Wenn  der  Anfall  vorüber  ist,  beginnt  die  wichtige  Aufgabe,  die 
Ursache  der  Stauung  zu  erforschen  und  die  Wiederkehr  zu  ver- 
hindern. Dazu  tragen  die  angegebene  zarte  Kost  und  die  anderen 
Mittel  bei,  die  als  Behandlung  der  Darmträgheit  aufgeführt  worden 
sind.  In  jedem  Falle  ist  zu  erwägen,  ob  etwa  eine  chirurgische 
Behandlung  einzuleiten  ist,  die  außerhalb  des  Anfalles  natür- 
lich ganz  andere  Aussichten  hat  als  in  der  Störung  selbst. 

Die  Steigerung  der  Verengerung  zum  Darmverschluß  ist 
bekanntlich  durch  das  furchtbare  Zeichen  des  Kotbrechens,  des 
Heus,  gekennzeichnet.  Neben  dem  Versagen  des  Stuhlganges 
Anden  sich  dabei  das  Auf  hören  jeglicher  Darmgasabgänge,  wachsende 
Auftreibung  des  Leibes  unter  heftigen  Schmerzen,  Aufätoßen  und 
Erbrochen,  das  bald  einen  Kotgeruch  und  kotähnliches  Aussehen 
annimmt,  und  als  beängstigende  Erscheinung  schwerer  Verfall 
des  Kranken  mit  blassem,  höchst  elendem  Aussehen,  Kälte  und 
Kyanose  des  Gesichtes  und  der  Glieder  und  schnellem,  kleinem 
Puls.  Diese  Erscheinungen  rühren  jedenfalls  nur  zum  Teil  von 
dem  Darmverschluß  als  solchem,  größtenteils  von  der  Störung 
der  Blutversorgung  des  Darms  und  von  dem  nervösen  Shock 
her,  teilweise  wohl  auch  von  einer  Vergiftung  durch  Darmgifte. 
Oft  ist  an  dem  schweren  Verfall  die  Entwicklung  einer  Perito- 
nitis mit  beteiligt,  die  sich  neben  den  erwähnten  Zeichen  vor 
allem  durch  allgemeine  Schmerzhaftigkeit  und  Druck- 
empfindlichkeit des  Leibes,  stärkere  Spannung  des  Bauches, 
zuweilen  durch  Fieber  und  trockene,  heiße  Haut  (an  Stelle  der 
vorher  bestehenden  kalten.  Schweiße)  kundgibt.. 


152 


Krankheiten  der  Verdamm  gsorgane 


Vor  jeder  Behandlung  hat  der  Arzt  nach  Möglichkeit  die 
Ursache  der  Erscheinungen  festzustellen,  weil  davon  in  den  meisten 
Fällen  die  Bettung  des  Kranken  abhängt.  Zuerst  muß  an  allen 
Stellen  nachgeforscht  werden,  ob  eine  Brucheinklemmung  vor- 
liegt. Leistenkanal,  Schenkelring,  Nabel,  Foramen  ischiadicum, 
Scheide,  Mastdarm  und  die  gesamten  Bauchwandungen  sind  genau 
zu  untersuchen,  ob  irgendwo  Schwellung  und  Druckempfindlichkeit 
vorliegen,  die  auf  einen  eingeklemmten  Bruch  bezogen  werden 
können.  Betrachten  und  Befühlen  des  Bauches  belehren  dar- 
über, oh  eine  allgemeine  Auftreibung  oder  umschriebene  Darm- 
auftreibung vorhanden  sind,  ob  allgemein  oder  an  einzelnen  Stellen 
Unruhe  der  Darmperistaltik  besteht;  die  Perkussion  stellt  fest, 
oh  die  einzelnen  Darmteile  mit  Luft  oder  mit  Kot  oder  Flüssig- 
keit gefüllt  sind.  Bei  Darmverschluß  im  unteren  Teil  des 
Dickdarmes  ist  besonders  das  Kolon  als  geblähter  Schlauch  in 
seiner  normalen  Lage  oder  schräg  oder  gewunden  über  den  Bauch 
verlaufend  nachweisbar,  bei  Dünndarmverschluß  sind  besonders 
die  mittleren  Teile  des  Bauches  aufgetrieben,  hei  hochsitzender  Ver- 
schließung die  Oberbauchgegend.  Bei  Achsendrehung,  akuter 
Einklemmung  und  dergl.  ist  oft  die  bestimmte  Darmschlinge 
gebläht  und  als  steife  Wurst  fühlbar;  hier  tritt  meist  sehr  bald 
Würgen  und  Erbrechen  des  zuletzt  Genossenen  oder  von  Schleim 
und  Galle  ein.  Das  kotig  riechende  und  weiterhin  das  rein  kotige 
Erbrechen  tritt  nur  bei  anhaltendem  Darmverschluß,  oft  erst  nach 
einigen  oder  bei  tiefsitzender  Stenose  erst  nach  vielen  Tagen  ein. 
Bei  Dünndarmverschluß  vermindert  sich  schnell  die  Harn- 
menge, zuweilen  hört  die  Absonderung  ganz  auf.  Stärkere  Druck- 
ern pfindlichkeit  des  Bauches  spricht  für  eine  hinzugetretene 
Bauchfellentzündung.  Bei  schnellem  Auftreten  von  Kol- 
laps, Würgen  oder  Erbrechen,  örtlichem  heftigen  Schmerz  liegt 
fast  immer  eine  akute  Darmeinklemmung  vor,  bei  langsamer 
Entwicklung  der  Erscheinungen,  unruhiger  Peristaltik,  spätem  Er- 
brechen und  geringem  Verfall  des  Kranken  handelt  es  sich  meistens 
um  eine  Verlegung  des  Darm lu mens  durch  Kotanhäufung, 
Gallensteine,  Fremdkörper,  Geschwülste.  Eine  allgemeine  Perito- 
nitis, die  sich  primär  oder  nach  Darmperforation,  Appendicitis  usw. 
entwickelt,  unterscheidet  sich  von  der  akuten  Einklemmung  vor 
allem  durch  große  Druckempfindlichkeit  des  Bauches,  auch  gegen 
leise  Berührung,  durch  allgemeinen  Meteorismus,  durch  schnell 
ansteigende,  erst  im  Kollaps  wieder  zurückgehende  Temperatur, 
tyart  gespannten  Leib,  meist  gehen  bei  Peritonitis  Gase  ab,  die 


Krankheiten  des  Darmes 


153 


bei  Einklemmung  fehlen,  dagegen  zeigt  sich  bei  der  Einklemmung 
unruhige  Peristaltik,  Kotbrechen. 

Die  akute  Einklemmung  kann  nur  durch  die  Laparo- 
tomie beseitigt  werden.  Es  kommt  allerdings  vor,  daß  Achsen- 
drehungen des  Darmes  und  innere  Einklemmungen  zufällig  von 
selbst  zurückgehen,  aber  man  darf  sich  darauf  nicht  verlassen, 
weil  das  Vorkommnis  doch  zu  den  größten  Seltenheiten  gehört, 
und  weil  bis  dahin  der  betroffene  Darmteil  so  geschädigt  sein  kann, 
daß  Brand,  Peritonitis  oder  Durchbruch  unvermeidlich  sind.  Da- 
her dürfen  alle  anderen  Mittel  als  die  Laparotomie  nur  unter 
sorgfältigster  Erwägung  versucht  werden,  daß  nicht  kostbare 
Zeit  dadurch  verloren  gehe! 

Unter  den  zunächst  versuchsweise  anzuwendenden  Hilfsmitteln 
steht  die  Entlastung  der  oberhalb  gelegenen  Teile  des 
Verdauungsapparates  obenan.  Dazu  ist  vor  allem  die  völlige 
Enthaltung  von  Speise  und  Trank  nötig.  Ein  Bedenken  da- 
gegen kann  schon  deshalb  nicht  bestehen,  weil  der  schwer  kranke 
Verdauungskanal  doch  nichts  aufnimmt.  Gegen  das  Durstgefühl 
kann  man  Ausspülen  des  Mundes  mit  Wasser  oder  Zitronenwasser, 
das  wieder  ausgespuckt  wird,  oder  Pfefferminzplätzchen  anwenden, 
die  ebenfalls  nicht  hinuntergeschluckt  werden.  Wo  das  nicht  ge- 
nügt,  kann  man  kleine  Einläufe  von  lauem  Wasser  in  den  Darm 
oder  besser  noch  Infusionen  von  Kochsalz wasser  unter  die 
Haut  machen,  vgl.  S.  106.  Die  Wirkung  ist  oft  ganz  außer- 
ordentlich gut,  auch  für  das  Allgemeinbefinden.  Weiter  wird  der 
\ erdauungskanal  entlastet  durch  Magenausspülungen.  Sie 
sollten  in  keinem  Falle  unterbleiben.  Man  entfernt  dadurch  nicht 
nur  den  überflüssigen  Mageninhalt,  sondern  auch  den  nach  oben 
dringenden  Darminhalt,  und  nicht  selten  wird,  wie  zuerst  in  der 
KussMAULSchen  Klinik  beobachtet  worden  ist,  durch  die  Entlastung 
des  Bauches  von  übermäßigem  Druck  der  Darmver Schluß  tat- 
sächlich aufgehoben.  Der  Heilungsvorgang  erklärt  sich  in 
diesem  Falle  dadurch,  daß  die  Spannung  im  Bauch  stark  herab- 
gesetzt wird  und  die  Darmschlingen  sich  wieder  richtiger  lagern 
können,  während  sonst  die  gasgeblähten  Schlingen  nach  oben  streben 
und  die  mit  festem  oder  flüssigem  Inhalt  gefüllten  Schlingen  unten 
bleiben,  wodurch  Verlegungen  des  Rohres  und  Kreislaufstörungen 
entstehen  müssen.  Der  Erfolg  ist  um  so  besser,  je  mehr  Luft 
und  Darminhalt  entleert  wird,  man  muß  daher  nötigenfalls  mehrere 
Spülungen  aufeinander  folgen  lassen.  Man  verwendet  dazu  laues 
Wasser,  läßt  langsam  einfließen  und  versucht  von  Zeit  zu  Zeit, 


154 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


ob  außer  dem  eingegossenen  Wasser  schon  etwas  herauskommt. 
Erst  wenn  das  Wasser  ganz  klar  ab  fließt,  unterläßt  man  die 
Spülungen.  Immer  aber  muß  man  sorgfältig  überlegen,  ob  die 
infolge  der  Spülung  eingetretene  Erleichterung  eine  endgültige 
Besserung  bedeutet,  und  man  darf  darüber  nie  die  Zeit  der 
notwendigen  Operation  versäumen. 

Ein  zweiter  Eingriff,  der  in  manchen  Fällen  wichtig  ist,  ist 
die  Anwendung  großer  Wassereinläufe  in  den  Darm,  nach 
S.  111.  Man  nimmt  dazu  laues  Wasser  mit  Zusatz  von  Kochsalz, 
7 — 8 °/00 , man  kann  aber  auch  warmes  Öl  verwenden.  Bei  akuter 
Einklemmung  mit  bedrohlichen  Erscheinungen  ist  das  Verfahren 
gewöhnlich  nutzlos  und  oft  sehr  quälend,  weil  die  Flüssigkeit 
im  Darm  Zurückbleiben  und  dadurch  noch  weitere  Lasten  schaffen 
kann.  Bei  Invagination , Fremdkörper-  oder  Kotverlegung  des 
Darms,  Achsendrehung  der  Flexura  sigmoidea  usw.  kann  es  aber 
auch  zur  Heilung  führen.  Um  die  Unannehmlichkeit  der  zurück- 
bleibenden  Flüssigkeit  zu  vermeiden,  hat  man  auch  hier  die  Luft- 
einblasungen  empfohlen,  vgl.  S.  151;  jedenfalls  muß  man  dabei 
sehr  vorsichtig  vorgehen,  um  nicht  etwa  den  kranken  Darm  zu 
zerreißen. 

Eine  gute  Wirkung  hat  oft  ein  warmes  Bad  von  34°  ö. 
und  viertel-  bis  halbstündiger  Dauer.  Sowohl  die  allgemein  be- 
ruhigende Wirkung  des  warmen  Bades  als  die  gleichmäßige  äußere 
Einwirkung  des  Wasserdruckes  kann  dazu  beitragen,  daß  der  Darm 
wieder  in  normale  Lage  zurückkehrt.  Man  hat  das  insbesondere 
bei  Brucheinklemmungen  beobachtet;  die  Taxis  gelingt  in  dem 
warmen  Bade  oft  auffallend  viel  leichter.  Wo  ein  Bad  Schwierig- 
keiten macht,  kann  man  PniESSNiTZsche  Umschläge,  heiße 
Aufschläge  oder  Eisbeutel  versuchen,  man  muß  ausprobieren, 
was  am  angenehmsten  ist.  Viel  ist  davon  natürlich  nicht  zu  er- 
warten. 

Von  den  Arzneimitteln  wirken  die  Abführmittel  regel- 
mäßig schädlich,  sie  machen  große  Beschwerden,  wenn  sie  nicht 
zum  Glück  schon  zu  rechter  Zeit  ausgebrochen  worden  sind,  und 
bringen  den  Darm  in  Gefahr.  Um  so  besser  bekommt  den  Kranken 
gewöhnlich  das  Opium.  Nicht  selten  verschwinden  nach  einer 
hinreichenden  Gabe,  Tindura  Opii  simplex  30  Tropfen  bei  Er- 
wachsenen, oder  eine  Morphium einspritzung  von  0,01  — 0,015, 
nötigenfalls  beides  wiederholt,  der  Schmerz  und  der  Verfall  des 
Kranken  vollständig,  und  das  Erbrechen  hört  auf.  Durch  die  Be- 
ruhigung der  Peristaltik  kann  auch  eine  Lösung  der  Ein- 


Krankheiten  des  Darmes 


155 


klemm  ung  bewirkt  werden.  Eine  Schattenseite  der  Opium- 
behandlung liegt  zweifellos  darin,  daß  die  schmerzstillende,  be- 
täubende Wirkung,  also  der  Einfluß  auf  das  Zentralnervensystem, 
unter  Umständen  eine  subjektive  Besserung  bringen  kann,  die  den 
ungünstigen  Zustand  verdeckt  und  die  unverminderte  oder  gar 
fortschreitende  Gefahr  verhüllt.  Man  darf  sich  jedenfalls  nicht 
auf  die  Beobachtung  des  Allgemeinbefindens  verlassen,  wenn  man 
Narkotika  anwendet,  sondern  man  muß  in  kurzen  Zwischenräumen 
den  Zustand  des  Bauches  feststellen  und  sehen,  ob  auch  örtlich 
bessere  Verhältnisse  eintreten,  ruhigere  Peristaltik,  Verringerung 
des  Meteorismus  usw.  Im  allgemeinen  wird  man  sich  jetzt  der 
Opiumbehandlung  enthalten  und  zunächst  einen  Versuch  mit  Atropin 
machen,  das  in  den  letzten  Jahren  als  ein  oft  wunderbar  wirken- 
des Mittel  bei  Darmverengerung  und  Darmverschluß  erwiesen  ist. 
Über  die  Art  der  Wirkung  ist  man  sich  nicht  völlig  klar.  Manche 
nehmen  an,  daß  das  Mittel  die  Nervenendigungen  in  der  glatten 
Muskulatur  des  Darmes  lähme  — danach  dürfte  man  es  jeden- 
falls nur  verwenden,  wo  krampfhafte  Darmkontraktion  dem  Vor- 
rücken des  Darminhaltes  im  Wege  steht.  Wahrscheinlicher  ist 
es  nach  den  klinischen  Erfahrungen,  daß  es  bei  Darmkrampf 
•lösend,  bei  Darmlähmung  tonisierend  wirkt,  wie  Rosenheim 
angegeben  hat.  Ein  Nachteil  für  den  Darm  ist  wohl  keinenfalls 
zu  erwarten,  und  da  die  Wirkung  ziemlich  schnell  einzutreten 
pflegt,  wird  auf  keinen  Fall  viel  Zeit  mit  dem  Versuche  verloren. 
Die  anzuwendende  Dosis  ist  ziemlich  groß,  sie  wird  allgemein  so 
groß  angegeben,  daß  man  unter  anderen  Umständen  eine  Ver- 
giftung erwarten  könnte,  aber  die  Widerstandsfähigkeit  scheint 
in  diesen  Zuständen  erhöht  zu  sein.  Jedenfalls  erprobt  man  zu- 
nächst die  einzelne  Empfindlichkeit  durch  eine  Probeeinspritzung 
von  0,001  unter  die  Haut.  Tritt  dabei  keine  fühlbare  Verände- 
rung des  Pulses  und  kein  Rotwerden  des  Kopfes  mit  klopfenden 
Arterien  auf,  so  kann  man  nach  einer  Stunde  0,002  subkutan 
geben.  Meistens  wird  schon  1/4j  oder  1/2  Stunde  danach  der  Leib 
weicher,  oft  gehen  Gase  ab,  nach  oben  und  nach  unten.  Man 
kann  nach  einigen  Stunden  ruhig  wieder  0,002  einspritzen  und 
diese  Dosis  dreimal  an  einem  Tage  geben.  Manche  Ärzte  haben 
noch  größere  Gaben,  sogar  0,005  pro  dosi,  angewendet  und  auch 
dabei  nichts  Unangenehmes  gesehen,  aber  das  scheint  nicht  nötig 
zu  sein.  Auftretende  Delirien,  Halluzinationen  usw.  würde  man 
durch  eine  Morphiumeinspritzung  von  0,02,  nötigenfalls  wieder- 
holt, bekämpfen.  Die  Pupillenerweiterung  und  die  Trockenheit 


156 


Krankheiten  dfer  Verdauungsorgane 


im  Halse,  die  auch  nach  den  kleineren  Gaben  gewöhnlich  ein- 
treten,  haben  nichts  auf  sich,  sie  gehören  zu  den  Nebenerscheinungen 
der  wirksamen  Dosis.  Haben  die  Erscheinungen  der  Unwegsam- 
keit des  Darmes  aufgehört,  wie  man  aus  dem  Rückgänge  des 
Meteorismus  und  dem  Abgänge  von  reichlichen  Blähungen  schließen 
kann,  so  kann  man  ruhig  den  Stuhlgang  erwarten,  der  öfters  erst 
am  folgenden  Tage  erscheint,  unter  Fortsetzung  der  Einspritzungen 
von  0,002  dreimal  täglich.  Wo  aber  z.  B.  das  Erbrechen  anhält, 
keine  reichlichen  Gase  abgehen  und  der  Meteorismus  erheblich 
bleibt,  muß  man  baldigst  zur  Operation  schreiten,  um  nicht  deren 
günstigo  Zeit  zn  versäumen.  Nur  eine  Laparotomie  kann  dann 
den  Kranken  retten. 

Magen-  und  Darmkrankheiten  des  kleinen  Kindes. 

Die  Verdauungstörungen  der  Kinder  in  den  ersten  beiden 
Lebensjahren  bedürfen  einer  gesonderten  Behandlung,  weil  ihre 
Diätetik  von  der  der  weiteren  Alterstufen  grundsätzlich  verschieden 
ist  und  der  zarte  Körper  auch  in  den  übrigen  Behandlungsmitteln 
ein  anderes  Maß  erfordert. 

Wir  beginnen  auch  hier  mit  einer  Besprechung  der  gesunden, 
normalen  Ernährung. 

Es  besteht  volle  Einigkeit  darüber,  daß  die  Ernährung  an 
der  Frauenbrust  das  Ideal  der  Säuglingsernährung  bildet,  daß 
sie  durch  keine  noch  so  sorgfältig  gewählte  künstliche  Ernährung 
erreicht  werden  kann.  Unter  den  Gründen,  die  vielen  Kindern 
die  natürliche  Nahrung  versagen,  stehen  obenan  das  mangelhafte 
Pflichtgefühl  vieler  Mütter,  die  sich  der  Unbequemlichkeit 
des  Stillens  entziehen  wollen,  die  Gleichgültigkeit  der  Heb- 
ammen und  Wartefrauen,  die  beim  ersten  mißlungenen  Ver- 
such das  Stillen  als  unmöglich  bezeichnen,  anstatt  immer  wieder- 
holte Versuche  zu  verlangen  — Mutter  und  Kind  müssen  doch 
das  Verfahren  erst  erlernen  — und  die  weit  verbreitete  Un- 
fähigkeit der  Mütter  zum  Stillen.  Die  BuNGESche  Ansicht, 
daß  der  regelmäßige  Alkoholgenuß  die  Säugfähigkeit  vernichte, 
muß  jedenfalls,  da  sie  nicht  widerlegt  ist,  die  Ärzte  dazu  bringen, 
daß  sie  weit  sorgfältiger  als  bisher  den  Alkoholgenuß  der  Frauen 
und  Mädchen  und  insbesondere  den  Alkoholgenuß  der  Schwangeren 
bekämpfen.  Dagegen  ist  alles  heranzuziehen,  was  die  Milch- 
absonderung der  weiblichen  Brust  fördern  kann.  Be- 
sonders haben  die  Ärzte  darauf  hinzuwirken,  daß  der  Aberglaube 


Krankheiten  des  Darmes 


ir>7 

aufhört,  man  tue  der  Schwangeren  einen  besonderen  Nutzen  an, 
wenn  man  sie  übermäßig  viel  essen  läßt.  Im  Gegenteil  ist  eine 
normale,  gemischte  Kost  das  einzig  richtige.  Auch  die  Stillende 
soll  davon  nicht  abgehen.  Es  ist  zwecklos,  sie  literweise  Milch 
trinken  zu  lassen,  ihre  eigene  Milchabsonderung  wird  dadurch 
nicht  größer.  Dagegen  scheint  es  tatsächlich  so,  als  ob  Somaiose 
und  wohl  auch  Roborat  und  Plasmon  die  Milchabsonderung  an- 
regten,  und  insbesondere  sprechen  die  Berichte  zuverlässiger  Ärzte 
dafür,  daß  das  Laktagol  die  Milchabsonderung  vermehre.  Man 
gibt  davon  dreimal  täglich  3 — 4 gehäufte  Teelöffel  voll  mit  Milch 
angerührt.  Von  den  vorher  genannten  Eiweißpulvern  gibt  man 
die  Somatose  zu  dreimal  täglich  1 Teelöffel  voll,  das  Tropon  in 
doppelt  so  großer  Dosis,  das  Roborat  zu  etwa  80  g auf  den  Tag. 

Wo  die  Mutter  wirklich  nicht  stillen  kann,  sei  es,  weil  sie 
keine  Milch  hat,  sei  es,  daß  ihr  körperlicher  oder  geistiger  Zu- 
stand es  verbietet,  ist  zunächst  an  eine  Amme  zu  denken.  Trotz 
aller  Schattenseiten,  die  diese  Einrichtung  mit  sich  bringt,  soll 
man  sie  doch  benutzen,  wenn  die  Verhältnisse  es  erlauben.  Eine 
gründliche  Untersuchung  der  Gesundheit  der  Amme  ist  natürlich 
Bedingung,  eine  eingehende  Beratung  über  ihre  Unterbringung, 
Verpflegung  und  Ernährung  gehört  natürlich  auch  zu  den  Auf- 
gaben des  Arztes.  Eür  die  Mutter  gibt  nur  eine  nachweisbare 
Tuberkulose  den  Grund,  um  sie  als  nährunfähig  zu  bezeichnen, 
bei  der  Amme  wird  man  außerdem  auf  Syphilis,  Nephritis, 
schwerere  neuropathische  Anlage  achten  und  eine  damit  be- 
haftete Persönlichkeit  ablehnen.  Nebenbei  bemerkt  darf  man 
nicht  etwa  ein  hereditärsyphilitisches  Kind  von  einer  ge- 
sunden Amme  säugen  lassen,  weil  man  die  Amme  dabei  der 
Gefahr  der  syphilitischen  Infektion  aussetzt.  Die  neuerdings  von 
englischen  Ärzten  vorgebrachte  Ansicht,  die  hereditäre  Syphilis 
stecke  nicht  an,  ist  in  dieser  Ausdehnung  nicht  richtig.  Im  all- 
gemeinen sieht  man  darauf,  daß  die  Amme  ungefähr  in  derselben 
Zeit  entbunden  ist  wie  die  Mutter,  weil  die  Beschaffenheit  der 
Milch  mit  der  Dauer  der  Laktation  wechselt,  anderseits  nimmt 
man  nicht  gern  zu  frische  Ammen,  weil  bei  vielen  Frauen  die 
Milchabsonderung  mit  dem  Eintritt  der  ersten  Menstruation  auf- 
hört; man  läßt  also  diese  Zeit  gern  vorübergehen,  oder  man 
nimmt  wenigstens  eine  Amme,  die  bei  einer  früheren  Stillperiode 
sich  bewährt  hat.  Ein  abschließendes  Urteil  über  die  Eignung 
der  Amme  gibt  natürlich  nur  die  praktische  Erprobung,  die  Fest- 
stellung, wie  das  von  ihr  gestillte  Kind  zunimmt.  Ist  das  nicht 


158 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


der  Fall,  so  stellt  man  zunächst  fest,  wieviel  Milch  die  Amme 
in  24  Stunden  gibt,  d.  h.  wieviel  der  vor  und  nach  jeder  An- 
legung gewogene  Säugling  bei  den  einzelnen  Mahlzeiten  eines 
Tages  gewinnt.  Ist  diese  Menge  ungenügend,  so  hat  man  zu  er- 
wägen, ob  der  Fehlbetrag  durch  Zulagen  für  eine  oder  mehrere 
Mahlzeiten  gedeckt  werden  soll,  oder  ob  die  Amme  gewechselt 
werden  muß.  Wichtig  ist,  daß  die  Amme,  ebenso  wie  die  Mutter, 
dem  Kinde  nur  zu  ganz  bestimmten  Zeiten,  alle  3 Stunden,  nach 
der  Uhr,  die  Brust  gibt.  Dabei  befinden  sich  beide  Teile  am  besten ! 

Kommt  die  Brusternährung  nicht  in  Frage,  so  ist  die  Kuh- 
milch der  einzige  zweckmäßige  Ersatz.  Das  kann  nicht  scharf 
genug  betont  werden,  weil  immer  wieder  die  Reklame  mancher 
Kindermehlfabrikanten  diese  Wahrheit  zu  verwischen  sucht.  Die 
Kindermehle  führen  statt  des  leicht  verdaulichen  Fettes  der 
Muttermilch  erhebliche  Mengen  von  Mehl  oder  bestenfalls  Dextrin 
und  Zucker  zu,  die  der  Darm  des  Kindes  nicht  bewältigen  kann. 
Viele  davon  enthalten  außerdem  zu  wenig  Eiweiß,  manche  auch 
zu  wenig  Milchzucker.  Daher  werden  denn  die  Kinder  zwar  fett 
und  gedunsen,  wie  man  es  an  vielen  Reklamebildern  der  Fabriken 
sieht,  aber  sie  haben  keine  Kraft  und  keine  Widerstandsfähigkeit. 

Auch  die  Kuhmilch  ist  kein  ideales  Nahrungsmittel  für 
kleinste  Kinder.  Sie  enthält  zunächst  mehr  Eiweiß  als  die 
Frauenmilch  und  außerdem  ein  schwerer  verdauliches  Eiweiß. 
Dagegen  enthält  sie  weniger  Fett  und  weniger  Zucker  als 
die  Frauenmilch.  Der  größere  Eiweißgehalt  gründet  sich  teil- 
weise auf  das  Vorhandensein  von  Albumin  neben  dem  Kasein. 
Die  Verdaulichkeit  leidet  wohl  auch  dadurch,  daß  durch  das 
Kochen  der  Kuhmilch  Fermente  zerstört  werden,  die  bei  der 
Brusternährung  wirksam  bleiben  und  die  Zerlegung  unterstützen. 
Das  Kochen  oder  wenigstens  eine  erhebliche  Erhitzung  der 
Kuhmilch  ist  aber  vorläufig  nicht  zu  entbehren , weil  nur  da- 
durch eine  Beseitigung  der  schädlichen  Bakterien  der  Kuhmilch 
zu  erreichen  ist.  Die  neuerdings  von  v.  Behking  vorgeschlagene 
Desinfektion  der  Milch  durch  Formalinzusatz  darf  schon  jetzt 
als  abgelehnt  betrachtet  werden. 

Alle  Ärzte  sind  darin  einig,  daß  der  zu  hohe  Eiweißgehalt 
der  Kuhmilch  am  einfachsten  durch  Verdünnung  der  Milch 
mit  Wasser  ausgeglichen  wird.  Will  man  dann  aber  nicht  den 
kindlichen  Körper  mit  zu  großen  Flüssigkeitmengen  belasten,  so 
müssen  die  anderen  Nährstoffe,  der  Milchzucker  und  das  Fett, 
durch  Zusätze  entsprechend  erhöht  werden.  Vielfach  geschieht  das  nur 


Krankheiten  des  Darmes 


159 

durch  Zugabe  von  Milchzucker,  da  auch  beim  Kinde  die  Kohlehydrate 
der  Nahrung  das  Fett  in  bestimmten  Grenzen  vertreten  können. 

Die  Tagesmenge  der  Muttermilch  erreicht  am  Ende  des  ersten 
Lebensmonates  ein  halbes  Liter  und  steigt  bis  zum  Ende  des 
ersten  Jahres  auf  nahezu  ein  Liter.  Das  Liter  Muttermilch  enthält 
nach  Hofmann  etwa 

10  g Eiweiß,  41  g Fett,  70  g Milchzucker,  2 g Asche. 

Dieser  Bedarf  muß  also  auch  bei  künstlicher  Ernährung  des 
Säuglings  gedeckt  werden.  Es  gibt  verschiedene  Verfahren  dafür. 
Am  verbreitetsten  sind 

1.  Die  Heubnee-Hofmann-Soxhlet sehe  Mischung:  0,5  1 
Milch  wird  mit  0,5  1 versüßter  Hafermehl-  oder  Kindermehlab- 
kochung, 15  g Mehl  und  50  g Milchzucker  auf  0,5  1 Wasser  ver- 
kocht, vermischt.  Das  Liter  der  Mischung  enthält  dann  etwa 

15  g Eiweiß,  18  g Fett,  70  g Milchzucker, 
also  jedenfalls  zu  wenig  Fett.  Der  Milchzuckergehalt  läßt 
sich  aber  nicht  wohl  weiter  steigern,  ohne  den  Darm  anzugreifen. 
Soxhlet  hat  daher  neuerdings  seinen  Nährzucker  empfohlen, 
der  vom  Verdauungsapparat  des  Kindes  besser  vertragen  wird 
und  angeblich  bis  zu  100  g am  Tage  gegeben  werden  kann.  Er 
besteht  vorwiegend  aus  Malzzucker  und  Dextrin ; der  Malzzucker 
wird  besser  vertragen  als  der  Milchzucker,  der  bei  größeren  Mengen 
abführend  wirkt.  Die  dafür  gegebene  Vorschrift  lautet:  Man 
mischt  im  1.  Monat  0,2  1 Milch  mit  0,4  1 Wasser  und  4 Tee- 
löfiel  voll  (45  g)  Nährzucker,  Ende  des  1.  und  im  2.  Monat  0,31 
Milch  mit  0,6  1 Wasser  und  6 Teelöffel  (60  g)  Nährzucker,  im  3. 
und  4.  Monat  0,4  1 Milch  mit  0,6  1 Wasser  und  8 Teelöffel  Nähr- 
zucker, im  5.  und  6.  Monat  0,5  1 Milch  mit  0,5  1 Wasser  und 
9 Teelöffel  Nährzucker,  im  7.  Monat  0,8  1 Milch  mit  0,3  1 Wasser 
und  7 Teelöffel  Nährzucker,  im  8.  Monat  0,9  1 Milch  mit  0,2  1 
Wasser  und  4 Teelöffel  Nährzucker.  Bei  eintretender  Verstopfung 
ersetzt  man  ein  Drittel  bis  die  Hälfte  des  Nährzuckers  durch 
Loeflunds  Milchzucker. 

2.  Das  Biedert sehe  Rahmgemenge.  Man  verwendet 
dazu  das  nach  Biederts  Angaben  in  den  Deutschen  Milchwerken 
in  Zwingenberg  unter  peinlicher  Beachtung  aller  Reinlichkeits- 
vorschriften hergestellte  Ramogen,  eine  versüßte  Rahmkonserve. 
Die  salbenartige  Masse  wird  mit  geringen  Mengen  abgekochten 
und  wieder  abgekühlten  Wassers  zu  einem  gleichmäßigen  Brei 
verrührt  und  allmählich  mit  der  vorgeschriebenen  Menge  des- 
selben Wassers  weiter  verrührt.  In  den  ersten  2—3  Wochen 


160 


Krankheiten  der  Verdamm gsorgane 


bekommt  der  Säugling  eine  Mischung  von  1 Löffel  Ramogen 
mit  9 Löffel  Wasser,  oder,  wenn  man  gute  Milch  zur  Verfügung 
hat,  1 Löffel  Ramogen  mit  13  Löffel  Wasser  und  2 Löffel  ge- 
kochter Milch.  Hat  das  Kind  gute  Entleerungen,  nimmt  aber 
nicht  genügend  mehr  zu,  so  steigt  man  nach  durchschnittlich 
1 — 3 Wochen  immer  so,  daß  man  1 Löffel  Milch  mehr  zu  der  an- 
gegebenen Mischung  hinzufügt.  Bei  gut  verdauenden  Kindern  kann 
man  auch  schneller  damit  steigen.  Bei  Kindern  mit  empfindlichem 
Verdauungsapparat  kann  man  dagegen  langsamer  steigen.  — 
Man  kann  das  Ramogen  übrigens  natürlich  auch  verwenden,  um 
in  der  Heubner-Hoemann  sehen  Mischung  das  Fettminus  aus- 
zugleichen. Man  setzt  dann  der  Mischung  auf  je  1 1 lJ/2 — 3 
Eßlöffel  Ramogen  zu,  oder  1/2 — 1 1L  Teelöffel  auf  jede  Einzel- 
flasche des  SoxHLETapparates. 

Heubner  und  andere  halten  den  Fettzusatz  nach  ihren  Er- 
fahrungen nicht  für  zweckmäßig,  während  Biedert  damit  auch 
in  verzweifelten  Fällen  sehr  gute  Erfahrungen  gemacht  hat.  Wahr- 
scheinlich wird  nicht  immer  sorgfältig  genug  die  Anweisung  des 
Erfinders  berücksichtigt.  Möglich  wäre  auch,  daß  Kinder  der 
verschiedenen  Landesteile  eine  verschiedene  Toleranz  für  Fett 
hätten,  wie  das  bei  Erwachsenen  sicher  vorkommt. 

Man  kann  statt  des  Ramogens  übrigens  auch  natürlichen 
Rahm  nehmen,  verwendet  aber  dann  besser  nicht  den  durch  Ab- 
stehen der  Milch  gewonnenen,  der  ziemlich  viel  Bakterien  ent- 
hält und  leicht  etwas  sauer  ist,  sondern  den  Zentrifugenrahm. 
Wo  keine  zuverlässigen  Molkereien  sind,  kann  man  auch  die 
Rahmkonserven  des  Handels  benutzen,  so  die  von  Rademann 
in  Frankfurt  oder  den  vorzüglichen  Rahm  der  Berner  Alpenmilch- 
gesellschaft in  Stalden  in  der  Schweiz. 

Eine  andere  Art,  die  Milch  fettreicher  zu  machen,  besteht 
darin,  daß  man  die  Kuhmilch  durch  Zentrifugieren  von  einem 
Teil  der  Magermilch  befreit,  die  als  schwererer  Bestandteil  beim 
Zentrifugieren  abgeschleudert  wird.  Man  kann  die  so  gewonnene 
GAERTNERSche  Fett  milch  in  größeren  Städten  in  Literflaschen 
sterilisiert  bekommen.  Ein  entschiedener  Vorteil  des  Verfahrens 
ist  es,  daß  beim  Ausschleudern  auch  der  Milchschmutz,  die  in 
die  Milch  gelangten  Schmutzteile  von  den  Händen  der  Melker, 
vom  Euter,  vom  Schwanz  und  von  Darmentleerungen  der  Kühe 
usw.  mit  entfernt  werden. 

3.  Eine  dritte  Gruppe  von  Zubereitungen  der  Kuhmilch 
legt  den  Hauptwert  auf  die  Beseitigung  der  Schwerverdaulichkeit 


Krankheiten  des  Darmes 


161 


des  Milcheiweißes.  Der  bekannteste  Vertreter  dieser  Gruppe  ist 
die  Backhaus  milch,  von  Professor  Backhaus  erfunden.  Die  Voll- 
milch wird  durch  Zentrifugieren  in  Rahm  und  Magermilch  zer- 
legt, wobei  zugleich,  wie  eben  schon  gesagt,  etwaige  Verun- 
reinigungen beseitigt  werden.  Zu  der  Magermilch  wird  bei  40°  C. 
eine  bestimmte,  durch  Erfahrung  gefundene  Menge  eines  Ferment- 
gemisches zugesetzt,  das  aus  kohlensaurem  Natron,  Labferment 
und  Trypsin  besteht.  Das  kohlensaure  Natron  hat  den  Zweck, 
die  Trypsinwirkung  zu  fördern  und  der  Milch  eine  leicht  alka- 
lische Reaktion  zu  geben,  wie  sie  der  Frauenmilch  eigen  ist;  das 
Trypsin  löst  und  peptonisiert  einen  Teil  des  Kaseins,  so  daß 
nach  30  Minuten  1,25  °/0  lößliches  Eiweiß  vorhanden  ist,  sodann 
bringt  das  Lab  das  nicht  gelöste  Kasein  zum  Gerinnen  und  damit 
zur  Ausscheidung.  Sobald  dies  geschehen  ist,  wird  durch  Er- 
hitzen auf  80°  C.  die  Ferment  Wirkung  aufgehoben,  das  ausge- 
schiedene Kasein  durch  Absieben  oder  Zentrifugieren  beseitigt  und 
nun  durch  Zusatz  von  Rahm  von  entsprechender  Konzentration 
3,5  °/0  Fett  nebst  0,5  °/0  Kasein  hinzugefügt  und  endlich  durch 
Zusatz  von  1 °jQ  Milchzucker  der  Milchzuckergehalt  der  Frauen- 
milch erreicht.  Die  so  hergestellte  Milch  wird  in  Portionsflaschen 
gefüllt  und  darin  sterilisiert,  die  Sterilisierung  macht  keine  Schwierig- 
keiten. Die  Milch  wird  fabrikmäßig  an  verschiedenen  Orten  her- 
gestellt, in  Portionsflaschen  zu  1/8,  1/5  und  1/3  Liter. 

Ein  anderes  Labverfahren,  das  im  Hause  durchgeführt  wird, 
bildet  den  Kern  der  Pegnin milch.  Das  von  Dr.  Freiherr 
von  Düngern  erfundene  Labferment  Pegnin  wird  mit  Milch- 
zucker und  reinem,  aus  Kälbermagen  gewonnenem  Lab  bereitet. 
Es  ist  ein  weißes,  feines  Pulver,  das  sich  leicht  in  Wasser  und 
Milch  löst  und  die  Milch  sofort  zum  Gerinnen  bringt.  Es  ist 
frei  von  schädlichen  Keimen  und  verdauungstörenden  Stoffen;  bei 
höherer  Temperatur  wird  es  unwirksam.  Das  Pegnin  wird  der 
Milch  zugesetzt,  nachdem  sie  auf  40°  C.  erwärmt  (oder  nach 
Kochen  oder  Sterilisieren  bis  auf  40°  abgekühlt)  worden  ist.  Man 
nimmt  auf  1 1 Vollmilch  fünfmal  das  der  Pegninflasche  beigegebene 
Maß,  etwa  10  g,  auf  eine  Soxhlet flasche  von  200  g einmal  das 
Meßglas  voll.  Dann  verteilt  man  durch  kurzes  Schütteln  das 
Pulver  in  der  Milch  und  wartet  die  Gerinnung  ab.  Sie  tritt 
meist  nach  2—3  Minuten  ein,  in  gewässerter  Milch  später  oder 
gar  nicht.  Dann  wird  die  Flasche  mit  einem  ausgekochten  Glas- 
oder Gummistopfen  verschlossen  und  stark  geschüttelt,  bis  das 
Gerinnsel  völlig  verschwunden  ist.  Die  Milch  darf  dann  nicht 

Dornblüth  , Therapie.  1 1 


162 


Krankheiten  der  Verdaunngsorgane 


mehr  stark  erhitzt  werden,  sondern  nur  noch  auf  Körperwärme, 
etwa  38°  0.  Soll  sie  für  ganz  junge  Kinder  noch  verdünnt 
werden,  so  setzt  man  vor  dem  Trinken  abgekochtes  Wasser  zu. 
In  der  Saugflasche  muß  sie  dann  nochmals  etwas  geschüttelt 
werden.  Bei  richtiger  Herstellung  geht  sie  auch  durch  die  kleine 
Öffnung  des  Gummisaugers  leicht  hindurch.  Stärkeres  Erwärmen 
liefert  wieder  größere  Flocken. 

Zwischen  diesen  Verfahren  hat  man  je  nach  den  örtlichen 
und  einzelnen  Verhältnissen  die  Wahl  zu  treffen.  Das  entschei- 
dende wird  oft  sein,  oh  man  an  dem  betreffenden  Orte  überhaupt 
brauchbare  Kuhmilch  bekommt.  Das  ist  leider  an  sehr  vielen 
Orten  in  Deutschland  noch  keineswegs  der  Fall.  Die  Stallpflege 
der  Kühe  und  die  Sorgfalt  der  Milchgewinnung  stehen  vieler 
Orten  noch  auf  der  allertiefsten  Stufe.  Die  beste  Milch  bekommt 
man  erfahrungsgemäß  in  den  großen  Städten,  wo  die  Aufsicht 
der  Polizei  und  mehr  noch  die  scharfe  Konkurrenz  für  Besserung 
gesorgt  hat.  In  den  Kleinstädten  und  vielfach  auch  auf  dem 
Lande  ist  es  dagegen  noch  traurig  bestellt,  die  Vorschriften  für 
eine  gute  Kindermilchgewinnung,  wie  sie  z.  B.  von  der  Berliner 
Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Säuglingssterblichkeit 
zusammengefaßt  sind,  werden  noch  kaum  irgendwo  genau  befolgt. 
Wo  sich  aus  dem  Milchgenuß  Störungen  ergeben,  muß  danach 
zuerst  gründlich  gefahndet  werden,  und  wenn  am  Orte  keine 
Besserung  zu  erzielen  ist,  muß  man  sich  eventuell  mit  dem  Bezug 
von  Backhaus  milch,  Ramogen  oder  Rahmkonserven  helfen.  Wenn 
irgendwo  in  der  Praxis,  so  muß  sich  der  Arzt  bei  Kinderkrank- 
heiten genau  um  die  Einzelheiten  der  Ernährung  kümmern,  er 
muß  feststellen,  wo  die  Milch  geholt  wird  und  ob  sie  nach  dem 
Einkauf  zweckmäßig  behandelt,  gleich  abgekocht  oder  sterilisiert 
und  dann  so  kalt  wie  möglich  aufbewahrt  wird,  ob  nicht  Reste 
einer  Mahlzeit  wieder  verwendet  werden  usw.  Durch  Fehler  bei 
der  Vorbereitung  und  Verabreichung  kann  auch  die  beste  Milch 
verdorben  und  schädlich  gemacht  werden.  Selbstverständlich  wird 
auch  eine  Milch,  die  schon  vor  dem  Kochen  oder  der  Sterili- 
sierung verdorben  ist,  durch  diese  Zubereitungen  nicht  wieder 
gut.  Soxhlet  hat  selbst  darauf  hingewiesen,  daß  eine  im  Stall 
oder  im  Hause  verunreinigte  Milch  oft  gar  nicht  zu  sterilisieren 
ist.  Wegen  der  Sporen,  die  der  Hitze  widerstehen,  ist  die  baldige 
Abkühlung  der  so  behandelten  Milch  besonders  nötig. 

Für  alle  Fälle,  wo  die  wirtschaftliche  Lage  der  Eltern  es 
durchführen  läßt,  ist  das  Soxhlet  sehe  Verfahren  vorzuziehen. 


Krankheiten  des  Darmes 


163 

Die  für  den  ganzen  Tag  bestimmte  Nahrungsmenge , Milch  in 
der  vorgeschriebenen  Verdünnung  und  mit  den  vorgeschriebenen 
Zusätzen,  völlig  fertig  zurechtgemacht,  wird  in  die  6—8  für  den 
Tag  nötigen  Portionsglasflaschen  gegossen,  die  Plaschen  werden 
mit  der  dazu  gehörigen  Gummischeibe  bedeckt  und  in  den  zur 
Hälfte  mit  kaltem  oder  lauem  Wasser  gefüllten  Blechkochtopf 
gestellt.  Dann  wird  der  Topf  geschlossen  und  aufs  Feuer  ge- 
bracht; erst  wenn  das  Wasser  im  Topfe  10  Minuten  gekocht  hat, 
wird  der  Topf  wieder  geöffnet,  nun  werden  die  Flaschen  heraus - 
genommen  und  vorsichtig  abgekühlt.  Die  Gummischeiben  werden 
durch  den  negativen  Druck  des  sich  abkühlenden  Flascheninhaltes 
fest  auf  den  Flaschenhals  aufgedrückt  und  bleiben  bis  zur  Be- 
nutzung der  Flasche  darauf.  Löst  sich  eine  Scheibe  ab,  so  wrar 
der  Verschluß  ungenügend.  Vor  dem  Gebrauch  wird  die  einzelne 
Flasche  in  warmes  Wasser  gestellt,  bis  sie  Körperwärme  erreicht 
hat,  dann  löst  man  die  Scheibe  und  setzt  den  sorgfältig  ge- 
reinigten Sauger  darauf.  Was  das  Kind  übrig  läßt,  wird  nicht 
wieder  verwendet.  — Bei  längerem  Sterilisieren,  über  eine  Viertel- 
stunde hinaus,  leidet  die  Milch.  — Ein  wesentlicher  Teil  des  Er- 
folges beruht  auch  darauf,  daß  mit  der  Einzelportion  auch  ihr 
Gefäß  steril  gemacht  worden  ist.  Die  angewendete  Mühe  ist  da- 
durch sicher  gelohnt,  und  sehr  bequem  ist  es,  daß  damit  gleich 
die  Arbeit  für  den  ganzen  Tag  in  zuverlässiger  Weise  besorgt 
worden  ist. 

Die  für  kleinere  Verhältnisse  unentbehrlichen  Milchkocher 
von  Bertling,  Flügge  und  anderen,  ermöglichen  ein  längeres, 
starkes  Kochen  der  Milch  ohne  die  Gefahr  des  Überlaufens  und 
Anbrennens,  indem  sie  durch  eine  besondere  Vorrichtung  die 
aufsteigende  Milch  wieder  in  den  Topf  zurückgelangen  lassen. 
Wenn  der  Topf  nach  dem  Kochen  kühl  gestellt  und  Zurückgießen 
von  Resten  usw.  vermieden  wird,  so  bleibt  die  Milch  im  allge- 
meinen gut,  aber  es  bleiben  alle  die  Gefahren,  die  aus  ungenügend 
gereinigten  Trinkflaschen  hervorgehen.  Die  Flasche  muß  nach 
jedem  Gebrauch  zunächst  mit  kaltem  Wasser  gründlich  ausgespült 
und  mit  einer  Flaschenbürste  ausgebürstet  werden,  dann  wird 
mit  heißem  Wasser  nachgespült  und  jeder  erkennbare  Rest  ent- 
fernt und  die  Flasche  umgekehrt  hingestellt,  damit  die  Reste  des 
Spülwassers  abfließen  und  keine  Keime  aus  der  Luft  hineinfallen 
können.  Die  Sauger  müssen  jeden  Tag  wenigstens  einmal  mit 
schwacher  Sodalösung  ausgekocht  und  zwischen  den  Mahlzeiten, 
nach  gründlicher  Durchspülung,  in  reinem  Wasser  auf  bewahrt  werden. 


164 


Krankheiten  der  Verdammgsorgane 


Beim  Übergang  von  der  Brustnahrung  zur  künst- 
lichen Ernährung,  den  man  am  besten  nicht  vor  vollendetem 
6.  Monat,  womöglich  aber  erst  im  10.  Monat  vornimmt,  gibt 
man  zunächst  immer  eine  verdünnte  Kuhmilch,  wie  vorhin  für 
die  früheren  Monate  angegeben  wurde,  und  vermindert  die  Ver- 
dünnung je  nach  dem  Gedeihen  und  Behagen  des  Kindes.  Findet 
die  Entwöhnung  erst  gegen  Ende  des  ersten  Jahres  statt,  so  kann 
man  neben  der  Milch  auch  Mehl-  und  Zwiebacksuppen,  Fleisch- 
brühe mit  Gries,  Reis,  Sago,  Mondamin  usw.  reichen  oder  ge- 
kochtes Ei,  zartes  gebratenes  Fleisch,  Fisch  oder  Geflügel  geben, 
Kartoffeln,  Spinat,  Kohlrabi,  Blumenkohl  in  Püreeform  hinzu- 
fügen. Manche  Kinder  verweigern  die  künstliche  Nahrung  und 
wollen  nur  die  Brust  nehmen;  es  ist  dann  am  besten,  ihnen  die 
Brust  ganz  zu  entziehen  und  sie  durch  Hunger  zu  der  neuen 
Nahrung  zu  treiben. 


Verdauungst  orangen  der  Säuglinge. 


Im  allgemeinen  sind  die  Brustkinder  gegen  Magen-  und 
Darmstörungen  geschützt,  aber  sie  können  doch  auch  Dyspepsie 
bekommen,  wenn  sie  die  Nahrung  nicht  richtig  bewältigen.  Ge- 
wöhnlich ist  es  daran  schuld,  daß  ihnen  zu  oft  gegeben  wird. 
Es  ist  dann  doppelt  streng  daran  festzuhalten,  daß  in  den  ersten 
4 Wochen  nicht  öfter  als  alle  2 1/2  Stunden,  weiterhin  nur  alle 
8 Stunden  die  Brust  gegeben  und  daß  die  Nacht  hindurch  Pause 
gemacht  wird.  Sind  die  Entleerungen  unregelmäßig,  nicht  rein 
eigelb  und  gleichmäßig,  sondern  entweder  wie  gehackt  oder  aber 


grünlich,  so  ist  vor  allem  ein  mildes  Abführmittel  angezeigt.  Am 


besten  gibt  man  das  Pulvis  Magnesiac  cum  Pheo,  das  berühmte 
Hufeland  sehe  Kinderpulver,  1 — 2 mal  täglich  eine  kleine  Messer- 
spitze voll,  etwas  abgekochtes  kaltes  Wasser  hinterdrein,  oder 
auch  wohl  den  Sirujpus  Fhamni,  1 Teelöffel.  Sprechen  Auftreibung 
des  Leibes  und  Kolikschmerzen  für  stärkere  Zersetzungen,  so  kann 
man  auch  Kalomel  geben,  Hydrargyrum  chloratum  0,02 — 0,03 
mit  Saccharum  lactis  0,3,  2 — 3 stündlich  ein  Pulver  bis  zu  ge- 
nügender Wirkung.  In  jedem  Falle  ist  zu  untersuchen,  ob  etwa 
im  Befinden  der  Mutter  oder  der  Amme  eine  Unregelmäßigkeit 
besteht,  wie  z.  B.  Menstruation,  Verstopfung,  Verdauungstörungen, 
Gemütsbewegungen.  In  diesem  Falle  muß  sorgfältig  Abhilfe  ge- 
schafft werden;  die  menstruierte  Stillende  muß  sich  ganz  be- 
sonders ruhig  halten  und  vorsichtige  Diät  beobachten  usw.  Be- 


Krankheiten  des  Darmes 


165 


achtenswert  ist,  daß  die  Verstopfung  der  Brustkinder  be- 
seitigt werden  kann,  indem  der  Stuhlgang  der  Mutter  geregelt 
wird.  Insbesondere  haben  Sennapräparate,  kalt  bereiteter  Senna- 
aufguß,  Sennatee  und  Brustpulver,  yon  der  Mutter  oder  Amme 
genommen,  eine  abführende  Wirkung  beim  Säugling. 

Unendlich  viel  häufiger  und  vor  allem  viel  schwerer  sind 
die  Dyspepsien  der  künstlich  ernährten  Kinder.  Jede 
Dyspepsie  kann  unvermerkt  in  eine  schwere  Magendarmkrankheit 
mit  tödlichem  Ausgange  übergehen.  Die  Behandlung  hat  daher 
mit  allem  Nachdruck  einzusetzen,  sobald  der  sonst  eigelbe  Säug- 
lingskot grün  entleert  wird  oder  doch  heim  Stehen  an  der 
Luft  grün  wird.  Die  Gleichgültigkeit  der  Mütter  gegen  diese 
Veränderung  trägt  die  Schuld  daran,  daß  von  den  neugeborenen 
Kindern  in  Deutschland  je  nach  der  Gegend  20 — 40  °/0  im  ersten 
Lebensjahre  sterben.  Der  größte  Teil  dieser  Kinder  wäre  zu 
retten,  wenn  rechtzeitig  beim  ersten  Auftreten  dieses  Zeichens 
eingegriffen  würde.  Bleibt  es  unbeachtet,  so  werden  die  Ent- 
leerungen unregelmäßig,  bröcklig  oder  dünn,  gasreich,  der  Appetit 
hört  auf,  und  schließlich  tritt  auch  Erbrechen  ein,  dessen  Ur- 
sache demnach  in  den  Darmstörungen  zu  suchen  ist.  Auch 
wäßrige  Entleerungen,  Fieber,  Schleim-  oder  Blutbeimengung  zum 
Stuhl  gehören  zu  den  Zeichen  der  vernachlässigten  Dyspepsie. 
Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  Erkrankung  genauer  zu  schildern, 
es  soll  nur  auf  den  Zusammenhang  der  Erscheinungen  mit  un- 
geeigneter Nahrung  hingewiesen  werden,  um  die  Bedeutung  der 
diätetischen  Behandlung  ins  rechte  Licht  zu  setzen. 

Im  allgemeinen  gilt  die  Regel,  bei  ausgesprochener  Dys- 
pepsie die  Milchnahrung  vorübergehend  ganz  auszusetzen, 
de  nach  dem  Kräftezustand  des  Kindes  und  nach  dem  Ernste 
der  Erscheinungen  läßt  man  einige  Tage  überhaupt  nichts  nehmen 
als  gekochtes  Wasser  und  Tee  mit  wenig  Zucker,  oder  man 
gibt  Abkochungen  von  Kindermehlen.  Gerade  bei  schweren 
Erkrankungen  ist  die  scheinbare  Grausamkeit  der  Nahrungsent- 
ziehung in  Wirklichkeit  das  mildeste.  Anstatt  in  den  gärenden 
Darminhalt  immer  neue  zersetzliche  Stoffe  hineinzubringen,  gibt 
man  dem  Darm  Zeit,  seinen  Inhalt  zu  entleeren.  Gibt  man 
Kindermehlabkochungen,  so  sollen  sie  wenigstens  sehr  dünn  sein. 
Zweckmäßig  ist  die  Vorschrift,  die  für  Theinhardts  Kinder- 
mehl, überhaupt  eines  der  besten  Präparate,  gegeben  wird.  Man 
kocht  aus  gut  gewaschenem  Reis  mit  genügendem  kochenden 
Wasser  einen  ganz  dünnen  Schleim,  nimmt  im  ersten  Lebens- 


166 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


monat  auf  3/4  1 Reis  wasser  4 — 6 Teelöffel  Kindermehl,  im  zweiten 
auf  11  6 — 8 Teelöffel,  im  dritten  auf  11  8—10  Teelöffel,  im 
fünften  und  sechsten  Monat  auf  11  10 — 12  Teelöffel  und  kocht 
die  Mischung  auf.  Davon  gibt  man  dann  aller  drei  Stunden  eine 
Flasche.  Schreit  das  Kind  zwischendurch  sehr  vor  Durst,  so 
kann  man  abgekochtes  Wasser  oder  Tee  geben.  Sobald  die  Aus- 
leerungen wieder  normal  werden  und  das  etwaige  Erbrechen  auf- 
gehört hat,  beginnt  man  mit  allmählich  steigendem  Milchzusatz, 
jeden  Tag  etwas  mehr,  nach  einer  von  Dr.  Simon  zusammen- 
gestellten Tabelle,  die  den  THEiNHARDTSchen  Präparaten  beigegeben 
wird.  — Man  kann  auch  ein  anderes  Kindermehl  wählen,  am 
meisten  sind  die  von  Muffler,  Kufeke,  Merlin,  Rademann 
empfohlen  worden,  auch  die  Biedert  sehe  Somatosemilch  in 
starker  Verdünnung  wird  gelobt.  Der  Vorsicht  halber  wird  man 
beim  Übergange  zum  Milchzusatz  nur  allerbeste  Milch  verwenden, 
also  wenn  am  Orte  keine  einwandfreie  Kindermilch  zu  haben  ist, 
Backhausmilch,  Ramogen  usw.  benutzen. 

Auf  Arzneimittel  kann  man  bei  diesem  Vorgehen  in  vielen 
Fällen  verzichten,  namentlich  wenn  man  die  Behandlung  mit  der 
zuerst  von  Epstein  empfohlenen  Magenausspülung  eröffnet 
hat.  Man  macht  sie,  während  das  Kind  auf  dem  Schoße  der 
Mutter  liegt,  auf  seiner  linken  Seite  oder  sogar  etwas  nach  unten 
geneigt,  damit  nicht  so  leicht  Mageninhalt  in  die  Luftwege  ge- 
langen kann.  Ein  Nelatonkatheter  von  6 mm  Durchmesser  ist 
das  geeignetste  Werkzeug,  man  führt  ihn  mit  dem  Zeigefinger 
bis  in  den  Schlund  ein,  von  wo  er  leicht  in  die  Speiseröhre  ein- 
tritt.  Man  läßt  erst  etwas  Mageninhalt  heraustreten  und  gießt 
dann,  wenn  das  Würgen  aufgehört  hat  und  die  Atmung  ruhig 
geworden  ist,  langsam  Wasser  von  38°  C.  ein,  dem  man  auf  ein 
halbes  Liter  etwa  3 g Kochsalz  und  ebensoviel  doppelkohlensaures 
Natron  zugesetzt  hat.  Man  spült  so  oft  hin  und  her,  bis  das 
Wasser  rein  ab  fließt.  Immer  wendet  man  nur  geringen  Druck  an 
und  gießt  nicht  so  viel  auf  einmal  ein,  daß  der  Magen  wesent- 
lich ausgedehnt  wird.  Man  merkt  die  Füllung  an  dem  eintreten- 
den Mißbehagen  des  Kindes,  das  sich  sonst  bei  der  Vornahme 
allmählich  beruhigt. 

Die  ältere  Praxis  gab  in  diesen  Zuständen  besonders  gern 
Kalomel , 0,02 — 0,03 — 0,05  zweistündlich  bis  zum  Auftreten 
deutlicher  grünschwarzer  Kalomelstühle ; gewöhnlich  genügen  von 
den  angegebenen  Pulvern  2,  höchsten  3.  Die  günstige  Wirkung 
ist  oft  unverkennbar.  Für  die  nächsten  Tage  ist  besonders  das 


Krankheiten  des  Darmes 


167 


von  Soltmann  sein*  geschätzte  Resorcin  geeignet,  Resorcinum 
resublimatum  Merck  0,2,  Infus.  Chamomill.  60,0,  davon  zwei- 
stündlich ein  Teelöffel.  Auch  Acidum  hydrochloricum,  0,5:50,0, 
teelöffelweise,  ist  zu  empfehlen. 

Ist  nicht  eine  einfache  Dyspepsie,  sondern  ein  ausgesprochener 
Katarrh  des  Magens  und  Darms  vorhanden,  der  sich  vor  allem 
durch  Erbrechen,  wäßrige  Durchfälle  und  Fieber  kundgibt,  gewöhn- 
lich auch  bald  zu  deutlichem  Kräfteverfall,  kühlen  Gliedern  usw. 
führt,  und  ebenso  bei  dem  akuten  Brechdurchfall  der  Kin- 
der, der  Cholera  nostras,  einerlei  ob  die  Störungen  primär 
entstanden  oder  aus  einer  bestehenden  Dyspepsie  erwachsen  sind, 
so  ist  unbedingt  die  Nahrung  für  einige  Tage  ganz  auszu- 
setzen, auch  auf  die  Mehlabkochungen  muß  dann  verzichtet 
werden,  Eierwasser  und  was  sonst  hier  und  da  empfohlen  wurde, 
pflegt  das  Erbrechen  und  den  Durchfall  weiter  zu  fördern.  Man 
muß  aber  reichlich  abgekochtes  Wasser  und  Tee  geben,  weil 
sonst  die  Gefahr  der  Wasserverarmung  eintritt.  Höheres  Fieber 
bekämpft  man  durch  kalte  Umschläge,  viertelstündlich  ge- 
wechselt, auf  die  Brust  und  den  Leib,  natürlich  mit  der  nötigen 
Vorsicht,  um  nicht  die  ohnedies  empfindlichen  Kinder  zu  erkälten 
oder  die  Blutverteilung  in  den  äußeren  Teilen  noch  mehr  zu 
schädigen.  Hartnäckiges  Erbrechen  behandelt  man  am  besten  mit 
der  vorhin  beschriebenen  Magenausspülung,  gewöhnlich  hört 
es  aber  bei  der  Wasser-  und  Teediät  schnell  auf.  Gegen  den 
Durchfall  haben  sich  Tannalbin  und  Tannigen  am  besten  bewährt. 
Man  gibt  Tannalbin  als  Schachtelpulver  — 1/ 2 Teelöffel  voll  ist 
gleich  1,0  — zu  0,5 — 1,0  mehrmals  täglich,  das  Tannigen  zur 
Verhütung  des  Klebrigwerdens  mit  Saccharum  lactis  vermischt 
in  der  halben  Dosis.  In  den  ersten  Tagen  kann  man  mit  Vor- 
teil nebenher  Hydrargyrum  chloratum  0,008 — 0,005  zweistünd- 
lich geben.  Den  Wiederbeginn  der  Ernährung  macht  man  ebenso 
wie  bei  der  Dyspepsie  angegeben. 

Sitzt  der  Katarrh  vorwiegend  im  Dickdarm,  wobei  sehr 
zahlreiche,  kleine,  schleimige  oder  schleimigblutige,  übelriechende 
Ausleerungen  auf  treten,  so  kann  man  außer  den  eben  besprochenen 
Mitteln  noch  Darmausspülungen  anwenden.  Man  nimmt  dazu 
ein  enges,  weiches  Darmrohr,  läßt  durch  einen  Trichter  38 — 40°  C. 
warme  Salizylsäurelösung  0,5:500,0  einfließen  und  wiederholt  die 
Ausspülung  so  lange,  bis  trotz  der  Schwierigkeiten  durch  den 
entgegentretenden  Darminhalt  und  die  dadurch  herbeigeführten 
Unterbrechungen  eine  wirkliche  Ausspülung  erreicht  worden  ist. 


168 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


Für  die  Ernährung  empfehlen  Biedert  das  Ramogen,  Escherich 
die  Kindermehle,  Widerhoeer  und  Heubner  die  LiEBiosche 
Suppe.  So  lange  die  Entleerungen  noch  Kotteile  enthalten,  muß 
übrigens  von  oben  mit  Abführmitteln  nachgeholfen  werden.  Am 
meisten  empfehlen  sich  dazu  Rizinusöl , zweistündlich  ein  Tee- 
löffel, und  Kalomel  0,02  mehrmals.  Für  den  weiteren  Verlauf 
werden  Bismutum  salicylicum , 0,05 — 0,1  dreistündlich,  und 
Plumbum  aceticum , 0,1:60,0,  dreistündlich  1 Teelöffel,  empfohlen. 

Bei  schwerem  Kräfteverfall  und  bei  den  Erscheinungen 
des  sogenannten  Hydrocephalus  acutus,  wie  sie  besonders  bei 
der  Cholera  infantum  Vorkommen,  sind  heiße  Bäder,  38° — 40°  C., 
und  Einwicklungen  in  heiße  Tücher,  Reiben  der  Glieder  mit 
warmem  Flanell  oder  mit  weichen  Bürsten  zweckmäßig.  Alle 
inneren  Arzneien  und  Nahrungsmittel  sind  wegzulassen,  höchstens 
kann  man  gegen  quälenden  Durst  Eiswasser  oder  heißen  Tee  er- 
lauben. Vielfach  wird  dazu  ein  Zusatz  von  Kognak  oder  Wein 
gegeben,  ob  mit  irgend  welchem  Nutzen  und  ohne  Nachteil,  ist 
zweifelhaft.  Dagegen  hat  die  subkutane  Kochsalzinfusion 
oft  deutlichen  Nutzen.  Man  läßt  unter  sorgfältigster  Antisepsis 
durch  einen  Gummischlauch  mit  Trichter  und  Hohlnadel  100  g 
und  mehr  einer  0,6  °/0  igen  Kochsalzlösung  einfließen,  am  besten 
in  der  Unterbauchgegend,  womöglich  mehrmals  täglich. 

5.  Krankheiten  cler  Leber. 

Bei  der  Behandlung  der  Leberkrankheiten  wirft  sich  zunächst 
die  Frage  auf,  ob  man  hier  ähnlich  wie  bei  dem  Magen  und  bei 
anderen  Organen  unter  krankhaften  Verhältnissen  dem  kranken 
Teil  eine  besondere  Schonung  zuteil  werden  lassen  kann,  ob 
man  der  Leber  einen  Teil  ihrer  Verrichtungen  abnehmen  kann. 
Man  hat  aus  theoretischen  Erwägungen  allerlei  dafür  vorgeschlagen, 
insbesondere  auch  die  Fleischkost  verbieten  wollen,  aber  es  ist 
nichts  Vernünftiges  und  Praktisches  dabei  herausgekommen.  Im 
Grunde  wissen  wir  auch  noch  zu  wenig  über  die  Tätigkeit  der 
Leber  und  über  die  feineren  Vorgänge  bei  der  Umwandlung  der 
Nahrungsmittel,  um  bestimmte  Forderungen  daraus  zu  ziehen.  Im 
allgemeinen  darf  es  jedenfalls  als  richtig  gelten,  und  die  Mehr- 
zahl der  Autoren  spricht  sich  auch  dahin  aus,  wenigstens  in 
Deutschland,  daß  die  Leber  am  meisten  geschont  wird  und  unter 
den  gesundesten  Bedingungen  arbeitet,  wenn  eine  normale,  ge- 
mischte Kost  in  genügend  häufigen  Mahlzeiten  zugeführt 


Krankheiten  der  Leber 


1(19 


und  zugleich  für  regelmäßige  Darmtätigkeit  gesorgt  wird. 
Diese  Forderungen  gründen  sich  darauf,  daß  nach  den  angestellten 
Untersuchungen  der  Übertritt  des  Mageninhaltes  in  den  Dünn* 
darm  und  die  Benetzung  der  Gallengangseinmündung  durch  den 
vorbeifließenden  Darminhalt  eine  lebhaftere  Absonderung  von 
Galle  hervorruft,  und  daß  diese  Absonderung  durch  gemischte 
Kost  am  stärksten  angeregt  wird.  Damit  ist  aber  nicht  nur  der 
Gallenstauung  am  besten  entgegengearbeitet,  die  ein  wesent- 
liches Element  für  Ikterus  und  für  Gallensteine  ist,  sondern  es 
wird  auch  bei  allen  anderen  Lebererkrankungen  der  Stoffwechsel 
des  Organs  und  die  Blutzirkulation  des  mächtigen  und  blutreichen 
Organes  auf  das  beste  angeregt.  5 — 6 tägliche  Mahlzeiten  sind 
daher  für  Leberkranke  notwendig.  Die  regelmäßige  Darmtätig- 
keit hat  außer  der  cholagogen  Wirkung  noch  den  Vorteil,  daß 
sie  den  Bakteriengehalt  des  Darmes  vermindert  und  dadurch 
die  Gefahr  einer  Infektion  der  Gallenwege  vom  Darm  aus  herabsetzt. 

Neben  diesen  allgemeinen  Regeln  gibt  es  noch  einige  be- 
sondere. Vor  allem  die,  in  der  Nahrung  alle  Exzesse  zu  ver- 
meiden, so  z.  B.  große  und  namentlich  oft  wiederholte  Diners 
mit  der  darauf  folgenden  Plethora  abdominalis,  wohl  auch  mit 
einer  durch  scharfe  Gewürze  und  Alkoholgenuß  hervorgerufenen 
akuten  oder  bleibenden  Leberkongestion,  ferner  die  Fettleibig- 
keit an  sich  zu  bekämpfen,  weil  der  dicke  Bauch  den  Pfortader- 
kreislauf erschwert  und  die  Zwerchfellbewegung  hemmt,  die  der 
Lebertätigkeit  förderlich  ist;  endlich  den  übermäßigen,  richtiger 
wohl  schon  den  regelmäßigen  Alkoholgenuß  zu  verbieten.  Wich- 
tig ist  auch  eine  Fürsorge  für  zweckmäßige  Kleidung.  Der  Kampf 
gegen  Korset  und  Schnürbänder  der  Frauen  wie  gegen  die  Leib- 
riemen der  Männer  hat  immer  mit  Recht  seine  zwingendsten  Gründe 
aus  den  Schäden  genommen,  die  diese  Kleidungsstücke  zumal  an 
der  Leber  und  an  der  Gallenblase  anrichten.  Wohl  unbestreitbar 
erklärt  sich  die  große  Überzahl  der  an  Gallensteinen  leidenden 
Frauen  über  die  daran  leidenden  Männern  dadurch,  daß  sie  so 
viel  häufiger  die  Leber  und  Gallenblase  durch  den  direkten  Druck 
schädigen  und  die  Zwerchfellatmung  einschränken.  Beim  Manne 
Hosenträger,  bei  der  Frau  Reformkleidung,  die  die  Kleiderlast 
durch  das  gutschließende  Rockbeinkleid  verringert  und  das  ver- 
minderte Gewicht  auf  Hüften  und  Schultern  verteilt,  sind  gerade 
für  Leber-  und  Gallenleidende  dringend  notwendig.  Ein  weiterer 
Vorteil  der  Reformkleidung  ist  es,  daß  sie  erst  den  Frauen  eine 
ungezwungene,  freie  Bewegung,  das  Sichbückenkönnen , sowie 


170 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


ein  gesundes  Turnen  und  Gymnastiktreiben  ermöglicht,  lauter 
Bewegungen,  die  für  den  Blutumlauf  in  den  Bauchorganen  un- 
bedingt nötig  sind. 

1.  Gallensteinleiden. 

Weitere  Diät  Vorschriften  sind  auch  für  die  Gallensteinkrank- 
heit nicht  nötig.  Es  gibt  keine  Diät,  die  auf  vorhandene  Gallen- 
steine lösend  wirkte  oder  die  Neubildung  von  Gallensteinen  ver- 
hinderte. Aber  die  eben  gegebenen  Winke  sind  in  solchen  Fällen 
doppelt  genau  zu  beachten.  Die  Gallensteine  entstehen  dadurch, 
daß  die  in  der  Gallenblase  aufgestaute  Galle  durch  Bakterien 
vom  Darm  her  infiziert  wird.  Das  empfohlene  Verhalten  ver- 
hindert einmal  nach  Möglichkeit  das  Zustandekommen  einer  Stau- 
ung, und  zweitens  vermindert  es  die  Gefahr  der  Darmbakterien. 
Die  zweckmäßige  Kleidung  schützt  außerdem  die  Gallenblase  vor 
einer  Reihe  von  Zerrungen  und  Verletzungen,  die  erfahrungs- 
gemäß die  Ansiedlung  der  Bakterien  fördern  können.  Ist  eine 
Austreibung  der  Steine  nach  den  örtlichen  Verhältnissen  über- 
haupt möglich,  so  wird  sie  immer  am  wahrscheinlichsten  dadurch, 
daß  die  Galle  dünnflüssiger  wird  und  kräftiger  strömt,  genau 
wie  das  vorhin  als  Folge  der  geeigneten  Kost  und  Lebensweise 
hingestellt  wurde. 

Die  Praxis  hat  von  jeher  nach  gallentreibenden  Mitteln 
gesucht,  um  dadurch  die  vorhandenen  Steine  zur  Blase  hinaus- 
zutreiben. Es  ist  sehr  fraglich,  ob  man  darauf  wirklich  hin- 
arbeiten sollte.  Der  in  der  Blase  liegende  Stein  macht  im  all- 
gemeinen keine  Beschwerden  — diese  rühren  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  sicher  von  der  sekundären  oder  primären  Cholecystitis 
her  — , dagegen  weiß  man  nie  vorher,  ob  er  überhaupt  den  Gallen- 
gang passieren  kann,  oder  welche  Beschwerden  sein  Steckenbleiben 
verursachen  wird.  Im  allgemeinen  wird  man  sich  hier  von  jeder 
Geschäftigkeit  zurückhalten.  Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  es 
Mittel  gibt,  um  Gallensteine  in  der  Blase  aufzulösen?  Daß 
dieser  Vorgang  nicht  selten  auch  ohne  unser  Zutun  eintritt,  ist 
zweifellos,  dafür  sprechen  die  oft  an  Steinen  beobachteten  An- 
ätzungen und  Abbröckelungen,  aber  ob  wir  direkt  darauf  ein- 
wirken können,  ist  heute  noch  sehr  zweifelhaft.  Jedenfalls  be- 
ruht auf  dieser  Annahme  der  Weltruf  von  Karlsbad  und  anderen 
Kurorten,  namentlich  Vichy,  Neuenahr  usw.,  als  Heilmittel  für 
Gallensteinkranke.  Wahrscheinlich  wirken  ihre  Brunnen,  vgl.  S.  120, 
aber  nicht  so,  daß  sie  Steine  lösen,  sondern  nur  dadurch,  daß  sie 


Krankheiten  der  Leber 


171 


Katarrhe  und  Schwellungen  in  den  Gallenwegen  bessern  und  durch 
die  reichlichere  und  dünnere  Galle,  eine  Folge  der  vermehrten 
Flüssigkeitaufnahme  und  der  besseren  Darmentleerung,  die  Steine 
leichter  hinausspülen. 

Als  Arzneimittel  gegen  die  Gallensteine  sind  von  altersher 
Terpentinöl  und  Äther , meist  vereinigt  als  DuRANDESches  Mittel, 
in  Gebrauch. 

Aeth.  sulf.  5,0 — 15,0 

01.  Terebinth.  5,0 

M.D.S.  3 mal  tägl.  20  Tropfen. 

Neuerdings  erwartet  man  viel  von  Ölkuren  mit  großen 
Gaben  Olivenöl  oder  Sesamöl.  Nach  manchen  Autoren  scheint 
es,  als  wenn  die  dabei  öfters  im  Kot  auftretenden  Stücke  aus 
fester  seifenartiger  Masse  gelegentlich  für  abgegangene  Steine  ge- 
halten worden  wären.  Die  meisten  Kranken  sind  übrigens  nicht 
zu  bewegen,  die  nötige  Menge  von  etwa  200  g Öl  jeden  Tag  zu 
nehmen.  Will  man  einen  Versuch  damit  machen,  so  wird  man 
sich  hier  ähnlicher  Mittel  bedienen  wie  bei  der  Verabreichung 
von  Rizinusöl,  also  das  Öl  recht  warm  nehmen  lassen,  es  mit 
Malzextrakt  oder  mit  Bier  verrühren  usw.  Leichter  zu  nehmen 
ist  das  ölsaure  Natron,  das  Blum  unter  dem  Namen  Eunatrol 
von  Zimmer  & Co.  hat  hersteilen  lassen.  Man  gibt  es  in  den 
von  der  Fabrik  hergestellten  Pillen  zu  0,25  Eunatrol  ohne  Zu- 
satz, 4 — 8 und  mehr  am  Tage,  und  zwar  nötigenfalls  monate- 
lang. Es  wird  angegeben,  daß  danach  sowohl  die  akuten  Stein- 
beschwerden  wie  die  anhaltenden  Qualen  aufhörten. 

Der  Kolikanfall  erfordert  Bettruhe  nnd  Aussetzen  aller 
Nahrung.  Nur  recht  heiße  Getränke,  Tee  oder  Kamillen-  oder 
Pfefferminztee  sind  oft  wohltuend.  Heiße  Umschläge  auf  die 
Lebergegend,  mit  Thermophor,  elektrischen  Kompressen,  Wärm- 
flaschen, heißen  Tüchern  usw.  sind  ebenfalls  in  jedem  Falle  an- 
zuwenden. Oft  erweisen  sich  heiße  Bäder,  40°  C.  und  mehr,  als 
hilfreich.  In  leichteren  Fällen  kann  man  die  Schmerzen  nicht 
selten  durch  Pyramidon  oder  Kryofin , 0,5,  nach  einer  Viertel- 
stunde einmal  und  nötigenfalls  noch  einmal  wiederholt,  beseitigen, 
auch  Natrium  salicylicum  und  Aspirin , in  derselben  Gabe,  können 
versucht  werden,  in  schwereren  Fällen  muß  man  sich  aber  doch 
zu  einer  Morphiumeinspritzung  entschließen,  wenn  man  den  Kranken 
nicht  allzu  sehr  leiden  lassen  will.  Auch  hier  soll  der  Arzt  seine 
Verantwortung  nicht  leicht  nehmen,  eine  erhebliche  Anzahl  der 
Gallensteinkranken  unterliegt  dem  Morphinismus.  Gaben  von 


172 


Krankheiten  der  Verdanungsorgane 


0,015  oder  0,02  müssen  oft  nach  einiger  Zeit  wiederholt  werden, 
his  der  Anfall  vorüber  ist.  Sehr  zweckmäßig  ist  es,  dem  Morphium 
jedesmal  Atropin  hinzuzufügen,  das  wegen  seiner  krampflösenden 
Eigenschaften  auch  ohnehin  hei  der  Steinkolik  angezeigt  ist. 

Atropini  sulf.  0,02 
Morph,  hydrochl.  0,2 
Aq.  dest.  10,0 
M.D.S.  Zur  Einspritzung. 

Eine  ganze  Spritze  enthält  2 mg  Atropin  und  2 cg  Morphium. 
Über  die  Atropinanwendung  vgl.  S.  133  f. 

Die  Operation  des  Gallensteinleidens  wird  sicher  heute 
noch  in  sehr  vielen  Fällen  zum  Nachteil  der  Kranken  unterlassen 
oder  allzu  lange  hinausgeschoben,  im  Vertrauen  auf  eine  Selbst- 
hilfe des  Körpers  oder  auf  die  Wirkung  von  Karlsbader  Kuren  usw. 
Bei  nachgewiesenen  Gallensteinen  sollte  die  Operation  nur  dann 
unterlassen  werden,  wenn  etwa  der  erste  Anfall  ohne  zu  viel 
Schwierigkeit  einen  oder  mehrere  kleine  Steine  herausgebracht 
hat  und  nachträglich  keine  stärkeren  Beschwerden  vorhanden  sind. 
Dann  kann  man  ab  warten,  ob  weitere  Anfälle  ebenfalls  durch 
freiwilligen  Abgang  von  Steinen  beendigt  werden,  und  kann  ver- 
suchen, durch  Karlsbader  Kuren,  Ölkuren,  Eunatrol  usw.  die 
Neubildung  von  Steinen  zu  verhindern.  Insbesondere  die  Karls- 
bader Kuren  haben  ja  die  vorteilhafte  Wirkung,  die  Gallenspülung 
anzuregen  und  den  Darm  zu  reinigen,  man  kann  ihnen  also 
gerade  für  diese  Fälle  einiges  Vertrauen  schenken.  Beim  ersten 
Anfall  ist  die  Operation  angezeigt,  wenn  entweder  durch  aus- 
gesprochenes Fieber  oder  durch  sehr  heftige  Beschwerden  in  der 
Gegend  der  Gallenblase,  Auftreibung  der  Oberbauchgegend  und 
starkes  Erbrechen  eine  eitrige  Cholecystitis  wahrscheinlich 
gemacht  wird.  Peritonitis,  Sepsis,  Perforation  der  Gallenblase 
sind  die  schlimmsten  Ausgänge,  aber  auch  von  denen,  die  solchen 
schweren  Zufällen  entgehen,  bleibt  ein  großer  Teil  chronisch 
leidend,  und  vor  allem  besteht  dauernd  die  Gefahr,  daß  der  zurück- 
getretene Stein  bei  einem  neuen  Anfalle  aus  der  Gallenblase  und 
dem  Ductus  cysticus,  wo  er  ziemlich  harmlos  war,  in  den  Ductus 
choledochus  hineingelangt  und  nun  schwere  Gefahren  bringt  und 
zugleich  so  viel  schwerer  zu  entfernen  ist!  Wenn  der  erste  An- 
fall nicht  den  Stein  oder  mehrere  Steine  durchgetrieben  hat,  so 
wird  es  auch  den  späteren  nicht  gelingen,  und  wir  müssen  ent- 
schieden den  Kranken  vor  der  Gefahr  bewahren,  die  ihm  ohne 


Krankheiten  der  Leber 


173 


die  Operation  droht.  Der  Arzt  muß  den  Kranken  und  seine  An- 
gehörigen natürlich  darauf  aufmerksam  machen,  daß  eine  Mög- 
lichkeit vorliegt,  daß  der  Stein  auch  ohne  Operation  zur  Ruhe 
komme  oder  wider  Erwarten  abgehe,  er  muß  sich  damit  den 
Rücken  decken  gegen  Vorwürfe,  die  ihm  erwachsen  könnten,  aber 
er  muß  mit  allem  Ernst  seine  Überzeugung  vertreten,  daß  die 
Operation  als  das  sicherste  auch  das  beste  für  den  Kranken  sei, 
und  er  muß  nicht  mit  den  Gefahren  zurückhalten,  die  sonst 
drohen.  Eine  der  großen  Gefahren  liegt  auch  noch  in  der  Mög- 
lichkeit der  Entwicklung  eines  Gallenblasenkrebses,  der  sich 
oft  an  Gallenblasensteine  anschließt. 

2.  Ikterus. 

Der  Ikterus  erfordert  gegenüber  den  sonstigen  Lebererkran- 
kungen eine  besondere  Diät,  sofern  es  sich  dabei  um  den  Ab- 
schluß der  Gallenwege  gegen  den  Darm  handelt.  Sobald  beim 
Ikterus,  einerlei  wodurch  er  bedingt  werde,  die  tonartigen,  acho- 
lischen Stühle  auftreten,  muß  das  Fett  aus  der  Nahrung  fast 
ganz  verbannt  werden.  In  der  ersten  Zeit,  wo  gewöhnlich  auch 
schwerere  Störungen  des  Allgemeinbefindens  oder  doch  katarrha- 
lische Erkrankungen  des  Magendarmkanals  vorhanden  sind,  setzt 
man  die  Kranken  am  besten  auf  Milchdiät.  Man  hat  dazu  sogar 
abgerahmte  Milch  oder  Buttermilch  vorgeschlagen,  indessen  scheint 
diese  Ängstlichkeit  doch  etwas  übertrieben.  Man  kann  jedenfalls 
abwarten,  ob  wirklich  die  Ausnutzung  des  Milchfettes  im  Darm 
völlig  aufgehoben  ist  und  überschüssiges  Fett  in  den  Ausleerungen 
erscheint.  Im  ganzen  wird  gerade  das  Milchfett  im  Darm  recht 
gut  ausgenutzt.  Wo  Abneigung  gegen  Milch  besteht,  ist  sie  be- 
kanntlich fast  immer  nur  gegen  gekochte  Milch  oder  gegen  un- 
vermischte  Milch  gerichtet.  Hier  steht  jedenfalls  nichts  im  Wege, 
sie  mit  Kaffee  oder  Tee  vermischt  oder  mit  Mehl  oder  Kinder- 
mehl oder  mit  dem  vortrefflichen  Theinhardt  sehen  Hygiama 
abgekocht  zu  geben.  Wenn  alle  Versuche  fehlschlagen  sollten, 
könnte  man  noch  zu  Buttermilch  und  zu  Kefir  greifen.  Den 
Rest  des  Nahrungsbedarfes  deckt  man  durch  Milchzucker,  wo- 
von man  wegen  seiner  geringeren  Süßkraft  der  Milch  und  ihren 
Zubereitungen  ziemlich  viel  zusetzen  kann,  ferner  durch  Weiß- 
brot, Zwieback,  Kakes,  durch  Makkaroni,  Nudeln,  Reis  und  leichte 
Mehlspeisen.  Auch  Kartoffeln  werden  als  Püree  schon  in  den 
ersten  Tagen  gut  vertragen.  Ferner  kann  man  die  Eiweiß - 
menge  schon  sehr  bald  durch  leichtverdauliches,  fettfreies  Fleisch 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


174 

und  duich  Zugaben  von  Roborat,  Plasmon  usw.,  vgl.  S.  114,  in 
die  Höhe  bringen.  Über  die  Verdaulichkeit  der  Speisen  gelten 
hier  natürlich  dieselben  Gesetze  wie  bei  der  Magen-  und  Darm- 
verdauung,  vgl.  S.  77  ff. 

Auch  beim  Ikterus  erhebt  sicht  wieder  die  Frage  nach  den 
gallentreibenden  Mitteln.  Insofern  es  sich  um  Mittel  handelt, 
die  tatsächlich  die  Gallenmenge  vergrößerten,  wären  sie  für  einen 
großen  Teil  der  Fälle  von  Ikterus  geradezu  schädlich,  nämlich 
überall  da,  wo  der  Abfluß  durch  Steine  im  Choledochus,  durch 
festhaftenden  Schleimpfropf  usw.  verlegt  ist.  Hier  würde  die 
vermehrte  Galle  notgedrungen  ins  Blut  übertreten  müssen  und 
damit  eine  Cholämie  künstlich  herbeigeführt  werden,  die  doch 
an  sich  schon  etwas  sehr  Unerwünschtes  ist.  In  allen  solchen 
Fällen  und  bei  schon  vorhandener  Cholämie  muß  es  vielmehr  die 
Aufgabe  des  Arztes  sein,  die  gefährlichen  Gallenbestandteile  aus 
dem  Blut  durch  Anregung  der  Diurese  baldigst  hinauszuschaffen. 
Heiße  Bäder,  40°  C.  und  noch  einige  Grad  mehr,  reichliche 
Flüssigkeitzufuhr  in  Gestalt  heißer  Getränke  und  warm  ge- 
trunkener Brunnen,  nötigenfalls  Koffein,  vgl.  S.  8,  und  ähnliche 
Mittel  wären  angezeigt.  Die  Versuche,  den  im  Choledochus 
sitzenden  Stein  durch  Kompression  der  Gallenblase  hinauszu drücken, 
dürften  trotz  der  Empfehlung  von  Gerhardt  nicht  viel  Anhänger 
finden,  das  Verfahren  ist  von  sehr  zweifelhafter  Wirkung  und 
dabei  nicht  ungefährlich.  Ebensowenig  kann  man  sich  auf  die 
Faradisation  der  Gallenblase  verlassen.  Zweckmäßiger  sind  jeden- 
falls die  Versuche,  vom  Darm  her  den  Abfluß  der  Galle  zu  er- 
leichtern, und  das  geschieht  am  besten  durch  die  schon  be- 
sprochenen Kuren  mit  Lösungen  von  Karlsbader  Salz,  vgl.  S.  120  f., 
und  durch  die  Wassereinläufe  in  den  Darm,  die  Mosler  als  laue 
Halbliterklistiere,  drei  und  mehrmals  täglich,  und  Krull  als  ein- 
malige Einläufe  von  1 — 2 1 Wasser  von  15 — 22°  C.  empfohlen 
haben.  — Als  eigentliche  Cholagoga  werden  betrachtet:  Natrium 
salicylicum,  0,5  mehrmals  täglich,  Podophyllinum , 0,003  mehr- 
mals täglich  in  Pillen,  Oleum  Terebinthinae  und  statt  dessen 
neuerdings  Terpinhydrat  und  Terpinol. 


Ijfc  Terpini  hydrati  5,0 
Gi.  arab.  pulv. 

Succi  Liq.  dep.  ana  1,5 
F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  täglich 
2 Pillen. 


;Ejfc  1 Glas  mit  60  Dragees  Terpinol 
und  Terpinhydrat  ana  0,1 
D.S.  Mehrmals  täglich  2 Stück 
und  mehr. 


Krankheiten  der  Leber 


175 


Das  Hautjucken  der  Ikterisclien  wird  nach  den  Regeln 
behandelt,  die  dafür  bei  der  Behandlung  der  Hautkrankheiten 
gegeben  sind. 

3.  Leberzirrhose.  Aszites. 

Die  Zirrhose  bedarf  hei  der  Behandlung  einer  besonders  vor- 
sichtigen Diät,  weil  sich  sehr  leicht  Magendarmstörungen  infolge 
der  Stauung  im  Pfortaderkreislanf  einstellen.  Vielleicht  kann 
man  auch  durch  eine  Schonungsdiät  in  dem  vorhin,  S.  168,  an- 
gegebenen Sinne  das  Fortschreiten  der  Krankheit  hinausschieben. 
Ganz  besonders  wichtig  ist  die  völlige  Enthaltung  von  Alkohol, 
nicht  nur  in  den  Fällen,  wo  er  als  Ursache  gewirkt  hat.  Auch 
in  bezug  auf  Gewürze  läßt  man  strengste  Vorsicht  walten;  vor- 
wiegender Milchgenuß  ist  für  die  Dauer  zweckmäßig,  jedenfalls 
sollte  man  von  Zeit  zu  Zeit  eine  Art  von  Milchdiät  durch- 
führen lassen. 

Die  ausgesprocheneren  Stauungen  im  Pfortadergebiet  werden 
am  besten  zunächst  durch  Karlsbader  Kuren  bekämpft;  wo  sie 
nicht  gut  wirken  oder  nicht  recht  vertragen  werden,  greift  man 
gern  zu  Podophyllin,  vgl.  S.  132,  oder  man  gibt  zeitweise  Kalomel, 
0,2  dreimal  täglich,  2 — 3 Tage  hintereinander,  dann  eine  Woche 
aussetzen.  Die  drastische  und  diuretische  Wirkung  des  Kalomels 
macht  sich  oft  auch  bei  deutlichem  Aszites  sehr  schätzbar. 
Von  manchen  werden  die  Bohnenhülsen,  Pliaseoli  fruclus  sine 
seminibus , als  Tee,  200 — 250,0  3 — 4 Stunden  mit  Wasser  zur 
Kolatur  500,0  — 700,0  gekocht,  tagsüber  warm  oder  kalt  genossen, 
oder  das  daraus  bereitete  Extractum  Phaseoli  (Stephan,  Dresden), 
täglich  75 — 100,0  in  750—1000  Wasser  aufgekocht  zu  trinken, 
als  gutes  Diureticum  gerühmt,  andere  bevorzugen  das  Baisamum 
Copaivae,  in  Gelatinekapseln  zu  0,5,  2 — 6 Stück  täglich,  oder 
das  Terpinhydrat  und  Terpinol,  vgl.  S.  174,  oder  den  Harnstoff \ 
Urea  pura , 10,0 — 15,0 — 20,0  täglich,  von  den  kleineren  zu  den 
größeren  Gaben  steigend,  in  wäßriger  Lösung  oder  als  Pulver, 
mit  Nachtrinken  von  Milch,  um  den  Geschmack  zu  beseitigen. 
Wenn  sich  Herznachlaß  einstellt,  hilft  man  am  besten  mit  Digi- 
talis nach,  wie  S.  5 ff.  ausgeführt  ist,  und  zwar  empfiehlt  sich  hier 
oft  besonders  die  Verbindung  von  Digitalis  mit  Kalomel,  S.  10. 

Wo  eine  syphilitische  Grundlage  der  Zirrhose  möglich  ist, 
vielleicht  auch  in  anderen  Fällen,  sollte  ein  Versuch  mit  Jod- 
behandlung gemacht  werden.  Am  meisten  empfehle  ich  dazu  das 
Jodipin,  vgl.  S.  28. 


176 


Krankheiten  der  Yerdauungsorgane 


Die  Punktion  des  Aszites  ist  wiederholt  für  frühe  Stadien 
empfohlen,  doch  scheint  sie  nicht,  wie  angenommen  wurde,  einen 
dauernderen  Erfolg  einzuleiten.  Die  meisten  beschränken  daher 
ihre  Anwendung  auf  die  Zeiten  der  Not.  Man  läßt  den  Kranken 
dazu  im  Bett  sitzen  und  punktiert  nach  Entleerung  der  Blase  in 
der  Linea  alba  etwa  in  der  Mitte  zwischen  Nabel  und  Symphyse 
und  läßt  langsam  5 — 101  ausfließen;  die  Wunde  wird  mit  Leuko- 
plast verschlossen.  Zweckmäßig  ist  es,  gleich  nachher  den  Leib 
durch  eine  Binde  zusammenzuziehen.  Ob  für  verzweifelte  Fälle 
die  Talma  sehe  Operation,  die  das  große  Netz  und  die  Milz 
an  die  Bauchwand  anheftet  und  dadurch  neue  Seitenbahnen  für 
das  Pfortaderblut  schaffen  will,  einen  gewissen  Nutzen  verspricht, 
ist  noch  streitig. 

6.  Krankheiten  des  Bauchfells. 

1.  Perityphlitis. 

Es  besteht  kein  richtiger  Grund  mehr,  die  Perityphlitis 
unter  den  Darmkrankheiten,  als  Blinddarmentzündung,  zu  behan- 
deln, denn  alle  Autoren  sind  sich  darüber  einig,  daß  die  ungeheure 
Mehrzahl  der  Fälle  von  Perityphlitis  eine  Erkrankung  des  Bauch- 
fells infolge  von  Entzündung  des  Wurmfortsatzes  darstellt. 

Es  ist  nicht  sicher,  ob  die  Zahl  der  Perityphlitiden  zuge- 
nommen hat,  oder  ob  es  sich  nur  um  ein  scheinbares  Wachsen 
der  Zahl  handelt,  durch  Zunahme  der  richtigen  Diagnosen  und 
der  Operationen,  die  mehr  von  sich  reden  machen  als  die  innere 
Behandlung.  Jedenfalls  ist  das  Leiden  so  häufig  und  so  gefährlich, 
daß  seine  Verhütung  ernstlicher  Erwägung  bedarf. 

Soweit  primäre  Entzündungen  der  Wurmfortsatzschleimhaut 
die  Ursache  bilden,  kennen  wir  keinen  Schutz.  Eine  große  Reihe 
der  Erkrankungen  beruht  jedenfalls  auf  der  Bildung  von  Kot- 
steinen, teils  nur  aus  Kot  bestehend,  teils  aus  kleinen  Fremd- 
körpern, Obstkernen  usw.,  entstanden.  Es  ist  wohl  möglich,  daß 
die  heute  so  sehr  verbreitete  Gewohnheit,  Kinder  und  Er- 
wachsene mit  Unmengen  von  Kompott  zu  füttern,  weil 
die  Naturheilkunde  das  Obst  ganz  einseitig  überschätzt,  wesent- 
lich zu  dieser  Gefahr  beiträgt.  Darüber  wird  noch  allgemein 
übersehen,  daß  wir  in  unserer  Kost  ein  viel  besseres,  völlig 
reizloses  und  ungefährliches  Mittel  haben,  die  Darmtätigkeit  regel- 
mäßiger zu  machen:  die  Kartoffeln.  Wer  einmal  die  Wir- 


Krankheiten  des  Bauchfells 


177 


kungen  einer  sogenannten  Kartoffelkur  nach  Verschlucken  gefähr- 
licher Fremdkörper  beobachtet  und  gesehen  hat,  wie  die  aller- 
spitzigsten  Dinge,  z.  B.  in  einem  meiner  Fälle  ein  zerbissenes  und 
verschlucktes  Fieberthermometer,  in  einer  dicken  Kotwurst  un- 
schädlich verpackt  wieder  zum  Vorschein  kommen  können,  wird 
geneigt  sein,  daraus  auch  für  die  Verhütung  der  Wurmfortsatz- 
erkrankungen allerlei  zu  folgern.  Es  ist  unvermeidlich,  daß  beim 
Essen  allerlei  für  den  Wurmfortsatz  bedenkliche  Teilchen  mit 
verschluckt  werden,  also  sorgen  wir  dafür,  daß  immer  ein  hin- 
reichend massiger  Darminhalt  vorhanden  ist',  um  die  ge- 
fährlichen Bestandteile  einzuhüllen.  Neben  den  Kartoffeln  tragen 
auch  andere  Gemüse  zu  dieser  Wirkung  bei;  die  einseitige  Fleisch- 
kost mit  ihrem  spärlichen  und  trocknen  Kot  erweckt  am  meisten 
Bedenken. 

Ist  eine  Perityphlitis  nachweisbar,  so  ist  strengste  Bett- 
ruhe unbedingt  nötig.  Bei  ungünstig  verlaufenden  Fällen  hört 
man  immer  wieder,  daß  der  Kranke  in  den  ersten  Tagen,  wo 
die  Erscheinungen  noch  nicht  so  ausgesprochen  waren,  trotz  ge- 
stellter Diagnose  noch  Treppen  gestiegen,  auf  das  Klosett  gegangen, 
zum  Urinlassen  anfgestanden  ist  usw.  Mit  dem  Augenblick,  wo 
eine  Perityphlitis  erkannt  ist,  muß  jede  Bewegung  des  Körpers 
aufhören.  Der  Kranke  muß  völlig  regungslos  im  Bett  liegen, 
mit  etwas  erhöhtem  Oberkörper,  mit  leicht  gebeugten  Beinen, 
die  durch  eine  Rolle  unter  den  Knien  gestützt  werden;  er  darf 
nicht  den  Kopf  heben  und  sich  nicht  im  geringsten  drehen,  weder 
bei  der  Nahrungsaufnahme  noch  um  die  Urinflasche  oder  den 
Unterschieber  heranzuziehen,  alles  muß  ihm  bei  völliger  Passivität 
gereicht  werden.  Um  Bewegungen  zu  ersparen,  ist  auch  die  ver- 
stopfende Wirkung  der  Opiumbehandlung  wichtig. 

In  den  ersten  Tagen  ist  die  Nahrungsaufnahme  völlig 
einzustellen.  Wo  es  sich  um  das  Leben  des  Kranken  handelt, 
kann  es  nicht  darauf  ankommen,  ob  er  einige  Durstqualen  durch- 
zumachen hat.  Der  Erfolg  lohnt  es  ihm  jedenfalls.  Auch  die 
üblichen  Eispillen  raten  wir  wegzulassen,  der  Erfolg  ist  doch  ein 
sehr  unbedeutender,  das  Befeuchten  der  Lippen  mit  kaltem  Tee 
und  dergl.  tut  wohl  sicher  dieselben  Dienste.  Wird  er  durch 
die  Krankheit  so  angegriffen,  daß  die  Nahrung  unentbehrlich 
scheint,  so  ist  der  Fall  sicher  zur  Operation  reif,  die  Schwäche 
wird  nicht  durch  die  Nahrungsenthaltung,  sondern  durch  die 
schwere  Infektion  bedingt,  und  dagegen  kann  ihm  die  Nahrung 
doch  nicht  helfen,  sondern  höchstens  die  Operation.  Erst  wenn 
Doknblüth  , Therapie.  1 2 


178 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


am  dritten  oder  vierten  Tage  eine  deutliche  Besserung  eintritt, 
gibt  man  kleine  Schlucke  eiskalter  Milch,  kalten  Tees,  bald  auch 
Kindermehlsuppen  und  dergl.,  immer  aus  einer  Schnabeltasse,  die 
jede  Bewegung  des  Kranken  erspart. 

Als  Arznei,  die  dem  Heilzweck  dient,  ist  das  Opium  zu 
betrachten.  Ich  halte  es  für  zweifellos,  daß  noch  viele  weitere 
Fälle  ohne  Operation  geheilt  werden  würden,  wenn  nicht  die 
Opiumbehandlung  sehr  oft  in  ganz  ungenügender  Weise  vor- 
genommen würde.  Dem  Kranken  ein  paarmal  5 oder  10  Tropfen 
Opiumtinktur  geben,  das  ist  keine  Opiumbehandlung.  Es  ist  un- 
bedingt nötig,  dabei  folgerichtig  zu  verfahren.  Es  soll  zunächst 
eine  Dosis  gegeben  werden,  die  Ruhe  in  den  Därmen  schafft  und 
die  Schmerzen  aufhebt:  dazu  reicht  man  bei  Erwachsenen  30  oder 
besser  40  Tropfen  Tinctura  Opii  simplex  oder  0,15 — 0,2  Opium 
purum  in  Pulver  oder  in  weichen,  frisch  bereiteten  Pillen,  um 
dem  Kranken  den  unangenehmen  Geschmack  zu  ersparen,  und 
weiterhin  gibt  man,  so  oft  Schmerzen,  Übelkeit  und  andere  Be- 
schwerden sich  wieder  geltend  machen,  alsbald  5 Tropfen  und 
mehr,  oder  0,03  Opium  purum  in  Pulver  oder  Pillen,  nötigen- 
falls alle  halbe  Stunde.  Fast  immer  kommt  man  für  den  ersten 
Tag  mit  60  Tropfen  aus,  es  hat  aber  kein  Bedenken,  auf  80  oder 
100  Tropfen  zu  gehen.  Die  Kranken  vertragen  es  sehr  gut,  und 
wie  oft  hört  man  sonst,  daß  Gesunde  gegen  Durchfall  mehrmals 
hintereinander  je  20  Tropfen  Opium tinktur  genommen  haben!  Das 
Bedenken,  daß  die  Opiumnarkose  den  Zustand  der  Kranken  ver- 
decken könne,  hört  man  bezeichnenderweise  immer  von  den  Gegnern 
der  Opiumbehandlung  äußern,  die  sie  nie  ordentlich  versucht 
haben.  Ich  stütze  mich  hier  auch  auf  die  sehr  ausgedehnten  Er- 
fahrungen meines  Vaters,  Friedeich  Dornblüth,  in  seiner  mehr 
als  50jährigen  ärztlichen  Praxis  in  Rostock.  Die  Opiumbehand- 
lung gibt  durchaus  klare  Wirkungen,  sie  verdeckt  das  Fortschreiten 
der  Entzündung,  das  Fieber,  den  Kollaps  in  keiner  Weise,  sie  be- 
seitigt von  allen  Symptomen  nur  den  Schmerz,  der  doch  keine 
ernste  diagnostische  Verwertung  findet,  dagegen  vermindert  sie 
die  Darmbewegungen  und  trägt  dadurch  dazu  bei,  die  Entzündung 
zu  lokalisieren  und  die  Abgrenzung  zu  fördern.  Ob  Opium  über- 
haupt eine  Darmlähmung  her  vorrufen  kann,  auch  bei  über- 
mäßigen Dosen,  ist  mehr  als  zweifelhaft. 

In  vereinzelten  Fällen  wird  das  Opium  ausgebrochen.  Wenn 
man  dann  nicht  durch  eine  andere  Form  der  Darreichung  weiter 
kommt,  muß  man  die  erste  Opiumgabe  durch  eine  Morphium - 


Krankheiten  des  Bauchfells 


179 


einspritzung,  von  0,01 — 0,015,  ersetzen.  Meistens  kann  man  nach- 
her gleich  mit  Opium  fortfahren.  An  den  folgenden  Tagen  wird 
die  Opiumgabe  allmählich  vermindert,  aber  immer  noch  so  viel 
gegeben,  daß  der  Kranke  ziemlich  frei  von  Beschwerden  bleibt. 
Eine  ausgesprochene  Narkose  ist  dazu  niemals  erforderlich,  sie 
zeigt  schon  immer  die  Grenze  der  Dosis  an.  Natürlich  darf  man 
nicht  eine  Opiumnarkose  annehmen,  wenn  die  Kranken  in  dem 
bekannten  fieberhaften  Halbschlaf  liegen,  der  bei  vielen  Menschen 
so  leicht  eintritt. 

Für  die  erste  Zeit  der  Perityphlitis  ist  fast  ausnahmslos 
das  Auflegen  eines  Eisbeutels  auf  den  Leib  dem  Kranken  an- 
genehm und  auch  sachlich  das  Beste,  vorausgesetzt,  daß  ein  nicht 
zu  schwerer  Beutel  genommen  und  daß  er  ununterbrochen  auf- 
gelegt wird.  Weiterhin  kommt  gewöhnlich  eine  Zeit,  wo  den 
Kranken  die  Kälte  nicht  mehr  angenehm  ist,  wo  heiße  Umschläge 
oder  Peiessnitz  sehe  Umschläge,  die  sich  beim  Liegen  erwärmen, 
wohltuender  sind.  Man  richtet  sich  dabei  nach  der  Empfindung 
des  Kranken.  Wenn  die  Entzündungserscheinungen  vorüber  sind, 
ist  der  Peiessnitz  sehe  Umschlag,  rings  um  den  Leib  gelegt, 
vgl.  S.  144,  am  besten  jeden  Tag  und  jede  Nacht  anzulegen, 
morgens  und  abends  erneuert.  Man  kann  ihn  auch  mit  Salz- 
wasser tränken,  eine  Handvoll  auf  ein  Waschbecken. 

Ausnahmsweise  bestehen  Erbrechen  und  Singultus  trotz  des 
Opiums  fort,  man  kann  dann  noch  Menthol , vgl.  S.  106,  geben  und 
Eispillen  schlucken  lassen.  Der  Meteorismus  macht  auch  zu- 
weilen Sorgen,  er  ist  schon  deshalb  unheimlich,  weil  er  das  Krank- 
heitsgebiet zu  sehr  einhüllt.  Die  Versuche,  durch  Einführung 
eines  langen  Darmrohres  Gase  herauszuziehen,  sind  meistens  er- 
folglos und  vielleicht  auch  sonst  nicht  einwandfrei,  ich  würde  in 
solchen  Fällen  lieber  zu  subkutanen  Einspritzungen  von  Atropin , 
vgl.  S.  134,  schreiten,  wogegen  keine  Bedenken  zu  erheben  sein 
dürften.  Vielfach  wird  man  sich  dabei  noch  besonders  der  brech- 
stillenden Wirkung  des  Mittels  erfreuen  können. 

Im  Kindesalter  ist  natürlich  die  Opiumgabe  viel  kleiner 
zu  wählen.  Im  ersten  Lebensjahr  sieht  man  von  - Opium- 
gebrauch überhaupt  ab,  weil  die  Folgen  nicht  sicher  genug  zu 
übersehen  sind.  In  den  weiteren  Lebensjahren  gibt  man  höchstens 
soviel  Tropfen  am  Tage,  als  das  Kind  Jahre  alt  ist;  vom  voll- 
endeten fünften  Jahre  ab  gibt  man,  entsprechend  der  Verab- 
reichung bei  Erwachsenen,  eine  erste  Dosis  von  2 — 3 — 4 — 5 
Tropfen  und  läßt  nachher  nach  Bedarf  Einzelgaben  von  1 — 2 Tropfen 

12* 


180 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


folgen.  Wo  keine  zuverlässige  Pflege  ist,  muß  man  auf  das  Mittel 
verzichten,  hat  aber  alles  daranzusetzen,  daß  das  Kind  möglichst 
bald  einem  Krankenhause  übergeben  werde. 

Der  Stuhlgang  bleibt  bei  der  Opiumbehandlung  und  oft 
auch  schon  ohne  diese  meistens  fünf  Tage  und  länger  aus.  Das 
hat  keinerlei  Bedenken,  um  so  weniger,  da  die  Nahrungsaufnahme 
eingestellt  ist  und  auch  nach  Wiederaufnahme  der  Ernährung 
nur  Speisen  gegeben  werden,  die  kaum  Rückstände  hinterlassen. 
Es  treten  zwar  immer  wieder  Verfechter  einer  darmentleeren- 
den Behandlung  bei  der  Perityphlitis  auf,  von  der  Annahme  aus- 
gehend, daß  eine  Kotanhäufung  im  Blinddarm  die  Ursache  der 
Krankheit  abgebe.  Es  ist  schwer  zu  verstehen,  wie  man  daran 
nach  allem,  was  die  zahllosen  Operationen  über  die  Erkrankungen 
des  Wurmfortsatzes  gelehrt  haben,  noch  festhalten  kann.  Der 
günstige  Ausgang  vieler  mit  Rizinusöl  und  anderen  Abführ- 
mitteln behandelten  Fälle  zeigt  meines  Erachtens  nur,  daß  der 
Kranke  in  manchen  Fällen  mehr  aushält,  als  man  zu  erwarten 
berechtigt  ist.  Erst  wenn  die  Schmerzhaftigkeit  in  der  Blinddarm- 
gegend völlig  aufgehört  hat,  darf  man  dem  etwa  noch  zögernden 
Stuhl  nachhelfen,  am  besten  mit  Glyzerinzäpfchen  oder  mit  vor- 
sichtig gegebenen  Einläufen  mit  lauem  Seifenwasser. 

Die  Operation  ist  angezeigt,  wenn  das  Fieber  über  den 
vierten  Tag  hinaus  gleichmäßig  anhält  oder  ansteigt,  oder  wenn 
dem  gewöhnlichen  Fiebernachlaß  des  dritten  oder  vierten  Tages 
ein  neuer  Anstieg  folgt,  ferner,  wenn  der  Puls  am  vierten  Tag 
an  120  und  mehr  beträgt,  wenn  die  Spannung  des  Pulses  nach- 
läßt, sowohl  bei  hoher  als  bei  absinkender  Temperatur,  die  dann 
als  Kollapstemperatur  aufzufassen  ist,  ferner,  wenn  die  örtlichen 
Erscheinungen  an  Stärke  oder  an  Ausdehnung  zunehmen,  wenn 
Schüttelfröste  auftreten  oder  das  Gesicht  verfallen  auszusehen  an- 
fängt. Alle  diese  Zeichen  einer  sich  ausbreitenden  Entzündung  oder 
einer  schwereren  Infektion  und  Intoxikation  bedürfen  der  ernstesten 
Beachtung,  und  es  kann  nicht  genug  empfohlen  werden,  bei  ge- 
ringerer Erfahrung  einen  Chirurgen  oder  überhaupt  einen  Kol- 
legen zur  Beratung  hinzuzuziehen.  Das  ist  doppelt  nötig,  wenn 
für  eine  nötig  werdende  Operation  der  Transport  in  ein  Kranken- 
haus erforderlich  wäre.  Man  kann  zwar  auch  schwerkranke 
Perityphlitiker  auf  Tragbahren  tragen  lassen,  aber  man  wird  sich 
und  den  Angehörigen  die  schwere  Sorge  eines  solchen  Transportes 
zwischen  Leben  und  Tod  womöglich  ersparen.  Ob  die  von 
Cukschmann  angegebene  Zählung  der  weißen  Blutkörperchen,  die 


Krankheiten  des  Bauchfells 


181 


bei  Perityphlitis  mit  dem  Einsetzen  der  Krankheit  meist  alsbald 
von  8 — 10  000  im  ccm  auf  20000  und  bei  ausgesprochener 
Eiterung  auf  30 — 45  000  im  ccm  steigen,  einen  sicheren  Anhalt 
gibt,  ist  noch  nicht  festgestellt,  jedenfalls  ist  die  Zunahme  immer 
sehr  verdächtig. 

Ist  die  Krankheit  ohne  Operation  glücklich  vorübergegangen, 
so  ist  zu  erwägen,  ob  nachträglich,  in  der  Friedenszeit,  der 
Wurmfortsatz  entfernt  werden  soll.  Im  allgemeinen  ist  die 
nachträgliche  Operation  angezeigt,  wenn  noch  vier  Wochen  nach 
dem  Anfalle  eine  deutliche  Schmerzhaftigkeit  oder  Resistenz  in 
der  Krankheitsgegend  besteht,  ferner  wenn  etwa  schon  mehrere 
Anfälle  von  gleicher  oder  zunehmender  Schwere  eingetreten  waren. 
Ist  dagegen  mehrere  Wochen  nach  der  Erkrankung  an  Ort  und 
Stelle  nichts  mehr  nachweisbar  oder  höchstens  eine  unbedeutende 
Resistenz  oder  Empfindlichkeit,  so  sucht  man  durch  PniESSNiTzsche 
Umschläge,  die  jede  Nacht  umgelegt  werden,  durch  Solbäder, 
Moorumschläge  und  dergl.  die  etwaigen  Reste  zu  beseitigen  und 
verordnet  vor  allem  eine  Kost,  die  reich  an  Gemüsen  und  be- 
sonders an  Kartoffeln  ist,  um  den  Darm  in  der  eingangs  an- 
gedeuteten Weise  mit  einer  leicht  vorrückenden,  füllenden  Masse 
zu  versehen.  In  der  ersten  Woche  der  festeren  Kost  gibt  man 
Kartoffeln,  Gemüse,  Kompotte  usw.  nur  in  Püreeform,  allmählich 
kann  man  die  zarteren  Gemüse,  Blumenkohl  usw.,  wieder  in  der 
gewöhnlichen  Zubereitung  geben.  Die  Erfahrung  lehrt,  daß  die 
oft  sehr  ängstlichen  Kranken  sich  erst  wieder  wohl  und  frei 
fühlen,  wenn  durch  diese  Kost  ihr  Stuhlgang  wieder  normal  ge- 
worden ist.  Eine  große  Anzahl  von  Kranken,  deren  Perityphlitis 
völlig  ausgeheilt  ist,  geht  mit  ausgesprochener  Hypochondrie  und 
in  beständiger  Furcht  vor  einem  Rückfall  umher,  während  bei 
richtiger  Kost  ihre  Darmtätigkeit  völlig  normal  sein  würde. 
Eine  größere  Vorsicht  ist  dagegen  hinsichtlich  der  Bewegungen 
noch  längere  Zeit  anzuraten;  plötzliche  und  heftige  Bewegungen 
können  wohl  einen  abgekapselten  Herd  wieder  aufrühren. 

2.  Bauchfellentzündung. 

Die  umschriebenen  wie  die  allgemeinen  Bauchfellentzündungen 
gehen  viel  seltener  aus  einer  Allgemeininfektion  mit  den  Erregern 
des  Gelenkrheumatismus  hervor  — in  diesem  Falle  wird  die  Be- 
handlung des  allgemeinen  Gelenkrheumatismus  eingeleitet,  mit 
Aspirin  oder  Natrium  salicylicum  — , als  aus  einer  Infektion 
von  den  Bauchorganen  aus:  Geschwüre  des  Magens,  des  Darms, 


182 


Krankheiten  der  Verdauungsorgane 


puerperale,  menstruale,  operative  und  gonorrhoische  Entzündungen 
der  inneren  Geschlechtsteile  bei  den  Frauen,  Eiterungen  der  Gallen- 
blase, der  Prostata,  der  Pleura  usw.  Die  Aufspürung  der  Ur- 
sache bildet  daher  einen  wichtigen  Teil  der  Behandlung  der 
Bauchfellentzündungen.  Bacterium  coli  oder  Streptokokken  pflegen 
die  Erreger  zu  sein. 

Die  Behandlung  ist  im  übrigen  ganz  die  der  Perityphlitis. 
Vielleicht  hat  man  öfter  als  dort  dem  Kräfteverfall,  dem  Kollaps, 
zu  begegnen.  Die  früher  herrschende  Meinung,  daß  man  mit 
großen  Alkoholdosen  septische  Entzündungen  und  Fieber  besiegen 
könne,  ist  als  widerlegt  zu  betrachten,  viel  Besseres  ist  mit  einer 
wohlüberlegten  Wasserbehandlung  zu  erreichen.  Solange  der 
Kranke  wegen  der  örtlichen  Vorgänge  nicht  bewegt  werden  darf, 
beschränkt  man  sich  auf  häufig  gewechselte  kalte  Umschläge, 
wenn  es  aber  der  Zustand  erlaubt,  bringt  man  ihn  täglich  mehr- 
mals ins  Bad,  in  derselben  Weise,  wie  es  bei  der  Behandlung 
des  Typhus  geschildert  ist. 

Die  Beste  der  Bauchfellentzündung  sucht  man  durch  Ver- 
fahren zu  beseitigen,  die  die  Resorption  anregen.  Im  Hause 
des  Kranken  kann  man  Einreibungen  mit  Schmierseife,  jeden  Tag 
ein  walnusgroßes  Stück  in  die  Bauchhaut  gerieben,  oder  Sol- 
bäder oder  kohlensaure  Solbäder  verordnen,  in  geeigneten 
Fällen  schickt  man  die  Kranken  in  ein  Solbad,  vgl.  den  Ab- 
schnitt Frauenkrankheiten,  oder  in  eines  der  bekannten  Moor- 
bäder, Elster,  Schwalbach,  Franzensbad  usw. 

3.  Aszites. 

Über  die  Behandlung  des  Aszites  s.  Leberzirrhose,  S.  175. 


IV 


Krankheiten  der  Harnorgane. 

1.  Nierenentzündungen. 

Die  Nierenentzündungen  sind  Krankheiten,  wobei  die  Ge- 
nesung der  Kranken  oder  doch  ihr  Weiterleben  ganz  wesentlich 
von  ihrem  mehr  oder  weniger  vorsichtigen  und  richtigen  Verhalten 
bedingt  wird.  Auch  unheilbare  Nierenentzündungen  sind  mit  jahre- 
oder  jahrzehntelangem  Fortbestehen  des  Lehens  vereinbar,  wenn 
die  bisher  bekannten  Regeln  der  Schonung  des  kranken  Organs  be- 
folgt werden. 

Die  eine  der  Nierenfunktionen,  die  Transsudation  des 
Wassers,  steht  in  direkter  Wechselbeziehung  zu  der  Wasser- 
verdunstung der  Haut.  Alles,  was  die  Wasserabgabe  der 
Haut  herabsetzt,  belastet  die  Nieren.  Daher  gehören  zur  Für- 
sorge für  die  Niere  bei  akuten  Erkrankungen  vor  allem  die  Bett- 
ruhe, die  allein  eine  gleichmäßige  Einwirkung  der  äußeren 
Wärme  auf  die  Haut  gewährt,  und  bei  chronischen  Erkrankungen 
die  Vermeidung  von  Wind-  und  Wetterstrapazen,  plötzlichen  Ab- 
kühlungen usw.  und  die  Gewöhnung  an  eine  schützende  Kleidung, 
insbesondere  an  wollenes  Unterzeug,  außerdem  eine  sorgfältige 
Hautpflege  mit  milden  Wasseranwendungen.  Es  ergibt  sich 
ohne  weiteres,  daß  für  chronisch  Nierenkranke  ein  Winteraufent- 
halt in  mildem  Klima  von  entscheidender  Bedeutung  sein  kann. 

Über  die  zweite  Verrichtung  der  Niere,  die  Ausscheidung 
harn  fähiger  Stoffe,  und  ihre  Beeinflussung,  sind  wir  noch  nicht 
genügend  unterrichtet.  Es  ist  nicht  einmal  bekannt,  wodurch 
das  hervorstechendste  Zeichen  gestörter  Nierentätigkeit,  die  Eiweiß- 
ausscheidung  im  Harn,  günstig  oder  ungünstig  beeinflußt  wird. 
Bei  Tierversuchen  hat  sich  gezeigt,  daß  übergroße  Mengen  von 
rohem  Hühnereiweiß , namentlich  subkutan  oder  intravenös  bei- 
gebracht, Albuminurie  erzeugen  können;  bei  Versuchen  mit  ver- 


184 


Krankheiten  der  Harnorgane 


schiedener  Kost  bei  nierenkranken  Menschen  hat  sich  kein  bestimmter 
Zusammenhang  ergeben.  Die  Albuminurie  ist  überhaupt  nicht 
das  Maß  der  Nierenkrankheit,  es  ist  nicht  gesagt,  daß  eine  vor- 
übergehende Steigerung  der  Eiweißausscheidung  eine  Verschlim- 
merung der  Nierenkrankheit  bedeute.  Sie  wird  auch  offenbar 
viel  mehr  durch  anderes  als  durch  die  Art  der  Nahrung  bedingt, 
vor  allem  durch  Muskelanstrengungen;  sie  sinkt  vielfach  bei  Bett- 
ruhe und  steigt  bei  körperlicher  Arbeit,  wie  ja  die  sogenannte 
physiologische  Albuminurie  in  manchen  Fällen  nur  nach  An- 
strengungen auftritt.  Trotzdem  hat  die  Diätetik  darauf  zu  achten, 
daß  unnötige  Arbeit  des  ausscheidenden  Organs  erspart  werde. 
Diese  liegt  aber  vorwiegend  in  der  Verarbeitung  der  stickstoff- 
haltigen Stoffwechselerzeugnisse.  Deshalb  vermeidet  man  ein 
Übermaß  stickstoffhaltiger  Kost.  Man  ist  zur  Verordnung 
eines  solchen  nicht  selten  gekommen  in  der  Meinung,  die  Kachexie 
der  Nierenkranken  hänge  von  dem  Eiweißverlust  ihres  Körpers 
ab,  und  man  müsse  alles  tun,  um  diesen  Verlust  wieder  aus- 
zugleichen. In  Wirklichkeit  handelt  es  sich  auch  in  schwereren 
Fällen  von  chronischer  Nephritis  höchstens  um  eine  Harneiweiß- 
menge von  5 — 10g  in  24  Stunden,  also  um  einen  unbedeuten- 
den Bruchteil  des  Nahrungseiweißes.  Demzuliebe  braucht  man 
also  kaum  über  die  Eiweißmenge  der  gewöhnlichen  Kost  hinaus- 
zugehen. Anderseits  vermeidet  man  die  Überlastung  des  Eiweiß- 
budgets und  beschränkt  die  Zufuhr  auf  60  — 80  g.  In  welcher 
Form  man  das  Eiweiß  zuführt,  scheint  für  die  Albuminurie  ziem- 
lich gleichgültig  zu  sein.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  daß  die 
Milchdiät  im  allgemeinen  der  Niere  sehr  gut  tut.  In  2 1 Milch 
ist  die  eben  geforderte  Eiweißmenge  enthalten,  man  kann  sich 
daher  bei  akuter  Nephritis  und  bei  Verschlimmerungen 
chronischer  Nierenentzündungen  in  dieser  Richtung  auf  die  Milch- 
verordnung beschränken  und  den  Rest  der  erforderlichen  Nähr- 
stoffe durch  Fett  und  Kohlehydrate  decken,  mit  deren  Verarbeitung 
die  Niere  nichts  zu  tun  hat.  Bei  chronischer  Erkrankung 
würde  man  damit  bald  den  Widerwillen  der  Kranken  erwecken, 
man  muß  hier  also  jedenfalls  beizeiten  auf  andere  Ernährung 
bedacht  sein,  um  so  mehr,  da  gewöhnlich  der  Appetit  daniederliegt. 
Es  ist  daher  sehr  erfreulich,  daß  nach  unbefangenen  Beobach- 
tungen ein  mäßiger  Fleischgenuß  den  Nierenkranken  nicht 
schadet.  Die  früher  sehr  festgehaltene  Unterscheidung  zwischen 
weißem  und  braunem  Fleisch,  die  Bedenken,  ob  man  ebensogut 
wie  Fleisch  auch  Geflügel  und  Fisch  verschiedener  Art  geben 


N ierenentzün  düngen 


185 


könne,  haben  sich  als  unbegründet  erwiesen,  die  Klinik  lehrt, 
daß  dadurch  keine  Verschiedenheiten  im  Verlauf  bedingt  werden. 
Man  vermeidet  nur  das,  was  direkt  die  Nieren  reizen  würde, 
nämlich  ein  Übermaß  von  Extraktivstoffen  — damit  also  auch 
den  Fleischextrakt  und  die  Fleischbrühe  — , das  Wildfleisch  mit 
ausgesprochenem  Hautgout,  scharfschmeckende  Wurst-  und  Räucher- 
waren, und  aus  demselben  Grunde  unter  den  Vegetabilien  die 
mit  scharfen  Stoffen  beladenen  Rettiche,  Radieschen,  Meerrettich, 
Zwiebeln,  Sellerie,  Knoblauch  und  die  Gewürze  Pfeffer,  Senf, 
Kümmel,  Muskatnuß  usw.  Ob  das  ätherische  Öl  der  Spargeln 
das  Verbot  dieses  Gerichts  rechtfertigt,  ist  noch  zweifelhaft, 
v.  Noorden  hat  bei  bei  einem  Versuch  keinerlei  nachteilige  Folgen 
davon  gesehen  und  erlaubt  sie  deshalb  in  mäßiger  Menge.  Mäßige 
MeDgen  von  Säure,  wie  sie  in  verschiedenen  Speisen  Vorkommen, 
so  der  verdünnte  Essig  in  Salaten,  sauren  Heringen  und  dergl., 
die  Zitronensäure  der  Limonade  usw.  haben  keine  Bedenken.  Das 
Obst  und  die  Fruchtsäfte  können  ruhig  freigegeben  werden. 
Eine  unfragliche  Gefahr  für  die  Nierenkranken  bietet  der  Alkohol, 
der  ja  auch  die  Niere  des  Gesunden  schädigt.  Für  die  Nephri- 
tiker  ist  daher  die  Alkoholabstinenz  zu  fordern. 

Einer  besonderen  Regelung  bedarf  in  jedem  Falle  die  Flüs- 
sigkeitzufuhr. Sie  soll  weder  zu  groß  sein,  damit  nicht  die 
Nieren  und  das  bei  der  Erkrankung  stets  beteiligte  Herz  un- 
nötige Arbeit  zu  leisten  haben,  sie  soll  aber  auch  nicht  zu  gering 
sein,  damit  nicht  durch  zu  große  Konzentration  die  Harnabsonde- 
rung erschwert  werde.  Auch  bei  Hydrops  und  bei  der  ihm 
vorangehenden  Wasserverhaltung  im  Körper  darf  man  nicht  die 
Zufuhr  allzusehr  einschränken,  weil  dabei  leicht  harnfähige  Stoffe 
und  Toxine  im  Körper  zurückgehalten  werden  und  Urämie 
bewirken.  Im  allgemeinen  läßt  sich  für  die  akute  und  für  die 
chronische  Nierenentzündung  das  Maß  der  zuzuführenden  Flüssig- 
keit auf  2 — 2 ]/2  1 für  den  Tag  angeben.  Wenn  bei  akuter 
Nephritis  anhaltendes  Erbrechen  besteht,  muß  man  reichliche  Ein- 
läufe von  Wasser  mit  geringem  Kochsalzzusatz  verordnen,  und 
wenn  das  durch  Durchfall  verhindert  wird,  zu  subkutanen  In- 
fusionen schreiten,  vgl.  S.  106.  Außer  der  Milch  empfehlen  sich 
als  Getränk  vor  allem  reines  Wasser,  die  Brunnen  von  Selters, 
Wildungen,  Fachingen,  schwacher  Tee  und  Kaffee  und  Frucht- 
limonaden. 

Die  besprochenen  Vorschriften  ergeben  auch  das  Verhalten, 
das  man  zur  Verhütung  einer  drohenden  Nierenkrankheit 


186 


Krankheiten  der  Harnorgane 


zu  beobachten  hat,  so  z.  B.  bei  den  Infektionskrankheiten,  die 
leicht  die  Niere  schädigen:  Bettruhe,  Schutz  vor  Erkältung,  vor- 
wiegende Milchdiät  und  weiterhin  eine  mäßige,  gemischte  Kost, 
reichliche  Durchspülung  des  Körpers  mit  unschädlicher  Flüssig- 
keit, neben  einer  gemischten  Kost  noch  etwa  1 1/2  1 für  den  Tag, 
bei  Vermeidung  von  Alkohol;  gute  Hautpflege  durch  laue  Bäder 
und  durch  Abreibungen  des  Körpers  mit  Spiritus  oder  spirituösen 
Lösungen. 

Während  der  akuten  Nephritis  und  ebenso  während 
mangelhafter  Nierentätigkeit  bei  chronischer  Nephritis, 
insbesondere  also  bei  der  parenchymatösen  Form,  ist  eine  An- 
regung der  Hauttätigkeit  besonders  wichtig,  um  die  Niere  zu 
entlasten  und  doch  die  auszuscheidenden  Stoffe  aus  dem  Körper 
zu  bringen.  Man  verwendet  zu  diesem  Zwecke  am  besten  warme 
Bäder,  von  35 — 38  °C.,  eine  viertel  oder  halbe  oder  ganze  Stunde 
lang,  und  läßt  den  Kranken  danach  noch  für  eine  Stunde  in  ein 
heißes  nasses  Laken  und  trockne  Wolldecken  ein  wickeln,  man 
kann  aber  auch  von  vornherein  diese  Einwicklung  vornehmen 
und  durch  Hineinlegen  von  heißen  Steinen  oder  Wärmflaschen 
und  durch  heißes  Getränk,  heiße  Milch  mit  Selters,  Lindenblüten- 
tee, Fliedertee  usw.  reichliche  Schweißabsonderung  hervorrufen. 
Kalte  Umschläge  auf  die  Stirn  und  Ausspülen  des  Mundes  mit 
kaltem  Wasser  erleichtern  dem  Kranken  das  Verfahren,  das  Mit- 
einwickeln der  Arme  ist  aber  meist  für  eine  gründliche  Wirkung 
nicht  zu  entbehren,  so  unangenehm  es  von  den  Kranken,  nament- 
lich bei  stärkerem  Hydrops,  oft  empfunden  wird.  Am  besten 
dauert  eine  heiße  Einwirkung  2 — 3 Stunden.  Das  Pilokarpin , 
das  die  Schweißabsonderung  oft  besonders  stark  in  Gang  bringt, 
ist  wegen  seiner  ungünstigen  Einwirkung  auf  das  Herz  nicht  sehr 
beliebt;  man  gibt  es  subkutan  zu  0,01,  immer  nur  vereinzelte 
Male  und  nicht  bei  vorhandener  Schwäche.  Erzielt  man  mit  den 
bisherigen  Mitteln  keine  erhebliche  Entlastung  der  Nieren,  so 
wendet  man  recht  bald  eines  oder  das  andere  der  die  Nieren 
nicht  reizenden  Diuretica  an,  insbesondere  den  Liquor  Kalii 
acetici , am  besten  in  Verdünnung: 

Ijfc  Liq.  Kalii  acet.  20,0 
Aq.  dest.  150,0 
Succi  Junip.  25,0 
Spir.  Aeth.  nitrosi  5,0 
M.D.S.  2 stdl.  1 Eßl. 


N ierenentzün  düngen 


187 


Sobald  urämische  Erscheinungen,  auch  in  der  milden 
und  nicht  ganz  kennzeichnenden  Form  von  Kopfschmerzen,  Übel- 
keit, Kurzatmigkeit  usw.  hervortreten,  darf  man  sich  auch  dabei 
nicht  beruhigen,  sondern  muß  noch  von  weiterher,  vom  Herzen 
aus,  nachhelfen,  am  besten  durch  subkutane  Anwendung  von 
Coffeinum  natrosalicylicum. 

fjfc  Coffeini  natrosalicyl.  1,0 
Aq.  dest.  10,0 

M.D.S.  Mehrmals  tägl.  1 — 2 Spritzen. 

(Stärkere  Lösungen  brennen  in  der  Haut.) 

Das  Coffein  reizt  die  Nieren  gar  nicht,  solange  es  nicht  in 
Dosen  von  über  0,5  subkutan  am  Tage  verabreicht  wird.  Ähn- 
lich gut  vertragen  werden  auch  das  Diuretin  - Knoll , vgl.  S.  11, 
das  Agurin  und  das  neuerdings  empfohlene  Theocin.  Letzteres 
darf  nicht  in  größeren  Gaben  als  0,2 — 0,4  dreimal  täglich  nach 
der  Mahlzeit  verordnet  werden,  weil  es  nervöse  Aufregung  und 
bei  zu  hohen  Gaben  sogar  Krämpfe  bewirken  kann;  statt  dessen 
wird  neuerdings  besonders  das  Theocin- Natrium  aceticum  empfohlen, 
zu  0,3 — 0,5  2 — 3 mal  täglich  in  Tee  oder  sonstiger  Flüssigkeit 
und  immer  nur  nach  der  Mahlzeit,  nicht  auf  leeren  Magen. 

Tritt  eine  deutlichere  Herzinsuffizienz  hervor,  so  gibt 
man  am  besten  Digitalis  in  einer  der  S.  5 ff.  besprochenen  Formen. 
Nicht  selten  werden  dadurch  auch  Kopfschmerzen,  Erbrechen  usw. 
sofort  beseitigt. 

In  den  chronischen  Nierenentzündungen  ist  es  von  be- 
sonderer Wichtigkeit,  auch  während  der  besseren  Zeit  die  Schwitz- 
fähigkeit der  Haut  zu  üben.  Weitaus  am  besten  haben  sich 
dazu  die  Elektrisch-Licht-Bäder  bewährt,  die  nicht  nur  durch 
die  erwärmte  Luft  des  Lichtbadkastens,  sondern  auch  durch  die 
Wärmestrahlung  ihrer  Glühlampen  die  Haut  anregen,  ohne  daß 
der  Körper  übermäßig  erwärmt  zu  werden  braucht.  Im  Licht- 
bade beginnt  die  Schweißabsonderung  meist  schon  bei  30°  C., 
stets  bei  40°,  während  man  bei  allen  anderen  Schwitzbädern 
viel  höhere  Grade  an  wenden  muß.  Aus  diesem  Grunde  sind  die 
einfachen  Schwitzbadvorrichtungen  mit  dem  Phenix  ä air  chaud 
usw.,  wobei  die  Hitze  einer  Spirituslampe  durch  einen  Schorn- 
stein unter  die  Bettdecke  geleitet  wird,  nicht  so  zu  empfehlen 
wie  die  Elektrisch-Licht-Bäder.  Man  kann  letztere  auch  bei  im 
Bett  liegenden  Kranken  an  wenden,  indem  ein  Bügelgestell , das 
eine  Anzahl  Glühlampen  trägt,  über  den  Kranken  gestellt  und 
mit  der  Bettdecke  bedeckt  wird. 


188 


Krankheiten  der  Harnorgane 


Eine  etwas  zweischneidige  Art,  die  Nieren  zu  entlasten,  ist 
die  Ableitung  auf  den  Darm,  weil  dadurch  gelegentlich  Durch- 
fälle entstehen,  die  nicht  so  leicht  wieder  zu  beseitigen  sind. 
Man  wird  jedenfalls  auf  die  früher  viel  angewendeten  Drastica 
verzichten  und  milde  Mittel  verordnen,  wie  z.  B.  Sennesblättertee , 
Bitterwasser,  Karlsbader  Salz  in  Wasser,  Tartarus  depuratus  als 
Schachtelpulver,  teelöffelweise,  zugleich  diuretisch  wirkend,  usw. 
Nur  hei  stärkerem  Hydrops  wird  man  auch  kräftige  Abführ- 
wirkungen heranziehen,  um  im  Verein  mit  der  Diaphorese  und 
der  Diurese  eine  kräftige  Entwässerung  hervorzurufen.  Bei  hohen 
Graden  des  Hydrops  zieht  man  auch  die  mechanischen  Mittel 
heran,  die  S.  11  beschrieben  sind. 

Für  die  Schrumpfniere  steht  während  der  ganzen  Krank- 
heit die  Rücksicht  auf  das  Herz  obenan.  Es  muß  vermieden 
werden,  daß  die  Kranken,  die  oft  sehr  an  Durst  leiden,  dem  ohne- 
dies angestrengten  Herzen  unmäßig  große  Flüssigkeitlasten  auf- 
bürden, ebenso  müssen  sie  sich  vor  körperlichen  Anstrengungen, 
vor  übermäßigem  Genuß  von  Kaffee,  Tee  und  Nikotin  auch  be- 
sonders wegen  ihrer  Herzwirkungen  hüten.  Die  oft  ausgesprochene 
allgemeine  Arteriosklerose  verlangt  das  um  so  mehr.  Die 
letzteren  Fälle  sind  es  wohl,  wo  man  von  längerer  Verabreichung 
von  Jodnatrium , 0,5  pro  die  in  wäßriger  Lösung,  oder  von  zeit- 
weiligen subkutanen  /o^meinspritzungen , vgl.  S.  29,  einen  Er- 
folg erwarten  darf,  aber  es  scheint,  als  wenn  diese  Behandlung 
manchmal  auch  in  anderen  Fällen  nicht  ohne  Wert  ist. 

Sehr  wichtig  ist,  daß  jeder  Nachlaß  in  der  Herzleistung 
alsbald  berücksichtigt  wird.  Wird  der  Puls  weicher  und  schneller, 
so  ist  es  nötig,  daß  der  Kranke  eine  Zeitlang  das  Bett  hütet  und 
die  am  Eingänge  dieses  Abschnittes  angegebene  Milchdiät  einhält. 
Tritt  dabei  nicht  schnell  Besserung  ein,  so  sind  die  Herzmittel 
heranzuziehen,  vor  allem  das  Coffein , vgl.  S.  8,  bei  kleinem 
und  unregelmäßigem,  beschleunigtem  Pulse  noch  besser  Digitalis , 
nach  S.  5 ff.,  nötigenfalls  durch  reichliche  Aawjo/ereinspritzungen, 
vgl.  S.  13,  unterstützt. 

Urämie. 

Die  Hauptgefahr  für  alle  Nephritiker  liegt  in  dem  beständig 
drohenden  Gespenst  der  Urämie.  Der  Arzt  muß  daher  immer 
darauf  gefaßt  sein,  ihr  entgegenzutreten , und  er  muß  sich  be- 
mühen, ihre  frühesten  Andeutungen  zu  erkennen.  Wenn  man 
erst  ah  wartet,  bis  Bewußtlosigkeit,  Krämpfe,  CHEYNE-STOKESSches 


Nierenentzündungen  189 

Atmen  eingetreten  sind,  ist  die  beste  Zeit  zum  helfenden  Ein- 
greifen verloren.  Zunächst  äußert  sich  die  Urämie  oft  durch 
Mattigkeit,  Schläfrigkeit,  eingenommenen  Kopf,  Kopfschmerzen, 
Schwindelgefühl,  Magenverstimmung,  Kurzatmigkeit,  Neigung  zu 
Durchfall,  Hautjucken,  Ohrensausen,  Singultus,  Zusammenzucken, 
vereinzelte  Gehörstäuschungen  usw.  Dann  gilt  es  eingreifend 
Wirken  die  gewöhnlichen  Mittel  nicht,  die  man  gegen  diese  Er- 
scheinungen an  wendet,  Pyramidon  oder  Kryofin  "gegen  Kopf- 
schmerzen, Salzsäure  gegen  die  Magenverstimmung,  so  gilt  es, 
die  Ausscheidung  der  Harnbestandteile  aus  dem  Körper  anzu- 
regen. Aus  diesem  Grunde  läßt  man  einen  etwa  bestehenden 
Durchfall  unbehandelt  und  sorgt  im  anderen  Falle  für  reichliche 
Darmentleerung,  läßt  ferner  reichlich  heiße  Milch  mit  Selters, 
heißen  dünnen  Tee  und  dergl.  trinken  und  gibt  Coffein  subkutan.’ 
Am  besten  wartet  man  nicht  ab,  bis  eine  deutliche  Wirkung  ein- 
tritt,  sondern  gibt  gleich  von  vornherein  daneben  Digitalis. 

^ Pulv.  Fol.  Digitalis  1,5 
Pulv.  et  Succ.  Liq.  ana  1,0 
F.Pil.  30.  D.S.  3 mal  tägl.  2 Pillen. 

Der  Erfolg  macht  sich  meistens  nach  36  Stunden  und  später 
sehr  deutlich  geltend,  durch  besseren  Puls  und  vermehrte  Harn- 
absonderung und  vor  allem  durch  das  Verschwinden  der  Be- 
schwerden. Bis  zum  Eintritt  der  vollen  Wirkung  gibt  man 
nötigenfalls  Coffein  nebenher  weiter  und  spart  auch  nicht,  falls 
der  Zustand  irgendwie  bedenklich  aussieht,  mit  Kampfers in- 
spritzungen.  Bei  bedrohlichen  Zuständen  wirkt  nicht  selten  der 
von  v.  Leube  empfohlene  Aderlaß  mit  nachfolgender  In- 
fusion von  Kochsalzwasser  lebensrettend.  Beide  Verfahren  . 
sind  S.  67  und  S.  106  beschrieben,  v.  Leube  entnimmt  250  ccm 
Blut  und  gießt  400  ccm  0,5°/0iger  Kochsalzlösung  ein. 

Das  Erbrechen  der  Urämischen  und  die  vorhergehende 
und  nachfolgende  Übelkeit  machen  oft  ärztliches  Eingreifen 
nötig,  weil  die  Kranken  sehr  darunter  leiden  und  durch  ihre 
Naln  ungsverweigerung  an  Kräften  verlieren  oder  wenigstens  den 
Angehörigen  dadurch  Sorge  machen.  Soweit  nicht  die  eben  mit- 
geteilten Mittel  gegen  die  Urämie  abhelfen,  muß  man  lindernd 
eingreifen.  Am  besten  ist  gewöhnlich  Salzsäure , von  der  ver- 
dünnten Salzsäure  der  Pharmakopoe  10  Tropfen  einige  Minuten 
vor  der  Mahlzeit  und  wiederum  eine  Stunde  nachher.  Auch  das 
Orexinum  tannicum,  in  Tabletten  zu  0,25,  3 — 6 am  Tage,  vor 


190 


Krankheiten  der  Harnorgane 


den  Mahlzeiten,  kann  dienlich  sein.  Gegen  das  Erbrechen  nützen 
zuweilen  Menthol , vgl.  S.  106,  und  Cerhim  oxalicum. 

JEjfc  Cerii  oxalici  0,05 — 0,15 
Sacch.  lactis  0,3 

M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X.  S.  3 mal  tägl.  1 Pulver. 


2.  Wanderniere. 

Nach  Feststellung  einer  Wanderniere  ist  vor  allem  sorgfältig 
zu  erwägen,  wieweit  die  vorhandenen  Beschwerden  tatsächlich 
dem  verlagerten  Organ  zuzuschreiben  sind.  Es  darf  als  sicher 
gelten,  daß  die  Wanderniere  wie  die  Enteroptose  überhaupt,  vgl. 
S.  90,  besonders  oft  bei  erblich  neuropathischen  Menschen  vor- 
kommt, und  dadurch  erklärt  es  sich,  daß  bei  den  damit  Behaf- 
teten zahlreiche  nervöse  Beschwerden  Vorkommen,  die  nur  scheinbar 
mit  der  Wanderniere  Zusammenhängen.  Empfiehlt  man  solchen 
Kranken  eine  Bandage,  so  (bekommen  sie  zunächst  eine  gewisse 
Erleichterung,  die  vielleicht  nur  mit  der  Ablenkung  und  Be- 
ruhigung zusammenhängt,  aber  nach  einigen  Wochen  oder  Monaten 
sind  die  alten  Beschwerden  wieder  da,  die  Kranken  suchen  nun 
vielleicht  durch  eine  Operation  von  dem  vermeintlichen  Haupt- 
leiden befreit  zu  werden,  oder  sie  wenden  sich,  weil  der  ärzt- 
liche Rat  nicht  vorgehalten  hat,  an  Kurpfuscher,  die  den  Miß- 
erfolg in  ihrem  Sinne  ausnutzen.  Mehr  wird  in  solchen  Fällen 
erreicht,  wenn  „zur  Festigung  der  Baucheingeweide“  eine  Mastkur 
oder  wenigstens  eine  normale  Ernährung  verordnet  wird;  dadurch 
werden  gemeinhin  die  nervösen  Beschwerden  gebessert  — viel- 
fach haben  die  Kranken  vorher  wegen  eines  angenommenen  Magen- 
leidens wenig  gegessen  und  dadurch  ihre  Kräfte  geschädigt  — , 
und  nun  gilt  es  als  sicher,  daß  die  Zunahme  der  Ernährung  die 
Niere  wieder  festgelegt  habe.  Bei  genauer  Beobachtung  sieht 
man  in  der  nervenärztlichen  Praxis  in  der  Mehrzahl  der  Fälle, 
daß  Kranke,  die  mit  der  richtigen  Diagnose  einer  beweglichen 
oder  verlagerten  Niere  zugehen,  nach  einer  Kur,  die  ihre  Nerven 
kräftigt,  völlig  ihre  Beschwerden  verloren  haben,  ohne  daß  sich 
in  dem  Verhalten  der  Niere  irgend  etwas  geändert  hätte  und 
ohne  daß  ihr  Ernährungszustand  sichtbar  gehoben  wäre,  ja  das- 
selbe kommt  vor,  wenn  man  die  Kranken  von  überflüssigem  Fett 
befreit  hat.  Da  man  außerdem  viele  Menschen  sieht,  die  eine 
Wanderniere  haben,  ohne  irgendwie  darunter  zu  leiden,  leuchtet 
es  ein,  daß  man  gut  tut,  nicht  ohne  besonderen  Grund  die  Auf- 


Wanderniere.  Nierensteine 


191 


merksamkeit  auf  den  Zustand  zu  lenken.  Ich  bin  nach  allem, 
was  ich  gesehen  habe,  sehr  skeptisch  gegen  die  Leistungen  der 
üblichen  Wandernierenbehandlung  geworden,  und  halte  es  für 
richtig,  nur  dann  direkte  Verordnungen  gegen  die  Wanderniere 
zu  geben,  wenn  entweder  Einklemmungserscheinungen  vor- 
handen sind  oder  waren:  plötzliche  heftige  Schmerzen  im  Leib 
mit  Schwächeanwandlung  und  Frösteln,  Harnverminderung,  auch 
mit  Fieber  und  Brechreiz,  in  zeitweiliger  Wiederkehr,  oder  wenn 
die  Niere  sehr  stark  verlagert  und  in  der  Mittel-  oder  Unter- 
bauchgegend deutlich  und  empfindlich  fühlbar  ist.  Dann  ist 
Bettruhe,  kräftigende  Ernährung,  geeigneten  Falles  eine  Mastkur 
und  namentlich  eine  gutsitzende  Leibbinde,  vgl.  S.  112,  zu  ver- 
ordnen. In  allen  anderen  Fällen  ist  die  Behandlung  der  Nerven- 
schwäche die  Hauptsache. 

3.  Nierensteine. 

Die  Nierensteine  bilden  sich  am  häufigsten  aus  Harnsäure, 
viel  seltener  aus  oxalsaurem  Kalk  oder  aus  phosphorsauren 
Salzen.  Man  hat  vielfach  für  die  Verhütung  der  Wiederkehr 
einer  Steinbildung  die  Forderung  gestellt,  daß  die  Diät  ganz 
streng  auf  die  Ausschließung  der  für  die  bestimmte  Art  maß- 
gebenden Ernährung  eingerichtet  werde,  d.  h.  bei  Uratsteinen 
sollte  rein  vegetabilische  Kost  und  reichliche  Alkalienzufuhr,  bei 
Oxalatsteinen  animalische  Kost  und  Alkalienzufuhr,  bei  Phosphat- 
steinen Säurebehandlung  eintreten.  Aber  abgesehen  davon,  daß 
bei  weitem  nicht  in  allen  Fällen  die  Art  des  Steines  genau  be- 
kannt ist,  würde  damit  der  Kranke  in  Gefahr  kommen,  nunmehr 
an  Stelle  des  bisherigen  Uratsteines  einen  Phosphatstein  usw.  zu 
erwerben,  da  er  doch  einmal  die  Anlage  zur  Steinbildung  be- 
sitzt. Es  kann  daher  nicht  dringend  genug  vor  einseitigem  Re- 
gime gewarnt  werden.  Den  einzigen  Schutz  gegen  Steinbildung 
überhaupt  gibt  eine  normale  gemischte  Kost  mit  reichlicher 
Flüssigkeitaufnahme.  Eine  Diät,  die  einen  vorhandenen  Stein 
aufzulösen  vermöchte,  gibt  es  ebenfalls  nicht;  alles,  was  dafür 
diätetisch  geschehen  kann,  ist  die  Vermehrung  des  Harnwassers 
durch  reichliches  Trinken. 

Somit  geben  wir  sowohl  zur  Verhütung  der  Steinbildung 
bei  erblich  dazu  Veranlagten  wie  zur  Verhütung  der  Wiederkehr 
einer  Steinbildung  die  Verordnung,  daß  im  Laufe  des  Tages 
mindestens  3 Liter  Flüssigkeit  getrunken  werden,  in  Gestalt  von 


192 


Krankheiten  der  Harnorgane 


reinem  Wasser,  Mineralwasser,  Zitronenlimonade,  Fruchtsäften, 
Pomril,  Tee,  Kaffee,  Kakao,  Suppe  usw.  Gegen  gelegentlichen 
Genuß  von  Bier  oder  Wein  ist  nichts  einzu wenden,  soweit  die 
allgemeine  Gesundheitspflege  es  im  einzelnen  Falle  zuläßt. 

Ist  ein  abgegangener  Harnsäurestein  erkannt  worden,  oder 
hat  der  Kranke  vorher  die  Zeichen  der  Harnsäurediathese 
geboten,  so  tritt  natürlich  die  diätetische  Behandlung  ein,  die 
diesem  Leiden  entspricht,  vgl.  den  Abschnitt  über  Stoffwechsel- 
erkrankungen. Ebenso  steht  es  mit  den  besonderen  Brunnen- 
oder Arzneiverordnungen.  Dagegen  sucht  man  bei  Feststellung 
von  Phosphatsteinen  eine  saure  Beaktion  des  Urins  herbei- 
zuführen. 

Zu  diesem  Zwecke  werden  dem  Kranken  zunächst  die  alka- 
lischen Mineralwässer,  Salzbrunn,  Fachinger,  Offenbacher, 
Neuenahrer,  Biliner,  Vichy  usw.,  verboten.  Gegen  die  gewöhn- 
lichen Sauerbrunnen,  wie  Selterser,  Harzer,  Apollinaris,  ist  nichts 
einzuwenden.  Kaffee,  Tee,  Fleischbrühe  sind  erlaubt,  Milch  soll 
reichlich  genossen  werden.  Fleisch  soll  wegen  seines  hohen 
Gehaltes  an  Phosphorsäure  nur  in  beschränkter  Menge  gegessen 
werden,  ebenso  Eier;  die  Aufnahme  der  Kohlehydrate  ist  un- 
beschränkt, dasselbe  gilt  für  Butter  und  andere  Fette,  dagegen 
müssen  die  Gemüse  und  das  Obst  fast  ganz  gemieden  werden, 
weil  sie  die  Alkaleszenz  des  Harnes  steigern.  Direkt  wird  die 
saure  Beaktion  des  Urins  befördert  durch  Verabreichung  von 
Salzsäure,  Acidum  hydrochloricum  dilutum  mehrmals  täglich  5 
bis  20  Tropfen  in  einem  Weinglas  voll  Wasser.  Als  günstig 
wirkend  sind  von  Pfeiffer  auch  das  Urotropin , in  Tabletten  zu 
‘0,5,  davon  1 — 3 mal  täglich  eine  Tablette,  und  von  anderer  Seite 
das  Helmitol  bezeichnet  worden,  ebenfalls  in  Tabletten  zu  0,5, 
3 — 5 mal  täglich  eine  mit  Wasser  genommen. 

Bei  nachgewiesenen  Oxalatsteinen  treten  wieder  andere 
diätetische  Bücksichten  in  den  Vordergrund.  Die  Praxis  hat  er- 
geben, daß  bei  dieser  Stoffwechselstörung  die  Kohlehydrate  in 
beschränkter  Menge  genossen  werden  müssen;  bestimmte  Vege- 
tabilien,  die  viel  oxalsaure  Salze  enthalten,  wie  Sauerampfer, 
Spinat,  Bhabarber,  Kresse,  Kakao,  größere  Mengen  von  Kaffee 
und  Tee,  werden  sogar  bei  strengerer  Vorschrift  ganz  zu  ver- 
bieten sein.  Dagegen  ist  eine  reichliche  Fleischgabe  erlaubt. 
Alkalische  Mineralwässer  wirken  zweckmäßig,  solange  nicht 
etwa  der  Harn  dadurch  seine  Säure  verliert,  denn  das  würde 
das  Ausfallen  oxalsauren  Kalks  in  den  Harnwegen  fördern.  Vön 


Nierenblutungen  und  Nephralgie 


193 


verschiedenen  Seiten  werden  die  kalkhaltigen  Mineralwässer,  z.  B. 
von  Wildungen,  Fachingen,  Contrexeville,  besonders  gerühmt. 

Bei  allen  Steinleiden  ist  eine  geregelte,  ruhige  Lebensweise 
wichtig,  auch  eine  gute  Hautpflege  und  besonders  der  regelmäßige 
Gebrauch  lauer  Bäder  zu  empfehlen.  Oh  die  Anwendung  be- 
sonderer Kurbäder,  wie  z.  B.  der  Wiesbadener  und  anderer  Thermal- 
bäder, wirklichen  Einfluß  auf  das  Leiden  hat,  ist  noch  zweifelhaft. 

Nierensteinkolik. 

Die  heftigen  Schmerzen  der  Nierensteinkolik  erfordern  in 
den  meisten  Fällen  eine  Behandlung  mit  Narcoticis,  insbesondere 
mit  Morphium  subkutan,  0,015 — 0,02  und  mehr,  zweckmäßig  mit 
Atropmum  sulfuricum  0,001  verbunden.  Bei  geringeren  Be- 
schwerden und  unausgebildeten  Anfällen  kommt  man  zuweilen 
mit  der  Verordnung  von  Pyramidon,  Kryofin,  Dower  sehen  Pulvern 
usw.  aus.  Heiße  Bäder,  35 — 38 — 40°  C.  wirken  oft  deutlich 
schmerzlindernd,  auch  heiße  Umschläge  auf  die  Nierengegend  tun 
gut.  Immer  läßt  man  reichlich  heiße  Flüssigkeit  nehmen,  um 
den  eingeklemmten  Stein  nach  Möglichkeit  weiterzuspülen.  Be- 
sonders nötig  ist  das,  wenn  der  Kolikanfall  Anuri e mit  sich 
bringt.  Man  kann  dann  auch  noch  durch  große  Einläufe  von 
warmem  Wasser  oder  durch  Kochsalzwasserinfusionen  unter  die 
Haut  die  Durchspülung  der  Niere  zu  heben  suchen. 

Man  darf  sich  aber  bei  Anurie  nicht  zu  lange  mit  Abwarten  - 
aufhalten,  denn  nur  selten  handelt  es  sich  um  eine  reflektorische 
Anurie  auch  der  gesunden  Niere,  sondern  meist  um  eine  eben- 
falls steinkranke  oder  durch  Pyelonephritis  zerstörte  zweite  Niere, 
manchmal  auch  um  angeborenes  Fehlen  der  zweiten  Niere.  Wenn 
also  bei  Anurie  am  zweiten  Tage  nicht  kräftige  Koliken  den 
baldigen  Abgang  eines  Steines  verheißen,  muß  zur  Operation 
geschritten  werden,  wie  besonders  J.  Israel  betont  hat.  Sind 
nachweisbar  beide  Nieren  erkrankt,  so  operiert  man  zuerst  die 
vermutlich  am  leichtesten  oder  frischesten  erkrankte.  An  Täu- 
schungen wird  es  dabei  leider  nicht  fehlen.  Eine  weitere  Anzeige 
zur  Operation  ergeben  die  durch  Steine  hervorgerufene  Pyelitis 
und  Hydronephrose  und  gefahrdrohend  starke  Blutungen. 

4.  Nierenblutungen  und  Nephralgie. 

Nierenblutungen  entstehen  oft  durch  Steine  im  Nierenbecken, 
ferner  durch  embolische  Infarkte  der  Niere  bei  Herzfehler  und 


Dornblüth,  Therapie. 


13 


194 


Krankheiten  der  Harnorgane 


dergl.,  bei  chronisch-hämorrhagischer  Nephritis  (die  sich  durch 
sehr  geringen  Eiweißgehalt,  völliges  Fehlen  von  Hydrops  und  an- 
haltendes Auftreten  geringer,  zeitweise  auch  größerer  Blutmengen 
im  Harn  kundgibt),  bei  Nierenkrebs,  bei  Skorbut  und  bei  Hämo- 
philie. Eine  noch  nicht  genügend  aufgeklärte  Form  ist  die  von 
Nitze  als  essentielle  Hämaturie,  von  Klemperer  als  angio- 
neurotische  Nierenblutung  bezeichnete  Krankheit;  eine  An- 
zahl dieser  Fälle  gehört  wohl  sicher  zu  der  eben  angedeuteten 
chronischhämorrhagischen  Nephritis,  also  zu  den  entzündlichen 
Blutungen,  während  andere  durch  Zirkulationstörungen  innerhalb 
der  Niere  bedingt  sein  mögen.  Schede  spricht  von  einer  lokalen 
renalen  Hämophilie,  Senator  von  einer  konstitutionellen  renalen 
(auf  die  Niere  beschränkten!)  Hämophilie.  Weil  sie  regelmäßig 
mit  Nierenkolik  verläuft,  wird  diese  Form  auch  als  Nephralgie, 
von  Sabatier  als  Nephralgie  hemaiurique  bezeichnet. 

Alle  diese  Formen  verlangen  zunächst  strenge  Bettruhe 
des  Kranken  und  vorwiegende  Milchdiät,  also  etwa  die  Behand- 
lung der  Nephritis,  vgl.  S.  184.  Gegen  die  Neuralgie  wird  man  am 
besten  langdauernde  warme  Bäder,  35 — 28 °C.,  verordnen,  ferner 
warme  Umschläge  auf  die  Nierengegend , Trinken  von  heißem 
Pfefferminz-  oder  Kamillentee,  versuchsweise  Pyramidon  oder 
Dowersches  Pulver , 

Ijü  Pulv.  Ipecac.  opiati  0,3 — 0,5 

D.  tal.  dos.  X.  S.  Mehrmals  tägl.  1 Pulver. 

Gegen  die  Blutungen  gibt  man  Ergotin  subkutan, 

J^fc  Cornutini  ergotici  (Ergotini  Bombeion)  5,0 

D.S.  2 Strich,  bei  starker  Blutung  5 Strich  der 
Grammspritze  subkutan, 

immerhin  mit  zweifelhafter  Wirkung,  besser  wohl  Gelatine  sub- 
kutan, vgl.  S.  109. 


5.  Pyelitis  und  Cystitis. 

Bei  den  akuten  Entzündungen  der  Nierenbecken,  der  Blase 
ist  Bettruhe  eine  wichtige  Verordnung.  In  der  Diät  sind  reich- 
liche, beständige  Flüssigkeitzufuhr  und  Vermeidung  aller  Stoffe 
geboten,  die  einen  Beiz  auf  die  Schleimhaut  der  Harnorgane  aus- 
üben könnten.  Dazu  gehören  zweifellos  der  Alkohol  und  die 
Kohlensäure,  stark  saure  und  stark  gesalzene  Speisen,  Bettig, 


Pyelitis  und  Cystitis 


195 


Meerrettig,  Zwiebeln,  Senf,  Pfeffer,  riechende  Käse,  nach  einer 
verbreiteten  Annahme  auch  Kaviar,  Spargeln,  Eier.  Für  die 
meisten  Fälle  wird  es  richtig  sein,  wenigstens  in  den  ersten 
Tagen  vorwiegend  Schleimsuppen,  Milch,  Zitronenlimonade,  Obst- 
saft mit  Wasser  und  dünnen  Tee  oder  Kaffee  zu  reichen.  Bei 
dieser  leichten  Kost  ist  gewöhnlich  eine  Fürsorge  für  die  Darm- 
entleerung nötig;  Verstopfung  und  harter  Stuhlgang  veranlassen 
Blutandrang  nach  dem  Unterleib.  Am  besten  gibt  man  zu- 
nächst jeden  Tag  ein  Weinglas  voll  Bitterwasser,  nötigenfalls 
mehr,  morgens  nüchtern.  Auch  das  Bauchen  ist  zu  verbieten. 
Bei  chronischen  Fällen  ist  eine  normale  gemischte  Kost  mit 
verhältnismäßig  reichlicher  Flüssigkeit,  etwa  wie  S.  86  angegeben, 
das  richtige.  Fürsorge  gegen  Abkühlung  ist  geboten. 

Gegen  die  Entzündung  selbst  werden  eine  Beihe  von 
Arzneimitteln  verordnet.  Ein  altbewährtes  Mittel  ist  das 
Kalium  chloricum.  Wenn  man  es  immer  nur  nach  der  Mahlzeit 
nehmen  läßt,  nie  auf  leeren  Magen,  und  nicht  über  die  unschäd- 
liche Tagesabgabe  von  1,0  bei  Kindern,  5,0 — 8,0  bei  Erwachsenen 
hinausgeht,  ist  garnichts  dagegen  einzuwenden.  Man  verschreibt 

fjfc  Kalii  chlorici  5,0 
Aq.  dest.  120,0 
Sir.  Aurant.  cort.  30,0 
M.D.S.  2 stdl.  1 Eßl.  (Kdrn.  1 Teelöffel). 

Bei  weitem  nicht  dasselbe  leistet  das  Salol,  in  Pulvern  zu  0,5 
mehrmals  täglich  gegeben.  Einen  Vergleich  mit  dem  Kalium 
chloricum  halten  höchstens  die  neueren  Formaldehydpräparate 
aus,  namentlich  das  Urotropin  und  das  Helmitol.  Man  gibt  beide 
in  Tabletten  zu  0,5  und  läßt  davon  täglich  2 — 5 mal  eine  Ta- 
blette nehmen.  Bei  diesen  Gaben  ist  keine  Blasenreizung  zu  er- 
warten, die  bei  Gaben  von  6,0  pro  Tag  Vorkommen  soll.  Es 
bedarf  der  Erwähnung,  daß  man  diese  Mittel  auch  verwenden 
kann,  um  bei  Katheterismus  und  Operationen  an  den  Harnwegen 
die  Gefahr  des  Eintretens  einer  Cystitis  usw.  zu  verringern.  Bei 
der  Blasenlähmung  mit  Harnträufeln,  die  ja  ebenfalls  leicht 
zu  Cystitis  führt,  hat  sich  mir  das  Einatmen  von  Terpentinöl  sehr 
bewährt  — einige  Tropfen  aus  einem  Schälchen  oder  ein  Tee- 
löffel voll  auf  eine  Tasse  heißen  Wassers  gegossen  und  der  Dampf 
eingeatmet  — , einesteils,  weil  der  Harn  dadurch  seinen  üblen 
Geruch  verliert  und  eine  Art  Veilchenduft  annimmt,  anderseits, 
weil  die  Harngärung  vermindert  wird.  In  sehr  schweren  Fällen 

13* 


196 


Krankheiten  der  Harnorgane 


von  Cystitis,  wo  die  genannten  Mittel  nicht  wirken,  muß  man 
sich  zu  den  von  Guyon  angegebenen  Einträufelungen  von 
Höllensteinlösung  entschließen:  von  einer  2°/0igen  Argentum- 
nitricum- Lösung  werden  mit  einer  Spritze  durch  einen  dünnen 
weichen  Katheter  20  Tropfen  langsam  in  die  Blase  gedrückt. 
Stundenlange  Schmerzen  und  Reizerscheinungen  folgen  dem  Ein- 
griff, so  daß  man  zweckmäßig  vorher  kleine  Klistiere  mit  Morphium 
oder  Darmzäpfchen  mit  Opium,  gibt,  z.  B. 


Ijfc  Morphini  hydrochl.  0,15 
Atrop.  sulf.  0,005 
Aq.  dest.  50,0 

M.D.S.  Einen  Teelöffel  voll  zur 
Zeit  in  den  Mastdarm  ein- 
spritzen. 


Extr.  Opii  0,5 

Olei  Cacao  10,0 

F.  1.  a.  suppositoria  V.  D.S. 


Bei  stärkeren  Beschwerden  tun  auch  warme  und  oft 
namentlich  recht  heiße  Umschläge  auf  die  Nieren-  oder  auf 
die  Blasengegend  wohl.  Auch  warme  Sitzbäder  oder  Vollbäder, 
35°  0.,  bringen  in  der  Regel  Erleichterung.  Bei  cystitischer 
Harnverhaltung  katheterisiert man  zweimal  täglich  mit  dünnem, 
weichem  Katheter,  selbstverständlich  unter  strengster  Asepsis,  um 
nicht  noch  neue  Entzündungserreger  einzuführen.  Die  Des- 
infektion mit  flüssigen  Mitteln  ist  nicht  ganz  zuverlässig,  das 
Sterilisieren  in  strömendem  Wasserdampf  mit  den  bekannten 
Apparaten  entschieden  vorzuziehen.  Auch  das  zur  Einölung  des 
Katheters  benutzte  Olivenöl  muß  durch  Kochen  sterilisiert  sein 
und  aus  der  Glasstöpselflasche  auf  den  Katheter  geträufelt  werden, 
ohne  daß  die  Finger  dazu  kommen.  Der  Harnröhreneingang  und 
seine  Umgebung  werden  mit  1 °/00  igem  Sublimatwasser  gründlich 
gereinigt.  Nach  dem  Gebrauch  wird  der  Katheter  sofort  mit 
Wasser  gründlich  ausgespült  und  dann  wieder  sterilisiert. 

Wird  die  Pyelitis  oder  Cystitis  durch  Harnröhrenverengerung, 
Prostatavergrößerung,  Steine  oder  Geschwülste  bedingt,  so  ist 
zur  Verhütung  des  Weitergreifens  der  Erkrankung  nötigenfalls 
operativ  einzugreifen,  je  eher,  desto  besser. 

Eine  andere  direkte  Behandlung  der  Pyelitis  als  durch 
Operation  gibt  es  nicht,  dagegen  kann  man  die  chronisch  ent- 
zündete Harnblase  noch  durch  Ausspülungen  behandeln. 
Sie  werden  in  folgender  Weise  vorgenommen:  zunächst  führt  man 
einen  weichen  Katheter,  etwa  von  Weite  Nr.  10  engl.  Maßes,  in 
die  Blase  und  läßt  den  Urin  ausfließen.  Dann  verbindet  man 
mit  dem  äußeren  Ende  des  Katheters  den  Schlauch  eines  Glas* 


Blasenneurosen 


197 


irrigators  oder  einer  Blasenspritze  und  läßt  die  38°  C.  warme 
Spülflüssigkeit  langsam  und  unter  geringem  Druck  einfließen. 
Man  verwendet  am  besten  Kochsalzlösung  6°/00  oder  Salizylsäure- 
lösung 3 °/00.  Sobald  Unbehagen  oder  gar  Schmerzen  auftreten, 
läßt  man  das  Wasser  wieder  ausfließen,  niemals  geht  man  über 
150  ccm  auf  einmal  hinaus,  dagegen  wird  so  oft  wieder  einge- 
spült, bis  die  Flüssigkeit  ganz  klar  ab  fließt.  Der  Versuch,  eine 
geschrumpfte  Harnblase  durch  allmählich  vergrößerte  Einspülungen 
zu  dehnen,  muß  durchaus  den  erfahrenen  Spezialärzten  über- 
lassen werden,  weil  Zerreißungen  der  Blase  schon  bei  Einbringung 
von  200  ccm  beobachtet  worden  sind.  Dagegen  kann  man  in 
der  Praxis  den  Erfolg  der  einfachen  Blasenspülung  häufig  ver- 
bessern und  dauernde  Heilung  herbeiführen,  indem  man  der  be- 
schriebenen Spülung  eine  Ausspülung  mit  Höllensteinlösung 
folgen  läßt.  Man  nimmt  dazu  anfangs  eine  Lösung  von  Argen- 
tum nitricum  1:2000,  man  läßt  diese  Lösung  eine  Minute  in 
der  Blase  und  läßt  sie  dann  abfließen,  bei  der  nächsten  Spülung, 
nach  zwei  oder  drei  Tagen,  läßt  man  die  Flüssigkeit  2 — 3 Minuten 
in  der  Blase  verweilen.  Wird  auch  das  ohne  lebhaftere  Reaktion, 
Schmerzen  und  Blasenreizung,  vertragen,  so  kann  man  nach 
einigen  Tagen  etwas  stärkere  Lösungen,  zunächst  1 °/00,  an  wenden 
usw.  Es  ist  nicht  zweckmäßig,  stärkere  Lösungen  als  1:500  zu 
verwenden.  Nur  bei  sehr  hartnäckigen,  schmerzhaften  Formen 
der  Cystitis  kann  man  die  beschriebenen  G-uyon  sehen  Einträu- 
felungen vornehmen.  In  ganz  verzweifelten  Fällen,  wo  starke 
Blasenschrumpfung  und  beständiger  schmerzhafter  Harndrang  be- 
stehen, kann  operative  Freilegung  der  Blasenschleimhaut  mit 
Gurettage  usw.  geboten  sein.  Ebenso  ist  die  Operation  fast  immer 
geboten,  wenn  der  Blasenkatarrh  durch  Blasensteine  oder 
Fremdkörper  in  der  Blase  unterhalten  wird.  Die  Blasensteine 
und  die  Fremdkörper  gehen  fast  niemals  von  selbst  ab,  sondern 
sie  vergrößern  sich  gewöhnlich  immer  mehr  durch  Anlagerung 
neuer  Konkretionen.  Von  einer  inneren  Behandlung,  mit  Diät 
oder  Arzneimitteln,  ist  hier  nichts  zu  erwarten. 

6.  Blasenneiirosen. 

Die  nervösen  Erkrankungen  der  Blase  spielen  in  der  Praxis 
eine  große  Rolle,  freilich  oft  unerkannt,  mit  organischen  Krank- 
heiten verschiedener  Art,  manchmal  auch  mit  Unarten  verwechselt. 
Für  die  Behandlung  sind  solche  Irrtümer  natürlich  sehr  störend, 


198 


Krankheiten  der  Harnorgane 


denn  die  bei  den  organischen  Krankheiten  oft  so  segensreiche 
örtliche  Behandlung  schleppt  die  nervösen  Erkrankungen  nur  lange 
hin  und  verschlechtert  sie  nicht  selten.  Eine  genaue  Diagnose 
ist  also  hier  das  Entscheidende  für  den  Erfolg.  Es  kann  nicht 
genug  davor  gewarnt  werden , wie  es  in  der  Praxis  leider  noch 
vielfach  geschieht,  hei  jedem  Schmerz  in  der  Blasengegend  und 
bei  jedem  Harndrang  einen  Blasenkatarrh  anzunehmen.  Die 
Cystitis  darf  nur  diagnostiziert  werden,  wenn  der  Harn  ein 
Sediment  enthält,  worin  mikroskopisch  Eiterkörperchen  und  sehr 
zahlreiche  Harnbakterien  nachgewiesen  werden  können,  wenn  nicht 
gar  die  Zeichen  der  ammoniakalischen  Harngärung.  Ohne  diesen 
Befund  bedeuten  Schmerz,  Brennen,  Druck,  Zusammenschnüren 
in  der  Blasengegend  ebensowenig  wie  häufiger  Harndrang  eine 
Cystitis.  In  einzelnen  Fällen  können  solche  Beschwerden  von 
einem  Blasensteinleiden  abhängen,  aber  im  allgemeinen  treten 
hierbei  doch  heftigere  Schmerzen  auf,  die  sich  zumal  vor,  bei 
und  kurz  nach  der  Urinentleerung  einfinden,  mit  der  wachsenden 
Füllung  der  Blase  aber  abnehmen;  ferner  deuten  die  gelegent- 
lichen plötzlichen  Unterbrechungen  des  Harnstrahls  meist  deut- 
lich auf  Steinleiden  hin,  das  dann  durch  Sondierung  oder  Endo- 
skopie festgestellt  werden  kann.  Zuweilen  erstrecken  sich  die 
nervösen  Beschwerden  mehr  auf  das  Gebiet  des  Dammes  und 
der  Harnröhre  und  werden  dort  als  Brennen,  Jucken,  Druck 
usw.  empfunden.  Dann  muß  man  Prostataerkrankungen  und 
Gonorrhöe  ausschließen.  Wichtig  ist  endlich,  daß  man  die  der 
T ab  es  angehörigen  Blasenkrisen  kennt,  brennende  und  schnürende 
Schmerzen,  die  von  der  Blase  in  die  Eichel  ausstrahlen. 

Von  den  Urologen  werden  die  nervösen  Blasenbeschwerden, 
die  Cystalgie  oder  reizbare  Blase,  auch  Blasenkrampf  ge- 
nannt, noch  sehr  vielfach  örtlich  behandelt.  Dabei  stiften  die 
äußerlichen  Maßnahmen,  warme  Umschläge,  laue  Sitz-  und  Halb- 
bäder und  auch  kühlere  Sitzbäder  insofern  keinen  Schaden,  als 
sie  einen  günstigen  Einfluß  auf  das  Allgemeinbefinden  ausüben 
können.  Dagegen  halte  ich  die  Anwendung  des  Winternitz  sehen 
Psychrophors,  eines  katheterartigen  Instruments,  durch  das 
kaltes  Wasser  geleitet  wird,  um  Harnröhre  und  Blasenhals  aus- 
zukühlen, ebenso  wie  Blasenspülungen  für  geradezu  nachteilig. 
Die  Sensibilität  der  Teile  wird  durch  solche  Maßregeln  nicht 
wirklich  herabgesetzt,  jedenfalls  nicht  dauernd  beruhigt,  dagegen 
wird  die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  in  einer  durchaus  unvor- 
teilhaften Weise  auf  den  Ort  der  Beschwerden  hingelenkt,  oft 


Blaseiineiu'osen 


199 


werden  direkt  kypockondriscke  Vorstellungen  gezüchtet. 
Nur  wenn  als  Reste  einer  Gonorrhöe  nachweisbare  chronische 
Entzündungen  der  Pars  prostatica  urethrae  oder  des  Blasenhalses 
mit  dem  Endoskop  festgestellt  worden  sind,  dürfen  örtliche 
Ätzungen  unter  Leitung  dieses  Hilfsmittels  vorgenommen  werden. 
In  allen  anderen  Fällen  muß  die  Allgemeinbehandlung  der  Neur- 
asthenie eingeleitet  und  die  mit  Beschwerden  behaftete  Partie 
völlig  in  Ruhe  gelassen  werden.  Als  Mittel,  die  für  den  Augen- 
blick, z.  B.  für  den  einzelnen  Schmerzanfall  der  Cystalgie,  ver- 
ordnet werden  können,  sind  besonders  das  Sitzbad  oder  Voll- 
bad von  35  °C.,  warme  Umschläge  auf  die  Unterbauchgegend, 
Trinken  von  heißem  Tee  und  Pyramidon  oder  Kryofcn  innerlich 
zu  empfehlen.  Auch  das  Bornyval , in  Kapseln  zu  0,25  im  Handel, 
ein  wirksames  Baldrianpräparat,  leistet  dabei  gute  Dienste. 

Der  Blasenkrampf,  Cystospasmus,  äußert  sich  durch 
Harnverhaltung.  Auch  hier  ist  die  Allgemeinbehandlung  der  zu- 
grundeliegenden Neurose,  meistens  Hysterie,  die  Hauptsache.  Hält 
die  Blasenverschließung  länger  an,  so  ist  der  Katheter  angezeigt, 
der  bei  sanftem,  geduldigem  Einführen  gewöhnlich  bald  den 
Krampf  des  Schließmuskels  überwindet.  Zuweilen  ist  gleichzeitig 
die  Harnabsonderung  durch  nervöse  Einflüsse  so  vermindert,  daß 
der  Katheterismus  lange  ab  warten  kann.  Der  perkussorisch  fest- 
gestellte Blasenstand  entscheidet. 

Die  Blasenlähmung,  Cystoplegie,  und  die  Blasen- 
schwäche, Cysto parese,  sind  in  den  meisten  Fällen  Folge  von 
einmaliger  oder  mehrfach  vorgekommener  Überdehnung  der  Blase. 
Zur  Verhütung  des  unangenehmen  Leidens  ist  daher  darauf  zu 
halten,  daß  schon  unter  gesunden  Verhältnissen  auf  rechtzeitige 
Entleerung  des  Harns  gesehen  wird,  und  daß  insbesondere  bei 
Krankheiten,  die  leicht  zu  einer  Überfüllung  der  Blase  führen, 
die  regelmäßige  Entleerung  überwacht  wird,  so  bei  Typhus,  im 
Puerperium,  bei  allen  Benommenheitzuständen  körperlich  oder 
geistig  Kranker,  bei  Tabes,  nach  Unterleibsoperationen,  bei  hyste- 
rischem Blasenkrampf.  Für  die  Insassen  eines  Siechenhauses  hat 
erst  in  neuerer  Zeit  Homburger  nachgewiesen,  daß  anderthalb- 
stündliches Auffordern  zur  Blasenentleerung  dem  Eintreten  der 
Blasenlähmung  mit  dem  so  lästigen  Symptom  des  Harnträufelns 
mit  Sicherheit  vorbeugte.  Wo  die  Aufforderung  nicht  genügt 
und  auch  die  bei  schlaffen  Bauchdecken  wohl  ausführbare  Zu- 
sammendrückung der  Blase  erfolglos  bleibt,  ist  regelmäßig  5 — 6 mal 
am  Tage  der  Katheter  anzulegen.  Die  Anwendung  des  Katheters 


200 


Krankheiten  der  Harnorgane 


nur  bei  der  Morgen-  und  Abendvisite  ist  entschieden  ungenügend. 
Natürlich  muß  streng  auf  aseptisches  Verfahren  gehalten  werden, 
vgl.  S.  196,  und  auch  die  innerliche  Darreichung  von  Kalium 
chloricum  oder  Urotropin  oder  Helmitol  ist  nicht  zu  vernach- 
lässigen, vgl.  S.  195.  Mit  der  Besserung  wird  die  Zahl  der 
Katheteranlegungen  immer  mehr  eingeschränkt.  Bei  dem  Harn- 
träufeln ist  das  Katheterisieren  deshalb  besonders  nötig,  weil  die 
Blase  sich  von  selbst  immer  nur  unvollkommen  entleert  und  da- 
durch leicht  Blasenkatarrh  entsteht.  Über  die  symptomatische 
Wirkung  der  TerpentinölQin&tmmig  bei  Inkontinenz  vgl.  S.  195. 

Als  Heilmittel  gegen  Blasenschwäche  und  Blasenlähmung 
sind  in  manchen  Fällen  Sekale  und  Strychnin  wirksam. 


Ipfc  Extr.  Secalis  corn. 

(am  besten  dialys.  Golaz)  25,0 
D.S.  3 mal  tägl.  20  Tropfen. 


JEJ;  Ergotini  Bombeion  10,0 

D.S.  3 mal  tägl.  1 — 2 Tropfen 
(für  Kinder). 


3 Tct.  Strychni  10,0 

D.S.  3 mal  tägl.  10  Tropf.  (Kdrn. 
3 mal  tägl.  1—2  Tropfen). 


^ S.trychnini  nitr.  0,05 
Boli  albae  5,0 

F.Pil.  50.  D.S.  Nach  Vorschrift. 


Die  Strychninpillen  sollen  in  der  Weise  angewendet  werden, 
daß  man  am  ersten  Tage  morgens  und  abends  eine  gibt  und  jeden 
folgenden  Tag  eine  Pille  mehr  gibt,  bis  10  Pillen  am  Tage  ge- 
geben werden,  etwa  5 mal  täglich  2 im  Anschluß  an  die  Mahl- 
zeiten. Bei  dieser  Dosis  bleibt  man  5 — 6 Tage,  dann  wird 
mindestens  10  Tage  ausgesetzt,  wegen  der  Gefahr  der  Kumulativ- 
vergiftung. Die  Vergiftung  äußert  sich  durch  allgemeine  Unruhe, 
Zittern,  Steifheit  im  ganzen  Körper,  äußerste  Empfindlichkeit  der 
Sinnesorgane,  dann  Starrkrampf,  Angst  und  Dyspnoe.  Bei  den 
ersten  Zeichen  wird  man  natürlich  das  Mittel  sofort  aussetzen, 
bei  einigermaßen  zuverlässigen  Kranken  kann  man  aber  ohne  Be- 
denken die  Kur  anfangen. 

Die  Elektrisation  wird  bei  Blasenschwäche  viel  angewendet, 
und  sie  würde  auch  hier  sicher  in  größerem  Ansehen  stehen, 
wenn  immer  sachgemäß  elektrisiert  würde.  Wegen  der  Einzel- 
heiten ist  die  Darstellung  der  Elektrotherapie  im  Abschnitt  Be- 
handlung der  Nervenkrankheiten  nachzusehen.  Man  verwendet 
bei  Blasenschwäche  sowohl  den  galvanischen  wie  den  faradischen 
Strom  an,  setzt  von  den  beiden  mittelgroßen,  gut  mit  heißem 
Wasser  durchfeuchteten  Elektroden  die  eine  am  Damm,  die  andere 
oberhalb  der  Symphyse  auf  und  wendet  mittelstarke  Ströme  an. 
Nur  bei  ganz  veralteten  Lähmungen  nimmt  man  starke  Ströme 


Bettnässen,  Enuresis  nocturna 


201 


und  beim  Galvanisieren  VoLTAsche  Alternativen.  Ob  mit  Bougie- 
oder  Mastdarmelektroden  mehr  erreicht  wird,  ist  sehr  zweifelhaft. 
Jedenfalls  muß  die  Elektrisation  mit  einer  regelmäßigen  Katheter- 
behandlung verbunden  werden. 

Wo  die  Inkontinenz  nicht  beseitigt  werden  kann,  muß 
einer  der  käuflichen  Harnrezipienten  getragen  werden,  im  Bett 
genügt  bei  Männern  im  allgemeinen  die  Urinflasche,  ihrer  Form 
nach  Ente  genannt.  Für  solche  Fälle,  die  trotz  sonst  guter  Ge- 
sundheitsverhältnisse unheilbar  erscheinen,  kommen  verschiedene 
operative  Eingriffe  in  Frage. 

7.  Bettnässen,  Enuresis  nocturna. 

Das  Bettnässen,  die  nächtliche  Inkontinenz  der  Blase,  kommt 
in  drei  verschiedenen  Formen  vor,  die  auch  verschieden  behandelt 
werden  müssen.  Die  erste  Gruppe  der  Kranken  hat  von  frühester 
Kindheit  an  allnächtlich  oder  fast  allnächtlich  und  zuweilen  auch 
am  Tage  an  Enuresis  gelitten  und  wird  trotz  der  Behandlungs- 
versuche erst  mit  dem  fünften  Jahre  oder  noch  später  davon  frei, 
bei  einer  zweiten  Gruppe  ist  das  Leiden  erst  später  nach  einer 
Infektionskrankheit  oder  nach  Verletzungen  oder  in  der  Pubertät 
entstanden,  das  Einnässen  tritt  Wochen-  und  monatelang  ziemlich 
jede  Nacht  ein  und  hört  allmählich  wieder  auf;  bei  der  dritten 
Gruppe  findet  sich  die  Störung  zuerst  nach  dem  5.  Jahre,  sie 
tritt  in  ganz  unregelmäßigen  Zwischenräumen,  manchmal  zeit- 
weise gehäuft  auf  und  erstreckt  sich  zuweilen  bis  in  das  höhere 
Alter  hinein.  Die  Fälle  der  letzten  Gruppe  beruhen  wohl  sämt- 
lich auf  Epilepsie  und  sind  demgemäß  zu  behandeln,  ohne  daß 
irgend  etwas  örtlich  vorgenommen  zu  werden  braucht.  Bei  der 
ersten  Gruppe  handelt  es  sich  um  ein  Fortbestehen  des  infan- 
tilen Zustandes  der  Blaseninnervation,  um  eine  Schwäche 
des  Sphinkters,  die  man  am  besten  durch  Elektrisation,  wie  im 
vorigen  Abschnitt  angegeben  worden  ist,  und  durch  Sekale  oder 
Strychnin  behandelt,  vgl.  S.  200.  Bei  der  zweiten  Gruppe  handelt 
es  sich  um  Kinder  mit  angeborener  nervöser  Anlage,  nicht 
selten  um  Imbezille  oder  zu  Dementia  praecox  Veranlagte,  und 
bei  ihnen  spielen  für  den  Ausbruch  der  Krankheit  verschiedene 
Ursachen  mit:  Wurmreiz,  Phimose,  Blasensteine,  Rachenmandeln, 
Erkältung  und  Überanstrengungen.  Man  hat  also  bei  diesen  Fällen 
zunächst  nach  solchen  Ursachen  zu  suchen  und  sie  zu  entfernen. 
Strafen,  regelmäßiges  Wecken  des  schlafenden  Kindes  und  Weg- 


202 


Krankheiten  der  Harnorgane 

lassen  der  flüssigen  Abendkost  sind  unnötige  Quälereien  ohne 
heilende  Wirkung.  Mehr  erreicht  man  durch  sorgfältige  Hebung 
des  Allgemeinzustandes:  Genügende  Ruhe,  sorgfältige  Er- 
nährung mit  gemischter  Kost,  vorsichtige  Abhärtung  durch  Bäder 
von  34  0 C.  Darreichung  von  Eisenpräparaten,  Sanguinalpillen  usw. 
Fürsorge  für  regelmäßige  Entleerung  der  Blase  und  des  Darmes 
ist  wichtig.  Von  inneren  Mitteln  zeigen  in  diesen  Fällen  Natrium 
bromatum , abends  0,5  in  einem  Glas  Wasser,  Atropinum  sulfuri- 
cum,  bei  kleinen  Kindern  0,0001,  bei  größeren  0,0005  langsam 
steigend  bis  0,004  und  0,005  in  einmaliger  Abendgabe. 

3rj5i  Atropini  sulf.  0,01 
Aq.  dest.  10,0 

D.S.  Abds.  2 Tropfen  (=  0,0001)  und  steigend. 

Sehr  schnell  wirkt  mitunter  das  Antipyrin , dreimal  im  Laufe 
des  Abends  0,5,  auch  das  Fxtradum  fluidum  Rhois  aromaticae 
wird  gelobt,  Kindern  unter  2 Jahren  morgens  und  abends  2 Tropfen, 
älteren  morgens  und  abends  10 — 30  Tropfen  in  etwas  Wasser 
oder  Zucker wasser.  Auch  hier  kann  man  die  Galvanisation 
heranziehen,  aber  nicht  etwa  mit  schmerzhaften  Strömen,  als  Ab- 
schreckungsmittel. Das  liegt  außer  dem  Bereich  der  ärztlichen 
Kunst ! 


V 


Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane. 

Gonorrhöe,  Tripper. 

Die  Zeiten  sind  glücklicherweise  vorüber,  wo  auch  Ärzte 
die  Gonorrhöe  als  eine  Kinderkrankheit  bezeichneten  und  den 
Kranken , der  ihnen  im  Schmerz  über  die  erlittene  Infektion 
nahte,  durch  freigebigen  Trost  über  seine  Befürchtungen  hinweg- 
zubringen suchten.  Wir  wissen,  daß  die  Gonorrhöe  des  Mannes 
ihn  durch  Prostatitis,  Cystitis,  Pyelitis,  Epididymitis  mit  nach- 
folgender Azoospermie,  Gelenkerkrankungen  und  Endokarditis 
schwer  schädigen  kann,  daß  sie  sein  Nervensystem  verderben  kann, 
und  daß  im  Beginn  der  Krankheit  niemals  ahzusehen  ist,  wie 
schwer  sich  die  Krankheit  verhalten  wird ; wir  wissen  ferner,  daß 
auch  die  unscheinbarsten  Reste  der  Gonorrhöe  des  Mannes  zu 
schweren  Erkrankungen  der  Frau,  mit  unheilbarem  oder  tödlichem 
Verlaufe,  führen  können,  und  daß  die  Nachkommen  durch  Augen- 
blennorrhöe  blind  zu  werden  gefährdet  sind.  Grund  genug,  allen 
Ernstes  und  in  weitestem  Maße  für  die  Verhütung  der  Krankheit 
zu  arbeiten! 

Die  Hauptquelle  der  Gonorrhöe  ist  anerkanntermaßen  die 
Prostitution.  Es  wäre  daher  auch  vom  ärztlichen  Standpunkte 
aus  dringend  erwünscht,  dieses  „geregelte  Laster“  zu  unterdrücken. 
Auch  der  entschiedenste  Gegner  muß  aber,  wenn  er  auf  dem 
Boden  der  Tatsachen  steht,  das  für  jetzt  als  unmöglich  erklären. 
Nur  eine  völlige  Umwandlung  der  geschlechtlichen  Moral  würde 
die  Aufhebung  der  Prostitution  ermöglichen.  Bis  dahin  muß 
jede  Abolition  den  Erfolg  haben,  auch  die  gegenwärtig  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  gesund  erhaltene  Prostitution  rettungslos 
wie  bisher  die  geheime  Prostitution  den  Geschlechtskrankheiten 
zu  überlassen  und  die  unwissenden  oder  leichtsinnigen  Männer 
der  Infektion  auszuliefern.  Wer  mit  offenen  Augen  ins  Lehen 


204  Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane 

sieht,  kann  vielmehr  nur  das  Ziel  haben,  möglichst  viele  der 
geheim  Prostituierten  unter  die  sanitäre  Aufsicht  zu  bringen.  Der 
Einwand  der  Abolitionisten,  daß  die  Kontrolle  der  Prostituierten 
gegen  ihre  Menschenwürde  sei,  ist  unhaltbar.  Mit  demselben 
Rechte  könnte  man  gegen  die  Beaufsichtigung  der  Vagabunden 
und  Korrigenden  usw.  Bedenken  tragen.  Vielmehr  berechtigt  die 
ungeheure  Gesundheitsgefahr  der  Prostitution  vom  Standpunkte 
der  Seuchenbekämpfung  dazu,  die  Prostituierten  zu  kasernieren. 
Gegen  die  Einführung  gerichtlicher  Kautelen  und  gegen  die  Durch- 
führung einer  weniger  polizeimäßigen  Behandlung  in  den  Kranken- 
häusern ist  natürlich  nichts  einzuwenden. 

Ein  weiterer  Schutz  gegen  die  Infektionsgefahr  wäre  in  der 
Bekämpfung  des  außerehelichen  Geschlechtsverkehrs 
überhaupt  zu  finden.  Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  eine 
bessere  Aufklärung  der  Jugend  viel  dazu  beitragen  würde.  Dem 
unseligen  Aberglauben,  daß  für  den  Mann  ein  regelmäßiger  oder 
überhaupt  ein  öfterer  Geschlechtsverkehr  gesundheitlich  notwendig 
sei,  läßt  sich  am  besten  durch  Belehrung  in  der  Jugendzeit  ent- 
gegenwirken. Die  von  Nervenärzten  hier  und  da,  so  neuerdings 
von  Erb  hervorgehobenen  Schäden  der  geschlechtlichen  Enthalt- 
samkeit für  Neurastheniker  beruhen  großenteils  darauf,  daß  die 
Betreffenden  von  Jugend  auf  in  dem  Glauben  gehalten  worden 
sind,  der  Geschlechtsverkehr  sei  unentbehrlich,  und  daß  sie  nun 
durch  sein  Pehlen  in  derselben  Weise  psychisch  gequält  werden 
wie  durch  versetzte  Blähungen,  ausgebliebenen  Stuhlgang  und 
vor  einigen  Jahrzehnten  durch  die  Versagung  der  gewohnten 
Blutentziehungen.  Außerdem  lehrt  die  Erfahrung,  daß  die  Neur- 
astheniker, die  sich  als  Opfer  der  Enthaltsamkeit  fühlen  und  von 
der  erlösenden  Wirkung  des  Koitus  berichten,  späterhin  wohl 
immer  trotz  dieser  Entladungen  wieder  mit  denselben  Klagen  wie 
vorher  bei  dem  Arzte  erscheinen  oder  nun  zu  einem  anderen 
gehen,  weil  der  Rat,  geschlechtlich  zu  verkehren,  ihnen  nicht 
genützt,  ihnen  aber  vielleicht  eine  Geschlechtskrankheit  einge- 
bracht hat. 

Einen  sehr  wesentlichen  Schutz  der  Männer  gegen  den  außer- 
ehelichen Verkehr  und  seine  Folgen  bietet  die  Änderung  unserer 
Trinkunsitten.  Der  größte  Teil  der  Geschlechtskrankheiten 
wird  sicher  im  Rausche  erworben.  Die  Mehrzahl  der  Männer 
würde  im  nüchternen  Zustande  gar  keinen  Geschmack  an  den 
Prostituierten  finden  oder  doch  ihre  Begierden  im  Zaume  halten 
können.  Besonders  wichtig  ist  daher  der  Kampf  gegen  die  Alkohol- 


Gonorrhöe,  Tripper 


205 


gewohnheiten  und  insbesondere  gegen  die  Kneipen  mit  weib- 
licher Bedienung,  wo  Alkohol  und  geschlechtliche  Anreizung 
Zusammenwirken.  Auch  die  Überbürdung  der  Schüler,  zumal 
die  mit  reizlosem  Lernstoff,  bringt  sexuelle  Gefahren,  weil  sie 
blasiert  macht  und  geistig  verödet  und  nach  schlechten  Beizen 
lüstern  macht. 

Ganz  besonders  wichtig  ist  die  rechtzeitige  Aufklärung 
der  Heiratenden  über  die  Gefahr,  die  eine  latente  Gonorrhöe 
der  jungen  Frau  bringen  kann.  Sehr  wenige  Männer  sind  darüber 
unterrichtet,  daß  sie  von  einer  vielleicht  vor  Jahren  überstandenen 
Gonorrhöe  her,  ohne  irgend  welche  auffallenden  Erschei- 
nungen noch  virulente  Gonokokken  in  ihren  Harnwegen 
haben  können,  die  bei  dem  erregten  Geschlechtsverkehr  der  Neu- 
vermählten leicht  mit  sehr  schlimmen  Folgen  aktiv  werden  können. 
Gewöhnlich  wird  dann  auch  noch  die  erfolgte  Infektion  nur  als 
„Reizung  durch  die  Defloration“  angesehen  und  die  nötige  Schonung 
und  Behandlung  so  lange  versäumt,  bis  ernste  Erscheinungen 
da  sind.  Der  Hausarzt  des  künftigen  Ehemannes  und  auch  der 
der  künftigen  Frau  können  bei  taktvollem  Vorgehen  ohne  Gefahr 
viel  Unheil  verhüten;  der  künftige  Ehemann  wird  ihnen  für  eine 
vorsichtig  vorgebrachte  Warnung  nur  dankbar  sein  können. 

Die  Verhütung  der  Infektion  von  Männern,  die  auf  den 
außerehelichen  Verkehr  nicht  verzichten  wollen,  beschränkt  sich 
auf  das  bekannte,  aber  bei  den  meisten  nicht  beliebte  mecha- 
nische Mittel  des  Gummi-  oder  Fischblasenkondoms  und  auf 
die  neuerdings  empfohlenen  chemischen  Schutztropfen,  zu- 
mal das  Prophylacticum  der  Farbwerke  vormals  Bayeb  & Co.  in 
Elberfeld,  eine20°/oige  Protargollösung,  und  das  salbenförmige, 
ebenfalls  aus  Protargol  bestehende  Schutzmittel  Viro  in  Zinntuben. 
Von  jedem  soll  sogleich  nach  dem  verdächtigen  Beischlaf  eine 
geringe  Menge  in  die  Harnröhrenmündung  gebracht  werden.  Auch 
die  Einbringung  einiger  Tropfen  2 °/0  iger  Argentwn-nitricum- 
Lösung  wurde  empfohlen.  Die  Wirkung  aller  dieser  Maßregeln 
wird  sehr  gerühmt.  Ferner  empfiehlt  es  sich,  möglichst  bald  nach 
dem  Beischlaf  den  Urin  zu  entleeren  und  damit  die  Harnröhre 
auszuspülen,  sowie  das  Glied  mit  Wasser  und  Seife  oder  mit 
1 °/0  iger  Sublimatlösung  zu  reinigen. 


206 


Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane 


Behandlung  der  akuten  Gonorrhöe. 

Eine  sehr  wichtige,  aber  viel  zu  oft  unterlassene  Maßregel 
gegen  die  akute  Gonorrhöe  ist  die  Bettruhe.  Es  liegt  in  der 
Natur  der  Sache,  daß  in  den  meisten  Fällen  die  Krankheit  nicht 
bekannt  werden  soll,  wenn  der  Arzt  aber  pflichtgemäß  die  ernste 
Forderung  der  Bettruhe  stellt,  wird  sich  fast  immer  ein  Weg 
finden  lassen,  um  sie  durchzuführen,  auch  ohne  daß  das  Geheimnis 
verraten  wird.  Wo  es  wirklich  nicht  geht,  ist  wenigstens  nach 
Möglichkeit  die  Körperbewegung  einzuschränken,  in  der  unbe- 
schäftigten Zeit  flache  Lage  einzuhalten;  zugleich  muß,  solange 
der  Kranke  außer  Bett  ist,  der  Hodensack  durch  ein  Suspen- 
sorium gestützt  werden,  am  besten  durch  eines,  das  ziemlich 
groß  ist  und  mit  Watte  gepolstert  wird  und  durch  Schenkel- 
riemen in  der  richtigen  Lage  gehalten  wird.  Die  Bettruhe  ist 
auch  deshalb  wünschenswert,  weil  sie  allein  die  richtige  reizlose 
Diät  ermöglicht:  vorwiegend  Milchkost  mit  Zugabe  von  leicht 
verdaulichen  Mehlspeisen  und  zartem,  nicht  gewürztem  Gebäck. 
Auch  Limonaden  von  Zitrone  und  anderen  Früchten  sind  zweck- 
mäßig, nur  gegen  Abend  gibt  man  nicht  gern  viel  Flüssigkeit, 
um  die  Nachtruhe  nicht  durch  das  schmerzhafte  Urinlassen  oder 
durch  die  bei  Blasenfüllung  leicht  eintretenden  schmerzhaften  Erek- 
tionen zu  gefährden.  Aus  dem  letztgenannten  Grunde  vermeidet 
man  auch  ein  zu  weiches  oder  zu  warmes  Lager,  läßt  den  Kranken 
auf  einer  Seite  liegen  und  rät,  alles  geschlechtlich  Anregende  in 
Gedanken,  Lektüre  usw.  zu  vermeiden. 

Das  erkrankte  Glied  nebst  dem  Hoden  wird  durch  Unter- 
schieben eines  geeigneten  Kissens  hochgelagert,  gegen  den  Leib 
heraufgeschlagen  und  am  besten  mit  einem  Eisbeutel  bedeckt. 
Durch  eine  genügende  Gabe  Bitterwasser  am  Morgen  oder  Phenol- 
phthalein, vgl.  S.  129,  am  Abend  sorgt  man  für  gründliche  Darm- 
entleerung. Die  Blase  soll  trotz  der  Schmerzen  der  Entleerung 
nicht  zu  selten  entleert  werden,  weil  der  Harnstrahl  den  an- 
gesammelten Eiter  am  besten  heraustreibt.  Bei  sehr  heftigen 
Schmerzen  kann  man  den  Urin  in  einem  warmen  Sitzbade  unter 
Wasser  entleeren  lassen.  Das  Glied  wird  vor  Beschmutzung 
durch  den  Eiter  geschützt,  indem  man  ein  Stückchen  Verband- 
gaze oder  Wund watte  zwischen  Eichel  und  Vorhaut  legt  oder  bei 
fehlender  Vorhaut  einen  kleinen  Verband  anlegt,  der  durch  ein 
über  das  Glied  gezogenes  Säckchen  gehalten  wird,  das  am  Suspen- 
sorium oder  mit  zwei  Bändern  um  die  Lenden  befestigt  wird. 


Behandlung  der  akuten  Gonorrhöe 


207 


Nach  jeder  Berührung  des  Gliedes  müssen  die  Hände  sorgfältig 
gereinigt  werden,  am  besten  mit  Seifenspiritus  oder  mit  1 °/0  iger 
Sublimatlösung,  damit  nicht  Gonokokken  auf  die  Augenbindehaut 
oder  die  Nasenschleimhaut  fortgetragen  werden  können. 

Erst  nach  einer  Woche  ist  eine  normale  gemischte  Kost 
zu  gestatten,  doch  sollen  während  der  ganzen  Dauer  der  Krankheit 
gewürzte  Speisen  und  alkoholische  und  kohlensaure  Ge- 
tränke streng  vermieden  werden.  Das  meist  erlassene  Rauch- 
verbot ist  nur  für  das  übermäßige  Rauchen  berechtigt. 

In  den  ersten  Tagen  des  Ausflusses,  wenigstens  bei  der  ersten 
Gonorrhöe  mit  ihren  meist  sehr  ausgesprochenen  Entzündungs- 
erscheinungen, unterlassen  die  meisten  Autoren  eine  örtliche  Be- 
handlung. Die  früher  und  von  einzelnen  noch  jetzt  empfohlenen 
Kupier ungsmethoden  sind  im  ganzen  unwirksam  und  vielleicht 
nicht  unbedenklich.  Am  ehesten  wird  man  das  WELANDEESche 
Verfahren  versuchen,  mit  einer  watteumwickelten  Sonde  die 
Schleimhaut  in  der  Nähe  der  Harnröhrenmündung  kräftig  ab- 
zureiben, selbst  bis  zu  geringer  Blutung,  und  dann  2 °/Q  ige 
Argentum -nitricum-Lösung  einzupinseln.  Man  kann  jedenfalls  nur 
in  den  ersten  Tagen  etwas  davon  erwarten  und  kann  dann  das 
Verfahren  nach  24  Stunden  wiederholen.  Dagegen  ist  allgemein 
eine  innerliche  Verordnung  von  Natrium  salicylicum , 2 stündlich 
0,5,  zweckmäßig,  weil  dadurch  der  Harn  desinfiziert  und  zugleich 
die  Neigung  zu  Erektionen  herabgesetzt  wird.  Nach  8 — 4 Tagen 
hört  man  damit  auf  und  gibt  nun  besser  Urotropin  oder  Helmitol 
nach  den  Vorschriften  S.  195,  oder  auch  Oleum  Santali  rein  oder 
in  der  Form  des  Salosantals  (Salol  in  Sandelöl  gelöst)  oder  am 
besten  des  Gonosans  (Kawaharz  und  Sandelöl). 


Ipfc  Natrii  salicyl.  5,0 
Aq.  dest.  150,0 
D.S.  2 stdl.  1 Eßl. 


Ijjfc  Caps,  elast.  Gonosani  0,3 

D.  Nr.  50.  S.  3—5  mal  täglich 
2 Kapseln,  nach  dem  Essen. 


^ Salosantali  25,0 

D.S.  3 mal  tägl.  10 — 20  Tropfen  in  Wasser  oder 
Zuckerwasser  nach  dem  Essen. 


Man  kann  auch  morgens  und  mittags  Urotropin  und  zu 
anderen  Zeiten  nach  den  Mahlzeiten  die  Sandelölmittel  geben, 
Die  älteren  Mittel,  namentlich  Kopaivbalsam  und  Kubeben,  sind 
dadurch  jedenfalls  überflüssig  geworden.  Wenn  Magen-  und  Darm- 


208 


Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane 


Störungen  eintreten  oder  Nierenreizung  vorliegt,  sind  die  Ölmittel 
auszusetzen,  ebenso,  wenn  sie  Urticaria  und  dergl.  veranlassen. 
Gewöhnlich  wirken  diese  Verordnungen  auch  den  schmerzhaften 
Erektionen  und  dem  Tenesmus  entgegen,  insbesondere  das  Gonosan. 
Nötigenfalls  kann  man  dagegen  Bromnatrium , abends  0,5 — 1,0 
oder  Pyramidon  0,5  oder  Suppositorien  mit  Belladonna  und  Opium 
verordnen. 

^ Extr.  Belladonnae  0,2 
Extr.  Opii  1,0 
Olei  Cacao  25,0 
F.  1.  a.  Suppositoria  X. 

S.  Abds.  1,  nötigenfalls  nachts  ein  zweites  in  den 
After  einführen. 

Die  wichtigste  Verordnung,  die  örtliche  Behandlung, 
setzt  ein,  wenn  die  heftigsten  Entzündungserscheinungen  vorüber 
sind.  Für  die  Praxis  kommen  für  die  akute  Gonorrhöe  die  Ein- 
spritzungen und  die  Irrigationen  in  Frage. 

«-  Zur  Einspritzung  benutzt  man  die  Harnröhrenspritze,  am 
besten  solche  aus  Glas  mit  Kautschukstempel  und  stumpfer  Kautschuk- 
spitze, etwa  10  ccm  haltend.  Die  erste  Einspritzung  soll  stets 
unter  Aufsicht  des  Arztes  oder  von  diesem  selbst  gemacht  werden; 
dabei  ist  auch  zu  zeigen,  wie  die  Spritze  gereinigt  und  sauber 
gehalten  wird.  Am  besten  wird  die  Einspritzung  im  Liegen  vor- 
genommen, man  kann  sie  aber  auch  im  Sitzen  oder  im  Stehen 
machen  lassen.  Die  Lösung  wird  vorher  auf  Körperwärme  ge- 
bracht. Immer  soll  vor  der  Einspritzung  der  Harn  entleert 
werden,  damit  nicht  der  Eiter  zurückgetrieben  werde.  Man  setzt 
die  Mündung  der  Spritze  fest  gegen  die  mit  Daumen  und  Zeige- 
finger gehaltene  Eichel  an  und  drückt  den  Kolben  langsam  gleich- 
mäßig vor.  Die  Flüssigkeit  soll  die  Harnröhre  einigermaßen 
ausdehnen,  damit  sie  in  alle  Falten  hineinkommt,  sie  soll  aber 
auch  nicht  den  Muskeldruck  der  Pars  membranacea  überwinden. 

Unter  den  zur  Einspritzung  verwendeten  Flüssigkeiten  unter- 
scheidet' man  seit  der  Kenntnis  des  Gonokokkus  die  gonokokken- 
tötenden von  den  adstringierenden.  Für  die  erste  Zeit  verwendet 
man  zweifellos  am  besten  nur  die  gonokokkentötenden  Mittel. 
Am  besten  wirken  darunter  das  Argentum  niiricum  und  seine 
Präparate,  vor  allem  Protargol , Albargin , Argentamin , Argonin , 
Largin , Ichthargan  und  Argentol.  Ein  jedes  hat  seine  Liebhaber, 
aber  Argentum  nitricum  und  Protargol  scheinen  dabei  bevorzugt 
zu  sein. 


Behandlung1  der  akuten  Gonorrhöe 


209 


Das  Argentum  nitricum  verwendet  man  am  besten  in  sehr 
dünnen  Lösungen,  0,1  °/0,  dann  0,2  °/0,  wenn  erhebliche  Reizung 
auftritt,  anfangs  noch  schwächer,  eine  gewisse  Reizung  ist  aber 
für  die  Wirkung  nötig.  Die  Flecken  in  der  Wäsche  beseitigt 
man  durch  Jodjodkaliumlösung  oder  durch  Cyankaliumlösung. 
Reizloser  wirkt  das  Protargol.  Die  Lösungen  müssen  mit  kaltem 
Wasser  bereitet  und  dürfen  nicht  erhitzt  werden.  Eine  stärkere 
Lösung,  zum  Auspinseln  der  Harnröhrenmündung  in  der  be- 
schriebenen Welander  sehen  Weise  verwendbar,  bereitet  man  nach 
Bettmann  so,  daß  man  10  g Protargol  in  ganz  flacher  Porzellan- 
schale auf  45  g kaltes  Wasser  schichtet  und  bis  zur  völligen 
Lösung  unberührt  stehen  läßt,  dann  Glyzerin  ad  100,0  zugibt. 
Andere  halten  den  Glyzerinzusatz  für  unzweckmäßig;  namentlich 
für  die  schwächeren  Lösungen,  die  eingespritzt  werden  sollen, 
nimmt  man  wohl  am  besten  nur  Wasser.  Man  verwendet  zuerst 
eine  0,3°/0ige  Lösung,  spritzt  dreimal  täglich  ein  und  läßt  die 
beiden  ersten  Male  die  Lösung  5 Minuten,  das  dritte  Mal 
30  Minuten  in  der  Harnröhre  zurückhalten,  nach  Neisser;  nach 
einigen  Tagen  ist  nur  diese  eine  Einspritzung  mit  30  Minuten 
Dauer  noch  nötig.  Allmählich  nimmt  man  die  Lösung  stärker, 
bis  zu  2 °/0,  indem  man  sich  immer  nach  den  eintretenden  Reiz- 
erscheinungen richtet.  Die  Protargolflecken  werden  mit  warmem 
Seifenwasser,  ältere  durch  Wasserstoffperoxyd  und  Salmiakgeist 
beseitigt. 

Im  ganzen  stehen  die  Erfolge  der  Einspritzungen  hinter 
denen  der  Irrigationen  nach  Janet  zurück,  vielleicht  haupt- 
sächlich , weil  letztere  immer  vom  Arzte  selbst  vorgenommen 
werden.  Man  macht  sie  am  einfachsten  mit  einem  Irrigator, 
dessen  Schlauch  mit  einem  Nelatonkatheter  (Charriere  Nr.  8)  ver- 
bunden ist.  Der  Katheter  muß  vorn  nicht  eine  Öffnung  haben, 
sondern  siebartig  durchlöchert  sein;  er  wird  mit  Glyzerin  be- 
feuchtet und  vorsichtig  bis  zu  dem  fühlbaren  Widerstande  der 
Pars  membranacea  eingeführt,  selbstverständlich  auch  nur  nach 
vorhergehender  Entleerung  der  Blase.  Dann  läßt  man  die  auf 
38  °C.  erwärmte  Flüssigkeit  austreten  und  an  dem  Katheter  ent- 
lang zurücklaufen.  Es  genügt,  einmal  täglich  eine  solche  Spülung 
vorzunehmen.  Hört  bei  einer  der  angegebenen  Behandlungen  der 
Ausfluß  auf,  was  selten  nach  einer  Woche,  meist  erst  nach 
mehreren  Wochen  geschieht,  so  setzt  man  mehrere  Tage  mit  der 
Behandlung  aus  und  wartet,  ob  nun  wieder  schleimige  oder 
schleimigeitrige  Absonderung  erfolgt.  Diese  wird  dann  mehrmals 
Dornblüth  , Therapie.  1 4 


210  Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane 

auf  Gonokokken  untersucht;  sind  noch  welche  vorhanden,  so 
nimmt  man  die  Behandlung  wieder  auf.  Sind  keine  Gonokokken 
mehr  vorhanden,  so  kann  man  zunächst  mit  Vorteil  das  Ichthyol 
in  1 — 2°/0iger  Lösung  zu  Irrigationen  verwenden,  das  übrigens 
wegen  seiner  gonokokkentötenden  Wirkung  auch  von  vornherein 
verwendet  werden  kann.  Außerdem  beginnt  aber  mit  der  gono- 
kokkenfreien Zeit  die  Anzeige  für  die  Adstringentien.  Diese 
früher  auch  für  die  erste  Zeit  sehr  gebräuchlichen  Mittel  sind 
immer  erst  nach  völligem  Verschwinden  der  Gonokokken 
zu  brauchen;  sie  beseitigen  zwar  oft  den  Ausfluß  sehr  schnell, 
aber  es  treten  dann  immer  wieder  Rückfälle  auf,  weil  eben  die 
Parasiten  noch  vorhanden  sind.  Am  meisten  Ruf  haben  sich  mit 
Recht  das  Zincum  sulfuricum  und  das  Plumbum  aceticum  er- 
worben, ersteres  zu  0,5 — 1,0°/0,  letzteres  halb  so  stark. 


lijfc  Zinci  sulfurici  1,0 — 2,0 
Aq.  dest.  200,0 
D.S.  Zur  Einspritzung. 


1^:  Plumbi  acetici  0,5 — 1,0 
Aq.  dest.  200,0 
D.S.  Zur  Einspritzung. 


Man  macht  jeden  Tag  eine  oder  mehrere  Einspritzungen  und 
läßt  nach  Verschwinden  der  Absonderung  wieder  eine  Woche  jede 
örtliche  Behandlung  aussetzen. 

Ebenso  muß  die  örtliche  Behandlung  unterbrochen  werden, 
wenn  Urethritis  posterior  — starker  Harndrang,  häufige  Pol- 
lutionen, schmerzhafte  Darmentleerung,  Trübung  der  zweiten  Harn- 
portion bei  der  Zweiggläserprobe,  gelegentlich  Blutbeimischung 
zu  der  letzten  Harnportion  — oder  Cystitis,  Prostatitis, 
Epididymitis,  Samenblasenentzündung  usw.  auftreten.  Bei 
allen  diesen  Erkrankungen  ist  sofort  wieder  strenge  Bettruhe 
anzuordnen  und  die  Medikation  auf  Gonosan  usw.  zu  beschränken. 
Bei  Zeichen  von  Pyelitis  und  Nephritis  sind  auch  diese  Mittel 
wegzulassen.  Der  mikroskopische  Harnbefund  entscheidet  über 
die  Diagnose,  Eiweiß  gibt  auch  die  Cystitis. 

Ist  nach  einer  sechswöchigen  Behandlung  die  Gonorrhöe 
nicht  geheilt,  ohne  daß  in  unzweckmäßiger  Lebensführung  oder 
ungeeigneter  Behandlung  eine  Ursache  dafür  vorliegt,  so  ist  es 
dringend  zu  raten,  daß  ein  Spezialist  mit  dem  Endoskop  und 
anderen  Mitteln  eine  genaue  örtliche  Untersuchung  vornehme. 
Es  besteht  dann  die  dringende  Gefahr,  daß  die  Gonorrhöe 
chronisch  werde,  und  das  muß  im  Interesse  des  Kranken  und 
der  endgültigen  Heilung  mit  allen  Kräften  vermieden  werden. 


Chronische  Gonorrhöe 


211 


Chronische  Gonorrhöe. 

Bei  der  chronischen  Gonorrhöe  wird  mit  den  gewöhnlichen 
Einspritzungen  gewöhnlich  nichts  erreicht,  weil  diese  nur  die 
vordere  Harnröhre  treffen  und  in  den  chronischen  Fällen  meist 
die  Pars  posterior  beteiligt  ist.  Am  sichersten  wird  man  gehen, 
wenn  man  sich  gleich  zu  Irrigationen  entschließt.  Um  die 
Pars  posterior  genügend  zu  treffen,  wird  der  Katheter,  vgl.  S.  209, 
zunächst  ohne  Ansatz  in  der  Blase  eingeführt  und  dann  langsam 
so  weit  zurückgezogen,  bis  kein  Urin  mehr  ausfließt;  seine  Mündung 
ist  dann  in  der  Pars  prostatica.  Nun  schließt  man  den  Irrigator 
an  und  läßt  die  38°  C.  warme  Lösung,  1/s — 1/2  1 3 — 4°/0ige 
Ichthyollösung  oder  1 °/00  ige  Argentum-nitricum-hösung , unter 
hinreichendem  Druck  langsam  austreten,  wobei  sie  in  die  Blase 
fließt.  Sobald  diese  zu  drängen  beginnt,  zieht  man  den  Katheter 
allmählich  zurück,  so  daß  die  austretende  Flüssigkeit  die  Harn- 
röhre von  hinten  nach  vorn  bespült,  und  läßt  zuletzt  die  Blase 
entleeren.  Dies  Verfahren  wiederholt  man  2 — 3 mal  in  der  Woche. 
Ein  anderes  Verfahren,  das  die  Patienten  bei  einiger  Geschicklich- 
keit selbst  ausführen  können,  ist  die  Anwendung  der  Antro- 
phore,  Urophore  oder  Urethralstäbe.  Sie  werden  in  der 
besten  Beschaffenheit  von  Heinrich  Noffke,  Berlin  SW.,  York- 
straße  19,  und  von  C.  Stephan,  Dresden-N.,  Kronenapotheke,  an- 
gefertigt. Noffke  fertigt  Schmelzbougies  nach  Dr.  H.  Lohn- 
stein, Stäbchen  aus  Kakaoölemulsion,  die  nach  dem  Erkalten  ge- 
preßt ist.  Sie  werden  in  der  Harnröhre  nach  etwa  15  Minuten 
ganz  flüssig.  Sie  sind  in  der  Dicke  von  3 — 9 mm  und  in  der 
Länge  von  4 — 25  cm  vorrätig,  mit  den  verschiedensten  gono- 
kokkentötenden und  adstringierenden  Mitteln  versetzt.  Stephan 
brachte  ursprünglich  nur  Antrophore  in  den  Handel,  Metall- 
spiralen, die  auf  einem  Gummiüberzug  Arzneimasse  trugen. 
Neuerdings  stellt  er  auch  Urophore  her,  wobei  die  Metallspirale 
durch  ein  Fadenbündel  ersetzt  ist.  Beide  werden  in  Dicke  von 
11 — 21  Charriöre,  in  Längen  von  10,  14,  18,  22  und  25  cm 
geliefert.  Die  Arzneimittel  sind  nicht  wie  bei  den  Schmelzbougies 
in  Fettmasse  eingeschlossen,  sondern  sie  sind  in  Gelatine  gelöst. 
Alle  drei  Arten  werden  auch  für  die  akute  Gonorrhöe  empfohlen, 
ich  halte  es  aber  für  besser,  ihre  Anwendung  auf  die  chronische 
Gonorrhöe  zu  beschränken  und  bei  der  fast  regelmäßigen  Be- 
teiligung der  Pars  posterior  nur  die  längeren  Maße  zu  benutzen. 
Bei  Vorhandensein  von  Gonokken  verwendet  man  die  mit  Argen - 

14* 


212 


Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane 


tum  nitricum , Ichthyol  oder  Protargol  versehenen,  bei  Abwesen- 
heit der  Bakterien  die  mit  Zincum  sulfuricum  und  anderen 
Adstringentien  beladenen.  Immer  ist  Vorsicht  geboten,  daß  nicht 
die  Harnröhre  zu  sehr  gereizt  wird,  was  namentlich  bei  der 
Selbstbehandlung  der  Kranken  vorkommt.  Wegen  ihrer  völligen 
Reizlosigkeit  verwendet  man  auch  gern  die  Einspritzung  von 
Argentum-nitricum- Salbe, 


Von  dieser  Masse  wird  zweimal  wöchentlich  mit  der  dazu 
bestimmten  Tommasoli  sehen  Katheterspritze  ein  Teil  in  die  er- 
krankte Harnröhrenpartie  eingeführt  und  dort  zurückgelassen,  bis 
allmählich  der  Harn  die  Salbe  wieder  herausspült. 


Die  periurethralen  Infiltrate  erfordern  zur  Vermeidung 
ernster  Ausgänge  Bettruhe  und  Hochlagerung  und  Eisbehandlung 
des  Gliedes.  Wenn  Neigung  zur  Eiterung  erkennbar  ist,  muß 
baldigst  die  chirurgische  Behandlung  eingeleitet  werden.  Die  Ein- 
spritzungen in  die  Harnröhre  sind  auszusetzen. 

Die  Cystitis  verlangt  ebenfalls  die  Unterbrechung  der  ört- 
lichen Behandlung,  ferner  Bettruhe,  strenge  Diät,  am  besten 
Milchdiät,  und  innere  Behandlung  mit  Gonosan  oder  auch  mit 
Natrium  salicylicum,  vgl.  S.  207.  Im  übrigen  unterscheidet  sich 
die  Behandlung  nicht  von  der  gewöhnlichen  Cystitis. 

Bei  Epididymitis  ist  sofort  strengste  Bettruhe  anzuordnen 
und  der  Hodensack  durch  ein  zwischen  die  Oberschenkel  gelegtes 
Keilkissen  hochzulagern.  Außerdem  legt  man  eine  Eisblase  auf. 
Innerlich  gibt  man  Natr.  salicyl.  oder  Aspirin,  stündlich  0,5,  bis 
zu  zehnmal  am  Tage.  Sobald  der  Kranke  wieder  in  Bewegung 
kommt,  muß  er  unbedingt  ein  Suspensorium  tragen,  vgl.  S.  206. 
Haben  die  Reizerscheinungen  aufgehört,  so  ersetzt  man  bei  Bett- 
ruhe das  Eis  durch  feuchtwarme  Umschläge,  oder  man  läßt  das 
auch  im  Bett  anzubehaltende  Suspensorium  mit  wasserdichtem 
Stoff  auskleiden,  so  daß  der  mit  Watte  eingehüllte  Hodensack  in 
einer  Dunstschicht  liegt.  Dadurch  wird  die  Aufsaugung  der  Ent- 
zündungsreste gefördert.  Man  kann  auch  den  Hodensack  noch 


Argenti  nitrici  0,2— 0,4 
Lanolini  puri  16,0 — 18,0 
Olei  oliv.  opt.  4,0 — 2,0 
M.F.Ungt.  D.S. 


| je  nach  der  Luftwärme 


Komplikationen. 


Komplikationen 


213 


mit  Jodsalbe  oder  Jodvasogen  einreiben.  Die  früher  viel  ge- 
brauchten Fricke  sehen  Heftpflasterein  Wicklungen  sind  wegen  ihrer 
Schmerzhaftigkeit  ziemlich  außer  Gebrauch  gekommen. 


Vaselini  20,0 

M.F.Ungt.  D.S.  Äußerlich. 

Verengerungen  der  Harnröhre  werden  durch  regel- 
mäßige Anwendung  von  Sonden  oder  Dilatatoren  allmählich  er- 
weitert, die  brüske  Dehnung  in  einer  Sitzung  ist  nicht  ungefähr- 
lich und  deshalb  zu  vermeiden. 

Die  Entzündung  der  CowPERSchen  Drüsen  am  Damm  und 
die  Prostatitis  erfordern  in  akuten  Fällen  Bettruhe  und  Eis- 
behandlung, Eisbeutel  auf  den  Damm,  außerdem  kann  man  bei 
Cowperitis  gewöhnlich  bald  die  chirurgische  Eröffnung  des  Drüsen- 
abszesses vornehmen.  Bei  der  akuten  eitrigen  Prostatitis  sucht 
man  die  Antiphlogose  auch  vom  Darm  aus  vorzunehmen,  indem 
man  die  Atzberger  sehe  Kühlbirne  einführt  und  kaltes  Wasser 
hindurchströmen  läßt.  Auch  hier  ist  sorgfältig  darauf  zu  achten, 
daß  einem  entstandenen  Abszeß  möglichst  bald  ein  günstiger  Aus- 
weg geöffnet  werde,  am  besten  nach  dem  Damm  zu.  Zieht  sich 
die  Erkrankung  etwas  hin,  so  werden  gewöhnlich  warme  Um- 
schläge und  warme  Sitzbäder  besser  ertragen  als  fortgesetzte 
Eisbehandlung.  Bei  sehr  heftigen  Schmerzen  sucht  man  auch 
durch  Einspritzungen  narkotischer  Lösungen  in  den  Darm, 
vgl.  S.  196,  oder  durch  Suppositorien  mit  Belladonnaextrakt  oder 
Morphium,  vgl.  S.  208,  Linderung  zu  bringen. 

Bei  chronischer  Prostatitis  tritt  zunächst  die  Behand- 
lung der  Urethritis  posterior  ein,  wie  sie  S.  210  geschildert  ist. 
Insbesondere  werden  die  Salbeneinspritzungen  gerühmt,  statt  der 
Argentumsalbe  verwendet  man  hier  auch  gern  eine  Jodlanolinsalbe, 

Jfy  Jodi  puri  0,2 
Kalii  jodati  1,0 
Lanolini  18,0 
Olei  oliv.  2,0 

M.F.Ungt.  D.S.  Zur  Einspritzung. 

Manchmal  erweisen  sich  regelmäßige  Einführungen  dicker 
Metallsonden  in  die  Harnröhre  zweckmäßig,  indem  sie  durch 
den  Druck  die  Resorption  anregen.  Denselben  Zweck  haben 
kleine  Mastdarmeinspritzungen,  3 — 4mal  täglich  10 — 15  ccm 
einer  1 0 °/0  igen  Ichthyol  lösung. 


Ijfe  Jodi  puri  0,2 
Kalii  jodati  1,0 


Vasogeni  jod.  (6 °/0)  10,0 
D.S.  Zur  Einreibung. 


214 


Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane 


Besonders  wichtig  ist  hei  der  chronischen  Prostatitis  die 
Fürsorge  für  das  Allgemeinbefinden.  Die  Kranken  sind  oft 
sehr  angegriffen,  oft  entwickelt  sich  eine  ansgesprochene  Neur- 
asthenie mit  vorwiegenden  Beschwerden  in  der  Gegend  der 
Prostata.  In  diesen  Fällen  muß  die  örtliche  Behandlung,  nament- 
lich die  von  der  Harnröhre  aus,  unterlassen  oder  doch  sehr  ein- 
geschränkt werden,  die  Kranken  müssen  eine  geregelte  Lebens- 
weise vorgeschrieben  bekommen,  die  sie  einigermaßen  beschäftigt 
und  ablenkt,  ohne  sie  anzustrengen,  die  Ernährung  muß  reichlich 
und  im  Sinne  einer  gemischten  Kost  zusammengesetzt  sein,  der 
Stuhlgang  muß  durch  diätetische  und  nötigenfalls  durch  andere 
Hilfen  so  geregelt  werden,  daß  er  täglich  und  leicht  erfolgt,  um 
die  Beizung  der  Prostata  vom  Mastdarm  aus  zu  vermeiden. 
Warme  Vollbäder  von  34°  0.  täglich  10 — 20 — 30  Minuten 
lang,  und  Sitzbäder  von  derselben  Wärme,  auch  mit  Solwasser 
von  1 — 3 °/0  oder  mit  warmem  Seewasser,  können  sehr  wohl- 
tätig sein. 

Die  Behandlung  der  Spermatorrhöe  ist  bei  der  Behand- 
lung der  Neurasthenie  berücksichtigt. 


VI 

Frauenkrankheiten. 


1.  Allgemeines. 

Die  unter  dem  Namen  Frauenkrankheiten  zusammengefaßten 
Krankheiten,  die  ihre  Besonderheit  in  dem  Bau  oder  der  Funktion 
der  weiblichen  Geschlechtsorgane  haben,  stellen  auch  an  die  Be- 
handlung ihre  besonderen  Anforderungen.  Ihre  große  Wichtig- 
keit für  das  Yolkswohl  und  für  die  ärztliche  Praxis  verlangt  eine 
besondere  Besprechung  der  allgemeinen  Fragen  der  Behandlung 
und  der  Verhütung. 

Zwei  Fehler  sind  wesentlich  an  der  großen  Häufigkeit  der 
Frauenkrankheiten  beteiligt:  1.  unzweckmäßige  und  unge- 
sunde Lebensgewohnheiten  des  weiblichen  Geschlechtes 
und  2.  die  ungenügende  Fürsorge  gegen  bakterielle  In- 
fektionen von  den  äußeren  Geschlechtsteilen  her. 

1.  Ungesunde  Lebensgewohnheiten. 

a)  Unter  den  verfehlten  Lebensgewohnheiten  steht  nach  all- 
gemeinem Urteil  die  unzweckmäßige  Kleidung  obenan.  Es 
ist  auch  nicht  zu  bestreiten,  daß  vor  allem  das  Korsett  an  vielen 
Leiden  der  Frauen  schuld  ist.  Man  darf  aber  nicht  übersehen, 
daß  die  in  der  Taille  einschneidenden  Rockbänder  mindestens 
ebenso  schädlich  sind.  Der  Kampf  gegen  das  Korsett  hat  daher 
eigentlich  erst  einen  Sinn,  und  er  hat  auch  erst  Erfolge  auf- 
zuweisen, seit  die  Kleidungsreform  den  Weg  angegeben  hat, 
das  Korsett  wegzulassen,  ohne  doch  die  Einschnürung  der  Leibes- 
mitte durch  Bänder  und  Gurte  an  seine  Stelle  zu  setzen.  Das 
ist  dadurch  geschehen,  daß  zunächst  die  Last  der  Unterkleider 
sehr  verringert  wurde,  indem  an  die  Stelle  der  unten  offenen  und 
daher  mangelhaft  schützenden,  deshalb  in  schwerem  Stoff  und  mehr- 
facher Schicht  erforderlichen  Unterröcke  die  geschlossene,  dadurch 


216 


Frauenkrankheiten 


gut  schützende  und  verhältnismäßig  sehr  leichte  Rockhose  ein- 
geführt wurde.  Dieses  ungemein  leichte  und  bequeme  Kleidungs- 
stück kann  ohne  weiteres  an  eine  den  Oberkörper  einhüllende 
sogenannte  Taille  angeknöpft  werden,  ohne  beim  Tragen  einen 
fühlbaren  Zug  an  den  Schultern  auszuüben.  Die  Last  wird  durch- 
aus nicht,  wie  es  in  den  Schriften  der  Kleidungsreformer  meistens 
dargestellt  wird,  allein  auf  die  Schultern  übertragen,  ebensowenig 
wie  die  Beinkleider  des  Mannes  allein  durch  die  Hosenträger  ge- 
halten  werden.  Die  Schultern  übernehmen  nur  einen  Teil,  ge- 
wissermaßen einen  Sicherheitshalt,  der  größere  Teil  der  geringen 
Last  wird  durch  die  Wände  des  Körpers  getragen,  woran  die 
Kleider  einen  gewissen  Halt  finden,  so  daß  die  Hosen  des  Mannes 
nicht  herunterfallen,  auch  wenn  die  Tragbänder  und  der  oberhalb 
der  Hüften  eingreifende  Gurt  fehlen.  Wie  die  Rockhose,  so  findet 
auch  das  Kleid  der  Frau  seinen  Halt  an  dem  Gewände  des  Ober- 
körpers, das  ganze  Oberkleid  besteht  aus  einem  Stück,  der  Rock 
hängt  mit  der  Taille  fest  zusammen  und  bedarf  daher  nicht  der 
haltenden  Einschnürung  oberhalb  der  Hüften.  Hier  zeigt  nun 
vielfach  die  noch  junge  Mode  der  Reformkleidung  eine  Über- 
treibung: es  wird  vielfach  so  hingestellt,  als  dürfe  die  Taille  nicht 
einmal  mehr  angedeutet  werden.  Das  ist  übertrieben  und  schadet 
der  Ausbreitung  der  Reform  insofern,  als  es  die  neue  Kleidung 
auffallend  macht.  In  Wirklichkeit  ist  nicht  das  Geringste  da- 
gegen einzu wenden,  daß  das  Reformkleid  entsprechend  der  un- 
streitig vorhandenen  geringen  Verschmälerung  der  weiblichen  Figur 
zwischen  Hüften  und  Brustkorb  eine  Taille  habe,  die  teils  durch 
eine  leichte  Einziehung  in  der  Form,  teils  durch  geeigneten  Be- 
satz angedeutet  wird.  Es  ist  gar  kein  Grund  vorhanden,  die 
Unterbrechung  der  glatten  Linien  des  Kleides,  die  wir  in  der 
Gegend  der  Taille  zu  sehen  gewohnt  sind,  beim  Reformkleide  in 
die  Nähe  der  Achsel  zu  verlegen.  Unter  der  Rockhose  kann  die 
Frau  ganz  nach  Geschmack  Wäsche  tragen,  und  zwar  bei  leichtem 
Stoff  Hemd  und  Hose  getrennt  — unter  der  schließenden  Rock- 
hose genügen  vielfach  leichte  Battist-  und  Seidenstoffe  — , bei 
schwererem  Stoff  besser  eine  Hemdhose  aus  Leinwand  oder  Hemden- 
tuch. Für  die  kältere  Jahreszeit  oder  für  rauheres  Klima,  sowie 
für  empfindliche,  schwächliche  und  kranke  Personen  kommen  dann 
noct  die  verschiedenen  Unterzeuge  hinzu,  am  besten  nach  Art 
der  englischen  Combincdions , aus  Baumwolle  oder  Wolle  her- 
gestellt. 

Mit  dieser  Kleidung  sollte  schon  in  den  Kinderjahren,  mindestens 


Allgemeines 


217 


aber  in  den  Entwicklungsjahren  angefangen  werden.  Wie  große 
Bedeutung  gerade  bei  Kindern  und  Heranwachsenden  der  ge- 
schlossenen Hose  zur  Verhütung  von  Erkältungen,  unabsichtlichen 
Entblößungen  mit  der  möglichen  Folge  einer  Anreizung  zu 
Onanie  und  noch  schlimmeren  Dingen  zukommt,  braucht  nur  an- 
gedeutet zu  werden;  wie  manche  Verführung  wäre  nicht  vollendet 
worden,  wenn  das  Mädchen  ein  geschlossenes  Beinkleid  angehabt 
hätte ! Der  Arzt  wird  bei  der  Beratung  der  Mütter  über  Kleidungs- 
fragen auch  diesen  Gesichtspunkt  mit  der  nötigen  Zartheit  heran- 
ziehen müssen,  wenn  er  seiner  Pflicht  als  Schutz  und  Helfer  der 
Familie  gerecht  werden  will. 

Frauen  von  großer  Leibesfülle  scheuen  sich  oft  vor  der 
Reformkleidung,  weil  sie  darin  zu  unförmlich  aussehen  würden. 
Das  Gegenteil  ist  richtig,  gerade  fettleibige  Frauen  sehen  besonders 
unvorteilhaft  aus,  wenn  über  und  unter  der  mühsam  errungenen 
Tailleneinziehung  die  starke  Brust  und  der  dicke  Leib  hervor- 
quellen. Die  Brust  muß  in  solchen  Fällen,  wie  überall,  wo  sie 
nicht  durch  ihre  natürliche  Festigkeit  getragen  wird,  durch  einen 
Büstenhalter  gestützt  werden.  Das  $t  auch  für  die  Hygiene 
der  Brust  sehr  wichtig.  Der  Druck  eines  festen  Korsetts  kann 
der  Entwicklung  des  Drüsengewebes  nur  nachteilig  sein,  und  es 
läßt  sich  jedenfalls  nicht  widerlegen,  wenn  behauptet  wird,  daß 
die  ständige  Quetschung  und  Erschütterung  der  Brust  durch  ein 
festes  Korsett  die  Entwicklung  eines  Brustkrebses  fördern  könne. 

Von  sonstigen  Fehlern  der  Kleidung  wären  noch  die  zu 
hohen  Absätze  der  Fußbekleidung  zu  erwähnen,  die  zu  einer 
unnatürlichen  Beckenstellung  zwingen,  die  ihrerseits  Lage- 
veränderungen der  inneren  Geschlechtsorgane  hervorrufen  kann. 

b)  Eine  zweite  Schädlichkeit  in  den  Lebensgewohnheiten 
des  weiblichen  Geschlechtes  stellt  die  sehr  verbreitete  ungenügende 
Ernährung,  namentlich  der  Kinder  und  der  Heranwachsenden, 
dar.  Teils  die  vor  und  in  den  Entwicklungsjahren  auftretende 
Chlorose  mit  der  fast  regelmäßigen  Herabsetzung  des  Appetites, 
teils  die  moderne  Vorliebe  für  Schlankheit  und  ätherisches 
Aussehen,  manchmal  auch  eine  gewisse  sentimentale  Abneigung 
gegen  das  Essen  als  eine  rein  materielle  Lebensäußerung,  bringen 
eine  große  Zahl  der  jungen  Mädchen  zu  einer  entschieden  un- 
genügenden Ernährung,  und  es  gibt  leider  Mütter  genug,  die  das 
im  Interesse  der  „Schönheit“  ihrer  Tochter  ruhig  mit  ansehen. 
Gerade  die  Nahrungsmittel,  die  der  Kost  den  nötigen  Umfang 
geben,  wie  z.  B.  Kartoffeln,  Gemüse  und  Brot,  werden  in  ge- 


218 


Frauenkrankheiten 


ringster  Menge  genossen,  damit  nicht  der  Leib  dick  werde,  und 
dadurch  entsteht  einerseits  eine  einseitige  Fleischkost,  vielleicht 
ergänzt  durch  Süßigkeiten,  anderseits  eine  Stuhlträgheit  — 
gerade  Kartoffeln  und  Gemüse  bilden  einen  weichen,  wasserhaltigen 
Kot,  vgl.  S.  115,  die  für  die  Unterleibsorgane  besonders  nach- 
teilig ist.  Teils  bewirkt  die  Kotanhäufung  in  den  untersten  Darm- 
abschnitten Verlagerungen  der  inneren  Geschlechtsorgane,  teils 
veranlaßt  die  Verstopfung  Drücken  und  Pressen  bei  der  Entleerung, 
und  in  beiden  Fällen  wird  der  Blutumlauf  in  den  wichtigen  Teilen 
des  Beckens  ungünstig  beeinflußt.  — Die  unzweckmäßige  Nahrung 
hat  aber  auch  die  allgemeine  Schädigung  des  Kräftezustandes 
und  der  Organernährung  zur  Folge,  die  sich  wiederum  in  Blut- 
armut, Nervenschwäche,  Enteroptose  usw.  ausspricht.  Also  auch 
aus  diesem  Grunde  ist  eine  richtige  und  reichliche  Ernährung 
der  heranwachsenden  weiblichen  Bevölkerung  sehr  wichtig. 

c)  Eine  dritte  schädliche  Gewöhnung  ist  die  sehr  verbreitete 
Vernachlässigungder  rechtzeitigen  Blasen-  und  Darmentleerung. 
Teils  Trägheit,  teils  ungesunde  Vorstellungen  von  Anstand  und 
Schicklichkeit  führen  bei^ zahlreichen  jungen  Mädchen  zu  einer 
gewohnheitmäßigen  Unterdrückung  der  natürlichen  Bedürfnisse, 
die  auf  die  Dauer  besonders  die  Unterleibsorgane  schädigt.  Die 
stark  gefüllte  Blase  drängt  den  Uterus  in  Ketroposition  und  kann 
Retroflexion  veranlassen,  indem  die  nach  oben  gedrängte  hintere 
Blasenwand  die  Cervix  uteri  mit  hinaufzieht.  Die  Schädigung 
durch  den  überfüllten  Darm  ist  vorhin  schon  angedeutet  worden. 
Also  auch  diese  beiden  Fehler,  die  vorzugsweise  auf  dem  Gebiete 
der  Erziehung  liegen,  unterliegen  der  ärztlichen  Belehrung. 

d)  Ein  weiterer  Fehler  in  der  Lebensweise  ist  die  ungenügende 
körperliche  Ausbildung  des  weiblichen  Geschlechtes. 
Die  Verhältnisse  des  heutigen  Lebens  haben  es  unumgänglich  nötig 
gemacht,  daß  auch  die  Frau  eine  Bildung  erwirbt,  die  für  den 
Wettbewerb  genügt;  die  Mädchenschulen  haben  daher  ihre  Lehr- 
pläne mehr  und  mehr  denen  der  Knabenschulen  genähert,  und 
es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  daß  nach  einiger  Zeit  beide  Ge- 
schlechter wesentlich  denselben  Unterricht  genießen  werden.  Soweit 
die  Vorbildung  für  einen  gelehrten  Beruf  in  Frage  kommt,  ist 
das  ja  auch  heute  schon  der  Fall.  Nun  ist  mit  Sicherheit  an- 
zunehmen, daß  in  dem  gesamten  höheren  Schulwesen  allmählich 
Verbesserungen  eintreten  werden,  denn  die  gegenwärtige  Ein- 
richtung, wo  in  den  oberen  Klassen  der  höheren  Schulen  vielfach 
40,  42,  ja  44  Unterrichtstunden  in  der  Woche  gegeben  werden 


Allgemeines 


219 


und  die  Schüler  außerdem  noch  täglich  3 — 4 Stunden  häusliche 
Arbeiten  machen  sollen,  so  daß  sie  täglich  10  und  mehr  Stunden 
geistig  zu  arbeiten  haben,  diese  Einrichtung  ist  auf  die  Dauer 
bei  der  fortschreitenden  Schärfung  des  hygienischen  Gewissens  un- 
möglich. Hoffentlich  werden  die  Mädchenschulen  überhaupt  nicht 
mehr  in  diese  gefährlichen  Zustände  hineinkommen.  Jedenfalls 
muß  der  Arzt  seine  Stimme  dafür  erheben,  daß  die  Lehrpläne 
den  Schülern  und  selbstverständlich  auch  den  Schülerinnen  noch 
Zeit  lassen,  sich  auch  am  Tage  genügend  auszuruhen  und  außer- 
dem die  nötigen  körperlichen  Übungen  zu  pflegen.  Zum  Glück 
haben  wir  im  Radfahren,  im  Tennisspiel  und  im  Schlitt- 
schuhlaufen drei  ausgezeichnete  Bewegungsübungen , die  auch 
von  der  Sitte  und  der  Mode  gebilligt  werden  und  die  durch  den 
damit  verbundenen  Reiz  mehr  als  das  außerdem  nötige,  dem 
Unterricht  einzureihende  Turnen  zu  freiwilliger  Übung  anregen. 
Die  anfangs  gerade  von  Frauenärzten  gegen  das  Radfahren  an- 
geführten Bedenken  haben  sich  durch  die  Erfahrung  längst  wider- 
legt, im  Gegenteil  hat  man  allgemein  einen  vorteilhaften  Einfluß 
auf  Darmtätigkeit  und  Menstruation  festgestellt,  wenn  nicht  etwa 
ein  übermäßig  anstrengender  Sport  getrieben  wurde.  Daß  durch 
die  Reibung  des  Sattels  geschlechtliche  Reizung  hervorgerufen 
würde,  ist  jedenfalls  auf  seltene  Ausnahmen  beschränkt  und  auch 
dann  wohl  nur  durch  ungeeignete  Form  des  Sattels  zu  erklären. 

Daß  das  Lernen  an  sich,  die  geistige  Tätigkeit,  die 
Frauen  elend  und  vor  allem  nervös  mache,  ist  eine  ganz  un- 
begründete Behauptung.  Die  dafür  gewöhnlich  angeführte  Ner- 
vosität der  jungen  Lehrerinnen  beruht  vielmehr  darauf,  daß  sie, 
oft  nach  einer  ungenügenden  Schulbildung,  in  sehr  kurzer  Zeit 
viel  lernen  und  unter  Angst  und  Aufregung  ein  Examen  machen 
sollen;  danach  kommen  sie  dann  noch  in  vielen  Fällen  in  wenig 
gute  Stellungen,  mit  Heimweh,  aufregenden  oder  zweifelhaften 
Verhältnissen,  ungeeigneter  Behandlung  und  schlechter  Beköstigung. 
Das  würden  auch  für  den  Mann  Gründe  genug  sein,  krank  und 
nervös  zu  werden. 

e)  Die  Hygiene  des  Geschlechtsgenusses  ist  ein  sehr 
wichtiger  Punkt,  der  sich  allzulange  der  Einwirkung  des  Arztes 
entzogen  hat,  hauptsächlich  aus  einer  Prüderie,  die  bei  Dingen, 
die  die  ganze  Welt  bewegen,  übel  angebracht  ist.  Sowohl  der 
Ayzt,  der  junge  Leute,  die  mit  Ehegedanken  umgehen  oder  ge- 
schlechtlich verkehren,  zu  beraten  hat,  als  der  Hausarzt  junger 
Ehepaare  soll  mit  seinem  sachverständigen  Rate  nicht  zurückhalten. 


220 


Frauenkrankheiten 


Er  wird  oft  aus  erklärlicher  Scheu  nicht  erbeten,  aber  immer 
gern  angenommen*  wenn  er  mit  dem  nötigen  Takte  gegeben  wird. 

Schwieriger  ist  gewöhnlich  die  ärztliche  Belehrung  über  die 
Gefahren  der  Onanie  anzubringen.  Abgesehen  von  den  Fällen, 
wo  der  Arzt  von  den  Eltern  der  jungen  Mädchen  auf  die  von 
ihnen  entdeckte  Gewohnheit  aufmerksam  gemacht  oder  wo  er  von 
den  durch  irgend  etwas  ängstlich  gewordenen  Mädchen  selbst 
darum  befragt  wird,  ist  er  ja  meistens  auf  Vermutungen  an- 
gewiesen. Die  offene  Frage  verbietet  sich  natürlich  aus  allerlei 
Rücksichten , sie  würde  auch  nur  in  seltenen  Fällen  eine  auf- 
richtige Antwort  finden.  Wenn  eine  Untersuchung  der  Geschlechts- 
teile stattfindet,  geben  oft  die  bekannten  Veränderungen  der  äußeren 
Teile,  welke  Schamlippen,  flügelförmige  Verlängerung  der  Labia 
minora  mit  Verlust  ihres  zarten  Schleimhautcharakters,  oft  auch 
Vergrößerung  und  Härte  der  Klitoris,  einen  ziemlich  sicheren 
Hinweis,  der  immerhin  zu  einer  Frage  oder  doch  zu  dem  Rate 
berechtigt,  alle  Reibungen  und  Reizungen  dieser  Teile  zu  ver- 
meiden, weil  dadurch  verschiedene,  nachträglich  schwer  zu  be- 
seitigende Krankheiten  hervorgerufen  werden  könnten.  Man  kann 
dann  auch  fragen,  oh  vielleicht  Jucken  oder  Reizzustände  der 
äußeren  Teile  Vorgelegen  hätten,  ob  Würmer  beobachtet  worden 
seien  usw.;  es  sei  eine  Reizung  vorhanden,  die  sorgfältig  ver- 
mieden werden  müsse.  Man  sorgt  außerdem  dafür,  daß  die  be- 
rechtigten Erzieher  dem  Lebensplan  eine  geeignete  Richtung  geben, 
daß  an  die  Stelle  aufgeregter  Sentimentalität  und  Phantasie  eine 
nüchterne,  ernste  Beschäftigung  tritt,  daß  die  Wohn-  und  Schlaf- 
räume nicht  zu  warm  sind,  eine  gesunde  Körperpflege  durch- 
geführt wird,  Fluß-  und  andere  Schwimmbäder  aufgesucht  und 
regelmäßige  Waschungen  der  Geschlechtsteile  mit  Wasser  von 
mittlerer  Wärme  vorgenommen  werden,  und  behandelt  etwa  vor- 
liegende Reizungen  durch  Oxyuren,  Pruritus  usw.  nach  den  ge- 
wöhnlichen Regeln.  Liegt  der  Onanie  eine  allgemeine  nervöse 
Erregung  zugrunde,  wie  oft  bei  aufgeregten  oder  ängstlichen 
Kindern,  so  muß  eine  nervenärztliche  Behandlung  die  Hauptsache 
tun.  Ich  verweise  deswegen  auf  den  betreffenden  Abschnitt. 

Der  geschlechtliche  Verkehr  kann  der  Frau  durch  zu 
große  Häufigkeit  und  durch  zu  gewaltsame  Ausübung 
schaden.  Insbesondere  kommt  das  in  der  ersten  Zeit  der  Ehe  vor, 
wo  der  Mann  durch  den  Reiz  der  Neuheit  oder  auch  durch  die 
Schwierigkeiten  des  Anfanges  dazu  verleitet  wird.  Weiterhin  wird 
besonders  durch  Beischlaf  unmittelbar  vor  oder  nach  der  Men- 


Allgemeines 


221 


struation  geschadet.  Ein  allgemeines  Maß  läßt  sich  nicht  an- 
geben, die  Verhältnisse  sind  in  jedem  Falle  verschieden,  jeden- 
falls aber  muß  der  Arzt  warnen,  wenn  sich  irgend  welche  un- 
günstige Folgen  bemerkbar  machen.  Dazu  gehören  vor  allem 
Schmerzen  bei  oder  nach  dem  Beischlaf,  Ausfluß,  namentlich  wenn 
er  aus  dem  Uterus  kpmmt  und  eine  Endometritis  anzeigt,  Stö- 
rungen des  Menstruationsverlaufes.  Besondere  Vorsicht  ist  in  der 
Schwangerschaft  geboten. 

Eine  weitere  Rücksicht  auf  die  Gesundheit  erfordern  die 
Maßregeln  gegen  die  Konzeption.  Der  Arzt  hat  nicht  die 
Aufgabe,  die  ethische  Frage  zu  entscheiden,  ob  der  Beischlaf 
unterbleiben  soll,  wenn  keine  Nachkommenschaft  gewünscht  wird, 
er  steht  vielmehr  vor  der  praktischen  Frage,  daß  die  Leute  den 
ehelichen  Verkehr  nicht  entbehren  und  doch  keine  Nachkommen 
erzielen  wollen.  Vom  Standpunkte  der  Gesundheit  der  Frau  ist 
letzteres  ja  für  sehr  viele  Fälle  durchaus  nötig,  und  auch  die 
materielle  Lage  der  Eheleute  läßt  es  für  sie  selbst  und  für  die 
bereits  vorhandenen  Kinder  auch  vom  ärztlichen  Standpunkte  aus 
sehr  oft  geboten  erscheinen,  daß  keine  weiteren  Kinder  kommen. 
Der  Arzt  würde  daher  seine  Aufgabe  nicht  erfüllen,  wenn  er 
seinen  Rat  in  diesen  Fragen  verweigerte.  Das  Verbot  des  Ver- 
kehrs würde  in  vielen  Fällen  den  Mann  direkt  zur  Untreue  mit 
allen  möglichen  Folgen  antreiben. 

Unter  den  Mitteln  der  Verhütung  ist  der  Gebrauch  des 
Kondoms  am  sichersten  und  bequemsten,  aber  wegen  der  Herab- 
setzung des  Genusses  nicht  sehr  beliebt.  Die  verschiedenen  Arten 
von  Vaginalkugeln,  Scheidenpulvern  usw.  sind  alle  ohne  sicheren 
Einfluß,  sie  mögen  in  manchen  Fällen  die  Empfängnis  verhindern, 
aber  man  kann  sich  keinenfalls  darauf  verlassen.  Recht  große 
Sicherheit  bietet  dagegen  das  ursprünglich  von  Mensinga  an- 
gegebene Okklusivpessar,  ein  Ringpessar  mit  nachgiebigem 
Gummirand,  durch  eine  dünne  Gummimembran  verschlossen,  das 
in  die  Scheide  eingeführt  wird  und  durch  die  Membran  den  Zu- 
gang des  Samens  zur  Portio  abschneidet.  Nach  den  Erfahrungen, 
die  in  den  letzten  20  Jahren  damit  gesammelt  worden  sind,  ge- 
lingt es  auch  dem  Laien,  das  ungefährliche  Instrument  richtig 
einzuführen,  so  daß  es  die  Konzeption  verhindert.  Wichtig  ist 
nur,  daß  es  mindestens  jede  Woche  herausgenommen  und  gründ- 
lich durch  Auskochen  desinfiziert  wird,  sonst  kann  übelriechende 
Zersetzung  des  dahinter  angesammelten  Uterusschleimes  eintreten. 
Ausspülungen  unmittelbar  nach  dem  Beischlaf  sind  kein  sicheres 


222 


Frauenkrankheiten 


Mittel,  da  die  Spermatozoen  inzwischen  in  den  Uterus  gelangt 
sein  können;  kaltes  Wasser  kann  außerdem  Entzündungen  hervor- 
rufen.  Das  Verfahren  des  Congressus  interruptus,  das  Zurück- 
ziehen des  Gliedes  unmittelbar  vor  der  Ejakulation,  hat  sehr 
schwere  Angriffe  erfahren,  es  soll  sowohl  Neurasthenie  und  Hysterie 
bei  beiden  Geschlechtern  als  Endometritis % und  Metritis  bei  der 
Frau  herbeiführen  können,  nach  manchen  Autoren  sogar  fast 
regelmäßig.  Das  ist  jedenfalls  übertrieben.  Die  schädlichen  Folgen 
für  die  Frau  treten  wesentlich  dann  auf,  wenn  der  Mann  so  früh 
ejakuliert,  daß  bei  der  Frau  noch  keine  Auslösung  des  höchsten 
Reizes,  noch  keine  Befriedigung  eingetreten  ist.  Das  ist  aber 
ebenso  der  Fall,  wenn  dabei  der  Same  in  die  Scheide  gelangt. 
Die  vorzeitige  Samenergießung  ist,  abgesehen  von  eiligen  oder 
ersten  Beischlafversuchen,  um  die  es  sich  in  der  Ehe  doch 
nicht  handelt,  eine  Erscheinung  der  Neurasthenie  und  kann  durch 
deren  Behandlung  beseitigt  werden.  Gesunde  Männer  können 
sich  ohne  gesundheitlichen  Nachteil  so  einrichten,  daß  die  Eja- 
kulation erst  erfolgt,  wenn  bei  der  Frau  der  Orgasmus  ein- 
getreten ist;  Schwierigkeiten  entstehen  manchmal  dann,  wenn  die 
Frau  durch  angeborene  Abnormität,  durch  Abneigung  gegen  den 
Mann  oder  gegen  den  Beischlaf  überhaupt  oder  durch  frühere 
Onanie  frigide  ist  und  gar  nicht  oder  zu  spät  zum  Orgasmus 
gelangt.  In  den  meisten  Fällen  liegt  aber  der  Grund  der  aus- 
bleibenden Befriedigung  eben  in  der  verfrühten  Ejakulation,  und 
die  Unzufriedenheit  wird  beseitigt,  wenn  der  Mann  befähigt  wird, 
länger  auszuharren.  Von  der  Schädlichkeit  der  längeren  Zurück- 
haltung des  Mannes  für  diesen  selbst  habe  ich  mich  bei  meinen 
Patienten  niemals  überzeugen  können,  im  Gegenteil  ist  mir  viel- 
fach versichert  worden,  daß  erst  nach  dem  Hinweis  auf  die  will- 
kürliche Verlängerung  des  Beischlafes  — wenn  nämlich  der 
Mann  sich  nicht  nur  seiner  Erregung  hingibt,  sondern  auch  seine 
Frau  berücksichtigt  — ein  gemeinsamer  Genuß  der  Ehegatten, 
eine  für  das  Eheglück  oft  sehr  bestimmende  Tatsache,  eingetreten 
sei.  Durch  ein  solches  Ausharren  wird  aber  auch  für  den  Mann 
eine  sexuelle  Befriedigung  erzielt,  die  für  ihn  ausbleibt,  wenn 
gleich  oder  doch  sehr  bald  nach  Beginn  des  Aktes  die  Samen- 
ergießung eintritt.  Es  muß  also,  wo  über  Schädigung  durch  Con- 
gressus interruptus  geklagt  wird,  der  Sachverhalt  im  einzelnen 
besprochen  werden. 


Allgemeines 


223 


2.  Ungenügender  Schutz  gegen  Infektion. 

Ein  großer  Teil  der  Frauenkrankheiten  entsteht  durch 
Bakterieninfektion  von  den  äußeren  Geschlechtsteilen  her.  Es 
handelt  sich  dabei  durchaus  nicht  in  erster  Linie  um  die 
gonorrhoische  Infektion,  obwohl  auch  diese  eine  viel  größere 
Rolle  spielt,  als  gewöhnlich  angenommen  wird,  nämlich  insofern, 
als  die  Gonorrhöe  sehr  oft  auch  bei  Jungfrauen  vorkommt,  die 
auf  verschiedene  Weise  infiziert  worden  sind,  vgl.  den  folgenden 
Abschnitt  über  Gonorrhöe  des  Weibes.  Eine  noch  viel  größere 
Verbreitung  hat  die  Infektion  durch  Streptokokken  und  andere 
Bakterien,  die  in  den  Sekreten  der  Scheide  ihre  Nahrung  finden. 
Es  ist  ohne  weiteres  klar,  wie  groß  die  Gefahr  sein  muß,  daß 
durch  die  noch  überwiegende  offene  Bekleidung  des  Unterkörpers 
Staub  und  Schmutz  mit  ihrem  reichen  Gehalt  an  Bakterien  an 
die  äußeren  Geschlechtsteile  gelangen  und  in  der  Vulva  mit  ihrem 
haftenden  Schleim  oder  in  den  Resten  von  Menstrualblut  hängen 
bleiben.  Die  große  Mehrzahl  der  Frauen  und  Mädchen  wird  noch 
durch  den  Aberglauben  verhindert,  während  der  Periode  die 
Wäsche  zu  wechseln,  und  trägt  daher  jeden  Monat  tagelang  in 
nächster  Nähe  der  gefährdeten  Gegend  einen  vortrefflichen  Nähr- 
boden für  Bakterien;  nur  die  Minderzahl  wagt  es,  in  dieser  Zeit 
die  äußeren  Teile  von  dem  zersetzten  Blut  durch  Waschungen 
zu  befreien,  bei  sehr  vielen  findet  auch  nach  dem  Aufhören  der 
Blutung  keine  genügende  Reinigung  der  Teile  statt.  Ohne  wirk- 
same Schutzvorrichtungen  des  Organismus  würden  schwere  In- 
fektionen von  den  äußeren  Geschlechtsteilen  aus  noch  unendlich 
viel  häufiger  sein.  Dazu  kommt  nun  die  Gefahr,  daß  die  in  der 
Vulva  vorhandenen  Keime  durch  den  Ansatz  des  Irrigators,  durch 
den  untersuchenden  Finger  des  Arztes  oder  der  Hebamme,  bei 
onanistischen  Eingriffen,  bei  dem  Versuche  einer  sorgfältigeren 
Reinigung  mit  einem  Schwamm  usw.  in  den  Scheideneingang  oder 
tiefer  in  die  Scheide  hineingelangen.  Die  Erkenntnis  von  der 
Infektionsgefahr  nichtsterilisierter  Ir rigator ansätz e , Schwämme, 
Wischtücher  usw.  wird  ja  nicht  einmal  in  Krankenhäusern  und 
von  den  Ärzten  immer  genügend  gewürdigt.  Viele  Ärzte  wissen 
zwar,  daß  eine  Gebärende  nur  nach  gründlicher  Desinfektion  der 
Hand  untersucht  werden  darf,  verwenden  aber  zur  Scheiden- 
untersuchung den  einfach  gewaschenen  und  mit  irgend  welchem 
Ol  bestrichenen  Finger  und  untersuchen  dabei  wohl  noch  unter 
der  Bettdecke,  also  ohne  zu  sehen,  was  für  ein  Sekret  sie  aus 


224 


Frauenkrankheiten 


der  Vulva  in  die  tieferen  Teile  hineinbringen!  Die  Grundsätze 
strengster  chirurgischer  Antisepsis  müssen  auch  für  die 
sogenannte  kleine  Gynäkologie  durchaus  bindend  gemacht 
werden.  Sind  doch  schon  Fälle  mitgeteilt  worden,  wo  Jungfrauen 
durch  einfache  Fingeruntersuchung  schwerste  Infektionen  davon- 
trugen! Wie  oft  mögen  Gonokokken,  die  von  einer  Bad- 
infektion oder  von  anderen  Gelegenheiten  her  untätig  oder  mit 
geringen  Erscheinungen  in  der  Vulva  vorhanden  waren,  durch 
die  Untersuchung  an  die  Portio  und  auf  das  Endometrium  ge- 
langen! Der  Arzt  soll  nicht  nur  diese  Möglichkeit  fortwährend 
in  Erinnerung  haben,  sondern  auch  in  der  Praxis  überall  dahin 
wirken,  daß  von  Kind  auf  tägliche  Waschungen  der  äußeren 
Geschlechtsteile  mit  lauem  Wasser  vorgenommen  werden,  bei 
Frauen  wie  bei  Jungfrauen,  außerhalb  der  Menstruation  und 
während  der  Menstruation.  Am  besten  eignen  sich  dazu  die  be- 
kannten Bidets,  die  natürlich  regelmäßig  gründlich  gereinigt 
werden  und  für  jede  einzelne  Benutzende  ein  völlig  getrenntes 
Zubehör  an  Reinigungswerkzeugen  haben  müssen.  Dagegen  sollen 
die  so  oft  schematisch  verordneten  Irrigationen  der  Scheide 
nur  bei  wirklichem  Anlaß  und  dann  mit  ärztlicher  genauer 
Unterweisung  verordnet  werden. 

Für  den  Arzt  selbst  ergibt  sich  der  Grundsatz:  die  inneren 
Geschlechtsteile  dürfen  nur  nach  vollkommener  Desinfektion  der 
Hände  und  mit  ausgekochten  Instrumenten  untersucht  werden; 
nach  der  Untersuchung  sind  Hände  und  Instrumente  sofort  wieder 
zu  desinfizieren ; in  allen  infektiösen  Fällen  sollen  die  Finger 
durch  Kondome  gegen  die  Infektion  geschützt  werden,  im  Sinne 
der  Autononinfektion;  nach  Berührung  infektiöser  Teile  soll 
an  demselben  Tage  Untersuchung  und  Operation  anderer  Kranker 
möglichst  unterlassen  werden,  sogenannte  Selbstsuspension. 
Jeder  Ausfluß  aus  den  weiblichen  Teilen  ist  infektionsverdächtig! 


2.  Akute  Erkrankungen  der  inneren  Geschlechtsteile 
(ausgenommen  die  Gonorrhöe). 

Die  Behandlung  kann  für  die  wichtigsten  akuten  Erkran- 
kungen der  inneren  Geschlechtsorgane  zusammengefaßt  werden, 
nämlich  für  die  akute  Endometritis,  Metritis,  Perimetritis, 
für  die  Hämatocele  retrouterina,  und  ferner  kann  man  die 
physiologischen  Zustände  in  der  ersten  Zeit  des  Puerperiums 


Akute  Erkrankungen  der  inneren  Geschlechtsteile  225 

und  nach  größeren  Operationen  an  den  Beckenorganen  hier 
anschließen,  weil  sie  ungefähr  dieselbe  Fürsorge  erfordern. 

In  allen  diesen  Fällen  ist  zunächst  Bettruhe,  und  zwar 
möglichst  unveränderte  Rückenlage,  geboten.  Im  Privathaus 
darf  der  Arzt  nicht  versäumen,  der  Kranken  und  ihren  Angehörigen 
den  vollen  Ernst  dieser  Verordnung  eindringlich  und  wiederholt 
auseinanderzusetzen;  in  gynäkologischen  und  chirurgischen  Kranken- 
häusern pflegt  das  Personal  hinreichend  darauf  zu  achten.  Die 
Maßregel,  den  Kranken  ein  Handtuch  oder  derartiges  um  die 
Beine  zu  binden,  so  daß  sie  nicht  voneinander  entfernt  werden 
können,  ist  auch  als  Denkzeichen  von  Wert.  Die  nicht  in  der 
Pflege  ausgebildete  Umgebung  der  Kranken  muß  darin  unter- 
richtet werden,  wie  man  den  Kranken  bei  der  Blasen-  und  Darm- 
entleerung hilft,  ohne  daß  sie  sich  zu  bewegen  brauchen.  Es 
muß  aber  auch  für  Geistes-  und  Gemütsruhe  der  Kranken  ge- 
sorgt werden,  der  Lärm  der  Straße  und  des  Hauses,  allzu  grelles 
Licht,  die  Sorgen  der  Wirtschaft  usw.  sollen  ihnen  möglichst  er- 
spart bleiben,  man  darf  sie  auch  nicht  durch  Mitteilungen  über 
die  eigene  Krankheit,  über  die  Fiebergrade  usw.,  oder  über  Krank- 
heiten und  Tod  anderer  aufregen. 

Mit  der  Ernährung  muß  man,  wie  bei  allen  ernsteren 
akuten  Krankheiten,  zunächst  etwas  zurückhaltend  sein.  Der  Arzt 
darf  natürlich  den  festen  Glauben  der  Laien,  daß  die  Kranke  so- 
fort etwas  Kräftigendes  bekommen  müsse,  nicht  unbeachtet 
lassen , denn  das  würde  wahrscheinlich  nur  dazu  führen , daß 
hinter  seinem  Rücken  etwas  vielleicht  sehr  Unzweckmäßiges  ge- 
geben würde.  Man  kann  zum  Glück  mit  gutem  Gewissen  die 
Schleimsuppen  und  dünnen  Mehlsuppen  empfehlen,  die  beim 
Volke  in  dem  Rufe  besonders  großer  Nährkraft  stehen,  obwohl 
sie  nicht  viel  anderes  als  Wasser  sind.  Sie  schaden  jedenfalls 
nicht.  Nur  wenn  z.  B.  in  Chloroformnarkose  operiert  worden 
ist,  oder  bei  eingreifenderen  Bauchoperationen  überhaupt,  muß 
in  den  ersten  24  Stunden  die  Nahrung  völlig  ausgesetzt 
werden,  am  besten  läßt  man  auch  die  beliebten  Eispillen  weg 
und  beschränkt  sich  darauf,  der  Kranken  öfters  die  Lippen  an- 
zufeuchten, den  Mund  ausspülen  zu  lassen.  Wo  es  erlaubt  ist, 
kann  man  bei  großem  Durst  Wassereinläufe  in  den  Darm 
geben,  auch  die  Infusion  von  Kochsalzlösung  unter  die  Haut, 
vgl.  S.  106,  kann  durststillend  wirken.  Nach  dieser  Pause  oder 
geeigneten  Falles  schon  gleich  läßt  man  zunächst  immer  nur  ganz 
geringe  Mengen  der  Nahrung,  einen  oder  zwei  Teelöffel  voll  auf 

Dornblüth  , Therapie.  1 5 


226 


Frauenkrankheiten 


einmal,  geben.  Fast  immer  kann  man  sehr  bald  zn  Milch  weiter- 
gehen, die  dann  auch  erhebliche  Nährstoffe  bringt.  Sie  wird,  vgl. 
S.  80,  am  besten  vertragen  und  schmeckt  vielen  Kranken  auch  zu- 
nächst am  besten,  wenn  sie  mit  Mondamin  oder  dergleichen  zur 
Suppe  gekocht  ist.  Auch  Bouillon  mit  Ei  wird  gewöhnlich  gern 
genommen  und  gut  vertragen.  Zwischendurch  gibt  man  mit  Vorteil 
Kakao,  mit  Milch  oder  zur  Abwechslung  auch  nur  mit  Wasser  be- 
reitet. Ein  zweckmäßiges  Muster  ist  der  von  Winckel  schon  vor 
30  Jahren  für  Wöchnerinnen  aufgestellte  Kostzettel: 

1.  Frühstück  200  g Milch,  60  g Semmel, 

2.  Frühstück  200  g einfaches  (obergäriges,  alkoholarmes)  Bier  — 
statt  dessen  wird  man  besser  Kakao  mit  Wasser  bereitet 
geben  — , 30  g Semmel,  1 Ei, 

Mittagessen  750  g Bouillon  mit  3 Eiern,  Kompott, 

Vesper  200  g Milch,  60  g Semmel, 

Abendbrot  200  g einfaches  Bier  (besser  auch  hier  wieder  Kakao 
oder  Mehlsuppe),  30  g Semmel, 

zusammen  1,55  1 Flüssigkeit,  180  g Semmel,  4 Eier,  1 Kompott. 

Bei  normal  verlaufendem  Wochenbette  geht  man  nach  einer 
Woche  allmählich  zur  normalen  Kost  über,  bei  den  Frauenkrank- 
heiten hängt  es  vom  Allgemeinbefinden,  vom  Fieber  usw.  ab,  ob 
man  schon  früher  oder  erst  später  diesen  Übergang  macht.  Wo 
besondere  Schwäche  hervortritt,  macht  man  natürlich  von  an- 
regenden und  nahrhaften  Mitteln  reichlicheren  Gebrauch  und 
gibt  Fleischsaft  Puro,  Roborat,  Somatose  usw.  zu  der  an- 
gegebenen Nahrung  hinzu.  Man  kann  dann  oft  auch  Rahm  statt 
Milch  verwenden,  vgl.  S.  91. 

Sehr  wichtig  ist  regelmäßige  Entleerung  des  Darms  und 
der  Blase.  Mit  innerlichen  Abführmitteln  ist  man  sehr  zurück- 
haltend, sobald  Neigung  zum  Erbrechen  besteht  oder  eine  Reizung 
des  Darms  ängstlich  vermieden  werden  muß.  Man  gibt  dann 
lieber  kleine  Klistiere  von  einem  Teelöffel  bis  zu  einem  Eßlöffel 
voll  Glyzerin,  oder  von  einem  Eßlöffel  Rizinusöl,  im  weiteren 
Verlauf  auch  wohl  Ölklistiere,  vgl.  S.  136.  Die  Blase  muß, 
wenn  sie  nicht  von  selbst  entleert  werden  kann , rechtzeitig 
katheterisiert  werden,  selbstverständlich  unter  strengster  Asepsis. 
Namentlich  muß  der  Katheter  auch  angelegt  werden,  wenn  etwa 
Harnträufeln  oder  unwillkürlicher  Harnabgang  bei  stärker  ge- 
füllter Blase  ein  tritt,  was  gewöhnlich  ein  Zeichen  von  Über- 
dehnung der  Blase  ist,  vgl.  S.  199.  Zuweilen  befördert  es  die 
Blasenentleerung,  wenn  das  der  Kranken  untergeschobene  Stech- 


Akute  Erkrankungen  der  inneren  Geschlechtsteile 


227 


becken  etwas  heißes  Wasser  enthält.  In  anderen  Fällen  tragen 
laue  Bäder  dazu  bei.  Die  Bäder  sind  überhaupt  ein  vortreff- 
liches Mittel,  soweit  sie  nicht  durch  die  vorgeschriebene  Buhe  un- 
möglich werden.  Insbesondere  zieht  man  die  Bäderbehandlung  mit 
dem  größten  Nutzen  bei  Puerperalfieber  heran,  in  demselben 
Sinne  wie  bei  der  Typhusbehandlung,  nämlich  um  das  Nerven- 
system und  das  Herz  und  die  Hauttätigkeit  anzuregen.  Das  gilt 
auch  für  die  anderen  akuten  Frauenkrankheiten,  die  mit  Fieber 
verbunden  sind.  Die  früher  von  Bunge  vertretene  Behandlung 
des Kindbettfiebers  mit  großen  Gaben  Alkohol,  besonders  Kognak, 
ist  hoffentlich  allgemein  aufgegeben,  nachdem  Kantorowicz  sie 
als  geradezu  schädlich  erwiesen  hat.  Die  Bäderbehandlung  leistet 
dagegen  alles,  was  man  von  dem  Alkohol  erwartet  hatte. 

Stärkere  Unterleib  schmerzen  behandelt  man  mit  Auf- 
legen einer  Eisblase,  neuerdings  wohl  auch  mit  Spiritus- 
verbänden, indem  man  Gaze  mit  Spiritus  tränkt,  wasserdichten 
Stoff  auf  legt  und  einen  festen  Verband  macht.  In  etwas  späterer 
Zeit  sind  den  Kranken  gewöhnlich  Priessnitz  sehe  Umschläge  oder 
auch  warme  Umschläge  angenehmer,  man  richtet  sich  dann  nach 
ihrem  Gefühl. 

Die  örtliche  Behandlung  beschränkt  man  bei  der  akuten 
Endometritis  und  Metritis  auf  einfache  Ausspülungen  der 
Scheide.  Man  nimmt  diese  regelmäßig  in  der  Weise  vor,  daß 
die  Kranke  im  Bett  auf  dem  Bücken  liegt;  bei  anderen  Stellungen 
dringt  das  Spülwasser  nicht  in  das  hintere  Scheidengewölbe  hinauf, 
was  unbedingt  erforderlich  ist.  Um  die  Benässung  des  Bettes 
zu  vermeiden,  kann  man  die  für  Heiß  Wasserspülungen  angegebenen 
Apparate  benutzen,  die  einen  tamponartigen  Hartgummiabschluß 
für  den  Scheideneingang  haben  und  das  Wasser  durch  einen 
Schlauch  wieder  herausfließen  lassen.  Das  in  die  Scheide  ein- 
zuführende Bohr  muß  jedesmal  nach  dem  Gebrauch  alsbald  mit 
reinem  Wasser  gründlich  durch-  und  abgespült  und  außerdem 
vor  jedem  Gebrauch  ausgekocht  werden;  der  Irrigator  und  der 
zugehörige,  etwa  anderthalb  Meter  lange  Gummischlauch,  sollen 
ebenfalls  rein  gehalten  werden,  deshalb  sind  Glasirrigatoren  vor- 
zuziehen. Zur  Ausspülung  verwendet  man  gewöhnlich  1 1 Wasser, 
worin  20  Tropfen  Formalin  oder  5,0  Zincum  chloratum  auf- 
gelöst sind.  Weitere  Eingriffe  sind  erst  nach  dem  Abklingen  der 
akuten  Erscheinungen  erlaubt,  in  der  Weise,  wie  es  für  die  Be- 
handlung der  chronischen  Entzündungen  angegeben  werden  wird. 
Laue  Sitzbäder,  35 — 33°  C.,  10 — 15  Minuten  lang,  täglich 

15* 


228 


Frauenkrankheiten 


1 — 2 mal,  wirken  meist  sehr  erleichternd.  Bei  der  Hämatocele 
muß,  wenn  die  Blutung  sich  wiederholt,  oder  wenn  sehr  starke 
Anämie  eintritt,  operativ  eingegriffen  werden. 

Beim  Puerperalfieber  kann  man  den  Versuch  machen, 
durch  Einreibung  der  Cred:ü  sehen  Silbersalbe,  Unguentum  Credü, 
die  septischen  Vorgänge  zu  bekämpfen.  Man  reibt  von  der  Salbe, 
die  aus  der  Marienapotheke  in  Dresden  bezogen  wird,  3,0 
15 — 30  Minuten  lang  in  die  gereinigte  Haut  an  beliebiger  Stelle 
ein  und  bedeckt  die  eingeriebene  Hautgegend  mit  Guttapercha- 
papier.  Die  Einreibung  wird  in  akuten  Fällen  täglich  einmal, 
in  chronischeren  Fällen  täglich  zweimal  vorgenommen.  Da  die 
Kur  jedenfalls  unschädlich  ist,  sollte  man  viel  häufiger  davon 
Gebrauch  machen,  als  bisher  geschieht.  Um  so  mehr,  da  von 
zuverlässigen  Beobachtern  wie  Winckel  gute  Erfolge  berichtet 
sind,  die  örtliche  Behandlung  der  puerperalen  Endometritis  aber 
keine  sicheren  Erfolge  bringt.  Am  meisten  gerühmt  wird  noch 
die  Einwirkung  heißer  Dämpfe,  die  Snegirew  und  Pincus 
eingeführt  haben,  auf  das  Endometrium. 

Wichtig  ist,  daß  man  die  Kräfte  der  Kranken  schont,  indem 
man  für  genügenden  Schlaf  und  für  Schmerzstillung  sorgt. 
Für  beide  Zwecke  sind  die  Antineuralgica  von  besonderem  Wert, 
insbesondere  Pyramidon,  Kryofin , Salipyrin  je  in  Gaben  von 
0,5 — 1,0  sowohl  gegen  Schmerzen  als  gegen  Schlaflosigkeit. 
Tritt  danach  kein  genügender  Schlaf  ein,  so  reicht  man  gelegent- 
lich Veronal  0,25 — 0,5,  Paraldehyd  3,0  — 5,0  in  starker  wäßriger 
Verdünnung,  vgl.  S.  31,  oder  Pulvis  Ipecacuanhae  opiatus  0,3 — 0,5. 

3.  Gonorrhöe  des  Weibes. 

Der  Schutz  der  Frau  vor  gonorrhoischer  Infektion 
ist  ganz  außerordentlich  wichtig,  nicht  nur,  weil  die  Gonorrhöe 
der  Frau  schwer  heilbar  und  oft  sehr  gefährlich  ist,  sondern 
auch,  weil  die  Krankheit  leicht  auf  die  Umgebung  übertragen 
wird.  Die  geringen  und  unscheinbaren  Zeichen  der  chronischen 
Gonorrhöe  beim  Weibe  lassen  oft  die  Krankheit,  sicher  aber  deren 
Infektiosität,  ganz  übersehen,  und  es  kommt  daher  leicht  durch 
den  gemeinsamen  Gebrauch  von  Schwämmen,  Handtüchern,  Bade- 
wasser, Irrigatoren  usw.,  nicht  selten  auch,  indem  gonorrhöe- 
kranke Frauen  mit  infizierten  Fingern  Manustupration  mit  jungen 
Mädchen  treiben,  zur  Übertragung  auf  Kinder  und  jungfräuliche 
Personen.  Die  Gonorrhöe  der  Jungfrauen  wird  erklärlicherweise 


Gonorrhöe  des  Weibes 


229 


oft  nicht  erkannt.  Ans  allen  diesen  Gründen  hat  der  Arzt  jeden 
Gonorrhöekranken  darauf  aufmerksam  zu  machen,  wie  groß  die 
Gefahr  ist,  wenn  er  vor  vollständiger  Heilung  den  Beischlaf  aus- 
übt, er  muß  ihn  auch  zugleich  belehren,  daß  die  Heilung  nicht 
angenommen  werden  darf,  solange  sich  noch  Urethralfäden  im 
Harn  finden,  die  Gonokokken  enthalten.  Auf  diese  Verhältnisse 
muß  man  namentlich  die  vor  der  Ehe  stehenden  Männer  hin- 
weisen,  damit  sie  rechtzeitig  ihre  Gesundheit  feststellen  oder  herbei- 
führen lassen  können.  Bei  irgendwie  zweifelhaften  Fällen  ist  der 
Beischlaf  zu  verbieten  oder  doch  nur  unter  Benutzung  eines 
Kondoms  zu  erlauben.  Zweckmäßig  ist  zum  Schutze  der  Frau 
auch  große  Reinlichkeit  der  Unterleibsorgane  und  nach  dem  Bei- 
schlafe eine  Scheidenspülung  mit  warmen  Lösungen  von  Ichthyol 
3 °/0  oder  Argentum  nitricum  1 °/00 . 

Die  Behandlung  der  ausgebrochenen  Krankheit  richtet  sich 
natürlich  gegen  die  in  den  verschiedenen  Fällen  etwas  wechselnden 
Lokalisationen  der  Entzündung.  Man  nimmt  jetzt  an,  daß  in  etwa 
der  Hälfte  der  Fälle  die  Harnröhre  erkrankt  ist.  Man  verordnet 
in  diesen  Fällen  vor  allem  regelmäßige  Waschungen  der  äußeren 
Geschlechtsteile,  am  besten  über  einem  Bidet,  und  zwar  entweder 
mit  reinem  lauen  Wasser  oder  mit  desinfizierenden  oder  leicht 
adstringierenden  Lösungen,  z.  B.  Kalium  per  mang anicum  in  blaß- 
roter Lösung,  Alsol  (Aluminium  aceticotartaricum)  1/2°/o^5 
Wasserstoffperoxyd  1 — 3°/0,  Formalin  20  Tropfen  auf  1 1 Wasser. 
Danach  werden  die  zugänglichen  Teile  mit  Wattebäuschen  sanft 
getrocknet,  die  dann  verbrannt  werden,  und  nunmehr  mit  Reis- 
puder, Salizylstreupulver  und  dergl.  eingepudert.  Innerlich  ver- 
ordnet man  Gonosan , täglich  6 — 9 Kapseln.  Von  Harnröhren- 
spülungen kann  natürlich  nur  die  Rede  sein,  wenn  der  Arzt  sie 
selbst  vornehmen  kann,  man  kommt  aber  ganz  gut  mit  der  bis- 
her angegebenen  Methode  aus.  Man  kann  dadurch  auch  fast 
immer  die  Entwicklung  von  Vulvitis  verhindern,  die  übrigens 
auch  weiter  keine  Behandlung  als  die  beschriebene  erfordern 
würde.  Wenn  die  Urethritis  chronisch  geworden  ist,  muß  sie 
örtlich  behandelt  werden,  am  besten  mit  Einspritzungen  von 
Ar gentum-nitricum- Salbe,  vgl.  S.  212.  Man  kann  aber  auch  hier 
die  Urophore , vgl.  S.  211,  anwenden  oder  schließlich  unter  Leitung 
des  Endoskops  die  erkrankten  Stellen  mit  Argentum  nitricum 
oder  mit  Jodtinktur  ätzen.  Besonders  ist  darauf  zu  achten,  daß 
die  kleinen  Krypten  und  Follikel  an  der  Harnröhrenmündung 
von  den  Entzündungserregern  freigemacht  werden;  man  erreicht 


230 


Frauenkrankheiten 


das  am  besten  durch  Pinseln  mit  Jodtinktur  oder  durch  Aus- 
brennen mit  dem  Thermokauter. 

Noch  größere  Bedeutung  als  die  Urethritis  hat  die  Endo- 
metritis gonorrhoica,  die  nach  den  heutigen  Kenntnissen  als 
Haupterscheinung  der  Gonorrhöe  des  Weibes  zu  betrachten  ist. 
Außerdem  gehen  davon  die  gefährlichen  Erkrankungen  des  Uterus 
und  der  Annexe  aus.  Die  Kolpitis  gonorrhoica,  der  Scheiden- 
tripper, ist  wohl  immer  nur  die  Folge  der  Endometritis.  Nur 
bei  Kindern,  die  durch  Wannenbäder  oder  durch  Berührung, 
Schwämme  usw.,  infiziert  worden  sind,  kommt  die  Kolpitis  als  # 
wesentlichste  Äußerung  der  Gonorrhöe  vor. 

Zur  Verhütung  der  Endometritis  müssen  in  frischen  Fällen 
die  Harnröhre  und  die  Vulva  auf  das  sorgfältigste  behandelt 
werden,  und  vor  allem  muß  man  vermeiden,  durch  Fingerunter- 
suchung, Spekulum  oder  Irrigation  etwa  die  Entzündung  weiter 
aufwärts  zu  tragen.  Man  muß  auch  die  Patientinnen  ausdrück- 
lich auf  die  Gefährlichkeit  der  Spülungen  aufmerksam  machen. 
Ist  die  Scheide  schon  erkrankt,  so  führt  man  ein  zweiblättriges 
Spekulum  ein  und  wischt  mit  einem  Wattebausch  gründlich  aus, 
der  mit  Jodtinktur  getränkt  ist,  und  legt  dann  einen  Jodoform- 
gazestreifen  ein,  der  die  Scheidenwände  hindert,  sich  gleich  wieder 
aneinander  zu  legen.  Die  Patientin  kann  ihn  nach  einigen 
Stunden  herausnehmen.  Nötigenfalls  wiederholt  man  das  Ver- 
fahren nach  einigen  Tagen.  Eine  andere  Behandlung  besteht  darin, 
daß  man  die  Scheide  zweimal  täglich  mit  halbprozentiger  Chlorzink- 
lösung ausspülen  läßt,  bei  Kindern  durch  einen  dünnen  Nelaton- 
katheter,  auch  eine  5 °/0  i ge  Protargollusung  kann  man  verwenden. 

Muß  man  die  Kranke  aus  irgend  welchen  Gründen  der 
Selbstbehandlung  überlassen,  oder  liegt  ausnahmsweise  nur  eine 
Kolpitis  vor,  so  beschränkt  man  die  Verordnungen  auf  täglich 
zweimalige  Scheidenspülung  mit  2 Litern  5 °/0  iger  Protargollösung 
oder  1/2  °/p  iger  Chlor zinklösung  oder  1 °/00  iger  Sublimatlösung ; 
auch  während  der  Menses. 

In  verschleppten  Fällen  von  Scheidengonorrhöe  empfiehlt 
sich  das  von  Schwarz  angegebene  Verfahren:  Die  Scheide  wird 
im  Spekulum  mit  Wattebäuschen,  die  mit  l°/noiger  Sublimat- 
lösung getränkt  sind,  kräftig  abgerieben,  um  die  oberen  Epithel- 
schichten mit  den  darin  sitzenden  Gonokokken  zu  entfernen,  dann 
wird  Jodoformpulver  nachdrücklich  eingerieben  und  die  Scheide 
mit  Jodoformgaze  austamponiert.  Nach  3 — 4 Tagen  wird  dies 
Ganze  wiederholt,  nötigenfalls  weiterhin  noch  einmal.  Dann  wird 


Gonorrhöe  des  Weibes 


231 


zwei  Wochen  lang  zweimal  täglich  mit  1 J/2  °/00  iger  Sublimatlösung 
irrigiert.  Die  recht  schmerzhafte  Ausreibung  wird  wohl  am  besten 
in  Narkose  vorgenommen.  Bei  Kindern  spült  man  die  Scheide 
mittels  eines  dünnen  Nelatonkatheters  mit  Chlorzinklösung  aus. 

Ist  schon  eine  Endometritis  cervicis  vorhanden,  so  reinigt 
man  zunächst  die  Scheide  auf  die  beschriebene  Weise  und  wischt 
dann  mit  watteumwickelten  PLAYFAiR-Sonden  die  Vaginalportion 
und  das  Orificium  externum  gründlich  ab,  bis  die  Schleimheit 
vom  anhaftenden  Schleim  befreit  ist.  Dann  ätzt  man  den  Hals- 
kanal mit  Jodalkohol  1:5  aus.  Bei  Frauen,  die  geboren  haben, 
nimmt  man  dazu  gern  Protargollösung , zunächst  1/2%ig,  dann 
stärker,  bis  zu  1 0 °/0 , oder  Chlorzinklösung  5 — 20°/o,  alle  diese 
Mittel  auf  dem  Watteträger.  Den  Halskanal  vorher  durch  Metall- 
dilatatoren zu  erweitern,  ist  im  ganzen  nicht  ratsam  und  für  die 
meisten  Fälle  jedenfalls  entbehrlich.  Nur  wenn  die  weitere 
Uterusschleimheit  beteiligt  ist  und  man  die  Höhle  mit  dem  Watte- 
träger auswischen  oder  mit  dem  Irrigator  und  der  Braun  sehen 
Spritze  ausspülen  will,  muß  man  vorher  dilatieren. 

Ein  neueres,  leicht  auszuführendes  Heilverfahren,  das  sehr 
gerühmt  wird,  ist  die  Anwendung  von  Bierhefe.  Man  spritzt 
entweder  10  — 20  ccm  in  den  Scheidengrund  ein  und  hält  die 
Masse  dort  durch  einen  Tampon  zurück,  der  nach  24  Stunden 
entfernt  wird,  und  wiederholt  dies  noch  2 oder  3 mal,  oder  man 
führt  die  Vaginal-Zyminstäbchen  der  Hofapotheke  in  Dresden, 
die  aus  steriler  Dauerhefe  bestehen,  oder  die  von  der  Boten  Adler- 
Apotheke  in  Berlin  C.  beziehbaren  Bheolkugeln,  aus  guter  Hefe 
bestehend  und  durch  geeignete  Aufbewahrung  wirksam  erhalten, 
abends  in  die  Scheide  ein  und  verschließt  für  24  Stunden  durch 
einen  Wattetampon. 

Häufiger  als  bei  Männern  ist  bei  Frauen  die  Mastdarm- 
gonorrhöe, meist  durch  Überfließen  des  Eiters  von  der  Scheide 
her  entstanden,  seltener  durch  Päderastie  usw.  Zur  Behand- 
lung legt  man  am  besten  Zäpfchen  mit  Protargol,  Argentum 
nitricum  oder  Jodoform  in  den  Mastdarm  ein  und  macht  außerdem 
täglich  eine  Ausspülung  mit  3 °/0  iger  lauwarmer  Ichthyollösung. 

Ijfc  Protargoli  2,0  I IJ:  Argenti  nitr.  1,0 

Olei  Cacao  25,0  Olei  Cacao  25,0 

F.  1.  a.  suppos.  X.  D.S.  j F.  1.  a.  suppos.  X.  D.S. 

Jodoformii  2,0 

Olei  Cacao  25,0 

F.  1.  a.  suppos.  X.  D.S. 


232 


Frauenk  ran  kh  ei  ten 


Bei  der  akuten  Gonorrhöe  der  Tuben,  der  Eierstöcke 
und  des  Bauchfells  ist  strengste  Bettruhe,  mit  Vermeidung 
jeder  Bewegung,  vorzuschreiben , die  Kranken  müssen  auch  im 
Liegen  urinieren  und  den  Darm  entleeren;  die  Kost  beschränkt 
sich  am  besten  anfangs  auf  Milchdiät  mit  Zugabe  einiger  Kohle- 
hydrate, vgl.  S.  226,  und  man  läßt  je  nach  dem  Behagen  der 
Kranken  Eisbeutel  oder  Priessnitz  sehe  Umschläge  auf  den  Leib 
legen.  Mit  dem  Nachlaß  des  Eiebers  und  der  Schmerzen  sucht  man 
einen  möglichst  guten  Ernährungszustand  herbeizuführen,  verordnet 
reichlich  Milch  und  erlaubt  wieder  vorsichtige  Bewegung.  Alles, 
was  stärkere  Zerrungen  und  Verschiebungen  im  Becken  hervor- 
rufen  könnte,  muß  aber  noch  vermieden  werden.  Die  oft  noch 
recht  unangenehmen  Schmerzen  bekämpft  man  mit  Pyramidon 
und  Salipyrin,  innerlich  oder  in  Suppositorien,  0,5  — 1,0  pro  dosi, 
mit  oder  ohne  Zusatz  von  Codeinum  phosphoricum  0,02 — 0,05 
pro  dosi.  Morphium  soll  wegen  der  Gefahr  der  Gewöhnung  nur 
in  Ausnahmefällen  gebraucht  werden.  Allmählich  geht  man  dann 
mit  Anregung  der  Resorption  vor.  Neben  fortgesetzten  Priess- 
nitz sehen  Umschlägen,  vgl.  S.  144,  eignen  sich  dadurch  besonders 
Sitzbäder  und  Vollbäder,  34—  35 °C.  warm,  mit  nachfolgender 
längerer  Bettruhe,  zweckmäßig  auch  mit  Zusatz  von  Badesalz, 
lkg  auf  ein  Sitzbad,  2 — 3 kg  auf  ein  Vollbad;  hei  Salzzusatz 
nimmt  man  die  Bäder  zwei  Grad  weniger  warm.  Auch  die 
künstlichen  kohlensauren  Solbäder,  vgl.  S.  27,  sind  sehr  zu 
empfehlen,  dreimal  in  der  Woche  je  15  Minuten  lang,  bei  30°  C., 
genommen.  Stärkere  Anregung  geben  heiße  Sch eidenspülungen, 
mit  Wasser  von  40 °C.  und  allmählich  wärmer,  bis  45  und  50°  C., 
im  Bett  vorgenommen,  jedenfalls  mit  einem  sogenannten  Heiß- 
wasserspülapparat, der  die  äußeren  Teile  vor  dem  ausfließenden 
heißen  Wasser  schützt.  Man  kann  sie  täglich  zweimal  vornehmen 
lassen,  wenn  die  Kranke  nicht  zu  sehr  dadurch  angegriffen  wird. 
Schonender  und  ebenfalls  sehr  wirksam  ist  die  Behandlung  mit 
Glyzerintampons,  die  jeden  zweiten  Tag  für  24  Stunden  an 
die  Portio  gelegt  werden.  Am  besten  tränkt  man  Watte  mit 
10°/oigem  Ichfhyolglyzerin  oder  verwendet  die  fertigen  Tampons 
aus  der  Fabrik  von  0.  Stephan,  Dresden-N.  — Sie  erzeugen 
einen  starken  wäßrigen  Ausfluß,  bei  Ichthyolanwendung  braun 
gefärbt,  so  daß  man  für  eine  Schutzbinde  sorgen  muß,  damit 
nicht  Wäsche  und  Bettzeug  leiden. 

Wenn  man  mit  diesen  Mitteln  nicht  zum  Ziele  kommt., 
verordnet  man  mit  Vorteil  den  Gebrauch  eines  Sol-  oder  Moor- 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  233 


bades,  vgl.  S.  239.  Das  ist  oft  auch  deshalb  zweckmäßig,  um 
die  Kranke  für  einige  Zeit  den  häuslichen  Verhältnissen  zu  ent- 
ziehen, und  zwar  sowohl  den  Aufgaben  des  Haushaltes  und  der 
Geselligkeit  als  den  ehelichen  Ansprüchen,  die  nicht  selten  der 
völligen  Heilung  im  Wege  stehen.  Der  geschlechtliche  Verkehr 
ist  auch  dann,  wenn  die  Gonorrhöe  des  Mannes  wirklich  völlig 
geheilt  ist,  im  ganzen  von  ungünstigem  Einflüsse.  Das  Genauere 
über  die  Badekur  findet  sich  weiterhin,  wo  von  der  allgemeinen 
Behandlung  der  Frauenkrankheiten  gehandelt  wird. 

Es  soll  zum  Schlüsse  noch  einmal  hervorgehoben  werden, 
daß  in  keinem  Falle  von  Gonorrhöe  der  Frau  unterlassen  werden 
darf,  daß  auch  der  Mann  behandelt  werde,  denn  da  die  Gonorrhöe 
keine  Immunität  schafft,  tritt  sonst  immer  wieder  eine  wechsel- 
seitige, stets  erneute  Infektion  ein,  die  zwar  meistens  schleichend 
verläuft,  gelegentlich  aber  doch  zu  schweren  Ausbrüchen  und 
gefährlichen  Folgen  führen  kann.  Meist  handelt  es  sich  bei  den 
Männern  um  unbedeutende  Reste  in  der  Pars  prostatica. 

4.  Chronische  Entzündungen  und  Lageveränderungen  der 
inneren  Geschlechtsorgane. 

Bei  den  chronischen  Erkrankungen,  Scheidenkatarrh, 
chronische  Endometritis  und  Metritis,  Perimetritis, 
Tuben-  und  Eierstocksentzündungen  tritt  die  Notwendig- 
keit der  Bettruhe  nur  ein,  wenn  Nachschübe  der  Entzündung  er- 
folgen, nicht  selten  auch  während  der  Menstruation,  wenn  diese 
eine  Verschlechterung  des  Befindens  mit  sich  bringt.  Eine 
Schonung  der  Unterleibsorgane  ist  aber  in  allen  Fällen  dauernd 
nötig.  Die  Kranken  sollen  sich  heftiger  und  anstrengender  Be- 
wegungen enthalten,  sich  nicht  tief  bücken,  nichts  Schweres  heben, 
nicht  reiten  und  nicht  radfahr en,  und  vor  allem  ist  der  Beischlaf 
verboten.  Es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  bei  den  sich  lang  hin- 
ziehenden Erkrankungen  dies  Verbot  schwer  durchzuführen  ist, 
teils,  weil  der  Ehemann  nicht  damit  einverstanden  ist,  teils,  weil 
die  Frau  auch  nicht  so  recht  von  der  Schädlichkeit  überzeugt 
ist.  Weil  aber  der  Erfolg  der  Behandlung  dadurch  mindestens 
in  Frage  gestellt  wird,  muß  vor  der  Kur  das  Verbot  besonders 
eindringlich  gegeben  werden,  und  wenn  die  Befolgung  trotzdem 
unwahrscheinlich  ist,  lieber  eine  Kur  in  einer  Klinik  oder  an 
einem  Badeorte  vorgeschlagen  werden,  wobei  diese  Möglichkeit 
wegfällt. 


234 


Frauenkrankheiten 


Zugleich  ist  auf  die  Wichtigkeit  der  Maßregeln  hinzuweisen, 
die  S.  215  ff.  begründet  sind:  die  zweckmäßige  Kleidung,  der 
Schutz  der  Genitalien  gegen  Infektion,  richtige  Ernährung  usw. 

Endlich  bedürfen  alle  diese  Kranken  einer  genauen  Belehrung 
über  das  Verhalten  während  der  Menstruation.  Es  wird  darüber 
Genaueres  in  einem  folgenden  Abschnitte  gesagt  werden,  wo  die 
Störungen  der  Menstruation  behandelt  sind. 

Die  Diät  erfordert  weiter  nichts  als  eine  normale  gemischte 
Kost,  wie  S.  86  beschrieben  ist.  Besonders  ist  an  hinreichenden 
Genuß  von  Kartoffeln  und  Gemüse  zu  denken,  damit  die  Darm- 
entleerungen regelmäßig  und  ohne  Drücken  und  Pressen  vor  sich 
gehen.  Macht  das  anfangs  Schwierigkeiten,  so  hilft  man  mit  den 
Mitteln  nach,  die  gegen  die  Darmträgheit,  S.  117,  empfohlen 
sind.  Gerade  hei  den  chronischen  Frauenleiden  hat  die  Regelung 
der  Darmtätigkeit  ihre  allergrößte  Bedeutung.  Die  Ansammlung 
von  festen  Kotmassen  innerhalb  des  Beckens,  der  Druck  auf  die 
Beckenorgane  und  auf  die  Venen  des  Beckens  sind  von  schäd- 
lichstem Einfluß  auf  alle  diese  Leiden,  die  chronische  Metritis 
kann  wohl  geradezu  dadurch  unterhalten  werden,  auch  ein  Zu- 
sammenhang zwischen  Fluor  und  Verstopfung  ist  öfters  nach- 
weisbar. 

Der  chronische  Scheidenkatarrh,  soweit  er  nicht  durch 
örtliche  Reizung  oder  durch  Endometritis  unterhalten  wird,  weicht 
am  sichersten  der  Behandlung  mit  Formalin-  oder  Chlorzink- 
spülungen, 20  Tropfen  Formalin  oder  5,0 — 10,0  Chlor  zink  auf 
1 1 Wasser,  lauwarm  und  in  der  vorhin  besprochenen  Art  an- 
gewendet, vgl.  S.  227.  Man  kann  auch  Wattetampons  mit 
Tanninglyzerin  1:10  im  Spekulum  in  die  Scheide  einführen  und 
24  Stunden  darin  lassen.  Die  mit  der  Lösung  getränkte  Watte- 
kugel wird  mit  einem  sterilen  Faden  umbunden,  woran  die  Kranke 
sie  sich  selbst  wieder  herausziehen  kann.  Bei  veralteten  Katarrhen 
und  besonders  bei  der  Kolpitis  senilis  ist  es  vorzuziehen,  die 
Scheidenwände  in  einem  mehrblättrigen  Spekulum  einmal  wöchent- 
lich mit  50°/0iger  Argentum-nitricum-Lösung  abzutupfen  und 
zweimal  täglich  mit  Salzwasser  5 °/0Q  auszuspülen. 

Bei  der  chronischen  Endometritis  ist  die  Behandlung  der 
Ursache  sehr  wichtig,  die  oft  in  Anämie,  Chlorose,  Skrophulose, 
Tuberkulose,  nicht  selten  auch  in  mangelhafter  Kleidung  oder 
Reinlichkeit  usw.  liegt.  Viele  dieser  Kranken,  namentlich  junge 
Mädchen,  werden  dadurch  geheilt,  daß  sie  ständig  die  Rockhose 
und  beim  Unwohlsein  die  Holzwollbinde  tragen.  Körperliche 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  235 


Anstrengungen,  Tennisspielen,  Tanzen,  Bergsteigen  usw.  während 
der  Menstruation,  Umherwandern  im  Schlafzimmer  mit  nackten 
Füßen  und  ungenügender  Bekleidung,  was  so  oft  durch  die  men- 
struellen Unruheempfindungen  veranlaßt  wird,  müssen  streng  ver- 
mieden werden.  Zuweilen  beruht  das  Leiden  auf  den  Versuchen, 
die  Periode  durch  diese  oder  jene  Mittel  früher  oder  später  herbei- 
zuführen, wenn  ihr  eigentlicher  Zeitpunkt  nicht  mit  geselligen 
Plänen  stimmt.  Eine  Heilwirkung  der  Scheidenspülungen  ist 
nicht  anzunehmen,  vielmehr  muß,  wenn  die  allgemeinen  Maßregeln 
nicht  helfen,  eine  örtliche  Behandlung  eintreten,  und  man  soll 
damit  nicht  warten,  bis  erst  Perimetritis  und  Parametritis  hinzu- 
getreten sind. 

Die  beste  Behandlung  besteht  in  der  intrauterinen  Atzung 
mit  kleinen  Mengen  wirksamer  Ätzmittel. 


fjfc  Jodi  puri  2,0 
Alcoh.  absol.  5,0 
M.D.S.  Zum  Ätzen. 


Fjfc  Zinci  chlor.  5,0 
Aq.  dest.  10,0 
M.D.S.  Zum  Ätzen. 


Ijfc  Formalini  2,5 
Aq.  dest.  10,0 
M.D.S.  Zum  Ätzen. 

Die  früher  übliche  Ausspritzung  der  Uterushöhle  ist  dadurch 
völlig  verdrängt  worden;  sie  ist  nicht  so  wirksam  und  außerdem 
nicht  ungefährlich.  Sie  ist  daher  jedenfalls  nur  für  die  Hand  sehr 
erfahrener  und  geübter  Spezialisten  zulässig.  Der  Praktiker  benutzt 
entweder  die  Playfair  sehe  Aluminiumsonde,  eine  biegsame,  am 
vorderen,  gerieften  Ende  mit  Watte  umwickelte  Sonde,  oder  das 
Saenger sehe  Silberstäbchen.  Namentlich  das  letztere  kann  fast 
immer  ohne  vorherige  Erweiterung  der  Zervix  in  die  Uterushöhle 
eingeführt  werden;  die  pinselförmig  daran  befestigte  Watteflocke 
wird  in  Jodalkohol,  Chlorzinklösung  oder  Formalinlösung,  ge- 
taucht und  dann  in  den  Uterus  eingeführt,  ebenso  die  an  der 
PLAYFAiR-Sonde  befestigte  Watteumhüllung.  Man  läßt  die  Ätz- 
sonde 1 — 2 Minuten  einwirken  und  zieht  sie  dann  wieder  zurück, 
die  Sänger  sehe  so,  daß  man  mit  einer  Kornzange  die  Sonde 
samt  der  Watte  am  äußeren  Muttermunde  faßt  and  beides  zu- 
sammen herauszieht.  Immer  muß  die  Watteflocke  aus  einem  zu- 
sammenhängenden Stück  sein,  damit  nicht  ein  Teil  in  der  Höhle 
zurückbleibt.  Die  Ätzung  darf  erst  wiederholt  werden,  wenn  der 
Ätzschorf  sich  abgelöst  hat  und  wieder  freie  Schleimhaut  vor- 
handen ist.  Das  ist  bei  Jodalkohol  und  Formalinlösung  nach 


236 


Frauenkrankheiten 


5 — 7 Tagen,  bei  50°/0iger  Cklorzinklösung  erst  nach  10 — 14 
Tagen  der  Fall.  Wird  die  Ätzung  früher  wiederholt,  so  ist  die 
Gefahr  tiefer  greifender  Entzündungen  mit  nachfolgender  Stenose 
der  Zervix  gegeben.  Die  Stäbchen-  und  Sondenätzung  kann  im 
Notfälle  in  der  Sprechstunde  ausgeführt  werden,  jedenfalls  muß 
die  Kranke  dann  sofort  nach  Hause  gehen  und  sich  ins  Bett 
legen.  Besser  nimmt  man  sie  nur  im  Hause  der  Kranken  oder 
bei  klinischen  Patienten  vor,  die  die  ersten  24  Stunden  danach 
liegen  bleiben.  Ferner  nimmt  man  die  Ätzung  nicht  in  der 
Woche  vor  der  Menstruation  vor,  damit  nicht  die  eintretende 
Hyperämie  und  Lockerung  mit  der  Ätzwirkung  Zusammenfalle. 
Auch  eignet  sich  das  Verfahren  nur  für  chronische  Entzündungen, 
nicht  für  frischere,  z.  B.  gonorrhoische,  Endometritis.  Mehr  als 
3 oder  4 mal  wendet  man  die  Ätzung  nicht  an.  Ist  dann  kein 
Erfolg  erreicht,  so  muß  man,  was  bei  sehr  engem  Muttermunde 
schon  von  vornherein  nötig  sein  kann,  zunächst  die  Zervix  er- 
weitern. Am  besten  geschieht  das  mit  Laminaria.  Der  Laminaria- 
stift  wird  mit  einem  durch  seine  Höhlung  gezogenen  kräftigen 
Faden,  woran  man  ihn  später  aus  dem  Uterus  herausziehen  kann, 
gründlich  ausgekocht,  nötigenfalls  nach  der  Form  des  Halskanals 
etwas  gebogen,  was  nach  kurzem  Einlegen  in  heißes  Wasser 
leicht  möglich  ist,  und  dann  im  Rinnenspekulum,  während  die 
vordere  Muttermundslippe  mit  der  Kugelzange  festgehalten  wird, 
in  die  Zervix  eingeführt,  bis  über  den  inneren  Muttermund  hinaus. 
Nach  24  Stunden  zieht  man  den  Stift  langsam  heraus.  Nötigen- 
falls kann  man  nach  weiteren  12  Stunden  einen  neuen  Stift  ein- 
führen. Man  kann  auch  durch  die  HEGARSchen  Bou'gies  die 
Erweiterung  vollenden,  indem  man  allmählich  immer  stärkere 
Nummern  einführt.  Für  die  Ätzung  ist  das  wohl  immer  unnötig, 
für  die  Ausschabung  der  Uterushöhle  kann  es  sehr  vorteilhaft 
sein.  Nach  der  Erweiterung  reibt  man  die  Höhle  mit  dem 
trocknen  watteumwickelten  Stäbchen  aus  und  tamponiert  dann 
den  Uterus  einmal  täglich  mit  Jodoformgaze,  nach  Fehling, 
dabei  muß  mehrere  Tage  Bettruhe  gehalten  werden.  Wo 
auch  dieses  Verfahren  nicht  zum  Ziele  führt,  muß  die  Aus- 
schabung, Gurettage , vorgenommen  werden.  (Curettement  ist 
kein  französischer  Ausdruck.)  Bei  der  Gonorrhöe  vermeidet  man 
sie,  solange  irgend  noch  virulente  Kokken  in  der  Höhle  vor- 
handen sind,  um  nicht  eine  Infektion  tieferer  Schichten  herbei- 
zuführen. Strengste  Asepsis  ist  eine  selbstverständliche  Be- 
dingung dieses  Eingriffes.  Man  darf  ihn  daher  nur  unter  Leitung 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  287 


des  Auges,  bei  Einführung  der  Curette  im  Spekulum,  vornehmen. 
Die  Portio  wird  angehakt  und  mit  1 °/00  iger  Sublimatlösung  ab- 
gewischt, die  Zervix  ebenso  mit  dem  PLAYEAiR-Stäbchen  ausgewischt, 
dann  der  Uterus  mit  dem  Fritsch-Bozeman  sehen  Katheter  mit 
warmer  3°/0iger  Karbollösung  gründlich  ausgespült  und  dann 
die  Curette  eingeführt.  In  jedem  Falle  muß  die  Schleimhaut  in 
ihrer  ganzen  Ausbreitung  entfernt  werden , man  ergänzt  daher 
die  Wirkung  der  Curette  auf  die  vordere  und  hintere  Uterus- 
wand gern  durch  Anwendung  des  scharfen  Löffels  auf  den  Fundus, 
die  Tubenecken  und  die  Seitenflächen  des  Uterus.  Lange  Züge 
der  ganz  flach  über  die  Schleimhaut  hingeführten  Instrumente 
geben  die  gründlichste  und  ungefährlichste  Arbeit.  Vorherige 
Feststellung  der  Dicke  der  Uteruswand  mittels  kombinierter  Unter- 
suchung schützt  vor  zu  kräftiger  Ausschabung,  die  eine  Perfo- 
ration herbeiführen  könnte.  Eine  gründliche,  wirksame  und  doch 
ungefährliche  Curettage  setzt  überhaupt  voraus,  daß  der  Arzt  das 
Verfahren  richtig  erlernt  und  unter  Leitung  erfahrener  Spezialisten 
geübt  habe.  Sonst  bleiben,  abgesehen  von  der  Perforationsgefahr, 
leicht  Teile  zurück,  die  den  krankhaften  Vorgang  immer  von 
neuem  anregen.  Den  Zervixkanal  schabt  man  im  allgemeinen  nur 
dann  aus,  wenn  die  Schleimhaut  bei  Verdacht  auf  Krebs  mikro- 
skopisch untersucht  werden  soll.  Nach  der  Ausschabung  wischt 
man  die  Uterushöhle  mit  einem  Wattestäbchen  aus,  das  in  Liquor 
Ferri  sesquichlorati  getaucht  war,  und  tamponiert  den  Scheiden- 
grund mit  Jodoformgaze.  Die  Operierte  muß  mindestens  drei 
Tage,  besser  eine  Woche  im  Bett  bleiben.  Der  Tampon  wird  am 
zweiten  oder  dritten  Tage  aus  der  Scheide  entfernt.  Die  neu- 
gebildete Schleimhaut  ist  nur  ausnahmsweise  ganz  gesund,  sie 
muß  dann  auch  noch  wieder  in  der  vorher  beschriebenen  Weise 
mit  Atzung  behandelt  werden. 

Für  hartnäckige  Fälle  können  außerdem  noch  mehrere  Ver- 
fahren angewendet  werden,  wir  sehen  aber  von  ihrer  Beschreibung 
ab,  weil  sie  zu  sehr  in  das  Gebiet  des  Spezialisten  hineinführen 
würden.  Dahin  gehört  auch  die  von  Snegirew  angegebene, 
in  Deutschland  besonders  durch  L.  Pincus  verbreitete  Vapori- 
sation, die  Anwendung  heißen  Wasserdampfes  auf  die  Uterus- 
schleimhaut. 

Die  Erosionen  der  Portio  werden  wöchentlich  einmal  mit 
50  °/0  iger  ChlorzinkYösxmg  geätzt,  in  schweren  Fällen  durch  die 
Schröder  sehe  Keilexzision  mit  nachfolgender  Naht  entfernt.  Auch 
die  Granulationen  der  Portio  ätzt  man  mit  50°/oiger  Chlor- 


238 


Frauenkrankheiten 


zinklösung,  danach  legt  man  einen  Wattetampon  mit  10°/0igem 
Tanninglyzerin  in  das  Scheidengewölbe. 

Bei  der  chronischen  Metritis  besteht  das  Wesentliche  der 
Behandlung  in  der  Verminderung  der  Hyperämie  und  in  der  An- 
regung der  Resorption.  Diese  Methoden  in  ihrer  Gesamtheit  sind 
um  so  wichtiger,  als  sie  auch  das  wertvollste  Rüstzeug  gegen 
die  chronische  Perimetritis  und  gegen  die  chronischen  Tuben- 
und  Eierstockserkrankungen  bilden. 

Man  wendet  verschiedene  Verfahren  gleichzeitig  oder  ab- 
wechselnd an.  Einfach  und  wirksam  sind  die  in  die  Scheide  ge- 
brachten Wattetampons  mit  Glyzerin  oder  10°/0igem  Ichthyol- 
glyzerin. Das  Glyzerin  ruft  eine  starke  wäßrige  Ausscheidung 
aus  dem  Uterus  hervor,  so  daß  gewöhnlich  schon  einige  Stunden 
nach  Einlegung  des  Tampons  ein  starker  Ausfluß  beginnt.  Das 
zugesetzte  Ichthyol  regt  die  Resorption  an,  wirkt  antibakteriell 
und  zugleich  schmerzlindernd;  es  färbt  den  eintretenden  Ausfluß 
bräunlich,  so  daß  durch  Holzwollbinden  für  die  Schonung  der 
Wäsche  gesorgt  werden  muß.  Man  läßt  den  Tampon  im  all- 
gemeinen 24  Stunden  liegen,  nur  ausnahmsweise  treten  Schmerzen 
und  Drängen  auf,  die  zu  früherer  Entfernung  veranlassen;  die 
Patientin  kann  ihn  dann  selbst  an  dem  Faden  herausziehen.  Man 
macht  sich  die  Tampons  entweder  selbst  im  Augenblick  des  Ge- 
brauches, oder  man  verwendet  die  vorzüglichen  fertigen  Tampons 
aus  der  STEPHANSchen  Apotheke  in  Dresden-N.  Auch  10°/0iges 
Ichthyolvasogen  zu  Tampons  und  zum  Bepinseln  der  Portio  wird 
empfohlen,  ferner  auch  Bepinseln  der  Portio  mit  Jodtinktur  in  mehr- 
tägigen Zwischenräumen.  Die  Tamponbehandlung  wird  wochen- 
lang fortgesetzt,  gewöhnlich  so,  daß  man  nach  Entfernung  des 
Tampons  einen  Tag  ohne  Tampon  läßt.  Während  der  Menstrua- 
tion setzt  man  natürlich  aus,  dagegen  ist  es  durchaus  gut,  bis 
unmittelbar  vor  ihrem  Eintritt  die  Tampons  einzulegen.  Die 
Patientinnen  können  sich  nicht  selbst  den  Tampon  richtig  ein- 
führen, auch  mit  den  sogenannten  Tamponträgern  bringen  sie  sie 
gewöhnlich  nicht  an  die  richtige  Stelle,  und  dann  tritt  natürlich 
auch  nicht  die  gewünschte  Wirkung  ein.  Ein  weiteres  Mittel 
ist  die  heiße  Ausspülung  der  Scheide.  Sie  muß,  wie  jede 
Scheidenspülung,  in  Rückenlage  vorgenommen  werden,  vgl.  S.  227, 
zur  Schonung  des  gegen  die  erforderliche  Wärme  des  Wassers, 
45 — 50°  C.,  sehr  empfindlichen  Scheideneinganges  verwendet  man 
stets  den  Heißwasserspülapparat,  der  durch  einen  Kegel  den 
Scheideneingang  verschließt  und  das  Spülwasser  durch  ein  diesen 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  239 

durchbohrendes  Rohr  ausfließen  läßt.  Es  ist  vorhin  schon  an- 
gegeben, daß  dadurch  auch  die  Durchnässung  des  Lagers  am  besten 
vermieden  wird.  Solche  Ausspülungen  greifen  die  meisten  Patien- 
tinnen recht  an,  man  läßt  also  mindestens  eine  Stunde  nachher 
das  Bett  hüten  und  vermeidet  die  Verordnung  überhaupt  bei 
zarten , nervösen  oder  angestrengten  Kranken.  Aus  demselben 
Grunde  läßt  man  sie  am  besten  nicht  öfter  als  dreimal  in  der 
Woche  an  wenden.  Unterstützt  wird  die  Behandlung  durch  Peiess- 
NiTzsche  Umschläge  um  den  Leib,  während  der  Nacht  ge- 
tragen, mit  kaltem  Wasser  oder  mit  kaltem  Salzwasser  ange- 
feuchtet, ohne  wasserdichten  Stoff,  ferner  durch  Einpinseln  von 
Ichthyolvasogen  in  die  Bauchhaut  und  durch  inneren  Gebrauch 
von  Ichthyolpillen , die  dragiert  zu  0,1  Ichthyol  in  den  Apotheken 
vorrätig  sind,  3 mal  täglich  1 — 3 und  mehr  Pillen.  Ein  ganz 
besonders  wichtiges  und  eigentlich  in  keinem  Falle  entbehrliches 
Hilfsmittel  ist  aber 

Die  Hydro*  und  Balneotherapie  der  chronischen  Frauenkrankheiten. 

Die  einfachste  hydrotherapeutische  Verordnung  bei  der 
chronischen  Metritis  und  den  anderen  hierher  gehörigen  Erkran- 
kungen ist  das  Sitzbad.  Man  verwendet  es  besonders  in  kühleren 
Graden,  15 — 25°  C.  10  Minuten  lang,  um  den  Blutumlauf  in 
den  Beckengefäßen  und  in  der  Uteruswand  zu  beschleunigen  und 
den  Blutstrom  abzulenken.  Bei  älteren  Fällen,  namentlich  auch 
bei  Perimetritis  und  Parametritis,  gibt  man  auch  Sitzbäder  oder 
auch  Vollbäder  von  33 — 37°  C.,  ein  viertel  oder  eine  halbe  Stunde 
lang,  mit  nachfolgender  Bettruhe,  meistens  nur  dreimal  wöchent- 
lich, damit  die  Patientin  nicht  zu  sehr  angegriffen  wird. 

In  der  Balneotherapie  spielen  diese  Indikationen  eine 
Hauptrolle  in  den  Prospekten  einer  großen  Anzahl  von  Bädern. 
Das  ist  insofern  nicht  unrichtig,  als  in  den  meisten  Kurbädern 
neben  der  größeren  oder  geringeren  Einwirkung  der  Quellen,  die 
zum  Trinken  und  Baden  benutzt  werden,  und  neben  den  Vor- 
teilen einer  Loslösung  der  Patientin  von  häuslicher  Arbeit  und 
anderen  Schädlichkeiten  meistens  auch  eine  spezialistische  Be- 
handlung durch  den  Badearzt  durchgeführt  wird.  Die  Ein- 
wirkung der  Quellen  selbst  ist  am  größten  bei  den  Solbädern, 
bei  den  einfachen  sowohl  wie  bei  den  jod-  und  bromhaltigen, 
ferner  bei  den  Moorbädern.  In  zweiter  Linie  stehen  die  Wild- 
bäder  und  Schwefelthermen.  Besonders  für  zarte,  reizbare 
Kranke  werden  sie  im  allgemeinen  den  Sol-  und  Moorbädern  vor- 


240 


Frauenkrankheiten 


gezogen,  indessen  hat  man  es  auch  hei  diesen  in  der  Hand,  durch 
genaue  Anordnung  des  Badeverfahrens  ungünstige  Wirkungen 
auch  bei  sehr  empfindlichen  Personen  zu  vermeiden.  Dagegen 
kann  man  bei  kräftigen  Kranken  die  natürlichen  Solquellen  noch 
beliebig  durch  Zusatz  von  brom-  oder  chlorcalciumhaltiger  Mutter- 
lauge verstärken. 

Die  wichtigsten  Solbäder  sind: 

Berchtesgaden  in  den  bayrischen  Alpen,  Sole  mit  26,5 °/0 
Salzgehalt. 

Bernburg  an  der  Saale,  31  °/0  Salz. 

Hall  in  Württemberg,  2 8 °/0. 

Harzburg  am  Harz,  16,5  °/0. 

Kosen,  Bez.  Merseburg,  an  der  Saale  4°/0. 

Kolberg,  5°/0. 

Rheinfelden  nahe  Basel,  31°/0. 

Rothenfelde,  nahe  Osnabrück,  5,6 °/0. 

So  den- Salmünster  an  der  Bahn  Frankfurt  a.  M.-Bebra,  3,5  °/0. 

Jod-  und  bromhaltige  Solbäder  haben 

Aibling  in  Oberbayern,  2 5 °/0  Salzgehalt. 

A u s s e e im  österreichischen  Salzkammergut,  3 2 °/0 . 
Bex-les-Bainsim  schweizerischen  Kanton  Waadt,  unweit  Montreux, 

31%. 

Frankenhausen  am  Kyffhäuser,  2 7 °/0. 

Goczalkowitz  in  Oberschlesien,  3,2  0/Q. 

Ischl  im  Salzkammergut,  24  °/0. 

Kreuznach  in  der  Rheinprovinz,  1,5 °/0,  also  schwache  Sole,  aber 
ergänzt  durch  kräftige  Mutterlauge. 

Orb  im  Spessart,  1,8 °/0. 

Salzuflen  im  Fürstentum  Lippe,  4°/0. 

Salzungen  in  Thüringen,  26°/0. 

Sooden  an  der  Werra,  4 °/0. 

Wittekind  bei  Halle,  3,7  °/0. 

Warme  Solquellen,  Kochsalzthermen: 

Baden-Baden,  Thermalbad,  0,28 °/0,  Wärme  60°  C. 

Homburg  v.  d.  H.,  0,5°/o,  Wärme  11°  C. 

Kissingen,  Schönbornsprudel,  1,6 °/0,  Wärme  20°  C. 

Münster  am  Stein,  nahe  Kreuznach,  0,8 °/0,  Wärme  31  °C. 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  241 


Naulieim  in  Hessen,  3,5 °/0,  Wärme  35°  C. 

Oeynhausen  in  Westfalen,  3,4 °/0,  Wärme  33°  C. 

Soden  am  Taunus,  1,8 °/0,  Wärme  30°  0. 

Wiesbaden,  Thermalbad,  Wärme  bis  zu  69°  C. 

Man  sieht,  es  fehlt  nicht  an  wirksamen  Bädern.  Ein  Bade- 
wasser mit  1,5 — 2 °/0  Chlorverbindungen  — für  die  Wirkung 
kommen  nicht  nur  das  Chlornatrium,  sondern  auch  die  übrigen 
Chlorverbindungen  in  Frage  — nennt  man  ein  schwaches  Sol- 
bad, die  noch  schwächeren  Bäder  von  Baden-Baden,  Homburg 
und  Wiesbaden  bezeichnet  man  als  Mineralbäder;  2—4 °/0 
Chlorverbindungen  geben  ein  mittelstarkes  Solbad ; 4 — 6 °/0 

ein  starkes  Solbad.  Noch  stärkere  Quellen  werden  zum  Ge- 
brauch verdünnt.  Man  kann  aber  die  schwächeren  durch  Zusatz 
von  Mutterlauge,  die  in  den  meisten  Solbädern  durch  Ein- 
kochen der  Sole  bis  auf  einen  Gehalt  von  höchstens  30  °/0  Chlor- 
verbindungen hergestellt  wird,  beliebig  verstärken.  Die  Mutter- 
lauge von  Hall  in  Österreich,  Kreuznach,  Reichenhall  und  Witte- 
kind ist  besonders  reich  an  Jod-  und  Bromverbindungen  und 
wird  daher  vielfach  versandt.  Außerdem  verwendet  man  die 
Mutterlauge  sehr  oft,  um  künstliche  Solbäder,  die  man  aus 
Kreuznacher,  Nauheimer,  Staßfurter  Salz  usw.  bereitet,  neben  dem 
vorhandenen  Kochsalz  noch  mit  Chlorcalcium,  Chlormagnesium, 
Kali-,  Kalk-  und  Magnesiumsulfat  zu  versehen.  Man  nimmt 
2 — 5 — 10  kg  Salz  auf  ein  Vollbad  von  2001  (1  — 5°/0  Salzgehalt), 
für  Kinder  1kg  auf  501. 

Die  Auswahl  des  Bades  wird  daher  weniger  durch  die 
Stärke  der  Quelle,  als  durch  die  klimatischen  und  sonstigen  Ver- 
hältnisse des  Bades  bedingt.  Den  altangesehenen,  berühmten  Sol- 
bädern und  Thermalbädern  kommt  es  außerdem  sehr  zugute, 
daß  dort  gewöhnlich  ein  ganzer  Stab  von  Ärzten  vorhanden  ist, 
der  auf  langen  und  an  zahlreichen  Kranken  erworbenen  Er- 
fahrungen fußt.  Das  ist  oft  mehr  wert  als  die  Zusammensetzung 
der  Quellen,  über  deren  Wirksamkeit  wir  ja  noch  ungenügend 
unterrichtet  sind.  Möglich  ist,  daß  noch  allerlei  unbekannte  Fak- 
toren mitwirken.  Darauf  weist  z.  B.  die  anerkannte,  unbestreit- 
bare Wirksamkeit  der  Kreuznacher  Bäder  hin,  die  durchaus 
kein  Solbad  im  gewöhnlichen  Sinne  sind,  nicht  aus  Salzlagern 
stammen,  die  schwefelsauren  Salze  der  eigentlichen  Solbäder  völlig 
entbehren  und  bei  verhältnismäßig  geringem  Chlornatriumgehalt 
ziemlich  viel  Bromkalium,  Chlorkalium  und  Chlorlithium  ent- 
Dornblüth  , Therapie.  1 6 


242 


Frauenkrankheiten 


halten.  Es  handelt  sich  also  richtiger  um  jod-  und  bromhaltige 
Mineralquellen. 

Beachtenswert  ist  die  Ansicht,  die  besonders  nachdrücklich 
und  beweisend  Engelmann  (Kreuznach)  vertreten  hat,  daß  die 
Wirkung  der  Bäder  hei  den  chronischen  Frauenkrankheiten  nicht 
immer  und  jedenfalls  nicht  ganz  durch  ihren  Einfluß  auf  die  ört- 
lichen Erkrankungen  zu  erklären  ist,  sondern  daß  es  sich  viel- 
fach um  Allgemeinwirkungen  auf  die  Konstitution  der 
Kranken  handelt.  Die  der  Krankheit  zugrunde  liegende  Diathese, 
die  oft  in  der  Jugend  deutlich  vorhanden  gewesene  skrofulöse 
Anlage  verhindert  die  Heilung  und  wird  nun  durch  die  Badekur 
gebessert.  Aus  diesem  Grunde  zieht  man  auch  in  den  Solbädern 
gern  die  Trinkkur  mit  heran,  so  in  Kreuznach  die  Elisabeth- 
quelle, mit  ihrer  etwa  1 °/0  igen  Konzentration,  morgens  nüchtern 
oder  mehrmals  täglich  zu  einem  Weinglas  voll  und  mehr,  in 
Homburg  den  Elisabethbrunnen,  in  Kissingen  den  Rakoczy, 
in  Baden-Baden  die  Thermalquelle,  in  Wiesbaden  den  Koch- 
brunnen. Dadurch  erklären  sich  auch  die  oft  ganz  besonders 
guten  Wirkungen  der  Jodtrinkquellen: 

Hall  in  Oberösterreich,  Tassiloquelle, 

Heilbrunn  in  Oberbayern,  Adelheidquelle, 

Tölz-Krankenheil  in  Oberbayern,  das  sich  auch  durch  eine 

vortreffliche,  modern  eingerichtete  Badeanstalt  für  die  Jod- 
bäder auszeichnet. 

Unter  den  Wildbädern  genießen  besonderen  Ruf  für  die 
chronischen  Frauenkrankheiten:  Badenweiler  am  Schwarzwald, 
Wildbad  Gastein  im  Herzogtum  Salzburg,  1012  m über  dem 
Meer  gelegen,  Bormio  in  Italien,  am  Südfuß  des  Stilfser  Jochs, 
1340  und  1410  m hoch,  Johannisbad  im  böhmischen  Riesen- 
gebirg, 650  m,  Krapina-Töplitz  in  Kroatien,  mit  Badequellen 
von  37 — 40°  0.,  Ragaz-Pfäfers imKanton  St. Gallen,  520 — 685m 
hoch,  Quellen  37,5 °0.  warm;  Schlangenbad  im  Regierungs- 
bezirk Wiesbaden,  Teplitz-Schönau  in  Böhmen,  Warmbrunn 
in  Schlesien,  Wildbad  in  Württemberg,  430  m hoch,  33 — 40°  C. 
warme  Quellen.  Auch  die  Mineralquellen  von  Landeck  in 
Schlesien,  die  eigentlich  zu  den  Schwefelquellen  gehören,  werden 
besonders  viel  gegen  chronische  Unterleibsleiden  verordnet. 

Eine  andere  Gruppe  von  Bädern,  die  der  Wirkung  nach 
hierher  gehören,  sind  die  Eisenquellen  und  Moorbäder.  Die 
Eisenquellen  wirken  beim  Bade  nicht  durch  den  Eisengehalt, 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  243 

sondern  als  kohlensäurehaltige  Bäder;  die  Eisenquellen  ohne 
Kohlensäure  sind  etwa  den  Wasserbädern  gleichzustellen.  Für 
die  Behandlung  der  chronischen  Frauenleiden  kommen  daher 
besonders  die  an  den  Kurorten  mit  Eisenquellen  meist  vorhandenen 
Moorbäder  in  Frage.  Sie  wirken  teils  durch  die  Schwere 
der  Badeflüssigkeit,  die  einen  besonderen  Reiz  auf  die  Haut  aus- 
übt, durch  ihre  große  Wärmekapazität  und  schlechte  Wärme- 
leitung, die  es  erlaubt,  verhältnismäßig  hohe  Wärmegrade  ohne 
unangenehme  Empfindungen  einwirken  zu  lassen,  und  endlich 
durch  ihren  Gehalt  an  freier  Schwefelsäure,  Eisenvitriol,  Natrium- 
und  Calciumsulfat. 

Die  bekanntesten  Moorbäder  sind: 

Bad  Elster  im  Königreich  Sachsen,  491  m hoch, 

Cudowa  in  der  Grafschaft  Glatz  in  Preußisch-Schlesien,  388  m, 
Franzensbad  in  Böhmen,  450  m, 

Kainzenbad  bei  Partenkirchen  in  Oberbayern,  800  m, 
Kohlgrub  in  Oberbayern,  900  m über  dem  Meere, 
Langenschwalbach  im  Regierungsbezirk  Wiesbaden,  318  m, 
Liebenwerda  im  Regierungsbezirk  Merseburg,  neu  erbautes 

Moorbad, 

Lobenstein  in  Reuß,  Südthüringen,  515  m, 

Marienbad  in  Böhmen,  628  m, 

Murnau  am  Staffelsee  in  Oberbayern,  693  m, 

Bad  Muskau  in  der  Oberlausitz, 

Oldesloe  in  Holstein,  zugleich  auch  Solbad, 

Peterstal  im  badischen  Schwarzwald,  431  m, 

Pyrmont  im  Fürstentum  Waldeck,  120  m, 

Reinerz  in  Schlesien,  568  m, 

Rippoldsau  im  badischen  Schwarzwald,  570  m, 

Schmiedeberg  im  Regierungsbezirk  Merseburg,  90m, 

St  eben  bei  Hof  in  Oberfranken,  581  m, 

Wiesau,  König-Otto-Bad,  im  Fichtelgebirg , 520  m. 

Über  den  Gebrauch  der  verschiedenen  Bäder  ist  folgendes  zu 
bemerken:  Die  Solbäder,  sowohl  die  natürlichen  wie  die  künst- 
lichen, werden  im  allgemeinen  bei  etwas  geringerer  Wärme  ge- 
nommen als  die  einfachen  Wasserbäder  und  die  ihnen  darin 
gleichstehenden  Wildbäder  und  Mineralbäder,  und  zwar 
nimmt  man  mittlere  Solbäder  etwa  bei  30,  höchstens  32°  0.,  starke 
Solbäder  bei  30  oder  29  oder  28°  C.  In  der  Praxis  wird  das 


16 


244 


Frauen  krankheiten 


vielfach  übersehen,  es  werden  namentlich  künstliche  Solbäder 
oft  von  35°  C.  und  mehr  verabreicht,  die  dann  angreifend  und 
reizend  wirken  und  das  Allgemeinbefinden  verschlechtern,  während 
richtig  temperierte  Solbäder  durchaus  nicht  angreifen,  aber  auf 
die  zu  bekämpfenden  Krankheiterscheinungen  ebensogut  wirken. 
Vielfach  wird  auch  zu  oft  gebadet,  der  Kranke  denkt,  viel  hilft 
viel,  und  steigt  jeden  Tag  in  die  Wanne,  um  recht  bald  mit  der 
Kur  fertig  zu  sein.  Es  herrscht  allgemein  der  Aberglaube,  daß 
eine  bestimmte  Zahl  von  Bädern,  21  oder  28  usw.,  für  den  Erfolg 
nötig  sei.  In  Wirklichkeit  nützen  die  Bäder  überhaupt  nur,  wenn 
bei  dem  einzelnen  Bade  schon  der  Reiz  des  vorigen  überwunden 
war.  Ich  halte  daher  auch  das  vielfach  übliche  Schema  der  Kur- 
orte, immer  zwei  Tage  nacheinander  zu  baden  und  dann  einen 
Tag  auszusetzen,  nicht  für  richtig.  Man  tut  besser,  nur  dreimal 
in  der  Woche  baden  zu  lassen  und  die  zwischenliegenden  Tage 
und  die  Sonntage  ganz  frei  zu  lassen.  Man  erzielt  dann  mit 
wenig  Bädern  in  vier  Wochen  mehr  als  mit  vielen. 

Bei  den  Moorbädern  muß  für  jeden  einzelnen  Fall  aus- 
probiert werden,  wie  die  Kranke  darauf  reagiert.  Dasselbe  gilt 
für  die  Wildbäder  an  sehr  hoch  gelegenen  Orten,  wo  schon 
das  Höhenklima  erregend  wirkt,  vgl.  S.  242.  Bei  zu  warmen 
Moorbädern  werden  die  Kranken  oft  bald  so  angegriffen,  daß  sie 
ganz  mit  dem  Baden  aufhören  müssen.  Es  ist  daher  ratsam,  die 
ersten  Bäder  mit  30°  C.  zu  nehmen,  wenn  auch  das  Badepersonal 
namentlich  an  den  kleineren  und  neueren  Moorbadeorten  dazu 
sehr  verwundert  und  ungläubig  dreinschaut.  Erst  allmählich  geht 
man  dann,  immer  an  jedem  dritten  Tage,  zu  einen  Grad  höherer 
Badwärme  über.  Bei  diesem  Verfahren  sieht  man  auch  für  ganz 
zarte,  körperlich  elende  und  nervenschwache  Damen  neben  der 
örtlichen  Besserung  eine  allgemeine  Kräftigung  herauskommen. 
Bei  kräftigen  Personen  kann  man  vornherein  etwas  höhere 
Temperaturen  nehmen  und  nebenbei  oft  mit  Vorteil  Marienbader, 
Homburger  oder  Kissinger  Brunnen  trinken  lassen. 

Zur  Nachkur  verordnet  man  für  die  Kranken,  die  die 
Mittel  dazu  haben,  gern  den  allgemein  kräftigenden  Aufenthalt  an 
der  Ostsee  oder  an  der  Nordsee,  oder  im  Mittel-  oder  Hochgebirge. 

Viele  Kranke  finden  auch  bei  ausgedehnten  Badekuren  keinen 
rechten  Erfolg,  weil  sie  Fehler  in  der  Lebensweise  machen, 
die  der  normalen  Wirkung  der  Kur  hinderlich  sind.  Für  solche 
Fälle  leisten  gute  Sanatorien,  wo  die  ganze  Lebensführung  ärzt- 
lich überwacht  wird,  das  Beste.  Eine  weitere  Voraussetzung  des 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  245 

Erfolges  ist  eine  richtige  Diagnose.  Vor  allem  muß  auch  hier 
darauf  hingewiesen  werden,  wie  oft  Frauen  mit  Neubildungen, 
besonders  mit  Krebs  des  Uterus  oder  mit  bösartigen  Eier- 
stocksgeschwülsten  mit  Badekuren  die  Zeit  verbringen,  wo 
eine  erfolgreiche  Operation  möglich  gewesen  wäre.  Ebenso  ver- 
kehrt ist  es,  die  Kranken  mit  nervösen  Folgeerscheinungen 
der  Frauenkrankheiten  in  Bäder  zu  schicken.  Auch  wenn  die 
nervösen  Erscheinungen  wirklich  die  Folge  des  Unterleibsleidens 
sind  und  nicht  etwa  Zeichen  einer  schwereren  nervösen  Anlage, 
so  genügt  doch  fast  immer  die  Hebung  des  Frauenleidens  nicht, 
um  nun  auch  wieder  gesunde  Nerven  herbeizuführen.  Oft 
werden  auch  durch  die  vorhandene  nervöse  Empfindlichkeit  die 
Beschwerden  noch  weit  über  die  Dauer  der  wirklichen  Verände- 
rungen hinaus  empfunden,  und  sie  verlieren,  sich  erst,  wenn  die 
Nervenschwäche  selbst  richtig  behandelt  wird.  Dazu  ist  aber  fast 
niemals  ein  Kurort  der  richtige  Ort.  Vielmehr  müssen  die  Be- 
handlungen eintreten,  die  in  dem  betreffenden  Abschnitt  aus- 
einandergesetzt werden. 

Die  Behandlung  nach  Thure  Brandt 

ist  ein  weiteres  Mittel,  um  chronische  Entzündungen  der  Becken- 
organe und  besonders  die  daraus  hervorgehenden  Lageverände- 
rungen des  Uterus  und  der  Adnexe  zu  bessern.  Nach  an- 
fänglichen Zweifeln,  die  sich  wesentlich  auf  die  durch  einen  Laien, 
den  Major  a.  D.  Brandt,  vorgenommene  Ausbildung  und  Be- 
gründung des  Verfahrens  stützten,  haben  die  Untersuchungen  von 
Profanter,  unter  B.  S.  Schultze,  von  Hegar,  Martin,  Braun- 
Fernwald  u.  a.  unbestreitbar  ergeben,  daß  es  eine  wirkliche, 
wertvolle  Bereicherung  des  Heilschatzes  bildet. 

Die  Kranke,  die  vorher  ihre  Blase  entleert  hat,  liegt  mit 
erhöhtem  Kopfe  und  gewöhnlich  mit  etwas  erhöhtem  Becken  auf 
einer  Massierbank,  die  Oberschenkel  sind  angezogen  und  abduziert, 
die  Füße  stehen  mit  der  ganzen  Sohle  auf  der  Bank.  Es  handelt 
sich  also  um  die  bekannte  Steinschnittlage.  Der  Arzt  sitzt  an 
der  linken  Seite  der  Kranken,  mit  dem  Gesicht  zu  ihrem  Gesichte 
gewendet,  und  führt  unter  ihren  linken  Bein  hindurch  seinen 
linken  Zeigefinger  tief  in  die  Scheide  ein,  bis  in  das  hintere 
Scheidengewölbe.  Der  Daumen  liegt  vor  der  Symphyse,  die  drei 
letzten  Finger  am  Damm.  Der  Zeigefinger  liegt  unbeweglich,  er 
stützt  nur  den  Uterus,  damit  die  wie  bei  der  kombinierten  Unter- 
suchung langsam  in  die  Bauchdecken  eindringende  rechte  Hand 


246 


Frauenkrankheiten 


mit  ihren  drei  mittleren  Fingern  bei  ihren  Reibungen  einen  Gegen- 
punkt findet.  Bei  Jungfrauen  wird  der  linke  Zeigefinger  in  den 
Mastdarm  eingeführt.  Der  linke  Ellbogen  stützt  sich  auf  die 
Bank,  damit  der  Arm  nicht  ermüdet.  Die  rechte  Hand  führt  zu- 
nächst ganz  leichte  kleine  Zirkelreibungen  aus,  ganz  allmählich 
stärker  werdend,  so  daß  niemals  stärkere  Schmerzen  eintreten.  Die 
dazu  nötigen  Bewegungen  werden  vorzugsweise  im  Schultergelenk 
ausgeführt.  Gegen  Schluß  der  Sitzung  wird  eine  leichte  Zitter- 
bewegung vorgenommen.  Wenn  die  Uterusvergrößerung  der 
chronischen  Metritis  oder  alte  Exsudate  behandelt  werden,  tut 
die  Massage  nichts  weiter  als  das  Beschriebene.  Dagegen  hat 
Brandt  noch  besondere  Methoden  angegeben,  um  die  Lage- 
veränderungen der  Gebärmutter  zu  behandeln , die  durch 
Schrumpfung  der  Ligamenta  sacrouterina,  der  Ligamenta  lata  und 
des  Bindegewebes  zwischen  Zervix  und  Blase  entstanden  sind, 
ferner  um  die  beschränkte  Beweglichkeit  des  Uterus  zu 
bessern,  die  ebenfalls  durch  die  Folgen  der  perimetritis  chen  und 
parametritischen  Entzündungen  entsteht.  Die  angeborenen  Ver- 
lagerungen der  Gebärmutter  und  die  auf  Schlaffheit  der 
Ligamente  beruhenden  hat  Brandt  ebenfalls  mit  Massage  und 
anderen  Handgriffen  behandelt,  aber  hier  ist  der  Erfolg  viel  un- 
sicherer, vielleicht  überhaupt  zweifelhaft.  Eine  völlige  Heilung 
wird  natürlich  auch  bei  den  Retraktionen  und  Fixationen  meist 
nicht  erzielt,  aber  es  gelingt  doch  in  sehr  vielen  Fällen,  den 
Kranken  ihre  Beschwerden  zu  nehmen  und  somit  ein  funktionell 
gutes  Ergebnis  zu  erzielen. 

Auch  hei  der  Behandlung  dieser  Zustände  kommt  es  zunächst 
darauf  an,  die  Reste  der  Entzündung  durch  die  Massage  ä friction 
zu  beseitigen,  die  eben  beschrieben  worden  ist.  Sind  keine  Ex- 
sudate oder  Infiltrate  vorhanden,  so  kann  man  sogleich  mit  den 
Dehnungen  und  Hebungen  beginnen.  Die  linke  Hand  wirkt 
von  der  Scheide  oder  vom  Mastdarm  her,  die  rechte  Hand  von 
den  Bauchdecken  her  auf  die  zu  beeinflussenden  Teile  ein;  manch- 
mal wird  dabei  die  vorhin  beschriebene  Rückenlage  der  Kranken 
vorübergehend  einmal  durch  Knieellenbogenlage  oder  durch  Stehen 
ersetzt.  Die  V erklebungen  werden  allmählich,  mit  durchaus  sanfter 
Gewalt,  in  immer  wiederholten  Sitzungen,  gelöst,  indem  der  Uterus 
immer  wieder  gerade  in  die  Richtung  gezogen  und  geschoben  wird, 
wohin  die  Bewegung  erschwert  ist.  Die  eigentlichen  Hebungen 
erfordern  die  Mitwirkung  eines  Assistenten  oder  einer  Assistentin. 
Dieser  kniet  auf  der  Bank  zwischen  den  Knien  der  Kranken,  neigt 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  247 


sich  über  die  Kranke,  dringt  mit  den  mittleren  Fingern  der  beiden 
stark  supinierten  Hände  zwischen  Schambein  und  Uterus  ein,  mit 
kräftigem  Druck,  und  schiebt  die  ganzen  Eingeweide  in  die  obere 
Bauchhöhle  hinauf.  Der  Arzt  geht  der  hinaufgezogenen  Portio  so  weit 
wie  möglich  mit  seinem  Zeigefinger  nach  und  drängt  sie  dabei  nach 
hinten.  Diese  Hebung  wird  in  jeder  Sitzung  3 — 4 mal  vorgenommen. 

Sowohl  bei  der  einfachen  Massage  als  bei  den  Dehnungen 
und  Hebungen  läßt  Brandt  regelmäßig  zum  Schlüsse  der  Sitzung 
eine  Gymnastik  vornehmen,  zunächst  in  der  einfachen  Weise, 
daß  die  Kranke  ihren  Rücken  und  ihr  Gesäß  von  der  Unterlage 
erhebt  und  kurze  Zeit  nur  mit  dem  Nacken  und  den  Füßen  die 
Unterlage  berührt.  Dabei  werden,  wenn  es  sich  um  Lageverände- 
rungen usw.  handelt,  noch  Widerstandsbewegungen  einge- 
schaltet: die  in  dieser  Kreisbogenstellung  befindliche  Kranke  hält 
ihre  Knie  fest  zusammen,  während  der  Arzt  sich  bemüht,  sie 
auseinanderzuziehen;  nachher  sucht  die  Kranke  die  gespreizten 
Knie  zusammenzubringen,  während  der  Arzt  sie  in  gespreizter 
Stellung  festzuhalten  sucht.  Ferner  muß  die  Kranke  mehrmals 
täglich  die  Muskeln  des  Beckenbodens  anspannen,  indem  sie  die 
Bewegungen  macht,  die  beim  Zurückhalten  des  Mastdarminhaltes 
gemacht  werden.  Diese  Gymnastik  im  Verein  mit  den  Hebungen 
stellt  auch  das  Brandt  sehe  Verfahren  bei  der  Behandlung  des 
Descensus  und  des  Prolapsus  uteri  et  vaginae  dar.  Sowohl 
die  Anspannung  des  Levator  und  sphinkter  ani  als  die  Widerstands- 
bewegungen der  Oberschenkel  fördern  die  Zusammenziehung  und  die 
Festigkeit  der  Muskeln  des  Beckenbodens,  deren  Erschlaffung  wesent- 
lich für  Descensus  und  Prolapsus  ist.  Handelt  es  sich  dagegen  um 
Zerreißung  dieser  Muskeln  oder  um  schwere  Atrophie,  oder  auch  um 
sehr  magere,  schwächliche  Personen,  so  ist  kein  besonderer  Erfolg 
von  der  Muskelübung  zu  erwarten  und  eine  Operation  vorzuziehen. 

Die  Brandt  sehe  Behandlung  erfordert  eine  genaue  ana- 
tomische Kenntnis  der  Verhältnisse  der  Beckenorgane,  eine 
genaue  Diagnose,  mit  sicherer  Ausschließung  aller  frischen,  noch 
irgendwie  zu  aktiver  Tätigkeit  fähigen  Entzündungsvorgänge,  eine 
völlig  sichere  Palpation  und  große  Handgeschicklichkeit. 
Wer  darüber  nicht  durch  Anlage  und  Studium  verfügt,  soll  seine 
Hände  davon  lassen,  er  wird  der  Kranken  nichts  nützen,  kann  ihr 
aber  sehr  schaden.  Aber  auch  bei  richtiger  Indikation  und  sach- 
gemäßer Ausführung  ist  zu  bedenken,  daß  eine  Anzahl  von  Kranken 
durch  das  angreifende,  ethisch  oder  sexuell  erregende  der  Kur  ge- 
schädigt werden  und  psychischnervöse  Störungen  bekommen  können. 


248 


Frauenkrankheiten 


Eine  lange  Ausdehnung  der  Kur  ist  jedenfalls  nicht  ratsam,  wenn 
nicht  in  drei  Wochen  ein  deutlicher  Erfolg  erreicht  ist,  geht  man 
besser  zu  einer  anderen  Behandlung  über.  Besondere  Vorsicht  ist 
bei  Jungfrauen  geboten. 

Die  Pessarbehandlung 

der  Lageveränderungen  des  Uterus  ist  durch  die  Erfahrungen  der 
letzten  Jahrzehnte  in  ihrer  Bedeutung  sehr  eingeschränkt  worden, 
und  sie  wird  jedenfalls  im  weiteren  Verlauf  noch  viel  mehr  zurück- 
gehen. Zunächst  haben  viele  weiterhlickende  Frauenärzte  erkannt, 
daß  die  meisten  von  den  Lageveränderungen  hergeleiteten  Be- 
schwerden, die  man  durch  Pessarhehandlung  bekämpfte,  nichts 
als  nervöse  Beschwerden  waren,  wobei  das  Pessar  und  die  gynä- 
kologische Behandlung  rein  suggestiv  und  daher  meistens  nur  für 
eine  gewisse  Zeit  wirkten,  während  nach  Beseitigung  des  nervösen 
Leidens  die  Lageveränderung  von  der  Kranken  gar  nicht  mehr 
bemerkt  wurde.  Für  die  Aufklärung  dieser  Verhältnisse  haben 
sich  unter  den  Gynäkologen  besonders  Winter  und  Ziegenspeck 
verdient  gemacht.  Weiterhin  hat  man  gelernt,  durch  die  erfolg- 
reiche Behandlung  der  chronischen  Metritis,  indem  man  den 
zu  schwer  gewordenen  Uterus  wieder  leicht  machte,  zahlreiche 
Verlagerungen  zurückzubilden  oder  wenigstens  unmerklich  zu 
machen,  und  endlich  hat  die  Erkenntnis,  daß  viele  Verlagerungen 
auf  demZug  schrumpfender  Ligam  ente  oder  Bindegewebe- 
stränge beruhen,  und  die  darauf  gegründete  Behandlung  oft  die 
Verlagerungen  beseitigen  lassen.  In  den  Fällen,  wo  doch  noch 
die  Pessarhehandlung  nötig  ist,  kommt  man  mit  verhältnismäßig 
wenig  und  mit  sehr  einfachen  Formen  aus.  Die  früher  gebrauchten 
Intrauterinpessare  sind  völlig  aufgegeben. 

Die  Pessarhehandlung  kommt  heutzutage  wohl  nur  noch  für 
zwei  Lageveränderungen  in  Frage:  für  Senkung  und  Vorfall 
der  Scheide  und  der  Gebärmutter  und  für  die  Rückwärts- 
neigungen und  Rückwärtsbeugungen  der  Gebärmutter.  Bei 
allen  anderen  Verlagerungen  müssen  lediglich  die  verursachenden 
und  die  begleitenden  Entzündungen  behandelt  werden.  Alles 
dazu  Nötige  ist  im  Anfänge  dieses  Abschnittes  angegeben. 

Bei  Retroflexio  und  bei  Retroversio  uteri  kann  die 
Pessarhehandlung  ebenfalls  entbehrt  werden,  wenn  sie  keine  Er- 
scheinungen machen.  Bei  Jungfrauen  nimmt  man  sie  nur  vor, 
wenn  wirklich  schwerere  Störungen  hervorgerufen  werden,  und 
auch  dann  sucht  man  sie  möglichst  abzukürzen.  Dagegen  ist  das 


Chronische  Entzündungen  der  inneren  Geschlechtsorgane  249 

Pessar  notwendig,  wenn  sich  die  Rückwärtslagerung  im  An- 
fänge der  Schwangerschaft  nicht  von  selbst  zurückbildet,  namentlich 
aber,  wenn  bereits  Einklemmungserscheinungen  aufgetreten 
sind.  Ein  anderer  Grund  sind  stärkere  Blutungen  in  oder  außer 
der  Menstruation,  die  wahrscheinlich  mit  der  Retroflexion  Zusammen- 
hängen, ein  dritter  die  Vereinigung  von  Retroversion  mit 
Senkung  der  Scheide  nach  einer  Geburt,  weil  dabei  leicht  ein 
Vorfall  sich  ausbildet.  Endlich  werden  öfters  die  Schmerzen  bei 
Tieflage  der  Eierstöcke,  die  sich  mit  Retroflexion  verbindet, 
durch  Einlegung  eines  Pessars  schnell  beseitigt.  In  allen  anderen 
Fällen  sollte  vor  der  Anwendung  des  Pessars  die  Meinung  eines 
erfahrenen  Spezialarztes  eingeholt  werden. 

Das  Pessar  hat  nur  dann  einen  Zweck,  wenn  der  retroflektierte 
oder  retrovertierte  Uterus  reponiert  werden  kann.  Zu  diesem 
Zweck  muß  oft  erst  die  vorhandene  metrit.ische  Vergrößerung  be- 
seitigt oder  der  Uterus  aus  perimetritischen  Verwachsungen  gelöst 
werden.  Wenn  das  erreicht  ist,  reponiert  man  nach  der  bima- 
nuellen  Methode  von  B.  S.  Schultze  oder  nach  der  Zug- 
methode von  Küstner.  Bei  der  ersteren  wird  der  Fundus  mit 
einem  oder  zwei  Fingern  vom  hinteren  Scheidengewölbe  aus  oder 
auch  vom  Mastdarm  aus  in  die  Höhe  geschoben,  während  die 
untere  Hand  den  Uteruskörper  von  hinten  umgreift  und  nach 
vorne  schiebt.  Bei  fettreichen  Bauchdecken  ist  das  vielfach  nur 
in  Narkose  möglich.  Die  Zugmethode  ist  leichter  und  bei  be- 
weglichem Uterus  gefahrlos;  man  zieht  die  Portio  mit  der  an  die 
vordere  Lippe  gehakten  Kugelzange  abwärts,  erhebt  unter  an- 
haltendem Ziehen  die  Kugelzange  und  stößt  sie  dann  rasch  nach 
hinten  und  oben.  Bei  nicht  frei  beweglichem  Uterus  gewährt 
die  ScHULTZESche  Methode  den  Vorteil,  daß  man  in  Narkose 
unter  starker  Hochlagerung  des  Beckens  die  gewöhnlich 
flächenhaften  Verklebungen  zwischen  Uterus  und  Rectum  stumpf 
trennen  kann.  Natürlich  muß  man  sich  dabei  vor  gewaltsamem 
Vorgehen  hüten,  weil  dann  stärkere  Blutungen  oder  gar  schwere 
Verletzungen  möglich  sind.  Wenn  zwei  oder  drei  solche  Versuche 
mißlungen  sind,  ist  die  operative  Trennung  nötig.  Bei  Ein- 
klemmung des  schwangeren  Uterus  macht  die  Aufrichtung  manch- 
mal Schwierigkeiten,  sie  gelingt  aber  nach  Entleerung  der  Blase 
mit  dem  Katheter  meist  auch  ohne  die  von  mehreren  Autoren 
empfohlene  Punktion  des  Uterus  vom  hinteren  Scheidengewölbe 
aus,  wodurch  das  Fruchtwasser  entleert  werden  kann.  Da  hier- 
durch der  Abortus  unvermeidlich  wird,  ist  hei  der  heutigen 


250 


Frauenkrankheiten 


Technik  und  Asepsis  in  solchen  Fällen  die  Laparotomie  mit 
nachfolgender  Aufrichtung  des  Uterus  vorzuziehen. 

Ist  die  richtige  Lage  des  Uterus  herbeigeführt,  so  muß  sie 
durch  ein  Pessar  erhalten  werden.  Man  benutzt  dazu  am  meisten 
das  HoDGESche  Schlittenpessar  oder  das  Thomas  sehe  Pessar.  Alle 
haben  den  Zweck,  die  Zervix  im  hinteren  Scheidengewölbe  festzu- 
halten, indem  sie  dieses  ausdehnen  und  dadurch  die  Portio  nach 
hinten  ziehen.  Man  verwendet  nur  Pessare  aus  Hartgummi  oder 
Zelluloid.  Die  Auswahl  der  Form  und  der  Größe  geschieht  nach 
den  Verhältnissen  des  Einzelfalles  auf  Grund  der  Erfahrung;  am 
besten  benutzt  man  die  in  bestimmter  Form  gegossenen,  nicht  die 
seihst  geformten,  die  sich  allmählich  anderweitig  biegen  können. 
Gründliche  Desinfektion  des  Pessars  vor  dem  Einlegen  ist  selbst- 
verständlich. Ein  richtig  eingelegtes  Pessar  soll  von  der  Patientin 
gar  nicht  gefühlt  werden.  Es  kann  dann  ein  Jahr  lang  liegen 
bleiben,  man  muß  aber  während  dieser  Zeit  täglich  Scheiden  - 
ausspülungen  mit  abgekochtem  lauen  Wasser  machen  lassen, 
dem  auf  ein  Liter  20  Tropfen  Formalin  zugesetzt  sind.  Auch 
während  der  Menstruation  läßt  man  Spülungen  anwenden,  unter 
genauer  Einhaltung  der  Wasser  wärme  von  38°  C.  Das  heraus- 
genommene Pessar  darf  nur  durch  den  Arzt  wieder  eingesetzt 
werden.  Fehlerhafte  Stellung  des  Instrumentes  kann  Dekubitus - 
geschwür  der  Scheide  hervorrufen.  Dies  verrät  sich  durch  Aus- 
fluß, der  allmählich  blutige  Beimischung  zeigt  und  schließlich  rein 
blutig  werden  kann;  Brennen  und  Druck  im  Leibe,  Erschwerung 
der  Stuhl-  und  Harnentleerung  pflegen  auch  nicht  auszubleiben. 
Dann  muß  bis  zur  Heilung  das  Pessar  entfernt  und  das  Geschwür 
unter  Leitung  des  Spekulums  behandelt  werden.  Während  der 
Schwangerschaft  läßt  man  das  Pessar  liegen,  bis  die  Gefahr  des 
Wiedereintretens  der  Retro  Version  überwunden  ist.  Bei  richtiger 
Lage  ist  oft  schon  nach  einem  halben  Jahre  die  richtige  Stellung 
des  Uterus  dauernd  geworden. 

Bei  Scheiden-  und  Gebärmuttervorfall  kann  das  Pessar 
nur  nützen,  wenn  der  Beckenboden  ihm  genügenden  Halt  gibt, 
andernfalls  muß  operativ  eingegriffen  werden.  Für  den  Vorfall 
eignet  sich  am  besten  der  einfache  Ring  oder  das  exzentrische 
Ringpessar,  dessen  dünnerer  Bügel  in  das  hintere  Scheidengewölbe 
kommt.  Hier  muß  gewöhnlich  durch  den  Versuch  die  richtige 
Größe  festgestellt  werden,  das  Pessar  darf  weder  drücken,  noch 
heraustreten.  Gewöhnlich  besteht  gleichzeitig  eine  Retrodeviation, 
die  zunächst  beseitigt  werden  muß. 


Menstruationstörungen 


251 


5.  Menstruationstörungen. 

Die  Menstraationstörungen  sind  nur  Begleiterscheinungen, 
aber  ihre  Behandlung  muß  aus  praktischen  Gründen  gesondert 
besprochen  werden. 

1.  Die  Amenorrhoe  findet  sich,  abgesehen  von  der  Zeit  der 
Schwangerschaft  und  des  Stillens,  bei  infantilem  Uterus,  scheinbar 
bei  Verschluß  des  Weges  durch  undurchbohrtes  Hymen  oder  ge- 
knickten Uterus,  sehr  oft  bei  Anämie,  Chlorose,  akuten,  nervösen 
und  psychischen  Störungen,  bei  jungen  Mädchen  häufig  nach 
Wechsel  des  Aufenthaltsortes  und  der  Lebensweise,  nicht  selten 
als  erstes  Zeichen  beginnender  Tuberkulose,  zuweilen  infolge  chro- 
nischer Metritis.  Die  Behandlung  findet  darin  zahlreiche  Auf- 
gaben. Erkältung,  Gemütsbewegungen , Furcht  vor  Schwanger- 
schaft können  zu  plötzlichem  Aufhören  der  bereits  eingetretenen 
Menstruation  und  zu  längerem  Ausbleiben  führen.  Bei  der  anä- 
mischen Form  hilft  fast  immer  die  Behandlung  mit  Eisen,  be- 
sonders auch  in  der  Form  des  Liquor  Mangani  peptonatus  Gude 
oder  Helfenberg  , dreimal  täglich  ein  Teelöffel  voll  nach  der 
Mahlzeit,  oder  Arsenik  oder  Ichthalbin. 


1^:  Acidi  arsenicosi  0,2 

Pulv.  et  Succ.  Liq.  ana  5,0 
F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich 
1 Pille , steigend  bis  5 mal  1 , 
dann  wieder  3 mal  1 Pille. 


Ijfc  Iclithalbini  50,0 

D.S.  2 mal  tägl.  1 Teelöffel  voll. 
(Teuer.) 


Ist  die  Amenorrhoe  die  Folge  mangelhafter  Entwicklung 
der  Genitalien,  wobei  es  sich  um  einen  normal  ausgebildeten 
Kanal,  aber  um  schlaffe,  membranöse  Uterus  Wandungen  handelt, 
so  kann  man  versuchen,  die  Entwicklung  des  Uterus  durch  fort- 
gesetzte Hyperämisierung  des  Unterleibes  zu  fördern.  Man 
läßt  dreimal  wöchentlich  ein  Wannenbad  von  40°  C.,  15  Minuten 
lang,  oder  ebenso  heiße  Sitzbäder  nehmen,  heiße  Scheidenspülungen, 
38 — 40°  C.  mit  2 1 Wasser,  machen  und  die  von  Thuke  Brandt 
angegebene  zuleitende  Gymnastik  üben:  häufige  Kniebeugen 
bis  zu  tiefer  Hockstellung;  in  Steinschnittlage,  bei  gebeugten  und 
abduzierten  Oberschenkeln,  mehrmalige  kräftige  Auswärtsrotation 
der  Oberschenkel;  bei  gestrecktem  Bein  kräftige  Zirkeldrehungen 
im  Fußgelenk.  Auch  die  Kreuzbeinhackung,  schnell  hinter- 
einander ausgeführtes  Beklopfen  der  Kreuzgegend  mit  den  Ulnar- 
rändern beider  Hände,  wirkt  anregend  auf  den  Blutzufluß  zum 
Unterleib;  man  führt  sie  jeden  Tag  einige  Minuten  lang  aus. 


252  ' 


Frauenkrankheiten 


Daß  hier  wie  hei  den  anämischen  Formen  eine  geeignete  Er- 
nährung, vgl.  den  Abschnitt  über  Blutkrankheiten,  unentbehr- 
lich ist,  braucht  kaum  erwähnt  zu  werden.  Zu  versuchen  wäre 
wohl  auch,  ob  die  Mittel,  wodurch  die  Milchabsonderung  angeregt 
wird,  Somatose,  Roborat,  Laktagol,  auch  auf  die  inneren  Ge- 
schlechtsorgane anregend  wirken.  Ferner  sind  noch  keine  ge- 
nügenden Beobachtungen  angestellt,  wie  die  Eierstockspräparate 
auf  die  Amenorrhoe  wirken.  Da  die  Menstruation  durch  den  Reiz 
bestimmter,  von  den  Eierstöcken  abgesonderter  chemischer  Stoffe 
hervorgerufen  wird,  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  unter  Um- 
ständen diese  Stoffe  in  den  Eierstockspräparaten  vorhanden  sind. 
Einzelne  Beobachtungen  bestätigen  diese  Vermutung.  Man  gibt 
von  den  Ovarialtabletten  (Merck)  zu  0,5  dreimal  täglich  2 — 5, 
von  den  Ovaradentabletten  (Knoll)  dreimal  täglich  1 — 3,  von  den 
Ocariantabloids  (Burrough  Welcomes  & Co.)  dreimal  täglich  1 — 3, 
monatelang. 

Die  sogenannten  inneren  Emmenagoga  haben  wenig  Wert. 
Am  ehesten  wäre  noch  das  Kalium  permanganicum  zu  nennen: 

fjfc  Kalii  permangan.  5,0 
Boli  alb.  3,0 

F.  c.  Aq.  dest.  q.  s.  Pil.  50 
D.S.  3 mal  tägl.  1 Pille. 

Beachtenswert  sind  die  Fälle,  wo  bei  normaler  Ausbildung 
der  Genitalien,  gut  entwickeltem  Uterus  und  gesunder  Blutbildung 
die  Menstruation  anscheinend  wegen  Fehlens  der  normalen  Inner- 
vation nicht  eintritt,  während  oft  zu  periodischen  Zeiten  Nasen- 
bluten oder  andere  Blutungen  sich  einstellen.  Nicht  selten  ge- 
lingt es  dann,  durch  Hypnotherapie  die  Menstruation  herbei- 
zuführen. Manchmal  mag  auch  die  Fliess  sehe  Ansicht  zutreffen, 
daß  die  Ursache  der  Amenorrhoe  in  Nasenerkrankungen  liege, 
deren  Behandlung  dann  auch  die  Menstruation  herbeiführt. 

2.  Menorrhagie  und  Metrorrhagie.  Zu  starke  oder  zu 
lange  anhaltende  oder  außer  der  Menstruation  auftretende  Blutungen 
sind  sehr  oft  ein  Zeichen  von  akuter  oder  chronischer  Metritis, 
von  Myom  oder  Krebs  der  Gebärmutter,  von  unvollkommener 
Rückbildung  nach  Abortus  oder  Entbindung,  nicht  selten  mit 
Zurückbleiben  von  Eihautresten,  von  Lageveränderungen  usw. 
Andere  Ursachen  sind  Chlorose,  Nervenschwäche,  Tuberkulose, 
Scharlach,  Pocken,  Typhus,  Skorbut  und  andere  Bluterkrankungen, 
ferner  unzweckmäßiges  Verhalten  während  der  Menstruation.  In 


Menstruationstörungen 


253 


keinem  Falle  von  unregelmäßigen  Blutungen,  namentlich  auch, 
wenn  sie  durch  Scheidenspülungen,  Beischlaf  und  dergl.  auftreten, 
darf  die  Untersuchung  auf  Krebs  unterlassen  werden ; insbesondere 
ist  es  verwerflich,  Blutungen  um  das  vierzigste  Jahr  und  später 
ohne  Untersuchung  als  klimakterische  Blutungen  aufzufassen. 
Dadurch  wird  eine  sehr  große  Zahl  von  Krebserkrankungen  un- 
operierbar! Wo  das  Leben  der  Kranken  in  Gefahr  steht,  wie 
jährlich  Tausende  von  Beispielen  zeigen,  darf  die  Scheu  der  Kranken 
vor  einer  Untersuchung  nicht  davon  abhalten! 

Direkten  Einfluß  auf  die  Blutung  übt  man  durch  heiße 
Scheidenspülungen  45 — 50°  C.,  1 — 2 1,  oder  heiße  Mast- 
darmklistiere, ebenso  warm,  ]/4  1 mehrmals  täglich.  Bei  den 
menstruellen  Blutungen  wirkt  oft  Salipyrin,  1,0  dreimal  täglich 
in  den  Originaltabletten  zu  1,0,  schnell  und  gut.  Beruht  die 
starke  Blutung  auf  einer  Erschlaffung  der  Uterusmuskulatur, 
so  gibt  man  am  besten  die  Sekalepräparate,  namentlich 


Ipfc  Extr.  Secalis  corn.  fluidi  10,0 
(besonders  gut  das  Dialysat  von 
Golaz).  D.S.  Mehrmals  täglich 
10—20  Tropfen. 


1J;  Tct.  hämostypt.  Fritsch-Denzel 

100,0 

D.S.  2 mal  tägl.  1 Tee-  bis  Eß- 
löffel voll. 


^ Cornutini  ergot.  (Ergotini  Bombelon)  25,0 
D.S.  3 — 5 mal  tägl.  5 — 10  Tropfen. 


Auf  die  Uterusgefäße  wirken  Hydrastis,  Hamamelis  und  die 
aus  dem  Opiumalkaloid  Cotarnin  hergestellten  salzsauren  und  phthal- 
sauren  Salze  des  Cotarnins:  Stypticin  und  Styptol.  Die  beiden 
letzteren  wirken  sehr  schnell,  das  Styptol  noch  besser  als  das 
Stypticin,  man  kann  sie  also  auch  noch  während  der  Blutung 
geben.  Dagegen  eignen  sich  Hydrastis  und  Hamamelis  mehr  zur 
vorbereitenden  Behandlung  in  der  Woche  vor  der  Menstruation 
oder  während  der  ganzen  freien  Zeit;  sie  werden  dann  auch 
während  der  Blutung  weitergegeben,  wenn  das  noch  nötig  erscheint. 
Hydrastis  wirkt  zugleich  als  Tonicum  und  Digestivum;  wegen 
seines  schlechten  Geschmackes  gibt  man  es  am  besten  in  Pillen. 


1 Extr.  fl.  Hydrastis  Canad.  10,0 
D.S.  3 mal  tägl.  20 — 25  Tropfen. 

Ipfc  Extr.  Hydrast.  Canad.  sicc.  5,0 
(Extr.  Secal.  corn.  3,0) 

Pulv.  Liq.  q.  s.  ut  F.Pil.  50. 
D.S.  3 mal  tägl.  2 (1)  Pillen. 


IJ;  Extr.  fl.  Hamamelis  Virgin.  50,0 
D.S.  3 mal  tägl.  1/2 — 1 Teelöffel. 

Ipfc  1 Röhrchen  mit  10  Tabletten 
Stypticin  0,05 
(20  Tabletten  Styptol  0,05) 

3 — 5 mal  tägl.  1 Tablette,  vom 
3.  Tage  ab  weniger. 


254 


Frauenkrankheiten 


Das  Verhalten  während  solcher  Blutungen,  einerlei  ob  sie 
menstruell  oder  nicht  menstruell  sind,  soll  sich  durch  besondere 
Ruhe  auszeichnen.  Schon  bei  der  normalen  Menstruation  sollen 
heftigere  Bewegungen,  namentlich  Tanzen,  Reiten,  Schlittschuh- 
laufen, Tennisspiel,  Radfahren,  Maschinennähen,  Bergsteigen, 
schweres  Heben  und  starkes  Bücken  unterlassen  werden,  geistige 
und  Gemütsaufregungen  nach  Möglichkeit  ferngehalten  werden  (auf- 
regende Theaterstücke !).  Doppelt  nötig  ist  das,  wenn  die  Blutungen 
stark  sind.  Außerdem  ist  dann  Bettliegen  nötig,  und  zwar  in 
recht  flacher  Lage,  unter  Fürsorge  für  regelmäßige  Entleerung 
der  Blase  und  des  Darmes.  Von  den  Abführmitteln  dürfen  dazu 
Aloemittel  nicht  angewendet  werden,  weil  sie  die  Blutung  steigern. 
In  der  Kost  muß  alles  vermieden  werden,  was  die  Blutung  steigern 
könnte,  so  die  alkoholischen  Getränke,  dagegen  ist  reichliche  Flüssig- 
keitzufuhr wünschenswert,  um  die  Blutverminderung  auszugleichen. 
Ob  Tee  und  Kaffee  die  Blutung  steigern,  ist  zweifelhaft,  dafür 
mögen  die  Einzelbeobachtungen  entscheiden. 

Nach  Fliess  gibt  es  auch  Menorrhagien,  die  durch  Er- 
krankungen der  Nasenschleimhaut  herbeigeführt  werden  und 
durch  deren  Heilung  gebessert  werden  können.  Ich  habe  den  Ein- 
druck gehabt,  als  wenn  in  solchen  Fällen  auch  eine  Suggestiv- 
behandlung ohne  Nasenbehandlung  den  Erfolg  herbeigeführt  habe. 

3.  Dysmenorrhöe.  Eine  erfolgreiche  Behandlung  der  Men- 
struationschmerzen ist  nicht  nur  aus  Mitleid  mit  den  gequälten 
Kranken  wichtig,  sondern  auch,  weil  viele  Mädchen  und  Frauen 
durch  diese  Beschwerden  dem  Alkoholismus  zugeführt  werden. 
Die  volkstümliche  Beobachtung,  daß  Menstruationskoliken  durch 
Portwein,  Grogk,  Kognak  beseitigt  oder  richtiger  übertäubt  werden, 
führt  oft  zu  sehr  reichlichem  Genuß  dieser  Getränke  bei  jeder 
Menstruation,  und  im  Notfall  wird  statt  dessen  auch  zu  Arrak, 
Kölnischem  Wasser  usw.  gegriffen. 

Eine  große  Anzahl  von  Dysmenorrhöen  beruht  auf  Er- 
krankungen des  Uterus,  der  Tuben,  der  Ovarien  und  des  Peri- 
metriums. Diese  müssen  festgestellt  und  rationell  behandelt  werden. 
Eine  vermutlich  noch  größere  Zahl  ist  rein  funktionell,  so 
namentlich  die  Mehrzahl  der  Dysmenorrhöen  bei  Jungfrauen.  Die 
Feststellung  dieser  Beziehungen  ist  für  die  Behandlung  entscheidend. 
Bei  den  Menstruationschmerzen,  die  von  entzündlichen  Erkrankungen 
abhängen,  ist  Bettruhe  geboten,  bei  den  funktionellen  ist  sie  nur 
nachteilig.  Die  Schmerzen  verschwinden  vielmehr  nach  aktiven 
gymnastischen  Übungen  — insbesondere  sind  auch  hier  die 


Menstruationstörungen 


255 


zuleitenden  Übungen,  vgl.  S.  251,  von  Wert,  weil  bei  kräftigem 
Blutandrange  gewöhnlich  die  Blutung  schneller  eintritt  und  da- 
mit die  schlimmsten  Schmerzen,  die  der  Blutung  vorhergehenden, 
auf  hören  — , nach  längeren  Spaziergängen  und  Radfahrten,  die 
kurz  vor  Eintritt  oder  zu  Beginn  der  Menses  unternommen  werden. 
Auch  Elektrisch-Licht-Bäder  oder  warme  Wannenbäder, 
34°  C.  eine  halbe  Stunde  lang,  oder  Sitzbäder  von  derselben 
Wärme  wirken  oft  sehr  gut.  Außerdem  kann  man,  wenn  die 
Schmerzen  vorhanden  sind,  heiße  Umschläge  auf  den  Unterleib 
machen  und  heißen  Tee,  auch  Pfefferminz-  oder  Baldriantee, 
trinken  lassen.  Zu  den  Umschlägen  verwendet  man  gern  den 
Thermophor.  Als  schmerzstillende  Mittel  empfehlen  sich  zu- 
nächst die  Antineuralgica,  insbesondere  Kryofin , Pyramidon, 
Scilipyrin,  Aristochin,  je  0,5,  in  viertelstündigen  Pausen  2 — 3 mal 
hintereinander.  Kommt  man  nicht  ohne  Narcotica  aus,  so  gibt 
man  am  besten  Codein  oder  Dionin. 


Ijfc  Codein.  phosph.  1,0 
Aq.  amygd.  amar.  15,0 
D.S.  1/s  stdl.  10  Tropfen  bis  zur 
Wirkung  (10  Tr.  = 0,03). 


^ Dionini  0,15 — 0,3 
Natr.  brom.  10,0 
Aq.  dest.  150,0 

M.D.S.  '/gstdl.  1 Eßl.  bis  zur 
Wirkung. 


I pfc  Dionini  0,3 — 0,5 
Olei  Cacao  25,0 

F.  1.  a.  Suppos.  X.  D.S.  Tägl.  1 — 3 Zäpfchen. 


Beachtenswert  ist  auch  für  die  Dysmenorrhöe  der  Zusammen- 
hang mit  Nasenleiden  nach  der  Fliess sehen  Theorie.  Der  ein- 
fache Versuch,  ob  die  Schmerzen  verschwinden,  wenn  man  bei 
Unterleibschmerz  die  untere  Nasenmuschel,  bei  Kreuzschmerz  das 
Tuberculum  septi  mit  10 — 2 0°/oiger  Kokainlösung  bepinselt,  sollte 
in  jedem  Falle  gemacht  werden.  Auch  der  oft  schlagende  Ein- 
fluß der  hypnotischen  Suggestion  wäre  viel  häufiger,  als 
bisher  geschieht,  heranzuziehen,  namentlich  in  allen  Fällen,  wo  die 
Schmerzen  nicht  bei  jeder  Menstruation  gleich  groß  sind,  sondern 
ohne  bekannte  Ursache  oder  bei  Ortsveränderung  u.  dergl.  verschieden 
stark  auftreten.  Trotz  solcher  Schwankungen  wird  oft  ein  organisches 
Leiden  angenommen,  der  Halskanal  operativ  erweitert  usw. 

4.  Klimakterische  Beschwerden.  Auch  für  die  klimak- 
terische Zeit  ist  eine  besondere  Empfehlung  gesundheitgemäßen 
Verhaltens  in  dem  Sinne,  wie  S.  215  ff.  ausgeführt,  dringend  nötig. 
Bei  der  großen  Neigung  zu  Schweiß  und  zu  Hautjucken  ist  rein- 
liche, möglichst  aseptische  Behandlung  der  äußeren  Teile 


256 


Fra  uen  k ran  k li  e i teil 


durchaus  nötig.  Regelmäßige  Bäder,  wobei  sorgfältig  die  in- 
differente Wärme  von  33°  0.  für  das  Vollbad  gewahrt  wird,  regel- 
mäßige Körperbewegung  im  Freien,  normale  gemischte  Kost, 
eher  mit  Überwiegen  der  Vegetabilien,  mit  Vermeidung  von  viel 
Gewürzen  und  dergl.,  Beschränkung  der  Alkoholgetränke,  reich- 
licher Genuß  von  dünnem  Tee  und  Limonaden,  Vermeiden  starken 
Kaffees,  reichlicher  Genuß  von  frischem  Obst,  besonders  auch 
Weintrauben,  Apfelsinen,  ist  ratsam. 

Gegen  die  fliegende  Hitze,  sog.  heißen  Übergießungen, 
gegen  die  Hautveränderungen  und  die  Schweiße  bewähren 
sich  Waschungen  mit  Hahn  scher  Formalinsv\iQ,  die  man  einige 
Minuten  auf  der  Haut  eintrocknen  läßt  und  dann  mit  lauem 
Wasser  abwäscht,  oder  mit  Wasser,  dem  einige  Eßlöffel  voll  Essig 
auf  ein  Waschbecken  voll  Wasser  zugesetzt  sind,  ferner  Halb- 
bäder  mit  Seewasser  von  28  — 30°  0.,  vier  Minuten  lang,  sowie 
die  Schwefelbäder:  Eilsen  in  Schaumburg-Lippe,  Gurnigel 
in  der  Schweiz,  1155  m hoch,  Heustrich  im  Berner  Oberland, 
700  m hoch,  Kainzenbad  bei  Partenkirchen  in  Oberbayern, 
800  m hoch,  Bad  Kreuth  in  Oberbayern,  850  m hoch,  Langen- 
salza in  Thüringen,  210  m hoch,  Lenk  im  Kanton  Bern,  1105  m 
hoch,  Bad  Nenndorf  bei  Hannover,  Schimberg-Bad,  Entlebuch 
bei  Luzern,  1425  m hoch,  Stachelberg,  Kanton  Glarus,  650  m 
hoch,  Bad  Weilbach  im  Regierungsbezirk  Wiesbaden,  135  m 
hoch;  ferner  die  warmen  Schwefelbäder  von  Aachen,  Baden  bei 
Wien,  Baden  bei  Zürich,  Helouan  in  Ägypten,  Herkulesbad 
in  Ungarn,  Landeck  in  Schlesien  (vgl.  S.  242),  Lavey-les- 
Bains  im  Kanton  Waadt,  Pistyän  in  Ungarn,  Schinznach  im 
Kanton  Aargau,  343  m hoch,  Sirmione  am  Gardasee,  Trencsen- 
Teplitz  in  Oberungarn.  Immer  ist  davor  zu  warnen,  durch 
gewaltsame  Behandlung  der  Haut  etwas  erreichen  zu  wollen; 
nur  mildes  und  schonendes  Vorgehen  kann  helfen. 

In  manchen  Fällen  sieht  man  eine  sehr  gute,  allerdings  ge- 
wöhnlich den  Gebrauch  nicht  überdauernde  Wirkung  der  Eier- 
stockspräparate.  Man  gibt  die  S.  252  erwähnten  Tabletten 
in  steigender  Zahl  so  lange,  bis  der  gewünschte  Erfolg  erreicht 
ist,  nötigenfalls  monatelang,  versucht  von  Zeit  zu  Zeit  immer 
wieder,  ob  man  jetzt  schon  mit  kleineren  Gaben  dasselbe  erzielt, 
und  sucht  schließlich  auch  ohne  das  Mittel  auszukommen.  Da 
die  Behandlung  mit  keinerlei  Übelständen  verbunden'  ist,  als 
mit  den  Kosten  der  Tabletten,  braucht  man  nicht  zurückhaltend 
damit  zu  sein,  wenn  die  Geldverhältnisse  es  erlauben. 


VII 


Krankheiten  des  Nervensystems. 

1.  Verhütung. 

Vier  Umstände  sind  es,  die  in  der  ungeheuren  Mehrzahl  der 
Nervenkrankheiten  einzeln  oder  vereint  die  Ursache  abgeben : Erb- 
liche Anlage,  Überanstrengung,  Alkoholmißbrauch,  Syphilis. 
Ein  erfolgreicher  Kampf  gegen  diese  Schäden  würde  die  meisten 
Nervenkrankheiten  verhüten. 

1.  Die  erbliche  Anlage  zu  Nervenkrankheiten  beruht 
darauf,  daß  in  der  Aszendenz  Nerven-  oder  Geisteskrankheiten, 
auffallende  Charaktere-,  Neigung  zu  Selbstmord  oder  Verbrechen, 
Alkoholismus,  Morphinismus  usw.  vorgekommen  sind.  Wahr- 
scheinlich gehören  auch  Gicht  und  Zuckerkrankheit  in  die  Reihe 
der  Störungen,  die  den  genannten  wesensverwandt  sind.  Bluts- 
verwandtschaft der  Eltern  erhöht  die  Gefahr,  weil  die  Schädlich- 
keiten sich  addieren,  nicht  durch  den  Einfluß  anderer  Art  aus- 
geglichen werden.  Schwächezustände  der  Eltern  zur  Zeit  der 
Zeugung,  zu  junges  oder  zu  hohes  Alter,  Tuberkulose,  Blutarmut 
und  andere  Störungen  können  ebenfalls  bei  den  Nachkommen 
als  nervöse  Anlage  nach  wirken.  Die  Syphilis  schadet  den 

Kindern  teils  durch  direkte  Übertragung  in  der  Form  der  here- 
ditären Syphilis,  teils  durch  Blutverschlechterung,  die  eine  Schwäche 
aller  Organe  oder  besonders  des  Nervensystems  nach  sich  zieht. 

Es  ist  mehrfach  vorgeschlagen  worden,  zur  Verhinderung 
solcher  Vererbung  die  Ehe  nervöser  Menschen  zu  verbieten. 
Bei  dem  heutigen  Standpunkte  ist  das  unausführbar,  es  wäre 
aber  auch  ungerecht,  weil  die  Vererbung  nicht  zwingend  ist, 
weil  der  ungünstige  Einfluß  eines  Ehegatten  durch  die  Vorzüge 
des  anderen  völlig  ausgeglichen  werden  kann,  ferner  auch  des- 
wegen, weil  viele  nervös  Belastete  trotz  ihres  Leidens  sehr  geniale 
und  wertvolle  Menschen  werden.  Um  so  eifriger  muß  das 

Dornblüth,  Therapie.  17 


258 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Bestreben  sein,  die  Menschen  darüber  anfznklären,  welche  Verant- 
wortung Ehegatten  übernehmen,  wenn  sie  sich  während  vererb- 
barer krankhafter  Zustände  nicht  der  Zeugung  enthalten.  Aus 
diesem  Grunde  soll  vor  jeder  Eheschließung  der  Arzt,  soweit  sein 
Einfluß  reicht,  auf  den  Wert  vollkommener  Gesundheit  nach- 
drücklich hinweisen,  er  soll  vor  allem  niemals,  wie  es  leider  oft 
geschieht,  die  Ehe  als  ein  Heilmittel  für  nervöse  Stö- 
rungen, Blutarmut,  Menstruationsbeschwerden  hinstellen, 
denn  in  den  meisten  Fällen  ist  von  einer  günstigen  Wirkung 
der  Verheiratung  in  diesen  Fällen  nicht  die  Rede,  in  vielen  wird 
sogar  die  Nervosität  und  die  Blutarmut  durch  die  neuen  An- 
forderungen nur  verschlimmert. 

Sehr  wichtig  ist  weiterhin  die  richtige  Erziehung  in 
körperlicher  und  geistiger  Hinsicht.  Auch  schwer  nervös  be- 
lastete Kinder  können  durch  richtige  Behandlung  gesunde  Nerven 
bekommen.  Dazu  gehören  schon  in  der  Säuglingszeit  richtige 
Zimmerwärme,  um  18°  0.,  tägliche  Bäder,  zunächst  von  35°  0., 
vom  zweiten  Vierteljahr  an  von  33°  C.,  außerdem  abends  kurze 
Waschungen  mit  Wasser  von  etwa  30°  C.,  ferner  weder  zu  warme 
noch  zu  leichte  Bekleidung.  Die  gewaltsame  Abhärtung  durch 
kältere  Bäder  und  Waschungen  und  zu  dünne  Kleidung  macht 
die  Kinder  nicht  nur  nervös,  sondern  auch  empfindlicher  gegen 
Erkältungen.  Das  letztere  hat  besonders  Hecker  in  München 
durch  sorgfältige  Untersuchungen  nachgewiesen.  Auch  in  den 
späteren  Kinderjahren  gilt  das.  Selten  wird  aus  den  Kindern 
der  Abhärtungsfanatiker  ein  wirklich  gesunder  Mensch.  Dagegen 
erweist  es  sich  als  überaus  segensreich,  wenn  die  nach  den  eben 
gegebenen  Ratschlägen  behandelten  Kinder  beim  Heranwachsen 
mehr  und  mehr  daran  gewöhnt  werden,  mit  der  unbedeckten 
Haut  auch  kühlere  Luft  zu  ertragen,  wenn  sie  z.  B.  während  des 
An-  und  Ausziehens  längere  Zeit  mit  unbekleidetem  Körper  ver- 
weilen usw.  Die  Luftbäder,  die  von  der  Naturheilbewegung 
als  Heilmittel  verwendet  werden,  oft  in  sehr  übertriebener  Weise, 
am  Unrechten  Orte  und  in  zu  langer  Ausdehnung,  sollten  als 
tägliches  Mittel  der  Gesundheitspflege  viel  mehr  geübt  werden! 
Ebenso  wichtig  wie  die  äußeren  Einflüsse  ist  eine  gesunde  Er- 
nährung, mit  einer  gemischten  Kost,  wie  S.  82  ff.  auseinander  - 
gesetzt ist,  mit  Vermeidung  eines  Übermaßes  von  Fleisch,  ins- 
besondere unter  völliger  Enthaltung  von  Alkohol.  Daß  Kaffee 
und  Tee  in  reichlicher  Verdünnung  mit  Milch  usw.  irgendwie 
schädlich  auf  Heranwachsende  wirkten,  ist  eine  der  vielen  Fabeln, 


Verhütung 


259 


die  unbesehen  immer  wiedererzählt  werden.  Nur  in  den  ersten 
5 oder  6 Jahren  wird  man  davon  absehen.  Die  psychische 
Erziehung  soll  sich  durch  Gleichmäßigkeit,  Festigkeit  und  stete 
Wahrhaftigkeit  bei  gleichzeitiger  Güte  und  Geduld  auszeichnen; 
der  Erzieher  wirke  durch  sein  Vorbild  und  durch  mehr  freund- 
schaftliche, kameradschaftliche  Belehrung,  nicht  durch  Gewalt 
oder  Autorität!  Prügeln,  Einsperren  ins  Dunkelzimmer,  Kost- 
entziehung und  dergl.  sind  unzweckmäßige  und  oft  schädliche 
Strafen,  am  meisten  für  nervös  beanlagte  Kinder.  Übermäßige 
Anregung  der  Phantasie  ist  ebenfalls  vom  Übel,  Kinder,  die 
dazu  neigen,  müssen  unmerklich  davon  ab-  und  praktischeren 
Übungen  zugelenkt  werden.  Der  Hang  zum  Alleinsein,  der 
leicht  zu  phantastischen  Träumereien  führt,  muß  durch  Be- 
schaffung angenehmer  Geselligkeit  und  Kameradschaft  beseitigt 
werden. 

2.  Überanstrengung.  Ein  viel  besprochener  Schaden  ist 
die  Überbürdung  der  Schüler.  Es  besteht  neuerdings  eine 
gewisse  Neigung,  diese  in  Abrede  zu  nehmen,  weil  sich  nicht  oft 
schwere  direkte  Folgen  nachweisen  lassen.  Der  Umstand  aber, 
daß  die  Hunderttausende  von  Nervösen  und  von  Geisteskranken 
doch  alle  durch  eine  Schule  hindurchgegangen  sind,  daß  unter 
den  Schülern  jeder  Klasse  ein  starker  Prozentsatz  ist,  der  zu 
Nervenkrankheiten  veranlagt  ist  und  später  nervenkrank  werden 
wird,  muß  doch  dazu  mahnen,  alles  zu  vermeiden,  was -auch  nur 
möglicherweise  schaden  kann.  Man  wird  aber  ganz  positiv  von 
einer  Schädigung  sprechen  können,  wenn  man  sich  vergegen- 
wärtigt, daß  in  den  oberen  Klassen  der  höheren  Schulen  von 
Deutschland  vielfach  40 — 42 — 44  Lehrstunden  wöchentlich  ge- 
geben werden,  also  durchschnittlich  7 Unterrichtsstunden  an  jedem 
Wochentage.  Dazu  kommen  noch,  nach  den  Forderungen  der 
Lehrer,  wenigstens  3 häusliche  Arbeitsstunden.  Der  Tag  ist 
demnach  mit  10  Stunden  geistiger  Arbeit  besetzt,  ganz  unge- 
rechnet, daß  viele  Schüler  nach  eigenem  Wunsche  oder  dem  ihrer 
Eltern  noch  Musikstunden,  Stenographieunterricht  usw.  nehmen. 
Das  ist  entschieden  zu  viel,  und  die  Ärzte  haben  die  Pflicht,  ihre 
Stimme  mit  Nachdruck  dafür  zu  erheben,  daß  die  Lernziele 
vereinfacht,  die  Stundenzahl  verringert  und  die  Anforde- 
rungen nach  den  Kräften  der  Schüler,  nicht  nach  theoretischen 
Erwägungen  festgelegt  werden.  Viel  würde  schon  durch  eine 
Verkürzung  der  einzelnen  Unterrichtslektion  auf  40  Minuten  ge- 
wonnen werden.  Die  Schulmänner,  die  einer  solchen  Schonung 

17* 


260 


Krankheiten  des  Nervensystems 


der  Schüler  geneigt  sind,  bedürfen  der  ärztlichen  Mitwirkung, 
um  zum  Ziele  zu  gelangen! 

Selbstverständlich  muß  auch  das  Haus  mithelfen,  die  Schäden 
der  Schuljahre  zu  mindern.  Sorge  für  gute  Ernährung,  Fern- 
haltung von  Aufregungen,  ungesunden  Zerstreuungen,  richtige 
und  pünktliche  Tageseinteilung,  Gewährung  ruhiger  Arbeitgelegen- 
heit usw.,  geeignete  Erholungen,  richtige  Leitung  der  körperlichen 
Übungen  sind  solche  Mittel. 

Die  Überanstrengung  wirkt  übrigens  nicht  nur,  wie 
schon  lange  bekannt  ist,  als  Ursache  nervöser  Erkrankungen, 
sie  ruft  auch  sehr  oft  körperliche  Nervenkrankheiten  hervor. 
Ein  besonderes  Verdienst  um  die  Aufklärung  dieser  Frage  hat 
sich  Edinger  erworben.  Er  hat  schon  vor  zehn  Jahren,  beson- 
ders ausführlich  und  eindringlich  aber  neuerdings  darauf  hin- 
gewiesen, daß  es  Nervenkrankheiten  gibt,  die  dadurch  entstehen, 
daß  unter  bestimmten  Umständen  den  normalen  Anforderungen, 
die  die  Funktion  stellt,  kein  entsprechender  Ersatz  innerhalb  der 
Gewebe  gegenübersteht.  Der  auch  unter  gesunden  Verhältnissen 
die  Arbeit  der  Nerven  begleitende  Zerfall  in  den  Zellen  und  in 
den  markhaltigen  Nervenfasern  wird  unter  krankhaften  Verhält- 
nissen gesteigert  oder  doch  nicht  genügend  ausgeglichen,  es  kommt 
daher  zu  dem  anatomischen  Bilde  des  Unterganges  von  Zelle  und 
Faser.  Werden  abnorm  hohe  Anforderungen  gestellt,  so 
kann  es  auch  unter  sonst  gesunden  Verhältnissen  zu  einem  Zerfall 
kommen:  Arbeitsatrophie,  Arbeitsneuritis;  wird  der  Ersatz 
durch  ein  im  Körper  vorhandenes  Gift  aufgehalten,  Syphilis, 
Blei  usw.,  so  kommt  es  je  nachdem  zu  Polyneuritis,  Tabes, 
Dementia  paralyti  ca,  kombiniertenSystemerkrankungen. 
Ist  endlich  das  Nervensystem  von  vornherein  nicht  stark  genug 
angelegt,  so  kann  es  schon  durch  die  normale  Funktion  zu- 
grunde gerichtet  werden,  so  bei  den  hereditären  Nerven- 
krankheiten, den  meisten  kombinierten  Strangerkran- 
kungen, der  spastischen  Paralyse,  den  amyotrophischen 
Erkrankungen  in  Oblongata  und  Rückenmark,  der  pri- 
mären, nicht  tabischen  Opticusatrophie,  wahrscheinlich  auch 
bei  der  progressiven  nervösen  Ertaubung. 

Es  ist  klar,  wie  wichtig  diese  von  Edinger  vermittelte  Er- 
kenntnis für  die  Verhütung  der  Nervenkrankheiten  sein  muß. 
Er  hat  selbst  beobachtet,  wie  günstig  es  wirkt,  daß  er  seine 
Tabischen  sehr  wenig  gehen  läßt,  nur  Übungen  anstellt,  die  nicht 
ermüden,  sie  alle  Stunden  urinieren  und  bei  Sonnenschein  dunkle 


Verhütung 


261 


Brillen  tragen  läßt;  auch  von  anderen  Seiten  ist  mitgeteilt,  daß 
die  Blasenlähmungen  der  Tabischen  ausbleiben,  wenn  sie  oft  genug 
die  Blase  entleeren  und  die  Innervation  des  Detrusor  nicht  ver- 
derben. Ferner  zeigt  die  allgemeine  Erfahrung,  daß  Neuritiden 
nach  Infektionskrankheiten,  z.  B.  Beinlähmungen  nach  Typhus, 
nicht  leicht  eintreten,  wenn  man  die  Kranken  lange  genug  ruhen 
läßt,  daß  Neuritiden  am  besten  heilen,  wenn  man  das  Glied  durch 
Verband  in  Ruhe  stellt  usw.  So  könnten  voraussichtlich  viele 
der  von  Edinger  sogenannten  Aufbrauchkrankheiten  vermieden 
werden.  Ich  habe  ähnliches  unabhängig  von  Edinger  und  zum 
Teil  schon  vor  seiner  ersten  Veröffentlichung  für  die  nervösen 
Erschöpfungszustände,  Neurasthenie  usw.,  als  wichtig  er- 
kannt und  demgemäß  mit  Entschiedenheit  eine  Ruhebehand- 
lung dafür  gefordert,  worüber  in  dem  betreffenden  Abschnitt 
Genaueres  gesagt  ist. 

3.  Eine  dritte  allgemeine  Schädigung  des  Nervensystems  ist 
der  Alkoholmißbrauch.  Es  wird  vielfach  auch  in  Ärztekreisen 
noch  angenommen,  daß  es  eine  untere  Grenze  gäbe,  ein  bestimmtes 
Maß  von  Alkohol,  das  immer  ohne  Schaden  vertragen  würde. 
Die  von  Carl  Fraenkel  gesammelten  Äußerungen  zahlreicher 
Professoren  der  Medizin  geben  ein  deutliches,  nicht  sehr  erfreu- 
liches Bild,  wie  sehr  wissenschaftliche  Ansichten  durch  herrschende 
Lebensgewohnheiten  beeinflußt  werden.  Dabei  versteht  es  sich 
doch  ganz  von  selbst,  daß  eine  Alkoholmenge,  die  bei  dem  Durch- 
schnittsmenschen für  gewöhnlich  nichts  ausmacht,  für  das  von 
Haus  aus  schwächer  angelegte  Nervensystem  und  ebenso  auch 
für  Zeiten  besonderer  Empfindlichkeit  des  Gesunden  schädlich 
sein  kann.  Das  ist  denn  auch  tatsächlich,  z.  B.  für  die  große 
Mehrzahl  der  Nervösen  ebenso  wie  allgemein  für  die  Kinder, 
für  Bleichsüchtige  und  Schwächliche,  leicht  nachweisbar. 
Auch  die  kleinen  Alkoholmengen,  die  in  zahllosen  Familien  un- 
beachtet als  Teile  der  täglichen  Nahrung  aufgenommen  werden, 
bewirken  sehr  oft  eine  deutliche  Schädigung  der  Erholungs- 
fähigkeit der  Nerven  und  wohl  auch  der  Blutbildung,  bei 
Heranwachsenden  schädigen  sie  geradezu  die  Ausbildung  des  Ge- 
hirns. Noch  viel  größer  wird  die  Gefahr,  wenn  es  nicht  bei 
den  kleinen  Mengen  bleibt,  sondern  wenn  regelmäßig  jeden  Tag 
die  für  harmlos  erklärte  Menge  von  anderthalb  Liter  Bier  oder 
entsprechend  viel  Wein  genossen  wird.  Sicher  werden  dadurch 
mindestens  ebensoviel  Menschen  geschädigt  wie  durch  das  er- 
sichtlich übermäßige,  zum  Rausch  führende  Trinken.  Man  braucht 


262 


Krankheiten  des  Nervensystems 


nicht  bis  zur  strengen  Konsequenz  der  völligen  Alkoholent- 
haltsamkeit zu  gehen,  aber  als  Arzt  wird  man  jedenfalls  darauf 
dringen  müssen,  daß  auch  die  harmloseren  Alkoholgetränke  nur 
zu  gelegentlichem  Genuß,  zum  Trinken  eines  reinen  und  maß- 
vollen Genusses  wegen,  aber  nicht  zum  täglichen,  gewohnheits- 
mäßigen Trinken  benutzt  werden. 

4.  Als  häufige  Quelle  von  Nervenkrankheiten  muß  auch  die 
Syphilis  bezeichnet  werden.  Nicht  nur  macht  die  dabei  ein- 
tretende Blutverschlechterung  die  Kranken  nervös  und  ihre 
Nervenbahnen  zu  einem  Schwunde  im  Sinne  der  Edinger sehen 
Aufbrauchkrankheiten  geneigt,  die  Syphilis  ist  auch  eine 
Ursache  zahlreicher  schwerer  Gehirn-  und  Rückenmarkkrank- 
heiten, sowohl  durch  die  Gummata  und  die  Gefäßerkran- 
kungen der  tertiären  Periode,  als  durch  die  meta-  oder  post- 
syphilitischen Krankheiten  Tabes  und  Dementia  paralytica, 
mögen  sie  durch  Überanstrengung  der  geschädigten  Nervenzentren 
oder  durch  Gift  Wirkung  hervorgerufen  sein.  So  ist  auch  zur 
Verhütung  der  Nervenkrankheiten  die  Bekämpfung  der  Syphilis 
eine  wichtige  Aufgabe. 


2.  Krankheiten  der  peripherischen  Nerven. 

1.  Neuritis. 

Mag  die  Neuritis  zahlreiche  Nerven,  oder  nur  einen  ergriffen 
haben,  mag  sie  auf  Überanstrengung,  Erkältung,  anorganischen 
oder  organischen  oder  bakteriellen  Vergiftungen,  auf  Verletzung 
des  Nerven  oder  auf  fortgeleiteter  Entzündung  benachbarter  Teile 
beruhen,  immer  ist  strenge  Ruhestellung  des  kranken 
Nerven  das  erste  und  unumgängliche  Gebot. 

Bei  Neuritis  am  Bein  wird  daher  Bettruhe  eingehalten,  bei 
Neuritis  am  Arm  kann  die  Anlegung  eines  immobilisierenden  Ver- 
bandes angezeigt  sein.  Mindestens  wird  man  eine  Mitella  ver- 
ordnen, worin  der  Arm  getragen  wird. 

Daneben  sucht  man  durch  Priessnitz  sehe  Umschläge, 
bei  multipler  Neuritis  durch  warme  Bäder,  33 — 35 °C.,  halbe 
und  ganze  Stunden  lang  und  noch  länger,  oder  durch  Ein- 
packungen des  Körpers  in  Tücher,  die  mit  Wasser  von  Stuben- 
wärme getränkt  sind,  und  darüberliegende  Wolldecken,  für  halbe 
oder  ganze  Stunden,  ein-  oder  mehrmals  täglich,  die  örtlichen 
Veränderungen  günstig  zu  beeinflussen.  Zugleich  bemüht  man 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


263 


sich,  durch  Anregung  des  Säftestroms,  durch  Diaphorese  und 
Diurese  die  etwa  vorhandenen  Grifte  und  giftigen  Stoffwechsel- 
erzeugnisse hinauszutreiben.  Man  läßt  zu  diesem  Zweck  reich- 
lich heißen  Tee  beliebiger  Art  trinken,  gibt  viel  heiße  Milch  mit 
oder  ohne  Selterwasser  und  dergl.  Bei  multipler  Neuritis  ist 
eine  Beschränkung  auf  flüssige  Kost  oft  schon  durch  das 
Fieber  und  den  elenden  Zustand  der  Kranken  geboten,  aber  auch 
in  leichteren  Fällen  mag  während  der  Bettruhe  vorwiegende 
Milchkost  wertvoll  sein. 

Bei  der  selbständigen  Neuritis,  einerlei,  ob  sie  einen  oder 
viele  Nerven  befallen  hat,  ist  eine  Behandlung  mit  antirheuma- 
tischen Mitteln  oft  von  deutlichem  Einfluß.  Insbesondere  sind 
Salipyrin  und  Aspirin  zu  empfehlen. 

fjl  20  Tabl.  Salipyrin  Riedel  (1,0)  I 20  Tabl.  Aspirin  (0,5) 

im  Originalglas.  [ im  Originalglas. 

Man  gibt  davon  am  besten  in  den  Abendstunde!!,  nach  dem 
Nachtessen,  dreimal  hintereinander  mit  einstündigen  Zwischen- 
räumen 1,0,  also  vom  Salipyrin  eine,  vom  Aspirin  zwei  Tabletten, 
mit  je  einem  Weinglas  kohlensauren  Wassers.  Man  kann  auch 
dieselbe  Menge  außerdem  nach  dem  zweiten  Frühstück  geben. 
Diese  Behandlung  ist  sehr  zu  beachten,  sie  stellt  auch  ein  wich- 
tiges Verfahren  gegen  akute  Neuralgien  dar. 

“Wenn  das  akute  Stadium  der  Neuritis  vorüber  ist,  beginnt 
man  mit  der  Bäderbehandlung.  Insbesondere  haben  sich  Thermal- 
bäder und  noch  mehr  die  kohlensauren  Solbäder  bewährt; 
Nauheim,  Oeynhausen,  Kissingen,  Wiesbaden,  Baden-Baden,  vgl. 
S.  240 f.,  sind  bekannte  Plätze  für  diese  Leiden.  Man  findet  dort 
auch  überall  Anstalten  für  medikomechanische  Behandlung, 
Massage,  Heilgymnastik,  die  sämtlich  hier  von  großem  Werte 
sind.  Soll  der  Kranke  an  seinem  Wohnorte  behandelt  werden, 
so  läßt  man  ihn  womöglich  Elektrisch-Licht-Bäder  nehmen, 
oder  man  verordnet  künstliche  kohlensaure  Solbäder,  vgl. 
S.  241.  Auch  die  Elektrotherapie  findet  eine  wichtige 

Anzeige.  Genaueres  darüber  bringt  der  Abschnitt  über  die 

Lähmungen. 

2.  Neuralgien  und  andere  Nervenschmerzen. 

Die  Behandlung  der  Nervenschmerzen  richtet  sich  natürlich 
zunächst  auf  ihre  Ursache,  die  in  rheumatischen  Schädlichkeiten, 
in  Überanstrengung,  mangelhafter  Widerstandsfähigkeit  der  Nerven 


264 


Krankheiten  des  Nervensystems 


durch  Anämie,  Chlorose,  Blutverluste,  Neurasthenie  usw.,  in  Gift- 
wirkungen bei  Malaria,  Influenza,  Syphilis,  Gicht,  Diabetes,  Blei- 
vergiftung beruhen  kann.  Insbesondere  ist  die  neurasthenische 
Empfindlichkeit  eine  sehr  häufige  Zugabe,  auch  vorher  Ge- 
sunde werden  durch  anhaltende,  vielleicht  den  Schlaf  und  die 
Nahrungsaufnahme  störende  Schmerzen  „nervös“  und  behalten 
infolgedessen  die  Schmerzen,  auch  wenn  der  örtliche  Vorgang, 
der  dazu  geführt  hatte,  längst  beseitigt  ist.  Sie  bedürfen  dann 
gar  nicht  mehr  der  antineuralgischen  Behandlung,  die  oft  mit 
immer  neuen  Mitteln  fortgesetzt  wird  und  nicht  selten  zum 
Morphinismus  führt,  sondern  lediglich  einer  geeigneten  All- 
gemeinbehandlung, wie  sie  weiterhin  für  die  Neurasthenie  ge- 
lehrt wird. 

Nicht  selten  sind  peripherische  Nervenschmerzen  durch 
zentrale  Erkrankungen  bedingt.  Das  gilt  besonders  von  den 
Rückenmarkkrankheiten,  die  das  sensorische  Gebiet  treffen, 
zumal  von  der  Tabes  und  der  Myelitis.  Ebenso  muß  man 
stets  darauf  achten,  ob  etwa  eine  vermeintliche  Ischias  in  Wirk- 
lichkeit durch  eine  Hüftgelenkentzündung,  ein  Malum  coxae  senile, 
ein  Beckensarkom  usw.  bedingt  wird,  eine  Occipitalneuralgie 
durch  Karies  der  obersten  Halswirbel,  usw. 

Bei  allen  Nervenschmerzen  ist  eine  Regelung  der  Ernährung 
wichtig.  Nur  die  akutesten  und  schlimmsten  Zustände  erfordern 
flüssige  Kost,  immer  aber  ist  ein  Hinweis  auf  eine  normale  ge- 
mischte Kost  nötig,  nicht  selten  wird  eine  Milchkost  für 
einige  Wochen  eine  heilsame  Änderung  im  Stoffwechsel  hervor- 
rufen.  Sie  ist  zunächst  um  so  leichter  durchzuführen,  wenn  man 
den  Kranken,  um  Schwankungen  der  äußeren  Wärme  zu  ver- 
meiden, einige  Zeit  ins  Bett  schickt.  Durch  diese  Verordnung 
lassen  sich  viele  Neuralgien  sehr  abkürzen,  auch  bei  einer  er- 
neuten Behandlung  chronischer  Nervenschmerzen  macht  man  oft 
mit  Vorteil  davon  Gebrauch.  Niemals  soll  man  dabei  eine  gründ- 
liche Ableitung  auf  den  Darm  unterlassen,  durch  Bitter- 
wasser, Phenolphthalein  und  dergl.,  vgl.  S.  127ff. 

Die  volkstümliche  Verordnung  eines  gründlichen  Schwitzens 
ist  das  nächste  Mittel.  Bettruhe  unter  sehr  warmer  Bedeckung, 
bei  reichlicher  Zufuhr  heißer  Getränke  (aber  kein  Alkohol!), 
unterstützt  durch  einige  Gaben  Salipyrin,  Natrium  salicylicum 
oder  Aspirin  1,0,  mit  einstündigen  Pausen  dreimal  hintereinander, 
vor  der  Nachtruhe  oder  außerdem  noch  im  Laufe  des  Vormittags 
gegeben,  wirken  auch  in  veralteten  Fällen  oft  ausgezeichnet. 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


265 


Man  kann  aber  auch  heiße  Bäder  mit  nachfolgender  Ein- 
packung, wie  S.  186  beschrieben,  täglich  einmal  anwenden. 
Ganz  vortrefflich  wirken  die 

Elektrisch-Licht-Bäder. 

Ich  benutze  seit  fast  einem  Jahrzehnt  Lichtbäder  aus  der 
Fabrik  von  Reiniger,  Gebbert  & Schall  in  Erlangen,  und 
zwar  Apparate  mit  Glühlicht  und  Bogenlicht.  Ich  habe  mich 
von  einer  Einwirkung  des  Bogenlichtes  — abgesehen  von  der 
Behandlung  von  Hautkrankheiten  — nicht  überzeugen  können 
und  empfehle  daher,  nur  Glühlichtapparate  anzuschaffen.  Sie 
werden  in  zwei  Arten  ausgeführt,  als  Sitz-  und  als  Liegebäder. 
Für  die  meisten  Fälle  werden  die  zum  Sitzen  des  Badenden  ein- 
gerichteten Apparate  am  besten  sein.  Das  Sitzlichtbad  besteht 
aus  einem  fünf-  oder  achteckigen  Holzkasten  mit  einem  Tür- 
eingang. Der  Kasten  ist  so  groß,  daß  ein  Mensch  auf  einem 
darin  stehenden  Stuhle  aufrecht  sitzen  kann;  der  Kopf  ragt  dabei 
durch  eine  Öffnung  des  Deckels  heraus.  Die  Wände  des  Kastens 
sind  innen  mit  Spiegeln  oder  nach  neuerem  Verfahren  mit  weißen 
Glasplatten  belegt,  außerdem  tragen  sie  die  Glühlichtlampen,  ge- 
wöhnlich 24  — 48  von  16  Kerzen  Stärke.  Durch  besondere 
Lampen  und  Reflektoren  haben  Reiniger,  Gebbert  & Schall, 
unter  Benutzung  des  Patentes  von  Th.  Wulfe,  erreicht,  daß  die 
Lampenwärme  nicht  so  sehr  durch  Erwärmung  der  Luft  des 
Kastens  indirekt  die  Haut  des  Badenden  erwärmt,  sondern  daß 
die  direkte  Strahlung  sehr  stark  ein  wir  kt.  Man  kann  durch 
Abstellen  des  Lichtes  sehr  leicht  nach  weisen,  daß  der  Badende 
die  Strahlung  deutlich  fühlt  und  beim  Wegfallen  der  Strahlen 
die  umgebende  erwärmte  Luft  als  kühl  empfindet,  beim  Andrehen 
der  Lampen  aber  sofort  wieder  die  Wärme  fühlt.  Ein  anderer 
Beweis  für  die  Strahlenwirkung  ist  es,  daß  die  Schweißabsonderung 
des  Badenden  oft  schon  beginnt,  wenn  die  Luft  im  Kasten  erst 
25 — 30°  C.  warm  ist,  also  vom  nackten  Körper  noch  gar  nicht 
als  warm  empfunden  würde.  Daher  tritt  denn  auch  die  Schweiß- 
wirkung ohne  erhebliche  Wärmestauung  im  Körper  ein,  und  das 
ist  der  Grund,  weshalb  die  Lichtbäder  allgemein  so  viel  besser 
vertragen  werden  als  andere  ableitende  oder  schweißtreibende 
Wärme  Wirkungen.  Man  kann  sie  daher  z.  B.  Herzkranken,  vgl. 
S.  27,  ohne  Bedenken  geben.  Die  bei  der  Wulff  sehen  Ein- 
richtung so  besonders  hervortretende  Strahlenwirkung  ermöglicht 


266  Krankheiten  des  Nervensystems 

auch,  daß  man  bei  dieser  besonderen  Art  mit  17  Glühlampen  zu 
16  Kerzen  auskommt.  Der  Apparat  ist  in  der  Anschaffung  etwas 
teurer,  er  kostet  1000  Mark  gegen  600 — 700  Mark  hei  den 
älteren  Systemen,  die  auch  von  anderen  Fabriken  gebaut  werden, 
so  von  dem  Elektrotechnischen  Institut  in  Frankfurt,  von  der 
Gesellschaft  Sanitas  in  Berlin  usw.  Die  geringere  Lampenzahl 
und  die  bessere  Ausnutzung  der  Kraft  machen  bald  den  höheren 
Anschaffungspreis  wieder  gut. 

Das  Lichtliegebad  ist  im  wesentlichen  ebenso  eingerichtet, 
enthält  aber  statt  des  Sitzes  ein  Rohrsofa;  der  Kopf  ruht  außer- 
halb des  Apparates. 

Teillichtbäder  werden  für  besondere  Zwecke  gebraucht; 
man  hat  sie  für  den  Rumpf,  für  die  Arme,  für  die  Beine  und 
für  den  Kopf.  Endlich  gibt  es  muldenförmige  Gestelle  für  den 
ganzen  Körper  oder  für  einzelne  Teile,  zur  Anwendung  hei  bett- 
lägerigen Kranken  bestimmt.  Will  man  nur  umschriebene  Stellen 
belichten,  so  kann  man  dazu  frei  oder  unter  der  Bettdecke  natür- 
lich auch  die  gewöhnlichen,  zur  Beleuchtung  dienenden  Glüh- 
lichtlampen mit  geeignetem  Schirm  benutzen.  Besser  sind  die 
von  Reiniger,  Gebbert  & Schall  verfertigten  Handglühlicht- 
reflektoren, aus  einer  starken  Lampe  mit  parabolischem 
Reflektor  bestehend. 

Für  alle  diese  Apparate  verwendet  man  meistens  die  ge- 
wöhnlichen durchsichtigen  Glasbirnen,  seltener  solche  aus 
blauem  Glas,  die  nach  manchen  Autoren  schmerzstillende  und 
entzündungs widrige  Wirkung  haben.  Für  Hautkrankheiten  ver- 
wendet man  auch  rote  Lampen.  Bei  den  größeren  Reiniger- 
schen  Apparaten  sind  über  den  Lampen  laternenförmige  Gehäuse, 
an  einer  Seite  offen,  um  das  weiße  Licht  durchzulassen,  an 
anderen  Seiten  mit  rotem  und  mit  blauem  Glase  versehen,  so 
daß  man  nach  Belieben  damit  wechseln  kann,  indem  man  die 
Laterne  dreht. 

Die  beste  Anwendung  der  Lichtbäder  ist  folgende:  Man 
bringt  den  Kranken,  am  besten  in  ausgeruhtem  Zustande  — 
daraus  ergibt  sich  ein  großer  Vorsprung  der  Krankenhaus-  oder 
Sanatoriumsbehandlung  — in  das  Lichtbad,  das  in  einem  Raum 
von  15 — 20°  C.  steht,  und  läßt  durch  die  Einwirkung  der  Glüh- 
lampen die  Wärme  im  Kasten  allmählich,  etwa  im  Laufe  einer 
Viertelstunde,  auf  40°  C.  steigen.  Bei  den  ersten  Bädern  bleibt 
man  am  besten  bei  dieser  Wärme  stehen , der  Kranke  verläßt 
den  Kasten  und  bekommt  nun  eine  Regenbrause  über  den  Nacken 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


267 


und  den  Körper  von  30°  0.  oder  eine  Begießung  des  schmerz- 
haften Teiles  mit  Wasser  von  25 — 20°  C.,  dann  legt  er  sich 
mindestens  eine  Stunde  zum  Ruhen  ins  Bett.  Die  Bebrausung  hat 
den  Zweck,  die  entstandene  Hauthyperämie  auszugleichen,  die 
Begießung  soll  eine  lebhafte  Anregung  der  Zirkulation  an  der 
kranken  Stelle  hervorrufen.  Ich  ziehe  nach  meinen  ausgedehnten 
Erfahrungen  die  allgemeine  Anwendung  milder  Temperaturen 
der  örtlichen  Reizung  vor.  Am  besten  läßt  man  immer  erst 
am  dritten  Tage  ein  neues  Lichtbad  folgen,  inzwischen  ist  die 
Reaktion  völlig  abgelaufen.  Das  dritte  und  die  folgenden  Licht- 
bäder kann  man  schon  wärmer  machen,  bis  zu  50  und  60°, 
wenn  der  Kranke  kein  Unbehagen  dabei  empfindet.  Es  ist  ver- 
kehrt, wenn  man  die  Wirkung  nach  der  Stärke  der  Schweiß- 
absonderung bemessen  will,  das  könnte  höchstens  für  ganz  ein- 
gewurzelte Schmerzen  zutreffen;  vor  allem  darf  der  Kranke  nicht 
angegriffen  werden,  weil  das  die  Grundlage  des  Schmerzes,  die 
Erschöpfung,  erhöht.  Immer  läßt  man  die  Bebrausung,  oder 
wenn  dazu  die  Einrichtung  fehlt,  eine  allgemeine  Abwaschung 
mit  lauem  Wasser  und  dann  die  Bettruhe  folgen.  Nur  sehr 
kräftige  Menschen,  die  außer  der  Kur  nichts  zu  tun  haben,  ver- 
tragen tägliche  Lichtbäder  gut.  Die  Schätzung  der  Lichtbäder 
hat  entschieden  etwas  darunter  gelitten,  daß  sie  meist  ohne  ge- 
nügende ärztliche  Ansicht  in  durchaus  schematischer  Weise  an- 
gewendet werden.  Das  Publikum  und  die  Badediener  neigen 
nach  bekannten  Grundsätzen  dazu,  möglichst  große  Hitze  anzu- 
wenden, die  Patienten  gehen  vielfach  unmittelbar  nach  dem  Liclit- 
bade  auf  die  Straße  und  verderben  dadurch  die  langsam  aus- 
gleichende Reaktion.  Paßt  man  dagegen  die  Wärme  der  Art 
des  Kranken  und  der  Krankheit  genau  an  und  sorgt  für  nach- 
herige  Ruhe,  so  sind  die  Wirkungen  ganz  ausgezeichnet,  durch 
kein  anderes  Verfahren  zu  ersetzen. 

Für  die  Neuralgien  wendet  man  ziemlich  hohe,  schweiß- 
treibende Wärmegrade  an,  entweder  allgemein,  oder  auf  den  Sitz 
der  Neuralgie  beschränkt.  Die  nachfolgende  Wasseranwendung, 
am  besten  eine  Regenbrause,  im  Notfall  eine  Begießung  oder 
eine  einfache  Abwaschung,  muß  von  mittlerer  Wärme,  um  30  ü 0. 
herum,  sein,  um  die  Hauthyperämie  auszugleichen,  nicht  aber 
einen  erneuten  reaktiven  Blutandrang  herbeizuführen.  In  chro- 
nischen Fällen  wendet  man  höhere  Temperaturen  des  Licht- 
bades an  als  in  frischen. 

Eine  andere  Form  der  Wärmeanwendung  stellen  die 


268 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Elektro thermapparate  dar.  Sie  sind  ähnlich  gebaut,  wie  die 
Lichtbäder,  haben  aber  keine  Lampen,  sondern  nur  Heizkörper 
und  wirken  demgemäß  nur  durch  die  erzeugte  Luftwärme. 
Man  behandelt  meist  mit  etwa  90°  C.,  es  können  aber  noch  viel 
höhere  Grade  genommen  werden.  Die  Heißluftbehandlung  er- 
zielt wegen  der  völlig  trockenen  Luft,  die  den  Körper  umgibt, 
sehr  starke  Schweißabsonderung  und  kräftige,  nachhaltige  Haut- 
hyperämie. Sie  wird  besonders  für  rheumatische  Neuralgien 
der  Glieder  empfohlen. 


Ableitende  Verfahren. 

Die  Thermotherapie  gibt  in  der  Heißluftbehandlung  schon 
den  Übergang  zu  der  viel  älteren  Anwendung  ableitender  Mittel. 
Yolkstümlich  am  meisten  verbreitet,  aber  von  sehr  unsicherer 
und  namentlich  von  wenig  nachhaltiger  Wirkung  sind  die  reizen- 
den Einreihungen.  Man  verwendet  dazu  die  verschiedensten 
Stoffe:  Ameisenspiritus,  Alkohol,  oft  in  der  Form  des  Franz- 
branntweins ohne  oder  mit  Salz,  Chloroformöl  oder  -Spiritus, 
Kampferspiritus,  Opodeldok  und  andere  Linimente,  Petroleum- 
äther, Salmiakgeist,  Senfspiritus,  Terpentinöl,  Veratrinsalbe  usw. 
Auch  die  einfachen  warmen  Umschläge  und  die  Priessnitz  sehen 
Umschläge,  Hand-  und  Fußbäder  mit  Asche,  Salz,  Senf  usw., 
trockne  Schröpfköpfe,  endlich  die  Zugpflaster  und  Blasenpflaster 
gehören  hierher.  Als  ganz  veraltet  darf  man  wohl  die  Haar- 
seile, das  Ferrum  candens  und  die  Moxen  bezeichnen. 

Von  etwas  besserer  Wirkung  sind  die  mentholhvMig&a.  Salben, 
wie  der  BENGUEsche  Balsam,  und  die  salzhaltigen  Mittel 
Rheumasan,  Methylium  salicylicum,  der  synthetische  Ersatz  des 
Wintergrünöls,  und  das  Mesotan,  der  Methoxymethylester  der 
Salizylsäure,  ebenfalls  ein  Ersatz  für  Wintergrünöl,  wovon  man 
ein  Gemisch  mit  gleichen  Teilen  Olivenöl  mehrmals  täglich  tee- 
löffelweise einreiben  läßt.  Eine  Menge  von  Geheimmittelpflastern 
machen  diesen  Präparaten  Konkurrenz. 

Viel  kräftiger  und  oft  dauernd  werden  neuralgische  Schmerzen 
durch  scharfe  Kälteeinwirkung  auf  die  über  dem  Nerven  liegende 
Haut,  namentlich  auf  die  Schmerzpunkte,  beseitigt.  Man  ver- 
wendet dazu  am  besten  einen  Spray  von  Äther  chloratus,  Äthyl- 
chlorid, rein  oder  mit  Methylchlorid  gemischt  als  Anesthyl  usw.; 
Merck  in  Darmstadt,  Henning  in  Berlin,  Bengue  in  Paris  u.  a. 
bringen  zweckmäßige  Röhren  mit  diesen  Stoffen  in  den  Handel, 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


269 


ans  denen  das  betreffende  Gas,  durch  die  Wärme  der  Hand  zur 
Verdunstung  gebracht,  in  feinem  Strahl  austritt.  Richtet  man 
diesen  in  der  Entfernung  von  einigen  Zentimetern  auf  die  Haut, 
so  friert  sie  sehr  bald.  Man  hört  dann  auf  und  wiederholt 
die  Anwendung  nötigenfalls  in  den  nächsten  Tagen. 

Mehrfach  empfohlen  ist  eine  direkte  Anästhesierung  des 
Nerven  durch  Einspritzung  von  Alkohol , Äther , Osmiumsäure 
u.  a.  in  seine  Umgebung.  Ich  halte  diese  Anwendung  für  be- 
denklich, weil  man  nicht  weiß,  wie  sehr  im  einzelnen  Falle  der 
ohnehin  kranke  Nerv  dadurch  geschädigt  wird. 

Elektrotherapie.1 

Mit  wenig  Methoden  wird  in  der  Praxis  so  unvollkommen 
gearbeitet  wie  mit  der  Elektrotherapie,  durchaus  im  Gegensatz 
zu  der  Leichtigkeit,  sie  richtig  anzuwenden,  und  zu  dem  großen 
Nutzen,  den  ihre  Anwendung  dem  Kranken  und  damit  auch  dem 
Arzte  bringen  kann.  Es  ist  unbestreitbar,  daß  es  sich  in  vielen 
Fällen  um  Suggestivwirkung  handelt,  aber  die  Kranken  sind, 
wie  auch  Mann  richtig  hervorhebt,  dem  suggestiven  Einfluß  der 
Elektrizität  zugänglicher  als  irgend  einem  anderen.  Die  fühl- 
baren Wirkungen  tragen  dazu  jedenfalls  sehr  bei,  auch  der 
Respekt,  den  fast  alle  Menschen  aus  den  bekannten  Versuchen 
in  Schulen  und  auf  Jahrmärkten  usw.  geschöpft  haben.  Wieweit 
es  sich  um  suggestive  oder  tatsächliche  Wirkungen  handelt,  ist 
hauptsächlich  deswegen  schwer  zu  beurteilen,  weil  sich  auch  bei 
organischen  Krankheiten  zu  den  tatsächlichen  Erscheinungen  viel 
mehr,  als  man  früher  annahm,  subjektive,  psychisch  bedingte 
Störungen  hinzugesellen,  deren  Heilung  oder  Besserung  durch 
Elektrotherapie  natürlich  leicht  als  organische  Wirkung  aufgefaßt 
werden  kann. 

Als  sicher  darf  gelten,  daß  der  Nerv,  der  gesunde  wie  der 
kranke,  beim  galvanischen  Strom  durch  die  Anode  beruhigt, 
durch  die  Kathode  erregbarer  gemacht  wird.  Beim  faradischen 
Strom  wirken  sehr  starke  Ströme  mit  schnellen  Unterbrechungen 
beruhigend,  mäßig  starke  Ströme  mit  langsamer  folgenden  Schlägen 
erregend.  Auch  durch  Ableitung  auf  die  Haut,  vorzugsweise  mit 


1 Für  den  Praktiker  besonders  zu  empfehlen  ist:  Ludwig  Mann, 
Elektrodiagnostik  und  Elektrotherapie,  Wien  und  Leipzig,  Alfred 
Holder,  1904.  Gebd.  2,80  M. 


270 


Krankheiten  des  Nervensystems 


dem  faradischen  Pinsel,  kann  die  Erregbarkeit  der  darunter 
liegenden  Nerven  herabgesetzt  werden.  Durch  Wiederholung  der 
Anwendungen  kann  die  Veränderung  der  Erregbarkeit  dauernd 
werden.  Eine  weitere  Wirkung  beruht  auf  den  elektrolytischen 
Wirkungen  des  Stromes,  die  aus  der  Elektrochemie  bekannt 
sind;  sie  werden  besonders  bei  entzündlichen  Exsudaten,  Infiltra- 
tionen, Ablagerungen  usw.  herangezogen. 

Der  galvanische  oder  konstante  Strom. 

Der  galvanische  Strom  wird  entweder  durch  eine  Batterie 
von  Säure-  oder  von  Trockenelementen  erzeugt  oder  durch  be- 
sondere Vorrichtungen  aus  einer  Lichtleitung  entnommen.  Man 
unterscheidet  ferner  die  großen,  stationären  Apparate,  die  vor- 
zugsweise dem  Spezialarzt  mit  ausgedehnter  elektrotherapeutischer 
Praxis  dienen,  und  die  handlichen  transportablen  Apparate. 
Sie  werden  von  zahlreichen  Firmen  verfertigt.  Besonderen  Ruf 
haben  die  von  Reiniger,  Gebbert  & Schall  in  Erlangen  und 
die  von  Hirschmann  in  Berlin,  aber  es  gibt  noch  zahlreiche 
andere  vortreffliche  Apparate.  Die  nassen  Batterien  mit  Ele- 
menten, die  zum  Gebrauch  in  Chromsäure-  und  Schwefelsäure- 
lösung tauchen,  arbeiten  sehr  zuverlässig  und  sparsam,  sind  aber 
wegen  der  Flüssigkeit  mit  allerlei  Übelständen  verbunden;  das 
ist  bei  den  LECLANCHß-Elementen  und  bei  den  Trockenelementen 
vermieden.  Die  letztgenannten  sind  etwas  teurer  im  Gebrauch 
und  nicht  ganz  so  konstant,  aber  sie  reichen  für  die  Praxis  voll- 
kommen aus.  Der  Preis  solcher  Apparate  beträgt  mit  guter 
Ausrüstung,  wozu  auch  Rheostat  und  Galvanometer  gehören, 
durchschnittlich  160 — 200  Mark.  Da  die  Betriebskosten  nicht 
ins  Gewicht  fallen,  das  Elektrisieren  aber  zu  den  Leistungen  ge- 
hört, die  das  Publikum  anerkennt  und  demnach  gern  bezahlt, 
ist  die  Ausgabe  gut  angewendet.  Den  Apparaten  guter  Firmen 
wird  immer  eine  ausreichende  Gebrauchsanweisung  beigegeben, 
aber  es  ist  immerhin  empfehlenswert,  sich  durch  das  sorgfältige 
Studium  eines  Lehrbuches,  wie  z.  B.  des  empfohlenen  von  Mann, 
genauer  mit  der  Sache  vertraut  zu  machen,  die  Erfolge  werden 
dadurch  verbessert  und  die  Freude  an  der  Ausübung  erhöht. 

Die  Apparate  tragen  eine  Bezeichnung,  wo  der  positive  Pol, 
die  Anode,  und  wo  der  negative  Pol,  die  Kathode,  ist.  Man 
kann  sich  von  der  Richtigkeit  der  Angabe  leicht  überzeugen, 
wenn  man  den  Apparat  in  Gang  setzt  und  das  freie  Ende  der 
beiden  Leitungschnüre  in  Wasser  hält:  man  sieht  dann  an  der 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


271 


Kathode  Gasblasen  aufsteigen.  Bei  der  verschiedenen  Wirkung 
der  beiden  Pole  ist  es  wichtig,  sie  genau  zu  unterscheiden.  Die 
größeren  Apparate  haben  auch  einen  sogenannten  Stromwender; 
solange  seine  Kurbel  auf  N,  normal,  steht,  gelten  die  neben  den 
Leitungsklemmen  stehenden  Zeichen  -f-  und  — als  Zeichen  für 
Anode  und  Kathode;  steht  die  Kurbel  auf  W,  Wendung,  so  haben 
die  Pole  den  umgekehrten  Wert.  Als  Elektroden  braucht  man 
eine  Auswahl  verschieden  großer  Metallplatten , die  mit  Leder 
überzogen  sind;  zweckmäßig  liegt  zwischen  Metall  und  Leder  eine 
Platte  von  Schwamm  oder  Filz.  Man  elektrisiert  immer  nur  mit 
Elektroden,  die  gut  mit  heißem  Wasser  durchfeuchtet  sind,  und 
die  Schwamm-  oder  Filzunterlage  erhält  die  Elektroden  besser 
und  länger  feucht.  Dadurch  wird  der  Leitungswiderstand  der 
Haut  am  besten  herabgesetzt  und  demgemäß  die  Wirkung  gefördert. 

Im  allgemeinen  verwendet  man  für  den  galvanischen  Strom 
sowohl  bei  der  Untersuchung  wie  bei  der  Behandlung  eine 
Elektrode  als  indifferente  und  nimmt  dazu  eine  größere  Platte, 
etwa  5:10  cm.  Man  setzt  sie  entweder  auf  einen  indifferenten 
Punkt,  meistens  das  Epigastrium,  wo  der  Kranke  sie  selbst  fest- 
halten  kann,  oder  den  Nacken,  wo  sie  durch  den  Hemdkragen 
oder  das  Kleid  festgehalten  wird.  Der  andere  Pol,  die  Reiz- 
elektrode,  je  nach  der  Absicht  die  Anode  oder  die  Kathode, 
kommt  auf  den  Punkt,  den  man  untersuchen  oder  behandeln 
will.  Man  wählt  dabei  zu  diagnostischen  Zwecken  meist  eine 
kleine  Elektrode  von  3 ccm,  zur  Behandlung  etwas  größere. 
Von  der  Größe  hängt  die  Stromdichtigkeit  ab,  die  an  der  be- 
treffenden Stelle  einwirkt.  Für  die  Reizelektrode  wählt  man 
meistens  einen  Halter  mit  Unterbrechungsvorrichtung. 

Der  galvanische  Strom  ruft  im  Muskel  keine  sichtbaren 
Erscheinungen  hervor,  während  er  ihn  ruhig  durchströmt. 
Zuckungen  treten,  genügende  Stromstärke  vorausgesetzt,  nur  auf, 
wenn  der  Strom  unterbrochen  wird,  Öffnungszuckung,  und 
wenn  er  wieder  geschlossen  wird,  Schließungszuckung.  Das 
aus  der  Physiologie  bekannte  Zuckungsgesetz  besagt,  daß  unter 
gesunden  Verhältnissen  bei  allmählich  gesteigerter  Stromstärke  — 
durch  allmähliches  Verschieben  des  Rheostaten  hergestellt  — zu- 
erst eine  Zuckung  auftritt,  wenn  die  Kathode  auf  dem  Reizpunkt 
steht  und  zwar  in  dem  Augenblicke,  wo  der  Strom  geschlossen 
wird:  Kathodenschließungszuckung.  Man  wählt  für  diese 
Untersuchungen  die  Reizpunkte  aus , die  auf  den  folgenden 
Figuren  1 — 6 bezeichnet  sind. 


272 


Krankheiten  des  Nervensystems 

Steigert  man  die  Stromstärke  weiter,  so  wird  die  Kathoden- 
schließungszuckung lebhafter  und  bei  einem  gewissen  Punkte  tritt 
nun  auch  eine  Anodenzuckung  auf.  Man  stellt  das  fest,  indem 
man  die  Elektroden  ruhig  an  ihrem  Platze  läßt,  aber  bei  nieder- 
gedrücktem Unterbrecher  die  Stromwenderkurbel  umlegt,  so  daß 
nun  die  Anode  auf  dem  Reizpunkt  steht.  Meist  tritt  die  erste 
Zuckung  an  der  Anode  bei  der  Stromöffnung  auf,  manchmal 


M.  frontalis. 
Oberer  Facialisast 


Nasenmuskel 
Mm.  zygomatici. 
M.  orbicul.  on.s} 
Mittl.  Facialisast 
M.  masseter 

N.  hyp  o glos  sus. 
Unter  er  Facialisast 
M.  platysma  myoides 


M.  omohyoideus 


Gegend  der 
Zentralwindungen 

Gegend  des 
Sprachzentrums 

Oberer  Facialisast 
vor  dem  Ohr 
Facialisstamm 

Mittl.  Facialis  ast 
Unt.  Facialisast 
M.  splenius 

M.  sternocleido- 
mastoideus 

N.  acces  sorius 

M.  cucnllaris 

N.  axillaris 


N.  phrenicus 


Erbscher  Supra 


klavikularpunkt  Plexus  brachialis 
(Mm.  deltoides,  biceps,  brach, 
int.  et  supinat.  long.) 

Fi  g.  1. 


aber  auch  bei  der  Schließung,  jedenfalls  bedeutet  die  Verschieden- 
heit hierbei  nichts  Krankhaftes.  Bei  sehr  großer  Stromstärke 
tritt  an  der  Kathode  auch  bei  der  Öffnung  des  Stromes  eine 
Zuckung  auf;  bei  dieser  Stärke  ist  die  Kathodenschließungs- 
zuckung nicht  mehr  wie  bisher  alle  Zuckungen,  blitzartig  schnell, 
sondern  sie  wird  tetanisch,  es  tritt  der  Kathoden- 
schließungstetanus, eine  dauernde  Spannung  im  Muskel,  ein. 
Bei  der  Entartungsreaktion  sind  alle  Zuckungen  träge,  und 
außerdem  tritt  die  Anodenschließungszuckung  bei  geringerer 
Stromstärke  auf  als  die  Kathodenschließungszuckung.  Es  em- 
pfiehlt sich,  die  normalen  Verhältnisse  durch  Versuche  an  Ge- 
sunden fest  einzuprägen,  damit  man  unter  krankhaften  Verhältnissen 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


273 


274 


Krankheiten  des  Nervensystems 


ein  richtiges  Urteil  hat.  Man  lernt  es  dabei  auch  be- 
urteilen, wenn  z.  B.  im  Beginn  peripherischer  Lähmungen  und 
bei  Tetanie  die  Erregbarkeit  gesteigert  ist,  und  wenn  sie  hei 
alten  Lähmungen  nach  Apoplexie,  bei  Dystrophia  musculorum 
herabgesetzt  ist.  Man  stellt  die  Abweichungen  fest,  indem  man  hei 
einseitigen  Leiden  mit  symmetrischen  Punkten  der  anderen  Körper- 
hälfte vergleicht,  oder  indem  manPunkte  mit  erfahrungsgemäß  gleicher 

Erregbarkeit  heranzieht : 
Frontalis , Ulnaris  am 
Ellbogen,  Peroneus  am 
Capitulum  fibulae  sind 
gleich  erregbar.  Ent- 
artungsreaktion findet 
sich  b ei  schwer erN euritis, 
Poliomyelitis,  progres- 
siver Muskelatrophie,  Er- 
krankung der  Nerven- 
kerne in  der  Oblongata, 
Durchschneidung  eines 


peripherischen  Nerven 
usw.  Dabei  sinkt  zu- 
nächst die  Erregbarkeit 
des  Nerven  für  beide 
Stromarten,  die  des  Mus- 
kels für  den  faradischen 
Strom,  während  die  des 
Muskels  für  den  gal- 
vanischen Strom  in  der 
zweiten  Woche  deutlich 
gesteigert  ist  (mit  trägen 
Zuckungen  und  umge- 
kehrter Zuckungsfolge). 
Weiterhin  sinkt  auch  die  galvanische  Erregbarkeit  des  Muskels, 
um  bei  der  Heilung  allmählich  wieder  zu  steigen.  Bei  der  par- 
tiellen Entartungsreaktion  ergibt  nur  die  direkte  galva- 
nische Reizung  des  Muskels  Übererregbarkeit,  träge  Zuckungen 
und  Begünstigung  der  Anodenzuckung  gegenüber  der  Kathoden- 
schließungszuckung, während  die  übrigen  Verhältnisse  normal 
sind.  Das  hauptsächlichste  Kennzeichen  der  Entartungsreaktion 
ist  immer  die  träge  Zuckung. 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


275 


Der  Induktions-  oder  faradische  Strom. 

Als  Stromquelle  benutzt  man  dieselben  Elemente  wie  für 
die  Galvanisation,  Säure-,  Leclanche-  oder  Trockenelemente.  Das 
Element  erzeugt  einen  Strom,  der  durch  die  federnde  Ein- 
richtung des  WAGNERSchen  Hammers  in  sehr  kurzen  Zwischen- 
räumen unterbrochen  wird ; dadurch  wird  auch  in  der  sekun- 
dären Spirale  ein  aus  kurzen  Stößen  bestehender  Strom  induziert. 
Dieser  induzierte  Unterbrechungstrom  wird  durch  die  Leitung- 


}M.  tensor 
fasciae. 

M.  sartorius 
M,  quadriceps 
fern. 

M.  rect.  fern. 


M.  vast.  ext. 


schnüre  und  die  Elektroden  in  den  Körper  geleitet.  Er  ist  nicht 
nur  in  kurzen  Folgen  unterbrochen,  sondern  auch  in  seiner 
Richtung  jedesmal  wechselnd;  bei  der  Schließung  des  primären 
Stromes  tritt  ein  ihm  entgegengesetzt  gerichteter,  bei  der  Öffnung 
ein  ihm  gleich  gerichteter  Strom  in  der  sekundären  Spirale  auf. 
Eine  Abart  des  faradischen  Stromes  ist  der  Sinusoidalstrom, 
der  z.  B.  von  den  Wechsel-  oder  Drehstrom  zentralen  zu  Licht- 
und  Kraftzwecken  geliefert  wird;  er  kann  mit  geeigneten  Appa- 
raten zur  Regulierung  der  Stromspannung  direkt  zum  Elek- 
trisieren benutzt  werden.  Der  Gleichstrom  der  Elektrizitätswerke 


18! 


276 


Krankheiten  des  Nervensystems 


muß  dagegen  durch  umständlichere  Apparate  umgewandelt  werden, 
wenn  man  ihn  zur  Sinusoidalfaradisation  verwenden  will.  Die 
Wirkung  des  Sinusoidalstromes  ist,  wie  es  scheint,  genau  die- 
selbe wie  die  des  einfachen  faradischen  Stromes,  sie  wird  aber 
weniger  unangenehm  empfunden  und  macht  auch  bei  stärkeren 
Strömen  keine  wesentlichen  Schmerzen.  Wo  derartige  Leitungen 
vorhanden  sind,  wird  man  also  mit  Vorteil  den  Sinusoidalstrom 
benutzen,  andernfalls  genügen  die  kleinen  transportablen  Apparate 
im  Preise  von  10 — 30Mk.  Auch  die  kleinen  Apparate  G-nom  usw. 
sind  ganz  brauchbar. 

Auch  beim  faradischen  Apparat  hat  der  negative  Pol  die 
stärker  erregende  Wirkung,  und  zwar  am  meisten  der  negative 
Pol  des  Öffnungsinduktionstromes.  Dieser  erhält  daher  auf  den 
Apparaten  das  negative  Zeichen.  , Als  Elektroden  benutzt  man 
teilweise  auch  hier  die  überzogenen  Platten  wie  beim  konstanten 
Strom,  die  mit  heißem  Wasser  gründlich  angefeuchtet  werden, 
außerdem  aber  häufig  für  eine  der  Elektroden  den  faradischen 
Pinsel  oder  eine  metallene  Massierrolle.  Als  Elektroden- 

halter dienen  dieselben  wie  bei  der  Galvanisation. 

Über  die  Anwendung  des  faradischen  Stromes  bei  der  Unter- 
suchung gelten  dieselben  Regeln  wie  beim  galvanischen  Strom. 
Über  abnorme  Ergebnisse  ist  unter  Entartungsreaktion  das  Nötige 
gesagt  worden.  Der  galvanische  Strom  ist  in  diagnostischer  Be- 
ziehung jedenfalls  viel  wichtiger. 

In  der  Behandlung  der  Schmerzen  und  Neuralgien 
werden  beide  Stromesarten  herangezogen  Am  wichtigsten 

ist  die  Galvanisation.  Man  setzt  dabei  die  indifferente  Elek- 
trode auf  das  Epigastrium  oder  auf  den  Nacken,  die  wirksame, 
also  in  diesem  Falle  die  beruhigende  Anode  auf  den 
schmerzhaften  Punkt  oder  Nervenstamm.  Erst  wenn 
beide,  mit  heißem  Wasser  gut  durchfeuchteten  Elektroden  fest 
untergebracht  sind,  läßt  man  durch  allmähliches  Verschieben  des 
Rheostaten  ganz  allmählich  anschwellenden  Strom  eintreten, 
steigert  bis  zu  der  vorgeschriebenen  Stärke,  die  zwischen  0,5 
und  5,0  Milliampere  liegt,  läßt  sie  einige  Minuten  einwirken 
und  geht  dann  durch  Zurückschiehen  des  Rheostaten  ebenso  all- 
mählich auf  0 zurück.  Dieses  vorsichtige  Einschleichen  und 
Ausschleichen  des  Stromes  ist  für  eine  schmerzstillende,  be- 
ruhigende Wirkung  unentbehrlich.  Jede  gröbere  Schwankung 
in  der  Stromstärke,  wie  sie  z.  B.  beim  Verschieben  der  Elektroden 
eintritt,  oder  gar  eine  Unterbrechung  des  Stromes  durch  An- 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


277 


drücken  des  Unterbrechers,  oder  eine  Stromwendung  durch 
Verschieben  der  Stromwenderkurbel  hebt  die  beruhigende  Wirkung 
auf.  Es  ist  daher  völlig  verkehrt,  wenn  vielfach  bei  Neuralgien 
die  Elektrode  dem  Nerven  entlang  hin-  und  hergeschoben  wird. 
Ist  ein  langer  Nerv  zu  behandeln,  wie  z.  B.  bei  Ischias,  so  setzt 
man  die  Anode  der  Reihe  nach  auf  jeden  Schmerzpunkt,  immer 
für  einige  Minuten,  und  an  jeder  Stelle  unter  Einschleichen  und 
Ausschleichen.  Die  Faradisation  verwendet  man  bei  Nerven- 
schmerzen als  ableitendes  Verfahren:  man  pinselt  mit  kräftigem 
Strome  die  Haut  über  dem  schmerzhaften  Nerven  in  größerer 
Ausdehnung,  z.  B.  bei  Ischias  die  Haut  an  der  ganzen  Außen- 
seite des  Beines,  oder  man  setzt  den  Pinsel  nur  auf  die  Schmerz- 
punkte. Das  Mittel  ist  natürlich  ziemlich  schmerzhaft,  aber  die 
Wirkung  ist  namentlich  bei  älteren  Neuralgien  oft  sehr  gut. 
Zuweilen  sind  allerdings  die  guten  Wirkungen  nur  irrtümlich 
daraus  erschlossen,  daß  der  Kranke  nicht  wiederkam  oder  die 
Besserung  behauptete,  um  der  schmerzhaften  Kur  zu  entgehen. 

Die  günstige  Wirkung  der  Galvanisation  zeigt  sich  oft  schon 
bei  der  ersten  Anwendung,  meist  allerdings  nur  für  einige  Stunden. 
Man  wiederholt  sie  täglich  für  3 — 5 Minuten  und  hat  oft  die 
Freude,  daß  der  Schmerz  dabei  bald  für  längere  Zeit  und  schließ- 
lich überhaupt  verschwindet.  Es  ist  für  den  guten  Erfolg  aber 
unbedingt  nötig,  daß  nach  dem  Galvanisieren  der  schmerzhafte 
Teil  eine  Zeitlang  ausruht,  daß  der  Kranke  z.  B.  nicht  gleich 
nach  der  elektrischen  Behandlung  einer  Ischias  durch  Wind  und 
Wetter  nach  Hause  geht,  mit  dem  wegen  einer  Neuralgie  gal- 
vanisierten Arm  Klavier  spielt  usw.  Die  Behandlung  kann  da- 
her oft  nur  dann  Erfolg  haben,  wenn  sich  zwischen  der  Sprech- 
stunde des  Arztes  und  der  Tagesordnung  des  Kranken  eine 
richtige  Übereinstimmung  herstellen  läßt.  Am  besten  ist  es  in 
sehr  vielen  Fällen,  wenn  man  die  Kranken  in  ihrer  Wohnung, 
nach  Schluß  ihrer  Tagesarbeit,  oder  wenn  man  sie  während  einer 
Bettruhekur  elektrisieren  kann. 

Hydrotherapie. 

Auch  abgesehen  von  den  schon  erwähnten  Schwitzbädern  und 
Packungen,  die  für  den  ersten  Anfang  der  Behandlung  einer 
Neuralgie  oder  eines  anderen  Schmerzes  empfohlen  wurden,  kann 
die  Hydrotherapie  viel  auf  diesem  Gebiete  leisten.  Fast  immer 
handelt  es  sich  um  solche  Anwendungen,  die  den  Blut-  und  Lymph 
ström  an  der  kranken  Stelle  lebhafter  machen  sollen.  Dadurch 


278 


Krankheiten  des  Nervensystems 


werden  sowohl  entzündliche  Stauungen  wie  Bakterienansammlungen 
und  Giftablagerungen  usw.  beseitigt.  Am  wirksamsten  ist  es, 
wenn  man  die  kranken  Teile  zunächst  höherer  Wärme  aussetzt 
und  dann  eine  Kälteanwendung  folgen  läßt.  Man  kann  das  er- 
zielen, indem  man  zunächst  heiße  Umschläge  macht  und  dann 
eine  kurze  kalte  Begießung  folgen  läßt,  oder  durch  die  Schot- 
tische Dusche,  die  abwechselnd  einen  warmen  und  einen  kalten 
Wasserstrahl  auf  die  kranke  Stelle  ergießt.  Wo  die  Einrichtungen 
dazu  nicht  vorhanden  sind,  kann  man  eine  warme  Einpackung 
mit  nachfolgendem  Halbbad  von  30°  0.,  vier  Minuten  lang  mit 
sanften  Uebergießungen  des  Rückens  mit  demselben  Wasser,  oder 
auch  ein  Dampfbad  oder  Elektrisch-Licht- Bad  mit  nach- 
folgender kühler  Abgießung  der  schmerzhaften  Gegend  an  wenden. 
Zur  Not  genügt  ein  Peiessnitz  scher  Umschlag  mit  nachfolgender 
kühler  Abwaschung.  Im  ganzen  wirken  aber  die  allgemeinen 
Anwendungen,  namentlich  das  Vollbad  in  Elektrischem  Licht, 
besser  als  die  örtlich  beschränkten  Maßregeln.  Das  gilt  ganz 
besonders  auch  von  den  Trigeminusneuralgien. 

Massage  und  Gymnastik. 

Die  Massage  ist  vielfach  gegen  Schmerzen  und  Neuralgien 
empfohlen  worden.  Unstreitig  ist,  daß  zunächst  eine  ganze  Reihe 
von  schmerzhaften  Empfindungen  in  der  Haut  und  in  tieferen 
Teilen  durch  sanftes  Streichen  der  Haut  beruhigt  werden.  Es 
handelt  sich  aber  dabei  weniger  um  eine  eigentliche  Massage- 
wirkung, es  ist  auch  für  den  Erfolg  gleichgültig,  ob  man  in  der 
Richtung  der  Lymphbahnen  streicht  oder  nicht;  vielmehr  kommt 
dabei  wohl  die  beruhigende,  suggestive  Wirkung  sanfter  warmer 
Berührung  zur  Geltung,  ebenso  wie  bei  dem  einfachen  Handauf- 
legen,  das  bei  Kopfschmerz,  Leibschmerz  usw.  oft  sehr  lindert. 

Die  Erfolge  der  eigentlichen  Massage  beziehen  sich  wesent- 
lich auf  die  unechten  Neuralgien,  auf  die  durch  Myitis, 
durch  rheumatische  Infiltrationen  vorgetäuschte  Neuralgie. 
Das  gilt  namentlich  für  die  Wirkungen  der  Massage  bei  Supra- 
orbitalneuralgie, bei  myopathischer  Migräne,  bei  Ischias  durch  rheu- 
matische Infiltration  der  Glutaeen  usw.  In  anderen  Fällen,  so  bei 
gewissen  Arten  von  Schreibkrampf,  handelt  es  sich  um  chronische 
Neuritis,  deren  Infiltrationen  durch  Massage  beseitigt  werden  können. 
Immer  ist  das  Verfahren  ziemlich  langwierig,  es  muß  durch  Wochen 
und  Monate  angewendet  werden.  Die  schnellen  Erfolge,  die  hier 
und  da  berichtet  werden,  sind  sicher  nichts  weiter  als  Suggestion. 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven. 


279 


Das  Vorgehen  ist  allgemein  folgendes.  Man  behandelt  zu- 
nächst die  von  dem  schmerzhaften  Nerven  versorgten  und  die 
ihn  umgebenden  Weichteile,  Haut  und  Muskeln,  mit  Streichen 
und  Kneten.  Besondere  Sorgfalt  verwendet  man  darauf,  wenn 
die  Haut  verdickt  und  wie  Ödematös  erscheint  und  wenn  die 
Muskeln  ein9  teigige  Resistenz  bieten.  Die  Bewegungen  gehen 
in  der  Richtung  des  Lymphstrom.es,  am  Vorderkopf  also  von  der 
Stirn  und  den  Schlägen  nach  der  Nasenwurzel  zu,  von  den  Wangen 
nach  der  vorderen  Halsgegend  usw.,  am  Bein  vom  Fuß  zur  Hüfte 
hin.  Wo  der  Nerv  selbst  oder  seine  nächste  Umgebung  zu  er- 
reichen ist,  streicht  man  mit  den  Knöcheln  daran  entlang,  weiter- 
hin werden  die  Schwerpunkte  mit  Friktion  und  zum  Schluß 
mit  Klopfen  und  Vibration  behandelt.  Man  kann  diese  so- 
wohl mit  der  Hand  als  auch  ganz  besonders  wirksam  mit  den 
Vibrationsapparaten  vornehmen.  Es  gibt  solche  mit  Hand- 
oder Fußbetrieb,  viel  besser  sind  aber  die  durch  einen  Elektro- 
motor getriebenen.  Man  verwendet  teils  den  Konkussor,  hei 
dem  eine  rotierende  Platte  die  Vibration  ausübt,  teils  die  rotie- 
renden Kugeln,  teils  die  Stoß  Vibration  und  ersetzt  dadurch 
verschiedene  Massagebewegungen  mit  sehr  guter  Wirkung. 

Für  chronische  Schmerzen  und  Neuralgien  eignet  sich  auch 
die  Heilgymnastik.  Man  läßt  systematisch  alle  Bewegungen 
üben,  wobei  der  empfindliche  Teil  mitwirkt,  und  besonders  auch 
die,  wobei  Schmerzen  auftreten.  Es  kommt  dabei  allmählich  zum 
Auf  hören  oder  doch  zur  Verminderung  der  Schmerzen.  Bei 
Ischias  ist  außerdem  noch  die  unblutige  Nervendehnung  zu 
empfehlen:  der  Kranke  legt  sich  auf  den  Rücken  und  legt  die 
Unterschenkel  bei  gestreckten  Beinen  auf  die  Schultern  des  Gym- 
nasten,  dieser  beugt  nun  die  Oberschenkel  des  Kranken  so  stark 
wie  möglich  im  Hüftgelenk,  während  er  die  Beugung  im  Knie- 
gelenk durch  Festhalten  der  Oberschenkel  über  den  Knien  ver- 
hindert. Man  kann  auch  anders  verfahren:  der  Arzt  beugt  das 
kranke  Bein  im  Hüftgelenk  und  macht  dann  den  Versuch,  das 
Bein  im  Kniegelenk  möglichst  zu  strecken.  Zur  Fixierung  des 
Beckens  läßt  man  durch  einen  Gehilfen  das  gesunde  Bein  im 
Hüftgelenk  stark  gebeugt  halten.  Die  zunächst  recht  schmerz- 
hafte Überdehnung  des  Nerven  wirkt  schließlich  schmerzstillend. 
Wir  halten  das  Verfahren  aber  nur  für  ganz  chronische  Fälle 
für  anwendbar. 

Die  Naegeli  sehen  Handgriffe  zur  Behandlung  der  Neuralgien 
stellen  ein  Suggestivverfahren  dar. 


280  Krankheiten  des  Nervensystems 

Arzneibehandlung. 

Für  frisch  aufgetretene  Neuralgien  und  andere  Schmerzen 
erweisen  sich  in  den  meisten  Fällen  die  Antirheumatica  am 
wertvollsten.  Man  gibt  entweder  Natrium  salicylicum  oder  Aspirin , ’ 
am  besten  so,  daß  der  Kranke,  wenn  er  nicht  ohnedies  im  Bett 
liegt,  sich  nach  dem  Abendbrot  ins  Bett  legt  und  nun  dreimal 
hintereinander  mit  halb-  bis  einstündiger  Pause  je  ein  Gramm 
der  genannten  Mittel  nimmt.  Bei  zarten  Menschen  muß  man  die 
Aspiringabe  etwas  geringer  wählen,  vielleicht  am  besten  viermal 
in  halbstündigen  Zwischenräumen  ein  halbes  Gramm,  weil  sonst 
Kopfdruck  und  ein  gewisses  Gefühl  von  Benommenheit  auftreten 
können.  Bei  Empfindlichen  kann  auch  das  Salizylnatron  Ohren- 
sausen verursachen,  man  macht  dagegen  kalte  Umschläge  auf  den 
Kopf.  Zweckmäßig  ist  es,  beide  Mittel  mit  reichlich  warmer 
Flüssigkeit,  mit  heißer  Milch  und  Selters,  mit  Tee  usw.  nehmen 
zu  lassen.  Daß  man  nebenbei  für  reichliche  Darmentleerung  sorgt, 
ist  vorhin  schon  hervorgehoben.  Die  Wirkung  aller  Arzneien 
auf  Nervenschmerzen  wird  dadurch  verbessert.  Dieselbe  Arznei- 
kur läßt  man  auch  den  zweiten  und  dritten  Abend  vornehmen, 
und  bei  heftigen  Schmerzen  kann  man  auch  Vormittags  nach 
dem  zweiten  Frühstück  eine  solche  Reihe  einschieben. 

Ist  das  Allgemeinbefinden  durch  längere  Schmerzen  unter- 
graben, der  Kranke  im  ganzen  nervös  und  empfindlich  geworden, 
wie  das  bei  Wiederaufflammen  älterer  Neuralgien  der  Fall  ist, 
oder  wenn  der  Kranke  erst  einige  Wochen  mit  Hausmitteln  be- 
handelt worden  ist,  so  gebe  ich  gern  das  Salizvlnatron  mit  Brom- 
natrium zusammen.  Tritt  die  rheumatische  Ursache  mehr  zurück 
oder  ist  sie  nicht  nachweisbar,  so  verbinde  ich  das  Antirheumaticum 
von  vornherein  mit  einem  Antineuralgicum,  z.  B.  Natrium 
salicylicum  mit  Chinin,  oder  mit  Antipyrin,  am  besten  in  der 
Form  des  Salipyrins,  oder  gebe  Pyramidonum  salicylicum,  immer 
in  derselben  Gruppierung,  wie  vorhin  angegeben.  Mit  einzelnen 
Gaben  kann  man  nur  Erleichterung  schaffen,  die  systematische 
Behandlung  schafft  in  vielen  Fällen  Heilung. 


Ijfc  Natrii  salicyl.  10,0 

(Natrii  brom.  10,0 — 15,0) 

Aq.  Menth,  pip.  150,0 
DS. 

Ijfc  Pyramidoni  salicyl.  0,5 

D.  tal.  dos.  X ad  caps.  amyl. 


^ 1 Originalglas 

mit  20  Aspirintabl. 
zu  0,5. 


Ijfc  1 Originalglas 

mit  10  Salipyrintabl. 
zu  1,0. 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


281 


ijfc  Chinin,  hydr.  1,5 
Natr.  salicyl.  2,5 

M.F.Pnlv.  Divide  in  p.  aeq.  Y.  D.  ad  caps  amyl.  S. 
Abends  3 Kapseln. 


Glaubt  man  von  rheumatischen  Ursachen  ganz  absehen  zu 
können,  so  läßt  man  die  dagegen  wirkenden  Mittel  natürlich  weg 
und  verordnet  nur  Chinin , am  besten  0,5  in  Kapseln  mehrmals, 
oder  PyramicLon  0,8 — 0,5,  Kryofin  0,5,  beides  nach  einer  halben 
Stunde  wiederholt,  im  ganzen  bis  zu  6 mal  täglich,  Acetanilid 
0,25 — 0,5,  das  sind  jedenfalls  die  wirksamsten  Mittel.  Empfohlen 
sind  noch  unzählige  andere,  Laktophenin,  Citrophen,  Citro Vanillin, 
Methylenblau,  das  durch  Pyramidon  überflügelte  Antipyrin,  Exalgin, 
Phenacetin,  Salol  usw.  Wo  die  vorher  genannten  im  Stich  lassen 
sollten,  kann  man  sie  immerhin  versuchen,  wahrscheinlich  handelt 
es  sich  aber  dann  gar  nicht  um  einen  eigentlichen  Nervenschmerz. 
Sehr  interessant  ist  die  Beobachtung,  daß  bei  einem  durch  Opera- 
tion sichergestellten  Becken sarkom  die  sekundären  Schmerzen 
in  der  Hüfte  und  im  Oberschenkel  nun  schon  fast  zwei  Jahre 
lang  durch  regelmäßige  Verabreichung  von  etwa  1,0  Pyramidon 
täglich  völlig  aufgehoben  werden  konnten,  bei  merklich  günstiger 
Beeinflussung  des  Allgemeinbefindens,  der  Blutbeschaffenheit,  des 
Gewichtes,  .so  auffallend,  daß  man  eine  spezifische  Einwirkung 
auf  den  Prozeß  annehmen  möchte.  Keines  der  anderen  Mittel, 
die  ich  des  Versuches  wegen  gab,  hat  dabei  auch  nur  annähernd 
so  gut  gewirkt.  So  kann  man  das  gefährliche  Morphium  fast 
immer  vermeiden. 


In  chronischen  Fällen  zieht  man  noch  einige  andere  Arznei- 
mittel heran,  namentlich  Arsenik  und  Jod präparate,  z.  B. : 


Acid.  arsenicosi  0,2 
Pulv.  Liq. 

Succ.  Liq.  dep.  ana  5,0 
F.Pil.  100. 

D.S.  3 mal  tägl.  1.  Pille,  gegen 
Ende  der  Mahlzeit  zu  nehmen, 
nach  einer  Woche  3 mal  2, 
10  Tage  lang,  dann  wieder 
3 mal  eine  Pille. 


Ijjfc  Natrii  jodati  5,0 

Aq.  Menth,  pip.  150,0 
D.S.  2 mal  täglich  1 Eßl.  in 
einem  Weinglas  Wasser  nach 
der  Mahlzeit. 

Ijfc  Jodipini  Meeck  25°/o  100,0 
D.S.  Täglich  oder  jeden  zweiten 
Tag  5 — 10  ccm  unter  die  Haut 
gespritzt. 


Oft  liegt  die  Hartnäckigkeit  der  Neuralgie  an  einer  Grund- 
krankheit, z.  B.  an  Diabetes  mellitus,  an  Neurasthenie  oder 
Hysterie,  an  Anämie  usw.  Der  Erfolg  der  Behandlung  tritt 
dann  erst  ein,  wenn  gegen  das  Grundleiden  Genügendes  geschehen 
ist,  beim  Diabetes  durch  richtige  Diät,  bei  Nervenleiden  durch 


282 


Krankheiten  des  Nervensystems 


entsprechende  Allgemeinbehandlung , wozu  namentlich  in  diesen 
Fällen  die  von  mir  angegebene  Kodeinkur  gehört,  usw.  Endlich 
ist  zu  beachten,  daß  gewisse  Neuralgien  ein  Äquivalent  der 
Epilepsie  darstellen,  namentlich  manche  Trigeminusneuralgien, 
und  demgemäß  behandelt  werden  müssen. 

Nach  der  Heilung  einer  Neuralgie  muß  deren  Wiederkehr 
durch  eine  vernünftige  Abhärtung  verhütet  werden.  Alle  ge- 
waltsamen Verfahren  sind  zu  verwerfen,  weil  sie  die  allgemeine 
Widerstandsfähigkeit  untergraben.  Über  die  zweckmäßige  Art 
der  Abhärtung  ist  in  dem  Abschnitt  über  die  Behandlung  der 
Infektionskrankheiten  genaueres  gesagt  worden. 

Chirurgische  Behandlung  der  Neuralgien. 

In  ganz  verzweifelten  Fällen,  wo  eine  hartnäckige  und  schwere 
Neuralgie  den  Kranken  zur  Verzweiflung  bringt,  kann  man  durch 
Unterbrechung  der  Leitung  den  Schmerz  beseitigen.  Bei  der  ein- 
fachen Durchschneidung  des  Nerven  vereinigen  sich  die  beiden 
Enden  meistens  bald  wieder,  und  damit  kehrt  die  Krankheit  zurück. 
Man  setzte  daher  die  Nervenresektion,  die  Ausschneidung,  an 
die  Stelle  der  Durchschneidung.  Eine  andere  Form  ausgebreiteter 
Zerstörung  der  Nerven  ist  die  von  Thiersch  angegebene  Nerven- 
ausreißung, wobei  der  freigelegte  Nerv  quer  mit  einer  Klemm- 
zange gefaßt  und  langsam  auf  diese  aufgewickelt  wird,  bis  die 
peripherischen  Endigungen  und  ein  möglichst  großes  zentrales 
Stück  abreißen.  Am  häufigsten  werden  die  Operationen  am 
Trigeminus  ausgeführt.  Selbstverständlich  sollte  man  dazu  immer 
nur  schreiten,  nachdem  wirklich  alle  anderen  Hilfsmittel  ange- 
wendet waren.  Dazu  gehört  natürlich  nicht  nur  die  Verordnung 
einer  größeren  Zahl  von  Mitteln,  sondern  die  genaue  Erforschung 
des  ganzen  Krankheitfalles  durch  einen  besonders  erfahrenen  Fach- 
mann. Viele  Operationen  könnten  unterbleiben,  wenn  eine  gründ- 
liche spezialärztliche  Behandlung  vorgenommen  würde. 

3.  Lähmungen. 

Peripherische  Lähmungen  entstehen  entweder  durch  Neu- 
ritis mit  ihren  verschiedenen  Ursachen,  vgl.  S.  262,  also  vor 
allem  durch  Überanstrengung,  Erkältung,  Ernährungstörungen, 
Giftwirkung,  oder  durch  äußere  Schädigung  des  Nerven,  Druck 
von  Entzündungen  der  Nervenscheide,  der  Umgebung  des  Nerven, 
Verletzung  des  Nerven  usw.  In  den  Fällen  der  ersten  Art  hat 
natürlich  die  Behandlung  der  Neuritis  einzutreten,  in  denen  der 


Krcinklieiten  der  peripherischen  Nerven 


283 


zweiten  sucht  man  die  äußere  Schädlichkeit  zu  beseitigen.  Zu- 
gleich muß  man  aber  darauf  bedacht  sein,  die  organische  Ver- 
änderung des  Nerven  wieder  auszugleichen.  Im  ganzen  geschieht 
das  von  selbst,  sobald  die  Bedingungen  der  Störung  aufgehört 
haben.  Man  kann  sich  also  im  wesentlichen  darauf  beschränken, 
den  erkrankten  Teil  zur  Ruhe  zu  bringen,  äußere  Schädigungen 
abzuhalten,  die  allgemeine  Ernährung  zu  regeln,  die  Blutbeschaffen- 
heit, wenn  nötig,  zu  verbessern;  außerdem  sucht  man  die  Er- 
nährung des  kranken  Nerven  besonders  anzuregen,  teils  durch 
örtliche  Maßregeln,  namentlich  PniESSNiTZSche  Ein  Wicklungen 
oder  laue  Teilbäder,  z.  B.  in  Armwannen  und  dergl.,  teils 
durch  die  erfahrungsgemäß  günstig  wirkenden  allgemeinen  Bäder 
in  Thermalkurorten,  vgl.  S.  242,  in  Solbädern,  S.  240,  in 
kohlensauren  Solquellen.  Nauheim,  Oeynhausen,  Wiesbaden, 
Baden-Baden,  Wildbad,  Kreuznach  haben  einen  ganz  besonderen 
Ruf  bei  solchen  Leiden.  Er  wird  zum  Teil  dadurch  unterhalten, 
daß  diese  Bäder  auch  Gelegenheit  zu  guter  Massage  und  Heil- 
gymnastik bieten,  die  bei  richtigem  Vorgehen  und  Vermeidung 
der  Überanstrengung  von  größtem  Nutzen  sind,  daß  sie  meist 
auch  gute  Einrichtungen  für  Thermotherapie,  insbesondere 
Heißluftbehandlung  bieten. 

Eine  wichtige  Rolle  bei  der  Behandlung  der  Lähmungen 
spielt  die  Elektrotherapie.  Trotz  aller  dagegen  gerichteten 
Angriffe  darf  es  als  sicher  betrachtet  werden,  daß  der  elektrische 
Strom  materielle  Wirkungen  in  den  durchströmten  Nerven  her- 
vorruft. Man  hat  z.  B.  bei  Tierversuchen  nachgewiesen,  daß  bei 
künstlich  erzeugten  Lähmungen  das  regelmäßig  elektrisierte  Glied 
schneller  geheilt  wurde  als  das  nicht  elektrisierte.  Auch  bei 
Menschen  ist  nachgewiesen,  daß  regelmäßige,  tägliche  Faradisation 
die  Erregbarkeit  der  Muskeln  steigert  und  ihre  Kraft  erhöht, 
daß  Galvanisation  die  Ermüdung  der  Muskeln  aufhebt  usw. 

Die  Faradisation  gelähmter  Muskeln  wird  so  vorgenommen, 
daß  man  die  positive  Elektrode  nach  der  auf  S.  271  gegebenen 
Vorschrift  auf  einen  indifferenten  Punkt  setzt,  die  negative  da- 
gegen auf  die  Reizpunkte,  die  in  den  Abbildungen  auf  S.  2 72 ff. 
hervorgehoben  sind.  Dann  macht  man  alle  paar  Sekunden  eine 
Stromunterbrechung  mit  der  Unterbrechungselektrode,  und  nimmt 
den  Strom  so  stark,  daß  dabei  deutliche  Muskelzusammenziehungen 
entstehen,  aber  keine  heftigen  Schmerzen  hervorgerufen  werden. 
Treten  bei  erträglichen  Stromstärken  keine  Zuckungen  auf,  so  ist 
die  Erregbarkeit  für  den  faradischen  Strom  zu  gering.  Den 


284 


Krankheiten  des  Nervensystems 


faradischen  Pinsel  verwendet  man  gegen  sensible  Lähmung, 
gegen  Anästhesie  und  gegen  Parästhesien,  nicht  nur  bei 
peripherischen  Erkrankungen,  sondern  auch  bei  Tabes. 

Die  Galvanisation  wird  bei  Lähmungen  auf  verschiedene 
Art  angewendet.  Entweder  setzt  man  die  Elektroden  so  wie  bei 
der  Faradisation  auf  und  ruft  durch  Unterbrechung  Muskelzu- 
sammenziehungen hervor,  von  den  Reizpunkten  aus;  außerdem 
setzt  man  die  Kathode  minutenlang,  ohne  den  Strom  zu  unter- 
brechen, auf  die  Verletzungstelle,  z.  B.  bei  Drucklähmung 
eines  Nerven  auf  die  gedrückte  Stelle,  bei  Rückenmarkkrankheiten 
auf  den  erkrankten  Teil  des  Rückenmarks;  bei  Gehirnerkrankungen 
läßt  man  den  Strom,  ebenfalls  ohne  Unterbrechungen,  durch  den 
Krankheitsherd  hindurchgehen;  bei  Kernlähmungen  der  Oblongata 
setzt  man  die  eine  Elektrode  in  den  Nacken,  die  andere  am  Hals, 
am  Gesicht  auf.  Eine  dritte  Art  ist  die  labile  Kathoden- 
behandlung, wobei  man  bei  geschlossenem,  nie  unterbrochenem 
Strom  die  gelähmten  Teile  mit  der  Kathode  langsam  bestreicht, 
ohne  Muskelzusammenziehungen  hervorzurufen.  Am  Schluß  solcher 
labilen  Behandlung  pflegt  man  dann,  wenigstens  bei  älteren 
Lähmungen,  einige  kräftige  Muskelzusammenziehungen  durch  Um- 
legung der  Stromwenderkurbel  herbeizuführen.  Bei  zentralen 
Leiden  pflegt  man  die  Anode  auf  den  kranken  Teil  des  Rücken- 
marks usw.  zu  setzen,  die  Kathode  labil  auf  den  Muskeln  um- 
herzuführen. Am  Gehirn  vermeidet  man  die  Stromwendungen 
und  auch  die  Unterbrechungen,  weil  dabei  leicht  Schwindelgefühl, 
Blitze  vor  den  Augen  usw.  auftreten,  die  den  Kranken  lästig 
sind.  Im  allgemeinen  verwendet  man  bei  der  Galvanisation  der 
Lähmungen  Ströme  von  1 — 5 M.-A.,  3 — 5 Minuten  lang.  Immer 
beginnt  man  erst  mehrere  Wochen  nach  dem  Eintritt  der  Lähmung 
mit  der  Behandlung;  beim  Gehirn  beschränkt  man  sich  am  besten 
auf  Stromstärken  von  höchstens  2.  M.-A.  Die  Antagonisten  der 
gelähmten  Muskeln  vermeidet  man  beim  Elektrisieren,  um  nicht 
ihr  Übergewicht  zu  erhöhen. 

Bei  peripherischen  Lähmungen  verbindet  man  beide  An- 
wendungen: zunächst  galvanisiert  man  einige  Minuten  hindurch 
die  Druckstelle  mit  stabiler  Kathode,  dann  faradisiert  man  die 
Muskeln  direkt  und  bestreicht  sie  etwa  noch  mit  der  labilen 
Kathode  des  galvanischen  Stromes. 

Von  Arzneimitteln  ist  bei  Lähmungen  nicht  viel  zu  er- 
warten, aber  man  verzichtet  doch  nicht  gern  darauf,  weil  man 
auf  alle  mögliche  Weise  den  unbequemen  Zuständen  abhelfen 


Krankheiten  der  peripherischen  Nerven 


285 


möchte.  Am  meisten  ist  wohl  vom  Strychnin  zu  erwarten,  man 
muß  aber  dazu  wirksame  Gaben  verordnen.  Am  besten  gibt  man 
es  in  Pillen  zu  0,001  Strychninum  nitricum: 

Strychn.  nitr.  0,05 
Boli  albae  5,0  * 

Aq.  dest.  q.  s. 

F.Pil.  50. 

D.S. 

Man  gibt  davon  am  ersten  Tage  morgens  und  abends  eine 
Pille,  dann  jeden  Tag  eine  Pille  mehr,  auf  den  Tag  verteilt,  bis 
täglich  5 mal  2 Pillen  erreicht  sind ; bei  dieser  Tagesmenge  von 
0,01  Strychnin  bleibt  man  5 — 6 Tage  stehen,  dann  setzt  man 
wegen  der  Gefahr  der  Kumulativwirkung  10  — 12  Tage  aus.  Dann 
kann  man  dasselbe  Verfahren  wiederholen.  Ich  habe  von  dieser 
Penzoldt  sehen  Vorschrift  in  zahlreichen  Fällen  Gebrauch  ge- 
macht und  nie  eine  Andeutung  von  Vergiftungszeichen  gesehen. 
Als  solche  wären  zu  beachten:  Steifheit  der  Muskeln,  dann 
Zittern  und  allgemeine  Unruhe  im  ganzen  Körper,  gesteigerte 
Empfindlichkeit  der  Sinnesorgane,  Starrkrampf,  Angst  und  Dyspnoe. 
Insbesondere  bei  Stimmbandlähmung  durch  Bulbärkernerkrankung, 
bei  postdiphtherischen  Lähmungen,  bei  Blasenlähmung  scheint 
öfters  die  zögernde  Besserung  dadurch  eingeleitet  zu  werden. 

Von  manchen  Autoren  wird  der  Arsenik  empfohlen.  Da 
große  Gaben  Arsenik  Muskellähmungen  hervorrufen,  ist  es  wohl 
möglich,  daß  kleine  Gaben  einen  Reiz  auf  gelähmte  Muskeln  aus- 
üben. Vielleicht  ist  aber  an  der  eintretenden  Besserung  die  all- 
gemeine Hebung  des  Ernährungszustandes  schuld,  etwa  wie  man 
postdiphtherische  Lähmungen  schneller  zurückgehen  sieht,  wenn 
der  Kranke  Chinin  mit  Eisen  nimmt. 


fy  Acidi  arsenicosi  0,2 
Pulv.  Liq. 

Succ.  Liq.  ana  5,0 
F.Pil.  100. 

D.  S.3  mal  tägl.eine  Pille,  steigend 
bis  5 und  mehr  pro  Tag. 


fjfc  Chinin,  hydrochl.  1,0 
Mass.  pil.  Blaudii  25,0 
F.Pil.  100. 

D.S.  3 mal  tägl.  2 Pillen 
dem  Essen. 


nach 


Bei  den  sensiblen  Lähmungen,  der  Anästhesie,  ver- 
wendet man  vorzugsweise  Hautreize,  am  meisten  den  faradischen 

Pinsel. 


286 


Krankheiten  des  Nervensystems 


8.  Krankheiten  des  Rückenmarkes. 

Zerstörte  Zellgruppen  oder  Leitungstränge  des  Rückenmarkes 
können  nicht  wieder  hergestellt  werden,  wenigstens  nicht,  soweit 
es  heute  bekannt  ist. » Unter  den  Zeichen  der  Rückenmark- 
krankheiten werden  aber  viele  nicht  durch  Zerstörungen,  sondern 
durch  ausgleichbare  Schädigungen  hervorgerufen,  insbeson- 
dere durch  entzündliche  oder  durch  Stauungsödeme  in  der 
Nachbarschaft  des  eigentlichen  Erkrankungsherdes.  Dadurch 
kommen  Zellen  außer  Tätigkeit  und  Stränge  außer  Leitungs- 
fähigkeit, die  später  wieder  normal  arbeiten  können.  Es  ergibt 
sich  daraus  der  Grundsatz,  wo  solche  Schädlichkeiten  einwirken, 
baldigst  und  nach  Möglichkeit  diese  Fremdwirkungen  zu  besei- 
tigen. So  z.  B.,  wenn  Wirbelverlagerungen,  Wirbelentzündungen, 
Greschwülste  in  der  Umgebung  das  Rückenmark  beteiligen  und 
angreifen.  Sofort  müssen  alle  Hilfsmittel  der  Antiphlogose,  der 
Ableitung,  der  Chirurgie  herangezogen  werden.  Außerdem  muß 
man  aber  daran  denken,  daß  die  Anstrengung  in  dem  von  Edinger, 
betonten  Sinne  geradezu  eine  Ursache  von  Rückenmarkkrankheiten 
sein  kann:  daher  gehört  Ruhe,  möglichst  vollständige  Ruhe  des 
Organs  in  allen  akuten  Erkrankungen  zu  den  wichtigsten  Ver- 
ordnungen, und  auch  in  den  chronischen  Zuständen  muß  Über- 
anstrengung sorgfältig  vermieden  werden. 

1.  Akute  Rlickenmarkkrankheiten. 

Die  akuten  Erkrankungen  sowohl  der  Häute  wie  des  Markes 
werden  sämtlich  in  derselben  Weise  behandelt,  mag  es  sich  also 
um  Meningitis,  Meningealblutung,  Poliomyelitis,  Mye- 
litis, Hämatomyelie  oder  um  akute  Verletzungen  handeln. 
Der  Kranke  muß  strenge  Bettruhe  einhalten  und  sich  möglichst 
wenig  bewegen,  die  nötigen  Verrichtungen  müssen  ihm  soweit 
erleichtert  werden,  daß  er  nur  die  allergeringsten  aktiven  An- 
strengungen zu  leisten  hat.  Das  antiphlogistische  Verfahren  wird 
dadurch  erschwert,  daß  der  Kranke  oft  gern  auf  dem  Rücken 
liegen  will.  Wenn  es  durchführbar  ist,  und  jedenfalls  so  viel 
wie  möglich  läßt  man  ihn  auf  dem  Bauch  oder  doch  in  Vorder- 
seitenlage liegen  und  bedeckt  die  Wirbelsäule  mit  Eisbeuteln 
oder  eisgefüllten  Chapm an  sehen  Schläuchen.  Wo  das  nicht  mög- 
lich ist,  wie  bei  Kindern,  bei  sehr  fetten  Menschen  usw.,  sucht 
man  durch  Einreibung  von  grauer  Quecksilbersalbe  in  die  Gegend 


Krankheiten  des  Rückenmarkes 


287 


der  Wirbelsäule,  durch  Auflegen  von  langen  Streifen  Emplastrum 
Hydrargyri , auch  wohl  durch  Blutegel  oder  trockne  Schröpf- 
köpfe oder  durch  Blasenpflaster  entzündungswidrig  einzuwirken. 
Bei  Poliomyelitis  und  Meningitis  würde  sich  wohl  auch  oft  die 
Einreibung  von  Unguentum  Crede  empfehlen,  vgl.  Abschnitt  VIII. 
Selbstverständlich  sind  Wirbelverlagerungen,  Abszesse  usw.  nach  den 
allgemeinen  und  besonderen  Regeln  der  Chirurgie  zu  behandeln. 
Man  versucht  auch  gern  eine  Ableitung  auf  den  Darm  durch 
Calomel,  vgl.  S.  125,  in  Pulvern  zu  0,2  dreimal  täglich,  mehrere 
Tage  nacheinander. 

Ein  anderes  wertvolles  Mittel  sind  laue  Bäder,  33 — 34  °C., 
1/4 — 1/2  Stunde  lang,  einmal  oder  mehrmals  täglich.  Natürlich 
kann  man  sie  nur  anwenden,  wenn  der  allgemeine  Zustand  so 
viel  Bewegung  des  Kranken  erlaubt.  Vielleicht  wird  man  gerade 
in  diesen  Zuständen  noch  viel  Gebrauch  von  den  neuerdings 
empfohlenen  Bettbädern  machen,  wobei  ein  Gummituch  von 
der  Größe  eines  Bettlakens  unter  den  Kranken  geschoben,  mit 
den  vier  Ecken  an  den  Bettpfosten  befestigt  und  nunmehr  so- 
weit wie  nötig  mit  Wasser  gefüllt  wird.  Nach  beendigtem  Bade 
senkt  man  einen  der  Zipfel  und  läßt  das  Wasser  abfließen.  Auch 
die  Anregung  der  Diaphorese  durch  warme  Bäder  mit  nach- 
folgender heißer  Einpackung,  vgl.  S.  186,  kann  wertvoll  sein. 

Zur  Nahrung  eignet  sich  in  der  ersten  Zeit  eine  vorwiegend 
flüssige  Kost,  insbesondere  eine  Milch-  und  Suppendiät,  all- 
mählich geht  man  davon  zu  leichten  festen  Speisen  und  zu  einer 
gemischten  Kost  über,  wie  sie  S.  86  geschildert  ist.  Alkohol 
muß  ganz  vermieden  werden. 

Mit  dem  Gehen  muß  man  die  größte  Vorsicht  beobachten, 
erst  nach  dem  völligen  Aufhören  der  akuten  Erscheinungen  kann 
man  mit  ganz  geringen  Übungen  der  Glieder  und  allmählich 
auch  mit  Gehversuchen  anfangen  lassen.  Besonders  wichtig  ist 
die  Fernhaltung  sexueller  Erregungen,  die  das  Rückenmark 
durch  die  entstandene  Hyperämie  gefährden  würden.  Einen 
wichtigen  Teil  der  Krankenpflege  stellt  die  Regelung  der  B lasen - 
und  Darmentleerung  dar.  Da  eine  einmalige  Überdehnung 
der  Blase  dauernde  Inkontinenz  bewirken  kann,  muß  man  im 
Anfang  jedenfalls  nicht  zu  lange  mit  der  Anwendung  des  Ka- 
theters zögern.  Strenge  Asepsis,  vgl.  S.  196,  ist  selbstverständ- 
lich, man  kann  auch  zur  Vorsorge  gleichzeitig  Urotropin  oder 
Helmitol  geben,  vgl.  S.  195. 


2 88 


Krankheiten  des  Nervensystems 


2.  Chronische  Rückenmarkkrankheiten. 

Zu  den  chronischen  Zuständen  zählen  wir  zunächst  die  Rück- 
stände der  akuten  Erkrankungen,  so  die  Lähmungen,  die  nach 
dem  Abklingen  des  entzündlichen  Stadiums  bei  Poliomyelitis, 
Myelitis  usw.  Zurückbleiben,  außerdem  die  verschiedenen  Strang- 
erkrankungen: Tabes,  amyotrophische  Lateralsklerose, 

die  verschiedenen  Eormen  der  Muskelatrophie  und  Dystrophie 
spinalen  Ursprunges,  die  spastische  Spinalparalyse,  die  mul- 
tiple Sklerose,  die  hereditäre  Ataxie,  die  Syringomyelie, 
die  chronischen  Kompressionserscheinungen  und  die 
Folgen  der  chronischen  Meningitis  spinalis. 

Bei  allen  Rückenmarkkrankheiten  ist  mit  größter  Sorgfalt 
die  Anamnese  auf  etwaige  Syphilis  zu  erheben.  Das  einfache 
Befragen  nach  stattgehabter  Infektion  genügt  nicht;  es  ist  be- 
kannt, daß  bei  tertiärer  Syphilis  in  etwa  50°/0  der  Fälle  die 
Kranken  nichts  von  der  Infektion  wissen  wollen.  Verdächtig  ist 
schon  eine  mehrfache  Erkrankung  an  Gonorrhöe;  die  Kranken 
haben  dabei  immerhin  eine  große  Chance  gehabt,  daß  ein  Harn- 
röhrenschanker mit  untergelaufen  ist.  Veränderungen  an  den 
Hoden,  Narben  am  Penis  usw.  vermißt  man  auch  bei  sicherer 
Spätsyphilis  sehr  oft,  manche  Fälle  sind  auch  durch  extragenitale 
Lokalisation  der  Primär  er  krankung  unbemerkt  geblieben,  bei 
Frauen  wird  die  Infektion  überhaupt  in  sehr  zahlreichen  Fällen 
übersehen.  Wichtig  ist  der  Nachweis  von  Kubitaldrüsen,  die  aus 
anderen  Veranlassungen  sehr  selten  anschwellen,  sowie  der'  von 
Paramamillardrüsen ; wichtig  ist  auch  das  Vorkommen  mehrfacher 
Fehlgeburten  bei  der  Frau,  noch  mehr  hereditärsyphilitische  Er- 
scheinungen bei  Kindern  des  Kranken.  Da  eine  vorsichtige  anti- 
syphilitische Kur  niemals  schadet,  muß  man  in  zweifelhaften 
Fällen  lieber  damit  einen  Versuch  machen,  als  die  Zeit  versäumen, 
wo  damit  etwas  ausgerichtet  werden  kann.  Immer  macht  man 
zuerst  eine  Quecksilberkur,  in  der  bei  der  Syphilisbehandlung 
zu  besprechenden  Weise,  dann  läßt  man  eine  Jodkur  folgen,  am 
besten  in  der  sehr  wirksamen  Form  der  subkutanen  Einspritzungen 
von  Jodipin.  Liegt  sehr  lange  Zeit  zwischen  der  Infektion  und 
der  Erkrankung,  oder  sind  nebenher  tertiärsyphilitische  Erschei- 
nungen vorhanden,  so  kann  man  auch  die  Jodbehandlung  zuerst 
vornehmen  und  die  Quecksilberbehandlung  folgen  lassen.  Große 
Gaben  Jod  sind  in  jedem  Falle  erforderlich.  Von  dem  Jodipin 
spritzt  man  3 Wochen  lang  jeden  Tag  oder  dreimal  in  der  Woche 


Krankheiten  des  Rückenmarkes 


289 


10  ccm  in  der  Hüftgegend  unter  die  Haut  ein;  Jodnatrium 
würde  man  in  Dosen  von  1,0  dreimal  täglich  wochenlang  gehen, 
immer  gleich  nach  den  Mahlzeiten,  in  genügender  Verdünnung 
mit  Wasser,  z.  B.  in  einem  Weinglas  voll  Selterwasser  aufgelöst, 
in  der  ersten  Woche  in  der  halben  Menge  der  angegebenen  Dosis. 

Jodipin  Merck  25°/0  100,0  ^ Natrii  jodati  10,0 

D.S.  Täglich  10  ccm  subkutan.  Aq.  dest.  150,0 

D.S.  3 mal  tägl.  V2— 1 Eßl. 

Man  darf  nicht  zu  früh  mit  diesen  Kuren  aufhören.  Von 
dem  Jodipin  sind  überhaupt  keine  ungünstigen  Nebenwirkungen 
bekannt,  man  kann  die  angegebenen  und  noch  viel  größere  Gaben 
monatelang  ohne  Bedenken  an  wenden;  hei  der  Quecksilberkur 
muß  man  sich  auch  erinnern,  daß  man  mit  einer  Kur  von  vier 
Wochen  nicht  alle  Krankheitanlagen  beseitigen  kann,  die  seit 
Jahren  oder  Jahrzehnten  im  Körper  liegen,  man  muß  vielmehr 
die  Kur  nach  einer  mehrwöchigen  Pause  wiederholen.  Bleiches 
Aussehen  des  Kranken  ist  jedenfalls  kein  Grund  gegen  eine 
Quecksilberkur,  oft  beruht  die  Anämie  gerade  auf  der  chronischen 
syphilitischen  Intoxikation,  und  das  Quecksilber  verbessert  dann 
schnell  das  Aussehen  und  die  Blutbeschaffenheit. 

Die  Quecksilber-  und  Jodkuren  sind  um  so  mehr  angezeigt, 
weil  erfahrungsgemäß  auch  eine  Anzahl  von  nichtsyphiliti- 
schen Rückenmarkkrankheiten  dadurch  beeinflußt  werden.  Eine 
Diagnose  ex  juvantibus  gibt  es  daher  eigentlich  hier  nicht. 

Wo  man  aus  irgend  welchen  Gründen  von  solchen  Kuren 
absieht,  jedenfalls  aber  auch  neben  dem  Kurgebrauch  ist  es  nötig, 
die  Lebensweise  des  Kranken  genau  zu  regeln.  Die  Empfindlich- 
keit des  kranken  Organes  verlangt  zunächst,  daß  alle  körper- 
lichen Anstrengungen  unterlassen  werden.  Viele  Kranke  haben 
schon  großen  Schaden  dadurch  erlitten,  daß  man  glaubte,  sie  nur 
möglichst  schnell  wieder  auf  die  Beine  bringen  zu  müssen.  Will 
man  nicht  auf  die  Bewegungsübungen  verzichten,  so  läßt  man 
besser  zuerst  im  Bett  allerlei  Bewegungen  mit  den  Beinen  machen; 
dabei  ruht  nicht  die  ganze  Last  des  Körpers  auf  den  Beinen,  und 
die  Übung  ist  dadurch  natürlich  viel  weniger  anstrengend. 

Die  eigentlichen  Gehübungen  bei  gelähmten  oder  ataktischen 
Kranken  werden  sehr  erleichtert,  wenn  man  einen  der  käuflichen 
Geh  Stühle  anwenden  läßt,  wie  sie  z.  B.  vom  Medizinischen 
Warenhaus  in  Berlin  geliefert  werden.  Dabei  ist  der  Ober- 
körper des  Kranken  durch  die  aufgestützten  Hände  oder  durch 
Krücken,  die  unter  den  Schultern  ruhen,  gestützt  und  lastet  da- 
Dornblüth,  Therapie.  19 


290 


Krankheiten  des  Nervensystems 


her  nicht  so  schwer  auf  den  Beinen.  Auch  die  Dauer  der 
Übungen  darf  nicht  übertrieben  werden,  der  Kranke  darf  niemals 
nachher  erschöpft  sein  und  es  dürfen  keine  Beschwerden  in  den 
Beinmuskeln  nachfolgen. 

Wertvoll  ist  für  die  allgemeine  Gesundung  ein  reichlicher 
Aufenthalt  in  freier  Luft.  Man  sorgt  dabei  für  genügende  Be- 
kleidung und  Bedeckung,  damit  Erkältungen  vermieden  werden. 
Zweckmäßig  ist  ein  ähnliches  Verhalten  wie  hei  Nierenkranken, 
vgl.  S.  183,  Tragen  wollener  Unterkleidung  usw.  Ein  Über- 
maß der  Verweichlichung  wäre  natürlich  verkehrt,  insbesondere 
muß  der  Arzt  seine  Kranken  darüber  auf  klären,  dass  die  vom 
Rückenmark  herrührenden  Schmerzen  nichts  mit  Rheumatismus 
und  Erkältungen  zu  tun  haben  und  daß  deshalb  die  viel  ge- 
tragenen Katzenfelle,  die  vielfachen  Schichten  der  Kleider  und 
Unterkleider  unzweckmäßig  sind.  Wo  der  Beruf  den  Kranken 
schweren  Wetter  ein  Wirkungen  aussetzt  oder  auch  sonst  zu  körper- 
licher Überanstrengung  führt,  ist  womöglich  ein  Berufswechsel 
vorzunehmen.  Im  Hause  können  auch  fast  gelähmte  Rückenmark- 
kranke noch  recht  umfangreiche  Berufstätigkeit  ausüben,  während 
ihnen  der  Verkehr  auf  der  Straße  schon  ganz  unmöglich  ist. 
Die  Notwendigkeit  der  geschlechtlichen  Enthaltsamkeit  ist  vor- 
hin schon  betont  worden.  Sie  ist  allerdings  oft  um  so  schwerer 
durchzuführen,  weil  die  Krankheit  mit  Erektionen  und  geschlecht- 
licher Erregung  einhergehen  kann. 

Eine  direkte  Einwirkung  auf  den  Krankheitvorgang  ver- 
sucht man  in  erster  Linie  durch 

Hydrotherapie. 

Es  kommen  nur  die  milden  Verfahren  in  Frage.  Gerade 
hei  Rückenmarkkranken  sind  vielfach  schwere  Schädigungen  durch 
Kneippkuren  beobachtet  worden.  Am  zweckmäßigsten  erscheinen 
die  überall  leicht  anzuwendenden  Halbbäder,  wobei  der  Kranke 
aufrecht  mit  ausgestreckten  Beinen  in  der  Wanne  sitzt,  die  nur 
soviel  Wasser  enthält,  daß  es  dem  Badenden  bis  zum  Nabel 
reicht.  Der  Rücken  wird  mit  kurzen  Unterbrechungen  sanft 
mit  Wasser  übergossen,  das  man  mit  einem  Schöpfgefäß  hinter 
dem  Rücken  des  Badenden  aus  der  Wanne  entnimmt.  Man  gibt 
solche  Halbbäder  am  besten  30°  0.  warm  und  4 Minuten  lang, 
entweder  zwischen  erstem  und  zweitem  Frühstück  oder  nach  dem 
zweiten  Frühstück  oder  auch,  wenn  es  im  Hause  besser  paßt, 
vor  dem  Schlafen.  Nach  dem  Bade  wird  sanft  abgetrocknet  und 


Krankheiten  des  Rückenmarkes 


291 


dann  mindestens  für  eine  halbe  Stunde  das  Bett  aufgesucht. 
Die  Bäder  härten  ab,  man  braucht  ihnen  keine  kalte  Über- 
gießung folgen  zu  lassen.  Im  ganzen  genügen  drei  in  der  Woche. 
Dieselbe  Zahl  wendet  man  bei  Vollbädern  an,  die  am  besten 
bei  33  — 34°  C.  und  10 — 20  — 30  Minuten  lang  genommen 
werden,  zu  denselben  Tageszeiten  wie  die  Halbbäder.  Ist  der 
Kranke  in  der  Tätigkeit,  so  beschränkt  man  sich  oft  am  besten 
auf  zwei  Bäder  in  der  Woche;  ist  er  ganz  untätig,  so  kann 
man  auch  vier-  oder  fünfmal  baden  lassen.  Auch  bei  den  Voll- 
bädern kann  man  durchaus  auf  nachfolgende  kühle  Übergießungen 
verzichten. 

Sehr  gern  setzt  man  den  Bädern  verschiedene  Zusätze  zu.  Am 
wirksamsten  sind  die  Solbäder  und  die  koblensauren  Sol- 
bäder, vgl.  S.  26  f.  nnd240f.  Man  beachte,  daß  dabei  die  Wasser- 
wärme um  etwa  2°  niedriger  sein  muß  als  bei  den  einfachen 
Wasserbädern.  Eine  besondere  Einwirkung  der  vielgebrauchten 
Ficbtennadelbäder  ist  wohl  nicht  anzunebmen,  aber  sie  ge- 
nießen in  Laienkreisen  so  großes  Ansehen,  daß  man  sie  oft  nicht 
umgeben  kann.  Viel  wertvoller  sind  die  Elektrisch-Licht- 
Bäder,  vgl.  S.  265 f.,  deren  Einfluß  auf  die  Hautnerven,  auf  die 
Blutverteilung  und  auf  die  Hauttätigkeit  ganz  außerordentlich 
wohltätig  ist.  Bei  kräftigen  Kranken  mit  trägem  Stoffwechsel, 
Fettleibigkeit  usw.  macht  man  auch  Gebrauch  von  nassen  Ab- 
reibungen, wie  sie  weiterhin  geschildert  werden  sollen.  Bei 
Schmerzen  und  Parästbesien  kann  man  von  PniESSNiTzscben 
Einwicklungen  der  Glieder  und  des  Rumpfes  oft  Gutes  sehen; 
bei  mangelhafter  Zirkulation  in  den  Beinen  bewährt  sich  oft 
das  von  Hoesslin  beschriebene  Verfahren,  zunächst  die  Beine 
durch  warme  oder  feucbtwarme  Einpackungen,  durch  Heißluft- 
bäder, zweckmäßig  auch  durch  Bestrahlung  mit  elektrischem 
Licht,  vgl.  S.  266,  zu  erwärmen  und  sie  dann  kurz  mit  kaltem 
Wasser  zu  begießen.  Besonders  günstig  wirken  diese  An- 
wendungen oft  bei  chronischer  Myelitis,  man  kann  aber  bei 
allen  chronischen  Rückenmarkleiden  Gutes  davon  sehen.  Nach 
der  Anwendung,  die  etwa  dreimal  in  der  Woche  vorgenommen 
wird , muß  immer  wenigstens  eine  Stunde  Bettruhe  gehalten 
werden. 

Sehr  beliebt  und  oft  von  großem  Nutzen  ist  der  Gebrauch 
der  Badekuren,  zumal  in  Oeynhausen,  Nauheim,  Wiesbaden, 
Kissingen,  Marienbad.  Die  Badeeinrichtungen  ^sind  an  allen 
diesen  Orten  sehr  gut,  für  gelähmte  und  schwerbewegliche  Kranke 

19* 


292 


Krankheiten  des  Nervensystems 


ist  in  jeder  Weise  gesorgt,  das  Badepersonal  ist  gut  geschult, 
und  die  Badeärzte  haben  viel  Erfahrung  in  bezug  auf  solche 
Krankheiten.  Die  Erfolge  sind  aber  doch  nicht  so  sehr  über 
die  daheim  zu  erreichenden  erhaben,  daß  man  die  Badekuren 
auch  bei  unvermögenden  oder  wenig  vermögenden  Kranken  ver- 
ordnen sollte,  sofern  sie  selbst  die  Kosten  zu  tragen  haben. 
Hier  wird  oft  für  eine  Badekur  von  unvollkommenem  Erfolge 
das  Geld  verbraucht,  das  hinterher  dringend  nötig  wäre,  um 
einen  Fahrstuhl  anzuschaffen  oder  häusliche  Kuren  zu  unter- 
nehmen. Das  ist  natürlich  ein  Fehler.  Dagegen  können  wohl- 
habende Kranke  sich  alle  Vorteile  des  Kurortes  verschaffen  und 
auch  die  psychischen  Einflüsse  der  anderen  Umgebung,  vgl.  S.  118, 
genießen.  In  dem  meist  sehr  langen  Krankheitverlauf  kann  das 
von  größtem  Wert  sein. 

Sehr  wichtig  ist  auch  die  Frage,  ob  man  dem  Kranken 
die  Diagnose  mitteilen  soll.  Gewöhnlich  entschließt  sich  der 
Arzt,  namentlich  der  jüngere  Arzt,  schwer  dazu,  weil  ihm  allerlei 
Erzählungen  bekannt  sind,  wo  sich  der  Kranke,  nachdem  er  die 
Diagnose  Tabes  gehört  hatte,  eine  Kugel  vor  den  Kopf  schoß. 
Solche  Fälle  kommen  allerdings  vor,  aber  trotzdem  halte  ich  den 
Arzt  für  verpflichtet,  dem  Kranken  die  Wahrheit,  selbstverständ- 
lich in  schonender  Form,  zu  sagen.  Schon  weil  sonst  während 
der  ganzen  Krankheit  die  Wahrscheinlichkeit  besteht,  daß  der 
Kranke  die  richtige  Diagnose  auf  harte  und  erschütternde  Art, 
durch  einen  aufgeklärten  Leidensgenossen,  durch  einen  irgendwo 
befragten  weniger  ängstlichen  Arzt  oder  aus  dem  Konversations- 
lexikon erfährt.  Der  Kranke  muß  es  auch  wissen,  weil  er  sonst 
voraussichtlich  nicht  die  gebotene  Schonung  befolgt,  bei  dem 
Ausbleiben  eines  schlagenden  Erfolges  Kneippkuren  und  sonstige 
Pfuscherkuren  unternimmt  und  sich  dadurch  schädigt.  Es  ist 
gut,  dem  Kranken  zu  sagen,  daß  allerdings  ein  Rückenmarkleiden 
vorliegt,  daß  das  aber  durchaus  kein  Grund  zum  Verzagen  sei, 
auch  solche  Leiden  würden  vielfach  gebessert,  man  könne  ihre 
Fortschritte  aufhalten,  ihre  Beschwerden  lindern,  die  Arbeits- 
fähigkeit erhalten  usw.  Es  läßt  sich  darüber  schwer  etwas  All- 
gemeines sagen,  es  hängt  alles  von  dem  augenblicklichen  Zu- 
stande des  Kranken,  von  der  Art  der  Krankheit,  von  den  gesamten 
Verhältnissen  ab,  aber  als  Richtschnur  werden  diese  Bemerkungen 
dem  sorgsamen  Arzte  genügen. 

Anstatt  der  Sol-  und  kohlensauren  Solbäder  werden  nament- 
lich von  Ebb  auch  die  kohlensauren  Stahlbäder  empfohlen, 


Krankheiten  des  Rückenmarkes 


293 


wie  sie  namentlich  in  Schuls-Tarasp- Vulpera  im  Unter- 
engadin, in  Sankt  Moritz  im  Oberengadin,  ferner  in  Lange  n- 
schwalbach,  Franzensbad,  Cudowa  usw.  zu  haben  sind; 
vgl.  den  Abschnitt  über  Blutkrankbeiten.  Die  blutbildende 
Wirkung  der  Höhenluft,  vgl.  S.  45 ff.,  ist  ja  für  die  Mehrzahl 
dieser  Kranken  auch  erwünscht. 

Elektrotherapie. 

Die  Elektrotherapie  der  Rückenmarkkrankheiten  besteht 
teils  in  direkter,  Längs-  oder  Querdurchströmung  des  Rücken- 
markes, teils  in  peripherischer  Elektrisation  zum  Zweck  reflek- 
torischer Beeinflussung. 

Die  LängsdurchstrÖmung  wird  mit  dem  galvanischen 
Strom  vorgenommen.  Man  setzt  eine  große  Platte,  von  mindestens 
50  qcm,  mit  heißem  Wasser  gut  durchfeuchtet,  vgl.  S.  271,  auf 
den  Nacken,  die  andere,  ebenso  große  auf  das  Kreuz  und  schickt 
Ströme  von  5 — 10  M.-A.  hindurch.  Wenn  man  nicht  einen  be- 
sonderen Teil  durch  die  Kathode  erregen  will,  läßt  man  den 
Strom  je  3 Minuten  in  absteigender  und  in  aufsteigender  Richtung 
durchgehen,  d.  h.  man  kehrt  nach  3 Minuten  die  Stromwender- 
kurbel um.  Ein  anderes  Verfahren  ist  das,  die  Anode  auf  den 
Nacken  zu  setzen  und  die  Kathode  auf  der  Wirbelsäule  hin  und 
her  zu  führen. 

Die  Querdurchströmung  wendet  man  an,  wenn  ein  be- 
stimmter Teil  des  Rückenmarkes  besonders  getroffen  werden  soll, 
so  z.  B.  ein  myelitischer  Herd  von  bestimmtem  Sitze,  oder  die 
Hals-  oder  Lendenanschwellung  bei  Poliomyelitis  oder  anderen 
genauer  lokalisierten  Erkrankungen.  Man  setzt  dann  die  Kathode 
auf  die  Wirbelsäule,  in  der  Höhe  des  zu  treffenden  Teiles,  und 
die  Anode  auf  das  Brustbein,  so  dass  die  kranke  Stelle  in  der 
Richtung  zwischen  beiden  Elektroden  liegt.  Man  kann  übrigens 
auch  die  Anode  auf  das  Epigastrium  setzen  und  mit  der  Kathode 
längs  der  Wirbelsäule  streichen  oder  verschiedene  Punkte  der 
Wirbelsäule  nacheinander  behandeln.  Auch  in  diesen  Fällen 
nimmt  man  5 — 10  M.-A.  Stromstärke  und  behandelt  jede  Stelle 
3 Minuten  lang,  jeden  Tag  einmal  oder  seltener. 

Zur  reflektorischen  Behandlung  verwendet  man  den 
faradischen  Strom.  Man  setzt  die  Anode  auf  den  unteren  Teil 
des  Brustbeins  und  bestreicht  mit  der  Kathode,  die  mit  einem 
Metallpinsel  versehen  ist,  der  Reihe  nach  die  Haut  der  Glieder 
und  des  Rückens,  bei  einer  Stromstärke,  die  deutlich  empfunden 


294 


Krankheiten  des  Nervensystems 


wird,  aber  keine  ernstlichen  Schmerzen  und  keine  starken  Muskel- 
zusammenziehungen veranlaßt.  Die  sehr  günstigen  Wirkungen, 
die  Rumpf  mit  diesem  Verfahren  bei  Tabes  erzielt  hat,  sind  von 
anderen  Beobachtern  nicht  bestätigt  worden. 

Eine  andere  Form  der  allgemeinen  Elektrisation  stellt  in 
bequemer  und  sichererWeise  das  Vierzellenbad  nachDr.  Schnee 
dar,  das  u.  a.  von  Reiniger,  Gebbert  & Schall  in  Erlangen 
hergestellt  wird.  Der  Strom  — man  kann  galvanischen  und 
faradischen  Strom  benutzen  — tritt  je  nach  der  gewählten  Richtung 
an  einer  oder  mehreren  Stellen  in  den  Körpern  ein,  man  kann 
ihn  z.  B.  in  beiden  Händen,  die  in  Wasserbecken  ruhen,  eintreten, 
durch  den  Körper  hindurchgehen  und  an  beiden  Füßen,  die 
wiederum  in  Wasserbecken  stehen,  wieder  austreten  lassen.  Er 
nimmt  dabei  im  Rumpfe  jedenfalls  großenteils  seinen  Weg  durch 
das  Rückenmark.  Die  Anschaffung  des  Apparates  für  den  Haus- 
gebrauch ist  nur  wohlhabenden  Kranken  möglich,  in  Anstalten 
wird  man  ihn  schon  vielfach  antreffen. 

Ein  Teil  der  Wirkung  der  Elektrisation  bei  Rückenmark- 
krankheiten besteht  sicher  in  der  psychischen,  suggestiven  Ein- 
wirkung. Bei  den  chronischen,  oft  sehr  deprimierenden  Leiden 
ist  das  natürlich  sehr  wertvoll.  Man  soll  sich  um  so  mehr  hüten, 
dem  Kranken  zu  viel  davon  zu  versprechen,  man  soll  ihn  auch 
nicht  damit  überfüttern,  sondern  Vertrauen  und  Mittel  auch  für 
spätere  und  hoffnungslosere  Zeiten  zurückbehalten! 

Eine  besondere  Wichtigkeit  hat  die  Mitbehandlung  der  peri- 
pheren Nerven  in  den  Fällen,  wo  diese  miterkrankt  sind,  wie 
z.  B.  nicht  selten  in  der  Form  der  peripherischen  Neuritis  bei 
Tabes.  Man  folgt  dann  den  Regeln,  die  bei  der  Behandlung  der 
Neuritis,  S.  262  f.,  angegeben  sind. 

Übungsbehandlung. 

Auf  der  Naturforscherversammlung  in  Straßburg  1885  machte 
Frenkel  die  psychiatrischneurologische  Abteilung  mit  seinem 
System  der  Übungsbehandlung  bei  Ataxie  bekannt.  Es  hat  mehr 
als  ein  Jahrzehnt  gedauert,  bis  die  wichtige  therapeutische  Ver- 
besserung allgemeine  Anerkennung  gefunden  hat,  und  schließlich 
ist  ein  Teil  des  Ruhmes  auf  von  Leyden  und  Goldscheider  ge- 
fallen, die  aber  in  Wirklichkeit  mehr  eine  Kraftübung  als  eine 
Koordinationsübung  im  Sinne  gehabt  haben.  Die  letztere  ist  aber 
das  Entscheidende.  Frenkel  hat  gezeigt,  daß  es  gelingt,  durch 
Übung  an  die  Stelle  ataktischer  Bewegungen  wieder  normale 


Krankheiten  des  Rückenmarkes 


295 


Bewegungen  zu  setzen.  Die  Übungen  beginnen  mit  den  einfachsten 
Bewegungen,  wobei  nur  ein  Muskel  oder  doch  nur  einzelne 
Muskelgruppen  beteiligt  sind,  sie  werden  zuerst  unter  Leitung 
der  Augen,  dann  bei  geschlossenen  Augen  vorgenommen.  All- 
mählich werden  immer  größere  und  verwickeltere  Bewegungen 
geübt.  In  dem  Frenkel  sehen  Lehrbuch:  Die  Behandlung  der 

tabischen  Ataxie  mit  Hilfe  der  Übung,  Leipzig  1900,  sind  die 
Einzelheiten  genau  vorgeschrieben.  Es  ist  ratsam,  sich  damit  ge- 
nau in  den  Gedankengang  des  Verfassers  hineinzuarbeiten  und 
von  seiner  großen  Erfahrung  für  den  Einzelfall  Nutzen  zu  ziehen. 
Die  Erfolge  sind  oft  überraschend;  sie  bleiben  aus,  wenn  schwere 
Muskelatrophien  durch  peripherische  Neuritis  vorliegen,  oder  wenn 
das  Verfahren  unrichtig  oder  zu  anstrengend  angewendet  wird. 
Halbstündige  Übungen,  ein-  oder  mehrmals  täglich  ausgeführt, 
dürften  am  zweckmäßigsten  sein.  Besondere  Vorsicht  erfordern 
die  Beinübungen,  wobei  die  Last  des  Körpers  auf  den  Beinen 
ruht.  Man  beginnt  daher  immer  Übungen  im  Liegen,  Beinheben, 
Strecken,  Beugen,  Berühren  bestimmter  Punkte  mit  der  großen 
Zehe  oder  der  Ferse.  In  schweren  Fällen  ist  es  oft  sehr  em- 
pfehlenswert, die  Übungen  im  Bade  machen  zu  lassen,  weil  da 
das  Gewicht  des  Körpers  großenteils  wegfällt.  Weiterhin  läßt 
man  Gehübungen  machen,  während  der  Körper  an  barrenartigen 
Vorrichtungen  gestützt  wird,  vgl.  den  Gehstuhl  S.  289.  Vielen 
Kranken  werden  die  systematischen  Übungen  bald  verleidet,  man 
muß  sich  dann  darauf  beschränken,  ihnen  bei  allen  Tagesver- 
richtungen möglichste  Ruhe  und  den  Versuch  koordinierter  Aus- 
führung zu  empfehlen.  Auch  hierbei  ist  eine  Überanstrengung 
durchaus  möglich,  und  um  so  leichter,  weil  das  Ermüdungsge- 
fühl oft  fehlt.  Die  Beobachtung  der  bessernden  Wirkung  der 
Übungen  ist  daher  oft  entscheidend.  Ob  eine  dauernde  Besserung 
der  Ataxie  durch  die  Übungen  hervorgerufen  werden  kann,  ist 
streitig,  aber  der  symptomatische  Erfolg  ist  auch  ohnehin 
lohnend  genug. 

Das  Verfahren  ist  übrigens  nicht  nur  bei  Tabes  und  here- 
ditärer Ataxie,  sondern  auch  bei  Chorea,  Intentionszittern 
und  anderen  Formen  des  Zitterns,  bei  Schreib krampf  usw. 
anwendbar. 

Nervendehnung  und  Suspension. 

Die  Nervendehnung,  die  bei  der  Behandlung  der  Neuralgien 
zuweilen  Gutes  leistet,  vgl.  S.  279,  ist  auch  bei  Rückenmarkleiden 


296 


Krankheiten  des  Nervensystems 


mehrfach  empfohlen  worden.  Bei  der  Tabes  sollen  z.  B.  die 
Schmerzen  der  Beine  durch  Dehnung  des  Ischiadicus  behoben 
werden.  Oh  es  gerechtfertigt  ist,  wegen  eines  immerhin  unsicheren, 
rein  palliativen  Erfolges  den  Kranken  der  Operation  mit  ihren 
Unbequemlichkeiten  auszusetzen,  muß  sehr  bezweifelt  werden.  Die 
Praxis  hat  das  von  einzelnen  Operateuren,  besonders  Nussbaum 
in  München,  sehr  gepriesene  Verfahren  im  ganzen  abgelehnt.  Erb 
will  sie  nur  für  die  allerhartnäckigsten,  schwersten  Neuralgien 
zulassen  und  empfiehlt  dafür  auch  die  unblutige  Dehnung  an 
Stelle  der  operativen. 

Auch  die  von  Motschutkowsky  angegebene,  von  Charcot 
und  Gilles  de  la  Tourette  nachgeprüfte  und  empfohlene  Sus- 
pension der  Tabischen  hat  keine  sehr  ausgebreitete  Anwendung 
erlangt.  Am  ehesten  wäre  noch  das  mildere  Verfahren  mit  dem 
Sprimon  sehen  Apparat  zu  versuchen,  wobei  der  auf  einem  Stuhle 
sitzende  Kranke  mit  dem  Kopf  nach  der  Art  der  Glisson  sehen 
oder  Sayre sehen  Schwebe,  außerdem  aber  auch  mit  den  Ellen- 
bogen in  verstellbaren  Schlingen  aufwärts  gehoben  wird,  so  daß 
der  Oberkörper  gestreckt  wird.  Ob  die  Erfolge  etwas  anderes 
als  Suggestivwirkungen  darstellen,  ist  noch  nicht  festgestellt.  Ein 
wirklicher  Nutzen  ist  jedenfalls  nicht  erwiesen.  Die  Aufhängung 
des  ganzen  Körpers  an  der  Glisson  sehen  Schwebe  ist  jedenfalls 
als  nicht  ungefährlich  zu  verwerfen. 

Arzneibehandlung. 

In  zahlreichen  Fällen  von  Bückenmarkkrankheiten  ist,  wie 
schon  gesagt,  wegen  der  syphilitischen  Natur  der  Krankheit  der 
Gebrauch  von  Quecksilber  und  von  Jod  angezeigt.  Andere  Fälle 
erfordern  zunächst  den  Gebrauch  von  Mitteln,  die  das  Allgemein- 
befinden der  Kranken  heben:  Eisen , Chinin,  Arsenik , in  der 
Weise,  wie  diese  Mittel  bei  Blutarmut  und  dergleichen  verordnet 
werden.  Gern  verwendet  man  auch  das  Jodeisen , am  besten  in 
in  der  Form  des  Sirupus  Ferri  jodati. 

^5i  Sir.  Ferri  jod.  25,0 

D.S.  3 mal  tägl.  20  Tropfen  bis  1 Teelöffel  voll 
in  Wasser. 

Als  spezifisch  auf  das  Rückenmark  wirkende  Mittel  gelten 
seit  langer  Zeit  Argentum  nitricum,  Secale  und  Strychnin. 

Das  Argentum  nitricum  hat  zuerst  Wunderlich  gegen  Tabes 
empfohlen,  Charcot  und  andere  haben  ebenfalls  Gutes  davon 


Krankheiten  des  Rückenmarkes 


297 


sehen.  Jedenfalls  ist  man  danach  berechtigt,  ja  in  schwierigen 
Fällen  verpflichtet,  es  anznwenden.  Regelmäßige,  lange  fortgesetzte 
Darreichung  ist  zu  beachten.  Man  gibt  es  in  Pillen  zu  0,01, 
davon  zunächst  dreimal  täglich  eine,  allmählich  steigend  bis  auf 
10  am  Tage.  Bei  dieser  Gabe  bleibt  man  monatelang,  bis  zum 
Verbrauch  von  10,0.  Dann  muß  eine  längere  Pause  eintreten, 
damit  nicht  chronische  Silbervergiftung,  Argyrie,  entsteht.  Ge- 
wöhnlich bildet  sie  sich  erst  nach  Verbrauch  von  15,0  aus,  man 
muß  aber  schon  vorher  darauf  achten,  ob  sich  der  violette  Saum 
am  Zahnfleischrande  bildet,  der  das  erste  Zeichen  der  chronischen 
Vergiftung  und  die  Einleitung  zu  der  grauen  Verfärbung  der 
Haut  bildet.  Natürlich  muß  man  bei  dem  ersten  Erscheinen  das 
Mittel  ganz  aussetzen.  Man  versucht  es  bei  allen  chronischen 
Rückenmarkleiden. 

Die  Sekalepräparate  sind  von  Charcot  gegen  die  Blasen- 
schwäche der  Tabischen  empfohlen  worden,  später  hat  man  sie 
auch  gegen  den  tabischen  Prozeß  verordnet,  darauf  fußend,  daß 
bei  Sekalevergiftung  ähnliche  Veränderungen  in  den  Hintersträngen 
auftreten  wie  bei  Tabes.  Damit  ist  ja  jedenfalls  eine  gewisse 
Beziehung  des  Mittels  zum  Rückenmark  festgestellt.  Zugleich 
liegt  darin  natürlich  eine  Warnung  vor  zu  ausgedehntem  Ge- 
brauche. Man  gibt  es  am  besten  in  mittlerer  Dosis  immer  an 
den  drei  ersten  Tagen  jeder  Woche  4 — 6 Wochen  hindurch. 

Das  Strychnin  und  seine  Präparate  sind  durch  Erb  ein- 
geführt worden.  Sie  sollen  nicht  nur  allgemein  tonisch  wirken, 
sondern  auch  den  tabischen  Krankheitsvorgang  günstig  beeinflussen. 
Erb  verordnet  kleine  Dosen  in  längerer  Anwendung.  Ob  mit 
dem  S.  285  erwähnten  Gebrauch  größerer  Gaben  etwas  Besseres 
erreicht  würde,  ist  nicht  bekannt. 


Ijfc  Argenti  nitr.  1,0 
Boli  albae  10,0 
F.c.Aq.  dest.  q.  s.  Pil.  100. 

Ijfe  Extr.  Secalis  cornuti 

(am  besten  dialys.  Golaz)  25,0 
D.S.  3 mal  täglich  20  Tropfen. 

Ergotini  Bombeion  25,0 
D.S.  3 mal  tägl.  8 — 10  Tropfen. 

I jfc  Ergotini  dialys.  5,0 
Pulv.  Liq.  q.  s. 

F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  täglich 
1 Pille. 


IJ;  Strychnini  nitr.  0,05 
Aq.  dest.  10,0 

D.S.  Subkutan  mit  1/10  Spritze 
oder  innerlich  mit  5 Tropfen 
2 mal  täglich  beginnen  und 
allmählich  vorsichtig  steigen. 

Ijfc  Ferri  lactici  10,0 

Extr.  Chinae  aquosi  5,0 
Extr.  Strychn.  0,5 — 1,0 
(Acid.  arsen.  0,2) 

Pulv.  Gent.  q.  s. 

F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich 
1 — 2 Pillen  nach  dem  Essen. 


298 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Endlich  wird  noch  von  manchen  Seiten  das  Spermin-Vo^wL 
als  Heilmittel  oder  wenigstens  als  vortreffliches  Kräftigungsmittel 
für  Tabische,  Neurasthenische  und  zahlreiche  andere  Kranke  em- 
pfohlen. Es  kommt  in  2 °/0  iger  sterilisierter  Lösung  in  den 
Handel,  in  Ampullen  eingeschmolzen,  davon  täglich  eine  einzu- 
spritzen, vom  10.  oder  12.  Tage  ab  in  größeren  Zwischenräumen. 
Man  kann  aber  auch  Essentia  Spermini  Poehl,  eine  4 °/0  i ge 
aromatische  Lösung  des  Doppelsalzes  von  Sperminum  hydro- 
chloricum  und  Natrium  chloratum,  zu  20 — 30  Tropfen  dreimal 
täglich  in  warmem  alkalischen  Mineralwasser  gehen.  Dns  Mittel 
ist  sehr  teuer,  der  Erfolg,  soweit  nicht  die  Suggestion  mitspielt, 
sehr  zweifelhaft. 

Weiterhin  finden  die  Arzneimittel  vielfach  Anwendung  gegen 
bestimmte  Symptome. 

Gegen  die  Schmerzen  der  Rückenmarkkranken  sind  vor 
allem,  neben  den  schon  erwähnten  hydrotherapeutischen  Mitteln, 
die  neueren  Antineuralgica  zu  empfehlen.  Besonders  wirksam 
sind  Pyramidon,  Kryofin,  Acetanilid,  Phenacetin , Salipyrin, 
Aspirin  oder  Acetylsalizylsäure,  allein  oder  in  Verbindung  mit 
Bromnatrium , in  den  S.  280  angegebenen  Dosen.  Wo  sie  ver- 
sagen, wirkt  manchmal  das  aus  der  Wurmbehandlung  bekannte 
Santonin  sehr  gut,  dreimal  0,05  in  dreistündigen  Zwischenräumen ; 
die  Wirkung  hält  tagelang  vor,  dann  wiederholt  man  die  Gaben. 
Auch  das  Methylenblau,  Methylenum  caeruleum  medicinale  Merck, 
ist  empfohlen  worden,  mehrmals  täglich  0,1,  zur  Verhinderung 
der  Blasenreizung  mit  Muskatnußpulver  vereinigt;  man  muß  die 
Patienten  darauf  aufmerksam  machen,  daß  es  den  Harn  blau  färbt. 


Pjfc  Trochisci  Santonini  0,025  Nr.XX. 


Methylen  caerul.  medic.  Merck 
Pulv.  nuc.  moschat.  ana  0,1 
D.  tal.  dos.  X.  ad.  caps.  amyl. 


D.S. 


Auch  die  Behandlung  mit  Gefriermitteln  ist  zu  ver- 
suchen, vgl.  S.  268.  Erst  wenn  alle  anderen  Mittel  versagen, 
darf  Morphium  angewendet  werden,  vgl.  S.  264. 

Die  Blasenschwäche  wird  nach  den  S.  200  angegebenen 
Mitteln  behandelt. 

Gegen  die  gastrischen  Krisen  der  Tabiker  versucht  man 
zunächst  das  Gerium  oxalicum , vgl.  S.  190,  ferner  heiße  Um- 
schläge auf  die  Magengegend,  wenn  dies  nicht  hilft,  die  Gefrier- 
mittel nach  S.  268,  im  Notfälle  Morphium  subkutan,  S.  107. 


Krankheiten  des  Rückenmarkes 


299 


Ein  wertvolles  Mittel  gegen  Zittern  und  auch  gegen 
Ataxie  ist  das  Seopolaminum  hydrobromicum.  Man  gibt  es  in 
der  Weise,  wie  S.  66  für  die  Behandlung  des  Asthmas  angegeben 
ist,  in  Tropfen  oder  besser  in  Pillen,  steigend,  bis  die  gewünschte 
Wirkung  erzielt  ist.  Irgend  ein  ungünstiger  Einfluß  des  Mittels 
ist  nicht  vorhanden,  auch  bei  jahrelanger  Anwendung  großer 
Gaben  habe  ich  nie  etwas  Nachteiliges  gesehen.  Manchmal  wirkt 
es  innerlich  genommen  nicht  hinreichend,  dann  kann  man  zu 
subkutanen  Einspritzungen  greifen,  sie  sind  aber  mit  höchstens 
halb  so  großer  Dosis  zu  wählen  und  dürfen  nur  so  weit  ge- 
steigert w'erden,  daß  keine  Benommenheit  danach  eintritt.  Die 
innerliche  Anwendung  bewirkt  das  nur  bei  übergroßen  Gaben, 
sonst  tritt  nur  Trockenheit  im  Halse  ein,  die  nichts  Bedenkliches 
hat  und  nur  ein  Zeichen  ist,  daß  man  vorläufig  nicht  weiter 
steigen  soll.  Dagegen  verbietet  sie  nicht  den  weiteren  Gebrauch 
des  Mittels. 


Dekubitus. 

Eine  gefürchtete  Erscheinung  hei  verschiedenen  Rückenmark- 
krankheiten ist  das  Durchliegen  der  Kranken  in  der  Kreuz- 
gegend, an  den  Hüften  und  an  anderen  Stellen,  die  dem  Druck 
der  Unterlage  ausgesetzt  sind.  Die  wichtigsten  Verhütungsmittel 
sind:  eine  bequeme  und  glatte  Unterlage,  häufiges  Wechseln 
der  Lage,  vgl.  S.  2,  sorgfältige  Hautpflege,  wodurch  die 
Haut  rein  gehalten  und  widerstandsfähig  gemacht  wird.  Unter- 
lagen, die  mit  Urin  verunreinigt  sind,  müssen  alsbald  entfernt 
werden;  ist  der  unwillkürliche  Harnabgang  nicht  zu  vermeiden, 
so  muß  der  Kranke  auf  einen  Luftring  gelegt  werden,  der  sorg- 
fältig trocken  gehalten  wird,  oder  er  muß  ein  Lager  auf  Holz- 
wolle und  dergl.  erhalten,  das  die  Feuchtigkeit  aufsaugt.  Sobald 
irgendwo  eine  Hautröte  auftritt,  muß  doppelte  Sorgfalt  ange- 
wendet werden.  Man  wäscht  dann  die  gefährdeten  Stellen  mit 
Spiritus  oder  bestreicht  sie  mit  Zitronenscheiben  und  legt  ein 
Wasserkissen  unter,  das  mit  einer  Schicht  weicher  Leinwand  be- 
deckt wird.  Druckstellen  an  den  Fersen,  an  den  Knien  usw. 
kann  man  auch  durch  Wattepolster  schützen.  Ist  trotzdem  ein 
Druckgeschwür  entstanden,  so  wird  es  antiseptisch  behandelt, 
mit  Jodoform  oder  einem  ähnlichen  Mittel  bestreut  und  ein 
trockener  Mullverband  darübergelegt.  Die  Salbenbehandlung  ist 
im  ganzen  nicht  zweckmäßig,  erst  im  weiteren  Verlauf,  wenn 
das  Geschwür  reizlos  geworden  ist  und  keine  Neigung  zur  Heilung 


300 


Krankheiten  des  Nervensystems 


zeigt,  wendet  man  gern  das  Unguentum  Plumbi  tannicum  an, 
oder  auch  das  Cataplasma  ad  decubitum : 


Alle  akuten  Krankheiten  des  Gehirns  und  seiner  Häute  er- 
fordern strenge  körperliche  und  geistige  Ruhe.  Jede  Be- 
wegung, jede  Tätigkeit  kann  den  Blutzufluß  zu  den  erkrankten 
Teilen  steigern  und  dadurch  schwere  Gefahr  bringen.  Das  gilt 
für  die  verschiedenen  Formen  der  Meningitis  sowohl  wie  für 
die  Entzündungen,  Blutungen  und  akuten  Erweichungen 
des  Gehirns  selbst.  Man  läßt  daher  in  allen  diesen  Fällen  den 
Kranken  möglichst  unveränderte  Bettlage  einhalten,  mit  leicht 
erhöhtem  Kopf.  Den  Kopf  sehr  zu  erhöhen,  würde  auch  bei 
Kongestionszuständen  keinen  wesentlichen  Nutzen  bringen,  weil 
die  Blutversorgung  doch  auch  entsprechend  steigt.  Am  ruhigsten 
ist  die  Blutverteilung  gerade  bei  mäßig  erhöhtem  Kopfe.  Der 
Hals  darf  nicht  eingeengt  sein,  damit  Atmung  und  Blutabfluß 
ungestört  vor  sich  gehen  können.  Es  ist  streitig,  ob  das  Auf- 
legen von  Eis  auf  den  Kopf  den  Blutandrang  herabsetzt,  aber 
man  hat  in  der  Praxis  doch  den  Eindruck,  daß  der  Eisbeutel 
den  Kranken  wohltut  und  sie  beruhigt,  vielleicht  vorzugsweise 
durch  Einwirkung  auf  die  Hirnrinde,  die  dem  Schädeldach  an- 
liegt. Die  früher  sehr  viel  gebrauchten  ableitenden  Verfahren, 
Einreiben  von  Pustelsalbe  in  die  glattgeschorene  Kopfhaut, 
sind  von  zweifelhafter  Wirkung  und  außerdem  eine  Quälerei  für 
den  Kranken,  daher  verzichtet  man  besser  darauf.  Ob  die  Ab- 
leitungen auf  andere  Körperteile,  z.  B.  durch  Senfteige  auf  die 
Waden,  kalte  oder  heiße  Fußbäder  usw.,  etwas  nützen,  ist  eben- 
falls sehr  zweifelhaft,  von  kräftigen  Anwendungen  soll  man  jeden- 
falls absehen,  um  nicht  eine  Rückschlagskongestion  nach  dem 
Gehirn  zu  erzielen.  Dagegen  ist  nichts  gegen  eine  Ableitung 
auf  den  Darm  einzuwenden.  Das  altbewährte  Mittel  dazu  ist 
das  Kalomel.  Es  ist  um  so  mehr  angezeigt,  weil  es  außer  der 
Abführ  Wirkung  auch  eine  starke  diuretische  Wirkung  hat.  Man 


Yjc  Acid.  tann.  1,0 

Liq.  plumbi  subacet.  2,0 
Adip.  suilli  17,0 
M.F.Ungt.  D.S.  Verbandsalbe. 


Ejfc  Decoct.  cort.  quercus  40,0 
Liq.  plumbi  subacet.  rec.  par.  4,0 
Spir.  1,0 

M.D.S.  Zu  Umschlägen. 


4.  Gehirnkrankheiten. 


1.  Allgemeines. 


Gehirnkrankheiten 


301 


gibt  das  Hydrargyrum  chloratum  als  Pulver  zu  0,2  dreimal 
täglich,  bis  starke  Entleerungen  auftreten,  manche  geben  es  bis 
zum  Erscheinen  einer  Stomatitis.  In  manchen  Fällen  mag  die 
günstige  Wirkung  auch  spezifisch  antisyphilitisch  sein.  Die  ur- 
sächliche Bedeutung  der  Syphilis  ist  bei  den  verschiedensten 
Krankheiten  des  Gehirns  so  groß,  und  dabei  ist  die  Anamnese 
oft  so  unklar,  daß  man  wirklich  sehr  oft  nicht  sagen  kann,  ob 
die  günstige  Wirkung  der  Quecksilberpräparate  eine  spezifische 
ist,  oder  ob  sie  auch  bei  nicht  syphilitschen  Erkrankungen  des 
Gehirns  günstig  wirken.  Ein  Versuch  damit  ist  daher  in  sehr 
vielen  Fällen  angezeigt,  vor  allem  auch  da,  wo  keine  andere  Be- 
handlung Erfolg  verspricht.  Sicher  könnten  viele  Gehirnkranke 
gerettet  werden,  wenn  man  kräftig  und  nachhaltig  genug  damit 
vorginge.  Leider  beschränken  sich  noch  viele  Arzte  darauf,  auch 
bei  gegründetem  Verdacht  auf  Syphilis  nur  einmal  eine  Woche  oder 
ein  paar  Wochen  lang  kleine  oder  mittlere  Gaben  von  Jodkalium  zu 
verordnen,  die  auch  bei  tertiärer  Syphilis  nicht  zu  einem  ersicht- 
lichen Erfolge  ausreichen  würden.  Eine  gründliche  Quecksilber- 
und  Jodkur,  wie  sie  bei  der  Behandlung  der  Syphilis  geschildert 
wird,  kann  dann  oft  noch  viele  Jahre  später  hervorragende  Er- 
folge erzielen,  aber  sie  kann  natürlich  nicht  das  wieder  ersetzen, 
was  in  den  verlorenen  Jahren  zerstört  worden  ist.  Die  Ana- 
mnese muß  daher,  wie  schon  S.  288  angegeben  ist,  ganz  außer- 
ordentlich sorgfältig  sein.  Ist  keine  bestimmte,  zweifellose  Ur- 
sache der  Erkrankung  zu  finden  und  auch  nicht  zweifellos  ein 
Leiden  festzustellen,  das  auf  Quecksilber-  und  Jodbehandlung 
nicht  reagieren  würde  (beispielsweise  ein  Cysticercus  oder  der- 
gleichen), so  ist  die  Kur  angezeigt.  Es  ist  wohl  am  besten,  zu- 
nächst die  Jodbehandlung  einzuleiten,  entweder  mit  großen  Gaben 
Natrium  jodatum , das  ebensogut  wirkt,  wie  Kalium  jodatum , 
aber  vom  Magen  besser  vertragen  wird,  drei-  bis  fünfmal  täglich 
zuerst  0,5,  bald  1,0,  in  wäßriger  Verdünnung,  immer  nach  den 
Mahlzeiten,  oder  noch  besser  Jodipin  Merck  subkutan,  vgl.  S.  288. 
Nachdem  man  diese  Mittel  einige  Wochen  angewendet  hat,  läßt 
man  dann  eine  Quecksilberkur  folgen,  in  der  bei  Syphilis  be- 
schriebenen Weise.  In  eiligen  Fällen,  wo  Gefahr  im  Verzüge 
ist,  kann  man  auch  beides  zugleich  an  wenden.  Mit  dem  Queck- 
silber zu  beginnen  und  die  Jodbehandlung  folgen  zu  lassen,  hat 
bei  den  hier  in  Frage  kommenden  Fällen  weniger  Zweck,  weil 
es  sich  fast  ausnahmslos  um  Spätfälle  handelt,  wobei  das  Jod 
die  eigentliche  Heilwirkung  entfaltet. 


302  Krankheiten  des  Nervensystems 

Außer  der  Syphilis  spielen  in  der  Ätiologie  der  Gehirn- 
krankheiten eine  große  Rolle  die  infektiösen  Entzündungen, 
die  von  der  Umgehung  auf  das  Gehirn  oder  seine  Häute  fort- 
geleitet werden.  Die  Vorbeugung  ist  dabei  natürlich  von  ent- 
scheidender Wichtigkeit.  Sowohl  die  Pachymeningitis  ex- 
terna wie  die  eitrige  Leptomeningitis  und  der  Gehirn- 
abszeß werden  sehr  oft  durch  Eiterungen  in  der  Nachbarschaft 
hervorgerufen.  Am  häufigsten  sind  Otitis  und  Mastoiditis  die 
Ursache,  gewöhnlich  erkrankt  dann  zuerst  die  anliegende  Partie 
der  Dura  mater  in  der  Eorm  der  Pachymeningitis  externa,  mit 
oder  ohne  Eiterung,  und  von  da  aus  dringt  die  Infektion  in  die 
Tiefe.  Zuweilen  offenbart  sich  der  so  entstandene  Abszeß  erst 
nach  langer  Zeit,  so  daß  die  ursprüngliche  Erkrankung  schon 
verheilt  und  vergessen  sein  kann.  Die  große  Mehrzahl  der  Ab- 
szesse entsteht  infolge  von  Knochenerkrankungen  bei  chronischer 
Otitis,  die  durch  Erkältung,  Influenza,  unzweckmäßige  Behandlung 
usw.  aufgerührt  wurde.  In  allen  Fällen  ist  die  sofortige  Be- 
seitigung der  gefährlichen  Eiterverhaltung  die  erste  Aufgabe. 
Je  nach  dem  Einzelfall  müssen  die  Paracentese  des  Trommel- 
felles, die  Entfernung  von  Granulationen,  Cholesteatomen,  nekro- 
tischen Knochenteilen,  Aufmeißelung  des  Processus  mastoideus 
usw.  vorgenommen  werden.  Die  chirurgische  Otiatrie  gibt  dafür 
die  genaueren  Anweisungen.  Auf  kaum  einem  Gebiete  sind  die 
Fortschritte  der  ärztlichen  Kunst  von  so  unmittelbarem  Segen 
gewesen  wie  hier.  Auch  die  Sinusthrombose  und  die  umschriebene 
Leptomeningitis  können  durch  die  Operation  geheilt  werden, 
selbst  pyämische  Erscheinungen  heben  nicht  die  Hoffnung  auf 
Rettung  des  Kranken  auf. 

Außer  den  Ohrenkrankheiten  werden  infektiöse  Entzündungen 
nicht  selten  hervorgerufen  durch  Schädelfrakturen,  infizierte 
Wunden  der  Kopfhaut,  Kopfrose,  Nackenkarbunkel, 
Eiterungen  in  den  Stirn-  und  Kieferhöhlen,  im  Nasen- 
rachenraum usw.,  weiterhin  auch  durch  eitrige  und  brandige 
Erkrankungen  der  Lungen,  Endokarditis,  Peritonitis, 
Osteomyelitis  und  Pyämie  irgendwelchen  Ursprunges.  Selbst- 
verständlich muß  auch  in  allen  diesen  Fällen  der  ursächliche 
Herd  auf  das  sorgfältigste  angegriffen  und  behandelt  werden. 

Für  die  epidemische  Zerebr ospinalmeningitis  ist  bis- 
her nur  bekannt,  daß  der  spezifische  Erreger,  der  Weichselb aum- 
sche  Diplokokkus,  von  der  Nase  aus  durch  die  Lymphbahnen 
ins  Gehirn  einwandert.  Man  wird  daher,  soweit  es  möglich  ist, 


Gehimkrankheiten 


303 


die  Nase  desinfizieren,  wenn  die  Krankheit  epidemisch  auftritt. 
Welches  Mittel  dazu  am  besten  geeignet  ist,  läßt  sich  leider  noch 
nicht  sagen.  Nach  sonstigen  Erfahrungen  wird  man  sowohl  den 
Gebrauch  der  Formanwatte,  vgl.  S.  33,  wie  die  Einblasungen  von 
Sozojodolnatrium  in  den  Nasenrachenraum  für  zweckmäßig  halten, 
vgl.  Keuchhusten  und  Diphtherie  im  VII.  Abschnitte.  Daß  die 
Krankheit  sich  ihre  Opfer  nur  unter  den  jüngeren  Menschen  sucht, 
unterhalb  des  dreißigsten  Jahres,  spricht,  wie  ich  zuerst  betont  habe, 
dafür,  daß  die  Infektion  durch  die  reichlichere  Entwicklung  des  lym- 
phoiden  Gewebes  im  Nasenrachenraum  bei  Jugendlichen  begünstigt 
wird,  wie  es  ja  auch  bei  der  Angina  der  Fall  ist.  Man  wird 
daher  auch  der  Beseitigung  der  Rachenmandeln  besondere  Auf- 
merksamkeit schenken  müssen.  Außerdem  kommt  in  prophy- 
laktischer Beziehung  vor  allem  die  Beseitigung  der  Erkrankten 
aus  der  Nähe  der  Gesunden  und  eine  gründliche  Desinfektion 
ihrer  ganzen  Umgebung  in  Frage. 

Für  die  einzelnen  Krankheiten  kommt  weiterhin  noch  ver- 
schiedenes zur  Anwendung: 

2.  Entzündliche  Erkrankungen. 

Die  seröse  Meningitis,  die  für  sich  oder  im  Gefolge  des 
Gelenkrheumatismus  auftritt,  wird  manchmal  durch  Behandlung 
mit  Natrium  salicylicum  oder  Aspirin  günstig  beeinflußt.  Man 
gibt  beide  Mittel  in  derselben  Weise,  wie  es  S.  280  für  die  Be- 
handlung der  rheumatischen  Neuralgien  beschrieben  ist.  In 
anderen  Fällen  hat  sich  eine  Quecksilberkur  bewährt,  entweder 
durch  Einreihungen  von  Unguentum  Hydrargyri  cinereum  oder 
durch  Einspritzungen  von  Quecksilber  salzen  unter  die  Haut  oder 
endlich  durch  Kalomel,  0,2  mehrmals  täglich.  Über  die  Ein- 
reibungs-  und  Einspritzungskuren  ist  Genaueres  im  Abschnitt 
über  Syphilis  nachzusehen.  Man  wendet  diese  Kuren  bei  der 
primären  Meningitis  4 — 6 Wochen  lang  an.  Bei  seröser 
Meningitis  und  hei  epidemischer  Zerehrospinalmeningitis 
verwendet  man  neuerdings  regelmäßig  die  von  Quincke  an- 
gegebene, in  den  letzten  10  Jahren  erprobte  Spinalpunktion 
oder  Lumbalpunktion.  Das  dazu  gehörige  Instrumentarium 
kann  man  zusammen  vom  Instrumentenmacher  Beckmann  in 
Kiel  für  22  Mark  beziehen.  Man  kann  aber  auch  jede  Punktions- 
nadel dazu  benutzen,  die  etwa  10  cm  lang  und  1 mm  dick  ist. 
Sie  soll  keine  zu  lange  Spitze  haben.  Die  Punktion  wird  wie 
folgt  ausgeführt:  Der  Kranke  liegt  auf  der  Seite,  mit  angezogenen 


304 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Beinen  und  möglichst  herausgedrücktem  Rücken,  damit  die  Dorn- 
fortsätze möglichst  weit  auseinander  weichen.  Dann  wird  die 
Lendengegend  sorgfältig  desinfiziert  und  die  Gegend  des  3.  bis 
5.  Lendenwirbels  festgestellt.  In  dieser  Höhe  sticht  man  dicht 
unterhalb  eines  Dornfortsatzes  in  der  Mittellinie  die  Nadel  sagittal 
oder  leicht  kopfwärts  gerichtet  ein;  bei  sehr  fester  Muskulatur 
kann  man  auch  einen  halben  oder  einen  Zentimeter  außen  von 
der  Mittellinie  eingehen.  Bei  Erwachsenen  muß  man  5 — 8 cm, 
bei  Fettleibigen  sogar  10  cm  tief  einstechen,  bei  Kindern  2 — 3 cm. 
Man  fühlt  es  deutlich,  wenn  man  in  den  Rückenmarkkanal  ge- 
langt ist.  Man  kann  dann  mit  einer  besonderen  Vorrichtung  den 
Druck  bestimmen,  worunter  die  Zerebrospinalflüssigkeit  austritt, 
für  therapeutische  Zwecke  kann  man  darauf  verzichten,  man  hört 
dann  auf,  wenn  die  Flüssigkeit  nur  noch  langsam  austritt  oder 
wenn  irgend  welche  Nebenerscheinungen  wie  Kopfschmerz, 
Schwindel,  Übelkeit,  Zuckungen  in  den  Beinen  auftreten. 
Quincke  läßt  den  Druck  nicht  unter  120  mm  heruntergehen. 
Kommt  trotz  genügend  tiefen  Einstichs  keine  Flüssigkeit,  so  ist 
es  am  besten,  die  Kanüle  herauszuziehen,  sie  zu  reinigen  und  an 
einer  oberhalb  oder  unterhalb  gelegenen  Stelle  wieder  einzustechen. 
Aspiration  und  andere  Mittel  anzuwenden,  ist  nicht  erlaubt.  Die 
Einstichöffnung  wird  nach  dem  Herausziehen  der  Nadel  mit 
Leukoplast  verschlossen.  — Man  kann  durch  das  bei  richtiger 
Ausführung  ganz  ungefährliche  und  überhaupt  nicht  schwer  zu 
erlernende  Verfahren  wohl  in  allen  Fällen  große  Erleichterung 
schaffen,  bei  wiederholter  Anwendung,  wochenlang  alle  paar  Tage, 
sobald  die  Druckerscheinungen  wieder  zunehmen,  hat  man  in 
zahlreichen  Fällen  wirkliche  Heilung  erreicht. 

Die  Punktion  der  Meningen  oder  der  Ventrikel  und 
die  Trepanation  sind  viel  schwerere  Eingriffe,  aber  sie  leisten 
zuweilen  auch  noch  bei  schwerer  eitriger  Zerebrospinalmeningitis 
etwas.  Sie  müssen  aber  dem  Chirurgen  vom  Fach  überlassen 
bleiben. 

Ein  wertvolles  Mittel  sind  heiße  Bäder.  Man  beginnt  mit 
35°  C.  und  steigert  die  Bade  wärme  allmählich  auf  38 — 40°, 
alle  3 — 4 Stunden  gibt  man  ein  solches  Bad  von  einer  viertel 
bis  halben  Stunde  Dauer.  Das  Verfahren  ist  von  Aufrecht  an- 
gegeben, die  damit  erzielten  Erfolge  werden  auf  45  °/0  und  mehr 
Heilungen  angegeben. 

In  der  ersten  Zeit  der  Krankheit,  solange  die  Kranken 
sehr  benommen  sind,  muß  man  mit  der  Ernährung  sehr  vor- 


Gehirnkrankheiten 


305 


sichtig  sein,  weil  die  Kranken  sich  durch  Verschlucken  schädigen 
können  und  auch  beim  Erbrechen  sehr  gefährdet  sind.  Wenn 
der  Kräftezustand  das  Abwarten  nicht  zuläßt,  wird  man  am 
besten  zu  Nährklistieren  seine  Zuflucht  nehmen,  vgl.  S.  105. 
Weiterhin  kann  man  z.  B.  die  Erleichterungen  benutzen,  die  nach 
heißen  Bädern  oder  nach  der  Lumbalpunktion  eintreten,  um  dann 
den  Kranken  Nahrung  zu  geben.  Sorgfältige  Lagerung,  ruhiges 
und  dunkles  Zimmer,  Fürsorge  für  Reinhaltung  des  Körpers  von 
den  Entleerungen  usw.  sind  genau  zu  beachten.  Der  Versuch, 
die  Kranken  aus  dem  Schlummerzustande  zu  ermuntern,  muß 
durchaus  unterlassen  werden,  er  ist  geradezu  schädlich.  Man  muß 
die  Umgebung  darauf  immer  wieder  aufmerksam  machen.  Treten 
Unruhe,  Krämpfe,  Schreien  oder  umgekehrt  große  Schwäche  her- 
vor, so  sind  die  angegebenen  heißen  Bäder  das  beste  Anregungs- 
mittel. Nur  im  Notfall  macht  man  von  Opium  in  Zäpfchen, 
vgl.  S.  135,  oder  Morphiumeinspritzungen,  vgl.  S.  88,  Gebrauch. 
Als  Anregungsmittel  kommt  im  Notfälle  Kampfer  in  Einspritzung 
in  Frage,  vgl.  S.  13.  Zur  Nachbehandlung  empfehlen  sich  gute 
Ernährung,  Solbäder,  vgl.  S.  240f.,  Elektrisation  der  zurück- 
gebliebenen Lähmungen  nach  S.  283 f.,  Massage  nach  S.  278, 
immer  unter  größter  Schonung  des  Kranken,  besonders  auch 
in  geistiger  Beziehung. 

Die  tuberkulöse  Meningitis  erfordert  besonders  sorgfältige 
Behandlung  tuberkulöser  Herde  im  Ohr,  im  Rachen,  in  der  Nase, 
in  der  Haut  und  den  Knochen  des  Schädels,  sowohl  prophy- 
laktisch, als  in  der  ausgebrochenen  Krankheit.  Die  Behandlung 
mit  Jodoform , als  Bepinselung  mit  Jodoformkollodium  1 : 5 mehr- 
mals täglich  im  Nacken,  am  Warzenfortsatz  und  an  den  Schläfen, 
hat  sich  nicht  bewährt.  Auch  die  Tuberkulinbeh.a,nd\\mg  wird 
als  nutzlos,  aber  nicht  ungefährlich  bezeichnet.  Am  meisten  wird 
man  auch  hier  mit  heißen  Bädern  und  mit  wiederholter  Lumbal- 
punktion, ganz  wie  eben  beschrieben,  erreichen. 

Der  akute  Hydrocephalus  wird  wie  die  Meningitis  be- 
handelt, insbesondere  muß  aber  auf  etwaige  Ursachen  gefahndet 
werden,  wie  z.  B.  Syphilis,  Rachitis,  die  mit  Phosphor  behandelt 
werden  muß,  nach  den  bei  dieser  Krankheit  angegebenen  Regeln. 
Für  den  chronischen  Hydrocephalus  empfiehlt  sich  am 
meisten  die  Lumbalpunktion  mit  nachfolgender  Kom- 
pression des  Schädels  durch  einen  Druck  verband  mit  breiten 
Heftpflasterstreifen.  Sie  ist  notwendig,  wenn  der  Hydrocephalus 
wächst  und  der  intrakranielle  Druck  steigt,  so  daß  das  Leben 
Dornblüth,  Therapie.  20 


306 


Krankheiten  des  Nervensystems 


oder  der  Verstand  oder  das  Sehvermögen  nsw.  leiden,  wenn 
Krämpfe  auftreten,  heftiger  Kopfschmerz  besteht;  bei  gleichbleiben- 
dem Hydrocephalus  auch  ohne  solchen  besonderen  Anlaß  zur  Ver- 
meidung späterer  Gefahren,  namentlich  solange  der  Schädel  noch 
im  Wachsen  ist. 

Die  Sinusthrombose  ist  in  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle 
eine  infektiöse  Entzündung,  durch  Eiterungen  in  der  Nachbarschaft 
hervorgerufen.  Für  ihre  Verhütung  und  Behandlung  trifft  daher 
das  zu,  was  vorhin  über  die  allgemeine  Behandlung  solcher 
Eiterungen  gesagt  worden  ist.  Je  früher  man  eingreift,  um  so 
besser  sind  natürlich  die  Erfolge. 

Der  Gehirnabszeß  ist  nur  der  operativen  Behandlung 
zugänglich,  und  sie  sollte  daher  in  jedem  Falle  angewendet  werden, 
auch  wenn  schon  eitrige  Pachymeningitis  externa,  Sinusthrombose 
oder  umschriebene  eitrige  Leptomeningitis  vorliegen.  Nur  bei  aus- 
gebreiteter eitriger  Leptomeningitis  ist  kein  Erfolg  von  der  Opera- 
tion zu  erwarten.  Im  allgemeinen  geht  die  Operation  dem  Wege 
der  Infektion  nach,  wie  das  vorhin  schon  angegeben  worden  ist, 
aus  besonderen  Gründen  kann  man  aber  auch  direkt  auf  den 
Eiterherd  im  Gehirn  losgehen. 

3.  Kreislaufstörungen  im  Gehirn. 

Die  Gehirnanämie  nach  Blutverlusten,  schneller  Entleerung 
von  Exsudaten,  Sturzgeburten,  bei  Herzschwäche  oder  Gehirn- 
arterienkrampf wird  ebenso  wie  die  auf  psychischem  Wege  durch 
Schreck,  Aufregung,  peinliche  Sinneseindrücke  usw.  hervorgerufene 
am  besten  durch  wagerechte  Lage  des  Kranken  bekämpft.  Die 
etwas  grobe  Nussbaum  sehe  Methode,  die  Kranken  an  den  Beinen 
aufzuheben,  ist  nicht  zu  empfehlen,  weil  man  schließlich  doch 
nicht  genau  weiß,  was  dabei  passieren  kann.  Dagegen  ist  die 
von  demselben  Autor  gerühmte  Autotransfusion  wertvoll:  die 
Glieder  werden  von  den  Enden  beginnend  mit  Flanell-  oder  Gummi- 
binden gewickelt,  so  daß  das  Blut  nach  dem  Herzen  gedrängt 
wird.  In  schweren  Fällen  von  Blutverlust  wird  es  sich  aber 
im  ganzen  empfehlen,  durch  Kochsalzinfusionen,  vgl.  S.  106, 
dem  Blutmangel  schnell  und  dauernd  abzuhelfen.  Dasselbe  gilt 
für  die  Gehirnanämie  bei  Brechdurchfall  in  den  ersten  Lebens- 
jahren, dem  sogenannten  Hydrocephaloid.  Bei  der  psychisch 
bedingten  Gehirnanämie  genügt  einfache  wagerechte  Lage,  Be- 
streichen der  Stirn  mit  Kölnischem  Wasser,  Ansprengen  mit  kaltem 
Wasser,  Senfteig  oder  Senfpflaster  auf  die  Waden  oder  auf  die 


Gehirnkrankheiten 


307 


Magengegend,  heißes  Fußbad,  im  Notfall  künstliche  Atmung.  Be- 
ruhigender Zuspruch  und  Fernhaltung  der  ängstlichen  Angehörigen, 
so  daß  der  Kranke  zur  Ruhe  kommen  kann,  sind  oft  am  wich- 
tigsten. 

Die  chronische  Gehirnanämie,  die  man  für  zahlreiche 
Beschwerden  Anämischer  oder  Nervöser  mit  oder  ohne  Grund 
verantwortlich  macht,  wird  durch  eine  richtige  Behandlung  des 
Grundleidens  beseitigt. 

Bei  der  Gehirnhyperämie  richtet  sich  die  Behandlung  natür- 
lich danach,  ob  sie  aktiv  oder  passiv  ist,  ob  es  sich  um  Kon- 
gestion oder  um  Stauung  handelt.  Die  Kongestionen  hängen 
meistens  mit  Arteriosklerose,  Alkoholismus,  Neurasthenie  zusammen 
und  müssen  demgemäß  behandelt  werden.  Im  allgemeinen  empfiehlt 
sich  für  diese  Fälle  eine  milde  Wasserbehandlung,  vorwiegend 
vegetabilische  Diät,  Alkoholenthaltung.  Einzelne  hierher  gerechnete 
Fälle  gehören  der  Epilepsie  an  und  werden  am  besten  mit  Brom- 
natrium  behandelt.  Die  klimakterischen  Wallungen  bei  Frauen  sind 
S.  256  besprochen.  In  allen  Fällen  sind  starke  Aufregungen,  ge- 
schlechtliche Exzesse  usw.  zu  vermeiden,  weil  sie  die  Gefahr  einer 
Apoplexie  mit  sich  bringen.  Auch  das  Drängen  auf  den  Stuhl 
ist  in  dieser  Beziehung  nicht  ungefährlich,  insbesondere  bei  alten 
Leuten  mit  brüchigen  Gefäßen.  Im  Anfall  selbst  ist  sitzende  oder 
liegende  Stellung  mit  erhöhtem  Kopfe  zweckmäßig,  dazu  kalte 
Umschläge  auf  den  Kopf,  vielleicht  auch  blutige  Schröpfköpfe 
oder  Blutegel  an  den  Schläfen,  bei  bedrohlichen  Erscheinungen 
ein  Aderlaß,  vgl.  S.  68.  Die  Stauungshyperämie  wird  nach 
den  Ursachen  bekämpft,  am  häufigsten  durch  Herstellung  der 
Herzkompensation  durch  Digitalis,  Ableitung  auf  den  Darm  usw. 

Die  Gehirnblutung,  Apoplexie,  erfordert  wegen  ihrer 
Wichtigkeit  eine  sorgfältige  Beachtung  der  fast  immer  zugrunde 
liegenden  Arterienerkrankung.  Die  Vermeidung  des  Alkohol- 
mißbrauches und  die  rechtzeitige  Behandlung  der  Syphilis 
sind,  wie  schon  S.  15  und  28  besprochen  ist,  besonders  wichtig. 
In  der  Diät  ist  das  zu  beachten,  was  für  die  chronischen  Herz- 
krankheiten S.  15  ff.  angegeben  ist,  auch  das  für  die  Gicht  auf- 
gestellte Regime  ist  im  allgemeinen  hier  zutreffend.  Die  sub- 
kutanen Einspritzungen  von  Jodipin  erweisen,  sich  auch  bei  vor- 
geschrittener Arteriosklerose  oft  sehr  segensreich. 

Ist  der  apoplektische  Anfall  eingetreten,  so  bringt  man  den 
Kranken  so  vorsichtig  wie  möglich  ins  Bett,  löst  zuvor  Kleidungs- 
stücke, die  den  Hals  einengen  und  läßt  diesen  auch  weiterhin 

20* 


308 


Krankheiten  des  Nervensystems 


unbeengt.  Gerade  Rückenlage,  mit  mäßig  erhöhtem  Kopfe,  ist 
zunächst  am  zweckmäßigsten.  Dauert  die  Bewußtlosigkeit  mehrere 
Tage  an,  so  muß  man  die  Lage  häufiger  verändern,  namentlich 
bei  fettleibigen  Menschen,  damit  nicht  die  Haut  Druckgeschwüre 
bekommt.  Auch  Blutsenkungen  in  den  Lungen  werden  auf  diese 
Weise  am  besten  vermieden.  Der  Versuch,  den  Kranken  aus  der 
Bewußtlosigkeit  zu  erwecken,  ist  strenge  zu  verbieten,  die  Ruhe 
ist  das,  was  ihm  zunächst  am  besten  tut.  Erwacht  der  Kranke, 
so  muß  man  sorglich  vermeiden,  ihn  irgendwie  zu  beunruhigen, 
man  stellt  ihm  die  Sache  möglichst  harmlos  dar,  bittet  ihn,  wenig 
zu  sprechen,  sich  nach  Möglichkeit  auszuruhen  usw.  Vor  allem 
darf  man  ihn  nicht  zu  Bewegungsversuchen  anregen,  das  ist 
höchstens  zu  diagnostischen  Zwecken  erlaubt  und  auch  dafür 
möglichst  einzuschränken.  Solange  die  Bewußtlosigkeit  anhält, 
gibt  man  keinerlei  Nahrung,  die  Gefahr  des  Ver Schluckens  mit 
nachfolgender  Pneumonie  ist  viel  größer  als  der  vermeintliche 
Nachteil  der  mehrtägigen  Nahrungsenthaltung.  Man  reinigt  den 
Mund  öfters  durch  Auswischen  mit  feuchten  Läppchen,  feuchtet 
die  Lippen  an  und  dergl.  Besteht  Verstopfung,  so  gibt  man  ein 
Klistier  mit  Glyzerin,  S.  137,  und  wenn  der  Kranke  wieder  zu 
sich  gekommen  ist,  Phenolphthalein,  S.  129,  bis  zu  reichlicher 
Entleerung.  Auch  wenn  der  Kranke  wieder  schlucken  kann,  be- 
schränkt man  sich  mehrere  Tage  lang  auf  flüssige  Kost,  Milch, 
Suppen,  Ei  mit  Zucker  verrührt  usw.,  alles  von  mittlerer  Wärme, 
nichts  Heißes. 

Bei  gerötetem  Gesicht  und  stark  gespanntem  Pulse  ist  ein 
Aderlaß  sehr  wertvoll,  vgl.  S.  68.  Wenn  dagegen  Zeichen  von 
Herzschwäche  vorliegen,  der  Puls  klein  oder  weich  ist,  kann 
man  trotz  aller  Bedenken  genötigt  sein,  Kaffee,  Kampfer  sub- 
kutan, Coffein  subkutan  zu  geben.  Natürlich  wendet  man  davon 
nicht  mehr  an,  als  wirklich  nötig  ist.  Bei  stärkerer  Unruhe 
oder  heftigeren  Kopfschmerzen  gibt  man  am  besten  Natrium 
bromatum  0,5  — 1,0  mehrmals  täglich,  bei  Schlaflosigkeit 
Paraldehyd,  S.  31,  oder  Pulvis  Doveri. 

Die  Behandlung  der  Hemiplegie  darf  erst  einsetzen,  wenn 
die  Bewußtlosigkeit  völlig  verschwunden  und  der  Kranke  nicht 
aufgeregt  oder  beunruhigt  ist.  Zunächst  versucht  man,  wie 
leichte  passive  Bewegungen  vertragen  werden,  weiterhin  kann  der 
Kranke  selbst  den  gelähmten  Arm  mit  dem  gesunden  Arm  be- 
wegen. Aktive  Bewegungen  soll  der  Kranke  erst  nach  drei 
Wochen  vornehmen,  am  besten  auch  dann  noch  zugleich  mit  vor- 


Gehirnkrankheiten 


309 


geschriebenen  Bewegungen  der  gesunden  Seite,  wodurch  die  kranke 
zu  Mitbewegungen  veranlaßt  wird.  Gleichzeitig  kann  man  auch 
mit  peripherischer  Faradisation  beginnen.  Man  setzt  die  in- 
differente Elektrode  auf  die  Magengegend,  die  Unterbrecherelektrode 
auf  die  Reizpunkte  der  gelähmten  Muskeln,  nicht  auf  ihre  Ant- 
agonisten, die  ohnehin  schon  das  Übergewicht  haben.  Am  Bein 
sind,  wie  Mann  nachgewiesen  hat,  besonders  oft  die  Dorsalflexoren 
des  Fußes  und  die  Beuger  des  Ober-  und  des  Unterschenkels  ge- 
lähmt. Sind  die  .betroffenen  Muskeln  in  Kontrakturzustand,  so 
übergeht  man  sie  jedenfalls.  Am  besten  faradisiert  man  täglich 
jedes  Glied  5 — 10  Minuten  lang.  Die  Galvanisation  am  Kopfe, 
mit  der  Absicht,  das  Zentraloigan  zu  treffen,  ist  besser  zu  unter- 
lassen. Bei  Hemianästhesie  bestreicht  man  die  unempfind- 
lichen Teile  mit  dem  faradischen  Pinsel. 

Sehr  wichtig  ist,  daß  man  den  Kranken  nicht  zu  früh 
gehen  läßt.  Vorher  muß  durch  Elektrisation  und  durch  Übungen 
im  Liegen  die  Lähmung  erheblich  zurückgegangen  sein,  sonst 
ziehen  sich  natürlich  nur  oder  doch  überwiegend  die  Antagonisten 
zusammen,  und  dabei  kommt  es  zu  Kontrakturen,  die  nachher 
schwer  auszugleichen  sind. 

Für  den  weiteren  Verlauf  ist  von  den  oft  verordneten  Arm- 
bädern und  dergleichen  nichts  Rechtes  zu  erwarten,  dagegen  sind 
Vollbäder,  besonders  Solbäder,  vgl.  S.  240  fi,  entschieden  sehr 
zweckmäßig.  Auch  kann  man  anscheinend  durch  fortgesetzte 
Jodbehandlung,  mit  Jodnatrium  oder  noch  besser  mit  Jodipin, 
S.  29,  die  Rückbildung  beschleunigen  und  dem  Fortschreiten  des 
ursächlichen  Arterienprozesses  Einhalt  tun. 

Die  Gehirnerweichung  infolge  von  Embolie  oder  Throm- 
bose wird  ganz  ebenso  wie  die  Apoplexie  behandelt,  nur  der 
Aderlaß  findet  dabei  keine  Anzeige,  dagegen  sind  häufiger  Exzi- 
tantien  erforderlich,  damit  nicht  die  Blutversorgung  des  Ge- 
hirnes leidet.  Auch  hier  ist  die  Jodbehandlung  sehr  wertvoll, 
bei  vorausgegangener  Syphilis  läßt  man  ihr  dann  noch  eine  Queck- 
silberkur folgen. 

Die  zerebrale  Kinderlähmung,  die  ihrer  Ätiologie  nach 
teils  zu  den  Kreislaufstörungen,  teils  zu  den  Entzündungen  zu 
rechnen  ist,  kommt  im  allgemeinen  erst  in  den  Ausgangszuständen 
zur  Behandlung.  Frische  Fälle  wären  ganz  wie  die  Apoplexie 
zu  behandeln.  Die  zurückbleibenden  Lähmungen  und  Kontrak- 
turen erfahren  durch  sorgfältige  Übung,  Massage  und  Gymnastik 
oft  eine  sehr  erhebliche  Besserung,  bei  choreatischen  und  athe- 


310 


Krankheiten  des  Nervensystems 


to tischen  Bewegungen  läßt  sich  mit  Vorteil  eine  FßENKELSche 
Übungskur,  vgl.  S.  294,  durchführen.  Oft  kommt  auch  eine 
orthopädische  Kur  mit  Apparaten  zur  Anwendung,  Die  epilep- 
tischen und  epileptoiden  Anfälle  werden  wie  die  gewöhnliche 
Epilepsie  behandelt,  oft  mit  recht  gutem  Erfolge.  Wo  dieser 
ausbleibt,  kann  eine  chirurgische  Behandlung  erwogen  werden. 
Die  Erfolge  sind  allerdings  bisher  noch  recht  wenig  ermutigend. 

4.  Gehirngeschwülste. 

Die  Prognose  der  Gehirngeschwülste  ist,  die  syphilitischen 
ausgenommen,  völlig  trostlos.  Es  ist  daher  in  jedem  Falle,  wo 
nur  die  Möglichkeit  einer  syphilitischen  Erkankung  vorliegt,  eine 
nachdrückliche  Sy  philish  eh  an  dl  ung  einzuleiten.  In  allen  anderen 
Fällen  ist  mindestens  eine  sehr  nachdrückliche  Jodkur,  mit  großen 
Dosen  Jodnatrium  oder  besser  mit  subkutanen  Einspritzungen  von 
Jodipin,  vorzunehmen,  weil  dabei  auch  manche  andere  Geschwülste 
zurückgehen  oder  zu  wachsen  aufhören,  wenigstens  für  längere 
Zeit,  und  die  Beschwerden  manchmal  sehr  verringert  werden. 
Zuverlässige  Beobachter  haben  das  für  Aneurysmen,  Gliome, 
Tuberkel  berichtet.  Man  muß  die  Mittel  viele  Monate  lang  und 
in  großen  Gaben  anwenden.  Alle  anderen  Mittel,  die  man  ver- 
sucht hat,  erzielen  nichts,  vielleicht  mit  Ausnahme  des  Arseniks , 
den  man  daher  auch  versuchen  kann,  in  der  Weise,  wie  er  bei 
der  perniziösen  Anämie  gegeben  wird. 

Die  Geschwülste  der  motorischen  Zentren  können  auch 
chirurgisch  in  Angriff  genommen  werden,  und  man  soll  dann 
natürlich  nicht  zu  lange  warten.  Bei  anders  gelegenen  Ge- 
schwülsten, so  am  Kleinhirn,  ist  allerdings  in  neuerer  Zeit  auch 
öfters  operiert  worden,  aber  doch  mit  viel  weniger  Glück.  Da- 
gegen hat  es  sich  sehr  bewährt,  durch  Lumbalpunktion,  vgl.  S.  3 03 , 
oder  auch  durch  Trepanation  mit  Eröffnung  der  Dura  mater 
dem  Liquor  cerebrospinalis  einen  Abfluß  zu  verschaffen.  Wieder- 
holt konnte  man  dadurch  für  längere  Zeit  die  Kopfschmerzen 
lindern  und  die  Stauungspapille  bessern.  Die  Lumbalpunktion 
muß  jedenfalls  sehr  schonend  angewendet  werden,  man  muß  zu- 
erst nur  sehr  wenig  Flüssigkeit  ahlassen  und  beobachten,  wie 
die  Nachwirkung  ist,  weil  zuweilen  Verschlimmerungen  und  sogar 
tödlicher  Ausgang  eingetreten  sind.  Die  Trepanation  ist  wohl 
hier  vorzuziehen. 

Als  schmerzstillende  Mittel  zieht  man  zuerst  die  neueren 
Nervina  heran,  insbesondere  Pyramidon , Kryofin  und  Aspirin , 


Neurosen  311 

ohne  oder  mit  Bromnatrium,  vgl.  S.  280.  Das  Morphium  hebt 
man  so  lange  wie  möglich  für  die  Endstadien  auf. 

5.  Neurosen. 

1.  Kopfschmerz  und  Migräne. 

Wenn  der  Kranke  den  Arzt  wegen  Kopfschmerzen  um  Rat 
fragt,  so  will  er  zuerst  ein  Mittel  haben,  das  ihm  die  Schmerzen 
nimmt.  Das  ist  berechtigt,  und  eine  wirksame  Verordnung  ist 
auch  insofern  wichtig,  als  sie  erst  dem  Kranken  die  Geduld  gibt, 
die  Vorschriften  zu  befolgen,  die  erneuten  Schmerzen  Vorbeugen 
sollen. 

An  Mitteln  gegen  Kopfschmerzen  fehlt  es  nicht.  Fast  jeder 
Arzt  hat  sein  Lieblingsmittel.  Manche  rechnen  dazu  noch  das 
zu  diesem  Zweck  durchaus  verwerfliche  Morphium,  subkutan 
angewendet.  Es  ist  wohl  in  allen  Fällen  auch  auf  die  Dauer 
durch  Chinin  oder  durch  die  neueren  Antineuralgica  zu  ersetzen. 
Harmlos  und  von  sehr  sicherer  Wirkung  sind  außer  dem  Chinin 
vor  allen  das  Kryofin  und  das  Pyramidon.  Man  gibt  ersteres 
in  Kapseln,  die  anderen  beiden,  weil  sie  wenig  Geschmack  haben, 
als  Pulver  ohne  Zusatz,  alle  in  Halbgrammdosen,  nötigenfalls 
mehrmals  in  halbstündigen  Zwischenräumen.  Wenn  sie  versagen, 
so  handelt  es  sich  fast  immer  um  rheumatische  Kopfschmerzen. 
Das  ergibt  sich  meist  schon  aus  der  feststellbaren  Ursache  oder 
Gelegenheit  oder  durch  den  klopfenden,  pulsierenden  Charakter 
des  Schmerzes,  der  oft  tief  im  Kopfe  zu  sitzen  scheint,  in  anderen 
Fällen  aber  mehr  als  oberflächliche,  den  Ort  wechselnde  Stiche 
in  der  Kopfhaut  beschrieben  wird.  In  diesen  Fällen  wirken 
Aspirin  und  Natrium  salicylicum  besser,  0,5  pro  dosi,  nötigen- 
falls nach  einer  halben  Stunde  oder  schon  nach  20  Minuten 
wiederholt.  Zwischendurch  muß  der  Kranke  liegen  und  sich 
ruhig  halten,  sonst  wirken  die  Mittel  nicht  so  gut  und  machen 
auch  Beschwerden.  Fast  alle  unangenehmen  Nebenwirkungen  der 
Antineuralgica  beruhen  auf  zu  großer  Dosis  oder  darauf,  daß 
der  Kranke  sich  nach  dem  Einnehmen  viel  bewegt  oder  geistig 
angestrengt  hat:  Ist  man  sich  der  Ursache  nicht  sicher  und 
will  doch  das  Versuchen  vermeiden,  das  sonst  auch  lehrreich 
wäre,  so  kann  man  gleich  die  verschieden  wirkenden  Mittel  mit- 
einander verbinden,  z.  B.  Chinin  mit  Salizylnatron,  Aspirin  mit 
Kryofin,  Salizylnatron  mit  Antipyrin  (in  der  Form  des  Salipyrins ) 
verbinden. 


312 


Krankheiten  des  Nervensystems 


fj!  Chinin,  hydrochlor.  0,5 

D.  tal.  dos.  VI  ad  caps.  amyl. 


1^5;  Kryofini  0,5 

D.  tal.  dos.  VI.  S. 


D.S. 


1 Originalglas  Aspirintabl.  0,5 


D.S. 


Ijjfc  1 Originalglas  Salipyrintabl.  1,0 
D.S. 


Chinin,  hydrochl.  0,3 
Natr.  salicyl.  0,5 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  VI 


Kryofini 

Aspirini  ana  0,5 
M.F.Pulv.  D.  tal.  dos.  X.  S. 


ad  caps.  amyl.  S.  I 

Damit  kommt  man  eigentlich  in  allen  Fällen  aus.  Man 
kann  aber  natürlich  auch  noch  andere  Mittel  heranziehen,  z.  B. 
Antipyrin,  Phenacetin , Ladophenin , Citrophen,  Citrovanillin, 
Trigemin , Migränin,  Coffein. 

Wertvoller  ist  es  aber,  namentlich  wenn  die  Kranken  durch 
anhaltende  oder  übermäßig  heftige  Schmerzen  heruntergekommen 
und  sehr  empfindlich  und  ängstlich  geworden  sind,  die  allgemeine 
Empfindlichkeit  durch  Bromnatrium , mehrmals  täglich  0,5 — 1,0 
in  wäßriger  Lösung,  oder  durch  Codeinum  phosphoricum,  mehr- 
mals täglich  0,02 — 0,05  in  Pillen,  herabzusetzen. 

Bei  heftigen  Schmerzen  ist  Bettruhe  wertvoll,  auch  ein 
längerdauerndes  warmes  Bad,  34  °0.,  eine  viertel  bis  ganze  Stunde 
lang,  kann  sehr  wohl  tun.  Die  Nahrungsaufnahme  setzt  man  am 
besten  aus,  bis  der  Schmerz  nachläßt,  namentlich  hei  Migräne, 
die  mit  Übelkeit  und  Erbrechen  verbunden  ist.  Warme  Um- 
schläge auf  den  Kopf  oder  festes  Einbinden  des  Kopfes  mit 
einem  seidenen  Tuch  bringen  öfter  Erleichterung  als  die  viel 
verordneten,  aber  selten  wirksamen  kalten  Aufschläge.  In 
dieser  Richtung  kommt  man  nicht  ohne  Probieren  aus. 

Neben  dieser  lindernden  Behandlung  ist  es  unbedingt  nötig, 
sich  über  die  Ursache  der  Schmerzen,  über  ihre  konstitutionelle 
Grundlage  ein  Urteil  zu  bilden.  Heftige  Kopfschmerzen  begleiten 
oft  das  Entstehen  einer  Otitis  media,  die  über  den  ausstrahlenden 
Schmerzen  übersehen  werden  kann,  namentlich  hei  Kindern.  Aber 
auch  andere  organische  Grundlagen  sind  nicht  zu  vernachlässigen : 
Nasenleiden,  Rachenkrankheiten,  insbesondere  die  ver- 
größerte Rachenmandel,  Zahnleiden,  Zuckerkrankheit, 
chronische  Nephritis,  Anämie  und  Chlorose.  Die  häufigste 
Grundlage  des  habituellen  Kopfschmerzes  ist  eine  allgemeine 
Nervenschwäche,  Neurasthenie  oder  Hysterie.  Man 
darf  sich  aber  nicht  mit  dieser  Erklärung  beruhigen,  sondern 


Neurosen 


313 


man  muß  dann  auch  diese  Grundlage  behandeln.  In  vielen 
Fällen  erreicht  man  für  die  darauf  beruhenden  Kopfschmerzen 
Gutes  durch  eine  längere  Kur  mit  Eisen,  Chinin  mit  Eisen, 
Arsenik  in  steigenden  und  wieder  fallenden  Dosen,  vgl.  S.  281. 
Wichtig  ist  die  Regelung  der  Ernährung,  eine  normale,  ge- 
mischte Kost,  vgl.  S.  86,  und  die  Sorge  für  tägliche  genügende 
Darmentleerung,  vgl.  S.  116.  In  manchen  Fällen  wird  der 
Kopfschmerz  durch  Anregung  der  darnieder  liegenden  Herztätig- 
keit hei  Herzinsuffizienz  beseitigt. 

Einer  besonderen  Behandlung  bedarf  die  Migräne  in  ihren 
typischen  Fällen,  die  sich  vor  allem  durch  ihr  periodisches  Auf- 
treten, das  oft  erkennbar  aus  inneren  Veranlassungen,  ohne  echten 
äußeren  Anlaß,  erfolgt,  und  durch  die  Verbindung  mit  Übelkeit 
oder  Erbrechen,  Augenflimmern  u.  dgl.  kennzeichnet.  Die  leichten 
und  mittelschweren  Fälle  dieser  Krankheit  werden  in  ganz  aus- 
gezeichneter Weise  durch  eine  fortgesetzte  Brombehandlung, 
ähnlich  wie  bei  Epilepsie,  gebessert  und  oft  geheilt.  Auch  in 
schweren  Fällen  erreicht  man  nicht  selten  sehr  viel,  wenn  der 
allgemeine  Gesundheitszustand  nicht  zu  schlecht  oder  nicht  un- 
verbesserlich ist,  die  äußeren  Verhältnisse  günstig  liegen  und  die 
Behandlung  lange  genug  fortgesetzt  wird.  Man  gibt  zunächst 
3,0  Eairium  bromaium,  in  reichlich  Wasser  oder  kohlensaurem 
Wasser  gelöst,  jeden  Abend  einmal,  und  erhöht  diese  Dosis  bei 
ungenügendem  Erfolge  nach  einem  oder  zwei  Monaten  auf  4,0 
oder  nötigenfalls  auf  5,0.  Wenn  dann  kein  deutlicher  Erfolg 
eingetreten  ist,  kann  man  diese  Behandlung  aufgeben,  sie  wird 
dann  keine  Wirkung  mehr  tun,  wahrscheinlich  handelt  es  sich 
dann  gar  nicht  um  eine  echte  Migräne,  sondern  um  irgend  einen 
ähnlichen  Zustand.  Zu  Verwechslungen  geben  namentlich  der 
hysterische  Kopfschmerz  und  der  rheumatische  oder 
Schwielenkopfschmerz  Anlaß.  Bei  ersterem  finden  sich  in 
der  Zwischenzeit  der  Anfälle  nicht  die  gewöhnlichen  Zeichen 
leichter  Nervosität  wie  bei  der  Migräne,  sondern  Erscheinungen 
von  echter  Hysterie,  insbesondere  die  gesteigerte  Gemüts- 
empfindlichkeit, der  vermehrte  Einfluß  der  Gemütsbewegungen 
auf  das  körperliche  Befinden.  Natürlich  kann  nur  die  Allgemein- 
behandlung der  Hysterie  nützen.  Bei  dem  rheumatischen  Kopf- 
schmerz empfiehlt  es  sich,  gleichzeitig  mit  Aspirin  in  der 
S.  263  beschriebenen  Weise  und  mit  heißen  Umschlägen  oder 
Thermophor  usw.  auf  den  Kopf  und  mit  Massage  und 
Vibrationsmassage  der  infiltrierten  Kopfschwarte  vorzugehen. 


314 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Eine  Allgemeinbehandlung  mit  Lichtbädern,  vgl.  S.  265,  er- 
weist sich  dabei  oft  besonders  wichtig. 

Natürlich  darf  die  Allgemeinbehandlung  auch  bei  Migräne 
nicht  vernachlässigt  werden.  Besonders  gute  Unterstützung 
findet  die  Bromkur  oft  durch  Arsenik , das  innerlich  in  Pillen 
oder  subkutan  in  der  Verbindung  als  Atoxyl  in  steigender  und 
nachher  fallender  Weise  gegeben  wird. 


Acidi  arsenicosi  0,2 

Pulv.  et  Succ.  Liq.  ana  5,0 

F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich 

1 Pille,  steigend  bis  3 mal  tägl. 

2 Pillen,  dann  wieder  fallend, 
im  ganzen  6 Wochen  hindurch. 


Ijfc  Atoxyli  2,0 
Aq.  dest.  20,0 

M.D.S.  Tägl.  eine  halbe  Spritze, 
steigend  bis  2 Spritzen  am  Tage. 
Auszusetzen,  wenn  Kopfschmerz, 
Kratzen  im  Halse,  Übelkeit  auf- 
treten  sollten. 


Selbstverständlich  muß  in  allen  diesen  Fällen  auch  die 
Diät  richtig  gehandhabt  werden.  Eine  normale  gemischte  Kost, 
vgl.  S.  86,  ist  für  die  meisten  Fälle  das  Richtige,  für  den  An- 
fang kann  auch  eine  vorwiegend  vegetarische  Kost  wertvoll 
sein.  Sorgfältige  Hautpflege  durch  regelmäßige  Bäder  in 
mittleren  Wärmegraden,  Wannenbäder  von  33°  0.,  Flußbäder 
von  18°  0.  und  mehr,  Meerbäder  von  ganz  kurzer  Dauer  und 
nur  2 — 3 mal  wöchentlich  werden  meist  sehr  gut  ertragen  und 
verbessern  die  allgemeine  Widerstandskraft.  Besonders  empfehlens- 
wert ist  immer  die  Gewöhnung  der  Haut  an  Luft  und  Licht, 
wie  sie  durch  Luftbäder  und  Sonnenbäder  erzielt  wird. 
Man  beginnt  damit  in  der  wärmeren  Jahreszeit,  entweder  in 
eigenen  Luftbädern  im  Freien,  oder  indem  man  die  Patienten 
veranlaßt,  zunächst  beim  Ankleiden  und  Auskleiden  möglichst 
lange  unbekleidet  zu  verweilen.  Allmählich  geschieht  das  dann 
auch  bei  ungünstigerem  Wetter  bei  offenen  Fenstern,  bis  völlige 
Abhärtung  erreicht  ist. 

Hinsichtlich  besonderer  Verhältnisse  ist  das  Nähere  aus  dem 
Abschnitt  Neurasthenie  zu  ersehen. 


2.  Neurasthenie. 

Die  Behandlung  der  Neurasthenie  würde  kein  so  streitiges 
Kapitel  sein,  wenn  es  sich  dabei  immer  um  bestimmte,  einheit- 
liche Krankheitformen  handelte.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall. 
Auch  bei  dem  Versuche  einer  eindringenden  Diagnostik  wird  man 
in  der  Praxis  nicht  umhin  können,  als  Neurasthenie  einerseits 
die  wirklich  durch  Überanstrengungen  verschiedenster  Art, 


Neurosen 


315 


auf  körperlichem,  geistigen  oder  Gemütswege,  erworbene  Ge- 
hirnerschöpfung und  anderseits  die  auf  konstitutionell  ver- 
minderter Widerstandskraft  beruhende  abnorme  Erschöpfbar- 
keit aufzufassen. 

Für  die  erste  Gruppe  sollte  es  selbstverständlich  sein,  daß 
man  den  Erschöpfungszustand  mit  körperlicher  und  geistiger 
Ruhe  behandelt.  Das  wird  aber  noch  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  übersehen,  teils  eben  durch  Verwechslung  mit  den  Fällen 
der  zweiten  Gruppe,  teils  weil  die  nervöse  Krankheit  überhaupt 
nicht  gewürdigt,  für  Einbildung  und  dergl.  gehalten  wird.  Ich 
habe  seit  mehr  als  einem  Jahrzehnt  immer  wieder  darauf  hin- 
gewiesen, daß  ein  wirklicher  Erfolg  nur  durch  genügendes  Aus- 
ruhen erreicht  wird.  Die  Besserungen  durch  Reisen,  Gebirgs- 
touren,  Sport  usw.  sind  fast  ausnahmslos  vorübergehende,  der 
Kranke  vergißt  seine  Beschwerden  eine  Zeitlang  über  der  Ab- 
lenkung, sie  kommen  aber  wieder,  sobald  er  seinen  Beruf  wieder 
aufnimmt,  und  dann  heißt  es  gewöhnlich,  der  Mann  würde  ganz 
gesund  sein,  wenn  er  nicht  gerade  diesen  Beruf  hätte.  Sattelt 
er  um,  was  nicht  selten  von  kurzsichtigen  Beratern  empfohlen 
wird,  oder  verlegt  die  neurasthenische  Frau  ihren  Haushalt  aus 
der  Großstadt  aufs  Land  oder  in  eine  Kleinstadt,  so  zeigt  sich 
ebenfalls  bald,  daß  die  Krankheit  mitgezogen  ist.  Ebenso  geht 
es,  wenn  ohne  genügenden  Grund  dem  Klima  die  Schuld  an  der 
Krankheit  beigemessen  wurde  und  der  Wohnort  deshalb  ge- 
wechselt wird.  Auch  die  üblichen  Kuren  in  Wasserheilanstalten, 
Naturheilanstalten,  bei  Lahmann  und  anderen  bringen  vielfach 
solche  Scheinerfolge.  Solange  der  Kranke  dort  nur  der  Kur 
und  seinem  Vergnügen  lebt  und  durch  das  wechselnde  Bild  der 
neuen,  vielfach  mit  Überraschungen  arbeitenden  Umgebung  an- 
geregt wird,  geht  es  ihm  ganz  gut,  aus  der  Kur  und  meist  auch 
noch  einige  Wochen  nachher  schreibt  er  die  glänzendsten  Be- 
richte an  Freunde  und  Bekannte  und  macht  sich  zum  unbezahlten 
Vertreter  der  an  ihm  so  glänzend  bewährten  Heilmethode,  er 
verteidigt  ihre  Seltsamkeiten  um  so  beredter,  je  sonderbarer  sie 
ihm  selbst  zunächst  erschienen  sind,  aber  nach  einiger  Zeit 
schweigt  er  ganz  davon.  Entweder  wendet  er  sich  nun  einer 
neuen  Kur  zu,  oder  er  wiederholt  die  bisherige,  um  abermals 
einen  gewissen  Erfolg  zu  haben,  oder  er  resigniert  sich  in  dem 
Gedanken,  daß  die  vortreffliche  Kur  nur  wegen  seines  ungünstigen 
Berufes  oder  wegen  seiner  trüben  Familien-  oder  Geschäftsver- 
hältnisse nicht  Vorhalten  könne.  Oft  sind  auch  die  Heilkünstler 


316 


Krankheiten  des  Nervensystems 


schon  so  klug  gewesen,  ihm  von  vornherein  zu  sagen,  daß  er 
wenigstens  fünf  Jahre  hintereinander  zur  Kur  kommen  müsse. 
Dann  hat  er  wenigstens  nicht  das  Recht,  ihnen  Vorwürfe  zu 
machen,  wenn  es  die  ersten  Male  nichts  nützt. 

Der  Arzt  muß,  um  ein  wirkliches  Urteil  zu  gewinnen,  auf 
dem  Standpunkte  stehen,  daß  fast  jedermann  ein  Durchschnitts- 
maß von  Arbeit  und  Sorge  und  Familienschwierigkeiten  zu  tragen 
hat,  und  daß  man  eine  objektive  Überarbeitung  und  Erschöpfung 
nur  annehmen  darf,  wenn  der  Kranke  wirklich  ganz  Besonderes 
zu  ertragen  gehabt  hat,  namentlich  Arbeit  mit  Gemütsbewegungen, 
schweren  Sorgen  und  Kränkungen  oder  mit  körperlicher  Krank- 
heit, Krankenpflege  usw.  vereint.  Je  weniger  Sicheres  davon 
nachzuweisen  ist,  um  so  wahrscheinlicher  wird  die  angeborene 
Nervenerschöpf barkeit,  die  zweite  therapeutische  Gruppe. 

Wie  die  Ruheb ehajidlung  im  einzelnen  Falle  durchzuführen 
ist,  das  richtet  sich  ganz  nach  den  individuellen  Verhältnissen. 
Je  stärker  die  Erschöpfung,  je  weniger  erfolgreich  die  bisherigen 
Versuche  der  Behandlung,  um  so  dringlicher  ist  die  Ruhe.  Sie 
läßt  sich  für  die  Hausfrau  fast  nur  außerhalb  des  Hauses  durch- 
führen, auch  für  den  Hausherrn  ist  es  oft  unumgänglich , weil 
er  nur  auf  diese  Art  den  schädlichen  Einflüssen  entzogen  wird, 
die  seine  Krankheit  herbeigeführt  haben.  Das  ist  nicht  immer 
leicht  durchzuführen,  teils  wegen  Familienbedenken,  teils  weil 
der  Beruf,  die  Geldverhältnisse  und  sonstige  Gründe  widersprechen. 
Wenn  man  aber  immer  vorher  wüßte,  daß  die  zu  Hause  unter- 
nommene Kur  doch  nur  eine  Enttäuschung  bedeutet,  und  daß 
man  nach  verlorener  Zeit  und  Mühe  doch  noch  zu  dem  ur- 
sprünglich empfohlenen  Plane  kommen  wird,  hätte  man  sich 
gewiß  von  vornherein  dazu  entschlossen. 

Die  großen  Wasserheilanstalten  und  die  Kurhotels 
der  Luftkurorte  und  mancher  Bäder  bilden  immer  noch  den  Zu- 
fluchtsort einer  sehr  großen  Zahl  von  Überarbeiteten  und  Er- 
schöpften, nicht  immer  zum  Vorteil  der  Leidenden.  Denn  eine 
wirkliche  Ruhe  gewähren  die  wenigsten,  zumal  nicht  in  der 
Saison.  In  Wirklichkeit  sind  sie  nur  für  die  allerleichtesten, 
nicht  eigentlich  ärztlich  zu  behandelnden  Fälle  von  vorübergehen- 
der Erholungsbedürftigkeit  geeignet.  Für  die  eigentliche  Neur- 
asthenie wird  man  zum  Wohle  der  Kranken  immer  mehr  von 
den  großen  Anstalten  absehen  und  kleine  Sanatorien,  für  10 
bis  höchstens  30  Kranke,  verordnen,  wo  Ruhe  im  Betrieb  herrschen 
und  jeder  einzelne  wirklich  ärztlich  beraten  werden  kann.  Das 


Neurosen 


317 


Jahrbuch  der  Heil-,  Pflege-  und  Kuranstalten  und  andere  Führer 
durch  die  Heilanstalten  geben  darüber  genügende  Auskunft.  Sie 
bieten  meist  auch  den  Vorteil,  daß  die  Kur  das  ganze  Jahr  hindurch 
gleich  gut  vorgenommen  werden  kann,  während  die  Luftkurorte 
im  allgemeinen  auf  eine  bestimmte  Jahreszeit  angewiesen  sind.  Die 
Wasserheilanstalten  sind  manchmal  für  Kranke  besonders  in  der 
stillen  Zeit  zu  empfehlen,  wo  sie  weniger  besucht  sind. 

Bleibt  der  Kranke  in  seiner  Häuslichkeit,  so  muß  mit 
größter  Sorgfalt  der  Tageslauf  geordnet  werden.  Nicht  deshalb, 
wie  man  früher  oft  sagte,  damit  der  Kranke  den  ganzen  Tag 
beschäftigt  ist  und  keine  Zeit  hat,  an  seine  Krankheit  zu  denken, 
sondern  gerade  umgekehrt,  mit  der  Absicht,  so  viel  Buhe  wie 
irgend  möglich  zu  schaffen  und  alle  vermeidbaren  Anstrengungen 
und  Erregungen  zu  beseitigen.  Wo  eine  gewisse  Arbeitsleistung 
erlaubt  wird,  muß  sie  ganz  genau  zugemessen  werden. 

Besonders  wichtig  ist  der  regelmäßige  Tagesanfang.  Inner- 
halb der  durch  die  Lebensgewohnheiten  bestimmten  Schwankungen 
muß  für  den  einzelnen  Kranken  eine  Zeit  festgesetzt  werden,  wo 
er  geweckt  wird,  am  besten  etwa  um  7 oder  1/2  8 Uhr.  Die 
einmal  festgesetzte  Zeit  muß  unter  allen  Umständen  eingehalten 
werden,  auch  wenn  der  Kranke  schlecht  geschlafen  hat  oder  spät 
ins  Bett  gegangen  ist.  Vor  allem  gilt  dieser  Grundsatz  auch 
für  Kranke  mit  chronischer  Schlaflosigkeit;  nur  ein  früh- 
zeitiger und  pünktlicher  Tagesbeginn  sichert  ihnen  ein  recht- 
zeitiges Einschlafen  am  Abend.  Nach  dem  Erwachen  ist  sofort 
aufzustehen  und  Kopf  und  Oberkörper  zu  waschen,  mit  stuben- 
warmem Wasser,  der  Mund  zu  spülen  usw.  Während  dieser 
Zeit  soll  wenigstens  der  größte  Teil  des  Körpers  unbedeckt 
bleiben.  Man  muß  bei  dieser  Gelegenheit  auch  darauf  hinweisen, 
daß  unbedingt  morgens  und  abends  andere  Wäsche  und  Unter- 
wäsche angelegt  werden  muß,  damit  die  beim  Tragen  aufgenommene 
Feuchtigkeit  wieder  ausdunsten  kann.  Die  Neurasthenie  an  sich 
gibt  keinen  Grund,  Unterzeug  zu  tragen,  nur  in  ungünstigerem 
Klima  und  während  der  schlechteren  Jahreszeit  wird  sich  im 
allgemeinen  ein  leichtes  Unterzeug  empfehlen,  schwächliche,  sehr 
zarte  Personen  mögen  im  Winter  Wolle  auf  der  Haut  tragen. 
Die  Gewöhnung  an  Luftbäder  wird  diese  Fürsorge  vielfach  über- 
flüssig machen.  Die  Behauptung  von  der  besonders  günstigen 
Einwirkung  bestimmter  Stoffe  auf  die  Hautnerven,  sei  es  Wolle 
oder  LAHMANNSches  Unterzeug,  entbehrt  jeder  Begründung. 

Nach  dem  Ankleiden  wird  das  erste  Frühstück  einge- 


318 


Krankheiten  des  Nervensystems 


nommen,  Schwächliche  und  besonders  rahebedürftige  Kranke 
nehmen  es  oft  mit  Vorteil  im  Bett,  natürlich  nachdem  sie  gründ- 
lich Toilette  gemacht  haben  und  das  Zimmer  gut  gelüftet  worden 
ist.  Ob  Kaffee,  Tee,  Kakao,  Schokolade,  Milch  oder  eine  der  be- 
liebten Hafersuppen  genommen  wird,  ist  dem  Geschmack  zu  über- 
lassen, für  die  Krankheit  bedeuten  die  einzelnen  Getränke  weder 
Nutz  en^n  och  Schaden.  Das  vielfach  ausgesprochene  Verbot  von 
Kaffee  ,und  Tee  hat  gar  keine  Berechtigung ; die  ihnen  zuge- 
schriebenen Beschwerden  erklären  sich  meist  durch  andere  Gründe. 
Wo  die  Ernährung  zu  wünschen  übrig  läßt,  wird  man  besonders 
gern  Milch  und  den  damit  bereiteten  Kakao  oder  die  noch  nahr- 
haftere Schokolade  verwenden.  Um  10  Uhr  gibt  man  ein  leichtes 
zweites  Frühstück,  z.  B.  ein  viertel  Liter  Milch  oder  ein  belegtes 
Butterbrot,  um  1 Uhr  das  Mittagessen:  Suppe,  ein  viertel  Pfund 
Fleisch,  reichlich  Gemüse  und  Kartoffeln,  nach  Belieben  süße 
Speisen,  Obst,  Kompott,  als  Getränk  Wasser  oder  kohlensaures 
Wasser.  Nach  dem  Mittagessen  ist  ruhiges  Verhalten  nötig,  am 
besten  etwa  einstündiges  Liegen,  für  Schwächliche  im  Bett;  bei 
geringem  Appetit  und  Kräften  ist  es  oft  besonders  gut,  wenn 
der  Kranke  auch  vor  dem  Essen  eine  viertel  bis  ganze  Stunde 
liegt.  Kranke,  denen  der  Nachmittagschlaf  nicht  gut  bekommt, 
schlafen  ebenfalls  besser  vor  dem  Essen  und  halten  nachher  nur 
Ruhe.  Um  4 Uhr  wieder  Kaffee,  Tee,  Kakao  oder  Milch,  bei 
Schwächlichen  mit  Kuchen,  Zwieback  usw.,  um  1/2S  Uhr  Abend- 
brot, je  nach  den  Gewohnheiten  warm  oder  kalt,  mit  nicht  mehr 
als  einem  viertel  Pfund  Fleisch.  Die  Alkoholgetränke  werden 
am  besten  ganz  verboten,  mindestens  für  die  Zeit  der  Kur. 
Trotz  ihrer  für  den  Augenblick  anregenden  Wirkung  bekommen 
sie  den  Neurasthenischen  immer  schlecht,  sie  schädigen  offenbar 
die  Erholungsfähigkeit  der  Nerven.  Die  während  der  Kur  durch- 
geführte Abstinenz  zeigt  gewöhnlich  den  Kranken,  daß  man  auch 
ohne  regelmäßigen  Alkoholgenuß  sehr  gut  leben  kann  und  bringt 
sie  dadurch  dauernd  zu  einer  vernünftigen  Mäßigkeit.  Je  schwächer 
die  Kranken  und  je  schlechter  der  Schlaf,  um  so  früher  müssen 
sie  ins  Bett  gehen.  Körperliche  Bewegung  vor  der  Nachtruhe 
ist  jedenfalls  unzweckmäßig.  Auch  kalte  Waschungen  sind  dann 
zu  vermeiden,  dagegen  wirken  indifferente  Bäder  gut  auf  den 
Schlaf,  je  länger  dauernd,  um  so  mehr,  von  5 Minuten  bis  zu 
einer  oder  zwei  Stunden,  immer  bei  33 — 34°  C.  Schickt  man 
Schlaflose  um  8 Uhr  ins  Bett,  so  muß  man  ihnen  sagen,  daß 
das  geschieht,  damit  sie  um  10  Uhr  oder  doch  nicht  viel  später 


Neurosen 


319 


einschlafen  können.  Auch  die  Körperbewegung  am  Tage 
hängt  vom  Gesamtzustand  des  Körpers  und  des  Nervensystems 
ab.  Unruhe,  Ängstlichkeit,  Aufgeregtheit  usw.  verlangen  viel 
Ruhe,  im  Anfang  bilden  sie  eine  besondere  Anzeige  für  Bett- 
ruhe den  ganzen  Tag  über,  ebenso  schwerere  nervöse  Magen- 
und  Darmstörungen,  Herzstörungen  usw.  Wenn  die  Funktionen 
normaler  werden,  geht  man  vorsichtig  zu  allmählich  größeren 
Spaziergängen  über,  aber  alle  anstrengenden  Körperübungen, 
Turnen,  Fechten,  Radfahren,  Schwimmen,  Tennisspielen  usw.  ge- 
hören erst  in  die  ausgesprochene  Rekonvaleszenz.  Genau  so  steht 
es  mit  der  geistigen  Arbeit.  Je  mehr  Ruhe  in  der  ersten 
Zeit,  um  so  schneller  und  besser  kommt  man  wieder  zu  einer 
wirklichen  Leistung.  Nur  bei  der  im  Anfang  dieses  Kapitels 
erwähnten  Gruppe  der  konstitutionell  Nervenschwachen 
kann  man  darüber  verschiedener  Meinung  sein.  Dies  sind  die 
Fälle,  für  die  hervorragende  Nervenärzte,  ich  nenne  nur  Möbius 
und  Ziehen,  die  Arbeitsbehandlung  empfohlen  haben.  Ich 
habe  bei  recht  ausgedehnter  Erfahrung  den  Eindruck  gewonnen, 
daß  allzu  oft  die  in  Anstalten  durchgeführte  Arbeitskur  aufge- 
geben wird,  sobald  die  Kranken  nicht  mehr  unter  dem  ärztlichen 
Einfluß  stehen,  daß  aber  nach  vorhergehender  Ruhekur 
auch  die  meisten  konstitutionell  Nervösen  hei  einer  richtig  ge- 
wählten Beschäftigung  verbleiben  und  sich  dabei  dauernd  wohl 
befinden.  Im  ganzen  gehört  das  jedenfalls  zu  den  schwierigeren 
Fragen  der  Behandlung  Nervenkranker,  die  Befragung  eines 
Spezialisten  wird  sich  daher  oft  lohnen.  Wo  dazu  keine  Gelegen- 
heit ist,  kommt  man  voraussichtlich  am  weitesten  mit  dem  Grund- 
satz: zuerst  ein  großes  Maß  von  körperlicher  und  geistiger 
Ruhe,  dann  ganz  allmählich  und  individuell  steigende  Be- 
wegung und  Arbeit. 

Mit  einer  derartigen  Regelung  des  Tageslaufes  gewinnt  der 
Arzt  zugleich  das  für  den  Erfolg  unentbehrliche  Vertrauen  des 
Kranken.  Dieser  sieht,  daß  der  Arzt  genau  ist,  daß  er  die 
Krankheit  nicht  zu  leicht  nimmt,  er  erkennt  auch  zugleich,  daß 
er  in  seiner  bisherigen  Lebensweise  allerlei  Fehler  gehabt  hat, 
die  an  seiner  Krankheit  schuld  sind  und  deren  Vermeidung 
segensreich  wirken  muß.  Das  beruhigt  auch  hypochondrische 
Menschen  in  nachhaltiger  Weise.  Unruhige  Kranke  empfinden 
oft  schon  den  Gedanken,  daß  sie  ruhen  sollen,  als  beängstigende 
Zumutung,  aber  der  Erfolg  zeigt  ohne  Ausnahme,  daß  Bettruhe 
die  nervöse  Aufregung  vermindert. 


320 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Für  die  schwersten  Fälle  ist  besonders  die  Trennung  des 
Kranken  von  allen  Einflüssen  der  Außenwelt  nötig,  man  läßt 
ihn  mit  einem  Pfleger  oder  einer  Pflegerin  allein  im  Zimmer, 
läßt  andauernd  das  Bett  hüten  und  verbietet  Besuch  und  Brief- 
wechsel. Die  fehlende  Bewegung  wird  durch  Massage  des 
ganzen  Körpers  und  durch  allgemeine  Faradisation  ersetzt. 
Man  nimmt  diese  so  vor,  daß  der  eine  Pol  des  faradischen 
Apparates  oder  des  Sinusoidalstromes,  vgl.  S.  275,  auf  das  Epi- 
gastrium  gesetzt  wird,  die  andere  Elektrode  streichend  über  die 
Haut  zuerst  eines  Armes,  dann  des  anderen,  dann  eines  Beines, 
dann  des  anderen  und  schließlich  über  den  Rücken  und  dann  über 
den  Bauch  hingeführt  wird,  im  ganzen  in  15 — 20  Minuten,  bei 
einer  Stromstärke,  die  eben  Muskelzusammenziehungen  auslöst. 
Statt  der  Elektrode  kann  man  auch  eine  den  Strom  leitende 
Massierrolle  benutzen.  Noch  angenehmer  ist  den  Kranken  die 
elektrische  Hand;  die  eine  Elektrode  steht  auf  dem  Epi- 
gastrium  des  Kranken,  die  andere  nimmt  der  Arzt  in  die  linke 
Hand,  und  mit  seiner  Rechten,  die  mit  warmem  Wasser  ebenso 
wie  die  Elektroden  gut  angefeuchtet  ist,  knetet  er  in  der  oben 
beschriebenen  Folge  die  Muskeln  der  einzelnen  Körperteile  durch. 

Wo  die  Ernährung  der  Kranken  tiefsteht,  verbindet  man 
diese  drei  Faktoren,  die  Isolierung,  die  Bettruhe  und  die 
allgemeine  Massage  und  Faradisation,  mit  einer  Über- 
ernährung. Diese  Gesamtheit  wird  gewöhnlich  unter  dem 
Namen  Weir-Mitchell-  oder  PLAYFAiR-Kur  oder  auch  als  Mast- 
kur bezeichnet.  Es  sei  ausdrücklich  betont,  daß  die  geistige 
und  körperliche  Ruhe  dabei  die  Hauptsache  für  den  Neurasthe- 
nischen  ist,  und  daß  die  Überernährung  nur  dann  hinzukommen 
darf,  wenn  der  Ernährungszustand  wirklich  verbessert  werden 
soll.  In  der  Praxis  werden  leider  viel  Fehler  gemacht,  es  werden ' 
oft  Kranke  mit  Mästung  behandelt,  die  in  Wahrheit  eine  Ent- 
fettungskur nötig  gehabt  hätten. 

Die  Mastkost  wird  in  verschiedener  Weise  zusammengesetzt. 
Weir-Mitchell  empfiehlt,  während  der  ersten  drei  bis  vier  Tage 
nur  Milch  zu  geben,  2 stündlich  90 — 120  g,  dann  schnell 
steigend  auf  0,25 — 0,3  1 jedesmal,  bis  zu  einer  Gesamtmenge  von 
2 — 2,5  1 täglich,  zur  Verminderung  des  Widerwillens  in  möglichst 
abwechselnder  Form,  warm,  kalt,  sauer,  mit  doppeltkohlensaurem 
Natron  oder  mit  Kalk wasser  versetzt,  mit  Tee,  Kaffee,  Kakao  usw. 
Jede  Portion  wird  langsam,  schluckweise  getrunken.  Am  Ende 
der  ersten  Woche  wird  ein  leichtes  Frühstück  hinzugefügt,  einige 


Neurosen 


321 


Tage  später  ein  Mittagessen,  dann  bei  den  anderen  Mahlzeiten 
Butterbrot  usw.,  so  daß  nach  zwei  Wochen  außer  der  Milch  eine 
normale  Kost  genossen  wird. 

Ich  lasse  seit  Jahren  die  Überernährung  in  der  Weise  vor- 
nehmen, daß  die  Kranken  eine  Kost  wie  die  auf  S.  86  angegebene 
erhalten,  die  von  Anfang  an  oder  nach  der  ersten  Woche  in  ver- 
schiedener Weise  bereichert  wird:  beim  ersten  Frühstück  statt 
Kaffee  oder  Tee  ein  viertel  Liter  Kakao  oder  Schokolade  mit  Sahne 
bereitet;  zum  zweiten  Frühstück  ein  viertel  Liter  Milch  in  beliebiger 
Form,  beim  Mittagessen  eine  nahrhafte  Süßspeise,  ein  Rahm- 
gefrorenes und  dergl.,  zur  Vesper  wieder  ein  viertel  Liter  Sahne- 
kakao oder  Sahne  mit  geringem  Zusatz  von  Kaffeeextrakt  oder 
Teeextrakt  (so  daß  in  beiden  Fällen  das  Wasser  großenteils  durch 
Sahne  ersetzt  wird),  endlich  um  9 Uhr  oder  etwas  später  noch 
ein  viertel  Liter  Milch  oder  Milchkakao  oder  Sahnekakao.  Ver- 
wendet man  außerdem  noch  reichlich  Butter  bei  der  Bereitung 
der  Gemüse,  so  läßt  sich  eine  sehr  reichliche  Kost  herstellen, 
ohne  daß  der  Kranke  sehr  dadurch  belästigt  wird.  Vor  allem 
ist  der  dabei  erreichte  hohe  Gehalt  an  Fett  und  Kohlehydraten 
wertvoll,  während  die  Eiweißmenge  nicht  übermäßig  erhöht  wird. 
Bei  Kranken,  denen  das  Essen  schwer  fällt,  läßt  man  immer  die 
weniger  wichtigen  Teile  der  Kost  weg,  wie  z.  B.  die  Suppen, 
die  ihnen  oft  die  Kraft  für  ein  ordentliches  Mittagessen  weg- 
nehmen, ohne  dafür  zu  entschädigen.  Zuweilen  kommt  man  am 
besten  weiter,  wenn  man  zunächst  die  bestehende  Magenempfind- 
lichkeit durch  eine  getrennte  Kost  beseitigt,  wie  sie  S.  92  ange- 
geben ist.  Eine  andere  Rücksicht  verlangt  auch  die  ausge- 
sprochene nervöse  Dyspepsie  nicht;  es  ist  völlig  verfehlt,  sie 
nach  den  Grundsätzen  der  Behandlung  der  Magenkrankheiten  mit 
zarter  Kost  behandeln  zu  wollen.  Auch  schwere  nervöse  Magen- 
leiden werden,  zumal  bei  Bettruhe,  am  schnellsten  und  sichersten 
durch  eine  möglichst  normale  Ernährung  gebessert.  Fängt  man 
mit  der  getrennten  Kost  an,  so  muß  man  immer  nach  einer  oder 
zwei  Wochen  den  Übergang  zu  den  normalen  Mahlzeiten  anbahnen. 
Die  Gewohnheit,  den  Nervösen  zweistündliche  Mahlzeiten  vor- 
zuschreiben und  sie  nebenher  gar  noch  mit  Kakes  und  Schokolade 
auszustatten,  die  sie  bei  jedem  Schwächegefühl,  beiHeißhunger  usw. 
genießen  sollen,  ist  nichts  als  eine  Erschwerung  des  Gesundwerdens. 

Die  Fürsorge  für  regelmäßige  Darmentleerung  ist  natür- 
lich sehr  wichtig,  um  so  wichtiger,  da  ein  großer  Teil  der 
dyseptischen  Beschwerden  der  Neurasthenischen  nur  ein  Ausdruck 
Dornblüth  , Therapie.  2 1 


322 


Krankheiten  des  Nervensystems 


der  Verstopfung  ist,  die  durch  eine  zu  zarte  Kost  unterhalten 
wird.  Soweit  nicht  gleich  die  richtige  Kost  genügt,  ist  nach 
den  auf  S.  127  ff.  gegebenen  Regeln  nachzuhelfen. 

Einen  weiteren  wichtigen  Teil  der  Behandlung  bildet  die 
Hydrotherapie.  Milde  Kuren  sind  wertvoll,  eigentliche  Kalt- 
wasserkuren durchaus  zu  verwerfen.  Neurasthenische  sind  gegen 
gewaltsame  Abhärtungsversuche  noch  empfindlicher  als  Gesunde. 
Als  mildestes  Mittel  kommen  die  PuiESSNiTzschen  Umschläge 
in  Frage,  vgl.  S.  87,  außerdem  sind  besonders  laue  Vollbäder 
von  33 — 34°  0.,  10  Minuten  lang,  und  Halbbäder  von  30°  0., 
4 Minuten  lang,  zu  empfehlen.  Beim  Halbbad  sitzt  der  Kranke 
in  der  halbgefüllten  Wanne  aufrecht,  bis  zur  Nabelhöhe  im 
Wasser,  und  bekommt  den  Rücken  mit  Wasser  aus  der  Wanne 
in  langsamem  Wechsel  begossen.  Vollbäder  und  Halbbäder 
werden  am  besten  nur  dreimal  in  der  Woche  gegeben.  Kalte 
Duschen  sind  verboten.  Man  kann  den  Bädern  auch  Badesalz 
zusetzen,  vgl.  S.  241,  und  nimmt  dann  die  Wasserwärme  um 
1 — 2°  geringer.  Bei  größerer  Unruhe  oder  ängstlicher  Er- 
regung und  bei  Schlaflosigkeit  dehnt  man  die  lauen  Bäder  auf 
eine  halbe  Stunde  und  mehr  aus,  auch  kann  man  in  diesen 
Fällen  vorteilhaft  nasse  Einpackungen  verwenden:  der  Kranke 
kommt  in  ein  nasses  Laken,  das  in  Wasser  von  10 — 15°  C.  ein- 
getaucht war,  und  wird  darüber  mit  einer  trocknen  Flanelldecke 
fest  eingehüllt,  so  daß  nur  der  Kopf  frei  bleibt,  und  liegt  darin 
eine  halbe  bis  ganze  Stunde.  Wo  die  Packung  gut  ertragen 
wird,  ist  sie  ein  sehr  gutes  Beruhigungs-  und  Schlafmittel.  Die 
viel  gebrauchten  nassen  Abreibungen  stellen  kein  Beruhigungs-, 
sondern  ein  Anregungsmittel  dar  und  eignen  sich  daher  mehr 
für  chronische  Fälle  und  schlaffe  Naturen,  nicht  für  Patienten 
mit  Angst  oder  Unruhe.  Ein  sehr  wertvolles  Mittel  bei  der 
Behandlung  der  Neurasthenie  sind  die  Elektrisch-Licht-Bäder, 
vgl.  S.  265.  Nur  müssen  sie  mit  Maß  und  Ziel  angewendet 
werden,  nicht  als  Gewaltmittel,  wie  das  oft  in  den  Badeanstalten 
geschieht.  Man  gibt  sie  nur  bis  zu  40,  höchstens  45°  0.,  so 
daß  die  Haut  erwärmt  wird,  aber  nicht  stark  schwitzt,  und  läßt 
eine  Regenbrause  von  30 — 25  0 0.  und  eine  einstündige  Bettruhe 
folgen.  Das  Lichtbad  wirkt  dann  beruhigend,  schlafmachend, 
appetitanregend,  es  verbessert  die  Hauttätigkeit  und  die  Blut- 
bildung. Man  gibt  nicht  mehr  als  2 — 3 in  der  Woche. 

Die  Klimatotherapie  der  Neurasthenie  macht  vielfach 
Gebrauch  davon,  daß  sowohl  die  Höhenluft  wie  das  Meeres- 


Neurosen 


323 


klima  eine  deutlich  anregende  Wirkung  auf  das  Nerven- 
system haben.  Das  kommt  also  zu  den  allgemeinen  Wirkungen 
der  Ortsveränderung,  der  Arbeitlosigkeit  usw.  noch  hinzu.  Die 
tatsächliche  Einwirkung  zeigt  sich  darin,  daß  bei  unvorsichtigem 
Verhalten  die  Neurasthenie  entschieden  verschlimmert  wird, 
namentlich  Angstgefühle  und  Schlaflosigkeit  zunehmen.  Die 
•Kranken  müssen  sich  sowohl  im  Gebirge  wie  an  der  See  sehr 
vorsichtig  akklimatisieren,  in  den  ersten  Tagen  des  Aufenthaltes 
fast  nur  ruhen,  nicht  ans  Meer  gehen,  im  Gebirge  nicht  steigen. 
Bäder  in  der  offenen  See  bekommen  fast  immer  schlecht,  da- 
gegen wirken  Halbbäder  mit  warmem  Seewasser  oft  sehr  gut. 
Im  ganzen  bekommt  von  den  deutschen  Meeren  die  mildere  Ost- 
see besser  als  die  rauhere  Nordsee.  Insbesondere  eignet  sich  oft 
die  Zeit  vor  der  eigentlichen  Saison,  namentlich  der  Juni.  Der 
Aufenthalt  in  mittleren  Höhen,  im  Schwarzwald,  in  Thüringen, 
im  Harz,  im  Riesengebirge  usw.  hat  jedenfalls  keine  direkte  Ein- 
wirkung auf  das  Nervensystem,  sondern  dient  nur  als  Erholung. 
Im  Winter  ist  ein  Aufenthalt  im  Süden  sehr  zu  empfehlen,  weil 
die  Kranken  dadurch  Gelegenheit  bekommen,  reichlich  Sonne  und 
Luft  zu  genießen.  Je  nach  der  Jahreszeit  empfiehlt  sich,  vgl. 
S.  48  ff.,  Gries  und  Meran,  Montreux  oder  Glion  und  Caux, 
Lugano,  die  Riviera.  Es  ist  ein  Irrtum,  daß  die  Riviera  di 
ponente  den  Nerven  weniger  gut  tue,  erschlaffend  oder  aufregend 
wirke,  wie  oft  behauptet  worden  ist.  Das  liegt  immer  nur  an 
verkehrtem  Verhalten,  der  Neurasthenische  muß  sich  bei  seiner 
Empfindlichkeit  überall  vorsichtig  verhalten,  wenn  er  Nutzen 
haben  will.  Das  gilt  nicht  zum  wenigsten  von  den  jetzt  Mode 
gewordenen  Winterkuren  in  Sankt  Moritz  und  anderen  hoch 
gelegenen  Orten.  Alle  schwerer  Kranken  befinden  sich  jeden- 
falls in  einem  guten  Sanatorium  der  Heimat  besser  aufgehoben 
als  an  den  großen  Kurorten,  und  wahrscheinlich  würden  dort 
auch  von  den  Leichtkranken  viel  mehr  wirkliche  und  anhaltende 
Erfolge  erreicht  werden.  Ereiluftliegekuren  sind  auch  ihnen 
jedenfalls  dienlicher  als  Bade-  und  Trinkkuren  und  Sportübungen. 

In  der  Praxis  und  auch  bei  vielen  Spezialärzten  spielt  die 
symptomatische  Behandlung  der  Neurasthenie  eine  große 
Rolle.  Da  wird  mit  diätetischen , physikalischen  und  Arznei- 
mitteln gegen  jede  einzelne  Erscheinung  zu  Felde  gezogen,  und 
die  große  Mühe  wird  wohl  immer  nur  durch  einen  kleinen,  meist 
durch  einen  Scheinerfolg  belohnt.  Was  geschieht,  ist  im  ganzen 
gleichgültig , daher  hat  auch  jeder  seine  eigenen  Mittel,  der 

21* 


324 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Gynäkolog  erreicht,  mit  Tampons  dasselbe,  was  der  Hydro- 
therapeut  mit  Sitzbädern  und  der  Arzneifreund  mit  Apotheker- 
mitteln erzielt:  ein  vorübergehendes  Nachlassen  der  Beschwerden. 
Insbesondere  die  Magen-  und  Darmärzte  haben  eine  Fülle  von 
Kurmethoden  für  die  verschiedenen  Formen  der  nervösen  Magen- 
und  Darmbeschwerden,  Ausspülungen  von  oben  und  von  unten, 
innere  und  äußere  Anwendungen,  schwierige  Diätverordnungen  usw., 
alles  mit  mehr  oder  weniger  großem  und  mehr  oder  weniger 
dauerndem  Erfolg,  je  nachdem  der  Kranke  nebenher  der  Ruhe 
pflegt  und  unter  gesunden  Einflüssen  lebt.  Ich  bin  mit  wachsender 
Erfahrung  immer  mehr  von  diesen  Einzelbehandlungen  zurück- 
gekommen und  sehe  immer  deutlicher,  daß  alle  Symptome  am 
besten  einer  zweckmäßigen  Allgemeinbehandlung  weichen. 
Die  vorhin  angegebene  Verbindung  von  Ruhe  und  geeigneter 
Ernährung  und  Wasserbehandlung  reicht  für  die  leichteren  Fälle 
und  für  die  Mehrzahl  der  mittleren  aus,  für  die  schwereren,  die 
sich  namentlich  durch  Angstzustände,  Hypochondrie  oder 
Unruhe  auszeichnen,  und  für  alle  eingewurzelten  Fälle  läßt 
sich  der  Erfolg  wesentlich  verbessern  und  beschleunigen  durch 
die  von  mir  angegebene  systematische  Behandlung  mit 
Codein.  Es  handelt  sich  dabei  durchaus  nicht  um  eine  nar- 
kotische Behandlung,  es  tritt  während  der  ganzen  Kur  keinerlei 
Einschläferung  hervor,  vielmehr  entsteht  unmerklich  eine  innere 
Beruhigung  und  damit  zugleich,  vielleicht  auch  durch  direkte 
Beeinflussung  der  Ernährung  des  Zentralorgans,  eine  wirkliche 
Erholung,  die  den  Kranken  oft  schon  in  der  ersten  Zeit  der 
Kur  zu  viel  besseren  und  größeren  Leistungen  befähigt.  Ich 
gebe  das  Codein  in  Pillen  oder  Tabletten,  anfangs  zu  0,02  3 mal 
täglich,  jeden  3.  Tag  eine  Pille  zulegen,  bis  10  Pillen  am  Tage 
erreicht  sind , zu  5 mal  täglich  2 Stück,  zu  Anfang  der  Mahl- 
zeiten, gegeben. 

^ Codeini  phosphorici  2,0 

(Pulv.  rad.  Rhei  5,0  — 10,0,  wenn  das  Codein  Ver- 
stopfung bewirken  sollte) 

Pulv.  et  Succ.  Liq.  q.  s. 

F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich  1 Pille  usw. 

Ist  dann  noch  keine  wesentliche  Besserung  eingetreten,  so 
lasse  ich  Pillen  zu  0,05  anfertigen  und  davon  anfangs  5,  steigend 
bis  10  pro  Tag  geben,  also  bis  0,5  Codein.  phosphor.  täglich. 
Nach  erreichter  Besserung  geht  man  ebenso  allmählich  mit 
der  Dosis  herab.  Man  kann  das  Mittel  ohne  Bedenken  Monate 


Neurosen 


325 


hindurch  geben;  der  einmal  erzielte  Erfolg  bleibt  bei  der  all- 
mählichen Verringerung  der  Gaben  bestehen. 

Im  übrigen  bat  die  Arzneibehandlung  bei  der  Neur- 
asthenie nur  bestimmten  anderen  Aufgaben  zu  dienen.  Bei 
gleichzeitiger  Anämie  gibt  man  Eisenmittel  in  derselben  Weise 
wie  sonst  bei  Anämie  und  Chlorose,  oder  auch  Arsenik,  vgl. 
S.  281,  dies  ebenfalls  in  steigenden  Gaben.  Die  Nährmittel, 
denen  die  Reklame  ganz  besondere  Wirkungen  bei  Nervenschwäche 
zuzuscbreiben  pflegt,  wird  man  um  so  mehr  vermeiden  können, 
da  die  Kranken  sie  gewöhnlich  schon  zum  Überdruß  genommen 
haben,  bevor  sie  zum  Arzte  kommen.  Vorsichtig  sei  man  jeden- 
falls mit  den  Eiweißmitteln , die  bei  genügender  Nahrungs- 
aufnahme vollkommen  zwecklos,  aber  nicht  ganz  unbedenklich  sind. 

Schlaflosigkeit. 

Die  Schlaflosigkeit  und  der  dazu  gehörige  unterbrochene, 
unruhige  oder  durch  viele  Träume  gestörte  Schlaf  sind  für  den 
Kranken  so  wichtige  Erscheinungen,  daß  sie  eine  besondere  Be- 
sprechung verdienen. 

In  jedem  Falle  muß  eine  gründliche  Regelung  des 
ganzen  Tagesplanes  erfolgen.  Wer  unregelmäßig  aufsteht, 
sich  nicht  genug  oder  auch  zu  viel  'Bewegung  macht,  unver- 
nünftig mit  kaltem  Wasser  wirtschaftet,  nach  dem  Nachtessen 
körperlich  oder  geistig  angestrengt  ist  oder  sich  zweckwidrig 
ernährt,  kann  keinen  gesunden  Schlaf  verlangen.  Die  Allgemein- 
behandlung kann  also  auch  hier  nicht  entbehrt  werden.  Gutes  Bett, 
dunkles,  ruhiges  Zimmer  sind  weitere  Bedingungen.  Spät  zu  Bett 
gehen,  in  der  Absicht,  müder  zu  werden,  ist  ganz  verfehlt,  im 
Gegenteil  wird  die  für  den  Schlaf  nötige  Ruhe  am  besten  dadurch 
herbeigeführt,  daß  der  Kranke  sich  frühzeitig  legt,  nicht  um 
gleich  einzuschlafen,  sondern  um  allmählich  die  Ruhe  zu  finden, 
die  dann  den  Schlaf  bringt.  Wenn  Gedanken  den  Schlaf  fern- 
halten, ist  es  zuweilen  richtig,  sie  durch  leichte  Lektüre  zu  ver- 
scheuchen. Man  kann  auch  versuchen,  dasselbe  zu  erreichen,  in- 
dem man  langsam  zählt  oder  besser  sich  die  Zahlen  der  Reihe  nach 
geschrieben  vorstellt.  Ein  laues  Bad,  33 — 34 0 0.,  eine  viertel 
oder  halbe  Stunde  lang,  in  hartnäckigen  Fällen  auf  1 — 2 Stunden 
ausgedehnt,  oder  eine  nasse  Packung,  vgl.  S.  322,  wirken  schlaf- 
befördernd. Ein  anderes  Mittel  ist  der  PKiESSNiTzsche  Umschlag 
um  den  Leib,  vgl.  S.  87.  Manchen  hilft  es  noch  besser,  wenn 
sie  ein  Paar  in  kaltes  Wasser  getauchte  und  leicht  ausgerungene 


326 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Baumwollstrümpfe  und  darüber  ein  Paar  trockne  Wollstrümpfe 
anziehen  und  die  Nacht  hindurch  anbehalten. 

Das  Nachtessen  darf  nicht  zu  reichlich  sein,  aber  auch  nicht 
zu  spärlich.  Dann  entsteht  nämlich  eine  besondere  Form  der  Schlaf- 
störung: der  Kranke  schläft  gut  ein,  erwacht  aber  schon  nach 
2 — 3 Stunden  und  kann  nicht  wieder  einschlafen.  Diese  Störung 
wird  oft  beseitigt,  wenn  man  ein  reichlicheres  Abendessen  gibt 
oder  kurz  vor  dem  Einschlafen  noch  ein  J/4  1 Milch  oder  der- 
gleichen nehmen  läßt. 

Viele  Neurastheniker  schlafen  trotz  dieser  Verordnungen  nicht, 
teils  weil  ihre  Unruhe  zu  groß  ist,  teils  weil  sie  unter  der  Über- 
zeugung stehen,  daß  sie  nicht  schlafen  können.  In  beiden  Fällen 
wird  am  meisten  durch  die  vorhin  beschriebene  Allgemeinbehand- 
lung mit  gleichzeitiger  Kodeinkur  genützt.  Um  aber  nicht  erst 
Wochen  auf  deren  Wirkung  warten  zu  müssen  und  währenddessen 
die  ungünstige  Wirkung  des  mangelhaften  Schlafes  in  den  Kauf 
zu  nehmen,  gibt  man  in  solchen  Fällen  zweckmäßig  anfangs 
chemische  Schlafmittel.  Auch  hier  empfiehlt  es  sich,  mit  den 
harmlosesten  Mitteln  zu  beginnen.  Das  sind  neben  Baldriantee 
und  Baldriantropfen , 20 — 30  in  einem  Teelöffel  voll  Wasser  oder 
auf  einem  Stück  Zucker,  oder  Borny val,  1 — 3 Kapseln,  oder 
Valyl , 2 — 3 Kapseln,  vor  allem  die  Antineuralgica,  und  darunter 
besonders  Pyramidon  0,5,  Salipyrin  1,0,  Lactophenin  1,0,  die 
oft  ganz  vortrefflich  wirken  und  sich  deshalb  auch  zu  gelegent- 
lichem Gebrauche  empfehlen.  Als  gutes  Beruhigungsmittel 
ist  dann  das  Bromnatrium , 0,5 — 1,0 — 3,0  in  Wasser  gelöst,  zu 
empfehlen.  Dann  folgen  die  eigentlichen  Hypnotica:  Veronal , 
0,25 — 0,5  in  Tabletten,  Originalglas  zu  10  Stück  0,5,  mit  an- 
gedeuteter Teilung  in  Stücke  zu  0,25;  Trional  0,5 — 1,0  — 1,5, 
ebenfalls  in  Tabletten;  Sulfonal  in  denselben  Dosen,  erst  nach 
1 — 2 Stunden  wirkend,  dafür  aber  länger  anhaltende  Wirkung: 
Isopral  in  Tabletten  zu  0,25  und  0,5,  schnell  wirkend;  Hypnal 

1.0 —  1,5  in  Kapsel  oder  in  Wasser  verrührt;  Dormiolum  solutum 

2.0 —  4,0 — 6,0  in  reichlich  Wasser  verrührt.  Durch  diese  Mittel 
sind  die  älteren  Hypnotica,  wie  Dover  sches  Pulver , Chlor  alliydrat, 
Paraldehyd  usw.  wenigstens  für  die  neurologische  und  interne 
Praxis  so  gut  wie  verdrängt  worden.  Morphium  als  Schlafmittel 
anzuwenden  ist  geradezu  ein  Kunstfehler. 

Als  Regel  gilt,  nicht  lange  hintereinander  Schlafmittel  und 
besonders  nicht  ein  und  dasselbe  Mittel  zu  geben.  Wenn  man 
durch  eine  vernünftige  Allgemeinbehandlung  für  die  Beseitigung 


Neurosen 


327 


des  Grundübels  sorgt,  braucht  man  damit  nicht  so  ängstlich  zu 
sein,  namentlich  in  frischeren  Fällen,  dagegen  ist  es  Pfuscherei, 
gegen  die  Krankheit  nichts  zu  tun  und  nur  hier  und  da  ein 
Schlafmittel  zu  erlauben.  Falsch  ist  es  auch,  zu  geringe  Dosen 
zu  geben,  weil  damit  kein  ordentlicher  Schlaf  erzielt,  aber  der 
nächste  Morgen  verdorben  wird. 

Im  übrigen  bietet  die  Schlaflosigkeit  ein  dankbares  Feld 
für  eine  gute  Psychotherapie.  Von  manchen  Autoren,  namentlich 
von  den  nicht  psychiatrisch  gebildeten  Neurologen,  wird  diese  für 
die  Behandlung  der  Neurasthenie  überhaupt  sehr  in  den  Vorder- 
grund gestellt;  sie  wollen  die  Krankheit  mit  Logik  und  Trost 
bekämpfen.  Ich  halte  das  für  einen  bedauerlichen  Rückschritt. 
Die  Neurasthenie  ist  durchaus  keine  eingebildete,  auch  keine  bloße 
Vorstellungskrankheit,  vielmehr  spricht  alles  dafür,  daß  dem 
„funktionellen“  Leiden  feine  Störungen  im  Chemismus  der  Rinden- 
zellen zugrunde  liegen.  Natürlich  gelingt  es,  einsichtigen  Kranken 
nicht  zu  schweren  Grades  die  Überzeugung  beizubringen,  daß  ihr 
Leiden  nicht  gefährlich  ist  und  nicht  auf  organischen  Ver- 
änderungen beruht,  aber  das  ist  doch  keine  Heilung.  In  Wirk- 
lichkeit suchen  die  so  Geheilten  immer  bald  einen  anderen  Arzt 
auf,  der  ihnen  auf  andere  Art  helfen  soll.  Darum  ist  natürlich 
die  Psychotherapie  bei  der  Behandlung  der  Neurasthenischen  nicht 
minder  unentbehrlich,  sie  beruhigt  den  Kranken,  hält  ihn  bei  der 
rationellen  Kur  fest,  erspart  ihm  in  der  ersten  Zeit  der  Behand- 
lung zahlreiche  Stunden  der  Verzweiflung  und  gibt  ihm  die  Ge- 
duld, alle  Vorschriften  genau  einzuhalten,  und  sie  ermöglicht  vor 
allem,  auf  die  symptomatische  Bekämpfung  aller  Einzelerscheinungen 
des  Leidens  zu  verzichten.  Bei  der  Schlaflosigkeit  bereitet  sie 
der  Wirkung  aller  vorgenannten  Mittel  einen  vortrefflichen  Boden, 
so  daß  man  mit  viel  einfacheren  Mitteln  und  viel  kleineren  Gaben 
ausreicht,  als  wenn  man  auf  die  psychische  Beeinflussung  ver- 
zichten wollte.  Die  Eigenart  der  Hauspraxis  bringt  es  mit  sich, 
daß  die  Psychotherapie  oft  nicht  so  wirksam  vom  Hausarzte  aus- 
geübt werden  kann  wie  von  einem  erst  weiterhin  befragten 
Spezialisten;  es  würden  viele  Zwistigkeiten  zwischen  Arzt  und 
Patient  wegfallen,  wenn  der  Hausarzt  geneigter  wäre,  das  anzu- 
erkennen, und  daraufhin  selbst  den  Anstoß  zu  einer  Konsul- 
tation gäbe. 

Die  Autosuggestion  des  Nichtschlafenkönnens  wird 
zuweilen  am  wirksamsten  durch  hypnotische  Suggestion  be- 
kämpft. Das  Verfahren  ist  bei  einem  damit  vertrauten,  psycho- 


328 


Krankheiten  des  Nervensystems 


logisch  geschulten  Arzte  völlig  unbedenklich,  aber  nicht  zu  Ver- 
suchen Unerfahrener  geeignet. 

Die  nervöse  Impotenz 

ist  ebenfalls  ein  Gebiet , wo  die  Psychotherapie  und  die  Hypnotherapie 
Gutes  leisten  können.  Außer  der  dadurch  erzielten  Beruhigung  des  an 
seiner  Fähigkeit  zweifelnden  Kranken  wird  seine  Leistungsfähigkeit 
teils  durch  die  Wirkungen  der  Allgemeinbehandlung  (bei  Codeinkur 
erst  nach  deren  Beendigung !)  erhöht,  teils  kann  man  dazu  durch  das 
wirksame  Aphrodisiacum  Yohimbinum  hydrochloricum  beitragen. 
Man  gibt  es  in  Tabletten  (Glas  mit  lOStück  0,0025,  dreimal  täglich2) 
oder  subkutan,  0,2  : 10,0  Aq.  dest.  steril.,  ad  vitr.  fusc.,  eine  halbe 
bis  ganze  Spritze  an  der  Innenseite  der  Oberschenkel,  anfangs 
täglich,  dann  seltener.  Von  anderen  Mitteln  ist  für  diesen  Zweck 
noch  dieFaradisation  zu  erwähnen,  mit  kräftigen  Strömen  vom 
Damm  zur  Unterbauchgegend.  Unter  den  Mitteln  der  Allgemein- 
behandlung wirken  auf  die  Potenz  anregend  besonders  die  See- 
bäder und  die  kohlensauren  Solbäder,  vgl.  S.  240. 

3.  Hysterie. 

Die  Hysterie  besteht  nach  der  heutigen  Auffassung  in  einer 
verstärkten  körperlichen  und  geistigen  Reaktion  auf  Sinnes-  und 
Gemütseinwirkungen.  Die  Verhütung  der  Krankheit  muß  daher 
darin  bestehen,  daß  einerseits  ungünstige  Einwirkungen  den  Ver- 
anlagten nach  Möglichkeit  ferngehalten  werden  und  anderseits  die 
Widerstandsfähigkeit  des  Gemüts  gesteigert  wird.  Beides  ist  um 
so  schwerer  zu  erreichen,  weil  meist  die  Mutter  der  Kranken, 
nicht  selten  beide  Eltern  ebenfalls  neuropathisch  sind  und  daher 
sowohl  Aufregungen  innerhalb  der  Familie  oft  Vorkommen,  als 
auch  durch  ungleichmäßige  Erziehung  und  ungesunden  Wechsel 
von  Nachgiebigkeit  und  übertriebener  Strenge  kein  Gleichmaß  des 
Charakters  erreicht  wird.  Oft  versagen  dabei  alle  Bemühungen 
des  Arztes,  einen  gesunden  Geist  in  einem  gesunden  Körper  zu 
erzielen.  Die  Kunst,  Aufregung  und  Arger  durch  den  Vorsatz 
zu  unterdrücken,  sich  einen  Wunsch  zu  versagen,  trotz  Ab- 
spannung oder  Schmerz  tätig  zu  sein,  eher  an  andere  als  an  sich 
zu  denken,  ist  eben  nur  durch  stetige  Arbeit  erlernbar.  Wo  die 
häuslichen  Bedingungen  dafür  nicht  geschaffen  werden  können,  ist 
daher  eine  Erziehung  unter  Fremden  sehr  wünschenswert.  Doppelt 
nötig  ist  dies,  wenn  erst  die  Krankheit  vorhanden  ist.  Eine 
Hysterie  wird  fast  niemals  im  Elternhause  geheilt.  Ebensowenig 
darf  man  das  bei  einer  Kur  in  den  großen  Wasserheilanstalten 


Neurosen 


329 


mit  ihrem  Massenbetrieb  erweitern.  Wenn  irgendwo,  so  ist  hier 
individuelle  Behandlung  nötig,  und  die  kann  nur  in  einer 
kleinen  Anstalt  geleistet  werden.  Nur  hier  läßt  sich  auch  alles 
Ungünstige  von  den  Kranken  fernhalten. 

Für  die  Ernährung  und  die  Lebensweise  gelten  die- 
selben Regeln,  die  im  vorigen  Abschnitt  für  die  Neurasthenie 
gegeben  sind.  Einer  besonderen  Sorgfalt  bedarf  auch  die  Be- 
seitigung der  körperlichen  Grundlagen  der  Krankheit,  sei  es  eine 
Entwicklungschlorose  oder  eine  Ernährungstörung  nach  einer  In- 
fluenza usw.  Sind  gynäkologische  Störungen  vorhanden,  so  ist 
sehr  genau  zu  überlegen,  ob  es  sich  wirklich  um  organische,  ört- 
lich zu  behandelnde  Erkrankungen  handelt,  oder  ob  z.  B.  die 
Dysmenorrhöe,  die  Amenorrhoe,  die  Metrorrhagien  nervösen  Ur- 
sprunges sind,  was  entschieden  sehr  oft  vorkommt.  Lang  aus- 
gedehnte örtliche  Behandlungen  sind  bei  bestehender  Hysterie 
durchaus  zu  vermeiden,  weil  sie  die  Psyche  sehr  nachteilig  be- 
einflussen. Die  von  Frauenärzten  immer  wieder  vorgeschlagene 
Kastration  ist  sicher  kein  Heilmittel  der  Hysterie,  wenn  sie 
auch  — vielleicht  wesentlich  wegen  der  erzwungenen  längeren 
Bettruhe  unter  ärztlich  geregelter  Kost  usw.  — vorübergehend 
Erleichterung  bringen  kann.  Sie  leistet  sicher  nichts,  was  nicht 
bei  geeigneter  nervenärztlicher  Behandlung  leichter  erreicht  werden 
könnte. 

In  der  Anstaltsbehandlung  leistet  für  die  Hysterie  die  Iso- 
lierung wenigstens  in  den  ersten  Wochen  das  Beste.  Isolierung 
und  Bettruhe  bringen  Denken  und  Fühlen  zu  einer  gewissen 
Ruhe,  die  Isolierung  veranlaßt  außerdem  die  Kranken  am  ehesten, 
sich  ganz  offen  gegen  den  Arzt  auszusprechen  und  ihm  dadurch 
den  Weg  der  Psychotherapie  zu  öffnen.  Um  diese  unentbehr- 
liche Verbindung  mit  dem  Arzte  herzustellen,  muß  der  gesamte 
Verkehr  mit  den  Angehörigen  unterbunden  werden,  und  auch  die 
Zahl  der  besuchenden  Ärzte  und  Pflegepersonen  muß  möglichst 
gering  sein.  Ich  ziehe  es  im  ganzen  vor,  solchen  Kranken 
Pflegerinnen  zu  geben,  die  nicht  zu  viel  Unterhaltung  gewähren. 
Je  eher  die  Kranken  zum  Reden  kommen,  um  so  schneller  wird 
etwas  erreicht.  Alle  Mitteilungen  der  Patienten  sind  wertvoll 
und  müssen  als  solche  aufgenommen  werden,  sonst  erfährt  man 
auch  das  Wichtige  nicht  und  schreckt  den  Kranken  ab,  der  ja 
oft  nicht  unterscheiden  kann,  was  wichtig  und  was  unwichtig  ist. 
Wenn  der  Patient  auf  diese  Weise  das  Vertrauen  zum  Arzte  und 
den  Anschluß  an  ihn  gefunden  hat,  ist  er  auch  bereit,  seine 


330 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Winke  für  die  Regelung  seines  Lebens,  für  seine  Tätigkeit,  für 
die  Festigung  seines  Willens  entgegenzunehmen.  Meistens  geht 
es  dabei  nur  in  kleinen  Schritten  vorwärts,  und  ohne  psycho- 
logischen Takt,  wie  ihn  die  Kenntnis  der  Psychiatrie  verleiht, 
geht’s  gewöhnlich  überhaupt  nicht.  Ich  bin  bei  der  isolierenden 
Behandlung  der  Hysterischen  noch  immer  ohne  die  von  Breuer 
und  Freud  angegebene  hypnotische  Analyse  des  Zustandes  aus- 
gekommen, habe  aber  allerdings  aus  den  Erfahrungen  dieser 
Forscher  am  meisten  für  den  Erfolg  gelernt. 

In  der  Hysterie  ist  die  symptomatische  Behandlung  noch 
weniger  als  bei  der  Neurasthenie  zu  entbehren.  Überall  muß 
der  Arzt  aber  daran  denken,  daß  nur  harmlose  Mittel  angewendet 
werden  dürfen,  und  daß  man  sich  hüten  muß,  den  Kranken  an 
noch  so  harmlose  Mittel  zu  gewöhnen,  die  ihm  später  eine  Last 
werden  können.  Dazu  gehört  z.  B.  die  Verordnung  von  Klistieren 
gegen  Verstopfung,  anstatt  einer  geeigneten,  zunächst  nötigenfalls 
durch  Abführmittel  verstärkten  Kost,  vgl.  S.  116  f.  Daher  sind 
auch  die  hier  vorzugsweise  suggestiv  wirkenden  Mittel,  wie 
Elektrisation  und  Massage,  sehr  wertvoll.  Die  Anästhesien 
behandelt  man  am  besten  mit  dem  faradischen  Pinsel,  vgl. 
S.  277,  die  Hyperästhesien  und  Schmerzen  mit  der  Anode  des 
galvanischen  Stromes,  vgl.  S.  270;  auch  die  Vibrations- 
massage, vgl.  S.  279,  und  die  Kälteanwendung,  vgl.  S.  268, 
leisten  hier  sehr  Gutes.  Eine  richtige  Gymnastik  ist  sehr  wert- 
voll, weil  sie  die  Herrschaft  des  Willens  über  den  Körper,  auch 
im  Zustande  der  Ermüdung,  der  Schwäche  und  der  Schmerzen, 
anbahnt.  Die  Hydrotherapie  dient  dem  Allgemeinzustande  der 
Nerven  in  derselben  Weise  wie  bei  der  Neurasthenie;  auch  hier 
sieht  man  von  kaltem  Wasser  und  von  Duschen  besser  ab.  Die 
früher  beliebte  Abschreckungsmethode  durch  unangenehme 
Kureinwirkungen  hat  keine  Berechtigung,  weil  sie  niemals  wirk- 
lichen Nutzen  bringt,  oft  aber  geradezu  schadet.  Ebenso  wenig 
darf  sich  der  Arzt  zu  Züchtigung  und  Mißhandlung  der  Kranken, 
zu  Drohung  mit  der  Irrenanstalt  usw.  hinreißen  lassen.  Wer 
nicht  ohne  das  auskommt,  sollte  überhaupt  seine  Hand  von  diesen 
Kranken  lassen. 

Sehr  beachtenswert  ist  die  Neigung  der  Hysterischen,  sich 
an  Arzneimittel  zu  gewöhnen.  Das  geschieht  nicht  nur  bei 
den  narkotischen  Stoffen,  die  wirklich  Gewöhnung  und  Ent- 
ziehungserscheinungen hervorrufen,  sondern  überhaupt  bei  allem, 
was  psychisch  in  die  Gewohnheit  übergegangen  ist,  die  nächtlich 


Neurosen 


331 


zu  verspeisenden  Kakes  usw.,  ebenso  wie  Arzneien  aller  Art.  Man 
soll  daher  mit  allen  Verordnungen  sparsam  und  überlegt  sein. 
Morphium  Hysterischen  einzuspritzen,  ist  eine  der  verantwort- 
lichsten Handlungen,  die  der  Arzt  begehen  kann,  und  doch  ge- 
schieht es  alle  Tage,  wo  ein  Senfpapier,  ein  heißer  Umschlag, 
eine  Kälteanwendung  dasselbe  leisten  würden.  Dasselbe  gilt  von 
allen  Schlafmitteln  und  schmerzstillenden  Mitteln.  Für  viele 
Hysterische  genügt  schon  das  Wort  Schlafmittel  oder  irgend  ein 
sich  einprägender  Name,  damit  sie  ständig  das  Verlangen  danach 
äußern.  Wohl  denen,  wo  es  sich  dabei  um  Baldriantropfen  und 
ähnliche  harmlose  Stoffe  handelt,  ohne  die  sie  nicht  leben  zu 
können  glauben.  Diese  sowohl  wie  Bornyval,  Valyl  und  andere 
Mittel  sind  in  der  Tat  empfehlenswert,  denn  sie  leisten  bei  hyste- 
rischen Schmerzen  und  Beunruhigungen  etwa  ebensoviel  wie  die 
Antineuralgica,  haben  aber  sicher  keinen  Nachteil.  Auch  Brom- 
präparate in  kleinen  Gaben  sind  ohne  Bedenken ; am  besten 
Natrium  bromatum,  0,5 — 1,0— 3,0,  und  Bromipin  1 0 °/0 , tee- 
bis  eßlöffelweise. 

Eine  systematische  Arzneianwendung  verlangen  wohl  nur 
die  hysterischen  Krampfzustände.  Bettruhe  und  Hydro- 
therapie allein  genügen  zu  ihrer  Beseitigung  nur  in  den 
leichteren  Fällen,  Hypnotherapie  wirkt  als  wertvolles  Hilfs- 
mittel da,  wo  hypnoide  Zustände  das  Bild  beherrschen.  Die 
körperlichen  Erscheinungen  der  Krampfzustände  wie  die  Delirien 
werden  durch  Brommittel  so  wenig  beeinflußt,  daß  man  daraus 
geradezu  differentialdiagnostische  Winke  gegenüber  der  Epilepsie 
ziehen  kann.  Ich  habe  wirkliche  Erfolge  nur  von  systematischer 
Opiumkur,  wie  sie  bei  Melancholie  üblich  ist,  gesehen,  doch 
sollte  diese  der  spezialärztlichen  Anstaltsbehandlung  Vorbehalten 
werden.  Das  Verfahren  habe  ich  zuletzt  in  der  zweiten  Auflage 
meines  Kompendiums  der  Psychiatrie  (Leipzig,  Veit  & Comp., 
1904)  genau  beschrieben.  Im  Anfall  selbst  läßt  man  den  Kranken 
möglichst  in  Ruhe,  das  Erwecken  durch  Anspritzen  mit  Wasser 
hat  keinen  Zweck,  und  je  weniger  man  den  Anfall  beachtet  und 
je  weniger  man  den  Kranken  festzuhalten  sucht,  um  so  schneller 
pflegt  er  vorüberzugehen.  Man  sorgt  nur  dafür,  daß  Selbst- 
beschädigungen möglichst  vermieden  werden,  im  allgemeinen  ist 
die  Gefahr  in  dieser  Hinsicht  bei  hysterischen  Anfällen,  so  stürmisch 
sie  erscheinen  mögen,  recht  gering.  Gegen  hysterische  Lähmungen 
und  Kontrakturen,  die  besonders  oft  nach  den  Anfällen  Zurück- 
bleiben, soll  man  möglichst  bald  einschreiten , immer  in  einer 


332 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Weise,  die  den  Kranken  recht  wenig  auf  das  kranke  Glied  auf- 
merksam macht,  also  vorzugsweise  mit  allgemeinen  Mitteln,  z.  B. 
Bädern,  allgemeiner  Faradisation , Lichtbädern  usw.,  nicht  mit 
örtlicher  Massage  oder  Elektrisation,  am  allerwenigsten  mit  Gips- 
verband und  dergl.,  wodurch  nur  zu  leicht  dauernde  Störungen 
herbeigeführt  werden.  Bei  der  Abasie-Astasie  kommt  man 
am  weitesten  mit  der  suggestiven  Anwendung  einer  kurzen 
schonenden  Ruhe,  etwa  mit  allgemeiner  Elektrisation  und  dergl. 
verbunden,  und  nachfolgenden  ganz  leichten,  vorsichtig  zunehmen- 
den Gehübungen;  alles  Gewaltsame  muß  sorgfältig  vermieden 
werden,  weil  jeder  Mißerfolg  die  weiteren  Fortschritte  sehr  er- 
schwert. 

Das  hysterische  Erbrechen  wird  nach  S.  104  mit  Bett- 
ruhe und  Nahrungsenthaltung  behandelt.  Zuweilen  erweist  sich 
beim  Wiederbeginn  der  Ernährung  eine  trockne  Kost  oder  die 
Trennung  der  flüssigen  von  der  festen  Kost  nach  S.  92  wertvoll. 

4.  Epilepsie. 

Die  ursächliche  Behandlung  der  Epilepsie  ist  leider  nur  in 
seltenen  Fällen  möglich,  aber  man  muß  mit  der  größten  Sorgfalt 
allen  Möglichkeiten  nachgehen,  da  vereinzelte  Heilungen  durch 
Beseitigung  von  Rachenmandeln,  Eingeweidewürmern,  Mittelohr- 
erkrankungen, reizenden  Narben  usw.  vorliegen.  Ferner  ist  in 
jedem  Falle  eine  peinlich  genaue  Regelung  der  Lebensweise  und 
der  Ernährung  vorzunehmen.  Alle  Überanstrengungen  und  Ex- 
zesse sind  zu  verbieten,  gute  Hautpflege  durch  Waschungen 
und  Bäder,  unter  Vermeidung  zu  warmer  und  zu  kalter  An- 
wendungen, anzuordnen;  die  Kost  sei  eine  normal  gemischte,  mit 
strenger  Begrenzung  des  Fleischgenusses  auf  eine  mäßige  Menge, 
bei  Erwachsenen  nicht  über  ein  halbes  Pfund  täglich,  mit  völliger 
Vermeidung  von  Alkoholgetränken  und  starker  Beschränkung  der 
Extraktivstoffe  des  Fleisches  (Fleischextrakt,  Fleischsaft,  Bouillon 
am  besten  ganz  zu  verbieten).  Dagegen  können  Kaffee  und  Tee 
in  mäßigen  Mengen  ruhig  erlaubt  werden.  Milch  und  Vege- 
tabilien  sind  entschieden  vorteilhaft.  Körperliche  Ausarbei- 
tung ist  den  Epileptischen  gut,  daher  empfiehlt  sich  auch  am 
meisten  ein  Beruf  mit  körperlicher  Tätigkeit  im  Freien.  Rad- 
fahren, soweit  es  nicht  durch  die  Gefahr  des  Sturzes  im  Anfall 
verboten  wird , Tanzen , Tennisspielen  sind  daher  erlaubte  und 
fördernswerte  Vergnügungen  für  diese  Kranken. 

Unter  den  Heilmitteln  steht  in  erster  Linie  das  Brom.  Die 


Neurosen 


383 


Erfolge  würden  viel  zahlreicher  sein,  wenn  es  folgerichtiger  und 
dauernder  angewendet  würde,  als  das  meistens  der  Fall  ist.  Bei 
Laien  und  bei  vielen  Ärzten  spukt  das  Schreckbild  der  ver- 
blödenden Wirkung  fortgesetzten  Bromgenusses.  Im 
wesentlichen  handelt  es  sich  dabei  um  das  Mißverständnis,  daß 
die  häufige  epileptische  Verblödung  auf  den  Bromgenuß  bezogen 
wird.  Sie  tritt  aber  ohne  Brombehandlung  entschieden  häufiger 
und  schneller  ein  und  wird  durch  richtige  Brombehandlung  nicht 
selten  wieder  verringert.  Jedenfalls  kann  von  einer  ungünstigen 
Wirkung  nur  bei  unvernünftig  großen  Gaben  die  Rede  sein.  In 
der  gewöhnlichen  Praxis  wird  man  sich  daran  halten,  nicht  mehr 
als  5,0  Bromnatrium  pro  die  zu  geben;  wo  das  nicht  hinreicht, 
ist  der  Fall  nicht  für  Brombehandlung  geeignet.  Ich  ziehe  das 
Bromnatrium  dem  Bromkalium  und  dem  viel  angewendeten  Ge- 
misch beider  mit  dem  Bromammonium  vor,  weil  es  durchaus 
ebenso  gut  wirkt,  aber  den  Magen  viel  weniger  belästigt  und 
viel  weniger  salzig  schmeckt  als  das  Bromkalium.  Ich  gebe  es 
stets  in  einer  einzigen  Tagesdosis  nach  dem  Mittagessen  oder 
nach  dem  Nachtessen,  in  einem  Wasserglas  voll  Wasser  oder 
kohlensaurem  Wasser  gelöst,  und  zwar  zunächst  3,0,  bei  Kindern 
2,0,  und  steigere  nach  einem  oder  zwei  Monaten  um  ein  Gramm, 
wenn  die  Wirkung  auf  die  Anfälle  nicht  genügt.  Die  erreichte 
Dosis  muß  ein  Jahr  und  länger  beibehalten  werden;  erst  Monate 
nach  dem  Verschwinden  der  Anfälle  geht  man  ganz  langsam  mit 
der  Dosis  herunter.  Einen  Grund  zum  Aussetzen  des  Broms 
geben  nur  schwerere  Magenstörungen  — die  aber  meist  nur  in 
unzweckmäßiger  Verabreichung  ihren  Grund  haben  — und  all- 
gemeine Hinfälligkeit,  Herzschwäche,  Unsicherheit  der  Bewegungen 
usw.  Die  Bromakne  ist  keine  Erscheinung,  die  zur  Unter- 
brechung der  Bromkur  aufforderte.  Fürsorge  für  regelmäßige 
Darmentleerung,  regelmäßiges  abendliches  Abseifen  der  Haut  mit 
guter  Seife  oder  mit  Hefeseife  (vgl.  die  Behandlung  der  Akne), 
Verabreichung  von  Arsenik  in  Pillen  zu  0,001,  dreimal  täglich, 
genügen  fast  immer,  um  die  Akne  zu  beseitigen.  Wirklich 
störende,  große  Effloreszenzen  beruhen  oft  auf  gleichzeitiger 
Syphilis. 

Wo  die  Bromakne  aus  irgend  welchen  Gründen,  so  z.  B. 
bei  Frauen,  den  Gebrauch  der  Bromsalze  verbietet,  wendet  man 
am  besten  Bromipin- Merck  an.  Man  gibt  das  10°/0  ige  Bromipin 
innerlich  zunächst  täglich  1 Eßlöffel  voll,  wo  der  ölige  Geschmack 
stört,  leicht  erwärmt  und  mit  Nachkauen  eines  Stückchens  Brot; 


334 


Krankheiten  des  Nervensystems 


nötigenfalls  erhöht  man  die  Gabe  auf  2 — 3 Eßlöffel  voll.  Die- 
selben Gaben  gibt  man  mit  gutem  Erfolg  bei  Kindern.  Ich 
habe  in  einzelnen  Fällen  das  33  ige  Bromipin  subkutan  an- 
gewendet, 5 — 10  ccm  täglich,  und  bin  mit  dem  Erfolge  zufrieden 
gewesen.  Unangenehme  Erscheinungen  traten  niemals  hervor, 
die  Wirkung  war  der  des  Bromnatriums  mindestens  gleich,  Akne 
wurde  nie  beobachtet.  Zu  einem  abschließenden  Urteil  bin  ich 
noch  nicht  gekommen,  aber  jedenfalls  wird  sich  die  Einspritzungs- 
kur zu  zeitweiligem  Ersatz  der  innerlichen  Bromkur  vielfach  mit 
Glück  verwenden  lassen. 

Die  von  Richet  und  Toulouse  aufgestellte  Behauptung, 
daß  die  Brombehandlung  viel  wirksamer  sei,  wenn  das  Koch- 
salz in  der  Nahrung  möglichst  entzogen  werde  — Speisen  un- 
gesalzen, Brot  ohne  Salz  gebacken  — , ist  von  zahlreichen  Be- 
obachtern nachgeprüft  und  von  mehreren  bestätigt,  von  anderen 
angefochten  worden.  Wahrscheinlich  hat  Alt  recht,  der  die 
Besserungen  der  vereinfachten  Kost  zuschreibt,  die  nach  Richet 
und  Toulouse  aus  1000  g Milch,  300  g Fleisch,  300  g Kar- 
toffeln, 200  g Mehl,  2 Eiern,  50  g Zucker,  10  g Kaffee  und  40  g 
Butter  besteht. 

Zuweilen  wird  die  Brom  Wirkung  erhöht,  wenn  man  neben 
dem  Bromsalz  Herzmittel  gibt.  Besonders  ist  das  Infusum 
Adonidis  vernalis  2,0 — 3,0  auf  200,0  3 — 8 Eßlöffel  täglich,  em- 
pfohlen worden,  man  kann  auch  ebensogut  das  Extractum  fluidum 
Adonidis  vernalis  zu  dreimal  täglich  5 — 10 — 15  Tropfen  verwenden. 

Außerdem  empfehlen  sich  sowohl  zur  Unterstützung  der 
Bromkur  als  hier  und  da  an  Stelle  einer  unwirksamen  Brom- 
behandlung das  Atropin  und  das  Scopolamin.  Man  beginnt  mit 
0,0003  Atropinum  sulfuricum  oder  Scopolaminum  hydrobromi- 
cum,  1 — 3 mal  täglich,  und  steigert  jede  Woche  um  eine  solche 
Pille,  bis  man  auf  10  der  genannten  Dosen  pro  Tag  gekommen 
ist.  Dann  bleibt  man  einige  Wochen  auf  der  Höhe  und  geht 
dann  ebenso  langsam  wieder  herunter. 

IJ;  Atropini  sulf.  (Scopolam.  hydrobr.)  0,03 
Pulv.  Liq.,  Succ.  Liq.  ana  5,0 
F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich  1 Pille,  seigend  bis 
10  Pillen  täglich. 

Ein  weiteres  Mittel,  daß  man  zeitweise  statt  der  Bromsalze 
geben  kann,  ist  das  Aethylenum  bromatum,  dreimal  täglich  ein 
bis  drei  Kapseln  mit  je  drei  Tropfen. 


Neurosen 


335 


Die  von  Flechsig  angegebene  Opiumbromkur,  wobei  man 
zunächst  steigende  Gaben  Opium,  bis  zu  1,2  Opium  purum  täglich 
gibt,  und  dann  plötzlich  abbricht  und  Natrium  bromatnm  7,5 
täglich  weitergibt,  ist  nicht  selten  von  ausgezeichneter  Nach- 
wirkung — der  Erfolg  zeigt  sich  meist  erst,  wenn  zu  der  Brom- 
behandlung übergegangen  ist  — , sollte  aber  nur  in  der  Anstalts- 
behandlung oder  bei  ganz  besonders  guter  Aufsicht  und  ärzt- 
licher Erfahrung  vorgenommen  werden,  weil  das  plötzliche  Ein- 
setzen der  großen  Bromgaben  gelegentlich  ungünstig  wirkt. 

Eine  operative  Behandlung  der  Epilepsie  ist  nur  dann 
gerechtfertigt,  wenn  es  sich  um  ausgesprochene  Rin  den  epilep  sie, 
Jackson  sehe  Epilepsie,  handelt,  die  durch  eine  Verletzung  oder 
eine  sonstige,  operativ  angreifbare  Veränderung  in  der  Gegend 
der  motorischen  Rindenzentren  hervorgerufen  worden  ist,  oder 
aber  in  solchen  Fällen  von  allgemeiner  Epilepsie,  wo  eine 
Verletzung  nachweisbare  Narben  in  der  Kopfhaut,  mit  Narben 
oder  Depression  im  Schädel  hinterlassen  hat. 

Die  Anstaltsbehandlung  ist  im  allgemeinen  für  die 
Epileptiker  der  Hausbehandlung  bei  weitem  vorzuziehen.  Das 
streng  geregelte  Leben,  das  Exzesse  verhindert,  die  Möglichkeit 
einer  zuverlässig  durchgeführten  gesunden  Ernährung  und  einer 
spezialistischen  Aufsicht,  die  sachverständig  festgesetzte  Arbeit  im 
Freien  usw.  geben  eine  ausgezeichnete  Grundlage  für  eine  wirk- 
same Behandlung.  Unbedingt  sollte  die  Anstalt  eintreten,  wenn 
geistige  Veränderungen  vorliegen,  auch  schon  wenn  eine  größere 
Reizbarkeit  vorhanden  ist.  Leider  sind  erst  sehr  wenig  ärztlich 
geleitete  Anstalten  vorhanden ; die  älteren  Epileptikeranstalten 
unter  geistlicher  oder  pädagogischer  Leitung  haben  für  die  Be- 
handlung der  Krankheit  so  gut  wie  nichts  geleistet. 


5.  Eklampsie. 

Die  Eklampsie  der  Kinder  wird  symptomatisch  mit 
Bromnatrium  behandelt;  man  gibt  in  den  ersten  Monaten  0,2 
mehrmals  täglich,  in  Wasser  gelöst,  im  zweiten  und  dritten 
Jahre  0,3 — 0,5  mehrmals  täglich.  Ein  anderes  Mittel,  das  nament- 
lich in  ernsteren  Fällen  verwendet  wird,  ist  das  Chlor alhydrat]  man 
gibt  Säuglingen  wiederholt  0,03,  3 — 4 jährigen  Kindern  0,25, 
5 — 10jährigen  0,5,  immer  in  reichlich  Wasser,  mit  Sirupus 
Aurantii  corticis  als  Korrigens. 


336 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Ijt  Natrii  bromati  2,0 — 5,0 
Aq.  dest.  150,0 
D.S.  Mehrmals  tägl.  1 Eßl. 


1J;  Chlorali  hydrati  0,3 — 5,0 
Aq.  dest.  150,0 
Sir.  Aur.  Cort.  50,0 
M.D.S.  Mehrmals  tägl.  1 Eßl. 


Daneben  verwendet  man  nasse  Einpackungen  des  Rumpfes 
oder  des  ganzen  Körpers  in  Leinen,  das  in  Wasser  von  15 — 20  °C. 
eingetaucht  war,  mit  trocknem  Flanell  darüber,  für  1 — 3 Stunden 
liegen  gelassen , oder  Bäder  von34°C.,  viertel-  bis  halbstundenlang 
und  länger,  namentlich  in  den  Pausen  zwischen  den  Anfällen. 

Die  Ursachen  bedürfen  natürlich  einer  genauen  Berück- 
sichtigung: Magen-  und  Darmstörungen  müssen  beseitigt  werden, 
vgl.  S.  156  ff.,  Darmwürmer  werden  abgetrieben,  S.  137  ff,  gegen 
Rachitis  verordnet  man  Phosphorlebertran. 

Die  Eklampsie  der  Schwangeren  und  Wöchnerinnen 
behandelt  man  — mag  man  nun  eine  Urämie  oder  eine  andere 
Intoxikation  als  ihre  Ursache  betrachten  — am  besten  in  der 
Weise,  wie  sie  für  die  Urämie  S.  188 ff.  angegeben  ist.  Zunächst 
versucht  man  neben  Milchdiät  und  reichlicher  Zufuhr  von  dünnem 
Tee  und  dergleichen  Einspritzungen  von  Coffein  oder  Kampfer 
unter  die  Haut  und  sucht  die  Ausscheidung  auch  durch  nasse 
Einpackungen  oder  laue  Bäder  anzuregen.  In  schweren  Fällen 
Aderlaß,  vgl.  S.  67,  und  Kochsalzinfusion,  S.  106,  nicht  zu 
lange  hinauszuschieben.  Man  hat  auch  versucht,  die  Krämpfe 
durch  Chloroformnarkose  zu  beseitigen;  leichter  wird  man 
sich  zu  wiederholten  Gaben  von  Chloralhydrat  1,0— 2,0,  bis  zu 
5,0  in  24  Stunden,  und  zu  Einspritzungen  von  Morphium, 
0,015 — 0,02  wiederholt,  entschließen.  Ich  habe  besonders  Gutes 
von  Scopolamin- Morphiumeinspritzungen  gesehen : 


Yfi  Scopolamini  hydrobrom.  0,01 
Morphini  hydrochlor.  0,15 
Aq.  dest.  10,0 

D.S.  Eine  halbe  bis  ganze  Spritze  2 — 3 mal  in 
24  Stunden. 


Ob  man  bei  Eklampsie  der  Schwangeren  die  vorzeitige 
Geburt  her  vorrufen  soll,  ist  streitig;  die  einmal  begonnene 
Entbindung  führt  man  möglichst  schnell  zu  Ende. 

6.  Schwindel. 

Der  Schwindel  ist  in  vielen  Fällen  ein  Symptom,  das  nur 
durch  die  Bekämpfung  des  Grundleidens  angegriffen  werden 


Neurosen 


337 


kann,  so  der  bei  Gehirntumoren,  bei  multipler  Sklerose, 
bei  Epilepsie,  bei  Augenmuskellähmungen,  bei  Er- 
krankungen des  inneren  Ohres.  Hier  macht  nur  der 
Meni^re sehe  Schwindel  eine  Ausnahme,  insofern  als  er  zu- 
weilen auf  die  von  Charcot  angegebene  Behandlung  mit  Chinin 
günstig  reagiert.  Man  gibt  Chininum  hydrochloricum  in  Pillen 
zu  0,1  und  läßt  davon  täglich  5 — 10  nehmen,  2 — 3 Wochen 
lang.  In  der  ersten  Woche  tritt  zuweilen  eine  Verschlechterung 
auf.  Eine  dauernde  Beeinträchtigung  des  Gehörs  ist  nach  diesen 
Chinindosen  nicht  zu  erwarten,  die  dahin  gehenden  Befürch- 
tungen mancher  Ohrenärzte  erscheinen  nicht  berechtigt.  Blut- 
entzieh ungen  in  der  Nähe  des  Warzenfortsatzes  sollen  manch- 
mal günstig  wirken.  Neuerdings  hat  Babinski  die  Lumbal- 
punktion, vgl.  S.  303,  einmal  oder  nach  Tagen  mehrmals  wieder- 
holt, dringend  empfohlen;  jedesmal  sollen  3 — 4 — 20  ccm  ent- 
leert werden. 

Der  Schwindel  durch  sogenannte  Kopfkongestionen  bei 
Arteriosklerose  wird  durch  die  Behandlung  dieser  Krankheit 
beseitigt.  Am  besten  wirken  dabei  Natrium  jodatum , 0,5  3 mal 
täglich,  und  Jodipin  25  °/0  i g,  wochenlang  jeden  Tag  5 — 10  ccm 
subkutan,  vgl.  S.  29.  Hitzig  hat  empfohlen,  gleichzeitig  Digi- 
talis, 0,03  3 mal  täglich,  zu  geben,  Krafft-Ebing  und  andere 
empfehlen  Ergotin,  z.  B.  in  Tabletten  von  Denzel  oder  von 
Burroughs,  Welcome  & Co.  usw.,  zu  0,25  2 — 3 mal  täglich. 

Die  neurasthenischen  Schwindelgefühle  werden  am 
besten  durch  eine  richtige  Allgemeinbehandlung  der  Neurasthenie 
beeinflußt.  Als  Linderungsmittel  haben  sich  am  besten  Brom- 
natrium, 0,5  mehrmals  täglich  in  Wasser,  und  Codein,  vgl.  S.  324, 
3 mal  täglich  0,01 — 0,03,  bewährt. 

7.  Örtliche  Muskelkrämpfe. 

Der  Facialiskrampf,  der  Kaumuskelkrampf,  der  Zungenkrampf, 
der  Schlundkrampf,  der  Accessoriuskrampf,  die  Ticbewegungen, 
die  Beschäftigungskrämpfe,  wie  Schreibkrampf,  Klavierspielerkrampf 
usw.,  bieten  für  die  Behandlung  sämtlich  zwei  gemeinsame  Auf- 
gaben: erstens  die  Auffindung  einer  besonderen  Ursache, 
deren  Abstellung  die  Heilung  einleiten  kann,  z.  B.  beim  Facialis- 
krampf die  Entfernung  eines  kariösen  Zahnes,  einer  vereiterten 
Mandel  usw.,  beim  Kaumuskelkrampf  Beseitigung  entzündlicher 
Vorgänge  in  der  Umgebung  des  Kiefers,  beim  Schreibkrampf  das 
Dornblüth,  Therapie.  22 


338 


Krankheiten  des  Nervensystems 


Vermeiden  unzweckmäßiger  Handhaltung,  ungeeigneter  Federhalter 
und  Federn,  usw.  Zweitens  liegt  für  alle  diese  Zustände  ein 
wichtiger  Teil  der  Ursache  in  der  allgemeinen  nervösen 
Disposition  des  Kranken;  auch  diese  muß  sorgfältig  bekämpft 
werden,  nach  den  für  Neurasthenie  angegebenen  Grundsätzen. 
Ihre  große  Wichtigkeit  zeigt  sich  z.  B.  beim  Schreibkrampf  darin, 
daß  das  Schreiben  mit  der  linken  Hand  meist  sehr  schnell  auch 
in  dieser  den  Krampf  entstehen  läßt. 

Je  größer  das  psychische  Element  beim  Zustandekommen 
der  Krampfkrankheit  ist,  um  so  wahrscheinlicher  ist  ein  Erfolg 
mit  Hypnotherapie  zu  erzielen.  Besonders  gilt  das  für  die 
durch  Schreck  entstandenen  Fälle  von  Gesichtskrampf,  Lid- 
krampf, die  wesentlich  in  Gegenwart  eines  Beobachters  auf- 
tretenden Schreibschwierigkeiten. 

Wertvoll  ist  die  Heranziehung  einer  reizmildernden  Wasser- 
behandlung, indem  man  z.  B.  beim  Schreibkrampf  den  Arm 
nachts  mit  Pkiessnitz  sehen  Umschlägen  einwickeln  läßt.  Die 
Elektrotherapie  geht  in  derselben  Absicht  mit  galvanischen 
Strömen  vor,  die  Anode  auf  den  Nervenstamm,  die  Kathode  auf 
die  Magengegend  gesetzt,  vgl.  S.  271,  oder  die  Anode  der  Reihe 
nach  auf  den  vorhandenen  Druckpunkten.  Schwache  Ströme, 
vorsichtiges  Einschleichen  des  Stromes,  Vermeidung  von  Unter- 
brechungen, die  Zuckungen  hervorrufen,  sind  Bedingung  des 
Erfolges. 

Von  Arzneimitteln  werden  herkömmlich  zuerst  die  Brom- 
mittel und  die  Arsenikpräparate  angewendet.  Der  Erfolg 
ist  fast  immer  vorübergehend.  Wirkliche  Heilungen  von  Dauer 
habe  ich  in  verschiedenen  Fällen  von  Tic,  von  Facialiskrampf, 
von  Accessoriuskrampf  durch  systematische  Anwendung  von 
Scopolaminum  hydrobromicum  erzielt.  Man  gibt  es  in  der  S.  66 
geschilderten  Weise  langsam  ansteigend  von  3 mal  täglich  0,0003 
bis  3 mal  täglich  0,001,  mindestens  so  lange  steigend,  bis  die 
Krampferscheinungen  verschwunden  sind,  und  geht  dann  ebenso 
langsam  und  allmählich  herab.  Beim  Schreibkrampf  und 
anderen  Beschäftigungskrämpfen,  wo  psychische  Einwirkungen  eine 
erhebliche  Rolle  spielen,  ist  eine  ebenso  systematische  Behandlung 
mit  Codein  oder  in  hartnäckigen  Fällen  mit  Opium  vorzuziehen, 
wie  ich  1896  mitgeteilt  habe.  Die  Codeinbehandlung  wird  in 
der  Weise  durchgeführt,  wie  S.  324  beschrieben  ist;  die  Opium- 
kur ist  dem  darin  Erfahrenen  vorzubehalten.  So  überflüssig  und 


Neurosen 


339 


oft  bedenklich  die  Anwendung  dieser  Mittel  als  Linderungsmittel 
ist,  so  unbedenklich  und  heilsam  sind  die  systematischen  Kuren, 
wie  ich  nach  sehr  großer  Erfahrung  versichern  kann. 

8.  Tetanie. 

Wo  die  Tetanie  auf  mangelhafter  Schilddrüsen- 
wirkung beruht,  wie  nach  völliger  Entfernung  der  Schild- 
drüse usw.,  gibt  man  Schilddrüsenpräparate,  vgl.  den  Abschnitt 
Myxödem.  Zur  Verhütung  des  Leidens  ist  statt  der  totalen 
Strumektomie  stets  die  partielle  auszuführen.  Bei  der  Kinder- 
tetanie ist  in  den  zahlreichen  Fällen,  die  auf  Rachitis  beruhen, 
die  Phosphorbehandlung  angezeigt,  s.  den  Abschnitt  Rachitis.  Wo 
Magendarmstörungen  zugrunde  liegen,  werde  nach  Fleiner 
der  Magen  rasch  und  schonend  entleert  und  ausgespült.  Er- 
nährung vom  Mastdarm  aus  und  durch  Infusion  von  Kochsalz- 
lösung unter  die  Haut,  vgl.  S.  105  f.,  2 mal  täglich  0,5  Liter, 
vom  zweiten  oder  dritten  Tage  ab  stündlich  50 — 100  g Vichy- 
wasser getrunken  verordnet.  Bei  organischer  Pylorusverengerung 
muß  bald  operiert  werden.  Auf  die  Krämpfe  wirken  direkt  ein 
Bromnatrium , Chlor  alhydrat,  Morphium  und  Scopolamin , in  den 
bei  Eklampsie  angegebenen  Dosen,  vgl.  S.  335 f. 

9.  Chorea. 

Die  hysterische,  traumatische  und  Schreckchorea  werden  am 
besten  mit  hypnotischer  Suggestion  behandelt.  Die  echte, 
rheumatische  oder  infektiöse  Chorea  erfordert  im  akuten 
Stadium  Bettruhe  und  Fernhaltung  aller  Aufregungen, 
da  jede  Gemütsbewegung  auf  die  ohnedies  im  psychischen  Gleich- 
gewicht erschütterten  Kranken  sehr  ungünstig  einwirkt.  Vielfach 
ist  aus  diesem  Grunde  die  Trennung  von  den  Angehörigen  und 
die  Krankenhausbehandlung  erwünscht.  Die  Ernährung  beschränkt 
sich  in  der  ersten  Zeit  am  besten  auf  eine  Milchdiät,  vgl.  S.  3 
und  S.  80.  Jedenfalls  ist  weiterhin  eine  gemischte  Kost  ratsam, 
die  kein  Übermaß  von  Fleisch  enthält,  vgl.  S.  86.  Eine  wertvolle 
Unterstützung  der  Behandlung  gibt  eine  milde  Wasserbehand- 
lung, in  der  ersten  Zeit  Wannenbäder  von  33 — 34°  C.,  täg- 
lich ein-  bis  zweimal,  10  Minuten  bis  eine  Stunde  lang,  im  weiteren 
Verlauf  Halbbäder,  vgl.  S.  322,  mit  Wasser  von  30°  C.,  täg- 
lich einmal  vier  Minuten  lang,  oder  mit  Zusatz  von  2 kg  Bade- 
salz bei  einer  Wasser  wärme  von  28°  C.  Zuweilen  tun  auch 

22* 


340 


Krankheiten  des  Nervensystems 


warme  Bäder  mit  nachfolgender  Ein  wicklung,  vgl.  S.  186,  oder 
Elektrisch-Licht-Bäder  durch  Anregung  der  Schweißabsonde- 
rung gute  Dienste. 

Ein  direktes  Heilmittel  für  zahlreiche  Fälle  ist  der  Arsenik. 
Bei  Kindern  gibt  man  Liquor  Kalii  arsenicosi,  hei  5jährigen 
yon  3 mal  täglich  1 Tropfen  (gewöhnlich  mit  Zusatz  von  doppelt 
soviel  Aqua  Menthae  piperitae)  an,  jeden  dritten  Tag  um  1 Tropfen 
steigend  bis  zu  10  Tropfen  pro  die,  jede  einzelne  Gabe  mit  reich- 
lich Wasser  verdünnt  und  gegen  Ende  der  Mahlzeit,  niemals  auf 
leeren  Magen.  Yon  den  neueren  Arsenikpräparaten  hat  sich  mir 
das  Natrium  kakodylicum  nicht,  das  Atoxyl  recht  gut  bewährt; 
ich  gebe  letzteres  in  10°/0iger  Lösung,  bei  Erwachsenen  täglich 
zunächst  eine  halbe,  in  der  zweiten  Woche  eine  ganze  Spritze, 
in  der  dritten  täglich  z wei  Spritzen  auf  einmal.  Stärkere  Lösungen 
brennen  in  der  Haut  und  scheiden  leicht  aus.  Viel  verwendet 
man  in  der  Praxis  die  arsenikhaltigen  Wässer,  insbesondere 
Levicowasser,  täglich  2 — 4 Eßlöffel  zuerst  von  Levico- 
schwach,  dann  von  Levico-stark,  bei  Kindern  ebenso  viel  Teelöffel 
voll,  ferner  Roncegnowasser,  täglich  3 — 6 Teelöffel,  oder 
Guberquelle,  Kindern  unter  6 Jahren  1 Teelöffel  bis  1 und  2 Eß- 
löffel, Erwachsene  2 — 4 Eßlöffel,  sämtlich  ebenfalls  nach  dem 
Essen.  Wegen  der  genaueren  Dosierung  wird  man  hei  Erwachsenen 
am  liebsten  die  subkutanen  Einspritzungen  von  Atoxyl  oder  Pillen 
aus  Arsenik , vgl.  S.  314,  verordnen.  Bei  den  geringsten  Ver- 
giftungserscheinungen muß  jede  Arsenverabreichung  unter- 
bleiben; dahin  gehören  Schmerz  im  Magen,  Konjunktivitis,  Schwindel, 
Zittern,  Kratzen  im  Halse,  Ohrensausen,  Kopfschmerz,  Metror- 
rhagie. 

Die  Arsenbehandlung  kann  mit  Vorteil  unterstützt  werden 
durch  Bromnatrium , am  besten  in  einer  Ahendgabe  von  0,5 — 3,0, 
je  nach  dem  Alter  des  Kranken.  In  manchen  Fällen  bewährt  es 
sich,  3 mal  täglich  oder  auch  nur  abends  1,0  Antipyrin  oder 
Pyramidon  oder  Salipyrin  zu  geben,  ebenso  wird  neuerdings  das 
Aspirin  sehr  gerühmt,  ich  gebe  es  in  der  S.  280  geschilderten 
Weise  mehrere  Tage  hintereinander.  In  chronischen  Fällen  er- 
reicht man  am  meisten  durch  Scopolaminum  hydrobromicum  ; man 
beginnt  wie  immer,  vgl.  S.  66,  mit  ganz  kleinen  Dosen,  bei  Kindern 
0,0001  2 — 3 mal  täglich,  bei  Erwachsenen  0,0003  3 mal  täg- 
lich, und  steigert  jeden  dritten  oder  vierten  Tag  um  eine  solche 
Gabe,  bis  zum  Dreifachen  der  Anfangsdosis,  jedenfalls  so  lange, 
bis  die  Chorea  verschwunden  ist. 


Neurosen 


341 


Bei  Chorea  gravidarum  kann  man  ebenfalls  mit  Wasser- 
behandlung und  Arsenkur  Vorgehen,  natürlich  in  vorsichtiger 
und  schonender  Weise.  Schwere  Störungen  des  Allgemeinbefindens, 
übermäßige  Zuckungen,  geistige  Störungen  veranlassen  zuweilen 
zur  künstlichen  vorzeitigen  Unterbrechung  der  Schwangerschaft. 

10.  Paralysis  agitans. 

Das  wichtigste  Linderungsmittel  bei  Schüttellähmung  ist  das 
Scopolamin.  Man  gibt  es  zunächst  innerlich,  in  Tropfen  oder 
Pillen,  0,0002  pro  dosi,  2 — 3 mal  täglich.  Dann  steigert  man 
die  Gabe,  etwa  um  eine  solche  Pille  jeden  zweiten  Tag,  bis  ein 
Nachlassen  des  Zitterns  eintritt.  Oft  muß  man  dabei  bis  3 mal 
täglich  0,0005  und  mehr  geben.  Ist  dabei  gar  kein  Unterschied 
im  Zittern  zu  bemerken,  so  ist  das  Präparat  unwirksam,  was 
zuweilen  nach  längerem  Lagern  vorkommt,  oder  man  muß  ver- 
suchen, ob  im  vorliegenden  Falle  das  Mittel  subkutan  besser 
wirkt.  Im  ganzen  beginnt  man  hier  mit  halb  so  großen  Dosen 
wie  bei  der  innerlichen  Anwendung.  Die  ersten  Vergiftungs- 
erscheinungen bestehen  in  Trockenheit  im  Halse,  Verringerung 
der  Akkommodation  und  Pupillenerweiterung;  der  Patient  muß 
sie  der  guten  Wirkung  wegen  ertragen,  sie  geben  aber  ein 
Zeichen,  daß  zunächst  nicht  mit  der  Dosis  gestiegen  werden 
darf.  Sind  sie  sehr  lästig,  so  kann  man  auch  etwas  mit  der  Dosis 
heruntergehen,  ein  Grund  zum  Aussetzen  des  Mittels  ist  das  aber 
nicht.  Oft  kann  man  nach  einiger  Zeit  die  Dosis  verringern  und  doch 
dieselbe  Wirkung  erzielen.  Auf  diese  Art  habe  ich  solche  Kranke 
das  Mittel  viele  Jahre  lang,  in  einem  Falle  etwa  10  Jahre  lang, 
ohne  jeden  Nachteil  brauchen  sehen,  und  mit  fast  gleichbleibender 
Dosis.  Sehr  wertvoll  ist  auch,  daß  das  Scopolamin  oft  auch  die 
Muskelschmerzen  der  Paralysis  agitans  aufhebt.  — Von  manchen 
wird  Duboisin  empfohlen,  das  wohl  nichts  anderes  ist  als  ein 
abgeschwächtes  Scopolamin,  in  etwas  größeren  Gaben.  Oppen- 
heim hat  in  einigen  Fällen  eine  Verminderung  des  Zitterns  durch 
Tinctura  Veratri  viridis , mehrmals  täglich  3 — 4 Tropfen,  erreicht ; 
er  empfiehlt  auch  einen  Versuch  mit  Tinctura  Gelsemii , 3 bis 
4 mal  täglich  5 — 10 — 20  Tropfen,  mit  Vorsicht,  weil  die  Stärke 
der  Tinktur  wechselt.  Ekb  verordnet  häufig 

Ipfc  Liq.  Kalii  arsenicosi 
Aq.  Foeniculi 
Tinct.  Strychni  ana  10,0 
M.D.S.  3 mal  täglich  6 — 12  Tropfen. 


342 


“Krankheiten  des  Nervensystems 


Oppenheim  rät  zu  besonderer  Vorsicht  mit  Abführmitteln 
und  schweißtreibenden  Mitteln,  wegen  langanbaltender  Nach- 
wirkungen. 

Wertvoll  ist,  daß  man  den  Kranken  durch  richtige  Lagerung 
im  Bett,  durch  geeignete  Gegenstände,  die  ihren  Fingern  eine 
gewisse  Stütze  geben,  wie  z.  B.  eine  hölzerne  Kugel,  die  in  der 
Hand  gehalten  wird,  durch  eine  Mittellage  und  dergleichen  Er- 
leichterungen bietet.  Brompräparate  und  milde  Schlafmittel 
sind  meist  unentbehrlich,  das  Morphium  hebt  man  für  die  End- 
stadien auf. 


11.  Angioneurosen. 

Die  allgemeinen  Angioneurosen,  die  als  angeborene 
oder  durch  das  Klimakterium  erworbene  Neigung  zu  Kongestionen 
nach  dem  Kopf  oder  nach  anderen  Teilen,  als  Hyperidrosis  usw. 
auftreten,  werden  wie  die  gewöhnliche  Neurasthenie  behandelt. 
Am  besten  wirken  auf  die  Erscheinungen  selbst  die  Salizyl- 
präparate  in  kleinen  Dosen,  z.  B.  Natrium  salicylicum  0,3— 0,5 
mehrmals  täglich,  und  Atropinum  sulfuricum  0,0003  mehrmals 
täglich.  Bei  Akroparästhesie  und  bei  dem  akuten  um- 
schriebenen Hautödem  empfehlen  sich  dieselben  Mittel,  außer- 
dem gibt  man  gern  Arsenik  in  steigenden  Dosen,  vgl.  340,  und 
Chininum  hydrochloricum , 0,2 — 0,5  vor  dem  Einschlafen.  Allge- 
meine milde  Wasserbehandlung  durch  Wannenbäder  von  33°  C. 
oder  Halbbäder  von  30°  C.,  vgl.  S.  322,  unterstützen  die  Kur. 


12.  Basedowsche  Krankheit. 

Es  darf  als  höchst  wahrscheinlich  bezeichnet  werden,  daß 
die  BASEDOWsche  Krankheit  eine  Neurose  ist,  die  durch  über- 
mäßige Tätigkeit  der  Schilddrüse  hervorgerufen  wird.  Demgemäß 
muß  die  partielle  Entfernung  der  Schilddrüse  als  kau- 
sale Behandlung  empfohlen  werden.  Die  Erfolge,  die  Kocher 
und  andere  Chirurgen  von  großer  Erfahrung  auf  diesem  Gebiete 
berichten,  sind  in  der  Tat  bemerkenswert.  Immerhin  wird  man 
zunächst  die  weniger  eingreifenden  Mittel  heranziehen,  in  erster 
Linie  die  von  Möbius  angegebene  Behandlung  mit  dem  von 
Merck  hergestellten  Antithyreoidin , das  aus  dem  Blute  thyreoid- 
ektomierter  Hammel  hergestellt  wird.  Man  gibt  von  dem  leider 
sehr  teuren  Serum  — 5 ccm  kosten  6 M.  — täglich  0,5  ccm, 


Neurosen 


343 


steigend  bis  zn  5,0  pro  die,  in  Himbeersaft,  Wein  usw.  Ein 
verwandtes  Mittel,  das  u.  a.  von  Leyden  gelobt  wird,  ist  das 
Rodagen , aus  der  Milcb  thyreoidektomierter  Ziegen  hergestellt; 
man  gibt  von  dem  Pulver  — lg  kostet  15  Pf.  - täglich  5 — 10  g 
Monate  lang,  die  Wirkung  soll  nach  2 — 3 Wochen  eintreten. 

In  allen  Fällen  empfiehlt  sich  eine  möglichst  streng  durch- 
geführte Behandlung  mit  körperlicher  und  geistiger,  zumal  auch 
Gemütsruhe.  Alle  Anstrengungen  sind  zu  verbieten,  viel  Aufent- 
halt im  Freien,  oft  in  Form  von  Luftliegekuren,  ist  nötig.  Das 
Höhenklima  wirkt  unter  diesen  Bedingungen  besonders  gut, 
vgl.  S.  45  ff. ; Caux,  Rigi,  Tarasp,  St.  Moritz,  Arosa,  aber  auch 
St.  Blasien  und  andere  Orte  unter  1000  m Meereshöhe,  bringen 
oft  nachhaltige  Besserung.  Die  Diät  sei  überwiegend  vegeta- 
bilisch, Alkohol,  Kaffee  und  Tee  sind  wegzulassen,  Milch,  Limo- 
naden, Sauerbrunnen  zu  empfehlen.  Zuweilen  erweist  sich  eine 
Mastkur,  vgl.  S.  320,  vorteilhaft.  Milde  Wasserbehand- 
lung wie  bei  Neurasthenie  ist  zweckmäßig.  Sehr  wertvoll  ist  die 
Galvanisation  des  Sympathicus:  große  Anode  in  der  Nacken- 
gegend, Kathode  von  4 — 9 qcm  zwischen  Unterkiefer winkel  und 
vorderem  Rand  des  Sternocleidomastoideus,  vorsichtiges  Ein-  und 
Ausschleichen  schwacher  Ströme,  bis  zu  3 M.-A.,  täglich  2 bis 
3 Minuten  lang. 

Von  Arzneimitteln  empfehlen  sich  am  meisten  die  allge- 
mein tonisierenden : Arsenik  in  steigenden  Dosen,  vgl.  S.  340, 
Eisen  mit  Chinin  wie  bei  Chlorose,  ferner  Natrium  phosphoricum , 
0,5 — 2,0  mehrmals  täglich  in  Wasser  gelöst.  Gegen  das  Herz- 
klopfen verordnet  man  am  besten  kalte  Umschläge  auf  die  Herz- 
gegend und  Natrium  bromatum  0,5 — 2,0  mehrmals  täglich  in 
wäßriger  Lösung. 


13.  Myxödem. 

Die  verschiedenen  Formen  des  Myxödems,  von  den  nur  an- 
gedeuteten Fällen  mit  dickem  Gesicht,  Infantilismus  usw.  bis 
zum  ausgesprochenen  Myxödem  und  Kretinismus,  werden  in 
glänzender  Weise  durch  die  innerliche  Anwendung  der  Schild- 
drüsenpräparate behandelt.  Man  gibt  am  meisten  die  Ta- 
bletten mit  Schilddrüse  in  Substanz,  wie  sie  von  Burrough, 
Wellcome  & Co.,  von  Merck,  von  Engelhard  in  Frankfurt, 
von  der  Schwanenapotheke  in  Köln  usw.  hergestellt  werden, 
oder  das  Jodothyrin  von  Bayer  oder  das  Thyraden  von  Knoll, 


344 


Krankheiten  des  Nervensystems 


mit  0,3  — gewöhnliche  Stärke  der  Tabletten  — beginnend,  bis 
zu  5 und  sogar  10  pro  die  allmählich  steigend,  unter  genauer 
Beobachtung  des  Allgemeinbefindens.  Herzklopfen,  Zittern,  Un- 
ruhe, Schwächegefühle  sind  als  Vergiftungserscheinungen  aufzu- 
fassen und  verlangen  eine  Herabsetzung  der  Dosis,  wenn  sie 
nicht  auf  gleichzeitige  Verabreichung  von  Arsenik , 3 mal  täglich 
0,001,  vgl.  S.  340,  verschwinden.  Gewöhnlich  sind  mehrere 
solche  Kuren  notwendig,  die  in  kürzeren  oder  längeren  Zwischen- 
räumen angewendet  werden. 


VIII 

Infektionskrankheiten. 


1.  Verhütung*  der  Infektionskrankheiten. 

Die  unanfechtbare  heutige  Auffassung  der  Infektionskrank- 
heiten geht  dahin,  daß  es  keine  Infektionskrankheit  ohne  den 
parasitären  Erreger  gibt,  daß  aber  die  parasitären  Erreger  die 
Krankheit  nur  hervorrufen,  wenn  sie  bei  der  Infektion  des 
Körpers  virulent  genug  sind,  um  die  Schutzvorrichtungen 
des  Körpers  zu  überwinden. 

Diese  Relativität  ist  von  der  orthodoxen  Bakteriologie  lange 
Zeit  übersehen  worden.  Aber  auch  von  der  Klinik  ist  sie  erst 
spät  ins  rechte  Licht  gerückt  worden.  Dazu  haben  besonders  die 
Arbeiten  von  Martius  (Pathogenese  innerer  Krankheiten,  Wien, 
1899 — 1903)  beigetragen. 

Für  die  Verhütung  der  Infektionskrankheiten  ergeben  sich 
daraus  die  beiden  Wege:  die  Parasiten  von  den  Menschen  fernzu- 
halten oder  sie  zu  vernichten  und  anderseits  die  Widerstandskraft 
des  Körpers  gegen  die  Infektionerreger  zu  erhöhen. 1 

Der  Kampf  gegen  die  Parasiten 

hat  je  nach  der  Art  derselben  verschiedene  Wege.  Bei  einer 
Anzahl  von  Krankheiten  bildet  immer  der  Kranke  den  Mittel- 
punkt der  Ausbreitung,  die  Krankheiterreger  verlassen  seinen  Körper 
in  virulentem  Zustande  und  gehen  direkt  oder  nach  kürzerem 
oder  längerem  Aufenthalt  in  der  Umgebung  oder  auf  der  Haut 
oder  Schleimhant  unempfänglicher  Menschen  auf  empfängliche 
Menschen  über.  Das  sind  die  kontagiösen  Krankheiten, 
z.  B.  Pocken,  Masern,  Scharlach,  Tuberkulose,  Diphtherie,  Syphilis.  % 


1 Vgl.  die  vortreffliche  Darstellung  in  Flügge,  Grundriß  der  Hygiene, 
Leipzig,  Veit  & Comp.,  5.  Aufl.,  1902. 


346 


Infektionskrankheiten 


Bei  anderen  ist  der  gewöhnliche  Weg  der  Übertragung  ein 
anderer:  die  Erreger  verbreiten  sich  ohne  merkliche  Mitwirkung 
des  Kranken;  ein  gutes  Beispiel  dieser  ektogenen  Infektions- 
krankheiten ist  der  Tetanus,  aber  auch  die  überall  verbreiteten 
Eiterkokken  und  die  durch  Stechmücken  übertragenen  Malaria- 
parasiten gehören  hierher. 

Bei  den  kontagiösen  Krankheiten  verbreiten  sich  die  Erreger 
am  meisten  durch  die  Ausscheidungen  der  Kranken,  und 
zwar  durch  die  Hautschuppen  hei  Pocken,  Masern,  Scharlach, 
durch  Auswurf,  Mund-  und  Nasenahsonderung  bei  Masern, 
Diphtherie,  Keuchhusten,  Genickstarre,  Tuberkulose,  Lepra  usw., 
durch  Kot  und  Harn  hei  Typhus,  durch  den  Kot  bei  Cholera, 
durch  den  Eiter  hei  den  Wundinfektionskrankheiten,  durch  die 
frischen  Absonderungen  bei  Syphilis,  Gonorrhöe,  Hunds wut. 
Ebenso  infektiös  sind  vielfach  auch  die  mit  den  Absonderungen 
beschmutzten  Betten,  Kleider,  Trink-  und  Eßgeschirre 
und  andere  Gebrauchsgegenstände,  der  Staub  der  Wohnung,  die 
Abwässer  und  Abgänge,  die  die  Ausscheidungen  aufgenommen 
haben.  Erst  durch  die  Bakteriologie  ist  es  möglich  geworden, 
zu  erkennen,  wie  oft  Gesunde  als  Infektionsträger  dienen,  indem 
sie  pathogene  Bakterien  in  sich  herumtragen,  ohne  es  zu  wissen. 

Bei  den  ektogenen  Krankheiten  sind  die  Erreger  zum  Teil 
allgemein  verbreitet,  so  die  Eiterbakterien  auf  der  Haut  der 
meisten  Menschen,  Strepto-  und  Pneumokokken  im  Mundschleim 
vieler  Gesunder,  Tetanusbazillen  in  Ackerboden  und  Bodenstaub, 
die  Bakterien  der  Magendarmkrankheiten  der  Kinder  vorzugsweise 
in  der  Kuhmilch.  Die  Malariaparasiten  finden  sich  ektogen  in 
den  Stechmücken,  die  als  Zwischen  wirte  dienen. 

Bei  den  kontagiösen  Krankheiten  erstrebt  man  die 
Eernhaltung  der  Infektionsträger  teils  durch  Beaufsichtig- 
ung des  Grenzverkehrs,  indem  man  Kranke  und  Krankheitver- 
dächtige an  der  Grenze  zurückhält  und  sie  unter  Aufsicht  stellt 
— so  bei  Cholera,  Gelbfieber,  Pest  — , durch  Verbot  der  Ein- 
fuhr verdächtiger  Waren  usw.,  bei  den  einheimischen  Krankheiten 
durch  Isolierung  der  ersten  Fälle,  die  auf  Grund  der 
gesetzlichen  Anzeigepflicht  möglichst  frühzeitig  geschehen  soll. 
Die  Isolierung  kann  mit  Erfolg  fast  nur  in  einem  Krankenhause 
durchgeführt  werden,  und  in  vielen  Fällen  scheitert  der  ärztliche 
Wunsch  nach  Isolierung  daran,  daß  die  Kranken  oder  ihre  Ver- 
treter damit  nicht  einverstanden  sind.  Der  Arzt  hat  dann 
wenigstens  nach  Kräften  dafür  zu  sorgen,  daß  der  Kranke  im 


Verhütung  der  Infektionskrankheiten 


347 


eigenen  Hause  möglichst  für  sich  gehalten  wird,  und  daß  seine 
Absonderungen  möglichst  wenig  an  andere  Personen  gelangen. 
Besonders  wichtig  ist  auch,  daß  die  Arzte  hei  leichteren  Krank- 
heiten dafür  sorgen,  daß  die  Infektion  nicht  verschleppt  werde, 
z.  B.  keine  keuchhustenkranken  Kinder  in  Bäder  und  Luftkur- 
orte geschickt  werden,  wo  sie  andere  Kinder  anstecken! 

Die  Vernichtung  der  Krankheiterreger  läßt  sich  nicht 
durch  Lüften,  Abkehren  und  dergleichen  bewirken,  vielmehr 
bleiben  dabei  zahlreiche  Keime  zurück,  und  ebenso  zahlreiche 
werden  durch  Staub  usw.  in  die  Umgebung  verbreitet.  Ein 
wirksames  Verfahren  stellt  nur  die  Desinfektion  dar.  In  der 
Wohnung  des  Kranken  kann  man  kleine,  wertlose  Gegenstände 
verbrennen,  Eß-  und  Trinkgeräte  und  Geschirre  auskochen,  Aus- 
wurf mit  5 °/00  iger  Sublimatlösung  und  Stuhlgang  mit  gleichen 
Teilen  Chlorkalk,  1 : 5 Wasser,  desinfizieren.  Die  Wohnung  seihst 
wird  am  besten  durch  Formaldehyd  in  Gasform  desinfiziert,  und 
zwar  müssen  2,5  g Formaldehyd  pro  Kubikmeter  Wohnraum 
7 Stunden  lang  oder  5,0  pro  Kubikmeter  Sl/2  Stunden  lang  ein- 
wirken. Der  Wohnraum  muß  dabei  abgedichtet  und  seine  Luft 
mit  Wasserdampf  erfüllt  sein.  Die  Desinfektion  erfolgt  dabei 
nur  oberflächlich;  daher  müssen  grob  verunreinigte  Stellen  des 
Fußbodens,  beschmutzte  Wäsche  und  dergleichen  besonders  des- 
infiziert werden,  je  nachdem  durch  Aufwischen  mit  5.°/0  igem 
Liquor  Cresoli  saponatus  oder  durch  Erhitzen  in  Desinfektions- 
öfen, worin  auch  Betten,  Kleider,  Wäsche  desinfiziert  werden. 
In  jedem  Falle  muß  die  Desinfektion  durch  geschulte  Kräfte 
erfolgen.  Die  Errichtung  von  Desinfektionsanstalten  und  Des- 
infektorenschulen ist  daher  überall  dringendes  Bedürfnis.  Nach 
Flügge  ist  bei  Pocken,  Pest  und  septischen  Erkrankungen 
die  Dampfdesinfektion  der  Betten  und  Matratzen  neben  der  Form- 
aldehyddesinfektion  nicht  zu  entbehren;  bei  Cholera  und  Ruhr 
wird  nicht  mit  Formaldehyd  desinfiziert,  dagegen  Betten,  Wäsche 
und  Kleider  im  Dampfapparat  behandelt,  die  nähere  Umgebung 
des  Krankenbettes  mit  Sublimat-  oder  Kresollösung  abgewaschen 
und  der  Abtritt  mit  Kalkmilch  desinfiziert;  bei  Typhus  werden  die 
Wohnung  mit  Formaldehyd  und  Betten,  Wäsche  usw.  mit  Dampf 
desinfiziert. 

Bei  den  übrigen  Infektionskrankheiten  genügt  die 
Desinfektion  der  Wohnung  mit  Formaldehyd.  Besonders  wichtig 
ist  es,  daß  die  Kranken  selbst  vermeiden,  die  bakterienhaltigen 
Absonderungen  in  gefährlicher  Weise  zu  verstreuen.  Das  gilt 


348 


Infektionskrankheiten 


besonders  für  die  Lungentuberkulose.  Durch  die  Maßregeln, 
die  sich  auf  die  Unschädlichmachung  des  Auswurfes  beziehen, 
Entleerung  in  Spucknäpfe  oder  Spuckflaschen,  Einweichen  ge- 
brauchter Taschentücher  in  Wasser  usw.,  ist  in  Deutschland  die 
Sterblichkeit  an  Tuberkulose  in  15  Jahren  von  3 auf  2 pro 
Mille  zurückgegangen ! Die  Ärzte  werden  auch  noch  mehr  als 
bisher  dafür  sorgen  müssen,  sich  selbst  und  ihre  anderen  Kranken 
gegen  Infektionsühertragung  zu  schützen,  durch  Anlegen  wasch- 
barer Oberkleider  beim  Besuch  Kontagiöskranker,  durch  Waschung 
des  Gesichtes  und  der  Hände  nach  dem  Besuche,  Desinfektion  ge- 
brauchter Instrumente.  Sind  Haar  und  Bart  durch  Anhusten 
und  dergleichen  reichlich  mit  Krankheiterregern  bedeckt,  so 
müssen  sie  mit  Sublimatlösung  abgewaschen  werden. 

Wichtig  ist  eine  allgemeine  Fürsorge  gegen  Staub,  der 
heute  noch  ohne  jede  Rücksicht  auf  Infektionsgefahr  auf  den 
Straßen  aufgewirbelt  und  aus  oft  sehr  verdächtigen  Teppichen  usw. 
durch  Ausklopfen  in  die  Luft  der  Höfe  und  Gärten  gejagt  wird. 
Ferner  muß  überall  für  gesundes,  reines  Trinkwasser  und  für 
saubere,  von  Schmutz  und  Krankheiterregern  freie  Nahrungs- 
mittel gesorgt  werden.  Leider  steht  unsere  Fürsorge  in  dieser 
Richtung  erst  in  den  Anfängen,  wie  die  Berichte  über  unsaubere 
Vorgänge  in  den  Backstuben  und  jeder  Blick  in  Nahrungsmittel- 
geschäfte lehren.  Für  die  Hygiene  der  Milchversorgung 
wird  glücklicherweise  in  den  letzten  Jahren  immer  eifriger  ge- 
sorgt, auch  die  große  Aufgabe  immer  mehr  gefördert,  der  un- 
bemittelten Bevölkerung  gute  Säuglingsmilch  zugänglich  zu  machen. 
Die  Wohnungsreform  ist  zur  Bekämpfung  der  Infektionskrank- 
heiten von  ebenso  großem  Wert,  da  viele  Seuchen  geradezu  von 
der  Wohndichtigkeit  abhängen.  Es  handelt  sich  dabei  natürlich 
nicht  nur  um  gesunde  Wohnungen,  sondern  auch  um  gesund- 
heitgemäße Benutzung  derselben.  Die  hygienische  Beseitigung 
der  Abgänge  und  des  Kehrichts  ist  eine  weitere  Bedingung 
der  Fortschritte  in  der  Seuchenbekämpfung. 

Erhöhung  der  Widerstandsfähigkeit  gegen  Infektion. 

Der  Schutz  des  Körpers  gegen  die  eindringenden  Bakterien 
besteht  zum  Teil  in  dem  gesunden  Zustande  der  Haut  und  der 
Schleimhäute  und  ihrer  Drüsen;  eine  heile  und  glatte  Haut 
gewährt  weder  den  Eiterbakterien  noch  den  Tetanusbazillen  usw. 
Zugang,  dagegen  erleichtern  chronisch  entzündete  Mandeln  im 
Gaumen  und  im  Rachen  den  Bakterien  der  Diphtherie,  der 


Verhütung  der  Infektionskrankheiten 


349 


Genickstarre,  den  Erregern  des  Scharlachs  usw.  die  Ansiedelung; 
die  in  den  Mandeln  und  in  anderen  Herden  heimischen  Strepto- 
kokken und  Staphylokokken  können  in  die  Blutbahn  eindringen 
und  Gelenkrheumatismus,  Endokarditis  usw.  hervorrufen.  Die 
Beseitigung  solcher  Depots  ist  daher  eine  ernste  Forderung  der 
Gesundheitspflege.  Der  normale  Magensaft  läßt,  wie  es  scheint, 
die  Bazillen  der  asiatischen  Cholera  nicht  am  Leben;  daher  sind 
Säufer  und  Magenkranke  dieser  Seuche  mehr  ausgesetzt.  Magen- 
leidende Kinder  erkranken  leichter  an  den  Magendarmkrankheiten 
des  Säuglingsalters  als  solche  mit  gesunder  Verdauung.  Gesunde 
Lymphdrüsen  sind  jedenfalls  eher  imstande,  eingedrungeno 
Bakterien  unschädlich  zu  machen  als  krankhaft  entartete.  Allo 
diese  Hinweise  sind  vom  Arzte  sehr  zu  beachten. 

Die  wichtigste  Schutzkraft  gegen  Infektionskrankheiten  gibt 
allerdings  ein  gesundes  Blut.  An  der  Blutbeschaffenheit  liegt 
es,  daß  von  allen  Tieren  für  Syphilis  nur  die  menschenähnlichen 
Affen,  für  Typhus,  Scharlach,  Cholera,  Gonorrhöe  kein  einziges 
empfänglich  ist.  Die  neueren  Forschungen  über  Immunität 
haben  gelehrt,  daß  das  Blut  auf  verschiedene  Arten  Schutzmittel 
gegen  Krankheiterreger  liefert.  Zunächst  durch  die  Phagocytose, 
indem  die  Phagocyten,  d.  h.  die  mehrkernigen  weißen  Blut- 
körperchen, die  großen  einkernigen  weißen  Blutkörperchen,  viele 
Endothelzellen,  ferner  Pulpazellen  der  Milz  und  des  Knochen- 
markes, einige  Bindegewebs-  und  Nervenzellen  die  Bakterien  in 
sich  aufnehmen  und  vernichten.  Die  beweglichen  Phagocyten 
sammeln  sich  massenhaft  um  die  Eindringlinge  an,  grenzen  sic 
gegen  das  gesunde  Gewebe  durch  einen  Wall  ab  und  vernichten 
sie  durch  besondere  bakterizide  Stoffe.  Genaueres  über  diese 
besonders  von  Metschnikoff  und  seinen  Schülern  erforschten 
Verhältnisse  ist  bei  Flügge  a.  a.  0.  nachzulesen.  Manche  Bakterien- 
arten verfallen  der  Phagocytose  erst,  wenn  sie  durch  andere 
Einflüsse  in  ihrer  Lebensfähigkeit  geschädigt  sind.  Die  beiden 
anderen  Arten  von  Schutzkräften  liegen  in  der  Blutflüssig- 
keit. Diese  Vorgänge  sind  besonders  von  Ehelich  und  seinen 
Schülern  erforscht  worden.  Es  handelt  sich  dabei  erstens  um 
Antitoxine,  um  chemische  Bestandteile  der  Blutflüssigkeit,  die 
die  Bakterientoxine  binden  und  dadurch  unwirksam  machen;  sie 
werden  im  allgemeinen  erst  gebildet,  wenn  Bakterientoxine  in  die 
Blutbahn  eingedrungen  sind.  Man  benutzt  diese  Eigentümlich- 
keit, um  durch  Toxininjektion  bei  Tieren  Antitoxine  zu  erzeugen 
und  diese  als  Heilserum  beim  Menschen  zu  verwenden,  teils  zur 


350 


Infektionskrankheiten 


Immunisierung,  teils  zur  Heilung  des  schon  Erkrankten,  so  bei 
der  Diphtherie,  nach  dem  BEHRiNGSchen  Verfahren.  Als  zweites 
Schutzmittel  im  Serum  wirken  die  Cytolysine  (Bakteriolysine, 
Hämolysine).  Sie  lösen  die  Bakterien  auf.  Sie  sind  teils  von 
vornherein  im  Blute  vorhanden:  Al  ex  ine,  und  bedingen  im 
wesentlichen  die  angeborene  Immunität,  teils  entstehen  sie  durch 
das  Überstehen  einer*  parasitären  Krankheit  oder  nach  absicht- 
licher Einbr ingung b estimmter Kr ankheiter reger : Amboceptoren 
oder  spezifische  Immunkörper,  z.  B.  bei  erworbener  Immu- 
nisierung gegen  Typhus,  Cholera,  Pest.  Man  verwendet  diese 
Vorgänge  zur  aktiven  oder  passiven  Immunisierung.  Bei  der 
aktiven  impft  man  die  abgeschwächten  oder  getöteten  Erreger 
ein,  worauf  sich  im  Blute  die  Immunkörper  (gegen  Typhus, 
Cholera,  Pest)  bilden;  bei  der  passiven  Immunisierung  verwendet 
man  die  an  immunisierten  Tieren  gewonnenen  Immunkörper. 

Um  die  Widerstandsfähigkeit  gegen  Infektionskrankheiten  zu 
steigern,  kann  man  sowohl  die  allgemeinen  Schutzeinrich- 
tungen zu  heben  suchen,  wie  die  spezifischen  Schutz- 
impfungen vornehmen.  Etwas  Sicheres  darüber,  wie  man  die 
allgemeine  Empfänglichkeit  herabsetzt,  ist  bisher  nicht  bekannt, 
es  darf  aber  als  sicher  angenommen  werden,  und  damit  stimmt 
auch  die  praktische  Erfahrung,  daß  alles,  was  den  Körper  im 
ganzen  und  das  Blut  insbesondere  gesund  und  kräftig  macht,  vor 
Infektionskrankheiten  bis  zu  einem  gewissen  Grade  schützt  und 
entstandene  Krankheiten  schneller  und  besser  überwinden  läßt. 
Man  bezeichnet  diese  Widerstandserhöhung  gern  mit  dem  Kamen 
der  Abhärtung.  Dieser  allgemein  bekannte  Ausdruck  wurde 
früher  besonders  auf  die  Abhärtung  gegen  Erkältungen  be- 
zogen, läßt  sich  aber  nicht  darauf  beschränken,  schon  deshalb, 
weil  die  früher  sogenannten  Erkältungskrankheiten  sich  inzwischen 
zum  großen  Teil  als  Infektionskrankheiten  herausgestellt  haben. 
In  der  Tat  wird  auch  eine  wirksame  Abhärtung  gegen  beide 
Krankheitsarten  auf  demselben  Wege  erreicht. 

Einen  wichtigen  Teil  der  Abhärtung  macht  eine  richtige 
Hautpflege  aus.  Ungenügende  Beinhaltung  macht  die  Haut 
empfindlich,  und  dasselbe  gilt  von  unzweckmäßiger  Wasserbe- 
handlung der  Haut,  mag  sie  mit  zu  kaltem  Wasser  vorge- 
nommen werden,  das  zu  viel  Wärme  entzieht,  oder  mit  lauem 
Wasser,  das  die  Reaktion  der  Haut  auf  Wärmeunterschiede 
herabsetzt.  Während  die  schädlichen  Folgen  der  zu  lauen  Be- 
handlung schon  lange  allgemein  gewürdigt  worden  sind,  hat  auf 


Verhütung  der  Infektionskrankheiten 


351 


die  Schädigung  durch  gewaltsame  Abhärtung  in  den  letzten 
Jahren  mit  besonderem  Nachdruck  Hecker  in  München  hinge- 
wiesen. Er  hat  statistisch  nachgewiesen,  daß  Kinder,  die  mit 
kaltem  Wasser  „abgehärtet“  wurden,  an  Erkältungs-  und  Infek- 
tionskrankheiten noch  mehr  zu  leiden  hatten,  als  Kinder  mit 
mangelhafter  Hautpflege,  während  die  mit  milder  Wasseran- 
wendung aufgezogenen  am  gesundesten  waren.  Dasselbe  sieht 
man  immer  wieder  bei  den  Kindern,  die  dazu  angehalten  werden, 
auch  in  der  ungünstigen  Jahreszeit  mit  nackten  Füßen  und 
Beinen  einherzulaufen.  Im  Sommer  ist  dagegen  nichts  einzu- 
wenden, in  der  kalten  Jahreszeit  ist  in  unserem  Klima  eine 
wärmere  Bekleidung  der  Beine  durchaus  notwendig,  und  besonders 
wichtig  ist  es,  wie  schon  S.  215  ff.  ausgeführt  worden  ist,  daß  der 
Unterleib  gegen  Erkältungen  geschützt  wird.  Die  täglichen 
Bäder  der  Kinder  sollen  in  den  ersten  Lebenswochen  35°  C. 
warm  sein,  dann  ständig  33°  C.,  was  auch  für  die  Erwachsenen 
als  die  indifferente  und  zugleich  die  Hautfestigkeit  fördernde 
Wärme  zu  betrachten  ist.  Eine  Zugabe  von  kalten  Duschen  und 
dergleichen  ist  dabei  völlig  unnötig,  vielmehr  sind  solche  kräftige 
Reize  aus  den  Anwendungen  des  täglichen  Lebens  fernzuhalten 
und  für  Heilzwecke  aufzubewahren.  — Eine  besonders  gute  Ab- 
härtungswirkung haben  die  S.  317  beschriebenen  Luftbäder. 
Es  ist  zu  wünschen,  daß  überall,  am  besten  im  Anschluß  an 
Badeanstalten,  dafür  besondere  Einrichtungen  getroffen  werden. 
— Für  empfindliche  Personen  erreicht  man  die  Abhärtung  am 
leichtesten  und  nachhaltigsten  durch  Elektrisch-Licht-Bäder, 
S.  265 ff.,  deren  Wärme  man  bis  höchstens  50°  C.  steigen  läßt, 
2 — 3 mal  in  der  Woche  etwa  zwei  Monate  lang  genommen. 

Nächst  der  Hautpflege  dürfte  die  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Infektionen  von  einer  regelmäßigen  und  richtigen  Ernährung 
abhängen.  Die  richtige  Ernährung  ist  schon  deswegen  unent- 
behrlich, weil  sie  die  Grundlage  einer  normalen  Blutbeschaffen- 
heit bildet;  es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß  bei  schlechter  Blut- 
beschaffenheit die  Schutzstoffe  nicht  so  gut  gebildet  werden 
können.  Die  Erfahrung  lehrt  denn  auch,  daß  blutarme,  elende 
Menschen  den  Infektionskrankheiten  leichter  zum  Opfer  fallen. 
Es  zeigt  sich  außerdem  oft,  daß  die  Empfindlichkeit  im  nüchternen 
Zustande  größer  ist  als  sonst,  ganz  besonders  wenn  eine  gewohnte 
Mahlzeit  ausgeblieben  war,  so  z.  B.  daß  Kinder  an  Pneumonie 
oder  an  Mandelentzündung  erkranken,  nachdem  sie  zufällig  an 
diesem  Tage  ohne  Frühstück  in  die  Schule  gekommen  waren. 


352 


Infektionskrankheiten 


Daß  der  Alkoholismus  die  Empfänglichkeit  für  Infektions- 
krankheiten erhöht,  ist  allgemein  anerkannt;  teils  wird  die 
Schädigung  des  Magens  durch  chronischen  Alkoholkatarrh,  teils 
die  Yerschlechterung  des  Blutes  daran  schuld  sein.  Ganz  beson- 
ders bei  Kindern  habe  ich  oft  den  Eindruck  gehabt,  als  wenn  die 
ganz  alkoholfrei  aufgewachsenen  Kinder  die  infektiösen  Kinder- 
krankheiten außerordentlich  viel  leichter  durchmachen  als  andere. 

Ist  die  Infektion  schon  erfolgt,  so  läßt  sich  die  Schutzkraft 
des  Blutes  in  manchen  Fällen  durch  verschiedene  Einwirkungen 
steigern,  die  vielleicht  darin  ihre  gemeinsame  Grundlage  haben, 
daß  sie  eine  örtliche  Leukocytose  hervorrufen,  z.  B.  die  Bier  sehe 
Stauung,  die  Behandlung  örtlicher  Entzündungen  mit  heißen 
Breiumschlägen  oder  mit  Spirituskompressen,  die  Injektion 
von  Hefenuklein,  von  Zimtsäure , von  Cantharidin.  Von  allge- 
meiner Wichtigkeit  ist  aber  die  spezifische  Immunisierung  gegen 
jede  einzelne  Infektionskrankheit. 

1.  Natürliche  Immunisierung. 

Sie  erfolgt  durch  Überstehen  der  betreffenden  Krankheit.  Sie 
hält  je  nach  der  Art  der  Krankheit  auf  Lebenszeit  vor,  wie  fast 
immer  hei  Masern,  Scharlach,  Keuchhusten,  Pocken,  oder  für  J ahre, 
wie  gewöhnlich  hei  Typhus,  oder  für  Monate,  wie  meist  bei  Cholera. 
Da  auch  leichte  Erkrankungen  diesen  Schutzwert  haben,  setzt  man 
Großstadtkinder  in  leichten  Epidemien  der  Infektion  mit  Masern 
ruhig  aus  oder  übt  wenigstens  in  dieser  Hinsicht  keine  besondere 
Vorsicht.  Bei  Scharlach  ist  das  nicht  zu  empfehlen,  da  auch 
in  leichten  Epidemien  einzelne  sehr  schwere  Fälle  Vorkommen. 
Bei  Diphtherie,  Influenza,  Pneumonie,  Malaria,  Gonor- 
rhöe besteht  bekanntlich  kein  Schutz  durch  überstandene  Er- 
krankung. Bei  Syphilis  ist  die  Frage  nach  der  Möglichkeit 
einer  Reininfektion  noch  nicht  entschieden,  jedenfalls  kann  wegen 
der  Gefährlichkeit  der  Erkrankung  von  einer  Schutzsyphilisation 
mit  dem  natürlichen  Krankheitgift  nicht  die  Rede  sein.  Es  steht 
hier  ebenso  wie  mit  der  früher  gegen  Pocken  vorgenommenen 
direkten  Einimpfung  von  Pockengift  aus  frischen  Pusteln,  der 
sogenannten  Variolation. 

2.  Immunisierung  mit  abgeschwächten  Erregern. 

Ihr  Typus  ist  die  Schutzpockenimpfung,  die  weiterhin 
besonders  besprochen  wird.  Als  Heilverfahren  kommt  sie  bei  der 


Verhütung  der  Infektionskrankheiten 


353 


Pasteur sehen  Schutzimpfung  gegen  die  Hundswut  zur  An- 
wendung. Stücke  des  Rückenmarkes  wutkrank  getöteter  Kaninchen 
werden  ausgetrocknet,  dadurch  wird  die  Virulenz  des  Infektions- 
erregers in  bestimmtem  Grade  ahgesch wacht ; dem  Patienten  wird 
zunächst  ganz  schwache  Aufschwemmung,  dann  immer  stärkere, 
zuletzt  vollvirulente  Aufschwemmung  subkutan  eingespritzt.  Die 
neueren  Verbesserungen  des  Verfahrens  haben  es  dahin  gebracht, 
daß  von  den  Geimpften  nur  noch  durchschnittlich  0,2  °/0  sterben. 
Besonders  wichtig  ist  es  hierbei,  daß  die  Immunisierung  noch 
nach  dem  Hundebiß  vorgenommen  werden  kann.  Je  früher  sie 
dann  erfolgt,  um  so  sicherer  ist  die  Wirkung. 

3.  Immunisierung  durch  abgetötete  Erreger. 

Sie  ist  in  ausgedehntem  Maße  von  Haffkine  gegen  die 
Cholera  in  Indien  angewendet  worden.  Agarkulturen  der  Komma- 
bazillen werden  eine  Stunde  lang  auf  56°  erwärmt  oder  mit 
Chloroformdämpfen  behandelt,  die  Bakterien  werden  dadurch  getötet. 
Die  Injektion  bewirkt  Fieber,  Frost,  Mattigkeit  und  Appetit- 
mangel, auch  örtliche  Empfindlichkeiten;  nach  2 — 3 Tagen  ist 
die  Reaktion  abgelaufen,  vom  5.  Tage  ab  tritt  die  Immunität 
ein,  am  20.  Tage  ist  sie  auf  dem  Höhepunkt,  manchmal  ist  sie 
noch  nach  einem  Jahre  deutlich  erhalten.  — Auf  demselben  Ver- 
fahren beruhen  die  von  Pfeiffer  und  Kolle  angegebene  Immu- 
nisierung gegen  Abdominaltyphus  und  die  von  Haffkine 
festgestellte  Schutzimpfung  gegen  Pest. 

4.  Immunisierung  durch  Bakterienextrakte. 

Koch  hat  zur  Tuberkulosebehandlung  den  Extrakt  aus 
Kulturen  von  Tuberkelbazillen  benutzt.  Das  alte  Tuberkulin  wird 
durch  Ausfällung  eingedampfter  Glyzerinbouillonkulturen  mit 
Alkohol  gewonnen,  das  neue  Tuberkulin  durch  Verreiben  der 
trockenen  Kulturen,  die  in  Wasser  verteilt  und  zentrifugiert 
werden.  Gegen  Rotz  ist  auf  ähnlichem  Wege  das  Mallein  her- 
gestellt worden. 

5.  Passive  Immunisierung  durch  Heilserum. 

Gibt  man  Versuchstieren  fortgesetzt  steigende  Gaben  von 
Toxinen  oder  von  Bakterien,  so  werden  die  Schutzkörper  im 
Blutserum  der  Tiere  in  immer  größerer  Menge  angehäuft.  Man 
kann  dann  durch  kleine  Mengen  des  Serums  dem  Menschen  ge- 
nügende Schutzkräfte  zuführen,  um  ihn  gegen  eine  Infektion  mit 
den  entsprechenden  Bakterien  zu  schützen.  Auf  diese  Weise 
Dornblüth,  Therapie.  23 


354 


Infektionskrankheiten 


stellt  man  insbesondere  nach  Behring  das  Diphtherieheil- 
serum dar.  Es  wird  durch  vorsichtig  steigende  Infektion  von 
Pferden  mit  Diphtheriebazillenkulturen  gewonnen.  — Praktische 
Bedeutung  hat  sonst  nur  noch  das  Tetanusantitoxin  von  Behring. 


2.  Krankenpflege,  Ernährung,  Antipyrese. 

Soweit  es  die  Verhältnisse  des  Kranken  zulassen,  soll  für 
jeden,  der  an  einer  ernsten  Infektionskrankheit  leidet,  ein  be- 
sonderes, helles  und  luftiges  Zimmer  benutzt  werden.  In  vielen 
Fällen  wird  man  durch  zeitweilige  Änderung  der  Wohnungsein- 
teilung ein  geeignetes  Krankenzimmer  gewinnen  können.  Es  Soll 
dann  nur  von  den  Personen  betreten  werden,  die  direkt  mit 
dem  Kranken  zu  tun  haben,  auch  sollen  möglichst  nur  solche 
Gegenstände  darin  sein,  die  für  den  Kranken  und  für  seine  Pflege 
nötig  sind.  Die  Möbel  und  Gebrauchsgegenstände  sollen  womöglich 
abwaschbar  und  desinfizierbar  sein;  Polstermöbel,  dicke  Vorhänge 
und  dergleichen  sind  unzweckmäßig.  Das  Bett  muß  so  stehen, 
daß  der  Kranke  durch  das  Licht  nicht  belästigt  wird.  Für 
schwerere  Krankheiten  ist  ein  zweites  Bett  zum  Wechseln  sehr 
angenehm;  es  wird  dadurch  ermöglicht,  daß  der  Kranke  ohne 
viel  Umstände  öfters  die  Wohltat  eines  frischen  Bettes  erhalten 
kann.  Lärm  und  Geräusch  sind  von  dem  Krankenzimmer  nach 
Kräften  fernzuhalten,  alle  Vorbereitungen,  die  irgend  mit  Geräusch 
verbunden  sind,  müssen  außerhalb  vorgenommen  werden.  Auch 
die  Pflegepersonen  müssen  ruhig  sein,  nicht  laut  oder  viel  reden, 
sie  dürfen  keine  knarrenden  Schuhe  tragen  usw.  Der  Kranke  muß 
alles  Nötige  rechtzeitig  bekommen  und  ohne  daß  er  darum  zu 
bitten  braucht.  Die  Nahrung  muß  ihm  zu  bestimmten  Zeiten 
gebracht  werden,  ohne  daß  vorher  viel  davon  gesprochen  wurde, 
weil  das  meist  den  Appetit  herabsetzt  oder  gar  Widerwillen 
schafft.  Eine  gute,  ausgebildete  Krankenpflegerin  ist  meist  für 
den  Kranken  sowohl  wie  für  die  Angehörigen  die  größte  Er- 
leichterung, so  groß  das  Widerstreben  gegen  die  Heranziehung 
einer  Fremden  auch  zunächst  oft  ist.  Unbedingt  nötig  wird  sie, 
wenn  die  Krankheit  sich  in  die  Länge  zieht,  denn  dann  reichen 
außer  den  Kenntnissen  auch  die  Kräfte  der  Umgebung  gewöhn- 
lich nicht  aus.  Wo  das  nicht  durchführbar  ist,  empfiehlt  sich 
am  meisten  die  Verbringung  des  Kranken  in  ein  Krankenhaus. 

Die  Ernährung  der  Fieberkranken  ist  ein  sehr  wichtiger 
Teil  der  Behandlung  der  Infektionskrankheiten.  Gegenüber  dem 


Krankenpflege,  Ernährung,  Antipyrese 


355 


älteren  Standpunkt,  Fiebernden  eine  möglichst  reizlose  und  inhalt- 
lose, flüssige  Kost  zu  geben,  um  nicht  etwa  das  Fieber  zu  steigern, 
ist  man  jetzt  allgemein  auf  den  Standpunkt  gekommen,  den 
Kranken  möglichst  reichlich  zu  ernähren,  natürlich  unter  sorg- 
fältiger Rücksicht  auf  den  Zustand  seiner  Yerdauungsorgane.  Eiweiß 
und  Kohlehydrate  werden  im  allgemeinen  gut  ausgenützt  und  gut 
vertragen,  die  Verdauung  der  Fette  ist  manchmal  beeinträchtigt, 
dann  muß  man  das  Fett  durch  Kohlehydrate  ersetzen.  Vorwiegend 
flüssige  oder  doch  sehr  leicht  zu  zerkleinernde  Form  der  Nahrung 
ist  in  den  meisten  Fällen  geboten. 

Der  im  Fieber  fast  immer  vorhandene  Durst  und  die  regel- 
mäßig gesteigerte  Wasserverdunstung  durch  Lungen  und  Haut 
ebenso  wie  der  Wunsch,  die  im  Körper  vorhandenen  Toxine  und 
Zersetzungstoffe  möglichst  bald  fortzuschaffen,  sprechen  sämtlich 
für  eine  reichliche  Flüssigkeitzufuhr.  Sie  ist  auch  dann 
fortzusetzen,  wenn  der  Kranke  wegen  Benommenheit  oder  Schwäche 
wenig  Neigung  dazu  zeigt.  Heiße  Getränke  vermehren  oft  das 
Hitzegefühl,  man  vermeidet  sie  daher,  wenn  nicht  besondere 
Schwächezustände  heißen  schwarzen  Kaffee,  Bouillon  und  der- 
gleichen nötig  machen.  Für  gewöhnlich  empfehlen  sich  als  Ge- 
tränk: kalter  Tee,  Haferschleim,  Reisschleim,  Gersten wasser, 
Brotwasser,  Limonade,  Fruchtsäfte,  Fleischsaftauflösungen,  eisge- 
kühlte Bouillon,  und  als  flüssige  Nährmittel:  Milch,  Sahne, 
Zucker  wasser,  Milchzuckerlösung,  Eiweiß  wasser,  Leguminosentrank, 
Mandelmilch,  Abkochungen  von  Kakao,  Hygiama,  Theinhardts 
Kindernahrung  und  anderen  Kindermehlen.  Sie  werden  in  allen 
Fieberkrankheiten  gut  vertragen,  nur  bei  Durchfall  verzichtet  man 
auf  Fruchtsäfte  und  zeitweise  auch  auf  Milch  oder  gibt  diese  mit 
Mondamin  und  dergleichen  oder  mit  Kakao  abgekocht.  Die  Milch- 
getränke gibt  man  abwechselnd  kalt  und  warm,  da  lauter  kalte 
Getränke  unzweckmäßig  sind.  Vielfach  zieht  man,  namentlich 
bei  geringem  Nahrungsbedürfnis,  Nähr zusätze  heran,  Somatose, 
Roborat,  Tropon,  Plasmon  usw.,  ein  Teelöffel  und  mehr  für  die 
Einzelmahlzeit.  Am  besten  gibt  man  die  flüssigen  Mahlzeiten  in 
zweistündigen  Zwischenräumen,  nachts  nur,  wenn  der  Kranke  zu- 
fälligwacht; in  Schwächezuständen  muß  man  ihn  dazu  öfters  erwecken. 

Der  Alkohol  erweist  sich  in  Fieberzuständen  als  Eiweiß- 
sparmittel, aber  man  muß  trotzdem  sehr  zurückhaltend  damit 
sein,  weil  er  die  so  wichtige  Herztätigkeit  auf  die  Dauer  schwächt, 
das  Nervensystem  lähmt  und  vielleicht  auch  die  bakteriziden  Fähig- 
keiten des  Blutes  beeinträchtigt.  Irgend  ein  Nutzen  des  Alkohols, 

23* 


356 


Infektionskrankheiten 


wie  er  auf  Grund  schlechter  Beobachtungen  für  Puerperal- 
fieber und  andere  Formen  der  Sepsis  von  einzelnen  Autoren  ver- 
kündet wurde,  ist  niemals  nachgewiesen  worden.  Man  wird  ihn 
jedenfalls  für  die  äußersten  Schwächezustände  aufsparen  und  auch 
dann  lieber  zu  heißem  schwarzen  Kaffee,  zu  Einspritzungen  von 
Kampfer  oder  Coffein,  vgl.  S.  13,  greifen. 

Als  Sparmittel  verwendet  man  gern  die  Leimstoffe  der 
verschiedenen  Gallerten,  die  sich  auch  mit  recht  erfrischendem 
Geschmack  hersteilen  lassen.  Die  eigentlichen  festen  Speisen, 
außer  etwa  Zwieback  und  Semmeltoast,  vermeidet  man,  so  lange 
hohes  oder  mittleres  Fieber  besteht.  Erst  nach  dessen  Verschwinden 
geht  man  allmählich  zu  normaler  Kost  über;  zartes  Fleisch,  Eier- 
speisen und  Mehlspeisen  werden  dann  gut  vertragen,  auch  Kartoffel- 
püree ist  leicht.  Man  kann  sich  dann  sehr  wohl  nach  den  Grund- 
sätzen richten,  die  hei  der  Behandlung  der  Magenkrankheiten  über 
die  Verdaulichkeit  der  Speisen  mitgeteilt  worden  sind,  vgl.  S.  80  ff., 
In  chronischen  Fiebern,  z.  B.  hei  Lungentuberkulose, 
braucht  man  nicht  so  vorsichtig  zu  sein,  vielmehr  wird  hier  alles 
vertragen,  was  nicht  geradezu  schwer  verdaulich  ist. 

Bei  weitem  das  beste  Anregungsmittel  in  infektiösen  Fieber- 
zuständen ist  eine  richtige  Wasserbehandlung.  Nicht  nur  die 
Herabsetzung  des  Fiebers,  die  von  Brand  noch  als  das 
wesentliche  betrachtet  wurde,  sondern  auch  die  Belebung  des 
Nervensystems,  der  Atmung,  der  Herztätigkeit  und  wahr- 
scheinlich auch  die  Anregung  der  infektionswidrigen  Kräfte 
des  Blutes  werden  in  der  wirksamsten  und  schonendsten  Weise  durch 
das  Wasser  erreicht. 

Die  üblichste  Form  der  Wasserbehandlung,  und  wo  die  Ein- 
richtungen vorhanden  sind,  auch  die  bequemste,  ist  das  Wannen- 
bad. Man  ist  allmählich  dazu  gekommen,  die  Wärme  höher  zu 
nehmen,  als  dem  rein  antipyretischen  Zweck  zu  entsprechen 
scheint,  teils  weil  man  diesen  nicht  mehr  obenan  stellt,  teils  weil 
das  mildere  Bad  die  Hautgefäße  weniger  verengt  und  wohl  auch 
weniger  die  Wärmeproduktion  anregt.  Dazu  kommt,  daß  kühle 
Bäder  von  den  Fieberkranken  meist  sehr  unangenehm  empfunden 
werden.  Das  ist  allerdings  besser  geworden,  seit  die  Menschen 
viel  mehr  als  früher  an  das  Baden  überhaupt  gewöhnt  sind.  Am 
besten  beginnt  man  das  einzelne  Bad  mit  32  oder  30°;  will  man 
eine  kühlere  Temperatur  ein  wirken  lassen,  so  kann  man  nach 
Ziemssen  nach  einigen  Minuten  am  Fußende  kaltes  Wasser  zu- 
gießen und  das  Bad  dadurch  unter  ständigem  Bewegen  des  Wassers 


Krankenpflege,  Ernährung,  Antipyrese 


357 


um  mehrere  Grad  abkühlen.  Die  Dauer  des  Bades  beträgt  im 
allgemeinen  15 — 20  Minuten.  Auch  Schwerkranke  ertragen  das 
sehr  gut,  wenn  man  ihnen  durch  Stützvorrichtungen  für  den  Kopf 
zu  Hilfe  kommt,  oder  wenn  man  sie  ganz  auf  einem  Betttuche 
ruhen  läßt,  das  in  die  Wanne  eingehängt  ist.  Manchmal  kann 
man  den  Kranken  sehr  wohl  tun,  wenn  man  sie  stundenlang  in 
solchem  bequemen  Bade  liegen  läßt.  Gewöhnlich  nimmt  man  es 
dann  etwas  wärmer,  33 — 35°  C.,  weil  die  Wärmeentziehung  bei 
der  langen  Dauer  doch  recht  beträchtlich  ist.  Im  allgemeinen 
sind  zwei  Bäder  am  Tage  genügend;  auf  das  Fieber  wirken  sie 
am  besten  in  der  natürlichen  Remissionsperiode  der  Körperwärme, 
morgens  zwischen  6 und  8 und  abends  nach  6 Uhr  oder  in  der 
Nacht.  Bei  hohem  und  anhaltendem  Fieber,  namentlich  bei  Typhus, 
gibt  man  oft  4 — 5 Bäder  in  24  Stunden.  Die  früher  befolgte 
Regel,  immer  zu  baden,  wenn  der  Kranke  über  38,5  oder  39° 
mißt,  darf  nicht  als  Richtschnur  gelten. 

Bei  sehr  benommenen  oder  schwachen  Kranken  ersetzt  man 
das  Wannenbad  besser  durch  eine  kühle  Begießung,  die  ent- 
weder in  der  leeren  Wanne  oder  auch  als  Abschluß  eines  kurzen 
lauen  Vollbades  vorgenommen  wird,  mit  Wasser  von  12 — 15°  0., 
am  besten  aus  einem  Eimer  über  Nacken  und  Rücken  des  Kranken 
gegossen.  Manchmal  wirken  bei  solchen  Kranken  auch  laue 
Halbbäder  sehr  gut;  der  Kranke  kommt  in  eine  mit  Wasser 
von  30°  G.  halbgefüllte  Wanne,  aufrecht  sitzend,  und  bekommt 
den  Rücken  einige  Minuten  lang  immer  wieder  mit  demselben 
Wasser  begossen,  gleichzeitig  werden  seine  Glieder  und  der  Rumpf 
sanft  mit  der  Hand  oder  mit  einem  Frottierhandschuh  gerieben. 

Nach  jedem  Bade  nutzt  man  den  beruhigenden  und  schlaf- 
machenden Einfluß  aus,  indem  man  den  Kranken  un abgetrocknet 
in  ein  erwärmtes  Laken  einschlägt,  das  über  sein  Bett  gebreitet 
ist,  ihn  zudeckt  und  ihn  ruhig  einschlafen  läßt. 

Wo  keine  Badeeinrichtung  vorhanden  ist  und  Bäder  schwer 
oder  garnicht  einzurichten  sind,  kann  man  oft  sehr  bequem  das 
Bettbad  benutzen:  der  Kranke  wird  im  Bett  auf  ein  großes 
Gummilaken  gelegt,  dessen  vier  Zipfel  werden  an  den  Bettpfosten 
befestigt,  und  in  die  so  entstandene  Mulde  wird  Wasser  gegossen. 
Nach  dem  Bade  kann  man  das  Wasser  durch  Senken  eines  Zipfels 
abfließen  lassen. 

Ein  anderer  Ersatz  des  Bades  ist  die  naßkalte  Einwick- 
lung. Der  Kranke  wird  in  ein  Laken  gewickelt,  das  in  Leitungs- 
wasser eingetaucht  war,  und  bleibt  15 — 20  Minuten  darin  liegen, 


358 


Infektionskrankheiten 


dann  wird  die  Ein  wicklung  erneuert,  im  ganzen  3 oder  4 mal. 
Die  einmalige  Wicklung  wirkt  namentlich  in  der  Kinderpraxis 
sehr  gut  beruhigend  und  anregend,  die  wiederholten  Wicklungen 
setzen  auch  das  Fieber  gut  herab,  die  Bäder  sind  aber  den  Kranken 
im  ganzen  angenehmer. 

Durch  die  Wasserbehandlung  sind  die  antipyretischen 
Arzneimittel  seit  einem  Jahrzehnt  recht  in  den  Hintergrund 
gedrängt  worden,  wenigstens  in  den  Kliniken  und  Krankenhäusern. 
In  der  Praxis  wird  immer  noch  sehr  viel  unnötig  davon  Gebrauch 
gemacht.  Übrigens  ist  es  nicht  richtig,  die  Antipyretica  ganz 
zu  vernachlässigen.  Bei  geeigneter  Anwendung  wirken  sie  nicht 
nur  sehr  nachhaltig  auf  das  Fieber,  sondern  auch  sehr  gut  auf 
das  Allgemeinbefinden,  auf  Schmerzen,  Unruhe  und  Schlaflosig- 
keit. Am  meisten  zu  empfehlen  sind  Ghininum  hydrochloricum, 
Pyramidon  und  Phenacetin , namentlich  auch  gegen  Abend  ge- 
geben, um  die  Morgenremission  zu  vergrößern,  so  in  der  Remissions- 
zeit  bei  Typhus  und  beim  Nachlaß  der  Pneumonie.  Man  gibt 
1,0  pro  dosi,  vormittags  besser  nur  halb  so  viel,  das  Chinin  in 
Kapseln  oder  in  der  nicht  bitteren  Form  des  Euchinin  oder  des 
Aristochin  gleich  den  anderen  Mitteln  als  einfaches  Pulver  ohne 
Zuckerzusatz.  Kindern  gibt  man  0,3 — 0,5  pro  dosi. 

Recht  oft  wird  der  Fehler  gemacht,  daß  man  mit  dem  Auf- 
hören des  Fiebers  die  Krankheit  als  beseitigt  ansieht.  Der  un- 
geduldige Kranke  drängt  aus  dem  Bett,  die  Angehörigen  können 
sich  nicht  dazu  verstehen,  ihm  jetzt  noch  das  vom  Arzte  Ver- 
botene vorzuenthalten.  Damit  verlängert  und  verschlechtert  man 
nur  die  Genesungszeit,  nicht  selten  treten  auch  Rückfälle  ein. 
Man  muß  es  sich  daher  zum  Gesetz  machen,  nur  ganz  allmäh- 
lich zu  freierer  Kost  und  anfangs  nur  zu  ganz  kurzem  Auf- 
stehen überzugehen,  die  lauen  Bäder  oder  Halbbäder  fortzusetzen, 
für  Ruhe  und  Schlaf  zu  sorgen  usw.  Für  die  Krankenhäuser 
sind  besondere  Genesungshäuser  zu  erstreben,  wo  die  Kranken 
namentlich  Gelegenheit  zu  Freiluftliegekuren  und  weiterhin  zu 
Bewegung  und  leichter  Beschäftigung  im  Freien  Gelegenheit  finden. 

3.  Die  akuten  Exantheme,  Masern,  Röteln,  Windpocken, 

Scharlach. 

Alle  diese  Krankheiten  erfordern  wesentlich  eine  'hygie- 
nische Überwachuung  ihres  Verlaufes  und  gewisse  Linde- 
rungsmittel. Der  Kranke  soll  in  einem  guten,  nicht  übermäßig 


Die  akuten  Exantheme 


359 


warmen  Bette  liegen,  womöglich  in  einer  Zimmerwärme  von 
17  — 19°  0.;  während  der  kalten  Jahreszeit  soll  mehrmals  am 
Tage  kurzdauernd  gelüftet  werden,  so  daß  neue  Luft  ins  Zimmer 
kommt,  aber  die  Wände  nicht  abgekühlt  werden;  während  des 
Lüftens  muß  der  Kranke  gegen  Zug  durch  geeignete  Bedeckung 
geschützt  werden.  In  der  warmen  Jahreszeit  kann  man  natür- 
lich für  dauernde  Lufterneuerung  sorgen.  Staub  und  Rauch  und 
Eßgerüche  und  dergleichen  müssen  mit  Sorgfalt  ferngehalten 
werden.  Im  Winter,  wo  die  Außenluft  so  viel  trockner  ist,  kann 
man  namentlich  bei  den  Krankheiten,  wo  der  Atmungsapparat 
angegriffen  ist  oder  Beschwerden  im  Halse  bestehen,  aus  dem 
Inhalationsapparat  Wasser  im  Zimmer  verdunsten  lassen.  Das 
Aufstellen  von  flachen  Wasserschalen  auf  dem  Ofen  vermehrt  die 
Luftfeuchtigkeit  nicht  erheblich  genug.  Die  Ernährung  folgt 
den  vorhin  gegebenen  Regeln;  besteht  Neigung  zu  Durchfall,  so 
muß  natürlich  darauf  Rücksicht  genommen  werden.  In  bezug 
auf  Antipyrese  gilt  durchaus  das  vorhin  Gesagte:  die  Hydro- 
therapie ist  am  besten,  man  kann  aber  zeitweise  durch  antipyre- 
tische Arzneimittel  den  Kranken  viel  Erleichterung  bringen.  Das 
Hautjucken  wird  durch  die  Bäder  im  ganzen  günstig  beein- 
flußt; wo  es  lästig  ist,  kann  man  die  ganze  Haut  mit  Speck  ein- 
reiben lassen.  Im  Abschuppungstadium  ist  man  besonders 
vorsichtig  gegen  Erkältung,  man  kann  aber  Bäder  von  33 — 34°0. 
ruhig  gebrauchen  lassen. 

Bei  Masern  kann  der  Hustenreiz  eine  besondere  Behand- 
lung erfahren.  Verbot  des  Sprechens,  willkürliche  Unterdrückung 
des  Hustens,  eine  Eiskravatte  oder  ein  Tag  und  Nacht  wechselnder 
Priessnitz  scher  Umschlag  um  den  Hals,  ohne  wasserdichten  Stoff 
angelegt,  genügen  in  den  meisten  Fällen,  bei  pseudokruppartigen 
Anfällen  legt  man  heiße  Schwämme  auf  den  Hals,  bis  die  Haut 
stark  gerötet  ist.  Von  inneren  Mitteln  verordnet  man  gegen 
den  Husten  gern  heiße  Milch  mit  Selterswasser  oder  Brusttee,  Species 
pectorales,  bei  älteren  Kindern  gibt  man  auch  Codein  in  Milli- 
grammgaben, 


Codeini  phosph.  0,1 

Aq.  Amygd.  amar.  10,0 

M.D.S.  5 Tropfen  mehrmals  tägl.  (=  0,0025). 

Gegen  Bronchitis  capillaris  gewährt  die  Wasserbe- 
handlung den  besten  Schutz,  vgl.  S.  3 9 ff. 


360 


Infektionskrankheiten 


Hartnäckigere  Durchfälle  werden  mit  Tannalbin  behandelt, 
S.  142,  oder  auch  mit  Decoctum  Colombo,  ebenda. 

Bei  Scharlach  ist  wegen  der  Gefährlichkeit  der  Krankheit 
große  Sorgfalt  auf  die  Isolierung  des  Kranken  von  Geschwistern  usw. 
zu  verwenden.  Der  Mund  muß  von  Anfang  an  mehrmals  täglich 
gereinigt  werden.  Bei  kleinen  Kindern  spritzt  man  ihn  hei  vor- 
gebeugtem Kopfe  mit  einer  Ballonspritze  aus,  mit  1 — 2°/0iger 
Boraxlösung  oder  mit  Wasser,  dem  man  Wasserstoffperoxyd , 
1 Teelöffel  auf  ein  Wasserglas  Wasser,  zugesetzt  hat.  Man  kann 
auch  die  Lösung  mit  dem  Sprayapparat  in  den  Rachen  einblasen. 
Das  Fieber  erfordert  auch  hier  Wasserbehandlung,  die  Rachen- 
erkrankung die  Anlegung  einer  Eiskravatte,  der  Ausschlag  Ein- 
reibung mit  Speck.  Über  die  Behandlung  der  schweren,  diph- 
theritischen  Scharlachangina  besteht  keine  Übereinstimmung,  man 
darf  aber  einer  Anzahl  sehr  erfahrener  Autoren  glauben,  daß 
alle  Atzungen  und  auch  die  von  Heubner  empfohlenen  intraton- 
sillären  Karboleinspritzungen  nicht  mehr  leisten  als  die  vorhin 
angegebenen  Spülungen.  Größere  Kinder  erlernen  diese  sehr  leicht 
und  machen  sie  gern,  wenn  sie  sich  damit  von  anderen  Vornahmen 
frei  machen. 

Wenn  die  Drüsen  am  Halse  zu  vereitern  beginnen,  muß 
sofort  die  chirurgische  Behandlung  eintreten.  Die  Otitis  media 
bedarf  genauer  Fürsorge.  Bei  den  ersten  Zeichen  ist  erwärmtes 
5°/0iges  Karbolglyzerin  in  das  Ohr  zu  träufeln,  bis  der  Gehör- 
gang damit  erfüllt  ist,  dann  legt  man  ein  Stückchen  Watte  vor 
und  einen  Priessnitz  sehen  Umschlag  darüber. 

Es  scheint,  als  ob  eine  Ableitung  auf  den  Darm,  durch 
Calomel,  vgl.  S.  128,  manchmal  die  Eiterbildung  verhindere. 
Auch  Blutegel  vor  dem  Tragus  und  auf  dem  Warzenfortsatz  kann 
man  als  ableitend  und  schmerzstillend  verordnen.  Die  bei  ein- 
facher Otitis  media  angewendete  Luftdusche  von  der  Nase  aus 
darf  bei  infektiösen  Entzündungen  des  Rachens  und  der  Nase 
nicht  angewendet  werden,  weil  die  Gefahr  der  Infektion  des  Mittel- 
ohres zu  groß  wäre.  Bei  Masern,  Scharlach,  Diphtherie,  Influenza, 
Typhus  kommt  es  ohnedies  oft  zur  eitrigen  Mittelohrent- 
zündung. Sobald  sie  durch  das  hohe  Fieber,  die  heftigen 
Schmerzen  und  das  gestörte  Allgemeinbefinden  angezeigt  und 
durch  die  lebhafte  Gefäßinjektion  des  Trommelfelles  oder  schon 
durch  dessen  blaurote  Verfärbung  erwiesen  wird,  oder  wenn  gar 
schon  das  Epithel  des  Trommelfells  sich  abstößt  und  die  Vor- 
wölbung sichtbar  ist,  muß  alsbald  die  Paracentesedes  Trommel- 


Blattern  oder  Pocken 


361 


felis  vorgenommen  werden.  Bei  den  schweren  Folgen,  die  das 
Unterlassen  oder  allzu  lange  Hinausschieben  dieser  Operation  nach 
sich  zieht,  muß  jeder  Arzt  imstande  sein,  sie  auszuführen.  Sie 
wird  unter  Leitung  des  Stirnspiegels  und  des  Ohrtrichters  mit 
der  Paracentesenadel  vorgenommen,  selbstverständlich  unter  voll- 
kommener Asepsis.  Der  Kopf  des  Kranken  muß  sicher  festge- 
halten werden.  Man  durchsticht  den  hinteren  unteren  Quadranten 
mit  einem  wenigstens  3 mm  langen  Einstich,  mit  fester  Hand, 
weil  die  verdickte  Membran  gewöhnlich  ziemlich  großen  Wider- 
stand bietet.  Der  Schmerz  ist  sehr  heftig,  aber  bald  vorüber- 
gehend. Man  sorgt  dann  für  den  Abfluß  des  Sekretes,  indem 
man  1 — 2 mal  täglich  einen  Gazestreifen  bis  an  das  Trommelfell 
schiebt.  An  der  Ohrmuschel  legt  man  einen  Wattebausch  vor, 
der  erneuert  wird,  so  oft  er  durchtränkt  ist.  Bei  mangelhaftem 
Abfluß  muß  unter  Umständen  durch  Luftdusche  von  der  Nase 
her  nachgeholfen  werden,  das  muß  aber  dem  Spezialisten  über- 
lassen werden. 

Die  Nephritis,  die  sich  öfters  an  Scharlach,  seltener  an 
Windpocken  und  Masern  anschließt,  wird  nach  den  gewöhnlichen 
Regeln  behandelt,  vgl.  S.  186.  Die  Gelenkerkrankungen 
werden  mit  Bettruhe,  Ruhestellung  der  erkrankten  Gelenke  und 
Bestreichen  mit  Salizylpräparaten  behandelt,  wie  beim  akuten 
Gelenkrheumatismus  angegeben  ist. 


4.  Blattern  oder  Pocken,  Variola  und  Variolois. 

Die  Verhütung  der  Krankheit  geschieht  durch  die  Kuh- 
pockenimpfung in  sehr  sicherer  und  gefahrloser  Weise.  Die 
Impfung  schützt  für  einen  Zeitraum  von  etwa  12  Jahren,  daher 
verordnet  das  deutsche  Impfgesetz  die  Impfung  vor  Ablauf  des 
Kalenderjahres,  das  der  Geburt  folgt,  und  die  Wiederimpfung 
vor  Ablauf  des  Kalenderjahres,  in  dem  das  Kind  12  Jahre  alt 
wird.  Wer  nach  Ablauf  des  Impfschutzes  in  Gegenden  geht,  wo 
keine  Zwangsimpfung  eingeführt  ist  — sie  ist  nur  in  Deutsch- 
land und  in  den  skandinavischen  Ländern  durchgeführt  — , tut 
gut,  sich  wieder  impfen  zu  lassen.  Dasselbe  gilt  z.  B.  für  die 
Teile  von  Deutschland,  wo  öfters  Pocken  eingeschleppt  werden,.,  wie 
in  den  Gegenden  an  der  russischen  und  an  der  österreichischen  Grenze. 

Die  von  "den  Impfgegnern  gewaltig  aufgebauschten  Gefahren 
der  Impfung  sind  heutzutage  äußerst  gering.  Die  Möglichkeit 
einer  Übertragung  von  Syphilis  bestand  nur,  solange  man  von  Mensch 


362 


Infektionskrankheiten 


zu  Mensch  impfte ; auch  die  Tuberkulose  kann  nicht  mehr  überimpft 
werden,  seit  man  nur  Lymphe  von  gesund  befundenen  Impf- 
kälbern benutzt.  Vorhanden  ist  noch  die  Gefahr,  daß  bei  der 
Impfung  durch  ungenügend  gereinigte  Instrumente  und  dergleichen 
eine  Wundinfektion  eintritt,  meist  ein  Erysipel;  dagegen 
schützt  die  einfache  Vorsicht  des  antiseptisch  vorgehenden  Arztes. 
Ferner  kann  in  die  bereits  aufgebroehenen  oder  aufgekratzten 
Pusteln  von  den  Fingern  des  Kindes  oder  aus  seiner  Umgebung 
eine  Infektion  hinein  getragen  werden.  Sie  ist  nicht  der  Impfung 
als  solcher  zuzuschreiben  und  bei  einiger  Sorgfalt  jedenfalls  zu 
verhindern.  Die  viel  behauptete  Entstehung  von  Skrofulöse 
durch  die  Impfung  beruht  auf  der  Verwechslung  des  post  hoc 
und  propter  hoc. 

Die  Impfung  ist  mit  desinfizierten  Händen  .und  Instru- 
menten an  dem  gereinigten  Arm  des  Impflings  vorzunehmen. 
Man  legt  vier  oberflächliche,  nur  die  Epidermis  trennende  Schnitte 
an  — vier  Pusteln  schützen  sicherer  als  eine  geringere  Zahl  — , 
bei  Erstimpflingen  auf  dem  rechten,  bei  Wiederimpflingen  auf  dem 
linken  Oberarm,  mit  mindestens  2 cm  Abstand,  je  ein  halb  bis 
ein  Zentimeter  lang,  und  trägt  dann  die  Lymphe  mit  einem  anderen 
reinen  Messer  auf.  Von  einem  Schutzverband  sieht  man  im  all- 
gemeinen ab.  Es  ist  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  sich  unter 
dem  Verband  die  Pusteln  nicht  kräftig  genug  entwickeln.  Am 
8.  Tage  wird  der  Erfolg  geprüft;  eine  Pustel  gilt  als  erfolgreiche 
Impfung.  Stärkere  Reizerscheinungen  bekämpft  man  durch  Um- 
schläge mit  Borwasser  oder  durch  Aufstreichen  von  Borsalbe. 
Hat  die  Impfung  keinen  Erfolg,  so  ist  sie  nach  einem  Jahre  zu 
wiederholen,  ist  auch  die  dritte  ohne  Erfolg,  so  gilt  der  Impfling 
als  von  Natur  immun. 

Schwache  oder  kranke  Kinder,  namentlich  auch  skrofulöse 
oder  der  Skrofulöse  verdächtige,  stellt  man  um  1 Jahr  zurück. 

Die  Behandlung  der  Pocken  ist  bisher  rein  symptoma- 
tisch. Am  wichtigsten  sind  sowohl  in  der  Zeit  des  ersten  wie 
in  der  des  zweiten  Fiebers  Bäder  oder  nasse  Einwicklungen, 
wie  S.  356 f.,  angegeben.  Von  den  chemischen  Antipyreticis  ist 
das  Lactophenin  gelobt  worden,  abends  0,5  1 oder  2 mal.  Die 
Pusteln  werden  günstig  beeinflußt,  wenn  man  durch  rote 
Glasscheiben  oder  rote  Vorhänge  usw.  vor  den  Fenstern  und 
Lampen  alle  außer  den  roten  Lichtstrahlen  ausschließt.  Auch 
kalte  Umschläge  während  des  Knötchenstadiums  haben  eine 
gute  Wirkung.  Eitrige  Pusteln  werden  vorteilhaft  mit  spitzem 


Diphtherie 


363 


Messer  ein  oder  mehrmals  geöffnet.  Auch  das  Auflegen  von 
Zinksalbenmull  und  dergleichen  wird  empfohlen. 


5.  Diphtherie. 

Die  Verhütung  der  Verbreitung  der  Diphtherie  besteht  in 
der  möglichst  frühen  und  möglichst  lange  durchgeführten  Iso- 
lierung des  Kranken.  Da  noch  Wochen  nach  der  Genesung 
virulente  Bazillen  im  Bachen  sein  können,  ist  der  Schulbesuch 
der  Genesenen  mindestens  vier  Wochen  hinauszuschieben,  auch 
in  leichten  Fällen.  Alle  mit  dem  Kranken  in  Berührung  ge- 
kommenen Teile  der  Wohnung  müssen  desinfiziert  werden.  Kinder, 
die  der  Infektion  mit  Diphtherie  ausgesetzt  sind,  wie  bei  Er- 
krankung der  Geschwister,  bei  Schulepidemien  usw. , kann  man 
durch  die  Behring  sehe  Immunisierung  schützen. 

In  der  Behandlung  der  Krankheit  spielt  das  Heilserum 
von  Behring  die  erste  Rolle.  Das  Heilserum,  vgl.  S.  354,  hat 
sich  zahlreichen  zuverlässigen  Beobachtern  als  ein  sehr  wirksames 
Mittel  erwiesen.  Wenn  auch  hei  der  bekannten  Schwierigkeit  der 
Deutung  nie  der  Wert  therapeutischer  Eingriffe  völlig  einwandfrei  zu 
entscheiden  ist,  wenn  auch  beachtenswerte  Beobachter  den  seit  der 
Serumeinführung  eingetretenen  starken  Rückgang  der  Diphtherie- 
sterblichkeit auf  ein  Nachlassen  der  Schwere  der  Krankheit  schieben 
wollen,  so  läßt  sich  doch  nicht  verkennen,  daß  ein  erheblicher 
Einfluß  vorliegt,  und  daß  er  um  so  größer  ist,  je  früher  das 
Serum  angewendet  wird.  Die  Schnelligkeit,  womit  die  abgrenzende 
Entzündung  im  Rachen  eingeleitet  wird,  die  rasche  Abstoßung 
der  Membranen  nach  der  Seruminjektion  hat  etwas  durchaus 
überzeugendes.  Auch  in  schweren  Fällen  vollzieht  sich  die  Heilung 
meist  in  4—5  Tagen.  Fast  noch  deutlicher  ist  der  heilende  Ein- 
fluß auf  Kehlkopf-  und  Nasendiphtherie.  Der  diphtherische 
Schnupfen  bildet  sich  in  2 — 3 Tagen  zurück,  die  Kehlkopfver- 
änderungen führen  ungemein  viel  seltener  zur  Stenose,  die  Ope- 
ration wird  nur  in  Ausnahmefällen  noch  nötig,  und  die  Lebens- 
aussichten der  Operierten  wachsen  ganz  erheblich.  — Der  Einwand, 
daß  nach  Serumbehandlung  häufiger  als  sonst  Lähmungen  und 
Herzstörungen  vorkämen,  ja,  daß  die  Serumhehandlung  öfters 
Lähmungen  nach  sich  ziehe,  ist  von  Heubner  und  anderen  hin- 
reichend widerlegt  worden.  Vielleicht  sieht  man  solche  Störungen 
nach  Serumbehandlung  öfters,  weil  viele  Schwerkranke  ohne 
Serumbehandlung  einfach  vorher  gestorben  wären.  Auch  die 


364 


Infektionskrankheiten 


Ansicht,  daß  das  Serum  Albuminurie  herbeiführen  könne,  darf 
als  irrig  betrachtet  werden;  diese  Störung  fand  sich  auch  hei 
früheren  Epidemien  manchmal  hei  der  Hälfte  der  Kranken.  Tat- 
sache ist,  daß  im  Beginne  der  Serumbehandlung  zuweilen  Exan- 
theme, Gelenkschwellungen  usw.  vorkamen,  die  als  Wirkung 
anderweitiger  Giftstoffe  im  Serum  aufzufassen  waren.  Wie  es 
scheint,  sind  solche  Nebenerscheinungen  in  den  weiteren  Jahren 
nicht  mehr  vorgekommen. 

Zur  Serumeinspritzung  benutzt  man  eine  Glasspritze  mit 
Hohlnadel,  nach  Art  der  Pravazspritzen , mit  5 ccm  Fassungs- 
kraft. Man  nimmt  entweder  eine  Spritze  mit  auskochbarem 
Asbestkolben  oder  eine  der  neueren  Spritzen  mit  Glaskolben  oder 
eine  mit  eingeschliffenem  Nickelkolben;  völlige  Sterilisierbarkeit 
ist  unbedingtes  Erfordernis.  Auch  die  Hände  des  Arztes  und 
die  Einstichstelle  werden  mit  Heiß wasser,  Seife  und  Alkohol  des- 
infiziert. Nachdem  die  Spritze  gefüllt  ist,  muß  die  darin  vor- 
handene Luft  sorgfältig  entfernt  werden,  dann  sticht  man  die 
Nadel  an  der  Außenseite  des  Oberschenkels  oder  in  der  Unter- 
bauchgegend parallel  der  Hautoberfläche  in  eine  abgehobene  Haut- 
falte ein,  so  daß  die  Spitze  frei  im  Unterhautzellgewebe  liegt. 
Dann  spritzt  man  langsam  die  vorgeschriebene  Menge  ein.  Die 
Stichöffnung  wird  mit  Leukoplast  verschlossen.  Massieren  oder 
Verstreichen  der  Einstichgegend  ist  zu  unterlassen. 

Die  Farbwerke  vormals  Meister  Lucius  & Brüning  in 
Höchst  stellen  folgende  9 Dosierungen  des  BEHRiNGSchen  Diph- 
therieheilmittels her,  deren  Antitoxingehalt,  Keimfreiheit  und  Un- 
schädlichkeit von  dem  Königlichen  Institut  für  experimentelle 
Therapie  in  Frankfurt  a.  M.  geprüft  wird: 

I.  Behrings  Diphtherie-Heilmittel. 

Nr.  0.  Fläschchen  mit  gelbem  Etikett  zu  0,5  ccm  400 fach  = 200  I.E. 
Nr.  I.  „ „ grünem  „ „1,5  „ „ „ = 600  I.E. 

Nr.  II.  „ „ weißem  „ „ 2,5  . „ „ „ = 1000  I.E. 

Nr.  III.  ,,  ,,  rotem  ,,  ,,  3,75  ,,  „ ,,  = 1500  I.E. 


Nr.  0D. 
Nr.  HD. 
Nr.  III D. 
Nr.  IV  D. 
Nr.  VI D. 


II.  Behrings  hochwertiges  Diphtherie-Heilmittel. 

Fläschchen  mit  gelbem  Etikett  zu  1 ccm  500  fach,  500  I.E. 
„ „ weißem  „ „ 2 „ „ „ 1000  I.E. 

„ „ rotem  „ „ 3 „ „ „ 1500  I.E. 

„ ,,  violettem  „ „ 4 „ ,,  „ 2000  I.E. 

„ „ blauem  „ „ 6 „ „ „ 3000  I.E. 


Zur  Immmunisierung  gesunder  Kinder  oder  Er- 
wachsener benutzt  man  den  Inhalt  des  Fläschchens  Nr.  0 oder 


Diphtherie 


365 


den  halben  Inhalt  von  Nr.  OD.  Um  einen  dauernden  Impfschutz 
zu  erlangen,  muß  die  Einspritzung  alle  8 Wochen  wiederholt  werden. 

Zur  Heilung  sind  alle  anderen  Nummern  bestimmt.  Ein 
Fläschchen  Nr.  I genügt,  wenn  die  Einspritzung  unmittelbar  nach 
dem  Auftreten  der  ersten  Krankheiterscheinungen  vorgenommen 
wird.  Bei  vorgeschritteneren  Fällen  wiederholt  man  diese  Ein- 
spritzung, oder  man  wendet  alsbald  den  Inhalt  von  Nr.  II  oder 
III  an.  Für  sehr  schwere  Fälle  sind  die  Fläschchen  IV D und 
VI D bestimmt.  Immer  ist  der  gesamte  Inhalt  auf  einmal  zu 
verwenden.  Das  Serum  darf  nicht  erwärmt  werden,  weil  es  da- 
durch seine  Wirksamkeit  verliert. 

In  frischen  Fällen  kann  man  auf  die  örtliche  Behandlung 
neben  der  Serumbehandlung  ganz  verzichten.  Auch  in  schweren  Fällen 
kann  man  sich  auf  einfache,  die  Kranken  nicht  sehr  belästigende  Maß- 
regeln beschränken,  auf  Mundspülen  und  Gurgeln,  wo  es  das  Alter  er- 
laubt, oder  auf  Irrigationen  des  Mundes  und  des  Racheneinganges 
mit  schwacher  Boraxlösung  oder  auf  Spray  mit  Wasserstoffperoxyd. 

Alle  übrigen  Verordnungen  dienen  dem  Allgemeinzu- 
stande. Dazu  gehören  kräftige  Ernährung  mit  reichlichen  Mengen 
Milch,  Fleischsaft,  Ei  usw.,  flüssiger  Somatose  und  dergleichen; 
regelmäßige  laue  Bäder,  von  33—35°,  bei  höherem  Fieber  von 
30°  C.,  oder  kalte  Einwicklungen  nach  S.  357;  bei  Herzschwäche 
subkutane  Einspritzungen  von  Coffein  oder  Kampfer  nach  S.  28; 
kalte  Begießungen  nach  S.  357. 

Die  Nephritis  erfordert  reine  Milchdiät,  vgl.  S.  186.  Bei 
Schlinglähmung  erheblicheren  Grades  muß  mit  der  Schlund- 
sonde ernährt  werden,  vgl.  S.  95;  auch  kann  man  subkutane 
Kochsalzinfusion  vornehmen,  vgl.  S.  106. 

Der  primäre  Larynxkrupp  und  die  diphtherische  Kehl- 
kopfstenose werden  durch  die  Serumbehandlung  fast  immer  zu  vor- 
übergehenden Erscheinungen,  in  schweren  Fällen  erfordern  sie 
jedoch  Intubation  oder  Tracheotomie.  Beide  können  nur  nützen, 
wenn  die  Stenose  wirklich  im  Kehlkopf  und  nicht  etwa  in  den 
Bronchien  sitzt.  Wenn  bei  Kindern  über  12  Jahren  Stenose- 
erscheinungen auftreten,  so  liegt  das  Hindernis  stets  in  den 
Bronchien,  der  Kehlkopf  wird  in  diesem  Alter  durch  Membranen 
nicht  mehr  völlig  verlegt.  Sitzt  die  Stenose  aber  im  Kehlkopf, 
so  soll  man  mit  dem  Eingriff  nicht  so  lange  warten,  bis  Oyanose 
und  Asphyxie  entstanden  sind,  sondern  an  Stelle  der  bis  dahin 
angewendeten  PaiESSNiTzschen  Umschläge  um  den  Hals  und 
Inhalationen  mit  reinem  Kalk wasser  zunächst  zur  Intubation 


366 


Infektionskrankheiten 


schreiten.  Dieses  von  dem  New  Yorker  Arzt  O’Dwyer  angegebene 
Verfahren  besteht  darin,  daß  ein  Ebonitröhrchen  durch  einen 
besonderen  Introduktor  vom  Munde  her  in  den  Kehlkopf  ein- 
geführt wird.  Es  wird  dann  mit  dem  daneben  eingeführten  Zeige- 
finger oder  mit  einem  besonderen  Schieber  von  dem  Introduktor 
abgelöst  und  bleibt  nun  mit  dem  oberen  wulstigen  Ende  auf  den 
Taschenbändern  sitzen.  Mit  einem  Extraktor  oder  an  einem 
Seidenfaden,  der  am  oberen  Wulst  befestigt  ist,  kann  man  den 
Tubus  wieder  herausziehen.  Das  Verfahren  will  natürlich  gelernt 
sein,  es  erfordert  aber  bei  einiger  Geschicklichkeit  keine  große 
Übung.  Vor  allen  Dingen  muß  die  Einführung  ohne  jede  Gewalt 
vorgenommen  werden.  Gewöhnlich  tritt  gleich  nach  der  Ein- 
führung ruhigere  Atmung  ein  und  die  Cyanose  verschwindet. 
Der  Seidenfaden  ist  nur  im  Notfall,  z.  B.  wenn  man  außerhalb 
des  Krankenhauses  behandelt,  liegen  zu  lassen,  da  er  das  Schlucken 
erschwert,  die  Bewegung  des  Tubus  im  Kehlkopf  hindert  und 
von  kleinen  Kindern  leicht  gezerrt  wird.  Gewöhnlich  kann  man 
den  Tubus  am  3. — 5.  Tage  entfernen.  Wenn  nicht  Atmungs- 
behinderung durch  Verstopfung  des  Tubus  eintritt,  entfernt  man 
ihn  am  besten  nicht  früher  als  48  Stunden  nach  der  Einführung. 
Zuweilen  wird  er  auch  mit  Membranen  zugleich  ausgehustet,  worauf 
gewöhnlich  für  kürzere  oder  längere  Zeit  erleichterte  Atmung  eintritt. 

In  leichten  Fällen  kann  man  den  Tubus  nach  48  Stunden 
oft  ganz  weglassen,  nicht  selten  aber  wird  es  nötig,  ihn  eine 
Woche  lang  beizubehalten.  Das  ist  nicht  angenehm,  weil  einer- 
seits die  Kranken  sich  während  der  Dauer  der  Intubation  leicht 
verschlucken,  allerdings  ohne  ernstere  Folgen,  anderseits  bei  der 
längeren  Dauer  leicht  Dekubitusgeschwüre  eintreten.  Man  kann 
dem  durch  Wechsel  in  der  Form  der  Tuben  begegnen,  manchmal 
wird  sich  dann  eine  sekundäre  Tracheotomie  nicht  umgehen 
lassen.  Die  primäre  Tracheotomie  an  Stelle  der  Intubation 
empfiehlt  sich  besonders  in  solchen  Fällen,  wo  Rachen  und  Kehl- 
kopfeingang stark  geschwollen  sind,  sowie  da,  wo  die  Krankheit 
den  Kehlkopf  nach  unten  schon  überschritten  hat.  Ihre  Aus- 
führung ist  aus  den  chirurgischen  Lehrbüchern  zu  ersehen. 

6.  Keuchhusten. 

Der  Keuchhusten  ist  sehr  ansteckend,  man  hat  daher  auch 
dafür  zu  sorgen,  daß  die  kranken  und  die  genesenden  Kinder 
nicht  andere  unnötig  in  Gefahr  bringen. 


Keuchhusten 


367 


Die  Krankheit  selbst  verläuft  leichter  und  kürzer,  wenn 
man  einerseits  den  Nasenrachenraum  örtlich  behandelt,  durch 
Einblasen  von  reinem  Sozojodolnatrium  in  Pulver  oder  durch 
Pinseln  mit  5°/0iger  Lösung  von  Argentum  nitricum,  2 mal  täg- 
lich, und  anderseits  regelmäßig  hinreichende  Gaben  bestimmter 
Arzneimittel  gibt.  Am  besten  ist  das  Chinin.  Man  gibt  Chininum 
hydrochloricum,  3 mal  täglich  so  viel  Dezigramm,  wie  das  Kind 
Jahre  zählt,  und  wenn  das  Chinin  wegen  seines  bitteren  Ge- 
schmackes auch  in  der  Form  von  Chininschokoladetabletten  nicht 
genommen  wird,  das  geschmacklose  Euchinin  in  denselben  oder 
in  um  die  Hälfte  größeren  Gaben,  oder  Aristoehin,  6 mal  täglich 
halb  so  viel  Dezigramm,  wie  das  Kind  Jahre  zählt.  Man  findet 
übrigens  oft  genug,  daß  Kinder  die  einfache  wäßrige  Lösung  des 
Chininum  hydrochloricum 

IjB  Chinin,  hydrochlor.  2,0 
Aq.  dest.  100,0 

D.S.  3 mal  täglich  so  viel  Teelöffel,  wie  das 
Kind  Jahre  zählt. 

ganz  gut  nehmen.  Im  Notfall  kann  man  auch,  zumal  auf  der 
Höhe  der  Krankheit,  das  Mittel  subkutan  geben, 

Ijfc  Chinin,  bihydrochlor.  Zimmeb  2,5 — 3,0 
Aq.  dest.  10,0 

D.S.  Tägl.  2 Einspritz,  am  Rücken,  jedesmal 
so  viel  Dezigramm  Chinin  wie  Jahre. 

Außer  dem  Chinin  kommen  wesentlich  nur  noch  in  Frage: 
Antipyrin,  3 — 4 mal  täglich  so  viel  Dezigramm  wie  Jahre,  und 
sein  mandelsaures  Salz,  das  Tussol,  3 mal  täglich  so  viel  Dezi- 
gramm wie  Jahre,  vom  6.  Jahre  ab  4 mal  täglich  0,5  und  mehr, 

ty  Tussoli  2,0  I Tussoli  5,0 

Aq.  dest.  80,0  I Aq.  dest.  80,0 

Sir.  Aur.  cort.  20,0  I Sir.  Rubi  Idaei  20,0 

M.D.S.  Teelöffelweise  (=  0,1)  I M.D.S.  Kinderlöffelweise  (=  0,5) 

und  endlich  Bromoform : 

Ipfc  Bromoformii  10,0 

D.S.  lf2yähr.  Kind  3 mal  tägl.  3 Tropfen,  ljähr. 

3 mal  4—5  Tropfen,  3jähr.  3 mal  10  Tropfen, 

8jähr.  3 mal  16  Tropfen,  nie  bei  leerem 
Magen. 

Von  großer  Bedeutung  ist  die  allgemeine  Behandlung  der 
Kranken.  Reichliche  Zufuhr  von  frischer  Luft  ist  sehr  wichtig, 


368 


Infektionskrankheiten 


nach  Verschwinden  des  Fiebers  läßt  man  die  Kinder  bei  gutem 
Wetter  ins  Freie,  im  Zimmer  kann  man  die  Luft  durch  einen 
Spray  feucht  halten.  Häufige,  leicht  verdauliche  Mahlzeiten  sind 
nötig,  trockne,  krümelige  Speisen  vermeidet  man,  weil  sie  leicht 
Hustenanfälle  hervorrufen,  ferner  benutzt  man  vorzugsweise  die 
Zeit  nach  einem  Hustenanfall  zur  Nahrungsaufnahme,  weil  dann 
eine  längere  Zeit  ohne  Erbrechen  erwartet  werden  darf.  Zweck- 
mäßig ist  es,  die  Kinder  zu  einer  willkürlichen  Unterdrückung 
der  Hustenanfälle  zu  ermuntern.  Man  soll  sie  freundlich  und 
geduldig  behandeln,  weil  Gemütsbewegungen  Anfälle  hervorrufen 
können.  Die  Ortsveränderung  hat  keinen  Nutzen,  bringt  aber 
anderen  Kindern  oft  die  Gefahr  der  Ansteckung. 

7.  Mumps,  Pariottis  epidemica. 

Der  Mumps  erfordert  Bettruhe,  so  lange  Fieber  besteht, 
Einreibung  der  Geschwulst  mit  Speck  oder  Vaseline,  Umhüllung 
mit  Watte.  Flüssige  Kost  und  Sorge  für  gründliche  Darment- 
leerung sind  ebenfalls  zu  empfehlen. 


8.  Pneumonie. 

Die  Pneumonie  ist  die  spezifische  Reaktion  der  Lunge  auf 
das  Eindringen  verschiedener  Krankheitserreger,  am  häufigsten 
des  FBAENKELSchen  Diplokokkus.  Für  die  Behandlung  ist  sehr 
wichtig,  daß  nur  ein  Teil  der  Erkrankungen  in  der  Affektion 
der  Lunge  sein  Schwergewicht  hat,  während  andere  Fälle  durch 
eine  ausgesprochene  Allgemeinerkrankung  hakterio toxischer 
Art  ausgezeichnet  sind.  In  beiden  Fällen  hängt  die  Prognose 
und  damit  auch  die  Art  der  Behandlung  zu  einem  guten  Teile 
von  der  Ausdauer  des  Herzens  ab. 

Eine  spezifische  Behandlung  der  Pneumonie  ist  nx)ch 
nicht  aufgefunden.  Die  Versuche,  mit  abgeschwächten  Kulturen 
von  Pneumokokken  oder  mit  ihren  Stoffwechselprodukten  etwas 
zu  erreichen,  haben  bisher  nichts  ergeben. 

Die  symptomatische  Behandlung  ist  im  wesentlichen  ab- 
wartend, sie  sucht  die  Kräfte  des  Kranken  zu  erhalten  und  vor 
allem  der  Herzschwäche  vorzubeugen.  In  dieser  Richtung  wirken 
zusammen  die  strenge  Bettruhe,  die  hei  alten  und  herzschwachen 
Leuten  sogar  das  Aufrichten  nur  mit  Unterstützung  und  vorsichtig 
gestattet,  die  Fürsorge  für  reichliche  frische  Luft  und  Sonne, 


Pneumonie 


369 


die  beide  Kraftmittel  ersten  Ranges  sind,  kräftige  Ernährung, 
zunächst  vorwiegend  mit  Milch,  Kindermehlsuppen,  Somatose-  und 
Roboratbeimischungen , Fleischsaft  Puro  usw.,  und  reichliche 
Flüssigkeitaufnahme  in  Form  von  Limonade  und  dergleichen. 
Gegen  das  Fieber  sowohl  wie  gegen  Atmungschwäche,  Be- 
nommenheit, Herzschwäche  und  Schlaflosigkeit  sind  Bäder 
das  beste  Mittel.  Im  allgemeinen  sind  Bäder  von  etwa  30°  C., 
20 — 30  Minuten  lang,  am  besten,  morgens  und  abends  gegeben. 
Bei  Kindern  reichen  auch  nasse  Einwicklungen,  vgl.  S.  357, 
aus.  Bei  sehr  hohem  Fieber,  über  40,5°,  gibt  man  nach  Juergensen 
ganz  kalte  Bäder,  bis  zu  6°  herab,  von  höchstens  10  Minuten 
Dauer,  nötigenfalls  alle  2 Stunden,  auch  in  der  Kinderpraxis. 
Bei  Schwächezuständen  gibt  man,  auch  wenn  das  Fieber  nicht 
dazu  auf  fordert,  häufigere  kurz  dauernde  Bäder  von  30°  C.  mit 
einer  abschließenden  Begießung  von  ganz  kaltem  Wasser;  wo  Bade- 
einrichtung fehlt,  kann  man  sich  auch  auf  die  Begießung  be- 
schränken. Nachher  wird  der  Kranke  mit  Flanelltüchern  warm 
gerieben. 

Über  den  Gebrauch  des  Alkohols  sind  die  Ansichten  ge- 
teilt. Die  älteren  Kliniker  sind  ihm  im  ganzen  geneigt,  Juergensen 
gibt  auch  Kindern,  so  lange  sie  fiebern,  reichlich  Wein,  ein  viertel 
bis  ein  halbes  Liter  Rotwein  täglich  von  Anfang  an  bis  zum  Auf- 
hören des  Fiebers,  und  reicht  Erwachsenen  vor  und  nach  dem 
Bade  Wein  und  bei  eintretender  Herzschwäche  Südweine,  schwere 
Ungarweine,  Burgunder  oder  rheinische  Kabinettweine  und  Schaum- 
wein, in  schwersten  Fällen  Rum,  Kognak  oder  Branntwein  mit 
heißem  Wasser  oder  in  starkem  Kaffee-  oder  Teeaufguß  bis  zu 
60  ccm  absoluten  Alkohols  oder  120  ccm  Kognak  oder  Rum  im 
Laufe  einer  Viertelstunde.  Ich  meine,  daß  man  trotz  so  gewich- 
tiger Empfehlung  in  dieser  Frage  anderer  Ansicht  sein  kann,  und 
die  Erfahrungen  der  zahlreichen  Ärzte,  die  seit  Jahrzehnten  alle 
Pneumonien  völlig  ohne  Alkohol  behandeln,  sind  gewiß  nicht 
schlechter  als  die  des  Tübinger  Klinikers.  Die  allgemeinen 
Erfahrungen  über  Alkoholwirkung  lassen  es  als  sicher  erscheinen, 
daß  man,  wenn  nicht  schon  während  der  Pneumonie,  so  doch 
sicher  in  der  Rekonvaleszenz  mit  den  Folgen  solchen  Übermaßes 
zu  kämpfen  haben  wird.  Dagegen  ist  nichts  einzuwenden,  daß 
man  bei  jeder  Herzschwäche  Coffein  oder  Kampfer  subkutan  an- 
wendet, vgl.  S.  13.  Irgend  ein  Nachteil  ist  dabei  ausgeschlossen. 
Auch  gegen  die  innerliche  Anwendung  dieser  Mittel  ist  nichts 
einzu  wenden. 


Dornblüth,  Therapie. 


24 


370 


Infektionskrankheiten 


Die  Verwendung  der  Digitalis  als  Heilmittel  bei  Pneumonie 
ist  vielfach  empfohlen,  aber  nicht  allgemeiner  angenommen  worden. 
Dagegen  hat  das  Mittel  seine  Anzeige,  wenn  der  Puls  schnell 
und  unregelmäßig  wird  und  die  Arterie  schlecht  gefüllt  ist. 
Man  gibt  am  besten  das  Infus  nach  S.  7.  Bei  sehr  schneller 
Ausdehnung  der  Entzündung,  die  unter  schwerer  Dyspnoe  bei 
vollem,  gespanntem  Pulse  und  starker  Kongestion  nach  dem  Kopfe 
verläuft,  ist  auch  der  Aderlaß,  vgl.  S.  67  f.,  angezeigt,  mit  nach- 
folgender Anwendung  von  Coffein  oder  Kampfer. 

Will  man  aus  besonderen  Gründen  das  Fieber  noch  anders 
als  mit  Bädern  bekämpfen,  so  gibt  man  am  besten  Ghininum 
hydrochloricum , abends  1 oder  2 mal  1,0  in  Kapseln  zu  0,5.  Man 
kann  dadurch  auch  den  Schlaf  verbessern.  Soweit  dieser  durch 
Pleuraschmerzen  gestört  wird,  kann  man  durch  den  Eisbeutel, 
durch  heiße  Umschläge,  durch  Einreibung  der  Schmerzstelle  mit 
Mentholsalben , durch  Besprühung  mit  Chlor äthyl,  beides  S.  268, 
im  Notfälle  durch  eine  örtliche  Morphiumeinspritzung,  helfen. 

Das  Delirium  tremens,  das  sich  nicht  selten  an  Pneumonie 
anschließt,  wird  ebenso  wie  die  übrigen  Gehirnreizungen  am  besten 
mit  Dauerbädern  von  33 — 35°  C.,  viele  Stunden  lang,  be- 
handelt. Daneben  kann  man,  namentlich  zur  Herbeiführung  der 
Nachtruhe,  Paraldehyd,  S.  31,  Pulvis  Ipecacuanliae  opiatus  0,3 
alle  2 Stunden,  Dormiolum  solutum  nach  S.  31,  Extractum  Opii 
subkutan  geben. 

Ijfc  Pulv.  Ipecacuanh.  opiati  0,3  I ^ Extr.  Opii  1,0 
D.  tal.  dos.  X.  S.  2 stündlich  | Aq.  dest.  20,0 

1 Pulver.  I D.S.  Eine  Spitze  subkutan,  nach 

1 Stunde  wiederholt. 

Das  Weitergeben  des  Alkohols  beim  Delirium  tremens 
alcoholicum  ist  nach  den  Erfahrungen  der  modernen  Psychiatrie 
unnötig,  dagegen  darf  man  im  Notfälle  die  Herzreizmittel  nicht  sparen. 

In  der  Rekonvaleszenz  nach  Pneumonie  müssen  die  Kranken 
sehr  geschont  werden,  man  muß  namentlich  bei  älteren  Leuten 
mit  dem  Aufstehen  sehr  vorsichtig  sein,  die  Ernährung  genau 
überwachen,  die  lauen  Bäder  fortsetzen  und  womöglich  statt  dessen 
kohlensaure  Solbäder  geben,  vgl.  S.  241.  Die  starke  Be- 
einträchtigung des  Blutes  durch  die  Pneumonie  verlangt  öfters 
eine  besondere  Fürsorge  für  die  Blutbildung,  vgl.  den  betr.  Ab- 
schnitt. Verlangsamte  Rückbildung  des  Exsudates  kann  durch 
PniESSNiTzsche  Umschläge,  durch  Sol-  und  Moorbäder,  vgl.  S.  241  ff., 
angeregt  werden. 


Tuberkulose 


371 


9.  Tuberkulose. 

Die  Verhütung  der  Tuberkulose  ist  kein  leerer  Wahn, 
vielmehr  ist  die  Sterblichkeit  an  dieser  Krankheit  in  den  letzten 
15  Jahren  in  Deutschland  von  etwa  30  unter  10000  Lebenden 
auf  etwa  20  unter  10  000  herunter  gegangen,  also  um  ein  volles 
Drittel.  Daß  das  in  anderen  Ländern  nicht  der  Fall  ist,  daß 
man  dort  teils  Stillstand,  teils  nur  geringen  Rückgang  vermerkt, 
spricht  dafür , daß  nicht  die  allgemeine  Besserung  der  Lebens- 
haltung, nicht  die  allgemeinen  Fortschritte  der  Hygiene  so  segens- 
reich gewirkt  haben,  sondern  hauptsächlich  die  auf  der  Koch  sehen 
Entdeckung  des  Tuberkelbazillus  beruhende  Bekämpfung 
der  Infektion  durch  den  Auswurf.  Diejenigen  deutschen 
Staaten,  die  sich  den  preußischen  Vorschriften  nicht  ange- 
schlossen haben,  stehen  denn  auch  wesentlich  ungünstiger  in  der 
Sterbezahl. 

Diese  Tatsachen  zwingen  den  Arzt,  auch  seinerseits  in  der 
Praxis  mit  größter  Sorgfalt  auf  die  Verhütung  der  Ausbreitung 
der  Krankheit  bedacht  zu  sein.  Die  früher  allgemein  beliebte 
Vorsicht,  aus  Rücksicht  auf  das  Empfinden  des  Kranken  ihm  die 
Diagnose  nicht  mitzuteilen,  hat  sich  an  den  Kranken  und  ihrer 
Umgebung  tausendfach  so  schwer  gerächt,  daß  dies  Vorgehen 
nicht  mehr  als  erlaubt  bezeichnet  werden  kann.  Vielmehr  ist 
es  unbedingt  »erforderlich , daß  der  Kranke,  sobald  die  Diag- 
nose sicher  ist,  die  Wahrheit  erfährt.  Der  Arzt  muß 
sagen:  es  liegt  eine  Tuberkulose  vor;  wenn  Sie  sorglich  auf  Ihre 
Gesundheit  bedacht  sind,  kann  die  Krankheit  geheilt  werden,  und 
er  muß  als  eine  der  Bedingungen  alsbald  vorschreiben,  wie  der 
Kranke  mit  dem  Auswurf  verfahren  soll.  Der  Kranke  muß  auch 
wissen,  daß  durch  den  Auswurf  seine  Umgebung  gefährdet  wird, 
das  ist  tausendmal  wichtiger,  als  daß  man  ihn  vor  der  unge- 
kochten Milch  warnt,  deren  Gefährlichkeit  übrigens  noch  sehr 
zweifelhaft  ist.  Kinder  werden  jedenfalls  tausendmal  häufiger 
durch  den  vom  Boden  mit  den  Fingern  aufgenommenen  staub- 
förmigen Auswurf  infiziert  als  durch  Milch,  und  wie  viel  Über- 
tragungen durch  Küsse,  durch  gemeinsame  Gebrauchsgegenstände  us w. 
Vorkommen,  ist  gar  nicht  zu  sagen.  Die  Einatmung  des  Luft- 
staubes und  die  Aufnahme  der  beim  Husten  verspritzten 
bazillenhaltigen  Tröpfchen  spielt  bei  den  Erwachsenen  die 
Hauptrolle  bei  der  Infektion.  Der  Auswurf  soll  daher  mit  solcher 
Vorsicht  entleert  werden,  daß  nicht  die  umstehenden  Personen 

24* 


372 


Infektionskrankheiten 


und  Gegenstände  damit  bespritzt  werden  können,  der  Kranke  soll 
sieb  beim  Husten,  bei  der  Arbeit  usw.  wenigstens  einen  Meter 
von  den  Nachbarn  entfernt  halten  und  soll  den  Mund  mit  dem 
Taschentuch  bedecken,  auch  zwischen  den  Betten  tuberkulöser  und 
nicht  tuberkulöser  Schlafgenossen  sollte  eine  trennende  Wand  aus 
Glas  oder  Holz  usw.  eingerichtet  sein.  Der  Auswurf  soll  ferner 
nie  auf  den  Fußboden  entleert  werden , sondern  entweder  in 
Spucknäpfe,  die  gleich  gut  mit  Wasser  oder  mit  Sand,  Kaffee- 
satz, Lohe,  Holzwolle  usw.  gefüllt  werden  können,  oder  in  Spuck- 
fläschchen. Die  mit  dem  Auswurf  oder  durch  Abwischen  des 
Mundes  infizierten  Taschentücher  dürfen  nicht  länger  als  einen 
Tag  benutzt  werden,  weil  nachher  die  Bazillen  vertrocknen  und 
staubförmig  verbreitet  werden.  Dann  müssen  die  Taschemtücher,  wie 
der  Inhalt  der  Spucknäpfe  und  Fläschchen,  durch  5 °/0ige  Sublimat- 
lösung oder  durch  Kochen  desinfiziert  werden.  Zweckmäßig  sind  die 
auf  Anregung  von  Flügge  hergestellten  verbrennbaren  Kartonspuck- 
näpfe und  Kartonspuckfläschchen  und  Papiertaschentücher,  die 
nach  Benutzung  einfach  verbrannt  werden.  Solche  sind  von 
Fingerhut  & Co.  in  Breslau  zu  beziehen. 

Eine  sehr  wertvolle  Förderung  haben  diese  Belehrungen 
durch  die  Einrichtung  von  Lungenheilanstalten  und  Heil- 
stätten gefunden.  Dort  lernen  die  Kranken  unter  anderem  auch 
in  zuverlässiger  Weise  die  hygienische  Behandlung  des  Auswurfs. 

Zum  Kampfe  gegen  die  Tuberkulose  gehört  «auch  die  Ein- 
schränkung des  leider  noch  fast  überall  geduldeten  T epp  ich - 
und  Bettenklopfens  auf  offenem  Hofe,  wobei  die  Staubteile 
massenhaft  in  andere  Wohnungen  hinein  gelangen.  Die  Ersetzung 
des  trockenen  Abstäubens  und  Kehrens  durch  feuchtes  Abwischen 
und  noch  besser  durch diemodernen  Yakuumreiniger- Apparate, 
die  den  Staub  durch  Saugluft  aus  den  Möbeln  und  Geräten  ziehen, 
ist  vom 'ärztlichen  Standpunkte  jedenfalls  sehr  zu  empfehlen.  Be- 
sondere Beachtung  verdienten  diese  Maßregeln  für  alle  öffent- 
lichen Gebäude  und  Anstalten;  für  Schulen,  wo  sich  doch  immer 
einige  tuberkulöse  Kinder  oder  Lehrer  finden  usw.,  wäre  diese 
Einrichtung  ganz  besonders  wünschenswert. 

Um  die  individuelle  Disposition  zu  verhüten,  ist  viel- 
fach das  Verbot  der  Ehe  für  Tuberkulöse  oder  sogar  für  dazu 
Disponierte  vorgeschlagen  worden.  Die  Durchführbarkeit  solcher 
Verbote  ist  zweifelhaft,  in  der  heutigen  Zeit  wäre  auch  eine  ge- 
setzliche Vorschrift  dieser  Art  jedenfalls' nicht  zu  erlangen.  Der 
Arzt  hat  aber  jedenfalls  die  Verpflichtung,  Kranken’  oder  nicht 


Tuberkulose 


373 


hinreichend  gesunden  Personen  die  Ehe  zu  widerraten.  Leider 
wenden  sich  die,  die  es  am  nötigsten  hätten,  oft  nicht  mit  der 
betreffenden  Frage  an  den  Arzt.  Die  belasteten  Kinder  bedürfen 
dann  natürlich  einer  besonderen  Fürsorge  gegen  Infektion.  Man 
muß  sie  mit  allen  Mitteln  den  Gelegenheiten  zur  Infektion  fern- 
halten,  sie  lediglich  von  gesunder  Amme  oder  mit  sterilisierter 
Milch  ernähren  lassen,  auch  im  weiteren  Alter  jede  Kuhmilch 
als  infektionsverdächtig  und  daher  nur  gekocht  genießbar  be- 
trachten, sie  vom  Zusammensein  mit  tuberkulösen  Menschen  im 
Hause,  in  der  Schule  usw.  nach  Möglichkeit  fernhalten  und  sie 
durch  gesunde  Ernährung,  beste  Hautpflege  und  vorsichtige 
Abhärtung,  vgl.  S.  350,  widerstandsfähig  zu  machen  suchen. 
Alle  Kinderkrankheiten  bedürfen  bei  ihnen  der  sorgfältigsten  Be- 
handlung, Überanstrengungen  sind  zu  vermeiden,  Appetitlosigkeit 
und  Blutarmut  auf  das  sorgfältigste  zu  behandeln.  Besonderen 
Wert  für  die  belasteten  Kinder  hat  oft  der  Aufenthalt  an  Orten, 
die  für  die  Klimatotherapie  der  Schwindsucht  Bedeutung 
haben,  vgl.  S.  44 ff.  Natürlich  vermeidet  man  gern  die  eigent- 
lichen Phthisikerstationen,  um  nicht  die  Gefahr  einer  Infektion 
zu  vergrößern,  aber  sie  wird  in  der  Tat  wohl  immer  durch  die 
klimatischen  Wirkungen  übertroffen.  So  ist  auch  z.  B.  Davos 
ein  sehr  beliebter  Ort,  um  tuberkulös  belastete  Kinder  zur  Schule 
zu  geben,  und  die  Erfolge  sind  oft  sehr  erfreulich.  Eine  gewisse 
Gefahr  bietet  das  großstädtische  Leben  mit  seinen  Verführungen, 
das  dort  herrscht. 

Die  Behandlung  der  Tuberkulose  ist  insofern  zu  einer 
gewissen  Einheitlichkeit  gelangt,  als  allgemein  die  hygienisch  - 
diätetische,  mit  Freiluftbehandlung,  Schonung  und  vor- 
sichtiger Abhärtung  verbundene  Heilmethode  angenommen 
ist,  und  als  man  auch  darin  übereinstimmt,  daß  die  Anstalts- 
behandlung, S.  44  ff.,  in  geeignetem  Klima  die  besten  Er- 
folge hat.  Man  sucht  die  Kranken  so  gut  wie  möglich  durch 
Ernährung  zu  kräftigen,  läßt  sie  völlig  ruhen,  sobald  fieberhafte 
Vorgänge  nachweisbar  sind,  aber  immer  in  frischer  Luft  und 
womöglich  im  Freien,  läßt  sie  Luft  und  Sonne  reichlich  genießen, 
pflegt  ihre  Haut  durch  milde,  abhärtende  Wasserbehandlung  und 
sucht  ihnen  alles  Schädliche  sorgfältig  fernzuhalten.  Soweit  der 
Allgemeinzustand  es  erlaubt  und  nicht  Fieber  und  dergleichen 
widerspricht,  werden  auch  die  Muskeln  geübt  und  die  Leistungs- 
fähigkeit in  körperlicher  und  geistiger  Beziehung  gesteigert.  Da- 
neben werden  symptomatische  Mittel  angewendet.  Wohl  am 


374 


Infektionskrankheiten 


beliebtesten  sind  die  Kreosot-  und  Guajakolpräparate.  Nach, 
manchen  Autoren  sollten  sie  eine  spezifische  Wirkung  auf  die 
Lungentuberkulose  ausüben,  das  ist  aber  nicht  der  Fall,  vielmehr 
wirken  sie  nur  appetitanregend,  vielleicht  wird  aber  auch  der 
Zustand  des  Lungengewebes  durch  die  Mittel  günstig  beein- 
flußt. Jedenfalls  sind  sie  nicht  wirksam,  wenn  nicht  die  günstige 
Wirkung  auf  den  Magendarmkanal  deutlich  hervortritt. 

Man  gab  früher  besonders  das  reine  Kreosot , vorwiegend  in 
Pillen  oder  Gelatinekapseln  zu  0,05,  und  ließ  diese  in  langsam 
steigender  Dosis  bis  1,0  und  2,0  Kreosot  pro  die  nehmen,  Monate 
und  Jahre  hindurch.  Als  eine  Verbesserung  ist  die  Verordnung 
von  Kreosotal,  kohlensaurem  Kreosot,  zu  betrachten,  da  ihm  die 
ätzende  Keizwirkung  des  Kreosots  abgeht  und  es  viel  weniger 
giftig  und  von  milderem  Geschmack  ist.  Man  gibt  davon  inner- 
lich 2 mal  täglich  einen  Teelöffel  voll,  etwa  5,0,  in  einem  Täßchen 
heißer,  gezuckerter  Milch;  Kindern  bis  zu  1 Jahr  0,25 — 1,0,  bis 
4 Jahr  1,0 — 3,0,  bis  6 Jahr  3,0 — 4,0,  bis  10  Jahr  4,0 — 5,0, 

2 mal  täglich.  Bei  Albuminurie  oder  Nachlassen  der  Harnab- 
sonderung muß  das  Mittel  ebenso  wie  das  reine  Kreosot  ausge- 
setzt werden.  — Noch  besser  ist  der  Hauptbestandteil  des  Kreosots 
zu  verwenden,  das  Guajakol  und  seine  Präparate.  Das  Guajakol 
schmeckt  besser  als  das  Kreosot  und  reizt  viel  weniger,  wirkt 
aber  mindestens  ebenso  gut.  Man  gibt  es  innerlich  zu  0,1 — 0,2 

3 mal  täglich  und  mehr,  bis  6,0  in  24  Stunden,  in  Gallertkapseln, 
Pillen  oder  wäßrig-spirituöser  Lösung,  Kindern  0,01  — 0,  0,3 — 0,06 
3 mal  täglich.  Von  vielen  werden  die  Präparate  noch  vorgezogen, 
vor  allem  das  Guajacolum  carbonicum  oder  Ditotal,  ein  geruch- 
und  geschmackloses  weißes  Pulver,  wovon  man  0,5 — 1,0  2 mal 
täglich,  steigend  bis  3,0  2 mal  täglich,  als  Pulver  mit  Nachtrinken 
von  Milch  usw.  gibt.  Die  dabei  zuweilen  auftretende  Dunkel- 
färbung des  Harns  hat  nichts  zu  bedeuten.  Ein  Guajakolpräparat 
ist  auch  das  Thiocol,  ein  orthoguajakolsulfosaures  Kalium  mit 
60 °/0  Guajakol;  man  gibt  davon  0,5  4 mal  täglich,  Monate  lang, 
in  Pastillen  oder  in  der  Form  des  Sirolin,  Thiokolorangensirup, 
1 Teelöffel  voll  3 — 4 mal  täglich,  Kindern  1 — 2 mal. 

Von  den  zahllosen  anderen  Mitteln,  die  gegen  Tuberkulose 
empfohlen  sind,  ist  eigentlich  nur  noch  das  Natrium  cinnamylicum 
oder  Hetol  zu  nennen,  das  von  Länderer  zur  Behandlung  der 
Tuberkulose  empfohlen  ist.  Von  einer  sterilisierten  l°/0igen 
Lösung  spritzt  man  unter  antiseptischen  Maßregeln  in  eine  der 
Venen  der  Ellenbeuge  oder  in  die  Vena  cephalica  zunächst  0,1 


Tuberkulose 


375 


ein,  also  0,001  Hetol,  und  wiederholt  dies  jeden  dritten  Tag, 
immer  um  0,05  der  Lösung  steigend.  Die  größte  Gabe,  die  man 
erreicht,  ist  meist  bei  Männern  0,008 — 0,01 — 0,015  Hetol,  bei 
Frauen  0,005 — 0,01.  Steigt  die  Temperatur  am  Einspritzungs- 
tage regelmäßig  um  einige  Zehntel,  so  war  die  Dosis  zu  hoch. 
Am  besten  eignen  sich  nach  Länderer  für  die  Behandlung 
Lungentuberkulose  ohne  Fieber,  aber  auch  Darm*,  Drüsen-,  Genital-, 
Kehlkopf-  und  Gelenktuberkulose  und  Skrofulöse. 

In  ihrer  Bedeutung  auch  heute  noch  streitig  ist  die  von 
Robert  Koch  ersonnene  Behandlung  mit  Tuberkulin , vgl.  S.  353. 
Das  1890  der  Öffentlichkeit  übergebene  Alte  Tuberkulin  hat  die 
Wirkung,  daß  nach  subkutaner  Einspritzung  sehr  kleiner  Dosen, 
Bruchteile  eines  Milligramms,  bei  Tuberkulösen  eine  fieber- 
hafte Reaktion  eintritt,  die  mit  einer  entzündlichen  Reaktion 
am  Sitze  der  Krankheit  einhergeht.  In  den  infiltrierten  Partien 
der  Lunge  zeigt  sich  dabei  Zunahme  der  Dämpfung  und  der 
Rasselgeräusche  und  des  Hustens  und  des  Auswurfs.  Nach 
1 — 2 Tagen  ist  die  Reaktion  vorüber;  sie  bleibt  nun  im  allge- 
meinen aus,  wenn  dieselbe  Dosis  wieder  eingespritzt  wird.  Durch 
ganz  allmähliche  Steigerung  der  Dosen  kann  man  die  Reaktion 
ganz  vermeiden  und  schließlich  zu  Dosen  von  0,1  kommen  und 
dadurch,  wie  Koch  annimmt,  Heilvorgänge  und  Immunität  er- 
reichen. Im  allgemeinen  ist  das  Verfahren  ungünstig  beurteilt 
worden,  hauptsächlich  deshalb,  weil  man  anfangs  die  Reaktion 
als  etwas  Erwünschtes  und  Nötiges  ansah  und  deshalb  mit  zu 
großen  Dosen  vorging.  Beobachter,  die  mit  vorsichtigen  Gaben, 
0,0001,  begannen  und  zunächst  nur  um  0,0001  jeden  zweiten 
Tag  stiegen,  von  0,001  an  um  0,000  25,  später  um  0,0005,  und 
nur  bis  0,02  überhaupt  stiegen,  jede  Reaktion  ängstlich  ver- 
mieden und  außerdem  nur  leichte  Fälle  oder  mittlere  Fälle,  ohne 
Fieber  usw.,  damit  behandelten,  haben  bessere  Ergebnisse  zu  ver- 
zeichnen gehabt.  Dem  entsprechen  auch  meine  eigenen  Erfahrungen 
aus  der  Provinzial-Irrenanstalt  Bunzlau  1890/91.  Jedenfalls  ist 
dabei  eine  Schädigung  der  Kranken  ausgeschlossen.  Neuerdings 
wird  derartigem  Vorgehen,  wofür  u.  a.  Goetsch  eingetreten  ist, 
mehr  und  mehr  Vertrauen  entgegengebracht. 

1897  hat  Koch  sein  Neues  Tuberkulin  auf  den  Markt  ge- 
bracht. Es  enthält  in  seiner  oberen  Schicht,  vgl.  S.  353,  das 
Ältere  Tuberkulin,  TO,  der  Rest,  TR,  enthält  die  in  Glyzerin 
nicht  löslichen  Bestandteile  der  Bazillenleiber.  Koch  konnte  mit 
dem  neuen  Tuberkulin  Meerschweinchen  völlig  gegen  Tuberkulose 


376 


Infektionskrankheiten 


immunisieren  und  tuberkulöse  Meerschweinchen  heilen.  Die  bis- 
her vorliegenden  Berichte  über  Versuche  an  Menschen  sprechen 
sich  recht  ungünstig  aus. 

Günstige  Urteile  liegen  auch  über  das  Tuberkulin  von  Denys 
in  Löwen  vor,  das  eine  durch  Porzellankerzen  filtrierte  sterile 
Bouillonkultur  von  Tuberkelbazillen  darstellt.  Es  ist  in  7 Stärken 
im  Handel,  in  braunen  plombierten  Flaschen  von  5 ccm  Inhalt 
und  wird  nach  der  beigegebenen  Anweisung  subkutan  am  Rumpf 
eingespritzt. 

Sehr  günstig  urteilt  L.  Spenglek  in  Davos  über  seine 
neuesten  Immunisierungsversuche  mit  Perlsuchttuberkulin.  Sicheres 
ist  darüber  noch  nicht  bekannt. 

Im  ganzen  muß  man  sein  Urteil  über  die  Tuberkulin- 
behandlung dahin  abgeben,  daß  das  Verfahren  bei  weiterem 
Ausbau  Gutes  verspricht,  daß  aber  vorläufig  die  Erfahrungen 
nicht  ausreichen,  um  die  Präparate  in  der  Hauspraxis  anzuwenden; 
nur  Krankenhäuser  mit  hinreichendem  Material  und  guter  Beob- 
achtungsmöglichkeit sollten  sich  mit  diesen  Mitteln  befassen. 

Über  die  Behandlung  verschiedener  Symptome  der  Tuber- 
kulose vgl.  S.  6 Off.  und  140 ff. 


10.  Typhus. 

Die  Typhusbazillen  verlassen  den  Körper  des  Typhuskranken 
mit  den  Darmentleerungen  und  dem  Harn  und  bleiben  außer- 
halb des  Körpers  im  trockenen  und  im  flüssigen  Zustande  Monate 
lang  lebensfähig.  Sie  können  dann  durch  beschmutzte  Kleider 
und  Wäsche,  durch  Gemüse  aus  gedüngtem  Lande,  durch  Fliegen, 
die  von  den  Entleerungen  auf  Milch,  Eßwaren  usw.  hinüber- 
fliegen, direkt  auf  andere  Menschen  übertragen  werden;  Epidemien 
entstehen  nicht  selten  dadurch,  daß  Typhusentleerungen  in  Brunnen 
oder  Flüsse  und  von  da  aus  ins  Trinkwasser  oder  in  die  Milch 
gelangen,  die  mit  dem  Wasser  versetzt  oder  deren  Gefäße  damit 
gereinigt  wurden.  Die  Verhütung  der  Krankheit  erfolgt  daher 
dadurch,  daß  man  die  Kranken  isoliert  und  deren  Abgänge 
desinfiziert,  vgl.  S.  347,  daß  man  für  reines,  keiner  Infektion 
zugängliches  Trinkwasser  sorgt  und  an  verdächtigen  Orten  Wasser 
und  Milch  höchstens  gekocht  genießen  läßt,  ungekochtes  Gemüse 
und  dergleichen  vermeidet.  In  besonderen  Fällen  wird  sich  auch 
eine  Schutzimpfung  nach  Pfeiffek-Kolle  empfehlen,  vgl. 
S.  353. 


Typhus 


377 


Die  Behandlung  des  Typhus  ist  vorläufig  noch  eine  sym- 
ptomatische; die  spezifische  Behandlung  mit  Typhusbazillen- 
kulturen und  mit  Thyphusserum  ist  noch  nicht  aus  dem  Stadium 
der  Versuche  herausgekommen. 

Die  Ernährung  und  die  Antipyrese  sind  die  für  jeden 
Typhusfall  wichtigsten  Fragen.  Bei  der  langen  Dauer  der  fieber- 
haften Erkrankung  ist  die  Erhaltung  der  Kräfte  von  vornherein 
ins  Auge  zu  fassen.  Die  allgemeinen  Verhältnisse  der  Kranken- 
pflege sind  nach  S.  354 f.  zu  ordnen;  ein  Wechselbett  ist  hier  ganz 
besonders  wünschenswert.  Die  Nahrung  darf  während  der  ganzen 
Fieherzeit  und  noch  etwas  darüber  hinaus  nur  in  flüssiger 
Form  gereicht  werden.  Als  Grundlage  der  Kost  kann  man  fast 
in  allen  Fällen  die  Milch  verwenden.  Wenn  nicht  eine  besondere 
Empfindlichkeit  oder  ausgesprochener  Widerwille  dagegen  besteht, 
reicht  man  von  Anfang  an  täglich  1 Liter  Milch.  Man  kann 
auch  den  Widerwillen  fast  immer  dadurch  besiegen,  daß  man  die 
Milch  abwechselnd  in  verschiedenen  Formen  gibt,  kalt  oder  warm, 
rein  oder  mit  etwas  Tee,  Kaffee,  Kakao  vermischt,  mit  Mondamin 
oder  Kindermehl  oder  Hygiama  verkocht,  als  Milchsuppe  oder 
Milchgefrorenes  usw.  Außerdem  gibt  man  vorwiegend  Schleim- 
suppen von  Gersten-  oder  Hafergrütze,  Reis,  Sago,  Tapioka, 
Fleischsuppen  mit  denselben  Einlagen,  mit  Zusatz  von  Fleisch- 
saft  Puro,  der  hier  ganz  unschätzbar  ist;  man  kann  auch 
Puroeis  machen  lassen.  Als  Getränk  sind  Limonaden,  Frucht- 
saft mit  Wasser,  Mandelmilch,  Wasser  mit  ganz  wenig  Rotwein, 
Tee  erlaubt.  Mit  Eiern  ist  man  während  der  Fieberzeit  zurück- 
haltend, schon  um  dem  Kranken  den  Geschmack  daran  nicht  zu 
verleiden,  der  in  der  Rekonvaleszenz  so  wichtig  ist.  Als  Eiweiß- 
sparmittel sind  auch  die  Gelees  schätzbar.  Mit  dem  Alkohol 
sei  man  sehr  sparsam,  die  früher  allgemein  herrschende  Art,  ihn 
von  Anfang  an  in  reichlichen  Mengen  zu  geben,  hat  sich  ent- 
schieden überlebt,  wir  geben  ihn  nur,  wenn  ganz  besondere 
Schwächeerscheinungen,  Verstimmung  und  Abgeschlagenheit  dazu 
auffordern,  verlassen  uns  aber  niemals  auf  seinen  vermeintlichen 
Heilwert. 

Die  Antipyrese  hat  gerade  beim  Typhus  den  großen  Fort- 
schritt in  der  Auffassung  gemacht,  daß  nicht  die  Herabdrückung 
des  Fiebers,  sondern  die  Hebung  des  Allgemeinbefindens 
das  wichtige  ist,  wie  S.  356  ausgeführt  worden  ist.  Demgemäß 
stehen  hier  ganz  im  Vordergrund  die  Bäder,  deren  bestimmender 
Einfluß  auf  den  ganzen  Verlauf  offensichtlich  ist.  Von  den 


378 


Infektionskrankheiten 


chemischen  Antipyreticis  ist  das  Chinin  am  wertvollsten.  Man 
gibt  es  nach  Liebermeisters  Rat  einen  Abend  nm  den  anderen 
zn  1,5 — 2,0  im  Laufe  von  1 — 2 Stunden,  am  besten  in  ein- 
zelnen Kapseln  zu  0,5  — wenn  eine  erbrochen  wird,  gibt  man 
bald  nachher  dieselbe  Dosis  wieder;  die  fiebervermindernde  Wirkung 
macht  sich  dann  besonders  in  der  Morgenremission  geltend,  und 
zwar  am  nachhaltigsten,  wenn  der  Typhus  erst  in  die  Zeit  der 
Morgenremissionen  eingetreten  ist.  Yon  Jaksoh  ist  dann  noch 
das  Lactophenin  sehr  empfohlen  worden,  in  Pulvern  von  1,0 
3 — 5 mal  täglich;  es  setzt  nicht  nur  das  Fieber  herab,  sondern 
bewirkt  oft  ein  sehr  angenehmes  Wohlbefinden  des  Kranken  und 
hat  keine  Nachteile  gezeigt.  — In  der  ersten  Woche  des  Typhus 
gibt  man  seit  langer  Zeit  gern  Kalomel  in  Pulvern  von  0,5  in 
einstündigen  Zwischenräumen  2 — 3 mal  hintereinander.  Zugleich 
mit  den  spinatgrünen  dünnen  Ausleerungen  tritt  gewöhnlich  ein 
erheblicher  Fieberabfall  ein,  der  oft  10 — 12  Stunden  andauert, 
und  außerdem  scheint  dies  Mittel,  namentlich  wenn  es  in  den 
ersten  3 — 4 Tagen  gegeben  wird,  den  ganzen  Krankheitverlauf 
leichter  zu  machen.  Dafür  haben  sich  Ziemssen,  Liebermeister 
und  andere  hervorragende  Beobachter  ausgesprochen.. 

Die  Durchfälle  bedürfen  nur  dann  einer  besonderen  Be- 
handlung, wenn  sie  länger  anhalten  und  den  Kranken  deutlich 
schwächen.  Man  gibt  dann  am  besten  ein  Klistier  von  einem 
Eßlöffel  dünnem  Stärkekleister  oder  Kamillentee  mit  10  Tropfen 
Opiumtinktur  und  macht  zugleich  heiße  Umschläge  auf  den  Leib. 
Bei  Darmblutungen  verfährt  man  nach  S.  149.  Die  Darm- 
perforation bietet  nur  bei  sofortiger  chirurgischer  Behandlung 
die  Möglichkeit  der  Rettung  des  Kranken,  wenn  auch  nur  eine 
sehr  geringe.  Man  muß  deshalb  aufs  äußerste  bedacht  sein,  ihr 
Eintreten  zu  verhüten,  durch  streng  durchgeführte  Bettruhe, 
Gebrauch  der  Bettschüssel,  der  Urinflasche  usw.  Der  Dekubitus 
wird  nach  S.  299  behandelt. 

11.  Cholera. 

Die  Verhütung  der  Cholerainfektion  beruht  in  der  Ver- 
meidung des  direkten  Verkehrs  mit  Cholerakranken,  von  denen 
durch  Berührungen,  durch  Fliegen  usw.  die  in  den  Ausleerungen 
sitzenden  Bazillen  auf  Gesunde  übertragen  werden  können  — 
daher  die  Forderung  der  Isolierung  der  Kranken  — , und  in  der 
Vermeidung  der  Infektionsquellen,  zumal  des  Trinkwassers  und 


Cholera 


379 


aller  Nahrungsmittel,  die  von  den  Entleerungen  der  Kranken  her 
mit  Bazillen  verunreinigt  sein  könnten.  Die  Erfahrung  bei  den 
letzten  Epidemien  hat  gezeigt,  daß  Ärzte,  Pfleger  und  andere  zur 
Reinlichkeit  erzogene  Personen  auch  in  der  direkten  Umgebung 
der  Kranken  nicht  gefährdet  sind,  während  in  den  unsauberen 
Verhältnissen  ungebildeter  und  unbemittelter  Leute  die  Krank- 
heit sich  schnell  verbreitet.  Sorgfältige  Desinfektion  der  Ab- 
gänge und  aller  mit  den  Kranken  in  Berührung  gekommenen 
Wäsche,  Kleidung  und  anderer  Gegenstände,  nach  S.  347  ff.,  ist 
zur  Verhütung  der  Ausbreitung  der  Krankheit  unbedingt  nötig. 
— Die  einzelnen  Menschen  schützen  sich  gegen  die  Erkrankung 
durch  vernünftige  Lebensweise  und  namentlich  durch  Ver- 
meidung von  Ausschreitungen  im  Essen  und  Trinken.  Allgemein 
ist  bestätigt  worden,  daß  Alkoholisten  eine  besondere  Empfäng- 
lichkeit für  Cholera  haben.  Bei  schweren  und  großen  Epidemien 
und  unter  ungünstigen  örtlichen  Verhältnissen  wird  auch  die 
Schutzimpfung  nach  Haffkine,  vgl.  S.  353,  in  Frage  kommen. 

Die  Behandlung  muß  mit  derselben  Sorgfalt  einsetzen, 
wenn  es  sich  nur  um  leichte  Choleradiarrhöe  oder  Cholerine 
handelt,  als  wenn  schwere  Cholera  vorliegt.  Denn  aus  einem 
leichten  Falle  kann  jeden  Augenblick  ein  schwerer  werden.  Außer- 
dem ist  zu  beachten,  daß  die  leichten  Fälle  ebenso  infektiös  sind 
wie  die  schweren. 

Die  Nahrungsaufnahme  ist  sofort  auf  Milch  und  Schleim- 
suppen zu  beschränken,  in  leichten  Fällen  und  bei  vorhandenem 
Verlangen  kann  man  zartes  gebratenes  Fleisch  und  Kartoffelbrei 
erlauben.  Als  Getränk  dienen  Salzsäurelösung,  Eiweißwasser,  ganz 
dünner  Tee,  Wasser  mit  wenig  Rotwein,  Reisschleim. 

Unter  den  Arzneimitteln  wird  das  als  Volksmittel  und 
von  manchen  Beobachtern  empfohlene  Opium , von  anderen,  er- 
fahrenen Ärzten  als  geradezu  schädlich  bezeichnet.  Es  ist  in  der 
Tat  anzunehmen,  daß  es  zwar  durch  Linderung  des  Darmkrampfes 
und  anderer  Beschwerden  dem  Kranken  angenehm  sein  kann,  daß 
aber  die  Herabsetzung  der  Peristaltik  eine  Vermehrung  der 
Kommabazillen  und  verstärkte  Intoxikation  bewirken  kann.  Aus 
diesem  Grunde  wird  man  von  der  Verordnung  des  Opiums  ab- 
seh en  müssen.  Gerade  sein  Gebrauch  im  Vorstadium  soll  oft 
die  Infektion  verschlimmern. 

Als  wertvollstes  Mittel  ist  bisher  das  Kalomel  zu  bezeichnen. 
Man  gibt  zunächst  in  2 stündigen  Pausen  2 Gaben  von  0,3 — 0,5 
Hydrargyrum  chloratum , vgl.  S.  125,  und  gibt  dann  2 stündlich 


380 


Infektionskrankheiten 


0,03 — 0,05  weiter,  1 — 2 Tage  lang.  Gewöhnlich  tritt  dabei  am 
zweiten  Tage  eine  Verminderung  der  Ausleerungen  ein,  mit  gelb- 
brauner Färbung.  Daneben  macht  man  von  Anfang  an,  auch  in 
leichten  Fällen,  die  gerbsaure  Enteroklyse  nach  Cantani. 
Man  läßt  durch  den  Irrigator  1 — 2 1 einer  l°/0igen  Lösung  von 
Acidum  tannicum  etwa  40°  C.  warm  in  den  Darm  einlaufen, 
vgl.  S.  111,  unter  geringem  Druck  und  ganz  langsam,  und  wieder- 
holt dies  mehrmals  am  Tage. 

Im  Stadium  algidum  zeigt  die  Enteroklyse  wenig  Nutzen, 
und  die  innerliche  Behandlung  wird  durch  das  ständige  Erbrechen 
fast  unmöglich,  jedenfalls  meist  unwirksam.  Zuweilen  bringt  da 
eine  Morphiumeinspritzung  von  0,005 — 0,01  wesentliche  Er- 
leichterung. Am  meisten  dürften  heiße  Bäder  zu  empfehlen 
sein,  40°  C.  und  mehr,  bis  zu  45°,  10 — 15  Minuten  lang.  Da- 
neben muß  immer  wieder  versucht  werden,  dem  Kranken  kleine 
Mengen  Flüssigkeit  zuzuführen,  namentlich  heißen  Tee  oder  Kaffee 
schluckweise,  Punsch-  oder  Grog  oder  auch  eiskalten  Schaumwein. 
In  diesem  Stadium  der  äußersten  Gefahr  ist  dagegen  nichts 
einzuwenden.  Wirksamer  sind  übrigens  subkutane  Einspritzungen 
von  Coffein  oder  von  Kampfer , vgl.  S.  13,  und  namentlich  auch 
die  subkutane  Infusion  von  Kochsalzlösung,  S.  106.  Sie 
wirkt  bei  wiederholter  Anwendung  nicht  selten  ersichtlich  lebens- 
rettend, so  daß  die  Krankheit  unter  Erscheinen  des  Cholera- 
exanthems in  Genesung  übergeht.  Sobald  das  Erbrechen  nach- 
läßt, sucht  man  durch  reichliche  Zufuhr  heißer  Getränke  und 
durch  Anregung  der  Hauttätigkeit  die  Ausscheidung  der  Toxine 
zu  fördern. 

Im  Stadium  comatosum  sind  heiße  Bäder,  40 — 45 °C., 
oder  warme  Einpackungen,  S<  186,  zu  versuchen. 

12.  Ruhr,  Dysenterie. 

Die  Verhütung  der  Ruhr  gründet  sich  darauf,  daß  die 
Infektionskeime  mit  den  Ausleerungen  der  Kranken  in  den  Boden 
gelangen  und  dort  Jahre  lang  lebensfähig  bleiben  können;  man 
muß  daher  die  Verunreinigung  des  Erdbodens  möglichst  verhüten 
und  verunreinigte  Stellen  sorgfältig  desinfizieren,  durch  Ausgraben 
entfernen  usw.  Besonders  ist  auch  die  Infektion  des  Trinkwassers 
zu  vermeiden.  Die  Abgänge  sind  nach  S.  347  zu  desinfizieren. 

Die  Behandlung  der  Ruhr  besteht  zunächst  in  einer 
strengen  Diätetik.  Der  Kranke  muß  durchaus  das  Bett  hüten- 


Ruhr,  Dysenterie 


381 


und  darf  nur  flüssige  Kost  erhalten.  Am  besten  gibt  man  nur 
gekochte,  warme  Milch,  rein  oder  mit  Mondamin  oder  Kinder- 
mehl abgekocht,  mindestens  1%  1 in  24  Stunden,  ferner  Reis- 
schleim, Gerstenschleim,  Tee,  Wasserkakao,  2 — 4 Eier  täglich, 
Eiweißwasser,  Eleischsuppen,  Fleischsaft  Puro  und  dergleichen. 
Feste  Nahrung  gibt  man  erst,  wenn  die  Ausleerungen  wieder 
normal  werden  und  kein  Fieber  mehr  besteht.  Man  beginnt 
dann  etwa  mit  der  zweiten  Kost  nach  Leube,  vgl.  S.  80. 

Laue  Bäder,  33 — 35° C.,  viertelstundenlang,  ein  oder  mehr- 
mals täglich,  tun  den  Kranken  sehr  gut.  Auch  Pkiessnitz  sehe 
Umschläge  um  den  Leib  kann  man  verwenden,  wenn  die  Gefahr 
nicht  mehr  vorhanden  ist,  daß  sie  bei  den  häufigen  Entleerungen 
verunreinigt  werden.  Von  inneren  Mitteln  ist  vor  allem  das 
Rizinusöl  wichtig,  um  den  Darm  möglichst  zu  entleeren.  Nach 
dem  Befund  an  Leichen  von  Kranken,  die  mehr  als  eine  Woche 
an  schweren  Durchfällen  gelitten  hatten,  muß  ich  die  gründliche 
Reinigung  des  Darms  durch  täglich  wiederholte  Gaben  von  1 bis 
2 Eßlöffel  Rizinusöl  als  sehr  wichtig  bezeichnen.  In  den  ersten 
Tagen  kann  man  ebenso  gut  oder  vielleicht  noch  wirksamer 
Kalomel  gehen,  und  zwar  entweder  an  den  beiden  ersten  Tagen 
0,3  3 mal  täglich,  weiterhin  0,05  mehrmals  täglich,  oder  von 
Anfang  an  0,05  mehrmals  täglich,  4 — 5 Tage  hindurch.  Außer- 
dem wird  noch  oft  Radix  Ipecacuanhae  gegeben,  der  man  viel- 
fach eine  spezifische  Wirkung  zugeschrieben  hat.  Man  soll  sie 
aber  dann  nicht  im  Infus,  sondern  als  Pulver  geben,  1,0  mehr- 
mals täglich,  allein  oder  mit  Opiumtinktur  zugleich.  In  China 
und  Japan  gilt  Cortex  Simarubae  als  Spezificum,  man  gibt  ein 
Dekokt  10,0 — 15,0:150,0,  nicht  über  65°  erhitzt,  eßlöffelweise. 
Gegen  Kolik  und  Tenesmus  verordnet  man  Opiumtinktur , 
mehrmals  täglich  5 Tropfen. 

Ein  sehr  wichtiger  Teil  der  Behandlung  ist  die  örtliche 
Behandlung  des  Dickdarms.  Von  den  früher  gebräuchlichen 
Klistieren  ist  man  nach  Erfindung  der  Einläufe  abgekommen. 
Am  besten  haben  sich  große  Einläufe  mit  Tannin  bewährt,  wie 
bei  Cholera,  S.  380.  Am  besten  spült  man  zuerst  den  Darm 
mit  Wasser  von  38°  C.  aus,  dem  man  auch  Salizylsäure  l°/00 
zusetzen  kann,  und  läßt  dann  aus  dem  Irrigator  etwa  2 1 einer 
halbprozentigen  Tanninlösung  von  38 — 40°  C.  langsam  in  den 
Darm  einfließen,  vgl.  S.  111.  Das  Verfahren  wird  täglich  2 — 3 mal 
angewendet.  Womöglich  soll  die  Flüssigkeit  jedesmal  10  Minuten 
zurückbehalten  werden. 


382 


Infektionskrankheiten 


13.  Influenza. 

Die  von  Pfeiffer  entdeckten  Influenzbazillen  sitzen  im 
Nasen-  und  im  Broncbienschleim  und  werden  durch  die  beim 
Husten  und  Niesen  versprengten  Tröpfchen  und  durch  die  damit 
getränkten  Taschentücher  usw.  verbreitet.  Durch  Austrocknen 
gehen  die  Bazillen  schnell  zugrunde,  auch  im  feuchten  Auswurf 
halten  sie  sich  nur  etwa  zwei  Tage.  Die  Verbreitung  erfolgt 
immer  nur  durch  den  direkten  Verkehr  von  Personen  oder  Gegen- 
ständen, nicht  durch  Wind  oder  Staub.  Man  kann  also  durch 
geeignete  Abschließung  empfindliche  Personen  zu  schützen  ver- 
suchen und  die  Kranken  durch  Isolierung  und  Desinfektion  ver- 
hindern, die  Krankheit  weiterzutragen.  Die  geringe  Widerstands- 
fähigkeit der  Erreger  läßt  allerdings  gewöhnlich  darauf  verzichten. 

Ein  Heilmittel  für  die  Influenza  ist  nicht  bekannt.  Die 
Behandlung  beschränkt  sich  darauf,  auch  in  den  leichtesten 
Fällen  Bettruhe  und  leichteste  Kost  zu  verordnen  und  zwar 
bis  zum  Eintritt  wirklicher,  völliger  Besserung.  Reichlicher 
Genuß  von  Tee  und  anderen  heißen  Flüssigkeiten  zur  Anregung 
des  Schweißes  ist  empfehlenswert.  Bei  den  Fällen  mit  vor- 
wiegenden Magen-  und  Darmerscheinungen  gibt  man  gern  Kalomel, 
2 mal  hintereinander  in  3 stündigen  Pausen  0,3.  In  allen  übrigen 
Fällen  haben  sich  die  Antipyretica-Nervina  am  besten  bewährt, 
und  zwar  vor  allem  das  Salipyrin , stündlich  eine  Tablette  zu 
1,0,  vgl.  S.  280;  auch  Aspirin , Phenacetin , Chinin  werden  ge- 
lobt. Bei  schmerzhaftem  Husten  gibt  man  am  besten  Codein 
mit  Chinin  oder  Dionin  usw.,  nach  S.  34  f.,  bei  Herzschwäche 
Coffein  oder  Kampfer,  S.  13.  Durch  eine  rechtzeitig  eingeleitete 
Bäderbehandlung,  vgl.  S.  356f.,  kann  man  sowohl  der  Herz- 
schwäche als  den  sekundären  Pneumonien  am  besten  Vorbeugen. 


14.  Malaria. 

Die  Malaria  wird  nach  den  heutigen  Kenntnissen  nur  da- 
durch erworben,  daß  Menschen  von  Anophelesmücken  gestochen 
werden,  die  vorher  aus  dem  Blute  anderer  malariakranker  Menschen 
die  Malariaparasiten  aufgenommen  hatten.  Die  Verhütung  der 
Malaria  kann  daher  auf  drei  Wegen  vor  sich  gehen:  erstens  kann 
man  versuchen,  die  Anophelesmücken  zu  vernichten,  indem  man 
die  stehenden  Wasserflächen  mit  Petroleum  übergießt,  die  Wohnungen 


Malaria 


383 


stark  ausräuehert  (schweflige  Säure,  Formaldehyd  usw.)  und 
den  Boden  durch  Drainage  trocken  legt;  zweitens  sucht  man 
die  Gesunden  vor  dem  Mückenstich  zu  schützen,  indem  man  die 
Öffnungen  der  Häuser  durch  Moskitonetze  und  die  im  Freien 
sich  Aufhaltenden  durch  Moskitohauben  und  Moskitohandschuhe 
schützt.  Die  Versuche,  durch  Einreiben  mit  Nelkenöl,  Terpentin- 
salben und  dergleichen  die  Haut  vor  dem  Stich  zu  schützen, 
haben  sich  nicht  bewährt;  gegen  manche  Mückenarten  schützt 
Einreiben  der  unbedeckten  Haut  mit  Zitronensaft.  Endlich  drittens 
sucht  man  nach  Koch  die  Malariaparasiten  im  kranken  Menschen 
zu  vertilgen,  so  dass  die  Mücken  nicht  infiziert  werden  können; 
man  untersucht  vor  allem  das  Blut  der  Kinder  und  der  kürzlich 
zugereisten  Erwachsenen  und  gibt  den  Krankbefundenen  in  der 
fieberfreien  Zeit  täglich  1,0  Chininum  hydrochloricum  (in  Kapseln 
zu  0,5),  bis  keine  Parasiten  mehr  gefunden  werden,  dann  wird 
das  Chinin  eine  Woche  ausgesetzt,  dann  wieder  zwei  Tage  je 
1,0  Chinin  gegeben,  wieder  eine  Woche  ausgesetzt  usw.,  mindestens 
zwei  Monate  lang. 

Die  Behandlung  der  typischen  Malaria  mit  Fieberan- 
fällen besteht  darin,  daß  man  5 — 6 Stunden  vor  dem  Beginne 
des  zu  erwartenden  Fieberanfalles  innerhalb  20  Minuten  1,0 — 2,0 
Chininum  hydrochloricum  in  Kapseln  oder  in  wäßriger  Lösung 
einnehmen  läßt.  Noch  wirksamer  ist  die  subkutane  Anwendung 
von  Chininum  bihydrochloricum , 

■ Ijfc  Chinini  bihydrochl.  Zimmee  3,0 
Aq.  dest.  10,0 
D.S. 

Man  müßte  hiervon  3 Pravazspritzen  einspritzen,  1 — 2 Stunden 
vor  dem  Anfall,  aber  die  Einspritzungen  sind  nicht  ganz  schmerz- 
los. Baccelli  hat  auch  die  intravenöse  Einspritzung  versucht, 

Chinini  hydrochl.  1,0 
Natr.  chlor.  0,075 
Aq.  dest.  10,0 
M.D.S. 

Gekocht  und  filtriert  lauwarm  einzuspritzen  in  eino  Vene  der 
Ellenbeuge.  Die  Einspritzung  von  1,0  macht  nicht  selten  deut- 
liche Chininvergiftung : Ohrensausen,  Schwindel,  bitteren  Geschmack, 
Ohnmachtgefühl,  zuerst  kleinen  und  seltenen,  dann  vollen  und 
langsamen  Puls,  Angst  und  kalte  Haut,  aber  in  längstens 


384 


Infektionskrankheiten 


20  Minuten  gehen  die  Erscheinungen  von  seihst  wieder  vorüber. 
Immerhin  wird  es  sich  empfehlen,  die  Empfindlichkeit  des  Kranken 
erst  durch  eine  halbe  Einspritzung  zu  erproben.  Auch  diese  Ein- 
spritzung macht  man  1 — 2 Stunden  vor  dem  Fieberanfall. 

Wo  der  Ohiningeschmack  hindert,  gibt  man  Euchinin  oder 
Aristochin  in  der  anderthalbfachen  Dosis  des  Chinins  als  Pulver 
mit  Wasser  oder  Milch. 

Bei  chronischer  Malaria  wird  die  Chininwirkung  wesent- 
lich durch  Arsenik  unterstützt.  Man  gibt  entweder  Liquor  Kalii 
arsenicosi  oder  Acidum  arsenicosum  in  Pillen,  vgl.  S.  314,  oder 
man  gibt  Atoxyl  subkutan,  vgl.  S.  314.  Laue  Bäder  und 
namentlich  kühle  Halhhäder,  vgl.  S.  357,  unterstützen  die 
Arzneibehandlung  wesentlich.  In  schwereren  Fällen  ist  das  Ver- 
lassen der  Malariagegend  und  das  Aufsuchen  einer  Gebirgs- 
gegend ratsam. 

15.  Sepsis,  Pyämie. 

Die  Verhütung  der  septischen  Infektion  ist  deshalb  schwierig, 
weil  sie  sich  an  die  kleinsten,  ohne  Arzt  behandelten  Verletzungen 
anschließen  kann,  bei  deren  Versorgung  die  einfachsten  Gebote 
der  Reinlichkeit  vernachlässigt  werden,  von  antiseptischer  Behand- 
lung noch  weniger  die  Rede  sein  kann.  Immer  wiederholt  Be- 
lehrung darüber,  daß  nicht  „Karbol“  usw.  die  Wunden  heilt, 
sondern  daß  peinlichste  Sauberkeit  unumgänglich  ist,  kann  in 
dieser  Richtung  etwas  bessern.  Anderseits  zeigt  sich  -die  Schwierig- 
keit einer  völligen  Asepsis  auch  dem  gelernten  Chirurgen  deutlich. 

Ist  eine  Sepsis  oder  Pyämie  ausgebrochen,  so  hat  man  mit 
aller  Sorgfalt  die  Eingangstelle  aufzusuchen  und  sie  nach 
Möglichkeit  zu  desinfizieren.  Bei  den  unbedeutenden  Verletzungen, 
wie  sie  z.  B.  bei  Sektionen  infiziert  werden,  bewährt  sich  oft 
eine  kräftige  und  wiederholte  Bepinselung  mit  Jodtinktur  recht 
gut,  vermutlich,  weil  das  in  Alkohol  gelöste  Jod  gut  in  die 
Tiefe  eindringt.  In  anderen  Fällen  empfehlen  sich  besonders  Um- 
schläge mit  Lysollösung  unter  wasserdichtem  Stoff,  wodurch  die 
Haut  in  einiger  Tiefe  erweicht  wird.  Wenn  Eiterverhaltungen 
nachweisbar  sind,  müssen  sie  nach  den  Regeln  der  Chirurgie  frei- 
gelegt werden,  damit  ein  Abfluß  geschaffen  und  der  zur  Resorp- 
tion führende  Druck  aufgehoben  wird. 

Zur  Allgemeinbehandlung  ist  von  Ckede  das  Argentum 
colloidale  empfohlen  worden.  Wenn  auch  die  Ansichten  über 


Tetanus 


385 


seine  Wirksamkeit  noch  sehr  geteilt  sind,  so  muß  doch  bei  dem 
oft  hoffnungslosen  Charakter  des  Leidens  dringend  empfohlen 
werden,  in  jedem  Falle  davon  Gebrauch  zu  machen.  Es  gibt 
verschiedene  Verfahren  der  Anwendung.  Zunächst  kann  man  das 
Unguentum  Crede,  von  der  Marienapotheke  in  Dresden  hergestellt 
und  frisch  von  dort  zu  beziehen,  zu  3,0,  hei  Kindern  zu  1,0 
15  — 30  Minuten  lang  in  die  gereinigte  Haut  an  beliebiger  Stelle 
des  Körpers,  also  nicht  etwa  am  Orte  der  Infektion,  einreiben; 
die  oingeriebene  Stelle  wird  mit  Guttaperchapapier  bedeckt,  die 
Einreibung  wird  in  akuten  Fällen  täglich  1 mal,  in  chronischen 
täglich  2 mal  vorgenommen.  Die  Besserung  ist  oft  schon  nach 
einigen  Stunden  zu  bemerken.  Bei  schwerer  Sepsis  und  Pyämie 
wird  die  intravenöse  Anwendung  vorgezogen;  man  gibt  von 
einer  2 °/0  igen  Lösung  des  Argentum  colloidale  5 ccm  in  eine 
Vene  der  Ellenbeuge,  1 mal  täglich;  gewöhnlich  erfolgt  danach 
Fieberabfall  und  wesentliche  Besserung  des  Allgemeinbefindens, 
so  daß  chirurgische  Eingriffe  unnötig  werden. 

Die  symptomatische  Behandlung  bekämpft  in  erster  Linie 
das  Fieber  und  das  schlechte  Befinden  durch  Bäder  und  sorg- 
fältige Ernährung,  etwa  in  der  Weise  wie  bei  Typhus.  Strenge 
Bettruhe  ist  hier  besonders  wichtig,  auch  noch  in  der  Rekon- 
valeszenz. Man  wird  daher  gern  von  den  Bettb ädern, # vgl. 
S.  357,  Gebrauch  machen.  Von  Fiebermitteln  kommt  am  meisten 
das  Chinin  in  Frage,  in  Gaben  von  1,0 — 1,5  mehrmals  täglich. 

16.  Tetanus. 

Die  schweren  Erscheinungen  des  Tetanus  werden  durch  ein 
Gift  hervorgerufen,  das  die  von  Nicol aier  entdeckten  Tetanus- 
bazillen  absondern.  Sie  finden  sich  vielfach  in  Gartenerde, 
Staub  usw.  und  dringen  damit  in  zufällige  Wunden  ein;  besonders 
gefährlich  sind  Quetschwunden,  die  mit  bazillenhaltiger  Erde  ver- 
unreinigt wurden.  Behring  und  Kitasato  haben  gelehrt,  durch 
subkutane  Injektion  von  keimfreifiltrierten  Tetanusbazillenkulturen 
in  steigender  Dosis  Pferde  gegen  Tetanus  zu  immunisieren  und 
dadurch  ein  antitoxinreiches  Serum  zu  gewinnen.  Es  wird  fabrik- 
mäßig in  den  Farbwerken  vorm.  Meister  Lucius  & Brüning  in 
Höchst  dargestellt  und  vom  Königlichen  Institut  für  experimen- 
telle Therapie  in  Frankfurt  auf  Wirkungswert  und  Keimfreiheit 
untersucht.  Es  kann  mit  sehr  sicherer  Wirkung  als  Schutz- 
mittel gegen  Tetanuserkrankung  verwendet  werden,  indem  man 
Dornblüth,  Therapie.  25 


386 


Infektionskrankheiten 


den  Inhalt  der  Schutzdosis  flüssigen  Tetanusantitoxins,  20  Anti- 
toxineinheiten, auf  einmal  subkutan  einspritzt;  diese  Dosis  gibt 
einen  sicheren  Schutz  gegen  Infektion  mit  Tetanus  für  6-^-8  Wochen. 
Man  wendet  diesen  Schutz  an,  wenn  Verwundungen  mit  Erde, 
Straßenstauh , Stallmist  usw.  verunreinigt  sind,  die  erfahrungs- 
gemäß oft  Tetanusbazillen  enthalten;  besonders  empfiehlt  sich 
diese  Vorsichtsmaßregel  bei  größeren  Pferdeheständen.  Nach 
Calmette  kann  man  auch  das  trockene  Tetanusantitoxin 
verwenden,  indem  man  infizierte  Wunden  innerhalb  der  ersten 
beiden  Stunden  mit  geringen  Mengen  davon  bepulvert.  Der 
Heilwert  des  Antitoxins  hei  ausgebrochenem  Tetanus  hängt 
durchaus  von  der  Zeit  der  Anwendung  ah.  Sie  soll  möglichst 
unmittelbar  nach  den  ersten  Erscheinungen  vorgenommen  werden, 
man  injiziert  ein  Fläschchen  flüssiges  Antitoxin,  Heildosis,  zu 
100  Antitoxineinheiten,  auf  einmal  und  wiederholt  dies  am  folgen- 
den und  am  dritten  Tage,  immer  ganz  in  der  Nähe  der  Ver- 
wundung. Von  manchen  Autoren  wird  empfohlen,  neben  dem 
Behring  sehen  Serum  noch  das  von  Tizzoni-Cattani  anzuwenden. 

17.  Gelenkrheumatismus. 

Es  hat  sich  in  den  letzten  Jahren  herausgestellt,  daß  der 
akute  Gelenkrheumatismus,  der  schon  länger  als  eine  akute  In- 
fektionskrankheit aufgefaßt  werden  mußte,  wahrscheinlich  in  den 
meisten  Fällen  eine  akute  Infektion  mit  Staphylokokken  dar- 
stellt, die  entweder  soeben  und  zufällig  in  den  Organismus  ein- 
gedrungen sind,  öfters  aber  in  irgend  welchen  Eiterherd chen  im 
Körper  schon  gesessen  haben.  Als  Lieblingsitze  dieser  Herde 
sind  die  Mandeln,  der  Nasenrachenraum,  das  Mittelohr,  die  Harn- 
röhre, die  Zervix  zu  betrachten,  aber  auch  Bronchiektasien,  Peri- 
proktitis, Furunkel  usw.  können  als  Ausgangpunkt  dieser  pyämischen 
Prozesse  dienen,  die  teils  die  Gelenke,  teils  von  vornherein  oder 
sekundär  das  Endokardium,  das  Perikardium,  die  Pleura, 
das  Peritoneum,  vielleicht  auch  die  weichen  Hirnhäute  be- 
fallen. Die  Neigung  zu  solchen  Erkrankungen  wird  durch  den 
Aufenthalt  in  ungesunden,  namentlich  in  feuchten  Wohnungen 
und  durch  Beschäftigung  in  feuchter  Umgehung  gesteigert.  Die 
Verhütung  der  Krankheit  hat  daher  einerseits  darin  zu  bestehen, 
daß  alle  derartigen  Eiterherdchen  im  Körper  möglichst  frühzeitig 
entfernt  werden,  daß  man  eiterhaltige  Mandeln  und  Rachenmandeln 
herausnimmt,  Entzündungen  sorgfältig  behandelt  usw.,  anderseits 


Gelenkrheumatismus 


387 


darin,  daß  die  Angehörigen  besonders  zu  Erkältungen  disponieren- 
der Berufszweige  usw.  teils  durch  Abhärtung,  vgl.  S.  350,  teils 
durch  wollene  Unterkleidung  usw.  geschützt  werden. 

Zur  Behandlung  der  Krankheit  ist  neuerdings  eine  Serum- 
behandlung  vorgeschla^en,  doch  ist  darüber  noch  nichts  Sicheres 
zu  sagen.  Vorläufig  darf  man  an  der  spezifischen  Wirkung  der 
Salizylpräparate  und  verwandter  Mittel  festhalten. 

Jeder  Rheumatismuskranke  gehört  ins  Bett,  einerlei  ob  er 
fiebert  oder  nicht.  Die  Zimmerwärme  muß  recht  gleichmäßig  auf 
17 — 19°  C.  gehalten  werden,  der  Kranke  darf  auch  nicht  von 
direktem  Luftzug  getroffen  werden,  beim  Lüften  muß  er  besonders 
geschützt  werden.  Frische  Luft  und  Sonnenschein  sind  aber 
reichlich  zuzulassen.  Die  Glieder  müssen  so  liegen,  daß  die  Ge- 
lenke nicht  schmerzen,  nötigenfalls  ist  dies  durch  wattegepolsterte 
Schienen  zu  bewirken.  Je  weniger  schmerzhafte  Bewegungen  ein- 
treten,  um  so  eher  erfolgt  die  Heilung.  Die  Ernährung  be- 
schränkt sich  im  Fieber  auf  flüssige  Kost,  vgl.  S.  377,  sonst  kann 
leicht  verdauliche  gemischte  Kost  gereicht  werden. 

Das  beste  Arzneimittel  ist  das  Natrium  salicylicum;  in  der 
Wirkung  kommt  ihm  am  nächsten  das  Aspirin , das  ihm  im 
ganzen  durch  geringere  Nebenwirkungen  überlegen  ist.  Man  gibt 
von  dem  Natrium  salicylicum  stündlich  0,5 — 1,0,  Erwachsenen 
bis  10,0  pro  die,  Kindern  bis  zu  6 Jahren  5,0  pro  die,  2jährigen 
Kindern  2,0  pro  die,  entweder  in  Pulvern  oder  Kapseln  zu  0,5 
oder  in  wäßriger  Lösung,  5,0 — 10,0:150,0,  eßlöffelweise  in 
Wasser  oder  Selterwasser  zu  nehmen,  rein  oder  mit  einem  Zusatz 
von  Succus  Liquiritiae  5,0 — 10,0:150,0  als  Korrigens.  Der 
süßliche  Geschmack  wird  dadurch  noch  am  besten  verdeckt.  Mit 
dem  Abnehmen  des  Fiebers  und  der  Schmerzen  gibt  man  kleinere 
und  seltenere  Dosen,  3,0 — 5,0  pro  die,  einige  Tage  hindurch. 
Manche  halten  es  für  besser,  im  Beginn  einige  größere  Dosen  zu 
geben,  z.  B.  abends  in  1 — 2stündigen  Zwischenräumen  3 mal 
3,0  — 4,0.  Jedenfalls  muß  dann  erst  die  Empfindlichkeit  erprobt 
werden ; es  scheint  auch,  als  ob  die  grösseren  Gaben  zwar  schneller 
das  Fieber  beseitigen,  aber  leichter  Rückfälle  eintreten  lassen. 

Das  Aspirin  oder,  was  dasselbe  in  billigerer  Form  ist,  die 
Acetylsalizylsäure  gibt  man  in  Tabletten  zu  0,5,  die  mit  etwas 
Wasser  hinuntergespült  werden.  Man  gibt  Erwachsenen  täglich 
6 — 8 Tabletten,  Kindern  3 — 4,  nicht  auf  leeren  Magen. 

In  Ausnahmefällen  wirken  diese  Mittel  nicht  deutlich  oder 
werden  schlecht  vertragen,  bewirken  starkes  Ohrensausen,  Schwindel, 

25* 


388 


Infektionskrankheiten 


auffällig  tiefe  Atmung,  scharlachartige  Exantheme.  Dann  ersetzt 
man  sie  durch  andere  Mittel,  insbesondere  durch  Anti'pyrin  oder 
noch  besser  Pyramidon,  6 — 10  mal  täglich  0,5,  oder  durch  Sali- 
pyrin,  6 mal  täglich  1,0. 

Bei  dem  sogenannten  hyperpyretischen  Gelenkrheuma- 
tismus pflegen  alle  genannten  Mittel  zu  versagen.  Am  meisten 
erreicht  man  dabei  mit  antipyretischen  Bädern,  nach  S.  35 6 f., 
außerdem  wird  man  die  CitEDESche  Silberbehandlung  wie  bei 
Pyämie,  vgl.  S.  385,  versuchen. 

In  den  letzten  Jahren  hat  man  gelernt,  daß  die  innerliche 
Salizylbehandlung vielfach  mit Y orteil  durch  äußereAnwendung 
resorbierbarer  Salizylmittel  ersetzt  werden  kann.  Man  ver- 
wendet dazu  entweder  Mesotan,  den  Metoxymethylester  der  Salizyl- 
säure, mit  gleichen  Teilen  Olivenöl  gemischt,  3 mal  täglich  1 Tee- 
löffel voll  an  den  kranken  Gelenken  einreiben,  oder  Salit,  ebenso 
anzuwenden,  oder  man  pinselt  mit  folgender  Lösung: 

Ijfc  Glycosali  200,0 
Spiriti  1000,0 
Glycerini  20,0 

M.D.S.  Täglich  50,0 — 100,0  einpinseln. 

Über  die  Dauerwirkung  der  äußeren  Behandlung  ist  noch 
nichts  abschließendes  bekannt.  Jedenfalls  zieht  man  sie  mit  Vor- 
teil heran,  ganz  besonders,  wenn  die  innerliche  Behandlung  nicht 
gut  genug  wirkt. 

Wenn  die  Schmerzhaftigkeit  der  Gelenke  nachläßt,  besonders 
auch  in  den  sich  länger  hinziehenden  Pällen,  wendet  man  mit 
gutem  Erfolge  Bäder  an.  Am  besten  bewähren  sich  Solbäder, 
vgl.  S.  241,  2 — 3 mal  in  der  Woche.  Am  besten  sind  Vollbäder, 
fehlt  es  aber  an  den  Einrichtungen,  so  kann  man  für  einzelne 
Gelenke  auch  mit  örtlichen  Bädern  auskommen,  so  für  die  Hand- 
und  Fuß-,  Finger-  und  Zehengelenke.  Diese  nimmt  man  gewöhn- 
lich 35 — 38°  0.  warm,  ebenfalls  mit  Zusatz  von  Badesalz  oder 
Kochsalz. 

Die  Gelenkerkrankungen,  die  sich  an  Scharlach,  Gonorrhöe 
usw.  anschließen,  werden  durch  die  vorhin  angegebene  Behandlung 
gewöhnlich  nicht  beeinflußt.  Man  beschränkt  sich  dabei  jedenfalls 
auf  die  äußerliche  Behandlung.  Beim  gonorrhoischen  Rheumatis- 
mus legt  man  entweder  Spirituskompressen  mit  darüb  erliegendem 
wasserdichten  Stoff  an,  oder  man  reibt  20°/oige  Ichthyollösung 


Wutkrankheit  389 

ein.  Auch  die  Bestrahlung  mit  Bogenlicht  und  blauem  Glühlicht 
wird  empfohlen. 

Der  chronische  Gelenkrheumatismus  und  die  Arthritis 
deformans  werden  durch  die  Salizylpräparate  und  andere  Mittel, 
die  beim  akuten  Gelenkrheumatismus  wertvoll  sind,  fast  garnicht 
berührt,  Als  symptomatische  Mittel  stehen  hier  die  reizenden 
Einreibungen  obenan:  Bepinselung  mit  Jodtinktur , Ichtliyolvasogen, 
Naftalan,  Einreibung  mit  Senfspiritus , Opodeldok,  Petroleum  und 
die  Massage  überhaupt.  Wirkliche  Heilerfolge  erzielt  man  mit 
allen  diesen  Mitteln  nicht,  sondern  nur  mit  Bädern,  die  den 
Allgemeinzustand  bessern.  Außer  den  Thermal-  und  Solbädern, 
vgl.  S.  239  ff.,  und  den  Moorbädern,  S.  248  f.,  kommen  auch 
einfache  Wasserbäder  in  Frage,  nach  Lenhartz  namentlich  in 
der  Form  der  permanenten  Wasserbäder,  wobei  die  Kranken 
4 — 6 Wochen  lang  im  Dauer  bade  von  37°  C.  verbleiben;  sobald 
deutliche  Besserung  eingetreten  ist,  läßt  man  eine  milde  Ab- 
härtungskur eintreten,  vgl.  S.  350.  Die  vielfach,  namentlich  von 
Laien  selbst  verordneten  Dampf-  und  Heißluftbäder  sind  in 
den  letzten  Jahren  schon  erheblich  durch  die  Elektrisch-Licht' 
Bäder,  vgl.  S.  265  ff.,  verdrängt  worden,  die  wohl  das  beste 
bisher  bekannte  Heilmittel  für  den  chronischen  Gelenkrheumatis- 
mus darstellen.  Für  die  Erkrankung  einzelner  Gelenke  leistet 
auch  die  Heißluftbehandlung  nach  Tallerman  oder  mit  dem 
Lindemann  sehen  Elektrotherm  sehr  Gutes.  In  den  schwersten 
Fällen  kommt  die  orthopädische  oder  chirurgische  Behand- 
lung in  Frage. 


18.  Wutkrankheit. 

Die  durch  den  Biß  wutkranker  Hunde  und  anderer  Tiere 
auf  den  Menschen  übertragbare  Wutkrankheit  ist  in  Deutschland 
eine  seltene  Krankheit,  weil  Hundesteuer  und  Vertilgung  herren- 
loser Hunde  die  Gefahr  vermindern  und  Hundesperre  in  gefähr- 
deten Gebieten  einen  weiteren  Schutz  gewährt.  Ist  trotzdem 
jemand  von  einem  wutkranken  Hunde  gebissen  worden,  so  muß 
die  Wunde  möglichst  bald  mit  einem  rotglühenden  Paquelin- 
brenner  ausgebrannt  werden.  Die  Erkrankung  wird  dadurch  zwar 
nicht  immer  verhindert,  aber  ihr  Eintreten  wird  so  verzögert, 
daß  die  Pasteur  sehe  Schutzimpfung  viel  bessere  Aussichten  hat. 
Vor  dem  Ausbrennen  wird  die  Wunde  nach  Möglichkeit  abgespült 
und  gereinigt. 


390 


Infektionskrankheiten 


Das  PASTEUKSche  Verfahren,  vgl.  S.  353,  wird  seit  1898 
auch  in  Berlin  im  Königlichen  Institut  für  Infektionskrankheiten 
ausgeübt,  und  es  ist  in  allen  Fällen  zu  empfehlen,  die  Gebissenen 
möglichst  bald  dahin  zu  schicken,  da  der  Erfolg  durchaus  yon 
der  rechtzeitigen  Schutzimpfung  abhängt.  2 — 3 Wochen  vor  dem 
voraussichtlichen  Eintritt  der  Krankheitzeichen  muß  die  Impfung 
vorgenommen  werden,  wenn  sie  etwas  nützen  soll,  und  dieser 
Eintritt  hängt  von  der  Virulenz  des  Bisses  ab.  Sie  ist  namentlich 
bei  Wolfsbissen  oft  so  groß,  daß  die  Krankheit  schon  2 — 3 Wochen 
nach  dem  Bisse  auftritt. 

Die  ausgebrochene  Krankheit  ist  unheilbar;  die  Anfälle 
kann  man  nach  Penzoldt  durch  große  Dosen  Curare  subkutan 
lindern.  Wegen  der  großen  Verschiedenheit  der  Präparate  benutzt 
man  am  besten  das  Curarinum  purissimum  Boehm-Merck, 

Ijfc  Curarini  puriss.  0,03 
Aq.  dest. 

Glycerini  ana  5,0 

M.D.S.  Vi0 — 1 Spritze  subkutan. 

Außerdem  sind  auch  regelmäßige  halbstündliche  Gaben  von 
Chlor alhydrat,  vgl.  S.  31,  1,0 — 2,0  pro  dosi,  empfohlen  worden. 


19.  Trichinosis. 

Die  Verhütung  der  Trichinenkrankheit  besteht  in  einer 
guten  Fleischbeschau  und  darin,  daß  man  kein  ungekochtes 
oder  ungenügend  geräuchertes  Schweinefleisch  genießt. 

Kommt  ein  mit  Trichinen  Infizierter  bald  nach  dem  Genuß 
des  Fleisches  in  Behandlung,  so  sucht  man  durch  Magenaus- 
spülung, durch  reichliche  Gaben  von  Kalomel  oder  von  Rizinusöl, 
vgl.  S.  127,  oder  auch  von  beiden  Mitteln,  und  durch  große 
Darmausspülungen,  S.  135  f.,  möglichst  viel  von  der  Brut 
hinauszuschaffen.  Diese  Behandlung  ist  noch  längere  Zeit  hin- 
durch immer  wieder  aufzunehmen,  da  die  im  Darm  reif  gewordenen 
Trichinen  noch  wochenlang  dort  ihre  Embryonen  absetzen.  Nach 
dem  Abführmittel  gibt  man  am  besten  das  von  Fiedler  em- 
pfohlene Glyzerin  in  großen  Gaben,  150,0 — 200,0  reines  Glyzerin 
gleich  nacheinander.  Nach  der  Beobachtung,  daß  Schnapstrinker 
von  Trichinose  verschont  bleiben  und  bei  gemeinsamem  Verzehren 
trichinösen  Fleisches  die  weniger  erkrankten,  die  Alkohol  dazu 


Schanker  und  Syphilis  391 

genossen  hatten,  wird  auch  geraten,  große  Mengen  Kognak  zu 
geben,  bis  zu  250  ccm  am  Tage. 

Einer  symptomatischen  Behandlung  bedürfen  verschiedene 
Erscheinungen  der  Krankheit,  vor  allem  die  allgemeine  Mattig- 
keit und  die  Muskelschmerzen.  Am  meisten  helfen  dagegen 
laue  Bäder,  35 0 0.  halbstundenlang  und  länger,  mehrmals  täg- 
lich, Pyramidon  und  andere  Antineuralgica  und  im  Notfälle 
subkutane  Einspritzungen  von  Morphium,  vgl.  S.  107.  Auch  bei 
den  Kardialgien  und  Atmungstörungen  ist  man  oft  auf 
Narkotika  angewiesen.  Besonders  wird  dafür  Tinctura  Opii  ben- 
zoica  empfohlen,  30  — 60  Tropfen  1 — 2 stündlich.  Durch  Glottis- 
ödem  kann  Tracheotomie  oder  Intubation  nötig  werden, 
vgl.  S.  68  f. 


20.  Schanker  und  Syphilis. 

Für  die  Verhütung  der  Schanker-  und  der  Syphilisinfek- 
tion gilt  das  S.  203  ff.  über  die  Verhütung  der  Gonorrhöe  Ge- 
sagte. Die  dort  angegebenen  direkten  Schutzmittel  bei  verdächtigem 
Verkehr  troffen  für  den  weichen  Schanker  zu,  weil  es  sich 
dabei  um  eine  örtliche  Krankheit  der  Geschlechtsteile  handelt, 
wogegen  man  sich  durch  Waschungen,  Desinfektion,  Kondom  usw. 
schützen  kann.  Bei  der  Syphilis  ist  der  Schutz  viel  schwieriger, 
weil  sie  auch  extragenital  erworben  werden  kann.  Die 
Syphilis  insontium,  wo  Unschuldige  die  Krankheit  durch  harmlose 
Küsse,  durch  gemeinsam  benutztes  Trinkgeschirr,  durch  ungereinigte 
ärztliche  Instrumente  und  Arzte  sie  durch  die  Berufstätigkeit  erwerben, 
legt  davon  deutlich  Zeugnis  ab.  Es  kann  daher  nicht  oft  genug 
die  Pflicht  betont  werden,  durch  Untersuchung  der  Prostituierten, 
die  als  Hauptquelle  zu  betrachten  sind,  durch  ernsteste  Belehrung 
und  durch  sorgfältigste  Behandlung  aller  Kranken  dem  schweren 
Übel  so  viel  wie  möglich  Abbruch  zu  tun.  Mag  man  über  die 
Reglementierung  der  Prostitution  denken  wie  man  will,  ihre 
Aufhebung  wäre  gleichbedeutend  mit  einer  Aussaat  von  Syphilis 
ohnegleichen. 

Die  früher  nicht  seltene  Übertragung  von  Syphilis  durch 
Impfung  von  Arm  zu  Arm  ist  seit  der  Einführung  der  animalen 
Lymphe  aus  der  Welt  geschafft  worden,  dagegen  kommt  auch 
heute  noch  immer  wieder  die  Infektion  gesunder  Ammen  durch 
hereditär-syphilitische  Kinder  vor.  Solche  Kinder  dürfen  nur  von 
der  eigenen  Mutter  gestillt  oder  künstlich  ernährt  werden. 


392 


Infektionskrankheiten 


Eine  sehr  wichtige  Frage  ist  die  der  Heirat  Syphilitischer. 
Vom  theoretischen  Standpunkte  aus  sollte  man  ihnen  die  Heirat 
ein  für  allemal  verbieten,  denn  man  hat  schließlich  niemals  eine 
Sicherheit,  daß  keine  Erscheinungen  mehr  zum  Vorschein  kommen 
oder  daß  die  Krankheit  nicht  die  Kinder  schädigt  oder  Abor- 
tus  usw.  der  Frau  herbeiführt.  Anderseits  läßt  sich  mit  Be- 
stimmtheit sagen,  daß  die  Syphilis  des  Mannes  im  tertiären 
Stadium  weder  ansteckend  noch  auf  die  Kinder  übertragbar  ist, 
man  hat  also  dann  nur  mit  einer  gewissen  Invalidität,  mit  der 
Gefahr  schwererer  Späterkrankungen  für  Leben  und  Gesundheit 
des  Mannes  selbst  zu  rechnen,  und  es  wird  Sache  der  Eheschließen- 
den sein,  sich  damit  abzufinden.  Im  sekundären  Stadium  ist 
die  Syphilis  dagegen  immer  als  ansteckend  zu  betrachten,  auch 
wenn  keine  manifesten  Erscheinungen  vorhanden  sind.  Eine 
sichere  Zeitangabe  läßt  sich  dabei  leider  nicht  geben.  3 Jahre 
nach  der  Infektion  ist  jedenfalls  der  kürzeste  Zeitraum,  vor- 
sichtiger ist  es,  ihn  länger  auszudehnen,  und  zwar  namentlich 
dann,  wenn  nicht  eine  genügende  Behandlung  in  dem  gleich  dar- 
zulegenden Sinne  stattgefunden  hat.  Leichtes  Auftreten  der 
Krankheit  und  Fehlen  von  sichtbaren  Erscheinungen  ist  jedenfalls 
kein  Grund,  den  Zeitraum  abzukürzen,  im  Gegenteil  wird  man 
um  so  vorsichtiger  sein,  weil  dann  die  Gefahr  schwerer  Spät- 
und  Nachkrankheiten  droht.  Am  besten  wird  man  tun,  5 — 6 Jahre 
nach  der  Infektion  warten  zu  lassen.  Der  Arzt  soll  nach  Kräften 
dafür  sorgen,  daß  die  künftige  Ehefrau  von  der  Krankheit  ihres 
Mannes  unterrichtet  wird  und  selbst  entscheiden  kann,  ob  sie  die 
Gefahr  auf  sich  nehmen  oder  lieber  warten  will.  Der  Hausarzt 
eines  jungen  Mädchens,  das  sich  verloben  oder  verheiraten  will, 
hat  die  Eltern  in  zarter  Weise  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
daß  sie  es  ihrem  Kinde  schuldig  sind,  sich  über  die  Gesundheit 
des  künftigen  Gatten  zu  unterrichten,  um  Unheil  für  später  zu 
vermeiden. 

Die  Behandlung  des  weichen  Schankers  sucht  den  ein- 
gedrungenen Infektionskeim  nachdrücklichst  zu  zerstören.  Die 
Exzision  hat  sich  dazu  nicht  bewährt,  auch  die  Zerstörung  mit 
dem  Thermokauter  oder  mit  dem  Galvanokauter  kann 
höchstens  in  den  ersten  2 — 3 Tagen  das  Leiden  abschneiden.  In 
den  meisten  Fällen  ist  es  daher  am  besten,  durch  einfache  Rein- 
haltung des  Geschwürs  die  Heilung  einzuleiten.  Am  besten  hat 
sich  dazu  das  Jodoform  bewährt,  das  man  grob  gepulvert  auf 
das  mit  einer  antiseptischen  Lösung  gereinigte  Geschwür  aufstreut; 


Schanker  und  Syphilis 


393 


unter  der  Vorhaut  genügt  eine  reichliche  Jodoformschicht,  im 
Harnröhreneingang  wendet  man  lieber  Jodoformstäbchen  an,  auf 
der  Außenfläche  des  Gliedes  legt  man  einen  kleinen  Verband  an. 
Um  den  unangenehmen  und  durchdringenden  Geruch  des  Jodo- 
forms zu  vermeiden,  kann  man  statt  dessen  auch  Aristol , Der- 
matol, Sozojodolnatrium  verwenden.  Wenn  das  Geschwür  eine 
glatte  granulierende  Fläche  zeigt,  kann  man  mit  Salben  aus 
Dermatol  usw.  weiterbehandeln. 

Bei  dem  brandigen  Schanker  muß  man  das  Geschwür  mit 
dem  scharfen  Löffel  auskratzen  oder  mit  dem  Thermo- 
kauter ausbrennen,  bis  in  alle  Winkel  und  Gänge  hinein,  oder 
mit  1 0 °/0  iger  Chlorzinklösung  ätzen.  Strenge  Bettruhe  und 
Vorsicht  wegen  der  zuweilen  ein  tretenden  starken  Blutungen  sind 
dringend  geboten. 

Die  Lymphdrüsenentzündung,  der  Bubo,  muß  vom  ersten 
Auftreten  an  mit  strenger  Bettruhe  und  Auflegen  eines  Eisbeutels 
behandelt  werden.  Man  kann  außerdem  noch  die  geschwollene 
Gegend  mit  Jodtinktur  bepinseln.  Wenn  die  Entzündung  sich 
ausdehnt  oder  gar  Fluktuation  erscheint,  wird  am  besten  die 
Totalexstirpation  der  Drüse  mit  nachfolgender  Naht  und 
Drainage  vorgenommen.  Auch  bei  schon  eingetretenem  Durch- 
bruch wird  dadurch  oft  Heilung  per  primam  erzielt.  Ist  die 
Operation  nicht  durchführbar,  so  sucht  man  durch  warme  Um- 
schläge die  Vereiterung  der  Drüsen  zu  beschleunigen  und  zu 
vollenden,  um  dann  den  Eiter  durch  einen  langen  Einschnitt  und 
durch  Ausspülung  mit  antiseptischen  Lösungen  zu  entleeren  und 
die  Höhle  zu  tamponieren.  Vor  der  Vereiterung  kann  man 
übrigens  auch  noch  einen  Versuch  mit  der  Abortivmethode  nach 
Lang  machen:  man  macht  an  der  tiefsten  Stelle  einen  Einstich 
mit  dem  Bistouri,  drückt  den  Eiter  aus  und  füllt  die  Höhlung 
mit  einer  Pravazspritze  mit  0,5 — 1 °/0  iger  Lösung  von  Argentum 
nitricum.  Alle  2 — 3 Tage  wird  das  Verfahren  wiederholt,  zwischen- 
durch legt  man  einen  leichten  Verband  auf. 

Der  harte  Schanker  wird  am  besten  durch  Ausschnei- 
dung entfernt.  Zwar  ist  zu  der  Zeit,  wo  die  Diagnose  des 
harten  Schankers  sicher  wird,  schon  mit  Sicherheit  eine  weitere 
Infektion  erfolgt  — ausgenommen  die  Fälle,  wo  die  syphilitische 
Infektion  durch  die  Quelle  sicher  ist  — , aber  man  tut  doch  gut, 
was  etwa  noch  da  ist,  zu  entfernen.  Man  klemmt  die  Sklerose 
und  einen  möglichst  großen  Teil  der  gesunden  Umgebung  in  eine 
gefensterte  Pinzette,  wie  sie  in  der  Augenheilkunde  üblich  sind, 


394 


Infektionskrankheiten 


und  trägt  am  Rande  der  Pinzette  ab.  Dabei  wird  am  besten 
die  Infektion  der  Schnittfläche  mit  dem  Saft  der  Sklerose  ver- 
mieden. Die  Wunde  wird  vernäht  und  antiseptisch  verbunden. 
Jedenfalls  macht  man  die  Ausschneidung  so  früh  wie  möglich, 
auch  auf  die  Gefahr  einer  Verwechselung  mit  weichem  Schanker 
hin.  Zuweilen  ist  sie  freilich  wegen  des  Sitzes  des  Schankers 
unmöglich,  dann  muß  man  darauf  verzichten  und  die  Sklerose 
symptomatisch  behandeln:  bei  Geschwürsbildung  Bestreuen  mit 
Jodoform , Aristol,  Dermatol , Sozojodolnatrium  usw.,  bei  einfacher 
Verhärtung  Bedecken  mit  Emplastrum  Hydrargyri.  Eine  All- 
gemeinbehandlung, bevor  Sekundärerscheinungen  vorhanden 
sind,  ist  strengstens  zu  vermeiden,  weil  dadurch  der  weitere 
Verlauf  der  Krankheit  ungünstiger  wird,  man  darf  sich  also 
nicht  durch  die  Ungeduld  oder  Ängstlichkeit  der  Kranken  dazu 
verleiten  lassen. 

Die  Allgemeinbehandlung  der  Syphilis  beginnt  mit  dem 
Erscheinen  der  sekundären  Symptome,  also  gewöhnlich  der  Roseola, 
mit  dem  allein  wirksamen  und  bei  richtiger  Anwendung  völlig 
unschädlichen  Mittel,  dem  Quecksilber.  Es  ist  unwiderruflich 
festgestellt,  daß  die  von  den  Arzneigegnern  dem  Quecksilber  zu- 
geschriebenen „Vergiftungszeichen“  tatsächlich  nichts  sind  als 
Spätformen  der  Syphilis,  die  sich  mit  Vorliebe  bei  den  gar  nicht 
oder  nur  unvollkommen  mit  Quecksilber  behandelten  Kranken 
einstellen,  durch  ausreichende  Quecksilberbehandlung  aber  vermieden 
werden  können.  Für  den  dauernden  wirklichen  Heilerfolg  ist  es 
entscheidend,  daß  das  Mittel  konsequent  angewendet  wird,  nicht 
nur  dann,  wenn  Erscheinungen  der  Krankheit  dazu  auffordern, 
sondern  während  der  ersten  zwei  oder  drei  Jahre  3-  oder  4 mal 
jährlich,  im  ganzen  6 — lOmal:  intermittierende  Behandlung 
nach  Fournier,  Neisser  u.  a. 

Die  einzelne  Quecksilberkur  kann  endermatisch,  hypo- 
dermatisch  und  innerlich  vorgenommen  werden. 

1.  Die  endermatische  Methode  besteht  in  der  Einreibung 
von  Quecksilbersalbe  in  die  Haut,  der  sogenannten  Schmierkur. 
Nach  den  heutigen  Ansichten  handelt  es  sich  dabei  nicht  um  eine 
Resorption  von  Quecksilber  durch  die  Haut,  sondern  um  Ein- 
atmung des  von  der  Haut  verdunstenden  Quecksilbers.  Früher 
wurde  die  Resorption  u.  a.  deshalb  angenommen,  weil  das  Hg 
schon  24  Stunden  nach  der  Einreibung  im  Harn  nachweisbar  sein 
kann,  aber  das  kann  natürlich  ebensowohl  durch  die  Einatmung 
erklärt  werden.  Man  verwendet  meistens  das  offizineile  Unguentum 


Syphilis 


395 


Hydrargyri  cinereum.  Sehr  gut  ist  das  Präparat  der  chemischen 
Fabrik  Helfenberg  in  Sachsen,  wobei  das  Quecksilber  mit  eigenen 
Maschinen  sehr  fein  verrieben  und  die  Feinheit  der  Verreibung 
mikroskopisch  kontrolliert  wird.  Man  verschreibt  die  Salbe  in 
Päckchen  zu  2,0 — 4,0  oder  in  fabrikmäßig  hergestellten  Globulis 
von  derselben  Stärke,  mit  Oleum  Cacao  überzogen,  oder  endlich 
in  graduierten  Tuben,  woraus  man  jedesmal  die  bestimmte  Menge 
herausdrückt.  Statt  des  offiziellen  Unguentum  verordnet  man 
auch  das  Quecksilberresorbin,  331/2-  oder  50 °/0 ig,  grau  oder  durch 
Zinnoberzusatz  rot  gefärbt  (um  das  Odium  der  grauen  Salbe  zu 
vermeiden)  in  graduierten  Glastuben,  oder  das  Sapolentum  Hydrar- 
gyri Görner,  eine  Quecksilberseifensalbe  mit  33,3  °/0  Hg.  Alle 
diese  Präparate  werden  in  der  bestimmten  Dosis,  die  sich  nament- 
lich nach  dem  Kräftezustand  des  Patienten  richtet,  oder  auch 
danach,  ob  es  sich  um  eine  Hauptkur  oder  um  eine  Neben  kur 
handelt,  s.  u.,  in  einer  bestimmten  Reihenfolge  eingerieben,  den 
1.  Tag  am  linken  Arm,  den  2.  am  rechten  Arm,  den  3.  am 
linken  Unterschenkel,  den  4.  am  rechten  Unterchenkel,  dann  am 
linken  und  am  rechten  Oberschenkel.  Am  5.  Tage  oder  etwas 
seltener  läßt  man  statt  der  Einreibung  ein  Vollbad  von  35°  0. 
mit  nachfolgender  halbstündiger  Einwicklung  in  wollene  Decken 
nehmen.  Zu  einer  Kur  gehören  30  Einreibungen;  der  Patient 
kann  sie  selbst  vornehmen,  besser  ist  es,  wenn  ein  geübter  Ein- 
reiber sie  ausführt.  Es  muß  jedesmal  etwa  15  Minuten  ununter- 
brochen gerieben  werden,  bis  die  Haut  nicht  mehr  fettglänzend, 
sondern  mattgrau  aussieht.  Nach  der  Einreibung  wird  baum- 
wollenes oder  wollenes  Unterzeug  angezogen , damit  die  Haut 
warm  bedeckt  bleibt. 

Im  ganzen  hat  die  Einreibetechnik  durch  die  Erfahrung,  daß 
das  Hg  wesentlich  auf  dem  Wege  der  Einatmung  wirkt,  an  Be- 
deutung verloren.  Zuerst  hat  Wel ander  gezeigt,  daß  man  das- 
selbe erreicht  wie  mit  der  Einreibung,  wenn  man  die  Salbe  nur 
aufstreichen  und  den  bestrichenen  Teil  mit  Leinwand  bedecken 
läßt.  Auch  Lessee,  hat  sich  überzeugt,  daß  dabei  dasselbe  erreicht 
wird  wie  bei  den  Einreibungen;  er  läßt  jedesmal  3,0  auf- 
streichen und  zwar  abends  vor  dem  Schlafengehen,  weil  die  Ver- 
dunstung durch  die  Bettwärme  begünstigt  wird. 

Noch  mehr  auf  die  Einatmung  berechnet  ist  die  von  Blaschko 
und  Schuster  empfohlene  Behandlung  mit  dem  Merkolintschurz, 
den  Beiersdorf  & Co.  anfertigen.  Es  wird  dabei  ein  mit  feinst 
verteiltem  Quecksilber  imprägnierter  Barchentschurz  über  Brust 


396 


Infektionskrankheiten 


und  Rücken  gehängt  und  durch  Bänder  befestigt;  er  ist  in 
5 Stärken  im  Handel,  Nr.  00  mit  5 g Hg  und  Nr.  0 mit  10  g Hg 
für  Kinder,  Nr.  1 mit  10  g Hg,  Nr.  2 mit  25  g Hg  und  Nr.  3 
mit  50  g Hg  für  Erwachsene.  Die  Wirkung  ist  auch  hierbei 
sehr  gut,  wenn  auch  vielleicht  etwas  schwächer  als  bei  den  vorher 
angegebenen  Verfahren,  man  macht  daher  von  der  bequemen  und 
unauffälligen  Methode  besonders  zu  Zwischenkuren  Gebrauch. 

Als  Nebenwirkung  aller  Quecksilberkuren  ist  die  Stomatitis 
mercurialis  zu  erwähnen,  die  von  der  einfachen  Schwellung  und 
Rötung  des  Zahnfleisches  bis  zu  den  schwersten  geschwürigen 
Entzündungen  der  Mundhöhle  führen  kann,  gewöhnlich  unter 
gleichzeitigem  Speichelfluß.  Sie  wird  mit  großer  Sicherheit  ver- 
hütet durch  eine  rechtzeitige  Mundpflege.  Vor  dem  Beginn 
der  Kur  müssen  die  Zähne  durch  einen  Zahnarzt  nachgesehen  und 
in  Ordnung  gebracht  werden,  und  vom  ersten  Tage  an  müssen 
die  Zähne  mindesten  3 mal  täglich,  nach  jeder  erheblicheren  Mahl- 
zeit, gebürstet  und  der  Mund  10 — 12  mal  täglich  ausgespült 
werden.  Zum  Zähneputzen  verwendet  man  schwache  Lösungen 
von  Wasserstoffperoxyd,  einige  Tropfen  des  Merck  sehen  Perhydrols 
auf  ein  Glas  Wasser,  oder  Odol  in  der  bekannten  Weise,  und  wenn 
schon  eine  Entzündung  besteht,  die  Beiersdorf  sehe  50°/0ige 
Kalium- chlor icum- Zahnpasta.  Das  Rauchen  ist  ganz  zu  unterlassen 
oder  wenigstens  auf  das  äußerste  einzuschränken  und  durch  doppelt 
sorgfältige  Mundpflege  wieder  auszugleichen.  Die  Stomatitis  ist 
übrigens  entschieden  seltener  geworden,  seit  man  den  Kranken 
eine  normale  gemischte  Kost  an  Stelle  der  früher  verordneten 
Hungerkur  zugesteht.  Auch  der  regelmäßige  Genuß  frischer  Luft 
durch  Ausgehen  und  die  Fürsorge  für  gute  Luft  im  Kranken- 
zimmer ist  für  das  Gesamtbefinden  und  für  den  Erfolg  wichtig. 

Die  Einreibungskuren  haben  in  manchen  Fällen  den  besonderen 
Nachteil,  daß  Quecksilberekzeme  auf  der  Haut  entstehen.  Wenn 
diese  Reizungen  erheblicher  sind,  muß  die  befallene  Gegend  von 
der  nächsten  Einreibung  verschont  bleiben.  Ebenso  steht  es,  wenn 
sich  ausgedehnte  Erytheme  von  den  eingeriebenen  Stellen  aus 
entwickeln.  Bei  subkutaner  oder  innerlicher  Hg -Anwendung 
kommen  sie  selten  vor,  dann  verbietet  sich  überhaupt  die  Queck- 
silberanwendung wegen  Idiosynkrasie,  sonst  muß  jedenfalls  die 
Einreibungskur  unterbrochen  werden.  Auch  bei  starker  Stomatitis 
muß  man  die  Kur  zunächst  aussetzen  und  kann  sie  erst  nach 
völliger  Heilung  der  Munderkrankung  vorsichtig  wieder  aufnehmen. 

2.  Die  subkutane  Quecksilberanwendung  geschieht  mit 


Syphilis  397 

zwei  verschiedenen  Gruppen  von  Quecksilberpräparaten,  mit  lös- 
lichen und  mit  unlöslichen. 

a)  Die  löslichen  Salze  werden  täglich  eingespritzt.  Das 
älteste  ist  das  von  Lewin  verwendete  Hydrargyrum  bichloratum, 
das  Sublimat,  in  l°/0iger  Lösung.  Die  Einspritzungen  sind 
schmerzhaft  und  reizen  bei  vielen  Patienten  recht  stark,  man  setzt 
daher  gern  Kochsalz  zu,  wodurch  dieser  Übelstand  behoben  wird, 

Ijjfc  Hydrarg.  bichlor.  0,1 
Natr.  chlor.  1,0 
Aq.  dest.  20,0 

D.S.  Täglich  2 ccm  subkutan. 


Als  Ersatz  für  das  Sublimat  sind  zur  subkutanen  Anwen- 
dung empfohlen  das  Sublamin  Scheking,  Quecksilbersulfat- 
Athylendiamin , in  1 °jQ  Lösung  anzuwenden,  davon  1 ccm  ein- 
spritzen, und  Hydrargyrum  formami datum  liquidum,  eine  1 °/Q  ige 
Lösung  von  ameisensaurem  Quecksilber,  davon  täglich  1 ccm  ein- 
spritzen. 

Von  allen  löslichen  Hg-Präparaten  gibt  man  einen  Monat 
hindurch  täglich  eine  Einspritzung,  entsprechend  30  Einreibungen. 

b)  Die  unlöslichen  Präparate,  Hydrargyrum  chloratum , Hydr- 
argyrum oxy datum  via  humida  paratum  ( flavum ),  Hydrargyrum 
salicylicum  und  Oleum  einer  eum,  werden  am  besten  intramusku- 
lär eingespritzt,  um  dort  ein  Depot  zu  bilden,  woraus  das  Hg 
allmählich  aufgesogen  wird.  Man  gibt  die  Einspritzungen  daher 
nur  alle  5 — 7 Tage  einmal,  was  natürlich  für  die  Kur  oft  sehr 
angenehm  ist,  und  zwar  durch  die  senkrecht  zur  Haut  in  die 
Glutaeen  eingestochene  Nadel,  jedesmal  1 ccm,  von  den  nach- 
folgenden Lösungen: 


IJ;  Hydrarg.  chlorati  1,0 
Olei  Oliv.  opt.  10,0 
M.D.S. 


Ijfc  Hydrarg.  oxyd.  via  hum.  par.  0,5 
Olei  Oliv.  opt.  10,0 
M.D.S. 


tjfc  Hydrarg.  salicyl.  1,0 
Olei  Oliv.  opt.  10,0 
M.D.S. 


Von  dem  30°/oigen  Oleum  einer eum  spritzt  man  nur  einmal 
0,2 — 0,4  ccm  and  dann  nach  je  einer  Woche  noch  0,1  ein,  bis 
1,0,  höchstens  1,5  verbraucht  sind.  Die  Wirkung  ist  etwas 
schwächer  als  die  des  Kalomels,  die  des  Hydrargyrum  salicylicum 
kommt  der  des  Kalomels  jedenfalls  sehr  nahe,  dabei  ist  dies 


398 


Infektionskrankheiten 


Mittel  am  reizlosesten.  Nur  bei  subkutaner  Anwendung  kommt 
es  infolge  zu  schneller  Resorption  öfters  zu  Vergiftungserschei- 
nungen,  Abgeschlagenheit,  rheumatischen  Beschwerden  usw.  Man 
braucht  davon  für  eine  Kur  nur  6 — 8 Einspritzungen  zu  machen. 
Man  desinfiziert  die  Spritze  am  besten  mit  absolutem  Alkohol, 
die  Haut  der  Einstichstelle  wird  ebenfalls  mit  Alkohol  gereinigt, 
das  Massieren  der  Einstichstelle  ist  zu  unterlassen.  Am  besten 
legt  man  den  Einstich  etwas  seitlich,  damit  die  Kranken  nicht 
beim  Liegen  gestört  werden;  etwa  3 — 5 cm  nach  hinten  vom 
Trochanter  major  ist  eine  der  besten  Stellen,  aber  man  muß  sich 
natürlich  nach  dem  Einzelnen  richten.  Bei  sorgfältiger  Anti- 
sepsis und  geschickter,  genügend  tief  gemachter  Einspritzung 
bleiben  örtliche  Störungen  immer  aus,  bis  auf  geringe  Infiltra- 
tionen, die  sich  bald  von  selbst  oder  nach  Pbiessnitz  sehen  Um- 
schlägen zurückbilden.  Brandige  Stellen  und  eitrige  Schmel- 
zungen kommen  am  ehesten  nach  Kalomeleinspritzungen  vor,  so 
daß  sich  der  Ungeübte  damit  vorsehen  muß.  Sie  werden  mit 
nassen  Umschlägen  behandelt  und  bei  eingetretener  Fluktuation 
mit  einem  Messer  geöffnet. 

Wer  nicht  größere  Übung  hat,  soll  das  erste  Mal  jedenfalls 
nur  eine  viertel  oder  halbe  Dosis  einspritzen!  Zweckmäßig  ist 
auch  der  Rat,  nach  dem  Einstechen  der  Nadel  erst  die  Spritze 
abzunehmen  und  nachzusehen,  ob  etwa  Blut  heraustritt,  denn  die 
Einspritzung  in  eine  Vene  kann  akute  Quecksilbervergiftung  her- 
vorrufen,  außer  den  genannten  Erscheinungen  noch  Erbrechen  und 
blutigen  Durchfall.  Bei  Kalpmelöleinspritzungen  sind  dadurch  so- 
gar Todesfälle  vorgekommen. 

c)  Die  innere  Anwendung  des  Quecksilbers  ist  wegen 
der  Reizwirkungen  der  älteren  Präparate  früher  gering  geschätzt 
worden.  Nur  in  der  Kinderpraxis  hat  man  mit  Recht  immer  viel 
von  Kalomel  Gebrauch  gemacht.  In  veralteten  Fällen  gab  man 
außerdem  öfters  Hy drargyrum  jodatum  und  bijodatum.  Man  gibt 
letzteres  <vegen  seiner  Ätzwirkung  am  besten  nur  in  Lösung  und 
ln  starker  Verdünnung  nach  den  Mahlzeiten. 


Ijfc  Hydrarg.  jodati  1,0 
Pulv.  Liq. 

Succ.  Liq.  ana  3,0 
F.Pil.  50.  D.S.  3 mal  täglich 
1 — 2 Pille,  nach  dem  Essen. 

Ein  neueres,  reizloses  und 
zum  inneren  Gebrauch  ist  das 


Hydrarg.  bijod.  0,2 
(Natrii  jodati  10,0) 

Aq.  dest.  300,0 

D.S.  3 mal  täglich  1 Eßlöffel 
nach  dem  Essen. 

dabei  sehr  wirksames  Hg-Präparat 
Hydrargyrum  tannicum. 


Syphilis 


399 


Ij&  Hydrarg.  tann.  5,0 

Pulv.  et  Succ.  Liq.  ana  3,0 
F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich  l — 2 Pillen,  nach 
dem  Essen. 

Alle  inneren  Quecksilbermittel  sind  bei  ein  tretendem  Durch- 
fall auszusetzen,  grobe  Kost  muß  während  der  Kur  vermieden 
werden,  fette  und  saure  Speisen,  rohes  Obst,  Bier  und  dergleichen 
sind  zu  verbieten.  Man  rechnet  für  eine  Kur  bei  den  angegebenen 
Dosen  etwa  6 Wochen. 

Das  zweite  Mittel  in  der  Syphilisbehandlung  ist  das  Jod. 
Am  meisten  wird  noch  immer  das  Jodkalium  verwendet,  obwohl 
das  Jodnatrium  ebenso  wirksam,  aber  für  den  Magen  sehr  viel 
besser  zu  vertragen  ist.  Ich  gebe  daher  dem  Jodnatrium  durch- 
aus den  Vorzug,  ebenso  wie  dem  Bromnatrium  gegenüber  dem 
Bromkalium. 

Man  gibt  das  Jodnatriunf  (und  das  Jodkalium)  immer  in 
Lösung  und  nach  den  Mahlzeiten,  am  besten  in  einem  Weinglas 
voll  Wasser  oder  kohlensaures  Wasser,  0,5 — 2,0,  in  verzweifelten 
Fällen  sogar  5,0  3 mal  täglich. 

Natrii  jodati  5,0 — 10,0  und  mehr 

Aq.  dest.  150,0 

D.S.  3 mal  täglich  1 Eßlöffel. 

Bei  dieser  Darreichung  wird  die  Magenreizung  durch  das 
Jod  vermieden,  aber  es  kommt  namentlich  bei  den  größeren  Gaben 
oft  zu  Vergiftungserscheinungen,  insbesondere  zu  Jodschnupfen. 
In  schweren  Fällen  kommt  es  dabei  zu  lebhafter  Reizung  der 
Schleimhäute  der  Nase  und  ihrer  Umgebung,  der  Conjunctiva, 
des  Rachens  und  Kehlkopfes,  der  Parotis  usw.,  unter  Umständen 
zu  Glottisödem,  heftigen  Kopfschmerzen,  Ohnmachtanwandlungen, 
Odem  der  Augenlider  usw.  Beim  Aussetzen  der  Jodarznei  gehen 
die  Erscheinungen  schnell  vorüber,  sie  treten  aber  bei  manchen 
Personen  so  regelmäßig  schon  nach  geringen  Gaben  auf,  daß  man 
auf  die  Jodbehandlung  verzichten  muß.  Manchmal  verringern 
sich  übrigens  die  Erscheinungen  gerade  bei  größeren  Gaben. 

Ferner  ist  zu  beachten,  daß  bei  innerlichem  Gebrauch 
von  Jodpräparaten  Kalomeleinstäubung  in  den  Bindehaut- 
sack, Kalomelbestreuung  von  Kondylomen  und  subkutane 
oder  intramuskuläre  Einspritzungen  von  Kalomelöl  sowie 
Einspritzungen  von  Sublimatlösungen  in  die  Harnröhre 
nicht  vorgenommen  werden  dürfen,  weil  sich  dabei  auf  den 


400 


Infektionskrankheiten 


Schleimhäuten  ätzendes  Quecksilberjodid  bildet.  Dagegen  vertragen 
sich  Hydrargyrum  salicylicum,  Oleum  cinereum  und  lösliche  Salze 
subkutan  mit  gleichzeitigem  Jodgebrauch. 

Eine  sehr  wertvolle  Bereicherung  hat  die  Jodbehandlung  im 
letzten  Jahrzehnt  durch  das  Jodipin  Merck  erfahren.  Man  gibt  es 
als  10°/oiges  Jodipin  innerlich  tee-  oder  eßlöffelweise,  es  wirkt 
aber  innerlich  nicht  so  gut  wie  subkutan  und  hei  manchen 
Menschen  überhaupt  nicht,  daher  im  ganzen  besser  subkutan 
als  Jodipin  25  °/0.  Man  spritzt  davon  mit  einer  Serumspritze 
mit  Glas-,  Leder-  oder  Metallstempel,  nicht  mit  Asbeststempel, 
subkutan  in  der  Trochantergegend  täglich  oder  3 mal  wöchentlich 
5 — 10 — 20  ccm  ein.  Bei  aseptischem  Vorgehen,  Reinigung  der 
Spritze  und  der  Einspritzungstelle  mit  absolutem  Alkohol,  Ver- 
meiden nachherigen  Massierens  der  Stelle  kommt  es  nie  zu  ört- 
lichen Reiz  er  scheinungen,  und  auch  allgemeine  Vergiftungserschei- 
nungen sind  bisher  nicht  beobachtet.  Dabei  ist  die  Wirkung  der 
der  Jodsalze  entschieden  überlegen  und  sehr  nachhaltig;  das  Jod- 
fett lagert  sich  als  solches  im  Körper  ab  und  gibt  nur  ganz 
allmählich  sein  Jod  ab,  so  daß  man  noch  wochenlang  nach  der 
letzten  Einspritzung  Jod  im  Harn  nachweisen  kann,  während  das 
bei  Jodsalzen  nur  einige  Tage  lang  möglich  ist. 

Das  Quecksilber  ist  das  Heilmittel  für  die  syphilitischen  Er- 
scheinungen der  Sekundärperiode  und  das  Mittel  gegen  die 
Syphilisbazillen  überhaupt;  die  Jodpräparate  wirken  gegen 
die  tertiären  Veränderungen  und  außerdem  gegen  das  Fieber 
und  die  periostitischen  Schmerzen  und  Neuralgien  der 
Eruptionsperiode  und  gegen  die  sekundären  Schleimhaut- 
geschwüre. Da  sie  aber  die  Bazillen  nicht  vernichten,  muß  man 
der  Jodbehandlung  der  tertiären  Erscheinungen  regelmäßig  noch 
eine  Quecksilberbehandlung  folgen  lassen,  um  neuen  Ausbrüchen 
vorzubeugen.  Nur  bei  den  postsyphilitischen  Erkrankungen 
kann  man  auf  die  Quecksilberbehandlung  verzichten,  wenn  man 
annimmt,  daß  keine  virulenten  Syphilisbazillen  mehr  im  Körper  sind. 

Es  ist  danach  die  Behandlung  der  erworbenen  Syphilis 
so  zu  gestalten,  daß  man  in  den  ersten  2 — 3 Jahren  nach  der 
Infektion  alle  3 — 4 Monate  eine  Quecksilberkur  durchführt, 
entweder  lauter  Kuren  mit  Einreibung  oder  Injektion  von  Queck- 
silber, oder  solche  abwechselnd  mit  innerlicher  oder  mit  Merko- 
lintkur.  Jodmittel  gibt  man  nur,  wenn  die  eben  erwähnten 
sekundären  Erscheinungen  dazu  auffordern  oder  wenn  tertiäre 
Symptome  eintreten.  Dagegen  behandelt  man  die  tertiären 


Syphilis 


401 


Erscheinungen  zunächst  mit  Jodmitteln  und  läßt  erst  am  Schluß 
der  Jodkur  eine  Quecksilberkur  folgen.  Beides  zugleich  wendet 
man  nur  an,  wenn  Gefahr  im  Verzüge  ist,  wie  bei  syphilitischen 
Gehirnerkrankungen  und  dergleichen.  Wahrscheinlich  ist  es  aber 
auch  hier  besser,  beides  zeitlich  zu  trennen.  Treten  im  Sekundär- 
stadium trotz  der  richtig  durchgeführten  Behandlung  Erschei- 
nungen auf,  so  muß  man  natürlich  die  Quecksilberkur  schon  vor 
Ablauf  der  3 — 4 Monate  wieder  einleiten  und  so  lange  fortsetzen, 
bis  sie  verschwinden. 

Die  Verordnung  von  Badekuren  in  Aachen,  Wiesbaden, 
Tölz  usw.  gegen  Syphilis  hat  insofern  einen  Wert,  als  an  diesen 
Orten  besonders  erfahrene  Syphilidologen  praktizieren  und  die 
Kuren  mit  Quecksilber  und  Jod  besonders  sachgemäß  und  nach- 
drücklich ausgeführt  werden.  Eine  spezifische  Wirkung  kommt 
den  Bädern  dagegen  nicht  zu.  Daß  die  Kranken  dabei  ihren 
Berufsgeschäften  und  anderen  ungünstigen  Einwirkungen  entzogen 
werden,  ist  natürlich  auch  oft  wichtig.  Das  gilt  um  so  mehr, 
wenn  die  Kranken  von  schwächlicher  Konstitution  sind. 
Man  wählt  dabei  die  kleineren  Dosen  von  Quecksilber  und  geht 
vorsichtig  vor.  Insbesondere  ist  zu  beachten,  das  Phthisiker 
das  Quecksilber  im  allgemeinen  nicht  gut  vertragen.  Bei  Albu- 
minurie und  Nephritis  geht  man  ebenfalls  sehr  vorsichtig  vor; 
nicht  selten  hängen  beide  Störungen  mit  der  Syphilis  zusammen 
und  werden  durch  die  Kur  günstig  beeinflusst,  es  kommt  aber 
auch  das  Gegenteil  vor.  Eine  schwierige  Frage  bieten  sehr  oft 
die  Syphilophoben,  Kranke  mit  Syphilis,  die  sich  beständig 
über  den  Wiederausbruch  ihres  Leidens  beunruhigen,  immerfort 
neue  Zeichen  wittern  und  fortwährend  neue  Kuren  machen  möchten. 
Diese  dürfen  ihnen  natürlich  nur  verordnet  werden,  wenn  tat- 
sächlich Erscheinungen  dazu  auffordern,  oder  wenn  die  bisherige 
Behandlung  ungenügend  war,  also  nach  objektivem  ärztlichem 
Ermessen.  Kopfschmerzen  und  andere  unbestimmte  Zeichen  gehen 
dazu  jedenfalls  erst  eine  Indikation,  wenn  das  Versagen  der  sonst 
üblichen  Behandlung,  vgl.  S.  311  ff.,  den  syphilitischen  Ursprung 
wahrscheinlich  macht  und  der  Allgemeinzustand,  Anämie  und  der- 
gleichen, nicht  als  Ursache  gelten  können.  Diese  neurasthenischen 
Kranken  sind  gewiß  sehr  zu  bedauern,  aber  trotzdem  darf  der 
Arzt  dem  Syphiliker,  der  ihn  um  Rat  fragt,  die  wirkliche  Er- 
krankung nicht  verschweigen.  Es  ist  immer  noch  viel  besser, 
daß  der  Infizierte  sich  schwer  beunruhigt,  als  daß  er  so  und  so 
viel  Menschen  aus  Unwissenheit  schädigt,  eine  Familie  gründet, 
Dornblüth,  Therapie.  26 


402 


Infektionskrankheiten 


die  mit  der  entsetzlichen  Krankheit  begabt  wird,  nsw.  Wird  dem 
Kranken  in  taktvoller,  seinem  Gemütszustände  angepaßter  Weise 
gesagt,  daß  er  Syphilis  erworben  hat,  daß  diese  Krankheit,  wenn 
er  sie  sorgfältig  und  mit  wiederholten  Kuren  behandelt,  voraus- 
sichtlich geheilt  werden  kann  und  ihn  vielleicht  nie  wieder  belästigen 
wird,  so  wird  dadurch  wohl  nur  in  den  größten  Ausnahmefällen 
jemand  zur  Verzweiflung  gebracht.  Am  trübsten  liegen  erklär- 
licherweise die  Fälle,  wo  der  Erkrankte  verlobt  ist  und  heiraten 
soll.  Aber  hier  ganz  besonders  muß  der  Arzt  unerbittlich  sein, 
um  weiteres  Elend  zu  verhüten. 

Die  früher  sehr  verbreitete  Behandlung  der  Syphilis  mit 
Zittmann sehen  und  anderen  Holztränken  ist  allmählich  mehr 
und  mehr  in  den  Hintergrund  getreten.  Man  wird  sie  besser 
durch  milde  Wasserkuren  in  den  Zwischenzeiten  der  Queck- 
silberbehandlung ersetzen.  Daß  Syphilis  durch  sogenannte  Natur  - 
heilmethoden  oder  durch  Elektrisch-Licht-Bäder  allein 
geheilt  werden  könne,  ist  eine  ganz  unerwiesene  Behauptung. 
Dagegen  kann  es  zweifellos  von  Nutzen  sein,  in  den  Pausen  der 
Quecksilberbehandlung  von  Lichtbädern  zur  Anregung  des  Stoff- 
wechsels und  der  Ausscheidungen  Gebrauch  zu  machen. 

Nicht  zu  vernachlässigen  ist  die  örtliche  Behandlung  der 
syphilitischen  Erscheinungen.  So  bedeckt  man  zweckmäßig  die 
Drüsenschwellungen  mit  Emplastrum  Hydrargyri  oder  reibt 
sie  mit  Unguentum  Hydrargyri  ein.  Papeln  an  sichtbaren 
Hautstellen,  namentlich  aber  nässende  Papeln  am  behaarten 
Kopf,  an  den  Genitalien,  am  Anus  bestreicht  man  mit  weißer 
Quecksilbersalbe  oder  benetzt  sie  mit  Kochsalzlösung  und  streut 
dann  Kalomel  darauf.  An  den  sich  berührenden  Hautstellen  legt 
man  Gazestreifen  ein.  Die  sekundären  Schleimhautgesch  würe 
derMundhöhle  werden  mit  10 — 5 0 °/0  iger  Lösung  von  Argentum 
nitricum  geätzt  und  heilen  dabei  schnell,  auch  ohne  Allgemein- 
behandlung, die  tertiären  Schleimhautgeschwüre  dagegen 
heilen  durch  Jodmittel  auch  ohne  örtliche  Behandlung.  Die 
tertiären  Hautknoten  und  -geschwüre  und  die  Gummata 
bedeckt  man  mit  Emplastrum  Hydrargyri;  niemals  dürfen  Gummata 
inzidiert  oder  ausgekratzt  werden!  Die  Ozaena  und  andere 
Nasenaffektionen  werden,  abgesehen  von  der  Allgemeinbehandlung, 
nach  den  gewöhnlichen  Regeln  behandelt. 

Die  hereditäre  Syphilis  wird  am  besten  nachdrücklich  mit 
Kalomel  behandelt.  Man  gibt  in  den  ersten  Wochen  0,005  3 mal 
täglich,  bei  dreimonatalten  Kindern  0,01,  vom  zweiten  Lebensjahre 


Angina  tonsillaris 


403 


ab  0,02  als  Pulver  mit  Saccharum  lactis,  4 — 5 Wochen  lang. 
Gewöhnlich  bekommt  es  den  Kindern  sichtlich  gut,  die  bleiche 
Farbe  weicht  allmählich  einem  gesunden  Aussehen,  die  Entleerungen 
bleiben,  abgesehen  von  der  grünlichen  Färbung,  normal,  die  Krank- 
heiterscheinungen verschwinden.  Bei  schwereren  Erkrankungen, 
namentlich  in  den  allerersten  Lebenswochen , gibt  man  gern 
Sublimatbäder,  mit  1,0 — 2,0  Hydrargyrum  bichloratum  auf  ein 
Bad.  Auch  in  der  späteren  Entwicklung  der  Kinder  ist  zu  be- 
achten, daß  skrofulöses  Aussehen  und  Anämie  der  Kinder, 
Rachenmandeln,  Epilepsie,  Idiotie,  Chorea  usw.  auch  ohne 
eigentliche  syphilitische  Erscheinungen  auf  Quecksilber-  und  nachträg- 
liche Jodbehandlung  sehr  gut  reagieren  können.  Auch  von 
Sirupus  Ferri  jodati  macht  man  dabei  gern  Gebrauch,  bei  Kindern 
unter  5 Jahren  2 — 10  Tropfen,  bei  älteren  bis  zu  einem  Teelöffel 
voll  mehrmals  täglich,  in  Zuckerwasser.  Bei  Kindern  von  mehr 
als  5 Jahren  gibt  man  auch  das  Hydrargyrum  tannieum  innerlich, 
0,02 — 0,05  mehrmals  täglich  als  Pulver  mit  0,3  Saccharum  lactis. 


21.  Angina  tonsillaris.  Hypertrophie  der  Tonsillen. 

Die  akute  Angina  tonsillaris  in  ihren  verschiedenen  Formen: 
Angina  catarrhalis,  Angina  follicularis,  Angina  lacu- 
naris, Angina  necrotica  und  Angina  phlegmonosa  ist  als 
eine  durch  verschiedene  Bakterienarten , meist  wohl  Staphylo- 
kokken oder  Streptokokken,  hervorgerufene  Infektionskrankheit  an- 
zusehen, wobei  die  verschiedene  Form  der  Erkrankung  teils  durch 
die  verschieden  große  Virulenz  der  Krankheitserreger,  teils  durch 
die  Verschiedenheit  der  individuellen  Empfänglichkeit,  vgl.  S.  348  ff., 
teils  durch  örtliche  Verhältnisse  Krypten  und  Narben  in  den 
Mandeln,  bedingt  sein  mag.  Von  der  Diphtherie  sind  alle  diese 
Formen  oft  nur  durch  die  bakteriologische  Untersuchung 
zu  unterscheiden,  die  daher  vom  therapeutischen  wie  vom  prophy- 
laktischen Standpunkte  aus  in  allen  Fällen  gefordert  werden  muß. 
Wenn  sie  unterbleibt,  sollten  wenigstens  jedesmal  die  Vorsichts- 
maßregeln beobachtet  werden,  die  für  die  Diphtherie  gefordert 
worden  sind.  Es  ist  nicht  zweifelhaft,  daß  die  Erreger  schwerer, 
nicht  diphtherischer  Anginen  in  Zimmern  und  Möbeln  usw.  monate- 
lang haften  und  spätere  Bewohner  infizieren  können. 

Die  Behandlung  kann,  wenn  sie  frühzeitig  eingreift,  ge- 
wöhnlich den  Verlauf  wesentlich  mildern  und  abkürzen.  Dazu 
gehören  Bettruhe,  Pkiessnitz  scher  Umschlag  um  den  Hals,  Tag 

26* 


404 


Infektionskrankheiten 


und  Nacht  mehrmals  gewechselt,  Sorge  für  gründliche  Darment- 
leerung  durch  Kalomel , S.  128,  oder  Phenolphthalein , S.  129, 
und  baldige  Y erahreichung  einiger  Gaben  Chininum  hydrochloricum 
oder  Salipyrin  oder  Aspirin , S.  263,  am  besten  abends  2 mal 
oder  3 mal  in  1 stündigen  Zwischenräumen  je  1,0,  hei  fortbe- 
stehendem Fieber  am  2.  und  3.  Tage  je  3 mal,  über  den  Tag 
verteilt.  Außerdem  bringt  man  Wasserstoffperoxyd  mit  dem  Spray 
in  den  Rachen,  5 — 10  mal  täglich,  mit  3°/0iger  Lösung  des 
Mekck  sehen  Perhydrols,  oder  läßt  mit  2°/0iger  Lösung  von 
Kali  chloricum  gurgeln. 

Bei  phlegmonöser  Angina  ersetzt  man  den  feuchtwarmen 
Umschlag,  so  lange  es  dem  Kranken  angenehm  ist,  durch  eine 
Eiskravatte,  wenn  die  Eiterung  eingetreten  ist  meistens  durch 
Breiumschläge,  und  versucht,  den  Eiter  von  der  Fossa  supra- 
tonsillaris  her  mit  stumpfer  Gewalt  durch  eine  starke  Sonde  zu 
entleeren.  Wenn  das  nicht  gelingt,  muß  man  mit  einem  Messer, 
das  bis  auf  1 — 2 cm  von  der  Spitze  mit  Heftpflaster  umwickelt 
ist,  1/2 — 1 cm  vom  Rande  des  Gaumenbogens  einen  Einstich 
in  die  vorragendste  Partie  der  Mandel  machen  und  von  da  aus 
den  Eiter  herauszubringen  suchen.  Der  Einschnitt  tut  fast  niemals 
weh  und  befördert  die  Heilung,  auch  wenn  der  Abszeß  nicht 
direkt  getroffen  wird. 

Nach  dem  Abklingen  der  akuten  Entzündung  läßt  man  am 
besten  mit  kaltem  Tee,  der  stark  gezogen  hat  und  dadurch  bitter 
geworden  ist,  und  ähnlichen  leicht  adstringierenden  Mitteln  gurgeln , 
z.  B.  Tinctura  Myrrhae  rein  oder  mit  gleichen  Teilen  Tinctura 
Ratanhiae  vermischt,  davon  10 — 20  Tropfen  auf  1 Glas  Wasser. 

Bei  chronischer  Pharyngitis  und  Hypertrophie  der 
Mandeln  ist  eine  eindringendere  örtliche  Behandlung  nötig,  das 
Gurgeln  nützt  dabei  nichts.  Die  Hyperplasie  der  Schleimhaut 
des  weichen  Gaumens  und  des  Rachens  wird  ^m  besten  durch 
Pinselung  mit  Jodglycerin  behandelt, 


Jodi  puri  0,25 
Kalii  jod.  1,25 
Glycerini  25,0 
M.D.S.  l°/0iges  Jodglyc. 


Ijjfc  Jodi  puri  0,5 
Kalii  jod.  2,5 
Glycerini  25,0 
M.D.S.  2°/0iges  Jodglyc. 


Ijfc  Jodi  puri  0,75 
Kalii  jod.  3,75 
Glycerini  25,0 

M.D.S.  3°/0iges  Jodglycerin. 


Angina  tonsillaris 


405 


Man  wendet  zunächst  jedenfalls  die  l°/0ige  Lösung  an  und 
pinselt  damit  jeden  Tag:  die  stärkeren  Lösungen  dürfen  nur 
2 mal  in  der  Woche  oder  noch  seltener  angewendet  werden. 
Andere  geeignete  Mittel  sind  Sozojodolnatrium  rein  und  Misch- 
ungen von  Argentum  nitricum  0,5 — 1°/0  mit  Amylum,  die  mit 
einem  Pulverbläser  in ‘den  Rachen  gestäubt  werden.  Ein  Erfolg 
aller  Maßregeln  ist  nur  zu  erwarten,  wenn  auch  die  fast  immer 
gleichzeitig  vorhandenen  Veränderungen  in  der  Nase  und  im 
Nasenrachenraum  richtig  behandelt  werden.  Gründliche  Unter- 
suchung durch  Rhinoskopia  anterior  und  posterior  ist  dabei 
nicht  zu  entbehren;  meistens  wird  sich  die  Hinzuziehung 
eines  Spezialarztes,  mindestens  zur  Feststellung  der  Behandlung, 
lohnen. 

Auch  hei  der  Pharyngitis  sicca  gibt  die  regelmäßige 
Pinselung  mit  Jodglyzerin  oft  recht  gute  Erfolge,  insofern  die 
Schleimhaut  wieder  feuchter  wird.  Bei  Hyperplasie  der  Uvula 
pinselt  man  das  vergrößerte  Organ  mit  1 — 2°/0iger  Chlor  zink- 
lösung, 

Zinci  chlorati  0,1 — 0,2 
Aq.  dest.  10,0 
D.S.  Äußerlich. 

Die  pharyngitischen  Granula  sowohl  wie  die  geschwol- 
lenen Seitenstränge  bei  der  Ph aryngitis  lateralis  werden 
am  besten  mit  dem  Galvanokauter  zerstört;  man  muß  dabei 
durchaus  vorsichtig  und  schonend  Vorgehen,  nur  ganz  oberfläch- 
lich und  nur  kleine  Teile  auf  einmal  verschorfen,  größere  Platten 
in  mehreren  Sitzungen  vornehmen.  Am  besten  werden  diese  Ein- 
griffe dem  Spezialarzt  überlassen.  Durch  Brennen  und  Atzen  in 
Rachen  und  Nase  werden  zahlreiche  Kranke  geschädigt  und  ihre 
Schleimhäute  der  Atrophie  zugeführt. 

Bei  Hypertrophie  der  Mandeln  ist  ein  Nutzen  von 
Pinselungen  und  dergl.  nicht  zu  erwarten.  Geht  die  Hypertrophie 
nicht  zurück,  nachdem  man  die  etwa  vorhandenen  Pfropfe  durch 
Schlitzung  der  Mandeln  entfernt  hat,  so  müssen  die  Mandeln 
operativ  entfernt  werden.  In  den  meisten  Fällen  empfiehlt 
sich  das  Ausschneiden  mit  dem  Messer  oder  mit  dem  Ton- 
sillotom.  Bei  älteren  Patienten  ist  dabei  die  Gefahr  einer  Nach- 
blutung größer  als  in  den  beiden  ersten  Jahrzehnten,  deshalb 
verwendet  man  dort  oft  mit  Vorteil  die  galvanokaustische 
Schneideschlinge,  rotglühend,  oder  den  Thermokauter.  Bei 


406 


Infektionskrankheiten 


Nachblutung  drückt  man  ein  mit  Alaun  oder  Antipyrin  oder 
Ferripyrin  reichlich  betupftes  Wattebäuschchen  mit  der  Kornzange 
fest  auf  die  Wundfläche.  In  schweren  Fällen  kann  eine  Ein- 
spritzung von  Gelatine , vgl.  S.  109,  zweckmäßig  sein. 


22.  Heufieber. 

Die  Verhütung  des  Heufiebers  und  des  Heuasthmas 
ist  keine  leichte  Aufgabe,  weil  das  spezifische  Gift  in  den  Blüten- 
pollen der  verschiedensten  Gras-  und  Getreidearten,  aber  auch 
der  Linden,  Kornraden,  Maiglöckchen,  des  Flieders  usw.  vorkommt. 
Von  den  zum  Aufenthalt  geeigneten  Gegenden  sind  die  Nordsee  - 
insein  mit  ihrer  spärlichen  Vegetation  am  besten,  am  bekanntesten 
ist  für  den  Schutz-  und  Kuraufenthalt  die  Insel  Helgoland,  der 
Sitz  des  deutschen  Heufieberbundes , geworden.  Als  pollenarme 
Gegenden,  deren  Besuch  sich  Heufieberängstlichen  relativ  empfiehlt, 
hat  Mohr  Ahbazia,  Allerheiligen,  Andermatt,  Freudenstadt,  Furka, 
Pontresina  u.  a.  genannt.  Da  die  Intoxikation  immer  durch  die 
Nase  erfolgt,  erscheint  für  alle,  die  nicht  solche  klimatische  Aus- 
wahl haben,  der  Mohr-Schultz  sehe  Schutzapparat,  der  in  der 
Nase  getragen  wird,  empfehlenswert.  Es  ist  übrigens  zu  beachten, 
daß  ein  sehr  großer  Teil  der  „Heufieberkranken“  vor  allem  an 
Neurasthenie  leidet  und  auf  Grund  einer  früheren  Erkrankung 
die  hypochondrisch  verstärkten  Beschwerden  eines  oft  rein  ner- 
vösen Schnupfens  oder  Asthmas  als  Heufieberanfälle  auffaßt.  Der 
Heufieberhund  ist  daher,  wie  alle  Vereinigungen  von  Kranken  mit 
nervösem  Temperament,  von  dem  Vorwurf  nicht  frei,  die  Krank- 
heit zu  züchten.  Der  behandelnde  Arzt  muß  deshalb  in  jedem 
Falle  erst  feststellen,  ob  wirklich  Heufieber  vorliegt  und  in  jedem 
Falle  die  entsprechende  Allgemeinbehandlung  der  Neurasthenie 
einleiten. 

Das  wirklich  vorhandene  Heufieber  wird  man  zunächst  mit 
dem  von  Dunbar  angegebenen  Pollantin  behandeln,  obwohl  durch 
die  bisherigen  Veröffentlichungen  nicht  erwiesen  ist,  daß  es  sich 
dabei  um  ein  wirkliches  spezifisches  Heilmittel  handelt.  Das  Urteil 
wird  besonders  erschwert  durch  die  sich  vordrängende  Laien- 
statistik mit  ihrem  Übermaß  an  unsicheren  und  nicht  nachhaltig 
behandelten  Fällen.  Ein  Heilerfolg  scheint  höchstens  in  50  °/0 
der  Fälle  erreicht  zu  werden.  Das  sogenannte  Heilserum  Pollantin 
wird  entweder  pulver förmig  in  die  Nase  eingeblasen  oder 


Heufieber 


407 


flüssig  eingeträufelt,  nach  der  beigegebenen  Gebrauchsanweisung. 
Der  hohe  Preis  ist  zu  beachten.  — In  einer  Anzahl  von  Fällen 
hat  sich  die  von  Fink  angegebene  Einblasung  von  Aristol  in  die 
Kieferhöhle  gut  bewährt.  Yon  innerlichen  Mitteln  scheint  das 
Aspirin  am  meisten  zu  leisten,  allerdings  ist  die  Wirkung  wohl 
nur  symptomatisch,  ebenso  wie  bei  der  Pinselung  der  Nasenschleim- 
haut mit  Nebennierenpräparaten  und  mit  Kokainlösung , z.  B. 

Iji  Adrenalini  0,01 

Cocaini  hydrochlor  1,0 
Aq.  dest.  10,0 
D.S.  Äußerlich. 


IX 


Krankheiten  der  Bewegungsorgane. 

1.  Muskelrheumatismus. 

Der  akute  Muskelrheumatismus,  insbesondere  bekannt  in 
seinen  Formen  als  Lumbago,  Hexenschuß,  Torticollis  usw., 
einerlei  ob  er  durch  Erkältung  oder  durch  Muskelzerrung  bei 
Yerheben  usw.  entstanden  ist,  wird  am  besten  durch  Wärme- 
anwendung, Breiumschläge,  Thermophor  und  dergleichen  beein- 
flußt. Ist  das  Allgemeinbefinden  gestört  oder,  wie  bei  Lumbago, 
die  Bewegungsfähigkeit  beeinträchtigt,  so  läßt  man  den  Kranken 
das  Bett  hüten  und  gibt  reichlich  warme  Getränke  und  außerdem 
Natrium  salicylicum  oder  Aspirin  in  der  Weise  wie  S.  280  ge- 
schildert. Oft  wirkt  eine  einzige  Einspritzung  von  Morphium 
0,01 — 0,015  subkutan  in  der  Gegend  des  Schmerzes  heilend. 

Die  Neigung  zu  akuten  Anfällen  von  Muskelrheumatismus 
sowie  die  chronischen  Fälle  erfordern  eine  Abhärtung,  die  am 
besten  in  der  S.  350  vorgeschriebenen  Weise  erreicht  wird.  Ins- 
besondere die  Elektrisch-Licht-Bäder  erweisen  sich  vorteil- 
haft. Zum  Teil  hängt  ihre  Wirkung  damit  zusammen,  daß  sie 
den  Säftefluß  im  Körper  anregen,  und  deshalb  wirken  hier  auch 
ihre  höheren  Grade,  die  stark  schweißtreibend  wirken,  beson- 
ders gut.  Man  geht,  wie  bei  Neuralgien,  bis  50  und  60°  0. 
Ein  volkstümliches  Mittel  von  älterem  Datum  sind  die  Dampf- 
bäder, deren  Wirkung  auf  das  Herz  nicht  ohne  Bedenken  ist, 
zumal  es  sich  in  diesen  Fällen  oft  um  Arteriosklerotiker  mit 
schadhaftem  Gefäßsystem  handelt.  Als  örtliche  Mittel  sind 
sowohl  die  Faradisation  mit  dem  Pinsel,  S.  276,  wie  die 
Massage,  S.  278,  sehr  angesehen.  Man  verbindet  letztere  gern 
mit  Gymnastik,  unter  Rücksicht  auf  die  Erfahrung,  daß  gerade 
die  schmerzhaften  Bewegungen  ausgeführt  werden  müssen,  weil 
dadurch  die  erkrankten  Muskeln  geübt  werden.  Besonders  günstig 


Rachitis 


409 


wirkt  oft  die  Massage  im  Verein  mit  Heißluftbehandlung 
der  kranken  Teile.  In  vielen  Bädern,  sowohl  in  den  Wild- 
bädern,  vgl.  S.  242,  wie  in  Solbädern,  S.  240,  aber  auch  in 
Karlsbad,  Marienbad  usw.  findet  man  vortreffliche  Einrichtungen 
für  beides. 

Für  manche  hartnäckige  Formen  von  chronischem  Muskel- 
rheumatismus, so  z.  B.  Lumbago,  rheumatische  Migräne  oder 
Schwielenkopfschmerz,  Myalgie  der  Bauchdecken  usw., 
ferner  für  die  bald  hier  bald  da  auftretenden  Myalgien  der 
Arthritischen,  Alkoholisten  usw.  erreicht  man  oft  eine  ent- 
scheidende Besserung  durch  diuretische  Mittel,  namentlich  durch 
Theocin  und  Theocin-Natrium  aceticum , morgens  0,3,  vgl.  S.  11, 
oder  auch  durch  Uricedin  und  dergleichen,  s.  die  Behandlung 
der  Gicht. 

Die  akute  Polymyositis  wird  ganz  wie  der  akute  Gelenk- 
rheumatismus behandelt. 


2.  Rachitis. 

Die  schwere  Rachitis  ist  eine  Krankheit  der  Armen,  leichte 
Rachitis  findet  man  sehr  oft  auch  bei  Wohlhabenden,  deren 
Kinder  oft  in  guter  Absicht  verfüttert  sind  oder  ihren  modern 
schlanken,  anämischen  Müttern  eine  schlechte  Konstitution  ver- 
danken. Fürsorge  für  die  Gesundheit  der  künftigen  Mütter, 
richtige  Ernährung  der  Schwangeren,  Behandlung  ihrer  Anämie  usw. 
beugt  daher  vielfach  der  Rachitis  vor.  Bemerkenswert  ist,  daß 
im  Höhenklima  die  Rachitis  sehr  viel  seltener  vorkommt,  auch 
unter  ungünstigen  Ernährungsverhältnissen.  Luft  und  Sonne  haben 
jedenfalls  einen  sehr  großen  Einfluß  gegenüber  der  Krankheit. 
Der  Kampf  gegen  schlechte  Wohnungen,  schlechte  Luft  und  Un- 
sauberkeit ist  daher  auch  ein  wichtiges  Schutzbestreben  gegen 
Rachitis. 

Richtige  Kindespflege,  Sorge  für  Luft  und  Sonnenschein  und 
richtige  Ernährung  sind  von  entscheidendem  Einflüsse  in  den 
leider  meist  nicht  erkannten  leichtesten  Fällen,  wo  nur  eine 
zu  lange  offene  Fontanelle,  leicht  verdickte  Unterarmepiphysen, 
Neigung  zu  Kopfschweißen  und  nächtlicher  Unruhe,  Weinerlich- 
keit, spätes  Gehen-  oder  Sprechenlernen  die  Rachitis  verraten. 

In  der  Nahrung  wird  der  nötige  Kalkgehalt  durch  richtige 
Miljchernährung,  vgl.  S.  1 5 6 ff . , ohne  weiteres  gewährt.  Dagegen 
ist  es  zweckmäßig,  den  Eisengehalt  durch  Zugabe  von  Eigelb  zu 


410 


Krankheiten  der  Bewegungsorgane 


erhöhen  und  namentlich  auch  für  reichlichen  Fettgehalt  der  Kost, 
durch  Rahmzusatz,  zu  sorgen.  Freiluftkuren,  Aufenthalt  im 
Wald,  am  Meeresstrande,  im  Höhenklima  unterstützen  diese  Ein- 
flüsse auf  das  beste. 

In  allen  schweren  Fällen  unentbehrlich,  in  den  leichten  von 
größtem  Wert  ist  die  Behandlung  mit  Phosphor , die  Kassowitz 
angegeben  hat.  Die  Wirkung  besteht  nach  den  angestellten 
Experimenten  in  einer  günstigen  Beeinflussung  der  Gefäßbildung 
und  Gefäß entwicklung  in  dem  osteogenen  Gewebe  der  Knochen- 
enden. Am  besten  gibt  man  den  Phosphorlebertran : 

] I5&  Phosphori  0,01 

Olei  Jec.  Aselli  100,0 
D.S.  Dunkel  aufzubewahren! 

oder,  wenn  großer  Widerwille  gegen  den  Lebertrangeschmack 
besteht, 

Ipfc  Phosphori  0,01 

Ol.  Amygd.  dulc.  10,0 
Gummi  arab.  pulv. 

Sir.  spl.  ana  10,0 
Aq.  dest.  80,0 
M.D.S. 

Sorgfältige  Bereitung  der  Arznei  unter  Luftabschluß  und 
frische  Bereitung  ist  für  den  Erfolg  Bedingung.  Man  gibt  von 
den  angeführten  Vorschriften  1 mal  täglich  1 Teelöffel  voll, 
= 0,0005  Phosphor,  mindestens  4 Wochen  lang.  Ungünstige 
Urteile  über  die  Behandlung  sind  nur  von  solchen  Autoren  ab- 
gegeben worden,  die  sich  nicht  an  diese  Vorschriften  gehalten 
haben.  Die  genannte  Dosis  ist  völlig  unbedenklich;  auch  bei 
recht  unangenehmen  Magen  und  Darmstörungen,  die  mit  der 
Rachitis  einhergingen,  ist  die  Wirkung  meist  ausgezeichnet.  Am 
schnellsten  verschwinden  die  nervösen  Erscheinungen,  die  Ver- 
drießlichkeit, die  Krämpfe,  die  Schlaflosigkeit,  die  respiratorischen 
Krämpfe,  die  Tetanie;  die  Kinder  fangen  an,  Sitz-,  Steh-  und 
Gehversuche  zu  machen.  Besonders  auffallend  ist  der  Einfluß  auf 
den  Glottiskrampf,  der  von  fast  allen  Beobachtern  hervorgehoben 
wird,  auch  von  solchen,  die  an  die  Wirkung  auf  die  Knochen- 
veränderung nicht  recht  glauben  wollen.  Diese  macht  sich  selbst- 
verständlich erst  allmählich  geltend , sie  tritt  aber  auch  bei 
Rachitis  tarda,  bei  8 — 12jährigen  Rachitischen,  noch  deut- 
lich hervor,  indem  diese  trotz  der  schweren  Verbiegungen  der 


Osteomalakie 


411 


Wirbelsäule  und  der  Glieder  nach  einigen  Monaten  zu  gehen  an- 
fangen. Auch  auf  das  Erscheinen  der  bleibenden  Zähne  wird  ein 
unverkennbarer  Einfluß  ausgeübt. 

Durch  die  Phosphorbehandlung  sind  die  älteren  Bestrebungen, 
die  Rachitis  mit  Kalksalzen,  mit  Lebertran  und  dergleichen  zu 
behandeln,  völlig  in  den  Hintergrund  getreten.  Die  Kalktherapie 
entbehrt  außerdem  jeder  Begründung  und  Wirkung,  das  ist  un- 
zweifelhaft. Aber  auch  die  neueren  Versuche,  durch  Organ - 
therapie,  mit  Schilddrüse,  Nebennieren,  Thymus  etwas  zu  er- 
reichen, haben  sich  vergeblich  erwiesen. 

Von  größtem  Segen  für  die  veraltete  und  vernachlässigte 
Rachitis  ist  die  Orthopädie. 


3.  Osteomalakie. 

Die  Verhütung  der  Osteomalakie  besteht  in  allgemein 
hygienischen  Maßregeln,  besonders  in  der  Vermeidung  ungesunder, 
feuchter  und  lichtarmer  Wohnungen  und  in  der  Fürsorge  für 
gute  Ernährung.  Bei  dem  schädlichen  Einfluß  der  Schwanger- 
schaft muß  eine  solche  durchaus  vermieden  werden,  ferner  dürfen 
solche  Kranke  nicht  stillen.  Die  im  Anfang  vorherrschenden 
rheumatoiden  Beschwerden  werden  durch  Luft-  und  Sonnen- 
bäder und  durch  heiße  Sandbäder  am  besten  beeinflußt. 

Die  Ernährung  besteht  am  besten  in  einer  normalen  ge- 
mischten Kost,  vgl.  S.  80.  Saure  Speisen  und  Alkoholika  sind 
zu  vermeiden.  Besonders  ist  für  regelmäßigen  Stuhlgang  zu 
sorgen,  vgl.  S.  116  und  127  ff.  Gegen  die  Phosphaturie , die 
öfters  Harnbeschwerden  macht,  verordnet  man  Biliner  oder  Wil- 
dunger  Wasser. 

Wichtig  ist  die  Wasserbehandlung.  Am  besten  sind 
Wannenbäder  von  33 — 35°  C.,  10 — 30  Minuten  lang,  3 mal 
in  der  Woche,  und  Solbäder,  vgl.  S.  241,  von  30 — 32  °C., 
10  Minuten  lang,  2 — 3 mal  wöchentlich. 

Als  wirksamstes  Mittel  ist  der  Phosphor  zu  bezeichnen. 
Man  gibt  ihn  wie  bei  der  Rachitis  am  besten  in  Leberiran  ge- 
löst, der  auch  an  sich  eine  günstige  Wirkung  bei  Osteomalakie 
hat,  und  zwar  0,05 — 0,08  : 100,0,  in  den  hartnäckigsten  Fällen 
sogar  0,1  : 100,0,  und  läßt  davon  täglich  1 mal  1 Teelöffel  voll 
nehmen,  monatelang,  nötigenfalls  1 Jahr  lang  und  länger.  Die 
Wirkung  auf  Schmerzen  und  Gehfähigkeit  beginnt  meist  nach 
3 — 4 Wochen. 


412 


Krankheiten  der  Bewegungsorgane 


Die  Behandlung  mit  Eierstockspräparaten  hat  keinen  Er- 
folg gehabt. 

Bei  Versagen  der  diätetischen  und  Phosphorbehandlung  ist 
man  auf  die  Kastration  angewiesen.  Die  Entfernung  beider 
Eierstöcke  hat  oft  in  verzweifelten  Fällen  noch  Heilung  ge- 
bracht, sie  ist  daher  vorzunehmen,  wenn  die  Kranken  noch  in 
einem  Zustande  sind,  der  die  Operation  ertragen  kann.  Die 
Orthopädie  muß  nachher  helfen,  einen  einigermaßen  erträglichen 
Zustand  herbeizuführen. 


X 

Hautkrankheiten. 


1.  Allgemeines  und  Kosmetik. 

Die  gesunde  Haut  wird  am  besten  mit  Wasser  von  etwa 
15°  C.  gereinigt,  wie  es  im  allgemeinen  als  stubenwarmes  Wasser 
vorrätig  ist.  Zarte,  helle  Haut  kann  bei  der  Reinigung,  von  den 
Händen  abgesehen,  der  Seife  und  anderer  Mittel  entbehren,  dunkle, 
fette  Haut  erfordert  auch  im  Gesicht,  wenigstens  1 mal  täglich, 
eine  Behandlung  mit  guter  Seife.  Warmes  Wasser  sollte  dabei 
überhaupt  nur  verwendet  werden,  wenn  ganz  besondere  Verun- 
reinigung durch  Eisenbahnstaub  und  dergleichen  stattgefunden  hat, 
dann  muß  aber  sofort  eine  Abspülung  mit  kälterem  Wasser 
folgen.  Ganz  kaltes  Wasser  ist  der  Haut  auch  nicht  zuträglich. 
Eine  reinigende  Wirkung  ohne  Schädigung  der  Haut  wird  durch 
geringen  Zusatz  von  Borax  erzielt,  nicht  mehr  als  eine  Messer- 
spitze voll  auf  ein  Waschbecken.  Dadurch  wird  zugleich  hartes 
Wasser  weich  gemacht.  Gute  Seifen  liefern  Wolfe  & Soh.c*  in 
Karlsruhe,  Muelhens  in  Köln  u.  a. 

Die  Hände  müssen  nach  dem  Ab  seifen  gründlich  mit  Wasser 
abgespült  und  sorgfältig  getrocknet  werden.  Vor  schmutzigen 
oder  sonstwie  die  Haut  schädigenden  Beschäftigungen  tut  man 
gut,  die  Haut  mit  Lanolincreme,  Coldcream,  Glyzerincreme, 
Byrolin  und  dergleichen  einzufetten,  ebenso  nach  Einwirkungen, 
die  die  Haut  reizen  oder  schädigen.  Auch  für  das  Gesicht 
empfiehlt  sich  diese  Sorgfalt,  z.  B.  vor  und  nach  Eisenbahnfahrten, 
Gletscherwanderungen,  Meerfahrten,  Wintersport  usw.  Besonders 
nötig  ist  das  bei  fettarmer,  rauher  und  spröder  Haut;  hier  ist 
Seifenanwendung  überhaupt  zu  verbieten.  Ebenso  sind  für  trockene 
Haut  die  spirituösen  Waschmittel,  der  Zusatz  von  Kölnischwasser 
und  dergleichen,  schädlich,  dagegen  hat  ein  geringer  Zusatz  von 


414 


Hautkrankheiten 


Benzoetinktur  zum  Waschwasser  keine  Bedenken.  Verdünntes 
Glyzerin  tut  rauher  Haut  recht  gut,  unverdünnt  trocknet  es  sie 
zu  sehr  aus.  Einen  guten  Schutz  für  die  Haut  gewähren  ge- 
eignete Puder,  namentlich  feinster  Weizen-  und  noch  besser 
Reispuder , Talkum  oder  auch  Zinkoxyd.  Die  im  Handel  befind- 
lichen Fettpuder,  die  einen  Zusatz  von  Walrat  oder  Kakao- 
butter usw.  haben,  sollten  nur  verwendet  werden,  um  Fehler  des 
Teints,  Hautflecken  usw.  zu  verdecken,  die  sich  nicht  durch  ge- 
eignete Behandlung  entfernen  lassen. 

Die  Haarpflege  liegt  noch  sehr  im  argen.  Es  ist  unbe- 
dingt nötig,  daß  jede  Woche  einmal  der  Haarhoden  gründlich 
gereinigt  werde,  und  zwar  mit  stuhen warmem  Wasser  und  guter 
Seife  oder  mit  dem  vortrefflichen  Spiritus  Saponis  kalini  Hebrae. 

Ijfc  Saponis  kalini  10,0 
Spiriti  10,0 
Filtra  et  adde 
Spiriti  Lavand.  10,0 
M.D.S.  Kopfspiritus. 

Bei  Frauen  braucht  nur  der  Haarboden,  unter  Beiseitenehmen 
der  Haare,  gewaschen  zu  werden,  die  Haare  werden  durch  xlus- 
kämmen  und  Durchbürsten  genügend  gereinigt.  Der  Haarboden 
wird  durch  Abtupfen  mit  gewärmten  Tüchern  getrocknet,  man 
kann  das  noch  erleichtern,  wenn  man  ihn  mit  einem  spirituösen 
Haarwasser  nach  wäscht,  das  leichter  trocknet.  Bei  Verwendung 
des  Hebra  sehen  Spiritus  ist  das  nicht  nötig.  Wird  warmes 
Wasser  zum  Kopfwäschen  genommen,  so  muß  eine  kalte  Ab- 
spülung folgen. 

Wird  das  Haar  nach  dem  Waschen  sehr  trocken,  so  muß 
ein  gutes  Haar  öl  in  geringer  Menge  verwendet  werden.  Zu 
fettes  Haar  und  Schuppenbildung,  sogenannter  Schinn,  erfordern 
häufigeres  Waschen  mit  Seifenspiritus.  Als  Haaröl  verwendet 
man  am  besten  Oleum  Olivarum  Optimum  oder  Oleum  Amyg- 
dalarum  dulcium  mit  2 °/0  Acidum  salicylicum.  Man  kann  auch 
dem  spirituösen  Haarwasser  von  vornherein  2 — 5 °/0  Rizinusöl 
zusetzen,  um  die  Entfettung  zu  verringern;  das  Rizinusöl  wirkt 
günstig  auf  das  Wachstum  der  Haare. 

Vor  übermäßiger  Anwendung  von  Haaröl,  Pomaden,  nament- 
lich aber  vor  dem  Brennen  der  Haare  muß  gewarnt  werden. 
Auch  durch  das  Färben  werden  die  Haare  oft  geschädigt. 


Hautreizungen  usw. 


415 


Unschädlich  sind  vor  allem  das  Braunfärben  mit  Abkochungen  von 
frischen  Schalen  und  Blättern  unreifer  Walnüsse  und  das  Blond- 
färben mit  Wasserstoffperoxyd. 

Lästige  Haare  entfernt  man  dauernd  mit  Elektrolyse,  für 
kürzere  Zeit  durch  Epilation,  Ausziehen  mit  der  Zilienpinzette 
oder  durch  chemische  Depilatorien.  Bekannt  ist  das  Böttger- 
sche  Depilatorium,  daß  aus  Calciumsulfhydrat  und  Glyzerinsalbe 
besteht. 


2.  Hautreizungen,  Erythem,  Roseola,  Urticaria. 

In  allen  diesen  Fällen  ist  die  Haut  von  Reizen  frei  zu  halten; 
sehr  schonende  Reinigung,  Vermeidung  von  Reiben,  Seife  usw., 
Bestreuen  mit  Reispuder,  Bestreichen  mit  Coldcream,  Byrolin  usw. 
Umschläge  mit  Bleiwasser  sind  die  wichtigsten  Gegenmittel.  Bei 
Urticaria  kommt  noch  die  innerliche  Behandlung  hinzu:  kleine 
Gaben  von  Natrium  salicylicum  oder  Aspirin,  0,5  2 — 3 mal  täg- 
lich, Atropinum  sulfuricum  0,0003 — 0,0005  mehrmals  täglich  in 
Pillen  oder  Tropfen,  Calcium  chloratum: 

fjfc  Calcii  chlorati  puri  Merck:  10,0 — 25,0 
Aq.  dest.  80,0 
Aq.  Chloroformii  30,0 
Tct.  Aurantii  cort.  30,0 

M.D.S.  3 mal  täglich  1 Eßlöffel  in  Weinglas 
Wasser  nach  dem  Essen. 

Der  Genuß  von  Bier,  Zucker  und  anderen  Süßigkeiten  wirkt 
im  ganzen  bei  Urticaria  nicht  gut. 


3.  Hautjucken,  Pruritus  und  Prurigo. 

Bei  Hautjucken,  das  primär  auftritt,  muß  man  stets  an 
Diabetes,  Nephritis,  Leberleiden  denken!  In  jedem  Falle 
ist  die  Diät,  eine  normale  gemischte  Kost  mit  Vermeidung  von 
Alkohol,  vorzuschreiben  und  eine  vernünftige,  die  Haut  nicht 
reizende  Hautpflege  anzuordnen.  Gewaltsame  Wasserbehandlung, 
zu  lange  dauernde  Bäder  sind  nicht  selten  Ursache  von  Hautjucken 
und  anderen  Störungen. 

Oft  muß  man  zuerst  die  entstandenen  Kratzwunden  be- 
seitigen. Dazu  eignen  sich  besonders  die  Zinkpasten,  z.  B. 


416 


Hautkrankheiten 


fjfc  Zinci  oxyd. 

Amyli  ana  12,0 
Vaselini  flavi  americ.  25,0 
Misce  leni  terendo.  Adde 
Ichthyoli  1,0 

(oder  Tumenolammonii  1,0 — 5,0) 
F.Pasta.  D.S. 


Namentlich  das  Tumenolammonii  ist  ein  ausgezeichnetes  j uck- 
stillendes  Mittel.  Wenn  die  Haut  wieder  heil  ist,  sind  Te er- 
bäder angezeigt,  um  sie  zu  festigen. 


Nach  dem  Bepinseln  der  kranken  Stellen  mit  einer  dieser 
Lösungen  wartet  man  10  Minuten  ab  und  gibt  dann  ein  laues 
Bad  von  35°  C.  für  eine  halbe  bis  ganze  Stunde.  Danach  wird 
die  Haut  sorgfältig,  aber  sanft  abgetrocknet  und  mit  einer  Zink- 
paste eingestrichen,  wie  oben,  mit  oder  ohne  Ichthyol  oder  Tumenol. 

Bei  dem  Pruritus  genitalium  der  Frauen  ist  ganz  be- 
sonders auf  eine  richtige  Behandlung  einer  etwa  vorhandenen 
Endometritis  zu  sehen,  außerdem  muß  immer  das  Allgemeinbefinden 
gründlich  berücksichtigt  werden,  namentlich  muß  Beruhigung 
durch  Bromnatrium,  mehrmals  täglich  1,0 — 2,0,  und  genügender 
Schlaf  durch  Veronal  und  andere  Mittel,  vgl.  S.  325,  herbeigeführt 
werden.  Oft  wirkt  Tumenolammonii  sehr  gut  auf  den  Juckreiz: 


Tumenolammonii  5,0 

Spiriti 

Aetheris 

Aquae  (s.  Glycerini)  ana  15,0 
M.D.S.  Zum  Aufpinseln. 


Bei  Prurigo,  Juckflechte,  nützt  nur  eine  durch  viele  Monate 
fortgesetzte  Behandlung,  die  zwischen  Schälung  der  Haut  mittels 
Unguentum  Wilkinsonii 


^ Sulfuris 

Olei  Rusci  ana  7,5 
Adipis 

Sap.  kalin.  venal.  ana  5,0 
Cretae  praepar.  5,0 
M.F.Ungt.  D.S. 


und  nach  Auf  hören  der  Schälung  angewendeten  Teerbädern, 
wie  bei  Pruritus,  abwechselt. 


Pic.  liq. 

Spiriti  ana  20,0 
D.S.  Äußerlich. 


Olei  Lithantracis 
Spiriti 


Ätheris  ana  10,0 
M.D.S.  Äußerlich. 


Störungen  der  Schweißabsonderung 


417 


4.  Störungen  der  Schweißabsonderung. 

Übermäßiges  Schwitzen  erfordert  vor  allem  sorgfältige 
Reinhaltung  der  Haut  ohne  Reizung  derselben.  Die  Versuche 
mit  nachdrücklicher  Kaltwasserbehandlung  bewirken  oft  das  Gegen- 
teil. Soweit  nicht  ein  ursächliches  Leiden,  Tuberkulose,  Rachitis, 
Neurasthenie  usw.,  zu  bekämpfen  ist,  empfiehlt  man  nicht  zu 
warme  Bekleidung,  besonders  leichte  Baumwollunterkleidung,  leichte 
Bettdecke  usw.  Bei  allgemeiner  Hyperhidrosis  setzt  man  dem 
Wasser  gern  etwas  Essig,  Spiritus,  Kölnisch wasser  zu,  wirksamer 
sind  Waschungen  mit  Formalinseife  oder  Einreiben  der  Haut  mit 
einem  Wattebausch,  der  mit  Tanno formpulver  versehen  war.  Auch 
Mischungen  von  Tanno  form  oder  Dermatol  mit  Talkum  sind 
manchmal  wirksam,  5 — 20°/0ig.  Von  inneren  Mitteln  wirken 
am  besten  Atropin  und  Scopolamin,  wie  S.  66  angegeben  in 
steigenden  Dosen.  Manchmal  wirkt  auch  abends  gegebenes 
Trional  0,5 — 1,0  oder  Veronal  0,5  recht  gut  auf  Nachtschweiße. 

Stärkere  örtliche  Schweiße,  wie  z.  B.  Fußschweiß  und 
Achselschweiß,  behandelt  man  am  besten,  nachdem  etwaige  Ent- 
zündungen durch  Zinkpaste  und  dergleichen  beseitigt  sind,  mit 
Pinselungen  von  reinem  Formalin , wodurch  sich  die  Epidermis 
in  dicker  Schicht  ablöst,  oder  von  5°/0iger  Chromsäurelösung 
(giftig,  nicht  in  wunde  Stellen  bringen),  nach  einigen  Tagen  wieder- 
holt, und  nachträglichem  Abreiben  mit  Tanno  formpulver , Ein- 
streuen von  Salizylstreupulver  in  die  Strümpfe,  Einlegen  von 
Fliespapier-  oder  Trolasohlen  (aus  der  Fabrik  von  Beiersdorf  & Co. 
in  Hamburg).  Auch  öfters  wiederholte  Waschungen  mit  Eichen - 
rindeabkochung , 100,0:1000,0  Wasser,  verringern  die  Neigung 
zum  Schwitzen,  so  daß  man  davon  zu  Fußbädern  und  zu  Sitzbädern 
bei  Schweiß  der  Genitalien  Gebrauch  macht. 

5.  Störungen  der  Talgdrüsen. 

Die  Seborrhöe,  die  krankhafte  Steigerung  der  Talgab- 
sonderung, beansprucht  eine  sorgfältige  Behandlung,  besonders 
wenn  sie  den  behaarten  Kopf  befällt,  als  häufigste  Ursache  der 
Kopfschuppen  und  des  nachfolgenden  Haarausfalls,  oder  wenn 
sie  Nase,  Stirn  und  Kinn  fettglänzend  erscheinen  läßt  und 
dadurch  entstellt.  Bei  Seborrhöe  des  Gesichtes  genügen  tägliche, 
später  seltenere  Waschungen  mit  Spiritus  Saponis  kalini  mit 
nachfolgender  kalter  Abspülung,  in  schwereren  Fällen  Gebrauch 
Dornblüth,  Therapie.  27 


418 


Hautkrankheiten 


von  Ichthyol-  oder  Schwefelseife , deren  Schaum  man  auf  der  Haut 
eintrocknen  und  in  der  Nacht  darauf  läßt.  Die  Seborrhöe  des 
Kopfes,  auch  Alopecia  pityrodes  genannt,  wird  zunächst  mit 
Resorcin-  oder  Schwefelsalbe  behandelt,  die  mit  einem  Pinsel  dünn 
auf  die  Kopfhaut,  zwischen  die  zerteilten  Haare,  eingestrichen  wird, 


I $ Resorcini  2,0 

Vaselini  flavi  americ.  50,0 
M.F.Ungt.  D.S. 


IJ:  Sulf.  depur.  5,0 

Vasel.  fl.  americ.  50,0 
M.F.Ungt.  D.S. 


8 mal  wöchentlich,  später  nur  lmal  wöchentlich;  nach  dem  Auf- 
hören der  Schuppenbildung  wird  1 — 2 mal  wöchentlich  Captolhaar- 
wasser  oder  Resorcinspiritus  verwendet, 

Iji;  Resorcini  5,0 
Spiriti  200,0 
(Olei  Ricini  5,0) 

M.D.S.  Haarspiritus. 

Die  Komedonen  werden  in  leichteren  Fällen  wie  die  Se- 
borrhöe, in  schwereren  Fällen  wie  die  Akne  behandelt. 


6.  Ekzem. 


Die  häufigste  Hautkrankheit,  das  Ekzem,  erfordert  zunächst 
eine  genaue  Erforschung  der  allgemeinen  oder  örtlichen  Ursache. 
Viele  Ekzeme  verschwinden  von  seihst,  wenn  die  zugrunde  liegende 
Anämie,  Skrofulöse,  Nephritis,  Magen-  oder  Darmstörung,  Dia- 
betes beseitigt  werden  oder  wenn  eine  normale  gemischte  Kost 
eingeführt  wird,  vgl.  S.  80.  Unter  den  Arzneimitteln  haben 
Ichthyol  und  das  davon  abgeleitete  Ichthalbin  bei  innerem  Gebrauch 
nicht  selten  eine  Heilwirkung  auf  Ekzeme. 


Ufi  Pil.  Ichthyoli  drag.  0,1  No.  100 
D.S.  3 mal  tägl.  1 — 3 und  mehr 
Pillen,  monatelang. 


Ipfc  Ichthalbini  20,0 

D.S.  2 — 3 mal  tägl.  1 Messer- 
spitze voll  (=  1,25)  vor  dem 
Essen. 

Ui  Ichthalbini  0,3 

D.  tal.  dos.  XX.  S.  3 mal  tägl.  1 Pulver  (für  Kinder). 

Namentlich  bei  Ekzem  der  Kinder  ist  die  Wirkung  oft  über- 
raschend. Bei  Erwachsenen  wirkt  manchmal  auch  Arsenik  inner- 


lich, vgl.  S.  251,  sehr  gut. 

Die  äußerliche  Behandlung  kann  nur  Erfolg  haben,  wenn 
sie  die  verschiedenen  Stadien  des  Ekzems,  die  oft  gleichzeitig  am 
Körper  vorhanden  sind,  verschieden  behandelt.  In  allen  Stadien 
gleich  wichtig  ist  die  Vermeidung  von  Hautreizung.  Dazu 


Ekzem 


419 


gehört  auch,  daß  keine  Mittel  verwendet  werden,  die  der  Haut 
im  Einzelfalle  nicht  gut  bekommen,  und  daß  die  verwendeten 
Mittel  nicht  im  Übermaß  aufgelegt  werden.  Besonders  wichtig 
ist  die  Fürsorge  gegen  das  Kratzen,  das  natürlich  jede  Behand- 
lung vereitelt.  Mit  der  Warnung  davor  ist  nichts  getan,  da 
auch  willensstarke  und  verständige  Menschen  dem  gebieterischen 
Drange  unterliegen.  Der  Arzt  muß  vielmehr  dafür  sorgen,  daß 
der  Juckreiz  auf  hört  oder  daß  vorläufig  das  Kratzen  durch  Ver- 
band usw.  unmöglich  gemacht  wird. 

Das  Ekzema  erythematosum  sowohl  wie  das  vesikulöse 
und  das  nässende  Ekzem  werden  zunächst  mit  Streupulvern 
behandelt.  Man  verwendet  dazu  Talkum  oder  Reispuder  oder 
Mischungen  von  beiden  mit  Zinkoxyd.  Haben  sich  Krusten  ge- 
bildet, so  müssen  sie  vor  der  Puderbehandlung  durch  Olivenöl 
oder  Süßmandelöl  aufgeweicht  werden,  man  darf  sie  aber  nicht 
gewaltsam  ablösen.  Sobald  das  Nässep  nachgelassen  hat  oder  beim 
erythematösen  Ekzem  die  Reizung  geringer  geringer  ist,  streicht 
man  Zinkpaste  oder  Zinköl  auf,  rein  oder  mit  Zusatz  von  Ichthyol , 
bei  Juckreiz  mit  Zusatz  von  Tumenolammonium.  Bei  sehr  reiz- 
barer Haut  verwendet  man  von  Anfang  an  noch  besser  das  alt- 
bekannte Unguentum  Diachylon,  aber  mit  amerikanischer  gelber 
Vaseline  bereitet,  nach  Kaposi. 


Ijfc  Zinci  oxydati 
Amyli  ana  12,0 
Vaselini  flavi  25,0 
M.  leni  terendo. 

(Adde  Ichthyoli  0,5 — 1,0 
s.  Turnen  olammon . 1,0 — 5,0) 
F.Pasta.  D.S.  Äußerlich. 


I $ Ichthyoli  1,0 
Zinci  oxyd. 

Amyli  ana  15,0 

M.F.Pasta  mollis.  D.  ad  ollam. 
S.  Ichthyolzinköl. 


IJ:  Emplastri  Lithargyri 

Vasel.  flav.  amer.  ana  50,0 
M.F.Ungt.  D.S.  Diachylonsalbe. 


Die  Diachylonsalbe  wird  2 — 3 mm  dick  auf  Leinwand  ge- 
strichen, diese  mit  der  Salbenseite  auf  das  Ekzem  gelegt  und 
außen  mit  einem  Flanelllappen  bedeckt,  dieser  Verband  wird 
1 — 2 mal  täglich  erneuert. 

Die  Reste  der  Puder  und  Salben  werden  mit  trockener 
Watte  so  gut  wie  möglich  entfernt,  Wasseranwendung  ist  bei 
Ekzem  möglichst  zu  unterlassen.  Kur  bei  sehr  ausgebreiteten 
akuten  Ekzemen  macht  man  öfters  von  lauen  Wannenbädern  Ge- 
brauch, Seife  ist  durchaus  zu  vermeiden. 


27* 


420 


Hautkrankheiten 


Trockene,  schuppige  Ekzeme,  die  eigentliche  Form  des 
chronischen  Ekzems  und  zugleich  das  Ausgangstadium  des  akuten 
Ekzems,  werden  am  besten  mit  Teer  behandelt.  Entweder  ver- 
wendet man  die  S.  416  beschriebenen  Teerbäder  'oder  man  legt 
Unguentum  Wilkinsonii,  S.  416,  dick  auf  Leinwand  gestrichen, 
auf  die  Haut,  morgens  und  abends  erneuert.  Wenn  die  Haut 
dabei  zu  sehr  gereizt  wird,  muß  man  pausieren  oder  zwischen- 
durch Zinköl , Zinkpasie  usw.  verwenden.  Bei  seborrhoischem 
Ekzem  wirken  die  S.  418  angegebenen  Schwefel Resorcinsalben 
und  das  Ichthyolzinköl  am  besten. 

7.  Pustulöse  Hautentzündungen,  Akne,  Furunkel. 

Die  Akne  ist  eine  Entzündung  des  Haarfollikels,  die  oft  in 
Eiterung  übergeht,  der  Furunkel  eine  perifollikuläre  Entzündung, 
die  zur  Nekrose  des  Follikels  führt.  Auf  die  Neigung  zu  beiden 
Störungen  kann  man  einwirken,  indem  man  die  Ernährung 
und  die  Hautpflege  regelt,  Chlorose  und  andere  Störungen  be- 
handelt, innerlich  Bierhefe  oder  Levuretin , je  3 mal  täglich  ein 
Teelöffel,  oder  Cerolin  Böhringer,  die  Fettsubstanz  der  Hefe,  in 
den  Originalpillen  zu  0,1,  täglich  3 — 5 Stück,  gibt.  Auch  der 
innerliche  Gebrauch  von  Ichthyol  in  Pillen  oder  von  Ichthalbin, 
vgl.  S.  418,  monatelang,  bewährt  sich  manchmal  gut. 

Äußerlich  verordnet  man  die  Entleerung  der  Pusteln  durch 
Ausdrücken  zwischen  den  gereinigten  Fingern  oder  mit  einem 
Komedonenquetscher  oder  das  Anstechen  mit  einem  spitzen  Messer. 
Gleich  darauf  muß  man  entweder  die  Haut  mit  50°/oigem 
Spiritus  abreiben  oder  für  einige  Sekunden  einen  spitzen 
Alaunkristall  in  die  kleine  Wunde  einführen,  um  die  Ent- 
zündung abzuschneiden.  Ferner  läßt  man  die  Haut  gründlich 
mit  Seifenspiritus  oder  mit  Ichthyolseife  und  heißem  Wasser 
waschen  und  mit  kaltem  Wasser  abspülen  und  nachts  eine 
Ichthyolzinkpaste  oder  ein  Ichthyolzinköl  auftragen,  vgl.  S.  419. 
Man  kann  den  Ichthyolgehalt  auch  bis  1 0 °/0  steigern.  Wenn  die 
Haut  gereizt  wird,  läßt  man  die  heißen  Äbseifungen  fort  und 
beschränkt  sich  einige  Zeit  auf  die  Pastenbehandlung  oder  läßt 
auch  wohl  nur  Coldcream  aufstreichen.  Neuerdings  sind  auch 
Hefeseifen  nach  Dr.  Dreuw,  hergestellt  von  George  Heyer  & Cie. 
im  Handel,  teils  rein,  teils  mit  Zusatz  von  Salizylsäure , Schwefel, 
Ichthyol , die  sich  bei  Versuchen  gut  bewährt  haben. 

Furunkel  müssen  rechtzeitig  geöffnet  werden,  zweckmäßig 


Papulöse  Hautentzündungen  usw. 


421 


unter  Anästhesie  mit  Chloräthyl,  vgl.  S.  268.  Die  Umgebung 
muß  sorgfältig  desinfiziert  werden,  um  Übertragungen  zu  ver- 
hindern. Umschläge  mit  Spiritus  unter  wasserdichter  Bedeckung 
erweisen  sich  dazu  sehr  zweckmäßig  und  wirken  auch  der  Ent- 
zündung entgegen.  Beginnende  Furunkel  lassen  sich  oft  durch 
Auflegen  von  50°/oigem  Salizylsäurepflastermull  zurückbringen. 
Auch  die  Behandlung  mit  BiEßschen  Schröpf  köpfen  ist  zu  empfehlen. 


8.  Papulöse  Hautentzündungen,  Lichen,  Erythema 
exsudativum  multiforme,  Erythema  nodosum. 

Für  den  Lichen  ruber  acuminatus  wie  für  den  L.  r.  planus 

ist  die  von  Hebra  eingeführte  Behandlung  mit  Arsenik  in  stei- 
genden Dosen  spezifisch.  Man  gibt  entweder  Acidum  arsenicosum 
innerlich  in  Pillen  oder  als  Liquor  Kalii  arsenicosi,  vgl.  S.  340, 
oder  man  spritzt  Atoxyl  unter  die  Haut,  vgl.  S.  314.  Der  Erfolg 
beginnt  meist  erst  gegen  Ende  des  zweiten  Monats  der  Behandlung 
und  ist  in  3 — 4 — 12  Monaten  vollendet.  Dieselbe  Behandlung 
heilt  am  ehesten  den  Lupus  erythematodes.  Auch  hier  hängt 
alles  von  der  richtigen  hohen  Dosis  und  der  Ausdauer  ab! 

Die  hier  gehörige  Prurigo  ist  schon  S.  416  besprochen. 

Das  Erythema  exsudativum  multiforme  wird  nur  sympto- 
matisch mit  Streupulver  oder  Zinkpasten  behandelt. 

Das  Erythema  nodosum  ist  als  Ausdruck  einer  Infektion 
mit  den  Erregern  des  akuten  Gelenkrheumatismus  anzusehen  und 
wird  ganz  wie  dieser  behandelt,  vgl.  S.  387. 


9.  Psoriasis. 

Die  Psoriasis  ist  auch  heute  noch  eine  Crux  der  Dermato- 
logen, man  tut  daher  gut,  von  Anfang  an  alle  Mittel  heranzu- 
ziehen Innerlich  verwendet  man  nach  neueren  Berichten  mit 
Vorteil  die  Schilddrüsenpräparate,  vgl.  S.  343;  man  gibt  sie 
in  der  dort  angegebenen  steigenden  Dosis,  mit  der  nötigen  Rück- 
sicht auf  die  etwa  eintretenden  Störungen  des  Allgemeinbefindens. 
Besonders  zweckmäßig  ist  es,  die  Behandlung  gleich  mit  einer 
Arsenikkur  zu  verbinden,  da  diese  von  alters  her  als  gutes  Mittel 
gegen  Psoriasis  bekannt  ist.  Sie  würde  noch  viel  mehr  dafür 
bekannt  sein,  wenn  sie  nur  öfter  richtig  und  nachdrücklich  und 
lange  genug  angewendet  würde.  Es  ist  unbedingt  nötig,  die 


422 


Hautkrankheiten 


Dosen  in  der  S.  314  angegebenen  Weise  zu  steigern  und  die  Kur 
monatelang  durcbzufübren.  Die  subkutane  Anwendung  gilt  als 
wirksamer,  die  intravenöse  als  wirksamste. 

Die  äußerliche  Behandlung  hat  oft  die  erste  Aufgabe,  die 
Folgen  reizender  Eingriffe  durch  Zinkpasten  und  dergleichen  zu 
beseitigen.  Ist  die  Haut  frei  von  Entzündung,  so  gilt  es  zunächst, 
die  Schuppen  der  Flechte  zu  entfernen.  Das  geschieht  durch 
langdauernde  warme  Bäder,  Einreibung  mit  10°/0iger  Salizyl- 
seife,  Einseifen  mit  Ölseife  usw.  Dann  beginnt  die  eigentliche 
Behandlung  mit  Chrysarobin  oder  Pyrogallol  und  deren  Abkömm- 
lingen. Beides  sind  giftige  Stoffe.  Das  Chrysarobin  bewirkt 
direkt  und  durch  Resorption  heftige  Reizung  der  Conjunctiva  und 
sollte  deshalb  am  Kopfe  gar  nicht  angewendet  werden,  und  das 
Pyrogallol  kann  resorbiert  Schüttelfrost,  Hämoglobinurie,  Nephritis, 
Koma  hervorrufen.  Daher  das  Suchen  nach  milder  wirkenden 
Abkömmlingen. 

Das  Chrysarobin  verwendet  man  in  Salben  oder  in  Traumaticin 
gelöst : 


1$  Chrysarobini  0,5 — 3,0  I ^ Chrysarobini  1,0 

Vaselini  flayi  20,0  Traumaticini  10,0 

M.F.Ungt.  | D.S.  Äußerlich./ 

Man  streicht  die  Salbe  oder  pinselt  die  Flüssigkeit  auf  die 
schuppenfreien  Flecken  und  wiederholt  das  täglich  lmal,  bis  die 
Umgebung  sich  rötet,  dann  setzt  man  aus.  Bei  empfindlicher 
Haut  verwendet  man  lieber  das  Eurobin,  triacetyliertes  Chrysa- 
robin, 1,0 — 3,0:100,0  Pasta  Zinci.  Sobald  wieder  Schuppen 
erscheinen,  müssen  diese  erst  wieder  beseitigt  werden,  dann  be- 
ginnt die  Kur  von  neuem. 

Das  Pyrogallol  wird  in  Salbenform,  1:10 — 20  Vaseline, 
verwendet;  neuerdings  nimmt  man  lieber  das  von  Unna  empfohlene 
Pyrogallolum  oxydatum,  in  derselben  Dosis,  ebenso  wirksam,  aber 
nicht  so  giftig,  oder  das  Eugallol,  monoacetyliertes  Pyrogallol, 
oder  das  Lenigallol,  triacetyliertes  Pyrogallol.  Das  Eugallol  ist 
in  Mischung  mit  gleichen  Teilen  Aceton  im  Handel,  es  wird  ein- 
fach aufgestrichen  und  nach  einer  Viertelstunde  Zinköl  darüber- 
gestrichen. 

Ij&  Zinci  oxyd.  30,0 
Olei  Oliv.  opt.  20,0 
M.D.S.  Zinköl. 


Akne  rosacea 


423 


Das  Lenigallol  wird  zu  1 — 10%  zu  Zinkpaste  zugesetzt. 

Schwitzbäder  bekommen  oft  den  Psoriasiskranken  sehr 
gut.  Auch  nach  der  Heilung  läßt  man  diese  wöchentlich  lmal 
nehmen,  oder  verordnet  wenigstens  2 mal  wöchentlich  Wannen- 
bäder von  33°  C.  mit  gründlicher  Abseifung  des  ganzen  Körpers 
mit  guter  Seife. 


10.  Akne  rosacea. 

Die  Ursache  der  Rosacea  ist  durchaus  nicht  immer  der  über- 
mäßige Alkoholgenuß,  trotzdem  ist  es  im  allgemeinen  nötig,  den 
Alkohol  zu  verbieten,  ebenso  andere  Dinge,  die  eine  Kongestion 
nach  der  Nase  bewirken  können,  wie  heiße  Getränke,  Kaffee, 
Tee  usw.  Ferner  muß  die  Haut  geschont  werden,  wie  S.  413 
auseinandergesetzt  ist,  Seife  und  dergleichen  ist  davon  fernzuhalten. 
Die  Darmtätigkeit  ist  zu  regeln,  kalte  Füße  oder  Hände  nach  den 
bei  Chlorose  gegebenen  Regeln  zu  behandeln,  Frauenleiden  zu 
beseitigen  usw. 

Innerlich  gibt  man  oft  mit  Vorteil  Ichthyol  oder  Ichthalbin, 
vgl.  S.  418.  Äußerlich  versucht  man  ebenfalls  Ichthyol , 

Ichthyoli  5,0 — 10,0 
Lanolini 
Adipis  ana  20,0 
M.F.Ungt.  D.S.  Salbe. 

oder  Waschungen  mit  Schwefelkampferperubalsamseife  nach  Eich- 
hofe. Bei  starken  Gefäßerweiterungen  nimmt  man  multiple 
Stichelung  der  Gefäße  vor,  Akneknoten  werden  in  der  dafür 
angegebenen  Weise  geöffnet,  vgl.  S.  420,  Geschwulstbildungen 
müssen  chirurgisch  behandelt  werden. 

11.  Lupus  vulgaris,  L.  tuberculosus. 

Die  wirksamste  Behandlung  des  Lupus  ist  die  von  Finsen 
erdachte  Bestrahlung  mit  elektrischem  Bogenlicht,  die  in 
zahlreichen  Lichtheilanstalten  größerer  Städte  ausgeübt  wird.  Die 
Wirkung  des  Tuberkulins  kann  sehr  gut  sein,  hat  sich  aber  in 
der  Regel  nicht  als  dauernd  erwiesen.  Wo  die  Lichtbehandlung 
nicht  möglich  ist,  versucht  man  am  besten  die  Zerstörung  des 
kranken  Gewebes  durch  Elektrolyse,  Unnas  Mikrobrenner  und  der- 
gleichen, durch  Auskratzen  mit  dem  scharfen  Löffel  und  nach- 
folgende Ätzung  mit  Pyrogallol  in  10%iger  Salbe  usw. 


424 


Hautkrankheiten 


12.  Parasitäre  Hautkrankheiten. 

1.  Der  Favus  wird  nach  Ausziehen  oder  Kurzabschneiden 
der  Haare,  Ab  weichen  der  Favusmassen  mit  Olivenöl  und  Ab- 
waschen mit  Seife  oder  Seifenspiritus  mit  l°/0igem  Sublimat- 
spiritus kräftig  bepinselt  oder  mit  10°/oiger  Pyrogallolsalbe  be- 
strichen. Als  wirksamste  Methode  ist  in  den  letzten  Jahren  die 
Röntgen  bestrahlung  erkannt  worden. 

2.  Bei  Herpes  tonsurans  wendet  man  ebenfalls  dieRöNTGEN- 
strahlen  mit  gutem  Erfolge  an.  Wo  diese  nicht  zur  Verfügung 
stehen,  legt  man,  an  den  behaarten  Stellen  nach  Ausziehen  der 
Haare,  eine  5 °/n  ige  Naphtholsalbe  auf, 

Naphtholi  2,5 
Lanolini 
Adipis  ana  25,0 
M.F.Ungt.  D.S. 

oder  eine  Schwefel-Pesorcin- Pasta , 

3Ej&  Zinci  oxyd. 

Amyli  ana  7,5  % 

Vaselini  americ.  flav.  25,0 
M.  leni  terendo.  Adde 
Sulf.  depur.  5,0 — 10,0 
Resorcini  2,0 — 5,0 
M.F.Pasta.  D.S. 

oder  endlich  eine  10°/oige  Chrysarobinsalbe,  vgl.  S.  422. 

3.  Die  Pityriasis  versicolor  wird  mit  Naphthalinpulverseife 
nach  Eichhoef  behandelt.  Nötigenfalls  ist  besonders  die  örtliche 
Schweißabsonderung  nach  S.  417  zu  behandeln. 

4.  Die  Scabies  erfordert  gewöhnlich  zunächst  die  Beseitigung 
der  Kratzstellen.  Dazu  ist  die  Tumenolpaste,  S.  419,  am  geeig- 
netsten. Sind  die  Wunden  abgeheilt,  so  bekommt  der  Kranke 
ein  Bad,  worin  er  gründlich  mit  grüner  Seife  abgeseift  wird, 
danach  wird  der  ganze  Körper  mit  Perubalsam,  10  — 15  g auf 
einmal,  oder  mit  dem  billigeren  Styrax  liquidus,  mit  1/4 — 1 Teil 
Olivenöl  gemischt,  eingerieben,  2 mal  täglich;  am  Tage  darauf  wird  ein 
Reinigungsbad  gegeben.  Im  allgemeinen  sind  die  Parasiten  hier- 
durch getötet,  und  man  hat  nur  noch  das  zurückbleibende  Jucken 
durch  Zinköl  und  dergl.,  vgl.  S.  419,  zu  beseitigen.  Nur  bei 
tatsächlichem  Nachweis  noch  lebender  Parasiten  ist  die  Kur  zu 
wiederholen. 


Herpes.  Pemphigus 


425 


13.  Herpes.  Pemphigus. 

Der  Herpes  simplex  bedarf  keiner  besonderen  Behandlung. 
Die  eintrocknenden  Bläschen  und  Borken  dürfen  nicht  abgekratzt 
werden,  man  kann  sie  mit  Coldcream  und  dergl.  bestreichen; 
an  den  Genitalien  bepulvert  man  sie  mit  Dermatol  oder  Bismutum 
subnitricum. 

Der  Herpes  zoster  wird  örtlich  mit  einem  leichten  Verband 
oder  einer  Zinktumenolpaste,  S.  419,  gegen  das  Jucken,  behandelt. 
Die  Schmerzen  erfordern  eine  systematische  Verabreichung  von 
antirheumatischen  und  antineuralgischen  Mitteln,  nach 
S.  280;  dadurch  werden  nicht  nur  die  vielfach  üblichen 
Einspritzungen  von  Morphium  überflüssig,  sondern  auch  eine  Ab- 
kürzung des  Leidens  und  eine  bessere  Rekonvaleszenz  erzielt. 

Bei  Pemphigus  ist  wesentlich  eine  symptomatische  Behand- 
lung vorzunehmen.  Man  gibt  Bäder  mit  Eichenrinde,  1/2 — 1 — 2 kg 
abgekocht  auf  ein  Bad,  bei  ausgebreitetem  Pemphigus  foliaceus 
permanente  Wasserbäder,  und  bestreut  die  Blasen  mit  Reispuder 
und  dergl. 


14.  Alopecia  areata. 

Die  Alopecia  areata,  der  kreisförmige  Haarausfall,  wird  nach 
Kromayer  auch  in  veralteten  Fällen,  nach  jahrelangem  völligen 
Fehlen  der  Haare,  durch  Bestrahlung  mit  Eisenlicht  geheilt. 
Dieses  Verfahren  wäre  also  in  jedem  Falle  zu  versuchen.  — Unter 
den  sonstigen  Heilmethoden  steht  die  faradische  Pinselung 
obenan,  vgl.  S.  276;  man  setzt  den  indifferenten  Pol  in  die 
Nackengegend  und  pinselt  mit  dem  andern  die  kahlen  Stellen  täg- 
lich einige  Minuten  lang,  mit  Stromstärke,  die  keine  starken 
Schmerzen  macht.  Jessner  empfiehlt  täglich  abends  vorzunehmende 
Einreibung  mit  10°/0iger  Chry sarobinschwef eisalbe , danach  Be- 
deckung des  Kopfes  mit  einer  Gummikappe,  Aussetzen  bei  lebhafter 
Hautentzündung,  Conjunctivitis,  Dunkelfärbung  des  Gesichtes. 
Immer  gehören  Wochen  dazu,  bis  die  ersten  neuen  Härchen  kommen, 
ist  dies  der  Fall,  so  ist  die  Schlacht  gewonnen. 


XI 

Allgemeine  Ernährungstörungen. 

1.  Chlorose. 

Die  in  den  Pub  er  tätsj  ähren  beim  weiblichen  Geschlecht  wahr- 
scheinlich infolge  von  abnormen  inneren  Sekretionen  auftretende 
Chlorose  wird  bis  zu  einem  gewissen  Grade  verhütet  durch  ein 
gesundheitgemäßes  Leben  der  Kinder,  durch  Vermeidung  alles 
dessen,  was  die  Kinder  frühreif  macht,  durch  gesunde  Haut-  und 
Muskelpflege,  reichlichen  Aufenthalt  im  Freien,  Gewöhnung  an 
Licht  und  Luft  und  Vermeidung  der  Schulüberbürdung.  So  lange 
diese  noch  von  Staatswegen  auferlegt  wird,  haben  Eltern  und 
Erzieher  doppelt  sorgsam  darüber  zu  wachen,  daß  nicht  vom 
Hause  aus  unnötige  Anforderungen  an  die  Kinder  gestellt,  ihre 
Schularbeiten  erschwert  und  gestört,  ihre  Nachtruhe  verkürzt 
wird  usw. 

Die  vorhandene  Krankheit  erfordert  vor  allem  ein  richtiges 
Maß  vor  Ruhe.  Die  Gewohnheit,  bleichsüchtigen  Mädchen  vor 
allem  viel  Spazierengehen  zu  verordnen,  ist  die  Ursache  zahlreicher 
Mißerfolge  der  ärztlichen  Kuren.  Die  Kranken  brauchen  viel 
Luft  und  Licht,  aber  sie  müssen  dabei  ruhen  können.  Frei- 
luftliegekuren sind  daher  am  besten.  Die  Hauttätigkeit  soll 
durch  Bäder  von  33 — 35 °C.,  2 mal  wöchentlich  10  Minuten  lang, 
und  durch  Luftbäder  im  Zimmer,  vgl.  S.  317,  und  womöglich 
auch  im  Freien,  angeregt  werden.  Die  Ernährung  heilt  keine 
Chlorose,  aber  sie  ist  natürlich  eine  wichtige  Grundlage  der  Hei- 
lung. Die  Verdauungsorgane  sind  fast  immer  empfindlich,  der 
Appetit  ist  meist  herabgesetzt  oder  auf  unzweckmäßige  Dinge 
gerichtet,  daher  muß  die  Speiseordnung  mit  großer  Sorgfalt  er- 
wogen werden.  Die  einzelnen  Mahlzeiten  sollen  nicht  übergroß 


Chlorose 


427 


sein,  um  den  Magen  nicht  zu  erschöpfen;  besteht  morgens  ver- 
hältnismäßig guter  Appetit,  so  gibt  man  zum  ersten  Frühstück 
reichliche  Kost,  auch  Fleischgerichte  mit  Kartoffeln  usw.,  um  die 
günstige  Zeit  auszunützen.  Im  allgemeinen  empfiehlt  sich  eine 
normale  gemischte  Kost,  wie  sie  auf  S.  80  angegeben  ist.  Wo 
der  Ernährungszustand  darniederliegt,  kann  man  sie  in  der  S.  321 
mitgeteilten  Weise  bereichern,  ohne  ihren  Umfang  erheblich  zu 
steigern.  Oft  sind  die  Ohlorotischen  ohnehin  zu  fett,  dann  ist  es 
natürlich  verkehrt,  sie  noch  weiter  zu  mästen.  Bei  Appetit- 
losigkeit, die  namentlich  bei  nervösen  Ohlorotischen  manchmal 
eine  große  Schwierigkeit  bietet,  muß  alles  herausgesucht  werden, 
was  den  Kranken  zusagt  und  ihren  Appetit  anregen  könnte,  vgl. 
darüber  mein  Diätetisches  Kochbuch,  2.  Aufl.,  Würzburg  1905. 
Unter  strenger  Bettruhe  und  Ausschluß  von  Besuch  und  Unter- 
haltung kommt  man  dabei  manchmal  am  weitesten.  Ganz  besonders 
kann  man  dann  veranlaßt  sein,  von  Nährpräparaten  Gebrauch  zu 
machen,  namentlich  von  Somatose,  flüssiger  Somatose,  Roborat  usw. 
Für  sehr  wichtig  halte  ich  es,  daß  man  bei  der  gewöhnlichen 
Zahl  von  5 Mahlzeiten  bleibt  und  höchstens  abends,  vor  dem  Ein- 
schlafen, noch  etwas  Nahrhaftes  nehmen  läßt,  nicht  etwa  zwei- 
stündlich oder  gar  ganz  unregelmäßig  essen  läßt. 

Das  spezifische  Mittel  gegen  Chlorose  ist  das  Eisen.  Das 
trifft  so  sicher  zu,  daß  man  bei  einem  Mißerfolg  zunächst  zweifeln 
muß,  ob  es  sich  um  eine  wirkliche  Chlorose  und  nicht  um  eine 
symptomatische  Anämie  handelt,  wobei  das  Eisen  zwar  auch  sehr 
oft,  aber  doch  lange  nicht  so  auffallend  wirkt  wie  bei  Chlorose. 
Die  Klagen  über  ungünstige  Nebenwirkungen  des  Eisens,  daß  es 
vom  Magen  nicht  vertragen  werde,  Verstopfung  oder  Durchfall 
bewirke,  die  Zähne  verderbe  usw.,  halte  ich  für  den  Ausdruck 
falscher  Beobachtungen.  Die  Zähne  werden  durch  die  Chlorose 
schlecht,  wenn  sie  lange  besteht,  durch  das  Eisen  werden  sie 
besser,  wie  jeder  Zahnarzt  bestätigen  kann.  Viele  Zahnärzte 
plombieren  bei  Bleichsüchtigen  erst  nach  einer  Eisenkur,  weil  die 
Zähne  dadurch  fester  werden.  Für  den  Magen  ist  es  wichtig, 
daß  das  Eisenmittel  nach  dem  Essen  genommen  wird.  Man  ver- 
zichtet dabei  allerdings  auf  die  von  manchen  angenommene  magen- 
und  appetitanregende  Wirkung  der  metallischen  Eisenmittel,  aber 
die  Wirkung  auf  die  Blutbeschaffenheit  ist  darum  nicht  weniger 
deutlich.  Besonders  empfehlenswerte  Präparate  sind  Ferrum  lacti- 
cum , Ferrum  reductum  und  die  Bl aud  sehen  Rillen,  die  infolge 
einer  Umsetzung  Ferrum  carbonieum  enthalten: 


428 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


Ferri  lactici  10,0 

Extr.  Gentianae  5,0 

F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich 


^ Ferri  reducti  10,0 
Extr.  Gent.  6,0 
Pulv.  Gent.  q.  s. 

F.Pil.  100.  D.S.  3 mal  täglich 


2 Pillen. 


2 Pillen. 

Die  Vorschrift  für  die  offizinellen  Blaud  sehen  Pillen  lautet 
nach  der  4.  Ausgabe  der  Deutschen  Pharmakopoe: 


^ Ferri  sulf.  sicci  9,0 
Sacch.  albi  pulv.  3,0 
Kal.  carbon.  pulv.  7,0 
Magnes.  ustae  0,7 
Glycerini  q.  s.  (ca.  4,0) 
F.Pil.  pond.  0,25. 


Sie  werden  im  Handverkauf  verschrieben,  zu  100  Stück  und  mehr. 
Man  gibt  davon  3 mal  täglich  2 Stück,  nach  einer  Woche  auch 
3 mal  3 Stück. 

Für  die  Kinderpraxis  gibt  man  gern:  Ferrum  oxy datum 
saccharatum  solubile , im  Handverkauf  als  Eisenzucker  zu  ver- 
ordnen, 3 mal  täglich  eine  Messerspitze  voll  in  Suppe  und  dergl., 
oder  den  daraus  bereiteten  Eisensirup , 3 mal  täglich  1/2 — 2 Tee- 
löffel, oder  Tinctura  Ferri  pomaii,  3 mal  täglich  l/2  Teelöffel  voll. 

Viel  gebraucht  sind  auch  die  fabrikmäßig  hergestellten  Arz- 
neien: ATHENSTÄDTSche  Eisentinktur , Pizzalas  Eisenpeptonat- 
essenz,  Gudes  Manganeisenpeptonatessenz , Hämaticum  Glausch, 
Liquor  Eerri-manganopeptonatus  der  Fabrik  in  Helfenberg. 

Als  besserer  Ersatz  der  Blaud  sehen  Pillen  sollen  die  Plenulae 
Blaudii  Meissner  dienen,  Gallertkapseln  mit  Ferr.  sulf.,  Natr. 
carb.  und  wasserfreiem  getrockneten  Lebertran  luftfrei  angefüllt; 
eine  Kapsel  gleich  zwei  Blaud  sehen  Pillen. 

Trotz  der  unzweifelhaften  Wirkung  der  anorganischen  Eisen- 
präparate hat  sich  ein  Zeitlang  die  Meinung  unter  den  Pharma- 
kologen erhalten,  daß  sie  nicht  resorbiert  würden,  und  daß  man 
deshalb  besser  resorbierbare  organische  Verbindungen  geben  müsse. 
Man  kann  schon  die  erwähnten  Eisenpeptonate  hierher  rechnen. 
Unter  den  zahlreichen  organischen  Präparaten  haben  sich  besondern 
Ruf  erworben:  Ferratin,  künstlich  hergestellte  Ferroalbum insäure, 
in  Tabletten  zu  0,025,  3 mal  täglich  3 Tabletten  und  mehr; 
Sanguinal  Krewel  in  Pillen,  3 mal  täglich  2 — 3,  auch  mit  Zusatz 
von  Extr  actum  Rhei  bei  Darmträgheit,  Jodum  purum  bei  Ver- 
dauungstörungen, Chininum  hydrochloricum , Acidum  arsenicosum, 
im  Handel,  endlich  auch  als  Liquor  Sanguinalis,  3 mal  täglich 


Anämie.  Perniziöse  Anämie.  Leukämie 


429 


1 Teelöffel;  das  von  Kobert  angegebene  Hämol,  die  Hämo- 
globinpastillen von  Peeufeer,  das  durch  Reklame  sehr  bekannt 
gewordene  Hämatogen  Hommel,  das  von  Einsen  empfohlene 
Hämatinalbumin  (Feustell  Nachf.  in  Hamburg),  3 mal  täglich 
1 Teelöffel  voll. 

So  gute  Erfolge  mit  verschiedenen  organischen  Präparaten 
erzielt  werden,  so  kann  man  doch  nicht  sagen,  daß  sie  in  der 
Wirkung  den  guten  anorganischen  überlegen  wären.  Vielleicht 
werden  sie  von  empfindlichen  Kranken  manchmal  besser  vertragen. 
Bei  den  Sanguinalpillen  wird  die  Wirkung  dadurch  gefördert,  daß 
jede  Pille  zu  46°/0  aus  löslichen  Blutsalzen,  zu  44°/n  aus  frisch 
peptonisiertem  Muskeleiweiß  besteht,  außer  den  10°/0  Hämoglobin, 
die  ihre  spezifische  Wirkung  ausmachen. 

In  hartnäckigen  und  zu  Rezidiven  neigenden  Fällen  bewährt 
es  sich  oft,  die  Eisenmittel  in  steigender  Dosis  zu  geben  und 
namentlich  gegen  den  Schluß  der  Kur  hin,  die  stets  etwa  2 Monate 
betragen  sollte,  sich  ganz  allmählich  mit  den  Dosen  auszuschleichen. 

Die  Versuche  mit  Organpräparaten,  zumal  mit  Eier  stock- 
Präparaten,  haben  keine  besonderen  Ergebnisse  aufzuweisen  gehabt. 
Die  von  Dyes,  Schubert,  Wilhelmi  empfohlene  Behandlung  der 
Chlorose  mit  Aderlaß,  50  — 100g  Blut  auf  einmal,  nach  Wochen 
wiederholt,  ist  insofern  nicht  aussichtslos,  als  der  Aderlaß  nach 
Versuchen  eine  energische  Anregung  der  Blutbildung  bewirkt.  Eine 
große  Verbreitung  hat  das  Verfahren  nicht  gefunden.  Die  von  den  Au- 
toren behandelten  Patientinnen  waren  meist  keine  rein  Chlorotischen. 

Die  bei  Laien  sehr  verbreitete  Ansicht,  daß  die  Heirat  ein 
Heilmittel  für  Chlorose  sei,  ist  unhaltbar.  Zwar  kommt  unter 
den  völlig  veränderten  Lebensverhältnissen  und  unter  der  Wand- 
lung des  Geschlechtslebens  zuweilen  eine  schnelle  Besserung  einer 
hartnäckigen  Chlorose  vor,  ebenso  oft  aber  wird  das  Leiden  in 
der  Ehe  nicht  besser,  es  kommt  zu  Siechtum,  zur  Vererbung  der 
Anämie  auf  Kinder,  zur  Tuberkulose  usw. 

Die  chloro tische  Amenorrhoe  weicht  gewöhnlich  der  Eisen- 
behandlung; Menorrhagien  werden  nach  den  dafür  gegebenen 
Regeln  behandelt. 


2.  Anämie,  Perniziöse  Anämie,  Leukämie. 

Die  durch  Verblutung  entstandene  akute  Anämie  erfordert 
wagrechte  Bettlage,  warme  Einhüllung,  Verabreichung  von  heißem 
Kaffee,  Glühwein,  Kognak  usw.,  Infusion  von  Kochsalzwasser, 


430  Allgemeine  Eraährungstörangen 

ygl.  S.  106,  Transfusion  von  Blut  direkt  von  Vene  zu  Vene 
nach  Ziemssen. 

Die  sekundäre,  chronische  Anämie  durch  ungenügende 
Ernährung,  erschöpfende  Krankheiten,  Darmparasiten  usw.  wird 
außer  mit  der  Bekämpfung  der  Ursachen  yor  allem  durch  eine 
geeignete  Ernährung  behandelt.  Besonders  sind  Eiweiß  und 
Fett  in  reicher  Menge  zuzuführen,  dabei  in  solcher  Form,  daß  sie 
yom  Verdauungsapparat  ohne  Schwierigkeiten  ertragen  und  gut 
assimiliert  werden.  Zweckmäßig  ist  es,  etwa  mit  der  Leube  sehen 
2.  Kostklasse,  ygl.  S.  80,  zu  beginnen  und  bald  zur  3.  und  4. 
Klasse  überzugehen  und,  wenn  es  vertragen  wird,  zu  einer  be- 
reicherten gemischten  Kost,  wie  auf  S.  321  beschrieben,  überzugehen. 
Auch  hier  ist  die  Zugabe  von  Somatose , Roborat,  Hygiama  usw.  vor- 
teilhaft. Zuweilen  muß  man  die  künstliche  Ernährung  vom 
Darm  aus  oder  von  der  Haut  aus  zu  Hilfe  nehmen,  vgl.  S.  10 5f. 

Die  Arzneibehandlung  hat  hier  leider  durchaus  nicht  die 
glänzende  Wirkung  wie  bei  der  Chlorose.  Bei  fieberhaften  Anämien, 
bei  Tuberkulose,  bei  schwereren  Magen-  und  Darmstörungen  muß 
man  zumal  von  der  Verordnung  von  Eisen  ganz  absehen,  aber  auch 
in  den  anderen  Fällen  wirkt  es  oft  sehr  mangelhaft.  Bessere  Wirkung 
sieht  man  öfters  von  Arsenik , s.  u.,  und  von  kleinen  Gaben  Chinin, 
3 mal  täglich  0,2  in  Pillen. 

Bessere  Erfolge  erzielt  nicht  selten  die  klimatische  Be- 
handlung. Schon  die  Versetzung  aus  der  Stadt  in  ländliche, 
waldreiche  Umgebung  kann  einen  Umschwung  im  Befinden  her- 
vorrufen,  wobei  allerdings  die  psychischen  Einflüsse  mitspielen 
mögen,  viel  mehr  wirkt  jedenfalls  die  Versetzung  in  Gebirgs- 
klima oder  an  das  Meer.  Ob  die  Höhenlage  tatsächlich  eine 
schnelle  Vermehrung  der  roten  Blutkörperchen  mit  sich  bringt, 
wie  von  verschiedenen  Untersuchern  festgestellt  worden  ist,  oder 
ob  dabei  Beobachtungsfehler,  physikalische  Einflüsse  usw.  mit- 
sprechen, ist  noch  nicht  sicher,  der  praktische  gute  Erfolg  ist  aber 
oft  unbestreitbar.  Am  Meer  kann  man  dieselben  Wirkungen  sehen. 
Seebäder  sind  bei  Anämie  übrigens  entschieden  nachteilig,  man 
muß  sich  mit  der  appetit-  und  nervenanregenden  Wirkung  der 
Seeluft  begnügen,  höchstens  warme  Seebäder  sind  erlaubt. 

In  der  ersten  Zeit  der  Behandlung  ist  Buhe  die  Hauptsache, 
mit  der  Fürsorge  für  reichlichen  Genuß  von  guter  Luft  und  von 
Sonnenlicht.  Weiterhin,  wenn  entschiedene  Besserung  angebahnt 
ist,  tritt  die  Muskelübung,  die  Gewöhnung  an  Bewegungen,  Sport 
und  dergl.  in  ihre  Bechte, 


Hämorrhagische  Diathese 


431 


Die  perniziöse  Anämie  erfordert  vor  allem  mit  Rücksicht 
auf  die  oft  vorhandenen  Veränderungen  im  Magen-  und  Darm- 
kanal eine  leicht  verdauliche  Kost,  bei  vorhandenen  Zer- 
setzungen Magen-  und  Darmausspülungen,  vgl.  S.  95  und  136, 
in  schlechteren  Zeiten  Schlauchfütterung  mit  Hafergrütze  und 
Ei  und  dergl.,  vorwiegend  vegetabilische  Kost,  eiweißreiche 
Nährklistiere.  Der  Versuch  der  Darmdesinfektion  nach 
S.  125  f.  ist  jedenfalls  anzustellen,  Salol  und  Benzonaphthol  werden 
besonders  empfohlen.  In  manchen  Fällen  ergibt  eine  Behandlung 
mit  Arsenik  wirkliche  Heilerfolge.  Man  gibt  das  Mittel  teils  in 
den  S.  314  angegebenen  Pillen,  teils  in  der  ebenda  beschriebenen 
Form  des  Atoxyls.  Monatelange  Verabreichung  in  steigenden 
Gaben  ist  für  den  Erfolg  notwendig,  allmähliche  Verminderung 
der  Gaben  für  dessen  Bestand. 

Bei  der  Leukämie  ist  in  vielen  Fällen  wegen  des  enterogenen 
Ursprunges  dieselbe  diätische  Behandlung  und  die  Darmdesinfektion 
wünschenswert  wie  bei  der  perniziösen  Anämie.  Die  Behandlung 
mit  Arzneimitteln  ist  dieselbe.  Über  den  Erfolg  der  Behandlung 
mit  Medulladen  Knoll,  einem  Knochenmarkextrakt,  ist  noch  nichts 
Abschließendes  bekannt  geworden. 

Die  Pseudoleukämie  wird  in  derselben  Weise  behandelt, 
auch  hier  sieht  man  zuweilen  Erfolge  von  Arsenkuren.  Manche 
Fälle  beruhen  auf  Tuberkulose  und  müssen  deshalb  einer  All- 
gemeinbehandlung in  diesem  Sinne,  vgl.  S.  373ff.,  unterzogen  werden. 


3.  Hämorrhagische  Diathese. 

Die  Purpura  simplex  bedarf  keiner  Behandlung,  die  Pur- 
pura rheumatica  wird  wie  Gelenkrheumatismus  behandelt, 
vgl.  S.  386,  die  W" erlhof sehe  Krankheit  und  der  Skorbut 
erfordern  eine  vorwiegend  vegetabilische  Kost  mit  reichlich  frischem 
Gemüse,  Obst,  Zitronensaft  usw.  und  als  Arzneibehandlung  Ghina- 
dekokte, 


Tfi  Cort.  Chinae  20,0 
Acid.  sulf.  dil.  3,0 
Coq.  c.  Aq.  font.  q.  s.  ad 
Colat.  200,0 

D.S.  4 — 5 mal  täglich  1 Eßlöffel. 

Zur  Stillung  der  Blutungen  verordnet  man  Secale  oder 
Eydrastis  in  der  S.  253  angegebenen  Weise  oder  macht  subkutane 


432 


Allgemeine  Emährangstörungen 


Einspritzungen  von  Gelatine  nach  S.  65.  Die  Herzschwäche  er- 
fordert oft  Coffein,  Kampfer  usw.  nach  S.  13. 

Die  Barlo ws che  Krankheit  ist  wohl  nicht  als  Skorbut, 
sondern  als  hämorrhagische  Diathese  zu  betrachten.  Ernährung 
mit  ungekochter  Milch,  von  der  Kuh  oder  von  einer  Amme, 
heilt  die  Krankheit  regelmäßig  in  wenigen  Wochen. 

Die  Hämophilie,  Bluterkrankheit,  wird  wie  die  Werlhoe  sehe 
Krankheit  behandelt.  In  einzelnen  Fällen  hat  sich  Behandlung 
mit  Schilddrüsenpräparaten,  mit  Hydrastis  usw.  wirksam  gezeigt. 

Die  Hämoglobinämie  beruht  oft  auf  Syphilis  und  kann 
dann  durch  deren  sorgfältige  Behandlung  geheilt  werden.  In 
anderen  Fällen  hat  sich  C%wmbehandlung  günstig  erwiesen. 

4.  Skrofulöse. 

Die  Verhütung  der  Skrofulöse  besteht  in  der  Erhöhung 
der  allgemeinen  Widerstandskraft,  wie  sie  z.  B.  bei  Besprechung 
der  Verhütung  der  Tuberkulose,  S.  373,  auseinandergesetzt  ist. 
Das  bezieht  sich  sowohl  auf  die  Eltern,  vor  und  nach  der  Ehe- 
schließung, als  auf  die  Kinder.  Gute  Ernährung,  richtige  Haut- 
pflege und  Abhärtung,  Gewöhnung  an  Luft  und  Sonne  sind  die 
wichtigsten  Gegenkräfte. 

Auch  in  der  Behandlung  der  Krankheit  spielen  diese 
hygienischen  Maßregeln  die  erste  Bolle.  Übermäßige  Vegetabilien- 
kost  ist  zu  vermeiden,  Eier  und  Fleisch  und  gutes  Fett  sind 
wichtig,  aber  natürlich  darf  man  nicht  in  den  Fehler  einer  über- 
mäßigen Fleischkost  verfallen.  Leguminosen,  Kartoffelbrei,  Hygiama, 
Kakao,  Kindermehle  sind  wertvolle  Bestandteile  einer  nahrhaften 
Kost,  die  zu  der  vorwiegenden  Milchnahrung  der  ersten  Lebens- 
jahre hinzugefügt  werden  können.  Fünf  tägliche  Mahlzeiten  sind 
auch  für  die  Kranken  genug,  höchstens  wird  man  vor  dem  Ein- 
schlafen ein  Glas  Milch  und  dergl.  hinzufügen,  wenn  seit  dem 
Nachtessen  hinreichend  Zeit  vergangen  ist.  Eine  zweckmäßige 
Kostordnung  ist  folgende: 

Morgens  1/4j  1 Milch  rein  oder  mit  Kakao,  dazu  1 Weißbrot. 

Vormittags  1/4  1 Milch,  1 Ei,  1 Butterbrot. 

Mittags  Suppe,  125 — 200  g Braten,  Kartoffeln  oder  Legu- 
minosen, Kompott  oder  frisches  Obst,  eventuell  leichte 
Mehlspeise. 

Nachmittags  l/ 4 1 Milch,  auch  mit  Zusatz  von  Kaffee,  Kakao, 
Malzkaffee.  1 Weißbrot. 


Skrofulöse  433 

Abends  Milchsuppe,  Kindermehlsuppe , Zwieback  in  Milch 
und  dergl.  1 Butterbrot. 

Das  Kind  soll  sich  den  größten  Teil  des  Tages  im  Freien  auf- 
halten, soll  auch  im  Freien  liegen.  Die  Wohnung  muß  beständig 
mit  guter  Luft  versehen  sein,  in  der  kalten  Jahreszeit  ist  mehr- 
mals täglich  auf  kurze  Zeit  das  Fenster  zu  öffnen,  dagegen  muß 
die  Auskältung  der  Mauern  durch  zu  langes  Lüften  sorgfältig 
vermieden  werden.  Der  Sonne  muß  möglichst  freier  Zutritt  ge- 
stattet werden,  Wohn-  und  Schlafzimmer  der  Kinder  muß  unbedingt 
der  Sonne  zugänglich  sein,  Nordzimmer  sind  dafür  ausgeschlossen. 
Der  Aufenthalt  im  Freien  steigert  oft  in  bemerkenswerter  Weise 
die  Eßlust,  vorausgesetzt,  daß  das  Kind  bequem  ruhen  kann  und 
sich  nicht  beim  Spielen  und  Umherlaufen  überarbeitet.  Die  durch 
Baden  gepflegte  Haut  muß  auch  durch  saubere,  nicht  zu  fest 
anschließende  und  genügend  poröse  Kleidung  gesund  gehalten 
werden.  Die  Beine  sollen  nur  in  der  warmen  Jahreszeit  bloß 
getragen  werden,  in  der  kalten  sind  wollene  Strümpfe  und  ge- 
schlossene Hosen  nötig. 

Das  wichtigste  Mittel  gegen  Skrofulöse  stellt  die  Ver- 
bindung von  klimatischer  und  zwar  vorwiegend  Meeresluftkur 
mit  Solbädern  dar. 

Unter  den  klimatischen  Einflüssen,  die  sich  bei  jeder  Ver- 
setzung skrofulöser  Kinder  in  Waldluft,  Bergluft  und  sonstiges 
gutes  Klima  geltend  machen,  ragt  der  der  Seeluft  weit  hervor. 
Die  Seehospize,  Heilstätten  für  leidende  Kinder,  sind  daher  ganz 
besonders  für  Skrofulöse  berechnet.  Es  sind  solche  vorhanden  in 
Norderney,  Sylt,  Wangeroog  in  der  Nordsee,  Müritz,  Kol- 
berg,  Travemünde,  Zoppot,  Berg-Dievenow,  Heringsdorf 
usw.  an  der  Ostsee,  Margate  in  England,  Berck-sur-mer  in 
Frankreich,  Sestri-Levante  in  Italien,  Abbazia  in  Österreich 
usw.  In  verschiedenen  Seebädern  sind  auch  Heilpensionen  für 
Kinder  wohlhabender  Stände  entstanden,  wo  das  ganze  Jahr  hin- 
durch die  Kur  betrieben  wird,  so  das  Kindersanatorium  von 
Dr.  Gmelin  in  Wyk  auf  Föhr  in  der  Nordsee.  Nur  die  torpiden 
Kinder  läßt  man  in  der  See  baden,  bei  den  erethischen  beschränkt 
man  sich  meistens  auf  den  Genuß  der  Seeluft  oder  auf  warme 
See-  oder  Solbäder.  Nächst  dem  Aufenthalt  an  der  Meeresküste 
wirken  Solbäder  günstig  ein.  Man  schickt  die  Kinder  daher 
auch  gern  in  Solbäder,  wie  sie  S.  241  aufgeführt  sind.  Auch 
hier  finden  sich  vielfach  besondere  Heilstätten  für  Kinder  und 
speziell  für  skrofulöse  Kinder  eingerichtet.  Wo  der  Besuch  eines 
Dornblüth,  Therapie.  28 


434 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


Kurortes  nicht  zu  erreichen  ist,  behilft  man  sich  zu  Hause  mit 
Wannensolbädern.  Man  gibt  nach  Biedert  3/4 — 1°/0  Salz- 
gehalt des  Bades  für  1jährige,  1 — 2°/0  für  2— 3jährige,  llj2 — 4°/0 
hei  4 — 8 jährigen,  für  ältere  2 — 6 °/0 , nur  ausnahmsweise 
8 — 9 — 1 0 °/0,  ferner  bei  1 °/0  und  weniger  eine  Badewärme  von 
34°  C.,  bis  2 °/0  Salzgehalt  33°  0.,  bis  5°/0  32°  C.  Ich  halte 
die  Salzstärke  von  4 °/0  für  die  höchste,  die  man  verwenden  sollte, 
und  nehme  die  Wärme  höchstens  33  °C.,  bei  2 °/0  Sole  schon  lieber 
31  als  32°,  bei  4°/0  jedenfalls  30°  0.  Dabei  kommt  man  dem 
Indifferenzpunkt  des  Bades  für  den  Körper  näher,  das  Bad 
regt  nicht  auf  und  greift  nicht  an  und  härtet  die  Haut  ab. 
Das  hat  sich  auch  nach  der  reichen  Erfahrung  meines  Vaters 
Friedrich  Dornblüth  am  besten  bewährt.  Man  gibt  solche  Bäder 
2 — 3 mal  wöchentlich  10 — 15  Minuten  lang,  am  besten  4 — 6 — 8 
Wochen  hintereinander.  Zu  Hause  oder  in  geeigneten  Kurorten 
kann  man  auch  im  Winter  Badekuren  machen  lassen,  im  allge- 
meinen zieht  man  aber  den  Sommer  vor.  Für  Winterkuren, 
die  sowohl  zu  Bädern  wie  zu  Luftkuren  benutzt  werden  können, 
kann  auf  das  S.  48  ff.  Gesagte  verwiesen  werden. 

An  Stelle  der  Solbäder  kann  man  unter  Umständen  die 
von  Kappesser  erfundenen  methodischen  Einreibungen  mit 
Schmierseife  verwenden.  Sie  sollen  nicht  etwa  eine  örtliche, 
sondern  eine  roborierende  und  resorptionanregende  Allgemein- 
wirkung haben.  Es  wird  2 mal  wöchentlich  oder  öfter,  in  geeigneten 
Fällen  jeden  Tag,  1 Eßlöffel  voll  Schmierseife  mit  etwas  Wasser 
abends  10  Minuten  lang  mit  einem  Wolllappen  zart  in  die  Haut 
eingerieben,  bei  Kindern  am  Rücken  vom  Nacken  bis  zu  den 
Kniekehlen,  bei  Erwachsenen  nur  am  Rücken.  Nach  einer 
halben  Stunde  wird  die  Seife  wieder  abgewaschen.  Wenn  die 
Haut  rot  und  empfindlich  wird,  wählt  man  die  Vorderseite  usw. 
Eine  günstige  Wirkung  des  Verfahrens,  auch  z.  B.  auf  Bronchial- 
drüsenschwellungen, ist  von  guten  Autoren  bestätigt  worden. 

Von  inneren  Mitteln  ist  nicht  gerade  viel  zu  erwarten. 
Lebertran  wird  besonders  in  den  Wintermonaten  viel  gegeben, 
täglich  1 — 2 Eßlöffel  voll,  auch  mit  Zusatz  von  Jod  und  Jodeisen , 
wie  in  den  bekannten  Präparaten  des  Apothekers  Lahusen  in 
Bremen,  auch  Lipanin  und  Malzextrakte  werden  gern  verordnet. 
Ein  wirksameres  Mittel  stellt  der  Sirupus  Ferri  jodati  dar,  wovon 
man  3 mal  täglich  2—10  Tropfen  bei  Kindern  bis  zu  5 Jahren, 
älteren  20  Tropfen  gibt.  Ferner  wird  Gutes  vom  Ichthalbin  be- 
richtet, 3 mal  täglich  eine  Messerspitze  voll  (=  1,25). 


Gicht-  und  Harnsäure-Diathese 


435 


Besondere  Beachtung  verdient  die  Behandlung  der  bei  Skro- 
fulöse so  oft  vergrößerten  Rachenmandel.  Körner  fand  es 
als  häufige  Ursache  des  Mißerfolges  von  Seehospizkuren,  daß 
operationsbedürftige  Rachenvegetationen  nicht  vor  der  Kur  entfernt 
worden  waren.  Manche  Skrofulöse  ist  überhaupt  nichts  als  eine 
chronische  Intoxikation  von  der  kranken  Rachenmandel  aus. 


5.  Gicht  und  Harnsäure-Diatliese. 

Es  besteht  Übereinstimmung  darüber,  daß  die  Harnsäure- 
Diathese  und  die  Gicht  vorzugsweise  diätetisch  behandelt 
werden  müssen.  In  der  Ausführung  kommen  allerdings  noch 
die  größten  Verschiedenheiten  vor,  die  einen  verordnen  rein 
vegetabilische  Kost,  die  anderen  überwiegende  Fleischkost  usw. 
Das  richtige  ist,  wie  Ewald  besonders  gut  ausgesprochen  hat, 
daß  das  Verkehrte  in  der  bisherigen  Lebensweise  beseitigt,  und 
daß  langsam  und  schonend  die  richtige  Lebensweise  eingeführt 
wird.  Es  kommt  alles  darauf  an,  daß  eine  normale  gemischte 
Kost,  wie  sie  auf  S.  86  angegeben  ist,  eingeführt  und  folgerichtig 
beibehalten  wird.  Zu  verbieten  sind  Alkoholgetränke  in 
jeder  Form,  was  leider  bei  Gichtkranken  oft  schwer  zu  erreichen 
ist;  am  meisten  erzielt  man,  wenn  man  weiß,  daß  völlige  Abstinenz 
für  den  Kranken  leichter  durchzuführen  ist  als  Mäßigkeit.  Auch 
Fleischextrakt  und  Bouillon  sind  möglichst  zu  vermeiden, 
ebenso  starke  Säuren,  dagegen  kann  das  reichlich  zu  genießende 
Gemüse  ohne  Bedenken  mit  den  geringen  dazu  nötigen  Mengen 
Essig  angemacht  werden,  wie  z.  Salate.  Zucker  und  Süßig- 
keiten sind  sehr  einzuschränken.  Fünf  tägliche  Mahlzeiten,  mit 
der  Beschränkung,  daß  beim  zweiten  Frühstück  nur  etwa  ein 
Glas  Zitronensaft  oder  etwas  Obst  oder  ein  Ei,  bei  der  Vesper 
nur  eine  Tasse  Kaffee  oder  Tee  genommen  wird. 

Regelmäßige  Lebensweise,  pünktliche  Einhaltung  eines 
bestimmten  Tagesplanes,  unter  Berücksichtigung  täglicher  aus- 
giebiger Körperbewegung,  ist  unbedingt  nötig.  Gewöhnliches 
Spazierengehen  ist  dazu  nicht  ausreichend.  Wo  nicht  Bergsteigen 
möglich  ist,  muß  eine  Ergänzung  durch  Turnen,  Gymnastik, 
Radfahren,  Rudern,  Schwimmen,  Fechten,  Kegelspielen,  Tennis, 
Billard  usw.  hinzukommen. 

Trinkkuren  mit  alkalischen  Wässern  unterstützen  die 
diätetische  Behandlung  am  besten.  Wahrscheinlich  binden  sie 
die  freie  Harnsäure  im  Urin  und  wohl  schon  im  Körper.  Man 

28* 


436 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


hat  nach  Beagenzglasversuchen  dem  Lithium  einen  besonderen 
Wert  in  dieser  Beziehung  zugesprochen,  aber  wohl  ohne  Grund. 
Wahrscheinlich  ist  das  Natrium  carbonicum  oder  bicarbonicum 
am  wertvollsten.  Man  verabreicht  die  Alkalien  am  besten  in 
der  Form  der  natürlichen  Mineralwässer  an  der  Quelle,  weil 
sich  dort  die  Diät  und  die  gesammte  Lebensweise  am  besten 
kurgemäß  durchführen  lassen ; zu  Hause  gibt  man  ebensogut 
die  künstlichen  Mineralwässer  oder  die  SANDOWschen 
Mineralwassersalze,  die  eine  Herstellung  in  richtiger  Stärke 
leicht  möglich  machen.  Die  bekanntesten  alkalischen  Brunnen 
sind  die  von  Fachingen,  Ems,  Salzbrunn  und  Wildungen; 
bei  schwachen  Verdauungsorganen  verwendet  man  gern  die  Koch- 
salzwässer: Wiesbaden,  Kissingen,  Selters;  bei  Fett- 
leibigkeit auch  Marienbad,  Karlsbad,  Tarasp. 

Neben  den  Trinkkuren  verwendet  man  mit  gutem  Erfolge 
Badekuren,  zumal  in  den  Wildbädern,  S.  242f.  Zu  Hause 
gibt  man  Elektris ch-Lieht-Bäder  mit  sehr  guter  Wirkung, 
vgl.  S.  265f. 

Die  zahlreichen  Arzneimittel  gegen  Gicht  und  Harnsäure- 
Diathese  sind  alle  mehr  theoretisch  als  praktisch  empfohlen. 
Lithium , Piperazin,  Lysidin,  TJricedin,  Urotopin,  Calcium  car- 
bonicum und  andere  sind  viel  gebraucht  und  machen  immer 
wieder  neuen  Platz.  Man  verwendet  sie  am  ehesten  im  Anfall 
oder  gleich  nachher,  wo  der  Kranke  sehen  will,  daß  etwas  für 
ihn  geschieht.  Gewöhnlich  ist  auch  die  Durchführung  der  diäte- 
tischen und  sonstigen  Verordnungen  leichter  zu  erzielen,  wenn 
der  Patient  eine  Arznei  daneben  hat.  Man  gibt  Urotropin  in 
Tabletten  zu  0,5  1 — 2 — 3 mal  täglich  vor  den  Mahlzeiten,  in 
Selterwasser  gelöst,  Uricedin  zu  einem  halben  Teelöffel  voll 
morgens  nüchtern  in  warmem  Wasser,  Calcium  carbonicum , 
1,0 — 4,0 — 10,0  in  kohlensaurem  Wasser  gelöst  morgens  nüchtern, 
neuerdings  Citarin- Bayer  in  Tabletten  zu  2,0,  davon  täglich  2 in 
alkalischem  Wasser  gelöst,  mit  leicht  abführender  und  diure- 
tischer  Nebenwirkung,  die  im  allgemeinen  erwünscht  ist.  Die 
Geheimmittel  gegen  Gicht,  wie  den  bekannten  Liqueur  de 
Laville,  der  als  Hauptstoff  Colchicum  enthalten  soll,  darf  der 
Arzt  nicht  verordnen. 

Den  Gichtanfall  behandelt  man  mit  Bettruhe,  Einhüllung 
des  Gelenkes  mit  Watte  oder  Mesotan , vgl.  S.  388,  und  Verab- 
reichung von  Aspirin  oder  Natrium,  salicylicum,  vgl.  S.  280. 
Schmerzstillend  wirkt  auch  die  Tinctura  Colchici  3 mal  täglich 


Diabetes  mellitus 


437 


30  Tropfen,  einige  Tage  lang.  Zweckmäßig  ist  im  Anfall  auch 
das  eben  erwähnte  Citarin , am  ersten  Tage  5 — 6 Tabletten,  am 
zweiten  4,  am  dritten  3,  von  da  ab  2 Tabletten.  Für  Stuhl- 
entleerung sorgt  man  durch  Rizinusöl , Rhabarber,  Phenolphthalein, 
vgl.  S.  127  ff. 


6.  Diabetes  mellitus. 

Die  Verhütung  der  Zuckerkrankheit  besteht  darin,  daß  man, 
namentlich  bei  erblicher  Anlage  zu  Diabetes,  Gicht  und  Fettleibig- 
keit, den  übermäßigen  Genuß  von  Kohlehydraten  und  von  Alkohol, 
besonders  in  Form  von  Bier,  einschränkt,  und  daß  man  Fett- 
leibigkeit rechtzeitig  behandelt. 

Die  Behandlung  der  Zuckerkrankheit  hat  nicht  die  Aufgabe, 
den  Harn  unter  allen  Umständen  zuckerfrei  zu  machen,  sondern 
sie  soll  Kranke  befähigen,  den  im  Körper  gebildeten  Zucker 
möglichst  in  normaler  Menge  zu  zerlegen.  Dies  wird  nach  der 
Erfahrung  am  besten  erreicht,  indem  man  die  Menge  der  Kohle- 
hydrate der  Nahrung  einschränkt.  Damit  wird  nicht  nur 
dem  Körper  die  nutzlose  Zerlegung  eines  wesentlichen  Kostteiles 
erspart,  den  er  schließlich  doch  nicht  ausnützt,  sondern  es  ist 
auch  für  die  allermeisten  Fälle  sicher,  daß  die  Beschränkung  der 
Kohlehydrate  nach  einiger  Zeit  auch  eine  vermehrte  Fähigkeit 
der  Zuckerzerlegung,  also  eine  bessere  Ausnutzung  der  Kohle- 
hydrate, nach  sich  zieht.  Ferner  treten  bei  reichlicher  Zufuhr 
von  Kohlehydraten  leicht  Hautjucken,  Neuralgien,  Furunkel, 
Wundinfektionen  und  schlechte  Heilung,  Sehstörungen,  insbesondere 
Katarakta,  Schwächezustände  und  vor  allem  das  gefürchtete  Coma 
diabeticum  auf. 

Die  Diät  darf  aber  nicht  darin  bestehen,  daß  der  Kranke 
einfach  die  Kohlehydrate  ganz  oder  fast  ganz  wegläßt  und  seinen 
Nährbedarf  nur  mit  Eiweiß  und  Fett,  Nährsalzen  und  Wasser 
deckt;  eine  solche  Nahrung,  aus  Fleisch,  Fisch,  Krustentieren, 
Eiern,  Butter,  Speck,  Öl,  Käse,  Gallerten  usw.  bestehend,  wird 
von  den  Verdauungsorganen  und  vom  Geschmack  der  Kranken 
nur  kurze  Zeit  ertragen,  auch  scheint  es  dabei  wiederum  leicht 
zu  Koma  zu  kommen.  Natürlich  gibt  es  auch  für  den  Zucker- 
kranken eine  obere  Grenze  für  den  Fleischgenuß  und  für 
den  Eiweißgenuß  überhaupt.  Die  Eiweißmenge  soll  nicht 
wesentlich  über  die  dem  Gesunden  zukommende  hinausgehen, 


438 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


vgl.  S.  83  und  86,  jedenfalls  nicht  über  120 — 140  g am  Tage 
betragen,  und  davon  soll  ein  erheblicher  Teil  nicht  in  Form  von 
Fleisch,  sondern  durch  Eier  und  Pflanzen,  Roborat  usw.  zugeführt 
werden.  Der  Nährwert  der  nicht  verwerteten  oder  aus  der  Kost 
weggelassenen  Kohlehydrate  soll  nicht  durch  Eiweiß,  sondern 
durch  Fett  ersetzt  werden.  Für  einen  Teil  der  Kohlehydrate 
kann  der  Alkohol  eintreten,  das  Übermaß  ist  aber  auch  hier 
als  gefährlich  zu  vermeiden. 

Sehr  zweckmäßig  für  die  Feststellung  der  Diät  ist  die  von 
vonNookden  angegebene  Probediät  zur  Beurteilung  der  Schwere 
des  Krankheitfalles.  .Sie  setzt  sich  aus  einem  kohlehydrat- 
freien Teil,  der  Hauptkost,  und  einem  kohlehydrathaltigen 
Teil,  der  Nebenkost,  zusammen.  Für  diese  wählt  N.  zunächst 
immer  100  g Weißbrötchen,  etwa  55  — 60  g Stärkemehl  enthaltend, 
und  verteilt  sie  auf  zwei  Mahlzeiten,  Frühstück  und  Mittagessen. 
Die  Probekost  gestaltet  sich  danach  wie  folgt: 

1.  Frühstück:  Hauptkost,  200  ccm  Kaffee  oder  Tee  mit 
1 — 2 Eßlöffel  dickem  Rahm,  100  — 150  g kaltes  Fleisch,  Schinken 
und  dergl.,  Butter.  Nebenkost  50  g Weißbrötchen. 

2.  Frühstück:  zwei  Eier,  eine  kleine  Tasse  Fleischbrühe 
oder  ein  Glas  Rotwein. 

Mittagessen:  Hauptkost,  klare  Fleischbrühe  mit  Ei,  reichlich 
Fleisch,  Kochfleisch,  Braten,  Fisch,  Wild,  Geflügel,  nach  Belieben, 
im  ganzen  etwa  200  — 250  g;  Gemüse  von  Spinat,  Wirsing, 
Blumenkohl  oder  Spargel,  mit  Fleischbrühe,  Butter  oder  anderen 
Fetten,  Ei,  dickem  sauren  Rahm,  aber  ohne  Mehl  bereitet;  etwa 
50  g Rahmkäse,  reichlich  Butter,  zwei  Glas  Mosel-  oder  Rotwein. 
Nebenkost  50  g Weißbrötchen. 

Nachmittags:  eine  Tasse  schwarzer  Kaffee  oder  Tee,  nach 
Belieben  ein  Ei. 

Abend  essen:  Beefsteak  oder  kalter  Braten,  etwa  150 — 100  g, 
grüner  Salat  mit  Essig  und  Öl.  Als  Beilage  kann  Rührei,  ohne 
Mehl  bereitet,  oder  Spiegelei  genommen  werden.  Zwei  Glas  Mosel- 
oder Rotwein. 

Getränk  am  Tage,  außer  Wein,  1 — 2 Flaschen  kohlensaures 
Tafelwasser. 

Zur  Bestimmung  der  Zuckerausscheidung  wird  der  Harn  von 
je  24  Stunden  vollständig,  Tag-  und  Nachtharn  getrennt,  aufge- 
sammelt und  der  Prozentgehalt  und  die  Menge  des  in  24  Stunden 
entleerten  Zuckers  bestimmt.  Wird  bei  der  angegebenen  Probe- 
kost, die  mindestens  zwei  Tage  innegehalten  werden  muß,  kein 


Diabetes  mellitus 


439 


Zucker  ausgeschieden , so  bat  man  es  sicher  mit  einem  leichten 
Falle  zu  tun.  Man  fügt  dann  in  den  nächsten  Tagen  immer 
mehr  Brot  hinzu,  gibt  zunächst  150  g,  dann  200  g,  und  be- 
obachtet, ob  auch  diese  Menge  noch  ohne  Zuckerausscheidung 
bewältigt  wird.  So  wird  die  Grenze  festgestellt,  bis  wohin  der 
Kranke  sicher  ohne  Nachteile  Kohlehydrate  genießen  kann. 

Wird  bei  der  angegebenen  Probekost  mit  ihren  100  g Kohle- 
hydraten in  der  Nebenkost  Zucker  ausgeschieden,  so  geht  man 
zur  reinen  Hauptkost  über  und  bestimmt,  ob  dabei  der  Zucker 
verschwindet  oder  ob  auch  dabei  noch  Zucker  ausgeschieden  wird. 
Verschwindet  der  Zucker  nun  ohne  weiteres,  so  bezeichneit  von 
Noorden  den  Fall  als  leichte  Zuckerruhr,  aber  mit  geringer 
Toleranz  für  Kohlehydrate;  verschwindet  der  Zuckergehalt  erst, 
wenn  man  auch  die  Eiweißmenge  in  der  Hauptkost  erheblich 
vermindert  hat,  so  liegt  mittelschwere  Zuckerrohr  vor ; verschwindet 
der  Zucker  auch  dabei  nicht  oder  doch  nur  vorübergehend,  so 
liegt  schwere  Zuckerruhr  vor. 

Diese  Feststellungen  bestimmen  dann  die  genaue  Diätvor- 
schrift. Von  Zeit  zu  Zeit  werden  sie  wiederholt,  damit  man 
immer  ein  genaues  Urteil  über  die  Erkrankung  behält  und  je 
nach  dem  Ergebnis  mehr  oder  weniger  Freiheit  in  der  Kost  geben 
kann.  So  gelingt  es,  immer  soviel  Kohlehydrate  zu  erlauben, 
als  man  ohne  Schaden  für  den  Kranken  geben  kann.  Sein 
Wohlbefinden  und  sein  Behagen  werden  dadurch  natürlich  sehr 
gefördert. 

So  lange  der  Kranke  100  g Kohlehydrate  oder  noch  mehr 
verträgt,  ist  die  diätetische  Aufgabe  leicht,  denn  damit  läßt  sich 
ganz  wohl,  eine  erträgliche  Kost  hersteilen;  um  so  mehr,  da  bei 
längerer  Durchführung  dieser  Kost  die  Toleranz  für  Kohlehydrate 
zu  steigen  pflegt.  Geht  die  Toleranz  aber  unter  100  g,  auf 
50 — 60  g oder  gar  auf  den  Nullpunkt  herab,  so  wird  die  Auf- 
gabe schwer.  Bewegt  man  den  Kranken  dazu,  auf  alle  Kohle- 
hydrate zu  verzichten,  so  kann  man  zwar  unter  Umständen  den 
Zucker  aus  dem  Harn  vertreiben,  aber  fast  immer  ist  dem 
Kranken  diese  Kost  bald  eine  Qual,  sie  verdirbt  ihm  Magen  und 
Darm,  verlegt  ihm  die  Eßlust,  macht  ihn  nervös  und  elend  und 
läßt  ihn  bald  auf  jede  Gemütsbewegung  mit  Zuckerausscheidung 
antworten.  Damit  ist  also  das  Gegenteil  von  dem  erreicht,  was 
die  strenge  Diät  erreichen  wollte.  Eine  reichlichere  Kohlehydrat- 
zufuhr bessert  dann  sofort  das  Befinden,  der  Zuckergehalt  steigt 
wohl  zunächst  etwas,  läßt  aber  dann  schnell  wieder  nach  und 


440 


Allgemeine  Ernährungstö  rangen 


verschwindet  oft  völlig.  Diese  Fälle  sind  es,  wie  von  Noordfn 
sehr  richtig  betont,  die  dann  als  überraschende  Fälle  von  Kartoffel- 
kuren durch  die  Zeitungen  gehen  oder  den  Kurpfuschern  Stoff 
für  ihre  Reklamen  geben.  Es  liegt  auf  der  Hand,  wie  sehr  es 
im  einzelnen  Falle  das  Vertrauen  zum  Arzte  untergraben  und 
von  diätetischen  Kuren  überhaupt  abschrecken  kann,  wenn,  bei 
der  verordneten  strengen  Diät  Befinden  und  Zuckerausscheidung 
schlecht  sind  und  hei  freier  Kost  sich  bessern!  Aber  dies  Ver- 
halten ist  doch  nur  die  Ausnahme,  die  die  Regel  bestätigt.  Ich 
halte  für  diese  Fälle  die  Behandlung  in  einer  Spezialanstalt  für  nötig, 
damit  genau  untersucht  und  festgestellt  werden  kann,  was  ge- 
schehen soll.  Ist  das  nicht  durchführbar,  so  tut  man  am  besten, 
für  gewöhnliche  Zeiten  eine  Kost  mit  einer  mäßigen  Menge  von 
Kohlehydraten  vorzuschreiben  und  von  Zeit  zu  Zeit,  etwa  in  jedem 
Monat  oder  alle  zwei  Monate,  eine  oder  zwei  Wochen  lang  eine 
strenge  Diät  gebrauchen  zu  lassen. 

Als  eine  Kost  mit  mäßiger  Menge  von  Kohlehydraten,  die 
sich  für  die  meisten  Zuckerkranken  eignet,  die  schweren  Fälle 
doch  auch  während  eines  großen  Teiles  der  Zeit,  ist  die  folgende 
anzusehen  (der  Übersichtlichkeit  halber  in  der  von  von  Noorden 
empfohlenen  Trennung  zwischen  Hauptkost  und  Nebenkost): 

Erstes  Frühstück. 

• Hauptkost: 

Kaffee  ohne  Zucker,  Tee  ohne  Zucker,  beide  mit  beliebig  viel 
Rahm;  10  g reiner  Kakao,  mit  Rahm  oder  Wasser  oder  einem 
Gemisch  von  beiden  bereitet.  Alle  diese  Getränke  nach  Belieben 
mit  Saccharin,  Kristallose  oder  Zuckerin  versüßt.  Dazu  etwa 
100  g kaltes  Fleisch  irgendwelcher  Art,  einschließlich  Fisch. 
Geflügel,  Schinken,  Wurst1),  Ölsardinen;  ferner  1 — 2 Eier  in 
beliebiger  Zubereitung,  außer  mit  Mehl-  oder  Zuckerzusatz.  Nach 
Belieben  Butter. 


Nehenkost: 

25  g Weißbrötchen  (Semmel)  oder  eine  entsprechende  Menge 
anderer  Gebäcke,  s.  unten.  Bei  größerer  Toleranz  kann  diese 
Menge  vergrößert  werden. 


0 Feine  Cervelat-  und  Mettwurst  und  beste  Frankfurter  Würstchen 
sind  im  allgemeinen  ohne  Mehlzusatz,  doch  ist  es  ratsam,  eigens  des- 
wegen anzufragen. 


Diabetes  mellitus 


441 


Zweites  Frühstück. 

Hauptkost: 

1 — 2 Eier  in  beliebiger  Zubereitung,  außer  mit  Mehl  oder 
Zucker.  100  g süßer  Rahm,  nach  Geschmack  mit  Wasser  ver- 
dünnt, oder  eine  Tasse  Bouillon. 

Nebenkost: 

Apfel,  Birnen,  Aprikosen,  Pfirsich,  frisch,  bis  50  g;  Himbeeren, 
Walderdbeeren,  Johannisbeeren  ein  gehäufter  Eßlöffel  voll;  Wald- 
himbeeren, Brombeeren  2 Eßlöffel;  Heidelbeeren  3 Eßlöffel  voll. 
Diese  Mengen  brauchen  nach  ton  Noordfn  nicht  als  kohlehydrat- 
haltig berechnet  zu  werden;  größere  Mengen  würden  aber  eine 
Verkleinerung  der  sonstigen  Kohlehydratportion  des  Tages  nötig 
machen,  um  einen  Ausgleich  zu  schaffen. 

Mittagessen. 

Hauptkost: 

Ein  Teller  Suppe,  und  zwar:  Bouillon  mit  Eiernudeln,  mit 
Ei,  mit  Knochenmark,  mit  Einlauf,  mit  Eierkäse,  mit  Blumenkohl 
und  Ei;  Kalbfleischsuppe  mit  Spargel  und  Ei,  Hirnsuppe,  Milz- 
suppe, Hascheesuppe,  Briessuppe,  Hühnersuppe,  Taubensuppe,  Krebs- 
suppe, Wildfleischpüreesuppe,  Eischrogensuppe,  Leberspatzensuppe, 
Jussuppe  mit  Ei,  Weinsuppe,  Omelettensuppe,  Suppen  mit  Eierstich. 

Fleisch-  und  Fisch-  und  Geflügelgerichte  in  beliebiger 
Auswahl.  Alle  Saupen  müssen  ohne  Mehl  bereitet  werden,  nur 
Bratensaft,  Fleischbrühe,  süßer  oder  saurer  Rahm,  Butter,  Eier, 
ferner  beliebig  Gewürze,  Zitronen,  Zwiebeln,  Meerrettig,  Maggi 
und  als  Bindemittel  Parmesankäse  oder  Roborat  dürfen  dazu  ver- 
wendet werden. 

Gemüse:  Spinat,  Sauerampfer,  Wirsing,  Weißkohl,  Rotkohl, 
Blumenkohl,  Rosenkohl,  Artischocke,  Topinambur,  Stachys, 
Schneidebohnen,  grüne  junge  Bohnen,  Haricots  verts,  grüne  junge 
Kohlrabi,  weiße  und  grüne  Spargeln,  Rhabarberstengel,  englischer 
Bleichsellerie,  Kresse,  Tomaten,  Gurken,  Salzgurken,  Essiggurken, 
Radieschen,  Meerrettig,  Kopfsalat,  Endivien,  als  Salat  und  als 
Creme,  römischer  Salat,  frische  Champignons,  Steinpilze,  Morcheln 
und  Trüffeln;  ferner  alle  Gewürzkräuter. 

Speisen  aus  Eiern,  Rahm,  Mandeln,  Zitrone,  Gelatine,  ohne 
Zucker,  nach  Bedarf  mit  Saccharin;  Gefrorenes,  besonders  mit 
Rahm,  ohne  Zucker. 


442 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


Als  Nachtisch  Käse  und  Butter. 

Als  Getränk  kohlensaures  Wasser  oder  erlaubte  Menge  Wein. 

Auf  Wunsch  nach  Tisch  eine  kleine  Tasse  schwarzer  Kaffee. 

Nebenkost: 

Kartoffeln  60  g und  Aleuronatbrot  oder  Buboratbrot  10  g 
(zum  Käse),  oder  nur  Kartoffeln  90  g. 

Vesperbrot. 

Hauptkost: 

Eine  Tasse  Kaffee  oder  Tee  oder  Kakao  (10  g)  mit  Rahm 
(bis  zu  4 Eßlöffel),  nach  Bedarf  mit  Saccharin,  Kristallose,  Zuckerin 
versüßt. 

Nachtessen. 

Hauptkost: 

Warmes  oder  kaltes  Fleisch  mit  Salat  oder  Gemüse  (wie 
Mittags),  Eierspeisen  ohne  Mehl  und  Zucker,  Sardinen,  Kaviar, 
Austern,  Hummer,  Krebse,  Fischsalat,  Käse  und  Butter.  Getränk: 
Tee  mit  oder  ohne  Rahm,  mit  oder  ohne  Saccharin.  Limonade 
ohne  Zucker,  nach  Bedarf  mit  Saccharin. 

Nebenkost: 

25  g Weißbrötchen  (Semmel)  oder  entsprechende  Mengen 
anderer  Gebäcke,  s.  unten. 

Diese  Anordnung  hat  für  den  Kranken  und  für  seine  Umgebung 
den  Vorteil,  daß  es  sich  leicht  einprägt,  was  in  beliebiger  Menge 
genossen  werden  kann  (soweit  es  vernünftig  ist  aus  allgemeinen 
Gründen),  also  die  Hauptkost,  und  was  als  Nebenkost  nur  in  ab- 
gemessener Menge  genossen  werden  soll  und  zeitweise,  je  nach 
dem  Zustande,  in  bestimmter  größerer  oder  geringerer  Menge 
erlaubt  wird,  nach  Umständen  auch  einmal  ganz  wegfallen  muß. 
Während  hei  der  Hauptkost  nach  Schätzung  gegessen  werden 
darf,  muß  die  Nebenkost  wenigstens  in  den  ersten  Wochen  der 
Einrichtung  regelmäßig  abgewogen  werden,  damit  sich  das  Auge 
an  die  Mengen  gewöhnt.  Es  ist  gut,  von  Zeit  zu  Zeit  wieder 
einmal  eine  Wägung  der  einzelnen  Bestandteile  der  Nebenkost 
vorzunehmen.  Ohne  direkte  ärztliche  Anordnung  und  ohne  Ver- 
suche durch  die  vorhin,  S.  438,  angegebene  Probekost,  sollte 
niemals  über  die  hier  mitgeteilte  Nebenkost  hinausgegangen  werden ! 


Diabetes  mellitus 


443 


Bemerkungen  über  einzelne  Nahrungsmittel  bei 
Zuckerkrankheit. 

1.  Milch. 

Die  Milch  ist  für  den  Zuckerkranken  nur  als  Nebenkost 
erlaubt,  weil  sie  den  Milchzucker  enthält.  Dasselbe  gilt  von  der 
sauren  Milch.  Beide  kommen  also  nur  in  Frage,  wenn  die 
Toleranz  für  Kohlehydrate  sehr  groß  ist  und  vom  Arzte  aus- 
drücklich größere  Mengen  in  der  Nebenkost  erlaubt  sind,  als  vor- 
hin angegeben  worden  ist.  Um  so  wertvoller  ist  guter  Rahm, 
weil  er  neben  viel  Fett  verhältnismäßig  wenig  Milchzucker  ent- 
hält. Auch  alle  Rahmkäse  sind  ohne  weiteres  zur  Hauptkost  zu 
zählen;  Magermilchkäse  enthalten  oft  reichlich  Zucker. 

2.  Gebäck. 

Die  Industrie  hat  seit  Jahrzehnten  immer  wieder  versucht, 
kohlehydratfreies  Brot  herzustellen,  weil  das  Brot  in  der  Tat 
das  von  den  Zuckerkranken  am  schwersten  entbehrte  Nahrungs- 
mittel ist.  Das  einzige  mir  bekannte  wirklich  kohlehydrat- 
freie Brot  von  angenehmem  Geschmack  ist  das  Roborat- 
Anamyl-Brot  von  F.  W.  Gumpeet  in  Berlin  0,  Königstr.  22 
bis  24.  Es  enthält  Wasser  38,08  °/0,  Eiweiß  19,80 °/0,  Fett 
31,86  °/0,  Kohlehydrate  1,01  °/0  (eine  tatsächlich  nicht  zu  rechnende 
Beimengung),  Mineralstoffe  1,73  °/0,  Zellulose  und  nährfreie  Extrakt- 
stoffe 7,52  °/0.  Man  kann  es  nach  dieser  Zusammensetzung  ohne 
weiteres  in  der  Hauptkost  geben  und  damit  insbesondere  das  erste  Früh- 
stück dem  gewöhnlichen  Frühstück  der  Gesunden  sehr  naehbringen. 

Die  meisten  sogenannten  Diabetikerbrote  enthalten  25  bis 
30 °/0  Kohlehydrate,  immerhin  erheblich  weniger  als  das  ge- 
wöhnliche Weißbrötchen  mit  seinen  60°/0  Kohlehydraten.  Dabei 
sind  sie  dem  gewöhnlichen  Brot  an  Geschmack  sehr  ähnlich. 
Empfehlenswert  sind  u.  a.  Rademanns  Diabetikerweißbrot  mit 
26,5 °/0  Kohlehydraten,  Rademanns  Diabetikerschwarzbrot  mit 
29,7  °/o  Kohlehydraten,  Rademanns  Grahambrot  mit  25  °/0  Kohle- 
hydraten; Roboratdiabetikerweißbrot  doppelt  mit  26,55  °/0,  einfach 
mit  34,56 °/0,  Roboratdiabetiierschwarzbrot  doppelt  mit  1 8,1 0°/o, 
einfach  mit  33,68 °/0  Kohlehydraten;  das  Doppelbrot  enthält  21 
bis  24 °/0  Eiweiß  gegen  16 — 1 5 °/0  bei  dem  einfachen  Brot.  Auch 
diese  Roboratgebäcke  sind  von  Gumpeet  zu  beziehen.  Das  in 
mehreren  Großstädten  verfertigte  Aleuronatbrot  enthält  etwa 


444 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


33°/0  Kohlehydrate.  Es  ist  sehr  zu  beachten,  daß  alle  diese 
Fabrikate  durchaus  nicht , wie  man  nach  dem  Titel  Diabe- 
tikerbrot denken  könnte,  ohne  weiteres  dem  Genuß  freizugeben 
sind,  sie  gehören  vielmehr  stets  in  die  Nebenkost.  Ihr  Unter- 
schied gegenüber  den  gröberen  Sorten  des  gewöhnlichen  Gebrauches 
ist  gar  nicht  so  sehr  groß,  denn  rheinisches  Schwarzbrot,  Pumper- 
nickel und  Grahambrot  enthalten  im  allgemeinen  45  °/0  Kohle- 
hydrate, Roggenbrot,  Kommißbrot,  Simonsbrot,  Steinmetzbrot  50°/o. 
Wegen  dieses  geringeren  Gehaltes  kann  man  davon  zum  Ersatz 
der  in  der  Nebenkost  gestatteten  Weißbrotmengen  entsprechend 
mehr  geben,  was  den  Kranken  schon  der  Abwechslung  halber, 
aber  auch  der  besseren  Magenfüllung  wegen  sehr  erwünscht  zu 
sein  pflegt.  So  kann  man  für  20  g Weißbrötchen  mit  demselben 
Erfolge  geben,  wie  v.  Noorden  berechnet  hat:  24  g Roggenbrot, 
Kommißbrot,  Steinmetzbrot,  Simonsbrot,  26  g Pumpernickel 
Grahambrot,  rheinisches  (und  wohl  ebensoviel  norddeutsches) 
Schwarzbrot.  Für  einige  der  Diabetikerbrote  stellen  sich  die 
Zahlen,  wiederum  nach  v.  Noorden,  wie  folgt:  20  g Weißbrötchen 
werden  ersetzt  durch  40  g Raeemanns  Weißbrot,  32  g Rade- 
manns Schwarzbrot,  37  g Aleuronatbrot,  35  g Rademanns  D.  K. 
Brot,  35  g Roboratweiß-  oder  Schwarzbrot. 

Noch  größere  Yertretungszahlen  liefern  mehrere  Brote,  zu 
deren  Herstellung  statt  Mehl  Mandeln  u.  dgl.  verwendet  werden. 
Dazu  gehören  Dr.  Lampüs  Mandelkleienbrot,  wovon  120  g 
soviel  ausmachen  wie  20  g Weißbrötchen  (Gumperts  Roborat- 
mandelbrot  mit  nur  l°/0  Kohlehydraten  statt  10  °/0  in  dem 
Dr.  Lamp^  sehen  kann  zu  beliebigem  Gebrauche  frei  gegeben 
werden),  Rademanns  Nußbrot  nach  Dr.  Beil  mit  3,8  °/0  Kohle- 
hydraten, wovon  also  etwa  160  g statt  20  g Weißbrötchen  ge- 
nossen werden  können.  Wegen  der  verschiedenen  Zwiebacke, 
Kakes  usw.  für  Zuckerkranke  ist  auf  die  Prospekte  der  verschie- 
denen Spezialbäckereien  zu  verweisen,  mit  dem  Vorbehalt,  daß 
die  Zusammensetzung  wechseln  kann  und  daher  nicht  immer 
dauernd  den  Angaben  entspricht.  Jedenfalls  wird  man  sich  an 
die  besten  und  von  hervorragenden  Spezialärzten  empfohlenen 
Marken  halten  müssen! 

3.  Kartoffeln. 

Kartoffeln  sind,  wie  überhaupt,  so  auch  für  die  Nebenkost 
des  Zuckerkranken,  ein  wichtiges  Nahrungsmittel.  Frische 
Kartoffeln  enthalten  nur  1 6 — 1 8 °/0  Kohlehydrate,  länger  aufbewahrte, 


Diabetes  mellitus 


445 


Winterkartoffeln,  18 — 22°/0.  So  kann  man  statt  20  g Weiß- 
brötchen 60 — 65  g Kartoffeln  geben.  Salz-  und  große  Brat- 
kartoffeln und  Kartoffelsalat  können  nach  Belieben  roh  oder  zu- 
bereitet gewogen  werden,  Kartoffelmus  und  Bratkartoffeln  in  kleinen 
Stücken  oder  Scheiben  müssen  roh,  ohne  Schale,  gewogen  werden. 

Wenn,  wie  in  dem  obigen  Beispiel,  täglich  80  g Weißbrötchen 
erlaubt  sind,  so  kann  man  nach  dem  Gesagten  ohne  Verschlech- 
terung der  Zuckerausscheidung  statt  dessen  60  g Weißbrötchen 
und  60 — 65  g Kartoffeln  am  Tage  geben  oder  40  g Weißbrötchen 
und  120 — 130  g Kartoffeln,  und  dabei  kann  man  natürlich  statt 
der  40  g Weißbrötchen  die  entsprechenden  Mengen  Diabetiker- 
brot, Mandelbrot,  Roboratbrot  geben,  wie  vorhin  angegeben  ist. 

4.  Obst. 

Alles  Obst  enthält  Zucker,  ungefähr  zur  Hälfte  als  Lävu- 
lose,  die  allerdings  nur  halb  so  ungünstig  auf  die  Zuckeraus- 
scheidung der  Kranken  wirkt  wie  das  Stärkemehl,  aber  doch  darum 
nicht  unberücksichtigt  bleiben  darf,  zur  anderen  Hälfte  als  Trauben- 
zucker, der  dem  gewöhnlichen  Zucker  gleich  steht.  Es  empfiehlt 
sich  daher,  nur  die  kleinen  Mengen,  die  bei  unserem  Speisezettel 
als  erlaubt  angegeben  sind,  zu  verabreichen.  Wo  aus  besonderen 
Gründen  ausnahmsweise  oder  dauernd  mehr  Obst  gewünscht  wird, 
muß  dafür  die  Kohlehydratmenge  der  Nebenkost  verringert  werden, 
in  dem  Verhältnis  etwa,  daß  für  20  g Weißbrötchen  100 — 200  g 
süße  Kirschen,  120 — 130  g saure  Kirschen,  120 — 150  g Äpfel 
oder  Birnen,  150 — 200  g deutsche  Zwetschen,  170 — 240  g Erd- 
beeren, 150 — 170  g reife  Stachelbeeren,  150 — 200  g Johannis- 
beeren, 300  g Mirabellen,  deutsche  runde  Pflaumen  oder  Reine- 
clauden, 200 — 300  g Aprikosen,  Pfirsiche  oder  Himbeeren,  240  g 
Heidelbeeren,  600 — 1200  g Preißelbeeren,  150  g Ananas,  600 
bis  900  g Orangen,  mit  Schale  gewogen,  gegeben  werden  können 
(nach  der  Aufstellung  von  von  Nookden). 

Kompott  soll,  so  lange  die  Jahreszeit  es  erlaubt,  aus 
frischen  Früchten  hergestellt  werden,  und  zwar  am  besten  kurz 
vor  der  Reife.  Rohrzuckerzusatz  ist  natürlich  ganz  ausgeschlossen. 
Der  Zuckerkranke  soll  dann  nur  die  Früchte  essen,  den  Saft 
zurücklassen,  weil  er  am  meisten  Zucker  enthält.  Versüßung  mit 
Saccharin  usw.  ist  erlaubt.  Für  längere  Aufbewahrung  empfiehlt 
sich  auch  hier  am  meisten  der  Weck  sehe  Apparat,  die 
Früchte  werden  ohne  Zuckerzusatz  in  kleineren  Gläsern  ein- 
gekocht, die  nach  der  Eröffnung  in  2 — 3 Tagen  verbraucht  werden 


446 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


können.  Auch  hiervon  sollen  die  Kranken  den  Saft  zurücklassen. 
Fabrikmäßig  ohne  Zuckerzusatz  hergestellte  Früchte  liefern  in 
sehr  guter  Beschaffenheit  und  von  bestem  Geschmack  Gebb. 
Nägeli  in  Mombach-Mainz  und  Frankfurt  a.  M. , Rademanns 
Nährmittelfabrik  in  Frankfurt  a.  M.  Neuerdings  stellen  Remy 
und  Kohlhaas  in  Erbach  a.  Rh.  nach  einem  Verfahren  von 
Dr.  Lamp£  entzückerte  Früchte  dar,  die  ihr  Aroma  behalten 
haben  und  mit  etwas  Saccharin  versüßt  gut  schmecken;  sie  ent- 
halten nur  3 — 4°/0  Kohlehydrate,  und  man  kann  davon  z.  B. 
statt  20  g Weißbrötchen  300  g Aprikosen  nehmen. 

5.  Alkoholgetränke. 

Gutgelagerte  Tischweine  und  feine  Weine  aller  Art, 
natürlich  von  Süßweinen  abgesehen,  enthalten  so  wenig  Kohle- 
hydrate, daß  man  sie  nicht  anzu rechnen  braucht.  Man  kann  also 
hier  die  Auswahl  zwischen  Mosel-,  Rhein-,  Pfälzer-,  Markgräfler-, 
Ahr-,  Tiroler  und  Österreicher  Weinen  dem  Geschmacke  des  Ein- 
zelnen überlassen.  Schaumweine  enthalten,  auch  wenn  sie  an- 
geblich zuckerfrei  sind,  zuweilen  bis  4°/0  Kohlehydrate,  so  daß 
jedenfalls  große  Vorsicht  geboten  ist.  Zuverlässig  sind  Rade- 
manns Sekt  und  Laurent  Perrier  sans  Sucre. 

Bier  enthält  immer  Kohlehydrate  in  beträchtlicher  Menge, 
das  Pilsener  Exportbier  und  das  Berliner  Weißbier,  die  oft  als 
unschädlich  hingestellt  werden,  fast  genau  so  viel,  wie  das 
bayerische  Bier,  nämlich  um  4°/0  gegen  4 — 5 °/0,  während  die 
hellen  deutschen  Biere  meist  nur  2,5 — 3°/0  enthalten. 

Man  kann  also  auf  Verlangen  statt  20  g Weißbrötchen  dann 
und  wann  3/10  1 Bier  von  4°/0  einsetzen. 

Neben  der  Diät  ist  das  körperliche  Verhalten,  insbe- 
sondere eine  rege  Muskeltätigkeit,  von  größtem  Werte,  da  die 
Muskelarbeit  wesentlich  zur  Zuckerzerlegung  beiträgt.  Bouchab- 
dat,  Tkousseau,  Külz,  von  Mebing  haben  vielfach  nachgewiesen, 
daß  durch  starke  Muskelarbeit  der  Zuckergehalt  des  Harns  bis 
auf  Null  oder  doch  sehr  erheblich  herabgesetzt  wurde.  Namentlich 
sollen  diese  bald  nach  der  Aufnahme  von  Kohlehydraten  ausgeführt 
werden.  Gewöhnliche  Spaziergänge  haben  wenig  oder  keinen 
Einfluß,  dagegen  sind  kräftiges  Marschieren,  Bergsteigen,  Reiten, 
Rudern,  Schwimmen,  Radfahren,  Kegeln,  Tennisspiel,  Turnen, 
Gartenarbeit  von  deutlichem  Einfluß.  Regelmäßige,  längere  Zeit 
fortgesetzte  Körperarbeit  erhöht  für  die  Dauer  die  Fähigkeit 


Diabetes  mellitus 


447 


zur  Verarbeitung  von  Kohlehydraten.  Bei  bettlägerigen 
oder  für  nachhaltige  Bewegung  zu  schwachen  Personen  sucht  man 
diese  durch  Massage  zu  ersetzen. 

Gründliche  Hautpflege  durch  regelmäßige  Bäder  ist  von 
großem  Werte.  Die  gesamte  Fürsorge  für  ein  gesundes  Nerven- 
system, vgl.  S.  314  ff.,  ist  hier  sehr  wichtig,  weil  Gemütsbe- 
wegungen einen  entschiedenen  Einfluß  auf  die  Entstehung  und 
Verschlimmerung  der  Zuckerkrankeit  haben.  Die  meisten  Dia- 
betiker sind  ohnehin  schon  Neurastheniker. 

Die  Arzneibehandlung  des  Diabetes  ist  sehr  reich  an  Mitteln, 
aber  leider  fehlt  es  an  einem  wirklich  sicheren.  Am  meisten 
leistet  noch  die  Behandlung  mit  Opium  und  mit  Kodein , in  der 
Weise,  wie  ich  es  für  die  Neurasthenie  angegeben  habe,  vgl.  S.  324. 
Auch  Kuren  in  Karlsbad  oder  Neuenahr  wirken  nicht  selten 
günstig  auf  die  Zuckerausscheidung  und  auf  verschiedene  Er- 
scheinungen der  Krankheit  ein.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich 
dabei  um  eine  Wirkung  der  kohlensauren  und  schwefelsauren 
Alkalien.  Die  Hauptsache  wird  allerdings  wohl  auf  die  kurgemäße 
Lebensweise  zu  schieben  sein.  Auch  Natrium  salicylicum  und 
Aspirin  können  zeitweise  einen  günstigen  Einfluß  ausüben,  3 mal 
täglich  0,5 — 1,0  und  mehr.  Man  muß  sich  natürlich  hüten,  dem 
Kranken  mit  Arzneimitteln  den  Magen  zu  verderben. 

Gegen  das  Coma  diabeticum  sind  große  Gaben  von  Natrium 
carbonicum,  10 — 15  g,  zeitweise  30 — 40  g täglich,  empfohlen 
worden,  zugleich  intravenöse  Infusionen  von  einem  Liter 
Wasser,  worin  6 g Kochsalz  und  50  g Natrium  carbonicum  ge- 
löst waren,  zu  wiederholen,  bis  der  Harn  alkalisch  geworden  ist. 
Im  ganzen  sind  die  Erfolge  mäßig,  so  daß  die  symptomatische 
Behandlung  des  Komas  mit  Bädern,  Begießungen,  vgl.  S.  357, 
Einspritzungen  von  Coffein  und  Kampher,  vgl.  S.  12  f.,  und  Ein- 
atmungen von  Sauerstoff,  S.  65,  nicht  entbehrt  werden  kann. 
Als  vorbeugendes  Mittel  werden  noch  2 — 3 mal  wöchentlich  vor- 
zunehmende Darmeingießungen  von  10,0 — 40,0  Glyzerin  auf 
1/2  1 Wasser  empfohlen,  womöglich  eine  halbe  Stunde  zurückzuhalten. 

Gegen  das  Hautjucken  nützen  oft  Aspirin  oder  Natrium 
salicylicum,  vgl.  S.  411,  gegen  die  Dyspnoe  Oxaphor , vgl.  S.  65. 

7.  Krankhafte  Fettleibigkeit,  Adipositas  nimia. 

Die  Mehrzahl  der  Fälle  von  Fettleibigkeit  entsteht  durch 
fortgesetzte  Überernährung,  ein  kleinerer  Teil  durch  herab- 


448 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


gesetzte  Oxydation,  so  bei  manchen  Fällen  von  erblicher 
Fettleibigkeit,  von  Fettsucht  bei  chronischen  Geisteskranken,  bei 
Chloro tischen.  Nicht  selten  spielt  jedenfalls  eine  mangelhafte 
Tätigkeit  der  Schilddrüse  mit.  Die  Behandlung  hat  also 
diese  verschiedenen  Punkte  zu  berücksichtigen. 

Im  Vordergründe  steht  jedesmal  die  Regelung  der  Er- 
nährung. Darin  wurzeln  auch  die  allgemein  bekannten  Ent- 
fettungsmethoden: die  von  Harvey  erfundene  BANTiNGkur,  die 
Ebstein  sehe  und  die  ÖRTELSche  Kur. 

Die  an  dem  Patienten  Banting  zuerst  vorgenommene  Ent- 
fettungskur erlaubt  große  Mengen  Fleisch  und  beschränkt  Fett 
und  Kohlehydrate  auf  das  äußerste.  Es  wurde  bald  erkannt,  daß 
die  Kranken  dabei  sehr  herunterkommen  und  daß  namentlich  auch 
die  Verdauungsorgane  sehr  leiden.  Ebstein  ging  demgegenüber 
von  der  Ansicht  aus,  daß  das  Fett  ein  unentbehrlicher  Nahrung- 
stoff sei  und  sowohl  für  den  Nährstoffbedarf  wie  zur  Stillung 
des  Hungergefühls  sehr  wertvoll  sei.  Die  ÖRTELSche  Kur  wendet 
sich  zum  Teil  gegen  den  reichlicheren  Genuß  von  Fett,  der  den 
Münchener  Lebensgewohnheiten  in  der  Tat  recht  fremd  ist,  und 
fordert  andererseits,  von  den  Erfahrungen  an  Kranken  mit  Kreis- 
laufstörungen ausgehend,  vgl.  S.  23  ff.,  eine  Beschränkung  der 
Flüssigkeitaufnahme. 

Bei  Berechnung  der  Nährwerte  der  von  Harvey,  Ebstein 
und  Örtel  aufgestellten  Kostpläne  stellt  sich  heraus,  daß  alle 
drei  gegenüber  den  von  Voit  u.  a.  geforderten  Mengen  von  Nähr- 
stoffen und  Kalorien,  vgl.  S.  83,  ein  erhebliches  Mindermaß  zeigen, 
ein  Defizit  von  1000  Kalorien  und  mehr  am  Tage.  Dabei  ist 
voraussichtlich  die  von  Örtel  geforderte  und  vom  Publikum  im 
Glauben  an  die  ScHWENiNGERkur  gläubig  durchgeführte  Flüssig- 
keitsbeschränkung völlig  gleichgültig. 

Eine  vernünftige,  auf  nachhaltigen  Erfolg  bedachte  Ent- 
fettungskur muß  hinreichend  Eiweiß  geben,  um  den  Eiweiß- 
bestand des  Körpers  zu  erhalten  und  nötigenfalls  zu  verstärken, 
das  ist  also  je  nach  dem  Einzelfall  zu  erwägen.  Im  allgemeinen 
wird  dazu  eine  normale  gemischte  Kost  wie  die  auf  S.  86  an- 
gegebene richtig  sein.  Man  beobachtet  dann,  wie  sich  bei  dieser 
Kost  das  Gewicht  verhält.  Bedingung  ist  die  Alkoholabstinenz; 
der  Alkohol  ist  ein  so  wirksames  Sparmittel,  er  setzt  die  Oxy- 
dation im  Körper  so  sicher  herab,  daß  man  ihn  völlig  verbannen 
muß,  wenn  man  schonend  entfetten  will.  Man  darf  sich  dann 
auch  nicht  durch  das  angeblich  harmlose  Pilsener  Bier  und  dergl. 


Krankhafte  Fettleibigkeit,  Adipositas  nimia 


449 


irre  machen  lassen,  denn  es  enthält  genau  so  viel  Alkohol  und 
auch  nicht  weniger  Nährstoffe  als  Münchener  und  ähnliche  Biere, 
aber  mehr  als  die  meisten  deutschen  Lagerbiere. 

Zugleich  verordnet  man  regelmäßige  Körperbewegung  und 
zwar  nicht  nur  Spazierengehen,  sondern  die  auch  für  Diabetes 
und  Gicht,  vgl.  S.  435  und  446,  geforderten  anstrengenden 
Übungen.  Man  muß  dabei  aber  die  Grenze  so  ziehen,  daß  erstens 
keine  Übermüdung  und  Erschlaffung  eintreten  und  zweitens  nicht 
das  Nahrungsbedürfnis  zu  sehr  gesteigert  und  deshalb  die  erlaubte 
Kostgrenze  überschritten  wird.  Der  Schlaf  ist  auf  8 Stunden 
zu  beschränken,  nach  dem  Mittagessen  darf  nicht  geschlafen,  wohl 
aber  etwas  Ruhe  gehalten  werden. 

Geht  bei  diesem  Verhalten  das  Gewicht  nicht  zurück,  so 
vermindert  man  zunächst  die  Kohlehydrate  des  Speisezettels 
von  S.  86.  Insbesondere  müssen  die  zarten  Gebäcke  und  die 
Süßigkeiten  vermindert  werden,  weil  der  Körper  sie  mehr  ausnützt, 
dagegen  kann  man  die  schlechter  ausgenützten  Kartoffeln  viel  eher 
gestatten,  da  sie  sättigen,  ohne  zu  viel  Nährstoffe  zu  bringen. 
von  Nookden  hat  berechnet,  daß  dreieinhalb  mal  so  viel  Kartoffeln 
so  viel  ausmachen  wie  eine  bestimmte  Menge  Brot.  Mehlsuppen, 
Mehlspeisen,  Zucker,  süße  Kompotte  sind  ganz  wegzulassen.  Tritt 
auch  dabei  noch  kein  wesentlicher  Rückgang  des  Gewichtes  ein, 
so  vermindert  man  Butter,  Sahne,  Milch,  Saucen.  Treten  Hunger 
und  Durst  dabei  sehr  hervor,  so  sucht  man  sie  durch  reichliche 
Gemüse,  frisches  Obst  und  dergleichen  zu  stillen,  auch  Zitronen- 
limonade ist  zu  empfehlen.  Geringe  Mengen  kalter  Getränke, 
die  man  vor  den  Hauptmahlzeiten  genießt,  stillen  den  Durst 
und  setzen  den  Appetit  etwas  herab.  Sobald  bei  der  Ge- 
wichtabnahme blasses  Aussehen,  Nervosität,  schlechter  Schlaf, 
Schwindel-  oder  Herzschwächegefühle  auftreten,  muß  insbe- 
sondere die  Eiweißmenge  erhöht  und  vielleicht  mehr  Ruhe  ge- 
halten werden. 

Zur  Unterstützung  der  Diätkur  kann  in  bestimmten  Fällen 
viel  geschehen  durch  die  Verabreichung  von  Schilddrüsen- 
präparaten. Wahrscheinlich  ist  es  nicht  die  gewöhnliche  Fett- 
leibigkeit, sondern  eine  durch  Hypothyreoidismus  veranlaßte  Abart. 
Man  kann  einen  Hinweis  auf  die  Wirksamkeit  der  Schilddrüse 
daraus  entnehmen,  daß  dabei  gewöhnlich  das  Gesicht  und  zumal 
das  Untergesicht  der  Kranken  recht  dick  und  manchmal  ent- 
schieden an  Myxödem  erinnernd  aussieht.  Solche  Fälle  sind  es 
auch  oft,  wo  schon  in  den  Pubertätsjahren  eine  auffallende 
Dornblüth,  Therapie.  29 


450 


Allgemeine  Ernährungstörungen 


Korpulenz  entstellt.  Man  verwendet  zu  der  Behandlung  die 
Schilddrüsenpräparate  ganz  wie  S.  343  f.  angegeben  ist. 

Mineralwasserkuren  sind  etwas  sehr  Gewöhnliches  in  der 
Behandlung  der  Fettleibigkeit.  Die  tatsächlichen  Erfolge  an  den 
Kurorten,  besonders  in  Karlsbad  und  Marienbad,  hängen 
lediglich  von  der  Nahrungbeschränkung  ab,  die  von  den  dortigen 
Ärzten  zum  Teil  in  sehr  drasticher  Weise  vorgeschrieben  wird; 
der  Kranke,  der  sich  dort  nur  seiner  Kur  widmet,  folgt  dabei 
viel  besser,  als  er  es  zu  Hause  tun  würde.  Die  abführenden 
Wässer,  wie  die  von  Marienbad,  setzen  vielleicht  die  Ausnutzung 
der  Speisen  im  Darm  etwas  herab.  Bei  denselben  Kuren  im 
Hause  des  Kranken  sieht  man  gewöhnlich  keinen  Erfolg,  jeden- 
falls nur  dann,  wenn  die  Diät,  wie  vorhin  gesagt,  geregelt  wird. 
Bei  der  chlorotischen  und  anämischen  Fettleibigkeit  kann 
man  durch  die  Behandlung  der  Grundkrankheit  mit  Eisen  usw. 
Heilung  herbeiführen. 


A 


Register  der  Arzneimittel  und  Rezepte.1 


Die  Kursivzahlen  bezeichnen  die  Seitenzahl,  wo  sich  das  Rezept  findet. 


Acetanilid  67.  281.  298. 

Acidum  arsenicosum  s.  Arsenicum. 

— boricum  s.  Borax. 

— carbolicum  149.  360. 

— cinnamylicum  353. 

— hydrochloricum  7.  88.  95  f.  100. 
102.  167.  189. 

— salicylicum  s.  Salizyl. 

— osmicum  269. 

Adonis  vemalis  334. 

Adrenalin  407. 

Äther  13.  171.  269. 

Äther  chloratus  268.  298.  370.  421. 
Aethylenum  bromatum  334. 

Alkohol  101.  235.  268.  269.  355. 
369. 

Aloe  131.  132. 

Althaea  61.  62.  142. 

Aluminium  acetico-tartarium  (Alsol) 
229. 

Ammonium  anisatum  61.  62. 

— chloratum  61. 

— embelicum  139. 

Amylium  nitrosum  66. 

Anaesthesin  107. 

Antipyrin  s.  Pyrazolonum. 
Antithyreoidin  342. 

Anusol  148. 

Apomorphinum  61.  62. 

Aqua  amygdalarum  amararum  29. 

35.  107.  253.  359. 

Aqua  calcis  s.  Calcaria. 

Argentum  colloidale  (Ckede)  228. 
385.  388. 

Argentum  nitricum  36.  95. 142.  143. 
197.205.  208 f.  211. 212.  229.231. 
234.  296.  297.  393.  405. 


Aristochin  s.  Chininum. 

Aristol  393.  394.  407. 

Arsenicum  29.  251.  285.  297.  314. 
325.  333.  340.  341.  343.  384. 
418.  421.  431. 

Aspirinum  s.  Salizylpräparate. 
Atoxyl  314.  344.  383.  421.  431. 
Atropinum  28.  66.  67.  107.  134. 
155.  172.  179.  193.  196.  202. 
334.  342.  415.  417. 

Aurantii  tinctura  101.  102. 

Baldrianmittel  s.  Valeriana. 
Baisamum  Copaivae  175.  207. 

— peruvianum  62.  424. 

— tolutanum  62. 

Belladonna  66.  134.  135.  141.  143. 

208.  213. 

Benzoe  62. 

Benzonaphthol  126.  431. 

Bismutum  jodoresorcinicum,  Anu- 
sol 148. 

— subgallicum,  Dermatol  125.  126. 

142.  143.  393.  394.  417.  425. 

— subnitricum  99.  108.  109.  142. 

143.  425. 

— subsalicylicum  125.  168. 
Bitterwasser  132. 

Bohnentee  175. 

Borax  74.  360.  365.  413. 

Boricum  acidum  95.  126.  137. 
Brommittel: 

Natrium  bromatum  29.  30.  31. 
61.  135.  202.  208.  253.  280. 
298.  308.  311.  312.  313.  326. 
331.  333.  335.  336.  337.  340. 
341.  343.  416. 


1 Vgl.  Dr.  Otto  Doknblüth,  Die  Arzneimittel, 
bürg,  A.  Stijbees  Verlag  (C.  Kabitsch)  1906. 


10.  Aufl.  Würz- 


29* 


452 


Register  der  Arzneimittel  und  Rezepte 


Bromipin  331.  333. 

Bromoform  109.  367. 
Brustpulver  131. 

Byrolin  413. 

Calcaria: 

Aqua  Calcis  15.  95.  142. 
Calcaria  carbonica  100.  109. 
Calcium  carbonicum  436. 

— chloratum  145. 

Campechianum  lignum  142. 
Camphora  s.  Kampfer. 

Captol  418. 

Cascara  Sagrada  117.  130.  131. 
Cerium  oxalicum  107.  190.  298. 
Charta  nitrata  66. 

Chinadekokt,  -extrakt,  -elixir,  -tink- 
tur  101.  102.  297.  431.  432. 
Chininum  hy  drochloricum,  Euchinin, 
Aristochin  7.  29.  35.  59.  61. 
126.  255.  281.  285.  296.  311. 
312.  313.  336.  342.  343.  358. 
367.  369.  378.  383.  385.  404. 
Chloralhydrat  31.  66.  67.  326.  335. 

336.  390. 

Chloroformium  108. 

Chromsäure  417. 

Chrysarobin  422  424.  425. 

Citarin  436. 

Citrophen  281. 

Citrovanillin  281. 

Cocain  107.  255.  407. 

Codein  s.  Opiummittel. 

Coffein  8.  13.  187.  308.  365.  369. 

380.  382.  432.  447. 

Colchicum  436. 

Coldcream  413.  420.  425. 
Colocynthis  131.  132. 

Colombo  radix  142.  360. 
Condurango  102.  103. 

Cotoinum  143. 

Crotonis  oleum  132. 

Curare  390. 

Dermatol  s.  Bismutum. 

Digalen  8. 

Digitalis  5 ff.  7.  10.  27  ff.  28.  175. 

187  ff.  189.  337.  369. 
Digitalisdialysat  8. 

Dionin  s.  Opiummittel. 
Diphtherieheilserum  363  ff.  364. 
Diuretin  11. 


Dormiol  31.  326.  370. 

Duboisin  341. 

Eichenrinde  300.  417.  425. 
Eisenmittel  423f.  430. 

Ferrum  lacticum  297.  370.  427  f. 

— reductum  427.  428. 

— oxyd.  sacch  428. 

— sulf.  428. 

Pil.  Blaudii  29.  251.  285.  313. 

325.  343.  370.  427.  428. 
Liquor  Mangani  peptonatus  (Hel- 
eenberg  oder  Gtjde)  251. 
Sanguinal  29.  251.  325.  370.  428. 
429. 

Ferratm  428. 

Hämatogen  428. 

Hämol  428. 

Liquor  Ferri  sesquichlorati  65. 
SirupusFerri  jodati  296.403.  434. 
Emplastrum  Hydrargyri  394.  402. 
Ergotin  s.  Secale. 

Eudoxin  125.  126. 

Eunatrol  171. 

Eurobin  422. 

Exalgin  281. 

Faex  (Hefe)  171.  231.  333.  420. 
Cerolin  420. 

Hefeseifen  420. 

Levuretin  420. 

Rheolkugeln  231. 

Zymin  231. 

Faulbaumrinde  130. 

Filix  138.  140. 

Formalin  229.  234.  235.  250.  347. 
383.  417. 

Formanwatte  33.  303. 

Fortoin  143. 

Frangula  13  0. 

Gelatine  64.  65.  88.  432. 
Gelsemium  341. 

Gentiana  101. 

Glycerinum  137.  180.  232.  238. 

308.  360.  390. 

Gonosan  207.  212.  229. 

Granati  cortex  138. 

Gummi  Gutti  132. 

Hamamelis  253. 

Helmitol  195.  200. 


Register  der  Arzneimittel  und  Rezepte 


453 


Hetol  374. 

Holztränke  402. 

Hydrargyrum : 

Hydrargyrum  bichloratum  230. 
397.  403. 

Hydrargyrum  bijodatum  398. 

— chloratum  (Kalomel)  9.  59. 
110.  111.  125.  128.  133.  140. 
142.  164.  166.  179.  196.  288. 
303.  378.  390.  397.  402.  404. 

Hydrargyrum  formamidatum  397. 

— oxy  datum  397. 

— jodatum  398. 

— salicylicum  397. 

— tannicum  399.  403. 

Oleum  cinereum  397. 

Unguentum  cinereum  394 f.  402. 

Hydrargyrumkuren  394  ff.  402  f. 
Hydrastis  64.  65.  253.  431.  432. 
Hydrogenium  peroxydatum  74.  229. 

360.  365.  396.  404.  415. 
Hyoscyamus  66.  131.  132. 

Hypnal  326. 

Ichthalbin  251. 

Ichthyol  211  ff.  229.  232.  238.  239. 
388.  389.  416.  418.  419.  420. 
423. 

Ipecacuanha  61.  62.  141.  142.  194. 

370.  381. 

Isopral  326. 

Jalape  102.  423.  434.  418.  420. 
Jodmittel: 

Natrium  (Kalium)  jodatum  28. 
29.  31.  63.  188.  288.  289. 
296.  309.  337.  399. 

Jodipin  28.  29.  31.  59.  63.  175. 

188.  288.  289.  309.  400.  403. 
Jodoform  143.  230.  231.  299. 

305.  337.  392. 

Jodglycerin  148.  404. 

Jodsalbe  213. 

Jodtinktur  63.  229.  231 .235.  388. 
Jodvasogen  212.  213. 

Sirupus  Ferri  jodati  296.  403. 

Kalium  aceticum  11.  186. 

— bicarbonicum  61. 

— bromatum  s.  Brommittel. 

— chloricum  75. 195.  200.  396.  404.  | 


Kalium  jodatum  s.  Jodmittel. 

— permanganicum  229.  252. 

Kamala  139.  • 

Kampfer  13.  305.  365.  369.  380. 
Oleum  camphoratum  13.  305. 

308.  365.  432.  447. 

| Koso  139. 

Kreosotmittel: 

Kreosotum  126.  374. 

Kreosotal  374. 

Guajakol  63.  374. 

Duotal  374. 

Thiocol  374. 

Sirolin  374. 

Kryofin  31.  67.  69.  109.  171.  193. 
199.  228.  255.  281.  298.  310.  312. 

; Lactagol  157.  253. 

Lactophenin  31.  281.  326.  362. 
Lanolincreme  413. 

Lebertran  410.  411.  434. 
Lenigallol  422.  423. 

Levico  340. 

Lichtbehandlung  389. 

Liquor  Ammonii  anisatus  61.  62. 
— Kalii  acetici  11.  186. 

— Kalii  arsenicosi  s.  Arsenicum. 
j — Plumbi  subacetici  300. 

I Lithantracis  oleum  416. 

\ Lithium  436. 

Lobelia  67. 

Lysidin  436. 

Magnesia  carbonica  133.  164. 

— citrica  effervescens  133. 

— sulfurica  132. 

— usta  100; 

Menthol  34.  107.  179.  190.  268. 
Merkolintschurz  395. 

Methylchlorid  268. 

Methylenum  caeruleum  281.  298. 
Methylium  salicylicum  268. 

Moos,  isländisches  61. 

Morphium  s.  Opiummittel. 

Myrrha  62.  404. 

Naftalan  389. 

Naphthalin  125.  126.  140.  424. 
Naphthol  424.. 

Natrium  bicarbonicum  61.  95.  99. 
103.  436.  447. 
bromatum  s.  Brommittel. 


454 


Register  der  Arzneimittel  und  Rezepte 


Natrium  chloratum  65.  95.  168.  189. 
336.  365. 

— cinnamylicum  s.  Hetol. 

— jodatum  s.  Jodmittel. 

— kakodylicum  s.  Arsenik. 

— phosphoricum  343. 

— salicylicum  s.  Salizyl. 

— sulfuricum  126.  132. 
Nebennierenpräparate  407. 

Nitro glycerinum  31. 

Nosophen  125.  126. 

Odol  74.  396. 

Oleum  cinereum  397. 

Oleum  Jecoris  410.  411. 

Oleum  Ricini  s.  Rizinusöl. 
Opiummittel: 

Opium  29.  30.  109.  134.  135. 
141.  142.  143.  149.  150.  154. 
178.  193.  194.  196.  208.  228. 
305.  308.  324.  326.  331.  335. 
338.  370.  378.  379.  382.  447. 
Codein  29.  30.  34.  35.  62.  63. 
64.  107.  109.  117.  130.  131. 
135.  150.  232.  253.  312.  324. 
337.  338.  359.  447. 

Dionin  29.  30.  31.  34.  35.  63. 

64.  253.  382. 

Heroin  35.  63. 

Morphium  31.  63.  64.  88.  107. 
109.  141.  150.  154.  171.  178. 
193.  196.  213.  232.  298.  305. 
311.  326.  331.  336.  341.  380. 
391.  408. 

Orexinum  7.  102.  189. 
Ovarialtabletten  252.  256.  412. 
Oxaphor  65.  66.  447. 

Oxygenium  65.  447. 

Oxyspartein  13. 

Pankreon  124. 

Paraldehyd  31.  228.  308.  326.  370. 
Pelletierinium  tannicum  139. 
Pepsin  98f. 

Perhydrol  s.  Hydrogenium  peroxy- 
datum. 

Phaseoli  fructus  175. 

Phenacetin  131.  281.  298.  358. 
Phenalin  129. 

Phenolphthalein  117.  129.  131.  308. 
404.  437. 

Phenyl,  salicyl.  s.  Salizyl. 

Phosphor  35.  305.  336.  410.  411. 


| Physostigmin  108. 

Pilocarpin  186. 

Pilulae  Blaudii  29. 

— Sanguinalis  29.  428. 

Piperazin  436. 

Pix  liquida  416.  420. 

Plumbum  aceticum  64.  65.  143. 
168.  210. 

Plumbum  subaceticum  300. 
Podophyllin  132.  174.  175. 
Pollantin  406. 

Protargol  205.  208 f.  212.  230.  231. 
Puder  414.  419. 

Pulvis  Liquirit.  compos.  129.  131. 
Pyramidon  67.  109.  171.  193.  199. 
208.  228.  232.  2bb.280.  281.  298. 
310.  311.  326.  340.  358.  388.  391. 
Pyrazolonum  dimethyl.  (Antipyrin) 
202.  280.  340.  367.  388. 

Pyridin  66. 

Pyrogallol  422.  423.  424. 
Pyrogallolum  oxydatum  422. 
Lenigallol  422. 

Eugallol  422. 

Quebracho  66. 

Quercus  300.  417.  425. 

Quillaya  61.  62. 

Ratanhia  142.  404. 

Resorbin  395. 

Resorcin  108.  167.  418.  424. 
Rhamnus  Frangula  130. 
Rheolkugeln  231. 

Rheum  103.  130.  131.  132.  437. 
Rheumasan  268. 

Rhus  aromatica  202. 

Rizinusöl  110.  111.  125.  127.  133. 

136.  180.  390.  414.  437. 
Rodagen  343. 

Roncegno  340. 

Saccharum  lactis  133. 

Sal  thermarum  (Sal  Carolinum)  artif. 

88.  95.  132.  143.  174. 

Salep  61. 

Salizylmittel: 

Acidum  salicylicum  95.  108.  126. 

139.  167.  381.  382.  387.  421. 
Natrium  salicylicum  59.  60.  63. 
171.  174.  181.  207.  212.  263. 
264. 280. 281. 298.303.310.3 1 1 . 
312. 404. 407. 408. 415. 436.447. 


Register  der  Arzneimittel  und  Rezepte 


455 


Aspirin = Acetylsalizylsäure  ebend. 
Phenyl.  salicyl.(Salol)  125.281.431. 
Pyrazolonum  dimethyl.  salicyl. 
(Salipyrin)  228.  232.  253.  255. 
263.  264.  280.  298.  311.  312. 
326.  340.  382.  388.  404. 
Methylium  salicylicum  268.  361. 
Mesotan  268.  361.  388. 

Glykosal  388. 

Salit  268.  361.  388. 

Salosantal  207. 

SANDOWsche  Salze  132. 

Sanguinal  s.  Eisenmittel. 

Santali  oleum: 

Gonosan  207.  212.  229., 
Salosantal  207. 

Santonin  139.  298. 

Sapo  medicatus  139. 

— viridis  182.  434. 

Sapones  413.  418.  420.  422.  424. 
Sapolentum  Hydrargyri  394. 
Schilddrüsen  mittel  343  f.  421.  432.  j 
449.  450. 

Scopolamin  31.  66.  67.  299.  334. 

336.  338.  340.  341.  417. 

Secale  28.  64.  194.  200.  253.  297. 

337.  431. 

Seifen  413.  418.  420.  422.  424. 
Senega  61.  62. 

Senna  129.  131.  133. 

Species  laxantes,  St.  Germain-Tee, 
129. 

Pulvis  Liquiritiae  compos.  129. 
Simaruba  381. 

Sirolin  s.  Kreosotmittel. 

Sirupus  Rhamni  s.  Spinae  cervinae 
133.  164. 

Sozoiodolnatrium  36.  60.  303.  393. 
394.  405. 

Species  pectorales  359. 

Spermin  298. 

Spiritus  saponis  413.  418. 
Stramonium  66. 

Strophanthus  8.  9. 

Strychnos  103.  200.  285.  297.  341. 
Stypticin  253. 

Styptol  253. 

Styrax  424. 

Sublamin  397. 

Sulfonal  31.  326. 

Methylsulfonal  (Trional)  33.  326. 
417. 


Sulfur  132.  418.  420.  424. 

Tamarindenkonserven  130. 
Tannalbin  142.  167.  360. 

Tannigen  142.  167. 
Tanninmittel: 

Acidum  tannicum  126.  142.  234. 
300.  380.  381. 

Tannocol  142. 

Tannoform  142.  417. 

Tartarus  depuratus  133. 

— natronatus  133. 

— stibiatus  61. 

Terebinthina: 

Oleum  Terebinthinae  62.  139. 

171.  174.  195.  200.  268. 
Terpinhydrat  62.  174.  175. 
Terpinol  62.  174.  175. 
Tetanusheilserum  386. 

Theobromin  10.  187. 

Diuretin  10.  11.  187. 

Theocin  usw.  11.  187.  409. 
Thymol  74.  140. 

Thyreoidin  s.  Schilddrüsenmittel. 
Tinctura  amara  101.  102. 

— Gelsemii  341. 

— Veratri  341. 

Trional  s.  Sulfonal. 

Tuberkulin  305.  375  f.  423. 

Turnen olammonium  416.  419.  424. 
425. 

Tussol  367. 

Unguentum  cinereum  394  f. 

— Diachylon  419. 

— Wilkinsonii  416.  420. 

Urea  175. 

Uricedin  409.  436. 

Urotropin  195.  200.  436. 

Taleriana  107.  141.  326.  331. 
Yalyl  326.  331. 

Bornyval  199.  326.  331. 

Yasogen  212.  238.  239.  389. 
Yeratrum  341. 

Yeronal  31.  228.  326.  416.  417. 
Yohimbin  328. 

Zincum  oxydatum  415.  416.  420. 
422.  424. 

— chloratum230f.234ff.237.393.4&5. 

— sulfuricum  210. 

| Zittmanns  Trank  402. 

| Zyminstäbchen  231. 


B 

Sach-  und  Namenregister. 


Aachen  256.  401. 

Abasie-Astasie  332. 

Abbazia  406.  433. 

Abdominaltyphus  376  ff. 
Abführmittel  127.  154. 

Abhärtung  112.  259.  408. 

Abolition  203. 

Abreibung,  nasse  144.  322. 
Absätze,  hohe  21 7. 
Abschreckungsmethode  250. 
Achylia  gastrica  89. 

Adenoide  Wucherungen  303.  312. 
Aderlaß  67  f.  189.  308.  370.  429. 
Adipositas  nimia  447  ff. 

Aibling  240. 

Aix-les-Bains  240. 

Akklimatisation  46. 

Akne  420. 

— rosacea  423. 

Akratothermen  239. 

Albuminurie  9 f.  183.  401. 

Alkohol  3.  15.  31.  35.  101.  185.  204. 

227.  254.  257.  261f.  287.307.318. 
352.  355.  369.  435.  438.  446.  448. 
Aleuronat  114. 

Alexin  350. 

Allerheiligen  406. 

Alopecia  417  f.  425. 

Alt  334. 

Amboceptoren  350. 

Amenorrhoe  251. 

Amme  158. 

Anämie  74.  311.  429  f. 

— perniziöse  429  ff. 

— sekundäre  430. 

Anästhesie  285. 

Anästhesierung  268  f. 

Andermatt  406. 

Andreasberg  43. 

Angina  403  ff. 

— pectoris  31. 

Angioneurosen  342. 

Angstzustände  324. 

Ankylostomum  140. 

Anopheles  382  f. 

Anstalten  44.  315.  335.  354.  373. 


Ansteckung  346. 

Antipyrese  356  ff.  377  f. 

Antitoxin  349. 

Apoplexie  300.  307. 

Appendicitis  128.  176. 
Appetitlosigkeit  100  ff.  427. 
Arbeitsbehandlung  319. 

Arco  49. 

Arosa  47.  343. 

Argyrie  297. 

Arsenikvergiftung  340. 
Arteriosklerose  28.  188. 

Arthritis  deformans  389. 

— urica,  vera  435. 

Ascaris  lumbricoides  139. 
Aspirationsapparat  71. 

Asthma  59.  65. 

Aszites  175. 

Ataxie  295.  299. 

— , hereditäre  288. 

Atelektase  40. 

Atemgymnastik  3 7 ff.  72. 

Atemnot  65. 

Atmungsorgane,  Krankheiten  d.  32ff. 
Atzberger  214. 
Aufbrauchkrankheiten  261. 
Atjeeecht  303. 

Aufstoßen  108. 

Ausschabung  236. 

Aussee  240. 

Auspül.  d.  Scheide  221.  226. 238. 253. 
Autononinfektion  224. 
Autotransfusion  306. 

Babinski  337. 

Backhausmilch  105.  161. 
Badekuren  s.  Balneotherapie. 
Baden-Baden  122.  123.  240. 
Baden  b.  Wien  256. 

: Baden  b.  Zürich  256. 

Badenweiler  242. 

Bäder  s.  Wasserbehandlung. 
Bakterien  345. 

Bakteriolysin  350. 

Balneotherapie  239.  291. 
Bandwürmer  137. 


Sach-  und  Namenregister 


457 


Bantingkur  448. 

BAELOWsche  Krankheit  482. 
BASEDOWsche  Krankheit  342. 
Bauchfellkrankheiten  1 76  ff. 
Bauchwassersucht  175. 

Beatenberg  48. 

Beaulieu  54. 

Behring  158.  354.  363  ff.  385  f. 
Behrings  Diphtherieheilserum  354.  I 
— Tetanusheilserum  354. 

Beischlaf  221. 

Berchtesgaden  240. 

Bernburg  240. 

Beruf  und  Herzkrankheiten  17.  38. 
Beschäftigungskrämpfe  295.  338. 
Besonnung  s.  Sonne. 

Bettbäder  287. 

Bettmann  210. 

Bettnässen  201. 

Bettruhe  320. 

Bex  50. 

Bidet  148.  224. 

Biedeet  159.  168. 

Bier  437.  446.  448. 

Bilin  119. 

Binder  49. 

Bitterwasser  122. 

Blähungen  117. 

Blaschko  395. 

Blase  s.  Harnblase. 

Blasien,  St.  44. 

Blattern  361  f. 

Bleikolik  134. 

Blepharospasmus  338. 
Blinddarmentzündung  128.  176. 
Blum  171. 

Blutarmut  29. 

Blutbeschaffenheit  351. 

Blutbrechen  109. 

Blutegel  287.  337. 

Blutentziehung  337. 

Bluterkrankheit  432. 
Blutfleckenkrankheit  431. 

Boll  44. 

Bordighera  53. 

Bormio  242. 

Bothriocephalus  137. 

Boüchaedat  446. 

Brand  245.  251.  356. 
Bbaun-Feenwald  245. 

Braunlage  44. 

Brechdurchfall  167. 

Brechmittel  als  Expectorans  62. 


Beehmee  44. 

Breiumschlag  87.  352.  404.  408. 
Bromvergiftung  333. 

Bronchien,  Krankheiten  der  36  ff. 
Bronchitis  40  ff. 

Bronchostenose  68. 

Brot  115.  443  f. 

Brucheinklemmung  152. 

Brunnen  118.  192. 

Brunnenkuren  118.  192.  435.  450. 
Bubo  393. 

BüLAUsches  Verfahren  71. 
Büstenhalter  217. 

Calmette  386. 

Cannes  55. 

Cantani  126.  380. 

Catjx  323.  343. 
Cerebrospinalmeningitis  302. 
Chapman  286. 

Chaecot  296.  297.  337. 
CHEYNE-STOKESsches  Atmen  39. 
Chloroformnarkose  225. 

Chlorose  74.  426  ff. 

Cholaemie  174. 

Cholecystitis  172. 

Cholera,  asiatische  128.  378  ff. 

— der  Kinder  167. 

Chorea  339. 

Churwaiden  48. 

Coitus  interruptus  30. 

Coma  diabeticum  437.  447. 
Combination  216. 

Congressus  interruptus  222. 

Cbede  228.  384.  388. 

Cowperitis  212. 

Coxitis  264. 

Cudowa  26.  243.  293. 

Curettage  197.  236. 

ClIBSCHMANN  180. 

Cystitis  194.  198.  212. 

Cystoplegie  199. 

Cystospasmus  199. 

Cytolysine  350. 

Dampfbäder  389.  408. 

Danneggeb  46. 

Darmausspülung  111.  126.  134. 

150.  154.  167.  380.  381.  390.  447. 
Darmdesinfektion  125f. 
Darmkrankheiten : 

Blutungen  148. 

Durchfall  109. 

Dysenterie  134. 


458 


Sach-  und  Namenregister 


Einklemmung  151. 

Geschwüre  128. 

Katarrh  109  ff. 

Kolik  109. 

Parasiten  137. 

Trägheit  116. 

V erengerung  u.  V erschließung  1 4 9 . 
Darmkrankh.  der  Kinder  156.  164 ff. 
Dauerbäder  370.  389. 

Davos  45  f. 

Dekubitus  250.  399. 

Delirium  tremens  370. 

Denys  376. 

Depilation  415. 

Dermatitis  418  f. 

Dermatomykosen  424. 

Desinfektion  347. 

Dettweilee  44. 

Diabetes  437  ff. 

Diät  76,  vgl.  Ernährung. 
Diaphorese  36. 41.1 86. 263.  264. 287. 
Diarrhöe  93ff.  110.  144. 

Diathese,  hämorrhagische  431. 

— Harnsäure-  435  ff. 

Diehls  Apparate  23. 

Dieulaeoy  71. 

Diphtherie  363  ff. 

Disposition  345  ff. 

Diurese  174.  186.  263. 
Doenblüth,  Fe.  178.  433. 

Dunbab  406. 

Dungeen  169. 

Durchfall  93  f.  109.  117.  144. 
Dusche  145. 

Dyes  429. 

Dysenterie  134.  380  f. 
Dysmenorrhöe  254. 

Dyspepsie  85.  321. 

— , nervöse  91. 

Dyspnoe  bei  Diabetes  447. 
Herzkrankheiten  30. 
Lungenkrankheiten  65  f. 
Salizylvergiftung  388. 

Dystrophia  musculorum  288. 

Ebstein  3.  448. 

Edingee  260. 

Ehe  s.  Heirat. 

Ehelich  349. 

Eier  81. 

Eierstockkrankheiten  232  f.  238. 

245.  249.  322. 

Eilsen  256. 


! Einpackung,  nasse  358. 
Einreibungen  268. 

Einspritzung  208. 

Eisbeutel  87.  179.  300.  404. 
Eisenquellen  242. 
j Eklampsie  335. 

Ekzem  418  ff. 

! — durch  Quecksilber  396. 
Elektrisch-Licht-Bäder  27. 187.  235. 
240.  263.  265  f.  269  ff.  278.  283. 
291.  310.  322.  351.  402.  408.  436. 
Elektrotherapie  13.  36.  97.  145. 
200.  202.  263.  283  f.  320.  328. 
330.  338.  408.  415.  425. 

Elektro therm  268. 

Elster  121.  243. 

Empyem  71. 

Ems  436. 

Endokarditis  5. 

Endometritis  224.  230.  233. 
Endoskop  199.  210.  229. 
Engelberg  48. 

Engelmann  242. 

Enteroklyse  126. 

Enteroptose  90. 

Entfettungskuren  447  ff. 
Enthaltsamkeit  vom  Alkohol  262. 
— , sexuelle  204. 

Entwöhnung  164. 

Enuresis  201. 

Epididymitis  210.  212. 

! Epilation  415. 
i Epilepsie  201.  332. 

Epstein  166. 

Ebb  291.  297. 

| Erbliche  Anlage  257. 
j Erbrechen  103  ff.  189. 

Erholung  325. 

Erkältung  217.  350. 

| Ernährung,  normale  86. 

vom  Darm  aus  105.  112.  305.  430. 
von  der  Haut  aus  105. 
bei  Brunnenkuren  123. 

Anämie  430. 

Chlorose  426  f. 
Darmkrankheiten  109  ff. 

Diabetes  437  ff. 

Epilepsie  335. 

Fettleibigkeit  449  ff. 

Fieber  354. 

Frauenkrankheiten  225.  233. 
Gicht  435  f. 

Herzkrankheiten  3f.  18  f. 


Sach-  und  Namenregister 


459 


Infektionskrankheiten  354. 
Lungenkranken  58  f. 
Magenkranken  7 7 ff. 
Mundkrankheiten  73. 
Nierenkrankheiten  184. 
Nervöser  Anlage  258. 
Pneumonie  369. 

Skrofulöse  432  f. 

Typhus  377. 

Ernährungstörungen,allgemeine42 6 . 
Erosion  der  Portio  237. 

Erysipelas  302. 

Erythem  durch  Quecksilber  396. 
Erythema  simplex  415. 
exsudativum  421. 
nodosum  421. 

Erziehung  258. 

Escheeich  168. 

Ewee  97. 

Exantheme,  akute  358  ff. 

Exsudate  im  Becken  246. 

Fachingen  436. 

Falkenstein  44. 

Faradisation  s.  Elektrotherapie. 
Favus  424. 

Fieberbehandlung  356  ff. 

Fensen  423. 

Flatau  137. 

Fettleibigkeit  447  ff. 

FiECHSiGsche  Kur  335. 

Fleinee  136.  339. 

Fleisch  81. 

Fleischextrakt  4.  15.  13. 
Fleischpankreasklistier  105. 
Fleischpeptone  113. 

Fleischsaft  Puro  4.  15.  113.  226. 
Fliess  252.  254. 

Flügge  345.  349. 

Foueniee  394. 

Feaenkel  261.  368. 

Feaentzel  28. 

Frankenhausen  169. 

Franzensbad  26.  121.  243.  293. 
Frauenkleidung  217. 
Frauenkrankheiten  2 15  ff. 
Freiluftliegekuren  323.  343.  358. 
373.  410. 

FEENKELsche Behandlung 294  f.  310. 
Freudenstadt  44.  406. 

FBEUEsche  Methode  330. 

Fbey  46. 

Friedrichroda  44. 


Frigotherapie  98. 
FEiTSCH-BozEMANscher  Katheter 
237. 

Frühstück  im  Bett  318. 
Füebeingee  71. 

Furka  406. 

Furunkel  420. 

Fußbäder  35. 

Fußschweiß  415. 

Gärtner  169. 

Gallenkolik  171. 

Gallensteine  170. 

Gardone-Riviera  49. 

Gastein  242. 

Gastroptose  90.  94. 

Gebäck  443. 

Gebärmutter  s.  Frauenkrankheiten, 
Gebirgsklima  43.  430. 
Gebirgstouren  315. 

Gefäßneurosen  342. 

Gefriermittel  298. 

Geheimmittel  129.  436. 
Gehirnkrankheiten  300. 

Abszeß  302.  306. 

Anämie  306. 

Apoplexie  300. 

Blutung  300.  307. 

Entzündung  300. 

Erweichung  300.  309. 
Geschwülste  310. 

Hyperämie  307. 

Kongestion  307. 

Schlag  300. 

Syphilis  301. 

Gehirnhäute,  Krankheiten  302  ff. 
Gehstuhl  289.  295. 

Gelbsucht  173  ff. 

Gelenkrheumatismus,  akuter  386  ff. 

— chronischer  389. 

— gonorrhoischer  388. 
Gelenkrheumatismus  bei  Scharlach 

388. 

Genesungszeit  358. 

Genickstarre  302. 

Genua  51. 

Geschlechtsgenuß  219. 
Geschlechtsorgane,  Krankheiten  der 
männlichen  203. 
Geschlechtsverkehr  204.  220. 
Gesichtskrampf  338. 

— schmerz  263  f. 

Gicht  435  ff. 


460 


Sach-  und  Namenregister 


Giesshübleb  117. 

Glaubersalz  120. 

Glion  50.  323. 

Glottiskrampf  410. 

Gmelin  433. 

Goczalkowitz  240. 

Görbersdorf  44. 

Goetsch  375. 

Gonorrhöe  des  Mannes  203. 

— der  Frau  228. 

— des  Bauchfelles  232. 

— der  Eierstöcke  232. 

— des  Endometriums  230. 

— des  Mastdarms  231. 

— des  Uterus  230. 

— des  Perimetriums. 

Gossensaß  48. 

Gries  48.  323. 

Grund  44. 

Gttdden  2.  41. 

Gürtelrose  425. 

Gumma  402. 

Gumigel  256. 

Gtjyon  196. 

Gymnastik  22.  148.  170.  247.  254. 
263.  278.  408.  435. 

Haarausfall  417. 

Haarpflege  414. 

Haarschwund  415. 

Hämatocele  224. 

Hämatomyelie  286. 

Hämaturie  224. 

Hämoglobinämie  432. 

Hämolysine  350. 

Hämophilie  432. 

Hämoptysis  64f. 

Hämorrhoiden  148. 

Haeekine  353. 

Halbbäder  35.  144.  148. 

Hall  240.  242. 

Harnblase,  Krankheiten : 

Katarrh  94.  198.  212. 

Krampf  178. 

Lähmung  195. 

Schwäche  200. 

Steine  198. 

Harnblasenausspülung  196. 
Harnorgane,  Krankheiten  der  183  ff. 
Harnröhre  229. 

Harnsäurediathese  435  ff. 
Harnträufeln  195. 

Harnverhaltung  196. 


! Habvey  448. 
i Harzburg  240. 
t Hausordnung  317. 

| Hautjucken  415.  419. 
Hautkrankheiten  413  ff. 

Hautpflege  350.  413.  447. 
j Hautreize  12.  415. 

Hebba  414.  421. 

Heckeb  258. 

Hegab  236.  245. 

I Heilanstalten  für  Lungenkranke  44. 

I — — Nervenkranke  316. 

! Heilbronn  242. 

Heilgymnastik  s.  Gymnastik. 

! Heilserum  353  ff. 
j Heilstätten  44. 

! Heinbicius  24. 

Heirat  bei  Chlorose  429. 

— — Gonorrhöe  205. 

— — Herzkranken  17. 

— — Nervösen  257. 
j — — Syphilis  392. 

| — — Tuberkulose  372. 
Heißluftbehandlung  268.  283.  389. 
Helgoland  406. 

Helouan  256. 

Hemikranie  311. 

Hemiplegie  308. 

Herkulesbad  256. 

Herpes  425. 

— tonsurans  424. 

— zoster  425. 

! Hebwig  47. 

Herzflasche  4.  30. 
j Herzklopfen  30. 

Herzkrankheiten,  akute  lff. 

— chronische  14  ff. 

! Herzübung  22. 

: Heubneb  159.  168. 
j Heufieber  406  f. 

' Heusseb  51. 

I Heustrich  256. 

Hexenschuß  408. 

Hitze,  fliegende  256. 

! Hitzig  337. 

Hochgebirge  45. 

Hodge  250. 

i Höhenklima  43  ff.  430. 

Hoesslln  291. 

Hofmann  159f. 

Hohenhonnef  44. 

Homburg  26.  44.  122. 

Hombubgeb  199. 


Sach-  und  Namenregister 


461 


Humbert-Tschlenoff  46. 
Hunyadi-Janos  122. 

Husten  34  ff.  41.  60  f. 
Hydrocephaloid  306. 

Hydrocephalus  305. 

— acutus  168. 

Hydronephrose  193. 

Hydrops  bei  Herzkranken  9.  11. 

— — Nierenkranken  185. 
Hydrotherapie  s.  W asserbehandlung. 
Hygiama  89.  113.  430. 
Hyperazidität  88  ff. 

Hyperhidrosis  417. 

Hypersekretion  8 8 ff. 

Hypnose  252.  254 f.  327  f.  338. 
Hypochondrie  199.  324. 

Hysterie  328  ff. 

Ikterus  173  ff. 

Ileus  134.  151. 

Ilmenau  44. 

Immenstadt  44. 

Immunisierung  352  ff. 

Immunität  349. 

Immunkörper  350. 

Impfung  352  f.  361. 

Impotenz  328. 

Incontinentia  urinae  195.  201. 
Infektion  der  weiblichen  Geschlechts- 
teile 223. 

Infektionskrankheiten  345  ff. 
Influenza  382. 

Infusion,  subkutane  153.  168.  189. 

225.  306.  380.  430.  447. 
Inhalation  35.  36  f.  66  f. 
Initialsklerose  393. 

Injektion  in  die  Harnröhre  208. 
Intentionszittern  295. 

Intermittens  382  ff. 

Intertrigo  415.  417.  418. 
Intubation  68.  365.  391. 

Irrigation  der  Harnröhre  209. 

Scheide  221.  224.  238.  250. 

253. 

Ischias  263  ff. 

Ischl  240. 

Isolierung  Infektionskranker  346. 

— Nervöser  320.  329. 

Isbael  193. 

Jacoby  47. 

Jaksch  378. 

Janet  209. 


Jessneb  425. 

Jodvergiftung  399. 

Johannisbad  242. 

Jucken  175.  415.  419. 

JUERGKENSEN  369. 

Kältebehandlung  98.  268.  298,  vgl. 

Eisbeutel. 

Kaffee  15. 

Kahlköpfigkeit  417  f.  425. 
Kainzenbad  44.  243.  256. 
Kalorienwert  der  Nahrung  83  ff. 
Kantoeowicz  227. 

Kapesser  434. 

Kaposi  419. 

Kardialgie  108. 

Karlsbad  120.  143.  170.  174.  346. 
447.  450. 

Kartoffeln  115.  117.  176f.  444f. 
Kastration  328.  412. 

Katheterismus  196.  199.  226. 
Kehlkopf krankheiten  34  f. 
Keuchhusten  59.  60.  366. 
Kindercholera  167. 
Kinderernährung  156. 
Kinderkrankheiten  352. 

| Kinderlähmung  309. 

Kindermehle  89.  158.  165f. 
Kindermilch  80.  158. 

Kissingen  26.122. 240ff.263. 291.436. 
Kitasato  385. 

Klappenfehler  14  ff. 
Klavierspielerkrampf  215. 

Kleen  97. 

j Kleidung  2.  18.  94.  112.  169.  183. 
| Klemperer  194. 

Klima  und  Blutarmut  430. 

— und  Herzkrankheiten  18. 

— und  Krankheiten  der  Atmungs- 
organe 42  ff. 

— und  Nervenleiden  322. 
Klimakterium  30.  253.  255  f. 
Klistier  135  ff.  253. 

— ernährendes  105. 

Koch,  Robert  374  ff.  383. 
Kochbuch,  diätetisches  81.  100.  114. 

427. 

Kocher  342. 

Kochsalzinfusion  106.  153.  168.  189. 

225.  306.  380.  429.  447.  435. 
Kochsalzwässer  122.  240. 
Körperbewegung  435.  446.  449. 
Kosen  240. 


462 


Sach*  und  Namenregister 


Kohlensäurebäder  27.  182.  242  ff.  | 
263.  291  ff. 

Kohlgrub  44.  248. 

Koitus  18.  30.  204.  220. 

Kolberg  240. 

Kolik  109.  171.  182. 

— der  Kinder  168. 

Kollaps  12. 

Kolle  353. 

Kolpitis  230.  234. 

Komedonen  418. 
Kompensationstörungen  1 ff. 

Kompott  445  f. 

Kondom  205. 

Kondylome  402. 

Kongestion  zum  Gehirn  307.  337. 
Konkussor  97.  279. 

Kontagium  345. 

Kontraktur  331. 

Konvulsionen  s.  Krämpfe. 
Konzeption,  Verhütung  220. 
Koordinationstörungen  295.299.338. 
Kopfdruck  30. 

Kopfkongestionen  307.  337. 

Kopfrose  302. 

Kopfschmerz  311. 

Kopfschuppen  417. 

Korsett  215. 

Kosmetik  413. 

Kost  s.  Nahrung  und  Ernährung; 

getrennte  Kost  91  ff. 

Kotbrechen  151. 

Krämpfe,  Beschäftigungs-  338. 

— epileptische  332. 

— hysterische  331. 

— urämische  185.  188. 

Krätze  420. 

Keaeet-Ebing  337. 

Krankenhaus  354. 

Krankenpflege  bei  Infektionskrank- 
heiten 354  f. 

Krapina-Töplitz  242. 
Kreislaufstörungen  lff. 

Kreuth  44.  256. 

Kreuzbinde  40. 

Kreuznach  240.  241. 

Krimotherapie  98. 

Krisen,  gastrische  298. 

Kboneckeb  24. 

Krummhübel  44. 

Kühlbirne  213. 

Külz  446. 

Küstnee  249. 


Kuhpocken  352  f. 

Kurhotels  316. 

Kurorte  42  ff. 

Kttssmatjl  99.  108.  136.  153. 

! Lähmung  282  ff. 

; — hysterische  331. 
j — periphere  282  ff. 

| — spinale  286  ff. 

Lageveränderungen  desüterus246ff. 
J Lahmann  315. 

Laminaria  236. 

Lampe  444. 

Landeck  242.  256. 

Landebee  374. 

Lang  393. 

Langensalza  256. 

| Langenschwalbach  243. 
Lanzinierende  Schmerzen  296.  298. 
Laparotomie  156. 

Laryngitis  34f. 

Lateralsklerose  288. 
Lavey-les*Bains  256. 
Lebensgewohnheiten , ungesunde, 
der  Frauen  215.  244.  168ff. 
j Lebensweise  31 7 Bf.  329. 

J Leberkrankheiten  168  ff. 

Leibbinden  112.  148. 
j Lecithin  102. 

Leimstoffe  356. 

Leiter  87. 

| Lenk  256. 

Les  Avants  47.  50. 

Lesseb  395. 

Letulle  98. 

Lettbe  80.  106.  189.  381.  430. 
Leukämie  429  f. 

Leukocytose  352. 

Lewin  397. 

Leyden  83. 

Leysin  47. 

Lichen  421. 

Lichtbäder  265  ff.  317.  426. 
Lichtbehandlung  423.  425. 
Lidkrampf  338. 

! Liebenwerda  243. 

Liebeemeisteb  378. 

Liebig  168. 

Lindemann  398. 

Lippspringe  44. 

Lobenstein  243. 

Locarno  50. 

Luft  45.  323.  368.  396.  426. 


Sach-  und  Namenregister 


463 


Luftbäder  259.  814.  351.  411. 
Luftdruck  45. 

Lufteinblasung  in  den  Darm  151. 154. 
Luftkurorte  44  ff. 

Luftliegekur  s.  Freiluftliegekur. 
Luftröhrenschnitt  68.  365. 
Luftwege,  Krankh.  der  oberen  32 ff. 

— — tieferen  3 6 ff. 

Blutungen  64f. 

Fremdkörper  68. 

Lugano  50.  323. 

Lumbago  408. 

Lumbalpunktion  303.  310.  337. 
Lungenkrankheiten : 

Blutungen  64f. 

Ödem  65  ff. 

Pneumonie  40.  368 ff. 
Schwindsucht  371  ff.. 

Tuberkulose  40.  58. 

Lupus  erythematodes  421. 

— tuberculosus,  vulgaris  423  f. 
Lymphdrüsen  349.  393. 

Lyssa  389. 

Maden  würmer  139. 
Mädchenkleidung  217. 
Mädchenschule  218. 
Magenausspülung  95  f.  103.  110. 
166.  167. 

Magenkrankheiten  85  ff. 

— bei  Kindern  156.  164  ff. 

Atonie  90. 

Blutungen  85  ff.  109. 

— nervöse  91. 

Dyspepsie  85,  nervöse  91. 
Gärungen  180. 

Gastroptose  90.  94. 

Geschwür  85.  91. 

Kardialgie  108. 

Katarrh  85.  88. 

Krebs  91. 

Superazidität  88  f. 

Supersekretion  88  f. 
Wasserbehandlung  96  f. 
Magenschlauch  95  f. 

Malaria  382  f. 

Maloja  48. 

Malum  coxae  senile  264. 
Mandelentzündung  405. 

— hypertrophie  404  f. 

Mann  69  ff. 

Marienbad  26.  121.  243.  291.450. 
M AKTIN  245. 


Mabtius  89.  344. 

Masern  358. 

Massage  5.  408.  447. 

— bei  Darmleiden  146. 

— bei  Frauenleiden  245  ff. 

— des  Herzens  24. 

— der  Kopfhaut  312. 

— am  Kehlkopf  36. 

— bei  Lähmung  283. 

— bei  Magenleiden  97. 

— bei  Neuralgie  278  f. 

— bei  Neurasthenie  320. 
Mastdarmgonorrhöe  231. 
Mastdarmkühler  148. 
Mastdarmvorfall  147. 

Mastkur  320  ff.  343. 

Mastoiditis  302. 

Meerbäder  43.  244. 

Meeresklima  43.  323.  410.  433  f. 
Menaggio  50. 

MENiEKEsche  Krankheit  337. 
Meningitis  286.  300 ff. 

Menopause  s.  Klimakterium. 
Menorrhagie  252. 
Menstruationstörungen  251  ff. 
Mentone  53. 

Meran  48.  323. 

Mebing  446. 

Meteorismus  179. 

Metritis  224  ff. 

— chronische  233.  238.  246  ff. 
Metrorrhagie  252. 

Metschnikoff  349. 

Migräne  311. 

— rheumatische  406. 

Milch  80.  113.  158.  173.  443. 
Milchkocher  163. 

Milchkur  320  f. 

Mineralbäder  241  ff. 

Mineralwässer  192.  450,  vgl.  San- 
Dow-Salze  und  Brunnenkuren. 
Mitesser  418. 

Mittelohrentzündung  312.  360. 
Moebius  342. 

Monte  Carlo  53. 

Montreux  50.  323. 

Moorbäder  232.  239 ff.  243  f.  389. 
Morbilli  358. 

Morbus  Weklhofii  431. 
Morphinismus  171.  264. 
Motschutkowski  296. 

Mumps  368. 

Münster  am  Stein  240. 


464 


Sach-  und  Namenregister 


Müritz  433. 

Mundfäule  396. 
Mundhöhle-Krankheiten  7 3 ff. 
Mundpflege  73f.  396. 
Mumau  44.  243. 

Muskau  243. 

Muskelatrophie  288. 

— krämpfe  337  f. 

— rheumatismus  408. 

— stärker  23. 

Mutterlauge  241. 

Myalgie  408. 

Myelitis  286. 

Myokarditis  14  ff. 

Myxödem  343. 


Nachtschweiß  256.  412. 

Naegeli  279. 

Nährinjektion  106. 

. Nährklistiere  105.  304. 

— Präparate  4.  113.  325.  355. 
Nahrung,  Menge  82  ff. 

— Verdaulichkeit  7 6 ff. 

Nase,  Krankheiten  32  ff. 

— Hygiene  32  f. 

Nasenrachenraum  302.  367. 
Naturheilmethoden  402. 

Nauheim  26.  241.  263. 

Naunyn  27. 

Neissee  394. 

Nenndorf  256. 

Nephralgie  194. 

Nephritis  183  ff. 

Nephrolithiasis  190  ff. 
Nervendehnung  279.  295. 

— durchschneidung  282. 

— entzündung  262. 

— schmerzen  263. 

— schwäche  314  ff. 

Nervensystem,  Krankheiten  257 ff. 
Nervi  55. 

Nervosität  201. 

Nesselfieber  412. 

Neuenahr  119.  170.  447. 

Neuralgie  263 ff. 

Neurasthenie  31 4 ff. 

— des  Magens  91  ff. 

Neuritis  262  ff. 

Neurosen  3li. 

— der  Blase  197. 

— , vasomotorische  342. 

Nicolaiee  385. 


Nierenkrankheiten  183  ff. 

— Blutungen  193  f. 

— akute  Entzündung  183  ff. 

— chronische  187ff. 

— Steine  191  ff. 

Nikotin  15. 

Nikotinfreie  Zigarren  19. 

Nitze  194. 

Nizza  54  f. 

Nooeden  20.  21.  185.  438  ff. 
Norderney  433. 

Nordrach  44. 

Nordsee  43.  433. 

Nussbaum  366. 

Nutrose  114. 

Oberhof  44. 

Oberstdorf  44. 

Obst  445  f. 

Obstipation  93.  111. 

Odwyee  68.  366. 

Ödem  9.  11. 

Ölkuren  171. 

Oeetel  2.  3.  448. 

OEETELsche  Kur  23.  448. 
Oeynhausen  241.  263.  291. 
Ohnmacht  306,  vgl.  Kollaps. 
Ohreneiterungen  302. 
Okklusivpessar  221. 

Oldesloe  243. 

Onanie  217.  220. 

Oophoritis  232  ff. 

Operation  bei  Gallensteinen  172 

— bei  Aszites  176. 

— bei  Basedow  342. 

— bei  Bubo  393. 

— bei  Epilepsie  335. 

— bei  Frauenleiden  224  ff.  249  ff. 

— Gehirnabszeß  306. 

— bei  Mandelentzündungen  404  f. 

— bei  Neuralgie  282. 

— bei  Nierenstein  193. 

— bei  Perityphilitis  180. 

— bei  Schanker  392.  393. 
Oppenheim  342. 

Orb  240. 

Orthopädie  408.  410.  412. 
Ospedaletti  52. 

Osteomalakie  41  lf. 

Ostee  52. 

Ostsee  43.  433. 

Otitis  media  312.  360. 

Oxyuris  vermicularis  137. 


Sach-  und  Namenregister 


465 


Pachymeningitis  302. 

Päderastie  231. 

Pallanza  50. 

Pankreasklistiere  105. 

Paralysis  agitans  341. 

Parametritis  2 33  ff. 

Parasiten  im  Darm  137. 

— bei  Infektionskrankheiten  345. 
Pariser  81.  100. 

Parotitis  368. 

Partenkirchen  44. 

PASTEüRsche  Impfung  389  f. 

Pegli  51. 

Pegninmilch  105.  161. 

Peitschen  wurm  140. 
Peleoperitonitis  233.  238. 
Pemphigus  425. 

Pentzoldt  77  f.  285.  390. 
Perikarditis  1 ff. 

Perimetritis  224ff.,  chron.233ff.  238  ff. 
Peristaltik,  erregte  150. 

Peritonitis  151  ff. 

Perityphlitis  128.  176  ff'. 

Pertussis  366. 

Pessarien  248. 

Peters  46. 

Peterstal  243  ff. 

Pfeiffer  353.  382. 

Phagocyten  349. 

Phantasie  259. 

Pharyngitis  403  ff. 

Philippi  46. 

Phrenicus,  Faradisation  des  15. 
Phthisis  s.  Lungentuberkulose. 
Phytin  102. 

Pictet  98. 

Pincus  228.  237. 

Pistyan  256. 

Pityriasis  416.  424. 

Plasmon  114.  157.  174. 

Playfair  231.  235.  237.  320. 
Pleuritis  59.  63,  Punktion  ders.  69f. 
Pneumatische  Behandlung  36  ff. 
Pneumonie,  katarrhalische  40. 

— , kruppöse  40.  59.  368  ff. 

Pocken  361. 

Poehl  298.  [;■  ! • 

Poliomyelitis  286.  ■'* 

Polyarthritis  386  ff.  ; 

Polymyositis  409.  I . .. 

Polyneuritis  262  ff. 

Pontresina  48.  406. oc 
Portio,  Erosionen  237.  ; 

Dornblüth,  Therapie. 


Portofino  56. 

Potain  71. 

PniESSNiTzsche  Umschläge  4.  30. 
34.  39.  42.  87.  144.  154.  179. 
227.  232.  238.  255.  262.  283. 
321.  325.  338.  381.  398. 
Primäraffekt  393. 

Probekost  438. 

— punktion  69f. 

I Profanter  245. 

I Prostata  196  ff.  233. 
i Prostatitis  210.  213f.  233. 

Prostitution  203. 
j Prurigo  41 5 ff. 
j Pruritus  415  ff. 

I Pseudokrupp  35. 

Pseudoleukämie  431. 

| Psoriasis  421*. 

! Psychotherapie  327.  329  f. 

Psychrophor  198. 
j Puerperium  224.  226  ff.  356. 

I Punktion  des  Bauchfells  176. 

| — der  Pleura  69  f. 

! — des  Wirbelkanals  303  f. 

Puro  s.  Fleischsaft, 
j Purpura  431. 

| Pusteln  417. 

Pyämie  384  f. 

Pyelitis  193. 

Pyosalpinx  232. 

Pyrmont  243. 

Qüagklios  kohlensaure  Bäder  27. 
Quecksilbervergiftung  394.  398. 
Quincke  303. 

Rachenkatarrh  41. 

— mandel  303.  312.  435. 

Rachitis  74.  339.  409  ff. 

Radfahren  22.  219.  435. 
Ragaz-Pfäfers  242. 

Rahm  80.  159. 

Ramogen  159. 

Rapallo  56. 

Rauchen  15.  19.  35.  75.  396. 
Rehburg  44. 

Reiboldsgrün  44. 

Reinerz  26.  243. 

[ Rekonvaleszenz  s.  Genesungszeit. 
Retroflexio  248  f. 

Rheinfelden  240. 

Rheumatismus  406. 

Ribard  98. 

RicHet  334. 

30 


466 


Sach-  und  Namenregister 


Riegel  88. 

Rigi  48.  343. 

Rippoldsau  243. 

Riviera  50  ff.  323. 

Roborat  102.  114.  157.  174.  226. 

251.  355.  427.  430.  443. 
Rockbeinkleid  112.  169.  216. 
Roentgenstrahlen  424. 

Rose  302. 

Roseola  415. 

Rosenheim  155. 

Rothenfelde  240. 

Rübeolae  358. 

Rubnee  83.  84.  85. 

Rudern  435. 

Rückenmarkkrankheiten  286  ff. 
Ruhr  134.  380  ff. 

Runge  227. 

Sabatiee  194. 

Saengee  235. 

Säuerlinge  119  ff. 

Säuglingsterblichkeit , Gesellschaft 
zur  Bekämpfung  162. 

Salpingitis  232. 

Salzbrunn  44.  119.  436. 

Salzlose  Kost  334. 

Salzschlirf  122. 

Salzuflen  240. 

Salzungen  240. 

San  Remo  51  f. 

Sanatorien  44.  57.  244.  315  f. 
Sandbäder  27.  411. 

SANDOw-Bäder  27. 

— salze  121. 

Sankt  Blasien  44.  343. 

— Moritz  47.  293.  323.  343. 
Santa  Margherita  56. 

Sayne  296. 

Scabies  420. 

Scarlatina  360. 

Schädelfraktur  302. 

Schanker,  harter  391  ff. 

— , weicher  391  ff. 

Scharlach  360. 

Schede  194. 

Scheidenkatarrh  230.  233. 

Schierke  44. 

Schilddrüse  339.  342.  343.  148  ff. 
Schilling  82. 

Schimbergbad  256. 

Schinznach  256. 

Schlaf  449. 


| Schlaflosigkeit  30.  317.  325  f. 
Schlaganfall  300.  307. 

Schlankheit  217. 

Schluchsee  44. 

Schluckpneumonie  41. 

Schmidt  82. 

Schmiedeberg  243. 

Schmier  kur  394  f. 

Schnupfen  33. 

— , diphtherischer  363. 

Schömberg  44. 

SCHEEIBEE  49. 

Schreiberhau  44. 

Schreibkrampf  295.  338. 
ScHEOEDEE  237. 

Schröpf  köpfe  287.  337. 
Schrumpfniere  188. 

Schubeet  429. 

Schüttellähmung  341. 

Schuls  48.  293. 

Schultze  245.  249. 
Schulunterricht  259. 
Schuppenflechte  421. 

Schustee  395. 

Schutzimpfung  350  ff.  361  ff. 
Schwalbach  243.  293. 

Schwangere,  Erbrechen  ders.  104. 
Schwangerschaft,  Verhütung,  220. 
Schwaez  230. 

Schwefelthermen  239.  256. 
Schweiße  256.  417. 
Schweißtreibende  Methoden  34.  41. 
Schweizerpillen  129. 
Schwielenkopfschmerz  406. 
Schwimmen  435. 

Schwindel  336  f. 

Schwindsucht  s.  Lungentuberkulose. 
Schwitzbäder  187.  423. 

Seborrhöe  417. 

Seebäder  s.  Meerbäder. 

Seehospize  433. 

Seelisberg  48. 

Seereisen  43. 

Seife  413. 

Selbstsuspension  224. 

Selters  436. 

Senatoe  194. 

Senfteig  13.  30. 

Sepsis  384  f. 

Sestri-Levante  56. 

Sinusoidalisation  s.  Elektrotherapie. 
I Sinusthrombose  306. 

| Sirmione  256. 


Sach-  und  Namenregister 


467 


Sitzbäder  144.  227. 

Sklerose,  multiple  288. 

Skorbut  431  f. 

Skrofulöse  242.  362.  432  f. 
Snegirew  228.  237. 

Soden  26.  44.  241. 
Soden-Salmünster  240. 

Solbäder  182.  232.  239  ff.  263.  283. 

291.  388.  389.  409.  411.  433  f. 
— kohlensaure,  b.  Herzkranken  26  f. 
Soltmann  167. 

Somatose  4.  102.  114.  157.  166. 

226.  252.  355.  427.  430. 

Sonne,  Heilwirkung  45.  314.  368. 
Sooden  240. 

Soxhlet  159f. 

Spasmus  glottidis  35. 

Speiseröhre,  Krankheiten  75f. 
Speiverbot  348.  372. 

Spengler  46.  376. 

Spinalparalyse  288. 

Spinalpunktion  303.  310. 
Splanchnoptose  90. 

Sport  315. 

Sprimon  296. 

Springwürmer  137. 

Spuckflaschen  372. 

Spucknäpfe  372. 

Spulwürmer  137. 

Stachelberg  256. 

Stahlbäder  26. 

Starrkrampf  385  f. 

Staubgefahr  348.  371  f. 

Stauung  als  Heilmittel  352. 
Stauungspapille  310. 

Stehen  243. 

Stechmücken  382  f. 

Stillen  157. 

Stimmbandlähmung  36. 
Stimmritzenkrampf  35. 

Stomacace  75.  396. 

Stomatitis  mercurialis  396. 
Streptokokkeninfektion  der  weib- 
lichen Geschlechtsteile  223. 
Strychninvergiftung  200. 
Stuhlträgheit  bei  Frauen  218,  vgl. 

Darmträgheit. 

Südliche  Kurorte  45  ff. 
Suggestionsbehandlung  254f.  327. 
Superazidität  88  ff. 

Supersekretion  88  ff. 

Suspension  295. 

Suspensorium  206.  212. 


Sylt  433. 

Syphilis  300.  391  ff. 

— hereditaria  402  f. 

— als  Ursache  von  Nervenkrank- 
heiten 257.  262.  288. 

Syphilophoben  401. 

Syringomyelie  288. 

Tabak  15.  19. 

Tabarz  44. 

! Tabes  288.  295. 

I Tachykardie  30. 

Tagesanfang  317. 

Tallerman  389. 

Talma  176. 

Tarasp  48.  121.  343.  436. 
Taschentücher  372. 

Tenesmus  der  Blase  198. 

— des  Darmes  381. 

j Tennisspiel  219.  435. 
Teppichklopfen  348. 

Terrainkur  23  f. 

| Tetanie  339. 

Tetanus  385  f. 

I Thermalbäder  s.  Wildbäder. 
Thermophor  87.  171.  255.  408. 
Thermotherapie  44.  283. 

Thomas  250. 

Thtjre  Brandt  147.  245  ff.  251  f. 
Thyreoidismus  344. 

Todtmoos  44. 

Toelz-Krankenheil  242.  401. 
Tommasoli  212. 

Torticollis  408. 

Toulouse  334. 

Tourette  296. 

Trachea,  Krankheiten  36. 

| Tracheotomie  68.  365.  391. 
Transfusion  430. 

Traubenkuren  49.  58. 

Tremezzo  50. 

Tremolo  97. 

| Tremor  299. 

Trencsen-Teplitz  256. 

Trepanation  304.  310. 

I Triberg  44. 

| Trichinen  390. 
i Trichocephalus  140. 

Trichophyton  tonsurans  424. 
Trigeminusneuralgie  263  ff. 
Trinkunsitten  204. 

Tripper  203. 

| Trokar  11.  70. 


30: 


468 


Sach-  und  Namenregister 


Tropon  114. 

Tbousseatt  446. 

Tuberkulose  371  ff. 

— der  Gehirnhäute  305. 
Tubenentzündung  232.  233.  238. 
Tuberkulin  375  f. 

Tttbban  46. 

Turnen  170.  219.  435. 

Typhlitis  176  ff. 

Typhus  376 ff. 

Überanstrengung205.218.  257.  259. 
Überbürdung  205.  218.  257.  259. 
Übergießungen,  heiße  256. 
Übungstherapie  289.  294f.  309f.  319. 
Uffblmann  73. 

Ulcus  molle  391  ff. 

— ventriculi  85.  99  ff. 

Umschläge,  s.  Pbiessnitz  sehe  U. 
Unruhe  324. 

Unterleibstyphus  376  ff. 

Unterricht  259. 

Unterzeug  216.  317. 

Urämie  185  ff.  188  ff. 

Urethralfaden  229. 

Urethritis  210.  229. 

Urtikaria  415. 

Urophor  211. 

Uterus,  Krankheiten  s.  Frauenkrank- 
heiten. 

Yaccination  367  f. 

Vaporisation  237. 

Variola  361. 

Varizellen  358  f. 

Vasomotorische  Neurosen  342. 
Vegetationen,  adenoide  303.  312. 
Verdaulichkeit  der  Nahrung  7 6 ff. 
Verdauungsorgane, Krankheiten73ff. 

— — bei  Säuglingen  164 ff. 
Verstopfung  93.  111. 

— spastische  133.  135.  145.  147. 
Verstopfungsdiarrhöe  110. 
Vibrationsmassage  97.  278.  313.330. 
Vichy  119.  170. 

Vierzellenbad  294. 

Volksheilstätten  44. 

Voll  and  46. 

Vomitus  s.  Erbrechen. 

Vorfall  248  ff. 

Vulpera  48.  293. 


Vulvitis  229. 

Waldenbuegs  Apparat  37. 
Waldkurorte  43. 

Wanderniere  190. 

Warmbrunn  242. 

Wasserbehandlung  25  ff.  30.  35.  39. 
64.  65.  87.  96  f.  144.  154.  199. 
214.  227.  232.  239ff.  251.  255. 
262.  264.  277  ff.  283.  290  f.  304. 
318.  322.  325.  330.  338.  339  f. 
356.  369.  377.  381.  389.  402. 
411.  447. 

W asserheilanstalten  3 1 5 f. 
Wassersucht  s.  Hydrops. 
Wehrawald  44. 

Weilbach  256. 

Weib-Mitchell  320. 

Welandeb  207.  209.  395. 
Weblhoe  sehe  Krankheit  431. 
Widebhofee  168. 

Widerstandskraft  gegen  Infektion 
348  ff. 

Wiesau  243. 

Wiesbaden  122.  124.  241.  263.  291. 
401.  436. 

Wildbad  242.  263. 

Wildbäder  239  ff.  242 f.  283.  389. 

409.  456. 

Wildungen  436. 

Wilhelmi  429. 

Winckel  226. 

Windpocken  358  ff. 

Winteb  248. 

Wintebnitz  4.  87.  148.  198. 
Winterstationen,  südliche  48  ff. 
Wittekind  240. 

Wundstarrkrampf  385. 
Wurmfortsatz  181. 

Wutkrankheit  389  f. 

Wyk  433. 

ZANDEE-Apparate  22.  38. 
Zerebrospinalmeningitis  302. 
Zervixerweiterung  236. 
Ziegenspeck  249. 

Ziehen  319. 

Ziemssen  9.  88.  97.  98.  146.  378. 
Zittern  299. 

Zoster  425. 

Zuckerkrankheit  437  ff. 

Zunge,  Krankheiten  75, 


Verlag  von  VEIT  & COMP,  in  Leipzig 


Grundriß  der  Hygiene 

für  Studierende  und  praktische  Ärzte,  Medizinal-  und  Verwaltungsbeamte 

von 

Dr.  Carl  Flügge, 

o.  ö.  Professor  und  Direktor  des  hygienischen  Instituts  a.  d.  Universität  Breslau. 

Fünfte,  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

Mit  173  Figuren  im  Text, 
gr.  8.  1902.  geh.  14  Jb,  geb.  in  Ganzleinen  15  Jb. 

Flügge’ s „ Grundriß  der  Hygiene11  ist  nicht  nur  zahlreichen 
Kandidaten  ein  ausgezeichneter  Berater  bei  ihrer  Vorbereitung  für 
das  Staatsexamen  gewesen,  sondern  hat  sich  auch  in  der  Praxis  als 
ein  zuverlässiges  Naclischlagebuch  bewährt.  In  der  neuen  Auflage 
sind  die  Kapitel  Mikroorganismen,  W ohnung,  Immunität  usw. 
völlig  umgearbeitet,  die  Zahl  der  Abbildungen  ist  wesentlich  ver- 
mehrt. Äußerlich  macht  sich  dies  in  der  Erweiterung  des  Umfanges 
gegenüber  der  vierten  Auflage  kenntlich.  Flügge’s  „Grundriß  der 
Hygiene u wird  die  führende  Stellung  unter  den  zahlreichen  kürzeren 
Lehrbüchern  der  Hygiene  auch  weiterhin  behaupten. 

Grundriß  der  Physiologie  des  Menschen. 

Für  Studierende  und  Ärzte. 

Von 

Prof.  Dr.  J.  Steiner. 

Neunte,  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

Mit  zahlreichen  in  den  Text  eingedruckten  Holzschnitten. 

gr.  8.  1906.  geh.  9 Jb,  geb.  10  Jb. 

Dieser  Grundriß  der  Physiologie  hat  sich  durch  klare  und  präzise 
Darstellungsweise  in  knapper  Form,  ohne  dabei  schematisch  zu 
werden,  wie  die  rasch  aufeinander  folgenden  Auflagen  beweisen, 
dauernd  in  der  Gunst  der  medizinischen  Welt  zu  erhalten  verstanden. 

Lehrbuch  der  kleinen  Chirurgie 

(Verbandlehre,  Wundbehandlung,  Massage  usw.) 

für  Studierende  und  Ärzte 
von 

Dr.  Gregor  Urban, 

Direktor  des  Marienkrankenhauses  in  Hamburg. 

Mit  254  Abbildungen  im  Text. 

8.  geb.  in  Ganzleinen  7 Jb. 

Dies  „Lehrbuch  der  kleinen  Chirurgie“  enthält  die  therapeutische 
Chirurgie  des  täglichen  Lebens.  Es  ist  nicht  ausschließlich  ein  Be- 
gleiter bei  dem  Unterricht  in  der  klinischen  Chirurgie,  sondern  hat 
sich  auch  die  Aufgabe  gestellt,  dem  in  der  Praxis  stehenden  Arzt 
ein  guter  Berater  bei  allen  Maßnahmen  zu  sein,  die  der  Beruf  alltäg- 
lich auf  chirurgischem  Gebiete  an  ihn  stellt.  Urbans  254  Abbil- 
dungen enthaltende  kleine  Chirurgie  hat  sich  als  ein  für  jeden 
Praktiker  höchst  nützliches  Buch  bewährt. 


Verlag  von  VEIT  & COMP,  in  Leipzig 


Lehrbuch  der 

speziellen  Pathologie  und  Therapie 

mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Therapie. 

Kür  Studierende  und  Ärzte 

von 

Dr.  Theodor  von  Jürgensen, 

o.  ö.  Professor  der  Medizin  und  Vorstand  der  Poliklinik  a.  d.  Universität  Tübingen. 

= Vierte,  = neu  bearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen  im  Text. 

Roy.  8.  1902.  geh.  15  Ji,  geb.  in  Halbfranz  17  Jk  50 

„In  der  letzten  Zeit  sind  so  zahlreiche,  große  und  mehrbändige 
Handbücher  auf  dem  Gebiete  der  inneren  Medizin  erschienen,  daß 
gar  manchem  Arzte  es  unbegreiflich  erscheinen  dürfte,  wie  es  möglich 
sei,  die  gesamte  Pathologie  und  Therapie  der  inneren  Krankheiten  in 
einem  Bande  vollständig  abzuhandeln.  DerVerfasser  des  vorliegenden 
Werkes  hat  die  Möglichkeit  bewiesen;  in  seiner  knappen  und  präg- 
nanten Ausdrucksweise,  die  allem  Phrasenhaften  abhold  ist,  sagt  er  in 
wenigen  Zeilen  mehr  als  andere  auf  ganzen  Seiten.  Man  findet  daher 
in  Jürgensen’s  Lehrbuch  nicht  etwa  bloß  oberflächliche  Skiz- 
zierungen der  Krankheiten ; er  bringt  vielmehr  gar  manches,  was  selbst 
in  den  Handbüchern  nicht  ausgeführt  ist  . . . 

Das  Lehrbuch  Jürgensen’s  ragt  infolge  seiner  Eigenart  aus 
der  Fülle  ähnlicher  Werke  hervor.  Es  wird  seinem  Besitzer  eine 
wertvolle  Stütze  und  ein  treuer  Berater  sein,  das  er  niemals  ver- 
gebens um  Rat  fragen  wird.  Neue  medic.  Presse  1902.  Nr.  12. 

Durch  sparsame  Satzeinrichtung  unter  Anwendung 
verschiedener  Schriftarten  ist  Jürgensen’s  Lehrbuch  in- 
haltsreicher, als  dieses  bei  einem  einbändigen  Werke  vo n 
900  Seiten  größten  Oktavformates  vermutet  wird.  Ohne 
unhandlich  dabei  geworden  zu  sein,  wird  die  rasche  Orien- 
tierung wesentlich  dadurch  erleichtert,  daß  nur  ein  Re- 
gister nachgeschlagen  zu  werden  braucht. 

Arzneibuch  für  Mediziner. 

Handbuch  zur  Beurteilung  und  zur  selbständigen  Auf- 
stellung von  Rezepten. 

Im  Anschluss  an  das  Arzneibuch  für  das  Deutsche  Reich  (IV.  Ausgabe) 

bearbeitet  von 

Dr.  med.  Otto  von  Lengerken. 

gr.  8.  1904.  geh.  11  Jk,  geb.  in  Ganzleinen  12  Jh  50  Sp. 

Alle  in  dem  Deutschen  Arzneibuch  aufgeführten  Mittel  sind  in 
der  Weise  behandelt,  daß  bei  jedem  einzelnen  nicht  nur  die  Preise 
der  Arzneitaxe,  sondern  auch  die  chemische  Formel,  die  Verordnungs- 
art, die  Verwendungs weise  und  Dosierung  aufgeführt  werden.  Von 
den  nicht  offizinellen  Arzneimitteln  sind  die  bewährten  aufgenommen. 
Über  Vergiftungssymptome  und  die  Behandlung  von  Vergiftungen, 
über  Bäder,  Mineralwasser  und  Mineralquellen  werden  ausführliche 
Angaben  gebracht.  Das  Buch  ist  ein  vorzügliches  Nachschlagebuch 
beim  Anfertigen  von  Rezepten. 


Verlag  von  VEIT  & COMP,  in  Leipzig 


Die  Sehnenüberpflanzung 

und  ihre  Verwertung  in  der  Behandlung  der  Lähmungen 

von 

Dr.  med.  Oscar  Vulpius, 

Professor  an  der  Universität  Heidelberg. 

Mit  zahlreichen  Figuren  und  Abbildungen  im  Text. 

gr.  8.  1902.  geh.  6 Jb. 

Grundriß  der  Toxikologie 

mit  besonderer  Berücksichtigung  der  klinischen  Therapie. 

Für  Studierende  und  Arzte,  Medizinal-  und  Verwaltungsbeamte. 

Von 

Dr.  Heinrich  Kionka, 

Professor  der  Pharmakologie  an  der  Universität  Jena. 

Mit  einer  Spektraltafel. 

gr.  8.  1901.  geh.  11^,  geh.  in  Ganzleinen  12  Jb. 

Kionka ’s  „ Grundriß  der  Toxikologie “ zeichnet  sich  durch  klare 
Darstellung  und  übersichtliche  Disposition  des  Stoffes  aus.  Das  Buch 
will  der  Praxis  dienen.  Deshalb  wird  der  Schwerpunkt  auf  die  Therapie 
der  Vergiftungen  gelegt:  sie  ist  im  allgemeinen  Teil  wie  in  den 
speziellen  Abschnitten  mit  größter  Sorgfalt  behandelt.  Die  am 
häufigsten  vorkommenden  Vergiftungen  werden  besonders  eingehend 
besprochen.  Die  charakteristischen  klinischen  Symptome  und  der 
pathologisch- anatomische  Befund  finden  ebenso  wie  die  mikroskopische 
und  spektroskopische  Untersuchung  ausgiebig  Berücksichtigung. 

Klinisches  Wörterbuch. 

Die  Kumstaiasclrüiclve  der  Medizin 

erläutert  von 

Dr.  med.  Otto  Dornblüth. 

Zweite,  wesentlich  vermehrte  Auflage. 

8.  geb.  in  Ganzleinen  3 Jb  50  3%. 

Das  Bedürfnis  nach  einem  Nachschlagebuch,  das  die  wichtigsten 
Kunstausdrücke  aus  den  alten  und  lebenden  Sprachen  erläutert,  macht 
sich  bei  jedem  Mediziner  geltend.  Dornblüth’s  Wörterbuch  zeichnet 
sich  durch  große  Reichhaltigkeit,  Handlichkeit  und  billigen  Preis  aus. 

Chirurgisch-anatomisches  Vademecum 

für  Studierende  und  Ärzte 
von 

Wilhelm  Roser, 

weil.  o.  ö.  Professor  der  Chirurgie  an  der  Universität  Marburg. 
Neunte,  sorgfältig  umgearbeitete  und  mit  der  neuen  anatomischen 

Nomenclatur  versehene  Auflage, 
besorgt  von 

Dr.  Karl  Iloser,  Spezialarzt  für  Chirurgie  in  Wiesbaden. 

Mit  145  Abbildungen. 

8.  geb.  in  Ganzleinen  6 Jb.